[][][][][][][]

Theologiſche
Bedencken

Und andere
Brieffliche Antworten
auff geiſtliche/
ſonderlich zur erbauung gerichtete materien

zu unterſchiedenen zeiten auffgeſetzt/
und auff langwihriges anhalten Chriſtlicher freunde
in einige ordnung gebracht
und heraußgegeben.

Dritter Theil/

Worinnen ſonderlich vieles deſſen/ was in den nechſten
30. jahren in der kirchen vorgegangen iſt/ und zum theil des autoris
perſon und amt betroffen hat/ vorkommt.

Mit Koͤnigl. Polniſcher und Preuß. auch Churfl. Saͤchſ. und Brandenb. Freyheit.


HALLE/: in verlegung des Waͤyſen-Hauſes/ 1702.

[][]

Dem Chriſtlichen leſer/
Wuͤnſche von dem Allerhoͤchſten das liecht/
ſeinen willen in allem zuerkennen/ alles zu pruͤffen
und das beſte zu behalten.


WAs von demII.theil in
der vorrede gemeldet/ daß
damal alles noch in denſel-
bigen zu bringen und das
werck zu ſchlieſſen gedacht/
aber zu einem III. theil
mich entſchlieſſen muͤſſen/
habe dißmahl auch zuwie-
derholen/ daß nemlich die
hoffnung wiederum ge-
habt/ mit bevorſtehender
jetziger meß den reſt des
wercks in den 2. uͤbrigen
capiteln herauß zubringen: und zwahr habe ich/ als viel die
amts-geſchaͤfften und zuſtand meines alters zugegeben/ nicht
unterlaſſen/ die arbeit zubefordern; es haben ſich aber ſo wol
immer der papier mehrere gefunden/ und die reviſion mehr
zeit erfordert/ daß in dem Julio und Auguſto erſt das meiſte
nach Halle ſenden koͤnnen; da nicht wol muͤglich war/ auff
a 2die
[] die meß mit dem druck fertig zu werden. Daher mir den vor-
[ſchlag] nicht mißlieben laſſen/ lieber aus den beiden noch reſti-
ren
den capiteln zwey theil zu machen/ als die meß zuverſaͤu-
men.


Daher in GOTTES nahmen dieſesmal den III. theil
außgeben allein aus c. VI. beſtehende. Es faſſet aber daſſel-
bige in ſich/ nicht allein was meine eigne ſachen/ beruffungen/
collegium, pia deſideria und dergleichen angehet/ ſondern
auch unterſchiedliche nachrichten von vielen dingen/ welche in-
ner 30. jahren in unſerer kirchen vorgegangen/ worinnen
entweder ſelbs etlichermaſſen mit eingeflochten worden/ oder
ſie/ theils mit freuden/ theils betruͤbnuͤß/ angeſehen habe.
Jch habe aber das capitel abgetheilet in 3. articulos nach den
dreyen orten/ an denen GOTT in offentlichem amt gedienet/
Franckfurt am Mayn/ Dreßden und alhier: Dann was
den erſten ort anlangt/ Straßburg/ da auch vierdthalb jahr
im predigtamt geſtanden/ habe ſo wol wenig wichtige brieffe
damal annoch geſchrieben/ als auch wo dergleichen geſchehen/
keinecopien darvon behalten: welches auch die urſache zimlicher
maſſen iſt/ warum von den erſten jahren des Franckfurti-
ſchen dienſtes wenige erſcheinen. Articulus I. die Franckfur-
tiſche zeit angehende wird in 4. diſtinctiones getheilet/ nach
der folge der jahre. I. von 1666. biß 1676. II. 1677. 8. 9. III. 1680.
1681. IV. 1682. biß 1685. Die ander beyde articuli, mein ver-
bleiben in Dreßden und alhier in ſich faſſende/ haben keine an-
dre diſtiuctiones, als jeder ſeine ſectiones. Es ſind aber alle ant-
worten nach der zeit und datis geſetzt/ ſo in den andern capi-
teln anders gehalten worden/ in dieſem aber ſich nicht fuͤg-
lich anders ſchicken wollen. Es iſt aber daher geſchehen/ daß
da einige copien das jahr oder auch tag nicht angezeichnet ge-
habt/ ich allein nach vermuthung gehen muͤſſen: ſo dann
wird faſt einerley in mehrern brieffen/ zu weilen wiederholet/
welches einigen leſern verdruß erwecken mag/ die ich aber
um gedult bitte/ dabey doch hoffende/ daß ſich einige nicht
eben daruͤber beſchwehren werden.


Jm
[]

Jm uͤbrigen verſehe mich/ was meine dinge betrifft/
werde der geneigte leſer leicht finden. 1. Daß ich mich an
allen 3. orten (wie zwar auch an den erſten zu Straßburg)
eines unzweiffenlich goͤttlichen beruffs habe getroͤſten/ da-
her worzu mich GOTT in denſelben gelegenheit des guten
gezeiget/ in demſelben vertrauen getroſt alles angreiffen/
und mich dabey des ſegens und ſchutzes von oben unzweif-
fenlich verſichern koͤnnen: welches ich nicht vermocht/ wo
mir nur ein einiger ſcrupul bey einigem beruff uͤbrig geblie-
ben/ und ich active darinnen concurriret haͤtte.


2. Daß mir vor allen angelegen geweſen/ nechſt dem
grund der rechtfertigung den fleiß der heiligung/ und alſo
den lebendigen thaͤtigen glauben (der allein ſolches nahmens
wuͤrdig iſt) zu treiben: ſonderlich hats durch GOTTES
gnade die erſte ſtarcke bewegung gegeben anno 1669. auff
den 6. Sonntag nach Trinit. als ich die falſche und ungnug-
ſame gerechtigkeit der Phariſeer beſtraffte/ und wie ſich der-
gleichen noch viele bey uns befinde darſtellete. Von ſolcher
predigt/ die auch darnach gedruckt worden/ mag ich des
HERREN krafft ruͤhmen/ die ſich darbey erzeiget/ daß
ſie insgemein faſt allen durchs hertz gegangen/ ob wol mit
doppelten und widrigen außgang (wie Apoſt. Geſch. 2/37.
und 7/54.) in dem einige ſolcher anklopffenden wahrheit
ſich alſo widerſetzten/ daß ſie ſich nimmer in meine predigten
(weil ſie nemlich in ihrer ſicherheit ſich ſehr geſtoͤhrt fuͤhleten)
zu kommen/ verlauten lieſſen; andre hingegen in einen hei-
ligen ſchrecken geſetzt und ihres unerkanten heuchelwe-
ſens uͤberzeugt zu ernſtlicher buß auffgewecket wurden/
auch darauff nach dem rechtſchtſchaffenen weſen in Chriſto
JEſu zu trachten ſich befliſſen.


3. Von ſolcher zeit fuhr immer fort/ neben der reinen
lehr von der gnaͤdigen rechtfertigung/ wie ſie ohne alle ab-
ſicht auff einige werck allein aus den glauben geſchehe/ vor-
nehmlich das falſche vertrauen auff einen todten und mund-
a 3glaͤu-
[] glauben (dardurch ſo viele tauſend verlohren gehen) am
kraͤfftigſten anzugreiffen/ und die ſo nothwendig-als muͤg-
lichkeit des thaͤtigen Chriſtenthums (unter welchem titul
auch 1677. einen ſonderbaren jahrgang gehalten) folglich
die ernſtliche innere heiligung und gottſeligkeit zu treiben.


4. Hiezu kam/ daß 1670. dem verlangen einiger Chriſt-
licher freunde ein gnuͤge zuthun/ meine gewiſſe hauß-uͤbung
oder ſo genantes collegium pietatis anſtellete/ von deſſen ab-
ſicht und art in meinem ſchreiben an einen außlandiſchen
Theologum ausfuͤhrlich gehandelt/ und in dieſen brieffen
mehrere nachricht darvon zu finden/ daher etwas ferner
darvon hier zu melden nicht noͤthig iſt.


5. Da nun die krafft goͤttlichen worts in den predigten/
darinnen auch meine treue Collegæ ihres orts meine gute ab-
ſicht ſecundirten/ auch catechetiſchen examinibus, in vielen
hertzen viel gewuͤrcket/ auch die gelegenheit des collegii zu
einiger begieſſung des gepflantzten/ ſonderlich aber zu ſtiff-
tung genauerer freundſchafft unter ihre erbauung ſuchen-
den ſeelen/ gedienet/ wuchs das werck des HERREN in
Franckfurt durch deſſen ſegen erfreulich/ und zeigte ſich eine
zimliche zahl von leuten beiderley geſchlechts/ die ſich ihr Chri-
ſtenthum ernſtlicher als ſonſten lieſſen angelegen ſeyen/ die
welt und ſich ſelbs zu verleugnen mit vielem eyffer trachte-
ten/ und andern mit dem exempel vorleuchteten.


6. Da konte es nicht anders geſchehen/ als daß der Teuͤf-
fel/ der ſeines reiches abbruch und ſchaden ſahe/ aber noch
mehrern forchte/ alle ſeine krafft anwendete/ den guten an-
fang zu ſtoͤhren/ daher er ſeine gewoͤhnliche kuͤnſte brauchte
mit luͤgen und laͤſterung; dann da wurden wahre und von
der gantzen Evangeliſchen kirchen erkante lehren verdrehet
und mit verdacht beleget/ falſche dinge/ daran auch nicht ein
ſchein des wahren geweſen/ von unſchuldigen leuten ausge-
ſprengt/ andere dinge die geſchehen und nicht unrecht waren/
ſchendlich verkehret/ einiger guter aber unverſtaͤndiger leu-
te fehler auff das aͤuſſerſte auffgemutzt/ und alles dahin ge-
rich-
[] richtet/ daß ja der gute anfang in Franckfurt jederman ver-
daͤchtig und verhaſt gemacht werden moͤchte.


Als 7. ich 1675. meine vorrede uͤber Arndii Poſtill erſt-
lich vor dem Buch ſtehend/ nachmal allein unter dem nah-
men piorum deſideriorum, heraus gegeben/ entſtunde eine
faſt groſſe bewegung. Sehr viele vornehme ſo Theologi als
Politici, denen ich das wercklein geſchickt/ bezeugten ihre bey-
pflichtung/ offt mit ſolchem lob/ deſſen mich noch nicht anneh-
men kan/ zum theil trugen auch das ihrige bey/ oder verſuch-
ten/ was ſich ihres orts practiciren lieſſe/ und wieſe ſich faſt
insgemein bey allen/ die es mit dem werck GOttes treulich
meinten/ eine ungemeine auffweckung. Hingegen lieſſe
ſich bey andern/ die etwa zum theil meinten/ die gefuͤhrte kla-
gen traͤffen ſie mit/ oder beſchaͤmten ſie/ unwillen ſpuͤhren/
und ob wol keiner das hertz nahm/ offentlich etwas dagegen
zu thun/ ſo murreten ſie doch daruͤber/ und weil ſie ſorgten/
was in Franckfurt angefangen/ werde ſich auch anderwerts/
das ihnen nicht lieb waͤre/ ausbreiten/ trachteten ſie unter
der hand ſich nach muͤglichkeit zuwiderſetzen. Jndeſſen je
mehr die gemuͤther in dem eyffer des guten/ andere in deſſen
haß/ zunahmen/ und was vorhin inner den mauren zu
Fꝛanckfurt odeꝛ doch nachbarſchafft geblieben/ ſich weiteꝛ aus-
breitete/ ſo viel mehrten ſich auch die vorige laͤſterungen/
und breiteten ſich ebenfals immer weiter aus/ daß 1677. in
meinem ſendſchreiben an einem auswertigen Theologum
ſolche abzulehnen veranlaſſet wurde: welches ſchreiben ſo-
wol als die pia deſideria nicht ohne ſegen geblieben ſind.


8. Als aber der S. Herr Cammer-Rath Kriegsmañ
ſeine Symphoneſin Chriſtianam 1678. edirt, erweckte ſo bald
nicht allein ein benachtbarter Theologus daſigen hoff dage-
gen/ und veranlaſte vieles das gute zu hindern/ ſondern es
fing nun an von der materie der eintzeln zuſammen kuͤnfften
der Chriſten in offentlichen mehr diſputiret zu werden: da
vorhin mein gehaltenes collegium zwar immer ſcheel von
manchen angeſehen wurde/ aber ſich keiner unterſtanden/
das ſelbige offentlich anzugreiffen.

9. Der
[]

9. Der erſte/ der an mir mit offentlicher ſchrifft zum
Ritter zu werden getrachtet/ war Georg Conrad Dilfeld
Diac. zu Nordhauſen/ der ſeine Theoſophiam Horbio Spe-
nerianam
zu ende 1679. heraus lieſſe/ ich aber gleich die nech-
ſte meß mit meiner allgemeinen GOttes gelehrtheit alſo ant-
wortete/ daß der gute mann/ ob er wol etwas ſich weiter un-
terſtehen wollen/ doch nicht auffzukommen vermocht.


10. Damit fingen die laͤſterungen zimlich an ſich
zu legen/ weil was nur ein wenig unpartheyiſche leute waꝛen/
je mehr und mehr den ungrund der beſchuldigung oder ver-
dachts falſcher lehr erkanten/ auch andere ausgeſprengte un-
wahrheiten ſich algemach ſelbs widerlegten: indeſſen geſcha-
he/ daß aus GOttes verhaͤngnuͤß eine andere gefahrlichere
hindernuͤß ſich hervor that/ wann einige der beſten ſeelen/ die
andern bißdahin nicht wenig fuͤrgeleuchtet/ ſich den eyffer
uͤber das gemeine verderben/ das vor augen lige/ ſo weit ein-
nehmen lieſſen/ daß ſie mit der offentlichen gemeinde/ weil
ſo viele/ die ſie vor gewiß unwuͤrdig glaͤubten/ zu communi-
ciren,
auß forcht/ dadurch in ihre gemeinſchafft zu kommen/
ſich ein gewiſſen machten/ daher dem gebrauch des heiligen
abendmals/ ja auch zum theil zimlicher maſſen der offentli-
chen verſamlungen ſich entzogen: woraus noch mehrere un-
oꝛdnungen entſtanden. Dieſes ungluͤck/ dem mich zwaꝛ mit of-
fentlichen ſchrifften und predigten/ auch beſondern hertzlichen
zuſpruͤchen/ nach vermoͤgẽ widerſetzt habe/ war das jenige/ das
den ſchoͤnen wachsthum des guten in Franckfurt/ den der Sa-
tan durch offenbahre feinde/ laͤſterung und allerhand zuge-
fuͤgtes leiden nicht hintertreiben hatte koͤnnen/ gleichſam
auff einmal alſo niderſchlug/ daß die gantze zeit meines noch
daſeyens es wieder in vorigen geſegneten zuſtand zu bringen
nicht vermocht habe. Dieſes iſt der kurtzeſte begriff deſſen/
was in Franckfurt mich angehend vorgangen/ daß theils ein
liecht vielen ſchreiben/ die art. 1. vorkommen/ geben/ theils
daraus empfangen wird: Darauß ich hoffe/ jedem Chriſt-
lichen und der wahrheit begierigen leſer werde offenbahr
wer-
[] werden: daß 1. ich niemal in einem puͤnctlein von unſrer kir-
chen glaubens-lehr/ wedeꝛ in oͤffentlichen ſchrifften noch brief-
fen abgewichen. 2. Daß auff die nach der rechtfertigung
gewiß folgende heiligung/ und wie kein anderer als der le-
bendige thaͤtige der wahre glaube ſeye/ das meiſte getrieben
habe/ und auch von andern offentlichen und abſonderlich
kaum etwas mehr gehandelt worden: daher aller lermen
uͤber dieſe unzweifflich goͤttliche wahrheit entſtanden iſt.
Darzu 3. gekommen/ die nicht weniger goͤttliche wahrheit/
daß wie zu dem Studio Theologico und demnach einem
rechtſchaffenen Theologo, alſo auch einem wahren Chriſten/
und der ſeligmachenden erkaͤntnuͤß/ nicht gnug ſeye ein
buchſtaͤbliches wiſſen/ ſondern die erleuchtung des heiligen
Geiſtes nothwendig erfordert werde. 4. Daß ich mich
auch den entſtandenen unordnungen nach vermoͤgen/ und
wie ich fand thunlich zu ſeyen (weil ſie ſonſten durch gewalt
und hefftigkeit vielmehr vermehret als abgethan werden)
widerſetzt/ alſo nicht theil daran genommen. 5. Daß zwar
von vielen/ die unſre kirche ſelbs hefftiger angreiffen wol-
ten/ und auch an dero lehr ſich machten/ ſolicitiret worden/
meinen eyffer auch dahin zuwenden/ nur alles nieder zu-
reiſſen/ aber ihnen nie gewichen ſeye/ ſondern muͤndlich
und ſchꝛifftlich widerſtanden/ daher auch bey ſolchem theil/
weil die mittelſtraße beliebte/ keinen danck verdienet. Wei-
len aber 6. nach allen dieſem/ damein nahme bereits in gantz
Teutſchland durch boͤſe geruͤchte und gute geruͤchte
bekant war worden/ das Hochpreißliche Ober Conſiſtori-
um
in Dreßden mich S. Churf. Durchl. zu Sachſen zu
dero wichtigen Ober-Hoffprediger ſtelle angelegenlich vor-
geſchlagen/ und da deſſen gemuͤth ohne das nicht von mir
entfremdet geweſen/ die erfolgte vocation veranlaſſet/ ſo
folget/ daß daſſelbe alles vor paſſirte gnugſam unterſucht/
und meine unſchuld in lehr/ conſiliis und leben erkant/ auch
bdie
[] die uͤbrige Churfuͤrſtliche Theologi, die nichts gegen mich
eingewandt/ ſondern mit bezeugung der freude und gratula-
tion
mich auffgenommen/ mich vor richtig befunden haben
muͤſten. Welches mir noch vor jetzige zeit ein kraͤfftiges
zeugnuͤß geben kan/ da meine lehr/ conſilia und leben ſich
nicht geaͤndert/ ſondern noch finden wie ſie in Franckfurt ge-
weſen und doch die probe unter ſo vielen widerſpruͤchen aus-
gehalten haben. Daruͤber ich des HERREN guͤte prei-
ſe.


Von Artic. II. und III. finde nicht noͤthig etwas hiezu
erinnern/ als insgemein/ daß daraus erhellen werde/ wie
immerfort den zuſtand unſerer zeiten insgemein/ und wo ab-
ſonderliche ſtuͤcke vorgekommen/ angeſehen/ beſeuffzet/ und
meine gedancken vorgeſtellet habe; ſonderlich weil ſo viel aus
den jenigen/ was 1689. zu Leipzig angefangen/ entſtanden iſt/
daraus die feinde der gottſeligkeit eine ſonderbare ſecte des
Pietismi gemacht/ und damit unwiederbringlichere aͤrger-
nuͤß geſtifftet haben/ koͤnnen vor allen andern art. II. ſect. 31.
32.
die beyde auff gnaͤdigſten befehl aus den geſamten actis
unterthaͤnigſt abgefaſte relationen und gutachten darzu die-
nen/ um zu ſehen/ wie ſo gantz ungegruͤndet die erſte beſchul-
digungen geweſen/ und daraus zuſchlieſſen/ was auch von
andern vorgeben zu glauben; insgeſamt iſts eine anzei-
gung einer guten ſache/ und die von GOTT herkomme/
wann ſich der Satan dagegen hefftig ſetzet/ dieſer aber ver-
raͤth ſich an ſeinen wercken und eigenen waffen (dero ſich der
heilige Geiſt nimmer brauchet) nemlich neid/ hadder/ laͤ-
ſterung/ boͤſer argwohn/ ſchulgezaͤnck. 1. Tim. 6/ 4. 5.
Wo ſich alſo dieſe hervorthun/ ſchlieſſet man leicht/ wer da-
hinter ſtecken muͤſſe/ und hat mans bißdaher gnug erfah-
ren. Es ſeye aber darmit gnug.


Nun habe noch einiges zu bemercken/ daß viele dar
vor-
[] vorhalten werden/ ein guter theil der bedencken/ weil ſie
von gewiſſen materien/ die in den vorigen capiteln vorgekom-
men handeln/ haͤtten mit mehrerem recht in dieſelbe mit ge-
bracht/ oder in die paralipomena c. VII. rerſpahret/ hier a-
ber nur gleichſam/ was zur hiſtorie gehoͤret/ geleſen wer-
den ſollen. Jch will auch von vielen nicht in abrede ſeyen/
daß ſie ſich an andern ſtellen nicht uͤbel geſchickt: es ſind mir
aber viele erſt in die haͤnde gefallen/ da jene bereits verfertigt
geweſen/ ſo habe in dieſen antworten/ die ohne das nicht an
einander haͤngen/ an einer genauen ordnung vieles gelegen
zu ſeyen/ eben nicht davoꝛ gehalten/ ſonderlich weil an dero
ſtelle ein regiſter/ ſo angehenget werden ſolle/ dem beſſer zu
ſtatten kommen und jenen mangel erſetzen kan: ſo ſchicken
ſich auch viele materien/ ob ſie wol auch anderswo ihre beſon-
dere ſtellen haben koͤnten/ in dieſes capitel in die ordnung der
zeit/ zu ſehen/ was jedesmal vorgegangen.


Es ſolle ſich auch keiner daran ſtoſſen/ wie ich in dieſem
von dem in den uͤbrigen capiteln behaltenen vorſatz/ die nah-
men der freunde/ an die ſie geſchrieben/ außzulaſſen/ abge-
wichen bin/ und etliche mal dieſelbige außgedruckt habe: in
dem ſolches nie anders geſchehen/ als wo ſolche aus druckung
noͤthig gehalten/ und zwar insgemein allein bey bereits
verſtorbenen/ denen dahero kein verdruß oder nachtheil ent-
ſtehen kan/ da ſonſt die liebe verletzet wuͤrde.


Hiemit hat alſo der Chriſtliche leſer/ was etwa noch
zum vorbericht dienlich geglaubet/ das letzte capitel oder
IV. theil aber in kurtzen ſamt dem regiſter zu erwar-
ten.


Der himmliſche Vater laſſe auch dieſe arbeit nicht ver-
gebens ſeyen/ und da ſie meiſtens betruͤbte materien begreifft/
und einen elenden zuſtand unſrer kirchen vorſtellet/ ruͤhre er
dadurch die hertzen zu inniglichen erbarmen uͤber dieſelbe/
und zum verlangen nach ihrer beſſerung/ auch daran/ auffs
we-
[] wenigſte mit unablaͤßigem gebet/ zu arbeiten/ ſonderlich aber
die etwa an andern gezeigte ſteine des anſtoſſes Chriſt-kluͤg-
lich zu vermeiden: Er trete aber ſelbs bald in das mittel/
und was menſchen zurecht zu bringen nicht vermoͤgen/ ja
offt wann ſie es beſſern wollen/ nur mehr verderben/ richte
Er aus/ und wehre nach ſeiner krafft und weißheit dem auffs
hoͤchſte geſtiegenen verderben durch endliche erfuͤllung ſeiner
ſo herrlichen verheiſſungen um ſeines liebſten Sohnes un-
ſers Heylands JEſu willen Amen. Berlin den 19. Sept.
1701.


[[1]]

DasVI.Capitel.
Von dingen die meine Perſon und
verrichtungen angehen/ auch allerhand bege-
benheiten und zuſtand unſerer kirchen zu meiner
zeit.

ARTIC. I.
Was in die zeit meines in Franckfurth am Mayn
getragenen amts einlauffet.


DISTINCT. I.
VonAnno 1666biß 1676.
SECTIO


  • 1.
    ANtwort-ſchreiben an Herrn Philipp Schultzen Ictum, als mir wegen der
    ſtatt Franckfurt das Seniorat des Miniſterii aufgetragen.
  • 2. Die andere antwort an eben denſelbigen.
  • 3. An den Magiſtrat zu Straßburg/ als von der ſtatt Franckfurth meinetwe-
    gen an ſolchen geſchrieben/ und darauff von mir meine erklaͤhrung verlanget
    worden.
  • 4. An die Herren Scholarchen zu Franckfurth wegen annehmung der vocation.
  • 5. Antwort an die ſtatt Franckfurth am Mayn auff die vocation.
  • 6. Antwort-ſchreiben des Miniſterii zu Franckfurth am Mayn an den rath zu Er-
    furt wegen Johann Melchior Stengers ſchrifften.
  • 7. Des gedachten Miniſterii cenſur uͤber gedachte 2. Stengeriſche ſchrifften.
  • 8. Von einem vorſchlag einer heiligen liebes-geſellſchafft.
  • 9. Einige ſchreiben an einer adelichen jungfrau.
    A(1. Uber
    [2]Das ſechſte Capitel.
    (1. Uber verlangen nach chriſtlichen freunden in der abweſenheit. Wor-
    an es nirgend mangele. Wunſch und gebeth vor einander.
  • 10. (2. Schweſternahme. Neujahrs wunſch. Mangel nicht an der lehr ſondern
    leben. Vortheil wo man noch die wahre religion uͤbrig hat. Was zuthun/
    wo man meiſtens boͤſe exempel um ſich hat. Ob Ap. Geſch. 19/ 5. eine wie-
    dertauff gelehret werde.
  • 11. (3. Vater- und ſchweſter-nahm. Titul/ worinnen gemeinem gebrauch zuwei-
    chen. Gemeines verderben. Falſche regeln der welt. Streit uͤber ſonn-
    tags feyer. Wann brod und wein im heiligen abendmahl der leib und blut
    Chriſti ſeyen. Auffmunterung einer Prinzeßin. Abſterben eines toͤchter-
    leins.
  • 12. (4. Einer Princeßin beſtaͤndigkeit im guten. Meine arbeit im genealogi-
    ſchen ſtudiis. Verlangen und nutzen der einſamkeit. Anfechtung eigener
    ehre. Solche ſuͤnde ſtirbt zuletzt.
  • 13. (5. Von nieſſung der unwuͤrdigen im heiligen abendmahl. Einer Princeßin
    beſtaͤndigkeit. Troſt uͤber den todt eines toͤchterleins. Geburth eines ſoͤhn-
    leins. Gefahr unſrer zeiten. Gehaltene bußtage. Wegen der heuchel-
    buſſe.
  • 14. (6. Gegenwaͤrtiger zeit jammer. Franckfurtiſcher bußtag. Zuſtand einer
    Princeßin. Abſchied einer ſchwehr angeſochtenen. Neujahrs-wunſch.
  • 15. (7. Bußpredigten. Viel heuchel-bußtage. Unerkaͤntnuͤß unſrer gefahr. Ob
    faſten Papiſtiſch. Noͤtige gedult mit der bruͤder ſchwachheit. Gelaſſen-
    heit laͤnger zu leben oder zuſterben. Der Princeßin beſtaͤndigkeit. Ob beſ-
    ſer in oder auſſer gefahr zu leben.
  • 16. (8. Als dieſelbige einen prediger heurathen ſolte. Uberlegung des gantzen ge-
    ſchaͤffts. Ob der ehe oder ledige ſtand vorzuziehen? Ubergebung der zweif-
    felhafften ſachen in freunde ausſchlag. Mein verfahren in der vocation von
    Straßburg nach Franckfurth.
  • 17. (9. Als der vorgeweßte heurath zuruͤckgienge. GOttes wunderbare fuͤhrung
    der ſeinigen/ ihren glauben und gedult zuuͤben. Das exempel von mir in dem
    beruff nach und von Straßburg.
  • 18. (10. Gelaſſenheit in goͤttlichen willen. Buͤchlein D. Kortholts von den ver-
    folgten erſten Chriſten. Goͤttliche krafft zu ſolcher zeit. Gefahr der un-
    ſern. Roͤmiſches und ſtaͤtes Evangeliſches jubel jahr. Neujahrs wunſch.
    Kuͤnfftige hoffnung nahen fruͤhlings Maria Juliana Baurin von Eiſe-
    neck
  • 19. Die goͤttliche gerichte der kriege.
  • 20. Crameri Ehren-ſtand der kinder GOttes. Vorzug des Evangelii/ auch
    deſ-
    [3]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO I.
    deſſen mißbrauch. Franckfurtiſcher zuſtand. Mein hauß-collegium. Kin-
    derlehr und catechiſmus examen.
  • 21. Von den beſondern verſamlungen.
  • 22. Von der in Schweinfurth angefangenen Chriſtlichen uͤbung und zuſammen-
    kunfft. Auch von art der Franckfurtiſchen collegiorum.
  • 23. Von der praxi piorum deſideriorum. Nicht erſt auff allgemeine anſtal-
    ten zuwarten/ ſondern in jeglichen gemeinden anzuheben. Was von einem
    general ſynodo aller religionen zuhalten.
  • 24. Von unterſchiedlichen materien. Vom Catechismo. Selbs-liebe. Ob
    Chriſtus eine fehlbitte gethan? Klagen uͤber unſer zeiten. Academiſche
    ſtudia machen nicht alles aus. Arnd.
  • 25. Als ein guter freund in Franckfurt etwas ausgeben wolte/ das verdacht irriger
    lehre erwecken koͤnte. Von der dolmetſchung Lutheri. Verheiſſung der
    alten im Alten Teſtament rechtfertigung. Treue warnung/ nicht durch fal-
    ſche lehre oder dero ſchein dem wercke des HErren anſtoß zu ſetzen. Der
    daraus entſtehende ſchade.
  • 26. Wie GOTT der ſeinigen mund und feder regiere. Von meinem zuſtand
    in Franckfurt am Mayn. Ob Chriſtus eine fehlbitte gethan? Sonn-
    taͤgliche Evangelia.
  • 27. Pia Deſideria und dero praxis. Betkii ſchrifften.
  • 28. Wegen der piorum deſideriorum und was vor ſucceß zu hoffen.
  • 29. Von piis deſideriis und vielem beyfall. Kleine Antichriſten ohne dem
    Papſt. Chriſti gab und exempel nicht zu trennen. Oeffentliche refor-
    mation
    itzt nicht zu hoffen. Eccleſiolas in eccleſiis zupflantzen/ der beſte
    modus und anfang zu mehrerem.
  • 30. Von der lehre des Evangelii. Von der berits geſchenckten ſeligkeit. Wie ne-
    ben der lehre von dem gerechtmachenden glauben auff deſſen fruͤchten und
    kennzeichen zu treiben. Ob die wiedergebohrne taͤglich todtſuͤnde begehen.
    Von frucht der piorum deſideriorum.
  • 31. Pia deſideria und dero praxis. Catechetiſche examina gehen vor. Gothi-
    ſches exempel. Nach ſolchem nuͤtzlich anſtellende chriſtliche geſpraͤ-
    che.

A 2DI-
[4]Das ſechſte Capitel.

DISTINCT. I.
Von anno 1666. biß 1676.
SECTIO I.


Antwort-ſchreiben an Herr Philipp Schultzen
ICTUMder 10. Elſaͤßiſchen Vereinſtaͤtte Rath und abge-
ſannte nach Regenſpurg [nachmal Keyſ. Reichs-Hoff-
rath] als er mir wegen der ſttat Franckfurt das

Senioratdesminiſteriiauffgetragen.


WAs aus Franckfurtde dato 13.
hujus
demſelben beliebet an mich ab-
zugeben/ habe ich zurecht erhalten/
und den innhalt ableſend zur gnuͤge veꝛ-
ſtanden. Jch geſtehe gern/ daß ſol-
cher vortrag/ ſo vielmehr derſelbe ohne
meine vermuthung kom̃en/ ſo vielmehꝛ
mich afficiret/ und nicht wenig die ru-
he des gemuͤths/ mit welcher ſonſt/
[dem Allerhoͤchſten ſey danck vor ſolche
gabe!] ich nach einigem hohen nicht
trachtende/ dem meinigen nach ver-
moͤgen abzuwarten bißhero gepfleget/
turbiret/ daß ich das werck angeſehen/
als welches nicht alſobalden a primo limine zu hintertreiben/ ſondern vielmehr/
ob vor eine goͤttliche verſuchung/ wie ich einiges uͤber mein vermoͤgen gehendes be-
gierig annehmen/ oder meiner wenigkeit mich gebuͤhrlich errinnern wuͤrde/ es zu-
halten/ oder eine vorbereitung zu von ſeiner goͤttlichen providenz deſtinirender
vocation daraus abzunehmen/ ich ſchuldig ſeye/ billich in reiffe betrachtung zuzie-
hen; Darzu aber andaͤchtigen gebets/ damit GOtt die hertzen alleine zu ſeinen eh-
ren zu cooperiren lencken/ und guten ausſchlag in zweiffelhafftiger ſache geben
wolle/ benebens gottsfuͤrchtiger wolmeinender leute raths vonnoͤthen haben werde.
Einigen voͤlligen entſchluß anitzo zugeben/ hoffe ich nicht/ das auch nur mir faſt
koͤnne angeſonnen werden/ in einer ſo hochwichtigen und das gewiſſen ſo vielfaͤltig
betreffenden ſache. Damit aber gleichwol auf gethanes großguͤnſtiges begeh-
ren/ allein ich [ſ]o viel eroͤffnung als in dieſen der gedancke erſten conflictu geſchehen
mag/ thue/ habe an meinem großguͤnſt. hochgeehrten Herrn allein antwortlich
vor
[5]ARTIC. I. DISTINC. I. SECTIO I.
vor dißmahl dieſe zeilen abgeben wollen. Wie ich nun zu erſt gegen demſelben/
wegen der nicht nur nomine publico uͤbernommener muͤhewaltung/ ſondern
ohne zweiffel/ durch welche dieſe gute gedancken von mir bey den jenigen/ denen
ich unbekant/ moͤgen erreget ſeyn worden/ darzu gethane recommendation
auffs hoͤchſte zu bedancken/ und dergleichen wie ſchon in mehreren auch deſſen ge-
gen mich erfahrne gewogenheit zuerkennen; nicht weniger dannenhero nach moͤg-
ligkeit mit reſpect und ander ſchuldigkeit zu demeriren/ ich mich befleiſſen wer-
de. Alſo habe ich zuvorderſt ſolche hochloͤblicher ſtatt Franckfurt [deren Proce-
ribus
ich gleichwol durch einige merita anders nicht als vieleicht gute freunde
und goͤnner von mir faſſende miltere judicia bekant worden ſeyn kan] auff mich
werffende inclination, mit ſchuldiger demuth/ obſervanz und zu dem allgnaͤ-
digen GOtt vor dero wolfarth und ſegnung derer zu gemeinen geiſt- und weltli-
chem beſten richtender conſiliorum, thuenden gebet zu veneriren. Was nun
dero propoſitum an ſich betrifft/ einen fremden Doctorem Theologiæ ſelb-
ſten zuberuffen/ iſt wiederum dieſes nicht/ daß ich mir darinnen/ ob ſolches rath-
ſam und thulich/ die erkaͤntnuͤß nehme. Vielmehr bleibet ſolches derſelben ohne
zweiffel reiffer gethaner deliberation heimgewieſen/ die in was rechten dieſelbe
ſtehen/ und wie dero kirchen beſtes am bequemſten zubefoͤrdern/ am ſatſamſten
verſtehen/ und ſichs angelegen ſeyn laſſen. Daß aber meine wenige perſon da-
bey in conſideration gekommen/ und dannenhero bey mir/ was vor erklaͤrung
von mir zuerwarten zu forſchen begehret worden/ iſts das einige dem ich piè und
circumſpectè nachzudencken habe. Gegen meinen großg. hochg. Herrn nehme
ich mir/ aus dem zu ihm habenden vertrauen/ eine mehrere freyheit/ aperter
heraus zugehen/ weil ich mich verſehe/ ſolches mir nicht verarget werde werden.
So finde ich auch/ daß meinen ſcrupulis derſelbige aus ſo wol meines zuſtandes
als dieſer ſtelle requiſitorum habender wiſſenſchafft ſtattlich wird begegnen
und zu einigen entſchluß gelegenheit geben koͤnnen. Demnach bin ich nicht in ab-
rede/ daß ich die gantze intention hochloͤblicher ſtatt nicht allerdings noch alſo
faſſe/ oder der ſtand der kirchen mir alſo bekant/ wie es ſcheinet vonnoͤthen zuſeyn.
Jch rede hier nicht von beſoldung oder zeitlichen emolumentis, derer anſehen ich
gerne auffs letzte verſpahre/ und nicht damit zu marchandiren mir jemahl vor-
genommen: Auch endlich auf das hoͤchſte uͤber die beziehung eines fremden mir
noch unbekanten orts/ nicht ſonderlich ſcrupul machte. Sondern wo nach mich
zu wiſſen verlangt/ waͤre/ in was verrichtungen eigentlich dieſes amt beſtuͤnde?
Was nicht alleine die arbeit der predigten an ſich ſelbſt [da ich mich auch ſchweh-
rer arbeit nicht leicht entziehe/ ſo lange GOtt die gaben und kraͤffte dazu geben
mag] ſondern auch ob einige particular cura animarum dabey/ auch wieweit
dieſelbe ſich erſtrecke/ ſo wol wegen der gemeinden als auch in was weiſe man
mit ſeinen Herren collegis ſtehen moͤge? und was dergleichen zu der
A 3ſache
[6]Das ſechſte Capitel.
ſache ſelbſten/ die ich mir billich ſchwehr einbilde/ gehoͤren mag. Von
meinen weſen iſt meinen großguͤnſtigen hochgeehrten Herrn am beſten be-
kant/ in me quid ſolidum crepet, aut mendoſo tinniat ære. Kan alſo ſolcher
aus betrachtung des majoris/ welcher die erwegung des dienſtes geben mag/ und
aus eigener wiſſenſchafft machenden minori leicht vorſehen/ was vor concluſion
ſich vermuthen laſſen. Meine ſtudia ſind bißhero allein auff die theorie gegan-
gen/ ja numehro faſt eine zeithero/ aus erforderung der collegien auff die hiſtorie
und politiſche materien. So hat auch das officium eines frey-predigers/ wel-
ches ich ſo hoch liebe/ wegen der dabey von GOTT goͤnnenden tranquillitaͤt/ keine
abſonderliche ſeelſorge anhaͤngend. Stehet alſo zu erwegen/ ob hochloͤbliche ſtatt
bey betrachtung ſolcher umſtaͤnde dergleichen wichtige ſtelle einer perſon/ die ſich in
dieſen ſtuͤcken/ da proben erfordert werden/ keiner erfahrung austhun kan/ und ſich
dannenhero uͤber die deswegen auff adende verantwortung nicht wenig entſetzet/
auffzutragen gedencken/ damit nicht etwa in faſſender hoffnung man ſich endlich
betrogen faͤnde. Jſt derjenige punct/ uͤber welchen ich meines großguͤnſtigen
hoch geehrten Herrn eigene meinung zu wiſſen wuͤnſchete/ als welcher davon treff-
lich zu judiciren vermag. Solte nun etwa zwiſchen uns das werck der unmuͤg-
lichkeit halber/ daran das meiſte liget/ beygeleget werden koͤnnen/ [ſo lange ich
denn auch allerdings hievon hieſigen orts nichts melde/ auch verſicherung hiemit
thue/ daß ohne Herrn Stollium/ an den ich ſelbs gewieſen bin/ und alſo davon et-
was part geben ſolle/ ich nicht mehr als mit einem einigen vornehmen mann/ deſſen
gutachten ich hieruͤber vertraulich vernehmen wollen/ hieraus geredet/ oder vor em-
pfange der antwort reden werde] ſo waͤre alsdann zeit/ allererſt zu der handlung
ſelbs naͤher zu gehen. Wiewohl ich nachmaln/ als der ich in officio publico ſtehe/
und von hieſiger hochloͤblichen republic ordentliche vocation habe/ demnach hin-
derrucks derſelben und ohne gepflogene communication in verbuͤndliche tracta-
ten/ gewiſſens halber/ und daß ich von ſelbſten vielmahl keine andere dienſte zu ſu-
chen mich erklaͤret/ mich nicht voͤllig einlaſſen/ vielweniger endliche reſolution ge-
ben duͤrffte/ dieſelbe von ſolchen meinen gnaͤdigen Herrn und Oberen alsdann zu ſu-
chen waͤre. Auch moͤchte die dimiſſion ſo viel leichter erfolgen/ weil meine weni-
ge ſtelle als die fꝛey-prædicatur zu eꝛſetzen an ſubjectis ſondeꝛlich kein mangel etwa
nicht erſcheinen wird. Gleichwohl iſt von allem dem nicht zu reden/ ſo lange nicht
das erſte vorhin expediret und von meinem großguͤnſtigen hochgeehrten Herrn
in ſolchem mir das werck mit deſſen vernuͤnfftigem judicio/ bericht und rath etwas
erlaͤutert und erleichtert wird/ alsdann in Gottes nahmen ſolchen nach zugedencken.
Er der grund guͤtige Gott regiere alle conſilia dahin daß menſchliche abſichten bey-
ſeit geſetzet/ zu ſeiner ehre alles ausſchlage. Jn deſſen getreuen und maͤchtigen
gnaden-ſchutz dieſelbe eyffrigſt empfehlende/ und mich nechſt antwort/ deren ich/
aus
[7]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO II.
aus dem ſtatu ambiguo zu kom̃en begierig bin/ beharrlicher dero gunſten zuver-
ſichtlich getroͤſtende ich allezeit ſeyn werde etc. 19. Febr. 1666.


SECTIO II.


Die antwort an eben denſelbigen.


MEins großg. hochg. Herrn abermahl beliebiges zur antwort auff mein vo-
riges habe ich voꝛ 8. tagen von der poſt zuꝛecht empfangen. Wiewohl weil in
ſolcher ſtunde gleich dieſelbe wieder abgehet/ nicht alſobald antworten
koͤnnen/ ſondern es biß auff jetzo verſchieben muͤſſen. Bedancke mich zu foͤrdriſt/
gegen meinen großguͤnſtigen hochgeehrten Herrn/ daß ſolcher mit ſo vielem auff
mein begehren die beſchaffenheit der condition mir zu erlaͤutern/ und damit die in-
tention
hochloͤblicher ſtatt recht zu verſtehen zugeben großguͤnſtig beliebet. Und
bleibe denſelben/ wie der getreue GOTT es auch noch ferner fuͤgen wird/ allzeit
deßwegen zu gefliſſener danckbahrkeit hoͤchſtens verbunden. Das werck ſelbſten
belangend/ ſo finde ich unterſchiedliches bey beſchreibenden amt/ welches ich mir bey
ſolchen faſt nicht vermuthet/ und dannenhero der empfangene bericht mir ſo viel noͤ-
tiger geweſen/ indeme daß alle partes der abſonderlichen ſellenſorge beyſammen ſte-
hen/ und noch der direction der geiſtlichen zuſammenkuͤnfften/ welcherley bey ſol-
cher ſtatt gebraͤuchlich zu ſeyn/ ich gar nicht wuſte/ dazu geſetzet wird. So ma-
chet dieſes das werck/ ſo in anſehung der verrichtungen ſelbs/ als daß nechſt er-
wehnter maſſen ich in gegenwaͤrdiger ſtelle auſſer der predigten zu keinen weitern
kirchengeſchaͤfften gehalten/ oder deſſen bißher gewohnt geweſen/ ſo viel ſchwehrer/
als die wichtigkeit des dienſtes groͤſſer: daß dannenher nechſt angezogene urſachen/
wo ich mich mit mir ſelbs berathen wolte/ alle in ſo viel mehrerer krafft ſtehen blei-
ben/ und mir einen entſchluß zufaſſen/ ſo lange ich auff mich ſelbs ſehe/ faſt ſchwehr
zulaſſen. Wann aber ich mich auch wohl beſinne/ wie daß eines theils zwar das
urtheil uͤber ſich nicht bloſſer dings einem jeglichen ſelbſten/ da aus bald dieſem bald
jenem affect es ſich verſtoſſen mag/ ohne anderer beyziehung zu uͤberlaſſen/ andern
theils aber/ wie mein großguͤnſtiger hochgeehrter Herr gleicher maſſen in den ſei-
nigen erinnert/ der ſchickende mit noͤthigen gaben auch geſchickt zu machen ſo kraͤff-
tig vermag/ als ohn zweiffenlich verſpreche; Habe endlichen ich bey mir ſelbs in
den nahmen des Hoͤchſten/ mit deme und in dem gebet zu ihm ich gantzes dieſes
werck faſt bißher noch alleine zu belegen gehabt/ dieſen ſchluß gefaſſet/ einen er-
kaͤntlich-goͤttlichen beruff/ wie ohne das dieſes die gewiſſens pflicht mit ſich bringet/
nicht aus handen zu gehen/ ſondern auch ohn angeſehen alles anderen der ſtimme
deſſen zu folgen/ der wie er mich anfangs hier auff die cantzel durch ordentl. beruff
geſetzet/ alſo ſeine ungebundene hand uͤber ſeinen knecht ſich vorbehalten/ auch an-
ders wohin nach ſeinem willen ihn zuſchicken. Auff das aber ob gegenwaͤrtiges an-
brin-
[8]Das ſechſte Capitel.
bringen/ davon bißher die gedancken und zwiſchen uns communication gepflo-
gen worden/ aus ſolchem des allguͤtigen GOttes gnaͤdigen rath/ der meine wenige
dienſte einer andern als hieſiger kirchen mir bißher unbekant nach ſeiner freyheit be-
ſtimmet/ herflieſſen/ und ich ſolchen characterem daran zu veneriren von mir ge-
wiß erkannt moͤge werden/ ja aber ich in ſolchem mich nicht vergreiffe/ habe ich
mich in allem paſſive zuhalten/ und ſeiner nicht weniger maͤchtigen als weiſen pro-
videnz
/ und beyderſeyts hoher intereſſirter Obrigkeit ohnbedingt und ohn vorgrif-
fen die ſache heimzu weiſen. So dann hiemit von mir beſchihet/ und mich dahin er-
klaͤhre/ daß weiln ich nicht mein eigen/ ſondern aus goͤttlichen beruff hieſiger auch
hochloͤblicher ſtatt mit pflichten verwandt [ſo nechſt angeregter maſſen mir nicht
zulaͤſſt/ ohne communication mit ſolchen meinen Obern einige verbuͤndliche deter-
minir
te reſolution zu geben] ich uͤber mich diſponiren laſſen/ und was hochloͤb-
liche ſtatt Franckfurt/ da dieſelbe in gefaſſter meinung beharret/ mit meinen gnaͤdi-
gen Herrn allhier/ nach ohne das zwiſchen denſelben unterhaltenden freundlichen
vertrauen/ wegen meiner zu tractiren belieben wird/ und etwa alsdenn hochernenn-
ten ſolchen meinen gnaͤdigẽ Obern nach befindung ihres orts/ als denẽ ich auch nicht
maß zuſetzen/ mir ihren Obrigkeitl. willen andeuten werden/ allerdings genehm hal-
ten/ und nichts an allem hindern wolle. Jch hoffe an meinem ort/ daß uͤber dieſe re-
ſolution
nicht mehr von mir erfordert werden/ oder ich mit gutem gewiſſen weiter
heraus zugehen vermoͤge/ als auff dieſe weiſe das werck ſchlechter dings aus han-
den zu geben. Der allguͤtige GOTT und HERR ſeiner kirchen/ regiere aller-
ſeits alle hertzen/ rathſchlaͤge und handlungen nach ſeinem weiſen rath/ wie er uns
wiſſend oder unwiſſend/ ſolches zu ſeinen ehren und ſeiner gemeinde beſten noͤthig
und dienlich zu ſeyn erkennet. Jn deſſen maͤchtigen ſchutz ich meinen großguͤnſti-
gen hochgeehrten Herrn nechſt freundlicher bitte/ auff ſelbs beſtermaſſen wiſſende
weiſe gegenwaͤrtige reſolution gehoͤriger orten zu hinderbringen/ mit bißheriger
groſſer affection gegen mich zu continuiren/ und wo ichs zu muthen darff/ ohn-
beſchw ehrt etwa mit einigen zeilen fernerer gedancken eroͤffnung zu thun/ mit eiff-
rigen wunſch und gebet ſchlieſſlichen empfehle etc. 19. Mart. 1666.


SECTIO III.


An denMagiſtratzu Straßburg/ als von der
Statt Franckfurt meinetwegen an ſolchen
geſchrieben/ und darauff von mir mei-
ne erklaͤhrung verlanget wor-
den.


Daß
[9]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO III.

DAß Eure Gnaden das an dieſelbe von der hochloͤblichen ſtatt Franckfurt mei-
ner perſon wegen abgegangenes ſchreiben mir zuſtellen/ und was in ſolchen
werck meine wenige gedancken waͤren/ oder wie ich ſolches ſelbs anſehe zu be-
fragen gnaͤdig geruhet/ ſolches habe ich an meinen ort vor eine hohe gnade zuhalten/
und mich dero wie anderer biß daher empfangener gnaden unterthaͤnig zubedan-
cken; Wo aberzu Ew. Gnaden gnaͤdigen begehrens gehorſamer erfuͤllung/ ich wie
vorhin ſeiter dem [gleichwohl aller dings unverfaͤnglich] præliminariter durch
eine andere mittel perſon/ wegen anmuhtender vocation mit mir gehandelt wor-
den/ alſo auff geſchehen dieſe communication in der furcht GOttes/ ich dem
gantzen wercke/ ſo viel ich davon faſſen und verſtehen moͤgen/ nachgedacht/ finde
ich auff beyde ſeiten/ ſo viel wichtige urſachen/ deren einige zu dergleichen aͤnderung/
auff vorgehenden Ew. Gnaden conſens/ kraͤfftiglich anzutreiben ſcheinen/ andere
hingegen mit nicht wenigern nachtruck davon abhalten wollen; daß alſo ich ſchwer
bey mir ſelbſt urtheilen kan/ ob aus allen umſtaͤnden ich dieſe anmuthung anzuſehen
als eine aus goͤttlichen weiſen rath flieſſende ernſtliche vocation/ deren ohne ver-
letzung des gewiſſens/ ich mich nicht zu entziehen haͤtte/ oder etwa vor einen goͤttli-
chen verſuch/ der durch menſchliche Conſilia/ wie ich mich ſelbs pruͤffen/ oder aus
zeitlichen abſichten etwa bewegen laſſen wuͤrde mich auff die probe ſetze/ und ich dem-
nach ſolches vielmehr abzuſchlagen haben wuͤrde. Jch geſtehe gerne/ daß ſolche
anmuhtung als eine goͤttliche ſchickung anzuſehen nicht weniges angezogen werden
mag. Wenn ich betrachte/ daß ohne die wenigſte vermuhtung/ will nicht ſagen
geſuch oder gebung einiger gelegenheit/ [maſſen ich des orts ſelbs allerdings keine
kundſchafft habe/] dergleichen auffgetragen/ und gegen eine perſon/ von deren ſie
einige proben der tuͤchtigkeit zu vorſchlagenden amte/ auch nur anderwertlich her
nicht gehoͤret haben koͤnnen/ weniger geſehen haͤtten/ eine ſonderbahre zuneigung der
hohen obrigkeit/ und neben derſelben in dero raht repræſentirenden gemeinde be-
zeiget/ gleichfalls eines venerandi Miniſterii daſelbſt angenehmer conſens mit
bedeutet worden. Welche ohne unſer zuthun conſpirirende vota einem hoͤhern
antrieb faſt nothwendig beygeleget werden muͤſſen. So iſt auch dieſelbe an ſich
ſelbs [nicht zuſagen von zeitlichen genuß und reichlichen auskommen/] alſo bewant/
daß bey einer ſo vornehmen gemeinde/ die der geſamten Evangeliſchen kirchen ein
vornehmes glied iſt/ durch eine perſon/ die mit darzugehoͤrigen gaben gnugſam aus-
geruͤſtet/ und in dem werck des HERRN an ihren eyffer und fleiß nichts erman-
geln laſſen will/ herrlicher nutze durch GOttes ſeegen geſchaffet werden koͤnte:
hingegen zu der dabey aufflegenden arbeit bey ordentlichen beruff man auch die bey
ſich noch nicht befindliche kraͤffte in glaubigen vertrauen zu erwarten; kaͤme auch
noch darzu/ daß irgend an meinem ort ich noch von dem alter/ gleichfalls die haus-
haltung noch in ſolcher enge/ daß eine mutation zu dieſer zeit weniger als etwa
bey andern beſchwehrde ſchaffen wuͤrde. So denn endlich die anſehung jetziges zu-
Bſtandes/
[10]Das ſechſte Capitel.
ſtandes/ die alſo bewandt/ daß wie Ew. Gnaden deren gnade [indem alles bey mei-
ner perſon ich als auſſer ordentliche gaben von denſelben bißher anzuſehen gehabt]
an mir ſonſt gerne mit unterthaͤnigen danck erkenne/ ſelbſten wohl ermeſſen/ in der-
gleichen und auff dieſe weiſe einige zeit laͤnger zu verharren/ wie gerne ich auch wol-
te/ mir faſt unmuͤglich fallen wuͤrde/ oder ich auff eine oder andre ſeite den ruin
der haushaltung/ mich in ſchulden zuſtecken/ oder wo mit ſolcher ſtrengen anhal-
tung/ wie bißher geſchehen muͤſſen/ durch die Collegia die ſuſtentation mei-
ſtens zu ſuchen/ der geſundheit vor augen ſehen/ und alſo/ womit ich etwa nach
GOttes willen laͤnger arbeiten ſollen in weniger friſt die kraͤffte conſumiren muͤ-
ſte. Welche ſaͤmtliche momenta von der wichtigkeit ſind/ daß vielleicht einige
ohn angeſehen der gegengewichte/ wol alſo bald ſie ſich auff ſolche ſeite lencken laſ-
ſen ſolten. Jch habe aber dabey billig auch auff der andern ſeiten nicht nur zu er-
kennen/ die groſſe ſchwehre dieſes dienſtes/ in welchem wie groſſer nutzen zuſchaffen/
alſo durch eine darzu nehmende nicht allerdings tuͤchtige perſon/ eben ſo viel ſchaden
auch gethan werden koͤnte/ da ich hingegen auff meiner ſeiten/ wo ich mit mir ſelbs
zu rathe gehe/ und nicht alleine nach vorhin ausgemachter frage/ ob GOttes be-
fehl mich jetzo dahin ſchicke/ von ſeiner gnade die gaben/ die ich noch nicht finde/ ob-
gedachter maſſen erwarten will/ freylich dieſe tuͤchtigkeit nicht ſelbs an mir erken-
ne; indem nicht allein die leibes kraͤfften nicht am ſtaͤrckſten/ ſondern ich bißher al-
lein in theoria Theologica und eine zeither aus erforderung der in dieſem ſtand
ietzo noͤthiger collegien/ hiſtoriſch und politiſchen ſtudiis/ mich auffgehalten/ ja
aber ohn die predigten/ die noch nicht das werck allerdings ausmachen/ zu andern
pfarr-verrichtungen und abſonderlichen ſeelen ſorge nicht gebraucht worden oder
dero gewohnt geweſen; ſondern ich bedencke auch billig/ wie ich ſo wohl vor 3.
jahren/ als Eure Gnaden nach des allguͤtigen weiſen GOttes willen mich zu jetzo
tragender frey prædicatur gnaͤdig beruffen/ mit freudigem gemuͤth denſelben be-
ruff angenommen/ und dem hoͤchſten GOTT gedancket/ der nicht nur mich bey
ſolcher hochloͤblichen ſtart/ da bey meine beyderſeits Voreltern verbuͤrgert und
theils in wuͤrden und dienſten geweſen/ darzu auch zu dergleichen dienſt/ bey dem
ohne die arbeit ſelbs keine ſorgen nicht waͤren/ und alſo die von mir ſo hochliebende
tranquillitaͤt ich erhalten moͤchte/ nach ſeinen rath befordern wollen; alſo auch
bißher die feſte reſolution gefaſſet gehabt/ auch dero mich unterſchiedlich verlau-
ten laſſen mein leben in ſolchen amt und hieſigen orts [wo ich ſo von andern als nem-
lich gnaͤdigen Obrigkeit und dero perſonen ſamt und ſonders mich dero gnade und
vieler gutthaten bißher ruͤhmen auch ins kuͤnfftige verſichern koͤnte] nach des hoͤch-
ſten willen zu zubringen und zu ſchlieſſen. Welche gegen-momenta denn wiede-
rum nicht gering zu ſchaͤtzen/ ſondern endlich mich dahin bewegen/ daß in ſolchen
werck ich vor mich keinen ſchluß ſelbs zu finden vermag. Jſt alſo allein das uͤbrig/
nach
[11]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO IV.
nach dem Ew. Gnaden als meine ordentliche Obrigkeit/ von mir/ meinem vermoͤ-
gen/ und ob bey derſelben kirchen und nach dero willen kuͤnfftig etwa univerſitaͤt
dieſelbe meine dienſte ferner nuͤtzlicher zugebrauchen wuͤſten/ oder aber bey auch
hochloͤblicher ſtatt Franckfurt/ da ſie dieſelbe darzu tuͤchtig erachteten/ lieber
angewendet ſehen/ zu judiciren vermoͤgen/ daß ich eure gnaden den entſcheid/ weil
ohne das vocations-wercke/ die das gewiſſen ſo vielfaͤltig beruͤhren/ verſicherter
durch andere als die vocandos ſelbſten/ die ſich pasſivè zuhalten/ ausgeꝛichtet wer-
den/ in unterthaͤniger gelaſſenheit uͤbergebe/ und meinen willen in den goͤttlichen/
[deſſen entſcheid ich aus derſelbe nun erwarte] reſignire; dabey das ſchuldige unter-
thaͤnige vertrauen habe/ wie dieſelbe ohne das auff diejenige zwecke/ ſo hieher gehoͤ-
ren/ und die in ein und anderem ſtuͤck beobachtende muͤglichkeit/ nach dero hohen
verſtand und prudenz/ auch bißher gegen mir bezeugte Obrigkeitlichen gnade/
gnugſam ſehen/ und auch ſolchen dero gnaͤdigen entſchluß mir wieder andeuten
werden. Jch ruffe den getreuen GOTT und HERRN ſeiner kirchen inbruͤn-
ſtig an/ daß derſelbe wie er aus pruͤffung des hertzens und anſehung kuͤnfftiger be-
gebenheit allein wohl verſtehet/ wen er zu jeglichen geſchickt gemacht/ das werck al-
ſo in regierung der hertzen/ entweder hindern oder fordern wolle/ wie ſeine ehre da-
durch befordert/ und ſein wille mir dadurch eroͤffnet mag werden. Deſſen allge-
waltige u. allguͤtige rechte halte Eure Gnaden zu ſamt gantzer hieſiger hochloͤbl. ſtatt
und kirchen noch ferner u. allezeit in guten ſchutz/ frieden/ wohlſtand/ ſegen und ver-
gnuͤglichkeit/ nechſt welchen wunſch und unterthaͤniger zuverſicht daß Eure Gnaden
dieſe erklaͤhrung in gnaden auffnehmen werden verbleibe‒ ‒ ‒ Apr. 1666.


SECTIO IV.


An die Herren Scholarchen in Franckfurt am
Mayn wegen annehmung der
vocation.


JCh zweiffle nicht/ daß uͤber ſo langen verzug und auffſchub der endlichen
antwort Ew. Geſtrengen und herrlichkeiten ſich nicht wenig befremdet haben
werden/ kan auch nicht in abrede ſeyn/ daß jeglicher/ weme nicht bekant/ wie
gewoͤhnlich alle geſchaͤffte hieſigen orts/ die von einiger importanz zu ſeyn ſcheinen/
etwas langſam expediret werden/ daruͤber andere gedancken zu faſſen/ moͤchten
wohl urſach finden. Jedoch zweiffle ich hinwieder nicht/ daß ſo wohl meine O-
bern allhier ihres ſolchen verzugs/ [weil nach hieſiger manier dergleichen geſchaͤffte
bey unterſchiedlichen collegiis nacheinander vorgetragen und in bedacht gezogen
werden muͤſſen/ ehe ein endlicher entſcheid erfolge] gegen hochloͤbliche ſtatt Franck-
furt die urſach darthun/ als auch auffs wenigſte mir an meinem orte einige ſchuld
deſſen nicht beygemeſſen werde werden. Das geſchaͤffte ſelbs betreffend/ habe ich
dieſe zeit uͤber in GOttes nahmen erwartet/ was deſſen gnaͤdigſter wille ſeye/ und
B 2ſich
[12]Das ſechſte Capitel.
ſich declariren werde/ gleichwohl einige mahl gehoͤriger orten um beſchleunigung
angehalten. Auff welches dann/ nachdem meine erklaͤhrung begehret/ und dahin
von mir eingerichtet worden/ daß ich mich pasſivè haltende die momenta des
wercks zu betrachten/ und von meiner perſon zu judiciren/ meinen gnaͤdigen O-
bern uͤberlieſſe/ von loͤblichem hieſigen Magiſtrat [vor der auch die Herren Theo-
log
en dabey erſuchet/ und demnach nichts ſo zu verſicherung der gewiſſen gehoͤret
unterlaſſen] der entſchluß vorgeſtern dahin gemachet worden/ daß mir hiermit er-
forderter conſens die anmuthende vocation in dem nahmen GOttes anzuneh-
men/ ertheilet wuͤrde. Jch habe ſolches nicht nur als ein Obrigkeitlich erlaubnuͤß
mit gehoͤrigem reſpect/ ſondern als ein wort des HERRN/ ſo durch meine vor-
geſetzte vom himmel herab mir zugeruffen waͤre/ mit tieffſter demuth angenommen/
ſeinem uͤber mich zu dieſem wercke nunmehr diſponirenden willen zu gehorſamen.
Wie nun hoͤchſtgedachte hochloͤbliche ſtatt an ihrem ort ſolche dero antwort ſelb-
ſten an auch hochloͤbliche ſtatt Franckfurt ohne zweiffel heut ſchrifftlich dieſes in-
hal[t]s ergehen laſſen wird/ alſo habe es hier mit auch meines orts ich Eurer Geſtreng.
und herrlichkeit mit ſchuldiger obſervantz zu berichten noͤhtig befunden/ als der
auff erhaltenen meiner Obern willen/ hiermit mich hochloͤblicher ſtatt Franckfurt be-
liebenden vertroͤſteter vocation mit allem gehorſam bequemen u. deꝛo befehls folg-
lich erwarten werde. Wann aber ich der verrichtungen/ ſo mir zuſtehen ſollen/
noch nicht ſo voͤllig wiſſenſchafft habe/ als dem der zuſtand der kirchen nicht gnug-
ſam bekant/ ſtuͤnde auch an Eure Geſtrengen/ und herrligk. mein gehorſames bitten/
ſolche geruhten nebens folgender vocation großguͤnſtigen mir um etwas mehrers
derſelben erlaͤuterung zu thun. Was diejenige von Herrn Philipp Schultzen
JCto mir in eigenem brieff und communicirten extract benennete verrichtungen
anlanget/ verſtehe ich mich zu ſolchen/ dieſelbe vermittelſt goͤttlicher gnade zu uͤber-
nehmen. Solten aber uͤber dieſelbigen ferner in particulari cura animarum
einige andere ſeyn/ bitte ich nochmahln obſervanter ſie zu communiciren/ um in
der furcht GOttes bey mir zuerwegen/ was ich in kraͤfften finden ſolte/ des zuver-
ſichtlichen vertrauens/ da in einigen aber ſonderlichen neben umſtaͤnden ſich ein
weniges bedencken faͤnde/ eine hochloͤbliche ſtatt/ die ihre gnade bereit ſo weit gegen
einen unbekanten herrlich bezeuget/ ſelbs auch in dergleichẽ ſtuͤck guͤtig geruhen wer-
de/ dasjenige ſo zu facilitirung der hauptverrichtung dienen moͤchte/ da gleichwohl
nichts wider geziemende ordnung geſuchet wird/ gern zu bewilligen. Alles ſolches
aber beyſeits geſetzet/ bleibet das principal werck auff meiner ſeiten in ſeiner rich-
tigkeit/ da hochloͤbliche ſtatt noch ihre vorige guͤtige gedancken auff mich behaͤlt.
Jch ruffe wiederum den getreuen und allguͤtigen GOTT von grund der ſeelen an/
daß ſeine weiſe regierung/ ſo bißher wider in dieſer ſtatt vieler menſchen gedancken
das werck kraͤfftig gefuͤhret/ es alſo hinaus fuͤhre/ wie dero ehren beforderung es
erfordert. Solcher groſſe GOtt ſegne alle hochloͤbliche ſtatt und in derſelben auch
zu
[13]ARTIC. I. DISTINCT. I. SECTIO V.
zu dero beſten E. Geſtr. und Herligkeit handlungen und ratſchlaͤge mit ſtatlichem
fortgang und gluͤcklicher erfuͤllung. Welches wie es mein taͤgliches gebeth nun
ſeyn ſoll/ alſo auch vor dißmahl von mir abgeleget wird/ der ich ſchließlich ꝛc. 14. Maj.
1666.


SECTIO V.


Antwort an die ſtatt Franckfurt am Mayn auff
dero
vocation.


WAs Ew. Wohl Edl. Geſtreng und Herrligkeit in dem bißher durch vor-
nemlich die aus dero mittel verordnete hochanſehnliche Herren Scholar-
chen vocations geſchaͤfft præliminariter mit meiner wenigkeit zu com-
municir
en/ meine dimiſſion von gegenwertig meiner gnaͤdigen Obrigkeit zu-
begehren/ ſo dann itzo nach erfolgeter ſelbiger durch eignes geneigtes ſchreiben alles
obige zu confirmiren/ und mir das hochwichtige bey dero Evangeliſchen gemein-
de durch den todt des nu von unterſchiedlichen monaten her in GOtt ruhenden/
vorhin aber geweßnen treufleißigen Pfarherrn und Senioris des Ehrw. und
hochgel. Herrn Chriſtiani Gerlachii vacirendes pfarr-amt und Seniorat auff-
zutragen und anzubefehlen beliebet: Habe ich billich gantze ſolche zeit uͤber in den
nahmen des Hoͤchſten und ſeiner furcht bey mir zuerwegen und auff ſeine leitung
achtung zu geben gehabt/ auch darinnen augenſcheinlich warnehmen muͤſſen/ wie
der allweiſe regierer ſolches alles jemehr und mehr zu erwuͤnſchenden zweck gefuͤh-
ret/ und nun in ſolchem werck/ darinn ich um verſicherung des gewiſſens willen
mich allerdings paſſive gehalten/ und hoͤher direction uͤbergelaſſen/ ſeinen goͤtt-
lichen willen und befehl dadurch offenbahren/ biß endlich deſſen gewißheit mir nun-
mehro durch beyderſeits hohe obrigkeitliche ſo dimiſſion - als vocations - werck
gleichſam aus ſeinem munde angefuͤget und damit aller ſcrupel benommen worden.
Wie ich nun goͤttlicher providenz/ weiſe und unerforſchliche regierung in de-
muͤthigen gehorſam zu veneriren/ und deroſelben mit tieffſter demuth danckzuſa-
gen/ die da ihren knecht/ welcher bißher vor der gleichen vornehmen dienſten aus
anſehung ſeiner ſchwachheit ſich mehr entſetzet/ als dieſelbe wuͤnſchen moͤgen/ gleich-
wol durch ihre gnade zu einen ſolchen in geſamter Evangeliſchen kirchen vorneh-
men gemeinde gnaͤdigſt beruffen wollen/ auch mit glaͤubigen vertrauen mich zuver-
ſichern/ daß der maͤchtigſte geber und fuͤger alles guten auch durch ſchwache werck-
zeuge ſein werck und ehre zu befordern/ weißlich verſtehe und kraͤfftig vermoͤge;
als habe ich nechſt ſolchen Ew. Wohl Edl. Geſtr. und Herrligk. guͤtige auff mich
unbekandten geworffne affection, die da vor allen etwa tuͤchtigern perſonen/ die
zu dergleichen importirender ſtelle anderweitlich her leicht zu holen/ haͤtten moͤgen
ſeyn/ meine wenigkeit erwehlet/ gleichfals gehorſamen danck zu ſagen/ vornemlich
B 3aber
[14]Das ſechſte Capitel.
aber in dem nahmen des Hoͤchſten vor deroſelben mich hiermit zuerklaͤhren daß ich
das aufftragendes pfarr-amt und ſeniorat mit allen gehorſam auffnehme/ auch
mich kraͤfftig dahin obligire, nach allem dem vermoͤgen/ ſo der grundguͤtige GOtt/
den ich darum taͤglich anzuflehen habe/ verleihen wird/ zu forderſt mich allen o-
brigkeitlichem befehl in ſchuldigen reſpect zu unterwerffen/ hiernechſt anbefohlen-
dem amt und deſſen anhaͤngenden verrichtungen getreulichſt abzuwarten/ goͤttliches
wort in reiner lehr und nach der form/ der darinnen klahrſt gegruͤndeter Augſp.
Confeſſion und uͤbriger Symboliſchen buͤcher mit fleiß und eyffer zuverkuͤndigen/
die heiligen Sacramenten nach des HErren einſetzung behutſam zu adminiſtri-
ren/ und die anvertrauende gemeinde an meinem ort zuerbauen; wie ich nicht allein
vor denſelben denen die oberhut krafft obrigkeitlichen amts rechtmaͤßig gebuͤhret/
deßwegen in verantwortung ſtehe/ ſondern vor meinen Erloͤſer dermaleinſt rechen-
ſchafft zugeben bedencken muß. Er der groſſe GOtt/ von deſſen ſegen gleich-
wol alles alleine zuerwarten/ wolle ſolches heilige werck ſelbſten foͤrdern/ und wie es
nicht menſchen ſondern ſeine ehre vornehmlich betrifft/ geiſt/ muth/ verſtand und
eyffer nach ſeiner reichlichen gnade verleihen/ daß ſeines knechts lehr und leben von
ihm kraͤfftig regieret/ bey ſeiner lieben kirchen den nutzen/ der gehoffet wird/ ſchaffe/
ja aber durch ſeine ſchwachheit und fehler/ dero auffhelffen und er ſie verhuͤten und
vergeben wolle/ nichts verabſaͤumet noch gefaßte hoffnung fruſtriret werde. Sei-
ne unendliche guͤte walte auch in uͤbrigen allen uͤber Ew. Wohl Edle Geſtr. und
Herrligkeit/ und geſamte loͤbliche ſtatt/ regiere dieſelbe mit ſeinem Geiſt und wei-
ſen rath/ beſchuͤtze ſie unter den fluͤgeln ſeiner macht/ und erfuͤlle ſie mit frieden/ ſe-
gen und aller hohen vergnuͤglichen wolfarth.


SECTIO VI.


Antwort-ſchreiben desMiniſteriizu Franckfurt
am Mayn an den Rath zu Erffurt wegen Johann
Melchior Stengers ſchriff-
ten.


Wohl-Edele/ ꝛc.

WJe wir nicht zweiflen wollen/ daß unſer neuliches von dem 6. hujus
werde zu rechter zeit wohl uͤberkommen/ und die entſchuldigung des laͤn-
gern verzugs/ von Ew. Wohl Edel. Geſtr. auch E. E. F. und Weißh. ſo
wohl erkant/ als Großg. aufgenommen worden ſeyn/ als haben wir endlich un-
ſer von uns erfordertes neulich vertroͤſtetes/ und nunmehr durch goͤttlichen bey-
ſtand verfertigtes/ Theologiſches bedencken und judicium uͤber derſelben kir-
chen Diaconi Herr Johann Melchior Stengers zwey communicirte ſchrifften/
wie fern wir die darinnen befindliche lehren und redensarten goͤttlichem wort/
un-
[15]ARTIC. I. DISTINCT. I. SECT. VI. VII.
unſern Symboliſchen buͤchern/ und ausgehendigten reverſalen gemaͤß oder un-
gemaͤß achten zu ſeyn/ denenſelben hiemit zufertigen ſollen: Der troͤſtlichen hoff-
nung gelebende/ daß Ew. Wohl Edel. Geſtr. und E. E. F. und Weißh. wie ins-
geſamt/ auch ſonſten derer kirchen anliegen ihnen eyfrig in obacht zunehmen ange-
legen ſeyn laſſen/ alſo abſonderlich dieſer unſerer arbeit dazu bedienen werden/
daß Herr Johann Melchior Stenger zum foͤrderſten durch ſolche und etwa/ wo
andersher dergleichen eingelauffen/ ferner bruͤderliche erinnerungen/ die wir ihme
communiciret zuwerden hoffen und bitten/ gewonnen/ und entweder durch theils
erlaͤuterung der zweifelhafften reden/ theils der uͤbrigen verbeſſerung/ oder auff
andere weiſe/ wie dero kirchen es am vortraͤglichſten ſeyn mag/ alle gelegenheit wei-
teren aͤrgernuͤſſes aus dem weg geraͤumet/ hingegen zu ungehinderter aufferbau-
ung ſo viel kraͤfftiger alles in guten ſtand geſetzet werde. Zu allem ſolchen und
alſo auch darinnen befoͤrderung ſeiner ehre/ wolle der dreyeinige GOTT/ deſſen
ſach es iſt/ dieſelbe mit ſeinem Geiſt der weißheit/ verſtandes/ raths/ ſtaͤrcke/ er-
kaͤntnuͤß und furcht des HErrn ausruͤſten/ die beſte mittel zu erwehlen/ und nach-
mals ſolche ſegnen/ zu ſeiner kirchen auffnehmen. Jn deſſen gnade wir ſchließ-
lich auch insgeſamt zu gluͤcklicher und geſegneter regierung und allem wohlſtand
eyfrigſt empfehlen. Franckfurt am Mayn/ den 20. Jul. 1670.


Ew. Wohl-Edel. Geſtr. auch
E. E. F. und G.

Zu gebeth und dienſten
bereitwilligſte
Seniorund geſamte Prediger
det Evangeliſchen gemeinde in
Franckfurth am Mayn.


SECTIO VII.


Des gedachtenMiniſterii cenſur,uͤber gedachte
2. Stengeriſchen ſchrifften.

IN NOMINE JESU.


ES iſt nicht das geringſte/ welches wir aus goͤttlichem befehl unſerm nech-
ſten ſchuldig ſind/ daß wir nicht nur in andern ſtuͤcken allezeit deſſelben ehre
und unſchuld zu retten ſuchen/ ſondern auch wie eyfferig uns dieſelbe ange-
legen ſey/ damit zu verſtehen geben/ daß wir/ wo wir etwas von demſelben hoͤren/
und ſehen/ allezeit ſo lange ſolches noch zum beſten gedeutet werden mag/ es lieber
dahin annehmen und anſehen/ als einen uͤblern verſtand/ der etwa darunter ge-
ſucht werden moͤchte/ ohne gnugſame urſach vermuthen. Wie nun ſolches ins-
ge-
[16]Das ſechſte Capitel.
geſamt in dem gemeinen leben geſchehen ſoll/ alſo auch wo man von eines lehrers
und ſcribenten lehr und ſchrifften zu urtheilen hat/ ſolle billich dieſe regel allemal
zu foͤrderſt vor augen ſtehen/ daß gleich wie auff einer ſeiten nicht wieder die chriſt-
liche warheit/ alſo anderſeits nicht wider die chriſtliche liebe geſuͤndiget werde. Ja
es iſt unmuͤglich daß nicht auch wider die warheit gefehlet werde/ wo nicht die
chriſtliche liebe der jenigen gemuͤther regieret welche urtheilen ſollen/ und wegen
mangel derſelben/ aus ungnugſamen urſachen undvermuthungen einen uͤblern ver-
ſtand in eines mannes worten wuͤrden vermeinen gefunden zuhaben; Aber eben
damit des wahren und von ihme intendirten verſtandes verfehleten.


Wann denn uns uͤber Herr Johann Melchior Stengern Diaconi zu Erf-
furt zwey ſcripta, nemlich das buch der Bußpredigten/ und Einſchaͤrffung zweyer
puncten, unſere meynung zugeben von den jenigen ſo ſolches zu begehren fug ha-
ben/ zugemuthet worden/ wir auch aus allgemeiner pflicht der kirchen beſtes aller
orten nach vermoͤgen zubefoͤrdern/ ſothanen chriſtlichen begehren ſtatt zu geben
uns verbunden achten/ ſo ſetzen wir uns billig in wahrer furcht GOttes zum aller
forderſten die angedeutete regul vor augen/ auff daß wir (wie es ſich ſonſt ohne das
in allem/ ohne menſchliche und privat affecten/ in dergleichen heiligen und der kir-
chen ruh mercklich betreffenden werck zuverfahren geziemet) ſo wohl insgeſamt ge-
wiſſenhafft und bedaͤchtlich/ als die dem jenigen/ deſſen ſache es ſelbs und er der
hertzenskuͤndiger iſt/ deßwegen rechenſchafft geben muͤſſen/ das vorgelegte
erwegen/ und dannenher ſonderlich niemanden/ wider chriſtliche liebe eini-
ges auffbuͤrden moͤgten/ ſo deſſelben meinung nicht waͤre/ und wir nach reiffer
erwegung/ aus gnugſamen umſtaͤnden/ daß ein beſſerer verſtand in einigen
worten zu ſuchen ſey/ uns uͤberzeugt befinden: Hingegen auch ohngeſcheut was
wir irrig erkennen andeuten/ und gegen der regul der geſunden glaubens lehre
halten. Dazu wir uns bey chriſtlichem dieſem vorſatz/ des goͤttlichen beyſtandes/
den wir demuͤthig darum erſucht/ mit glaubigen vertrauen gewiß verſehen/ und
nochmals erſuchen.


Wir finden aber zum allerfoͤrderſten/ ehe noch zur ſache ſelbſt geſchritten
werde/ dieſe obſervation, und anmerckung hoͤchſtnothwendig: Daß gemeinig-
lich die betrachtung des jenigen der eine ſache redet oder ſchreibet/ zu dem ver-
ſtand deſſelben viel thue/ und dahero ein groſſer unterſcheid ſey/ nachdem jemand
etwas geredet oder geſchrieben.


Nicht ob koͤnten ſonſten rechtglaͤubige nicht zuweilen ſich auch mit irrthum
verſtoſſen/ und hingegen/ welche ſich zu falſcher religion bekennen/ zuweilen etwas
wahres lehren und ſchreiben; Oder aber muͤſten als dann allezeit jene irrthume des
wegen gebilliget/ und aus anſehen der perſon vor warheiten angenommen; Dieſer zu
weilen nicht falſche ſaͤtze aber um ihrent willen verworffen werden. Sondern dar-
zu dienet ſolche anmerckung/ daß wo etwa die worte und redensarten eines lehrers
etwas
[17]ARTIC. I. DIST. I. SECT. VII.
etwas zweiffelhafftig ſind/ und man dieſelbe in beſſerem oder auch boͤſerm verſtand
annehmen koͤnte/ die betrachtung des jenigen/ welcher ſolche gefuͤhret/ beygeſetzt/
daß ohne das angeregter maſſen die chriſtliche liebe allezeit auff das gelimpflichſte
ſich neiget/ ſo bald das gewicht auff die ſeite giebt/ daß der beſte verſtand auch vor
den wahreſten gehalten werde. Jn dem die gegenhaltung der glaubens bekaͤnt-
nuͤß zu welcher die perſon ſich ſonſt gehalten/ und weil daß ſie in andern ſtuͤcken der-
ſelben wird haben widerſprechen wollen/ ohne wichtige urſach oder den klaren au-
genſchein/ nicht anders als unbillich vermuthet wuͤrde/ bereits ein liecht giebt/ aus
dem die dunckelere reden muͤſſen erhellet werden. Alſo wenn unſer theure mann
GOttes Lutherus in dem buch de ſervo arbitrio, oder daß der freye wille nichts
ſey/ unterſchiedliche worte und arthen zureden gebraucht/ welche ſonſten bey uns
nicht/ hingegen von Calvino und den ſeinigen gefuͤhret werden/ geſtehen wir drum
dieſen nicht/ das ſie mit recht des beyfals ſolches unſern werthen Vaters ſich zu
ruͤhmen haben. Sondern haben bißher chriſtliche und gelehrte Theologi viel-
mehr ſich bemuͤhet zu zeigen/ daß aus ſo wol betrachtung der gantzen ſchrifft/ des
zwecks derſelben und des unterſchiedlich mahl vorkommenden gebrauchs der ar-
ten zu reden/ die zweiffelhafft ſcheinen/ als auch erwegung ſolches ſeligen mannes
von den ſtreitigen puncten gefuͤhrter und anders her bekanter eigener lehre gnug-
ſam erhelle/ daß ein groſſer unterſcheid ſey/ wo der ſeiner lehre halben uns billich
gantz unverdaͤchtige Lutherus, und hingegen ein anderer ſeiner falſchen meinung
nach aus der oͤffentlichen bekaͤntnuͤß ſeiner kirchen bekanter irrglaͤubiger einerley
worte fuͤhren.


Nicht ob wuͤrde das einmahl falſch geweſene wort in des andern mund erſt
zur warheit/ ſondern weil es nicht mehr ein wort iſt/ deſſen anderer verſtand aus
des jenigen bekaͤntnuͤß erlernet wird/ der es gefuͤhret. Alſo wenn der wohlver-
diente und geiſtreiche Arndt/ und irrgeiſt Weigel einerley worte zufuͤhren ſchei-
nen: Jſts abermal eigentlich nicht einerley/ ſondern iſt daſſelbe aus jenes munde
gantz anders/ nemlich aus jenes/ des lehrers oͤffenlicher bekaͤntnuͤß/ und erleute-
rung ſeine geſamten buͤcher/ bey dieſem aber aus der gantzen analogi ſeiner ir-
rigen lehre anzunehmen und zuverſtehen. Wie es gleichermaſſen taͤglich ge-
ſchicht/ daß wir die von unterſchiedlichen widerſachern zu weilen anfuͤhrende ſtel-
len der alten kirchen-vaͤter/ welche etwa ſcheinen dieſen irrigen meinungen ge-
gen uns beyfall zugeben/ nicht nur durch genaue unterſuchung der worte ſelbſt/
und alſo fleißige auslegung derſelben/ ſondern auch auff dieſe weiſe zu retten pfle-
gen/ daß wir derſelben eigentliche meinung von den etwa ſtreitigen articuln aus
anderen der ſtellen oder wol dero allgemeinen bekaͤntnuͤß der kirchen ſolcher zeit/ wie
dieſelbe aus andern ſchrifften erweißlich/ erweiſen/ und alsdann ſolche zur richt-
ſchnur/ wie die dunckel und zweiffelhafft ſcheinende worte zu erklaͤren ſeyen/ ſetzen:
Vorausgeſetzt dieſes/ haben wir in gegenwaͤrtiger hypotheſi an Herr Joh Mel-
Cchior
[18]Das ſechſte Capitel.
chior Stengern/ als Autore der ſchrifften/ daruͤber Wir befraget werden/ ei-
nen ſolchen mann/ auff den wir anders her einiger falſchen religion argwohn mit
recht nicht werffen koͤnnen/ als der von ſeinen auſſer allen zweiffel allezeit vor or-
thodox
erkandten/ und um die kirche wohlverdienten Herrn vater/ ſo dann al-
ler orthen/ ſo viel uns wiſſend/ von lauter reinen lehrern und Præceptoribus in
der Theologi unterrichtet worden/ ausdruͤcklich [als Einſchaͤrf. p. 44. 46. und an-
derswo] ſich auff von uns vor rechtglaͤubig erkandte Academien berufft/ und
oͤffentlich zu unſern Symboliſchen buͤchern ſich bekennet: Hingegen ſelbſt in dieſen
ſchrifften mit nahmentlicher verwerffung der irrglaͤuben der Calviniſten oder
Reformirten [p. 78. 106. 107. Einſchaͤrff p. 32.] Papiſten. [p. 349. Einſchaͤrff.
p. 16.] Photinianer [p. 233.] und Wiedertaͤuffer [p. 349.] ſich von deroſelben ge-
meinden und lehrern abſondert; Da wir gantz ohnlaͤugbare argumenta haben
muͤſſen; wo wir wider ſeine bekaͤntnuͤß eine gemeinſchafft mit jener lehr bey ihm
vermuthen ſolten: Ja es richtet dieſe bemerckung ſo viel aus/ daß auch diejenigen
irrthum wo er ſich verſtoſſen und von der richtigen glaubens- und redens regel/ ab-
gewichen zuſeyn befunden werden mag/ nicht vor boßhafftige irrthum/ damit er ſich
ſolcher falſchglaͤubigen kirchen theilhafftig gemacht/ hingegen von uns abgetreten
were; ſondern vor menſchliche fehler/ da er aus uͤberſehen und uͤbereilung unwiſ-
ſend in ſeiner kirchen lehr angeſtoſſen habe/ zu achten ſind. Nach dem haben wir
auch aus ableſung der ſchrifft insgeſamt nicht anders ſpuͤhren und abnehmen koͤn-
nen/ als einen hertzlichen eyfer vor GOttes ehre und der gemeinde erbauung. Es
iſt ja freylich leider dahin kommen/ da der teuffel geſehen/ daß er mit einfuͤhrung
falſcher lehr/ an vielen orthen nicht durchdringen kan/ ſondern die wahrheit der lehr
bißher zur gnuͤge uñ alſo behauptet iſt worden/ daß ſie gegen ihre feinde ſiegreich tri-
umphir
et/ und wir nicht ſorgen doͤrffen/ daß jemand wer nur will das geſchriebe-
ne leſen/ aus mangel unterrichts/ und wegen noch einiger nicht gnugſam beantwor-
teter zweiffel zu falſcher religion abzutreten werde urſache finden: Hat ers auff an-
dere weiſe anzugreiffen/ nach ſeiner liſt nothwendig erachtet/ wie nemlich er den je-
nigen/ die eigenlich keinen glaubens irrthum nicht haben/ ſondern bey der kirchen
leben und derſelben beypflichten/ deren lehre gegen alle anderwertige gnugſam be-
ſtetiget iſt; (ob wol deren viel von ſolcher ihrer kirchen lehr leider ſehr wenig wiſ-
ſen) ein ſolches Chriſtenthum wider ihre eigene bekaͤntnuͤß beybraͤchte/ welches
nur in ruhm des wort glaubens euſſerlichen heuleriſchen GOttesdienſt und etlicher
maſſen erbahren leben beſtehe: Da gleichwol in Chriſto JEſu/ ein rechtſchaffenes
weſen ſeyn ſolle. Eph. 4. und ſolche leute weder von glauben noch deſſen wahren
fruͤchten mehr/ als den nahmen und eitelen ruhm haben. Denn da weiß der tau-
ſendkuͤnſtler/ daß er wo er ſolches erhaͤlt/ eben ſo viel als er durch falſche lehr zur ver-
damnuͤß bringen moͤge. Es iſt auch nicht zu laͤugnen/ daß der arge feind nicht we-
nig damit zur hellen geriſſen: Hingegen aber viel eiferige und GOttes gelehrte
maͤnner
[19]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO VII.
maͤnner ſolchen greuel der verwuͤſtung/ ſich durch goͤttliche gnade ernſtlich wider-
ſetzet/ und dem uͤbel geſteuret haben. Wie nun derſelben arbeit in dem HErrn
nicht vergebens geweſen iſt/ als haben noch jetzo alle treue lehrer und prediger/ wol-
len ſie den nahmen der treue behalten/ und der kirchen noth ihnen laſſen zu hertzen
gehen/ in deroſelben fußſtapffen zu treten/ und mit eyfer ſich dem von jenem ſeligen
Theologo Paulo Tarnovio alſo genanten und beklagten neuen Evangelio, bey
einem lauten in der that aber allein heuchel-maul- und wahn-Chriſtenthum ſelig
zu werden/ zu widerſetzen. Dieſe Intention erkennen wir auch bey Herrn
Stengern zu ſeyn/ und haben alſo ſeine/ ſo predigten als ſchrifften/ als auff dieſen
zweck zielend/ und demnach aus begierde ſeinen GOTT nach ſeinem vermoͤgen zu
dienen herkommend/ an zuſehen. Wie ferne aber die ſache ſelbſt ſolches ſeiner in-
tention correſpondire
oder nicht/ wird in den folgenden zuſehen ſeyn. Es iſt a-
ber auch darbey in acht zunehmen/ daß dieſes vorhaben/ den teuffel an dieſen orth/
da ihm am weheſten thut/ anzugreiffen/ alſo bewandt ſey/ daß kein vernuͤnfftiger/
wo ers gleich am gottſeligſten und vorſichtigſten thut/ ihm darbey menſchen tage
ſuchen oder verſprechen/ und alſo durch abſicht auff zeitliche gunſt/ ehre/ reichthum
und anderes dergleichen/ wodurch zu weilen die menſchen ſich von der rechten bahn
abfuͤhren laſſen/ darzu bewogen werden koͤnne. Daraus wiederum abzunehmen/
daß es bloß ein an ſich loͤblicher (wolte GOTT/ auch vorſichtiger!) eyfer gewe-
ſen/ dadurch der mann zu dieſen ſchrifften getrieben iſt worden. Welches aber-
mahl eine gute præſumption vor ihn giebt/ theils ſeine reden in beſſern verſtand
anzunehmen/ theils ſeine fehler nicht mit hoͤchſter ſchaͤrffe zubeurtheilen. Daher
wir auch das jenige wo er von ſich ſelbſt redet/ und ſich zum exempel anzeucht/ lie-
ber aus guten gemuͤth als ruhmſucht geſchehen zuſeyn/ nach chriſtlicher liebe regul
urtheilen wollen. Dem allen auch noch ſchließlichen beyzufuͤgen iſt/ daß er ſelbſt
(in Præfat. p. 27.) bittet/ wo etwan/ nach jemands beduncken noch moͤgte ein feh-
ler vorgegangen ſeyn/ deſſen privatim erinnert zu werden/ um dadurch daß er
ſeine erklaͤrung thun koͤnte/ gelegenheit zu haben: Welches auch wiederum uns
ſo viel beſſere gedancken von ihm zuſchoͤpffen anlaß giebt. Wann wir aber nun-
mehr/ vorausgeſetzt der dinge/ die bereits erinnert/ daß ſie bey des Autoris per-
ſon in acht zunehmen/ zur ſache ſelbſt zu ſchreiten/ und alſo unſer Theologiſch ur-
thel geben ſollen/ uͤber die in beyden buͤchern enthaltene lehren/ in deme keine gewiſ-
ſe allein benambſet/ und wir deßwegen alle die jenige/ welche einigen zweiffel erre-
gen moͤgten (ohne allein was die anfuͤhrende exempel aus der ſchrifft anlangt/
von welchen wir aus guten urſachen unſer urtel zugeben dißmahl in bedencken
ziehen) anzufuͤhren eine nothwendigkeit erachten: So koͤnnen wir die puncten/ ſo
wir anzufuͤhren geſonnen ſind/ am fuͤglichſten abtheilen in zweyerley: 1. daß wir
beſehen/ unterſchiedliche lehren und redens-arten/ welche einen ſchein haben
moͤgten/ daß ſie unrecht weren/ von der allgemeinen bekaͤntnuͤß abtreten/ und irri-
C 2gen
[20]Das ſechſte Capitel.
gen lehrern gemein ſeyen: Da gleichwol nach reifflicher erwegung bey theils der-
ſelben/ ſo wohl die arten zu reden/ als lehren ſelbſt richtig und gut ſich befinden.
Jn theils aber die meynung ſelbſt des Autoris und ſeine lehre/ wo ſie unter beſſern
Terminis gegeben wuͤrde/ nicht zutadeln iſt/ aber die redens-arten billich zu
corrigiren ſind. 2. Sollen einige lehren angezeiget werden/ wo wir we-
der mit der meynung noch redens-
Formulnzu frieden ſeyn koͤnnen.


Die erſteClaſſis.

WAs dann die redens-arthen und lehren anlanget/ welche etwa uͤbeln
verſtand bey einigen haben/ deßwegen als irrig und unſerer Evangeliſchen
warheit nachtheilig moͤgen angeſehen werden/ in der that aber und in ih-
rem rechten verſtand nicht zuverwerffen ſind/ oder doch die meynung derſelben
nicht boͤſe iſt. So hetten wir insgemein wuͤnſchen moͤgen/ daß Herr Stenger zu
weilen lieber mit der kirchen als mit einigen formulen und arthen/ zu reden ſich
befliſſen haͤtte: Er nimt zwar zur entſchuldigung Einſchaͤrff. p. 50. daß man nicht
mordicus muͤſte allerdings an den alten formuln halten: und præfat. p. 16. ſu-
chet er auff gethanen vorwurff der novitaͤt ſeiner redens-arten zu antworten.
Nun mag alles/ was daſelbſt geſagt wird/ in ſeiner maſſe wol ſtehen/ daß nem-
lich wir in der erkaͤntnuͤß wachſen/ keiner ſein pfund vergraben und mit der ſchrifft
und dero worten zu reden auch mehrere aufferbauung zu ſuchen jeglichen erlaubet
ſeyn ſolle. Es erſcheinet aber die krafft des vorwurffs/ ſo ihm mag geſchehen ſeyn/
noch nicht mit den angefuͤhrten entſchuldigungen/ genug widerleget: Denn zum
gebrauch einer vorhin gantz ungewohnten/ und zu ungleichem verſtand anlaß ge-
bender formul, iſt noch nicht gnug/ ob ſchon ſolche nicht in den Symboliſchen buͤ-
chern deutlich verworffen/ ſie auch etwa mit einigen ſpruch der ſchrifft/ die zuwei-
len etwas dunckler und von unterſchiedlichen auff unterſchiedliche weiſe pflegen
verſtanden zu werden/ uͤbereinkommen ſcheinen/ auch mehrer nutzen dadurch ge-
ſuchet wird/ in dem/ daß etwa im gegentheil entſtehende aͤrgernuͤß der ſchwachen
und andere abſicht/ auff die ruhe der kirchen/ welche damit turbiret werden
mag/ billich den jenigen/ dem das heyl derſelben angelegen iſt/ anweiſen ſoll/ da er
einerley lehre mit ſeinen vorfahren fuͤhret/ auch einerley formulen zu behalten/
und mit denſelben das jenige eben ſo nachdrucklich und ernſtlich zu treiben/ was
man mit neuen formulen thun moͤgte/ deren neuligkeit/ der lehr vielmehr einigen
nachtheil zuzeucht/ als mehrern nachdruck giebt. Wie wir denn nicht ſehen/ daß
einiges von ihm Herr Stengern/ getrieben worden/ das nicht eben ſo kraͤfftig mit
den gewoͤhnlichen redens-arten haͤtte geſchehen koͤnnen. Daß daher die abſicht
auff mehrern nutzen der kirchen/ welcher nicht erſcheinet/ die ſache nicht bloß aus-
gemacht; Alſo ſeind wir zwar darinnen wol mit ihm einer meinung/ daß man
nicht
[21]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO VII.
nicht mordicus muͤſſe allerdings an den alten formulen halten/ wie ja jetzo auch
einige formulen alt ſind/ welche eine zeit neue/ und doch deßwegen nicht verwerf-
lich geweſen; Aber das gehoͤrt darzu/ daß gleichwol ſo lange bey den alten for-
mulen
zu bleiben iſt/ als uns nicht die noth davon/ und zu einfuͤhrung neuer for-
mulen
treibet/ wo nemlich mit den alten nicht mehr eben das jenige kan ausge-
richtet werden/ was mit dieſen geſuchet wird. Und dieſes halten wir die meynung
dieſes vorwurffs zu ſeyn/ welcher zimlich wichtig/ und Herr Stenger billig zu-
weilen haͤtte etwas inne halten ſollen. Vorausgeſetzet dieſes/ kommen uns nach-
folgende formulen vor. (1) Finden ſich unterſchiedliche orthe/ welche bey ei-
nigen vielleicht einen argwohn eines Weigelianiſchen oder Quackeriſchen
ſchwarms machen moͤgten.
Als wenn p. 17. Von den glaͤubigen geſagt
wird; Sie hoͤren am ſabbath dem heiligen Geiſte/ dem innerlichen lehrer
zu/ der in ihrer ſeele wohnet.
p. 312.Solches innerliche einſprechen des heili-
gen Geiſtes iſt ein ſehr herrlich uͤber natuͤrlich zengnuͤß/ daß der fromme
hat/ uͤber ſeiner kindſchafft bey GOTT.
p. 315.GOTTES vaͤterliche
liebes-zeichen habe ich bißher gnug geſpuͤret/ auch in meiner ſeelen taͤglich
mit GOTT geredet/ und da ſeine troͤſtliche antwort gehoͤret in ſeinem hei-
ligthum.
p. 381.Der innwendige lehrer der heilige Geiſt/ der in ihnen woh-
net.
p. 382.Es muß endlich ein jeder Chriſt fuͤr ſich in ſeinem hertzen und
gewiſſen durch einſpruch deß inwohnenden heiligen Geiſtes verſichert wer-
den der kindſchafft GOTTES. Einſchaͤrf.
p. 20.daß der inwendige
himmliſche lehrer der heilige Geiſt ihre hertzen bereite und zurichte/ und

p. 55.Wo der wahre glaube/ der heilige Geiſt/ die liebe Chriſti in eines
menſchen hertz iſt/ die wird ihm ſchon Chriſti willen und befehl anzeigen.

Wer dieſe worte anſihet moͤgte leicht auff den argwohn kommen/ ob halte es der
Autor mit den Quackern und andern dergleichen Enthuſiaſten/ welche ſolcher
redens-arthen ſich auch gebrauchen. Zum exempel: Das Hamburgiſche Mi-
niſterium citirt
aus den Qvackern folgende reden: Jhr habt keine lehre noͤ-
thig/ wofern ihr die gnade annehmet/ wann ihr darinnen wartet/ ſo wird es euch
zu GOTT fuͤhren/ allda iſt euer lehrer. So werden ſich auch bey Schwenck-
felden und Weigeln/
ſo denn derſelben nachfolgern/ ein und andere dergleichen
reden finden. Ob nun ſchon es ſolte ſcheinen/ einerley reden zuſeyn/ die Herr
Stenger fuͤhret mit ſolchen von uns billig verworffenen/ ſind es doch in der that
nicht einerley reden: indem Herr Stenger von den unmittelbar/ und nicht durch
das wort/ deſſelben anhoͤrung und betrachtung/ ſo denn die heilige Sacramenten/
geſchehenden offenbahrungen und wuͤrckungen durchaus nicht redet; ſondern
von den wuͤrckungen/ welche GOTT durch die mittel bey den menſchen wuͤrcket:
Weil ja freylich die aͤuſſerliche mittel nicht aͤuſſerlich bleiben/ ſondern in das hertz
[d]ringen/ und in demſelben durch ſie der heilige Geiſt kraͤfftig ſeyn ſolle (wie oben
C 3an-
[22]Das ſechſte Capitel.
angezogenes Rever. Miniſter. Hamb. in Quacker greuel C. 4. pag. 146. auch nicht
alle innerliche wuͤrckungen des heiligen geiſtes in den hertzen der menſchen auffge-
hoben haben will) Daher pag. 312. gleich nach angezogenen worten erklaͤhrungs
weiſe folget: Wenn denn nun der heilige Geiſt bey der predigt des Evange-
lii einen Chriſten iu ſeinem hertzen ſo lieblich troͤſtet;
Alſo wann er ſaget pag.
197.
Was ein erwachſener menſch iſt/ der muß das Evangelium von JE-
ſu CHriſto gehoͤret haben/ es muß ihm ſeyn geſagt/ geprediget/ bekant ge-
macht worden.
p. 207.GOTT hat ſich einmahl mit ſeiner krafft verbunden
an das wort/ daß nimmermehr ein wort GOttes zu uns geredt wird/ das
unkraͤfftig were.
Welche materie er p. 226. mit mehrern ausfuͤhret/ und ſich
darmit gnugſam von den irrgeiſtern/ welche bey ihren vorgebenden unmittelbahren
offenbahrungen und einſprechungen dergleichen nichts ſagen koͤnnen/ ſondern die
krafft des gepredigten goͤttlichen worts ſo viel an ihnen iſt vernichten/ abſondert;
Weßwegen/ wo wir die ſache recht betrachten/ ſagt Herr Stenger nicht mehr
als der heilige geiſt durch ſeine heilige maͤnner vorgeſprochen hat Rom. 8/ 14.
und folgenden: Welche der Geiſt GOttes treibet/ die ſind GOttes kinder.
Denn ihr habet nicht einen knechtiſchen geiſt empfangen/ daß ihr euch a-
bermahl fuͤrchten muͤſſet; ſondern ihr habet einen kindlichen geiſt empfan-
gen/ durch welchen wir ruffen
Abba/ lieber vater; derſtlbe geiſt giebt zeug-
nuͤß unſerm geiſt/ daß wir GOttes kinder ſind. 1. Joh. 2. 27. Die ſalbung/
die ihr von ihm empfangen habet/ bleibet bey euch/ und doͤrffet nicht/ daß
euch jemaud lehre/ ſondern wie euch die ſalbung allerhand lehret/ ſo iſts
wahr/ und iſt keine luͤgen/ und wie ſie euch gelehret hat/ ſo bleibet bey dem-
ſelbigen
(daruͤber man des theuren Herrn Lutheri wort ſehen mag Tom. II. Eis-
leb. pag. 373.
Daß mirs der heilige Geiſt eben ſo im hertzenſagt/ wie ichs
mit den ohren hier im glauben hoͤre;
Und wiederum: Wie der heilige Geiſt
ihm in ſeinem hertzen predigt/
und auch deß alten Auguſtini wort denckwuͤrdig
ſind: Sonus Verborum noſtrorum aures percutit, Magiſter intus eſt. Ma-
giſteria forinſecus adjutoria quædam ſunt \& admonitiones: Cathedram
in Cœlo habet qui corda docet
) und 5. 6. der geiſt iſts/ der da zeuget/ daß
geiſt warheit iſt.
Anderer mehr orthe der Schrifft jetzo zu geſchweigen. (2. Mag
auch einigen es als eine harte rede vorkommen/ wann pag. 127. geſagt wird:
GOTT erbarmet ſich nicht aller menſchen/ ſondern nur etlicher/ die ſich
auch recht in ſeine vorgeſchriebene ordnung ſchicken.
Und pag. 154.Er
will nicht allen und jeden ſuͤndern gnaͤdig ſeyn.
Es ſolte das anſehen haben
daß dieſe worte mit Bezæ und der uͤbrigen Calviniſten lehr uͤberein kommen/ wann
jene ſich deutlich herausgelaſſen/ daß keine zeit geweſen ſey/ noch kommen werde/
da GOTT ſich aller und jeder zu erbarmen gewolt habe/ wolle/ oder noch wollen
werde. Reſp. ad act. Coll. Montiſp. p. 2. p. 194. Es mag aber auch ſolcher
arg-
[23]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO VII.
argwohn Herrn Stengern mit recht nicht graviren; Als welcher ſich gantz hell
und deutlich der grauſamen Calviniſchen lehr von dem bloſſen rathſchluß/ darzu
ſolcher ſatz gehoͤret/ entgegen geſetzt. Nicht nur da er p. 319. austruͤcklich ſetzt/ daß
wenig Chriſten ſelig werden/ koͤmt nicht daher/ als ob ſie GOTT nicht alle
wolle ſeelig haben:
ſondern auch da er pag. 314. die jenige verkehrte lehrer
ſchilt/ die da wehnen/ GOttes wort ſey nur bey etlichen/ und nur zu weilen
kraͤfftig.
Welches er pag. 206. 207. mit ernſt treibet/ und ſolchen einwurff/ da
man zu erhaltung des glaubens ohne die predigt des Evangelii meine/ daß es liege
an einer ſonderbahren heimlichen gnade GOttes/ eine gottloſe rede und
meinung nennet.
Daraus gnugſam erhellet/ daß er nicht rede von dem vorge-
henden willen GOttes/ mit welchem freylich er aller menſchen heil will/ ſondern
von dem nachfolgenden/ nach welchem er aus gerechtem gericht allein ſich der jeni-
gen erbarmet/ und zur ſeeligkeit wuͤrcklich bringet/ welche ſolche ſeine barmhertzig-
keit nicht von ſich ſtoſſen/ oder ſich derſelben unfaͤhig machen. Daher auch an
beyden orthen der mittel oder ordnung gedacht wird/ nach welcher ſolche erbar-
mung ſich richte.


3. Solte es gleichfalls eine harte und irrige lehre ſcheinen/ wann pag. 107.
geſagt wird: Kein menſch werde verdamt um der ſunde willen. Jn dem ja
GOttes zorn wider die ſuͤnde entbrennet/ und wir allezeit geſtehen muͤſſen/ daß
wir mit der ſuͤnde zeitliche und ewige ſtraffe wohl verſchulden. Pſa. 90/ 8. 9. Das
macht dein zorn/ daß wir ſo vergehen/ und dein grimm/ daß wir ſo ploͤtz-
lich dahin muͤſſen. Denn unſere miſſethat ſtelleſtu fuͤr dich: Unſere uner-
kante ſuͤnde ins liecht vor deinem angeſicht.
So iſt der todt (und alſo alles/ was
die Schrift unter dem namen des todes zu verſtehen pflegt/ darunter der andere oder
verdamnuͤß tod freylich auch begriffen/ ja wegen des gegenſatzes des ewigen lebens
vornemlich hie mit zu faſſen iſt) der ſuͤnden ſold. Rom. 6/ 23. Wo aber die ſache
und auch art zureden recht angeſehen wird/ werden wir finden/ daß dieſelbe nicht
wider die Schrifft/ oder unſere uͤbrige rechtglaubige lehre ſtreiten. Marc. 16. wird
nicht geſagt; Wer da einige andere ſuͤnde/ ſo groß ſie ſey und wolle/ gethan hat/
ſondern wer nicht glaubet/ der wird verdamt. Joh. 16/ 8. 9. Wird deßwe-
gen von Chriſto allein der unglaube/ daß die welt nicht an ihn glaube/ die ſuͤnde ge-
nennet. Sonderlich ſchoͤn aber wirds gezeuget Johan. 3/ 36. Wer dem Sohn
nicht glaͤubet/ der wird das leben nicht ſehen/ ſondern der zorn GOttes
bleibet uͤber ihm.
Hie wird geredet von dem zorn GOttes/ wel[ch] er alle zeitliche
und ewige ſtraffe nach ſich zeucht/ und von allen ſuͤnden verdienet wird/ ja deßwe-
gen uͤber allen menſchen iſt/ aber er bleibet nicht uͤber allen/ und bringet alſo nicht
wuͤrcklich das gericht uͤber alle/ ſondern er bleibet alleine uͤber denen die nicht glau-
ben: Denn von den jenigen/ welche glauben/ weichet er um ihres glaubens wil-
len: Alſo daß die jenige urſache/ warum der zorn GOttes endlich den menſchen
wuͤrck-
[24]Das ſechſte Capitel.
wuͤrcklich mit verdamnuͤß beſtraffe/ nicht ſo wohl in der ſuͤnde ſelbs/ dardurch er
erreget worden/ ſondern in dem unglauben zu ſuchen iſt/ welcher das mittel/ wor-
durch jenes haͤtte abgelehnet werden koͤnnen/ wegſtoſſet. Daher wir auff ſolche
ſchrifftmaͤßige weiſe finden werden/ daß auch andere Chriſtliche lehrer auff gleichen
ſchlag gelehret/ daß der einige unglaube verdamme/ die uͤbrige ſuͤnden aber ver-
dammen zwar nach dero verdienſt/ ſie ſind der verdamnuͤß wohl wuͤrdig/ nicht aber
thaͤtlich oder wuͤrcklich/ es kaͤme denn der unglaube darzu. Apiſtia ſola damnat
actu propriè \& immediatè, alias omne peccatum demeritorie damnat. D.
Dannhauer Hodoſoph. Phæn. 11. pag. 1412.
und Catechiſm. Milch p. 6.
Pred. 56.p. 684. Gleich wie allein der biß ans ende beharrliche glaube ſeelig ma-
chet: Alſo im gegentheil verdammet der allein biß ans ende beharrliche unglaube.
Und ſolches iſt eben Herr Stengers meinung pag. 243.Es moͤgen auch deine
ſuͤnde noch ſo groß ſeyn/ ſo wiſſen wir wohl/ daß Gott nicht verdamt um der
ſuͤnde willen/ ſondern um der unbußfertigkeit willen/ und ſo ein menſch ge-
fallen traͤgt an der ſuͤnde.
Sihe auch pag. 108. deutlicher aber pag. 157.Es
iſt nicht mehr als ein zwiefacher weg zum verdamnuͤß/ der eine heiſt der
mangel der wahren reue/ der ander heiſt der mangel des Evangelii. Die-
ſes ſind ſo zu reden 2. wege/ die anfangs etwas unterſchieden ſind/ endlich a-
ber lauffen ſie beyde in einander/ und wird daraus der einige weg des un-
glaubens.
Wie die ſache daſelbſt noch weiter erklaͤhret wird/ daß man daran
keinen tadel haben mag. Er giebt aber ſeine meinung auch noch mehr zu verſtehen
Einſchaͤrff. p. 10. wo er gar ſaget: Daß auch die menſchen nicht um des bloſſen
unglaubens willen
verdamt werden (weil wir alle von natur unglauben an uns
haben) ſondern der muthwillige unglaube ſey es/ der die verdamnuͤß bringet.
Daher was hier Herr Stenger lehret/ hat gleichfalls der theure Lutherus gelehret/
Tom. 2. Jen. p. 144.Wie der glaube allein alle gerechtigkeit iſt und
thut/ alſo iſt und thut allein der unglaube alle ſuͤnde. Daher zeucht
Chriſtus keine ſuͤnde an Joh. 16. denn den unglauben: Da er ſpricht
das iſt die ſuͤnde/ daß ſie nicht glauben an mich.
Und eben uͤber ſolche wort
7. Jen. p. 185.Der unglaube wider CHriſtum/ der wird die ſuͤnde
gar mit einander/ ſo den menſchen ins verdamnuͤß fuͤhret/ daß ihm
nicht zuhelffen iſt. Und bald. Allhier wird nicht allein der unglau-
be/ ſo von Adam in die menſchliche natur gepflantzet iſt/ angezogen

(iſt Herr Stengers diſtinction zwiſchen dem bloſſen unglauben und muthwilligen
unglauben) ſondern deutlich ſolcher unglaube/ daß man nicht glaubet
an Chriſtum/ nehmlich ſo das Evangelium von Chriſto geprediget
wird/ daß wir unſere ſuͤnde erkennen/ und durch CHriſtum gnad

ſuchen
[25]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECT. VII.
ſuchen/ underlangen ſollen. Denn nach dem Chriſtus kommen iſt/
hat er die ſuͤnde Adams und des gantzen menſchlichen geſchlechts
(nehmlich den vorigen unglauben und ungehorſam) fuͤr GOTT
auffgehaben durch ſein leiden und ſterben/ und einen himmel gebauet
der gnaden und vergebung. Daß ſolche von Adam uns angebohr-
ne ſuͤnde hin fort nicht ſoll unter GOttes zorn und verdamnuͤß behal-
ten/ ſo wir an dieſen Heyland glauben. Und ſoll hinfort heiſſen/
wer da verdamt wird/ der darff uͤber Adam und ſeine angebohrne
ſuͤnde nicht klagen/ ſondern muß uͤber ſeinen eigenen halß ſchreyen/
daß er dieſen Chriſtum den Teuffels-Kopff-tretter und ſuͤnden-wuͤr-
ger nicht hat angenommen/ noch an ihn geglaͤubet.


4. Wie es nun das anſehen haͤtte haben moͤgen/ daß durch vorigen puncten
das geſetz unkraͤfftig gemacht wuͤrde/ weilen wegen deſſelben uͤbertretung niemand
verdamt werde (da wir bereits geſehen/ daß ſolcher verdacht vergebens) als ſolte
auch noch dieſes eine vermuhtung machen/ obfavoriſirte derAutordenAnti-
nomis
und geſetzſtuͤrmern/ welche in den vergangenen Seculo ſchon zu den zeiten
des Herrn Lutheri ſeel. der wider ſolche geſchrieben Tom. VII. Jen. die kirche ver-
unruhiget/ und hingegen von den wahren lehrern beſtaͤndig verworffen ſind wor-
den. Denen moͤgte das wort geredet ſcheinen. p. 3.Was gehet mich Moſes
an? was breitet er ſich mit ſeinen geſetz taffeln?
Einſchaͤrff p. 9.Man pre-
diget itzt nicht das geſetz Moſis ſondern Chriſti geſetz.
Nun wird ſich zwar
drunten mit mehrem finden/ daß dieſe machende diſtinction zwiſchen CHriſti und
Moſis geſetze/ und ſolche arten zu reden/ die davon kommen/ billich geaͤndert wer-
den ſollen. Aber gleichwohl hat der argwohn Antinomiæ keinen platz: Und wo
die formul: Moſis geſetz und Chriſti geſetz nicht an ſich incommoda waͤre/ moͤchte
man wohl ſagen/ man predige nicht jenes ſondern dieſes/ das iſt/ ob man wohl je-
nes prediget/ werde doch durch die lehre von der gnade GOttes/ wie dieſelbe den
kindern GOttes/ um des glaubens willen auch ihre ſchwachheit fehler zu gut halte/
und nicht zurechne/ die ſtrenge etwas gemildert. Die erſte angezogene formul/
wird austruͤcklich einem wahren und in goͤttlicher gnade ſtehenden Chriſten zuge-
ſchrieben/ wie er ſich gegen das trohen des geſetzes verwahre/ und ſeine gerechtig-
keit nicht darinnen ſuche/ hingegen wegen derſelben ſich auch von dem geſetz nicht
ſchrecken laſſe. Da iſt nun nicht ungleich geredet/ und werden ſich dergleichen
formuln ſelbs in den Schrifften des ſeeligen Herrn Lutheri finden laſſen. Was
aber Herr Stengers meinung von der ſache ſelbs anlanget/ geſtehet er ſo wohl den
uſum Didacticum als Pædagogicum des geſetzes/ Einſchaͤrff. p. 9. Er erkennet/
daß ſelbs der fromme und gerechte/ wo er mercke/ daß ſich der alte Adam wolle
wider den geiſt gewaltig aufflehnen/ ihn mit dem Moſaiſchen geſetze und deſſen tro-
Dhungen
[26]Das ſechſte Capitel.
hungen zuͤchtige und zaͤhme. Einſchaͤrff. p. 13. So geſtehet er auch in angezoge-
nem orth/ pag. 2. v. 3.Daß auch bey frommen Chriſten/ der alte Adam/
der euſſerliche menſch billig mit dem geſetz gezuͤchtiget/ und geſchrecket wer-
de.
Alſo daß man wohl mit ihm zufrieden ſeyn kan.


5. Wie hoch uns an dem Articul der rechtfertigung aus der gnade GOttes
und deme dieſelbe ergreiffenden einigen glauben gelegen ſeye/ iſt bekand. Es hat
aber wiederum das anſehen/ ob gienge auch in denſelben Herr Stenger wieder un-
ſere lehre. Wenn er pag. 402. die rede/ nichts deſto weniger (nehmlich ob wir
ſchon nicht recht Chriſtlich leben) werden wir ſeelig durch den glauben an Chri-
ſtum/ nennet das rechte teuffels netze/ da er mit heut zu tage die meiſte Chri-
ſten fahet und beſtricket.
Damit uͤberein kommet Einſchaͤrff. p. 21. daß er die
rede verwirfft: Ob einer gleich an ſeinem ende kein ander zeugnuͤß hab/
als daß er haͤtte gelebet wie ein teuffels kind/ wo er doch aber glaubt/
ſo wird er ſeelig/ und
præf. p. 8. dieſe einbildung: der glaube mache
ſo alleine ſeelig/ daß nun nichts dran lige/ ob man Chriſti gebot hal-
te oder nicht. Dahin gehoͤret
p. 258.Lebſt du fromm/ ſo wirſtu ſeelig/
lebſtu nicht fromm/ ſo wirſtu verdammt/ da wird nichts anders aus.

So p. 275. wiederholet wird. p. 274.Chriſtus will keinen ſeelig machen/ er
fuͤhre denn auch in dieſer welt einen wandel/ der ihm dem HERRN
CHRJSTO wohlgefaͤllt.
Alſo p. 325. erfordert er zwey ſtuͤck/ wo wir
wollen der verdamnuͤß e[nt]gehen. 1. Glaube beſtaͤndig an JEſum Chri-
ſtum. 2. Halte auch deines HERRN und Meiſters CHriſti gebot.
Und
pag. 395.Chriſtus habe bezeuget/ daß die nicht in guten wercken
ſich geuͤbet/ in dieſer welt/ deren keiner werde das reich GOttes er-
erben.
Aber wie wir ſeine lehre von der rechtfertigung gantz rein und ohne ma-
ckel leſen. p. 165. von der verwechſelung der perſonen vor GOttes gericht: Und auch
237. da er ſaget/ daß dieſes gehoͤre zu der rechten glaubens kunſt/ daß ein
Chriſt muß koͤnnen ſich aller ſeiner eigen heiligkeit und verdienſts er-
wegen/ und bloß ledig allein hangen an der gnade CHRJSTJ:

Wo vor und nachgehends gleichfalls ſeine Orthodoxiam in dieſem Articul gnug-
ſam bezeuget. Alſo bringen auch die angezogene worte nichts anders oder wiedri-
ges mit ſich. Dann es iſt der vorwand des glaubens (denn daß er nicht von dem
wahren glauben rede/ zeigt dieſes/ weil es ein ſolcher glaube iſt/ dabey man nicht
recht Chriſtlich/ ſondern als ein teuffels kind lebet) freylich ſolches gefaͤhrliche teu-
fels netze: So werden auch von dem/ der der verdamnuͤß entgehen ſolle/ billig
beyde ſtuͤcke erfordert/ der glaube und die haltung der gebot/ das iſt Chriſtlicher
wandel/ aber auff unterſchiedliche weiſe/ davon er ſich anderwaͤrtlich erklaͤhret/ je-
ner
[27]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO VII.
ner als die einige Inſtrumental-urſach/ dieſe als theils das zeugnuͤß/ theils die ohn-
außbleibliche frucht der einigen angezogenen urſach (man ſehe hievon p. 32.) werden
alſo zwar beyde von den menſchen erfordert/ aber nicht beyde als zur ſeeligkeit/ ſon-
dern als demzenigen/ der ſeelig werden will/ nothwendig. Womit auch die letz-
te art zu reden gleichfals erklaͤhret iſt/ daß verſtand und wort ſchrifftmaͤßig ſeyn/ und
damit der ehre des allein ſeeligmachenden/ und alſo ohne die werck ſeligmachenden/
aber nicht ohne die werck befindlichen/ glaubens nicht geſchmaͤhlert werde.


Auch erklaͤhret ſich der Autor p. 258. daß er dem allein ſeeligmachenden glau-
ben nichts benimmt: Der glaube macht allein ſeelig: die guten wercke
verdienen den himmel nicht. Ja freylich: Aber Chriſti ſpruch
bleibt auch wahr: Keiner wird in himmel kommen; der ſich nicht
auch hat fleißig geuͤbt in guten wercken. Denn wo kein heiliges le-
ben iſt/ keine wahre froͤmmigkeit/ da iſt auch der rechte glaube nicht.

Da wir ſehen daß er die wercke erfordere/ nicht als ein nebens mittel der rechtferti-
gung/ ſondern als eine frucht und zeugnuͤß des rechtfertigenden glaubens/ und als
eine eigenſchafft/ die ſich bey dem gerechtfertigten finden muͤſſe/ nicht aber als eine
bedingung der rechtfertigung/ viel weniger als eine urſache der ſeligkeit.


6. Eben ſo wenig ſtoſſen die wahre lehre um folgende redens-arthen.
Der keiner wird erhalten werden/ der in dieſem leben beharrlich nur
eine eintzige muthwillige ſuͤnde getrieben.
p. 89.Jch muß aller muth-
willigen ſuͤnde entſagen.
p. 132.Wer da nur eine einige muthwilli-
ge ſuͤnde forttreibet/ und ſie nicht ernſtlich und ewig verſchweret/ der
darff ſich keine hoffnung machen zu dieſem erbe.
p. 103.Wer nicht
fuͤhret einen recht gottſeligen wandel/ ohne alle muthwillige ſuͤnden/
der wird nicht ſelig.
p. 171Wer nur noch einmahl muthwillig zu
ſuͤndigen gedencket/ der wird nicht ſelig.
p. 381.Es weiß ein Chriſt
in ſeinem hertzen wohl/ daß er nicht lebet in muthwilligen ſuͤnden.
p.
381.
Keinen muthwilligen ſuͤnder macht das Evangelium ſelig.
Gedenckeſtu nun noch auch nur eine eintzige muthwillige ſuͤnde dein
lebenlang zu begehen/ ſo haſtu dich des Evangelii nicht zugetroͤſten/
p.
403.
Wenns gleich nur eine einige ſuͤnde waͤre/ die du muthwillig
wolteſt begehen ſo biſtu um der willen verdamt/ darwider wird we-
der glaube noch Evangelium helffen.
p. 129.Wer in einer eintzigen
muthwilligen ſuͤnde lebet/ der hat kein theil am reich CHriſti/
er gehoͤret nicht zu ſeinem ſchaffſtall/ er iſt kein Evangeliſcher Luthe-
riſcher Chriſt.
p. 62.Einſchaͤrff.p. 7.Die muthwilligen ſuͤnder/ die
nicht nur ſuͤnde haben/ ſondern ſie auch thun/ deren erbarmet ſich

D 2GOtt
[28]Das ſechſte Capitel.
GOTT nicht.p. 12.Wer nicht rein wird von muthwilligen ſuͤn-
den/ alsdenn auch der boͤſe vorſatz ſelbſt auff gewiſſe maſſe eine muth-
willige ſuͤnde heiſſet/ wer nun den boͤſen vorſatz behaͤlt ſein lebenlang/
ein ſolcher verdirbt auch gar in ſeiner gottloſigkeit.
Und wiederum:
das kan nicht beyſammen ſtehen: Ein wahrer Chriſt ſeyn/ und in
muthwilligen ſuͤnden leben.
Man ſehe auch in dem buch p. 148. 247. 364.
377
wo gleich lautendes angetroffen wird werden. Dahin gehoͤren auch die wort
pag. 320.Gott hatt nur die beſten Chꝛiſten außeꝛwehlt/ die will er ſe-
lig machen.
Alle ſolche arten zureden und propoſitiones moͤgten nun leicht in
ſolchen verſtand gefaſſet werden/ welcher gantz falſch und ketzeriſch waͤre/ nehm-
lich ob waͤre GOTT keinen gnaͤdig/ der einmahl eine todſuͤnde begangen/ oder eine
zeitlang darinnen beharret haͤtte/ wie wir ſehen/ daß einige ſich bey gehaltenen pre-
digten ſolches eingebildet. Aber p. 384. und Einſchaͤrff. p. 10. begegnet er denſel-
ben alſo gnugſam/ und zeiget in dem gantzen buch/ daß ſeine meynung nicht ſeye/ den
jenigen/ welche muthwillig geſuͤndiget/ die buß und goͤttliche gnade abzuſprechen/
ſondern/ allein zuzeigen/ daß vor ablegung ſolcher muthwilligen ſuͤnde kei-
ner zu gnaden kommen/ oder vor einen bußfertigen erkandt werden koͤnne. Da-
her/ wo man die worte nicht obenhin/ ſondern genau betrachtet/ iſt ſo wohl an den-
ſelben/ als an der ſache ſelbſt kein fehler. Aber das muß dabey gemercket werden
daß ſolche Propoſitiones zuverſtehen ſeyen in ſenſu compoſito/ wie man in ſchu-
len redet. Wer in einer eintzigen muthwilligen ſuͤnden lebt/ (nehmlich ſo fern und
ſo lang er darinnen lebt) hat keinen theil am reich Chriſti u. ſ. f. Daher in etli-
chen gar wohl darzu geſetzt wird/ beharrlich/itemforttreibet. Daß alſo von
denen geredet werde/ welche in ſolcher ihrer boßheit verharren/ und darinnen hin-
ſterben. Gleichwohl gehets andere auch an/ als lang und viel ſie muthwillig in
ſolcher boßheit verharren/ ob wohl dieſen noch die gnadenthuͤr offenſtehet/ aber
wo ſie ihre boßheit verlaſſen: So lang ſie aber in ſolcher verbleiben/ ſo gilt es ih-
nen gleichfalls (wie alſo auch allein in ſolchem ſenſu compoſito zunehmen ſind/ die
wort Præf. p. 4.Gleich als ob ein ſolcher/ der ſo gelebet/ gleichwohl ordent-
licher weiſe ſeligkeit hoffenkoͤnte.
Und/ als ob ſolche koͤnten auch hoffnung
haben zur ſeligkeit/ die die ſ[uͤ]nde immer wieder in ſich herrſchen laſſen.
Jn
dem buch pag. 9.Welcher menſch nicht ſo viel als er kan in dieſer ſchwachheit
ſich befleißiget in geiſtlichem erkaͤntnuͤß zu wachſen/ der darff keine ſeligkeit
hoffen.
Und welche wort weiterer erlaͤuterung bedoͤrffen. Præf. p. 26. 27.Wer
nicht auch in dieſem leben gelangt zu der ihm gleichwohl geziemenden
Chriſtlichen vollkommenheit/ auch in erkaͤntnuͤß/ der wird auch die himm-
liſche vollkommenheit gar nicht erlangen
) Dieſe lehre ins geſamt/ daß bey ei-
ner herrſchenden und muthwilligen ſuͤnde keine ſeeligkeit zuhoffen ſeye/ iſt unter an-
dern
[29]ARTIC. I. DISTINCT. I. SECT. VII.
dern von unſern geſamten kirchen oͤffentlich bekant in den ſo genanten Schmal-
kaldiſchen articuln in dem 3. theil art. 3. der heilige Geiſt laͤſt die ſuͤnde nicht wal-
ten und uͤberhand gewinnen/ daß ſie vollnbracht werde/ ſondern ſteuret und weh-
ret/ daß ſie nicht muß thun/ was ſie will. Thut ſie aber was ſie will/ ſo iſt der hei-
lige Geiſt und glaube nicht darbey (ohne dieſe aber iſt kein augenblick die ſeligkeit)
dann es heiſt/ wie S. Johannes ſagt/ I. 3. 9. Wer aus GOt gebohren iſt/ der
ſuͤndiget nicht/ und kan nicht ſuͤndigen. So ſagt der chriſtliche Theologus D.
Ægidius Hunnius ad 1. Johannis 3. 6. Renaſcentiam \& peccandi pro-
poſitum ſic eſſe oppoſita, ut ſe mutuo ex neceſſitate tollant, ac conſiſtere in
eodem homine ſimul eodemque tempore minime queant.
Jtem noch neuli-
cher Herr D. Huͤllſemann/ in Calixtiniſchen gewiſſens W. C. 4. pag. 380.
Weil der ſeeligmachende glaub/ und alſo auch die gnade GOttes/ durch welche er
ſuͤnde vergibt/ nicht kommet in ein hertz mit boͤſem vorſatz beladen/ oder in eine boß-
hafftige ſeele/ die nach boßheit ſtrebet und trachtet: Weißh. 1/ 4. So muß der
wuͤrckliche boͤſe vorſatz in der ordnung zuvor im hertzen des ſuͤnders nachlaſſen und
pauſiren/ ehe der glaube hinein kommet. Die letzte Formul/ von nur den beſten
Chriſten die ſelig werden/ hat zwar auch an angezognen ort ihre gnugſame erlaͤu-
terung/ daß bey ſolcher erklaͤrung nichts mehr dran zuſtraffen. Aber ſolchen ver-
ſtand wird nicht einer bald vor ſich ſelbſt aus den worten faſſen/ ſondern vielmehr
darvor halten/ es ſeyen dieſes allein die beſte Chriſten/ welche es in ihrem Chri-
ſtenthum am weiteſten bringen/ und niemahl von GOTT abgewichen waͤren/ al-
ſo/ daß der einmahl von GOtt abgetreten/ gantz ausgeſchloſſen waͤre. Wie nun
in ſolchem verſtand/ die propoſition gantz falſch waͤre/ und wider goͤttliche barm-
hertzigkeit ſtreitete/ alſo iſt ſie wegen ſolches leicht daraus faſſenden unrechten ver-
ſtandes gefaͤhrlich und nicht wohl zugebrauchen. Wie auch die Schrifft alſo
nicht zureden pfleget. Hieher gehoͤret auch der orth Einſchaͤrff. p. 7. da dem an-
ſehen nach es ſcheinen ſolte/ ob wuͤrde dem jenigen/ welcher mit auffgereckter hand
GOtt beleidiget/ allerdings alle gnade abgeſprochen/ weil ſolche ſeele ſchlecht aus-
gerottet werden ſolle; Aber er erlaͤutert ſich gleich ſelbſt/ daß er rede von der zeitli-
chen ſtraff/ hingegen ſolte ein ſolcher freveler ſuͤnder deß ewigen todes nicht ſter-
ben/ wenn er hertzliche buſſe thaͤt. Daher wenn bald wiederum darauff folget:
Wo eine ſeele aus frevel ſuͤndiget/ die muthwillige ſuͤnde kan Gott
nicht leiden/ verſtehe mit der angezeigten
condition/wo keine buſſe
folgen wuͤrde.


7. Hierauff ſolgen billich die jenige/ welche ſcheinen mit ſich zu bringen/ gleich
ob koͤnte ein menſch hier in dieſer welt bereits zu der vollkommenheit und erfuͤllung
goͤttlichen geſetzes gelangen. Einſchaͤrff. p. 14.Rechtſchaffene Chriſten
und kinder GOttes fuͤhren ihren wandel ſo in dieſer welt/ daß ſie

D 3Chri-
[30]Das ſechſte Capitel.
Chriſti geboth halten/ und das koͤnnen ſie von ſich bekennen. Und
diß iſt der ordentliche lauff der außerwehlten/ daß ſie bey ihren leb-
zeiten wandeln in gehorſam der gebot Chriſti/ und an ihrem lebens
ende koͤnnen ſie mit wahrheit von ſich ſagen/ daß ſie haben gewan-
delt in der liebe Chriſti/ und in gehorſam ſeiner gebot p. 296. Wañ
ich von jemand werde gefragt/ ob ich die gebote meines Heylandes
halte/ und ich bejahe es denn/ und ſage freylich ja/ wehe mir/ ſo
ich nicht meines HErrn Chriſti gebothe halte. Einſchaͤrff. p. 13.
Wo ein Chriſt ſich nur zur rechten buſſe kehrt/ wird rechtglaͤu-
big und wiedergebohren/ darnach fleuſt aus der wiedergeburt und
aus dem glauben ſchon heraus ein williger freudiger gehorſam/ daß
man dem allen nachkoͤmt/ was Chriſtus in ſeinen geboten erfor-
dert/ und thut ſolches ohn knechtiſche forcht/ mit lauter hertzens luſt.

Dergleichen orth finden ſich noch mehr/ und werden auch exempel angefuͤhrt/ der-
jenigen/ die im Alten und Neuen Teſtament die gebot Chriſti gehalten haben.
Solte aber dieſes nicht/ zu geſchweigen der alten Pelagianer auff Paͤpſtiſch und
Photinianiſch gelehret ſeyn? Denn alſo heiſſets bey den Tridentiſchen Patribus
Sesſ. 5. de Juſtific. c. 11.
GOtt befiehlet nichts unmuͤgliches/ ſondern mit den be-
fehlen erinnert er/ man ſolle thun was man koͤnne/ und fordern was man nicht koͤn-
ne/ und hilfft/ daß mans koͤnne. Seine gebote ſind nicht ſchwer. Sein Joch
iſt ſanfft/ und ſeine laſt iſt leicht. Denn welche GOttes kinder ſind/ die lieben
Chriſtum/ welche ihn aber lieben/ wie er ſelbſt zeuget/ halten ſeine wort/ welches
ſie freylich mit goͤttlicher huͤlffe leiſten koͤnnen.


Daher die rede verflucht wird. Can. 18. DEI præcepta homini juſtifi-
cato ad obſervandum impoſſibilia,
goͤttliche gebote ſeyen einem gerechtfertig-
ten zuhalten unmuͤglich. So behaupten auch die Socinianer die muͤglichkeit
der haltung des goͤttlichen geſetzes. Auch wird in der Form. Concord. c. 12.
dieſer Schwenckfeldiſche irrthum verworffen: Daß ein Chriſt/ der warhaff-
tig wiedergebohren/ das geſetz GOttes in dieſem leben vollkommen erfuͤllen koͤn-
ne. Nun iſt an deme/ daß hie wiederum die unbequeme rede von den geſetz
Chriſti/ welches von dem geſetz Moſis unterſchieden iſt; davon nachmahln wird
zuhandeln ſeyn/ vorkompt. Auſſer demſelben aber iſt die meynung des Auto-
ris
nicht unrecht. Wie er dieſelbe ausdruckt Einſchaͤrff. pag. 16.Was anlan-
get die gaͤntzliche vermeydung muthwilliger ſ[uͤ]nden/ da muͤſſen auch wir
bey unſern lebzeiten gewiß ſeyn/ daß wir koͤnnen ſagen: Wir lieben Chri-
ſtum/ und halten ſeine gebot.
Verſtehet alſo Herr Stenger durch die hal-
tung des gebots Chriſti nichts anders als die vermeydung muthwilliger ſuͤnden/
wel-
[31]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO VII.
welche frommen Chriſten durch goͤttliche gnade muͤglich iſt. Daher p. 297.
macht er gar deutlich den unterſcheid/ unter der erbſuͤnde/ menſchlichen fehlern und
muthwilligen ſuͤnden/ da er alleine in anſehung dieſer letzten ſaget/ daß die beſ-
ſerung gantz vollkommen ſey ſchon in dieſem leben
pag. 297. Aber wie ſich
die beſſerung wegen der andern zwey arthen der ſuͤnden halte/ erklaͤret er ſich da-
ſelbſt gnug. Daher treibt er auch auff die taͤgliche buſſe/ und dero nothwendigkeit
p. 307. Da heiſts: Ach wie ferne bin ich noch dem exempel meines HErrn
JEſu Chriſti?
Wiederum: Der gute Geiſt der in mir wohnet/ wuͤrcket
in mir eine ſtetige rene/ uͤber die erbſuͤnde und menſchlichen fehler und ge-
brechen.
Wiederum redet er von dem exempel Chriſti und der heiligen alſo/ p.
363.
JEſum laſt uns anſehen/ wenn wir wollen einen rechten tugend-ſpie-
gel haben. Die andern menſchen ſind doch allzumahl gar kuͤmmerliche
elende/ mangelhaffte heiligen;
Welches deutlich uns zuverſtehen gibt/ daß
er den glaͤubigen hier in dieſem leben noch nicht die vollkommenheit/ wohl aber das
ernſtliche ſtreben nach derſelben zuſchreibet: wie auch der Roſtockiſche Theolo-
gus D. Eilh. Lubinus
vor dem/ uͤber 1, Johann. 5. 3. commentiret hat: Man-
data Dei ſervare dicuntur, non qui illa perfecte ſervant, quod ſolus Chri-
ſtus potuit, ſed qui ſerio ſtudio illa obſervare ſatagunt.
Daher in der ſa-
chen ſelbſt des Autoris meynung juſt iſt: So iſt ſie auch gnugſam unterſchieden
von der Papiſten und Socinianer Jrrthum. Jn dem jener meynung iſt/ daß eini-
ge ſuͤnden/ ſo ſie die laͤßige/ venialia, nennen/ an ſich ſelbſt ſo gering ſeyen/ daß
deßwegen um derſelben willen/ ein menſch nicht auffhoͤre gerecht zu ſeyn/ und al-
ſo ohn angeſehen derſelben/ das geſetz zu erfuͤllen. Weilen zwar alle ſuͤnde wi-
der das geſetz/ aber nicht alle wider den zweck deſſelben/ das iſt/ die liebe/ ſtreiten.
Wie des Jeſuiten Becani in Manuali lib. 1. c. 14. p. 256. vergebliche außflucht
iſt. Solches aber iſt Herrn Stengers meynung nicht/ als der erkent/ daß frey-
lich nach dem geſetz auch die menſchlichen fehler des todes wuͤrdig ſind/ daß ſie
aber gleichwol den wiedergebohrnen nicht aus goͤttlicher gnade ſetzen/ ſchreibt er
goͤttlicher gnade und dem glauben zu/ um deß willen ſie uns nicht zugerechnet wer-
den. Wie Becanus an angezogenem orth auch unſere Lutheriſche meynung an-
zeucht/ aber zuwiderlegen vermeynet. Damit iſt er von den Paͤpſtiſchen unter-
ſchieden; So vielmehr aber von den Socinianern/ welche nicht nur die von uns
lehrende zurechnung der gerechtigkeit Chriſti (davon auch Schwenckfeld wenig
wiſſen will) ſondern alle deſſen verdienſtliche gnugthuunge leugnen. Was aber
endlich die art zu reden ſelbſt anlanget/ GOTTES geſetz halten/ oder
daß die glaͤubige ſolche gebot halten/
halten wir ſie vor eine ſolche rede/ wel-
che/ weil ſie leicht wegen der jenigen/ die in dem articul von der Erfuͤllung des
geſetzes/ unrecht lehren/ uͤbel verſtanden werden mag/ nicht anders als mit guter
behutſamkeit zubrauchen/ an ſich ſelbſt aber recht und warhafftig ſeye; Sie iſt ge-
gruͤn-
[32]Das ſechſte Capitel.
gruͤndet in den worten Johannis 1. 5. 2. 3. Daran erkennen wir/ daß wir
GOttes kinder lieben/ wenn wir GOtt lieben und ſeine gebot halten/ dann
das iſt die liebe zu GOtt/ daß wir ſeine gebot halten; und ſeine Gebot ſind
nicht ſchwer.
Ja in den worten Chriſti ſelbſt Joh. 14. 21. Wer meine gebot
hat/ und haͤlt ſie/ der iſts der mich liebet.
Welchen wir in dem verſtand wie
ſie geredet/ wol nachſprechen moͤgen. Aus jenen worten Joh. 1. 5. 3. ſchlieſſet
der ſel. Ægid. Hunn. alſo Iis qui Deum diligunt \& communionem cum
eo geſtiunt, neceſſariam eſſe obſervationem præceptorum illius.


Es finden ſich auch etliche harte formuln, betreffende die ſpate reue. Ein-
ſchaͤrff. pag. 52.GOTT wolle zwar allen bußfertigen die ſuͤnde ver-
geben/ aber denen die ſo offt abfallen/ des lieben GOTTes ſo offt
verſpotten/ denen werde es darnach ſo gut nicht/ daß ſie kamen zur
erkaͤntnuͤs.
P. 12.daß er erſt in der ſtunde des todes ſolte zur buſ-
ſe gelangen/ das verbleibet darnach wohl/ und in dem buch p. 279.
Woher ſoll ihm aber der glaube als denn erſt kommen? Gewiß iſt/
daß unter ſolchen heuchlern und boͤſen Chriſten kaum einer unter
100000. zuletzt glaͤubig werde. Chriſti worte vermoͤgens faſt/ daß
nicht einer von ſolchen/ die ihr tag kein gutes gethan/ erſt am ende
rechte buſſe thue.
p. 401.Man ſaget von den ſpat reuenden/ daß
ſie auch noch zu gnaden kommen/ aber das iſt ein auſſer ordentli-
ches/ in die gemeine regul nicht zuziehen; und nach deme die heu-
tige welt beſchaffen/ wolt ich ſagen/ unter hundert tauſenden ſpat
reuenden kaum einer recht buſſe wuͤrcket.
Wir geſtehen daß die re-
den hart ſind; aber gleichwohl (ohne das die angezogene worte aus pag. 279.
daß faſt nicht einer gar zu weit gehen/ aber auch mit den uͤbrigen nicht
uͤbereinkommen/ und alſo billich aus dieſen zu verbeſſern ſind/ ſo
dann
daß die beſtimmung der einigen zahl/ unter ſo viel tauſenden nicht ſicher
iſt/ ſondern man lieber goͤttlicher barmhertzigkeit uͤberlaͤſſet/ wie
vielen oder wenigen ſie dieſe ſonderbahre gnade thun wolle
) bleibt
die lehre an ſich ſelbſt von ſolchen muthwilligen ſpoͤttern goͤttlicher gnade/ die dieſelbe
offt von ſich geſtoſſen haben/ allerdingswar: Sie iſt gegruͤndet Proverb. 1. 24. v. f.
u. an andern orten der Schrifft: daß GOtt endlichen den menſchen in das gericht
der verſtockung fallen laſſe/ von welchem gericht der Autor nichtuͤbel pag. 222. redet.
Nicht aber er allein ſondern der gemeine/ und durch gemeinen gebrauch gebil-
ligte/ kirchen-geſang mit den worten: Jch foͤrchte fuͤhrwar die goͤttliche
gnad/ die er allezeit verſpottet hat/ wird ſchwerlich auff ihm ſchwe-

ben
[33]ARTIC. I. DISTINC. 1. SECTIO VII.
ben. weiſet auch/ was bey andern unſern lehrern allemahl geglaubet worden.
Herr D. Dannhauer S. G. ſchreibet in Catechismus Milch. p. 6. p. 293.
aus 2. theurer Theologorum mund: Gedencke an die worte Lutheri ad Gen.
50. Quanquam Deus promiſit veniam, tamen non promiſit, quod cer-
to ſis rediturus. Saul \& Judas non redierunt: Phariſæus non debet ſal-
vus fieri præſumendo, nec latro perire deſperando.
Ob zwar GOTT
vergebung der ſuͤnden verſprochen hat/ ſo hat er dir nicht ohnfehlbahr zugeſagt/
daß du wirſt wieder kommen mit wahrer buſſe. Saul und Judas ſind nicht
wiederkommen/ der werckheilige Phariſeer ſoll nicht ſelig werden/ durch ſelbſt
ertichte einbildung/ und der Schaͤcher auch nicht verderben durch verzweiffelung.
Und wie D. Gerhardus (Medit.) ſaget: Promiſit Deus veniam pœnitenti,
ſed voluntatem pœnitendi non promiſit delinquenti.
GOtt hat zwar er-
laſſung verheiſſen/ den bußfertigen ſuͤndern/ aber die buſſe nicht einen jeglichen
verheiſſen/ ſo offt er ſuͤndiget/ daher eben jetzt angezogener ſel. Herr Gerh. Harm.
Evang. cap. 201. pag. 1999.
Das exempel des Schaͤchers nennet Singulare exem-
plum divinæ benignitatis ac miſericordiæ
: Ein ſonderlich (und alſo nicht al-
len gemeines) exempel goͤttlicher guͤtigkeit und barmhertzigkeit. Vergleicht auch
nachmahl die ſuͤnde/ ſo das leben durch begangen wird/ mit einer vergifften ſpeiſe
davon 1000. geſtorben weren/ und etwan einer wunderthaͤtiger weiſe (miraculo-
ſe)
erhalten worden; Am allernachtruͤcklichſten aber/ redet hievon der gelehrte
und accurate Theologus D. Huͤllſemann: brev. Theol. extenſ. cap. 14. num.
7. \& 8.
(mit dem Herrn D. Dannhauer Hodoſ. Ph. 9. pag. 640. einſtimmet
und dieſe worte zum theil wiederholet) cauſa decreti de Electis ad tempus ab
unione cum Deo \& influxu ejus gratioſo prolapſis infallibiliter redu-
cendis non tam nititur præviſa non rejectione gratiæ divinæ ad reſipi-
ſcentiam eos revocantis, quam propoſito Dei ſeu voluntate reducendi
hunc non illum. Quod in Apoſtatis valet: non æque in nondum illu-
minatis. Omnibus enim nondum illuminatis promiſit Deus oblatio-
nem luminis; Non omnibus autem apoſtatis promiſit reiterationem
luminis petulanter extincti
(aus den ſpruͤchen Rom. 11. 18. 23. Hebr. 3. 7. 4.
1. 3/ 6/ 6/ 4/ 5/ 10/ 26. Joh. 12/ 35/ Matth. 25/ 9. 10. Jerem. 3/ 1. 2. Petr. 2/ 20/) un-
de conſequitur: non eſſe eundem reſpectum Dei ad hominem, quo con-
tinuatur gratioſus influxus, \& repudiatus redintegratur, quia eſt diverſi-
tas in ſubjectis.
Daraus erhellet/ daß ein ſolcher freveler veraͤchter goͤttlicher
gnade/ der auf vermeinte buß des letzten ſtuͤndleins ſicher dahin ſuͤndiget/ ihm
ſolche nicht ohnfehlbar verſprechen koͤnne. Alſo koͤnnen wir keinen darauf vor-
her vertroͤſten/ daß es ihm auch inskuͤnfftige ſo gut werde werden/ ob wohl da es
bey ſeinem letzten gleichwohl geſchicht/ wir vor ſolche gnade mit ihm der unergruͤnd-
lichen barmhertzigkeit Gottes zu dancken haben. Und das iſt/ was Hr. Stenger ſagt.
Ep. 14.
[34]Das ſechſte Capitel.
P. 14.So gut wird nicht eben einem jeden/ und muß man da
GOttes weißheit und unerforſchliche gerechtigkeit walten laſſen.

p. 396.Ob darnach unter etlich tauſenden moͤchten ein paar gefun-
den werden/ die GOtt aus geheimen unbegreifflichen rath noch erſt
am ende mit rechter buſſe und glauben beſchenckte/ daß benimt drum
der ordentlichen allgemeinen regul gantz nichts. Man kan auch
die leuthe nicht darauf weiſen/ und ſie ſolcher gnade GOTTes ver-
ſichern. Und Einſchaͤrff.
p. 28.je laͤnger man GOTT verachtet/
deſto mehr vortheil waͤchſet dem Satan zu/ aus deſſen Stricken
hernach zuentkommen/ bedarff einer ſonderbahren gnade GOttes/
uͤber die allgemeine/ da nun aber nicht verheiſung vorhanden.

Welches alles zwar nicht dahin zuverſtehen iſt/ ob waͤre es eine andere gnade an
ſich ſelbs/ durch welche ſolche leuthe ſelig wuͤrden gegen andern. Denn es iſt
eine gnade/ dadurch alle ſelig werden muͤſſen/ welche ſich gruͤndet auff die allge-
meine barmhertzigkeit des Vaters/ Chriſti allgemein verdienſt/ des heiligen Geiſtes
allgemeine beruffung/ und der goͤttlichen mittel krafft. Aber die wiederholung o-
der offtere anerbietung der vorhin verſtoſſenen gnade iſt etwas ſonderliches/ in
dem es nicht allen wieder faͤhret; Deßwegen kan ich einen boßhafftigen ſuͤnder aus
anſehung der allgemeinen verheiſſungen deſſen nicht verſichern/ daß er am letzten
ende werde buſſe thun. Da hab ich keine verheiſſung/ welche ich ihm zeigen kan.
Aber da er am letzten ende goͤttlicher gnade begierig iſt/ darff ich ihn auf keine ſon-
derbahre und ungewiſſe gnade/ ſondern die allgemeine verheiſſungen/ darunter er
auch begriffen iſt/ weiſen: Aber eben ſolche begierde/ und daß er noch nicht verſto-
cket/ keine gnade nicht ſucht/ das iſt bereits eine ſonderbahre gnade/ weil ſie nicht
allen/ ja vielmehr wenigen/ wiederfaͤhret. Zu dieſer materie aber gehoͤret auch
die jenige formul, præf. p. 8. welche wir/ wie ſie vor augen ligt/ zu hart und ei-
ner aͤnderung noͤthig zu haben achten: Wo es ſolte zuverſtehen ſeyn von dem
ungehorſam gegen die gebot Chriſti/ da kan ſich der ſterbende ordentlicher
weiſe nicht ſo beruffen auf Chriſti verdienſt.
Denn obs wol nicht ordentli-
cher weiſe und gewoͤhnlich geſchicht/ daß ſolche leute zur buſſe erleuchtet werden
(daher er ordentlicher weiſe bey verharrenden ſeinen ſuͤnden/ daß er gleichwol der-
maleins werde des verdienſts Chriſti theilhafftig werdẽ/ ihm nicht verſprechen kan)
So kan doch der jenige/ der nunmehr um ſolche zeit ſich auff Chriſti verdienſt be-
ruffet/ ordentlicher weiſe ſich deſſen getroͤſten/ daß es an ihm ſo wol als eini-
gen andern kraͤfftig ſeyn werde/ vorausgeſetzt/ daß ſein hertz/ wie bey allen/ die da
glaͤuben ſollen/ erfordert wird/ in wahrer buſſe ſtehe. So bedoͤrffen auch die
folgende wort: Dann Chriſtus hat uns zwar mit ſeinem verdienſt erloͤſet
von
[35]ARTIC. I. DISTINCT. I. SECTIO VII.
von dem unertraͤglichen joche Moſis/ aber nicht von dem ſanfften joche
ſeiner geboten/
einer guten erklaͤrung/ daß ſie nicht auff unrechten verſtand gezo-
gen werden. 9. Eine genaue gemeinſchafft mit dem jetzt angefuͤhrten hat auch
dieſe art zu reden/ wo Herr Stenger unterſchiedlichmal pfleget zu ſagen/ dieſer
wird ordentlicher; jener auſſer ordentlicher weiſe ſelig. Als p. 239.Ordent-
licher weiſe wird keiner ſelig/ er habe denn auch from gelebet/ aber
mit froͤmmigkeit wird drumb das ewige heyl nicht verdienet. Diß
folget wohl daraus/ daß die ſpath-reuende/ nicht auff ordentliche
art und weiſe ſelig werden. Denn ſonſt iſt das die gewoͤhnliche/
ordentliche arth und weiſe die ſich findet bey rechtſchaffenen Chri-
ſten/ daß ſie nemlich fein bey zeiten abſtehen vom boͤſen. Bald dar-
auff. Wenn denn ein und der andere aller erſt am letzten ende
von GOTT bekehrt wird/ ſo heiſſe ich das ein auſſerordentlich
ungewoͤhnliches exempel.
p. 395.Solches iſt ein auſſerordentliches/
es iſt ein ungewoͤhnlicher
caſus.Jtem/ es iſt gantz nicht gew oͤhn-
lich noch gebraͤuchlich. Jtem/ ſo iſts fuͤr ein ungewoͤhnlichen auſ-
ſerordentlichen wunder
caſumzuhalten. Alſo auch p. 401. und an-
derswo. Alſo klaget er præf. p. 5. daß von etlichen der auſſerordentliche ſpa-
te buß weg zum ordentlichen lebensweg gemacht werde.
Hier-
aus moͤchte vielleicht jemand in die gedancken kommen/ ob waͤre Herr Stenger
der meinung/ es wuͤrden die ſpath-reuende auff andere weiſe/ durch andere mit-
tel von GOttes und ihrer eigenen ſeiten ſelig/ als andere/ da doch einerley gnade/
Chriſti verdienſt/ Wort/ Geſetz/ Evangelium/ Sacramenten/ und alſo alle mit-
tel ſind/ daraus alle menſchen insgeſamt zur buſſe und ſolcher guͤter genuß muͤſ-
ſen gebraucht werden: Wie hingegen auch von ihrer ſeiten bey allen der einige
glaube iſt/ der ſolche annimt. Jn ſolchem verſtand iſts eine ordnung vor alle/
und wird keiner auſſer ordenlicher weiſe ſelig: Wir moͤgen denn ſolches ſagen
von den kindern/ welche vor der Tauff ſterben/ da die ordentliche mittel des worts
und Sacraments der Tauff nicht platz haben/ ob wohl es auch eine gnade/ gerech-
tigkeit Chriſti und glaube iſt/ wie bey andern/ krafft deren ſie ſelig werden. Es
iſt aber ſolches durchaus Herr Stengers meinung nicht/ wie ſolches die vierze-
hende predigt zur gnuͤge ausweiſet; Sondern er erklaͤret ſich ſelbſt/ wie er dieſe
worte verſtehe/ Einſchaͤrff. p. 22. daß er ordentlich nennet/ ſolenne, conſvetum
\& ordinarium,
was ordentlicher weiſe und gemeiniglich geſchicht/
das andere nennet er auſſerordentlich/extraordinarium.


Was dann die ſache ſelbſt anlanget/ ſo iſts aus vorigen bekant/ daß in ſol-
chem verſtand freylich die ſpath-reuende nicht ordentlich/ ſondern auſſer ordentlich
E 2ſelig
[36]Das ſechſt Capitel.
ſelig werden/ es iſt nichts gemeines/ gewoͤhnliches/ ſondern ungemeines. Was
aber das wort ſelbs/ ob dergleichen ſolle ordentlich und auſſerordentlich genennet
werden/ anlangt/ bezeugt Herr Stenger ſelbs/ daß er nicht ſo ſehr auff das wort
ſelbs dringen/ ſondern es nicht wehren wolle/ wo es einer mit einem beſſern termi-
no
geben koͤnne. Jn deſſen bezeucht er ſich auff der kirchen-lehrer art zureden.
Nun iſts an dem/ daß was die arth und weiſe anlangt/ wie die mittel des heyls
dieſem und jenem zukommen/ daß nicht ungewoͤhnlich/ daß der Terminus auſ-
ſerordentlich gebraucht werde. Herr D. Dannhauer Hodoſ. p. 614. ſagt: ali-
às extra ordinem quis neget, Paulum, Zachæum, Latronem valentiori gra-
tia ad reſipiſcentiam fuiſſe excitatos, quam plerosque alios.
So ſagt er
von Pauli bekehrung Hodom. Calvin. Phant. φαντασμ. p. 470. De qui-
busdam enim extra ordinem hoc fieri, ex. gr. Paulo irreſiſtibili quadam
ratione pervicto in via Damaſcena, nolumus negare.
Und p. 429. Dum con-
trà ordinariè fidei
χάρισμα non detur contumaciter repugnanti. Werden
ſich auch hin u. wieder mehr dergleichen orth finden. So iſt auch der Terminus an
ſich ſo bewand/ daß ob ſchon die derivation deſſelben ſcheinet mehrdarauff zugehẽ/
daß auff die oꝛdnung der mittel zu ſehen waͤre/ welcher veꝛſtand aber der hieꝛgemein-
te nicht iſt/ gleichwol der gemeine gebrauch in dem gemeinen leben dieſer iſt/ daß
man/ wie Herr Stenger thut/ ordentlich das jenige nennet/ was gemeiniglich ge-
ſchicht/ auſſerordentlich was ungewoͤhnlich. Hat aber jemand bedencken/ oder
ſolte von mehrern der Terminus, der gar in der Schrifft nicht befindlich/ in unglei-
chen verſtand gefaſt werden/ ſo moͤchte wohl um ſolches mißbrauchs willen/ ſolches
wort/ ſo an ſich nicht verwerflich/ außgelaſſen/ und etwa das wort/ Sonderbahr/
ſingularis, oder was man vor ein bequemes finden koͤnte gebraucht werden.


10. Haben wir auch wahr genommen als einen ſolchen ſatz/ der vielleicht auch
einigen zweifel machen koͤnte/ wenn geleſen wird præf. p. 11.Wenn GOTT
einer vorkomt zurichten/ ſo iſt die frage: Wie dieſer menſch allen
boͤſen vorſatz abgeleget/ und darneben ein verlangen getragen nach
der gnade JEſu Chriſti? Wo dieſes bey einem menſchen richtig/ ſo
ſpricht ihn GOtt auch gerecht/ und macht ihn ſelig/ es moͤge ſich
gleich der menſch in ſeinen eigenen
conceptennoch ſo gewiß vor ver-
dammt gehalten haben. Jn dem Buch
p. 212.Wo GOTT einen
menſchen ſihet/ in deſſen hertz kein boͤſer vorſatz/ und auch ein ver-
langen zur gnade JEſu Chriſti/ den ſpricht GOTT gerecht/ und
verdammt ihn nicht/ ob gleich der einfaͤltige menſch ſich ſelbſt will
vor verdammt halten.
p. 229.Alſo mag ſich einer lang verdammt
hal-
[37]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO VII.
halten/ ſo thut doch GOtt was er wil/ er verdammt keinen men-
ſchen/ es mangele ihm dann an der reue oder am Evangelio.
Alles
ſolches ſolte das anſehen gewinnen/ ob wuͤrde gelehrt/ daß der menſch moͤchte
ſelig werden/ der doch mit verzweiffelung/ und ohne in dem hertzen gehabten troſt
der ſeligkeit/ geſtorben ſeye. Welches der lehr von dem allein ſeligmachenden
glauben ſtracks zu wider ſeyn wuͤrde. Wir koͤnnen auch nicht in abred ſeyn/ daß
wir dieſe arthen zu reden wuͤnſchen geaͤndert zu haben/ damit ſie nicht in einen un-
rechten verſtand/ ſo zwar des Autoris ſelbs nicht ſeyn wird/ gezogen werden moͤch-
ten. Gleichwol wo die meynung des Autoris genauer angeſehen wird/ laͤſſet
ſich dieſe entſchuldigung ſehen/ daß er rede von dem ſtand der in der hoͤchſten geiſt-
lichen anfechtung liegenden Chriſten/ welche den bey ihnen wohnenden glauben
nicht fuͤhlen/ ſondern zwar mit der verzweiflung ringen/ aber ſich nicht uͤberwin-
den laſſen: ob dann ſchon ein ſolcher menſch eine zeitlang des zeugnuͤß des heiligen
Geiſtes und ſeines glaubens in der ſeelen nicht fuͤhlet/ und hingegen die ſo gifftige
als feurige pfeile des Satans/ der ihn wegen mangel fuͤhlenden glaubens zur ver-
zweiffelung treibet/ in ſeiner ſeelen leiden muß/ daß er meinet/ er ſey ſchon gleich-
ſam mitten in der hoͤlle/ ſo iſt alsdann der glaube ihm gantz ohnbekaͤntlich in deſſen
hertzens-grund verborgen/ und wird auff unausſprechliche weiſe durch den hei-
ligen Geiſt erhalten/ ob wohl der arme menſch ſelbs und andere neben ihm ſolches
glaubens kein ander zeugnuͤß haben/ als ſein noch habendes ſehnliches verlangen
nach der gnade: Deßwegen wie der in ohnmacht ligende menſch/ kein leben fuͤh-
let/ daß er doch hat/ ſo hat auch der angefochtene menſch das geiſtliche leben des
glaubens/ daß er nicht ſpuͤret: Stehet alſo vor GOtt in ſeligem ſtande/ da er ſich
ſelbſt verdammt. Und auf ſolche weiſe ſind Herr Stengers wort gantz recht/
und geſchicht ſolches bey angefochtenen perſonen gantz offt. Ob aber/ wie der er-
ſte angezogene ort auf ſolchen fall gehet/ es geſchehen ſolte/ oder je geſchehen ſey/
daß GOtt der gleichen menſchen in waͤhrender ſolcher anfechtung/ ohne zu letzt
noch wiederkommenden troſt/ des empfindlichen glaubens von der welt weg neh-
me oder weggenommen haͤtte/ zweifeln wir faſt/ haltens viel lieber mit unſerm
ſeligen Herrn Luthero 8. Wittenb. pag. 58. da er ſagt: Daß GOTT keine
anfechtung ewig waͤhren laͤſt/ ſondern eben wie ſich das wetter ver-
aͤndert/ daß allwege nach einem truͤben ein heller tag kommet/ und
nach der arbeit eine erquickung: Alſo erfahren wir auch/ daß un-
ſere hertzen wiederum durch einen geiſtlichen troſt auffgerichtet wer-
den/ ob ſie gleich eine zeitlang mit gedancken der verzweiffelung
des unglaubens und ungedult fuͤr GOTT und der welt/ einen/
zween/ drey tage oder laͤnger ſind geplagt worden.
Wie auch ſo
viel exempel der angefochtenen bekant ſind/ in denen ſich ſolche goͤttliche guͤte/ die
E 3ſie
[38]Das ſechſte Capitel.
ſie noch vorhin/ ehe ſie abgeſchieden/ mit troſt erquicket/ gezeiget hat. Damit
wir gleichwohl goͤttlicher wunderbahren und ihre heilige wunderlich fuͤhrende
weißheit keine maß vorſchreiben wollen. Jn deſſen haben wir gern geleſen/ was
er p. 384. ſetzet/ und damit verhuͤtet/ daß ausdergleichen manglendem fuͤhlen des
glaubens nicht uͤbel geurtheilet werde: Wann GOTT einen menſchen in
der todes ſtunde wolte laſſen in anfechtung veꝛderben/ ſo muͤſte er kein
getreuer GOTT ſeyn. Aber er iſt treu und fromm/ und will das
angefangene gute werck vollfuͤhren. Daß wenn nun ein Chriſte le-
bet gottſelig/ ſo darff er ihm nicht laſſen leid ſeyn fuͤr den letzten kampff.
Dann da will GOTT ſelbs mit dabey ſeyn/ und um ſolche ſeele/ die
ihm in dieſer welt treulich angehangen/ eyfferen/ ſie durchaus nicht
laſſen in des Satans klauen gerahten.


11. Jſt noch uͤbrig die art zu reden/ da er p. 200. zu dem glauben 5. ſtuͤck
erfordert. 1. Daß erkaͤntnuͤß/ 2. den beyfall/ 3. diezuverſicht/ 4. daß verlan-
gen. 5. die ruhe der ſeelen/ welches nichts anders ſeye/ als eine getroſte freu-
dige zuverſicht der ſeelen.
Nun pflegen wir ins gemein nicht mehr als 3. ſtuͤck
zu dem glauben zuerfordern/ welcke hie die 3. erſte ſind. Wann wir aber gleich-
wohl die ſache an ſich ſelbſt betrachten/ wird hier nichts anders/ ſondern das jenige/
was ſonſt auch gelehrt wird/ etwas unterſchiedener vorgelegt; Jn dem was wir
ſonſt zuverſicht nennen/ die drey letzte zumahl in ſich ſchleuſt. So geſtehet Herr
Stenger an angezogenem ort ſelbſt/ daß unter den jenigen/ die er zehlet/ das dritte
und fuͤnffte/ beydes actus ſeyen von der zuverſicht/ jener noch auff die begehrende
dieſer in der bereits empfangenen gnade: oder wie ers austruckt/ daß in dem
dritten puncten er verſtehe/ die zuverſicht/ ſo vor der rechtfertigung hergehe/
in dem fuͤnfften die zuverſicht nach erlangter vergebung der ſ[uͤ]nden.
(Da-
rin aber ſoll auch mit verſtanden werden/ in der erlangunge ſolcher vergebung/
welche wir davor halten/ von dem Autore mit der andern eingeſchloſſen zu wer-
den) Nun pflegen wir insgemein beyde ſolche actus/ ob zwar auff unterſchiedliche
weiſe/ unter der zuverſicht zuverſtehen. Was das verlangen betrifft/ ſo Herr
Stenger beyfuͤget/ iſt er nicht der erſte ſondern der theure und hochverdiente Chem-
nitius exam. concil. Trid. p. 1. de fide juſtific. p. 163.
machet auch hieraus den
dritten grad des glaubens/ welcher vor der zuverſicht hergehe: Tertio ex illa
notitia \& aſſenſione cor ſeu voluntas per operationem Sp. S. concipit deſi-
derium, ut quia ſeriò ſentit, ſe oneratum peccatis \& ira Dei, expetat, velit,
quærat, petat ſibi donari \& communicari beneficium juſtificationis, quod
in promiſſione Evangelii proponitur, \& illud fide apprehendit, u[t] ad ſe reci-
piat.
Wie wir nun aber nicht vonnoͤhten achten/ daß ſolches verlangen austruͤcklich
gemeldet werde/ ſondern mag unter dem vertrauen mit verſtanden werden; daher
wir
[39]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO VII.
wir bey der ſonſt gewoͤhnlichen abtheilung in die drey ſtuͤck gerne bleiben; Alſo finden
wir doch nicht gnugſam urſach in angezogenem verſtande/ wo einer das eine ſtuͤck
noch weiter abtheilen will/ ſolche theilung zuverwerffen; Aber dieſes moͤchten wir
wuͤnſchen/ daß der Autor/ wo er die zwey zur ſeligkeit noͤthige ſtuͤcke/ wie p. 56. 288.
und offter ers geſchicht/ anzeiget/ und zuerſt die reue damit austruckt/ allen vorſatz
muthwilliger ſ[uͤ]nde abgeleget zu haben/ das andere aber den glauben alſo beſchrei-
bet/ ein ſehnlich verlangen nach der gnade JESU CHRJSTJ haben/
daß er an ſtatt dieſes verlangens vielmehr der zuverſicht oder vertrauens ge-
dacht haͤtte. Dann ob zwar es um der urſach willen wird geſchehen ſeyn/ denjenigen
damit den troſt zulaſſen/ welche in anfechtung und bey ihren ſchwachen glauben
denſelben nicht bey ſich fuͤhlen/ und nur alleine an dem verlangen gleichſam hangen
muͤſſen bleiben/ daß er nur des verlangens gedencket. So waͤre gleichwohl erſtlich
um derſelben/ und zwar nur einiger zeit willen/ da ſie in ihrer ſchwachheit ihren
glauben nicht recht ſpuͤhren/ weil ſolches das ungewohnlichere/ der glaube davon
nicht zu benennen geweſen/ ſondern von ſeinem edelſten actu dem vertrauen. Son-
derlich weil auchzum andern ſelbſt bey dergleichen ſchwachglaͤubigen und angefoch-
tenen eben ſo wohl das vertrauen auff nicht nur hoffende ſondern annehmende gna-
de ſich befindet/ ob ſie ſchon daſſelbe nicht fuͤhlen oder gewahr werden. Weil ja
das fuͤhlen auch den uͤbrigen ſtuͤcken des glaubens nicht ſchlechter dinge zum glauben
nothwendig iſt; Wie wir an dem exempel junger kinder und auch anderer glau-
bigen/ da ſie zum exempel in dem ſchlaff nichts actu reflexo gedencken/ und gleich-
wohl auch zu ſolcher zeit den glauben thaͤtlich haben/ erkennen moͤgen. Auch kans
nicht anders ſeyn; dann das verlangen ſelbſt erlangt goͤttliche gnade nicht/ als
welches durch eine ergreiffung und zueignung geſchehen muß: Darzu gehoͤrt das
vertrauen/ welches ſich deswegen von dem glauben nicht ſcheiden; hingegen auch
mit dem fuͤhlen deſſelben/ und der empfindlichen ruhe der ſeelen/ die darauff folget/
nicht confundiren laͤſſet. Welche ſtuͤcke dann von dem Autore an gedachtem
orth/ ob er wohl exprofeſſo davon handelt/ doch nicht deutlich gnug erklaͤhret
ſind; daß aber zuweilen wir den angefochtenen alleine auff ſein verlangen weiſen/
geſchiehet nicht darum/ gleich ob waͤre ſolches ſchon gnug zum glauben/ ſondern
dieweil bey ermanglender fuͤhlung der uͤbrigen dieſes ſo ſie fuͤhlen gleichwohl ein
zeugnuͤß der goͤttlichen wuͤrckung bey ihnen iſt/ welche auch das vertrauen in ihren
hertzen gewuͤrcket hat/ ob ſie ſchon ſolches nicht ſpuͤren.


12. Jſt dieſes eine arth zu reden/ welche wir vor andern bedencklich achten
zuſeyn/ daß ſo offt in dieſen ſchrifften Moſis und Chriſti geſetz/ einander entgegen
geſetzt/ und von einander unterſchieden werden. Wir wiſſen und findens wohl/
daß Herrn Stengers meinung nichtboͤſe/ ſondern allein dieſe ſey/ daß das geſetz/
welches er Moſis geſetz nennet/ einen vollkommenen gehorſam von uns erfordere/
und ſich mit demjenigen/ was wir hie in der ſchwachheit zu thun vermoͤgen/ nicht
abſpei-
[40]Das ſechſte Capitel.
abſpeiſen laſſe; Hingegen ſeyen wir durch die gnade Chriſti/ da wir derſelben
durch den glauben theilhafftig werden/ von dem joch des geſetzes befreyet/ uns ſey
die gerechtigkeit Chriſti/ und alſo in derſelben die erfuͤllung des geſetzes geſchencket:
Welche machen/ daß nach dem wir numehr bey GOTT in gnaden ſtehen/ derſel-
be den gehorſam/ welchen wir in unſerer ſchwachheit leiſten/ ob er wohl unvollkom-
men iſt/ ihme gefallen laͤſſet/ hingegen alle uͤbrige erb- und ſchwachheit-ſuͤnde nicht
zurechnen will/ daß daher alleine die ſchwehre boßhafftige/ und muthwillige boß-
heit-ſuͤnden die jenigen ſeind/ welche kinder GOttes aus ſolcher ihrer kindſchafft
und goͤttlicher gnaden genuͤß herauswerffen koͤnten. Daher eines ſolchen Chri-
ſten zuſtand freylich unvergleichlich ſeelig iſt: Dann ob er wohl eben das geſetz
Moſis auch vor ſich ligen hat/ und darzu verbunden iſt/ als auch der unwiederge-
bohrne/ ſo wird doch er nicht geſtrafft/ und komt nicht um ſeine kindſchafft wegen
der menſchlichen fehler/ aber dieſer ladet ihm mit allen auch den geringſt-ſcheinen-
den ſuͤnden goͤttlichen fluch und zorn auff ſich. Daß iſt ja freylich ein groſſer vor-
zug vor andern. Wie nun dieſes alles wahr iſt/ und mit mehrern erwieſen wer-
den koͤnte/ wo es die noth erforderte/ alſo iſt auch daſſelbe eben des Herrn Sten-
gers meinung/ ſo viel wir aus allem andern ſchlieſſen koͤnnen; aber er gibts mit
andern woͤrtern/ daß er ſaget/ wir ſeyen nicht mehr unter Moſis geſetz/ ſondern
unter Chriſti geſetz: Als Einſchaͤrff. p. 9.Man predigt itzt nicht das ge-
ſetz Moſis ſondern CHRJSTJ geſetz: daß heiſt/ ſuͤndige nicht
muthwillig/ die muthwillige ſuͤnde wird verbothen/
p. 18.Man kan
einen frommen menſchen an ſeinem ende auff zweyerley weiſe be-
trachten. Erſtlich in anſehung der gelinden gebot Chriſti/ und in
gegenhaltung gegen die loſen heuchler/ gegen die ſchnoͤde gottloſe welt;
Zum andern in anſehung des ſcharffen/ geſtrengen gerichts GOttes/
nehmlich nach dem ſcharffen geſetz Moſis/ und
p. 55.Jns gemein
iſt die ſumma und der inhalt der gebote Chriſti in Moſis geſetz mit ent-
halten/ und ſind ſo ferne Chriſti und Moſis gebot nicht allerdings
unterſchieden. Aber doch findet ſich auch ein unterſcheid/ und zwar
ein dreyfacher/ dann 1. Moſes verbeut im geſetz alle ſuͤnden/ auch die
erbſuͤnden/ und menſchliche fehler. Chriſtus in ſeinem geſetz verbeut
nur die muthwillige ſuͤnden. 2. Moſis geſetz gehet an die unwiederge-
bohrnen. Chriſti geſetz aber an die wiedergebohrnen. 3. Wer Moſis
geſetz uͤbertritt/ wird darum nicht eben verdammt. Sintemahl wo iſt
ein menſch/ der nicht Moſis geſetz uͤbertrette. Aber wer Chriſti ge-
ſetz nicht haͤlt/ der wird verdammt. Alſo ſind ja unterſchieden Chriſti
und Moſis gebote/ Moſis gebot iſt ein unertraͤglich Joch/
Act. 15.
Chri-
[41]ARTIC. I. DISTINCT. I. SECTIO VII.
Chriſti geſetz aber iſt ein ſanfftes Joch/ eine leichte laſt. Seine gebo-
te ſind nicht ſchwehr; Gelehrte wiſſen/ daß im zehenden gebot deß

Decalogiwird verbothen die angebohrne ſich noch nicht regende erb-
luſt. Da moͤchte man wohl ſagen/ daß das zehende gebot nicht mit
zu Ch riſti gebot gehoͤret. Denn den wie der gebohrnen iſt nicht geſagt/
ſie ſolten gar ohne erbſuͤnde ſeyn/ ſondeꝛn nur ſie nicht laſſen heꝛꝛſchen.

Nun iſts an deme/ daß andere widrige religions-verwandten pflegen dieſe arthen
zu reden zugebrauchen: Bey den Papiſten heiſts in Concilio Trident. Seſſ. 6.
Can. 21. Si quis dixerit, Chriſtum Ieſum à Deo hominibus datum fuiſſe,
ut redemtorem cui fidant, non etiam ut legislatorem, cui obediant: ana-
thema ſit.
Solches fuͤhret mit mehrern aus der Ieſuit Becanus Tom. 3. de le-
gib. c. 5. g. 1. Chriſtus inſtituit novam legem ad Chriſtianos pertinentem,
ac proinde non tantum redemtor, ſed etiam legislator dicendus eſt
(dazu
zeucht er die ſpruͤche Eſa. 33. Ioh. 14. und 15. Matth. 28, 1. Cor. 7. und 9. Hebr. 2.
ubi confert inter ſe Chriſtum \& Moyſen tanquam duos legislatores, alte-
rum V. alterum N. Teſtamenti.
Wiederum: Lex Moyſis, quia tantum
præcipiebat \& non juvabat, retinuit nomen legis, lex vero Chriſti, quia
pauca præcipit \& plurimum gratiæ confert, obtinet nomen gratiæ ab effe-
ctu magis principali.
Daher nennet er auch das Caput de lege nova, ſeu Ev-
angelica.
Bey den Photinianern oder Socinianern/ iſt auch dieſes einer ihrer
irrthume. Oſterrod. Unterricht von den fuͤrnehmſten Hauptſt. c. 22. Gleichwie
uns GOTT durch JEſum CHriſtum die wahrhaffte und vollkommene ſeligkeit
verheiſſen: Alſo hat er uns auch durch denſelben ſolche gebot geben/ welche alle da-
hin gerichtet/ daß ſie eine wahrhaffte und vollkommene gerechtigkeit/ in uns wuͤr-
cken und zu wege bringen ſollen. Wiederum/ es ſind die præcepta moralia (das
ſind die gebot von der froͤmmigkeit und gerechtigkeit) durch Chriſtum viel vollkom-
mener gemacht/ darum auch der HERR ſelbs geſagt/ Matth. 5/ 17. daß er nicht
kommen das geſetz oder die propheten auffzuloͤſen/ ſondern zuerfuͤllen/ welches er-
fuͤllen dann anders nichts iſt/ dann vollkommen machen/ oder hinzu thun/ was da
mangelt. Abermahl/ das Chriſtus die gebot des geſetzes Moſis ſollt vollkommen
gemacht haben/ concediret zwar der groſſe hauffe der vermeinten Chriſten nicht;
Sondern haͤlt es gaͤntzlich dafuͤr/ daß uns Chriſtus/ was die ſitten betrifft/ nichts
neues gebothen habe: Welche meynung ſo irrig iſt/ daß ſich einer hoͤchlich verwun-
dern muß/ wie verſtaͤndige leute derſelben koͤnnen beyfall geben. Mit dieſem hal-
tens/ wie in vielen andern ſtuͤcken/ auch die Arminianer Apolog. p. 143. Quid
eſt, quod clarius diſſertiusque in Evangelio traditur, quam Chriſtum le-
gislatorem noſtrum eſſe? An non ipſe paſſim dicit, hoc eſt mandatum
meum, \& c.
Solte man aber deswegen ſagen/ daß Herr Stenger hierinnen
FPaͤp-
[42]Das ſechſte Capitel.
Paͤpſtiſch/ Socinianiſch oder Arminianiſch lehre? Das koͤnnen wir nicht ſagen.
Dann ob ſchon dieſe irrig lehren/ daß Chriſti geſetz und Moſis geſetz unterſchieden/
und alſo von jenem auch ein geſetz gegeben ſey/ und Herr Stenger eben dergleichen
lehret/ iſts doch im verſtand nicht einerley. Jener meynung iſt/ es ſey das alte ge-
ſetz Moſis nicht vollkommen genug geweſen/ alſo habe Chriſtus ſolches muͤſſen voll-
kommener machen/ und einen genauern gehorſam von uns fordern/ als Moſes ge-
fordert. Aber nach Herrn Stengers meynung iſt vielmehr die ſtrenge des geſe-
tzes Moſis durch CHriſtum gemildert worden. Welches ſo groſſen unterſcheidt
zwiſchen beyderley meynung machet/ daß ſie einander vielmehr grade entgegen ſte-
hen: So gar kommen ſie nicht uͤberein. Daß wir deswegen den Autorem eini-
ges Conſenſus nicht verdaͤchtig halten. Wofern aber von der arth zureden ſelbs
gefragt wird/ ob man nehmlich die gnade des Evangelii/ nach welcher GOTT
der HErr um CHriſti willen unſern unvollkommenen gehorſam will in gnaden an-
nehmen und damit zufrieden ſeyn/ das geſetz Chriſti nennen ſolle/ halten wir ſolches
nicht ſchrifftmaͤßig zu ſeyn. Wir geſtehen gern/ daß Chriſtus freylich ein geſetz ge-
ber ſeye/ in deme der GOTT/ welcher das geſetz gegeben/ iſt der Dreyeinige Gott:
Aber ſein geſetz iſt eben das geſetz ſeines dieners Moſis; Hingegen/ daß der Herr
in den tagen ſeines fleiſches/ und bey angetretenem ſeinem Mitler-Amt einiges ge-
ſetz/ es ſeye nun ſolches ſtrenger oder gelinder als das Moſaiſche geweſen/ gegeben
habe/ finden wir nirgend. Dann wo der HERR ſeiner gebote meldung thut/
ſinds lauter gebote/ die eben ſeine gebote durch Moſen gegeben ſind/ von Chriſto a-
ber der nicht nur das Evangelium/ ſondern auch vieles/ das des geſetzes war/ pre-
digen muſte/ wiederholet und erklaͤhret worden. Alſo daß wir nirgend etwas leſen/
da im vorgebenden verſtand CHriſti und Moſis geſetz einander entgegen geſetzet
wuͤrden. Wann alſo Herr Stenger ſagt: Daß CHriſtus die muthwillige ſuͤn-
den nur verbothen habe/ ſo fraget ſichs/ ob er ſolches gethan habe/ durch ein neu ge-
ſetz oder durch das Evangelium? Durch dieſes kans nicht geſchehen ſeyn/ denn
daſſelbe iſt keine lehre von geboten oder wercken/ ſondern von dem glauben und
gnadenreicher vergebung der ſuͤnden/ wie in unſern Symboliſchen buͤchern gnug
ausgefuͤhret iſt: Durch ein neu geſetz kans wiederum nicht geſchehen ſeyn/ dann
weil das geſetz der unwandelbahre wille GOttes iſt/ aͤndert ſich ſolcher nicht/ und
kan nicht recht oder gut werden/ was einmahl in goͤttlichem geſetz unrecht und ſuͤnde
geweſen. Daher waͤre dieſe excluſivanur die muthmillige ſuͤnde alſo zuver-
ſtehen/ entweder/ daß Chriſti geſetz die menſchliche fehler erlaube/ oder/ daß es ſie
nicht erlaube/ oder mit andern worten zugeben/ daß Chriſti geſetz das Moſaiſche
geſetz in abſicht des verbots ſolcher menſchlichen fehler anffhebe oder kraͤfftig laſſe
bleiben. Wird dieſes letzte ergriffen/ ſo iſt die krafft der excluſivæ geſchwaͤcht:
Jn dem alſo die ſchwacheit ſuͤnden gleich ſo wohl als die muthwillige verboten blei-
ben. Wehlet man aber das erſte/ ſtreitets gedachter maſſen wider goͤttliche ge-
rech
[43]ARTIC. I. DIST. I. SECT. VII.
rechtigkeit/ welche dasjenige jetzo nach dem geſetz Chriſti erlaubte/ das doch an ſich
ſelbs und aus dem ewigen unwandelbahren geſetz GOttes ſuͤnde iſt. Da wuͤrden
dann damit ſolche menſchliche fehler und ſchwachheit ſuͤnden nicht nur nicht mehr
verdamlich nach Pauli ausſag Rom. 8/ 1. ſondern auch nichtmehr ſuͤnde ſeyn. Was
doͤrffte es dann der ſehnlichen und beweglichen klage Pauli/ die er um ſolcher
ſeiner menſchlichen ſchwach heit willen fuͤhret: Rom. 7. Ach ich elender menſch/
wer erloͤſt mich von dem leibe dieſes todes? Ja/ auff dieſe weiſe/ haͤtten die wahre
kinder GOttes gar keine ſuͤnde an ſich; Dann muthwillige begehen ſie nicht: Die
ſchwachheit fehler waͤren keine ſuͤnde mehr: dann ſie waͤren den kindern GOttes
nicht mehr verboten: Nicht durch das geſetz Moſis/ welches ſie nicht mehr an-
gienge/ noch ihnen geprediget wuͤrde; nicht durch das geſetz Chriſti/ nach gegebe-
ner hypotheſi: Was haͤtten ſie dann vor ſuͤnde an ſich? Woraus erhellet/ wie
mißlich es ſeye/ wo man die gnade Chriſti/ welche in dem Evangelio die glaͤubige
verſichert/ daß ihnen keine ſuͤnde/ ſo lang ſie glaͤubig bleiben/ ſollen zugerechnet wer-
den/ in ein geſetz verwandlet/ in welchen Chriſtus nur die muthwillige ſuͤnden ver-
boten habe. Wie den unterſchiedliche folgereyen daraus gemacht werden koͤnten/
welche ein und andern glaubens articul kraͤncken moͤgten: So wir aber Herr
Stengern nicht zumeſſen wollen. So viel weniger/ weil er gleichwohl ein und
andere um unſere kirch wohl verdiente und unverdaͤchtige Theologos vor ſich hat/
die gleicher redens arth/ weil davon zu andern mahlen nicht diſputirt worden/ da
man allezeit weniger bedencken bey einer ſolchen formul hat/ ſich gebraucht haben.
Herr D. Ægidii Hunnii worte hat Herr Stenger Einſchaͤrff.pag. 59. angefuͤh-
ret: Der auch der gleichen anderwertlich uͤber den ſpruch Gal. 5/ 14. ſchreibet.
Dahin auch moͤgten zuziehen ſeyn/ die wort. D. Henr. Eckardi Diſp. in Ep. Jo-
hann. 11. p. 31. p. 264. Facilia ſunt præcepta legis non in ſeſe, \& ut ſunt
mandata Moſis, qui obedientiam omnibus numeris atque modis conſum-
matam requirit, \& in omnes, quorum obedientia imperfectione aliqua la-
borat, fulmen maledictionis torquet: ſed in Chriſto, qui eſt perfectio
legis omnibus credentibus; Et ut ſunt mandata Chriſti, qui non exigit
à fidelibus ſuis Charitatem in ſummo illo perfectionis gradu quo Moſes,
ſed inchoatam etiam obedientiam clementer acceptat, \& quod ſordium
atque imperfectionum illi adhæret, ſua perfectione tegit.
So ſcheinen D.
Gerhardi Harm. Evang. c. 174. p. 1197.
Wort faſt auch dahin zugehen: Mo-
ſes \& Chriſtus idem dilectionis mandatum proponunt, ſed non eodem
modo. Moſes rigidiſſime perfectam \& om nibus numeris abſolutam cha-
ritatem requirit, quæ exactisſime cum norma legis divinæ congruat, per-
inde etiam accuſat \& damnat omnes, quotquot non præſtant perfectiſſi-
mam illam obedientiam. Chriſtus verò per
ἐπιεικίαν Evangelicam rigo-
rem illum mitigat, incoatam \& imperfectam credentium charitatem, mo-

F 2do
[44]Das ſechſte Capitel.
do ſit ſeria \& ἀνυπόκριτος, paternè acceptat, adhærentem imperfectionem
\& immunditiem merito ſuo tegit.
Welche worte Gerhardi bey weitem ſo
hart nicht lauten/ als wo man deutlich ſaget/ wie Herr Stenger thut/ und ſelbs
daraus folgert. pag. 104.Es wird nicht gefordert/ daß ihr ſollet gar keine
ſunde begehen.
pag. 298.Chriſtus hats nicht geboten/ daß alle menſchliche
fehler und ſchwachheiten ſollen gantz von uns weg ſeyn.
pag. 299.mir henget
doch viel boͤſes in meinem leben an/ welches zwar Chriſtus nicht eben will
abgethan wiſſen.
Welche wort nicht nur in ſich faſſen/ daß GOTT wolle ge-
dult mit unſer ſchwachheit tragen/ ſondern auch daß wir zum gegentheil nicht ſchul-
dig ſeyen. Dann iſts nicht geboten/ wirds nicht gefordert/ ſo ſind wirs ja nicht
ſchuldig? Da wir doch wohl wiſſen/ daß wir GOTT viel ſchuldig bleiben/ was
uns zu leiſten unmuͤglich iſt. Weßwegen wir von dieſer arth zu reden achten/ daß
ſie billig unterlaſſen/ und auff andere weiſe/ wie man wohl kan/ die ſache/ mit ei-
genlichen und nicht dergleichen incommoda conſequentìa nach ſich ziehenden
Phraſibus ausgedruckt werden ſolle.


Dieſes ſind die vornemſte redens arthen/ welche wir angetroffen haben/
darinn man einigen anſtoß finden moͤgte/ die wir aber zum theil gantz gut und recht
gebraucht achten/ theils aber unterlaſſen worden zu ſeyn/ oder kuͤnfftig unterlaſſen
zu werden wuͤnſchen. Denen moͤgten vielleicht einige beygefuͤgt werden/ die auch
(ob ſchon kein zweiffel daß in gutem verſtand ſie gebraucht werden) etwas frembd
und faſt widerſinniſch/ auffs wenigſt paradox lauten: Als wo er Einſchaͤrff. p.
14.
unter frommen ſuͤndern und gottloſen ſuͤndern diſtinguiret/ da vielleicht beſ-
ſer vor ſrom̃e das wort bußfertige ſuͤnder gebraucht wuͤrde. Jn dem buch p. 357. u. f.
es unter die arten der trunckenheit zehlet/ wo man zur froͤligkeit etwas mehr
trincket uͤber das ordentliche maaß/ gleichwohl nicht uͤber das ziel der maͤſ-
ſigkeit.
Davon es heiſt p. 356.Daß GOTT es wohl erlaubet/ und ſichts
nicht ungern/ daß ein Chriſt ſich zuweilen truncken trincket.
Da man ja lie-
ber ſolchem trunck den nahmen der trunckenheit/ welcher primo conceptu in un-
ſerer ſprach pflegt von dem laſter verſtanden zu werden/ nicht geben/ ſondern ein
ander wort brauchen ſolte: Auffs wenigſt gibts ſpoͤttern anlaß zuſpotten. Alſo
auch bedarff die propoſition vieler erklaͤhrung pag. 249.Von manchem men-
ſchen mag wohlgeſagt werden/ wo er nicht ein und andere faſten anſtellet/
kan er nicht in das reich GOttes kommen;
Einſchaͤrff. pag. 7.Jſts verſetzt
mala facere \& male, die weil fromme boͤſes begehen nominaliter nicht adverbi-
aliter.
Alſo auch daß zu weilen einige ort faſt ſcheinen einander zu widerſprechen.
Als da Einſchaͤrff. p. 6. ſtehet Es weiß doch ein jeder fuͤr ſich gar wohl/ oder
kans doch wiſſen/ ob ſeine ſ[uͤ]nden aus muthwill oder aus ſchwachheit ge-
ſchehen.
Und buch pag. 17.Es kan ja ein menſch noch wohl wiſſen/ ob er
ſuͤndiget aus ſchwachheit oder aus boßheit.
pag. 52. aber von den ungeuͤbten/
daß
[45]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO VII.
daß du nicht ſo klar weiſſeſt/ ob du begeheſt muthwillige ſuͤnden oder
menſchliche fehler. Sodann nebens dem/ da er von der ſuͤnde in den heili-
gen Geiſt.
p. 15.zu dunckel und ungnugſam redet/ daß er ſich nicht allezeit
gnugſam erklaͤhret/ was er fuͤr muthwillige ſuͤnder und ſuͤnden halte: Muthwil-
lige ſuͤnden nimmt er hin und wieder p. 26. promiſcue vor todt-ſuͤnden. Gleich-
wohl p. 14. heiſſets/ aus einer muthwilligen ſuͤnde/ wo ſie nicht bald abge-
than/ wird eine todt-ſuͤnde.
Da aber Einſchaͤrff. p. 3. die jenige ſunde/ die ſo
bald bereuet und abgethan wird/ nicht unter die muthwillige ſuͤnden/ ſondern
menſchliche fehler geſetzt wird. So iſt auch eigentlich muthwillige und todtſun-
de nicht eines. Aller unwiedergebohrnen ſuͤnde ſind lauter todt-ſuͤnde: Unter-
deſſen koͤnnen wir/ wie p. 1. geſchiehet/ nicht wohl ſagen/ daß ſie alle muthwillig/
proæretica ſind/ welches wort in ſich dieſes faßt/ daß ſie mit bedachtem rath und
willen geſchehen muͤſten/ welches aber nicht iſt. P. 16. beſchreibet er einen muthwil-
ligen ſuͤnder/ ein recht ſicheres weltkind/ ein verſtockten loſen ſpoͤtter; da gleich-
wohl auch muthwillige ſuͤnder ſind nach ſeinen eigenen hypotheſibus, von denen
er in dem buch offt redet/ welchen ſolche harte Prædicata nicht zukommen. Ja
es wuͤrde vielen mit angeholffen/ und ſie mit ſeiner lehr wohl zu frieden ſeyn/ wo er
unter dem nahmen der muthwilligen ſuͤnder keine andere/ als ſolche verruchte welt-
kinder und ſpoͤtter verſtuͤnde. So aber ſeine eigene meynung nicht ſeyn wird.
Alſo hingegen wirds ſchwerlich mit ſeinen eigenen hypotheſibus beſtehen/ daß ſo
einer iſt gewarnet und von ſo groben ſuͤnden
(welche alle die jenigen ſeyn ſol-
len/ deren er ſiehet ſich andere wenig außerwehlte Chriſten zuenthalten) abge-
mahnet worden/ und er ſie hernach wieder treibet/ daß ſolches
(ohne weiter
betrachtung der umbſtaͤnde) lauter trotzige frevelthaten ſeyn ſolten. Wir
halten uns aber bey ſolchen nicht laͤnger auf/ ſondern gehen zu der andern
claſſe.


Die andereClaſſis.

HJe haben wir nach zu ſehen/ ob aber in der ſache ſelbſt ſich einige
LEHREN finden/ welche irrig und mit goͤttlicher warheit
nicht uͤber einkommen.
Nun moͤchten wir wuͤnſchen/ daß dergleichen ſich
in dieſen ſchrifften nicht finden moͤchten. Aber wir koͤnnen nicht in abrede ſeyn/
daß ſolche ſaͤtze da ſtehen/ welche wir es werde dann von Herrn Stengern oder
andern darinnen uns gar ein ander verſtand und meynung gezeigt/ als wir dar-
aus abnehmen moͤgen/ ſo wenig was die worte als die ſache anlangt/ billigen koͤñen.
Da ſtehet billig voran die zweyte Theſis: Einſchaͤrff. p. 1.Die groſſe buſſe
wird von wahren kindern GOttes ſo offt nicht wiederhohlet/ als
manche ſich einbilden; ſondern entweder bedoͤrffen die wahren

F 3zum
[46]Das ſechſte Capitel.
zum ewigen leben verordneten kinder GOttes derſelben groſſen
buſſe nie/ oder doch ja nicht zum andernmahl/ geſchweige zum
dritten/ oder zum zehenden/ hunderten mahl. Alſo auch
p. 33. p.
11.
Daß die nicht in dieſeꝛ welt auch ein heilig und von muthwil-
ligen ſuͤnden beſtandig reines leben fuͤhren/ daß ſolche nicht gehoͤ-
ren unter die außerwehlten ſchafe Chriſti/ ſo ſage ich denn/ der
zum drittenmahl in muthwillige ſuͤnden ruͤckfallige menſch wird
wol zur rechten buſſe nicht erneuert werden. Geſchehe es ja/ und
man merckte es klaͤrlich an dem gantz anderen neuen heiligen wan-
del/ der nunmehr an dem bußfertigen herfuͤrleuchtet/ ſo muſte
das ein gar
minus conſvetum,was auſſerordentliches heiſſen.
Sonſten aber iſt viel vermuthlicher/ daß eines ſo offt unſerm an-
ſehen nach ruͤckfaͤlligen menſchen vorige buſſe nicht recht eingerich-
tet geweſen.
p. 43.der zum andernmahl von GOtt auffgerichtete
menſch faͤllet hernach nicht wieder von GOtt abe. Und der zum
drittenmal ruͤckfaͤllige menſch wird nicht wieder zur buſſe erneu-
ert und auffgerichtet/ von dem was gewoͤhnlich iſt zu reden. Jn
dem Buch
p. 400.Wenn man die wahren kinder GOTTes ins-
mein beſchreiben wil/ ſo bringen ſie ihr leben gemeiniglich zu ohne
alle todt- und aus goͤttlicher gnade ausſetzende ſuͤnde.
Die ſache
nun gruͤndlich in der furcht GOttes zubetrachten. Jſt 1. die frage nicht: Ob
die kinder GOttes ſolches thun ſollen? Denn das iſt ausgemacht/ daß ſie GOtt
den zugeſagten gehorſam leiſten ſollen. Und ſo fern iſts der ordentliche gewoͤhn-
liche weg der außerwehlten kinder GOttes/ daß ſie nicht wieder muthwillig ſuͤn-
digen. Dieſes erkennen alle. 2. Jſt auch die frage nicht: Ob kinder GOttes
gar nicht mehr abfallen koͤnten/ nach dem ſie einmahl zu ſolcher wuͤrde durch
die wiedergeburt gelanget ſind? Welchem irrthum der Reformirten Herr Sten-
ger nahmentlich widerſpricht p. 32. Daher die rede p. 137. \& 138.Wer den
boͤſen vorſatz hat abgelegt/ der weiß dann/ daß er nicht nur bey ſei-
ner buſſe GOttes gnade erlanget/ daß ſie fuͤr dißmal und in dieſer
ſtunde uͤber ihn walte/ ſondern er iſt auch gewiß/ daß er in ſolcher
gnade werde beſtehen ewiglich/ und die gnade GOttes werde be-
halten biß an ſein ende. Einſchaͤrff.
p. 15.Jn welchen kindern
GOttes iſt das reich GOttes/ das laſſe die fremmen nicht fallen
in muthwillige ſuͤnden/ ſondern ſie uͤberwinden.
Ob ſie ſchon bloß
dahin die abſolutam impoſſibilitatem deficiendi mit ſich bringen ſcheinen ſol-
ten
[47]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO VII.
ten/ ſind aus ſeiner eigenen meynung zu expliciren/ in ſenſu compoſito, vel
de certitudine conditionata. 3.
Jſt auch nicht die frage: Ob ein unterſcheid
zwiſchen der groſſen und kleinen buß lapſorum vel ſtantium, ſeye? welches
freylich gewiß/ und nicht zuloben iſt/ daß offt ſolcher nicht mit gnugſamen fleiß vor-
getragen wird. 4. Jſt auch die frage nicht: Ob dieſe groſſe buſſe ſo offt wiederholet
werde/ als manche ſich einbilden: Daß man ſo zureden taͤglich und woͤchentlich wie-
derum muthwillig ſuͤndigen und immer wiederum die groſſe buſſe thun moͤchte?
Denn da gelten die worte p. 20.ſonſt immer muthwillig fort ſuͤndigen/
es mit unter bereuen/ und doch nie nicht muthwilliger ſuͤnden gar
muͤßig gehen/ da wirds endlich die ewige hoͤlliſche reue. Und
p. 33.
Manche laſſen ſich beduͤncken/ daß ein Chriſt immer moͤge wohl
100. ja 1000. mal die groſſe buſſe wuͤrcken. Und
p. 43.daß die ge-
woͤhnliche art des rechten Chriſtenthums ſey/ daß die wiederge-
bohrnen wohl 100. oder 1000. mal abwechslung weiſe fallen und
aufſtehen von todt-ſuͤnden/ das iſt eine gotteslaͤſterliche und
der gantzen Harmoni des wahren Chriſtenthums zuwider lauf-
fende meynung.
5. Die frage iſt auch nicht: Ob nach einmahl oder auch
etlichmahl wiederholter buße/ wo gleichwol der ruͤckfaͤllige wiederum buſſe thete/
ſolcher auch wiederum von GOtt angenommen werde? Denn dieſes geſtehet
Herr Stenger auch/ ſondern ſo viel wir aus obigen orthen ſchlieſſen/ iſt dieſes die
frage: Ob das Chriſtenthum hier in dem reich der gnaden zu ſolcher
vollkom̃enheit gebracht werde/ dz die allermeiſte/ nach dẽ ſie einmahl
wiederbekehret worden nicht mehr abfallẽ/ ſondernihr lebe tage be-
ſtaͤndig an GOTT bleiben/ wo ſie aber abfallen/ ſelten einiger von
denſelben wiederum zur wahren buſſe gelange/ und alſo die goͤtt-
liche barmhertzigkeit in anſehung der ſuͤnder ordentlicher weiſe ſich
nicht uͤber 2. mahl erſtrecke/ oder obs nicht vielmehr geſchehe/ daß
die kinder GOttes etlichemahl durch die groſſe buſſe wieder von
GOTT zu gnaden angenommen werden?
Damit dieſe zwo fragen
auch einflieſſen. 1. Ob gnugſam urſach zuzweiffeln ſeye/ daß die vorige buſſe ſey
heucheley geweſen/ nach welcher/ nach dem er eine weile gottſelig gelebet/ endlich
der menſch wieder gefallen? oder ob nicht die buſſe des jenigen/ der nachmahl goͤtt-
liche gnade wiederum verſchertzet/ eben ſo wol eine wahre buſſe ſey geweſen/ als
deſſen der immer beſtaͤndig bleibt? Und 2. Ob man nicht billich den jenigen vor-
ſatz vor keinen gnugſam ernſtlichen vorſatz zu halten habe/ wider welchen nach eini-
ger zeit der menſch wiederum thut? Oder: Ob er moͤge vor ernſtlich erkant wer-
den/ obſchon die beſtaͤndigkeit nicht erfolgt. Jn dieſen fragen finden wir/ ſo viel
wir
[48]Das ſechſte Capitel.
wir Herr Stengern faſſen koͤnnen/ daß er allemahl den erſten theil der disjun-
ctivæ
erwehlet/ den andern aber verneinet. Mit ſolcher meynung aber koͤnnen
wir durchaus nicht zu frieden ſeyn. Als welche ſtreitet 1. mit der in der Schrifft
ſo deutlich beſchriebener verderbnuͤß der menſchlichen natur/ uͤber welche Paulus
klaget Rom. 7. daß nicht nur nichts gutes in ihme wohne/ ſondern auch daß er gar
ein ander geſetz in ſeinen gliedern ſehe/ das da widerſtrebe dem geſetz in ſeinem ge-
muͤthe/ und nehme ihn gefangen in der ſuͤnden geſetz/ welches da ſey in ſeinen glie-
dern. Von welchem ſtreit und geluͤſte des fleiſches wider den geiſt/ er auch Gal.
5.
handelt. So heiſſets/ daß wir alle mannichfaltig fehlen. Jac. 3/2. und daß kein
menſch ſey/ der nicht ſuͤndige 1. Reg. 8/ 46. Dann ob zwar ſcheinen ſolte/ daß die an-
gezogene ort redeten von den menſchlichen fehlern/ ſo iſt doch bekant/ daß die krafft
derſelben ſo weit gehe/ daß dann die renovation und erneuerung dieſes lebens
niemal vollkommen ſey/ und deßwegen daß bey uns noch wohnende uͤbel nicht nur in
uns bleibe/ ſondern ſich immer alſo rege/ daß es die herrſchafft affectire/ und dar-
nach ſtrebe. Daher iſts ja leicht/ daß der menſch in ſchwachheit ſuͤnden falle/ aus
denſelben aber endlich boßhafftige ſuͤnden werden. Wie dann die allermeiſte
boßheit oder muthwillige ſuͤnden von ſch wachheit ſuͤnden angefangen haben (nemo
repente fit peſſimus)
als David in ſeinen ſchweren fall gerathen/ iſt kein zwei-
fel/ daß zu erſt die unzuͤchtige begierden/ die auffgeſtiegen/ vielmehr aus ſchwach-
heit als boßheit hergekommen/ als er aber ſolchem boͤſen/ welches bey ihm erſt die
herrſchafft ſuchte/ nicht mit gehoͤrigem ernſt ſich widerſetzte/ da erſtarckte ſolches je
mehr und mehr/ biß es zu dergleichem grad einer ausgemachten boßheit gelanget
iſt/ den wir an ſolchem vorhin heiligen mann finden. Was nun bey David ſich
zeiget/ und wie leicht es geweſen/ daß ſolcher hocherleuchteter mann aus ſchwach-
heit endlich in bosheit gerathen koͤnte/ eben ſolches findet ſich bey andern wiederge-
bohrnen auch. Die natur iſt bey keinem beſſer/ die wieder geburth bey keinem an
ſich ſelbſt ſtaͤrcker: So haben wir keinen grund der Schrifft bey andern einer
mehrern gnade uns zu vermuthen/ die ſie ohneracht ihrer ſchwachheit von allem
fall und deſſen muͤgligkeit ohnfehlbahrlich erhalte. Daher dieſe in der Schrifft
zu mehren mahlen beſchreibende verderbnuͤß dieſer aſſertion ſchnurſtracks
entgegen ſtehet/ gleich ob waͤre es ein ſelten geſchehendes/ daß ein glaͤubig kind
GOttes abfiele. Sonderlich aber/ wo wir dieſes in acht nehmen/ daß Herr
Stenger gern geſtehet/ daß der jenigen/ welche in der Tauffe einmal wiederge-
bohren worden/ ſehr viele/ wenn ſie erwachſen/ wiederum abfallen: Da er dem-
nach erkennet/ daß die ihnen angebohrne verderbnuͤß ſo groß ſeye/ daß es nicht nur
muͤglich ſey/ daß ſie abfallen koͤnten/ ſondern auch daß deßwegen es offt thaͤtlich ge-
ſchehe/ daß ihrer viel abfallen. Wir halten auch nicht darvor/ daß Herr Sten-
ger ſagen wird/ daß dieſes die ordentliche weiſe der Chriſten ſey/ daß ſolches nach
ihrer wiedergeburt in der kindheit/ nicht abfallen/ das gegentheil aber vor außeror-
dent-
[49]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECT. VII.
dentlich zuachten waͤre. Nun iſt denn die verderbnuͤß der menſchlichen natur noch
ſo groß/ nachdem ſie gleichwol ſchon in der wiedergeburth in der kindheit geſchwaͤcht
worden/ ſo haben wir keine urſach/ zuvermuthen/ daß ſie geringer worden ſey/ nach
dem der menſch das zweyte mahl wiedergebohren worden: Es waͤre denn ſach/ daß
wir die erſte wiedergeburth nicht kraͤfftig gnug achten wolten/ welches wider die
gantze analogi des glaubens ſtreitet/ und nicht zuachten iſt/ daß das reich GOt-
tes/ welches der heilige Geiſt in dem hertzen eines zarten kindes/ welches ihm durch-
aus in ſeiner handlung nicht widerſtrebet/ ſondern ohne einige renitentz gantz pas-
ſivè
ſich haͤlt/ nicht ſolte eben ſo ſtarck und kraͤfftig gegruͤndet ſeyn worden/ als
bey einem erwachſenen geſchiehet/ wo es ohne widerſetzung nicht leicht jemahl ab-
gehet. Weiln denn die erſte wiedergeburth eben ſo kraͤfftig/ welche in der kind-
heit wiederfaͤhret/ als die nachfolgende/ ſo ſtehet denn der menſch nach dieſer an-
dern in keinem vollkommenern ſtande/ als nach der erſten/ und hat die verderbnuͤß
vorhin viele zum abfall gebracht/ ſo iſt von der folgenden zeit nichts anders zuver-
muthen. Weiln ja keine urſach iſt/ warum es dorten wol/ hier aber gar nicht
geſchehen koͤnte/ da beyderſeits einerley urſache/ die es ſo wol hindern oder foͤr-
dern moͤchten/ ſich finden. Auffs wenigſte zeiget uns die gantze Schrifft die-
ſen unterſcheid nirgend/ ſondern wenn ſie von der unvollkommenheit dieſes lebens
redet/ bleibet es allezeit in den general Terminis, daß ſie von allem alter/ und der
menſch ſey bereits ein oder mehrmahl bekehret worden/ auff einerley weiſe redet. Es
ſuchet zwar Herr Stenger Einſchaͤrff. p. 36. v. f. ſpruͤche anzuziehen/ ſeine mey-
nung zubehaupten/ die aber nicht das jenige ſchlieſſen was er zu erweiſen hat. (1)
wird angezogen aus deß heiligen Johannis erſter Epiſtel 5. 4. Was von GOtt
gebohren wird/ uͤber windet die welt:
welches freylich wahr iſt/ und alſo/ ſo
lange die wiedergeburt
waͤret/ wird der wiedergebohrne die welt und alles was
derſelben anhaͤngig iſt/ uͤberwinden. Aber daß ſtehet nicht da/ daß der wiederge-
bohrne ſeine wiedergeburth nicht verlieren koͤnne/ ſo iſt ja auch der getauffte in der
kindheit aus GOtt gebohren/ daß aber derſelben viel abfallen/ und alſo die welt
nicht mehr uͤberwinden/ iſt Herr Stenger nicht in abrede: Wie nun derſelbe/ wo
ihm ſolcher ſpruch ſolte gegen die wiedergeburt der kinder-tauffe vorgeworffen
werden/ antworten wuͤrde/ daß ſie ſolche wiedergeburth verlieren/ da ſie nunmehr
ſich von der welt uͤberwinden laſſen: So ſchlieſſet ja der ſpruch nicht mehr vor die
das zweytemahl wiedergeborne. Alſo auch 3. 9. Wer aus GOTT gebohren
iſt/ der thut nicht ſuͤnde.
Jſt auch ein ſpruch/ der alle aus GOTT gebohrne
angehet/ ſie ſeyen das erſte oder auch das andermahl wieder geboren worden. Nun
iſt wiederum die bekaͤntnuͤß von der erſten/ daß ſehr viel noch wiederum ſunde thun/
aber eben die wiedergeburth darmit verſchertzen: Alſo haͤlt ſichs denn auch mit der
zweyten: und ſonderlich iſt zumercken/ wie dabey ſtehet/ dann ſein ſaame blei-
bet bey ihm/
und kan nicht ſuͤndigen/ denn er iſt von GOtt gebohren. Hier muͤſ-
Gſen
[50]Das ſechſte Capitel.
ſen wir entweder den Calviniſten geſtehen/ daß die einmahl wiedergeborne bloß
dahin aus ihrem gnaden ſtand nicht wieder fallen koͤnnen/ welches Herr Stenger
ihnen nicht einraͤumen wird/ oder wir muͤſſen erkennen/ es werdein ſenſu com-
poſito
geredet/ die aus GOtt gebohren ſind/ ſo fern ſie aus ihm gebohren/
und ſo fern und ſo lang
ſein ſame bey ihnen bleibet/ thun nicht ſuͤnde: welches
D. Ægid. Hunnius bey ſolchem ſpruch gar fein erklaͤhret/ wenn er die meynung
des heiligen Apoſtels alſo faſſet: Qui eſt manetque in Chriſto, tanquam Pal-
mes in Vite, is certe non producit tribulos \& ſpinas peccatorum regnan-
tium, neque regnare ſinit peccatum in mortali ſuo corpore, quam diu ni-
mirum eſt \& manet in Chriſto:
und: Proinde qui ex Deo natus eſt, quatenus
is eſt renatus, \& quamdiu renatus permanet, peccatum certè non commit-
tit: Peccatum ſc. contra conſcientiam \& ex deliberato animi propoſito
conſilioque profectum. Imo non poteſt peccare modo jam explicato, ut
ſc. ſimul peccet ac nihil ominus renatus maneat. Quin potius quã primum
ex propoſito ſciens volensque peccat, confeſtim renatus eſſe deſinit.

Hieraus folget aber gar nicht/ daß deswegen der das zweytemal wiedergebohren
(weil der heilige Geiſt kein unterſcheid machet) niemal wieder in tod-ſuͤnde fallen
ſolte koͤnnen. Damit auch zugleich beantwortet iſt der ſpruch 1. Joh. 5/ 18.
Wir wiſſen/ daß wer von GOtt gebohren iſt/ der ſ[uͤ]ndiget nicht/ ſon-
dern wer von GOtt gebohren iſt/ der bewahret ſich/ und der arge wird
ihn nicht antaſten.
Und was der Apoſtel 1. 5. 2. 3. ſagt: Daran erkennen
wir/ daß wir GOttes kinder lieben/ wenn wir GOtt lieben und ſeine ge-
both halten. Denn das iſt die liebe zu GOTT/ daß wir ſeine gebot
halten. Es wird da beſchrieben/
was der frommen kinder GOTTES
nicht nur ſchuldigkeit ſey/ ſondern/ weſſen ſie ſich auch befleiſſen/ nemlich/ goͤttli-
ches wort zu halten/ damit bringen ſie ihr leben zu/ als lang ſie GOttes kinder
ſeynd.
Aber das ſtehet nicht darbey/ daß es ſo ſelten geſchehe/ daß eines von den-
ſelben von ſolchem weg der geboten GOttes ſich abfuͤhren laſſe. 2. Was den
ſpruch anlanget Spruͤchw. 4/ 18. Der gerechten pfad glaͤntzet wie ein liecht/
das da fortgehet/ und leuchtet biß auffden vollen tag.
So iſts freylich wahr
daß der gerechte immer waͤchſet in der tugend/ und ſuchet voͤlliger zu werden/ ſo
lang er auff ſeinem pfad gehet/ aber daß er niemahl von ſeinem pfad
abtrette/ daß ſtehet nichtda.
Der eigentlichſte verſtand iſt der/ welchen der
wohlverdiente Chur Saͤchſ. Theologus D. Geyer p. 201. heraus zeucht: Piis
[ſ]emper Lux ſuppetit, ad ſcandala ruinasque devitandas; ubi contra im-
pii non poſſunt non in tenebris impingere, æternumque interire.


Wie nun aber nicht folget/ daß deßwegen die gottloſen nicht koͤnnen auf den
liechten weg der gerechten kommen? Alſo iſts nichts frembdes/ daß der gerechte
von ſeinem liechten weg/ ſich auff die finſtern und krummen wege der gottlo-
ſen verfuͤhren laſſe. (3.) Beruffet er ſich/ daß die exempel in der Schrifft nicht
befind-
[51]ARTIC. I. DISTINCT. I. SECT. VII.
befindlich ſeyn/ von ſolchen die zum andern und dritten mahl abgefallen ſeyn; Es
hat aber Herr Stenger wohl in acht zunehmen/ daß in der Schrifft der perſo-
nen nicht ſo viel befindlich ſind/ deren gantzes leben darinn ſtunde; und folget al-
ſo nicht: von dieſer perſon leſen wir nicht/ daß ſie jemahl/ oder von einer andern
allein einmahl/ daß ſie von GOtt abgewichen ſeyn/ deßwegen iſts auch ſonſt nie
geſchehen: (Weswegen es gar gefaͤhrlich iſt/ mit ihm zu ſagen von gewiſſen per-
ſonen/ von denen in der Schrifft keine ſchwere ſuͤnde auffgezeichnet ſeind/ daß ſol-
che niemahl keine begangen) Solche autoritas negata machet die ſache nicht
aus. Und wenn denn auch keine exempel gezeiget werden moͤgten/ iſt damit zum
gegentheil noch nichts gewonnen. So ſind die jenige/ deren leben außfuhrlicher
in der Schrifft beſchrieben wird/ gemeiniglich exempel ſonderbahrer hocherleuch-
ter leute/ da es wohl ſeyn mag/ daß ein- und andere derſelben etwa nicht mehr als
einmahl von ihrem GOtt abgetreten. Aber darauß folget nicht/ daß derwegen
der jenigen mehr ſeyen/ von denen ſolches auch moͤgte geſagt werden: Wo es a-
ber anders geſchehe/ ſey es ein gantz auſſerodentliches. Geſetzt alſo: (weil wir
in ſolcher frage/ unſer urthel vor dißmahl nicht interponiren wollen) David ſeye
nicht mehr/ als in dem handel Uriæ von GOtt abgefallen/ folget noch nicht/ daß
dieſes das gemeine aller kinder GOttes ſeye. Wir wollen aber Herr Stengern
vor dißmahl alleine vorhalten das exempel der Galater; Die waren von Paulo
durch das Evangelium aus dem Heidenthum (ſeynd einige unter denſelben auch
Juͤden geweſen/ wie faſt erſcheinet/ und ſolche nachmahl ſich wiederum der in der
beſchneidung beſchehenen wiedergeburt verluſtig gemacht/ wie Nicodemus Joh.
3.
daß dahero die bekehrung Pauli die zweyte wiedergeburt geweſen/ ſo gehet
von ſeiten derſelben das exempel/ ſo viel ſtaͤrcker gegen Herr Stengers meynung)
bekehret worden/ und ſolches alſo/ daß Paulus vieles von ihnen ruͤhmet/ daß ſie
den heiligen Geiſt empfangen 3/ 3. vieles ſchon deßwegen gelitten. verſ. 4. GOtt
habe ihnen den Geiſt gereicht/ und unter ihnen thaten gethan/ v. 5. Sie ſeyn da-
mahls ſeelig geweſen. 4. 15. Jſt alſo nicht zuzweifelen/ daß damahls die rechte
erleuchtete buſſe in ihrer bekehrung geſchehen ſeye: Gleichwol war nicht nur einer
oder ander von ihnen/ ſondern die meiſten wo nicht alle/ wiederum von der war-
heit abgetreten/ und hatten ſich verfuͤhren laſſen: Daß Paulus ſagen darff; Sie
ſeyen bezaubert (Chriſtus ſeye unter ihnen gecreutziget/ ſie haben Chriſtum ver-
laſſen/ ſie ſeyen von der gnade abgefallen. Sind lauter anzeigungen/ daß nun-
mehr ſie im verdamlichen ſtand geſtanden/ und alſo todtſuͤnden begangen. Gleich-
wohl gebiehret ſie Paulus wiederum mit ſchme[r]tzen. c. 4. v. 19. und glaubt/ daß
Chriſtus wiederum eine geſtalt in ihnen gewinnen werde: und ſolches haͤlt er vor
nichts auſſerordentliches/ weil ers an der gantzen oder vielmehr vielen gemeinen
verſucht/ und darzu hoffnung hat. Aber es bedarff nicht/ daß wir in den exem-
peln uns lange auffhalten. 4. Wird angezogen der ſpruch/ Hiob. 33. 29. Siehe das
G 2alles
[52]Das ſechſte Capitel.
alles thut GOTT/ zwey oder dreymal mit einem jeglichen. Hierbey zie-
het Herr Stenger/ Dr. Dannhaueri Regulam an: Gratia revocans offertur
nonnullis hominibus ſemel atque iterum, aliquando ſemel tantum.
Das
iſt/ die wiederruffende und von ſchweren todt-ſuͤnden auffrichtende gnade/ wie-
derfaͤhret manchen menſchen zwey dreymal/ etlichen aber nur einmahl. Wir mer-
cken hier 1. Daß die teutſche Dolmetſchung nicht uͤbereinkomme/ dann ſemel at-
que iterum
iſt zweymal/ nicht dreymal. 2. Wo er geſtehet/ daß die von
ſchweren todt-ſuͤnden auffrichtende gnade GOttes manchen wiederfahre zwey drey-
mal/ ſo ſ[t]oͤſſet er hiermit ſeine Theſin ſelbſt uͤm/ nach welcher es zu der groſſen
buſſe (das iſt die jenige/ dadurch der menſch von ſchweren ſuͤnden auffgerichtet wird)
zum andernmahl nicht koͤmmt/ geſchweige zum dritten: Hie geſtehet er zwey/
dreymal: Und zwar kan er ſolches nicht vor ein auſſerordentliches halten/ dann
es wiederfaͤhret manchem/ iſt alſo nichts ſeltſames. Vielmehr ſind in dem gegen-
ſatz deren wenig/ denen es nur einmahl geſchiehet, 3. Woher Herr Stenger die
regul Dannhaueri genommen/ wiſſen wir nicht. Solte es aus der Hodoſo-
phia
ſeyn/ da p. 640. der ſelige mann bey citirung dieſes ſpruchs ſagt: Deo lex
non eſt poſita, gratiam aliquando offert bis, terve, hoc eſt, pluries, aliquando
ſemel tantum.
So wuͤnſchen wir/ daß die worte ungeaͤndert waͤren geſetzt
worden. Wollen gleichwol ihn hieraus keines falſi allegati beſchuldigen/ weil
vielleicht an andern ſtellen/ Dr. Dannhauer auch die formul, die an ſich nichts
uͤbels in ſich hat/ moͤgte anders gefuͤhret haben. Weil wir ſehen/ daß er auch in
ſeiner Catechiſmus Milch P. 6. p. 293. aus dieſem ſpruch Jobi alſo redet: zwey oder
dreymal ſihet GOtt etwa zu/ daß er eine ſeele herum hohle aus dem verderben. 4.
Was Herr Dr. Dannhauers meynung geweſen ſeye/ gibt er klar zuverſtehen/
daß erbis tervèerklaͤret/ mitpluriesoͤffter. Wie auch des ſel. Lutheri
Rand-Gloͤßlein lauten/ zwey oder dreymal/ das iſt offtmahls/ hat alſo Herr
Dr. Dannhauer nicht ſo præciſe die zahl determiniret. Den ſpruch ſelbſt be-
treffend/ iſt gleichwol nicht erwieſen/ daß Elihu meynung ſeye/ in demſelben zu zei-
gen/ wie offt GOtt einem boͤſen menſchen zur buſſe kommen laſſe; Sondern wie
der wohlverdiente Straßburgiſche Theologus, D. Sebaſtian Schmidt noch neu-
lichſt in ſeinem Commentario gezeiget/ iſt die meynung allein/ daß ſich GOtt des
creutzes/ welches auch eine art iſt/ damit GOtt zur beſſerung berufft/ offt bey einer
perſon zu unterſchiedlichen mahlen gebraucht/ ſo wohl boͤſe leute zur buſſe zuziehen/
als auch gottſelige von ſuͤnden abzuhalten. Er erklaͤret aber auch das [...]
[...]duabus vel tribus vicibus, daß es ſey numerus certus \& finitus pro
incerto \& infinito,
vor aliquoties, ſæpius. 6. Aus allen erhellet/ daß gantz
nichts aus dieſem ſpruch zu behauptung der Theſeos mag gezogen werden: Ja
wo er auch in Herr Stengers verſtand angenommen wuͤrde/ daß nemlich da ſte-
he/
[53]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO VII.
he/ wie offt GOtt den gefallenen ſuͤnder zur buſſe annehme/ ſtieſſe er ſie vielmehr
uͤm: Denn da wuͤrde die andere und dritte groſſe buſſe bekraͤfftiget. 5. Wird
angezogen aus der epiſtel Judaͤv. 5.Zum andernmahl brachte er um/ die
da nicht glaͤubten.
Wie aus dieſen worten mit einigem ſchein/ eine folge koͤn-
ne gezogen werden/ ſehen wir nicht. Der zweck des heiligen Apoſtels iſt/
wie D. Lubinus gar wohl bemercket: Quo quis Deum magis cognovit
\& majora a Deo beneficia accepit, hoc horribilius punietur, cum Deum
rurſus abnegat, \& DEO ejusque verbo relicto latiſſimam mundi viam
cum filiis hujus ſeculi graſſatur. Neque vero ſatis eſt, quenquam ſemel
veritatem Dei agnoviſſe à peccatis liberatum, \& in libertatem Chriſti ad-
miſſum eſſe, ſi in illa non perpetuo perſeveret, \& vitam Chriſtiani verbis
pariter \& factis exprimat.
Mehr wird ſich aus dieſem orth nicht ſchlieſſen laſſen.
Es ſtehet hier nicht daß allen/ denen er einmal die ſuͤnde vergeben gehabt/ das zwey-
temal keine gnade mehr erwieſen worden; weil er in den erſten worten keiner geiſt-
lichen/ ſondern der leiblichen gutthat der ausfuͤhrung aus Egypten gedacht. So
zeiget ja die hiſtori der Schrifft klar/ daß GOTT dem volck nicht nur einmal/ ſon-
dern offt ihre grobe ſuͤnde/ ſo ſie mit murren und ungehorſam wider ihn begangen/
verziehen habe/ ehe er ſie nach einander ſterben lieſſe. Denckwuͤrdig iſt wie
GOTT 4. Moſ. 14/ 22. das urtheil faͤllet: Alle maͤnner die meine herrlig-
keit/ und meine zeichen geſehen haben/ die ich gethan habe in Egypten und
in der Wuͤſten/ und mich zehenmal verſucht/ und meiner ſtimme nicht ge-
horchet haben/ der ſoll keiner das land ſehen/ der mich verlaͤſtert hat.

Hier ſinds einerley maͤnner/ welche dem HERRN ſo offt/ zehenmal/ ver-
ſucht hatten: meiſtens mit gantz boßhafftigen verſuchungen/ daß ſie wider GOtt
gemurret/ ſeine wunder in den wind geſchlagen/ und ſeinem befehl ungehorſam wa-
ren worden/ welches auffs wenigſte bey dem groͤſten theil derſelben ſchwere todt-
ſuͤnde geweſen. Nun wird hingegen auch hin und wieder meldung gethan/ wie
ſich das volck bekehret/ und bußfertig mit GOTT verſoͤhnet habe/ wo wir ja
nicht zweiffeln wollen/ daß auffs wenigſte jedesmahl bey einer ziemlichen anzahl
derſelben ſolche buſſe werde ernſtlich geweſen ſeyn. 2. Moſis 19. v. 20. iſt ja nicht
glaublich/ als GOTT durch Moſen dem volck von der promulgation des geſe-
tzes anſagen/ und die vorbereitung anbefehlen ließ/ ſo denn mit ſolcher majeſtaͤt/
donner und blitzen die Gebot gab/ daß nicht ſolten viele von grund der ſeelen zur
buſſe bewegt/ und denſelben die worte von hertzen gangen ſeyn: Daß ſie gerne
gehorchen wolten/ wo GOTT durch Moſen ihnen wuͤrde etwas befehlen laſſen.
Es waͤhrete aber nicht lange/ ſo fielen ſie durch abgoͤtterey mit dem guͤldenen kal-
be von GOTT boshafftig ab/ daß GOTT das gantze volck vertilgen wolte. A-
ber c. 33. 4. (conf. Pſ. 106. 23. und vorhin v. 12.) laſſen ſie ihnen ſolches leid ſeyn.
Wo wir je nicht von allen vermuthen doͤrfften/ daß es eine nur euſſerliche Achabs
G 3buſſe
[54]Das ſechſte Capitel.
buſſe ſolte geweſen ſeyn. Nach dieſem 4. Moſ. 11. verſuͤndiget ſich das volck wie-
derum etlichmahl boßhafftig/ und zog ſchwere ſtraffe auff ſich/ daß viel daruͤber
umkommen ſind. Solten aber auch nicht aus anſehung der ſtraffen immer un-
terſchiedliche ſich haben thaͤtlich bekehret? Aſaph ſaget Pſalm. 78/ 36. 37. Wenn
er ſie erwuͤrget/ ſuchten ſie ihn/ und bekehrten ſich fruͤhe zu GOTT/ und ge-
dachten/ daß GOTT ihr Hort iſt/ und GOTT der hoͤchſte ihr Erloͤſer iſt.

Es folget zwar darauff: Und heuchleten ihm mit ihrem munde/ und logen
ihm mit ihren zungen/ aber ihr hertz war nicht feſt an ihm/ und hielten nicht
treulich an ſeinem bunde.
Wir haben aber ſolche worte (wie von dem wohlver-
dienten Theologo D. Hoͤpfnern mit mehreren gezeiget worden) vielmehr anzuſe-
hen/ daß damit angedeutet werde/ wie ihre buſſe nicht ſey beſtaͤndig geweſen/ als
daß ſie gar vor keine wahre buſſe erkant wuͤrde/ und ob waͤre es ihnen nicht ernſt ge-
weſen/ da gleichwohl es eine ſolche buſſe geweſen/ darauff folgen koͤnte: Er aber
war barmhertzig/ und vergab die miſſethat.
Welches ja einer heuchel buſſe
nicht mag zugeſchrieben werden: Jn deſſen heiſſet es doch/ daß ſie mit dem mun-
de geheuchelt/ und mit der zungen gelogen haben/ alldieweil ſie ihren verſpruch/
ob wohl ſolcher erſtlich von hertzen gegangen/ nachmahl beſtaͤndig ins werck zuſe-
tzen ihnen nicht haben laſſen angelegen ſeyn/ u. alſo ihr heꝛtz nicht feſt an Gott geblie-
ben iſt. Daraus wir ſehen/ daß GOTT die kinder Jfrael nicht gleich das an-
dere mahl/ als ſie ihn boßhafftig erzuͤrnet/ zur ſtraffe hingeriſſen/ ſondern zum oͤff-
tern mahl ihnen vergebung habe wiederfahren laſſen. Ja wir moͤgen eben hierinnen
wiederum exempel ſehen ſolcheꝛ leute/ die nichtnur einmahl die groſſe buſſe wiedeꝛho-
let haben/ heiſt daher τὸ δέμτερον bey dem Apoſtel Juda/ nicht eigentlich zum andern-
mahl/ in dem gegenſatz/ daß das erſte mahl der HERR ſeinem volck verziehen/ das
anderemahl aber ſeinen zorn gehen laſſen/ ſondern wie die Phiologi bemercken/ iſt
ſo viel als deinde, rurſus, wie auch die lateiniſche dolmetſchung Eraſmi, Bezæ, Ca-
ſtalionis
hierbey bleiben abermahl oder nach mahl. Daß alſo die meynung
dieſe ſey: Der HERR habe die kinder Jſrael aus Egypten gefuͤhret/ und in ſol-
chem ausgang viel ſo leiblich als geiſtliche wohlthaten ihnen erwieſen/ (unter wel-
che billich zu zehlen die oͤfftere vergebung ihrer ſuͤnden) aber darnach/ wie nehmlich
ſie ſo offt ſeine guͤte misbrauchet/ brachte er um die nicht glaubten. Wir gehen a-
ber weiter. 6. Werden angezogen die worte Chriſti Luc. 11. Wenn der vom boͤ-
ſen geiſt erloͤſete menſch denſelben wieder einlaſſe/ ſo werde es da wohl ſieben
mahl aͤrger denn zuvor.
Aber wir ſehen nicht/ wie nur mit einem ſchein ſich etwas
ſchlieſſen laſſe/ was Herr Stenger will: Daß es immer gefaͤhrlicher mit einem men-
ſchen werde/ je mehrmahl er von ſeinen Gott ab getretten/ und ſeine guͤtigkeit ver-
achtet hat/ folget wohl daraus/ aber davon iſt die frage nicht: Hingegen ſehen
wir hie/ daß es nicht ſo unmuͤglich ſey/ daß der teuffel/ wo er ſchon einmahl gewal-
tig ausgetrieben/ wiederum einniſten koͤnne. Chriſtus ſaget nicht darbey/ daß es
gar
[55]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO VII.
gar ein auſſer ordentlich und ſeltener fall ſey/ ſondern redet vielmehr davon/ als
einer ſache/ die nicht ſeltſam ſey. So ſagt er auch nicht darbey/ daß ein ſolcher
mit 7. aͤrgeren begleiteter teuffel nicht wiederum ausgetrieben werde/ ſondern nur
allein/ daß es mit den menſchen aͤrger ſey/ als zu erſt/ welches aber den ſtatum
controverſiæ
nicht beruͤhret. 7. Werden auch angezogen die ſpruͤche/ darinnen
die glaubigen vermahnet werden/ beſtaͤndig zubleiben/ zu wachſen/ und immer voͤl-
liger zu werden/ und daß die glaubigen ſolchem befehl nachkommen. Welches
wir gerne geſtehen/ was derſelben conatum und fleiß anlanget/ ſie bemuͤhen ſich
beſtaͤndig zu bleiben und zuwachſen. Wie ſie aber noch das fleiſch an ſich haben/
das ſtets allerhand menſchliche fehler verurſachet/ alſo iſt auch muͤglich/ daß aus
menſchlichen fehlern endlich boßhaffte ſuͤnden werden/ wie droben gezeiget. Wann
dann ſolches geſchiehet/ ſo hoͤren ſie auff um ſolche zeit glaubig zu ſeyn/ und haben
die wieder geburt verlohren. Wie Herr Stenger ſelbſten geſtehet/ ob er ſchon meint
daß ſolches gar ſelten und außerordentlich geſchehe. Welches aber die krafft der
ſpruͤche/ ſo allein die ſchuldigkeit und fleiß der glaͤubigen/ ſo lange ſie ſolche ſind vor-
ſtellen/ nicht mit ſich bringet. Die vergleichung zwiſchen Chriſto und den glau-
bigen Rom. 6. geben wir gerne zu/ daß wir ſollen in einem neuen leben wandeln/
wie CHRJSTUS auch nach ſeiner aufferſtehung ein neues und ewiges leben
angetreten: Alſo wie CHRJSTUS nicht wiederum geſtorben/ erfordert/
daß auch wir nichtwiederum in ſuͤnden ſterben ſollen: Alſo welche wiederum
in ſuͤnden geſtorben/ haben darwider gethan/ worzu ſie verbun-
den geweſen/ das iſt unlaugbar. Unterdeſſen kans doch geſchehen/ wel-
ches auch Herr Stenger nicht leugnen darff: und wie es geſchehen kan/ ſo geſchie-
het es leider nur gar zu offt: deſſen gegentheil aus Paulo hie nicht erweißlich. Daß
Luc. 15. der verlohrne ſohn nicht wiederum von dem vater gelauffen/ erwei-
ſet nichts/ in dem der zweck der parabel allein iſt zu zeigen/ daß doch GOTT die
buſſe annehme/ wie ſchwer das verbrechen ſey: auſſer dieſem und was dahin ab-
zwecket/ laͤſt ſich nichts erweiſen. Daß der HERR zu dem geſund gewordenen
Joh. 5. ſaget: Siehe zu/ ſuͤndige fort nicht mehr/ auff daß dir nicht et-
was aͤrgers widerfahre.
Zeiget abermahl mehr nicht/ als daß freylich der Re-
cidivat
allezeit ſchwehrer ſey/ in dem er den menſchen mit mehrern ſuͤnden beladet/
und die undanckbarkeit allezeit ſo viel groͤſſer/ dahero auch goͤttlicher zorn gemeh-
ret worden. Damit iſt aber die ſache an ſich nicht erwieſen/ daß ſolches nicht offt
geſchehe. Gleiche bewandnuͤß hat es auch mit dem ſpruch Hohenlied 5/3. und der
angezogenen gleichnuͤß/ der zu der andern erbauung des tempels mehr erforderten
zeit/ als zu der erſten. Wir gehen aber nicht jegliches abſonderlich durch/
wie wir auch nicht noth achten/ auff die von der oͤffentlichen kirchenbuſſe handlen-
de orte der vaͤter zu antworten. Einige gruͤnde ſtehen noch folgendes pag. 40. die
einen ſchein haben/ und alſo noch zu examiniren ſind. Wo wir zum foͤrderſten
noch-
[56]Das ſechſte Capitel.
nochmals wiederholen/ daß wir freylich dergleichen Chriſtenthum nicht vor juſt hal-
ten/ wie oben bereits erinnert/ wo ſo offt nach einander wiederholende faͤlle und im-
mer folgende buß alterniren. Denn da iſt unmuͤglich/ daß es dem kan ernſt mit
der buſſe geweſen ſeyn/ der kaum von derſelben komt/ und alſo balden wieder muth-
willig ſuͤndiget/ gleich wieder buß zu thun ſich ſtellet/ und ſolches immerfort conti-
nui
ret: Die betrachtung der hertzlichen reu und deß inbruͤnſtigen vorſatzes/ ſo
bey wahren buͤſſenden ſich findet/ laͤſſet nicht zu dergleichen zugedencken: Aber da-
mit iſt Herr Stengers meinung noch nicht gebilliget: Es wiederholet ſich die groſ-
ſe buſſe nicht ſo offt und gleichſam woͤchentlich. E. nur einmahl. Dahero was itzo
die Argumenta ſelbſt anlanget/ ſo folget es nicht: Die Chriſten koͤnten ſonſt nicht
ſagen mit David: Jch wehre meinem fuſſe alle boͤſe wege/ daß ich dein
wort halte. Jch will dein geſetz halten alle wege/ immer und ewiglich
Pſalm. 119.
Dann wir fragen: Ob David ſolches habe ſagen koͤnnen/ oder
nicht? Dieſes letztere wird Herr Stenger nicht erwehlen; Weil ja ſolches die ge-
meine arth aller wahren kinder GOttes iſt und ſeyn muß/ daß ſie ſolchen eyfrigen
vorſatz haben/ und demſelben nachſetzen. Hat ers aber ſagen koͤnnen/ ſo ſiehet
man ja/ daß dann die jenige auch nachſprechen moͤgen/ welche ſich vor allem muth-
willigen fall zuhuͤten eyfrig entſchloſſen/ ob es ſchon geſchehen mag/ daß ſie wiederum
von dem teuffel verfuͤhret werden/ wie es David ergangen. Da aber der ſchluß
gemacht wird (So doͤrfften auch die bußfertigen bey ihrer buſſe nicht angelo-
ben/ daß ſie wolten CHRJSTJ gebot hinfuͤro beſtaͤndig halten/ und nie-
mals muthwillig ſuͤndigen. Dann ſo doch die Chriſten hernach ſolch ihr
geluͤbde niemals redlich bezahlen/ ſo moͤgten ſie lieber des angelobens ſich
gar enthalten.)
Jſt wiederum keine guͤltige folge. Herr Stenger geſtehet/ daß
eben ſolches geluͤbde in der tauffe auch geſchiehet/ ob ſchon durch den mund der tauff-
pathen/ aber gleichwohl von dem kinde/ und der heilige Geiſt/ der den wahren glau-
ben bey ſolchem kinde in der tauffe wuͤrcket/ wuͤrcket auch ſolchen vorſatz/ und alſo
geluͤbde bey derſelben. Er geſtehet weiter/ daß ſolcher getaufften ſehr viele wieder
abtreten/ und auffs neue muͤſſen bekehret werden: So ſiehet er ja ſelbſten/ daß
aus dem geluͤbde bey der buſſe ſich das jenige eben ſo wohl nicht ſchließen laſſe. 3.
Nicht beſſer ſchlieſſet das jenige argument/ daß er haben will: daß mit der gegenlehr
auffgehaben werde die gewißheit eines wiedergebohrnen/ und die gewiſſe hoffnung
der beſtaͤndigkeit/ ja die hoffnung des ewigen lebens. Jſt das argument/ deſſen
ſich auch die Reformirte gegen uns bedienen/ um die bloſſe unmuͤgligkeit des abfalls
der rechtglaͤubigen zu erweiſen/ darinnen Herr Stenger ihme ſelbſt widerſpricht.
Auch wuͤrde es der Reformirten als Herrn Stengers meinung mehr bekraͤfftigen/
wo es buͤndig waͤre. Dann macht die muͤglichkeit des wiederabfalls die gewißheit
der ſeligkeit zu nicht/ wie dieſes argument wil/ ſo muß eins unter beyden ſeyn:
Entweder wir muͤſſen der gewißheit unſerer ſeligkeit uns gar nicht ruͤhmen koͤnnen/
und
[57]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO VII.
und darinnen den Papiſten gewonnen geben/ oder es muß blos unmuͤglich ſeyn/ daß
warhafftig glaubige abfallen/ damit die Reformirte gewonnen haben. Da wird
Herr Stenger mit ſeinem tertio nichts ausrichten/ daß es zwar nicht gantz unmuͤg-
lich ſey/ aber doch gewoͤhnlich nicht geſchehe: dann damit faͤllt doch die gewißheit
hin/ welche ſein ſchluß urgiret. Wir aber koͤnnen den Reformirten gruͤndlich ant-
worten/ daß wir unſerer ſeligkeit gewiß ſeyn/ nicht certitudine abſoluta, mit ei-
ner unbedingten gewißheit/ wie der Reformirten irrthum iſt/ ſondern condi-
tionata
mit einer bedingten/ und in eine gewiſſe ordnung eingeſchloſſenen gewiß-
heit/ nach der recht glaͤubigen lehrer einmuͤthigen ſatz. Wir muͤſſen freylich un-
ſerer ends beharrligkeit gewiß ſeyn/ aber doch darbey mit furcht und zittern ſchaf-
fen/ daß wir ſelig werden. Phil. 2. Ja daß kein andere/ als ſolche conditionata
certitudo
ſey/ gibt uns Herr Stenger ſelbſt zu/ pag. 306.GOtt wende ſeine
gnade nicht ehe von einem wiedergebohrnen/ er laſſe dann fahren ſeinen gu-
ten vorſatz/ und faſſe einen boͤſen vorſatz.
Wie nun dieſer dritte ſchluß itzt be-
ſchehener maſſen/ unbuͤndig: alſo 4. iſts eben ſo uͤbel gefolgert/ daß ſo fern boͤſe
und fromme Chriſten ſo gut waͤren/ einer als der andere. Es bleibet noch groſſer
unterſcheid. Was boͤſe Chriſten thun/ die nicht in GOttes gnade ſtehen/ ſind
lauter tod-ſuͤnden/ wie Herr Stenger ſelbſt geſtehet. Jſt dann nicht groſſer un-
terſcheid zwiſchen dem/ der augenblicklich nichts anders als lauter tod-ſuͤnden thut/
und dem jenigen/ der etwa noch einige mahl von dem teuffel verleitet wird? Ob
ſchon er eben damit auch ſeinen gnadenſtand verleuret/ und in ſolchem ſtand/ ehe er
zur buſſe komt/ kein frommer Chriſt mehr iſt. Alles bisher angefuͤhrte zeiget/ daß
demnach die vollkommenheit/ welche Herr Stenger den wahren Chriſten zuſchrei-
bet/ daß nicht leicht einer von GOTT abweichen koͤnne/ aus der Schrifft nicht er-
weißlich ſeye; vielmehr aber ſtreite mit der in der Schrifft nachdruͤcklich beſchriebe-
nen unvollkommenheit und verderbnuͤß der menſchlichen natur/ auch noch bey wie-
dergebohrnen Chriſten uͤbrigen fleiſches. 2. Streitet auch ſolche meynung wider
die in der Schrifft billich aller orten hochgeprieſene unendliche barmhertzigkeit Got-
tes. Wo es heiſſet/ der zum drittenmahl in muthwillige ſuͤnden ruͤckfaͤllige
menſch wird wohl zur rechten buſſe nicht erneuert werden/ geſchehe es ja/ ſo
muͤſte es was auſſer ordentliches heiſſen. Und/ der zum drittemnahl ruͤck-
faͤllige menſch wird gewoͤhnlich nicht wieder zur buſſe erneuret und auffge-
richtet.
Wir ſagen hier nicht/ daß man einen ſo vielmahl ruͤckfaͤlligen menſchen/
da er in ſolcher ſeiner boßheit ſtehet/ verſichern koͤnne/ daß er auch wieder werde zur
buſſe bekehret werden. Dann vielleicht kan ihn in ſolchem augenblick GOtt weg-
reiſſen/ und alſo in ſeinen ſuͤnden ſterben laſſen/ oder aber das gericht der verſto-
ckung uͤber ihn verhaͤngen. Vielweniger moͤgen wir einen darauff weiſen/ er ſolte
nur immerhin frevel ſuͤndigen/ GOTT muͤſte ihn doch wohl wiederum bekehren.
ſolcher troſt wuͤrde allzu vermeſſen ſeyn; Aber hingegen iſt eben ſo vermeſſen/ goͤtt-
Hlicher
[58]Das ſechſte Capitel.
licher barmhertzigkeit ziel und maß zu ſetzen/ wie offt ſie ordentlicher weiſe einen
muthwilligen ſ[uͤ]nder annehme/ nemlich nur einmahl/ uͤber ſolches ſeye es ein auſſer-
ordentliches und alſo ſelten geſchehendes. Ja ſpricht einer/ es werde hiemit goͤtt-
liche barmhertzigkeit nicht eingeſpannet/ denn mann geſtehe gerne/ daß ſo offt der
ſuͤnder buſſe thue/ GOTT ſolches ſ[uͤ]nders ſich erbarme; Aber es koͤnne ein ſolcher
ſuͤnder nicht buſſe thun. Antwort. Das iſts eben/ was wir ſagen/ das goͤttliche
barmhertzigkeit eingeſpannet werde. Dann goͤttliche barmhertzigkeit gehoͤret zu/
nicht nur unſere buſſe anzunehmen; ſondern weil wirs nicht koͤnnen/ dieſelbe
bey uns zuwuͤrcken. Daher wann ein ſolcher das drittemahl ruͤckfaͤllige menſch
nicht mehr zur buſſe erfordert wird/ waͤre die urſach nicht bloß ſeine ſuͤnde ſelbs/ dann
da geſtehet Herr Stenger/ daß keine ſuͤnde ſeye/ welche goͤttliche barmhertzig-
keit nicht vergeben koͤnne/ und wolte/ wann ſolches auffs erſtemahl geſchie-
het/
es iſt auch nicht/ weil GOTT ihn nicht wieder bekehren koͤnte/ auch nicht daß
er vor ſich zur buſſe gantz untuͤchtig worden (dann daß es auſſerordentlich geſchehen
koͤnte/ wird bekant) ſondern muͤſte dieſe urſach ſeyn: Daß GOTT beſchloſſen
habe/ ordentlich allein einmahl ſich des ruͤckfaͤlligen zu erbarmen/ und alſo
eine barmhertzigkeit auff einmahl einzuſpannen:
Daher ſie einen ſolchen
menſchen die mittel der buſſe nicht mehr wiederfahren laſſe/ oder doch darinnen
nicht kraͤfftig zu ſeyn begehre. Nun dieſe einſpannung goͤttlicher barmhertzigkeit
iſt goͤttlicher Schrifft gantz unbekant. Es heiſſet ins gemein/ daß GOtt nicht wolle
den todt des ſuͤnders Ezech. 18/23. daß er wolle/ daß niemand verlohren werde;
ſondern ſich jedermann zur buſſe bekehre. 2. Petr. 3. welches auch gehet/ ſo gar auff
die jenige/ von welchen er cap. 2. geſagt/ daß nach dem ſie wiederum in die ſuͤnde ein-
gepflochten/ das letzte mit ihnen aͤrger worden ſeye/ dann das erſte. GOtt ruffet
der verſtockten Juda wieder/ ob ſie wohl mit vielen buhlern gehuret/ und ſich von
ihm geſchieden hatte. Jerem. 3/ 1. ohne außnahm/ wie offt ſie es ſchon mißbraucht
haben moͤgte. Und von ſolchem ſpruch geſtehet Herr Stenger pag. 164.Daß er
rede von den ſuͤndern/ die ſchon einmahl wieder zu gnadeu angenommen/ a-
ber es hernach wieder verderbet/ abermahls den HErrn verlaſſen/ und wi-
der ihn geſ[uͤ]ndiget.
Wiederum: die abtruͤnnige ſeele/ die GOTT ſo viel-
mahl verlaſſen/ ſoll doch wieder erlaubnuͤß haben wieder zukommen.


Welches aber ſeine eigene Theſin umſtoͤſſet. Dann es iſt ein exempel
zweymahl ruͤckfaͤlliger/ wird auch nicht von einer perſon/ ſondern dem gantzen Juda
und alſo vielen gebraucht/ und kan derowegen vor nichts auſſerordentliches geach-
tet werden. Luc. 6/ 36. 37. befiehlet Chriſtus: Wir ſollen barmhertzig ſeyn/ wie un-
ſer Vater barmhertzig iſt/ und ſolches auch in dem vergeben. Nun ſind wir ſchul-
dig/ dem nechſten zu vergeben/ ſo offt er uns beleidiget. Matth. 18/ 22. So iſts
GOTT zwar nicht ſchuldig/ aber doch dieſes die art ſeiner barmhertzigkeit/ daß er
ſich
[59]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO VII.
ſich erbarmet mit vergebung der ſuͤneen/ auch der jenigen/ die ſich ſeiner guͤte ſchon
offt mißbraucht.


Dieſes iſt das ordentliche: daß aber zuweilen er dergleichen boßhafftige ver-
aͤchter in das gericht der verſtockung fallen laͤſſet/ daß ſie nicht mehr buſſe thun/ und
alſo gnade erlangen/ iſt die exceptio und das auſſerordentliche. Da haben wir
dann von dieſem nicht zu urtheilen/ ſondern GOttes rath zu uͤberlaſſen/ nicht wie
offt er allen/ dann wir haben kein fundament/ das vor alle eine gewiſſe zahl beſtim̃t
ſeye; ſondern wie offt er jeglichen/ dieſem oder jenem/ die gnade der buß/ wann ſie
vorhin veꝛſchlagen woꝛden/ wiedeꝛ gebẽ wolle: Wohin wiꝛ in gutem veꝛſtand es neh-
men. wollen. p. 240.Die gnade GOttes/ da er den ſuͤndern noch raum/ zeit und
mittel zur buſſe giebet/ iſt uns nirgend verheiſſen/ daß ſie eben ſolte ewig uͤ-
ber uns ſchweben/ wann wir immer mit ſuͤnden anhalten: und
p. 322.Gott
will ſeyn ſehr gnaͤdig/ barmhertzig/ will alles vergeben/ es ſeye die ſuͤnde
auch noch ſo groß; doch nicht daß dem menſchen frey ſtehe/ dieſe gnade zuſu-
chen/ wann er wolte.
Hingegen bleiben wir billig bey der regel/ daß GOTT
jeglichem ſ[uͤ]nder ſeine gnade anbiete
(u. das ſagt Herr Stenger ſonſt auch p. 242.
So lange es noch heute heiſſet/ ſtehet die gnaden-thuͤr offen/ es heiſt abe:
noch immer heute/ als lange noch ein lebendiger athem in uns iſt
) beſtimme
ich aber eine gewiſſe zahl/ die mir gleichwohl von Gott nicht geoffenbahret/ ſo kans
nicht anders als eine vermeſſenheit geachtet werden. 3. Steckt auch dieſer irrthum
darinnen/ daß der jenige vorſatz/ nicht muͤſſe der rechte wahre vorſatz/ oder die jenige
buſſe die wahre buſſe geweſen ſeyn/ da wider jenen wiederum geſuͤndiget/ und dieſer
fruͤchte nicht ſtetig gewuͤrcket werden. Zwar wo es nur ſo fern will/ das man aus
nicht erfolgter erfuͤllung oder dero beſtaͤndigkeit zu nachdencken urſach bekommt:
Ob nicht vielleicht der vorſatz und vorige buſſe moͤgten allein heuchleriſch geweſen
ſeyn/ und der menſch andere und ſich damit betrogen haben/ iſts nicht unrecht; weil
freylich vielfaͤltig geſchiehet/ daß der menſch ſich nicht rechtſchaffen pruͤffet/ jegliche
fliegende andacht gleich vor rechten bußfertigen vorſatz achtet/ und damit ihm ſelbs
thoͤrlich einen blauen dunſt vor die augen macht. Daß deßwegen ſo wohl jeder/
welcher findet/ wie die fruͤchte ſeiner buß nicht nach gebuͤhr folgen/ urſach hat in ſich
zugehen/ und nach zudencken/ mit was ernſt er ſeine buſſe angeſtellt. So haben
auch prediger und andere/ die auff ihres neben menſchen Chriſtenthum acht zu ge-
ben haben/ aus eben ſolcher urſach der nicht thaͤtlich folgender beſſerung ſolche leute
zur probe ihres gewiſſens zuweiſen. Und auff die weiſe/ iſt die ſache nicht unrecht;
Es kan aber Herr Stenger ſelbs ſich daruͤber erklaͤhren/ ob ſolches allein ſeine mey-
nung ſeye. Solte es aber dahin gemeint ſeyn/ wie ſchier die uͤbrige hypotheſes
mit ſich zu bringen ſcheinen/ daß keine andere wahre buſſe ſeye/ als von welcher kein
abfall mehr folget/ auch kein anderer vorſatz rechtſchaffen und hertzlich/ es folge
denn auch die that beſtaͤndig: So waͤre es irrig/ und wuͤrde billig mit den gruͤnden
H 2wider-
[60]Das ſechſte Capitel.
widerleget/ welcher wir uns gebrauchen gegen die Reformirten/ welche denjenigen
glauben nicht wollen vor den wahren glauben gehalten haben/ welcher wieder ver-
lohren worden. Wie dann dieſe meynung mit ſolchem irrthum (der auch in den
Schmalkaldiſchen Articuln pag. 3. art. 3. verworffen wird:) gar nahe uͤber ein
kaͤme.
Alle die buß aber iſt wahrhafftig/ in welcher der menſch ſeine ſuͤnde mit
hertzlicher goͤttlicher reue erkennt/ und mit wahren lebendigem glauben ſeines Er-
loͤſers verdienſt ergreiffet. Bey ſolchem iſt zwar freylich allezeit hertzlicher vorſatz
und trieb/ ſolchen vorſatz auch ins werck zuſetzen/ der den menſchen nicht muͤßig ſeyn
laͤſſt. Weil aber gleichwohl es muͤglich iſt/ daß nachmahls der menſch wieder ab-
faͤllt; ſo iſt die beharrlichkeit ein ſolches conſequens, welches da von ſeparirt blei-
ben/ und alſo auch ohne dieſe dennoch die buß warhafftig geweſen ſeyn kan. 4. Er-
hellet auch aus dieſer materi/ daß Herr Stenger (auffs wenigſte/ wie an vielen
orten aus ſeinen worten/ nicht anders geſchloſſen werden mag) nicht gebuͤhrlich
unterſcheide/ die ſtaͤrcke und ſchwachheit des glaubens; Daher er aller orten von
den fruͤchten des glaubens redet/ wie dieſelbe ſich bey dem glauben in ſeiner ſtaͤrcke
befinden/ da es zu weilen gar ein andere bewandnuͤß mit hat/ wo der glaube
ſchwach und alſo auch der trieb deſſelben nicht ſo ſtarck iſt. Nun wie wir den
ſchwachen glauben vor einen wahren glauben achten und GOTT ihn auch davor
erkennet/ alſo ſind auch deſſelben fruͤchte/ ob wohl freylich viel mangels ſich daran
befindet/ gleich wohl wahre fruͤchte/ weil und wann ſie auffrichtig ſind. Dieſes
iſt alſo das jenige/ ſo wir in durchleſung der vor die hand gegebenen zwey ſchrifften
Herrn Stengers obſerviret/ und zu obſerviren noͤthig erachtet haben; Daraus
dann leichtlich unſere endliche meynung erhellet/ daß nehmlich wir zwar viele der
redens-arten/ an welchen vielleicht einige/ die ſolche gehoͤret oder geleſen/ moͤgen an-
geſtoſſen haben/ aus betrachtung ſo wohl der ſache als anderer umſtaͤnde/ ſonderlich
ſeines eiffers/ vor gut und unſtraͤfflich achten; hingegen in unterſchiedlichen/ ob
wohl ſeine meynung recht/ deſideriren/ daß er mit der kirche haͤtte reden ſollen/
und mit unbequemen/ zweiffelhafftigen und dunckeln reden/ welche der gemeine zu-
hoͤrer nicht leicht faſſet/ nicht einen verdacht auff ſich ziehen. So dann das die
letzte benamſte lehr/ ſo wiederum in etliche puncten ſich theilet/ wofern er ſie/ wie
wir ſie aus ſeinen worten gefaſt/ vor die ſeinige erkent/ und nicht beſſer declariret/
von uns nicht anders als irrig angeſehen werden koͤnne. Es ſind einige ort der
Schrifft bereits angezogen worden mit welchem ſolche meynung ſtreitet; So ſeind
auch die wort unſerer Augſpurgiſchen Confeſſion art. 12. da es heiſt: Daß die
jenige ſo nach der tauff geſuͤndiget haben/ zu allerzeit/ ſo ſie bekehret wer-
den/ vergebung der ſuͤnden erlangen moͤgen:
Sonderlich aber wie ſie wieder-
hohlet werden in der Apologi:Zu was zeit und wie offt ſie ſich bekehren/ alſo
bewand/ daß ſie nicht mit Herr Stengers meynung beſtehen. Dann ob er wohl
ſagen moͤgte: er glaube mit der Augſpurgiſchen Confeſſion ſchlecht dahin/ daß
die
[61]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO VII.
die jenigen die nach der Tauff ſuͤndigen/ vergebung der ſuͤnden er langen moͤgen/ zu
allerzeit/ ſo ſie bekehret werden; Es ſeye aber ſolches nicht ausgedruckt wie offt ſol-
che bekehrung geſchehe. So mag ſolches noch nicht gnug ſeyn; Jn dem in der A-
pologi
deutlich das quotiescunque in ſich faſſt/ daß ſolches offters geſchehen
moͤge/ und zugeſchehen pflege/ nicht aber nur ein oder auffs hoͤchſte zweymal. So
ſind auch ſolche unſere Symboliſche buͤcher/ wie in andern allen/ alſo auch in die-
ſem ſtuͤck/ zufaſſen in dem verſtand unſerer kirchen/ wie derſelbe bey unſern uͤbrigen
lehrern ſich auch befindet: Da wir aber einigen bißher nicht befinden werden/ wel-
cher nicht davor gehalten/ daß ſolche buß/ deren daſelbs vergebung verſprochen wird/
mehr als einmahl wiederholet werden moͤge. Ob dann nun ſchon wir ihn des irr-
thums Novatianorum, ſo in ſolchem articul namentlich verworffen werden/ nicht
beſchuldigen wollen/ gehet gleichwohl ſein ſatz/ wie wir ihn aus ſeinen ſchrifften zu-
faſſen vermoͤgen/ dem ſatz der bekaͤntnuͤß auf andere weiß entgegen. Mit den No-
vatiane
rn koͤnnen wir ſeine meynung nicht confundiren/ als deren ketzerey von
unſern confeſſoribus alſo gegeben wird/ welche die abſolution denen/ ſo nach der
Tauff geſuͤndiget hatten/ wegerten/ oder wo wirs außfuͤhrlich haben wollen/ mit
den worten der erſt vor 2. jahren gehaltenen Inaugural. Diſputation Herrn Dr.
Jo. Ulrich Meyern/ de Novatianismo: Lapſi, in primis Apoſtatæ, etiam
verè pœnitentes, amplius veniam delictorum mortalium impetrare non
poſſunt, non quidem à Deo immediatè ſed ab Eccleſia mediatè, quæ illos
in gratiam \& communionem non amplius ſuſcipere deberet:
Von wel-
chem irrthum Herr Stenger frey iſt/ welcher ſreylich nach der Tauff den gefalle-
nen aber buͤſſenden/ ſo wohl von GOtt/ als der kirchen/ vergebung verſpricht/ ja
wo ſie warhafftig buſſe thun/ wanns auch ſchon mehrmahl geſchehe/ an der ver-
gebung nicht zweiflen laͤſt Einſchaͤrff. p. 35. Unterdeſſen gehet doch ſeine lehr auf
angezeigte weiſe ſolchem unſern glaubens-bekaͤntnuͤß entgegen.


Wie aber in jeglichem irrthum wohl acht zugeben iſt/ ob der menſch aus uͤ-
bereilen und unwiſſend oder hartnaͤckig und wiſſendlich wider ein glaubens-
bekaͤntnuͤß irre/ ſo halten wir Herr Stengers fehler der erſten art ſeyn/ daß er
nemlich nicht gefunden/ daß ſolche ſeine bißher gefuͤhrte lehre in angezogenen pun-
cten ſolte wider die lehr und bekaͤntnuͤß unſerer kirchen/ zu dero er ſich beſtaͤndig er-
kennt/ ſtreiten. Daher wir auch der guten zuverſicht geleben/ daß er auf dieſe
unſere/ und wofern anderwertlich her mehr dergleichen Sententiæ Collegiorum
Theologicorum
ſolten eingehohlet werden/ Chriſtliche und bruͤderliche Remon-
ſtration,
die wir ihme communicirt zuwerden hoffen/ ſich erinnern laſſen/ und
ſeinen fehler inskuͤnfftige verbeſſern werde. Woraus auch erhellet/ daß ſo ferne
einige ſolche puncten/ ſo der Schrifft und unſern Symboliſchen buͤchern entgegen
ſind/ behauptet/ und denn weil er gleichwol ſolche curioſe, unnoͤthige und unfrucht-
bahre fragen/ wie offt etwa ein wiedergeborner von GOTT abfallen moͤ-
H 3ge
[62]Das ſechſte Capitel.
ge/ und wie offt er noch wieder zu gnaden kommen koͤnne/ welche mit meh-
rer erbauung haͤtten unterlaſſen/ und mit gleichem eyffer/ aber weniger hinderung/
daher beſſerm ſucceß, das jenige hauptwerck/ um welches es ihme zu thun iſt/ nem-
lich die auffrichtung eines wahren thaͤtigen- und ſo entdeckung als verwerffung
des falſchen heuchel-Chriſtenthums/ getrieben werden koͤnnen und ſollen/ auf die
cantzel gebracht/ nicht geleugnet werden mag/ daß er hierinnen der zuſage ſeiner
Reverſalien nicht eine gnuͤge gethan: Daß wir aber ſo viel wir finden moͤgen/ und
von der ſache wiſſen/ gleich wie das vorige nicht ſo wohl vor eine vorſetzliche als un-
wiſſende ubertretung ſolches verſpruchs halten/ und alſo auch hierinnen hoffen/ es
werden bruͤderliche erinnerungen ſo viel fruchten/ daß er kuͤnfftig ſolchen verſpruch
ſo viel vorſichtiger und bedachtſamer nachkommen moͤge.


Wie wir nun in dieſem allen unſere chriſtliche Theologiſche meynung mit
anruffung goͤttlichen beyſtandes ohne paſſion und entweder liebe oder haß der per-
ſon/ ſondern wie wir ſolches in unſern gewiſſen befinden/ und der ruhe der kirchen
vortraͤglich zuſeyn achten/ auff begehren E. E. E. und Hochw. Raths zu Erffurth
entdecket haben/ und entdecken wollen/ alſo ruffen wir ſchließlichen den himmli-
ſchen Vater und ſeinen ſohn JEſum Chriſtum/ unſern einigen HErrn/ demuͤthig
an/ er wolle auch dieſe unſere in ſeiner furcht gethane arbeit nicht laſſen vergebens
ſeyn/ ſondern ſegen darzu geben/ damit einige gute frucht zum beſten der kirchen
daraus erfolgen moͤge. Er wolle durch ſeinen heiligen Geiſt in aller der jenigen/
ſo hierbey zuthun haben/ hertzen kraͤfftig ſeyn/ das jenige zu erkennen/ ſo zu ſeines
geiſtlichen leibes beſten nuͤtzlich ſeyn mag/ alle gemuͤther mit liecht/ warheit/ lie-
be und ſanfftmuth erfuͤllen/ die etwa entſtandene aͤrgernuͤſſe daͤmpffen/ hingegen
alle weitere verhuͤten/ und endlich verleyhen/ daß ſo wohl anderswo/ als auch in
dieſer Evangeliſchen Erffurthiſchen kirchen/ noch fuͤhrohin von allen lehrern die
wahrheit des glaubens/ ohnvermiſcht einigen irrthums rein gelehret/ und die fruͤch-
te deſſelben mit eyffer getrieben/ ſo denn von der gantzen gemeinde jene feſt ge-
halten/ dieſe reichlich gebracht werden zum preiß ſeines heiligen nahmens/ A-
men. ꝛc.


Franckfurt am Mayn/ 10. Julii
Anno 1670.
Saͤmtliche Prediger der Evangeliſchen Kirchen
allhier
Quorum nomine ſubſcr.
(L. S.)

Philipp Jacob Spaͤner/Dr.
Prediger/ undMiniſt. Senior.
mppria.


SECT.
[63]ARTIC. I. DISTINC. I. SECTIO VIII.

SECTIO VIII.


Von einem vorſchlag einer heiligen liebes-
geſellſchafft.


WJe mich billich nichts mehr erfreuet/ als wo ich ein und andere perſo-
nen antreffe/ oder von denſelbigen hoͤre/ welche goͤttliche gnade
bey ſich haben kraͤfftig ſeyn laſſen/ und alſo an denſelben ſolcher himmliſchen
wuͤrckung zeugnuͤſſen ſich in ein und anderen hervor thun/ alſo iſt mir auch meines
hochgeehrten Herrn freundlich an mich gethanes abzuleſen ſo viel angenehmer ge-
weſen/ weil derſelbe darinnen die ihme wieder fahrne gnade unſers allerliebſten
GOTT es danckbahrlich preiſet/ und ich ihm des wegen nicht anders als vor einen
ſolchen/ obſchon ſonſten deſſen kundſchafft anderwertlich her nicht gehabt/ zuhalten
und zuerkennen/ mich ſchuldig erachte. Jch wuͤrde auch ſo bald geziemlich zuant-
worten nicht ermanglet haben/ wo nicht die erſte woche zwar noͤthige ampts-ge-
ſchaͤfften/ die verſchiene aber einige getragene leibs beſchwerde/ mich davon abge-
halten/ und die antwort zu verſchieben genoͤtiget haͤtten. Wann nun aber meins
hochgeehrten Herrn ſchreiben ſchließlichen dahin gehet/ damit in die gemeinſchafft
meiner liebe und freundſchafft einzutreten/ ſo iſt dieſes dasjenige/ darinnen derſel-
be ſo viel gewiſſer ſeinen zweck erlangt zu haben ſich verſichern kan/ weil auch ohne
dergleichen freundliches anſuchen/ welches mich doch ſo vielmehr verbindet/ von
ſelbſten ſelches aus treuen hertzen wuͤrde anerboten haben. Wir Chriſten/ die
dem exempel unſers himmliſchen Vaters nach zufolgen ſchuldig ſind/ ſollen freylich/
weil unſer GOtt die liebe ſelbs iſt/ unſer leben nichts anders ſeyn laſſen/ als eine im-
merwaͤhrende uͤbung der liebe zum vordriſten zwar gegen GOTT/ folglich aber
auch allem dem/ was von GOTT herkomt/ und in demſelben/ nach dem der HErr
alle ſeine wercke liebet/ die fuß-ſpur der goͤttlichen liebe ſich antreffen laͤſſet: Deß-
wegen auch mit ſolchem unterſcheid/ daß wir an allem nichts anders/ als was Gott
ſelbſten liebet/ zu lieben ſuchen/ auch des wegen die maß der liebe darnach richten/
nach dem wir mehr deſſelben in jeglichem geſchoͤpffe antreffen. Wann dann der
liebreiche menſchen-freund vor allen andern ereaturen uns arme menſchen dazu er-
wehlet/ daß er die groͤſſe ſeiner liebe am allerſcheinbarſten und nachtruͤcklichſten an
unſerm geſchlecht erwieſſe/ alſo gehet freylich das meiſte unſerer liebe billich gegen
die jenige/ die nicht nur der natur nach unſere bruͤder/ ſondern das jenige ziel ſind/
auff welches wir die vornemſte ſtrahlen der goͤttlichen liebe ſchieſſen ſehen. Wann
aber unter denen menſchen zwar nicht einer iſt/ welchem nicht ſo wohl als anderen
aller genuß der goͤttlichen liebe von ſeinem ſchoͤpffer beſtimmt waͤre/ auch zum an-
fang gleich viele fruchten derſelben bereits anvertrauet und geſchencket ſind [wes-
wegen wir ohn außgeſchloſſen eines einigen alle zu lieben uns verbunden erkennen]
aber
[64]Das ſechſte Capitel.
aber gleichwol ihrer viele ſich befinden/ welche/ in dem ſie die ihnen auch beſtimm-
te liebes-thaten des andern und dritten articuls nicht angenommen haben/ ſondern
dero genuß mit boßheit von ſich ſtoſſen/ und deswegen von goͤttlichen guͤtern keine
andere/ als die des erſten articuls ſind/ wircklich beſitzen/ andere hingegen ihres
Vaters guͤte bey ſich haben laſſen kraͤfftig ſeyn/ und alſo immer mehrere liebes-tha-
ten von ihm empfangen/ ſonderlich aber in dem werck der Heiligung nicht nur zu
der wahren erkaͤntnuͤß der unendlichen liebe (ſo viel dieſelbe noch hier erkant wer-
den mag) gebracht/ ſondern zugleich zu gemeinſchafft aller der himmliſchen liebes-
ſchaͤtze/ die der liebreiche Vater allein ſeinen vertrauten/ welche die erſte gnade ſei-
ner liebe nicht von ſich geſtoſſen haben/ zu beſitzen und zu ſchmecken giebet/ wirck-
lich gelanget/ und daher recht voller GOttes ſind; ſo entſtehet aus ſolchem unter-
ſcheid auch ein nicht geringer unterſcheid der liebe ſelbs. Jn dem ob zwar dieſelbe
insgemein angeregter maſſen gegen alle menſchen gehet/ deroſelben gnade gleichwol
ſo viel hoͤher ſind/ als mehr ſie ihres/ allein um ſein ſelbs willen geliebten/ GOttes
bey jeden antrifft/ dann denſelben liebet ſie vielmehr in allem/ als das jenige ſelbs/
worauff ſie erſtlich gehet/ aber darauff nicht beruhet. Dahin freylich jemehr goͤttli-
ches/ jemehr himmliſchen liechtes/ gnade/ und uͤbriger guͤter/ u. alſo jemehr aͤhnlichkeit
mit dem urmuſter aller liebe/ GOtt ſelbſten/ ſich bey einem menſchen findet/ ſo viel-
mehrer liebe iſt er werth/ und ſo viel inbruͤnſtiger wird auch/ eine mit gleicher art
liebe entzuͤndete/ und mit gleicher art guͤter beſeligte/ ſeele denſelbigen umfaſſen:
Ja es iſt unmuͤglich/ daß eine ſolche ſich gegen das jenige/ darinnen ſie ſo viel obje-
cta
ihrer liebe antrifft/ der hertzlichſten liebe enthalten ſolte koͤnnen/ ſo bald ſie dieſe
erkennet und antrifft. Daher kommt/ daß die eines glaubens (ich verſtehe aber
hiemit nicht bloß die erkaͤntnuͤß/ und alſo gemeinſchafft einer euſſerlichen gemeinde/
ſondern das himmliſche gut/ ſo uns unſers Heylandes gerechtigkeit und die ſeligkeit
giebet/ und ſo bald die hertzen mit liebe erfuͤllet) ſind/ und alſo an einander ſo vieles/
welches/ ſie in ihrem GOtt mit einander gemein haben/ erkennen/ ohne vieles ge-
ſuch und noͤtigung/ auffs inbruͤnſtigſte und auff viel hoͤhere weiſe als andere/ ſich un-
ter einander lieben. Wann dann nun mein hochgeehrter Herr mich aus den we-
nigen predigten/ ſo ich in den druck gegeben/ ſolcher goͤttlichen gnade und liebe (da-
vor ich unwuͤrdigſter dem liebreichſten Vater und ſeiner grundloſen barmhertzig-
keit/ dero allein ich alles auch heimzuſchreiben/ demuͤtigen danck in einfalt meines
hertzens taͤglich zuſagen habe) theilhafftig zu ſeyn erkennet/ und ich hingegen aus
ſeiner bekaͤntnuͤß mich von ihme gleichermaſſen deſſen verſichert halten ſolle/ als hin-
dert freylich nichts/ daß ich denſelben nicht nur auff allgemeine art liebe/ ſondern ſo
viel hertzlicher gegen ihn geſinnet ſeye/ als mehr ich deſſen an ihm warnehme/ und
ferner warnehmen werde/ was von ſelbſten ſolche zuneigung ſo bald wircket. Wann
aber ſolche hertzliche freundſchafft jetzo mit keinen andern thaͤtlichen fruͤchten erwei-
ſen kan/ ſolle es doch durch hertzliches gebet/ welches ich auch gegen mir von al-
len
[65]ARTIC. I. DISTINCT. I. SECTIO VIII.
len chriſtlichen freunden vor die vornehmſte liebesthat achte/ geſchehen/ wie ich dann
dem allergnaͤdigſten GOtt und treuen unſern Vater inbruͤnſtig anruffe/ und ferner
anruffen werde/ daß derſelbe bey ihm/ wie auch allen andern ſeinen kindern/ die an-
gefangene gnade ſtets zunehmen/ das entzuͤndete liecht immer weiter entbren-
nen/ den geſchmack der himmliſchen ſuͤßigkeit vergnuͤglicher werden/ die fruͤchten
ſolcher guͤter jemehr und mehr hervor wachſen laſſen/ in ſumma ihn noch ferner
vollbereiten/ ſtaͤrcken/ kraͤfftigen/ gruͤnden/ und das gute ſo weit bereits gebrachte
werck vollfuͤhren wolle/ auff den tag JEſu Chriſti. Nebens ſolchem hertzlichem
wunſch-gebete ſehe ich zwar noch wenig gelegenheit/ worinnen ich hoffen koͤnte/ mei-
ne willige liebe meinen hochgeehrten Herrn thaͤtlich bezeugen zu koͤnnnen/ ver-
ſichere aber denſelbigen gleichwohl dieſes/ daß ich auch in allem andern/ wo mit
rath/ hilff und auff einige thaͤtliche weiſe an die hand zu gehen vermag/ mich nicht
entziehen oder ſaͤumig erzeigen/ ſondern nach vermoͤgen daſſelbige/ wovor mit dem
mund mich außgebe/ zu erweiſen trachten wolle. Wuͤnſchete zwar/ daß wir
eine weil eines orts/ und alſo meines hochgeehrten Herrn ſeiner gelegenheit nach
hier ſich auffhalten koͤnte/ in deme vieles in dergleichen ſachen iſt/ welches faſt noth-
wendig die gegenwart erfordert/ und zu weilen mit kurtzem geſpraͤch beſſer außge-
macht werden kan/ als nicht mit vielem und weitlaͤufftigem zu ſchreiben geſchehen
wuͤrde. Wie auch meine amts beſchaffenheit zu weitlaͤufftigen brieffen nicht al-
lemahl die zeit laͤſſet. Jn dem uͤbrigen/ weil mein hochgeehrter Herr gefallen
hat/ den wolmeinenden auffſatz vorſchlagender heiliger liebes-geſellſchafft mir
zu leſen mit zutheilen/ und alſo daruͤber meine einfaͤltige gedancken zuvernehmen/
ſo ſende zum fordriſten denſelben/ mit freundlichen danck ſolcher vertraulicher
communication, wiederum zuruͤck/ und bezeuge/ ſolchen mit guten vergnuͤgen
geleſen zu haben; Dann daß ein und andere formuln darinnen ſich befinden/ die
bequemere auslegung bedoͤrffen/ zweiffle ich nicht/ daß mein hochgeehrter Herr
ſolche alle in geſundem verſtand ſelbs werde gemeint haben/ deß wegen ſolche auch
nicht auffgezeichnet. Was aber die hauptabſicht ſelber anlanget/ einer ſonder-
bahren geſellſchafft der liebenden/ ſehe ich gern meines hochgeehr[ten] Herrn wolmei-
nende intention alſo an/ daß an dero ich nichts ſtraffe/ ſondern daß der jenige zweck/
welchen derſelbe vor ſich hat/ auff einigerley Chriſtliche art und weiſe moͤchte er-
langet werden/ von grund der ſeelen wuͤnſchete. Weil aber/ dem gegen mich
bezeugenden freundlichen vertrauen gemaͤß/ ich hin wieder von meiner ſeiten ſchul-
dig bin/ offenhertzig und freymuͤthig meine gedancken zu entdecken/ ſo kan ich nicht
bergen/ daß ich dergleichen unter beſonderem nahmen anſtellende liebes-geſell-
ſchafft nicht vor ein bequemes mittel achte/ damit dem Chriſtlichen weſen geholffen
werden moͤchte. Wir ſind bereits alle in dieſer heiligen liebes-geſellſchafft/ ſo viel
unſer in den bund der tauff getreten ſind/ und uns alſo in derſelben der liebreiche
GOtt durch ſeinen Geiſt der liebe mit liebreichem glauben begabet hat. Nun iſts
Jzwar
[66]Das ſechſte Capitel.
zwar freylich wahr/ daß leider die allermeiſte von denſelbigen/ ſo gar nicht nach ſol-
chem bund einher gehen/ daß ſie vielmehr nicht nur wiſſen/ oder wiſſen wollen/ was
ihr verſpruch und geluͤbde mit ſich bringet/ darhero billig darauff zugedencken/ wie
ihnen theils zwar ſolche ihre ſchuldigkeit kantlich vor augen geſtellt/ theils ſie dazu
angefriſchet/ vornemlich aber denen/ welche einmahl den entſchluß gefaſſet/ ihrem
GOtt in liebe eyffrig zu dienen/ mehr mittel und gelegenheiten an die hand gegeben
wuͤrden/ einander zu erbauen/ und in dieſer uͤbung an einander zuzunehmen. A-
ber wie ſolches auff andere wege kraͤfftig erhalten werden kan/ alſo muß ich billig
ſorgen/ daß das vorſchlagende mittel leichter moͤchte hindernuͤß als forderung der
ſache geben. Dann ob wol die meinung er nicht iſt/ eine trennung in der kirche da-
mit zumachen/ ſo gibet doch einer beſondern geſellſchafft nahmen/ nicht nur allein de-
nen jenigen/ welche mit fleiß allem guten ſich zuwiderſetzen/ den verdacht einer ſu-
chenden ſpaltung/ und damit gelegenheit zu gefaͤhrlichen laͤſterung/ ſondern man-
che mit ernſt gottliebende hertzen werden uͤber eine ſolche geſellſchafft/ die die allge-
meine pflicht und nahmen ihro allein zu zueignen das anſehen gewinnen moͤchte/ vie-
les bedencken haben/ und davon mehrern anſtoß leiden als erbauung finden. Es
wuͤrde an ſolchen verfolgungen/ die ohne noth ſind/ und da unterſchiedliche gute
gemuͤther (welchen ſolche neuigkeit/ und allerhand daraus ſchoͤpfender verdacht/ das
werck anders/ als die intention iſt/ vorſtellent/ und ſie alſo dagegen einnehmen
moͤchte/ mit dareingeflochten werden/ und ſich alſo den vorhaben widerſetzen doͤrf-
ten/ nicht ermanglen/ die das jenige/ was zu einem band mehrer liebe und einigkeit
gemeinet geweſen/ zu einem ſtein des anſtoſſens/ und gelegenheit mehrers haſſes
und uneinigkeit machen wuͤrde. An deſſen ſtatt aber waͤre mein einfaͤltiger rath/
dadurch ich eben den vorgeſetzten zweck zuerreichen auch vermeine/ aber weniger
widerſpruch davon beſorge/ daß nemlich jeglichen orts ohne einige beſondere geſell-
ſchafft noch nahmen (welcher einiger trennung anſehen machte) die jenige/ welche
ihnen ihr Chriſtenthum laſſen angelegen ſeyn/ ſich ſo viel fleißiger und mehr zuſam-
men halten/ und mit einander umgehen/ um ſtetig ſo wol ſelbs unter ſich ſich zuer-
bauen/ als auch in der liebe zu uͤben/ ſonderlich aber immer darauff bedacht zu ſeyn/
wie ſie ſtaͤtig noch mehrere zugleichen uͤbungen bewegen moͤgen/ dazu dann die
freundliche correſpondentz unter ihnen ſtaͤtig gelegenheit geben wird/ daß/
was etwa nicht durch einen/ doch durch den andern/ ausgerichtet/ und erbauet
wuͤrde. Wo man an orten iſt/ da prediger ſelbs einen hertzlichen eyffer haben zu
befoͤrderung alles deſſen/ worinnen das Chriſtenthum ihrer zuhoͤrer mag auffer-
bauet werden/ ſo iſts ſo viel leichter/ das mit ihnen und unter ſich ſelbs fromme her-
tzen zu liebreichen uͤbungen eine heilige freundſchafft pflegen. Trifft man aber
ſolche prediger an/ deren leider auch nur allzuviele ſind/ welche die rechte art des
Chriſtenthums nicht verſtehen/ vielweniger zu befoͤrderung deſſelbigen hertzliche
be-
[67]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO VIII.
begierde tragen/ ſo wirds zwar frommen ſeelen ſo viel ſchwehrer/ unter ſich ſolche
liebes freundſchafft zu unterhalten/ in derſelben immerdar anderer erbauung mit
zu ſuchen/ und alſo ihres geiſtlichen prieſterthums in allen ſtuͤcken ſich zugebrauchen/
aber doch iſts auch alsdañ durch goͤttliche gnade muͤglich/ wo mann in wahrer ſurcht
GOttes das werck angreifft/ und mag doch/ wie es auch ſoll ſeyn/ ohn eintzigen dem
ordentlichen predigamt thuenden eingriff/ zuwerck gerichtet werden. Das gleich-
wie nun jedes orts fromme ſeelen unter ſich/ ohne daß ſie jemand daraus nur mit
einem ſchein einer trennung oder abſonderung von der uͤbrigen gemeinde beſchul-
digen koͤnten/ dergleichen freundſchafft unterhalten moͤgen/ alſo moͤgen ſie auch ohn
jemands hindernuͤß auff ziemliche art und weiſe mit anderen/ die anderwertlich le-
ben/ und ihnen bekant worden/ eben gleiche freundſchafft/ welche zu beforderung
des gemein habenden zwecks der liebe angeſehen iſt/ pflegen und uͤben. Zu welchem
allen kein ſonderbahrer und ſo bald allerhand uͤble vermuthungen nach ſich ziehen-
der nahme einiger geſellſchafft vonnoͤthen/ ſondern der hertzliche vorſatz die regeln
der allgemeinen von GOtt eingeſetzter geſellſchafft ernſtlicher/ als leider von dem
groſſen hauffen geſchiehet/ zur uͤbung zubringen/ allerdings gnug iſt. Sind mei-
ne einfaͤltige gedancken/ ſo ich zu meines hochgeehrten Herrn belieben ſetze/ ob der-
ſelbe dabey auch beruhen/ oder das vorige vor rathſamer achten/ und deswegen
weiter daraus mit mir die ſach uͤber legen wolte. Sehe hie nebens in dem guten
vertrauen/ derſelbe werde ſich meine offenhertzige freyheit nicht uͤbelgefallen laſſen/
und auch daraus ſchlieſſen/ daß ich gern auffrichtig handele. Jn dem uͤbrigen er-
kenne ich mit meinen hochgeehrten Herrn wol/ daß der perſonen/ welche mit dem
wahren glauben/ und alſo auch deſſen frucht der wahren liebe/ begabet/ daher zu
dergleichen liebes-geſellſchafft oder in den uͤbungen der wahren Chriſtlichen freund-
ſchafft tuͤchtig ſind/ weniger als gut iſt/ angetroffen werden; gleichwol hat GOTT
noch aller orten/ wo ſonderlich ſein wort noch lauter und rein gepredigt wird/ un-
ter dem vielen nicht nur unkraut ſondern auch tauben und untuͤchtigem korn/ das iſt/
unter den offentlichen weltkindern und auch den ſchein-Chriſten/ ſeinen guten wei-
tzen und wahre kinder/ die zuweilen etwa ſo verborgen ſind/ daß ſie ein Elias kaum
erkennet/ wo nicht GOtt ſelbs nahmhafft machte: Wo aber einige fromme her-
tzen anfangen unter einander heilige liebe zupflegen/ und dero exempel anfanget nur
etwas vor zuleuchten/ ſo thun ſich immer noch weiter ein und andere hervor/ von de-
nen mans nicht vermuthet haͤtte: daß man alſo die gnaden-gaben/ mit ſo viel hertz-
licher vergnuͤgung bey mehreren anfangt zuerkennen/ als man/ wo man den groſſen
hauffen und deſſen in die augenfallende gottloſigkeit angeſehen/ ihm eingebildet o-
der gehoffet hatte. 1672.


J 2SECT.
[68]Das ſechſte Capitel.

SECTIO IX.


Einige ſchreiben an eine adeliche jungfrau.
1.) Uber verlangen nach Chriſtlichen freunden in dero ab-
weſenheit. Woran es nirgend mangle. Wunſch und
gebeth vor einander.


SO vergnuͤglich mir geweſen iſt die wenige mahl als ich mit derſelben unter-
redung zu pflegen die gelegenheit gehabt/ an deroſelben die ihro von dem ge-
treuen Vater in dem himmel mildigſt ertheilte geiſtliche gaben zuerkennen/
alſo hertzlich hat michs auch erfreuet/ daß ich aus denen/ ſo hier hinterlaſſenen/ als
jetzt nachgeſchickten ſchreiben verſtanden habe/ die Chriſtliche wolgewogenheit/
ſo dieſelbe gegen meiner wenigen perſon annoch bezeuget. Jch finde zwar an mir
alles das jenige nicht/ ſo dieſelbe von mir mit geneigteſten urtheil ruͤhmet/ wie ich a-
ber/ wo der getreue GOtt jemahlen einiges ihm gefaͤlliges und fruchtbahrliches
durch mich/ als ein von ſelbſten untuͤchtiges werckzeug/ und das mir befohlene
amt/ außrichtet/ ihm davor demuͤthigſten danck zu ſagen/ und ihm alle ehre deswe-
gen hinzuweiſen/ jedoch die mir nach dem ihm beliebigen maß ertheilte goͤttliche
gnade um ſeinet willen/ in dem ſie ſeine gabe iſt/ nicht zuverleugnen habe/ alſo be-
finde je mehr und mehr/ daß alle ſeelen/ welche aus rechtem grunde ihrem GOTT
glaͤubig zu lieben und ihm zu dienen durch ſeine gnade ihnen vorgeſetzet haben/ wo
ſie andere faſt nur erblicken/ in welchen ihr GOtt dergleichen ſeligen vorfatz auch
gewircket/ ſo bald mit geiſtlicher zuneigung gegen einander erfuͤllet werden/ und
nicht anders koͤnnen/ als diejenige hochhalten/ in denen ſie ihres allerliebſten GOt-
tes gnade/ in welcher maß dieſelbige auch ſein moͤgte/ erfreulich antreffen/ und ſich
mit ſolchem bande der ihnen gemeinen himmliſchen guͤter einander naͤher verbunden
erkennen/ als einige weltliche freundſchafft andere mit einander verbindet. Da-
hin ziehe ich auch derſelben gegen mich ſonſt unverdiente hertzliche tragende zunei-
gung. Ob es nun zwar ſolchen chriſtlichen gemuͤthern erfreulich und vergnuͤglich
iſt beyſammen zu leben/ oder oͤffters zuſammen zukommen/ umb einander zuerbau-
en/ ſo erſetzet doch auch die gedaͤchtnuͤß vieles des jenigen/ ſo man ſonſten von taͤgli-
cher converſation wuͤnſchen moͤgte.


Alſo hat dieſelbe meine abweſenheit ſo viel weniger zu betrauren/ in dem dieſelbe
an allem dem/ was ſie bey mir ſuchen moͤgte/ nirgend mangel hat/ ſonderlich ſol-
ches daſelbs wo ſie jetzt leben/ zur gnuͤge antreffen wird. GOtt hat ſie an einen ſol-
chen orth gefuͤhret/ wo ich nicht zweiffele/ daß auch darinnen ſein goͤttlich wort
reichlich wohne/ daß es lauter und rein gelehret werde/ und ſie alſo auch auß dem
gehoͤr deſſelben in der erkaͤntnuͤß und liebe GOttes zu zunehmen gelegenheit hat.
So
[69]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO IX.
So hat ſie viele liebe und gottſelige buͤcher/ zuforderſt aber die heilige Schrifft ſelb-
ſten/ welche ſie ihr ruͤhmlich bekant gemacht hat/ und aber noch immer in ſolcher un-
erſchoͤpff[li]chen fund-grube/ alles ſo zu ihrer erbauung noͤtig iſt/ zum reichlichſten an-
trifft: Jch will auch hoffen/ ſie werde unterſchiedlich fromme ſeelen (ob ſchon die-
ſelbe nirgend in gar groſſer anzahl ſind) um ſich haben/ mit denen ſie zu gleich
GOttes guͤte und wolthaten erfreulich unter ſich zubetrachten/ zuruͤhmen und da-
von gottſelige geſpreche zu halten/ unterweilen die gelegenheit findet. So hat ſie
den vornehmſten freund ihrer ſeelen immer um ſich und in dem hertzen durch den
glauben wohnend/ welcher mit ſeinem Geiſt ſie aus ſeinem wort/ in deſſen gebrauch
und betrachtung/ auffs kraͤfftigſte lehret/ erleuchtet/ troͤſtet/ und auff unendlich
beſſere weiſe das jenige erſetzet/ was ſie von menſchlichen freunden/ mit wem ſie
umgehen moͤgte/ ihr ſelbes wuͤnſchen wolte/ und weil ſie aber nicht alle dieſelbe um
ſich hat/ einigen abgang daher ihr einbildet. Solte es zwar mir noch zur freude
geſchehẽ/ einmahl dieſelbe naͤher um uns zu haben und mehrmal mit derſelben um-
zugehen/ wuͤrde auch dieſes etwas zu meiner vergnuͤgung thun. Jn entſtehung a-
ber deſſen/ ſo verſichere dieſelbe/ daß ich aus treuem und chriſtlichen hertzen/ gleich
wie die in ihr von GOTT gewirckte gnaden-gaben hochſchaͤtze/ alſo den unend-
lich guten GOtt/ ſtets inbruͤnſtig anruffe/ wie allezeit jede ſeine wolthat den glaͤu-
bigen als ein neues pfand noch mehrere erfolgender angeſehen werden ſolle/ daß er
dieſelbe noch ferner in ihr immer fort wolle wachſen und zunehmen laſſen/ daß ſich
das liecht in ihrer ſeelen immer verklaͤhre von einer klarheit zu der andern/ daß die
liebe zu der hoͤchſten einigen liebe von dero eigenem feuer immer mehr und mehr in
ihr entbrenne/ daß ſie in ihrem hertzen oͤffters ſchmecke und ſehe die uns menſchen
von uns ſelbs unbeg[re]ifflich ſuͤß- und freundlichkeit des HErren/ daß ſolches gute ih-
rer ſeelen ſich reichlich in ihr gantzes leben ergieſſe/ und in tauſend edlen fruͤchten er-
kennen laſſe/ daß ſie als eine geiſtliche prieſterin ſo wol taͤglichen ihrem GOTT
heilige opffer bringe/ als andere neben ſich liebreich erbaue/ und in ſolchem heiligen
ſchmuck ihrem GOtt und andern glaͤubigen (was gehen uns andere an) gefalle/
daß ſie von der welt und dero anſteckender eitelkeit durch die maͤchtige hand GOt-
tes verwahret/ in der welt ihren theuren empfangenẽ ſchatz erhalte/ daß endlich nach
allem ſiegreichen kampff die erwartende krone dorten ihr haupt beziere/ und alſo al-
le ihre und anderer vor ſie thuende wuͤnſche voͤlligſt ewig erfuͤllet werden. Dieſes
iſt mein einfaͤltiges gebeth/ mit welchem allein in entſtehung anderer gelegenheit
gegen dieſelbe und andere ihres gleichen fromme ſeelen in abweſenheit meine hertzli-
che gegen-liebe bezeugen kan. Doch weiß ich daß auch ſolche ſchwache ſeuffzer
dem guͤtigen Vater in gnaden angenehm/ und auch von chriſtlichen hertzen nicht
verachtet werden: Hingegen das vor mich auch thuende andaͤchtige gebeth/ deſ-
ſen ſie mich ihrer ſeits verſichert/ vor die groͤſſeſte gutthat achte/ die mir in meinen
ſchweren amt und der vielen gefahr/ welcher ſolches allezeit unterworffen iſt/ von
J 3je-
[70]Das ſechſte Capitel.
jemand wiederfahren kan. Nun GOTT wird das jenige erfuͤllen was wir aller-
ſeits in kindlichem vertrauen wuͤnſchen/ in dem wir nichts anders/ als was ſelbſten
ſeines willens iſt/ damit bitten und wuͤnſchen/ ſo ihm nicht mißfaͤllig ſeyn mag.
1672.


SECTIO X.


(2. Schweſter nahme. Neujahrs wunſch. Man-
gel nicht an der lehr ſondern leben. Vortheil wo man noch
die wahre lehr uͤbrig hat. Was zu thun/ wo man
meiſtens boͤſe exempel um ſich hat. Ob
Ap. Geſch. 19/ 5. eine wiedertauff
gelehret werde.


Hochgeehrte Jungfr au und in CHriſto JEſu hertzlich
geliebte Schweſter.

DJeſen nahmen hoffe ich werde dieſelbe ins kuͤnfftige von mir anzunehmen/ ihr
nicht mißfallen laſſen/ weil den nahmen der tochter zu geben mir nicht gezie-
men will/ der ich in CHRJSTO ſie nicht gezeuget/ oder einige vaͤterliche
wohlthat ihr zuerweiſen je vermocht habe: Sondern allein an ihr erkenne/ die
auch ihr von meinen himmliſchen Vater mit andern unſern mit-bruͤdern und ſchwe-
ſtern/ erwieſene gnade und gemeinſchafft an unſerm ſo bereits beſitzenden als zum
theil noch erwartenden erbe. Ob dann ſchon/ dafern dieſelbe nicht mich von ſelbs
unwuͤrdigen/ ſondern mein von GOTT tragendes amt/ mit vaters nahmen kuͤnff-
tig zu ehren gedencket/ ich mich nicht zuwiederſetzen habe/ ſo weiß ich doch meiner
ſeits keinen andern nahmen zu gebrauchen/ als weil je deroſelben gefaͤllig iſt bey ſeit
geſetzt der bloßweltlich unter uns befindlicher reſpecten der nahmen uns zuge-
brauchen/ die uns unſer Chriſtenthum ſelbs an hand giebet/ den jenigen welchen be-
reits vorangeſchrieben: Und denen die betrachtung des einigen in den himmel ha-
benden vaters/ ſo dann erſtgebohrnen gemeinen bruders JESU/ erfordert. Da-
bey ich die verſicherung thue/ daß gleich wie aus ſolchem bruͤderlichen gemuͤth taͤglich
zu meinen GOTT auch vor ſie zuſeufftzen habe/ alſo auch ſonſten worinnen ſolche
ſchuldige liebe zu befoͤrderung ihres innern menſchen/ darnach wir bꝛuͤder und
ſchweſtern ſind/ erweiſen kan/ ich es an mir nicht ermanglen laſſen werde. Vor
den mir in den zweyten ſchreiben zugeſchriebenen hertzlichen neujahr wunſch/
bedancke mich geziemlich: Es wolle der guͤtige Vater in dem himmel/ deſſen jah-
re nicht hinflieſſen/ wie die unſrige/ ſondern die bleibende ewigkeit ſind/ das ange-
wuͤnſchte/ nicht allein an mir und den lieben meinigen in den ſtuͤcken die er zu ſeinen
ehren und unſerm heil uns noͤthig befindet/ erfuͤllen/ ſondern zum aller forderſten
auch
[71]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO X.
auch uͤber ſie/ vielgeliebte ſchweſter/ dasjenige zu dieſem und allen folgenden jahren
mildigſt ausgieſſen was wir deroſelben aus einfaͤltigen hertzen anwuͤnſchen/ zum al-
lerforderſten/ daß die liebe GOttes/ gleich wie ſie in erneurung zeitlicher dinge ſich
hervor thut/ alſo auch mit taͤglicher erneurung des goͤttlichen ebenbildes in ihrer und
unſer aller ſeelen/ als ein liechtlein der ewigkeit gewiedmet/ je laͤnger je kraͤffti-
ger ſich erzeigen/ und uns tuͤchtig machen wolle/ daß wir an dem groſſen tag der all-
gemeinen erneurung gleichfalls zu der neuen welt und ſtatt unſeres GOttes/ zu der
ſeligen ewigkeit/ moͤgen erneuret werden. Amen. Die fuͤhrende klage/ wie es an
dem leben mehr als an lehrern bey unſere kirchen mangle/ und viele nicht verſtehen/
daß das reich GOttes nicht in worten ſondern der krafft beſtehe/ iſt billig/ wichtig
und eben diejenige/ welche alle fuͤhren/ denen das heuchel weſen jetziger zeit und die
in demſelben ſteckende entheiligung goͤttlichen nahmens ſchmertzlich zu hertzen gehet:
Alſo daß auch unſer/ der prediger/ meiſte ſorge anjetzo billig dieſe ſeyn muß/ unſern
zuhoͤrern recht wohl einzubilden/ daß ſie verſtehen/ was die krafft des ſeligmachen-
den glaubens ſeye/ und wie derſelbe nicht in einem menſchlichen gedancken/ den wir
aus unſerer vernunfft faſſen koͤnten/ ſondern in goͤttlicher erleuchtung beſtehe/ wel-
che wie den verſtand mit lebendiger erkaͤntnuͤß erfuͤllet/ alſo den willen und gantzen
menſchen zu einem andern machet: Daß dannenhero alle die jenige mitten in der
den rechten glauben bekennenden kirchen befindliche und den aͤuſſerlichen gottes-
dienſt mit verrichtende menſchen/ welche aber nicht durch ſolchen wahren und uͤber
aller menſchen vermoͤgen gehenden glauben wahrhafftig wiedergebohren ſind/ und
in ſolcher neuen geburth einher gehen/ in der that unglaͤubig ſeynd/ und vor GOtt
in viel ſchwehrer verdamnuͤß ligen als die jenige/ die auch dem buchſtaben des glau-
bens nie erkant haben; damit doch den leuten der ſo tieff ſteckende wahn/ als ob die
aͤuſſerliche bekantnuͤß des glaubens/ und ſo aͤuſſerlicher gebrauch der goͤttlichen
gnaden-mittel (ob man ſchon deroſelben krafft widerſtrebet) als weltlich erbarer
wandel dem Chriſtenthum gnugthaͤten/ und uns ſelig macheten/ benommen/ und
der ſchlaff der ſicherheit aus den augen gewiſchet wuͤrde. Wovon ich einmahl in
2. predigten gehandelt/ und da ich wiſſen ſolte/ daß dieſelbe ſolche wenige blaͤtlein/
die folgends getruckt worden/ zu leſen beliebten/ zu dieſen zweck communiciren
wuͤrde/ zuzeigen/ wie ich hierinnen mit deroſelben aus goͤttlichem worte einerley
gedancken fuͤhre. Jn deſſen aber mag anderer ſchein-Chriſtenthum/ die die krafft
der wahren goͤttſeligkeit leugnen/ anderer hertzliche begierde ihrem GOTT recht
zugefallen und ohne falſch ihm zu dienen/ nicht hindern/ ſondern mitten unter an-
dern unſchlachtigen und verkehrten geſchlecht erhaͤlt ſie ihr vater als ſeine kinder un-
ſtraͤff ich/ und laͤſſt ſie als ein liecht vor andern leuchten/ daß durch ſie andere auch
zum erkaͤntnuͤß gebracht/ oder ja durch dero exempel unentſchuldbar gemacht wer-
den. So haben auch die ort/ wo goͤttliches wort gleichwohl lauter und rein ge-
predigt ob ſchon deſſen erbauung durch boͤſes exempel vieler zuhoͤrer/ auch etwan der
predi-
[72]Das ſechſte Capitel.
prediger ſelbs geſchlagen wird/ dieſen vortheil/ fromme hertzen das jenige ſtets anhoͤ-
ren/ daraus ſie in ihren GOTT ſich erbauen koͤnnen/ als die auff ſolches ihres Va-
ters wort/ nicht aber anderer boͤß exempel ſehen. Dieſe ſind auch befreyt der hin-
derung/ welche an denen orten/ wo das wort mit irrthum vermenget wird/ gegeben
wird/ in dem die beymiſchende falſche lehren auch bey denen/ die allein ihren GOtt
ſuchen/ ob ſchon ihr heil nicht allerdings umſtoſſen moͤgen (denn der hoͤchſte lehrer in
ihren hertzen bewahret ſie vor dem/ was ihres glaubens grund umreiſſen koͤnte)
gleichwohl die erbauung maͤchtig hindeꝛn/ und ſchwaͤchen; Ja wo wir auch an ſolchen
orten leben muͤſten/ wo man prediger haͤtte/ die allerdings nicht aus GOTT ge-
lehret waͤren/ ſondern ſich bey ihnen allein eine fleiſchliche wiſſenſchafft des buchſta-
bens befindet/ ſo iſts zwar wiederum eine betruͤbte ſache ihr aͤrgernuͤß vor ſich zu ha-
ben/ gleichwohl wo ſie noch das wort GOttes/ deſſen buchſtaben ſie gefaſſt/ vor-
tragen/ ſo verſtehet aus ihren predigten eine fromme ſeele das jenige/ was derſelbe
ſelbs/ der die worte fuͤhret/ in ſeinen reden nicht verſtehet/ und weil ſie durch die
krafft des heiligen Geiſtes/ die bey dem worte ſelbs iſt/ ob ſie wohl der prediger in
ſich nicht zuforderſt wuͤrcken laͤſſet/ heilſamlich geruͤhret/ und was vor ſegen in ſol-
chem fall der prediger ſelbs zu ſeinem amt nicht erbittet/ noch erbitten kan/ als der
ſelbs ohne geiſt und zu dem gebet untuͤchtig iſt/ das erbitten die glaubige hertzen/ die
zu anhoͤrung des goͤttlichen wortszuſammen kommen ſind/ und ohne eigene ſchuld
ihres predigers je nicht entgelten ſollen. Unterdeſſen ſo treibts gottſeligen hertzen
manchen ſeufftzer aus/ die ſolches und andere aͤrgernuͤſſen vor augen ſehen/ und wie
gern ſie wolten/ doch nicht zuhelffen vermoͤgen/ troͤſten ſich aber dabey/ GOTT
kenne nicht nur (welches das ſiegel GOttes iſt) die ſeinige/ (und ſolte ein einiges
unter dem hauffen etlicher tauſend heuchel-Chriſten/ als ein Loth in Sodoma/ ſein
leben zubringen muͤſſen) ſondern er ſtehe ihnen auch ſo viel kraͤfftiger bey/ als gefaͤhr-
lichere aͤrgernuͤſſen/ ſie um ſich haben und leiden muͤſſen. Und da iſts dann das
ſchwerſte/ wo man der jenigen wenig um ſich hat/ an deren exempel man ſich ſpie-
geln und erbauen kan/ man ſehe ſo viel fleißiger in den ſpiegel goͤttlichen worts/ und
der darinnen uns unterrichtender herrlichen exempel/ und troͤſte ſich/ man lebe
gleichwohl in der gemeinſchafft eben ſolcher ob ſchon bereits in jener welt verſetz-
ter und des wegen ihrer perſon nach mehr uns vor augenſchwebender heiligen:
als die mit uns unter einem haupte JESU eines einigen geiſtlichen leibes glieder
ſind/ und deren jetzige herrlichkeit uns ein pfand iſt/ daß wir auch zu ſeiner zeit zu ih-
nen kommen/ und auff einem weg zu gleichen ziele von GOTT gefuͤhret werden
ſollen. Jn deſſen ſtehen uns nechſt dem hoͤchſten und ſeligſten muſter JESU un-
ſers Heylandes/ nach welchem ſie ſich in ihrem leben gerichtet/ auch ihre tugendli-
che exempel des glaubens und heiligen wandels vor augen/ uns ſtets anzutreiben/
daß wir in die fußſtapffen derer jenigen tretten/ deren bruͤder und ſchweſtern zu ſeyn
wir uns ruͤhmen/ und mit welchen wir/ ob ſchon etwan in ungleicher m[a]aß einen
geiſt empfangen haben.

P. S.
[73]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECT XI.

P. S.


Von NN. vernehme/ daß dieſelbe einigen ſerupel finde/ in der A p. Geſch. 19/
5.
wegen vermuthlicher wiedertauffe derjenigen welche von Johanne getaufft waͤ-
ren worden. Jch laſſe uͤber ſolchen ſpruch einem jeglichen die jenige gedancken/ die
er uͤbrigem goͤttlichen wort am gemaͤſſeſten erkennet zu ſeyn: die einfaͤltigſte erklaͤh-
rung ſcheinet mir dieſe zu ſeyn: Daß die worte des 5. verſes worte ſeyn nicht des
Evangeliſten/ welcher erzehle/ was dieſe leute gethan/ ſondern Pauli; Jn die-
ſem verſtand: Paulus aber ſprach/ Johannes hat getaufft mit der tauffe der buſſe
und ſaget dem volck/ daß ſie ſolten glauben an den/ der nach ihm kommen ſolte/ daß
iſt an JESUM/ daß er der Chriſt ſey. Da ſie das hoͤreten (daß iſt/ wann die je-
nige welche er Johannes zu dem glauben JESU in der predigt unterrichtet hatte/
nunmehr aus ſeiner predigt glaubten) lieſſen ſie ſich von ihm Johanne tauffen auff
den nahmen JESU: daß alſo Paulus ſagen wolte/ es ſeye die tauffe Johannis e-
ben die tauffe JESU und alſo billigte hiemit Paulus ſolche tauffe/ die von Johan-
ne geſchehen waͤre/ deßwegen weil ſie von Johanne nicht auff ſeinen ſondern den
nahmen JESU waͤren getauffet worden. Zu bekraͤfftigung aber legte er ihnen
folgends die hand auff/ die auſſer ordentliche gabe des heiligen Geiſtes ihnen mit-
zutheilen. Alſo daß nicht von einer neuen tauffe hie geredet; ſondern wie es mit
der tauff Johannis bewandt geweſen/ erzehlet werde. Welche außlegung in dem
Griechiſchen text ſo vielklaͤhrer erhellet. 1673.


SECTIO XI.


(3. Vater- und ſchweſter-nahmen. Titul. Worin-
nen gemeinem gebrauch zu weichen. Gemeines verderben.
Falſche regeln der welt. Streit uͤber Sonntags-
feyer. Wann brod und wein im heiligen
abendmahl der leib und blut CHriſti
ſeyen. Auffmunterung einer Prin-
zeßin. Abſterben eines toͤchter-
leins.


Den Vaters-nahmen werde von ihr hertzlich geliebte ſchweſter/ anzunehmen
mich nicht wegern/ weil ſie in meinem amt das jenige ehret/ durch welches
ſie auch wiedergebohren iſt/ ob wohl dem himmliſchen Vater/ zu ſolchen an
ihr nicht meine perſon hat gebrauchen wollen/ ob er ſich wohl bey andern meines ar-
men dienſtes/ und freylich von ſelbſten untuͤchtigſten perſon/ aus gnaden kraͤfftig
gebrauchet/ und wo es ſein heiliger wille iſt/ mich laͤnger alſo zu laſſen/ gebrauchen
Kwolte.
[74]Das ſechſte Capitel.
wolte. Jndeſſen wuͤrde ich mich ſchaͤmen/ als offt ich ſie tochter nennen wuͤrde/
weil ich deroſelben vaters treue zu erweiſen nicht vermoͤge noch je vermocht habe
(worin ich mich beruffe auff Pauli wort 1. Cor. 4/ 15.) ſondern wird ſie den auch
liebreichen ſchweſter-nahmen/ als den jenigen/ welcher der eigentlichſte iſt/ der ihr
von mir gebuͤhret/ ihr wohlgefallen laſſen. Jch ſetze auch nichts bey von andern
noch etwa weltlichen titeln/ die ich zwar nicht bloß dahin verwerffe/ aber eine ſolche
vertraulichkeit unter uns Chriſten wuͤnſchete/ daß wir von jenen nicht groſſen ſtat
machten/ ſondern auch damit bezeugten/ daß wir das geiſtliche vor das hoͤchſte gut/
und dieſelbe ehr vor die hoͤchſte ehre/ halten/ wo wir uns uͤber die jenige nahmen vor-
nehmlich freuten/ und dero gern gebrauchten/ die aus ſolchen geiſtlichen reſpe-
ct
en unter uns entſtehen/ und von aller weltlichen eitelkeit entfernet ſind. Jch
muß zwar auch ins gemein andere titul annehmen und geben/ daß beydes offt nicht
ohne betruͤbnuͤß geſchiehet/ weil die jenige betruͤbte zeit es nicht anders mit ſich
bringet/ und eine ſonderlichkeit wider den allgemeinen gebrauch darinnen zu weiſen/
andern ungleichen verdacht leider bey vielen auch eben nicht boͤſen gemuͤthern na[c]h
ſich ziehen/ und beſorglich nur mehr uͤbels verurſachen wuͤrde. Daher wir ob
zwar ſonſten in ſachen/ die allerdings goͤttlichem gebot entgegen ſind/ der welt uns
nicht gleichfoͤrmig ſtellen/ dennoch in etlichen euſſerlichen/ und an ſich ſelbs nicht
ſuͤndlichen dingen dem gemeinen gebrauch weichen duͤrffen und muͤſſen/ und alſo
nicht allezeit thun/ was an ſich ſelbs ohne betrachtung der zeiten das beſte waͤre/ ſon-
dern was gegenwaͤrtige zeit ertragen mag. Aber ach wie erfreulich ſolte mirs ſeyn/
wo wir auch hierinnen weniger gebunden waͤren. Auffs wenigſte iſt mir dieſes
vergnuͤglich/ gegen die jenige/ welche dergleichen von mir willig annehmen/ in der
freyheit einherzugehen/ wie ich bey allen zu ſeyn wuͤnſchete. Jhre fuͤhrende kla-
ge uͤber das jenige/ was ſie taͤglich vor augen ſehen muß/ iſt auch meiner und ande-
rer guter gemuͤther taͤgliche betruͤbnuͤß: Wo wir gedencken/ wie es ſo gar ſchwehr
werde unter ſo groſſem hauffen deren/ die ſich alle von CHriſio ruͤhmen/ etwa ein und
andern anzutreffen/ der auch darinnen ſich einen Chriſten zu ſeyn thaͤtlich bezeigte/
daß er ſein einiges anligen ſeyn lieſſe/ allein nach den willen und exempel ſeines Hei-
landes zu leben: ja daß dieſe noch leicht in andern boͤſen verdacht eben daruͤber
kommen/ weil ſie nicht in den gemeinen hauffen der heuchler mit hinlauffen. Daß
um der aͤlteſten auffſetze willen GOttes gebot auffgehoben werde/ iſt ſo gar nichts
neues/ daß wenig ſtuͤcke ſind in der uͤbung unſers Chriſtenthums/ darinnen ſolches
nicht gefunden wird/ ja wie offt werden auch in glaubens-ſachen menſchen-mei-
nungen und au sle gungen goͤttlichem wort vorgezogen/ und wird dieſes kaum an-
ders als ſo fern es mit jenen uͤbereinkom̃t angenommen. Am betruͤbtſten iſts/ daß
ich der ſache in sgemein keine huͤlffe nicht ſehe/ ſondern der gebrauch das jenige/ was
die regel ſeyn ſolte erſt nach andern zu reguliren/ ſo eingeriſſen iſt/ daß wo nicht Gott
ſolche mittelze iget/ die jetzo noch nicht vorgeſehen werden koͤnnen/ der ſchade der kir-
chen
[75]ARTIC. I. DISTINCT. I. SECT XI.
chen faſt unheilſam ſcheinet. Jſts nicht ſo/ daß alte gewohnheit/ das exempel der
vorigen/ die gemeine maximen der welt/ die authoritaͤt der jenigen ſo etwas be-
haupten oder widerſprechen/ bey unſern leuten die vornehmſte reglen ſind/ nach
denen alles gerichtet wird. Widerſpricht die Schrifft/ ſo muß ihr ja durch ſo
viel herum ziehens endlich nein werden/ ehe unſere reglen verlaſſen werden ſolten.
Aber ach vielgeliebte ſchweſter/ wo wir die welt nicht aͤndern koͤnnen/ ſo laſſet doch
uns ſelbs von dero befleckung rein behalten/ um ſolches GOTT taͤglich anruffen/
und wo einigen noch gutes beygebracht werden kan/ ſolches nach vermoͤgen thun.
Tie Sontags feyer belangend/ ſorge ich ſehr von ſolcher heiligen und unſerer er-
bauung ſo noͤthigen materi, es duͤrffte daruͤber bald ein ſchwehrer ſtreit in unſerer
kirchen oͤffentlich ausbrechen/ der die ſchwache nicht wenig aͤrgern/ und fleiſchlich ge-
ſinneten ſich einiger ſreyheit zu mißbrauchen anlaß geben wird. Gott wolle ſolches
in gnaden verhuͤten/ wo es ſein heiliger wille iſt/ oder doch geben/ daß endlich dar-
aus gutes kommen muͤſſe. Was die vorgelegte frage anlanget/ davon ſie meine
wenige gedancken zu wiſſen verlanget/ ſind dieſe eben die jenige/ welche ſie/ vielgelieb-
te ſchweſter/ auch dabey gehabt hat/ nehmlich daß uns nicht gezieme/ von der ge-
genwart CHriſti fuͤrwitzig zu urtheilen/ oder uͤber das geoffenbahrte zu gruͤbeln.
Daß iſt gewiß/ daß auſſer dem gantzen gebrauch des heiligen abendmahls brod und
wein kein Sacrament nicht ſind/ ſondern daß alle Sacramenten in handlungen be-
ſtehen. Deßwegen denn von brod und wein/ ehe ſie zu dieſer heiligen handlung ge-
bracht werden/ und ehe dieſelbe anfaͤngt/ ſo dann was von ſolchen elementen nach
dem gebrauch noch uͤbrig iſt/ nicht anders gehalten werden mag/ als daß ſie ge-
mein brod und wein ſind/ hingegen iſt anderer ſeits aus CHriſti worten gewiß/
daß ſein leib und blut/ krafft ſeiner wort und einſetzung mit ſolchen irdiſchen elemen-
ten in dem gebrauch vereiniget ſind/ zu gleich mit gegeben und mit genoſſen werden.
Die zeit und das moment aber/ in welchen der leib und blut des HERREN an-
fange mit brod und wein vereinigt zu werden/ und wenn ſolche vereinigung auff-
hoͤre (in dem endlich brod und wein das jenige in dem leib begegnet/ was anderer na-
tuͤrlicher ſpeiß und tranck zu begegnen pfleget/ da ja Cbriſti leib und blut nicht mehr
mit vereinigt ſeyn kan/ ob wohl den augenblick wenn ſolches geſchehe nicht determi-
ni
ret wird) zu forſchen/ wuͤrde ein unziemlicher fuͤrwiß und der Chriſtl. einfalt nicht
gemaͤß ſeyn. Jſt eben das urtheil was mein ſeliger præceptor Herr D. Dann-
hauer und vor ihm der beruͤhmte Herr D. Gerhard auch gegeben: Wie denn jener
hieher zu ziehen pflegte/ daß es auch hie heiſſen moͤgte: Es zieme ſich uns nicht
zuwiſſen
zeit und augenblick/ welche der Vater ſeiner macht vorbehal-
ten habe.
Dieſe Chriſtliche beſcheidenheit/ wo ſie in allen denen fragen/ welche
in GOttes wort nicht klahr ausgemachet ſind/ beobachtet wuͤrde/ waͤre das mittel
damit ſehr viele unnuͤtze und aͤrgerlicher ſtreite unterblieben. Wo es gelegenheit
giebt/ bitte ich meine geliebte ſchweſter wolle die Fuͤrſtliche Prinzeßin/ meines un-
K 2terthaͤ-
[76]Das ſechſte Capitel.
terthaͤnigen gehorſams und hertzlichen gebets verſichern. Der grundguͤtige Gott
bewahre ihr hertz und ſinne in CHriſto JEſu/ der wende ihre augen ab/ daß ſie
nicht ſehen nach der welt eitelkeit/ ſondern ſtaͤrcke ſie vielmehr/ daß ſie/ da ſie in der
welt leben muß/ ſich derſelben doch nicht gleich ſtelie/ ſondern in allen pruͤffe/ was da
ſey der gute/ der wohlgefaͤllige und vollkommene GOttes wille/ daß ſie ja nicht ge-
dencke/ ſie muͤſſe um des in der welt hohen ſtandes und deſſelben reſpects willen
etwas thun/ was ihrem noch hoͤhern ja hoͤheſten Chriſtenſtand unanſtaͤndig waͤre
und womit ſie die in dieſem habende ehre ſchmaͤhlern oder gar verliehren moͤgte. Es
fordert GOTT jetzo ſo vielmehr von ihr/ als mehr er ihr gegeben/ und ſie aus ſei-
nen heiligen Geiſtes gnade tieffer/ als ſonſten viele ihres gleichen in die goͤttlichen
gnaden guͤter u. hinwieder ihrer pflicht hat einſehen laſſen: Nun er laſſe auch durch
ſeine kraͤfftige wuͤrckung ſolche fruͤchte an ihr ſelbs/ ſo dann auch ihr gut exempel an
andern noch etwa weltgeſinnten ſo viel reicher folgen und dero wachsthum von der
welt nicht unterbrochen werden. Hiebey wuͤrde ich ſchlieſſen/ wo nicht/ weil mei-
ne geliebte ſchweſter auch die liebe meinige mit ihren hertzlichen gruß gewuͤrdiget/ ich
hinwieder auch von meiner lieben haußfrau ihren treumeinenden wunſch hie mit
beyzuſetzen/ ſo dann dabey zu berichten haͤtte/ daß der getreue himmliſche Vater un-
ſer zweytes toͤchterlein/ ſo faſt wenig geſunde zeit die 5. jahr und 10. monat die es er-
reichet erlebet/ an einer lang auszehrende ſchwachheit/ daran es bereits zum oͤfftern
gelegen/ zu ſich erfordert. Wir haben ihn ſolches auch als demjenigen/ der der einige
eigenthums HERR uͤber uns und die unſrige iſt/ willig zu uͤberlaſſen gehabt/ und
den natuͤrlichen ſchmertz/ welcher bey ſolcher begebnuͤß in Vater- und Muͤtterlichen
hertzen auch wieder willen gefuͤhlet wird/ durch ſeine gnade uͤberwunden/ daß wir
ihn je mehr und mehr lernen dancken/ und ihn loben/ er gebe oder nehme. Jndem
er allezeit der lobwuͤrdige GOTT iſt und bleibet. 1673.


SECTIO XII.


4.) Einer Vrinceßin beſtaͤndigkeit im guten.
Meine arbeit in
genealogiſchenſtudiis.Verlangen und
nutzen der einſamkeit. Anfechtung eigner ehr; ſol-
che ſuͤnde ſtirbt zuletzt.


GLeich wie ich nicht zweiffele/ daß mittlerfriſt mein neuliches von dem 15.
Maj. werde wol uͤberkommen ſeyn/ alſo berichte hingegen/ daß auch dero
beyde nacheinander ſamt in dem erſten des einſchluſſes von der Princeßin
mir erfreulich zuhanden gelieffert worden. Wie nun die ſorge/ welche meine
vielgeliebte ſchweſter vor die Princeßin/ daß ſie nicht etwa von der welt aͤrgernuͤß
moͤgte anſtoß gelitten haben/ in vorigen brieffe bezeugte/ mich auch mit gleicher
ſorg-
[77]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO XII.
ſorgfalt erfuͤllet/ weil ich vermuthete/ daß ſie vielleicht gar einige anzeigung ſolches
beſorgenden bereits gehabt haben moͤchte/ alſo hat mich das folgende wiederum ſo
viel inniglicher erfreuet/ da ſie wiederum wiſſend macht/ wie ſie vielmehr das gu-
te in ihr vermehret als vermindert befunden; Dem grundguͤtigen GOtt ſey ewig
danck geſaget/ welcher ſie alſo beſeſtiget/ daß das aͤrgernuͤß der welt nichts an ihr
vermocht/ noch dadurch ſeine gnaden-wirckung in ihr gehindert worden. Der-
ſelbe ſetze ferner ſeine gnade in ihr und uns allen kraͤfftig fort/ biß wir ihm allerdings
gefaͤllig werden/ und ewig bleiben moͤgen: Jm uͤbrigen habe ich vieles von vielen
jahren mit der materie der Fuͤrſtlichen und Graͤfflichen geſchlecht-regiſter um zu-
gehen gehabt/ auch manche zeit/ die ich wuͤnſchte auff mir noͤtigers angewendet
ſeyn worden/ dahin verwenden muͤſſen. Doch habe allemahl einige anzeigung
dabey gehabt/ daß es GOttes leitung nicht entgegen ſey/ mit ſolchen dingen umzu-
gehen/ darzu mir derſelbe nicht nur ſelbs gelegenheit geſchickt/ ſondern ſolche offt
alſo geſchickt/ daß ich mich ihr nicht wol entbrechen konte/ und da ich ein und andere
ſtudirende in den hiſtoriſchen ſtudien den menſchlichen leben noͤthig (dazu auch ſol-
che geſchlecht-regiſter gehoͤren) unterrichten muſte/ zwar nicht wider willen/ doch
auch nicht bloß aus eigener wahl und willen darein gefuͤhret wurde. Schiene
auch eine zeitlang ob waͤre GOttes rath uͤber mich gar/ daß ich bey ſolchen ſtudiis
und anderer anweiſung zu denſelben mein leben zu bringen ſolte/ welches andere ne-
ben mir und ich ſelbs eine weil geglaubt. Nach dem aber goͤttliche ſchickung es
anders gefuͤget/ und mir gewieſen/ daß er mich zu anderer arbeit in ſeiner kirchen be-
ſtimmet/ ſo ſuche ich die vorige/ ſo viel muͤglich iſt/ aus den haͤnden zu legen/ und
dieſen zu meinen eigentlichen beruff ſo viel freyer zu machen. Jch kan aber ſie
noch nicht alſo ablegen/ daß nicht nach einiger guter freunde verlangen/ damit das
von einigen jahren geſamlete nicht bey mir allein verlige/ ſondern andern deroſel-
ben liebhabern dienlich werden moͤchte/ mir immer einige muͤhe noch gemacht wird/
das etwa angefangene vollends in ordnung und zu ende zu bringen/ und damit ſol-
chen vorhin (daß ich die wahrheit bekenne) alzuviel geliebten ſtudiis zuletzt gute
nacht gebe. Zu ſolchem ende habe ich noch bißher offt mit wapen-ſachen und ge-
ſchlecht regiſter zuthun gehabt/ moͤchte auch noch etwas zeit darauff gehen/ biß ich
zu dem ende deſſen/ was darinnen noch vor mich zuthun uͤbrig iſt/ kommen moͤge.
Und alsdenn mit andern geſchlecht-regiſtern nichts mehr zu thun habe/ als dem
jenigen worinnen wir ohne eitelkeit/ die ſonſt von jenen ſich nicht wol trennen laͤſſet/
unſere geiſtliche ankunfft auff unſern himmliſchen ſtamm Vater JEſum Chriſtum/
den andern Adam/ in den wir aus dem des erſten Adams unartigen ſtamm-baum/
durch goͤttliche gnade verſetzet ſind worden/ ziehen und erweiſen koͤnnen/ und dar-
innen vor unſere ahnen die viele alte Vaͤter und uͤbrige unſerer vorgaͤnger in dem
glauben anrechnen und vorzeigen: Dero wir uns alsdenn zuruͤhmen haben/ wo ſie
K 3ſich
[78]Das ſechſte Capitel.
ſich unſer nicht mehr ſchaͤmen doͤrffen/ ſondern uns der Geiſt Chriſti allgemach den-
ſelben aͤhnlicher gemacht. Was die einſamkeit anlanget/ in welcher ſie/ vielge-
liebte ſchweſter/ einige zeit zubringen zu koͤnnen ſich freuet/ iſts freylich alſo/ daß
weil ja die geſellſchafften der ihren GOtt recht gruͤndlich meinenden ſo gar ſeltſam
iſt/ und alſo in dieſem leben die meiſte converſation, wo nicht mit offenbahrlichen
gottloſen/ doch ſolchen leuten/ bey denen man wenig antrifft/ woraus man ſie etwa
noch gar ſchwache mit-bruͤder und ſchweſtern erkennen kan/ gepflogen werden muß/
eine fromme ſeele/ wo es in ihrer freyen wahl ſtuͤnde/ meiſtens wuͤnſchen wuͤrde/
ihr leben eher gantz einſam zuzubringen/ als viel unter leuten zu leben. Wenn
man betrachtet/ daß man von den meiſten noch geaͤrgert zu werden ſorgen muß/
ſelten aber von einigen dieſelben beſſern zu koͤnnen hoffen mag. Ach wie wuͤnſche
ich ſo offt/ wo es meines liebſten GOttes wille waͤre/ auffs wenigſte nur zuweilen
einige zeit zu haben/ das ich etliche wochen mich von anderer geſellſchafft abſondern
und dem allein abwarten koͤnte/ was nicht wol anders oder ja nicht ſo bequem
als in einſamkeit ſich ausrichten laͤſſet. Aber mein GOtt hat bißher mir anders
zu leben aufferlegt: So ich zwar/ weils ihm gefaͤllig/ gern tragen/ und mein be-
lieben ſeinem rath mit demuth unterwerffen will. Vielleicht moͤchte es einmahl
ſein wille ſeyn/ daß ich/ wo er nach ſeinen wolgefallen mir ſolte leibes ſchwach heit
und ſchmertzen zuſchicken/ eine weil der einſamkeit in dem bett genieſſen ſolte/ wel-
ch[e] ich auſſer denen faͤllen faſt nicht muͤglich ſehe. Jndeſſen bin ich verſichert/ mei-
ne liebſte ſchweſter/ daß ſie niemahl weniger allein als in ihrer einſamkeit ſeye:
Da ſie in ihrem leſen der Schrifften und betrachtungen neben ihrem geliebten
Heyland ſeine treue diener und GOttes-maͤnner bey ſich hat/ und jene mit ihr/ ſie
mit ihnen/ das vergnuͤglichſte geſpraͤch halten kan. Jm uͤbrigen wo ſie daruͤber
erſchricket/ daß ſie in ihrer fleißigen pruͤffung das geſuch eigener ehre ſo offt noch an-
trifft/ thut ſie recht/ und wuͤrcket ſolches in ihr der Geiſt/ der uns alleine von eigner
ehre abzuziehen und uns dero unbilligkeit zu zeigen vermag. Sie gedencke aber
nicht/ daß ſie allein ſolche ſchwachheit an ſich finde/ ſondern glaube gewiß/ daß al-
le andere/ die ihnen nicht ſelbs ſchmeicheln/ ſolchen mangel auch an ſich beklagen und
dawieder am allereiffrigſten ſtreiten muͤſſen/ ja eben darinnen die vornehmſte ur-
ſach und antrieb zu der demuth finden/ weil ſie mit ſolchen heimlicheſten und von kei-
nen andern/ als die GOtt ziemlich erleuchtet/ erkaͤntlichen gifft ihr meiſtes gutes
beflecket ſehen/ und auch daher ſich alles guten auff daſſelbe vor GOTT ſich nicht
zuverlaſſen/ verzeihen muͤſſen. Gleich wie die eigene ehre das erſte geweſen/ ſo
uns von GOtt abgeriſſen/ alſo iſt ſie wol auch das letzte/ ſo in unſerer natur abſtir-
bet/ daher mit demſelben als dem/ ſo zu reden/ geiſtlichſten laſter die jenige die an-
dern luͤſten ziemlicher maſſen abgeſtorben ſind/ noch meiſtens zukaͤmpffen haben.
Der uns aber hilfft andere feinde uͤberwinden/ wird auch nicht weniger krafft zu-
uͤber-
[79]ARTIC. I. DISTINC. I. SECTIO XIII.
uͤberwindung ſolches in gewiſſer maaß letzten feindes geben/ wo wir uns ihm uͤber-
laſſen/ und auch dieſes mit gedult tragen/ daß er uns von demſelben und ſeinen an-
griffen nicht eher/ wie wir etwa ſehnlich verlangten/ befreyet. Nun ſeine gnade
beharre ſeſt in ihr/ hertzliebe ſchweſter/ kraͤfftig zu ſeyn/ und laſſe uns immer einen
feind nach dem andern uͤberwinden/ biß wir zu ſeinen ehren die krohnen der ehren
alle empfangen/ und ſolche einer auff des andern haupt zu ſehen in volkommſter
liebe erfreuen werden. Das ſeye ihr gebet vor mich und die meinige/ wie es auch
unſer gebet vor ſie iſt und bleiben ſolle. 1673.


SECTIO XIII.


5.) Von nieſſung der unwuͤrdigen im heiligen
abendmahl. Einer Princeßin beſtaͤndigkeit. Troſt uͤber
den todt eines toͤchterleins. Geburth eines ſoͤhnleins.
Gefahr unſerer zeiten. Gehaltene bußtage. Sorge
der heuchelbuß.


JN der frage von nieſſung der unwuͤrdigen/ iſts recht angefuͤhret/ daß/ weil
dieſelbe ihnen ſelbs das gerichte eſſen und trincken/ etwas mehrers von ih-
nen empfangen muͤſte werden/ als brodt und wein/ ſo dann daß die wort
der einſetzung/ ſo unſerem glauben maaß geben/ Judaͤ und ſeines gleichen nichts
anders/ was das weſen des Sacraments anlangt/ als andern verſprechen. Wer
alſo in dem Sacrament iſſet und trincket/ der iſſet und trincket/ was von dem Sa-
crament dieſe wort bezeugen. Wollen wir aber ſagen/ daß ſolches Chriſto zu un-
chren gereiche/ ſo haͤtte ichs zwar zu erſt auff Chriſtum ſelbs zuweiſen/ daß es ihme
alſo beliebet/ und wir ja was ſeiner ehre gemaͤß ſey oder nicht/ durchaus nicht aus
unſern einbildungen ſondern ſeinen willen und wort zuſchlieſſen haben. Aber fer-
ner iſt wol erinnert/ daß auch goͤttliche gegenwart/ die bey den gottloſen und bey
den verdammten iſt/ goͤttliche ehre darum nicht ſchmaͤhlere. Welches ſo viel beſ-
ſer zu faſſen und kraͤfftiger zutreiben/ wir dabey ſetzen moͤchten/ daß ja auch das
[w]ort GOttes den gottloſeſten gepredigt werde/ und zwar ſo gepredigt/ daß der hei-
lige Geiſt auffs wenigſte anfaͤngt in ihren hertzen zuwircken (ſiehe Ap. Geſch. 24.
21.
) ſo wird er dennoch den gottloſen auff ſolche weiſe mit den wort gegeben/ in dem
der heilige Geiſt ſich von ſeinen wirckungen nicht trennen laͤſſet. Jſts dann des
heiligen Geiſtes ehre nicht entgegen/ denen gottloſen taͤglich alſo in dem wort gege-
ben zuwerden/ d[a]ß er ſeine gegenwart/ durch die wuͤrckung kund thut: Warum
ſolt es denn der ehre Chriſti entgegen ſeyn/ den leib ſo er vor alle/ auch gottloſe/ ge-
geben/ auch wiederum denjenigen/ die unwuͤrdig zu ſeinen heiligen mahl gehen/
auffs
[80]Das ſechſte Capitel.
auffs neue ſacramentlich zugeben/ ob ſchon zu ſchwerem gericht. Was aber fer-
ner anlangt die kurtze fragſtuͤcke/ ſo habe ich in dem durchleſen etliches bemercket/ ſo
nach unſerer kirchen aus goͤttlichem wort gefloſſener bekaͤntnuͤß einiger aͤnderung
und erleuterung bedarff/ welches ich auff einen beſonderen bogen hiemit ſchicke: mit
der verſicherung/ daß ſie meine vielgeliebte ſchweſter ſolches freundlich und gern an-
nehmen werde/ wie ſie von ſelbſten ſolches geſuchet. Der HErr erfuͤlle uns alle-
zeit mehr und mehr mit ſeiner gnade/ auch in ſeiner erkaͤntnuͤß zuzunehmen. Jn
dem uͤbrigen daß meine einfaͤltige uͤber ſchickte predigten deroſelben und einigen an-
dern guten ſeelen gefallen haben/ und verhoffentlich nicht ohne erbauung bleiben
moͤgten/ freuet mich hertzlich/ daß der HErr ſein werck/ wovor ichs allein erken-
ne/ und mir nichts deſſen zuzumeſſen habe/ als etwa was noch an der art des vor-
trags mangelhafft iſt/ und verbeſſert werden ſolte/ ſegne und kraͤfftig ſeyn laſſe/ da-
zu/ wozu ers gegeben. Jhme allein ſeye und bleibe ewiger danck vor ſeine uns al-
len und durch uns erweiſende gnade. Der bericht von der Princeßin/ wie ſolche
bereits ſo vieles zugenommen habe/ daß ſie auch gegen die anſtoͤſſe durch goͤttliche
gnade mehr und mehr befeſtigt worden/ und eine verachtung um ihres GOTT es
und deſſen dienſts willen uͤber ſich ergehen zulaſſen gelernet/ hat mich inniglich er-
goͤtzet. GOtt moͤchte ſie zwar beſorglich noch in viele verſuchung fuͤhren/ aber ihr
kraͤfftig bey ſtehen/ daß ſie uͤberwinde: nur daß ſie taͤglich nicht ablaſſe/ mit erneu-
erung hertzlichen vorſatzes und glaͤubigen gebet ſich gegen alle fernere anſtoͤſſe zu-
waffnen: Darzu wir auch alle unſer andaͤchtiges gebet/ und ſeufftzen mit bey zuſe-
tzen/ und ſie mit uns vor einander zukaͤmpffen haben. Er aber der HERR wird
ſein werck vollfuͤhren/ und herrlich kroͤhnen zu ſeinen heiligen ehren. Vor den troſt
und zuſpruch uͤber unſer ſeliges kind/ ſage ich und meine hauß-frau ſchuldigen danck.
Der grundguͤtige GOTT lehre uns/ daß was er von uns fordert wir ſolches ihm
allezeit mit willigem gehorſam uͤberlaſſen/ und als ein ſchuldiges opffer darbringen:
Denn ja freylich ihm kein opffer gefallen mag/ das ihm nicht mit froͤlichen und wil-
ligen geiſt dargebracht wird. Wir haben ihn vor ſeine gnade demuͤthigſt zudan-
cken/ die er ſo wol unſerm kind in verſetzung in die ſichere huͤtten/ wo es unſer er-
wartet/ als auch uns in kraͤfftigem beyſtand ſeines heiligen Geiſtes bey ſolchem fall
erwieſen hat. Gleich wie ich aber neulich berichtet ſolchen abſchied eines meines
toͤchterleins/ alſo habe hingegen wiederum mit freuden und hertzlichem danck gegen
dem HErrn uͤber todt und leben hiemit zuberichten/ daß deſſen Vaͤterliche gnade
ſolche ſtelle uns wiederum mit einen lieben ſoͤhnlein erſetzet/ und meine liebe hauß-
frau/ ihrer getragenen beſchwerlicher buͤrde gluͤcklich entbunden habe. Er wolle
in gnaden ferner uͤber ſolches walten/ und allein geben/ daß es moͤge hier ein tuͤchti-
ger werckzeug und gefaͤß ſeiner gnaden/ dorten aber ſeiner ewigen guͤter gewiſſer er-
be ſeyn und bleiben. Jn dem uͤbrigen wie er der allweiſe und guͤtige GOTT es
mit ihm in dem leiblichen machen/ und wie viel von jahren/ und was ſonſten in der
welt-
[81]ARTIC. I. DIST. I. SECT. XIII.
welt von zeitlichen gewuͤnſchet wird/ ihm zu theilen wolle/ bleibe es allerdings ſeinen
heiligſten wohlgefallen heimgeſtellet. Sehe man auff die gegenwaͤrtige betruͤbte
und gefaͤhrliche zeiten/ ſo ſolten faſt eltern uͤber den ſchenckenden ſegen mehr erſchre-
cken als ſich freuen. Aber wir haben vielmehr zu ſehen auff den/ in welches hand
ſolche zeiten ſtehen/ und deſſen gnade nicht weniger uͤber uns in den ſelben als in beſ-
ſern zeiten waltet/ und die ſeinige/ ſie ſeyen jung oder alt/ die eltern leben oder wer-
den von ihnen abgefordert/ zuerhalten vermag. Jn welcher zuverſicht wir ihm
alsdenn vor den ſchenckenden ſegen billich hertzlich dancken/ und deſſen weitere ver-
ſorgung ihm glaͤubig heimgeſtellet verbleiben laſſen. Jedoch ſoll uns auch billich
die vor augen ſchwebende allgemeine noth ſo viel mehr zu hertzen gehen/ weil wir
ſehen/ daß es die kirche ſelbs und die darinnen bißher von GOTT beſcherete theu-
re guͤter ſeines worts betreffen will/ und wo menſchliche anſchlaͤge von ſtatten gehen
ſolten/ man vieler orten derſelben verluſt leiden moͤgte. Weil kein zweiffel iſt/
daß jeder denen obzwar aus andern urſachen und weltlichen abſichten von hohen po-
tentaten fuͤhrenden kriegen der Roͤmiſche Antichriſt ſein weſen zugleich mit ſuchet
zu befordern und das haͤufflein CHriſti zuverringern. Es ſoll aber ſolche betrach-
tung uns nicht ſo wol darzu bringen/ daß wir ſorgen wolten/ die feinde wuͤrden ent-
lich den HErrn zu maͤchtig werden/ und ſeine kirche gantz außrotten/ welches ſie
wol bleiben muͤſſen laſſen/ ſondern daß wir theils uns ſo viel beſſer auff alle faͤlle ruͤ-
ſten und gefaßt machen/ wie wir/ was GOTT belieben moͤchte uͤber uns zuverhaͤn-
gen/ uns in ſeinen willen geben wollen/ andern theils ihm bußfertig begegnen/ ſo
wol jeglicher ſeines orts ſich in den ſtand zu ſetzen/ darinnen er ſeines GOttes gna-
de ſich ſo viel verſicherter getroͤſten moͤge/ als auch mit andern mit buß andacht und
gebet vor den riß zu treten/ und zuverſuchen/ ob goͤttliches gericht noch abgewendet/
und auch den uͤbrigen laͤngere friſt zur buſſe erlanget werden moͤgte. Zu ſolchem
ende haben wir neulich bey hieſiger kirche den 11. Jul. 8. und 29. Aug. drey oͤffent-
liche buß-faſt- und bettage gehalten: Moͤgen vielleicht derſelben noch mehr folgen.
Die erklaͤrte text auff jeglichen drey/ ſind geweſen Offenbahr. 3/ 14. 15. 16. 17. 18.
Jerem. 18/ 11. 12. 13. 14. 15. Eph. 5/ 3. 4. 5. 6. 2. Cor. 7/ 9. 10. 11. Jerem. 5/ 1. 2, 3. Pſ.
55/ 6. 7. Amos. 7/ 4. 5. 6. Oſe. 11/ 8. 9. Luc. 3/ 7. 8. 9.
Aus denen leicht abzuſe-
hen/ was vor materien etwa oͤffentlich tractiret worden. Wolte GOTT es
waͤren bey unſern aͤuſſerlichen uͤbungen auch lauter rechtſchaffene bußfertige her-
tzen geweſen/ ohne welche jene GOtt nicht gefallen koͤnnen/ ſondern zum greuel
werden. Aber ob wir wol uns verſichern/ daß auch einige fromme ſeelen zu ihrer
andacht uͤbung ſo viel ihre beforderung bey ſolcher gelegenheit gefunden/ deren opf-
fer GOtt nicht verſchmaͤhen wird/ ſo muͤſſen wir doch hingegen leider auch beken-
nen/ daß wir auch hier dieſes orts bey dem groſſen hauffen ſo gar die wahre fruͤchten
der buſſe nicht ſehen/ daß wir etwas deroſelben in ſolchen hertzen geweſen zu ſeyn/ in
groſſem zweiffel ſtehen/ und wir alſo uͤber unſere beyſo vielen nur heuchleriſche buß/
Lerſt
[82]Das ſechſte Capitel.
erſt wieder buße zu thun haben. Der HErr rechne ſolches nicht allen zu/ ſondern
wie er an ſeinem ſiegel die ſeinige erkennet/ alſo ſchone er entweder um ihrentwil-
len auch der uͤbrigen mit laͤngeren auff ſchub der verdienten ſtraffe/ oder laſſe doch
dieſe nach ſeiner verheiſſung ihre ſeelen zur außbeute davon bringen. Jerem. 45.
um ſeines nahmens ehre willen/ amen. Nun meine vielgeliebte ſchweſter ſie ſe-
tze auch ihr hertzliches gebet mit hinzu vor die allgemeine noth. Er aber der HErr
mache uns mehr und mehr tuͤchtig/ daß unſere opffer ihn auch gefallen koͤnnen. 1673.


SECTIO XIV.


(6. Gegenwaͤrtiger zeiten jammer. Franckfur-
tiſcher bußtag. Zuſtand einer Princeßin. Abſchied ei-
ner ſchwehr angefochtenen. Neujahrs-
wunſch.


JHre gedancken von den urſachen gegenwaͤrtiger jammer zeit/ und wie man
ſich darein zuſchicken habe/ ſind gantz recht und goͤttlichem wort gemaͤß. Der
HErr lehre uns alle/ jenen ſo viel deutlicher erkennen/ und in dieſem unſe-
rer pflicht war nehmen/ daß ſo wol ſelbs jeglicher ſeine ſeele rette/ als auch andern
neben ſich zu hilff komme/ um ſammtlich vor den riß zutreten. Allhier iſt decre-
tirt
worden/ auff unſere bitte/ zu allen vierthel jahren abermahl einen ſolennen
buß-faſt- und bettag zuhalten. Davon der erſte neulich gehalten worden 28.
Nov. mit zu den predigten erwehlten texten Jerem. 28/ 4. 5. 6. 7. Mich. 7/ 9.
Rom. 2/ 4. 5.
Welche zu guten betrachtungen herrliche gelegenheit gegeben.
Der Hoͤchſte wolle nach ſeinem verſpruch ſein außſtreuendes wort nicht laſſen ver-
gebens ſeyn/ ſondern die erwuͤnſchte und zu ſeinen ehren/ auch vieler heyl erſprieß-
liche frucht tragen. Und ob wir wol etwan ſo gluͤcklich nicht ſeyn ſollen dieſelbe
bald vor augen mit freuden zuſehen/ daß wir doch hoffen duͤrffen/ es ſeye gleichwol
auffgegangen/ was eben ſich noch nicht mit vollen aͤhren weiſet. Sonderlich a-
ber daß wir/ denen GOtt bereits die gnade gethan/ daß wir zimlich wiſſen was ſein
will an uns ſeye/ ihm zu erſt danckbar und ihm je laͤnger je gefaͤlliger werden zu ſei-
nem preiß und anderer erbauung. Der wertheſten Princeßin wegen freuet mich
hertzlich dero beſtaͤndigkeit im guten vorſatz/ und ob zwar von dero ſchwachheit ge-
meldet wird/ ſo muß ſo viel ernſtlicher mit gebet angehalten werden um den bey-
ſtand deſſen/ der in der ſchwachheit maͤchtig zu ſeyn zugeſaget. Nur daß man nicht
gar ſtill ſtehe oder zuruͤck gehe in den wegen des HErren. Derſelbe wird nach
ſeiner guͤte nach dem maaß der ſchweren verſuchungen wo dieſelbe folgen werden/
auch ſeine gnade richten. Mit welcher verſicherung ſie/ wo ſie ſich ihrer ſchwach-
heit bewuſt/ den muth etwas ſincken wolte laſſen/ auffzurichten ſeyn wuͤrde. Der
GOtt
[83]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO XIV.
GOTT aller gnaden bekraͤfftige ſie/ und bewahre ſie in Chriſto Jeſu vor allem
argen zu ſamt ihrer geliebten jungfer/ deren ich gleiches aus treuen hertzen anwuͤn-
ſche. Jhr frau baaß die gute frau NN. iſt/ wie ſie ſchon vorhin wiſſen werden/
neulich von GOTT eher aus dieſer zeitlichkeit abgefordert worden/ als ſie nach
ihrem ſo ſehnlichen wunſche auch eine froͤliche kinds-mutter worden ware. Je-
tzo wird ſie der HErr mit voͤlligen ſtroͤmen des troſts uͤberſchuͤtten/ nach deſſen troͤpf-
lein und vorgeſchmack ſie hier ſo ſchmertzlich verlanget/ und getrauret hat/ dasjeni-
ge bey ſich nicht zu fuͤhlen/ was ſie zuweilen von andern frommen ſeelen aus derer
erfahrung ruͤhmen. Es hatte ihr ehemann eben vor einigen monaten noch an
mich geſchrieben/ und berichtet/ wie ſie noch manche ſtunde in ſolcher ihrer betruͤb-
nuͤß und anfechtung kuͤmmerlich zu bringen muͤßen. Nun der HERR der end-
lich ihre traurigkeit auff ſelige weiſe geendet/ helffe uns auch allen hindurch zur zeit
wanns ihn beliebig.


Franckfurth den 20ten Dec. 1673. Auff deſſen ſchluß ich ein ſolches neuesjahr
aus goͤttlicher gnade wuͤnſche in dem dieſelbe taͤglich uͤber uns neu auffgehe/ daß wir
in Chriſto JEſu (in dem nichts als eine neue creatur gilt/ und ich davon durch Got-
tes gnade vor meiner gemeinde die erſte predigt zu thun geſonnen bin) immer feſt
erneuret werden/ nach dem bilde deſſen/ darzu wir geſchaffen ſind/ und der ſein
bild in der tauff bey uns wieder angefangen/ auch zu fortſetzung ſeines wercks den
lieben JEſum uns zur nachfolge vorſtellet: Daß das alte weſen mehr und mehr
bey uns abgeſchaffet und wir mit neuer himmliſcher krafft ausgeruͤſtet werden/ biß
endlich alles auff einmahl neu und wir dahin verſetzet werden/ wo nichts altes
mehr iſt/ noch veraltet. Solches mit freuden und aller andern wolfarth wuͤnſche
ich ihr/ in dem HErrn hertzgeliebte ſchweſter/ und allen unſern ſchweſtern und bruͤ-
dern/ ſo dann die noch in der zahl derſelben kommen ſollen/ von dem GOtt nicht nur
der zeit ſondern der unveraͤnderlichen ewigkeit.


SECTIO XV.


(7. Bußpredigten. Viele heuchel bußtage. Un-
erkaͤntnuͤß unſerer gefahr. Ob faſten Papiſtiſch. Noͤthi-
ge gedult mit der bruͤder ſchwachheit. Gelaſſenheit laͤn-
ger zu leben oder zu ſterben. Der Princeßin beſtaͤndig-
keit. Ob beſſer in oder auſſer gefahr zu
leben.


UNſerer gehaltenen bußpredigten iſt keine gedruckt worden/ noch derglei-
chen inskuͤnfftige in dem vorſchlag. Nicht nur weil wir in ſolcher materie
L 2nicht
[84]Das ſechſte Capitel.
nicht wohl mehr viel andern unterricht beduͤrffen/ in der menge der lieben gottſe-
ligen hievon handlenden buͤcher/ alſo daß nur vonnoͤthen iſt/ daß wir wolten mit
mehr eyffer und ernſt/ was wir wiſſen/ GOTTES willen an uns zu ſeyn/ zu
werck zurichten/ und uns untereinander daruͤber zu ermahnen/ als vieles hievon
zu ſchreiben. Sondern auch weil was zum exempel meine predigten anlanget/
dieſelbe nicht gantz an einander hangen/ ſondern in gewiſſer maaß mit meiner
Herren Collegarum predigten verknuͤpffet ſind/ auch die texte alſo dazu erwehlet
worden/ daß die materien der folgenden und nachmittags-predigten an den erſten
und fruͤh-predigten hangen. Es war ſeiter neulich den 6ten Martii wiederum
ein bußtag gehalten/ worinnen die texte geweſen 1. Petr. 4/ 1. 2. 3. Luc. 1/ 71. 72. 73.
74. 75. Rom. 6/ 6.
Weil es zugleich die vorbereitung zu der paſſion gabe; Der
nechſte moͤchte wol auff den freytag vor Pfingſten fallen. Wolte GOTT aber
es ginge nicht auch bey uns alſo her/ wie meine liebwehrte ſchweſter klaget/ bey ih-
nen gemerckt zu haben/ daß bey mehrern es vielmehr heuchel-als bußtage ſeyn. So
wir aus den aus bleibenden fruͤchten leider mehr als zu beſorglich abnehmen koͤn-
nen. Und haben allein den troſt/ daß gleichwol etliche wenige hertzen ſeyn/ an de-
nen die arbeit nicht gantz verlohren/ in anſehung welcher der heilige und
wahrhafftige GOTT unſere ob wol von meiſten haͤnden unrein auffſchickende
opffer nicht allerdings verſchmaͤhen wird. Es nimmet zwar auch deroſelben haͤuff-
lein ab/ wie ſeiter 4. wochen der Allerhoͤchſte unterſchiedliche rechtſchaffene Chri-
ſten von hier aus unſerm mittel weggenommen hat: Dero abſchied mich hertzlich
betruͤbet/ und mir billich ſorge macht/ GOTT werde allgemach ſchwehre gerich-
te ausbrechen laſſen uͤber unſern unbußfertigen hauffen/ und raͤume alſo einige der
ſeinigen vorhin weg/ deren er damit ſchohnen will. Nun er iſt der HErr/ er mache
es wie es ihm wohlgefaͤllt/ er wird doch auch ſeiner guͤte und heiligen nahmens
nicht vergeſſen. Daß einige die jetzige leibliche und weltliche gefahr nicht vor au-
gen ſehen/ wundere mich ſehr/ ohne daß ſie eben nicht allen noch gleich nahe iſt.
Man bedencke aber/ was es iñer 2. jahren vor aͤnderungen gegeben/ ſo wird niemand
ſagen moͤgen/ daß es nicht ein gantz leichtes ſeye/ daß ein noch weit ſcheinendes feuer
geſchwind uͤm ſich freſſe. Und ſcheinet noch etwas verborgen zuligen/ welches gar we-
nig hervor blickt/ und auchbey nach GOttes willen gedaͤmpffter fremder gewalt in
dem reich ſelbſten betruͤblichen jammer erregen mag. Geſetzt aber/ wir haͤtten
von leiblicher gefahr nichts zu ſorgen/ ſondern lauter gute friedliche zeiten zu er-
warten/ ſo haben wir ja urſach gnug leid und bußtage zuhalten uͤber den elenden
zuſtand unſerer kirchen in dem geiſtlichen/ welche ohne die beſorgliche verſolgung
auch ſonſten alſo betruͤbt iſt/ daß wir uns wenig anders als der reinen lehr zu ruͤh-
men haben. Sonſten ſtehet es erbaͤrmlich gnug. Nun der HERR wird ſeine
ehre zu erhalten wiſſen. Daß das faſten von einigen der unſrigen vor Paͤpſtiſch
gehalten wird/ zeiget/ daß ſolche leute in die Schrifft niemahl hinein geſehen haben
muͤſ-
[85]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO XV.
muͤſſen. Ach wolte GOTT das faſten und einige dergleichen loͤbliche uͤbungen
wuͤrden fleißiger practiciret/ ſo wuͤrden wir offt zu den innerlichen uͤbungen tuͤchti-
ge[r] werden. So verſtehen die jenige nicht/ was wir an dem Paͤpſtiſchen ſtraffen/
welche meinen daß es um das faſten ſelbs zu thun ſeye/ da wir doch allein das ein-
bildende verdienſt deſſelben/ ſo dann den unterſcheid der ſpeiſen beſtreiten/ als
welchen wir vor kein faſten erkennen koͤnnen. Was meine liebſte ſchweſter ge-
dencket wegen der gedult/ ſo mit denen noch ſchwachen zutragen/ iſt ein gantz noͤthi-
ger punct unſers Chriſtenthums/ der deßhalben von Paulo ſo offt getrieben wird. Es
iſt ſolches die frucht des glaubens/ der erkennt/ mit was gedult der barmhertzige
Vater in dem himmel ſeine ſchwachheit trage/ und ein zeugnuͤß der demuth und
liebe/ ohne welche kein glaube ſeyn kan. Denn wer ſeinen bruder oder ſchweſter/
welche ſchwach ſind/ daruͤber urtheilet oder verachtet/ der muß nicht erkennen daß
er auch dergleichen von andern beduͤrffe/ ſondern in hochmuth ſich ſelbs vor vollkom-
men achten/ und alſo gefallen an ihm ſelbs tragen/ ja das jenige das an ihm iſt/
nicht als ein pur lauter gnaden geſchenck/ ſondern eigen werck achten/ welches dem
glauben ſchnur ſtracks entgegegen iſt. So lehret uns die liebe/ mit denjenigen/
welche an dem leib ſchwaͤchlich ſind/ mitleiden haben/ und uns vielmehr ihrer an zu-
nehmen/ ihnen zu rathen und zu helffen als ſie zuverſpotten oder eckel an ihnen zu ha-
ben. Wie viel mehr erfordert dann die liebe eben dergleichen gegen die jenige/ die
an der ſeele ſchwach ſind? Daß man nehmlich nicht nur vor ſie inbruͤnſtig bete/
ſondern auch am freundlichſten mit ihnen umgehe/ ihrer ſchohne/ ſie zu beſſern ſuche/
und ſolches mit der behutſamkeit und ſanfftmuth/ daß man ſie nicht mit erſtmahli-
ger vorſtellung alles deſſen/ ſo man von ihnen erfordert/ in dem anfang erſchrecke/
oder ihnen ihre noch habende fehler ſcharff vorhalte/ ſondern ſie allgemach weiter
fuͤhre/ und in vielen ſtuͤcken ſie mehr dazu leite/ worinnen ſie ihre eigene unvoll-
kommenheit an ſich erkennen moͤchten/ als daß es ſchiene/ wir haͤtten ihnen ſolches
gezeiget. Solches iſt die rechte art der liebe/ die wir ihnen um des HErrn willen
ſchuldig ſind/ ja auch um des nutzens willen/ den wir ſelbs an ihrer ſchwachheit ha-
ben/ daran die unſrige in ſolchem ſpiegel ſo viel beſſer erkennen koͤnnen. Daß mei-
ne liebe ſchweſter ſich erklaͤhret/ zwar ein hertzliches verlangen nach der endlichen
verſetzung in die vollkommene freyheit der kinder GOttes zu haben/ aber doch mit
williger gelaſſenheit ſich auch ein laͤnger es verbleiben in den beſchwehrlichen huͤtten
Kedar nicht laͤſſt zu wieder ſeyn/ vielmehr um des lieben creutzes willen in dem fleiſch
laͤnger zu leben beliebet/ hat mich und einige fromme ſeelen/ deren ich ſolches ver-
langen vorgezeiget/ hertzlich erfreuet/ und erkenne ich daran das jenige/ darnach
wir uns alle zubeſtreben haben/ aber ſchwaͤchlich oder gar ſpat darzu kommen. Und
gehoͤret zu einer ſolchen reſolution/ daß man in dem ſie uͤber das fleiſch weit ge-
kommen ſeye/ wo wir nunmehr die vortrefflichkeit und den adel des lieben creutzes
alſo in das hertz getruckt/ daß wir es gar nicht mehr nach dem urtheil der vernunfft
L 3(nach
[86]Das ſechſte Capitel.
(nach welchem es allezeit noch heiſſet nach Hebr. 12/ 11. Die zuͤchtigung/ wenn ſie
da iſt/ duͤncket ſie uns nicht freude ſeyn/ ſondern traurigkeit
) anſehen/ viel-
mehr bloß dahin mit den augen des glaubens/ dahero uns ſeiner nicht nur nicht be-
ſchwehren/ ſondern GOTT anfangen davor zu dancken/ und ſeine wohlthat dar-
in erkennen. GOTT erhalte ſie allezeit in ſolcher freudigkeit/ und laſſe uns alle
auff ſolchen wege unſern alten vorgaͤngern nachfolgen/ die in groſſer krafft des gei-
ſtes/ ſonderlich in den verfolgungen/ uns ein exempel gelaſſen haben. Daß ihr
Durchl. die Pꝛinceßin ſich nicht wieder nach bewuſten hoff wende/ iſt mir zu verneh-
men recht lieb. Nicht daß ich davor hielte daß ſie goͤttliche guͤte nicht ſolte auch ſol-
ches orts kraͤfftig in ihren guten ſtand erhalten/ und mitten unter der welt eitelkeit
ihre augen abwenden/ daß ſie nicht darnach ſehen/ und ſie ſich darein verliebe. Wie
wir zu weilen ſehen werden/ daß man in den groͤſſeſten gefahren/ nicht nur weil
man ſeiner ſo viel ſorgfaͤltiger wahrnimmet/ ſondern auch weil die krafft GOttes
nach dem maaß als wir derſelben beduͤrffen ſich als dann ſo viel ſtaͤrcker erreget/ ſo
viel kraͤfftiger ſich findet/ als auſſer denſelben/ zum preiß goͤttlicher darinnen herr-
lich vorleuchtender macht. Sondern daß ich mich freue/ daß GOTT ihrer ſchoh-
ne/ wie denn das leben unter taͤglichen aͤrgernuͤſſen nicht ohne taͤgliche betruͤbnuͤß ei-
ner gottſeligen ſeele gefuͤhret werden kan/ und wie es zwar eine ſtaͤrckung iſt an
dem inwendigen menſchen durch die ſtaͤttige uͤbung der gedult/ daher auch welche
GOTT dazu beruffen ſich nicht daruͤber zu beſchwehren/ ſondern goͤttliche guͤte zu
erkennen haben/ alſo unterbrichts nicht wenig die vergnuͤgliche gemuͤths ruhe/ ſon-
derlich wo man ſiehet/ daß man mit ſeinem exempel nicht ſo wohl etwas andere zu
gewinnen außrichten kan/ als in ſorgen ſtehet/ von ihnen einiges boͤſe unver-
merckt ſich an zu gewehnen. Daher wie dorten Paulus ſeinen Corinthern rathet
wegen gegenwaͤrtiger noth/ wer die gabe dazu habe unverheurathet zu bleiben/ da
doch beyder ehe nach ſeiner bekantnuͤß ſo vielmehr truͤbſal und alſo uͤbung der gedult
ſeye/ und die urſach bey ſetzet/ daß er nehmlich ihrer gern verſchohnen wolte. Alſo
halte ich es auch vor ein guͤtiges verſchohnen/ wo uns GOTT mehr auſſer dem
kampff mit ſtaͤttig voꝛ augen ſchwebenden aͤrgeꝛnuͤſſen in ruhe eꝛhaͤlt/ alſo wo er uns
in jenen fuͤhret/ ob wol mit ſeiner krafft zu ſtaͤrcken. Jedoch weiß unſer allweiſer
Vater am beſten/ wen und wann er jeglichen zu dieſer oder jener lebens art beruf-
fen ſoll/ und haben wir billich die jenige art/ es ſeye jetzo in der ſtille GOtt zu dienen/
oder aber in ſolchem welt-geraͤuſch/ vor die ihm von uns angenehmſte zu achten/ dazu
er jedesmahl uns ſelbs beruffen hat. Wem GOtt jene goͤnnet/ der dancke ihm
davor/ daß er ſeiner ſchohne/ weil er vermuthlich ihn etwa zu ſchwach erkannt:
Wen er denn in dieſes fuͤhret/ dancke ihm wieder vor ſolche gelegenheit ſeine ge-
dult zu uͤben/ und von ihm ſeinen kraͤfftigen beyſtand zu erwarten. 1674.


SECT.
[87]ARTIC. I. DISTINCT. I. SECTIO XVI.

SECTIO XVI.


(8. Als dieſelbige einen prediger heurathen ſolte.
Uberlegung des gantzen geſchaͤffts. Ob der ehe- oder ledige
ſtand vorzuziehen? Ubergebung der zweiffelhafften ſachen
in freunde ausſchlag. Mein verfahren in der

vocationvon Straßburg nach Franck-
furth.


MO ich das werck ins geſamt anſehende und in der furcht des HERRN er-
wegende/ aus hertzen grund meiner vielgeliebten ſchweſter/ mit der freyheit
wie es ſeyn ſolle/ zu entdecken habe/ weiß ich faſt nicht/ was ich zuſagen ha-
be. Kan auch noch weder das/ noch anders gewiß ſchlieſſen/ ob ichs einen goͤttli-
chen beruff oder verſuchung zu zuſchreiben habe: Sondern halte davor/ daß ich
noch etwas weiteres/ darinn ſich goͤttlicher finger deutlicher zeige/ abwarten muͤſſe.
Auff meiner ſeiten halte ich Herrn NN. intention gantz rein und Chriſtlich/ und ſe-
he keine einige fleiſchliche abſicht bey ihm/ vielmehr die hertzliche begierde/ eine per-
ſon von dem lieben GOTT zur gehuͤlffin zu haben/ neben der er ſeinem GOTT
ſo viel hertzlicher dienen/ und von ihr weiter erbauet werden moͤchte. Wie nun
ſolches ſein vorwand iſt/ alſo habe ich nicht nur aus gemeiner Chriſtlicher liebe kei-
ne falſchheit darinnen bey ihm zu vermuthen/ ſondern auch ſolche urſachen/ die mich
ſeiner auffrichtigkeit in der ſache gantz auſſer zweiffel ſetzen. Jch ſehe ferner/ daß
er nachdem er eine dergleichen perſon zu ſuchen ſich entſchloſſen/ in der wahl nicht
gefehlet/ ſondern wo ihm der getreue Vater im himmel/ ſie meine liebe ſchweſter
ihm beſcheret/ daß er ſeinen zweck erhalten. Welches ob ſie vielleicht aus demuth
an ſich nicht zu finden vermeint/ ſie mir doch nicht wehren kan/ daß ichs davor erken-
ne/ aber bey ihr jetzo davon nicht viel worte machen will. Dieſe ſeine gute inten-
tion
und wohl bedachte wahl giebet bereits ein ſtarckes fundament/ darauff zu
bauen/ daß das werck gantz aus GOTT ſeyn moͤchte. Doch lehret mich das ex-
empel Davids 1. Chron. 18/ 1. 2/ 3. 4. Daß ſolches fundament gleichwohl nicht
gantz unbeweglich ſeye: in dem da ſelbſt eine gantz wohlgemeinte und an ihr ſelbſt
GOTT gefaͤllige intention ihren effect nach GOttes willen nicht haben ſolte/
und alſo nicht der wille Davids/ ſondern gleichwohl die erfuͤllung deſſelben/ GOttes
rath/ zu wider war. Jch ſehe ferner/ daß NN. ein ſehnliches verlangen traͤget/
daß ſeine intention moͤchte erreichet werden/ und bin verſichert/ daß/ wo der allguͤ-
tige GOT die ſache zum fortgang bringet/ ihm ſein amt wird mercklich erleichtet/
zu mehr erbauung ſeiner gemeinde gelegenheit gegeben/ auch an ihm weitere ſrucht
durch goͤttlichen ſegen werde geſchaffet werden. Wie ich denn von denen/ ſo ihn
genauer
[88]Das ſechſte Capitel.
genauer kennen/ vernehme daß die Gottſeligkeit ſeiner vorigen numehr ſeligen lieb-
ſten/ ihm nicht wenig bereits genutzet habe/ daher kein zweiffel/ daß eine Chriſtli-
che perſon/ ſo ein weiters pfund empfangen/ ſolches auch da nicht ohne weiteren nu-
tzen anwenden werde. Wie ich nun ihn bruͤderlich liebe/ alſo wuͤnſche von grund
des hertzens/ daß wo goͤttlicher rath nicht dawider iſt/ er ſo gluͤckſelig werden moͤ-
ge. Denn von ſeiner ſeiten halte ich ihn auff ſolche weiſe/ in dem fall es fortgehen
ſolte/ ſo wohl verſorgt/ als er verſorgt werden moͤchte. Und waͤre mir ſo klar/ daß
auff meiner vielgeliebteſten ſchweſter ſeiten/ ſie gleichfalls eben ſo wohl verſorgt waͤ-
re/ ſo wuͤrde der entſchluß etwa bald zu faſſen ſeyn; Aber da iſt die ſache noch ſo aus-
gemacht nicht. Zwar wo die reſolution erſtlich genommen/ einige dergleichen
heurath zu belieben/ ſo finde ich an Herrn N. N. perſon allerdings nicht mangel; es
bedarff aber auch ſolches bey derſelben nicht erinnert zu werden/ als die ihn/ und was
GOTT in ihm geleget/ noch tieffer kennen hat lernen/ als ich ſolches vermocht. Jch
ſehe ihn aber ſelber an/ als einen mann/ von dem dieſelbe in ihrer Gottſeligen uͤbung
nicht wuͤrde hindernuͤß/ ſondern beyhuͤlffe und foͤrdernuͤß empfangen; daß je eines
von dem anderen nicht nur leibliche huͤlffe ſondern auch geiſtliche erbauung haben
und genieſſen wuͤrde. Zu dem daß ſie gelegenheit erlangte/ nachdem er in dem kir-
chendienſt ſtehet/ mit ſo viel beſſerem nachdruck/ ſo viel ſie zu ihres neben-menſchen
beſſerung vermag/ an ſolchen ort anzubringen/ und auch auff ſolche art dem Herrn
den wucher der empfangenen gaben reichlicher zu bringen. Die groͤſſeſte ſchwie-
rigkeit aber ſtehet vielmehr ſelbſten in der reſolution/ den ledigen und bißher hertz-
lich geliebten ſtand zu aͤndern. Wo ich deroſelben nicht bergen kan; daß auch bey
denjenigen eheleuten/ die nicht eben einander fleiſchlicher weiſe zu gefallen/ groſſe
ſorge tragen/ gleichwohl die haußhaltungen/ ſonderlich wenn GOTT etwa die-
ſelbe mit lieben kindern zuverſtaͤrcken anfangt/ dieſelbe ruhe nicht laſſen/ ſeinen Gott-
ſeligen uͤbungen ohnverhindert abzuwarten/ wie der ledige ſtand noch dieſelbe ver-
goͤnnet. Wie ich nun ihre ſeele inniglich liebe/ ſo iſt mir ſolches das einige/ das mir
ſchwehr wird/ von einiger hindernuͤß zu wiſſen/ dadurch ſie von ihren ſo vergnuͤgli-
chen betrachtungen und uͤbungen/ folglich der daraus ſpuͤrenden lieblichkeit abgezo-
gen wuͤrde. So ſtehet mir allezeit das wort Pauli 1. Cor. 7/ 38. vor augen/ der
nicht heurathe/ der thue beſſer.
Welchem ſpruch ich bloß dahin nicht wider-
ſprechen mag. So kommt auch nicht weniger bey mir in bedacht/ daß bißher die-
ſelbe zu heurathen keine anmuth gehabt/ und etwa deſſen noch ferner mir unbewuß-
te urſachen haben moͤchte. Jndeſſen aber halte ich auch wiederum dieſes angezo-
gene noch nicht ſo gnugſam/ daß daraus gewiß zu ſchlieſſen haͤtte/ daß deswegen das
heurathen derſelben bloß zu mißrathen waͤre. Und ſetze zum foͤrderſten dieſes als
eine gewiſſe ſache aus/ daß auch derjenige/ ſo die gabe jungfraͤulicher keuſchheit em-
pfangen/ macht habe ſich derſelben zugebrauchen oder nicht zugebrauchen/ je nach-
dem er findet/ daß der gebrauch oder unterlaſſung zu mehrern ehren GOttes und
beſſerer
[89]ARTIC. I. DISTINCT. I. SECTIO XVI.
beſſerer verrichtung des jenigen/ worzu er ſonſt von GOTT beruffen/ dienlich
ſeye. Wie aus dem gantzen 7. cap. der 1. an Corinth. erhellet: Daß Paulus kei-
nem einen ſtrick des gewiſſens anwerffen wolle. Nechſt dem gleich wie ins gemein
wahr bleibet/ was daſelbſt v. 32. ſeq. geſagt wird/ daß in dem ehelichen man nicht
ſo unverhindert bleibe als in dem ledigen ſtande: So iſts doch auch wahr/ daß zu
weilen der eheliche ſtand manche gelegenheit gebe zu anderen uͤbungen der Gottſe-
ligkeit/ zu erkaͤntnuͤß goͤttlicher guͤte und dero betrachtung/ ſo bey den ledigen ſich
nicht ſo findet: Und daß der dienſt GOttes nicht allemahl daraus zu ſchlieſſen/ daß
er GOTT am angenehmſten ſeye/ daß man eben mehr zeit dazu und wenigere ab-
haltungen davon hat/ und das gemuͤth auch natuͤrlicher weiſe eine mehrere ruhe
habe: Sondern unter der laſt vieler ſorgen/ die da Chriſtlich ſind/ und der beruffs
geſchaͤſſten laͤſſet ſich etwa in einem vierthelſtuͤndlein ſo man darzu frey machen kan
ſo viel vergnuͤgung finden/ als in mehrer freyheit bey laͤnger zeit; da indeſſen auch
unter denen geſchaͤfften/ wenn das gemuͤth an ſeinen GOtt haͤnget/ und was es
thut aus gehorſam zu ſeinen beruff verrichtet. Anders muͤſſten wir ſagen/ daß
alle die predigt- oder regierungs-ſtaͤnde ſtehen/ bey denen die amts-geſchaͤfften mehr
ſind/ als ſonſten insgemein bey den eheſtand/ koͤnten wegen ſolcher ſtaͤten anlaͤuffe
Gott niemahl nicht ruhig dienen: Nun iſts zwar an dem/ daß ſolchen leuten frey-
lich manchmahl betruͤblich iſt/ ſo ſelig nicht zu ſeyn als andere ſind/ daß ſie/ ſo viel ſie
verlangten/ zu eigener ſeelen erbauung und vergnuͤgung anzuwenden vermoͤchten:
Aber es erſetzet theils ſolchen ihꝛen darinn habenden nachſtand der nutzen ſo der nech-
ſte davon hat/ theils ſegnet Gott etwa die wenige vierthel-ſtuͤndlein/ die ſie vor ſich
gewinnen/ ſo viel kraͤfftiger. Und bin ich alſo verſichert/ daß ein David und Pau-
lus/ die mit ſorgen vor ihre unterthanen und viele gemeinden alſo beladen/ daß man
wundern ſolte/ ob ihnen auch ein augenblick vor ſich ſelbs anzuwenden bliebe/ nicht
zuklagen haben/ daß ſie ihres GOttes guͤte nicht anderen gleich/ ſondern in viel hoͤ-
hern maaß/ geſchencket haͤtten. Sonſten wuͤrde man auch noch vielmehr ſolche ſtaͤn-
de zu fliehen haben. So verhaͤlt ſichs dann auch mit dem eheſtand. Sonderlich
bey denen jenigen/ die bereits in der uͤbung des Chriſtenthums wohl geuͤbet ſind/ da-
her ſo viel eher ihre ſeelen in denen gewoͤhnlichen uͤbungen zu Gott erſchwingen moͤ-
gen: Hingegen von denen zuſtoſſenden hinderungen nicht ſo bald abgewendet wer-
den; Wie die jenige/ die noch erſt in dem anfang ſtehen/ und deswegen mehrerer
und freyer ruhe/ ja zu weilen auch gar eine abſonderung von anderen beduͤrffen. Jch
weiß aber/ daß meine vielgeliebte ſchweſter unter nicht dieſer ſondern jener zahl ſte-
het. Alſo finde ich auch unter denen urſachen/ die Paulus fuͤhret/ daß er gern ſei-
ner Corinther ſchohnen wolte/ dieſe/ weil bey dem ehelichen ſtande mehr truͤbſal ſeye/
vornehmlich wie die damahlige zeiten waren v. 28. Daraus ich wiederum ſchlieſ-
ſe/ daß des heiligen Pauli rath und ausſpruch vornehmlich ſehe auff die noch ſchwaͤ-
chere/ welche er vor anderen zuſchohnen urſach hatte/ und von dero ſchwachheit zu
Mſorgen
[90]Das ſechſte Capitel.
ſorgen waͤre/ daß ſie die truͤbſalen ſchwehrlich ohne anſtoß auszuſtehen wuͤrden ver-
moͤgen/ deßwegen er ſie lieber auſſer der gefahr zu ſeyn verlangte. Wo denn ei-
ne Chriſtliche perſon iſt/ welche GOttes krafft ſo weit gebracht/ daß ſie die truͤbſal
nicht mehr fuͤrchtet/ ſondern ſich derſelben ruͤhmet/ und ſo vielmehr freuen will/ ſo
viel mehr GOTT ihren glauben auffdieſe art zu uͤben belieben wuͤrde; derſelben
wuͤrde auch Paulus das jenige nicht mehr alſo mißrathen: ſondern gern zu geben
wo eine ſolche perſon aus anderen anzeigungen den finger GOttes zum eheſtand ſe-
he/ ſolchen zu folgen; nicht zwar eben mit fleiß ſich denen truͤbſalen darzu ſtellen/ ſo
einige vermeſſenheit in ſich haͤtte/ ſondern aus anſehung deroſelben ſich im wenig-
ſten nicht abhalten zu laſſen. Daß iſt gewiß/ daß in dem eheſtand eine mehrere
ſchule der gedult iſt/ als jemand auſſer derſelben vermuthen moͤchte. Alle dieſe be-
trachtungen/ deren theils das werck zurathen theils zu mißrathen ſcheinen/ machen
mich auch ſo zweiffelhafft/ daß ich faſt nicht weiß/ auff eine oder andere ſeite mich
zu lencken: Wenn ich nun nicht unwiſſend bin/ in was aͤngſten ein menſch ſtehet/
welcher bereit iſt GOttes willen zu folgen/ aber in einer ſo wichtigen und den zuſtand
des gantzen lebens betreffenden fache denſelben nicht gantz gewiß ſiehet/ oder unter-
ſcheiden kan/ und nichts mehr wuͤnſchet/ als denſelben zu erkennen: So zweif-
fele ich nicht/ meine vielgeliebte ſchweſter werde auch nicht wenig kampff in ihrer ſe-
len daruͤber empfinden. Und erinnere mich dabey des zuſtandes meines hertzens/
wie der himmliſche guͤtige Vater mich auch eine weile dergleichen ſorge und angſt
habe fuͤhlen laſſen/ als ich vor 8. jahren hieher ziehen ſolte: Und bey mir keinen rath
nicht fand/ ob ich das werck vor eine goͤttliche verſuchung anſehen muͤſſte: Jndem
mich des beruffs verſichern wolte/ weil ich die ſache niemahl geſucht/ oder nur davon
mir traͤumen koͤnnen/ ſo dann andere ziemlich ſcheinbahre anzeigungen goͤttlicher re-
gierung zu bemercken vermeinte; Hingegen aber wieder die ſorge truge/ es moͤch-
te allein eine goͤttliche verſuchung ſeyn/ in dem ich meine untuͤchtigkeit zu ſo ſchweh-
ren amt/ die furcht meines hertzens vor der verantwortung vor anderer ſeelen/ ſo
dann meinen damahliger in Straßburg bey der frey-prædicatur geruhigeren und
vergnuͤglicheren wohlſtande/ in dem ich ohne ſorgen-laſt arbeiten moͤchte/ be-
trachtete/ und kaum begreiffen konte/ daß mich mein GOTT zu einem ſolchen ge-
ſchaͤffte/ daran ich ohne zittern nicht gedencken durffte/ beſtimmet haben; ſondern
vielmehr hoffte/ er wuͤrde meine ſchwachheit ſchohnen. So viel ich nun hievon ſelbs
gefuͤhlet/ kan ich auch gedencken/ wie es ihr zu muthen ſeye/ daß ſie ja goͤttlichen rath
uͤber ſich erkennen moͤchte. Bin aber deſſen in gewiſſer zuverſicht/ daß der grund
guͤtige Vater ſie nicht in ſolchem zweiffel ſtecken/ weniger gar fehlen laſſen/ ſondern
gantz gewiß alſo mit ſeinen geiſt erleuchten werde/ das zu treffen/ was er zu ſegnen
beſchloſſen habe. Rath zugeben finde ich in meiner moͤgligkeit nicht weiter/ als
demjenigen die ſache in gebet und gelaſſenheit zu empfehlen/ der allein in das kuͤnfftige
ſiehet/ u. alſo wo von uns wohl oder uͤbel ſeyn koͤnte/ ohne ſehler (denen wir menſchẽ aus
man-
[91]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECT. XVI.
mangel derſelben vorſehung auch anderer unſerer ſchwachheit/ unterworffen ſind)
erkennt/ auch es gewiß wohl machet mit denen/ die ihm ihre wege befehlen und auff
ihn hoffen. Hat er ihr ſeinen willen noch nicht gezeiget/ ſo halte ſie ferner an/ wie
ich auch meines orts will mit meinen ſeufftzen mit helffen/ nach ſchuldiger bruͤderli-
cher pflicht. Jedoch iſt noch ein vorſchlag/ den ich hiebey zu thun habe/ und mit
N. N. davon geredet/ welchen ich ſo viel freyer thue/ weil er derjenige iſt/ dem ich
ſelbs in obiger gelegenheit nachgegangen. Denn weil in ſolchem zweiffel/ ich mei-
nem urtheil nicht trauete/ maſſen ich in eigenen ſachen mir niemahlen trauen mag/
guter freunde rath aber der fleiſchlichen abſichten/ aus ſo vieler erfahrung/ verdaͤch-
tig hielte/ (daher auch denen jenigen/ die mir ſonſt an eltern ſtatt geweſen/ von der
ſache eroͤffnung zu thun bedenckens hatte.) So ſahe ich endlich kein ander mittel
zu meines gewiſſens beruhigung/ als die ſache aus haͤnden zugeben/ und weil die O-
brigkeit zu Straßburg mir vorgeſetzet war/ es darauff zuſetzen/ was mir GOTT
durch ihren mund wuͤrde anzeigen laſſen/ um ſolches als ſeinen ohnzweifflichen wil-
len zuerkennen und anzunehmen: Daher es auch darauff ankommen zulaſſen/
was die beyden ſtaͤdte Straßburg und Franckfurt meinetwegen ausmachen wuͤr-
den/ daß wolte ich genehm halten/ und weder auff eine noch andere ſeite etwas helf-
fen oder hindern. Darauff endlich mein GOTT durch den entſchluß deren von
Straßburg/ daß ſie goͤttlichem finger ſich nicht zuwiederſetzen wuͤſten/ ſeinen willen
geoffenbahret/ und mir damit/ ſo mich ſelbs zu reſolviren unmuͤglich gedaucht/ das
angetragene anzunehmen leichter gemacht. Dem auch noch allezeit vor ſolche ſei-
ne weiſe leitung und daher noch oͤffters habenden troſt/ demuͤthig danck geſagt ſeye.
Solte ſie nun geliebte ſchweſter auff dergleichen gedancken auch kommen/ ſo waͤre
die ſache auff ihren Herrn Vater zu weiſen: Und alſo von dem jenigen/ der allein
ihr von GOTT vor itzo in dieſen dingen vorgeſetzet/ goͤttlicher wille zuerwarten.
Solte er auff den ihn davon thuenden vortrag/ und die nicht von ihr ſelbs (in dem ſie
ſich bloß in ſein belieben ſtellet) ſondern anderen guten freunden zeigende motiven/
was von beyden ſeiten zu betrachten waͤre/ ſeinen willen gegen dieſes werck bezeu-
gen: ſo iſt ohne das nach allen goͤttlichen rechten eine fromme tochter ſchuldig/ den
vaͤterlichen willen zu reſpectiren: und ob wohl auch mittel da ſind/ da ein Vater
genoͤthiget werden moͤchte/ ſeines abſchlages guͤltige urſachen zu geben/ ſo ſind nicht
nur dieſelbe ſehr weitlaͤufftig und mißlich/ ſondern ſorgte ich nachmahl gar ſehr
daß wir goͤttlichen rath nicht gefolget haͤtten: und wuͤrde deswegen nimmermehr
dazu rathen/ ſehe auch nicht/ wie es ohne ſchwehres aͤrgernuͤß/ und alſo verletzung
des gewiſſens/ hergienge. Wuͤrde aber ſein wort auffs ja hinausfallen/ ſo erken-
te ich ſolches vor die goͤttliche deciſion und andeutung ſeines heiligen willens/ der
ſein hertz darzu regieret: Und wuͤrde als denn kein bedencken tragen/ mit freuden
das joch auffzunehmen/ welches ich alſo ſehe von GOTT mir gezeiget zu werden/
ohne fernere berathſchlagung wie ſchwehr michs duͤncken moͤchte. Jch verſichere
M 2mich
[92]Das ſechſte Capitel.
mich auch/ daß das gewiſſen allezeit ruhe in erinnerung deſſen finden wuͤrde. Die-
ſes ſind meine einfaͤltige gedancken von dieſem werck. Sie meine vielgeliebte
ſchweſter/ wird ohnzweiffel alles dieſes ſchon vorher bedacht haben/ aber ihr es
nicht zu wider ſeyn laſſen/ dergleichen auch von mir zuvernehmen. Jſt ſie darin-
nen eines ſinnes/ ſo dienets zur bekraͤfftigung: Hat ihr aber GOtt andere wege ge-
zeiget/ ſeinen willen zu lernen/ ſo weiche ich willig/ und will auch GOTT dar-
innen preiſen. Er wolle nach ſeiner weißheit ſie in allem und auch in dieſem regie-
ren/ wie er weiß/ daß ſeine ehre an ihr und NN. ſo ich beyde bruͤderlich liebe/ am
beſten geprieſen werden moͤge. 1674.


SECTIO XVII.


9.) Als der vorgeweßte heurath zuruͤck gienge.
GOTTes wunderbahre fuͤhrung der ſeinigen ihren glau-
ben und gedult zu uͤben. Das exempel an mir in dem
beruff nach und von Straß-
burg.


NAch empfang derſelben beyder geliebten ſchreiben habe ich. zu antworten
mit fleiß verſchieben wollen/ biß der allweiſe GOTT in vorgeweißten ge-
ſchaͤffte wuͤrde endlich zeigen/ wo ſein wille hingehe. Denn aus ſolchen
ſchreiben hatte ich zur genuͤge erſehen/ wie ihr hertz in ſolcher ſache alſo ſtehe und
mit der jenigen gelaſſenheit die offenbahrung goͤttlichen willens erwartte/ daß ich
mich hertzlich daruͤber vergnuͤget/ und nichts ſahe/ was ich zu ferner deroſelben be-
ruhigung thun konte/ und alſo mir ſo bald vorgenommen/ allein in meinen gebeth
mit deroſelben in dieſem geſchaͤfft anzuhalten/ in dem uͤbrigen aber achtzugeben wo-
hin goͤttliche leitung endlich ausſchlagen werde/ als gantz verſichert/ nach dem das
werck mit GOTT und in ſeiner furcht gefuͤhret/ daß der ausgang/ wie er auch
ſeyn werde/ nicht anders als von demſelben zukommen erkant werden moͤge. Nach
dem nun vor einigen wochen durch Herrn N. verſtaͤndiget worden/ wie daß der-
ſelben geliebter Vater endlich ſeine reſolution mit einen runden nein/ deſſen man
bereits eine weile ziemliche vermuthungen hatte/ ausgetruckt/ ſo habe nun mehr
nicht weiter ſtillſchweigen ſollen/ ſondern was auch hierinnen meine einfaͤltige ge-
dancken waͤren/ mit meiner vielgeliebteſten ſchweſter getreulich communiciren
wollen. So erachte nun zum allerfoͤrderſten/ das geſchaͤfft gantz geendiget/ denn
ob wol vernommen/ daß von NN. ſolches in zweiffel gezogen werden wolte/ weil
demſelben/ die macht des conſenſus uͤbertragen worden/ er zudenſelben inclini-
ret/ deßwegen ſolche einmahl gegebene gewalt nicht zuruͤck gezogen werden moͤchte:
ſo bekenne doch gern/ daß ich ſolches nicht vor genugſam achte/ in dem nicht nur
allein
[93]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO XVII.
allein das vaͤterliche ſchreiben an NN. ſo ich zwar nicht geſehen/ mit einigen con-
ditionen
ſolle clauſulirt geweſen ſeyn/ ſondern ich in den antwort-ſchreiben ſelbſt
erkennet/ daß darinnen der conſenſus nicht ſchlechter dings ausgetrucket/ ſondern
gleichſam dem vater wiederum heimgegeben worden/ wo es austruͤcklich heiſſet/ wo
des vaters und der tochter wille hierinnen wuͤrde conform ſeyn: Daher ich ge-
ſtehe/ daß ich nicht finde/ wie einige verbuͤndligkeit damit gemachet/ ſondern daß
meine vielgeliebte ſchweſter frey geblieben/ wie auch ihrem geliebten vater/ die ge-
walt bey behalten geblieben ſeye/ ſelbs darinnen zu disponiren. Gleich wie nun
Herr N. viel vergnuͤgter und ruhiger auff ſolche antwort ſich gewieſen/ als wie
vorhin gedencken moͤgen: Alſo bin auch verſichert/ das GOTT mit ſeiner kraͤff-
tigen hand deroſelben gemuͤther mehr beruhigen werde/ als es etwa noch bißher in
erwartung des ausganges geweſen. Daß einige bedencklichſte in der ſache/ ob
der endliche erfolg wahrhafftig vor GOTTes willen zuerkennen/ moͤchte wol die-
ſes ſeyn/ weil die urſachen der vaͤterlichen abſchlagung wol nicht ſo bewandt/ daß ſie
allein vor ſich angeſehen das gewiſſen befridigten/ als darin nicht auff das jenige ge-
ſehen wird/ worauff wir billich ſehen ſolten/ denen goͤttliche ehr/ des nechſten wol-
fahrt und eigenen heyls beobachtung die einige zwecke aller unſer rathſchlaͤge ſeyn
ſolten/ ſondern auff bloß fleiſchliche gruͤnde/ eine eingebildete beſchimpffung des ge-
ſchlechts und der gleichen. Aber ohneracht deſſen/ ſo ſehe ich gleichwol die vaͤterli-
che reſolution vor die erklaͤrung des goͤttlichen willens an. Wie GOTT zum
oͤfftern ſeinen willen uns anzeiget/ durch ſolche/ welche in dem ſtuͤck auff ihrer ſeiten
ſich verſuͤndigen/ und nicht thun/ was ſie thun ſolten. Goͤttlicher wille war/ das
Jerobeam das koͤnigreich haben ſolte: ob wol welche ihn darzu auffgeworffen/ und
er ſelbſt/ ſich darinnen verſuͤndigeten. Goͤttlicher wille war Joſephs hinabſen-
dung in Egypten/ die ſeine neidiſche bruͤder mit ſuͤnden befoͤrderten. Und alſo in
vielen anderen exempeln. Daher ſo ſehe ich in vaͤterlicher antwort (es waͤre denn
ſache/ das ſolche mich zu etwas verbinden wolte/ ſo wieder den Vater in dem him-
mel ſtreitet) nicht ſo wol an/ wie wol oder uͤbel ſie gegruͤndet/ worauff ich bey an-
derer guten freund rath zu ſehen/ ſondern wie ſolche perſon mir an GOttes ſtelle
vorſtehe/ und GOtt in ihm wolle geehret ſeyn. Jſt in jenem von ihm gefehlet/ ſo
ſteht die verantwortung bey ihm/ wie bedaͤchtlich er ſich ſeiner gewalt gebraucht/
nicht bey den jenigen/ welche ihr ſchon dieſes zum gehorſam genug ſeyn laſſen/ daß
es des Vaters wille ſeye/ Ja ich halte davor/ daß eben darinnen die goͤttliche
weißheit ſo viel herrlicher ſich hervor thue/ daß ſie ihren heiligſten willen durch
fleiſchliche anderer menſchen abſichten zuweilen ſehen laͤſſet/ wo alle dieſe nicht hin-
dern muͤſſen/ daß nicht jene durch dringe/ und endlich allein ſtehen bleibe. Wel-
ches wie es in regierung der gantzen kirchen oͤffters ſo viel ſcheinbahrer erhellet/ alſo
auch von gottſeligen ſeelen in dem gemeinen leben eben ſo wol erkant und beobach-
tet wird. Daher weil ich vernehme/ daß NN. nicht wol zu frieden ſeye/ verhof-
M 3fe
[94]Das ſechſte Capitel.
fe und wuͤnſche/ daß durch meiner vielgeliebtſten ſchweſter vernuͤnfftige und liebrei-
che interceſſion dieſelbe beguͤtiget/ und die ungnade von dem geliebteſten vater
hierinnen abgewendet werde/ welches wol am fuͤglichſten geſchehen mag/ wo je-
ner der formalien ſeiner antwort erinnert/ und alſo wie darinnen ihm noch frey
ſey gegeben worden/ erwieſen wuͤrde. Jn dem uͤbrigen ſehe ich dieſes gantze biß-
her gefuͤhrte werck als eine ſonderbahre probe an/ damit die vaͤterliche guͤte GOt-
tes die gelaſſenheit erkaͤntlich pruͤffen/ ihre gedult auch andern vor augen ſtellen/
und ſie alſo in der ſchulen/ worinnen ſie ſchon ſo offt mit mehrern geuͤbet worden/ fer-
ner uͤben wollen. Daß es der guͤtige GOtt ihr erſtlich ſo ſchwehr werden laſſen/
von dem gefaßten vorſatz des ledigen ſtandes nur etlicher maſſen abzuweichen/ und
ihr alſo darinnen die ehre zu geben/ ſie verſtehe nicht ſo wol/ was zu ihrem beſten al-
lezeit gehoͤre/ daß ſie nicht zu ehren goͤttlicher weißheit/ wo dieſelbe ſie anders wo-
hin weiſe/ bereit ſeye/ auch alle gedancken fahren zu laſſen/ da[r]innen ſie ſich ſonſten
am gegruͤndetſten geachtet. Nach dem dieſer kampff uͤberwunden/ ſo lehret ſie
GOtt den jenigen lieben/ von deſſen liebe und geſellſchafft ſie in der welt mehr ver-
druß und beſchwehrde als zeitliche anmuth erwarten koͤnte/ allein um deßwillen weil
ſie es davor achtete/ daß ihres Gottes willen an ſie waͤre/ und dieſen ihr dazu beſtim-
met zuſeyn/ ſeine gehuͤlffin zu werden. GOTT hat ſie wiederum auch in der
liebe des creutzes geuͤbet/ daß ſie um deſſelben willen den ehelichen ſtand nicht nur
nicht fliehen wollen/ ſondern es eine von den bewegenden urſachen ſeyn laſſen/ ſich
deſſen zu freuen/ worinnen ſie mehrere gelegenheit zu uͤbung der gedult finden wuͤr-
de. Nachdem dieſes alles uͤberſtanden/ und Abraham bereit iſt ſeinen ſohn Jſaac dem
HErrn zu opffern/ das iſt/ da ſie nun ihre ſonſten ſo angenehme freyheit des ledi-
gen ſtandes und deſſen viele ſußigkeit dem HErren zu gehorſamen willig hingeben
will/ ſo kehrets GOtt uͤm/ und laͤſt wiederum ihr zu ruffen/ er ſey mit ſolchen wil-
len vergnuͤgt/ und nehme ſolches opffer als empfangen an. Sie moͤge aber noch ſo
lang des hertzlich und bedaͤchtlichen geliebten gutes genieſſen/ biß er auff andere-
mahl ſeinen willen wiederum anders zeigen wolle. Sihet ſie alſo/ meine hertzlich
geliebte ſchweſter/ wie ihr liebſter himmliſcher Vater ſo freundlich mit ihr ſpielet/
und ſie ſo viel offter auff unterſchiedliche weiſe uͤbet/ gegen andere unerfahrnere/ ſo
vielmehr gnade und gaben er ihr verliehen hat. Jetzo fodert er von ihr/ daß ſie mit
gleicher gelaſſenheit/ dazu ſie ſich in ihren ſchreiben ſelbſt frey reſolviret/ dieſe ſeine
letztere erklaͤrung ſeines willens mit gleichen gehor ſam umbarme/ und auch den je-
nigen kleinen ſchimpff/ den man wegen bey ihnen ausgebrochener ſache daher ſor-
get/ mit kindlicher demuth annehme. Wiewol es bey verſtaͤndigen nicht ſchimpff
ſondern ehre iſt/ zeigen/ daß man alle ſtunde und augenblick bereit ſeye/ nichts an-
ders zuwollen/ als was der HERR dißmahl von uns erfordert. Jch erinnere
mich dabey meiner begenheit/ da GOtt mich vor 12. jahren in anderen dingen auff
faſt
[95]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO XVII.
faſt gleiche art hat uͤben wollen. Als ich eine groſſe furcht hatte vor der ſeelen ſor-
ge/ und mein hertzliches verlangen war/ daß GOTT meiner damit ſchohnen und
mir eine ſolche art in geiſtlichem ſtande zu leben zeigen moͤchte/ worinnen ich zwar
arbeit/ aber dergleichen ſorge und verantwortung nicht/ haͤtte; So begab ſichs/
daß aus Straßburg durch einige gute goͤnner mir/ der damal zu Tuͤbingen war/ zu
geſchrieben und eine vocation zu einer gewiſſen ſtelle in der Statt angetragen
wurde/ wo ſolche ſeelen-ſorge nicht nur mit anhinge ſondern auch derſelben beſchwer-
den vor anderen groß waren. Da gab es einen harten kampff. Auff einer ſei-
te ſtunde die liebe der freyheit und furcht vor ſolcher verbindung. Auff der ande-
ren ſeiten/ weil alles ohn mein geſuch geſchehen/ auch andere urſachen/ wolten
mich glauben machen/ das werck ſey von dem HErrn/ und je groͤſſeren widerſtand
ich in dem gemuͤth dagegen empfand/ ſo viel mehr fuͤrchtete ich/ fleiſch und blut wol-
le GOtt ungehorſam ſeyn/ in dem es ſie ſauer ankaͤme. Jch ſandte endlich einen
expreſſen boten an jemand der meinigen/ deſſen urtheil und rath ich vor andern
trauete/ und ſuchte mir aus der angſt zuhelffen. Dieſes gutachten/ fiel auch da-
hinaus/ GOttes finger habe ſich gezeiget/ ich ſolte dem nicht entweichen. GOtt
gab gnade/ daß ich die natur uͤberwand/ und zu folgen mich reſolvirte: auch wuͤrck-
lich nach Straßburg mich begab. Als ich da war/ ſo funden ſich einige conditi-
ones
bey angetragene ſtelle/ welche meiner leibes conſtitution halben mir un-
muglich zu ſeyn/ ſo wol der præſes des kirchen convents erkante/ als auch folg-
lich die jenige ſelbſt/ ſo das werck vorhin getrieben/ auff dieſelbe remonſtration ſich
zu ruhe begaben. Daß alſo die ſache zuruͤcke ging: Und zwar da auch ſchon et-
was unter die leute gekommen war/ ſo wol bey meinem abſchied aus Tuͤbingen/ als
in der ſtatt/ deswegen auch einiger ſchimpff zu ſorgen war. Jch habe es aber als
eine verſuchung angeſehen/ da mein GOtt mich uͤben wollen/ ob mir ſein wille ſo
lieb ſeyn wuͤrde/ um deſſelben willen meinen ſinn zu aͤndern: nachmahlen aber
mich wiederum frey zu laſſen. Er hat zwar dennoch ferner mit mir geſpielet/ daß
er mich erſtlich zu einen ſolchen dienſt/ wie ich haͤtte wuͤnſchen moͤgen nemlich der
frey prædicatur beruffen laſſen/ und mich/ der ich mich in deſſen ſuͤſſe ruhe/ weil kei-
ne beſondere ſelen-ſorge dabey war/ verliebet/ nichts deſto weniger mich nach mahlen
gegenwaͤrtige ſorgen-volle ſtelle geſetzt. Seiner heiligſten u. allweiſeſten guͤte ſey vor
alle ſolche dero fuͤhrung demuͤthigſt danck geſagt/ nicht nur die an mir erwieſene/
ſondern die ich in dieſem werck an meiner vielgeliebteſten ſchweſter auch erwieſen zu
ſeyn erkenne. Laßet uns untereinander ihn allezeit ehren/ der uns fuͤhret wie die
jugend. Er fuͤhre ſie ferner wunderlich/ aber ſeliglich. 1674.


SECT.
[96]Das ſechſte Capitel.

SECTIO XVIII.


(10. Gelaſſenheit in goͤttlichen willen. Buͤch-
lein
D.Kortholts von den verfolgten Chriſten der erſten
kirchen. Goͤttliche krafft zu ſolcher zeit. Gefahr der un-
ſern. Roͤmiſches und ſtaͤtes Evangeliſches jubeljahr.
Neujahrs wunſch. Kuͤnfftige hoffnung nahen fruͤhlings.
Maria Juliana Baurin von Eiſe-
neck.


JCh habe zum foͤrderſten zu bezeugen/ mit was inniglicher vergnuͤgung gele-
ſen/ wie gelaſſen dieſelbe ſich in die regierung ihres GOttes gegeben/ und
nichts anders ihren zweck oder richt-ſchnur ſeyn laſſen/ als dem gebenedey-
teſten willen des himmliſchen Vaters ſich ohne außnahm auffzuopffern/ und deß-
wegen willig auch ihre eigene bereits gefaßte gedancken wiederum fahren zu laſ-
ſen/ ja auch anderer nach-reden nicht zu achten. Alſo hat unſer grundguͤtige
GOTT auch vor dißmahl in ihr ſeinen zweck erreichet/ durch die gnade/ die er in
ihr gewuͤrcket: So wird ſie zweiffels frey ſich in ihrem inwendigen herrlich ge-
ſtaͤrcket finden/ aus jetziger probe auch auff das kuͤnfftige in allen kampff geruͤſte-
ter zugehen. Es wird auch der jenige maͤchtige GOtt/ ſo bereits die neue beſorg-
te ungelegenheit/ wegen fuͤrchtender ungnade der herrſchafft gegen ihren geliebten
Herren vater/ kraͤfftig in anderwertiger leitung der gemuͤther abgewendet hat/
mittel und wege wiſſen/ woferne ſonſten noch in dem aͤuſſerlichen etwas daraus zu
ſorgen waͤre/ daſſelbige abzuwenden/ oder auch zu ihrem nutzen außſchlagen zulaſ-
ſen. Wie denn der welt hertzen ungleiche urtheil nicht nur mit freudigen gewiſſen
verachtet werden moͤgen/ ſondern auch ſchickets GOtt alſo/ daß der von dieſen ent-
ſtehenden ſchimpff ſeinen kindern eine rechte ehren-krohn vor ihn/ ja auch vor ande-
ren frommen hertzen werden muß. So geſchiehet durch ſeine weiſe regierung oͤf-
ters/ daß jene ſelbſt endlich ihre unbilligkeit erkennen/ und ſich deren ſchaͤmen muͤſ-
ſen. Jhm aber/ der ſie bißher ſo kraͤfftig geſtaͤrcket hat/ und deme einig und allein
preiß gebuͤhret/ ſey vor ſolche ihro auch dißmahl erwieſene himmliſche gnade und
goͤttliche krafft inniglich danck und lob geſaget in zeit und ewigkeit. Der ſtaͤrcke
uns noch alle ferner/ und laſſe uns in ſeiner gnade wachſen zur maß des vollkomme-
nen alters Chriſti/ biß wir uns allerdings in uns ſelbſt verliehren/ und nur in ihme
noch finden.


Hierbey ſende nebſt 2. leich-predigten das laͤngſt verſprochene Tractætlein
von den lieben verfolgten Chriſten der erſten kirchen/ ſo vor weniger zeit fertig
geworden: verſichert/ es moͤge derſelben nicht unangenehm ſeyn/ ein und ander-
mahl
[97]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO XVIII.
mahl darinnen anzuſehen das bild unſerer lieben vorgaͤnger und der theuren ſtrei-
ter und ſtreiterinnen unſeres obriſten der heiligen Heerſcharen/ welche er zu noch
ſchwereren kampff als er uns insgemein beruffet/ gefuͤhret/ aber ihnen alfo kraͤfftig
bey geſtanden hat/ daß ſie die ſiegs palmen und krohnen davon getragen/ auch wol
mitten in der marter den GOtt ihrer ſtaͤrcke/ gegen die die feinde nichts vermoch-
ten/ geprieſen haben. Nun der Geiſt der in demſelben ſolches gewircket/ iſt eben
der jenige/ ſo auch uns von dem Vater geſchencket iſt. Und wo wir das vertrau-
en auff uns ſelbſt und die liebe der welt gaͤntzlich ablegen/ ſo moͤgen wir gewiß ſeyn/
er werde auch nicht mangelen/ mit ſeiner krafft dermaſſen uns aus zuruͤſten/ daß
uns nichts zu ſchwer werden ſolle/ ſondern/ daß wir in allen/ es ſeye verfolgung/
angſt/ truͤbſal/ hunger/ faͤhrligkeit/ bloͤſſe/ ſchwerdt/ endlich weit uͤberwinden um-
deßwillen/ der uns geliebet hat. Hierzu laſſet uns unſere ſeele ſchicken: Vielleicht
moͤchte es ſeyn/ daß GOtt uns zu ſchwehreren proben fuͤhrete/ als wir jetzo vorſehen;
wie denn gegenwaͤrtige zeit wenig leibliche ruhe oder wohlſtand verſpricht; Son-
dern das anſehen iſt/ goͤttliche gerichte wollen aller orten einbrechen/ zur ſtraff der
ungehorſamen welt/ und auch die ſeinen mit gewalt aus der gemeinſchafft der allge-
meinen aͤrgernuͤß zu ziehen/ wo es zu weilen nicht mit leiſen griffen hergehet/ den
Loth aus Sodom zu bringen. Der hoͤchſt verlangende friede ſtehet in ſehr weitem
feld: Und ſolte er auch erſolgen/ ſo wiſſen wir nicht/ ob GOtt ſich nicht eben ſolches
mittles zu ſchwehrer u. auff andere weiſe gefaͤhrlicher heimſuchung ſich gebrauchen
moͤchte. Nun er iſt der HERR! Er mache es wie es ihm gefaͤllt: So iſt er auch
Vater/ und wirds alſo wol machen: Er gebe nur/ daß wir allzeit ſeinen willen er-
kennen. Zu Rom iſts nun andem/ daß ſie ihr ſo genantes jubel-jahr anfangen/
als ein gnaͤdiges und erlaß jahr. Wir wollen menſchen ihre menſchen-fuͤnde laſ-
ſen/ und nichts anders davon verſichern/ als vielleicht neue raͤncke und anſchlaͤge ge-
gen die bekenner der wahrheit. Dem Hoͤchſten aber ſeye danck geſaget/ der uns
hat erkennen laſſen/ daß ſo wirs nur annehmen wollen/ wir anitzo in dem Neuen
Teſtament in einem ſtaͤten jubel- und erlaß-jahr leben/ darinnen unſer wehrte-
ſter Heyland uns taͤglich predigen laͤſſet/ den gefangenen eine erledigung/ den
gebundenen eine oͤffnung/ und die zubrochenen hertzen zu verbinden. Jeſa. 61/
1.
u. f. Er laſſe uns auch dieſes vorſtehende jahr ein ſolches zu ſeyn ſpuͤhren. Wie
ich denn hiemit meiner allerliebſten ſchweſter/ und allen denen/ die ſamt ihr den
HErrn lieben und fuͤrchten/ nichts beſſeres zur neu-jahrs gabe von dem Vater alleꝛ
guten und vollkommenen gaben zu wuͤnſchen weiß/ hiemit aber imbruͤnſtig anwuͤn-
ſche/ alß das auch inſtehendes jahr deroſelben ſeye ein gnaͤdiges jahr des HERRN/
in empfindung der reichen gnade unſers Heylandes JESU/ in verbindung aller
wunden des hertzens/ durch den ſuͤſſeſten heiligſten troſt des heiligen Geiſtes/ in
taͤglichem zunehmen der freyheit/ darinnen uns unſer liebſter bruder gefuͤhrt und
geſetzt/ durch ſtets wachſende erkaͤntnuͤß ſeiner theuren guͤter/ und maͤchtiger zer-
Nreiſ-
[98]Das ſechſte Capitel.
reiſſung aller noch uͤbriger ſo ſuͤnden-als welt-bande/ die an uns noch hier den voll-
kommenen genuß jener freyheit hindern/ in ſteter freude uͤber die herrliche gnaden-
zeit und inniglichen jubel-geſang zur danckbahrkeit vor die uͤberſchwengliche guͤte/
die uns uͤberſchuͤttet: So denn endlich in beſitzung des jenigen/ was von leiblichen
ſegen der GOtt/ ſo der ſeelen und des leibes GOtt zugleich iſt/ noͤtig erachtet: ja
daß dieſes gnaͤdige jahr ſich nicht in der enge einiger 12. monat einſchlieſſe/ ſon-
der waͤhre unauffhoͤrlich/ biß der ausgang der zeit den eingang der ewigkeit zum
unendlichen jubiliren oͤffenen. Er halten wir dieſes von GOtt/ wie er der glaͤubigen
gebet die gewiſſe erhoͤrung zugeſaget/ ſo werden wir taͤglich danck zuſagen urſachen
genug finden: Und moͤgen dem Papſt ſein guͤldenes jahr und von armer leute thor-
heit ſamlende ſchaͤtze/ ſo denn ſolchen ihre freude der vermeintlich empfangenden
ablaß/ gegen unſeren guͤtern nicht mißgoͤnnen: ſondern vielmehr ſehen wir dieſes
mit betruͤbnuͤß und hertzlichem mitleiden/ auch gebet/ daß GOTT der blinden au-
gen oͤffnen wolle/ alſo an/ daß wir unſerer wahren guͤter uns ſo viel hoͤher freuen.
Solte aber GOtt der geſamten kirche eine ſonderbahre freude geben wollen/ haͤt-
ten wir nichts beſſers zuwuͤnſchen/ als ob ſeine weißheit allgemach die zeit kommen
wolte laſſen der erfuͤllung der jenigen dinge/ die er noch zu troſt ſeiner glaͤubigen hat
verheiſſen und auffzeichnen laſſen. Ach ſolte dieſes das jahr ſeyn/ da GOtt wolte
laſſen anfangen die jenigen fruͤhlings tage anbrechen/ welche wir noch vor den letzten
truͤbſalen und darauff folgenden neuen ſommer warten! Wir ſehen gleich wol ſo
zu reden die baͤume/ boͤſe und gute/ auch wieder ausſchlagen: daß etwa die hoffnung
nicht vergebens iſt/ es ſeye ſolche liebe zeit nicht mehr ſo weit. Aber HERR dein
wille geſchehe auch hierinnen zu der zeit und ſtunde/ nicht wenn es uns ſondern dir
gefaͤllt!


P. S.


Jhr Hochfuͤrſtl. Durchl. und gantz Hochfuͤrſtlichem hauß ſage ich unterthaͤnigſt
danck des gnaͤdigſten andenckens: Der groſſe GOTT erfuͤlle auch dieſelbige
mit nicht nur weltlichen hohen wohlergehen/ ſondern vornehmlich ſeiner himmli-
ſchen gnaden erfreulichſten genuß; in dem allein auch ewig hoch und groß werden/
die da ſie auff der welt von GOtt uͤber andern erhaben ſind/ deñoch in jenen guͤtern
aller erſt die beſtaͤndigſte hoheit finden und genieſſen. Wo die Hochfuͤrſtliche
Princeßin ſeye/ entſinne mich nicht mehr recht. GOtt ſey allezeit und aller orten
wo ſie iſt/ umb ſie/ uͤber ihr/ und mit ſeiner gnaden wohnung in ihr.


2. P. S.


Als ich im ſchreiben deſſen war/ ſo kam zu mir frau Maria Juliana Bau-
rin von Eiſeneck/
eine gottſelige witbe/ wegen einiger chriſtlichen angelegenheit
mit mir zu reden/ alſo fuͤgte ſich/ daß zu ſo vielmehr befriedigung ihrer ſeelen einiges
aus
[99]ARTIC. I. DISTINCT. I. SECT. XIX.
aus meiner vielgeliebteſten ſchweſter ſchreiben fuͤr laß/ ſo ſie hertzlich vergnuͤget/
und verlanget/ mit gleicher gelaſſenheit ſich ihrem GOtt auff zuopffern: Jch rich-
tete alſo auch bey ihr den allgemeinen gruß aus/ damit ſie etliche mahl alle die den
HERRN JESUM hertzlich liebten/ zu gruͤſſen auffgetragen. Ob ſie nun
wol aus demuth meinte/ allein unter der zahl der jenigen zu ſeyn/ die erſt in ſolcher
ihren mangel zuerkennen anfangen/ als ſolche liebe in erforderten grad haͤtten/ ſo
begehrte ſie daß hinwiederum ihren hertzlichen wunſch und gebet bezeugen ſolte.
Jch wuͤnſchte ihr meiner allerliebſten ſchweſter naͤhere kundſchafft/ ſo ihr zu groſ-
ſen troſt gereichte. Wie ich ihr gemuͤth zu ſeyn befinde/ habe in einer dedication
an ſie/ ſo vor denen predigten von den verſuchungen ſtehet/ oͤffentlich bezeuget:
GOTT gebe ihr einen freudigen Geiſt/ die ihr erwieſene himmliſche gnade ver-
gnuͤglich zuerkennen/ und wie ſie mit furcht und zittern in vielen kampff ihm dienet/
auch mehrmahlen ſeine ſuͤſſe zu empfinden. Amen. M. Dec. 1674.


SECTIO XIX.


Die goͤttliche gerichte der kriege.


WJe es mir und andern guten hertzen/ nach dem man ſich gern befleiſſen
wolte/ das jenige wuͤrcklich zuthun/ was wir lehren/ und gelehret werden/
wird bey gelegte epiſtel zeugen. Jch erwarte des allgemach ſich ſamlen-
den und dermaleins ausbrechenden wetters in chriſtlicher gelaſſenheit. Der
HERR gebe gnade ſeinen willen allezeit zuerkennen/ und folglich ihn mit thun
und leyden hertzlich zupreiſen. Ach wie ſelig/ dem HERRN in deſſen todt wir
in der tauff eingepflantzet worden/ in ſeinem ſterben aͤhnlich zu werden/ daß wir
auch moͤgen theil haben an ſeiner aufferſtehung und leben/ ja an ſeiner herrligkeit/ zu
dero gemeinſchafft er uns beruffen/ aber dieſelbe uns nicht anders/ als wie er auch
darein eingegangen/ beſchieden hat. Das elend des kriegs/ uͤber welches Ewre
Wol Ehrwuͤrde klagt/ dz es auch ihre liebe gegend ſo hart trucket/ iſt nicht nur gantz
Teutſchland allgemein/ ſondern ſcheinet anderer orten/ wo man endlich noch ſeine
huͤttlein behaͤlt/ ertraͤglich zu ſeyn gegen dem jammer deren dem Rhein benachbar-
tem lande/ wo uͤber andere verhoͤrung auch die flammen alles verzehren/ nicht an-
derſt/ ob wolte GOtt die einwohner allerdings mit ſtumpff und ſtiel außrotten:
und mit ſolchem feuer uns gleichſam ein vorſpiel weiſen/ der ſchrecklichen letzten
feuer-gerichten. Nun er iſt der HERR/ er thue/ was ihm wolgefaͤllt: Wir
haben mehr als dieſes verdienet/ er laſſe uns aber auch alles aus ſeiner hand mit de-
muth und gehorſam annehmen/ und zu ſolchem ende ſeinen guͤtigen heiligen rath
in allem dem/ was ſo erſchrecklich ſcheinet/ erkennen/ und uns demſelben unter-
werffen: So werden wir gewiß finden/ was auch in dem ſtuͤck dem aͤuſſerlichen
N 2men-
[100]Das ſechſte Capitel.
menſchen abgehe/ werde an dem wachsthum des innerlichen von tag zu tag erſetzet
werden. O wie vielen nimmt GOtt den allzugroſſen laſt und buͤndel/ mit wel-
chem ſie ſich durch die enge pforte nicht durch dringen koͤnten/ ab/ und macht ſie da-
mit fertiger daſelbſten einzugehen/ wo ſie mehr finden/ als thnen feuer und ſchwerd
allhier haͤtte nehmen koͤnnen; Jſt alſo gewiß dieſes ihrer vielen/ ja allen/ welche
ſolchen rath GOttes bey ſich kraͤfftig ſeyn laſſen/ eine groſſe gutthat/ woruͤber doch
fleiſch und blut ſo ſehr ſich entſetzet: Er aber auch als ein weiſer GOtt und guͤtiger
Vater unſere ſchwachheit anſehen/ die verſuchung nicht zuſchwehr werden laſſen/
ſondern ſo wol mit ſeiner gnade uns deſto mehr ſtaͤrcken/ als ſie auch dermaſſen mil-
dern und lindern wird/ daß wir unter und zwiſchen dem zorn wolcken ſeine gnaden-
blicke erkennen/ ja er wolle nach ſeinem heiligen willen entweder uns bald wieder-
um mit dem verlangten frieden erfreuen/ und geben/ daß wir ihn wieder mit froͤ-
lichem hertzen und ruhigem gemuͤth dancken moͤgen/ oder wo dieſes ſolten die anfan-
gende wehe der letzten angedroheten gerichte ſeyn/ ſo gebe er allen die ihn lieben/ die
darzu noͤthige krafft/ und fuͤhre den Loth in ſein Zoar/ ſeine liebe freunde in ihr
Pellam; Jn ſumma er ſchaffe ſeinen willen/ welcher niemalen anderſt als gut/ hei-
lig und nutzlich iſt. Und o wie wol/ wo wir uns reſolviren/ denſelben in allen din-
gen zu lieben und zu loben!


SECTIO XX.


A. Crameriehrenſtand der kinder BOTTes.
Vorzug des Evangelii/ auch deſſen mißbrauch. Franck-
furtiſche zuſtand. Mein hauß-
collegium.Kinder-
lehr und catechiſmus
examina.


JCh kan nicht gnug mit wenig worten austrucken die hertzliche vergnuͤgung
lehrbahr ich aus Ew. Wol Ehrw. freundlich an mich gethanen geſchoͤpffet
habe. Wie ich denn billich den liebreichſten Vater alles guten demuͤtig danck
ſage/ daß er ſeines treuen dieners (Andreæ Crameri) den er laͤngſt zu ſeiner freu-
de eingefuͤhret/ vor der welt augen ſo ringfuͤgig ſcheinende arbeit auch dieſes mal
wiederum kraͤfftigſt geſegnet/ auch mir die freude wiederfahren hat laſſen/ zu ſehen
daß die wenige ſorge/ ſo zu der wieder aufflage allhier vor etlichen jahren angewen-
det/ nicht vergebens geweſen ſeye. Und zwar hat mich ſolches ſo viel hertzlicher
vergnuͤget/ weil von ſolcher zeit an/ des hieſigen trucks/ ohne daß in Wirtenberg ſich
einige from̃e gute hertzen gefunden/ ſo ein belieben daran zu haben bezeuget/ ſonſten
faſt wenig gehoͤret/ das ander orten viele ſolcher heiligen einfalt den rechten ge-
ſchmack abgewonnen; Daß ich mich offts mahls wunderte/ wie es komme/ das
die
[101]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO XX.
die rechte krafft des Evangelii nicht in der wuͤrde bey uns Evangeliſchen gehalten
werde/ wie es billich waͤre. Jedoch moͤgen auch andere gute gemuͤther/ denen
Crameri werther nahme eben unbekant/ aus der Schrifft ſelbſten/ und darinnen
vornehmlich den theuren Paulo und Johanne/ ſo dañ unſern vortreffuchen Luthe-
ro
und Arndio, oder auch dem lieben Statio, welcher aus Steph. Prætorio mit
mit gutem bedacht das beſte/ abgeſondert einiger in jenes ſchrifften be-
findlichen ſchlacken/ zu ſammen geſammlet/ eben das jenige gefaßt/ und ins hertz ge-
trucket haben/ was dieſer treuer lehrer ſo eyffrig und auff eine ſolche deutliche art/
uns vorlegt/ es bleibet freylich an dem; Das Evangelium muß es ſeyn/ wel-
ches Chriſto kinder zeuget: Dieſes wort der gnaden iſt die ſelige morgenroͤthe/
ſchwanger von vortrefflichen thau. Und mag dem geſetz ſolche krafft nicht zuge-
ſchrieben werden/ als welches nicht lebendig machet Gal. 3. ſondern toͤdtet: Da-
her Ew. Wol Ehrw. Chriſtlich und wol thun/ daß ſie nach dem methodo ſolcher
goͤttlichen und Evangeliſchen lehr ihr amt und predigten einrichten/ wo zu GOtt
auch von oben herab ſein kraͤfftiges gedeyen zu vieler frucht geben/ ihr aber die freu-
de goͤnnen wolle/ ſolche anzuſehen/ uñ ihme darvor hertzlich zu dancken. Er laſſe auch
mehrere an allen orten erkennen des HERRN klarheit mit auffgedecktem
angeſicht/ um verklaͤhret zu werden in daſſelbe bilde von einer klarheit zu
der andern/ als von dem Geiſt des HErrn 2. Cor. 3.
Damit alle welt ſei-
ner himmliſchen erkaͤntnuͤß voll werde. Jch zweiffele auch nicht/ Ew. Wol Ehr.
werden ſelbs ihres orts nach der empfangenen gnade GOttes in ihrem amt dahin
getrachtet haben/ daß gleich wie den leuten die unaußſprechliche himmliſche ſchaͤ-
tze des Evangelii und der geſchenckten ſeligkeit gewieſen/ und vorgelegt/ alſo nach-
mal auch die wahre art des lebendigen glaubens/ der ſie allein faſſen kan/ der heili-
gen Schrifft gemaͤß/ nachtruͤcklich vor augen geſtellet werde/ damit nicht die an
ſich ſelos ſo edle und theure lehr von ſolcher ſeligkeit von verkehrten gemuͤthern zur
ſicherheit ſchaͤndlich mißbraucht/ oder dero boßheit kraͤfftig zu begegnen unter laſſen
werde. Wie wir ſehen/ wie fleißig der hocherleuchtete Apoſtel Paulus ſich be-
muͤhet/ ſich zuverwahren/ das ſeine heylſame lehre von der gnade von ſichern her-
tzen nicht auff muthwillen gezogen werde. Als ſonderlich Rom. 6. zuſehen iſt: und
werde ich dieſer beyden fehler hin und wieder gewahr; auff der einen ſeite/ daß die
groſſ[e] vortrefflichkeit der gnaden ſchaͤtze von CHRJSTO erworben und in
wo[r]t und Sacramenten angetragen/ bereits auch wircklich in dem Sacrament der
heiligen tauff geſchencket/ von ſo wenigen erkant/ auch wo wirs recht bekennen
ſollen/ nicht aller orten gnugſam den leuten erklaͤhret werden; auff der andern ſei-
ten/ daß wo nicht ihren falſchen einbildungen behutſam begegnet wird/ ſolche theure
gnaden lehr von ſichern gemuͤthen dahin gezogen wird/ daß ſie meinen/ ihre einbil-
dung/ die doch nichts von dem wahren glauben hat/ bringe ihnen ſolche theure guͤ-
ter/ und mache ſie ihnen zu eigen. Aus dem erſten mangel entſtehet/ daß die leute
N 3kei-
[102]Das ſechſte Capitel.
keinen rechtſchaffenen antrieb haben zu ihrem Chriſtenthum/ deſſen guͤter ſie nie
wahrhafftig eingeſehen/ weswegen ſie auch dardurch nicht bewogen/ noch die her-
tzen von der liebe der welt abgezogen werden. Jndem unmuͤglich iſt/ daß das hertz
eines menſchen moͤge alſo ſtehen/ daß es nicht auff etwas beruhete: wird ihm alſo
nichts vortrefflichers oder wuͤrdigers gezeiget/ ſo ruhet es auff den irdiſchen guͤtern/
oder ſuchet vielmehr in denſelben ſeine ruhe/ ob wohl veꝛgebens und mit ſtaͤter unꝛu-
he. Wo ihm aber die rechte wahre guͤter/ die keine andere ſind als jene ewige und
himmliſche gnaden-ſchaͤtze/ alſo recht vor augen gelegt werden/ daß es die vortreff-
lichkeit deroſelben recht verſtehen lernet: So laͤſſt ſichs nachmahl mit leichter muͤhe
auff deroſelben beliebung und hingegen verlaſſung der andern/ welche gegen die-
ſes nichts zu ſeyn erhellen/ leiten: Sonderlich wo ihm dabey ſein ungluͤckſeliger ſtand/
in welchen es leer ſolcher guͤter iſt/ nachtruͤcklich gewieſen wird. Aus dem andern
fehler/ wo wir nicht trachten/ mit groſſer ſorgfalt den leuten zu zeigen/ woran ſie ih-
ren glauben kennen moͤgen/ und denſelben von der ſo vielen ſicherheit recht unter-
ſcheiden/ ſo faͤllet der groſſe hauff dahin/ wie Lutherus redet in der vorrede uͤber
die epiſtel an die Roͤmer/ wenn ſie das Evangelium hoͤren/ machen ihnen aus
eigen kraͤfften ein gedancken im hertzen/ der ſpricht ich glaube/ das
halten ſie denn fuͤr einen rechten glauben. Aber wie es ein menſchlich
gedicht und gedancken iſt/ den des hertzengrund nimmer erfaͤhret/ alſo thuo
er auch nichts und folget keine beſſerung hernach.
Man wird dergleichen offt
mit betruͤbnuͤß in der erfahrung ſehen/ wie ich ſelbs offt wahrgenommen habe/ wie
ſolche ſpinnen aus den alleredleſten blumen das ſchaͤdlichſte gifft ſaugen. Daher
ich mir ernſtlich laſſe angelegen ſeyn/ vermittels goͤttlicher gnade nebens den herrli-
chen gnaden ſchaͤtzen des Evangelii/ und was wir in Chriſto haben/ (welche ſeligkeit
den zuhoͤrern des mißbrauchs wegen nicht verborgen werden muß) auch ſo bald da-
bey anzuzeigen/ wie ſolche allein mit der glaubens hand moͤgen gefaſſet werden/ und
wie ohne dieſe nicht muͤglich ſeye/ zu jenern wuͤrcklichen genuß zugelangen; ſo dann
wie ſolcher glaube das hertz einnehme/ erneure und aͤndere/ damit ein gantz anders
leben daraus entſtehe: Wie nicht muͤglich ſeye/ daß in einem ſolchen hertzen der
glaube wohnen koͤnte/ welches ſich in die luͤſte dieſer welt und dero guͤter alſo verlie-
be/ daß es um derſelben willen ſeines Heylandes reglen zu wider lebte: Wie nicht
muͤglich ſeye/ daß der jenige das unſchuldige leben und leiden ſeines JEſu mit wah-
rem glauben gefaſſet habe/ der nicht auch auff dem wege/ den er ihm vorgegangen/
ihm nach zu folgen trachte: Wie nicht muͤglich ſeye/ daß derjenige von grund der
ſeelen glaube/ daß er von den ſuͤnden und der welt dienſt erloͤſet ſeye/ welcher denſel-
ben ſo angelegenlich annoch dienet: und alſo insgeſamt/ wie in CHriſto JEſu ein
neue creatur und ein rechtſchaffen weſen ſeye. Daher treibe ich gern den hertz-
lichen eiffer der wahren Gottſeligkeit/ nicht eigenlich mit den bloſſen geboten oder
trohen/ ſondern erweißthum/ wie ſolche aus dem ſeligmachenden glauben flieſſen
muͤſſe.
[103]ARTIC. I. DIST. I. SECT. XX.
muͤſſe. Hingegen eiffere ich gegen das gottloſe leben vornehmlich aus dem grunde/
weil ſolches klahr zu erkennen gebe/ daß kein glaube bey ſolchen leuten ſeye/ und alſo
die liebe ſchaͤtze des Evangelii wiederum von ihn entfernet ſeyen; auch ſie ſich/ wo ſie
in ſolchem unglauben bleiben/ ihrer nicht zu getroͤſten/ ſondern wegen deroſelben vor-
trefflichkeit nur ein ſo viel ſchrecklichers gericht zu erwarten haben. Alſo zeige ich
gern den zuhoͤrern/ den ſchoͤnen garten GOttes/ und die treffliche fruͤchten dariñen/
zeige aber daß nur eine thuͤr in denſelbigen ſeye/ und verzaͤune auff der andern ſeiten
denſelben/ daß nicht die ſchweine ungehindert hinnein lauffen/ und denſelben um-
wuͤhlen moͤgen. Und ſo mag alsdann ſolche lehr des Evangelii recht ihren nutzen
haben/ dazu ſie geordnet iſt/ und hoͤren die veraͤchter goͤttlicher gnade allemahl/ daß
ſie dieſelbe nicht eher angehe/ biß ſie mit wahrem glauben zu dem beſitz und genuͤß
ihrer guͤter wiederum gelangen: damit ſie nach ſolchem auch eiffrig trachten moͤch-
ten. Dieſes iſt durch GOttes gnade die jenige lehr art/ dero ich mich befleiſſe/ und
von oben herab/ was vor frucht darauff folgen moͤge/ zu erwarten habe. Dann
was Euer Wohl-Ehrw. klaget/ mag ich auch wohl klagen/ daß der frucht ſo viel
noch nicht finde/ als ich wuͤnſchen moͤchte. Doch iſt das werck des HErrn auch
nicht gantz vergebens. Es ſcheinet aber/ Eure Wohl-Ehrw. moͤgen einen beſſern
concept von dem wuͤrcklichen zuſtand unſerer Franckfurtiſchen kirchen gefaſſet ha-
ben/ als er ſich in der that befindet. Jndem ob wohl durch den kraͤfftigen ſegen des
Allerhoͤchſten ein guter anfang gemacht iſt/ doch die ſaat allererſt in einiger bluͤt ſte-
het/ zur hoffnung einer ernde/ die noch etwas ferner ſcheinet. Was die beſondere
verſamlung allhier anlangt/ hat es dieſe bewandnuͤß/ daß zweymahl in der wochen/
in meinem hauß einige deren zuhoͤrer/ die ſich mehr und mehr zu erbauen beflieſſen
ſind/ zuſammen kommen; da wir nebens wiederhohlung meiner Sontags pre-
digt/ in der ordnung des neuen Teſtaments nacheinander fortleſen/ bey jedem ver-
ſicul
/ wo etwas zur erbauung dienliches/ dergleichen bemercken; wie denn jeden zu-
hoͤrer erlaubt iſt/ was ſeine gedancken davon ſeyn moͤchten/ vorzutragen/ bericht zu
begehren/ oder wie er es zur erbauung nuͤtzlich achtete/ einfaͤltig zu erinnern. Von
hohen ſachen wird nichts tractiret/ ſondern wir bleiben bey der einfalt/ weil auch die
zuhoͤrer ſelbs der ſubtilitaͤten nicht faͤhig geſchweige daß ich immer ſorge/ das creutz
Chriſti werde zu nicht/ und unſer glaube beſtehe auff menſchen weißheit/ und nicht
auff GOttes krafft/ wo wir uns der vernuͤnfftigen reden menſchlicher weißheit
befleiſſen. Der profectus in ſolcher uͤbung mag etwa ſo groß noch nicht ſeyn/ je-
doch lebe der guten zuverſicht/ GOtt werde es nicht gar ungeſegnet laſſen; weil
wir in allen ſolchen ihn allein ſuchen/ und trachten/ daß ſein wort moͤge reichlich un-
ter uns wohnen in aller
(nicht menſchlicher/ ſondern goͤttlicher) weißheit. Jch
trachte auch mehr u. mehr/ das wir nun die heilige Bibel mehr unter die leute brin-
gen moͤgen/ welche allen menſchlichen buͤchern ſo weit vorgehet als der himmel uͤber
der erde iſt. Wir haben vor einiger zeit einen anfang gemacht/ die etwas erwach-
ſende
[104]Das ſechſte Capitel.
ſende jugend in der kinderlehr dahin zugewehnen/ daß ſie ihre Bibeln mit ſich brin-
gen/ um was ſie aus dem Catechiſmo gelernet/ in der goͤttlichen Schrifft gegruͤn-
det zu ſehen/ und damit zu ſo viel fleißiger nachleſung ihnen den weg zu bahnen. Jch
habe auch mit dem angegangenen kirchenjahr angehoben/ meine Bibel vor mich
auff der cantzel zulegen/ und je zu weilen einen denckwuͤrdigen ort/ den ich anziehe/
vor der gemeinde daraus zuleſen/ (ſo zwar etwa wider die regulas oratorias/ und
zierlichkeit/ ich hoffe aber nicht wieder die erbauung/ iſt) ob ich moͤchte den zuhoͤrern
eine anmuth machen/ daß ſie auch in die predigt ihre Bibeln mit braͤchten (wie in
Engelland uͤblich geweſt) und zu ſo viel mehrer auffmerckſamkeit darinnen nachſe-
hen/ auch das gezeigte zu hauß wieder vornehmen. Dabey bleibets/ werden wir
das pur lauter wort GOttes den leuten bekanter machen/ ſo iſt der vortrefflichſte
grund geleget. Jn uͤbrigen dergleichen uͤbungen der leſung der Schrifft und ver-
ſam̃lung Gottſeliger gemuͤther und der direction eines predigers zu Gottſeliger
unterredung/ iſt nicht nur hie/ ſondern bereits in einigen andern ſtaͤdten nicht ohne
nutzen angefangen/ und mag von jeglichem treuen hirten ſeines orts etwa mit we-
niger ſchwehrigkeit angefangen werden/ als ſich vor dem verſuchen anſehen lieſſe;
Wo nehmlich ein prediger unter ſeiner gemeinde die jenige/ welche er ohne das ſie-
het/ bereits mit mehrer begierde ihrem GOTT zu dienen/ und weiterer erbauung
begehrig zu ſeyn/ ihme bekanter gemacht/ offters als mit andern mit ihnen umge-
het/ und endlich ſich dazu bewegen laſſet/ eine ſolche uͤbung mit ihnen und unter ſei-
ner direction an zugehen. Ob auch anfangs die zahl gantz klein iſt/ ſo iſts ſo viel
beſſer/ iſt aber kein zweiffel/ daß ſolche wenige in nicht gar langer zeit durch goͤttli-
chen ſegen alſo zunehmen werden/ daß ſie in ihrem Chriſtenthum ſo viel erbauet
werden/ damit ſie folglich andern vorleuchten/ und ſie zur nachfolge reitzen/ daher
die verſammlung allgemach ſtaͤrcker werden werden. Jn dem uͤbrigen gleich wie
Eure Wohl-Ehrw. vor den hertzlichen mir und meinen amt gethanen wunſch ge-
flieſſeſten danck ſage/ und ihn vor eine theure wohlthat achte/ alſo bitte bruͤderlich
noch ferner mit ſolcher vorbitte fortzufahren/ und verſpreche von meiner ſeiten glei-
ches/ auff daß wir alſo/ die wir alle das werck des HErrn zu treiben geſetzet ſind/
einander helffen kaͤmpffen/ mit bitten und flehen in dem geiſt/ und wachen mit allem
anhalten und flehen/ vor uns untereinander/ und fuͤr alle heilige/ auff daß uns die-
nern gegeben werde das wort mit freudigen auffthun unſeres munds/ daß wir moͤ-
gen kund machen das geheimnuͤß des Evangelii/ auff daß wir dariñen freudig han-
deln moͤgen und reden wie ſichs gebuͤhret. Es iſt je dieſes der vornehmſte dienſt den
wir uns untereinander leiſten/ und damit die liebe untereinander/ ſo denn weil alles
ſolches zu der ehre GOttes und der kirchen auffnahm gemeinet iſt/ ſelbs gegen Gott
und die geſamte kirche uͤben moͤgen. Jm uͤbrigen ſchaͤtze mich gluͤcklich/ bey ſolcher
gelegenheit auch in Eure Wohl-Ehrw. einen treuen freund erlangt zuhaben/ der
mit mir einerley geſinnet ſeye/ und mit dem etwa zu weilen einige angelegenheit
auch
[105]ARTIC. I. DISTINCT. I. SECTIO XXI.
auch bruͤderlich zu uͤberlegen/ das vertrauen nehmen darff: wie ich hingegen erbie-
te in allem deme auch zu thun/ wo zu Euer Wohl-Ehrw. mich zu ihrem verlangen
tuͤchtig befinden wird. Unſere catechiſmus examina belangend/ ſo haben wir
zwar einige fragen/ die vor etwa 8. jahren getruckt worden/ wie ſie aber mich nicht
contentiren/ ſo halte vielweniger darvor/ daß Euer Wohl-Ehrw. einige vergnuͤ-
gung daran wird ſchoͤpffen koͤnnen. Vielleicht giebt GOTT gnade/ daß in nicht
langer zeit einige beſſere moͤgen an hand gebracht werden. Jndeſſen ſo halten wir
die examina auff dieſe weiſe/ daß ohne den eigen cathechiſmum Lutheri die ju-
gend das wenigſte nicht auswenig zulernen angewieſen werde/ ſondern die etwas
erwachſene allen die fragen (auch wohl anderer catechiſmus erklaͤhrungen) zu hau-
ſe leſen/ und als denn werden ſie allein von dem verſtand der ſachen/ ſo gehandelt
werden/ examiniret/ daß ſie gemeiniglich mehr mit eignen worten ihre meynung er-
klaͤhren/ als concepta formalia her recitiren; indem uns um den verſtand/
nicht die worte/ zu thun iſt; Daher die fragen pro re nata geaͤndert/ und bald ſo
bald ſo eingerichtet werden/ damit aber jene ſchon vorher moͤgen wiſſen/ was etwa
in der kinderlehr vorkommen ſolle/ ſo pflege ich von unterſchiedlich jahren her/ alle
Sontag das exordium meiner predigt davon zunehmen/ was nachmittag in dem
examine vorkommen ſoll/ und tractire es alſo/ wie es nachmahl ſoll examiniret
werden: finde auch das es durch GOttes gnade nicht ohne nutzen abgehet. Je-
doch wuͤnſchete ich in vielen freyere haͤnde/ nachdem es zur erbauung dienlich er-
achtete/ alles anzuordnen/ daran aber vieles noch manglet/ und GOTT befohlen
werden muß/ ob er zu einem und anderen/ ſo jetzo noch nicht zu erlangen/ kuͤnfftig hin
beſſer gelegenheit zeigen wolte. Welches er auch aller orten gnaͤdiglichſt thue/
und ſeinen nahmen immer weiter verherrlichet werden laſſe.


SECTIO XXI.


Von den beſondern verſammlungen.


JCh bedancke mich zum allerfoͤrderſten dienſtlich/ wegen der genommenen muͤ-
he und bruͤderlichen vertrauens/ aus deme nach meiner bitte dieſelbe ihr wohl
meinendes bedencken mir haben communiciren wollen. Jch habe nun-
mehr etlich und 20 Chriſtlicher und der kirche nuͤtzlich dienender maͤnner bruͤderli-
che und treue bedencken uͤber meine præfation empfangen: unter welchen mich
auch das von Eure Wohl-Ehrw. hertzlich erfreuet/ und bekraͤfftiget. Wolte GOtt/
wir ſehen auch dieſe freude/ daß was von vielen Chriſtlichen hertzen gebillichet/ und
nuͤtzlich erkant wird/ auch an ein und ander orten in das werck gerichtet/ und alſo ei-
niger nutz geſchaffet wuͤrde/ in deme ſonſten alle anſtellende conſultationes verge-
bens ſind. Was Euer Wohl-Ehrw. bedencklich achten/ wegen der verſamlun-
gen/ da die zuhoͤrer ihre dubia proponiren moͤchten/ bin nicht in abrede/ daß auch
Onoch
[106]Das ſechſte Capitel.
noch zwey Theologi/ deren der eine Profeſſor in einer benachbarten Univerſitaͤt
denſelben vorſchlag/ in bedacht gezogen/ und geſorget haben/ es moͤchte der kir-
che einige unordnung daraus entſtehen/ gleichwohl ſetzte der eine dabey/ daß wo
dergleichen eingefuͤhret waͤre/ und von einem guten mann in ſeinen gewiſſen
ſchraͤncken dirigirt wuͤrde/ wolte ers ſo gar nicht unbillichen/ daß ers auch lobete/ a-
ber je[g]lichen orts finde er nicht/ daß es an zuſtellen waͤre. So bringen auch die
von Euer Wohl-Ehrw. angefuͤhrte urſachen ſo viel zu wegen/ daß freylich mit ſol-
cher ſache behutſam und bedaͤchtlich zu verfahren/ wo man den verlangten nutzen
dardurch erhalten ſoll. Jedoch halte ich davor/ daß alle dergleichen ſorgende un-
ordnungen oder beſchimpffung der predigern wohl verhuͤtet werden koͤnne/ wo die
ſache alſo angeſtellet wuͤrde: daß wer dergleichen in gedancken hat/ nicht ſo bald
mit vielen die ſache anfange/ ſondern wo er erſtlich eine zeitlang etliche gute gemuͤ-
ther/ die ſich das wort Gottes vor andern laſſen angelegen ſeyn/ kennen lernen/ und
ſie zu fleißiger leſung der Schrifft angefriſchet/ ſie aber wie gewiß geſchehen wird/
finden werden/ daß ſie nicht aller orten fortkommen koͤnnen/ mag ſich alsdann dazu
anerbieten/ daß er ihnen hierinnen willig an hand gehen wolte/ und ſie deswegen zu
gewiſſen zeiten zu ſich kommen laſſen/ un dergleichen uͤbung unter gantz wenigen gu-
ten gemuͤthern anfangen. Wo gleich unter ihnen dieſes ausgemacht werden muͤ-
ſte/ daß ſie gantz nichts hohes/ ſubtiles/ fuͤrwuͤtziges ſuchen wolten/ ſondern bloſſer
ding bey der einfalt/ und denen dingen/ die ſie in nothwendiger ſtaͤrckung des glau-
bens bekraͤfftigen und zur uͤbung der wahren Gottſeligkeit antreiben moͤchten/ blei-
ben. Was wegen dann alle fragen/ die nicht dazu nuͤtzlich waͤren/ ſo bald abge-
ſchnitten werden ſolten. Wann ſolches einmahl lex congreſſuum iſt/ ſo berufft
man ſich darauff nachmahl allezeit. Jſt auch von den erſten/ welche von guter
Chriſtlicher intention zu ſeyn præſupponiret werden/ dergleichen nicht zuvermu-
then/ daß ſie nicht entweder ſich dergleichen unnuͤtzlicher frag von ſelbs enthalten/
oder ſo bald mit geſchehener abweiſung ſolten zu frieden ſeyn. Jch wolte auch die-
ſes rathen; Wo zu erſt eine ſolche frag von jemand kaͤme/ da man erkennete/ daß es
aus guter meinung geſchehe/ entweder ſolche auch abzuleinen/ und ſo bald zu weiſen/
wie uns nichts zu erbauung aus deroſelben beantwortung zuhoffen/ oder das erſte-
mahl drauff zu antworten/ mit dem vorbehalt/ kuͤnfftig dergleichen nicht weiter zu-
thun: Saͤhe man aber/ daß es von einem ſuͤrwitzigen ingenio kaͤme/ gar zur
antwort ſich nicht zuverſtehen/ ſondern wie unnuͤtz es waͤre/ ſo bald zu weiſen. Auff
keine dieſer weiſen/ wann mit freundlichkeit den leuten begegnet wird/ iſt einige ver-
achtung zubeſorgen; ſonderlich weil die andere/ ſo dabey ſind/ wann je ein fuͤrwi-
tziger etwas dergleichen moviret haͤtte/ und nicht abgewieſen zu werden gemeinet/
leicht auff die vorſtellung beyfall geben/ und zufrieden ſeyn werden. Wann alſo
erſtlich der grund unter etlichen beſten gemuͤther aus einer gemeinde geleget/ und
die ſache in ordnung gebracht/ ſo moͤchten allgemach mehr und mehr andere/ ſo auch
ver-
[107]ARTIC. I. DISTINCT. I. SECTIO XXII.
verlangen darnach haͤtten mit zu gezogen werden/ die aber gleich ſich nach den erſten
zurichten verbunden waͤren. Jedoch hat jeder ſeines orts zu ſehen/ was nach denen
jeder orten variiꝛenden umſtaͤnden bey ihm das vortraͤglichſte und erbaulichſte ſeyn
mag. Der vorſchlag/ die Bibel in die jugend in den ſchulen zu bringen/ iſt auch
vortrefflich/ und billich von jeglichen ſo etwas darzu zu thun vermoͤgen/ zu practi-
ci
ren: Dann dabey bleibts/ je reichlicher das wort GOttes/ je mehrere und ge-
wiſſere fruͤchten deſſelben ſind zu hoffen. 1675.


SECTIO XXII.


Wegen der in Schweinfurth angefangenen
Chriſtlichen uͤbung und zuſammenkunfft. Auch
von art des Franckfurtiſchen

Collegii.


EUer Wohl-Ehrw. angenehmes ſchreiben iſt mir zu einer ſolchen bequemen
zeit eingehaͤndiget worden/ daß gleich wie es mich an und vor ſich ſelbs zu aller
zeit wuͤrde erfreuet haben/ es aus ſonderlicher ſchickung GOttes die ſtunde
angetroffen/ daß der grundguͤtige GOTT mich durch deſſelben einhaͤndigung in
meiner damahligen ſorge und bekuͤmmernuͤß hat auffrichten und troͤſten wollen/
welches auch dardurch nicht wenig geſchehen/ da ich ſeiner goͤttlichen guͤte davor
demuͤtigſten danck ſage/ auch Euer Wohl-Ehrw. durch die ſolches geſchehn gleich-
falls zu fleißigem danck/ mich verbunden erkenne. Jch habe aber die allweiſe guͤ-
te unſers getreuen GOttes in tieffſter demuth mit imbruͤnſtigen danck zu preiſen/
daß ſolche unſere allhier von einigen jahren aus antrieb Gottſeliger gemuͤther/ (wie
ich dann vor mich ſelbs ſolches nicht/ ſondern auff erſuchung angefangen) gepfloge-
ne uͤbung in Goͤttlicher erkaͤntnuͤß und dero fruͤchten auch auſſer den gewoͤhn-
lichen ordenlichen kirchen verſammlungen mit privat und bruͤderlicher unterre-
dung ſich zu bekraͤfftigen dermaſſen gnaͤdigſt geſegnet/ daß neben dem/ wie ich hoffe/
es aus ſeiner gnade auch hie bey denjenigen/ die zuſammen kommen/ nicht gantz oh-
ne frucht wird abgegangen ſeyn/ auch ſolches exempel in deroſelben Chriſtlichen ge-
meinde einige GOttſelige hertzen zur nachfolge gereitzet/ daß durch Eure Wohl-
Ehrw. treuen dienſt denſelben zu einer gleichen erbaulichen uͤbung bißher gelegen-
heit gemachet/ auch dieſelbe bereits in das dritte jahr fruchtbahrlich fortgeſetzet iſt
worden. So hertzlich wir uns/ ja uͤber nichts hoͤher/ zuerfreuen haben/ wo wir
ſehen/ daß der eiffer zu goͤttlichen wort und deſſen betrachtung waͤchſet/ weil ſolcher
niemahlen ungeſegnet bleibet/ ſondern allezeit reiche fruͤchten zu heiligung goͤttlichen
nahmens/ ſeines reichs befoͤrderung/ und vollbringung ſeines heiligen willens ohn-
fehlbarlich nach ſich ziehet/ ſo hertzlich hat ſo wohl mich als andere den wachsthum
des reichs Chriſti liebende freunde dieſe angenehme poſt erfreuet/ daß da wir bißher
O 2von
[108]Das ſechſte Capitel.
von niemand anderwertlich gewuſt/ der dergleichen privat-uͤbung ins werck geſe-
tzet/ wir nunmehr vernehtuen/ daß ſchon vor geraumer zeit in deſſelben geliebten
ſtatt eine ſolche vor die hand genommen/ und bißher nicht ohne verſpuͤrte frucht
ſortgeſetzet worden: mit der Chriſtlichen hoffnung und bitte zu dem Allerhoͤchſten/
daß er ihr heiliges vorhaben ferner gnaͤdiglich befoͤrdern und ſegnen/ auch reichere
fruͤchte daraus entſpringen laſſen wolle/ als wir noch hie erlangt zu haben bey uns
finden/ ob wohl wir taͤglich nach ferneren in goͤttlicher furcht uns zubeſtreben/ nicht
nachlaſſen werden. Daß aber deroſelben Gottſeliges vorhaben und uͤbung biß-
her nicht ohne laͤſterung und ungleiche urtheil geblieben/ haben ſie ſich je nicht zu
verwundern/ ſondern/ wuͤrde eher zu verwundern/ ja daraus ob waͤre die fache nicht
hertzlich zu GOttes ehre gemeint/ zu ſorgen geweſen ſeyn/ wo ſie unterblieben waͤ-
ren. Chriſtus muſte/ da er in dem fleiſch herum gieng/ ſich ſelbs/ ſein amt und ver-
richtung/ auffs gifftigſte laͤſtern laſſen/ warum ſolte es dañ ſeinen gliedeꝛn und geiſt-
lichen leib in den jenigen ſtuͤcken/ wo ſie mit hertzlichem eiffer allein ſeine ehre zu ſu-
chen zeigen/ anders gehen/ oder von ihnen anders erwartet werden? Wir wiſſen wie
liſtig der teuffel/ dabey aber allem wordurch GOttes ehre befoͤrdert wird/ ſpinnen
feind iſt/ daher gleich wie er bey jeglichem werck gar leicht erkeñet/ ob ſein reich dar-
durch einigen abbruch leiden moͤchte/ alſo widerſetzt er ſich ſo bald allem demjenigen
vorhaben/ welches er zu deme ihm ſo widrigen zweck angeſehen und erſprießlich
zu ſeyn nach ſeiner ſcharffſinnigkeit erkennet. Und iſt ſonderlich zu bejammern daß
er alsdann eine ſolche ſache verdaͤchtig und verhaſſt zu machen/ ſich nicht nur ſeiner
gewoͤhnlichen werckzeuge/ Gottloſer und bekantlich nach der weltgeſinter leute ge-
gebraucht/ ſondern auch ſolchen leuten/ die ſonſten guter intention ſind/ ihrem
GOtt zu dienen/ nachſtellet/ und ihnen eine ungleiche meinung davon bey zubrin-
gen trachtet. Damit alſo wo jene/ die ſich gantz von ihme regieren laſſen/ offen-
bahrlich das gute laͤſtern/ und boͤſes davon reden/ dieſe entweder aus leichtglau-
bigkeit/ von jener boͤſen urtheil ſich zu viel einnehmen laſſen/ oder aus
andern fleiſchlichen conſiderationen, ungnugſamen verdachte/ eingebil-
deter neuerung/ forcht anderer gefaͤhrlichen conſequenzen/ und was dergleichen
paſſionen mehr ſeyn moͤgen/ von guten dingen/ die ſie niemahl recht gruͤndlich
unterſucht und erkant/ uͤbel urtheilen/ und offters weil ſie ſonſten in guter exiſtima-
tion
ſind/ mit ſolchem ungleichen judiciren, mehrſchaden thun/ als jene gottloſe/
dero urtheil bey niemanden/ ſo nun etwas ſeinen GOTT liebet/ viel geachtet
wird. Und iſt kein zweiffel/ daß der teuffel ſonderliche freude daran hat/ wo alſo
er auch zu ſeiner abſicht etwas gutes in verdacht zu bringen/ die jenige ihnen un-
wiſſend bewogen/ welche ſonſten mit willen von ihme ſich nicht wuͤrden gern wollen
mißbrauchen laſſen. Jn deſſen wo wir in einer ſache verſichert ſind/ daß ſie an ſich
ſelbſt chriſtlich und loͤblich/ ſo dann die abſicht auch lauterlich zu GOttes ehren ge-
richtet/ muß uns nachmal kein ſolch widriges urtheil ſchrecken/ vielmehr den eyffer
zu
[109]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO XXII.
zu dem guten ſtaͤrcken/ weil uns dieſes eine ehre iſt/ um das gute verlaͤſtert zu werden/
und darinnen ein ſtuͤck der ſchmach Chriſti zu tragen. Dabey wir vor die jenige hertz-
lich beten wollen/ die/ es ſeye nun aus boßheit oder unwiſſenheit/ uns zuwider ſeind/
das ihnen GOTT die ſuͤnde vergeben/ des wegen zu der erkaͤntnuͤß zum forder-
ſten bringen wolte: So dann ſo viel vorſichtiger daß werck fuͤhren/ daß der teuffel
in an ſich guter ſache nichts finde/ ſo er mit einigen fug oder ziemlichen ſchein ferner
ſchelten/ und laͤſtern koͤnte. Wohin auch goͤttlicher rath/ daß er dem teuffel und
der welt dergleichen zu laͤſſet/ ohn zweiffentlich gehet/ nemlich der ſeinigen hertzen
mit ſo vielmehr eyffer anzuflammen/ und zu verhindern/ daß ſie nicht/ wo ſie ohne
allen widerſpruch waͤren/ ſicher wuͤrden/ und leicht in unvorſichtigkeit ob wol in
gutem vorhaben fehlen wuͤrden. Hie hat es auch an dergleichen ungleichen urtheilen
nicht ermanglet/ ja auff die ſtunde ſind ſie nicht geſtillet/ und haben noch vor wenig
wochen einige ihr verlangen und hoffnung bezeuget/ daß mir ſolche uͤbung moͤchte
inhibiret werden. Jch habe mich aber/ weil ich ſie auch leicht vorgeſehen/ und al-
ſo die reſolution in anteceſſum faſſen muͤſſen/ wenig dran gekehret/ aber die-
ſen nutzen davon gehabt/ daß ich mit andern meinen GOTT ſo viel hertzlicher an-
ruffe/ und auff mich acht gebe. Was meine Herrn Collegas anlangt/ ſo ſind zu
anfang ſelbs etliche zuweilen mit dazu gekommen/ und damit ihren conſenſum
gezeiget/ ſo zwar bißher/ wegen ſo viel habender laborum, von ziemlicher zeit faſt
unter blieben/ ohne daß zu zeiten einer ſich annoch einfindet. Es hat aber mit ge-
nehmhaltung meiner præfation (davon nachmahls) das gantze Collegium
ſich zu billichung eines ſolchen inſtituti verſtanden. Von den perſonen des hochloͤb-
lichen Magiſtratus, weiß ich/ das unterſchiedliche gantz ehrlich darvon halten/ auch
den ihrigen geſtatten/ ſich dabey einzufinden. Es war auch ein gottſeliges mit-
glied derſelben/ ſo aber nun mehr ſelig verſtorben/ der ſelbs zu mehrmahlen dieſelbe
congreſſus beſuchet: Doch leugne nicht/ daß auch unter denen/ welche ad cla-
vum reipublicæ
ſitzen/ etliche ſind/ welche der ſache nicht guͤnſtig/ und wo es bey
ihnen ſtuͤnde/ ſie gern hinderten. Was die Ew. Wol Ehrw. und dero privat-ver-
ſammlung vorgeruͤckte beſchuldigungen anlangt/ ſind ſolche ſo gar unerheblich/ daß
ſie auch bey den jenigen/ welche etwas von GOttes furcht haben/ nicht nur einigen
ſchein finden werden. Dann was die aufflage der winckel-predigten betrifft/ ſo
wuͤrde ſolche beſchuldigung Chriſtum auch betroffen haben/ welcher nicht nur in
dem tempel und den ſchulen/ ſondern in haͤuſſern/ und wo es die gelegenheit
gegeben hat/ zum oͤfftern geprediget/ und iſt ja GOttes wort nicht an zeit oder ſtaͤt-
te gebunden/ ſondern wo es reichlich unter uns wohnen ſoll/ ſo muͤſſen damit nicht
nur die kirchen/ ſondern auch unſere privat-haͤuſer davon erfuͤllet werden. Ja
wie moͤgen wir der pflicht unſers allgemeinen prieſterthums/ krafft deſſen wir alle
verkuͤndigen ſollen/ die tugend des der uns beruffen hat von der finſter-
O 3nuͤß
[110]Das ſechſte Capitel.
nuͤß zu ſeinem wunderbahren liecht 1. Petr. 2/9. gnug thun/ wann alle hand-
lung goͤttlichen worts auff das jenige allein gezogen werden ſoll/ was der Pfarr-
herr auff oͤffentlicher cantzel vortraͤget? Ach wie viel anders hat hievon die erſte
kirche gehalten/ und wo Chriſten zuſammen gekommen/ zeiget/ daß das einig-
nothwendige auch ihre einige ſtaͤte ſorge/ freude und vergnuͤgen ſeye. Was die
verwerffende Juͤdiſche Sabbaterey anlanget/ hat auch ſolche nicht nur einen
ſchein/ dann wo dieſes keine Juͤdiſche Sabbatherey iſt/ wo ein frommer Chriſt
auſſer dem offentlichen GOttes-dienſt/ die uͤbrigen ſtunden ſeines lieben Sonntags
zu gottſeligen betrachtung/ leſung/ gebet/ geſang/ anwendet/ ſondern auch die
jenige/ welche die ernſtliche feyer des Sabbaths nicht eben vor geboten achten/ auffs
wenigſte dergleichen allen rathen/ wie ſolle denn dieſes etwas Judiſches an ſich ha-
ben/ wo es in einer verſamlung von mehrern frommen Chriſten geſchiehet? Es
bedarff aber nicht viel antwort weil die vorwuͤrffe von keiner wichtigkeit. Jn dem
uͤbrigen die ſache ſelbs betreffend/ daß dergleichen chriſtliche zuſammen kuͤnfften
moͤchten angeſtellet werden/ in denen auch andere gottſelige hertzen bey tractirung
goͤttlichen worts moͤchten ihre gedancken und d ubia proponiren, ſo in den pre-
digten nicht geſchehen mag/ habe ich neulich in einer præfation oͤffentlich vorge-
ſchlagen/ und der der kirchen beſtens verſtaͤndigen Theologis zuweiterem nach-
dencken vorgelegt. Davon bereits auch unterſchiedliche ihre bey pflichtung mich
erfreulich haben wiſſen laſſen. Jch habe auch ſolche præfation, bevor ſie gedruckt
worden/ meine in gantzem collegio paſtorali vorgelegt/ welche ſie gantz in unſeren
wochentlichen conventu verleſen gehoͤret. Und ihren bruͤderlichen conſenſum
bezeuget. Von ſolcher præfation ſende ich mit erſter gelegenheit/ weil es durch
die poſt nicht geſchehen kan/ ein exemplar, und werde auch Ew. Wol Ehrw uͤber
allerhand darinnen wichtige doch einfaͤltige vorſchlaͤge bruͤderliche und wolmei-
nende gedancken und erinnerungen/ darum ich freundlich bitte/ erwarten. Wei-
len auch E. Wohl Ehrw. uͤber die art/ wie dieſelbe bißher ihr exercitium ange-
ſtellet/ meine wenige gedancken verlangen/ ſo habe auch in dieſem ſchuldiger maſ-
ſen folge leiſten ſollen/ nicht der meinung/ deroſelben oder ihren geliebten freunden
in dem jenigen/ was ſie bißher nutzlich befunden/ etwas vor zu ſchreiben/ ſondern
meine einfaͤltig gutachten auß auffrichtigen hertzen zu communiciren, und mit
der jenigen freyheit/ als ſie ſelbs finden werden/ das jenige draus zu belieben/ ſo ſie
nuͤtzlich erachten moͤchten/ hingegen in andern dingen ſich nach dem jenigen zu rich-
ten/ wie ſie etwa ſelbs bißher die ſache anders ihnen dienlicher und nutzlicher befun-
den haben; zu forderſt habe ich gern verſtanden/ daß ſie die heilige Schrifft ſelbs
als den brunnen/ aus welchem/ was gutes in andern buͤchern iſt/ hat herflieſſen muͤſ-
ſen/ vor die hand genommen haben. Jch habe mich laͤnger auffgehalten in an-
dern buͤchern/ die ob wol erbaulich/ dennoch der heiligen Schrifft nicht gleich
zu achten ſeind. Daher es noch kein jahr/ das wir angefangen/ die Bibel mit ein-
an-
[111]ARTIC. I. DISTINCT. I. SECTIO XXII.
ander zu leſen. Wuͤnſchte aber ſo bald anfangs ſolches gethan zu haben. Hin-
gegen bin ich nicht in abrede/ daß ich vor rathſam geachtet haͤtte/ daß nicht das Alte
Teſtament zuerſt wuͤrde tractiret/ ſondern weil das Neue das jenige liecht iſt/
aus welchem die dunckelheit des Alten erleuchtet werden muß/ auch unſere Chri-
ſten pflicht unvergleich heller u. nachtruͤcklicher in dem Neuen als Alten uns vor au-
gen geleget wird/ ſo achte vor rathſam/ daß die lection des Neuen Teſtaments
vorginge/ nach dero folgendes das Alte ſo viel nutzlicher vor die hand wird genom-
men werden koͤnnen welches ich nicht verachte/ aber dem Neuen ſolchem weit
nachſetze. So ſtuͤnde auch dahin/ ob faſt nicht rathſammer waͤre/ wo das Neue
Teſtament beliebig ſeyn ſolte daß es bloß/ ohne beygeſetzte erklaͤrung geleſen
wuͤrde/ Wir pflegen es ietzt alſo zu halten: Nach dem ich erſtlich eine gantze pe-
ricopen
eines capitels geleſen/ um insgemein den verſtand und cohærenz einer
hiſtorie/ oder ſonſten eines gantzen paſſes/ zu haben/ ſo leſe ich wiederum den er-
ſten verſicul, und ſage entweder alſobalden meine einfaͤltige gedancken daruͤber/ ſo
viel zu dem buchſtaͤblichen verſtand gehoͤret/ oder frage ob jemand etwas bey dem-
ſelben zuerinnern. Da dann die geuͤbtere unter den gegenwaͤrtigen ihre meinung/
wo ihnen etwas beyfaͤlt/ vorbringen/ was ſie von dem verſtand ſolches verſes
deuchte oder wozu ſie ſolchen zur lehre oder erbauung des lebens nutzlich erachte-
ten/ alles in groͤſſeſter einfalt. Wie dann ſo bald jemand curioſe und ſubtile,
zu erbauung undienliche fragen vorbringen wolte/ ſo werden ſolche ſo bald gleich
abgeſchnitten/ und gezeigt/ wie wir davon nichts gebeſſert waͤren/ von ſolcher ma-
teri
zureden. Wo nun andere ihre erinnerung gethan/ oder ſo auch niemand nichts
vorgebracht/ ſo ſetze entweder ſelbs etwas von dem gebrauch des verſes dazu/ oder
bekraͤfftige das jenige/ was vorgebracht worden. Alles ohne weiter geſuch und
wie ſichs ſelbs giebet. Es geſchehen etwa auch einige paræneſes dazwiſchen/ wo
die pflichten unſers Chriſtenthums gehandelt werden/ nach zu ſehen/ wie weit wir
noch davon ſeyen/ oder ob wir an ſolcher uͤbung den anfang gemachthaͤtten: Wie
hoch uns hieran gelegen: Wie wenig etwa dran gedacht werde. Sorgfaͤltig
aber wird verhuͤtet/ das man in unſerm congreſſu niemand anders urtheile/ und
etwa was in der ſtatt von andern geſchiehet/ unter die cenſur nehme/ welches das
gefaͤhrlichſte ſeyn wuͤrde/ ſo das gantze gute vorhaben verſtoͤrete: ſondern/ wir ha-
bens in ſolcher uͤbung allein mit uns ſelbs zuthun/ ohne das insgemein gezeigt wird/
wie jeglicher ſeine Chriſtliche liebe in ſanfftmuͤtiger zurechtbringung ſeines irrge-
henden bruders moͤchte und muͤſte erweiſen. Damit auch getrachtet wird/ ſon-
derlich unter den jenigen/ welche gewoͤhnlich zuſammen kommen/ eine ſo viel genau-
ere chriſtliche freundſchafft zu ſtifften/ daß je einer aus hertzlicher liebe auch auff ſei-
nen mit-bruder acht gebe/ und wo er ihn in gefahr oder irrweg ſiehet/ ihn freund-
lich erinneren/ und der andere ſolches aus liebreichen vertrauen herkommende
auch bruͤderlich auffnehmen ſolle Welches auch in Ew. Wol Ehrw. exercitio
zu-
[112]Das ſechſte Capitel.
zugeſchehen und getrieben zu werden nicht zweiffle/ ſondern die meldende chriſtli-
che unterredungen dahin gemeinet zu ſeyn erachte. Wie es denn freylich an de-
ne/ das alles unſer ſuchen und forſchen in der Schrifft nichts ſeyn wuͤrde/ wo wir
nur wolten das jenige ſuchen/ daß wir die wahrheit wuͤſten/ ohne begierde auch
in derſelben zu wandeln/ und alſo unſer gantzes leben nach dem exempel deſſen/ der
der weg/ die wahrheit/ und das leben ſelbſt iſt/ anzuſtellen. Haben wir aber ſol-
ches hertzliche vornehmen/ und pflantzen in betrachtung und handlung der wahren
lehre/ ſo hievon in dem Neuen Teſtament enthalten iſt/ dieſen guten ſamen in un-
ſer und anderer hertzen/ ſo ſind alsdañ die bruͤderliche erinnerungen/ da jeglicher aus
liebe neben ſich auch auff den andern acht gibt/ und ihn zugleich zubeſſeren ſucht
das nutzlichſte begieſſen. Auff welches auch der ſegen von oben herab nicht wird
auſſen bleiben. Jch bin aber der gaͤntzlichen zuverſicht/ daß alles dieſes ohne mich
bereits gnug von E. Wol Ehrw. und dero freunden getrieben werde/ und auff
ſolchen zweck ihre gantze uͤbung gerichtet ſeye; Doch habe nicht unterlaſſen wol-
len/ auff freundliches anſinnen ſolche meine wenige gedancken mit zu uͤberſenden/
und auffs wenigſte zuzeigen/ das auff gleiches abſehen auch zwecke/ ob ſie auch dar-
durch ſo vielmehr geſtaͤrcket werden koͤnten. Wie ich von mir bekenne/ daß ich al-
lezeit auffs neue mich bekraͤfftigter fuͤhle/ ſo offt von andern chriſtlichen bruͤdern de-
roſelben conſenſum vernehme/ in dingen worinnen ich einige erbauung geſuchet
moͤchte haben. Wo mit dann ſchlieſſe und nochmahln den Vater alles guten von
hertzen und inbruͤnſtig anruffe/ daß er aller orten/ und ſonderlich auch bey ihnen/ in
ihrer gottſeligen uͤbung ſeinen nahmen ferner geheiliget/ ſein reich erweitert
und feſter gegruͤndet/ und ſeinen wuͤrdigſten willen kraͤfftig vollbracht wolle
laſſen werden. Er gebe euch (Eph. 3.) krafft nach dem reichthum ſeiner
herrligkeit/ ſtarck zu werden durch ſeinen Geiſt an dem inwendigen
menſchen/ und Chriſtum zu wohnen durch den glauben in
euren hertzen/ und durch die liebe eingewurtzelt und gegruͤndet wer-
den/ auff daß ihr begreiffen moͤget mit allen heiligen/ welches da ſeye
die breite/ und die laͤnge/ und die tieffe/ und die hoͤhe/ auch erkennen/
daß Chriſtum liebhaben viel beſſer iſt als alles wiſſen/ auff daß ihr
erfuͤllet werdet mit allerley GOttes fuͤlle. Dem aber/ der uͤber
ſchwenglich thun kan uͤber alles/ das wir bitten oder verſtehen/
nach der krafft/ die da in uns wircket/ dem ſeye ehr in der gemei-
ne/ die in Chriſto Jeſu iſt/ zu aller zeit/ von ewigkeit zu ewigkeit. A-
men. 10. Aug. 1675.


SECT.
[113]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO XXIII.

SECTIO XXIII.


Vonpraxiderpiorum deſideriorum.Nicht
erſt auff allgemeine anſtalten zu warten/ ſondern in jegli-
chen gemeinden anzuheben. Was von einem
ge-
neral-ſynodo
aller Religionen zu-
halten.


DAß Ew. Wohl Ehrenv. meine einfaͤltige/ aber treu gemeinte/ gedancken
in der gemachten vorrede ihro belieben laſſen/ erfreuet und bekraͤfftiget
mich ſo vielmehr. Es wird ietzo dieſe vorrede beſonders in kleinem format
getruckt/ zuſamt eines chriſtlichen Theologi ſehr ſtattlich gemachten additio-
nen
und animadverſionen. Soll geliebtes GOtt in die meſſe heraus kom-
men. GOTT laſſe nur auch einige frucht zur verlangter erbauung und beſſe-
rung folgen. Dann wo nichts werckſtellig gemachet wird/ ſo ſind alle conſul-
tationes
endlichen vergebens. Jedoch hoffe/ es werden einige gottſelige Theo-
logi
ſeyn/ die ihres orts nicht ermangeln werden/ etwas davon in uͤbung zubrin-
gen. Wie dann es auch lauter ſolche vorſchlaͤge ſind/ die faſt von jeden The-
ologo
und prediger/ auffs wenigſte gantzem miniſterio, ſeines orts etlicher
maſſen werckſtellig gemacht werden moͤgen/ und nicht noͤthig haben/ daß erſt an-
derwertliche hilffe dazu erwartet werde. Jn dem ich ſehe/ daß wo man auff ſol-
che warten will/ ſo verſaͤumet man endlich alles/ weil das jenige/ worauff man
wartet/ doch nicht geſchicht. Daher fuͤr dißmahl faſt nichts mit unter miſchet ha-
be/ worinnen man des weltlichen und obrigkeitlichen ſtands und ſeines arms ſon-
derlich benoͤtiget waͤre: ſondern lauter ſolche dinge/ da es allein bedarff/ daß ein
treuer diener GOttes ſein amt fleißig thue/ und anfangs etliche/ allgemach aber
andere mehrere/ in ſeiner gemeinde gewinne. Und komme ich mehr und mehr
auff die gedancken: Nach dem wir insgemein die Conſilia von dem mitteln/ die
zwar die kraͤfftigſte waͤren/ daß nemlich alle drey ordines, ſonderlich aber die zwey
obere/ mit geſamter hand zuſammen ſetzten/ und dem werck auß dem grund zu helf-
fen ſuchten/ auch die widerſetzliche damit in etwas zu zaͤhmen vermoͤchten/ gantz
fruchtloß abgehen ſehen/ weil ſolche zuſammen ſetzung weder bißher erhalten wor-
den/ noch jetzo mehrere apparenz iſt/ daß ſie zu nechſt folgen werde: Daß dann
faſt am dienlichſten ſeyn wolle/ wir unterlaſſen zwar auch jene conſilia nicht/ ſon-
dern treiben nach vermoͤgen/ ob eine allgemeine oder doch eine merckliche zuſam-
menſetzung der ordinum erhalten werden koͤnte/ aber ſetzen gleichwol nicht alles
biß dahinauß/ ſondern/ greiffen jeglicher ſeines orts die ſach auff die art an/ wie
wir bereits jetzt vermoͤgen. Das geſchiehet dann/ wo jeglicher prediger bey ſeiner
Pge-
[114]Das ſechſte Capitel.
gemeine ſich das werck des HErren mit ernſt laͤſſet angelegen ſeyn: und zwar
alſo/ (als wo hin alle meine vorſchlaͤge mit abzwecken) daß er die allermeiſte muͤhe
nehme an denen jenigen gliedern ſeiner gemeinde zu arbeiten/ die er erkennet/ daß
ſie ohne das ſchon von GOtt den meiſten trieb und gute intention haben/ ihrem
Chriſtenthum/ als dem einignothwendigen vor allem abzu warten/ die vor an-
dern/ die ἔυϑετοι ſind zu dem reich GOttes Luc. 9/62. Mit denen gehe denn der
prediger viel und offters um/ ſuche ſie zu der Schrifft/ und in derſelben immer tieffer
hinein zu tringen/ ſo wol in fleißigem privat-leſen/ als wo ſichs thun laͤßt/ derglei-
chen conferenzen, davon ein vorſchlag gethan; er gebe ſo fleißig acht auff ſie/
gleich ob waͤren ſie ihm allein anbefohlen/ bemercke ob und wie ſie zu nehmen/ ſon-
derlich ob und wie ihr leben die f[r]uͤchten der erkaͤntnuͤß weiſe oder nicht: Er ſtiffte
unter ſolchen leuten ſelbs eine heilige und vor andern genauere freundſchafft/ daß
ſie acht ieglicher auff ſich ſelbs und ſeine bruͤder haben/ und unter ſich ihr prieſter-
liches amt eyffrig zutreiben/ eine weil ſich gewoͤhnen/ da bin ich verſichert/ daß
durch GOttes ſegen/ es nicht ſo lange anſtehen ſolle/ daß nicht in einer gemeinde
ein geſegnete außwahl bald ſich zeigen ſolte/ von ſolchen/ die rechte kern-Chriſten ſey-
en/ und mit welcher hilff nachmal der prediger vieles/ ſo ſonſten ihm allein nicht
muͤglich waͤre/ außrichten moͤge. Jhr gut exempel/ die unter ſich uͤbende bruͤder-
liche liebe/ und bezeugungen aller chriſtlichen pflichten gegen jederman/ wird bald
andere bewegen/ ſich auch dazu zuſchicken/ und hingegen die gantze ruchloſe/ wo nicht
beſſern/ doch gantz ſchamroth machen. Und zu ſolchen allen beduͤrffen wir weder
zwang noch viele weitlaͤufftige anſtalten/ ſondern kan mit anruffung GOttes der-
gleichen von jeglichen predigern geſchehen; Dabey aber die gewiſſe hoffnung ge-
macht werden; Wo in unterſchiedlichen gemeinden dergleichen anzahl von wah-
ren Chriſten werden geſamlet werden/ ſo moͤge ſolches ein anfang ſeyn zu viel kraͤff-
tiger reformation, dazu man jetzo noch nicht kommen kan. Jetzo manglets ge-
meiniglich daran/ daß weil der jenigen/ die einem prediger anvertrauet ſind/ alzu-
viel ſind/ mans bey dem allgemeinen bleiben laͤſſet. Da haben alsdenn die gute ge-
muͤther keine gelegenheit zu zunehmen/ ihr eyffer wird nicht excitirt, oder denſel-
ben mit zulaͤnglichem beyſtand geholffen/ daher er auch erkaltet/ und gehet damit
jeder wiederum den gewohnlichen weg/ und gedencket nicht taͤglich zu zunehmen;
es kennen chriſtliche gemuͤther ſich nicht ſelbs untereinander/ und weißt alſo nie-
mand faſt/ von wem er erbauet werden/ oder wo er erbauen koͤnte. Damit blei-
bet alles ſtecken/ und haben die auch ruchloſe keine rechtſchaffene exempel vor ſich/
die ihnen in die augen leuchteten. Deme allem ziemlich gerathen waͤre/ wo ſich ein
prediger auff dieſe weiſe zu der ſach anſchickte/ nachmal erwartende anderer kraͤff-
tiger mittel/ damit folgens weiter durch getrungen/ und die in dem weg gelegene
hindernuͤſſen der widerſetzlichen uͤberwunden werden moͤgten. Woran es GOtt/
[wo] wir jetzo bereits ſeiner gnade uns ſo gebrauchen als uns gegeben iſt/ nicht wird
er-
[115]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECT. XXIII.
ermanglen laſſen. So ſollen wir dennoch mit hertzlichem anruffen GOttes einen
muth faſſen/ und dem fuͤrſten dieſer welt mit einem ſtrategemate eines abgewin-
nen/ daß da er meinet/ ſein reich ſicher gnug zu behalten/ in dem er an hohen orten
durch ſeine hoff- und regiments teuffel die allgemeine verſaſſungen und conſilia
hindert/ und ſich vor dem uͤbrigen wenig befahrt/ er endlich ſehe/ daß man auff an-
dere weiſe ihm nachtruͤcklich eingebrochen/ und ein loch in ſeine ſeſtung gemacht. E.
Wol Chrnv. hertzlichen eyffer lobe und liebe ich hertzlich: wuͤnſche auch von dem
aller Hoͤchſten nachtruͤcklichen ſucceß. Kan auch nicht unbillichen/ wo E. Wol-
Chrnv. auff den Creiß- oder Reichs-tag deswegen etwas anſuchung thun wolte.
Jch bekenne aber dabey offenhertzig/ daß ich noch wenig hoffnung ſehe einer guten
folgenden frucht: Auch mich entſinne/ daß groſſen theils/ wo GOtt ſeiner kirchen
hat helffen laſſen/ ſolches nicht geſchehen ſeye durch vor der welt anſehnliche mittel/
und mit-wuͤrckung der groſſen in der welt: Sondern gemeiniglich geſchahe es
durch geringe anfaͤnge/ da man dergleichen viele gute fruͤchte nicht hoffen koͤnte/ biß
endlich GOtt die hand derer mit dazu kommen hat laſſen/ die er zu ſeines reichs
amtleuten gemacht. Jedoch ſind die wege des HErrn wunderbahr/ und uns un-
erforſchlich/ und jetzt braucht er dieſe/ ein andermahl ein ander art. Daher man
allerley verſuchungen/ und endlich dem HErren die ſache befehlen mag/ welchen
weg er zu ſeinen ehren ſegnen wolle. Was einen General-ſynodum von allen 3.
Religionen anlangt/ ſorge ich/ daß bey dem werck unuͤberwindliche difficulteten
ſeyen. Dann 1. von Paͤpſtiſcher ſeite nimmermehr darin mag gehellet werden/
weil ohne des Papſts conſens etwas dergleichen nur in die gedancken zufaſſen/ bey
ihnen das groͤſte crimen læſæ majeſtatis pontificiæ waͤre. Von dem Papſt
aber iſt eine ſolche permiſſion nicht nur zu hoffen/ man gebe ihm dann/ daß er
das præſidium und directorium ea autoritate fuͤhre/ welches er in allen nur
etlicher maſſen auff das geiſtliche reflectirenden ſachen prætendiret. 2. So
iſt ein groſſes ſtuͤck der vor augen ſchwebenden greuel eine ſache/ ſo noch zu
dem fermento pontificio gehoͤret/ und haben die meiſte mißbraͤuche aus dem
Papſtum den urſprung genommen: Daß viele darunter ſeind/ ſo ein Papiſt be-
haupten/ uns zu trutz verfechten/ oder doch entſchuldigen wird. 3. So gibt es
auch die ratio ſtatus Pontificii nicht zu/ daß ſie helffe die aͤrgernuͤß unter den Ke-
tzern abzuſchaffen/ und nur das wenigſte darzu zu helffen: Dann je uͤbler es in
unſern kirchen hergehe/ ſo viel mehreren vorwurff haben ſie wider uns/ und wol-
len alſo nicht gern/ daß ihnen etwas ihres obwol eitlen und falſch angemaßten
ruhms/ daß ſie allein ſeyen/ bey denen die gottſeligkeit gefoͤrdert/ und auff die heilig-
keit getrieben werde/ entgehe. Ziemlicher aber waͤre es mit einen ſynodo or-
thodoxorum,
dadurch vielleicht viel gutes moͤchte geſtifftet werden. Utinam
vel hanc ſperare his temporibus liceret!
Nun GOTT wird helffen auff
P 2art
[116]Das ſechſte Capitel.
art und weiſe/ wie ers zu ſeinen ehren dienlich befindet. Deſſen heiliger hut
und ſegen reicher gnade empfehlende verbleibe u.ſ.w. 1675.


SECTIO XXIV.


Von unterſchiedlichenmaterien: Von Catechiſ-
mo. Ob Chriſtus eine fehl-bitte gethan. Klagen uͤber
unere zeiten. Academiſche
ſtudiamachen nicht
alles aus. Arnd.


GLeich wie aus dem erſten deſſen ſchreiben mit ſonderlicher hertzens vergnuͤ-
gung die gnade GOttes in Ew. Wol Ehrw. geleget und die frucht derſel-
ben/ einen hertzlichen eyffer zu dero genuß und erkaͤntnuͤß auch alle andere zu
bringen/ erkant habe/ und mich eines ſolchen neuen freundes erfreuet: alſo bin viel-
mehr aus dieſem jetzigen in voriger freud geſtaͤrcket worden/ und habe ferner er-
kant/ wie E. Wohl Ehrw. mit gottſeligem fleiß ihro laſſe angelegen ſeyn/ die gruͤn-
de unſers catechiſmi tieffer als insgemein von vielen geſchiehet zu unterſuchen/ wie
auch aus deroſelben bruͤderlichen vorſchlagen unterſchiedliche anweiſung gefaſſet;
dero mich nuͤtzlich gebrauchen werde. Meine wenige arbeit uͤber den catechi-
ſmum belangende/ habe vor deme niemahlen daran gedacht dergleichen zu publici-
ren/ ob wol bereits von unterſchiedlichen jahren alle ſontags loco exordii das jeni-
ge aus dem catechiſmo tractire/ was nachmittag in der kinder-lehr vorkom-
men ſolle: Es haben aber andere gute freunde bißher getrieben/ daß ich mit Gott
den entſchluß gefaſſet/ deroſelben gut achten platz zu geben. Verhoffe auch/ wo
GOtt leben und geſundheit giebet/ auff kuͤnfftige herbſt-meß ſolches in dem truck
fertig zu haben. Von der liebe unſer ſelbs/ habe bißher allezeit in meinen
catechismus-exordiis nach meinem vermoͤgen zu handlen gepfleget/ ſo wol von
der unordentlichen ſelbs-liebe/ bey dem erſten gebot/ (als das ich ſolche vor die vor-
nemſte abgoͤtterey und der meiſten ſuͤnden hauptquelle achte/ dero die verleugnung
ſein ſelbs entgegen ſtehet/ und den menſchen zur uͤbung des erſten gebotes wiederum
tuͤchtig machet) als von der rechten ordentlichen und GOtt gefaͤlligen ſelbs-liebe/
auff welche alle verheiſſungen und troͤſtungen ihre reflexion haben/ bey der all-
gemeinen tractirung der zweyten taffel des geſetzes/ nicht weniger bey dem 5ten ge-
bot/ aus gelegenheit des ſelbs-mords. Daher auch an ſolchen ſtellen in dieſen
fragen die materi vorkommen ſolle/ und durch GOttes gnade trachten werde/
daß die ſache nachtruͤcklich und einfaͤltig vorgetragen werde. Alſo was die er-
innerung wegen der glaubens-articul/ daß in denſelben allezeit das fundament
des troſtes und nutzens aus jedem ſtuͤck/ ſo dann die daraus folgende glaubens-
frucht
[117]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO XXIV.
frucht erwehnet werde/ iſt ſolche ſehr wohl gethan/ wird auch von mir mit verlei-
hung goͤttlicher gnade beobachtet werden/ wie zwar bißher ſchon gepfleget/ bey
handlung der articul in den exordiis dergleichen meinen zuhoͤrern vorzulegen.
Was aber die zehen gebot anlanget/ und die benennung in jeglichen geboten der
goͤttlichen eigenſchafften/ aus denen dieſelbe flieſſen/ bekenne ich gern/ das damit
nichti getraue zu recht zukommen. Jn dem erſten gebot liget die ſache vor au-
gen/ und weil wir es darinnen unmittelbar mit GOTT zuthun haben/ ſo ſind
freylich ſolche goͤttliche eigenſchafften das fundament unſerer ſeligkeit. Jn den
uͤbrigen geboten/ halte ich es mit unſrem S. Luthero/ der allen folgenden geboten
ins gemein ein einiges fundament giebt/ die furcht und liebe GOTTes/ und alſo
durch dieſelbe die geſamte goͤttliche eigenſchafften auff welche alle die furcht und lie-
be GOTTes ſiehet. Alſo daß die bewegende urſachen des gehorſams in allen
geboten ſeye/ weil ich den heiligſten/ hoͤchſten/ allmaͤchtigſten/ gerechten/ allwiſ-
ſenden/ allgegenwaͤrtigen GOTT und HERREN fuͤrehte/ und ihn auch als
das beſte/ liebreichſte/ gnaͤdigſte/ und wuͤrdigſte gut liebe/ dahero mich verbunden
erkenne/ auch gantz willich bin/ ſeinen weiſeſten und heiligſten willen/ in allem dem/
worinnen er gehorſam von mir erfordert/ gantz und gar nach zugeleben/ und alſo
bereits um ſeines willens wegen vor das beſte zuhalten/ was er mir vorgeſchrieben.
Nechſt dieſem allgemeinen fundament, ſo in allen geboten gleich iſt/ ſo ſiehe zwar/
das einige gebote etwas mehrere reflexion auff gewiſſe eigenſchafften haben/ ich
kan aber ſolches nicht von allen ſagen/ und deuchtet mich faſt/ daß die weißheit/ ge-
rechtigkeit und guͤtigkeit GOTTes der ſonderbare grund ſind/ auff deme alle ge-
bot der zweyten taffel beruhen; alle drey/ ſo fern insgemein denſelben das jenige/
was in ſolchen geboten befohlen wird/ gemaͤß iſt/ die zwey letzten aber auch/ abſon-
derlich ſo fern wir in jeglichem ſolchen gebot der gerechtigkeit und guͤtigkeit aͤhnlich
werden muͤſſen/ in gerechtigkeit und guͤtigkeit gegen den menſchen. Weiter ver-
mag ich in ſolcher ſache nicht zu kommen/ ob wol einer beſſeren und tieffer fuͤhren-
den anleitung meiner ſeits gern folgen/ und ſolche annehmen wolte. So iſt mir
auch allerdings nichts von Schrifften bekant/ wo ich entweder ſolche antreffen oder
guten freunden deswegen eroͤffnung thun koͤnte. Was die vorgelegte frag an-
langet/ ob Chriſtus eine fehlbitto gethan: bin ich gantz Ewer Wohl Ehrw.
meinung/ hoffe auch was die ſache betrifft/ daß nach fleißiger erwegung die jenige
lehrer/ ſo das gegentheil zu behaupten ſcheinen/ mit uns gern eines ſinnes ſeyn wer-
den/ wie ich aber anderer leuthe rede ſo lang es muͤglich iſt/ gern auff das beſte aus-
lege/ alſo/ meinte ich/ lieſſen ſich ſolcher Chriſtlichen lehrer worte/ Chriſtus habe
eine fehlbitte gethan/ auff dieſe gute art erklaͤren und verſtehen/ wie in der Schrifft
offt einige dinge ausgeſprochen werden/ nach dem es bey den leuthen ein anſehen
und ſchein hat/ und von dieſem davor gehalten werden moͤchte. Wie hin und wie-
der von Philologis bemercket wird/ als Glaſſ. Phil. ſacr. 3. 3. can. 18. Alſo
P 3moͤch-
[118]Das ſechſte Capitel.
moͤchte es heiſſen/ Chriſtus habe eine fehlbitte gethan/ das iſt es ſeye ihm von GOtt
ſeinen himmliſchen Vater alſo begegnet worden/ daß es nicht anders das anſehen
gehabt/ als waͤre es eine fehlbitte geweſen. Wie wir auch etwa ſagen/ wo jemand
in goͤttlicher ordnung/ und alſo mit ausnahm goͤttlichen willens/ in zeitlichen etwas
gebeten/ ſolches aber weil es GOTT ihm nicht nuͤtzlich zu ſeyn erkant haͤtte/ nicht
erfolget iſt/ er habe eine fehlbitte gethan/ weil es vor andern augen das anſehen einer
fehlbitte hat/ ob es wohl an und vor ſich ſelbs keine eigentliche fehlbitt iſt/ als welcher
die ſach nicht anders als ſo und wie fern es goͤttlichem willen gemaͤß waͤre/ verlan-
get hat/ und deswegen/ da dieſe bedingung weggehet/ ſelbs nicht weiter mehr
auff ſeiner bitte wuͤrde beharret haben. Auff dieſe art und mit ſol-
cher erklaͤhrung mag die gebrauchte rede wohl verſtanden werden; Da-
her auch ſolchen verſtand bey angezogenen Theologis geweſen zu ſeyn das ver-
trauen habe. Jedoch wolte der formul ohne gnugſamen erklaͤhrung/ da-
mit ſich andere nicht daran ſtieſſen/ nicht gern gebrauchen. Wie ich aber alle-
zeit der meinung bin/ wo ſich bruͤder an eine art zu reden ſtoſſen/ und gleichwohl
ſolches auff andere art ohne anſtoß ausgeſprochen werden kan/ daß man ſich/
wo nicht eine andere wichtige urſach im weg ſtehet/ derſelben ſo bald lieber enthalten
und andere gleich nachtruͤckliche und unanſtoͤßige gebrauchen ſolle. Jn dem uͤbri-
gen die meiſten klagen/ welche Euer Wohl-Ehrw. fuͤhren/ moͤgen dieſelbe verſichert
ſeyn/ daß ſieauch allen uͤbrigen treuen dienern GOttes gemein ſind. Die Cæſa-
ropapia
trucket uns aller orten gewaltig/ und wie wir zwar GOttes heiligen rath
hierinnen auch ehren/ daß er bey gegenwaͤrtigen bewandnuͤß unſeres geiſtlichen
ſtandes mit (da wir meiſtens der kirchen gewalt vielmehr zu unſerem eignen gefal-
len/ u. nach unſeren affecten/ und dahero miß-als zu Gottes ehren und recht gebrau-
chen moͤchten) ſolche gewalt uns nicht frey gelaſſen/ die ſonſten zu dem amt gehoͤren
ſolte; ſo fuͤhlen doch treue diener des Herren von ſolchem mangel viel ſchwehre
hindernuͤß/ und muͤſſen in vielen zuruͤck ſtehen/ wo ſie durch zutringen wuͤnſchten.
Dahero nicht leugne/ daß ich an meiſten orten den zuſtand der kirchen/ wo dieſelbe
unter anderer religion Obrigkeit/ dieſe aber nicht gar tyranniſch iſt/ vor gluͤcklicher
achte/ als der jenigen/ die ihres glaubens Obrigkeit haben/ ſo aber der gemeinen
art nach mit dem abuſu Juris Epiſcopalis mehr ihre hoheit befeſtiget/ als der kir-
chen beſtens befoͤrdert. Woher es kommt/ daß ich davor achte/ unſere meiſte arbeit
in der kiꝛchen beſtehe jetzt faſt allein in deme/ wie wir mit den willigen umzugehen/
und denen die ſich gern wollen erbauen laſſen/ gelegenheit dazu zugeben haben: bey
den halßſtarrigen aber/ wo eine gewalt und nachtruck erfordert wird/ vermoͤgen
wir wenig auszurichten: ſo ſind auch die geheimere verfolgungen/ daß wir auch von
denen/ die doch unſere ſchafe zu ſeyn den nahmen und anſehen haben wollen/ muͤſ-
ſen verachtung heimlich oder offentlichen haß/ laͤſterung und dergleichen ausſtehen/
aller
[119]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO XXIV.
aller orten ſo gemein/ daß ich es vor eine boͤſe zeitung halte/ wo ſich einer davon
frey zu ſeyn ruͤhmen wolte: indem ich ſorgen muͤſſte/ die welt muͤſſte an ihme das
ihrige zimlich erkennen/ weil ſie ihn liebte. Alſo iſt auch nicht Eure Wohl-Ehrw.
allein/ welche uͤber den mangel guter und in dem zweck des HErrn vertrauter freun-
de klagen. Hat der grundguͤtige GOTT etwa einigem ein oder anderen treuen
bruder naͤher zugefuͤget/ ſo iſt es eine ſeltenere gluͤckſeligkeit und ſonderbahre gna-
de. Auch halte davor/ daß einer der noͤthigſte ſtuͤcke ſeye/ wohin in meinen piis deſi-
deriis
auch N. N. in ſeinen bedencken ziehlet/ daß wir uns erſtlich erkundigen wo
hier und dar andere gute und in dem HERREN gleich geſinnete gemuͤther ſeyen/
uns untereinander kennen zu lernen/ um ſo viel genauer und bruͤderlichere freund-
ſchafft unter uns zu ſtifften/ u. wie mit gebet alſo mit rath und that einer dem andern
behuͤlfflich zu ſeyn/ und kaͤmpffen zu helffen. Wie mich denn von grund meiner ſee-
len freuet/ wo ich hin und wieder bald dieſes bald jenes treuen dieners CHriſti
kundſchafft erlange/ und allemahl dem groſſen GOTT vor ſeine gnade danckſage:
allen ſolchen aber mich ſonderbarſt verbunden zu ſeyn erachte. Dieſes einige bit-
te/ daß Euer Wohl-Ehrw. nicht unter die jenige dinge ſetzen wolle/ ſo ſie zu beklagen
haͤtten daß dieſelbe vermeinen/ in ihren beſten jahren verſaͤumet worden zu ſeyn/ o-
der die bey hoff in information-dienſten ſo lange zu bringen muͤſſen/ und alſo den
academicis ſtudiis nicht ſo lange abzuwarten vermocht. Jn dem ich darvor hal-
te/ wo dieſelbe auch ſolche leitung ihres Gottes gnauer unterſuchen werden/ ſie an-
treffen moͤge/ daß eine heilige weißheit und liebe ſolches himmliſchen Vaters dar-
innen geſtecket. Wir bedoͤrffen der Academien, und haben GOTT hertzlich zu
dancken/ daß er dieſelbe uns zu erhaltung dir orthodoxiæ, und daß allezeit leute/
die kriege des HErren wider die euſſerlichen feinde zufuͤhren in denſelben erzogen
und ausgeruͤſtet werden/ ſchuͤtzen/ und nicht zufallen laſſen wolle. Bekenne auch
gern/ was in unterſchiedlichen ſtuͤcken in den 12. jahren und druͤber/ ſo ich in Acade-
mien
zubracht/ durch GOttes gnade erlernet. Aber weiß auch dieſes wohl/ daß
in Academien auffs wenigſte was darinnen aus information der præ-
ceptorum
(dann was die privat-meditationes anlanget/ haben dieſelbe eben ſo
wohl platz auſſer den Academien) erlernet wird/ nicht alles ſeye/ noch allezeit das
nothwendigſte/ was wir bedoͤrffen. Und daß hingegen offt viele zeit verbracht werde
in dergleichẽ dingen/ welche uns zu dem hauptzweck nicht ſo wohl geſchickt als wegen
anhaͤngenden mißbraͤuchen nur ungeſchickter machen/ daß ein mit dergleichen con-
ceptibus,
die der ſimplicitati piſcatoriæ der GOttes maͤnner nicht gemaͤß ſind/
angefuͤllter verſtand/ ſich nachmahl in jene einfalt nicht ſo wohl finden kan. Unſer
ſelige Arnd iſt ſo gar lange zeit nicht auff univerſitaͤten geweſen/ (ſo ihm zwar auch
von einigen uͤbel genommen/ und als eine urſach ſeiner irrthuͤme angezogen worden)
ich halte ihn aber nichts deſto weniger vor einen der theurſten lehrer/ und meine/
er habe mehr gutes gethan als der andern eine ziemliche zahl zuſammen. GOtt
fuͤhret
[120]Das ſechſte Capitel.
fuͤhret alle die ſeinige wunderlich und weißlich/ das wolle Euer Wohl-Ehrw. er-
kennen/ in allem auch an ſich geſchehen zu ſeyn/ und GOttes heiligſte leitung allezeit
danckbarlich preiſen. 5. Maj. 1676.


SECTIO XXV.


Als ein guter freund in Franckfurth etwas aus-
geben wolte/ das verdacht irriger lehre erwecken koͤnte.
Von der dolmetſchung Lutheri. Verhe iſſungen der alten im
Alten Teſtament. Rechtfertigung. Treue warnung/ nicht
durch falſche lehre oder dero ſchein dem werck des
HErren anſtoß zu ſetzen. Der daraus
entſtehende ſchade.


MJe hertzlich ich diejenige von dem geber alles guten in denſelben gelegte
theure gaben/ erkantnuͤß und eiffer æſtimire und liebe/ auch nichts mehr
verlangen trage/ als daß dieſelbe reichen nutzen zu GOttes preiß und vieler
menſchen aufferbauung bringen moͤgen/ hoffe ich/ werde es nicht vieles bezeugens
bedoͤrffen/ noch noth ſeyn/ hier gegen denſelben ſelbs viele wort darvon zu machen.
So vielmehr aber liget mir ob/ gleich wie/ wo ich gelegenheit zu fruchtbarer anwen-
dung ſolcheꝛ goͤttlichen gaben zu finden ſehe/ dieſelbe willig zu befoͤrdeꝛn/ alſo hingegẽ/
wo beſorgen muß/ daß etwas an kraͤfftiger fruchtbringung derſelben ſchaͤdlich oder
hinderlich ſeyn moͤchte/ davor mit helffen ſorge zu tragen/ und deßwegen aus ſchul-
diger liebe freundliche erinnerung zu thun. Hiezu giebet mir gelegenheit/ die
auff meine bitte neulich gethane freundliche communication zweyer capitel des
lieben von der aus der Schrifft gezogenen ſchuldigkeit des Chriſten lebens. Jn wel-
chem mit hertzlichen vergnuͤgen vieles geleſen/ ſo mich nicht wenig vergnuͤget und
erfreut/ aber auch etliches angetroffen habe/ von deme ſorgen muß/ daß deſſen pu-
blication
an ſtatt verhofften nutzens vielleicht ohne ſchaden und hinderung der/ ſelbs
zum zweck ſich vorgeſetzten/ erbauung des Chriſtenthums nach ſich ziehen moͤchte;
welchem denn ſo wohl ſelbs dieſe zeit uͤber in der furcht des Herren und mit deſſen an-
ruffung nachgedacht habe/ als bitte gleichfalsferner ſolcher ſache reifflich nachzu ſin-
nen. Jch finde zum aller foͤrderſten ein und andere expreſſiones in der uͤberſe-
tzung etlicher ſpruͤche aus dem grund text/ wo von Lutheri gewoͤhnlicher dolmet-
ſchung etwa auch ohne noth oder nutzen abgewichen worden. Da iſts zwar an
dem/ daß ich weder mich ſelbs/ noch andere an Lutheri uͤberſetzung/ ob ſie wohl vor
eine herrliche gabe GOttes erkenne/ dermaſſen knechtiſch binde/ daß nicht von der-
ſelben ſo bald als etwas nachtruͤcklichers aus dem grundtext gewieſen werden kan/
abzu-
[121]ARTIC. I. DIST. I. SECT. XXV.
abzuweichen/ und das jenige zu ergreiffen waͤre/ woraus des heiligen Geiſtes ſinn
und meinung deutlicher und verſtaͤndlicher gefaſſet werden moͤchte: maſſen ich mir
ja ſelbs ſolche freyheit in meinen oͤffentlichen predigten nehme/ und niemand eine ſol-
che frey heit verwehren wollte. Wo aber ſeine dolmetſchung nichts ungeſchicktes
in ſich hat/ auch eine andere dolmetſchung nicht eben ſonderbahren nachtruck/ o-
der weiters liecht dem text giebet als jene gewoͤhnliche/ hoffe ich/ ſollen die meiſte/ ſo
der ſache vernuͤnfftig nachdencken/ mir beyfall geben/ daß in ſolchem fall viel rahtſa-
mer ſeye/ bey der bekanten dolmetſchung zu verbleiben/ die gleich wie ſie bey uns/
und den Reformirten communi conſenſu angenommen/ alſo auch den Papiſten
in den meiſten ſtellen nicht ſo gar zu wider iſt/ daß ſie nicht in ihren eigenen editio-
nen/ wo ſie auch ſolcher ehre Luthero nicht geſtaͤndig ſeyn wollen/ ſich doch mei-
ſtens nach derſelben gerichtet haben. Jn dem gleichwie der autoritaͤt ſolcher dolmet-
ſchung/ der mehrere nachtruck und deutlichere verſtand des texts/ wo derſelbe ge-
funden werden kan/ billich vorgezogen wird/ alſo wird hingegen die gewohnheit/
da die worte dieſer verſion den leuthen in der gedaͤchtnuͤß hafften/ um ſie nicht in al-
lem irre zu machen/ wohl ſo viel wehrt ſeyn/ daß um derſelben willen bey jener verſi-
on
geblieben werde/ wo man nicht ſonderbahren nutzen oder nothwen-
digkeitzu dem abweichen findet/ und alſo dazu getrieben wird. Wie
nun dieſes einiges bedencken machen kan/ alſo ſind gleichwohl noch zwey andere
wichtige puncten/ die mir mehr angelegen ſind. 1. Daß nicht ausgetrucket/ ob
deñ die lieben Vaͤter des A. T. keine verheiſſungen einiger geiſtl. und ewiger guͤter
gehabt/ oder ob ihnen dergleichen auch gegeben: ſondern aus aller ſolcher tractation
ſolten die meiſte ſchlieſſen/ es werde die negativa ſolcher frage behauptet. 2. Daß
die dolmetſchung des wortes δικαιοσύνη, δίκαιος, δικαιου῀ν, die durch rechtſchaf-
fenheit/ rechtſchaffen/ rechtſchaffen machen
gegeben werden/ ein groſſes in re-
ceſſu,
und viele gefahr nach ſich habe/ als welches das anſehen gewinnet/ ob wolte
dadurch der haupt articul von der rechtfertigung aus der gerechtigkeit CHriſti/ der
in alle wege als das hertz des Chriſtenthums unverletzt bleiben ſolle/ allgemach in
zweiffel gezogen werden. Gleich wie ich nun in beyden ſtuͤcken das jenige was ſol-
che meinungen in ſich haͤtte/ der heiligen Schrifft durchaus nicht gemaͤß erkenne/
alſo wuͤßte ich nicht/ was gefaͤhrlicher in oͤffentlichen truck auff die bahn gebracht
werden moͤchte. Es iſt an deme/ daß zwar freylich die guͤter und verheiſſungen/
welche wir in dem Neuen Teſtament von CHRJSTD haben/ unvergleichlich
groͤſſer ſind/ als die jenige/ welcher die liebe alte genoſſen haben/ alſo daß in ver-
gleichung derer es wohl heiſſen mag/ daß wir die guͤter ſelbs/ ſie aber nur den ſchat-
ten/ wir das liecht und tag/ ſie gegen uns lauter finſternuͤß/ gehabt haben. Jndeſ-
ſen/ ſo ſinds einmahl keine bloſſe leibliche oder zeitliche verheiſſungen geweſſt/ und
hat GOTT auch ſeinen lieben außerwehlten ſolcher zeit nicht/ gleich den weltkin-
dern/ nur den bauch mit ſeinem leiblichen ſchatz gefuͤllet/ ſondern ihnen um des wil-
Qlen/
[122]Das ſechſte Capitel.
len/ auff den ſie in den opfern gewieſen wurden/ auch nach der maaß/ als es der œco-
nomiæ
ſolcher zeit gemaͤß war/ geiſtliche und ewige guͤter ſo geſchenckt als zugeſagt/
daß auch aus anſehung der kuͤnfftigen aufferſtehung ſich ſo viele um des Juͤdiſchen
glaubens willen/ wie in der Maccabeer buͤchern zu ſehen/ willig laſſen hinrichten/
und nach dieſem leben ein anders/ und ſeligers erwartet. Alſo daß auch unſer lie-
be Heyland die Sadduceer nicht nur einer unwiſſenheit der krafft GOttes/ ſondern
auch der Schrifft/ beſchuldiget/ daß ſie aus der benennung/ daß er ſeye der GOtt
Abrahams/ Jſaacs und Jacobs/ die aufferſtehung nicht erkanten/ ſondern alle goͤtt-
liche verheiſſungen allein auff die gluͤckſeligkeit deſſen gegenwaͤrtigen lebens zogen.
Wie nun die Sadduceer einmuͤthig von den Juden ihꝛer zeit verworffen wurden de-
ren meinung gleichwohl recht geweſen waͤre/ wo die alte allein leibliche verheiſſung
gehabt haͤtten; alſo haben wir ja heut zu tag nach ſo viel hellerem liecht viel andere
gedancken von der guͤtigen liebe GOttes gegen ſeine außerwehlte kinder des Alten
Teſtaments zu faſſen: Wohin uns ſonderlich Paulus Hebr. 11/ 9. 10. 13. 14. 15.
16.
weiſet/ und gleichſam den ſchluͤſſel gibet/ wie wir den bund/ den GOTT mit den
alten gemacht/ anzuſehen haben. Was das andere anlanget/ gleich wie ich den
daraus flieſſenden irrthum meinen Hochgeehrten Herrn nicht zu meſſen will/ ſo
ſcheinet gleichwohl ſolche dolmetſchung allgemach unwiſſend zu demſelben den weg
zu bahnen: So bald aber dieſes mit ſich zu bringen/ daß die rechtfertigung beſtehe/
nicht in der gnaͤdigen vergebung der ſuͤnden/ und alſo loßzehlung vor goͤttlichem ge-
richt/ wo einige ſignificatio q. forenſis platz hat/ ſondern in einer gleichſam
phyſica infuſione habitualis juſtitiæ: welche habitual-gerechtigkeit freylich
als eine folge der gnaͤdigen vergebung der ſuͤnden ihres orts bleiben/ und ernſtlich ge-
trieben werden muß; aber hingegen ſo ſoll auch billig der unterſcheid unter der ju-
ſtification
und renovation, den die Schrifft ſelbs andeutet/ bleiben. So wird
meines ermeſſens/ es moͤchte denn der einige ort ſeyn. Apoc. XXII, 11. (wo zwar nicht
nur uͤber denſelbigen ſich noch vieles ſagen laͤſſet/ ſondern gar andreexemplaria ha-
ben δικαιοσύνην ποιησάτω) nicht eine einige ſtelle in der gantzen Schrifft ſich finden/
wo bekantlich das wort δικαιου῀ν heiſſen ſolte/ einen rechtſchaffen machen/ habituali
aliqua inhærente juſtitia,
ſondern allezeit iſts von einer ſolchen rechtfertigung ge-
braucht/ daß der menſch von dem richter oder andern leuten gerecht gefprochen/ loß-
gezehlet oder davor geprieſen wird. Daher auch Jeremias Felbinger in ſeiner
uͤberſetzung ſolches wort/ wanns von GOTT gegen den ſuͤnder gebraucht/ nicht
anders als wir auch daſſelbige verteutſchet/ rechtfertigen/ der doch/ daß er ſeine
hypotheſes behauptete/ wo es muͤglich geweſen/ gerne wuͤrde eine andere uͤberſe-
tzung beliebet haben. Daher ich nicht ſehe/ wie ſolche dolmetſchung wider die
gantze φράσιν der Schrifft ſtehen koͤnne; zu geſchweigen daß das wort rechtſchaf-
fen/
oder rechtſchaffenheit eben ſo wenig verſtaͤndlich iſt/ und ſoll es anders recht
nach der wahren meinung gefaſſet werden/ ſo viel erklaͤhrung bedarff/ als das wort
gerecht
[123]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO XXV.
gerecht oder rechtfertigen. Daher ich ſo viel an mir iſt/ angelegenlichſt zu bit-
ten habe/ auff ſolche art dieſen auffſatz weder allhier/ noch mit beygeſetztem nahmen/
oder doch daß jemand wiſſend werden moͤchte/ daß ſolches von meinem Hochgeehr-
ten Herrn herkaͤme/ trucken zu laſſen: angeſehen auch noch ſo vieler urſachen/ de-
ren wichtigkeit ich nicht zweifle/ mein Hochgeehrter Herr aus GOttsfuͤrch-
tiger fernere uͤberlegung der ſachen finden werde. Es ſiehet derſelbige ſelbs/ daß
nicht nur hier durch GOttes gnade einige gute gemuͤther ſich finden/ welche GOtt
hertzlich ſuchen/ auch andere mehrere allgemach einen trieb dazu anfangen zu be-
kommen/ ſondern daß auch GOTT anderwertlich unterſchiedliche fromme hertzen
erwecket/ die den ſchaden Joſephs ſo wohl bedauren/ alſo auch was an ihnen iſt/ an-
gefangen drauff zu gedencken/ wie welche beſſerung in dem leben zu erlangen waͤre;
wo ich nicht zweiffle/ daß GOTT auch ſeine hand dabey habe/ und ſeyn werck nicht
ungeſegnet ſeyn laſſe. So wuͤßte ich aber nichts allem ſolchen guten vorhaben ge-
faͤhrlichers/ und welches/ nicht anders als eine pfanne mit kaltem waſſer in einen
zu ſieden anfangenden keſſel geſchuͤttet/ den gantzen ſud ploͤtzlich zu nichte machet/ al-
ſo in dieſer ſache allen guten anfang und vorhaben auff einmahl verderben wuͤrde/
als eben die publication dergleichen dinge/ welche entweder wuͤrcklich etwas in der
lehre angreiffen/ oder nur deſſen ſcheinbare vermuthung geben wuͤrden. Es kan
meinen Hochg. Herrn nicht unwiſſend ſeyn/ wie nun mehr vieler dem gantzen werck
der beſſerung widrig geſinnter augen ſehr ſcharff auff uns allhier in Franckfurth/
und vielleicht ſchaͤrffer als auff einigen andern ort/ gerichtet ſeyen/ da nichts von je-
mand unter uns heraus kommen wird/ ſo nicht in reiffe deliberation von den jeni-
gen/ welche uns ohne dem ſchon in unverſchuldeten argwohn haben/ gezogen ſolte
werden. Wie nun um der urſach willen das werck des HERRN/ in dem was
noͤthig iſt nicht unterlaſſen werden muß/ alſo will gleichwohl erfordert werden/ daß
wir nicht muthwillig/ oder doch wiſſentlich ohne noth/ das ſchwerd den feinden wi-
der uns in die hand geben. Nun iſt kein zweiffel/ ſo bald ſolches nicht nur hier/ ſon-
dern auch anderwertlich/ aber daß man auff das natale ſolum der Schrifft kom-
men wuͤrde/ getruckt wird/ ſo werden wir offentliche antagoniſtas bekommen. Und
damit 1. wird den jenigen freude gemacht werden/ welche bis daher in hieſiger ſtatt
und anderwertlich/ was gutes moͤchte geſchehen oder introduciret worden ſeyn/
mit ſcheelen augen angeſehen/ und eine ſcheinbahre urſach zu laͤſtern noch nicht
haben finden koͤnnen. Wo aber es nunmehr dahin komt/ daß man vermeint ver-
daͤchtiger lehr uns zu uͤberfuͤhren/ da wuͤrden alle loßbrechen: Das ſeyen die fruͤch-
te des Collegii pietatis, der abſonderlichen zuſammenkuͤnfften/ der kinder lehren/
der ihnen ungewohnt vorgekommenen predigten/ von denen man ſich lang beſorgt/
es werde einmahl das verborgene loßbrechen/ man habe es aber ihnen nicht glauben
wollen/ itzo komme der glaube allen in die haͤnde/ was mit allem dieſem ausgebruͤtet
worden. Denn 2. werden wir/ wie entfernt wir auch davon ſind/ Sociniſmi oͤf-
Q 2fentlich
[124]Das ſechſte Capitel.
fentlich beſchuldigt/ und ſolcher nachmahl auch in anderen articuln, deren etwa
nicht gedacht/ gleichſam ob muͤßten alle an einander hangen/ der maſſen beſchrieben
werden/ daß auch diejenige/ welche nicht boͤſes gemuͤths und noch zugewinnen ſind/
damit eingenommen werden werden. 3. Was mich anlanget/ weden der mit mei-
nen Hochgeehrten Herrn habender Chriſtlicher freundſchafft/ ob wohl ſolcher mei-
nung gantz entgegen bin/ und das gegentheil offentlich lehre/ wird doch daraus ge-
ſchehen/ daß ich deſſen verdachts mich nicht gnug entſchuͤtten/ und weder bey mei-
ner gemeinde mehr etwas fruchten koͤnnen/ vielweniger anderwertlich das gering-
ſte zu einigem guten cooperiren duͤrffen werde: ja damit faͤllet nicht nur allein auff
mich/ welches wenig achte/ alle boͤſe nachrede/ daß dergleichen wiſſend oder unwiſ-
ſend verurſachet haͤtte/ ſondern ich werde damit gantz untuͤchtig bey allen gemacht
werden/ etwas ferner zu der ehre GOttes zu thun. Wie nun ſolches endlich mir
etwa ein in der welt ruhigersleben/ gegen dem als ſonſten zu erwarten/ machen/
und mich von unterſchiedlichen befereyet maͤchte/ ſo mich jetzo trucket/ ſo waͤre der
ſchaden an meiner perſon etwa noch geringer/ aber der jenige viel groͤſſer/ daß 4. da
mit auch anderswo rechtſchaffene Gottſelige gemuͤther/ die in dem nahmen des
HERRN ſich vor genommen haben/ nach dem vermoͤgen/ das GOT darreichen
werde/ ſeine ehre zu befoͤrdern/ und ihres orts gutes zuſtlfften/ ſich in ſolchem ihrem
vorhaben werdenmercklich gehindert ſehen/ theils zwar weil ſie ſich auch mit gleichẽ
verdacht deſſen/ was hier ausgebrochen ſeye/ beladen zu ſeyn/ erkennen werden/
theils weil ihnen damit der muth benommen wiꝛd werden/ daß ſie ſich nichts faſt
ungewoͤhnliches mehr werden zu unternehmen das hertz faſſen 5. Hier werden viel
fromme hertzen dadurch betruͤbt werden/ und die einfaͤltige/ bey denen gleichwohl
etwa guter trieb geweſen/ nicht geringes aͤrgernuͤß faſſen/ wo ſie hoͤren ſolten/ daß
einige von denjenigen/ von denen ſie gute unterweiſung zur Gottſeligkeit gehoffet/ in
verdacht irriger u. anderer lehr/ (daß man ſich auch deſſen nicht wohlentbrechẽ koͤn-
te/ ſie aber davon zuurtheilen nicht vermoͤchten/) gezogen wuͤrden. Solche gute leute
wuͤrdenfolgends faſt nicht mehr wiſſen/ was ſie glauben/ thun oder laſſen ſollten. Auf
welcherley aͤrgeꝛnuͤß manchmal ſehr boͤſe conſequentien gefolget/ u. ſolche ſonſt gu-
te leute endlich faſt in einen voͤlligen Atheismum gerathen/ welcher auch nicht
ohne urſach dieſes orts zu beſorgen/ damit aber viel guter ſame/ ſo mit der zeit ei-
nige erndte bringen moͤchte/ in der erde oder graß erſtuͤcket wuͤrde. So viel-
mehr weil ſolches aͤrgernuͤß (das bey den einfaͤltigen/ durch die jenige/ ſo
ohne das auch das gute an ihnen ungern befordert geſehen/ kraͤfftig wuͤrde
exaggeriret werden) nicht hie in der ſtatt bleiben/ ſondern auch noch an-
derswo viel frommen ſeelen ſchwere und gefaͤhrliche gedancken machen wuͤrde:
Auch ſo offt kuͤnfftig ſolte von jemand mit ernſt die uͤbung der wahren GOtt-
ſeligkeit getrieben/ und dazu das wenigſte ſonſten nicht gewoͤhnliche vor die handge-
nommen werden/ wuͤrde alles ſolches durch das præjudiz, wohin endlich derglei-
chen
[125]ARTIC. I. DISTINCT. I. SECT. XXV.
chen hier ausgelauffen ſeye/ gravirt, den widrig geſinnten ſich zu widerſetzen
ſtattlich anlaß gegeben/ andre ſchwache aber von der folge wegen ſolcher gefahr/
ſie moͤchten auch endlich in falſche lehr unwiſſend eingefuͤhret werden/ ab-
geſchrecket/ und damit ein ſtarcker rigel aller beſſerung vorgeſchoben werden.
6. Das fleißige leſen und forſchen in der Bibel/ abſonderliche zuſammen
kunfften/ und uͤbungen/ und erforderung eines rechtſchaffenen Chriſtenthums/
werden eine lange zeit mit ſolchem verdacht beleget werden/ daß niemand wird das
hertz nehmen/ dergleichen mehr anzuſtellen: Sondern werden alle mit ſeuffzen uͤ-
ber uns klagen/ die wir uͤber ſolche an ſich gute dinge unvorſichtig der gleichen ver-
dacht gezogen/ und damit auch anderen die ſache verderbet haͤtten. Jetzo 7. nicht
zugedencken/ was gefahr gleichwol auch in dem weltlichen Regiment zu beſorgen/
dafern mit zimlichem ſchein gezeigt werden koͤnte/ daß einige von uns dergleichen
meinungen behaupteten/ denen keine der jenigen religionen beypflichtete/ welche
lege publica und in dem religions- und Oßnabruͤggiſchen frieden zu gelaſſen ſind.
Was ſtattliche gelegenheit waͤre ſolches den nach gelegenheit ſich offt ſehnenden Pa-
piſten/ entweder ſolches der gantzen religion bey zumeſſen/ oder ſonſten ſpaltun-
gen unter uns/ und damit eine verfolgung/ zu veranlaſſen? Jch uͤberlaſſe aber
meinen hochgeehrten Herrn ſelbs ein mehrers in der furcht GOTTes nach zu ſin-
nen/ und die gefaͤhrliche ſequelas zuerkennen/ welche folgen wuͤrden/ wofern durch
denſelbigen wir allhier mit einem ſolchen verdacht falſcher lehre graviret, und der-
gleichen bey andern religions-verwandten kund werden ſolte. Welches durch edi-
rung dergleichen ſchrifften/ ſo viel menſchen vorſehen koͤnnen/ unvermeidlich folgen
wuͤrde. So verſichere ich mich aber zu ſeinem liebreichen gemuͤth vieleinanders/ als
daß durch behauptung eigner meinung derſelbe zu hindernuͤß ſo vieles guten/ und
hingegen gefahr/ anlaß mit willen wuͤrde geben/ und damit die liebe und heilſame
milch/ ſo von demſelben offt durch GOttes gnade gefloſſen/ unbrauchbar zu ma-
chen/ umſtoſſen wollen. Mir ſtehet immer vor augen/ des ſehr begabten D. Ca-
lixti
exempel/ der ein groſſes der erbauung/ ſo von ihm herkommen moͤgen/ nicht
nur auf dergleichen weiſe/ durch particular opinionen, gehindert/ ſondern noch
viel aͤrgernuͤß veranlaſſet/ nachmahl aber die ſache zu aͤndern nicht mehr vermocht
hat. So wird auch dieſes mit meines hochgeehrten Herrn eigenen principiis uͤber-
einkommen/ daß/ wo auch ſchon einige warheit in ſachen/ die noch ohne verluſt der
ſeligkeit moͤgen nicht gewußt werden/ ſolte zu erweiſen ſeyn/ dennoch davon nicht
der anfang gemacht/ ſondern die leute zur ernſtlichen GOttes-furcht und nach-
folge Chriſti eyfrig angewieſen/ und damit geſchickt gemacht werden ſolten/ daß ſie
auch goͤttliche dinge recht verſtehen moͤchten/ ſo bey fleiſchlichem ſinn und leben nicht
geſchehen koͤnte: Wo ſie aber zu jenen recht geleitet worden waͤren/ wuͤrde GOtt
ihren gottſeligen fleiß alſo ſegnen/ daß ſie in fleißiger forſchung der Schrifft die
warheit mehr und mehr aus goͤttlicher erleuchtung erkennen lerneten. Deme
Q 3wuͤr-
[126]Das ſechſte Capitel.
wuͤrde aber nicht gemaͤß ſeyn/ wo wir die jenige ſchwehre/ und unter den gelehrten
ſo hart diſputirte puncten wolten auf die bahn bringen/ damit gefaͤhrliche di-
ſputationen
und andere oberzehlte conſequentias verurſachen/ und was in
pflantzung eines gottſeligen lebens ſonſten geſchehen moͤchte und ſolte/ damit nicht
nur nicht befoͤrdern/ ſondern vielmehr hindern und umſtoſſen. Dahero dann ſo wol
fraterne und wolmeined bitte/ als der zuverſichtlichen hoffnung gelebe/ mein hoch-
geehrter Herr werde aus Chriſtlicher behertzigung des angefuͤhrten/ entweder
ſolche materien außlaſſen/ oder aber welches mit gantz geringer aͤnderung geſche-
hen zu koͤnnen zeigen moͤchte/ alſo aͤndern und einrichten/ daß ſie ohne ſchein einer
neurung in der religion ſelbſten von allen geleſen werden moͤchten: Jndeſſen aber
ſich durch nichts abhalten laſſen/ die uͤbrige materien, ſo eigentlich zur erbauung
dienlich/ auff das ſoͤrderlichſte auszuarbeiten/ und alhier trucken zulaſſen/ als die
der andern nicht entgelten/ oder deßwegen unterbleiben/ oder uns nachmal hier
nicht ſo gemein zu werden/ anderswo zum truck gegeben werden ſolten: So ge-
buͤhret billich dem ort die ehre/ wo die arbeit außgefuͤhret/ auch ſolche ans liecht
zu bringen. Jch ruffe nochmahl dabey den grundguͤtigen GOtt/ deſſen ehre wiꝛ
allein vor augen haben ſollen/ demuͤtig an/ er erleuchte unſer aller augen dahin zu-
ſehen was zu ſolchem heiligen zweck dienlich iſt/ und mit ſo eyffer als vorſichtigkeit
ſolches zu treiben/ und durch ſeinen ſegen endlich die arbeit nicht vergebens gewe-
ſen zu ſeyn/ erfreulich zu ſehen. Derſelbe wolle auch abſonderlich meinen hochge-
ehrten Herrn mit ſeines geiſtes liecht und gnade ferner erfuͤllen/ noch reicher zu
werden in allerley erkaͤntnuͤß und erfahrung/ zu pruͤfen/ was das beſte ſey/ zu ſeyn
lauter und unanſtoͤßig auf den tag JEſu Chriſti/ erfuͤllet mit fruͤchten der gerech-
tigkeit/ die durch JEſum CHriſtum geſchehen in ihm zur ehre und lobe GOttes.
1676.


P. S.


  • Etliche urſachen moͤchten auch erfordern behutſam zu gehen/ wo mit Studio-
    ſis Theologiæ
    geredet wird.

SECTIO XXVI.


Wie GOTT der ſeinigen mund und feder re-
giere. Von meinem zuſtand in Franckfurt am Mayn.
Ob Chriſtus eine fehlbitte gethan? Sonn-
taͤgliche
Evangelia.


ES hat mich hertzlich erfreuet aus deſſelben neulichem verſtaͤndigt zu wer-
den/ wie daß mein letztes zu bequemer und ſolcher zeit uͤberlieffert worden/
da es zu einiger ſtaͤrckung und auffrichtung in damaliger wi-
der-
[127]ARTIC. I. DISTINCT. I. SECTIO XXVI.
derwertigkeit gedienet/ und dancke auch davor hertzlich/ das der GOtt alles tro-
ſtes meine feder auch damahl alſo regieren/ und mir unwiſſend dahin richten wol-
len/ wie es Ew. Wohl Ehr. zu einigen troſt gereichet. Es iſt mir mit einigen gu-
ten freunden zu unterſchiedlichen mahlen dergleichen begegnet/ daß mich dero brieffe
in ſolchem zuſtand angetroffen/ da ſie mir wol zuſtatten kommen/ und mich dieſes
erfreuet hat/ daß der Vater im himmel chriſtlicher mit-bruͤder worte (ob ihnen
wol offtmals auch unwiſſend in was zuſtand ich auch damahl waͤre) dazu gebrau-
chen und ſegnen wollen. Wir erkennen billich allemahl aus ſolchen exempeln
GOttes heilige und wunderbare regierung/ und daß ſein Geiſt in uns zu unſerm
und anderer beſten mehr wuͤrcke/ als wir offt wiſſen und verſtehen/ und dahero
das werck allein ſein zu ſeyn erkant werden muß. Jch habe dergleichen bey mir
und andern beobachtet/ daß zu weilen in predigten einige dinge aus gelegenheit des
texts geandet und alſo davon geredet worden/ gleich ob haͤtte man ausfuͤhrlichen
bericht von gewiſſen particularien, die vor gegangen waren/ gehabt/ alſo daß auch
den leuten die gewiſſen recht geruͤhret worden/ ob wol ich und ſolche prediger
damahl von der gleichen dingen nicht gewuſt/ ſondern in unſrer einfalt insgemein
von einer ſach zu reden gedacht. Jm uͤbrigen ſo bleibts einmal dabey/ wir predi-
ger ſind noch vor allen andern Chriſten/ dem faſt insgemein auch ſolche fata pro-
pheceyet ſind/ dazu beruffen/ daß wir ein ſtein des anſtoſſens/ und ein zeichen/
dem widerſprochen wird/
nach dem exempel unſers Heylandes werden muͤ-
ſten: wir muͤſſen ſeyn ein ſpot der leute/ verachtung des volcks/ und ein rech-
tes fegopffer. Solle mein armes exempel Ewr. Wol Ehrw. zu troſt dienen/ ſo
moͤgen ſie wiſſen/ daß mein GOtt mich von widerwertigkeiten auch nicht ein we-
niges hat bißher erfahren laſſen. Es iſt nicht zu erzehlen/ was vor calumni-
en/ verlaͤſterungen uͤber mich hier in der ſtatt von meinen eignen leuten ausgegoſ-
ſen werden. Jch weiß/ daß ich bey malzeiten/ und zwar dabey nicht geringe leu-
te waren/ auch wol einige ſtunden lang das ſpott-liedlein geweſen. Mein privat
exercitium, wodurch/ dem Hoͤchſten ſeye danck/ unterſchiedlichen guten gemuͤthern
zu ihrer erbauung vieles geholffen worden/ iſt in den augen ihrer vielen der groͤſ-
ſte anſtoß: Alſo daß nicht nur ich ſelber/ ſondern auch viele der jenigen/ die es auch
beſuchen/ daruͤber leiden muͤſſen: Und bald da bald dorten trohe-wort gehoͤret
werden/ man muͤſte mir die ſache niederlegen; ob wol nichts darinne zugeſchehen
gezeigt werden kan/ wozu nicht Chriſten allezeit verbunden waͤren. Es werden
dergleichen dinge von mir in der ſtatt ſpargiret, daß ich mich wundere/ wie der
luͤgen-geiſt ſo unverſchaͤmet ſeye/ daß er ſolche ſachen vorgiebet/ dazu auch nicht der
geringſte ſchein gegeben wird/ und wer nur etwas ſich erkundigen will/ ſo bald die
ungegruͤndete falſchheit erkennen kan: daß mich nicht verwundern darff/ daß wo
ſolche calumnien an andere fernere ort ausgebreitet werden/ ich bald vor einen
Socinianer, bald vor einen Weigelianer, bald vor einen Labadiſten ausgeſchri-
en
[128]Das ſechſte Capitel.
en/ und mit allerhand unerfindlichen argwohn beladen werde. Welches mir ſo
offt zu ohren kommt/ daß ich faſt daruͤber hart werde/ und ohne das mir leid iſt/ wo
andere ſich an mir verſundigen/ faſt wenig mehr darnach frage. Jedoch ſehe ich
daß ſolches wol ein anfang einer weiteren verfolgung werden kan/ zu dero mich ge-
faſt zu machen habe/ und GOtt demuͤtig bitte/ er wolle mich alſo regieren/ daß ich
in allen ſtuͤcken mich alſo verhalten/ daß ſein nahme von mir armen in thun und ley-
den moͤge verherrlichet werden/ bitte auch dergleichen mir mit bruͤderlicher vorbitte
von dem Vater der barmhertzigkeit zu erlangen. Wie auch ich vor dieſelbige
zu thun/ nicht unterlaſſen werde/ damit wir uns vor eine gutthat achten/ wann
uns gegeben iſt/ um Chriſti willen zu thun/ daß wir nicht allein an ihn glauben/
ſondern auch um ſeinet willen leyden/ nur daß des HErrn will geſchehe in allem.
Wegen der frage uͤber die vermeinte fehl-bitte Chriſti wuͤſte nicht/ wo ich et-
was anleitung geben koͤnte/ da von anderen ſolche materie gruͤndlich ausgefuͤh-
ret waͤre: acht auch nicht rathſam daß deswegen in einigen ſtreit ſich einzulaſſen
ſeye. Sonderlich weil zwar die ſache nicht bloß in wort-ſtreit beſtehet/ doch nach-
dem vielleicht der gegentheil ſich expliciret, nachmahl wol auff einen wortſtreit
hinnaus lauffen wird: Welcherley diſputat ich ſonderlich zu meiden pflege. We-
gen des vorhabens einer erklaͤrung uͤber die Evangelia oder einer Poſtill/ ſo ge-
het auffs wenigſte noch ein jahr darauff/ ehe ich nur ein hand anlegen kan: doch
werde mit Gott das werck alsdenn angreiffen/ er gebe gnad und Geiſt daß es nicht
vergebens ſeye. Wie hertzlich wuͤnſchete ich aber/ dz wir in unſren kirchen niemahlen
den gebrauch der pericoparum Evangelicarum angenom̃en haͤtten/ ſondern ent-
weder eine freye wahl gelaſſen/ oder aber die epiſtolas vor die Evangelien zu den
haupt texten genommen haͤtten. Jn dem einmahl nicht zu leugnen ſtehet/ wo man die
haupt ſachen/ ſo wir in den Chriſtenthum zu treiben haben/ vortragen will/ ſo geben
uns die Evangeliſche text ſehr wenig anlaß/ ſondern muß faſt alles nur bey gele-
genheit eingeſchoben/ ja offt mit dem haaren bey gezogen werden/ welches bey den e-
piſtolen nicht alſo waͤre. Weil es aber alſo eingefuͤhret/ ſo muͤſſen wir thun nicht
wie wir wolten/ ſondern wie wir koͤnnen/ und fuchen die hindernuͤßen abzuwenden/
oder mit andern zuerſetzen/ wie es ſich thun laͤſſet. 23. Sept. 1676.


SECTIO XXVII.


Pia deſideriaund deropraxis. Betkii
Schrifften.


DAß denſelben meine einfaͤltige Pia deſideria gefalle/ iſt mir ein zeugnuͤß/ dz deꝛ-
ſelbe die bewandnuͤß des jetzigẽ uͤblen zuſtandes der kirchen auch tieffer einſehe/
als etwa insgemein von den allermeiſten zu geſchehen pfleget/ welche darvor
hal-
[129]ARTIC. I. DISTINCT. I. SECTIO XXVIII.
halten/ die ſachen ſtehen alle gantz wol/ wo man nur in der aͤuſſerlichen bekaͤntnuͤß
die warheit von anderer ſecten irrthumen unverfaͤlſchet behalte. Da doch zwar
ſolches billig mit fleiß geſuchet/ aber dabey nicht ſtill geſtanden werden ſolle; als da
wir ſchuldig ſind/ dem HERRN auch die fruͤchten der warheit zu bringen/ ſoll
uns anders deroſelben bekaͤntnuͤß nicht ſo viel ſchwehrere verantwortung auff den
hals laden. Ja es iſt alsdenn auch nicht mehr die wahre erkaͤntnuͤß/ als welche
allein von dem heiligen Geiſt durch das wort in den hertzen der jenigen gewuͤrcket
wird/ die da den willen des himmliſchen Vaters welchen ſie hoͤren/ auch in ſeiner
krafft zu vollbringen gewillet ſind Joh. 7/ 17. Es haben uͤber ſolche pia deſi-
deria
viele vornehme Theologen und das reich GOttes ſuchende politici glei-
cher maſſen ihren conſenſum mir bezeuget/ und mich damit ſo viel mehr bekraͤf-
tiget. Wolte GOTT/ es faͤnden ſich auch viel der jenigen/ welche mit fleiß an
das werck haͤnde anzulegen/ und ein und ander gutes wuͤrcklich einzufuͤhren/ ſich
befleiſſen wolten. Jndem ohne ſolche bewerckſtelligung alle berathſchlagung ver-
gebens iſt/ und nur zum zeugnuͤß uͤber uns dienet. Von Herr Betkii Scri-
ptis
habe ich unterſchiedliche/ und wie ich vermuthe alleſamt/ ohne den Chriſtia-
niſmum ethnicum
/ da ich einmahl darnach gefragt zuhaben mich entſinne/
und verlangen darnach gehat/ weil in andern des lieben mannes ſcriptis unter-
ſchiedlich viel gutes geleſen/ ob wol nicht berge/ daß auch zu weilen ein und an-
deres darinnen anders zu ſeyn gewuͤnſchet haͤtte. Jedoch meine ich/ ſeyen wir
Chriſten allezeit die jenige liebe denen/ die etwas ſchreiben/ ſchuldig/ daß wir das
gute in dero Schrifften mit danck annehmen/ und in ſeinem billigen werth halten/
ob wir wol anders auch darinnen finden/ damit wir uns nicht eben conformiren
koͤnnen. 1676. 25. Sept.


SECTIO XXVIII.


Wegen derpiorum deſideriorum,und was vor
ſucceßzu hoffen.


WAs meine und anderer gottſeliger Theologorum pia deſideria betrifft/
habe auch ſeiter nichts ſonderliches dagegen gehoͤret/ ohne das man hin
und wieder da gegen mehr in den finſtern murret/ als oͤffentlich wider-
ſpricht. Was aber die ſchwehrigkeit oder unmuͤglichkeit/ die meiſtens vorgeſchuͤ-
tzet/ und der wichtigſte vorwurff geachtet wird/ anlanget/ ſo bekenne ich gern/ das
was durch publicam autoritatem mit zuſammenſetzender huͤlffe der Obrigkeit
und gantzer Miniſteriorum, geſchehen ſolle/ von mir nicht gehoffet werde/ aber
deßwegen auch auff dergleichen nicht zu warten iſt: oder wir werden uns zu todt
druͤber warten. Dann der jenigen/ die des HErrn werck mit treuen meinen/ und
Rauch
[130]Das ſechſte Capitel.
auch was darzu gehoͤret/ verſtehen/ ſind annoch zu wenig/ und erhalten noch der-
gleichen dinge nicht/ welche die Obrigkeiten zu nachtruͤcklicher befoͤrderung beweg-
ten/ vielmehr ſcheinen die obſtacula dermaſſen groß/ daß ſie ſie vor unuͤberwind-
lich achten/ und daher um nicht ſelbs in ſchimpff zu gerathen/ wo das werck ſtecken
bleibet/ die ſache nicht mit gnugſamen eyffer angreiffen werden. GOtt will auch
vielleicht nicht haben/ das iemand von menſchen ſolches lob habe: ſondern doͤrff-
te wol das werck ſo unvermerckt fuͤhren/ daß man niemand die ehre beymeſſen moͤ-
ge/ ſondern wo man endlich erkennet/ was aus geringen und verachteten principiis
hergekommen/ und doch allgemach gewachſen iſt/ daß es GOttes werck allein ge-
weßt/ ihm dann auch die ehr allein zu geſchrieben werde; Daher ich auff menſch-
lichen arm wenig hoffe/ ſondern mein vertrauen drauff ſetze/ daß hin und wieder
gottſelige prediger und politici, dahin ſich bearbeiten werden/ das jeder ſeines
orths allgemach eine Eccleſiolam in Eccleſia/ jedoch ohne einige trennung/ ſam-
le/ und dieſelbe in den ſtand bringe/ daß man rechte kern Chriſten an ihnen habe:
da nicht fehlen wird/ daß nicht ſolche nachmahl mit ihrem exempel ein treffliches
fermentum ſeyn werden/ den uͤbrigen teig auch in einen jaſt zubringen. Fallor,
aut hæc ſola ratio eſt, qua eccleſiæ conſuletur.
Laſſet uns alſo alle das unſe-
rige thun/ indeſſen eyffrigſt beten/ daß GOtt ſein werck kraͤfftig und endlich herr-
lich hinaus fuͤhren wolle/ Amen.


SECTIO XXIX.


Vonpiis deſideriisund vielem beyfall. Kleine
Antichriſten ohne dem Papſt. Chriſti gab und exempel nicht
zu trennen. Offentliche
reformationitzt nicht zu hoffen.
Eccleſiolas in Eccleſiiszu pflantzen/ der beſtemodusund
anfang zu mehrerem.


ES hat mich deſſen liebe brief in ableſung und unterſchiedlicher wiederhoh-
lung hertzlich erfreuet/ und mir/ deſſen mich ohne das verſichert gehalten ha-
be/ neues zeugnuͤß gegeben/ daß wir in einem Geiſt den gegenwaͤrtigen zu-
ſtand anſehen/ und unſer amt zu fuͤhren trachten. Wie ich auch ſeiter deme von
mehren chriſtlichen confratribus und Theologis, auch verſchieden. GOtt lie-
benden politicis, welche auff meine præfation ihr chriſtlich bedencken mir zuge-
ſchicket/ bekraͤfftiget worden bin/ daß meine klagen nicht vergebens ſeyen/ auch die
einfaͤltige gethane vorſchlaͤge der gemeinde GOttes nicht ſchaͤdlich ſeyn wuͤrden.
So mir nicht nur zum ſonderbahren troſt dienet/ in ſolchem ſcripto, worinn eini-
ge mich einer vermeſſenheit beſchuldigen moͤchten/ das mich dergleichen heraus zu
geben nicht entbloͤdet haͤtte/ mich nicht an unſerer kirchen oder dero beſten vergriffen
zu
[131]ARTIC. I. DISTINCT. I. SECTIO XXIX.
zu haben/ ſondern auch ferner auffmuntert/ ſo wol ſelbs meines orts zu verſuchen/
was zu der ehre GOttes dienlich/ als auch andere der Herren fratrum, bey denen
ich einen eyffer zu goͤttlicher ehre zu ſeyn weiß/ mit mir zu animiren, welcher auch
jeder ſeines orts all ſein vermoͤgen daran zu ſtrecken ſich entſchlieſſen moͤchten/ wie
auch durch goͤttlichen ſegen unterſchiedlicher orten etwas ein anfang gemacht
zu ſeyn/ mit freuden von zeit zu zeit verſichert werde. Es iſt freylich an deme wie
E. Wol Ehrw. recht bemercken/ daß auch bey den jenigen/ ſo Evangeliſch ſeyn wol-
len/ zimlichen theils nicht ein Chriſt-ſondern Anti-Chriſtenthum iſt. Und
doͤrffen wir/ nach dem wir den Paͤpſtlichen ſtuhl zu Rom des groſſen Antichriſts
ſitz zu ſeyn durch GOttes gnade erkant/ nicht ſicher zu hauſe ſeyn/ und meinen/ wir
haͤtten nichts von keinen kleinen Antichriſten unter und um uns: die leider mehr als
zu viel ſchaden thun. Und ſehe ich wie niemand deſſen in abrede ſeyn moͤge/ er wol-
le denn Chriſtum/ wie er uns nicht nur zur gabe ſondern auch zum exempel gegeben
iſt/ und ſeine lehr von glauben und leben/ gefaͤhrlicher weiſe von einander trennen:
welches je nicht Chriſten ſondern wider-Chriſten zu kommt. Jn dem jenen alles
an ihrem Heyland lieb und angenehm iſt/ dieſe verlangen nichts von ihm als was
ihrem fleiſch noch anmuthig ſcheint/ und erlangen damit auch das jenige nicht/ was
ſie hoffen/ in dem ſich Chriſti wohlthaten nicht trennen laſſen/ und wer ihn nicht ſo
wohl in der erneuerung haben will/ der ſoll auch ſeiner zugerechneten gerechtigkeit
nicht theilhafftig werden. Wie die Schrifft aller orten treibet/ und aus deroſel-
ben der theure reformator unſer kirchen Lutherus (ſo in wol angezogen ort/ als
faſt unzehlich viel andern ſtellen) dermaſſen hertzlich ausgefuͤhret/ daß die jenige ſo
wenig ſich Lutheriſch als Chriſtlich zu ſeyn ruͤhmen moͤgen/ welche entweder ſothaner
lehr gram ſind/ und ſie vor eine wiedererweckung des Papſtums ausſchreyen wol-
len/ oder nachdero ſelben ihr leben anzurichten ſich nicht angelegen ſeyn laſſen.
Was aber die mittel anlanget/ wie dann dem verderbeten weſen zu ſteuren ſeye/ ſo
habe gern vernommen/ das E. Wol Ehrw. die einfaͤltig von mir vorgeſchlagene ih-
ro nicht mißfallen laſſen/ und was zu der ſelbigen werckſtelligung vonjeglichem ſtan-
de erfordert werde/ ſo wol vernuͤnfftig außfuͤhren/ als goͤttlichen ſegen/ ohn welchen
der pflantzende und begieſſende nichts auszurichten vermag/ anwuͤnſchen. Jndeſ-
ſen zweiffle/ daß zu jetziger zeit annoch zuerwarten ſeye/ daß publica autoritate
das werck kraͤfftig gefuͤhret/ oder eine reformation auff dergleichen art nuͤtzlich
angeſtellet we[r]de werden/ ſondern GOtt hat gemeiniglich durch verachteten an-
fang und unſcheinbare mittel ſein werck gethan. Jch werde mich aber erfreuen/
und eines mehrern ſucceſſes hoffnung ſchoͤpffen/ wo wir/ die wir mit ernſt es mit
der kirchen beſten meinen/ nur erſtlich unter einander uns recht bruͤderlich ermun-
tern/ und jeglicher ſich dieſes allein vornehmen/ an ſeinem ort nach vermoͤgen zu-
thun/ ſo denn wo er vermag/ auch andere freunde/ neben ſich eine luſt und eyffer
dazu zu machen. Auch in unſerm eigenen amt kom̃e ich mehr und mehr auff die ge-
R 2dan-
[132]Das ſechſte Capitel.
dancken/ daß das meiſte erſtlich von uns gethan muͤſſe werden/ an den jenigen/ bey
denen wir bereits einen guten antrieb/ ihre eigene erbauung ihnen angelegen zu
ſeyn laſſen/ antreffen: Was die uͤbrige anlangt/ muͤſſen wir noch mit ſeufftzen fort-
fahren insgemein ſie in den predigten von goͤttlichen willen zu unterrichten/ ihre un-
gehorſam zu ſtraffen/ und ſo viel wir moͤgen privatim ſie erinnern/ aber ob wir auch
an ihnen nichts auszurichten ſehen/ doch nicht muͤde werden/ oder die ſache verloh-
ren geben. Was aber die jenige/ ſo ohne das dociles und die zum reich GOttes
geſchickt ſind/ betrifft/ da wird ſich etwa ein mehrers thun laſſen/ daß ein prediger
ihm ſo bald dieſelbe unter ſeiner gemeinde auswehle/ oͤffters und familiarer mit ih-
nen umzugehen/ ihn anleitungẽ zu leſung der Schrifft und anderer Gottſeliger buͤcheꝛ
zu geben/ mit ihnen wie er es dienlich ſeyn findet/ einige uͤbungen und chriſtliche er-
bauliche converſation anzuſtellen/ und ſich dermaſſen/ als viel ihm die zeit ge-
goͤnnet wird/ gegen ſie zu verhalten/ ob waͤren ſie ihm allein aus ſeiner gemeinde
anbefohlen. Geſchiehet ſolches eine zeitlang/ und ſamlet er alſo ohne einige ge-
faͤhrliche trennung gleichſam eine Eccleſiolam in Eccleſia oder dero ungeordne-
ten hauffen/ und offtmahls aus ſo vielen boͤſen zugleich beſtehenden aͤuſſerlichen kir-
chen/ ſo wird er finden/ wie nicht nur ſolche perſonen bald werden zu rechten wah-
ren kern-Chriſten werden/ die folgendes als ein ſauerteig ſind/ ſo mit Gottſeli-
gen leben/ exempel und nach gelegenheit bruͤderlichen vermahnungen andere moͤ-
gen neben ſich erbauen/ und dermaſſen dem prediger ſelbs ohn eingriff in ſein amt/
ſein werck leichter machen. Es werden allgemach andere immer dardurch ange-
reitzet werden/ welche nicht von euſſerlicher boßheit ſind/ daß ſie anfangen eine lie-
be zur wahren GOttſeligkeit gewinnen/ dero liecht ſie erkennen/ an andern ſo ruͤhm-
lich leuchten: ſonderlich wo ſolche/ bey den ein guter anfang iſt/ unter ſich liebrei-
che freundſchafft halten/ das man ſie recht in einem Geiſt untereinander verbunden
zu ſeyn erkennet/ und daher folglich ihr exempel ſo viel kraͤfftiger durch dringet. Ge-
wißlich iſt etwas/ das ſehr die reſolution bey vielen ſchlaͤget/ anders als insgemein
der groſſe hauff pfleget zu leben/ ſo iſts/ daß es an exempeln mangelt/ darnach ſich
andere etwas regulirter oder dardurch gereitzet wuͤrden/ auffs wenigſt ſinds et-
wa nur exempel an bloß einzeln perſonen/ die wo nicht etliche ſind/ ſo da ſich mit ein-
ander erbauen/ bey weitem ſo viel nicht ausrichten moͤgen. Daher ſtehe in dem
hertzlichen vertrauen zu dem lieben GOtt/ wo wir anfangen werden/ jeglicher ſei-
nes orts auff dieſes mittel bedacht ſeyn/ daß wir in unſerer kirchen etwas von beſſe-
rung zuwegen bringen/ und vermittels goͤttlichen ſegens einen geringen anfang bald
wachſen ſehen werden. Wo nun auch dergleichen particular-beſſerung hin
und wieder entſtanden/ ſo iſt ſolches die rechte vorbereitung/ daß uns GOTT
nachmahl mehrere gnade und voͤllige verbeſſerungen der geſamten kirchen erfolgen
laſſen wird/ die wir jetzo noch nicht hoffen doͤrfften. Laſſet uns nun nicht die haͤnde
nie-
[133]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO XXX.
niederſincken laſſen/ ſo wird der Herr mit dem guten ſeyn; laſſet uns aber auch
zuvorderſten mit unauffhoͤrlichem gebet und ſeufftzen GOTT ſeine eigene ſache/
nahmens heiligung/ reichs erweiterung u. willens vollbringung demuͤthig empfeh-
len: So wird er zeigen/ er werde ſeine ehre nicht allerdings ſtecken laſſen. 1676.


SECTIO XXX.


Von der lehre desEvangelii.Von der bereits
geſchenckten ſeligkeit. Wie neben der lehre von dem gerecht-
machenden glauben auff deſſen fruͤchten und kennzeichen zu
treiben. Ob die wieder gebohrne taͤglich todt ſuͤnden be-
gehen. Von frucht der
piorum deſi-
deriorum.


JCh habe das an mich gethane angenehme ſamt beygeſchloſſenen tractaͤtlein
zurecht und wohl erhalten: Wie ich aber meiner zeit nicht maͤchtig bin/ noch
daruͤber nach belieben diſponiren kan/ als habe die antwort einige tage auff-
ſchieben muͤſſen. Das buͤchlein habe vorhin niemahl geſehen/ wohl aber das erſte/
aus welchen dieſes/ ſo viel mich erinnere/ als eine repetition iſt mit einiger aͤnde-
rung. Daß nun meine wenige gedancken in bruͤderlichen vertrauen/ wie ſolches
von mir begehret worden/ frey und offenhertzig entdecke/ beſtehen dieſelbe in folgen-
den ſtuͤcken. Erſtlich des Autoris intention halte vor gantz gut und loͤblich; wie
dann jeglicher/ was er zur erbauung des neben menſchen zu contribuiren vermag/
nicht nur macht hat vorzutragen/ ſondern in gewiſſer maß darzu verbunden iſt.
So kenne auch den Autorem alſo/ daß ich mich verſichert halte eines ſolchen ge-
muͤths/ welcher ſo wohl ſeinem GOTT ſelbs hertzlich begehrt zu dienen/ als der-
gleichen bey andern zu befoͤrdern. Daher auch in ſolchem freundlichen vertrauen/
etwa noch ſelbs die gelegenheit ſuchen werde/ mit ihme aus dieſer materie etwas zu
conferiren. So halte ich auch in ſpecie die intention, die krafft des Evangelii
zu inculciren/ und zu zeigen/ wie aus denſelben/ und nicht primario aus dem ge-
ſetz alle beſſerung des lebens folgen muͤſſe/ eben ſo wohl loͤblich und nuͤtzlich/ wie ich
gleiches in der vorrede des hie mitgehenden tractaͤtleins (Andreæ Cramerieh-
renſtand der kinder GOttes
) gelehret/ und alſo ausgefuͤhret zu haben hoffe/ daß
ein frommer Chriſt/ ſo mit erleuchteten augen die ſache anſihet/ mir etwa
leicht beyſall geben wird. Jch erkenne ferner/ daß eben dieſe hypotheſes,
welche in dieſem tractatu getrieben werden/ hin und wieder in unſrem theuꝛen man-
ne GOttes Luthero zu ſehen/ aus welchem ſie mit ſonderbahren fleiß ein Gottſe-
liger lehrer Stephanus Prætorius vor etwa 80. jahren zuſammen geſucht/ und in
vielen tractaͤtlein/ die folgendes mit des ſeligen Arndii commendation heraus
gegangen/ inculciret/ wie wohl der liebe mann aus mangel gnugſamer erkaͤnt-
R 3nuͤß
[134]Das ſechſte Capitel.
nuͤß in ein und andern ſtuͤcken faſt angeſtoſſen/ alſo daß er hin und wieder von eini-
gen leyden muͤſſen. Es hat aber folgends ein anderer frommer prediger Mart.
Statius
aus ſolchen ſcriptis Prætorianis dieſe materien ſehr fein unter dem nah-
men geiſtliche ſchatzkam̃er der glaͤubigenextrahiret/ u. in einen annehmlichen
erbaulichen methodum gebracht/ auch mit ziemlicher ſorgfalt die vornehmſte loca
worinnen der gute Prætorius etwa zu weit gegangen/ ausgelaſſen/ und alſo eine vor
fromme ſeelen erbauliche troͤſtliche arbeit verrichtet; Daher ich auch ſothanes
opuſculũ Statii den jenigen welche ich darzu tuͤchtig finde/ zu ihrer erbauung off-
ters recommendire/ und ziemlichen nutzen daraus zu haben nicht in abrede bin.
Auß ſolchem wercklein Statii ſcheinet faſt dieſes gantze opuſculum extrahiret ſeyn.
So handlet auch der fromme Cramerus in dieſen ſcriptis eben dieſelbe materien/
aber mit nochmehr behutſamkeit als Prætorius oder Statius. Aus welcher ur-
ſach ich auch ſelbige arbeit habe durch wieder aufflag/ guten leuten wollen mehr be-
kant machen. Daß alſo aus dieſem erhellet/ daß ich auch in dieſer abſonderlichen
abſicht daß den leuten vornehmlich nicht durch das geſetz ſondern das Evangelium
geholffen werden muͤſſe/ mit ihme einſtimme. Alſo was die abſonderliche grund-
lehren anlanget/ ſo darinnen getrieben werden/ pflichte ich ſolche allen von hertzen
bey. Als 1. daß uns die ſeligkeit hier bereits in dem reich der gnaden thaͤtlich ge-
ſchencket werde/ und wir alſo hier in dieſem leben ſelig ſeyn koͤnnen und ſollen/
ehe noch in jenen leben die ſeligkeit geoffenbahret werde in der herrlichkeit. 2. Daß
wir unſere ſeligk. einig u. allein aus dem glauben haben/ ſo wohl was das erſte em-
pfangen deroſelbẽ anlangt/ als das behalten. 3. Daß hingegen die wercke als fruͤch-
ten des glaubens allerdings nicht mit dem glauben zuvermiſchen ſeyen/ noch denſel-
ben einigerley maſſen etwas unſerer ſeligkeit zu geſchrieben werden moͤge. 4. Daß
wir ſolche ſeligkeit empfangen in unſerer tauff/ wie Pauli wort uns ſo deutlich davon
Tit. 3. berichten. 5. Daß die tauffe nicht allein ſehe auff die vorige und vergange-
ne ſondern auch kuͤnfftige ſuͤnden/ und alſo auff das gantze leben: alſo daß die ſuͤnde/
ſo ich heut begangen/ bereits in der tauff ver geben/ das iſt/ der grund gelegt worden/
auff welche ſolche vergebung beruhet. 6. Daß auch die buſſe nichts anders ſeye/
als eine wiederkehr zu der erſten tauff gnade/ das jenige wiederum in glauben an-
zunehmen/ was uns ſo bald erſtlich in der tauff war geſchencket und uͤberreichet/ von
uns aber etwa durch unglauben und boßheit wiederum verlohren worden. 7. Daß
der unglaube das haupt- und einige laſter ſey/ aus welchem alle andere laſter ent-
ſtehen. Wie unſer ſelige Lutherus ſo offt gezeiget/ daß eigentlich von dem letz-
ten zu reden/ der unglaube allein wuͤrcklich verdamme/ in deme alle andere laſter
nicht wuͤrden verdammen/ wo der menſch davon durch glauben ſich bekehret haͤtte.
8. Daß die reue der ſuͤnden dasjenige nicht ſeye/ ſo uns die vergebung der ſuͤnden
zu wege bringe/ ſondern daß ſolche ehre allein dem glauben gebuͤhre/ ſo viel mehr/
daß aus der groͤſſe der reue unſre ſeligkeit allerdings nicht komme. Wiewohl ſie
das
[135]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECT. XXX.
das hertz wohl vorbereitet/ zu dem glauben tuͤchtig zu ſeyn/ und nachmahl die wah-
re fruͤchte zubringen. 9. Daß das Gottſelige leben die fruͤchte allein des glaubens/
und vielmehr ein ſtuͤck der durch den glauben erlangten ſeligkeit als deroſelben ur-
ſach ſeyen/ und was etwa vor weitere grundlehren in dieſem tractatu ſind/ welche
ich alle als wahrhafftig und Evangeliſch erkenne/ und keine einige ausgenom-
men/ zum oͤfftern in den predigten bißher werde getrieben haben und noch treibe.
Hiebey neben aber kan gleich wohl nicht bergen/ daß neben ein und andern unbeque-
men worten/ ſo aber doch guten verſtand leiden/ und deswegen nicht bemercke/ et-
liches obſerviret/ ſo ich anders gewuͤnſchet/ oder doch wuͤnſche/ daß diejenige/ ſo
ſolches buͤchlein leſen/ zu ihrer mehrern aufferbauung ſolches beobachten moͤgen.
1. Nimmt der Autor die wort/ ſelig und gerecht werden/ als gantz einerley an.
Nun bekenne gern/ daß ſie von niemand unzertrennlich ſind/ und welcher gerecht
auch ſelig/ wer aber ſelig auch gerecht iſt. Jn deſſen bemercke gleichwohl einen
zimlichen unterſcheid unter beyden. Jndem gerechtigkeit allein ein gut der ſelig-
keit iſt/ welche alle guͤter der gnaden und herrlichkeit zugleich zuſammen faſſet. 2.
Vornehmlich iſt mein allermeiſtes bedencken/ daß ich wuͤnſchte/ daß der glaube und
ſeine eigenſchafften deutlicher und kantlicher vorgeſtellet waͤren. Es ſtehet zwar
pag. 83. einiges ſehr denckwuͤrdiges/ ſo gnugſam zeiget daß der Autor eine rechte
meinung hat: aber an andern orten iſt zu weilen ſo davon geredet/ daß ſichere her-
tzen in den gedancken ſtehen bleiben moͤgen/ als waͤre der glaube nichts anders als
eine bloſſe einbildung und perſuaſion von der gerechtigkeit. Und alſo wo der
menſch buß thun ſolle/ beſtehe es in nichts anders/ als allein in den wiederum ge-
faſſten gedancken/ daß er wiederum in Chriſto ſelig ſeye. Jch ſage gar nicht/ daß
dieſes die meinung des Autoris ſeye. Jch ſtehe aber in billiger ſorge/ daß ſichere
gemuͤther es nicht allein ſo auffnehmen und zu ihrem verderben verdraͤhen koͤnnen/
ſondern wo ſie ſolches gemuͤths ſind/ davor halten werden/ ſie haben gnugſam urſach
es alſo zu verſtehen. Jch bekenne gern/ daß in dem glauben freylich die zueignung
und applicirung der goͤttlichen gnade das hauptwerck und recht die ſeele des glau-
bens/ daher wahrhafftig das einige ſeye/ worinnen der glaube/ uns ſelig machet.
Weil aber alle beede/ eines theils ein ſicherer menſch/ deren ich exempel gnug weiß/
bey allen ſeinen fortſetzenden boßhafftigen und verdamlichen ſuͤnden/ die er nicht zu
laſſen begehret/ ſo dann andern theils ein wahrer glaubiger/ ſich die gnade und die
gerechtigkeit appliciret; dieſer wahrhafftig und mit grund/ jener mit unrecht/ und
als eine ſach/ die ihm gleichwohl in der that nicht gebuͤhret/ dieſer aus der erleuch-
tung und verſiglung des heiligen Geiſtes in ſeine hertzen/ jener aus einer fleiſchli-
chen ſicherheit; dieſer gemaͤß dem goͤttlichen willen/ jener aber ſchnur ſtracks dem-
ſelben etgegen/ als welcher ja nicht will daß ſtinckende boͤcke ſich einbilden ſollen/ ſie
ſeyen wahre ſchafe. Weil ſage ich dergleichen gedancken beyderley ihnen machen
koͤnnen/ und in der that ihnen machen/ ſo achte ich hochnoͤtig ſeyn/ daß wir/ ſo offt
wir
[136]Das ſechſte Capitel.
wir von dem glauben und deſſen ſeligmachender krafft reden/ alſo balden darzu ſe-
tzen/ dergleichen dinge/ welche ihn alſo von der fleiſchlichen ſicherheit abſondern/ daß
kein muthwilliger boßhafftiger menſch ſich von ſeiner ſichern einbildung moͤge die
gedancken machen koͤnnen/ gleich ob waͤre ſolche der wahre ſeligmachende glaube/
ſondern klahr ſehen muͤſſe/ es ſeye nichts weniger/ als der glaube: Wo wir aber ſol-
chen unterſcheid den leuten nicht wollen vor augen ſtellen/ ſo doͤrffen wir nicht bloß
bey dem vertrauen und ſpecial application ſtehen bleiben: Wir koͤnnen auch à
priori
die kennzeichen nicht geben: dann ob wohl der rechtglaͤubige/ auſſer des
ſtandes der anfechtung/ ſelbs aus derinnern verſiglung des heiligen geiſtes die un-
fehlbahre verſicherung ſeines glaubens hat/ daß er an deſſen wahrheit nicht zweiff-
len mag/ ſo wenig als der jenige/ welcher mit offne augen die ſonne ſiehet/ zweiffelt/ ob
es ein rechtes ſehen oder nur traumen ſeye/ ſo iſt doch nicht nur allein ſolches fuͤhlen
nicht allezeit bey dem wahren glauben/ vielmehr komt es offters auch bey den recht-
glaͤubigen in dem ſtande der anfechtung dahin/ daß dieſes liecht ſcheint eine eclipſin
zu leiden/ u. wo der menſch auff das fuͤhlen gehen wolte/ er ſich vielmehr vor unglaͤu-
big als glaͤubig achten muͤſſte/ ſondern wir werden nicht gnugſam wehren koͤnnen/
daß nicht ſichere leute ihnen von ihren einbildungen eben ſolche conceptus machen/
und der fuͤrſt des unglaubens ihnen ein falſch geſpenſt vorſtelle/ daß ſie ſich uͤberre-
den/ ihr vertrauen ſeye das rechte wahre von dem heiligen Geiſt gewuͤrckte ver-
trauen/ welches ſie bey ſich fuͤhlen/ und damit des ſtandes ihrer ſeligkeit vergewiſ-
ſert waͤren. Daher muͤſſen wir nothwendig auch auff die fruͤchte ſehen/ und alſo
die notas à poſteriori nehmen/ ob nehmlich das hertz von ſuͤnden gereiniget werde/
anfange GOTT imbruͤnſtig und uͤber alles zu lieben/ ſeinen willen nun und nim-
mermehr mit vorſatz entgegen zu handlen/ den oͤffentlichen vorſatz habe/ und die welt
uͤberwinde. Damit alſo der menſch/ wo er ſich in goͤttlicher gnade zuſtehen veꝛſichern
will/ zuvor wohl acht bey ſich gebe/ ob auch das machende vertrauen ein goͤttlicher
glaube oder ein betrug des teuffels ſeye. Daher vermahnet Paulus ſo fleißig 2. Cor.
13. Verſuchet euch ſelbs/ ob ihr in dem glauben ſeyd/ pruͤffet euch ſelbs.
Und
iſt ja in dem ſo wichtigſten u. auff ſich habenden werck wohl werth/ nicht ohne pruͤf-
fung blind hinein glauben/ ſondern ſich wohl vorſehen wie und auff was grund ich
glaube. Alſo wo der menſch nach der tauff in ſchwehre ſuͤnde gefallen iſt/ und damit
ſeiner ſeits die tauff-gnade verlohren hat/ ſo bleibet zwar freylich dieſes gewiß/ und
muß ers ohne zweiffel glauben/ daß von GOttes ſeiten der bund feſt ſtehe/ dann da
iſt nichts/ das ihn hindere. Wo aber die frage iſt/ ob er auch von ſeiner ſeite wie-
derum in den bund getreten und ſtehe/ und alſo ſothaner gnade wuͤrcklich theilhaff-
tig ſeye/ wolte ich ihn nimmermehr blos dahin weiſen/ er ſolte nur glauben/ daß ihm
alle ſeine ſuͤnden in der tauff vergeben und krafft derſelben auch jetzt vergeben wor-
den ſeyen/ ohne fernere unterſuchung ſeines hertzens/ als der ich weiß/ wie ſich die
leute ſo gefaͤhrlich deſſen mißbrauchẽ/ und wo unſer Heyland hat befohlen zu predi-
ge-
[137]ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO XXX.
gen buß und vergebung der ſunden Luc. 24/ 47. daß alſo die buſſe ſich von der
vergebung nicht trennen laͤſſt/ noch ſich dieſer getroͤſten kan/ welcher jene nicht
geliebet. Es iſt aber die buß eine μετάνοια, und gantze aͤnderung des ſinnes/ daß
dannenhero die ſunden muͤſſen wahrhafftig gehaſſet und mit ernſten vorſatz abge-
leget werden/ ſollen wir anders den menſchen der vergebung verſichern koͤnnen.
Und gleichwohl wird hiemit dem glauben nichts entzogen/ oder das wenigſte ſolcher
erneurung zugeſchrieben/ daß ſie dasjenige waͤre/ welches uns goͤttliche gna-
de braͤchte/ ſondern es bleibts der glaube allein; der glaube aber/ ſoll er wahrhafftig
ſeyn/ muß ſich auff goͤttliches wort gruͤnden/ und alſo ihm nichts zueignen auſſer der
goͤtlichen ordnung/ wie es ihm verſprochen iſt. Daher welcher ihm die gedancken
macht/ er ſeye krafft ſeiner tauffe heilig/ gerecht und ſelig/ in dem ſtande/ da er noch
wohlgefallen an ſeinen ſuͤnden hat/ od’ denenſelben nichtalleꝛdings und eiffrig abſteꝛ-
ben will/ ſondern begehret in ſunden fort zufahren/ ſolcher miſſet ihm das jenige zu/
was GOTT ihm nicht verſprochen hat/ und alſo was ihm nicht gehoͤret/ alſo iſts je
kein glaube von dem heiligen Geiſt gewuͤrcket/ als welcher die wahrheit zum grunde
hat/ ſondern ein gefaͤhrlicher betrug des teuffels. So nothwendig nun dieſe ma-
terie
an ſich ſelbs/ der betrug aber des ſichern fleiſches dabey ſo groß und gefaͤhrlich
iſt/ ſo nothwendig iſts dann auch/ ſo offt von dem glauben ex profeſſo gehandelt
wird/ dieſes nicht zu vergeſſen/ ſondern ſo ausfuͤhrlich bey zu ſetzen/ damit ja kein
unglaͤubiger ohne widerfpruch ſeines eignen gewiſſens ſich die einbildung vom glau-
ben mache. Daher gleich wie ernſtlich getrieben werden muß/ wie der glaube das
einige/ (unicè ſolum) inſtrument iſt der ſeligkeit/ ſo muß nicht geringerer ernſt ge-
braucht werden/ zu zeigen/ in was ordnung GOtt ſeine guͤter zugeſagt habe/ u. wie
ſie von dem glauben angenom̃en werden ſollen/ damit der glaube ſich auff den rech-
ten grund goͤttlichen wortes und verheiſſung gruͤnde. Daher bin ich nicht in abrede/
daß ich den Evangeliſchen troſt offtmahls ſehr reſtringire/ und nicht unbilliche/ wo
es andere thun: nicht etwas dem troſt ſelbs zunehmen/ welchen ich hoffe/ der maſ-
ſen vorzutragen/ wie das heilige wort GOttes mir darinnen vorgehet/ ſondern die
ordnung zuzeigen/ in welcher allein man deſſelbigen habſchafft werden moͤge. Wo-
mit denn einem wahren glaubigen nichtes abgehet/ ſondern er ſolchen troſt in ſeiner
voͤlligen krafft genieſſet/ aber den andern/ die ſich in Chriſti ordnung nicht ſchicken/
die gnade auff muthwillen ziehen/ und ſich ſelbs mit ihrem eingebildeten glauben be-
triegen wollen/ wird damit der weg verlegt/ daß ſie nicht aus unſrer ſchuld ihnen
ſelbs ſchmeicheln und vergebliche gedancken machen moͤgen. Eben alſo treibe ich
auch bey der pruͤffung zu dem heiligen abendmahl/ zwar freylich auch auff den
glauben als das hauptſtuͤck/ aber alſo/ daß ſehr nachtruͤcklich gezeigt werde/ woran
man die auffrichtigkeit ſolches glaubens erkennen moͤge/ wie nehmlich der menſch
ſich genau zu pruͤffen verbunden ſeye/ ob er nunmehr gewillet GOTT dem HErrn
von gantzen hertzen allein zu dienen/ und aller muthwilligen ſuͤnden muͤßig zugehen/
Soder
[138]Das ſechſte Capitel.
oder nicht: iſt jenes/ ſo gehe er in GOttes nahmen getroſt hinzu/ und verſichere ſich/
daß ſein vertrauen/ der rechte wahre goͤttliche glaube und wuͤrckung des heiligen
Geiſtes ſeye; iſt das andere ſo ermahne ich ihn/ lieber von dem heiligen abendmahl
zu bleiben/ ob er auch noch ſo ſehr bezeugre/ daß er gewißlich die vergebung der ſuͤn-
den und gerechtigkeit in dem heiligen abendmahl zufinden glaubte: aber er iſt bey
aller ſolcher meinung unglaubig/ wie gewiß er zuglauben gedencket/ und daher iſt
er zu dem heiligen abendmahl unwuͤrdig/ eben aus mangel des glaubens. Wann
ich nun alſo auff die kennzeichen des wahren glaubens treibe/ und immer wo des ver-
trauens und zueignung meldung thue/ auch dabey gedencke/ worinnen man die goͤtt-
liche wuͤrckung von der fleiſchlichen ſicherheit unterſcheiden ſolle/ ſo folge ich darin-
nen dem exempel unſers ſeligen Lutheri/ welcher auch nicht nur die rechtfertigung
aus dem glauben emſig getrieben/ ſondern dabenebenſt mit ſehr nachtruͤcklichen
worten gezeiget/ wie der glaube durchaus nicht etwa ein menſchlicher wahn und
traum ſeye/ den etliche vor den glauben hielten/ ſondern wie es ein ſolch goͤttliches
werck
ſeye/ welches den gantzen menſchen aͤndere und neugebaͤre/ wie in der
offt belobten vorrede uͤber die epiſtel an die Roͤmer/ als auch kirchen-poſt. Som-
mer-feſt f. 65. a. und an unzaͤhlichen andern orten zu ſehen: daß alſo gewiß folget/
wo der glaube nicht ſolche eigenſchafften in redlicher auffrichtigkeit bey ſich hat/ daß
er der wahre glaube nicht ſeye/ und der menſch treulich vor gefahr zu warnen ſtehe:
Auch haben wir zu unſrer zeit ſo vielmehr auff dieſe materie zutꝛeiben/ ſo viel groͤſſer
die ſicherheit der menſchen iſt/ und der jenigen unvergleichlich mehrere ſind/ welche
verlohren gehen aus derjenigen art des unglaubens/ das iſt falſchen glaubens/ daß
ſie bey aller fortſetzender boßheit doch ſelig ſeyen/ und bleiben/ als aus derjenigen
art/ daß es ihnen an zueignung der gnade/ in dem ſtande/ woriñen ſie derſelben faͤhig
geweſen waͤren/ manglete. Hat man nun ſo gar in der vortragung der lehr dar-
auff zuſehen/ was zu jeder zeit mag das erbaulichſte ſeyn/ und den damahligen irr-
thumen entgegen ſtehen/ daß auch da Paulus die rechtfertigung aus dem glauben
allein zu derzeit/ da die ſalſche apoſtel das vertrauen der wercke ſtarck trieben/ mit
ſolchen eiffer gelehret/ folglich Jacobus/ weil zu ſeiner zeit andere der lehr der
gnaden ſich mißbrauchten/ ſich nicht entbloͤdet/ zu ſagen (ob wohl in andern verſtand
und alſo ohn widerſpruch gegen Paulo) der menſch werde nicht gerecht durch den
glauben allein: wie viel mehr iſt dann darauff zu ſehen/ weil wirs mit einer ſichern
welt zu thun haben/ daß wir die heilſame gnaden- und glaubens-lehre alſo vortra-
gen/ daß zwar dero krafft das wenigſte nicht entzogen/ aber auch den wilden ſchwei-
nen/ den garten des HErrn zuverwuͤhlen/ und die guͤter ſo nicht ihr ſind/ zu genieſſen
nicht zulaſſen/ ſondern ſie gleichſam mit einen zaun davon abhalten wuͤrden. Nechſt
deme finden ſich einige ort/ welche der krafft des glaubens/ vielleicht nicht ſo wohl
aus meinung des Autoris/ als wie die wort lauten/ ſcheinen ziemlich zu nahe zu ge-
hen. Als wenn ſtehet pag. 43.daß die feindſelige anſchlaͤge/ uns auff un-
glauben-
[139]ARTIC. I. DISTINCT. I. SECT. XXX.
glauben und gottloſigkeit zu fuͤhren/ den feinden gar offt und faſt
ſtuͤndlich gelingen.
pag. 44.durch ſolchen unglauben und gottloſen
wandel wird die hohegnade und ſeligkeit Gottes von uns allen wieder
gar offt veracht und verworffen. Wir ſpringen aus dem gnaden ſchiff
der heiligen tauff/ fallen in mancherley ſchwehre fehler/ auch offt-
mahls in grobe todt ſuͤnden/ verliehren dadurch den heiligen Geiſt/
laſſen uns den leidigen teuffel regieren/ treten den ſeligen tauffbund
mit fuͤſſen.
\&c. p. 96.Erwegt darneben wie undanckbahr er immer-
fort ſeye/ und wie unwuͤrdiglich und dem Evangelio und creutz Chri-
ſti wandle/ beyde durch unglauben und boͤſe wercke.
Welchen worten
ich faſt nicht weiß/ wie ich helffen ſolle/ daß ſie mit der in der ſchrifft geoffenbahrten
lehr der Gottſeligkeit uͤbereinkommen? Es iſt zwar freylich alſo/ daß der menſch in
dem gnadenſtand wiederum aus demſelben fallen/ und durch todtſuͤnden der gnade
verluſtiget werden koͤnne. Es werden ſich der exempel gnug finden/ bey welchen
ſolches wuͤrcklich geſchehen/ deren theils in ſolchen ihren ſuͤnden verlohren gegangen/
andere aber durch die wieder zuruͤckruffende gnade aus dem verderben auffs neue
errettet worden ſind. 2. So bekenne ich auch/ das in dem der menſch in dem gnaden-
ſtand ſtehet/ er noch ſeine ſuͤnde an ſich habe/ und mit ſchwachheit fehlern uͤbereilet
werde/ ſo wir gnugſam in uns fuͤhlen/ aber dabey verſichert ſind/ daß ſolche bey be-
haltenden glauben und heiligen Geiſt uns nicht verdamlich ſeyen. 3. Jch will auch
nicht leugnen/ daß welcher zu mehrmahlen aus goͤttlicher gnade wiederum zuruͤck-
gefallen/ wiederum zu derſelben ſolle angenommen werden koͤnnen/ wo er nicht in
goͤttlichem geꝛicht hingeriſſen/ ſondern ihm friſt und gnade zur buß mitgetheilet wiꝛd.
Aber dieſes wird zuviel geredet ſeyn/ daß alle fromme Chriſten offters die gnade
(nicht nur nicht hoch gnug preiſen ſondern gar) verachten und verwerffen/
aus dem gnaden ſchiff ſpringen/ in allerhand ſchwehre fehler/ auch
offtmahls in grobe todtſuͤnden fallen/ und ſich von dem teuffel regie-
ren laſſen/ immerfort undanckbahr ſeyn/ und unwuͤrdiglich dem Ev-
angelio wandlen.
Dann ſolches der krafft des glaubens viel zu nahe gehen
wuͤrde. Der glaube laͤſſet ſich nicht ſo leicht uͤberwuͤnden/ ſondern er iſt der ſieg
der die welt uͤberwindet 1. Joh. 5/ 4.
So beſchreibet S. Paulus ſeine Chri-
ſten nicht nur/ wie ſie ſeyn ſollen/ ſondern wie ſie auch in der that ſeyen/ ſie ſeyen
knecht der ſuͤnden geweſen/ aber nun gehorſam worden von heꝛtzen dẽ
fuͤrbilde der lehre/ welcher ſie ergeben ſind/ ſie ſeyen frey worden von
der ſuͤnde/ u. knechte worden der gerechtigkeit Rom. 6/ 17. 18.
ja gar wo ſie
fleiſchlich ſeyen/ moͤgen ſie GOtt nicht gefallen. Sie ſeye nicht fleiſchlich/
ſondern geiſtlich/ ſo anders Gottes Geiſt in ihnen wohne: Wer aber

S 2Chriſti
[140]Das ſechſte Capitel.
Chriſti geiſt nicht habe/ der ſeye nicht ſein/ Rom. 8/ 8. 9. Ja der liebe
Johannis ſaget deutlich in Joh. 3/ 6. 9. Wer in ihm bleibet/ der ſuͤndi-
get nicht. Wer da ſuͤndiget/ der hat ihn nicht geſehen noch erkant.
Wer aus GOTT gebohren iſt/ der thut nicht ſuͤnde/ denn ſein ſame
bleibet bey ihm/ und kan nicht ſuͤndigen/ denn er iſt von GOTT ge-
bohren. Daran wirds offenbahr/ welche die kinder GOttes/ und
die kinder des teuffels ſind.
Daß wir alſo nach der Schrifft niemahl nicht
ſagen koͤnnen/ daß die wahre Chriſten immerfort der ſuͤnden dienen/ und taͤglich mit
muthwilligen ſuͤnden ſich beflecken; ſondern ſie creutzigen ihr fleiſch ſamt
den luͤſten und begierden Gal. 5/ 24.
ſie haben wohl fleiſch/ aber ſie
wandlen nicht nach dem fleiſch/ ſondern nach dem Geiſt/ Rom. 8/ 1. 4.
ſie wandlen wuͤrdiglich dem Evangelio CHRJSTJ/ und dem be-
ruff/ dazu ſie beruffen ſind.
Alles nicht aus eigner krafft/ ſondern aus der
gnade GOttes des heiligen Geiſtes/ welche ihnen geſchencket iſt/ und in krafft deſſen/
welcher ſie unanſtoͤßig behalt/ erfuͤllet mit fruͤchten der gerechtigkeit: So gar/
daß wer nicht ein ſolcher iſt/ und ſeines Heilandes gebot zu halten ſich befleiſſet/ in
ſolchem ſtande kein kind GOttes nicht iſt. Nun iſts zwar wahr/ daß der jenige/
welcher ein kind GOttes hat auffhoͤren zu ſeyn/ ein ſolcher wiederum werden kan/
in dem die wiedergeburt wiederhohlet wird: aber wer da erweget/ was das vor
eine aͤnderung ſeye/ aus einem kinde des ſatans ein kind GOttes zu werden/ und wie
ſolche geburt mit nicht geringen geburts ſchmertzen abgehe; Wiederum wie kraͤff-
tig der ſaame GOttes ſeye/ aus dem wir wiedergebohren werden/ der kan nim-
mermehr gedencken/ daß ſolche abwechſelung offtmahls geſchehe/ und einer in ei-
nem tage oder etliche tage/ als ein kind GOttes/ bald wiederum ein kind des teuf-
fels/ da abermahl GOttes/ und nachmahl wieder des teuffels ſeye und werde: wel-
ches bey taͤglichen und offtmahls begehenden todtſuͤnden gleichwohl alſo ſeyn muͤßte;
aber einmahl der krafft des glaubens und wiedergeburth zu nahe gehet. Alſo daß ich
glaube/ wer von hertzen von begangenen fall ſich bekehret/ und die gnade der wie-
dergeburt wiederum erlanget hat/ der hat ſich ſo viel ernſtlicher gegen die ſuͤnde/
von welcher vorhin ſich uͤberwinden laſſen/ und dero ſchwehre/ auch gefahr er er-
kant/ gewapnet/ daß er vielweniger in dieſelbe wiederum auffs neue willige wird/ als
vorhin ehe er ſich mit deroſelben einmahl beſlecket/ und gehet deswegen nicht ſo leicht
wiederum auff die vorige irrwege/ ſonderlich wo er etwa ſchon etliche mahl bey ſich
die gefahr erkant/ wie leicht er ruͤckfaͤllig werde. Wer aber immer wieder auffs
neue/ wo er ſo zu reden einmahl aus der ſchwemme herausgekommen/ ſich ſtracks in
den vorigen koth leget/ bey deme habe ich ſehr ſorge/ daß es ihm mit ſeiner reinigung
gar nicht ein ernſt geweſen. Geſchichts aber mit ſolchen relapſibus zu offt/ ſo traue
ich gantz gewiß/ es ſeye nur heucheley und keine wahre bekehrung geweſſt. Jſt
eine
[141]ARTIC. I. DISTINCT. I. SECTIO XXX.
eine materie/ welche ſo viel fleißiger zu treiben iſt/ weil eines von den vornembſten
polſterkuͤſſen/ darauff ſichere leute ruhen/ und ihr heyl verſchlaffen/ dieſes genen-
net werden mag/ daß ſie/ was von unvermoͤgligkeit menſchlicher kraͤfften
gelehret wird/ und gelehret werden ſolle/ auch auf die wiedergebohrne
ziehen/ und die krafft der wiedergeburt zu nicht geringer verkleine-
rung goͤttlicher ehren vernichten. Dann iſts ſo/ daß auch noch die wie-
dergebohrne klagen muͤſſen/ daß ſie die gnade GOTTES verachten und
verwerffen/ offtmals in todt-ſuͤnden fallen/ und nicht anders thun koͤnnen: ſo
moͤgen wir ihre boßheit nicht beſchuldigen/ ſondern bleibet eine allen menſchen ge-
meine ſchwachheit/ ob ſie dann ſchon immer in ſolcher ihrer boßheit/ die nunmehr
ſolchen nahmen verleuret/ fortfahren/ moͤgen wir ihnen die ſeligkeit nicht abſpre-
chen: ſie aber werden ſelbs auch nicht nur einverlangen tragen/ anders zu leben/
als welches unmuͤglich ſeye/ und von GOtt bey verluſt der ſeligkeit nicht erfordert
werde; Da uns doch GOtt die art der jenigen/ die aus GOtt gebohren und in
dem ſtande der ſeligkeit ſind/ gar viel anders vorſchreibet uñ vormahlen laͤſſet/ auch
wie er die krafft des Geiſtes gegeben hat/ nicht zwar ein von allen/ aber gleichwol von
allen herrſchenden/ ſuͤnden befreytes leben zu fuͤhren/ nothwendig erfordert/ ſich ſol-
cher gnade zu bedienen: alſo daß keiner in wahren glauben ſtehet/ welcher nicht
anfangt/ dem Evangelio wuͤrdiglich zu wandeln/ Phil. 1. 27. und mit eyffri-
gem vorſatz nunmehr davon abzutreten/ ſolchen wandel angegangen hat. Wel-
ches alles nicht geſchiehet/ den menſchlichen kraͤfften/ die nichts ſind/ etwas bey zu-
meſſen/ weniger einigen geiſtlichen hochmuth bey den leuthen zuerwecken/ dann die
krafft bleibet allein GOttes/ und haben wir ihm mehr danck zu ſagen/ daß er uns
wuͤrdiget/ gutes durch uns zu wuͤrcken/ als er uns ſchuldig waͤre/ daß wir ihn ha-
ben in uns wuͤrcken laſſen/ ſondern die krafft goͤttlicher gnade zu preiſen/ und der ſi-
cherheit/ auch traͤgheit der menſchen zu ſteuren. Letzlich habe auch wahr genom-
men das p. 100. ſeq. gehandelt wird von verleugnung ſein ſelbs; Nun iſt alles
was daſelbs ſtehet war; aber ich achte/ es gehoͤrte noch ein mehrere ausfuͤhrung
dazu/ und iſts eine ſolche materie die die erſte iſt unter allen lebens-regeln des
Chriſtenthums/ und alſo wol werth/ daß ſie fleißig und ausfuͤhrlich vor augenge-
legt/ und gezeugt werde/ daß wir nicht nur alles/ das unſrige hinden anſetzen muͤſ-
ſen/ wo es offenbarlich dem goͤttlichen entgegen ſtehet/ ſondern wie wir ſchuldig ſey-
en/ uns und das unſrige/ unſern nutz/ ehre/ luſt/ willen/ in nichts auff andere wei-
ſe zu ſuchen/ als daß wir es auch auff den weitern zweck GOtt darinnen zu ſuchen/
richten. Dieſes ſind nun meine wenige/ einfaͤltige und mit anruffung GOTTes
abgefaßte gedancken uͤber dieſes tractaͤtlein/ ſo verlangter maſſen in vertrauen ha-
be bruͤderlich communiciren wollen. Haͤtte gewuͤnſchet/ das von dem autore
etwa beym truck ſolches buͤchleins dergleichen waͤre beobachtet/ und die leſung deſſel-
ben ſo viel fruchtbarer gemacht werden. Wann aber ſolches nicht geſchehen iſt/
S 3ſo
[142]Das ſechſte Capitel.
ſo achte darum nicht/ daß deswegen ſolches ſcriptum aus guter leute haͤnden ge-
riſſen/ oder gantz ſupprimiret werden/ mußte/ als der ich ſelbs verlange/ das ſolche
gute arbeit moͤge einigen nutzen ſchaffen. Es mag aber der ſache alſo geholffen
werden/ wo entweder das leſen deſſelben denen jenigen allein recommendiret
wuͤrde/ ſo in der lehr der gottſeligkeit und wie nothwendig dieſelbe ſeye/
wol unterrichtet und gegruͤndet ſind/ auch in ſolchen leben ſtehen/ daraus
man abnehmen kan/ daß ſie die lehr der gnaden nicht auff muthwillen/
wieder die intention ziehen werden: Wie ich dann Statii ſchatz-kammer
allezeit allein den jenigen recommendiret, welche einen hertzlichen eyffer hatten/
GOtt ernſtlich zu dienen/ und ſich vor allen ſuͤnden zu huͤten/ aber aus anſehung
derſelben um ihrer unvollkommenheit angſthafft waren/ und alſo dieſes troſtes be-
dorfften: Wie denn kein zweiffel iſt/ daß in dem geiſtlichen nicht weniger als in dem
leiblichen genau zu unterſcheiden ſeye/ welcherley artzeney einem jeden erſprießlich
ſeye: Oder aber wo ins gemein einigẽ ſolches tractaͤtlein gegeben wuͤrde/ moͤchte es
etwa mit der vorerinnerung geſchehen/ wo ſie ſich vorzuſehen/ und nicht wider des
Autoris meinung die ſache weiter aus zudeuten/ oder ſich derſelben zu mißbrau-
chen haͤtte. Damit ſie alſo von dem leſen nutzen haben/ und doch auch der ſchade
verhuͤtet werden moͤge. Wie ich aber gebetener maßen dieſes in bruͤderlichen ver-
trauen communicire, alſo geſchiehet es auch mit der condition und in dem ver-
trauen/ es vor ſich zu behalten/ und nicht weiter zu communiciren, es ſeye mir
dann vorher ſolches wiſſend gemacht: Wo alsdenn etwa zu ſehen habe/ wie
auch mit dem Autore ſelbs davon handlete. Jm uͤbrigen was meine einfaͤltige pia
deſideria
anlangt/ ſo iſts freylich ſo/ neben dem daß einige in dem finſtern da ge-
gen murren/ [dann keiner hat ſich noch oͤffentlich dagegen außgelaſſen] ſo bleibets
bey den meiſten/ die noch gut ſeyn wollen/ bey dem approbiren: aber an dem
hand anlegen mangelts faſt aller orten. Doch hat der HErr auch hin und wider die
ſeinigen/ die nicht gar die haͤnde in den ſchooß legen/ ſondern trachten/ auch in eini-
gen dingen/ wie ſie moͤgen/ hand anzulegen. Daher die hoffnung zu goͤttlicher guͤ-
te habe/ es werde das werck nicht gantz ſtecken bleiben. Nur das wir mit gedult
harren/ und wo noch das graß herfuͤrbricht/ die ſtengel/ aͤhren und volle frucht in
denſelben zu ſeiner zeit erwarten: Marc. 4/ 28. Jndeß fortfahren zu arbeiten und
zu beten. Sonderlich meine ich/ wir leben zu einer ſolchen zeit/ da unſer amt faſt
allerdings allein darinnen beſtehet; wie wir umbzugehen haben mit den jenigen/
die ſich noch gern erbauen laſſen wollen/ oder doch nicht halßſtarrig widerſetzen.
Dann was boͤſe bleiben will/ mit denſelben moͤgen wir leider nichts außrichten/ als-
denen es auch an den hilffs mitteln mangelt/ dero wir/ dieſelbe mit gewalt aus dem
verderben zureiſſen/ bedoͤrfften. Wie wir dann leider an allen orten alſo ſtehen/
daß ich offt nicht ſehe/ wie wir unſer gewiſſen retten koͤnnen/ und lieber das amt/ ſo
ich nicht nach der vorſchrifft GOttes fuͤhren darff/ quittiven wolte/ als darinnen die
angſt
[143]ARTIC. I. DIST. I. SECT. XXXI.
angſt haben/ ſo wir leiden/ wo ich nicht ſaͤhe/ daß damit der kirchen nicht geholffen/
ſondern neben denen in das verderben lauffenden boͤſen auch die frommen vollends
verlaſſen/ und in gefahr geſetzt werden wuͤrden. Von demſelben ſehe/ das mein
vielgeliebter bruder eben dieſe principia fuͤhren muß/ da er ſchreibet/ daß er ſo wol
mit erwachſenen knaben einige privata exercitia tractiret/ als vornehmlichen
noch eine auswahl unter alten und jungen zumachen geſonnen/ iſt der jenige/ bey de-
nen mehr auszurichten. Hierauff muͤſſen wir gewißlich alle gedancken zu erſt
ſchlagen/ daß wir bey jeder gemeinde anfangs die jenige/ bey welchen ſich bereits
goͤttlichen fingers krafft kaͤntlicher zeigt/ in dem ſtand durch die himmliſche gna-
de bringen/ da ſie als wahre Chriſten andern zum vorbilde leuchten/ und ein heil-
ſamer ſaurteig werden moͤgen/ neben dem wort und amt des predigers/ die uͤbrige
mit zu erbauen: vel hoc modo vel nullo eccleſiæ conſuletur. Der HERR
regiere uns alle/ und ſonderlich meinen vielgeliebten bruder/ mit ſeinem heiligen
Geiſt/ daß wir weißlich verſtehen/ was zu ſeinen ehren und aufferbauung der ge-
meinde dienlich/ ſolches eyffrig in das werck ſetzen/ und gluͤcklich zu ende bringen
moͤgen. 15. Decemb. 1676.


SECTIO XXXI.


Pia deſideriaund deropraxis. Catechetiſchee-
xamina
gehen vor. Gothiſches exempel. Nach ſolchem
nuͤtzlich anſtellende Chriſtliche ge-
ſpraͤche.


DAs meine einfaͤltige pia deſideria an mehrern orten/ als ich von der glei-
chen geringfuͤgiger arbeit haͤtte vermuthen moͤgen/ in conſiderarion gezo-
gen werden/ habe dem guͤtigſten geber alles guten/ demuͤtigẽ danck zu ſagen.
Sind damit die gemuͤther allein rege gemacht worden/ ſo habe ſchon ein groſſes/ und
das meiſte deſſen erhalten/ was ich habe prætendiren koͤnnen/ dann ſo werden
unter ſolchen die jenige/ welche mit mehr licht und gaben/ auch erfahrung von Gott
begnadet/ ſich angelegen ſeyn laſſen/ die ſache ſo viel reifflicher zu uͤberlegen/ und
wo es an neuer arbeit mangelt/ mit verſtaͤndigern rath und anſchlag der kirche zu
helffen/ ihnen/ nach jedes zu dem gemeinen nutzen tragenden verbindlichkeit/ an-
gelegen ſeyn laſſen. Welches ich ſo hertzlich/ als daß die jenige dinge/ die in meinen
deſideriis begriffen/ und insgemein approbiret werden/ auch werckſtellig ge-
macht wuͤrden/ verlanget habe/ auch noch verlange; Wie dann alle conſulta-
tiones
vergebens/ und nur zum zeugnuͤß uͤber uns dermaleins dienſam ſeyn wer-
den/ wo nicht auff die werckſtelligung ſo bald gedacht wird. Die in dem hochloͤblichen
Gothiſchen Fuͤrſtenthum durch den unvergleichen eyffer des ſeligſt verſtorb enen
Her-
[144]Das ſechſte Capitel.
Hertzog Ernſten wol eingefuͤhrte und treibende Catechiſmus-uͤbung iſt aller or-
ten beruͤhmet/ und freylich von unvergleichlichen nutzẽ/ daß deswegen/ wo etwas der-
gleichen iſt/ billich mit ernſt fortgeſetzet/ und wo es noch mangelt/ die einfuͤhrung
verſucht werden ſolle. Daher auch hier/ ehe zu einigen privat-conferentzen
geſchritten/ ſolche catechetica examina vorhin/ ſo viel in dergleichen ſtatt ſich an-
noch hat wollen thun laſſen/ gleichſam zum grunde geleget worden/ und ſie auch
als viel GOtt gnade dazu verleyhet/ mit fleiß continuiret werden. Nechſt de-
nen aber ſo mag nachmahls ſicher mitden jenigen/ welche ſich weiter zuerbauen be-
gierde tragen/ fortgefahren/ und einiges buch des Neuen Teſtaments vorgenom-
men werden/ ſo auch bey den einfaͤltigen nicht ohne nutzen abgehen wird/ wo man in
ſolchem leſen und abhandlen zu erſt auff gar nichts anders/ als die einfaͤltige uͤ-
bung des glaubens in den articulen/ die deutlich und gleichſam mit ſo viel worten
in der Schrifft gezeigt werden koͤnnen/ ſonderlich aber die erbauung des lebens/
intendiret, und dem auditoribus fleißigſt inculiret wird. Wie ich dann ach-
te/ wir haben ihnen allen ſo wol in den predigten als andern exercitiis allemahl
treulich zuſagen/ daß wir auch aus der Schrifft aus unſrem menſchlichen fleiß u. ei-
genen vernunfft nicht vermoͤgen die goͤttliche warheit zuverſtehen/ ſondern es ge-
hoͤre eine erleuchtung des heiligen Geiſtesdazu/ damit wir ſein wort moͤgen heil-
ſamlich verſtehen. Soll aber der heilige Geiſt bey uns wircken/ der gleichwol
nicht in eine boßhafftige ſeele kommet/ noch von der welt empfangen werden kan/
ſo iſts noth/ daß die jenige/ die Chriſti lehr recht zu faſſen begehren/ ſich gleich re-
ſolviren,
ihr leben nach ſeinen willen und regeln anzuſtellen/ und daſſelbe auch
ſo bald antreten. Jn ſolchem ſtande ſind ſie faͤhig/ weiter und weiter auch in der er-
kaͤntnuͤß der goͤttlichen geheimnuͤſſen zu zunehmen. Daher zu erſt/ nechſt den all-
gemeineſten glaubens lehren/ welche nicht in groſſer zahl ſind/ faſt allein auff die
lebens regeln zu reflectiren waͤre. Und wo dann in den piis exercitiis aus
den vorhabenden texten davon conferiret wird/ ſo moͤgen ſo wol die colloquentes
als auditores/ ob ſie wol einfaͤltig aber GOTT von hertzen gelaſſen ſind/ nicht
geringen nutzen ſchoͤpffen/ vornemlich wañ dardurch auch eine gottſelige bruͤderliche
freundſchafft bey ſolcher gelegenheit geſtifftet wird/ einander zu ermahnen/ und
wo noch fehler wargenommen werden/ bruͤderlich zu erinnern.
15. Dec. 1676.


DISTIN-
[145]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO I.

DISTINCT. II.
Von den jahren 1677. 1678. 1679.
SECTIO


  • 1.
    AN einen Rectorem, der darnach ein vornehmer Theologus worden. Ti-
    tul
    und bruder nahme. Abſicht und frucht der piorum deſideriorum.
    Noͤthige beſſerung der ſchulen. Hoffnung des kuͤnfftigen.
  • 2. Auffmunterung an eine chriſtliche weibs-perſon/ der ihr voriges in eitelkeit
    gefuͤhrtes leben angelen. Laͤſterung des guten in Franckfurth.
  • 3. An einen vornehmen Theologum. Erklaͤhrung uͤber einige beſchuldigungen
    wegen meiner lehr/ collegii und uͤbung des geiſtlichen priſterthums/ auch
    von ſolchem tractat.
  • 4. Von den piis deſideriis und dero praxi, wie ſie anzuſtellen/ und was zu hof-
    fen. Myſtici. Holland.
  • 5. Ableinung falſchen gerichts/ ob haͤtte zum Papſtum eine zuneigung.
  • 6. Nutzen der brieffe. Auffmunterung. Zuſtand in Franckfurt.
  • 7. An einen vornehmen Theologum, ſamt uͤberſendung meines ſend-ſchreibens.
    Von meinem hauß-collegio. Ungrund der laͤſtrungen.
  • 8. Bau einer kirchen. Ungariſche verfolgung. Goͤttlicher rath in dero verhaͤng-
    nuͤß.
  • 9. Auffmunterung die gnade recht zu brauchen. Alles aus GOttes wort zu pruͤ-
    fen. Erfoderter ernſt in dem Chriſtenthum. Deſſen ſeligkeit.
  • 10. An einen vornehmen ſtandes. Die erſte und ſchwaͤchre regungen der gnade nicht
    auszuſchlagen. Jungf. Schurmannin. Hoffnung angehender beſſerung.
    Viele laͤſterungen. Edirtes ſend-ſchreiben.
  • 11. Uber einige bedencken/ betreffend die pia deſideria und erklaͤhrung uͤber un-
    terſchiedliches. Ob die reformation Lutheri vollkommen geweſen? Ob
    in unſern kirchen auch an der lehre mangel ſeye? Von unſerer kirchen rei-
    nigkeit. Ob andere mit zur reformation zu ziehen. Von unmittelbahren
    offenbahrungen. Ob man eigentliche ſitten ſachen treibe/ oder vielmehr die
    wiedergeburth. Babel. Antichriſten. Ob auff titul ſehe. Warum verdaͤch-
    tige nicht anfuͤhre. Jacob Boͤhme.
  • 12. Uber Wilh. Chriſt. Kriegsmanns ſymphoneſin.
  • 13. Klagen uͤber verleumdungen. Tractat vom Geiſtlichen Prieſterthum. Angſt-
    haffte fuͤhrung und gefahr des amts.
  • 14. Meine catechiſmus erklaͤrung. Weit ausgebrochene calumnien und dero
    ſchaden. Frucht-bringende JEſus geſell ſchafft. Allgemeine bewegung der
    gemuͤther. Hoffnung daraus. Daruͤber willig zuleiden.

T15. Als
[146]Das ſechſte Capitel.
  • 15. Als ein anverwandter Theologus ſeine ſcrupel die ihm meinetwegen zuge-
    bracht/ an mich geſchrieben. Verantwortung und klage.
  • 16. Antwort auf freundliche erinnerung. Wolgemeintes kan uͤbelausſchlagen.
    Ob uns alle religionen gleich. Daß nicht alle auſſer der Lutheriſchen verdam-
    met werden. Leſung der Offenbahrung Johannis. Nicht jegliches unglei-
    ches wort uͤbel zunehmen.
  • 17. An einen chriſtlichen prediger mit uͤberſendung des ſend-ſchreibens zur auff-
    munterung.
  • 18. Von der buͤrde des prediger-ſtandes. Baron von Weltz. Allgemeine regung
    der gemuͤther. Daher ſchoͤpffende hoffnung.
  • 19. Anfuͤhrung der leute zur pruͤfung ihrer ſelbs. Gemeiner betrug deren die ſich
    Chriſten zu ſeyn einbilden. Groſſer nutzen des exempels rechtſchaffener
    Chriſten.
  • 20. An einen beruͤhmten Doct. Theologiæ, wegen der Symphoneſeωs Kriegs-
    mannianæ.
  • 21. Von damaligen gemeinen und Franckfurtiſchen zuſtand. Meine abſicht in
    allen.
  • 22. Uber das Fuͤrſtliche Heſſen-Darmſtattiſche ausſchreiben. Chriſtliche zuſam-
    menkunfften.
  • 23. Ob von hohen orten die beſſerung der kirchen zuſuchen und zuerwarten
    ſeye.
  • 24. Streitigkeit unter Theologis.
  • 25. Gegen mich ausgeſprengte laͤſterungen und unwarheiten. Tractat vom Geiſt-
    lichen Prieſterthum.
  • 26. An einen alten vornehmen prediger/ der noch in hohen alter das werck des
    HErrn ernſtlich treiben wolte.
  • 27. Mein collegium pietatis. Kriegsmannes ſymphoneſis. Darmſtattiſches
    ausſchreiben. Starcke bewegung in den hertzen zu dieſer zeit. Schleſiſche
    kirche.
  • 28. Fortſetzung der materien in Sect. II. Offenhertzige freyheit zu handeln. Die
    reformation nicht mein werck. Pia deſideria. Vergleichung der alten
    Juͤdiſchen und itzigen Chriſtlichen kirchen. Ob auch wegen der 3. Secten.
    Unſichtbare kirche. Wiedergeburt. Rechtfertigung. Glaube. Ob der gan-
    tze menſch in der wiedergeburt geaͤndert. 1. Joh. 3. v. 10. Jac. 2/ 24. Unmit-
    telbar erleuchtete. Jacob Boͤhme. Chriſtian Hohburg.
  • 29. Heßiſches ausſchreiben. Umſtoſſung einiger principiorum.
  • 30. Groſſe bewegung der hertzen im verlangen nach der beſſerung. Hoffnung
    daraus wenigeꝛ anfang/ der bereits gemacht. Geiſtliche prieſterthum. Ver-
    trauen zu den Wirtenbergiſchen Theologis.

31. We-
[147]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO I.
  • 31. Wegen D. Strauchs in Dantzig.
  • 32. Als meine erklaͤrung gewiſſer Theſium einem guten freunde uͤberſandte.
    Balth. Rebhan.
  • 33. An D. Geiern wegen erlangten Churfuͤrſtlichen privilegii uͤber das Geiſtli-
    che prieſterthum. Unbilligkeit der mißdeutung guter dinge. Bewahrung
    vor mißbrauch. Ungrund der laͤſterungen.
  • 34. Daß das Roͤmiſche Babel noch groſſe gewalt ausuͤben werde. Erklaͤhrung
    meiner und Horbii lehr.
  • 35. Was 1678. vorgegangen. Troſt uͤber eines guten freunden vaters todt. Jo-
    ach. Stollii
    abſchied und elogium. Was wegen Geiſtlichen prieſterthums
    vorgegangen D. Hannekenii dedication. Gefaͤhrlicher anſchlag gegen
    mich/ von GOtt abgewendet. Balth. Rebhan. Etwas ohne meinen willen
    getruckt. Horbii begegnuͤßen. Truck meiner Poſtill. Studium apoca-
    lypticum. Commentaria
    von mir in Tabellen verfaſſet. Coccejus. Crel-
    lotii
    geſchrieben werck.
  • 36. An einen vornehmen Theologum. Einige begebenheiten in Franckfurt.
    Einige anſtoß von leibs ſchwachheit. Rebhan. Dilfeld D. Pomarius, D.
    Hannekenius.
    Ob andere religions verwandten auch in mein collegium
    kommen. Regierſucht der academien. Lateiniſche edition der piorum
    deſideriorum.
  • 37. Mißtrauen in Elſaß gegen mir.
  • 38. Als einige meine Schrifft (ſiehe Sect. 32.) ohne mein wiſſen publiciret/ aber
    wieder etwas gebeſſert worden. Meine wichtige urſachen/ mich in ſtreit-
    ſchrifften nicht einzulaſſen/ auch daß von niemand verlange/ ſich meiner in
    ſchrifften anzunehmen.
  • 39. An Georg Conrad. Dilfeld Diac. zu Nordhauſen/ als er in abſicht mich offent-
    lich anzugreiffen/ an mich erſtlich geſchrieben/ und einige erklaͤhrung haben
    wollen: Wovor meine Schrifften gehalten haben wolle. Mittel der beſ-
    ſerung. Fleißigere uͤbung goͤttlichen worts: Catecheſation. Privat-zuſam-
    menkunfften. Geiſtliche prieſterthum. Arnds Buch. Autoritas der
    ausſpruͤche der collegiorum. Chriſtan Hohburg. Steph. Prætorius,
    Statius. Theoſophia
    und Theologia. Auff den innern menſchen treiben.
    Ob ich Oſiandri meinung? Vereinigung Chriſti mit ſeinen gliedern. Ap-
    probation
    der piorum deſideriorum. D. Menzer. Das Evangelium
    muͤſte das meiſte thun. Wie auff gute wercke zu treiben. Von der noth-
    wendigkeit der guten wercke zur ſeligkeit. Schrifften ohne nahmen/ ob al-
    le verwerfflich? Reformation der kirchen. Darmſtattiſches ausſchrei-
    ben. B. Rebhan. Erklaͤhrung der 3. puncten. Geringachtung weltlicher
    ehr. Horbii ſache. Kriegsmannes Symphoneſis. Erinnerung und
    wunſch.
T 240. Ver-
[148]Das ſechſte Capitel.
  • 40. Verlangen nach der beſſerung faſt allgemein in den ſeelen erwecket. Zuſam-
    men ſetzung Moſis und Aaronis. Wie darnach zutrachten. Was da-
    von zu hoffen.
  • 41. Von nutzen der vereinigung und vertrauchlicher correſpondenz chriſtlicher
    Theologorum an Scriverium.
  • 42. Segen den GOtt den piis deſideriis gegeben. Zuſtand der Franckfurti-
    ſchen kirchen. Von den lebendigen glauben zuſchreiben.
  • 43. An einen prediger in Hamburg. Mein collegium privatum und andere
    exempla. Labadie. Lehre von der rechtfertigung.
  • 44. Auffmunterung an eine Graͤffliche perſon. Vereinigung gut geſinneter
    Theologorum. Zuſtand der Franckfurthiſchen kirchen.
  • 45. Von Franckfurthiſchen ſachen. Brudernahm der Chriſten. Sorge der
    trennung.
  • 46. Nochmal an Georg Conrad Dilfelden (ſiehe Sect. 39.) formul, ich bin
    Chriſtus. Vereinigung der glaͤubigen mit Chriſto. Arnds buch. Chri-
    ſtus pro \& in nobis Steph. Prætorius. Statii Schatzkammer. Urſachen
    der auslaſſung der nahmen. Horbius autor des erſten bedenckens an die
    pia deſideria.
  • 47. Wie beduͤrfftig ich der vorbitte. Ausgeſtreute laͤſterungen. Dero nutzen.
    Frucht der goͤttlichen zuͤchtigungen.
  • 48. Gebeth vor mich in meiner kranckheit. Joachim Stollius. Horbius. D.
    Pomarius.
    Meine Poſtill. Apocalyptica. Crellotius. Coccejus. Sab-
    bath. MS. anonymi.
  • 49. Der meinigen u. meine ſchwehre kranckheit/ auch empfangene goͤttliche gnade.
    Wuͤrde u. nutzen ď demuth. Vortheil der beſondern zuſam̃enkunfften. Kindli-
    ches vertrauen/ daß GOtt den redlichen willen ſich in gnaden gefallen laſſe.
  • 50. An einen vornehmen Herrn des regiments in Nuͤrnberg. Elende zuſtand un-
    ſerer kirchen. Einiger politicorum vaͤterliche eyffer. Autoritet der Doctorũ
    in unſerer kirchen. Principia aus dem Papſtum entlehnet. Hoffnung von der
    ſtatt Nuͤrnberg.
  • 51. An einen Doctorem Theologiæ. Wegen meines collegii, und was aus ſol-
    cher gelegenheit entſtanden/ auch wegen Kriegsmanns Symphoneſis.
  • 52. An Scriverium von unterſchiedlichen materien. Ubermaͤßig mir beygelegtes
    lob. Von commentariis. Seelen-Schatz. Vorhaben eines Amphitheatri.
    divinæ providentiæ.
    Dilfelds Theoſophia Horbio Speneriana.
  • 53. Als M. Joh. Pikerus Prorector zu Koͤnigsberg ſein epitomen Ethicæ Chri-
    ſtianæ
    die 1687. unter den Titul Aretologia Chriſtiana heraus kommen/
    uͤberſand hatte/ uͤber dieſelbe obſervationes.

SECT.
[149]ARTIC. I. DISTINCT. II. SECTIO I.

SECTIO I.


An einenRectorem/der darnach ein vorneh-
mer
Theologusworden.Titulund brudernahme. Abſicht
und frucht der
piorum deſideriorum.Noͤthige beſſerung
der ſchulen. Hoffnung des kuͤnffti-
gen.


Hochgeehrter und in dem HErrn hertzlich geliebter bruder.

DAs ſonderbahre vertrauen/ ſo gegen deſſelben werthe perſon/ aus dem ſo
liebreichen an mich gethanen ſchreiben gefaſſet/ will mir faſt nicht zu laſſen/
auf ſonſt in jetziger zeit gebraͤuchliche weiſe an denſelben zu ſchreiben/ ſondern
vielmehr die unſern erſten vorgaͤngern in den glauben gewoͤnliche und beliebte art
zugebrauchen. Nicht ob hielte ich davor/ daß die nunmehr durch die gewohnheit
eingefuͤhrte und gewiſſen ſtaͤnden oder aͤmtern gewidmete titul an und vor ſich ſelbs
unrecht waͤren/ oder nicht gebrauchet werden moͤchten/ als der ich kein bedencken
habe/ ſie zu geben/ und an zunehmen/ u. die ich laſſe ſeyn ein ſtuͤck der politiſchen ord-
nung/ welche unſer Evangelium nicht eben auffhebet/ ſondern zu rechtem gebrauch ſo
viel geſchehen kan/ einſchrencket. Sondern dz unter den jenigen gemuͤthern/ die was
in jeglichen dingen warheit oder ſchein ſeye/ gruͤndlicher eingeſehen/ geziemlicher
achte/ zu der erſten und Apoſtoliſchen einfalt/ ſo viel ohne anderer/ die die ſache nicht
faſſen/ anſtoß geſchehen mag/ auch in dieſem ſtuͤck wieder zuruͤck zukehren/ und al-
ſo auch was in ſolchen gebrauch ſich von eitelkeit mit angehaͤnget zu vermei-
den. Hoffe demnach mein wertheſter bruder/ ſo ſich ohne das erklaͤret in die zahl
der bruͤder auffgenommen zu werden/ werde ſich auch ſolchen anſpruch laſſen an-
genehm ſeyn/ und hindangeſetzet ebenfals anderer titul ſich gegen mir gleiches ge-
brauchen. Jn dem uͤbrigen dancke ich meinen GOtt hertzlich/ der mich an dem-
ſelben wiederum eine ſeele finden laſſen/ von dero erkenne/ daß er ſie mit ſeinem licht
herrlich erleuchtet und zuverſtehen gegeben/ wo es mangle/ und was das einige
nothwendige ſeye. Welches wie es gleichwol bey ſo reicher erkaͤntnuͤß des buch-
ſtabens des Evangelii gantz gemein ſeyn ſolte/ dennoch leider auch unter denen die
von goͤttlichen dingen profeſſion machen/ ſo rar u. ſeltzam iſt/ daß man ſich inniglich
zuerfreuen/ wo man ein und andere alſo geſinnete/ und die rechte abſicht unſers
Chriſtenthums erkennende gemuͤther antrifft. Jedoch hat GOTT hin und wieder
(und wer weißt/ wie viele) die ſeinige ve[r]borgen/ welche mit ſeufftzen die vor augen
ligende greuel beklagen/ und nach beſſerung ſich ſehnen. Wie mich derſelbe auch
inner faſt nunmehr von 2. jahren aus gelegenheit meiner piorum deſideriorum
ein und andere hat kennen gelehret/ von denen vorhin nicht gewuſt/ auch immer
T 3von
[150]Das ſechſte Capitel.
von mehrern kundſchafft zu erlangen/ ſo verlange als zu ſeiner goͤttlichen guͤte hoffe.
So waͤre vielleicht ein nicht geringes durch ſeine gnade erlangt/ wo erſtlich ſolche/
die mit ernſt das himmliſche allein zu ſuchen begierig ſind/ einander bekanter und
mit ſo viel engerem bande durch correſpondenz unter einander verknuͤpffet wuͤr-
den/ daß ſie mit gebeth/ rath und huͤlffe einander ſo viel fleißiger bey ſtuͤnden/ und
das werck des HErrn trieben. Jch bekenne/ daß dieſes nicht die geringſte urſach
ſonderlich der beſondern edition der piorum deſideriorum bey mir geweſen/ daß
da ſolche materien, daran allen ſo hoch gelegen/ ob wol nicht außgefuͤhret/ gleich-
wol/ ſo zu reden/ auf das teppich geleget wurden/ daß theils andere erleuchtetere
nach der von GOtt reichlicher empfangenen gnade zu der gemeinen wolfarth huͤlf-
fen beyrathen/ theils vieler hertzen gedancken/ die dem heiligen vorhaben entgegen
oder gewogen ſind/ ferner geoffenbaret wuͤrden/ daraus eine gelegenheit der naͤ-
hern freundſchafft der jenigen gemacht wuͤrde/ die den ſchaden Joſephs hertzlich zu
gemuͤth zoͤgen. Auch hat Gott den ſegen/ welchen ich in ſolcher maß von einen klei-
nen und ohne apparat einiger erudition ausgefertigtem ſcripto nicht vorher hof-
fen duͤrffen/ dazu gegeben/ das ſolche blaͤttlein weiter in Teutſchland/ auch auſſer
demſelben herum geflogen/ und mir noch nechſtens ein Superintendens in Tuͤrin-
gen geſchrieben/ der meiſten Theologorum gemuͤther erweckt und rege gemacht:
daß auffs wenigſte einige gedancken auff die ſache geſchlagen werden. Und habe
ich aus denen in ſolcher zeit an mich angekom̃enen vielen ſchreiben wargenom̃en/ daß
auch einige ob wol wenigere/ den hertzlichen entſchluß gefaßt nach vermoͤgen an
dem guten wercke hand mit anzulegen/ wo ſie etwas zu erbauen muͤglichkeit ſe-
hen wuͤrden; andere billichen die ſachen/ aber halten theils das meiſte vor un-
muͤglich/ theils wollen ſehen/ wie es ablauffe/ und ob andere es angreiffen/ vieleicht
ſich darnach zu richten; einige ſcheinen das werck mit ſchaͤlen augen an-
zuſehen/ und ob wol noch niemand ſich erkuͤhnet hat/ offentlich ſich zu
widerſetzen/ hoͤret man doch das murren hin und wieder/ und bedoͤrffte nur/
daß einer ſich hervor thaͤte zu oͤffentlichen widerſpruch/ ſo moͤchten wohl ſich viele
mehrer hervor thun. Jch/ wie ichs in einfalt meines hertzens und ohne einige ge-
ſuch geſchrieben habe/ bin ohne ſorge deswegen/ und befehle die ſache dem/ des ſie
alleine iſt/ als der ich weiß/ daß ich nichts zuzwingen vermag/ wie auch ſolches die
art nicht iſt in dem reich CHRJSTJ/ als worinnen alles allein mit willen geſche-
hen muß. Kan ich ferner etwas gutes beytragẽ ſo wohl an der mir ſonderbahr mit an
dern collegis anvertrautẽ kirchẽ in mehrer erbauung derſelben/ als auch auff art u.
weiſe/ welche ſeine himmliſche weißheit mir zeigen moͤchte/ bey andern und durch
andere/ ſo will mich auch nicht entziehen/ noch arbeit oder verdruß ſcheuen/ aber
auch mich nirgend mit gewalt eintꝛingen/ als meineꝛ ſchwachheit und deſſen wohl be-
wuſt/ daß ich derjenige nicht ſeye/ durch welchen GOTT groſſes auszurichten be-
ſchloſſen habe. Der enjenigen hoffnung ſorge ich vergebens zu ſeyn/ die darauff war-
ten
[151]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECT. I.
ten wollen/ das groſſe Herren und Obrigkeiten communiautoritate ſich des we-
ſens anneh men/ und etwas gutes verordnen/ und alſo mit weltlichem arm das werck
des HErrn befoͤrdern wuͤrden; Jch finde auch wenig/ daß dergleichen in dem reich
Chriſti geſchehen ſeye. Worinnen vielmehr der HErr ſich gemeiniglich geringer
u. unanſichtbarer mittel zugebrauchen pfleget. Wuͤrde alſo das warten auff dieſel-
be vergebens ſeyn. Sondern ich achte/ es habe ein jeglicher in ſeinem amt mit an-
ruffung GOttes zuſehen/ was er ſelbs auszurichten vermoͤge/ und unter collegis
auch andern guten freunden/ allemahl die jenige ſo viel muͤglich/ mit zugebrauchen/
bey denen man findet/ das GOTT auch ihre hertzen geruͤhret habe. So mag
endlich durch goͤttlichen ſegen ein geringer anfang ſich viel weiter erſtꝛecken/ als man
anfangs haͤtte gedencken koͤnnen. Was die ſchulen betrifft/ ſo iſts freylich an de-
me/ daß bey den ſchulen eines der aller vornehmſten huͤlffs mitteln zu ſuchen waͤre/
und wuͤrden ſolche pflantz-gaͤrten der kirchen getreulicher angeordnet und gebauet/
ſo wuͤrde es in allen ſtaͤnden beſſer ſtehen. Es gehoͤren aber leute dazu/ welche
GOTT auch mit den zu ſolchen werck gehoͤrigen gaben ausgeruͤſtet/ ſonderlich
zur erfahrung hat kommen laſſen. Jch bekenne meine ſchwachheit/ daß ich davon
wenig verſtehe/ als der auß mangel der gelegenheit in meinen patria allein durch
privat præceptores muͤſſen erzogen werden/ und alſo in keine ſchul niemahl ge-
kommen bin. Jch erfreu mich aber/ und dancke GOTT ſo vielmehr/ daß da ich
noch mit keinem/ welcher hiezu gaben und willen haͤtte/ bißher bekant geweſen/ ohne
Herr N. N. mir nun GOTT an ihm/ vielgeliebteſter bruder/ einen treuen freund
gewieſen/ welcher die ſache verſtehet/ und mit ſolchem guten eiffer zu dieſer wich-
tigen ſache von GOTT ausgeruͤſtet iſt. Daher nicht zweiffle/ er werde hiezu ſein
von von dem Herrn habendes pfund anwenden/ nicht nur allein in der abſonderli-
chen anvertrauten loͤblichen ſchul/ mehr und mehr gutes zuſchaffen/ ſondern auch
ſeine gute vorſchlaͤge/ wie der ſache gantz zu rathen/ auffzuſetzen. Jch werde hertz-
lich darum dancken/ da mir ſolche zu communiciren beliebig ſeyn wird/ auch auff
erlaubnuͤß mit andern der gemeinen erbauung begierigen gemuͤthern/ ſo mir hin
und wieder bekant ſind/ dieſelbe gemein zumachen; ob auch derſelben jeder nach
der gnade ſo er von GOTT empfangen/ wolte mit beytragen/ was zu ſolchen
wichtigen ſachen dienlich ſeyn mag. Es iſt ja freylich ſo/ wie derſelbe klaget/ daß
aus den meiſten ſchulen die jugend mehr heidniſches als Chriſtliches heraus bringet/
und die ſorge des weitſehenden Eraſmi nur zuviel erfuͤllet worden/ da derſelbe ir-
gend bezeuget/ daß ſeine freude uͤber die damahl ſich weiter hervorthuende ſtudia
etwas verringert werde/ weil er ſorge/ das allgemach viel heidenthum mit in die ge-
muͤhter einſchleichen moͤge. Wann ich an nichts gedencke als an unſre Ariſtote-
liſche Ethic, ſo erſchrecke ich/ und ſtehe in verwunderung/ daß wir uns ſo lange mit
denen einmahl nicht reinen pfuͤtzen vergnuͤget/ da wir die lautere bruͤnnlein Jſraelis
offen haben/ und viel herrlicheres daraus lernen koͤnten/ damit auch gleich die ju-
gend
[152]Das ſechſte Capitel.
gend gewehnet wuͤrde aus der geſunden vernunfft zuerkennen/ wie die ſeligkeit des
menſchen in der veꝛeinigung mit dem hoͤchſten unerſchaffenen gut beſtehe/ und zwar
folglich die lehrſaͤtze ſind/ ſo aus ſolchen geſetztem principio von ſelbſten folgen
wuͤrden. Der HErr erwecke helden/ die muth und krafft haben/ auch in ſolchen din-
gen durchzudringen. Wie ich zwar hoffe/ daß wir etwas naͤher zu ſolcher zeit kom-
men/ wo die erde mit erkaͤntnuͤß des HErrn erfuͤllet werden ſolle/ wie mit waſſer des
meeres bedecket. Vielleicht mag einiges hierzu dienliches in den alten Juͤdiſchen
ſchrifften gefunden werden/ wo fleißige leute ſie anfangen emſiger zu unter ſuchen/ ſo
mich hertzlich erfreuet/ daß ſo wohl hin und wieder anderwertlich als von ihm ſol-
ches mit fleiß geſchiehet. Der HErr laſſe mehr und mehr ſeinen heiligen nahmen
groß werden/ und befoͤrdere was hierzu dienlich iſt. Wie dann gewiß iſt/ daß er
nach ſeiner treue/ wo wir mit ernſt ſuchen werden/ das einige nothwendige allein
vorzuziehen/ das werck nicht ſtecken laſſen wird. Laſſet uns nur einander helffen
kaͤmpffen mit beten/ und nicht muͤde werden/ uͤber die a beit und verdrießlichkeit/
welche dabey auszuſtehen iſt. Dann die ſache iſts wohl weh[r]t. Womit dißmahl be-
ſchlieſſe/ nur daß noch ſchließlichen bey dieſem jahꝛwechſel wuͤnſche/ daß die liebe Got-
tes/ gleich wie ſie in erneuung zeitlicher dinge ſich heꝛvorthut/ alſo auch mit taͤglicher
erneurung des goͤttlichen ebenbildes in ſeiner und unſer aller ſeelen als einen liecht-
lein der ewigkeit gewidmet/ je laͤnger je kraͤfftiger ſich erzeigen/ und uns tuͤch-
tig machen wolle/ daß wir an dem groſſen tag der allgemeinen erneurung gleich-
falls zu der neuen welt und ſtatt unſers GOttes zu der ſeligen ewigkeit moͤgen er-
neuret werden. Amen. 8. Jan. 1677.


SECTIO II.


Auffmunterung an eine Chriſtliche weibs per-
ſon/ dero ihr voriges in eitelkeit gefuͤhrtes leben ange-
legen. Laͤſterung des guten in Franckfurt.


ES freut mich hertzlich/ daß dieſelbe bezeuget/ wie noch immer goͤttliches wort
deroſelbigen einige freude ſeye. Der HERR erhalte ſie bey ſolchem eini-
gen/ und laſſe ſie mehr und mehr ſchmecken die ſußigkeit deſſelbigen/ ſo dann
die gewuͤnſchte fruͤchten/ die es in den folgſamen ſeelen wuͤrcken will/ bey deroſelben
daraus erwachſen/ zu ihres GOttes preiß/ und eigener ſeelen beruhigung. Wir
haben den guͤtigen Vater/ welcher alles vorigen/ auch in eitelkeit der welt zuge-
brachten/ lebens nicht gedencken will/ wo wir in Chriſto JEſu durch den glauben
ſind/ und nunmehr von der welt gemeinſchafft abgeſondert/ mit ernſt allein trach-
ten unſerem heiligen Heyland nachzufolgen/ und nach ſeinen lieben reguln das le-
ben anzuſtellen. Auff welchem weg/ da wir alſo trachten unſere erwehlung und
be-
[153]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO II.
beruff veſt zumachen/ wir die allerhertzlichſte vergnuͤgung finden/ auch die mitwir-
ckende gnade ſpuͤren/ welche uns dasjenige muͤglich machet und verrichten hilfft/
was wir vorhin/ ſo lang wir allein auff uns ſelbs ſehen/ und ehe wir das werck in
ſolchen hertzlichen vertrauen eiffrig angreiffen/ vor unmuͤglich gehalten haben. A-
ber der iſt treu/ der uns ruffet/ der wils und wirds auch thun/ wie
er uns dann ſtaͤrcket und bewahret fuͤr dem argen/ daß dieſer uns nicht
uͤberwinde noch auffhalte in dem weg der Gottſeligkeit/ den wir zu lauffen an-
gehoben. Und da bedarffs nicht mehr die vorige ſuͤnden ſtets zu beklagen/ als wel-
che/ weil wir gemeinſchafft mit GOTT haben/ durch das blut JESU CHRJ-
STJ getilget ſind/ und vor goͤttlichen gericht uns nicht mehr ſollen zugerechnet
werden; Sondern wir erinnern uns allein derſelben zum preiß unſers lieben Va-
ters/ der uns ſo groſſes erwiſen/ und die ſuͤnde vergeben habe/ zur erweckung einer
ſo viel inbruͤnſtigern liebe/ als mehr uns iſt erlaſſen worden/ und zur vorſichtigkeit in
das kuͤnfftige/ daß wir aus dem vorigen lernende/ worin die welt und der ſatan uns
leicht angreiffen koͤnnen/ auff ſolche feinde ſorgfaͤltig acht geben/ und behutſamlich
wandlen; Daraus entſtehet eine froͤliche ruhe der ſeelen/ die nunmehr ihres vori-
gen lebens/ unter der erlangten vergebung der darin begangenen ſuͤnden/ ohn zweif-
fentlich verſichert/ daruͤber allein ſorgfaͤltig iſt/ wie ſie moͤge das gegenwaͤrtige und
zuͤkuͤnfftige zu ihres GOttes preiß anwenden/ und vorſichtiglich wandlen in dieſer
gefaͤhrlichen zeit und welt. Wozu nachmahl anderer gottſeligen hertzen vielfaͤlti-
ge converſation nicht weniges thun kan; die ſo wohl ſich in dem geiſt mit einan-
der ermuntern/ und alſo die freude des geiſtes erwecken/ als auch mit treuem rath
einer den andern an die hand gehen kan/ wie er ſerner in der reinigung fortfahren/
und immer mehr ſeinem GOTT gefaͤllig ſeyn moͤge. Ach waͤre dieſe liebe und ver-
traulichkeit unter uns Chriſten ins geſamt/ wie ſie bey unſern erſten vorgaͤngern ge-
weſen/ wie ſolte in kurtzen ſo reiche frucht davon entſtehen? Es wird aber alsdann
der teuffel nicht feyꝛen/ dergleichen gutes/ welches er ihm ſo kꝛaͤfftig entgegen zu ſte-
hen ſiehet/ nach vermoͤgen zu hindern/ und der welt haß zu erregen. Es erfahren
ſolches allhie bey uns etliche Gottſellge gemuͤther/ welche ſich eiffrig laſſen angele-
gen ſeyn/ ihren GOTT rechtſchaffen zudienen/ und in dem guten zu wachſen/ und
deswegen/ ſo offt einige einander beſuchen von ſolchen dingen die ihr wachsthum
angehen/ lieber ſprache/ als mit unnuͤtzen geſpraͤchen die edle zeit verderben/ auch
je zu weilen ihr neues Teſtament auffſchlagen: Daß dannenhero von ihnen
die ungereimteſten und luͤgenhafftigſte dinge ausgeſprenget werden/ daß ich mich
uͤber des teuffels boßheit und unverſchaͤmte luͤgen nicht gnugſam verwundern
kan: Da wird vorgegeben/ daß die weiber predigten/ die maͤgde hielten unter ſich
ihre predigten/ es ſeyen neue quackereyen/ und was des abſurden weſens mehr iſt.
Und zwar ſind von ſolchen dingen nicht nur die ſtatt ſelbs/ ſondern auch benachbar-
te alſo eingenommen/ daß die meiſten ſolches behaupten/ auch wohl die vornehmſten
darauff ſtehen/ daß dergleichen dinge wahr ſeyen/ wo ich doch verſichert bin/ daß
Udas
[154]Das ſechſte Capitel.
das gerichte falſch/ u. ein heimlicher tuͤck des ſatans darunter verborgen iſt/ welcher
trachtet dem guten mit ausſprengung ſolcher falſchen dinge (die ich ſelbs/ wo ſie alſo
geſchehen/ wie ausgegeben wird/ nicht billigte) einen boͤſen nahmen und boͤſen ver-
dacht zu machen. Wolte aber die obrigkeit/ ſo wir auch darum erſuchet/ und die
zu inquiriren angefangen/ als ſie aber bald anfangs nichts gruͤndliches finden kun-
te/ gleich wieder nachgelaſſen hat/ die ſache fleißig unterſuchen/ ſo wuͤrde allen gar
bald gerathen ſeyn/ und Gottſeliger leute unſchuld bald gerettet werden. Es will
aber GOTT auch dero beſtaͤndigkeit pruͤffen/ ob ſie ihm nehmlich in dem guten
auch durch boͤſe und gute geruͤchte/ gehorſam bleiben wollen. Ach wie weit ſind
wir zu unſerer zeit verfallen/ daß da die laſter ungeſcheut die nahmen der tugenden
tragen/ hingegen die wahre Gottſeligkeit unter den veꝛhaſſteſten nahmen muß duꝛch-
gezogen oder wohl verfolget werden. Nun laſſet uns die ſache dem HErrn befehlen/
deſſen ſie iſt/ und nicht muͤde werden gutes zu thun/ daß wir auch zu ſeiner zeit ernd-
ten moͤgen ohn auffhoͤren. 8. Jan. 1677.


SECTIO III.


An einen vornehmenTheologum.Erklaͤh-
rung uͤber einige beſchuldigungen wegen meiner lehr/
col-
legii
und uͤbung des geiſtlichen prieſterthums/ auch
von ſolchem tractat.


WEil ich theils benachrichtiget worden/ daß vieles ungleiches von meiner
perſon und handlungen Euer Hochw. zu ohren gekommen/ theils leicht ver-
muthen mag/ daß dergleichen noch mehr geſchehen moͤchte: Auff daß dann
ſo wohl Eure Hochw. ſelbs einen gruͤndlichen bericht meiner intention haben/ als
auch mir die wohlthat thun moͤchte/ wo derſelbe nach von GOTT empfangener
gnade und mit vieler erfahrung bekraͤfftigſter prudenz mich in einigen dingen zu
erinnern finden ſolte/ dergleichen erinnerung und bey gefuͤgten Chriſtlichen raths
mich zu wuͤrdigen/ ſo habe mein hertz bey derſelben hierdurch ausſchuͤtten ſollen. Jch
weiß ſehr wohl/ und hoͤre es offt/ daß ſo hier in dieſer ſtatt mancherley reden und
urtheile gehen/ als auch anderwertlich hin ausbrechen uͤber ein und andere dinge/
welche entweder von mir in meinem amt geſchehen/ oder theils daß ich ſolche fovirte/
mir beygemeſſen wird. Es beſtehet aber vornehmlich ſolches in 3. ſtuͤcken. 1. Was
meine lehr betrifft/ daß in deroſelben ernſtlich auff die lebendige uͤbung des Chriſten-
thums treibe/ und weiſe/ wie kein anderer glaube ein wahrer und ſeligmachender
glaube ſey/ als der nach Lutheri worten einen gantzen anderen menſchen machet/
und das leben allerdings nach goͤttlichen willen zu fuͤhren antreibet. 2. Das an-
dere gehet an diejenige habende hauß-uͤbung/ oder ſo nennendes Collegium, wor-
innen
[155]ARTIC. I. DISTINCT. II. SECTIO III.
innen von unterſchiedlichen jahren die ſchrifft leſe/ einfaͤltig erklaͤhre u. andern ſrey
laſſe/ ihre einfaͤltige meinung/ was etwa zu der erbauung dienlich/ unter meiner
obſicht/ und wo es noth iſt verbeſſerung/ mit bey zutragen. 3. Daß von einiger
zeit her etliche gute gemuͤther/ wo ſie zu weilen bey gelegenheit zuſammen gekom-
men/ ſich unter einander erinnert/ die Schrifft mit einander geleſen/ und ſich davon
Chriſtlich unterredet/ um alles auch in die praxin zu bringen/ und es alſo nicht/
wie ſonſten leider ſo offt geſchiehet/ allein bey dem unfruchtbahren wiſſen bleiben zu
laßen. Nun ſtehe ich in der guten zuverſicht/ daß wo jemand die rechte beſchaffenheit
nicht aus gemeinem gerichte/ u. von feindſeligen gemuͤtheꝛn eꝛdichteten erzehlungẽ/
ſondern wie ſich alles in der that verhalte/ erfahren/ ſo dann meinerintention gnug-
ſam erkaͤntnuͤß haben/ oder auch mein gemuͤth ſelbs tieffer einſehen wird/ daß von
allen ſolchen dingen viel einander urtheil fallen wird/ als wie in ermangelung obiger
conditionen, auch etwan von guten gemuͤthern/ ſo nur etwas obenhin davon ge-
hoͤret/ vielleicht geſchoͤpffet werden moͤchte. Zum foͤrderſten bezeuge mit gutem
gewiſſen/ hoffe auch daß die jenige/ ſo mit mir vertraulichen umgehen/ und alſo in
ſteter beobachtung den grund des hertzens tieffer zu forſchen vermoͤgen/ mir deſſen
zeugnuͤß unſchwehr geben werden koͤnnen/ daß in alle dieſen dingen u. fuͤhrung mei-
nes amts ich ja nichts von meiner eigenen ehre/ reichthum/ bequemlichkeit dieſes
lebens oder dergleichen hauptſaͤchlich ſuche/ oder darnach trachte: ja auch thoͤricht
wuͤrde ſeyn/ wo ich durch ſolche mittel/ welche jenem zweck gantz entgegen ſtehen/
dergleichen menſchliches ſuchen wolte. Es ſind in der gleichen dinge keine mittel/ da-
mit ehre zu erlangen/ ſondern verachtung der welt/ boͤſe urtheil von vielen leuten/ und
verleumdungen/ ſind das gewiſſe/ was derjenige vor ſich ſehen kan/ welcher auff
dergleichen wege tritt. Und ſuchte ich einige ehre in der welt/ ſo wuͤrde es etwa
auff andere wege geſchehen muͤſſen und koͤnnen: vor welchem geſuch aber mein
Gott mich gnaͤdig behuͤten/ und mir die gnade geben wolle/ wo noch etwas von ge-
ſuch eigener ehre bey mir ſich findet/ auch ſolches thaͤtlich abzulegen. Eben ſo we-
nig wuͤrden dieſes die mittel ſeyn/ zu guͤtern in der welt zu gelangen/ wo durch man
ſich mehr haß als gunſt der menſchen zu wegen bringet. So gibets auch keine
muͤßige tage oder bequemeres leben. Sondern meine einige abſicht iſt nechſt goͤtt-
licher ehr/ daß ich der mir anvertrauten/ und meine arme ſeele rette. Jch fuͤhre
mein amt mit furcht und zittern/ und erſchrecke vor dem gericht/ welches uns allen/
die wir den ſeelen vorgeſetzt ſind/ ſo viel ſchrecklicher bevorſtehet/ als mehr uns an-
vertrauet wird. Wo ich dann nun gedencke/ daß ich nicht weiß/ wie nahe ich ſol-
chem gericht ſeye/ und vielleicht naͤher als ich oder andere von mir gedencken moͤgen:
ſo ſehe ich ja wohl/ daß ich nicht urſach habe/ ſicher zu ſeyn/ ſondern von allen ſei-
ten zu ſehen/ ob ich nichts verſaͤume/ was ich wiederum zuerſetzen vielleicht keine friſt
mehr haben moͤchte. Jch leugne nicht/ daß ich offt nicht weiß/ mein gewiſſen zuſtille/
ſonderlich wo ich etwa mir ſelbs nicht gnug rathen kan/ und gleichwohl beyderſeits
U 2ſeelen
[156]Das ſechſte Capitel.
ſeelen-gefahr vor augen habe. Daher ich ſo offt die jenige gluͤcklich und ſelig prei-
ſe/ welche in faſt allen andern ſtaͤndten ihr heyl leichter wircken/ und weniger ſee-
len-angſt und gefahr auszuſtehen haben/ und wo in unſerer freyen willkuͤhr ſtuͤn-
de in oder auſſer amts zu leben/ wuͤrde ſolche ſorge offters mich bewogen haben/ lie-
ber mit Jona auff das meer zufliehen/ als dieſes gefaͤhrliche amt zutragen. Jſt
demnach allein der goͤttliche beruff/ und alſo gehorſam unter goͤttlichen willen/
das jenige/ welches mich haͤlt/ und manchmahl auffrichtet. Jn deſſen
ſolte in einigem von mir auch zu viel geſchehen/ darinnnen gern von
vaͤtern und bruͤdern dero gruͤndlichen unterricht und uͤberzeugung annehme/
ſo iſts aus keiner andern abſicht/ als das jenige zu thun/ was nach der erkaͤntnuͤß
ſo mir GOtt gegeben/ noͤthig erkenne/ meine ſeele zu retten. Was nun die 1.
aufflage anlangt/ wenn ich hie von vielen beſchuldiget werde/ ich machte die ſache
zu ſcharff/ und erforderte zu viel bey dem Chriſtenthum. So bin ich deſſen in mei-
ner ſeelen verſichert/ daß einmahl die lehr/ die ich in ſolchen und andern ſtuͤcken of-
fentlich in meinem amt treibe/ goͤttlichem wort und den Symboliſchen buͤchern/ ohne
einige außnahm/ gantz gemaͤß. Jch ſchreibe dem allerheiligſten leben/ welches ge-
fuͤhret werden koͤnte/ das aller geringſte verdienſt nicht zu: Jch erkenne unſer ei-
gene unvermoͤglichkeit zu allem gute/ welche hindert/ dz wir nicht zu der wahren voll-
kommenheit zugelangen vermoͤgen/ daß wir allerdings ohne ſunde waͤren. Hin-
gegen bekenne gern/ das ich ernſtlich treibe/ nicht nur auf die fruͤchte des glaubens
ſelbſt/ ſondern auch ſo fern ſie gantz noͤthign kennzeichen des glaubens ſeyen/ ohne
welche keiner wahrhafftig glaͤubig erkant werden moͤge. Jch ruͤhme danckbar-
lich die theure krafft unſers liebſten Erloͤſers und ſeines verdienſts/ aus dero wir
nicht nur allein die vergebung der ſuͤnden und gerechtigkeit/ ſondern auch die heili-
gung und die kraͤfften haben/ ein wahrhafftig Gott wohlgefaͤlliges/ von herrſchenden
ſuͤnden freyes/ unſtraͤffliches/ und ob wohl nicht von alleꝛ ſuͤndlichen befleckung annoch
gantz reines/ dannoch nach dem exempel unſers Heylandes in dem gantzen wandel
thaͤtlich eingerichtetes/ leben zufuͤhren: alſo gar/ daß wer auch dieſe gnade ſeines
Erloͤſers nicht will bey ſich kraͤfftig ſeyn laſſen/ ein ſolcher auch in dem uͤbrigem ſich
der gnade der rechtfertigung und ſeligkeit nicht getroͤſten moͤge. Jn dem der HErr
ſeine beyde wohlthaten ſo genau an einander verknuͤpffet/ daß wer die eine von ſich
ſtoͤſſet/ die andere auch nicht behalten mag. Solches alles zweiffele ich nicht/ daß
es eben die lehr ſeye/ welche Ew. Hochw. nicht weniger in ihrem amt treiben wer-
den; wie auch alle andere/ ſo mit ernſt das werck des HErrn ihnen laſſen angele-
gen ſeyn. Und gleichwohl wird es mit allhier von vielen ſo uͤbel auffgenom̃en/ weil
ich dieſelbe faſt immer fort repetire, als die ich vor das hauptwerck halte/ wor-
auff ich zu treiben habe/ und den ſchlaffenden hund etwa durch ſo offt wiederholtes
ruffen erwecke/ weñ er durch ein und ander zuſchreyen noch nicht rege werden will.
Es werden aber eben meine mit zugleich ſchickende Catechiſmus fragen auch hier-
innen
[157]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO III.
innen mir ein zeugnuͤß ſeyn/ daß ich in treibung des lebendigen thaͤtlich en Chriſten-
thums von der reinen wahrheit nicht abweiche. Was das andere nemlich meine
zu hauß gewoͤhnlich anſtellende uͤbung anlangt/ ſo iſt wiederum bey ſolcher arbeit/ die
mir doch des jahrs viele ſtunden/ (worinne ſonſten etwas ſparſamer zu ſeyn pflege)
wegnimmet/ keine abſicht auff etwas meines eigenen ſondern lauter allein/ weil
als erſtlich von gottſeligen gemuͤthern darum angeſprochen werden/ und deroſelben
habenden zweck goͤttlicher ehre und ihrer erbauung erkant/ ihnen mit gutem gewiſ-
ſen aushanden gehen zukoͤñen nicht geſehen/ nochſolche aber offters wahrgenom̃en/ dz
auch der zweck der geſuchten aufferbauung aus goͤttlicher gnade u. ſegen bey unter
ſchiedlichen erfolget/ hingegen nicht allerdings erhebliches dargegen biß dahero ge-
bracht/ ſondern auch von vortrefflichen Theologis entweder insgeſamt ſolche
exercitia bekraͤfftiget/ oder doch/ welche nicht gern ſehen/ daß es promiſcue
von andern imitirt wuͤrde/ das meinige gleichwol gebilliget/ und ich zur continu-
i
rung angefriſchet/ von keinem aber/ daß ſolches abzuſtellen haͤtte/ erinnert wor-
den/ ſo ich mich gleichwol verſichere/ in ſolchen fall wuͤrde geſchehen ſeyn/ und haben
geſchehen ſollen. So iſts auch erſtlich mit rath und gut befinden unterſchiedlicher
unſers Collegii, welche auch als lange ihre geſchaͤffte ſolches ihnen vergoͤnnet/ ſich
mit dabey eingefunden/ angefangen worden. Wie nicht weniger die damahlige
Scholarchæ, als unſere vorgeſetzte in rebus eccleſiaſticis, ſolches gewußt/ auch
abſonderlich mit einigen davon damahl geredet/ von ihnen gebillichet/ und ſolches
mit zulaſſung/ daß die ihrige ſelbſt es beſuchten/ bezeuget worden. Hingegen iſt
nicht ein einigesmahl weder von geſamten Herrn/ oder einem einigen gegen mich
ſelbſt/ einiges mißfallen conteſtiret oder angedeutet worden. So wird auch
ſolches alſo angeſtellet/ daß jeglichen erlaubt dazu zukommen/ daß alſo da nichts
heimliches tractiret, oder vorgenommen wird/ da nicht ſo viele zeugen dabey waͤ-
ren/ welche was vorgegangen oder vorgehe wiſſen/ und hoͤren wuͤrden: Die mir
noch darzu meiſtens bekant ſind/ wie wohl wo die erlaubnuͤß haͤtte/ ich ſolches exerci-
tium
noch viel lieber ſelbſt in der kirche/ da mehr bequemlichkeit waͤre/ zuhalten
verlangte.


Das 3. ſtuͤck betreffend/ ſo bekenne gern/ das etwa von 4. monaten/
nachdem mit neu angefangenem methodo bey dem neuen kirchen-jahr/ wo ich
vorſchlag gethan zu leſung der Schrifft/ die zu hoͤrer beſſer anzufriſchen und anzu-
fuͤhren/ ſolche treulich erinnert und vermahnet mit rechtſchaffenem ernſt ihnen ihr
Chriſtenthum und das wachsthum deſſelben angelegen ſeyn zu laſſen/ unterſchied-
liche gute gemuͤther/ ſo vielmehr eyffer gefaſſet/ daß ſie theils jeglicher vor ſich ſelbſt
das goͤttliche wort fleißiger unterſuchte/ theils einige hauß-vaͤter und hauß-muͤttern
mit den ihrigen ſolches zu thun/ oder mit zuziehung eines erforderten Studioſi,
thun zu laſſen/ ſich reſolvireten, theils bey beſuchungen und der gleichen zuſam-
men kuͤnfften/ da ſie zu einem geſpraͤch eine gelegenheit haͤtten/ ſich derſelbigen ge-
U 3brauch-
[158]Das ſechſte Capitel.
brauchten/ zu erbaulichen geſpraͤchen/ wiederhohlung der in der predigt vorge-
kommene texte oder anderer bibliſchen ſpruͤche/ und aus ſolchen flieſſenden ver-
mahnungen untereinander: ohne das jemahl geſucht worden/ etwas hohes/ und
was uͤber den captum der einfaͤltigen waͤre/ vorzunehmen/ oder damit ſich auff-
zuhalten. Es iſt aber bald ein ſolches/ zweiffel frey anfangs von den jenigen/ wel-
che den guten entgegen ſind/ auff das uͤbelſte auffgenommen/ und ſo viel fabeln
von weiber- und maͤgde-predigten/ quackereyen und gantz albern dingen ausge-
ſprengt worden/ da wo ich oder einige andere/ ſo den grund recht wiſſen wolten/ mit
fleiß erforſchung gethan/ ſich endlich im̃er gefunden daß gar nichts daran/ oder das
beſt-gethane auffs allerſchaͤndlichſte mißdeutet worden. Es wurden aber ſolche
falſche ſpargimenten mit ſolchem ſchein/ auch mit ſolchem fleiß etlicher/ die wohl
gefallen daran hatten/ ausgebreitet/ daß auch wohl gute gemuͤther/ welche der-
gleichen ſo vieles hoͤreten/ nicht wohl anderſt gedachten/ als es koͤnte nicht anders
ſeyn/ als ſie hoͤreten/ und wo es wahr waͤre/ nicht anders als zu mißbillichen urſach
haͤtten. Wir haben auch in unſern Collegio von der ſachen gehandelt/ was da-
von gehoͤret worden/ und geſchloſſen/ daß wir die bruͤderliche erbauung unterein-
ander nicht verwerffen koͤnten/ noch das gute zuhaͤm̃en urſach haͤtten/ gleich wohl
ſorgfaͤltig acht geben wuͤrden/ wo jemand uͤber die ſchrancken ſchreiten wolte/ deme
dann in ſanfftmuth und liebe ſolches zu remonſtriren waͤre. Damit auch ſo wol
ſolche gute gemuͤther wiſſen moͤchten/ wie ſie ſich inner ihren ſchrancken zuhalten/
als andere lernen ſolten/ wie ſie dergleichen anzuſehen/ ſo habe einige hierbey mit
gehende fragen von dem geiſtlichen prieſterthum auffgeſetzt/ collegialiter
verleſen/ und meiner Herrn collegarum cenſenſum daruͤber ſamptlich erhalten/
auch darauff publiciret: Damit alſo jeglicher wuͤſte/ wie weit er hierinnen zu-
gehen/ oder nicht zu gehen haͤtte. So viel wurde bey uns gethan/ als nemlich wir
zu thun vermochten/ erwartende/ ob unſere Herrn und Obern ihres orts etwas auch
mit unſern Collegio aus derſache handlen/ oder conferiren wolten/ ſo zwar noch
bißhero nicht geſchehen iſt. Weder ich noch meine geliebte mit-bruͤder verlangen
gar nicht einige confuſion, und werden nicht zugeben/ daß jemand unberuffenes
unſere Cantzel/ oder etwas des offentlichen predig-amts/ einnehme/ oder ſich deſſen
anmaſſe. Dahero wo ſich der gleichen befinden ſolte/ wir darinnen zu remedi-
ren befliſſen ſeyn wuͤrden. Es hat ſich aber noch biß dahin in dem unterſuchen nichts
ſo der andung werth geweſen/ gefunden. Wie aber auch in das kuͤnfftige nichts
an wachſamer ſorgfalt unterlaſſen werden ſolle. Wie ich hingegen hoffe/ daß in-
ner den ſchrancken/ die alſo geſetzet ſind/ chriſtliche Theologi der mutuæ ædifi-
cationi
ſich nicht widerſetzen/ oder ſolche unbilligen werden. Wie dann ſonder-
lich der guten zuverſicht gelebe/ wofern E. Hochw. ſeiter andern und zwar den ins-
gemein ausgeſprengten/ auch vonſo vielen vornehmen allhier geglaubten/ bericht
ein-
[159]ARTIC. I. DISTINCT. II. SECT. IV.
eingenommen/ und wie es nicht anders muͤglich waͤre/ daraus ungleiche gedancken
gefaßt haben ſolte/ daß hingegen dieſer in gruͤndlicher warheit gethane bericht/ de-
roſelbigen voͤllige ſatisfaction geben werde. Dahero auch meiner ſchuldigkeit er-
achtet/ ſolchen bey Ew. Hochw. als dem uns allhier nechſten vornehmen
Theologo, deme daran gelegen/ unſerer ſache gute und gruͤndliche kundſchafft
zu haben/ abzuſtatten/ und dadurch gelegenheit zu geben/ wo hievon geredet wuͤr-
de/ das jenige darzu zureden/ was nachgefaſſter ſolcher ſache beſchaffenheit/ die
warheit und Chriſtliche liebe ſelbſt erfordern/ als wozu ſie ohne das willig und ge-
neigt ſeyn werden. Solten aber dieſelbige in dieſem oder vorigen ſtuͤcken/ nach
der von GOtt verliehenen gnade und erfahrung/ anders zeigen koͤnnen/ daß der
ſuchende zweck der gottſeligen erbauuug auff andere weiſe nachtruͤcklicher erhal-
ten/ und zu wegen gebracht moͤchte werden/ ſo quitire ich gern meine vorſchlaͤge/
wo ſie mit andern beſſer und nuͤtzlicher koͤnnen erſetzt werden: als deme es ja nur
nicht an mir ſelbs/ ſondern wie das/ was mein GOtt von mir erfordert/ und der-
mal eins dorten darvon rechenſchafft begehren wird/ moͤge am kraͤfftigſten werck-
ſtellig gemacht werden/ gelegen iſt. Dieſes iſt das jenige/ ſo ich in hertzlichen ver-
trauen und gleichſam mein gantzes hertz/ bey E. Hochw. habe ausſchuͤtten/ und
demnach mir ein ſolches muͤndlich zuthun/ die gelegenheit nie fuͤgen wollen/ ſchrift-
lich es thun wollen. Der guten zuverſicht gelebende/ daß Ew. Hochw. dieſe mei-
ne offenhertzige communication freundl. auffnehmen/ und wo dieſelben erken-
nen/ wie ich mein amt mit mehrer frucht zu der ehre unſers groſſen GOttes fuͤhren
moͤge/ als wo nach meine meiſte begierde ſtehet/ mir ein ſolches aus vaͤter- und bruͤ-
derlichen gemuͤthe mittheilen/ und alſo an mir und meiner gemeinde ein gutes werck
zuthun ſich nicht ſchwehr laſſen werde. Warum ich gehorſamlich bitte/ und von
den Geber alles guten/ alles was zu menſchlichen/ Chriſtlichen und Theologiſchen
wohlweſen gehoͤret/ eyfferig und mit einfaͤltigem hertzen anwuͤnſche. 7. April.
1677.


SECTIO IV.


Von denpiis deſideriisund derenpraxi;wie ſie
anzuſtellen/ und was zu hoffen.
Myſtici.
Holland.


DAß demſelben meine pia deſideria gefallen/ habe mich zu erfreuen/ und
GOtt davor hertzlich gedancket. Jch bin in meiner ſeelen verſichert/ daß
ichs hertzlich meine/ und wie gern wolte ich/ daß ſo viel zu effectuirung des
wercks zuthun als vorſchlaͤge zu zeigen vermoͤchte. Da weiſen ſ[i]ch aber der
difficulteten ſo viele/ daß wo das werck nicht des HErrn waͤre/ man billich alle
hoff-
[160]Das ſechſte Capitel.
hoffnung/ ſtang und ſtab fallen laſſen ſolte. Aber weil es des groſſen GOttes
ſache iſt/ ſo bin verſichert/ er werde endlich dieſelbe nicht ſtecken laſſen. Nur ha-
ben wir ihn inbruͤnſtig anzuruffen/ daß er uns mit ſeines heiligen Geiſtes gnade da-
zu erleuchten wolle; daß wir in allem ſeinen heiligen willen rechtſchaffen erkennen/
und nachmahl ihn getroſt auch werckſtellig machen koͤnnen: Wozu ſo wenig
menſchliche weißheit als krafft genugſam iſt/ ſondern beyde von oben her kommen
muͤſſen. Jch habe durch meines GOttes gnade den vorſatz gefaßt/ menſchen-
gunſt vor mich nicht zu ſuchen/ ob ich wol in vielen ſtuͤcken dieſelbe gar nicht mit fuͤſ-
ſen trete/ noch von mir ſtoſſe/ wo ich deroſelben gebrauch zu dem werck des HEr-
ren einigerley maſſen nuͤtzlich meine zuerkennen: als der ich mich nicht wenig fuͤrch-
te/ daß/ in dem wir der kirchen helffen wollen/ die mittel/ ſo ſie nicht kluͤglich ange-
wendet werden/ gefaͤhrlicher als das uͤbel ſelbs ſeyn oder werden moͤchten: Dahe-
ro in gegenwaͤrtiger zeit die regul guͤltig ſeyn laſſe Luc. 9/ 50. Wer nicht wi-
der uns/ der iſt fuͤr uns.
Wes wegen noch nicht alle diener der kirchen oder
gelehrte dahin noͤtige/ daß ſie ſich wuͤrcklich heraus laſſen/ oder einen theil des haſ-
ſes und darauff folgender beſchwehrde ſo bald auff ſich laden ſolten/ ſondern bin
auch mit den jenigen wohl zu frieden/ und ſuche dero freundſchafft auff alle er-
laubte weiſe zu unterhalten/ die ſich der befoͤrderung der gottſeligkeit nur nicht wi-
der ſetzen: und achte deswegen/ daß wir allein die jenige offenbahr anzugreiffen ha-
ben/ welche die ſo ſcheinbarlich vor augen leuchtende greuel und mißbraͤuche offen-
bahr vertheidigen/ billichen und verfechten: Wiewol auch gegen dieſelbe etwa nicht
gern weiter gehe/ als die nothwendigkeit erfordert. Und glaube/ wir werden viel-
leicht mehr auch bey denſelben ausrichten/ wo wir in allen eyffer gegen dieſelbe/
(welcher freylich gebraucht werden muß) auch ſo viel geſchehen kan/ eine groſſe
ſanfftmuth und gedult gegen die offenbahre feinde der gottſeligkeit uͤben. Wie
wir ſehen/ wie die erſte Chriſten gegen die Heyden zuthun pflegten. Ferner ſo
habe offt bey mir ſelber erwogen/ wie die ſache anzugreiffen/ endlich aber bin auff
die gedancken gefallen/ in dieſem jetzigen ſo verderbten zuſtand der kirchen/ wo wir
kaum der ordnung nachzugehen vermoͤge/ koͤnne von uns nicht ſo wol derſelben ge-
rathen werden/ in denen pflichten/ welche wir gegen die boßhafftige verrichten/ die-
ſelbe zu bekehren/ als vielmehr in den jenigen/ mit welchen wir die guͤte bey denen
ſo bereits aus GOttes gnade einen trieb dazu haben/ nach allen vermoͤgen ſuchen
zu befoͤrdern/ und alſo nach dem wir das aͤuſſerliche ſo verderbte corpus nicht aͤn-
dern koͤnnen/ ſondern muͤſſen es laſſen und die ſache GOtt befehlen/ in demſelben
und aus demſelben allgemach einige gute ſeelen zu ſammlen/ die zu einer Eccleſi-
ola in Eccleſia
perſonen geben moͤgen: Auff daß nachdem dieſelbe in den gu-
ten beſteiffet/ und weit gebracht/ ihr exempel ſamt unſrer lehr zur beſſerung der an-
dern/ die ſich noch beſſern wollen laſſen/ uns helffen moͤgen. Daher gehet mein
und anderer einiger meiner treuen mit-arbeiter allhier/ ſcopus vornehmlich da-
hin/
[161]ARTIC. I. DIST. II. SECT. IV.
hin/ das wir zwar nicht unterlaſſen/ offentlich in den predigten/ auch den boͤſen
ernſtlich zuzuſprechen/ und deroſelben vermeinte effugia, damit ſie ſich zu helffen
meinen/ nach muͤglichkeit zu benehmen/ und ihnen nachtruͤcklich genug zu weiſen/
daß ſie bey herrſchenden ſuͤnden keinen theil an Chriſto haben. Wir unterlaſſen auch
nicht bey erheiſchender gelegenheit in particulari den jenigen/ welche ſich
nicht beſſern wollen/ beweglich zu zuſprechen/ und wie ihnen alle abſolution und
communion, wo ſie uns dieſelbe abtringen oder abbetriegen/ nichts nutzen ſon-
dern mehr ſchaͤdlich ſeye/ vor augen zu legen: Ob wir wol nachmahl die ſaͤue
nicht gnug abhalten koͤnten/ daß ſie nicht ihnen das jenige zu eignen/ was ihnen nicht
gebuͤhret. Aber ſolches halte ich das wenigſte in meinem amt/ in dem ich leider
nicht viel ſehe daß damit außrichte: das meiſte ſetze alſo darein/ daß/ nach dem
GOttt unterſchiedliche gute ſeelen gezeigt/ welche mit hertzlichem eyffer ihn zu die-
nen trachten/ ſolchen lieben leuthen alle gelegenheit und vorſchub gegeben werde/
ſich immer mehr mit uns und unter ſich zu erbauen: Dabey wir auch durch GOt-
tes gnade ſehen/ daß es nicht ohne frucht abgehe/ und ſo wohl ſie ſelber wachſen als
immer andere mehrere durch ihr exempel ſich dazu gewoͤhnen: Dero zahl vermit-
tels goͤttlichen ſegens immer vermehret zu werden hoffe. Damit nun ſolche liebe
leute des dienſtes treuer ſeel-ſorger nicht moͤchten allzu fruͤhe beraubet/ oder an-
dern/ die noch dazu moͤgen gewonnen werden/ ſolche gelegenheit entzogen werden/
ſo haben wir/ was ſonſten unſer recht und macht gegen die halßſtarrige erfordert/
nicht mit dem ernſt bißher fortgeſetzet/ und drauff getrungen/ als vielleicht viele von
uns haͤtten verlangen moͤgen/ worauff aber ohne zweiffel die remotion erfolget
waͤre/ oder erfolgte/ die wir unſers ortes/ und nach dem jenigen/ was zu unſrer ei-
genen beruhigung gehoͤrte/ als eine wolthat anſehen wuͤrden/ aber der kirchen und
den jenigen ſeelen/ die noch alſo erhalten werden koͤnnen/ nicht nuͤtzlich finden/ und
deswegen/ wo wirs endlich wagten/ nach dem wir den ſchaden ſehen wuͤrden/ ein
ſchwehrer gewiſſen ſorgen muͤßten/ alß uns jetzo offters gemacht wird/ wo wir man-
ches unterlaſſen muͤſſen/ was in anderm ſtand der kirchen goͤttliche ordnung von uns
erforderte. Der HErr regiere uns alle mit ſeinem Geiſt/ und gebe uns zuerken-
nen/ was in jeglichem ſein wolgefaͤlliger wille ſeye. Was der Herr gedencket von
den guten ſeelen/ mit denen er umbgehe/ und von GOTT in der wuͤſte mit vieler
ſchwachheit und finſternuͤß gefuͤhret und geuͤbet werde/ laſſe ich ſeines orts beruhen/
und habe nicht vermeſſentlich zu urtheilen/ was mir nicht zur gnuͤge bekant. So
habe auch von den myſticis autoribus wenig geleſen; ohne den Taulerum, fer-
ner Hugonem de Palma, ſo dann von denen etwas neuern/ Matth. Weyer/
(ſo fern derſelbe auch hieher zu ziehen) Joh. Evangeliſtam und Chr. Hobur-
gen.
Jn unterſchiedlichen habe viele vergnuͤgung gefunden/ in andern ange-
ſtanden. Das meiſte aber/ ſo mich offt ſtutzen gemacht/ auch noch jetzo irret/ iſt dieſes/
daß in der lieben Schrifft faſt wenig anleitung finde zu der art und methodo, ſo
von denen ſelben ſonſt wolmeinenden leuthen in unterſchiedlichen ſtuͤcken/ (dann
Xmit
[162]Das ſechſte Capitel.
mit den gemeinen hat es ſeine richtigkeit/) vorgeſchlagen wird. Und ſcheinet jene
mit vielmehr einfalt den rechten weg uns zuzeigen/ da hingegen in dergleichen me-
thodis,
wie einfaͤltig ſie das anſehen haben/ etwa mehr kunſt und bemuͤhung des
gemuͤthes iſt/ als auff dem in der Schrifft deutlich gewieſenen weg des liebreichen
glaubens und glaͤubiger liebe/ ſo dañ nach derenſelben anſtellenden wircklichen nach-
folge JEſu. Jedoch wie jeglichen der HErr ſeine gabe gegeben hat/ dieſelbe
wende er an/ zu des gebers heiligen ehren und des neben-menſchen erbauung. Jm
uͤbrigen ſehe ich taͤglich mit betruͤbten augen an/ die hereinbrechende ſchroͤckliche ge-
richte GOttes/ dero anfang wir bereits fuͤhlen/ und hingegen den außgang nicht
uͤberſehen koͤnnen. Vor unſer Evangeliſche kirche kan ich wenig gutes hoffen/ ſon-
dern daß ſie ihrem GOtt eine ſchwehre heimſuchung ſchuldig ſeye/ und wie ſie mit
den ſuͤnden Babels viele gemeinſchafft gehabt/ alſo auch deroſelben ſtraffe theil-
hafftig werden ſolle/ ja das gericht von dem hauſe des HErrn anfangen muͤße. A-
ber ach daß es nur eine verfolgung um des HErrn und ſeines nahmens willen/ nicht
aber eine gerechte außgieſſung des zorns uͤber das greuel-weſen/ waͤre. Von
Holland habe bißher die hoffnung mehr als von einigen ort gehabt/ daß der HErr
daſelbs nicht nur viele guter ſeelen werde behalten/ ſondern auch durch neuliche
zuͤchtigung viel gutes bey vielen gewuͤrcket haben/ ja daß es das ort moͤchte ſeyn/
wo etwa GOtt vielen den ſeinigen/ ſo anderwertlich weichen muͤßten/ ihre herberge
und zuflucht beſtim̃et haben moͤchte. Daher mich hertzlich betruͤbet und erſchrecket/
was mein Herr davon ſchreibet und ſorget. Wie wuͤnſchte ich meines orts/ daß un-
ſre hieſige ſtatt oder gegend auch ein ſolcher platz ſeyn moͤchte/ aber die unſere hieſi-
ge beſchaffenheit wiſſen/ werden demſelben mit mehrerem erzehlen koͤnnen/ was vor
wetter uͤber unſeren haupten ſchweben/ ja faſt anfangen auszubrechen/ daß die
uͤbung der gottſeligkeit dermaſſen verhaſſet/ daß der teuffel erſtlich mit ſeinen luͤ-
gen und falſchheit durch die ſchaͤndlichſte calumnias und laͤſterungen/ ſo weit und
breit vor wahrheit erſchollen/ ſie zu unterdrucken geſucht/ auch ſo bald einige nicht
boͤſe gemuͤther von fortſetzung eines guten anfangs abgeſchrecket/ nach dem aber
ſolches noch nicht gelungen/ andere gewaltſame mittel vornehmen doͤrffte; daß
wir vielmehr anderswo unſere zuflucht abſehen muͤſſen/ als jemand bey uns die we-
nigſte ſicherheit verſprechen moͤchten. Die boßheit iſt faſt aller orten auff das hoͤch-
ſte geſtiegen/ aber eben deßwegen muß es brechen. GOTT weiſet hingegen
auch faſt aller orten eine vorhin ungewohnte und ungemeine bewegung in vielen
gemuͤthern unter gelehrten und ungelehrten (doch dieſen faſt mehr) die ſchreckli-
che verderbnuͤß alles euſſerlichen religion-weſens innerlich zuerkennen/ und nach
beſſerung zu ſeufftzen. Welcher kleine anfang nach GOttes willen bald zuneh-
men mag/ mir aber vorkommt/ als die erſte augen der ausſchlagenden baͤume/
daraus wir die naͤhe des vor dem ewigen ſommer vorgehenden lieben fruͤhlings
abneh-
[163]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO V.
abnehmen ſollen. Nun der HErr thue/ was ihm wolgefaͤllet/ und erfuͤlle ſei-
nen rath/ uns aber gebe er/ daß wir auch denſelben erkennen/ und ihm gemaͤß
uns anſchicken. 15. Maj. 1677.


SECTIO V.


Ableinung falſchen gerichts/ ob haͤtte zu dem
Papſtum eine zuneigung.


DAß ich mit gegenwertigen denſelben zu behelligen mich erkuͤhne/ verurſacht
mich/ daß ich in erfahrung kommen/ das mein hochgeehrter Herr Pfarr-
her in Maͤyntz/ auch nachmahl von andern unſerer religion zugethanen da-
ſelbſt herkommenden/ perſonen benachrichtiget worden/ wie daß die Jeſuiten in
ſolchen Maͤyntz ſonderlich zuneigung zu mir tragen/ und offentlich ruͤhmen/ daß
ich/ bald allerdings zu ihnen uͤbertreten wuͤrde. Wie ich nun allerhand laͤſterun-
gen/ die von mir hin und wieder ohnverſchuldet ausgeſprenget worden/ laͤngſten
gewohnt geweſen/ und ſolches mir keine fremde ſache mehr iſt alſo iſt mir zwar
lieb/ daß dergleichen hoͤre/ was ſolche leuthe/ deren ich niemand kenne/ wie ich dann
keinen Jeſuiten daſelbſt mit namen/ weniger weiter und abſonderlicher kenne/
von mir außreden/ mich darnach habende zu richten/ alſo wuͤrde ich ſolches gerich-
te/ wie andere mehrere/ die von mir außgehen/ gantz verachtet/ und ohnbeantwor-
tet haben hingehen laſſen/ als deſſen falſchheit und eitelkeit ſich doch endlich ſelbſt
zeigen muß: Wo nicht dabey verſtanden haͤtte/ daß einige gute gemuͤther von den
unſrigen ſich daran geaͤrgert/ und wo ich abfallen wuͤrde/ zu gleichen gedancken ge-
neigt ſeyn moͤchten. Weilen dann ſolchen guten leuthen etwa durch niemand an-
ders ſo wol als E. Wohl-Ehrw. geholffen und ſolcher ſcrupel genommen werden
kan/ als habe die freyheit nehmen wollen/ deroſelben dieſes wenige zuzuſchreiben
und zu bitten/ ſich deſſelben nach befinden an orten und bey perſonen/ da ſolches
noͤthig und zu abwendung aͤrgernuͤß dienlichen erachtet/ ſich zugebrauchen. Jm
uͤbrigen die ſache ſelbſt anlangende/ kan ich nicht begreiffen/ woher nur ſolche ver-
muthung kommen muß. Jn dem ich nicht nur allein bey gelegenheit der materien
die Roͤmiſch-Paͤpſtiſche offentlich in den predigten refutire/ auch in meinen weni-
gen Schrifften/ die vor dem tage ligen/ ihrer nicht ſchohne/ ja außtruͤcklich be-
zeuge/ daß das Roͤmiſche Papſtum das jenige Babel ſeye/ uͤber welches GOtt
noch ſein ſchroͤckliches gericht außgieſſen werde/ welches ja keine anzeigungen ſeind
eines menſchen/ der die geringſte inclination zu ihnen hat. So ſtehe ich auch in
keiner nur indifferenten, geſchweige geiſtlichen briefflichen correſpondenz mit
einigen Roͤmiſchen Paͤpſtlichen geiſtlichen/ habe auch ſonſten keine kundſchafft mit
einen einigen/ weder zu Maͤyntz noch ſonſten/ darauß jemand die geneigſte ſchein-
bare vermuthung oder argwohn zu ſchoͤpffen anlaß haͤtte. Das iſt zwar war/
X 2daß
[164]Das ſechſte Capitel.
daß ich erkenne/ daß auch leider unſere Evangeliſche kirche/ ob uns wol durch
goͤttliche gnade die reine bekaͤntnuͤß der lehre uͤbrig geblieben/ ſehr groſſe maͤngel
und fehler in dero uͤbrigen verfaſſung habe/ daß wir uns nicht groß ruͤhmen koͤn-
nen einer reinen kirchen/ ſondern einer ſtarcken reformation noͤthig haben. A-
ber faſt alles/ was bey uns ſtraͤfflich/ ſeind lauter reliquiæ, die aus dem Papſtum
herkommen/ und gehet uns wie den Jſraeliten/ die die in Babel angenommene
ſitten zimlich lang/ als ſie ſchon in das Juͤdiſche land wieder gekommen waren/ nicht
ablegen kunten. Dahero ich mehr verlange/ daß wir noch von ſolchem ankle-
benden Babeliſchen ſauerteig moͤchten vollends gereiniget werden/ als daß ich ſol-
cher unter allen/ die den nahmen Chriſti tragen/ allerverderbteſten kirchen naͤher
zu treten verlangte: in dem das gantze Papſtum als Papſtum ſchon/ wo es kei-
ne andere irrthum haͤtte/ darinnen am uͤbelſten vor anderen gemeinden beſchaffen
iſt/ daß es der kirchen autoritaͤt/ und alſo menſchen anſehen/ zum principio fidei
machet/ da noch alle andere auffs wenigſte der bekaͤntnuͤß nach/ das einige GOttes
wort/ wie daſſelbe aus ihme ſelbſt durch des heiligen Geiſtes erleuchtung erkandt
wird/ zum grunde des glaubens legen. Weswegen wo man Paͤpſtiſcher ſeiten
ſchon frey gebe/ allen ihren irrthumen/ von der anruffung der heiligen/ fegfeuer/
meß/ und anderen/ dergleichen/ nicht bey zupflichten/ ich vor allen ſolchen irrthu-
men keinen ſolchen abſcheu habe und haͤtte/ wie ſehr ſie mir auch ein greuel ſind/ als
vor den jenigen haupt-articul/ in welchen ſie bey keinen menſchen diſpenſiren, nem-
lich die Roͤmiſche kirche/ dero autoritaͤt und gewalt in glaubens-ſachen/ zu erken-
nen; ſo mir der greuel aller greuel iſt/ auff einigen menſchen oder menſchliche ver-
ſamlung meinen glauben zu gruͤnden. Daher aus ſolchem/ ob ich auch wol die
anderen ſecten/ welche auſſer unſerer Evangeliſchen kirchen ſtehen/ auch nicht billi-
ge/ gleichwol am allerweiteſten in ſolchen puncten von der Roͤmiſchen kirchen abge-
he. Sonſt bin ich auch nicht in abrede/ daß ich in ſolcher kirchen ein und andere
feine anſtalten lobe/ und offt wuͤnſchete/ dergleichen bey uns zu haben/ ſind aber
lauter ſolche ſachen/ welche vor denen in dieſen ſtand gerathenen Papſtum auff-
gekommen/ und von der aͤltern kirchen her entſprungen ſeind/ wozu die Roͤmiſche
nichts anders gethan/ als die erſtlich gute inſtituta verderbet. Daher bey der
reformation unterſchiedliches gar abgeſchaffet worden/ deſſen mißbrauch ſo groß
geweſen/ daß er kaum mehr von dem wahren gebrauch hat unterſchieden werden
koͤnnen. Alß ob ich wol ein und anders in dem Papſtum an ſich ſelbſt vor gut und
nutzlich achte/ ſo verwerffe ichs gleichwol auff die art und weiſe/ wie es in dem Pap-
ſtum iſt/ dermaſſen/ daß ich lieber wuͤnſche/ ſolche dinge in unſerer kirche nicht zu ha-
ben/ als auff dieſe art/ wie ſie bey den Roͤmiſchen in dem ſchwange ſind. So ber-
ge ich auch nicht/ daß ich glaube/ GOtt habe auf dieſe ſtunde in der aͤuſſerlichen ge-
meinſchafft der Roͤmiſchen kirchen viel guten ſamen/ und gleichſam knie/ die ſich
nicht gebeuget haben vor den Baal/ die in ihrer einfalt des glaubens an Chriſtum
und
[165]ARTIC. I. DISTINCT. II. SECTIO V.
und gottſeligem leben einhergehen/ ſich der greuel ihrer kirchen nicht theilhafftig
machen/ und weil ſie keine beſſere kirche wiſſen oder verſtehen/ mit ſeufftzen ihrem
GOTT dienen/ nicht anders als unſere liebe vorfahren in den zeiten vor dem ſe-
ligen Luthero. Jch kan mich auch offters nicht genugſam verwundern uͤber die
wunderbare regierung GOttes/ welcher zu weilen ſelbſt einige unter den gelehrten
Papiſten zu weiterer erkaͤntnuͤß der wahrheit in den jenigen articuln/ worinnen ih-
re kirche ſonſten von denſelben abgehet/ gelangen/ und anfangen ihrem GOTT
in ihren hertzen gar anders zu dienen: Die aber von GOtt auf eine mi[r] unbegreif-
liche art gehalten werden/ daß ſie dannoch die wahrheit unſerer kirchen nicht erken-
nen/ noch abſehen koͤnnen/ wie ſich dazu zu verfuͤgen vermoͤgten: Da ich ſelbſt nicht
faſſen kan/ wie ſie bey ſolcher erkaͤntnuͤß annoch in der gemeinſchafft ihrer kirchen
bleiben koͤnnen/ ohne/ daß ich achte/ daß ſie GOTT etwa durch enthaltung wei-
teren liechts zuruͤck halte/ damit annoch durch ſie ein und andere einfaͤltige ſeele in e-
ben ſolcher ihrer kirchen erhalten werden/ gleich als waͤren ſie einiges noch uͤbriges
ſaltz/ damit ſolches orts nicht alles in der faͤule verderbe. Ob ich alſo wol noch ei-
nigen goͤttli[c]hen ſamen in dem Papſtum uͤbrig erkenne/ ſo iſts doch fern/ daß ich ei-
nigerley maſſen das Papſtum billigte/ daß ich noch vielmehr gute ſeelen bejamme-
re/ die noch in ſolcher finſternuͤß ſtecken/ und ſich nicht davon loßzumachen vermoͤ-
gen/ auch vor ihre fernere erleuchtung GOTT inbruͤnſtig anflehe. Aus ſolchen
ſiehet mein hochgeehrter Herr Pfarrer meine gedancken von dem Papſtum/ und
wie ſo weit/ wo es ſcheinen moͤgte/ daß ich etwas von dem Papſtum billigte/ davon
ſeye/ daß ich das Papſtum ſelbſt einigerley maſſen gut heiſſen/ noch jemand verſi-
chern wolte/ daß er ohne gewiſſe gefahr ſeiner ſeligkeit ſich zu demſelben verfuͤgen
koͤnte/ von dero billig alles/ wem ſein heyl lieb iſt/ außzugehen urſach hat. Da-
her ich nochmahlen wiederhole/ daß ich nicht ſehe/ was nur einige gelegenheit zu ſol-
chem ruff gegeben haben moͤgte. Es ſeye dann ſache/ daß die unwiſſende leuthe/
weil ich in meinen predigten und Schrifften ſtarck auff ein gottſeliges leben trei-
be/ und ſo offt bezeuge/ daß ich keinen wahren glauben erkenne/ der nicht in der lie-
be thaͤtig iſt/ und ſich mit eyferigſten gehorſam gegen GOTTES geboten/ und
alſo durch die wercke/ hervor thue/ darauß ſchlieſſen/ ich lehrete auff gut Papi-
ſtiſch/ von den guten wercken. Da mich aber ſolcher leuthe unmiſſenheit billig
dauret/ als die nicht wiſſen/ das unſere Evangeliſche religion viel eifriger auff die
gute wercke/ und zwar auff die rechte gute wercke und fleiß innerlicher
hertzens heiligkeit treibe/ wenn ſie uns zeigt/ daß wir nicht ohne die heiligung GOtt
ſehen koͤnnen/ als nimmermehr das Papſtum mit ſeinen vermeinten dienſtlichen
wercken zu thun ſich einbildet. Ja ich ſtehe veſt darauff/ daß aus der abſicht ei-
nes verdienſts/ wie bey ihnen gemein/ nicht ein einig warhafftig gutes werck geſche-
hen kan/ als welches nicht gut zu ſeyn oder genennet zu werden wuͤrdig iſt/ es ge-
X 3ſche-
[166]Das ſechſte Capitel.
ſchehe dann aus glauben und der erſten frucht deſſelben/ einer freywilligen auffrich-
tigen liebe/ welche fern von allem geſuch des verdienſtes iſt. Jndeſſen weiche ich
nicht einen finger breit von unſerer heiligen aus GOttes wort geſchoͤpfften leh-
re/ daß wir durch aus nicht durch einiges werck/ wie es nahmen haben mag/
ſondern allein durch den glauben ſelig werden. Welcher aber/ wie er
in goͤttlichem gericht ohne einiges zuthun der werck allein dasjenige iſt/ ſo uns
gerecht macht/ oder die gerechtigkeit von GOTT empfangt/ alſo iſt er nimmer-
mehr der wahre lebendige glaube/ wo er nicht voller guter wercke iſt. Wie der be-
kante loc. Luth. in der vorrede uͤberdie Epiſtel an die Roͤmer davon handelt. Finden
ſie alſo auch hierinnen in meiner lehr keinen gꝛund ihrer veꝛmuthung oder boͤßlichen
ausſprengung; wol aber eine uͤberzeugung/ dz uns faͤlſchlich võ ihnen auffgebuͤrdet/
und damit unſere lehr den guten ſeelen unter ihnen verdaͤchtig gemacht werde/ ob
waͤre dieſelbe/ den guten wercken gantz entgegen. Nach dem nun dieſes ſich der
maſſen verhaͤlt/ ſo ſtehet meine freundliche bitte an Eure Wohl-Ehrw. ſie geruhe-
ten denjenigen frommen gemuͤthern unſerer religion ſo ſich daruͤber haben aͤrgeren
wollen/ mit vorweiſung dieſes denſcrupel zubenehmen/ zugleich aber ſie zu erinnern
daß ſie gleichwohl ihren glauben auff keines menſchen/ weder mein oder einiges
andern autoritaͤt oder beſtaͤndigkeit gruͤnden ſolten/ ſondern ſich fer-
ner erbauen auff ihren allerheiligſten glauben/ dabey beſtaͤndig bleiben/
und mit ihrem gantzen leben durch heiligen und wuͤrdigen wandel den
Evangeliſchen beruff und ihrer religion zieren: als ohne welches ihnen
ohne das die Evangeliſche bekantnuͤß ſchlechten nutzen/ ſondern ſchwehrer ge-
richt bringen wuͤrde. Wo auch dieſelbe anderwertlich ferner hoͤren ſolte/ bitte ich
gleichfalls der wahrheit zu ſteur und rettung meiner unſchuld die Chriſtliche liebe
zu erweiſen: welches nicht um mein ſelbs willen/ ſondern allein wegen abwendung
des aͤrgernuͤſſes bitte/ dabey GOTT hertzlich anruffe/ welcher ſolchen leuten/ die
dieſe laͤſteruug anfangs erdacht/ oder nachmahl mit willen ausgebreitet/ ihr unrecht
zu erkennen geben und folglich gnaͤdigſt verzeihen wolle.


SECTIO VI.


Nutzen der brieffe. Auffmunterung. Zuſtand
in Franckfurt.


SO angenehm mir deſſelben liebe gegenwart und damahl gepflogene Chriſtli-
che converſation geweſen/ ſo angenehm war mir auch ſein juͤngſthin zuge-
kommenes geſegnetes ſchreiben; Und ob wohl eine in Gott gemachte freund-
ſchafft nicht bedarff mit ceremonien und complement-brieffen unterhalten zu
werden/ als die in dem geiſt gegruͤndet iſt/ ſo wird doch lieb ſeyn/ mehrmahlen von
deſſel-
[167]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO VI.
deſſelben wehrter hand dergleichen ſchreiben (ſo viel ohne deſſen ungelegenheit und
verſaͤumung noͤthiger geſchaͤfften geſchehen mag) zu ſehen/ und werde jedesmahl/
ſo viel mir GOTT dazu weil goͤnnen wird/ wiederum antworten/ als verſichert/
daß der meiſtens darzwiſchen kommende verzug (wie ich auch gleich die erſte ant-
wort ſpaͤter als ſich geziemet einſende) von einen ſo liebreichen gemuͤth nicht uͤbel
wird genommen werden; wie denn ſolches die condition bey allen denen iſt/ mit
denen ich correſpondire. Jch hoffe auch/ daß dergleichen correſpondentzen
nicht gar ohne nutzen ſeyn ſolle: als der ich bekenne/ an mir zu empfinden/ wie ich
durch brieff derjenigen/ die GOTT von grund der ſeelen zu dienen anfangen/ und
ein und anders ihres guten vorſatzes oder was GOTT durch ſie gethan/ mich be-
richten/ ſo wohl goͤttlicher guͤte inbruͤnſtig danck zu ſagen/ als in gleichen eyffer ih-
nen zu folgen/ kraͤfftig entzuͤndet werde/ und deswegen ſolchen lieben leuten nicht
wenig mich verbunden erkenne. Wir ſollen zwar ohne abſehen auff menſchen un-
ſern GOTT in reiner liebe dienen/ und willig ſeyn ſolches zu thun/ ob wir auch in
der welt alleine waͤren; Es iſt aber unſere ſchwachheit/ welche mehrmahl von noͤ-
then hat/ durch andere exempel und die wercke der gnade GOttes an ihnen erwie-
ſen/ offters angefriſchet und ermuntert zu werden. Und wie dann ein Gottſeliges
geſpraͤch offtmahl nicht ohne erbauung beyderſeits abgehet/ ja gewoͤhnlich von Gott
dazu geſegnet wird; alſo ſind auch die brieffe gleicher art nicht ohnfruchtbar. Wir
wollen aber dieſes das geſetz (wo es mein Hochgeehrten Herrn/ wie ich nicht zweiffle/
alſo beliebet) ſeyn laſſen/ daß unſere correſpondenz nichts in ſich faſſe/ als uns un-
tereinander zu dem werck des HErrn und dazu gehoͤrigen fleiß zu vermahnen/ und
zu reitzen zur liebe und guten wercken/ ſo dann einander mit zutheilen/ wo GOTT
dem Herrn belieben wird unſere arbeit ein oder anderen theils zu ſegnen/ daß die
zahl derer die den HErrn auffrichtig ſuchen groß werde/ oder was wir von anderen
orten hoͤren/ wie ſeine goͤttliche guͤte auch andere erwecke zum eiffer vor die himmli-
ſche wahrheit und das rechtſchaffene weſen/ daß allein in CHRJSTO iſt. Auff
daß ſo offt wir/ von dem ſegen/ den der HErr uͤber die ſeinige verſtreute ausſchuͤttet/
von einander vernehmen/ wir allerſeits bewogen werden/ mit freuden unſere danck-
opffer davor zu bringen/ und ihn ferner ſeine ſache zu befehlen. So wollen wir un-
ſer Te DEum laudamus ſingen/ nicht uͤber victorien/ die mit vergieſſung des ſo
theur erkaufften und ſo ſchnoͤd dahin liefferenden und vergieſſenden Chriſtenbluts
von menſchen/ ſondern wider den fuͤrſten der finſternuͤß durch ſchwaͤchung ſeines
reichs und erleuchtung derere ſeelen/ die in ſeiner gewalt geſtecket/ in goͤttlicher krafft
erhalten werden: als deren eine hoͤher zu ſchaͤtzen iſt/ als viel tauſend von jenen/ die
mit noch ſo groſſen freuden-bezeugungen in der welt gefeyret werden/ aber etwa
Gottſeligen hertzen mehr ſeufftzen austrucken als freude machen. Was mein
hochgeehrter Herr gedencket/ ihnen vor einen jahr begegnet zu ſeyn/ daß ohne ihre
ſchuld durch einiger knaben gutmeinende aber ohnbeſonnene reſolution ihre ſache
vor
[168]Das ſechſte Capitel.
vor allen menſchen verboͤſert worden/ haben wir freylich auch taͤglich zu erwarten/
und zeiget ſich faſt ein und anders. Der HERR regiere uns nur alſo/ daß wir
in ſeiner ſache nach ſeinem willen verfahren/ und demnach auch dieſen allezeit recht
erkennen moͤgen/ damit wo wir etwas zu leiden haben/ es um ſeiner ehre willen
lauterlich/ nicht aber um unſerer unvorſichtigkeit wegen geſchehe. Wil er aber
uͤber uns auch verhengen/ daß wir in menſchlicher ſchwachheit in dergleichen wich-
tigen werck/ darinnen wir ohne ihn nichts vermoͤgen/ alſo anſtoſſen/ daß
man wahrhafftig unſere fehler uns nachmahl zeigen koͤnne/ um uns
in ſo viel niedriger demuth zuhalten/ ſo wollen wir auch unſere ſchan-
de willig tragen/ und nur bitten/ daß ſeine ehre nicht geſchmaͤhlert werde/ als die al-
lein unſer einiger zweck ſeyn muß; aber ein ſolcher zweck iſt/ von welchem wir in
goͤttlicher gewißheit verſichert ſeynd/ daß er endlich erhalten werden und die obhand
behalten muß. Die in dem neulichen communicirten ſcripto wiederlegte laͤſte-
rungen/ von uns breiten ſich in unſerer gantzen kirchen je laͤnger je mehr aus/ daß ich
nicht ſehe/ wie ich wehren kan. Jch verlangte auch nicht zu wehren/ ſondern wol-
te willig die ſchande meines Heylandes tragen/ wo nicht die aͤrgernuͤſſen/ ſo daraus
entſtehen/ und die hindernuͤſſen/ ſo vielen guten leuten in ihren loͤblichen vorhaben
anderswo dadurch gemacht werden/ vor augen ſehe/ welche mich verlangen ma-
chen/ ja dahin verbinden/ ſo viel ich vermoͤchte/ den ungrund derſelben aller orten be-
kant zu machen. Jch werde auch in der furcht des HERRN verſuchen/ was ſich
wird thun laſſen: Zeigt mir GOTT einen weg/ ſo will ich denſelben gehen/ und
mich der mittel gebrauchen/ die unſchuld alſo an tag zu legen/ daß welche ſie erken-
nen wollen/ (dann bey andern iſt ohne das alles vergebens) ſolches zu thun vermoͤ-
gen. Wird er mir dergleichen nicht zeigen/ oder was deshalben verſucht wird/
ſolchen zweck nicht er reichen laſſen/ wil ich in gedult und ſtille warten/ was er ferner
uͤber mich beſchloſſen hat. Jn dem mirs eines ſeyn ſolle/ ob er durch thun oder
durch leiden an mir gepꝛieſen werden wolle. Sein heiliger wille geſchehe alſo alle-
zeit an mir und von mir/ ſo habe ich genug/ und will nichts weiter verlangen; wie
auch mein Hochgeehrter Herr nichts beſſers zu wuͤnſchen weiß/ als ſolchen goͤttli-
chen willen uͤber ſich in aller dieſer ſach ſtets zu erkennen/ und demſelben getroſt zu
folgen: auff welches die himmliſche gnade auch in andern dingen/ daran man jetzo
nicht gedencket/ mehr liecht und erkantnuͤß folgen wird; Nun er gebe euch krafft
nach dem reichthum ſeiner herrlichkeit ſtarck zu werden duꝛch ſeinen geiſt an dem in-
wendigen menſchen. 28. Jul. 1677.


SECT.
[169]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO VII.

SECTIO VII.


An einen vornehmenTheologum,ſamt uͤber-
ſendung meines ſend-ſchreibens. Von meinem
hauß-
collegio.Ungrund der laͤſtrun-
gen.


JCh habe zwar Eure Hoch-Ehrw. geliebtes bereits vor zimlicher zeit erhal-
ten/ und mit guten vergnuͤgen uͤberleſen/ wuͤrde auch/ wie etliche mahl mir
vorgenommen hatte/ eher beantwortet haben/ wenn ich nicht immer die hoff-
nung gehabt/ einmahl gewahr zu werden/ wenn Eure Hoch-Ehrw. ohne dem all-
hier durch paſſirten/ als dann die gelegenheit muͤndlichen anſpruchs zu ſuchen und
zu finden/ als worinnen faſt/ weder mit ſchreiben/ leichter iſt/ ſich zu expediren;
weil aber ſolche gelegenheit bißher mir gemangelt/ ſo habe doch endlich die antwort
nicht laͤnger verſchieben ſollen/ um ſo vielmehr weil mir die uͤberſendung des gegen-
wertigen ſendſchreibens einen anlaß darzu an die hand gabe/ welches ich deswegen
publiciret/ weil die hin und wieder auch ſo gar biß auſſer Teutſchlandes erſchollene
unrichtige bericht und laͤſterungen auff guter freunde rathen zu erfordern ſchienen/
daß einiger oͤffentlicher bericht geſchehe von den dingen die allhier paſſireten oder
nur faͤlſchlich von hieraus durch uͤbelgeſiñten anderwertlich hin ausgeſpꝛenget wor-
den. Welche denn auch Eure Hoch-Ehrw in ſo freundlichen vertrauen/ zu ſenden
u. communiciren ſollen/ damit dieſelbige auch hieraus ſehen muͤſſen daß weilen in
den beyden erſten puncten davon an Eure Hoch-Ehrw. geſchrieben/ dieſelbe freund-
lich mit mir einſtimmeten/ ohne allein daß ſie verlanget/ daß meine haußuͤbung in
der kirchen und mit zuziehung anderer des collegii/ ſo dann mit obligirung der ge-
ſammten glieder der gemeinde gehalten werden moͤchte: in dem dritten aber die
privat-collegia, wie ſie allhier gehalten zu werden faſt der allgemeine ruff gewe-
ſen/ nicht billichen koͤnte/ Eure Hoch-Ehrw. (ſage ich) auch hieraus erſehen daß
meine haußuͤbung belangende/ ich ſelbs verlangen getragen/ und noch trage/ daß
dieſelbe in oͤffentlicher kirchen gehalten werden doͤrffte/ ſo mir um vieler urſachen
willen laͤngſt lieb geweſen waͤre/ alſo gar daß von etlichen jahren bereits von einer
hochloͤblichen Theologiſchen Facultaͤt zu Kiel neben der approbation ſolches un-
ſers hauß exercitii dieſe quæſtion angehenget/ ob nicht ein Chriſtlicher Magi-
ſtrat
wohlthaͤte/ da eine ſolche haußuͤbung eine zeitlang mit guten nutzen waͤre pri-
vatim
fortgeſetzet worden/ endlich zu vergoͤnnen/ das ſie publice geſchehe/ wie
auch ſolche Facultaͤt mit ja geantwortet; welches gantze reſponſum Herr. D.
Fritſch ſeinem tractat von aufferbauung des nechſten durch Gottſelige geſpraͤch/
Ynach-
[170]Das ſechſte Capitel.
nachdem ich es ihm communiciret/ inſeriret hat. Daß aber es allhie noch nicht
in die kirche iſt transferiret worden/ iſt alleine die urſach/ weil ſolches zu erlangen
nicht hoffnung añoch ſehe/ aus denjenigen was etwa diſcurs weiſe bey einigen fon-
di
ret worden. Alſo waͤre mir auch die mitwuͤrckung meiner geliebten Herrn col-
leg
en ſo gar nicht entgegen/ daß wo dieſelbe die muͤhe zu gleich nehmen wolten/ und
theils koͤnten/ mir ſolches eine hertzliche freude waͤre. Nur kan nicht in abꝛede ſeyn/
daß die verbindung einiges menſchen darzu/ oder daß jemand/ der nicht aus freyen
willen und eigenem trieb ſich zu erbauen dabey ſich einfuͤnde/ nicht angenehm waͤre/
als der ich bey allen denjenigen dingen ſo lege geboten werden/ und nicht aus frey
willigem hertzen herkommen/ nicht groſſe erbauung oder geiſtlichen nutzen anzutref-
fen ſorge. Alſo koͤnnen Eure Hoch-Ehrw. ferner hieraus ſehen/ daß dergleichen
zuſammenkunfften/ bey welchem dieſelben bedencken tragen/ und auch andere
Theologi nicht billigen wuͤrden/ daß nehmlich ſich gewiſſe collegia zuſammen thaͤ-
ten/ und alſo mehr macht als ſich ziemete ihnen zumaͤſſen/ hier niemahl gehalten wor-
den; ſondern was davon allhie vor ein gericht entſtanden (wie es dann von hieraus
anderen weitlich hin erſchollen) theils aus boßhafftiger laͤſterung/ theils aus unge-
gruͤndeten vermuthungen von unſtraͤfflichen dingen ihren urſprung genommen:
indem was geſchehen/ in nichts anders beſtehet/ als daß wo Chriſtliche perſonen ſich
einander beſuchen/ von goͤttlichen als zeitlichen und weltlichen dingen mehr geredet
wird/ welches Eure Hoch-Ehrw. ſelbs loben und billigen. Wie ich nun verſichert
bin/ daß das gegentheil mir hiervon niemand mit grund der wahrheit/ auff die ich
ſo viel mir muͤglich iſt/ genau geforſchet/ vorgeleget wird werden koͤnnen/ als wel-
ches auch biß daher nicht wuͤrde unterblieben ſeyn wo fern es haͤtte geſchehen koͤñen.
Daher ich hoffe/ daß ſondeꝛlich bey allen guten gemuͤthern/ andeꝛweꝛtlich hiemit wer-
de dieſes ausgerichtet werden/ daß ſie dieſen bericht (wo ich auffs wenigſte nicht ſo
unverſchaͤmt werde von jemand angeſehen werden/ daß ich dasjenige allhier oͤffent-
lich publicirte deſſen gegentheils allhie uͤberzeuget werden koͤnte) andern ein geriſ-
ſenen rumoribus vorgezogen/ und alſo unſere liebe ſtatt aus dem verdacht/ in wel-
chen ſie vieler orten gekommen/ laſſen werden; das uͤbrige alles GOttes heiliger di-
rection
zu dero ehren/ uͤberlaſſende/ als da ich nichts anders oder eigenes ſondern
deroſelben beforderung lauter lich alleine ſuche/ und daruͤber jederman meines theils
willig rechenſchafft gebe: mich auch gerne erbiete/ da Eure Hoch-Ehrw. fern[er]
etwas hoͤren ſolten/ ſo an mir zubeſſeren/ und mich deroſelben freundlichen Theo-
logi
ſchen erinnerung wuͤrdigen werden/ daſſelbe als eine wohlthat an zu nehmen/
und entweder meine erlaͤuterung zu vergnuͤgen zu thun/ oder wo ich einen fehler fin-
den werde/ hertzlich zu folgen. 17. Sept. 1677.


SECT
[171]ARTIC. I. DISTINCT. II. SECTIO VIII.

SECTIO VIII.


Bau einer kirchen. Ungariſche verfolgung. Goͤtt-
licher rath in dero verhaͤngnuͤß.


WJr ruffen hierbey den groſſen GOTT demuͤthiglich an/ daß deſſen himm-
liſche guͤte nicht nur ihr bau-vorhaben gluͤcklich von ſtatten gehen/ und ſol-
ches hauß eine ſolche heilige ſtaͤte wolle werden laſſen/ an welcher ſeine ehre
wohne/ ſein wort treulich und mit groſſen nutzen gepredigt/ die heilige Sacramenta
fruchtbarlich ausgeſpendet/ und alſo viele ſeelen zu dem reich GOttes bequem ge-
macht und dahin gefuͤhret werden/ ſondern er wolle ins geſamt mit gnaͤdigen augen
ſeine betrangte Ungariſche kirche anſehen/ der verfolgung ein ende machen/ aus
den verfolgenden Saͤulen vor ſeine ehre eyfferende Paulos machen/ oder aber die
hertzen der Kaͤyſ. Majaͤſt. und deroſelben hohen Miniſtren dahin lencken/ daß ſie
aus erkaͤntnuͤß wie ſchwehr es werde werden wieder den ſtachel zu lecken/ der cleri-
ſey nicht immerdar moͤgen zuſehen/ nach laſſen/ daß ſie dero wuͤrdigſter nahm und
gewalt ſich zu ihrem willen und unterdruckung des Evangelii mißbrauchen/ ſondern
dem Ehren-koͤnig JESU CHRJSTO und ſeiner wahrheit in ihren reichen und
landen platz laſſen; Er ſtaͤrcke in deſſen die betraͤngte/ daß ſie beſtaͤndig bleiben/
und ſich ſolche verfolgungen u. harte proceduren darzu dienen laſſen ſo vielmehr das
einige nothwendige ihnen laſſen angelegen zu ſeyn/ und unter ſich auff art und weiß/
als es in gegenwaͤꝛtiger noth geſchehen kan/ ihr allgemein pꝛieſteꝛliches amt vor Gott
und gegen einander ſo viel embſiger zu treiben als ſie zu huͤlffe des ordenlichen pre-
digamts/ noch muͤſſen beraubet bleiben/ bis der HERR ihnen vom himmel huͤlffe
ſenden wird. Es ſind einmahl die gerichte des HErrn unerforſchlich/ aber alle
billig/ guͤtig und gerecht/ und ſuchet er in allen denſelben unſer beſtes. Ob wir dann
wohl nicht faſſen koͤnnen/ wie die entziehung der oͤffentlichen uͤbung und die ſcheinen-
de unterdruckung der wahrheit moͤge etwas gutes wircken koͤnnen/ ſo habe ich doch
dieſes hertzliche vertrauen zu goͤttlicher weißheit und guͤtigkeit/ daß ſie auch aus ſol-
chem gifft eine artzeney zu machen vermoͤge. Ach wie offt mißbrauchen wir uns des
oͤffentlichen GOttesdienſts allein zur heucheley/ und ſtaͤrckung unſeres de opere
operato
uͤbel gefaſſten irrthums/ kleben aber alſo gern an denſelben/ daß wir mei-
nen/ daran lige unſere ſeligkeit/ und laſſen uns die beſuchung deſſelben unſer eini-
ge ſorge ſeyn/ darbey vorgebende/ wie wir GOTT den tempel unſerer hertzen hei-
ligen/ und ihm auch in denſelben im Geiſt und in der wahrheit dienen ſollen? Wie
offt ſtaͤrcken wir mit der oͤffentlichen anhoͤrung goͤttlichen worts unſere faulheit/
ſelbs daſſelbe zu leſen/ und unter uns privatim zu betrachten/ dadurch doch die
frucht von jenem hoͤren bey uns ſolte befoͤrdert werden. So entzeicht uns GOtt
dasjenige/ ſo wir wider ihn mißbraucht/ und bringet etwa durch den mangel deſ-
ſelbigen/ zu wegen/ daß wir uns des noch uͤbrigen ſo viel ſorgfaͤltiger gebrauchen/
Y 2und
[172]Das ſechſte Capitel.
und ihme in unſern haͤuſern und kaͤmmerlein u. hertzen ſo viel eiffriger zu dienen uns
befleiſſen/ weil wir den oͤffentlichen dienſt zu leiſten verhindert werden. Gewiß iſts
bey denen/ welche vorhin einen rechtſchaffenen grund des glaubens gelegt/ und den
innerlichen lehrer aus der Schrifft erkant haben/ ob ſie wohl des euſſerlichen lehreꝛs
u. ſeines dienſtes hertzliches verlangen tragen/ erfahren gleichwohl in ermanglung
deſſen in der that/ daß bey ihrem leſen und betrachten GOtt ſelbſten ſie lehre und in
alle wahrheit leite/ auch krafft verleyhe/ aller verfuͤhrung zu entfliehen. Vor die
jenige aber iſts eine ſchwehre ſtraff/ ſo vorhin ſich mit dem euſſerlichen begnuͤgen
laſſen/ und keinen rechtſchaffenen ſchatz in ihrer ſeelen gefaſſet/ daher wann es ih-
nen an jenem manglet/ nichts haben/ wo mit ſie ihren mangel erſetzen/ es ſeye dann
etwa ein und ander koͤrnlein in den hertzen uͤbrig/ welches ſo lange ohne krafft in den
duͤrren acker gelegen/ biß der regen der anfechtung dieſen befeuchtet/ und jenen zu
keymen urſach gibet. Nun der HERR laſſe ſich ſeine ſache befohlen ſeyn/ und gebe
daß ſein nahme von uns und bey uns auff alle weiſe/ in lehren/ lernen/ glauben/ le-
ben und leyden herrlich moͤge geprieſen/ und endlich der ſatan/ (welcher ei-
ner ſeits mit unterdruckung der bekantnuͤß der wahrheit/ anderſeits mit mißbrauch
derſelben zur ſicherheit/ dem reich CHriſti ſo groſſen ſchaden thut) in kurtzem unter
unſere fuͤſſe zutretten werden. 8. Octob. 1677.


SECTIO IX.


Auffmunterung die gnade recht zu brauchen. Al-
les aus GOttes wort zu pruͤfen. Erforderter ernſt in dem
Chriſtenthum. Deſſen ſeligkeit.


NAch dem vor 8 tagen auff das an mich gethane freundliche nicht ſo bald ſol-
chen tag zu antworten vermocht/ habe doch die antwort auch nicht laͤnger
auffſchieben wollen. Da dann zum allerfoͤrderſten dem geber alles guten
hertzlich und demuͤthigen danck ſage/ der ein ernſtliche begierde/ wie ſolches ſchreiben
bezeuget/ in deſſen gemuͤth er wecket/ mit eiffer das Chriſtenthum zu treiben und deſ-
ſen uͤbung ihn angelegen ſeyn zu laſſen. Welcher nun das wollen gewircket hat/
derſelbe wircke auch bey ihm das vollbringen nach ſeinen gnaͤdigen wohlgefallen:
Wie ich mich auch verſichere/ daß ſeine goͤttliche guͤte nirgend eine gute bewegung
eines heiligen vorſatzes erreget/ daß ſie nicht in ſolchem augenblick ſo bald ſo viel gna-
de und krafft verleihet/ einen anfang an der vollſtreckung zu machen: Werden wir
als dañ dem HErrn in ſolchem erſten pfund treu/ ſo wird er folgends im̃er mehꝛes ge-
ben. Neben dem bedancke mich freundlich des gegen mich bezeugtẽ gutẽ vertrauens/
erkenne zwar gern meine wenigkeit/ als der keine andere antwort oder rath zu gebẽ
vermag/ als derſelbe ſelbs in N. von Herr NN. ja jeglichem treuen diener GOttes
wuͤ
[173]ARTIC. I. DISTINCT. II. SECT. IX.
wuͤrde eben ſo leicht haben erlangenkoͤnnen: Weil aber demſelben belieben wol-
len/ meine einfaͤltige gedancken daruͤber zu hoͤren/ ſo habe dieſelbe hierbey folgend
nach dem maß der gnade die mir gegeben iſt/ einfaͤltig abfaſſen und uͤberſenden ſol-
len. Jch hoffe mein hochgeehrter Herr werde in gottſeliger uͤberleſung und be-
trachtung ſolches aufſetzen/ nichts anders finden/ als was das wahre wort GOt-
tes mit ſich bringet/ und unſer eigen gewiſſen wo wir ſolches aus dem wort unter-
richten laſſen/ ſelbs mit bezeugen wird: Wobey ich denſelben in freundlicher zu-
verſicht/ dz er das einige nothwendige auch ſeine angelegenlichſte ſorge wahrhafftig
werde ſeyn laſſen/ hertzlichen bitte/ die wichtigkeit dieſer materien wol zu erwegen/
meinen auffſatz ſelbs mit eyffrigen gebeth zu GOTT gegen deſſen geoffenbahrtes
wort in der Schrifft zu halten/ ihn darnach zu pruͤffen/ nichts zu glauben/ was der-
ſelbige nicht alſo auß ſolchem wort bekraͤfftiget erkennet/ daß das gewiſſen darauf
beruhe/ und vor jenem richterſtul ſich dermaleins darauff beruffen moͤge/ und hin-
gegen/ was er dermaſſen befindet/ ohne anſehen einiges menſchen oder deſſen au-
tori
taͤt anzunehmen/ und darnach das leben zu richten. Es iſt einmahl das goͤtt-
liche geoffenbahrte wort das jenige/ nach welchem wir dermaleins muͤſſen gerich-
tet werden/ nicht aber nach einiges menſchen urtheil oder meynung/ welche etwas
von dem goͤttlichen wort zu diſpenſiren ſich die macht genommen haͤtte. Er ver-
ſehe ſich aber dabey/ wo er mit gottſeligen eyffer auf den ſchmalen weg ſich begeben
wird/ oder auch demſelben fortwandelt/ daß ſolches gewißlich mehr von uns erfor-
dere/ als wir insgemein zu gedencken gewohnet ſind. Wie wir dann an der rech-
ten verlaͤugnung unſer ſelbs/ ſo die rechte lection unſeres Heylandes/ eine ziemliche
zeit zu lernen/ und daß deßwegen in dem gemeinen leben ſehr viel was die jenige/
welche von dem wort Gottes abzugehen kein bedenckens tragen/ annoch vor erlaubt
und zulaͤßig achten/ abgeſchafft werden muͤſſe/ zu erkennen haben. Laſſet uns
aber rechtſchaffen ſein in unſern vorſatz/ und glauben/ daß in CHriſto JEſu nicht
ein zwiſchen GOtt und der welt getheilter dienſt/ ſondern ein rechtſchaffen weſen
ſeye: Dabey auch nicht achten/ ob fleiſch und blut ſich dargegen wehret/ weil es ſie-
het und fuͤhlet/ daß mit toͤdtung des alten Adams ihm wehe geſchehe/ und ſolches
creutzigen nicht mit lachen hergehet/ dann ſo muß es ſeyn/ und hingegen iſt eine ge-
wiſſe anzeigung/ daß der rechte weg der ſeeligkeit nicht ſeyn muͤſſe/ wo unſer alte A-
dam mit aller gemuͤglichkeit fort kommen kan/ und ſich nicht toͤdten laſſen muß;
dann ein ſolcher weg ſtreitet ſchnur ſtrack wieder Chriſti lehr und exempel: laſſet
uns aber auch nicht dabey muͤde werden/ ob die welt und alle/ die noch die warheit
nicht erkennen/ als welche zu der welt gehoͤren/ ſolch unſer gutes vornehmen laͤſte-
ren will/ oder uns gar zu verfolgen anfangen ſolte. Der HErr hat es uns laͤng-
ſten vorgeſaget/ und iſt dieſes ein vortrefflich zeugnuͤß/ daß GOtt gefallen muͤſſe/
wo etwas der welt hefftig mißfaͤllet. So iſt auch die ſache wol ſo viel werth/ und
die verſprochene herrligkeit ſo wichtig/ daß wir uns darum nicht abhalten laſſen ſol-
Y 3len/
[174]Das ſechſte Capitel.
len/ mit gedult in guten wercken zu trachten nach dem ewigen leben/ ob wir dar-
um arbeiten und leiden muͤſſen. So iſt er getreu/ der uns beruffet/ der wirds
auch thun/ und wo wir ihn mit redlichem hertzen ſuchen/ wird er unſere arbeit nicht
vergebens ſeyn/ noch uns unter der laſt unterdruckt werden laſſen. So bleibets
dabey/ die gerechten werdens gut haben/ hie in bezeugung ihres gewiſſens und der
wahren ſeelen ruh/ davon allein wiſſen/ die deroſelben genieſſen/ ſie aber mit kei-
ner der welt herrligkeit oder freude zu verwechſeln gebracht werden koͤnten/
dorten aber ſo vielmehr in der offenbahrung des verſprochenen erbtheils und goͤtt-
licher glory. Nun der HErr/ der uͤberſchwenglich thun kan/ uͤber alles/ was wir
bitten und verſtehen/ gebe uns allen erleuchtete augen des verſtaͤndnuͤß/ zu erkennen
die hoffnung unſers beruffs/ und die uͤberſchwengliche groͤſſe ſeiner krafft an uns/
er mache uns auch fertig in allem gutem werck/ zu thun ſeinen willen/ und ſchaffe in
uns/ was fuͤr ihn gefaͤllig iſt/ durch JEſum Chriſtum/ welchem ſey ehr von ewig-
keit zu ewigkeit/ Amen. den 26. Octobr. 1677.


SECTIO X.


An einen vornehmen ſtandes. Die erſte auch
ſchwaͤchre regungen der gnade nicht auszuſchlagen. Jungf.
Schurmannin. Hoffnung anſcheinender beſſerung.
Viele laͤſterungen.
Edirtes ſend-
ſchreiben.


DAs an mich hochguͤnſtige abgegebene iſt mir zwar zurecht/ aber ſpaͤter als
das datum mit ſich gebracht/ eingelieffert worden/ deswegen auch meine ant-
wort nicht zu verlangter zeit ein geſchickt werden koͤnnen. Bedancke mich
foͤrderlichſt des hochgeneigten angedenckens/ wie mir hinwieder dero wuͤrdigſte per-
ſon und mehrmahliges bezeugtes verlangen GOtt rechtſchaffen zu dienen/ in an-
genehmer gedaͤchtnuͤß auch bleiben wird und ſoll/ dabey allezeit den geber aller gu-
ten gaben mit demuͤthigſtem ſeufftzen anruffende/ ſolches verlangen zu einem voͤlli-
gen ernſtlichen wollen gelangen zulaſſen/ ſo dann zu ſolches vollbringung die goͤtt-
liche gnade zu geben. Wie wol wir deſſen verſichert ſeind/ daß der guͤtigſte Vat-
ter in dem himmel es niemahlen an ſeiner gnade ermangelen laſſe/ ſondern uns was
dazu gehoͤret/ ihm voͤllig zu gefallen zu ſeyn/ mit ſeiner genugſamen krafft zu erthei-
len/ gantz willig ſeye/ ja uns allezeit darinnen zuvor komme; Gleichwol in der jeni-
gen ordnung die ſeiner weißheit und heiligkeit gemaͤß iſt: Nach welcher er uns
zwar die gnade nicht eben in dem erſten augenblick in ſolcher krafft gibet/ daß wir
ſo bald in die jenige/ die wir zu werden verlangen/ transformiret werden/ noch
auch
[175]ARTIC. I. DISTINCT. II. SECTIO X.
auch alle hindernuͤſſen aus dem wege gleich raͤumen laͤſſet: ſondern vielmehr dar-
an die auffrichtigkeit unſerer intention pruͤffet/ ob wir auch wol die vortrefflich-
keit des heiligen und ſeligen ruffs/ dazu er uns beruffet/ nach dem wir gleichſam den-
ſelben allein von weiten erſehen/ und doch bereits ſo vieles davon erkennen/ das uns
eine begierde darnach ſolle machen/ ſo hoch achten/ um deroſelben willen auch ei-
nige dem fleiſch und blut auff eine ſeite zu raͤumen ſchwehr fallende hindernuͤſſen zu
uͤberwinden/ und die daraus entſtehende beſchwehrlichkeiten zu uͤbernehmen: Aber
hingegen uns jemahl eine gute bewegung in das hertz gibt/ dieſes und jenes gute
zu thun/ oder in dieſem und jenem der welt uns zu entſchlagen. Welcherley bewe-
gungen allezeit die gnade bey ſich haben/ daß wir denſelben zu folgen/ und was ſie
von uns haben wollen/ ins werck zurichten/ vermoͤgen. So bald wir alſo in eini-
gem dem HErren treu worden ſind/ nach dem damaligen maaß der empfange-
nen gnade/ ſo koͤnnen wir verſichert ſeyn/ es werde ſolche gnade immer ſtaͤrcker wer-
den/ und uns auch die ſchwehre hindernuͤßen beyſeit zu raͤumen allgemach muͤglich
machen. Da hingegen/ wo wir dem HErrn uns auffzuopfferen alſo lang ver-
ſchieben wollen/ biß die hindernuͤſſen vorher auf eine ſeit geraͤumet/ und wir ei-
nen ſolchen kraͤfftigen zug empfinden/ welcher uns gleichſam ohne muͤhe loßreiſſe/ ſo
werden wir vergebens warten/ als welcherley gnade uns nicht eben zugeſaget iſt.
Die correſpondenz mit Jungf. Schurmannes zweiffele ich nicht/ werde von
guter erbauung ſein. Jch ehre ihren nahmen/ haͤtte aber nicht gedencken ſollen/
daß ſie des meinigen ſonderlich wiſſenſchafft haͤtte/ es ſey dann ſache/ daß ihr bru-
der/ ſo mich in Straßburg vor dene geſprochen/ und damals bereits eine hertzliche
liebe gegen mich bezeuget/ ihro von mir mag kundſchafft gemacht haben. Jch
freue mich nichts mehrers/ als das ich hoͤre und ſehe/ daß GOtt hin und wieder bey
allerhand perſonen anfanget mehr und mehr begierde zuerwecken/ ihm ernſtlicher
zu dienen/ und nicht ſo ſicher immerdar bey dem gemeinen weg des operis opera-
ti,
welches faſt bey allen parteyen die leuthe verblendet/ und mehr in die hoͤlle ſtuͤr-
tzet/ als man etwa gedencken moͤgte/ zu verbleiben. Jch traue auch ſeiner goͤttli-
chen guͤte/ er wird endlich mit ſeiner gnade durchbrechen/ und das rechtſchaffene
weſen/ das in Chriſto JEſu iſt/ mehr und mehr offenbahrer werden laſſen/ auf das
allgemach die verheiſſungen ſeiner goͤttlichen wahrheit zu der beſtimmten zeit in die
erfuͤllung gehen. Es wird zwar nicht ohne anfechtung/ vielleicht auch gar verfol-
gung abgehen/ wo man den gemeinen mißbrauch getroſt ſich widerſetzet/ und alles
auff die alte Apoſtoliſche und Chriſtliche reguln bringen will: aber die ſache iſts
auch werth/ etwas deswegen zu leyden/ und den HErren auch/ wie ers fordert/
mit gedult zu preiſen: Wir koͤnnens an uns hier genugſam abnehmen/ da wir bloß
dahin erſt ein wenig einen anfang gemacht haben von den Chriſtenthum allein zu-
reden/ und die erſte elementa deſſelben in einige uͤbung zu bringen/ wie der teuf-
fel bereits wuͤtet/ und da er noch keine weitere verhaͤngnuͤß hat/ auffs wenigſte mit
den
[176]Das ſechſte Capitel.
den grauſamſten laͤſterungen uns ſuchet muͤde zu machen/ hingegen nach dem er
mit denſelben gantz Teutſchland erfuͤllet/ andere gute leuthe von uns und aller ge-
meinſchafft mit uns abwendig zu machen. Deren letzteres er vielleicht bey eini-
gen mag endlich außgerichtet haben. Gleichwohl dem zu begegnen habe auff gu-
ter freund einrathen ein ſend-ſchreiben trucken laſſen/ darinnen rechenſchafft gebe/
des jenigen/ was allhier geſchiehet in dem ſo genantem Collegio pietatis/ und hin-
gegen was faͤlſchlich von uns ſpargiret wird/ modeſte ablehne. Zweiffele nicht/
es wird auch ſolches nach Nimwegen/ und Amſterdam gekommen ſeyn. Jch be-
fehle die ſache alle GOtt dem HErren/ deſſen ſie auch alleine iſt. Er mache es mit
mir und allen nach ſeinen heiligſten wolgefallen. 1677. m. oct.


SECTIO XI.


Uber einige bedencken betreffend diepia deſideria,
und erklaͤhrung uͤber unterſchiedliches. Ob diereforma-
tio Lutheri
vollkommen geweſen? Ob in unſerer kirchen auch an
der lehre mangel ſeye? Von unſerer kirchen reinigkeit. Ob an-
dere mit zur
reformationzu ziehen. Von unmittelbahren offen-
bahrungen. Ob man eußerliche ſitten ſachen treibe/ oder viel-
mehr die wieder geburth. Babel. Antichriſten. Ob auf titul ſe-
he. Warum verdachtige nicht anfuͤhre. Jacob
Boͤhme.


MJch haben inniglich erfreuet ſeine beyde geliebte an meinen auch liebſten
freund N N. geſchriebene/ von ihm aber mir freundlich communicirte
briefe. Dem einigen und allein guten GOtt ſeye demuͤthiger danck ge-
ſaget/ auch vor dieſe freude. Wie mir dann nechſt der jenigen/ wo GOTT zu
weilen ein und andere ſeele unſerer gemeinde kraͤfftig zu einem eyffer des Chri-
ſtenthums zubewegen weiſet/ keine groͤſſere leicht wiederfahren kan/ als zuver-
nehmen/ wo GOtt noch hin und wieder in der ſonſten ſo groſſen und faſt uͤberhand
genommenen verderbnuͤß einige uͤbrig behalten/ welche mit ernſt das gute wollen/
und ſolches zu befoͤrdern in der krafft des HErrn geneigt ſind. Deren gewiß noch
mehr ſich da und dort verſtreuet befinden/ als ein auch ſich ſelbs ſehender Elias in
ſeiner anfechtung gedencken und meinen moͤchte. Wie ich dann ſeiter 2. Jahren
unterſchiedliche von dem jenigen guten eyffer hab kennen lernen/ den der himmli-
ſche Vater in ihnen gewircket: Daß ſo viel weniger zweifle/ die zeit ſeye naͤher/ da
da der HErr ſich ſeiner armen kirchen erbarmen/ und ihr ein neues heyl werde wie-
derfahren laſſen/ nach dem er ſolches laͤngſten verheiſſen hat. Weilen dann zu der
ſache des HErren/ und dieſelbe mit fleiß zutreiben/ auch dieſes ein gutes hilffs-mit-
tel
[177]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XI.
tel ſein mag/ daß ſolche/ die da einen zweck haben/ ſich untereinander beſſer bekant
machen/ und nachmal ſo wol mit beten vor einander kaͤmpffen/ als einer den an-
dern mit rath/ troſt/ und zuſpruch an die hand gehe/ ſo iſt mirs ſo viel lieber/ der treu-
en zeuͤgen Gottes mehrere keñen zu lernen/ und mit denſelbigen in heiliger freund-
ſchafft bunde zu ſtehen. Das communicirte bedencken eines ungenanten freun-
des uͤber meine pia deſideria, wie auch von der ſuͤnde in den heiligen Geiſt/ hat
mich hertzlich vergnuͤget: und ſage vor ſolche uns geſchehene communication,
freundlichen danck/ ſo wol ihn/ geliebter bruder/ als durch ihn ſolchen lieben manne/
von dem es hergekommen. Wider die erklaͤhrung der ſuͤnde in dem heiligen
Geiſt/
finde nicht wol etwas zu ſagen. Was die cenſuram meines ſcripti an-
langt/ wollen dieſelbe beyde nicht gedencken/ daß ich ſolche anders als mit liebe und
danck aufnehme: Der ich williglich von jeglichen der geringſten unter meiner ge-
meinde alle erinnerung anzunehmen bereit bin/ auch meine zuhoͤrer offt von ſolcher
ihrer pflicht unterrichte/ daß ſie doͤrfften und ſolten ihre prediger ſo wol erinnern/ als
ſie von denſelben ihre erinnerung anzunehmen haben. Warum ſolte dann mit an-
dern gemuͤth daß jenige anſehen/ was von andern treuen dienern GOttes zu mei-
ner aufferbauung mir hinterbracht wird? Der HErr vergelte allen ſolchen/ das
jenige in gnaden/ was ſie an meiner ſeelen thun/ oder zu thun ſich unterſtehen.
Wie dann auch/ wo einiger an mir irren/ und andere gedancken von mir als etwa
an mir waͤre/ haben ſolte/ ich deß wegen mich nicht zu beſchwehren/ ſondern ihme be-
reits vor ſeinen guten willen zu dancken/ und hin wieder mich in liebe/ was er anders
angenommen haͤtte/ zu erklaͤhren haͤtte. Wie ich dann nicht zweiffle/ mein wer-
ther freund werde ſo wol ſelbs/ als auch ſein vertrauter bruder/ mit gleicher liebe
aufnehmen/ was jetzo zu meiner erklaͤhrung hiermit freundlich anfuͤge/ auch hoffe/
daß damit ein ſo viel mehrers vertrauen gegen mich moͤge geſtifftet und befeſtigt
werden. So iſts nun an dem/ daß zwar in ſolche pia deſideria oder vorred uͤber
Arnden Poſtill nach der gnade GOttes die mir damahl gegeben geweſen/ einen
ziemlichen theil der jenigen gedancken gefaſſet/ ſo ich uͤber die allgemeine verbeſſe-
rung der kirchen in offtmahligen nachdencken bey mir befunden: Gleich wie ich
aber nimmermehr habe gedencken koͤnnen/ daß ein ſo geringes und kleines ſcri-
ptum,
ſonderlich von einem weniger bekanten mann/ und der ſo vielen anderen an
wurde der perſon und amts nicht gleich iſt/ ſo viele apprehenſion an ſo viel orten
erwecken ſolte; in dem viele gute hin und wieder ſich befindende gemuͤther dadurch
weiter ermuntertzu ſeyn bekant haben/ andere auch hie und da damit rege gemacht
worden ſind/ der ſache tieffer nachzuſinnen/ welches ich ſonderlich geſucht/ der je-
nigen zugeſchweigen/ welche mit ſchaͤlen augen ſolche blaͤttlein biß dahero angeſehen/
ob zwar annoch offentlich unangefochten gelaſſen/ und alſo ſolches ſcriptum durch
unſere gantze Evangeliſche kirche allerorten hin durch gedrungen (weswegen dem
grundguͤtigen GOTT vor ſeine unverhoffte gnade und ſegen nicht genugſam in de-
Zmuth
[178]Das ſechſte Capitel.
muth meines hertzens dancken kan) alſo bekenne gern/ daß es nicht mit der ſo ge-
nauen und ſorgfaͤltigen uͤberlegung aufgeſetzt worden/ als ſonſten die wichtigkeit
der materien erfordert haͤtte/ wo die intention geweſen waͤre/ etwas hauptſaͤch-
lichers vorzunehmen. Wie dann ſelbſten ſehe/ daß manches auf eine viel andere
art wuͤrde auszufuͤhren geweſen ſeyn/ in ſolcher abſicht/ als damahl geſchehen iſt/
da ich in der enge einiger wochen/ als der truck der Poſtill bey annahender meß zu
ende gehen wolte/ daß jenige zu papier gebracht/ was mir biß dahin angelegen ge-
weſen/ und nachgeſchehener communication mit meinen geliebten Herrn Col-
legis
ſo bald dem truck muſte uͤberlaſſen werden/ als der ich zu dem zweck den ich
vor augen hatte/ auch ein weniger außgearbeitetes wercklein/ genugſam achtete/
nemlich ſo wol offentlich zu bezeugen/ daß ich auch einer aus dem jenigen ſeye/ welche
uͤber die gegenwaͤrtige greuel keinen gefallen haben/ ſondern von grund der ſeelen
ſeufftzen/ als auch andere mit vorlegung gewiſſer puncten zur deliberation, ſo
vielmehr aufzumunteren/ der ſache in der furcht des HErrn reifflicher nachzuden-
cken. Will man alſo das gute/ ſo darinnen iſt/ einen edelſtein vergleichen/ ſo laſ-
ſe ich es gern geſchehen/ daß derſelbe als noch zimlich rau angeſehen werde/ und
vieles polirens bedoͤrffe. Wie mir denn aller der jenigen arbeit/ die deßwegen
ſich daran verſuchen wollen/ eine liebes-that geachtet wird werden. Der vor-
ſchlag der uͤbung des geiſtlichen prieſterthums/ und dann einiger zuſammen kuͤnfften
nach der art 1. Cor. 14. iſt nach meiner eigenen abſicht wol der vornemſte/ oder
doch von nicht weniger wichtigkeit/ als einer unter allen. Und bin ich laͤngſt in de-
nen gedancken geſtanden/ daß auf dieſe art vornehmlich der kirchen geholffen wer-
den woͤchte. Daher als ungefehr Herr Vielitzen predigten von derſelben materie
zur hand bekommen/ nicht geruhet/ biß ſolche hier nachtrucken konte laſſen. So
habe ſelbs einen wenigen anfang bereits von 7. jahren allhier in meinen hauß ge-
macht. Von welchem exercitio in neulichen meinen ſend-ſchreiben/ welches
in nechſter meß heraus gekommen/ mit mehrern meldung gethan. Jch uͤber-
ſendte gern ein exemplar/ wird aber auf der poſt zu groß/ und haͤtte zu bitten ein
exemplar von Tuͤbingen bringen zu laſſen/ will gern das pretium wieder erſtatten.
Es iſt zwar ſolche privat-uͤbung oder zuſammen kunfft noch bey weiten nicht in dem
ſtand/ wie ſie ſeyn ſolte/ und daß davon ein ſonderbahrer nutzen zu hoffen ſtuͤnde.
Jn dem es nur an der autoritaͤt manglet/ die nothwendige anſtalten dabey zu ma-
chen/ das deswegen muß gehen laſſen/ wie ſichs ſelber gibt/ u. doch noch dabey in ge-
fahr ſtehen/ daß mir das jenige was ich habe/ wieder entzoge werde. Jndeſſen hoffe
ich gleichwol/ mag auch dieſer ſchatten des jenigen/ was man gern wuͤnſchte/ bereits
andere zur nachfolge reitzen/ maſſen wircklich einiger orten deraleichen nachgeah-
met/ und verſuchet worden. Und mag leicht geſchloſſen werden/ da der barmhertzige
Gott unſeren ſo geringen und wenigen anfang in der unordnung darinnen es an-
noch beſtehet/ nicht gantz ungeſegnet gelaſſen (davo[r] ihm ewiger danck gebuͤhret)
daß unterſchiedliche perſonen durch ſolche uͤbung ſich nicht wenig bewogen und
kraͤff-
[179]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XI.
kraͤfftiglich erbauet zu ſeyn bekennen/ was denn zu hoffen waͤre/ wo die ſache in
den ſtand gebracht werden koͤnte/ wie ich verlange: Aber leyder/ woher wir huͤlf-
fe haben ſolten/ ſtehet man gemeiniglich dem guten meiſtens entgegen. Es hat
auch der liebe und um das reich GOttes hertzlich eyferende juriſt D. Fritſch ein
fein tractaͤtlein geſchrieben von erbauung des nechſten durch gottſeelige ge-
ſpraͤch/
darinnen (in abſicht auf mich und hieſiges inſtitutum) dergleichen
congreſſus gebillicht werde/ mit anfuͤhrung eines reſponſi einer Theol. Facul-
taͤt ſo mir zum beſten gegeben worden. So wird dieſer tagen auch auß der preſſe
ausgehen eines anderen gottsfuͤrchtigen juriſten Herr Kriegsmanns kurtzes
ſcriptum, darinnen er zeigen will/ das Matth. 18. nechſt den allgemeinen kirchli-
chen auch andere beſondere zuſammenkunfften eingeſetzet ſeyen. Welcherley ſcri-
pta
und ſo vielmehr die ſache ſelbs gern omnibus modis befoͤrdere/ wohin ich auch
mit meinen vor dreyviertel jahren ausgegebenen Geiſtlichen Prieſterthum gezieh-
let habe. Jch hoffe auch/ GOtt werde gnade geben/ daß hin und wieder einiger
anfang von guten gemuͤthern werde gemacht werden/ und das werck des HErrn
allgemach wachſen. Es iſt zwar an deme/ daß der vorſchlag der piorum deſi-
deriorum
von der gleichen zuſammen kuͤnfften nach dem exempel der Apoſtoliſchen
kirchẽ der einige geweſen/ der ob wol noch nicht offentlich contradictiones erwecket
jedoch ein und andere privatim ihr miß-liben oder bedencken daruͤber bezeuget.
Aber die urſache iſt leicht zu finden. Was nun die jenige gebrechen anlanget/ ſo
der unbenante freund mir zu ſchreibet/ theils die ich mit andern meiner confeſſion
gemein haͤtte/ theils die mir eigen waͤren/ will ich candidè mein gemuͤth declari-
ren/ und frey laſſen zu judiciren, ob und wie fern ein und anders ſich alſo bey mir
verhalte oder nicht: Als der ich ſo wol bereit bin/ von jeglichen willig zu lernen/ als
auch nicht verlange/ daß jemand anders oder mehr von mir halten ſolte/ als an mir
iſt. Das erſte anlanget/ ſo bin ich niemahl in der meynung geweſen/ auch noch
nicht/ ob waͤre die reformation Lutheri zu ihrer vollſtaͤndigkeit/ wie zu wuͤnſchen/
gebracht worden. Sondern wie die Boͤhmen unterſchiedlich mahl mit Luthero
gehandelt/ deßwegen zu ihn geſandt/ und an der reformation das jenige geſtrafft/
daß es ſchiene/ es ſeye allein um die lehr/ mit hindanſetzung des lebens/ zu thun/ un-
ſer liebe Lutherus auch verlangt/ daß ers dahin bringen moͤchte/ wie die diſci-
plin
bey ihnen waͤre/ aber uͤber die hindernuͤſſen/ die er nicht uͤberwinden koͤnte/
geklagt (davon bedencklich/ was Comenius de Bon. Un. \& ord. p. 29. u. f. er-
zehlet/ und den guten Lutherum zu ſeiner zeit entſchuldiget) alſo erkenne gern/
daß das werck zu zeitlich ſtecken geblieben. Jch dancke zwar freylich dem groſ-
ſen GOtt vor auch ſolche unausſprechliche wohlthat/ die in ſothaner reformati-
on
der kirchen erwieſen worden/ in dem auch das jenige ſchon ein groſſes iſt/ pro-
dire tenus, ſinon datur ultrà;
halte deßwegen die Ruͤſtzeuge GOttes/ die er in
ſolcher ſache gebraucht/ und mit ſo vieler gnade außgeruͤſtet/ als zu dem jenigen
Z 2werck
[180]Das ſechſte Capitel.
werck noͤthig war/ das er zu ſolcher zeit durch ſie außrichten wolte/ ſie auch wuͤrck-
lich dahin getrieben/ in ſchuldigen ehren/ und halte ihnen das jenige zu gut/ was
ſie nicht haben außrichten koͤnnen/ ohne ſie deswegen freventlich zu richten/ als der
ich nicht ſo genau weiß/ woran es in dem ſtuͤck gemanglet/ und was den lieben leu-
then uͤber das jenige/ ſo wir auch anjetzo ſehen/ mag in den weg geſtanden ſeyn; ve-
nerire
die goͤttliche heilige providenz, ſo ihr werck auf unterſchiedliche art treibet/
und einer zeit dieſe/ einer andern eine andere und mehrere/ gnade beſtimmet hat:
aber glaube freylich/ daß mit der reformation noch bey weiten nicht alles geſchehen/
was hat geſchehen ſollen/ und an deſſen verfolge die nachkoͤmmlinge zu arbeiten bil-
lig verbunden geweſen und noch ſind. Und was iſts anders/ wo ich in den piis de-
ſideriis
klage/ daß der außgang aus Babel zwar geſchehen/ aber der tempel und
ſtatt noch nicht gebauet geweſen/ und aus Babel viel boͤſes mit gebracht/ davon
ſie durch Eſram/ Nehemiam/ und die von GOTT erweckte Propheten annoch
gereiniget zu werden bedoͤrfft/ als daß ich damit geſtehe/ es ſeye auch mit unſerer re-
formation
ſo weit nicht gekommen/ wie es haͤtte ſeyn ſollen/ ſondern man iſt ſte-
hen blieben mit dem bau/ als nur/ ſo zu reden/ der grund war geleget worden. Da-
her ich freylich verlange/ daß nicht nur die ſache wiederum in den ſtand moͤge ge-
bracht werden/ wieſie bey Lutheri zeiten geſtanden/ ſondern daß auch das jenige/
was damal zuruͤck geblieben/ erſetzet wuͤrde. Wie wol ich nicht leugnen will/ daß
zu ſolcher zeit die erkaͤntnuͤß der groſſen wolthat/ die GOtt in der außfuͤhrung aus
der ſo dicken finſternuͤß des Papſtums den lieben leuthen erzeiget hat/ wie ſie in fri-
ſcher gedaͤchtnuͤß war/ einen mehreren ernſt zu einem rechtſchaffenen weſen in
Chriſto JEſu bey allen den jenigen erwecket/ welche eine aufrichtige begierde
GOtt zu dienen hatten/ alſo daß derſelben vielmehrere/ als jetzo eine weil her/ wo
wir wenig mehr an ſolche wohlthaten gedencken/ zu dem rechtſchaffenen leben/ das
aus GOtt iſt/ gelanget ſind: Wie ich auch/ wo ich der Theologorum, ſo damahl
gelebet/ Schrifften leſe/ und ſie gegen den meiſten hauffen vergleiche/ finde daß ein
mehrer und kraͤfftiger Geiſt bey denſelben geweſen/ ſo mich nicht wol laͤßt zweifflen/
daß die frommes leuthe durch goͤttlichen ſegen ein vielmehrers außgerichtet; ſon-
derlich da es noch mit verfolgung hergienge/ und dieſe die gemuͤther ſo vielmehr
von der welt/ als der groͤſſeſten hindernuͤß des geiſtlichen abzogen. Was das
zweyte anbelanget ſo bekenne gern/ daß ich keinen goͤttlichen glaubens-articul/ ſo
zu der ſeligkeit nothwendig iſt/ wiſſe/ welchen wir nicht in unſerer bekaͤntnuͤß rein
haͤtten/ als viel mir GOtt noch biß dahero zuerkennen die gnade gegeben hat. Ein
anders iſts/ ob alle abſonderliche determinationes, die ins gemein von uns moͤch-
ten behauptet/ und ſolche aus ein und andern orten erwieſen werde/ ſo gantz un-
fehlbahr ſeyen/ daß wir nicht nur ſelbs dabey beharren/ ſondern auch alle andere
dazu obligiren koͤnten/ nothwendig dieſelbige anzunehmen/ und mit uns zube-
halten. Sonderlich nach dem von einigen zeiten her einige lehrer ſich die macht
ge-
[181]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XI.
genommen haben/ wo nur in der kirchen einige controvers entſtanden/ dieſelbe
nicht nur ſo bald zu determiniren/ ſondern der maſſen zu determiniren/ daß wer es
nicht mit ſolcher definition haͤlt/ ſo bald unter die zahl der rein Evangeliſchen u. or-
thodoxorum
nicht mehr gerechnet werden doͤrffte. Wie die traurige colliſiones
gantzer univerſitaͤten gegen einander faſt von anfang dieſesſeculi bißhieher gewie-
ſen haben: Daher nicht wohl fehlen kan/ wo man alles ſolches zu ſammen nim-
met/ daß keine ſeit ſeyn mag/ die nicht auff das theure fundament neben dem gold/
ſilber/ edelgeſteinen auch holtz/ heu und ſtoppeln/ gebauet haͤtte/ und alſo wo von
ſolcher durchgehenden reinigkeit geredet wird/ derſelben titul ihr diſputiret werden
mag. Daher wo wir von der lehr reden wollen/ wird etwa eine reformation
fuͤglich ſtatt haben/ nicht ſo wohl neue glaubens articul zuſetzen/ als derjenigen/
welche ſich zu viel macht genommen/ glaubens articul zu machen/ ob wohl die ge-
ſamte kirche niemahl eingewilliget/ vermeſſenheit zu coẽrciren. Und daher/ wo
das argument aus Jerem. 23/ 22. gefuͤhret wird/ ſo bringts gleichwohl dieſes nicht
zu wege/ das die glaubens bekaͤntnuͤß ſolcher gemeinde muͤſte nicht rein ſeyn/ wo die
fruͤchte nicht folgen/ indem wir von den Jſraeliten ſolcher zeit nicht finden/ daß ſie in
denſelben ſolten gefehlet haben/ ſondern ihre ſehler ſtunden vielmehr darinnen/ daß
ſie ſich in den ungehorſam gegen goͤttliches geſetz mit dem euſſerlichen GOttes-
dienſt und opere operato nur ſtaͤrckten/ und alſo den an ſich ſelbs guten dienſt wie-
der goͤttliche intention mißbrauchten: So dann ihre prieſter/ welche den prophe-
ten widerſprochen/ hatten auch nicht ſo wohl falſche lehr gefuͤhret/ als daß ſie die
lehre falſch an ihnen applicirten/ und was GOTT wahrhafftig/ aber mit gewiſ-
ſen conditionen/ verſprochen hatte/ auff ſie zogen/ und damit ſie wider der pro-
pheten trohen troͤſteten/ in der that aber betrogen/ daher ſo war das von ihnen uͤbel
applicirte wort/ wie es aus ihrem munde kam/ nicht mehr GOttes wort/ ſondern
ihr eigen wort: Alſo wo von der lehr ferner geredet wird/ wie dieſelbe in unſerer
kirchen/ vieler oder freylich meiſter orten/ getrieben wird/ will ich nicht in abrede
ſeyn/ daß ob ſchon in der lehr/ das iſt/ der bekaͤntnuͤß unſerer kirchen/ kein fehler o-
der irrthum iſt/ gleichwohl ſo wohl in der artdes vortrags als der application
gemeiniglich ſehr viel gefehlet werde. Zum exempel in dem grund articul der recht-
fertigung erkenne ich vor GOTT/ und dancke demſelben davon/ daß die lehr un-
ſerer Evangeliſchen kirchen an ſich ſelbs gantz juſt und goͤttliche ſeye: wie wir nehm-
lich aus pur lauter gnaden vor GOTT gerecht werden durch die barmhertzigkeit
GOttes/ der uns unſere ſuͤnde vergibet/ und alſo das verdienſt CHRJSTJ
ſchencket/ aber ſolcher gnaden werden wir allein theilhafftig durch den glauben/ der
da nicht nur eine menſchliche einbildung/ ſondern eine ſolche goͤttliche wuͤrckung iſt/
welche/ wie unſer ſeliger Lutherus ſagt/ uns wandelt und uns gebiehret aus GOtt/
daß wir aus erkaͤntnuͤß der groſſen liebe und wohlthaten GOttes gegen uns/ auch
der unausſprechlichen guͤter/ welche uns von unſern Vater geſchencket und ver-
Z 3ſpro-
[182]Das ſechſte Capitel.
ſprochen wurden/ nunmehr alſo in denſelben alle unſere ſeligkeit ſuchen/ das uns
nichts mehr angelegen iſt/ als dieſelbe allein/ und wir alſo nicht anders koͤnnen als
hinwiederum inbruͤnſtig den theuren liebhaber lieben/ und uns ihm zu eigen mit
allem was wir haben geben. Wo aber gefragt wird/ ob dieſe lehr/ ſo der rechte
kern unſerer glaubens lehr iſt/ auch auff allen cantzeln dermaſſen getrieben/ ja von
allen predigern alſo verſtanden werde? ſo wird ſichs viel anders finden. Jch bin
gewiß/ daß derjenigen prediger nicht wenige ſind/ dieſelbs gantz andeꝛs von dem ſelig-
machenden glauben halten/ und keinen andern glauben wiſſen/ als der nach Lutheri
abermahligen worten ein menſchlich gedicht und gedancken iſt/ welchen des
hertzens grund nimmer erfaͤhret/
der alſo auch nichts thut/ und aus ſeiner krafft
keine beſſerung daraus folgen kan; Daher ſie auch allein ſolchen glauben predigen/
und doch denſelben mit verkehrung der ſpruͤche/ welche von dem glauben handlen/
die ſeligmachende krafft zuſchreiben/ damit die leute auff die gottloſe und ſichere ge-
dancken gerathen/ eine ſolche menſchliche einbildung von CHriſto mache ſie ſelig:
Welche meinung ich wohl vor eine ſo grauſame ketzerey halte/ als einige jemahl ge-
weſen iſt. Dieſelbe aber entſtehe nicht aus ſchuld der lehr unſerer kirchen ſelbs/
wie ſie in unſerer Confeſſion ſtehet/ ſondern aus dem unverſtand der lehrer/ oder
auch dero unachtſamkeit. Und mag man alſo wohl ſagen/ daß derſelben viele das
wort GOttes nicht predigen/ als die theils in ihren meiſten predigten von ſolchen
controvers-puncten handlen/ worinnen wenig goͤttliche wahrheit ſich findet/ ſon-
dern meiſtens menſchliche gedancken und erfindungen/ oder doch was von wahrheit
darinnen ſeyn moͤchte/ ſo mit dieſem uͤberhauffet iſt/ daß es alle krafft verliehret: o-
der ſie handlen von moralien nicht anders/ als die heyden auch gethan/ ohne daß
der grund recht geleget worden; oder da ſie den grund von dem verdienſt CHRJ-
STJ und der gerechtigkeit des glaubens legen ſollen/ thun ſie daſſelbe ſuperfici-
aliter,
daß die zuhoͤrer/ weil das fleiſch ohne das nur gern dasjenige/ was ihm ge-
maͤchlich kompt/ annimmet/ die ſache nicht anders faffen/ als ihre ſicherheit zu
ſtaͤrcken/ und kommen alſo nimmermehr zu dem rechten glauben: Freylich auch
aus ſchuld der lehr/ aber nicht ihrer kirchen/ ſondern ihrer particular lehrer. Wie
man hingegen erfahren wird/ wo etwa an einigen orten einige treue lehrer von Gott
geruͤhret werden/ daß ſie ſolche grundlehr von dem lebendigen glauben/ wie er uns
in den todt und in das leben CHriſti und dero gemeinſchafft bringt/ wie auch Arnd
ſo vortrefflich gethan/ mit gnugſamer treue ihrer gemeinde vortragen/ ob ſie wohl
nicht einen fingers breit von unſerer allgemeinen kirchen Confeſſion abgehen/ wie
alſobald eine groſſe bewegung in den gemeinden zu entſtehen pflege/ da ſich die folg-
ſame/ wo ihnen ferner mit huͤlffe an die hand gegangen wird/ wahrhafftig zu Gott
bekehren/ die uͤbrige meiſte aber mit ihren klagen bezeugen/ daß ſie die krafft des
worts wahrhafftig empfunden haben/ ob ſie ihr wohl widerſtreben. Jn deſſen
zeiget doch dieſes/ daß wo unſere lehr recht nach unſerer bekantnuͤß gefuͤhret werde/
ſo
[183]ARTIC. I. DISTINCT. II. SECTIO XI.
ſo ſey ſie das rechte kraͤfftige wort Gottes. Koͤnten wir es auch allgemach dahin brin-
gen/ daß in der abſonderlichen application bey der Abſolution nicht ſo offt dasje-
nige in der hypotheſi widerſprochen wuͤrde/ was in theſi auff der cantzel geleh-
ret worden/ ſo wuͤrde bald die ſache ein ander anſehen gewinnen. Was die ande-
re gemeinden betrifft/ ſo erkenne gern/ daß in derſelben GOtt auch ſeinen ſamen
erhalte/ welche aber gewißlich in dem grund des glaubens mit uns einſtimmen/ was
die uͤbrige articul aber anlangt/ entweder unſere wahrheit auch erkennen/ ohne daß
ſie deswegen ſich zu uns zu verfuͤgen ſich in ihrem gewiſſen verbunden achten/ noch
die reſolution darzu faſſen koͤnnen/ weil ſie ſonſten ſo viel boͤſes bey uns ſehen/ wel-
ches ihnen ſo ſtarcken zweiffel macht/ ob wir die wahre gemeinde GOttes ſeyn koͤn-
ten/ oder ſie erkennen ſolche nicht/ vielleicht auch aus dieſer heiligen vorſehung Got-
tes/ welcher ſie bey ihren gemeinden behalten will/ damit durch das bey ihnen noch
beſindliche gute die jenige/ die ſich erhalten wollen laſſen/ und ohne dergleichen zu
hauſe habende/ etwas ſehende/ leiter erligen wuͤrden/ behalten werden moͤgen/ daher
er jene noch ſo viele nicht ſehen laͤſſet/ woꝛaus ſie zu einem ausgang aus ihꝛen gemein-
den wuͤrden bewogen werden. Jndeſſen weiſt/ wie er verhuͤten kan/ daß ſolche un-
wiſſenheit ihnen endlich nicht ſchaͤdlich ſeyn kan. So folget auch aus obigem/ daß
freylich wie die lehr ins gemein gefuͤhret wird/ nicht lauter ſtimme CHriſti bey uns
auch ſchallet/ ſondern manches mit menſchen ſtimmen zimlich vermiſchet wird.
Was das dritte betrifft/ ſo iſt die frage entweder davon/ ob unſere kirche alſo rein
ſeye/ wie ſichs geziemete vor diejenige welche die braut CHriſti iſt/ wo ich ſreylich
erkenne/ es mangle ihr vieles an dem jenigen/ was zu ihrer geziemlichen zierde ge-
hoͤret: oder es iſt die frage/ welche unter alle ſichtbahren gemeinden und verſam-
lungen der Chriſten diejenige ſeye/ dero bekaͤntnuͤß rein/ und alſo ihre lehr vor der
uͤbrigen gemeinden lehr goͤttlichem wort gemaͤß erkant werden woͤge; da wir dann
GOTT dieſen danck ſchuldig ſind/ zu bekennen/ daß in vergleichung der ſchwehrer
irrthum und abgoͤttiſchen dienſts in dem Papſtum/ ſo dann des irrthums bey den
Reformirten von der bloſſen verwerffung/ jetzo anderer gemeinden zu geſchweigen/
die unſerige ſo viel reiner/ und ſo viel wir jetzo auff erden eine ſichtbare kirche haben/
dieſelbe bey der unſrigen zu erkennen ſeye. Jndeſſen iſt nimmermehr meine mey-
nung/ daß alle in allen andern gemeinden davon ausgeſchloſſen ſeyen/ und nicht ſehr
viele unter denſelbigen gefunden moͤgen werden/ welche wahrhafftige und nicht
weniger glieder der unſichtbaren oder allgemeinen kirchen ſeyen als wir. Wie
zum exempel zu zeiten der altvaͤter/ ob wohl in ihren haͤuſern und familien die ſicht-
bahre kirche GOttes geweſen/ nichts deſto weniger unter andern voͤlckern ſich auch
gefunden haben leute/ die GOTT angenehm geweſen/ und zu ſeinem volck
gehoͤret haben. Weswegen die intendirende Reformation freylich nicht ſolle
verlangt werden inner unſrer ringmauer allein zu bleiben/ ſondern das reich Got-
tes aller orten aus zubreiten. Nur iſt die frage/ wie ſolche ſache am kluͤglichſten
und GOttgefaͤlligſten angegriffen werde/ ſonderlich in betrachtung gegenwaͤrti-
gen
[184]Das ſechſte Capitel.
gen zuſtandes. Wo ich einmahl nicht finde nuͤtzlich/ ſondern beſorgte vielmehr
hochſchaͤdlich zu ſeyn/ eine ſolche Reformation zu tentiren/ daß man von allen par-
teyen voran gleich eine zuſammen ſetzung erforderte und vorſchluͤge: die nicht nur
bey gegenwaͤrtiger beſchaffenheit der gemuͤther und derjenigen/ welche bey allen das
meiſte zuſagen haben/ nicht erlangt/ ſondern mit deroſelben vorſchlag auch ſehr gu-
te und der beſſerung ſonſt geneigte gemuͤther wuͤrden zu ruͤck getrieben/ ja ſich dem
werck zu widerſetzen veranlaſſet werden/ ſondern wie die paſſionirte gemuͤther je-
tzo ſind/ wuͤrde dieſes eben die gelegenheit ſeyn/ vollends um das jenige kleinodt/ wel-
ches wir durch GOttes gnade annoch haben/ gantz zukommen/ und an ſtatt des ver-
hofften guten auch gar das/ was wir haben in der reinigkeit der lehr zu verliehren.
Jndeſſen moͤgte wohl daß rathſamſte ſeyn/ daß wie wir auffs wenigſte der jenigen
kirche/ zu dero abſonderlichen gliedern uns GOtt gemacht hat/ vor andern verbun-
den ſind/ wir erſtlich trachten/ wie deroſelben moͤge geholffen/ und bey ihr das recht-
ſchaffene Chriſtenthum in lebendigen glauben und liebe auffgerichtet werden/ um
alsdann/ wo wir erſtlich in dem ſtande ſtuͤnden/ wie wir ſolten/ auch den uͤbrigen zu
ihrer beſſerung behuͤlfflich zu ſeyn. Wie wohl doch dabey auch nicht davor halte/
daß wir in deſſen der uͤbrigen gantz zu vergeſſen haben/ ſondern wie wir mit hertzli-
chem gebet dero ſelben beſtes von dem himmliſchen vater zu erbitten/ ſo dann mit lie-
be/ und alſo mit guten exempel/ ſie zu erbauen haben/ alſo haͤtten wir ſie/ und ihre
lehrer dahin ernſtlich zu vermahnen/ daß wo ſie dasjenige/ ſo wir von wahrheit wei-
ter als ſie noch nicht haben/ jetzo nicht begreiffen koͤnnen/ ſie auffs wenigſte in dem
jenigen pfund/ ſo viel ſie erkant haben/ ihrem GOtt wollen treu werden/ und alſo
darinnen ein ſolches fundament legen/ auff welches ſie durch goͤttlichen beyſtand
folglich ein mehres bauen/ und mehrere erleuchtung hoffen koͤnten. Und iſt diſees
ſchon bereits einigerley maſſen eine zuſammenſetzung der arbeit/ wo jeglicher theil
unter ſich nach der gnade GOttes/ ſo viel er dero empfangen hat/ wircket und die
beſſerung zu befoͤrdern ſuchet. So zweiffle ich auch nicht/ wo wir mit auffrichti-
gem hertzen dergleichen eine kleine zeit continuiren werden/ GOTT werde ſegen
geben/ daß auch die irrende zu derjenigen erkaͤntnuͤß in einigen noͤthigſten ſtreitigen
articulen kommen werden/ daß es nicht mehr noͤthig ſeye/ ſich von einander getreñet
zu halten. Weilen ja die kraͤfftige irrthume ein goͤttliches gericht ſind uͤber dieje-
nige/ welche vorhin die liebe zur wahrheit/ nehmlich mit rechtſchaffenen gehorſam/
nicht haben annehmen wollen 2. Theſſ. 2. Alſo wird jenen nicht eher nachtruͤck-
lich geholffen/ als wo wir anfangen/ uns zu dem rechtſchaffenen weſen/ ſo in Chri-
ſto iſt/ zu verfuͤgen/ und der wahrheit nach der maß als wir ſie erkennen gehorſam
werden. Was nun das vierte anlangt/ wegen der unmittelbahren offenbah-
rung/
geſtehe ich/ daß mir ſolcher der ſchwehrſte punctiſt/ als bey dem die allermei-
ſte gefahr ſich findet/ wo wir in demſelbigen anſtoſſen. Daß nicht muͤglich ſolte
ſeyn/ daß GOTT noch heut zu tage ſeinen willen jemand moͤchte offenbahren/
will
[185]ARTIC. I. DIST. II. SECT. XI.
will ich nicht leugnen/ oder goͤttlicher macht einige ſchrancken ſetzen: Daß auch
ſchlechter dings Gott ſolches nicht wolle/ habe ich keine verſicherung aus gnugſam
klahren orten der Schrifft/ als der ich bekenne/ daß die etwa deswegen fuͤhrende lo-
ca
mir kein voͤllig genuͤge geben. Wo ſich alſo jemand ſolte hervorthun/ welcher ſich
einer ſolchen unmittelbahren erleuchtung beruͤhmte/ wolte ich nicht ex hoc prin-
cipio
ſo bald widerſprechen/ daß allerdings alle unmittelbahre erleuchtung auff-
gehoͤret/ aber ich bin nicht in abrede/ daß mir allezeit die ſache mehr ſuſpect als
glaubwuͤrdig vorkaͤme/ alldieweil ich in der Schrifft nicht ſehe dahin gewieſen zu
werden; Daher achte ich/ daß einem ſolchen hoͤchſtens oblige/ ſolchen ſeinen goͤttli-
chen beruff auff die art darzu thun/ daß eine GOttfuͤrchtende ſeele/ welche bereit iſt
alle goͤttliche wahrheit an zunehmen/ von dero ſie gnugſam verſicherung hat/ den-
ſelben erkennen und in ihrem gewiſſen ſich der ſache uͤberzeuget finden koͤnne. Wie
dann der guͤtigſte Vater mit uns alſo handlet/ daß eine auff ihn lauterlich ſehende
ſeele ſeinen willen gnugſam erkennen kan. Sonderlich wuͤrde von einem ſolchem
erfordert/ und er darnach gepruͤffet muͤſſen werden/ ob er einiges wider das ohn-
fehlbahre geſchriebene goͤttliche wort lehrete/ oder auch auſſer demſelben derglei-
chen vorgebe/ was darinnen nicht gegruͤndet waͤre. Jndem auch der unmittel-
bahre erleuchtete Paulus/ bey ſeinem ſo unfehlbahren beruff dannoch nicht nur den
Berrhoenſern geſtattet/ ſeine predigten aus der Schrifft zu pruͤffen/ ſondern ſich
mit groſſer freudigkeit darauff beruffet/ daß er nichts gelehret auſſer dem/ was Mo-
ſes und die Propheten geſagt haben. Apoſt. Geſch. 26. Wo alſo einer kaͤme/ wel-
cher in ſeiner lehr ſchlechter dings mit der heiligen Schrifft uͤbereinkaͤme/ und nur
aus der Schrifft zeigte einige erfuͤllung derjenigen dinge/ ſo von unſerer zeit moͤch-
ten geweiſſaget ſeyn worden/ zeigte ſie auch alſo/ daß man der wahrheit derſelben
erfuͤllung ſo verſichert ſeyn koͤnte/ als Paulus diejenige erwieſe/ ſo wuͤſte ich einen
ſolchen nicht zu widerſprechen/ ſondern wuͤrde mit demuth auch das goͤttliche wort
aus ſeinem munde annehmen. Ohne dergleichen gewiſſe und unbetruͤgliche zeug-
nuͤßen einer unmittelbahren ſendung aber wuͤrde ich mich nicht unternehmen/ einem/
der ſich deroſelben anmaſſen wolte/ beyfall zu geben. Und zwar ſolches alles ge-
ſchiehet nicht darum/ welches mir mein gewiſſen zeugnuͤß vor GOTT gibet/ ob
ſuchte ich die autoritaͤt der ordenlichen beruffenen diener und Theologorum,
und darinnen meine eigene/ feſt zuſetzen/ vor dieſelbe zu ſorgen/ und uns das mono-
polium
in der kirchen zu zuſchreiben/ welches ſiñes nicht zu ſeyn ich mich hißher ver-
hoffentlich in unterſchiedlichem gezeiget habe: Daher ich auch nicht mich der wahr-
heit entziehen wuͤrde/ wo ein anderer weltlichen ſtandes (wie man aus mißbrauch
zu reden pfleget) und ſolte es von profeſſion ein bauer ſeyn/ ohne ſich eines unmittel-
bahren beruffs oder offenbahrung ruͤhmende/ aus der heiligen Schrifft deutlich und
zu vergnuͤglicher uͤberzeugung der gewiſſen darthun wuͤrde/ wo wir Theologi biß-
her alle geirret haͤtten: als der ich durch GOttes gnade gelernet habe zu gedencken/
A anon
[186]Das ſechſte Capitel.
non quis, ſed quid. Sondern ich ſehe die groſſe gefahr vor augen/ daß ohne der-
gleichen allerſchaͤrffeſte probe/ wo wir den jenigen/ die ſich unmittelbahrer offen-
bahrung ruͤhmeten/ gehoͤr geben wolten/ dem teuffel recht thuͤr und thor geoͤffnet
werden ſolte/ ſich in einen engel des liechts zuverſtellen/ und mit ſolchen griff dasjeni-
ge/ ſo er durch andere ſeine kuͤnſte noch nicht vermocht/ durch zu treiben/ ja die faſt
aller Gottſeligſte ſo viel gefaͤhrlicher zu beruͤcken. So iſt mir auch niemand be-
kant/ welcher von zeiten der Apoſtel eine Reformation unter dem vorwand derglei-
chen unmittelbahrer ſendung und erleuchtung angefangen haͤtte: Noch weiß auch
jetzo unter denjenigen/ welche etwas heilſames zu der verbeſſerung der kirchen in
vorſchlag gebracht/ der ſich hierauff bezogen haͤtte. Alſo ſoll es freylich nicht nach
eigenen duͤncken der Theologorum gefuͤhret/ aber auch die ſache nicht in der gefahr
unvermeidlichen betrugs geſetzet werden. Dahero ich nicht leugne/ daß die fol-
gende vorgeſchlagene art der Reformation mir gefaͤhrlich vorkomme. Nachdem
ich hiermit mich verhoffentlich gnugſam auff die jenige maͤngel/ ſo den geſamten
unſern Theologis zugemeſſen werden/ erklaͤhret/ will ich mit wenigen noch hinzu
thun/ was meine perſon ſelbs antrifft/ das gute vertrauen/ ſo unter denen/ die den
HErrn ſuchen/ ſeyn ſolle/ deſto beſſer zuſtifften und zu erhalten. Zu erſt iſt durch
aus meine meinung nicht/ daß es nur euſſerliche ſitten ſachen feyen/ ſondern weiß daß
der mangel viel tieffer ſtecke: Wir haben nicht zu arbeiten/ daß wir gute fruͤchte
von einem wilden baum erzwingen moͤgten/ als welche arbeit ver gebens ſeyn wird/
ſondern unſere ſorge muß freylich ſeyn/ daß wir erſtlich einen guten baum ſetzen/
der nachmahl die fruͤchte bringen koͤnne/ und alſo ſetze ich ſtaͤtig zum grunde alles gu-
ten die wiedergeburt aus dem glauben: wie ich auch in Luthero ſolche ſache ſo vor-
trefflich getrieben finde/ daß wir nicht nur andersthun/ ſondern andere leute wer-
den muͤſſen. Und dieſes iſt eben die urſach/ warum ich in unſerer gemeinde allhier/
ſonderlich des lieben Arnden ſchrifften/ vornehmlich ſein wahres Chriſtenthum/
zimlich bekant zu machen mich beflieſſen/ in der predigt zu mehrmahlen angezogen/
und vermittels goͤttlicher gnade dahin gebracht habe/ daß ſehr viele der zuhoͤrer ſol-
ches buch nicht nur in haͤnden haben/ ſondern fleißig leſen; habe auch in der vor eini-
gen jahrẽ hie herausgegebenen edition einige notulas eines ſeines liebhabers/ auch
excerpta aus Varenii Rettung mit inſeriret/ damit diejenige/ welche noch an ſol-
chem theuren buch einen eckel haben/ oder doch anſtehen/ ſeine unſchuld und reinig-
keit ſo viel klaͤhrer erkennen moͤchten. Jndem dieſer vortrefflicher lehrer den grund
der wiedergeburt/ mit allen dahin gehoͤrenden lehren von dem goͤttlichen Eben-
bild/ deſſen verluſt und wieder erlangung/ ſo einfaͤltig als kraͤfftig treibet. So ſu-
che ich auch der gemeinde offter dieſes einzufchaͤrffen/ daß es nicht an dem euſſerli-
chen/ ſondern innerlichen/ an dem hertzen/ allein und alles gelegen ſeye/ welches wie
es die brunnquell iſt alles boͤſen/ alſo auch die werckſtaͤtte ſeyn muß/ in dero der hei-
lige Geiſt alles gute wiederum wircke: Hierauff treibe ich in der materi von der
buß
[187]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XI.
buß/ und wo ich gelegenheit finde. Weilen dann durch den glauben ſolche wie-
dergebeburt geſchiehet/ ſo trachte nach der gnade/ die mir GOTT giebet/ die lehre
alle dahin einzurichten/ damit ein rechter lebendiger glaube durch das wort des le-
bens/ recht vorgetragen/ gewuͤrcket werde/ als wo mit der gantze menſch wird zu
einen andern menſchen werden/ und wo er rechtſchaffen erkant/ die unausſprech-
liche liebe ſeines GOttes gegen ſich/ die theure guͤter/ die er empfangen und noch
zu erwarten habe/ die vortrefflichkeit und ſuͤßigkeit des rechtſchaffenen weſens in
CHRJSTO/ kans nicht wohl fehlen/ daß die liebe der welt und anders/ ſo den
uͤbrigen goͤttlichen wuͤrckungen gemeiniglich in dem weg zu ſtehen pfleget/ muß ab-
ſterben. Und damit iſt ein rechter grund tieff geleget zu einen rechtſchaffenen
Chriſtenthum/ daß alsdann alles leben euſſerlich aus der innern goͤttlichen glaubens
krafft gehe: Jn dem der menſch nicht mehr wircket aus zwang und noth/ ſondern
aus liebe zu ſeinem GOTT und Heyland/ ſo ſein gantzes hertz geaͤndert hat. Was
das zweyte anlangt wegen Babel/ ſo werden wir vielleicht nicht ſo weit von einan-
der ſeyn/ wo wir einander recht verſtehen; Wo ich ſage/ daß wir und unſere kir-
che nicht mit zu Babel gehoͤre/ ſo rede ich davon/ wie in der Offenbahrung Johan-
nis das wort gebraucht wird/ wo ich nicht ſehe/ wie wir einige gemeinde unter ſol-
chen nahmen ziehen moͤgen/ welche dem ohne zweiffel daſelbſten verſtandenen Rom
entgegen und in offentlicher feindſchafft dawider iſt. Will man aber das wort
Babel beylegen allem dem/ was nicht in rechter ordnung ſondern in einiger verwir-
rung nach der deutung des nahmens iſt/ ſo doͤrfften wir wohl etwas von ſolchem
nahmen mit bekommen/ in dem ich nicht leugnen kan/ daß auch nicht wenig verwir-
rung ſich bey uns befinde. Es ſtehet aber dahin/ und gebe ich es Gottſeligen her-
tzen zu fernerem bedencken/ ob wir wohl thun/ wo wir wollen auſſer der Schrifft und
des heiligen Geiſtes ſprach dergleichen wort nach eigenen gutduͤncken extendiren.
Was den nahmen Antichriſt anlanget/ hat es damit eine andre bewandnuͤß/ dañ
ob wir wohl denſelben mit ſonderbahren vorzug auch pflegen den Papſt zu geben/
ſo ſtehet doch 1. Joh. 2. austruͤcklich/ daß der Antichriſten viel ſeyen/ und habe ich
alſo die freyheit/ das wort in der weitlaͤufftigkeit zu brauchen/ wie der heilige Geiſt
ſelbs thut. Weswegen ich wohl gelten laſſe/ daß in ſolchem verſtand wir auch in
unſerer kirchen Antichriſten antreffen werden/ als welche ſich der ehre und werck
CHriſti entgegen ſetzen. Daher ſich auch ziemlich offenbahr hervor thun/ daß
man ſehen koͤnne/ wer ſie ſeyen. Jch laſſe auch wohl gelten/ daß nicht nur der
groſſe Antichriſt zu Rom/ ſondern viele andere kleine Antichriſten aus GOttes ver-
haͤngnuͤß gegen die heilige biß zu ſeiner zeit viel macht haben und uͤben werdẽ: Dar-
auff man ſich zu ſchicken hat. Jch gehe zu dem tritten und letzten/ wo der unge-
nandte freund davor haͤlt/ ich ſehe mit dem groſſen hauffen mehr auff die titul/ als
auff die krafft des geiſtes CHRJSTJ. Hoffe aber/ wo mich der liebe mann
beſſer kennen wird/ wird etwas von dieſer meinung bey ihm fallen. Dann ich ha-
A a 2be
[188]Das ſechſte Capitel.
be meinen GOTT demuͤthig danck zuſagen/ der mich von dieſer thorheit frey laſ-
ſen werden. Daß ich nicht alle lobe/ die vor mir und mit mir ſolche Reformation
getrieben haben/ hat ſeine gantz andere urſuch. Jch habe oben bekant/ daß meine
erſte ſorge ſeye/ ob durch goͤttliche gnade darzu helffen moͤchte/ daß unſere ſo genan-
te Lutheriſche kirche erſtlich mehr gereiniget/ und alſo die jenige/ welche in derſelben
ſind/ darzu hand anzulegen bewogen wuͤrden. Wie nun ſolches ohne zweiffel ein
ſo ſchwehres werck iſt/ auch ſo viele hindernuͤſſen in dem weg ligen/ als man ſich im-
mer einbilden mag/ alſo hat man ja auff alle weiſe zu ſehen/ derer hindernuͤſſen nicht
mit fleiß noch mehrere zu machen/ welches aber wuͤrde geſchehen ſeyn/ wo ich in ſol-
chem ſcripto einige ſonderlich gelobet und angefuͤhret haͤtte/ welche den meiſten un-
ſerigen nicht nur verdaͤchtig ſondern von ihnen gantz verworffen waͤren. Dann
nach dem wir ohne zweiffel ſelbs unter der zahl der jenigen die Theologi heiſſen ſol-
len/ leute haben moͤgen/ die einer rechtſchaffenen beſſerung der kirchen ſich von her-
tzen widerſetzen wollen/ als die ihrem intereſſe nicht gemaͤß iſt/ daher auch alle der-
gleichen ſcripta und Autores, wie ſie nur verwoͤgen/ werden ſuchen zu unterdruͤ-
cken/ ſo thun wir ja nicht kluͤglich/ wo wir denſelben mit fleiß neue ſchwerter in die
haͤnde geben/ wo mit ſie uns angreiffen koͤnnen. Wie dann ſolches dergleichen
leuten etwa eine erwuͤnſchte gelegenheit wuͤrde ſeyn/ wo ſie dadurch zu laͤſtern ei-
ne ſcheinbahre anlaß bekommen wuͤrden: Man ſuchte die religion zu vermiſchen/
und alſo die unſrige wahrheit in die gefahr ſolche zu verlieren zubringen: man col-
ludi
re mit offenbahren feinden unſerer kirchen/ oder ſolchen leuten/ auff die man
einen rechtmaͤßigen verdacht haͤtte. Dann ob wohl es nicht an antwort manglen
wuͤrde/ ſo iſts doch beſſer/ keine gelegenheit dazu mit willen zu geben/ was eine ſol-
che antworterforderte. Neben denſelben aber ſind viel andere liebe leute/ welche
nach dem maß der gnaden/ ſo ſie jetzo haben/ nicht nur eine Reformation belieben
ſondern willig die hand mit anlegen werden/ wo man ihnen nicht vor der zeit ſcrupu
los
macht: die aber noch zu ſchwach ſind/ als daß ſie tragen koͤnten/ wo es nur
den ſchein einer ſolchen colluſion bekaͤme/ wie ihnen die andere/ wo ſie dergleichen
anlaß bekaͤmen/ vor die augen zumahlen nicht ſaͤumig ſeyn wuͤrden. Weil alſo
daß der anfuͤhrung ſolcher Autorum/ deren nahmen/ dem werck ein weiteren ver-
dacht geben moͤchten/ ſo viel nutzen nicht zu der ſach ſelbs zu hoffen/ als ſchaden zu
beſorgen: Warum ſolte ich mit fleiß um die zeit/ da es heiſſen mag/ wer nicht wie-
der mich iſt/ der iſt vor mich/
der feinde zahl vermehren/ und denen ſonſt willigen
einige ſteine des anſtoſſes ſetzen? So bin ich verſichert/ daß liebe leut/ deren inten-
tion
vor GOttes ehre redlich iſt/ wo ſie wiſſen/ daß mit austruckung ihres nah-
mens die gute ſache (ſolte es auch nur bey wenigen ſchwachen geſchehen) einige
hindernuͤß bekommen/ nicht verlanget wuͤrden/ genennet zu werden/ als daß ſie ſich
deſſen/ daß es nicht geſchehe/ ſolten beſchwehren. Wie ich hertzlich gern/ wo auch
mein armer nahme jemanden verdaͤchtig machen und ihn an etwas gutes hindern
moͤchte
[189]ARTIC. I. DISTINCT. II. SECTIO XI.
moͤchte/ denſelben immer verſchwiegen gehalten zu werden lieber wuͤnſche/ als da-
von hindernuͤß zu entſtehen ſehen wuͤrde. Und dieſes iſt die urſache/ warum ich
ſonderlich Betkii, Hohburgii, Brecklingii, welche ich ſonſten hertzlich liebe/
und zwar nicht alles/ aber doch das meiſte ihrer Schrifften in werth achte/ nicht
habe offentlich gedencken wollen: mich verſichrende/ daß dergleichen liebe leuthe
in ſolcher abſicht es auch nicht verlangt haben wuͤrden. Von Jacob Boͤhmen
kan nicht eben dergleichen ſagen; als den ich zwar nicht verwerffe oder verdamme/
aber auch nicht verſtehe/ jedoch wegen ſeiner von der dem heil. Geiſt in der Schrift
gewoͤhnlichen ſchreib-art abgehender manier zu ſchreiben nicht auſſer verdacht ſe-
tzen kan: Dahero ſeine verantwartung ihm uͤberlaſſe/ ohne mich ſeiner in dem we-
nigſten theilhafftig zu machen. Was einige andere anlanget/ ſo auſſer unſerer kir-
chen geſchrieben ſind mir etliche wenige auch bekandt/ aber iſt gleiche urſach/ wa-
rum deroſelben nahmen zu allegiren nicht nuͤtzlich/ noch zu dem zweck dienſam
erachtet. Laſſet alſo alle unſere nahmen in die vergeſſenheit kommen/ daß nur
der nahme GOTTES endlich verherrlichet werde. Was beyde Theologos,
ſo ich ſonderlich gelobet/ betrifft; traue ich gaͤntzlich/ wo der gute freund ſie ken-
nen ſolte/ er ſie etwa ſolches oder auch mehreres lobes wuͤrde werth achten. Der
letſtere iſt derjenige/ durch den GOtt die erſte igniculos einer hertzlichen gott-
ſeligkeit bey mir hat entzuͤndet werden laſſen/ und dem alle/ die ihn familiar ken-
nen/ ein auffrichtiges zeugnuͤß eines vortrefflichen eyffers vor goͤttliche ehre
geben werden: Der auch mit verachtung anſehnlicher/ reichrer und genuͤglicher
functionen nun in die 30. jahr an einer kirchen beharret. Wo er in verglei-
chung der ſo groſſen arbeit weder an zeitlicher dignitæt, noch einkuͤnfften das jenige
hat/ was die ſuchen/ ſo nicht ihnen ſelbs abgeſtorben ſind. So iſt der ander auch
ein mann/ den unſer gute freund ſelbs zeugnuͤß geben wird/ eines recht inbruͤnſti-
gen eyfferers vor die ſache GOttes und der wahrheit/ und der andem iſt/ daß ihn
GOtt bald einer zimlichen verfolgung um ſeines nahmens willen wuͤrdigen moͤgte.
Dieſes ſind alſo die jenige dinge/ welche meine perſon uñ abſicht betreffend in freund-
lichen vertrauen meinem werthen bruder habe uͤberſchreiben und communiciren
wollen/ der guten zu verſicht/ daß ſolche liebreiche erklaͤhrung eines gegen dem an-
dern eine nuͤtzliche vereinigung der gemuͤther und feſteres vertrauen ſetzen moͤge.
Bitte auch nach befinden/ dem guten freund die davon noͤthig achtende apertur
zu thun/ ſo ich von ihm auch in hertzlicher liebe aufgenommen zu werden verhoffe.
Von mir kan ich nichts mehr ſagen/ als daß der grundguͤtige GOtt mir den hertz-
lichen willen gegeben/ das pfuͤndlein/ ſo er mir anvertrauet/ zu ſeinen ehren nach
vermoͤgen anzuwenden/ kan aber von demſelbem wenig verſprechen: Und wo der
HErr einig wichtiges werck in ſeiner kirchen vornehmen ſolte/ weiß ich mich meiner
wenigkeit wol zu beſinnen/ daß ich unter den geringſten werckzeugen zu bleiben mir
genug ſeyn laſſen ſoll/ aber mich nicht zu entziehen begehre/ was zu thun/ die gnade
A a 3em-
[190]Das ſechſte Capitel.
empfangen habe/ und was druͤber zu leiden noͤthig ſeyn wuͤrde. Den HErren
ruffe ich jetzt und taͤglich demuͤthig an: Er laſſe die zeit bald da ſeyn/ daß er auff
ſeye/ weil die armen verſtoͤret ſind/ und ihr ſeufftzen zu ihm dringet/ daß er ſich mit
nachtruck ſeiner kirchen erbarme: Er zeige uns in allen ſolchen dingen die ſeine eh-
re und der kirchen beſtes betreffen/ was ſein heiliger wille ſeye/ und laſſe uns als-
dann denſelben getroſt zu werck richten. Er laſſe auch unter uns niemand auf ei-
ne thorheit oder gefaͤhrliche Conſilia gerathen/ ſondern bey der einfaͤltigen wahr-
heit der Schrifft in kindlicher einfalt verbleiben/ und in deroſelben gehorſam be-
ſtaͤndig verharren/ auch nichts/ wie einen vortrefflichen ſchein und vorwand es
haben ſolte. davon uns abziehen laſſen. Damit ja in allem ſein nahme geheili-
get/ ſein reich erweitert/ und ſein heiligſter wille vollbracht werde. Amen. 1677.
m. Decembr.


SECTIO XII.


Uber Wilh. Chriſtpoh Kriegsmanns
ſymphoneſin.


JCh ruffe dabey den heiligen groſſen GOtt an/ deſſen ehre auch in dieſem
tractaͤtlein geſuchet worden/ er wolle daſſelbe von oben herab mildigſt ſeg-
nen/ und ein korn ſeyn laſſen/ welches in vielen hertzen tauſend fruͤchte der
ewigkeit bringe: Er laſſe es ein liecht ſeyn/ vieler blinden augen zu oͤffnen/ daß ſie
hin kuͤnfftig ſelbs das jenige moͤgen befoͤrdern/ was ſie vorhin gehindert oder gelaͤ-
ſtert: er laſſe es einen kraͤfftigen antrieb ſeyn/ die noch in dem wercke des HErrn
fruchtſam ſind/ getroſter und freudiger zumachen. Er ſtaͤrcke auch unſern wehr-
teſten freund und bruder/ welcher mit dieſem ſcripto gezeigt/ daß ihn GOTT
kraͤfftig dahin bewegt/ ſich vor dem haß der welt und weltgeſinnten nicht zufoͤrchten/
ſondern ſeine wahrheit auch mit gefahr zubekennen/ daß er in ſolcher freundligkeit
fortfahre/ die ehre unſers groſſen Koͤnigs und ſeligmachers JEſu in behauptung ſei-
ner gebote und ordnung zubekennen/ und mache ihn zu einer ehren maur/ an wel-
cher die ſeinige/ ſo ſie beſtreiten wollen/ ſich ſelbs verletzen und beſchaͤdigen/ und
wo er auch nach ſolchem heiligen rath GOttes darum etwas leiden ſolle/ ſo ruhe
auch uͤber ihm der Geiſt/ der ein Geiſt der herrligkeit uñ Gottes iſt kraͤfftiglich/ gebe
ihm zuverſtehen/ wie ein groſſes und welche wuͤrdigkeit es ſeye/ um des nahmens
Chriſti willen ſchmach zuleyden/ ſo dañ zeige er in der that daß endlich der feinde
Chriſti thorheit muß offenbahr werden/ als die es in harre nicht treiben ſollen/
hingegen die wahrheit/ ſo in der welt unden ligen muß/ vor GOTT und in den
glaubens augen die obhand behalte. Alſo laſſe GOtt allen den danck/ den gute
ſeelen uͤber dieſe blaͤttlein zu ihm auffſchicken werden vor die gnade welche er dazu
ver-
[191]ARTIC. I. DISTINCT. II. SECT. XIII.
verliehen hat/ zu lauter ſegen werden/ der uͤber ſeinem haupt/ um deſſen willen der
nahme GOttes geprieſen worden/ mit allem heyl ſich eichlich und mildiglich ergieſ-
ſen. Der HErr erfuͤlle es/ wie wir wuͤnſchen. Amen/ 18. Dec. 1677.


SECTIO XIII.


Klag uͤber verlaͤumdungen. Tractat vom Beiſt-
lichen Prieſterthum. Angſthaffte fuͤhrung und
gefahr des amts.


JCh bin von zimlicher zeit faſt gewohnet/ daß allerhand verlaͤumdungen uͤber
mich gehen/ und ich nichts thun kan/ daß nicht ſo bald dergleichen leyden muß.
Wie denn/ weil durch GOTTes gnade ein und andere gottſelige gemuͤther/
das jenige/ was ſie viel jahre von mir und andern haben predigen gehoͤret/ in das
werck zu richten/ und ein ſolch leben/ daß den reglen Chriſti gemaͤß waͤre/ zufuͤh-
ren angefangen haben/ und ſich mehr und mehr zuerbauen beflieſſen/ dergleichen
calumnien von neuen quackereyen/ verbotenen conventiculis, maͤgd-predigten
und der gleichen in der ſtadt und anderwertlich erſchollen/ daß man ſich uͤber des
teuffels unverſchaͤmte luͤgen/ wie er was gantz wol und Chriſtlich geſchiehet/ ſo
ſchrecklich zu verkehren ſich unternim̃t/ billig verwundern muß: Aber gemeinig-
lich leute/ ſo eben der Gottſeeligkeit nicht hold/ deren amt ſonſt waͤre/ die ſache ge-
dau und vernuͤnfftig nach habender gewalt zu unterſuchen/ und zu inquiriren,
nergleichen fabeln lieber glauben/ und damit ſie bekraͤfftigen/ als der wahrheit zu
ſteuer auf den grund recht zukommen ſich befleißigen. Daher ich vor einigen ta-
gen ein tractaͤtlein von dem Geiſtlichen Prieſterthum aufgeſetzet und cum ſuf-
fragio
meiner geſamten Herrn Collegen ediret habe/ welches ich auch mit ſen-
de/ woraus/ was ich eigentlich vor recht halte/ zu erſehen iſt. Jch werde ſehen
ob GOtt zu ſolchem wercklein verlangten ſegen geben werde/ und damit auch die
ungleiche urtheil geſtillet werde werden laſſen. Jch fuͤhre vor GOttes angeſicht
mein amt gewißlich mit furcht und zittern/ meine und anderer ſeligkeit nach der em-
pfangenen gnade GOttes zuſchaffen; und wird/ wer mein thun anſihet/ leicht mer-
cken/ daß ich menſchen tage nicht ſuche/ und weder um reichthum/ noch ehre/ noch
gunſt der menſchen/ willen/ oder auß andern fleiſchlichen abſichten/ etwas deßwegen
thue/ was andere offt eckelt/ ſondern/ daß mich mein gewiſſen treibet/ nichts zu ver-
ſaͤumen an dem nothwendigen werck des HErrn. Jch weiß nicht/ wie bald mich
mein GOTT fuͤr ſeinen richter-ſtul fodern und ſtellen wird/ aber ich dencke daran
mit billigem ſchrecken/ und ſuche deswegen mein amt recht außzurichten/ daß allein
meine ſeele zur außbeute davon bringe: Denn wir prediger gewißlich in nicht ge-
rin-
[192]Das ſechſte Capitel.
ringer ſeelen-gefahr ſtehen/ als immer ein ſoldat in leiblicher leibes-gefahr
ſtuͤndlich ſtehet. Deßwegen wo ich offt ſehe/ ſo viel mir mein GOtt gnade ge-
geben hat/ dieſes und jenes zu ſeiner ehr und einiger ſeelen heyl nuͤtzlich und noͤthig zu
ſeyn/ ſo greiffe ich das werck im nahmen des HErrn an/ ob ich wol allerley unfall
und gefahr/ ſo auf mich daher ſtuͤndlich fallen moͤchte/ vor mir ſehe/ nur daß einige
ſeelen gelocket werden/ die wir ja/ wo es muͤglich/ auch mit unſerem blut zu erkauf-
fen ſchuldig waͤꝛen. Warum denn nicht um derſelben willen allerhand ungelegen-
heit und uͤbel urtheil zu er tragen? Wie denn alles dem HErrn befehle/ und nur
bitte/ er wolle es den jenigen/ welche zum offtern mich beleydigen/ und auch ſon-
ſten das beſt gemeinte boßhafftig verdraͤhen/ ſolches zu erkennen geben/ und ver-
zeihen/ hergegen verleihen/ daß aller orten von allen und bey allen auff alle moͤgliche
weiſe ſein nahme verherrliget werde/ daß wir nicht zu ſchanden ſondern bewaͤhrt
erfunden werden/ in denen etwa bald außbrechenden goͤttlichen gerichten. Jch
weiß daß mein hochgeehrter Herr ſo vielmehr verſtehen werde/ was vor eine angſt
ſich offt bey mir befinde/ und deßwegen ſo viel liebreicher da von urtheilen koͤnnen/
als der ſelbs in der gleichen amt und wichtigſter ſtelle ſtehet/ wo er nicht weniger laſt
auff ſich fuͤhlen muß: Ohne daß den jenigen/ welche mit mehr weißheit von Gott
begabet ſind/ auch durch taͤgliche erfahrung geuͤbte ſinne haben/ etliches anfangt
leichter zu werden/ als anderen/ die wir kaum bey einigen jahren/ an die ſache recht
angefangen hinein zu ſehen/ und wol erkennen/ daß es mit dem gemeinen trab
nicht genug/ noch ſchwehrlich aber uns helffen koͤnnen/ wie die ſache zu verbeſſern.
Der HErr aber wird endlich alles zu ſeinen heiligen ehren/ auf uns unbekante
weiſe/ außzuſchlagen richten. 1677. m. Apr.


SECTIO XIV.


Meine Catechiſmus erklaͤrung. Weit ausgebro-
chene
calumnienund dero vieler ſchaden. Frucht-bringende
JEſus geſellſchafft. Allgemeine bewegung der gemuͤ-
ther. Hoffnung daraus. Daruͤber willig
zu leiden.


MJch hat ſo vielmehr erfreuet/ das mein hochgeehrter Herr ſo eine gute mey-
nung uͤber meine neulich uͤberſandte Catechiſmus erklaͤhrung bezeu-
gen/ und zu dero verlangten frucht und erbauung goͤttlichen ſegen wuͤn-
ſchen wollen. Da hingegen biß auf dieſe ſtunde von denen man es eher zu vermu-
then gehabt/ nicht mit einer zeile zur antwort gewuͤrdiget bin. So mich ſehr
ſchmertzen wuͤrde/ wo mir GOTT nicht allgemach mehr gnade gaͤbe/ mein
hertz
[193]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XIV.
hertz von aller menſchlichen autoritaͤt und vertrauen abzu ziehen. Jch muß faſt
gedencken/ daß der ungegruͤndete verdacht und ungleiche zu gekommene bericht
die alte affection vermindert/ und mehr gelten wollen/ als worinnen ſie ſich mei-
ner lehre und auffrichtigkeit aus gewiſſen grunde verſichern koͤnten. Jedoch will
ich erwarten/ was endlich vor eine antwort folgen wird; ich befehle es GOtt in al-
lem/ und wil mir deſſen willen laſſen gefaͤllig ſeyn/ ſolten auch die jenige aus ſeiner
verhaͤngnuͤß ſich von mir abwenden/ welche als bruͤder und vaͤter geehret und gelie-
bet hatte/ auch nicht aufhoͤren werde/ alſo gegen ſie geſinnet zu ſeyn/ wie vorige
empfangene wohlthaten und ihr amt es erfodern. Die hieſige calumnien/ ob ſie
wol ſo weit erſchollen/ daß ſie ein groſſes ſtuͤck von Teutſchland erfuͤllet/ fechten mich
nicht ſo wol uͤm meinent willen an/ der ich miꝛ laͤngſt das prognoſticon machen koͤn-
nen/ διὰ δυσ [...]ημίας καὶ ἐυ φημίας, als wegen anderer ſchwachen/ ſo da von
aͤrgernuͤß nehmen/ und weilen anderer gotſeliger leuthe gutes vorhaben dadurch
geſchlagen wird. Denn weil das falſche gemuͤthe von einer ſolchen unordnung/
welche hier eingeriſſen ſeye/ ſich ſo weit außgebreitet/ daß man anderer orten nicht
wol anders glauben kan/ als es ſeye wahr/ was man von hier aus gehoͤret habe/
ſolches aber alles mir/ und meinen neuerungen/ wie ich beſchuldiget werde/ beyge-
meſſen wird/ ſo muͤſſen nicht nur chriſtliche lehrer/ allein daß ſie meine freunde
ſeyen/ deßwegen leyden (wie der from̃e Herr Spizelius in Augſpurg ſchon deßwegen
ein pasquill leyden muͤſſen/ daß er mit mir in genauer freundſchafft ſtehet/ und
mich neulich beſuchet hat/) ſondern wo ein prediger etwas zur ehre GOTTes
auszurichten gedencket/ wird ihme das hieſige exempel entgegen gehalten/ wie aus
dergleichen ſo boͤſes allhier entſtanden ſeye/ und widerſetzet ſich daher alles ſolchen
leuten ſo viel muthiger/ als da ſie meinen/ deſſen gute fug zu haben. Und ſolches
iſt die urſach/ warum ich verlanget/ daß autoritate ſuperiorum die gantze ſache
unterſuchet/ und der grund der verlaͤumdung entdecket/ ſo denn oͤffentlich gemacht
worden waͤre: als ohne welches mir kein ander mittel bekant/ wie die unſchuld ge-
ſchuͤtzet werden moͤchte. Denn wo die calumnien allein etwa von einigen we-
nigen kaͤmen/ oder eine anklage gegen mich oder andere geſchehen waͤre/ ſo fiele die
beſchuldigung vor ſich ſelbſt/ da der andere theil nicht wahr machen kan/ was er
ausgegeben. Numehr aber beſtehet es in einem geruͤchte/ ſo keinen gewiſſen au-
torem
hat/ aber das groͤſſeſte theil der ſtadt eingenommen/ daß viele es warhaff-
tig glauben/ andere ſich deſſen freuen/ daß ob ſie wol eines andern in der ſeelen ver-
ſichert ſeyn/ ſie gleichwol etwas haben moͤgen/ wor mit ſie in ferner ſortpflantzung
ſolcher reden mir und andern wehe zu thun vermoͤchten. Jedoch uͤberlaſſe ich auch
dieſes dem heiligen willen GOttes/ und mag auch gar wol leyden/ wo ers verhen
gen will; Daß unter andern auch mein nahme als eines laſterhafftigen verworf-
fen werde/ vermittels fortſetzung ſolcher calumnien. Alſo daß ich verſichert bin/
der HErr habe deſſen heilige/ ob wol etwa mir nicht zuerforſchen muͤgliche/ urſa-
B bchen:
[194]Das ſechſte Capitel.
chen: Es wird doch ein tag kommen/ welcher alles verborgene/ und der hertzen
rath offenbahren/ und an das liecht bringen wird. Dahin will ich mit getroſten
gemuͤth vieles verſparet ſeyn laſſen. Gleich wie hievon gegen demſelben mich offent-
lich heraus laſſe/ aus dem groſſen vertrauen/ ſo zu deſſelben hoher gunſt billig tra-
ge/ alſo bedancke ich mich dienſtlich/ das von demſelben mir vertrauliche commu-
nication
geſchehen/ wegen der neuen aufflage/ aus dero grund etwa auch der uͤ-
brigen nichtigkeit ſo viel eher zu erkennen iſt. Es hat der ehrliche und wie uͤm die
ſtud[i]a wol verdiente alſo auch die ehre GOttes hertzlich meinende und ſuchende
Juriſt Herr D. A.F. ohngefehr zu ende des vergangenen jahres mit etlichen guten
freunden/ eine ſolche ſocietatem unter dem nahmen der fruchtbringenden Je-
ſus geſellſchafft
angefangen unter gewiſſen legibus, dero abſicht auf nichts an-
ders gehet/ als was ohne das unſer aller algemeine pflicht iſt/ ſich ſonderlich neben
ſich ſeinen neben-Chriſten zu erbauen zu befleißigen/ und darzu allerhand gute ge-
legenheit zu ſuchen/ deßwegen ſich einander mehrmahl/ wo einige an einen ort bey
ſammen/ mit gottſeligen geſpraͤch aufzumuntern/ einander in acht zu nehmen/ wo
einer an dem anderen etwas beſſerungs-bedoͤrfftig ſehen wuͤrde; ſich der verlaſſe-
nen armen kindern nach vermoͤgen anzunehmen/ und ſie zur ſchul und GOttes-
furcht aufzuziehen/ ſelbs ſich eines unſtraͤfflichen wandels zu befleißigen/ und was
dergleichen leges mehr ſind/ die ich mich nicht erinnere/ daß einige ſingularitet
darinnen/ ohne das jeglicher/ (weil leicht nach art der Teutſch-frucht bringen-
den geſellſchafft
) weñ er in die ſocietet ſich begebe/ einen nahmen und ſymbo-
lum
mit einem hieroglyphico einer blum/ gewaͤchs/ ꝛc. nimmet/ und damit in
ein buch ſich einſchreiben laſſet. Daß aber mir ſolche ſache imputiret wird/ iſt
die einige urſache/ daß mit dem chriſtlichen autore in correſpondenz ſtehe: da
doch von dieſer ſache der liebe mann mit mir nichts vorher communiciret, als der
ich ihm ſolches wuͤrde mißrathen haben. Wie dann nach dem er mir/ als es ſchon ge-
ſchehen/ die leges communiciret, im ſchreiben conteſtiret habe/ daß ich lieber
gewuͤnſcht/ daß es nicht geſchehen waͤre/ und ob mir wol ſeine redliche intention
wol bekant/ ich doch ſorgte/ daß ſo wol allerhand difficulteten denen nicht allemahl
ſo leicht begegnet werden kan/ in den weg kommen; alß ſtarcke oppoſitiones ſich
angeben wuͤrden/ daß etwa der ſchade daraus als der nutze groͤſſer ſeyn moͤchte/
wie ihm nachmahl auch einiger guter redlicher freunden bedencken/ ſo faſt auf glei-
chen ſchlage lauteten/ zugeſchickt habe/ er auch alle ſolche erinnerungen gantz freund-
lich aufgenommen; hingegen bezeuget mit communication anderer ſchreiben/
daß auch von chriſtlichen und rechtſchaffenen Theologis das inſtitutum gebil-
liget worden: aber noch naͤchſt conteſtiret, er moͤchte wol leyden/ daß auch die
ſocietet gar unterginge/ wo nur der habende zweck an vielen orten und bey vielen
verſonen erhalten wuͤrde/ als der hierinne nicht das ſeinige ſuche. Wo ich in der
ſache
[195]ARTIC. I. DISTINCT. II. SECTIO XIV.
ſache/ ehe es geſchehen/ zu rahten gehabt haͤtte/ ſo wuͤrde es auff ſolche art nicht/ wol
aber alſo/ gerathen haben/ daß ohne einen invidioſen nahmen eine ſolche genaue
freundſchafft/ wie ſonſten in ſocieteten zu ſeyn pfleget/ und alſo alles angeordnet
worden waͤre/ daß es nur keinen groſſen éclat von ſich gegeben haͤtte. Nicht daß
ich davor hielte daß unter einem ſolchen nahmen eine fraternitet anzuſtellen bloß
unrecht (denn hat das Collegium curioſorum in Teutſchland/ anders wo ande-
re academien und congregationes Doctorum dergleichen recht/ waruͤm
ſolten die officia des Chriſtenthums allein ſo verdaͤchtig ſeyn/ daß zu denſelben
ſich niemand uͤber die allgemeine obligation mit neuem band verbinden doͤrffte?)
ſondern daß ich/ wo eine ſache ſine majori motu \& quaſi aliud agendo kan wol
ſo kraͤfftig gefuͤhret werden/ ſolches lieber rathe/ als auf die art/ wo man ſo bald
aller augen auff ſich ziehet/ welches gleich geſchihet/ bey einer ſo geſtalten ſocietet.
Jch bin auch ſelbſt nicht darinnen/ vornehmlich damit nicht auch mein armer nah-
me ihnen/ noch mehr invidiam zu zihe; weiß auch nicht eine einige perſon gewiß/
die nechſt dem Herrn autore darinnen iſt/ ohne daß ein oder mehr profeſſores
zu N. moͤgen ſich darzu profitiret haben/ und der Herr H. A. darinnen recipi-
ret
worden/ welches zwar die ſocietet ſehr graviren mag/ alldieweil denen meiſten
Doctoribus Academicis ſchwehrlich einer verhaßter iſt/ als ſolcher mann: Alſo
daß auch deßwegen ich keine kundſchafft bißherzu ihm/ wie ich gekont/ geſucht ha-
be. Aus ſolchen ſihet mein großguͤnſtiger Herr/ wie unguͤtlich mir auch darinnen
geſchehe/ daß ich pro autore gehalten werde einer ſache/ darzu ich nicht gerathen/
wo ich waͤre gefraget worden/ ſie wider rathen haͤtte mich derſelben nicht theilhaf-
tig mache (ob ich wol gerne bekenne/ daß ich nichts da wider reden oder thun wer-
de/ ſondern wie Autoris chriſtliche intention lobe/ alſo die anſtalt ſelbſt ihm uͤber-
laſſe/ welcher ſeine urſachen werde/ wo es noth ſeye/ zu geben wiſſen) und alſo
nichts damit zuſchaffen habe/ als daß ich den autorem als einen treuen liebhaber
der ehren GOttes lobe und ehre? jedoch will aus liebe zu dem chriſtlichen mann
auch mit ihme die ſchuld gerne tragen/ bey denen jenigen/ die ſich keines andern be-
richten laſſen wollen. Jch ſahe mit freuden (und iſt faſt das einige ſo ich unter ſo
vielen betruͤblichen dingen erfreulich wahrnehme) daß GOtt hin und wieder (und
wer weiß/ wie viel noch folgen werden?) anfaͤngt zimlich die gemuͤther rege zu ma-
chen/ daß ſie einen eyffer vor die wahre gottſeligkeit faſſen und zeigen/ und zwar
faſt mehr unter weltlichen ſtandes perſonen/ als unter geiſtlichen. Ob wolte uns
GOtt zum eyffer hinwiederum durch dieſelbige reitzen. Ja es fangen an nicht nuꝛ
alleine unter uns/ ſondern auch unter den Reformirten/ ja ſo gar unter den Papi-
ſten/ ſich algemach leute hervor zu thun/ welche ſehen/ daß die jenige art/ wie ſich faſt
jeder einbildet/ durch die bloſſe bekaͤntnuͤß zu der wahr erkanten religion und durch
aͤuſſerlich ex opere operato leiſtenden GOttes dienſt ſelig zu werden/ gantz falſch
B b 2ſeye/
[196]Das ſechſte Capitel.
ſeye/ und warhafftig ein lebendiger/ durch die liebe im gehorſam gegen GOTTes
gebothen thaͤtiger glaube nothwendig/ daher der weg zu dem leben viel ſchmaͤler
und die pforte enger ſeye/ als daß man mit aller gemaͤchligkeit des alten Adams da-
hin durch tringen ſolte koͤnnen/ wie der groſſe hauffe ſich einbildet/ und daher ſehn-
lich verlangen/ daß die leute von der gefaͤhrlichen ſchlaff-ſucht aufgewecket/ und
an ſtat der ſo vielen unnuͤtzen ſtreit fragen/ aller ſeits das einige nothwendige ge-
trieben/ damit aber die gemuͤther die wahrheit GOttes auch in hoͤhern ſachen zuer-
kennen faͤhig gemacht/ und alſo etwa zu einer einigkeit vorbereitet wuͤrden. Man
ſuchet an vielen orten dieſe motus cordium zu untertrucken/ aber es wird nicht
muͤglich ſeyn/ ſondern wie die conſenſio der unterſchiedlichen gemuͤther in eun-
dem ſcopum,
ob ſie wol ſonſten nicht einen weg gehen/ von einen hoͤhern princi-
pio,
GOtt dem HErrn/ muß gewircket ſeyn worden/ deſſen man auch noch viele
proben haben kan/ wo die ſache in der furcht des HErrn mit erleuchteten augen an-
geſehen wird/ alſo wird der HErr ſein werck nicht ſtecken laſſen/ ſondern endlich da-
mit herdurch brechen. Wenn aber? iſt uns nicht bekant. Jndeſſen werden wir/
ſo viel unſer eines und andern ortes unter den erſten ſeyn/ die ſich offenbahrer
heraus laſſen/ und ſagen was andere eine zeitlang gedacht/ vor der welt unterligen
und fallen/ aber durch unſer leyden/ wie weit auch GOtt daſſelbe uns mag beſtim-
met haben/ werden andere nur angefriſchet werden/ und wenn wir werden dahin
ſeyn/ durch goͤttliche gnade dieſe den zweck erreichen/ daß das werck des HErrn
durch ſie ſeinen fortgang habe. Jndeſſen wird alles/ was uns betrifft auch wol
angewandt ſeyn/ in dem andere der fruͤchte nach uns genieſſen werden. Wie ich
denn nicht zweiffele; Der HErr hat noch ſchwehre gerichte vor/ die aber zum preiß
ſeines heiligen nahmens und letzten außbreitung ſeines reichs einen herrlichen aus-
gang haben werden. So werden endlich zu ſchanden werden/ die ſich dem guten
nicht nur widerſetzet/ ſondern eine lange zeit in ſolchem das anſehen behalten ha-
ben/ ob waͤren ſie die jenige/ welche vor den HERRN eyfferten. Der HErr
gebe uns nur verſtandt ſeinen willen allezeit zuerkennen und muth denſelben ge-
troſt auszurichten/ welches mein angelegentlichſtes gebet iſt. Aber wo komme ich
hin? mein hochgeehrter Herr wird mir dieſes nicht uͤbel nehmen/ daß faſt meiner
vergeſſen/ und vielleicht mehr zu ſchreiben mich erkuͤhnet habe/ als ſich geziemet:
Wie woll das ſonderbahre vertrauen mich ſo kuͤhn gemacht hat. Intelli-
genti loquor, \& ob hoc confidentius.
1677.


SECT.
[197]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XV.

SECTIO XV.


Als ein anverwandterTheologusſeine ſcrupel/
die ihm meinetwegen bey gebracht/ an mich geſchrie-
ben. Verantwortung und
klage.


JCh ſage freundlichen danck meinem großguͤnſtigen hochgeehrten Herrn Vet-
tern vor die meinethalben tragende und bezeugte liebreiche ſorgfalt/ ſo auß
den gantzen ſchreiben erhellet/ und mich in meiner allezeit gehabten confi-
denz
mehr bekraͤfftiget. Wie ich aber hoffe/ daß ſeiter deme mein zugeſandtes
gedrucktes ſend-ſchreiben gleich wie anderen vornehmen patronen und freun-
den/ alſo auch meinem großg. Herrn Vettern/ werde in dem meiſten allen ſatisfa-
ction
gegeben haben/ ſo bedarff es nicht/ daß ich mit weitlaͤufftigen ſchreiben dieß-
mahl verdrießlich falle. Es wird ſich in ſolchem ſend-ſchreiben gezeuget haben/
daß die ſo weit außgeſprengte/ und erſtlich hie von feindſeligen gemuͤthern erdich-
tete (welches gedicht von leichtglaͤubigen angenommen und denn weiter ſort geſetzt
worden) collegia privata ſich hie nicht finden. Sondern ohne meine
hauß-zuſammenkunfft/ dero niemahlen von dem Magiſtratu widerſprochen/
von allen welche mit mir davon geredet/ gelobet/ und da ſie die ihrige ſelbs dazu
ſchicken ihre billichung bekraͤfftiget wird/ ich auch einer-hochwuͤrdigen Academi-
ſchen Theolog. Facultaͤt voͤllige approbation daruͤber bereits vor etlichen jah-
ren habe/ ſind nie einige privata collegia oder conventicula gehalten worden.
Man wolle dann alles collegia und conventicula nennen/ wo einige gute freun-
de einander beſuchen/ und es ſeye/ wovon es wolle/ und wie es die gelegenheit gi-
bet/ ſich mit einander beſprechen. Welche verlaubnuß jeden Chriſten/ als
Chriſten ſo wenig mag verſagt werden/ als in dem buͤrgerlichen ſtande ehrliche leu-
the ihrer an gelegenheit/ nutzes oder freude willen/ zuſammen kommen moͤgen. Was
zwar meine hauß-uͤbung anlanget/ ſehe ich ſelbs lieber/ daß ich ſolche in der kirche
und alſo an oͤffentlichen ort halten duͤrffte/ dazu ich viele urſachen haͤtte: Aber
es ſtehet ſolches nicht in meiner macht/ und moͤgen die obere ſelbs dabey auch einig
bedencken haben. Wie aufrichtig hierinnen meine intention ſeye/ mag ich mich
vor GOtt in meinen gewiſſen beruffen/ daß ich nemlich nichts des meinigen dar-
innen ſuche/ alſo weder ehr noch reichtum oder etwas dergleichen davon hoffe/ ſon-
dern vielmehr ungunſt/ vielerley leuthe haß/ verachtung/ ſchande vnd dergleichen
vor augen ſehe: welche tentation zu uͤberwinden gewißlich ſchwer wuͤrde ſeyn/ ei-
nem gemuͤthe das nicht verſichert waͤre/ vor was und wen es ſo vieles auſſetze. Es
B b 3wer-
[198]Das ſechſte Capitel.
werden auch verhoffentlich die jenige alle/ ſo um mich ſind/ in ihrem gewiſſen beken-
nen muͤſſen/ daß ich mich ſelbs in allem deme/ ſo von andern ungleich auffgenom-
men wird/ nicht ſuche. Daß das Evangeliſche weſen auff das euſſerſte verderbt
ſeye/ weiß ich nicht ob wir zweiffeln koͤnnen. Daher bedarffs einmahl/ daß zu ra-
the und zu greiffe/ wer nur ein pfuͤndlein empfangen hat/ will er nicht andeꝛs ſchweh-
re rechnung auff ſich laden. Jn dem vertrauen und redlichen abſicht habe meine
pia deſideria in GOttes nahmen auff das tapet gebracht/ andere zu ermuntern/
die mehr als ich empfangen haben ſich des gemeinen wercks mit treuen eiffer an-
zunehmen. Jch bin allezeit bereit geweſen/ und noch bereit/ meine eigene vor-
ſchlaͤge ſelbs zu quittiren/ im fall nehmlich beſſere moͤgen und werden vorgebracht
werden. So ich aber noch nicht geſchehen zu ſeyn ſehe. Hingegen alles in den
jenigen trab zu laſſen/ darauff wir immerfort gegangen ſeyn/ und endlich in ſol-
ches elend verfallen zu ſeyn ſelbſten ſehen/ ſehe ich wiederum nicht in meiner ſeelen
verantwortlich. Und ach wie viel fromme hertzen von predigern und andre fan-
gen an allen orten alle tag an/ tieffer die ſache ein zu ſehen; es wiſſen viel prediger
nicht mehr/ wie ſie ihre ſeelen in gegenwaͤrtigen ſtande recht retten moͤgen.
Da ich aber verſichert bin/ ſolches aͤngſtliche ſeufftzen und flehen der armen und ge-
aͤngſteten ſeelen wird in den himmel tringen und der kirche hilffe verſchaffen/ daß
ſich der HERR ſeiner troſtloſen erbarme/ und zeige/ daß ſeines wortes krafft/ wo
es mit gebuͤhrenden eiffer/ treu/ und unablaͤßiger emſigkeit getrieben/ und die be-
gierde ſich in ſeinem Chriſtenthum zu erbauen (darinnen die wiſſenſchafft das we-
nigſte/ die wuͤrckliche ausuͤbung aber und aͤnderung des hertzens das allermeiſte iſt)
unter die gemeinde gebracht wird/ noch nicht verloſchen ſeye/ ſondern ſich immer
hertzlicher hervorthun werde. Die predigten/ catechetica examina und kran-
cken beſuchungen ſind herrliche fruchtbahre mittel/ und muß freylich mit ernſt fort-
gefahren werden: aber es lehret uns der ausgang und augenſchein ſelbs/ ob wir
alles damit alſo heben koͤnnen/ daß wir verſichert waͤren/ wo wir in denſelben das
unſrige gethan/ daß GOTT mit uns zu frieden ſeye/ ob wir etwas damit ausrich-
ten oder nicht. Hingegen zeigt GOTT bald/ wie es nicht ungeſegnet bleibe/ wo
man anfaͤngt das jenige in den ſchwang zu bringen/ was die erſte CHriſten ſo weit
gebracht hat mit auffmuntern ihrer ſelbs untereinander mit reitzen zur liebe uñ gu-
ten wercken. Jch zweiffle zwar freylich nicht/ ſondern weiß es woh!/ daß der ſa-
tan nicht feyren werde/ nicht allein mit allerhand calumnien/ ſo er bißher/ ſeinem
handwerck nach/ meiſterlich gethan/ alles gute hie und anderswo zuhindern/ ſon-
dern auch gelegenheit zu ſuchen/ wie er die ſache in mißbrauch bringe. Gleich-
wie aber hergegen nach der gnade ſo GOtt geben wird/ billich zu wachen iſt/ alſo
mag ein beſorglicher mißbrauch den noͤthigen gebrauch heilſamer und noͤthiger din-
ge nicht auffheben. Waͤre ich einen tag bey meinen Hochgeehrten Herrn Vettern/
verſichere ich mich/ daß alle ſcrupuli vielleicht moͤgten entnommen werden/ welche
aus
[[199]]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XVI.
aus anderer relation gemacht/ und ich bedencken habe/ davon zuſchreiben. Wie
denn nicht wenige prediger und andre perſonen von einiger zeit hiehergekommen/ die
ſache ſelbſten zuſehen/ und zu unterſuchen/ von denen ich niemanden weiß/ welcher
nicht/ nach dem er alles genau examiniret und gepruͤffet/ ſein vergnuͤgen bezeuget
haͤtte. Jedoch hoffe ich erſtmahls erwehnter maſſen/ meinen Hochgeehrten Herrn
Vettern werde bereits mit dem ſendſchreiben ſeine ſorge meiſtens entnommen
worden ſeyn.


SECTIO XVI.


Antwort auff freundliche erinnerung. Wohl-
gemeintes kan uͤbel ausſchlagen. Ob uns alle religionen
gleich. Daß nicht alle auſſer der Lutheriſchen kirche ver-
dammet werden. Leſung der Offenbahrung Johannis.
Nicht jegliches ungleiches wort uͤbel zu
nehmen.


JCh bedancke mich hertzlich der bruͤderlichen congratulation und vertrauli-
chen erinnerung/ die mir von allen orten/ wo mir dergleichen herkommen
moͤchte eine ſonderbahre wohlthat iſt. Plus vident oculi quam oculus.
So hat GOTT die glieder eines leibes alſo mit einander vereiniget/ daß je ein
glied auch an dem andern mit erinnern/ auffmuntern und andern dergleichen Chꝛiſt-
lichen pflichten/ billig arbeiten und an ſich arbeiten ſolle laſſen. Daher ich mit der-
gleichen noch ferner fort zufahren bruͤderlich und hertzlich bitte. Jn ein er heiligen
und GOttes ehre angehenden ſache iſt freylich an dem/ daß wir ſo viel zu conde-
ſcendir
en haben/ als das gewiſſen zu laͤſſet. Daher ich auch in dem gantzen werck
GOTT um nichts eiffriger anruffe/ und treue freunde bitte/ dergleichen vor mich
zu thun/ als daß ich in allen dingen moͤge den willen des himmliſchen Vaters ohne
fehl erkennen/ um als dann denſelben getroſt in das werck zu ſetzen/ daß ich verſtehe/
was ſeine ehre erfordere/ bald nach zugeben/ bald nicht zu weichen/ und wie etwa in
jeglichem ſein rath uns in die zeit zu ſchicken/ und dieſelbe zu unterſcheiden/ von uns
erfordern moͤchte. Ob allemahl das gut gemeinte den jenigen ſucceß haben wer-
de/ welchen wir in einfalt des hertzens vorgeſetzet und verlangen/ davon haben wir
keine gewißheit vorher/ ſondern habens der weiſeſten und offt unerforſchlichen re-
gierung GOTTes zu uͤberlaſſen. Der liebe Paulus/ ſo gleich wohl von dem hei-
ligen Geiſt regieret wurde/ lieſſe ſich von denen bruͤdern zu Jeruſalem guter mey-
nung bereden/ daß er eine geluͤbd auff ſich nahm/ und ſich in dem tempel reinigen
lieſſe; Hiedurch gedachten die liebe leut einige gefahr abzuwenden/ aber GOTT
fuͤge-
[200]Das ſechſte Capitel.
fuͤgete es alſo/ daß es erſt die anlaß ſeyn muſte/ daß der liebe Apoſtel in die bande und
todesgefahr kam/ da man auff menſchen allein ſehende haͤtte dencken ſollen/ daß ſich
der Apoſtel ſolches gethan zu haben/ reuen zu laſſen urſach gehabt haͤtte/ in dem ſon-
ſten/ da er daſſelbe nicht gethan/ keine ſolche gefahr ihn betroffen haben moͤchte. A-
ber weil er in ſolcher ſache in der furcht des HERRN und einfalt ſeines hertzens/
gethan/ was geſchehen/ ſo war er mit goͤttlicher ſchickung hertzlich wohl zu frieden.
Es mag zuweilen geſchehen/ daß aus einem Chriſtlichen und gantz guten vorhaben
und anſtalt ein widriges folge/ wo weder jenes gute/ davon zu dieſem anlaß genom-
men worden/ deswegen zu beſchuldigen iſt/ noch auch deswegen zu unterlaſſen ge-
weſen waͤre. Alſo ob nicht der teuffel anlaß nehmen werde/ der guten ſachen einen
boͤſen nahmen zu machen/ zweiffele ich nicht/ ja wir ſehens alle tag/ daß ſolches zu-
geſchehen angefangen hat/ und ſind freylich unterſchiedliche gute gemuͤther durch
unter chiedliche calumnien mehrmahl ſtutzend gemacht worden. Stehet alſo in
keines menſchen hand/ das gute mit ſolcher vorſichtigkeit zufuͤhren/ daß der teuffel
ſeine boßheit nicht uͤben und boͤſen verdacht hin und wieder ausſtreuen moͤchte/ dazu
ihm jegliche gelegenheit ſchon genug iſt. Aber da vor haben wir uns wohl zu huͤ-
ten/ und werde ich mich nach aller moͤglichkeit/ nach dem maß der gnade/ ſo mir der
himmliſche Vater ertheilet hat/ und noch ertheilen wird/ vorſehen/ daß mit einigen
beſtaͤndigen grund der ſache nicht ein boͤſer nahmen gemacht werden koͤnte: als ge-
wiß verſichert/ daß die uͤbrige allerhand ſuſpiciones und laͤſterungen allgemach
und mit der zeit von ſelbſten fallen/ und zu ſchanden werden muͤſſen: Wie wir ſo
viel liebe exempel ſchon in dieſer eigenen ſache erfahren haben. So kan ſich alſo
mein wehrteſter bruder gewiß deſſen verſehen/ daß ich vor ſolchem allem/ wo man
mir einiges mit beſtand entgegen halten moͤchte/ mich ſorgfaͤltig huͤten werde. Hie-
mit will allein in einem und andern mein hertz vertraulich ausſchuͤtten. Es geden-
cket derſelbe/ daß einige ſich in ihren diſcourſen ſo heraus laſſen/ als achten ſie nicht
groß auff den unterſcheid der religionen/ ruͤhmen/ wo ſie nur einigen guten eiffer zu
Chriſtlichem leben finden/ und halten gnatte correſpondenz mit deꝛoſelben anhaͤn-
gern u. vorſtehern/ da doch ohne den wahren glauben auch kein wahrhafftige Gott-
ſeligkeit ſeyn koͤnne/ als dero grund jener ſeyn muß. Nun kan ich von ſolchen dis-
courſen
nicht præciſe reden/ als die ich nicht ſelbs gehoͤret/ da doch gleichwohl an
einem und andern wort manchmahl gar ein groſſes gelegen iſt/ ſo dieſelbe recht oder
unrecht machen kan. Wo man den unterſcheid der religionen dermaſſen nicht
achtet/ daß man die gnade GOttes/ welche er unſerer kirchen erwieſen/ nicht ehret/
ſondern ſich gleich ſeyn laͤſſet/ ob man bey unſerer kirchen/ in dero GOTT noch die
reinigkeit der lehr an ſich ſelbſt erhalten/ liebe/ oder ob man bey irrglaubenden ge-
meinden waͤre/ wuͤrde kein bedencken tragen/ zu anderer religion ſich zu verfuͤgen/
oder an denjenigen/ die es thun/ ſolches billichen; wuͤrde enigen deren irrthum bil-
lichen/ welche jene haben/ und alſo etwas deſſen thun/ was wider den vorzug un-
ſerer
[201]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XVI.
ſerer kirchen/ und der gnade/ ſo der himmliſche Vater uns gethan/ ſtreiten moͤch-
te: ſo wuͤrde ich nimmermehr darein willigen/ noch mit meinem willen von je-
mand ſolches behaupten laſſen. Wo es aber auff die frage komt/ ob wir unſere
religion dermaſſen vor die allein ſeligmachende religion halten/ daß deswegen
auſſer der euſſerlichen gemeinſchafft mit unſerer Lutheriſchen kirchen niemand ſelig
werden koͤnne/ und daher alle diejenige/ ſo bey andern kirchen und religionen leben/
vor verdam̃te leut zu achten/ und ſich ihrer zu entſchlagen ſeye/ ſo geſtehe ich gern/ daß
ich weder alſo reden/ noch der gleichen von andern fordern kan. Jch halte die groſ-
ſe wohlthat/ die GOTT unſerer kirchen erzeigt/ in hohen werth/ und dancke ihm
demuͤthiglich/ daß er mich und andere bey derſelben geboren laſſen werden/ da wir
die lehre ohne vermiſchung irriger articul rein und ſo bewandt haben/ daß wir vor
GOTT freudig damit beſtehen moͤgen/ konte alſo ohne verdamliche undanckbar-
keit von ſolcher erkanten wahrheit nicht abtretten/ oder jemand der dieſelbe wahr-
hafftig erkant/ freyheit geben/ von derſelben ab zu weichen/ und ſich doch der ſelig-
keit zu troͤſten. Hingegen betaure ich das elend anderer kirchen hertzlich/ bey wel-
chen ſolche lehren in ſchwang gehen/ die den grund des glaubens umzuſtoſſen tuͤch-
tig ſind/ und wohl bey ihrer vielen/ ja etwa meiſten/ denſelben wuͤrcklich umſtoſſen/
daß ich deswegen vor ſolche arme leut hertzlich bitte/ daß ihnen GOTT liecht und
gnade verleyhen wolle/ ſolche ihre gefahr recht ein zuſehen/ und deroſelben zu entge-
hen. Wo ich auch ſolches zu thun vermoͤchte/ daß einige daheraus gezogen wuͤr-
den/ ſo erkenne meine ſchuldigkeit/ dahin willig zu arbeiten. Wie ich aber nicht
die reinigkeit unſerer lehr an und vor ſich ſelbs vor das jenige eigendlich halte/ da-
von im mediate unſer heyl herkommt/ noch auch den irrthum in der lehre dasjenige
erkenne/ welches an ſich ſelbs den menſchen verdammt/ ſondern jenes iſt der glau-
be/ dieſes der unglaube: alſo ſehe ich auff dieſen am meiſten. Zwar iſts freylich
ſo/ daß der glaube nicht ſeyn koͤnne/ ohne einige reinigkeit der lehr/ auffs wenigſte in
denjenigen puncten/ die ſelbſt in das werck der ſeligmachung einlauffen/ und auff
welchen der glaube ſchlechterdings beruhen muß/ (dann wie kann bey denjenigen
der ſeligmachende glaube ſtehen/ der ſein ſunden elend/ goͤttliche gnade/ CHRJ-
STJ verdienſt und erworbene wohlthaten nicht weiß/ oder die goͤttliche wahrheit
von allem ſolchen erkant hat?) und hingegen daß die irrthuͤme/ da ſie ſolche haupt-
gruͤnde umſtoſſen/ den glauben auffheben/ ja offt geringſcheinende irrthuͤme urſach
ſeyn koͤnnen/ daß der ſeligmachende glaube umgeſtoſſen werde. Alſo daß viele ge-
fahr bey den irrthumen ſeyn kan und iſt. Aber damit koͤnte ich nicht einſtimmen/
wo man keinen ſeligmachenden glauben geſtehen wolte/ als bey welchen eine voͤllige
erkaͤntnuͤß aller reinen lehr in allen articuln ſich findẽ ſolte/ oder wo man meinte/ daß
bey allen iꝛꝛenden kein ſeligmachender glaube ſeyn moͤchte. Es hat der glaube ein an-
deres anſehen in ſeiner gantzen latitudine/ da wirs mit aller goͤttlichen offenbah-
rung in der Schrifft zu thun haben/ und ſolches zu ſeinem objecto gehoͤret/ eine an-
C cdere
[202]Das ſechſte Capitel.
dere bewandnuͤß aber auch in negotio juſtificationis, und wie er das heyl in
CHRJSTO ergreifft/ wo zu nicht ſo viel articul gehoͤren/ daß die gantze kette der
lehr muͤſte mit eingeſchloſſen werden: Daher wo bey einem menſchen der wahre
glaube/ das iſt/ die goͤttliche wuͤrckung des hertzlichen vertrauens auff GOTTes
gnade in CHRJSTJ verdienſt/ damit der ſeiner ſuͤnde wegen betruͤbte ſuͤnder
ſich lauterlich und allein GOttes barmhertzigkeit uͤberlaͤſſet/ und die gnaden verheiſ-
ſung in unſerm Heyland annimt/ ſich findet/ da iſt die ſeligkeit/ ob wohl in andern
articulen irrthuͤme ſeyn moͤgen/ entweder die an ſich gering ſind/ und das werck der
ſeligkeit nichts beruͤhren/ oder ob ſie per conſequentiam den glauben umſtoſſen
moͤchten/ das hertz gleichwohl durch goͤttliche gnade verwahret wird/ daß bey ihnen
durch ſolches der glaube nicht wuͤrcklich umgeſtoſſen wird: Wie die peſt an ſich
ſelbſt ein toͤdlich gifft iſt/ aber bey einigen/ durch die gute natur oder gebrauchte
artzney oder ſonſten/ das hertz ſo verwahret wird/ daß ihnen ſolches gifft nicht toͤdt-
lich ſeyn muß. Damit mache ich die irrthuͤme und dero gefahr nicht gering/ ich
preiſe aber die goͤttliche gnade welche ihrer viele in ſolcher gefahr noch erhaͤlt. Wor
aber auff ſolches ſich verlaſſende muthwillig irren/ oder doch ſich vor den irrthuͤmen/
bey beſſer habender gelegenheit die wahrheit zu eꝛkeñen/ nicht mit fleiß vorſehen wol-
te/ ein ſolcher wuͤrde die ſtraff ſeiner ſuͤnde tragen/ und zeigte eben damit/ daß auch
ſein glaube nicht rechtſchaffen geweſen/ der die goͤttliche guͤter ſo gering ſchaͤtzet/ daß
er ſie ſorgfaͤltiger unterſuchung der wahrheit nicht wuͤrdig achtet. Wie dann nun
bey unſerer Lutheriſchen kirchen/ und dero reiner lehr/ auch derjenigen viele wahr-
hafftig verdamt werden/ die alle ſolche articul ohne untermiſchten irrthum gehalten
und behauptet haben/ weil es ihnen an dem glauben gemangelt hat/ als zu dem ſol-
che lehr nicht genug iſt/ alſo kan es ſeyn und geſchiehet bey irrglaubigen (wie wir ſie
von der lehr nennen) offters/ daß einfaͤltige hertzen/ die die wahrheit der ſchlechter
dings zur ſeligkeit noͤthigſten articul/ mit dem der ſeligmachende glaube unmittel-
bahr zuthun hat/ und dieſelbe ergreiffet/ in goͤttlicher gnade erkennen/ und von der
gnade ihres GOttes ihr anerbottenes heil annehmen in einem heiligen und goͤttli-
chen vertrauen/ wahrhafftig gerecht und ſelig ſind: und ihnen GOTT die gnade
thut/ daß ſie entweder vor den haupt irrthumen ihrer religion (wie abſonderlich bey
den Reformirten mit dem abſoluto decreto geſchehen kan) gar verwahret wer-
den/ und davon weder wiſſen noch glauben. Daher ob ich ſchon mit ſolchen men-
ſchen keine kir[ch]liche gemeinſchafft/ in communion, oͤffentlichem GOttes dienſt
und dergleichen halte (dann wie ich in dieſem und jenem ſubjecto mich des glau-
bens verſehen/ bey einigen gar verſichern kan/ ſo kan ich doch ihre gemeinde durch
aus nicht billichen/ oder in voͤlliger gemeinſchafft deroſelben ſtehen) ob ich auch wohl
einem ſolchen menſchen eine weitere und reinere erkaͤntnuͤß wuͤnſche/ und wo ich
ihn dazu bringen kan/ mich dahin bemuͤhe/ ſo kan ich doch ſein gutes an ihm ruͤhmen/
lieben und in eine genauere freundſchafft mit ihm tretten/ als ich ins gemein mit
jeg-
[203]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECT. XVI.
jeglichem ſonſt zuthun pflege. Wo nun die angezogene dißmahl ſolche meinung
gehabt haͤtten/ ſo finde nichts darin zu ſtraffen/ auch will ich hoffen/ daß dieſes der
ſinn derſelbigen ſeye/ ob ſich wohl nicht jeglicher ſo eigentlich erklaͤhren kan Al-
ſo bleibet dieſes himmel-feſt/ wo keine wahre erkaͤntnuͤß GOttes iſt/ da iſt kein
wahrer glaube/ und alſo auch kein wahre Gottſeligkeit/ und doch wo wir ſolche pro-
poſition
mißbrauchen wolten/ wuͤrde ſie falſch werden/ nehmlich wo wir die wahre
erkaͤntnuͤß GOttes verſtehen wolten/ die in allen articuln/ welche unſerem glauben
vorgetragen werden moͤchte/ ohne irrthum ſeyn muͤſte. Jn dem eine rechte/ wahre
erkaͤntnuͤß auch in goͤttlichem liecht gefaſſt werden kan/ daß der glaube darinnen be-
ſtehet/ und doch mag viel unwiſſenheit und irrthum noch in andern ſtuͤcken uͤbrig
ſeyn: Alſo laͤßt ſich der glaube freylich nicht von der erkaͤntnuͤß trennen/ ja ſo wenig
als das leben von dem glauben/ und iſts bloſſer dings unmoͤglich (nicht ohne eine
gantze catenam der rechten lehr nach allen puncten/ ſondern) ohne glauben GOtt
gefallen. Weswegen auch nicht leugne/ daß es ein boͤſes principium/ bloß da-
hin alſo genommen/ ſeye/ daß man in allen religionen ſelig werden koͤnne/ jedoch iſts
eben nicht atheiſtiſch/ als welcherley principia die ſeligkeit auffheben/ nicht aber
vielen gemein machen. Aber gar anders lautet dieſes principium/ daß man nicht
nur in der Evangeliſchen Lutheriſchen/ ſondern auch andern Chriſtlichen gemein-
den/ wo noch der haupt-grund von goͤttlicher gnade und CHRJSTJ verdienſt/
auſſer dem wir kein heyl wiſſen/ uͤbrig bleibet/ leute finden koͤnne/ die GOtt mit ſei-
ner gnade und ſeligmachenden glauben begnadet habe. Welches auch unſern
Symbolicis libris allerdings gemaͤß/ und doch weit davon iſt/ daß man alle religio-
nen gleichhalten wolte/ wie droben bereits von der gefahr der irrigen lehr geredet
habe. Solten aber diſcourſe anders gelautet haben/ ſo haͤtte billig deroſelben naͤ-
here entdeckung zu bitten. Was die nævos der alten Vaͤter und meinungen der
alten Rabbinen anlanget/ kan davon nicht ſo eigentlich ſagen/ als der nicht gewiß
weiß/ was damit gemeint werde. Die Offenb. Johannis aber hoffe werde al-
len Chriſtlichen hertzen/ die eine zimliche erkantnuͤß der noͤthigſten puncten erſtlich
haben/ alſo erlaubt ſeyn/ daß ihnen auch mit fleiß daruͤber zu ſitzen nicht verdacht
werden mag. Die wort c. 1/ 3. ſind ſehr bedencklich/ und gehen uns ſo viel mehr
an/ als naͤher wir dem ende ſind. Gewißlich gegen das Papſtum ſich alſo zu ver-
wahren daß wir davon kein aͤrgernuͤß mehr nehmen/ und uns auff das zu kuͤnfftige
rechtſchaffen/ ſchicken/ iſt kaum etwas dienlicher als die liebe Offenbahrung Johan-
nis. Jn dero ob ich wohl aller orten anſtoſſe/ und nicht nach wunſch fortkommen
kan/ jedennoch durch GOttes gnade ſo viel finde/ und daß auch von einfaͤltigen ge-
funden werden koͤnne/ verſichert bin/ als mir vor gegenwertige zuſtande noͤthig iſt.
Wo es nun in dieſen ſchrancken bleibet/ hoffe ich nicht/ daß ſich jemand zu aͤrgern
vernuͤnfftige urſachen finden wurden: Ja daß auch von den jenigen/ welche in einer
hertzlichen u. auffrichtigen begierde Gott zu dienen ſtehen/ ſolte einiger mißtritt u. ei-
C c 2niges
[204]Das ſechſte Capitel.
niges ungleiches wort (wo man die wenigſte zeit und ſorge angewendet an formu-
las loquendi,
und meinet jederman werde es wohl verſtehen/ was man wohl mei-
net) wahrgenommen worden/ ſolches mit Chriſtlicher und liebreicher ſanfftmuth
und gedult auffgenommen/ und beſtens ausgeleget zu werden billich ſeye/ wie ich
auch nicht zweiffeln will mein wehrteſter bruder/ aus dieſem/ was in freundlichem
vertrauen aus meinem hertzen gegen ihn ausgeſchuͤttet/ ein und anders auff andere
art an ſehen werde/ als es ihme oder andern/ moͤchte vorhin vorgekom̃en ſeyn/ da es
etwa auff eine weitere meynung gezogen worden waͤre. Jm uͤbrigen wie mich vor
die bruͤderliche erinnerung hertzlich bedancke/ ſo bin ich verſichert/ daß hin wiederum
meine erlaͤuterung mit vertraulicher liebe auffgenommen werden/ und derſelbe/
worinn er noch ferner uns zu erinnern noͤthig finden ſolte/ in uͤbung ſolcher liebe
nicht muͤde werden werde. Dabey bleibts freylich/ wie er ſehr Gottſelig erinnert/
weme es ein ernſt iſt/ CHRJSTJ reich zu befoͤrdern/ der wird ſeiner eigen ehr
und erfindungen gern abſterben: und auch daß wir nichts mehr von eigener ehr
und erfindungen wiſſen moͤgen/ welches ſo viel gewiſſer geſchehen wird/ als fleißi-
ger wir uns an die einige Schrifft halten werden. Jm uͤbrigen/ was anlangt eini-
ge kleine tractaͤtlein von unſern Theologis gemacht zu dem ſcopo pietatis, ſo
weiß deꝛſelbe ein und andere/ die aber vielleicht ſelbſt auch bekant ſeyn werden/ als da
ſind Gerhardi meditationes (Schola Pietatatis iſt ein groß werck) Arndii kleine
tractatus, Lutkemanni Vorgeſchmack goͤttlicher guͤte/ Caſmanni einige tra-
ctatus, Theophili ſinceri
(iſt D. Korthold) vorſchlag/ ejusdem Vorbereitung
zur ewigkeit/ Reiſers gravamina non injuſta P. Egardi viele tractatus. Hie-
her referire auch billig D. Fritſchen JCti mehrer tractatus: Sonderlich aber/
unter groͤſſern wercken/ wird ſchwehrlich eins jetzo viel uͤbertreffen Scriverii See-
len-Schatz. m. f. w. 167...


SECTIO XVII.


An einen chriſtlichen prediger mit uͤberſendung
des ſend-ſchreibens/ zur auffmunte-
rung.


DAs gute gemuͤth und hertzliche intention zu befoͤrderung der wahren gott-
ſeligkeit/ ſo ich von demſelben habe ruͤhmen hoͤren/ verurſachet mich und gibt
mir dieſes hertz/ daß mich erkuͤhne als ein unbekanter an denſelben zu ſchrei-
ben/ und gegenwaͤrtiges gedrucktes ſend-ſchreiben mit dieſen zeilen zu begleiten.
Aus denſelben wird Ew. Wol Ehrw. meines hertzens grund und abſicht in dem
gantzen werck/ ſo bißher getrieben erſehen/ und erkennen/ auch entweder den groſſen
GOtt eyfferig mit uns bitten/ daß er daſſelbe gnaͤdiglich zu ſeiner heiligen ehre fuͤh-
ren
[205]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XVII.
ren/ ſegnen und außfuͤhren wolle/ oder da er finden ſolte/ das einiges menſchliches/
ſo nicht goͤttlicher regul und ehre gemaͤß waͤre/ ſich in ſolcher ſachen befinde/ mich
freund-bruͤderlich erinnern/ wie ich mich denn von jeglichen bruder erinnern laſ-
ſen und annehmen will/ was der himmliſche Vater andern neben mir vor gaben
und liecht gegeben hat. Es iſt ja das werck nicht unſer/ ſo haben wir auch nichts
eigenes darin zu ſuchen/ noch nach eigenem willen zuverfahren/ ſondern alles alſo
einzurichten/ als wir am beſten verſtehen zu goͤttlichen nahmens ehre und der kir-
chen erbauung dienlich zu ſeyn. Laſſet uns zu ſolchem zweck alle jeglicher ſein pfund
beytragen/ mit einrathen/ beten/ erinnern/ vermahnen/ warnen/ ſonderlich aber mit
wuͤrcklicher hand anlegung jeder unſers orts das jenige werckſtellig machen/ was
wir finden/ das zu ſolchem zweck dienlich und unſer amt von uns erfordre. Wo
wir werden jeder in dem jenigen/ ſo viel ihm GOtt ſo wol zu reinigung unſerer ei-
genen ſeele als zu erbauung unſer gemeinde gelegenheit und gnade giebet/ treu wer-
den/ ſo wird nach goͤttlicher verheiſſung/ dem der da hat/ und das ſo er hat treulich
anwendet/ immer mehr gegeben/ und alſo ſo wol ſtaͤts neue gnade in der heiligung
ſelbs weiter zu zunehmen verliehen/ als auch eine thuͤr nach der andern zu meh-
rerer erbauung geoͤffnet werden/ welche wir vorhin noch nicht haben ſehen koͤnnen.
Einmahl der HErr iſt treu/ der uns beruffen hat/ der wirds auch thun/ und in uns
wircken/ was er von uns fordert/ und hingegen auch verſprochen hat. Alſo be-
darff es nur/ das wir mit freudiger zuverſicht auf ihn uns verlaſſend das werck an-
greiffen/ und ſelbs trachten in der gnade des HErrn zu wachſen/ folglich auch un-
ſere gemeinde mit fleiß und treu anzufuͤhren. Der HErr kans nicht ungeſegnet
laſſen/ wo wir an ihm mit feſtem glauben halten. Zwar was wir von der welt vor
danck zu gewarten haben/ macht ſich die rechnung leicht aus deme/ was unſer Hey-
land ſeinen dienern und nachfolgern geweiſſagt/ und aus betrachtung das der Teuf-
fel/ den wir in unſerm amt angreiffen/ u. der ſich ſein reich nicht gern woll laſſen neh-
men/ ſondern ſich nach moͤglichkeit dargegen ſtreubet/ annoch jetzo der groſſe Fuͤrſt
dieſer welt iſt/ der ſeine macht und reich in den kindern des unglaubens hat/ da-
her wie liſtig er iſt/ daß er wol abmercket/ was ſein reich ſchwaͤchen kan/ alſo
auch nicht unter laͤſſet groſſe und kleine/ die ſich von ihm beherrſchen laſſen/
dahin zu reitzen und zu treiben/ daß ſie ſich dem guten wiederſetzen/ und
bringet ſolches auch wieder zu weg/ nicht nur bey den jenigen/ die offen-
bahrlich ſeines theils ſind/ und ihme ungeſcheut dienen/ ſondern auch bey denen/ die
ſonſt nicht boͤſes gemuͤthes ſind/ er aber ihnen das gute unter ſolcher verſtellter ge-
ſtalt/ von neuerung/ falſcher lehr/ gefaͤhrlicher anſchlaͤge und dergleichen/ vortraͤ-
get/ daß ſie meynen einen gantzen gerechten eyffer da gegen zu haben/ und GOtt
zu dienen/ wo ſie das jenige/ welches in der that GOttes werck iſt/ aber von ihnen
gantz anderſt angeſehen wird/ hindern und verſtoͤren. Wie wir etwa dergleichen
auch zu unſern zeiten wahrnehmen/ wo wir acht drauf geben/ und uns aber nicht
C c 3be-
[206]Das ſechſte Capitel.
befremden laſſen ſollen/ daß erfuͤllet werde/ das unſer Heyland vorgeſagt/ und uns
unter den feinden ſeines reichs auch kluge und weiſe dieſer welt/ ja ſolche gezeigt/ die
ſich eines ſonderbahren eyffers vor eine ehre ruͤhmen. Es muß aber endlich recht
doch recht bleiben/ und dem werden alle fromme hertzen zu fallen. Der HERR
wird ſeine warheit nicht laſſen unterdrucket werden/ ſondern entweder auch der wi-
drig geſinnten gemuͤther zu ſeiner erkaͤntnuͤß erleuchten/ oder endlich der hartnecki-
gen thorheit zu ihrer ſchande offenbahren. Laſſet uns nur der huͤlffe GOttes war-
ten/ und nicht weich werden uͤber dem jenigen/ was uns zu leyden vorſtehen mag.
Wir ſind ja nahe dabey/ daß es heiſſen ſolle: Darum ſpricht GOtt; ich muß
auff ſeyn/ die armen ſind verſtoͤret/ ihr ſeuftzen dringt zu mir herein/ ich
hab ihr klag erhoͤret
m. f. w. Und wie wol wird alle arbeit und alles leyden/ wel-
ches wir daruͤber aus ſtehen/ angeleget ſeyn/ wo wir ſehen werden/ daß durch un-
ſer armes werckzeug die ehre des ſo groſſen GOttes und eigener ſeelen heyl befoͤrdert
worden ſey/ und daß wir theilhafftig worden ſeyen/ der theuren verheiſſungen/ die
der mund der wahrheit denen zu geſagt hat/ welche ihme treulich dienen werden. Ach
geliebter bruder! wo wir hieran gedencken/ wird es uns gewißlich einen muth und
neue krafft geben/ in den wegen des HErrn getroſt fort zuwandeln. Er verge-
be mir dieſe meine freyheit/ mein hertz hat ſich gegen ihn aufgethan in der hertzli-
chen zuverſicht zu ſeiner mir geruͤhmten aufrichtigkeit. Der HErr ſtaͤrcke ihn/
und alle die ihn von grund der ſeelen meynen/ daß ihrer arbeit frucht und ſegen viel
ſeye in zeit und ewigkeit. Jn deſſen heilige hut und treue obſicht ſamt anwuͤnſchung
alles amt- und hauß-ſegens empfehlende/ und hinwieder auch die gemeinſchafft
deſſen andaͤchtigen gebets bittende verbleibe m. f. w. 1677.


SECTIO XVIII.


Verderben des prediger-ſtandes. Baron von
Weltz. Allgemeine regung der gemuͤther.
Daher ſchoͤpffende hoffnung.


WAs derſelbe klaget/ das leider in unſerem/ der prediger/ ſtande ſo viele ſey-
en/ mit denen faſt nicht umzugehen/ oder etwas gutes zu der befoͤrderung
der ehre GOttes/ ja auch daß ſie ſolche nur an andern leiden koͤnten/ zu hof-
fen waͤre: iſt freylich wahr/ und das jenige/ was ich offt hertzlich beſeufftze/ jedoch
hat GOTT auch noch die ſeinige/ die mit furcht und zittern ihr amt fuͤhren/ und
da ſie noch nicht vermoͤgen/ wie ſie gern wolten/ aufs wenigſte es anders verlan-
gen/ und wo ihnen jemand einige beſſerung weiſet/ ſolche leiden moͤgen/ ja gerne an-
nehmen. Ach daß doch die zahl derſelben/ wie mich durch goͤttliche gnad zu geſche-
hen deucht/ immer zu nehme/ und ihnen GOtt allgemach mehrere thuͤren oͤffnete/
mit dem guten durch zu tringen. Von des gottſeligen Baron Weltzen vorneh-
men und begebnuͤßen habe keinen gnugſamen bericht/ nemlich nicht mehr/ als was in
eini-
[207]ARTIC. I. DISTINCT. II. SECT. XVIII.
einigen ſeinen kleinentractaͤtlein geſehẽ. Solte ich einen weitern bericht davon erlan-
gen koͤnnen/ ohne viele ſonderbahre bemuͤhung eines guten freundes/ wuͤrde mir
ſolches angenehm ſeyn. Vornehmlich auch wie es dem lieben Herrn endlich er-
gangen ſeye. Davon allein gehoͤret habe/ ob waͤre er von den wilden thieren zer-
riſſen worden. Die wege/ in welchen ihn/ geliebteſter/ der wunderbahre und wei-
ſe GOTT gefuͤhret hat/ ſind die jenige/ darauff er noch alle die ſeinige fuͤhret/
ob zwar mit ungleichen ſchritten/ daher es offtmahls unterſchiedliche wege ſchei-
nen/ die aber alle durch leiden zu der herrlichkeit/ ja durch vielfaͤltige abnehmung des
aͤuſſerlichen zu dem wachsthum und erneuerung des inwendigen menſchen/ gehen/
und jemehr der liebſte und weiſeſte Heyland unſere ſeelen reinigen/ oder auch uns
zu anderer auferbauung tuͤchtig machen will/ ſo viel mehr fuͤhret er uns auf ſolchem
weg durch die ungebahnteſte pfaͤde/ darauf dem fleiſch am weheſten geſchiehet.
Wol aber und uͤber wol dem/ welcher ſo weit gekommen/ daß er/ wie er die gnade
GOttes ihm kraͤfftig erwieſen ruͤhmet/ ſagen kan/ daß er nunmehr bitter und ſuͤß
auf eine weiſe und ohne unterſcheid von dem liebſten GOtt annimmet/ der beyde/ da
er einer bleibet/ uns etwa nach einander zu koſten gibet. Das iſt eine friedſame
frucht der gerechtigkeit der jenigen/ die geuͤbet ſind/ durch die zuͤchtigungen/ welche
anfangs nicht freude ſondern traurigkeit zu ſeyn geduͤncket haben/ Ach eine ſelige
uͤbung! Jm uͤbrigen habe ich hertzlichen danck zu ſagen/ vor die an unſerm lieben
N. erwieſene liebe/ welchen ich vernehme vornemlich von Gott durch ſeinen dienſt
von den eiteln weſen dieſer welt u. der jugend zu einem rechtſchaffenen Chriſtlichen
vorſatz u. anfang gebracht zu ſeyn. Daruͤber ich mich/ ſolches aus ſeinem eigenen an
mich gethanẽ brieff zuvernehmen/ iñiglich erfreuet habe/ u. mich einem ſolchem liebẽ
freunde hoͤchſt verbundẽ achte/ durch deſſen treue einer der jenigen gewoñen/ welche
hinkuͤnfftig allhier wiederum andere der ihrigen gewinnen moͤgen. Wie ich der hertz-
lichen zuverſicht bin/ das der guͤtigſte GOtt/ ſo ſolch es gute werck in ihne angefan-
gen/ und in wenigerzeit ſtattlich bekraͤfftiget hat/ es auch endlich herrlich vollfuͤh-
ren werde/ ſo ihne zu vieler andern gewinn fruchtbar werden laſſen/ warum auch
ſeine goͤttliche guͤte inbruͤnſtig anflehe. Ach daß wir doch jemehr und mehr dieſes
unſere einige freude ſeyn laſſen/ worinnen wir finden/ an uns oder andern den nah-
men unſers glorwuͤrdigſten Heylandes verherrlichet zu werden: Welches ja viel
herrlicher iſt/ als alles das/ worinnen ſonſten uns etwas begegnet oder ander waͤrt-
lich her bekant wird/ wie in zeitlichen dingen dis oder jenes gluͤck jemand auf ſtoſſet/
ob wir auch etwa ſelbs theil dran haben moͤchten. Und gelobet ſeye der nahme des
groſſen GOttes/ der uns allgemach mehr und mehr urſach zu freude/ und ihm fer-
ner danck zu ſagen gibet/ wo er uns hin und wieder ſehen laͤſſet/ ob wolten die baͤu-
me anfangen außzuſchlagen/ und des erwartenden fruͤblings hoffnung zu geben
Dann ob wol dornen/ ja auch die gifftigſte baͤume/ je mehr und mehr nicht nur kno-
ten
[208]Das ſechſte Capitel.
ten zeigen/ ſondern in voller bluͤht ſtehen/ ja die boͤſeſte fruͤchte der boßheit bringen/
ſo zeigt ſich doch ein mehrer ſafft auch in den feigen und andern fruchtbaren baͤu-
men/ der bald ein mehreres zu verſprechen und nach ſich zu ziehen ſcheinet. Es
reget ſich aller orten ein ungemeiner trieb bey vielen/ theils ſo an der kirche die-
nen/ und die ſache gantz auf andere weiſe/ als vor dem anſehen/ theils die ſonſten
dem zug des Vaters gehorſamlich folgen/ und in das rechtſchaffene weſen/ ſo in
Chriſto JEſu iſt/ ein zugehen ihnen laſſen angelegen ſeyn. Wie nun ſolches aus
keiner andern urſach als der himmliſchen wuͤrckung kommen kan/ alſo haben wir
auch billich dieſe hoffnung/ der HERR HERR werde ſein werck nicht ſtecken
laſſen. Er regiere uns nur alle mit ſeinen Geiſt/ daß wir ſo wol erkennen/ was
ſein wille zu ſolcher zeit an uns in allen ſtuͤcken ſeye/ alß nachmal demſelben uns ge-
maͤß bezeugen/ und uns den jenigen nicht entziehen/ worinnen/ er uns etwa werck-
zeugen gebrauchen will/ deſſen was er in ſeinen heiligen rath zu thun beſchloſſen hat.
Dahin laſſet uns alle ſehen/ einander dazu ermuntern/ den willen des HERRen
zu thun/ mit einander und voreinander auch das anligen aller heiligen/ unaufhoͤr-
lich mit bitten und flehen ringen/ erkaͤmpffen helffen. Damit die ſeuffzen und thraͤ-
nen des armen verſtoͤrten Zions/ dem ſein hertz kraͤfftig ruͤhren/ der ſie inniglich
liebet/ und zu ſeiner zeit ſich zur hilffe aufmachen aber darum mit anhalten gebeten
werden will. Es muß ja heiſſen: Darum ſpricht GOtt/ ich muß auf ſeyn/
die armen ſind verſtoͤhret/ ihr ſeuffzen dringt zu mir herein/ ich hab ihr
klag erhoͤret. Mein heylſam wort ſoll auf dem plan/ getroſt und friſch
ſie greiffen an/ und ſeyn das heyl der armen.
Amen. ꝛc. 12. Jan. 1678.


SECTIO XIX.


Anfuͤhrung der leute zu pruͤfung ihrer ſelbs.
Gemeiner betrug deren/ die ſich Chriſten zu ſeyn einbil-
den. Groſſer nutzen des exempels rechtſchaffe-
ner Chriſten.


DAß Ewr. Hoch Ehrw. hoffen ſonderlich durch die informationem cate-
cheticam
und ſchulordnung gutes auszurichten/ erfreuet mich hertzlich.
Der HErr von deme wollen und vollbringen kommet/ erfuͤlle ſolches kraͤf-
tiglich. Es ſind dieſes die beyde mittel/ dardurch alte und junge zu der erkaͤntnuͤß
ihres Chriſtenthums gebracht werden/ auch wo es recht angegriffen wird/ eine
gute zubereitung geſchiehet/ es in die uͤbung nachmahl zu bringen. Die art der
information und predigt/ davon Ew. Hoch Ehrwuͤrden melden/ daß man un-
ter den leuthen das examen ſelbſt recommendiret, damit jeglicher in ſich gehe/ iſt
die erbaulichſte arth/ ohne welche ſonſt alles gleichſam als todt und unfruchtbar
blei-
[209]ARTIC. I. DISTINCT. II. SECTIO XIX.
bleibet. Aber wo ſie in ihre gewiſſen gefuͤhret werdẽ/ ſo geſchiehet darin die jenigeuͤbeꝛ-
zeugung/ welche dẽ wachsthũ des guten befoͤrdert. Ach wie viel haͤtten wir ausgerich-
tet wo wir den zuhoͤrern erſtlich insgemein glaubten/ das Chriſte gar andere leuthe
ſeyen/ als man ſich insgemein einbildet/ darnach dieſes beybringen koͤnte/ daß ſie
(die meiſte) wahrhafftig keine Chriſten anders als dem nahmen nach/ in dem jeni-
gen ſtande ſeyen/ worinnen ſie ſtehen: Quam multi perveniſſent, niſi ſe jam
perveniſſe putaſſent.
Wo ſie deſſen in ihrer ſeele uͤberzeuget wuͤrden/ ſie ſeyen
noch nicht Chriſten/ als die ſchlechter dings auſſer dem bund geſchritten/ darinnen
ſie Chriſten worden waren/ ſo wuͤrden ſie damit ſehen/ daß ſie keine hoffnung des
heyls/ keinen troſt von Chriſto und ſeinem verdienſt/ keinen wahren glauben haͤtten/
und alſo das lauter betrug ſeye/ damit ſie ſich biß dahin aus eigener ſchuld faͤlſchlich
getroͤſtet haͤtten/ waͤre alsdenn noch einige liebe ſeines eigenen heyls/ ſo wuͤrde man
anfangen zu ruffen mit jenen zu hoͤrern Petri Act. 2. Jhr maͤnner lieben bruͤder
was ſollen wir thun?
aber auch die antwort hoͤren; thut buſſe/ und tretet in
ſolcher wieder ein in den bund eurer empfangenen tauffe zur vergebung der ſuͤn-
den; Man wuͤrde auch mit nachtruck hoͤren/ wie ſolche buß nicht ein bloſſes aͤuſſer-
liches ceremonien werck/ in gewiſſen geberden/ worten/ oder einbildungen be-
ſtehend/ ſeye/ ſondern eine μετάνοια, eine gantze aͤnderung des gantzen ſinnes und
uͤbergang in eine gantze andere arth/ als wir vorher geweſen. Woraus folglich
ein gar nicht mehr weltlich/ ſondern geiſtliches leben folgte. Wo ein Prediger al-
ſo ſeine leute ad deſperationem de ſe ipſis ex priſtina vita gebracht/ da iſt
der acker wohl bereit zu fruchtbahrer beſaͤhung. Und wo noch dieſes darzu komt/
daß wir in der gemeinde etliche perſonen/ und ſoltens nur 1. 2. 3. ſeyn/ durch GOt-
tes ſegen dahin gebracht haben/ daß ſie nicht nur à la mode, ſondern rechtſchaffe-
ne hertzens Chriſten ſind/ und nun ihr gantzes leben in einer wahren verleugnung
ihrer ſelbſt und dienſt ihres GOttes fuͤhren: nicht daß ſie muͤſſen die weltliche ge-
ſchaͤffte bey ſeite ſetzen/ ſondern/ alles ſolches in einer wahren und kantbahrer einrich-
tung zu goͤttlicher ehr zu thun ſich befleißigen/ daß man ſehen kan/ es ſeye ihnen nun
in ihrem leben nicht mehr um ſich ſelbſt/ ſondern um GOtt und den nechſten allein
zu thun. So iſt damit gewonnen/ und wird derſelben exempel folgends ſo viel an-
dere anreitzen/ daß ſie erſt ohne dero exempel werden lernen verſtehen/ was ſie aus
der predigt noch nicht verſtanden. Wobey ich mich erinnere/ was mir etwa vor
einem halben jahr begegnet/ da ich bey einem krancken/ den ich beſuchte/ eine chriſt-
liche perſon/ die ihn auch beſuchte/ antraff/ mit dero ich/ als der ſie ſonſt nicht ge-
kant/ nach vollbrachtem zu ſpruch des krancken/ mich in ein geſpraͤch ein ließ. Sol-
che bekante/ daß ſie 10. 12. oder mehr jahr mit fleiß GOttes wort gehoͤret und ge-
leſen/ auch viel lieber und erbaulicher buͤcher geleſen/ und in ihrem Chriſtenthum/
weit gekommen zu ſeyn gedacht habe/ weil ſie vieles gewuſt/ und euſerlich erbar
gelebt. Sie ſehe aber nunmehr/ daß ſie nimmermehr wuͤrde weiter gewachſen
D dſeyn/
[210]Das ſechſte Capitel.
ſeyn/ wo ihr endlich nicht GOtt die gnade gethan/ in kundſchafft etlicher recht-
ſchaffenen Chriſten/ ſo nunmehr warhafftig ein nach Chriſti regeln und exempel
in dieſer ſchwachheit richtendes leben gefuͤhret; Hiedurch ſeye gleichſam alles bey
ihr lebendig und ihr erſt zu nutz worden/ was ſie jemahl gehoͤret und geleſen/ und
bey ihr faſt erſtorben waͤre/ weil ſie alles/ was ſie in der Schrifft und buͤchern gele-
ſen oder gehoͤret/ von der Chriſten pflichten auff die art verſtanden/ wie man es
insgemein unter den Chriſten an zu treffen pfleget/ und ob ſie wol geſehen/ daß die
Schrifft mehr erfordere/ doch immer davor gehalten/ es muͤſſe nicht eben vonnoͤthen
oder nicht muͤglich ſeyn/ in dem ſonſt niemand ſelig wuͤrde/ weil ſie nemlich noch nie-
mand gekant/ der anders lebte/ ſondern auch bey dem jenigen/ die man insgemein/
vor exempel guter Chriſten geachtet/ nichts geſehen/ das mit jenem/ wie es uns
vorgeſchrieben/ uͤber eingekommen. Weswegen ſie gedacht/ die wort muͤſten nicht
eben in ſolchem rigor genommen werden: Und alſo waͤre ſie immer ſtehen geblie-
ben ohne rechtſchaffenen wachsthum/ oder gedancken/ daß es nothwendig ſeye. Seye
alſo die ſchuld nicht goͤttlichen worts geweſen/ ſo ihr das Chriſtenthum viel anders
beſchrieben/ ſondern ihrer einbildung/ daß ſie die wort des HERRN gern auff ei-
ne ſolche art verſtehen wollen/ daß fleiſch und blut damit noch etlicher maſſen moͤg-
te zu frieden ſeyn koͤnnen. Dieſe einbildung aber iſt gekommen aus mangel deſ-
ſen/ daß ſie dergleichen lebendige exempel nicht gehabt/ biß ihr endlich GOTT der-
gleichen gezeiget/ damit ihr die vorige hinternuͤſſen der vermeinten unmoͤglichkeit/
und unnothwendigkeit/ ſo ſie gehindert/ den willen des HERRN/ wie er lautet
zu verſtehen/ weg genommen/ und ſie tuͤchtig gemacht worden/ denſelben ihre krafft
ferner an ſich zu laſſen/ worauff durch GOttes gnade in weniger zeit weiter ge-
fuͤhret worden/ als vorhin ihr lebenlang. Ach GOtt gebe ieglichem treuen pre-
digern eine dergleichen huͤlffe eines guten exempels an etlichen/ ſo wird ihm und der
gemeinde ſtattlich geholffen. Ohne ſolches aber gehets ſchwer her. Wir ha-
ben aber auch der urſach halben dieſes unſre erſte ſorge ſeyn zu laſſen/ daß wir in
der gemeinde mit ſo viel mehrern fleiß dahin bringen/ weil es ſich nicht mit allen
gleich außrichten laͤſſet. Von Herr NN. hat Ew. Hochwol Ehrw. ſich verſichert
zu halten/ daß/ ſo viel ich ihn kenne/ ich hoffe/ den ſie einen treuen paraſtatam in
befoͤrderung des guten an ihn haben werden. Wol dem/ den der weltliche arm
nicht hindert: ſo viel beſſer/ wo er gar einige befoͤrderung des guthen thut. Sed
rara hæc eſt felicitas.
GOTT geb es endlich aller orten. 13. Apr. 78.


SECT.
[211]ARTIC. I. DIST. II. SECT. XX.

SECTIO XX.


An einen beruͤhmtenDoctorem Theologiæ,
wegen derſymphoneſeos Kriegsmannianæ.


WAs E. Hoch Ehrw. vergangenen Sambſtag an mich zu ſenden beliebet/
iſt mir zwar wol/ aber aller erſt da ich nach 11. uhren von der beicht nach
hauſe kam/ behaͤndiget worden/ daher weil die zeit der poſt nahe/ außfuͤhr-
lich und nach nothdurfft zu antworten/ ſo viel mehr wegen der Sontags meditati-
onen,
nicht wohl muͤglich geweſen. Bedancke mich zum forderſten des hertzlichen
neujahrs-wunſches/ den GOtt der zeiten und ewigkeit demuͤtig anruffend/ daß
er nicht nur an mir das angewuͤnſchte auf art und weiſe/ wie es ſeine weiſeſte guͤ-
tigkeit noͤthig erkennet/ erfuͤllen/ ſondern auch auff E. Hoch Ehrw. alles in gnaden
zu ruͤcke flieſſen laſſen wolle/ derſelben ein ſolches jahr verleihende/ da kein tag ver-
gehe/ daß ſich nicht neue gnade von dem Vater des liechts/ von dem alle gute und
vollkommene gaben herkommen/ uͤber dieſelbe mildiglich ergieſſe/ mit liecht und er-
kaͤntnuͤß in dero hochwichtigẽ amte/ was zu des reichs Chriſti beforderung das dien-
ſamſte ſeye/ gewiß zu erkennen/ ſo dann muth und krafft daſſelbige in goͤttlichem bey-
ſtand auszurichten/ auch freude uͤber gluͤcklichen ſuccesſ deſſen/ was dieſelbe in
dem werck des HERREN zu ſeinen ehren vornehmen werden/ ſamt zu allem
ſolchen noͤthigen gemuͤths und leibes kraͤfften/ und uͤbrigem menſchlicher wolfahrt
ſegen. Was Herr Kriegsmannstractaͤtlein anlangt/ ſo verhaͤlts ſichs/ wie
er ausgeſagt hat/ und in weitern umſtaͤnden darinnen beſtehet/ daß ich zwar vor
verfertigung des tractats von ſolchem vorhaben nicht gewußt/ als er aber geſchrie-
ben geweſen/ hat er der autor, aus zu mir tragendem freundlichem vertrauen/ der
von meinem hauß-excercitio vieles ungleiches gehoͤret/ endlich aber die wahre be-
ſchaffenheit/ nach eingenommenen augen-ſchein/ gruͤndlicher gefaßt zu haben bezeu-
get/ mir ſolches in MS. zu geſchickt/ und meine gedancken daruͤber zu wiſſen ver-
langt: Jch als ich ſolches durchſehen/ fand ein gutes vergnuͤgen daruͤber/ und war
erfreuet in unterſchiedlichem/ ſo meine gedancken geweſen/ auch durch dieſes guten
freundes ſuffragium bekraͤfftiget zu werden: Weil ich nun vor rathſam geach-
tet/ daß dieſe materie von unterſchiedlichen excoliret, und immer mehrere ange-
friſchet wurden/ ihre von GOTT hieruͤberhabende gnade andern mit zutheilen/
auch ſo gar wo jemand etwas dagegen haͤtte/ dergleichen oͤffentlich an den tag und
zu anderer beurtheilung vor zubringen/ von welchem allen die kirche ihre nutzen ha-
ben kan/ alſo war mir ſo viel lieber/ daß dergleichen von einem Politico geſchehen/
den der bloſſe einfaͤltige buchſtaben der Schrifft ſo bald zu ſolcher meinung ge-
bracht/ riethe deß wegen und erinnerte ihn/ daß ers moͤchte zu truck geben/ mich
in ſolchem fall dazu erbietende/ daß einen verleger verſchaffen wolte/ und
D d 2hat
[212]Das ſechſte Capitel.
hat die dedication an Herr D. Fritzſchen beygefuͤgt. So war auch Herr Zun-
ner/ ſo meine ſachen ordinarie zu verlegen pflegt/ ſo bald als ſolches ihm anerbo-
the/ willig es zuverlegen/ und lieſſe es nicht zwar hier/ weil er ohne das in unterſchied-
lichen truckereyen viel arbeit hat/ ſondern an einem benachtbarten ort trucken. Die-
ſes iſt die wahr hafftige beſchaffenheit der ſache. Daß aber Jhr Hoch Fuͤrſtl.
Durchl. einig miß belieben daran tragen/ daß ſolche in die ſache mit eingeflochten
wuͤrden/ ſolte mir nicht in die gedancken gekommen ſeyn; als der noch jetzo nicht ſe-
he/ das Jhr Hoch Fuͤrſtl. Durchlauchtigkeit in einiges hiedurch impliciret wer-
de/ was dero Hoch Fuͤrſtlichem reſpect oder regierung nachtheilig ſeyn moͤchte.
Vielmehr ſolte billich dieſes gute vertrauen tragen/ gleichwie es eine erbauli-
che materie iſt/ und Jhr Hoch Fuͤrſtl. Durchl. ſo denn Herrn Kriegsmanns vor-
hin geweßte gnaͤdige Herrſchafft/ niemahl biß daher einige ungnade verſpuͤren laſ-
ſen/ wenn derſelbe nach dem von GOtt ihm mildigſt ertheiltem talente in geiſt-
und chriſtlichen materien etwas heraus gegeben hat: es wuͤrde auch dieſes tra-
ct
aͤtlein gleichen rechts genieſſen. Wie ich auch hoffe/ wo die ſache nur weiter un-
terſucht/ und durch goͤttliche gnade mit zu ziehung mehrerer chriſtlicher und allein
die ehre ihres GOttes vor augen habenden gemuͤther was bißher davon proponi-
r
et/ durch gegangen/ und was weiter zu errinnern in der furcht des Herren uͤberle-
get werden ſolte/ das unter denen die GOtt von hertzen meinen/ auch die jenige/
welche biß daher/ wegen ſcheinender neurigkeit dergleichen zuſammenkunfften nicht
haben belieben wollen/ dieſelbe gantz anders anſehen/ und ſelbſten
befordern werden. Jch bekenne gern/ wie fleißig und offte der ſa-
che mit anruffung GOTTES nachgeſonnen/ oder mit andern davon beredet/
daß ich nichts dagegen weder außder Schrifft noch ſonſten von der allergeringſten
erheblichkeit ſinden oder hoͤren habe koͤnnen/ als die vorwendende gefahr.
Nun kan auch keine gefahr vor geſchuͤtzet werden/ die nicht eben ſo wohl un-
ſerm lieben ſel. Luthero und uns allen noch heut zu tage von den Paͤpſtiſchen ent-
gegen gehalten wird/ wegen der freyheit die Bibel zu leſen/ ſo ſie promiſcue allen
Chriſten gegeben werde. Einmahl wo dieſe Theſis bleibet/ die wir gleichwol noch
allezeit wider den gegentheil/ die Papiſten behaupten: daß jeglicher Chriſt/ wer
der auch ſey/ macht habe/ ja nach dem ers vermag verbunden ſey/ die heilige Bibel
zu leſen/ und daraus ſeinen glauben alſo zu gruͤnden/ daß er ſich nicht auff die au-
thoritatem
ſeines predigers oder einiges menſchen/ der es ſo und ſo auslege/ ſon-
dern auff das goͤttliche wort ſelbs/ und die in den noͤtigen ſtuͤcken der erkaͤntnuͤß dazu
gebende goͤttliche gnade reſolvire und laſſe: deßwegen auch das urtheil
uͤber die lehre den zuhoͤrern zuſtehe/ daruͤber Lutherus ſo offt ge-
eyffert/ ſo ſehe ich nicht/ wie auch die Theſis der moderirten privat-
zuſammen kunfften durch vorwendende gefahr mag umgeſtoſſen werden.
Jn dem wir nicht leicht eine einige gefahr von unordnung/ irrthum/ deſpect des
pre-
[213]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XXI.
predigamts ꝛc. moͤgen ſorgen von denen zu-ſammenkuͤnfften/ welche nicht eben ſo
wol jener theſi koͤnte/ und von den Papiſtenauch pflegte/ entgegen gehalten zu
werden. So wenig wir aber um ſolcher vermeinten u. ſehr ſcheinbaren conſequen-
tien
willen den Papiſten concediren, daß den Chriſten das ihnen von ihrem Hey-
land gegebene recht genommen werde/ ſondern ſuchen wie die gefahr ſonſten abge-
leinet werde; eben ſo wenig finde ich verantwortlich zu ſeyn/ daß wie dem andern
juri der Chriſten ſolche argumenta objſciren/ die wir den Papiſten in der andern
ſache nicht gelten laſſen. Jch habe ſchon von zwey orten wegen des Herrn Kriegs-
manns
tractaͤtlein ſchreiben gehabt/ da mir unterſchiedlicher leuthe gedancken dar-
uͤber notificiret worden/ ſo aber alle die ſache billigen/ ohne daß einer der die ho-
he nutzbarkeit geſtehet/ allein wegen der behauptenden abſoluten nothwendigkeit
anſtehet. Von niemand aber/ der es verwirfft/ iſt mir noch nichts vorgekommen.
Vielmehr kam mir geſtern ein ſchreiben zuhanden/ von einem in politiſcher wuͤrde
ſtehendem eyfferer vor die gemeine aufferbauung/ und mit ſtattlicher Erkaͤntnuͤß
der Schrifft begabten mann/ ſo mit groͤſſerem eyffer ſchreibet/ aus vorſehung daß
ſolches tractaͤtlein widerſpruch finden wuͤrde. Jch habe wollen den gantzen ex-
tract,
ſo viel von ſolcher materie in dem ſchreiben befindlich hierbey legen/ und Ew.
Hoch Ehrw. communiciren/ um zu ſehen/ was auch anderer gedancken hieruͤber
ſind und wie ſolche materie annoch von andern mit ſtattlichen gruͤnden auszufuͤh-
ren/ wo es etwa wegen des widerſpruchs nothduͤrfftig befunden wuͤrde/ vor die hand
genommen werden duͤrffte. Jch ruffe den allweiſen und alleguͤtigen GOtt hertz-
lich an/ er wolle uns allen in allen ſtuͤcken/ durch ſeines heiligen Geiſtes krafft lehren
erkennen/ was da ſeye ſein guter wohlgefaͤlliger und vollkommener wille/ zur beſſe-
rung und zu rechtbringung des armen/ und faſt kaum mehr kantlichen Zions/ auff dz
wir nachmahlen denſelben getroſt in das werck richten/ zu ſeines nahmens verherrli-
chung/ und vieler ſeelen ewigem heyl/ als zu welch em zweck wir Chriſten alle/ ſon-
derlich wir Theologi, geſetzet ſind/ und in deſſen erlangung allein unſere freude/
vergnuͤgung und gluͤckſeligkeit zu ſuchen haben/ mit welchem treumeinendem wunſch
auch an dieſelbe und empfehlung in der himmliſche obhut verbleibe ꝛc. 15. Jan.
1678.


SECTIO XXI.


Von damahligen gemeinen und Franckfurtiſchen
zuſtand. Meine abſicht in allem.


ES hat mich inniglich erfreuet Ew. Wohl-Ehrw. in ihren ſchreiben gegen
mich bezeugende liebe und hertzlicher wunſch. Ach daß doch der HERR
ſolchen an uns allen zum preiß ſeines nahmens erfuͤlle/ und uns eine thuͤr nach
der andern oͤffne/ mit goͤttlicher krafft und einfalt zureden das geheimnuͤß des glau-
D d 3bens
[214]Das ſechſte Capitel.
bens: Welches wahrhafftig ſo bekant ins gemein nicht iſt/ als das wort und auch
aus demſelben unſre Libri Symbolici mit ſich bringen. An widerwaͤrtigen fehlets
freylich nicht. Und wie koͤnte derjenige/ deſſen reich abbruch geſchihet/ dabey ſtill
ſitzen oder darzu ſchweigen? Er kan ja nicht anders als rumoren/ wo man ihm ſei-
nen pallaſt angreiffet/ und alle ſeine werckzeuge wapnen gegen ſolche ſeine feinde.
Wie nun wir uns ſolches nicht befremden laſſen doͤrffen/ als die wir wiſſen/ daß es
nicht anders ſeyn koͤnne/ alſo iſt nun dieſesdas betruͤblichſte/ wo wir zu weilen ſehen
muͤſſen/ daß der teuffel ſo liſtig/ zu weilen auch einige ſonſt gute gemuͤther/ ſo
gar die amts halben das gute befoͤrdern ſolten/ vermittels allerhand calumnien ſo
er wiſſentlich auszubreiten weißt/ einnimmt/ daß ſie ſich unwiſſend und aus irrenden
eiffer dem guten widerſetzen/ ſo ſie nicht thun wuͤrden/ wo ſie ſich gnugſam von der
ſachen bewandnuͤß unterrichtenlieſſen/ damit aber gleichwohl einige ſchuld vor Gott
auff ſich laden dergleichen wir bey dem wenigẽ guten/ welches wir in einen ſchwachẽ
anfang allhier haben/ gnugſam erfahꝛen/ wie nicht nur die boͤſe ſich mit einen rechten
wuͤtenden grim̃ widerſetzen/ ſondern auch ſolche leute hin u. wieder ſich durch die von
jenen ausgeſprengten laͤſterungen einnehmen laſſen/ von welchen ſonſten zu hoffen
waͤre/ das ſie daß wahꝛhafftig erkante gute nicht boßhafftig anfeinden wuͤrden. Wie
wir aber der boͤſen zorn mit gedult zu tragen haben/ alſo haben wir auch mit ſanfft-
muth anderer præoccupiter unwillen und widrigkeit zutragen/ vor beide aber den
HERRN flehentlich zu bitten/ daß derſelbe ſeine kraͤfftige gnade ihnen zu erken-
nen geben wolle/ was ſie thun/ damit ſie ſich nicht gefaͤhrlicher als ſie gedencken/ an-
ſtoſſen moͤchten. Es ſchriebe mir juͤngſthin ein vornehmer beruͤhmter Theolog.
und Gen. Superint. aus gelegenheit meines vor einem halben jahr publicirten
ſendſchreibens: Er habe in ſeinen durch GOttes guͤte nun 27. jaͤhrigen geiſtl.
verrichtungen keine gifftigere leute angemercket/ die dem wahren Chriſten-
thum ſo zu wider geweſen/ als die ſeines ordens geweſſt.
Er wuͤnſchte/ daß
ich meines orts nicht dergleichen erfahren muͤſſte. Mein gewiſſen gibt mir vor
GOTT zeugnuͤß/ daß ich in meinen amt nicht anders ſuche/ als daß das wahre
Chriſtenthum/ ſo unter dem gemeinen heuchelweſen und einbildung des operis o-
perati
faſt nicht mehr zu erkennen iſt/ bey meiner gemeinde und durch anderer treu-
en dienſt auch aller orten vermittels goͤttlichen ſegens auffgerichtet werde; Da-
hin trachte ich durch die lehre/ in dero ich den articul der rechtfertigung allein aus
dem glauben ernſtlich treibe/ aber allzeit den glauben alſo beſchreibe/ daß niemand
ſeine fleiſchliche einbildung vor einen goͤttlichen glauben halten/ und ſich daraus ſei-
ne ſeligkeit verſprechen moͤge. Solches thut ſichern hertzen ſehr wehe/ wo ihnen das
ſanſſte kuͤſſen/ auff dem ſie ihr ewiges heil gern verſchlaffen wolten/ unter dem kopff
vorgezogen wird/ wie ſie dann die uͤberzeugung ihrer hertzen nicht leugnen koͤnnen/
ſondern dardurch unruhig werden. Wolte GOTT es wuͤrde ſolches wort den
meiſten ein geruch des lebens zun leben/ wohin es bey allen gemeinet/ und nicht bey ſo
vielen
[215]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XXII.
vielen ihrer widerſetzlichkeit wegen ein geruch des todes zun tode. Aber der HErr iſt
heilig und gerecht/ dem wir in ſeinen gerichten nichts vorzuſchreiben haben. Mit mir
ſind auch gleichgeſiñet/ gleich wie meine treue Collegæ alſo auch diejenige gute ſee-
len/ darvon in dem ſchreiben meldung gethan/ ſo nichts anders ſuchen als ſich unter
einander bey gelegenheit u. freundl. beſuchungẽ (deñ was ſtata \& condicta collegia
anlangt/ iſt bloß eine calumnia die ausgeſprengt worden) hiezu zu erinnern und
auffzumuntern/ ihrem Heyland/ der ſo viel vor ſie gethan und gelitten/ treulich
nachzufolgen und zu gehorſamen/ damit ſie krafft ſeines todes auch ſterben moͤgen
der ſuͤnde/ und in ſeiner aufferſtehung wirckung ein neues leben fuͤhren moͤgen; das
iſt ihr einiger fleiß und gruͤblen ſonſt nicht (wie ſie zwar beſchuldigt werden) hohe
dinge/ ſondern/ laſſen Ehriſtum ihr verſuͤhnopffer und exempel in ſeinem todt und
leben ihre milchſpeiſe ſeyn/ als die ſich alle noch vor kinder achtẽ u. ſtaͤrckere ſpeiſe ſich
nicht angewehnen. So geſchihet alſo nichts anders unter ſolchen lieben leuten/
als was die austruͤckliche befehl der Apoſtel mit ſich bringen/ und die exempel der er-
ſten Chriſten darinnen uns vorleuchten. Es ſcheint zwar/ der HERR wolle unſre
gedult etwas uͤben und prieffen/ ich bin aber mit ihnen verſichert/ ſeine ſache/ darin-
nen wir arme ſchwache werckzeuge ſind/ werden endlich durchbrechen und uͤberwin-
den/ ob auch wir daruͤber vor der welt werden unterligen muͤſſen/ als wie wir uns
auff nichts anders unſere rechnung machen. Wie wir nun vor alle/ die den HErrn
JESUM unverꝛuckt lieben/ mit heꝛtzlichen ſeufftzen taͤglich bitten/ ſo veꝛlangen wir
auch von allen gleich vor die ehre Gottes geſinneten nichts mehr/ als daß ſie uns helf-
fen kaͤmpffen mit beten und flehen/ ſonderlich in den erſten 3. bitten unſers heiligſten
gebets des HErrn. Deſſen ich mich auch gegen und von Eurer Wohl-Ehrw. ſo
viel gewiſſer verſehe/ daher auch darum ſo viel angelegenlicher bitte/ als liebrei-
cher dieſelbe ihre intention gegen mich mit einen ſo bedencklichen wunſch bezeuget
haben. Der HERR laſſe der jenigen viele werden/ die ihn allein hertzlich ſuchen.
7. Mart. 1678.


SECTIO XXII.


Uber das Fuͤrſtliche Heſſen-Darmſtaͤttiſche
ausſchreiben. Chriſtliche zuſammen-
kuͤnfften.


BEdancke mich dienſtfreundl. der communication des bewuſten ausſchrei-
bens/
ſo ich zwar einmahl zu leſen gehabt/ aber vor mich nie erlangen koͤn-
nen/ bleibe deswegen ſonderlich obligiret, ſolches auff andert art wiederum
zu verſchulden/ jedoch will ich nicht gedencken/ daß ſolches ausſchreiben wider meine
pia deſideria gerichtet ſeyn ſolte/ als der ich nicht vermuthen ſolle/ das Herr D.
Mentzer
[216]Das ſechſte Capitel.
Mentzer etwas wider dieſelbe ſich unternehmen wuͤrde/ da er der erſte unter allen
Theologis geweſen/ welcher in einen freundlichẽ ſchreiben dieſelbe voͤllig approbi-
ret/ u. bezeuget/ daß dergleichen von andern Gottſeligen Theologisauch ruͤhmlich
vorgeſchlagen worden; auch mir gewuͤnſchet/ daß ſolche meine vorſchlaͤge/ daran er
nichts zu deſideriren haͤtte/ moͤchten in das werck gerichtetwerden/ wie ich ſolches
ſchreiben noch bey handen habe/ u. zeigen kan. Daher aber nicht gedencken ſoll/ daß
ſolcheꝛ vornehme mann dasjenige/ was er allerdings gebillichet/ hie mit wuͤrde be-
ſtreiten wollen. Wie auch verſchiedene der Heꝛꝛen Gießiſchen Theologen eben ſolche
pia deſideria gebillichet. Sondern es mag dieſes ausſchreiben vornehmlich an-
gehen Herrn Kriesgmanns tractaͤtlein Symphoneſis genannt/ oder von eintzeln
zuſammenkunfften der Chriſten/
ſo zwar ein ſehr liebes und ſchoͤnes tractaͤtlein/
wie ich auch nicht leugne/ daß ich es ſelbs zum truck habe befoͤrdert. Aber es hat
Herr D. Mentzer groſſes mißfallen daran. Jn uͤbrigen gebe ich meines Hochge-
ehrten Herrn dienſtfreundlich zu erwegen/ ob nicht ſolches ausſchreiben denjenigen/
welche den Chriſten dieſes recht goͤnnen/ daß ſie macht haben ſollen zuſammen zu
kommen/ und ſich untereinander zu erbauen/ gegen die es eigentlich gemeinet/ ſelbs
etlicher maſſen zu ſtatten kommen koͤnne: Weil ſie bekennen/ wie viel nuͤtzliches er-
bauliches und gottſeliges damit ausgerichtet werden koͤnne: welches bekaͤntnuͤß
uns gar ein groſſes iſt. Dann daß nachmahl allerhand gefahr vorgewendet wird/
ſo wiſſen wir ja die allgemeine regel/ Abuſus non tollit uſum: und iſt alſo viel-
mehr dahin zu ſehen/ wie die ſache alſo eingerichtet werde/ das aller mißbrauch ver-
huͤtet/ und der rechte gebrauch erhalten/ als um des befahrenden boͤſen willen das
gute unterlaſſen werde. Man gedencke/ wo zu unſers theuren Lutheri zeiten/ als
derſelbe zeigte/ daß allen auch den einfaͤltige die heilige Schrifft zu leſen erlaubt ſeyn
ſolte/ ihm waͤren dieſe argumenta vor gehalten worden/ wie ſie noch wuͤrcklich heut
zu tage uns entgegen von den Papiſten gehalten werden/ was vor gefahr mißver-
ſtands/ irrthums/ ketzerey/ ſpaltung/ verachtung des predigamts/ aus ſolcher pro-
miſcua licentia legendi ſcripturam
entſtehen koͤnte: Meinen wir wohl/ der theure
Mann ſolte deswegen die ſache unterlaſſen haben? nein/ ſondern er wolte den rechten
gebrauch behalten/ den mißbrauch aber abgeſchafft haben. Nun kan wider die
ordentlich in weniger zahl anſtellende gottſeliger Chriſten verſamlung nicht ein
argument gebracht werden/ welches nicht mit eben derſelben krafft auch gegen die
erlaubnuͤß der Schrifft ſtritte. So wenig wir denn den Papiſten ſolches argu-
ment
gelten laſſen/ ſo wenig muß es auch gegen dieſe Gottſelige erbauung gelten.
So moͤchte auch/ weil ſie nicht nur allein nichts vor ſolche einzele zuſam̃enkunfften/
ſondern auch nichts wider ſie zu ediren verbieten/ ein zeuanuͤß ſeyn/ man ſeye in ſeiner
ſeele verſichert/ die ſache ſeye nicht boͤß. Dann warum haͤtte man viel bedencken ge-
gen etwas zu ſchreiben/ was gewiß boͤſe iſt. Einmahl zeigt die erfahrung/ daß durch
Chriſtliche und in liebe anſtellende converſationes Gottſelige hertzen kraͤfftigſt in
ihrem
[217]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XXIII.
ihrem Chriſtenthum geſtaͤrcket werden. Ach daß wir uns befliſſen/ dem HErrn
an allen orten/ zu allen zeiten und bey allen gelegenheiten zu preiſen und ſein wort
unter uns reichlich wohnen zu laſſen! Wir werdens gewißlich nicht zu viel thun
koͤnnen. 19. Mertz 1678.


SECTIO XXIII.


Ob von hohen orten die beſſerung der kirchen zu ſu-
chen und zuerwarten ſeye?


DEſſelbigen an mich gegebenes hertzliche und treumeinende ſchreiben hat mich
in niglich erfreuet/ daß dem grundguͤtigen GOTT und Vater demuͤthigen
danck ſage/ ſo mich wiederum an denſelben einen treuen diener JEſu Chri-
ſti/ welcher die gebraͤchen unſerer kirchen gern gebeſſert ſehe/ und darnach ſorgfaͤl-
tig ſeufftzet und verlangt/ hat kennen laſſen. Ach der HERR HERR laſſe die
zahl derſelbigen groß/ und ſie unter ſich einander mehr und mehr bekant werden/
auff daß je einer durch des andern liebes exempel auffgemuntert/ ſo dann durch zu
ſammengeſetztes gebeth/ berathſchlagung/ und handanlegung ſein werck ſo viel
kraͤfftiger in ſeiner gnade gefuͤhret werde. Es iſt ja dieſes das einige/ darum
wir menſchen in der welt ſind/ daß allein des groſſen GOttes nahme geheiliget und
verherrlichet werde: wie ſollen wir dann nicht alle ein ſolches auch unſer hoͤchſtes
anligen ſeyn laſſen/ ſonderlich aber wir prediger/ welche noch mit ſonderbahrer
pflicht vor andern hierzu verbunden ſind. Ach daß aber nicht in unſerer zahl ſo vie-
le waͤren/ welche ſolchen heiligſten zweck allerdings entgegen ſtehen/ und denſelben
viel lieber bey andern hindern als ſelbſten foͤrdern. Wie leider ſolches durch die
betruͤbte erfahrung gezeiget wird. Jedoch hat der HErr die ſeinige aus unſerer
zahl erhalten/ die mit ſeufftzen ihrer ungleichen amtsbruͤder nachlaͤßigkeit oder wi-
drigkeit bedauren/ vor ſie beten/ ſie auffmuntern oder mit gedult und ſanfftmuth zu-
tragen befliſſen ſind. Was Eure Wohl-Ehrw. Chriſtlicher vorſchlaͤge anlangt/
die ſache zu allgemeiner befoͤrderung an hohe ort/ die Ertzbiſchoffe in Schweden
und Dennemarck/ ſo dann an Chur-Sachſen gelangen zu laſſen/ und dero huͤlffe zu
ſuchen/ iſt ein lieber vorſchlag: Aber ach wolte Gott daß ſo viel davon zu hoffen waͤ-
re wie wir wuͤnſcheten! Mit dem rechtſchaffenen und Chriſtlichen Theologo
Herrn D.Geyern/ habe bereits vor 2. jahren einiges aus der ſache communiciret/
da ich die pia deſideria ihm ſandte/ aber aus des lieben mannes antwort ſchreiben
habe geſehen/ daß wenig hoffnung zu machen. Jndem er klagt/ daß der geiſtliche
ſtand alſo jetzund von der weltlichen gewalt eingeſchrencket ſtehe/ daß er das wenig-
ſte nicht auszurichten vermoͤge/ in dem keine Fuͤrſten oder dero Miniſtri zu guten
rathſchlaͤgẽ huͤlffliche hand boͤtẽ/ ſo gaꝛ daß man auch diejenige/ dinge davon bereits
E ever-
[218]Das ſechſte Capitel.
verordnung gemacht/ in die praxin zu bringen nicht vermoͤge. Woraus ich ge-
nug abnehmen koͤnnen/ wie der werthe mann an ſolchem hofe ſtecken muͤſſe/ und
aus der erfahrung gelernet habe/ daß mit weltlicher huͤlffe wenig auszurichten. Jn
Dennemarck habe keinen unter allen Theologis, mit dem ich in einiger kundſchafft
ſtuͤnde: jedoch hoͤre ich von Herrn Laſſenii eiffer vieles gutes ruͤhmen. Was
Schweden betrifft/ ſo ſind einige wackere Theologi, welche ſehr wohl intentio-
ni
ret/ und moͤchte in einigen provinzien etwas zur ehre GOttes verſucht werden.
Es war auch vor einem jahr an dem daß auff einem reichstag/ der nachmahl un-
vermuthet diſſolviret worden/ unter dem clero unterſchiedliche puncten davon
haben ſollen in berathſchlagung gezogen werden. Jch halte aber auch davor/ daß ge-
genwaͤrtiges kriegsweſen viele wichtige offentliche anſtalten ſchwehrlich zulaſſe.
Aus welchem Eure Wohl-Ehrw. leicht abſehen koͤnnen/ daß ob weilen wir/ da uns
GOTT dem weg zeiget/ an ſolchen orten uns anzumelden/ gantz recht thun/ gleich-
wohl kein groſſer ſtaat ſich darauff machen laſſe. So werden wir auch ſehen/ daß
CHriſtus ſein reich etwa eher durch vor der welt verachtete werckzeuge als
weitlaͤufftige anſtalten/ wo groſſe Herrn damit concurriret/ befoͤrdert habe. Die
welt wird ſich ſchwehrlich dazu diſponiren laſſen/ mit rechtem ernſt das gute zu be-
foͤrdern; Nun wie wenig iſt auch an den beſten hoͤfen/ daß nicht allerdings zu der
welt gehoͤrete? Jſt etwa ein gutes gemuͤth bey einen Herrn/ ſo iſt er mit ſo vielen
boͤſen raͤthen gemeiniglich als gleichſam ſo viel teuffeln umgeben/ daß weder derſelbe
ſelbs ſeine gute intention zu werck richten kan/ ſondern bald davon divertiret/ ja
wohl ihme gar mit ſolchen boͤſen ſchein das gute veꝛdaͤchtig gemachet wird/ noch auch
die wenige gute/ ſo bey ihm ſind/ durchzutringen vermoͤgen. So komt auch dazu/
daß viele die nuͤtzlichſte und heilſamſte voꝛſchlaͤge ſo bewandt ſind/ daß ſie vor unmuͤg-
lich/ allzu ſchwehr oder gefaͤhrlich/ geachtet werden/ wo nicht vorhin dieſelbe einigen
orts eine zeitlang verſuchet/ und alſo was dagegen eingewendet werden moͤchte/
durch die that ſelbs widerleget worden. Daher manchmahl aus ſolchen urſachen
eine ſache/ die in berathſchlagung gezogen wird/ ſelbs von guten gemuͤthern wird
mißrathen werden/ die ſie ſelbs willig befoͤrdern wuͤrden/ wo ſie die thunlichkeit/
nutzbarkeit und ſicherheit in einigen exempeln vorhin haͤtten ſehen koͤnnen. Dahe-
ro ich bekenne/ daß ich in den gedancken bin/ wir ſtehen noch in einer ſolchen zeit/ wo
von allgemeinen berathſchlagungen/ und von hohen orten/ wenig oder gar keine ſon-
derliche huͤlffe zu erwarten ſeye/ ſondern muͤſſen wir prediger/ ſo es treulich mit dem
werck des HErrn meinen/ jeglicher ſeines ort und etwa mit rath und beyhuͤlff ande-
rer uns bekanter gleichgeſinnter gottſeliger freunde/ verſuchen/ was jedem GOtt
vor mittel und gelegenheit zur erbauung vor die hand giebet/ ob wir in unſeren kir-
chen und dero groſſem corpore gleichſam Eccleſiolas ſammlen moͤgen/ das iſt/ die
jenige/ ſo einen wahrhafftigen eiffer ihrem GOtt einig zu dienen haben/ immer zu
weiterem wachsthum bringen/ damit ſie ſo wohl vor ſich ſelbs rechtſchaffene und des
wuͤr-
[219]ARTIC. I. DISTINCT. II. SECTIO XXIII.
wuͤrdigſten nahmens wuͤrdige Chriſten werden/ als folglich mit ihrem gottſeligen
exempel und bey jeder gelegenheit/ ſo ihnen der HERR vor die hand kommen laͤſſet/
mit beſcheidenen erinnerungen und vermahnungen andere neben ſich erbauen/ und
uns alſo auff ihre art zu huͤlff kommen moͤgen/ zu der uͤbrigen gewinnung. Wo
ſolches von vielen und an vielen orten geſchiehet/ ſo moͤchten dadurch allgemach
mehr perſonen bereitet werden/ tuͤchtig das werck des HErrn ferner zu treiben und
ſolten einige gemeinden durch himmliſchen ſegen ſo weit gebracht werden/ daß ſie
nach den meiſten ihren gliedern wiederum der erſten Apoſtoliſchen kirchen an[fi]ngen
aͤhnlich zu werden/ wuͤrden ſie damit ſolche liechter ſeyn die duͤcke finſternuͤß der vie-
len andern mehr zu erleuchten. Und da moͤchte alsdann ehe zu hoffen ſeyn/ wo die
ſache an mehr einzelen orten probiret worden/ und durch GOttes gnade der ſegen
ſich ſelbs gezeigt/ daß einige dem reich CHriſti nicht abguͤnſtige groſſe in der welt
dergleichen bey den ihrigen ins gemein einzufuͤhren bewogen werden doͤrfften. Und
ſolte der barmhertzige GOtt noch vorhaben einen theuren werckzeug zu ſenden/ wie
er vor deme zu beſtreitung des groben Papſtums den lieben Lutherum gebraucht/
daß jetzige verderbte weſen zu beſſern/ davor wir ihme demuͤthig danck zu ſagen haͤt-
ten/ ſo wuͤrde unſere arbeit/ die wir jeder ſeines orts in unſerer einfalt gethan/ auch
nicht verlohren ſeyn/ als welche eine vorbereitung zu dem uͤbrigen gemachet. Dar-
um haben wir aber alle hertzinniglich den geber alles guten anzuflehen/ daß ſeine
gnade zum foͤrderſten uns ſeinen willen in allen ſtuͤcken an uns zu erkennen/ und
nachmahl denſelben getroſt in das werck zurichten/ geben moͤge. Er laſſe nur ſei-
nen heiligſten nahmen verherrlichet und ſein reich vermehret werden/ es geſchehe
nun daſſelbige auff art und weiſe/ die wir ſelbs vor rathſam geachtet/ oder auff ſol-
che/ die unſerer meinung entgegen/ aber von ſeiner himmliſchen weißheit vor die be-
ſte erkant worden. Jn dem es uns je nicht um unſern willen/ ſondern ſeine ehre
ſelbſten/ zu thun iſt/ und wir deroſelben auch gern unſere weißheit/ willen/ abſicht
und was bey uns ſeyn moͤchte/ nachſetzen wollen und ſollen. Werden wir auch
den HErrn um ſolche gnade eifferig anruffen und einander helffen kaͤmpffen mit
flehen und beten/ ſo wird der HErr nicht unterlaſſen/ das werck unſerer haͤnde/ wo
ſchon menſchlicher weiſe kein anſehen des ſucceſſes iſt/ zu foͤrdern. Jn ſolches
heiligſten Gottes treue obſicht zu allem ſegen hertzlich empfehlende verbleibe ſchließ-
lichen. m. f. w. 29. Mart. 1678.


E e 2SECT.
[220]Das ſechſte Capitel.

SECTIO XXIV.


Streitigkeiten unterTheologis.


WAs der Herr M. von den Herrn Theologis in Jena vermuthet/ will ich
nicht hoffen/ daß in deroſelben auffrichtigkeit einiger verdacht zu ſetzen ſeye:
ob ich wohl mit denſelben keine particular freundſchafft habe. Aber bil-
lich ihre meriten an der kirchen ehre und reſpectire. Die neuen ſtreitigkeiten
zwiſchen den beyden beruͤhmten Herren Theologis zu Wittenberg ſind
mir zuvernehmen ſehr leid. Haͤtte gehofft/ daß durch die Churfl. geſchehene recon-
ciliation
aller zwiſt auffgehoben ſeyn. Der HERR erbarme ſich ſeiner armen
kirchen. Wenn wir Theologi uns der maſſen werden untereinander beiſſen und
erzancken; auch uͤber ſolche dinge/ die den grund des glaubens nicht beruͤhren/
ſtreiten/ daß einer den andern ſchwerer irrthume daruͤber beſchuldiget/ auch ieder
haben wird wollen/ daß der andere gerad muͤſſe reden/ wie ihm beliebt/ ſo wirds
nicht nur gefaͤhrliche ſpaltung geben/ ſondern verſtaͤndige und ihres heyls begierige
Chriſten/ politici und einfaͤltige/ werden anfangen einen eckel an allen ſol-
chen dingen haben/ alles in verdacht zunehmen/ woruͤber alſo geſtritten wird/ und
wiederum allein zu der Schrifft ſich verfuͤgen/ nichts mehr noch anders zu glauben
als was und wie es in der unſtreitigen Schrifft ſtehet und befindlich iſt. Die ſa-
che muͤſſen wir GOtt befehlen/ was wir nicht zu aͤndern vermoͤgen. 2. April.
1677.


SECTIO XXV.


Gegen mich ausgeſprengte laͤſterungen und un-
warheiten. Tractat vom Geiſtlichen
Prieſterthum.


WAs meinen zuſtand anlangt/ iſt mir zum vorderſten leid vor liebe freun-
de/ die meinetwegen ohne noth offters in betruͤbnuͤß gebracht werden/ und
in ſorgen ſtehen. So dann vor ſo viele/ die mit ſolchen ſchrecklichen calu-
mniis
ſich an GOtt und dem nechſten grauſam verſundigen. Jch habe die tage
meines lebens wol viele calumnien gehoͤret/ aber ſo unverſchaͤmt nicht/ wie eine
zeitlang der ſatan gegen mich und andere fromme mit mir in genauerer freundſchaft
ſtehende Chriſten gewuͤtet hat. Maſſen alle dem Herrn S. erzehlte/ und mir
wiederum bedeutete dinge pur lautere unwarheiten ſind; Dann unwarheit iſts/
daß mir das allerwenigſte in meinem hauß oder des meinigen jemahlen ſecretiret,
oder
[221]ARTIC. I. DISTINCT. II. SECTIO XXV.
oder als viel ich jemahlen mercken koͤnnen/ nur davon gehandelt worden. 2. Un-
warheit iſts/ daß jemahlen mir etwas des meinigen oder meiner Schrifften con-
fiſciret
worden/ oder confiſciret hat werden ſoklen. Meine ſcripta ſo viel derſel-
ben noch exemplaria vorhanden ſind/ werden ohne einige ſcheu oder verbot allzeit
offentlich verkanfft. 3. Unwarheit iſts/ daß ich auch ſonſten/ wie es in Straß-
burgk ſpargiret, ſuſpendiret ab officio, oder auch mir davon meines
wiſſens jemahl gehandelt worden ſeye. 4. Unwarheit iſts/ obs wohl auch hier of-
fentlich geredet worden/ daß mir meine hauß-zuſammenkunfft/ oder alſo nennen-
des Collegium, zu halten verboten worden. Sondern als ich davon gehoͤret/
und ſelbs einen der vornehmſten Herrn/ die gewißheit zu haben/ beſprochen/ bezeug-
te er/ das ſolches weder decretiret, noch nur in die propoſition gebracht worden.
Jch habe aber nicht zeit alle die uͤbrige unwarheiten zu erzehlen/ die hier und anders-
wo ausgeſprenget/ darvon jene die importanteſten ſind. So viel aber iſt wol
wahr/ das einige unſerer Herrn nicht moͤgen am beſten auff mich zu ſprechen ſeyn/
aber in der warheit um der urſach willen/ weil ich nach goͤttlichem wort die lehr
von dem lebendigen glauben durch GOttes krafft/ alſo ernſtlich treibe/ daß alle
die jenige/ welche ſich nicht warhafftig entſchloſſen/ rechtſchaffen ihr Chriſtenthum
zufuͤhren/ und ſich ohngeacht/ was die welt davon ſagen wuͤrde/ nach des HErrn
regeln zu halten/ ſich in ihrem gewiſſen uͤberzeuget befinden/ daß ſie nach ſolcher lehr/
die ſie ſehen aus der Schrifft zu flieſſen/ keine hoffnung der ſeligkeit bey ihren fort-
fuͤhrenden ſuͤndlichem weſen koͤnnen behalten/ das ſchmertzet ſehr viele leuth/ groß
und kleine/ da ſie den ſtachel ihres gewiſſens bey ſich empfinden/ und werden dar-
uͤber gantz erzoͤrnet/ ſuchen ſich alſo an dem jenigen zu raͤchen/ der es ihnen verurſa-
chet. Das iſt die rechte urſach; Weil aber dieſelbe ſo bewand iſt/ daß ſie ſolche
nicht bekennen doͤrffen/ ſo werden nachmahl andere urſachen angezogen/ die es doch
in der that nicht ſind/ und da muͤſſen/ weilen die warheit vor uns ſtehet/ luͤgen und
verlaͤumdungen das beſte thun; und ſolche/ wo ſie von einigen erdacht ſind/ wer-
den/ von andern/ die mir oder der gottſeligkeit nicht gut ſind/ alſo balden angenom-
men/ und mit belieben/ wo nicht gar vermehrung ausgebreitet. Jndeſſen hat noch
keiner nie das hertz gehabt/ mir zu ſagen/ daß oder worinn ich unrecht lehrete/ ſon-
dern gegen mich heiſts allezeit/ mit mir waͤre man wohl zu frieden/ haͤtten auch kein
verdacht auff mich; So ſich doch in der that anders befindet. Nebens dem ſo iſt
dieſes vorgangen/ daß in verwichenen februario ein decret gemacht/ daß nichts
ohne die cenſur und erlaubnuͤß unſerer Herrn/ hier getruckt/ oder von hieſigen an-
derwertlichen verlegt werden ſolle; darauff als ſchon vor ſolchem decret mein tra-
ct
aͤtlein von dem Geiſtlichen prieſterthum wiederum zu trucken ware angefan-
gen worden/ wurde von Rahts wegen dem trucker inhibition gethan/ weiter dar-
in fortzufahren/ und verlaubete/ die Herrn wolten ſolches erſt zur cenſur auff ei-
E e 3ne
[222]Das ſechſte Capitel.
ne Univerſitaͤt ſchicken. Weil aber/ als ich es gemacht/ und vor einem jahr tru-
cken wolte laſſen/ ſolches von frag zu frag vor meinen Herrn Collegis ſonderlich
verleſen/ und von ihnen ohne ausnahm approbiret, auch einiges ſelbſt von ihnen
hienein geſetzet worden/ alshaben ſie ſich der ſachen angenommen/ und ein memo-
rial
bey unſern Herrn eingegeben/ ihnen repræſentirend/ wie ein ſeltzames anſe-
hen es gewinnen wuͤrde/ wo ſie auff ſolche weiſe ihr gantzes Miniſterium wolten in
verdacht ziehen/ uͤber deſſen werck ſie anderwertlich eine cenſur einholten. Dar-
auff iſt noch nicht reſolviret, ja unſere Schrifft nun in 6. wochen noch nicht verle-
ſen worden. Jndeſſen hat der Trucker uͤber ſolches und andere meine tractaͤtlein
von Chur-Sachſ. ein privilegium ſolches trucken zu laſſen erlanget/ werden wir
nun ſehen/ ob ſie ſolches attendiren werden oder moͤgen ꝛc. 8. Apr. 1678.


SECTIO XXVI.


An einen alten vornehmen prediger/ der noch in
hohen alter das werck des HErrn ernſtlich trei-
ben wolte.


JM uͤbrigen freuet mich von Ewr. Hoch Wol Ehrwuͤrden/ ſo viel hertzlicher/
daß dieſelbe in ihrer lieben intention der chriſtlichen kirchen/ vornehmlich
was die catechetiſche information und das beichtweſen anlangt/ zu helffen
noch ferner anhalten. Als ſeltener ſolches ſonſten von nunmehr zu zimlichem alter/
gekommenen perſonen zu geſchehen pfleget: Welche gemeiniglich entweder aus
einer natuͤrlichen dem alter anklebenden traͤgheit/ oder aus verdruß von vielen fa-
ſtidiren
ſo ſie die zeit ihres lebens ausgeſtanden/ oder aus einer furchtſamkeit wel-
che die widrige experimenta bey ihnen verurſachet/ pflegen ſchlaͤfferig zu werden/
etwas gutes von ſonderbahrer wichtigkeit zu treiben/ ſondern laſſen alles gehen wie
es mag. Urtheilen etwa widerig von den jenigen juͤngern/ welche einen mehrern
ernſt und eyffer ſehen laſſen/ und ſchreiben es der hitz der juͤngern jahr oder mangel
der erfahrung bey. Daß alſo bey Ew. Hochwohl Ehrw. ſolcher hertzliche eyffer
ſo kraͤfftig annoch bemuͤhet/ iſt/ ſage ich/ mir eine ſo viel inniglichere freude/ und
ruffe den grundguͤtigen GOTT inbruͤnſtig an/ welcher nicht allein noch fernere
krafft/ muth und geiſt verleyhen wolle/ die noch uͤbrige lebens zeit mit ernſtlicher
fortſetzung dieſer ſach und auffmunterung anderer/ ſo dann wuͤrcklicher werckſtel-
ligung/ zu zubringen/ ſondern auch die freude geben/ daß ſie noch in ihrem leben
einige frucht/ ſolcher Chriſtlicher conſiliorum ſehen und GOtt darvor dancken
moͤgen. 12. Apr. 1678.


SECT.
[223]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XXVII.

SECTIO XXVII.


Meincollegium pietatis.KriegsmannesSym-
phoneſis.
Darmſtatriſches ausſchreiben. Starcke bewe-
gung in den hertzen zu dieſer zeit. Schleſiſche
kirche.


ZUm allerfoͤrderſten bedancke mich hertzlich vor den Chriſtlichen neujahrs-
wunſch. Der HErr der zeit und ewigkeit verleyhe uns allerſeits ſeine
kraͤfftige gnad/ der hinfließenden tage und jahre uns alſo in ſeiner forcht und
glaubigen gehorſam zu gebrauchen/ daß die immer herzunahende ewigkeit uns oh-
ne ende erfreuen moͤge; dazu laſſe er mit jeglicher erneurung der zeit/ das fuͤncklein
der ewigkeit/ unſere ſeele/ erneuert/ und mehr und mehr von aller anklebenden be-
fleckung dieſer zeitligkeit gereiniget werden. Meine hie haltende haußuͤbung/ oder
alſo nennendes collegium pietatis/ ſo in dem bekanten ſend-ſchreiben beſchrie-
ben/ hat bisher noch die vorige fata, das es von einigen gottſeligen geruͤhmet/ und
auch anderwertlichen gewuͤnſchet/ von den jenigen/ welche es beſuchen mit zimlicher
erbauung gebrauchet/ aber von widrig geſinneten noch ſtaͤtig angefochten wird.
Offentlich hat noch niemand darwider geſchrieben/ aber die viele hin und hergehen-
de erzehlungen/ verlaͤumdungen/ und daraus entſtehende ungleiche judicia ſind
nicht hieher zu ſetzen. Es iſt ſich zuverwundern/ das der boͤſe feind noch ſo unver-
ſchaͤmt ſeyn mag/ eine ſolche ſache dermaſſen zu verlaͤſtern und allerhand davon aus-
zuſprengen/ was doch ob ſchon nichts in publico loco, jedoch in gegenwart aller
derer/ die dabey beliebet zu ſeyn gehalten wird: Maſſen dann ſo wohl Graͤfliche
ſtands-perſonen/ als Kaͤyſerliche Koͤnigliche/ Chur- und Fuͤrſtliche/ Graͤfliche
Miniſtri und Raͤthe/ wie nicht weniger Profeſſores, Superintendenten und an-
dere fremde Prediger ſolches offters frequentiret, und ſelbſt den augenſchein ein-
genommen haben/ dahero zeugnuͤß geben koͤnnen/ was ſie gehoͤret und geſehen.
Deſſen wir uns allhie im geringſten nicht ſcheuen/ alß die wir vor ein geringes
achten/ in der welt unſers thuns halben offenbahr zu werden/ die wir doch deswe-
gen auch vor GOtt offenbahr werden ſollen. Es iſt einmahl die liebe der Chriſten
liberal und von unſerm Heyland ſelbſt angedeutete eigenſchafft/ ſolche er fordert ei-
ne mehrere zuſammenthuung/ als wir leyder insgemein unter uns ſehen. Dann
weil wir einander nicht mehr lieben ſollen/ als menſchen/ alſo muß unſere liebe auch
nicht nur beſtehen in den jenigen officiis, welche zu dieſes menſchlichen lebens noth-
durfft gehoͤren/ ſondern nach dem wir auch als Chriſten in einer gemeinſchafft der
heiligen ſtehen/ welche wir in dem Apoſtoliſchen glauben bekennen/ ſo ſolle unſere
lie-
[24[224]]Das ſechſte Capitel.
liebe gegen einander ſich auch heraus thun in mittheilung deꝛ geiſtlichẽ gnad/ die uns
gegeben zur allerſeitigen erbauung unſer ſelbſt untereinander/ wozu je vonnoͤthen
iſt/ daß gottſelige hertzen auch ohne die offentliche kirchen verſamlungen/ wo unſere
ordnungen nicht zu geben/ daß einige mit einander handlen/ ſondern alle/ allein auff
ihren Prediger acht zu geben haben/ zuweilen mit vermeidung aller unordnung und
boͤſen ſcheins/ erlaubnuͤß haben ſollen/ ſich untereinander auffzumuntern/ und von
dem einigen nothwendigen/ deſſen ſie froh ſeyn wollen/ wo alles auffhoͤret/ da-
von ſonſten andere geſpraͤche gefuͤhret werden/ zu beſprachen/ oder auch mit einan-
der zu beten. Und iſt da durchaus nicht die intention, von hohen ſchweren glau-
bens articuln zu reden/ woraus leicht irrung und gefahr entſtehen koͤnten/ da wir
uns alle deſſen wol entſcheiden/ was Jacobus ſagt. c. 3/ 1. Unterwinde ſich nicht
jederman lehret zu ſeyn/ als worauff ein mehrers urtheil geſetzet iſt; Son-
dern gleich wie in meiner hauß-uͤbung wir bey denen zur einfaͤltigen praxi gehoͤri-
gen lehren allezeit bleiben/ alſo auch wo gute gottſelige freunde einander zu beſu-
chen und beyſammen zu ſeyn gelegenheit haben/ ſo beſtehet dero chriſtliche conver-
ſation
nicht ſo wol dariñ/ daß eigentlich einer dem andern lehre/ ſondern wo ſie auch
etwa das Neue Teſtament vor die hand nehmen/ ſich allein untereinander zu erin-
nern/ was aus dem verleſenen ihre ſchuldigkeit ſeye/ ob ſie ſolches bisher gethan/ was
es hindere/ was jeglicher bey ſich befinde/ was ihn abgehalten/ und wie deme zu be-
gegnen: Daraus offtmahl eine ſolche gottſelige bewegung der gemuͤther/ da man
ſich alſo in der liebe untereinander expectoriret, entſtehet/ daß ſie alle neuen eyf-
fer faſſen/ in den wegen des HErrn ſo viel unablaͤßiger einher zu gehen/ und mit
einander zu wachſen/ auch auff einander in rechter chriſtlicher liebe acht zugeben/
wo jeglicher zu des andern wachsthum etwas mit zu wuͤrcken vermoͤge; von dem
nutzen/ ſo hieraus entſtehet/ wiſſen die jenige genug/ ſo ihn ſelbſt an ſich erfahren/
und nehmen gewißlich auff ſolche weiſe/ ſo wol liebe/ als andere chriſtliche tugenden
mercklich zu. Es haben bereits vor deme Theologi, ſo die praxin geliebet/ von
ſolcher materi ihre chriſtliche gedancken publiciret/ und iſt ſonderlich merckwuͤr-
dig/ was der beruͤhmte Voetius unter den Reformirten vor deme in ſeinen Diſp.
ſelectis
von der materi gehandelt/ welcher paß von den einzelen zuſammenkunff-
ten der Chriſten zu ihrer erbauung in das teutſche verſetzt zu Hanau neulich ge-
truck worden/ und darin zu ſehen iſt/ wie leicht und kraͤfftig auff alle daruͤber ma-
chende einwuͤrffe zu antworten ſeye. So hat auch Herr Wilhelm Chriſtoph
Kriegsmann
Heſſen-Darmſtaͤttiſcher Cammer-Rath/ ein rechtſchaffener
chriſtlicher mann/ neulich ein klein tractaͤtlein von etzlichen bogen zum truck befoͤr-
dern laſſen/ unter dem titul Symphoneſis Chriſtiana, oder von den eintzeln
und privat zuſammenkuͤnfften aus Matth. 18.
Worinnen vor ein ſo klein
ractaͤtlein viel liebes und erbauliches zu finden iſt. Es hat aber ſein Fuͤrſt/ der
Land-
[223[225]]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECT. XXVII.
Landgraff zu Darmſtatt/ aus einiges vornehmen Theologi beybringen/ die ſa-
che faſt nicht wohl empfunden/ und eine ſtarcke anzahl der gedruckten exemplari-
en ſelbſt auffgekaufft/ damit es etlicher maſſen moͤgte ſupprimiret werden/ ſo doch
nicht moͤglich war/ nach deme ſo viel 100. anderwertlich hin bereits verſendet ge-
weſen. Auff dieſes haben die beyde Conſiſtoria zu Gieſſen und Darmſtatt ein
ausſchreiben an ihre Prediger trucken laſſen/ darinnen ſie allein generaliter be-
zeugen/ daß ſie dergleichen tractaͤtlein nicht approbiren koͤnten/ und verbiethen im
nahmen des Fuͤrſten/ daß niemand von deſſen unterthanen von dieſer materie we-
der davor noch darwider ſchreiben ſolte. Weilen ſie aber ſelbſt in dem ausſchrei-
ben gedencken/ daß dergleichen gottſelige zuſammen kunfften eine ſolche ſache ſeyen/
dabey viel nuͤtzliche/ ſehr herrliche/ recht chriſtliche und erbauliche dinge erinnert
und eingefuͤhret/ auch bey einen und andern dardurch groſſer nutze geſchaffet wer-
den moͤgen/ nehme ich ſolche bekantnuͤß zu danck an/ und wann hingegen demſelben
nichts entgegen geſetzet wird/ als daß dergleichen von Chriſto nicht eingeſetzet noch
jemahlen nach der Apoſtel zeit in uͤbung geweſen/ ſo dann daraus ſchaden und un-
heil entſtehen moͤgte/ und etwa entſtanden ſeye. So bewegen mich die angefuͤhr-
te momenta nichts/ in dem das erſte nicht geſtanden/ ſondern leicht werden wird/
zu zeigen/ daß die erbauung unter einander GOttes befehl/ und in der erſten kir-
chen ſtaͤtig uͤblich geweſen; was die beſorgende gefahren anlanget/ koͤnnen keine
mehrere gezeiget werden/ als uns die Papiſten pflegen entgegen zu halten/ wo wir
allen leuthen die leſung der Bibel wollen gemein haben/ um welcher einwuͤrffe wil-
len aber wir gleichwol biß daher nichts in unſer lehr geaͤndert haben. Jch haͤtte
nicht ungern geſehen/ wo auch von dieſer materie publice dargegen gehandlet
worden waͤre/ damit aus gegenhaltung beyderſeits argumenten die warheit ſo
viel klaͤhrer hervor leuchtete. Es iſt einmahl dieſes ein nicht geringes mittel/ daß
das wahre Chriſtenthum rechtſchaffen unter die leuthe und in die hertzen gebracht
wuͤrde. Nun haben wir ja auff alle/ GOttes wort gemaͤſſe/ mittel zuſinnen/
und ſie zu ſuchen/ damit wir ſolchen wichtigen zweck erlangen moͤgen. Es bedarfs
je unſere kirche wol/ will ſie nicht anderſt noch erſchrecklichere gerichte/ als jetzo ſich
zeigen/ erwarten/ und nicht erfahren/ daß GOtt ſeine wohnung zu Silo verlaſſen/
und ſie anderwertlich auffſchlagen moͤchte. Man ſpuͤret zwar eine kraͤfftige erre-
gung der gemuͤther an ſehr vielen orten/ theils ſelbſt unter Theologis, theils Poli-
ticis,
ja gantz gemeinen und geringen leuthen/ daß man anfaͤngt zu erkennen/
auff die art/ wie ſich der groſſe hauffe eingebildet habe/ laſſe ſich die ſeligkeit nicht
erlangen/ ſondern wir muͤſſen gantz anders zu der ſache thun. Dahero bey vielen eine
hertzliche reſolution entſtehet/ rechtſchaffen zu werden/ und hindangeſetzt alles
weltlichen reſpects nach dem willen unſers Heylands ſich anzuſchicken. Dar-
uͤber zwar auch andere/ ſonderlich die den nahmen der geiſtlichen tragen/ darzu er-
F fre-
[224[226]]Das ſechſte Capitel.
reget werden/ daß ſie das werck des HERRN zu daͤmpffen verlangen. Wel-
ches am betruͤblichſten iſt von ſolchem leuthen zu hoͤren. Aber die klage iſtnicht
nur mein/ ſondern es ſchriebe mir letztmahls ein alter Theologus Doctor und
General Superintendens: Jn ſeinen 27. jaͤhrigen geiſtlichen verrichtungen
habe er keine gifftigere leuthe angemercket/ die dem wahren Chriſten-
thum ſo zu wider/ als die ſeines ordens geweſen.
Es wird aber end-
lich auch ſolcher leuthe thorheit und boßheit offenbahr und zuſchanden werden.
Solte GOtt gnade geben/ das einige groͤſſere Herrn mit ernſt ſich der nothdurfft
unſerer kirchen/ welche vielmehr in deren innerlichen zurechtbringung als euſerli-
cher verwahrung beſtehet/ annehmen wolten/ und dem ſchaden tieffer einſehen
(wie vor andern der zwar Reformirte Fuͤrſt Hertzog Johan Chriſtian von der
Lignitz
gethan/ uñ ſeine ſo wichtige als nothwendige erinerung an die Prieſterſchafft
gerichtet/ ſo unter dem nahmen Chriſtfuͤrſtlichen Ausſchreibens von dem from-
men Herrn Abraham von Franckenbergpubliciret worden) ſo wuͤrde man
durch GOTTES gnade in weniger zeit ſehen/ wie ſtarck das gute wachſen/ und
ihrer viele/ ſo ſich noch aus forcht zuruͤcke halten/ hervorbrechen wuͤrden. Einige
gottſelige Edelleuth an etlichen orten/ ſo dann auch wol Graͤffliche perſonen/ fan-
gen an zu ſolchem guten gedancken aus goͤttlicher gnade zukommen/ und der ehre ih-
res GOttes ſich allein zu widmen; Es will aber noch etwas ſchwach ſeyn. Viel-
leicht aber iſt auch ſolches der rath GOTTES/ daß er mehr durch verachtete
mittel das meinſte gute ausrichten will. Jch verwundere mich ſo vielmehr daruͤber/
daß nicht nur in unſerer Evangeliſchen kirchen/ ſondern auch bey den Reformirten/
ja auch/ ſo ſich noch mehr zuverwundern/ ſelbs bey denen Papiſten dergleichen erre-
gung ſich finden/ und das anſehen gewinnet/ ob wolten auff einmahl an allen or-
ten ſo viele ſtimmen außbrechen/ denen vor augen ligenden ſchandflecken des
heuchleriſchen Chriſtenthums abzuhelffen. Gewißlich ſo offtich hier an gedencke/
erkenne ich zwar/ daß mir der rath unſers GOTTES zu hoch iſt/ und ich noch
nicht penetriren kan/ wie weit derſelbe uns dießmahl heyl wolle wiederfahren
laſſen; Aber ich ſehe es gleichwol alſo an/ daß ſichs allgemach ſchicken moͤchte
zu der vorbereitung der dinge/ die der HERR ſeiner kirchen annoch verſprochen
hat. Welches wo es iſt/ wird uns die wir mit ernſt das werck des HERREN
zu treiben ſuchen/ mancher harter kampff vor ſtehen/ und wir nicht anders uͤber-
winden/ als daß wir in der welt unten ligen muͤſſen: Haben uns auch keine ande-
re rechnung zumachen. Aber der HERR wird doch das ſeufftzen der elenden
betrangten/ ja der uͤber die vor augen ſchwebende greuel beaͤngſteten/ zu ſich tringen
laſſen/ und ihr gebeth erhoͤren/ daß er ins mittel trete/ und ſeine ehre auf goͤttliche
weiſe rette. Uns geziemet tag und nacht zu ihm zu ruffen/ uns mehr und mehr zu
reinigen und zuruͤſten/ daß wir wuͤrdig moͤgen werden/ zu entfliehen allem dem/ das
ge-
[225[227]]ARTIC. I. DISTINCT. II. SECT. XXVIII.
geſchehen ſoll/ und zu ſtehen vor des menſchen Sohn. Vermoͤgen wir nichts/ ſo iſt
GOTT getreu/ der uns beruffen hat/ welcher wirds auch thun! Eben dieſer troſt
kan auch die in gefahr ſtehende Schleſiſche kirche faſſen; daß der HERR/ deſ-
ſen ſache es iſt/ vor ſie ſorge. Allen Predigern wuͤnſche ich fleißige erwegung
des ſo wol in obgedachtem Fuͤrſtlichen ausſchreiben an ſie gelangten/ als der treu-
hertzigen erinnerung des tapffern wolſeligen Herrn David von Schweinitz:
Daß ſie trachten/ ſo wol ſelbſt wuͤrdige diener des Evangelii zu ſeyn/ als ihre zuhoͤ-
rer dahin zubringen/ das ſie ihre froͤmmigkeit nicht allein ſuchen in der beſtaͤndigen
bekaͤntnuͤß der Evangeliſchen lehre/ ſondern in dem rechten lebendigen/ und ſolchem
thaͤtigen glauben/ der die widerſacher ſelbſt beſchaͤme/ die unſern guten nahmen
und die unſchuld des Evangelii zu verlaͤſtern pflegen. Geſchiehet das/ und ſind
wir rechte GOtt gefaͤllige Chriſten/ ſo wird er entweder der feinde anſchlaͤge wider
die kirche gantz zu nichte machen/ oder wo er zur probe jenes goldes ihnen mehr ge-
walt geben will/ ſo wird auch dieſelbe wider der feinde willen zur befoͤrderung
goͤttlicher ehre gereichen muͤſſen/ und der maͤchtige GOtt die ſeinigen ohne menſch-
lichen arm wiſſen zu erhalten. Da hingegen/ wo wir die liebe zur warheit (wel-
che nicht nur in einer reinen lehr und bekantnuͤß/ ſondern in dem rechtſchaffenen we-
ſen in Chriſto Epheſ. 4/ 21. beſtehet) nicht wollen annehmen/ und allein mit dem
nahmen der Evangeliſchen vergnuͤgt/ nicht wuͤrdiglich dem Evangelio wandlen/
das goͤttliche gericht laͤngſten verkuͤndiget iſt/ 2. Theſſ. 2/ 10. 11. Das der gerech-
te GOTT ſolchen ſchicke kraͤfftige irrthum/ das ſie glauben der luͤgen/ und
in der verfolgung nicht zubeſtehen vermoͤgen. Nun der HErr richte alles zu ſei-
nen ehren! 12. Apr. 1678.


SECTIO XXVIII.


Fortſetzung dermaterien in Sect. 11.Offen-
hertzige freyheit zu handeln. Die
reformationnicht mein
werck.
Pia deſideria.Vergleichung der alten Juͤdiſchen
und jetzige Chriſtlicher kirchen. Ob auch wegen der 3.

Secten.Unſichtbare kirche. Wiedergeburt. Rechtfer-
tigung. Glaube. Ob der gantze menſch in der wiederge-
burt geaͤndert? 1. Joh. 3/ 9. 10. Jac. 2/ 24. Unmit-
telbar erleuchtete. Jacob Boͤhme. Chriſtian
Hohburg. Babel.


F f 2Zum
[226[228]]Das ſechſte Capitel.

ZUm foͤrderſten bezeuge hertzlich/ daß mich ſo wohl deſſen eigenes/ als unſers
geliebten freundes/ beygelegtes ſchreiben nicht wenig erfreuet/ in anſehung
der auffrichtigen intention zu goͤttlichen reichs befoͤrderung/ welche ich
auch in den jenigen liebe/ ſo in den vorſchlaͤgen nicht mit mir/ noch ich mit ihnen/ ei-
nig bin: So denn wegen der offenhertzigen freyheit mit mir zu handlen/ die mir
wol gefaͤllet/ und wo ich ſie wahrnehme/ eine ſo viel mehrere liebe bey mir erwe-
cket. Und was iſt uns Chriſten anſtaͤndiger/ als das wir uns/ ſonderlich/ die wir
zu dem dienſt der kirchen ſonderbar beruffen ſind/ untereinander treulich auff-
muntern/ und jeglicher an ſeinem bruder mit der gabe zu arbeiten trachte/ die ihm
gegeben iſt? Wozu denn gehoͤret/ uͤber die dinge/ da wir nicht einerley gedancken
haben/ freundlich und bruͤderlich zu conferiren, aus welcher correſpondenz al-
lemahl einiger nutzen zu hoffen/ im fall ſolche in ſeiner furcht/ und hertzlicher liebe
angeſtellt werden/ ohne einiges geſuch und fleiſchliche abſichten/ von denen wir uns
einmal reinigen muͤſſen/ wollen wir in der ſache GOttes etwas nutzliches ausrich-
ten: hingegen vergebens reden und handlen wuͤrden/ wo fern wir auff einer oder an-
dern ſeiten nur allein recht zu behalten uns ſteiffen/ und einiger wahrheit/ dero das
gewiſſen uns uͤberzeuget/ freventlich widerſprechen wolten. Wie ich mich denn/
nach ohne das obligender ſchuldigkeit dahin verbinde/ von jedem bruder das jenige
willig anzunehmen/ was von ihme alſo vorgetragen wird/ daß ich deſſen uͤberzeu-
gung in meiner ſeelen finde. Und wozu diente das widerſprechen wider das ge-
wiſſen/ daruͤber wir nach ſo kurtzer zeit vor jenem gericht offentlich wuͤrden zu ſchan-
den werden? Daher mein vielgeliebter bruder ſich verſichere/ daß was jetzo ſchrei-
be/ das nicht in allem mit demſelben und ſeinem geliebten freund annoch einzuſtim-
men vermag/ geſchehe nicht aus einiger begierde nicht uͤber einigen zu erheben/ mei-
ner meinung hartnaͤckig anzuhaͤngen/ oder mir das reformations werck zu zumeſ-
ſen. Als der ich wol weiß/ nicht nur/ daß das reformations werck nicht eines
mannes arbeit ſeye/ ſondern daß an den jenigen/ was der HERR an ſeiner kirchen
vorhaben mag/ ich weder der vornehmſte/ noch einer von den vornehmſten ſeyn
ſolle/ als worzu mir die gaben nicht gegeben. Mir iſts ſchon mehr ehr/ als ich ver-
diene/ das mein GOTT meine pia deſideria ſo weit geſegnet/ daß ſie als eine
ziemlich ausſchallende ſtimme unterſchiedliche erwecket und auffgemuntert haben/
nicht etwa von mir zu lernen/ ſondern der ſachen weiter nachzudencken/ nach den
gaben/ die ſie von GOtt haben/ und er ihnen/ wo ſie anfangen ihm treu zu ſeyn/ fer-
ner geben wird. Uber dieſe auffmunterung ſehe ich nicht/ das GOTT mehr
durch mich zuthun vorhaben ſolte/ ohne daß ich an meiner particular gemeinde nach
vermoͤgen zu arbeiten/ und was ſo wol mit ſchreiben zwiſchen guten freunden zu
allerſeits erbauung ausgerichtet werden mag/ als etwa an ein und andern einfaͤlti-
gen von mir geſchehen zu koͤnnen/ er die gelegenheit geben wird/ mich deroſelben zu
ge-
[227[229]]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XXVIII.
gebrauchen haben mag. Nicht das ich mich einem mehrern entziehe/ ſondern daß
ich erkenne das geringere maaß meines pfundes/ mich nicht uͤber daſſelbe etwas zu-
vermeſſen. Vorausgeſetzt deſſen/ ſo will erſtlich deſſen liebes ſchreiben durch gehen/
und darinnen/ wo ich anſtehe bemercken. Was nun erſtlich die analogiam
zwiſchen der alten Juͤdiſchen/ und heutigen Chriſtlichen kirchen angehet/ geſtehe
gern/ daß dieſelbe in vielen ſtuͤcken mit warheit kan angeſtellet werden/ auch zu vie-
len feinen betrachtungen anlaß geben/ wie auch die gerichte/ durch welche GOtt
das verderbte Juͤdenthum geſtuͤrtzet hat/ ein rechtes vorſpiel geweſen ſind/ derſel-
ben/ die dem abtrinnigen Chriſtenthum vorſtehen und uns zimlich nahe ſeyn moͤ-
gen. Ja auch ſchon in der alten Juͤdiſchen kirchen zu den zeiten Jeremiaͤ finden
wir eine auff uns ſchickende gleichfoͤrmigkeit/ und hat mich des lieben Hohburgs
vor deme getrucktes Teutſch Ewangeliſches Juͤdenthum/ ſo faſt aus Jeremia
genommen/ ſehr beweget. Was aber die vergleichung wegen der Secten in dem
Chriſtenthum mit den 3. Secten der Juden anlanget/ geſtehe ich/ daß ich ſolcher
nicht beypflichten kan. 1. Bey den Juͤden waren ſolche ſecten nicht eigentlich des
gantzen volcks/ ſondern meiſtentheils der lehrer/ oder wie wirs jetzo zu nennen pfle-
gen der geiſtlichen/ faſt auff eine art/ wie unter den Papiſten die orden ſeynd/ in-
deſſen blieb das uͤbrige volck zwar etwa mit affection dieſer dieſem/ der andere ei-
nem andern theil/ mehr zu gethan/ wie auff dieſe ſtunde in dem Papſtthum mit
den orden geſchiehet. Sie hatten aber ihren allgemeinen gottesdienſt/ zu deme ſo
wohl das volck/ als auch die eigentliche ſectatores ſich ohne unterſchied einſun-
den und bekenneten; alſo das in einem ſynedrio Phariſaͤer und Sadduceer wa-
ren. Hingegen unter den Chriſten iſt die trennung zu gantz ſonderbahren partey-
en ausgeſchlagen/ die keinen gemeinen gottes dienſt unter ſich haben noch erkennen.
2. Laͤſſet ſich die Chriſtliche kirche nicht in die 3. theil allein austheilen/ aus dero nicht
nur in orient ſo viele abtheilung ſind/ ſolcher leuthe/ die einander nicht erkennen/
ſondern auch in occident, ob wohlen/ was die ausbreitung anlangt/ die 3. Religi-
onen die meiſte anzahl machen; ſind gleich wol der andern von Socinianern/ Ar-
minianern/ Widertaͤuffern/ Quackern und dergleichen eine ſehr conſiderable
maͤnge. 3. Wuͤrde ſich auch in der application mit groſſem recht vieles deſide-
riren
laſſen/ ſonderlich ſehe ich nicht/ wie wir ohne hoͤchſte undanckbarkeit gegen
GOTT/ und ſeine uns durch das reformation werck erzeigte gnade/ unſer reli-
gion den Sadduceern vergleichen wolten. Sehen wir die lehre an/ ſo haben wir
keine ja die geringſte analogi mit der lehre der Sadduceer/ dann was den miß-
brauch der lehr von dem verdienſt Chriſti anlangt/ ſo gehet derſelbe die lehr nicht
ſelber an/ und wird die Reformirten ſo wol treffen als uns/ die wir in der lehr von
dem allein ſeligmachenden glauben uͤbereinkommen/ und ſie nicht weniger bey den
ihrigen uͤber den mißbrauch ſolcher lehr zu klagen haben/ und klagen als wir. Sie-
F f 3het
[228[230]]Das ſechſte Capitel.
het man dann das leben an/ ſo billiche ich nicht/ die ſchreckliche diſſolution unter
den unſrigen/ und beſorge daher annoch grauſame gerichte/ aber ich ſehe bey den
Papiſten und Reformirten ſo viel epicurer dem leben nach/ als immer unter uns
ſeyn moͤgen/ und zwar was das Papſtum anlangt/ bringen deroſelben eigene prin-
cipia
mit/ daß ſie nicht anders koͤnnen/ als die leuthe/ ſonderlich die es zu zahlen haben/
ſicher machen. Welches man gleichwol von uns nicht ſagen kan. Dahero auch
unter den Papiſten unvergleichlich mehr Atheiſten ſeyn/ als unter uns/ wie groß
ſich auch deroſelben anzahl bey uns belauffen mag. Wer Jtalien/ Franckreich/
Spanien durch reiſet hat/ oder mit ſolchen leuthen familiar oder bekant worden/
der weiß hiervon zu urtheilen. So vielmehr/ weil die principia papæa gar leicht
ſelbſt zu dem Atheismo fuͤhren/ wo ſie von ſcharffſinnigen lenthen genau erwogen
werden/ welches wie es von vielen jahren allezeit meine gedancken geweſen (alſo
daß ich GOtt ſo vielmehr zu dancken gehabt/ daß er mich in der Evangeliſchen kir-
chen hat laſſen erzogen werden/ in dem ich nicht ſehe/ wie ich ohne goͤttliches wun-
der in der Papiſtiſchen kirchen mich des atheismi haͤtte entbrechen koͤnnen) ſo hat
michs ſo vielmehr gefreuet/ als Chriſtianus Alethophilus eben ſolches publice
dargethan. Alſo wuͤſte ich die Eßeer mit den Reformirten nicht zuvergleichen/
ſondern eher mit den Mennoniten oder Wiedertaͤuffern. 4. Will ich nicht wider-
ſprechen/ daß bey allen parteyen die fuͤhrer meiſte ſchuld des verderbens und goͤtt-
licher gerichte ſeyen/ davon ich auch unſere Evangeliſche kirche nicht ausnehme/
noch die jenige/ die unſers ordinis ſind/ frey zuſprechen getraue/ wie ich auch mei-
ne klage offentlich daruͤber gefuͤhret. 5. Bekenne ich gern/ daß keine einige ſecte
iſt unter den Chriſten/ die nicht etwas in doctrinalibus und moralibus gutes be-
halten/ welches folglich zum grund geleget werden muß des uͤbrigen guten/ ſo man
bey ihnen noch zu wegen zu bringen hat. Ja auch wir haben in vielen moralibus
und was die kirchen ceremonien anlangt von den andern unterſchiedliches zu ler-
nen. Von doctrinalibus ſehe ich noch nichts: Es waͤre dann ſache/ daß man
dahin ziehen wolte/ daß einige andere parteyen gewiſſe dogmata haben/ wel-
che ſie mit mehrern fleiß excoliret, und trieben/ die aber von unſerer lehr nicht
ſremd/ ſondern von uns eben ſo wol erkant werden/ aus unſern principiis nothwen-
dig flieſſen/ und allein mit ſolchem fleiß und ernſt als ſichs geziemet/ unterſucht und
getrieben worden ſind. Solte man mir aber in articulis fidei ſelbſt irrige lehren
weiſen/ das iſt/ ſolche die dem heiligen wort GOttes entgegen waͤren/ wolte alsdañ
dieſelbe ſelbſt erkennen/ und gern quittiren: ich habe aber ſolche in bißherigen ge-
fuͤhrten controverſiis noch nicht angetroffen/ was die lehre ſelbſt anlangt/ daher
in denſelben auch noch nicht ſehe/ was wir von andern zu lernen haͤtten. 6. Daß
die wahre Catholiſche kirch nicht in einer partey allein ſtehe/ ſondern alle glaͤu-
bigen der gantzen welt begreiffe/ iſt bey mir eine undiſputirliche ſache. Es iſt a-
ber
[229[231]]ARTIC. I. DISTINCT. II. SECTIO XXVIII.
ber ſolche kirche ein unſichtbahre kirche. Was aber die ſichtbahre anlangt/ die in
einem auch euſſerlichen kaͤntlichen hauffen beſtehet/ ſo wuͤrde davon mit mehrern zu
dencken ſeyn/ ob und wie man die geſamte Chriſtenheit vor die ſichtbare kirche er-
kennen und nennen ſolte. Jn dem einige deſſen fundamenta ſeyn moͤgen/ hinge-
gen doͤrfften viel andere conſequentiæ ſeyn/ welche ſolche redens art moͤgten ge-
faͤhrlich machen; waͤre alſo gar reifflich zu erwegen. Die Hæreticos haben
wir bisdaher nicht intra, ſondern extra eccleſiam geſetzet/ verſtehe die ſichtbahre
kirche/ als die mit derſelben in keiner geiſtlichen communione ſtehen/ und allzeit
von anfang noch zu der Apoſtel zeiten von derſelben ausgeſchloſſen worden. Je-
doch will daruͤber nicht vieles ſtreiten/ wo es um wort allein zu thun ſeyn ſolte/ die
dieſer ſo/ der andere anders/ verſtehen moͤchte. 7. Was dann dieſes anlangt/ daß
Chriſtus nicht eine ſecte unter den Juͤden zu der andern/ ſondern alle zu ſeiner lehr
gewieſen/ laͤſt ſich ſolches hierher nicht appliciren; Jndeme Chriſti lehr bey kei-
ner ſecte war/ ſondern er eine ihnen allen damahlen nicht erkante lehr uñ neuen bund
vortrug. So erforderte er auch von jeglichen/ daß ſie ihre irrthum fallen muͤſten
laſſen/ die ſie alle auch in der lehr ſelbſt hatten. Jetzo aber haben wir keine andere
lehr Chriſti/ als welche wir in unſerer kirchen/ nach dem zeugnuͤß meines gewiſſens/
rein/ in andern aber mehr oder weniger vermiſchet haben. Daher erſtlich erfordert
wird daß jeglicher theil in demjenigen/ was alle ohne das ſchon wahr ſeyn erkennen/
ſich weiter begruͤnde/ und das in die praxin bringe/ was er wahr zu ſeyn gewiß ver-
ſichert iſt. Wuͤrde das erſtlich geſchehen/ und jeglicher ſeinem GOTT treu
werden in denjenigen gaben und wahrheiten/ die er erſtlich empfangen/ ſo wuͤrde
mehrers liecht ſolgen/ und jegliche irrende auch zur erkaͤntnuͤß ihrer irrthume gelan-
gen. Jndeſſen wird nicht nur erlaubt/ ſondern ihrer vielen gantz nothwendig ſeyn/
die gemeinden/ in denen ſie ſolche irrthum/ dero geſahr ſie haben erkennen gelernet/
finden/ und ſich zu ſolchen genoͤthiget zu werden ſehen/ zu verlaſſen/ ſich dahin zu ver-
fuͤgen wo ſie die lehre CHRJSTJ reiner ſinden. Nicht ſage ich/ daß allen ſol-
ches ſchlecht nothwendig ſeye/ ſondern GOTT hat auch ſeine heilige urſachen/
warum er unter den unreinen gemeinden viele noch haͤlt/ daß durch ſie noch andere
auch erhalten werden. Jſt alſo ein groſſer unter ſcheid/ da einer von den Saddu-
ceern zu den Phariſaͤern umtrat/ und alſo von einem irrthume zu dem andern gegan-
gen/ und deme/ ſo einer von den abgoͤttiſchen Papſtum zu unſerer Evangeliſchen
kirchen tritt/ bey welcher er auffs wenigſte ſeinem GOTT mit wenigern anſtoß
ſeines gewiſſen zu dienen vermag. Alſo bleiben wir alle vor die gantze Chriſtenheit/
ja vor alle menſchen zu ſorgen ſchuldig/ aber wir haben dabey weder zu verachten/
noch hindan zuſetzen die gnade/ ſo GOtt unſer gemeinde gegeben/ noch dieſes vor ei-
ne parteyligkeit zu achten/ wann wir unſerm GOtt davor dancken/ und aus ſol-
chem vorzug unſere ſorge auff dieſe vor allen wenden/ als auff diejenige/ die etwa vor
an-
[230[232]]Das ſechſte Capitel.
andern am leichſten zur rechten gleichfoͤrmigkeit mit Chriſti ordnung zu bringen/ zu
dero ſich die uͤbrige ſo viel eher alsdann begeben koͤnten; damit ſo wohl wir wachſen in
dem/ was uns noch mangelt/ als auch die uͤbrige nicht ſo wol zu uns zu ziehen/ als
dahin zu bringen/ wohin wir auch noch wachſen muͤſten. Hieꝛmit gehe auf die zweyte
obſervation, darinnen ich mir gar wohlgefallen laſſe/ daß wir unter einander die
unter ſchiedliche von dem HErrn empfangene gaben in Chriſtlicher demuth vorle-
gen/ und ſie untereinander probiren laſſen/ welche ſache in der forcht GOttes ge-
than nicht unfruchtbar ſeyn kan. Laſſet uns deſſen und eiffrigen gebeths vor die ſa-
che des HErrn/ an allen orthen befleiſſen und damit treulich anhalten. Was in
denjenigen beſchreibungen der wiedergeburt/ juſtification und glaubens/ ſo ich ſe-
tze deſideriret werde/ will ich gerne vernehmen/ und wo nachtruͤcklichers mir aus
der Schrifft gezeiget wird/ annehmen. Jch bekenne gern daß ich nicht aſſequire,
was dieſes gemeinet ſeye/ es ſeye mehr deroſelbeneffectusalseſſentiabeſchrie-
ben.
Jn dem ich ſonſten/ dieſe beyde gern ſolicite unterſcheide: Aber wohl weiß/
daß die definitiones rerum ſehr ſchwehr/ und wie man ſchon in logicis lernet/ die
meiſte formæ nicht wohl ausgetruͤcket/ ſondern durch vicarias differentias â pro-
prietatibus, effectis
und dergleichen muͤſſen angedeutet werden: erwarte alſo
hieruͤber nach freundlichen belieben weitere erleuterung; Solte es auch ſeyn/ daß
bey ſolcher meiner beſchreibung ich von keinen grund-gelehrten Lutheraner wider-
ſpruch und verfolgung zu erwarten/ ſo haben wir ja auch dieſe nicht zu ſuchen (ob
wohl auch nicht mit verluſt der wahrheit zu fliehen) ſondern/ vielmehr GOTT
zudancken/ daß er ſeine wahrheit-krafft in mehr hertzen/ als wir etwa vorhin ge-
dencken moͤgen/ verſiegelt habe. Jndeſſen wirds nicht manglen/ daß die praxis
die feindſchafft der welt und derjenigen/ die die theori nicht verwerffen koͤnnen/ un-
ter anderm geſuchten ſchein genugſam erfahren und nach ſich ziehen wird. Und ſihe
ich nicht/ wie man ſich vonder fleiſchlichen ausleger theil recht abzuſondern/ einen an-
dern tieffern grund bedoͤrffe/ als eben denjenigen/ der von rechtſchaffenen Evange-
liſchen predigern biß daher aus Gottes wort iſt gelegt worden. Dann was wol-
ten wir mehr verlangen/ als daß alle auch in der praxi das jenige thaͤten/ worauff
wir treiben? Jndem wir ja in unſerer Evangeliſchen lehr dasjenige treiben/ was
die Schrifft/ und alſo daß unſtreitige goͤttliche wort/ treibet. Uber dieſes ſehe ich
nicht/ daß wir gehen ſollen oder doͤrffen. Daß der glaube den gantzen menſchen
wandle und wieder gebaͤhre/
welches Lutheri wort auch ſind/ iſt gantz wahr/ weil
nichts an dem menſchen iſt/ darin nicht die krafft der wiedergeburt geſpuͤhret werde/
nehmlich ſeel und leib/ verſtand/ willen/ affecten und dergleichen. Damit wird
der menſch ein gantz anderer menſch/ nicht das etwa nichts mehr von dem alten
menſchen an ihm uͤbrig/ ſondern daß ſolche aͤnderung numehr in allen kraͤfften bey
ihm die oberhand habe/ und nicht nur dieſes oder jenes geaͤndert/ daß in deſſen in an-
dern
[231[233]]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XXVIII.
dern kraͤfften die herſchafft der alten verderbnuͤß noch bliebe/ ſondern die aͤnderung
durch alles gegangen zu ſeyn geſpuͤhret werde. So iſt der jenige ein gantz anderer
menſchbey deme nichts gantz ohne zimliche aͤnderung geblieben. Uñ wird alſo dz fleiſch
nicht zum geiſt/ aber der vorhin gantz fleiſchliche menſch wird gantz geaͤndert/ daß er
wahrhafftig geiſtlich iſt/ ob er wohl das fleiſch noch eine zeitlang an ſich leiden muß;
Alſo finde ich/ wo wir die einfalt der Schrifft belieben/ daß die vorgeſchlagene orth
ſich wol laſſen conciliiren, und dazu keine weitgeſuchte gloſſen noͤthig ſind/ ſon-
dern eine fleißige beobachtung des texts ſelbſt. Ein guter baum kan nicht arge
fruͤchte bringcn/ noch eine gote quellboͤſes waſſer quellen.
Aber wo Pau-
lus Rom. 7. zeigt/ daß noch 2. propria in ihm ſind/ die inwohnende ſuͤnde/
und der an dem geſetz GOttes ſeine luſt habende inwendige menſch. So
ſind dieſes fruͤchte allezeit ihrem baum gemaͤß/ und in ſich gut: Jene aber arthen
nach der arth des wilden baums/ darans ſie gekommen. Wie etwa das gleich-
nuͤß eines wilden und ſaure fruͤchten tragenden baums zeigen moͤchte/ da deſſelben
aͤſte abgeworffen/ und gute reißer auffgeproffet werden/ aber wiederum hier und
dar/ wie es mehr mahlen zu geſchehen pfleget/ neue außſtoͤſſe aus dem wilden ſtam-
me außbrechen/ welche ſo wohl ihrer arth fruͤchte zutragen treiben/ auch wo ſie
nicht in zeiten wiederum abgebrochen/ wuͤrcklich tragen/ als die eingeproffte guͤthe
reiſſer. Und alſo traͤgt an ſolchem einem baum jegliches das jenige ſo ſeiner arth
iſt: Eines aber prædominiret/ und entziehet endlich dem andern allen ſafft. Wird
auch nachmahl das gantze billich nach dem ſtaͤrckeſten/ und die oberhand habenden
theil genennet; Alſo ſind wir fleiſchlich oder geiſtlich/ nach dem fleiſch oder geiſt
die oberhand hat. Der orth. 1. Joh. 3/ 9. 10. wird auch ſo ſchwehr nicht ſeyn/ wo
wir aus gegenhaltung 1. Joh. 1. 8. verſtehen lernen/ was der liebſte Apoſtel ſuͤn-
de haben/ und ſuͤnde thun
heiſſe. Gehets mit vergleichung der orth Rom. 3/
28. Jacobus 2/ 24.
ſchwerer her/ ſo laſt uns gedencken/ daß es den worten nach
zwiſchen Jacobo und Paulo oder Moſe eine gantz eigentliche contradiction
ſeye/ daher nothwendig in einigem wort von der gantzen emphaſi deſſelben abgewi-
chen/ das iſt/ es nicht ſo ſtarck getrieben werden muß. Und wird alsdann ſo un-
gereimt nicht ſeyn/ daß wir bey Jacobo das rechtfertigen vor das zeugnuͤß der
gerechtigkeit/ oder rechtfertigen vor menſchen verſtehen. Wie der gantze context
uns klar genug dahin weiſet. Was nun die immediatas prophetas betrifft/ ſo
bekenne erſtlich/ daß ich unſers geliebten freundes meinung noch nicht voͤllig aſſe-
quire.
Jn dem einen ſchreiben ſchien die meinung dieſe zu ſeyn/ daß aus derſelben/
ſo viel man finden koͤnte/ welche zeit des Neuen Teſtaments darvor erkant werden
moͤgten/ Schrifften zu ſammen zuziehen waͤre/ worinnen ſie die kirche geſtraffet/ und
die beſſerungs mittel vorgeſchlagen: in den andern brieffen ſcheinets faſt/ daß einige
der gleichen immediate illuminati prophetæ zuerwarten oder zu ſuchen/ und nach-
G gmahl
[232[234]]Das ſechſte Capitel.
mahl ihren rath ſchlechter dings zu folgen ſeye. Waͤre die erſte abſicht/ ſo beken-
ne ich gern/ daß mirs eine freude ſeyn wuͤrde der gleichen arbeit zu ſehen/ wo ein
verſtaͤndiger Chriſtlicher mann ſie uͤbernehmen und abſolviren wuͤrde/ aus aller
der jenigen/ welche er vor unmittelbahr erleuchtete achtet/ oder nur einiger vorgeben
und vermuthen daran waͤre/ Schrifften/ ſo viel man hat/ alles das jenige aus zu-
ziehen/ was hierher gehoͤrte. Zweiffle auch nicht/ es wuͤrde ſolche arbeit nicht oh-
ne nutzen ſeyn koͤnnen; Daß aber ein ſolch groſſes davon zu hoffen/ und dieſes das
zulaͤnglichſte mittel ſolte ſeyn der allgemeinen beſſerung/ kan ich noch zu der zeit nicht
erkennen. Denn 1. wird der groͤſte ſtreit ſeyn/ welche man vor ſolche leuthe erken-
nen ſolte; Es werden die Papiſten nimmermehr einigen darvor erkennen/ welcher
auſſer ihrer kirchen gelebet. Den andern wirds auch nicht gefallen/ alle die jenige
darzu anzunehmen/ welche jene darvor achten moͤgẽ. So wird man Paͤpſtiſcher ſeitẽ
auch ſelbſt derjenigẽ/ welche ſie canoniſiret haben ſcripta nicht anders annehmen/
als cum ſubmiſſione ſub judicium Eccleſiæ. Nun wo dieſes bleibet/ u. alſo die ge-
genwaͤrtige Roͤmiſche kirch die macht behaͤlt/ nach beliebẽ davon zu entſcheidẽ iſt leicht
zu ermeſſen/ was außzurichten. Jch ſehe auch nicht/ aus was vor canonicirenden
gruͤnden wir heut zu tag uns verſichern koͤnnen/ von den jenigen/ die vor uns gele-
bet/ daß ſie unmittelbahr erleuchtet geweſen. Die hiſtorien ſind betruͤglich/ die ſa-
che allzuwichtig. 2. Wo wir auch von einigen perſonen gewiß waͤren/ daß ſie zu
einigen mahlen prophetiſche inſpirationes gehabt/ und dergleichen geredet oder
geſchrieben/ wo einige characteres του῀ Θέιου ſich darinnen finden/ wuͤrde damit noch
nicht ausgemacht ſeyn/ daß alle der Schrifften Θεοπνέυστα zu halten/ hingegen un-
ter den vielen ſcriptis die jenige ohnfehlbar auszuwehlen/ die ſie aus goͤttlichen
Geiſt geſchrieben/ oder wo nur allein der menſch gewircket/ ſo wird ſchwer werdẽ/ das
man es vielmehr vor unmuͤglich zu halten haͤtte. Zu geſchweigen anderer mehr
difficultaͤten die ſich bey ſolchen vorſchlag/ wo er practiciret/ und ein ſolches werck
der geſamten Chriſtenheit vorgeſchlagen werden ſolte/ ereignen wuͤr den. Jndeſ-
ſen verlangte ich ſelbſt dergleichen zu ſehen/ und moͤchte etwa/ wo es unter anderer
abſicht oder vorwand heraus kaͤhme/ daß es nicht ſchiene proimperio und neceſſi-
tate
der Chriſtenheit obtrudiret zu werden/ einen ſtattlichen effect auffs wenig-
ſte bey ihrer vielen haben/ wo ſie ſolche dinge mit den geſchriebenen goͤttlichen wort
conferirende eine ſchoͤne harmonie antreffen moͤchten; waͤre aber ſache/ daß das
andere gemeint wuͤrde/ nemlich einige lebendige ohnmittelbahr erleuchtete anzuneh-
men/ oder zu erwarten/ ſo wuͤrde allein daruͤber der ſtreit ſeyn/ woran/ oder wie
wir ſolche leuthe ohne gefahr des betrugs erkennen koͤnten. Wie dann einmahl in
ſolcher ſo wichtigſten und die gantze kirche betreffenden ſachen/ es nicht bey einem
probablen argument bleiben/ ſondern man ſolche gruͤnde haben muͤſte/ daß ein
menſch/ deme es an ſeiner ſeligkeit gelegen/ und alſo willig iſt/ was GOTTes wille
ſeye/
[233[235]]ARTIC. I. DIST. II. SECT. XXVIII.
ſeye/ zu erkennen/ hingegen auch vorſichtig ſich huͤten wil/ daß er nicht betrogen
werde/ in ſeinem gewiſſen zu acquieſciren vermoͤge: Wo es wahrhafftig ſtaͤrcke-
re erweißthum ſeyn muͤſſen/ als ſich etwa jemand von denen prætendirten ohn-
mittelbahr-erleuchteten legitimiren wuͤrde koͤnnen. Die frage ſelbſt belangend
von der unmittelbahren erleuchtung und dem dono prophetico, achte ich/ ſeye
noch ein zimlicher unterſchied zu machen von dem: Ob noch heut zu tag und
insgeſamt/ nach der Apoſtel zeiten einige perſonen geweſen ſeyen/ und noch
ſeyn moͤchten/ ſo zu weilen einige
ſtricturas luminis propheticigehabt/ wel-
chen GOtt auff unterſchiedliche arth dieſes oder jeues ohne nuttel moͤgte
offenb ahret haben;
und unter einer andern/ ob nach der Apoſtel zeiten/ wir
einige lehrer zu erwarten haben/ welche ſolche
Θεοπνέυστοι geweſen/ daß al-
le ihre reden und ſchrifften als aus goͤttlichem munde antzunehmen geweſen/
gleich wie bey den Apoſteln geſchehen. Daß man verſichert ſeyn koͤnte/
was ſolcher mann rede/ ſeye das gewiſſe wort des HERRN/ ſo er durch
ihn rede?
Was die erſte frage anlangt/ hoffe ich/ werden mit mir alle modera-
ti Theologi
einſtimmen/ daß wir nicht laͤugnen duͤrffen/ das nicht nur GOTT
muͤglich ſeye/ der gleichen annoch zu thun/ als deſſen macht allzeit gleich/ ſondern
daß es auch von zeit zu zeiten allemahl ſolche leuthe gegeben/ in denen prophetiſche
gaben erkant worden. Und erinnere ich mich gern/ was Micrælius ſyntag. Hiſt.
Eccleſ.
(ſo ich in meiner jugend geleſen) bey allen periodis Eccleſiæ erzehlet biß
auff Lutherum, was in ſolchen vor leuthe geweſen/ qui claruerint prophetico,
lumine.
als L. 2. ſ. 1. q. 33. ſ. 2. q. 32. L. 3. ſ. 1. n. 23. So werden auch von un-
ſerm lieben Luthero einige prophetica angemercket/ daß hieruͤber vielleicht nicht
ſo groſſer ſtreit ſeyn doͤrffte. Aber was die andere frag anlangt/ wuͤrde ich ſolche
nicht bejahen koͤnnen/ als der ich von zeiten der Apoſtel mich keines wahren lehrers
zu erinnern wuͤſte/ welcher ſich auch nur davor ausgegeben haͤtte/ daß er ein ſolcher
ohnmittelbahrer erleuchteter waͤre/ deme vi ſuæ miſſionis in allen dingen beyfall
gegeben/ und ſein wort ſicherlich angenommen werden muͤſte: Sondern alle ha-
ben ſich entweder auff die Schrifft/ oder auff die kirch beruffen. Dann was die
heutige Antoniam Bourignon anlangt/ ſo darvor will angeſehen ſeyn/ ob ich ſie
wol nicht richten will/ macht ſie ſich gleichwol mit dieſer aſſertion allzuverdaͤchtig;
Was die einwuͤrffe und antwort auff dieſelbe antrifft/ laß ich ſie ſuoloco beru-
hen. Und wuͤrde ich ſolche einwuͤrffe nicht gebrauchen/ als deren etliche ſchlech-
ter dings auff falſchen hypotheſibus beſtehen/ und ich/ wo ſonſten die ſache ge-
wiß/ nicht getrauete/ gegen etwas/ was auch nur goͤttlich ſcheinet/ die autoritaͤt der
kirchen/ oder vorigen lehrer zu gebrauchen/ es muͤſte nemlich verworffen werden/
was dieſe nicht erkant haͤtten. Dann niemahl die lehre nicht von der kirchen/ ſon-
dern dieſe von der lehre/ die lehre aber allein aus GOttes wort ihre autoriteaͤt und
G g 2zeug-
[234[236]]Das ſechſte Capitel.
zeugnuͤß haben muß. Aber ich halte gleichwol/ daß die in den antworten fuͤhren-
de fundamenta, nicht mehr als was ich in bejahung der erſten frag zu gebe/ nicht
aber auch die andere frag ausmachen. Womit auff das dritte ſtuͤck gehe/ betref-
fend Jac. Boͤhmen ſachen/ da die angefuͤhrte urſachen/ warũ der mann moͤge eine
von andern nicht gebrauchte ſchreib-arth ihm gefallen haben laſſen/ conjecturæ
ſind/ welche weder auff ein noch anderer ſeite die ſache ausmachen/ ſondern in ihrer
ungewißheit ſtehen bleiben/ auffs wenigſte die jenige nicht convincire/ welche ihn
nicht bloß dahin/ verwerffen/ aber mit ihrem urtheil anſtehen/ und alſo ſelbſt
ungewiß ſind. Dieſes ſind die jenige dinge/ ſo auff die in ſeinem brieff an mich ent-
haltenen puncten zu antworten noͤthig gefunden/ und mit gleicher liebreicher wohl-
meinenheit auffgenommen zu werden hoffe/ wie es von mir in ſolcher einfalt mei-
nes hertzens geſchrieben wird. Jch verlange je in allen nichts als die wahrheit
mehr und mehr zu erkennen/ und wo mein GOtt mich ſolte erkennen laſſen/ mit
deroſelben mitheilung auch meinen bruͤdern zu dienen. Mit welchem hertzen ich
auch unſers geliebten freundes an ihn gethanes ſchreiben durchgehen will. So ge-
ſtehe nun gern das einer wahrheit nicht mit grund entgegen geſetzt werden koͤnne/
daß ſie nicht zu allen zeiten erkannt/ und bin bereit/ wo mir eine ſolche aus der
Schrifft dermaſſen dargethan werden kan/ daß ich in meiner ſeelen derſelben ver-
ſichert bin/ dieſelbe alſo bald willig anzunehmen/ ob ſie auch ſchon von vielen ſecu-
lis
niemand erkant haͤtte. Denn es iſt eine groſſe goͤttliche weißheit auch in deme/
das GOTT nach nothdurfft jeglicher zeit auch das maaß der gnade/ liechtes/ und
Geiſtes giebet/ und eben damit zeiget/ ſein wort ſeye eine unerſchoͤpffte qvelle/ aus
dero noch immer mehr quellen kan/ was allzeit darinnen geweſen/ aber nicht aus-
gebrochen. Daniels Schrifften ſind verſiegelt/ es iſt aber eine zeit/ da viele druͤ-
ber kommen und groſſen verſtand ſuchen und finden werden/ den andere nicht er-
kant/ noch vor der zeit zu erkennen vermocht haben. Was alſo die vergleichung
der Schrifften der jenigen anlangt/ ſo mit Luthero gelebt/ und der heutigen: So
geſtehe ich gern/ daß nicht alle heutige den alten nach zuſetzen; aber wo man die heu-
tigen Schrifften der meiſten anſiehet/ wirds wahr bleiben/ daß ſie an dem Geiſt un-
terſchiedlich der alten nicht gleichen. Sondern eine durchtringerende krafft bey
jener einfalt geweßen/ als bey der unſrigen verkuͤnſtelten krauſen ſchreibarth. Jn-
deſſen laſſe ich gelten/ daß wir zu unſerer zeit durch GOttes gnade leuthe gehabt/
dero Schrifften in des Geiſtes krafft durchtringend ſind/ zum exempel Arnd/ Luͤt-
kemann/ Muͤller ꝛc. von dem Articul der rechtfertigung wuͤſte ich gewißlich nicht/
wie demuͤthiger davon geredet werden koͤnne/ ſondern verlangte ſelbſten zuſehen/ wo
jemand ſich deſſen unternehmen wolte/ wie doch ſolches geſchehen moͤgte. Daß der
glaub nur à poſteriori beſchrieben werde/ ſehe auch nicht/ wie mit beſtand geſagt
werden koͤnne/ ſondern es werden ja eben ſo wol die urſachen des glaubens/ und deſ-
ſen
[235[237]]ARTIC. I. DISTINCT. II. SECTIO XXVIII.
ſen weſen als wuͤrckung von unſern lehrern deutlich beſchrieben: Oder verſtehe ich
nicht/ was ſolches â priori ſeyn ſolle. Jch kan ferner nicht erkennen/ woran es
mangeln ſolte/ daß man nicht der ketzerey der jenigen/ welche die lehr von der recht-
fertigung mißbrauchen/ mit genug amen grund widerſtehen koͤnne: Jn dem ja
dieſes genug iſt/ wo augenſcheinlich dargethan wird/ daß aller glaube/ der nicht die
rechte innerliche heiligkeit wircket/ ein todter glaube/ und alſo nicht ſeligmachen-
der/ ſondern der hoͤchſte ſchimpff Gott/ Chriſto/ ſeinem verdienſt/ und unſer lehr ange-
than/ heißewo man einen ſolchẽ bloſſen menſchlichẽ wahn vor den glauben gehalten ha
ben will. Jch ſehe nicht/ wie einige ohnerroͤthet ſolchen ſatz widerſprechen koͤnnen/
deſſen er wie aus der Schrifft verſichert/ alſo auch aus unſern Libris Symbolicis,
dazu verbunden iſt. Sagt man/ ja es ſey aber gleichwol nach dem zeugnuͤß der er-
fahrung noch nicht damit ausgerichtet worden/ daß nicht das gottloſe leben noch im-
merfort continuiret worden. So antworte/ das gnugſam ſeye/ daß die lehre
gleichwol ſolche frevele uͤbelthaͤter in ihrem gewiſſen uͤber zeuge/ und ſie unentſchuld-
bahr mache. Mehr hat unſer liebe Heyland und ſo viel ſeiner Apoſtel bey vielen
auch nicht ausgerichtet/ als das wort/ ſo vor ſich ein wort des lebens zum leben iſt/
einigen ein wort des todes zum todt worden. So werden wir alſo keine goͤttliche
wahrheit finden/ welche alle boͤſe gewiß bekehrte/ und ſolten wir etwa andere lehr-
arth auffbringen/ welche auffs wenigſte in der redens-arth von der unſrigen/ ab-
wiche/ ſolte dadurch ſo gar nicht mehr als durch die itzige ausgerichtet werden/ daß
vielmehr welche ungern an die praxin wollen/ wuͤrden darvor halten/ daß ſie ei-
ne rechtmaͤßige urſach haͤtten derſelben zu widerſprechen/ wo ſie auch an der lehr ſelbſt
mangel zu finden meinten/ zu einer ſo viel ſcheinbahrern entſchuldigung ihrer boß-
heit. Die hauptſache wegen der ohn mittelb ahren erleuchtung betreffend/ ha-
be oben meine gedancken angedeutet/ und bringen die angefuͤgrte rationes nicht
mehr/ als das einige dona prophetica bey der kirchen bleiben/ verſichern uns
aber nicht ſolcher leuthe/ denen wir folglich in allem zu glauben ſchuldig waͤren.
Das groͤſſere gefahr bey den ordinariis als extraordinariis, begreiffe ich nicht/
wol aber das jene gefahr gemeiner/ weilen der jenigen/ die ſich ſolcher erleuchtung
geruͤhmet/ weniger geweſen ſind. Meinen ſatz meine ich damit genugſam kund zu
thun/ weil die ordinarii entweder die leuth auff ſich/ und eigene authoritaͤt/ oder
auff die Schrifft/ weiſen: Thun ſie jenes/ ſo machen ſie ſich zu offenbahren Anti-
Chriſten/ und ſind nicht darinnen zuhoͤren. Thun ſie dieſes/ ſo mag einen gottſe-
ligen/ und vorſichtigen Chriſten nichts hindern/ ob auch in einigen dingen ſein leh-
rer unrecht lehrete/ als der ſich gewehnet hat/ nichts anders und weiters ſeinem
Prediger zu glauben/ als was ihm derſelbe ſo deutlich aus GOttes wort erwieſſen/
dz er in ſeiner ſeelen deſſen uͤberzeugt ſeye/ daß es in der Schrifft u. alſe Gottes willen
und wort ſeye? Daher wie boͤß der lehrer iſt/ ſo iſt doch bey denjenigen/ welche ſich
G g 3vor-
[236[238]]Das ſechſte Capitel.
vorſehen wollen/ die genugſame verwahrung/ daß ſie ſich ſchlechterdings an die
Schrifft halten; laͤſſet ſich uͤber dieſes einer verfuͤhren/ ſo iſts bloſſer dings ſeine ei-
gene ſchuld. Hingegen wo ein extraordinarius einmahl einſchleichet/ daß der
teuffel ſich in ihm in einen engel des liechts verſtellet hat/ ſo iſt bey allen den jenigen
welche ihn darvor erkennen/ alles mittel benommen/ ſich der verfuͤhrung zuerweh-
ren. Dann krafft deſſen/ wovor ſie ihn erkennen/ muͤſſen ſie alles glauben/ was
er ihnen in GOttes nahmen vortraͤgt. Man gedencke/ was in vergangenem ſe-
culo
bey dem anfang der reformation in der Muͤntzeriſchen ſache und mit den
Wiedertaͤuffern/ noch vielmehr aber/ was biß dahero und annoch bey den Qua-
ckern/ vorgegangen/ und noch vorgehet/ ſo wird man urſach genug finden/ zu er-
kennen/ wie gefaͤhrlich es ſeye/ einem glauben zu zu ſtellen/ der ſich vor einen ohn-
mittelbahrem geſandten außgiebt. Auffs wenigſte muͤſſen ſeine proben und chara-
cteres
ſonnen klar ſeyn/ und waͤre doch noch behutſam zugehen. So bleibe auch
noch dabey/ daß mir ſolche immediate ſubmisſi gar nicht bekant: Werde ich a-
ber auff Hohburgs Schrifften gewießen/ ſo weiß ich nicht/ wie ichs verſtehen ſol-
le/ ob die meynung ſeye/ daß derſelbe fromme lehrer ſelbs als ein ſolcher erkant/ oder
an ſeinen Schrifften andere bemercket werden muͤſten/ welche ſolche geweſt. Waͤ-
re das erſte/ ſo waͤre mir nimmer in die gedancken kommen/ ihn alſo einen ſolchen
anzuſehen. Jch liebe ſeine ſachen hertzlich/ und dancke ihm nicht wenige auffmun-
terung/ ſo ich aus ihme geſchoͤpffet; Aber als einen ohnmittelbahren erleuchteten
lieſſe ich ihn mir ſo wenig aufftringen/ als wenig ich mich von andern noͤthigen lieſ-
ſe/ ihn zuverdammen. Er gibt ſich ſelbſt meines wiſſens da[r]vor auch nicht aus:
Da doch ſonſten insgemein ſolche leuthe/ wie auch billig iſt/ ſich darauff/ was ſie
ſeyen/ beruffen haben. So habe keine ſonderbahre characteres eines ſolchen
Θεωπνέυσεως bey ihme gefunden: Ja halte darvor/ daß ich ihm nicht unrecht thu/
woich bekenne/ daß an mehrern orthen ſich einiges menſchliches/ wo man ihn nicht
eben loben kan/ mit untergelauffen. So zwar nicht macht/ daß ich deßwegen al-
les das ſeinige vor vergifftet achten ſoll/ aber doch iſts genug/ zu zeigen/ daß er kein
ſolcher Prophet geweſen/ der alles aus eingeben des heiligen Geiſtes gelehret haͤtte.
Solte aber das andere gemeint ſeyn/ weiß ich mich nicht zu erinnern/ ob er anderer
Propheten gedencket/ ohne das er meines behalts Cotterii Poniatoviæ und Dra-
bicii
gedencken mag/ aber eben dieſes letztere/ ſo in ſeinem Regenſpurgiſchen
Herold
geſchehen ſeyn wird/ macht mir die ſach noch ſchwehrer/ in dem er da-
mit billichte die propheceyung eines manns/ von dem ich berichtet/ daß er vor ſei-
nem ſupplicio ſelbſt den betrug bekant habe/ und ohne das dieſelbe alſo bewant/
daß weil ſie austruͤcklich zur rebellion antrieben/ auch durch den event widerle-
get und falſch gemacht worden ſeynd/ von Chriſti Geiſt nicht haben kommen koͤn-
nen. Daß alſo worinnen/ der ſonſt liebe Hohburg aus andern einen Propheten
haͤt-
[237[239]]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XXVIII.
haͤtte abgeben wollen/ ſolches nicht zum beſten abgegangen waͤre. Daher bezeu-
ge noch mahl/ daß ich von keinem ſolchen auff die ſtunde weiß. Antoinette Bouri-
gnon
habe oben bereits gedacht. Was die wiedergeburt anlangt/ ob jemand
den grund der wiedergeburth gewaltiger erklaͤret/ als der ſelige Arndt verſtanden/
iſt mir nicht nur nicht wiſſend/ ſondern wird mir etwas ſchwer zu begreiffen/ in dem
ich ſolchen theuren mann vor ein ſolches werckzeug GOttes gehalten/ welcher die
noth wendige ſtuͤck goͤttlichen raths von unſerer ſeligkeit/ dahin die wiedergeburth
auch gehoͤret/ zur gnuͤge und alſo verſtanden/ daß er auch andere davon unterrich-
ten koͤnnen: Es werde dann geredet von etwa einigem klahrern liecht in gewiſſen
umſtaͤnnen/ ſo nicht eben zu der ſache ſelbſt gehoͤrig. Wo aber gleich wol fleißig zu
unterſuchen waͤre/ ob das jenige klaͤhrere/ ſo vor gegeben wuͤrde/ auch warhafftig
mit dem ohnſehlbahren wort GOttes uͤbereinkomme/ und alſo wahres liecht ſey/ o-
der uns von demſelben allein abfuͤhren wolte. Er kommet nachmahl auff Babel:
Aber bekenne/ daß mir durchaus kein ſatisfaction geſchiehet; Dann die frage
iſt nicht/ ob auff einigerley weiſe das wort Babel auff unſere kirche moͤgte appli-
ciret
werden/ ſondern ob es die Babel ſeye/ welche in der Schrifft von dem heili-
gen Geiſt unter ſolchem nahmen genennet wird. Dann ich ſehe/ wo erſtlich der
nahme Babel unſerer kirche gegeben wird/ ſo entſtehen nachmahl die weitere fol-
gen/ daß aus ſolchem Babel auszugehen/ und was dergleichen mehr iſt. Daher
laͤſt ſichs in einer ſolchen dergleichen groſſes nach ſich zihenden materie nicht mit
einem argument ausmachen/ ſo aus der bloſſen etymologia genommen/ als wel-
che auch ſonſten vor gar ſchwach gehalten werden/ und zuhalten ſind. Jeruſalem
war zu den zeiten Jeremiaͤ in gar verwirreten ſtande/ und die kirche ſo ſchlim̃/ als
ſie jetzo ſeyn mag/ es wird auch derſelben ihr ſchwehres gericht angetrohet. Aber
ſie heiſſet darum nicht Babel. Alſo nach dem der heilige Geiſt Apoc. 17. mit ſo
austruͤcklichen determinationen das Babel bezeichnet/ ſo ſehe ich nicht/ wie wir
erlaubnuͤß haben/ ſolches weiter zu extendiren/ zu den jenigen/ welche offentlich
der jenige regierung entgegen ſtehen/ die der heilige Geiſt mit ſelbigem nahmen be-
zeichnet. Jſt auch eine ſache/ daran etwa mehr gelegen/ als man meinen ſolte/
und wuͤrde ich dem jenigen hertzlich dancken/ der mir hierinnen ſatisfaction aus
der heiligen Schrifft/ und nicht andern menſchlichen vermuthungen/ thaͤte. Wie
ich hingegen ſorge trage/ daß dieſelbe conſuſion/ wo wir/ was die Schrifft von
einander diſtingviret/ unter einander mengen/ viele ungleiche dinge und folgen
nach ſich ziehen kan/ dero wir uns ſchuldig machen/ wo wir unbedachtſam uͤber das
jenige ſchreiten/ worinne der heilige Geiſt uns ſchrancken geſetzet hat. Es hat
das volck GOttes nicht nur Babel zu feinden gehabt/ ſondern noch andere meh-
rere/ die Syrer/ Aſſyrer/ Philiſter und dergleichen. Es haben aber nicht alle den
nahmen Babel gehabt. Alſo daß auch die feinde der kirchen/ die auſſer derſelben
ſind/
[238[240]]Das ſechſte Capitel.
ſind/ nicht eben Babel heiſſen muͤſſen/ ſo vielweniger die jenige/ die nicht auſſer der-
ſelben euſſerlichen gemeinſchafft/ ſondern inner derſelben. Das letzte betrifft
wiederum Jacob Boͤhmen Schrifften/ woich nicht nur gewiſſens halben bey
meiner vorigen ἐποχῇ bleiben muß/ ſondern auch nicht ſehe/ wie mir ein mehrers
zugemuthet werden moͤge; Jch habe neulich ſolches in einer antwoꝛt an einen gu-
ten freund auff etzliche fragen aus demſelben mit mehrerem/ und alſo verhoffent-
li[c]h außgefuͤhret/ daß er damit zu frieden ſeyn werde. Die urſach daß ich ihn nicht
verſtehe/ iſt keine geſuchte außflucht/ ſondern die warheit aus hertzens grund. Jch
habe vordem ein zimlich theil ſeines buͤchleins de 3. principiis geleſen/ ſo dann auch
von wahrer buß/ ich habe aber/ ſo ich mit wahrheit zeugen kan/ nach dem ichs ge-
leſen hatte/ nicht recht gewuſt/ was ich geleſen habe; Jch fande nicht eigentlich/ ob
er mit der jenigen wahrheit uͤber einkaͤhme/ die ich ſonſten aus der Schrifft gefaſſet/
oder ob er derſelben widerſpreche. Jn etlichen kam mirs vor/ das er davon abgin-
ge/ jedoch ſahe ich nicht recht/ ob ich den ſinn des mannes gantz aſſequiret/ oder nicht?
Deswegen ich auch ſolches buͤchlein aus der hand geleget/ und nicht abſolviret/
noch weiter in andern ſeinen Schrifften zu leſen mich bemuͤhet habe; ohne allein
daß auch in dem myſterio magno einmahl eingeſehen/ aber ſo balden ſolche diffi-
cultet
auch gefunden. Was will mich dann obligiren uͤber eines mannes Schriff-
ten zu ſitzen/ worin ich ſo kuͤmmerlich nur etwas verſtehe/ und doch weil ich nicht
weiß/ ob ich den gebrauch ſeiner terminorum recht faſſe/ nach langer arbeit unge-
wiß waͤre/ ob ich ihn auch recht gefaſt? Da ich die liebe Schrifft und ſo viel liebe
andere buͤcher habe/ worinnen ich ohne ſolches kopffbrechens den ſinn derſelben ſo
deutlich vor augen habe. Um ſo vielmehr/ nachdem aus unterſchiedlichen urſachen
er mir auffs wenigſte etwas verdaͤchtig/ daß ich alſo nicht weiß/ ob mir mein ange-
wendete muͤhe endlich mit einer erbauung werde erſetzt werden. Da doch/ wo ich
auch viel gutes darinnen zu ſeyn wuͤſte/ ich doch auch andere ohnverdaͤchtige buͤcher/
die ihre ſachen etwas ſchwer vortragen/ bey ſeit lege/ als lang ich die verlangte er-
bauung in den leichtern haben kan. Jch erkenne die Schrifft freylich vor eine voll-
kommene normam veri et falſi. Hoffte auch/ wo es eine nothwendigkeit waͤre/
die muͤhe anzuwenden/ auch in dieſes mañes Schrifften vieles zu erkeñen/ obs wahr
oder falſch/ wo es nur erſtlich in ſolche propoſitiones reſolviret waͤre/ die ich ohn-
zweiffelig verſtuͤnde. Wie ich aber/ was mir in einer fremden ſprach vorgelegt
wird/ nicht pruͤffen kan/ weil ich es nicht verſtehe/ alſo iſts nicht viel anders/ wo et-
was zwar in einer bekanten ſprach/ aber mit ſolchen terminis und ſtylo, abgefaſſet
iſt/ daß ich des verſtandes nicht ſicher bin: Wie mirs in dem tractat de trib is
principiis
begegnet iſt. So kans auch wol ſeyn/ ob ſchon die Schrifft die perſe-
cta norma
aller warheit iſt/ daß ich vieles auch in deroſelben/ ſo uͤber das maß der
gaben ſo mir gegeben gehet/ nicht genugſam verſtehe/ welches von mir zu bekennen/
ich
[239[241]]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XXVIII.
ich mir nicht eine ſchande ſeyn achte/ und dahero eines mannes ſcripta in haltung
gegen ſolche ſtellen/ nicht dermaſſen unterſcheiden kan/ daß ich mich nicht auff einer
oder andern ſeite eines vermeſſenen urtheils beſorgen muͤſte. Alſo mag ſolcher
Boͤhme auch nach der Schrifft/ und muß nach derſelben unterſucht und gepruͤfft
werden/ aber von denen welche ihn verſtchen/ und ſonderlich/ welche in natuͤrlichen
dingen eine mehrere erkaͤntnuͤß haben/ die ſo wol in der Schrifft enthalten/ als aus
der erfahrung erlernet werden/ als ich bey mir finde. Denn ſo viel habe ich wol
abgemerckt/ daß ſolche wiſſenſchafft in zimlichem grad erfordert werde/ ihn zuver-
ſtehen und zu beurtheilen. Hieraus hoffe ich gleichwohl nicht/ daß nnverletzt der
liebe ſich folgern laſſe: Daß ein ſolcher menſch nicht muͤſſe Chriſtiſinn/ Geiſt/ ſal-
bung haben/ ſeine ſtimme nicht kennen/ weil er ſie von fremden zu unterſcheiden
nicht vermoͤge/ daher zweiffelhafftig ſeye/ ob er Chriſtum angehoͤre; Warum wol-
te ich ſo hart urtheilen von einem/ der ſich ſeines Heylands ſtimme/ wie ſie in der
Schrifft lautet/ daß ihm gleich aller ander thon/ der demſelben nicht gantz gleich
lautet/ ſorglich iſt/ daß er ihn zwar nicht gaͤntzlich verwerffen will/ aber nicht trauet/
ſie vor die ſtimme ſeines Hirten anzunehmen? Ja geſetzt/ es waͤre auch ſolches
Chriſti ſtimme/ hielte ich darvor ſo wenig die juͤnger darin ſtraͤfflich waren/ daß ſie
den HERREN nicht erkanten/ als er ihnen in fremder geſtalt erſchiene/ noch
insgemein aus demſelben beſchuldiget werden konten/ daß ſie ihren HERRN nicht
kenneten/ ſo wenig koͤnte auch Chriſt oder lehrer hart angeſehen werden/ wo er ei-
nen gantz ungewoͤhnlichen thon nicht erkennete vor die ſtimme ſeines hirten. Jch
dancke meinem Heylande daß er mich durch ſeinem Geiſt die gnade/ und in denen
ſtuͤcken/ ſo zu meiner und meiner anvertrauten zuhoͤrer ſeligkeit nothwendig ſeynd/
zu erkennen gegeben hat ſeine ſtimme/ daß ich ſie zu unterſcheiden vermag von der
ſtimme der verfuͤhrer/ ob ich wohl von einigen ſtimmen/ die ich nicht kenne/ zu ur-
theilen nicht vermag: Auch niemanden meiner zuhoͤrer weiß/ welcher auff die-
ſelbe acht gebe/ und wo ich es wiſſen ſolte/ mich in meinem gewiſſen ſicher achtete/ wo
ichſie erinnerte/ ſie moͤchten bey dem jenigen wort bleiben/ was unſtrittig ihres Hey-
landes ſeye/ und anderes der verantwortung andern uͤberlaſſen. Alſo bleibe ich
in meiner einfalt/ und meide hohe ſpeculationes ſo viel ich kan/ ſuche hingegen in
wahren glauben meinen Heyland/ erkaͤntnuͤß ſeiner in der Schrifft uns vor[g]eleg-
ter theuren wolthaten/ und gehorſam ſeiner geboth/ in reinigung meiner ſelbſt und
taͤglicher erneuerung nach der gnade die mir gegeben/ fortzufahren/ und meinen zu-
hoͤrern vornemlich nichts anders/ als JESUM den gecreutzigten und aufferſtan-
denen/ durch deſſen todt ſie der ſuͤnden abſterben/ und aus krafft ſeiner aufferſtehung
ein neues leben fuͤhren muͤßten/ predige. Von dieſen weg weiß ich/ daß die war-
heit ſelbſt mir ihn zeiget/ und auff dem/ wo wir acht auff uns ſelbſt geben/ nicht ge-
irret werden kan. So iſts auch der weg/ auff dem der HErr/ wie er verſprochen
H hhat/
[240[242]]Das ſechſte Capitel.
hat/ denen die ſeine gebot haben und halten/ zu uns kommen/ und ſich uns ferner ſo
viel offenbahren wird/ als unſer heyl erfordert; Dabey weiß ich/ bin ich auff kei-
nen menſchen gewieſen: Finde ich einige buͤcher/ die mit ſolcher warheit meines
Heylandes/ als viel ich verſtehe/ uͤbereinkommen/ ſo gebrauche ich mich derſelben
ſo gut ich kan. An keine andere/ ja insgeſamt an keine andere menſchen-buͤcher/
ſie heiſſen wie ſie wollen/ bin ich gewieſen. Will deswegen zwar nichts verwerffen/
wovon noch zweiffel ſeyn kan/ weil ich mich damit leicht verſtoſſen koͤnte/ aber/ ohne
einige ſorge damit unrecht zu thun/ mich lieber aller menſchlichen Schrifften enthal-
ten/ als billich und vor goͤttlich erkennen/ deſſen keine genugſame kennzeichen habe.
Nun der HERR heilige uns in ſeiner wahrheit. ꝛc. 1678. m. Maj.


SECTIO XXIX.


Heßiſches ausſchreiben. Umſtoſſung ei-
gner
principiorum.


WAs das Heßen Darmſtaͤttiſche ausſchreiben anlanget/ haben ſich
auch mehrere gute leuthe daruͤber verwundert; Sie ruͤhmen gleich-
wohl/ daß viel nutzliches erbauliches und Chriſtliches in ſolchen abſonder-
lichen verſamlungen moͤge angerichtet/ und ausgerichtet werden/ trauen auch
nicht ſchlechter dings zu verbiethen/ daß niemand darvor etwas ſchreiben/ ſondern
laſſen es dabey bewenden/ das niemand darvor oder dargegen etwas ſchreibe: da
doch dieſes nicht verbothen werden ſolte/ wo die ſach von ſolcher gefahr waͤre. Wei-
len ſie aber nichts als eine eingebildete gefahr der ſach entgegen zuhalten vermoͤgen
(denn was die frage betrifft/ ob ſolche uͤbung der einſetzung und ordnung Chriſti
gemaͤß/ ſo denn auch außer der zeiten der verfolgung/ und nach dem Apoſtoliſchen
ſeculo, in uͤbung geweſen/ ſo ſie nicht zu ſtehen wollen/ wird auff den bedoͤrfftigen
fall gar einanders dargethan werden moͤgen) ſo bewegt mich ſolches argument
gar nicht; Denn es kein anders als welches allezeit und noch die Papiſten der pro-
miſcuæ lectioni
der heiligen Schrifft/ ſo ſie allen Chriſten freygelaſſen wird/
entgegen zu halten gepfleget und pflegen. So wenig wir nun ſolches argument,
den widerſachern gelten laſſen gegen einer dem goͤttlichen willen gemaͤſſen/ nuͤtzli-
chen und noͤthiaen ſache/ ſondern lehren/ man ſolte der beſorgenden gefahr mit an-
derer vorſichtigkeit begegnen/ ſo wenig wird es auch gegen dieſe ſache außrichten.
Wir wollen dann bey einem recht ſeyn laſſen/ was wir in gleichen terminis an-
dern nicht geſtatten. Wie ich mich offt verwundert/ daß bey einer zeithero etzliche
unſerer Theologorum geſchienen in meiner ſache beynahen von den unſern weiß
ins gemein beliebten principiis, von der auch den einfaͤltigſten verſtaͤndlichen klar-
heit
[241[243]]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XXX.
heit der Schrifft/ von autoritaͤt der menſchen in auslegung der Schrifft/ von guͤl-
tigkeit und nothwendigkeit der gloſſen, und dergleichen abzugehen: Welches
unſern widerſachern/ wo es kund wuͤrde/ nicht nur eine ſreude machen/ ſondern neu-
es ſchwerd gegen uns hinwiederum zu gebrauchen in die hand geben doͤrffte. Wo
wir beyſammen waͤren/ wuͤrde eines und anders vertraulicher davon melden koͤn-
nen. Was in uͤbrigen die urſach ſolches ausſchreibens anlangt/ iſt das tractaͤt-
lein des Chriſtlichen juriſten Herrn Kriegsmanns/ und das ein vornehmer The-
ologus,
ſo in dem Fuͤrſtenthum das meinſte vermag/ in demſelben einige paſſus
als gerade gegen ſich gerichtet empfunden/ und darauff dieſes ausſchreiben zuwe-
gen gebracht hat; Der HERR HERR reinige unſer aller hertzen jemehr und
mehr/ daß wir in allem/ ſonderlich aber in ſeiner ſach/ alle eigene privat- und
fleiſchliche abſichten bey ſeits legen/ und allezeit nur darauff ſehen moͤgen/ wie ſein
nahme in allem geprieſen/ und ſeiner kirchen beſtes am kraͤfftigſten befoͤrdert werde.
Werden wir ſolch gemuͤther haben/ ſo wirds alles wol ſtehen. den 6. Maji.
1678.


SECTIO XXX.


Groſſe bewegung der hertzen im verlangen nach
der beſſerung. Hoffnung daraus. Weniger anfang/ der
bereits gemacht. Geiſtliche Prieſterthum. Vertrau-
en zu den Wirtenbergiſchen

Theologis.


DJe freude/ welche derſelbe in ſeinem freundlich an mich abgegebenen uͤber
mein Geiſtlich Prieſterthum und ſendſchreiben bezeuget/ iſt nicht gerin-
ger bey mir entſtanden aus leſung ſeines geliebten brieffes. Gelobet ſey
der groſſe GOtt/ der immer mehr und mehrere erwecket/ welche den ſchaden Jo-
ſephs bejammern/ die fehler der kirchen erkennen/ derſelben beſſerung verlangen/
GOTT darum mit angelegenlichem flehen anruffen/ und der verſprochenen
huͤlffe erwarten: auch gnade giebt/ daß ſolche allgemach mehr und mehr unterein-
ander bekant worden/ auff daß ſie ſich unter einander moͤgen hertzlich freuen/ und
ſich in liebe ſo viel genauer mit einander vereinigen/ zur gemeinſchafft des gebeths/
und damit ja einer den andern mit ſeiner gabe ferner erbaue und ermuntre. Jch
ſchlieſſe auch nicht vergebens/ weil dergleichen von etzlichem jahren mehr und mehr
geſchiehet/ und unter geiſt- und weltlichen/ vornehmen/ und in der welt geringen/
gleichſam von tag zu tag aller orten ihrer mehreren ſich theils offentlich theils in
H h 2ab-
[242[244]]Das ſechſte Capitel.
abſonderlichen brieffen hervor thun/ und untereinander bekant machen. Es muͤſ-
ſe der himmliſche Vater aufs neue Vaͤterliche gedancken uͤber ſeine kirchehaben/
und allgemach neue vorbereitungen machen wollen zur erfuͤllung ſeiner theuren
verheiſſungen/ daß noch ſein nahme herrlicher geprieſen/ und ſeine kirche in einen
vortrefflichern/ heiligern und ſeligern ſtand geſetzet werden ſolle/ darinnen man
ſich nicht nur deꝛ wahren lehre ruͤhmen koͤnne/ ſondern die herrliche krafft des Gei-
ſtes in der Heiligung ſich an ihr vor aller welt hervor thue. Ach der HERR laſ-
ſe die zeit nahe ſeyn/ und erhoͤre die ſeufftzen ſo vieler tauſendẽ/ die auff die erfuͤllung
der vortrefflichen verheiſſungen mit ſehnen warten; auch verſichert ſind/ ihre thraͤ-
nen werden den jenigen bewegen/ der ſelbs ſein Zion hertzlich liebet/ und ſie noch
herrlich machen wird. Dahin gehen alle meine deſideria, alle meine einfaͤltige
vorſchlaͤge/ und ſo oͤffentliche als abſonderlich thuende erinnerungen. Uber der-
gleichen auffmunterungen ſehe ich noch nicht/ daß ſich das mir von GOTT anver-
trauete pfund erſtrecke: Denn was wuͤrcklich allhier durch GOttes gnade ange-
fangen/ mit gottſeliger geſpraͤche anſtalten in meiner haußuͤbung/ davon in den
ſendſchreiben meldung gethan und andern dergleichen dingen/ iſts ja noch ein ge-
ringes/ gleichwol dancke ich auch dem geber alles guten vor daſſelbe/ was er bißhe-
ro gethan und mich unwuͤrdigen gewuͤrdiget eines ſeegens in ſolchen geringen co-
natibus.
Er fuͤhre aber ſeine ſache ſelbs/ und zeige uns armen und unvermoͤgli-
chen ſeinen werckzeugen in jeglichen/ was ſein heiliger will an uns iſt/ gebe uns als-
dann krafft und muth/ daſſelbige/ ſo er uns zeiget/ getroſt zu wercke zu richten. So
gehen wir in kindlicher einfalt/ da wir jedes tages das jenige thun/ was uns GOtt
weiſet/ dißmal unſer amt zuſeyn/ wartende was morgen und kuͤnfftig er uns weiter
zeigen werde. An widerwertigkeiten mangelts nicht/ ſondern laͤſt uns GOTT
auch dieſe probe des guten wiederfahren/ daß es von mehrern anſtoß leiden muß.
Die in dem ſend-ſchreiben beklagten calumnien waͤhren noch/ und hauffen ſich faſt/
ob wolte der teuffel die unſchuld mit ſolchem anhalten muͤde machen oder unterdru-
cken. Wegen meiner haußuͤbung hats neulich faſt verlauten wollen/ daß ſie moͤch-
te inhibiret werden: Sehe ich aber annoch in beſſerer hoffnung. Des geiſtl. Pr.
wieder-aufflag iſt neulich auff eine zeitlang verbothen worden/ meine gleichwol
daß nach von dem verleger erlangten Churfuͤrſtl. Saͤchſ. privilegio der truck die-
ſer tagen wieder fortgehen ſolle. Ach laſſet uns hertzlich bitten vor die befoͤrderung
alles deſſen/ was zur ehre GOttes hin und wieder von treuen hertzen vorgenom-
men wird/ ob der GOtt des friedens den ſatan unter unſere fuͤſſe zertreten wolle in
kurtzen. Den diſcurs von der kirchen gewalt und gerichte zu leſen/ wo es ohne
beſchwehrden geſchehen kan/ zuſchicken/ wird mir ſehr lieb ſeyn ob aus demſelben
ferner geſtaͤrcket und erbauet werden moͤchte. Zu den Herrn Theol. ihres Fuͤr-
ſtenthums trage ein gutes vertrauen/ ſie werden das gute befoͤrdern. So iſt
auch
[243[245]]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECT. XXXI.
auch Herr D. N. ſo Director Conſiſtorii ein bekantlich gottfeliger Juriſt. Der
HERR laſſe ihr land/ wie es ſonſten in dem leiblichen vor andern ſo reichlich ge-
ſegnet iſt/ auch mehr und mehr erſuͤllet werden mit geiſtlichen ſeegen/ daß ihr liecht
auch andern hinkuͤnfftig leuchte. 21. Maj. 1678.


SECTIO XXXI.


WegenD.Strauchens in Dantzig.


DEn bericht der gantzen ſache ſonderlich aber was nach Herrn D. Strauchen
und ſonderlich in des Koͤnigs præſenten vorgegangen/ iſt mir zu erfahren
viel lieber geweſen/ als hertzlich offt verlangt habe/ einen gewiſſen grund der
ſachen zu haben. Jndem ich nichts als was die oͤffentliche zeitungen in genera-
libus
und offtmahls ohne grund mitbrachten/ davon erfuhr. Nun aber habe den
rechten grund/ aber alſo erfahren/ daß ich den zuſtand der lieben ſtatt nur allzuer-
baͤrmlich erkenne/ den jeglicher gottſeliger billich zu bejammern hat. Jch habe al-
lezeit einen ſehr traurigen ausgang der ſachen in conſideration aller umſtaͤn de/
und der gemuͤther beſorget/ aber ſolche extremitaͤten faſt nicht wohl eingebildet/ daß
es dahin kommen wuͤrde/ daß der gantze Magiſtrat in ſo groſſe gefahr und faſt
verluſt aller ſeiner authoritaͤt gerathen muͤſte. Jedoch iſt die allgemeine verſiche-
rung der gefaͤhrlichen folgen die urſach geweſen/ die uns zu der gleichen conſilio
vor deme bewogen/ daß lieber vorher etwas von der ſonſten den obern ordinibus
gehoͤriger authoritaͤt nachgelaſſen zu werden geſehen/ daß alſo mit willen gewichen
werde/ eher man in gefahr kommen/ folglich mit ſo viel mehr ſchmaͤhlerung oder
gaͤntzlicher auffhebung der authoritaͤt alles nach anderer willen geſchehen zu laſſen.
Der HErr wende alles beſorgende ungluͤck durch ſeine kraͤfftige gnade ab/ und zei-
ge/ daß er alsdann nicht nur helffen koͤnne/ wo es am deſperateſten ſcheinet/ ſon-
dern daß er offt ſeine huͤlffe dahin verſparet/ auff daß ſie alsdann auch ihm allein mit
gehoͤrigem danck und preiß zu geeignet werde. Ob die nun mehrige loßmachung
Herrn D. Strauchen und alſo wiederkunfft nach Dantzig etwas zu ſopirung der
unruh contribuiren/ oder die ſache gefaͤhrlicher machen werde/ bin ich nicht klug
gnug zu erſinnen. Wie ich aber jenes hertzlich wuͤndſche/ alſo will ichs auch am
liebſten hoffen: um ſo vielmehr/ weil etwa durch dieſe langwierige gefaͤngnuͤß
Herr D. Strauch moͤgte zu ſo viel mehr einkehr in ſich ſelbſt/ und alſo der ſelbſt
erkaͤntnuͤß gekommen/ hingegen die allzugroſſe fiducia ſeiner ſelbſt mercklich gebro-
chen ſeyn worden. Jn welchem fall die uͤbrige unverneinliche in ihn gelegte gute
goͤttliche gaben hinkuͤnfftig ſo viel nuͤtzlicher zu GOttes ehren moͤgen angewendet
werden/ nachdem ſie von jenem affectu, da man ſich in ſich ſelbſt etwa zu viel ver-
liebet/ verunreiniget gemacht/ und ihre nutzbarbarkeit ſehr gemindert woeden. Ach
wie iſt goͤttliche providenz ſo weiſe in allem/ welche durch harte und ſchwere truͤb-
Hh 3ſalen
[244[246]]Das ſechſte Capitel.
ſalen offters dasjenige an uns ausrichtet/ was ſonſten auff keine weiſe bey uns zu
wegen gebracht werden konte/ auff daß das mit ſchlacken uͤberzogene gold gereiniget
werde. Jch habe offt in betrachtung des langwierigen gefaͤngnuͤß dieſes mannes
hieran gedacht/ ob nicht etwa dieſes die guͤtige abſicht goͤttlichen raths ſeyn moͤgte.
Wie ſolte michs erfreuen/ wo ſolche auch wuͤrcklich platz gefunden/ und ſeine gaben
dardurch ſo geheiliget und gereiniget worden waͤren/ daß er hinkuͤnfftig/ da die ſtatt
ſeinet wegen ſo lang in ſolcher unruhe geſtanden/ wiederum vermittelſt ſeiner beru-
higet wuͤrde? Was ich darein zu thun nicht vermag/ ruffe ich den lieben GOtt
ſo viel hertzlicher an/ ſein und aller derer/ die in der ſach zu thun haben werden/ hertze
hierzu zulencken/ womit beyſeit geſetzet aller menſchlichen affecten/ dasjenige ſo ge-
ſucht/ als erhalten werde/ was die ehre des groſſen GOttes befoͤrdern werde/ auff
daß auch mit andern ſolcher zweck vor augen habenden Eure Hoch Wohl-Ehrw.
ſich deſſen zu erfreuen haben/ und ihre gemeinde wieder in frieden ſehen moͤge. Der
HERR der alles allein vermag/ erfuͤlle es in gnaden. 18. Julii 1678.


SECTIO XXXII.


Als eine erklaͤhrung gewiſſerThesiumeinen gu-
ten freund uͤberſandte. Balth. Rebhan.


DJe zwiſte/ welche ſich in ihrer ſtatt nahe vor einigen jahren erreget/ habe ſo
wohl aus einigen offentlichen ſcriptis erſehen/ als dero ſeriem ſo viel eigent-
lichẽ aus deſſen juͤngſthin mir zugeſchriebenem verſtanden. Dem HErrn ſeye
es geklagt/ daß ſich aller orthen hervorthun leute/ die der lehr der gottſeligkeit zu wi-
der ſind/ ihr widerſprechen/ und mit allem fleiß unter allerhand vorwand dieſelbe
laͤſtern. Ach daß N. N. ſich deſſen entbrechen koͤnte/ nicht unter die zahl derſelben zu
kommen/ jedoch will ich noch allzeit lieber hoffen/ man irre aus unwiſſenheit. Der
HERR gebe es aber ihm und andern zu erkennen/ daß ſie ſich nicht etwa auch ohn
ihr gedancken/ dem ſatan zu werckzeugen geben/ das gute thaͤtlich zu hindern/ ſo ei-
ne ſchwehre verantwortung nach ſich ziehen wuͤrde. Jch habe die angedeutete
theſes bereits das vergangene jahr geſehen und gemercket daß es mich treffe. Weil
ich aber nicht genennet/ und darvor gehalten hatte/ meine predigt eye ſo deutlich
abgefaſſt/ daß jeglicher ohnparteyiſcher leſer ohne fernere erklaͤhrung die wahrheit
ſolcher lehr erkennen wuͤrde/ ſo habe gegen jemand mich zu verantworten nicht noͤ-
thig erachtet/ als der ohne das den ſtreit und das gezaͤnck nicht liebe/ noch der
kirchen nuͤtzlich befinde/ deswegen zu einiger apologia nicht anderſt/ als da es die
hoͤchſte noth erfordert/ ſchreiten mag. Wann aber mein Hochgeehrter Herr we-
gen einiger erklaͤhrung der benanten theſiumauch mich freundlich angelanget/ ha-
be nicht wollen aus handen gehen/ und ſende alſo dieſelbe/ wie ſie nach GOttes gnad
zwiſchen
[245[247]]ARTIC. I. DISTINCT. II. SECTIO XXXII.
zwiſchen ſo vielen andern occupationibus abgefaſſet habe/ und ſolte mir hertzlich
lieb ſeyn/ wo demſelben und ſeinem verlangen damit einig vergnuͤgen geſchehen waͤ-
re. Wegen der erſten materie wuͤndſchte nicht/ daß viel diſputat ferner entſtuͤn-
de/ als welches endlich ein eitles wort-gezaͤnck geben moͤchte. Haben wir die ſa-
che/ ſo bemuͤhe man ſich nicht viel um die ſormuln: Gnug iſts daß wir zeigen/ daß in
der formul/ wie wir ſie gebraucht/ kein irrthum ſtecke/ und das Lutherum betref-
fen wuͤrde/ was gegen unsgeſchehe. Wem aber die formul nicht beliebet/ dem
tringe ich ſie auch nicht auff. Was aber die andere lehr/ wie ein wiedergebohrner
die ſuͤnde nicht thue/ anlangt/ ſo haben wir uͤber ſolcher tanquam pro aris \& focis
zu fechten. Tenn jener formul kan die kirche ohne ſchaden entbehren/ da die ſache
mit andern worten behalten wird/ aber dieſer lehr kan die kirche nicht entbehren oh-
ne euſſerſtes verderben der gantzen lehr von der gottſeligkeit und fruchtbahren glau-
ben/ dahero folglich ohne verluſt der ſeligkeit. Da gilts nicht mehr wort ſondern
die krafft GOttes/ um die iſts zu thun. Alſo laſſet uns freudig ſeyn vor ſolche lehr
alles zu thun in dem nahmen des HErrn/ ja auch willig uͤber dieſelbe zu leiden. Es
wird zwar der teuffel ſich ſolcher lehr hefftig wiederſetzen/ denn nachdem er geſehen/
daß auff einer ſeite mit eingebildetem verdienſt nichts mehr ausrichten kan/ als ge-
gen welches unſere lehr in die hertzen feſt genug ingetrucket iſt/ ſo verſuchet ers auff
eine andere art durch die einbildung eines falſchen fruchtloſen glaubens/ deſſen vor-
nehmſte ſtuͤtze iſt die eingebildete ohnmoͤglichkeit/ von der ſuͤnde herrſchafft und thaͤt-
licher begehung nicht frey werden zu koͤnnen. Gewinnet der teuffel hie/ ſo hat er ſo
viel 1000. ſeelen in ſeinen klauen/ und mag wohl. leiden/ daß wir vieles von aller-
hand groſſen geheimnuͤſſen den leuten vorſprechen/ und allerhand irrthum wider-
legen/ in dem er doch die ſeelen an jenem ſtrick in das verderben zeucht. Der HErr
aber trette ihn unter unſere fuͤſſe in kurtzem. Was den genanten Balthaſer
Rebhanen
anlangt/ verlange zu erfahren/ ob gleichwohl einer ſolches nahmens in
der nachbarſchafft/ oder auch wo ſolcher ort davon er ſich Pfarrherr nennet/ gelegen
ſeye. Daß er mich angreifft/ kan ich wohl leiden/ als deme nicht viel daran gelegen
iſt/ wo vor mich andere halten. Hingegen auch nicht ſorge/ daß rechtſchaffene
leute bey denen ein Chriſtlich gemuͤth iſt/ ſich dergleichen werden bewegen laſſen/
einen in verdacht einiger irrthum zu ziehen/ wo man auch nicht nur einen articul
nennen kon/ worinnen ich nicht rein nach GOttes wort und unſerer kirchen lehr
lehrte. Dann wo es nur ſagen gelten ſolle/ iſts leicht jeglichen Chriſtlichen leh-
rer in verdacht zu ziehen. Der HERR vergebe es dieſen guten mann und allen
andern/ ſo ſich an mir verſuͤndigen moͤgen/ und gebe ihnen zu erkennen/ weme
man mit calumnien und luͤgen diene. Welche ſuͤnde ich wohl hertzlich wuͤndſche
von allen denjenigen ferne zu ſeyn/ die da diener der wahrheit ihrem amt nach heiſ-
ſen/ und alſo gleich/ wie nach der liebe/ alſo auch nach der wahrheit/ in allem hand-
len/
[246[248]]Das ſechſte Capitel.
len/ reden/ ſchreiben und urtheilen ſollen. Jndeſſen muͤſſen wirs gewohnen/ mit
Paulo zu gehen διὰ δύφημίας καὶ ἐυφημίας, und auch unſerm Heyland in ſolcher
art leidens aͤhnlich zu werden. Laſſet uns alſo getroſt ſeyn in allem/ und ſeine
ſchmach tragen/ in deſſen mit aller ſanfftmuth begegnen denen/ die uns laͤſtern/ ſo
werden wir/ wo nicht vor der welt/ jedoch vor GOTT/ ſiegen/ und etwa mit lie-
be und ſanfftmuth und uͤbrigem gottſeligem wandel auffs wenigſte einige der fein-
de durch goͤttliche gnade gewinnen. Ach der HErr erbarme ſich derſelben/ und
auch unſer/ gebe uns auch in allem gnade/ ſeinen willen ohne fehl zu erkennen/ und
folglich denſelben getroſt zuthun/ auff daß wir in jener erkaͤntnuͤß vorſichtiglich
wandlen/ nicht nach der liſtigkeit der welt/ ſondern nach der klugheit des geiſtes/
dero wir hochbeduͤrfftig ſind/ auff daß wir nicht ſelbſt die ſach des HErrn mit un-
ſer unvorſichtigkeit verderben/ und deſſen ſchuld auff uns laden; hingegen nachmahl
in freudigkeit das werck GOttes treiben/ und alles daruͤber ohngeſcheut aus zu ſte-
hen willig ſeyn. 1678. 7. Aug.


SECTIO XXXIII.


AnD.Geiern wegenerlangten Churfuͤrſtlichen
privilegiiuͤber das Geiſtliche Prieſterthum. Unbillichkeit
der mißdeutung guter dinge. Bewahrung
vor mißbrauch. Ungrund der laͤſte-
rungen.


JCh hette zwar bereits auff daß vorige freund vaͤtterliche billich eher zu ant-
woꝛten gehabt/ deꝛ ich aber an meinem wenigẽ ort erfahre/ wie es bey aͤmpteꝛn
und vielen geſchaͤfften hergehe/ habe Eure Hoch-Wohl-Ehrw. mit vielem
unnoͤthigen zuſchreiben lieber ſchonen/ als die ohne das allzu viele geſchaͤffte ver-
mehren wollen. Jch bleibe nochmahlen zu ſchuldigem danck hoͤchſt verbunden/
wegen des Churfuͤrſtlichen privilegii, dardurch effectuiret worden/ daß das geiſt-
liche Prieſterthum/
uͤber welches die frage geweſen/ wiederum getrucket/ und
damit eine colliſion zwiſchen dem Miniſterio und unſerm Magiſtratu verhuͤtet
worden. Jn dem jenes mit vielen rationibus den Obern gewieſen/ nach dem
der tractat ſchon einmahl getruckt/ und die approbation des geſamten collegii
davor in der præfation kund worden/ ſo koͤnne ſolches ſcriptum auffs neue nicht
zu frembder cenſur gegeben werden/ daß ſie nicht damit ihr geſamtes Miniſteri-
um
und deſſen orthodoxiam in zweiffel zoͤgen/ und einige diffidenz gegen ſie be-
zeugten/ welches ſo ihnen als uns præjudicirlich ſeyn moͤgte. Jch zweiffle auch
nicht/
[247[249]]ARTIC. I. DISTINCT. II. SECT. XXXIII.
nicht/ daß den meinſten ex magiſtratu/ (in dem allein einige wenige geweſen/
welche die ſache durchgetrieben) ſelbſt lieb geweſen/ und mit guten ehren durch die-
ſes interveniens daraus zu kommen. Jn dem uͤbrigen iſts freylich an dem/ wie
Eure Hoch-Wohl-Ehrw. ſchreiben/ daß auch bey der beſten intention ungleiche
deutung und mißbraͤuche vorgehen koͤnnen. Daher nichts iſt/ woruͤber ich GOtt
hertzlicher und inſtaͤndiger anruffe/ als mir in allem was ich bedarff/ die erkaͤnt-
nuͤß zu geben/ wie ich mein amt recht zu ſeinen ehren und ohne anſtoß/ hingegen
zur beſſerung der gemeinde/ fuͤhren koͤnne: und als dann/ was ich erkant/ auch
in ſeiner krafft getroſt und ohne furcht ins werck zurichten. Ungleiche deutung
wuͤrden ſich nicht leicht in der Chriſtlichen kirchen finden/ wo die wahre liebe herr-
ſchete/ und alſo jeglicher/ ſo ſich ohn ſeinem bruder/ deſſen conſiliis und actioni-
bus
ſtieſſe/ oder ſich nicht darein richten koͤnte/ in bruͤderlichem vertrauen denſel-
ben zu rede ſetzte/ ſeinen ſcrupel ihm vortruͤge/ um entweder denſelben nach beſ-
ſerer erklaͤhrung fallen zu laſſen/ oder wo er von der wichtigkeit waͤre/ den andern
zur aͤnderung braͤchte. Damit wuͤrde den meinſten mißverſtaͤnden geholffen. Daß
es aber nicht geſchiehet/ oder auff ſolche weiſe gefuͤhret wird/ iſt eine anzeigung/ daß
wenig rechtſchaffener liebe/ auch ſelbs unter uns iſt/ die wir andern mit gutem ex-
empeln vorgehen ſollen. So verlange ich nichts mehr als daß dergleichen gegen
mich geſchehen moͤchte/ der ich allezeit bereit bin/ einem jeden rechenſchafft zu geben
alles deſſen/ was ich vorhabe und thue. Und warum ſolte ich hierinnen bedenckens
haben/ der ich ja alles ſolches wegen/ und wer weiß wie bald/ dem groſſen GOtt
rechenſchafft geben ſolle? Was mißbraͤuche anlanget/ iſts freylich auch alſo/ daß
wo der teuffel das gute nicht ſelbs hindern kan/ er trachtet durch einigen mißbrauch
dasſelbe/ zu verderben. Und iſt bißher mein und anderer treuen Herrn Collegen
ſorge und fleiß vornehmlich dahingegangen/ nach allem vermoͤgen welches GOTT
giebet/ zuverhuͤten/ daß aus dem/ was wir hier gutes vorhaben/ nicht einiger miß-
brauch entſtehen moͤgte. Und ob wohl aller orthen von dergleichen ſehr viel/ ja faſt
unzehliches ausgeſprengt wird geſchehen zu ſeyn/ verhaͤlt ſichs gleichwohl in der
that nicht alſo. Wie dann unſere Herrn und Obere/ welche doch ſelbſt hoͤchſtes
mißfallen haben an der ſtatt uͤbelem ruff/ nicht nur allein als ſie vor einem jahr et-
was angefangen zu inquiriren/ was vorzugehen das geruͤcht war/ ſo bald nachge-
laſſen/ als ſie lauter ungrund antroffen/ ſondern ob ſie wohl von uns ſchrifft und
muͤndlich erſucht wurden/ fernere inquiſition anzuſtellen/ nicht werth geachtet
haben. So haben wir prediger dieſes jahr in mehrern conventibus austruͤck-
lich alle ſolche ſpargimenten unterſucht/ und was jeglichen vorgekommen iſt/ nicht
nur zu ſammen getragen/ ſondern wuͤrcklich examiniret/ was davon wahr oder
nicht wahr waͤre. Da ſich endlich nach allem nichts das ſonderbahrer andung o-
der dergleichen geſchreyes werth geweſen waͤre/ gefunden hat. Wolte GOTT
J ies
[248[250]]Das ſechſte Capitel.
es waͤre damit aber auch dem luͤgen teuffel das maul geſtopffet/ und den leichtglaͤu-
bigen/ ſo ſich davon/ was ſie einmahl gehoͤret/ nicht abwenden laſſen wollen/ der
glaube der wahrheit hinwiederum beygebracht worden. Aber es hat der ertzlaͤ-
ſterer ſeine ſonderbahre kuͤnſte hiebey/ und ſuchet auch bey denjenigen/ die gleich-
wohl profeſſion wegen mehr Chriſtlicher liebe haben ſolten/ die einmahlig gefaſte
meinung ſtaͤts zu erhalten/ hat auch ſeine inſtrumenten/ ſo er darzu gebraucht/
ſelbſt in unſerer ſtatt/ ſonderlich iſt ein ſtudioſus, welcher durch anderer untertruͤ-
ckung ſein fortun zu ſuchen ſcheinet. Der HErr gebe es allen denen zu erkennen/
ſo ſich an mir und andern in dergleichen dingen verſuͤndigen/ und verzeihe es ihnen
in gnaden. Von Eure Hoch-Wohl-Ehrw. groſſer affection und Chriſt-Theo-
logi
ſcher ſo prudenz als auffrichtigkeit/ bin ich gantz verſichert/ daß ſolche gleich
wie bißher alſo auch kuͤnfftig ihro nichts widriges gegen mich/ ohngehoͤrt meiner/
wie ich dann uͤber alles rechenſchafft zu geben mich getroſt erbiete/ bey bringen laſſen
werden. 9. Augiſti 1678.


SECTIO XXXIV.


Daß das Roͤmiſche Babel noch groſſe gewalt aus
uͤben werde. Erklaͤhrung meiner und
Horbii lehre.


DEn zwar in particulari nicht bekanten/ mir aber von dem Herrn confra-
tre
mit etlichen worten angedeuteten betruͤbten und gefaͤhrlichen zuſtand be-
jammere hertzlich. Der Vater der barmhertzigkeit ſeye auch ihm ein
GOTT des kraͤfftigen troſtes und ihre huͤlffe in der noth. Es iſt nicht nur muͤg-
lich ſondern eher vermuthlich/ daß GOTT dem Roͤmiſchen Babel vor ſeinem
letzten bevorſtehenden untergang gegen das ſuͤndliche Jeruſalem eine groſſe gewalt
und ſucceß geben werde/ damit deſſen ſeine uͤbermachte ſuͤnden geſtrafft/ und hin-
gegen durch die grauſamkeit an den wahrhafftig heiligen/ ſo in jenem noch verbor-
gen geweſen/ veruͤbet/ jenes Babels gerichts endlich ihm ſelbſt nach erfuͤlltem maß
der ſuͤnden uͤber den halß gezogen werde. Der HERR wird aber vor die ſeine ſor-
gen. Jm uͤbrigen zweiffle nicht/ mein Hochgeehrter Herr Pfarrer werde ſeit-
her auch vieles ungleiches von mir/ ſo dann meinen geliebten Schwager Herrn
Horbio, gehoͤret haben/ wie ſonderlich ihre gegend von dergleichen faſt erfuͤllet iſt.
Hier iſt aber weder zeit noch platz einen gnugſamen bericht zu ertheilen: Nur ſte-
het meine hertzliche bitte/ er wolle ſich nicht mit ungleichem urtheil/ wie ſo viel ande-
re gethan/ an Chriſtlicher liebe verſuͤndigen/ auch andere davon abwarnen/ daß ſie
ob wohl von niemand gefordert wird/ daß ſie etwas billichen/ ſo ſie nicht aus dem
grund
[249[251]]ARTIC. I. DISTINCT. II. SECTIO XXXIV.
grund erkant/ gleichwohl auch nichts laͤſtern noch verdammen/ davon ſie auch kei-
nen gnugſamen bericht haben. Mit etlichen worten mich zu erklaͤhren/ ſtehe ich
durch GOttes gnade feſt in der einmahl erkanten Evangeliſchen wahrheit des hei-
ligen vorſatzes/ auch mein lebtag dabey zu beharren. Jch bin von niemard noch eini-
ges irrthums in der religion nahmentlich beſchuldiget worden/ ob wohl viel geſchrey
hin und wieder geweſen/ daß man an meiner orthodoxia zweiffle/ niemand aber ei-
nigen articul anzuzeigen annoch das hertz gehabt/ vielweniger daß ich etwas uͤber-
zeugt worden waͤꝛe. So ligt meine catechiſmus erklaͤhrung an dem tag/ woꝛinnen
uͤber alle articul ſolche meine erklaͤhrung gethan/ daß von keinem einiger zweiffel
uͤbrig ſeyn mag; Dem freyen willen eigne ich ſo gar keine kraͤffte zu/ daß ich beken-
ne/ daß der menſch zu ſeiner bekehrung aus eigener krafft nicht mehr zu thun ver-
moͤge/ als ein todter zu ſeiner aufferweckung. Dem heiligſten verdienſt Chriſti
entziehe ſo gar nichts/ daß ich es hoͤher erhebe/ als vielleicht einiger meiner
heimlichen widerſacher thun mag/ in dem ich demſelben zuſchreibe/ nicht nur allein/
daß wir bloß durch daſſelbe vermittelſt des daſſelbe añehmenden glaubens allein vor
GOtt gerecht und ſelig werden ohne mitwuͤrckung eines einigen unſers wercks/ ſon-
dern daß auch ſolche gerechtfertigte aus krafft ſolches verdienſts nachmahl vermoͤ-
gen ein rechtſchaffenes weſen in CHRJSTO JESU zu fuͤhren/ in dem ſein
todt unſer ſuͤnde toͤdtet/ daß ſie ins kuͤnfftige eben nicht mehr bey uns herrſchen muͤſ-
ſe/ und ſeine aufferſtehung uns eine neue eines heiligen gottſeligen lebens krafft
mittheile; alſo entziehe ich der krafft des glaubens nichts/ ſondern erkenne/ daß
wir allein daraus ſelig werden/ aber ich kan nicht zugeben/ daß etwas vor den
wahren glauben gehalten werde/ was nur eine fleiſchliche ſichere einbildung iſt/
und dem menſchen in ſeinem alten ſtande laͤſſt/ ſondern ich erkenne allein das jenige
vertrauen vor den wahren glauben/ welches goͤttlich iſt/ und alſo den menſchen ſo
bald zu einem andern menſchen zu machen anfaͤngt/ und fortfaͤhret. Ohne ſolchen
glauben mag uns tauff/ abſolution/ abendmahl nichts helffen; welches kraͤfftige
mittel ſind von feiten GOttes ſeine gnade anzubieten/ wo aber wir den glauben
nicht haben/ ſo werden wir ihrer nicht theilhafftig. Dieſes iſt meine erklaͤhrung
uͤber einige puncten/ dero ich mich in ihrer nachbarſchafft verdaͤchtig gehalten zu
ſeyn berichtet worden. Was meinen geliebten ſchwager Herrn Horbium anlangt/
ſo ſeye er gewiß/ daß auch ſolcher nicht anders als ich lehre/ und treibe. Ob er
nun wohlen von ſeiten Pfaltz ſeiner inſpection erlaſſen worden/ ſo troͤſtet er ſich des
guten gewiſſens/ bereit vor allen unpartheyiſchen zu ſtehen und ſeiner ſache grund/
da es noͤthig/ zu geben. Der HERR erbarme ſich ſeiner kirchen/ und ſehe deroſel-
ben von innen und außen gefaͤhrlichen zuſtand in gnaden an. Hoffe mein Hochge-
ehrter Herr werde dieſe meine bitt u. erklaͤhrung nicht in uͤblen auffnehmen/ als der
ich veꝛlangt habe eine gelegenheit zu finden an einen der Hochgeehꝛten Heꝛꝛn Paſto-
J i 2rum
[250[252]]Das ſechſte Capitel.
rum ihrer gegend zuſchreiben/ aber biß daher niemanden gewuſt/ an dem
mich zu addreſſiren gewuſt haͤtte. Es ligt mir endlich an menſchlichem urtheil
nicht viel/ der ich allein auff den HErrn gewieſen bin zu trachten/ daß ich ihm ge-
fallen moͤge/ in deſſen tringt mich auch die liebe/ wo ich ſorgen muß daß einige ſich un-
wiſſend an mir und andern verſuͤndigen moͤchten/ denſelbigen mit noͤthigen bericht
an hand zu gehen. etc. 14. Sept. 1678.


SECTIO XXXV.


Was 1678. vorgegangen. Troſt uͤber eines
guten freundes vatern todt. Joachim Stollii abſchied
und
elogium.Was wegen geiſtlichen Prieſterthums vor-
gegangen.
D. Hannekenii dedication.Gefaͤhrlicher anſchlag
gegen mich von GOTT abgewendet. Balthaſer Rebhan.
Etwas ohne meinen willen getruckt. Horbii begegnuͤß.
Truck meiner Poſtill.
Studium Apocalypticum. Com-
mentarii
von mir in tabellen gefaßt.Coc-
cejus. Grotii
geſchrieben werck.


ES ſolte mich zwar die perſoͤnliche gegenwart und muͤndliche unteꝛꝛedung mir
einen ſolchen werthen freund inniglich ergoͤtzet haben/ weil aber auch dem
liebſten Vater in dem himmel es anders gefallen/ unſere gegenwaͤrtige be-
gehung annoch nicht zuſchicken/ laſſe ich es auch billich in ſeinen heiligſten willen ge-
ſtellet ſeyn/ und achte ſeine fuͤgung ſeye beſſer und heiliger/ als auch unſer beſchei-
nendes verlangen. Vielleicht erfuͤllet der guͤtigſte Vater das kuͤnfftige jahr/ was
uns noch in dieſen verſagt geweſen/ und verleihet gnade/ daß wir etwa mit mehrer
frucht als dann beyſammen ſeyen als noch dießmahl nicht geſchehen waͤre/ u. ers e-
ben alſo auch darum weißlich verſchoben hat. Wegen intimirten todes falls ſeines
liebſten leiblichen Vaters/ wuͤnſche ich von dem rechten Vater uͤber alles/ was da
kinder heiſt im himmel und auff erden/ nicht nur aus ſeines geiſtes krafft eine hertz-
liche ruh in ſeinem willen/ und troͤſtliche erwartung der kuͤnfftigen erfreulichen wie-
derzuſammenkunfft/ ſondern auch daß ſeine himmliſche treue meinen liebſten bru-
der an ihm ſelbſt unmittelbahr/ alles das jenige erſetzen wolle/ was an einem irrdi-
ſchen Vater/ deſſelben treue vorſorg und gebeth zu erwarten geweſen waͤre. Er
iſt uns einmahl/ wo wirs erkennen wollen/ alles/ u. wir erkeñen es alsdann am deut-
lichſten/ wo er viele deꝛjenigen wegnim̃et/ in welche er uns etwas geweſen waꝛ. Deꝛ-
ſelbige
[251[253]]ARTIC. I. DISTINCTIO. II. SECTIO XXXV.
ſelbige guͤtige Gott ſtehe auch ſonſten in allẽ cꝛeutz bey/ helffe dz veꝛgãgene verſchmer-
tzen/ erſetze mit ſegen allen verluſt/ und lege nicht mehr auff/ als ſo viel er zur ver-
heiſſung ſeines nahmens und eigener pruͤffung und uͤbung noͤthig erkennet. Dañ
was ſolcherley arth leiden iſt/ haben wir uns laͤngſt darzu verſtanden/ ſolche willig
aus der hand des HErrn auffzunehmen. Jch habe auch den 21. Apr. einen treu-
en ſreund und gleichſam vater verlohren Herr Joachim Stollium/ 31. jaͤhrigen
Hoffprediger in meinem patria zu Rappolsweyler. War in allen ſtudiisungemein
und gruͤndlich gelahrt/ der ſeiner gemeinde mit groſſer treu und fleiß/ auch aus lie-
be derſelben mit hindanſetzung anſehnlicher anderwaͤrtlicher vocationen/ und da-
her eigenen vortheils/ vorgeſtanden; Deme ich auch unter menſchen die erſte igni-
culos
eines wahren Chriſtenthums/ und meine ſtudia zu dem rechten zweck zurich-
ten/ den antrieb und theils man uduction/ auch was mein GOTT in den pre-
digen gegeben hat/ bey dem text preſſe zu bleiben/ und die lehren daher aus zu zie-
hen/ zu dancken habe. Welche treue er mir bereits erwieſen ehe noch einige ab-
ſonderliche verbuͤndnuͤß geweſen/ oder man an dieſelbe gedencken koͤnnen. Ob wol
nachmahl geſchehen/ da er bereits 13. jahr ſeinem amt in cœlibatu vorgeſtanden/
daß er aus liebe zu mir und zu troſt meiner verwittibten lieben mutter/ ſich an mei-
ne liebe aͤlteſte ſchweſter verheurathet/ und mit derſelben die zeit uͤber gelebt. Da-
her von ſolcher zeit ſo viel mehr die vorige freundſchafft durch ſolches bande verdop-
pelt worden. Er iſt auch derjenige/ deſſen die ſecunda epicriſis zu meinen piis
deſideriis
iſt. Dieſen hat auch der HERR uͤber todt und leben in dem 63. jahr
ſeines alters nach zimlich lang auß geſtandener ſchwachheit in ſein reich auffgenom-
men. Und habe ich nur zu bitten/ er wolle ihm auch vor die mir und den meinigen zeit
ſeines lebẽs erwieſener treu eine crone an jenem tage auffſetzẽ. Alſo gehẽ wir alle nach
einander hin/ den weg alles fleiſches/ ob wir uns wohl befleiſſen/ nicht nach dem fleiſch
ſondern nach dem Geiſt zu wandlẽ/ u. wiſſen/ das wir am abſchied nichts als eine uns
beſchwerliche laſt ablegen. Laſſet uns aber bey jeglicher ſolcher unſer vorgaͤnger zeit-
lichen ableiben allemahl ihr ende anſehen/ uñ ihrem glauben folgen/ biß die reyhe uns
auch treffe/ und die ſtunde der erloͤſung komme. Was meinen zuſtand anlangt/
wird zuweilen Herr N. unſer bruder und treuer freunde einigen bericht gegeben
haben. Jch dancke meinem GOtt/ welcher mir kraͤfftig beygeſtanden/ das jenige
unterſchiedliche ſo mich bißher betroffen in ſeiner gnade mit gedult zu uͤberwinden/
und aus jeglicher begegnuͤſſen etwas mehr vorſichtigkeit zu lernen. Ach wie guͤtig
iſt in allen ſolchen ſtuͤcken der rath unſers GOttes! Welcher offter mahls auch un-
ſere beſtgemeinte intention/ wie wir das gute zu befoͤrdern gedachten/ etlicher
maſſen unterbricht/ da er uns eine beſſer arth an die hand gegeben/ oder aus aller-
hand gelegenheit uns zu einer mehreren klugheit der gerechten bereiten will. Jn
dem Februario wurde die wiederaufflag des Geiſtlichen Prieſterthums/ ſo zu
J i 3trucken
[252[254]]Das ſechſte Capitel.
trucken bereits angefangen inhibiret/ alſo daß es auff einer Univerſitaͤt zuvor
muͤſſe cenſiret werden. Unſer gantzes Miniſterium nahm ſich der ſachen an/ als
welches gantz daſſelbe vor einen jahr approbiret hatte/ dahero ohne ſeine beſchim-
pfungen nicht anderer neuer cenſur ſubmittiren moͤchte. Wir wurden aber
nicht gehoͤret/ und iſt auff dieſe ſtunde die an den rath eingegebene Schrifft noch
nicht verleſen werden. Der verlaͤger erlangte von Churſachſen ein privilegium
auff dieſes und andere meine Schrifften. Dieſes und einige andere incidentia
haben durch GOttes ſchickung gefuͤgt/ daß es wieder in dieſer meß zu ſamt den la-
teiniſchen piis deſideriis herausgekommen. Damit alſo nicht nur den jenigen/ ſo
darnach verlangen tragen/ geholffen/ ſondern auch das ſchwere præjudiz von mir
genommen wuͤrde/ daß ſelbſten alhier meine ſachen nicht doͤrfften getruckt werden.
Es verlautete nach ſolchem/ man wuͤrde mir meine hausuͤbung oder Collegium
verbiethen/ war aber nichts/ wie dann noch nicht ein einiger der Herrn gegen mir
in gegenwart nur einiges mißfallen dargegen bezeugt. Doch verlautet es/ daß
die conſilia obhanden/ daß es in die kirch transferiret werden ſolte/ welches mir
der groͤſte gefallen und wohlthat ſeyn wuͤrde. Jn deſſen haben die calumniæ
aller orthen mehr und mehr gewaͤhret/ die mir ſchrifftlich und muͤndlich vorgekom-
men. Jch aber troͤſte mich meiner unſchuld/ bete und verlange daß die jenige ſo
ſich an mir verſuͤndigen/ keine andere ſtraffe haben moͤgen/ als daß ſie ihr unrecht
erkennen/ ſich vor ſich ſelbſt und vor GOTT ſchaͤmen/ und hinkuͤnfftig das jenige
ſelbſt zu befoͤrdern/ was ſie vorhin gehindert und gelaͤſtert haben/ die gnade empfan-
gen moͤgen. Jetzo fangt es an/ nun etwas weniges ſtiller zu werden. Doch
wird der teuffel ſeine tuͤcke nicht laſſen. Herrn D. Hannekenii dedication/ habe
ich ziemlich ſpaͤth zuſehen bekommen/ und darauff einige theſes und ἐκϑέσεις nach
Gieſſen geſchicket/ ſo ich nicht zweiffle von unſerm geliebten Herrn N. communi-
ciret
ſeyn werden/ auff die ich verſichert bin/ das weder der zornigſte adverſarius
noch andere ſo leicht antworten ſollen. Es hat ſich aber jener auff befragen allein
ſo viel heraus gelaſſen/ er habe mich nicht gemeint: Nun waͤre einem unſchwer zu
zeigen/ daß er mich gemeinet ex alleg: duorum locorum Chryſoſt. welche noch
von niemand als mir eo modo allegiret/ aber ich laſſe es gern gehen/ und begehre
keinen feind/ der es ſelbs zu ſeyn nicht verlangt/ als der ich den frieden/ wie wir
ſchuldig ſind/ liebe. So verhoffe auch/ es werde der liebe D. Hannekenius ſelbſt
dermahleins ſich beſſer in die ſache finden/ wo andere flabella nicht mehr werden
vorhanden ſeyn. Jch ſtelle alles in den willen GOttes uñ ſeine heilige providenz.
Vor etwa 2. monaten waren gefaͤhrliche conſilia gegen mich geſchmiedet/ und hat-
ten an dem ſollen ausbrechen: Aber GOtt lebte noch/ der dorten den David er-
errettete. 1. Sam. 23/ 26. 27. 28. Es ſcheinet/ jetzo einem/ welcher ſeine autoritaͤt
vornehmlich gegen mich mißbrauchen moͤgen/ eine ſtarcke hinderung von GOTT
vorgeſchoben ſeyn; Der HERR gebe/ das es zu ſeiner aͤnderung gereiche/ dar-
an
[253[255]]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XXXV.
an er ſelbſt und andere nutzen haben moͤgen. Quam mirabilis es Domine in viis
tuis!
Jedoch wirds an adverſariis darum nicht manglen/ mit ſo viel mehr tren
und fleiß ich inskuͤnfftige durch goͤttliche gnad das werck des HErrn treiben werde.
Denn der teuffel laͤſt ſeine arth nicht/ und GOttes heilige weißheit findts noch nicht
gut/ ihm die haͤnde allerdings zu binden. Rebhans ſeriptum hat mich wenig af-
ficiret
/ in dem kein cordatus etwas darauff achten wird. Es iſt eine allgemeine
beſchuldigung/ die ſich eben damit verrathet/ daß kein grund da ſeye/ weil er nicht
das hertz hat zu ſagen/ worinnen er meine lehr unrein achte. Sonſt weiß ich wol/
daß ich derer einer bin/ an denen GOtt noch taͤglich zu reinigen hat: Daher ich
meine unreinigkeit ſelbſt weder leugne noch gefallen daran habe. Es halten einige
den nahmen pro ficto/ und ſolle NN. arbeit ſeyn; doch bin ichs nicht
verſichert der HERR laſſe den autorem zu ſeines unrechts erkaͤntnuͤß
kommen. Es hat ſonſten NN. bereits vor einem jahr/ einige theſes
edi
rt/ darinnen er ob wohl ſuppreſſo nomine meine predigt uͤber die phra-
ſin Lutheri:
daß ein Chriſt ſagen moͤge/ er ſeye CHRJSTUS/ ſtarck ange-
fochten/ und die lehr in gefaͤhrlichen verdacht gezogen/ ich habe aber nicht werth ge-
achtet/ deswegen mich zu vertheidigen. Jſt aber mir leid/ daß ohne mein ſchuld
faſt an ihn gerathe/ in dem vor einigen monaten ein prediger/ den ich aus allem vor
einen frommen Chriſtlichen man halte/ an mich geſchrieben/ und aber ſolche und an-
dere theſes zu ſeinen unterricht meine erklaͤhrung und antwort verlangt/ damit ich
ihm willfahrt/ es hat aber der liebe mann zu viel gefallen daran gehabt/ und wie er
ſchreibt/ es vor ſuͤnde geachtet/ ſelbiges vor ſich zu behalten/ ſondern hat es ohne
mein wiſſen trucken laſſen. Dabey mir ſolches das beſchwerlichſte/ daß N. N.
nahmen mit auff dem titul ſtehet/ wider den es geſchrieben ſeye/ da ich doch mit kei-
nem mich in dergleichẽ ſtreit Schꝛifftẽ einzulaſſen gedencke/ er auch meines nahmens
geſchonet: ſo dann meine præfation bey getruckt/ die ob wohl meiſtens aus meinem
ſchreiben genommen/ gleichwohl nicht gantz von mir erkant wird. Jch habe ſo bald
dahin geſchrieben u. mich beſchwehret/ auch dabey geſordert/ man moͤgte die. erſten
bogen biß auff meine eigne arbeit weg thun/ und andere ſo ich darzu geſchickt/ an die
ſtatt trucken. Jſt mir leid dz ich aus unbedachtſamkeit eines unbekanten ſreundes/ ſo
an mich geſchrieben hatte/ in die geſahr eines fedeꝛkꝛieges ſolle geſetzt weꝛden. Jedoch
der HErr wird alles richten u. wohlſuͤgen. Was meinẽ geliebten Schwager Herrn
Horbium anlangt/ ſo wird anderwertlich her vielleicht bereits bekant ſern/ was
endlich der ausgang ſeiner ſachen geweſen/ nehmlich daß er von Pfaͤltziſcher ſeite ab
officio
wie anfangs ſuſpendiret/ alſo nachmahls vor 2. monaten removiret wor-
den. Das haus Baden aber widerſetzt ſich/ und will weder den Pfaͤltzi-
ſchen ſolche macht geſtehen/ noch zu geben/ daß ſie es ſo unbillich gebrauchen. Jn-
deſſen iſt er durch GOttes gnade gantz getroſt aus dem zeugnuͤß ſeine s gewiſ-
ſens/ und weiß eine gerechte ſach zu haben/ demuͤthiget ſich aber unter die gewaltige
und
[254[256]]Das ſechſte Capitel.
und heilige hand ſeines GOttes/ wartende/ was deren befehl u. fuͤgung inskuͤnfftig
uͤber ihn ſeyn/ u. was er ihm vor einen platz/ da er ihm diene/ asſigniren wolle. Er iſt
jetzt einige wochen bey mir hier/ und ſegnet GOtt ſeine anweſenheit zu ſtaͤrckung un-
ter einander. War mir alſo viel lieber/ das meines geliebten bruders Vetter Herr
N. nechſt hierher gekommen/ eben als er auch ſchon da ware/ da wir an ihm und
ſeinen geſpraͤch hertzlich vergnuͤgen gehabt/ hingegen ich auch nicht zweiffle/ daß er
an Horben ſehr vergnuͤgt wird worden ſeyn/ war mir nur leid/ daß die zeit allzu
eng geſpannet geweſen/ in dem er ſo bald ſolgenden tags/ da wir abends nur einige
ſtund mit einander reden konten/ verreiſen ſolte. Hoffe aber die angefangene
freundſchafft ſolle auch in abweſen continuiret werden. Jch habe in ihm ein recht-
ſchaffen fundament einer wahren Theologiæ angetroffen und erkant/ daher
auch mich verſichert halte/ er ſeye alſo durch goͤttliche gnade gegruͤndet/ daß etwa die
ſonſten leider auff Univerſitaͤten ſchwebende aͤrgernuͤſſe/ deren viele nicht aͤrger-
nuͤſſe ſcheinen zu ſeyn/ ſondern gelobet werden/ von der rechten bahn ihn nicht wer-
den abwenden/ noch der arge ihn uͤberwinden. Der HERR ſeye mit ſeinem hei-
ligen guten Geiſt ſein lehrer/ fuͤhrer und treiber. Daß die außfuͤhrung der frag
von den fundamentalibus wol beliebet/ iſt mir auch hertzlich lieb/ ſo dann auch
daß ſolche mit ſolcher vorſichtigkeit tractiret werde/ nicht jederman zuweiſen. Wie
ich mir nicht laſſe zu wider ſeyn/ daß ſie vertrauten gottſeligen gemuͤthern/ nach
dem mans entzlich findt/ gewieſen werde. Derſelben gutachten davon zu wiſſen/
doch lieber ohne als mit meinem nahmen. Die ſache hoffe ich ſeye/ wie bey mir
gewiß/ alſo andern und rechtſchaffenen gemuͤthern leicht beygebracht/ welche
nicht mit præconceptis ſich einehmen laſſen. Doch moͤchte eine zeit auch kom-
men/ da noch mehrere vorbereitung dergleichen warheiten freyer doͤrfften bekandt
werden. Was ſonſten meine arbeit anlangt/ ſo iſt unter der preſſe eine Poſtill
von dem vorigen 1677. jahr-gang/ da der eingang allemahl ein capitel oder theil der-
ſelben aus den epiſt. Pauli an die Roͤmer und Corinther genom̃en iſt. Darin erſt-
lich die explicatio literalis und was zur glaubens-lehr dienlich/ nachmahls die
nothwendigkeit und muͤglichkeit des thaͤtlichen Chriſtenthums/ letzlich die noͤthigſte
lebens-reguln geſetzet werden/ nach dem das capitel zu allem ſolchem gelegenheit
gegeben: auff dieſes wird aus dem Evangelio ein oder zwey vers wie mir dieſelbe
in ſolchem jahr in der ordnung vorgekommen/ erklaͤhret/ und letzlich eine wichtige
hauptlehr daraus gezogen/ und ſo bald ein ſpruch Neues Teſtaments in dem dieſel-
be enthalten/ nicht nur angefuͤhret/ ſondern/ als viel geſchehen kan/ mit erklaͤhret.
Wie ſolches deſſen jahrs methodus geweſen/ und durch goͤttliche gnade nicht we-
nig erbauliche materien vorgekommen ſind. Damit aber denjenigen auch an
die hand gegangen werde/ welche des gantzen Evangelii erklaͤhrung kuͤrtzlich ver-
langen/ ſo wird allemahl noch beygefuͤget/ eine ſolche ſondere erklaͤhrung von vers
zu
[255[257]]ARTIC. I. DIST. II. SECT. XXXV.
zu vers. Es koſtet noch zimliche arbeit/ jedoch hoffe ich/ wo GOtt gnade und ge-
ſundheit gibt/ daß das werck auff Oſtern ſolle fertig ſeyn. Der HERR ſtehe mit
ſeiner gnade mir bey/ das einige frucht bey einigen dadurch moͤge geſchafft werden:
wie ich hoffe/ einigerley maſſen dardurch zu zeigen/ wie man/ nach dem man eben
ſo gar an die Sontags Evangelia gebunden/ moͤge doch bey derſelben abhandlung
auch andere nuͤtzliche orth mit einziehen. Betet in deſſen auch vor mich den HErrn/
der nichts wolle laſſen mit einflieſſen/ das nicht ſeiner wahrheit gemaͤß/ und zur
erbauung dienlich ſeye. Die vertroͤſtete arbeit des unbekanten freundes wird mir
zu ſehen ſehr lieb ſeyn. GOTT erfuͤlle ihn in ausfertigung derſelben mit dem
Geiſt der warheit/ klugheit und krafft. Ach daß doch ihrer mehrere ſolches noͤthig-
ſte werck mit eyffer angreiffen/ und es auch allgemach von dem rath/ ſchreiben und
reden zur wuͤrcklichen handanlegung komme. Nun der HERR wird uns immer
weiter fortfuͤhren/ wo wir uns bey der hand leiten laſſen. Die ſache kan gantz wol
geheim bleiben/ ſo iſt auch/ wo das werck zu publiciren, die beyſetzung des nah-
mens nicht eben nothwendig. Was zu der edition von mir geſchehen kan/ werde
willig ſorge zu thun. Aber jetzo gehets bey mir ſchwerer her/ guter freunde werck
zu befoͤrdern/ nachdem nichts allhier ſine cenſura academica ſolle getruckt wer-
den. Doch wollen wir ſehen/ was GOtt vor gelegenheit zeigen wird. Was
das ſtudium Apocalypticum anlangt/ leugne ich nicht/ daß ich ſonderlich vor
deme nicht wenig zeit darauff geleget; auch noch wo ich kan gern an das liebe buch
gedencke/ worinnen der HErr die fata ſeiner kirchen offenbahren laſſen. Jch ha-
be/ als ich zu Strasburg uͤber meine Diſp. inaugural: de Angelis Euphratæis
oder Tuba ſexta Apoc. 9. arbeitete/ uͤber 50. oder 60. autores uͤber ſolches buch
durch geleſen/ maſſen man in deſſelben buchs erklaͤrung von keines mannes ar-
beit uͤber ein capitul mit grund urtheilen kan/ man habe dann ſeine gantze cohærenz
uͤber das gantze buch erkant/ und alſo alles geleſen. Daher ich noch bey handen habe
die extracta wol auff 40. autorum, auch jeglichem meinſtens in voͤlligen tabellen,
was deroſelbẽ erklaͤhrung uͤber die gantze apocalypſin ſeye von anfang zu ende/ jeg-
lichen zu 1. 2. 3. bogen/ daß allemahl ſothaner autorum gantze erklaͤrung gleich
vor augen haben/ und einen mit dem andern conferiren kan. Aber ich muß da-
bey bekennen/ daß jemehr man faſt uͤber ſolches buch lieſet/ ſo viel perplexer wird
man in den meinſten materien. Und gehoͤret gewißlich ſo wol hertzliches gebeth
als gottſeliges nachſinnen darzu/ in ſolchem buch das jenige zu finden/ ſo uns zur er-
bauung dienen mag. Jch erkenne meine ſchwachheit/ und wie ein ſchwaches licht
ich noch darinnen habe. Die projectirte theſes ſind bey mir auſſer allen zweiffel/
achte auch nicht/ daß man ſonderliche gefahr habe/ ſie alle offentlich zu bekennen/
als welche gegen die analogiam noſtræ confeſſionis im wenigſten ſtꝛeiten. Jch ha-
be die beyde de Judæorum converſione uñ lapſu Romæ papalis mit ſuffragiis
autorum,
weil es ja leider dahin gekommen/ daß man nichts mehr kuͤhnlich bloß ſa-
K kgen
[256[258]]Das ſechſte Capitel.
gen darff/ man zeige dann auch/ daß andere menſchen ſolcher warheit beygepflichtet.
Tanquam Sp. S. humana egeret confirmatione) genugſam bekraͤfftiget.
Sonderlich was die eine de Judæorum converſione anlangt/ daß ſie nicht viel
weniger als catholica ſententia allezeit geweſen/ und nun von einiger zeit her an-
gefangen in abgang zu kommen. Stehen nun ſolche beyde hypotheſes, ſo wird
noch viel folgen/ das vielleicht viele der jenigen noch nicht vorgeſehen/ welche ſon-
ſten vor dieſelbe geſtanden. Coccejum bekenne ich noch nicht geleſen zu haben: ob
ihn wol auff die bibliothec geſchafft/ will aber ſehen/ daß ich darzu die zeit finde/
dañ ich æſtimire den man in andern ſeinen ſcriptis hoch. Was aber anlangt die
7. brieffe voran in der offenbahrung/ weiß ich davon faſt weniger als von einem
ſtuͤck des gantzen buchs zu ſagen. Jch verwerffe die application derſelben auff
die periodos der kirchen nicht/ aber ich habe doch deſſen keine rechte verſicherung.
So faſſe ich meines liebſten bruders meinung nicht/ was er meine/ da die 7. perio-
di
auch in den 7. ſiegeln und 7. poſaunen vorgeſtellet werden: Ob nemlich derſel-
be alle ſolche ſeptenarios vor ſynchronos halte. Wo ich bekennen muß/ daß ich
ſolches nicht darvor halten koͤnte/ ſondern nichts anders achte/ als daß die poſaunen
auff das ſibende ſiegel gehoͤren. Wie hingegen auch die 7. ſchaglen in die ſechſte
poſaun meiner meinung nach fallen. Jſt ihnen Peganii tractaͤtlein in apoca-
lypſin
bekant/ welches zimlichen theils aus Joſepho Medo genom̃en/ aber ſehr viel
ſolides in ſich faſſet: Hier iſt auch ein MS. commentarius eines neulich verſtor-
benen autoris Grellotii geweſenen Reformirten Predigers ſo zimlich groß/ und al-
ſo ſich noch kein verleger darzu finden wollen. Es iſt groſſe erudition darinnen/
und erklaͤhrt er die figuras apocalypticas mit einer ſonderbahren dexteritæt ſelbſt
aus den Juͤdiſchen ſchrifften. Und zeigt/ wie faſt alles auch in dem Talmud und
den Juͤdiſchen buͤchern dergleichen zufinden/ daß dieſe arme leuthe wol viele warhei-
ten in ihren buͤchern haben/ aber gantz unrecht applicirt und verkehrt/ Stante ſen-
tentia de regno Chriſti in his terris glorioſo,
welches ſo viele Engellaͤnder
und andere Reformirten vor ſich hat/ ſo gehet gedachter commentarius ſehr kraͤf-
tig/ daß daraus den Juͤden gewieſen werden moͤchte/ ſie erwarteten nicht vergebens
des Meßiaͤ/ aber eben deſſen/ welches erſte zukunfft ſie vorhin verachtet ha-
ben. Will im uͤbrigen bey gebender gelegenheit von dieſer materie gern con-
feriren
/ als viel mir GOtt gnade geben/ und mich freuen von allen bruͤdern/ auch
darin zu lernen. 12. Oct. 1678.


SECT.
[257[259]]ARTIC. I. DISTINCT. II. SECTIO XXXVI.

SECTIO XXXVI.


An einen vornehmenTheologum.Einige be-
gebẽheiten in Franckfurt. Einiger anſtoß von leibes ſchwach-
heit. Rebhan. Dilfeld. D. Pomarius. D. Hannekenius. Ob
anderer Religions verwandte in mein
Collegiumkom-
men. Regierſucht der
academien.Lateini-
ſche
editionderpiorum deſideriorum.


SO iſts freylich/ wie er ſchreibet/ daß wo wir den Satan ſein reich angreif-
fen/ ſo wuͤtet er/ und ſolches ſo viel ſchrecklicher/ als mehr er ſchaden anfangt
zu fuͤhlen. Welches mir ein nicht geringes zeichen iſt/ daß unſere arbeit all-
hier in dem HErrn nicht muͤſſe vergebens ſeyn/ alldieweil er ſich ſo hefftig widerſe-
tzet/ und nicht nur einerley art ſeiner waffen gegen uns gebrauchet hat/ und noch
brauchet. Aber dem HErrn ſey ewiger danck/ welcher uns noch immer einen ſieg
nach dem andern erhalten laͤſſet daß bald die unwarheit der laͤſterungen an des ta-
ges liecht kommet/ bald einige widrig-geſinnete gemuͤther entweder gewonnen/ o-
der durch andere hindernuͤſſen abgewendet werden/ nicht mehr ſich feindſelig zu be-
zeigen/ bald ſonſten einige boͤſe anſchlaͤge zu nichte werden. Einiges von ſolchen
dingen/ was bißher/ hier und hierum paſſiret wird etwa Herr N. communici-
ren. Was aber das jenige/ darauff mein liebſter bruder ziehlet/ anlangt/ iſts in
dem Februario geſchehen/ daß einer Adelichen jungfrauen/ von GOTT mit vor-
trefflicher erkaͤntnuͤß begabet/ die mit ihrem gottſeligen wandel und ungemeiner
gabe/ bey andern guten hertzen/ welche ſie befucht/ und mit dem ſie umgangen/ vie-
les erbauet hat/ u. an deren auch die welt nichts anders zu ſtraffen finden wuͤrde/ als
was vor GOTT zum lobe dienet/ und ſie ſie daher nicht leiden kan/ von rahts we-
gen iſt angedeutet worden/ ſie moͤchte ihren ſtab weiter ſetzen. Es war ein zimli-
ches verſehen/ einer perſon/ die niemal beklagt/ weniger zu einiger verantwor-
tung gelaſſen worden/ dergleichen an zuzeigen/ und wo ſie ihrer Adelichen rechten
ſich gebrauchen wollen/ ſolte es etwa einige weiterung haben geben koͤnnen. Aber
ſie war entſchloſſen/ ſo bald zu weichen/ wo nicht ich und andere gute freunde ihr re-
monſtriret,
daß ſolches nicht zu thun ſeye (ſiehe Art. 1. 6. 37.) daher ſie ſolgenden
tages ein memorial bey rath uͤbergeben/ ihre unſchuld bezeuget/ und ſich uͤber ſol-
ches an ſinnen beſchweret; worauff es wieder ſtille worden/ und ſeithero nichts mehr
gegen ſie vorgegangen. Jm gleichen geſchahe auch einem Chriſtlichen ſtudioſo,
der aber auff gleiche weiſe begegnete. Seiter dem hat man ingehalten. Und
K k 2weil
[258[260]]Das ſechſte Capitel.
weil vermuthe/ daß ein blaßbalg in der nachbarſchafft moͤchte etwas ſtiller werden/
ſo doͤrfften wir wol eine weile ſtille bleiben/ biß der HErr wo wir etwa mehr erſtar-
cket/ uns zu wichtigern proben der gedult fuͤhren moͤchte. Dem alles befohlen ſeyn
ſolle. Gleich wie auch/ mein werther bruder ſchreibet/ mit einiger unpaͤßlichkeit
heimgeſuchet worden ſey (da aber vor die reſtitution dem Hoͤchſten danck ſeye/ der
auch die geſtaͤrckte kraͤffte wiederum zu ſeinen ehren anwenden laſſen wolle)
Alſo habe auch ich dieſes jahrs nach des himmliſchen Vaters willen nicht nur in dem
fruͤhling/ ſondern auch in dem ſommer zu unterſchiedlichen mahlen einige zwar
ſchwaͤchere und kuͤrtzere doch unterſchiedlichmahl wiederhohlte angriffe gehabt/
mehr als dieſe 12. jahr/ die ich hie bin. Jedoch dem HErrn ſeye danck/ der mit gna-
den mich meiner ſchwachheit erinnert. Mit meinen Sontags predigten des vergan-
genen jahrs hoffe ich aus der preß auff Oſtern fertig zu werden/ gibt GOtt gnade
und leben. Den methodum habe Hr. N. uͤberſchrieben. Jſts daß nur zu weilen ein
und andere ſeelen durch dergleichen arbeit moͤgen erbauet und auffgemuntert wer-
den/ ſo iſt meine muͤhe ſchon wol angeleget/ und bleibe der danck meinem GOTT.
Rebhansſcriptum habe geſehen/ und wurde mir von einem geſchicket nahmens
Dilfeld von Northauſen/ ſo mir einen ſpitzigen brieff dabey ſchriebe/ und gleich-
ſam damit inſultirte. Jch dancke meinem GOTT/ daß er mich allgemach mehr
lehret/ vor ein geringes zu achten/ daß ich von einem menſchlichen tage gerichtet wer-
de. Er gebe nur den jenigen gnade/ die mich mit unrecht beſchuldigen/ daß ſie ſol-
ches erkennen/ und alſo der ihnen wuͤnſchenden vergebung faͤhig werden: mir
aber/ daß ich aus allen auch unrechten beſchuldigungen mich erkenne/ und was
freunde und ich ſelbſt nicht an mir ſehen/ aus jener feindſeligen veranlaſſung bey mir
wahrnehme und erkenne. Daß Herr D. Pomarius ſich freundlich gegen mich be-
zeuget/ iſt mir hertzlich lieb: Der HErr ſegne auch alle ſeine arbeit/ und richte ſie
allemahl dahin/ wo ſie am meiſten fruchten kan. Herr D. Hannekenii tractat,
davor die dedication ſtehet/ habe noch ſelbs vor mich nicht bekommen koͤnnen/ ſon-
dern nur gelehnt gehabt/ und die dedication abſchreiben laſſen. Er wurde be-
fragt uͤber dieſelbe/ wolte aber nicht geſtehen/ daß er mich darinnen gemeinet/ wel-
ches er auch ſo bald gegen einen Profeſſorem, als es heraus gegeben wurde/ gemel-
det. Jch koͤnte ihn eines andern aus vielen uͤberzeugen/ wo mir mit widerſachern
gedienet waͤre/ aber ich wuͤnſche lieber mit jederman in friede zu leben. Was die
andere religions verwante anlangt/ ſehe ich nicht/ wie wir ſie allerdings aus denen
privat erbauungen oder conferentzen ausſchlieſſen koͤnnen: Wir wolten ihnen deñ
alle muͤgliche mittel zu ihrer beſſerung (die wir mit fleiß vielmehr zu ſuchen haben)
abſpannen/ und zeigen/ wir goͤnneten ihnen das gute nicht. Ein anders waͤre es/
wo ſie etwa vieles zu reden und alſo einigerley maſſen zu lehren gelaſſen wuͤrden.
Was mein alſo verſchreytes Collegium anlangt/ ſo halte ich nicht/ daß von Pa-
pi-
[259[261]]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECT. XXXVI.
piſten anders als etwa einige mahl einiger explorandi gratia dabey geweſen waͤ-
re. Wie mir deñ nicht ein einiger mit nahmen bekant iſt/ ohne das einmahl von ei-
nem Canonico von Mayntz geſagt wurde/ der darinnen geweſen waͤre: Moͤchte
wol deſſen von den Churfuͤrſten um berichts willen befehl gehabt haben. Was
die Reformirte anlangt/ moͤchten wol unterſchiedliche ſeyn/ welche oͤffters zu ihrer
erbauung ſich eingeſunden/ und noch einfinden. Sind mir gleichwol auch dieſelbe
nicht bekant. Wo aber auch deroſelben mehrere waͤren/ truͤge ich deſſen kein be-
dencken/ ſondern gleich wie ich mich vor ihnen meiner lehr nicht ſchaͤmte/ ſo wuͤrde
ihnen auch nicht mißgoͤnnen/ wo ſie etwas zu ihrer erbauung dienliches da hoͤren
moͤchten. Von anderer religion haben wir/ GOTT ſeye danck/ niemand hier/
ohne die Juden. Alſo doͤrffen wir von niemand nicht gedencken/ und laͤſt ſich leicht
ſchlieſſen/ was wir ſonderlich von den jenigen halten koͤnnen oder muͤſſen/ welche den
verdienſt Chriſti ſich widerſetzen/ auff dem unſer glaube beruhet/ und wir alle ver-
gebung der ſuͤnden/ und krafft der ſuͤnden abzuſterben/ nicht aber allein einen antrieb
von dem exempel/ von dem todt und leiden Chriſti her nehmen. Die klage meines
geliebteſten bruders uͤber die regierſucht der jenigen Academicorum, qui niſi
quod ipſi faciunt, nihil rectum putant,
iſt gantz gerecht/ und wird gewiß ein-
mahl mit mehrer macht von viel hundert ausbrechen/ und etzlicher ehrſuͤchtigen
thorheit zu ſchanden machen. Jedoch hat der HERR auch die ſeine/ und wird
verhoffentlich derſelben immer noch mehrere erwecken/ dann wir hoffen billich/ daß
er ſich uͤber ſein Zion erbarmen/ und ihm helſſen werde. So viel getroſter wollen
wir das werck treiben/ und nicht auff unſere/ ſondern ſeine krafft allein ſehen. Wie
dann auch geliebter bruder die augen nicht auff ſich ſondern auff den HErren aller
ſtaͤrcke wenden wolle/ er wird gewißlich mit dem guten ſeyn. Seine ehre iſt ſo viel
groͤſſer/ da er auch durch ſchwache werckzeuge groſſes thut. So hat er auch ihme
mehrere gaben gegeben/ als er an ſich ſelbſt erkennet/ darvor ich ſeiner goͤttlichen
guͤte demuͤthigen danck ſage/ und hingegen auch meine ſchwachheit billich erkenne.
Laſſet uns in deſſen fortfahren/ hertzlich vor einander zu beten/ und den jenigen an-
ruffen/ der uns wollen und vollbringen geben kan/ der die matte haͤnde ſtaͤrcken und
die ſtrauchlende knie befeſtigen will. Der uns ſeinen rath zu erkennen gibt/ und
es alsdann an ſucceß, als viel ſein heiliger nahme durch uns verherrlichet werden
ſolle/ nicht maglen laſſen wird. Jhme ſey ehre in/ an und von uns in ewigkeit a-
men. Herr Lic. N. ſage ich hertzlichen danck vor die ſreundliche gewogenheit und
gruß. Der HERR laſſe allen ſegen tauſendfaͤltig auff ihn zu ruͤcke flieſſen/ und
brauche ſich noch ferner lange ſeines dienſtes/ ihn machende zu einen auserwehlten
ruͤſtzeug ſeiner gnade/ der das reich ſeines Sohns mit eyffer krafft und ſucceß be-
foͤrdere und vielen ſieg erhalte. Kan ich demſelben hier etwas bedient ſeyn/ ſo ſoll es
willig von mir geſchehen. Von Herrn N. wird mein vielgeliebter bruder ein exem-
K k 3plar
[260[262]]Das ſechſte Capitel.
plar empfangen der jtzo ins lateiniſchedirten piorum deſideriorum. Habe zu
ende die ſuffragia der autorum de converſione Judæorum \& lapſu Romæ
Papalis
angehaͤngt/ damit die ſchuld der imputirten novitatis abgewendet wer-
de. Jch halte es vor 2. hypotheſes, welche wie ſie in GOttes wort gegruͤndet/
alſo zum grund ſtehen vieler anderer wichtiger dinge. Und wundere mich offt/ war-
um unter uns Evangeliſchen ſo viele von ſolchen wollen anfangen abzuſpringen.
Es wird aber GOttes verheiſſung wahr werden/ wir glaubens oder glaubens nicht.
Rom. 3/ 3. Unſer unglaube hebet GOTTES glauben nicht auff. 12. Octob.
1678.


SECTIO XXXVII.


Mißtrauen in Elſaß gegen mir.


JCh habe mich hertzlich erf[r]euet/ und bedancke mich freundlich vor den liebrei-
chen wunſch/ mit dem derſelbe mir und meinem amt/ und was in dem nah-
men des HErren gutes anzurichten/ allhier getrachtet wird/ goͤttliche gnade
und ſucceß wuͤnſchet: Welches mir eine ſo viel groͤſſere freude iſt/ als mich ſon-
ſten bißdaher betruͤbet/ daß in dem lieben Elſaß von mir durch ungleiche berichte ſo
viele vorhin geweßte gute goͤnner und freunde dermaſſen entfremdet/ daß ſie mich
und alle meine einfaͤltige vorſchlaͤge und verrichtungen nicht anders als voller der
groͤſſeſten gefahr angeſehen/ und faſt alſo von mir reden wollen. Jch wuͤnſche nicht
mehr/ als das ſolche liebe leuthe mein hertz ſelbs einſehen/ ſo denn das jenige was wir
hier vorhaben und thun/ genau und nicht aus ſo untreuen berichten erkennen
moͤchten: als verſichert/ daß alsdann das urtheil gar anders fallen ſolte/ und durch
Gottes gnade wie ich nicht daran zweiffle/ wo dieſe zeit meiner pruͤffung voruͤber/ uñ
ſie die ſache mit andern augen anſehen werden/ gewiß anders fellen wird. Der
HErr vereinige unſer aller hertzen in ihm und in heiliger liebe. Der erhalte auch
in E. Wohl Ehr. hertzen ſolches gute vertrauen gegen uns allhier/ wie ers darin
gelegt hat. 19. Nov. 1678.


SECTIO XXXVIII.


Als einige meine Schrifft ohne mein vorwiſſen
publiciret(ſeheSect. 31.) aber wieder etwas gebeſſert wor-
den. Meine wichtige urſachen in ſtreit-ſchrifften mich
nicht einzulaſſen: auch das von niemand verlange/
ſich meiner in Schrifften anzu-
nehmen.


Jch
[261[263]]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XXXVIII.

JCh bin wegen publicirung des geſandten berichts/ nachdem derſelbe auff
die vorgeſchriebene art wiederum eingerichtet worden/ gantz zu ſrieden. Jch
habe niemaln an meines hochge. Herrn fratris hertzlicher intention gezweif-
felt/ daß ers ſo wol mit goͤttlicher ehre treulich gemeinet/ als mit willen mir einige
gefahr zu zuziehen nicht getrachtet habe: Als deſſen Chriſtliches gemuͤth aus den
beyden ſchreiben und dem verlangen meines berichts vergnuͤglich erkant haͤtte. Aber
ich deſiderirte alleine die vorſichtigkeit in meiner ſache/ die mir moͤchte ſo ſehr
ſchaͤdlich ſeyn. So hoffe ich auch/ derſelbe werde gleich wie ich die uͤbereilung in
ſothaner publicirung ihm/ alſo mir meine vorige gemuͤths bewegung und ernſtli-
ches fordern deꝛ aͤnderung/ bruͤderlich zu gute halten/ und dadurch nicht bewogen
werden/ zu glauben/ das hinkuͤnfftig nicht willig ſeyn werde/ nach dem vermoͤgen/
das GOtt giebet/ an die hand zugehen/ oder daraus zu ſchlieſſen/ ob wolte ich nicht
mit redlichem ernſte und eyffer das werck des HErrn treiben. Jch beruffe mich
auff das zeugnuͤß meines gewiſſens/ daß ich mit reinem hertzen trachte GOTTes
ehre auff alle weiſe nach dem anvertrauten pfuͤndlein zu befordern/ ſo wol bey der ei-
genen mir abſonderlich auff meine ſeele anvertraueten gemeinde/ alſo auch wo ich
bey andern durch die feder mit rath oder auſſmunterung etwas zuthun die gelegen-
heit ſehe. Weiter verlange ich in der welt nichts/ wie ich auch davon eher verluſt
und ſchimpff als nutzen und ehre vermuthen kan/ ja ſolches vor augen ſehe. Jedoch
hoffe ich/ mein GOtt werde mir die gnade geben/ das ich nicht muͤde werde. Jn-
deſſen richte ich meine ſache billich dahin/ wie ſie ſolchem zwecke gemaͤß ſeyn moͤchte.
Da alſo eines unter meinen erſten principiis prudentiæ iſt/ als lang es muͤglich
iſt/ mich in keinem feder-krieg einzulaſſen/ als welche nicht nur viel edle zeit weg
rauben ſondern oͤffters auch in vertheidigung der warheit eher ſchaden als nutzen
bringen. Weswegen ich alle gelegenheit darzu mit aller ſorgfalt vermeide/ ſo viel
weniger denn jemahl jemanden/ ſonderlich von unſerer kirchen/ nahmentlich an-
greiffen werde: ja auch wo ich getrungen und von andern alſo angegriſſen wuͤrde/
daß ich ohne nachtheil der warheit nicht moͤchte gar ſchweigen koͤnnen/ ſo waͤre mein
ſinn/ vielmehr alleine mit bloſſer und deutlicher erklaͤhrung der warheit als formal
refutation
meines adverſarii meine ſache zu fuͤhren/ nimmermehr aber mich eini-
ger hefftigkeit zugebrauch en/ als der ich erfahren/ was vor eine krafft eine mit lau-
ter ſanfftmuth vertheidigte warheit nicht nur bey guten gemuͤthern ſich ereignet/ ſon-
dern auch offt die boͤſen beſchaͤmet oder wol gar uͤberzeuget/ wie hingegen wol eine
gute ſache mit bitterkeit behauptet auch guten hertzen anſtoß giebet. Dieſen mei-
nem erſten principio ſtunde die mit vorgeſetzten: Herrn N. nahmen geſchehene e-
dition
meiner erklaͤhrung ſchnur ſtracks entgegen/ und ſchien mich aus der jeni-
gen diſpoſition ſetzen zu wollen/ in welcher ich verſichert bin/ daß ich auch mit mei-
nen wenigem talent GOTT am beſten dienen moͤge/ und griff mich alſo haͤrter
oder
[262[264]]Das ſechſte Capitel.
oder empfindlicher an/ als ich faſt einigerley weiſe haͤtte moͤgen angegriffen werden;
weil mir an dieſer freyheit von polemicis ſcriptis mehr als ſonſten an meiner exi-
ſtimation
oder privato commodo gelegen iſt. Gleichermaſſen nachdem mir
GOtt die gnade noch bißher gelaſſen/ daß ob wol der academiarum ein und ande-
re gegen mich ſchaͤl ſehen moͤgen/ dennoch derſelben viele und etwa meiſte ſind/ dero
gewogenheit mir Gott bißher erhalten/ ſo geſtehe ich gern/ daß ich mich ſorgfaͤltig huͤ-
te/ aus meiner unvorſichtigkeit keinen einigen zu offendiren/ ſondern an allen/ die
ſich nicht etwa publicè allen guten/ wo man nicht ſchweigen koͤnte/ widerſetzen/
auch dasjenige mit ſanfftmuth zu tragen/ was ich gerne geaͤndert ſehe/ und etwa
allgemach ſolches auch zuhoffen iſt/ auffswenigſte ſo viel zu wege zu bringen/ daß
welche eben zu der aͤuſſerlichen treibung des wahren innerlichen Chriſtenthums
elbs nicht viel mit wuͤrcken werden/ gleichwol auch nichts dargegen thun. Daher wo
ſtreit iſt uͤber dieſes oď jenes buch/ uͤber dieſen oďjenen mañ/ ſo finde ich nicht rathſam/
mich in einigen ſtreit mit einzuflechten. Habe ich aus einẽ buch einigen nutzengehabt/
ſo goͤñe geꝛn daß andeꝛe gute freunde auch deſſelben theilhafftig weꝛden moͤgẽ/ werde
auch in privatrecomendation deſſen gerne gedencken. Wo es aber dahin kom̃en
ſolle/ daß uͤm ein und andern an ſich guten buchs willen in der kirche ein oͤffentlicher
ſtreit entſtehen ſolte/ und ſorge iſt/ daß wegen veꝛtheidigung deſſen einige der uͤbrigen
beſſerung der kirchen ſo vielmehr abguͤnſtig werden moͤchten/ ſo werde ich mich
zwar nimmer dahin bringen laſſen/ ein buch zu verwerffen/ worinnen ich viel gu-
tes gelernet/ aber kan auch wohl friedens halber mich deſſelben begeben/ die weil
kein buch ohne die Schrifft uns ſo abſolute noͤthig iſt/ ſo denn auch keines leicht
hervor kommen kan/ das einige contradiction lidte/ deſſen noͤthige contenta nicht
ſchon auch in andern zur gnuͤge enthalten/ die von den gantzen oder groͤſten theil der
kirchen insgemein nunmehr gebilliget ſind. Alſo werde ich mich auch nim̃er mifchen
in ſtreite/ welche Theologi unter ſich aus privat-urſachen ihrer ſchrifften oder
handlungen wegen haben. Wie ich auch nicht verlange/ daß wo ich mit je-
mand wider willen in einen ſtreit gezogen wuͤrde/ andere ſich meiner ſache anneh-
men ſolten/ es waͤre dann ſache zu einiger compoſition oder beylegung. Maſſen
ich auch wegen meines hieſigen privat exercitii/ davon in meinem ſendſchreiben
bericht ertheilet/ nicht begehre/ wo etwa jemand ſolte/ ſo zwar bißher noch nie ge-
ſchehen/ daſſelbe publice angreiffen/ daß ſich die kirche daruͤber ſpalten/ oder alle
diejenige/ ſo ſonſten mit mir einer guten intention ſind/ ſich nothwendig meiner an-
nehmen ſolten/ ja ich verlange dergleichen von keinem/ der nicht aus beſondern ur-
ſachen ihm oder der kirchen ſolches nuͤtzlich erachten ſolte. Denn warum ſolte um
der urſache willen/ ob ich in dieſem oder jenem recht oder unrecht/ was ich oder ein an-
der unvorſichtig handle oder gehandelt haͤtte/ nothwendig auch jeglicher die feder
ergreiffen muͤſſen. Daher mache ich einen unterſcheid unter den bloſſer dings
noth-
[263[265]]ARTIC. I. DISTINCT. II. SECTIO XXXVIII.
nothwendigen und nebens ſachen. Was das bloſſe nothweudige anlanget von
dem lebendigen und fruchtbahren ſeligmachenden glauben/ von der gnade Chriſti/
die er ſeinen glaͤubigen ertheilet/ von den ſchaͤtzen/ die wir in ihm beſitzen und alſo
von den hauptſachen/ ſo zu der rechtfertigung und erneurung gehoͤren/ da haben
wir nicht nur nichts zu vergeben/ ſondern ſehe nicht/ wie da jemand in einem ſolchen
entſtehenden ſtreite neutral ſeyn/ oder einen bruder ſtecken laſſen koͤnne. Was
aber darnach entweder nebens fragen anlangt/ oder ſtreit uͤber dieſe und jene for-
mul (wo ſonſten die hauptſache annoch beyderſeits erhalten wird) uͤber dieſes oder
jenes buch oder autorem/ uͤber gewiſſe anſtalten/ uͤber mittel und vorſchlaͤge der
beſſerung/ uͤber actiones gewiſſer fratrum/ ob ſie darinnen recht oder unrecht
gethan haben/ waͤre zwar von den meiſten beſſer/ daß gar nie dergleichen
fragen moviret/ und ſtreit erhoben wuͤrde/ jedoch wo es mit liebe und beſchei-
denheit geſchiehet/ willich nicht eben verwerffen/ was etwa auch deswegen publi-
[c]e conferi
ret wuͤrde/ aber da halte am rathſamſten/ es ſey denn zur freundlichen
beylegung/ daß ſich andere nicht darein legen/ ſondern dasjenige unter denen aus-
gemachet werden laſſen die es angehoben/ und in deſſen mit beyderſeits das band
des friedens unzerbrochen erhalten werde. Wie ich gern mit jeden friede halten
will/ ober mir ſchon das meinige nicht billiget/ hingegen auch gedult mit ihm trage/
wo er etwasthue und ſchreibe/ daran ich ziemliches bedencken haͤtte. Gewißlich wer-
den wir GOTT mit ſolcher ſanfftmuͤthigen art/ die keines menſchen gewiſſen et-
was aufftringt/ alle unſere dinge fuͤhren/ und auch unſren ſtreit ausmachen/ ſo wird
der kirchen in kurtzen beſſer gerahten ſeyn/ als wo auch die jenige/ die die beſſerung
ſuchen/ mit hefftigkeit und opiniatritaͤt die ſache verderben/ und da duͤrffen wir
doch nicht ſorgen/ daß wir werden ohne der welt haß u. verfolgung bleiben/ ſondern
nach unſers Heylandes ausſage wirds wohl dabey bleiben/ daß die welt die ſeinige
haſſen wird. Denn es wird der teuffel endlich durch ſeine diener unverſchaͤmt
werden/ daß er das werck ſelbſten u. die rechte grundſeulen der gottſeligkeit angreif-
fen wird/ wo wir uns muͤſſen mit hertzlichem und oͤffentlichem eiffer alle widerſe-
tzen und daruͤber alles ſchwehrſte willig leiden. Welches leiden als dann vor
GOTT ſo viel ehrlicher und dem gewiſſen troͤſtlicher ſeyn wird/ da wir lauterlich
und allein um die unzweiffliche ſache GOttes leiden muͤſſen/ als dasjenige/ wo noch
entweder wahrhafftig etwas unſers eigenen mit darunter ſtecket/ oder aber doch die
ſachen nicht ſo noͤthig geweſen/ daß der nutzen davon dem dahero entſtandenen ſcha-
den des ſtreits voꝛgezogen werden koͤnne: u. wie allemahl auch ſonſten gute u. gottſe-
lige gemuͤther mit eingeflochten weꝛden/ daß ſie aus unveꝛſtand dem guten ſo ſie
nicht erkant/ ſich entgegen ſetzen. Wo es aber zu dieſem ſtreit kommen wird/ ſo
wird ſich bald offenbahrlich/ was GOTT anhange oder nicht/ an den tag geben
muͤſſen. Dieſes iſt mit wenigem die regel nach dero mich bißhero gehalten/
und als viel mir GOTT gnade zuerkennen gegeben hat/ davor achte/ daß dieſes die
L lbeſte
[264[266]]Das ſechſte Capitel.
beſte weiſe ſeye/ wie ich doch nicht ſo wohl mich/ als dasjenige/ ſo zu GOttes ehren
zu verrichten habe/ und vorhabe/ durch ſeinen ſeegen conſerviren moͤge/ als lange
biß die ſtunde GOttes da ſeyn wird/ mich etwa mit in einen ſtreit zufuͤhren/ den ich
nicht entfliehen koͤnte/ und alsdann auch nicht wegern werde. Wie nun Eure
Hoch-Ehrw. und andere gute freunde hieraus unſchwehr abnehmen koͤnnen/ aus
was urſachen etwa auch ſonſten von mir bißher ein und anders geſchehen oder unter-
laſſen worden/ da andere ein anders vermeinet/ alſo hoffe ich werden ſie auch er-
kennen/ wie hoch mir daran gelegen geweſen/ daß ich nicht durch dieſe edition aus
dem ſtand geſetzet wuͤrde/ worinnen ich jetzo am beſten GOTT dienen moͤge/ und
alſo worinnen mit ſolchem ernſt/ da ich die diſtribution auff die Leipziger meſſe be-
forgte/ auff die aͤnderung gedrungen habe/ und wird alſo dieſe geringe unter uns ge-
habte zwiſte damit auffgehoben/ und an der ſonſten unter amts bruͤdern gehoͤrigen
liebe nichts hinderlich ſeyn; darum ich ſo wohl bitte/ als meiner ſeiten dergleichen
verſpreche. 22. Nov. 1678.


SECTIO XXXIX.


An Georg Conrad DilfeldenDiac.zu Nord-
hauſen/ als er in abſicht mich offentlich anzugreiffen/ an
mich erſtlich geſchrieben/ und einige erklaͤhrung haben wollen:
Wo vor meine Schrifften gehalten haben wolle. Mittel der beſ-
ſerung. Fleißigere uͤbung goͤttlichen worts.
Catechiſation.
Privat-
zuſam̃enkunfften. Geiſtliches Prieſterthum. Ammersbach
Autoritaͤt der ausſpruͤche dercollegiorum.Chriſtian Hohburg.
Stephan. Prætorius. Mart. Statius. TheoſophiaundTheologia.
Auff den innern menſchen treiben. Ob ichOſiandrimeinung?
Vereinigung CHRJSTJ mit ſeinen gliedern.
Approbation
derpiorum deſideriorum. D. Menzer.Das Evangelium muß
das meiſte thun. Wie auff gute wercke zu treiben? Von der noth-
wendigkeit der wercke zur ſeligkeit. Schrifften ohne nahmen/
ob alle verwerfflich?
Reformationder kirchen. Darmſtaͤtti-
ſches ausſchreiben. Balthaſer Rebhan. Erklaͤhrung der 3.
puncten. Geringachtung weltlicher ehr.
Horbii
ſache. KriegsmannesSymphoneſis.Erin-
nerung und wunſch.


Ob
[265[267]]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XXXIX.

OB ich wohl deſſen weitlaͤufftiges bereits vor etlichen wochen empfangen/ ſo
iſt doch bey mir nichts neues/ daß auch die von vornehmeſten/ ſo gar hohen
ſtandesperſonen/ kommende brieffe nicht anders/ als nach ziemlichen
langen verzug beantwortet werden koͤnnen: Jn dem meine uͤbrige obgele-
genheiten mir wenige zeit zu den brieffen uͤberlaſſen/ und noch dazu
dieſelbige unter ſo viele getheilet werden muß/ daß/ biß ich herum komme/ es ſehr
langſam hergehet. So haͤtte auch nach verleſung deſſen ſchreibens in zweiffel ſte-
hen moͤgen/ ob ich zu antworten haͤtte/ als der ich meine zeit zu nuͤtzlichern/ GOtt
dem HErrn gefaͤlligern und dem naͤchſten vortraͤglichern arbeiten anwenden moͤch-
te/ als dergleichen/ wo es allein endlich auff einig unfruchtbahres wortgezaͤnck
hinaus lauffen koͤnte/ dazu ich allerdings kein belieben habe. Jch habe mich aber
bald reſolviret/ in dem nahmen des HErrn noch dießmahl/ ſo bald als ich die zeit
gewinnen moͤchte/ zu antworten/ aber mit dieſen austruͤcklichen vorbehalt/ daß
dieſes mahl das letzte ſeye/ daß ich auff dergleichen art ſchreiben antworte/ und alſo
entweder mein Hochgeehrter Herr meiner mit fernern/ auffs wenigſte mit ſol-
chen ſinn thuenden zuſchreiben verſchonen/ oder ſich doch keiner antwort von mir
verſehen werde. Jch bekenne gern/ daß ich aus deſſen ſchreiben keinen nutzen noch er-
bauung geſchoͤpffet/ ſo ſehe auch nicht/ daß derſelbe aus den meinigen dergleichen
genommen habe. Wo zu ſoll es aber/ daß wir ohne unſeren oder anderer nutzen
die zeit unnuͤtzlich zu bringen/ da ich meines orts deꝛ geſchaͤfften ohne das genug/ auch
der lieben leute viele habe/ aus derer zuſchreiben ich erbauet werde/ und ſie etwa
von mir auch zu weilen eine auffmunterung zu nehmen zeugen? Mit welcherley
brieffswechſelung die zeit verantwortlicher zugebracht werden mag. Jndeſſen
habe doch gedachter maſſen noch diesmahl die zeit dranwagen wollen/ meine decla-
ration
uͤber gewiſſe dinge zu thun/ und als dann meines Hochgeehrten Herrn ge-
wiſſen die ſache ferner zu uͤberlaſſen. Jch will aber der ordnung des ſchreibens nach-
gehen. Meine ſchrifften ins geſamt gebe ich freylich nicht anders aus/ als vor
menſchliche ſchrifften/ und bin mir meiner ſchwachheit ſo wohl bewußt/ daß ich ohne
anderer antrieb ſelten wuͤrde etwas in den truck gegeben haben: bin deswegen auch
wohl zu frieden/ wann ich in liebe einiges errinnert werde/ wo ich moͤchte anſtoſſen:
aber allmahl mit der condition/ daß mich niemand auff menſchen autoritaͤt weiſe/
ſondern auff Gottes wort. Alſo uͤberlaſſe ich meine ſchrifften jegliches pruͤffung un-
terworffen ſeyn/ u. tringe keinen einigen menſchen ein blat oder zeile auff/ daß er mir
zu gefallen etwas glauben ſolle/ er finde ſich dann deſſen in ſeinem gewiſſen uͤberzeu-
get/ daß uͤbrige laſſe er an ſeinen ort u. dahin geſtellet ſeyn/ was etwa andere darin-
nen finden moͤchten. Daß aber mit jeglichen uͤber meine ſachen ſchrifftlich oder
muͤndlich weitlaͤufftig conferiren ſolte/ ſolches leidet meine zeit nicht/ achte es auch
nicht nothwendig/ und ſo wenig ich jemand etwas des meinigen aufftringe/ ſo we-
nig wuͤrde ich mich auch der freyheit begeben/ das jenige zu halten/ was GOTT
L l 2mir
[266[268]]Das ſechſte Capitel.
mir zu erkennen gegeben hat. Was dann nun die von meinen Hochgeehrten
Herrn angeſtelte examination meiner in den piis deſideriis vorgeſchlagene mit-
tel anlangt/ ſo iſt das erſte die fleißigere [uͤbung] goͤttliches worts. Ach wie
wuͤntſchte ich/ daß wir da von unſern Evangeliſchen kirchen ruͤhmen koͤnten/ daß
GOttes wort ſo reichlich in denſelben wohnete/ daß nicht ein mehrers zu verlangen
waͤre. Fragt man von den predigten/ ſo wird wohl/ wie mein Hochgeehrten
Herrn bekant/ an denſelben nicht eben groſſer mangel ſeyn/ daß ihrer nicht genug an
den meiſten orten gehalten wuͤrden: ſtimme auch gern deme bey/ was er ſagt/ daß
etwa einige predigten nuͤtzlicher in betſtunden/ ich ſetze dazu rechtſchaffene cate-
chiſationes
verwandelt wuͤrden/ ſonderlich da in den betſtunden die buͤcher der
Schrifft fein ohne fernern zuſatz/ der gemeinde fleißig vorgeleſen wuͤrden. Jch
hoffte aber/ es werde mir niemand in abred ſeyn/ daß gleichwohl die predigten/ ob
ſie wohl von GOttes wort handelen/ dennoch von menſchen und alſo abgefaſſet
ſind/ daß ſie von den zuhoͤrern nach den geſchriebenen wort GOttes muͤſſen exami-
ni
ret werden: wie wollen aber die zuhoͤrer ſolches zur gnuͤge thun/ wo ſie ſo gar
ſelten die Schrifft ſelbſt/ wie ſie von dem heiligen geiſt abgefaßt iſt/ leſen oder hoͤren
leſen/ ſondern kaum jemahl etwas anders davon hoͤren/ als die wenige Evange-
liſche oder andere texte/ ſo vorgeleſen werden/ ſo dann die etwa hin und wieder
vorkommende ſpruͤche? Und wie gehets etwa an denen orten/ wo es prediger giebt/
deren predigten etwa ſehr weniges gruͤndliches aus GOttes wort in ſich faſſen/ wie
esſorglich bey den nachforſchen ſich hin und wieder finden moͤchte? Jſt da nicht
drauff zu gedencken/ wie die Schrifft ſelbs fleißiger unter die leute komme? Was
privatzuſammenkuͤnfften anlangt/ halte ich/ wer derſelben nothwendigkeit
insgemein leugnen wolte/ der muͤßte zu gleich alle haußkirchen/ die unterweiſung
der haußgenoſſen/ beſuchung der krancken/ privat-beſprechung und beſtraffung ſei-
nes nechſten und dergleichen vor unnoͤthig achten/ welches ich von Chriſtlichen leh-
rern nicht hoffe: Wo aber die frage iſt/ von dieſer oder jener art einer privat-zuſam-
menkunfft/ ſo wird keine gewiſſe insgemein als noͤthig/ auffgetrungen/ ſondern
wuͤrde da zu ſehen ſeyn/ was jeglicher zeit/ ort/ perſon/ und anderer umſtaͤnde be-
ſchaffenheit mit ſich bringet/ und wo von mehr erbauung zu hoffen ſeye/ mit beyſe-
tzung deſſen/ daß jeglicher ſey verbunden auffbeſte art/ als er vermag/ und ihm Gott
gelegenheit giebt/ die erbauung ſeiner gemeinde willig zu befoͤrdern und befoͤrdern
zu helffen/ welches nicht eben allemahl mit dem publico alſo geſchiehet/ daß man
nicht uͤber daſſelbe noch weitere erbauung auch in privat-congreſſibus, wo ſie nach
den goͤttlichen regeln und ohne confuſion in GOttesfurcht angeſtellet werden/ an-
treffen und zu wege bringen koͤnne. Und werden ſich etwa exempel zeigen/ wie
fromme hertzen aus einigen ſolchen exercitiis nicht geringen geiſtlichen wachsthum
geſchoͤpffet. Da moͤchte einem ſuͤnde werden/ wer da wuͤßte guts zuthun/ und
war daßes nicht auff andere weiſe mit gleichen ſucceß geſchehen koͤnt:/ und thaͤte
es
[267[269]]ARTIC. I. DISTINCT. II. SECTIO XXXIX.
es nicht. Ob wohl was einer ſeines orts thun mag/ oder nach geſtalt der ſachen
moͤchten zuthun verbunden ſeyn/ nicht eben alle verbinde.


2. Das Geiſtliche Prteſterthum hoffe ich nicht/ daß ich in den wenigſten
zu weit extendire/ ich habe niemahl privat-Chriſten geſtattet/ Sacramenta zu
adminiſtriren/ ohne was von dem nothfall der heiligen Tauff unſere lehrer einmuͤ-
thig behaupten. Was die adminiſtration des heiligen Abendmahls anlangt/
achte ich in demſelben ſacrament keinen nothfall/ daß es einem privato erlaubt mach-
te/ ohne vielleicht in caſu tentati/ der ſich nicht mit der ſpirituali manducatione
vergnuͤgen koͤnte an gantz fremden orten/ wo kein Miniſterium iſt/ ſo aber vielleicht
difficulter dabilis iſt; ich auch daruͤber mit einigen menſchen nicht ſtreiten wuͤrde/
und bey weiten nicht ſo weit darinnen gehe/ als unterſchiedliche nicht geringe unſere
Theologi. So geſtatte ich auch keinem privato das predigen/ noch die ordinari
erklaͤhrung goͤttlichen worts. Jch wuͤrde zwar/ wo es noͤthig waͤre/ die jenige un-
ſerer kirchen lehrer anziehen koͤnnen/ die auch die interpretationem ſcripturæ den
privatis/ ja weibern/ zu laſſen; Jch vergnuͤge mich aber darin/ das gottſelige Chri-
ſten/ wo ſie in freundlicher geſellſchafft bey ſammen find/ an ſtat der ſonſten unnuͤ-
tzen und offters ſchaͤdlichen geſpraͤchen die erlaubnuͤß haben moͤgen/ die heilige Bi-
bel/ ſonderlich das Neue Teſtament vor ſich zunehmen/ ſich aus derſelben in ihrer
einfalt alſo zu beſprechen/ nicht ſo wol wie ſie etwa einige ſchwere ort/ die eine aus-
legung bedoͤrffen/ verſtehen lernen moͤchten/ ſondern vielmehr wie ſie die aller deut-
lichſte ort/ die ſie leſen/ zu ihrer erbauung anwenden moͤchten/ daß die vortragen-
de goͤttliche wohlthaten ihnen zu ihres glaubens ſtaͤrckung u. e[r]weckung einer gegen-
liebe gegen Gott/ die betrachtende gebote Gottes einen antrieb nach denſelbẽ einher-
zugehen/ erwecken moͤge: Und unter guten freunden ſehr erbaulich iſt/ wo ſie ſich bey
ſolcher gelegenheit untereinander beſprachen/ wie ſie dergleichen bißdaher gethan oď
nicht gethan haͤtten/ u. mit einen heiligen vorſatz ſich auff das kuͤnfftige verbinden.
Alles ſolches geſchie het ohne einige confuſion, ſondern wird das publicum Mini-
ſterium
und deſſen verrichtung vortrefflich durch dieſes Prieſterthum befoͤrdert. Ob
einigen menſchen jemahl in den ſinn gekommen ſeye/ die leuthe allein durch die ein-
fuͤhrung des Geiſtlichen Prieſterthums und genaue vereinigung mit Chriſto zu der
praxi zu fuͤhren/ habe ich nie gehoͤret/ und weiß nicht/ wer damit beſchuldigt wer-
den moͤge/ denn mir iſt niemand der gleichen in Schrifften oder reden vergekom-
men. Jndeſſen bleibt das Geiſtliche Prieſterthum ein ſtatliches huͤlffs-mittel und
antrieb; iſt auch auff ſolche art von den Apoſtein getrieben worden. Die genaue
vereinigung mit Chriſto/ iſt eine wahre lehr/ die nicht geleugnet werden kan/
man ſtoſſe denn die gantze Chriſtliche und Apoſtoliſche Theologiam um/ und wer
dann auff dem glauben treibet/ der treibet auch auff ſolche vereinigung; denn der
glaube bringt uns zu Chriſto/ und er wohnet durch denſelben bey uns: ſo iſt (ohne das
Chriſtus in uns wuͤrcke) nicht muͤglich gutes zu thun; und alſo hat ſolches geheim-
L l 3nuͤß
[268[270]]Das ſechſte Capitel.
nuͤß mit der praxi auff unterſchiedliche arten ſeine verwandſchafft. Wil man a-
ber ſolche lehr insgeſamt/ wie ſie bisher von unſern geiſtlichen Evangeliſchen lehrern
getrieben worden/ von den ich nichts abweiche/ Weigelianiſch nennen/ ſo doͤrffte es
Weigelio eine zu groſſe ehr/ hingegen den lieben Apoſteln viel zu nahe geredt ſeyn.
Was Herr Ammersbachen anlangt/ bleibe ich bey meinen vorigen/ und ſihe
nicht/ wer mich dazu obligiren wolle/ daß ich ſolches mannes Schrifften/ oder was
wider ihn geſchrieben/ leſe/ daruͤber urtheile/ und ihn verdammen muͤſte. Jch
bezeuge nochmals/ daß ich allererſt das zweyte ſchreiben von ihm neulich geſehen/ als
er mir die rettung einer gebrauchten propoſition dedicirte, und ob ich zwar we-
gen ſeines guten willens zu dancken ſchuldig bin/ ſo haͤtte doch lieber gewuͤntſchet/ daß
niemand mein patrocinium in offentlichẽ Schriffte uͤbernehme; wie er dañ von ſeinẽ
vorhaben vor dem truck mit mir nicht ein wort communiciret, oder mir es nur
kund gethan hat. Alſo ſtehe ich weder in einer familiaren correſpondenz mit
ihm/ noch bin verbunden/ vor etwas/ was ſeine conſilia und Schrifften/ die mir
ja allermeiſt unbekant/ anbetrifft/ rechenſchafft zugeben; wie ich auch darvor hal-
te/ daß er es ſelbſt nicht von mir fordern werde. Wo ich aber mit ihm jemahl in
freundſchafft geſtanden waͤre/ oder noch ſtuͤnde/ wolte ich mich deſſen nicht ſchaͤmen
noch fuͤrchten; Dann gleich wie ich mich ſeiner ſachen/ die mir unbekant ſind/ nicht
an zunehmen habe/ alſo kan mich niemand obligiren/ einen mann und lehrer un-
ſer kirchen zu verdammen. Was einige Collegia mit ihm moͤgen vorgehabt ha-
ben/ oder noch haben/ das uͤberlaſſe ich beyden parteyen/ und flechte mich nicht ein
in fremde geſchaͤffte die mich nicht angehen. Jch habe in den vornehmen Mini-
ſteriis
der 3. ſtaͤdte meine liebe und geehrte freunde/ von denen ich mich verſichere/
daß ſie meine auffeichtigkeit in der ſache GOttes erkennen/ und werden nicht in den
ſinn faſſen/ mir etwas auffzutringen/ wozu ich nicht geſetzt bin/ ſo wuͤrde ich mir
hinwieder von Herr Ammerbachen/ wo ich mit ihm im gantz genauer kundſchafft
ſtuͤnde/ nimmermehr dieſes verbieten laſſen/ mit den jenigen nicht freundſchafft zu-
halten/ die ihm etwa moͤchten entgegen ſeyn. So will ich auch allen Facultaͤten
und Miniſteriis dieſe billigkeit zu trauen/ daß ſie ihre reſponſa und judicia nicht
alſo heraus geben werden/ daß ſie damit die gantze kirche und rechte lehrer oder glie-
der derſelben obligiren/ und ſolche deciſiones machen wolten/ dabey ſo bald jeder-
man acquieſciren muͤßte/ ſondern wie unſere Symbolici Libri ſo gar von den
Symbolis Catholicis reden/ das ſie zeugnuͤß davon geben/ was ſie von jeglicher
ſache/ articul oder ſcripto halten; aber was von ſolchen particular-Collegiis
komt/ kan noch nicht ſo viel die andere obligiren, als noch jene ſo von der kirchen ein
mal recipirt; ſo ex alio fundamento uns nachmal verbunden/ ob ſie wol ſon-
ſten an ſich auch nichts anders als teſtimonia, nicht aber judices, normæ oder
regulæ ſind. Ja ich halte davor/ der jenige vergreiffe ſich ſchwerlich an ſolchen Fa-
cult
aͤten und Collegiis, der ihnen dieſes zumeſſen wolte/ daß ſie ſich eine ſolche di-
cto-
[269[271]]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XXXIX.
ctoriam poteſtatem nehmen wolten/ womit ſie/ wo ſie es thaͤten/ gewißlich als
ein neues Papſtum einfuͤhreten. Wir wiſſen je/ was unſer liebe Lutherus ſo
gar von den Conciliis ſelbſt judicirt hat/ und iſt gewiß/ daß wir es gegen die Pa-
piſten verlohren haben/ ſo bald wir einen ſolchen gewalt einigen Doctoribus oder
Collegiis geben/ unſern gewiſſen vorzuſchreiben/ oder ſie zu obligiren. Dann
muß ich dieſem oder jenem Collegio glauben/ wo ſie etwas decidiren, daß muͤſte
GOttes wort ſeyn/ deswegen/ weil ſie es alſo ſagen/ oder muß dieſen und jenen ver-
dammen/ weil ſie ihn verwerffen/ daß daher ihre autoritaͤt mir zum fundament
liget/ ſo ſtehet ein ſolch principium, da ich unverholenſage/ daß alsdann die Pa-
piſten recht haben. Dann gilt es menſchen autoritaͤt/ ſo iſt ihr hauff der groͤſſeſt
und anſehnlichſte/ und hat in vielen ſtuͤcken den vorzug vor uns/ und warum ſolten
alsdann bey mir die mehrere anzahl ſo viel in dem aͤuſſerlichen/ vortrefflicher leuthe/
die in einer ſtatlichen verfaſſung und ordnung ihrer kirchen ſtehen/ auch bekanntlich
auffs wenigſte unterſchiedliche ſecula vor ſich haben/ darunter viel einer ſucceſſi-
on
auff die Apoſtel mit einigen ſchein ſich anmaſſen/ und was noch ſonſten ihr anſe-
hen groͤſſer machen kan/ nicht mehr ausrichten/ als ein kleiner hauffe ſolcher leuthe/
die jenen nicht in ſolchen aͤuſſerlichen gleichen/ und unter einander nicht eines ſind/
noch ein ſolches band haben/ wie die Paͤpſtiſche/ welches ſie zuſammen hielte. Wie
dann bey uns nicht nur geſchehen kan/ ſondern etwa wuͤrcklich geſchiehet/ das gan-
tze Collegia und Facultaͤten einander contrari ſprechen/ welches bey jenen nicht
geſchiehet/ oder ſo bald durch die obere autoritaͤt des Papſts ziemlich zurecht ge-
bracht werden kan. So wuͤrde wahrhafftig noch rathſamer ſeyn/ ein Papſtthum
zu agnoſciren, davon alles dependire, als denſelben ſo viele/ als viele Collegia
ſich einer ſolchen macht annehmen wolten. Aber danck ſey GOtt in ewigkeit/ der
uns hat in der wahrheit erkennen laſſen/ daß wir nicht beſtehen doͤrffen auff einiges
oder vieler menſchen autoritaͤt/ ſondern allein auff unſerm Heyland JEſu Chri-
ſto der die warheit ſelbſten iſt/ und ſich in ſeinem wort und durch daſſelbige in den
hertzen der ſeinigen/ die ihn ſuchen/ offenbahret/ daß ſie in nichts ihr gewiſſen andern
menſchen unterwerffen/ ſondern ſchlechterdings auff den unbetrieglichen grunde be-
ruhen/ und alſo in ihrer freyheit beſtehen/ dazu ſie der Sohn frey gemachet hat.
Der behuͤte auch alle Chriſtliche Theologos/ daß ſich keiner nie dieſe macht nehme
oder einbilde/ anderer gewiſſen etwas auffzubuͤrden/ oder zu zu geben/ daß mit ſei-
nen willen andere ſich ſeiner autoritaͤt hiezu mißbrauchen/ und wir alſo wider un-
ſer haupt principium unſerer gantzen religion eine gefaͤhrliche gewalt einfuͤhren
wolten/ der die gantze kirche endlich uͤber einen hauffen wuͤrde werffen/ ſondern
Chriſtliche Theologi und gantze Collegia werden allezeit bey der beſcheidenheit
bleiben/ wo ſie amts halben/ oder erſuchet/ ihre gedancken uͤber etwas geben ſollen/
daß ſie ihre meinung ſagen/ und dieſelbe mit ſolchen gruͤnden beſtaͤtigen/ daß ohne ab-
ſicht auff ihre autoritaͤt/ der leſer moͤge convinciret werden/ koͤnnen ſie aber ſol-
ches
[270[272]]Das ſechſte Capitel.
ches nicht dermaſſen thun/ ſo muß anderer ihr gewiſſen frey bleiben/ welches mit
nichts uͤberzeuget iſt. Daher folgt je nicht/ wo gantze Facultaͤten einen gewiſſen
mann ſolten verwerffen/ daß deswegen alle der gantzen kirchen glieder gehalten
waͤren/ ihn ſo bald auch zu verdammen/ und ſich von ihm abzuſondern/ dann das
waͤre der geradeſte weg/ zu unendlichen und der kirchen verderblichen ſchismati-
bus.
Sondern finden ſie einen mann/ ſeine lehr gefaͤhrlich oder verdaͤchtig/ ſo weꝛ-
den ſie ihn erinnern/ oder auch der jenige/ die die auffſicht auff ihn haben/ die jeni-
gen bedencken/ die ſie haͤtten/ berichten/ oder wo ſie es noͤthig achten/ die kirche war-
nen: aber alsdann wie andere die ſache ihres ortes befinden werden/ eben ſo wol ih-
ren gewiſſen heim gegeben/ und keinen ſolchen ſpruch von ſich geben/ der die gantze kir-
che verbinde/ und ſie ſich beſchweren wolten/ wo nicht/ alle derſelben ſich confor-
mirten;
ſo thun ſie ihren gewiſſen genug und maſſen ſich doch keine ungebuͤhrliche
gewalt an; es wird auch keine trennung alsdenn leicht geben/ ſondern manche irrung
in liebe moͤgen bey gelegt werden; da hingegen nichts als trennung und unheil zu-
erwarten ſtehet/ wo ſolche reſponſa, deciſiones obligatoriæ ſeyn ſollen. Es
iſt noch in friſchen gedaͤchtnuͤß/ was vor harter ſtreit zwiſchen den Helmſtaͤtiſchen/
und ſo Wittenberg-als Leipzigiſchen und andern Theologis entſtanden/ ſo auch
noch nicht erloſchen/ und wiſſen wir/ wie von Herr D. Calixto geurtheilet/ und wo
vor er von nicht nur einem Theologo puplicis ſcriptis declarirt worden: auch
die ſeinige etwa noch jetzo moͤgen gehalten werden. Wer wolte eben mich und
jeglichen andern/ ſo ſich in ſolchen ſtreit nicht miſchen will/ dahin obligiren/ daß wir
entweder mit Wittenberg brechen/ wo wir Calixtum nicht verwerffen/ oder die-
ſe auch verdammen/ wo wir nicht jener freundſchafft bloß dahin auffgeben wolten.
Wuͤrde nicht dieſes die aller offenbahrſte und unvermeidliche gelegenheit uñ urſach
ſeyn/ daß die gantze kirche ſich vollends trennete; davor uns GOtt/ und alſo auch
vor ſolchen principiis, in gnaden behuͤte! Wer mir Chriſtum das fundament
meines glaubens nimmet/ mit deme breche ich billich alle geiſtliche freundſchafft ab;
Wer mir aber noch ſolchen laͤſſet/ ob er auch vielleicht in ein und andern ſtuͤcken
moͤchte fehlen/ ſo ich entweder kla[r] ſehe/ oder zu urtheilen bedenckens habe/ mit dem
trage ich die liebe/ daß ich jenen allgemeinen wahren ſeligmachenden glauben an
Chriſtum mehr bey mir gelten laſſe/ als ſeine irrmeinungen; werde deswegen auch
nicht auffhoͤren/ wo ich ſonſten es zu thun gepflegt/ mit ihm die freundſchafft fort zu
ſetzen/ wo ich etwas an ihm beſſern kan/ daſſelbe gern zu thun/ indeſſen gedult mit
einander zu haben. Nimmermehr aber werde ich in offenbahre feindſchafft mich
legen gegen einigen/ welchen die kirche noch in ihrem ſchoß leidet. Alſo nehme ich
mir freylich keine macht uͤber einen fremden knecht. Sage aber nicht/ daß es nicht
urſachen geben koͤnne/ wo ich uͤber einige in GOttes nahmen richten muͤſte: Der-
gleichen ich gegen Herrn Ammerbachen nicht habe/ den jenigen aber/ welche mit
ihm in ſtreit ſtohen/ uͤber laſſe/ wie ſie dazu gekommen ſeyn; Denn auch ihre actio-
nes
[271[273]]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XXXIX.
nes ſtehen mir nicht zu zu beurtheilen. Jch habe von meinem GOtt ſo viel zuthun
bekommen/ daß ich mich fremder ſachen wol enthalten kan; und laſſe alſo freylich
einen jeglichen mit-knecht nach der gabe/ die er hat/ arbeiten/ auff ſeine verantwor-
tung/ die er unſerm allgemeinen HErrn und richter geben wird: Es waͤre denn
ſach/ daß ich eine ſolche gefahr ſelbs ſaͤhe/ die mich zu einer andern reſolution noͤ-
thigte. Alſo was Hohburgium anlangt/ weiche ich abermal von meinem vori-
gen nicht. Jch rede aber von ſeiner perſon/ noch unter Eliæ Prætorii nahmen e-
dirten
ſchrifften nicht/ darinnen ich kaum einige blaͤtter geleſen/ ſondern von ſeinen
einigen andern Schrifften die ſeinen nahmen vorſtehen haben; Wie wol doch
auch deroſelben etwa groͤſſeſte theil von mir auff die ſtunde noch nicht geleſen ſind.
Aber welche ich geleſen/ aus denen haben guts gelernet/ nicht zwar in einigen glau-
bens articuln/ die ich weder bey ihm noch andern ſuche/ oder davon viel zu lernen
verlange/ als der ich an den jenigen genug habe/ was ich von jugend auff aus der
heiligen Schrifft gelernet/ ſondern in einer rechtſchaffenen und beweglichen auff-
munterung und vorſtellung der verderbnuͤß bey unſern euſerlichen weſen/ und bey
dem leidigen opere operato, ausgeſchloſſen der dazu gehoͤrigen innerlichen krafft/
die groͤſten theils gehindert wird. So iſt ohne das nunmehr mein meiſtes ſuchen
in buͤchern nicht ſo wol ein mehrer unterricht des verſtandes/ als beſſerung des
willens. So leugne auch nicht/ daß in denſelben Schrifften/ die ich von ihm ge-
leſen/ ich ſelbſt ein und ander dinge angetroffen/ denen ich nicht ſubſcribiren wol-
te/ aber mit anderer menſchlicher ſchwachheit gedult trage/ der ich auch dergleichen
von andern gegen mich verlange. Alſo laſſe ich andern ihr urtheil uͤber dieſen leh-
rer/ und finde nicht noͤthig/ weder alles in ihm zuverwerffen/ noch ihn ſimpliciter
bey zupflichten. Von Stephano Prætorio und Statio kan ich beſſer reden/ als
welche ich cum cura geleſen/ und zwar mit gantz præoccupirten gemuͤthe. Denn
ich einen Chriſtlichen ſtudioſum, da ihn andere dinge wegen zu zuſprechen gehabt/
auch weil gehoͤrt hette/ daß er in ſolchem Statio fleißig leſe/ gewarnet/ ich haͤtte zwar
den autorem nie geſehen/ hoͤrte aber von einem andern guten freund/ daß er nicht e-
ben rein waͤre. Worauff er/ als er hoͤrte/ daß ich ihn nie geleſen/ mich bat/ ſo viel
ich mich beſinne/ mit darreichung ſeines eignen exemplaris, ob ich es doch geleſen/
und wo vor er ſich zu huͤten haͤtte/ ihm darinnen zeigen moͤchte. Als ich es nun an-
fieng zu leſen/ mit dem gemuͤth/ daß ich die errores darinnen notiren wolte/ wur-
de ich durch die darinnen enthaltene goͤttliche lehr dermaſſen bewogen/ daß ich ſelbſt
viel anders davon hielte/ als vorhin aus eines andern freundes urtheil davon zu ur-
theilen mich bewegen laſſen/ und daher ob wohl einige ſtellen darin angetroffen/ die
ich anders verlangt/ mich ſchuldig geachtet/ wegen der vortrefflichkeit der vornehm-
ſten darinnen enthaltenen lehr/ die etwa mit unter gelauffene ſchwachheiten ihm zu
gut zu halten/ und auch was an ſich ungleich lauten moͤchte/ mit guͤtiger auslegung
zu mildern. Als aber nachmal Prætorium ſelbs laß/ ſo leugne nicht/ das mehrers
M mdarin
[272[274]]Das ſechſte Capitel.
darin gefunden/ als in Statii extract, ſo mir mißfallen/ aber mich weder damahl
dahin gebracht hat/ noch bꝛingen wird/ daß ich deswegen auch in demſelbigen nuͤtz-
liche ein und andern gottſeligen hertzen mit willen aus den haͤnden reiſſen wolte laſ-
ſen. Wie ohne das in Statii gantzer Schatz-kammer nicht ein einiger ort iſt/ wel-
chen nicht ein gottſeliger Chriſt/ wo er ihn in ſeiner einfalt lieſet/ in gantzen guten
verſtand annehmen koͤnte: ſonderlich von ſolchen leuthen/ die taͤglich aus GOttes
wort von der cantzel von der reinen lehr alſo unterrichtet werden/ daß ſie dieſelbe faſ-
ſen/ und nach ſolcher analogia alles/ was ſie leſen/ obs etwa auch von dem autore
anders moͤchte gemeinet geweſen ſeyn/ zu verſtehen pflegen. Daher ich andern ih-
re meinung laſſe/ und tringe das buch niemand auff/ als der ich weiß/ daß kein buch
bloß nothwendig ohne die Schrifft/ aber laſſe hingegen auch mich/ ſo dann die jeni-
ge/ welche ſolche auffmunterung aus dieſem buch geſchoͤpffet/ und noch oͤffters
ſchoͤpffen/ auch nicht noͤthigen/ wider meine eigene erfahrung anders zu glauben/
oder dieſe arbeit zu verwerffen: So vielmehr nach dem ſo offt der ſtreit iſt/ nicht
ſo wol de veritate ſententiæ, als ob dies und jenes Statii, Prætorii (auch etwa
Hohburgii) meinung geweſen ſeye; wo auch die Papiſten ſelbſt ihren Papſt nicht
gern die jenige infallibilitatem geſtatten/ daß er in hac quæſtione facti, ob die-
ſe oder jene propoſition eines autoris von ihm in ſolchem verſtand gemeinet gewe-
ſen/ nicht ſolte irren koͤnnen. Wie die controverſia janſeniana noch erſt neulich ge-
wieſen. Wie wollen wir dañ eine mehrere autoritaͤt einigen particular oď mehrern
Theologis geben/ daß wo dieſelben einigen autorem um gewiſſer reden oder leh-
ren willen (davon noch ſtreit iſt/ ob er ſie in dem verſtand gehabt) verwerffen/ ſol-
ches als res judicata von allen angenommen werden muͤſte. Es wird ein jegli-
cher vor ſich ſelbſt GOtt rechenſchafft geben. Was wegen der Theoſophiæ und
Theologiæ geſagt wird/ ſehe ich nicht/ wohin es ziehlet. Entweder iſts die mei-
nung/ daß wir jetzo durch eine ſolche immediatam inſpirationem, wie die ϑεό-
πνευστοι, nicht erleuchtet werden/ ſondern unſer habitus ein mediate acquiſitus
ſeye. So iſt hieruͤber kein ſtreit nicht/ denn weder ich noch meine freunde hieran
nicht gedacht. Oder es iſt die frage/ ob die Theologia ein habitus merè indu-
ſtria humana ſine Sp. S. divino lumine
(gleich wie andere menſchliche wiſſen-
ſchafften erlangt werden) acquiſitus ſeye? So bekenne ich gern/ das ich mir eine
ſolche Theologiam oder ſolche Theologos nicht wuͤntſche: auch aus 2. Cor. 2.
von Paulo lerne/ daß der natuͤrliche menſch (Luth. gloſſirets/ wie er auſſer
der gnade iſt/ mit aller vernunfft/ kunſt/ ſinnen und vermoͤgen/ auch auffs
beſte geſchickt
) nicht verſtehe/ was des geiſtes GOttes ſey/ noch geiſtliche
dinge beurtheilen koͤnne; Wie will alſo ein ſolcher/ und alſo ohne die erleuchtung
des heiligen Geiſtes (welche gewißlich keinen welt-hertzen/ krafft der wort Chriſti/
[w]iederfahren kan) ein rechtſchaffener Theologus ſeyn/ und ſolte er alles wiſſen/
was
[273[275]]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XXXIX.
was menſchlichen fleiß erlernen kan. Alſo hat mich mein ſeliger Præceptor D.
Dannhauer, informiret,
wie er denn die Hodoſophiam oder Theologiam
noſtratem
alſo definirt: eſt lumen, conſtans, cœleſte, efficax, in oculo
ſpirituali, puro, illuminabili, quod hominem cœlo exulem ad patriæ cœ-
leſtis beatitudinem ductu ſuavi reducit.
Und nachſolgends beſchreibt er
das ſubjectum, in oculo mentis ſpirituali ac remoto, puro à nequitia pio-
que, illuminabili ſ. docili, devoto \&c.
dieſem folge ich gern/ und achte den
habitum der jenigen nicht wuͤrdig den lieben nahmen der Theologiæ zu tragen/
welcher nichts goͤttliches von dem heiligen Geiſt hat/ ſondern ſich bey einen welt-
hertzen und gottloſen menſchen finden kan. Jch hoffe aber auch nicht/ daß mir eini-
ger cordater Theologus wird hierinnen widerſprechen wollen/ und ſolches iſt
meine und meiner freunde meinung/ gantz gemaͤß der analogiæ fidei, wolte Gott
aber auch der erfahrung. Was den innern menſchen anlangt/ weiß ich nicht
wie mein hochgeehrter Herr auff die rede komt/ daß ich dadurch verſtehe die ſonder-
bare genaue vereinigung eines Chriſten mit Chriſto. Welches mir gantz unge-
raͤumt geredet zu ſeyn deuchtet. Der innere menſch iſt der Geiſt aus Geiſt ge-
bohren/
welcher dem fleiſch aus fleiſch gebohren entgegen geſetzt wird/ und begreifft
alſo den menſchen/ wie er nun in krafft des glaubens in der wiedergeburth zu einen
andern menſchen worden iſt/ in erleuchteten verſtand/ himmliſch geſinneten willen/
und dergleichen/ oder wie unſer lieber Lutherus in der vorred uͤber die Ep. an die
Roͤmer ſagt: daß der glaube ein goͤttlich werck in uns ſeye/ daß uns wan-
delt und neu gebieret aus GOtt/ und toͤdtet den alten Adam/ machet uns
gantz andere menſchen von hertzen/ muth/ ſinn und allen kraͤff-
ten/ und bringt den heiligen Geiſt mit ſich.
Wo alſo bey demſel-
ben die wercke nicht nur allein die aͤuſſerlich dem geſetz gemaͤß geſchehen/ wie etwa
bey vielen unwiedergebohrnen offters auch zu geſchehen pflegt/ ſondern daß das
hertz alſo geſinnt iſt/ wie es aͤuſſerlich wuͤrcket. Heiſſet alſo auff den innern menſchen
alles richten/ dieſes/ daß man nicht nur einemoral Theologiam aus dem geſetz vor-
trage/ von aͤuſſerlichen wercken; ſondern trachte die leuthe durch die erkaͤntnuͤß der
wohlthaten Chriſti zu dem wahren glauben zu bringen/ welcher in des heiligen Gei-
ſtes krafft die hertzen der menſchen aͤndern/ und ſie anders geſinnet machen wird/
damit der grund alles guten in dem hertzen geleget werde: Und nachmal was ge-
ſchiehet/ nicht geſchehe aus einer heucheley/ mit abſicht auff ſich ſelbs/ oder mit
zwang/ ſondern von grund der ſeelen und aus innerlichen trieb des hertzens. Wo-
von der liebe Lutherus ſo herꝛlich offters redet. Das heiſſet auff den innern men-
ſchen alles richten; Daher wirds kommen/ daß man die leuthe immer mehr und
mehr gewehne/ auff ſich ſelbs und ihr hertz achtung zu geben/ ſo wol auff die ſuͤnd-
liche bewegungen des fleiſches/ die uns/ wo wir ſie nicht genau warnehmen/ gar
M m 2bald
[274[276]]Das ſechſte Capitel.
bald uͤberwinden koͤnten/ und als noͤthig iſt/ ſtaͤts gegen ſolchen innern feind auff
der hut zu ſeyn/ als auch acht zu geben/ auff die wuͤrckung GOttes in unſern ſeelen/
wo derſelbe bey leſung/ hoͤrung/ betrachtung ſeins worts ſeine krafft uns in den her-
tzen fuͤhlen laͤſſet/ und daſelbs bey uns anklopffet/ ſolche gnade nicht vorbey ſtreichen
zu laſſen/ ſondern ſie anzunehmen/ auff und in der ſelben zu wuͤrcken. Daher
auch immer ſich nicht nur nach dem aͤuſſerlichen thun/ ſondern zufoͤrderſt nach der
innerlichen beſchaffenheit des hertzens zu pruͤffen und darinn auff unſern wachs-
thum acht zu geben. Da iſt nun wohl die vereinigung der glaͤubigen mit Chriſto
ein theures gut/ ſolches innern menſchen/ nicht aber der innere menſch. Was in
dem uͤbrigen anlangt meine meinung/ ob ich nach Oſiandri meinung die juſtifica-
tionem ſtatuire
te/ ſo bitte ich/ mein hochgeehrter Herr pruͤffe ſeyn hertz vor GOtt/
ob ich ihm mit einigem wort hierzu nur einige vernuͤnfftige urſach gegeben/ und
nicht aus dieſer probe/ wie zwar auch ſonſten vielen hoͤniſchen und ſpitzigen reden
(welche der Vater der barmhertzigkeit ihm nicht zu rechnẽ wolle) ein ſolches gemuͤth
gegen mich heraus leuchten laſſe/ daß ohne liebe allein ſuche/ ob man etwas auff-
bringen moͤchte/ da man mit einem ſchein mir zu contradiciren vermoͤchte. Er
gedencke aber dabey/ das GOtt unſer hertzen anſihet/ und wir davor rechenſchafft
geben muͤſſen. Wo habe ich mein lebtag an dieſen propoſitionen mangel gehabt?
Sola fide juſtificamur, ſola fides Chriſti meritum apprehendit, juſtifica-
tio proprie ſolummodo fit per imputationem meriti Chriſti \& non im-
putationem peccatorum?
Jndeſſen ſage ich noch hundert mahl/ Chriſten muͤſ-
ſen nicht nur Chriſti verdienſt mit dem glauben ergreiffen; dann ob wol dieſes das
jenige iſt/ worinn allein die rechtfertigung beſtehet/ ſo ſind doch noch mehr officia,
die einen Chriſten obligiren: noch mehrere beneficia, deren er genieſſen ſoll. So
bleibts auch wahr/ es muͤſſen die Chriſten nicht nur glauben/ durch Chriſti verdienſt
ſelig zu werden (welches die rechtfertigung iſt) ſondern es muß auch Chriſtus in ih-
nen wohnen/ welches ein theures ἀξίωμα der glaͤubigen iſt/ wo vor ſie nicht aller
welt gut nehmen wuͤrden/ und das jenige mittel/ wodurch die liebe Heyland durch
ſeinen Geiſt an ihrer fernern heiligung wuͤrcket. Wie kan man dann mit wahr-
heit ſagen/ daß meine wort auff ſchrauben geſtellet ſeyen? oder muͤſſen wir im̃er fort
und fort der terminorum ſcholaſticorum und artis uns alſo gebrauchen/ das oh-
ne dieſelbe/ und wo wir etwan einmal mit einfaͤltigen worten der Schrifft reden/
alles muß verdaͤchtig ſeyn? Jſt dieſes nicht eine ſache/ die billig zu bejammern?
Was die lehr von der vereinigung Chriſti mit ſeinen glaͤubigen anlangt/ ſo
habe ich auch nicht urſach einen finger abzuweichen von der lehr der meiſten unſerer
Theologerum, und bin verſichert daß es der Schrifft gemaͤß ſeye/ daß ich glau-
be/ nicht nur Chriſti Geiſt/ gnade/ wuͤrckung/ wohne in uns/ ſondern er CHriſtus
elbs wohne in uns. Und er ſelbs/ nicht nur ſeine gnade und wuͤrckung/ vereini-
ge
[275[277]]ARTIC. I. DISTINCT. II. SECT. XXXIX.
ge ſich mit uns. Beziehe mich damit auff die jenige/ welche de unione my-
ſtica
hin und wieder geſchrieben. D. Brochm. Syſt. Th. T. 2. c. 4. ſ. 1. \& ſeq. pag.
304. ſeq.
ſo da ſelbſt expreſſe wider die Weigelianer diſputiret, D. Dannhau-
er Hodoſ. Ph. 8. pag. 864. D. Hülſeman. Brev. ext. c. 14.
Wer die wahrheit
verlangt/ wird in dieſen gnug finden/ wem aber derſelben arbeit nicht genug iſt/
wird nicht noͤthig ſeyn/ daß ich an ihm viel muͤhe deswegen anwende. Jndeſſen
kan mir kein Weigelianismus imputirt werden/ es treffe denn ſolche wohlver-
diente leute mit mir. Ja ich habe vor mich unſere Formulam Conc. Loc. 3. da in
antitheſi verworffen wird: quod non DEUS ipſe, ſed dona Dei duntaxat
in credentibus habitent.
Der aber in uns wohnet/ vereiniget ſich mit uns.
So viel betrifft die von mir vorgeſchlagene media in den Piis deſideriis, welche
mein Hochgeehrter Herr hat examiniren wollen/ hoffe aber wo er ſeyn hertz auff-
richtig pruͤffen werde/ daß er vor GOTT erkennen werde/ daß er nichts dagegen
auffgebracht habe/ das einigerley maſſen ein wichtiges dubium verurſachen koͤn-
te. Weil aber ſehe/ daß mein Hochgeehrter Herr ſo ſehr auff die ſuffragia der
menſchen ſiehet/ ſo kan denſelben verſicheren/ daß ohngemeldt viel rechtſchaffener
politicorum und ſolcher leute in den weltlichen ſtande/ die das reich GOttes mit
groſſen eiffer ſuchen/ ich wo es noͤthig eine ſtarcke anzahl der ſchreiben von vortreff-
lichen Profeſſoribus, General und Special Superintendentibus, Conſiſtori-
alibus,
ſtadt- und andern predigern vorzeigen kan/ welche ſolche pia deſideria mit
hoͤchſten freuden auffgenommen/ und ohne einige ausnahm approbirt haben.
Die zahl iſt groͤſſer/ als mein Hochgeehrter Herr etwa dencken ſolte. Jch will
aber hier allein ſenden von 8. unſer Univerſitaͤten die ſuffragia vornehmer Theo-
logorum/
deren einige die primarii ihrer facultaͤten ſind. Jch ſetze die nahmen
der lieben leute und den ort mit fleiß nicht darbey/ weil nicht noͤthig/ dieſelbe aliorum
odiis \& in vidiæ
annoch zu exponiren. Aber mein Hochgeehrter Herr ſey ver-
ſichert die originalia ſind alle vorhanden. Denſelben habe allein ferner zugefuͤgt
des Heßiſchen beruͤhmten Theologi Herrn D.Mentzersſuffragium, welcher un-
ter den erſten geweſen/ ſo den piis deſideriis gratulirt/ und ſeine wort nicht retra-
cti
ren wird. Jch zwar meines ortes weiß gar wohl/ daß ob ſchon dergleichen ſuf-
fragia
einen ſo viel mehr bekraͤfftigen koͤnnen/ ſich deſto weniger zu ſcheuen bey einer
wahrheit/ welche von andern auch erkant wird/ dannoch beruhe auff denſelben die
ſache nicht/ weil aber mein Hochgeehrter Herr ſcheinet auff dieſes argument à
judicio humano
ſo viel zu achten/ wirds nicht eben undienlich ſeyn/ demſelben zu zei-
gen/ daß vornehme liechter unſerer kirchen das jenige ohne ausnahm gebilliget/ ja
gelobet/ worinn er ſo viel holtz/ heu und ſtoppeln zu erkennen meinet. Jedoch will
ich darum ſolche/ ob wohl mit ſo vielen autoritatibus bekraͤfftigte/ pia deſideria
niemand obtrudiren. Sind ſie jemand zu ſeiner auffmunterung und erbauung
dienlich (wie ich dem Allerhoͤchſten demuͤtigen danck ſage/ der ſie bey nicht wenigen
M m 3hat
[276[278]]Das ſechſte Capitel.
hat laſſen etwas fruchten) den goͤnne ich gern den nutzen meiner einfaͤltigen aber
treugemeinten Schrifftẽ: Wer ſie nicht beliebt/ mag auch dieſelben wohl entrathen/
wo er nur dabey bleibt/ was ihn Gottes wort ſelbſt deutlich zeigt. Wie ich auch
als nicht geſchrieben haben will/ wo etwas des meinigen mit ſolchem wort nicht ein-
ſtimmen ſolte. Meines Hochgeehrten Herrn vorgeſchlagene 6. mittel laß ich an ih-
ren ort beruhen. Das 1. 2. 5. 6. ſind ohne zweiffel noͤthig/ aber doͤrfften doch das
werck noch nicht heben. Jn dem 3. ſo ſind geſetz-predigten gantz noͤthig/ vermei-
neich/ daß ich ipſa praxi mea in meinem amt zeige/ daß ich kein antinomus/ ſon-
dern derer vielleicht mehr ſeyn werden/ welche klagen/ daß ich zu viel geſetz pre-
digte/ als zu wenig. Aber dabey bleib ich doch/ daß das geſetz weder das einige
noch vornehmſte iſt/ ſo die leute fromm machet/ ſondern das muß das Evangelium
thun. Habt ihr den Geiſt empfangen durch des geſetzes werck/ oder durch die
predigt vom glaubẽ Gal. 3.
Alſo hat das geſetz nimmermehr einen einigen men-
ſchen from̃ gemacht/ ſondern es muß das Evangelium den glauben wircken in denen
durchs geſetz erſchreckten hertzen/ derſelbe macht die leute fromm/ da er ſie gerecht
macht/ und die heiligung ferner wuͤrcket. Und ach wie kraͤfftig iſt offtmahls
auch bey ſehr rohen hertzen die liebreiche reitzung durch vorſtellung goͤttlicher gnade
und wohlthaten? dadurch ich bey vielen weiß mehr ausgerichtet worden zu ſeyn/
als mit trohen/ donnern und plitzen. Was das 4te mittel anlangt/ ſo laſſe ich es
alſo paſſiren/ treibung zu guten wercken oder heiligen leben/ als eine frucht
des ſeligmachenden glaubens/ ohne welchen der glaube niemahlen ſey/ und
alſo von dem mangel derſelben billig auff den mangel des glaubens
und der ſeligkeit zu ſchlieſſen ſeye. Wie aber mein Hochgeehrter Herr
mich oder jemand anders zu der des Herrn D. Horneji ſentenz (welche ich doch
meine/ von Herrn D. Calixto ſelbs ſeinem collegæ uͤberlaſſen/ und nicht weiter
verfochten worden zu ſeyn) de bonis operibus qua conditione ad ſalutem ne-
ceſſaria,
koͤnne obligiren/ ſehe ich nicht. Jch ehre des gelehrten und frommen
mannes gedaͤchtnuͤß/ und glaube auch/ daß wie er die propoſition gebraucht/ er
es nicht in der meinung werde genommen haben/ wie die wort in rigore mit ſich
bringen. Und laſſe ich gern gelten/ daß ſie ſeyen conditio ſalvando neceſſaria,
ob ich wohl die propoſition, quod ſint ad ſalutem neceſſaria, nicht billige: nicht
ob koͤnte dieſelbe nicht auch in einem verſtand expliciret werden/ der ſtehen moͤch-
te/ ſondern weil gleichwohl die wort denjenigen verſtand nach dem rigore mit ſich
bringen/ daß ſie mit einiger influenz oder doch reſpectu ad ſalutem noͤthig waͤ-
ren/ wo ich fuͤrchte/ daß wir der doctrinæ de juſtificatione merè gratuita per
ſolam fidem
zu nahe treten/ und alſo nicht urſach haben von den jenigen unſern lie-
ben lehrern abzugehen/ die dieſelbe verworffen. Jedoch daß des wegen Horne-
jum
nicht verdamme/ oder die jenige die mit ihm ſolche formul in dem verſtand ge-
brauchten/ welcher die juſtificationem ex ſola fide in ihrer krafft laͤſſet: um wel-
ches
[277[279]]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XXXIX.
ches es allein zu thun iſt. Der ort Hebr. 12/ 14. hat die propoſition nicht in ſich/
denn ohne die heiligung wird niemand GOTT ſehen/ nicht daß die heiligung
eine conditio ſeye ad ſalutem ob wohl ſalvando. Und ſeye mein Hochgeehrter
Herr verſichert daß das treiben der gottſeligkeit als einer frucht und kennzeichen des
allein ſeligmachenden glaubens nicht weniger die nothwendigkeit derſelben treibe/
als wo ſie als etwas zu der ſeligkeit noͤthiges angegeben wird. Es ſolten wohl ei-
nige meiner auditorum ſich eher beklagen/ daß ich die nothwendigkeit der guten
werck zu groß mache/ als daß ich darinnen remiſſior waͤre/ ob wohl jene propoſi-
tion
verwerffe. O wie vielmahl hoͤren ſie/ daß allen denen/ welche nicht ſo und
ſo in Chriſtliche ordnung und zu deſſen nachfolge ſich ſchickten abgeſprochen werde/
daß ſie ſo lang keine Chriſten/ keine glaͤubige und alſo der ſeligkeit faͤhige leute ſeyen.
Neben dem ſo halte ohne das dieſe art/ auff die wercke aus deroſelben nothwen-
digkeit zu treiben/ nicht vor die vornehmſte/ denn da mit gehen ſie noch nicht aus ei-
ner ſolchen hertzlichen liebe/ wie ſie ſollen: Nicht daß ich nicht erkennete/ daß auch
die fureht der ſrraffe und anſehen der gnaden belohnung ein antriebſeyn moͤgen/ ſon-
dern daß ſie weder der einige noch vornehmſte ſind. So wird aus wohl betrachte-
ter meiner und aller uͤbrigen Chriſtlicher lehrer/ die die obgedachte propoſition
nicht annehmen/ erklaͤhrung erhellen/ daß uns unrecht geſchehe/ wo es heiſſen wol-
te/ daß wir mit der andern hand nehmen/ was wir in der vorigen gegeben haͤtten.
Daß ich jemahl von der vereinigung mit CHRJSTO/ daß der menſch davon
nicht abfallen koͤnte/ ſolte gelehret haben/ iſt ſo gar nichts/ daß ich offt das gegentheil
geſchrieben und treibe. So bleibe ich auch wiederum bey meiner erſten theſi, daß
unſer glaube an keinen menſchen gebunden ſeye. Symbolis und libris ſymboli-
cis
laſſe ich die wuͤrde/ die ſie ihn ſelbſt attribuiren/ nehmlich ut ſint (non judex,
norma regula, ſed) hujus tantum dignitatis, quod duntaxat pro religione
noſtra teſtimonium dicant \&c.
Wie die wort in F. C. lauten. Es muß ein-
mahl veritas divina ſeyn/ auff welche der glaube beruhet/ alles andere iſt zu we-
nig und zu ſchwach. Meine lehr art mag an gewiſſe conditiones gebunden ſeyn/
jedoch ſo/ daß ich mich nicht auff einige ſchrifften verbinden laſſe/ welche ich nicht
nach GOttes wort gepruͤffet/ und demſelben gemaͤß befunden/ aber der glaube
ſelbs ſiehet bloſſer dings auff nichts menſchliches. Und da ich an dem Papſtum ei-
nen hertzlichen eckel habe/ bekenne ich doch gern/ daß deſſelben grund-principium
welches die autoritaͤt der kirchen und alſo menſchen iſt/ mir am allermeiſten ent-
gegen ſeye/ dazu ſich auch ſchwehrlich jemand mehr wird reſolviren koͤnnen/ wel-
cher einmahl geleꝛnet hat/ was es vor ein vergnuͤgung und verſicherung des hertzens
ſeye/ nichts in dem geringſten um einiges menſchen willen/ wer der auch ſeye/ zu
glauben/ ſondern allein das jenige deſſen wir offenbahres zeugnuͤß der Schrifft ha-
ben/ und alſo auch aus derſelben unſer gewiſſen uns verſicherung giebt. Ach
HERR/ heilige du uns in deiner wahrheit/ dein wort iſt die wahrheit! Daß
unter-
[278[280]]Das ſechſte Capitel.
unterſchiedliche gottſelige leute/ die jetzo und etwa auch zu andernmahln einiges gu-
tes zur beſſerung der kirche vorgehat oder edirt/ ihre nahmen nicht genennet/ ſon-
dern entweder gar nichts oder verdeckte nahmen beygeſetzet/ hoffe ich bey cordatis
und prudentibus ſo gar nicht geſtrafft zu werden/ daß ich wuͤntſchte/ es geſchehe
mehr. Es hat ein vornehmer Profeſſor Theologiæ ſich nicht geſcheuet/ ſein
Chriſtliches bedencken ſub nomine Theophili Sinceri heraus zu geben/ ob er
wohl jetzo ſeinen nahmen nicht ferner verſchweigt; ſo hat auch/ ob wohl in materia
polemica,
ein eyffriger und vortrefflicher Theologus wider den Chriſtianum
Conſcientioſum
ſeine refutation unter den nahmen Chriſtiani Aletophili durch
mich ediren laſſen: und weiß ich daß verſtaͤndige leute ſehr wohl davon geurthei-
let. Bey dem conſenſu Dannhaueriano war je nicht noͤthig/ daß der nahme
ſtuͤnde/ da ja nichts als ein labor congerendi ex ſcriptis Dannhauerianis war/
und ſtehet doch der nahme mit den literis initialibus ausgetruckt. Wie aber
Herr Kriegsmann ſeinen nahmen haͤtte deutlicher ſetzen ſollen/ ſehe ich nicht. So
vielmehr nach dem ſein nahme von 20. jahren/ durch mehrere edirte ſcripta und
in den catalogis bekant worden iſt. Wo ich aber zu rathen haͤtte/ ſo wuͤrde noch
mehrere dahin ſuchen zu vermoͤgen/ daß ſie ohn genennet ihre unvorgreiffliche ge-
dancken publicirten. Denn wir leben in einem ſeculo/ da man leider nicht ſo
wohl quid, ſed quis dicat, acht gibt/ und muß ſo offt eine gewiſſe wahrheit deſſen
entgelden/ welcher ſie vortraͤgt/ entweder ſeinet wegen verachtet oder gehaſſet zu
werden. Da ich hingegen verlangte/ daß man auffrichtig und als vor GOTT
jegliche ſache/ rath und ſchrifft anſehe und urtheile/ wie ſie an ſich ſelbs iſt/ ohne
reflexion auff den authorem. Solche ſchrifften die eines andern ehrlichen nahmen
angreiffen/ oder ſonſten ihn lædiren/ ziemen ſich nicht/ ſonderlich ohne ausgetruckten
nahmen zu verfertigen/ und iſt ſolches durch die geſetze heilſamlich verſehen: Wo es
aber allein die lautere wahr heit und GOttes ehre betrifft/ wie derſelben an der per-
ſon des vortragenden nicht gelegen iſt/ ſo bedarffs auch des vorgeſetzten nahmens
nicht. Jn deſſen ſey mein Hochgeehꝛt. Herr verſichert/ Gott hat ſolche kraͤfftige gnade
einigen guten ſeelen/ die das heil der kirchen verlangen/ und darnach ſeufftzen/ ver-
liehen/ in welcher ſie willig und freudig ſeyn wuͤrden/ alles da vor auffzuſetzen/ wo
da durch der guten ſache geholffen werden mag: daß man alſo mit den nahmen
nicht ſo wohl eben der urſach wegen zu ruͤck halte/ das man daß leiden fliehet/ als
daß mans jetzo der kirchen nicht eben nuͤtzlich achtet. Jm uͤbrigen weiß ich von Re-
formatoribus
unſerer kirchen nicht/ wohl aber von rechtſchaffenen hertzen/ die ei-
ne beſſerung verlangen/ und willig ſind/ ihres oꝛts ſo viel zu thun/ als ihnen GOTT
gnade giebt/ biß GOtt zu mehrer nothdurfft ſeiner kirchen die jenige dermahleins
gebe und ausruͤſte/ durch die er ſein verſtoͤrtes Zion etlicher maſſen in ſtand bringen
will. Was das Conſiſtorial-ausſchreiben von Darmſtatt und Gieſſen (von
deme gleichwohl einige membra bezeuget/ daß ſie nichts gewußt/ oder nichts mit
zu-
[279[281]]ARTIC. I. DISTINCT. II. SECTIO XXXIX.
zu ſchaffen gehabt zu haben) betrifft: laſſe ich ſolches zur verantwortung derjeni-
gen/ die deſſen autores ſind/ weiß aber wohl/ was andere auch rechtſchaffene ſo Po-
litici
als Theologi davon geurtheilet. Obs ihnen mag lieb geweſen ſeyn/ daß
es anderwertlich nachgetruckt/ habe ich auch nicht zu beurtheilen. Daß Herr
D.Fritſchenpietaͤt und vor andern habendes [l]ob-zeugnuͤß/ einigen in den augen
wehe zu thun ſcheinet/ hoffe ich/ werde der liebe mann ſich nicht befremden laſſen/
ſondern ſich deſſen laͤngſt verſehen haben. Wolte GOTT/ es waͤre bey vielen un-
ſers ordens ein ſolch hertzlicher reiner eiffer vor GOttes ehre/ wie bey dieſem recht-
ſchaffenen Politico iſt/ und andern ein gottſeliger antrieb zu einem heiligen nach-
eyffernſeyn ſolte. Jch erinnere mich aber dabey/ was ein vornehmer und alter
Doctor Theologiæ und General Superintendens annoch dieſes jahr an mich
geſchrieben/ Er habe in ſeinen ſo langen geiſtlichen verrichtungen keine ſo
gifftige leute angetroffen/ die den wahren Chriſtenthum ſo zu wider ſeyen/
als die ſeines ordens geweſen ſeyn.
Und der aͤlteſte unter allen unſern Theologis
Academicis
troͤſtete mich nechſt hin/ ſolte alles mir begegnende gering achten/ und
mich auch mit ſeinem exempel auffrichten/ als der vonfalſis fratribusvielmehr
ſein lebenlang leiden muͤſſen/ als von offenbahren widerſachern/ alſo daß
Reformirte und Papiſten noch hoͤfflicher mit ihm umgegangen.
Nun die
welt wird/ beſorg ich/ auch in denen/ die von der welt am meiſten ſolten ausgegan-
gen ſeyn/ ihre art behalten/ die ſie allezeit gehabt/ biß der HERR ſelbſt drein ſehe/
und daß ſeufftzen der armen bey ihm eintringen wird. Meine apologia oder ſend-
ſchreiben
nicht wider/ ſondern an/ einen auslaͤndiſchen Theologum, iſt ſo abge-
gangen/ daß nicht ein einig exemplar communiciren kan/ noch es vor der meß
wird zu haben ſeyn. Des entweder alſo heiſſenden oder ſich alſo neñenden Rebhans
anklage beweget mich wenig/ alſo daß mich der gute man dauret/ welcher ſich an ſei-
nen GOTT und nechſten verſundiget/ und bey rechtſchaffenen leuten eben damit
ſeinen credit verliehret/ daß er ohne nicht nur uͤberzeugung/ ſondern nur benen-
nung einiges irrthums einen ehrlichen lehrer oͤffentlich beſchuldigen darff. Dann
was ſolte nicht jeglicher/ wo es alſo gilt/ wider jeden ſchreiben koͤnnen? Der
HERR gebe es ihm hertzlich zu erkennen/ und verzeihe es ihm in gnaden! Jch
wende mich nun zu den andern brieffen. Was nun Herrn Ammersbachen an-
langt/ habe oben bereits meine meinung geſchrieben/ daß ich weder mit ihm in ge-
nauer correſpondenz ſtehe/ noch dieſe vindicias verlangt/ oder ehe ſie mir zu ge-
ſandt worden/ etwas davon gewußt habe/ ſo dann in explication der ſtreitigen
propoſition bey meinem auffſatz bleibe/ und an die rettung nicht bloß gehalten ſeyn
will. Wie ich dann insgeſamt/ als lange mir GOTT leben und kraͤfften giebt/
nicht wuͤntſche/ daß andere ſich publicis ſcriptis meiner particular-ſache anneh-
men/ in dem jeglicher allezeit beſſer ſelbs ſeine meinung erklaͤhren/ als ein ander ſie
verthaͤdigen kan: Es ſeye dann/ was die allgemeine ſache GOttes anlangt/ da alle
N nmit
[280[282]]Das ſechſte Capitel.
mit und voreinander ſolche treiben ſollen: Hingegen daß wo ich aus andern urſa-
chen ſeine correſpondenz mir noͤthig befinde/ ſolches mit recht mir nicht gewehret
oder verdacht werden koͤnte: deme ja frey ſtuͤnde/ mit gantz anderer religion leh-
rern zu correſpondiren/ wo ich mir ſolches nuͤtzlich achtete. Wenn Herr Am-
mersbach in den vorgeruͤckten loco aus ſeinen Moſis ſtuhl (ſo ich niemahl geleſen/
auch ſo viel mich jetzt entſinnen koͤnte/ nicht geſehen habe) meyne/ daß ihrer kaum ze-
hen ſeyen/ uͤberlaſſe ich ſeiner erklaͤhrung/ als der ich nicht weiß/ wem er meyne. Jſt
aber die frage von denjenigen/ die mit rechtſchaffenen eiffer eine beſſerung verlan-
gen/ und nach vermoͤgen jeglicher ſeines ortes dahin laboriren/ ſo ſeye dem HErrn
ewiger danck geſagt daß mir allein derſelben jetzo nicht nur zehen bekant ſind/ ſondeꝛn
die zahl durch GOttes gnade etwa noch ſtaͤrcker iſt/ und immer ſtaͤrcker werden
mag. Was meine explication der 3. puncten betrifft/ ſo iſt mir lieb/ daß gele-
genheit habe/ davon part zu geben/ daß ſolche ohne mein wiſſen und willen getruckt/
und mir zugeſendet worden/ welches ich gegen den jenigen/ ſo ſolches auff begehren
an ihn geſchriebene publiciret/ geandet/ aber weil es ſich nicht aͤndern laſſen/ meine
bewilligung dazu gegeben habe/ mit der condition/ daß die 2. erſte boͤgen/ die gar
nicht mein/ abgethan/ und die nachgeſchickte præfation dazu geſetzet wuͤrde/ ſo auch
geſchehen/ und alſo N. N. nahm und theſes weg gethan worden/ dann weil dieſer
mich zwar erſt angegriffen/ aber den nahmen nicht ausgetruckt hatte/ ſo habe auch
mich gegen ihn nicht eintringen wollen/ der ich ohne das dazu mich nicht reſolviret/
wo es nicht zu eigen unterricht von einigem prediger von mir were begehret wor-
den. Warum es zu Merſeburg getruckt worden/ iſt mir im wenigſten nicht wiſ-
ſend/ wohl aber eben auch dieſes nicht lieb geweßt/ daß es anderwertlich herausge-
kommen/ da es den ſchein gewinnen moͤchte ob doͤrffte ich das meinige nicht allhier
trucken laſſen. Daß Herr Ammersbachs freundſchafft meine famam ziemlich
denigriret haben ſolle/ laſſe ich an ſeinen ort geſtellet ſeyn/ ob rechtſchaffene leute
aus dem/ was oben bezeuget/ gegen mich/ daraus nur ein argwohn/ geſchweige ei-
ne ſtaͤrckere præſumtion faſſen koͤnnen. Jm uͤbrigen habe ich durch GOttes gna-
de gelernet διὰ δυςφημίας καὶ ἐυφημίας: durch boͤſe geruͤchte n. gute geruͤchte/
zu gehen. Und da ich nichts ſtraͤffliches gethan/ wie ich mich hierin ſicher weiß/ tra-
ge ich mit freuden alles/ was mir unbillig zu gefuͤgt wird/ und dancke meinen Gott/
wo er mir etwas gegeben hat/ daß ich um ſeines nahmens und meiner unſchuld wil-
len verliehren kan und ſoll. D wie wohl/ da uns unſer hertz nicht verdammt/ und
wie leicht wirds als denn/ von einen menſchlichen tage uns richten zu laſſen/ und mit
freuden des tages zu erwarten/ an welchem GOTT allen veꝛborgenen rath der
menſchlichen hertzen offenbahren wird? Sonderlich wo wir erſtlich gelernet ha-
ben (ohne welche lection wir auch unſers Chriſtenthums uns nicht ruͤhmen koͤnnen)
daß dasjenige/ was die menſchen in der welt ehre nennen/ nichts ſeye/ daher uns
nicht
[281[283]]ARTIC. I. DIST. II. SECT. XXXIX.
nicht dran gelegen ſeyn ſolle/ was menſchen von uns halten/ ſondern wie wir vor
denjenigen ſtehen/ der uns verdammen und loßſprechen kan/ dem wir deswegen
allein zu gefallen trachten/ bey menſchen aber nichts anders zu ſuchen haben/ als ih-
nen liebe zu erzeigen/ und ſie nicht zu aͤrgern/ aber von ihnen alles willig auffzuneh-
men. Wo aber noch der groſſe goͤtze/ die eigene ehre/ und begierde etwas in der
welt zu ſeyn/ einen groſſen nahmen zu haben/ und angebetet zu werden/ in dem her-
tzen auff ſeinem thron ſitzet/ ſo ſolte es nicht nur ſchwehr ſondern unmuͤglich werden/
mit freudiger gedult verachtung zu uͤbernehmen. Ach der HERR reinige uns
alle/ wo noch etwas von ſolchen ſubtilen gifft bey uns verborgen ſtecket! Was mein
geliebten Schwager Herrn Horbium betrifft/ ſo iſts wahr/ daß er von Pfaltz/
dem einen des landes Herrn/ ſo das jus Epiſcopale hat/ ſuſpendirt/ und letz-
lich removiret iſt. So iſt auch wahr/ daß die Hochgeehrte Herrn Theologi zu
Straßburg ſeine declarationes oder apologias examiniret. Aber hingegen
dienet meinen Hochgeehrten Herrn zu fernern bericht/ daß er 1. beſchuldiget worden
wegen der redens arten/ gelaſſen heit/ verlaͤugnung ſein ſelbſt/ ertoͤdtung/ wel-
ches ſolche phraſes/ die unſere theureſte Theologi allezeit gebraucht/ und noch
brauchen. 2. Daß in einigen lehr-puncten er ſeine declaration von ſich zu geben
gehalten worden: da auff die erſte declaration die Theologi alles noch in zweif-
fel gezogen/ auff die zveite noch einige dinge excipiret/ daß er ſich noch nicht deutlich
genug expliciret/ auff die dritte nichts mehr zu excipiren gehabt. 3. Jſt alſo
nicht einer einigen irrung uͤberfuͤhret worden/ auch nicht einem/ eines einigen arti-
culi
eintzigen puncten. 4. Hoffe ich nicht/ daß die Hochgeehrten Herrn Theo-
logi
zu Straßburg von ſich werden geſagt haben wollen/ daß auff ihr urtheil er re-
movi
ret worden ſeye/ ſondern wie ich berichtet worden/ ſolle es nachmahl allein
von den politiſchen Fuͤrſtl. Raͤthen welche mit dem Conſiſtorio zu Trarbach/
deſſen membrum mein Schwager war/ nicht zu frieden/ gefuͤhret ſey worden.
Wie dann mein Schwager beſchuldiget worden neuerungen in kirchen und ſchulen
eingefuͤhret zu haben/ da er doch das wenigſte nicht eingefuͤhret ohne des gantzen
Conſiſtorii (darinnen er der letzte aſſeſſor, die andere raͤthe aber ihn mit den ſtim-
men uͤberlegen/ daß er vor ſich nichts durchtreiben koͤnnen) decret: Er aber ſolle
als denn der æmulation der Oberlaͤndiſchen Raͤthe an ſtatt des gantzen Conſiſtorii
entgelten. 5. Die hauptſache war/ daß er in ſeinem vorigen jahres methodo in
allem predigten dieſes thema getrieben/ daß alle die in den fleiſches wercken/ die
Gal. 5. und 1. Cor. 6. benennet ſind/ fortleben/ nicht ſelig werden koͤnnen/ und ſie
weder Chriſti verdienſt/ noch tauffe/ noch abendmahl/ noch abſolution, noch
mundglaube/ bey ſolcher unbußfertigkeit nicht ſelig machen koͤnte. Hinc ille ani-
morum motus.
Da machte der Diaconus/ ſo nun mehr dieſen dritten inſpe-
ctorem
uͤber ſich hatte/ unter denen der zweyte auch aus deſſen faſtidiis ander-
Nn 2wertliche
[282[284]]Das ſechſte Capitel.
wertliche vocation zu belieben bewogen worden/ ihn ſolche gelegenheit zu nutz/ die
jenige in der gemeinde an ſich zu haͤngen/ welche dergleichen ernſtliche predigten haſ-
ſeten/ u. ihnen der in die gewiſſen geworffene ſcrupel wehe that. 6. Alſo ſchaͤmet we-
der er ſich deſſen/ noch ich u. andere ſeine freunde/ ſonďn ſind verſichert/ wo wir die ge-
ſamte acta trucke woltenlaſſen/ (ſo wir noch bedenckens haben/ um aus unterthaͤni-
gen reſpect des Fuͤrſten zuſchonen) daß wir vor der geſamten kirchen der ſache mehr
ehr als ſchimpff haben werden. 7. Jſt er wuͤrcklich wieder zu einer anſehnlichen
Reichsſtadt Superintendenten beruffen/ da er nur ſtuͤndlich die gebetene dimiſſi-
on
von den Condomino dem Marggraffen von Baden/ mit ſchmertzen erwartet/
das amt wuͤrcklich anzutreten. Was Herr Kriegsmann betrifft/ iſts war/ daß
er ſeiner dienſte erlaſſen worden/ aber man wird Fuͤrſtlich Heßiſchen theils ſich nicht
nachreden laſſen/ daß er um der ſymphoneſeos willen removiret, 1. ob wol der alte
Landgraff aus anderer antrieb anfangs die ohne ſein voꝛwiſſen geſchehene edition
ſolches tractaͤtleins reſentiret, 800 exemplar allhier auffkauffen laſſen/ daß ſie
nicht ſo weit divulgiret wuͤrden/ und ihn druͤber hoͤren laſſen: So hat er doch 2.
nach dem er ſeine verantwortung auffrichtig gethan/ ihn zu unterſchiedlichen mah-
len ſeiner Fuͤrſtl. gnade ſonderlich verſichern laſſen: Zum 3. eben ſolchen monat ihn zu
einer anſehnlichen geſandſchafft abgeſchickt. Zum 4. kurtz vor ſeinem ende ihn zu ei-
ner abermahligen ſehr wichtigen geſandſchafft/ ſeiner Frau ſchweſter der
Hertzogin zu Wuͤrtenberg in angelegenen ſachen zu aſſiſtiren beſtimmet/
wie denn inſtruction und alle bereitſchafft fertig waren/ und er die woche
abreiſen ſolle/ als der ſelige Fuͤrſt verſtarb/ welcher alſo biß in ſeinem todt mit
hoͤchſten gnaden ihm zugethan verblieben. 5. Nach des Fuͤrſten todt
als der junge Herr zur regierung kam/ gieng eine ſolche reformation vor/ daß unter
den Oberſten und Cancelley Raͤthen/ edel und unedel/ die meiſte ſelbſt reſignir-
ten oder caſſiret wurden. Worauff es an die Rentkammer gekommen/ und da
ihr nicht mehr als 2. waren/ unter dem vorwand alles einzuziehen/ ihm ſein abſchied
gegeben worden. 6. Jſt er wuͤrcklich jetzo bey Chur-Pfaltz Cammer-Rath/ und
verhoffe/ durch ihn unſerer Evangeliſchen kirchen in den Churfuͤrſtenthum viele be-
foͤrderung. Da ſeine ſymphoneſis wird angegriffen werden/ wird er der jenige
ſeyn/ der durch GOTTES gnad zu antworten vermoͤgen wird. Hiemit hof-
fe in meines hochgeehrten Herrn weitlaͤufftigen brieffen nichts mehr uͤbergelaſſen
zu haben/ das nicht beantwortet waͤre: Und wie ich ihn verſichere/ daß ich dieſes
vor meinem GOTT ſchreibe/ und mit ihm gehandelt habe/ als der ich weiß/ daß
wir alle vor ſeinen thron unſers redens/ und ſchreibens rechen ſchafft geben ſollen:
Alſo erinnere ich ihn aus bruͤderlichen hertzen vor GOTTes/ der unter uns zeuge
iſt/ angeſicht/ er uͤberlege alles in ſeiner furcht/ mit einen ſolchen hertzen/ welches
nichts anders als die lautere ehre GOttes und des nechſten beſtes vor augen ha-
be.
[283[285]]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XL.
be. Er pruͤffe ſich; ob er in den ſchreiben an mich/ ſo wol was die abſicht/ als auch
ſchreibart/ anlangt/ in warhafftiger liebe vor GOTT geſtanden und noch ſtehe/
und ob einiges eigenes darinnen mit ſtecke: Daraus abzunehmen/ wie er alles ſol-
ches daran vor GOTT anzuſehen habe. Mir wirds nicht muͤglich noch thun-
lich ſeyn/ ferner auff dergleichen zu antworten: als der ich meines hertzens grund
hier ausgeſchuͤttet/ und ſolchen meinen hochgeehrten HErrn zur genuͤge/ wo er will/
hieraus und aus meinen Schrifften bekant ſeyn kan; wo ein ſolches geſchehen/ ſo
uͤberlaſſe ichs alsdann eines jeglichen gewiſſen/ und habe die art nicht mit jemand
zu ſtreiten/ oder zuzancken/ ſondern wuͤnſche/ meinem GOtt beſſer dienen zu koͤn-
nen. Den himmliſchen Vater und geber aller guten gaben ruffe ich demuͤtig an
um JEſu CHriſti willen/ er gebe uns allen ſeinen willen rechtſchaffen zuerkennen:
er lehre uns in liebe und friede ſeine warheit und das rechtſchaffene weſen/ das in
ihm iſt/ ſuchen/ und darin einherzugehen: Er gebe uns zu verſtehen/ von weme
aller boͤſe argwohn/ neid/ hadder/ laͤſterung/ ſchulgezaͤnck/ herkomme/ und weme
damit gedienet/ wie viel aber auch damit geſchadet werde/ daß wir uns davor ſo
viel ſorgfaͤltiger huͤten/ und nicht goͤttliche gerichte auff uns laden: Er wircke in
uns ſanfftmuth/ mit denen ſchwachen gedult zu tragen/ u. wo wir geiſtlich ſeyn wol-
len/ ſolches auch darin zu zeigen/ daß wir auch den fehlenden mit ſanfftmuͤthigem
geiſt zurecht he lffen/ ſo viel mehr mit andern im friede und liebe leben; Er ziehe un-
ſere hertzen mehr und mehr ab von allen anſehen der menſchen/ und gebe uns war-
hafftig zu verſtehen/ wie er uns ſeinen Sohn allein befohlen habe/ den ſollen wir hoͤ-
ren: Er ſegne unſere arbeiten alle/ die wir in einfalt unſers hertzens nach ſeiner regel
zu ſeinen ehren vornehmen/ daß wir dieſen zweck erreichen/ und dabey getroſt allen
des teuffels haß und der welt ſchmach leiden. 5. Dec. 1678


SECTIO XL.


Verlangen nach der beſſerung faſt allgemein in
den ſeelen erwecket. Zuſammenſetzung Moſis und
Aharonis Wie darnach zutrachten. Was
darvon zuhoffen.


WAs E. Hoch Ehrw. gedencket/ daß ſie hertzlich wuͤnſche/ daß was pie de-
ſiderirt
wird/ auch vollfuͤhret werden moͤchte/ iſt ein wunſch und verlan-
gen/ ſo billig allen Theologis ja allen Chriſten entſtehet: Dann wer
wolte nicht wuͤnſchen und verlangen/ daß in der Chriſtlichen/ ſonderlich Evange-
liſchen kirchen/ alles echt und nach der regel GOTTES hergehe? Wer kan
aber leugnen/ er wolte dann entweder die augen ſelbſt muthwillig ſchlieſſen/ oder a-
N n 3ber
[284[286]]Das ſechſte Capitel.
ber wider ſein gewiſſen/ das jenige verneinen/ was vor augen aller liget/ daß unſe-
re kirch eine ſtarcke reformation beduͤrffe/ ſolle ſie anders dem ſchweren goͤttlichen
gericht entrinnen? Stehet nun dieſes/ ſo haben wir ja freylich nach einer ſolchen re-
formation
zu ſeuffzen/ und taͤglich GOTT darum anzuruffen. Es ſcheinet
zwar/ es ſeyen die jenige von GOTT noch nicht erwecket/ und mit dazu noͤthigen
gaben ausgeruͤſtet/ durch die er will die mauren Zions wieder erbauen; jedoch haben
wir alle/ die wir in dem weinberg des HErren arbeiten/ und den ſchaden Joſephs
bejammern/ billig jeglicher ſeines orts zu der allgemeinen ſache zu thun/ was wir
vermoͤgen/ und alſo zu verſuchen/ ob gute vorbereitung moͤchte gemacht werden/
damit zu ſeiner zeit das werck des HERRN als dann viel trefflicher von ſtatten ge-
he. So wird auch der HERR HERR bey keinem deren die es auffrichtig ſu-
chen/ ſein werck ungeſegnet laſſen/ ob wir wol annoch bey weitem nicht ausrichten
werden/ was wir verlangen/ und noͤthig iſt/ ſondern zu der zeit damit zu frieden
ſeyn muͤſſen/ wo nur etwas geſchiehet und auf unſere ſaat erſtlich ein gruͤnes graß-
feld hervor wachſe/ biß zu ſeiner zeit daſſelbe in den aͤhren und voͤllige zeiti-
ge erndte aufſchieſſe. Da bey ich auch meines wenigen orts davor halte/ das es
nicht vergebens ſeye/ daß GOTT das verlangen nach der beſſerung faſt gantz all-
gemein bey allen guten gemuͤtheren zeigt/ die ſchier mehr als zu anderen zeiten er-
kennen und oͤffentlich bekennen/ es muͤſſe anders zu der ſach gethan werden/ ſollen
wir nicht der ſeligkeit fehl gehen. Welche ſo weit aus brechende bewegung aller
gemuͤther zu einem verlangen der beſſerung/ wie ſie gewiß von GOTT iſt/ alſo
macht ſie uns hoffnung/ daß vielleicht GOTT eher als wir gedencken moͤchten/ ſich
ſeines Zions erbarmen und helffen werde. Die zuſammen ſetzung Moſiund Aha-
rons iſt ein herrliches und nuͤtzliches mittel/ daher billig darnach zu trachten/ wie
es moͤchte zu wegen gebracht werden/ ja wir haben GOTT innbruͤnſtig anzuruf-
fen/ welcher die hertzen darzu lencken wolte. Aber wie ich wenig hoffnung habe/
daß ſolches zu wegen gebracht werde werden/ wegen der ſo vielen Stats-hindernuͤſ-
ſen/ alſo haben wir es doch nicht vor das einige zu achten/ noch in deſſen/ biß es zu
wegen gebracht wuͤrde/ alles uͤblige gute auff zu ſchieben. Vielleicht ſind Predi-
ger/ und die meiſte unſerer gemeinde noch nicht ſolche leuthe/ da uns nuͤtzlich waͤre/
die hilffe der weltlichen gewalt nach unſerem verlangen auff der ſeite zu haben/ de-
ro wir uns etwa mehrmahlen nach fleiſchlichen abſichten mißbrauchen moͤchten: ſo
dann doͤrffte in unſeren gemeinden/ der weltliche mehrere zwanck bey noch ſo gar zu
dem innern gehorſam Chriſti nicht gebrachten gemuͤthern auch nicht viel gutes aus-
richten. Laſſet uns alſo/ als lang es uns noch mangelt an ſolcher beyhuͤlffe/ Mo-
ſis/ allen fleiß dahin anwenden/ daß aufs foͤrderſte wir ſelbſt rechtſchaffen werden in
dem HERREN/ daß unſere obern und gantze gemeinden warhafftig an uns ſol-
che
[285[287]]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XL.
che leuthe erkennen/ welche der welt aller dings abgeſtorben ſeyen/ und nunmehro
in nichts mehr ihre eigene ehre/ anſehen/ nutz/ luſt und bequemlichkeit ſuchen/ ſon-
dern lauterlich GOTTes ehre und des nechſten erbauung mit gaͤntzlicher verleug-
nung unſerer ſelbſt verlangen/ und darnach trachten: Wo alsdann der weltliche
ſtand ſich von uns keines Paͤpſtiſchen jochs zu befahren hat/ die er ſihet/ nicht irrdiſch
geſinnet zu ſeyn/ und folglich ſo viel eher ſeine autoritaͤt da zu geben wird: So dañ/
daß wir bey unſerer gemeind anfangen erſt nach dem vermoͤgen ſo wir jetzo annoch
durch GOTTES gnade haben/ ſo viel zu erbauen/ daß in jeglicher gemeinde ein
zimlicher theil derſelben durch ſo wohl unſern offentlichen dienſt als abſonderli-
chen zuſpruch und erbauung Act. 20/ 31. Dahin gebracht werde/ daß wir doch ei-
nige rechtſchaffene und ſolches nahmens wuͤrdige Chriſten haben moͤgen. Auf
welchen fall nachmahlen GOTT gnade geben/ und die hertzen der Obern regie-
ren moͤchte dergleichen als dann auch mit ihrer autoritaͤt zu befoͤrdern/ was viel-
leicht bey dem ſonſt noch rohen hauffen/ doch nicht viel ausrichtete. Jn deſſen ha-
ben wir dabey freylich alle Chriſtliche oberigkeitliche perſonen treulich zu erinneren/
daß ſie ſich in ihrer regierung alſo anſchicken/ daß ſie gedencken/ ſie tragen ihre kron/
ſcepter und gewalt von dem groſſen Koͤnig Chriſto JEſu/ daher ſie auch ſeyn reich
zu befordern ſchuldig ſind/ oder an ihm treuloß werden. Auff daß ſie glauben ler-
nen/ es gehoͤre auch ihnen zu/ ſo wol vor ihre perſon Chriſten und zwar ſolche Chri-
ſten zu ſeyn/ die nach der regel Chriſti ein hergehen/ als von welchem ſie ihr hoher
ſtand nicht befreyet/ ſondern haben will/ daß ſie ſo wol als andere der welt gecreu-
tziget und die welt ihnen gecreutziget ſeye/ als auch ſolches rechtſchaffene Chriſten
thun/ daß ſie auch nach vermoͤgen bey allen/ ſonderlich aber ihren unterthanen/ das
gute befoͤrdern. Erlangen wir ſolches von den Groſſen in der welt/ ſo wirds ein
anzeige ſeyn/ wie GOtt maͤchtiger ſeye als wir gedencken moͤgen/ wo wir erwegen/
wie ſchwer es ſolchen leuthen werde/ die ſo vielmehr gelegenheit der weltlichen ei-
telkeit haben/ und dannenhero ſich mit mehrerer muͤhe davon loßreiſſen muͤſſen/ und
dannoch die krafft GOTTES auch an ihnen ſehen. Wie mich dann hertzlich er-
freuet/ was E. Hoch Ehrw. von dero gnaͤdigſten Fuͤrſtlichen Durchl. ruͤhmen/ wie
ernſtlich ſie ſich um den ſchaden Joſephs bekuͤmmern. Der HERR aller Herrn/
ſo ſolches wollen gegeben/ ſchaffe auch das vollbringen kraͤfftiglich/ und laſſe ſolchen
von hohen ſtamm herſproſſenden Fuͤrſten aus dero noch hoͤhern geburth von oben
her ſtaͤts mit neuer krafft und eyffer vor des Hoͤchſten ehre ausgeruͤſtet werden zu
vieler frucht und verherrlichung des goͤttlichen nahmens. Vor die gegen mich
durch entbietung eines gruſſes bezeugte hohe gnad bedancke mich unterthaͤnigſt/
verlange aber nichts anders hingegen als mein armes gebeth zuverſichern. Jhro
Hoch Fuͤrſtl. Durchl. andaͤchtige gedancken ſind mir auch nicht bekant und ver-
muthlich hie gar nicht zu finden/ ſolte mir ſonſt eine freude ſeyn/ mich zu ergoͤtzen an
den
[286[288]]Das ſechſte Capitel.
den gaben des Geiſtes/ die GOtt auch in die jenige gel[e]get/ welche er in der welt uͤber
andere erhoben hat. Er erwecke nach ſeinem heiligen willen ihrer viele unter den-
ſelben/ daß ſie mit geiſtlichen dingen umzugehen ihnen nicht eine ſchande halten/ ſon-
dern ſo viel naͤher ſie GOTT ſind/ deſſen bilde und characterem ſie in ihrer obrig-
keitlichen gewalt tragen/ auch in denſelben guͤtern ihm als dem hoͤchſten gut ſo viel
mehr vereiniget zu werden trachten. Deſſen himmliſche guͤte ergieſſe ſich auch uͤ-
beꝛ E. Hoch Ehrw. reichlich in allen ſo amt-als uͤbrigen ſeel- und leibes ſegen. ꝛc
9. Decemb. 1678.


SECTIO XLI.


Von nutzen der vereinigung und vertraulicher
correſpondenzChriſtlicherTheologorum:an Herr
Scriverium.


GLeich wie ich ſamt allen treuen dienern Chriſti/ die jenige vor anderen hoch
zu lieben und zu ehren habe/ von welchen wir ſehen/ daß ſie nicht nur allein
von GOTT mit vortrefflichen gaben ſeiner kirche zu dienen außgeruͤſtet
ſind/ ſondern dabey auch die hertzliche begierde haben/ dieſelbe empfangene gaben
alle treulich zu dem dienſt ihres GOttes und des neben-menſchen beſten anzuwen-
den alſo habe von zimlicher zeit billich mir ſonderbare liebe gegen Ew. Hoch Ehrw.
gefaſſet/ von dero ſo aus anderen gewiſſen zeugnuͤß/ als dero eigenen Schrifften/
den hertzlichen eyffer erkant habe/ mit deme ſie auch brennet/ zur befoͤrderung goͤtt-
licher ehre/ und des waren lebendigen Chriſtenthums; Wo zu noch gekommen/
daß ſo wol von Herrn N. dem rechtſchaffenen und Chriſtlichen Juriſten/ als Herr
M. N. aus Gieſſen/ dero gegen mich abſonderlich tragender bruͤderlicher liebe erfreu-
lich verſichert/ auch durch communication deſſen/ was ſie meinetwegen zu ver-
ſchiedenen mahlen an jenen geſchrieben/ offters aufgemuntert und bekraͤfftiget wor-
den bin; Daher ſchon von einiger zeit mir vorgenommen/ deſſen liebe und erbauli-
che correſpondenz zu ſuchen/ und eine genauere freund ſchafft in dem HERRN
zu ſtifften: Welches auch die urſach dieſes gegenwertigen ſchreibensiſt. Dann
ob wohl keine genauere gemeinſchafft gefunden werden kan/ als ſchon von ſelbſten
iſt zwiſchen allen lebendigen gliedern Cheiſti/ und alſo allen wahren glaͤubigen (dann
wie kan etwas genauer aneinander hangen/ als die gliedeꝛ an einem lebendigen leib)
ſo dann als auch amtswegen ſeyn ſoll zwiſchen allen/ die an dem weinberg des HErrn
in unterſchiedlichen deſſen theilen arbeiten; ſo iſt doch auſſer zweiffel/ daß ſolche lie-
be/ ſo zwiſchen allen ſeyn ſolle/ vortrefflich befoͤrdert werde/ wo etzliche ſich unter-
einander/ es ſeye nun durch perſoͤnlichen umgang und geſpraͤch/ oder aber in ent-
ſte-
[287[289]]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECT. XLI.
ſtehung deſſen unter abweſenden vermittels ſchrifftlicheꝛ unterredung/ recht ge-
nau kennen lernen/ daß je einer des andern gemuͤth und abſichten/ welches in ſolchen
communicationen geſchiehet/ ein ſihet/ und alſo die hertzen immer enger ſich mit
einander verbinden/ oder aber vielmehr ſolches band/ welches zwiſchen allen ſeyn ſoll/
gluͤcklicher und leichter bey den ſelben feſt gemacht wird. Daher ich wuͤnſchete/
nach dem es unſerer kirchen zuſtand nicht zu geben will/ daß ich und andere zuweilen
eine reiſe an fremde ort anſtelleten/ viele kirchen beſuchten/ und mit andern mit-ar-
beitern in gegenwart freundſchafft machten/ ja auch dergleichen unter den jenigen
ſtiffteten/ die ſie hie und dort angetroffen haͤtten (welcherley reiſen ſonſten zu vielen
gutem/ vereinigung der gemuͤther/ zuſammen tragung heilſamer vorſchlaͤge und
anderen dergleichen ſehr dienlich ſeyn wuͤrden) daß aufs wenigſte jeder diener des
HERREN/ da ers nicht mit allen kan/ aufs wenigſte mit einigen oder vielen (je
nach dem ihm GOTT ſelbs die anlaß gibt) durch ſchrifftliche correſpondenz ei-
ne geheiligte und dahin allein ziehlende kundſchafft machte/ ſich untereinander zu er-
muntern/ und im glauben und liebe mit einander geſtaͤrcket zu werden. Als wo-
durch geſchiehet/ daß je einer an deß andern exempel bekraͤfftiget und weiter erwe-
cket/ oder durch deſſen rath unter richtet/ und alſo die gemeinſchafft der heiligen
auch in dieſem ſtuͤck ſehr nuͤtzlich geuͤbet wird. Und was wollen wir ſagen von dem
gebet/ welches ſo viel bruͤnſtiger vor einander geſchiehet/ als hertzlicher die gemuͤther
durch wahre liebe ſich unter einander verbunden/ und einer des anderen treuer in-
tention
vor GOttes ehre und empfangener gnade verſichert iſt? Nun aber in ſol-
chem gebet ſtecket gewiß ein mehrers alß wir insgemein gedencken. Mich haben
hertzlich bewegt die wort eines gottſeligen Theologi, der neulich an mich ſchriebe:
O ſi Chriſtiani frequentius robur noſtrum, quod in Chriſto uniti habe-
mus, penſitaremus, eoque uteremur in fide, eſſemus ſane invicti. No-
vit hoc Satanas, hinc vel à precibus nos avertit, vel Spiritus unionem va-
riis ſuggeſtionibus \& ſuſpicionibus divellit, ut ſingulos \& ſibi fidentes
facilius evertat. Sapiamus itaque \& utamur remediis, quæ Amicvs no-
ſter ex ſinu Patris veniens, ceu arcana nobis ſuggeſſit Luc. XI. \& XIIX.
utamur, inquam, iis in fide, eventum patienter expectemus, \& omnia
ſalva ſunt. Ipse profecto Deus eſt, Ipſe pro ſe contendet:
συνϑρύψει τὸν
Σατανᾶν ὑπὸ του`ς πόδας ἡμῶν ἐν τάχει. Und ſo iſts gewiß/ daß wir mit ſolchem
gebet von dem HErrn alles erhalten; und gleich wie zwey oder drey dem leibe nach
verſamlet mit vereinigtem gebet nach der verheiſſung des HErren alles erlangen/
ſo iſt die krafft des gebets nicht geringer bey den jenigen/ welche ob ſie von einander
entfernet/ dem Geiſt nach aber mit einander vereinigt ſind/ in ſolcher Geiſtes einig-
keit vor einander beten und ſeuffzen. Welches einige die arbeit genug erſetzet/ wel-
che etwa zu unterhaltung ſolcher kundt- und freundſchafft erfordert wird. Daher
O oich
[288[290]]Das ſechſte Capitel.
ich auch nicht zweiffele/ das Ew. Hoch Ehrw. meine hertzliche und Chriſtliche in-
tention
in dero genauere freundſchafft auffgenommen zu werden/ und alſo dieſes
dahin gemeinte ſchreiben mit liebe und freundlich aufnehmen/ auch mich meiner bit-
te gewaͤhren werden/ welche allein darin ſtehet/ an deroſelben einen ſolchen freund
zu haben/ bey dem ich auch mein hertz vertraulich außſchuͤtten doͤrffe/ von denſelben
durch goͤttliche erinnerungen je weilen aufgemuntert/ und da ſolcher an mir
und meinen actionibus einiges wahrnehmen moͤchte/ ſo nicht nach der regel iſt (wie
ich mir meiner ſchwachheit wol bewuſt bin) freundlich und bruͤderlich eriñert wer-
de/ und ſeiner hertzlichen vorbitte genieſſen moͤge. Jch vermag zwar von mir we-
niges zu verſprechen/ jedoch ſolle es nicht daran mangeln/ daß nicht geflieſſen ſeyn
werde/ wie bißher zu thun eine zeitlang gepfleget/ auch denſelben mit meinem armen
gebet mit helffen zukaͤmffen/ und alle muͤgliche liebes dienſte/ zu denen der HErr ge-
legenheit gegeben wird/ zu erweiſen. 167...


SECTIO XLII.


Segen/ den GOtt denpiis desideriisgegeben.
Zuſtand der Franckfurtiſchen kirchen. Von dem
lebendigen glauben zu ſchrei-
ben.


Goͤttliche gnade/ heyl und friede in Chriſto JEſu unſerm
liebſten HErrn und Heylande!

GElobet ſey der getreue himmliſche Vater/ welcher in dem reich ſeines lie-
ben Sohns auch bey uns in unſerem Teutſchland unter der ſo groſſen ver-
derbnuͤß nicht nur allein viele treue diener erhaltẽ hat/ die an ihrem ort willig
ſin dnach vermoͤgen zu thun/ was goͤttliche ehre beforderen mag/ dabey ſich uͤber den
ſchaden Joſephs bekuͤmmeren/ und es gerne ſaͤhen/ daß aller orten recht und nach
goͤttlicher ordnung hergehen moͤchte/ ſondern auch gnade giebet/ daß dieſelbe allge-
mach unter einander ſich bekandt werden/ da gemeiniglich jeglicher mit Elia lang
gedacht/ er ſeye faſt der einige uͤber gebliebene. Dieſes aber/ daß ſie ſich unter
einander kennen lernẽ/ wird verhoffentlich ein nicht geringes mittel ſeyn/ daß band
der liebe ſo viel ſeſter unter ihnen zu machen/ auf daß ſie nachmal mit deſto eyfriger
zuſammen geſetztem gebet/ rath und huͤlffe ſuchen/ das reich des HErrn in ſeiner
krafft zu befoͤrdern. Jch ſage auch dem hoͤchſten geber aller guten gaben demuͤ-
thigſt
[289[291]]ARTIC. I. DISTINCT. II. SECTIO XLII.
thigſten danck/ der meine einfaͤltige pia deſideria, in denen ja nichts von hoher
menſchlicher weißheit/ ſo hofnung machen moͤgen/ daß ſie von vielen wuͤrden zu le-
ſen gewuͤrdiget werden/ enthalten iſt/ uͤber alles mein erwarten/ ſo kraͤfftig geſeg-
net hat/ daß ſie zu einer ſtimme worden/ welche ein und andere ſchlaffende erwecket/
einige die in der ſtille geſeuffzet/ und aus ſorge/ daß ſie allein und daher zu ſchwach
waͤren/ zuruͤck geblieben/ ermuntert/ wir aber gelegenheit gegeben hat/ viele der-
jenigen kennen zu lernen/ die es mit der ſache GOTTES treulich meinen/ und
daher ſeiter mit mir freundſchafft gemacht/ daß wir vor einander und mit einander
ſo viel ernſtlicher mit beten kaͤmpffeten/ und je einer an des andern eyffer/ und den
von GOTT verleihenden ſegen/ einen muth ſchoͤpffeten. So ſind auch nicht nur
mit mir ſondern unter ſich ſelbſt viele ſolcheꝛ lieben leuthe bekant worden/ und haben
in GOTT freundſchafft mit einander gemacht. Wie dann verſicheren kan/ daß
in ober-u. nieder Teutſchland/ auch den Nordiſchen provinzien/ der jenigen mehꝛ
ſind/ und ſich allgemach bekant machen/ die die beſſerung der kirchen belieben/ auch
jeder ſeines orts/ nach dem ihm GOTT gaben und gelegenheit gibet/ daran ar-
beiten/ als man immer haͤtte gedencken oder hoffen koͤnnen: Maſſen die gemuͤther
unter gelehrten und ungelehrten faſt aller orten rege worden/ daß die boͤſe zwar ſo
viel boßhafftiger worden/ und der Satan in ihnen hefftig wuͤtet/ die gute gemuͤ-
ther aber/ weil ſie ſehen/ daß es mit dieſem euſſerlichen greuelweſen nicht beſtehen
mag/ verlangen und ſeufftzen/ daß der HErr drein ſehen/ ſich auſmachen und eine
hilffe ſchaffen wolle/ daß man getroſt lehren moͤge/ und daß es nach der verheiſſung
an dem abend liecht werde. Daher es mir wol eine hertzliche freude iſt/ wo mich
GOtt immer laͤſſet mehrere dergleichen erfahren/ als wo von ich auch ſtaͤts einen
neuen trieb erlange. Deßgleichen iſt mirs gleichfals eine hertzliche freude gewe-
ſen/ da vor 3. tagen auf meinem bette/ ſo ich nun uͤber die 8. wochen huͤten muͤſſen/
als der mit einer gefaͤhrlichen kranckheit/ da man ſich meines lebens erwegen/ nach
dem guͤtigen willen des himmliſchen Vaters (deme vor die gnade ſeiner zuͤchtigung/
und darinnen ſo vielfaͤltiger erwieſener wohlthaten/ demuͤthig danckſage/ und nur
wuͤnſche/ das ſein rath/ der in ſolchem allem unſere heiligung bey uns ſuchet/ bey
mir auch platz finden moͤge) befallen worden/ jedoch nun ſo fern mich erhohle/ daß
taͤglich die meiſte zeit wieder auf ſeyn kan/ meines vielgeliebten und zwar dem fleiſch
nach unbekandten/ aber aus ſolchem ſchreiben dem geiſt nach bekant gewordenen
bruders ſchreiben gelieffert worden/ und ich auß demſelben abermahl die zahl ſol-
cher freunde/ die das gute auch bey andern lieben/ und ſich deſſen erfreuen/
vermehret geſehen/ daher der guͤtigkeit unſers GOttes demuͤtig gedancket habe.
Es iſt freylich an dem/ daß der zu verdorren geſchienene baum in goͤttlicher krafft
wieder außſchlagen/ gruͤnen und fruchtbringen/ das iſt/ die goͤttliche verheiſſungen/
ſo ſeiner kirchen gegeben/ noch erfuͤllet werden ſollen; ach daß/ dieſes was wir hin
O o 2und
[290[292]]Das ſechſte Capitel.
und wieder ſehen/ die knoten ſeyen/ die uns den bald annahenden fruͤling andeute-
ten! Ach laſſet uns dann fleißig ſeyn/ das unſrige in unſerer ſchwachheit/ aber
goͤttlicher krafft/ mit eyffer zu thun/ was jetziger zeit beſchaffenheit erfordert und
zu laͤſſet! dazu uns der HERR auch den Geiſt der weißheit geben wolle/ zu un-
terſcheiden und zu erkennen/ was dießmal der wille des HErrn an uns ſeye. Un-
ſere hieſige gemeinde belangend/ haben wir dem allerhoͤchſten hertzlich zu dancken/
daß er in derſelben das wort ſo fruchtbar ſeyn laſſen/ daß einige der jenigen ſich fin-
den/ welche von grunde der ſeelen aus lebendigem glauben in ungefaͤrbter liebe der
nachfolge ihres JESU ſich befleiſſigen/ und die hindernuͤſſen der welt ſich davon
nicht abziehen laſſen; ſo ſchencket GOtt derſelben auch je zu weilen dieſe und jene
ſeele/ die durch lehr und gut exempel zu bruͤderlicher folge durch GOttes ſeegen ſich
bewegen laſſen. Aber es iſt leider unſer zuſtand allhier bey weiten noch nicht alſo/
wie anderſt wo gute gemuͤther ſich denſelben einbilden/ und deßwegen zu uns ver-
langen. Jn deme nicht nur die zahl ſolcher lieben leute ſehr gering gegen die uͤbri-
ge zu rechnen iſt/ ſondeꝛn wir ſind noch alle ſehr ſchwach/ und wer mit uns iſt/ ſihet
ſo bald an uns mehrere dinge/ da er mitleiden mit unſerer ſchwachheit haben muß/
als deren er ſich erfreuen kan. Wir ſind noch kinder/ und gehet unſer wachsthum
ſehr langſam daher. Zwar ſind derſelben ferner auch nicht wenige/ bey denen Gott
eine ziemliche begierde des guten auch erwecket hat/ aber die hindernuͤſſen der welt
und die viele laͤſterungen halten manches gemuͤth zu ruͤcke. Hingegen findet ſich
leider in unſerer kirchen gewiß ſo vieles unkraut/ als im̃ermehr auf einigem acker/ ſo
wol von offenbarlich aͤrgerlichen perſonen/ als auch ſolchen die ſich auf ihr opus o-
peratum
des aͤuſſerlichen GOttes dienſtes verlaſſen/ und was da wider geredet/
oder mehr erfordert wird/ vor verdaͤchtig und wol gar ſectiriſch halten; Daher
auch die viele laͤſterung entſtanden/ die nicht nur hier in der ſtatt ſelbs das gute
ſtarck gehemmet/ (aber doch durch GOttes gnade uns dieſes gute gethan haben/
daß wir haben lernen vorſichtiger zu wandeln) ſondern durch gantz Teutſchland
uns alſo geſchwaͤrtzet/ ob waͤren wir Quacker und in unſerem Franckfurt eine neue
ketzerey entſtanden/ mit den greulichſten/ theils aber laͤcherlichſten erzehlungen/ deꝛ
dinge/ die wir thaͤten: ſo aber alle entweder pur lauter calumnien, ſo auch den
wenigſten ſchein (wo man die ſach unter ſuchte) nicht hatten/ oder boßhafftige ver-
kehrungen gantz guter dinge waren/ die in ihrer wahren beſchaffenheit kein ſchel-
ten ſondern lob verdienet haͤtten. Solche laͤſterungen haben uns genug zu erken-
nen gegeben/ was wir auch vor leute in unſerer gemeinde und ſtatt/ in
dero ſie gleichwol meiſtens alle außgebruͤtet ſind worden/ haben muͤſſen.
Solten wir klagen/ ſo wuͤrden wir auch klage fuͤhren koͤnnen/ daß uns nicht
nur allein an hilffe mangle/ ſondern viele der jenigen/ von denen wir ſie hoffen und
haben ſolten/ eher hindernuͤß einwerffen/ als das gute befoͤrderen. Aber wir be-
feh-
[9[293]]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XLII.
fehlens dem HERREN/ und dancken ihm vor die gnade/ die wir empfangen/
als die wir dero nicht wehrt ſind/ oder ihm noch biß daher davor recht danckbar
worden/ daher uns nicht zubeſchwehren haben/ daß er uns nicht mehrere gebe:
Wollen aber mit ſeiner hilffe trachten/ ihm in dem bereits geſchenckten treu zu wer-
den/ und alsdann erwarten/ was uns der HERR mehrers zu theilen wolle. Helf-
fet uns hertzlich darum zu GOTT bitten/ daß wir die jenige in der that werden
moͤgen/ davor uns andere liebe freunde in der fremde halten/ und alsdann unſer ex-
empel in der warheit ſo viel mehrere entzuͤnde/ da es ietzt durch guͤtige großmachung
deſſen/ was bey uns iſt/ einige andere ermuntert haben mag. Was die vorge-
ſchlagene materie von dem lebendigen glauben/ woran die jenige von der art
der wahren rechtfertigung haͤnget/ anlanget/ iſt ſolche nicht nur allein wichtig/
wuͤrdig und noͤthig/ ſondern bekenne gern/ daß bereits von einem jahr her und laͤn-
ger mir vorgenommen hatte/ auch durch gute freunde erinnert worden bin/ etwas
mehreres davon aufzuſetzen; wie mich aber die erkaͤntnuͤß meiner ſchwachheit
billig zu allen dergleichen langſam machet/ alſo hat mich ſonderlich ferner davon ab-
gehalten/ weil dißmahl nicht de tempore zu ſeyn achte/ daß in dem die calumnia
am aller ſtaͤrckſten wuͤtete/ und mein nahme als eines boßhafftigen verfuͤhrers an
vielen orten gelaͤſtert wurde/ alſo daß auch viele gute gemuͤther moͤgen angefan-
gen haben uͤber mir zuſtutzen) ich mit ſolcher materie heraus zu brechen mich erkuͤ-
nete/ welche wie ſie nicht anders kan/ als die gewiſſen kraͤfftig zu ruͤhren/ alſo
die ſeinde ſo vielmehr wider mich anreitzen und gifftig machen wuͤrde: ſondern
vielmehr einige zeit zu warten/ biß ſolcher ſturm der calumnien einigerley maſſen
voruͤber waͤre/ und der teuffel mit ſeinen luͤgen durch die endlich ſich ſelbſt zeigende
warheit zu ſchanden/ guten und ſchwachen gemuͤtern aber die von uns gefaſte ſcru-
pel damit benommen wuͤrden: So iſt eben jetzo auch meine Poſtill unterhanden/ de-
ren uͤbrige außfertigung mir neben meinen amts-geſchaͤfften ſo viel zeit benimmet
daß an wenig anders gedencken kan. Laͤſſet aber GOTT leben und geſundheit/
und beten gute freunde fleißig vor mich um goͤttliches gnaden liecht/ ſo werde mich
nach einiger weniger zeit an ſolche materie machen/ und verſuchen/ was GOTT
vor ſegen dazu geben moͤchte. Jn deſſen habe mich von der art des glaubens zim-
licher maſſen in den Catechismus fragen/ in den predigten uͤber Joh. 3. 16. (ſo ge-
nant werden von dem ewigen leben) ſonderlich in der dritten predigt/ ſo dann
in den buß-predigten herauß gelaſſen/ daß welche etwa nur anmuth zu meinen we-
nigen Schrifften tragen/ daſelbſt meine gedancken leicht abnehmen koͤnnen. Jch
muß aber ſchlieſſen/ und wie ich bitte/ daß auch er den himmliſchen Vater anruffen
wolle/ daß mir und anderen ſeinen treuen zeugen jemehr und mehr thuͤꝛen zur erbau-
ung geoͤffnet werden/ mit freudigen aufthun des mundes und goͤttltchen ſegen das
wort des lebens zu verkuͤndigen/ alſo empfehle denſelben dem gnaͤdigſten GOTT
O o 3und
[292[294]]Das ſechſte Capitel.
und den theuren wort ſeiner gnade/ der da maͤchtig iſt euch und durch euch viele an-
dere zu erbauen/ und zu geben/ das erbe unter allen die geheiliget werden. Er er-
fuͤlle ihn mehr und mehr mit ſeines geiſtes gaben/ und ſegne die arbeit/ die in ſeinen
nahmen geſchiehet/ alſo und der maſſen/ daß wie er ſich jetzo hat erfreuet uͤber das
gute/ ſo er von andern gehoͤret/ er ſich nicht weniger uͤber das gute erfreuen moͤge/
welches GOTT durch ſeinen treuen dienſt/ an denen ihm anvertrauten gewuͤrcket
habe und ferner wuͤrcke/ und eine ſo viel herrlichere crone dermahleins von dem
HErrn dem gerechten richter zu erwarten habe. 18. Febr. 1679.


SECTIO XLIII.


An einen prediger in Hamburg. Mein
collegium privatumund andereexempla. Labadie.
Lehre von der rechtfertigung.


ES hat mich hertzlich erfreuet meines Hochgeehrten Herrn Fratris beliebte
einſtimmung mit mir wegen meines collegii privati, welches ſonſt ihrer
vielen/ und auch Theologis, ein dorn in den augen eine zeitlang geweſen/
ob wohl hin und wieder derſelbigen nicht wenige und geringe geweſt/ ſo es appro-
birt
und gut ſprechen. Das exempel Herrn Fiſchern S. in Amſterdam iſt mir
ausfuͤhrlicher zu wiſſen ſehr lieb geweſt: ich wuſte wohl/ daß ein prediger in Am-
ſterdam etwas dergleichen gehalten/ aber nahmen und umſtaͤnde waren mir unbe-
kant. So hat mit mir einer in Straßburg ſtudiret/ ſo auch Fiſcher geheiſſen
und von Amſterdam geweſen/ auch ohne zweiffel bekant ſeyn wird/ ich aber offt ver-
langet habe zu wiſſen/ wo er jetzt ſtehe und wie es ihm gehe/ von dem gehoͤret/ daß da
er vorhin ein goldſchlaͤger geweſen/ er durch ſolches collegium und privat infor-
mation
eines predigers/ ſo eben dieſer Fiſcher ſeyn muß/ erſt zu einer liebe der He-
braͤiſchen ſprach gebracht worden/ folgends aber das ſtudium Theologicum mit
quittirung ſeines hand wercks angetretten. Ein mahl wo die ſache ohne vorge-
faßte urtheil und haß gegen alles das jenige was einen ſchein der novitaͤt hat/ be-
trachtet wird/ kan man es nicht anders als nuͤtzlich und erbaulich achten. Jedoch
auch ſo/ daß es mit guter ordnung geſchehe/ und nicht/ wo von dingen die den ein-
faͤltigen und ſo nicht ſtudiret haben/ in den hohen ſtreit ſachen zu ſchwehr ſind ge-
handlet/ und die leute davon gern zu diſputiren gewehnet werden/ ſolches/ weil ſie
der ſachen nicht gewachſen/ nicht nur eine zanckſucht bey ihnen gebaͤhren/ ſondern
viel ander boͤſes/ ſo gar in dem politiſchen weſen/ nach ſich ziehe/ da von nichts zu
eſorgen/ da man bloß bey der allein noͤthigen er bauung bleibet/ und ſich ſo ſehr den
willen
[293[295]]ARTIC. I. DISTINCT. II. SECTIO XLIII.
willen zur gottſeligkeit mit kraͤfftiger vorſtellung und beweglichen erinnerungen zu
bewegen/ als den verſtand mit wiſſenſchafften zu erfuͤllen/ befleißiget. Solte Eu-
re Wohl-Ehrw. ſich endlich reſolviren/ einige zeit andern geſchaͤfften ab zu brechen/
und da zu auch ihres orts an zuwenden/ wuͤrden ſie gewiß ſich die frucht derſelben
bemuͤhung nicht dauren laſſen/ ſondern finden/ daß wohl anch einige ſonſten noͤ-
thig geachtete amts geſchaͤffte dieſen wohl nachgeſetzt werden doͤrfften/ wo wir
nehmlich unſer verrichtungen wehrt nachdeme æſtimiren/ wie viel dieſelbe zu GOt-
tes ehre und des nechſten erbauung ausrichten. Es hat auch Herr Spizelius einige
dergleichen uͤbung in Augſpurg; ſo iſt auch dergleichen in Schweinfurth von un-
terſchiedlichen jahren/ ſo dann einigen andern orten und zwar jeglichen orts anders
nach dem es deſſen gelegenheit zu gegeben angeſtellet worden. Von Labadie und
Bourignon abſicht iſt dieſes ſo weit unterſchieden/ daß es faſt nicht auff einige weiß
mit recht mit jenem vergleichen werden kan. Von Bourignon weiß ich zwar gar
nicht/ ob ſie einige exercitia mit den ihrigen halte/ und ſie muͤndlich lehre/ oder zu
gebe/ daß andere auch ihre gaben mit anwendeten/ als die ſcheinet allein das ora-
culum
ſeyn zu wollen. So gehet/ ſo viel ich weiß/ Labadie abſicht formlich auff
ein ſchiſma und voͤllige trennung von der uͤbrigen Chriſtlichen gemeinſchafft/ wie
es die that weiſet/ hinaus. Maſſen auch Bourignon alle euſſerliche verfaſſung will
niedergeriſſen haben. Dieſe meine uͤbung aber ſuchet/ daß die leute ſo viel tuͤchti-
ger werden/ was ſie in oͤffentlichen kirchen verſamlungen hoͤren/ recht zu faſſen/ und
ſo wohl zu deroſelben andaͤchtiger betrachtung/ als uͤbrige leben/ immer beſſer vor-
bereitet werden. Daß alſo damit nicht einiger menſch von dem uͤbrigen corpore
der kirchen abgezogen/ noch andere/ welche dergleichen nicht frequentiren/ zu ver-
achten gewehnet wird. Vor der trennung bekenne ich gern/ habe einen hertzlichen
horrorem/ und halte beſſer in einer auch ſehr verderbten kirche zu ſeyn/ als in kei-
ner. Daß ich aber dem Labadie ſein geziehmendes lob gegeben in ſtuͤcken/ daers
wuͤrdig war/ hoffe nicht daß mir jemand verargen werde. Jch koͤnte auff dieſe
ſtund nicht anders von ihm reden/ als das jenige/ was ich von ihm gewiß weiß. A-
ber wie Eure Hoch-Ehrw. wohl geantwortet/ ich habe Labadie allein in Genff ge-
kant/ und faſt ſeine ſchrifften allein geleſen/ die er in Franckreich geſchrieben/ die
einmahl ſehr aufferbaulich und herrlich: Von denen in Holland edirten/ iſt mir we-
niges zu geſicht gekommen/ weniger habe geleſen: ohne allein ſeine Declarationem
fidei,
in dero oben hin geſchehenen uͤberleſung ich keine andere irrthume gemercket/
die nicht allen oder vielen Reformirten gemein waͤren/ ohne von der kirchen und de-
ro reinigkeit/ darauff ſich ſein ſchiſma gruͤndet. Sed virtus \& in hoſte laudan-
da.
Wie wir die Juden/ Tuͤrcken und Heyden in gewiſſen ſtuͤcken loben/ aber
allemahl das jenige zu attendiren iſt/ worinnen man jeglichen lobet. So hat mich
nicht weniger erfreuet deroſelben in demſchreiben bezeugter und auch in der bu[ß]-pꝛe-
digt
[294[296]]Das ſechſte Capitel.
digt in der that gewieſener conſens wegen deſſen/ was in dem ſendſchreiben de ar-
ticulo juſtificationis
ſtehet. Die verderbnuͤß iſt nicht aus zu ſprechen/ welche
aus unrechtem verſtand ſolches articuli herkommet/ und koͤnnen wir uns vor
GOTT nicht entbrechen/ daß nicht aus vieler unſerer ungenugſamen und undeut-
licher vortragung ſolcher wichtigen materie von der rechtfertigung und lebendigen
glauben der irrthum in den groſſen hauffen gekommen. Denſelben nun den leu-
ten wieder aus den hertzen zu reiſſen/ und ſie alſo aus den ſchlaff der ſicherheit wieder
zu erwecken/ ach da laſſet uns alle gele genheit ergreiffen/ und alle von GOTT
verliehene kraͤfften dahin anwenden/ dann gewißlich keine materie iſt wichtiger ſie
ſtaͤtig zu treiben/ und ja wohl zu inculciren/ als dieſe: Sonſten was hilffets/ wo
unſere zuhoͤrer von allen Paͤpſtiſchen/ Reformirten/ Socinianiſchen ꝛc. irrthumen
frey ſind/ und doch dabey einen todten glauben haben/ darin ſie viel ſchwehrer ver-
dammt werden/ als alle auch ſchwehr irrende bey beſſerem leben? Aber zu erbar-
men iſt/ daß auch uͤber dieſe materie einige Theologi anſtehen. Wie ich nicht
bergen kan/ daß einige die lehr in dem ſendſchreiben nicht juſt zu ſeyn erkennen haben
wollen/ die doch/ wie mit der heiligen Schrifft/ alſo auch unſeren Symboliſchen
buͤchern/ voͤllig uͤbereinſtimmet. Der HERR erbarme ſich ſeiner kirchen und oͤffne
der blinden augen. 19. Febr. 1679.


SECTIO XLIV.


Auffmunterung an eine Graͤfliche perſon. Ver-
einigung gut geſinneter
Theologorum.Zu-
ſtand der Franckfurtiſchen kir-
chen.


ERfreulich war mir ſonderlich aus ſolchem zu erfahren/ daß Ew. Hoch-
Graͤfflliche Gnaden durch Gottes guͤtigſte vorſorge mit einem tꝛeuen und er-
[b]aulichen hoffprediger verſehen worden/ welches je nicht eine geringe wohl-
that/ ſondern ſo viel hoͤher iſt/ als der nutzen/ der davon zu erwarten/ vortreflicher
iſt/ auch die zahl ſolcher leute etwa geringer/ als gut iſt/ ſich befindet. Der HErr
HErr gebe ſeinem wort durch ſeinen mund geredt durchtꝛingende krafft zu Ew.
Hoch-Graͤflicher Gnaden taͤglichen weitern wachsthum/ und auch noch vieler an-
dern in der weltliebe ſteckender leute bekehrung. Erfreulich war mir auch/ daß an
demſelben einen/ ob wohl der perſon noch unbekanten/ freunde erlanget habe/ deſſen
liebe mich Ew. Hoch-Graͤflicher Gnaden ſchreiben verſichert. Gott verbinde je mehr
und
[295[297]]ARTIC. I. DISTINCT. II. SECT. XLIV.
und mehr die hertzen derjenigẽ/ welche es mit ſeinem reich u. deſſen befoͤꝛderung treu-
lich meinen unter einander duꝛch hertzliche liebe/ damit je einer von den andere ſeiner
redlicher intention verſichert werde. Woraus wo es immer weiter geſchiehet/
durch GOttes gnade folgen mag/ daß ſie nicht nur einander mit Chriſtlichem rath
auch in abweſenheit in vorfallenden faͤllen beyſtehen koͤnnen/ ſondern auch daß jeg-
licher durch des andern gutes exempel zu neuem eiffer auffgemuntert werde: da
hingegen nicht weniges zu der nachlaͤßigkeit thut/ wo jeglicher ſorget/ es ſeye faſt
niemand der das werck/ wie ſichs geziehme/ angreiffe und treibe/ was er allein ſich
plagen wolte/ etwas aus zurichten: ſonderlich aber iſt woh [...][d]er groͤſte nutz/ den ſol-
che liebes verbindung nach ſich zeucht/ daß ſie als dann einander ſo viel ernſtlicher
helffen kaͤmpffen mit beten und flehen zu GOTT dem HErrn: Welches ob wol
in unterſchiedlichen orten von denen die dem leibe nach von einander entfernet/ aber
in dem gemuͤth und geiſt genau verbunden ſind/ nicht kan lehr abgehen/ ſondern
muß nothwendig/ weil GOttes verheiſſung nicht liegen wird/ groſſe krafft haben/
von dem HERREN alles was uns und der kirche noth iſt/ ohnfehlbahrlich zu er-
langen. Wie dann eben auch dieſes das meiſte iſt/ ſo wir einander in der fremde
zu leiſten vermoͤgen. Und gewißlich der Satan hat nicht wenig damit gewonnen/
da er biß her auff vielerley weiſe/ durch furcht/ allerhand calumnien/ und dardurch
erwachſenes mißtrauen/ und ſonſten/ zu wege gebracht/ daß wir ſonſten leider ins
geſamt die bruͤderliche gemeinſchafft der heiligen/ welche wir doch als einen articul
des glaubens erkennen/ faſt unbekant worden/ und jeglicher Chriſt faſt allein vor
ſich ohne hilff der andern ſein Chriſtenthum fuͤhren muͤſſen/ alſo auch unter den pre-
digern wenig weitere kundſchafft und geiſtliche gemeinſchafft gepflantzet iſt woꝛden/
als etwa bey denen/ die eines orts beyſammen gewohnet/ oder aus andern weltli-
chen urſachen und veranlaſſung mit einander in kundſchafft gerathen: Daher ſo
vieles verſaͤumet worden/ was durch bruͤderliche und ernſtliche zu ſammenſetzung
ſonſten haͤtte moͤgen und ſollen in goͤttlicher krafft erbauet werden. Weswegen
ich meinen GOtt inniglich preiſe und dancke vor den ſegen/ den er ſo fern zu meinen
piis deſideriis und andern einfaͤltigen ſchrifften gegeben/ daß auffs wenigſte ſich
derjenigen/ von dero nahmen und gemuͤth ich nichts gewuſt/ viele aus anlaß derſel-
ben ſich mit mir in genauerer liebe des geiſtes verbunden haben/ daß wir einander
kennen gelernet/ und ſo viel fleißiger vor einander beten; Ach daß auch bey vie-
len/ ja allen andern/ dergleichen geſchaͤhe/ und endlich die jenige/ ſo CHRJSTO
treulich dienen wollen/ alle/ ſo viel es moͤglich iſt/ ſich einander zu ſolcher gemein-
ſchafft des geiſtes in CHRJSTO kennen lerneten; mit deſto mehrer krafft das
reich des ſatans zu beſtreiten/ und vermoͤge des ſiegs ihres haupts ihn endlich uͤ-
berwinden. Ferner iſt mir auch erfreulich geweſen/ des Ungeriſchen Superin-
P pten-
[296[298]]Das ſechſte Capitel.
tendenten (deme wir darzu hie nicht alſo zu begegnen vermocht/ wie ers meritirt
und gehoffet hatte) liebreiche relation von unſern Franckfurt. Aber neben der
freude hat michs gleichwohl auch beſchaͤmet/ in betrachtung/ daß es bey weitem noch
nicht alſo bey unsſtehe/ wie aus einiger tage euſſerlichen anſehen/ der liebe mann
gut muͤthig geurtheilet hat. Zwar haben wir den gnaͤdigen guͤrigen GOTT
hertzlich zu dancken/ der uns gantz unverdiente gnade allhier erwieſen/ und ſein wort
ſo fern allhier geſegnet hat/ daß derjenige ſeelen unterſchiedliche ſind/ welche mit
hertzlichem eiffer ihrem GOTT zu dienen angefangen/ und ihr Chriſtenthum das
hauptwerck ihres lebens ſeyn laſſen/ auch von ihrem GOTT mehr und mehr dar-
in geſtaͤrckt werden/ alſo auch daß noch mehr liebe gemuͤther ſind/ die ob ſie wohl
noch mit ſolchem ernſt die ſache nicht angreiffen/ wie es ſeyn ſolte/ vielmehr ſich
durch furcht und der welt aͤrgernuͤß noch zu ruͤck halten laſſen/ gleich wohl das gute
belieben/ es zu thun anfangen/ und alſo ohne zweiffel von GOTT werden allge-
mach weiter annoch gefuͤhret werden: So iſt auch die ſo oͤffendliche kinderlehre
als einiger prediger mannier/ abſonderlich die jugend/ ſo zu dem tiſch des HErrn
ſich ſchicken wollen/ zu unterrichten/ in dem ſtand/ daß wir etwa uns vor vielen an-
dern orten einiger goͤttlicher genade zu ruͤhmen haben: nebs dem/ daß wir mit
andern orten gemein haben; aber auch eine unſchaͤtzbahre wohlthat von GOtt
iſt/ daß ſein wort in oͤffentlicher verſamlung rein und lauter/ und nach dem maß der
gnaden/ die jeglichem mitgetheilet iſt/ geprediget wird. Alles ſolches ſind freylich
wohlthaten/ davor wir nicht gnug unſerem GOtt dancken koͤnnen; und ach daß
wir ihn vor ſolche recht danckbar wuͤrden! Aber auſſer dem/ ach wie ein be-
truͤbt anſehen hats gleichwohl auch noch/ wo man mit geiſtlichen augen das werck
anſiehet/ mit unſerer armen Franckfurtiſchen kirchen? Wie viel mangelts an den
oͤffentlichen verfaſſungen/ da durch aber die erbauung gehindert wird/ daß ſie nicht
ſo viel ſolgen kan/ als ſie ſolte? Wie viel oͤffentliche aͤrgernuͤſſen ſehen wir/ und
koͤnnen nicht nachtruͤcklich wehren? Wie viel ſtuͤcke ſind/ da wir unſer amt nicht
vermoͤgen alſo zu fuͤhren wie wir wuͤnſcheten/ und es im andern ſtande die regel er-
forderte? Wie ſchlaͤffrich und unordentlich gehet es noch in unſeren oͤffentlichen
verſamlungen und verrichtungen des Gottesdienſts zu? Wie viel haben wir
ſelbs in unſerer gemeinde der laͤſtere[r] und feinde/ die die uͤbung und Gottſeligkeit
mit fleiß hindern wollen? Wie die ausgeſprengte und meiſtens allhier ausgeheckte
calumnien bey einigen jahren gewieſen. Und ſonderlich wie gemach gehets auch
noch bey dem guten her? da wir je laͤnger wir uns uͤben/ immer mehr gewahr wer-
den/ was uns noch mangele/ und daß dasjenige/ ſo andern lauter gold ſcheinet/
noch ſo viel an ſich habe/ wo von wir uns reinigen muͤſſen. Daher ſehen wir bil-
lig ſolche gute zeugnuͤſſen/ die uns von lieben hertzen gegeben werden/ viel mehr an/
als
[297[299]]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XLIV.
als antrieb dergleichen zu werden und es in den ſtand zu bringen/ worinnen es zu
ſeyn geruͤhmet wird: als daß wir erkennen koͤnten/ ſchon dahin gekommen zu ſeyn.
Der HERR ſtaͤrcke nicht nur alles gute/ ſondern laſſe es auch aller orten mehr
und mehr ſich ausbreiten. Sonderlich iſt mir auch erfreulich geweſen/ wiederum
aus dieſem ſchreiben Ew. Hoch-Graͤfliche Gnaden beſtaͤndigkeit in fortſetzung des
einmahligen und bißher zu werck geſtelten vortſatzes zu vernehmen: als daran ſie
ſo hertzlich bezeuget/ das irrdiſche nicht zu achten/ ſondern in GOtt das hertz zu er-
freuen/ ob andere gleich viel wein und korn haben/ und die irrdiſche egoͤtzlichkeit
beſitzen. Ein ſolches hertz von GOtt empfangen zu haben/ iſt ja uͤber alle welt ſchaͤtze
und die allerſeligſte gabe. Nun der HErr erhalte ſie auch bey Ew. Hoch-Graͤf-
lichen Gnaden/ und laſſe ſie mehr und mehr ſolcher ihrer ſeeligkeit werth erkennen/
aus ſolcher erkaͤntnuͤß ſo viel leichter alle in dem lauff des Chriſtenthums vorfallen-
de hindernuͤſſen zu uͤberwinden/ und mit ihrem mitgetheilten liecht in heilige exem-
pel andere zum preiß des himmliſchen Vaters auch zu erleuchten. Jſts ſein hei-
liger wille/ ſo ſoll es mir eine innigliche freude ſeyn/ Eure Hoch-Graͤffliche Gnaden
vertroͤſteter maſſen in perſon zu ſehen/ und mich an denen ihro verliehenen goͤttli-
chen gnaden gaben in gegenwarth zu ergoͤtzen. Jndeſſen ermangle nicht/ deroſel-
ben und geſamten ihrem Hoch-Graͤflichen hauß von dem grundguͤtigen GOTT
allen ſegen zu wuͤnſchen: wie auch jetzo ſolche in die himmliſche hut treulichſt em-
pfehle/ und dießmahl nicht weniger von dem Vater der barmhertzigkeit und Gott
alles troſtes die verſieglung ſeines troſts uͤber juͤngſtmahligen zu geſandten trauer-
fall von innigſtem grund der ſeelen anwuͤnſche. 27. Febr. 1679.


Pp 2SECT.
[298[300]]Das ſechſte Capitel.

SECTIO XLV.


Von Franckfurtiſchen ſachen. Bruder nahme
der Chriſten. Sorge der trennung.


DAß unſer benachbarte Theologus noch nicht auffhoͤren ſolle/ die unſrigen
hier in verdacht zu haben/ und auch diejenige ſo bald drein zu ziehen/ wo nur
unſere geliebte Jungfer N.N. hinkomt/ iſt mir leid: der HERR laſſe ihn er-
kennen was er hierinnen thut/ und mit was unrecht er diejenige beſchwehret/ an
denen man vielmehr die gnade GOttes lieben und erkennen ſolte. So habe ge-
dacht/ es haͤtte GOtt dem mann von einiger zeit die augen geoͤffnet/ daß er ſich ſei-
ner autoritaͤt nicht ferner mißbrauchte/ welches noch einmahl zu geſchehen in hertz-
licher liebe hoffen/ auch von ſolcher ſtatt ſelbſt mich verſehen will/ daß daſelbſt noch
das jenige ſolle gelobet und geuͤbet werden/ was man vorhin daſelbſt gelaͤſtert und
angefeindet. Es hat ja der HERR HERR alle hertzen in ſeiner hand/ und zei-
get vornehmlich bey deng oſſen in regierung derſelben ein vortreffliches ſtuͤck ſeiner
Allmacht und Majeſtaͤt/ und ſo wir Theologi, ſo es aus doppelter pflicht zu thun
verbundeu waͤren/ zu thun ſaͤumig ſind/ erwecket er offters Chriſtliche Politicos, vor
dero hertzlichen eiffer/ den GOTT auch offters hertzlich ſegnet/ wir uns nachmahl
ſchaͤmen muſſen; da ſie das werck des HERREN vortrefflich befoͤrderen. Ein-
mahl gibt mir mein gewiſſen zeugnuͤß/ weiſet auch das werck ſelbſt/ daß ich und an-
dere freunde hier nichts anders ſuchen/ als daß die lehre der Gottſeligkeit treulich
getrieben/ und alſo in die hertzen eingetrucket werde/ daß auch daß gantze leben nach
derſelben regel eingerichtet werde/ und alſo das leben des glaubens ſich in der that
zeiget: Daß wir alle moͤgen die theure guͤter unſers GOttes alſo hertzlich lernen
erkennen/ damit durch deroſelben liebe/ die uns allen angebohrne und feſt ankleben-
de liebe der welt moͤge getilget und ausgereutet werden/ und alſo die Chriſten in
der welt alſo wandelen/ als derer burgerrecht droben in dem himmel iſt. Hiezu iſt
alles gemeinet/ und wird man uns nicht zeigen/ daß einige unſere vorſchlaͤge oder
verrichtungen und uͤbungen entweder anders wo hin zwecken/ oder aber ſo beſchaf-
fen ſind/ daß ſie dergleichen fremde abſicht nach ſich zoͤgen. Was ſonderbahre
meinungen ſind/ werde ich mir nicht laſſen zu wider ſeyn/ wo ich weiß/ daß jemand
dergleichen hegte/ und ich ſolche goͤttlichem wort zu wider zu ſeyn erkennete/ mit den-
ſelben daraus zu reden/ und ſolche nach vermoͤgen zu benehmen. Es iſt aber je
laͤnger je weniger dergleichen zu befahren/ nach dem wir mehr und mehr erkennen/
wir ſeyen noch nicht diejenige/ welche hohe geheimnuͤſſen und etwas anderes faſſen
koͤnten
[299[301]]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XLV.
koͤnten/ und alſo uns noch darum zu bemuͤhen haͤtten/ als was die aller gemeinſte
und bey allen ungezweiffelte glaubens puncten ſind/ unſere vertrauen in denſelben
rechtſchaffen zu gruͤnden/ daß aus ſolchen ſamen die edlen fruͤchten/ wie ſichs gezie-
met/ folgen und wachſen moͤgen: Und werden wir damit lang zu thun haben/
was in der ſchrifft gerade dem buchſtaben nach ſtehet/ und alſo undiſputirlich war
und noͤthig iſt/ in das hertz zu bringen/ daß es recht lebendig darinnen ſeye/ biß wir
nachmalen auch zu den uͤbrigen hoͤheren geheimnuͤſſen/ und dero weiterem verſtand
als abermahl insgemein daſuͤr gehalten wird/ tuͤchtig werden. Solte aber je-
mand in etwas ſeine privat-meinung haben/ und dieſelbe in der ſtille bey ſich behal-
ten/ wo ſie den grund des glaubens nicht verletzet/ ſo iſt ja biß daher mit ſolchem alle-
zeit gedult getragen worden/ daß wenig auch der vornehmſten Theologen ſind/
die nicht etwa in einigem ſtuͤck ihre haußgedancken uͤber etwas gehabt/ darinnen
ſie nicht eben mit anderen eingeſtimmet/ und zu weilen wol gar ſolche gar dunckel in
ſchrifften haben mercken laſſen: ohne daß man deß wegen ſie uͤbel angeſehen. Was
die bruͤderſchafft anlanget/ ſo kan ich mit warheit vor GOtt bezeugen/ daß ich von
keiner andern als der allgemeinen bruͤderſchaſſt/ welche allen rechtſchaffenen glaͤubi-
gen kindern GOTTES in CHRJSTO gemein iſt/ weiß/ oder jemand ei-
nige ſonderbare ſocietaͤt ſuche und ſtiffte. Was des lieben und Chriſtlichen Ju-
riſten NN. gute intention geweſen/ wegen einer abſonderlichen JEſus-ge-
ſellſchafft/ mag etwa mit ein und anderen gruͤnden und exemplen defendirt wer-
den/ wie ich auch weiß/ daß dieſelbe von unterſchiedlichen rechtſchaffenen Theo-
logis
gebilliget worden. Was aber mich anlanget/ ſo habe die liebe abſicht und
welmeinenden zweck wol erkant und geliebet/ aber nicht davor gehalten/ daß ſol-
che ſache dißmal zur erbauung des Chriſtenthums vieles thun/ leicht aber ehr zu
ſchaden außſchlagen moͤchte/ dahero ich dieſelbe mehr mißrathen/ auch nicht eine
einige perſon allein allhier weiß/ die in ſolche geſellſchafft eingetreten waͤre: Wie
viel weniger begehren wir dann/ ſelbſt etwas ſonderbares zuſtifften/ die wir eben
die jenige gefahr vo[r] uns ſehen/ die uns bey anderen vor augen ſtehet? Daß aber
viel liebe und hertzliche freunde unter ſich den nahmen bruder oder ſchweſter aus
dem allgemeinen recht des Chriſtenthums gebraucht/ leugne ich nicht: Jch zwar
vor meine perſon habe mich deſſen gegen niemand alß amts genoſſen gebrau-
chet/ weil wir/ wo wir die ſache und bruͤderliche liebe behalten/ an den nahmen
ſelbſt ſo hart nicht verbunden ſind/ daß nach dem derſelbe eine zeit-
lang in abgang gekommen/ wir ihn bey verluſt der ſachen muͤſten
wieder einfuͤhren. Aber ich habe auch nicht geſehen/ wie Chriſt-
lichen hertzen die macht habe nehmen koͤnnen/ ſich unter einander mit dem-
ſelben nahmen zu nennen/ davon ſie nicht nur der erſten kirchen exempel/ ſondern
P p 3auch
[300[302]]Das ſechſte Capitel.
auch die beſtaͤndige red art der Schrifft vor augen haben: und weil ſie ſich unter-
einander bruͤder und ſchweſtern offters nanten/ ſo gar alle andere/ die eben nicht mit
ihnen bekant worden/ von ſolchem titul und recht nicht außſchloſſen/ daß ſie viel
mehr alle/ die in wahren glauben und in der kindſchafft GOTTes ſtuͤnden/ hertz-
lich davor erkanten/ und ſich offters hertzlich freueten/ wo ſie gedachten/ daß ſehr vie-
le ſolche bruͤder und ſchweſteren ihnen nach dem fleiſch unbekant/ und ihnen gleich-
wol nach ſolcher ſippſchafft des geiſtes ſo nahe verwandt waͤren/ als immer-
mehr die jenige/ mit welchen ſie taͤglich umgiengen: auch deßwegen ſich nicht wuͤr-
den bedacht haben/ jeglichen/ ſo bald ſie ſeines rechtſchaffenen glaubens zeugnuͤß
geſehen/ mit ſolchem nahmen/ wo ers leyden moͤchte/ zubenennen. Wie wol auch
dieſe liebe freunde/ nach dem ſie geſehen/ daß auch ſolcher nahme von einigen/ wie an-
deres gutes/ mißdeutet werden wollen/ aus Chriſtlichen condeſcendez ſich eine
zeitlang in dem geſpraͤch deſſelben mehr enthalten. Jch kan aber nicht ſehen/ wie
man ſich ſchlechter dings noͤtigen/ oder da ſolche compellatio in den brieffen mehr
gebrauchet wird/ auf ſolches einen verdacht mit einigem redlichem ſchein ſetzen
moͤchte. Dann warum ſolle Chriſten verboten ſeyn/ daß uͤber die weltliche und
haͤußliche reſpect und relationes, darinn ſie gegen einander ſtehen/ ſie auch als
Chriſten ſich untereinander nach ſolcher geiſtlichen relation nennen doͤrfften? Da
haben wir aber keinen andern nahmen/ als vater/ kind/ bruder ſchweſter. Und
wie wollen wir Theologi mit unſeren bruder-nahmen/ den wir uns untereinan-
der geben/ beſtehen/ wo die jenige/ denen mir den allgemeinen brudernahmen unter
ſich zu gebrauchen diſputiren wollen/ deſſen rechenſchafft von uns forderten? die
wir vor denſelben aus der Schrifft kein ander fundament anziehen koͤnnen/ als wo
der unter allen Chriſten gemeinen bruderſchafft meldung geſchiehet/ und daher bil-
lig ſie nicht außſchlieſſen doͤrffen. Es iſt einmahl wahr/ was jener Theologus
ſagt: mit dem abgang des bruͤderlichen nahmens/ haben wir in der Chriſtenheit faſt
auch zu gleich die ſach mit verlohren. Wollen wir aber den urſprung ſuchen/ wo
her es gekommen daß der allgemeine bruder-nahmen erloſchen und nur von ſo ge-
nannten geiſtlichen behalten worden/ doͤrffen wir gewißlich denſelben nirgend an-
ders ſuchen/ als in dem Papſtum/ damit anderen rechten der geſamten Chriſtli-
chen gemeine auch dieſer liebe und freundliche nahme denſelben entzogen/ und auf ei-
ne gewiſſe ordnung und ſtand eingezogen worden iſt. Jndeſſen weichen ſie aus
liebe in dem gebrauch ihrer Chriſtlichen freyheit ſo fern/ daß ihnen damit nicht das
recht zugleich entzogen/ und des jenigen/ ſo ihnen der HERR ſelber gegoͤnnet/
als offt ſie es zu ihrer aufmunterung/ erbauung und troſt dienlich achten werden/
zu brauchen die macht abgeſprochen wiꝛd. Zu einer trennung iſt ſo gar die be-
gierde nicht/ daß wir vielmehr alles zu der einigkeit in Chriſto gefuͤhret wuͤnſcheten/
und
[301[303]]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XLVI.
und als viel an uns iſt/ darnach trachten. Daher es keiner abſonderlichen bruͤ-
derſchafft bedarff/ ſondern wir an der allgemeinen bruͤderſchafft genug haben/ als
die ohne das ein genauer band des geiſtes hat/ als wir ſonſten moͤchten einiges erſt
ſelbſt knuͤpffen. Aus dieſem wird Ew. Wohl Ehrw. nicht nur zur gnuͤge ſelbſt er-
kennen/ was es vor eine bewandnuͤß mit dieſer ſach habe/ ſondern ſo viel gruͤndli-
cher den jenigen begegnen koͤnnen/ die entweder aus unwiſſenheit andere gedan-
cken davon gefaſt/ oder aus boßheit/ dieſes wie ſonſten mehrere ding verdraͤhen und
verlaͤſteren/ wo ſie finden ſolte/ daß etwa die warheit zu retten/ ein wort zu reden
noͤthig waͤre. Ach der HErr gebe uns doch gnade/ daß wir wohlwahr nehmen/
was wir thun/ und in was unſer eyffer beſtehe/ oder wo hin er zwecke: Daß ja nie-
mand einiges gutes/ ſo den Chriſten von ihrem Heyland befohlen/ oder er deſſen
recht gegeben/ zu hemmen ſuche/ und wo er davor haͤlt/ die ſache ſeye nicht verwerf-
lich/ aber der modus nicht beliebig/ lieber einen beſſern modum zeige/ als die ſach
aufhebe/ oder ſo lang den jenigen modum laſſe/ der nutzen bringt/ biß er einen beſ-
ſern ſubminiſtrire. Ew. Wohl Ehrw. verſtehet wol/ was dieſes geſagt ſeye/
auch wo dieſe wort pflegen gebraucht zu werden/ und wie ich dero aufrichtige in-
tention
GOtt vor ſich und in dero amt treulich zu dienen kenne/ auch dero gegen
mich tragender redlicher affection verſichert bin/ als iſt mir das hertz auch dieß-
mal freyer aufgegangen und ſich vor deroſelben außgeſchuͤttet. Laſſet uns treu-
lich fortfahren in dem werck des HErren/ die erbauung unſerer ſo theuer und
ernſtlich anbefohlener gemeinden auf alle weiſe und wege/ wie der HERR zeigt/
zu befoͤrderen/ und daruͤber von der welt ihren/ aber auch von GOTT ſeinen in
gnaden verſprochenen/ lohn erwarten. Es muß auch jener/ den die welt in un-
danck und haß giebet/ durch uͤbung unſerer gedult uns nuͤtzlich und eine goͤttliche
wohlthat werden. Der HErr wird gewiß ſeine ehre retten/ und ſeiner gemeinde
nach dem verlangen ſo vieler elenden helffen/ ob wirs wohl noch nicht verſtehen.
1679. m. Mertz.


SECTIO XLVI.


Nochmal an Georg Conrad Dielfelden. (ſiehe
Sect. 39.) formul,ich bin Chriſtus. Vereinigung der
glaͤubigen mit Chriſto. Ammersbach. Chriſtus
pro \& in
nobis. Steph. Prætorius. Statii
Schatz-cammer. Urſachen
der auslaſſung der nahmen.
Horbius autordes erſten
bedenckens an die
Pia deſi-
deria.


Goͤtt-
[302[304]]Das ſechſte Capitel.
Goͤttliche gnade/ friede und ſogen in CHRJSTO
JESU!
Wohl Ehrwuͤrdiger/ Großachtbarer/ Hochgelehrter Herr/
Jnſonders Hochgeehrter Amts-Bruder.

DEſſelben an mich abgegebenes habe geſtern empfangen/ weil aber erſt von
meiner unpaͤßlichkeit aufſtehe/ auch noch nicht außgehen oder meiner ge-
ſchaͤfften voͤllig abwarten kan/ ſo dann die fuhren morgen wieder abgehen/
ſo kan nicht anders/ als kuͤrtzlich allein antworten. Die mittel welche in den piis
deſideriis
zu der beſſerung der Evangeliſchen kirchen vorgeſchlagen/ ligen an dem
tag/ die fleißigere uͤbung des goͤttlichen worts/ einfuͤhrung des Geiſtlichen Prieſter-
thums/ treibung auf die praxin, Chriſtliche begegnuͤß gegen die irreglaubige/ ſorg-
faͤltige erziehung der kirchen nuͤtzlicher Studioſorum, und fleißige einrichtung der
predigten auf den innern menſchen. Daß ſolche nicht weiter hie zu erzehlen. Jch
weiß aber nicht/ wie eben die predigt Joh. 1/ 20. in ſolche materie gemiſchet wer-
de/ als welche/ da ſie von einem paradoxo Chriſtiano vornemlich zu dieſem zweck
handelt/ unſers lieben vaters Lutheri ſo hart lautende rede zu erklaͤhren/ wie
ſie Chriſtlich und troͤſtlich verſtanden werden moͤge/ alſo zum zweck nicht gehabt/
ſie unter die mittel der beſſerung der kirchen insgemein vorzulegen. So wird
man auch ſonſten von mir weder hoͤren noch le[ſ]en/ daß ſolche propoſition,ich bin
Chriſtus/
jemahl gebrauchte/ als der ich wol weiß/ daß dieſelbe/ wo ſie nicht ex
profeſſo
u. weitlaͤufftig tractiret wird/ daß man allen ungleichen verſtand remo-
vi
ret/ und den rechten ausfuͤhret/ gar in unziemlichen verſtand von den auditoribus
wuͤrde gefaſt werden. Alſo habe ich gezeigt/ nicht welcher formul wir uns or-
dentlich zu gebrauchen haben/ ſondern wie ſolche formul einen guten und goͤttlichem
wort gemaͤſſen verſtand haben moͤge. Was aber die materie ſelbſt von der genau-
en vereinigung mit Chriſto anlangt/ bekenne [g]ern/ daß ſie unter die jenige gehoͤre/
die in dem ſechſten mittel gemeint/ wie die predigten auf den iñeren und neuen men-
ſchen zurichten ſeyen. So hoffe ich auch/ daß ſie/ wo ſie recht erkant wird/ weder
von meinen hochgeehꝛten Herrn noch einigem rechtſchaffenen Theologo moͤge ge-
leugnet werden. Mein hochgeehrter Herr geſtehet mir/ daß Chriſtus in den glaͤu-
bigen wohne und wuͤrcke: Was iſts anders/ daß ich auch ſage? dañ ich hoffe nicht
daß derſelbe es werde vor eine ſolche wohnung halten/ wie ſonſten einer in einem
hauß wohnet/ ſondern es muß eine wohnung ſeyn/ mit dero der einwohnende ver-
einiget iſt/ wie ſo viele ort der Schrifft nach genuͤge weiſen/ alſo daß die wohnung
von ihm leben und krafft hat/ und was der menſch thut/ nicht mehr bloß ſein eigen/
ſou-
[303[305]]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XLVI.
ſondern auch Chriſti werck in und durch ihn iſt: Und bin ich verſichert wo erſtlich
die modi, die ich ſelbſt removire, werden weggethan ſeyn/ ſo werde ich keine ge-
nauere vereinigung ſetzen als rechtſchaffene Theologi bißher alle geſtanden ha-
ben. Dann dabey bleibets einmahl: Nicht nur Chriſti krafft und Geiſt/ ſon-
dern er Chriſtus ſelbs vereiniget ſich warhafftig mit ſeinen glaͤubigen/ daß ſie ſei-
ne glieder ſo wahrhafftig ſind/ als er ihr haupt iſt/ ob ſie wol nicht eine perſon/ jedoch
ein geiſtlicher leib zuſammen werden. So bleibet zwiſchen GOtt und creatur o-
der den glaͤubigen menſchen unendlicher unterſcheid/ das beyder weſen nicht ein
weſen ſind/ und ſind doch aufs aller genaueſte miteinander vereinigt. Die gleich-
nuͤſſen von dem heiligen Abendmahl/ von der taube und heiligen Geiſt wird jeg-
licher leicht ſehen/ daß ſie allein dahin angefuͤhret werden/ zu weiſen/ daß es nicht
ungewoͤhnlich/ daß etwas von dem andern prædicirt werde/ was mit ihm verei-
nigt iſt/ nicht aber die art der vereinigung auß zu trucken/ wie deutlich ſtehet/ auf
andere weiſe/
daß alſo die art der vereinigung Chriſti und unſrer nicht damit ver-
gleiche/ ſondern dieſelbe in den folgenden alſo außtrucke/ daß ich hoffe/ niemand/
dem nicht mit vertrehung der wort wol ſeye/ werde darinnen etwas zu ſtraffen fin-
den. Sonſt geſtehe ich willig/ daß ich ſehr noͤthig achte/ die Chriſten davon zu
unterrichten/ daß ſie nicht nur muͤſſen Chriſti verdienſt mit glauben ergreiffen/
aus deſſen zurechnung ſie ſelig werden/ ſondern daß eben ſolcher glaube
muͤſſe alſo bewand ſeyn/ daß Chriſtus dadurch in ihren hertzen zu wohnen komme/
und ſich mit ihnen vereinige/ alles gute in ihnen zu wuͤrcken. Dann wie wollen
wir die leuthe/ ſo ſich mit ihrer unvermoͤgligkeit entſchuldigen/ antreiben/ daß ſie
ſich ihr Chriſtenthum eyfferig laſſen angelegen ſeyn/ als wo wir ihnen zeigen/
Chriſtus/ wolle durch den glauben in ihnen wohnen/ und in ihnen kraͤfftig das jeni-
ge wuͤrcken/ was ſie ſonſten nicht vermoͤchten: Jch vermag alles indem/ der
mich maͤchtig macht/ Chriſto/
nicht der ferne von mir ſondern durch den glau-
ben gantz genaue vereiniget iſt. Jch meine aber nicht/ daß hievon viel wort zu-
machen noͤthig ſeye in einer gantz klaren ſache. Was ſub nomine Eliæ Præto-
rii
außgegangen habe nicht geleſen/ ſondern nur hin und wieder eingeſehen/ die
hefftigkeit mir nicht gefallen laſſen/ aber ob und was von dieſer materie darinnen/
weiß ich nicht. Jn andern ſchrifften Chriſtian Hohburgs/ habe viel liebes und
gutes geleſen/ daß ich nicht leugne; aber ſolchen mann/ wie andere menſchliche
ſchrifften auch geleſen zu werden verlange/ nemlich/ pruͤffet alles/ das gute be-
haltet.
Wie mich alſo nicht viel vor denſelben bemuͤhen werde/ als der unſern
glauben an keinen menſchen gebunden zu ſeyn weiß; alſo wuͤrde mich gleichwol auch
nicht noͤthigen laſſen/ ihn zu condemniren. Was Herr Ammersbach vor mit-
tel der beſſerung der kirchen vorſchlage/ kan mit wahrheits grund ſagen/ daß ich
Q qauf
[304[306]]Das ſechſte Capitel.
auf die ſtunde nicht weiß/ als der ich von ſolchem mann nichts als ſeinen teutſchen
vielfraß/ ſeine antwort auf die
cenſuram contra Hohburg, und ein kleines tra-
ct
aͤtlein/ wo mir recht iſt/ uͤber das ſymbolum eines Fuͤrſten/ und ein einiges ſchrei-
ben geleſen: Deßwegen auch weder weiß/ noch mich darumb bekuͤmmere zu wiſ-
ſen/ was an ihm deſiderirt werde. Jch urtheile keinen fremden knecht/ ſondern
laſſe jeglichen nach der gabe/ die er hat/ ſein amt verrichten/ wie ich auch ſolche frey-
heit mir begehre: Jedoch wol leiden kan/ ſo jemand mich richtet/ als welches kei-
ner ſchaͤrfferer thun kan/ als ich gegen mir ſelbſten thue/ wiſſende/ wir haben noch
ein ſchaͤrffer gericht vor uns/ wo wir uns wol vorzuſehen haben/ daß unſer werck
moͤge beſtehen/ und nicht verbrennen. Solte aber in Herr Ammersbach ſchriff-
ten geſtrafft werden/ daß er begehre/ man ſolte Chriſtum in nobis predigen (ob
ich wol/ als der ich ſeine ſachen nicht geleſen/ nicht weiß/ wie er ſolches treibet) ſo
koͤnte mich nicht entſchuͤtten/ daß ich eben ſo wol glaube/ wir ſeyen freylich ſchuldig/
nicht nur Chriſtum pro nobis, ſondern auch in nobis zu predigen/ und treibe es
offt (ſehe 2. Cor. 13/ 3. 4. 5.) daß wir nicht nur muͤſſen glauben/ durch Chriſti ver-
dienſt ſelig zu werden/ ſondern er muͤſſe auch in uns wohnen/ daß in unſerem leben
aus ſeiner krafft das bild ſeines lebens auch hervor leuchte/ und kaͤntlich ſeye. Die
krafft ſeines todes muß in uns den alten Adam toͤdten/ und die krafft ſeiner auffer-
ſtehung das neue leben wuͤrcken/ ſo alles nicht auſſer ſondern in uns geſchiehet. Ste-
phanum Prætorium
halte ich vor einen treuen diener GOttes/ ſo viel gutes ge-
than/ ob es wol ihm mag an einigen ſtudiis gemanglet haben/ daher der liebe mañ
in ein und andern ſtuͤcken angeſtoſſen/ aber billich iſt/ wir laſſen ihn des rechts ge-
nieſſen/ ſo wir den vaͤtern geben/ in denen allen/ ja auch unſerm theuren Luthero
ſelbs/ wir einiges notiren/ ſo nicht angenommen wird. Statii mit guten bedacht
und auslaſſung vieles in den wercke Prætorii undienliches aus gezogener Schatz-
kammer bekenne ich/ daß ich hertzlich liebe/ und aus eigener/ ſo dann vieler gottſe-
liger ſeelen/ erfahrung habe/ wie trefflich ſie daraus erbauet worden/ die ſolchem
buch noch an jenem tag zeugnuͤß geben werden. Alle wort darinnen befindlich bil-
liche ich eben nicht/ in dem zuweilen anders geredet haͤtte werden moͤgen/ aber an ei-
nem ſchoͤnen bild irrt mich einiger kunſtfehler nicht/ daß ich nicht das uͤbrige liebe
und lobe. So vielmehr da unterſchiedliches/ was ſchwere irrthum in ſich zu faſſen
ſcheint/ wo es mit andern orten conferirt uñ benigne außgelegt wird/ gantz anders
her aus kompt/ als einem erſtlich duͤncken moͤgen. Jnsgeſamt laſſe ich allein dem
heiligen Geiſt/ ſo in der Schrifft redet/ dieſe ehre/ daß wir ohne weitere pruͤffung
ſein wort anzunehmen haben. Menſchen ſchrifften ſind der pruͤffung unterworf-
fen/ und vielleicht ſehr wenige/ darinne nicht bey gold und edelgeſteine etwas holtz
und ſtroh mag untermiſcht ſeyn. Solches principium bilde ich auch allen mei-
nen
[305[307]]ARTIC. I. DIST. II. SECT. XLVI.
nen zuhoͤrern ein/ und wiſſen ſie/ daß ſie keines menſchen werck weiter anzunehmen
als ſie ſich davon aus GOttes klahren wort/ und aus demſelben in ihren gewiſſen
der wahrheit uͤberzeugt finden. Was meines hochgeehrten Herrn mit Herr Am̃ers-
bachen uͤber ſolchem tractat habende ſtreitigkeit ſeye/ iſt mir nicht weiter wiſſend/ als
die titul zeigen. Bekenne aber gern/ daß ich weder liebe noch viel zeit finde/ der-
gleichen ſtreit-ſchrifften zu leſen. Daß der beyden Theologorum nahmen nicht
ausgetruckt/ die ihre additiones zu den piis deſideriis gethan/ habe meine urſa-
chen gehabt/ daß ich gern ihrer ſchonte/ weil wir zu einer ſolchen zeit leben/ da die
jenige/ ſo rechtſchaffener intention ſind/ ſo bald hefftige widerſacher gegen ſich er-
ſahren muͤſſen/ auch wol unter den geiſtlichen. Wie mir noch neulich ein beruͤhm-
ter Theolog. Doctor und Superint. dieſe formalia ſchriebe: Jn meinem durch
GOttes guͤte 27. jaͤhrigen geiſtlichen verrichtungen habe ich keine giffti-
gere leuthe angemercket/ die dem wahren Chriſtenthum ſo zu wider/ als
die meines ordens geweſen ſind.
Daher ſolcher guten freunde ſchonen wollen/
daß ſie nicht ſo bald auch den haß der welt ohne noth erfahren muͤſſen. Weil aber
mein hochgeehrter Herr ein verdacht hat auf Herr D. Hartmann/ ſo bezeuge/ daß
ſolcher es nicht iſt/ ſondern Herr Horbius. Das aber Herr D. Hannekenii la-
teiniſch kurtzes ſchreiben nicht mit angetruckt/ hatte nicht mehr urſach/ als ſo viel
andere/ auch durch und durch favorabliſche briefe anzutrucken. Als der ich die
beyde epicriſes daraus publicirt, weil ſie noch mehrere anmerckungen gethan/ da-
von der leſer nutzen haben moͤchte/ und was an meinem aufſatzen manglete/ erſetzten.
Welches als viel jetziger mein zuſtand und zeit zu gegeben/ in freundlicher wieder-
antwortung habe wiſſen ſollen laſſen/ verhoffende/ daß es mit gutem gemuͤth wer-
de aufgenommen werden. Der HERR HERR erbarme ſich ſeines kleinen haͤuff-
leins/ und heile deſſen wunden. Er ruͤſte darzu aus durch ſeinen Geiſt leuthe/
welche es mit ſeiner ehre treulich meinen/ in ſeinem licht was zu der kirchen beſten
noͤthig ohne fehl erſehen/ und in ſeiner krafft und ſegen ſolches ausrichten. Hinge-
gen trete er als der GOTT des friedens den ſatan unter unſere fuͤſſe in kurtzem.
m. Mart. 1679.


SECTIO XLVII.


Wie beduͤrfftig ich der vorbitte. Ausgeſtreute
laͤſterungen. Dero nutzen. Frucht der goͤttlichen
zuͤchtigungen.


Q q 2Jhr
[306[308]]Das ſechſte Capitel.

JHr ſchreiben war mir damahl in den obligenden haus ſorgen und betruͤbten
zuſtand der meinigen die die meiſte/ ehe die reye an mich kam/ auff den todt
kranck gelegen/ eine vergnuͤgliche ergoͤtzung und aufmunterung. Der
HERR HERR vergelte ihr an ihrer ſeel die liebe/ welche ſie darinnen gegen
mich erzeiget/ und ſo eyfferig fuͤr mich zu dem HErrn betet. Und ach wie bedarff
ich ſo ſehr/ daß mein armes und ſchwaches gebet von anderen gottſeligen bruͤdern
und ſchweſtern mit hertzlicher vorbitte fuͤr mich geſtercket/ und GOtt ſo viel ange-
nehmer gemacht werde/ dz derer viele ſeyen/ die da mit bitten u. flehen in dem Geiſt
fuͤr mich beten/ auf das mir gegeben werde/ das wort mit freudigen auffthun mei-
nes mundes/ daß ich moͤge kund machen das geheimnuͤß des Evangelii/ auf daß ich
darinnen freudig handlen moͤge/ und reden wie ſichs gebuͤhret. Es iſt ja unſer amt
ein ſolches amt/ darinnen wir unſere pflicht ohne die ſonderbahrſte unſers GOttes
gnade und beyſtand nicht erfuͤllen moͤgen/ als an dem nicht nur unſere ſondern ſo
viel anderer ſeelen ewiges heyl haͤnget. So iſt auch abſonderlich mein zuſtand
allhier ſo viel gefaͤhrlicher/ als mehrerer leute augen durch gute und boͤſe geruͤchte/
(ſo faſt durch unſere gantze Evangeliſche kirch von unſerm armen Franckfurth er-
ſchollen) auf mich und unſere hieſige gemeinde gerichtet ſeynd/ ſo wohl die uͤbel wol-
lenden und durch die viele laͤſterungen eingenommenen/ welche nachmahlen alles
auf das ungleichſte aufnehmen und auslegen/ als guther und rechtſchaffenen ſee-
len/ welche eine freude ausdem jenigen/ was ſie aus einiger guther hertzen liebrei-
chem urtheil von uns gutes gehoͤret hatten/ geſchoͤpffet haben/ und ſich alſo ge-
ziemen will/ daß mit ungleichem erſolg demſelben nicht ein anſtoß geſetzet werde.
Jn ſolchen dingen aber ſich auf allen ſeiten weißlich zuhuͤten/ iſt gewiß kein ſache
von menſchlichen kraͤften/ noch finde ich ſolche klugheit der gerechten in dem maß
bey mir/ als immer noͤthig wuͤrde ſeyn/ und habe deswegen fuͤr die groͤſſeſte wohlthat
von lieben ſeelen zu achten welche fuͤr mich ihr ſeufftzen mit den meinigen vereinbah-
ren und mir die zu meinem amt noͤthige gnade erbitten helffen. Es haben zwar di-
jenige calumnien, ſo nun etzlich jahr gewehret/ ſich nun etwas geleget/ und
hat der laͤſter-teuffel/ da die nichtigkeit ſeiner ausſtreuung an das licht mehr
und mehr gekommen/ etwas ſtiller und behutſammer werden muͤſſen/ daß
er nicht mehr ſo gar unverſchaͤmt auff unſchuldige leute laͤſtern darff/
aber doch laͤßt er ſeine tuͤcken nicht/ und iſt bey viele kleben geblieben/
wes/ ob wohl faͤlſchlich ausgegeben/ dennoch ohne weiteres unterſuchen/
willig von denjenigen auffgenommen iſt worden/ welche gern von den guten boͤſes
zuhoͤren verlangt haben. Jndeſſen erkeñen wir billich auch in dieſem ſtuͤck eine goͤttli-
che wohlthat/ da uns Gott durch ſolche feindſelige laͤſterung/ in allem unſerm thun/ ſo
viel vorſichtiger und behutſamer gemacht hat/ auff wort und wercke ſo viel genauer
acht
[307[309]]ARTIC. I. DISTINCT. II. SECTIO XLVII.
acht zu geben/ und ſich in nichts zu uͤbereilen/ auff daß wir auch GOtt zu dancken
urſach finden vordieſes/ daß er auch das widrige hat laſſen zum beſten dienen. Daß
eben ſolcher guͤtigſte und weiſeſte Vater auch ſie/ wertheſte goͤnnerin/ in ſeiner
zuchtſchule noch ſtaͤtig haͤlt/ und nicht auffhoͤret/ an pruͤffung ihres glaubens und
gedult/ dardurch aber mehrer reinigung und ſtaͤrckung des innern menſchen/ zu
arbeiten/ wird ſie auch eine theure wohlthat erkennen/ und als eine dardurch geuͤb-
te/ die daher erwachſende friedſame frucht der gerechtigkeit mehꝛ und mehr bey ſich
empfinden. Es iſt ja unſer euſſerlicher menſch und was an leibes und gemuͤths
kraͤfften noch zu demſelben gehoͤret/ laͤngſt darzu beſtimmt/ und hat ſein urtheil/ daß
er verderben und verweſen muß/ wie nuͤtzlich dann iſts/ daß ſolche verweſung in
williger unterwerffung unter den guͤtigſten willen des liebſten Vaters eine ſo vor-
treffliche erneuerung des inneꝛn wircket/ und damit der andere abgang erſetzet wiꝛd.
Ach daß wir auff ſolches herr liche guth/ und die noch ferner bevorſtehende ewige
guͤter allemahl die augen ſchlagen/ wie werden wir als dann ſo hertzlich vor das je-
nige dem HErrn dancken/ da wir ſonſten uns allein zu beſchwehren urſach zu haben
meinen/ der HErr gebe uns erleuchtete augen unſers verſtandnuͤſſes/ daß wir erken-
nen moͤgen/ welches da ſey die hoffnung unſers beruffs/ und welcher ſeye der reich-
thum ſeines herlichen erbes an ſeinen heiligen/ und welche da ſey die unuͤberſchweng-
liche groͤſſe ſeiner krafft an uns die wir glauben nach der wirckung ſeiner maͤchti-
gen ſtaͤrcke/ und aus derſelben alles widrige tapffer und freudig zu uͤberſtehen ver-
moͤgen. Jn welche maͤchtige krafft und gnaͤdige bewahrung dieſelbe inniglich em-
pfehlende. m. f. w. 24. Apr. 79.


SECTIO XLVIII.


Gebeth vor mich in meiner kranckheit. Joach.
Stollius. Horbius. H. A. D. Pomarius.Meine
Poſtilla. Apocalyptica. Crellotius. Cocceius.
Sabbath.M St. anonymi.


GLeich wie mir meines wertheſten bruders liebe zuſchrifft zu rechter zeit ge-
kommen/ alſo war ſie mir eine rechte ergoͤtzung und erleichterung meiner
ſchmertzen und ſchwachheit. Wie ich billich GOtt danck zu ſagen hatte/ daß
er ſo durch ſolche als etliche anderer guter freunde ſchreiben mich damah[l]en ſo viel
kraͤfftiger aufrichtete. Jch bedancke mich auch fuͤr ſolche hertzliche liebe und aus
glaubigem hertzen gefloſſenen/ daher gewißlich erhoͤrten/ wunſch/ mit noch fernerer
bitte ſolcher geſegneten gebets gemeinſchafft. Ach der HERR laſſe uns allen im-
mer ein jahr nach dem andern/ als viele er uns in dieſer verflieſſenden zeit beſt im-
Q q 3met
[308[310]]Das ſechſte Capitel.
met hat/ alſo durch hingebracht werden/ daß wir immer zu der ſich naͤherenden e-
wigkeit/ oder anderen u. kuͤnfftigen æone moͤgen geſchickter gemacht werden. Mein
geliebten und nun ſeligen Schwager Joach. Stollium belangende/ war er ein von
GOtt vortrefflicher begabter mann/ von herrlichen ſtudiis, tieffer erkantnuͤß der
ſchrifft/ benebens exemplariſchen wandel und treue bey ſeiner gemeinde/ wie er
denn bey deroſelben/ wo er vor ſich und die ſeinige weniges in den zeitlichen ſammlen
moͤgen/ verharret/ und andere anſehnliche anmuthungen abgewieſen/ weilen ſich
nicht leicht ein anderer/ ſo der gemeinde ſo anſtaͤndig waͤre/ an ſo in der welt gering
geachtete ſtelle wuͤrde gebrauchen laſſen. Was aber ſeine edirte predigten an-
langt/ darvon allein hierbey ſeine zwey letzte dießmahl communiciren kan/ wird
ſich zwar darin ein reicher ſchatz tieffer gedancken/ uͤber die fuͤrgenommene texte fin-
den/ und nach ſolchen exempeln anderen orten der Schrifft auff eine ſolche art nach
zu ſinnen anlaß gegeben werden/ aber ich haͤtte wuͤnſchen moͤgen/ daß er ſeinen ſtylũ
auf eine veꝛſtaͤndlicher art haͤtte zutemperiren gewuſt/ damit nicht nur gelehrte ſon-
dern auch andere dieſelbe beſſer verſtehen moͤchten. Neben dieſen werden meines
behalts noch 4. andere getruckt ſeyn/ davon aber/ wie auch uͤber dieſes ſendende ex-
emplar/ ich keine weitere mehr habe/ als welche zu eigenẽ meinẽ gebrauch habe/ wie
wohl mirdoch von den 4. die eine manglen wird. Meines andern Schwagern
Horbii acta zweiffle nicht/ werden nunmehr von Luͤneburg uͤbergekommen ſeyn/
und ſelbige zum zeugnuͤß dienen/ wie nichts erhebliches gegen ihn auffgebracht wor-
den. Welches alles ſo viel klaͤhrer heraus berichten wuͤrde/ wo noch zeit und gele-
genheit waͤre ein und andere puncta deutlicher zu erklaͤhren/ welches hierbey nicht
geſchehen/ in dem allein die acta publica ohne eigen zuſatz beyſam̃en zu laſſen rath-
ſamer geachtet worden. Nun dieſes wetter iſt vorbey/ und von dem lieben
mañ mit gedult und vielem wachsthum an ſeinem innerlichen uͤbeꝛſtanden; er danck-
et GOtt/ der ihn dabey vieles/ ſonderlich eine mehrere vorſichtigkeit hat lernen laſ-
ſen/ und dienet jetzo in der neue Superintendenz zu Windsheim ſeinem GOTT
getroſt/ und mit herrlichem ſegen/ darfuͤr der geber alles guten hoͤchlich geprieſen
ſeye. Was H. A. anlangt/ habe mein hertz gegen unſern vertrauten Herrn N. N.
mit mehrerm ausgeſchuͤttet/ ſo derſelbe euch wieder etwa communiciren. Jch
approbire ja an keinem menſchen/ und ſo es mein leiblicher bruder waͤre/ keine heff-
tigkeit und bitterkeit. So wird auch mein erſtes ſchreiben an den mann/ da ich
ihm auf das ſeinige antwortete/ dergleichen in ſich gefaſſet haben/ daß ich an ſol-
chen affecten meine diſplicenz bezeugte. Den bogen vor Guthmanns buch habe
nie gleſen/ aber uͤber den angezogenen/ darinnen Herr D. Pomarius ſo grimmig
angegriffen worden/ mich auffs hoͤchſte entſetzet. Jndem ich auch einen bekantlich
boͤſen menſchen nicht mit ſolchen cumulatis convitiiszu beladen rechtſpꝛechẽ koͤnte/
und
[309[311]]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XLVIII.
und entſchuldiget das jenige bey mir nicht/ wo er ſich darauff beruffen wolte/ daß
er vorhin hart tractiret worden/ dann bey Chriſten das widerſchelten nicht weni-
ger als das erſte ſchelten verboten zu achten iſt. Zu Herr D. Pomario habe ſchon
fuͤrhero ein Chriſtliches vertrauen getragen/ aber iſt mir jetzo deſto lieber/ noch
mehrers gutes/ davon mir nicht ſo viel wiſſend war/ aus meines wehrteſten bru-
ders zeugnuͤß zu vernehmen/ ſonderlich wegen ſeines gebets/ da ich weiß/ wo der
geiſt des gebets iſt in krafft/ ſo iſt auch noch viel andere himmliſche gnade zu gegen.
Der HERR erfuͤlle ihn ferner mit ſeinem guͤtern/ regiere ihn mit ſeinem geiſt zum
auffnehmen ihrer lieben kirchen/ u. da ja einiges fleiſchliches noch zu weilen ankleben
moͤchte/ ſo ich nicht weiß/ aber an mir ſelbſt erfahre/ wie wir mit ſolchem feinde ſo
unablaͤßig zu kaͤmpffen haben/ reinige er ihn immer mehr und mehr/ worzu auch
dergleichen uͤbungen/ da man von widerſachern gifftig angegriffen wird/ nicht we-
niges thun kan/ ſo wohl ſich ſelbſt zu pruͤffen/ wie uns in ſolcher ſache zu muth gewe-
ſen/ da wir dergleichen hoͤren muͤſſen/ ob wir mit der gedult CHRJSTJ und mit
gehoͤriger ſanfftmuth ein ſolches auffgenommen/ als auch ſich zu gewehnen/ das boͤ-
ſe mit gutem zu vergelten. Solte Herr A. nochmahlen an mich ſchreiben/ ſo ich
nicht weiß ob es geſchehen wird/ werde nicht ermangeln/ auch Chriſtliche errin-
nerung zu thun. Wie wohl bey etzlichen dergleichen leuten/ ſo aus dem geiſt des
eiffers zuſchreiben prætendirten/ ſelbſt erfahren habe/ daß wenig bey ihnen auszu-
richten/ welches mir offtmahls einen nicht geringen anſtoß gemacht. Die
Poſtill anlangend/ iſt ſolche durch meine kranckheit ſehr zu ruͤcke geſetzt/ und noch
nicht die helffte fertig/ doch hoffe mit GOttes gnade auff den herbſt ſie heraus zu
bringen. Ob ich nun wohl billich ſorge daß ſie guter freunde hoffnung nicht voͤl-
lig vergnuͤgen wird koͤnnen/ da das meiſte in groſſer haſt geſchrieben/ ſo will doch
das kindliche vertrauen zu dem himmliſchen Vater tragen/ und daruͤm bitten/ daß
doch auch ſolche einfaͤltige arbeit nicht moͤge gantzvergebens ſeyn. Von meiner diſp.
inaugural.
ſchicke hier bey nach begehren/ das (ohne das einige gebrauchte) letzte
in meinen haͤnden habende exemplar. Jſt eine Synopſis meiner voͤlligen vorge-
habten ausfuͤhrung/ an die ich aber/ je mehr in Apocalypticis geleſen/ ſo viel weni-
ger mich zu machen getraue. Jndem ich immermehr erfahre/ wie ſchwach ich ſeye
und ſo in den Apocalypticis als Propheticis faſt nichts anders/ als durch ein ſehr
dunckeln nebel ſehe: ohne was die aller klaͤhreſte dinge anlangt. Von Crellotii
werck weiß ich nicht/ was ich fuͤr hoffnung machen moͤge/ daß es herauskommen
werde. Weil der Buchfuͤhrer keiner das operæ pretium welches endlich ſo hoch
nicht geſetzet wird/ geben will. Die ſo verhaſte hypotheſes de regno Chrſti glori-
oſo in his terris,
wo ſie von denen aus mißverſtand zu geſetztencircumſtantiis und
determinationibus gar einigt/ und allein von derſelben die einfalt der Schrifft
ange-
[310[312]]Das ſechſte Capitel.
angehoͤret wird/ iſt eine vielleicht gewiſſere wahrheit als viele gedencken/ und in die
harre ſich wird zuruͤck halten laſſen. Ach daß der HErr uns mehr und mehr heilige
in der wahrheit/ ſein wort iſt ja die wahrheit/ daß wir nichts aus denſelben aus-
muſtern/ welches durch menſchliche autoritaͤt etwa lang verdaͤchtig iſt gemacht
worden/ noch auch unſere eigene einbildung in daſſelbige miſchen. Neulich iſt in
einer diſputat. inaugural. zu Gieſſen de Chiliasmo faſt alle hoffnung der kuͤnffti-
gen beſſeren zeit dem verworffenen Chiliasmo zugeſellet worden. Von Coc-
cejo
werden alle unpartheyiſche bekennen muͤſſen/ daß er eine ungemeine gabe ge-
habt habe/ in vielen ſtuͤcken die Schrifft zu erklaͤhren; iſt mir auch ſo viel liebes von
dem mann erzehlet worden: ſonderlich mit was bewegung ſeiner und der audito-
rum
er bey aller gelegenheit dieſe zu der uͤbung des allein nothwendigen zu vermeh-
ren gepflegt/ und nicht nur doctos ſondern pios ſtudioſos haben wollen. De
Sabbatho
gehet mirs wie mein liebſter bruder von ſich zeugt/ daß ich nach leſung
unterſchiedlicherautorum faſt mehr irre geworden/ wolte auch lieber in muͤndlicher
beſpꝛaͤchung/ welche etwa Gott noch dermahleins fuͤgen wolle/ von demſelben leꝛnen/
als auchviel zu lehrẽ ausgebẽ. Jch ſende ein Manuſcriptũeines anonymi, ſo ich die-
ſem verſprochen einigen eruditis zu comuniciren/ ob jemand die gabe und zeit haͤt-
te/ auff einige der hauptgruͤnde zu antworten/ daß des guten manns gewiſſen gera-
then wuͤrde/ welcher bezeugt/ daß er ihm gern wolte helffen laſſen/ wo er in einem irr-
thum ſolte ſtecken/ ja daß ſolches geſchehen moͤchte/ verlangt/ als der bißhero viele ge-
wiſſens-angſt ausgeſtanden/ und alle von GOtt ihm verhaͤngte ungluͤcke/ als eine
ſtraff der vermeinten und ſeiner einbildung noch in ungerechtigkeit auffgehaltenen
wahrheit/ angeſehen. Er traut aber damit nicht aus zu brechen/ als der ſich ſeines
officii, ſo er an einer ſchule traͤgt/ beſorget. Konte es jemanden/ der in dieſen ſtu-
diis verſirt
waͤre/ communiciret und fuͤr den mann huͤlffe gefunden werden/ wird
mirs lieb ſeyn/ ich aber mein exemplar kuͤnfftig etwa wiederum einmahl erwarten.
Zur nachricht melde nur/ daß Herr D. Kortholtz zu Kiel es ſchon gehabt. Ob in
ihrem Gymnaſio die erledigte ſtelle durch Herrn N. N. oder durch einen andern
GOTT hertzlich ſuchenden ſeye erſetzet worden/ wird mir lieb zu vernehmen ſeye.
Ach daß der HERR in ſeine ernde/ welche in ſchul und kirche groß iſt/ und ſich bey
vielen alten und jungen eine mehrere begierde nach dem rechtſchaffenen weſen fin-
det/ recht treue arbeiter ſende. Laſſet uns nicht auffhoͤren darum zu beten/ biß der
liebſte Vater darein ſehe/ und ſich der kirchen und darinnen ſeufftzenden erbarme.
24. Apr. 1679.


SECT.
[313]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XLIX.

SECTIO XLIX.


Der unvermoͤgen und meine ſchwehre kranckheit/
auch empfangene goͤttliche gnade. Wuͤrde und nutze der de-
muth. Vortheil der beſondern zuſammenkuͤnfften.
Kindliches vertrauen/ daß GOtt den endlichen
willen ſich in gnaden gefallen laſſe.


WO ich es mit jemand anders zu thun haͤtte/ und nicht wuͤſte/ daß ſie mit
liebreichen gemuͤth mein bißheriges ſtillſchweigen angeſehen/ und aus ſol-
chem nichts ungleiches noch eine verringerung der gegen ſie tragenden
und ſchuldigen liebe werde angenommen haben/ ſo haͤtte wohl urſach daß ſelbige/
nach deme es nun bereits ein gantzes jahr gedauret/ mit mehrerem zu entſchuldigen.
Gleichwie aber der vorige Sommer in allerhand und ſtaͤts wehrenden geſchaͤfften
zugebracht worden/ ſo mich an vieler angenehmer correſpondenz gehindert: So
hat mir der guͤtigſte Vater in dem himmel in der erfolgten herbſt und winter zeit
ſelbs eine ſolche heimſuchung geſandt/ welche bey guten gemuͤthern an ſtatt einer
genugſamen entſchuldigung dienen mag: Jn dem ſeiner vaͤterlichen liebe gefaͤllig
geweſen/ erſtlich zwar die meinige/ unter welchen er nach abſterben meines hauß-
præceptoris, meine liebe Haußfrau und aͤlteſten knaben uͤber alles menſchliche
verhoffen mit maͤchtiger hand aus des todes rachen geriſſen/ nachmahl mich ſelb-
ſten mit gefaͤhrlicher kranckheit befallen werden laſſen. Wie er aber damit geſuchet/
uns etwa von vielen/ ſo ihm noch an uns mißfaͤllig kraͤfftig zu reinigen/ auf daß wir
auch durch dieſe zuͤchtigung ſeine heiligung erlangen/ darumb wir ihn auch demuͤ-
thig anzuruffen haben/ daß er ſolchen ſeinen rath an uns allen wolle erfuͤllet werden
laſſen/ alſo hat er auch mitten in ſolcher gefahr unſer gnaͤdig geſchonet/ und endlich
ein zeichen ſeiner allmacht und guͤte an uns erwieſen/ da er auch mir/ als es menſch-
lichem anſehen nach/ und auch zuletzt nach eigenem meinem gefuͤhl/ zum ende zu ge-
hen ſchiene/ aufs neue einige friſt in dieſem leibe zu bleiben gegeben/ und damit ge-
zeiget hat/ daß das mir von ihm beſtimmte maß der arbeit und leydens noch nicht
muͤſſe erfuͤllet/ ſondern einiges weiter uͤbrig/ und in ſeinem weiſeſten rath mir zu-
gemeſſen ſeyn. Wobey ich billig erkenne/ daß der liebſte Vater ſonderlich vieler
frommen hertzen inſtaͤndige ſeuffzer vor mich angeſehen/ und ſolche zu dem thron
ſeiner gnaden habe tringen laſſen. Nun ihm ſeye ewiger danck vor die vaͤterli-
che zuͤchtigung/ vor die viele in deroſelben mir erzeigte unvergleichliche groſſe wohl-
thaten/ und endlich wiederaufrichtung/ auß dero in dem juͤngſt abgelegten Mer-
tzen mein amt wieder anzutreten vermocht habe. Denen lieben Seelen aber/
und unter ſolchen auch ihr/ außerwehlte Frau/ ſeye gleichfals hertzlicher danck ge-
ſagt/ vor ihre hertzliche vorbitte die ſie theils ſtaͤtig insgemein vor meine angelegen-
R rheit
[314]Das ſechſte Capitel.
heit zuthun pflegen/ theils auch damahls meiner abſonderlichen noth wiſſend mit
ſo viel mehr inbruͤnſtigkeit zu dem Vater der gnaden abgeſchicket/ und mir damit
bißhero ſo viele andere/ als auch ietzo dieſe/ gnade erlanget haben. Ach daß auch
dieſes an mir erfuͤllet werde/ wie ſie mich dazu erbeten haben/ damit ich ein tuͤchti-
ger werckzeug goͤttlicher ehre ſeyn moͤge/ daß ich dann mit neuer krafft angethan
werden moͤge/ nach hertzlichem meinem geluͤbde/ hinfort das neugeſchenckte leben
auch aufs neue allein zu Gottes ehren und des nechſten geiſt- und leiblichen nutzen/
nach ieweilig von dem HErrn mir anweiſenden gelegenheiten/ treulich anzuwen-
den/ und nicht mir ſondern ihm allein warhafftig zu leben. Nun dieſe bißherige
einiger maſſen von GOtt ſelbſten verurſachte hinderung/ der ſonſten eherſchuldi-
gen antwort/ neben ihrer gegen mich als einen bruder tragenden ungefaͤrbten liebe/
iſt mir eine gewiſſe verſicherung/ daß der aufſchub ſolcher antwort/ auch nicht an-
ders als freundlich aufgenommen worden ſeye. Jm uͤbrigen ſeye ſie ſonſten ver-
ſichert/ daß ſolche ihre liebe ſchrifft/ wie ſie von den meinigen bezeuget ihr ange-
nehm geweſen zu ſeyn/ nicht weniger mir hertzerfreulich geweſen/ daß dem geber
alles guten auch davor demuͤthig danck zu ſagen/ urſach gefunden habe. Jch
liebe darinnen hertzlich ihre demuth/ welche tugend gleich wie bey den uͤbrigen tu-
genden ein tiefer fundament giebet/ alſo deroſelben bewahrerin iſt/ daß ſie nicht
mit eigener liebe und ſtoltz verderbet werden. So verliehren wir auch das gute/
welches andere liebe freunde an uns erkennen/ da durch nicht/ daß wir uns des
ruhms deſſelben unwuͤrdig achten; wohl aber iſts Gottes heilſamer rath/ der uns
ſelbſt an uns verbirget/ was das zu eigener liebe von Natur geſinnte fleiſch ſo
leicht mißbrauchen moͤchte/ und welches an uns wahrzunehmen/ uns nicht eben
mehrern nutzen bringen wuͤrde; daß er aber hinwider andern an uns zu erkennen
giebet/ daß ſie ihm vor ſolche uns erzeigte gnade hertzlich preiſen/ und durch das
gute Exempel kraͤfftig erbauet werden. Fahret alſo fort/ Meine Geliebte/ zwar
vor die von dem HErren empfangene gnade hertzlich ihm danck zu ſagen/ aber kei-
nen ruhm zu ſuchen/ ſondern denſelben allein demjenigen heim zuweiſen/ welcher
auch in deme/ was er uns gegeben hat/ des preiſes allein wuͤrdig iſt. Jndeſſen
bleibet uns doch noch freude genug/ daß GOtt an uns/ und deme was er uns ge-
than hat/ geprieſen/ und wir alſo eine gelegenheit eines mehrern ruhms Gottes
werden: welches gewiß eine groͤſſere freude/ als einige uͤber eigene Ehre geſchoͤpffet
werden koͤnte. Jch habe mich auch hertzlich in ihren ſchreiben erfreuet/ uͤber ihre ab-
ſonderliche freundliche zuſammenkunfft/ und die einfaͤltige gottſelige abſicht/ welche
ſie darinnen zu haben bezeuget. Jch zweiffele auch nicht/ ob es wohl dem HErren
gefallen hat/ ihren treuen leiter und anfuͤhrer N. von ihnen wegzunehmen/ und
anderwertlich hinzuſenden (wie dann der HErr ſolche macht uͤber ſeine diener ſich
ſelbſt vorbehaͤlt/ und wir damit auch zufrieden ſeyn/ auch eben dardurch bezeugen
ſollen/ daß wir nicht an menſchen hengen/ noch weniges oder mehrers unſers
glaubens auf dieſelbe gruͤnden) daß ſie nichts deſto weniger werden in ſolcher an-
gefan-
[315]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO XLIX.
gefangenen nuͤtzlichen uͤbung fortgefahren ſeyn/ und deroſelben viele frucht biß
daher an ſich ſelbſt geſpuͤret und erfahren haben. Ob der liebe Vater ihnen an
jenes ſtelle wiederumb einen gleich-geſinnten hirten/ und liebhaber dergleichen be-
ſonderer erbauung geſchencket habe oder nicht/ iſt mir nicht wiſſend. Jſts ge-
ſchehen/ ſo habe mit ihnen ſeiner barmhertzigkeit demuͤthigen danck zu ſagen/ und
zweiffele nicht/ ſie werden unter einer ſolchen handleitung ſo viel fertiger in dem
weg des HErren fortfahren: Solte es aber ſeyn/ daß ſie in ſolcher uͤbung von dem
Succeſſore eben keine ſonderbahre befoͤrderung haͤtten/ iſts genug daß ſie denje-
nigen zum regierer und moderatore ihrer einzelen verſammlung haben/ in deſſen
nahmen und zu deſſen ehren ſie zuſammen treten/ und ſich ſeines ſegens nach ſei-
ner verheiſſung gewißlich getroͤſten moͤgen. Es kan je nicht ohne erbauung ab-
gehen/ wo einige den HErren warhafftig ſuchende ſeelen zuſammen kommen/
und je ein feuer das andere neben ſich weiter entzuͤndet/ ſo laͤſt es der HErr auch
nicht an ſeiner gnade mangeln/ die er zugeſagt hat. Nur daß ſie niemahl von
dem gottſeligen zweck und der einfaͤltigen regel nicht abgehen/ und auf einigen fuͤr-
witz/ oder etwas anders als die bloß nothwendige erbauung zu ſuchen/ verfallen/
womit ſonſten der nutze einer ſolchen an ſich heilſamen uͤbung ſehr geſchlagen/ und
widerſachern derſelben anlaß und ſcheinbare urſach gegeben wird ſie zu laͤſtern
oder zu hindern. Es hat Herr M. Winckler vormahliger Heſſen-Darmſtaͤdti-
ſcher Hofprediger/ ietzo Wertheimiſcher Superintendent, vor wenig wochen ein
kleines aber wohl gegruͤndetes tractaͤtlein ausgegeben von der privat erbauung/
welches ich hoffe vielen guten hertzen nicht wenige aufmunterung zu geben. Mich
hat auch in ihren geliebten nicht wenig ergoͤtzet ihr hertzliches und kindliches ver-
trauen zu dem lieben himmliſchen Vater/ wie derſelbe mit ſeinen ihn aufrichtig
liebenden und ſuchenden kindern gedult trage/ und ihren willen vielfaͤltig vor die
that annehme/ wie auch der wille vor ihm bereits eine that iſt/ als der nicht ſo wohl
auf das euſſerliche/ was der leib und deſſen glieder wuͤrcken/ oder die ſinne faſſen/
ſihet/ als auf den innerlichen grund des hertzens/ deſſen erſte wuͤrckung der wille
iſt/ von deſſen guͤtigkeit nachmahln alle uͤbrige euſſerliche that ihre guͤte allein em-
pfaͤhet. Jch liebe aber ſolche Chriſtliche zuverſicht ſo viel mehr/ als offters ich an
einigen gutmeinenden erfahren/ was vor eine hindernuͤß und niederſchlagen des
hertzens entſtanden/ wo ſie die uns vorgeſchriebene vollkommenheit nicht nur ih-
nen vorgeſtellet als den zweck/ nach welchem ſie ſich aufs eyfrigſte und unaufhoͤr-
lich beſtreben ſolten/ ohne welche ernſtliche beſtrebung auch der wille nicht recht-
ſchaffen noch warhafftig iſt/ ſondern ſie angeſehen haben/ als diejenige/ vor dero
wuͤrcklicher und endlicher erhaltung/ ſie weder GOtt gefallen/ noch ſich ſeiner
gnade getroͤſten/ oder mit einer freudigkeit ihr angeſicht zu ihm aufheben koͤnten.
Welches wie es ein vortreffliches ſtuͤck der goͤttlichen gnade/ nemlich ſeine ſanfft-
muth aufhebet/ gleichſam ob wuͤſte GOtt mit ſeiner lieben kinder ſchwachheit
nicht gedult zu haben/ alſo ſchlaͤget es trefflich die Gemuͤther zu boden/ und wie es
R r 2ſie
[316]Das ſechſte Capitel.
ſie in eine knechtiſche furcht/ ſo der glaubens freudigkeit ſchnur ſtracks entgegen ſte-
het/ treibet/ alſo hindert ſie den wahren wachsthum/ und fuͤhret gar die leute von
dem wahren verſtand unſerer gerechtigkeit durch den glauben und die einige gna-
de Gottes ab auf eine zweiffelhafftige werckheiligkeit/ in dero ſie eben deßwegen
keine ruh finden/ weil ihr gewiſſen warhafftig an allem/ was ſie an ſich haben/ und
wie viel ſie ſich bearbeiten/ vielen mangel erkennet. Hingegen preiſen diejenige
liebe ſeelen ihres Gottes und leibreiſten Vaters gnade auf das herrlichſte/ welche
gelernet und erkennet haben/ daß es allein deſſelben gnade ſeye/ die ſie mit kindli-
chem vertrauen ergreiffen/ darauf ſie vor GOtt beſtehen/ und daß deßwegen alſo-
bald ſie durch ſolchen wahren glauben in den ſtand getreten/ daß ſie warhafftig in
Chriſto JEſu ſeyn/ deſſen zeugnuͤß ſie daraus haben/ weil ſie nicht nach dem
fleiſch/ ſondern nach dem Geiſt wandeln/ nun nichts verdammliches mehr in ih-
nen ſeye/ noch ihre uͤbrige ſchwachheiten/ mit denen ſie taͤglich kaͤmpffen/ und ſie
an ſich zu uͤberwinden bemuͤhet ſind/ ihnen von GOtt mehr zugerechnet werden/
als welche nicht mehr unter dem geſetz/ ſondern unter der gnade ſind. Dieſes
machet eine rechtſchaffene freudigkeit gegen den lieben Vater/ daß wir allezeit/ ſo
offt wir daran gedencken/ aufgemuntert werden/ demſelben vor ſolchen theuren
gnaden bund in Chriſto hertzlich zu dancken/ und ihn davor wiederum ſo viel in-
bruͤnſtiger lieben/ daher befliſſen zu ſeyn zum zeugnuͤß ſolcher liebe uns immer wei-
ter und weiter von aller befleckung des fleiſches und des geiſtes zu reinigen/ und
fortzufahren in der heiligung ſamt der zucht/ deßwegen nicht zu ſorgen iſt/ daß ſo-
thane zuverſicht auf die goͤttliche gnaden-gedult uns traͤge machen/ und verurſa-
chen werde/ weil GOtt mit einem angefangenen guten und hertzlichem willen be-
reits zufrieden ſeye/ daß wir dann zu wachſen/ und den willen in das werck zu ſetzen
ſaͤumig werden moͤchten; in dem vielmehr das gegentheil bey denjenigen/ welche
nicht in einer unfruchtbaren einbildung/ ſondern wahrem glauben ſolche liebreiche
gnade erkant/ und einmahl einen rechten willen aus goͤttlicher wuͤrckung gefaſſet
haben/ geſchehen wird/ nemlich daß ſie ſich ſo viel mehr aus liebe beſtreben werden
ihrem liebſten Vater noch immer gefaͤlliger zu werden/ und dahin zu arbeiten/
weil ſie wiſſen/ daß nicht nur der euſerſte grad/ nach deme ſie ſich bemuͤhen/ ſondern
bereits ihr beſtreben und dahin anwendende arbeit vor dem HErren koͤſtlich und
in gnaden angenehm ſeye. Daher thun ſie alles was ſie thun mit kindlichem
hertzen und mit wahrhafftigem glauben/ ohne zweiffel und knechtiſche furcht;
welches macht daß es dann/ wie geringes anſehen ſie haben moͤchten/ gleichwohl
in der that gute und goͤttliche wercke ſind/ als die aus dem glauben gehn; Da hin-
gegen die andere/ welche ſolche gnade nicht erkennen/ ob ſie ſich noch ſo viel an-
greiffen/ daß ſie dermahleins moͤchten GOtt gefaͤllig werden/ bey ihrem aͤngſtli-
chem leben/ wegen ſtaͤten zweiffels/ dahin nicht gelangen koͤnnen/ ſondern wie ſie
ſtaͤtig an der gegenwaͤrtigen ihrer beſchaffenheit mangel finden/ alſo niemahl aus
einer glaubens freudigkeit wuͤrcken/ deßwegen auch weder warhafftige gute werck
thun/
[317]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO L.
thun/ noch in der heiligung zunehmen/ als die eine frucht des glaubens iſt. Alſo
laſſet uns dann ſo viel feſter an dieſer gnade halten/ welche mit ihren kindern ge-
dult traͤgt/ und den redlichen willen als genehm haͤlt/ daß ſie ihn immer mehr ſtaͤr-
cket und fruchtbarer machet/ weil ſie uns lehret unſer thun in dem HErren ſey ihm
gefaͤllig. Nun in ſolche gnade und dero lebendige empfindliche erkaͤntnuͤß dieſelbe
mit ihrem gantzem hauß und allen mit welchen ſie in ſonderbarer Chriſtlicher
freundſchafft ſtehet/ ſie hertzlich empfehlende und daß ſolche ſie nicht unfruchtbar
ſeyn laſſe/ ſondern mit vielen fruͤchten der gerechtigkeit/ die durch JEſum Chri-
ſtum in ihnen zu ehre und lobe Gottes geſchehen/ aus bruͤderlichem hertzen/ auch
in dero nahmen gleich wie meiner lieben Haußfrau alſo auch anderer Chriſtlicher
freunde/ anwuͤnſchende ꝛc. 8. Maj. 1679.


SECTIO L.


An einen vornehmen Herrn des regiments in
Nuͤrnberg. Elender zuſtand unſerer Kirchen. Einiger
Po-
liticorum
ruͤhmlicher eiffer.Autoritaͤt derdoctorumin unſerer
Kirchen.
Principiaaus dem Papſtthum entlehnet.
Hoffnung von der Stadt Nuͤrnberg.


AN Materie kann mirs nicht mangeln alß der ich zum aller foͤrderſten
ſchuldigen danck zu ſagen habe vor die meiner ſeits unverdienſte groſſe
affection, welche E. Hoch Ad. Geſtr. gegen mich biß daher auf unter-
ſchiedliche weiſe bezeuget/ die ich ſo viel hoͤher zuſchaͤtzen/ eines theils weil ſie von
einer ſolchen perſon herkommet/ welche von leuten zu judiciren verſtehet/ und al-
ſo dero geneigtes urtheil alß eine ſonderbahre ehre zuachten iſt; Anderen theils
weil ich von etlichen jahren her von nicht wenigen orten habe vernehmen muͤſſen/
und noch offt vernehmen muß/ wie ſo ungleich und faſt unbillig von meiner perſon/
actionen und vorhaben geurtheilet wird/ weßwegen ich die geneigte urtheile der-
jenigen/ welche ſich durch jene nicht bewegen laſſen/ ſondern eine ſache ſelbſt zu-
unterſuchen ſich gewehnen/ ſo viel mehrerer freude anzuſehen habe. Jch erken-
ne darinnen meines heiligſten GOttes gerechte und weiſe regierung/ welcher
durch dergleichen auch etwa unziemliche judicia nicht nur meine gedult uͤben/
und meinen glauben pruͤfen will/ ob allerhand ungunſt zuvermeiden und ruhige
tage zuſuchen mich von redlicher und eifriger fortſetzung deß guten/ wo zu er ei-
nige gelegenheit geſandt und gezeiget/ abhalten/ oder wo ich ſeinen nahmen
dardurch verherrlichet zu werden erkenne/ dieſes wohl ſo werth achten wolte/ daß
ich deßwegen etwas zu leiden kein bedenckens haͤtte/ ſondern auch mich ſo viel
vorſichtiger machet/ in allen dingen/ predigen/ ſchreiben/ reden/ thun und laſſen/
R r 3alles
[318]Das ſechſte Capitel.
alles aufs fleisſigſte zu erwegen/ was noͤtig und erbaulich ſeye: Deßwegen auch
genau acht auf mich zugeben habe/ daß ſolcher Goͤttlicher Rath bey mir platz finde.
Es betruͤbt mich aber offt dieſes/ daß dabey ſehe/ wie gleichwohl ihrer ſo viele
unwiſſend einige etwa auch wieder beſſeres gewiſſen/ ſich mit ſolchen ungegruͤn-
deten argwohnen/ wohl gar offenbahre verleumdungen und laͤſterungen/ wieder
die liebe und alſo der Chriſten haupt gebote/ verſuͤndigen/ auch offters noch an-
dere gute hertzen/ ſo ſich bald einnehmen laſſen mit zu gleicher ſuͤnde verleiten
und reitzen. Daher ich den guͤthigſten Vater in dem himmel hertzlich vor ſie
zubeten habe/ und ihnen erkaͤnntnuͤß ihres unrechts und deſſen gnaͤdige verge-
bung zuerbitten ſuche. GOTT goͤnnet und gibt mir aber hinwider nach ſei-
nem guͤtigſten willen offters auch dieſe freude/ daß ich bald da bald dorther von
hohen und niedrigen ſtands perſonen vernehme/ die das gute belieben/ und waß
andere nicht genug zulaͤſteren wiſſen/ damit ſie es aber recht laͤſtern moͤchten/
vorhin mit ſchaͤndlichen vertrahungen in eine andere geſtalt bringen/ erſtlich recht
gruͤndlich unterſuchen/ und was ſie goͤttlichem willen gemaͤß erkennen/ zubilligen
kein bedenckens tragen. Wodurch mich GOTT offters nicht wenig bekraͤff-
tigt/ v. durch jeglichen ſolchen einen neuen muth giebet/ diejenige warheit/ wel-
che ihrer ſchaͤrpffe wegen ihrer vielen ſo gar unertraͤglich iſt/ nichts deſto weniger
ohngeſcheuet zubekennen; Und auch unſere eigene kirchen: Ob ſie wohl/ was dero-
ſelben geſamte lehr und glaubens bekaͤntnuͤß betrifft/ durch GOttes gnade rein
iſt/ fehler getroſt anzugreiffen/ auf daß ihrer mehrere auf gemuntert werden koͤn-
ten/ die ſache in dem nahmen deß HERRN zu uͤberlegen/ und wo ſie die fehler
ſelbſt befinden/ auf mittel und wege der beſſerung mit ernſt zugedencken. Jn
ſolchem werck zweiffele ich nicht/ daß auch in unſerem ſtand GOTT derje-
nigen nicht wenige habe/ welche hindangeſetzt menſchlicher furcht vor den Herrn
eiffern/ und je mehr und mehr dem ſo gar verdorbenen weſen in unſer evangeli-
ſcher kirchen rathzuſchaffen ſich bemuͤhen werden. Jch hoffe aber nicht weni-
ger/ daß der Gott/ der ſich und ſeine gaben an keinen ſtand gebunden hat/ werde
mehrere chriſtliche politicos erwecken/ die der theologorum ſchlaͤfrigkeit nicht
nur beſchaͤmen/ ſondern wo ſie ſich ihrer gewalt etwa mehr wider alß vor die
warheit gebrauchen wolten/ nach von GOtt dem HErrn empfangener autori-
taͤt ſolche coerciren/ und alſo zu wiederauffrichtung deß zerfallenen chriſten-
thumbs ein nicht geringes contribuiren werden. Sonderlich bethaure ich von
hertzen/ daß es faſt ſcheinet/ alß ob wir Theologi zu weilen einiges von den paͤp-
ſtiſchen principiis, die wir ſonſten in den controverſen mit der roͤmiſchen kirchen
beſtreiten/ ſelbſten annehmen/ und gegen andere/ wohl gar unſere bruͤder/ gebrau-
chen wolten. Es wird jetzo offtmahls gegen ſolche dinge die man nicht leugnen
kann/ daß ſie an ſich gut nuͤtzlich und aufferbaulich ſeyn/ hefftig geſtritten/ auß
dieſem einigen argument/ daß einige unordnung daraus entſtehen koͤnte. Ob
nun wohl auch von ſolcher ſache ſelbſt mehr eingewendet/ und wie das befahren-
de
[319]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO L.
de nicht folgen muͤſte/ gezeiget werden koͤnnte/ ſo iſt mir doch dieſes am leideſten/
daßjenige argument unter uns zuhoͤren/ daß von den papiſten gegen unſeren lieben
Lutherum/ alß derſelbige dem gemeinen mann die bibel wiederum nach GOttes
ordnung in der hand gab/ getrieben worden/ und noch heut zu tag wieder die le-
ſung der ſchrifft von ſolchen wiederſachern gebraucht zu werden pfleget. Von
uns aber/ wo wir gleiches argument gebrauchen/ ſehr beſtaͤrcket wird. So viel
betruͤbter iſts/ daß es einiger orten dahin kommen will/ daß wo ein menſch/ krafft
unſerer eigenen lehr/ die ſchrifft fleißig lieſet/ v. auß deroſelben in einfalt ſeinen
glauben alſo zu erbauen und zu gruͤnden ſuchet/ daß er den verſtand derſelben
nicht ſo wohl aus menſchen außlegungen/ alß wie ſich die ſchrifft und in de-
roſelben der H. Geiſt ſelbſt erklaͤret/ ſchoͤpffen will/ ſolches gleich einen verdach-
tenes Qvackers/ Weigelianers/ Sonderlings und dergleichen geben ſoll. Wie
es ſcheinet/ daß man zuweilen die autoritaͤt dieſes oder jenes Doctoris, Profes-
ſoris
oder einer facultaͤt hoͤher heut zu tag treiben will/ alß bey den Papiſten ſelbſt
die autoritaͤt deß Papſts und ſeiner Cardinaͤle geachtet wird/ daß in jener
macht ſo bald ſtehen ſolle/ wer nicht nach ihnen methodo lehret/ mit ihren wor-
ten redet/ und alle conſeqventias/ damit ſie die libros ſymbolicos/ welche in
ihrer billigen wuͤrde zuhalten/ aber nicht weiter zu extendiren ſind/ alß die
verfaßer damahl gedacht haben/ ſo bald unter ſchreibet/ gleich zum ketzer zu de-
clari
ren/ und mit dieſen und jenen nahmen zubelegen. Welches eine ſo viel ge-
faͤhrlichere ſache iſt/ weilen ſo bald ein ehrlicher mann durch eines und andern
in autoritaͤt ſtehenden Theologi/ wo zu etwa zu weilen privat-affecten und æ-
mulatione
n anlaß geben/ urtheil/ und dazu gemeiniglich nicht oͤffentlich/ ſondern
durch heimliches gemurmel und hin und her in vertrauen ſchickende briefe/ in
verdacht einer irrigen lehr oder gefaͤhrlicher machinationen gezogen worden/
alß dann faſt kein rath mehr uͤbrig iſt; Solches geſchrey gehet heimlich und of-
fendlich weiter/ man redet von Babadiſten/ Weigelianern/ Enthuſiaſten/ Qva-
ckern/ irrgeiſtern und will ſich niemand finden/ welcher deutlich zeige/ worinnen
und in waß puncten der irrthum ſtehen ſolle (wie mir von einem vermummten
Balthaſar Rebhan geſchehen/ welcher in publico ſcripto mich einen nicht ſo
reinen Theologum/ ohne benennung worinnen meine lehr nicht rein ſeye/ ange-
geben) vielweniger einen gruͤndlichen erweiß deßwegen vorlegte; Gerade ob
haͤtten wirs noch mit der Paͤpſtiſchen inqviſition zu thun/ die ſich gegen diejenige/
welche ſie vor ketzer angibt und wohl gar zur ſtraffe uͤberlieffert/ zu keinem er-
weiß oder uͤberweiſung gehalten zu ſein erachtet. Dergleichen Paͤpſtiſche prin-
cipia,
wo ihnen nicht zeitlich durch getroſten wiederſpruch cordater Theologen/
und Gottsfuͤrchtiger redlicher Politicorum gerechtes einſehen gewehret wird/ ſol-
ten endlich mit der zeit unſere arme ohne das in elenden ſtand befindliche kirche in
groſſe gefahr ſtuͤrtzen. Und waß waͤre gerechter/ alß wo GOtt dem Papſtum
eine neue gewalt (nachdem es auch faſt dergleichen das anſehen gewinnen will)
uͤber
[320]Das ſechſte Capitel.
uͤber dieſelbe verhaͤngte/ weil uns deſſen maximen ſo wohl haben angefangen
zugefallen. E. Hoch Ad. Geſtr. werden mir groß guͤnſtig zu gut halten/ daß auß
groſſem vertrauen gegen deroſelben auffrichtige intention in geiſt- und weltli-
chem alles in gutem ſtand zuſehen/ ſo bald bey dem erſten anſpruch ſo frey mein
hertz vor deroſelben und in ihren ſchooß außſchuͤtte/ alß wo zu mich auch veran-
laſſet/ weil mich E. Hoch Ad. Geſtr. vor dero gegen mich tragende gewogenheit
ſo viel hertzlicher zubedancken habe/ alß etwa dergleichen nicht ſo gar bey allen ge-
mein iſt gegen diejenige/ deren nahmen durch feindſelige verleumbdungen hin
und wider in verdacht gezogen zu werden angefangen hat. Ja es freuet mich
ſolche hohe gunſt auch ſo viel mehr/ nach dem in der wehrteſten Stadt Nuͤrnberg
biß daher mit dero Herrn Theologis (ohne die Hhr. Profeſſores zu Altorff die
ich alß meine ſonderbahre Goͤnner erkenne) und Predigern zu einiger kundſchafft
keine gelegenheit habe gefunden/ außgenommen daß einige mahl nach deß S.
H. Dillherrn/ ſo ſich ſehr freundlich gegen mich bezeuget/ ableiben/ mit Hn. Leib-
nitzen einige correſpondenz gepflogen/ daß denn unter den Hochloͤblichen Regen-
ten der vornehmſten dero ſeule mich verſichern kann/ daß ſolche mir mit ſonderbah-
rer gewogenheit zugethan/ zu dero das groſſe vertrauen ſchoͤpffen moͤge/ daß dafern
auch/ wie es etwa verlauten wollen/ ſo vielerley widrige geruͤchte gegen mich in
dero geliebteſten Stadt ſich einſchleichen moͤchten/ E. Hoch Ad. Geſtr. mit dero
hochvermoͤgenden auctoritaͤt nicht zugeben wuͤrden/ daß meine unſchuld ohne
rettung bleibe. Jch ſuche zwar in allen des meinigen nichts/ und ligt mir ſo fern
nichts daran/ ob mich mein GOtt durch boͤſe oder gute geruͤchte fuͤhren will/
auch wo er durch dergleichen feindſelige machinationes meine operam ins kuͤnff-
tige der kirchen gantz unbrauchbar gemacht zu werden zulaſſen wolte/ wo nur im-
mer mehr und mehr durch andere/ die mit mehrer vorſichtigkeit/ dexteritaͤt und
reinigkeit begabet und ausgeruͤſtet ſeyn/ ſein glorwuͤrdigſter nahme in pflantzung
des rechtſchaffenen weſens/ das in Chriſto JEſu iſt/ und einer recht innerlichen
und in dem grund des geaͤnderten hertzens gegruͤndeten gottſeligkeit/ hingegen be-
ſchaͤmung und austilgung des ſo gemeinen fruchtloſen und in einer betruͤglichen
einbildung beſtehenden Mundglaubens/ welcher ſo viele tauſend in das ewige ver-
derben ſtuͤrtzet/ verherrlichet und der kirchen rath geſchaffet werde. Jn welchem
werck ja niemand ſein eigenes ſuchen/ ſondern durch wen es geſchehe GOtt dem
HErrn gleichen danck ſagen ſolte/ damit nur das Evangelium aller orten reiche
fruͤchte bringe. Welches wir von ihrer werteſten Stadt ſo viel mehr zu hoffen und
zu wuͤnſchen haben/ weil dieſelbige unter allen Reichsſtaͤdten die ehre hat/ die erſte
zu ſo gefaͤhrlichen zeiten der Augſpurgiſchen Confeſſion unterſchrieben zu haben;
Bey dero bekaͤntnuͤß und fruchtbarer bewahrung ſie auch der guͤtigſte Vater in
dem Himmel unter ſo vielerley bißherigen gefahren vermittelſt ihrer ſo treuen Re-
genten als rechtſchaffener lehrer kraͤfftiglich erhalten hat. Er laſſe ſie noch fer-
ner eine herrliche zierde unſers Reichs/ und ihre liebe Kirche einen helleuchtenden
ſtern
[321]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO LI.
ſtern an dem geiſtlichen himmel ſeyn/ und zu ſolchem ende wolle ſeine heiligſte guͤ-
te E. Hoch Ad. Herrligk. als einen theuern werckzeug ſeiner ehrn von deme in
geiſt und weltlichem ſo viel gutes noch zu erwarten/ deroſelben lang erhalten/ ſie
immer mehr und mehr mit dem licht ſeines H. Geiſtes und tapfferem muth alles
vor die ehre des groſſen Gottes zu thun/ außruͤſten/ deroſelben mit-regenten her-
tzen allezeit zu gleichen zweck mit deroſelben treulich verbinden/ ſolche rathſchlaͤge
in das hertz geben/ und dieſelbe mit gluͤcklichem ſucceß beſeligen/ dadurch ſein
heiligſter nahme herrlich bey ihm geprieſen/ die reinigkeit der Evangeliſchen lehr
erhalten/ die rechtſchaffene gottſeligkeit in den gang gebracht/ da durch die ihnen
zur oberaufſicht anvertraute gemeinden zur ſeligen ewigkeit kraͤfftig befoͤrdert/ an-
dere ort zu ruͤhmlicher nachfolge angefriſchet/ und alſo auf ſie ſelbſt/ die dem
HErrn ſo getreulich gedienet/ hier und dorten/ ſegen und ewiger genadenlohn
reichlich gezogen werde/ welches gebet und wunſch/ gleich wie vor alle theuere und
geſegnete werckzeuge goͤttlicher ehren in geiſtlichem und weltl. ſtande/ alſo auch
vor E. Hoch Ad. Herrligk. unter denſelben von vielen die ehre Gottes treulich
meynenden frommen ſeelen offters zugeſchehen dieſelbe ſich gewiß verſichern/ und
deſto getroſter in verrichtung dero hohen amts fortfahren moͤgen. 23. Sept. 1679.


SECTIO LI.


An einenDoctorem Theologiæ.Wegen meines
collegii,und was aus ſolcher gelegenheit entſtanden/ auch
wegen Kriegsmanns
Symphoneſi.


WAs meine colloqvia pia, ſo wochentlich zweymahl in meinem hauß hal-
te/ anlanget/ continuire ſolche noch immerfort nach der genade als Gott
iedes mahl giebet darinnen an der erbauung zu arbeiten. So hoffe
auch daß der HErr die arbeit eben nicht gar ungeſegnet abgehen laſſe/ ſondern je
weilen einige ſeelen dadurch kraͤfftig geruͤhret/ und zu dem guten auffgemuntert
werden. Jedoch iſt kein ſo groſſe frucht davon zu hoffen/ weil rechte foͤrmliche
anſtalten dabey zu machen ſich nicht thun laͤſſet/ nach dem es ein ſolches exerci-
tium domeſticum
iſt/ welches ich gleichſam precario halte. Solte aber GOtt
gnade dermahleins geben/ daß autoritate publica unſerer Chriſtlichen obrigkeit
daſſelbe in oͤffentlicher kirche anſtellen koͤnte/ ſo zweiffelte nicht an einer reichern
frucht: Um ſo viel mehr weil auch alsdann nicht nur mehrere meiner Herrn Col-
legen,
ſondern auch von andern leuten hie in der ſtadt/ ſich einfinden wuͤrden/ die
ſo viel tuͤchtiger waͤren/ erbauliche ſymbolas beyzutragen: Dahingegen bey ie-
tziger bewandnuͤs/ ob wohl die zahl der zuhoͤrer gemeiniglich ſo groß als ſie der
darzu beſtimmte platz in dem hauß leiden kan/ dennoch ihrer viele ſich einzufinden/
S soder
[322]Das ſechſte Capitel.
oder etwas zu reden/ bedenckens tragen/ weil ſo viel ungleiche reden und urtheil
von ſolchem in einem privat-hauß haltenden exercitio gehoͤret werden/ da im-
mer bey einigen die vergebene ſorge iſt/ daß ſie ſich dadurch einer verantwortung
mit theilhafftig machten/ oder doch von andern ſpoͤttern deßwegen etwas leiden
muͤſten. Vor die ſo treuliche vertheidigung einer Chriſtlichen ſache bedancke mich
hertzlichen. Der HErr HErr ſeye der vergelter. Jch ſuche je nichts eigenes
darinnen/ ſondern daß ich keine gelegenheit verſaͤumen moͤchte/ die mir GOTT
zeigt/ die erbauung zu befoͤrdern. Daß N. N. von etlichen Jahren ſich ſo ſehr
einnehmen laſſen/ daß folglich die ſache und ich/ ſo dann andere gute freunde/ ſehr
graviret worden ſind (ob wohl mein exercitium ſelbſt von ihm in einigen ſchrei-
ben an mich gebilliget/ und nur gewuͤnſchet worden/ welches ſelbſt mein wunſch
laͤngſt geweſen iſt/ daß es in der oͤffentlichen kirchen geſchehe) iſt mir allzeit ſehr
leid geweſen/ ſo viel mehr weil er unter den erſten geweſen war/ welcher die pia
deſideria,
darin dergleichen vorſchlag ſtehet/ mit allzu groſſem und unver-
dientem lob ſchrifftlich/ (wie ichs von ſeiner hand aufweiſen kan) gebilliget/ und
ſich ſonſten freundlich bezeuget/ biß etwa dieſe letzte 2. jahr her anderer calumnien
den mann die ohren voll gefuͤllet/ daß davor die gerechte entſchuldigungen kein
platz mehr finden wollen. Das meiſte aber/ ſo ihn zu einer ſolchen widerwertig-
keit brachte/ war Herr Kriegsmannsſymphoneſis, die er ſamt andern alſo
aufnahm/ ob wuͤrde damit nicht nur in genere, das neben dem oͤffentlichen
auch ein privat gottesdienſt geboten und nothwendig ſeye/ gelehret (welches von
dem genere der privat verſammlungen/ als wiederum die exercitia pietatis
zwiſchen eltern und kindern oder geſinde/ iede andere aus allerhand gelegenhei-
ten veranlaſte ſonderbare beredungen/ beſuchungen der krancken/ errinnerung
der fehlenden u. ſ. f. mit begriffen ſind/ verhoffentlich kein einiger Theologus
leugnen/ oder behaupten wird/ daß niemahl unter wenigen auſſer den oͤffentli-
chen verſammlungen etwas geiſtliches nothwendig muͤſte gehandelt werden)
ſondern dergleichen exercitia, wie ich zu halten pflegte/ oder doch einige expreſſe
condicto tempore \& loco
angeſtellete congreſſus, als ſchlechter dings befoh-
len und nothwendig angegeben: ſo doch weder Herr Kriegsmanns noch anderer
meinung iſt: ſondern da das genus als nothwendig erwieſen/ nachmahlen iegli-
chen zu erwegen gelaſſen wird/ wann ietzt dieſe/ ietzt eine andere art/ bey deme
ſo/ bey deme anders/ etwas dergleichen aus noth des nechſten oder anderer ver-
anlaſſung erfordert werde. Jndeſſen muſte die Symphoneſis in ſolchem ſpe-
cial
verſtand aufgenommen werden/ und ſetzte man ſich ſo ſtarck dagegen/ daß
man keine erklaͤrung wol gelten lieſſe. Es hat zwar vor einem halben jahr
Herr M.Winckler/ jetzmahliger Superintendens der Stadt und Graffſchafft
Wertheim/ ein gottſeliger gelehrter und eiffriger diener Gottes/ ein bedencken
uͤber Symphoneſin trucken laſſen/ da ich gedachte es wuͤrde iederman ſatisfa-
ction
geſchehen. Aber immer fande ſich aufs neue offendiret/ und gab deß-
wegen
[323]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO LI.
wegen ein ſcriptum bey der Fuͤrſtl. regentin ein/ gleich ob waͤre ihr hochſeliger
Herr und das außſchreiben darin zur ungebuͤhr angeſtochen/ (ſo aber Herr
Winckler beſtaͤndig bezeuget/ nicht auf daſſelbige ſondern andere diſcourſen
und machinationes reflectiret zu haben) wuͤrde auch gern geſehen haben/ daß
der HHr. Theologen zu Gieſſen etwas dagegen zu ſchreiben aufgetragen wor-
den waͤre/ welches aber die Fuͤrſtin nicht beliebte. Es iſt aber endlich GOttes
wille geweſen ihn vergangenem Julio von dieſer welt abzufordern. Der HErr
laſſe ihn barmhertzigkeit finden an jenem tage/ und rechne ihm nicht zu/ was er
aus præoccupirtem gemuͤth vor ſeuffzen einiger unſchuldigen von einer zeit her
ausgetrieben. Er war ſonſten noch von ziemlichen kraͤfften bey dieſem ſeinem al-
ter/ aber bey einem jahr her/ nach dem er unter den letzten jungen Fuͤrſten faſt al-
lein alles regieret/ und mit einer in das gantze reich bey nahe erſchollenen refor-
mation
des hofs durch abſchaffung oder aͤnderung der vornehmſten raͤthe und
bedienten groſſen haß auf ſich geladen/ und aber GOtt ſolchen Fuͤrſten ſo bald
in etlichen monaten wegnahm/ ſcheinet ſeiner kraͤfften ein ziemlicher anſtoß ge-
kommen ſeyn/ daß er bey der gefolgten regierung ſich nicht mehr in der vorigen au-
torit
aͤt/ ſondern von der cantzeley und weltlichen geſchaͤfften die hand abzuziehen/
hingegen bey ſeinen amts-geſchaͤfften zu bleiben/ gemuͤßiget ſahe/ daß die fuͤrſtliche
commiſſion zu einiger reformation der Gießiſchen univerſitaͤt wuͤrcklichen ih-
ren fortgang erreichte/ zeitwaͤhrender dero lauff er geſtorben/ und noch auf dem
todbett daruͤber geklagt haben ſolle/ weil es ſchiene damit ſeine vorhin gebrauch-
te autoritaͤt vollends hinzufallen. Es iſt aber ſolche commiſſion noch nicht in
allen ſtuͤcken zu ende/ ſondern allein zur reſtabilirung der diſciplin 8. Studioſi ſo
viele unruhe angefangen und inſolenz getrieben haben ſollen/ cum infamia re-
legir
et worden. Es ſollen aber die Commiſſarii nechſten wiederum ſich
hinverfuͤgen/ und die etwa noch uͤbrige unordnungen/ ſo den irrungen unter den
HHr. Profeſſoribus ſuchen zurecht zu bringen. Da zu GOtt ſeinen ſegen und
gnade verleihen wolle/ daß dieſe und alle univerſitaͤten warhafftig werden moͤ-
gen/ was ſie ſeyn ſollen/ nemlich officinæ Spiritus S. und rechte pflantzgaͤrten der
tugenden zu nutz kirchen und policey. Er gebe auch ſonderlich/ daß die ge-
meldete dero eigen univerſitaͤt viſitation moͤge den erwuͤnſchten effect erlangen.
Ach wie gut waͤre es/ wo die auch hoffende beylegung der ſtreitigkeiten zwiſchen
den HHr. Theologis koͤnte zu werck gerichtet werden: Aber wie mein wehrter
herr ſorge traͤget/ ſo habe ſelbſt auch wenig hofnung. Jch ſehe faſt die bißhe-
rige ſo viele außbrechende ſtreit und geiſtliche kriege an/ als eine goͤttliche ſtraff
und gericht uͤber unſere kirche/ weil wir an ſo vielen orten ſo weit von der einfalt
angefangen haben abzugehen/ und die Theologiam durch vermiſchung der
vernunfft-lehr in allzuſpitzigen ſubtilitaͤten zu verwuͤckeln. Wo es ſich nicht
fehlen kan/ daß nicht vielerley ſtreit entſtehen ſolte. Vielleicht wirds einigen ein
anlaß ſeyn/ ſich allgemach mehr und mehr von ſolchen dingen abzuziehen/ und
S s 2ſo
[324]Das ſechſte Capitel.
ſo viel angelegenlicher ſich an die einige ſchrifft zu halten/ da in weniger zeit wir
etwa eine ſo viel reinere und unſtreitigere lehr-art erlangen moͤgten; geſchiehet
dieſes nicht/ ſo ſage ich nach Pauli throhung/ wo wir uns unter einander beiſſen
und freſſen/ moͤgen wir wohl unter einander verzehret werden. Der HErr er-
barme ſich unſer in gnaden/ und oͤfne uns die augen/ den ſo gar betruͤbten zu-
ſtand unſerer kirchen anders einzuſehen/ als man ihn faſt insgemein anſiehet.
Es ſcheinet doch/ daß es mit menſchen huͤlff allerdings aus/ und die huͤlffe von
ihm allein zu erwarten ſeye. Jch zweiffele aber nicht/ er wird ſich endlich auf-
machen und uͤber zion erbarmen. Jch hoͤre daß in ihrer nachbarſchafft Herr
Dilfeld zu Nordhauſen wider mich und meinen ſchwager Herr Horben Super-
intendent
en zu Windsheim in ſchrifften etwas heraus geben/ und alſo einen
ſtreit anheben wolte. Habe ihm darzu keine anlaß gegeben/ aber ich muß es dem
HErrn befehlen/ und erwarten/ was er bringe. Es ſoll in Helmſtatt gedruckt
werden. Jſt mir zwar leyd daß meinetwegen einiger ſtreit entſtehe: ich habe a-
ber anderer federn nicht in meiner hand. 15. Sept. 1679.


SECTIO LII.


AnScriverium:Von unterſchiedlichenmaterien
Ubermaͤßig mir beygelegtes lob. Voncommentariis.See-
len-Schatz. Vorhaben eines
amphitheatri divinæ pro-
videntiæ.
Dilfeldstheoſophia Horbio-
Speneriana.


JCh habe zu bezeugen/ wie eine innigliche freude der liebe brieff mir er-
wecket/ und mich das mir und uns allen anbefohlne werck deß Herrn mit ſo
viel mehr freudigkeit und getroſtem muth zu treiben hertzlich aufgemuntert
habe/ weil ich mich aufs neue einer nachdruͤcklichen und ſonderbaren vorbitte ei-
nes rechtſchaffenen Gottesfreundes/ deſſen gebet nicht unfruchtbar abgehen kan/
ſondern mir auch hinkuͤnfftig manche noͤtige gnade erlangen wird daraus ge-
troͤſten kan: Dero verſpruch mich auch von mehrern Gottſeligen freunden hertz-
lich ſtaͤrcket und aufrichtet/ daß damit/ was meine ſchwachheit nicht erhalten
koͤnte/ werde erſetzet werden/ und ich es daher vor eine der groͤſſeſten wohlthaten
meines Gottes danckbarlich erkenne/ welcher ſo viele hertzen/ denen er ein reiche-
res maß deß geiſtes gegeben/ mit liebe gegen mich erfuͤllet/ daß ſie ihm auch vor
mich armen und meine verrichtungen die jenige opffer bringen/ die ihm ange-
nehm ſind. Ach daß mein armes gebet auch vor meine liebe mitbruͤder moͤch-
te auß gleicher brunſt des geiſtes gehen! Jedoch wird der HERR auch deſſen
ſchwach-
[325]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO LII.
ſchwachheit und einfalt nicht verſchmaͤhen/ und ich nicht vergeſſen die gnade/ ſo
ich empfangen habe/ dahin anzuwenden. Dieſes einige hat mich in dem ſo lie-
ben ſchreiben betruͤbet/ daß mir weit zu viel zugeleget wird/ alß nicht in mir iſt.
Jch bin zwar verſichert deß liebreichen und unheuchleriſchen hertzens/ aus dem
ſolches alles herkommet/ ich achte es aber nicht nur vor eine ſonderliche verſu-
chung/ daß der treue GOtt zulaſſet/ daß viele liebe freunde das wenige in mich
von ſeineꝛ guͤte gelegte/ und doch noch nicht mit genugſameꝛ treue und fleiß anwen-
dende/ gemeiniglich durch ein vergroͤſſerendes glaß der liebe alß viel groͤſſer an-
ſehen/ ob ich auß ſolchem liebes urtheil mich auch bewegen laſſen wolle/ mehr
von mir ſelbſt zuhalten/ alß ſichs geziehmet/ und uͤber mein maß zuſchreiten:
Sondern ich ſorge offters eine verantwortung deßwegen von meinem GOtt
ob ich vielleicht ſelbſt auf einigerley weiſe ſolches verurſache/ oder doch veranlaſſe:
Habe auch billig urſach/ mich daruͤber zubetruͤben/ das ich das jenige nicht bey
mir finde/ was andere zuerkennen meinen/ und mir vielleicht damit von GOtt
gezeigt wird/ daß er mirs gegeben haben wolte/ wann ich das vorige fleißiger
angewandt haͤtte. Ach er verleyhe mir hie zu die genade/ und reinige mein hertz
von allem dem waß mich noch bißher daran gehindert hat! Wornach auch mich
ſo viel emſiger zu beſtreben habe/ alß weniger ich weiß/ wie lang mich der Herr
noch in dieſer ſterbligkeit laſſen will/ nach dem bey etlichen jahren einen ſtarcken
abgang der vorigen kraͤfften geſpuͤret habe. Solte mich der liebe GOTT ſo
gluͤcklich machen/ daß ich einen ſolchen außerwehlten freund/ bey dem ich in der
warheit ein viel reichlicher maß der gnaden weiß/ dermahl eins hier ſehen/ und
mich muͤndlich mit ihm ergoͤtzen koͤnte/ wuͤrde es gewiß eine ſonderbahre gnade
ſeyn/ davor ich dem HErrn zu dancken haͤtte. Jch will auch die Hofnung da-
von nicht fallen laſſen/ Sonderlich weil vernehme/ das deß ſauerbronnens eur
einiges mahl nicht uͤbel ausgeſchlagen. Nun weiß ich zwar die beſchaffenheit der
natur und temperaments nicht/ vernehme aber von allen/ daß der ſchwalba-
chiſche Sauerbronnen/ deſſen ich mich dieſen Sommer durch GOttes gnade
nicht unnuͤtzlich gebraucht/ dem Pirmontiſchen an kraͤfften weit vorgehe/ und
daher/ dafern die natur ſonſten eines ſtaͤrckeren waſſers krafft ertragen kan/ vor
demſelben/ wo wiederum eine cur einmahl reſolviret werden ſolte/ zu erwehlen
moͤchte ſeyn. So ſind auch die unkoſten nicht ſo ſonderbar groß/ oder ſolte ſich
wohl auch in ſolcher ſache einiger rath finden laſſen. Waß wegen der com-
mentariorum,
die vielen/ andern weniger nuͤtzlichern buͤchern vorzuziehen waͤren/
bemercket wird/ wo ſie nemlich mit rechter genauer beobachtung der cohærenz/
umſtaͤnde/ zwecks/ abgefaſſet werden/ daß man dem H. Geiſt nicht vorlaufft/
ſondern fleißig nachtrifft/ iſts freylich alſo bewandt; wir doͤrffen aber unter den
ſo vielen commentariis wenige dergleichen finden. Hr. D.Geyers und Hr. D.
Schmidens gabe iſt hierinnen recht ſonderbar. Jch habe durch ſchreiben vor
2. jahren von dieſem erhalten/ daß nun ſein comment. in Epiſt. ad Hebr. unter
S s 3der
[326]Das ſechſte Capitel.
der preß iſt/ und geliebtes GOtt kuͤrtzlich herauß kommen wird. Jch wuͤnſchte/
der liebe Mann gebe mehr von ſeiner arbeit heraus. Weil er aber ſich an an-
dere nicht bindet/ und deßwegen nicht anders kan/ alß mehrmahl von der gemei-
nen meinung in vielen orten abzugehen/ ſo ſcheuet er ſich vor einigem wieder-
ſpruch; Weil wir leider in einer ſolchen zeit leben/ da die auch offenbahreſte war-
heit kaum mehr will angenommen werden/ wo ſie nicht durch die autoritaͤt
vieler vorgegangener lehrer bekraͤfftiget wird. Jn welcher praxi ich nicht ſehe/
wie wir uns entſchuͤtten koͤnnen/ daß nicht etwas vom paͤpſtiſchen principio,
dadurch der verſtand der ſchrifft nicht auß dero worten ſelbſt/ ſondern der auto-
rit
aͤt und erklaͤrung der kirchen und dero Vaͤter herzunehmen iſt/ bey uns uͤbrig
geblieben ſeye. Jm uͤbrigen aͤſtimire ich auch billich Hr. Sandhagens zu
Luͤneburg ungemeine gabe in dieſer ſach/ die ich nur auß etzlichen bogen erkant/
aber deßwegen verlangen habe/ daß der liebe Mann zeit finden und die reſoluti-
on
faſſen moͤchte/ in dergleichen der kirchen zu dienen. Die liebe intention den
Seelenſchatz mit 2. theilen zuvermehren erfreuet mich hertzlich/ und kan ich
mit warheits grund ſagen/ daß weder ich ſelbſt wargenommen/ noch von an-
dern gehoͤret habe/ daß einiges darinnen einiger beſſerung oder aͤnderung noͤtig
haͤtte. Der vater deß lichts von dem alle gute und alle vollkommene gaben her-
kommen/ verleyhe auch zu dieſem Gottſeligen vorhaben/ nicht nur die natuͤr-
liche noͤthige gemuͤths- und leibes kraͤfften/ ſondern vornehmlich ſeines H. Gei-
ſtes himmliſches licht/ in demſelben dasjenige warhafftig zu erkennen/ waß in
ſolchen wichtigen materien dem neben Chriſten zu wiſſen noͤthig iſt/ er gebe alß
dann auch mund und weißheit/ die art und wort zufinden/ wie ſie am auffer-
baulichſten und deutlichſten moͤgen vorgetragen werden; So dann lege er die
krafft darein/ die in den hertzen der leſenden dermahleins alſo wuͤrcke/ daß die
verlangte frucht/ der Goͤttlichen ehre und vieler menſchen heyls darauf erfolge/
auch er ſelbſt an jenem tag ſich der jenigen vor Gottes thron zufreuen habe/
welche ihm der HErr durch ſeine arbeit geſchencket hat. Jch werde auch nicht
unterlaſſen ſolche arbeit vor dem HErrn in meiner bitte zugedencken. Waß
auch das projectirende amphitheatrum divinæ providentiæ, darinnen lauter
exempel ſonderbahrer Goͤttlicher verſehung/ ſchutzes und verſorgung vorgelegt
werden ſollen/ anlanget/ halte ichs vor eine recht erwuͤnſchte materie/ dadurch
ſo wohl einige mit dem Atheiſmo ringende (davon den boßhafftigen und ver-
haͤrteten habe ich auß eigener erfahrung wenig hoffnung) genommen/ fromme
hertzen aber geſtaͤrcket/ zum preiß ihres GOttes immer angefriſchet und an ih-
nen und anderen dergleichen mehr zubeobachten geleitet werden. Der HErr
verleyhe auch dazu die noͤtige gnade. Jch wolte hertzlich gerne nach meiner ſchul-
digkeit und eigenem verlangen meine ſymbolam mit bey tragen/ ich muß aber
meine ſuͤnde bekennen/ daß da ich ſo eine groſſe zeit auf das ſtudium hiſtori-
cum,
zu deſſen profeſſion ich in Straßburg deſtiniret zu ſein/ das anſehen hat-
te/
[327]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO LII.
te/ gewendet/ ich gleichwohl nicht den geziehmenden fleiß damahl angewendet
habe/ dergleichen dinge zubeobachten/ ſondern ob ich ſchon in leſung dergleichen
vielfaͤltig vorgekommener exempel/ waß ich daraus zu erlernen haͤtte/ erkant/ ſo
bin ich doch ſaͤumig geweſen/ wie in andern dingen auch/ das geleſene auf zu no-
tir
en/ alß der in vielen der gedaͤchtnuͤs zu viel trauete/ die jetzo aber je laͤnger je
weniger mir das jenige hervorgiebt/ was ihr in groſſer qvantitaͤt anvertrauet wor-
den. Jndeſſen werde mich entſinnen waß ich kan/ habe auch meine HHn. Colle-
gas
darum erſuchet/ und werde andere gute freunde erſuchen/ tanqvam in cau-
ſa communi,
daß ſie das jenige zuſammen tragen/ was ihnen im leſen oder ei-
niger erfahrung iſt vorgekommen/ um ſolches alßdann zu uͤberſchicken. Jch hof-
fe aber/ es habe ſolches noch einige friſt. Es iſt freylich dieſes eine von den vor-
nehmſten pflichten unſers Chriſtenthums/ ja daß jenige warum der menſch in
die welt geſetzet worden/ das er in allem achtung gebe auf GOttes H. regie-
rung/ dadurch zu ſeiner uͤbrigen ſchuldigkeit deſto kraͤfftiger aufgemuntert zu
werden. Jm uͤbrigen zweiffle nicht/ daß ihres orts Hr. Dilfelds in ihrer
nachbarſchafft zu Nordhauſen aus gefertigte Theoſophia Horbio-Speneriana
werde bekant worden ſein. Mir iſt leyd/ daß mein armer nahme ſolle eine ma-
terie deß ſtreits in der kirchen werden/ dero ruh und friede in allen andern guͤ-
tern ſo weit vorziehe. Jch habe auch gehofft/ alß ich dem mann auf ſein etlich-
mahliges zuſchreiben zu zwey mahlen außfuͤhrlich geantwortet/ er wuͤrde nun
nicht mehr weiter urſach finden/ ſich zu mir zu noͤtigen. Weil aber es dem H.
GOtt alſo gefallen wollen/ mir einen wiederſacher oͤffentlich auftreten zulaſſen/
ſo habe mich auch hierinnen unter ſeine gewaltige hand zudemuͤthigen/ ihm hin-
gegen auch hertzlich zu dancken/ daß er es von einem ſolchen geſchehen laſſen/ deſ-
ſen ſchrifft gegen mich der guten ſache vielmehr foͤrder-alß hinderlich bey recht-
ſchaffenen gemuͤthern ſeyn wird. Jch ſchaͤme mich nicht/ ſondern wo ich einiger
ehr mich anmaſſen ſolte/ ſo wuͤrde es dieſe ſein/ oͤffentlich uͤber dieſe frag ange-
griffen zu werden/ weil ich zu dem ſtudio Theologico ohne die natuͤrliche kraͤff-
te die gnade des H. Geiſtes/ nothwendig zu ſeyn achte. Ob ſchon in dem gegen
mich geſchriebenen nicht wenige verkehrungen meiner meynung/ falſche auflagen
und folgen ſich befinden/ aber von verſtaͤndigen chriſten von ſelbſten werden erkãt
werden; Alſo gar daß ich faſt bedencken haͤtte haben ſollen/ auf das tractaͤtlein zu
antworten/ wo ich nicht vor Gottes und der kirchen augen daruͤber angeſprochen
und obteſtiret worden waͤre/ und dafern ich iemand anders antworten lieſſe/
bey einigen das anſehen gewiñen moͤchte/ ich waͤre mir in dieſer materie nicht zum
beſten bewuſt/ dahero ich das hertz nicht haͤtte/ oͤffendlich auf ſolches begehren
vor den tag zulegen. Weswegen ich dann/ wo GOtt leben und geſundheit gie-
bet/ einige tage dran wenden/ aber dahin trachten werde/ daß ich ihm nicht nur
allein mit Chriſtlicher ſanfftmuth aber gruͤndlichen nachtruck/ antworten/ ſon-
dern wie ſo gar die natuͤrliche wiſſenſchafft der Theologiſchen materien die wah-
re er-
[328]Das ſechſte Capitel.
re erkaͤntnuͤß GOttes und der kirchen ſo noͤtige rechtſchaffene Theologia nicht
ſeye/ ſondern zu deroſelben das licht von oben nach der ſchrifft und unſern ſym-
boli
ſchen buͤchern noͤtig ſeye/ gruͤndlich darthun moͤge. Wie ich nun auch hier-
innen meiner ſchwachheit mir wol bewuſt bin/ alß erſuche auch hiemit ſamt
andern treuen freunden E. Hoch Ehrw. bruͤderlich/ daß ſie auch ihre ſeuffzen zu dem
himliſchen Vater vor mich aufſchicken wollen/ der mein hertz mit licht und liebe/ ſo
hiezu noͤthig/ erfuͤllen/ ſo dann dieſe ſache/ da der Satan ſtreit in unſerer armen/
ohne das mit allzuvielen mißverſtaͤnden verunruhigter/ kirchen zuerregen ſuchet/
zu einer neuen anlaß werden laſſen wolle/ daß ſein nahme verherrlichet/ ſeine
goͤttliche warheit mehr bekant und vor den tag gelegt/ diejenige aber ſo unnoͤ-
tigen zanck anfangen/ zu ihrem beſten beſchaͤmet und zur heilſamen erkaͤntnuͤß
gebracht werden. Ach der HErr rechne es dieſem meinem wiederſacher nicht
zu/ was er hierinn vor aͤrgernuͤß anrichtet/ ſondern heilige ſein pfund auch alſo/
daß es hinkuͤnfftig nicht nach fleiſchlichen affecten, ſondern zu ſeines H. Nah-
mens preiß und der kirchen nutzen beſſer angewendet werde. 2. Dec. 1679.


SECTIO LIII.


AlsM. Joh. Pikerus Prorectorzu Koͤnigsberg
ſeinen
Epitomen Ethicæ Chriſtianæ,die 1681. unter demTitul
Aretologia Chriſtiana
heraus gekommen/ uͤberſandt hat/
uͤber dieſelbe
obſervationes.


ES hat mich deſſelben bereits in den nechſten ſommer wohl eingeliefertes
von hertzen erfreuet/ und ich dancke billig GOtt/ daß er mich daraus erken-
nen laſſen/ gleich wie er unter denjenigen/ die an der kirchen dienſt arbeiten
ſo wohl in/ vor der welt anſehnlichen als auch geringern ſtellen/ ſehr viele erhal-
ten hat/ welche ſich das allgemeine verderben der chriſtlichen kirchen/ ſonderlich a-
ber unſers ſtands/ von deme die erbauung und beſſerung außgehen ſolte/ aber leider
faſt die meiſte urſach des verderbens herkommet/ laſſen zu hertzen gehen/ und wie
ſie es mit erleuchteten augen anſehen/ alſo auch ſeufzen/ verlangen und nach vermoͤ-
gen trachten/ wie demſelben moͤchte geſteuret/ und die kirche wieder in den ſtand
vermittels goͤttlichen ſegens gebracht werden/ wie ſichs geziehmet der außer-
wehlten braut des hochgelobteſten Sohns Gottes/ daß er alſo auch unter der zahl
der jenigen/ die er an der lieben jugend zu arbeiten beruffen hat/ nicht weniger ſei-
nen heiligen ſamen uͤbrig behalten habe/ durch die an der hofnung der lieben po-
ſterit
aͤt moͤge fruchtbarlich gearbeitet werden. Dieſes freuete mich/ und freuet
mich noch ſo viel hertzlicher/ als mehr an ſolcher ſachen gelegen iſt/ daß die liebe ju-
gend recht zeitlich und bald zu der wahren erkaͤntnuͤß des wahren Chriſtenthums
gefuͤh-
[329]ARTIC. I. DISTINCTIO. II. SECTIO. LIII.
gefuͤhret/ was an den verſtockten und verharteten alten nicht mehr ausgerichtet
werden kan/ bey den zarten gemuͤthern in Gottes ſegen zu wegen gebracht/ und
alſo ein grund zu einer beſſeren kirchen auf die folgende zeit geleget werde/ an
welche ſorge doch diejenige/ ſo vor alles ſorgen ſolten/ meiſtens ſo gar nicht mit
gehoͤrigen fleiß gedencken/ damit aber verurſachen/ das waß aus ſolcher ver-
ſaͤumnis in den jungen jahren meiſtens verdorben wird/ ſich folglich faſt nicht an-
ders beſſern laͤßt/ und daher die boßheit der leut mit der zeit immer mehr zunim-
met: Ja meine freude wurde auch dadurch ſo viel mehr vermehret/ weil wir ſon-
ſten/ da mir Gott bißher/ wo vor ihm ewig danck geſagt ſey/ die freude gegoͤn-
net/ von ſehr vielen lieben leuten in dem predig-ſtand zu erfahren/ und mit den-
ſelben in genauer kundſchafft zugerathen/ welche in und auſſer Teutſchland hin
und wieder ſich die ſache des HErrn mit aufrichtigkeit und hertzlichen eiffer laſ-
ſen angelegen ſein/ hingegen aus dem ſtand derjenigen/ ſo an der jugend treulich
arbeiten/ ſehr wenige bekant geweſen ſind/ weßwegen ich die jenigen/ davon ich
kundſchafft erlange ſo viel werther zuachten/ und GOtt davor viel hertzlicher zu-
dancken habe: Weil auch die hoffnung dadurch waͤchſet/ der HErr werde ſich
ſeines zions gnaͤdiglich erbarmen wollen/ weil er auch in ſolchem ſtande leute auß-
ruͤſtet und erreget/ die an der hoffnung der nachwelt arbeiten. Jch habe aber
deſſelben liebe intention und verlangen GOtt treulich nach dem empfangenem
pſund zu dienen/ nicht nur aus dem liebreichen briefe/ und darinnen gethanen
bezeugungen verſtanden/ ſondern vornehmlich aus dem mitgeſchickten ſehr wer-
then buͤchlein/ welches ich/ alß ich auf rath deß medici zu bekraͤfftigung meiner
geſundheit des Sauerbronnens mich zu Schwalbach bedienen muſte/ mit mir
dahin genommen/ und es meine ergoͤtzung daſelbſt ſein laſſen. Jch haͤtte auch
eher geantwortet/ alß ich aber wiederum zuruͤck gekommen uͤberfiel mich die ar-
beit meiner herausgebenden Poſtill/ ſo gleichwohl erſt bey dem ende der meß fer-
tig worden/ dermaſſen/ das alle correſpondenz/ die nicht von unvermeidlicher
eil war/ ſo lange verſchieben muſte. Jch habe aber ſolches liebe buͤchlein nicht
nur geleſen/ ſondern weil freundlich von mir verlanget worden/ meine gedan-
cken/ wo ich etwas zuaͤndern rathſam finden ſolte/ dabey zu entdecken/ ſo habe
ich/ wo angeſtoſſen und einigen ſcrupel gehabt/ ſolches auf notiret/ und ſende
hiemit in freundlichen vertrauen/ ſothane meine einfaͤltige/ aber treugemeinte/
obſervationes/ mit bitte ſie in der furcht des HErrn reiflich zuerwegen/ und
wo er dieſelbe der wichtichkeit zu ſein finden wuͤrde/ daß wercklein darnach al-
ler dings alſo ein zurichten/ wie es folglich ohne fernere aͤnderung gedruckt wer-
den moͤchte/ dann ich mir die erlaubnuͤs nicht nehmen will/ ohn eigenen conſens
zuaͤndern oder beyzuſetzen. Wie hingegen die an Hr. NN. von dem auch dieß-
mahl einen freundlichen gruß zuuͤberſchreiben habe/ uͤberſandte additiones und
correctiones, bey dem druck fleißig ſollen in acht genommen werden. Jch ha-
be gewißlich niemahl billigen koͤnnen/ daß wir biß daher in hohen und niedern
T tſchu-
[330]Das ſechſte Capitel.
ſchulen in materia morum ſo gar ſchlechter dings bey den Heyden ſtehn geblieben
ſind/ und ſo wenig erwogen haben/ das wir zu Schuͤlern nicht Heyden ſondern
Chriſten und ſolche leute haben/ die uͤber die moral erbarkeit zu weitern tu-
genden und hoͤhern guͤtern auf einem viel andern weg/ als die Heyden denſelben
haben zeigen koͤnnen/ gefuͤhret werden muͤſſen: Ja daß auch aus dem licht der
vernunfft die ethica Ariſtotelica viele ſupplementa und correctiones bedoͤrf-
te/ wie aus gegenhaltung anderer heydniſchen Philoſophorum augenſcheinlich
gezeiget werden kan. Daher ichs vor ein ſonderbar ſtraffgericht GOttes ach-
te/ daß wegen unſerer undanckbarkeit gegen ſeine warheit und ſo theures wort/
hingegen allzugroſſer liebe zu der vernunfft-lehr/ derſelbe zugelaſſen habe/ daß
man (ob ſchon der theure Lutherus ſo maͤchtig darwieder zu ſeiner zeit geredet
und geſchrieben) auch in unſern ſchulen den Heyden Ariſtotelem faſt pro
norma veritatis
gemacht/ und gleichwie in den theoretiſchen diſciplinen die
rechtſchaffene erkaͤntnis der warheit ſehr dadurch gehindert/ alſo aus ſeiner e-
thic
einige principia den jungen leuten bald erſtl. beygebracht/ welche ihnen in
ihrem gantzem leben an der rechtſchaffenen Gottſeligkeit ein anſtoß geweſen
ſeind/ ja die Heydniſche ethic etwa nicht wenig darzu geholffen hat/ daß man
ſo viel heydniſche Chriſten bekommen. Jch hoffe aber der HErr werde auch
ſolchem verderben ſteuren/ und ſich der armen jugend erbarmen/ ihnen treue-
re handleiter/ als bey den Heyden nicht gefunden werden/ zugeben. Wo zu
dann ſolche Ethica Chriſtiana ein ſtattliches in ſeinem ſegen thun koͤnnen/ und
ich die Goͤttliche guͤte auch von grund der ſeelen anruffe/ daß ſie dieſe arbeit da-
hin gnaͤdiglichſt ſegnen wolle. Daß auch die lehr de fide ſalvifica aus dem lie-
ben Luthero ſonderlich mit fleiß ausgefuͤhret worden/ iſt ſehr wohl gethan; ich
hoffe aber/ es werden meine monita dabey nach reifflicher erwegung nicht aus der
acht gelaſſen werden. Wir haben in einer ſolchen ſehr wichtigen ſache uns ſehr zu-
befleiſſen/ daß wir nicht nur allein von der warheit in nichts abweichen/ ſondern
auch dieſelbe ſo deutlich/ voͤllig und mit ſolchen worten und redensarten/ alß
viel es muͤglich iſt allezeit vorzutragen ſuchen/ damit allezeit boͤſer argwohn ver-
huͤtet/ und keinem laͤſterer anlaß gegeben werde/ mit zimlichem ſchein die von unß
vorſtellende warheit zuwiederſprechen und zu cavilliren. Wir werden doch mit
allem fleiß und vorſichtigkeit nicht alles genug verhuͤten koͤnnen/ aber deſto mehr
gleichwohl zuverhuͤten trachten/ was vorſichtig verhuͤtet werden mag. Jch hof-
fe mein vielgeliebter HErr werde ſich meine freymuͤtigkeit nicht laſſen entgegen
ſein/ ſondern eben daraus mein aufrichtiges hertz gegen ſich erkennen/ wie
ich dann auch dieſer urſach wegen etliche dinge in meine obſervationes ge-
bracht/ die eben ſo groſſer wichtigkeit nicht ſind/ zu zeigen daß ich es fleißig und
mit bedacht zuleſen nicht ermangelt habe. Wo nach ſolcher einrichtung deß
wercks nichts ferner anſtoͤßlich ſich darinnen finde/ eine wenige von mir dazu-
thuende vorrede nuͤtzlich erachetet werden moͤchte/ ſo will ich mich auch ſol-
cher
[331]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO LIII.
cher arbeit nicht entziehen. Schließlichen denſelben in des grundguͤtigen Got-
tes treue obhut und genaden regierung empfehlende und wuͤnſchende/ daß ſeine
himmliſche guͤte ſich ſeiner noch ferner kraͤfftiglich als eines geſegneten werck-
zeugs ſeiner gnade gebrauchen wolle/ verbleibe. ꝛc. 1679.


Conſiderationes ſuper Epitomen
Ethicæ Chriſtianæ.

IN genere cogitari poſſet, an titulus tractationi reſpondeat, qvando non
univerſa Ethica, ſed pars ejus, quæ de virtutibus agit, ſola hic tractatur?
An præſtet mutare inſcriptionem, \& Aretologiæ vel qvodvis aliud nomen
ſubſtituere, an qvod deeſt ſupplere præſtet, liqvida monſtratione, qvod
verum Chriſtianæ Ethicæ ſummum bonum ſit, \& qvæ de affectibus aut in
univerſum potentiis animæ rationalis, qvæ de principiis humanarum actio-
num, \& ſimilibus argumentis ſcire Ethicum convenit.


c. 1. q. 7. Clarius explicari optarim, qvomodo ut Chriſtianorum virtutes a
gratia producantur, natura \& vires animæ naturales neceſſario ceſſare ſeu
qvieſcere debeant: ne ex homine truncum faciamus, \& non excludamus
ea, in qvibus gratia naturalibus facultatibus utitur ad operationes ſuas, ſed
ut illæ potius objectum operationis ſint divinæ, qvam ejus cauſa efficiens.
In ipſa fide intelligit homo \& vult, \& intelligendo \& volendo utitur natura-
libus ſuis facultatibus, hæ tamen non ex ſuis viribus agunt, nec hoc ex ſe
intelligunt vel volunt, ſed ex operatione, qvæ deſuper eſt. Declaratio a-
liqva facile lectori ſcrupulum poteſt eximere. Recurrit idem in qvæſt. de
fide ſalvifica.


n. 8. Homini vere credenti datus. Atqvi fides ipſa inter Chriſtianas virtu-
tes numeratur, qvæ non datur homini jam credenti, ſed is credens per
eam fit.


c. 2. q. 2. In definitione fidei multa egregia \& obſervatu digniſſima, ſed
ipſam formam fidei clarius exprimi neceſſe eſt, qvod conſiſtat in fiducia,
utpote qvod illud eſt, qvo nos fides juſtificat, atqve ſalvos facit. Ita veris-
ſimum eſt, fidem nos Chriſto unire \& fide Chriſtum ipſum, non ſolum a-
liqvam ejus cognitionem, in nobis habitare, imo ipſum non modo ejus
dona nobis divinitus concedi: Sed unio illa \& habitatio potius pars eſt ſa-
lutis, in qva ſalute jam fruimur, qvam ut ſit cauſa inſtrumentalis. Fiducia
igitur, qvæ nititur ſola verbi tanta bona offerentis gratia, atqve ita ſibi be-
nefieri a Deo ſimpliciter patitur, eſt ea fides, qvæ nos ſalvos reddit, \&
Chriſtum nobis unit. Vellem etiam diſerte imputationis gratioſæ fieri
mentionem, qvi enim ſtultam \& impiam vulgi de imputatione nuda, qvæ
absqve ſanctificatione ſit imaginationem, ex animo deteſtor, \& præterea
ſcio, præter imputationem coram judicio divino, accedere veram ſancti-

T t 2tatem
[332]Das ſechſte Capitel.
tatem habitualem, \& qvod dixi Chriſtum ipſum in piis habitare cum ſuis
bonis omnibus, imputationem tamen gratioſam tam non omitti poſſe exi-
ſtimo, ut ea omnium reliqvorum bonorum ſit fundamentum, \& juſtificatio-
nis formale, unde ob abuſum voce illa neutiqvam abſtinendum, ſed verus
ſenſus potius dilucide explicandus, qva in parte nobis præit B. Paulus
Rom. 4. Hæc ita cum ſe habeant, citra vitium in definitione fidei non ea
ſola locari poſſunt, qvæ fidei ſunt effectus, \& qvidem ſanctifici, ſed neceſ-
ſarium fuerit illius exprimere qvi animam \& primam vitalem actionem.
Qværi etiam poſſet, utrum magna cordis triſtitia \& conſcientiæ graviſſimi
angores in ipſa definitione exprimi debeant, cum pateat non una via Deum
ſuos ducere?


Dubitari etiam poſſet, utrum vetus Adamus \& homo externus \& na-
turalis, ac ſemen ſerpentis ſint plane
ἰσοδυναμου῀ντα? cum videatur diſcrimen
inter eos terminos, qvorum alii alios includunt, alii excedunt, luculentum
asſignari poſſe. Id vero nimis durum \&
καταχρηστ ικὸν, Chriſtum eſſe no-
vum hominem; cum tamen novus homo ſit illud, qvod Chriſtus in nobis
ex verbo ut ſemine ſuo generavit. Optarim in hiſce nos proprietati ſer-
monis ſtudere, ne non tantum cavillis ſed gravibus altercationibus non
neceſſariam præbeamus occaſionem. Ipſe
φράσιν eam explicui peculiari
\& concione \& ſcripto, qvomodo fidelis dicere poſſit, Ego ſum Chriſtus, qva

[...]ράσει Lutherus uſus eſt. Sed fateor, propriam \& ex Logicarum uſitata-
rum cenſu eam non eſſe, neqve unqvam ea utor, niſi occaſio ſit fuſe ſenſum
ejus explicandi, qvia qvem ea primore aſpectu intellectui offert, ſenſus ſa-
ne falſus eſt.


De hoc qvoqve merito dubitatur, an Deus paratiſſimus ſit, fidem ſalvi-
ficam omnibus in ſummo gradu largiri? Certum eſt, omnibus velle largiri
menſuram ſaluti ſufficientem: certum etiam, plerosqve intra gradum illum
ſubſiſtere, qvem debita adhibita induſtria potuiſſent attingere: Sed qvi
per Apoſtolos ſuos teſtatur de diverſitate menſuræ gratiæ, qvæ ſane non
parum ad illuſtrationem divinæ ſapientiæ \& bonitatis facit, vix dici poteſt,
omnibus ſummum gradum atqve ita æqvalem menſuram dare voluiſſe.
Amat ipſe Deus diverſitatem in creaturis ſuis.


Per inhabitationem \& unionem fieri fideles Chriſti fratres, non dixerim,
ſed per nativitatem, qvæ fit
ἄνωϑεν ex ſemine divino: qvalia aliqvoties adhuc
in ead. qvæſtione occurrunt, cum unioni \& inhabitationi adſcribitur, qvod
gratioſæ imputationis vel etiam regenerationis eſt. In omnibus autem illis
divina beneficia nec confundere nec divellere convenit, ſed diſtingvere,
\& cuiqve ſuum tribuere.


Cum hypocritica \& fictitia fides deſcribitur, vellem, diſertius expri-
mi, non tantum qvod homo non modo imaginarie \&
[...]ανταστ ικῶς meriti
Chriſti \&c. fiat particeps, ſed etiam qvod imputatio, qvam ſcriptura docet, \&

ex
[333]ARTIC. I. DISTINCTIO II. SECTIO LIII.
ex ea noſtræ Confeſſiones urgent, non ſit ejus modi [...]ανταστικόν τι, ſed ſicu-
ti non qvidem actus phyſicus, aſt moralis veriſſimus, tam verus qvam im-
putatio ſolutionis a fidejuſſore factæ, qva debitor ſuo debito liberatur: ne
cum Adverſariis, qvod etlam in ſana illa doctrina, etiamſi ſæpius pluribus ab-
uſibus obnoxia, ſanum eſt, ipſa omiſſione vel reticentia argui poſſit reje-
ctum eſſe.


q. 6. Neſcio an dici poſſit, à vero Chriſtiano timorem ſervilem plane
exulare. Certum eſt, eum nec ſolum nec præcipuum apud Chriſtianos ve-
ros eſſe, \& qvantum creſcit filialis, tantum decedere ſervili: aſt eam ſcia-
mus, in vetuſtate carnis plurima adhuc ſupereſſe, qvæ optimæ voluntati re-
genitæ renituntur, timoris ſervilis nonnullus ſupereſt uſus: \& cur commi-
nationibus adhuc utitur Deus, qvando etiam cum filiis ſuis agit, ſi omnis
timor ſervilis plane jam abolitus eſt? Ea potius divina bonitas eſt, qvando
hac imperfecta virtute noſtro bono utitur, ut ea ceu gradu ad perfectio-
rem aſcendamus. Sic etiam qvæſt. 7. neſcio, an dici poſſit, imperfectum
illum amandi modum vel prorſus non in veris Chriſtianis vel certe tantum
in incipientibus reperiri; nam non ſolum Deus tolerat etiam in proficien-
tibus aliqva hujusmodi, verum etiam qvi ipſum Deum primario diligit, non
prohibetur cum ſimul propter beneficia ſua diligat, ut ſimul etiam gratia
ejus atqve beneficentia fruatur, \& ita duo illi modi conjungantur, qvorum
alteri tamen ſua eſt
ἐξοχὴ.


q. 8. Interna perceptio bonit. div. qvæ fiat cum inenarrabili gaudio ad ce-
lebrationem nominis divini reqviritur; \& qvidem utiqve qvæ hoc cordis
habitu fit tanto ardentior, \& homini ipſi jucundior eſt. Verum celebrare
nomen divinum etiam tenemur, eo tempore qvo ſenſu illo interno care-
mus, imo aliqvando celebratio, illius ſenſus eſt excitatio.


q. 9. Gratiarum actio per ipſam vocem gratias agit definitur; an commo-
dius vocula reperiretur?


q. 11. Rectiſſime diſtingvuntur afflictiones, qvas homo ſibi ipſe ſuo vitio
attulit, \& qvæ divinitus immittuntur: nollem tamen patientiæ virtutem illi
negare, qvi qvod malum ſibi accerſivit, poſtea pœnitens tolerat, \& ſe illi
etiam divinæ voluntati ſubjicit humillime. Imo eſt ubi pœnitens agnoſcit,
ipſa ſua peccata \& qvæ per hæc ſibi attraxit, ſancto divino \& benefico con-
ſilio permiſſa, qvibus a gravioribus peccatis \& periculis retraheretur, ut
adeo ſalutarem ſibi divinam voluntatem agnoſcat, non in iis ſolum, qvæ
divinitus immiſſa, ſed etiam permiſſa ſunt.


q. 12. Qvod ex Gerhardo notatur de diſtinctione fiduciæ, egregie illu-
ſtrat, qvod ſupra de fide ſalvifica diximus.


c. 3. q. 5. Dubium eſſe poteſt, an verbum divinum nos doceat, ut proxi-
mos majori qvam nos ipſos amore complectamur. Nam amorem noſtrum

T t 3men-
[334]Das ſechſte Capitel.
menſuram amoris proximi illud conſtituit. Fieri poteſt, ut aliqvando
proximum nobis ipſis anteponamus, non qvod proximum magis qvam
nos ipſos diligamus, ſed qvia divinum honorem aliqvando in proximo, no-
ſtris commodis \& bono præferimus.


q. 6. Nolim in me banc theſin ſuſcipere, ut non miſereamur proximi,
qvi ſe in egeſtatem ipſe conjecerit, niſi ſerio reſipiſcere illum videamus.
Nam hominis miſeremur etiam mali, ſpe futuræ aliqvando pœnitentiæ.
Ita tamen ut malitiam non foveamus, ſed extremæ neceſſitati ſubvenia-
mus.


q. 15. Annon utile, paulo expreſſius otioſos ſermones improbare? \& qvi-
dem in illo cenſu non ſolæ nugæ habendæ ſunt, ſed multa, qvæ ſeria vi-
dentur, verum nec ſpirituali nec corporali noſtro bono vel audientium
ſerviunt.


c. 4. q. 2. Sæpe cogitavi, an locus Matth. 7, 6. ad ſacramenta applicari
poſſit?


q. 7. Non impetrata illorum ope. Forte legendum eſt: non implor ata.


c. 5. q. 2. Diſputationem illam de novo homine, ſubſtantia an accidens
ſit, mallem omiſſam, imo maximopere rogo, ne unius illius diſputationis
cauſa libellus Tuus plurium obtrectationibus exponatur, ejusqve uſus
multorum excutiatur manibus, atqve ita fructus, qviinde expectari po-
terat, plurimum minuatur. Ingenue fateor, nullam me novam ſubſtan-
tiam, prout Philoſophia voce ea utitur (ſcio alio ſenſu qvod dici poſſit) cre-
dere in novo homine, ſed ſubſtantiam ex primæva creatione ſuperſtitem
alia indole \& natura indutam: unde non generatur ſimpliciter accidens
ſed ſubſtantia jam pridem exiſtens generatur ad novam naturam \& qvaſi
formam. Et ſicuti Diabolus ſuo ſemine in nobis non generavit novam ſub-
ſtantiam, ſed corrupit qvæ prius erat, ita cum Deus nos regenerat, non
alio opus eſt, qvam ut reſtituat qvod hoſtis ille corruperat. Forte ſi nos
intelligamus, uterqve non aliud ſentiemus, ſed loqvendi modi diverſi
ſunt. Optarim autem ut illis utamur, qvi ad lites \& contentiones non præ-
beant occaſiones, cum nobis qvovis ſtudio vitandæ ſint omnes
λογομαχίαι.
Imprimis in hiſce rebus caveamus terminos philoſophicis litibus jam obno-
xios, \& in qvibus qvi rixoſi ſunt, ex uſu diſputationum ſuarum facilius in-
veniunt, de qvo altercentur. Utamur vero terminis Scripturæ, qvos non
æqve facile nobis vel eripere vel detorqvere poſſunt. Sane ex tota illa di-
ſputatione verbis his philoſophicis concepta non video, qvod anima ſuæ
ſalutis ſtudioſa incrementi ſpiritualis capere poſſit, forte autem ſcrupulos
concipiet minus utiles, vel etiam ædificationi noxior. Qvæ tamen ex Arn-
dio allegantur, aſcribi non veto, plena ſucci, \& non æqve ſophiſmatibus a-
liorum obnoxia.


DISTIN-
[335]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO I.

DISTINCT. III.
Von den jahren 1680. \& 1681.
SECTIO.


  • 1.
    WJe ich zu Stephano Prætorio, Statio, Andr. Cramero gekommenen lehre
    de exhibita ſalute. Dilfelds vornehmen gegen mich. Unterſcheid
    aus was principio die Gottſeligkeit getrieben werde. Mein me-
    thodus
    aus dem Evangelio und glauben.
  • 2. Beantwortung allerhand bis 1680. geſchehenen vorwuͤrffe insgemein/ und
    abſonderlich. Wegen der formul/ ich bin Chriſtus/ Engliſcher buͤcher/
    commentariorum, ob man die Chriſten von auſſen kenne/ Weigelianiſcher
    phraſium, aus dem collegio entſtehenden ſonderlinge und andere neue-
    rungen/ meine vorgegebene nachfolge/ Wincklers Tractat, Horbii, eini-
    ger reiſen in Holland. Rettung des ſendbrieffs und erlaͤuterung deren aus
    demſelben angegriffenen ſtellen: Sonderlich betreffend meine lehre wegen
    des articuls von der rechtfertigung.
  • 3. Gebet voreinander ein ſtuͤck der gemeinſchafft der heiligen: deſſen nutzen. Jch
    bedarff deſſen vor andern/ ſonderlich um erkaͤntnuͤß Goͤttlichen willens.
  • 4. Die unſere kirchen obſchwebende gefahr und gericht.
  • 5. Churfuͤrſten von ſachſen mißfallen an ſtreitigkeiten/ wie auch ich keine luſt dar-
    zu habe/ und ſie gerne vermeide.
  • 6. An M. Holtzhauſen. Von dem gezaͤncke der falſch beruͤhmten kunſt. Miß-
    brauch der Philoſophie. Hochmuth einiger academicorum. Collegii
    in Franckfurt zuſtand. Stengers ſache. Nichts trucken ohne nahmen.
    B. Rebhan. Dilfeld. Edirte allgemeine Gottesgelehrheit.
  • 7. Wegen meiner Poſtill oder Evangeliſchen erklaͤhrung. Einiger wolgefallen
    daran. Nicht allen gefaͤllet einerley wol. Deſſen urſach D. Pomarius. Dil-
    feld beantwortet.
  • 8. Meine unerfahrenheit in ſchulſachen. Gute ſchulleute/ Hinckelman/ Gra-
    bovius, Pikerus.
    Einige regeln ſo zu der ſchul dienlich. Bedencken we-
    gen abſchaffung exorciſmi und Elenchi nominalis.
  • 9. An einen vornehmen Politicum. Verderben in unſere kirchen. Jch und
    Horbius treiben nicht bloß auf ein moral-leben/ ſondern dabey eine her-
    tzens aͤnderung aus dem glauben ſich findet. Ob in modo gefehlet werde.
    Von den wiedrigen aufgebrachten nahmen der neuen Chriſten/ Pietiſten:
    geſchiehet ohne unſere ſchuld. Hochachtung Lutheri/ dem viele nicht nach-
    folgen.

10. An
[336]Das ſechſte Capitel.
  • 10. An einen Edelman. Goͤttliche verheiſſungen muͤßen alle herrlich erfuͤllet
    werden. Welches uns aufmuntert. Das gericht uͤber Babel nahe:
    Durch welches aber GOTT vorher ſein gericht an unß anheben wird.
    M St. uͤber die offenbahrung. Nicht allen iſt die gabe gegeben/ ſich wol
    zuerklaͤhren. Die ſind zum ſchreiben nicht beruffen. Was vor andere
    geiſtliche uͤbungen vorzunehmen zu Gottesdienſt/ eigener erbauung/ und
    des nechſten liebe. Zuſtand in Franckfurt. Methodus die glaubenslehr zu-
    tractiren. Dilfeld. Horbius. Winchler.
  • 11. Meine antwort gegen Dilfelden. Der enthuſiaſmus zur ungebuͤhr aufgebuͤr-
    det: Boͤſes zeichen/ daß Goͤttliche wirckungen unbekant.
  • 12. An einen Juriſten. Die Chriſtliche freundſchafft die vornehmſte unter allen.
    Gemeinſchafft der heiligen/ wie unter abweſenden auszuuͤben.
  • 13. Alß weiter angegriffen zu werden benachrichtiget wurde.
  • 14. Von einigen vorſchlaͤgen der beſſerung/ ſonderlich in erziehung der kinder.
    Catechiſmus examina. Confirmation. Ob gnug an die jugend zuarbei-
    ten. Ob die reformation ohne die obrigkeit anzuſtellen. Gefahr von dem
    Papſtumb.
  • 15. Uber eines guten freundes Tractaͤtlein/ in dem unterſchiedliches anſtoͤßig ge-
    funden.
  • 16. An S. Scriverium, alß er ein halb jahr vorher mich ſampt andern 2. Theo-
    logis
    wegen der vocation zu der Koͤniglichen Erbprinzeßin aus Denne-
    marck/ die alß Koͤnigliche Swediſche Braut ihn zum Hoffprediger mit in
    Schweden nehmen wolte/ conſuliret, ich ihm die folge gerahten/ die andern
    beyde aber ihm bey ſeiner gemeinde zubleiben die freyheit gegeben/ und er die-
    ſem gefolget hatte: Wie wir mit deme wie es Gott fuͤget zufrieden ſein ſollen.
  • 17. Nutzen den ich gehabt/ von Dilfeld angegriffen zu ſeyn. Approbation mei-
    ner antwort/ wichtigkeit der materien.
  • 18. An einen vornehmen Theologum wegen Dilfelds ſchrifft gegen mich.
  • 19. Wie wir uns der verfolgung zuverſehen haben.
  • 20. An einen vornehmen Fuͤrſtl. Rath/ der von des regierſtandes fehlern zu-
    ſchreiben vorhatte. Von den piis deſideriis. Von der Cæſaropapia.
  • 21. Freude uͤber anderer vorbitte. Zuſtand in Franckfurt noch nicht ſo gut/ als
    er anderswo geruͤhmet wird. Haltung Goͤttlicher Geboth. Ob Gottes
    wort von einen todten prediger ohne wirckung ſeye. Von mir nichts ſon-
    derlichs zuerwarten. Uns bevorſtehende ſchwere gerichte. Nutzs der ge-
    behte voreinander.
  • 22. Meine predigten uͤber Joh. 3. Crameri kinder GOttes ehrenſtand und
    pflicht. Wie man ſich zuverwahren um nicht in irthum verfuͤhret zuwer-
    den. Gefahr und noth unſerer zeiten.

23. Vor-
[337]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO I.
  • 23. Vorſchlag einiger reiſen der Theologorum, einander zubeſuchen. Lehr des
    geſchenckten heils. Steph. Prætorius. Zur ungebuͤhr von einem beruͤhmten
    Theologo angegriffen. Statius. D. Danhaueri beypflichtung. D. Brodt-
    becks ſeeliges und bedenckliches ende. Neodorpii ſchrifften. Egardi. Fromme
    Buchbinder. Academiſches greuelweſen. Andr. Cramerus. D. Haveman.
    Kriegsmans Theopraxia. Joh. Sam. Kriegsman/ Dilfeld. D. Muſeus. D.
    Beyer.
    Groſſe bewegung in den hertzen. Hoffnung daraus.
  • 24. Allgemeine Bewegung in den hertzen. Hoffnung daraus. Jn Franckfurt
    etwas ſtiller.
  • 25. Viele Theologi keine wahre Theologi. Gedenckbuͤchlein. Dilfeld. An-
    dere ungewohnte phraſes. Vermeinte errores Speneriani aus der Po-
    ſtill. Falſche imputationes Horbio geſchehen: und andere materien ſol-
    cher zeit. Nahmen der Pietiſten.
  • 26. Langſame antwort aus noth. Dilfelds vergebener angrieff. Klage des
    verderbnuͤß in allen ſtaͤnden. Dero ſchuld. Zum weltlichen ſtand. Zum
    lehrſtand. Der artickul der rechtfertigung wird nicht allezeit gnug getrieben.
    Kuͤrtzere abfaſſung der Catechetiſchen lehre. Sorge vor der Juden be-
    kehrung. Mangel des vertrauens auff GOtt im zeitlichen. Mißbraͤuche
    der handwercker. Bettler. Lange haar. Frucht des amts mit gedult
    zu erwarten. Allmaͤhlige goͤttliche offenbahrung der geheimnuͤſſen. All-
    zugroſſes anſehen der Theologorum in der lehre. Arcana medicorum.
    Α῎ρτος ἐπιου´σιος. Buchhandlung. Sabbathsfeyer. Aberglauben. Chriſt-
    kindlein. Groſſe verderbnuͤß der menſchen. Kein natuͤrliches liecht zum geiſt-
    lichen in ihm. Lehr von der Evangeliſchen ſeligkeit insgemein: Wird nicht
    gnug getrieben. Angefochtene. Beſchreibung der laſter. Schuldigkeit
    ſteter Arbeit.
  • 27. An M. Holtzhauſen/ da er zu Hildesheim ausgeſtoſſen worden. Seelen-ge-
    fahr bey geiſtlichen aͤmtern.
  • 28. Gefahr unſerer kirchen von irrglaͤubigen. Von gefahr des Atheiſmi.
  • 29. Wunſch die Theologie in ihrer erſten einfalt zu ſehen. Catechetiſche exa-
    mina.
    Dero nothwendigkeit. Dergleichen hin und wieder eingefuͤhret.
  • 30. Daß falſch auffgedichteter verdacht endlich nutzen koͤnne. Catechetiſche
    unterrichtung. Pauli Epiſteln. Von einem mir begegneten außgeſtreue-
    ten fabel. Gottes rath in dergleichen.
  • 31. An einen Fuͤrſtl. Theologum zu ſuchung deſſen freundſchafft. Waruͤmb
    einige in dergleichen ſchohne. Bitte meiner auff der Kantzel nicht zuge-
    dencken. Herr von Seckendorff.
  • 32. Auffmunterung.
  • 33. An einen Fuͤrſtl. Theologum, der mir den Vater titul beygeleget/ ich ihn a-
    U uber
    [338]Das ſechſte Capitel.
    ber hinwieder bruder nennete. Unbilligkeit des nahmens Spenerianer.
    Jch ſuche keine Secte. Nochmahlige bitte meines nahmens nicht auff der
    Kantzel zugedencken.
  • 34. Von der beſſerung der kirchen. Nichts zu uͤbereylen. Kein eigennutz zu
    ſuchen. Wie der Doctorum academicorum freundſchafft zu erhalten.
    Ob ein Synodus practicabel und nuͤtzlich. Was von conſiſtoriis zu er-
    warten. Kirchenbuß. Fleiß die jugend zu erhalten. Ob eine conformi-
    taͤt in ceremonialibus einzufuͤhren. Ob und wie die Qvaͤcker zu entſchul-
    digen. Ob der teuffel per enthuſiaſmos ein liecht anzuͤnde. Ob und wie
    auff die predigten zu ſtudiren.
  • 35. Jn verwahrung vor abfall iſt das buchſtaͤbliche wiſſen nicht gnug. Wegen
    adjunctur eines predigers.
  • 36. Freude uͤber vermehrung der frommen/ ſonderlich treuer diener GOttes.
    Schmertz in der buß nuͤtzlich/ und nicht gleich nach troſt zu eylen.
  • 37. Als ein chriſtlicher prediger removirt worden. Vorhaben eine Apologia
    zu ſchreiben. Auff was art das nimium ſtudium philoſophiæ zu beſtrei-
    ten. Chriſtliche gelaſſenheit zu einem beruff.
  • 38. Die hertzlichſte freude aus der geiſtl. freundſchafft wahrer Chriſten. Dero-
    ſelben nutzen. Auffmunterung darzu.
  • 39. Frucht des predigtamts bleibt nicht aus. Ob ſie auch in geringer maß/ nicht
    zu verachten Marc. 4. Verdacht irriger lehr aus der lehr der heiligung und
    lebendigem glauben/ die doch allerdings lutheriſch. Viele boͤſe im predig-
    amt aus goͤttlichem gericht.
  • 40. Wie wenig von reformation des geiſtl. ſtandes zu hoffen. Beſorgte goͤttl.
    reformation. Cenſur des Gedenckbuͤchleins. Dilfelds vorhaben. Ob
    man die worte erneuerung und heiligung auslaſſen ſoll. Wie Paͤpſtiſche
    hypotheſes in die kirche einreiſſen wollen. Daphnæi Arcuarii tractat.
  • 41. Als die Stadt Straßburg in Frantzoͤſiſche gewalt gerathen: wie ſolches ge-
    richt Chriſtlich anzuſehen und wie ſich alle dabey zu verhalten haben.
  • 42. Wie das mittel von einem prediger zu treffen/ weder ſein gewiſſen den men-
    ſchen zu unterwerffen/ noch auch in eigenſinn und hartnaͤckigkeit zu verfal-
    len.
  • 43. Goͤttlicher guͤtiger rath/ der mich durch Dilfelden angegriffen werden laſſen/
    und die antwort geſegnet. Rettung meiner lehr vom verdacht. Verlan-
    gen in der that Gottesgelehrte zu haben/ da keine andere in der verſolgung
    beſtehen werden. Erinnerung/ da man Jacob Boͤhmens ſchrifften wieder
    trucken laſſen wollen.
  • 44. An einen guten freunde/ der mich vieler dinge erinnert. Willigkeit erinne-
    rung anzunehmen. Verleugnung des academiſchen hochmuths und ſtu-
    dien.
    [339]ARTIC. I. DISTINCTIO. III. SECTIO. I.
    dien. Dieſer nutzes. Geiſtlicher hochmuth. Academiſche grade. All-
    gemeine klage der Propheten/ ob zu wiederhohlen. Ob einige auszunehmen.
    Anderer Theologorum freundſchafft. Worzu ſie nuͤtze. Ubergang zu
    den creutztraͤgern. Lutherus. Arend. Babel allein. Rom mit deſſen an-
    hang. Meine ſtudia Heraldica. I. Botkius. Herm. Jungius. Gifft-
    heil. Trappe. Kuhlman. Jac. Boͤhme. Verlangen der Gewißheit uͤber
    ihn. M. Holtzhauſen. Ob man aus Luthero einen abgott mache. Meine
    gedancken uͤber unſeren ietzigen zuſtand. Welcherley mittel muͤſſen vorge-
    ſchlagen werden. Was noch auszurichten. Ob etwas vergeblich zu ver-
    ſuchen. Annehmung der noth der armen. Jſrael in der wuͤſten. Ob die
    Ungern und Reformirten in Franckreich verlaſſen werden.
  • 45. Uber den S. todt Hertzog Moritzen zu Sachſen Zeitz.
  • 46. Nothwendigkeit der einigkeit der Chriſten/ ſonderlich Theologorum.
  • 47. Als in Straßburg an ſtatt des abgenommenen Muͤnſters die prediger kirche
    zum Evangeliſchen Gottesdienſt beqvem gemacht worden.
  • 48. Von meiner unſchuld.

SECTIO I.


Wie ich zuSteph. Prætorio, Statio, Andr. Cra-
mero
gekommen. Lehrde exhibita ſalute.Dilfelds vor-
nehmen gegen mich. Unterſcheid/ aus was
principiodie
gottſeligkeit getrieben werde. Mein
methodusaus
dem Evangelio und Glauben.


DJeſes erfreuet mich noch ſo viel heꝛtzlicher daß es eine ſo liebe und heilige lehꝛ/
de ſalute in Chriſto exhibita, geweſen/ wodurch bey meinem liebſten
Bruder die erſte liebe gegen mich/ durch denſelben aber in dem Chriſt-
fuͤrſtlichen gemuͤth/ eine ſolche zuneigung erwecket ſeye worden. Hierbey hof-
fe ich/ es werde nicht entgegen ſeyn von mir mit mehrerem zuvernehmen/ wie
mirs wegen Prætorii oder Statii Buch gegangen. Jch hatte durch GOttes
gnad die lehr ſelbſt/ wie uns die ſeligkeit in Chriſto geſchencket ſey/ dem grund
nach gefaſſet/ wie der ſel. Hr. D. Dannhauer, als mein Præceptor, ſolche getrieben/
wie er ſonderlich in ſeiner Hodoſoph. p. 1404. davon handelt/ und ſagt daß die
ſeeligkeit in dieſem leben/ und wie ſie dort ſeyn werde/ nicht ſpecie differiren
ſondern gradu, apparitione: daraus er auch ein kraͤfftig argument wieder die
merita operum ziehet. Jedoch geſtehe ich gern/ daß ich damahlen/ als dem
U u 2Luthe-
[340]Das ſechſte Capitel.
Lutheri ſchrifften auch noch frembd waren/ ſo viel abſonderliche erkaͤntniß da-
von nicht gehabt. Es begab ſich aber daß in dem Conventu alhier/ da ich mein
ampt angetreten/ mir aufgetragen wurde/ nebens noch 2 Collegis, einem ſtu-
dioſo
zuzuſprechen/ wegen meine predigt/ welche er gehalten/ und man einige
bedencken daruͤber gehabt/ daher ſeine erklaͤrung uͤber einige dinge noͤtig erachtet.
Es kam aber incidenter auch vor/ daß jemand aus den Collegis meldete/ er
ginge auch mit einigen buͤchern umb/ die nicht richtig ſondern verdaͤchtig waͤ-
ren/ und wurde alſo des Statii ſchatzkammer gedacht. Als ich nun nach haben-
der meiner commiſſion mit ihm geredet/ ſo fuͤgte auch dieſes letztere bey/ daß
ich von dergleichen gehoͤret; zwar weder Authorem noch buch kennete/ daher
auch davon nicht ſelbſt urtheilen koͤnte/ als daß davon von den Hhr. Collegis ge-
hoͤret/ daß einiger verdacht darein geſetzt wuͤrde/ jedoch ohne benennung/ worin
ein ſolches beſtuͤnde. Er entſchuldigte ſich/ haͤtte nichts anders als goͤttlichem
wort und der orthodoxiæ gemaͤß darinnen angetroffen/ bote mir das buͤch-
lein zuleſen ſelbſt an/ wo ihn einiges ungleiches gezeigt wuͤrde/ wolte er ſich
gern vorſehen. Jch hatte aber damahl die zeit nicht es zuleſen. Nach ſol-
chen brachte mir einer meiner Hhr. Collegarum daſſelbige und zeigte mir an/
daß er in einigen etwas anſtoß finde. Daruͤber ich ſolche loca laß/ aber
alſobalden des authoris chriſtliche meinung erkante/ und damit gelegenheit und
trieb bekam/ das gantze Tractaͤtlein mit fleiß zu leſen ſo auch mit groſſem ver-
gnuͤgen von mir geſchehen iſt. Alſo daß ich nicht leugne/ ſolche heilige und treff-
liche lehre/ dero grund ohne das durch goͤttliche gnad gehabt/ daraus ſo viel
klaͤrer eingeſehen zu haben ſo mich niemahl reuen wird; Jch bin auch damit in
Lutheri ſchrifften weiter eingewieſen worden/ die ich mir folgendes ſo viel emſi-
ger zu leſen habe angelegen ſeyn laſſen. Jch fande doch/ wie ich ſolches nicht
leugne/ einige ort/ welche ich einiger guͤtiger erklaͤrung noͤtig zu haben erkante/
ſonderlich einen/ der es vor andern bedurffte. Habe auch nicht bedenckens ge-
habt (noch habe es jetzo.) das buͤchlein einigen frommen ſeelen/ die aufgemun-
dert und aus der ſchwermuth zu einer glaubens freudigkeit aufgerichtet zu wer-
den bedoͤrffen/ zu recommendiren. Jch hatte aber verlangen/ Steph. Prætorii
eigene buͤcher/ aus dem ich Statii arbeit extrahiret zu ſein ſahe/ ſelbſt zu leſen/
die ich endlich auch bekommen/ damit ich de ſenſu Statii aus dem brunnen
ſelbſt/ ſo viel beſſer urtheilen koͤnte. Als ich ſolche ſchrifften erlangt/ habe ſo
viel muͤhe angewandt/ weil die edition anders war/ als des Statii allegirte/ daß
alle ort in dem Prætorio/ nachgeſucht/ und dero anfang und ende in meinem exem-
plar gezeichnet/ damit ich ſehen moͤchte/ was Statius irgent ausgelaſſen. Dieſe
Collation hat mir gewieſen wie einmahl der liebe Statius mit groſſer fuͤrſichtig-
keit ſeine excerpta gemacht/ und einige dinge/ die anſtoͤßig ſein/ weg gelaſſen/
hingegen dasjenige geſetzt/ daran ein Chriſtlicher leſer nicht urſach hat ſich zu-
ſtoſ-
[341]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO I.
ſtoſſen. Welches ich ſonderlich an einem ort deutlich wargenommen/ da der
liebe Prætorius ſich unleugbar verſtoſſen hatte; Aber Statius ließ ſolches harte
aus/ und ſetzte dasjenige/ welches/ wo es nach der intention Prætorii genommen
wuͤrde/ freylich noch nicht paßiret werden koͤnte/ aber wo es allein ſtehet/ und
mit einiger billigkeit verſtanden wird/ wol mag aufgenommen werden. Je-
doch leugne nicht/ daß Prætorius aus leſung ſeiner eigenen werck etwas derje-
nigen hochachtung bey mir verlohren/ die ich vorhin von ihm aus Statii ruhm
haͤtte geſchoͤpfft. Jedoch fand ich ihn/ ein ſolcher man zuſeyn/ der von hertzen
Gottſelig geweſen/ den grund des Borels herrlich erkant habe: Weil es ihm a-
ber an ſtudiis mag gemangelt haben hat er einige weitere folgen aus wah-
ren theſibus gemacht/ ſo gleichwohl darnach irrig geweſen: So dann daß er
ſich in einigen dingen zu leicht aus guter meinung einnehmen laſſen. Nichts de-
ſtoweniger achtete ich ihn vor einen redlichen und ſolchen lehrer unſerer kirchen/
deſſen wir uns nicht zuſchaͤmen haben/ wie ich ihn noch alſo halte/ und nicht weiß
warumb wir nicht mit gleicher liebe einige fehler unſer kirchen zu gut halten ſol-
ten/ als wir den alten Vaͤtern zu gut zuhalten pflegen. Es vergnuͤgte mich
auch ſo viel mehr/ daß mir von einem guten freund ſeine revocation uͤber etli-
che puncten communiciret wurde/ daraus ich geſehen daß er auch willig gewe-
ſen ſey/ der warheit zuweichen/ wo er dero uͤberfuͤhret worden. Es begab ſich
nach ſolchen/ daß mir in die haͤnde kommen Hr. Andreæ Crameri geweſenen
Superintendenten zu Muͤlhauſen unterſchiedliche Tractatus/ tauffſtandt/
gnadenordnung/ anfuͤhrung zu der Catechiſmus lehr
und dergleichen.
Worin ich die von Prætorio und Statio ſo hertzlich getriebene lehr mit allen de-
ro umbſtaͤnden ausgefuͤhret angetroffen/ aber alſo/ daß ſie mit mehrer behut-
ſamkeit und in einem compendio kurtzer gefaſt iſt. Es hat mich aber die le-
ſung ſolch buͤchlein dermaſſen afficiret/ daß/ weil man keine exemplaria ha-
ben koͤnte/ ich 5. deroſelben zuſammen unter dem titul der Kinder Gottes Eh-
renſtand und pflicht
auffs neue zweymahl hier habe trucken laſſen/ damit auch
andere ihre erbauung daraus haͤtten/ was mir ſo nuͤtzlich geweſen war. Jch
habe auch von ſolcher materia und wie alle wahre froͤmmigkeit aus dem Evan-
gelio herkommen muͤſte/ ein vorrede davor gemacht/ und meine meynung dar-
innen deutlich ausgetruckt. Jch weiß aber nicht/ ob meinem vielgelieb-
ten Bruder ſolche ſcripta bekant ſind/ bin ſonſten bereit/ dieſelbige mit
gelegenheit zu communiciren. Nach dieſem habe mit einem gottſeligen
mann/ Doctore und Profeſſore Medicinæ zu Thuͤbingen (Hr.D.Georg
Conrad Brodbeck/
kundſchafft bekommen/ der/ wie wir ohne das mit einander
befreundet/ offters in brieffen von ſolcher materie ſich mit mir ergoͤtzet; er hat auch
ſelbſt ein herrliche ſchoͤne taffel vor ſein haus und ſeine freunde trucken laſſen/ da
auf anderthalb bogen die gantze lehr unſers Heils per compendium ſehr ſchoͤn
U u 3bey-
[342]Das ſechſte Capitel.
bey ſammen ſtehet; der liebe mann achtete auch einmahl nuͤtzlich/ daß ſich ein
Theologus zur publica defenſione des guten Prætorii wider ſeine gehaͤſ-
ſige hervor thaͤte/ ich bekenne aber/ daß ich ſolches nicht vor nuͤtzlich geachtet/ in
dem dardurch ſolche liebe ſchrifften eher den leuten aus als in die haͤnde gebracht
werden wuͤrden. Er iſt nach ſolchen vor etlichen jahren von GOtt ſelig abgefo-
dert worden/ und hat gleich wie ſein leben in einer ſtaͤten danckbahren gedaͤcht-
nis und preiß der Goͤttlichen empfangenen heils-wolthaten zugebracht/ alß noch
ſeinen ſterbenden mund mit ſolchem lob beſchloſſen. Dieſes iſt dasjenige/ wie
ich zu Statio gekommen bin/ und was darbey vorgegangen. Nach ſolchen ha-
be auch ſolches Statii Lutherum Rediv./ ſo auch wohl ein herrliches Buch/ be-
kommen/ und mit groſſen vergnuͤgen gebraucht. Ach der HErr laſſe ſolche
warheit des geſchenckten heils allen je mehr und mehr bekant werden als wel-
che warhafftig die ſeligmachende krafft des Evangelii iſt. Nur wuͤnſchte ich/
daß in deslieben Staii Buch/ ſolche materie von den ſeligmachenden glauben
ſelbſt/ und wie ſolcher von dem aus eigener vernunfft machenden oder vielmehr
erdichteten glauben und fleiſchlicher einbildung zu unterſcheiden ſeye/ noch mit
mehrerem aus gefuͤhret wuͤrde/ damit der ſicherheit und allem mißbrauch ſol-
cher heil. lehr am allerkraͤfftigſten moͤchte gewehret und vorgebeuget werden und
zwar ohne einigen abgang der evangeliſchen lehr ſelbſt/ ſondern zu deroſel-
ben vorſichtiger erleuterung. Jm uͤbrigen hat mir Hr. Dilfeld vor etwa an-
derthalb Jahr einiges der ſachen/ die er in dieſer materie trucken laſſen/ ge-
ſchickt/ wie ich ihn aber bald aus wenigen zeilen habe kennen lernen/ habe ich
ſolche dinge bißhero zuleſen nicht wollen die muͤhe nehmen/ nach dem mir aber je-
tzo durch mein vielgeliebten Bruder die hiſtoria erklaͤret worden/ ſo will ich doch
zuſehen/ daß ichs naͤchſt leſe und warnehme/ was dann gegen dieſe lehr aufgebracht
werde; Er hat auch in dem ſchreiben an mich Prætorii gedacht/ ich habe ihm a-
ber nicht weiter geantwortet/ als gantz noͤtig war: dann ich merckte bald an-
fangs/ es moͤchte alles ſein ſchreiben wol nichts anders als ein auslocken ſeyn/
und auf ein offentlichen angrieff hinaus lauffen. Jm uͤbrigen iſt mir die nach-
richt von ſolchem meinem wiederſacher ſehr lieb geweſen/ als welche mir in ein
und andern ferner kuͤnfftig dienen mag. Es wolle aber mein wertheſter Bru-
der ſich verſichern/ daß es demſelben ohne einigen ſchaden der communicati-
on
bleiben ſolle/ als der ich guther freunde treue nicht uͤbel belohnen will. Jch
erwarte nun/ weſſen er ſich/ da er meine antwort geleſen haben wird/ beſinnen
mag. Ehe er wuͤſte/ ob ich gewiß antworten wuͤrde/ ſchriebe er nach Worms/
daß er/ ich antworte/ oder nicht/ noch einſt publice an mich ſetzen muͤſte. Jetzo
ſtehet dahin/ ob er anders ſinnes durch GOttes gnade moͤchte ſein worden/ ſo
ich von hertzen umb ſeiner ſelbſt/ und der kirchen willen/ wuͤnſchte. Jch hoffe/
die materia ſeye ſo einfaͤltig und gruͤndlich/ wie es der HErr gegeben ausge-
fuͤh-
[343]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO I.
fuͤhret worden/ daß er genug haben/ und ſich zur ruhe begeben ſolte: wo ich
nichts weiter mit ihm zu thun haben werde. Solte er mich aber noch einmahl an-
greiffen/ ſo ſtehet ſehr dahin/ obs auch von ſolcher wichtigkeit ſein werde/ daß
ich ihm zu antworten die muͤhe nehmen muͤſte. Jm uͤbrigen iſts freylich ſo/
wie mein vielgeliebter Bruder mercket/ daß ein groſſer unterſcheid ſeye unter de-
nen/ die auff das Gottſelige leben treiben/ und iſt nicht aller methodus ſolches
zuthun der lehre Chriſti gemaͤß. Jch ſehe gern/ daß man bey der regel des Herrn
bleibe/ ſetzet einen guthen baum/ ſo wird die frucht guht. Solches ſetzen
mus nun durch den glauben geſchehen/ dieſen aber bringen nicht des geſetzes
werck/ ſondern die predigt vom glauben/ die iſt das Evangelium/ ſo den Heil.
Geiſt mit ſich bringt. Jſt dieſer da/ ſo folgen die wercke ſelbſt/ und werden rech-
te guthe wercke ſein/ ohne zwang/ ohne verdienſtſucht/ ohne eigene ehr und ruhm/
aus kindlicher einfalt und danckbarkeit. Das iſt alsdann der rechte character
derjenigen wercke/ welche/ wie ſchlecht ſie von auſſen auzuſehen/ nicht anders als
GOtt gefaͤllig ſeyn koͤnnen/ als rechte fruͤchte des kindlichen Geiſtes und alſo ſeine
eigene wercke. Dieſes Methodi befleißige ich mich auch nach dem vermoͤgen
das GOtt gibt/ daß ich den leuten ihr Heil in Chriſto vortrage/ und groß genug
mache/ damit GOttes Geiſt den glauben dardurch wuͤrcke: Nebens dem auf
die buße und reinigung von ſuͤnden treibe/ die unſer liebe erloͤſer allemahl vor
den glauben geſetzt hat: thut buß und glaͤubet dem Evangelio: da zeige
ich denleuten/ woher es komme/ daß der glauben in ihren Seelen nicht ſchaf-
fen wolle und ſie zu der lebendigen erkaͤntnis der theurer guͤther nicht kommen
koͤnnen/ wie ihnen ihr eigen hertz ſo offt zeugnis giebet; nemlich weil ſie daſſel-
be durch hertzliche buß nicht wollen von der welt abziehen/ und einigerley maſſen
reinigen laſſen. Da einmahl ſolches himmliſche licht/ nicht in eine Seel gegoſſen
werden ſoll/ die mit weltlicher luſt und muthwilligen ſuͤnden angefuͤllet iſt.
Dann der Geiſt wird von der welt nicht gefaſſet/ ohne welchen aber kein glau-
ben ſein kan. Diejenige/ ſo ihre heilsguͤther ergrieffen haben/ muntere ich vor-
nehmlich damit auf/ daß ihr Heyl und die groͤſſe deſſelben ſie nicht ruhen oder
traͤge werden laſſen ſolle noch koͤnne; daß ſie ſich doch fuͤr die unauſprechliche
liebe ihres Heylandes recht danckbar erweiſen/ und weil ihnen ja an der verſi-
cherung des wahren glaubens ſo groſſes gelegen/ ſich deſſelben durch ſeine fruͤch-
ten und eigenſchafft gewis machen/ oder wie der Apoſtel redet ihren beruff
und erwehlung feſt machen
ſollen. Dieſes zweiffele ich nicht/ iſt der rechte
Apoſtoliſche/ Evangeliſche methodus, bey dem ich gerne zeit lebens durch ver-
leihung Goͤttlicher gnade zuverbleiben gedencke/ auch an deſſen nachtruck nicht
zweiffele. Da bedarffs keiner neuen lehr/ von der nothwendigkeit der guten
werck zu der ſeligkeit/ die doch dem glauben allein geſchencket iſt/ und wird doch
aller ſicherheit derweg verlegt/ da wir die fleiſchliche einbildung und den wah-
ren
[344]Das ſechſte Capitel.
ren glauben gruͤndlich von einander ſcheiden. Auch wird damit den kraͤfften des
menſchen nichts zugeleget/ ſondern allein die krafft Chriſti/ der in den ſeinigen kraͤf-
tig wuͤrcket/ geprieſen/ und der glaube zur wurtzel alles Gottſeligen lebens dar-
geſtellet/ hingegen gezeigt/ daß der unglaube aller ſuͤnden urſprung ſeye/ und in
allen ſtuͤcke/ wo mans auch ſchon nicht meinet oder gedencket. Dann was
macht uns die welt/ dero ehr/ reichthum/ wolluſt/ ſo angenehm und verurſachet
alſo geitz/ ehrgeitz und andere ſuͤnden/ als daß wir noch das Heyl nicht erkennen/
welches mehr iſt als uns alle welt mit ihren reitzungen vorſtellen kan? Da hin-
gegen der menſch nicht eher das geringere zuverlaſſen bewogen werden mag/ als
wo man ihm ſo viel vortrefflichers anerbeut/ und wuͤrcklich ſchencket/ oder ge-
ſchencket zu ſein zeiget. Jch muß aber allgemach zum ende eilen/ und bezeuge wie
mir deſſen erſte brieffliche anſpruch von hertzen lieb geweſen/ alſo werde mich auch
dergleichen continuation ins kuͤnfftig erfreuen/ weil ich doch mich verſichert hal-
te/ daß derſelbe mit ſolcher guͤtigkeit gegen mich geſinnet ſein werde/ mir nicht uͤ-
bel zunehmen/ da ich etwa einige mahl mit der antwort etwas langſam fol-
gen wuͤrde. Schluͤßlich verſehe mich deſſelbigen bruͤderlichen vorbitte/ wel-
ches ich eine groͤſſere wolthat achte zu ſeyn als mir ſonſt eine wiederfahren mag/
dergleichen von meiner ſeiten hinwieder hertzlich verſicherende. 1680.


SECTIO II.


Beantwortung allerhand biß 1680. geſchehener
vorwuͤrffe/ insgemein/ und abſonderlich/ wegen der formul/
ich bin Chriſtus/ Engliſcher buͤcher/
Commentariorum,ob
man die Chriſten von auſſen kenne/ Weigelianiſcher
phraſium,
aus demcollegioentſtehender ſonderlinge/ und andere unord-
nungen/ meine vorgegebene nachfolger/ Hr. Wincklers
tra-
ctat,
Hr.Horbii,einiger reiſen in Holland. Rettung des
ſendſchreibens/ und erlaͤuterung der in demſelben angegriffe-
ne ſtellen: ſonderlich betreffend meine lehrart wegen
des articuls der rechtfertigung und
heiligung.


JCh wuͤnſche zum allerforderſten von dem geber aller guten gaben/ dem
HErrn der zeit und ewigkeit/ daß derſelbe zujuͤngſthin aus ſeiner guͤte an-
getretenem neuen jahr auch ſeine neue gnade dermaſſen verleihe/ daß ſich
ſelbe
[345]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO II.
ſelbe taͤglich/ ja ſtuͤndlich/ auch uͤber Mhgl. Hr. kraͤfftig erneuern wolle/ ſo wohl in
mehrerem liecht und krafft des H. G. zu wachsthum des innern menſchen/ daran
uns gleich wohl alles gelegen iſt/ als folglich auch in denjenigen ſtuͤcken/ welche der
himmliſche Vater uns ſeinen armen kindern zu dieſes lebens auffenthalt noͤthig
erkennet. Ach der HErr HErr laſſe keinen tag vergehen/ der uns nicht zu der ſe-
ligen ewigkeit geſchickter und bereiteter mache/ und ſehe insgeſamt mit vaͤterli-
cher erbarmung ſein armes verſtoͤhrtes Zion an/ ſeine luͤcken wieder zu bauen/
und uns in der that zu zeigen/ daß er der ſeinigen noch nicht vergeſſen habe. Wie
er auch gewißlich thun/ und ſeine verheiſſungen nicht auf die erden fallen laſſen
wird. Es iſt freylich an dem/ wie Mhgl. Herr meldet/ daß ſich hin und wieder
liebe hertzen finden/ welche in allen ſtaͤnden um den ſchaden Joſephs bekuͤmmert
ſind/ und ſo wohl verlangen/ als darauf bedacht ſeyn/ wie doch ein und anderem
uͤbel moͤge geholffen werden. Und ſeye derſelbe verſichert/ es ſind ſolcher gu-
ten hertzen mehr/ als man haͤtte gedencken moͤgen. GOtt hat mir die gnade
gethan/ (welches auch faſt meine hoͤchſte freude iſt) daß in etlichen jahren mit ſo
vielen lieben leuten/ die hin und wieder/ der in dieſem/ der ander in jenem unanſicht-
barn/ ort ſtehet und ſteckt/ bekant worden bin/ ſo ſich ziemlichen theils aus einem
guten vertrauen an mich dieſe zeit uͤber adreſſiret/ da ich etwa ihren nahmen vor-
her nicht gewußt/ die aber durch brieffe ihren conſenſum unſer deſideriorum,
auch ihre fernere vorſchlaͤge und gedancken/ communiciret/ oder von mir eini-
gen troſt und rath verlanget haben. Und wie viel ſind derjenigen noch uͤber die-
ſe/ die andern noch gantz unbekant ſind/ und ſich damit vergnuͤgen/ daß ſie in
der ſtille zu GOtt ſeuffzen/ und ſeine huͤlffe erwarten? welcherley faſt allgemeine
bewegung der beſten gemuͤther und verlangen nach einem beſſern und der goͤtt-
lichen regel gemaͤſſern zuſtand/ gewißlich nicht von menſchen herkommen kan/
ſondern ich ſolche als eine goͤttliche wuͤrckung anſehe/ daraus aber/ daß die huͤlf-
fe des HErrn ſo weit nicht weg ſeyn muͤſſe/ ſondern ob zwar etwa mit noch
vorhergehenden ſchweren truͤbſalen und gerichten/ damit der HErr ſeine kirche
reinigen moͤchte/ ehender einbrechen werde. Alſo ſind gewißlich der ſeuffzen-
den eine ſtarcke anzahl/ dero ihre thraͤnen und gebet nicht unerhoͤret bleiben/ ſon-
dern vor den gnaden thron eintringen/ und von dem Vater der barmhertzigkeit/
was ſie ſehnlich nach ſeinem willen verlangen/ ohne zweiffel erhalten werden.
Es iſt aber ferner freylich an dem/ daß es auch nicht mangelt an einer groſſen
zahl derjenigen in allen ſtaͤnden/ welche von der beſſerung nichts hoͤren wollen/
ſondern alle gedancken ſo dahin gerichtet/ als eine neue ſectiriſche lehr in verdacht
ziehen. Die mittel/ deren ſich die feinde ſolcher ſache gebrauchen/ ſind offen-
barlich boͤß/ ungegruͤndete argwohn/ dero redliche und vernuͤnfftigen guͤltige ur-
ſachen man nicht zeigen kan/ offenbare calumnien, wider die liebe geſchehende
verdrehungen der wort/ verurtheilung unſchuldiger leute/ die man nicht gehoͤret
X xhat
[346]Das ſechſte Capitel.
hat und dergleichen. Jn allen ſolchen zeigt ſich einmahl derjenige Geiſt/ welcher
dem Geiſt Chriſti/ als einem Geiſt der warheit/ der liebe/ der aufrichtigkeit/
gerade entgegen ſtehet: und kan einmahl ſolcher auf dergleichen gruͤnden beru-
hender wiederſpruch/ ſo viel mehr/ weil ſolcher zu deſto mehrerem ſchaden
heimlich ſchleichet/ die gemuͤther hin und wieder einzunehmen/ daß diejenige/
welche angegriffen worden/ nicht wiſſen gegen wem oder auf was ſie ſich verant-
worten muͤſſen/ nicht von GOtt und goͤttlichem trieb herkommen. Hingegen
iſt ſo viel gewiſſer/ daß dann das werck aus dem HErrn ſeye/ dem man ſich mit
ſolchen mitteln/ die von GOtt nicht ſind/ entgegen ſetzet. Es muß gewißlich
der teuffel und fuͤrſt der welt einen mehrern ſchaden/ der ſeinem reich der gottlo-
ſigkeit geſchehen moͤge/ vor ſich ſehen/ als wir etwa glauben koͤnnen/ daß er ſeine
waffen ſo maͤchtig dagegen brauchet. Jch bedaure aber vornemlich dieſes/
daß nicht nur ſolche leut/ derer leben offenbar boͤſe iſt/ und alſo auch klar vor au-
gen ligt/ wie ihr eigen intereſſe erfordere/ zu hindern/ daß das falſche Chri-
ſtenthum und mund-glaube nicht an das licht geſtellet/ und des teuffels betrug
damit mehr geoffenbaret werde/ ſich der ſachen entgegen ſetzen/ ſondern hin und
wieder auch einige ſich einflechten laſſen/ die ſonſten gute intention haben/ a-
ber durch der andern vorgeben und mit fleiß hegende ſpargementen eingenom-
men/ ſich wider die liebe/ ſo den nechſten erſtlich druͤber hoͤren und nicht ſo bald
verdammen ſolte/ ſchwerlich verſuͤndigen/ ja in einen blinden eiffer wider un-
ſchuldige leute und eine gute ſache gebracht/ ſich demjenigen widerſetzen/ was ſie
ſonſten/ wo ſie nach Chriſti regeln die gedult gehabt/ die ſache mit vorſichtig-
keit und liebe recht zu pruͤfen/ ſelbſt wuͤrden gebilliget haben/ und ob wohl ſol-
cher leute ſuͤnde ſo ſchwehr nicht iſt/ als anderer boßhafftigen Feinde/ ſo iſt gleich-
wohl die ſache vor GOtt damit nicht entſchuldiget/ und ligt der ſchade/ den ſie
damit in hinderung des guten thun/ vor Gottes gericht auf ihrer verantwor-
tung. Sonderlich betruͤbt mich/ daß in der zahl ſolcher leute ſich auch per-
ſonen unſers ordens und ſtandes betreffen laſſen/ denen gleichwohl als Chriſten
und als Theologis, daher aus doppelter pflicht/ die befoͤrderung alles guten
oblieget. Jch erinnere mich aber dabey deſſen/ was vor 3. jahren ein beruͤhm-
ter Doctor Theologiæ und General Superintendens an mich geſchrieben/
daß er in ſeinem 27. jaͤhrigen geiſtlichen amt keine gifftigere feinde der gottſeligkeit
angetroffen/ die ſich allem guten dermaſſen widerſetzet haͤtten/ als diejenige die ſei-
nes ordens geweſen waͤren. Jſt warhafftig ein ſchweres gericht Gottes uͤber
unſere kirche/ aber ſolche leut ſtehen vor GOtt auch in einem ſehr gefaͤhrlichen
ſtande/ daß wohl billig eifferig vor ſie zu beten iſt. Was anlanget den nah-
men Spenerianiſmi, iſt mir hertzlich leid/ daß mein armer nahme hiezu miß-
brauchet werden ſolle/ der ich niemahl weder einiges ſchiſma intendiret ha-
be noch in einem einigen puncten von der bey der gantzen Evangeliſchen kirchen
auf-
[347]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO II.
aufgenommenen warheit abgewichen bin. Jſt ja betruͤbt/ da man allen de-
nen/ welche man als autores einer neuen Sect anziehen wollen/ gleichwohl et-
was gewiſſes benennen hat koͤnnen/ worinnen ſie irreten/ und von der warheit
abtreten/ daß mir dergleichen begegnen ſoll/ da man ja noch nicht einigen arti-
cul nahmhafft gemacht/ worinn mein Jrrthum ſtecken ſolle/ weniger die the-
ſes
ſelbſt gewieſen/ am allerwenigſten aber mich derſelben uͤberwieſen. Was die
jenige vorwuͤrffe anlangt/ die Mhhl. Hr. mir freundlich communicirt/ und
ichs vor eine groſſe wohlthat achte/ ja von allen dergleichen zugeſchehen wuͤn-
ſchete/ als verſichert/ daß dieſes der rechte eigendliche weg waͤre/ womit ich
mich retten koͤnte/ ſo dienet darauf folgendes 1. wegen der phraſeos,Jch bin
Chriſtus/
erkenne ich ſie gern/ daß ſie hart und ohne weitlaͤufftige explication
niemahln zubrauchen ſeye/ als die nicht anders/ als ein paradoxon mag ge-
achtet werden/ und das recht haben ſolle/ wie andere paradoxa, qvæ aliud in
receſſu habent, qvam qvod prima fronte promittunt.
Jch habe ſie auch
niemahl gebraucht als in allegirter predigt/ wo ich ſie ja ſo expliciret/ daß ich
nicht hoffe/ daß einiger Cordatus Theologus an der ſache ſelbſt wird mangel
finden. Daß ich aber ſolche auf die art gehandelt/ geſchahe wegen unſers lie-
ben Lutheri, dem von den Papiſten ſolche rede/ als eine gotteslaͤſterung/ zu-
geſchrieben wird/ und eben damahl ein ſchaͤndliches buͤchelein von einem Pa-
piſten ausgeſtreuet war worden/ worinnen in der præfation dieſe rede zu des
theuren Mannes grauſamer beſchimpffung und der ſchwachen irmachung durch-
gezogen worden; daher ich es nothwendig erachtet/ ſolche phraſin nach des
lieben Mannes ſinn oͤffentlich zu erklaͤren/ und zu zeigen/ wie es in einem
geſunden und heiligen verſtande alſo heiſſen moͤge: Nimmermehr aber daß ich
dieſe formul als eine conſvetam und ordentlichen lehrſatz getrieben/ oder daß
ſie insgemein eingefuͤhret wuͤrde/ begehrt haͤtte. Als der ſie ja ſelbſt nicht zu
brauchen pflege. Jch habe mich auch bereits vor anderthalb jahren genugſam
erklaͤret/ ſo zwar ohn mein wiſſen getruckt worden/ und ich ſo bald nur gelegen-
heit etwas zu ſchicken ſeyn wird/ ſolche blaͤttlein ſchicken werde. 2. Engellaͤn-
diſche Buͤcher
anlangend/ werde ich nie einige andere recommendirt haben
als folgende: praxin pietatis, und Sonthoms guͤlden Kleinod/ die ſo offt an
Lutheriſchen orten getruckt/ und von ſo viel herrlichen Theologis beliebt wor-
den: Baxters Selbſt-verleugnung/ welche ein vornehmer General Superin-
tendens
unſerer kirchen vertiret und trucken laſſen; So dann Dyke Selbſt-
betrug/ mit austruͤcklichem vorbehalt unterſchiedlicher Reformirter irthuͤme/
die darinnen ſeyn. Ohne dieſe hab ich ſelbſt mein lebtag meines entſinnens
nicht ein einiges Engliſches Theologi teutſchuͤberſetztes buͤchlein gantz gele-
ſen/ noch deßwegen andern recommendiren koͤnnen/ ob mir wohl unterſchiedli-
che dem nahmen nach bekant ſind/ und etwa davon geredet worden. Joſeph
X x 2Hallen
[348]Das ſechſte Capitel.
Hallen Henochiſmum, wolte ich ſelbſt vertiren/ wo man mir nicht zu Roten-
burg vorgekommen. Was Chriſtian Hoburgen anlanget/ habe ich keines
unter ſeinen ſchrifften weniger recommendiret als ſeine Poſtill/ in dem ich/
ob ich ſie wohl ſelbſt mein lebtag niemahl gantz durchleſen habe/ (welches ja
nicht unterlaſſen haben ſolte/ wo ich an den mann dermaſſen gebunden
waͤre) in keinem ſeiner ſcriptorum, die ich geleſen/ mehr angetroffen/
darinn ich vieles zu deſideriren habe/ und anſtoſſe/ als eben in derſel-
ben. Mein urtheil aber insgeſamt von ſeinen ſachen war allemahl die-
ſes/ es ſeye vieles gutes/ ſo ich ſo wohl zum unterricht und erlernung etwas/
das man nicht vorhin wiſſe/ und verſtehe/ alß vielmehr zur aufmunterung
und bewegung des gemuͤths dienlich iſt/ in ſolchem autore; da zu habe ich
vieles in ihm geleſen/ weiß auch daß andere (und dazu Chriſtliche) Theologi
ſich deſſen nuͤtzlich gebraucht. Nimmermehr aber wuͤrde ich alles in ihm ge-
billicht haben/ als der ich in ſo vielem mit ihm nicht eins bin. Ob aber Hoh-
burg alles deſſen ſchuldig ſeye/ was er in puncto Weigelianismi beſchuldigt
wird/ laſſe ich lieber andere ausmachen/ alß der ich mich in den ſtreit nicht le-
gen mag. Bin aber verſichert/ daß auch fromme ſeelen einige ſeine ſchriff-
ten mit vielen nutzen geleſen/ die allen denjenigen meynungen/ die er haben ſol-
le/ von hertzen feind ſind/ und was ſie in ihm geleſen/ in ſolchen verſtand nie-
mahl angeſehen oder angenommen haben ſondern in dem verſtand/ wie jegli-
ches dergleichen in lehr und redarten in der ſchrifft/ Luthero und Arndio be-
findlich iſt/ und ſie deßwegen keinen andern auch in jenem vermuthet/ noch ſich
beybringen laſſen; und lehren wir ja alle einmuͤthig/ daß wir alles zu pruͤffen
macht haben/ aber das gute behalten ſollen. Jch werde aber nimmermehr
einem einigen menſchen etwas von ſolchen ſchrifften auf getrungen oder per-
ſvadi
ret/ ja kaum etzlicher dieſelbe anders als wo davon gefragt worden bin/
auf dieſe weiſe recommendiret haben/ daß ſie mit bedacht/ u. in dem verſtand un-
ſerer offendlichen lehr/ angenommen und geleſen werden moͤchten/ da mans
nicht ohne nutzen leſen werde. Jch mag aber gar wohl leiden/ daß man ſolche
buͤcher gar aus den haͤnden lege/ wo nur die ſchrifft in fleißigem gebrauch blei-
bet. 3. Was die Commentarios uͤber die bibel anlangt/ wundert mich/ wo-
her ſolche Calumnia entſtanden/ da mir dasjenige niemahl zuſinne gekommen/
was mir geſagt wird. Zwar geſtehe ich gern/ daß ich den H. Geiſt vor den ei-
nigen ſolchen interpretem der ſchrifft halte/ der nicht irren koͤnne/ hingegen kei-
nen einigen alten oder neuen Autorem mir noch andern auftringen wuͤrde laſſen/
daß man demſelben muͤſte auf ſeine explication und commendation glauben.
Aber ich halte ſie vor ein ſehr dienliches hilffsmittel/ daß ich dieſelben leſen/ und
pruͤffen moͤge/ wie die erklaͤhrung dem wort und ſinn der ſchrifft beykommen/
entweder wo ich in meinem hertzen dadurch convinciret werde/ und ſehe/ daß
alles
[349]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO II.
alles mit dem text uͤberein komme/ und daraus flieſſe/ demſelbigen beyfall zu-
geben/ nicht deßwegen/ weil es eben dieſer oder jener Commentator alſo ſage/
ſondern weil ich ſelbſt in meinem hertzen alß durch ſolche erklaͤrung uͤberzeugt
befinde/ daß dieſes die meynung ſeye: oder wo ich ſolches nicht finden kan/ daß
ich alßdann auch nicht dran gebunden ſeyn muͤſte. Es iſt freylich der H. Geiſt
derjenige/ auß deſſen erleuchtung wir alles noͤtige verſtehen muͤſſen lernen/ und
denſelben habe ich hertzlich anzuruffen daß er mir den verſtand und hertz zur er-
kaͤntnis ſeines worts und warheit oͤffnen wolle/ aber derſelbe hat auch in vielen
lieben leuten/ die Comentarios geſchrieben/ ein herrliches licht gegeben/ daß mir
ihre erklaͤrung durch ſeine gnade ein und anders in der ſchrifft zu weilen zeigen
kan/ welches ich ohne ſie vor mich allein nicht wuͤrde gefunden haben. Aber ich muß
ihre explicationes nicht vor authenticas halten/ ſondern daß ich ſie annehme u.
ſahren laſſe/ je nach dem ich ſie ſelbſt in meinem hertzen finde. Dieſes iſt meine lehr
allezeit davon geweſen; die ich ja hoffe/ daß ſie von keinem widerſprochen werden
moͤge/ der unſere Evangeliſche confeſſion recht gefaſſet hat. Jch leſe ſelbſt die
wenige Commentarios, die ich habe/ wo ich einen text tractire/ und ligt mir
Flacii gloſſa allezeit zur ſeiten/ ſo werde ich auch ſtets Harmoniam Chemni-
tio-Gerhardianam
gebrauchen. Daß ich aber etwa ein und andermahl auch
moͤchte uͤber die Commentarios geklagt haben/ daß man offt wenig hilff da-
von habe/ ſondern wo einige ſchwere ort zu tractiren ſind/ nach vielen aufſchlagen
eben ſo ungewiß ſeye alß vorhin/ wolte ich nicht in abrede ſeyn; wie es auch die
offenbahre warheit iſt. Studioſos Theologiæ/ welche etwa predigen wollen/ errin-
nere ich gemeiniglich dahin/ daß ſie nicht zu erſt Commentarios uͤber ihre text leſen/
ſondern erſtlich denſelben ſelbſt mit den antecedentibus und conſeqventibus
fleißig erwegen/ und aus demjenigen/ was ſie durch GOttes gnade finden/ eine
diſpoſition ihnen machen/ und alſo dabey die eigne gedancken auf zeichnen ſol-
len. Nachmahlen moͤchten ſie Commentarios leſen/ und ſehen/ was dieſelbe
druͤber haben/ kommen ſie mit ihnen uͤberein/ ſo freuet ſie ſo vielmehr/ daß ſie
dadurch bekraͤfftiget werden/ was ſie ſelbſt gefunden haben/ gehen ſie ab von
ihnen/ ſo erwegen ſie die ſach beſſer/ ob ſie vielleicht in ihren eigenen gedancken
moͤchten gefehlet haben: finden ſie weiter unterricht/ ſetzen ſie es bey/ und machen
alßdann in GOttes nahmen ihre predigt/ damit gewehnen ſie ſich/ daß ſie das
judicium ſchaͤrffen/ und nicht mehr begehren zu predigen/ was dieſer und je-
ner ſage/ daß es Gottes wort ſeye/ ſondern ſie ſelbſt warhafftig erkennen/ daß
es mit der warheit Gottes uͤberein komme; dahingegen die jenige/ welche nur
uͤber den Commentariis ligen/ und derer einige arbeit iſt/ aus denſelben aus
zuſchreiben/ entlich nur knechte anderer menſchen und gantz faul werden/ etwas
ſelbſt zu unterſuchen/ welches doch des gewiſſens gewißheit haben will. So
rathe ich den gebrauch der Commentariorum alß nicht bloſſer dinge noͤthig;
X x 3(dann
[350]Das ſechſte Capitel.
(dann wer wolte den einfaͤltigen und armen ſonſten helffen?) aber wo ſie ver-
nuͤnfftig gebrauchet werden offtmahl ſehr nuͤtzlich. Und wie kan ich die Com-
mentarios
bloß dahin verwerffen: der ich ſo viel jahr habe helffen mit arbeiten
an einem Commentario aus Lutheri ſchrifften/ allein mit ſeinen eigenen wor-
ten gezogen uͤber die gantze bibel/ welcher daß er noch nicht getruckt/ durch an-
dere umſtaͤnde verhindert worden. Alſo auch/ der ich hoffe nicht die geringſte
urſach und antrib zu ſein/ daß Hr. D. Schmid jetzo ſeinen Commentarium in
Epiſt. ad Heb. ediret/ warum ich nebenſt andern inſtaͤndig gebeten/ und von
ihm den verſpruch vor etlichen jahren erhalten habe/ auch noch mehr von ſol-
chem mann verlangte heraus zukommen/ wo er ſich nur uͤberreden lieſſe. Auß
welchem allen klar iſt/ wie ungluͤcklich mir mit ſolcher auflage geſchehe. Jch
hoffe aber es ſeye etwa auch in einer vor einen jahr getruckten vorrede dieſem ein-
wurff etwas begegnet worden/ der ich mich mit eheſter gelegenheit zuſchicken
nicht ermangele. Was das 4. anlanget/ daß man den leuten von auſſen
moͤge anſehen die Chriſti Geiſt empfangen haben/ oder deſſen faͤhig
ſind/
iſt ja eine ſolche laͤſterung/ daß ich faſt nicht weiß/ ob ich uͤber den urhe-
ber derſelben/ ſo mir ſolches vorgeben beygemeſſen haben mag/ beſchwehren
oder druͤber lachen ſoll. Man wolle dann etwa dieſes ſagen/ daß Gottſeli-
ge hertzen/ die ihrem GOtt fleißig zu dienen und ihr Chriſtenthum zu beobach-
ten ernſtlich reſolviret haben/ ſich beſtreben/ daß ſie in allem euſſerlichen/ in
kleidern/ geberden/ worten und gantzem leben nicht zwar etwas ſonderliches af-
fectir
en/ welches von der wahren Gottſeligkeit fern iſt/ aber ſich gleich wohl al-
ſo beſcheiden/ eingezogen und demuͤtig anſchicken/ daß man auch euſſerlich an
ihnen ſehen koͤnne/ daß ſie ſich nicht dieſer welt gleich ſtellen: ob ſie wohl dieſes und
einigen ſchein deßwegen damit nicht ſuchen/ ſondeꝛn weil es natuͤꝛlich iſt/ daß das je-
nige/ was in dem hertzen iſt/ ſich auch ungezwungen in dem euſſerlichen zeige. Aber
ob man wohl eine euſſerliche modeſtiam und demuth bey einem menſchen
ſihet/ halte ich doch ſolches weit nicht vor ein gewiſſes zeichen/ daß ein ſol-
cher menſch den Geiſt GOttes habe; dann es mag ein heuchler ſolches leicht/
ſonderlich eine zeitlang/ nachohmen: Jedoch mags eine gute vermutung
geben/ wo das uͤbrige leben mit ſolchen geberden einſtimmig iſt. Aber das
bekenne ich gern/ daß ich a contrario wohl mit recht ſchlieſſen kan/ wo ich hin-
gegen hoffaͤrtige kleider/ geberden/ leichtfertige hoͤniſche minen und derglei-
chen ſehe/ daß ſolches die art rechter Chriſten nicht ſeye: und ſo fern moͤch-
te man ſagen/ daß mans einem euſſerlich anſehen moͤchte/ was er ſeye.
Jſt aber eine ſache/ die ich nicht allein ſagen werde/ ſondern alle verſtaͤndige
zu beyſtimmern hoffe: Als welches eben dasjenige iſt/ was Sirach lehret 19/
26. 27. Was 5. anlangt/ daß ich inconſvetas und Weigelianiſmum ſapientes
phraſes
gebrauche/ kan ich nicht antworten/ ich wiſſe dann dieſelbe/ welche
davor
[351]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO II.
davor angegeben worden. Jch bin mir keiner etwas wichtiges in ſich faſſen-
den phraſeos bewußt/ die nicht vor mir unſer l. Lutherus und Arndius ge-
braucht. Das Collegium pietatis 6. muß vergebens angegriffen werden.
Wuͤrden einige ſonderlinge/ ſo wuͤrden ſie es gewiß nicht aus demſelbigen/ und
moͤchte ſo wohl die ſchuld demſelbigen/ als den oͤffentlichen predigten/ darein ſie
auch gehen/ zugeſchrieben werden; dann je keine propria darein gelegt werden
zu etwas anders/ als in den predigten auch getrieben wird. Jedoch dem
HErrn ſey danck/ daß ich noch nicht einen einigen weiß/ der aus oder ohne ſchuld
des Collegii ein ſonderling worden waͤre: Man wolte dann dieſes ſonderlinge
heiſſen/ die ſich ein gewiſſen machten/ ohne noth in ſolcher geſellſchafft/ wo ſie
wiſſen daß es eben nicht ohne viele uͤppigkeit zu zugehen pflegt/ ſich einzufinden;
oder wo ſie in ſolcher ſind ſich mit freſſen und ſauffen/ unnuͤtzen geſchwaͤtz und
dergleichen froͤligkeiten/ die die welt vor nicht unrecht achtet/ aber ein Chriſt/
welcher weiß/ daß er GOtt vor alle ſtunden ſeines lebens und gebrauchung ſei-
ner glieder rechenſchafft geben muß/ ihm nicht erlaubt befindet/ ohngeſcheuet
mit zumachen: Dere ſich vielleicht moͤchten durch Gottes gnade einige antref-
fen laſſen/ die ſich von der welt unbefleckt zu halten trachten. Jch weiß aber
niemand/ der nicht/ wo er unvermeidliche urſachen und particular-obligatic-
nen
gehabt/ daß ſeine gegenwart vor noͤthig geachtet worden/ auch ſo gar bey
ſolchen zuſammenkuͤnfften ſich eingefunden haͤtte wo er gewußt/ daß es ohne uͤ-
bermaß nicht hergehen wuͤrde/ aber alsdann ſo viel ſorgfaͤltiger ſeiner ſelbſt
wahrzunehmen noͤthig iſt. Es iſt aber nichts neues/ daß was nicht mit der
welt mitmachet/ ſonderlinge heiſſen ſollen/ und wuͤrde mir hertzlich lieb und
eine groſſe gnade Gottes ſeyn/ wofern ich dergleichen ſonderlinge viel machen
koͤnte. Es iſt dieſes die alte klage Weißh. 2/ 12. 15. dero man ſich nicht zu ver-
wundern. Daß einige ſich ordentlichen aͤmtern entziehen/ iſt dieß das erſte
wort ſo ich hoͤre/ wie ich dann noch kein exempel eines einigen geiſt- oder welt-
lichen weiß/ der ſich entzogen und reſigniret haͤtte. Wo es aber einer thaͤte/
wuͤrde ich ihn etwa noch nicht alſobald condemniren/ wann ich der gegenwaͤr-
tigen zeit und aͤmter beſchaffenheit betrachte/ welche aͤngſtlichen gewiſſen wohl
ſolte zuweilen die welt eng genug machen. So weiß ich auch kein exempel/ daß
einiger ſeinen ſpecial-beruff deßwegen verlaſſen haͤtte. Ein einiger Juriſt iſt
mir bekant/ welcher weil er mit rechts-proceſſen allzuſehr uͤberhaͤufft/ und mit
ſorgen derſelben ſo eingenommen worden/ daß er klagte/ daß er faſt nicht mehr
recht an GOtt und ſeine ſeel davor habe dancken koͤnnen/ hat ſo wohl deßwe-
gen als wegen ietzigen zuſtandes/ der ſich faſt aller orten bey dem juſtiz-weſen
befindet/ da ſich Advocati ſo ſchwerlich der gemeinſchafft der ſuͤnden enthal-
ten koͤnnen/ ſolche proceſſe auffgegeben/ dienet aber nichts deſtoweniger
GOtt
[352]Das ſechſte Capitel.
GOtt und dem nechſten/ und zwar in ſeiner jurisprudenz, mit rathen/ ja auch
offt mit ſchrifft machen und dergleichen proceß-ſachen/ wo er ſein gewiſſen
nicht zu verletzen ſiehet. Wer will hier in etwas ſtraffen? So weiß ich auch
niemand/ der den oͤffentlichen gottesdienſt hindanſetzte/ als wo zu unſer mini-
ſterium
nicht ſchweigen wuͤrde. Was von dem verſtehen der ſchrifft/ und
dero dunckeln ort/ auch daher fangender grillen vorgeworffen wird/ mag
mein Collegium nicht betreffen/ ſondern waͤre ein mißbrauch der promiſcuæ
lectionis ſcripturæ,
welche gleichwohl bißher unſere kirche ohn bedencken allezeit
gegen die Papiſten/ welche dergleichen einwuͤrffe machen/ behauptet hat.
Vielmehr wuͤrde mein Collegium dazu dienlich ſeyn/ daß jemand/ der eini-
gen ſcrupel in privata lectione gefaſſet/ daſelbſt unterricht einhohlen koͤnte.
So ermahne ich ja alle meine Auditores publicè und privatim, daß ſie die
ſchrifft zwar fleißig leſen/ aber ſich ja nicht an die obſcuros locos machen ſol-
ten. Wir haͤtten alle noch eine ziemliche zeit zu thun/ daß wir daßjenige/ was
wir aus den deutlichen orten der ſchrifft gelernet/ practicirten/ biß wir hoͤhere
dinge zu faſſen tuͤchtig werden moͤchten. Goͤttliche ordnung ſeye dieſe/ daß
GOTT demjenigen/ der da hat/ und ſolches recht anwendet/ mehr geben
wolle. Ja es haben ſich andere in dem gegentheil daran ſtoſſen wollen/ daß
ich rathe/ man ſolte zu erſt die ſchrifft alſo leſen/ daß man ſich bey keinen eini-
gen ort lang auf halte/ der nicht alſobald klar und deutlich ſeye/ und aber ſo
bald emſig ſeyn/ ſolche erkaͤntnuͤs zu GOttes ehre danckbarlich an zuwenden:
ſo wuͤrde man alß dann finden/ daß in der andern/ dritten u. ſ. f. durchleſung/
ſich manches/ nach dem man geuͤbte ſinne bekommen/ von ſelbſten ergeben wer-
de/ was ſonſten obſcur geweſen/ und man mit aller bemuͤhung anfangs nicht
haͤtte faſſen koͤnnen. Jn ſumma alles dieſes betraͤffe wie gemeldet nicht das
Collegium privatum, ſondern die freyheit/ daß jederman die ſchrifft zuleſen
befugt ſeye; Verbleibet alſo nichts uͤbrig/ daß aus meiner ſache einiger weder
Fanatiſmus noch Phariſaiſmus folge. Und wolte ich nur wuͤnſchen/ daß ſolche liebe
leute in eine ſeele ſehen moͤchten/ die ſich ihren GOtt rechtſchaffen aufzuopffern
reſolviret hat/ und in ſolche ordnung und uͤbung getretten iſt/ ob ſie nicht
mehr demuth in dero grunde ſehen wuͤrden/ alß bey ſo vielen derjenigen/ welche
dieſelbe eines geiſtlichen hochmuts beſchuldigen. Dann je mehr ſie ſich an-
greiffen/ je mehr werden ſie deß bey ſich befindenden greuels und verderbnuͤs
gewahr/ und zeigt ihnen die reichere gnade hinwider ihre untuͤchtigkeit ſo viel
nachtruͤcklicher/ alß ſie den unterſcheid und Goͤttlichen wuͤrckungen und ihres
fleiſches bewegungen haben lernen erkennen. Was 7. meine nachfolger
anlangt/ ſo wuͤnſche ich nur/ daß man Hr. Wincklers tractaͤtlein von den
einzelen zuſammenkuͤnfften
uͤber Hr. KriegmannsSymphoneſin leſen
moͤge/
[353]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO II.
moͤge/ ob nur das geringſte darin zu finden/ das nicht von allen rechtſchaffenen
Theologis muͤſte zugeſtanden werden/ ſo gar daß Hr. D. Menzer/ welcher uͤ-
ber Hr. Kriegsmanns Symph. ſo hefftig geeiffert/ wieder dieſes Scriptum, da-
rinnen Hr. Kriegsmanns meynung deutlicher erklaͤret/ und dem unrechten ver-
ſtand oder meynung begegnet worden/ nichts zu excipiren gefunden ohne daß
er ſich gegen ſeine Fuͤrſtin uͤber die præfation, darinnen er angezaͤpfft waͤre/
und alſo uͤber perſonalia/ beſchwehret. Daß einige privat-zuſammenkuͤnffte von
Goͤttlichen dingen nach Chriſti befehl noͤtig ſeyen/ hoffe ich/ werde abermahl nach
reiffer erwegung kein Theologus zubeſtreiten vermoͤgen/ er wolle dann alle hauß-
vermahnungen/ alles gebet das man in haͤuſern mit einander thut/ alle privat-
beſtraffungen alles beſuchen der krancken da von Goͤttlichen dingen gehandelt
wird/ vor unnoͤthig achten. Alſo bleibet freylich das Genus der privat-zu-
ſammenkuͤnfften geboten/ aber daraus laͤſſet ſichs nicht ſchlieſſen/ dieſe und je-
ne ſpecies, wohl aber ein und andere iſt noͤtig. Wer aber wolte ſchlieſſen/ daß
ſchlechter dings nothwendig und Matth. 18. gegruͤndet ſeye/ daß Chriſten zu ge-
wiſſen zeiten/ an gewiſſen orten/ deſtinata opera, muͤſten zuſammen kommen/
und wie mans nennet Collegia halten/ der gienge freylich zuweit/ und wird
weder ich noch Hr. Winckler jemahls dieſes ſagen. Sondern das genus hal-
ten wir geboten/ von jeder ſpecie zeigen nochmahl die umſtaͤnde/ wo dieſe o-
der jene art noͤtig und nuͤtzlich/ oder wohl auch zu weilen nicht nuͤtzlich waͤre. Hr.
Horb. mag wohl leiden/ daß von weltlichen dingen geredet werde/ aber wo es
ſolche ſachen ſeyn/ die nuͤtzlich und noͤtig ſind/ und alſo ob nicht zum geiſtlichen
doch weltlichen beſten etwas dienen moͤgen Welche regel aber/ die einmahl
Chriſtlich und Apoſtoliſch/ den groͤſten theil der gemeinen diſcurſen beſchaͤ-
men wird/ die wo ſie recht erwogen werden/ nichts als eine zeit-vertreib
geweſen/ und wo etwa auch einige heydniſche Philoſophi ſolten die zeit nuͤtzli-
cher angewendet zu werden verlangen tragen: wie vielmehr wir Chriſten/ die
wir von der rechnung wiſſen/ welche wir uͤber die unnuͤtze wort geben ſollen.
Ob er allemahl zeit und gelegenheit ſo kluͤglich unterſchieden habe/ wo er mit
jemanden geredet/ und zu dem guten vermahnet/ kan ich ſo præciſe nicht ant-
worten/ der ich nicht dabey bin. Wo aber exempel angefuͤhret wuͤrden/ bey
was gelegenheit und perſonen ein ſolches geſchehen waͤre/ ſo doͤrffte vielleicht/
wo man ihn daruͤber hoͤrete/ ſich dieſes geben/ daß er wohl nicht nach den re-
geln der weltlichen hoͤfligkeit und wie ſie das πρέπον in acht genommen haben
will/ gehandlet/ ſolte aber wohl in dem 2. Tim. 4/ 2. ἐυκαίρως, ἀκαίρως des
Apoſtels mit begriffen ſein. So dann dahin gehoͤren wie der Apoſtel ſagt. 2.
Cor. 5/ 13. thun wir zu viel ſo thun wirs GOtt. Es laͤſſet ſich aber hie-
von nicht wohl reden/ wo man nicht die facta und diſcurſus ſelbſt vor augen
Y yhat.
[354]Das ſechſte Capitel.
hat. Was Hr. NN. anlanget/ weiß ich von ſeinen Straßburgiſchen actio-
nen nichts/ das ſich nicht etwa mit andern exempeln von ſolchen leuten/ die in
tieffer melancholia geſteckt/ belegen ließ/ und etwa beruͤhmten Theologis eini-
ge dergleichen zuſtaͤnde zuweilen zugeſtoſſen ſind. So hat er/ alß er von
Straßb. hieher kam/ ehrliches zeugnis gehabt in ſchreiben/ da zwar ſeines zu-
ſtandes meldung geſchehen/ aber liebes zeugnis ſeiner pietaͤt ihm gegeben wor-
den. Und wie ſolten ihn die Argentoratenſes eine predigt haben offerirt, alß
ein mittel/ wodurch das von ihm etwa erſchollene geſchrey moͤchte koͤnnen ge-
daͤmpffet werden/ wo ſie ihn pro fanatico gehalten/ ob wohl ſein damahliger
zuſtand und angſthafftigkeit ihm ſolche zu halten nicht zugelaſſen hat? Und
wie dem allem/ ſo iſt alle freundſchafft zwiſchen ihm und mir erſt nach ſeiner
Straßburgſchen zuruͤckkunfft gemacht worden/ vorher aber er weder in kund-
ſchafft mit mir geſtanden/ wie er mir auch nie vorhin wird zugeſchrieben ha-
ben/ noch jemahl in mein Collegium gekommen. Waͤre alſo etwas ver-
daͤchtiges an ihm geweſen/ ſo waͤre ich nicht deſſen urſach und moͤchte mir nichts
deſſelben imputiret werden. 8. Daß an dem tag ſein ſolle/ daß viele von mei-
nen nachfolgern/ ſich in Holland ſolten verfuͤgt haben/ iſt eine ſo klare und
offenbare unwarheit/ daß ich mich der kuͤhnheit deß jenigen wundere/ wer ſie
mag erdacht haben. Jch weiß unter allen meinen bekanten/ die nur einigerley
maſſen meine nachfolger (von denen ich gleichwohl auch nicht weiß/ alß der ich
keine ſecte mache) ſcheinen moͤchten/ nicht mehr alß zwey/ deren der eine ein
Kauffman/ ſeiter er hie wohnet einmahl in Holland ſeines weinhandels wegen
gereiſet/ wie er vorhin mehrmahl von Trarbach aus gethan/ der ander aber
ein Studioſus Theologiæ, der nach ſeinen ſtudiis Academicis luſt hatte in die
frembte zu reifen/ und in Holland von dar in Engelland und Franckreich gereiſet
iſt/ und auf 2. jahr zu ſeiner reiſe angewendet hat/ jetzo aber in Teutſchland
noch reiſet. Von dieſem wurde/ weil er aus Darmſtatt/ und Hr. D. Men-
zer
nicht wohl auff ihn zuſprechen geweſen/ ſpargiret/ daß er in Holland ge-
reiſet/ ein Qvacker zuwerden/ wie mir ſelbſt ein Profeſſor von Gieſſen derglei-
chen geſchrieben hatte. Jch habe ihm aber nicht allein aus ſeinen brieffen an
mich damahl gar ein anders weiſen koͤnnen/ ſondern alß er wiederum herge-
kommen/ hie/ in Darmſtatt und in Gieſſen ſich eine gute zeit aufgehalten/ iſt
offenbarlich an den tag gekommen/ wie falſch alles geruͤchte/ und wie boß-
hafftig der verdacht geweſen. Wie ich ja noch niemahl gehoͤret/ daß Studioſis
Theologiæ
an ſolche frembde ort zureiſen ſolte verboten ſein. Warum dann
eben denjenigen allein/ die mit mir bekant worden ſind? Aus dieſem allem ſie-
het Mhgl. Hr. den ungrund deß jenigen/ was mir entgegen gehalten wird/ und
ob ers wohl vor ſich nicht bedarff/ alß von dem vieles andern gemuͤths un-
zweif-
[355]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO II.
zweiffentlich verſichert bin/ mags doch etwa dienlich ſein/ ſo viel gruͤndlicher
den jenigen begegnen zu koͤnnen/ wo in diſcurs dergleichen vorkommen ſolte/
und es dienſam erachtet wuͤrde/ etwas zu antworten. Jch wende mich nun
zu dem Sendſchreiben. Anfangs bekenne gern daß ich noch nicht begreiffe/
waß p. 26. nur moͤge ein ſchein deß boͤſen haben: Sinds die wort/ welchen
die gnade Gottes weit in der heiligung gefuͤhret;
ſo finde ich nichts/ da-
ran ich nur anſtehe. Es iſt ja die gnade GOttes/ von dero alle heiligung
herkommet; ſo hat die heiligung ihre gradus/ und muß man immer darin-
nen weiter zunehmen. Und was iſts anders/ was der Apoſtel ſagt 1. Theſ. 4/ 1.
Daß wir immer ſollen voͤlliger werden: und zwar ſolches v. 3. in der
Heiligung.
So iſts ja moͤglich/ in der heyligkeit weit gefuͤhret zu werden/ ob
wir wohl nicht zu dem hoͤchſten grad der vollkommenheit annoch gelangen moͤ-
gen; jedoch zu einiger vollkommenheit/ die denn anfaͤnglingen Hebr. 5. entgegen
geſetzet wird. Daß ſolche leute immer demuͤthiger werden/ hoffe ich auch nicht/
daß es moͤge geleugnet werden/ wir wolten dann glauben/ die demuth ſeye keine
tugend/ daran wir mit groſſen fleiſſe lernen muͤſten. Jch bleibe ferner darbey/
daß p. 29. die objectiones kurtz und kraͤfftig abgelehnet ſeyn 1. Ob ich den
glauben die krafft ſeelig zumachen entzihe?
So iſt mir das geringſte deſ-
ſen von einigen menſchen nie gewieſen worden/ da ich doch ſo gar die alleinigkeit
deß glaubens in der rechtfertigung glaube und behaupte/ daß ich keine formul,
die dieſelbe deutlich genug vorſtellete/ und mir vorgeſchrieben werden moͤchte/ auß
ſchlagen wuͤrde. Daß ich p. 29. dem glauben zwo Haͤnde gebe/ geſtehe ich; will je-
mand ſich an der art zu reden ſtoſſen/ mag ich ſie wohl außlaſſen; ich hoffe aber
nicht/ daß jemand deſſen urſach habe. Jederman ſiehet/ daß es eine figurliche gleich-
nuͤsrede ſeye/ und heiſſet die hand ſo viel/ alß eine krafft/ oder amt/ und ver-
richtung des glaubens. Nun wer will zweiffeln daß nicht der glaube zweyerley
aͤmter und kraͤften habe (man nenne ſie jetzt haͤnde/ oder wie man will) daß nemlich
derſelbe uns ſelig machet und alſo Chriſti verdienſt ergreifft/ darnach daß er zur
danckbarkeit ſich Gott wiederum gantz zum gehorſam gibet. Wie auch D. Dannh.
Hodoſ. Phœn. XI. p. 1259.
in der definit. deß glaubens dieſe wort nach einander
ſetzet ſalutaris viva ac fructuum fæcunda, ſola juſtifica \& ſalvifica, da ſtehet die
eine deß glaubens krafft in den worten ſalutaris ſola juſtifica \& ſalvifica: die
andere in den andern/ viva ac fructuum fæcunda. Wie ich auch nicht weiß
ob jemahl einiger Theologus dieſes doppelte amt oder krafft deß glaubens
werde in zweiffel gezogen haben. Da gilts aber nicht ſagen/ qvod opera,
oblationis ſc. ſuimet, læva ſalutis conſtitui
ret werde/ und alſo damit fidei
nimir. ſalvificæ
daßjenige entgehe/ was jener attribuiret werde. Dann wo
ſage ich/ daß die opera ſeyn læva ſalutis: ſondern ich ſage/ læva manus fidei:
Y y 2Wel-
[356]Das ſechſte Capitel.
Welcher glaube allein ſelig mache/ wie meine wort daſelbſt klar ſtehen/ aber
ohne dieſelbige ſeligmachende krafft auch eine gutes wuͤrckende krafft in ſich
habe/ und ſolche durch die wercke ſich hervor thue. Daß ich nicht wuͤſte/ wie
ich die beyde verrichtungen/ die undiſputirlich ſich bey dem glauben finden/
deutlicher haͤtte underſcheiden koͤnnen: daß ich die wercke ſo gar nicht alß eine
miturſach der ſeligkeit angebe/ daß ich ſie vielmehr alß eine wuͤrckung des
glaubens ruͤhme/ welcher ſchon mit der rechten hand (ohne dieſer zuthun) das
heil ergriffen und erlanget hat; alſo gar daß die wercke vielmehr ein ſtuͤck und
theil unſerer ſeligkeit ſind/ alß auf einigerley weiſe deroſelben gantze oder mit-
urſach. Jch komme 2. auf die andere objection, daß ich ſelbſt bekenne/ daß ich
das ſtudium ſanctimoniæ weit eifriger treibe/ alß den glauben/ und alſo den
fruͤchten mehr als dem glauben zulegte. Jch weiß aber nicht/ wo ich jemahl
ſolches bekant haben ſolle/ auf dergleichen vorbringende art und abſolute.
Aber ſo mag ich wohl ſagen/ daß bey unſern leuten/ die ohne das in dieſer theſi,
daß der glaub allein ſelig mache/ alſo gegruͤndet/ daß dieſelbe bey ihnen weiter
befeſtiget zu werden/ nicht bedoͤrffen/ nicht eben noͤtiger ſeye von dem ſtudio
ſanctimoniæ
mehr zuhandlen alß von dem glauben/ ſondern daß es bey ih-
non weit noͤtiger ſeye/ zu zeigen/ welches dann der rechte wahre ſeligmachende
glaube ſeye/ damit ſie nicht ein hirngeſpenſt vor den glauben halten/ der doch
allein eine wuͤrckung des H. Geiſtes in den bußfertigen iſt/ alß ihnen nur von
der ſeligmachenden krafft des glaubens zu predigen/ welche lehr ſie/ alß lang
ſie nicht wiſſen und verſtehen/ was der glaube ſeye/ nicht anders koͤnnen alß
unrecht und zu ihrem ſchaden verſtehen. Haͤtte ich ſolche leute vor mir/ wel-
che den wercken das wenigſte zu ſchreiben/ und etwas dem allein ſeligma-
chenden glauben entziehen wolten/ ſo wuͤſte ich auch auf dasjenige abermahl
am ernſtlichſten zu treiben. Jch beruffe mich in dem uͤbrigen auf den au-
genſchein ſelbſt/ waß mein methodus zu predigen ſeye/ ob ich darin mehr
von wercken oder glauben predige: Ja ob nicht alles mein predigen haupt-
ſaͤchlich allein auf den glauben gehe/ und allemahl auf einer ſeiten ihme ſeine
theuere guͤter der ſeeligkeit/ die er ergreiffen ſolle/ vorſtelle/ auf der andern ſei-
ten aber ihme auch gleich den ſpiegel vorhalte/ woran er erkennen koͤnne/
ob er ſeye/ was er zu ſein den nahmen haben will/ oder ob er ſich ſelbſt be-
triege. Jch habe ja deutlich p. ſo aus getruckt/ was mein gantzes hauptwerck
ſeye/ was ich unaufhoͤrlich vortrage: Nemlich nicht die wercke/ ſondern Chri-
ſti tod und aufferſtehung/ und ſolches auf zweyerley art/ wie ſie uns 1. verge-
bung der ſuͤnden und das Heil gebracht haben; dieſes iſt alſo der glaub/ wie er
ſelig machet: aber ſolches nicht nur allein/ ſondern 2. wie wir in die gemein-
ſchafft derſelben kommen/ und alſo mit Chriſto der ſuͤnden abſterben hingegen
war-
[357]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO II.
warhafftig in das leben der gerechtigkeit eintreten muͤſſen. Da ſage ich
drauf/ daß ich an ſolchem articul (nemlich wie uns der tod und aufferſtehung
Chriſti die ſeligkeit ſeye/ und uns auch heilige) am meiſten arbeite. Das
heiſſet aber nicht nur vornemlich an dem ſtudio ſanctimoniæ treiben/ ſon-
dern glauben und deſſen fruͤchten/ wie es nach Goͤttlicher ordnung ſein ſol-
le/ mit einander treiben/ und ſie nicht laſſen von einander getrennet werden/
unterdeſſen einem jeglichen ſeine ſtelle und ordnung geben. Jch laſſe auch
die conſeqvenz nicht gelten/ wer mehr wort machte von dem Gottſeligen leben
alß von dem glauben/ der legte den wercken mehr zu/ alß dem glauben;
in dem wir damit nicht nur Jacobum hart beſchuldigen wuͤrden/ welcher in
ſeiner Epiſtel/ da ers mit leuten zuthun hatte/ bey denen der grund des glau-
bens gelegt war/ und ſie davon genugſam unterricht hatten/ aber ſich ſolcher
lehr anfingen zu mißbrauchen/ das meiſte mit treibung auf die fruͤchte zu-
bringt/ ſondern eben ſo wohl Johannem/ den dem HErren ſo liebſten Juͤn-
ger: Da gleichwohl/ wo wir ſeine guͤldene Epiſtel leſen/ derjenigen wort/ dar-
mit er auf die heiligung treibet/ oder dero kennzeichen lehret/ auch derſelben
nutzen anzeiget/ viel mehr ſind/ als womit er die ſeligmachende krafft des
verdienſtes Chriſti und des glaubens preiſet. Wer wolte darum ſagen/ daß
dieſer theuere Apoſtel den wercken mehr als dem glauben beygeleget haͤtte?
Ja man rechne die reden Chriſti/ die er in ſeinen predigten an das volck ge-
than/ wovon der HErr mehr wort gemacht habe/ von dem glauben an ihn
und der darauß erlangenden ſeligkeit/ oder von dem leben? und doch hat er
darum den wercken nichts von der ſeligkeit zugeſchrieben. So kan mir ja
nicht beygemeſſen werden/ daß ich in ſalutis acqvirendæ negotio den wer-
cken mehr als dem glauben zuſchreibe/ weil ich ja von unſerer ſeiten den glau-
ben/ und zwar wie er den wercken allen/ ſie ſeyn innerlich oder euſſerlich/ ent-
gegen geſetzet wird/ vor das einige mittel der ſeligkeit zuerlangen erkenne und
lehre/ und den wercken in der erlangung der ſeligkeit nicht nur nicht mehr
ſondern gar nichts zuſchreibe. Was die dritte beſchwerde anlanget/ daß
die phraſisin der krafft bey uns zu ſein/ambigua waͤre: cum aliud ſit,
apprehenſive meritum Chriſti animis inculcare, aliud imitative ut Chri-
ſtum in vita repræſentent.
Jch ſehe aber nicht/ wie mir ſolches entgegen
ſtehe: Jch ſage/ daß Chriſti verdienſt nicht nur muͤſte in bloſſen gedancken/ ſon-
dern in der krafft bey uns ſein. Soll dieſe phraſis falſch ſein/ ſo iſt die con-
tradictoria
war: das verdienſt Chriſti mag in bloſſen gedancken/ und bedarff
nicht in der krafft bey uns zu ſein. Ob ſich nun jemand zu ſolchem ſatz be-
kennen wuͤrde/ zweiffele ich ſehr. So iſt dann jene propoſitio wahr. Waß
ich von den bloſſen gedancken ſage/ habe ich aus Luthero in der mehrmahl an-
Y y 3ge-
[358]Das ſechſte Capitel.
angezogenen vorred uͤber die Epiſtel an die Roͤmer: Wann ſie das Evan-
gelium hoͤren ſo fallen ſie daher/ und machen ihnen auß eigenen
kraͤfften einen gedancken im hertzen/ der ſpricht/ ich glaube/ das hal-
ten ſie dann vor einen rechten glauben. Aber wie es ein menſchliches
gedicht und gedancken iſt/ den deß hertzens grund nimmer erfaͤhret/
alſo thut er auch nichts/ und folget keine beſſerung hernach.
Bey
ſolchen leuten iſt das verdienſt Chriſti nur in ihren bloſſen gedancken/ und
nicht in der krafft; daher es weder mit glauben ergriffen wird zur ſeligkeit/
dann ſolche leut haben den glauben nicht/ der von GOtt gewuͤrcket iſt/ noch
anderes gutes in ihnen wuͤrcket. Alſo aber iſt das verdienſt Chriſti nicht
nur in bloſſen gedancken/ ſondern in der krafft/ wann es mit wahrem/ und
alſo Goͤttlichem lebendigem glauben (der in kein unbußfertiges hertz kommen
kan) ergriffen/ und alſo in Goͤttlichem gericht wahrhafftig dem menſchen zu-
gerechnet wird/ und nachmahl auch ſeine krafft ferner in toͤdtung unſers alten
menſchen bey uns erweiſet. Dieſes iſt die doppelte krafft des verdienſtes
Chriſti; wie es uns eines theils die ſeligkeit ſchencket/ andern theils die ſuͤnde
wuͤrcklich in uns dempffet/ und die heiligung befoͤrdert. Alſo kan ich wohl
ſagen/ ich nehme den leuten das verdienſt Chriſti nicht aus den hertzen/ ſon-
dern ich will/ daß es nicht in bloſſen eiteln gedancken/ ſondern warhafftig in
dem hertzen ſeye/ ſo wohl in warhafftiger zurechnung/ die dem glauben ge-
ſchiehet/ und nicht der menſchlichen einbildung/ alß auch folglichen kraͤf-
tiger wuͤrckung vieler fruͤchten daher dieſe beyde ſtuͤck einander nicht entgegen
zuſetzen/ ſondern zu ſubordiniren ſeynd/ daß Chriſti leben/ leiden und ver-
dienſt uns beydes donum und exemplum ſeye: welche beyde nutzen des ver-
dienſts Chriſti nicht ohne die groͤſte gefahr getrennet werden koͤnnen. Was
das 4. anlanget/ daß ich conſecutivealle ſchwache verdamme/ iſt war-
hafftig eine unerfindliche auflage/ oder unziehmlicher gebrauch des worts
ſchwachheit. Jch habe in dem Sendſchreiben austruͤcklich gemeldet/ daß
uns unſere ſchwachheit nicht von der ſeligkeit ausſchlieſſe. Aber darin ligt
eben der grauſame betrug des teuffels/ daß man insgemein alles unter
dem nahmen der ſchwachheit will durchſtreichen laſſen/ was vor Gottes au-
gen fein gute ſtarcke boßheit iſt. Schwache Chriſten muͤſſen doch Chriſten
und Chriſti Juͤnger ſeyn/ daher einen ſolchen glauben haben/ der lebendig
ſeye/ daß man nun und nimmermehr mit willen GOtt beleidigen/ ſondern viel-
mehr nach allen ſtuͤcken in ſeinen geboten wandeln wollen: wo ſolcher nicht/
ſondern noch der vorſatz iſt/ GOtt und dem fleiſch zugleich zu dienen/ da iſt
nicht etwa ein ſchwacher/ ſondern ein todter und alſo nicht wahrer glaube: Der
menſch mag auch in ſeinem kopff vor gedancken haben/ was er immer will.
Alſo
[359]ARTIC. I. DISTINCTIO. III. SECTIO. II.
Alſo beſtehet der unterſcheid der ſchwachen und ſtarcken Chriſten nicht darinn/
daß jene an Chriſtum glaͤubten/ aber dabey ſich noch nicht reſolviren koͤnten/
ſich ſelbſt zu verleugnen/ der welt abzuſterben und GOtt in allen ſtuͤcken eifrig
zu dienen/ ſondern fuͤhren noch in ihrem ſuͤnden dienſt fort/ dieſe aber (die ſtaͤr-
ckere) dienten GOtt allein mit rechtſchaffenem hertzen. Dann jene vermein-
te ſchwache ſind noch in der that keine wahre Chriſten/ als denen es an der
buß und ſonderlich in derſelben an dem glauben gantz manglet/ als welcher
mit der herrſchafft der ſuͤnden nicht ſtehen kan. Sondern darinn ſtehet der
rechte unterſcheid/ daß die ſchwache ſind etwa an der erkaͤntnuͤß/ und in dem
vertrauen ſchwach/ und ob wohl daſſelbe warhafftig iſt/ ſo gehets doch mit
ſchwehrem kampff her/ daß ſie offters nicht meinen/ daß ſie glauben: ſo ge-
hets auch mit der heiligung ſchwaͤchlicher her/ in dem ſie nicht nur von der ein-
wohnenden ſuͤnde hart angegriffen/ ſondern etwa unterſchiedlich mahl/ wider
ihren guten und ernſtlichen vorſatz uͤberworffen werden/ ſie koͤnnen das gute/
ſo ſie wolten/ nicht mit ſolcher freudigkeit thun/ daß nicht vieles eigenen zwangs
dabey noͤthig waͤre u. ſ. f. Da hingegen bey den ſtaͤrckern/ welche die ſchrifft
auch vollkommene nennet/ erkaͤntnuͤß/ vertrauen/ heiligung/ freudigkeit
des guten/ alles in mehrerem grad ſich findet. Nun gebe ich allen rechtſchaf-
fenen Chriſten zu erkennen/ ob ich die ſchwache verdamme/ vor welche ich
hin und wieder etwa in meinen wenigen ſchrifften ſo herrlichen troſt habe auf-
gezeichnet/ damit ſie ſich aufrichten moͤgen. Aber was die falſch-genannte
ſchwache/ das iſt diejenige/ anlangt/ die gerne wolten aus dem glauben ſelig
werden/ und doch dabey die freyheit behalten/ nach dem fleiſch zu leben/ und
Chriſti regeln nicht unterworffen zu ſeyn/ ſo bekenne ich gern/ daß ich in ſol-
chem ſtand vor ihre ſchwachheit keinen troſt weiß: GOttes wort wird ihnen
aber auch keinen geben. Vielmehr muß ich ſolchen zeigen/ daß das gericht
Gottes auf ſolcherley leuten lige/ aus denen ſie nicht ohne hertzliche buß/ und
alſo daß ſie keine ſolche ſchwache mehr bleiben wollen/ entgehen koͤnnen.
Das 5. betreffend/ daß die angefochtene aus meiner lehr keinen troſt
haben koͤnten/
weil ihnen immer ihr voriges leben vor augen ſchwebe/ und
ſie alſo ſchlieſſen/ daß ſie den glauben nicht haben: Bedarffs gewißlich die-
ſer ſorge gar nicht. Es ſind aber der angefochtenen nicht einerley art/ ich will
dießmahl allein dieſe beyde machen/ daß einige wegen ihrer Suͤnde angefoch-
ten ſind/ andere daß es ihnen an fuͤhlung deß troſts und glaubens mangelt/
deren ſtand wohl der betruͤbtſte iſt. Was die erſte betrifft/ ſo iſt die frage
entweder von einem ſolchen/ dem ſein gewiſſen wegen vorigen lebens aufge-
wachet iſt/ und ihnen GOttes gericht vor augen ſtellet/ er aber begehret ſich
darum nicht zu beſſern/ ſondern da ihn ſein gewiſſen in dieſem und jenem der
ſuͤn-
[360]Das ſechſte Capitel.
ſuͤnde uͤberzeugt/ will er ſie doch nicht laſſen/ noch die hertzliche reſolution
faſſen/ ein vor allemahl die ſuͤnde abzuſchaffen/ und ſich in goͤttlichen gehor-
ſam zu begeben: Oder es iſt die rede von einem ſolchen/ der in dergleichen
angſt des gewiſſens ſtecket/ aber an ſeinen ſuͤnden einen ſolchen eckel nun-
mehr ſelbſt hat/ daß er ſie verflucht/ und nun und nimmermehr zu begehen be-
gehret. Was die erſte anlangt/ ſind ſie bloß unbußfertige/ und gehoͤret ih-
nen nichts von troſt/ ſondern es iſt die anfechtung und anklage der ſuͤnden
bey ihnen warhafftig eine ſtimme GOttes in ihren gewiſſen/ die ſie zur buſſe
treiben will/ welcher ſtimm wir nicht zu wehren/ ſondern ihr vielmehr nach-
zuſetzen haben/ daß der menſch dadurch zur buſſe komme/ und nachmahl der
gnade faͤhig werde. Was aber die andere anlangt/ ſind ſolche bußfertige/
und haben aus meiner lehr den allerkraͤfftigſten troſt/ daß ihr hertzliches ver-
trauen auf Chriſti verdienſt ſie einig und allein ſelig mache/ und daß der
himmliſche Vater an ihnen nicht daßjenige/ was ſie an ſich ſelbſten ſind und
haben/ ſondern ihres Heylandes gnade/ die ſie durch den glauben empfan-
gen/ anſehen wolle: Dagegen verſchwinden alle ſuͤnde wie der nebel vor der
ſonnen und derſelben krafft. Ja moͤchte einer ſagen/ es wird ihnen ihr
glaub in zweiffel gezogen/ aus anſehung ihres vorigen lebens. Antwort/
freylich ſehen ſie aus ihrem vorigen leben/ daß ſie damahl ohne glauben ge-
weſen ſeyn/ und demuͤthigen ſich auch wegen ſolches ihres unglaubens.
Weil aber nicht ihr voriger/ ſondern ihr ietziger/ glaube in dem gegenwaͤrti-
gen ſtande vor GOtt angeſehen wird/ ſo haben ſie an demſelben troſts uͤber-
fluͤßig. Nun an deſſen warheit koͤnnen ſie nicht zweiffeln aus ſeiner frucht/
da ſie derſelbe zu einen ſo hertzlichen haß gegen die ſuͤnde und eiffer gegen
GOtt/ die uͤbrige zeit ihm zu ehren an zu wenden/ gebracht hat. Wo wir
aber von der andern art der angefochtenen/ mit denen wohl am ſchwerſten umzu-
gehen iſt/ reden/ wo liebe leut/ dero leben Chriſtlich und wohl gefuͤhret wor-
den/ von GOtt in ihren ſeelen angegriffen werden/ das ihnen aller troſt ent-
gehet/ keinen glauben nicht fuͤhlen koͤnnen/ ſondern ſich gantz von GOttes
gnade ausgeſchloſſen und verſtoſſen zu ſein achten/ iſt denſelben meine lehr-
art/ ſo gar nicht hinderlich/ daß ich nicht ſehe wie auf einige weiſe ſonſten
ihrer angſt geholffen werde. Troͤſtet man ſie bloß mit Chriſti verdienſt/ ſo
zwar freylich der einige grund alles troſts iſt/ ſo iſt die exception gleich
vorhanden/ es gehe allein die glaͤubige an/ ſie aber haͤtten keinen glauben/
und das waͤre eben ihre marter. Man fange alßdann mit ihnen an/ was
man will/ ſo richtet man wenig aus/ biß man ſie ihres glaubens uͤberzeugt/
welches abermahl nicht anders geſchehen kan/ alß daß man ihnen die fruͤchte
deſſelben weiſen kan/ woraus ſie/ ſie fuͤhlens/ oder fuͤhlens nicht/ nothwendig
ſchlieſ-
[361]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO II.
ſchlieſſen muͤſſe/ der glaube und H. Geiſt muͤſſe/ obwohl verborgen/ vorhan-
den ſein/ der ſich in ſo herrlicher wuͤrckung zeige. Da muß das hertzliche ver-
langen nach Goͤttlicher gnade/ die hertzliche verachtung alles weltlichen troſts/
die ſehnliche begierde GOtt wohlgefaͤllig zu werden/ die ſorgfaͤltige verwah-
rung vor ſuͤnden/ und greuel uͤber alle vorige ſuͤnde/ die man in ſich gehabt
(die ſich bey ſolchen angefochtenen/ wo ſie gute Chriſten ſind/ allezeit finden
werden) diejenige kennzeichen ſein/ daraus ſie erkennen koͤnnen/ daß der glau-
be/ das himmliſche feuer/ in ihm ſeye/ deſſen krafft und waͤrme ſich dermaſſen
hervor thue/ und das ſo tief verborgene gute offenbahre: welches zuhaben/ wo ſie
verſichert ſind/ ſie darnach nicht mehr weiter an der heilwertigen gemeinſchafft
deß verdienſts Chriſti zweiffeln moͤgen. Jch rede hie nicht auß muͤſſigen ſpe-
culation
en, ſondern nicht nur einmahliger erfahrung/ wie es mit ſolchen
leuten in dieſem kampff hergehe/ und was den ſtich halte/ oder nicht: auch
was die meynung deß Apoſtels ſeye. 1. Joh. 3/ 18. 19. 20. Jch gehe nun zu der
6. beſchuldigung; die zwar Tarnovium betrifft. Jch habe deſſelben oration
de novo Evangelio
angezogen zum zeugniß daß meine lehr nicht neu ſeye. Will
aber jemand den treuen und in unſerer kirchen werth gehaltenen Theologum
beſchuldigen/ daß er die alte und unſern Symboliſchen buͤchern gemaͤſſe leh-
re alß ein neues Evangelium traducirt habe/ moͤchte ers mit der gantzen U-
niverſit
aͤt zu Roſtock aus machen/ auf dero in ſolenni panegyri ſolche oration
offendlich gehalten/ von keinem Theologo wiederſprochen/ und durch den
truck ad memoriam poſteritatis erhalten worden. Es gedencke aber derje-
nige/ der ſolche von Tarnovio verworffene lehr und neues Evangelium wol-
te unſerer kirchen und Symboliſchen Buͤchern zuſchreiben/ was vor ſchimpff er
denſelbigen unverſchuldeter weiſe anthue: die eine vielheiligere lehr ſuͤhren/ und
der liebe Theologus ſamt andern ſeinen nachfolgern nichts mehr treiben/ alß
daß wir ſie erhalten/ und nicht in einem falſchen Gottloſen verſtand ver-
traͤhen wollen laſſen. Auf das 7. daß ich das ſtudium ſanctimoniæ
mehr treibe alß den glauben/ iſt oben bereits geantwortet/ und iſts ja ei-
ne ſeltzame ſache/ daß ichs mit den Papiſten halten ſolle/ denen ich in dieſem
articul vor andern am eyfrigſten wiederſpreche/ und da ich viele grobe irrthuͤ-
me ſolcher kirchen erkenne/ dieſen von der rechtfertigung vor das hertz aller
irrthuͤme halte. Und wie kan ich die fruͤchten erfodern ante arboris exiſten-
tiam?
Da ich erkenne/ daß nicht ein einig werck kan gut ſein/ es flieſſe dann
aus dem glauben: und meinen zuhoͤrern ſo emſig zeige/ wie der glaube an
Jeſum Chriſtum und ſein verdienſt nicht nur das einige mittel ihrer ſeligkeit
ſeye/ ſondern aus demſelben alles Gottgefaͤllige leben herkommen muͤſte/ ſo
gar daß welche wercke/ aus einbildung einigen verdienſts/ oder was ſonſten die
Z zmoti-
[362]Das ſechſte Capitel.
motiva ſein moͤchte/ geſchehen/ nicht aber bloß allein aus dem vertrauen auff
Chriſtum/ und begierde dieſem theuer verdienten Heyland widerum danckbar
zu werden/ ſolche ſeyen vor GOtt keine gute werck. Und habe ich durch Got-
tes gnade nechſt der ſchrifft aus den theuern Luthero gelernet/ was da ſey die werck
aus dem geſetz treiben/ oder den glauben in das hertz zu einer wurtzel des gu-
ten zuſetzen/ deren jene nichts anders als erzwungen/ dieſe aber recht gute
werck ſeyn. So hoffe ich/ daß meine fleißige zuhoͤrer/ und die mit bedacht
meine ſchrifften leſen/ klar finden werden/ daß dieſer letzte methodus von mir
vornehmlich gebraucht werde; daß die glaubens-lehren alle unnuͤtzlich waͤren/
wo nicht zu vor die lebens-lehr in Chriſto getrieben werde/ iſt eine unziehmli-
che vertraͤhung meiner p. 30. 31. gebrauchten wort/ dero verſtand doch ſo deut-
lich vor augen liget/ und in dem folgenden erklaͤret wird/ ich ſage nicht/ alle
glaubens-lehr ſeye unnuͤtzlich vor der lebens-lehr: ſondern ich zeige die rechte
grundlehr ſeye das verdienſt CHriſti/ wie es uns die vergebung der ſuͤnden
und das heil gebe/ und dann uns zur abſterbung der ſuͤnden bringe. Gehet
dann damit nicht der articul von der gnade GOttes von der rechtfertigung/
und was an ſolchen articulen nothwendig haͤnget voran/ und folget darauf
die krafft deſſelben von der heiligung? Heiſſet dann dieſes die glaubens-
lehr nachſetzen? Ehe aber dieſe articul recht gefaſſet werden/ und wo der
menſch denſelbigen nicht bey ſich platz gibt/ mit glaͤubiger ergreiffung der an-
erbotenen guͤter/ und annehmung derſelben kraͤfftiger fernerer wuͤrckung/ ſo
moͤgen die uͤbrige glaubenslehren/ ob ich dieſes oder jenes von jeden articul
glaube/ oder nicht glaube/ mich noch bey weitem nicht ſelig machen. So ſe-
tze ich glauben und leben in rechter ordnung beyſammen/ und unterſcheide ſie
doch auch geziehmlich. Endlich den Johann von Labadie betreffend/ kan ich
nicht anders von ihn urtheilen/ alß nach meinem gewiſſen/ daß ich eines theils
einiges gutes auch an meinem feind lobe/ wie wir ja andern Papiſten/ auch
Reformirten und dergleichen dasjenige nicht nehmen/ was wir gutes an ihnen ſe-
hen/ ob wir wohl mit ihnen in der religion nichts zuſchaffen haben: andern
theils von dingen/ dero voͤllige beſchaffenheit mir nicht bekant iſt/ ohne dazu-
habenden beruff/ nicht urtheile/ ſondern Gott und denjenigen/ die mehrern
und gruͤndlichern bericht von allem haben/ dasjenige uͤberlaſſe/ was mich nicht
angehet. Labadie iſt nie unſerer kirchen glied geweſen/ ſo meine auch nicht/
das er deroſelben einigen ſchaden zugefuͤgt. Was uͤber ihn zu klagen iſt/
moͤgten ſonderlich die Reformirte thun/ dero kirche von ihm nicht wenig un-
gelegenheit gehabt/ darvon ich aber allezeit darvor gehalten/ daß daſſelbe uns
etwa eher vortheil alß nachtheil bringen moͤchte. Dieſes iſts alſo/ was mei-
nem Grgſtl. Hochgl. Hr. auf ſein freundliches verlangen von punct zu punct
antwor-
[363]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO II.
antworten/ und damit den puncten/ welche meinet wegen demſelben/ alß mei-
nen Goͤnner und ſondern freunde/ objiciret worden ſind/ genug gethan zu
haben nicht zweiffele. Wie ich nun zwar wohl weiß/ daß wegen deſſen eige-
ner werther perſon es nicht noͤtig geweſen/ als der die warheit gruͤndlicher ein-
geſehen hat/ alß daß er ſich durch dergleichen ungeſchickte vertraͤhungen irr
machen laſſen/ ohn allein was etwa einige hiſtorica ſeind/ da mein bericht
gantz noͤtig iſt/ ſo hoffe ich doch dieſe antwort ſolle dienlich ſein/ wo es die noth-
wendigkeit zu erfordern ſchiene (ſo ich zwar ohne Mgrgl. Hochgl. Hr. eigene
ungelegenheit zugeſchehen wuͤnſche/ und ja nicht verlange/ meinet wegen eini-
ge difficultaͤten ſich zuverurſachen) vor mich etwas einmahl zureden/ das ſol-
ches alßdann mit ſo vielmehr grund und verſicherung geſchehen koͤnte. Da-
her mirs allemahl eine ſonderbare liebe iſt/ wer mich von dergleichen/ was
wider mich geſprochen wird/ berichtet/ damit ich gelegenheit finde/ meine noͤ-
tige vertheidigung zu thun. Jch befehle alles demjenigen groſſen GOtt/ deſ-
ſen ſache es iſt/ und ich gewißlich in meiner ſchwachheit/ gleichwohl mit auf-
richtigen hertzen/ allein ſeine ehre ſuche/ und ja nichts von weltlichem intereſſe
dabey habe/ alß dem vielmehr dieſe meine conduite faſt ſchnurſtracks ent-
gegen ſtehet: Jch weiß/ derſelbe wird ſelbſt vor alles ohne mich ſorgen/ und ob
ich auch daruͤber mehr/ alß jetzo das anſehen ſein mag/ zu leiden haben ſolte/
ja in der welt ſuccumbiren muͤſte/ ſo wird er doch ſeine ehre retten/ und jener
tag die warheit offenbahren/ die hie mit laͤſterungen kan untertruckt werden.
Er gebe es denjenigen zuerkennen/ welche ſich damit in boßheit oder auch
leicht glaͤubigkeit/ und darauf folgender wiederſetzlichkeit gegen das gute/ ver-
ſuͤndigen/ daß ich armer nicht der ſtein des anſtoſſens ſeye/ daruͤber/ ob wohl
aus ihrer eigenen ſchuld/ andere fallen/ und Goͤttliches gericht auf ſich ziehen/
welches mir manchmahl eine betruͤbniß giebet. Aber wer bin ich/ daß ich
Goͤttlicher heiliger regierung vorſchreiben oder derſelben ordnung geben wolte/
was ſie jedem zulaſſen und verhaͤngen ſolle? Deß HERRN will ſey unß
in allem heilig und hoch geprieſen! Daß unſer Jungfl. N. N. converſation
angenehm geweſen/ iſt mir hertzlich lieb. Mag auch eben dieſes ein zeug-
nuͤs der falſchen ſpargiment von den hieſigen dingen ſein/ wo man erwe-
get/ was von dieſer Jungfl. die ſo ſchlimſte alß abentheuerlichſte ſachen ſind
erzehlet worden/ und nachmahl ſelbſt gelegenheit hat ſie zu beleben/ da man
gar eine andere perſon antrifft/ alß man aus jenem geruͤchte haͤtte gedencken
ſollen. Es gibt ihr GOtt viel gnade/ daß ſie nicht nur/ wo ſie geiſtliche her-
tzen antrifft/ ſo bald bey denſelben liebe findet/ ſondern auch manchmahl/ wo
ſie mit widerwertigen zu einigen umgang gekommen iſt/ dieſelbe bald/ wenig-
ſtens ſo weit/ gewonnen hat/ daß ſie zulaͤſtern aufgehoͤret haben. Es iſt aber end-
lich zeit dieſen langen brieff zuſchlieſſen; Bevor ich noch mahl von dem aller-
Z z 2hoͤch-
[364]Das ſechſte Capitel.
hoͤchſten allen ſeinen milden ſegen/ und alles dasjenige/ was unſer liebſte Hey-
land uns mit ſeinem tod verdienet und in ſeiner aufferſtehung aufs neue ge-
bracht hat/ von grund der ſeelen anwuͤnſche. 1680. 13. Apr.


SECTIO III.


Gebet vor einander ein ſtuͤck der gemeinſchafft der
heiligen: Deſſen nutze. Jch bedarff deſſen vor andern/
ſonderlich um erkaͤntnuͤß Goͤttlichen willens.


ES hat mich hertzlich erfreuet deſſen gegen mich tragende und von mir
unverdiente ſonderbare gewogenheit zu erkennen/ ſonderlichſt aber deſ-
ſen und anderer frommen ſeelen vor mich thuendes gebets troͤſtlich verſi-
chert zu werden: als welches ich vor die groͤſte wohlthat anſehe/ die mir je er-
wieſen werden kan. Auch habe bißher offters davor gehalten/ daß ich ein
und anderes des goͤttlichen ſegens/ den der HErr zu etlichen geringen arbei-
ten/ uͤber mein und anderer verhoffen/ gegeben hat/ ſolcher treuen vorbitte
vieler theils mir bekanter theils auch unbekanter/ und hin und wieder ſtecken-
der/ mitbruͤder/ zuzuſchreiben habe: indem ſie mir vieles von GOtt moͤgen
erlangt haben/ deſſen ich armer ſonſten nicht wuͤrdig geweſen. Und ach daß
wir doch alle uns deſſen ſtets befleiſſen moͤchten/ vor ein ander mit eiffer und
anhalten zu beten/ ſo wuͤrde gewißlich dieſes das geſegneſte mittel ſeyn/ da-
durch wir von unſerem himmliſchen Vater manches erlangen wuͤrden/ ſo et-
wa ietzo zuruͤck bleibet. Es iſt je dieſes ein vornehmes ſtuͤck der gemein-
ſchafft der heiligen/
und uͤbung der liebe unter denſelben/ auch ſo gar de-
nenjenigen/ die ſonſten wegen entlegenen orts in andern ſtuͤcken einander lie-
be zu erzeigen keine gelegenheit nicht haben/ aber in dieſem ein ander vieles
nuͤtzen koͤnnen. Alſo laſſet uns emſig ſeyn in dieſem mittel/ ſo viel mehr/ als
faſt andere mittel/ welche biß daher zur allgemeinen beſſerung vor die hand
genommen worden/ zimlich fruchtloß abgegangen ſind/ oder doch nicht ſo viel
ausgerichtet haben/ als wir davon haͤtten wuͤnſchen moͤgen/ der gewiſſen ver-
ſicherung/ daß endlich dieſes mittel das meiſte ausrichten werde/ und nicht
umſonſt oder vergebens ſeyn koͤnne. Da mich die liebe wort unſers liebſten
Erloͤſers ſonderlichſt auffrichten: Luc. 18. Solte GOtt nicht auch retten
ſeine außerwehlten/ die zu ihm tag und nacht ruffen/ und ſolte ge-
dult daruͤber haben. Jch ſage euch/ er wird ſie retten in kurtzen.

Dieſes ſind die beſte waffen/ mit welchen wir des groſſen fuͤrſten dieſer welt
anſchlaͤ-
[365]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO III.
anſchlaͤge und gewalt zu ſchanden machen/ und ihn abtreiben koͤnnen. Ach
daß wir nur ſolches allezeit im glauben und hertzlicher andacht zuthun uns
ernſtlich laſſen angelegen ſeyn. Jch vor meine wenige perſon bedarff aber vor
andern ſolcher bruͤderlichen vorbitt/ um ſo viel mehr/ weil mich GOtt nicht
nur zu einer ſehr volckreichen gemeinde an einem ſolchen ort/ da in Teutſch-
land ſo vieler augen auf denſelben gerichtet ſind/ geſetzet/ ſondern ohne mei-
ne gedancken und hoffen dahin die ſache hat ausſchlagen laſſen/ daß hin und
wieder derjenigen zimlich viele ſind/ die wie ſie aus liebe ein mehrers von mir
halten und hoffen/ als an mir iſt/ alſo mehr auff mich ſehen/ als ich ſelbſt
wuͤnſche/ daher wo ich anſtoſſe und fehle/ von mir mehr ſchaden nehmen
moͤchten/ damit mich der HErr mit ſeinem Geiſt alſo regieren und leiten
wolle/ daß ich in allen mir und meinem Amt noͤthigen ſtuͤcken ſeinen willen
ohne fehl erkenne/ nachmahl aber denſelben auch getroſt ins werck zurich-
ten mich befleiſſe/ ja aber in nichts etwas thue/ davon einige aus meiner
ſchuld anſtoß und aͤrgerniß nehmen moͤchten; welches in meiner mir bekan-
ten ſchwachheit taͤglich geſchehen wuͤrde/ wo der HErr es nicht in gnaden
verhuͤtete. Alſo ſtehe ich freylich vor ſo vielen andern in groſſer gefahr/
und habe glaͤubiger mitbruͤder gebet noͤthig/ daher mich auch deroſelben ver-
ſpruch und verſicherung ihres gebets trefflich troͤſtet und auffmuntert/ daß ich
ſo viel freudiger nach dem pfuͤndlein/ welches mir der HErr anvertrauet/ ſein
werck treibe/ und nachmahl getroſt alles erwarte/ was zu leiden dabey vor-
ſtehen moͤchte; welches mich nicht ſo viel anfechten oder aͤngſten wuͤrde/ wo
ich nur in allen ſtuͤcken/ was zu thun vorkommet/ goͤttlichen willen/ was in
ieglichem derſelbe erfordere/ mit einer ſolchen verſicherung meines hertzens
erkennen koͤnte/ daß alle mahl allem zweiffel darin abgeholffen waͤre. Jn
dem aber ich oͤffters anſtehe/ und mir nicht genug zu rathen/ oder den rath
des HErren/ was iedes mahl mir zu thun oblige/ zu erkennen vermag/ ſo
iſt mir dieſes faſt unter allen/ was mir begegnet/ das ſchwehreſte. Deß-
wegen die Erkaͤntnuͤß goͤttlichen willens das vornehmſte achte/ darum ich ſo
wohl ſelbſt zu bitten/ als in guter freunde vorbitte einzuſchlieſſen habe. Nun
vor dasjenige was bißher auch von meinem vielgeliebten bruder in ſolchem
treuen liebes werck zu meinem beſten mag geſchehen ſeyn/ ſo bedancke ich mich
hertzlich/ und bitte mit dergleichen noch ferner zu continuiren/ hinwiederum
auch mein armes gebet aus bruͤderlichem gemuͤth und treuem hertzen zuſagen-
de: als welches auch das einige iſt/ welches ich vor ſolchen liebes dienſt hin-
wider verſprechen kan. ꝛc. 1680. 11. Maj.


Z z 3SECT. IV.
[366]Das ſechſte Capitel.

SECTIO IV.


Die unſerer kirchen obſchwebende gefahr
und gerichte.


VOn denen vielen in ihrem land befindlichen guten freunden/ die zu mir
und meiner wenigen arbeit eine hertzliche liebe tragen/ werde hin und
her verſichert/ und habe mich deſſen hertzlich zu erfreuen/ weil ich mich
verſichere/ an denſelben ſolche leut auch zu haben/ die ſo viel angelegenlicher
auch vor mich zu GOtt ſeuffzen/ und mir helffen/ die mir und meinem amt
noͤthige gnade zuerlangen/ welcher bruͤderlicher vorbitt ich ſo viel mehr benoͤ-
thiget bin/ als gefaͤhrlicher meine ſtelle iſt/ und hin und wieder der feinde ſich
ſo viele hervor thun. Jch ſehe es vor eine ſo viel guͤtigere Goͤttliche ſchickung an/
der mir ſolche freude erwecket/ und darzu in meine arme ſonſten ſo einfaͤltige
ſchrifften die krafft geleget hat/ derſelben hertz mir zuzuwenden/ die ſonſten
davon nicht zu hoffen waͤre; als wodurch er mich nicht wenig offt auffrich-
tet/ da mich etwa ſonſten das anſehen an derer umſtaͤnde mehr mahl tref-
lich niederſchlagen ſolte. Nebenſt dem zweiffele ich nicht/ daß anderer al-
ten bekanten und freunde gutes zeugnuͤß von mir bey ihrer mehrern zu ſol-
cher liebe gelegenheit gebe/ daher auch ſolchen zu hertzlichem danck mich ver-
pflichtet erkenne. Wie ich vor die mir zuwegen gebrachte freundſchafft dero
geliebten und mir angeruͤhmten Schweidnitziſchen Primarii Herr Benjamin
Gerlachs auch hiemit ſchuldigen danck zuſagen. GOtt erhalte auch nach
ſeinem H. willen dieſen deroſelben kirchen dermaſſen noͤthigen und nuͤtzlichen
mann/ und er zeige an deſſen ſo voͤlliger auffhelffung als ſtaͤrckung ein zeug-
nuͤß ſeiner allmacht und guͤte. Jch verſehe mich von denſelben einen treuen
mitſtreiter in dem gebet und liebe/ woran es auch meiner ſeits nicht mangeln
ſolle. Der hoͤchſte ſtaͤrcke auch ihre uͤbrige treue lehrer/ und weiſe in der that/
daß er ſich ſeiner in der welt vor verlaſſen geachteten Evangeliſchen kirchen
gleich wie anderwertlich/ alſo auch in ihrem lande kraͤfftig und nachtruͤcklich
annehme/ und darzu entweder mittel/ die wir vorher nicht vorſehen koͤnnen/
verſchaffe/ oder auch ſelbſt ausrichte/ was denſelben noͤthig iſt. Ach daß er
von ſeinem hohen thron herab ſehe/ und ihn das elend ſeines armen faſt durch
aus verſtoͤrten Zions zu hertzen gehen laſſe/ eine kraͤfftige huͤlffe zu ſchaffen/
und der feinde der warheit anſchlaͤge zu ſchanden zu machen. Kluge leute/ ſo in
die conſilia der groſſen zimlich tieff einſehen/ beſorgen ein gefaͤhrliches und
verderbliches wetter uͤber unſere kirche: und wo wir den zuſtand der kir-
chen
[367]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO IV.
chen in ihr ſelbſt erwegen/ ſo dann goͤttliches wort zu rathe ziehen/ koͤnnen
wir nicht anderſt/ als denſelben beyzupflichten. Wie ich ſehr ſorge/ es ſeye
die zeit ſehr nahe/ wo nicht gar vorhanden/ daß GOTT ſein gericht von
ſeinem hauſſe anfange/ und Babel ſeinen letzten zorn zu erfuͤllung ſeines ſuͤn-
den maſſes und maturirung ſeines letzten untergangs uͤber das ſo verdorbene
Jeruſalem außzugieſſen zulaſſe. Jene Politici mercken/ daß an den beyden
hoͤchſten hoͤffen/ Geſtreich und Franckreich/ die allgemeine intention gantz
eine ſey/ gegen den proteſtantiſmum, und ſofern die freyheit der ſtaͤnde des
reichs bey uns/ welche eine ſtarcke ſeule von den andern ſeye/ und davor er-
kant werde. Ob nun wohl der beyden haͤuſer privat-intereſſe annoch ein-
ander entgegen ſtehet/ daß jegliches dasjenige/ was es ſelbſt gern zu werck
richtete/ nicht wohl will durch das andere thun laſſen/ ſo werden doch be-
ſorglich die Jeſuiten/ welche nicht nur bey dem hauſe Oeſterreich allezeit
maͤchtig geweſen/ ſondern auch bey Franckreich nunmehr in ſolchen credit
ſind/ daß der koͤnig nicht nur ſeine conſecrenz ihnen vertrauet/ ſondern auch
nicht haben will/ daß iemand von dem koͤniglichen gebluͤt einen andern beicht-
vater nehme/ mittel und wege zufinden ſuchen/ daß die conſilia ſo concerti-
ret wuͤrden/ die ſo lang gehabte boͤſe intention zu werckſtelligen. Die ietzi-
ge kuͤrtzlich vorſtehende verſammlung der geiſtlichen in Franckreich/ duͤrffte
wohl einen wichtigern zweck haben/ als man gedencket/ und die ietzige be-
reits vor einigen jahren hervor blickende manier zu handlen mit den Refor-
mirten in ſolchem reich/ auch was in den uͤberrheiniſchen orten/ dero ſich
Franckreich anmaſſet/ vorgehet/ moͤgen ſchon etlicher maſſen zeigen/ was
man verlanget/ und etwa von den mitteln noch zu rathſchlagen hat/ wie alles
am fuͤglichſten ausgerichtet werden moͤchte. Alſo hats freylich ein ſeltzames
anſehen/ nicht nur allein vor die policey/ und weltliche beſchaffenheit unſers
Teutſchlandes/ ſondern noch mehr vor unſere kirche. Und wie moͤgen wir
faſt anderſt vor dieſelbe hoffen/ wo wir eines theils GOttes groſſe wohltha-
ten deroſelben erwieſen benebens ſeiner gerechten gewohnheit den undanck an
den ſeinigen allemahl am haͤrteſten zuſtraffen/ andern theils die euſerſte und
undanckbarkeit der unſern gegen ſolche theuere wohlthat anſehen? Da wir
ausgenommen die warheit der bekennenden lehr ſonſten in dem uͤbrigen
kaum etwas geſundes an dem gantzen leib finden/ ſondern alles nicht weni-
ger verderbt iſt/ alß wir bey den ſecten antreffen/ die wir ſelbſt wegen irri-
ger lehr verwerffen/ ia mitten in dem Papſtum. Wir wiſſen ja kaum mehr/
was die praxin anlanget/ was Chriſtenthum oder glaube ſey/ dero ſich jeder-
man ruͤhmet/ und aber die vor augen liegende greuel/ wie die that ſo fern
ſeye/ alle diejenige uͤberzeugen/ welche noch etwas lichts uͤbrig haben. So
wird
[368]Das ſechſte Capitel.
wird gewißlich der HErr ſeine ehre retten/ von denjenigen/ die ihm am nech-
ſten ſind/ die ſich des Evangelii ruͤhmen/ ja die daſſelbige auch verkuͤndigen
(wie ich nicht leugne/ in unſeren ſtand das meiſte verdorben zu ſeyn/ und ge-
meiniglich da ſelbſten anzufangen) nicht fort und fort geſchaͤndet/ und um
derſelben willen von den widerſachern gelaͤſtert laſſen werden: ſondern wie es
dorten heiſſet bey dem Propheten/ wird ſein gericht ſeyn/ wie das feuer ei-
nes goldſchmides und die ſeyffe der waͤſcher: ſitzen und ſchmeltzen und
das ſilber reinigen/ die kinder Levi reinigen/ und laͤutern/ wie das
gold und ſilber.
Und gegen dieſe beſorgliche verderbliche heimſuchung un-
ſerer kirchen/ darinne etwa nicht vieles von unſerem euſſerlichen moͤchte uͤbrig
bleiben/ koͤnnen wir uns der verheiſſung unſers Erloͤſers/ daß er ſeine kirch
und reiche ſchuͤtzen und erhalten wolle/ nicht alſo getroͤſten/ daß wir hieraus
verſichert ſeyn koͤnten/ daß jene nicht kommen wuͤrde. Dann ſeine verheiſ-
ſung wird freylich ſo wahr bleiben/ daß ſie auch von der hoͤllen-pforten nicht
moͤgen uͤberwaͤltiget werden. Aber ſein reich und kirche haͤnget nicht an un-
ſerer euſſerlichen verfaſſung/ ſondern bleibet ohne dieſe noch feſt ſtehen/ ja es
mag dieſes das obwohl betruͤbte/ doch geſegneteſte mittel ſeyn/ die ſchlacken
zu verbrennen/ daß das pure gold ſo viel herrlicher werde/ und die ſo ſehr
mißbrauchte h. mittel der gnaden von dem mißbrauch gerettet/ wo es geſchie-
nen/ daß auch der gebrauch derſelben gar aufgehaben werden/ erſt recht auf
eine weiſe/ die wir noch nicht genug vorſehen moͤgen/ von GOtt in einem
recht heiligen und reinen gebrauch erſetzet werden. Wie dann Gottes wege
alle gerecht und heilig/ aber dabey weiſe/ und uns unausforſchlich ſind. Wel-
che betrachtung/ ſo viel mehr etwa der wuͤrckliche erfolg dergleichen dinge/
uns mehr und mehr von allem vertrauen auff dasjenige/ was noch der unbe-
ſtaͤndigkeit der zeit unterworffen iſt/ abziehen/ und uns in der that glauben
machen wird/ wir haben nichts verſichertes mehr in der welt/ ſondern daß
ſeye allein unſer/ was wir in unſerer ſeelen gefaſſet haben/ das uns keine ge-
walt nicht mehr nehmen kan/ ſondern krafft deſſen wir auch in den betruͤbte-
ſten und gefaͤhrlichſten zeiten/ die uns etwa auch alle euſſerliche troſts-mittel
entziehen mochten/ beſtehen moͤgen/ dafern nemlich ſolches nicht nur in die
gedaͤchtnuͤß/ ſondern warhafftig in die ſeelen und hertzen gebracht iſt/ als welche
Goͤttliche krafft und liecht allein in der probe beſtehet/ da ſonſten manches auch da-
vor angeſehene liecht alsdann erloͤſchen moͤchte. Wachen/ das iſt/ genau
auf den zuſtand unſerer ſeelen und was GOtt in derſelben wuͤrcken will/ da-
mit wir daſſelbe nicht verſtoͤren/ ſo dann wie weit wir gekommen ſeyn/ und
woran es uns noch fehle/ wie ſtarck wir oder ſchwach ſeyen/ acht geben/ und
beten/
ſind die vornehmſte unſere waffen/ mit denen wir uns auf den vor-
ſtehen-
[369]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO V.
ſtehenden kampff bereiten moͤgen/ die zwar auch GOtt nicht wird bey allen de-
nen ungeſegnet ſeyn laſſen/ welche gern ihre ſeelen retten wollen. Dann er iſt
und bleibt getreu. 1680. 17. Maj.


SECTIO V.


Churfuͤrſts von Sachſen mißfallen an ſtreitigkei-
ten. Wie auch ich keine luſt darzu habe/ und ſie
gerne vermeide.


NAch dem dieſes bereits geſchrieben/ ſo habe die ehr einer viſiten von Hr.
Reichshoffrath von Buͤnefeld/ welcher mir aus einen ſchreiben des Hr.
Hoffmarſchalls von Wolfframsdorff communiciret/ wie Jhr. Chur-
fuͤrſtl. Durchl. von Sachſen ſonderlich mißfallen an dieſem neuen ſtreit haͤtten/
auch Jhochw. es vor nuͤtzlich achteten/ daß durch zeitliche interpoſition das
aͤrgernuͤß abgewendet wuͤrde. Jch vor meine perſon habe einen groſſen eckel/
an dergleichen innerlichen ſtreit/ ſuche ihn niemahl von andern ohne ſeuffzen/
werde alſo nimmermehr wider einigen unſer kirchen mitbruͤder erſt die feder
anſetzen/ ja bin auch an dieſe antwort aus keiner andern als droben angedeutete
urſach/ welche ich bey cordaten Theologis vor wichtig gnug erkant zu wer-
den gekommen. Wo alſo mein zugenoͤthigter widerſacher beruhet/ und durch
leute/ derer autoritaͤt er zu ſcheuen hat/ dahin angehalten wird/ ſo iſt meiner
ſeits aller friede/ und von mir wider ihn noch gegen einigen andern das ge-
ringſte zu ſorgen: als der ich auch nicht einmahl gegen die oͤffentliche feinde
unſerer kirchen in ſtreit mich einlaſſen mag/ viel weniger mit einem mitbruder
anzubinden luſt habe: auch ohne ruhm zu melden/ in bißherigen meinen we-
nigen ſchrifften/ wie ich auch juſto dolore uͤber viele aͤrgernuͤſſen und miß-
braͤuche geklaget/ mich alſo vorzuſehen beſchloſſen habe/ daß ich nicht allein
directè keinen menſchen angreiffe/ ſondern auch nicht indirecte auff gewiſſe
individua ziehlte/ oder alſo redete/ daß nach meiner intention dieſe oder je-
ne perſon gemeinet zuſeyn geſagt werden moͤchte. Jch uͤberlaſſe alles des
Herren h. regierung und deroſelben ſchrifftlichen uͤberlegung/ die er zu ſeulen
ſeiner kirchen und auff dero wohlſtand zuſehen vor andern geſetzt hat. 1680. 31.
Maj.


A a aSECT.
[370]Das ſechſte Capitel.

SECTIO VI.


AnM.Holtzhauſen. Von dem gezaͤncke der falſch
beruͤhmten kunſt. Mißbrauch der
Philoſophie. Hochmuth
einiger
academicorum. Collegiiin Franckfurt zuſtand. Sten-
gers ſache. Nichts trucken ohne
cenſur.B. Rebhan.
Dilfeld.
Edirteallgemeine Gottes-
gelehrtheit.


WO derſelbe ſich beſorget/ daß er nach der welt eine unhoͤfflichkeit be-
gehe/ in dem er ſeiner meinung nach unbekant an mich geſchrieben/
da gleich wohl deſſen werther nahm/ von GOtt in ihn gelegte theue-
re gaben und hertzliche intention dieſelbe auch zu des gebers ehren anzuwen-
den/ mir von andern freunden vor guter zeit geruͤhmet worden/ und er alſo
mir nicht frembd geweſen/ ſo muß ich nicht nur ſorgen/ ſondern ſelbſt geſtehn/
daß ich die regeln der pflicht/ welche unter denen beobachtet werden ſollen/ die
ſich unter einander vor bruͤder erkennen/ mit dem allzulangen ſtillſchweigen uͤ-
berſchritten habe. Jedoch hoffe ich von ſeiner guͤte auch dieſes fehlers verge-
bung unſchwer/ wann ich mich nicht nur auf meine ſo wohl durch andere ur-
ſachen als den toͤdlichen abgang zweyer Collegen von 3. monat her uͤber die ge-
wohnheit gehaͤuffte geſchaͤffte beziehe/ welche gleichwohl einen ſo freundlichen
anſpruch nicht eher geziehmend begegnet zu ſeyn nicht genugſam entſchuldigen
koͤnten/ ſondern vornemlich dieſes bezeugen kan/ daß in ſolchen unſers Colle-
gii
zuſtand nicht wohl zu antworten vermocht/ in dem aus deſſelben ſo oder ſo
geſchehender erſetzung die hofnung in dem verlangten an hand zugehn mehr o-
der geringer werden ſollen: auf welche erſetzung wir aber biß daher warten/
und noch die gewißheit nicht vorſehn koͤnnen. Ob zwar nun dieſelbige gleich-
ſam von tag zu tag hoffen/ ſo habe gleichwohl die antwort auch nicht laͤnger
verſchieben/ ſondern lieber auffs wenigſte ſo viel aus bruͤderlichen wohlmei-
nen antworten ſollen/ als ich ietzo zuthun vermag. Was nun anlanget den
ort 1. Tim. 6/20. von dem gezaͤnck der falſchberuͤhmten kunſt/ kan ich
zwar determinate von E. Wohl Eh. erklaͤrung nicht urtheilen/ als dem nicht
bekant iſt/ mit was vor worten ſie vorgebracht. Jnsgemein aber/ wo es in
nichts anders beſtehet/ als daß die objectiones aus der Philoſophia gegen die
Evangeliſche lehr gemeint ſeyen/ ſehe ich nicht/ wie ſolcher anwendung etwas
mit grund oder ziemlichem ſchein moͤchte entgegen gehalten werden. Es iſt
un-
[371]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO VI.
unleugbar/ daß aus der/ nicht zwar warhafftigen aber mißbrauchten/ Philo-
ſoph
ie vielfaͤltige objectiones gegen die Evangeliſche lehr vor alten zeiten ge-
macht worden ſind/ und noch offt gemacht werden. Womit haben die ke-
tzer in der alten kirchen die wahre lehr gemeiniglich mehr angefochten/ als mit
den waffen der falſchen philoſophie/ daß es auch geheiſſen: Philoſophi ſunt
hæreticorum Patriarchæ?
Und was hat in dem Papſthum das ſo gefaͤhrli-
che/ und unſerem theuern Luthero verhaßte/ monſtrum, der Scholaſtiſchen
Theologiæ ausgebruͤtet/ als die vermiſchung der Philoſophie mit der Theo-
logie?
Ja erfahren wir nicht noch allezeit an den Socinianern/ daß derſel-
ben widerſpruch gegen unſere wahrheit auf Philoſophiſchen gruͤnden beſtehet/
die zwar entweder falſch/ oder durch eine μετά [...]ασιν εἰς ἄλλο γένος unrecht
angewendet ſind. So iſt die ſache richtig/ auch der Ort Pauli ſo bewandt/
daß ſolche application ſich damit ſehr wohl reimet. Weßwegen ich/ wo
nicht etwa ſonderbare wort und applicationes dabey ſtehen/ welche einiges
bedencken machen koͤnten/ faſt nicht ſehe/ wie auch nur mit einen zimlichen
ſchein/ die erklaͤrung widerſprochen/ oder beſorgt werden moͤchte/ wo die ſa-
che anderwertlich hin verſchickt werden ſolte/ daß ein ungleich urtheil erfolgen
koͤnte. Es waͤre dann/ daß es vor ſolche leut kaͤme/ dergleichen einige auff
der Catheder zuſtehen zu weilen das anſehn gewinnen will/ die eine æmula-
tion
gegen andere/ die in dem predigamt leben/ bey ſich haͤtten/ welche gern
alle gelegenheiten ergreiffen/ wo ſie einem prediger/ welcher ſich etwas zu-
ſchreiben unternimmet/ mit dem wenigſten ſchein ankommen koͤnnen: um NB.
ſelbs in ſolcher autoritaͤt zuſtehen/ daß wer etwas ſchreiben will/ nicht unge-
fragt ihrer cenſur ſolches zu thun ſich unterſtehen doͤrffte/ oder ſich ſo bald ihrer
cenſur befuͤrchten muͤſte. Dann wo ſolches gemuͤth iſt/ ſo kan keiner ſo behut-
ſam ſchreiben/ daß nicht ein und ander wort entfalle/ mit deren/ leider mehr-
mahl gebraͤuchlichen aber warhafftig gar unloͤblichen/ deutungen und verkeh-
rungen derſelbe ſolte zu dieſem und jenem gemachet werden. Solte es nun
dergleichen einen mann antreffen/ der ſo geſinnet waͤre/ ſo wolte ich E. Wohl E.
nicht verſichern/ daß nicht etwa die obige bekaͤntliche warheit eine mißliebige
cenſur davon tragen moͤchte/ ſonderlich wo die mir communicirte præjudi-
cia
darzu kaͤmen/ welche wie ſie Chriſtliche und ihres Herren ehr einig lie-
bende Theologos nicht offendiren werden/ als die ſich die herrſchafft
uͤber keines menſchen gewiſſen (die auch uͤber die Apoſtoliſche gewalt ge-
het) annehmen/ denenjenigen aber/ die auf obangedeutete art geſinnet ſeyn
moͤchten/ ſehr verdrießlich fallen und verurſachen werden/ daß ſie nach ver-
moͤgen einem ſolchen zu ſchaden kein bedenckens haben moͤchten/ welcher ihrer
autoritaͤt zunahe zu treten ſcheinet. Was in dem uͤbrigen die ſache eines
A a a 2re-
[372]Das ſechſte Capitel.
reſponſi von unſerem miniſterio anlanget/ ſo hab ich weder damahl gewußt/
was ſchreiben ſolte/ noch ſehe es ietzo in gegenwaͤrtigem ſtande. Jn der meß
waͤre abſolute nichts zuthun geweſen/ nicht nur wegen meiner damahligen
aus urſach der truckerey uͤberhaͤufften geſchaͤfften/ ſondern auch weilen inner
derſelben keine conventus miniſterii von alters her gehalten werden. So
warteten wir von woche zu woche (ja von tag zu tag) wie annoch/ die erſe-
tzung der nicht nur 2. durch den tod/ ſondern noch 3. andere durch baufaͤllig-
keit und hohes alter/ voͤllig oder ſo viel als erledigten ſtellen in dem miniſte-
rio:
aus dero erſetzung (weil ſonderlich einige ſuchen uns einen ſehr widrigen
Collegam nach ihrem vermoͤgen aufzutringen) das meiſte dependiret/ was
ich in ſolcher ſache von unſerem Collegio vor E. Wohl E. hoffen darff oder
nicht Welches auch wie oben gemeldet meines laͤngern ſtillſchweigens ur-
ſach iſt. Von mir kan ich alles zuſagen/ was in einer ſolchen gerechten ſache zu
eines mitbruders beſtem zu thun in meinen kraͤfften finden werde. Bißhero
habe auch bey meinen HHl. Collegis den geziehmenden eiffer gefunden zu
gleichem zweck; Wie ich hoffe Hr. Stenger werde ſich uͤber unſers Collegii
treue nicht zubeſchweren/ ſondern mit ſeiner erhaltung oder doch gewiſſer re-
ſtitution
wuͤrcklich deſſen genoſſen haben/ wo er in einigen ſtuͤcken unſerer
bruͤderlichen erinnerung haͤtte wollen ſtatt geben. Was aber in das kuͤnff-
tige zuhoffen/ ſtehet an denen ein groſſes/ was vor leute der hoͤchſte mir wi-
derum zuordnen/ und in zorn oder gnaden mit-arbeiter verleihen werde; in
dem es ietzo eine ſolche zahl iſt/ die ein ſtarckes in unſerem Collegio importi-
ret. Beliebet aber E. Wohl E. uns die ſache/ ſamt einem ſchreiben an uns/
zu uͤberſenden/ ſo werde verſuchen/ was ſich thun laſſen wird. Was die
truckerey anlanget/ ſo hats damit dieſe bewandnuͤß/ daß das miniſterium
die cenſur derſelben nicht hat/ ſondern ſolche ſtehet bey dem rath/ und hat
eine zeitlang ſolches wollen dahin gebracht werden/ daß ſie in Theologicis
nichts als nach erlangter einer Theologiſchen Facultaͤt cenſur allhier wolten
getruckt werden laſſen. Wie ich dann in vertrauen melde/ daß als einige
meiner eigenen und bereits einmahl getruckten ſachen/ ſolten iterata vice auf-
gelegt werden/ man ſolches ohne vorhergehende cenſur einer academiæ zuzu-
laſſen difficultirt/ ob wohl unſer gantzes Collegium durchgeleſen/ davon und
dazu mit mir gethan/ und es alſo ſo viel als zu ſeiner eigenen ſach gemacht: biß
endlich da wir ein Churſaͤchſiſches privilegium bekommen/ der truck nicht moͤchte
mit fug hintertrieben werden. Woraus E. Wohl E. einigerley maſſen meinen
zuſtand und wie viel hilffe anderwertige mitbruͤder von mir hoffen und nicht
hoffen moͤgen/ erkennen kan: Solte aber je etwas zutrucken noͤtig ſein/ und
anderwertlich nicht untergebracht werden koͤnnen/ ſo wuͤrde zuſuchen haben/
ob
[373]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO VII.
ob ich vermittels guter freunde in der nachbarſchafft etwas befoͤrdern koͤnte.
Wie ichs aufs wenigſte an meinem fleiß nicht ermangeln laſſen werde/ doch
auch in einer ſache/ da andere mit concurriren muͤſſen/ nichts verſichertes
zuſagen kan. Den HErren ruffe ich taͤglich an/ daß er ſich ſeiner armen
und in der zerſtoͤrung in groſſem elendſtehender kirchen gnaͤdiglichſt erbar-
men und dem verderben in allen ſtaͤnden ſteuren/ meinen geliebten mitbru-
der aber und unß alle ſamtlich/ die wir eine reine intention haben/ das unſere
mit treue zuthun/ mit ſeinen H. Geiſt alſo regieren wolle/ daß wir in allen
ſeinen rath erkennen/ denſelben uns beqvemen/ und mit entweder wuͤrckli-
cher zu werckrichtung alles verlangten guten/ oder mit gedultiger alles da-
ruͤber zuſtehenden leydens ausſtehung uͤberwinden/ und ſeinen nahmen ver-
herrlichen moͤgen. Amen! Mein zuſtand wie es dem himmliſchen Vater ge-
fallen habe/ von unterſchiedlicher zeit meine gedult/ demut und glauben durch
vielerley art uͤben zulaſſen/ zweiffele ich nicht/ werde E. Wohl E. ander-
wertlich her bekant ſein: So wird vielleicht auch zugeſicht ſein gekommen/
wie ein faͤlſchlich alſo genanter Balt. Rebhan oͤffendlich/ ob zwar ohn be-
nennung des articuls/ mir das zeugnis eines reinen Theologi in zweiffel ge-
zogen: nechſt ſolchem aber der Diaconus zu Nordhauſen G. C. Dilfeld (wo
er nicht ſelbſt eben jener Rebhan iſt) auch publice mich und meinen Schwa-
ger Enthuſiaſmi beſchuldiget habe. Zwar habe der guͤte des HErrn da-
vor danck zuſagen/ die mich darinnen einigs der mahlzeichen CHriſti und
ſeiner Juͤnger zutragen gewuͤrdiget/ auch dardurch eine materie zu elabori-
r
en an die hand gegeben hat/ die etwa vielen Chriſtlichen ſtudioſis ein nach-
dencken verurſachen/ mich aber aus vielem verdacht ziehen mag: indem ich
juͤngſthin unter dem nahmen der allgemeinen Gottsgelaͤhrtheit aller
rechtſchaffenen Chriſten und
Theologorum meine verantwortung in der
meß heraus gegeben/ die ich nicht weiß/ ob ſie werde bißher zuhanden ge-
kommen ſein. Jch uͤbrigen bitte meiner in dem gebeth vor dem HErren auch
treulich zugedencken/ ich werde gleiches zuthun auch nicht ermangeln/ 2. Jun.
1680.


A a a 3SECT.
[374]Das ſechſte Capitel.

SECTIO VII.


Wegen meiner Poſtill oder Evangeliſchen er-
klaͤhrung. Einiger wolgefallen daran. Nicht allen gefaͤl-
let einerley wol. Deſſen urſach
D. Pomarius.Dilfeld
beantwortet.


ES hat mich aus deſſen geliebten brieff hertzlich erfreuet/ daß GOtt meine
einfaͤltige arbeit in meiner Evangeliſchen erklaͤhrung ſo geſegnet/
daß einige fromme ſeelen ſich daruͤber vergnuͤgt befinden/ und dar-
durch aufgemuntert ſo dann zum lobe GOttes uͤber der mir erwieſenen gna-
de bewogen worden; und was ſoll uns mehr freuen/ alß wo uns der HErr
wuͤrdiget/ daß nicht nur von uns/ ſondern um unſert willen ſein nahme mit
danck geprieſen werde? Jch werde auch aus dieſem Exempel nochmahl be-
kraͤfftiget/ daß die krafft nicht ſtecke in der erudition, davon meine predigten
nichts in ſich haben/ oder doch mit willen etwas vor ſolcher darinnen ſehn
zulaſſen/ niemahls einige intention iſt/ ſondern in der groͤſten einfalt: Deß-
wegen mich ſo viel lieber noch immer weiter deroſelbigen befleißigen/ und Gott
darum bitten will/ mir die gnade zugeben/ daß ich niemahl mit vernuͤnfftigen
reden menſchlicher weißheit in Goͤttlicher ſache mich verſuͤndigen/ ſondern das
Evangelium in beweiſung deß Geiſtes und in krafft predigen/ und ſo treu er-
funden werden/ alß einige fruͤchten an den ſeelen/ der menſchen/ um ihn da-
vor ſo viel hertzlicher zudancken/ warnehmen moͤge. Ob auch einige von ſo
vornehmen Theologis alß auch andern guten Chriſten meine arbeit nicht ge-
fallen moͤchte/ habe weder ich noch andere/ die ſie lieben/ daruͤber uns zube-
ſchwehren/ nicht nur allein dieweil mir ſelbſt meine ſchwachheit bekant iſt/
darnach auch das werck ſchmaͤcken mag/ ſondern weil es auch in dieſem ſtuͤck
bewandt iſt/ wie in dem leiblichen/ daß/ wie nur von dem geſchmack zu re-
den/ einer an dieſer/ oder auf dieſe weiſe zu bereiteten/ ein ander an einer an-
dern ſpeiſe ſein vergnuͤgungen meiſtens findet/ und damit keiner deß andern
geſchmack verwirfft/ alſo auch die art das geiſtliche vorzutragen/ welche alle-
zeit etwas von uns an ſich hat (wie ſo gar der H. Geiſt denen von ihm un-
mittelbar erleuchteten maͤnnern dennoch jedem ſeinen eigenen ſtylum gelaſſen)
kan einem ſo/ dem andern anders/ gefallen/ und das gemuͤth durch eines eher
alß durch des andern bewogen werden/ ie nachdem es meiner eigenen art und
offt nicht genugſam bekanter diſpoſition meines gemuͤhts gemaͤßer iſt:
Da hingegen eine andere art/ ob ſie wohl eben ſolche warheit auch vortraͤgt/
mich
[375]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO VII.
mich nicht ſo vergnuͤgen wuͤrde/ die aber einen andern mehr affciret/ den
die von mir beliebte nicht alſo vergnuͤget haͤtte. Alſo wo jemand ſein belie-
ben in demjenigen bezeugt/ was mir etwa GOtt beſcheret/ ſo dancke ich deſ-
ſen guͤte darvor: legets ein anderer weg/ ſo halte ich darvor/ daß es entweder
an mir mangle/ oder doch meine art ſeiner diſpoſition ſo nicht gemaͤß ſeye/
alß es zu ſeiner vergnuͤgung noͤtig geweſen. Findet jemand einiges menſch-
liches in meinen ſachen/ wie ich mich einen menſchen zuſein erkenne/ ſo werde/
da mir ſolches gezeigt wird/ mich nicht nur nicht daruͤber beſchwehren/ ſondern
wo ich ſolches ſelbſt alß dann erkenne/ mich ihm davor zu dancken verbun-
den finden. Allein uͤber die jenige haͤtte ich mich zubeſchweren/ ſo jemand
der Goͤttlichen warheit in den ſtuͤcken/ die ich von deroſelben bezeugt haͤtte/
wiederſprechen und ſie laͤſtern wolte. Davon noch was die Poſtill anlangt
nichts gewahr worden bin. Von Hr. D. Pomario verſehe ich mich dieſes/
weil ich von lieben freunden ſeinen eyffer zur Gottſeligkeit und anderes gutes
ruͤhmen hoͤre/ das ob es ſchon ſein ſolte/ das ihm etwa eines und anderes
in meinen ſachen nicht allemahl gefallen ſolte/ wir doch in Chriſtlicher freund-
ſchafft und einigkeit des geiſtes werden ungetrennet beharren; wie dann eben
dieſes auch ein uns Chriſten ſehr nothwendiges ſtuͤck iſt/ mit ſanſſtmuth ge-
gen alle zu verfahren/ und alles zutragen. Was meinen wiederſacher an-
langt/ welcher die nothwendigkeit der Goͤttlichen erleuchtung zu der Theolo-
gia
geleugnet/ hoffe ich demſelben durch GOttes gnade alſo begegnet zu ha-
ben/ daß er der warheit meiner lehr ſelbſt uͤberzeugt werden ſolle/ und ſich
doch uͤber keine hefftigkeit werde beſchwehren koͤnnen. Wo einige ihres orts
bißher geſchienen haben/ ſolcher warheit auch zu widerſprechen/ hoffe ich wer-
de es in weiterem unterſuchen gefunden werden/ daß bey ſolchen etwa allein
wegen des worts einiger ſtreit moͤchte ſein. Jch hoffe GOtt werde auch da-
rin ſein licht uns immer laſſen klaͤrer werden. Ach daß wir ihm nur immer
fuͤr das erſte danckbar wuͤrden/ ſo wirds nicht ermangeln/ daß er uns nicht
immer mehrers gebe. 8. Jun. 1680.


SECT.
[375[376]]Das ſechſte Capitel.

SECTIO VIII.


Meine unerfahrenheit in ſchulſachen. Gute ſchul-
leute/ Hinckelman/
Grabovius, Pikerus.Einige regeln ſo
zu der ſchul dienlich. Bedencken wegen abſchaffung
exor-
ciſmi
undElenchi nominalis.


JCh wuͤnſchte hertzlich/ das Mhhl. gethanen anſinnen/ wegen eines
methodi die pietaͤt in den ſchulen zutreiben/ ein vergnuͤgen zu thun
vermoͤchte. Aber ich erkenne darinnen meine ſchwachheit/ und wie
ich die art mit der ſchul-jugend umzugehen gar nicht verſtehe. Jch bin mein
lebtag in keiner oͤffentlichen ſchul geweſen/ alß der ich unter privat-Præcepto-
ribus
in meiner lieben Eltern hauß erzogen worden/ alſo habe von andern
niemahl geſehen/ wie mit der jugend in der ſchul gehandelt werden muͤſſe/ ſo
gar daß ich auch bey den meinigen ſelbſt es anderer Chriſtlichen prudenz uͤ-
berlaſſen muß/ wie darinnen zuverfahren. Daher ich mit vorſchlaͤgen keinen
andern zu hand gehen kan. Wolte deßwegen meinen vielgeliebten freund
vielmehr an andere dieſer ſache verſtaͤndigere gewieſen haben/ ſonderlich an 3.
Chriſtliche Gottſelige maͤnner/ die mir biß daher durch ſchreiben bekand wor-
den/ und ich ihr von GOtt empfangene gnade erkand zu haben meine. Wel-
che ſind Hr. M. Abraham Hinckelman Rector zu Luͤbeck/ Hr. Georgius
Grabov Con-Rector
zu Coͤln an der Spree und Hr. Johannes Piker Pro-
Rector
zu Koͤnigsberg: wolte ſich der ſelbe an jemanden von dieſen dreyen a-
dreſſir
en/ und von ihnen fernern bericht ſuchen/ ſo hoffe ich/ er werde hertzli-
ches vergnuͤgen von ihrem rath finden. Jch mag auch wohl leiden/ wann
ihm beliebig/ daß er ſich auf mich/ ihn an ſie gewieſen zuhaben/ beruffe. Gleich-
wohl damit ich mich nicht gar entbreche/ ſo wolte allein dieſe wenige errin-
nerungen thun/ die mich noͤtig deuchten 1. Daß vor allen dingen getrachtet
werde/ daß die H. ſchrifft ſelbſten/ ſonderlich N. T. der jugend recht fami-
liar
gemacht/ und bekanter werde/ alß alles uͤbrige/ was in Theologicis do-
cir
et wird/ und deßwegen daß alle theſes, die man in den compendiis oder
catecheſi (was jegliches orts in den legibus ſcholaſticis vorgeſchrieben iſt)
lehret und lernet/ in der ſchrifft gezeigt/ und die dicta ſo wohl der gedaͤcht-
nuͤs eingetrucket/ alß dero krafft ihnen zuverſtehen gegeben werde. Damit
die jugend fruͤhe ſich anfahe zugewehnen/ in den dictis acht zugeben/ wie die
erweiß daraus gefuͤhret werden/ und alſo einige analyſin derſelben/ wie ſie
ihrem
[377]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO VIII.
ihrem alter und profectibus gemaͤß iſt/ anzuſtellen. Solches gibt ihnen ei-
ne herrliche gewißheit damit alſo aller ihr glaube nicht auf menſchen autori-
t
aͤt/ ſondern auf GOttes wort alſo beruhe/ daß ſie gleich aus ihrer eigenen
uͤberzeugung aus den ſpruͤchen verſichert werden/ daß ihre confeſſion/ darin-
nen ſie unterrichtet worden/ in Goͤttlicher warheit grund habe. Nechſt
dem das bey dem unterricht es niemahl bleibe/ daß allein die theſes der glau-
bens articul ihnen vorgelegt werden/ ſondern das bey allen und jeden/ wie
es geſchehen kan/ alle mahl gezeigt werde/ was ſothaner glaube in der praxi
erfordere/ und woran ſie/ ſolche ding warhafftig zu glauben/ bey ſich eine
verſicherung finden koͤnten. Auf das die liebe jugend ſo bald von der eitelen
fleiſchlichen einbildung des glaubens oder falſchen concept davon/ welcher
des groſſen hauffen hertzen erfuͤllet hat/ abgewendet/ und ſich und ihren glau-
ben zu pruͤffen und zu unterſuchen gewehnet werden. Davon ich gewiſſen
nutzen hoffe. Wird auch ſehr ſtattlich hierzu ſein/ daß unter dem dociren im-
mer einige bewegliche paræneſes mit unter gemiſcht werden/ daß ſie lernen
verſtehen/ wie ihnen ohn die praxin aller fleiß nichts nuͤtze/ und ſie zeitlich ei-
nige liebe und forcht vor GOtt faſſen. Auch achtete es ſehr nuͤtzlich/ daß
bey den jenigen/ welche ihres muthwillens oder andere fehler willen zu eini-
ger ſtraf oder diſciplin gezogen/ vorher aufs beweglichſte mit remonſtra-
tion
ihrer Suͤnde uͤberzeugt werden/ damit ſie nicht nur die ſtraff alßdann
ſo viel geduldiger ertragen/ ſondern dieſelbe alßdann auch bey ihnen eine
rechte frucht ſchaffen kan/ da ſie ſehen/ wie es nicht ein zorn oder moroſitaͤt
der Præceptorum ſeye/ ſondern wie ſie es verſchuldet zu haben ſelbſt bekennen
muͤſten/ und wahrhafftig befinden/ daß es ihnen nuͤtzlich ſeye. Dieſes waͤ-
ren alſo die jenige erinnerungen/ die mir in ſolcher materie vorkommen/ und
ſie zu MHhl. gottſeliger fernerer uͤberlegung heimgebe: Jn dem uͤbrigen ihn
an obgedachte liebe freunde verwieſen haben will. Was die andere Anfrage
betrifft/ wegen der unterlaſſung des exorciſmi und elenchi nominalis, iſt
mir nicht alles ſo genugſam/ was bißher in ſolcher ſach in ihrem lande und kir-
chen vorgeganen/ bekant/ wie es noͤthig waͤre/ wo man hie von gruͤndlich
urtheilen ſolte. Jch haͤtte auch billig bedencken/ in ſolcher ſache meine meinung
zu ſagen/ aus betrachtung meines zuſtandes/ da ſo vieler augen auf mich ge-
richtet/ und begierig ſind etwas von mir zufinden/ oder aufzufangen/ mich ir-
riger lehr oder colluſion mit derſelben zu beſchuldigen; daher ich publice mich
heraus zulaſſen mich nicht reſolviren wuͤrde/ ohne austruͤcklich dazu haben-
den beruff/ mir nicht mehrere gefahr uͤber den hals zuziehen. Weil es aber
mit ihm als einem ſolchem freunde zuthun habe/ welcher alles mit liebe auff-
zunehmen/ und ſolches nicht vor andere/ weniger zu publiciren/ ſuchet/ als
will mich gegen denſelbigen bruͤderlich expectoriren. Was dann erſtlich
B b bden
[378]Das ſechſte Capitel.
den exorciſmum betrifft/ erkenne ich ſolchen nicht allein vor ein adiaphorum,
ohne welchen die kirch wohl ſeyn kan/ ſondern dancke GOtt/ daß wir ihn we-
der in der hieſigen noch Straßburgiſchen kirchen/ da ich vorher geſtanden/ ha-
ben: daher ich mein tag denſelben nie gehoͤret habe. Jch erkenne ferner/ daß
die formulæ ſehr hart lauten/ und alſo einer guten explication wohl beduͤrf-
tig ſind: Jndeſſen weil ſie gleich wohl ſolche erklaͤrung leiden/ und es ein alter
ritus in der kirche geweſen/ verwerſſe ich ihn nicht/ und wuͤrde deßwegen in
der kirchen ſolchen nicht ſelbſt abſchaffen/ wo er lang gewoͤhnlich geweſen:
Hingegen auch/ da ich eine kirche erſtlich anzuordnen haͤtte/ ihn nicht gern
einfuͤhren. Weßwegen nun auf die hypotheſin ſelbs zu kommen/ wo die o-
brigkeit ſolches adiaphoron will gantz abgeſchafft haben/ ſehe ich nicht/ wie
man/ wo nicht andere umſtaͤnde ſolches erfordern/ deroſelben beharrlich wi-
derſetzen koͤnne; in dem ohne das derſelbe als Epiſcopi gewalt in ſolchen ex-
ternis
von der kirchen erkant wird. Jedoch beklage ich austruͤcklich/ daß ich
ſolche unterlaſſung auf eine ſolche art zu geſchehen verlangte/ welche der war-
heit des Evangelii in der lehr nicht præjudicirlich/ und der kirche nicht aͤrger-
lich ſeye. Koͤnte eine ſolche ſache alſo geſchehn/ daß die kirchen eines landes
ſelbſt zuſammen treten/ und aus freyem willen eine ſolche ceremonie, wel-
che ſie weder noͤthig noch groß erbaulich finden/ und aus derſelben einige aͤr-
gernuͤß/ ſo wohl der ſchwachen als wiederwertigen ſehen/ abſchaffen/ ſo waͤ-
re es ſo viel beſſer/ und einige difficultaͤten/ die ſich ſonſten in der ſache fin-
den/ gehaben. Denn die kirche hat macht die ceremonien entweder einzu-
fuͤhren oder abzuſchaffen/ je wie ſie erkennet die erbauung mit ſich zu bringen.
Weil es aber/ wo von der obrigkeit anderer religion ſolcher verboten wird/
uns vornemlich darum zu thun iſt/ daß nicht durch weichung/ von ſolchem
zwang die lehr ſelbſt oder doch dem anſehen nach einige noth leiden/ und alſo
die warheit den widerſachern verrathen/ ſo dann die ſchwachen geaͤrgert wuͤr-
den. So erkenne ich gern/ dafern die ſache nicht anders nemlich bey be-
haltung der warheit/ geſchehen koͤnte/ ſo muͤſte lieber alles gelitten werden/
als daß wir Chriſtum oder etwas ſeine ehr angehendes/ auch nur in einem
ſtuͤck vor den menſchen verleugnen wolten: Jch meine aber/ es laſſen ſich mit-
tel finden/ daß ſolches vermieden werde. Wo erſtlich einer gemeinde deutlich
und klar vor augen gelegt wuͤrde/ was es vor eine bewandtnuͤß mit der cere-
monie
habe/ was deroſelben nutzen oder incommodum ſeye/ welches die ur-
ſachen waͤren dieſelbe zu behalten oder auch abzuſchaffen: wofern die warheit
der lehr etwas mit ſolchen adiaphoris zuthun habe oder nicht/ und was der-
gleichen dinge ſeyen. Auf daß alſo die gantze gemeinde voͤlligen bericht da-
von habe. Als zum exempel wie wir aus goͤttlicher warheit glauben/ daß die
kinder warhafftig aus ihrer ſuͤndlichen verderbnuͤß unter GOttes zorn und in
der
[379]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO VIII.
der gewalt des Satans ligen/ dadurch ſie krafft der erloͤſung Chriſti/ die ih-
nen in der tauff geſchencket wird/ befreyet werden: wie auch um ſolcher ur-
ſach willen die alte kirche den exorciſmum eingefuͤhret/ ſo thane gewalt des
boͤſen feindes anzudeuten: wie die wort hart lauten/ aber ſolche lehr wohl mit
andern nachtruͤcklichern und weniger anſtoͤßigen worten koͤnne angedeutet wer-
den: wie zwar ſorge ſeye/ daß die Reformirten moͤchten damit auf die derje-
nigen ihrer lehrer lehre ſehen/ welche eine ſonderbare natuͤrliche heiligkeit der
kinder lehrten/ und die gewalt des Satans uͤber die ſuͤndige verderbnuͤß nicht
erkenneten: wie aber auch/ ohne die reformirte/ viel andere gottſelige hertzen/
die in der lehre rein und pur waͤren/ einigen eckel und anſtoß an dieſer cere-
monie
haͤtten/ wie man ſich auch bey unterlaſſung der ceremonie wegen der
reinigkeit der lehr wohl verwahren koͤnte/ und was dergleichen mehr waͤre. 2.
Solte nun die gemeinde damit alſo convincirt werden/ daß ſie erkennete/ es
gehe ihrer religion und warheit nichts ab/ ſondern werde von ihnen das-
jenige gefordert/ was ſie aus eigenem willen wohl ohne das haͤtte thun moͤ-
gen/ und worinnen ſie andern Evangeliſchen kirchen auch gleich ſeyn wuͤrden/
ſo ſehe ich nicht/ daß man weiter bedencken machen moͤchte; Dann damit
fiehle alles aͤrgernuͤß der ſchwachen einer ſeits/ und auch derjenigen/ welche
auf der andern ſeiten ſich ſelbſt an der ceremonie geſtoſſen/ ſo wohl von den
unſrigen als den reformirten/ und zwar unter dieſen/ nicht nur bey denen/
welche die lehr ſelbſt ſo damit gemeint iſt/ nicht belieben moͤchten/ ſondern
auch denjenigen/ die ſamt vielen der unſrigen/ die harte redens art/ die ja be-
kantlich einer linderenden erklaͤrung noͤthig hat/ mit eckel anhoͤren/ ja viele
von dieſen dazu gantz ungleiche gedancken von unſerer religion ſchoͤpffen/ ob
glaubten wir die kinder beſeſſen zu ſeyn/ und haͤtten mit den Papiſten hierin-
nen zu viele gemeinſchafft/ koͤnnen ſich auch in die erklaͤrung ſo wohl nicht
ſchicken/ daß mans dem nicht lieber mit andern worten gebe/ und wuͤrden
von unſerer religion ſo vielmehr abgehalten. Waͤre alſo nicht nur damit dem
beſorgenden aͤrgernuͤß vorgekommen/ ſondern anderes mehres aͤrgernuͤß ab-
gewendet. Und moͤchte dann bey der widrigen religions obrigkeit auch dieſe
oͤffentlich proteſtation geſchehen/ wie man ihrem gebot ſich ſubmittire/ nicht
daß man den exorciſmum ſchlechter dings verwuͤrffe/ ſondern ſich damit nicht
trenne von der kirchen/ die denſelben haben/ vielmehr ihnen ihren gebrauch
willig laſſe/ wo ſie ihn vor ſich gut befinden: Man bedinge auch austruͤck-
lich/ daß man diejenige lehr von der gewalt des Satans uͤber die verderbte
menſchen die er aus der ſuͤnde hat/ erkenne und zu bekennen nicht unterlaſſen
werde/ daher durchaus nichts darvon nachlaſſe/ was ſonſten andere kirchen
damit andeuten wollen: ſondern man thue ſolches/ mit eben ſolcher ablegung
B b b 2zube-
[380]Das ſechſte Capitel.
zu bezeugen/ daß wir nicht/ wie wir von dem gegentheil offt beſchuldigt wor-
den/ ſolche ceremonie vor nothwendig achteten/ ſondern daß wir ſie ein adia-
phorum
ſeyn lieſſen: ſo dann weil man keine ſolche erbauung daraus ſehe/
die wuͤrdig waͤre/ der gemeinde andere ungelegenheit daruͤber zugezogen wer-
den zulaſſen/ viel mehr dieß mahl ſie derſelben nicht mehr nuͤtzlich oder erbau-
lich achtete. Damit hielte ich allein vorgekommen zu ſeyn/ was ſonſten zu
beſorgen geweſen waͤre. 3. Solte aber die gemeinde nicht willigen/ und das
aͤrgernuͤß nicht uͤberwinden koͤnnen/ ſondern bezeugte/ daß ſie ſich daruͤber
aͤrgerte/ geſtehe ich ſelbſt/ daß alsdann der prediger die ſach nicht unterlaſſen
doͤrffte. So habe ich auch ferner zu bedencken/ daß auch in conſide-
ration
zu ziehen/ daß mit andern kirchen/ denen eben ſolche anmuthung
geſchiehet/ bruͤderlich conferiret/ und ſonſten alle ſpaltung verhuͤtet werde.
Wie dann eben deßwegen aus unwiſſenheit/ weſſen ſich bißher ein und andere
ihrer Maͤrckiſchen kirchen erklaͤret/ und was dergleichen mehrere umſtaͤnde
ſind/ nicht anders als in ſolchen generalibus antworten kan. Des Elenchi
nominalis
wegen aber erklaͤre ich mich alſo/ daß wo Eccleſia libera iſt/ ſol-
cher ja nicht ſolle unterlaſſen werden/ wegen des vielen nutzens den er hat/
wie wohl er gleichwohl auch als dann mit gebuͤhrender modeſtia billig zu fuͤh-
ren iſt. Was aber eine ſolche Eccleſiam preſſam anlangt/ da derſelbe
verboten/ oder ſonſten die kirche ſolcher ihrer diener mit dero abſchaffung
beraubet wird/ hielte ich davor/ daß derſelbe wohl moͤchte unterlaſſen wer-
den. 1. Kan die lehr deſto gruͤndlicher den leuten in theſi gezeigt werden/
daß ſie/ wo ſie darinnen gegruͤndet/ von der verfuͤhrung nicht ſo groſſe gefahr
haben. 2. Kan auch die antitheſis ſolide tractiret werden/ ob man wohl die
leute nicht nennen darff/ daß die zuhoͤrer eben ſo wohl wiſſen/ was ſie ver-
werffen/ alß was ſie glauben ſollen. 3. Was man nicht oͤffendlich ſagen darff/
zu nennen/ wer diejenige ſeyen/ die ſo und ſo lehren/ mag in der privat-infor-
mation
der catechumenorum, die zu dem H. Abendmahl confirmirt wer-
den ſollen/ ſo dann in privat-converſation mit ſeinen zuhoͤrern alſo erſetzet
werden/ daß ſie genugſam gegen alle verfuͤhrung verwahret/ und nachmahl
wo ſie ſuppreſſo nomine einige irrthum widerlegen hoͤren/ wiſſen wer ſol-
ches lehre. Zu geſchweigen daß ſie entweder von den reformirten dergleichen
irrige lehren hoͤren oder nicht; geſchiehet dieſes nicht/ ſo iſt auch keine ſorge
der verfuͤhrung; geſchiehets aber/ ſo werden ſie dagegen bereits genug ver-
wahret/ wann ſie den ſatz und gegenſatz genug gefaſſt. 4. Wo treue lehrer
ſich lieber um ſolches verbots willen wolten removiren laſſen/ wuͤrde damit
der kirchen nicht nur kein nutzen/ ſondern viel mehr dieſer ſchade zugefuͤgt/
daß ſie der treuen hirten/ welche ſie noch auf andere weiſe haͤtten verwahren
koͤn-
[381]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO IX.
koͤnnen/ daß ihnen der mangel des elenchi nominalis nichts geſchadet haͤtte/
beraubet/ und nachmahl ihnen ſolche vorgeſetzet wuͤrden/ die nicht nur willig
ſolchen unterlieſſen/ ſondern wohl gar endlich heimliche verraͤther unſerer
warheit wuͤrden/ zu dem euſerſten verderben der kirchen. Daß alſo/ wo wir/
wie wir ſollen/ auf das thaͤtige beſte der kirchen ſehen/ dieſelbe zwar von der
omiſſione elenchi ſchaden haben/ aber noch groͤſſern ſchaden gewiß haben
wuͤrde von der wiederſetzung/ wo aber allezeit unter zweyerley gefahren die
geringſte zu erwehlen. Dem nicht entgegen ſtehen mag/ daß man nicht boͤſes
thun ſolle/ daß gutes daraus erſolge. Dann ſolche regel geſtehe ich gern/ a-
ber glaube hingegen/ daß wohl zu weilen etwas gutes moͤge unterlaſſen wer-
den/ daß nicht ein mehreres gute verhindert oder boͤſes verurſachet werde.
Wie ohne das die gewoͤhnliche regel iſt: Præcepta negativa obligant ad
ſemper: non item affirmativa.
Dieſes iſt meine einfaͤltige meinung/ die ich
in dem freundlichen vertrauen/ ſo derſelbe mir gemacht/ habe uͤberſchrei-
ben wollen/ der zuverſicht/ daß derſelbe die ſache in der furcht des HErrn
erwegen/ und dieſes ſchreiben alß vor ſich behalten werde/ daß es mir ohne
anſtoß ſey. 16. Jun. 1680.


SECTIO IX.


An einen vornehmenPoliticum.Verderben in
unſerer kirchen. Jch und
Horbiustreiben nicht bloß auf ein
moral-leben/ ſondern dabey eine hertzens aͤnderung aus
dem glauben ſich findet. Ob in
modogefehlet werde. Von
den wiedrigen aufgebrachten nahmen der neuen Chriſten/
Pietiſten: geſchiehet ohne unſere ſchuld. Hochachtung Lu-
theri/ dem viele nicht nachfolgen.


BEdancke mich zum foͤrderſten der groſſen gewogenheit gegen mich und
meinen geliebten Schwager Hr. Horbium, vornemlich aber und mei-
ſtens gegen die gute ſache GOttes/ die wir zutreiben nach allem ver-
moͤgen gern wollen befliſſen ſein. Es iſt freylich an dem/ wie E. Excell.
vernuͤnfftig bezeugen/ daß wir prediger meiſte mehr ſuchen/ uns ſelbſt groß
und reich/ weder andere fromm/ zu machen. Daher entſtehen alle aͤrgernis
und uͤbriges uͤbel unſerer kirchen/ uͤber welches wir zu klagen haben/ und er-
breitet ſich die kranckheit aus dem haupt und hertzen in die uͤbrige glieder.
B b b 3Deß-
[382]Das ſechſte Capitel.
Deßwegen billich/ wann an verbeſſerung zu dencken iſt/ wir ſolcher in unſe-
rem ſtand zu geſchehen und angefangen zu werden uns nicht beſchwehren
doͤrffen. So iſts auch freylich ſo/ wie ſie abermahl ſelbſt anmercken/ daß
Hr. Horb. ſein werck dieſes vornemlich laͤſſet eifrig ſeyn/ das verdorbene le-
ben bey den Chriſten zuverbeſſeren/ aber alſo/ daß es nicht nur zu einem
Heidniſchen erbahren Moral- leben komme/ ſo nur in euſſerlichen verrichtun-
gen und wercken beſtehet/ ſonderen das zum grund in den hertzen der wahre
glaube an Chriſtum/ die erkaͤntnuͤs und ergreiffen der theuren heyls-guͤter
in ihm geleget werde/ wo ſichs darnach nicht fehlen kan/ daß nicht auch aus
dem menſchen ein gantz anderer und neuer/ andersgeſinnter/ menſch wer-
de/ der nicht nur euſſerlich anders thue und lebe/ als ſonſten ein fleiſchlicher
menſch zu thun und zu leben pfleget/ ſonderen wahrhafftig in ſeiner ſeele an-
ders geartet ſeye/ der nemlich aus der lebendigen erkaͤntnuͤs der himmliſchen
guͤter die welt mit ihrer herrligkeit gering achte und ſchaͤtze/ und derſelben lie-
be und vertrauen wahrhafftig verleugne/ und alſo in allen ſtuͤcken/ in ſeinem
ſo gemeinen als abſonderlichen beruff ſein gantzes thun/ dermaſſen einrichte/
daß er in allem nichts ſeines eigenen vor ſich ſuche/ ſonderen in allem nur
auff die befoͤrderung ſeines GOttes ehre/ des nechſten liebe/ wie ſie ſich in
geiſt-und weltlichen gutthaten hervor thut/ und ſeiner eigenen ſeelen heil ab-
zwecke/ daher alle ſeine dinge dermaſſen einrichte/ wie der ſelbige zweck am
fuͤglichſten und nachtruͤcklichſten bey ihm moͤge erhalten werden/ demnach der
welt ſich gebrauche aber nicht mißbrauche und ſich ſelbs in allen ſtuͤcken das
exempel ſeines heilandes ſeine rechte regel und muſter der nachfolge ſein laſſe.
Eine ſolche beſſerung der Morum, die ſelbſt in dem grund des hertzens ge-
ſchiehet/ und nachmahl das gantze leben regieret/ deswegen erſtlich auf dem
Goͤttlichen glauben beruhet/ iſt der zweck/ gleichwie herren Horbii/ alſo auch
der meinige/ weßwegen wir allemahl die lehr des Evangelii zu grund legen/
damit nachmahl/ was von dem leben gelehret wird/ auff ſolchem grund be-
ſtehe. Was aber den modum anlanget/ weiß ich nicht was E. Excell. ge-
dancken davon ſeyn/ wo darin gefehlet werde/ alß der ich/ was Hr. Horben
anlangt/ in Windsheim nicht zu gegen bin/ und alſo/ weilen mir von ihrem
modo nichts wiederliches vorgebracht worden/ nichts urtheilen kan/ ob da-
rin etwas deſideriret werden moͤge: Wie es freylich wohl eine muͤgliche ſa-
che ſeyn kan/ daß in einem gantz guten werck der modus/ da in demſelben
unrecht verfahren wird/ ſolches verderben moͤgte. Solte aber E. Excell. ent-
weder verſichert wiſſend/ oder von anderen vorgebracht worden ſeyn/ da der
modus unzimlich waͤre; wuͤrde ich gehorſamlich um grgſtl. communication
zu bitten/ und ſolche alßdann vor eine groſſe wohlthat zu achten haben. Jn-
dem
[383]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO IX.
dem es mir ſo wohl zu meinem eigenen verhalten/ als dazu dienlich ſeyn wird/ mit
meinem geliebten Schwager daraus zu handeln/ der ſich in allem willig weiſen
laſſen/ und ſich den jenigen/ die es ihm anzeigen verbunden erkennen wuͤrde.
Jndem hiedurch entweder durch gute nachricht die ſcrupulos zu benehmen/ oder
wo etwas angetroffen wird/ ſolches angelegenlich zu beſſeren gelegenheit gege-
ben wuͤrde. Welches beydes eine ſache iſt/ dero man ſich hertzlich zuerfreu-
en hat; hingegen mir offtmahls dieſes eine groſſe hinderung geweſen iſt/ daß
ich nicht ſo vertraulichen bericht von allem bekommen habe/ was etwa ein
und andere hie oder dort an mir oder meinen verrichtungen deſiderirten.
Was zwar die nahmen der neuen Chriſten/ pietiſten und dergleichen anlangt/
dero E. Excell. meldung thun/ hoffe ich nicht/ daß jemand von uns oder un-
ſeren bekanten freunden ſolchen jemahl von ſich ſelbſt werde gebraucht haben/
und daher uns deſſen ſchuld einigerley maſſen moͤgte zu gemeſſen werden koͤn-
nen/ ſondern ſolche nahmen ſind von den wiederich-geſinneten und uͤbel-wollen-
den uns zum ſchimpff auffgebracht worden/ damit uns ſolche leute wehe zu
thun gedencken und unſer damit ſpotten. Da wir zwar ihnen ſolches nicht
verwehren koͤnnen/ ſondern es leyden muͤſſen/ gleichwie wo wir ſonſten ge-
laͤſtert werden/ aber wir machen uns derſelben ſelbſt nicht theilhafftig. Wir
wiſſen auch von keinem neuen ſonderen dem alten Chriſtenthum/ ſo von
Chriſto und den alten Apoſtelen gelehret worden/ und zwar in einer ſteten
erneuerung ſeiner ſelbſt beſtehet/ aber in allen dingen nicht auff einige neugi-
rigkeit ſondern vielmehr darauf bedacht ſind nach den alten regelen des Her-
ren ſich an zuſchicken. Sonſten wuͤrde freylich den wiederſacheren unſerer
kirchen urſach und anlaß zur laͤſterung gegeben/ wo wir uns mit gewiſſen
nahmen oder ſonſten auf andere weiſe von anderen trenneten/ die wir ja in der
einigkeit des geiſtes mit den bande des friedens allen verbunden wandelen ſol-
len. Das aber einige des guten gehaͤßige ſelbſt mit ſolchen erdichten nah-
men daſſelbe wollen verdaͤchtig machen/ und damit ſo wohl unſere kirche aͤr-
geren/ als die feinde laͤſteren machen/ haben ſie ihr gericht deßwegen zu tra-
gen/ und wird [d]ie ſchuld ſehr ſchwehr auff ihnen liegen. Lutherum achte
ich als einen theuren GOttes mann ſo viel hoͤher/ als mir GOtt die gelegen-
heit gemacht/ ſeine ſchrifften mit fleiß durch zuleſen/ und alſo den in ihn ſo
reichlich gelegten geiſt zu erkennen/ ſo wuͤnſchet auch nichts mehr/ als daß in
den allermeiſten ſtuͤcken alles vornemlich nach ſeinen vorſchlaͤgen gehen moͤch-
te. Maſſen alle die dinge/ ſo etwa bißher an meinen ſachen von mißguͤn-
ſtigen getadelt worden/ ſolchen lieben und vortreflichen lehrer zum zeugen ha-
ben/ aus dem ich auch das meiſte genommen habe. Und was iſts/ wo ich von
der lebendigen glaubens krafft/ und wie der glaube ſo gar etwas anders als
die
[384]Das ſechſte Capitel.
die fleiſchliche menſchliche einbildung von CHriſto ſeye/ bey aller gelegen-
heit treibe/ als daß ich damit dieſem meinem wertheſten vorgaͤnger fol-
ge/ und vielmahl die wort ſelbſt von ihm entlehne: Sonſten aber ſor-
gen muß/ wann derſelbe heut zu tag ſolte auffſtehen/ wuͤrde er von
ſeinen nachfolgeren gar manche nicht vor ſeine juͤnger und diſcipulos erken-
nen/ als die offt einige principia, die er ſo hefftig gegen die Papiſten be-
ſtritten/ mit fleiß wieder unvermerckt in die kirche einzufuͤhren trachten. Nun
wir haben/ ohngeacht der welt urtheil/ alle zeit getroſt zu thun/ was der
HErr von uns fordert: und verſehe ich mich von E. Excell. hertzlichen eif-
fer vor der kirchen beſtes und goͤttliche ehr noch ferner treuen beyſtandes/ vor
alle diejenige/ welche auch nichts anders ſuchen als ſolche zwecke zu erreichen/
wie ſie mehrerwehnten meines geliebten Schwagers ſich biß dahin grgl. an-
zunehmen nicht ermanglet haben: da vor hertzlich dancke und nechſt treuer
empfehlung in die gnade/ ſegen und regierung des himmliſchen Vaters/ wel-
cher dero hohes alter noch ferner mit neuen kraͤfften ſtaͤrcken und mit taͤglichem
ſegen bekroͤhnen wolle; verbleibe ꝛc. 18. Jun. 1680.


SECTIO X.


An einen Edelmann. Goͤttliche verheiſſungen
muͤſſen alle herrlich erfuͤllet werden. Welches uns aufmun-
tert. Das gericht uͤber Babel nahe: Durch welches aber
GOtt vorher ſein gericht an uns anheben wird.
MS.über
die offenbahrung. Nicht allen iſt die gabe gegeben/ ſich wohl
zu erklaͤren. Die ſind zum ſchreiben nicht beruffen. Was
vor andere geiſtliche uͤbungen vorzunehmen zu Gottes dienſt/
eigener erbauung/ und des nechſten liebe. Zuſtand in Franck-
furt.
Methodusdie glaubens-lehr zutractiren.
Dilfeld. Horbius. Winckler.


SEine liebe und vertrauliche brieffe betreffend/ haben mich dieſelben in
dieſem ſtuͤck erfreuet/ daß ich daraus erſehen/ wie die goͤttliche gnade
kraͤfftig uͤber ihn zu walten und ihr werck fortzuſetzen fortfahre. Jn-
dem er nicht nur der ſchwehren leibs- und gemuͤths-ſchwachheit/ damit GOtt
ſeinen glauben und ſeine gedult geuͤbet/ aber ſolche wiederum weggenommen/
und
[385]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO X.
und ihm mehrere kraͤfften aufs neue verliehen habe/ gedencket/ ſondern auch
die gantze brieffe ſelbſt lebendige zeugnuͤſſen ſind ſeines lebendigen und unge-
faͤrbten glaubens/ auch freudiger hofnung auf die erfuͤllung der theuern ver-
heiſſungen unſers warhafftigen GOttes uͤber und von ſeinen glaͤubigen ge-
ſchehen; welche freylich alle biß auf das letzte puͤnctlein nothwendig muͤſſen
erfuͤllet werden/ und nicht ein woͤrtlein von allen denſelben wird auf die erde
niederfallen/ oder außbleiben. Ja wir koͤnnen verſichert ſeyn/ wie herrlich
wir uns die erfuͤllung derſelben verheiſſungen auß dem buchſtaben vorbilden/
ſo faſſen wir doch die vortrefflichkeit derſelben nicht dermaſſen/ daß nicht die
erfuͤllung ſelbſt unermaͤßlich herrlicher ſeyn werde. Dann es iſt alle krafft
der wort zu geringe/ unſer verſtand zu ſchwach und zu kindiſch/ ja das maß
unſers Glaubens annoch viel zu gering/ als daß jene ſolten die hochheit der
herrlichkeit/ die der HErr bereitet hat/ austrucken/ dieſe aber dieſelbe recht voll-
kommen und nach ihrer wuͤrde faſſen und begreiffen koͤnnen; daher wir uns
billig taͤglich/ ja ſtuͤndlich/ mit erinnerungen ſothaner groſſen herrlichkeit/ die
an uns ſolle offenbart werden/ wo uns der HErr in ſein verſprochenes ewiges
reich wird einſetzen/ und alſo er unſer leben wird ſelbſt offenbaret werden/ er-
muntern ſollen. Jn dem kein faſt kraͤfftiger antrieb zur verachtung dieſer
welt und aller ihrer betruͤglichen herrlichkeit und reitzungen/ hingegen getroſter/
freudiger und gedultiger nachfolgung Chriſti/ gefunden werden kan/ als wo wir
ohn unterlaß aufſehen gleich wie auf den anfaͤnger und vollender unſers heils/
alſo auch auf die theure verſprochene guͤter der kuͤnfftigen herrlichkeit/ dadurch
nicht nur unſer traͤges fleiſch auffgemuntert und angefriſchet/ ſondern der
glaube/ ſo die qvelle alles uͤbrigen gutes iſt/ vortreflich geſtaͤrcket und vermeh-
ret wird. Darum auch der hocherleuchte Apoſtel Paulus vor ſeine Epheſer
cap. 1. nichts noͤthigers und nuͤtzlichers zu beten gewuſt hat/ als daß der GOtt
unſers HErrn JESU CHriſti der Vater der herrlichkeit/ ihnen ge-
be den Geiſt der Weißheit und der offenbarung zu ſein ſelbſt erkaͤnt-
niß/ und erleuchtete augen ihres verſtaͤndniſſes/ daß ſie erkennen
moͤchten/ welche da ſey die hoffnung ihres beruffs/ und welcher ſey
der reichthum ſeines herrlichen erbes an ſeinen heiligen/ und welche da ſey
die uͤberſchwengliche groͤſſe ſeiner Krafft an uns/ die wir glauben nach
der wuͤrckung ſeiner maͤchtigen ſtaͤrcke.
Alſo laſſet uns denn allezeit behar-
ren in ſolcher hoffnung/ und dieſelbe durch unablaͤßliche betrachtung der theu-
ren verheiſſung ſtaͤrcken. Dieſe Hoffnung wird unſere ſtaͤrcke ſein in allen
truͤbſaal/ und unſer kraͤfftigſter aufenthalt/ ſo uns nicht matt oder muͤde wird
laſſen werden/ zu lauffen in den wegen des HErrn nach dem kleinod welchs
uns vorhaͤlt ſeine himmliſche beruffung. Nechſt dem hat mich auch nicht we-
C c cnig
[386]Das ſechſte Capitel.
nig erfreuet/ aus uͤberſannten zu erkennen/ daß mein geliebteſter freund den
zuſtand unſerer itzigen zeit mit andern augen/ als die meiſte pflegen/ einſihet/
und erkennet/ daß die gerichte des HErrn vor der thuͤr/ oder in dem wuͤrcklichen
anbruch ſind/ und wir in erfuͤllung ſo wohl deß 16. Cap. als anderer weiſſag-
ung der theuren offenbarung Johannis ſtehen. Zwar getraue ich mir nicht
praeciſe jahr/ perſonen und weiſe zubeſtimmen/ wie iegliches deſſen/ ſo noch
uͤbrig iſt/ erfuͤllet zu werden/ hergehen und vollendet werden muͤſſe/ als wozu
eben der Geiſt der weiſſagung und propheceyung gehoͤrte/ da ich aber mich mei-
ner wenigkeit erinnere/ und zwar dem himmliſchen Vater um das maaß der
gnaden/ welches er mir zu einfaͤltiger erkaͤntniß deß heils gegeben/ und deſſen
ich ſelbſt nicht wuͤrdig geweſen waͤre/ in demuth dancke/ aber mich nichts
weiters ausgeben oder unternehmen darff/ als was mir gegeben iſt; da aber
ſolche gabe der weiſſagung uͤber ſolches mir zugemeſſenes maaß ſich erſtrecket.
Jedoch zweiffele ich nicht/ daß ich mit einer goͤttlichen gewißheit ſagen moͤge/
daß nicht nur das gericht uͤber Babel/ uͤber das weib/ welches iſt die groſſe
Stadt/ die das reich hat uͤber die Koͤnige auf erden/ und alſo uͤber alles das-
jenige/ was in dero geiſtlichem gehorſam ſtehet/ und mit deroſelben greueln
und hurerey gemeinſchafft hat/ ergehen werde/ ſondern daß die zeit uns gantz
nahe ſey/ da der HErr ſein ausgeſprochenes urtheil/ vollſtrecken wird. Je-
doch haben wir/ die wir ſo fern von ſothanem Babel ausgegangen ſind/ daß
wir dero abgoͤtterey und falſche lehr abgelegt/ folglich uns von ihrer geiſtli-
chen botmaͤßigkeit abgeriſſen haben/ nicht zu gedencken/ daß wir von den gerich-
ten werden frey ausgehen/ weil wir uns durch Gottes gnade der wahren und
reinen lehr/ ruͤhmen koͤnnen. Vielmehr ſorge ich/ ja bin verſichert/ es ſeye
keine eitle und ungegruͤndete furcht/ daß wir ein groſſes ſtuͤck ſolcher Gerichte
mit tragen muͤſſen/ indem wir ja von dem alten Babel ſo viel boͤſes und
GOTT mißfaͤlliges geſogen haben/ welches ſo wohl unter uns als mitten
unter Babel herrſchet/ daß gewißlich in vielen ſtuͤcken unſere ſuͤnde vor GOt-
tes gerechten thron werden ſchwerer und ſtraffbarer erfunden werden/ wegen
deß mehreren empfangenen genaden-maaſſes und lichts/ als bey vielen die in
der dicken finſterniß von Babel ihre greuel in einer unwiſſenheit begehen. Wie
ſolten dann wir vor uns eine freyheit von den gerichten hoffen/ oder uns ver-
ſprechen koͤnnen. Vielmehr doͤrffte es an dem nunmehr ſeyn/ daß GOTT
der gerechte richter dem Roͤmiſchen Babel zugebe/ daß es ſeinen letzten zorn aus-
gieſſe/ und das zwar in der euſſerlichen gemeinſchafft des bundes mit GOtt
ſtehende/ aber in der that in die aͤuſſerſte boßheit/ heucheley und gottloſigkeit
verfallene/ Jeruſalem/ nach dem es nichts beſſer/ was die meiſte ſeine einwoh-
ner anlangt/ als Babel ſelbſten iſt/ zuſtoͤre und alſo das an ſeinem hauß an-
fangen-
[387]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO X.
fangende Gerichte Gottes unwiſſend in das werck ſetze. Mit ſolchem feuer
der truͤbſal moͤgen die ſchlacken bey uns ausgebrandt/ was aber gutes gold
iſt herrlich geleutert/ das iſt die maulchriſten hingeriſſen/ oder durch den ab-
fall aus unſere gemeinſchafft ausgewieſen/ die wenige uͤbrige rechtſchaffene
aber ſo viel herrlicher geſtaͤrckt/ und das gute des HErrn nachmahl zuſehen
erhalten werden. Dann ob ein Koͤnig von Babel das Jeruſalem einnimt/
ſo bleibet doch noch ein Jeremias/ Varuch/ Ebedmelech und andere dem
HErrn bekante glaͤubige uͤbrig/ die nach ihrem euſſerlichen Menſchen an dem
euſſerlichen truͤbſaal theil haben/ aber vielmehr nutzen als ſchaden davon erlan-
gen/ und damit mag Babel vollends das maaß ſeiner ſuͤnden erfuͤllen/ daß
der Tag des zorns daſſelbige ploͤtzlich uͤberfalle/ mitten in dem ſo ſcheinenden
gluͤcklichſten lauff ſeiner ſiege wider das volck GOttes/ deſſen uͤbrige die ge-
rechtigkeit ihres Gottes und ſeine guͤte preiſen werden. Dieſe dinge/ wo wir
etwas genauer alle umſtaͤnde unſerer zeit erwegen/ ſind alſo bewandt/ daß
wir auch ſo gar faſt mit menſchlichen augen anſehen/ wie ſich alles zu ſolcher
vollſtreckung deß raths Gottes ſchicke/ und in kirchen und policey weſen gleich-
ſam die vorbereitung dazu geſchehen/ da auch vernuͤnfftige vieles deſſen
was geſchehen mag bereits erkennen moͤgen. So vielmehr die jenige
welche mit glaͤubigen augen in die Goͤttliche gerechtigkeit und guͤtigkeit
einen blick thun. Jn einer ſolchen zeit ſtehen wir/ welches ins gemein damit
uͤber einkomt/ was ich ſehe/ das derſelbe auch erkennet/ und ich wuͤnſchte/ daß
wirs alle alſo glaubten und erkaͤnnten/ damit wir nachmahl ſo viel ſorgfaͤltiger
waͤren/ in ſolche zeit uns zuſchicken/ zu wachen und zu beten/ daß wir wuͤr-
dig werden moͤgen zu entfliehen dieſen allen/ was geſchehen ſolle/ und zuſtehen
vor des menſchen ſohne. Wie dann ſich gewiß keine ſolche fleiſchliche ſicher-
heit ins gemein finden wuͤrde/ wo wir ſolche beſchaffenheit unſerer zeit recht
erkenneten. Was aber die uͤberſandte geſchriebene gedancken uͤber ſolche
offenbahrung Johannis anlangt/ ſo ich auch Hr. NN. gezeigt/ er aber nicht
viel zeit gefunden/ dieſelbe zu durchleſen/ haben wir faſt nicht wohl rathſam
gefunden/ dieſelbe durch den truck oder ſonſten vielen zu communiciren/ ſo
wohl aus andern urſachen/ als weil etwa an ein und andern particular an-
wendungen nicht unbillicher zweiffel ſeyn/ und ein von auch gut geſinnten leſern
daher gefaſter ſcrupel alle dergleichen auch gewiſſeſte dinge in mehrern zweif-
fel ſetzen moͤchte: So dann auch/ welches ich nicht ſorgen will/ von meinem
geliebten freunde uͤbel aufgenommen zu werden/ daß ich ſolches freundlich er-
innere/ weil es ſcheinet/ daß demſelben nicht die gabe gegeben ſeye ſeine ge-
muͤths gedancken deutlich und verſtaͤndlich/ auch vorſichtig genug/ wie es in
ſolcher art ſchrifften/ die zu vieler leute aufferbauung ſolten publiciret werden/
C c c 2gleich-
[388]Das ſechſte Capitel.
gleichwohl noͤtig iſt/ mit worten vor zutragen und zu papier zubringen. Wie
dann eine andere gabe iſt die gabe der erkaͤntnuͤs/ eine andere aber zu reden
von der erkaͤntnuͤs nach dem Geiſt: an welcher es oͤffters denjenigen man-
geln kan/ die ſonſten vor ſich ſelbs ein gnugſames maß der erkaͤntnuͤs empſan-
gen haben. Aber eben aus dieſem/ das ſie es nicht alſo vor zulegen das vermoͤ-
gen finden/ nicht unbillig ſchlieſſen/ daß ſie der HErr nicht ſo wohl ihren ne-
ben menſchen mit ſchrifften zuerbauen/ alß ihm in der ſtille zu dienen/ ihrer
ſeelen heiligung ſo viel fleißiger war zunehemen/ und des nechſten geiſtliches be-
ſtes vielmehr mit Gottſeligem exempel/ und wo es geſchehen kan liebreichen
vermahnungen oder aufmunterungen zubefoͤrdern/ beruffen/ das uͤbrige aber
andern befohlen/ und ſie mit denen darzu noͤtigen gaben ausgeruͤſtet haben
werde. Wie ich dann/ wann ich nach bruͤderlicher ſchuldigkeit aus treuem
hertzen rathen ſolle/ nicht wohl rathen wolte/ ins kuͤnfftige/ mit vielem ſchrei-
ben/ ohn allein was die brieffe an gute freunde anlangt/ welche zu eigener und
deroſelben aufmunterung dienlich ſind/ ſich zubemuͤhen/ damit die geſundheit zu-
ſchwaͤchen/ wie dann deſſen mir von ihm ſelbſt angedeuteter zuſtand derglei-
chen nach ſinnen und ſchreiben nicht wohl zulaͤſſet/ und anders vortraͤglichers
daruͤber zuverſaͤumen/ dabey noch die gefahr zuerziehen/ daß wo dergleichen
geſchriebene ding in anderer leut haͤnde kommen/ alß welche alles in liebe auf
zunehmen und auszulegen gewohnt ſind/ dieſelbe uͤber iedes wort/ welches in
einfalt geſetzt/ und aber ausdruͤcklicher und behutſamer haͤtte ſollen geſetzet wer-
den/ lernen anfangen/ falſche lehren aus ſolchen ſchmiden und uns dergleichen
unruh machen moͤchten/ dero wir nicht noͤtig gehabt hatten. Waͤre alſo
mein einfaͤltiger und wohlgemeinter rath/ mein wertheſter freund/ lieſſe vor
dieſes mahl ſeine meiſte ſorge ſein/ gleich wie in der ſchrifft und ſolchen buͤ-
chern/ die von bekaͤntlich Gottſeligen und rechten lehrern geſchrieben ſind (un-
ter denen des lieben Arnden wares Chriſtenthum/ wohl vor andern den preiß
behalten mag; in andern buͤchern aber/ dero lehr wir nicht allemahl gantz bil-
ligen koͤnnen/ ſich auch gutes findet/ ſo zur erbauung dienen mag/ aber nicht
jedem die gabe alles zupruͤffen/ und das gute zubehalten gegeben iſt/ daher
es auch nicht allen rathe) fleißig zuleſen/ alſo daſſelbe leſen auf dieſe weiſe an-
zuſtellen/ eines theils das nicht eben vieles nacheinander zu ſchwaͤchung des
haupts geleſen/ ſondern ſo bald nur etwas weniges geleſen worden/ daſſelbe
gleich wie es in die uͤbung gebracht werden moͤchte in der furcht des HErrn
erwogen werde: Andern theils daß wir in der ſchrifft/ uns nicht an dunckele
ſchwere ort meiſtens machen/ ſondern die wir uns noch alle vor kinder/ de-
nen mehr milch als harte ſpeiſe noͤtig und dienlich/ am allermeiſten auf zwey-
erley achtung geben/ nemlich wie wir aus den hellen und allerklaͤrſten orten
der
[389]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO X.
der ſchrifft/ die theils von den bereits geſchenckten guͤtern des heyls und ſchaͤtzen
des reichs der gnaden/ theils von den verheiſſungen der kuͤnfftigen herrligkeit
handeln/ unſer vertrauen zu GOtt/ glauben und hoffnung rechtſchaffen gruͤn-
den/ und wiederum aus den regeln unſers lebens/ die wir auch deutlich auf-
gezeichnet finden/ mit bey geſetzten Exempel unſers lieben heylands/ der ſol-
che regeln an ſich ſelbſt gewieſen hat/ uns unſere pflicht taͤglich vor augen zu-
ſtellen/ daß wir dererſelben immer gedencken und immer neuen antrieb darzu
bey uns ſelbſt faſſen moͤchten. Dieſe uͤbung bringet uns in eine Chriſtliche
einfalt/ daß wir nichts wiſſen/ alß Chriſtum den gekreutzigten/ und denſel-
ben ſo wohl alß den jenigen grund unſers glaubens mit ſeinem verdienſt alß
unſern vorgaͤnger mit ſeinem H. Exempel. Da ſind wir verwahret vor al-
lem vorwitz dinge zuforſchen/ die uns zu hoch ſind/ und damit uns ſelbſt in
verſuchung zuſtuͤrtzen/ ſo dann vor allen unfruchtbaren wiſſen/ das nur auf-
blaͤhet/ weil wir alle unſere wiſſenſchafft auf glaube/ liebe und hofnung rich-
ten/ und in demuth wandeln. Neben dieſen heiligen uͤbungen des leſens und
betrachtens auch hoͤrens (ſo viel man nemlich daſſelbe haben kan) des Goͤtt-
lichen worts/ welches krafft man alß dann recht in das hertze faſſet/ ſo bringen
wir billig unſere uͤbrige zeit zu mit verrichtung derjenigen geſchaͤfften und arbeit/
dazu uns der HERR geſetzet hat/ dieſelbe in meinem h. gehorſam um des
Herrn willen/ ſo uns dazu verordnet/ und in liebe des nechſten zuverrichten.
Wie ich dann nicht zweiffele/ daß demſelben auch an ſolchem nicht man-
glen wuͤrde in regierung und verwaltung der haußhaltung/ und der geliebten
Fr. Mutter in ſolcher ſorge leiſtenden ſoͤhnliche beyſtand. Solche arbeit in
einfalt deß hertzens um des HErrn und ſeiner ordnung willen/ mit hertzli-
chem innerlichen gebet und offtern ſeuffzen in ſanfftmuth/ liebe/ gedult/ demuth/
freudigkeit verrichtet/ nach den kraͤfften die der HErr uns giebet/ iſt der vor-
treflichſte GOttes dienſt/ und in denen ſonſten ſcheinenden weltlichen wercken
gleichwohl ein rechtes heiliges opffer/ und wo alſo unſere meiſte ſorge iſt/ nicht
viel verborgene und kuͤnfftige dinge (ohne ſo fern zu unſerer verhaltung um uns
in die zeit zuſchicken noͤtig iſt/ deſſen wir uns billig zubefleißigen haben) zuwiſſen
und zulernen/ ſondern immer mehr und mehr aus der zuͤchtigenden gnade Gottes/
die uns und allen menſchen erſchienen iſt/ uns zu befleiſſen/ zu verleugnen das
ungoͤttliche weſen und die weltliche luͤſten/ und zuͤchtig gerecht und gottſe-
lig zuleben in der welt/ ſo warten wir recht auf die ſelige hoffnung und er-
ſcheinung der herrligkeit des groſſen GOttes und unſers heylandes JESU
CHRJSTJ und werden in dem ſtande guter werck erfunden werden. Wie
ich nun in guten vertrauen ſtehe/ daß derſelbe ſich eben ſolches bißher werde
haben ſein vornemſte angelegenheit ſein laſſen/ alſo wolle er auf ſolchem we-
C c c 3ge
[390]Das ſechſte Capitel.
ge der einfalt in Chriſto einherzugehen nicht muͤde werden/ und alſo fleiß deſto
mehr anthun ſeinen beruff und erwehlung feſt zumachen/ ſo wird er nicht ſtrau-
cheln/ und ihm reichlich dargereichet werden der eingang zu dem ewigen reich
unſers HErrn und Heylandes JEſu Chriſti. Am allermeiſten laſſet uns
fleißig ſein in ſtetem gebet/ daß wir mit ſolchem unaufhoͤrlich vor dem gnaden
thron liegen/ und um unſers liebſten Seligmachers und ſeines verdienſtes wil-
len alles was uns noͤtig iſt gewißlich erlangen: Jch werde auch nicht erman-
geln deſſelben vor dem HErrn zugedencken/ mich hinwiederum ſeiner treuen
und bruͤderlichen vorbitte verſehende. Was er ſonſten vor gelegenheit habe
mit converſation andere zuerbauen/ ſonderlich was vor huͤlffe er etwa an
ſeinem prediger habe/ iſt noch aus bißherigen brieffen nicht zuerſehen geweſen:
Jch wuͤnſche aber das es alles nach verlangen und zum wachsthum ſeines in-
nern menſchen moͤge geſchickt ſein. Weil auch weiß/ daß er von unſerem hie-
ſigem zuſtande wiſſenſchafft zu haben/ verlangen traͤgt/ ſo berichte/ das wir
noch ob wohl in groſſer ſchwachheit/ trachten dem HErrn zu dienen/ hoffe
auch ſein werck bey uns ſolle nicht gar ſtecken bleiben und ohne frucht ſein.
Es gehet zwar alles langſam her/ aber doch mangelts nicht/ daß GOtt hie
und da ein und andern in dem gutem geſtaͤrckt werden laͤſſt/ oder einige ſeele
aufs neue mit einem hertzlichen vorſatz in warer und ernſtlicher Gottſeligkeit dem
HErren zu dienen ruͤhret/ alſo daß ob ich wohl noch nicht von einer reichen
zeitigen Ernde vieles ſagen kan/ ſo ſtehe ich doch in dieſer ungezweiffelten hof-
nung/ es ſeye eine lebendige und gruͤne ſaat vorhanden/ die noch/ und wer weiß
wie bald/ in volle aͤhren ausſchieſſen werde. Ach daß uns der HERR die au-
gen oͤffne/ zu erkennen/ woran es mangelt/ daß es noch nicht bißher mit allem
verlangtem ſucces hergegangen/ ſolche hinderniſſen als dann weg zuraͤumen.
Jch habe dieſes jahr in den predigten vor/ alle die glaubens puncten gruͤndlich
und einfaͤltig der gemeinde nach verleihung Goͤttlicher gnade vorzutragen/ da-
mit die uͤbung der Gottſeligkeit auf dem rechten grunde der erkanten warheit
beſtehe. So bin ich neulich von einem Capellan von Nordhauſen ſo in ihrer
nachbarſchafft iſt/ angegriffen und in einer offentlichen ſchrifft deß Enthuſiasmi
beſchuldiget worden/ ich habe aber wiederum geantwortet/ und verhoffentlich
alſo durch goͤttliche gnade/ daß die unſchuld der von mir treibenden lehr chriſt-
lichen Hertzen/ wie ich hoffe/ ſo viel heller einleuchten ſolle. An allerhand
dingen mangelt es nicht/ dadurch der HErr meine gedult uͤben will; Seiner
goͤttlichen weißheit und guͤte ſeye davor danck geſagt/ welche noch allezeit
kraͤfften zutragen/ und ſeine liebe daraus zu erkennen gegeben hat. Die wirds
noch ferner alles wohl machen: Ach daß ich nur immer ſolchen heilſamen
rath erkennen und je laͤnger je treuer erfunden werde. Mein G. ſchwager
Hor-
[391]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XI.
Horbius hat in ſeiner neuen Superintendenz zu Windsheim auch ſchon vie-
lerley auszuſtehen und widerſpruch/ auch hinderniß an dem guten von denjeni-
nigen gehabt/ die es billig befordern ſolten. So faͤngt er auch an leibes
kraͤfften ſehr an abzunehmen; Jſt aber willig/ ſich dem HErren zum opffer
darzugeben/ wie es ihm gefaͤllig ſein wird. Er entbietet durch mich ein chriſtli-
chen gruß. Was Herrn M. Wincklern anlangt/ hat ihm GOtt groſſe gna-
de gethan/ daß er in ſeinen itzigen Superintendenz-amt zu Wertheim ſehr
vergnuͤgt lebt/ und nachdem er das hertz ſeiner gnaͤdigen herrſchafft und der
gemeinde zu ihn gewendet hat/ mit ſo viel mehr nachtruck ſein amt verrich-
ten kan. Wie dann GOtt nicht wenig ſegen zu ſeiner arbeit giebet/ und er
auch in ſeinem hauß eine abſonderliche zuſammenkunfft zuhalten die erlaubniß
hat/ dero er ſich nuͤtzlich gebraucht. Er hat auch treue Collegen, welches
eine groſſe wohlthat und foͤrderniß iſt. Er gruͤſſet euch hertzlich/ da er die
nechſte woche hie war. Zu welchen allen noch ſchließlichen mein wunſch hin-
zu ſetze/ ſo ich lieber mit den worten deß Apoſtel thun will: GOtt des frie-
dens der von den todten aus gefuͤhret hat den groſſen hirten der ſchaf durch
das Blut des ewigen Teſtaments unſern HErrn JEſum/ der mache euch
fertig in allem guten werck zu thun ſeinen willen/ und ſchaffe in euch/ was
fuͤr ihm gefaͤllig iſt durch JEſum CHriſt/ welchem ſey ehre von ewigkeit zu
ewigkeit. Amen. 23. Jun. 1680.


SECTIO XI.


Meine antwort gegen Dilfelden. DerEnthu-
ſiasmus
zur ungebuͤhr aufgebuͤrdet. Boͤſes Zeichen/ daß
Goͤttliche wirckungen ſo unbekant.


JCh hoffe durch GOttes gnade die antwort alſo in einfalt aber gruͤnd-
lich abgefaſſet zu haben/ daß wer nicht boßhafftig und muthwillig ſich
will der warheit widerſetzen/ bekennen muͤſſe/ es ſeye nichts weniger als
ein enthuſiasmus, welchen ich lehre/ oder die ſchrifft/ die liebe altvaͤter/ unſre
eigene Symboliſche buͤcher und wehrteſte lehrer unſrer kirchen lehren ſelbſt einen
Enthuſiasmum: Derer wort ſo nachdruͤcklich von den wirckungen des Heil.
Geiſtes in der ſeelen/ wo ſie die krafft des mit den ohren gehoͤrten oder mit au-
gen geleſen worts haben laſſen in die hertzen/ wohin es gehoͤret/ tringen/ zu-
weilen lauten/ daß ich nicht allemahl/ um den laͤſterern nicht in die zaͤhne zu-
fallen/ alſo zu reden getraute. Wie nun ſolche lehr dermaſſen gegruͤndet iſt/
daß
[392]Das ſechſte Capitel.
daß wir ohne anſtoſſen vieler unſerer glaubens-puncten ſie nicht verleugnen
oder verlaſſen koͤnnen/ ſo iſt mir dieſes ein betruͤbtes zeichen des verfals in un-
ſerer Evangeliſchen kirchen/ daß in deroſelben einige getrauen mir ſolchen of-
fenbahren und gleichſam mit der Sonnenſtrahlen geſchriebenen warheit offent-
lich zu widerſprechen und ſie mit verdacht zubelegen. Denn unfehlbar iſts/ ſol-
che leute/ welche die Goͤttliche wuͤrckung in erleuchtung des verſtandes Goͤttliche
dinge auch auff Goͤttliche weiſe zuerkennen und in wuͤrckung des willens/ daß
der Menſch nicht nur euſſerlich anders lebe/ ſondern auch innerlich anders ge-
ſinnet ſeye/ wiederſprechen und ſie verachten muͤſſen von ſolcher Goͤttlichen
wuͤrckung nichts geſchmeckt und erkant haben/ daher es ihnen ſo fremde ſa-
chen ſind; alſo mag freylich wol ihre Theologie nichts anders als eine bloß
menſchliche erudition und wiſſenſchafft ſeyn ohne einig gnaden licht von
oben. Aber ſie haͤtten nicht draus zu ſchlieſſen/ daß denn bey andern nichts
mehrers ſey/ als ſie bey ſich erfahren/ wie es ja in der Welt nicht folget/ was
ich nicht habe/ daß es deswegen niemand anders habe/ oder haben koͤnne. Ob
der mann wie er ſich zwar/ ehe er meine antwort erfahren/ verlauten hatte laſ-
ſen/ noch einmal mich angreiffen oder nun zur ruhe begeben werde/ weiß ich
nicht/ muß es aber alles GOtt befehlen; dem ich davor hertzlich dancke/ daß
er mich bey ſeine warheit unberuͤckt bißher und alſo erhalten hat/ daß ich ge-
troſt all rechenſchafft vor GOtt und der kirchen geben und nicht einiges ir-
thums in der lehre uͤberfuͤhret zu werden ſorgen/ deswegen weder bißherige noch
etwa kraͤfftige angriffe fuͤrchten darff. 1680. 23. Jun.


SECTIO XII.


An einen Juriſten. Die Chriſtliche freund-
ſchafft die vornehmſte unter allen. Gemeinſchafft der hei-
ligen. Wie unter abweſenden auszuuͤben.


SEine hertzlich gegen mich bezeigte liebe iſt mir ſo viel angenehmer und
wehrter/ daß dieſelbe auf keinen andern/ oder einen fleiſchlichen grunde
beruhet/ ſondern auf der einigkeit des Geiſtes/ darin wir beyde durch
des HErrn gnade ſtehen/ und uns in ſolcher obſicht unter einander mit ſo viel
reinerer liebe umfangen. Und dieſes iſt die recht einig beſtaͤndige und unzer-
ſtoͤrliche freundſchafft. Dann die andere/ die auff den nutzen beſtehet/ oder
auff der aneinander habenden luſt/ wie ſie auff gantz liederlichen ſand gebauet
iſt/ hat nichts feſtes/ ſondern aͤndert ſich von tag zu tage/ ie nach deren jener
grund
[393]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XII.
grund da oder dorthin weichet/ die auff eine moral honeſtet und tugend ge-
gruͤndete freundſchafft hat etwas mehr wuͤrdigkeit und feſtigkeit/ aber doch
auch mehr in dem ſchein als in der that/ dann auch ſolches unſerer vernunfft gut
gehet/ ſo tieff nicht als es ſolle. Jſt alſo allein die freundſchafft/ welche ſich auff
goͤttliche gnade und des geiſtes einigkeit gruͤndet/ die rechte wahre und einige/
dahero dieſes nahmens vornehmlich wuͤrdige freundſchafft/ ſo auch alhier von
dem HErrn und ſeinem geiſt gewuͤrcket werden muß/ ſich aber allezeit bey dero
von eben ſolchen Geiſt gewuͤrckten Goͤttlichen liebe findet. Dann wer da liebet
GOtt/ den der ihn gebohren hat/ der liebet auch den/ der von ihn gebohren iſt
1. Joh. 5. 1. Es iſt aber ſolche liebe und aus derſelben zwiſchen denen/ die abſonderlich
einander kennen zulernen/ von Gott die gelegenheit bekommen haben/ entſtehende
freundſchafft ein ſtuͤck der in den Apoſtoliſchen glauben bekeñenden gemeinſchafft
der heiligen.
Welcher Articul viel wichtiger iſt/ und einen theurern ſchatz in ſich
faſſet/ als er insgemein davor angeſehen/ und faſt nur vor eine muͤßige wie-
derholung des vorigen geachtet wird. Jndem in denſelben uns ſo wohl gezei-
get wird/ wie wir glaͤubigen alle in gemeine beſitzung aller himmliſchen guͤter/
die der liebſte Vater ſeinen Kindern beſtimmt hat/ ſtehen/ als beruffen zu ei-
nerley hoffnung unſers beruffs; daher in gewiſſer maß alles das gute/ und alle
die gaben/ welche GOtt einigen unſerer mitglieder verliehen haben mag/ als
unſer eigen gut anſehen moͤgen/ deren wir uns ſo wohl als an den natuͤrlichen leib
jedes glied der zierde/ die an dem andern glied erkaͤntlich iſt/ anzunehmen ha-
ben/ auch daher ein und andern nutzen erwarten doͤrffen: als auch wir hin-
wiederum unſere pſlicht in liebe und gebet ſolche unſere gemeinſchafft zuuͤben/
und deroſelben zugenieſſen/ und ſolches als die frucht nutzen und den gebrauch
ſothaner gemeinſchafft anzuſehen haben. Zur uͤbung aber ſolcher gemein-
ſchafft iſts zwar an dem/ daß die leibliche gegenwart viele gelegenheit giebet/
die ſich in deren abweſen nicht gleicher maſſen finden laͤſſet: jedoch mangelts
auch denen nicht/ die GOtt an unterſchiedliche ort geſetzt/ das nicht auch ſie
ſolten gnugſame gelegenheit haben/ ihre gemeinſchafft zuuͤben. Jndem nicht
nur allein die liebe durch entlegene des orts weder aufgehoben noch ſchwerer
gemacht wird/ ſondern auch aus derſelben eben ſo wohl unter denen/ die dem
ort nach von einander getrennet ſind/ eine hertzliche freude entſtehet/ wie ſie
an einander gedencken/ wo ſie von der gnade GOttes/ die derſelbe einen und
andern unter ihnen ertheilet/ und ſie darinnen wachſen laͤſſet/ erfreulich verneh-
men/ und dadurch weil ſie ſolches/ was den Bruͤdern geſchiehet/ als ihnen ſelbs
geſchehen zu ſeyn erkennen/ zu einigem hertzlichen lob ihres GOttes auffge-
muntert werden: ferner entſtehet daraus ein hertzlicher eyfer/ das ie ein
ſchwacher dem andern das maaß/ das jenem gegeben iſt/ darinnen er ihn uͤber-
trifft/ nicht mißgoͤnnet/ aber nach dem vermoͤgen/ welches GOTT giebet/
D d dtrach-
[394]Das ſechſte Capitel.
trachtet zu gleicher gnade zu wachſen/ und des andern chriſtlichen und loͤbli-
chen exempel nachzufolgen: Nun wie man durch jenes aufgemuntert worden/
durch ſeine nachfolge hinwiederum den andern freude zu machen: So dann
in ſo viel ernſtlicher und bruͤnſtiger gebet vor ſolche mit-glieder/ als ungern
man ſich mit denſelben verbunden weiſt. Und dieſe dinge ſinds auch/ gelieb-
teſter freund/ worinn wir die gemeinſchafft und freundſchafft auch unter uns in
der furcht des HErrn zuuͤben haben/ und uns deſſen befleiſſen wollen. Daß
wir in der liebe gegen einander immer bruͤnſtiger werden/ uns erfreuen/ was
ie einer von dem andern vernehmen wird/ das GOtt ſeiner Seelen fortfahre
gutes zuthun/ oder zu ſeiner arbeit ſeegen gebe; iſts/ wo einer dem andern zu
ſeinem geiſtlichen wachsthum etwas beytragen mag mit rath/ auffmunte-
rung/ exempel und dergleichen/ das ſelben willig thue/ und unſer anliegen ſtets
mit gebet vor einander dem himmliſchen Vater vortragen/ nicht weniger mit
danckſagung vor einander vor deſſelben Angeſicht zuerſcheinen. Darinne
ſtehet unſere gemeinſchafft und freundſchafft/ und ſo vermoͤgen wir/ ob ſchon
dem leibe nach getrennet/ in dem geiſtlichen der vereinigung zugenieſſen. Wie
ich mich nun deſſen zu ſeiner liebe verſehe/ ſo will ichs auch nicht an meinen ort
ermanglen laſſen/ auff das wir alſo rechtſchaffen ſeyn in der liebe/ und wach-
ſam in allen ſtuͤcken an dem/ der das haupt iſt/ CHriſtus/ aus welchem der
gantze leib ꝛc. Epheſ. 4. 1680. 1. Jul.


SECTIO XIII.


Als weiter angegriffen zu werden/ benach-
richtigt wurde.


JCh empfehle es GOtt/ deſſen ſache es iſt/ und der mein hertz kennet/
das ich mit niemand ſtreit ſuche/ ſondern gerne in friede meines amts
warte/ aber unruhiger leute hertzen in meinen haͤnden nicht habe/ ſie
abzuhalten. Solte im uͤbrigen Mhhl. mir einigen vertraulichen bericht ge-
ben koͤnnen/ woher oder uͤber was materie anderwertlich ich nicht unange-
fochten bleiben moͤchte/ ſolte mir ſolches eine ſonderbahre freundſchafft ſeyn/
und mir darzu dienen/ daß etwa dergleichen vorher abgewendet wuͤrde/ ehe
ich durch oͤffentlichen angriff zu einer gleichen verantwortung genoͤtigt wuͤrde.
Jm uͤbrigen ſo wenig luſt ich an ſtreithaͤndeln von natur habe/ ſo venerire
ich doch in allem ſolchen/ und uͤbrigen/ was des HErrn weißheit uͤber mich
bißher verhaͤnget hat/ und widrig ſcheinen mag/ ſolcher weißheit guͤtigſte re-
gierung/ die allemahl aus dem boͤſen hat gutes erfolgen und mir neue gelegen-
heit an die hand gegeben werden laſſen/ etwas zu ſeinen ehren vorzunehmen/
und die gute ſache/ die der Satan verdaͤchtig zu machen geſucht/ zu befoͤr-
dern.
[395]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XIII.
dern. Deroſelben uͤberlaſſe es noch ferner getroſt/ als verſichert/ daß weil
ich nichts des meinigen dabey ſuche noch prætendire/ in der welt etwas zu
ſeyn oder zu haben/ mirs auch nicht fehlen koͤnne/ und ſolte ich alles dabey
auffſetzen und verliehren muͤſſen/ welches ich vor keinen verluſt achten werde.
Der HErre gebe mir nur in allen ſeinen willen zuerkennen/ und ohne anſe-
hung deſſen/ was ich dorten zu hoffen oder zu foͤrchten habe/ denſelben getroſt
zu thun. 10. Jul. 1680.


SECTIO XIV.


Von einigen vorſchlaͤgen der beſſerung/ ſonder-
lich in erziehung der kinder.
Catechismus examina. Con-
firmation.
Ob gnug/ an der jugend zuarbeiten? Ob die
reformationohne die obrigkeit anzuſtellen. Gefahr
von dem Pabſtthumb.


ES hat mich ſein ſchreiben von hertzen erfreuet/ ſo wohl daß aus dem-
ſelben die hertzliche intention, GOtt treulich zu dienen und an der kir-
chen beſſerung zu arbeiten/ verſtanden habe/ als auch durch das bey
gelegte MSC. worin die ſache weiter ausgefuͤhret/ mehr bekraͤfftiget worden
bin/ ſo dann wiederum an demſelbigen einen treuen zuverlaͤßigen freunde zu
gewinnen/ welche mir ſo viel angenehmer billig ſeyn ſollen/ als mehrere gemuͤ-
ther durch allerhand calumnien und laͤſterungen von mir von einigen zeiten
abgewendet und eingenommen worden ſind. Jch erkenne auch mit demſel-
ben/ daß freylich an dem mangel der jugend und dero erziehung/ ob zwar
nicht bloß dahin alles/ dannoch ein ſo groſſes/ gelegen ſeye/ daß wo ſolchem
uͤbel nachdruͤcklich geholffen werden moͤchte/ dardurch die gantze kirche herr-
lichen nutzen und beſſerung haben wuͤrde. Alſo mit wenigem meine einfaͤlti-
ge gedancken nach begehren auf ſolche pia cogitata zu eroͤffnen/ ſo finde die
klagen gerecht und hertzlich/ die vorſtellung/ wo von das uͤbel herkomme/ ver-
nuͤnfftig und deutlich/ die beſſerungs-mittel gut und heilſam/ alſo daß ich nicht
von jeglichen wider zuhandlen/ und meinen conſenſum in ieden abſonderlich
zubezeugen/ noͤthig achte. Sonderlich erkenne ich gern/ was die verbeſſe-
rung der ſchulen
anlangt/ daß ich davon weniger verſtehe/ als daß ich
gruͤndlich von ſolcher materie zuurtheilen vermoͤchte. Vielleicht aber mag
Herr Grabovii arbeit in ſeinen paræneſibus, ſo vor einem jahr ausgegangen/
und mich wohl inniglich vergnuͤgt haben/ etwas nuͤtzliches hiezu bey getragen
D d d 2haben
[396]Das ſechſte Capitel.
haben/ aufs wenigſte habe ich ſein talentum daraus dermaſſen zu ſeyn er-
kant/ daß er auf veranlaſſung vor vielen andern hievon etwas gruͤndliches ſol-
te vorſchreiben oder vorſchlagen koͤnnen. Jch zweiffele nicht/ daß an ein und
andern orten gleichfals liebe und ſo wohlvon GOtt begabte als ſeine ehr treu-
lich meinende leute bey ſchulen werden gefunden werden/ deren rath hierinnen
vortreflich ſeyn ſolte. Jch vor meine perſon/ der ich mein tag nie in keiner
ſchul erzogen worden bin/ ſondern von kindes beinen an der privat præcepto-
rum
mich habe gebrauchen muͤſſen/ hinwider auch mit information der kinder
nie umgangen/ daher auſſer aller erfahrung bin/ vermag hierinnen nichts an-
zugeben/ ohne was die Catechetiſche information anlangt/ da ich von ziem-
lichen Jahren ſelbſt mit umgegangen bin/ und hand anlege/ auch hoffe/ wir
haben dieſelbe durch GOttes gnade allhier in einem ſolchen ſtande/ daß ob
wohl noch vieles auch daran zu deſideriren/ und ichs noch erbaulicher ver-
langte/ dannoch etwa vor einigen andern orten der unſrige einigen vorzug ha-
ben moͤchte/ wie aufs wenigſte fremde hier ankommende/ die ſolches ſehen oder
anhoͤren/ davor halten/ es ſeye ein nuͤtzliche uͤbung/ ſind auch etzliche an an-
dern orten dadurch zu einiger nachfolge angefriſchet und auffgemuntert wor-
den. Wiewohl mir noch dieſes immerdar in dem ſinn liegt/ und ich ſo wohl
mir als andern darinne gern geholffen ſehen moͤchte/ nach dem wir die jugend
in ſolchen uͤbungen durch Goͤttliche gnade zu einer ziemlichen wiſſenſchafft
und in einen fleiß an die ſchrifft bringen/ weil aber ſolches noch allein ſo zu-
reden in den kopff/ das iſt in verſtand und gedaͤchtniß/ gehet/ wie wir weiter
den kopff in das hertz bringen/ das iſt/ was ſie nun wiſſen/ auch in dero-
ſelben hertz zu lebendigem glauben und vertrauen eintrucken und alſo in
Goͤttlicher krafft zu wegen bringen moͤchten/ daß ſie warhafftig alſo geſinnet
ſeyn/ wie ſie von Goͤttlichem willen wiſſen und davon muͤndlich ihre bekaͤntniß
thun. Jndem ich der exempel leider nicht wenige habe/ derer die eine nicht
gemeine wiſſenſchafft gehabt/ und von allen glaubens-puncten ſtattliche ant-
wort haben geben koͤnnen/ da aber nichts deſtoweniger das hertz in aller liebe
der welt und dero eitelkeit erſoffen/ und folglich ohne den wahren lebendigen
glauben und liebe zu GOtt geblieben. Welches mir offters eine nicht geringe
betruͤbniß machet. Jndeſſen trage ich doch das gute vertrauen/ Gott werde
auch das in ſolchen uͤbungen der catechiſation ſo wohl als in den predigten
ausſtreuende Wort nicht unfruchtbar ſein/ ſondern aufs wenigſte in ein und
andern hertzen den wahren glauben laſſen gewuͤrcket werden/ ſo wir auchſelbſt
erfahren. Was die confirmation anlangt/ haben wir dieſelbe auf die ver-
langte weiſe/ in denen zu hieſiger ſtadt gehoͤrigen wenigen landkirchen/ nicht
aber in der ſtadt ſelbſt. Jedoch brauchen wir ſie privatim, daß die ienige/
welche zu dem tiſch des HErrn das erſtemahl gehen wollen/ nach empfange-
nen
[397]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XIII.
nen unterricht und vor den eltern und andern freunden aus ihrem glauben ge-
thane bekaͤndtniß/ ernſtlich ihrer pflicht und gethanen tauffgeliebtes/ deſſen ſie/
ob ſie was ihre tauffpaten vor ſie zugeſagt/ auch nach reiffer uͤberlegung da-
bey bleiben/ und ſich dazu verſtehen wollen/ treulich und beweglich erinnert/
und mit neuen verſpruch/ ihr lebenlang bey der erkandten und bekanten warheit/
als bey unſerer wahren Evangeliſchen kirchen/ zu bleiben/ hingegen ſich nichts
davon abwendig machen zulaſſen/ bey nebens die kirche mit guten exempel und
gottſeligem leben allezeit zu zieren/ beleget werden: Auff ſolches wird mithand-
auflegen uͤber ſie gebetet/ und der ſegen gegeben. Welches ob es wohl pri-
vatim
geſchicht/ doch bey den meiſten nicht ohne hertzliche bewegung abge-
het. Wo ich aber meine gedancken frey und offenhertzig ferner eroͤffnen ſolle/
ſo ſind vornehmlich zwey ſtuͤck/ die ich noch in reiflichere conſideration zuzie-
hen noͤthig achte/ und deßwegen gern davon ferners communiciren moͤchte.
Das eine iſt/ ob die beſſerung in der erziehung der jugend/ wie davon mit
mehrerem heilſame vorſchlaͤg gemacht worden/ und freylich dieſelbe eines der
vortreflichſten mittel iſt/ gleichwohl ſo bewandt ſeye/ daß wir mit deroſelbert
den zweck erlangen moͤchten/ ohne bey-gebrauchung anderer/ die faſt mehr
noch vorhergehen muͤſſen/ ſolle man jene/ und durch dieſelbe vieles guts/ ins
werck richten. Es muß die erziehung der jugend von den bereits alten und
erwachſenen ſo zu hauß als in den ſchulen geſchehen/ daher wir uns zum for-
derſten auch darum bekuͤmmern muͤſſen/ dergleichen ſchulmeiſter und Præce-
ptores
zuhaben/ ja auch die eltern dahin zubringen/ die und daß ſie moͤgen
tuͤchtig ſeyn/ die jugend zu der wahren gottſeligkeit rechtſchaffen zu erziehen:
Wie dann die boßheit und nachlaͤßigkeit der eltern ſolcher uͤbeln zucht urſach
iſt/ daher dieſer ohne jene nicht mit genugſamen nachtruck mag gewehret wer-
den. Wie ich alſo erkenne/ daß an der jugend mit groſſem ernſt gearbeitet wer-
den muͤſſe/ ſo muß mit nicht wenigeren ernſt darnach getrachtet werden/ wie
wir auch an den alten etwas und zwar ſo vieles ausrichten moͤgen/ daß ſie
tuͤchtig und geſchickt werden/ durch gute zucht und vermahnung zu dem
HErrn/ unſer intention bey den ihrigen werckſtellig zumachen; Sonſten
werden auch alle conſilia von beſſerung der education keinen oder doch ſehr
ſchwachen effect erlangen. Das andere iſt dieſes/ daß ich ſelbſt erkenne/
wie es nicht nur ſo noͤthig als billig ſeye/ daß eine reformation mit zuziehung
oder vielmehr durch die autoritaͤt der obrigkeit geſchehen ſolle/ ja nicht wohl
zuhoffen iſt/ daß ohne dieſelbe etwas groſſes ausgerichtet werden moge/ wo
wir nehmlich von einer voͤlligen und ſolennen reformation reden. Aber es
entſtehet dabey dieſe frage/ ob wir wohl nach betrachtung gegenwertiger un-
ſerer zeit/ und aller umſtaͤnde/ hoffen moͤgen/ daß dergleichen erhalten/ und
die in dem wegſtehende obſtacula kraͤfftig weggeraͤumet werden moͤgen: Da
D d d 3ich
[398]Das ſechſte Capitel.
ich nicht leugne/ daß ich noch weniges ſehe/ darauff ich eine ſonderbare hoff-
nung gruͤnden koͤnte. Folglich kommet billig in conſideration, ob hingegen/
da wir eine ſolche vollſtaͤndige und ſolenne reformation nicht wohl hoffen
moͤgen/ alles andere unterlaſſen/ und darauff vergebens gewartet werden muͤ-
ſte: Oder ob nicht unſeren amt und gewiſſen gemaͤßer ſeye/ daß wir zwar mit
bitten/ mit rathen und anſuchen bey der Obrigkeit/ uns bemuͤhen/ dero hilffe
zuerlagen/ und ſie dahin zu perſvadiren/ daß ſie dem HErren/ von deme ſie
ſie empfangen haben/ zu ehren ihre gewalt nachtruͤcklich anwenden/ und ſich
ihrer pflicht erinnern wolten; wo wir aber ſolches nicht erlangen/ gleichwohl
wir prediger zwar ihnen keinen eingriff in ihre jura thun/ ſo nicht wuͤrde ver-
antwortlich und geſegnet ſeyn/ aber doch verſuchen die verrichtungen unſers
amts auf eine ſolche art zuthun/ daß vermittels goͤttlichens ſegens ein mehre-
res als leider insgemein geſchiehet/ ausgerichtet werden moͤchte: Mit ſo
emſiger treibung goͤttlichen worts in der offentlichen predigt und catechismus-
verſammlung/ als gewiſſenhafften zuſpruͤchen bey den einzelen perſonen/ nach
Pauli exempel Apoſt. Geſch. 20/31. Jch weiß/ das wir damit bey dem groͤ-
ſten und rohen hauffen wenig ausrichten werden/ der nicht anders als durch
zwang nur zu einigen anfang deß guten gebracht werden mag/ und gegen
welchen wir meiſtens deß obrigkeitlichen amts/ bedoͤrfftig ſind. Aber damit
haͤtten wir noch nicht ſtang und ſtab fallen zulaſſen/ ſondern auf eine andere
art zuſuchen/ dem teuffel ſchaden zu thun/ daß wir uns erſtlich am meiſten der-
jentgen annehmen/ bey welchen wir bereits aus Gottes wirckung gute gemuͤ-
ther und eine chriſtliche intention erkennen/ mit denſelben am fleißigſten um-
zugehen/ daß wir ihren geiſtlichen wachsthum befoͤrdern/ und bey ſolchen leu-
ten es dahin bringen/ damit ſie ſelbſt und ihre haußhaltungen recht moͤgen
leichter werden/ die andern ihren nachbaren und freunden ſcheinen; Wo es
nicht fehlet/ daß nicht ſolte durch ſolcherley gute exempel/ und dergleichen chriſt-
licher leute umgang/ immer noch ein und anderer gewonnen/ und das amt deß
Predigers durch jene hilffe leichter und fruchtbarer gemacht werden. Giebt
dann GOtt gnade/ daß bereits eine ſtarcke zahl ſich in einer gemeine findet/
ſo nun rechtſchaffene Chriſten ſind/ ſo mag als dann nicht nur ein obrigkeit
ſo viel leichter bewogen werden/ die uͤbrige hartnaͤckige durch ihren arm zu gehor-
ſam zubringen/ ſondern es mag auch ein prediger in ſeinem amt ſelbſt ernſtlicher
gegen dieſe veꝛfahren/ da er das groͤſte theil der gemeinde hat/ als er noch nicht kluͤg-
lich thun moͤgen/ wo ers noch erſt faſt allein mit einer gemeinde zuthun gehabt/
bey dero ohne den nahmen und das opus operatum deß euſſerlichen Gottesdienſts
faſt nichts chriſtliches ſich gefunden hat. Aufs wenigſte wuͤrde damit eine ſtatt-
liche vorbereitung gemacht/ wo Gott dermahleins einiger der groſſen hertzen wol-
te zu einer mehreren reformation bewegen/ daß ſolche als dann ſo viel gluͤcklicher
von
[399]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XIV.
von ſtatten gienge. Wiewohl ich ſorge/ GOtt werde nebens dieſer vielleicht eine
gantz andere und unbeliebige vorbereitung brauchen/ und ſeiner kirchen eine re-
formation
gedeyen laſſen/ nicht durch die hand der gewoͤhnlichen pfleger u. Obrig-
keiten/ ſondern durch die feinde/ daß er ein gebaͤu/ welches ſich ſchier kaum mehr fli-
cken laͤſſet/ uͤber einen hauffen werffen/ und von neuen wieder aufbauen. Wie ich
dann die itzigen conjuncturen und der Paͤbſtiſchen conſilia nicht wohl anders
anſehe/ als daß ſie den geſamten ruin unſerer kirchen vorhaben: ſo wolte ich auch
keinem darvor gut ſeyn/ ob nicht GOtt dem hochmuͤthigen und maͤchtigen Babel
zulaſſen werde/ ſein verderbtes Jeruſalem gar zu zuſtoͤren/ und aufs neue das aͤuſ-
ſerliche deſſelben groſſen theils unter ſich zubringen/ damit es das maaß ſeiner ſuͤn-
den erfuͤlle/ und alſo ſein angetrohetes gericht ihm ſelbſt voͤllig uͤber den hals zie-
he/ hingegen damit wiederum aufs neue aufgerichtet werde/ was kaum auf eine
gelindere art hat moͤgen zurecht gebracht werden. Nun gerecht/ weiß/ guͤtig
und heilig iſt der HErr/ der alle ſeine trohungen und verheiſſungen erfuͤllen wird/
auf eine art und weiſe/ die wir etwa nicht genugſam vorher ſehen moͤgen/ aber end-
lich erkennen werden/ daß es nicht weißlicher und herrlicher haͤtte hinaus gefuͤhret
werden koͤnnen. Jndeſſen laſſet uns arbeiten/ was wir aus ſeiner gnade vermoͤ-
gen/ gewiß daß wir entweder aus Gottes gnade und ſegen manches ausrichten
werden/ nach treuem anhalten/ was wir ietzo nicht moͤglich halten/ und darauf ſe-
hende die haͤnde ſincken laſſen moͤchten: oder wo wir ja nicht bey andern ausrich-
ten/ was wir verlangen/ ſo werden doch die treugemeinte conſilia, conatus und
fleiß bey GOtt ſo angenehm ſeyn/ als Davids einfaͤltige intention, dem HErrn
ein hauß zubauen/ geweſen iſt/ ob wohl der HERR den effect nicht folgen laſſen
wolte/ als der ihn nicht darzu beſtimmet hatte. Wird alſo keine arbeit in dem
HErren vergebens ſeyn/ ſo uns ſchon muthig und freudig machen kan. Dieſes
ſind die wenige gedancken/ ſo mir bey den pie cogitatis beygefallen/ und ich mich
habe erkuͤhnen wollen/ dieſelbe nach begehren freundlich und in bruͤderlichem ver-
trauen zu communiciren: Jm uͤbrigen weiß ich nicht/ weil nichts dabey gemeldet
worden/ ob die intention ſeye/ daß ſolches wercklein durch oͤffentlichen truck auch
andern gemein gemachet werden ſolte. Wuͤrde ſonſten auf deſſen erhaltenden
bericht verſuchen/ was ſich damit thun und ausrichten lieſſe. Der HErr HErr
nehme ſich ſelbſt ſeiner kirche und gemeinde an/ wie er verheiſſen hat/ erwecke ſolche
leute/ welche geiſt/ weißheit/ muth und krafft haben/ alles dasjenige auszurichten/
wie viel er noch derſelben gutes zuthun beſtimmet hat: Er erhalte auch die bereits
gegebene werckzeuge ſeiner gnaden/ und unter denſelben meinen wehrteſten bruder/
zu deſſelben conſiliis, vorhaben und arbeit verlangten und reichen ſegen mit-
diglich zugeben/ ja die freude zuverleyhen/ daß er ſelbſt noch ſehen moͤge die fruͤchte
und erndte ſeiner ſaat hier in dieſer zeit/ uͤber welche freude ein treuer diener Got-
tes in dieſer welt ſchwerlich eine groͤſſere haben oder erlangen kan. 1680. 14. Jul.


SECTIO
[400]Das ſechſte Capitel.

SECTIO XV.


Uber eines guten freundes Tractaͤtlein/ in dem
unterſchiedliches anſtoͤßig gefunden.


JCh habe vor acht tagen das an mich gethane/ geſtern aber auch das uͤber-
ſante buͤchlein/ wohl empfangen. Bedancke mich zum forderſten/ ſo wohl
der freundlichen uͤberſchickung als nochmahls bezeugenden guten vertrau-
ens/ ſo mir angenehm iſt. Wie wuͤnſchte ich das gleiches vergnuͤgen uͤber das
tractaͤtlein bezeugen konte! Jch habe daſſelbe aus einem communicirten exem-
plar vergangenen freytag zwar gantz/ aber nicht anders als curſorie/ und wie
es mir in gegenwertigen meß diſtraction muͤglich iſt/ durchgegangen/ daher zu
mehr und gruͤndlicherem Judicio eine abermahlige und bedaͤchtlichere durchle-
ſung noͤtig iſt. Derſelbe wird mir aber nicht in uͤbelem vermercken/ daß/ nach
dem wirs untereinander ſchuldig ſind/ ich ihme offenhertzich meine gedancken da-
von entdecke. Jch habe darinnen v[i]ele wichtige warheiten angetroffen/ welche
fleißig zu treiben ſehr noͤtig iſt/ und ich ſelbſt wunſche/ das immer fort neue gele-
genheit moͤge geſucht und gefunden werden/ dieſelbe ernſtlich zu inculciren. A-
ber ich wuͤnſchte von hertzen/ daß ſolche warheiten auch auf dieſe art vorgetragen
wuͤrden/ daß ſie ihren nutzen und zweck erhalten/ und nicht dem guten vielmehr/
ob wohl ohne des Autoris intention und meynung/ je dennoch aus verurſachung
und ſchuld deß vortrags ſelbſt/ beſorglich ein ziemlicher anſtoß aufs neue gemacht
werden moͤchte/ welches mit einigen geringen aͤnderungen/ welche auf guter
freunde erinnerungen haͤtten geſchehen koͤnnen/ verhuͤtet werden moͤgen. Als ich
meine neuliche apologiam gegen Dilfelden heraus geben wolte/ achtete ich in einer
wichtigen ſach mich verbunden/ daß ich an 3. unterſchiedliche ort meinen aufſatz
Chriſtlichen freunden communicirte/ deroſelben erinnerung daruͤber ein zuholen;
wie gut waͤre es/ da es hier dergleichen geſchehen waͤre. Da ohne das derſelbige
vor deme von treumeinenden freunden einige mahl verſtaͤndiget worden/ das ſei-
ne art zu proponiren/ nicht alle mahl diejenige deutlichkeit habe/ welche von dem
zuhoͤrer verlanget wuͤrde. Jch ſehe alſo auch in dieſen ſcripto/ das zum offtern
dergleichen warheiten/ welche mit andern und faſt den ins gemein gebraͤuchlichen
worten/ nicht nur mit eben dem nachtruck/ ſondern offters viel deutlicher konten
vorgetragen werden/ alſo hie beſchrieben ſind/ daß man ſie ſchwerlich faſſet/ oder
doch vieles nachſinnen bedarff/ biß man nur die eigendliche meynung begreifft/ da-
heꝛ den leuten ohne noth die ſachen ſchwereꝛ gemacht weꝛden. Es ſind einige redens-
arten/ in welchen mir ſcheinen gewiſſe lehr puncten/ welche von unſerer allgemeinen
lehr art (an dero ich doch aus Gottes wort annoch nie keinen mangel gruͤndlich ge-
zèigt geſehen habe) abgehen/ enthalten zu ſein; Jedoch weil ich deroſelben nicht ge-
wiß/ und in denẽ ungewoͤhnlichen reden ein anderer und beſſerer verſtand ſein kan/
als ich ihn vielleicht faſſe/ ſo laſſe ich ſolche biß zu weiterer unterſuchung ſo lange
billich ausgeſetzt. Jch haͤtte aber vor allen dingen wuͤnſchen moͤgen/ und verlangen
ſollen/
[401]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECT. XV.
ſollen/ daß die hauptſtuͤcke deutlicher/ ordentlicher und mit geziehmender un-
terſch eidung waren vorgeſtellet worden. Wir wiſſen/ wie ein groſſes daran
gelegen/ daß die articul von der rechtfertigung und von der heiligung in ih-
rer guten ordnung und unterſcheid gehandelt/ und nicht unter einander moͤ-
gen vermiſchet werden. Nun zweiffele ich aus demjenigen/ wie mir ſonſten
deſſen ſinn und glaube bekand iſt/ nicht daran/ daß er die ſach richtig faſſe/
und in ſeiner ſeelen erkenne; Jch verſichere aber denſelben/ es wird ſchwer-
lich einer aus dieſem mercklein dieſe materie nach genuͤgen lernen/ oder wo
er ſie verſtehet/ ſie in demſelben nach nothdurfft befinden: ſo wird meines be-
haltens der zurechnung nirgend gedacht/ da er doch ſolche lehre/ weil ſie in
verkehrten verſtand gezogen wird/ darum nicht auszulaſſen/ ſondern recht zu
erklaͤhren iſt. Weil auch die ſeele des glaubens nicht ſo wohl die begierde der
goͤttlichen gnade/ darvon unterſchiedliche mahl gedacht zu werden mich erin-
nere/ als die annehmung derſelbigen und feſte zuverſicht auf das verſuͤhn-
opffer unſers Heylandes Jeſu Chriſti iſt: So geſtehe ich gern/ daß davon
nicht ſo nachdruͤcklich gehandelt wird/ wie es dieſer haupt-punct an ſich
ſelbſt erforderte. Jch haͤtte auch billich zu verlangen/ daß deutlicher gehan-
delt wuͤrde/ ob und was der menſch vorhin/ ehe er das wort anhoͤret/ in ſich
habe: und alſo ob das licht/ welches ſich bey den glaͤubigen findet/ ein licht ſeye/
welches ſchon vor dem wort vorher bey ihnen geweſen ſeye/ indem dieſe ma-
teri
e ſehr confus und dunckel hin und her nur beruͤhret wird. So wirds auch
einem nicht wenigen anſtoß geben/ was pag. 72. 82. und etwa anderwertlich
von der ſubſtantz und weſen gemeldet wird. Vielleicht ſind wir in der ſache
einig/ daß ſo wohl das gute als das boͤſe in der ſeelen nicht nur der einbildung
nach/ ſondern warhafftig und ſo fern weſendlich ſich finde/ daß es ein wahres
weſen/ ein eſſentia, ſeye: wie ja auſſer dem prædicamento ſubſtantiæ, alle uͤbri-
ge/ alſo alle habitus, potentiæ u. ſ. f. rechte weſen und eſſentiæ ſind. Wozu
bedarffs aber einen dergleichen terminum, der aus der ſchul genommen iſt/ ſub-
ſtantz?
da doch warhafftig derſelbe nachmahl in ſolcher materie die bedeutung
nicht kan haben/ welche er ſonſten hat/ indeſſen aber viel weſens verurſachen
wird bey denen/ welche auf die wort fleißiger ſehen/ und ſolches zu thun niemahl
beſſer recht haben/ als wo man ihnen einen eingriff in ihre terminos thut/ welche
ſie ſich gleichſam appropriiret haben; welche gefahr nicht iſt/ wo man bey den
worten der ſchrifft und der kirchen bleibet. Es hat die ſeele ihre ſubſtantz aus der
ſchoͤpffung/ da ſie nun entweder aus GOtt wieder gebohren wird/ oder aber in
der bosheit immer weiter verhartet: iſt jenes freylich etwas reals, eine gantz neue
art/ natur/ und alſo einiges weſen/ das aber mehr in einer aͤnderung der ſubſtantz
zu einer andern art beſtehet/ als daß ſolches eine neue ſubſtantz warhafftig
machte. Dergleichen dinge moͤchten ſich nach fleißiger erwegung etwa mehr
finden/ wo ſichs geben wird/ daß ohne einigen abbruch der warheit/ und dero
kraͤfftigſten vortrags/ zu erkaͤntnuͤß der wahren und heuchel-buß/ die noͤthige
E e eDinge
[402]Das ſechſte Capitel.
Dinge haͤtten auf eine ſolche weiſe geſetzt und eingerichtet werden koͤnnen/ daß
keiner als ein boshafftiger cenſor etwas dagegen haͤtte finden koͤnnen. Dahinge-
gen ietzo nicht nur allein diejenige/ welchen die materien ſelbſt/ daß ihrem gewiſ-
ſen die falſche ruh und ſicherheit benommen wird/ zuwider iſt/ dieſe tractation
anzugreiffen urſach haben/ ſondern es werden unterſchiedliche gottſelige einfaͤl-
tige hertzen ſich ſtoſſen an den ihnen gantz unbekannten redens-arten/ da ſie ſich
ſonſten an den ſtylum der ſchrifft gewehnet: auch Chriſtliche lehrer/ welche vor
die reinigkeit der lehr ſorgfaͤltig ſind/ und ſonſten das gute mit aller treue zu be-
foͤrdern ſuchen wuͤrden/ doͤrfften nicht nur ſtutzen/ wo ihnen durch dergleichen un-
gewoͤhnliche und fremde redens-arten/ ein ſtarcker verdacht gemacht wird/ ſon-
dern zu einem fernern eyffer dagegen bewogen werden. Wo es auch ſolte be-
kannt werden/ daß von demſelben dieſe arbeit herkomme/ ſo wird abermahl
Franckfurth/ da derſelbe ausgangen/ ein neuer anſtoß den leuten werden/ und die
ſchuld tragen muͤſſen/ zu nichtweniger hinderung anders mehreren guten. Jch
bitte hertzlich/ mein geliebter freund erwege dieſe ſache in der furcht des HErrn
reyfflich/ obs nicht ſo viel beſſer geweſen waͤre/ die vorgehabte warheiten auff
eine unanſtoͤßigere art vorzutragen: ob ſich etwa noch eine weiſe finden moͤchte/
daß etwa mit noch anhengenden etlichen bogen oder blaͤttern der ſach nachdruͤck-
lich geholffen/ und die ſteine des anſtoſſes aus dem wege geraͤumet wuͤrden?
Wie ich dann von grund meiner ſeelen verlange/ daß dieſe arbeit/ ſo in liebe aus-
gefertiget/ den vor augen habenden zweck recht erlangen/ ſo aber ohne weitere
erklaͤhrung oder aͤnderung beſorglich ſchwerlich geſchehen wird. GOtt oͤffne
uns allen hierinnen recht die augen/ zu erkennen/ was ſeine ehre am beſten
befordern kan. Den 14. Sept. 1680.


SECTIO XVI.


An S.Scriverium,als er ein halb jahr vorher
mich ſamt 2. andern
Theologis,wegen dervocationzu der
Koͤn. Erbprinzeßin aus Dennemarck/ die/ als Koͤnigl. Schwediſche
Braut ihn zum Hoffprediger mit in Schweden nehmen wolte/

conſuliret/ ich ihm die folge gerathen/ die ander beyde aber ihm
bey ſeiner gemeinde zu bleiben/ die freyheit gegeben/ und er dieſem
gefolget hatte: Wie wir mit dem/ wie es Gott fuͤget/
zufrieden ſeyn ſollen.


  • NB. Mein reſponſum, da ich die folge gerathen/ kan bißher unter meinen
    Papiren nicht finden.

DEm Geber alles guten/ welcher die hertzen in ſeinen haͤnden hat/ und re-
gieret/ wie die waſſer-baͤche/ ſage ich demuͤthigen danck/ der das vor
einem halben jahr vorgeweſte werck nach ſeinem willen hat laſſen ende
ge-
[403]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECT. XVI.
gehen. Dann obs wohl nicht nach meinen damahligen Gedancken/ und was
ich vor das nuͤtzlichſte erkannt/ ausgeſchlagen/ ſo erkenne ich gleichwohl/ daß ich
nicht nur meinen willen allezeit dem Goͤttlichen/ da ſich derſelbe/ wie hier durch
den event geſchehen iſt/ nunmehr offenbahret/ willich unterwerffen/ und ihn vor
heilig und gut preiſen ſolle/ ſondern daß der allerweiſeſte Gott allezeit viel beſſer
verſtehe/ was zu ſeinen ehren und der kirchen beſten erſprießlich ſeye/ als ich ar-
mer menſch/ ja auch die kluͤgſte/ welche ſeyn moͤchten/ ſolches verſtehen und wiſſen
koͤnten: daher was er bey ſeinen kindern geſchehen laͤſſet/ die ihn um ſeine regie-
rung angeruffen/ und ſich ſeiner leitung gehorſamlich dargeſtellet haben/ kan
nicht anders/ als weislich/ gut und heilſam ſeyn/ welches ich auch davor erkenne/
ob wohl es einige mahl geſchehen moͤchte/ daß ich dergleichen urſachen ſehe/ die
mir noch immerfort das gegentheil wuͤrden glaublicher machen: wo ich nicht
gelernet haͤtte/ meine vernunfft und dero gefuͤhl gefangen zu nehmen unter den
gehorſam des glaubens/ der mich lehret/ daß der HErr die ſeinen gnaͤdiglich und
liebreich fuͤhre. Welches mir alsdenn ſchon genug iſt/ was auch vor media
und motiva endlich geweſen ſeyn/ durch die der HErr bey denen ſeinigen die
reſolution befoͤrdert/ und damit ſeinen rath zu werck gerichtet hat: die ich mir
zu beurtheilen nicht nehmen ſolle/ weil auch zum oͤfftern Gott erſt nach ziem-
licher zeit ſeine vornehmſte urſachen laͤſſet offenbahr werden. Sonſten auſ-
ſer dem haͤtte ich ſo viel mehr urſach gehabt/ die ſache anders zu wuͤntſchen/
weil nechſthin berichtet worden/ daß ein gottſeliger mann/ ſo bey dem Koͤnig
viel gutes in dem werck des HErrn befoͤrdert/ ihm abgegangen ſeye/ als der
zu dem Biſtum von Gotland gelanget. Gott zeige anderwertlich dem Chriſt-
lich-geſinneten Koͤnig und Koͤnigin diejenige perſonen/ durch welche er ſie
zu erbauen/ und das gute werck in ihnen zu ſtaͤrcken und zu vollfuͤhren be-
ſtimmet hat. Weil es ie ſeine eigene ſache iſt/ und er wenn er will/ darzu
ausruͤſten kan. Er wolle auch meinen liebwertheſten Bruder ſo wohl mit
ferneren leibes-kraͤfften ſtaͤrcken/ als auch das theure geſchenckte maaß der
Gnaden in ihm taͤglich erhalten und vermehren/ gleich wie der Gemeinde/
welcher er ihn gleichſam nun zum dritten mahl gegeben/ und alſo ihn/ ja das
durch ihn gepredigte wort/ mit ſo viel mehr gehorſam/ und danckbarkeit an-
zunehmen haben/ mit aller treue noch langwierig zu dienen/ und es dahin
bringen/ daß er eine ſchoͤne ernde der bißherigen fleißigen ſaat und angewen-
deter arbeit bereits alihier ſehe/ und ſeinem himmliſchen vater davor ſo viel
inbruͤnſtiger dancke/ und auch daher in ſeiner ſeele allemaht eine neue verſiche-
rung/ wie gut es Gott gemeynet/ ihn dieſes orts zu laſſen/ empfinde/ alſo
auch den lieblichen und heilſamen geruch ſeiner gaben mit geiſt-reichen
ſchrifften den uͤbrigen unſerer kirche zum beſten zu vieler darnach begieriger
hertzen ermunterung und geiſtlicher ſtaͤrckung in ſeiner krafft zu vorbereiten.
E e e 2Er
[404]Das ſechſte Capitel.
Er wolle auch in zugeſandtem trauer-fall/ da ſeine hand ſchwerlich ver-
wundet hat/ mit ſo viel kraͤfftigerm troſt als ein vater der barmhertzigkeit
und Gott alles troſtes beyſtehen/ und ihn diejenige krafft bey ſich empfinden
laſſen/ die aus ſeinem troͤſtenden munde etwa mehrmahl andere in derglei-
chem fall zu ihrer beruhigung gefuͤhlet haben: ſo dann dasjenige/ welches
er ſeinem abgaͤngigen alter an pflege und huͤlffe hat pflegen durch ſeine treue
ehegattin zu ſeyn und zu leiſten/ nachdem er dieſelbige (als eine larve/ hinter
dero er geſtanden/ und alles ſolches gutes gleichwohl ſelbſt erwieſen hat) zu
ſich ſelig genommen/ nunmehr unmittelbahr durch ſich ſelbſt und ſeine goͤtt-
liche gnade/ oder durch diejenige treue freunde/ dero hertz er darzu mit ſol-
chem maaß der liebe erfuͤllen wolle/ werden/ ſeyn und leiſten: zum zeugniß/
da er uns iemand noͤthiges wegnimmet/ daß er dadurch weder unvermoͤgli-
cher noch ungeneigter zu unſerer huͤlffe werde. 30. Sept. 1680.


SECTIO XVII.


Nutzen/ den ich gehabt/ von Dilfelden angegrif-
fen worden zu ſeyn.
Approbationmei-
ner antwort. Wichtigkeit der

materie.


MEinen Nordhauſiſchen wiederſacher belangende/ bin ich alſobald/ da
ich ſeine blaͤtter geleſen/ in meinem hertzen verſichert geweſen/ daß
rechtſchaffene Theologi nicht anders werden koͤnnen/ als ein mißfal-
len an einer ſolchen theſi haben/ welche die meiſte wuͤrde ihres ſtudii uͤber
einen hauffen werffen will/ ja wird unſer allgemeine glaubens-bekaͤnntnuͤß
das liecht des Heiligen Geiſtes von der lehre des heyls und dem ammt des
Geiſtes vermeſſentlich abſondert. Daher ich auch eine ſonderbahre ſchi-
ckung goͤttlicher guͤtigkeit daraus erkannt/ daß ich auf eine ſolche unbeſon-
nene art angegriffen muſte werden/ welches bey allen verſtaͤndigen und
GOtt-liebenden gemuͤthern/ die die ſache mit bedacht erwegen/ ſo viel
mehr favor meiner ſache macht/ als ſchaͤndlicher ſich mein wiederſacher
ſelbſten proſtituiret hatte. Sonderlich/ weil mir dadurch eine recht er-
wuͤntſchte gelegenheit gegeben worden/ dieſe materiam, welche ich ſine
invidia
ohne dergleichen ausforderung nicht haͤtte moͤgen publice vorneh-
men
[405]ARTIC. I. DISTINCT. III. SECT. XVII.
men und tractiren/ alſo zu behandlen/ daß ich die von mir unverſchul-
deter weiſe aus gelegenheit vielerley calumnien und ſpargimenten hin
und wieder gefaſte/ und faſt tieff eingeſeſſene verdachte/ augenſcheinlich
wiederlegte/ und alle ſolche leute meiner durch Gottes gnade unverruckt
behaltender orthodoxiæ verſicherte. Alſo laͤſſet der HErr boͤſes zu/ da
er gutes daraus hervor bringen will/ und ehre ich die goͤttliche weisheit
und guͤte mit ſchuldiger demuth. Jch bin auch biß daher von ſo vielen
lieben und tapffern leuten ihrer beypflichtung uͤber dieſer gegen meinen
wiederſacher behauptenden wahrheit durch manche ſchreiben alſo verſichert
worden/ daß es mir eine ſo viel mehrere auffmunterung ſeyn muß/ mich
von dero bekaͤnntnuͤß und practicirung alles deſſen/ welches auff ſothanen
zweck gehet/ durch keine wiedrigkeit anderer entweder unwiſſender und
blinder eyfferer/ oder boshafftiger feinde des guten/ abwendig machen zu
laſſen/ ſondern dabey feſte zu ſtehen/ und immer mehr und mehr bey al-
ler gelegenheit zu treiben/ daß wir ohne den Geiſt Gottes zu unſerm ambt
nicht alle die tuͤchtigkeit haben koͤnnen/ welche zu deſſen vollkommener er-
baulicher verrichtung noͤthig iſt. Und ach daß ſolche in allen/ niederen
und hohen ſchulen der ſtudierenden jugend ſo bald als eine der erſten wahr-
heiten fleißig eingedruckt wuͤrde/ ſo ſolten ſich etwa manche noch bey zeiten
eines andern beſinnen/ und unſer ſtand nicht in der verderbnuͤß immer
fort ſtecken bleiben/ darinnen wir ihn leider und von ihm das uͤbel in die
uͤbrige ſtaͤnde ſich ausbreiten ſehen. Wie der liebe H. Grabovius zu Ber-
lin zweiffels ſrey dasjenige ſelbſt muͤndlich treibet/ was er ſo vortrefflich
in ſeinen paræneſibus ſcriptis gethan hat/ und ich gleichen fleiß unter dem
mir bekannten von Herr Winckelmann Rectore zu Luͤbeck/ ſo dann Herr
P. Kero conrectore zu Koͤnigsberg (welcher neulich eine feine Chriſtliche
Aretologiam drucken laſſen) weiß/ alſo zweiffele ich auch nicht/ mein
hochwerther herr unterlaſſe auch nicht bey der ihm ſo ſtattlich von GOtt
gegebenen Gelegenheit an der ihm anvertrauten jugend an ſolchem
haupt-fundament vornehmlich zu arbeiten/ worauff
man folglich recht nutzbahr bauen kan.
25. oct. 1680.


Eee 3SECT.
[406]Das ſechſte Capitel.

SECTIO XVIII.


An einen vornehmenTheologum,wegen
Dilfelds ſchrifft gegen mich.


JCh habe die gunſt rechtſchaffener Theologorum zu dieſer zeit ſo viel
hoͤher zu ſchaͤtzen/ und mit mehrerm danck zu erkennen/ nach dem
von einigen jahren her aus des leidigen Teuffels (deme billich alle laͤ-
ſterungen und luͤgen als ihrem vater heimzuweiſen ſind) anregung durch
einiger boshafftiger leute neid und feindſeligkeit von meiner wenigen per-
ſon/ vornehmen und rathſchlaͤgen viele boͤſe dinge in Deutſchland ausge-
ſprenget worden ſind; welche ob ſie wohl ohne grund geweſen/ und ich
mich deswegen auf meine unſchuld verlaſſende ſolche nicht ſonders zu foͤrch-
ten gehabt/ ſondern wiſſen konte/ daß ſie von ſelbs zergehen muͤſten/ doch
nach dem alten ſprichwort: Calumniare audacter, ſemper aliqvid hæ[-]
ret,
dieſes nach ſich gezogen/ daß weil jene ſo beſtaͤndig fort waͤhreten/
und etwa manchmahl ſcheinbahr vorgebracht wurden/ mehrere Theologi,
ſo mich nicht gekannt/ oder ſonſten ein gutes vertrauen gegen diejenige/
welche dergleichen von mir ausſprengten/ trugen/ entweder ſich gantz ge-
gen mich einnehmen laſſen/ oder doch angefangen haben/ ziemlichen ver-
dacht in mich zu ſetzen/ ja offtmahls auch andere zu dergleichen zu ver-
moͤgen. Daher mich alſo denenjenigen ſo viel hoͤher verbunden erachte/
welche ſothanen boͤſen verdacht nicht ſo viel haben bey ſich gelten laſſen/
noch mich damit beſchwehrt. Unter welchen E. Hochwuͤrden Nahme
mir von guter zeit bekannt/ und auch ſolches dero ruhm-wuͤrdigen theo-
log
iſchen ſo prudentz als billichkeit ſtattliches zeugniß geweſen iſt: als zu
welchen beyden tugenden dieſes nothwendig gehoͤret/ nicht ohne gnug-
ſamen grund einen bruder in verdacht zu ziehen/ oder ſolches geſchehen
zu laſſen. Jm uͤbrigen gleich wie meines wiederſachers des Nord-
hauſiſchen Capelans ſchrifft/ uͤber dero ungeſchicklichkeit und unbillichkeit
E. Hochwuͤrden ihren ſondern wiederwillen bezeuget/ mich ſonderlich
hart angegriffen/ und derſelbe zweiffelsfrey dadurch gehoffet/ mich
allerdings aus allem Credit zu ſetzen/ ſo habe gleichwohl der weiſen regie-
rung des groſſen GOttes/ ſo ihm ſolches verhenget/ davor demuͤthig
danck zu ſagen/ in dem mir kaum eine vortrefflichere gelegenheit gege-
ben/ oder von mir ausgeſuchet haͤtte werden moͤgen/ meine unſchuld der-
maſſen
[407]ARTIC. I. DISTINCT. III. SECT. XVIII.
maſſen darzuthun/ daß auch allein von einigen etwa auffs wenigſte un-
bedachtſamer weiſe geſchoͤpfften und angenommenen verdacht kraͤfftig be-
gegnet/ und ein vor alle mahl auch auff das kuͤnfftige alle gelegenheit mich
in dieſer ſache anzugreiffen abgeſchnitten wuͤrde. Wie ich dann derglei-
chen geſchehen/ und mich unterſchiedlichen gelehrten/ ſo ſich vorhin mit
ungleichen gedancken hatten einnehmen laſſen/ ihre ſcrupel voͤllig benom-
men worden zu ſeyn/ von etlichen freunden mit freuden berichtet worden
bin. Jch war mir zwar durch Gottes gnade allezeit beſtens bewuſt/ daß
ich verſichert war/ es wuͤrde wieder meine orthodoxiam und vornehmen
mit beſtand der wahrheit nichts aufgebracht werden koͤnnen/ ſondern die
laͤſterungen und verleumdungen wuͤrden endlich von ſelbſten ſo wohl mit
der zeit verſchwinden muͤſſen/ als etwa ein nebel mit auffſteigender Son-
ne zerſt[r]euet und verzehret wird/ weswegen ich nicht vieler angſt/ ſon-
dern gedult noͤthig hatte; Es thate mir aber wehe/ daß ich der ſtein des
anſtoſſens werden ſolte/ an welchen ſich ihrer ſo viele mit dergleichen un-
recht verſuͤndigten: ja daß mein nahme in einigen ſtreit-ſchrifften ſtehen
ſolte/ da ich in unſerer kirchen nicht nur den ſrieden helffen zu erhalten/
eine der wuͤrdigſten ſorgen achte/ ſondern eine meiner lebens-regeln mir
laͤngſten dieſe gewehlet/ mich auſſer allem ſtreit zu halten/ und in dem
ſrieden dem HErrn zu dienen. Gleichwohl muſte ichs dem HErrn be-
fehlen/ und erkennen/ daß uns nicht frey ſtehen muͤſte/ wozu er uns brau-
chen/ und was vor gelegenheit er uns geben wolte/ ſeine wahrheit zu
bekennen und zu vertheidigen. So iſt auch die wahrheit/ welche ich in
meiner verantwortung behauptet/ von nothwendigkeit des goͤttlichen Gei-
ſtes und liechtes/ zu recht fruchtbahrer verrichtung des amts des Geiſtes/
an ſich ſelbs der wuͤrde und nothwendigkeit/ daß man gerne davon reden
und handeln ſolle: dann wie hoch daran liegt/ daß man geiſtliche pfarr-
herren
/ wie jener in E. Hochwuͤrden brieff angezogene in ſeiner einfalt/
als dorten Caiphas weiſſagte/ haben moͤge/ in dem ein groſſes ſtuͤck des
vesderbens der Chriſtenheit von den fleiſchlichen predigern herkommt/
denen offt ihre erudition, wohlredenheit und uͤbrige natuͤrliche gaben al-
lein ein werckzeug ihrer affecten/ hochmuths/ geitzes/ eigenſinnigkeit/
und dergleichen ſeyn muͤſſen/ wo man leicht erachten kan/ wo dieſe zum
zweck darſtehen/ wie alsdann alles gebraucht oder vielmehr mißbraucht
werde/ daß in dem amt ſo wohl treue als die goͤttliche klugheit mangelt;
alſo kan die theſis ſelbs/ daß dergleichen noͤthig ſeye/ und alle zu ſolchem
heiligen amt beftimmte fein zeitlich dazu ſollen angefuͤhret werden/ daß
ſie nicht nur allein menſchen-ſondern auch gottes-gelehrte werden/ nicht
fleißig genug tractiret werden/ noch einige arbeit/ ſo dahin gerichtet iſt/
zu
[408]Das ſechſte Capitel.
zu viel ſeyn. Ach daß es nur nicht dabey bleibe/ daß man die nothwen-
digkeit mit worten bekennen/ (ſo zwar eine gute vorbereitung zu mehre-
rem guten iſt/) ſondern daß es auch durch Gottes gnade und treue mit-
wuͤrckung derjenigen/ ſo von ihm darzu geſetzet ſind/ endlich dahin kom-
me/ daß man dieſelbe in der praxi zeigen koͤnte. Wohin wohl ein groſ-
ſes ſtuͤck unſerer ſorgen/ rathſchlaͤge und gebeth gerichtet werden muß/
wo wir anders GOtt und ſein reich lieb haben. 23. oct. 1680.


SECTIO XIX.


Wie wir uns der verfolgungen zu ver-
ſehen haben.


ES hat mich die neue betraͤngnuͤß deroſelben ohne das betraͤngteſten
kirchen wohl hertzlich afficiret/ und treibet mich billig/ mein taͤgti-
ches gebeth vor ſie ſo viel eyffriger zu thun. Sehen wir die ſache
mit bloß menſchlichen augen an/ ſo ſolte es uns gar ſchwer fallen/ zu be-
greiffen/ wie Gott dem ſchein nach ſo gar vergeſſe derjenigen/ welche wir
meynen/ daß ſie vor allen andern ihm ſolten ſtets vor augen ſtehen/ welche
um ſeiner wahrheit willen ſo vieles bißher auszuſtehen ſich nicht gewe-
gert/ unterdeſſen aber auf erleichterung ihrer laſt mit ſeuffzen gewartet
haben/ die nun doch an ſtatt der erleichterung immer ſchwerer zu werden
das anſehen gewinnet: gleich ob lieſſe ſich der HErr die bißherige beſtaͤn-
digkeit nicht gefallen/ ſondern zeigte ſein mißlieben in der that dagegen.
Dergleichen viele difficultaͤten moͤchten ſich leicht finden/ wo wir die
ſache auſſer dem heiligthum GOttes/ und nach der meynung und gedan-
cken fleiſches und bluts/ uͤberlegten. Aber der HErr ſey gelobet/ der uns
von ſeinem willen und gerichten in und aus ſeinem wort auch gegen die
vernunfft zu urtheilen gelehret hat/ daß wir wiſſen/ ſeine zuͤchtigungen
und heimſuchungen ſeyn keine zorn-ſondern gnaden-zeichen/ und muͤſſe
von ihm gegeben ſeyn/ um Chriſti willen zu thun/ die nicht al-
lein an ihn glaͤuben/ ſondern auch um ſeinet willen leyden
ſollen/
Phil. 1. v. 29. Welches eine ehre iſt/ deren er nicht alle wuͤr-
diget. So ſind auch in der erſten kirchen die verfolgungen nicht nur al-
lein ein ſtarckes huͤlffs-mittel derjenigen heilichkeit und vornehmſten in-
nerlichen zierde geweſen/ darinnen dieſelbe allen folgenden zeiten vorge-
leuchtet/
[409]ARTIC. I DISTINCT. III. SECT. XIX.
leuchtet/ und dieſe weit uͤbertroffen hat/ ſondern haben offters nach lan-
gem leyden etwa mehr zu-als abgenommen. Dabey wir auch dieſes
uns ohne einigen zweiffel verſichern koͤnnen/ daß der HErr gleichwohl die
verſuchungen niemahl werde ſchwehrer werden laſſen/ als ſeiner gnaden
maaß zu dero ertragung uns mitgetheilet worden iſt/ oder mitgetheilet
werden ſolle. Wo ich aber die der gegenwaͤrtigen zeit beſchaffenheit recht
anſehe/ achte ich nicht zu irren/ wenn ich ſorge/ daß wir uͤber unſere ge-
ſammte Evangeliſche kirche ſchwere gerichte ſchwebend haben/ ja dieſelbe
in dem nechſten ſeynd/ und duͤrfften wir vielleicht in kurtzem eben dasje-
nige oder noch ſchwehrers zu erfahren haben/ was nun andere kirchen in
Ungarn/ alſo auch die ihrige kirche/ wuͤrcklich erfahren hat; und ſolches
ſorge ich/ nicht nur allein von den kirchen/ welche in den landen ſind/ wel-
che der maͤchtige Koͤnig unter ſeine botmaͤßigkeit zeucht/ der in befoͤrde-
rung der Catholiſchen religion moͤchte eine ehr ſuchen/ oder auch darin-
nen eine Staats-ration finden: ſondern ich achte eine ſolche gefahr uns
uͤbrigen nicht weniger nahe zu ſeyn. Auf einer ſeiten fangen an die
conſilia der Roͤmiſch-Paͤpſtiſchen mehr und mehr ſich hervor zu thun/ al-
ſo daß ſie auch mit worten heraus zu brechen nicht groß bedenckens mehr
haben/ wie die ausrottung der von ihnen alſo vermeynten ketzerey (ſo zwar
laͤngſt decretiret/ aber wegen politiſcher rationen zu werck zu richten/
weil die ſtunde des HErrn noch nicht da war/ unmoͤglich geweſen) nun
wuͤrcklich verſucht werden moͤchte: wo zu menſchlicher weiſe ein groſſes
contribuiren mag/ nachdem diejenige Societaͤt/ welche allezeit dahin am
eyfrigſten abgezwecket/ und ſich an das haus gehenget/ deſſen macht mehr
und mehr herab kommt/ nun durch verhaͤngnuͤß Gottes ſich auch in dem
jenigen Reich in den vornehmſten credit geſetzet/ ſo man ſeine anſchlaͤge/
und diejenige/ wozu es verleitet wird/ ins werck zu richten die meiſte
kraͤffte hat. Alſo ſtehet wille und menſchliches vermoͤgen klar vor augen.
Sehen wir auff der andern ſeiten unſern zuſtand an/ ſo iſt nicht nur kei-
ne menſchliche macht vorhanden/ die jener gewalt wiederſtehen moͤchte/
wie ich ohne das davor halte/ daß es auch nicht recht ſeye/ die wahrheit
und religion an ſich ſelbſt mit gewalt und ſchwerd zu ſchuͤtzen/ ſondern ich
finde unſere kirchen in ſich ſelbſt nach elender/ als in dem aͤuſſerlichen/
in der vergleichung gegen der feinde macht. Jch ſehe einmahl alles ver-
dorben/ und daß wir uns nichts mehr/ als allein noch der bekanntnuͤß der
wahren und reinen lehr/ die wir auf GOttes gnade behalten/ ruͤhmen
moͤgen. Daher weil wir den glauben der da glaͤubet und deſſen fruͤchten
meiſten theils verlohren haben/ ſo doͤrffte uns der HErr vollends auch den
glauben den man glaubet/ oder die bekaͤnntnuͤß der reinen lehr/ entziehen/
F f fals
[410]Das ſechſte Capitel.
als welche wir ſo ſchaͤndlich mißbrauchen. Dann in ſolchem ſtand kan man
ſich zu goͤttlicher gerechtigkeit nichts anders verſehen/ und gedencke ich im-
mer an die wort Achiors/ Judith. 5. v. 22. Sehe ich endlich in die
ſchrifft/ ſo achte ich/ weiſe uns dieſelbige/ daß wir der zeit nahe ſeyen/ da
das laͤngſt getrohete gericht uͤber Babel ausbrechen ſolte/ bevor dann die-
ſes vorhin das maaß ſeiner ſuͤnden und verfolgung erfuͤllen muß/ und ihm
alſo wohl mag von Gott die letzte erlaubniß gegeben werden/ das ſo ſehr
verdorbene Jeruſalem vorhin zu ſtraffen/ aber wo das volck des HErren
gezuͤchtiget/ und die uͤbrige nun recht gelaͤutert ſind/ damit in ſein eigen ver-
derb en zu lauffen. Ach der HErr lehre uns recht die zeichen unſerer zeit
und ſeinen rath eigentlich zu erkennen/ uns ſeinem willen gehorſamlich un-
terwerffen/ und in allem in denſelben zu ſchicken. Er laſſe aber auch ſeine
gerichte mit groſſer barmhertzigkeit gemildet/ und den weg werden zur erfuͤl-
lung ſeiner uͤbrigen herrlichen verheiſſungen. Derſelbe gebe auch meinem wer-
theſten bruder und ſeiner lieben gemeinde troſt und freudigkeit in ihren truͤb-
ſalen/ daß durch ihr exempel auch wir uͤbrige/ denen noch das unſere vor-
ſtehet/ aufgemuntert und geſtaͤrcket werden. Er verhaͤnge auch nichts
mehrers uͤber ſie/ als er zur verherrlichung ſeines nahmens und ihrer ſee-
ligkeit an ihnen noͤthig erachtet/ laſſe ſie auch ſeinen ſchutz und endlicher
huͤlffe zu rechter zeit gewahr werden. 2. dec. 1680.


SECTIO XX.


An einen Fuͤrſtlichen vornehmen Rath/ der von
des regier-ſtandes fehlern zu ſchreiben vorhatte.
Von den
piis deſideriis.Von
der
Cæſaropapia.


ES war mir ſehr lieb zu vernehmen/ daß mein grgſtl. hochg. Herr
ſein vergnuͤgen und conſenſum zu meinen piis deſideriis, ſo bißher
dasjenige geweſen/ daruͤber von mehrern jahren pro \& contra ſo
vieles geredet worden/ bezeuget. Jch leugne nicht/ daß weder gehofft noch
hoffen koͤnnen/ daß eine ſolche geringe arbeit/ ſo eine ſtarcke bewegung in
den gemuͤthern an allen orten koͤnnte verurſachen/ ſo wohl derjenigen/ die
ſich dadurch aufgemuntert zu ſeyn bekannt haben/ als anderer/ denen es
noch
[411]ARTIC. I. DISTINCT. III. SECT. XX.
noch auf dieſe ſtunde in dem hertzen wehe thut/ dergleichen zu leſen. Jch
dancke aber dem HErrn/ der mich mit ſeiner gnade/ wie in andern/ alſo
auch in dieſem ſtuͤck/ unverdient regieret hat/ daß ſolches einfaͤltige ſcri-
ptum
guter meynung ediret habe/ deſſen nachdruck mir gnugſam zeugnuͤß
iſt/ daß der HERR damit geweſen ſeye/ und laſſe mich auch nicht dahin
bringen/ mich deſſen reuen zu laſſen/ ob mir wohl viele verdruͤßlichkeiten
dadurch entſtanden ſind/ und ich mit allerhand ungegruͤndeten verdachten
daher beladen worden bin. Auch bin ſo viel mehr verſichert/ daß nichts dar-
innen der goͤttlichen ehre oder der kirchen wohlenfarth præjudicirliches muß
enthalten ſeyn/ nachdem ſolches einfaͤltige ſcriptum zwar ſo vielen bißher
ein dorn in den augen geweſen/ aber noch nicht ein einiger ſich publice un-
terſtanden hat/ etwas dagegen heraus zu geben: welches wo es mit einigem
ſchein geſchehen koͤnte/ gewißlich bey ſolcher feindſeligkeit einiger gemuͤther
nicht wuͤrde unterblieben ſeyn. Dann was den Rordhaufiſchen Caplan
Herr Dilfelden anlanget/ hoffe ich nicht/ daß ſein unbeſonnener angriff
meine ſache boͤs/ ſondern vielmehr gut gemacht habe. Jm uͤbrigen kan
ich nicht anders/ als meines grgſtl. hochg. Herrn gute intention loben/
welcher den regier-ſtand anzuſchreyen ſich vorgenommen: Wuͤnſche auch
hertzlich/ deſſen arbeit anſichtig zu werden/ ſo viel mehr aber/ daß es auch
an des tages licht komme/ damit die erwuͤnſchte frucht moͤchte draus erfol-
gen. Es ſtehet zwar nicht zu leugnen/ daß bey unſerm ordine ein groſſes
ſtuͤck des verderbens liege/ und alſo/ da eine reformation vorgehen ſolte/
dieſelbe von uns den anfang nehmen muͤſte: aber nicht weniger ſchuld liegt
an der obrigkeit/ und dero amts entweder mißbrauch/ oder nachlaͤßigkeit.
Gewiß iſts/ daß GOtt der obrigkeit eben ſo wohl die handhabung der er-
ſten als andern tafel/ und alſo die befoͤrderung ſeiner ehre/ anbefohlen habe.
Gleichwohl ſiehet man gar wenige/ die ſich der ſache nur etwas annehmen/
ohne allein daß ſie ihr jus epiſcopale als ein regale behaupten/ vielmehr/
damit ihrer herrlichkeit nichts abgehe/ als daß es ihnen um den zweck goͤtt-
licher ehre zu thun waͤre/ ja damit ſie etwa davon einigen nutzen ziehen/
und wohl gar der kirchen wehe thun moͤgen/ wie gewißlich ſolcher mißbrauch
gemeiner als gut iſt. Da muß ſolches jus epiſcopale, ſo als ein beneficium
der kirchen zum beſten ſolte ſeyn/ dasjenige inſtrument werden/ damit alles
gute gehindert wird/ ja die kirche oͤffters mit ſolchen leuten verſehen werde/
nicht ſo wohl/ wie es derſelben vortraͤglich/ als wie es den maͤchtigen an
hoͤfen wohlgefaͤllig iſt: es muß die hindernuͤß alles guten werden/ denn wo der
weltliche arm dieſes nicht will/ diejenige/ welche noch in dem geiſtlichen
und haus-ſtand gern etwas gutes thun moͤchten/ ſolches nicht thun doͤrffen.
Daß ich offters einige kirchen/ welche unter anderer religion herrſchafft
F f f 2ſind/
[412]Das ſechſte Capitel.
ſind/ und was das aͤuſſerliche anlanget etwa ziemlich hart tractiret werden/
viel gluͤcklicher geprieſen/ als diejenige/ welche die obrigkeit von ihrer ſeiten
gehabt. Jndem jene gemeinden/ da die beſtellung ihres predig-amts/
diſciplin und kirchen-verfaſſung/ bloß bey ihnen ſtehet/ und mit ſeiner be-
ſcheidenheit und eyfer durch die prediger/ eltiſten und der gemeinde verord-
nete geuͤbet wird/ wie es die erbauung mit ſich bringet/ ohne eintrag der
obrigkeit vieles weiter bringen/ als dieſe/ die ohne die obrigkeit nichts thun
doͤrffen/ und doch offt ſolche obrigkeit haben/ welche dem guten entgegen
iſt. Daher achte ich ſolche Cæſaropapiam und weltliches antechriſten-
thum recht vor diejenige beſt/ die nach dem aͤuſſerlichen unſerer kirchen
den garaus machen mag. Auch ſehe ich nicht/ wir moͤgen es bemaͤnteln
wie wir wollen/ auf was weiſe wirs verantworten koͤnnen/ daß wir den
dritten ſtand von allen denjenigen officiis und pflichten/ ſo ihnen nach goͤtt-
licher ordnung und exempel der erſten kirchen gehoͤren/ ausgeſchloſſen ha-
ben: daraus mehr ungemach entſtehet/ als mit wenigem ſich ausfuͤhren
laͤſſet/ von dergleichen dingen iſt nun ſehr nothwendig/ daß ſie denen/ ſo in
Gottes nahmen ihre gewalt tragen/ beweglich von andern repræſentiret/
und ſie erinnert werden/ wohl zu bedencken/ was und wozu ſie es empfan-
gen haben/ damit nicht Gott hinwieder bewogen werde/ um ſolches miß-
brauchs oder weiter greiffens willen ihnen endlich auch dasjenige entzogen
werden zu laſſen/ in ſeinem gericht/ was ihnen ſonſt gebuͤhret. Wie ich dann
ſehr ſorge/ wo nicht bey zeiten geholffen wird/ daß dieſe dinge wohl endlich
den gerechten Gott zu demjenigen zorn reitzen moͤchten/ daß er dem Pabſt-
thum wieder mehrere macht einraͤumte/ und die obrigkeiten/ ſo dem Evan-
gelio die erkaͤnntnuͤß ihrer wuͤrde zu dancken haben/ ihm aber ſo undanckbar
worden ſind/ und der knechtſchafft der Cleriſey wieder werden bereuen
muͤſſen/ was ſie vorhin gehabt und verſchertzet. Jch halte auch/ dieſe er-
innerungen/ da ſie von leuten/ die nicht unſers ordinis ſeynd/ (dann da
ſcheinets/ wir ſuchten unſer eigen und privas-intereſſe,) ſondern politicis
viris,
ſo in anſehnlichen aͤmtern ſtehen/ geſchehen ſolten/ moͤchten etwa ehe
durchdringen. Wuͤrde alſo mein grgſtr. hochg. Herr ſich ſehr wohl um die
ehre Gottes verdienen/ da er auch hierinnen ſein pfund anlegen/ und ohn-
erachtet des daher ſorgenden undancks eine ſolche wichtige materie
ſeinem vornehmen nach ausfuͤhren wolte.
28. dec. 1680.


SECT. XXI.
[413]ARTIC. I. DISTINCT. III. SECT. XXI.

SECTIO XXI.


Freude uͤber anderer vorbitte. Zuſtand in Franck-
furt noch nicht ſo gut/ als er anderwo geruͤhmet
wird. Haltung Goͤttlicher Geboth. Ob Got-
tes wort von einem todten prediger ohne wuͤr-
ckung ſeye. Von mir nichts ſonderliches zu er-
warten. Uns bevorſtehende ſchwere ge-
richte. Nutzs der gebethe vor
einander.


JCh dancke billich dem vater der barmhertzigkeit vor ſeine gnade/ daß er
in der zwar faſt allgemeinen verderbnuͤß annoch in allen ſtaͤnden liebe
ſeelen erhaͤlt/ welche die zeit mit andern/ als insgemein geſchichet/
augen anſehen/ und ſich nicht laſſen von ſolchem verderben/ als einem
ſtrohm/ mit hingeriſſen werden: auch/ daß er mir zu meiner hertzlichen
freude/ aufmunterung und ſtaͤrckung mehrere hin und wieder bekannt wer-
den laͤſſet/ an denen ich ſolche gnade und daraus ferner dieſes erkenne/ daß
der HErr ſeines armen Zions noch nicht vergeſſen habe/ ſondern ſeinen
ſaamen zu erhalten wiſſe/ und daher auch ohne allen zweiffel zu rechter zeit
ſeine uͤbrige verheiſſungen annoch erfuͤllen werde/ dero hoffnung uns die ge-
genwaͤrtige truͤbſalen uͤberwinden hilffet. Mich erfreuet auch ſolches ſo viel
mehr/ ſo offt ich einiges ſchreiben wiederum von einem neuen freunde em-
pfange/ als mehr ich weiß/ daß das gebeth der glaͤubigen und gottſeligen/
wo es ernſtlich geſchiehet/ viel vor dem thron der gnaden ausrichtet/ und
ich alſo/ als groͤſſer ſolche zahl zu ſeyn mit vielen exempeln uͤberzeuget werde/
deſto mehr hoffnung habe/ der HErr werde/ da ſeine aus[e]rwehlte tag und
nacht zu ihm ruffen/ ſie erretten in einer kuͤrtze: ja daß ich daraus eine zu-
verſicht gewinne/ daß auch mir armen durch ſo vieler bruͤder vorbitte vieles
von dem HErrn werde annoch erlangt werden/ welches ich ſonſten ſchwer-
lich zu hoſſen haͤtte/ und ie vor mich ſelbſt deſſen nicht wuͤrdig bin. Wie dann
auch das meiſte des ſegens/ ſo der HErr bißher zu etlichen meinen an ſich ſelbſt
ja geringen ſchrifften verliehen hat/ dieſer treuen vorbitte mancher in dem
F f f 3ver-
[414]Das ſechſte Capitel.
verborgenen vor mich ſeuffzenden ſeelen billich zuſchreibe/ deren eyffrige und
feurige ſeuffzen der laulichkeit der meinigen/ daruͤber ich meiſtens zu klagen
habe/ kraͤfftig zu ſtatten kommen: deswegen ich dann mich auch ſolchen lie-
ben ſeelen deſto mehr verbunden achte/ als die mir die groͤſſeſte wohlthat
erzeigen/ welche von menſchen herkommen kan. Jm uͤbrigen leugne ich
nicht/ daß michs beſchaͤhmet/ und in gewiſſer maaß betruͤbet/ wo ich hoͤre/
wie auch aus deſſen geliebten erſehen habe/ was anderwaͤrtlich andere gute
hertzen ihnen vor gute gedancken von dem allhie befindlichen guten/ ſonder-
lich aber von unſerer privat-zuſammenkunfft/ machen/ und das werck an
ſich ſelbſt anſehen/ wie es gleichwohl ſo gar denjenigen grad nicht erreichet/
welcher von uns geglaubet wird. Es iſt zwar eine hertzliche gute inten-
tion,
die uns zu ſolcher uͤbung treibet/ auch wolten wir die gnade Gottes
nicht verleugnen/ daß er ſein wort doch nicht gar ungeſegnet laͤſſet/ ſondern
etwa mehrmahlen einige ſeelen eine auffmunterung und erbauung daraus
ſpuͤren/ ich zweiffele auch nicht/ daß der liebſte Vater bereit waͤre/ durch
ſolche gelegenheit uns mehreren ſegen und nutzen zu geben/ wo wir uns recht
dazu ſchickten/ nachdem ich aber die annoch erſcheinende wenige frucht an-
ſehe/ und verſichert bin/ daß der mangel an uns ſeyn muß/ weiß ich offt
nicht/ was ich dencken ſolle/ und wo es eigendlich fehle/ daruͤber auch zu
weilen mit Chriſtlichen freunden rede/ ob wir mittel und wege finden
moͤchten/ wie uns eine reichere gnade zu erlangung des vorhabenden zwecks
in ſolcher uͤbung wiederfahren moͤchte. Jndeſſen brauchen wir des gegen-
waͤrtigen/ und warten/ biß der HErr zu mehrerer tuͤchtigkeit uns reinige.
Was derſelbige uͤber das allgemeine verderben in der Chriſtenheit klaget/
iſt ſo wahr/ daß es faſt mit haͤnden gegriffen werden kan. So iſt ohn-
zweiffendlich eine ziemliche urſach bey uns Evangeliſchen ſothanes verder-
bens/ die eingebildete unmoͤglichkeit der haltung der gebothen des HErrn/
und alſo die muthwillige vertraͤhung einer an ſich ſelbſten gantz heiligen
Goͤttlichen warheit. Jch erkenne freylich/ und lehre auch mit unſerer ge-
ſammten Evangeliſchen kirchen/ daß die geboth des HErren und deſſen
heiligſtes Geſetz/ wie ſie nicht nur allein gute wercke ſondern eine gantz gu-
te/ heilige und in ihrer erſt erſchaffenen reinigkeit beſtehenden natur von
uns erfordern koͤnnen und fordern/ und alſo nach welchem nicht nur nach
dem fleiſch wandeln/ ſondern auch daſſelbige an ſich haben/ verdammlich
iſt/ in dieſer ſterblichkeit und ſo lang wir in den verderbten huͤtten wohnen/
vollkommen zu halten/ unmoͤglich ſeye/ und wer ſich ſolches vor moͤglich
achtete/ wuͤrde ſich allzu viel ſchmeucheln: aber hingegen preiſe ich die guͤte
und barmhertzigkeit des himmliſchen Vaters/ daß derſelbe ſich unſerer in
Chriſto erbarmet/ und uns nicht nur die vergebung wiederum anerboten/
ſondern
[415]ARTIC. I. DISTINCT. III. SECT. XXI.
ſondern denjenigen bund mit uns gemacht hat/ daß wir nicht mehr aus dem
Geſetz/ ſondern ſeiner gnade/ die ſeligkeit haben ſollen/ daher er nun ſo guͤ-
tig iſt/ daß er/ ob wohl ſeiner gerechtigkeit und ewigem willen/ als der un-
veraͤnderlich bleibet/ nichts abgehet/ noch recht werden kan was unrecht
iſt/ iedoch nicht nur ſeinen heiligen Geiſt ſeinen glaͤubigen kindern giebet/
in deſſen krafft ſie vieles desjenigen vermoͤgen/ was uͤber alle menſchliche
kraͤffien iſt/ in dem gebothe des HErrn zu leiſten/ ſondern nunmehr unſern
ob wohl unvollkommenen gehorſam mit ſolcher vaͤterlicher huld und gedult
aufnimmt/ daß es nunmehr ein halten ſeiner Gebothe heiſſen ſolle/ welches
ſolchen nahmen nach der ſtrenge nicht meritirte/ und gegen die vollkommen-
heit des Geſetzes gehalten/ allzu wenig und gering iſt. Daher nunmehr
in ſolchem gnaden-bund Chriſti nichts verdammliches/ oder wie es eigend-
lich lauten moͤchte/ Roͤm. 8. v. 1. keine verdammung mehr an denenje-
nigen iſt/ die in Chriſto JEſu/ und alſo ihm in dem glauben verei-
niget ſind/ die nun zwar das fleiſch noch an ſich haben/ und alſo ſich mit
deſſen luͤſten ſchleppen/ auch vielen kampff daruͤber fuͤhlen muͤſſen/ welches
auſſer Chriſto ſchon verdammlich waͤre/ aber die nicht nach ſolchem fleiſch
ſondern nach dem Geiſt und deſſen heiligen bewegungen wandeln. Damit
bleibet GOtt ſeine ehre/ daß unſer heyl aus pur lauter gnade herkomme/
und keine frucht oder verdienſt der wercke/ welche auſſer der gnade wohl
ein ſchlechtes anſehen und vielen mangel an ſich haben/ ſeye/ und wir ha-
ben doch keine urſach in unſerer ſicherheit zu bleiben/ aus der eiteln einbil-
dung der unmoͤglichkeit. Jch erkenne gern/ daß nicht eben allemahl von
dieſer materie alſo/ wie es gehoͤrt/ von denjenigen mag geredet und gelehret
werden/ die den gantzen rath GOttes von unſerm heyl vortragen ſolten.
Daher ich nach der wenigen gnade GOttes/ ſo mir ertheilet iſt/ in allen mei-
nen ſchrifften ſehr ſorgfaͤltig die beyden puncte der nothwendigkeit und moͤg-
lichkeit des thaͤtigen Chriſtenthums zu treiben pflege; Ach daß ſolche wahr-
heit in allen hertzen mit dem finger des Geiſtes geſchrieben wuͤrde! So iſts
auch freylich an dem/ woruͤber mein vielgeliebter Herr gleichfals klaget/
daß viele aus unſerer zahl/ die wir an der ſtaͤte GOttes ſtehen/ und ſein
wort der gemeinde vortragen ſollen/ das ambt nicht fuͤhren/ wie wir ſol-
ten/ und es die wohlfarth der gemeinde erfordert/ ja viele nicht darzu tuͤch-
tig ſind/ in dem ſtande worinne ſie ſtehen. Wie ich nicht leugne/ daß an
dieſer ſache ein groͤſſeres gelegen iſt/ als man ſich insgemein einbildet/ und
daß eine der vornehmſten urſachen des allgemeinen verderben auch hierinne
beſtehe. Zwar wil ich dem Goͤttlichen wort diejenige krafft/ die es in ſich
ſelbſt hat/ nicht nehmen/ oder leugnen/ es werde auch gefuͤhret von wem es
wolle/ und will alſo des HErrn worte/ daß GOttes wort von einem
todten
[416]Das ſechſte Capitel.
todten gehandelt ohne wuͤrckung ſeye/ in geſundem verſtande alſo
aufnehmen/ daß das meiſte/ zuweilen gar alles/ von deſſelben wuͤrckung
bey den zuhoͤrern gehindert werde. Alſo daß zwar muͤglich iſt/ daß bey
eines unwiedergebohrnen und in ſuͤnden todten predigers amts moͤge aus
gnade Gottes bey den zuhoͤrern/ ſo das wort annehmen/ vermittelſt deſſen
krafft einiger nutzen erfolgen: aber weder bey allen (indem die meiſte ſich
entweder ſtoſſen an dem boͤſen exempel/ und auf ſolches mehr als auf das
wort ſelbs ſehen/ ſo dann viele neben dem allgemeinen vortrag des worts
einige handleitung und anweiſung ihres lehrers bedoͤrffen/ dazu aber ein
ſolcher gantz untuͤchtig iſt) noch alſo wie es ſolte ſeyn/ dann es mangelt
einem ſolchen umviedergebohrnen an der goͤttlichen weisheit und klugheit/
das wort der wahrheit recht zu theilen/ und es auf einem ieglichen/ wie
es dienlich waͤre/ anzuwenden/ ja es mangelt ihm an dem himmliſchen
liecht/ daher er vieles nicht recht verſtehet/ und es daher/ weil er nicht al-
lezeit bloß die wort der ſchrifft brauchet/ ſondern eben ſo wohl ſeiner eige-
nen ſich bedienet/ nicht fehlen kan/ daß er offt die wahren lehren/ die er
in der wahrheit und aus dem grunde nicht verſtehet/ nicht alſo vortraͤgt/
wie ſie ſeyn ſolten und am kraͤfftigſten ſeyn wuͤrden/ ſondern ſie mit ſei-
nen eigenen gedancken vermiſchet/ daß es mit ſolchen zuſaͤtzen auf hoͤret
das reine wort GOttes zu ſeyn: Ja es mangelt ihm auch an dem eyffer
und treue/ alles zur erbauung zu thun/ ſo dann an dem vermoͤgen zu be-
ten/ da wir doch durch das gebeth ſo vielmehr ſegen und krafft zu unſerm
amt von dem HERRN erlangen muͤſſen. Jſt alſo freylich der zuſtand
derjenigen gemeinden/ da ſolche leute ſind/ ja der gantzen Chriſtlichen kir-
chen/ die mit einer ſo groſſen zahl derſelben an meiſten orten angefuͤllet iſt/
elend und betruͤbt/ und ein ziemlich ſtuͤck des auf ihr liegenden goͤttlichen
gerichts. Jch habe ſolche materie durch GOttes gnade gegen meinen
wiederſacher in meiner antwort oder tractaͤtlein von der allgemeinen Got-
tesgelehrtheit verhoffendlich zur genuͤge ausgefuͤhret: Solte mir auch lieb
ſeyn/ da derſelbe es ſeiter geleſen haben moͤchte/ ob er gleiches ſinnes mit
mir iſt/ zu vernehmen. Jm uͤbrigem nehme ich mit hoͤchlichem danck an
die aufmunterung/ damit beliebig geweſen/ mich zu ſtaͤrcken/ und gegen
die laͤſterungen zu troͤſten. Jch habe mir zwar nichts zuzumeſſen/ noch
zu glauben/ daß GOtt mich zu einigem mehrern oder weitern als andere/
die mit mir in dem amt ſtehen/ geſetzet/ noch ausgeruͤſtet/ ob wohl zu
weilen einige gute freunde ein mehreres bey mir hoffen/ weil ſie nicht ſo
tieff in mich hinein ſehen/ und/ wie ich ſelbſt in mir befinde/ erkennen
koͤnnen/ wie das maaß des Geiſtes ſo mir gegeben/ viel geringer ſeye/ [a]ls
ſie die hoffnung geſchoͤpffet/ und zu einigen mehr als gemeinen verrichtungen
erfordert
[417]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECT. XXI.
erfordert wuͤrde. Daher ich mit andern vielmehr bitte/ er wolle dermahleins
diejenigen werckzeuge ausruͤſten/ erwecken und hervor treten laſſen/ die mit krafft
durchdringen/ und das werck des HErrn durch ihre hand fortgehen ſolle/ wie ich
auch nicht zweiffele/ daß er nach ſeiner guͤte (und ach daß wirs noch ſehen moͤch-
ten) dergleichen thun werde. Jndeſſen weil ſich der Satan mit laͤſterungen
und ſeinen gewoͤhnlichen waffen mir faſt mehr wiederſetzet/ als wohl bey ziem-
lichen jahren einigen andern mag begegnet ſeyn/ ſo giebt mir ſolches durch die
gnade GOttes offt einen getroſten muth/ es muͤſſe gleichwohl dasjenige/ was
der HERR durch mich armen thut/ nicht gar unfruchtbar ſeyn/ ſondern dem
Satan und ſeinem reich damit weher geſchehen/ als ich von dergleichen meiner
ſchwachheit haͤtte gedencken doͤrffen. Befremdet mich alſo nicht ſehr/ daß es
der laͤſterer hin und wieder ziemlich viel bißher gegeben/ auch etwa noch ferner
geben wird. Nur ruffe ich den HErrn an/ daß er alſo mit ſeinem Heiligen
Geiſt regiere/ mich und alle meine freunde/ in demjenigen/ was wir thun/ daß es
in der wahren klugheit der gerechten geſchehe/ und wir nicht ſelbſt/ in einer an
ſich guten ſache dem laͤſterer aufs wenigſte durch unvorſichtigkeit gelegenheit ge-
ben/ welches etwa einige mahl geſchehen ſeyn mag. Sonſten wo uns unſer
gewiſſen deſſen uͤberzeuget/ daß wir gleichwohl in allen ſtuͤcken unſchuldig ſind/
und es alſo recht ein leiden des HErrn iſt/ ſo iſts ie nicht nur wohl zu tragen/ ſon-
dern wuͤrcket vielmehr eine hertzliche freude/ daß der HErr uns wuͤrdiget/ mit ei-
nigem leyden ſeinen nahmen zu preiſen. Welches eine mehrere gnade iſt/ als
man dencken moͤchte/ und alſo ja nicht werth iſt/ daß wir uns daruͤber beſchwe-
ren/ vielmehr aber dem HErrn vor dieſelbe dancken. Nun dasjenige/ was etwa
eine zeit her einige diener GOttes betroffen/ und meiſtens in ohnmaͤchtigen und
an ſich ſelbſt ohnſchaͤdlichen laͤſterungen beſtanden/ iſt noch etwa ein geringes/
was die nun vor der thuͤr zum einbruch bereit ſtehende letzte truͤbſalen mit ſich
bringen moͤchten: wann der HErr/ ehe er ſeinen verderblichen zorn uͤber ſeine
feinde ausgieſſen/ vorhin an ſeinem eigenen hauſe ſeine gerichte anheben/ und alſo
daſſelbe rechtſchaffen/ aber auf eine dem aͤuſſerl. menſchen ſchmertzl. weiſe laͤutern/
zu ſolchem ende aber dem Roͤmiſchen Babel/ um das maaß ſeiner ſuͤnden damit
zu erfuͤllen/ und damit ſein letztes urtheil vollends ihm ſelbs uͤber den hals zu zie-
hen/ eine mehrere macht mit den heiligen zu ſtreiten/ und ſie dem aͤuſſerlichen an-
ſehen nach zu uͤberwinden/ geben wird. Aber der HErr wird auch ſeinen zeugen
nach dem maaß des ihnen beſtimmten leidens das maaß des troſtes und des Gei-
ſtes geben/ daß ſie verhoffendl. ſolche ſchwerere leyden aus demſelben freudiger zu
uͤberſtehen werden vermoͤgen/ als ihnen etwa ihr voriges geringeres leyden nicht
zu leicht worden iſt. Laſſet uns nur im glauben warten/ was der HErr uͤber uns
will kommen laſſen/ gewiß er thue alles in einer vaͤterlichen liebe und weisheit/
und ihn um ſeine gnade und beyſtand/ als unſers eignen unvermoͤgens erkaͤntlich/
ohn unterlaß anruffen/ ſo wohl ieglicher vor ſich ſelbſt/ als auch in bruͤderlicher
G g ggemein-
[418]Das ſechſte Capitel.
gemeinſchafft vor einander. Dieſes gebeth wird ſo viel verſicherter und kraͤfftiger
zu dem thron der gnaden eindringen/ als mit feſterem glauben und aus liebe zu-
ſammen geſetzter andacht es in die hoͤhe wird geſand werden. Denn der HErr/
deſſen wort und verheiſſung wir vor uns haben/ kan ſich ſelbs nicht leugnen/ noch
die ſeinige vergebens ruffen laſſen. Und was iſt wohl wuͤrdiger/ daß wir darnach
ohnaufhoͤrlich ſeuffzen und ſchreyen/ als die zukunfft ſeines reichs/ daß es endlich
mit gewalt ein und durchbreche/ worinnen ja die vornehmſte und theureſte ver-
herrlichung ſeines nahmens beſtehet/ die der liebſte HErr und Heyland uns in
ſeinem kunſtgebeth vornen an die ſpitze geſetzet hat? Sie ihres orts/ ſo viel ihrer
nach der erloͤſung des volcks Gottes verlangen/ ſo mir ſonſten unbekannt/ fahren
auch fort/ wie ſie bißher gethan zu haben liebreich bezeugen/ vor mich ferner zu
ſeuffzen mit bitten und flehen/ auf daß mir gegeben werde das wort mit freudi-
gem aufthun meines mundes/ daß ich moͤge kund machen das geheimnuͤß des
Evangelii/ auf daß ich darinnen freudig handlen moͤge/ und reden wie ſichs ge-
buͤhret. Warum ich hertzlich bitte/ und hingegen zuſage/ auch meiner ſeits ihrer
in meinem gebeth nicht zu vergeſſen/ ſondern ſie ſtets mit andern/ von welchen
der HErr mich hat gutes hoͤren laſſen/ ſeiner gnade hertzlich zu empfehlen.
1681. 7. jan.


SECTIO XXII.


Meine predigten uͤber Joh. 3.Cramerikinder
Gottes ehrenſtand und pflicht. Wie man ſich zu verwah-
ren/ um nicht in irrthum verfuͤhret zu werden.
Gefahr und noth unſerer zeiten.


JCh dancke meinem Gott billich mit tieffſter demuth/ der zu ſo mancher an-
dern ſeiner gnade auch dieſe hinzu thut/ daß da er meine gedult auf eine
und andere art offters uͤbet und pruͤfet/ er mich hingegen durch viele und
zwar mehrmahls dem nahmen und art nach unbekannte freunde/ indem von hier
und dar immer dergleichen ſchreiben einlauffen/ laͤſſet aufgemuntert und geſtaͤr-
cket werden: Damit ich nicht in die ſorge gerathe/ da es ſo viele wiederſprecher
hin und wieder giebet/ ich moͤchte mich ſelbſt etwa betruͤgen/ und die ſache ſo gut
nicht ſeyn/ wo ich nicht iemahlen bekraͤfftiget wuͤrde/ da er liebe leute erwecket/ die
mich ſo ihres beyfalls als ernſtlicher vorbitte verſichern/ und wohl gar eyfrig erin-
nern/ mich durch nichts muͤd oder weich machen zu laſſen. Dann ob wohl das vor
vor augen klar ligende wort uns die einige regel der wahrheit und falſchheit iſt/ ſo
dann nicht anderer beyfall/ ſondern unſers eigenen gewiſſens verſiglung das beſte
und allein genugſame zeugnuͤß iſt/ ſo kom̃ts doch unſerer ſchwachheit und ſchuͤch-
terem gemuͤth trefflich zu ſtatten/ wo wir ſehen/ daß Gott auch in andern hertzen
eben derjenigen wahrheit/ die wir auch bekennen/ zeugnuͤß giebet. Alſo weiſt der
weiſeſte
[419]ARTIC. I. DISTINCT. III. SECT. XXII.
weiſeſte Vater unter ſeinen kindern die ſache alſo weislich einzurichten/ daß nicht
nur unter gegenwaͤrtigen ie ein glied dem andern/ auch da es daran nicht geden-
cket/ ſondern ſonſten ſeine liebe und danckbarkeit gegen GOtt bezeugen will/ zur
ſtaͤrckung dienen muß: auf daß ſie alle bekennen/ daß ſie alle ie eins des andern/
der ſtaͤrckere dem ſchwaͤchern/ und dieſer des andern/ bedoͤrfftig ſeyen: welches
ſo vielmehr die zuſammenfuͤgung und haltung der glieder befoͤrdert/ dieſe aber
ein herrliches mittel iſt/ daß in dieſelbe der von ihrem allgemeinen hochgelobten
Haupt ihnen mittheilende Geiſt und deſſen krafft gleichſam ſo viel ungehinderter
durchtringe/ und in alle ſich deſto voͤlliger ergieſſe. Jm uͤbrigen daß der treue
Vater ſo andere meine geringe arbeit als die predigten Joh. 3. ſo kraͤfftiglich ge-
ſegnet hat/ daß ihn ſuchende hertzen eine gute bewegung daraus empfunden/
ſchreibe ich auch ſeiner unermeßlichen guͤte billich zu/ welche mich und andere leh-
ren will/ wie dero krafft nicht an gelehrte ſchrifften gebunden/ ſondern in demjeni-
gen am unverhindertſten ſich erzeige/ wo man ſich der groͤſſeſten einfalt gebrau-
chet und eher mit fleiß/ was nach der ſonſt an ſich ſelbs an ihrem ort nicht verwerff-
lichen erudition ſchmecket/ auslaͤſſet/ als dieſelbe mit einzumiſchen ſich befleißi-
get/ auf daß der alte rath Gottes noch beſtehe/ der uns geoffenbahret iſt Matth.
11. v. 25. 26. 1. Cor. 1. v. 17. u. f. 2. v. 13. So ſeye ſein nahme und weisheit in allem
geprieſen/ wo dieſe auch nicht mit unſern gedancken/ wie wirs am beſten achteten/
uͤberein kommt. Daß die liebe Gottes das kraͤfftigſte/ ja einzige mittel ſeye/ die
hertzen von der liebe der welt abzuziehen/ iſt freylich eine unwiederſprechliche
wahrheit. Es kan in unſer hertz ſich von nichts/ dazu es einige inclination hat/
abziehen oder abziehen laſſen/ es werde ihm dann etwas anders und wichtigers
gewieſen/ dadurch jenes muß erſetzet werden. Alſo ob ſchon ein hertz ſelbs die
wichtigkeit derjenigen dinge wahrhafftig erkennet/ an welchen es mit liebe klebet/
wie auch die Heyden ſolche eitelkeit offt nachdruͤcklich erkannt/ und wohl gar an-
dein vorgeſtellet haben/ ſo iſt ihnen doch ſo wenig muͤglich/ ſich deswegen davon
abzutrennen/ es habe dann an die ſtelle etwas beſſers/ als wenig einer in denen
waſſerwellen des meers das kleine ſtuͤcklein bret/ daran er ſich haͤlt/ und doch nicht
endlich wird erhalten koͤnnen/ fahren laͤſſet/ man werffe ihm dann etwas ſtaͤrcke-
res dar/ daran er ſich feſter halten kan. Wo alſo einen menſchen die Goͤttliche
liebe in Chriſto/ als der grund aller ſeeligkeit/ und alſo dieſe in demſelbigen/ recht
alſo vorgeſtellet wird/ daß ſeine ſeele der recht uͤberzeuget/ und von ihrer ſeeligkeit
geruͤhret iſt/ ſo verliehret alles irrdiſche/ als welches mit jenem in keine verglei-
chung kommen kan/ ſeinen werth bey einer ſolchen ſeelen. So iſt auch bey unſerer
kirchen unwiederſprechlich/ daß alle tugenden/ ſo viel derer ſind/ lauter fruͤchte
des glaubens ſeyen: der glaube aber iſt das jenige/ ſo aus erkaͤnntnuͤß der Goͤttl.
liebe und dero fruͤchten herkommet/ folglich auch die wurtzel des uͤbrigen guten.
Daher ob wohl das Evangelium eigendlich keine lehre der wercke iſt/ als welches
dem Geſetz zukommet/ ſo iſt doch dem Geſetz nicht muͤglich/ ein einig gutes werck
G g g 2bey
[420]Das ſechſte Capitel.
bey uns zuwegen zu bringen/ ſondern zu dero wuͤrckung gehoͤret/ daß aus dem
Evangelio durch den glauben die ſeele habe angefangen die liebe ihres Gottes zu
erkennen und ſchmecken/ da alsdann die wercke nicht anders als folgen koͤnnen/
wo eine ſolche trefliche wurtzel gepflantzet iſt/ welche materie ich vor deme in ei-
ner præfation uͤber des S. Andreæ Crameri herrliche ſchrifften/ ſo unter dem
nahmen der glaͤubigen kinder GOttes ehrenſtand und pflicht hier ge-
druckt worden/ mit etwas mehrerem ausgefuͤhrt habe. Ferner iſt auch dieſes vor
denen augen/ die etwas tieffer ſehen/ unleugbar/ daß ie hefftiger das Goͤttliche
wort getrieben und lauter der Welt vor augen geleget wird/ der Satan ſo viel
erſchrecklicher raſe/ und immer als lang ihm ſolches wird verhenget werden/ raſen
wird: und daſſelbe nicht nur mit oͤffentlichem wiederfechten und laͤſtern/ ſondern
welches in dem werthen ſchreiben bemercket worden/ auch auf eine andere art/
daß er ſuchen wird unter dem ſchein der gottſeligkeit ſein gifft zu verbergen. Es
kennet der tauſendkunſtler die unterſchiedlichen arten der gemuͤther allzu wohl/
als daß er alle auf einerley weiſe angreiffen ſolte/ als womit er bey vielen wuͤrde
vergebens ſeyn; weil er alſo weiß/ daß einige ſind/ die ſich/ wo er etwas ſeiner
ſchwaͤrtze ſehen laͤſſet/ vor ihm ſo bald entſetzen/ und verwahren wuͤrden/ ſo thut er
bey ſolchen einen leicht-mantel um und betreugt ſie ſo viel leichter. Daher die
geiſter ja fleißig zu pruͤfen ſind/ ob ſie aus Gott ſeyn oder nicht. Weil aber ſolche
pruͤfung eine nicht ſo gar leichte ſache iſt/ und man ſich beyderſeits mit vermeſſe-
nem urtheil und verdammung der dinge/ die nicht recht verſtanden werden/ und
rechte Goͤttliche wahrheiten in dem wahren verſtande in ſich gefaßt/ oder ander-
ſeits in annehmung einiger irrthuͤme/ gefaͤhrlich verſuͤndigen mag/ ſo achte ich/
daß ſehr behutſam zu verfahren ſeye. Nechſt hertzl. gebeth zu Gott/ daß er uns ja
verwahre/ daß uns der arge nicht antaſte/ habe ich bißher vor mich und andere
dieſen den ſicherſten weg befunden; daß wir uns an keinem menſchen/ wie er
auch nahmen haben moͤchte/ binden/ ſondern glauben/ das wort Gottes ſeye allein
die wahrheit/ und muͤſſen wir auf daſſelbe uns pur-lauter allein verlaſſen/ ſo gar/
daß wir weder unſern eigenen liebſten predigern/ noch andern etwas deswegen
glauben/ weil ſie es vorgeben/ ſondern allein dabey bleiben/ was uns Gottes wort
ſo deutlich vor augen ſtellet/ daß unſer gewiſſen deſſen uͤberzeuget iſt. Kommen
wir nun uͤber einige ſchrifften/ oder hoͤren einige perſonen/ ſo etwas Goͤttliches
vorgeben/ ſo ſehe ich nur zum foͤrderſten darauf/ ob der grund des glaubens/ wel-
ches iſt die herziehung der Seeligkeit aus der alleinigen gnade des himmliſchen
Vaters in Chriſto JEſu/ feſt ſtehe/ und ob dieſer uns darinn recht vorgeſtellet
werde/ wie er ſo wohl mit ſeinem verdienſt unſer verſoͤhner ſeye/ aus welchem wir
durch den glauben die vergebung der ſuͤnden und alſo die ſeligmachende gerech-
tigkeit haben/ als auch mit ſeinem heiligen exempel zu einer nothwendigen nach-
folge ſich vorgeſtellet/ zu deroſelben aber ſeinen H. Geiſt und himmliſche krafft zu
ſchencken zugeſagt habe/ daß wir daraus wahrhafftig gantz andere menſchen zu
werden
[421]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECT. XXII.
werden vermoͤgen/ als wir von natur ſind. Finde ich diefen grund unverruckt/
und daß ſich alles hierauf bauet/ ſo erkenne ich ſolche Goͤttl. wahrheit mit danck
und gehorſam; ſolte ich aber einen andern grund antreffen/ ſo verwerffe ichs mit
allem recht/ und ob ich ſchon ſonſten einige ſcheinbare und unverwerffliche wahr-
heiten darinnen ſehe/ ſo ſihe ich mich doch dabey vor/ daß nicht unter denſelben
mir einige andere gefaͤhrlich vorgebracht moͤgen werden. Was nach mahl andere
lehren anlanget/ finde ich abermahl dieſes die beſte art/ die ich auch andern am
liebſten vorſchlagen wolte. Wo ich nemlich eine lehre hoͤre und leſe/ unterſuche
ich/ ob ſolche gantz deutlich aus Gottes wort erwieſen werde/ alſo daß ich ſelbſt in
meinem gewiſſen uͤberzeugt bin/ daß dieſes entweder dem buchſtaben nach/ oder
durch eine mir ſelbſt einleuchtende gewiſſe conſequentz damit uͤberein komme;
ſo mag ichs auch mit getroſtem hertzen annehmen/ es weꝛde miꝛ auch voꝛgetragen
von wem es wolle. Sihe ich aber/ daß es offenbarlich mit ſolcher Goͤttlichen uns
in der ſchrifft dargelegten wahrheit ſtreitet/ ſo verwerffe ichs billich. Wo es aber
ſo bewandt iſt/ daß ich mich zu ſchwach finde davon zu urtheilen/ wie es offt ge-
ſchehen kan/ daß ich weder die einſtim̃ung mit der ſchrifft noch dero wider ſpruch/
alſo erkenne/ daß ich in meiner ſeelen deroſelben uͤberzeugt bin/ ſo laſſe ich ſolche
ſache beruhen/ urtheile weder dieſes noch jenes/ um mich nicht auf eine oder an-
dere art zu vergreiffen/ ruffe aber Gott hertzlich an/ wo mirs noͤtig/ auch in ſolcher
ſache eine gewißheit zu geben. Wo wir dieſe art zu handlen in acht nehmen/
wird uns keiner mit ſchrifften oder reden verfuͤhren/ wie groſſen ſchein der gottſe-
ligkeit er vorgebe (wie es etwa auch zu unſern zeiten dergleichen irr-geiſter mag
gegeben haben/ oder noch geben) und uns damit zu beſtricken ſich unterſtuͤnde.
Dann meine grund-lehr bleibet mir feſt/ und darinn habe ich mich durch Goͤtt-
liche gnade alſo befeſtiget/ daß mich darinn keiner eines andern bereden mag: in
den uͤbrigen lehren/ da die gottſeligkeit zum vorwand gebraucht wird/ nehme ich
nicht mehr noch weniger an/ als was die ſchrift mir klar bezeugt/ u. uͤberlaſſe alles
uͤbrige ſeinen autoribus. Hingegen verwahre ich mich auf ſolche art auch auf der
andern ſeiten/ daß ich nichts als teuffelich verdamme/ was vielleicht mir zwar zu
hoch/ aber von einem Goͤttlichen principio herkommen moͤchte. Worinn oͤffters
von uns auch aus blindem eyffer gefehlet zu werden/ und ſolche fehler viel gefaͤhr-
licher achte/ als es ins gemein geſchaͤtzet wird: weswegen nicht leugne/ daß ich
in ſolcher ſach gern langſam und ſehr behutſam gehe. Zwiſchen allen ſolchen ge-
fahren und verfuͤhrungen bleibets aber auch freylich dabey/ daß die kirche Gottes
nicht mag von den pforten der hoͤllen uͤberwaͤltiget werden: nur daß wir dieſelbe
nicht bloß in einer aͤuſſerlichen ſichtbarlichen gemeinde (dann ſolche der kirchen
facies kan wohl eine zeitlang verſchwinden/ und wer weiß/ wie nahe wir dabey
ſind/ daß der HERR jenem Babel moͤchte ſo viel gewalt geben/ daß man kaum
einigen ſichtbaren hauffen/ ich will nicht ſagen der recht-glaͤubigen/ ſondern
nur recht-lehrenden/ eine weile mehr zu ſehen haben doͤrffte?) ſuche/ ſondern
G g g 3er-
[422]Das ſechſte Capitel.
erkenne/ dieſelbe beſtehe in der dem HErrn ſelbſt allein bekannten zahl ſeiner an-
noch faſt gantz in der zerſtreuung ſtehenden glaͤubigen und verborgenen. Die wird
wohl der Teuffel muͤſſen unangetaſtet und unuͤberwaͤltiget laſſen/ da er alle hauf-
fen der ſchein-glaͤubigen nach einander zertrennet/ und dem anſehen nach den ſieg
erhalten haͤtte. Jene aber wird der HErr verbergen heimlich bey ſich ſuͤr [i]eder-
manns trotz in ſeinem gezelt/ und erhoͤhen auf einen felſen: biß die zeit der truͤbſa-
len und der gerichte vorbey ſeye/ und auch die uͤbrige verheiſſungen in ihre erfuͤllung
gehen. Jndeſſen iſts freylich beiruͤbt/ wo man die beſchaffenheit der gegenwaͤr-
tigen zeit anſiehet/ und ſonderlich die gefahr der lieben noch unerzogenen ju-
gend. Laſt uns aber dabey gedencken/ der HErr ſey vielmehr ihr vater/ als uns
ſelbſt ſolcher nah me zukommt/ gehet alſo unſern ſeelen ihre gefahr zuhertzen/ wie viel
hertzlicher wird dann der HErr vor ſie ſorgen/ und/ wir ſeyen da oder nicht/ ſie zu
verwahren wiſſen/ daß ſie der arge nicht antaſte/ ſo viel nemlich derſelbigen ſich ſei-
ne gnaden-hand wollen regieren laſſen; dann die ſolches nicht thun oder laſſen
wollen/ moͤgen zu keiner zeit ihr heil davon bringen. Unſer allervornehmſte lehre
wird ie laͤnger ie mehr ſeyn/ uns in die zeit lernen ſchicken/ weil es boͤſe zeit iſt/
deroſelben zeichen lernen erkennen/ auf uns ſelbſt und was um uns iſt genau acht
geben/ keinem einigen menſchen odeꝛ menſchlicher autoritaͤt uns zu kn[e]chten geben/
ſondern unſer gewiſſen und glanben dem HErrn allein unterwerffen/ und unauf-
hoͤrlich bethen. Das ſind die waffen/ damit wir in der krafft Gottes beſtehen/ und
ob wohl nicht alles was wir wuͤnſchen (nachdem etwa das urtheil geſprochen Jer.
45. v. 4. 5.) ausrichten/ iedoch unſer ſeele zur ausbeut davon bringen
moͤgen.


SECTIO XXIII.


Vorſchlag einiger reiſen derTheologorum,ein-
ander zu beſuchen. Lehre des geſchenckten Heils.
Steph.
Prætorius.
Zur ungebuͤhr von einem beruͤhmtenTheologoange-
griffen.
Statius. D.Danhauers beypflichtung.D.Brodtbecks
ſeliges und bedenckliches ende.
Neodorpiiſchrifften.Egardifrom-
mer buchbinder. Academiſches greuelweſen.
Andr. Cramerus. D.
HavermannsTheopraxia.Joh. Sam. Kriegsmann. Dilfeld.
D. Muſæus. D.Beyer. Groſſe bewegung in den hertzen.
Hoffnung daraus.


DAß Chriſtliche geſpraͤche wie unter andern/ alſo auch unter denen die Gott
hin und wieder ſeinen gemeinden vorgeſtellet hat/ viel nuͤtzen moͤgen/ iſt oh-
ne allen zweiffel/ uñ hielte ichs vor eine ſehr nuͤtzliche ſache/ wo es alſo moͤch-
te angeſtellet werden/ daß iezuweilen einige Theologi eine weile hin und her reiſe-
ten/ andere ihrer bruͤder zu beſuchen/ und mit denſelben vertraulich zu commu-
niciren;
[425[423]]ARTIC. I. DISTINCT. III. SECT. XXII.
niciren; wo eines einigen verſtaͤndigen mannes reiſe nicht nur viele gemuͤther mit
ihnen/ ſondern auch deroſelben mehrere unter einander verbinden/ das band der
einigkeit des Geiſtes und des friedes mehr befeſtigen/ und vieles deſſen ausrichten
koͤnte/ was ſich ſonſten ſchwerlich ausrichten laͤſſet. Es moͤchte ein ſolch er einiger
mann gleichſam auch die mittel-perſon ſeyn/ dadurch/ was von gutem rath und
vorſchlaͤgen hin und wieder bey einigen ſich findet/ mehrern gemein gemacht wer-
den moͤchte/ das ſonſten nicht anders alß oͤffentlich mit ſchrifften (wo zu auch nicht
eben ieglicher ſich gern reſolviret.) ja auch nicht allezeit ſo wohl durch ſolches mit-
tel/ geſchehe. Ja es ſolte ein theil deſſen/ waß man ſonſten durch ſynodos und
concilia, ſo wir ſchwerlich zuhoffen haben/ geſucht wird/ durch ſolche weiſe erhal-
ten werden. So ein nuͤtzliches werck ich aber ſolches achte/ ſo viel difficultaͤt ſehe
auch wiederum dabey/ und doͤrffte es nicht an ſeltzamen verdachten und hinter-
niſſen mangeln/ wo iemand ſolches verſuchen wolte. Mit meinem geliebten bru-
der einmahl gegenwaͤrtig um zugehen/ ſolte mir eben ſo wohl eine hertzliche freude
ſeyn/ und ob ich wohl annoch keine gelegenheit dazu ſehe/ wolte ich doch nicht alle
hoffnung deſſen gantz unmoͤglich halten: weil es ja endlich ſo gar ſchwehr nicht iſt/
daß 2. perſonen durch allerhand gelegenheit von Gott moͤgen zuſammen gefuͤhret/
und ihnen zu einer unterredung anlaß gegeben werden. So ich auch/ ſo es zu deß
Herren ehren meiner hoffnung nach ſolte dienlich ſein/ von ſeiner goͤttlichen guͤte
gefuͤgt zu werden wuͤnſchte: und zwar ſo vielmehr/ weil auch auß dieſem ſchrei-
ben mit großem vergnuͤgen erkant habe das reiche in ſeiner ſe[e]l gelegte maaß der
gnaden in der erkaͤntnuͤs des grund-articuls von unſerem heil/ das auch von ihm
in demſelben weiter geſtaͤrckt zu werden verlange/ wie ich ſehe/ daß ihm in ſolcher
materie viel lieber leute ſchrifften bekant ſind/ von denẽ ich allerdings nichts weiß/
oder annoch gehoͤret habe: Ob wohl die lehre ſelbſt deß geſchenckten heyls
durch gottes gnade/ dero demuͤthig danckſage/ etwas fruͤhe eingeſehen. Was
alſo unſern lieben Prætorium anlangt/ bleibe nochmahl dabey/ daß ich ihn vor ei-
nen werthen man/ durch den Gott viel gutes gewuͤrckt/ und gegen demſelben die
an einem ſchoͤnen leib befindliche wartzen oder flecken ſo viel nicht achte/ daß um
ihrent willen ihn verwerffen/ oder ſeine arbeit den leuten aus den haͤnden reiſſen
laſſen wolte. Daß das dogma ſelbſt de exhibita in Chriſto ſalute noch nie-
mahl eigentlich wiederſprochen worden/ laße ich auch ein ſtuͤck der goͤttlichen pro-
videnz
und zeugnuͤs ſeyn der klarheit ſolcher lehr/ die wir nicht ohne umſtoſſung
unſerer gantzen analogia fidei, wo die ſach recht erwogen wird/ verlaſſen koͤnnen.
Jedoch habe ich einem beruͤhmten/ und mir ſonſten werthen Theologo mit be-
truͤbnuͤs dieſe theſin geleſen. Qui baptizantur, remiſſionem quidem peccato-
rum actu, vitam æternam quoad ſpem \& jus ad eandem conſeqvuntur per
baptiſmum. Cont. Steph. Prætorium, per baptiſmum nos ita ſalvari, ut hic
in ſtatu ſalutis \& vitæ æternæ conſtituti ſimus, aſſerentem.
Gleich wie aber
ſolches autoris eigene theſis, ſolle ſie nicht der ſchrifft und andern unſern gottſeli-
gen
[424]Das ſechſte Capitel.
gen Theologis wiederſprechen/ einer Chriſtl. erklaͤhrung bedarff: ſo ſihe ich hin-
gegen nicht/ wie Prætorius in der ſache anders als orthodoxe gelehret: dann ob
wohl etzliche oͤrter ſich in ihm finden/ wo er freyer reden moͤchte/ als vielleicht nicht
allen gefaͤllet/ ſo erklaͤret er ſich doch an andern ſo deutlich/ daß auch der moroſeſte
cenſor keine gelegenheit darinn finden wird/ ihn deſſen zu beſchuldigen. Was die
hin und wiedeꝛ angegriffne phraſes anlangt/ leugne ich zwar nicht/ daß ich ſie offt
anders wuͤnſchte/ damit ſie kein ſtein des anſtoſſens waͤren/ aber ich laſſe drum
nichts deſto weniger des autoris liebe arbeit in ihrem werth/ ja erkenne goͤttliche
providentz darinne/ nicht nur daß wir den unterſchied unter goͤttl. und menſchl.
ſchrifften/ deren jene allein nicht zuverbeſſern ſind/ ſo viel deutlicher erkennen/ ſon-
dern daß auch denjenigen/ anſtoß muͤſſen geſetzet ſeyn/ die ihr groͤßtes dariñ ſetzen/
uͤber woͤrter zu ſcrupuliren/ daß ſie um derſelben willen die andern lehren aus den
haͤnden legen muͤſſen/ welche ſie gruͤndlicher zu erkennen etwa nicht werth ſind.
GOtt iſt ie gerecht und weiſe in allen ſeinen gerichten und wegen. Ach daß der
HErr die alte liebe wieder unter uns gepflantzet werden lieſſe/ daß wir nicht an-
ders als mit derſelben/ treuer lehrer arbeiten anſehen/ und zwar der warheit nichts
begeben/ (welches ich ſelbſt nicht ſuche/) aber allen reden Chriſtl. leute ſo gut helf-
fen/ als ihnen geholffen werden kan/ wo ſonderlich des autoris eigendl. meynung
anders her zur gnuͤge bekannt iſt. Und wo wollen wir mit den lieben vaͤtern hin/
wo wir nicht dieſe regel in acht nehmen? Ja was vor judicia wird der theure
Lutherus uͤber ſich ergehen muͤſſen laſſen/ wo wir ieglichen ſeine worte zu boltzen
traͤhen oder traͤhen laſſen wollen? oder was wollen wir den widerſachern/ welche
dieſelbe genug durch die hechel zu ziehen wiſſen/ entgegen halten/ wo wir auf glei-
che art mit andern unſern leuten umgehen? Die hiſtorie des S. Statii iſt mir
nicht bekannt/ was ſeinet wegen zu Dantzig vorgegangen ſeye. Daß der S. D.
Dannh.
mit ihnen bekannt geweſen/ habe ſonſten nicht gewuſt. Aber die doctri-
nam de exhibita ſalute,
hat er ſo herrlich als einer haben mag/ daß er ſagt de
ſorte regenitorum filiorum Dei, quod à ſorte cœleſti differat, non ſpecie ſed
gradu, apparitione, gloria, lumine Hodoſoph. (edit. poſter.) Phœn. 11. p. 1404

(dergleichen ich auch bey dem theuren Luthero geleſen T. 3. Lat. Jen. f. 453. b. Re-
gnum fidei \& futura vita differunt non ad rem, ſed ad rei modum
) Was die
zu Wittenberg anlangt/ habe gleichwohl geſehen/ daß daſelbſt ſeine Poſtilla Pa-
trum 1661.
gedruckt/ und von D. Mich. Wendelero zu ſeinem bildnuͤß ein feines
[l]ob-carmen geſetzt worden. Wie die uͤbrige aber gegen ihn geſinnet geweſen/ iſt
mir nicht ſonders bekannt. Von ſeiner cynoſura fidei Apoſtolica habe nie nichts
geſehen: unſere buch fuͤhrer wiſſen auch nichts davon: muß alſo in der meß nach-
frage halten. Wie dann unſere Statt zwar den nahmen einer ſondern Buͤcher-
Statt traͤgt/ aber in der that findet ſichs nicht; wie dann was ein wenig rare
buͤcher ſind/ hier faſt vergebens geſucht werden. Was den aufſatz pro Statio an-
langt waͤre gleichwol daran zu gedencken/ ob er ſich publiciren lieſſe/ und auf was
weiſe
[425]ARTIC. I. DISTINCT. III. SECT. XXII.
weiſe es ohne des autoris gefahr geſchehen koͤnte. Solte ich ihn ſehen koͤñen/ wolte
etwa bald ſagen/ was ſich damit thun lieſſe oder nicht. Dann wo es dermaſſen
eingerichtet werden mag/ daß vielmehr in der kirchen die mißverſtaͤnde uͤber die-
ſen lieben autorem aufgehaben als vermehret werden/ ſo wil gern ſolche publica-
tion
befoͤrdern/ und moͤchte auch ie/ nachdem es rathſam gefunden wuͤrde/ des
autoris nahmen verſchwiegen werden. Jm uͤbrigen weil bey ſolcher gelegenheit
wiederum des from̃en Doctoris Medicinæ zu Tuͤbingen/ ſo Johann Conrad
Brodtbeck
geheiſſen/ und mir verſchwaͤgert geweſen/ meldung geſchehen/ kan ich
nicht umgehen zumelden daß wie derſelbe ſein leben in einem glaͤubigen lob ſeines
Gottes gefuͤhret/ und daher ſo Statii als andere die Goͤttl. liebe und wohlthaten
preiſende ſchrifften ſo hertzlich beliebet/ alſo ſeye auch ſein abſchied gleicher maſſen
bewandt geweſen/ daß ſeine ſeele in dem lob Gottes ihren coͤrper verlaſſen. Er waꝛ
1677. den 21. Febr. des tags uͤber friſch und geſund geweſen/ und ſeinen academiſ.
geſchaͤfften obgelegen/ abends abeꝛ in den keller/ hausgeſchaͤfften wegen/ zu denen/
die darinn arbeiteten/ gegangen: da hoͤrte man ihn ruffen: Herr gehet herauf
(es hat ſich aber nachmahl in dem nachfragen kein menſch finden wollen/ der ihn
geruffen haͤtte) daruͤber er ſo bald hinauf gehet/ aber noch auf der ſtiege von einem
ſchlag-fluß befallen worden/ daß man ihn vollends in die ſtube und bette tragen
muͤſſen. Als er daſelbſt anfieng die letzte noth zu ſpuͤren/ ſo waren noch dieſes ſeine
wort: Jch hab in meinem GOtt gemig: Mir iſt in meiner ſeelen
leicht. Lobe den HErrn meine ſeele/ und was in mir iſt ſeinen heil.
namen. Vater in deine haͤnde befehl ich dir meinen geiſt.
Als er dieſes
geredet/ giengen alle ſinne und reden hin/ und verſchied er in 2. ſtunden an ſolchem
ſchlag-fluß/ mit hinterlaſſung ſeines gedaͤchtnuͤſſes in dem ſegen. Seine tabell
werde ich mir verſchaffen/ noch ein exemplar oder auch etliche von Tuͤbingen zu
bekommen/ daß aufs wenigſte etwa in der meß ſchicken moͤge. Nach Neodorpii
ſchrifften will zu meinem eignen behuff nachſehen/ daß dero habhafft werden moͤ-
ge. Was im uͤbrigen des frommen Egardi buͤcher anlangt/ ſoll geliebts Gott dieſe
meſſe abermahl ein tomus derſelben heraus kommen. Wir bedancken uns auch
wegen des communicirten catalogi, verlangen aber ſehr zu wiſſen/ ob alle ſolche
buͤcher gedruckt und zu haben/ oder ob etliche nur in msto ſeyen. Wir haben ſie
hier bey weitem noch nicht alle. Bitte daher auf foͤrderlichſte antwort/ noch/ wo
es ſeyn mag/ vor der meß/ ſo dann dafern ſie ſonſten nicht zuhaben waͤren/ ob ihres
orts ſie zu erlangen. Da der verlaͤger willig alle koſten ſchieſſen wird. Dann ſolche
moͤgen leicht noch einen dritten tomum geben. Der bericht von dem gottſeligen
buchbinder hat mich wol inniglich ergoͤtzt/ und rede ich offters bey guten freunden
von ihm. Jſt ja wuͤrdig/ daß ſein gedaͤchtniß auch in dem ſegen bey uns bleibe.
Kan mir mehr von ihm bekannt werden/ ſoll mir alles angenehm ſeyn. Hie mags
w[o]hl heiſſen/ wir gelehrte gehen groſſen theils bey dem Himmelreich vorbey/ und
H h hhin-
[426]Das ſechſte Capitel.
hingegen die ungelehrte nehmens uns vor der naſen weg. Nun der HErr ſeye
auch hoch gelobet/ wann er noch heut zu tage nach ſeinem alten rath Matth. 11.
Der unmuͤndigen und einfaͤltigen offenbahret/ was den klugen und
weiſen dieſer welt verborgen bleibet.
Es iſt ja all ſein wohlgefallen heilig
und gut. Er gieſſe noch weiter ſeinen Geiſt ohn anſehen der perſon aus uͤber
alles fleiſch/ und mache durch ſein wort die albere weiſe: ach er gebe aber/ daß auch
diejenige/ die den ſtudiis gewidmet ſeynd/ nicht weniger aus ihm als menſchen
gelehrt zu werden ſich befleißigen. Es iſt ja gewiß/ wie mein geliebter bruder
urtheilet/ daß das unverantwortliche academiſche greuel-weſen/ und auch uͤbri-
ges der welt laſter leben/ uhrſpruͤnglich aus dem mangel des glaubens herkomme/
deſſen fruͤchte ja ſeyn muͤſſen alle fruͤchte des Geiſtes/ daher ohn ihnen ſich nicht fin-
den laſſen. Wird nun der hauptgrund des heylß den lernenden nicht von ihren leh-
rern gezeigt/ ſo iſts gewiß dieſer leute ſchuld/ daß ſo viele nachmahl ohne innerl.
trieb zu dem guten bleiben/ und hingegen den luͤſten des fleiſches und verſuchungen
der welt oder des Satans nicht zu widerſtehen vermoͤgen. Es muß freylich zu
erſt der baum gepflantzt/ und nachmahl erſt die frucht von ihm erwartet werden.
Meinem S. Præceptori D. Dannh. kan ich zu ſchuldigem ruhm dieſes zeugnuͤß
geben/ daß er uns dieſe, wie andere nicht weniger von unberichteten vor enthuſia-
ſt
iſch aus grober unwiſſenheit achtende lehren/ vorgetragen hat. Wie ich oben
ſeinen ort aus der Hodoſophia angezogen habe. Was des gottſeligen Andr.
Crameri
ſchrifften anlanget/ ſo iſt eben das angezogene tractaͤtlein von dem
tauff-ſtand dasjenige/ ſo ich hie ſamt einer præfation wieder auflegen laſſen/
aber noch etliche andere von ſeinen ſchrifften von Gottes gnaden-ordnung/
anleitung zur Catechiſmus-lehr/ dero kurtzen auszug und zehen
kern-ſpruͤche
ſolchem tauff-ſtand angehenget habe/ weil ſie alle von ſolchen
materien handlen. Jch werde auch/ geliebts GOtt/ auf die meß ein exemplar
deſſen ſchicken. D. Havemanni (von dem ſonſt unterſchiedliches habe) angezo-
genes buͤchlein haben wir auch nicht. Jch mißrathe die uͤberſetzung ins Teutſche
nicht/ und will ſolche gern wie ich koͤnnen werde mit helffen befoͤrdern. Und lieſſe
ſich nicht etwa thun/ daß man die apologie und erklaͤhrung des Prætorii ſolchem
ſcripto nachmahl anhienge? Unſers ſeligen freundes KriegsmansTheo-
praxiam
habe auch geleſen/ aber leugne nicht/ daß in etlichen ſtuͤcken/ ſie etwas
geaͤndert verlangt habe/ wie ich einmahl deswegen ein bedencken habe aufſetzen
muͤſſen. Der haupt-zweck und die haupt-ſache aber iſt herrlich und von goͤtt-
licher wahrheit. D. Voluſii widriges ſcriptum und deſſen beantwortung iſt mir
gar nicht kund worden. Jm uͤbrigen ſo iſt er eben derjenige/ ſo durch druckfehler
Wilhelm Chriſtian vor Chriſtoph iſt genennet worden in dem tractatu
poſthumo
von der Athanaſia ſo ich hier zum druck befordert habe. Hingegen
der autor des buͤchleins: halt was du haſt/ iſt ſein leiblicher bruder geweſen.
Ein
[427]ARTIC. I. DISTINCT. III. SECT. XXII.
Ein ſehr Chriſtlicher gottſeliger mann/ ſo aber vor ihm todes verblichen/ und
ſich einige recht ſingularia bey ſeinem tode zugetragen haben ſollen. Dieſer
Johann Samuel Kriegsmann hat einen ſohn und eine tochter/ der Cam-
merrath aber kein kind hinterlaſſen: Dieſes witwe hat die tochter und ſohn des
ſchwagers bey ſich/ beklagt ſich aber/ daß es ihr zu ſchwer fallen wolle/ und ver-
langte/ ob ſich iemand des knabens annehmen moͤchte. Jch haͤtte ſelbſt mich
verſtanden/ denſelben zu mir zu nehmen/ und ihn ſamt meinen kindern aufzuzie-
hen/ wo ich nicht ſchon bereits ein ſolches armes kind zu ſolchem zweck bey mir
haͤtte. Daher wuͤnſchte ich von hertzen/ iemand zu finden/ der ſich dieſes from-
men mannes kindes nachdruͤcklich annehmen moͤchte. Solte nicht vielleicht Jh.
Hochfuͤrſtl. Durchl in dero lande einiges orts/ wo junge knaben erzogen wuͤrden/
eine barmhertzigkeit GOttes an ſolchem kinde (deſſen vatern und vettern ſchriff-
ten ſie in einiger gnaͤdiger recommendation haben) zu erweiſen gelegenheit fin-
den? Was meinen widerſacher zu Nordhauſen Herr Dilfelden anlanget/
will ich hoffen/ er werde allgemach in ſich gehen/ und wo nicht dem Heiligen Geiſt/
der ihn zum erkaͤnntnuͤß der wahrheit gern leiten wolte/ wahrhafftig platz geben/
ſo ich ihm hertzlich wuͤnſche/ aufs wenigſte erkennen/ daß er keine ehre in ſolcher
ſache erjagen werde. Herr D. Muſeus, an den er ſolte einigen aufſatz einer ant-
wort geſandt haben/ hat ihm/ wie ich berichtet worden/ weitlaͤufftig geantwortet/
und ihn ſeines irrthums uͤberfuͤhret. Jedoch befehl ichs GOtt/ wo er ihn noch
weiter zu laͤſtern/ und die offenbahre wahrheit zu widerfechten verhengen moͤchte:
ob mir wohl leid iſt/ da ich der ſtein des anſtoſſes ſeyn ſoll/ daran ſich einiger zu
ſeinem ſchaden ſtoͤſſet. Jm uͤbrigen weiß ich/ daß die ſache/ welche ich verthei-
dige/ wahrhafftig eine Goͤttliche wahrheit iſt/ und dero erkaͤnntnuͤß dem reich des
Satans einen empfindlichen ſchaden thun mag/ als man von einer ſolchen dem
anſehen nach in die theorie allein lauffende materie erwarten ſolte. Daher nicht
muͤgl iſt/ daß der Teufel darinn ruhen koͤnte/ ſondern muß ſich auf ein oder andere
art derſelben widerſetzen/ odeꝛ doch dero frucht nach veꝛmoͤgen abzuwenden ſuchen.
Jm uͤbrigen wird durch GOttes gnade kuͤrtzlich auch die antwort gegen unſern
widerſacher vor den S. Cammerrath Kriegsmann/ ſo ein lieber Chriſtlicher
freund ihm zu ehren ausgefertiget in den druck kom̃en/ und ſein gedaͤchtniß retten.
Der HErr gebe/ daß auch ſolches nicht ohne vielen nutzen geſchehe Daß mir Gott
nach ſeiner guͤte in Jena unter den Herren Profeſſoren ſo ſonderliche freunde er-
wecket/ dancke ich ihm demuͤthig/ ſo viel mehr/ weil faſt weniger correſpondentz
an ſolchen orten bißher gehabt/ als auf andern univerſitaͤten. Vor wenig tagen
verſicherte mich auch ein anderer hier durchreiſender Profeſſor, daß Herr Doctor
Beyer mir auch ſehr gewogen ſeye. Jch erkenne ſolches billich als eine ſonder-
bahre gnade des groſſen GOttes/ der die hertzen in ſeinen haͤnden hat; und durch
anſehung dieſer ſeiner leitung mich auch ſo viel mehr ſtaͤrcket und aufmuntert/ weil
er ja unſere ſchwachheit kennet/ und weiß/ wie das anſehen einiger zuſtimmender
H h h 2men-
[428]Das ſechſte Capitel.
menſchen/ obs wohl nicht der grund unſers glaubens iſt/ dennoch ſo vieles zu un-
ſerer bekraͤfftigung thue/ der mangel aber deſſen uns gemeiniglich ſo ſehr nieder-
ſchlage. Alſo iſt er ja ein guͤtiger vater/ der ſich nach unſerer ſeiner kinder ſchwach-
heit richtet. Was in dem uͤbrigen der unbekannte freund geſchrieben/ daß Gott
unter unſern Theologis eine veraͤnderung vorhaben moͤchte/ will ich nicht aller-
dings widerſprechen/ Sondern wie ich die gerichte GOttes vor augen ſehe/ die
ſich beſorglich uͤber unſere geſamte kirche ergieſſen moͤgen/ da unſers ordens auch
nicht geſchonet wird/ alſo ſehe hingegen mit freuden/ daß GOtt mehr und mehr
hin und wieder die gemuͤther vieler ſo prediger/ als an hohen und untern ſchulen
arbeitender maͤnner erreget/ welche erkennen/ daß es nicht hergehe/ wie es ſolle/
der beſſerung begierig ſind/ und verhoffendlich ie laͤnger ie mehr in Goͤttlicher
krafft die ſache angreiffen werden/ wo es auch nicht fehlen kan/ daß nicht der HErr
aufs wenigſte einige frucht zu etlicher beſſerung folgen laſſe/ biß die zeit vorhan-
den ſeye/ daß es durch erfuͤllung ſeiner uͤbrigen aller verheiſſungen am abend mehr
licht werde. Gewiß iſts/ daß die ſo faſt allgemeine aufweckung der gemuͤther
in allen ſtaͤnden/ welche ſich von unterſchiedlichen jahren/ und ſolches ie laͤnger ie
mehr/ hervor thut/ und nach einer beſſerung ruffet/ kann nicht anders als von
GOtt kommen/ und iſt mir eine uͤberzeugung/ daß GOtt was groſſes vorhabe.
Ach daß ers bald ins werck richte/ und ſeine auserwehlte/ die zu ihm tag und nacht
ruffen in einer kuͤrtze errette! Amen. 21. jan. 1681.


SECTIO XXIV.


Allgemeine bewegung in den hertzen. Hoffnung
daraus. Jn Franckfurt etwas
ſtiller.


JCh freue mich ie mehr und mehr/ daß ich ſehe/ wie unter der ſonſten ſo all-
gemeinen verderbnuͤß der himmliſche Vater gleichwohl nicht auff hoͤre/
die gnade ſeines Geiſtes uͤber mehrere nach und nach in nicht geringer
maaß auszugieſſen/ und ſo wohl unter unſern ſtand derjenigen/ welche an ſeiner
kirche arbeiten mehrere mit H. eyffer auszuruͤſten/ das werck des HErrn mit
treuem eyffer zu treiben/ als auch andere in andern ſtaͤnden mit ſeinen gnaden-
gaben alſo zu erfuͤllen/ daß wir gleichwohl ſehen/ wie er der ſeinigen noch nicht ver-
geſſen habe. Es iſt/ wie gemeldet/ dieſes eine von meinen vornehmſten aufmun-
terungen zur freude und lobe GOttes/ dergleichen ie laͤnger ie mehr von allen orten
gewahr zu werden und zu erfahren/ daß ich auch nicht zweiffele/ der HErr zeige
damit/ daß er bald ſich auffmachen/ ſeines armen Zions ſich erbarmen/ und ſeinen
tempel
[429]ARTIC. I. DISTINCT. III. SECT. XXIV.
tempel alsdann aufs n[eu]e bauen wolle/ an deſſen lebendigen ſteinen er ſcheinbarlich
arbeitet/ und ein und andere bereits hin und wieder ſehen laͤſſet. Dann wie dieſelbe
faſt allgemeine aufweckung/ ſo ſich an guten ſeelen hin und wieder hervor thut/ nicht
anders als von einer allgemeinen urſach/ und alſo der himmliſchen wuͤrckung des
einigen allerheiligſten Geiſtes/ kommen kan/ ſo kan auch dieſe von dem weiſen
GOtt nicht vergebens letzo geſchickt werden/ ſondern ſchlieſſe ich billich/ daß der-
ſelbe etwas groſſes zu ſeinen ehren vorhabe. Ach daß er laſſe dermahleins alle
welt ſeiner erkaͤnntnuͤß und herrlichkeit voll/ und ſeine theure verheiſſungen an dem
abend dieſer zeit nach dem verlangen ſeiner glaubigen aufs herrlichſte erfuͤllet wer-
den! Hier unſers orts leben wir etwas ſtiller und ruhiger/ nachdem der HErr ſo
vieler falſcher ausſprengungen ungrund hat laſſen kund werden. Er gebe aber/
daß wir darum nicht traͤge werden in dem werck des HErrn/ ſondern uns auch
ſolcher ruhe-zeit da zu gebrauchen/ ſo viel feſter zu wurtzeln/ daß wir wo nun/
welches etwa ſchierſt geſchehen ſolle/ ſeine ſchreckliche gerichte/ mit macht ein-
brechen und ſein eigen haus zu erſt reinigen werden/ beſtehen/ und alles tapf-
fer in ſeiner krafft uͤberwinden moͤgen/ worzu gewißlich mehr als menſchliche
kraͤfften noͤthig ſeyn werden. 1. febr. 1681.


SECTIO XXV.


VieleTheologikeine wahreTheologi.Ge-
denckbuͤchlein. Dilfeld. Andere ungewohnte
phra-
ſes.
Vermeynteerrores Spenerianiaus der Poſtill. Fal-
ſche
imputationesHr.Horbiogeſchehen: und an-
dere
materien ſolcher zeit. Nahmen
der Pietiſten.


ZUm erſten bin ſelbs in der meynung/ daß freylich viele fleiſchliche Theo-
logaſtri
an allem demjenigen verderben ſchuld und urſach ſind/ welches
in dem erſten brieff nachdruͤcklich iſt vorgeſtellet worden. Daher ich noch
immer bey meinem ſatz/ welchen von mehrern jahren behauptet habe/ bleibe/ daß
eine rechte gruͤndl. reformation nicht anders als von unſerm ordine angefangen
werden muͤſſe/ und die uͤbrigen ſtaͤnde nimmermehr ſo verdorben bleiben/ oder noch
mehr verderben koͤnten/ wo die ſchuld nicht von den unſern hafftete. Daher auch
viele wiederſetzlichkeit derjenigen/ welche in dem weltl. ſtande dem guten nicht gewo-
H h h 3gen
[430]Das ſechſte Capitel.
gen ſeynd/ von denjenigen in dem unſerigen herkommen/ welche da ſie es nicht
verſtehen/ oder ſonſten das gute haſſen/ eben dergleichen eckel und widerwil-
len dagegen/ ihren herrn und denjenigen/ deren gewalt ſie ſich nachmahl miß-
brauchen koͤnnen/ ſuchen beyzubringen. Sie auch offtmahl wuͤrcklich dazu be-
wegen. Dieſe werden auch denjenigen/ ſo ein gantz ander leben/ ſonderlich
bey den geiſtlichen/ erfordern/ eben deswegen ſo viel feinder/ weilen ſie zu ei-
nem ſolchen ſich nicht reſolviren/ und doch dabey den nahmen der rechtſchaffenen
geiſtlichen nicht fahren laſſen wollen. Jch erinnere mich dabey/ was mir neu-
lich ein vornehmer Profeſſor Theologiæ ſchriebe/ daß meine antwort gegen
meinen widerſacher/ und was ich von einem Theologo erforderte/ eben des-
wegen vielen ſehr unleidentlich ſcheinen wuͤrde/ weil ſie dabey den nahmen der
Theologorum ſchwerlich behaupten koͤnten: dabey er ſich erinnerte in denen
relationibus Boccalini ex Parnaſſo geleſen zu haben/ daß die Fuͤrſten dieſer
zeit ſich einmahl bey dem Apolline beklagt uͤber des Ariſtotelis definitionem
tyranni, quia ſtante illa omnes tyranni futuri eſſent.
Jch bin aber ge-
wiß/ der HERR wirds nicht allezeit ſo bleiben laſſen/ ſondern die zeit ſolle
kommen/ da der HErr wird ſitzen und ſchmeltzen/ und das ſilber reinigen/ und
die kinder Levi reinigen und laͤutern wie gold und ſilber/ als dorten der Pro-
phet Malach. 3. ſagt/ dann werden wir ihm ſpeis-opffer bringen in gerech-
tigkeit. Das Gedenckbuͤchlein iſt wohl aufs hoͤchſte zur ungebuͤhr angeg[ri]f-
fen worden/ und hat ſich der cenſor ſehr bloß gegeben/ daß er die ſache ſchlecht
verſtehe. Jch zweiffele nicht/ es werde hinwieder von Wertheim aus com-
munic
irt worden ſeyn/ was ein guter freund zu rettung deſſelben aufgeſetzt.
Es hats gleichwohl ein rechtſchaffener Doctor und Profeſſor in Abo in die
Schwediſche Sprache uͤberſetzet/ und ſelbſt drucken laſſen/ ohne daß es auch
zu Jena in gegenwart der theologiſchen Facultaͤt (allein mit etzlicher weni-
gen/ und hie nicht angezapffter worte aͤnderung) Franzoͤſiſch gedruckt wor-
den: und hat ſich niemand an ſolchen unſchuldigen buͤchlein geſtoſſen/ wie dieſe
delicate leute. Meinen Dilfelden anlangend/ habe gehofft/ er ſolte urſach
haben zu ſchweigen/ und der wahrheit zu weichen: Jch werde aber berichtet/
daß er dieſe meß wieder eine antwort heraus geben werde/ dero ich erwarten
muß. Er hat ſich an Herr D. Muſæum zu Jena zu adreſſiren gemeynet/ und
wie ich hoͤre/ ihm ſeine antwort zugefertiget/ ſolcher ſolle ſie ihm aber wieder
mit bezeugung des mißfalls und weitlaͤufftiger ableinung zuruͤck geſandt haben.
Jch bin verſichert vor die wahrheit zu ſtehen/ welche aufs wenigſte zu letzt uͤber-
winden muß. Doch iſt mirs leid/ daß ich der ſtein des anſtoſſens ſeyn ſolle/
daran ſich unterſchiedliche ſtoſſen. Was die mir imputirte neue und ungewoͤhn-
liche phraſes anlanget/ ſo bin ich ie allerdings unſchuldig. Die vornehmſte/
ich bin Chriſtus/ iſt ja nicht mein/ ſondern Lutheri, und von mir hauptſaͤchl.
allein
[431]ARTIC. I. DISTINCT. III. SECT. XXIV.
allein zu rettung unſers theuren GOttes-Mannes wider die laͤſterung der
Papiſten/ welche dieſelbe in einen gantz gottloſen verſtand verkehret hat-
ten/ angeſehen geweſen; zu zeigen/ was vor ein heiliger und ſo lehr-als
troſt-reicher verſtand in denſelben erkannt werden koͤnte. Jch meyne aber/
es ſeye uͤber dieſelbe von mir ſatisfaction genug geſchehen. Das wort
gelaſſenheit iſt von ſo vielen rechtſchaffenſten und auch accurateſten
Theologis gebraucht worden/ ehe wir alle gebohren ſind/ daß ich mich
wundere/ mit was ſtirn iemand etwas mehr dagegen vorbringen koͤnne.
Wo mir aber auch die wort der erneuerung und heiligung vor unge-
gewoͤhnlich wollen halten (dann neu koͤnnen ſie nicht ſeyn/ die ævo apoſto.
lico
nach dem zeugnuͤß der ſchrifft im ſchwang geweſen) ſo halte ich ſolches
vor eine der groͤſten beſchimpffung unſer kirchen/ deren ſchande wir viel-
mehr zuzudecken haͤtten. Ach freylich iſt es ſo/ aber es ſeye auch ſolches
GOtt geklagt/ daß ſolche worte der erneuerung und heiligung einigen leh-
rern des volcks ungewoͤhnlich ſind/ die ſie vor ſich ſelbſt nicht verſtehen/
oder von ſolchen dingen vor der gemeinde zu reden ſcheu tragen/ welche ſie/
weil ſie nichts davon an ſich haben/ vor derſelben nur zu ſchanden machen
wuͤrden: aber daher kommts/ daß etwa wenig erneuerung oder heiligung
bey den zuhoͤrern ſich findet (da doch niemand ohne heiligung GOtt ſehen
wird) weil ihnen nicht einmahl die worte bekannt/ oder wohl gar ver-
daͤchtig ſind: geſchweige daß die ſache ſelbs mit gnugſamen ernſt ihnen ein-
getrieben und vorgeſtellt wuͤrde. Woruͤber wir uns gewiß vor GOTT
und Chriſtlichen Augen zu ſchaͤmen urſach finden ſolten/ wenn wir recht
erkenneten/ was das wahre Chriſtenthum waͤre/ wie deſſen haupt- und
ende-zweck/ was dieſe zeit anlangt/ in der erneuerung und heiligung be-
ſtehet/ daher ſache und worte in mund und that ſich allezeit finden ſolten/
wo es recht hergienge. Was die errores Spenerianos aus meiner
Poſtill anlangt/ ſo verlange diejenige dermahleinſten zu ſehen/ welche ein
ſolcher cenſor daraus klauben wird. Kommt aber nichts wichtigers/ als
was er meinem Großgſt. Hochgeehrten Herrn zum erſten ſpecimine ge-
wieſen/ vor deſſen communication ſchuldigen danck ſage/ ſo moͤchte er
wohl ſeine ſtunden zu etwas nuͤtzlichers als einer ſolchen vergebenen muͤhe
angewendet haben. Wie viel reichere aufferbauung in den Sonntaͤgli-
chen Epiſteln als Evangelien zu finden waͤre/ meyne ich ja/ es ſeye eine
ſolche wahrheit/ die man mit haͤnden greiffen koͤnne/ wo man ſie nicht mit
augen will. Jn dem/ wir reden vom Glauben oder Glaubens-fruͤchten/
dieſelbe unwiederſprechlich deutlicher in jenen als dieſen anzutreffen ſind/
da wir offters/ wo wir alles zur ſeligkeit noͤthige aus dieſen wollen vortra-
gen/ bedoͤrffen die Evangelia faſt dahin zu beugen/ wohin ſie von ſelbſt
incli-
[432]Das ſechſte Capitel.
incliniren. Wie ichs erfahren/ als in dem vorigen jahr alle Glaubens-
Articul mir vorgenommen/ der gemeinde zu erklaͤhren/ und alſo damit
zu frieden habe ſeyn muͤſſen/ wo ich zu weilen nur eine wenige anlaß habe
finden koͤnnen. Jch erfahre es auch dieſes jahr/ da ich nun die tugend
daraus zu tractiren vorgenommen. Daß das herkommen der Juden und
der Adel ihres geſchlechts der hoͤchſte ſeye/ als die aus denen vor-eltern
entſproſſen/ die GOtt nach ſeinem urtheil allen andern voͤlckern in der Welt
vorgezogen hat/ 5. Moſ. 7. v. 26. iſt offenbar. Ein anders iſt/ wo wir von
ihrem gegenwaͤrtigen zuſtand reden/ da ſie freylich aus dem goͤttlichen gerichte
vor ietzo die geringſte und verachteſte ſind. 5. Moſ. 28. v. 37. 44. aber von
der edleſten extraction und geſchlecht. Was uͤber Roͤm. 12. v. 8. ſcrupulirt
wird/ iſt ie eine nichtige ſache. Der text zeigt ſelber/ was ich ſage. So bemercket
Paulus 1. Tim. 5. v. 17. daß nicht alle aͤlteſten haben am wort und in der
lehre gearbeitet/ welches eben diejenige ſind/ die die aufſicht auf die gemeinde/
und ſie nach gelegenheit zu erinnern gehabt: davon wir ja noch heut zu tage
an einigen orten die kirchen-cenſores haben. Die beſchuldigung Herrn
Horbii wuͤnſchte zwar lieber von ihm ſelbs beantwortet zu werden/ und daß
diejenige/ welche ihn beſchuldigen/ ſich an ihn adreſſirten. Daß aber auffs
wenigſte mein Grgſt. Hochg. Herr einige erlaͤuterung gebe/ ſo iſt zwar 1. dieſes
gantz gewiß/ daß leute/ welche ſich nicht reſolviren wolln/ ihꝛ Chriſtenthum ihre
vornehmſte und einige ſorge ſeyn zu laſſen/ nicht viel troſt aus ſeinen predig-
ten und zuſpruch faſſen/ ſondern die anklage ihres gewiſſens fuͤhlen werden.
Daher muß ſolches wort ihnen entweder ein geruch des lebens zum leben/ wo
ſie ſich dadurch bekehren laſſen/ oder des todes zum tode werden/ daß ſie theils
verſtockter und ruchloſer/ theils wo ſie das gewiſſen nicht uͤbertaͤuben koͤnnen/
und ſich doch zur buſſe nicht ſchicken wollen/ ſchwermuͤthig werden moͤgen.
Welches dann die ordinaire wirckung des Goͤttlichen worts iſt/ wo es mit
ernſt getrieben/ und ihm alſo ſeine krafft gelaſſen wird. Hingegen bin ich ver-
ſichert/ daß ſeine lehre denjenigen/ welche ſich in gehorſam GOttes dargeben/
und alſo des troſtes faͤhig ſind/ ſo viel troſt in ſeiner lehr finden werden/ daß ſie
ſich auch ſtaͤtig daruͤber zu freuen krafft finden. 2. Daß er in oͤffendlichen zu-
ſam̃enkuͤnfften keine andere als geiſtl. diſcours leiden wolle/ geſchiehet ihm ge-
wiß unguͤtlich; er billichet ſo wohl/ wo von geiſt-als weltl. nuͤtzlichen dingen
geredet wird. Aber er wil alle die unnuͤtze geſchwaͤtz/ richten des nebenmenſchen/
groſſer oder kleiner/ reden die nur zur zeitvertreib angeſehen/ und ſonſten weder
zu dieſem noch jenem leben nichts dienen/ viel mehr uͤppige ſchertze/ abgeſtellet
haben. Da leugne ich nun nicht/ wo dieſe ausgemuſtert werden/ die
das meiſte bey den zuſammenkuͤnfften insgemein machen/ ſo werden vie-
le faſt ſtumm da ſitzen muͤſſen/ die ihr leben lang nichts anders gewohnt
geweſen ſind. Er fordert hierinn aber nichts mehr/ als was Chriſtus
und
[433]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECT. XXV.
und ſeine Apoſtel ſelbſt erfordern. 3. Daß er der ſchul ſich treulich annehme/ kan
ich ihm/ ob ſchon abweſend/ dieſes zeugnuͤß geben/ daß er in brieffen offt uͤber die uͤ-
bele beſtellung der ſchul geklagt/ daß er deßwegen nichts außrichten koͤnne/ und nach
dem er bey dem Conſiſtorio die verordnung erhalten/ daß dem fehler moͤge reme-
diret
werden/ ſelbſt an mich geſchrieben/ daß von fremden ort ein rechtſchaffener
mann moͤchte zu wege gebracht werden/ der die ſchul wieder aufrichte/ wie wir ſchon
einen tapffern man gehabt haͤtten/ ſo in der Marck Rector iſt/ aber es welte dar-
nach zu Windsheim mit der reſolution nicht fort: jetzo aber haben ſie gleich wohl
einen ſolchen mann der dem weſen verhoffendlich gewachſen iſt. 4. Wegen deß
unvermutheten ſingens/ weiß ich nicht eigenlich zu antworten/ wie es aber hier in
vielen Chriſtlichen haͤuſern der gebrauch iſt/ das man mit einem lied/ ehe man vom
tiſch aufſtehet/ GOtt dancket/ ſo weiß ich/ daß er ſolche gewohnheit hat: Obs nun
geſchehen moͤchte ſeyn/ daß einige ſo eyfrig in ihrem geſpraͤch geweſen/ nicht wahr
zunehmen/ was andere vorhatten/ daß ihm der anfang ſolches geſangs unvermu-
thet gekommen/ oder wol etwa gewiſſe diſcourſe mit fruͤheren aufbruch und alſo
vorgangenem geſang/ mit fleiß unterbrochen ſein worden/ ſtelle ich dahin. Alſo
weiß auch 5. darvon nichts zu ſagen/ wie ers bey dem erſten anſpruch einer bußpre-
digt gehalten: in dem dabey mehrere umſtaͤnde muͤſten bekant ſeyn. Was den
Herrn NN. anlangt/ ſo zu Windsheim geweſt/ habe ich auch die hoffnung/ er
werde daſelbſt dergleichen ſattſamen bericht erlangt haben/ daß er viele ſorge und
bedencken moͤchte abgelegt haben. Es iſt lieben leuten faſt nicht zu verdencken ge-
weſen/ wo ſie ſich haben einnehmen laſſen/ da des geſpraͤchs und auflagen ſo unzehl-
bar waren/ welche einige boͤßlich-geſinnete erſtlich auf die bahn gebracht und fo-
mentiret
haben/ damit andere gute hertzen eingenommen worden ſind/ daß ſie
gantz guter meynung/ aber warhafftig mit unverſtand/ geeiffert haben. Deꝛ HErr
nehme nur noch jetzt aus allen hertzen ſolche boͤſe argwohn und ſcrupul/ damit ſie ſich
verſuͤndigen/ und dero ſuͤnden immer ſo viel ſchwerer werden wuͤrde/ als mehr ſie
bißher gelegenheit bekommen/ ihr muͤßverſtaͤnde abzulegen. Er vereinige aber
die gemuͤther aller deren/ in die er eine redliche intention geleget/ daß ſie mit zuſam-
men geſetzten eyffer in der wahren einigkeit des Geiſtes ſein werck treiben/ und auf-
hoͤren einander unnoͤthiger weiſe in ſolchem guten vorhaben zu turbiren, deſſen fort-
ſetzung ſonſten nicht anders koͤnte als endlich ein ſchweres gericht nach ſich zie-
hen. Herr NN. (welchen von perſon nicht/ ſondern nur von renomee in Straß-
burg gekant) apoſtaſiam habe vorher nicht gewuſt. Der HERR erbarme
ſich einer ſolchen ſelbs in ihr verderben blindlings einlauffenden ſeele/ und begna-
de ſie wieder mit neuem liecht/ dazu aber auch in den anderen leben gar eine ande-
re bereitung erfordert wuͤrde. Es hat ſich gegentheil aufs wenigſte nicht viel zu-
ruͤhmen/ wo ſie aus dergleichen urſachen leute/ wie hoch von ſtande ſie ſeyen/ zu ſich
bekommen/ doch ſind die unterthanen allezeit mehr zu beklagen/ wegen der ihnen zu
J i izieh-
[434]Das ſechſte Capitel.
ziehenden gefahr. Die materie von der ehſcheidung iſt excoliret zu werden ſo
viel wuͤrdiger/ weil noch erſt vor anderthalb jahren der vermummte Daphneus
Arcuarius
dergleichen dinge wiederum auf das tapet gebracht/ welche die warheit
zu verdunckeln trachten/ dem in etwas/ was ſeiner Theologiſchen gedancken ret-
tung anlanget L. Slutor nechſthin geantwortet oder antworten hat laſſen. Mich
deucht/ der teuffel fange in dieſem unſeren halben ſeculo faſt mehr als vormahls
dieſem articul des ehſtands und deſſen heilige einſetzungen an anzugreiffen/ damit er
alles in eine ungezaͤhmte licenz bringen und die goͤttliche bande zerreiſſen moͤge.
Der HERR trete ihn unter unſere fuͤſſe in kurtzen. Jch komme nun auf den
dritten und letzten brieff. Die Churſaͤchſiſche hoff-prædicatur belangend/ iſt mir
ſolche niemahl angetragen worden/ obs wol nicht ohne iſt/ daß neben 3. Saͤchſiſchen
Theologis/ als D. Lucio, D. Pfeiffero und D. Carpzovio, Herr Scriverius
und ich im vorſchlag ſollen gebracht worden ſeyn: Es bliebe aber ſo bald/ wie mans
billich dencken moͤgen/ bey dem erſten/ als der ohne das des ſelig verſtorbenen D.
Geyers in Conſiſtorio Collega geweſen/ und alſo die groͤſſeſte erfahrung hatte.
GOTT erfuͤlle ihn mit zweyfachern Geiſtes maaß und mit hundertfaͤltigen ſegen.
Solte von mir mit ernſt gehandelt worden ſeyn/ leugne ich nicht/ daß die betrach-
tung oder anſcheinungen der hofnung von vielem guten haͤtte moͤgen einen ſtarcken
kampff verurſachen/ aber die erkaͤntnuͤß der eigenen ſchwachheit die keiner an mir
ſo erkennen kan/ als ich ſie ſelbſtfuͤhle und erfahre/ haͤtte mich nothwendig muͤſſen
zuruͤck treiben/ und mich deſſen erinneren was dorten bey Jeremia ſtehet XII. 5.
Nun auf das communicirte MS. zu kommen/ ſo habe daſſelbe mit guten vergnuͤ-
gen geleſen und andern etzlichen wenigen guten freunden in geheim communici-
ret/ liebe des autoris hertzliches wohlmeinen und Chriſtlichen ſo fleiß und eyf-
fer/ was aber die publication anlangt/ ſo ſtehe faſt an/ ob es rathſam ſeye; Die
vornehmſte rationes ſetze ich hier bey nicht propriis ſondern alienis verbis, wie
ein guter und verſtaͤndiger freund/ ſo ein groſſes theil Teutſchlandes bey etzlichen
jahren durchreiſet hat/ deßwegen die beſchaffenheit der gemuͤther hin und wieder
wol kennet/ folglich von ſolchen ſachen gruͤndlich zu urtheilen vermag/ ſein judi-
cium
uber daſſelbe mir zugeſand hat. Da zu ich noch ferner ſetze/ weil dem guten
freund/ daß er nicht verrathen werde/ gleichſam ſeine zeitliche fortun darauf ſtehet
daß weil der nahme der Pietiſten faſt nirgend in Teutſchland als bey ihnen droben
in ſolcher revier gebraͤuchlich/ der verďacht erſtlich den ort/ nachmahl leicht den au-
torem
ſelbſt treffen und finden wuͤrde. Welcher urſach wegen ich annoch mit
publication des werckleins zuruͤck gehalten/ und ferner zu erfahen verlangt/
was etwa auf dieſe momenta ihre jetzige gedancken ſeyn moͤchten; Solte alſo auch
ihnen belieben/ daß es nicht an das offentliche tages liecht komme/ ſo wolte es doch
noch weiter hin und wieder guten freunden herum ſchicken/ daß es unter denſelben
bekant wuͤrde. Die ſache ſelbſt belangend/ habe nichts darinnen zu deſideriren,
ohne
[435]ARTIC. I. DISTINCT. III. SECTIO XXVI.
ohne das etzlicher autorum angefuͤhrte loca, die andern mehr ſcrupel machen/
als die ſach befoͤrdern wuͤrden/ lieber an einigen orten außgelaſſen ſehen wolte.
1681. 7. Mart.


SECTIO XXVI.


Langſame antwort aus noth. Dilfelds verge-
bener angriff. Klagen der verderbnuͤß in allen ſtaͤnden.
Dero ſchuld. Jm weltlichen ſtand. Jm lehrſtand. Der ar-
ticul der rechtfertigung wird nicht allezeit genug getrieben. Kuͤr-
tzere abfaſſung der Catechetiſchen lehr. Sorge vor der Juden
bekehrung. Mangel des vertrauens auff GOTT in zeitlichen.
Mißbraͤuch der handwercker. Bettler. Lange haar. Frucht
des amts mit gedult zuͤerwarten. Allmaͤhlige goͤttliche offenbah-
rung der geheimnuͤſſen. Allzugroſſes anſehen der
Theologorum
in der lehr.Arcana medicorum. Αρτος ἐπιου´σιος. Buchhand-
lung. Sabbats feyr. Aberglauben. Chriſtkindlein. Groſ-
ſe verderbnuͤß des menſchen. Kein natuͤrliches liecht zum geiſtli-
chen in ihm. Lehr von der Evangeliſchen ſeligkeit insgemein wird
nicht genug getrieben. Angefochtene. Beſchreibung der laſter.
Schuldigkeit ſtaͤter arbeit.


JCh antworte langſam/ aber bin durch die viele geſchaͤffte und von etlich
jahren her auffgeſchwollene brieffe nun von ziemlicher zeit genoͤthigt worden/
daß ich ohne die materien, die keinen verzug lidten/ ſelten auf die angekom-
mene ſchreiben eher/ als nach etlicher monaten verfluß/ zu antworten vermoͤgt ha-
be. Wie ich dann weiſen kan/ daß auch Fuͤrſt- und Graͤffliche brieffe uͤber ein vier-
tel jahr haben ligen muͤſſen bleiben/ ich wolte dann die viel aͤltere ſchreiben/ die offt
von drittehalb oder anderthalb jahr bey mir warten/ gar aus der acht laſſen. Jch
habe zwar von der vorigen Oſtermeß/ und alſo ein gantzes jahr/ dahin deſtinirt
und angewendet/ daß ich nechſt meinen amts geſchaͤfften/ ſo mir eben nicht vieles uͤ-
brig laſſen/ allerdings nichts vorgenommen/ noch gearbeitet/ ſondern allein die ſich
zuſammen gehaͤuffte brieffe zu expediren mich unterſtanden hatte/ aber ich bin
noch bey weiten nicht durchgekommen. Und geſchihet alſo/ in dem ich an den al-
ten/ ſie abzufertigen beſchaͤfftigt bin/ daß die neue auch alt werden. So leugne
auch nicht/ daß mich die groͤſſe ſeines briefs (ſo mir ſonſten ſehr angenehm geweſen/
als der ich gerne lange ſchreiben leſe) ſo fern erſchreckt/ weil ich ſahe/ daß es auch ei-
J i i 2ner
[436]Das ſechſte Capitel.
ner langen antwort noͤthig waͤre: Darzu ich biß daher einige freyere zeit/ die mir
doch nicht ſo gut werden wollen/ erwarthen muͤſſen. Deßwegen hoffe/ daß mir
der verzug nicht uͤbel genommen/ noch zu verachtung ausgedeutet werden werde.
Jetzo will verſuchen/ ob mir GOTT einige muͤßige ſtunden zu der beantwortung/
aufs wenigſte eines theils des ſchreibens beſcheren wollte. Will alſo nach der ord-
nung den innhalt von punct zu puncten vornehmen. Erſtlich bedancke mich freund-
lich der bezeugenden hertzlichen liebe gegen mich/ und der andaͤchtigen vorbitte. Jch
achte es vor eine ſonderliche goͤttliche wolthat/ wo ich hin und wieder bald von dieſem
bald jenem einer Chriſtlichen bruͤderlichen liebe verſichert werde/ nach dem mich der
HERR nach ſeinem heiligen rath auch laͤſſet gedemuͤthigt werden/ durch auf ſehen
vieler auch in anſehen ſtehender mir widrigen leuthe/ wodurch dann der glaube und
gedult bey mir ſolle geuͤbt und gepruͤfet werden; ſo ich auch nicht ohne einige frucht
abzugehen danckbarlich erkenne/ aber dabey bekenne/ es wurde mir ſolchen kampf
zu uͤberſtehen etwa allzuſchwer werden/ wo ich nicht auch gewar wuͤrde/ daß ande-
re Chriſtliche hertzen etwa ein anders von mir und meiner wenigen arbeit halten/
und alſo mich ihrer liebe vergewiſſern: ſonderlich achte ich deroſelben Chriſtliche
vorbitte in billichem wehrt/ und ſchaͤtze dieſes vor eine der groͤſſeſten wolthaten/ wel-
che mir wiederfahren kan; damit alſo durch anderer imbruͤnſtigere ſeuffzen mein
ſchwaches gebet kraͤfftiger gemacht/ und mir die mir in meinem ſo gefaͤhrlichen amt
noͤthige gnade durch gottſeliger bruͤder mit-bitte gewiſſer erlangt werde: vor wel-
che hingegen auch ich meines orhts gleichfalls zu bitten nicht vergeſſen werde. Mei-
nes zu genoͤthigten widerſachers (Dilfeldii) ſcriptum, weiches er mich in miscre-
dit
zu bringen ediret, finde ich mehr und mehr/ daß es mir nicht ſo viel geſchadet/ als
vielmehr guthe und chriſtliche hertzen zu freunden gemacht/ welche ſo wol durch die
unbillichkeit der beſchuldigung bewogen worden/ meine unſchuld fleißig zu unterſu-
chen/ als nachdem ich geantwortet dieſelbe ſonnen klar erkannt/ und die auch ſonſten
von mir gefaſte widrige verdaͤchte abgelegt haben/ wie ich von unterſchiedlichen or-
ten her berichtet worden bin. Daß auch deswegen dem himmliſchen Vater zu de-
muͤthigem danck verbunden bin/ der ſelbs durch meine feinde mir guthes erzeigt/
und dero boͤſe intention einen gantz ihnen widrigen effect gewinnen laͤſſet. Er
erfuͤlle auch hinwieder mein hertz mit einer ſo viel hertzlichern liebe gegen dieſelbe/ die
er/ ob wohl wider ihren willen/ zu werckzeugen einiger mir erzeigender gnade ge-
brauchet/ und erhoͤre auch mein vor ſie thuende gebeth/ ſie zu hertzlicher buß zu be-
kehren/ und ſie folgends zu mehrer ſeiner gnaden tuͤchtig zu machen/ welches ich von
grund meiner ſeele allezeit gleich wie vor dieſem Dilfelden/ alſo auch andere meine
etwa offentliche oder heimliche feinde/ bitte. Ach daß ichs allezeit erhielte/ und ſie
an ſich ſelbs dergleichen nicht oͤffters hinderten. Wie ich dann hoͤre/ daß obgedach-
ter mein wiederſacher noch nicht ruhe/ oder ſich auf meine verantwortung friedlich
halten/ ſondern eine antwort heraus geben wolle/ welche etwan dieſe meß moͤch-
te
[437]ARTIC. I. DISTINCT. III. SECTIO XXVI.
te heraus kommen; Der HERR oͤffne ihm die augen/ das er gedencke/ wie ers
nicht mit mir armen menſchen/ ſondern mit der goͤttlichen warheit zuthun habe/
welche ich allein in gantzer ſolcher ſache verthaͤydige/ die aber endlich ſieghafft blei-
ben muß. Jch bedancke mich auch abſonderlich/ vor die in ſolcher ſache vor mich
gethane vorbitte/ welche ich ſamt den jenigen gebeten/ die auch anderwert Chriſtli-
che bruͤder vor mich zu dem Vater aller guten und vollkommenen gaben/ um ſeine
mir noͤthige gnade/ damahls gethan haben/ als das jenige mittel anſehe/ daduꝛch mir
das zu ſolcher antwort noͤthige maß des Geiſtes erlangt worden/ und (davor ſei-
ner himmliſchen guͤthe ewig danck geſagt ſeye) mehr als gemeiner ſegen darauff er-
folget iſt. Welches ich in einer ſo wichtigen/ und doch delicaten ſache vor eine
ſonderbare gnad erkenne/ auch nicht wenig zu fernerm viel hertzlicherm vertrauen
auff goͤttliche huͤlffe geſtaͤrcket worden bin.


Was die klagen uͤber das allgemeine verderben in allen ſtaͤnden an-
langt/
ſo iſts freylich die gruͤndliche wahrheit/ und kan nicht ſo vieles geklagt wer-
den/ der greuel iſt noch groͤſſer; Jedoch habe ich zu meiner und anderer pruͤfung
wargenommen/ damit wir uns nicht auch in ſolchen wolgemeinten klagen/ wie es
gleichwol leicht geſchehen koͤnte/ verſuͤndigen/ wie wir in aller ſolcher klage zwar
freylich uͤber das allgemeine verderben uns hertzlich zu betruͤben/ aber dabey auch an
die gerechte gericht GOTT es zu gedencken haben/ welcher alles endlich in dieſen
aͤrgſten verfall zu gerathen nicht ohne gerechte urſach verhenget hat/ es iſt freylich
an dem/ die groͤſte ſchuld/ wie wir ſie jetzo anſehen/ ſtehet bey dem Predigern und
Obrigkeiten; ſolten wir aber nicht billich dabey gedencken/ daß GOtt deroſelben
viele warhafftig in ſeinem zorn/ und ſolche/ wie die welt jetzo ihrer wehrt iſt/ gege-
ben habe. Sind alſo viele miedlinge/ und untreue hirten? Den ſchaaffen ha-
ben lang nach denſelben die ohren gejucket/ und weil ſie etwa oͤffters die treue der
rechtſchaffenen nicht mit gehorſam erkant/ ſo laßt ihnen GOTT ſolche hin und
wieder vor geſetzt werden/ mit denen ſie ungehindert in das meer als wol verdiente
lauffen. Alſo da wir das fuͤſſe joch Chriſti nicht tragen/ und etwa das unſrige zu
den ehren GOTT es/ und zum beſten ſeiner glieder nicht ſo treulich anwenden wol-
len/ ſo laͤſſet der HERR uns oͤffters fuͤhlen/ wie es thue/ wo man das joch der men-
ſchen leyden muß. Dieſe betrachtung achte ich allezeit gar noͤthig zu ſeyn/ daß wir
nicht/ wie es ſonſten gar leichtlich geſchehen kan/ uns an GOtt verſuͤndigen/ und
uns unvermerckt uͤber ſeine regierung beſchwehren/ der es alles dahin habe gelangen
laſſen. So folget auch dieſes daraus/ daß wir alsdann weil wir erkennen/ wie die
gerichte GOttes uͤber uns gerecht ſind. 2. Sam. 16/ 11. und wie der HErr das je-
nige geheiſſen habe/ welches wir beklagen/ damit uns zu frieden ſtellen/ unter
GOttes gewaltige hand uns demuͤthigen/ auch uͤber die werckzeug der gerichte
uns nicht erzuͤrnen/ ſondern in erbarmender liebe fuͤr ſie bitten/ daß ihnen GOTT
J i i 3ſol-
[438]Das ſechſte Capitel.
ſolches vergeben/ und in uns die jenige beſſerung wuͤrcken wolle/ die uns widerum
in ſeiner gnaden ordnung beſſerer Obern wuͤrdig mache. Auff dieſe weiſe lernen
wir recht/ nicht wider die ſtraffe der ſuͤnden/ ſondern wider unſre eigne ſuͤnde/ zu
murren/ und finden an uns ſo viel/ daß wir da vor der andern ſuͤnde/ ſie etwa fre-
vel/ und mit ungedult zu beurtheilen/ vergeſſen/ und uns ſelbſt auch jener ſuͤnden zu
bußfertiger demuͤthigung ſchuldig geben/ als da wir goͤttliche gerechtigkeit zu jener
verhaͤngnuͤß ſelbſten gereitzet haben. Nechſt dem ſo achte ich davor/ daß wir in
der abſonderlichen beurtheilung ein und anderer Exceſſe der Obrigkeiten/ ſonder-
lich in ſachen die aufflagen betreffende/ wohl acht auff uns zu geben/ daß wir nicht
vermeſſen richten/ und etwa uns die jenige macht nehmen/ die uns nicht zukom-
met. Jns gemein weiß ich/ daß die koſten ſo zu erhaltung eines gemeinen
weſens in gegenwertigen zeiten erfordert werden/ groͤſſer ſeynd als wir/ die
wir nicht bey den geſchaͤfften ſitzen/ uns einbilden koͤnnen. Nechſt de-
me/ ſo halte ich zwar diejenige aufflagen am billichſten/ welche die arme und gerin-
gere am wenigſten betreffen/ aber am aller[m]eiſten die reiche/ und ſolche leut/ ſo ohne
das an uͤberfluͤßige dinge vieles zu wenden pflegen/ beſchwehren. Jndeſſen weiß
ich auch/ wie manchmahl in gewiſſen umſtaͤnden der ort und zeiten nicht alles moͤg-
lich/ und rathſam iſt/ was insgemein fuͤr das beſte haͤtte ſollen gehalten werden/ ſon-
dern achte/ es ſeye ſolche ſach der Chriſtlichen klugheit der Regenten heim zuſtellen:
und weiß daß ich einige mahl verordnungen vor unbillich geachtet/ da ich/ als ich
die geheime/ und nicht allen zu offenbahren rathſame/ urſachen eingenommen/ nach-
mahl habe bekennen muͤſſen/ daß ſolches recht gethan geweſen/ und nicht anders ha-
be ſeyn koͤnnen. Jch laͤugne nicht/ daß freylich hierinnen Regenten offt ſich verſuͤn-
digen koͤnnen/ und wuͤrcklich ſich verſ[uͤ]ndigen/ aber ſie haben deſſen rechenſchafft al-
lein GOTT zu geben; Wir aber muͤſſen uns/ weil uns die urſach ihres thuns zu
erforſchen nicht allemahl moͤglich/ das urtheil uͤber ihre actiones in dergleichen
dingen/ wo es moͤglich/ daß eine uns unbekante urſach darunter ſtecke/ nicht an-
maſſen/ dann in ſolchen iſt nichts leichters als daß man ſich verſuͤndige/ davor wir
uns nicht zu fuͤrchten haben/ wo wir ihre dinge ihnen uͤberlaſſen/ ohne allein/ was
die allgemeine erinnerung anlanget/ da ſie nachmahl in ihrem gewiſſen ſelbſt die ap-
plication
zu machen haben. Ein ander bewandtnuͤß hat es mit einer gantz oͤffent-
lichen ungerechtigkeit/ deren ich eben das wort nicht reden will.


Die folgende klag uͤber den Lehrſtand iſt ſo wichtig und wahrhafftig/ als
einige ſeyn mag/ und hat mein geliebter bruder recht einige der allerwichtigſten feh-
ler/ die die hauptquelle ſind vieles uͤblen verderbens/ wohl eingeſehen/ und vernuͤnff-
tig erinnert. Nehmlich der mangel der GOttesgelehrten/ und Chriſt klugen
prediger/ und die unvollkommene vortragung der goͤttlichen wahrheiten/ dardurch
werden wir drum nicht Donatiſten/ noch hencken die krafft des worts an die per-
ſon des predigers/ wie ich etwa in meiner allgemeinen GOttes gelehrheit mit be-
ſtand
[439]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XXVI.
ſtand der wahrheit gezeigt zu haben hoffe. So hat mich auch deſſen angefuͤhrtes
gleichnuͤß von einen ungeſchickten Medico recht vergnuͤget/ an dem erſten fehler
haͤnget gemeiniglich der andere: Weil ſo viel ſolcher leute wahrhafftig nicht ſelbs
in goͤttlichem liecht die noͤthige heils-lehr verſtehen/ ob ſie wohl die wort und buch-
ſtaben da von wiſſen/ denen es hernach nicht moͤglich iſt/ mit ſolcher Chriſtlichen
weißheit/ von der ſache zu reden/ viel weniger die generalia principia auff jegliches
individuum geſchicklich zu applicirn/ und einen jeden daß ſeine zu zutheilen. Jch
wolte wohl gern verſtaͤndige leut fragen/ ob ſie offt in manchen kirchen von einigen
in gantzen jahren jemahl den Articul der rechtfertigung voͤllig nur in noͤthiger ein-
falt zu einem rechten unterricht eines heil-begihrigen menſchen ausgefuͤhrt gehoͤret
haͤtten? nehmlich alſo daß ſo wohl auff einer ſeit mit genugſamen grund aller ein-
bildung einiger verdienſte/ und vertrauens auff die werck gewehret/ als auff der
andern ſeiten der nicht weniger hoͤchſt ſchaͤdlichen und vielweniger erbaulichen ein-
bildung des glaubens/ (der doch ein hirn geſpenſt eines ſichern menſchen iſt) kraͤfftig
begegnet/ und hingegen die wahre art des ſeligmachenden glaubens auff ſolche art
gezeigt worden waͤre/ daß die hertzen ſich der goͤttlichen wahrheit uͤberzeugt befun-
den. Jch bin verſichert/ es werden bekantnuͤſſen folgen/ welche bezeugen werden/
daß unſere Evangeliſche lehr/ wie ſie in den Symboliſchen buͤchern und rechtſchaffe-
ner reiner lehrer ſchrifften befindlich iſt/ zwar die wahre lehre ſeye/ aber daß ſie
nicht genug an allen orten in allen ſtuͤcken von den canzeln mit gnugſamer ausfuͤh-
rung ſchalle/ und daß nicht alle ſich mit wahrheit ruͤhmen koͤnnen/ daß ſie allen rath
GOttes offenbahrt haben. Es haben Controverſien auch ihren nutzen/ und be-
darff die gemeinde (an einen ort mehr als an dem andern) gegen die irrthume ver-
wahret zu werden/ aber daß wir die jenige wahrheiten/ worinn oͤffters auch andere
irrglaͤubige mit uns einſtimmen/ ſo nachlaͤßig/ und ſchlaͤfferig zu weilen tractiren/
weil man ſie bekant genug achtet/ und deswegen eine fleißige einſchaͤrffung nicht noͤ-
thig zu ſeyn ſich einbildet/ daß wir bey falſchglaͤubigen mit mehrern ernſt und fleiß
ausgeuͤbet finden/ iſt nicht verantwortlich/ und ſchaͤme ich mich offt unſer ſelbs ge-
gen die widerſacher. Ja ich halte darvor/ wo wir die jenige wahrheiten/ welche
unter unterſchiedlichen der Chriſtlichen religion annoch bey behalten werden/ treu-
licher und fleißiger trieben/ und trachteten deroſelben lebendige erkaͤntnuͤß in die
hertzen der zuhoͤrer zu pflantzen/ und nur gantz ſparſam das ſtreitige und der wider-
ſacher widerlegung beruͤhrten/ man wurde durch ſolches mittel die unſrige gegen
allen abfall beſſer befeſtigen/ als ohne bepflantzung eines rechten wahren thaͤtigen
glaubens/ und einer der welt verſchmaͤhenden goͤttlichen liebe/ mit aller ſubtileſten
und gruͤndlichſten vortragung der ſtreitſachen. Wie ich weiß/ daß einige Papi-
ſten nur durch die leſung des nichts austruͤcklich von Controverſien handlenden
wahren Chriſtenthums des lieben Arndii zu unſerer wahrheit ſeynd bekehret wor-
den.


Was
[440]Das ſechſte Capitel.

Was das verlangen anlangt einer anderwertigen vocation/ ſo erbiethe
mich hertzlich gern/ wo mir GOTT eine gelegen heit zeigen ſolte/ ſeiner hierinn zu
gedencken; Jch verlange aber eine deutliche beſchreibung ſeines bißherigen zu-
ſtandts/ und was ſeiner perſon wegen mir zu wiſſen noͤthig iſt/ in dem mein gelieb-
ter bruder leicht ermeſſen kan/ wo man bey begebender gelegenheit jemand vor-
ſchlagen oder recommendiren ſolle/ daß man von einem alle umſtaͤnde wiſſen will/
und wo man auff befragen nicht von allem eigentlich antwort geben kan/ ſo wird die
recommendation nicht beobachtet/ und gehet fruchtloß ab. Sonderlich iſt zu
wiſſen noͤthig/ das vaterland/ alter/ ort der gefuͤhrten ſtudien/ und dann wo/ und
wie lang man etwan da und dorten in dienſten geſtanden. Daher ich bitte mir
von allem ſolchen die jenige nachricht zugeben/ welche mir noͤthig ſeyn wird/ meine
liebe auff verlangte art bezeugen zu koͤnnen. Es kommet zwar etwas ſeltener an
mich/ einen guten freund auff ſolche weis an die hand zu gehen/ jedoch geſchichts et-
wa zu weilen. Die kuͤrtzere verfaſſung der Catechetiſchen lehr traue ich nicht zu
præſtiren/ daß nicht die ſache weder halb noch gantz waͤre; Jch erkenne gern/ daß
mir die gabe nicht gegeben/ wichtige dinge mit wenig worten/ die doch die ſache
gnugſam erlaͤuterten/ aus zu drucken. Die erklaͤhrung der 10. gebott oder aus-
fuͤhrung der tugenden und laſter allein ſollen ſchwehrlich auff ein par bogen gebracht
werden/ und doch in einer ſolchen kuͤrtze den einfaͤltigen leſer faſt unverſtaͤndlich
fallen. Wie ich denn nicht nur einmahl geſehen/ daß die wercke/ welche man kurtz zu
faſſen gedacht/ nachmahl kaum andern/ als denen gelehrten und ſcharffſinnigen/
die aus wenig worten mehrers ſelbſt abnehmen/ brauchbar geweſen ſeynd/ da
gleichwohl dieſe ohne das dergleichen compendiorum nicht bedoͤrffen. Jn den
ſpruͤchen der Schrifft/ aus denſelben etwas zu erweiſen/ pflege ſonſten nicht gar uͤ-
berfluͤßig zu ſeyn/ und wird in meinen Catechetiſchen fragen ſelten zu einer Θέσει
mehr als 2. oder 3. angezogen ſeyn: Denn daß bey einer frage mehr ſtehen/ ma-
chet/ daß offt eine antwort viel unterſchiedliche puncten in ſich faſſet/ welche alle
und jede ihres erweiſens wuͤrdig geweſen: So habe auch die ort Alten Teſtaments
nicht ausgelaſſen/ ob wohl nicht leugne/ daß darinn ſparſamer bin/ weil ich nicht ſo
viel in denſelben finde/ daß ſich jedesmahl ſo eigentlich zu den ſachen ſchicket. So
meinte auch nicht/ daß dergleichen vor unſern gebrauch ausfertigende ſchrifften zu
bekehrung der Juden viel dienen ſolten/ ſondern darzu moͤchten gantz abſonderliche
ſchrifften dienlicher ſeyn/ wie hingegen daß vor dieſe noͤthigſte andern Chriſten
nicht ſo noͤthig/ und alſo in einige kurtze verfaſſung/ da ſie ihr vornehmſtes bey ſam-
men finden ſolten/ einzurucken nicht wuͤrdig ſeyn doͤrffte. Sonſt leugne ich nicht/
daß freylich wir die bekehrung der Juden/ die gleichwohl nach dem gewiſſeſten
goͤttlichen verheißungen annoch kommen ſolle/ ſo eiffrig und treulich uns nicht laſſen
angelegen ſeyn/ wie die Chriſtliche liebe es mit ſich braͤchte. Und auch daß wir
mit ſo aͤrgerlichem leben/ als andern ſtuͤcken/ wie man mit den leuten umgehet/ nicht
ſelbſten
[441]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XXVI.
ſelbſten offt mehr riegel ihrer bekehrung vorſchiebten/ als wir leider thun? Jch
weiß mir offt ſelbſt nicht zu rathen/ wie wir/ hieſige prediger/ die wir ſo viel Juden
um uns haben/ ſolches verantworten koͤnnen/ uns ihres elends nicht mehr anzu-
nehmen/ und ſie zu CHRJSTO zu fuͤhren/ da wir hingegen auff der andern ſei-
ten keine gelegenheit haben/ noch uns dieſelbe gemacht wird/ daß man mit den armen
leuten handlen koͤnte/ dazu ſie ſich ohne weltlichen zwang ſchwerlich jemahl beque-
men werden. Jch ſehe offt mit betruͤbnuͤß auch in dieſem ſtuͤcke die ſchwehre
deß annoch uͤber ſie ſchwebenden goͤttlichen gerichts an/ daß denen elenden leuten
annoch gleichſam alle thuͤrn muͤſſen verſperret bleiben zu einer nachtruͤcklichen be-
kehrung/ ja daß/ wo ſich gern jemand derſelben annehmen wolte/ es das anſehen
gewinnet ob lieſſe GOTT ſelbſt alle hindernuͤſſen in den weg werffen; daß etwan
die zeiten ſeines gerichts noch nicht geendigt ſeyn/ nach welchen er ſich erſt auff art
und weiß/ die wir vielleicht nicht vorher ſehen koͤnnen/ ſeines vormahligen volcks
widerum erbarmen wird. Dieſes ſchreibe ich nicht/ ob wolte damit unſere nach-
laͤßigkeit entſchuldigen/ ſondern daß wir endlich/ wo wir nach vermoͤgen alles unſe-
rige gethan haͤtten/ und doch nichts auszurichten ſehen/ deswegen nicht wider Gott
murren/ oder uns aͤrgern/ deſto hertzlicher aber vor die arme verſtockte beten.


Daß ſich ſo ein ſchlechtes vertrauen auff GOTT in den zeitlichen finde/
hingegen aus dem gegentheiligen mißtrauen ſo viele andere ſuͤnden und ungerech-
tigkeit entſpringen/ ligt freylich an dem tag/ iſt aber auch ein gewiſſes kennzeichen
des ermanglenden ſeligmachenden glaubens. Wie kan der jenige ein wahres le-
bendiges vertrauen auff goͤttliche gnade haben/ und die ſo unausſprechliche hohe
guͤter des heils in CHRJSTO empfangen zu haben wahrhafftig glauben/ wel-
cher GOTT nicht ein ſo geringes/ als die zeitliche erhaltung gegen jene vortreffli-
chern guͤter zu halten iſt/ zu trauen will. Daher mich ſolche ſache allezeit ſo viel
mehr betruͤbet und aͤngſtet/ wann ich aus der boͤſen frucht die ſich euſſerlich zeigt/ die
innerlich verborgene gifftige unglaubens wurtzel anſehe/ ja ich halte darvor/ es ſeye
uns unmoͤglich/ ein recht feſtes und unbewegliches vertrauen in den leiblichen auff
GOTT zu ſetzen/ es ſeye denn ein rechter glaube auch in dem geiſtlichen auff
GOTT verhanden/ denn wir muͤſſen GOtt als einen Vater in CHRJSTO
erkennen/ wo wir alle Vaters treue von ihm erwarten wollen. Alles andere ver-
trauen mag gar leicht uͤber hauffen geſtoſſen werden/ wo es anfangt hart wider zu
gehen; Wo hergegen der wahre lebendige glaube in den geiſtlichen guͤtern ſich
findet/ und wir demſelben unſern Vater erkennen lernen/ wie er gegen uns geſin-
net iſt/ ſo folget jenes vertrauen von ſelbſten.


Bey den handwerckern erkenne ich auch gern vielerley mißbrauch. Nicht
ohn iſts/ daß unterſchiedlicher meiſte arbeit zu ſuͤnden muͤßbraucht wird/ und dero-
ſelben menge die gelegenheit zu ſuͤndigen mehret. Es iſt aber leichter in vielen ſa-
chen den fehler zu ſehen/ als die mittel der huͤlffe zu erkennen. So ſeynd ſo viele
K k kandere
[442]Das ſechſte Capitel.
andere ordnungen bey den handwerckern/ welche ich keines wegs mit der Chriſt-
lichen liebe vergleichen kan/ davon ich zwar vernehme/ daß ein zimlicher theil der-
ſelben auff den jetzigen reichstag vorgenommen/ und deroſelben abſtellung decre-
ti
rt ſey/ GOTT gebe das es wohl exequirt werde. Es moͤgen aber gleichwohl
auch einige ordnungen ſeyn/ die mir und andern ſolten vieleicht unbillig vorkom̃en/
welche gleichwohl in ſich keine unbillichkeit haben/ die nicht durch mehr andere bil-
lichkeit/ und alſo des einen vermeinter nachtheil durch einen allgemeinen und meh-
reꝛn noͤthigẽ nutzen eꝛſetzt wiꝛd: wie abeꝛmahl dieſes die unzweiffenlichſte u. gewißeſte
billichkeit iſt/ daß in allen ſtuͤcken der nutzen der mehrern/ dem jenigen/ was wenigern
moͤchte vortheilhafftig ſeyn/ vorgezogen werde/ und einige etwas mit gedult entra-
then/ da von ſonſt ihrer mehrere wuͤrden hindernuͤß haben; Welches alles die
jeglichen orts Obrigkeiten fleißig zu unterſuchen haben/ was das dienſamſte ſeye.
Alſo moͤchte vielleicht meinem urtheil nach der Chriſtlichen liebe am gemaͤſſeſten
ſeyn/ wo man jedem ſo vielerley arbeit und handwerck zu lieſſe/ als er verſtehet/ und
lernen muͤgen/ item daß die jungen zu laͤngern lehrjahren nicht angeſtrengt wuͤrden/
als bloß noͤthig waͤre/ es moͤchte auch vielleicht jenes an gewiſſen orten nach deroſel-
ben verfaſſung auch in dem weltlichen vortraͤglicher ſeyn/ ich getraue mir aber des-
wegen nicht zu ſagen: daß ſolches noͤthig/ oder auch aller orten das nuͤtzlichſte waͤre/
ſondern es moͤgen mir vielleicht (wie ich dann etwas deßen ſelbs zu ſehen meine)
ſolche urſachen angezeigt werden/ welche erweiſen/ daß eine mehrere einſtrengung
angewiſſen orten der gemeinen wohlfahrt gantz noͤthig/ die angeſonnene freyheit
hingegen ſehr vielen ſchaͤdlich/ und alſo deren verſtattung/ ſo da ſcheinen moͤgen der
Chriſtlichen liebe allerdings gemaͤß zu ſeyn/ derſelben am wuͤrdigſten waͤre. Da-
rum laſſe ich ſolche ſachen billich unbeurtheilet/ und treibe auff die liebe daß ſie allein
zur regul vorgeſtellet werde/ aber daß/ wie ſie an jeglichem ort in dieſem und jenem
am bequemſten zu uͤben ſeye/ aus deſſen orts verfaſſung gelernet werde/ jedoch daß
jeder in dem zweiffel/ ob dieſes oder jenes recht? auff die von CHRJSTO uns
in unſern hertzen Matth. 7/ 12. gezeigte regel ſehe/ und ſich ehe in etwas ſeines vor-
theils begebe/ als in gefahr ſtehe/ den naͤchſten zu betriegen. So mag auch die
die laͤngere lehr der lehrjungen ihre gute und vernuͤnfftige urſach haben/ wo es nicht
um ein bloſſes lernen zu thun iſt/ ſondern auch um das/ uͤben/ ja dahin ſtehet/
ob nicht der eine/ weil waͤhrende (jedoch in Chriſtlicher liebe gemaͤßigte) zwang
der lehrjungen zu hindertreibung ihrer jugend luͤſte/ und vieler bereitung des uͤ-
brigen lebens mehr nuͤtzlich als zu beklagen ſeye.


Die betler belangend/ iſts freylich dem Chriſtenthum unverantwortlich/
und eine ſuͤnde/ wo man ſolche lebens-art geſtattet/ und ſie nicht auff eine der liebe
gemeſſere/ und ihrer/ auch anderer ſeelen nuͤtzlichere/ art verſorget. Wie nun
durch GOttes gnad von anderthalb jahren her hie zuthun angefangen worden/ ſo
ich auch andern orten zu heilſamer nachfolge dienlich zu ſeyn erachte. Alſo/ was
die
[443]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XXVI.
die lange har betrifft/ wie auch ins geſamt dergleichen euſſerliche dinge/ achte ich
allezeit/ daß wir genau achtung geben ſollen/ weder auff eine noch andere ſeite zu
weit zugehen. Jch erkenne allen pracht der haar ſo wohl als der kleider vor
GOTT einen ſuͤndlichen greuel/ er geſchehe von maͤnnern oder weibern. Daß
ich aber alle lange haar bloß dahin ſolte aus 1. Corinth. 11/ 14. verbothen achten/
bekenne ich gern/ daß mir des Apoſtels wort nicht beybringen/ ſondern die betrach-
tung der umſtaͤnd zeit und orts/ und was damahl bey den Corinthern gebraͤuchlich
geweſen/ daher von dem Apoſtel geſtraffet worden/ die erlaͤuterung geben/ was
das wort φύσις heiſſen muͤſſe. Wie dann kein zweiffel/ was die eigenlich/ und
ſonſt genante natur/ oder natuͤrliche recht anlangt/ daß dieſelbe bey allen menſchen
einerley und alſo auch noch eben dieſes in unſer hertz geſchrieben ſeyn muͤßte. Es
laͤſſet ſich aber hie nicht mit mehrern ſolches ausfuͤhren.


Die bemerckung das Chriſtliche lehrer nicht alles auff einmahl/ ſondern eins
nach dem andern ausrichten/ und da es nicht gleich alles folgen will/ daher nicht
muͤde werden ſollen/ iſt eine ſache/ welche ſo noͤthig/ als immermehr etwas ſeyn
moͤchte/ wie ich hingegen weiß/ daß offt ſehr gute gemuͤther ſo eine herrliche inten-
tion
gehabt/ ſich an dieſem ſtein geſtoſſen/ und muͤde worden ſeynd. Weil ſie den
verlangten ſucceß nicht geſehen/ daher wann es nicht gleich alles ausgerichtet
worden/ faſt zugleich alle hoffnung haben fallen laſſen. Jch leugne nicht/ daß ich
ſelbs mehrmahlen an dieſer kranckheit kranck geweſen/ bis mich der HERR hat
erkennen laſſen/ daß wir ſeine zeit erwarten/ und auch mit dem wenigen/ wo wir
nur etwas frucht ſehen zu friden ſeyn ſollen/ biß ein mehrers folget/ ja wo er aus
heiligen urſachen uns gar alles verbergen ſolte/ daß wir die wenigſte frucht nicht
meinten zu ſehen/ wo wir gleich wohl uns bewußt ſeynd/ daß wir ſein werck mit moͤg-
licher treue treiben/ haben wir auch da die hoffnung nicht ſincken zu laſſen/ ſondern
zu glauben es werde der HERR in ſeinem wort kraͤfftig ſeyn nach ſeiner verheiſ-
ſung/ ob ers wohl uns verdecke zu pruͤfung und uͤbung unſerer gedult/ glaubens und
beſtaͤndigkeit/ daß wir auch darinn lernen mehr auff ſeine verheiſſung trauen/ als
auff den augenſchein ſehen. So iſts auch freylich wahr/ daß wir nicht alles auff
einmahl lernen/ ſondern GOttes erleuchtung hat ihre ordnung und fortgang. Der
heilige Geiſt ſolle uns in alle wahrheit leiten/ und alſo von ſchritt zu ſchritt aus
der einen in die andere/ nicht aber mit einem wurff mitten in dieſelbe hinein werf-
fen. Wer da hat/ dem wird gegeben/ Matth. 25. alſo wer einige wahrhei-
ten/ die ihn GOTT erkennen laſſen/ zu ſeinen heiligen ehren treulich anwendet/
dem wird er immer einige weitern zu verſtehen geben/ und gleichſam eine thuͤr nach
der andern oͤffnen/ dazu aber neben ſolchem danckbahren gebrauch/ des bereits
vorhin empfangenen/ ein eiffriges gebet/ fleißiges forſchen der Schrifft/ und ſorg-
faͤltige wahrnehmung unſers hertzens oder bewegung des heiligen Geiſts in dem-
ſelben noͤthig iſt/ daß wir deſſen wuͤrckung nicht verſaͤumen/ noch derſelben wider-
K k k 2ſtre-
[444]Das ſechſte Capitel.
ſtreben. Jch erinnere mich dabey/ daß mein ſeliger præceptor D. Dannhauer
mehrmahlen bemerckt/ daß GOTT hierinn ſo gar eine weisliche ordnung habe/
daß nicht nur bey jedem menſchen das licht allgemach zunehmen ſolle/ ſondern daß
auch der geſamten kirchen je eine wahrheit nach der andern deutlicher offenbahret
werde/ und es alſo geſchehen koͤnne/ ja ein ſonderbahres ſtuͤck goͤttlicher guͤte ſeye/
daß es wircklich geſchehe/ daß nehmlich immermehr/ und zu einer gewiſſen zeit
einiger Articul viel heller an das tages licht gebracht/ und die erkant-
nuͤß deſſelben klahrer werde/ als ſie vorhin niemahlen geweſen. Welches
gantz mit der in allen ſtuͤcken weiſſeſten œconomia divina uͤbereinkommet. Jch
erkenne auch dieſes gantz wahr/ ſehe deswegen auch gar gern/ daß es von allen er-
kant werde/ daß wir keiner meinung deswegen ſicher trauen ſollen/ weil ſie von vie-
len andern/ oder auch den meiſten/ alſo behauptet werde/ ſondern/ daß freylich vor
GOTT falſch ſeyn kan/ was von beruͤhmten leuten vor wahr geachtet wird. Jch
beſeufftze aber dabey dieſes manchmahl/ ob ſchon dieſer ſatz allerdings unſerer allge-
meinen lehr gemaͤß iſt/ die wir die einige heilige Schrifft/ nicht aber einige lehrer/
oder dero Conſenſum, vor die richtſchnur unſers glaubens und der wahrheit beken-
nen/ und gegen die Papiſten behaͤupten/ daß nichts deſto weniger ſo ſehr in der praxi
faſt insgemein dagegen gefehlt/ und geſuͤndigt werde/ in dem wir derjenigen ſo viele
ſehen/ welche ſich nur darum bekuͤmmern/ zu wiſſen/ was die Sententia Theolo-
gorum
ſeye/ ohne fleißiges unterſuchen ob/ und wie fern ſolches in der Schrifft ge-
gruͤndet/ alſo daß ihr gewiſſen mit einer verſicherung/ auff ſolche/ als eine von Gott
geoffenbahrte wahrheit beruhen koͤnte. Ja wo etwa eine ſache in ſtreit kommet/
iſt nicht ſo bald die erſte frage/ ob ſie goͤrtlichem wort gemaͤß/ oder denſelben entge-
gen ſeye/ als vielmehr/ was die vornehme Theologi da vor hielten/ und will man
deswegen/ wo etwas aus der Schrifft dargethan wird/ die Authoritatem Do-
ctorum
alſo bald dagegen halten; ſchnur ſtracks wider unſere eigene bekantnuͤß/
aber wahrhafftig mit einem groſſen nachtheil der erbauung/ auffs wenigſte zu
ſchwehrer hindernuͤß des ſonſten moͤglichen/ und uns noͤthigen wachsthums in der
erkantnuͤß der goͤttlichen Schrifft. Jch entſinne mich/ daß Scaligero es allezeit
verdaͤchtig vorkommen/ wo er gehoͤrt/ diß und jenes ſeye ſententia communis,
wo er immer geſagt/ ob ſie moͤchte ohne fleißige unterſuchung/ allein daß einer dem
andern gefolgt/ und ſich auff ſeine Authoritaͤt verlaſſen/ in den credit gekommen
ſeye. Jch will dieſes urtheil eben nicht in die Theologiam ziehen/ jedoch meine
ich es ſolle ſo fern guͤltig ſeyn/ daß wir auffs wenigſte uns eben auff die vulgatas
ſententias
nicht deswegen verlaſſen/ weil ſie die communiores ſeyen/ ſondern
alles ſelbs unterſuchen/ daß unſer wiſſen den grund des glaubens habe.


Der Medicorum arcana, welche etwa einige vor ſich behalten/ wolte ich
nicht eben gantz verdammen. Dieſes iſt jeder ſchuldig/ mit ſeiner gabe den nech-
ſten zu dienen/ und alſo wer auch etwas weißt zu der geſundheit/ es auffs wenigſte
dahin
[445]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XXVI.
dahin zurichten/ daß jeglicher der deſſelben beduͤrfftig iſt/ ſein habhafft werden moͤ-
ge/ ob ihm wol die wiſſenſchafft nicht mitgetheilet wird/ jedoch auch alſo/ daß der
beſitzer ſolcher kunſt ſie nicht mit ſich erſterben laſſe/ ſondern die medicamenta alſo
ſchaͤtze/ daß die deſſen benoͤthigte wider Chriſtliche lieb nicht beſchwehret werden:
daß er aber bloſſer dings in publico ſeine kunſt offenbahren muͤſſe/ und keine ergoͤtz-
lichkeit in der welt vor das jenige nehmen doͤrffe/ was ihm GOtt gegeben/ ſehe ich
noch keine buͤndige urſach; Wol aber daß er ſeine gabe in hertzlicher liebe anwen-
de.


Uber das wort ἐπιου´σιος bekenne daß ich nicht einerley meinung ſeyn kan;
wo es von ἐπὶ und ου᾽σία kaͤme/ muͤſte es nicht ἐπιου´σιος ſonder ἐπου´σιος heiſſen/
gleich wie ἐπουράνιος von ἐπὶ und ου᾽ρανὸς [...] allſo heiſſets ἐπουσιώδης ad ſubſtanti-
am accedens.
ἔπειμι, nicht ἐπιουσιώδης, ἐπίειμι. ꝛc. verbleibe alſo lieber dabey/
daß es ſeye ὁ ἄρτος τής ἐπιου´σης diei inſequentis. So kan nicht wol ſehen/
daß wir hierinn die nahrung der ſeelen und das geiſtliche begehren/ dann ſolche
ſtecket ſch[o]n voͤllig in der zweyten bitte/ daß es einer wiederholung nicht noͤthig iſt;
jedoch laſſe einem jeglichen hierinn auch ſeine guthe gedancken/ nur daß die bitte um
das leibliche nicht ausgeſchloſſen werde; Dann ob wol dieſes das geringſte unter
denen dingen iſt/ die wir von GOtt zu bitten beduͤrffen/ ſo iſts gleichwol auch eine
ſache/ die wir taͤglich von GOTT empfangen/ und alſo wuͤrdig/ daß er darum ge-
beten werde.


Die klage uͤber die Buchhaͤndler iſt auch gantz gerecht/ aber vielleicht auch
eben derſelben/ und Buchtrucker/ unrecht/ da ſie ſolche kunſt und die daraus getru-
ckte buͤcher nicht vornemlich zu dem hauptzweck nemlich goͤttlicher ehre und des
nechſten nutzen anwenden/ eine urſach/ das faſt unter allen handlungen dieſelbe am
meiſten in das ſtecken gerathen anfaͤngt.


Die Sabbathsfeyer anlangend/ bleibet freylich dabey/ daß wir noch das
geboth derſelben in dem Neuen Teſtament uͤbrig haben/ aber auf eine/ dieſem/ uñ
ſeiner allgemeinen beſchaffenheit gemaͤſſe art/ davon ich in meinen Catech. fragen
qv. 161. meine gedancken kurtz erklaͤhret habe. Wo wir auch das gebot nicht auß-
trucklich haͤtten/ wuͤrde uns doch die nothwendigkeit der ſache ſelbſt und des zwecks
dahin verbinden/ wir haben je nichts guthes von natur an uns/ ſeynd ohne goͤttliche
erkaͤntnuͤß und krafft/ ſoll alſo etwas gutes in uns gewircket werden/ ſo muß es
GOtt thun/ der will ſolches durch das wort und Sacramenta wuͤrcken/ aber nicht
in einem augenblick ein-fuͤr allemahl/ ſondern es muͤſſen ſolche fleißig gebraucht und
und erwogen werden; wann aber zu dero wuͤrckung noͤthig iſt/ daß der menſch muß
ſeyn gemuͤth frey halten/ und um ſolche zeit nicht mit andern ſorgen und geſchaͤfften
verwickelt ſeyn/ ſo bedurffen wir je einer zeit/ darinn wir frey ſeyn/ und uns allein
goͤttlicher wuͤrckung uͤberlaſſen/ in dem wir ſeine gnaden-mittel behandlen/ wel-
ches gewißlich nicht mit der verlangten krafft um die zeit geſchehen kan/ da wir von
K k k 3allen
[446]Das ſechſte Capitel.
allen ſeiten mit weltlichen verrichtungen umgeben ſeind/ und verſtehet warhafftig
der jenige die wichtigkeit deſſen nicht/ was wir beduͤrffen bey uns gewuͤrcket zu wer-
den/ der es vor eine arbeit ein- und anderer viertel ſtunde haͤlt.


Mit den aberglauben iſts auch freylich eine ſach/ die betruͤblich iſt/ ich ſehe
ſie an als reliquias theils des Heyden-meiſtens aber des Papſtums/ und haben
gewißlich einige davon eine heimliche zauberey in ſich/ daher billich dagegen zu eyf-
fern. Jch wolte nicht ungern ſehen/ daß einige den gantzen Catalogum von ſol-
chen aberglauben zuſammen braͤchten/ damit den leuthen ſolche vorgeſtellet/ die ei-
telkeit/ ja darinn ſteckender greuel/ nachtruͤcklich gewieſen/ und ſie davon abgeſchroͤ-
cket wuͤrden/ es waͤre aber nicht eines mannes arbeit/ dañ in einem land und orth die-
ſe in andern andere in ſchwang gehen/ ſondern es muͤſten etliche aus der ſache mit
einander communiciren. Was wegen des ſo genanten Chriſtkindleins und
der dabey vorgehenden abgoͤtterey und aberglauben erinnert werden/ iſt das jenige/
ſo ich auch ſamt andern meiner treuen mit-Collegen lang treibe/ da auch das un-
weſen etlicher maſſen allhie gemindert/ nicht aber gantz aufgehoben iſt. Die mir
uͤberſchriebne Theſisvon der verderbnuͤß des menſchen iſt gantz orthodox
und ſo wol unſerer gantzen Evangeliſchen kirchen gemein/ als auch meine lehr. Wir
haben einmal nichts von einem geiſtlichen liecht in uns nach dem fall uͤbrig/ ſo we-
nig als eine krafft etwas wahrhafftiges gutes zuthun/ ſondern beyderley muß erſt
von GOtt in uns gewircket werden/ die ſcintillulas cognitionis naturalis er-
kenne ich/ und laͤugne ſie nicht/ wie ſie ſich denn in dem gewiſſen offenbahren/ aber
alle ſolche erkaͤntnuͤß iſt noch nicht die wahre erkaͤntnuͤß GOTTes: Sie ergreifft
wol einige wahre propoſitiones von GOTT/ und vermehrt ſich durch anſchauen
der creaturen/ aber ſie ſiehet ſie nicht in dem rechten liecht/ daher von ſie nicht nur
leicht in denſelben νοήμαι, anſtoſſen/ ja wird ſie nie ſo rein haben/ daß nicht noth-
wendig mehrere ir[r]thume mit untermiſchet waͤren/ ſondern/ was ſie auch wahres
erkennet/ iſt noch nicht ſo erkant/ wie es erkant werden ſolle. Daher ein groſſer un-
terſchied bleibet unter der au [...]h geringſten von dem heiligen Geiſt und ſeiner offen-
bahrung gewuͤrckten erkaͤntnuͤß/ und unter der auch hoͤchſten natuͤrlichen wiſſen-
ſchafft. Diß principium, daß allezeit 2. liechter das innerliche und aͤuſſerliche zu
dem ſehen noͤthig ſeynd/ ſoll es wahr ſeyn/ muß ſehr cautè und vorſichtig applicirt
werden/ und gehet alſo wol an/ wie es mein wehrter bruder erklaͤret. Jedoch
daß wir nicht davor halten/ daß der heilige Geiſt nicht auch ſelbs in ſolchen ſo genan-
ten aͤuſſerlichen liecht der Schrifft ſeye. Dann wie ſie ſein wort iſt/ ſo iſt er
allezeit mit und in derſelben/ ſo zu reden ihr leben. Jndeſſen iſt er freylich auch der
jenige/ welcher in unſern ſeelen auß ſolchem liecht der Schrifft auſſer uns das wah-
re liecht erſt anſtecket. Alſo muß wol acht gegeben werden/ das wirs nicht etwa
auf dieſe weiſe annehmen wollten/ ob muͤſte ſchon ohne das in uns ein liecht ſeyn/ wel-
ches
[447]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XXVI.
ches das aͤuſſerliche liecht der Schrifft annehme/ und nicht aus demſelben her ent-
ſtehe/ wie wir in der natur in unſern augen ein natuͤrliches liecht zu ſehen bey uns
haben/ daß nicht von dem liecht der ſonnen her entſtehet/ ſondern in eigner krafft die-
ſelbe ſiehet/ bey uns aber iſt kein ſolches natuͤrliches in uns ſelbs befindliches liecht/
welches nur ſo zu reden erwecket werden doͤrffte/ daß es alsdenn/ ſo bald das obje-
ctum
da waͤre/ daſſelbe ergreiffen koͤnte/ ſondern wir ſeind/ was die rechte geiſtli-
che erkaͤntnuͤß anlangt/ eigenlich finſternuͤß/ und iſt nichts bey unß/ als die paſſiva
capacitas,
das iſt/ das GOttes liecht in uns etwas wircken koͤnne. Wider dieſe
wahrheit/ ſeihe ich nicht/ wie etwas mit grund und beſtand auffgebracht werden
moͤchte.


Das die wahre Evangeliſche lehre von dem theureſten verdienſt und denen
wolthaten unſers liebſten Erloͤſers nicht ſo bekant ſeyen wie ſie ſollten/ iſt freylich
wahr/ aber mit thraͤnen nicht genug zu beklagen/ es iſt je das Evangelium die eini-
ge ſeligmachende lehre/ da das geſetz nichts anders als die vorbereitung des hertzens
iſt/ und mit aller ſeiner krafft nicht das wenigſte gute annoch in dem menſchen zu
wegen bringen kan/ ſondern ſolche ehr dem Evangelio und lehre der gnaden uͤber-
laſſen muß. Jedoch hoffe ich/ ob wol dieſe lehre nicht an allen orthen und von al-
len mit genugſamen fleiß und voͤllig getrieben werde/ wie ſichs geziehmet/ daher auch
eine groſſe unwiſſenheit des heyls bey dem groſſen hauffen ſich befindet/ mangle es
doch an lieben buͤchern nicht/ welche nechſt der Schrifft/ was hievon zu unſerer er-
bauung nuͤtzlich/ reichlich uns an die hand geben koͤnnen. Bekant iſt was vor ein
herrlich maß der gnaden in dieſem ſtuͤcke ſonderlich unſerm theuren Luthero von
GOtt ertheilet worden/ daß villeicht von der Apoſtel zeiten an wenig ihm in dieſer
materi moͤgen gleich gekommen ſeyn. Dieſer theure mann hat die ſchaͤtze des
heyls vortrefflich vor augen gelegt/ und iſt dero extract in dem Chriſtenthum Lu-
theri,
oder redivivo Luthero von den frommen Statio zu ſammen getragen. E-
ben von dieſem iſt auch die Schatz-kammer der glaͤubigen aus Stephani Præ-
torii
Schrifften alſo eingerichtet/ daß/ wer ſich deroſelben in der furcht des HErrn
und mit hertzlichem gebet gebrauchen will/ nicht aber in nebens ſachen unnoͤthig zu
ſcrupuliren begehret/ eine vortreffliche ſtaͤrckung ſeines glaubens antreffen wird.
Eben hiezu ſeynd auch dienlich/ und ſo viel vorſichtiger abgefaſſet die Schrifften des
lieben M. Andr. Crameri, deren einige ich aus der liebe darzu hier habe widerum
nachtrucken laſſen/ und wo darnach verlangen ſeyn ſollte/ gern ein exemplar ſ[chick]en
will. Unſer theure Arndius ſchleuſt uns auch vieles von ſolchen ſchaͤtzen auff. So
hoffe ich auch daß ihres heyls beguͤhrige in des gottſel. M. Scriverii ſchrifften ſich
trefflich erbauen moͤgen/ jetzo anderer mehr nicht zu gedencken. Aber wolte
GOTT/ daß alle predigten und alle ſchrifften mit ſolchen einig-nothwendigen
reichlicher gezieret waͤren; Dann dieſes iſt der rechte ſaamen/ aus dem der glaube
waͤchſet; vieles anderes hingegen/ was wir in dem amt zu thun haben/ gehoͤret nur
zum
[448]Das ſechſte Capitel.
zum umackern/ oder zum begieſſen. Wie wol auch diebegieſſens-krafft meiſtens
in ſolcher gnaden-lehre beſtehet. Alſo iſt auch bey dem heiligen Sacramenten/ uñ
was wir davon zu wiſſen noͤthig haben das meiſte an der glaͤubigen erkaͤntnuͤß dero-
ſelben nutz und frucht gelegen/ wie wir in denſelben der gantzen krafft des theuͤren
verdienſtes unſers liebſten Erloͤſers theilhafftig werden/ als die da um ſolcher urſach
willen darein geleget iſt. So pflege ich auch von nichts in ſolcher materi ausdruͤck-
licher und ausfuͤhrlicher als von derſelben/ ſo wol wo es die gelegenheit gibt in pre-
digten als Catecheſi, zu handlen. Daß bey vielen tentatis die urſach ihrer fort-
fahrenden ſchwermuth und hertzens unruhe ſeye ihr boßhafftiges verharren in ge-
wiſſen ſuͤnden/ und insgeſamt ihre unbußfertigkeit/ iſt gantz gewiß. Jedoch hoffe
ich nicht/ daß ſolche fuͤr die einige urſach gehalten/ und allen angefochtenen
werde werden/ da mir faſt mehrere angefochtene bekant worden ſeynd/
bey welchen die hertzlichſte buß/ daß aller demuͤthigſte erkaͤntnuͤß des vorigen
boͤſen lebens (wie ihrer viel auch ihren vor der welt unſtrefflich gefuͤhrten
wandel verdammen) die hertzlichſte begierde ſich GOtt dem HERRN zu einem
rechtgefaͤlligen opffer geben zu koͤnnen/ und die ſorgfaͤltigſte ve[r]wahrung vor allen
wiſſentlichen ſuͤnden ſich befindet/ aber es bleibet immer fort die unempfindlichkeit
des glaubens/ und in deroſelben recht die graumſamſte hoͤllen angſt. Wo ich hin-
gegen ſie ihres glaubens aus den unzweiffentlichen fruͤchten deſſelben/ welche
theils erzehlet/ und dazu auch noch das ſehnliche verlangen nach goͤttlicher gnade
komt/ zu uͤberzeugen ſuche/ und ſie von dem gefuͤhl ihres hertzens auf das wort und
die verheiſſung GOttes abfuͤhre dabey ſie verſichere/ daß der HERR ſeine ſtreiter
nicht verlaſſen/ ſondern in ihnen uͤberwinden werde/ ich halte auch ſolche angefoch-
tene/ die ſich faſt vor die verdammteſte halten vor die ſeligſte und GOtt gefaͤlligſte/
dero triumph auch dorten ſo viel herrlicher ſeyn wird/ als der kampf ſaur worden
iſt. Was endlich das an mich gethane begehren anlangt/ die laſter kuͤrtzlich und
nervoſe zu beſchreiben/ ſo laſſe mir ſolches nicht entgegen ſeyn/ wo mir GOTT
leben und geſundheit friſtet. Jch muß aber noch etwas damit verziehen/ weil ich
dieſes jahrs methodum ſo eingerichtet/ daß bey jeglichem Evangelio eine Chriſtli-
che tugend tractire, dabey alſo nothwendig auch die laſter mit beruͤhret werden
muͤſſen/ welche ausfuͤhrlicheremeditation mir zu ſolchem compendio es zu verfer-
tigen eine guthe anlaß geben moͤchte. Wie es aber auf etliche wenige bogen an-
kommen koͤnte/ ſehe ich noch nicht/ doch muß es ſich ſelbſt weiſen/ wann man die
hand wuͤrcklich anleget/ vor deme man nicht wol etwas gewiſſes ſagen kan. Der
arbeit will ich mich niemahl entziehen/ der ich weiß/ daß wir von GOTT dazu in
die welt geſetzt worden ſeynd/ keine zeit/ als viel es die ſchwachheit des leibes zu gibt
ohne arbeit und gute verrichtung vorbey gehen zu laſſen/ ja auch alles das jenige
was uns GOTT gegeben/ nicht vor uns/ ſondern zu GOTT es ehre/ und beſten
der jenigen/ denen damit gedient werden mag/ anzuwenden. Ob wol ſolche ar-
beit
[44[449]]ARTIC. I. DISTINCT. II. SECT. XXIIX.
beith nochmal alſo eingetheilt werden muß/ daß bald dieſem bald jenem an die hand
gegangen/ und was nicht an allen auf einmal/ ſucceſſive an den ſingulis, gelei-
ſtet werde. Wie ich mir dann auch in meinem leben keine muͤßige ſtunde/ als was
etwa die noͤthige ruhe des leibs erfordert/ verlange oder wuͤnſche. Die uͤberſan-
[t]e andachten habe auch durchleſen/ und gefallen ſie mir insgemein wol/ jedoch ſehe
nicht wol/ wie ſichs ſchickte/ ſie an das von mir verlangte compendiolum anzu-
hengen/ da es nicht nur von anderer materie, ſondern der appendix viel groͤſſer
(maſſen denn das geſchickte zimliche bogen machen wird) als das ſcriptum ma-
chen wuͤrde. Jch gebe aber den vorſchlag/ daß es moͤchte abſonderlich getruckt
werden/ da ich eine vorrede davor machen koͤnte/ es ſtehet aber dahin ob etwa die
austruckung des nahmens moͤchte noͤthig ſeyn/ davon noch zu gedencken waͤre. Aufs
[w]enigſte wuͤrde zubedencken ſeyn/ was etwa vor ein titul davor geſetzt wuͤrde/ der
ſich aber leicht finden wird. Wo auch einige zu gleichem zweck dienliche materien
unteꝛ haͤnden waͤren/ moͤchten ſie mit darein inſeriret werden. Das gebet nach der
abſolution deucht mich wird ſich nicht ſo gar wol ſchicken/ in dem wir etwa um ſol-
che zeit ſonderlich uns nicht ſo wol um pruͤfung anderer/ als unſer ſelbſt zu bekuͤm-
mern haben/ mit dem andern aber uns etwa mehr verunruhigen wuͤrden. Jedoch
koͤnte es auff eine andere arth in der form eines ſeelen-geſpraͤchs eingerichtet/
und zu dem gebet geſetzt werden/ da die gemeine noth auch mit eingeruckt iſt. Jch
werde aber etwa ehe es getruckt wird auch noch von einen und andern mit meinem
vielgeliebten bruder zu conferiren haben/ ob vielleicht etliches auszulaſſen oder zu
aͤndern rathſamen waͤre. Erwarte alſo zu vor/ was von dieſem anſchlag deucht/
und hoffe auf ſolchen fall einen verleger zu finden. 21. Mart. 1681.


SECTIO XXVII.


An M. Holtzhauſen/ daß er zu Hildeßheim
außgeſtoſſen worden. Seelen gefahr bey geiſtli-
chen aͤmtern.


OB wohl die ſachen in Hildesheim endlich nicht nach unſerem menſchlichen
willen u. verhoffen abgelauffen/ ſo wirds uns genug ſeyn/ dz der HErrſeinen
heiligſten willen vollbracht/ der allezeit ob wohl uns nicht allezeit genugſam
bekante/ dennoch wichtige und gerechte/ auch gnaͤdige urſachen hat/ wo er etwas
wiedriges geſchehen/ und unſern feinden gewalt uͤber uns laͤſſet/ Wir werden al-
lezeit auch in einer gantz gerechten ſache einiges finden/ worinnen wir uns vor dem
HErren zu demuͤthigen urſach haben/ und wiſſen/ daß auch unſer glaube und ge-
dult einer uͤbung und pruͤffung noͤthig hat. So laſſet der HERR zu weilen eini-
ge außgeſtoſſen werden/ welche er anderwerts hin beſtimmet hat/ wo ſie zu ſeiner
ehr mehreres thun ſollen und koͤnnen/ ja er ſendet zu weilen einen Joſeph in ein E-
L l lgypten
[450]Das ſechſte Capitel.
gypten/ zu kuͤnfftiger anderer bruͤder verſorgung. Wie ich dann den HERRen
HERRen demuͤthig danckſage vor ſeine heilige fuͤhrung/ da er nun denſelben zu ei-
ner ſolchen wichtigen ſtelle mit ſeinem finger ſcheinet zu leiten: Wie ich faſt nicht
zweiffeln will/ daß die ſache ihren fortgang gewinnen ſolle. ‒ ‒ Jch werde auch
nicht unterlaſſen/ gebetener und ohne das ſchuldiger maſſen/ dem HERREN die
ſache (ſamt andern guten freunden) zu befehlen/ daß ers nicht anders/ als es zu ſei-
nen ehren dienlich/ ſchicken wolle. Wo wir nun werckzeuge ſeiner ehren ſind/ ſo
kan er uns nicht laſſen/ daß wir nicht auch unſer heyl dabey erhalten ſolten. Da-
her ich meinen geliebten bruder hertzlich bitte/ in dieſem beruff genau auf goͤttlichen
finger acht zu geben/ und den gehorſam auf deſſen winck allen uͤbrigen bedencken der
eigenen damit vermehrenden ſeelen gefahr vorzu ziehen. Wir ſind je unſerm
GOtt und deß nechſten ſeele alles ſchuldig/ auch unſere ſeelen daruͤber in gefahr zu-
geben/ daß dieſen geholffen werde/ wo hingegen der HERR auch ſo treu ſeyn wird/
daß er uns die unſrige dabey zue[r]halten unter aller gefahr genugſame gnade verley-
hen/ nicht aber unſre liebe uns ewig ſchaͤdlich zu werden zu laſſen wird. Dieſes iſt
mein troſt/ der mich offt aufrichtet. Jch zweiffle nicht/ es trucke meinen geliebten
bruder das gewiſſen an dem ort/ wo es mich und andere bruͤder biß daher offt ge-
truͤckt/ in anſehung des verwirrten zuſtands der armen kirchen/ und der unvermeid-
lichen communion der vielen unwuͤrdigen. Wie ich aber hertzlich wuͤnſche/ daß
der HERR insgeſamt ſich endlich ſeiner armen kirchen erbarmen/ und alles in beſ-
ſere ordnung richten wolle/ ſo ruffe ich auch ſeine guͤte flehentlich an/ daß ſie uns in
deſſen die in dem gegenwaͤrtigen ſtand noͤthige klugheit der gerechten geben/ und
was in ſolcher ſachen ſeyn rath und willen an uns ſeye mit einer gewißheit aus ſeinem
wort zu verſtehen geben wolle/ damit wir nicht anſtoſſen/ und auf ein und andere art
unſer gewiſſen gefaͤhrlich verletzen moͤgen. Jch dancke GOtt vor den troſt/ den er mir
hierinnen zugeben anfaͤngt/ und auch die ſache anders anſehen lehret/ und wuͤnſche
andern bruͤdern gleiches in einem mehrern liecht. ꝛc. 20. Mart. 1681.


SECTIO XXIIX.


Gefahr unſrer kirchen vor irrglaͤubigen. Von
gefahr des
atheismi.


ES iſt mir leyd zuvernehmen geweſen/ daß bey erfolgter aͤnderung der regie-
rung ihre liebe kirche bereits anfechtung außſtehen muͤſſen. Der HERR
erbarme ſich ſeiner gemeinde/ dero er ſeine reine warheit anvertrauet/ erhal-
te ſie bey deroſelben und lencke zu ſolchem zweck die hertzen der groſſen/ welche ja in
ſeinen haͤnden ſind/ daß ſie vielmehr ihre gewalt zu beforderung der warheit treulich
anwenden/ als in einigen ſtuͤcken ſie unwiſſend gegen dieſelbe/ mißbrauchen moͤch-
ten
[451]ARTIC. I. DIST. III. SECT. XXIIX.
ten. Wie wohl wo der HERR ein und ander orten zu laͤſſet/ daß von widrigen
religions verwandten uns unſer exercitium zimlich beſchnitten/ oder die freyheit
deſſelben in die enge geſpannet wird/ wie wir dergleichen hin und wieder ſehen/ und
beſorglich in weniger zeit mehr exempel als uns lieb ſeyn mag/ ſehen doͤrfften/ erinne-
re ich mich allezeit der gerechtigkeit ſolches goͤttlichen gerichts/ welches/ die wir
manchmahl eine lange zeit die profeſſion der wahren religion und orthodoxie vor
das eintzige nothwendige gehalten/ (nicht anders als ob die kirche gantz wol ſtuͤnde/
und nichts weiters erfordert werden moͤchte/ wo nur ſolches kleinod uͤbrig bliebe)
den dabey vorgehenden undanck gegen ſolche goͤttliche warheit/ dero fruͤchten man
in lebendigen glauben und heiligen wandel zubringen nicht getrachtet/ eben damit
ſtraffet/ daß er auch die profeſſion und euſſerlichen ruhin der warheit entzogen/
oder doch ſehr eingeſpannet werden laͤſſet/ dero krafft man vorhin verlaͤugnet haͤtte.
Worinnen wir uns gewißlich uͤber ſeine goͤttliche gerechtigkeit nicht beſchweren
doͤrffen/ ſondern uns ſelbs ſchuldigen/ und mit ſo viel ſorgfaͤltigerer und danckbarer
behandlung der noch uͤbrigen warheit ſeine gnade wieder ſuchen muͤſſen. Mir
komt gewißlich dieſes alſo vor/ daß es bald unſere vornehmſte lection ſeyn werde/
da wir werden zu lernen und uns dazu zuſchicken haben. Sonderlich wann ich deꝛ
Roͤmiſchen parthey feindſelige gemuͤther/ liſtige anſchlaͤge/ groſſe macht und die be-
ſchaffenheit unſerer kirchen anſehe/ welche nach goͤttlicher verordnung wohl noch
ein ſtarckes von dem letzten grimm Babels aus zuſtehen haben moͤchte. Was auch
mein wertheſter bruder wegen der Atheiſten gedenckt/ wie nothwendig es waͤre/
das mit geſamter hand und mit mehrerem ernſt viel begabte Theologi ſich ſolcher
einreiſſenden peſt wiederſetzten/ iſt laͤngſtens meine meynung und gedancken gewe-
ſen/ ſo vielmehr als mir von zimlicher zeit ſolcher greuel aus dem umgang mit der
gleichen leuthen bekandter worden iſt: Daß auch meiner commilitonum einige
ſich ereinnern muͤgen/ von mir als wir noch ſtudirten gehoͤret zu haben/ daß ich
ſorgte; Wie in nicht langer zeit einem Studioſo Theologiæ moͤchte nicht mehr
ſo noͤthig werden/ ſich mit gleichem fleiß in den controverſiis mit den Papiſten/ Re-
formirt[ẽ]/ und andern dergleichen zu uͤben/ als vielmehr ſich auf den kampff gefaßt zu
machen/ welchen man mit den Atheiſten zu thun haben werden/ als welches das
jenige teuffels gifft zu ſeyn achte/ welches vollends zu letzt dem faß den boden auß-
ſtoſſen muß. So iſts auch mit ſolchen leuthen ſo leicht nicht umzugehen/ als man
ſich bey einer ſo guten und gewiſſen ſache/ wie wir wider ſie haben/ einbilden ſolte.
Welches ich in mehrmahligen beliebung uñ conferenz mit einem ſehr ſcharffſinni-
gen atheo dermaſſen erfahren/ daß ich nichts bey ihm außgerichtet/ ſondern viel-
mehr GOtt dem HErren davor danck zu ſagen gehabt habe/ daß derſelbe mich
durch ſeines heiligen Geiſtes gnade kraͤfftiglich vor ſolcher gefaͤhrlicher verfuͤhrung
bewahret und erhalten hat. Maſſen die gefahr nicht gering iſt/ und ich jedem lie-
L l l 2ber
[452]Das ſechſte Capitel.
ber rathen wolte/ ſich vor ſolcher zu huͤtẽ/ als mit willen aus vertrauen auf ſich ſelbſt/
darein zugehen. Es iſt kaum zu glauben/ wie ſcheinbar die leute auß der verderb-
ten vernunfft/ alles was aus der Philoſophie und vernunfft-lehr ihnen entge-
gen gehalten zu werden pfleget/ ab zu lehnen wiſſen/ daß mir alle tela und argu-
menta
gegen ſie in dem ernſtlichen kampff faſt unbrauchbar worden ſind: Da-
hero ich ſorge/ ob andere auch hierinnen fertiger waͤren es gleich wohl ihnen ſehr
ſchwer werde werden/ mit ſolcher art waffen etwas gegen ſie außzurichten. Ob wol
wenn es einige vermoͤgen/ daruͤber mich ſehr freuen ſolte/ dergleichen zu ſehen und
zu wiſſen: ſo viel mehr weil wenig mittel ſonſten verhanden ſind/ den armen leu-
then zu helffen/ nach dem ſie das goͤttliche wort/ als ſonſten daß einige kraͤfftige mit-
tel der goͤttlichen warheit/ verwerffen und verachten. Dieſer atheismus theore-
ticus
iſt endlich die betruͤbte frucht des practici, und eines der letzten gerichte des
erzuͤrnten GOttes. Der HERR erbarme ſich ſolcher armen blinden leuthe/ und
ruͤſte einige tapffere Davides auß/ ſo dieſen ungeheuren Goliath/ der dem zeug
Jſrael und deſſen GOTT ſelbſten hohn ſpricht/ ſiegreich beſtreiten moͤgen. Von
ſcriptis gegen ſie iſt ſehr weniges zu finden. Der ſel. D. Wagener zu Tuͤbingen
hat eine weitlaͤufftige Diſp. geſchrieben de atheismo, unſer geliebte Spizelius hat
bekanter maſſen de atheismo, ejus radice und eradicatione viel gutes geſchrie-
ben/ da zu der tapffere L. Reiſer etwas angehaͤnget. Huetii in Franckreich aus-
gegebene demonſtrationes Evangelicæ werden von einigen ſehr geruͤhmet. So
gehoͤren auch dahin die uͤbrige ſcriptores de veritate religionis Chriſtianæ,
Spanheimius
hat auch in Holland etwas Frantzoͤſiſches davon drucken laſſen ꝛc.
Der HERR erhalte die ſeinigen auch in ſolcher ſchweren verſuchung/ uͤber welche
er etwa dieſelbe auch verhengen wolte. 1681. 7. Ap.


SECTIO XXIX.


Wunſch dieTheologiein ihrer erſten einfalt zu
ſehen. Catechetiſche
examina:dero nothwendigkeit/
dergleichen hin und wieder einge-
fuͤhret.


WAs E. Hoch Wohl Ehrw. melden/ das in N. ſchrifft neoterica, und
faſt bedencklich/ da vor 50. jahren vix veſtigium zu finden/ mag etwa
auch wol von andern bemercket aber beſeufftzet ſein worden. Wie waͤre
vielmehr zu wuͤnſchen/ unſere Theologiam naͤher der alten ſimplicitæt, ja der
lehr art des lieben Lutheri zu bringen/ als zu neuen controverſien ſonderlich un-
ter uns ſelbſt gelegenheit zu geben? Wie ich dann an ſolche ſache nicht ohne betruͤb-
nuͤß
[451[453]]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XXIX.
nuͤß gedencken kan/ und weiß wie die widerſacher uͤber die uneinigkeit unſerer uni-
verſi
taͤten ſehr gloriiren. Nun der HERR ſehe mit gnaden drein/ und gebe
allen unſern lehrern zu erkennen/ wo mit ſonderlich der Chriſtlichen kirchen gruͤnd-
lich moͤge geholffen/ und nicht unter der intention ihre wunden zu heilen/ ſie etwa
gefaͤhrlicher moͤchten auffgeriſſen werden/ damit nicht der mahleins ein ſchwehrer
gericht uͤber uns ausbrechen muͤſſe. Was das catechetiſche werck anlangt/ hat
mich Eure Hoch-Ehrw. letzteres ſo wohl erfreuet als betruͤbet. Jenes zwar/ daß
ein hochloͤblicher Magiſtratus recht Chriſtliche und ihrem amt gemaͤſſe reſolution
gefaſſet/ der gemeinde noht und verlangen hertzlich anzuſehen/ und denſelben den
anfang einer ſatisfaction durch neue publication des lehrbuͤchleins zu machen/
auch das werck dermaſſen Chriſtkluͤglich an zugreiffen/ daß die beſorgte difficul-
taͤten præcaviret worden. Dieſes aber/ daß zu geringer ehr unſers ordinis nicht
nur allein unſere nachlaͤßigkeit/ als denen ſonſten billich angeſtandẽ haͤtte/ die erſte zu
ſeyn/ die ſolches gute voꝛſchlaͤger u. mit fꝛeuden an hand geben/ durch den der land-
gemeinden mehrer eiffer hat muͤſſen beſchaͤmet werden/ ſondern auch nach ſolchen die
widrigkeit der gemuͤther ſich zu zeigen nicht unterlaſſen hat. Ach daß der HERR
uns doch zu erkennen geben wolte/ daß wir ja nicht um unſer ſelbſt/ unſerer gemaͤch-
lichkeit und faulen tage willen/ ſondern von wegen der auffbauung der gemeinden
in unſern dienſten ſtehen/ auff daß wir uns doch keiner auch ſtets neu aufflegender
arbeit/ (wo ſie nur zu ertragen ſeynd) beſchwehren/ ſo fern dieſe ein mehreres zu der
erbauung zu thun vermag. Wir ſollen ja je hirten und nicht miedlinge ſeyn/ da-
her bey den ſchaaffen auch das leben willig auffſetzen/ waꝛum daũ nicht unſere arbeit
und kraͤfften daranſtrecken. Er lehre uns aber auch recht erkennen/ was der kir-
chen nothdurfft in allen ſtuͤcken erfordere. Dann ich wohl glaube/ daß derer nicht
wenige ſind/ die vornehmlich darinnen fehlen/ daß ſie ein und anderes nicht eben noͤ-
thig zu ſeyn achten/ in dem ſie ſonſten ſo boͤſe nicht ſeyn wuͤrden/ ſich dem guten fre-
veler weiſe entgegen zu ſetzen. Denen oͤffne der HERR ihre augen/ daß ſie die
noth und beſchaffenheit der kirchen anders als leider ins gemein geſchiehet anſehen/
und doch den ſo ſchaͤdlichen irrthum (ſo das hertz des Papſtums iſt/ und leider nur
zu viel platz auch bey uns ſindet) des bloſſen operis operati alſo erkennen/ wie er
vor GOTT der grauſamſte ſchandflecken und ein greuel ſeye/ um welches willen
der HErr der mahleins unſere gantze kirche moͤchte uͤbern hauffen werffen/ wo man
immer fort ſich auff die beybehaltung der orthodoxie und offendlicher predigten
dermaſſen verlaͤſſet/ wie es insgemein geſchiehet/ daß man ſich nicht viel darum be-
kuͤmmeꝛt/ ob der wahre lebendige glaube zu einen gꝛund aller uͤbrigen fruͤchten in das
hertz gebracht werde: Wo zu einmahl die bloſſe predigten nicht gnug thun moͤgen/
und wo wir auff ſolcher meinung obſtinat verharren wolten/ die klaͤgliche erfah-
rung uns den gegentheil uͤberzeugen mag. Dem HErren ſeye aber danck/ der wie
er Eure Hoch-Ehrw. hierinnen einigen ſieg (deſſen weitere ausfuͤhrung und frucht
L l l 3ich
[454]Das ſechſte Capitel.
ich noch ferner von hertzen anwuͤnſche) verliehen hat/ alſo auch anderwertlich mehr
und mehr zu dergleichen fleiß erwecket. Daß eine ort/ welches dieſelbe in meinem
ſchreiben nicht leſen koͤnnen/ iſt Windsheim/ wo GOTT auch meinen andern
Schwager Herrn Horbio Superintendenti daſelbſt die gnade gegeben/ daß
er auch zu einer erbaulichen kinderlehr gebracht. So hat auch zu end
des vergangenen jahrs ein Archidiaconus zu Schmalkalden nach vie-
ler reſiſtenz durchgedrungen/ daß etwas dergleichen angefangen wor-
den/ da zu GOTT ſo bald faſt ungemeinen ſucceß und ſegen gegeben. Es
iſt aber ſolcher gute mann ſo bald drauff nach Erffurt beruffen worden/ GOtt
laſſe es aber deswegen nicht ſtecken bleiben. Es iſt auch vor wenig monaten ein
Studioſus/ ſo ſich hie auffgehalten/ in das Erpachiſche gekommen/ und in einem
groſſen Dorff das catechetiſche examen ſchon alſo mit lauter liebe angefangen/
daß die gantze gemeinde freude daran hat/ und ſich hoffentlich andere nachfolger fin-
den werden. So iſt nun auch in dem gantzen Fuͤrſtenthum Wirtenberg ſolche
uͤbung durch goͤttlichen ſegen eingefuͤhret/ und wie ich vernehme/ eine predigt des-
wegen abgeſchafft worden. Da ich alſo auch an dem ſucceß nicht zweiffele. Ach
der HERR oͤffne noch immer eine thuͤr nach der andern/ daß ſein wort mit vieler
krafft aller orten durchdringe/ und es am abend liecht werde. Er gebe auch allen
niedrig geſinneten ihre ſuͤnde zu erkennen/ daß ſie lieber der wahrheit weichen als
fortfahren wider den ſtachel zu lecken: wie wir dann deswegen vor ſie hertzlich zu
bitten haben. 16. Apr. 1681.


SECTIO XXX.


Das falſch auffgedichteter verdacht endlich nuͤtzen
koͤnne. Catechetiſche unterrichtungen. Pauli Epiſteln.
Vor einer mir begegneten ausgeſtreuten
fabel. GOttes rath in derglei-
chen.


ES war mir erſtlich leid/ als ich laß/ daß durch des anteceſſoris ungleiche
recommendation derſelbe/ ehe er noch die ſtelle ſelbs angetreten/ mit ver-
dacht beladen werden muͤſſen/ ſo wohl um des manns willen ſelbs/ der ſich
mit ſolcher ſ[uͤ]nde beflecket/ die gewißlich ſo viel ſchwehrer iſt/ als geringer ſie geach-
tet wird/ einen ſchein eines eiffers vor die reinigkeit der lehr hat/ und dannoch ſo
vielen ſchaden thut/ als auch meines wehrteſten bruders willen/ theils weil derſelbe
eben meiner freundſchafft wegen ſolches leiden/ und meiner entgelten muͤſſte/ theils
weil die erſtmahls den leuten eingeſteckte verdaͤchte nicht ſo leicht gantz benommen
wer-
[455]ARTIC. I. DISTINCT. III. SECTIO XXX.
werden. Wie mirs nun leid iſt wegen ſolches autoris/ ſo dazu meine favor
durch eine hohe perſon und ſich bey mir/ ob ich ihm hie zu einer ſtelle/ recommendi-
ren moͤchte/ neulich zu inſinuiren geſucht/ worinnen aber wie bekant einen guten
freunde behuͤlfflich zu ſeyn in meinem vermoͤgen nicht waͤre; auch GOtt hertzlich
anruffe/ daß er ihm ſolche ſeine ſuͤnde zu erkennen geben und gnaͤdiglich verzeihen/
hingegen ihn ſelbs zu einen geheiligten gefaͤß u. werckzeug das jenige gute/ ſo er vor-
hin in verdacht zu ziehen ſich bemuͤhet/ zu befoͤrderen/ durch ſeines geiſtes krafft ma-
chen wolle. Alſo habe in weiterem nachdencken befunden/ daß uns die fache nicht
ſolle zu wider ſeyn/ ſondern wir auch goͤttliche weiſe regierung darinnen erkennen/
wo er dasjenige thut/ was wir nach unſeren gedancken/ wohl ſolten uns hoͤchſt hin-
derlich zu ſeyn achten/ dann ſeine heilige urſachen ſind allezeit weiß/ ob wir ſie wohl
nicht zur gnuͤge erkennen vermoͤgen. Jn dieſer ſache ſehe ich dieſen moͤglichen nu-
tzen (vielleicht aber hat der HERR in ſeinem rath noch mehrere ſeine heilige abſicht.)
Weꝛ vorhin in verdacht gezogen aber deſſen nichtigkeit und eines mannes unſchuld/
zur gnuͤge darnach dargethan worden/ hat alsdann bey den gemuͤtheren/ die nur
etwas die wahrheit lieben/ ſo viel mehr credit, und wo er ins kuͤnfftige von jemand
auffs neue will angezaͤpffet werden/ richtet ein ſolcher weniger aus. Wiederum
wo wir wiſſen/ daß uns einmahl dergleichen verdacht auffgeleget worden/ machet
uns daſſelbe ſo viel vorſichtiger und behutſamer. Dann da ein treuer lehrer alle
zeit bedaͤchtlich reden ſolte/ weil wir wiſſen/ daß wir niemahl in unſerem ſondern alle
zeit in GOTT es nahmen reden/ ſo erfahren wir doch/ wie man auſſer der bedeu-
teten ſorge nicht eben immer jegliches woͤrtlein ſo genau auff die goldwage leget/ da
wir davor halten/ oder glauben/ daß man unſeres verſtandes verſichert ſeye/ und
alſo etwas ſicherer wird. Wie es auch vor deme geheiſſen/ daß die liebe altvaͤtter/
ehe eine und andere controverſien entſtanden/ und eine mehrere behutſamkeit er-
fordert haben/ ſicherer geredet und geſchrieben haben. Hingegen wo wir eine ſol-
che ſonderbahre treibende urſach haben/ ſo vermeh[r]et es die bedachtſamkeit. Daß
es alſo auch hierinnen heiſſet/ daß denen die GOTT lieben/ und in allen ſtuͤcken auf
deſſen rath achtung geben/ alles durch und durch zum beſten dienen muͤſſe. Nechſt
deme aber habe mich auch hertzlich eꝛfreuet wegen des beꝛeits veꝛſpuͤhꝛten goͤttlichen
ſegens/ ſo in kinderlehr als betſtunde: dadurch ſo viel als immer durch die uͤbrige
predigten erbauet zu werden nicht zweiffeln will. Dann wir taͤglich erfahren/ wie
ſo wenig die leute/ ſo in den erſten propriis ihres glaubens/ in den Catechiſmo nicht
unterrichtet ſind/ aus denen deutlichſten predigten faſſen/ auffs wenigſte wie ſauer
es ihnen damit werde. So dann weil durch die betſtunden die Epiſtolæ Paulinæ
den leuten bekant werden/ ſo kans nicht ohne groſſen nutzen abgehen: Dann in
denſelben wohl der kern des gantzen Chriſtenthums alſo vorgetragen wird/ daß es
nicht vieles erklaͤhrens in manchen texten oder auch weiter herhohlens bedarff/ ſon-
dern die wort ſelbſt die vortrefflichſten lehren und vermahnungen in ſich faſſen/ die
nicht
[456]Das ſechſte Capitel.
nicht ohne krafft von den zuhoͤre[r]n angehoͤrt werden/ da hingegen/ wo man offters
bey den Evangelien eine ſache ſo weit herziehen muß/ nicht ein wenig der krafft ſol-
ches vortragenden entgehet. Der HErr laſſe noch ferner ſeine arbeit geſegnet ſeyn/
und gebe zu den pflantzen und begieſſen ſein kraͤfftiges gedeyen. Er laſſe auch bey den
fremden/ der geſuntheit wegen dahin ſich verfuͤgenden/ durch meines wertheſten
bruders dienſt/ predigten und zuſpruch vieles gutes geſchafft/ und einige gute ſam-
koͤ[r]nlein in die hertzen geſtreuet werden/ welche bey dero heimkunfft ſo viele geiſtli-
che fruͤchte bringen moͤgen/ als zu der leiblichen geſundheit durch das bad nutzen ge-
ſchafft wird. Wie ich ins gefamt deſſen befoͤrderung an einen ſolchem oꝛt nicht oh-
ne goͤttlichen rath geſchehen zu ſeyn auch darinnen achte/ weil was an denſelben gu-
tes geſchiehet/ ſo viel leichter mit nachtruͤcklichem exempel andere anreitzen/ und der
guten ſache an andern orten einen ſehr guten nahmen machen mag/ als aus mehꝛern
landen und ſtaͤtten ſich leute daſelbs beyſammen finden. Jch werde auch nicht un-
terlaſſen/ den HERREN HERREN treulich vor ſeine fernere gnade und re-
gierung ſeines heiligen Geiſtes an zuruffen/ damit unſere geſchoͤpffte hoffnung von
ihm als einem werthen werckzeuge deſſelben reichl erfuͤllet werde. Jm uͤbrigen habe
auch gehoͤret/ das die faſt in gantz teutſchland erſchollene fabel von mir auch nach N.
N.
gekommen ſeye/ daher ſich auch vermuthlich bis an ihren ort mag erſtrecket ha-
ben. Wie ich nehmlich unter dem ſchein zu einem krancken beruffen zu werden/
von einigen vermummeten boͤßwichten uͤbel tractiret und zu einem jurament nicht
mehr wider den pracht der weibsleut zu predigen mit angedroheter todes gefahr ge-
noͤthiget worden waͤre/ und was dergleichen theils laͤcherliche/ theils ungereimte
umſtaͤnde dabey erzehlet worden. Haͤtte alſo zu bitten/ wo dergleichen in dem
confluxu ſo vieler fremder leute auch einigmahl vorkommen/ und von einigen
noch behauptet werden daß derſelbe mit gelegenheit ſolches widerſprechen/ und
jede/ die davon reden moͤchten/ verſichern wolle das nicht das allergeringſte von al-
lem wahr ſeye. Wo mir um des HERREN und treue in ſeinem dinſt willen
jemahl einige ſchmach widerfahren waͤre/ oder noch widerfahren moͤchte/ wuͤrde
ich mich deroſelben nicht mehr ſchaͤmen/ als ein Soldat der wunden/ die er aus ei-
ner ſchlacht davon traͤgt/ ja mirs vor die groͤſte ehre achten/ aber der HERR hat
mich derſelben noch nicht wuͤrdig geachtet. Jch muß mich verwunder uͤber der
famæ unverſchaͤmten muthwillen/ dergleichen in meiner gegenwart und leben aus-
zuſtreuen/ wo doch nicht nur ein ſchein alles deſſen vorgegangen: noch viel mehr
daß ſolche ſo viel glauben gefunden/ daß ich ſelbſt in hieſiger ſtatt vielen leuten es
nicht ausreden kan/ daß gleichwohl etwas daran ſeyn muͤſte. Jch weiß auch nicht/
was GOTT damit ſuchen und meinen wolle/ dergleichen zu verhaͤngen/ als daß
vielleicht mit dieſem exempel nnſerer hießigen leute fabel-ſucht offenbahr/ und damit
einigerley maſſen deutlicher gezeigt werde/ was auch von denen vor etlichen jahren
ſo vielen von mir und andern Chriſtlichen freunden ausgepflogenen ſpargiment
zu
[457]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECT. XXXI.
zu halten. Da nicht wenige verſtaͤndige leute aus deme/ weil das geſchrey in der
ſtadt entſtanden/ und ſo ſtarck uͤberhand genommen/ unfehlbahrlich ſchlieſſen wollen/
es muͤſte auffs wenigſte an jeglichem ob wohl nicht alles/ doch etwas/ wahr ſeyn.
Aber hierhaben wiꝛ ein exempel/ wo nicht das alleꝛ geꝛingſte woͤꝛtlein von allem wahr
iſt; und dennoch kaum den reden geſteuret werden kan. Jch ſehe offtmahls die
ſache mit verwunderung an/ wie es kommen muͤſte/ daß mich GOtt eine zimliche
lange zeit faſt ſtets die fabulam vulgi ſeyn laſſe/ da mir bald mehr gutes/ als ich je
gethan/ zuleget/ bald allerhand boͤſes/ wo ich auch unſchuldig/ auffgebuͤrdet/ bald al-
lerhand andere unerfindliche begebenheiten von mir erzehlet werden. Auffs we-
nigſte iſt mirs eine uͤbung eine und andere gemuͤths bewegung durch gewohnheit in
ihre rechte GOTT gefaͤllige ordnung zu bringen/ dazu mir der HENR ſelbſt
die gnade auff daß ſein rath auch darinen an mir erfuͤllet werde/ verleihen wolle.
5. Mai. 1681.


SECTIO XXXI.


An einen FuͤrſtlichenTheologumzu ſuchung
deſſen freundſchafft: Warum einiger in dergleichen ſchone.
Bitte meiner auff der cantzel nicht zu gedencken.
Herrn von Seckendorff.


OB wohl dieſes das erſte mahl iſt/ daß an denſelben zu ſchreiben mich unter-
nehme/ und die feder anſetze/ ſo bedarff es doch nicht vieler entſchuldigung/ in
dem durch die brieffliche unterredung nicht erſt noͤthig iſt/ einige bruͤderliche
lieb unter uns geſtifftet zu werden/ als welche der HERR in beyderſeits hertzen be-
reits entzuͤndet hat. Wie ich dann von der zeit/ als von meines Hochgelibten
Herrn und werthen bruders redlicher intention ſeinem GOTT mit aller treu zu
dienen/ und den theuren in ihn gelegten gaben erſtlich/ nachmahl aber und biß da-
her von dem jenigen ruͤhmlichen fleiß/ welcher bereits bey dem ſo durchlauchtigſten
als ſonſten hochan ſehnlihem auditorio zeit bißheriger bedienung mit reichem ſe-
gen GOttes angewendet worden/ durch hohe und andere Chriſtliche zeugen ſo viel
gutes gehoͤret/ nicht anders gekont/ als ein ſolches werthes werckzeuge Goͤttlicher
ehre inniglich zu lieben. Wie wir dann/ wo wir recht erwegen/ wo zu wir von
dem HERREN HERREN in die welt geſandt/ und was das vornehmſte un-
ter allen iſt/ erkennen werden/ daß uns die jenige naͤher angehoͤren/ mit melchem wir
in einem geiſt ſtehen/ der uns regieret/ und in dem wir leben/ als einige die nechſte
des fleiſches vorwandſchafft ein enges band machen kan; ſo gehoͤret ſich auch eine
ſo viel inniglichere liebe gegen dieſelbe zu tragen/ an welchen der Goͤttlichen ehre das
meiſte gelegen iſt/ und die alſo zu dem hauptzweck/ warum alles iſt/ und worzu alles
M m mgerich-
[458]Das ſechſte Capitel.
gerichtet werden ſolle/ das meiſte mit beytragen und arbeiten. Dahero ich mich
immerdar zwar allen menſchen mit der gemeinen/ aber mit bruͤderlicher/ liebe den
jenigen verbunden achte/ welche von oben her gebohren in einer kind- und gemein-
ſchafft des erbs ſtehen/ und ſolches durch die hervor leuchtende zeugnuͤſſen zu erken-
nen geben/ widerum ein ſo viel mehrers maß den jenigen ſchuldig/ welche der himm-
liſche Vater mit mir in einerley heiliges amt geſetzet/ am aller ſonderbahrſten
aber bin ich widerum unter ſolchen den jenigen (ach daß ich da von einer groſſen
zahl ruͤhmen moͤchte) von welcher treue und hertzlichen eiffer er mich beglaubte zeug-
nuͤſſen hoͤren oder ſehen laͤſſet. Dieſe ſollen mir billich lieber ſeyn/ als alle dem
fleiſch nach nechſt angehoͤrige/ und leugne nicht/ daß mirs die hertzlichſte freude iſt/
bald da bald dort her von mehrern ſolcher art bericht zu erlangen; Wie ich dann
dieſes/ eine der nicht geringſten mir erzeigten gnade GOttes achte/ daß deſſen
guͤtigſte weißheit zu meiner ſchwachheit auffmunterung von unterſchiedlichen
jahren her durch viele zuſchreiben vorhin mir unbekant geweſener gottſeliger leute
mich zum oͤfftern erfreuet/ und damit verſichert hat/ daß unter dem ſonſten ſo of-
fenbahr in die augen leuchtenden verderben/ er dennoch mehr heiligen ſaamen ihm
erhalten habe/ als man ſonſten ohne die erfahrung haͤtte gedencken moͤgen. Ge-
gen ſolche nun tragen wir billich alle/ ſo einerley geſinnet ſeynd/ die aller zarteſte lie-
be/ und achten ſie vor diejenige/ denen wir vor anderen alles ſchuldig ſeyen. N n
unter ſolchen habe auch meines theuren bruders nahmen und gedaͤchtnuͤß von der
zeit an/ als ſolche mir bekant worden/ ſchuldiger maſſen geliebet/ ob ich wohl derglei-
chen zu bezeugen wenig gelegenheit gehabt/ jedennoch nicht vergeſſen habe/ ſeine
werthe perſon und amt unſerem liebſten himmliſchen Vater in kindlicher einfalt mit
vorzutragen/ als offt vor deſſelben heiligſten angeſicht meiner treuen mitbruͤder
abſonderlichen gedencke/ wie ich nun alſo meiner gegen denſelben tragenden unge-
faͤrbten liebe mir ſolches zur gnuͤge bewuſt bin/ ſo bin ich auch biß daher hinwiderum
deſſen bruͤderlichen gegen mich gefaſter gegenliebe aus verſicherten zeugnuͤßen ſo
hoher als anderer Chriſtlicher perſonen verſichert worden/ habe auch nicht weniger
ſolches aus eingeſehener prob- und antrits predigten ſelbſt erſehen. Vor ſolche
neigung unſerer ſeelen gegen einander zu einer geheiligter freundſchafft ſage ich auch
dem grundguͤtigen GOTT/ der alles guts und ihm gefaͤllige in uns wuͤrcken muß/
demuͤthigen danck/ und ruffe ihn an/ daß er ſolche vereinigung zu einiger guter
frucht und unſer beyderſeits auffmunterung (dero ich mich ſonderlich meines orts
ſehr bedoͤrfftig erkenne) ſegnen wolle. Jch haͤtte auch dieſer meiner liebe zeugnuͤß
in einigen zuſchreiben laͤngſt ſelbſt ablegen ſollen/ wie aber etwa auch andere mehre-
re hinderungen meine meiſte vorhaben offt zimlich lang verſchieben/ ſo habe ich bil-
lich dieſes nicht auſſer conſideration zu laſſen gehabt/ des aus GOTTes ver-
haͤngnuͤß/ der nach ſeinen heiligen und mir in vielen ſtuͤcken nicht voͤllig erforſchlichen
rath/ wiedrig geſinneten gemuͤthern von etzlichen jahren her ein zimliches verhaͤnget
hat/
[459]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XXXI.
hat/ ich bey ihrer vielen in zwar unverſchuldeten aber dennoch ſehr ſchwehren ver-
dacht gerathen bin/ auch meine verantwortungen annoch nicht mit genugſamen
nachdruck haben durchtringen wollen; ſo gar daß deswegen bey denen ſo eine
mehrere boßheit in ſich haben/ auch den jenigen einige mackel hat wollen zugezogen
werden/ welche mit mir in briefflicher correſpondenz ſtunden. Nun erkenne
ich billich die heiligſte regierung Gottes/ ſo nicht ohne die wichtigſte und mir ſelbſt
heilſame urſachen dergleichen zu laͤſſet/ auffs wenigſte mich ſo vielmehr in die de-
muth fuͤhret/ und mich zur vorſichtigkeit anweiſet; habe mich deswegen nicht dar-
uͤber zu beſchwehren/ in deſſen meiner unſchuld zu getroͤſten: Jedoch halte mich
bey neben zu der liebe verbunden/ daß ich mit willen niemand ein theil meiner laſt
aufflege. Dahero ich bis daher nicht leicht an jemand zu erſt geſchrieben/ ſondern
mich vergnuͤgen laſſen/ den lieben leuten ſo an mich ſchreiben/ zu antworten/ der uͤ-
brigen aber zuſchohnen/ daß ſie nicht um meinet willen von jemand leiden muͤßten:
biß der HERR etwa nach ſeiner gnade meine unſchuld mehr an das licht bringe.
Wann aber juͤngſthin die Adeliche Jungfrau von N. dero Chrihlicher umgang mir
ſehr angenehm geweſen/ mich verſichert/ daß mein Hochgeehrter Herr ſich deſſen
nicht ſcheuen/ noch etwas daher zu ſorgen haben wuͤrde/ als habe ſo bald mir vorge-
nommen/ dieſe zeilen abgehen zu laſſen/ die ich mit liebe und gleichem hertzen/ als
ſie bey mir hergefloſſen/ auffgenommen zu werden mich vergewiſſert weiß. Wo
bey ſo bald die auffrichtigkeit meiner freundſchafft darinnen zeigen will/ daß gleich
in dem erſten eine bitte mit beyfuͤge. Weil ich ſo wohl aus der gedruckten prob-
predigt erſehen/ als weiter gehoͤret/ daß mein armer nahme einige mahl auff der
cantzel angefuͤhret worden/ welches mich zu ſehen beſchaͤmet hat/ ſo habe ſo bald bey
dieſem erſten anſpruch freundlich und angelegenlich zu bitten/ daß doch kuͤnfftig
meiner moͤge damit geſchonet werden. Jch bin deſſen gantz gewiß/ daß es aus
bruͤderlicher liebe geſchehen/ aber wie ich nicht leugne/ daß ich insgeſamt auff der
cantzel einige allegationes menſchlicher ſchrifften und lehrer nicht gern hoͤre/ oder
doch allein die von GOTT ſonderbarſt ſeiner kirchen gegebene heldenmaͤßige maͤn-
ner/ die ſchon in die ruhe eingegangen ſeynd/ deſſen verſichert/ daß dieſe ehre mei-
nem nahmen durch aus nicht zu komme und ich deswegen ſolches auff alle weiſe zu
decliniren/ ſuche/ auch ſolcher meiner erſten bitte gewehret zu werden nicht
zweiffeln will. Jm uͤbrigem preiſe ich mit demſelben die guͤtigkeit des
Allerhoͤchſten/ der meinen vielgeliebten bruder zu einer ſolchen gemeinde
gefuͤhret/ wo ich nicht zweiffele/ daß deſſen treuer fleiß und arbeit einen
herrlichen ſegen erlangen werde; Dann weil mir von beyder Durch-
leuchtigſten perſonen/ Hertzog und Hertzogin/ bekant/ daß dieſelbe ihren
GOtt hertzlich lieben/ und deßwegen deſſen ehre allem gern vorgezogen wiſſen wol-
len/ ſo bin ich verſichert/ daß es auch an der that nicht manglen werde; Wie viel aber
daran gelegen ſeye/ etwas nachtruͤckliches in dem amt außzurichten/ daß die jenige/
M m m 2welchen
[460]Das ſechſte Capitel.
welchen GOtt die hoͤchſte gewalt jedes orts anvertrauet/ ſich deſſen/ von dem ſie
ihre ſeepter und regierung tragen treulich erinnern/ und alſo auch vor die befoͤrde-
rung ſeiner ehre ſorgen/ daher dem prediger ſtand die huͤlffliche hand bieten/ erfah-
ren die jenige ſonderlich/ die etwa uͤber ſolchen mangel klagen und dieſer urſach we-
gen ein groſſes ihres amts unfruchtbar abzugehen mit betruͤbnuͤß ſehen muͤſſen. So
weiß ich auch/ daß einige mehrere des hoffs perſonen/ beyderley geſchlechts/ ſich das
wahre Chriſtenthum laſſen angelegen ſeyn/ und deßwegen alles was zur erbauung
dienlich/ mit danckſagung annehmen werden. Sonderlich aber gratulire dem-
ſelben billich wegen der gewogenheit ihres vortrefflichen Cantzlers des Herrn von
Seckendorff. Jch habe allezeit faſt von meinen erſten ſtudir-jahren her des
mannes vortreffliche gaben und erfahrenheit in den ſachen/ die regierung dieſer welt
betreffend hochgeachtet/ und ihn als ein theures werckzeug vieler gnaden/ welche
GOtt dem loͤblichem hauß Sachſen zu dero lande zeitlicher wohlfahrt wiederfah-
ren laſſe/ angeſehen. Nachdem ich aber nachmahls durch Herr N. brieffe und re-
lation
noch mit mehreren verſtanden/ wie tieff der kluge Herr/ und gar mit andern
als ſonſten die politici pflegen augen/ der verderbnuͤß auch unſers kirchen-ſtats
einſehe/ und von deſſen verbeſſerung ſo loͤbliche gedancken habe/ als habe mich wohl
inniglich daruͤber erfreuet dem HErren davor gedancket/ und bißher nicht unter-
laſſen/ deſſen ſegen noch ferner zu erbitten. Es war mir aber bißher deſto mehr leid/
daß als zwar vor 3. jahren derſelbe hieraus gekommen/ und von mir/ wie ich zimlich
weiß/ in Darmſtat ſeltzame dinge vernommen/ ich auch gelegenheit geſuchet/ dem-
ſelben einmahl ſolcher angelegenheit halber auff zu warten/ auch da einſten die ehre
hatte mit bey der taffel alhier zu ſeyn/ zu einer ſolchen gelegenheit die vertroͤſtung
bekommen/ ich ſo gluͤcklich nicht werden koͤnnen. Maſſen ich ſonſten damahl/ ob
wol von ſeiner inclination in dieſem ſachen noch nichts wußte/ mich doch deſ-
ſen wegen ſeines beruͤhmten verſtandes und zu getrauter auffrichtigkeit gewiß ver-
ſichert hatte/ wo ich zu einer anhoͤrung gekommen waͤre/ nicht nur das beygebrach-
te durch die vor augen legende wahrheit leicht wieder zu benehmen/ ſondern zu wege
zubringen/ daß durch eines ſo theuren mannes patrocinium in Sachſen/ die da-
mahl von meinem wiedrigen geſuchte außbreitung der allerhand verdachte maͤchtig-
lich moͤchte hintertrieben werden. Da es aber nicht ſeyn ſollen/ habe auch ſolche
goͤttliche direction mit demuth anzuſehen gehabt. Freue mich in deſſen/ daß auf
andere weiſe bey demſelben etwa das meiſte/ ſo vor deme beygebracht worden/ durch
andere ſreunde wieder benommen ſeyn mag. Und wuͤnſche nur/ daß die in ſolchem
HErrn von oben herab gelegte unvergleichliche gaben und autoritaͤt in goͤttlichem
ſegen zu meines werthen amts-bruders beſten und befoͤrderung deroſelben arbeit
und gottſeliger intention gluͤcklich und vieles wuͤrcken und außrichten/ auch zu ſol-
chem ende lange erhalten werden moͤgen. 1681. 6. Jun.


SECT.
[461]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XXXII.

SECTIO XXXII.


Auffmunterung.


ES iſt freylich alſo; der iſt ſtaͤrcker und groͤſſer/ der in als der wieder uns[i]ſt/ u.
koͤnnen wir uns/ ja ſollen uns mit groſſer freudigkeit darauff verlaſſen. Der
HEꝛr bekraͤfftige aber nicht nur allein ſolchen glauben/ und lehre uns in allen
ſolchen nicht ſo wohl auff die ohnmaͤchtige menſchen als auff ſeine eigne krafft u. bey-
ſtand/ daher den gewiß in haͤnden habenden ſieg/ ſehen: ſondern er ruͤſte uns auch al-
lezeit in allen unſern verrichtungen und vornehmen mit der jenigen weißheit auß/
das wir ſein werck kluͤglich und alſo treiben/ daß wir nicht aus eigner ſchuld durch
unvorſichtigkeit und in einer an ſich guten ſache durch derſelben ungleiche fuͤhrung
uns einig leiden und widerwaͤrtigkeit zuziehen/ wo man alsdenn keinen ſolchen
troſt dabey hat/ ſondern daß uns unſer gewiſſen allezeit vor GOtt moͤge zeugnuͤß
geben/ daß wir allein vor ſeine ehre in der wahrheit geeyffert/ und in demſelben
eyffer uns weißlich verhalten haͤtten. Dann wo uns denn unſer hertz in nichts
verdammt/ ſo iſt eine groſſe freudigkeit verhanden; hingegen faͤlt der muth ſehr/
wo man ſorgen muͤßte/ durch unvorſichtigkeit ſich etwas zugezogen zuhaben; wie
wol auch alsdenn und in ſolchem fall der himmliſche Vater ſeiner kinder auffrichti-
gen einfalt/ ob ſie es in einigen verſehen haͤtten/ etwas zu gut haͤlt. 17. Maj.
1681.


SECTIO XXXIII.


An einen FuͤrſtlichenTheolgum/ der mir den
vaters titul beygeleget/ ich ihn aber hinwieder bruder
nannte. Unbillichkeit des nahmens Spenianer. Jch
ſuche keine ſecte. Nochmahlige bitte/ meines nah-
mens nicht auff der cantzel zugedencken
(ſihe
Sect. 31.)


DJeſes iſt der jenige nahme/ welchen ich auch von ſeiner liebe inskuͤnfftige ver-
lange/ in deme der mir zulegende vaters-nahme weder meinen alter/ noch
amt/ noch der wahrheit zu komt/ als der denſelben in dem HERREN ge-
zeuget/ oder nur etwas an ihm gearbeitet zu haben/ nicht ſagen kan/ ihn aber als ei-
nen treuen bruder in unſerm allgemeinen und erſtgebohrnen bruder JEſu Chriſto
erkenne/ dahero mich ſolches nahmens/ damit wir unſere gemeinſchafft in denen zu
gleich allen zukommenden guͤtern bezeugen/ ſonderbahr zu erfreuen pflege. Jm
M m m 3uͤbri-
[462]Das ſechſte Capitel.
uͤbrigen habe auch hiebey zu bezeugen die hertzliche freude/ die uͤber meines wehrte-
ſten bruders liebreiches ſchreiben geſchoͤpffet/ und alſo meinen anſpruch gluͤcklich und
wohl angelegt erachtet/ der einen ſo angenehmen gegen-hall und echo verurſa-
chet. Dem HERREN HERREN ſey demuͤthiger danck/ der unſer beyder-
ſeits gemuͤther bereits von einiger zeit hero kraͤfftig zuſammen geneiget/ und nun
ſo viel feſter unter einander verbindet. Er gebe nur daß wir immer mehr und mehr
und enger untereinander verknuͤpffet werden in der einigkeit des Geiſtes
mit dem bande des friedens; ja daß wir an einander uns ſo viel mehr
auffmuntern/ und alſo auch unſere brieffliche unterredung/ nach dem der
Herr einige muͤndliche beſpraͤchung nicht verfuͤget/ zu beyderſeits ſtaͤr-
ckung geſegnet werde. Wie ich dann dieſes mittel von nicht geringen wehrt
zu kraͤfftiger außrichtung vieles guten achten/ daß einerley geſinnte/ und auf die
ehre ihres GOttes abzweckende Theologi, da ſie nicht beyſammen leben/ dennoch
in ſchreiben mit einander mehrmahl umgehen/ wo es nicht nur gelegenheit giebet/ da
ſie ihre anligen/ einer in deß andern ſchooß außſchuͤtten/ etwa mit rath und troſt ein-
ander zu ſtatten zu kommen/ ſondern es wird durch ſolche errinnerung die andacht
des gebets/ ſo ſie vor einander thun/ trefflich vermehret/ und iſt das ſo bald eine auf-
munterung/ wo jeglicher an dem andern etwas von goͤttlicher gnade erkennet. Da-
hero etwa der ſatan/ wohlwiſſend/ was hiedurch zu ſeines reichs nachtheil gutes moͤ-
ge außgerichtet werden/ auff allerley art ſolche vereinigung der gemuͤther ſchwehr
zu machen/ oder wol gar zu hindern trachtet/ mit einſtreuung allerhand verdachte/
mißverſtaͤndnuͤß und anderer ſolcher dinge/ welche die innigliche zuſammenſetzung
der gemuͤther gewaltig hinderen. Dem wir deſto fleißiger auch in dieſem ſtuͤcke ſei-
ne tuͤcke ablernen/ und ihm zu trotz ſo viel ſorgfaͤltiger zu ſammen ſetzen ſollen. Daß
im uͤbrigen auch der nahmen eines Spenerianers derſelben orts gehoͤret worden/
und mein geliebter bruder damit beleget werden wollen/ iſt mir hertzlich leid. Jch
habe ja nie etwas ſonders geſucht/ viel weniger nach einer Secte getrachtet/ wie
gleichwol von allen wird gezeuget werden koͤnnen/ von dero nahmen andere ent-
weder haben wollen benennet werden/ oder wuͤrcklich benennet worden ſind. So
iſt es ja wahrhafftig eine betruͤbte ſache/ daß der nahmen einer neuen Secte ſolte
auffkommen und zwar von mir entlehnet werden/ da man nicht ſagen kan/ worin-
nen die jenige/ die deroſelben ſolten zugerechnet werden/ oder ich ſelbs/ nur in einem
wenigſten puͤnctlein/ von der geſamten Evangeliſchen kirchen abgiengen/ oder was
wir beſonders oder eine abſonderung von anderen prætendirten. Jſt dann nichts
von allem ſolchem bey uns anzutreffen/ wozu dann noth eines eigenen und verdrieß-
lichen nahmens? Was mich anlangt/ ſo habe ſolche ſchmach/ wie anders/ ſo der
HERR uͤber mich verhaͤngen moͤchte/ und verhaͤnget hat/ mit demuth und gedult
auffzunehmen/ ja mich unwuͤrdig zu ſchaͤtzen/ daß um deß geringen anfangs willen/
welcher ſchier nicht wol weiter gehet/ alß in einem hertzlichen willen beſtehet/ mir der
glei-
[463]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XXXIII.
gleichen begegne. Doch iſt mir leid/ uͤber dem jenigen/ welche ſich damit verſuͤndi-
gen/ wegen des aͤrgernuͤſſes der ſchwachen/ ſo dann wegen der lieben freunde/ die
von meinem unwuͤrdigen nahmen ſchande leiden muͤſſen. Jch achte aber davor/
daß eben dieſe urſach meinen wehrteſten freund/ ſo auch damit beſchimpffet wer-
den ſollen/ bewegen ſolle/ meiner neulich gethanen freundlicher hitte (es war die-
ſe geweſen/ meiner auf der cantzel nicht zu gedencken)
deſto eher ſtat zu geben.
Dann wo es gleichwol geſchiehet/ daß meines armen nahmens von auch treumei-
nenden freunden/ an der ſtaͤtte deß HERREN vor deſſen volck einige meldung ge-
ſchiehet/ und derſelbe auff einigerley weiſe angefuͤhret wird/ ſo mag die vermuthung
auffswenigſte bey denen die nach ſolcher gelegenheit trachten/ einen ſchein einer ver-
muthung geben/ ob waͤre ich bey ſolchen lieben leuthen in mehreren credit/ als es ſeyn
ſolte/ oder doch als ſolche abguͤnſtige leuthe wol vertragen moͤgen/ und werden al-
ſo dieſe deſto mehr gereitzet zu laͤſteren/ und die ſache weiter aus zudehnen als ge-
meinet iſt. Da hingegen die unterlaſſung keinem menſchen ſchadet/ vielmehr ei-
ne ungelegenheit verhuͤtet/ welche obwol zufaͤlliger weiſe daher erfolgen moͤgen. Und
ob zwar die folge nicht guͤltig iſt/ da jemand meines nahmens auff der cantzel geden-
cket/ daß er deßwegen mir als dem fuͤrgaͤnger einer ſecte zugethan waͤre/ in dem
ſolches auß andern Chriſtlichen urſachen und zeugnuͤß der liebe geſchehen mag/ ſo
iſt hingegen die jenige folge etwas ſtaͤrcker/ es muͤſſe der jenige kein Spenianer ſeyn/
der meines nahmens gern geſchweiget. Nicht fordere ich zwar ſolches/ daß mein
geliebter bruder/ ſeine liebe ablaſſen oder ringeren wolle/ die ich vielmehr hochach-
te/ davor dancke und dero fortſetzung bitte/ auch nicht/ wo derſelbe je etwas in mei-
ner einfaͤltigen arbeit zu andereꝛ auffmunteꝛung und eꝛbauung dienliches finden
ſolte/ daß derſelben nicht gegen freunde bey gelegenheit privatim deſſen gedencken
moͤchte; in dem was zu ihrer vielen gebrauch heraus gegeben iſt/ dazu zugelangen/
und ſolches auff ziehmliche weiſe befoͤrdert zu werden/ wohl leiden mag: aber eini-
ge offentliche anfuͤhrung des nahmens eines nochlebenden geringen mit-bruders
wird nicht nur ohne nutzen ſeyn/ ſondern mag auch leicht einen anſtoß ſetzen/ daher
ſie um nicht gegen die Chriſtliche klugheit zufehlen/ ſonderlich von einem ſolchen
freunde/ der ohne das meinet wegen wollen in verdacht gezogen werden/ billig zu
unterlaſſen iſt. Laſſet uns alſo treue freunde in dem HERRN bleiben/ ja ſolches
band immer feſter machen/ auch nach vermoͤgen die liebe gegeneinander erzeigen/
aber alles verhuͤten/ was einigen andern anſtoͤßig ſeyn moͤchte. Jch weiß/ es wird
mir ſolche nochmahlige und durch die antwort veranlaßte bitte nicht anders als auch
mit dergleichen liebe/ woraus ſie geſchiehet/ auffgenommen werden. 1681.


SECT.
[464]Das ſechſte Capitel.

SECTIO XXXIV.


Von beſſerung der kirchen. Nichts zuuͤbereylen.
Keine eigne ehr zu ſuchen. Wie der
Doctorum Academico-
rum
freundſchafft zu erhalten. Ob einſynodus practicabel
oder nutzlich? Was vonConſiſtoriiszuerwarten? Kirchen
buß. Fleiß die jugend zu erhalten. Ob eine
conformitet
in ceremonialibus
einzufuͤhren? Ob und wie die Qua-
cker zu entſchuldigen? Ob der teuffel
per enthuſiasmos
ein liecht anzuͤnde? Ob und wie auff die predigten
zu
ſtudiren.


OB ich wohl ſonſten ſelten ein ankommendes ſchreiben ſo bald zu beantwor-
ten vermag/ hat mich doch alles/ was ich ſonſten haͤtte moͤgen zuthun haben/
nichts aufhalten ſollen/ daß nicht alſo bald die ſonderbarſte aus verleſung des
neulichen geſchoͤpffte freude bezeugte. Jch dancke meinem GOTT hertzlich/ der
mich daraus ſonderlich dieſes mit inniglichem vergnuͤgen erkennen laſſen/ daß wir
in den meiſten und vornehmſten ſtuͤcken gleich geſinnet ſeyen. Wir erkennen bey-
derſeits/ daß ſich ſchwehre fehler finden; wir ſind auch darinnen wohl einig/ daß
man der ſache muͤſſe nach vermoͤgen ſuchen zu helffen/ und nicht aus verzweiffelung
der beſſerung alles gehen laſſen/ wie es gehe: non reliquendum eſſe ægrotum
prognoſticis ſolis.
Jn dieſen beyden ſtuͤcken zweiffele ich nicht/ das Ew. Hoch
Ehrw. ſelbs werden bißher geſehen haben/ daß wir beyde einſtimmig ſeyen/ jetzo ha-
be noch weiter zu bezeugen/ daß ich nicht weniger auch in den andern bedeuteten
puncten gleiche gedancken fuͤhre.


1. Jn der beſſerung muͤſſe einmahl behutſam verfahren werden. Lang-
ſam iſt beſſer als uͤbereilet. Und laͤßt ſich was durch allzutraͤge langſamkeit ver-
ſaͤumet/ noch beſſer einbringen/ als das jenige/ ſo mit uͤbereilen verdorben/ wiede-
rum verbeſſeren. Minimo motu maxima quæque peragenda, war lange
mein principium. Man kan doch nicht genug huͤten/ wo eine ſache ein wenig an-
gefangen iſt/ daß es nicht anfange auch wider unſeren willen ſtrenger fortzugehen/
wo man daß uͤbereilen kaum genug verhuͤten oder hindern kan: Und finden ſich
gleich/ ob man auf das allerbehutſamſte gehet/ ſolche leuthe/ die allem gutem
aus des ſatans trieb gruͤndlich zu wider ſind/ die ſo bald unruhig werden/ und alſo
durch ihren gegenſtand gleich verurſachen/ daß es nicht mehr ſo langſam fortgehen
kan/ ſondern von jenen getrieben wird. Als ich mein armes ſcriptum/ die pia
de-
[465]ARTIC. I. DISTINCT. III. SECTIO XXXIV.
deſideria erſtmahls herauß gab/ ſo wuſte nicht/ wie ich haͤtte ſtiller und mit weni-
gern apparatu handlen koͤnnen/ wie es ja nichts anders als ein freundlicher zuruff
und unmaßgeblicher vorſchlag war; aber in weniger zeit/ da ich vollends ſtill ſaß/
geſchahe bald dieſes bald jenes/ ſo mich nicht in ruhe lieſſe/ ſondern andere ein groͤſſer
geſchrey davon machten/ daß ich allgemach mehr eingeflochten wurde/ aber hoffe/
vor mich ſelbſt mich nicht leicht uͤbereilt zu haben/ wie ich dann zu weilen einiger
Chriſtlichen freunden geſchiehnen habe/ allzulangſam/ traͤge und furchtſam alles
zu thun/ da ich hingegen das feſtina lente lieber erwehlet/ und anderen auch re-
commendiret
/ weiß aber nicht ob allemahl genugſam perſuadiret habe.


2. Bin auch gantz der meinung/ daß wir in dem geringſten keine eigne ehr
zu ſuchen/ ſondern ſolche ſo gar zu fliehen haben/ daß wir declinandæ invidiæ cau-
ſa
ſo viel moͤglich waͤre/ lieber machen ſolten/ wo wir auch in GOttes gnade etwas
fruchtbarlich moͤchten außgerichtet haben/ oder noch außrichten/ daß deſſen ehre ſo
viel geſchehen kan andern als uns beygemeſſen werde. Ja ſo lang wir nicht dieſer
redlichen meynung ſind/ vielmehr wo es noth iſt unſere eigne ehr dabey zu verlieh-
ren/ als einige ſelbſt zu ſuchen/ und mit andern darum zu zancken/ ſo ſind wir noch
ſelbſt im geringſten die jenige nicht/ derer thun von GOtt geſegnet zu werden eine
verſicherte hoffnung ſeyn mag. Nicht uns HERR/ nicht uns/ ſondern dei-
nen nahmen gib die ehre.
Alſo haben wir freylich/ keinen vorſchlag auszuſchla-
gen/ worinnen wir uns einiger ehre/ die uns auch gebuͤhrte/ zu begeben erinnert
wuͤrden/ geſchweige daß wir einige uns nehmen ſolten/ welche uns ohne das nicht
zukommet.


3. So erkenne geꝛn/ wie Ew. Hoch Ehrw. ſchreibt/ daß die Theologi Aca-
demici
/ da ſie widrig geſinnet ſind/ mit ihrer widerſctzlichkeit allem menſchlichen
anſehen nach mehr hindern und zuruͤck halten koͤnnen/ als menſchlicher weiſe zu re-
den wir uͤbrige insgeſamt mit allem fleiß außzurichten und zu befordern vermoͤchten.
Wie etwa ſchon zimlich die erfahrung zeuget. Deßwegen nechſt dem/ daß wir
ohne das ſolchen lieben leuthen die ehre/ welche ihnen GOtt goͤnnet/ und ſie auf die
vornehmſte leuchter unſerer kirchen geſtellet hat/ gern laſſen/ und ſie in deroſelben
mit gebuͤhrenden reſpect veneriren ſollen/ deme ich mich niemahls entzogen/ auch
bereits dieſe urſach/ weil ſie alles kraͤfftiglich hindern koͤnnen/ eine nothwendigkeit
machet/ nach vermoͤgen nach ihrer freundſchafft zu trachten. Wie dann dieſes
allezeit mein principium geweſen/ dieſelbe nicht mit willen zu offendiren, ſondern ſo
viel alß geſchehen koͤnnen/ vielmehr ihre gunſt zu erhalten. Wie ich auch nicht hof-
fe/ daß ein einiger ſeyn werde/ der ſich daruͤber beſchwehren koͤnte/ daß ich ihn mit
willen offendiret, vielmehr habe geſucht/ etliche/ von denen einige widrige affe-
cten
gegen mich vermuthete zu mercken/ nach vermoͤgen mit ehren bezeugungen
mir zu conciliiren. Daß alſo nicht wuͤſte/ worinnen ſolte einiges an dem ſchul-
N n ndigen
[466]Das ſechſte Capitel.
digen reſpect haben manglen laſſen: ſie wolten dann denſelben darinnen ſuchen
daß ein anderer der kirchen diener nichts thun/ vornehmen und ſchreiben doͤrffte/
daß er nicht in anteceſſum ihnen uͤbergeben/ und es nach ihrem eignen wohlgefal-
len eingerichtet haͤtte. Dann ſolche dienſtbarkeit/ leugne ich nicht/ wuͤrde mir et-
was ſchwehr geſchiehnen haben/ ja gefaͤhrlich: Dann der urſachen wegen/ weil
ſie nicht alle etwas billichten/ das jenige unterlaſſen wollen/ was man ſonſten zu
GOttes ehren und der gemeinden aufferbauung dienlich ſeyn erkennet/ weiß ich
nicht obs verantwortlich/ hingegen iſts noch weniger rathſam/ ihnen voran etwas
zu unterwerffen/ da man ſorgen muß/ ſie moͤchten es ſo hoch nicht billichen/ und alſo
gewiß weißt/ die offenſion werde ſo viel groͤſſer/ wann man ihnen eine ſache erſt
uͤbergeben/ und thaͤts doch nachmahl wieder ihren willen/ als wo man mit fleiß ſie
erſtlich daraus gelaſſen; wie wol ich auch nichts in dergleichen dingen gethan/ daß
nicht aufs wenigſte mit einigen vertrautern aus ihrer zahl uͤberleget/ und dero ap-
probation
gehabt haͤtte; kan nun ein mittel erfunden werden/ wie ſolche vorneh-
me lehrer der kirchen das gute auf alle muͤgliche weiſe zu befordern ſich bewegen lieſ-
ſen/ ſo hielte ich ſolches vor das theuerſte und herꝛligſte werck/ daß man ausrichten
koͤnte/ und waͤre keine ehre/ die ſonſten wider goͤttliche ordnung und der kirchen be-
ſtes nicht lauffet/ zu groß/ die wir nicht zu erhaltung jenes guten ihnen anzuthun
willig ſolten und wolten ſeyn. Und wo E. Hoch Erw. die gnade von GOTT
haben ſolches auszurichten/ ſo erkenne ſie vor das geſegneteſte werckzeuge goͤttlicher
ehre/ welches zu unſern zeiten von GOTT zu etwas groſſes ausgeruͤſtet und ver-
ſehen geweſen ſeye: Auch haben wir alle gern davor zu bitten/ und wo es moͤglich
und erfordert wuͤrde/ daß unſere willig dazu zu contribuiren. Nur moͤchte
wuͤnſchen/ daß ſo viel hoffnung zu der ſache waͤre/ als hertzlich ich ſie verlange. Jch
zweiffele aber nicht/ E. Hoch Ehrw. werden ſelbſt ſtarcke obſtacula ſehen/ wo ſie
erwegen/ die von ihnen ſelbſt beklagte bey einem groſſen theil ſolcher vornehmen leh-
rer befindliche ehrſucht: Dabey aber auch/ wie eine ſchaͤdliche wurtzel dieſe ſeye/
und ſehr hindere/ daß aus ſolchen hertzen/ wo dieſe tieff ein gewurtzelt/ nicht viel
kraͤfftiges gutes kommen koͤnne; zu geſchweigen daß auch wenig goͤttlicher ſegen zu
den verrichtungen/ die aus ſolchen principio herkommen/ gehofft werden mag. Je-
doch iſt GOtt muͤglich/ alles zu thun und uͤber unſer hoffen und verſtehen das jenige
zu effectuiren/ was vor aller welt augen nach aller umſtaͤnde uͤberlegung unmuͤg-
lich oder nicht zu erwarten geſchienen/ damit aber den preiß ſeiner allmacht und
weißheit ſo viel mehr zu erhoͤhen. Jn deſſen wird Ew. Hoch Ew. in allem ſolchem
werck aus vorſehender deſſen ſchwehrigkeit deſto behutſamer die ſache angreiffen/
und dem HErrn um ſeine gnade/ Geiſt und weißheit anruffen.


4. Stimme auch damit bey/ dz ein ſynodus weder practicabel noch in gegen
wertigen zuſtand vortraͤglich waͤre. Jenes iſt nicht ſo wohl wegen der unkoſten/ die
zwar
[467]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XXXIV.
zwar etwas bedencken machen moͤchten/ ich aber gleichwol hoffe/ das Chriſtliche
Theologi auch wol gar propriis ſumptibus ſolches werck uͤbernehmen/ und von
andern gottſeligen hertzen huͤlffe darzu finden wuͤrden/ wo man etwas ſonderbares
zur ehre Gottes hoffen koͤnte. Dieſes iſt aber bey mir eine außgemachte ſache/ daß
nicht auß bewandnuß der ſache ſelbs ſondern nach der jetzigen beſchaffenheit der ge-
muͤther/ eher ſchaden als nutzen davon vor die kirche zu ſorgen waͤre. Welche hin-
dernuͤß etwa noch manchen andern allgemeinen vorſchlaͤgen/ welche geſchehen ſind
und noch geſchehen moͤchten/ kraͤfftig im weg ſtehen.


5. Jch bin auch in deme gantz einſtimmig/ daß die Conſiſtoria wohl muͤſſen
in obacht genommen werden/ als welche noch einigerley maſſen ein retinaculum
einiger diſciplin ſind/ ob ſchon bey weiten noch nicht das zulaͤngliche (ſonderlich
wiederum wegen der perſonen) iedoch einiges nuͤtzliches außrichten. Aber dieſes
ligt mir in dem ſinn/ daß eins theils ſolche conſiſtoria nicht aller orten ſind/ maſſen
wia hie keines haben/ auch in Straßburg und in vielen Reichsſtaͤtten ſich derglei-
chen nicht findet: andern theils wo ſie ſeynd/ in der politicorum macht nicht nur
das groͤſſeſie darinnen ſtehet/ ſo zwar/ wo ſie alle mit fleiß den HERREN und ſei-
ne ehre ſuchten/ nichts hinderte/ ſondern die conſiſtorial-decreta nicht weiter
gelten/ als/ weil es collegia aliunde depententia ſind/ und keine andere als
poteſtatem delegatam oder gleichſam nur precariam haben/ ſo weit die jenige
wollen/ welche dieſelbe widergeſetzet/ wo offt durch retractirung der geſchloſſenen
dinge nachmal nur mehr aͤrgernuͤß verurſacht wird.


6. Daß auch wegen der communionis indignorum wir leicht einſtim-
mig ſeyn werden/ hoffe ich/ werde mein von ſolcher materie gemachter auffſatz
weiſen/ den Herrn Horb. wird communicirt haben oder noch communiciren/
uͤber welche ich Chriſtlicher und gottſeliger freunde vertrauliche cenſur oder con-
firmation
hertzlich verlange/ und darum auch Ew. Hoch Erw. dienſtlich hiemit
erſuchet haben will. Jch verlange von hertzen in ſolcher materie, welche viele ge-
wiſſen ſehr aͤngſtet/ eine genugſame verſicherung bey mir zu haben/ und da ich ge-
ſtaͤrcket werde/ andern bruͤdern auch rathen zu koͤnnen.


Alſo auch 7. ſehe gern/ daß die kirchen-buß/ wo ſie iſt/ ernſtlich fort geſetzet/
ja auch wo ſie nicht iſt und es geſchehen koͤnte/ eingefuͤhret wuͤrde. Jedoch berge
ich auch nicht/ daß ich von dem effect ſo gar groſſe hoffnung nicht habe: nicht nur
weil es faſt ordentlich nur ein einig delicti genus, nemlich wider das 6. gebot
betrifft/ ſondern weil ſie faſt ordinarie ab invitis und meiſtens mit groͤſter ihrer
die ſie thun muͤſſen/ ſuͤnde geſchiehet/ die lieber weiß nicht was anders davor thaͤten/
und es nicht viel anders als eine andere weltliche ſtraffe ſcheuen: So vielmehr/
weil auch auß derſelben weltliche nachtheil auf die perſonen/ da ſie warhafftig buß-
fertig ſind/ und auf ihre nach koͤmlinge/ gezogen werden.


Sonderlich achte ich 8. daß gantz wohl geurtheilet ſeye/ daß von der jugend
N n n 2ſon-
[468]Das ſechſte Capitel.
ſonderlich der anfang gemacht werden muͤſſe. Wie mich erinnere/ offt von Herrn
D. Dannhauern ſel. gehoͤret zu haben/ wo wir nur die jugend zu retten ver-
moͤchten/ muͤßten wir endlich die alten fahren laſſen/ alldieweil ſothane alte baͤume
ſich nicht mehr biegen lieſſen. Nur dieſes iſt nochmahl ein werck von mehr impor-
tanz
und deliberation, wie der jugend zu goͤttlicher erziehung am beſten zu helf-
fen. Auß bißherigem wird E. Hoch Ehrw. ſehen/ daß in dero vorgetragenen pun-
cten faſt durch und durch einſtimmig ſeye/ und alſo dero werckſtelligung ſo viel ſehn-
licher verlange/ und wo ich dergleichen zuthun vermoͤchte/ gern alles mit arbeiten
wolte. Nur in dem einigen hoffe/ werde es nicht uͤbelgenommen werden/ daß
meinen diſſenſum freundlich bezeuge: Wann E. Hoch Ehrw. verlangten eine
durchgehende conformitaͤt in externis \& ceremonialibus da ich dieſelbe nicht
nur in betrachtung der verfaſſung unſerer geſamten kirchen vor bloſſer dings un-
moͤglich achte/ ſonderen wo ichs in haͤnden haͤtte/ mit einem wort ſolche zu wege zu-
bringen/ eher da gegen als davor ſeyn wuͤrde. Jn dem die varietaͤt der ceremo-
ni
en/ wo ſie recht erwogen wird/ eher eine zierde als einen mißſtand der kirchen ach-
te/ hingegen den Papiſten ihre ruͤhmende conformitaͤt/ welche gleichwol auch ſo
durchgehend nicht iſt/ wie ſie dieſelbe ruͤhmen/ vor einen ſchlechten ruhm halte. Jch
wolte zwar nicht gern ſo weit gehen/ als ich einen Chriſtlichen Theologum einmahl
hoͤrte/ der meinte/ wo er in einer kirchen-pflantzung begriffen waͤre/ und in einer
ſtatt 7. gemeinden anordnen ſolte/ ſo ſolten jede andere ceremonien haben: damit
die leuthe aus der erſahrung ſelbs allgemach erkennen lernten/ was zu dem weſen
der religion und cultus oder nur den aͤuſſerlichen umſtaͤnden gehoͤrte/ und wuͤrden
dahin gewieſen/ was ſie aller ort gleich ſoͤrmig finden/ waͤre der erſten art/ alles uͤ-
brige aber der andern. Doch finde ich gewiß dieſes/ daß die conformitaͤt der ce-
remonien
bey den einfaͤltigen faſt ſo bald einen aberglauben/ als die difformitaͤt
einigen anſtoß machet: Und faͤllet man endlich insgeſamt oder meiſtens auff jene
aͤuſſerliche dinge/ ſo wird auch der unterſcheid unter dem was Goͤttlich/ und nur
von menſchlicher einſetzung iſt/ ſehr den leuthen aus den augen geſetzt/ und wird end-
lich alles vor einerley wuͤrde zu ſeyn geachtet. Sonderlich aber ſind die arten der
gemuͤther und anderer umſtaͤnde ſo bewandt/ daß bey dieſen dieſe/ bey andern an-
dere/ ja zu unterſchiedlichen zeiten unterſchiedliche ceremonien, am erbaulichſten
ſind/ und wuͤrde eine allgemeine verordnung viel gutes hindern/ und nachmahl in
weg jeglicher kirche ſtehen/ das jenige/ was ſie ſich das erbaulichſte erkennete/ an-
zu ordnen. Da her ich in allem vor das beſte achte/ eine ſtete freyheit in allen denen
dingen zu behalten/ die nicht von GOtt ſelbſt verordnet ſind/ und lobe ich allezeit
unſere Evangeliſche kirche vor andern darinnen und ſo fern/ daß ſie in allem pur
lauter allein bey GOTTes wort ohne aufftringung einiges weiteren bleibe: Da-
her ich mich keinen ſonderlichen freund profitire aller der kirchen ſatzungen/ woduꝛch
einiges alſo angeordnet wird/ daß nun fortan nothwendig ſo bleiben ſolle/ und nicht
nach
[469]ARTIC. I. DIST. III. SECT. XXXIV.
nach aͤnderung zeit und umſtaͤnde wider eben ſo wohl ab zuſtellen waͤre. Es wird
aber wohl auff den punct nicht kommen/ weil ohne das die unmoͤglichkeit in dem
wege ſtehet. Jch komme nun auff das letzte wegen meines geliebten freundes N.
N.
und iſt mir hertzlich lieb/ daß er die gelegenheit und freude gehabt/ mit Ew.
Hoch-Ehrw. muͤndlich zu ſprechen/ daruͤber er auch gegen mich eine groſſe ſatis-
faction
in ſchreiben bezeuget hat. Was die jenige dinge anlangt welche Eure
Hoch-Ehrw. einigs nachſinnen gemacht/ und da ſie von mir nachricht verlangen
bekenne ich/ daß ich/ weil ich die ſeriem ſermonum und gelegenheiten/ wie jegliches
geredet/ daraus doch ein zimliches licht zum verſtand jeder worte kommet/ nicht ſo ei-
gentlich weiß/ nicht wohl voͤllige ſatisfaction zu geben getraue/ daher mit ihm dar-
aus freundlich conferiren und ſeine eigene erklaͤhrung daruͤber hoͤren will. Jch
will aber ſo bald in anteceſſum meine wenige gedancken davon mittheilen/ wie mir
dieſelbe reden vorkommen/ und nachmahl ſehen/ ob er und ich darinnen uͤbereinkom-
men werden oder nicht.


1. Die Entſchuldigung der Quacker anlangt/ will ich ja nicht hoffen/ daß
dieſelbe ſo weit gehe/ ſie von dem irrthum frey zu ſprechen: Jn dem ich ihme/ als
ich gegen meinen widerſacher von der allgemeinen GOTTes gelehrtheit ſchriebe/
ſolch M Stum, ſonderlich aber wo ich unſere lehr von den Weigelianern/ Quackern
und dergleichen abſondere/ uͤberſchickt habe/ daß ers vorher leſe/ damit ich aus be-
zeugten ſeinen conſenſu mit gutem gewiſſen von uns beyden in plurali reden moͤch-
te/ wir glauben/ lehren und bekennen ꝛc. Da er ſolches dann voͤllig mit beken-
net und approbiret. Daher ich nicht anders gedencken kan/ wie die meinung ſol-
cher entſchuldigung muͤſte geweſen ſeyn/ als wie man etwa einige irrgalubige vor
andern ſonderlich aus dem entſchuldigen mag/ nach dem mehr oder weniger boßheit
bey ihnen ſich findet. So leugne ich nicht/ daß ich ſelbſt offtmahl mehr mitleyden
mit den Quackern gehabt/ als mit vielen andern faſchglaͤubigen/ ſonderlich weil
einmahl die arme leute von uns/ oder vielmehr von den Reformirten/ unter denen
ſie entſtanden ſeynd/ aber denen wirs in ſolchen ſtuͤcken nicht viel vorthun/ geaͤrgert
und durch den mißbrauch der heiligen ordnungen GOttes in ſeinem wort/ tauff/
abendmahl/ dahin gebracht worden ſind/ daß ſie nun den gebrauch ſelbſt auffhe-
ben. Damit ſie freylich ihnen die mittel der ſeligkeit abſchneiden/ aber doch mehr
zu entſchuldigen ſind/ da ſie ſolches in irrthum/ dazu ſie der andern mißbrauch und
eiteles vertrauen des operis oparati gebracht/ thun/ gegen den unſerigen/ welche
wider beſſer wiſſen und gewiſſen/ ſolche heiligſte mittel mißbrauchen/ und muthwil-
lig entheiligen. Jch habe mein leben lang keinen Quacker geſehen/ als vor etwa
4. oder 5. monat/ da einer hie ſeiner zeitlichen geſchaͤfften halben durchreiſete/ ſo
ſonſten ein verſtaͤndiger mann/ und unſerer religion/ ſeiner Profeſſion aber ein me-
dicus
und bey groſſen Herrn beliebter mann geweſen. Dieſer ſprach bey mir/
und auch einem andern Collega, ein/ und redete ſehr beſcheidentlich. Jch beken-
ne auch/ daß er mir eine meynung von ihnen benommen/ die ich ihnen gleichwohl
N n n 3aus
[470]Das ſechſte Capitel.
aus anderer relation in oben gedachter meiner apologia imputiret/ daß ſie alle
auſſer ihrer gemeinde verwerffen und verdammten/ da er mir bezeuget/ daß ſolches
ihre lehr nicht waͤre/ ſondern ſie glaubten/ daß Gott unter allen hauffen der ſecten
annoch ſeinen heiligen ſamen uͤbrig habe. Jch wuͤnſchte/ welches er ſelbſt auch zu ver-
langen damahl bezeugte/ daß ein Chriſtlicher Theologus ſich an des Barclaii werck
oder apologiam machte/ und dieſelbe gruͤndlich und ausfuͤrhlich widerlegte. Jch
bekenne aber dabey/ daß es ein mann ſeyn muͤſte/ der nicht nur ſolide ſtudiret/ ſon-
dern ſelbſt in der praxi des lebendigen Chriſtenthums wohl geuͤbet waͤre. Dann
den armen leuten wird in der materi ihrer prætendirenden bewegungen und ra-
ptuum
des geiſtes niemand ſatisfaction thun der nicht in eigener erfahrung ſelbs
die wahre aus und durch GOttes wort von dem heiligen Geiſt in unſerem hertzen
verrichtende wuͤrckunge erkennte/ und ihnen alſo das jenige nicht leugnete/ was an
ſich wahr iſt/ ſondern nur nachmahl zeigte/ wie die jenige dinge/ damit ſie ſich be-
troͤgen/ ſolche goͤttliche wuͤrckungen nicht ſeyn/ ſondern wie weit dieſer ſelbſtbetrug
von der wahren GOttes krafft unterſchleden bleibe. So moͤchten einigen davon
die augen durch goͤtlliche gnade auffgethan werden. So muͤſte es auch mit Chriſt-
licher beſcheidenheit abgefaßet werden/ ohne bitterkeit/ ſchelten/ falſche aufflagen/
daß ſie ſelbſt ſehen koͤnten/ man trage gegen ſie eine erbarmende liebe und begierde zu
ihrem heil. Da hingegen harte ſcheltwort/ ſchimpffliche ſpottreden/ und unge-
gruͤndete beſchuldigungen ſie nur aͤrgerten/ und da ſie ſolche wercke des fleiſches an
ihren beſtreittern zu erkennen vermeinten/ ſolche ſie in gegentheil in ihrem irrwahn
beſteiffen wuͤrden. Ach daß der HERR jemand erweckete/ und mit ſeines geiſtes
genugſamer gabe und licht ausruͤſtete/ dieſen armen und mehr aus irrthum und
betrug als boßheit (in dem ſie alles zeitliche wenig achten/ und aus deſſen abſicht
nichts thun) fehlenden zu helffen/ und ſie zu recht zu bringen! Welches aber ge-
wiß eine vielmehr als menſchliche krafft und weißheit ſeyn muß. Wie ich dann
alle andere diſputationes/ die wir zum exempel mit Papiſten und Reformirten
haben/ nichts achte gegen denjenigen/ wo mans (jetzt nicht zu ſagen non den Athei-
ſten
/ ſondern unter denen die wahrhafftig die ſchrifft erkennen) mit Socinianern
und Quackern zu thun hat. Dann ob wohl dieſe beyde in ihrem principio ſchnur
ſtracks einander entgegen ſind/ ſo wird man finden/ daß mit beyderley gewißlich ein
ſchwehrer kampff als mit andern ſeye.


2. Was die frage anlangt/ ob der teuffel per varios enthuſiasmos in ſeinem
werckzeugen ein liecht anzuͤnde/ ſo bekenne ich/ daß mir dieſelbe/ was eigendlich
darinnen gemeinet ſeye/ etwas dunckel vorkomt. So viel ich aber die intention
faſſe/ erklaͤr mich dahin/ daß der teuffel freylich in den kindern des unglaubens wuͤr-
cke einige einbildungen und concepten von glaubens ſachen/ unter denen/ (um
den uͤbrigen eine glaubwuͤrdigkeit zu machen) auch rechte wahrheiten ſeyn moͤgen/
er kan ihnen als ein kluger argliſtiger geiſt/ welcher alle commentarios ſo je ge-
ſchrie-
[471]ARTIC. I. DISTINCT. III. SECTIO XXXIV.
ſchrieben wohl wiſſen kan/ und die ſprachen verſtehet/ von dieſen und jenem ſpruch
ungemeine wiſſenſchafft bey bringen: und wo wir nun ſolche buchſtaͤbliche wiſ-
ſenſchafft und die der innerlichen des heiligen Geiſts bey den glaubigen ſich befin-
denden/ und die wahrheit aus GOttes wort in ihnen verſiglenden erleuchtung
nacheiffernde ſtarcke impreſſiones und einbildunden ein licht nennen wollen/ ſo
zuͤndet er freylich ein licht an. Jch moͤchte aber ſolche conceptus und einbildun-
gen nicht gern ein licht nennen/ ſondern lieſſe ſolche ehr lieber allein den goͤttlichen
wercken/ da GOTTein licht und Vater der lichter heiſſet/ hingegen iſt der
teuffel fuͤnſternuͤß/ und ein fuͤrſt der finſternuͤß/ der mehr verblendet als erleuchtet.
Es ſind ignes fatui und vielwehr ſchein-glaß als wahre lichter. Dieſes wolte
vermuthen/ wuͤrde N. N. meinung geweſen ſeyn. Doch kan davon nicht gruͤnd-
lich antworten. Sonſt iſts freylich an dem/ daß die geiſter zu pruͤffen ſind/ und
zwar ſonderlich ſolches daruͤber/ ob ihre erkaͤntnuͤß und lehre liecht oder fuͤnſternuͤß
ſeye.


3. Das drttte betreffend/ wegen der ermahnung auff die predigt nicht
mehr viel zu
ſtudiren/ ſo will ich ja nicht hoffen/ ja bin gewiß/ daß es nicht ſo ſeye/
daß er ſolte die meditationes uͤber die predigten nicht billichen/ ſondern verlangen/
daß man unbereitet auff die cantzel gienge. Als davon wir unterſchiedliche mahl
mit einander geredet/ und ich auch weiß/ daß er ſelbſt ſeine predigten/ auffs wenigſte
die meiſten/ concipiret/ wie er mir dann zu weilen einige concepten nachmahl
geſchickt. Daher muß vermuthen/ es werde auff das jenige ſtudiren gemeint ſeyn/
wie ich weiß/ daß offters liebe leut meinen/ ſie thaͤten ihren amt nicht genug/ wo ſie
einen text elaboriren ſollen/ ſie haͤtten dann prolixè alle commentarios und leute/
die daruͤber geſchrieben/ durchgeleſen/ mit langen nachſinnen eine kuͤnſtliche und et-
wa gantz verborgene/ diſpoſitionem gefunden/ und dieſelbe nachmahl mit aller-
hand floribus, allegatis autorum Eccleſiaſticorum und profanorum und der-
gleichen vielen dingen/ die nicht zur [erbauung] ſondern eloquenz und erweiß der e-
rudition
gehoͤren/ aus geziehret. Wie ich von einem vor dieſem gehoͤret zu haben
mich entſinne/ der geſagt haben ſolle/ es ſolte ihm leid ſeyn/ daß er auff die cantzel ſtie-
ge/ wann nicht alle tropi und figuræ in ſeiner predigt waͤren. Komts nicht ſo weit
daß dieſes faſt die einige cura iſt/ ſo gewehnet man ſich doch offt dieſes an/ daß man
gleichwohl eine zimliche zeit auff ſolche unnoͤthige culturam anwendet: an die ich
nicht leicht gedencke/ daß mir nicht leicht die wort Pauli 1. Cor. 1/ 17. 2/ 1. 4. 5. vor
den ohren ſchallen. Dahin ſolte ich meinen/ das N. N. ſehen moͤchte/ da er Eure
Hoch-Ehrw. ermahnet/ nicht viel auff die predigten zu ſtudiren/ dem jenigen/ das
man ins gemein faſt das vornehmſte ſtudiren achtet/ abzubrechen/ und die zeit an
nuͤtzlichers an zu wenden. Aber fleißig auff dasjenige metidiren/ und nach der
ſachen ſchwerigkeit und bewandnuͤß etwas von anderer gottſeliger leute gedancken
druͤber conſuliren/ was man der gemeinde Gottes als aus GOttes munde vortra-
gen
[472]Das ſechſte Capitel.
gen ſolle/ und alſo darauff bcdacht ſeyn/ wie man daſſelbe nicht kuͤnſtlich und mit
dem beflieſſenen ruhm der zierde/ ſondern auffs einfaͤltigſte und nachtruͤcklichſte/
vortragen woͤge/ iſt ſo billich und nothwendig/ als wichtiger das werck ſelbſt iſt. A-
ber ſolches ſtudiren und metidiren wird darnach gemeiniglich nicht allzu viele zeit
weg nehmen/ in dem es den menſchen nicht in varia, davon der meiſte zeit verluſt
kommet/ diſtrahiret/ ſondern die meditatio laͤſſet ſich bald in die ſache ſelbs hinein/
und vertieffet ſich gleichſam darein/ nebens hertzlichem gebet und unterſuchung
(nach dem es gewiſſe materien ſind) ſeiner eigenen in ſolcher ſache erfahrung. Und
da wirds gemeiniglich (wo wir ſonderlich von leuten reden/ die durch GOttes gna-
de ihre ſolida fundamenta und die analogiam fidei ohne mangel inhaben und
verſtehen/ und alſo gleichſam in allen ſtuͤcken nur concluſiones ex præmiſſis oder
applicationes der principiorum zu machen haben/ nicht aber von denen/ die
erſt ſelbſt muͤheſam lernen muͤſſen/ was ſie glauben ſollen) nicht ſo gar lange zeit er-
fordern/ ſondern die copia rerum ſo beyflieſſen/ daß man faſt mehr zu thun hat/ das
beſte zu wehlen/ als vieles zu ſuchen. So ſtudiret man fleißig und machet ſich
doch die arbeit nicht zu ſchwehr: Welche abſicht ich von N. N. in ſolcher freundli-
chen erinnernug vermuthe. Aber wie erſtmahls gemeldet/ kan ich nicht ſo voͤllige
nachricht von allen ertheilen/ biß ich dieſelbe von ihm ſelbs habe. So waͤre mir
letzlich leid/ wo er ſich mit gewiſſen ſonderlichn phraſibus verdaͤchtig machte/ und
den ſchwachen allzuſtarcke ſpeiß vorſtellete/ welches ja nicht wohl gethan waͤre/
gleich wie ich aber die phraſes nicht weiß/ und die predigten nicht ſelbs hoͤre/ ſo kan
ich widerum davon nicht urtheilen. Dieſes bezeuge aber/ daß er mich allhier in
gegenwart und offters in ſchreiben verſichert/ daß er die hoͤchſte einfaltbrauche/ und
ſeinen zuhoͤrern die er wohl wiſſe/ daß ſie ſchwach ſeyen/ niemahl nichts anders pre-
dige/ als den gecreutzigten JESUM mit ſeinen wohlthat/ den glauben an ihn/ und
deſſen fruͤchte. Aber allemahl ſo/ daß er die leute gleich auff ſich ſelbs und auff die
pruͤffung fuͤhre/ zu unterſuchen/ ob ſie in ſich dasjenige haͤtten/ daß ſie ſagten und be-
kenneten: alſo wo er von dem gehoͤr goͤttlichen worts/ tauff/ abendmahl/ als den
gnaden-mitteln handle/ daß er allezeit die leut dahin weiſe/ nicht nur bey den euſſer-
lichen wercke ſtehen zu bleiben/ und zu gedencken/ daß es damit ausgerichtet ſeye/
wo ſie ſolche euſſerliche mittel gebraucht haͤtten/ ſondern daß ſie in gebrauch derſel-
ben mittel GOttes werck ſeinen platz bey ſich lieſſen/ daß es ihnen kraͤfftig ſeye/ und
alſo das innerliche/ ſo eben ſo wohl nach Goͤttlicher intention zu dem werck gehoͤ-
ret nicht davon trenneten/ ja an dieſem/ ob ſie recht nach GOttes willen die mittel
gebrauchet/ forſcheten. Da dann/ wo es auff dieſe weiſe geſchehe/ ich davor hiel-
te/ das waͤre eine rechte milch ſpeiſe und das zu treiben noͤthigſte. Doch werde
ich mich gern weiſen laſſen/ trage auch ſolches vertrauen zu N. N. daß er jeglichen
erinnerungen/ wie er am fruchtbahrlichſten ſein amt fuͤhren moͤge/ platz geben
werde. Halte es auch vor eine hertzliche liebe/ und erkenne mich davor ſonder-
lich
[473]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XXXV.
lich zu danck verbunden/ wo mir von mir und meinen freunden/ was auch nur vor
dubia von uns bey jemand ſich finden/ vertraulich communicirt wird: als welches
eine vonden vornehmſten fruͤchten der freundſchafft iſt. Jch habe aber um vergebung
zu bitten/ das mit ſo langen brieff etwa hinderlich gefallen. 1681. 1. Aug.


SECTIO XXXV.


Zur verwahrung vor abfall iſt das buchſtaͤbliche
wiſſen nicht genug. Wegen
adiunctureines
Predigers.


ES hat mich deſſen brieff von hertzen erfreuet/ und iſt mir ein werthes zeug-
nuͤß/ das mein hochgeehrter Herr ſo wol einen gottſeligen eyffer vor die wah-
re religion und erhaltung der dieſelbe bekennenden/ ſonſten betraͤngten/ ge-
meinde trage/ als auch gruͤndlich verſtehe/ worinnen das ware ungefaͤrbte Chri-
ſtenthum beſtehe/ ja was zu erhaltung der reinigkeit der lehr noͤthig ſeye. Dann
wie derſelbe wohl bemercket/ ſo iſt gar leicht/ dem menſchen von der wahrheit/ ſon-
derlich mit vorſtellung der herꝛlichkeit der welt/ abzubringen/ wo er in der erkaͤnt-
nuͤß der wahrheit nicht wohl gegruͤndet iſt. Solches gruͤnden beſtehet nicht al-
lein in einer buchſtaͤblichen erkaͤntnuͤß der articul unſers glaubens/ ob ſie ſich ſchon
ſo weit erſtreckte/ daß man mit den wider ſachern zu diſputiren wuͤßte/ und dero-
ſelben argumenta zu ſolviren verſtuͤnde/ ſondern es muß einmahl ein ſolcher glau-
be vorhanden ſeyn/ daß der menſch in den liecht des heiligen Geiſtes die goͤttliche
wahrheit erkenne/ und derſelben auß dem goͤttlichen wort durch deſſen wirckung in
ſeiner ſeelen uͤberzeuget ſeye. Dieſer glaube allein kan uns verwahren vor dem ab-
fall/ da wir die guͤter ſelbs in unſerer ſeelen erkant/ nicht nur aber bloſſe wort davon
in die gedaͤchtnuͤß und in die gedancken gefaſſet haben/ welcher glaube alsdann wie
er in dem grunde des hertzens wahrhafftig iſt/ alſo reiniget er nochmahlen jemehr
und mehr/ und machet einen menſchen gantz anders geſinnet/ als wir ſonſten von
natur ſind/ und darauß erfolgen alle uͤbrige lebensfruͤchte. Wo dieſe nicht vor-
handen ſind/ ſo iſts ein gewiſſes zeugnuͤß/ der glaube ſeye nicht da. Was wun-
ders iſts dann/ daß ein ſolcher menſch leicht ſich verfuͤhren laͤſſet/ wo er die herꝛligkeit
dieſer welt ſihet/ und bey anderer religion mehr hoffnung in den zeitlichen findet/
oder aber die ſcheinbare worte der verfuͤhrer anhoͤret? Welche angriffe viel zu
ſtarck ſind/ als daß er ſie durch die bloſſe buchſtaͤbliche wiſſenſchafft uͤberwinden/
und ſich da gegen erwehren koͤnte. Daher der theure Arnd in ſeinem wahren
Chriſtenthum L. I. c. 37. 38. 39. ſchoͤn erweiſet/ wie derjenige der Chriſto nicht im
glauben/ leben und buß nachfolge/ in dem finſternuͤß bleibe/ ſolte er auch noch ſo ge-
lehrt und geſchickt ſeyn/ und daß folglich die lauterkeit der lehr nicht mit dem bloſſen
O o odis-
[474]Das ſechſte Capitel.
diſputiren erhalten werden koͤnne. Weswegen es ja das groͤſte und theuerſte
kleinod einer kirchen iſt/ da ihr GOtt die gnade thut/ ſie mit ſolchen lehrern zu ver-
ſorgen/ denen er ſelbs die wahre lebendige erkaͤntnuͤß/ und ſolche den zu hoͤreren deut-
lich und kraͤfftig bey zu bringen die gaben/ gegeben hat: daß ſie ihnen zeigen/ es ma-
che es weder die aͤuſſerliche bekaͤntnuͤß der wahren religion/ noch der aͤuſſerliche
GOttes dienſt/ im kirchen gehen/ beichten und abendmahl gebrauchen aus/ ſondern
die wahrheit muͤſſe in unſerem hertzen ſeyn/ die unſer mund bekennet; wir muͤſſen
dem wort GOttes ſeine krafft laſſen/ und an dem inwendigen menſchen durch die
heilige Sacramenten geſtaͤrcket werden. Wozu wir alſo nothwendig die glau-
bens punctem von dem goͤttlichen bilde/ von den verderben des menſchen/ von der
goͤttlichen gnade in Chriſto/ von deſſen theurem verdienſt/ von der wiedergeburth
und erneuerung/ von dem alten und neuen menſchen/ deren bewandnuͤß und ſtreit/
von deren wahren GOttes dienſt in geiſt und in der wahrheit/ und dergleichen ver-
ſtehen/ daher auch davon unterrichtet werden muͤſſen. Wiſſen wir davon nichts/
und verſtehen es nicht nachmahl in der erfahrung/ ſo moͤchte uns die wiſſenſchafft
der ſonſten insgemein im ſchwang gehenden religions-controverſien nicht ſo
gewiß verwahren/ als jene gruͤndliche erkaͤntnuͤß der heilſamen lehre. Weil denn
nun mein hochgeehrter Herr ſamt uͤbrigen ſeinen Chriſtlichen mit-gliedern davor
halten/ daß ihr gegenwaͤrtiger prediger von alter und ſonſten/ bey der gemeinde
nach allen ſtuͤcken und mit allem vergnuͤgen/ ſonderlich aber in vergleichung der bey
den widerwertigen befindlicher euſſerlicher gaben/ alles ſolches zu præſtiren zu-
ſchwach ſeyn moͤchte/ ſo iſt nicht unrecht/ ſondern der Chriſtlichen ſorgfalt gemaͤß/
daß etwa durch die adjunctur einer andern tuͤchtigen perſon des lieben mannes
ſchwachheit unter die arm gegriffen werde/ und was moͤchte ermanglet haben bey
jungen und alten ſo viel nachtruͤcklicher erſetzet werde. So erkenne ich mich ver-
bunden/ da eine Chriſtliche gemeinde meines raths ſich hierinnen zu bedienen be-
liebt/ mit recommendation und auff alle andere muͤglige art nachvermoͤgen an
die hand zugehen/ bin dazu ſo willig als ſchuldig. Es wird aber noch einanders
vorher zu wiſſen faſt noͤthig ſeyn. 1. Ob die geſamte Chriſtliche gemeinde ſolches ſiñes
und ſie alſo alle damit zu frieden? 2. ob der gegenwaͤrtige Herꝛ Pfarherr/ wie ich
hoffe daß er ſich nichts/ was er zu ſeiner gemeinde mehrerer aufferbauung dienlich/
ſolle laſſen zu wieder ſeyn/ davon wiſſe/ und darein gehelle? Jn deme wider willen
ihm jemand zu obtrudiren nicht thunlich/ ſondern da er von ſich ſelbſt dazu nicht
luſt haben ſolte/ mit freundlicher remonſtration dazu erſtlich disponiret und be-
wogen werden muͤßte/ ehe etwas außgemachet wuͤrde. 3. Worinnen eigendlich die
functiones und verichtungen eines ſolchen adjuncti beſtehen ſolten? Wo nun
hierauff erſtlich vergnuͤglicher bericht erſtattet ſeyn wird/ ſo will ich nach allen mei-
nen vermoͤgen dahin trachten/ ob ich eine perſon finden moͤchte/ welche der gemein-
de intention gemaͤß waͤre. Es iſt zwar nicht ſo leicht/ einen ſolchen menſchen zu
fin-
[475]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XXXVI.
finden/ bey dem die rechte wahre lebendige erkaͤntnuͤß der goͤttlichen wahrheit und
geſchicklichkeit dieſelbe verſtaͤndiglich vorzutragen/ ſich antreffen laͤſſet/ wie ich aus
der erfahrung ſo manchmahl bey denen/ die erſt von den Univerſitaͤten kommen/
leider finde/ und wuͤrde man leichter unter denen die bereits in andern dienſten ſte-
hen/ ſolche leuthe erlangen (welches aber ihnen nicht anſtaͤndig/ alß die einen un-
verheuratheten haben muͤſſen) jedoch wollen wir hoffnung zu GOtt faſſen/ daß
derſelbe uns jemand erſehen/ und/ da wir fleißig ihn anruffen/ ſo dann auf ſeinen
finger acht geben werden/ denſelben zeigen und ſchencken werde. Wie ich dann
bereits auff einen feinen menſchen einige gedancken habe/ weiß aber nicht ob man
ihn wol bekommen moͤge. ꝛc. 26. Aug. 1681.


SECTIO XXXVI.


Freude uͤber vermehrung der ſrommen/ ſonder-
lich treuer diener GOttes. Schmertzen in der buß
nuͤtzlich/ und nicht gleich nach troſt zu
eylen.


ES iſt freylich alſo/ daß wir urſach haben/ uns uͤber nichts mehr zu erfreu-
en/ alß wo wir die gnade GOttes ſich kraͤfftig hie und dar aus breiten/ ſehen
und hoͤren: und ſo vielmehr/ als wir in einer ſolchen zeit leben/ da derſelben
außſchuß faſt ſparſamer ſcheinet zu gehen/ und daß allgemeine verderben bey nahen
das wenige gute hin und wieder unterdruckt/ oder ja ſo bedecket/ daß es faſt un-
ſcheinbar wird. Wo wir dann noch gleichwol wahrnehmen/ daß nicht nur die je-
nige/ welche uns vorhin bekant geweſen/ in dem guten beſtaͤndig fortfahren/ und
zunehmen/ ſondern uns GOTT auch die freude giebet/ anderer orten her noch
anderer gewahr zu werden/ bey denen wir gleich kraͤfftige gnade/ oder wohl gar
derſelben noch reichlichers maß/ antreffen; ſo iſts je wehrt/ dem HErren davor
demuͤthig danck zu ſagen/ weil wir wiſſen/ daß wir mit allen ſolchen den HERRen
liebenden und von ihm geliebten ſeelen in einer genauſten vereinigung und die jenige
gemeinſchafft/ die wir in dem glauben bekennen (ob wohl viele weder von ſolches
worts verſtand/ noch der ſache ſelbſten vieles wiſſen) und alſo in einem beſitz aller
geiſtlichen guͤter ſtehen/ ſie ſeyen uns dem fleiſch nach bekant oder unbekant; Dann
ſo viel wir goͤttliches gutes an ihnen erkennen ſo viel dancks und freude verurſachet
uns ſolches billich/ wann wir bedencken/ alles ſolches gehoͤre uns ſo wol an/ und ſeye
unſer/ als es ſolcher lieben ſeelen iſt/ die der HERR ſo genau mit uns vereiniget
hat/ daß wir unter ihm dem hochgelobten haupt zu ſammen glieder ſind. Wie ich
dann nicht leugne/ daß unter meinen unterſchiedlichen verdrießlichkeiten/ welche ne-
O o o 2ben
[476]Das ſechſte Capitel.
ben der arbeit offters mir obligen/ dieſes mir eine der vornehmſten ergoͤtzlichkeiten
iſt/ daß durch eine ſich weit erbreitende correſpondenz faſt wochentlich und mo-
natlich noch einige moͤgen an fremden orten kunt werden/ von welchen ich entwe-
der durch ihr eigen zuſchreiben oder durch anderer zeugnuͤß erfahre/ was GOTT
gutes in ſie geleget habe/ ſonderlich aber was die jenige anlangt/ ſo meines amts
ſind/ daß dergleichen mehrere kennen lerne/ die ſich treue diener JEſu CHriſti dar-
zu ſtellen befliſſen ſind: woraus ich abnehme/ daß der HERR noch nicht ſein an-
geſicht von uns gewendet habe/ ſondern durch ſeine treue werckzeuge noch einiges
heyl ſeiner kirchen wiederfahren zu laſſen mag beſtimmet haben: von dero treuen
rath und mit hand-anlegung als nicht weniger auch andaͤchtigem gebet/ ich auch
hoffen kan/ daß noch mehr gutes zugewarten ſeye; welches ja die einige hoffnung
und vergnuͤgung unſeres lebens ſeyn mag/ auſſer dero ſonſten daß uͤbrige anſehen
deß in dem gegentheil hinwiederum an allen orten uͤberhandnehmenden verderbens
meine ſeele faſt gar niderſchlagen ſolte. Alſo freue ich mich daruͤber hertzlich/ daß
auch in dieſen ſtuͤcken mein außerwehlte freundin mit mir eines ſiñes iſt/ und uͤber die
kundſchafft mit Heꝛr N. N. uñ ſeiner liebſten/ wegen der an ihnen verſpuͤreten goͤttli-
chen gnade/ ihre hertzliche vergnuͤgung bezeuget. Wie dann dieſes rechte materi-
en ſind/ der freude wuͤrdig/ alß die biß in die ewigkeit ſich erſtrecken/ da hingegen
die uͤbrige meiſte dinge/ die ſonſten den menſchen freude machen/ mit der zeit verge-
hen/ und alſo die freude davon nicht durchdringender ſeyn kan. GOtt laſſe auch
die theure Fuͤrſtin in ſeiner himmliſchen huld und hut allezeit bleiben/ und erfreue
ſie an allen dem/ was ihr hertz verlangen kan/ ſonderlich an voͤlliger erfuͤllung des
ſo viele jahr ſchmertzlich gebet denen/ welche ſich nun anfaͤngt zu zeigen. Daß im
uͤbrigen es hart und nicht ohne ſchmertzen abgehe/ laßt uns nicht wundern. Die
ſelige geburt hat ihre wehen/ und ſo lang ſie gleichſam verſchoben worden/ ſo viel
empfindlicher ſind dieſe. So iſt der troſt nicht allemahl der jenige/ daß uns zu je-
derzeit nutz iſt/ ſondern zu weilen wircket die bange troſtloßigkeit mehrers und be-
ſtaͤndigeres gutes. Ja es iſt ſo zuweilen nicht nutzlich/ vor der zeit entweder den
troſt allzubegierig zu verlangen/ noch ſich zu viel darnach zu beſtreben/ wie man ihn
ins hertz bringe: ſondern es muͤſſen zuweilen die hertzen erſt durch eine lang anhal-
tende angſt zu den wahren troſt recht geſchickt gemacht werden/ bey denen der troſt
vor der zeit etwa mehr hinderlich waͤre. Jch werde nicht vergeſſen/ auch dieſes geiſt-
liche anligen der goͤttlichen weißheit und guͤtigkeit in meiner einfalt vorzutragen:
welche nach den finſtern werck das gnaden liecht wieder blicken und offenbahr
ſcheinen laſſe. So der HERR gewißlich wird geſchehen laſſen/ wo nur ſeine gna-
de lauterlich geſuchet/ und die liebe der welt nicht auffs neue erwehlet wird. 30. Aug.
1681.


SECT.
[477]ARTIC. I. DISTINCT. III. SECT. XXXVII.

SECTIO XXXVII.


Als ein Chriſtlicher predigerremouirtworden.
Vorhaben eine
apologiezu ſchreiben. Auff was art
das
nimium Studium Philoſophiæzu beſtreiten. Chriſt-
liche gelaſſenheit zu einem be-
ruff.


AUs dem uͤberſchriebenen iſt mir von der hiſtoria ſo viel bekand/ als noͤthig
geweſen und ich verlangt. Der HERR wolle allen ſolchen/ die hierinnen
moͤgen wieder die liebe und warheit geſuͤndiget haben/ ſolches zuerkennen ge-
ben zu guͤtiger vergebung. Mein liebſter bruder wird ſelbs ſeines orts ſich fleißig
unterſuchen/ ob er etwas an ſich finde/ daß in dieſer gantzen ſache der heilige eyf-
fer vor GOttes ehre mit einigem fremden feuer vermiſcht geweſen/ (welches in un-
ſere ſchwachheit ſo gar leicht geſchehen kan) oder einige unvorſichtigkeit der wiedri-
gen haß befordert/ oder ihnen daß ſchwerdt in der hand gegeben. Welches wir
alsdann auch ſo viel hertzlicher zuerkennen/ als offenbahrer etwa in andern dingen
die unbilligkeit ſein moͤchte/ die wir erlitten haͤtten. Sonderlich aber wuͤnſche ich
denen/ welche ſolche tragrediam etwa aus fleiſchlichen affecten moͤgen angefan-
gen/ und nachmal andere an ſich gehaͤngt/ ſo dann die academien mit darein ge-
zogen haben/ daß ſie der HERR zu deſſen wahrer erkaͤntnuͤß bringe/ auff daß es
ihnen verziehen werde. Jch kenne niemand von allen/ und weiß keine weitere par-
ticularia,
als von demſelben ſelbs habe. Ob die acta herauszugeben ſolt rath-
ſam ſeyn/ weis ich nicht/ kan auch ſolches nicht beurtheilen/ weil ich keine voͤllige
wiſſenſchafft davon habe. Jedoch bitte ich freundlich die ſache in deꝛ furcht und an-
ruffung GOttes fleißig und reifflich/ etwa auch mit einigen Chriſtlichen freunden/
zu uͤberlegen/ und nichts zu uͤbereylen/ wie denn in dieſer ſache weniger mit ſchwei-
gen als mit ſchreiben gefehlet werden kan. Sonderlich wolte ich ja nicht rathen/
ehe und bevor GOtt eine ſtelle wiederum angewieſen hat/ eine ſolche apologiam
zu publiciren/ welche beforglich nachmal einer beforderung mehr als das vorige
ungluͤck entgegen ſtehen moͤchte. Wo aber GOtt gnade giebet/ und wiederum
meinen wertheſten bruder an ſeinen dienſt ſetzet/ ſo wolte nicht entgegen ſeyn/ daß
derſelbe durch ein oͤffentliches ſcriptum nicht ſo wol unter den nahmen einer de-
fenſion
als declaration ſeine ſache der Evangeliſchen kirche vortrage/ jedoch wel-
ches zwar ohne das mich zu ihm verſehe/ ohne bitterkeit oder hefftigkeit/ welche art
zuſchreiben uns Chriſten ſo wol anſtaͤndiget iſt/ als hingegen den widrigen ſchweh-
rer faͤllet/ weil der leſer/ wo er auf einer ſeiten offenbahre fleiſchliche hefftigkeit/ auff
O o o 3der
[478]Das ſechſte Capitel.
der andern aber eine beſtaͤndige Chriſtliche ſanfftmuth wahrnimmet/ ſo viel
leichter ſich zur erkaͤutnuͤß der wahrheit zu lencken pfleget. Jm uͤbrigen
das Cacoethes des nimii ſtudii philoſophici belangend/ iſts freylich an deme
daß ſolches wohl meritiret/ ſtarck angegriffen zu werden/ denn es uns taͤglich
ſchaden thut: und was iſt die Theologia ſcholaſtica/ dagegen Lutherus und
nach ihm ſo viel andere mit recht geiffert/ anders/ als ein fœtus des intempeſtivi
und auſſer ſeineꝛ limitum gezogenen ſtudii philoſophici? Jch ſtelle es aber ſeinem
Chriſtlichen und verruͤnfftigen nachſinnen anheim/ wo er daſſelbe nach habenden
gaben und trieb zu ſeiner zeit anzugreiffen geſonnen iſt/ ob er rathſamer thun wuͤr-
de/ ſolches durch die bis daher vorgenommene und von andern unſern Theologis
mißbillichte principia und phraſes zu thun/ oder vielmehr alle ſolche/ die ihme
contradiciret werden moͤgen/ bey ſeite zu ſetzen/ und die jenige principia zu behal-
ten/ die ihm von keinem academico koͤnnen beſtritten werden/ ſondern ſie dieſelbe
muͤſſen paſſiren laſſen/ (wo nehmlich der philoſophiæ ihre ehre bleibet/ ſie aber in
ihren ſchrancken verwieſen/ ja gar gezeiget wird/ daß wir in dieſem ſtatu corru-
pto
faſt keine wahre philoſophiaam finden/ die nicht etwas liecht aus der Theo-
logia
entlehnet/ und ſich von deroſelben hat einreden und reformiren laſſen) hin-
gegen bey ſolchen præſuppoſitis und conceſſis oder facile concedendis in con-
vincendis
nachmahl alle diejenige concluſiones zu treiben/ welche eben ſo kraͤfftig
ja kraͤfftiger den vor augen ſchwebenden mißbrauch werden angreiffen/ deſſen
greuel vor augen legen/ und die leute davon abſchrecken. Dann weil ich weiß/
daß es ihme lauterlich um die ehre GOttes und das heil der kirchen und ſtudiren-
den jugend zu thun ſeyn wird/ ſo deucht mich/ wir haben ſolchen zweck zu erhalten lie-
ber die jenige propria und wege zu erwehlen/ welche bey den meiſten angenommen
und nicht widerſprochen worden/ aber eben des wegen nachmahl wider die folge
nichts erhebliches vorbringen koͤnnen/ ſondern ſich der wahrheit gefangen geben
muͤſſen/ da hingegen denjenigen/ ſo nicht gern an eine concluſion wollen gehen/ an-
genehm iſt/ wo ſie aus principiis gezogen wird/ / gegen welche ſie rechtmaͤßige ur-
ſachen zu excipiren zu haben meinen/ ja manchmahl insgeſamt die jenige damit
graviren/ daß man ſie auff dergleichen etwas verwerffliches habe gruͤnden wollen/
daß wo man ſie darnach aus gewiſſen gruͤnden auch dar thut/ ſie es noch entgelten
muͤſſen. Der HERR gebe hierinnen auch geiſt/ weißheit und gnade ſeine wahr-
heit auff dergleichen art zu vertheidigen/ daß der verhoffte zweck moͤge erhalten
werden/ und erbarme ſich ins geſamt uͤber das aller orten faſt durch und durch uͤber-
hand genommene verderben/ daß wir nicht gnug uͤberſehen koͤnnen/ weniger nach-
druͤcklich zu helffen wiſſen.


Die andere ſache belangend hat mich hertzlich erfreuet/ daß mit GOTT
die reſolution gefaſſet worden/ wo der goͤttliche finger durch wuͤrckliche vocation
dahin zeigen wuͤrde/ willig zu folgen. Nachdem nun mein geliebter bruder ſich
dem
[479]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XXXVIII.
dem willen ſeines allerliebſten vaters in gehorſam uͤberlaſſen und ſolchen entſchluß
dem eingeben fleiſches und blutes vorgezogen hat; So verfuͤge derſelbe itzo nach
ſeinem heiligen und weiſen rath/ was er daß heilſamſte erkennet. Hingegen kan
er verſichert ſeyn/ ſolcher treueſte Vater wird ihn zu nichts ſetzen/ darzu er nicht die
kraͤffte geben wird/ in dem ja leben und geſundheit in ſeine hand ſtehet/ und er auff
gleiche weiſe an allen orten uns erhalten kan. Geſchiehet es nun/ ſo achte ich/ der
HERR hat ein groſſes durch ihm vor/ ſo laſſe er ſich auch demſelben als ein werck-
zeug in desjenigen hand/ die ihn ſelbs fuͤhret/ und alles durch ihn thut/ ſo wird der
Goͤttliche rath durch ihn bey einer ſolchen volckreichen gemeinde herrlich von ſtatten
gehen/ und wir offtmahlige urſach noch finden/ ſeine himmliſche guͤte zu preiſen.
Jſts dann daß der HERR unſere gedancken nicht von ſtatten gehen laſſen wird/
ſondern die vocation ausbleibet/ ſo bin verfichert/ es wird ihm der allerliebſte Va-
ter nicht nur gefallen laſſen den demuͤthigſten willen/ damit ſich derſelbe in den ſei-
nigen gantz hingeben wollen/ ſondern auch einen andern platz erſehen haben.
7. Sept. 1681.


SECTIO XXXVIII.


Die hertzlichſte freude aus der geiſtlichen freund-
ſchafft wahrer Chriſten: derſelben nutzen.
Auffmunterung darzu.


SEin liebreiches hat mich neulich inniglich eꝛfreuet/ weil aus ſolchem widerum
eine liebe ſeele erkant/ die mit uns alle in wahrer gemeinſchafft der ſeligen guͤ-
ter ſtehet. Wie nun dieſe allein die guͤter ſind/ die bleiben werden/ wann al-
les vergehen ſoll/ und die welt mit ihren lockſchaͤtzen die jenige verlaſſen wird/ wel-
che mit ihr gehuret haben/ alſo iſt auch allein die jenige gemeinſchafft beſtaͤndig/
welche auff dieſen beſtaͤndigſten beruhet/ und in dero gemeinen beſitz beſtehet. Da-
her dann immer derſelben mehrere kennen zu lernen/ iſt einen hertzen/ welches an-
fangt zu erkennen/ woran ihm allein alles gelegen/ eine viel groͤſſere freude/ als in
der welt eine freude ſeyn kan/ guter freunde in mehrer zahl gewahr zu werden/ ſo
gleichwohl ins gemein eines der vornehmſten ſtuͤck der gluͤckſeligkeiten dieſes lebens
pfleget geſchaͤtzet zu werden. Dann nachdem billich in allen ſtuͤcken unſere erſtes
und letztes ſeyn ſolle die ehre unſeres GOttes/ daß derowegen unſer weiſeſte Hey-
land ſein kunſt-gebet des Vater unſers mit ſolcher bitte anfaͤngt/ und den ange-
hengten lobſpruch damit ſchlieſſet/ ſo mag uns nichts mehr freuen/ als wo wir ſolche
ehre am me[i]ſten befoͤrdert/ daß iſt ſeinen heiligſten nahmen geheiliget werden ſehen/
welches aber in nichts vortrefflicher geſchiehet als in und an den glaͤubigen. Dann
ob wohl alles was in der welt iſt und geſchiehet/ nothwendig zu letzt dieſen ausgang
haben muß/ mit oder wider willen daß endlich des HERRN ehr durchdringe und
ſo
[480]Das ſechſte Capitel.
ſo gar ſelbſt durch das boͤſe in deſſen ſtraffe oder verbeſſerung ſich herrlich darſtelle:
ſo iſt doch dieſe art der Goͤttlichen guͤtigkeit und liebe am gemaͤſſeſten/ wo er ſeine
ehre in mittheilung ſeiner gnade an ſeinen creaturen erzeigen kan/ die unter ande-
ren allen (dann abermahl keine creatur iſt/ welche von aller goͤttlichen gnade laͤhr
ausginge) an den glaͤubigen am vollkommenſten geſchiehet/ als denen GOtt nicht
nur einige ausflluͤſſe ſeiner wuͤrckungen ſondern ſich ſelbſt mittheilet/ und in ſei-
ne eigene gemeinſchafft auffnimmet. Daher dieſes unzwtiffendlich bleibet/ daß
dieſes die groͤſſeſte verherrlichung GOttes ſeye/ da immer der jenigen mehrer wer-
den/ die ſich von GOTT in ſeiner ordnung bereiten laſſen/ daß ſie deſſen und alles
reichthums ſeiner herrlichkeit theilhafft werden moͤgen. Wie uns nun alſo aus
der liebe zu der ehre unſeres glorwuͤrdigſten GOttes dieſes die angenehmſte freude
iſt/ viel ſolcher bruͤder und miterben der gnade des lebens/ und folglich der ehre des
HERREN zu wiſſen und kennen zu lernen/ ſo vermehret ſich ſolche freude ſo
vielmehr/ wo wir dabey betrachten/ was vor herrlichen vortheil wir davon haben/
indem wir deroſelben liebe in dem geiſtlichen viel nachdruͤcklicher zu genieſſen haben/
als in den dingen dieſer welt unter freunden einer von des andern beſten nutzen hat.
Die ſich in ſolcher wahren gemeinſchafft in CHRJSTO erkennen/ wiſſen ſich
verbunden/ jeglicher das jenige maß der gnaden/ ſo gering oder reichlicher empfan-
gen hat/ zu des andern beſten treulich an zu wenden/ und alſo mit ſeiner gabe zu die-
nen/ und wie ſolches mit wahrer treu geſchiehet/ ſo hats ſo vielmehr krafft und nu-
tzen. Da ermunteren ſie einander mit erinnerung und troſt/ und entzuͤnden im-
mer des eines ſeuers funcken des andern flamme ſo vielmehr. Sonderlich aber iſt
die bruͤderliche vorbit das allertheuerſte/ und von den vornehmſten fruͤchten der ge-
meinſchafft der heiligen. Nun iſts zwar an den/ daß ſolche vorbitt auch allge-
mein gehet von jeglichem Chriſten vor alle ſeine mitbruͤder/ ſie ſeyen ihm dem fleiſch
oder auch nahmen nach bekant/ wie ja die gemeinſchafft in die enge ſchrancken der
euſſerlichen bekantſchafft ſich nicht einziehen laͤſſet: jedoch iſt kein zweiffel/ daß
das auch befonders vor die uns aus Goͤttlicher gnade auff einigerley weiſe nach dem
guten das in ihnen iſt bekand gewordene thuende gebet ſo viel mehr in ſich habe/ als
die in denſelben erkante Goͤttliche gnade die gegen ſie tragende liebe inbruͤnſtiger ge-
machet hat/ aus welcher ſolches gebet heraus flieſſet. Aus dieſen urſachen iſts
freylich ſo/ daß es Chriſtlichen hertzen eine innigliche freude zu wegen bringt/ als
woraus ſie immer neue urſachen finden/ den himmliſchen Vater zu preiſen/ und
wiſſen daß ſie an jenen eine gute befoͤrderung ihres geiſtlichen guten haben. Eben
dieſe urſach hat mir auch ſein werthes ſchreiben ſo viel angenehmer gemacht/ weil
ich aus demſelben/ da noch unſeres Heylands ausſpruch der mund aus den uͤberfluß
des hertzens redet/ die in ihm gelegte Goͤttliche gnade und gegen mich bezeugende
hertzliche liebe ſamt verſicherung Chriſtlicher vorbitte und verlangen nach der mei-
nigen erkant habe. Welches lauter urſachen ſind inniglicher freude. Nun der
HErr
[481]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XXXVIII.
HERR verbinde unſer hertzen immer mehr und mehr in ſolcher hertzlichem bruͤ-
derlichen liebe unter einander/ laſſe auch die jenige/ welche gleich geſinnet ſind in
CHRJSTO JESU/ von allen orten je mehr und mehr einander offenbahr
und bekant werden/ welches ein vortreffliches mittel ſeyn wird ſolcher gnauen ver-
knuͤpffung: So laſſe er uns rechtſchaffen ſeyn und werden in der liebe dadurch ſo
viel mehrere moͤgen befoͤrdert werden/ zu wachſen in allen ſtuͤcken an dem/ der das
haupt iſt/ CHRJSTUS. Wir haben ſo vielmehr urſach zu ſolcher verbin-
dung/ als mehr wir ſehen/ daß in der welt/ die dero liebe und eitelkeit ergeben ſind
ſich alles fleiſſes mit loſen ſtricken unrecht zu thun und mit wagenſeilen zu ſuͤndigen
zu ſammen koppelen/ damit ſie ſo viel ſtaͤrcker werden/ das boͤſe auszufuͤhren/ oder
auch die Gottſelige zu unterdrucken. Warum ſolten wir dann nicht uns eben ſo
wohl mit fleiß zuſammenthun/ die wir ohne das zur liebe beruffen ſind/ und unſere
verbindung in nichts verdaͤchtigs noch unrechts beſtehet/ oder zu leiblicher gewalt
angeſehen iſt/ ſondern beſtehet allein in geiſtlicher vereinignug der hertzen gegen ein
ander/ in erkantnuͤß deß guten/ welches der HErr in jeglichen geleget hat/ in gemein-
ſchafftlichen gebet und danck vor die guͤter in dero gemeinen beſitz wir neben
einander ſtehen und in auffmunterung unter einander unſerm treuſten Hey-
land treu zu bleiben/ um dermahleins in der offenbahrung unſerer herrlichkeit ſol-
ches reich und erbe mit einander voͤllig anzutretten. Welches lauter dergleichen
dinge ſind/ da wider nichts ſagen kan wer nur den nahmen eines Chriſten traͤget/
daraus auch weder trennung noch abſonderung oder einige ſonderlichkeit folget/ da
vor wir uns ſonſten zu huͤten haben. Nun der HErr der GOTT unſers HEr-
ren JESU CHRJSTJ/ der Vater der herrlichkeit gebe uns zu erhaltung ſol-
ches zwecks den Geiſt weißheit u. der offenbahrung zu ſeiner ſelbſt erkaͤntnuͤß und er-
leuchtete augen unſeres verſtaͤndnuͤß daß wir erkennen moͤgen welche da ſeye die
hoffnung unſers beruffs/ und welcher da ſeye der reichthum ſeines heiligen erbes an
ſeinen heiligen/ und welche da ſeye die uͤberſchwengliche groͤſſe ſeiner krafft an uns/
die wir glauben nach der wuͤrckung ſeiner maͤchtigen ſtaͤrcke. Erhalten wir dieſes/
wie wirs mit andaͤchtigen gebet gewiß erhalten werden (dann wir beten ja darinnen
nach ſeinen willen) ſo haben wir alles/ ſo wird damit der glaube/ als eine wurtzel
alles guten bey uns geſtaͤrcket (dann derſelbe hat nichts anders vor ſich/ und ergreif-
fet nichts anders/ als die in CHRJSTO uns geſchenckte gnade/ ja bereits
wuͤrcklich ertheilte ſeligkeit/ welche wir in der tauff empfangen haben/ ihrer nach
den maß des zuſtandes zu genieſſen/ und noch auff die voͤllige offenbahrung dero-
ſelben warten) die liebe wird gegen die mitgenoſſen ſolches herrlichen erbes immer
bruͤnſtiger/ und die danckbahre begierde dem allerliebſten Vater hin wider auch zu
ehren und gefallen zu leben wird auch ſtaͤts eiffriger. Wie hingegen aller mangel
in dem geiſtlichen daher kommet/ daß es ſehr fehlet an der rechten lebendigen er-
kaͤntnuͤß der ſo trefflicher himmliſcher ſchaͤtze: als dabey es gemeiniglich bey einer
P p pbuch-
[482]Das ſechſte Capitel.
buchſtaͤblichen wiſſenſchafft der wort/ ſo wir davon gehoͤret haben/ bleibet/ und
nichts in das hertz kommet/ daher auch ſo gar ſchlechte fruͤchten folgen. 9. Sept.
1681.


SECTIO XXXIX.


Frucht des predigamts bleibet nicht aus. Ob
ſie auch in geringer maß/ nicht zu verachten: Marc. 4. ver-
dacht irriger lehr aus der lehr von der heiligung und le-
b[e]ndigen glauben: die doch allerdings Lutheriſch.
Viele boͤſe in predigamt aus Goͤttlichen
gericht.


DEr freundliche bericht von dem ſegen/ welchen GOTT zu dem anfang
des anbefohlenen amts gegeben/ hat mich von hertzen erfreuet. Es bleibet
einmahl dabey/ daß ſo wenig frucht aus den predigten meiſtens folget/ iſt
ein zimlich ſtuͤck der urſach bey uns ſelbs/ daß wir offt das wort des HERRN
nicht mit ſolcher treu vortragen/ wie es geſchehen ſolte. Wo wirs aber in ſeiner
lauterkeit vorlegen/ und allemahl das jenige vornehmlich und meiſtens treiben/
was eben damahls und ſolchen leuten das allernothwendigſte und dienlichſte iſt/ ſo
wird gewiß die verheiſſung des HERREN erfuͤllet werden/ daß es eben ſo wenig
ſolle leer und ohne frucht widerum/ nach dem es aus ſeinem munde gegangen iſt/
zu ruͤck kommen/ als wenig der regen und ſchnee ohne fruchtbahrt machende krafft
zu bleiben pflegen/ ſondern die erde befeuchten/ und die fruͤchten befoͤrdern. So
zeiget ſich auch die ſache noch heut zu tag in der erfahrung/ daß nicht leicht irgend
ein prediger auffſtehen wird/ der mit ſonderlichem eiffer das werck des HER-
REN zu treiben anfaͤngt/ und nicht in der faſt allgemeinen ſchlaͤffrigkeit liegen
bleibet/ daß nicht alſo balden die gemeinde wird rege werden. Woraus zu ſehen/
daß weder die krafft dem Goͤttlichem wort benommen/ noch welche hertzen ſo gar
verſtocket ſeyn/ daß nichts mehr da hinein gienge/ oder ſie nichts mehr fuͤhlen/ ſon-
dern es mangle an den jenigen/ ſo mit dem wort allzu nachlaͤßig und kaltſinnig um-
gehen. Es wird aber gemeiniglich die doppelte wuͤrckung haben/ wie es auch vor
dieſen geheiſſen hat. Es ſeye ein geruch des lebens zum leben/ denen die da glauben/
und ein geruch des todes den halßſtarrigen. Wie mein werther bruder ſelbs er-
faͤhret/ daß ſo wohl einige durch die von ihm treibende wahrheit in goͤttlichem ſegen
ſich zu beſſern anfangen/ als andere daruͤber ihre unzufriedenheit bezeugen/ und ſich
einige laͤſterungen zu regen anheben. Jenes iſt eine ſache an ſich ſelbs/ davor dem
himmlichen Vater hertzlich dauck zu ſagen/ dann was iſt koͤſtlicher und mehrer
freude
[483]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECT. XXXIX.
freude wuͤrdig/ als wo man die ehre des HERREN und der ſelen heil befoͤrdert
ſihet? Dieſes ob wohl betruͤblich/ iſts doch beyneben eine gute anzeige/ daß das
wort treulich getrieben werde/ und der teuffel es fuͤhlen muß/ daß es ihm weh thue/
weil er ſich anfaͤngt in ſeinen werckzeugen zu regen. Das erſte betreffend/ da ſich
etzliche gute fruͤchte zeigen/ haben wir nicht allein davor den HERREN/ ſo das
gedeyen zu dem pflantzen und begieſſen gegeben/ demuͤthig zu dancken/ ſondern auch
eines theils deſto getroſter fortzufahren/ da ſolcher ſegen uns weiſet/ unſer werck
und arbeit gefalle GOTT wohl andern theils doch auch mit gedult des wachs-
thums zu erwarten. Jch weiß wie es hierinnen zu weilen lieben hertzen gehet/
daß ich deswegen ſolches gern melde: Daß nehmlich offters Chriſtliche lehrer/ ob
ſie wohl ein und anders gutes bey ihren gemeinden anfangen zu ſehen/ daß das boͤſe
etwas abnimmt/ und hingegen ein anfang des guten ſich weiſet/ weil ſie aber fin-
den/ das ſolcher anfang noch gar ſchwach/ und des boͤſen ſo viel noch vorhanden iſt/
ſich nicht ſo wohl uͤber jene goͤttliche gnade erfreuen/ und ſich damit auffmuntern
laſſen/ als nur ſtaͤts nidergeſchlagen bleiben/ weil ſie noch nicht ſo vieles ausrichten
koͤnnen/ als ſie verlangt/ und freylich zuwuͤnſchen waͤre; Damit ſie aber ſo wohl
zu dem danck gegen GOTT vor daß gewuͤrckte/ als auch zu freudiger fortſetzung
der arbeit/ ſo als dann ſo viel beſſer von ſtatten gehen wuͤrde/ faſt traͤge/
oder ihnen doch ihre verrichtungen deswegen ſo viel ſchwehrer gemacht werden/ zu
geſchweigen daß auch der muth einer gemeinde/ auch den beſten aus ihnen/ ſehr faͤl-
let/ wo ſie meinen/ man achte des jenigen guten an ihnen gar nicht/ was gleich wol
bereits angefangen iſt; Wie wir hingegen ſehen/ daß zu weilen die Apoſtel auch
ſolchen gemeinden/ daran ſie gleichwohl noch vileles zu ſtraffen gehabt/ in den brief-
fen an ſie einiges lob haben widerfahren laſſen/ ſie damit in dem guten anfang deſto
eiffriger fortfahren zu machen. Wir wiſſen wohl aus der natur/ und werden
von unſerem liebſten Erloͤſer ſelbs darauff gewieſen Marc. 4. daß der ſame/ ob er
auch ein gut land antrifft/ nicht ſtracks die zeitige frucht bringe/ ſondern es gibet
erſtlich eine gruͤne ſaat/ die ſchier von einer wieſe wenig unterſcheid hat/
nachmahl fangen erſt die halmen an auffzuſchieſſen und gibts aͤhren/ bis auch die-
ſelbe durch die zeit reiff werden. Daher wo wir nur erſtlich einige ob wohl ſchwa-
che anfaͤnge einer aͤnderung gewahr werden/ ſoll uns ſolches ſchon einen muth ma-
chen zu glauben/ es werden auch allgemach die aͤhren und in demſelben die koͤrner
folgen. Wo mit ich zwar nicht ſagen will/ daß man da wo ein anfang ſich zeiget/ ſolle
nachlaͤßig werden/ und davor halten/ es ſeye nun gnug/ wo mans nur dabey erhal-
te/ ſondern wir muͤſſen immer drauff ſehen/ und den anfang bey uns und andern
eine auffmunterung zu mehrern fleiß werden laſſen. Was die laͤſterung belangt/
daß es fchon heiſſen will/ er ſeye nicht gut Lutheriſch/ laſſe ſich geliebter bruder die
ſache auch nicht fremd vorkommen/ als der ſo viel liebe exempel anderer bruͤder hat/
denen es allezeit auch ſo gegangen. Jedoch wird von noͤthen ſeyn/ ſolcher laͤſte-
P p p 2rung
[484]Das ſechſte Capitel.
rung auff Chriſtliche und ſanfftmuͤtige art zu begegen/ nehmlich daß man ſolchen
lohn/ die der welt ſo hart vorkommen/ und ſie dieſelbe in verdacht ziehen will/ ja des-
wegen nicht anfange zu verlaſſen/ oder das wenigſte davon abzuweichen/ wie wir
denn nichts von der Goͤttlichen wahrheit verlaſſen doͤrffen/ und eben mit ſolchen zu-
ruͤck halten als dann den verdacht ſtaͤrckten/ man habe zu vor unrecht gelehret/
ſondern daß man ſie vielmehr deſto oͤffter vortrage/ und erſtlich mit den klaͤhreſten
und austruͤcklichſten ſpruͤchen der Schrifft der maſſen bewaͤhre/ daß die gewiſſen
wahrhafftig davon uͤberzeuget werden/ darnach aber iſt nuͤtzlich/ auch aus unſe-
ren LL. Symbolicis und Luthero offters den conſenſum anzufuͤhren/ damit alſo
unſern leuten augenſcheinlich gezeiget werde/ daß wir nichts anders vortragen/ als
was allezeit unſre kirche erkant/ und oͤffentlich bekennet hat: ja daß wir muͤſſen
auffhoͤren Lutheriſch zu ſeyn/ wo wir ſolche lehr verlaſſen. Da hat mich nun al-
lezeit ſo ſehr vergnuͤgt in den art. Smalc. 3. pag. 118. Spiritus Sanctus non
ſinit. \&c.
Am allerkraͤfftigſten aber habe ich befunden den guͤldenen ort Luth.
in der in die Bibel einigeruͤckten vorrede uͤber die Epiſtel an die Roͤmer/ wo der glau-
be/ was er und ſeine krafft ſeye/ mit ſolchen worten beſchrieben wird/ daß wir ent-
weder ſagen muͤſſen Lutherus ſeye nicht richtig in dieſer lehr geweſen/ oder es ſeye
kein lebendiger ſeligmachender glaube ohn ein heiligen und mit guten wercken
fruchbahrs leben. Damit aber niemand gedencke/ es waͤre eben einmahl unbe-
dachtſamer weiſe dergleichen von unſeren theuren lehrer geſchrieben worden/ ſo
ſind ſeine ſchrifften dieſer ſachen gantz voll/ ſonderlich in ſeinen liebſten buch der kir-
chenpoſtill braucht er faſt gerad dieſelbe wort/ und ſind ſie auch von unſren verfaſ-
ſern der F. C. wuͤrdig geachtet worden/ daß ſie derſelbe weitlaͤufftig in den articu-
lum de B. O.
einge uͤcket/ und ſie alſo vor andern merckwuͤrdig muͤſſen geachtet
haben. Ja es iſt auch nicht aus der acht zu laſſen/ das gleich nach citirung der ſel-
bigen wort dabey ſtehet: Quia vero de hac re inter noſtros non eſt contro-
verſia.
Daß alſo unſre theure alte lehrer/ ſo dieſe Conf. auffgeſetzet/ die in ſolchen
worten enthaltene lehr/ daß der glaube nicht ſeye eine muͤßige oder unfruchtbahre
einbildung von CHRJSTO/ ſondern eine lebendige und vieles wuͤrckende Goͤtt-
liche krafft/ vor mir ſolche wahrheit erkant/ daß gar kein ſtreit in der Evangeli-
ſchen kirchen von deroſelben ſeye. Wo dieſes den leuten offt gezeigt/ ſonderlich
bey gelegenheit etlichen derjenigen/ ſo etwa ſelbs ſolche laͤſterung gehoͤret/ dargethan
werden koͤnte/ ſo moͤchte derſelben ſtattlich begegnet/ auffs wenigſte dieſes ausge-
richtet werden/ daß damit nicht ſo kuͤhn fortgefahren werden doͤrffte. Jedoch weiß
ich wohl/ daß wie mit nichts dem teuffel ſeine boßheit ſo hindertreiben werden/ daß
ſie ſich nicht bald in dieſem bald in jenem annoch heraus laſſe. Ja uns nur
damit genuͤgen ſolte/ wo wir uns befleiſſen/ ſo viel zu rettung der wahrheit zu thun
als daß er uns mittel und gelegenheit gezeigt hat/ nachmahl vollends mit gedult die
malzeichen des HErren zu uͤbernehmen. Daß auch ihres orts unter den ſo genan-
ten
[485]ARTIC. I. DISTINCT. III. SECTIO XL.
ten geiſtlichen der gottloſen gar viele ſeyen/ iſt zwar betruͤblich/ aber nicht hoch zu
verwundern/ in dem es faſt eine allgemeine klage. Ach daß der HERR darein
ſehe/ und da es die jenige/ welchen er unter menſchen hiezu die macht und gewalt
gegeben hat/ krafft tragenden ihren amts faſt nirgent thun wollen/ ſo befreye er
doch auff ihm bekante weiſe endlich ſeine arme kirche ſolcher ſchaͤdlichen und untreu-
er arbeiter: Jch achte es auch/ der HERR wirds alsdenn gewiß thun/ wo von
der gemeinde mehrere ſich die furcht ihres GOttes/ und liebe zur wahrheit treulich-
cher werden laſſen angelegen ſeyn. Dann ich achte dieſes als ein ſtuͤck deß durch
ſo grobe ſuͤnden und halſtarrigkeit der leuthe verurſachten gerichts/ daß er insge-
mein an den meiſten orten der gleichen hirten auff ſtehen laͤſſet/ wie die jenige wehrt
ſeind/ zu den ſie kommen/ und alſo manche in zorn gegeben worden ſind. 9. Sept.
1681.


SECTIO XL.


Wie wenig von reformation des geiſtlichen ſtan-
des zu hoffen. Beſorgte goͤttliche reformation.
Cenſur
des gedenckbuͤchleins. Dilfelds vorhaben. Ob man die
wort erneuerung und heiligung auslaſſen ſolle. Wie
Paͤpſtiſche
hypotheſesin die kirche einreiſſen wollen.
Daphnæi Arcuarii tractat.


DAß es ſchwer hergehen werde mit der reformation des ſo genanten geiſtli-
chen ſtandes/ iſt freylich wahr; ja ich ſehe faſt keine hoffnung dazu/ weil die-
ſe ſich nicht werden reformiren laſſen/ noch auch viele obrigkeiten ſind/ die
dazu verſtand und eyffer haben: Vielmehr werden die meiſte lieber ſolche leuthe ha-
ben/ welche mit ihrem uͤblen verhalten ihr amt ſelbſt veraͤchtlich machen/ als ſolche
perſonen darinnen wiſſen/ welche/ da es ihnen pur allein um GOtt zu thun iſt/ und
ihr gewiſſen in allem in acht nehmen/ beſorglich den Regenten ſelbſt darnach nicht
in allem/ worinnen nehmlich ſie ihr reich wider reich Chriſti befeſtigen wolten/ fuͤ-
gen oder zu allen dermaſſen ſchweigen moͤchten/ wie die jenige thun muͤſſen/ denen
das eigene boͤſe gewiſſen ſelbſt den mund ſchlieſſet. Daher wirds wohl langſam
her gehen/ wo von der Obrigkeit/ wie es ordentlicher weiſe her gehen ſolte/ ſolche
reformation angeſtellet werden ſolte. Es moͤchte aber vielleicht GOtt auff eine
andere art die ſache angreiffen/ und unſere kirche/ was das aͤuſſerliche derſelben
und die gegenwaͤrtige verfaſſung anlangt/ ſamt dem Miniſterio auff einmahl
uͤberhauffen werffen laſſen/ wo er nun den verfolgern eine freyere hand als bißda-
her oͤffnen wird.


P p p 3Da
[486]Das ſechſte Capitel.

Da duͤrffte alsdenn wo das wetter der verfolgung ausgewittert/ der HErr
die reliquias der ſeinigen in beſſe ordnung ſamlen. Wie es etwa zu weilen ge-
ſchehen kan/ daß ein gulden oder ſilbern gefaͤß nicht mehr durchaus geſaubert und
zurecht werden mag/ als das mans gar in ſchmeltz offen werffe. Wir ſehen die
gefahr/ die ich ſorge/ faſt vor augen/ und ſinds alſo keine ænigmata mehr/ wo wir
von den goͤttlichen gerichten drohen. Der HErr laſſe ſie mit groſſer ſchonender
barmhertzigkeit gemildert werden/ uns aber gebe er dabey gnade/ ſeinen rath und
willen zu erkennen und uns unter ſeine gewaltige hand zu demuͤthigen/ ja in allen
auch dieſelbige/ da ſie fleiſch und blut ſo wehe thut/ nichts deſto weniger zu preiſ-
ſen.


Was den autorem der cenſur uͤber das gedenck-buͤchlein anlanget/ kan
ich von ihm nicht judiciren, als der ich dem nahmen meines entſinnens nicht gewiß
weiß/ vielweniger mir die beſchaffenheit ſeines gemuͤths und wie viel unwiſſenheit
oder boßheit bey ihm ſeyn muͤchte/ bekant iſt. Deꝛ HErr gebe allen/ welche mit ge-
ſchloſſenen augen bißher ſehen wollen/ gnade/ dieſelbe auff zu thun: ſonderlich aber
reinige er die jenige von ihrer boßheit/ welche biß daher ſolten wiſſendlich ſich der er-
kanten wahrheit widerſetzet haben/ dero condition wahrhafftig vor GOtt
gefaͤhrlicher iſt/ als man wol gedencken moͤchte/ indem ſie gemeiniglich einem gericht
der verſtockung ziemlich nahe ſind. Was die paradoxa aus meiner Poſtill an-
langt/ habe ſolche noch nicht geſehen/ auch Herꝛ N. mir davon noch keine eroͤffnung
gethan/ der dazu neulich bey mir geweſen. Jch wil ihn aber annoch darum erſu-
chen. Herr Dilfeld iſt aber mahl auſſen geblieben/ ich weiß aber noch nicht/ ob
ich daraus ſchlieſſen doͤrffte/ ob er ſchweigen wolte/ oder vielmehr die zeit erwarte/
den ſtreich mit mehr nachtruck anzubringen/ dann aus Nieder-Sachſen bericht ha-
be/ er haͤtte den meiſten Theologis eine ſchrifft zugeſand/ vermuthlich etwa dero
conſenſum zu ſuchen/ wie wol es einige mit widerwillen angeſehen haͤtten. Jch
bin der warheit meiner theſeos verſichert/ welche er mir wol wird muͤſſen ſtehen
laſſen. Doch wuͤnſchte ich zu ſeinen beſten/ daß er ſich nicht ſelbſt dagegen ſtreubte/
und dadurch ſchwerlicher verſuͤndigte. Die wort der erneuerung und heiligung
anlangende/ leugne ich nicht/ daß ich mich auffs hoͤchſte verwundere/ daß ein The-
logus
auch von der unterlaſſung derſelben etwas auff die bahn zu bringen ſich er-
kuͤhnet. So unverſchaͤmt ſolte ja kaum der teuffel ſeyn: Aber er wird eben da-
mit ſich deſto mehr verrathen/ wo ers gar grob machet. Warum ſchaffen wir
nicht fein die gantze ſchrifft ab/ weil kein buch in der welt iſt/ aus welchem die ſpin-
nen ſo viel giffts geſogen haben/ obſchon daſſelbe nicht darinnen geweſen/ ſonderen
von ihrer gifftigen natur gewuͤrcket worden iſt? ſo kaͤmen wir auff einmahl des un-
gluͤcklichen ſtreits ab/ welcher uͤber dieſes buch entſtanden iſt/ und deſſen worte von
allen ſecten ſo unterſchiedlich verkehret und verdrehet worden. Aber ſo wolte es
der teuffel gern haben/ damit er uns per compendium vollends die verſicherung
der
[487]ARTIC. I. DIST. III. SECT. XL.
der wah[r]heit entreiſſen koͤnte. Trauen wir aber die ſchrifft nicht hinzu werffen und
abzuſchaffen/ weil ſie die grundfeſte der warheit und von dem heiligen Geiſt iſt/
wer gibet uns dann einige macht/ uͤber dieſe oder jene derſelben redens-arten/ ſon-
derlich die jenigen/ welche von ihr zu oͤfftern wiederholet werden? derer jegliche
gleichwol eben von dem jenigen geiſt herkommet/ welche die gantze ſchrifft eingege-
ben hat/ u. wir daher ſo wenig gewalt uͤber einiges deroſelben woͤrtlein haben/ als we-
nig die gantze ſchrifft (welche ſo zu reden ein totum homogeneum u. jegliche dero-
ſelben particula ejusdem naturæ cum toto iſt) in unſer macht ſtehet. Wir
ſtraffen an den Papiſten/ das ſie der ſchrifft autoritaͤt ſuſpendiren ab autorita-
te Eccleſiæ,
und wollen ſie auch nicht anders erklaͤhret wiſſen/ als wie dieſe befieh-
let/ daher ſie literam ſcripturæ nicht weiter paſſiren laſſen/ als wie er mit
der recepta ſententia Eccleſiæ uͤbereinkommet/ was ſich nicht gerade hierauff rei-
met/ muß ſich nach derſelben beugen und dehnen laſſen/ wie es mag. Der HErr
bewahre uns gnaͤdiglich vor dꝛm ſchrecklichen abfall/ nach dem faſt einige luͤſteren
ſind/ ja in der that dergleichen bey nahen/ bezeuͤgen/ daß wir auch von unſeren prin-
cipio
der heiligen Schrifft abweichen/ und es dahin kommen laſſen wolten/ nichts
auß derſelben gelten zu laſſen/ als was gerade iisdem verbis in unſerm ſymbo-
licis libris
(welcher autoritaͤt und nutzen in denen von ihnen ſelbſten geſetzten
ſchrancken danckbahr erkenne) oder gemeiner lehr befindlich iſt/ ja nicht dieſe aus
der ſchrifft/ ſondern die ſchrifft aus denſelben/ und nach ihrer norm zu erklaͤhren;
ſo nunmehr das rechte Papſtum mitten in unſerer kirchen ſeyn wuͤrde/ und ich nicht
ſehe was wir gegen das andere Papſtum uns zu beſchwehren haͤtten: ſondern
glaube/ daß ſolche hypotheſis am aller erſten auch die verſtaͤndigſte zu der Roͤmi-
ſchen parthey bringen wuͤrde. Wird eine praxis der ſchrifft/ fonderlich in einer
wichtigen ſache/ gebraucht/ ſo haben wir ſie zwar/ wo ſie von einigen unrecht ver-
ſtanden und mißbraucht wird/ recht zu verſtehen und zu erklaͤhren/ aber derſelbi-
gen uns nicht zu begeben noch ſie auß zulaſſen/ vielmehr alles darauff zuſetzen/ daß
wir ſie eꝛhalten/ und nicht ein jota von dem theuren ſchatz verliehren/ der nicht un-
ſer ſondern unſers GOttes und der gantzen kirchen iſt. Jch ſorge ſehr/ es ſeye die-
ſes eine der haupt-urſachen/ daß GOtt nun/ wie es faſt vor augen iſt/ dem Roͤ-
miſchen Babel eine neue gewalt uͤber uns gebe/ ja ihnen vermuthlich die gewalt
verhaͤngen wird/ ſein undanckbahres und auff ſo viele warnungen doch nicht gebeſ-
ſertes Jeruſalem zu verſtoͤhren/ da mit aber gleichwol auch ſein eigen gericht durch
erfuͤllung des maſſes ſeiner ſuͤnde ihm ſelbſt uͤber den halß zu ziehen: weil wir anfan-
gen in ſo vielen ſtuͤcken unſerer praxeos communis einige Roͤmiſche principia, die
wir ſonſten in der theorie widerlegen/ zu belieben/ an zu nehmen/ und uns nach
derſelbigen zu richten. Nun der guͤtigſte Vater ſehe mit barmhertzigen augen ſei-
ne arme und leider ſo ſehr mit aͤrgernuͤſſen und mißbraͤuchen verſtellte gemeinde an/
und
[488]Das ſechſte Capitel.
und wo ſeine gerichte an ihr anheben ſollen/ wolle er ſie mit groſſer barmhertzigkeit
laſſen gemildert werden. Daß eine perſon/ ſo ſich wider goͤttliche ehe-ordnung
mißbrauchen laͤſſet/ nachmahl auch die bekaͤntnuͤß ihrer religion verlaſſe/ iſt mir
gantz kein wunder nicht. Fide quæ credit amiſſa (ſolche aber ſtehet nicht mit ſol-
chen herſchenden ſuͤnden) quid facilius quam fidem quæ creditur pariter
perdi?
Der HERRbringe zur buß und ſeiner gnade/ welche ſich noch retten wol-
len laſſen. Daphnæi Arcuarii buch iſt meines wiſſens nirgend zu kauffen zu ha-
ben. Vielleicht aber moͤchte Heꝛr Reſident/ dazu behuͤlfflich ſeyn koͤnnen. Jch
hoͤre/ es habe ein groſſer Heꝛr aus leſung deſſelben ſchon ſchaden genommen/ und
moͤchte daß daher befahrende aͤrgernuͤß bald ſchwehrer außbrechen. So muß ja
nichts bey uns unangetaſtet bleiben/ damit ja das feuer goͤttlichen zorns ſtrohes und
anderer materie genug finde. ꝛc. 1681.


SECTIO XLI.


Als die ſtatt Strasburg in Frantzoͤiſche gewalt
gerathen. Wie ſolches gericht Chriſtlich anzuſehen/
und wie ſich alle dabey zu ſchicken
haben.


JCh zweiffle nicht/ daß ſo wohl derſelbige als uͤbrige hochgeehꝛt. Heꝛr ſchwaͤ-
gere ſich wundern werden/ daß in dieſen etlichen wochen nicht geſchrieben ha-
be/ als zu einer ſolchen zeit/ wo ich etwa ſo viel ungeſaͤumter zu ſolcher gebuͤhr
haͤtte ſeyn ſollen; nun will ich mich mit der meß arbeit nicht entſchuldigen/ ſondern be-
kenne/ daß ich faſt nicht gewuſt/ noch jetzt recht weiß/ was ich ſchreiben ſolle; zu dem
ich auch nicht weiß/ ob die brieffe in den erſten tagen einer ſolchen haupt-aͤnderung
gantz ſicher ſeyen oder nicht. Jch habe es aber doch auch nicht laͤnger auffſchieben
ſollen. Wie mir nach dem fleiſch uͤber die beyde nacheinander gekommene zeitun-
gen der occupirung von keyl/ und nach ferner uͤbergab der ſtatt zu muth geweſen/
bedarff nicht hie ausgetruckt zu werden ſondern iſt leicht zuermeſſen/ was in einer
ſolchen begebenheit die liebe der ſeinigen/ mitleiden mit deroſelben leiden/ ſorge
mehrer und kraͤfftiger gefahr und dergleichen andere affecten, bey einem gemuͤth
vor unruhe erwecken. Sie werden aber ſelbs an ſich dergleichen gefuͤhlet haben/
und daher auch unſere bewandtnuͤß ſich einbilden koͤnnen. Hingegen wie ich in
nichts anders eine ruhe der ſeelen und eine zufriedenheit finde/ als in dem willen
des HERREN/ ſo zweiffele ich auch nicht/ ſie werden in demſelbigen nicht wenigeꝛ
beruhen. Der wille des HERREN iſt geſchehen. Andere urſachen und be-
trachtungen haben auch ihrem nutzen zu einer beſaͤnfftigung des gemuͤths/ aber
nicht
[489]ARTIC. I. DISTINCT. III. SECTIO XLI.
nicht ohne dieſen grund/ und nicht mit gleicheren nachdruck. Andere haben ihre vie-
lerley urtheil uͤber dieſe uͤbergab/ laͤſteren wohl hefftig/ und beſchuldigen dieſe und
jene/ nach dem ihre affecten und ſchmertzen/ auch furcht wegen der verm[e]h[r]ung
ihrer eigenen gefahr/ ihnen ſolches dictiren, ſo ich aber nicht billichen/ noch ohne
widerſprechen dulden und vertragen kan/ vielmehr auch aus politiſchen und faſt
mithaͤnden greifflichen urſachen und gruͤnden/ wo davon geredet wird/ darthue/
daß die liebe ſtatt/ deroſelben Regenten und buͤrger/ in gegenwaͤrtigem zuſtand
und conjuncturen nicht anders haben thun/ oder ſich vernuͤnfftig einer ſolchen
gewalt deꝛo ſie zu ſchwach mit nachtꝛuck zu begegnen/ mit veꝛgeblicher opiniatritaͤt/
hingegen mehrere reitzung der jenigen/ in dero gewalt ſie kommen ſolten/ widerſe-
tzen koͤnnen und ſollen; nach dem vorher alles geſchehen und geſuchet worden/ was
ein in gefahr ſtehender/ und dergleichen vor ſich ſehender/ ſtand in einem ſolchen
fall ſuchen und ſich anmelden kan/ aber ohne wuͤrcklichen troſt und zuverlaͤßige huͤlf-
fe gelaſſen wiꝛd. Jch ſehe aber lieber allein auff die hand/ die alles regieret/ und
ohne dero verhaͤngnuͤß oder verordnung nichts geringes/ geſchweige ſolches wichti-
ges und ſo viel tauſend menſchen betreffendes werck hat vorgehen moͤgen; und wel-
che ſo wol die gedancken der jenigen/ welche ihre graͤntzen erweitern wollen/ abwen-
den oder anders hinlencken/ als auff der andern ſeiten mittel und gelegenheit des
widerſtandes geben koͤnnen/ daß dergleichen aͤnderung nicht folgen muͤſſen/ wo er
dieſelbe nicht alſo zu verfuͤgen in ſeinem heiligen rath beſchloſſen haͤtte. Was al-
ſo ohne ſuͤnden von allen ſeiten in dieſem werck geſchehen/ ſehe ich an/ als welches der
HERR ſelbs gewuͤrcket habe; worinnen aber von einiger ſeiten ſuͤndliches mit
untergelauffen/ daß er gleich wol durch ſeine providenz daſſelbige verhaͤngen und
dadurch ſeinen rath hat zu viel nuͤtzlichem und uns etwa groſſen theil noch
unbekantem guten zu werck richten wollen. Da ſehe ich alſo die hand an/ die nichts
boͤſes thun kan/ und die/ ob ſie empfindlich u. ſchmertzlich zu ſchmeiſſen ſolte/ dannoch
eines kindlichen und ehrerbietigen kuſſes werth iſt/ und heiſſet endlich: Heilig und
gerecht biſtu groſſer GOTT/ und alle deine gerichte ſind auch heilig und
gerechs/ dabey aber auch barmhertzig.
Nebens dem aber ſehe ich eben das
jenige/ welches ihnen dermaſſen begegnet/ in fremde botmaͤßigkeit zu gerathen/ als
einen ſpiegel/ welches noch vielen/ die wir uns etwa fern von boͤſen tagen achten/
annoch (und wer weiß wie bald) vorſtehen woͤchte/ welches ich meiner gemeinde
von zimlicher zeit vorgepredigt/ und ihnen in gegenwaͤrtiger zeit nichts als die ſchwe-
re gerichte des HERREN/ ſo ſich an ſeinem hauſe anheben ſollen/ aber etwa ſel-
tzam ſich hin und her wenden/ vorzuhalten/ ſo dann ſie zu deroſelben gehorſamer uͤ-
bernehmung mit vermahnung/ warnung/ lehr und troſt zu bereiten und auffzu-
muntern habe. Leugne auch nicht/ daß ich auß gewiſſen und etwa nicht gar un-
vernuͤnfftigen vermuthungen vor her uns die gefahr naͤher als dem lieben Straß-
burg erachtet haͤtte. Jn deſſen iſt durch hinwegnehmung einer ſo zu reden vor-
Q q qwand
[490]Das ſechſte Capitel.
wand unſere gefahr nicht geringer ſondern noch ſchwerer worden. Wir koͤnnen
uns auch uͤber die gerichte ob wol uns harte und ſchwere/ als man noch fuͤhlet/ fort-
hin druckende/ gerichte nicht beſchweren/ noch ſagen/ daß wir nicht zu denſelben den
gerechten GOtt lange gereitzet haben. Jch rede nicht von ihrem lieben Straß-
burg allein/ als der ich mich entſinne/ was unſer Heyland ſagt Luc. 13/ 1‒‒5. auch
dabey weiß/ daß der HERR oͤffters ſeinen anfang der haͤrtſten heimſuchungen an
den jenigen mache welche auff ſich/ gegen andere zu achten/ weniger ſchuld liegen ha-
ben; ſondern wie ihre ſtatt als ein glied unſers Reichs und Evangeliſcher kirchen
von GOTT heimgeſuchet worden/ achte ich/ werden wir alle unſers zuſtands er-
innert. Wo wir nun vor GOtt ſtehen/ koͤnnen wir nicht leugnen/ daß ſich alle die
jenige dinge bey uns finden/ welche die aͤnderungen der regimenter und ſchwehre
verfolgung nach ſich zu ziehen pflegen. Jn dem weltlichen ſehen wir durch und
durch die jenige ungerechtigkeit und uͤbrige laſter/ daß ob der HERR auch keinen
aͤuſſerlichen feind uns zuſchickte/ es doch faſt auch menſchlicher weiſe bey uns in die
harre nicht beſtehen koͤnte. So iſt die freyheit/ die der HERR uns ſo lange ge-
goͤnnet/ ſamt uͤbrigen aͤuſſerlichen ruhe- und wohlſtand von uns nicht danckbarlich
zu der ehre des HErren angewendet/ ſondern auf ſo mancherley art an meiſten
unſern orten freventlich zu boßheit und laſtern mißbrauchet worden. Jn dem geiſt-
lichen haben wir deß lichts des Evangelii faſt durch und durch nur zur haͤgung der
ſicherheit mißbrauchet/ da wir GOTT mit verdraͤhung ſeiner wahren lehr des E-
vangelii mit einem eingebildeten glauben (ferne von dem wahren lebendigen goͤtt-
lichen glauben) ſo dann dem opere operato des aͤuſſerlichen GOttes dienſts und
bekaͤntnuͤß der warheit/ hingegen widerſpruch der falſchen lehr/ abſpeiſen wollen;
gerade als muͤſte GOtt wol mit uns zu frieden ſeyn/ ob wol des rechtſchaffenen we-
ſens in Chriſto ſich leider wenig bey uns befunden hat. Wie der augen ſchein gantz
deutlich an allen orten zeiget. Da iſts alſo kein wunder wo uns der HERR/ als
der ſich in die harꝛe nicht ſpoten laͤſſet/ endlich alles ſolches/ unſere politiſche freyheit
und ruhe-ſtand/ ſo dann die religions freyheit und dero umeingeſchrenckten ge-
brauch wegnehme/ oder doch dermaſſen beſchneide und einſchrencke/ daß wir ſagen
muͤſſen/ der HERR hat nicht vergeſſen/ was wir gegen ihn geſuͤndiget/ ſondern
unſere miſſethaten in das liecht vor ſeinem angeſicht geſtellet. Wo er ſolches noch
nicht angefangen hat/ wird man darum nicht leer außgehen/ ſondern hat nur die-
ſen vortheil in verlaͤngerter friſt zur buß/ ſich ſo viel beſſer zu der ſache zu bereiten/
und dabey zugedencken/ daß wir ſolcher friſt uns deſto fleißiger zugebrauchen ha-
ben. Wie ich dann uns allen keinen beſſern rath weiß/ als wir ſtehen noch in un-
ſerer freyheit/ oder haben ſolche zum theil verlohren/ daß wir uns des jenigen/ was
wir noch uͤbrig haben deſto fleißiger gebrauchen/ und es danckbarlich zu des jeni-
gen ehren anwenden/ der uns daſſelbe gegeben oder gelaſſen hat. Dabey neben
uns
[491]ARTIC. I. DISTINCT. III. SECTIO XLI.
uns immer mehr gefaßt zu machen auf die beſorglich noch ſchwehrere vorſtehende
zeiten und gerichte/ die nicht auſſenbleiben werden/ vielmehr die jetzige nicht anders
zuachten ſeind/ als die vorbereitungen zu jenen ſchwehren. Solches aber kan nicht
beſſer geſchehen/ als wo wir unſern GOttes dienſt/ ſo viel und ſo lang uns der HErꝛ
noch von denſelben oͤffentlich uͤbrig laͤſſet/ mit ernſt und eyffer aber auch rechtſchaf-
fenem geh[o]rſam/ verꝛichten und in dieſen zeiten der truͤbſal oder gefahr nunmehr
die jenige koͤrner des goͤttlichen worts/ welche in uns vor deme geſtreuet worden/
und noch ohne frucht bey uns liegen geblieben ſind/ recht auffgehen/ und ſelbige/ von
dem HERREN verlangte/ fruͤchte bringen laſſen: Wie ich nicht zweiffie der
HERR werde an unſer aller hertzen durch die krafft ſeines worts auch innerlich
anklopffen/ uns dieſes erinnern/ und wo wir ihm platz geben/ eben daſſelbe bey uns
wuͤrcken. So iſt alsdann ſolche truͤbſal oder gefahr der geſegnete regen/ welcher
jene trucken gelegne koͤrner anfeuchtet/ und zur fruchtbarkeit bereitet. Wir ha-
ben nun ſo lang unsnoch GOtt gleichſam einen ſom̃er laͤſſet/ wo wir bey dem oͤffent-
lichen exercitio etwas einſammlen koͤnnen/ ſolcher zeit uns zu gebrauchen/ damit
wir einen vorrath haben moͤgen/ auf die zeit/ wo es geſchehen moͤchte/ daß wir mit
einer bloſſen hauß-kirche zu frieden ſeyn muͤſten/ und auch noch dabey in gefahr ſte-
hen doͤrfften. Wie ich dann niemand verſichern kan/ wie viel wir oͤffentliches in
einer kurtzen zeit von unſerer religion uͤbrig behalten werden/ wann allem vermu-
then nach der HErꝛ dem geſamtem Babel macht geben wird/ ſeinen letzten grimm
auszugieſſen und um zu erfuͤllen das maas ſeiner ſuͤnden auch herbey ziehung ſeines
eigenen gerichts/ das verdorbene Jeruſalem zu zerſtoͤhren/ daß nichts uͤberbleibe/
als zerſtreute ſteine/ die zu einen neuen gebaͤude wieder gebrauchet werden. Wo
wir hieran gedencken/ und uns auff ſolche zeit gefaßt machen/ nicht anders ob haͤt-
ten wir morgen uns alles deſſen zuverſehen/ ſo iſts eine ſelige frucht unſerer heim-
ſuchung/ und wird uns ewig nicht gereuen: ja wir werden das gegenwaͤrtige aus
der hand des himmliſchen Vaters ſo viel gehorſamer und gedultiger auffnehmen/
weil wir ſeine guͤte darinnen erkennen/ daß er nicht ploͤtzlich das allerſchwerſte uͤber
uns fallen/ ſondern allgemach durch eines und anderes auff den haͤrteſten kampff
uns bereiten laͤſt/ der verſicherung/ die zeiten moͤgen in geiſtlichem und weltlichem
ſo ſchlim werden als ſie immer wollen/ ſo ſeye ſeine guͤte unendlich/ und nach ſeiner
treue laſſe er keine verſuchung/ welche allzuſchwehr waͤre/ uͤber uns kommen/ ſon-
dern das maaß ſeines troſts und gnade werde hinwieder ſo viel reichlicher ertheilet
als wir deſſelben beduͤrfftig ſeyn werden/ da wir nur in glauben und vertrauen an
die gnade GOttes feſt beharꝛen. Es wird uns GOTT auch lehren/ mehrund
mehr alle liebe und alles vertrauen oder freude an und auff dieſes irrdiſche zuver-
leugnen und abzulegen/ ja zu glauben/ daß nichts von allem/ es ſeye ſtand guͤte o-
der was ſich ſonſten in dieſer zeit findet/ vor eigen anzuſehen/ ſondern zuglauben
haben/ das jenige ſeye allein unſer/ was wir in unſerer ſele haben und beſitzen/ weil
Q q q 2wir
[492]Das ſechſte Capitel.
wir die ungewißheit des beſitzes alles des uͤbrigen ſo augenſcheinlich ſehen/ und durch
[erfahrung] deſſen uͤberzeuget werden. Damit werden wir zu ſolchen geiſtlichen
und ewigen guͤteren allezeit ſo viel geſchickter und tuͤchtiger gemachet werden/ als
mehr das hertz von ienen irrdiſchen gereiniget wird. Und ſo wird die zeit kommen
daß wir erkennen werden/ wie alle ſolche goͤttliche gerichte viele barmhertzigkeit in
ſich gefaſſet haben und damit temperiret geweſen ſind. Und auch daß wir jetzt
ſchon lernen alle ſolche gerichte/ ob ſie uns wol nach dem fleiſch wehe thun/ zu preiſen
und das lob des lob-wuͤrdigſten GOTTes unter allen denſelben zu verkuͤndigen[.]
Sonderlich aber ſolten wir ja niemand von menſchen deßwegen beſchuldigen/ noch
der urſach deſſen/ was wir leiden muͤſſen/ auff andere werffen/ womit wir uns
leicht verſuͤndigten/ aber ſicher thun/ da wir uns allein vor dem HErren demuͤthi-
gen/ ſeine gnade allein zu ſuchen. So kompt unſer gemuͤth in eine ruhe/ und wer-
den wir immer mehr und mehr der goͤttlichen gnade verſichert. Welches ich ih-
nen und uns allen/ denn etwa ſolcherley noch mag vorſtehen/ hertzlich wuͤnſche. Jn-
deſſen bleibet ihnen und denen jenigen/ die der HERR nach ſeinen willen in frem-
de botmaͤßigkeit gerathen laſſen/ dieſe regel/ die dorten Jeremias den Juͤ-
den gegeben/ welche von den Babyloniern gefangen gefuͤhret worden/ daß
ſie nun den jenigen unterthan ſeyen/ in dero haͤnde ſie der HErr gegeben hat/ daß
ſie nun ſoſcher gewalt gutes wuͤnſchen/ ihr beſtes ſuchen/ und auch die jenige wohl-
thaten/ welche der HERR etwa durch dieſelbe in regierung der hertzen widerfah-
ren laffen wolte/ von ihr mit danckbahrkeit gegen GOTT annehmen. Dann
auch dieſes ein ſtuͤck unſerer gedult iſt/ daß man ſich gegen die jenige nicht ſtreube/
welchen der HERR gewalt uͤber uns gegeben hat/ und ſich auch hierinnen ihm in
denen jenigen unterwerffe/ die wir uns zwar nicht zu HERREN gewaͤhlet haͤt-
ten/ aber er ſie nach ſeinen unwiderſtreblichen willen gegeben/ und eben damit ſei-
nen willen an uns eroͤffnet hat. Dieſes ſind/ mein gelibter Herr Schwager
meine gedancken uͤber dieſe bege nuͤß/ ſo ich denſelben und uͤbrigen Herrn Schwaͤ-
gern/ weil mir an jede zu ſchreiben die zeit nicht wohl zugiebet/ in meiner einfalt und
vertrauen communiciren wollen/ hoffende wie ſie mit den ihrigen ohne zweiffel al-
lerdings uͤber einkommen werden/ alſo werden ſie ihnen nicht mißfallen laſſen/ hier-
aus zu verſtehen/ wie wir einerley geſinnet ſeyen. Den HERNEN ruffe ich
dabey an/ er gebe auch ihnen ſeines heiligen Geiſtes licht in der maß/ daß ſie auch in
dieſem werck ſeinen willen recht erkennen/ und alſo in allen ſich darnach richten:
Erzeige aber in der that/ daß er der ſeinigen nicht vergeſſe ſondern mitten in allen
leiden ihrer Vaͤterlich gedencke/ und alle ſeine wercke/ wie ein ſeltzames anſehen ſie
erſtlich haben/ endlich herrlich hinausfuͤhre zu ſeiner ehr und der ſeinigen heil. Den
3. Oct. 1681.


SECT.
[493]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XLII.

SECTIO XLII.


Wie das mittel von einem prediger zu treſſen/ we-
der ſein gewiſſen den menſchen zu unterwerffen/
noch auch in eigenſinn und hartnaͤckigkeit
zu verfallen.


ES verlangt mich ſehr wie es ſeye mit Herrn N. N. abgegangen/ und ob er
zu der reſtitution gelanget oder nicht. Kan mein Hochgeehrter He[r]r et-
was bey ihm ausrichten/ ſo bitte hertzlich/ ihm zu remonſtriren/


1. Daß er doch nicht ſich ſelbs alleine trauen/ ſondern etwa ſeine ſchwachheit
erkennen moͤge. Jch obligire keinen zu eine ſclaverey und menſchen-dienſt in
gewiſſens ſachen/ ich kan aber auch derjenigen vermeſſenheit nicht billigen/ wel-
che alle menſchliche manuduction nicht annehmen/ auff ihrem vermeinten geiſt
alleine beruhen und nicht glauben wollen/ daß die geiſter der Propheten den Pro-
pheten unterthan ſeyen. Gewißlich aus ſolcher eigenſinnigkeit entſtehet ſo viel un-
gluͤcks/ als aus anderer dienſtbarkeit.


2. Daß er/ wo er meinet in einigen dingen recht zu haben/ mit eine modeſtie
und reverentz ſeinen ſuperioribus/ welche vor Phariſeer zu declariren eine allzu
hochmuͤthige und einem diener CHRJSTJ unanſtaͤndige verweſſenheit und
richt-ſucht waͤre/ begegne/ und zeige/ daß er eben ſo wenig hartnaͤckig ſeye/ ſich
deroſelben autoritaͤt zu widerſetzen und ſie ſchimpfflich zu tractiꝛen/ als ich ihm nicht
heiſſen will/ wieder ſein gewiſſen/ welches aber gleichwohl auch bruͤderlichen unter-
richt nicht verwerffen muß/ einiges zu thun und zu glauben. Ungeſtuͤmigkeit/
ſtachlichte gegenfragen und verweigerung richtiger antwort/ macht keine ſache gut
ſondern verderbet ſie. Jch ſage nicht/ daß niemahln gegenfragen erlaubet ſeyen/
aber die frage wird dahin gehen/ ob/ wie/ und von wem/ (da auch wiſſe mit recht-
ſchaffener klugheit ſie anzubringen) dieſelbe geſchehen moͤge. So thuts auch ein
gantzer hauffe ſpruͤche und zuſam̃engefetzter wort der Schrifft nicht/ ſondern es muß
geſehen werden/ wie jegliche deroſelben gemeinet ſind/ und wen ſie treffen/ daher die-
felbe ſparſamer/ aber mit Chriſtlichen bedacht gebraucht/ achte ich der reverentz/
welche wir der Schrifft ſchuldig ſind/ vielmehr gemaͤß zu ſeyn.


3. Daß ein groſſer unterſcheid ſeye unter den hauptſachen des GOttes-
dienſts ſelbs/ ſo in lehre als verrichtungen/ und unter deroſelben in eine freyheit ge-
ſtelten umſtaͤnden. Zu jenen bleibt ſreylich GOttes wort unſere einige norm,
und wehe dem der eine andere erwehlen will/ denn da haben wir/ was von dem
HErren geredet/ nicht zu aͤndern. Zu der andern art gehoͤren die liturgiæ, formu-
læ, ceremoniæ
und anders dergleichen. Von dero norm iſt zwar freylich GOt
Q q q 3te
[449[494]]Das ſechſte Capitel.
tes wort auch nicht ausgeſchloſſen/ ſo fern daß nichts in demſelben duͤrffte guͤltig
ſeyn/ was wider dieſes ſtreiten wuͤrde/ aber der HErr hat der kirchen auch hierin-
nen eine freye hand gelaſſen/ etwas zu diſponiren wie ſie/ ihre allgemeine regel vor
augen habende/ in ſolchen euſſerlichen dingen/ die ſache am beſten findet/ da iſt als
dann ſolche ſache nicht eines jeglichen urtheil unteꝛworffen/ ſondern nemo pacificus
contra Eccleſiam.
Deucht uns/ wir koͤnnen die ſache erbaulicher anſtellen auff ei-
ne andere art/ ſo haben wirs entweder bey der kirchen an zu bringen/ nicht aber ihr
etwas des unſrigen eigenmaͤchtig auffzudringen/ oder gelegenheit zu ſuchen/ wie
wir dergleichen thun moͤchten/ in ſolchen occaſionen, wo von uns die kirche eben
keine ſonderbahre ordnung vorgeſchrieben.


4. Daß er ſich vor nichts mehr huͤte/ als ſich uͤber das maaß/ das ihm gege-
ben ſeyn mag/ zu erheben. Sich eines eigenlichen ſo genanten Prophetiſchen
geiſtes auszugeben iſt viel; ich mag es goͤnnen/ wem es GOTT giebet/ und ſol-
te mich freuen/ wo uns GOTT ſolche leute gebe; ich achte aber nothwendig/ jeg-
lichen treulich zu warnen/ ſich ſelbs wohl zu pruͤffen/ was von GOTT und eigener
einbildung herkommt. Jn allen dieſem nehme mir nicht vor den guten mann zu
urtheilen/ oder obige dinge zu beſchuldigen/ wie ihm etwa das meiſte davon mag
ſchuld gegeben werden/ aber ich ſetze hie die gemeine ſaͤtze/ was ich von derglei-
chen dingen halte/ nach denen er ſich zu pruͤffen haben moͤchte/ ob er ſich in einigen ſol-
chen ſtuͤcken ſolte vergangen haben/ um als dann darinnen zu ruͤcke zu kehren/ wor-
innen er ſich verſtoſſen. Wie denn ſein unrecht demuͤthig zu erkennen eben ſo wol
ein ſtuͤck Chriſtlicher ſchuldigkeit iſt. Jch thue ſolches aber deſto lieber/ weil ich mich
vor ſein beſtes zu ſeyn/ auch daher verbunden achte/ nachdem er gegen mich einiges
vertrauen bezeuget; ſo dann durch dergleichen einen lieben freund es zu thun/ von
dem ich hoffen mag/ daß ers etwa liebreicher auffnehmen moͤchte als von andern.
Jch geſtehe gern/ daß michs offt betruͤbet/ wo ich ſehen muß/ wann ſich ein guter
eiffer und intention bey einem mann zeiget/ daß er nachmahln offt in denſelben
auff eigenen ſinn verfaͤllt/ und alſo etwa dergleichen dinge vorgehen/ daß andere
freunde ſich ſolcher leut/ mit denen ſie zwar ein liebreiches mitleiden tragen/ nicht
mehr wohl annehmen doͤrffen/ wo ſie es gar verdorben haben. Worinnen ich
offt einiges gericht des HErrn mit betruͤbnuͤß/ jedoch demuͤthigen preiß ſeiner ge-
rechtigkeit/ anſehe. Der HERR regiere den mann auch mit ſeiner gnade/
mit dem geiſt der demuth des gehorſams und der beſcheidenheit/ daß er ihm ferneꝛ zu
dienen moͤge erhalten werden. 18. Oct. 1681.


SECT.
[495]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XLIII.

SECTIO XLIII.


Goͤttlicher guͤtiger rath/ der mich durch Dilfel-
den angegriffen werden laſſen/ und die antwort geſegnet.
Rettung meiner lehr von ver dacht. Verlangen/ in der that
GOttesgelehrte zu haben: Da keine andere in den verfol-
gungen beſtehen werden. Erinnerung da man Ja-
cob Boͤhmens buͤcher wider trucken laſſen
wollen.


SEine liebe wird mir nicht in uͤblen auffnehmen/ daß nun unterſchiedliche jah-
re geſchwiegen/ ob wohl derſelbe mir aus meiner gedaͤchtnuͤß nicht/ gekom̃en
noch ich auffgehret habe mehrmahls den HErrn anzuflehen/ der ihn fuͤhre
auff richtiger bahn durch ſeinen heiligen Geiſt. Es hat aber gleichwohl endlich
der liebe nothdurfft geſchienen zu erfordern/ daß einmahl wieder die feder anſetzte/
und ſonderlich vor diejenige freundliche auffmunterung danckte/ da derſelbe ſein
Cchriſtlich vergnuͤgen uͤber meine gegen Dilfelden heraus gegebene vertheidigung
bezeuget hat. Dem HErrn ſeye danck/ der ſolches arme/ jedoch in ſeiner furcht/
ausgefertigte Scriptum der maſſen geſegnet/ daß der widerſacher bißher ob wohl
ſich nicht gegeben/ noch der wahrheit gewichen/ gleichwohl mit oͤffentlicher antwort
geſchwiegen undſich damit befriediget hat/ daß er/ wie ich hoͤre/ etwas geſchriebe-
nes/ ſo gleichwohl noch niemahls erlangen koͤnnen zu ſeiner verantwortung unter-
ſchiedlichen Theologis zu geſendet hat/ deren aber mehrere ihr mißfallen ſollen
daruͤber bezeuget haben/ daher die publication wohl unterbleiben doͤrffte; ſo ich
in die hand des HErrn empfehle/ damit auch zu thun oder zu verhaͤngen nach ſei-
nem wohlgefallen und heiligen rath; jedoch hertzlich ſeine guͤte anflehe/ dem wider-
ſprecher ſelbſt die augen zu oͤffnen/ daß er ſich nicht weiter verſuͤndige/ vielmehr
vor ihm demuͤthige/ und hinkuͤnfftig ein ſo viel tuͤchtigers werckzeug Goͤttlicher gna-
den werde/ als er die wahrheit vorhin widerfochten. Jch erkenne auch ſamt an-
dern mit demuͤthigſten danck die guͤte GOttes/ der dieſen angriff/ welcher dahin an-
geſehen war/ mich hinkuͤnfftig zu allem werck des HErrn untuͤchtig zu machen/ zu
gegeben/ aber gantz weißlich dahin alſo gefuͤget hat/ daß es nicht nur eine gelegen-
heit ſeyn muſte/ mich vor der gantzen Evangeliſchen kirchen zu purgiren/ und damit
meine lehr von denen ſchon laͤngſten durch andere bey ihr vielen verurſachten und
eingedruckten verdachten und ſeltzamen conc[e]pten zu liberiren/ wie ich die zeug-
nuͤſſen derjenigen in zimlicher zahl in haͤnden habe/ wie viele Theologi gantz anders
von mir als vorhero/ nach dieſer ſchrifft geurtheilet/ ſondern auch/ welches von
mehrer
[496]Das ſechſte Capitel.
mehrer wichtigkeit iſt/ dardurch verurſachet worden/ daß unter ſchiedliche ſtudioſi
und Prediger dieſe ihnen erſtlich faſt fremde geſchiehnene materie nicht ohne
ihren ſonderbahren nutzen einzuſehen angefangen. Was nun jenes erſte anlan-
gtt/ iſt mirs billich eine hertzliche freude/ davor GOTT zu dancken habe. Dann
ob wir wohl auff das jenige nicht vornehmlich zu ſehen haben/ was men-
ſchen von uns urtheilen/ weil es allein daran liget/ ob der HERR uns lobe/ ſo
dann ausgemachet iſt/ daß/ wo man die ſache des HERREN mit ernſt treibet/
unmoͤglich falle/ daß man alle laͤſterungen und widerſpruͤche fleiſchlicher leute ver-
meiden moͤge/ dann es muß gleichwohl ſtaͤts heiſſen/ διὰδυ, φημίας καὶ ἐυφημίας: ſo
thuts doch nicht nur wehe/ wo man ſiehet/ daß man der ſtein des anſroſſes ſeyn muͤ-
ſte/ daran ſich andere verſuͤndigen/ hingegen iſts ſehr angenehm/ wo ſolcher ſuͤnde
gewehret wird; ſondern es wird durch ſolche verdaͤchte und widerſpruͤche manches
desjenigen ſehr gehindert/ was man vor die ehre GOttes vorgenommen/ folglich
iſt abermahl eine danckens wuͤrdige wohlthat/ wann der HERR die gemuͤther
dahin lenckt/ daß ſie nachmahln das gute mit helffen befoͤrdern/ oder doch auff-
hoͤren ſich daꝛwider zuſetzen. Das andere aber iſt noch ein viel wichtigers/ wo GOtt
eine thuͤr oͤffnet/ daß die lehren ſo faſt ins geſamt eine zeitlang wollen verdaͤchtig ge-
achtet werden/ von ſolchen verdacht gerettet/ und die gemuͤther bereitet werden/
das jenige mit bedacht ferner zu erwegen/ ſo nachmahl ohne frucht nicht abgehen
kan/ wo von ſie vorher abhorriret/ weil ſie ſeltzame impreſſiones ſich von der ſache
gemacht hatten. Aber ach daß der HERR nicht ſo wohl zu dieſer meiner einfaͤl-
tigen arbeit/ mit dero bißheriger frucht ich billich ſolle zu frieden ſeyn/ und deroſel-
ben nicht wuͤrdig geweſen bin/ als vielmehr zu ſeinem eigenen heiligen woꝛt noch fer-
ner den ſegen geben wolte/ daß abermahl das jenige/ was man in dem buchſtaben
wahr zu ſeyen anfaͤngt mehr und mehr zu bekennen/ auch in die hertzen
komme/ und wir ins kuͤnfftige viele lehrer bekommen moͤgen/ welche gleich wie
mit dem munde/ daß wir von GOTT gelehrt ſollen ſeyen/ bekennen/ alſo
es auch in der that ſeyen/ und dieſer wahrheit nicht nur anderer zeugnuͤſſen
wegen beypflichten/ ſondern ſie lebendig in ihren hertzen empfinden: als
wohin alles andere allein gerichtet iſt. Wir bedoͤrffen je dieſer GOttes-gelehr-
heit ſo vielmehr/ weiln es an dem iſt/ daß nun die Goͤttlichen ſo lang angedrohete
gerichte ausbrechen/ und wir das wetter der verfolgung bereits uͤber unſern haupte
ſchwebend ſehen; Nun in ſolchen feuer wird ſichs bald euſſern und offenbahren/
was wahr oder falſches gold geweſen. Daher es ſchwehr werden wird/ bey leh-
rern und zuhoͤrern/ alles um des nahmens des HERRN willen zu verlaſſen/ wo
unſer glaube nichts als eine nicht gegruͤndete meinung und aus den jenigen/ was
wir von menſchen gehoͤret haben/ und weil wir ein guts vertrauen zu ihnen tragen/
hergenom̃ene erkaͤntnuͤß iſt/ ohne das liecht und verſieglung des heiligen Geiſtes: ja
wo es nicht damit hoͤher kommt/ ſo wird gantz leicht durch menſchliche kunſt und So-
phi-
[497]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XLIII.
phiſterey das jenige umgeſtoſſen/ was man nicht anderſt als auch aus meuſchli-
cher kunſt gelernet hat/ oder auffs wenigſte iſt durch die liebe dieſer welt bald das
jenige unkraͤfftig gemacht/ was nicht Goͤttlich iſt. Daher wir ja wohl urſach ha-
ben/ das jenige liecht in uns wahrhafftig zu haben/ was uns allein allen betrug des
irrthums offenbahret/ und unſere ſeelen feſt machet; daß ſie nachmahln das dro-
hen und locken der welt nicht hoch achten/ oder doch ſich nicht dardurch ſtuͤrtzen laſ-
ſen. Wiewohl ich ſorge/ es werde bey vielen faſt zu ſpaͤt ſeyen/ und ſeyen ihre her-
tzen ſo verſtockt/ daß ſie jenes wahren liechts weder verlangen/ noch habhafft wer-
den werden/ ſondern in den gericht untergehen muͤſſen: Um welcher elenden leute
willen die gerichte des HERRN vielmehr betruͤblich zu achten ſind/ als/ wegen
des leides/ ſo die wahre Chriſten darbey betreffen/ und ihr heil nur ſo vielmehr befe-
ftigen/ ja ihre herrlichkeit groͤſſer machen wird. Jch ſehe alſo nicht mehr andere
mittel uͤbrig/ als flehen und ſeufftzen zu dem HERRN/ ſo dann mit bittẽn und er-
mahnen anzuhalten bey den jenigen/ die mir abſonderlich anbefohlen ſind/ und zu
welchen mir der HERR gelegenheit giebet/ daß ich doch auch damit meine arme
ſeele rette. Jm uͤbrigen habe in freundlichen vertrauen nicht zu verhalten/ daß
durch gute freunde ſo daſelbſt durchgereiſet/ berichtet worden/ das Jacob Boͤh-
mens
werck auffs neue bey ihnen gedruckt worden/ und mein geliebter freund ſon-
derlich in ſolcher ſache ſehr beſchaͤfftiget ſeye. Daher ich meiner liebe gemaͤß zu
ſeyen erachtet/ demſelben freundlich zu erinnern/ die ſache reifflich und mit hertz-
licher anruffung GOttes vor ſeinem angeſicht zu uͤberlegen/ was darinen zu GOt-
tes ehren und der kirchen nutzen das beſte ſeye. Jch bekenne gern/ daß ich die
ſchrifften nicht gantz geleſen/ und ſolches aus der urſach/ weiln/ als etwas davon zu
leſen mir gegeben worden/ ſolches nicht verſtehen konte/ und alſo die zeit unnuͤtzlich
zu zubringen billich bedencken hatte. Dahero ich deroſelben und ſeine lehre weder
einerſeits verwerffen noch einer ſeits annehmen kan/ ſondern bey den ἐΠέχειν ſtille
ſtehen muß. Wann mir aber aus leſung des wenigen/ ſo ich davon durchgangen
ſolche ſorge gleichwohl gemachet worden/ daß ich meine/ es ſeye billicher verdacht
auff ſothauen ſchrifften/ ſo dann ſolcher durch einige gute leute vermehret worden/
welche meinten/ in Boͤhmen dergleichen was ſich nicht mit Goͤttlicher wahrheit
reimte/ in den Boͤhmiſten aber ſo viel ſie gekant/ wenig Chriſtliches gefunden zu
haben/ ſo achte mich auffs wenigſte verbunden diejenige/ zu welchen mir der HErr
den weg machet/ und von denen ich hoͤre/ daß ſie ſich hinter ſolche buͤcher laſſen
Chriſtlich zu erinnern/ entweder wo ſie nicht den geiſt der pruͤffung in zimlicher
maß haben/ ſolche leſung zu unterlaſſen/ und ſich an den unzweiffenlichen wahren
Goͤttlichen wort und andern unverdaͤchtigen buͤchern zu vergnuͤgen/ auch deswegen
weil wir insgemein noch etwa zu den hohen geheimnuͤſſen nicht tuͤchtig ſind/ die in
Boͤhmens ſachen ſeyen ſollen/ und daher an uns in den ſtuͤcken meiſtens zu arbeiten
haben/ darzu wir etwa bekandlich jener nicht benoͤthiget ſind/ oder wo ſie ja
R r rgnade
[498]Das ſechſte Capitel.
gnade und urſach dieſelbe zu leſen zu haben meinen/ ſolches mit groſſer behutſamkeit
zu thun/ daß ſie nicht an ſtatt der wahrheit faſchheit in ſich faſſen moͤchten. Waͤ-
re es von GOTT zu erbitten/ ſo wuͤnſchte hertzlich daß derſelbe einen mit gnugſa-
men geiſtes gaben ausgeruͤſteten mann erweckte/ welcher ſolche ſchrifften recht ge-
nau unterſuchte/ und ohne verletzung der wahrheit und der liebe ſein urtheil aus-
fuͤhrlich dermaſſen uͤber ihn abfaſſte/ daß jederman/ deme ſein heil angelegen/ zur
uͤberzeugung des gewiſſen daraus erkennen koͤnte/ was von jenen ſchrifften zu hal-
ten. Damit nicht entweder/ wo in ſolchen buͤchern ein ſolches herrliches liecht
der wahrheit zu befinden iſt/ wie ich abermahl nicht leugne von einigen gehoͤrt zu
haben/ die ihn ein dergleichen zeugnuͤß gaben/ und betheurten/ daß alle ſeine
lehre mit unſerer Evangeliſchen wahrheit uͤber einkaͤme/ der ſchein ſolches liechts
nicht laͤnger hinterhalten wuͤrde/ ſondern die gewißheit allen in ihre hertzen einleuch-
tete/ wo ich als dann von grund der ſelen ſelbs befoͤrdern wolte/ was ich Goͤttlicher
wahrheit gemaͤß erkennte/ und ja nicht wieder GOTT ſtreitende erfunden zu wer-
den begehre oder anderſeits/ da gleichwohl die daruͤber geſchoͤpffte verdachte wohl
gegruͤndet/ und er ein irr-geiſt geweſen zu ſeyen erfunden wuͤrde/ damit nicht
Chriſtlichen hertzen dadurch von ihrer einfalt in CHRJSTO abgeleitet und an
der ſelen verletzt wuͤrden. Jch ſtehe auch in den guten vertrauen/ der HErr wer-
de ſolches verlangen entweder bald erfuͤllen/ worzu nicht undienlich ſeyen mag/
wann erſtlich einige ſcripta pro \& contra herauskommen/ und zu einen ſolchen
deutlichen ausſchlag den weg bahnen werden/ dazu es ſich faſt ſcheinet auzuſchicken.
Biß aber ſolches geſchehe/ und ſo lang die leſung ſo thaner buͤcher wohl vor gefaͤhr-
lich geachtet werden mag/ ſtelle ich meinen vielgeliebten Herrn zu gottſeligen nach-
ſinnn vor/ ob es rathſam ſeye/ mit neuen editionen unnd aufflag dieſelbe unter die
leute mehr zu bringen oder vielmehr damit einzuhalten. Jndem vor die jenige/
welche davon zu urtheilen vermoͤgen/ der exemplarien ohne das genug werden vor-
handen ſeyen/ vor andere ſind auch die vorige all zu viel. So ſehe hingegen daß
einerſeits/ da einiger mangel an exemplarien waͤre/ der kirchen aufferbauung kein
ſchaden daher zu ſorgen/ ob er auch in der probe einmahl juſt ſolte befunden werden.
Dañ auffs wenigſte muͤſſen wir eꝛkennen/ er ſey uns nicht ſchlechterding noͤthig/ ſon-
dern es behaͤlt die heilige ſchrifft ihr zeugnuͤß noch ſo wohl als zu Pauli zeiten/ daß ſie
gnugſam ſey uns zu unterweiſen zur ſeligkeit/ durch den glauben an CHriſtum/
daß ein menſch GOttes ſey vollkommen zu allen guten wercken geſchickt. So
mag man alſo auffs wenigſte ſo lang/ biß er gepruͤffet/ und der HErr die warheit
offenbahrer werden laſſen/ ſeiner entrathen. Anderſeits aber/ wo deſſen liebhaber
bißher ſolten geirret haben/ und er kein lehrer/ von GOTT erleuchtet geweſen/
ſondern irrthum lehrte/ wird jegliches gottſeliges hertz erkennen/ wie ſchwehr der
jenigen verantwortung ſeyen werde/ welche obs auch unvorſichtig geſchehen waͤre/
ſolche ſchrifften befoͤrdert und damit ſich des ſchadens/ ſo dardurch geſchehe/ theil-
haff-
[499]ARTIC. I. DIST. III. SECT. XLIV.
hafftig gemacht haͤtten. Nun in allen ſolchen ſachen iſts das beſte und dem gewiſ-
ſen gemaͤſſeſte/ den theil zuerwehlen/ welcher der ſicherſte und die wenigſte gefahr
der ſuͤnden ſich findet. Der HErr laſſe alſo nicht zu/ daß mein geliebter freund o-
der andere/ die ihn von hertzen ſuchen/ ſich hierinnen verſuͤndige/ ſondern gebe ihnen
gnade/ liecht und finſternuͤß zu unterſcheiden/ und daß zu eꝛwehlen/ womit ſie we-
der ſich noch andere verletzen. Wie er allein der jenige iſt/ der die hertzen veſt
machenkan. Jndeſſen gnade und huld zur erkaͤntnuͤß und vollbringung ſeines wil-
lens denſelben treulich empfele. den 15. Decembr. 1687.


SECTIO XLIV.


An meinen guten freund/ der mich vieler dinge
erinnert. Willigkeit erinnerung anzunehmen. Ver-
laͤugnung des
Academiſchen hochmuths undſtudien: Dieſer
nutzen. Geiſtlicher hochmuth.
Academiſche grade. Allge-
meine klagen der Propheten ob zu widerhohlen? Ob einige aus-
zunehmen? Andrer
Theologorumfreundſchafft. Worzu ſie
nutze. Ubergang zu den creutztraͤgern.
Lutherus. Arndius.
Babel allein Rom mit deſſen anhang. Meine ſtudia heraldica
J. Betkius. Herman. Jungius.
Gifftheil. Trappe. Kuhlmann.
Jacob Boͤhme. Verlangen der gewißheit uͤber ihn.
M.Holtz-
hauſen. Ob wir aus Luthero einen abgott machen. Meine
gedancken uͤber unſren jetzigen zuſtand. Welcherley mittel muͤſ-
ſen vorgeſchlagen werden. Was noch auszurichten? Ob et-
was vergeblich zu verſuchen. Annehmung der noth der armen.
Jſrael in der wuͤſten. Ob die Ungarn und Refor-
mirte in Franckreich verlaſſen wer-
den?


JCh habe in jahres friſt unterſchiedliche brieffe von demſelben erhalten/ und
daraus ſeine liebe und ſorge vor mich verſtanden/ davor auch billichen und
ſchuldigen danck ſage/ leugne aber nicht/ daß nicht nur die eigene viele ge-
ſchaͤffte u. noͤthlge antwort-ſchreiben an die jenige/ die die jenige mir ertheilte gaben
zu ihrem unterricht ihnen nuͤtzlich oder noͤthig achten/ denen alſo billich in hertzlicher
liebe zu dienen vor andern mich befleißigen ſolle/ mich von der antwort abgehalten/
ſondern auch dieſes eine urſach ſolches unterlaſſens geweſen/ daß ich offt nach ver-
leſen einiger ſchreiben kaum abſehen koͤnnen/ was die endliche meinung an mich
R r r 2ſeye
[500]Das ſechſte Capitel.
ſeye/ und folglich was ich zu antworten habe: da ich ſonſten gewohnt bin/ an gu-
ten freunden/ und ſolches auch liebe/ daß man ſeines hertzens ſinn deutlich und vor-
nehmlich darſtelle/ daß der andere ohne vieles nachſinnen u. errathen die gantze in-
tention
recht einſehen und erkennen koͤnne. Wie ich hoffe/ meine brieffe werden
in ſolcher einfalt geſchrieben ſeyn. Jch habe in den vorigen bereits etwas hieruͤber
geklagt/ muß aber faſt ſolches wiederhohlen: und weiß nicht/ ob der mangel an
miꝛ ſeye; daß das deutliche nicht nach genuͤgen verſtehe/ oder ob die ſchuld bey den
brieffen ſeye; welches alſo dahin geſtellet ſeyn laſſe; jedoch nicht leugne/ daß michs
zum antworten traͤge oder langſam macht. Jedoch will nunmehr in dem nahmen
des HErren verſuchen/ auf die brieffe zu antworten/ ob zwar ohne ordnung/ wie
mir dieſelbe die ſachen ſelbſt an die hand geben werden. Was denn nun den erſten
und weitlaͤufftigſten brieff anlangt/ ſo irret der Herr nicht/ da er ein auffrichtiges
gemuͤth von mir hoffet/ und getraue ich dieſes genugſam in der that zu zeigen/ ob
mirs in vielen ſtuͤcken/ wie ich nicht leugne/ viel fehlet/ ſo fehle es aufs wenigſte nicht
daran/ daß mirs von hertzen ein ernſt ſeye/ und ich endlich in der ſache des
HERREN/ zu verfahren trachte. So wuͤnſchte ich/ daß wir einander
rechtgruͤndlich verſtuͤnden/ und uns ſo expectoriren koͤnten/ daß wir einander
durch aus bekant waͤren. Jch gedachte/ bißher von meiner ſeiten ſolches gethan
zu haben/ daß der HERR mich ja nicht anders/ mehr oder weniger/ als an mir
waͤre/ anſehen moͤchte/ ob ers aber alſo zu thun vermocht habe/ daß er mich alſo ken-
ne/ weis ich noch nicht: kan aber dieſes wol ſagen/ daß aus ſeinen offtmahligen brief-
fen in vielen hauptſtuͤcken ſeine meynung noch nicht penetriren kan. Daß wir
freylich nichts wiſſen und verſtehen/ ohne was uns der HErr zuverſtehen giebet/ iſt
eine unwiderſprechliche grundwahrheit/ und ruffe ich GOtt an/ er wolle nicht nur
allein gegen dieſelbe das wenigſte mir niemal in meine ſeele kommen laſſen/ ſondern
mir dieſelbe alſo ſtaͤts vor augen ſtellen/ daß ich mich in allem derſelben eriñere/ und
damit alle reitzungen zu eigener ehr/ weißheit/ oder vertrauen kraͤfftig außtilge.
Hingegen daß ich auch allemahl recht ohne fehl erkenne/ was ſeyn werck und ſeine
wahrheit iſt/ auf daß ich nicht unter den gedancken die eigene weißheit zu verwerf-
fen ſeine wuͤrckung zu nicht mache/ und mich nicht weniger auf ſolche art verſuͤndi-
ge. So iſt auch billich und noͤthig/ daß wir hertzlich vor einander beten/ und ein-
ander nach dem vermoͤgen daß GOtt gibet/ treulich erinnern. Jch meiner ſeits/
wie ich mir ſelbſt nicht traue/ ſondern wol weiß/ wie mein eigen hertz betruͤglich ſeye/
und mich verfuͤhren moͤchte/ laſſe mir gern von andern ſagen/ und werde von dem
allergeringſten die erinnerung mit ſanfftmuth und liebe aufzunehmen mich befleißi-
gen. Aber dabey leugne auch nicht/ alſo geſinnet zu ſeyn/ daß von keinem einigen
menſchen mein gewiſſen beherꝛſchen laſſen/ ſondern wo ich einigen erinnerungen ſol-
gen ſolle/ muß mir die ſache aus GOttes wort der maſſen erwieſen ſeyn/ daß ich nicht
nur einige wort/ die etwas dergleichen ſagen/ anhoͤre/ ſondern in der furcht des
Herren
[501]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XLIV.
HErren klar zu uͤberzeugung der ſeelen gezeigt werde/ das ſolches der ſinnund mei-
nung des heiligen Geiſtes/ und alſo GOttes wille an mich ſeye: und kan mich da-
rinnen ſo wenig reſolviren, einigen menſchen deßwegen zu glauben/ weil er mirs
ſagt/ und mich erinnert als ich mir ſelbs auch nicht ohne erkaͤntnuͤß goͤttlichen worts
glaube und traue. Daß ein ſelbs-gelehrter Academiſcher Doctor ſich ſelbs ver-
nichtigen/ wie ein kind erniedrigen/ ſeine eigene gerechtigkeit weißheit und wiſſen-
ſchafft verachten und ſich biß in den gehorſam des todes ans creutz mit Chriſto unter
geben ſolle/ iſt in dieſen terminis und theſi abermahl eine ausgemachte wahrheit.
Aber was ſolches geſagt ſeye/ und wie es practiciret werden muͤſſe/ iſt nicht weni-
ger wol zu unterſcheiden und zu erkennen/ damit wir nicht boͤſes und gutes uͤber ei-
nen hauffen werffen.


Hat ein menſch ſeine ſtudia academica in der furcht des HErren und ſei-
ner anruffung Chriſtlich gefuͤhret/ und iſt dadurch zu einer feinen erudition gekom-
men/ ſo hat er je dieſelbe gnade GOttes nicht zu verleugnen/ daß er alles ſolches mit
fleiß in goͤttlichen ſegen erlernete wolte verachten laſſen/ vergeſſen und nicht gebrau-
chen/ welches ich vor die groͤſſeſte undanckbarkeit und verderbung der goͤttlichen
gnaden gaben achtete/ ſondern er hat ſich derſelbigen zu ſeines GOttes ehr und des
nechſten erbauung/ als viel ihm der HErr dazu gelegenheit gibet treulich zu brau-
chen und anzuwenden. Ja wo er recht ein ſchwuͤlſtiger und hochmuͤthiger mann
geweſen waͤre/ und in ſeinen ſtudiis nichts als eigene ehre geſuchet/ und ſich ſamt ſei-
ner erudition ihm ſejbs zum Goͤtzen gemacht haͤtte/ daß deßwegen ſeine erudi-
tion
nichts als ein menſchlicher habitus geweſen/ wo er gleichwol dar-
nach von GOtt zu einer erkaͤntnuͤß ſeiner ſelbs und der wahren buß gebracht/ damit
aber er mit goͤttlichen liecht erleuchtet/ folglich ſeine buchſtaͤbliche todte erkaͤntnuͤß in
GOTT lebendig gemacht wird/ ſo haͤtte auch ſolcher ſeine erudition und wiſſen-
ſchafft nicht weg zuwerffen/ ſondern nachdem dieſelbige nunmehr geheiliget iſt/ ſich
ihrer in hertzlicher demuth und danckbarkeit vor GOtt zu gebrauchen. Wie wir
auch von dem lieben Paulo ſehen/ daß er ſeine in dem Phariſeismo gefaßte wiſſen-
ſchafft nuͤtzlich gebꝛauchet hat. Aber dieſes achte ich vor die wahre ſchuldigkeit/
daß wir Doctores alle/ ja alle gelehrte/ ſie tragen titul oder nicht/ als an dem nichts
gelegen iſt/ uns u. unſere weißheit vernichtigen/ erkeñen/ daß was wir wiſſen und
verſtehen ſeye nicht unſer werck/ ſondern wir haben davor Gott zu dancken/ der ver-
ſtand und ingenium, die gelegenheit des ſtudirens/ treue der præceptorum und
alles uͤbrige/ dadurch wir zu einer erudition gekommen waͤren/ ſeyen lauter gaben
GOttes/ dero wir nicht werth geweſen/ deßwegen wir auch an der erlangten eru-
dition,
ſo viel an ſolcher gut iſt/ uns nichts zueignen/ ſondern alle dieſelbe in ſoli-
dum
dem jenigen zu meſſen und zuruͤck geben muͤſſen/ von dem alles gute herkom-
met/ uns nichts davon anmaſſende/ als was daran mangelhafft/ befleckt und miß-
braucht worden waͤre/ daß wir alſo wegen aller ſolcher dinge nicht groß in unſern
augen ſeyen/ ſondern gedencken/ GOtt haͤtte ſolches alles eben ſo leicht einem andern
R r r 3geben
[502]Das ſechſte Capitel.
geben moͤgen/ welcher ihm davor danckbahrer worden waͤre/ item wir haben vor
uns keinen voꝛtheil davon/ ſondern nur eine ſo viel ſchwerere verantwortung/ wo
wir mit ſolchem fremden gut nicht treulich umgehen; daraus wird folgen/ das wir
nicht nur allein andere/ welchen GOTT etwa dergleichen nicht gegeben/ nicht ver-
achten werden/ ſondern wir werden auch alle mahl genau unterſuchen/ ſo wol ob wir
in unſerer wiſſenſchafft der von GOTT gewuͤrckten wahrheit andere unſerer ver-
nunfft falſche einbildungen unter gemiſchet haͤtten oder der vernunfft verſtatteten
ſich in goͤttlichen geheimnuͤſſen auſſer dem gehorſam Chriſti zu vertieffen/ als auch
ob jedesmahl der gebrauch unſerer gaben und erudition zu eigener ehr oder war-
hafftig zu der ehre des HErren und des nechſten nutzen angeſehen ſeye/ damit wir
uns von unſeren betruͤglichen fleiſch nicht uͤberſchnellen laſſen.


Einen ſolchen mann achte ich GOTT ſo gefaͤllig als den einfaͤltigen/ der
nichts jemahl ſtudiret haͤtte/ und bedarff nicht/ daß er alsdann den gebrauch ſei-
ner ſtudien ablegte/ die nun gereiniget ſind/ und er noch immer weiter an ſol[ch]er
reinigung arbeitet. Jch erklaͤhre mich deßwegen ſo viel deutlicher/ weil ſo offt
von verleugnung des Academiſchen weſens geredet wird/ wie ich beypflichten moͤ-
ge oder nicht/ nemlich was deſſen anklebende unordnung und mißbrauch anlangt/
nicht aber das gute an ſich ſelbſt. Wie dann nicht eine einige wahre wiſſenſchafft/
ſo aus der ſchrifft als natuͤrlichen liecht genommen/ gefunden wird/ die nicht wie-
derum ihren nutzen in rechtem gebrauch zu der ehre des HErꝛen haben koͤnte. Was
die widerwertigkeit u. leiden anlangt/ iſts freylich wahr/ und fuͤhlen wirs alle in eige-
ner erfahrung/ wie viel daſſelbige thue zu unſers fleiſches creutzigung und eigenen
willens daͤmpffung. So leugne auch nicht/ daß mir offtermahl ein einfaͤltiger und
ſo genanter Laicus mit einiger erinnerung oder gutem exempel vieles genutzet habe/
und ich deßwegen GOtt nicht vorſchreibe/ was er vor werckzeug zu meiner beſſe-
rung gebrauchen ſolle/ ſondern ihm dancke/ durch wen ers auch thue/ vor ſeine gna-
de/ wo ich das werck von ihm zu ſeyn erkennen kan. So weiß ich auch wohl/ daß
weder mir noch andern eine meiſterſchafft uͤber andere gebuͤhre/ ſondern ich laſſe bil-
lich dem HErren ſein recht uͤber ſeine eigene knechte. Wiewol damit nicht auff-
gehoben wird/ wo ich an einigen unrechtes und boͤſes erkenne/ aus liebe gegen ſie und
andere/ ſie deſſen zuerinneren/ ſolches boͤſe zu ſtraffen oder andere davor zu warnen/
ſolches aber nicht nach eigener meynung/ ſonderen nach goͤttlichem uͤberzeugenden
wort. Das von denen ſchein-frommen/ weiſeſten und gelehrteſten offt das groͤſ-
ſeſte uͤbel herkomme/ iſt auch wahr/ geſchiehet aber alles nicht aus ſchuld der ge-
lehrtheit an ſich ſelbſt/ ſondern dero mißbrauch. So iſt die geiſtliche hoffart frey-
lich ein der gefaͤhrlichſten ſuͤnden/ und weil ſie gemeiniglich alsdann anſetzet/ wo
wir nunmehr meinen der uͤbrigen ſuͤnden meiſte gewalt bey uns gebrochen zu ſeyn/
ſo haben wir viel genauer auf deroſelben regungen acht zu geben. Wo wir unſern
Do-
[503]ARTIC. I. DISTINCT. III. SECT. XLIV.
Doctorat, titul, ſtellen oder dergleichen alſo fuͤhren und gebrauchen/ daß wir uns
darinnen wohlgefallen/ und damit von andern wollen angebetet ſeyn/ ſo iſt GOtt
den goͤtzen und goͤtzen-diener feind. Wo wir aber auch dieſe aͤuſſerliche dinge und
ſtuͤcke der aͤuſſerlichen ordnung dem HERREN zu ſeinen ehren/ dero werckzeuge
zu ſeyn/ und alles das/ was davon auf uns kommt/ auf ihn allein zu ruͤcke gehen zu
laſſen/ auffopffern/ ſo iſt den reinen alles rein/ undnicht alles bey allen welt/ was
in der welt iſt/ und von andern auch darinnen ſchaͤndlich mißbrauchet wird Laß
ich mich meinen doctorat zu einer unterdruͤckung und meiſterſchafft uͤber andere
verfuͤhren/ ſo iſt die ſchuld mein/ und nicht ſolches armen gradus, ſo wenig als
des geldes/ daß der geitzige anbetet.


Daß zwahr ſolcher mißbrauch ſo gemein/ daß er wol faſt gewoͤhnlicher als
der wahre gebrauch/ leugne ich nicht/ und wuͤnſche wol beſſeres. Daß die klagen
der alten Propheten Eſaiaͤ/ Jeremiaͤ/ Ezechiels u. ſ. f. uͤber damahlige Prieſter
und Propheten noch heut zu tage unſeren ſo genannten geiſtlichen ſtand mit betrof-
fen/ oder vielmehr die ſache ſelbs ſich alſo weißt/ daß jene auf uns appliciret wer-
den koͤnnen/ finde ich auch. Daß aber niemand ausgenommen werden doͤrffe/
ſondern weil jene Propheten zu ihren zeiten unterſchiedlich mahl univerſales cate-
gorias
ergehen laſſen/ ohne ausnahm eines einigen/ wir eben dermaſſen ſagen ſol-
ten/ es ſeyen keine einige mehr auf Academien und bey den kirchen/ die der HErr
treu erfunden/ ſehe ich nicht/ wie ſolches durch die wort derer Pꝛopheten erwieſen
werden koͤnne/ und hielte es vor ein ſolches urtheil/ welches verantwortung ich vor
dem gericht GOttes nicht zu uͤbernehmen getrauete/ ſondern ſorgte/ mich darmit
ſchwerlich gegen die warheit und liebe zuverſuͤndigen. So iſt mirs darinnen
nicht um mich zu thun/ denn wie ich mich ſelbs richte/ und in mir ſo offt vieles zu-
verdammen finde/ ſo mag ich wol auch von anderen dergleichen annehmen. Ja
wo es mich allein betroͤffe/ wuͤrde mich nichts daruͤber beſchwehren/ dann ob mir
auch zu viel geſchaͤhe/ wuͤrde mir doch ſolches urtheil nicht ſchaden thun/ ſondern e-
her nuͤtzlich ſeyn zur fleißigen pruͤffung. Weil aber ſolche ſine exceptione uni-
verſales
unſere gantze kirche und ſo viel perſonen betreffen/ ſo hat man je der war-
heit und liebe wegen zu unterſuchen/ mit was grund ſolche gebraucht werden/ nicht
daß man etwas von menſchen ehr und weisheit gegen GOTT beſtraffen wolte/
welches ferne ſey/ ſondern vielmehr billich alles menſchliche GOTT zu fuͤſſen ge-
worffen werden muß/ ſondern weil es um die gnade GOttes ſeiner kirchen und de-
ro dienern zu thun iſt/ daß wir damit nicht etwa menſchen/ wie wir gedencken/ ſon-
dern GOttes ehre verleugneten und verwuͤrffen. GOtt hat mir die gnade gethan
einige zu kennen/ bey denen ich die gnade des HERREN finde/ aus dero ſie in de-
muth und einfalt ihres hertzens wandlen/ und in ihrem amt nach der maß der goͤtt-
lichen gnade ſich aller treue befleißigen/ und ob ich nicht einen einigen kennete/ wuͤr-
de
[504]Das ſechſte Capitel.
de ich doch bedencken tragen ohne ausnahm dermaſſen zu urtheilen/ befoͤrchtende/
ich moͤchte den jenigen unrecht thun/ die der HErr vor mir verborgen hat/ wie dor-
ten Elias/ als er allein zu ſeyn ſich beklagte von 7000 verborgenen bericht empfing
und alſo des ungrundes ſeiner klage uͤberzeuget wurde. Daher ich dieſes vor das
noͤthigſte achte/ daß wo von menſchen ſelbſt als menſchen im gegenſatz gegen GOtt
und goͤttliches geredet/ alles freylich zu boden geſchlagen werde: Wo wir aber
reden von menſchen mit der gnaden GOttes betrachtet/ das iſt/ ob in der Chriſtli-
chen kirchen noch leute/ und abſonderlich lehrer/ ſeyen/ die ſich nicht bloß von ihren
fleiſch ſondern des heiligen Geiſtes leitung/ regieren laſſen/ daß wir alsdann beken-
nen/ es ſeye das allermeiſte verdorben/ und ſehen wir wenig gutes/ wenig treue
mehr uͤbrig/ aber uns doch enthalten/ nicht alle zu verurtheilen/ weil der HERR
die ſeine kennet/ und etwa andere auch ſolche noch kennen moͤgen.


Und da ſehe ich nicht/ wie ſolches noch heiſſen moͤge/ an ſehen der menſchen/
menſchen-gunſt oder forcht/
wo man ſich nicht breden laſſen will/ zu ſagen/ was
man der warheit und liebe entgegen zu ſeyn glaubet/ noch den jenigen beyfallen kan/
welche dergleichen thun/ und von uns eben ein ſolches erforderen: ſo vielmehr/ da
ſie ſehen/ daß ſolches alles nicht zur erbauung dienlich/ ſondern den zuſtand der ohne
das bedrengten und elenden kirchen noch elender machen wuͤrde. Mit welcher ver-
antwortung ich mich nicht gern beladen laſſen wolte.


Was die an mich gethane erinnerung wegen der freundſchafft der Theolo-
gorum
betrifft/ nehme ich ſie an/ als guter meinung gethan/ aber ſehe nicht die al-
lerwenigſte uͤberzeugung oder erweiß/ daß ich dieſelbe angeben/ und mir die jenige/
ſo mir der HErr zu ehren verordnet hat/ muthwillig verletzen und zu feinden machen
ſolle. Wuͤrden ſie mir etwas zu muthen/ ſo wider mein gewiſſen waͤre/ ſeye der-
ſelbe verſichert/ daß ihre autoritaͤt mich zu ſolcher dienſtbarkeit nicht bringen ſolte.
So lange ſie aber ſolches nicht thun/ warum ſolle ich ihre liebe verfetzlich angeben?
Weil ich an vielen groſſen mangel geſehen/ ſo habe meine klagen insgemein offent-
lich ausgeſchuͤttet/ und die erinnerungen gethan/ ſo viel dem maß/ ſo mir gegeben
geweſen/ hat moͤgen gemaͤß ſeyn/ wo mit ich zwar wenig danck verdienet/ in deſſen
dergleichen zu wiederholen/ und alſo fortzufahren nicht unterlaſſe. Daß ich aber
in particulari dieſen und jenenfremden knecht/ der mir von GOtt nicht unterwor-
fen/ verurtheilen ſolte/ an dem etwa mehr gutes ſein moͤchte/ als ich habe ſehen koͤn-
nen/ oder daß ich die klagen gar univerſal machen/ und niemand einige außnahm
davon geſtatten ſolte/ hab ich keinen befehl noch goͤttliche gewißheit. Daß ich die
Theologos in meine caſtra und netze zuziehen trachte/ weiß ich nicht/ mit
was grund geſagt werde. Jch ſuche je weder ſecte noch anhang/ ſondern neben
dem abſondeꝛlichen amt/ ſo mir der HERR an ſeiner gemeinde zu verwalten gege-
ben hat/ gehet mich das allgemeine weſen nicht anders an/ als daß aus lieb gegen
den nechſten und eyffer vor GOttes ehre/ das wenige pfuͤndlein/ durch erinnerun-
gen
[505]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECT. XLIV.
gen/ klagen/ vorſchlaͤge/ nach vermoͤgen anwende/ ob damit einige aufgeweckt/ und
das werck des HErꝛen mit treuen jeglicher ſeines orts zu thun angereitzet werden
moͤchten.


Jch ſuche auch ſonderlich dieſes zurathen/ daß unter mehrern treuͤgeſinneten
lehrern nicht zwar einige ſocietaͤt/ fraternitaͤt oder verbuͤndnuͤß oder etwas ſingu-
lares,
ſondern allein eine genauere Chriſtliche freundſchafft und correſpondenz
geſtifftet werden moͤchte/ alsdann die allerſeits empfangene gaben mit zuſammen
geſetzter huͤlffe ſo viel fruchtbarer anzuwenden. Ob der HErr etwas deſſen erfol-
gen werde laſſen/ oder der zu hart gereitzte zorn allen guten vorſchlaͤgen/ nach dem
wir zu den gericht reiff worden ſind/ entgegen ſtehe/ muß ich dem HErren befehlen.
Dancke ihm gleichwol davor/ daß durch mein weniges zu ruffen und ſchrifften etli-
che gute ſeelen aufgemuntert worden zu ſeyn bekennen. Jm uͤbrigen ſehe ich/ was
ich ohne fortſetzung des bißherigen und hertzlichen gebet zu GOTT weiters thun
koͤnte/ nichts vor mir. Vor einen Reformatorem der kirchen mich anzugeben/
laſſe ich mir die thorheit nicht aufſteigen/ ſondern weiß mich meiner ſchwachheit zu
entſinnen/ daß dazu weder weißheit noch krafft empfangen habe. Laſſe mir alſo ge-
nuͤgen/ daß ich mit unter die ſtimmen gehoͤren moͤge/ welche die jenige zu der refor-
mation
helffen auffmuntern/ die der HErr dazu außgeruͤſtet haben mag. Jn
ſolcher ſache alſo bedarff ich keines anhangs/ oder andere an mich zu ziehen. Es
noͤthiget mich aber auch nichts/ daß ich mit den jenigen Theologis, von denen ich
entweder ſelbs gute gedancken und hofnung hab/ oder die ſich doch dem guten aufs
wenigſte nicht oͤffentlich widerſetzen/ brechen muͤſte. Vielmehr trachte ich ſie bey
gutem willen/ auf art und weiſe/ ſo dem gewiſſen nicht entgegen iſt/ zu erhalten/ ob
entweder ihre miteinſtimmung mir mein werck beſſer von ſtatten gehen machte/ o-
der daß ſie dadurch zu ihres eigenen amts fleißiger verrichtung auffgemuntert wuͤr-
den/ oder daß ſie ſich anderer Chriſtlicher vorhaben nicht frevel. entgegen zu ſetzen
ſich verleiten laſſen. Welche zweck alle der goͤttlichen ehr gemaͤß ſind. Hinge-
gen ſehe ichs nicht verantworlich an/ wo ich muthwillig ſolche leuthe in harniſch ja-
gen ſolte. Daß der haß gegen den ſchlangen ſaamen/ bey mir in genugſamen grad
noch nicht ſeye/ leugne ich nicht/ ſuche aber auch in denſelben durch die goͤttliche liebe
mehr geſtaͤrckt zu werden. Jch verlange aber ſolchen haß gegen keinen men-
ſchen/ ſondern gegen den rechten ſchlangen-ſamen und wercke des teuffels in den
menſchen/ dabey eine erbarmende liebe auch gegen die jenige bleibet/ an welcher ſol-
cher ſchlangen-ſamen ſehr ſtarck iſt.


Daß ich in die caſtra dolorum \& crucigerorum agni uͤbertreten ſolle/
hoͤre ich wohl die vermahnung. Wo ſoll ich aber ſolche anderwerts ſuchen/ als in
der ob zwar verderbten gemeinde des HErren/ darinnen er ja noch ſeinen heiligen
ſaamen erhalten hat? So ſehe auch nicht/ daß dazu entweder ein leiblicher auß-
gang aus der gemeinde/ noch eine abſagung der freundſchafft der jenigen/ welche de[ꝛ]
S ſ ſHErr
[506]Das ſechſte Capitel.
HErr mit mir durch das band der Eccleſiaſticæ communionis verbunden/ ge-
hoͤre. So trittet der jenige wahrhafftig in die ereutz gemeinſchafft des Lammes/
der neben dem/ daß er ſein leben von der befleckung der welt ſuchet zu reinigen/ ſein
amt an ſeinem ort treulich verrichtet/ und ſeine klagen offentlich bezeuget/ und in
allem ſolchen den haß des ſatans und der welt nicht achtet. Jch habe mich nichts
als meiner ſchwachheit zu ruͤhmen/ abeꝛ erfahre doch/ wie meine arme bißherige
conatus, von dem HErrn alſo gewuͤrdiget worden ſind/ daß der ſatan ſich daruͤbeꝛ
zorns angenom̃en/ und ich nicht nur hie meine feinde weiß/ ſondern von unterſchied-
lichen jahren das jenige ziel geweſen bin/ auf welches eine unzehlige zahl laͤſterun-
gen und verlaͤumdungen gerichtet worden ſind.


Dem HErren ſeye danck/ der mir muth gegeben/ daruͤber nicht weich zu weꝛ-
den/ ſondern auch ſolches mit willigen gehorſam von ihm auffzunehmen. Wo a-
ber ſolches uͤbertreten in die caſtra cruciferorum heiſſen ſolle/ mich auch in dem aͤuſ-
ſerlichen in die geſellſchafft der jenigen zubegeben/ uñ ihrer dinge mich theilhafftig zu-
machen/ welche gut und boͤſe moͤchten auf einerley weiſe angegriffen/ und ſich damit
ſelbſt manches auf den halß geladen haben/ ſo ſehe nicht/ was mich dazu ſolte/ ich
will nicht ſagen noͤthigen/ ſondern nur perſvadiren. Dann da ſolcher leuthe hef-
tigkeit mir/ wo ich urtheilen ſolte/ ſo vorkommet/ daß ſie es viel zu viel gemacht ha-
ben/ ſo wird genug ſeyn/ das ich mich ſolches urtheiles enthalte/ weil etwa GOtt
etwas ſo ich nicht verſtuͤnde/ mit ihnen vorgehabt haben moͤchte; aber daß ich ihre
ſache billichen und in ihrer vornehmen gemeinſchafft mich begeben ſolte/ finde ich
nicht/ wie mir mit einigen ſchein moͤchte angemuthet werden/ weil es wider mein
gewiſſen gehet: Da ich doch auch mit zweiffelendem gewiſſen nichts thun ſolle. Al-
ſo weil der HERR GOTT iſt/ bleibets freylich dabey/ daß wir allein auf ihm/
auf ſein wort und willen und regierung/ ohne zuruͤckſehen auf menſchen/ ſehen muͤſ-
ſen und wollen.


Aber das heiſt noch nicht/ die freundſchafft und liebe der jenigen hindanſetzen/
die mit der goͤttlichen nicht ſtreitet/ ſondern ein werckzeug ſein mag/ das jenige nach-
druͤcklicher zu thun/ wo zu uns die goͤttliche liebe verbindet. Daher muͤſſen wir
freylich nicht zwiſchen beyden hangen/ zwiſchen Chriſto und Belial/ ſondern jener
iſt allein unſers dienſtes wuͤrdig. Jſt alſo durch ſeine gnade dieſe reſolution von
guter zeit bey mir gefaßt/ dabey ich auch mich verſichere/ daß der treue Vateꝛ zu
dem wollen die krafft und vermoͤgen zum vollbringen verleyhen werde/ dem HEr-
ren getreulich anzuhangen/ und alſo weder die nun nechſt inſtehende verfolgung
des Roͤmiſchen Babels zur verlaſſung der warheit und dero bekaͤntnuͤß/ noch auch
anderer und der welt freundſchafft/ mich von dem wege des guten oder vollbrin-
gung goͤttlichen willens abbringen zu laſſen. Aber auch dabey mich fleißig zu huͤ-
ten/ daß nichts vermeſſen unternehme/ was mir der HERR nicht gegeben/ noch
dazu außgeruͤſtet und beruffen hat. Jch ſehe auch/ wie GOTT bey andern ſei-
nen
[507]ARTIC. I. DISTINCT. III. SECTIO XLIV.
nen dienern unterſchiedliche gaben ausgetheilet hat. Unſern Lutherum ruͤſtete
er aus mit heldenmuth und ſolchen eyffer/ der nach niemand fragte/ und offt ſchei-
nen ſolte/ auch der jenigen freundſchafft aus den augen geſetzet zu haben/ die er er-
halten moͤgen/ weil er ihn nemlich zu niederreiſſung Babels/ und aufrichtung ei-
nes neuen wercks beſtimmet hatte. Jn Arndio aber leuchtet nichts hervor als ei-
ne liebreiche ſanfftmuth/ als er auch zur hoͤchſten ungebuͤhr angegriffen/ und die
goͤttliche warheit in ihm gelaͤſtert wurde/ er verantwortete ſich aber ohne hefftigkeit/
und ſuchte auch der jenigen freundſchafft zuerhalten/ die ihm doch zuwieder waren.
Jſt nun bey einigen ein ſolcher geiſt Lutheri, und dienen ſie GOTT zur peitſche
den tempel zureinigen/ ſo ich ihrer verantwoꝛtung uͤberlaſſe/ ob und was in ihrem
eyffer warhafftig goͤttliches geweſen oder nicht/ ſo werden ſie doch nicht verwerffen
koͤnnen/ wo GOtt andere anders regieret. Das ſchwehre gerichte uͤber Teutſch-
land in dem weltlichem und uͤber unſere gantze Evangeliſche kiꝛche obhanden ſind/
zweiffele ich ſo gar nicht/ daß ichs meiner gemeinde ad nauſeam usque vorſage/
und kan der HErr nicht wol haͤrteres denſelben vorzuſtehen in ſeinen ſchrifften ge-
trieben haben/ als ich ſelbs glaube und bekenne/ auch den anfang vor augen ſehe.
Ob von unſerem Evangeliſchen Zion/ was deſſen aͤuſſerlich anlangt/ mehr uͤber-
bleiben werde/ als einige ſteine/ die der HErr zu einer neuen aufrichtung gebrau-
che/ will ich keinem verſprechen/ ſondern mache mich auf alles ſolches gefaßt. War-
te auch nichts anders zu nechſt/ als das Babel die macht gegeben werde/ das ver-
derbte Jeruſalem zu verſtoͤhren. Wie ich dann nicht leugne/ mir keine ſatisfa-
ction
gethan zu ſeyn wegen Babel und Jeruſalems. Jn dem ich aus der ſchꝛifft
die gruͤnde verlange/ das Babel ſo weit nemlich auſſer dem Papſtum ſich ausdaͤh-
nen laſſe.


Es hat das volck GOttes in dem Alten Teſtament mehr als einen feind/ Ba-
bel/ gehabt/ ſondern eben ſo wol und vorher von Philiſtern/ Syrern/ Aſſyrern/ ley-
den muͤſſen/ die heiſſen deßwegen nicht alle Babel/ ſondern ſolches iſt allein ein haupt
feind/ und zwar der jenige/ der das verderbte Jeruſalem am hefftigſten angefoch-
ten und zerſtoͤret hat. Weil nun der heilige Geiſt undisputirlich Babel von
Rom erklaͤhret/ ſo kan mich niemand verdencken/ daß ich nichts unter ſol-
chem nahmen verſtehe/ was nicht unter der botmaͤßigkeit Roms/ ſondern
in offener feindſchafft gegen daſſelbe ſtehet. Wird mir auch aus der ſchrifft
(nicht aber aͤndern analogiis und convenientiis, da man leicht quidvis ex quo-
vis
machen kan) nicht einanders gezeiget/ wie es dann noch bißher von keinem ge-
ſchehen/ ſo kommet mir billich ſolcher nahme/ da er unſere kirche mit begreiffen ſol-
le/ ſehr verdaͤchtig vor/ und ſorge ſehr/ wir verſuͤndigen uns gegen die gnade Got-
tes die uns wiederfahren iſt/ mit gefaͤhrlichem undanck. Daß ich in Heraldicis
etwas zuthun nachlaſſen muͤſſe/ iſt mir noch mit keiner buͤndlichen urſache gezeigt;
S ſ ſ 2bloſſes
[508]Das ſechſte Capitel.
bloſſes ſagen aber hat nicht platz bey mir. Jedoch habe ſolches aus mangel der
zeit/ deren ich jelaͤnger jeweniger von dem nothwendigſten uͤbrig behalten kan (ſo
die einige urſach iſt/ welche dieſes ſtudium und andere dergleichen unziehmlich ma-
chen kan/ nemlich der zeit verluſt) ſtracks nach publicirung des vorigen wercks/ ſo
viel jetzo vorſehen und reſolviren mag/ beſchloſſen/ ohne den partem generalem
und lib. IV. partis ſpecialis, ſo damahl publice verſprochen worden/ und jener
laͤngſten/ ohne wenige ſupplementa, die noch hin und wieder mangelen/ in MSC.
fertig geweſen/ dieſes aber aus dem dingen beſtehen muß/ ſo mir nachgeſchickt wor-
den und werden/ nichts weiteres mehr in illo oder affinibus ſtudiis zu publici-
ren/ ob wol unterſchiedliche wercke ſo viel als fertig ſind/ daß ſie nur getruckt werden
dorfften/ aber ſie lieber will liegen laſſen/ als viel zeit damit verſpielen/ da ich nicht
weiß/ wie lange mich der HERR noch hie laſſen will. Jn deſſen kan verſichern/
daß zu dieſem ſtudio hiſtorico (dann die heraldica ſind mit ein ſtuͤck der hiſto-
riæ,
und tractire ich in den wapen/ der groſſen Herrn familien, landſchafften und
jura) zwar naturali inclinatione erſtlich gefuͤhret/ aber von GOTT nach-
mal durch viele nicht nur gelegenheit ſondern befehl der jenigen/ ſo mir zu befehlen
hatten/ ſelbſt weiter darinnen geleitet worden/ daß nicht ohne deſſen willen alles ſol-
ches vorgehabt zu haben getraue. Wie dann/ ob wol dieſe ding zu dem einigen
nothwendigen nicht gehoͤren/ ſie gleich wol ſachen ſind/ damit der policey und de-
nen ſo zu dero gebraucht werden ſollen/ gedienet werden mag. So lang alſo der
HErr dieſe erhalten haben will/ ſo iſt nichts vergebens/ was auch in dieſem ſtuͤcken
ohne ſonderliche verhindernuͤß des nothwendigſten geſchiehet/ und mag ich etwa
nicht zu verdencken ſeyen/ nach dem mich GOtt zu der zeit/ da er mich ſelbs zu dieſem
ſtudiis beruffen/ uñ es das anſehen haͤtte/ ich wuͤrde mein lebtag damit zu zubringen
haben/ vieles zu ſolcher materie gehoͤriges ſamlen laſſen/ daß ich es zu andereꝛ/ ſo
deſſen bedoͤrffen/ gebrauch publicire. Jch geſtehe zwar/ daß ich mir je laͤnger je-
mehr ein gewiſſen mache/ viele zeit darauff mehr zu wenden/ weil es nun nicht wol
mehr ohne verſaͤmnis anders nothwendigen geſchehen kan. Jndeſſen bindet mich
auch mein verſpꝛuch. Wird aber etwa alſo zu helffen ſeyn/ daß das reſtiren-
de ſo viel kuͤrtzer faſſe/ und weniger elaborire, als ſonſten geſchehen ſollen. Jch
kan wol ſagen/ das ſeiter der oſtermeß 1680. da das werck außgieng/ nicht ſo viel
daran mehr gethan/ als in acht tagen thun konte/ und wuͤnſche doch bald vollends
die haͤnde davon frey zumachen/ ſo ohne die außfertigung nicht geſchehen kan. Jn-
deſſen ſo wird mir die arbeit/ ſo vor dieſem eine luſt gewefen/ mehr und mehr eine
laſt und verdruß. Doch hoffe/ GOtt werde mich auch davon vollends befreyen.
Was ferner die jenige puncten anlangt/ darinnen ich vor einem jahr bedeutet/ wor-
innen ich des Herrn perſon und verrichtungen wegen anſtehe/ ſo ſehe zwar auf die
ſelbe einige antwort/ weil ich aber dieſe nicht begreiffe/ noch ſehen kan/ wie ſolche
ſcru-
[509]ARTIC. I. DISTINCT. III. SECTIO XLIV.
ſcrupuli benommen/ ſo laſſe ich die ſache dahin geſtellet/ auf deſſelben eigene ver-
antwortung/ weil ich nichts weiters dabey zu thun weiß.


Joachimi Betkii gedaͤchtnuͤß habe ich von der zeit geehret/ als ich ſeine
penſionem Chriſtianismi und myſterium crucis geleſen. Mit Herm. Jun-
gio,
von dem mir ſo viel liebe freunde gutes geruͤhmet/ habe ſelbſt durch ſchreiben
freundſchafft gemacht/ und haͤtte deroſelben laͤnger zu genieſſen gewuͤnſchet. Es
iſt aber gleichwol derſelbige biß in ſeinen todt in dem Miniſterio geblieben.


Von Gifftheilen kan nicht urtheilen/ aber habe aus ſeinem mir vor dem
geſchickten einigen gedruckten bogen nicht das wenigſte ſehen koͤnnen/ daß ein ſon-
derbahres goͤttliches liecht bey ihm geweſen/ doch leugne nicht/ daß wol etwas ſeyn
koͤnnen/ daß ich nicht erkenne. Eben gleiches muß auch ſagen von Bartel Trap-
pen.
Doch enthalte mich in zweiffelhafftigen dingen des rechtens gern/ wie auch
ſchuldig bin/ damit mich nicht gefaͤhrlich in unwiſſenheit verſtoſſe. Deßwegen
Q.Kuhlmanns meine entſchuldigung wohl aufgenommen/ iſt mir lieb geweſen-
Und wuͤnſche ich hertzlich/ daß der HErr dem mann moͤge bißher mehr gnade gege-
ben/ und er ſie treulich angenommen habe/ aus dem nebens weg auf die richtige
ſtraſſe zu kommen/ und ein geſegneter werckzeug des HErren zu werden.


Wegen Jacob Boͤhmen bleibe ich im̃er in meinem vorigen/ daß ich ihn we-
der annehmen noch verwerffen kan/ und habe ſchon offtmahls von hertzen gewuͤn-
ſchet/ daß GOtt einem recht-gruͤndlich und in ſeiner gnade gelehrlen/ auch ſeines
Geiſtes regierung gelaſſenen mann erwecken wolte/ der dieſelbe ſchrifften alſo pruͤf-
fete und erkennete/ daß er der Chriſtlichen kirchen auf eine ſolche weiſe vor augen le-
gen koͤnte/ ob warheit oder falſchheit in ſeiner lehr ſeye/ daß jeder frommer Chriſt/
dem ſolches zuverſtehen angelegen waͤre/ mit verſicherung und uͤberzeugung ſei-
nes hertzens wuͤſte/ was er davon zuhalten haͤtte. Wie ich ſelbs auch vor
mich ein ſolches verlangte. Denn was ich bißher gegen ihn geſehen/
iſt mir allemahl noch zu ſchwach vorgekommen/ ihn zu verdammen/ und
hat mich in einen und andern ſtuͤcken gedeucht/ er moͤchte nicht recht ge-
faſſt worden ſeyn. Was mir aber bißher auch vorgebracht worden von denen/ die
ihn lieben/ war mir noch vielweniger genug zu des gewiſſens beruhigung/ ihn als
einen lehrer aus GOTT anzunehmen. Daher ich es dabey bleiben laſſe/ daß ich
warte/ was GOTT noch thun/ und durch einen theuren ruͤſtzeug offenbahren
wird/ aus welchem geiſt jener geſchrieben/ in deſſen rathe ich allen/ die meines
raths ſich. brauchen wollen/ mit ſolchen ſchrifften noch unverworren zu ſeyn/ weil
ſie auffs wenigſte an der heiligen und unzweiffenlichen ſchrifften der Propheten und
Apoſtel genug haben/ und verſichert ſeyn koͤnnen/ ſie bedoͤrffen entweder jener
ſchrifften nicht/ oder der HERR werde ſie ſelbſt dazu fuͤhren/ wo ſie ihm erſtlich
treu und danckbahr vor die in jenen erzeigte gnade werden worden ſeyn. Jch hoͤ-
S ſ ſ 3re
[510]Das ſechſte Capitel.
re aber faſt mit verwunderung/ wie an ſo vielen orten ſich leute offenbahren/ wel-
che in ſolchen autorem verliebet ſind/ und in ihm was groſſes gefunden zu haben
meinen. Daher ich das vertrauen habe/ der HERR werde ſeinen willen in ſol-
cher ſache noch nicht zum vergnuͤgen der deſſen begierigen kund werden laſ-
ſen: weil es ſcheinet/ um dieſer urſach willen/ weil ſeine buͤcher immer in mehrer
haͤnde kommen/ nunmehr ein ſolches anfangen noͤthiger zu werden/ als ich vor die-
ſem geachtet haͤtte. So mag vielleicht dazu eine vorbereitung geben/ wann in-
deſſen einige publice vor oder gegen ihn ſchreiben/ durch welche gelegenheit allge-
mach der weg zu einer gruͤndlichen beurtheilung gebahnet wuͤrde. Jch empfehle
es endlich dem HERREN/ derſelbe wolle und wird auch hierinnen thun/ was ſei-
ne ehre erfordert: Jſts nicht auff die weiſe/ wie wir gedacht/ und uns eingebildet
haben/ ſo ſolls gewiß auff eine ſo vielnachdruͤcklichere und heiligere art geſchehen/
wie es ſeiner weißheit geziehmet.


Jn dem 2. brieff vom 1. April. welchen mir der D. Medicinæ gebracht/ und
auff der ruͤckreiſe wider mir zu zuſprechen verſprochen hatte/ aber abgehalten muß
worden ſeyn/ wurde vornehmlich M.Holtzhauſens und Lutheri gedacht. Von
jenem habe nun von guter zeit nichts gehoͤret/ aber durch einige freunde ihn irgend
recommendiren laſſen. Muß nun erwarten/ biß GOTT zeiget/ welchem ort
er ſeine vortreffliche gaben und dabey geziemliche treue beſtimmet habe. Wuͤrde
mich aber ſo viel hertzlicher freuen/ ſo ich ein werckzeug zu beforderung ſeiner gaben
werden ſolte. Waͤre er nach Amſterdam gekommen/ ſo haͤtte geſchloſſen/ daß
GOTT bey ſolcher unſer lieben gemeinde etwas ungemeines vor haͤtte. Aber
ſeine gedancken ſind nicht unſere gedancken. Daß wir uns Lutheri zu hoch ruͤhm-
ten und faſt einen abgott aus ihn macheten/ bekenne ich/ daß ich nicht begreiffe/ ſon-
dern vielmehr das andere/ welches aber mit dieſem kaum ſtehen kan/ glaube/ nehm-
lich daß es ein nicht geringer fehler/ daß er ſo wenig von unſeren leuten geleſen wird.
Jch weiß wenig auff univerſitaͤten/ daß ſtudioſi zu ſolches theuren lehrers ſchrif-
ten angewieſen werden/ ohne daß mein ſeliger Præceptor D. Dannhauer ſeiner
mehrmahl gedacht/ auch ſelbs bedaurte/ etwas ſpaͤter erſt zu ſolcher lection ge-
kommen zu ſeyn/ wie dann ſeine letztere ſcripta alle ſehr vieles aus des mañes ſchrif-
ten anfuͤhren. Mich aber hat GOTT durch dieſe gelegenheit dazu gebracht/ als
auff einer gewiſſen perſon veranlaſſung ſamt andern mitarbeitern einen Commen-
tarium
uͤber die gantze ſchrifft/ aus ſolchen trefflichen lehrers ſchrifften und worten
zuſammen tragen halff/ welcher auch etliche jahre fertig iſt/ aber an verlegern und
einiger andern urſach gemangelt/ daß er noch nicht gedruckt/ ſo ich ſonſten nicht un-
nuͤtzlich erachtet/ weil in ſolchen werck aller kern ſeiner ſachen beyſammen ſtehet.
Durch dieſe gelegenheit muſſte ich nun alle ſeine tomos fleißig durchgehen/ daß da-
her ob ſolch werck noch heraus kommen moͤchte oder nicht/ auffs wenigſte mir ſelbs
dieſe arbeit ſehr nuͤtzlich geweſen iſt/ und ich mich ſie nicht reuen zulaſſen habe. Es
iſt
[511]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XLIV.
iſt freylich wahr/ daß CHRJSTUS und Paulus in Luthero aller orten heraus
leuchtet und der articul vom glauben und deſſen fruͤchten vielleicht nach den zei-
ten der Apoſtel ſchwehrlich von jemand ſo nachdruͤcklich wird tractiret worden ſeyn/
daher auch wo ſolche ſchrifften fleißiger geleſen wuͤrden/ nicht zweiffelte/ es ſolten
viel auff Acedemien einen beſſern grund legen/ als ſie jetzt davon in die dienſte brin-
gen. Jndeſſen verlange ſo wenig als der liebe mann ſelbs verlangt hat/ daß man
ſeine ſchrifften apotheoſire/ ſondern wie ich eine theure geiſtes krafft in ihm antref-
fe/ ſo finde ich doch auch den menſchen darinnen/ ſonderlich wo er uͤber die Prophe-
ten ſchreibet/ daß er vielleicht die meinung des heiligen Geiſtes nicht allemahl mag
erreichet haben. Auff daß ja ein unterſcheid bleibe unter dem bloſſen GOttes und
menſchen wort/ auch von denjenigen geredet/ die in einem groſſen liecht des geiſtes
geſtanden ſind. Jch habe eben auch dieſes mit verwunderung/ was der HERR
bemercket/ wahrgenommen/ daß der liebe mann von den letzten zeiten dasjenige
nicht erkant/ was ſonſten nicht eben ſo dunckel in der ſchrifft ſtehet. Ob ich wohl
in der zu ſeiner zeit/ gedruckten kirchenpoſtill/ einen ſchoͤnen ort/ (ſo nach ſeinen
tod geaͤndert worden) angetroffen habe/ von bekehrung der Juden. Aber wir
haben unſerem GOtt ſeine freyheit nicht zu diſputiren/ nach dero er macht hat/ un-
ter ſeinen dienern ſeine gaben nach ſeinem wohlgefallen auszutheilen und koͤnnen
alles zugeben/ ja wohl gar zu weilen einigen hocherleuchteten andere dinge zuverber-
gen/ welche von andern in einem viel ſchwaͤchern liecht erkant worden ſind. Jm
uͤbrigem wo ich einigen Lutheri ſchrifften recommendiren kan/ ſo thue ich es gern.
Jch komme nun auff den 3ten brieff von 8. Sept. Da ich ſehe daß der HErr aus
liebreichem vertrauen gegen mich/ mir die von GOTT ihm gegebene gaben mit-
zutheilen verlangt/ in der abſicht/ daß durch mich ſolche an andere weiter fort ſon-
derlich in oberteutſchland gebracht/ und ihrer mehrern damit genutzet werde. Vor
ſolche freundliche liebe bedancke mich ſchuldiger maſſen/ leugne auch nicht/ daß mirs
durch GOttes gnade an druckern und verlegern nicht mangelt/ das jenige/ ſo ich
zu der Chriſtlichen kirchen erbauung dienlich zu ſeyn erachte/ zu publiciren/ und
unter die leut zu bringen: ich bin auch bereit/ wo mir GOTT ſelbs etwas weite-
res als bißdaher zuerkennen geben jolte/ oder wann durch den Herren oder andere
gute freunde/ wie ich mich nicht zu gut duͤncke/ von jedem zu lernen/ etwas empfan-
ge/ ſo ich der Evangeliſchen Chriſtlichen kirchen dienſam und den willen des HErrn
gemaͤß verſtehe/ ein ſolches ungeſaͤumt/ nach dem mir GOtt gelegenheit zeiget/ an-
dern gemein zu machen: und ſolte ich GOtt hertzlich dancken/ wo er mir die gnade
gebe/ in dingen/ die ſelbſt vor mich zu finden zu ſchwach geweſen waͤre/ das werck-
zeuge zu ſeyn/ anderer beſſere partus an das liecht helffen zu bringen. Jch ſinde
aber aus mehrmahliger uͤbe[r]leſung des brieffs doch nichts/ was mir dann darinnen
zu erkennen gegeben werde/ und zu anderer heil groſſes contribuiren ſolte. Wie
dieſes meine ſo offtere klage iſt/ daß man nicht gantz deutlich ſage/ was man wolle
und
[512]Das ſechſte Capitel.
und darinnen nicht in den indefinitis generalibus bleibe/ wo man doch endlich
nach allem nachſinnen kaum weiſſt/ was gemeinet ſeye/ ſondeꝛn ad ſpecialioraoffen-
hertzig gehe/ ſonderlich aber nicht bey den klagen ſtehen bleibe/ ſondern die beſſe-
rungs mittel vorſchlage. Jch will mich nochmahl vor den augen GOttes offenher-
tzig bey ihm expectoriren/ und bitte er gehe in der antwort widerum preſſe nach
meinen worten/ und ſage was er billiche oder verwerffe.


1. Was den gegenwertigen zuſtand anlangt/ glaube ich/ lehre ich/ predige
und ſchreibe/ das ſchreckliche gerichte GOttes obhanden ſeyen/ daß beſorglich unſer
Teutſches reich etwas mag zu eꝛwaꝛten haben/ daß es ſich nimmermehr eingebildet/
daß dieſe Rhein kante und unſer Franckfurt/. vor andern groſſe gefahr habe/
daß alle unſere congreſſus/ conferentzen/ tractaten/ alliantzen/ und wie ſie nah-
men haben moͤgen/ nichts ausrichten oder u[n]s ſchuͤtzen koͤnnen/ wir ſuchen dann
erſtlich mit hertzlicher buß den zorn GOttes/ davon alles ſolches herkommet/ ab zu
lehnen; Wie wohl ich keine verſicherung thun kan/ wann auch ſolches einigerley
maſſen geſchehe/ ob das beſorglich bereits ausgeſprochene urtheil werde retracti-
ret werden: wiewohl kein zweiffel iſt/ daß ſolchen busfertigen nachmahl alles zum
beſten dienen mus. Dieſe wahrheit iſt ſo offenbahr/ daß ſie auch groſſen ſtaats-
leuten in die augen leuchtet/ dero brieffe ich etwa in haͤnden habe/ voller klagen/ daß
ſie faſt nicht ſehen/ wo rath und huͤlffe ſeye. Morgen und abend trohen uns nicht
vergebens. Jch habe noch neulich in der predigt auff unſern buß- und bettag aus
Offenbahr. Johan. 3/ 1-6. offenhertzig von der ſache geredet und bekant/ daß alle
der kluͤgſten/ erfahrenſten und treuſten leute oder geſandten fleiß und treue nichts
moͤge ausrichten/ wo wir nicht erſtlich den HERREN verſoͤhnen/ auſſer dem hin-
dern wir und machen/ daß ſolcher rechtſchaffener maͤnner/ ſo ſonſten inſtrumenta
publicæ ſalutis
werden ſolten/ arbeit vergebens werde.


2. Was das geiſtliche anlangt/ ſo ſehe ich die ſache alſo an/ daß unſere gantze
Evangeliſche kirche oder doch das meiſte davon/ in der gefahr ſtehet/ uͤberhauffen
geworffen zu werden/ und daß der HERR dem Roͤmiſchen Babel und Cleriſey
die macht laſſen werde/ ihren grimm uͤber uns mit nachdruck auszuſchuͤtten/ wo ich
nicht weiß/ ob wir vor den Reformirten in Franckreich groſſen vortheil haben wer-
den. Es hat ja der HERR macht/ ein gebaͤu/ ſo ſich nicht will flicken laſſen nie-
der zureiſſen/ und aus den auſſerwehlten ſteinen/ ein neues auffzurichten. Und
ſolches alles haben wir Evangeliſche ſo wohl verdienet als einige andere; Ja ſo
vielmehꝛ vor andern/ vor denen wir eine mehrere gnade in der reinen lehr empfan-
gen haben/ was vorordnung der HERR in ſolcher heimſuchung brauchen/ wie
viel und was er ſtehen laſſen/ ſo dann wie lang es waͤhren ſolle/ weiß ich nicht/ und
meſſe mir keinen Prophetiſchen geiſt zu. Doch weiß ich/ der HERR wird ſich
ſeinen ſamen erhalten/ und alles herrlich hinausfuͤhren.


3. Sol-
[513]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XLIV.

3. Solcher laͤuterung bedorffen wir wohl/ dann es freylich in allen ſtaͤnden e-
lend ſtehet. Jn dem geiſtlichen ſo genandten oder lehr-ſtand ſind nicht bloß alle/
aber doch die allermeiſte/ ſchlechter dings verdorben: und was nicht verdorben iſt/
kan ſich doch vor den augen des HERREN nicht rein ſprechen/ ſondern muͤſſen al-
le klagen/ daß das verderben dieſer zeit allen einiges wiſſend oder unwiſſend ange-
klebet habe/ daruͤber der HERR mit uns allen rechten kan/ und werden wir uns
vor ſeinen gericht ſchuldigen muͤſſen/ hingegen allein in ſeine barmhertzigkeit zu-
flucht finden. Der regierſtand iſt zu mahlen in grund verdorben/ und haͤtte man
von einem groſſen theil derſelben/ die darinnen ſitzen/ nur zu wuͤnſchen/ daß ſie den
rechtſchaffenen zeiten in ſolchem ihrem amt gleichkaͤmen/ ſo weit ſind ſie von dem
rechtſchaffenen Chriſtlichen weſen. Was auch noch unter denſelben gute ſeelen
ſind/ ſind dermaſſen umgeben mit andern hinderungen/ aͤrgernuͤſſen/ unchriſtlichen
bedienten/ daß nichts gutes durchdringen kan/ ſondern ſie faſt ſelbs nicht wiſſen/
wie ihnen die haͤnde gebunden ſeyen. Daher leicht zu erachten iſt/ wie es mit den
dritten ſtand ſtehen muͤſſe.


4. Die arme ins geſamt fromme und boͤſe/ ſind in der euſſerſten verlaſſung
und unterdꝛuckung/ daß es auch in die harre auff politiſche weiſe nicht beſtehen kan/
geſchweige was Goͤttliche gerechtigkeit darzu ſaget/ und werden alſo freylich dero-
ſelben ſtaͤte feufftzen beſorglich manchen regenten-ſtuhl umſtuͤrtzen/ und dieſen huͤlf-
fe widerfahren/ auff art und weiſe/ die ich nicht voꝛſagen kan/ aber wohl dieſes weiß/
daß Goͤttliche gerechtigkeit und guͤtigkeit nicht fehlen koͤnne.


5. Jch erkenne auch gern/ daß alles/ was nicht von dem himmliſchen Vater
gepflantzt/ ſondern menſchen werck iſt/ als viel es ſolches iſt/ wird und muß zunicht
werden/ ja wir auch an uns zu nicht machen muͤßen/ was wir aus uns ſelbs ange-
klebet haben/ daß das Goͤttliche allein bleibe.


6. Da wir ſolche Goͤttliche gerichte alſo vor augen ſehen/ da iſt nun die
vornehmſte frage/ was uns dann zu thun ſeye/ ob wirs dann alles bloſſer dings ſo
gehen und ſtehen laſſen ſollen/ weil keine hoffnung mehr uͤbrig. Nun haben die
Medici die regel/ ægrotum prognoſticis non eſſe relinquendum, und muͤſſe
man als lang athem vorhanden iſt/ alle muͤgliche mittel brauchen. Dieſer mei-
nung bin ich auch in dieſer ſach/ daß wir doch ja nicht alles allein bey den klagen uͤber
das verderben und der bloſſen ergebung in GOttes willen (ſo freylich das erſte und
letzte/ oder das vornehmſte iſt) laſſen/ ſondern auch alles das jenige annoch verſu-
chen ſollen/ was Goͤttliches wort uns zu thun zeiget. Dann ob man wohl ſagen
moͤchte/ es ſeye umſonſt/ und koͤnne niemand bauen/ oder erhalten wo der HERR
niederzureiſſen beſchloſſen hat/ ſo iſt doch nicht nur allein annoch ungewiß/ wie viel
oder wenige friſt der HERR annoch gebe/ da auch/ ſoltens allein ein und andere
jahr ſeyn/ die erhaltung des jenigen/ was der HERR annoch ſo lang ſtehen zu laſ-
ſen beſchloſſen hat/ die anwendende muͤhe verlohnet/ ſondern es iſt uns nicht eben
T t toffen-
[514]Das ſechſte Capitel.
offenbahret/ ob nicht ein oder ander ecklein von dieſem gebaͤue/ welches ſonſten/ ob
wohl zu ſeinen beſten fallen ſoll/ ſtehen zu bleiben verordnet ſey/ um gleich ein weni-
ger anfang als dann deſſen widerum zu ſeyn/ was der HERR aufrichten will/
und ob wir ſo zu reden nichts ſtehen zu bleiben erhalten koͤnten/ iſt auch dieſes nicht
zu verachten/ da unſer anwendender fleiß in Gottes ſegen ein und andere ſeelen beſ-
ſer bereitete auff die bevorſtehende gerichte/ und zu deroſelben erhaltung etwas
contribuirte/ ja ſo wir auch endlich unter allen dieſen ſtuͤcken keines erhielten/
welches nicht gedencke/ iſt doch nicht vergebens/ was in Goͤttlicher ordnung in ab-
ſicht auff ſeine ehr geſchiehet/ ſondern der ausgang folge wie er will/ hat daſſelbe be-
ꝛeits ſeine belohnung in ſich. Wo dañ nun dieſes feſt ſtehet/ wie ichs feſt zuſtehen nicht
zweiffle/ und ja nicht gedencke/ daß wir der Anthoinette Bourignon, die ohne
das ihren glauben auch bey den uͤbrigen verlohren haben mag/ beypflichten ſollen/
man muͤſſe ſich nicht mehr bemuͤhen etwas zu erhalten/ ſondern nur ſeine ſeele zu
retten/ ſo iſt ferner zu unterſuchen/ was dann diejenige mittel ſeyen/ die zu ergreif-
fen/ und in welchem wir in unſeren amt unſere ſeelen retten moͤgen. Dieſes iſt die ei-
nige materie/ die ich die wuͤrdigſte achte/ davon gehandelt zu werden/ unter denen
welche GOTT ſuchen. Und darinnen wuͤnſchte ich/ daß der HERR ſeine gute
gedancken mittheilte/ aber nicht in ſeine vielerley vorige ſcripta zu weiſen/ ſonderen
in kurtzem und deutlich ſolche anzuzeigen. Es wird aber auch/ was ſolche mittel
anlangt zweyerley zu bemercken ſeyn. Eines theils daß es mittel ſeyen/ die pra-
cticabel
ſind/ und nicht erwa ſolche da man ſtracks ſiehet/ ſie ſeyen allein vota/ und
ſetzen zum grunde eine anmuthige ideam Platonicæ Reipublicæ, da wo wir uns
uͤber ſolche ideam ergoͤtzet/ kein weiterer nutzen uͤbrig bleibet. Und halte ich ei-
nen medicum nicht vor klug und treue/ welcher bey einen patienten viel diſcurri-
ret/ von ſolchen medicamentis und curen/ dazu zugelangen/ bekantlich kein mittel
und weg iſt/ ſondern es ſcheinet/ ein ſolcher wolle mehr ſeine geſchicklichkeit weiſen/
als daß er ſich des krancken heil laſſe angelegen ſeyn: viel beſſer aber verdienet ſich
der jenige medicus an ihm der mit aller ſorgfalt/ ſich der medicamenten gebꝛaucht
die er haben kan/ ob ſie wohl jenen zu erlangen unmuͤglich an guͤte nicht gleich ſind/
ja auch die kranckheit nicht aus dem grund heilen ſondern doch dem patienten ei-
nige linderung geben/ oder wohl ſo lang das leben friſten/ biß man etwa jener ſtatt-
licher mittel moͤge habhafft werden. Alſo ſehe ich gewiß nicht/ wie der gemeinde
CHRJSTJ gerathen werde mit vorſchlag der jenigen mittel/ da wir ſtracks ſe-
hen/ daß nichts davon zu wegen zu bringen iſt/ ſondern das auffhalten in deroſelben
betrachtung uns nur hindert an den andern mittelen/ die ſonſten practicabel ſind.
Andern theils achte ich noͤthig/ daß es mittel ſeyen/ die nicht nur bloß univerſal, o-
der ſo bewandt ſeyen/ daß der gantzen kirchen damit ſtracks geholffen werde/ mit
verwerffung der jenigen/ welche ein und anderen theil deroſelben etlicher maſſen
zu retten tuͤchtig ſind. Dann wo die ſache recht erwogen wird/ ſo werden jene in
die
[515]ARTIC. I. DISTINCT. III. SECTIO XLIV.
die vorige claſſem derjenigen kommen/ die noch impracticabel werden erfunden
werden/ und alſo der vorſchlag doch endlich vergebens iſt. Sondern ich achte die
jenige mittel uns die vortraͤglichſte/ welche ob ſie zwar virtute univerſalia ſind/
das iſt/ ſo bewand/ daß ſie an allen orten in der kirchen moͤgen angewendet u. verſucht
werden/ aber dero verſuch gleich wohl nicht dahin zu ſchrieben/ biß man ſich aller
orten insgemein eines propoſiti vergleiche/ u. nicht eher anfangen wolte/ man ſehe
dann/ daß die frucht in der gantzen kirchen folgen werde. Viel beſſer iſts/ es ſeyen
ſolche/ welcher jeglicher bey ſeiner gemeinde/ in ſeinen Dorff/ in ſeiner Statt/ in ſei-
ner diæces/ nach bewandtnuͤß der umſtaͤnden/ verſuchen moͤge/ und damit zu frie-
den ſeye/ ob wohl der nutzen nicht weiter als uͤber dieſelbe ſich erſtreckte/ ob er wohl
wuͤnſchte/ daß durch das gute exempel derſelbe auch weiter fortgeſetzet wuͤrde. Ja
daß er auch nicht laß ſeye/ ob er ſchon ſehen ſolte/ daß er nicht bey ſeiner gantzen ge-
meinde/ ſondern allein einen theil derſelben/ ja nur etlichen der folgſamſten/ etwas
ausrichtete/ in dem allezeit eine einige ſeele aller arbeit werth iſt. Koͤnnen wir
alſo die gꝛoſſe und voꝛnehmſte in beyden oberen ſtaͤnden nicht gewinnen/ ſo haben wir
zwar nicht gar nachzulaſſen an ihnen zu arbeiten/ und ihnen das wort des HER-
REN alſo/ daß es zur uͤberzeugung des gewiſſens genug ſeye/ vorzutragen/ aber
deswegen nicht zu unterlaſſen/ daß wir andere der geringeren gewinnen/ und er-
halten: will ſich nichts mehr herbeyfuͤhren und bekehren laſſen/ was gantz boͤſe iſt/
ſo wollen wir doch diejenige nicht verſaͤumen/ in denen etwa noch ein guter funcken
uͤbrig geblieben. Ja ich zweiffele nicht dran/ da wirs mit den groͤſſeſten in beyder-
ley obern ſtaͤnden zu thun haben/ daß wir ob wohl die noͤthige Goͤttliche wahrheit
ihnen nicht verhehlen ſollen/ daraus ſie ſich pruͤffen koͤnnen/ doch nicht ſchuldig noch
rathſam ſeye/ ſie vergebens/ und ohne hoffnung etwas bey ihnen auszurichten/ alſo
anzugreiffen/ daß wir damit die mittel und gelegenheit verliehren/ an den armen
und geringeren etwas auszurichten/ die unſer noch beduͤrfftig ſind. Daher meine
ins geſamt/ die mittel ſollen alſo bewandt ſeyn/ daß das remedium nicht pijus mor-
bo
ſeye/ welcherley manchmahlſehr ſpecioſa aber nicht eben vortraͤglich ſind/ nun
ſtehet alles lob eines mittels darinen/ daß damit etwas gutes ausgerichtet werde.
Vorausgeſetzt nun dieſer requiſitorum/ ſo wuͤnſchte wohl von grund meiner ſe-
len/ daß alle/ welchen der HERR etwas gegeben hat/ in dieſe zeiten tieffer einzu-
ſehen/ ihre vorſchlaͤge zeigten/ und ſie der Chriſtlichen kirchen vorlegten/ wie ich
dieſes vor einen nutzen meiner piorum deſideriorum abgeſehen/ daß dadurch/
weil ich nach meiner armuth mein ſchaͤrfflein beygetragen/ andere bewogen wur-
den/ ihre reichere ſchaͤtze auffzuthun und zu communiciren. Wie ich als dann
nicht nur ſelbſt bereit ſeyn werde/ ſondern verſichern kan/ daß der lieben hertzen auch
in unſerem ſtande viele hin und wieder/ ja theils mir bekandt ſind/ die davor GOtt
dem HErren dancken und willig folgen werden. Hat ihm nun in ſolcher ſache
GOTT einig liecht gegeben/ oder findet ſich in den ſchrifften der jenigen/ welche er
T t t 2bey
[516]Das ſechſte Capitel.
bey ſich zu haben ruͤhmet/ etwas hiezu tuͤchtiges/ ſonderlich aber nicht ſo wohl zu un-
terdruckung der boßheit/ dann dazu wird des HErren gericht bald macht genug
weiſen/ als zu erhaltung des guten angeſehens/ ſo wolle ers mittheilen/ und bin ich
als dann bereit daſſelbige bald aller orten bekant zu machen/ daß ihm die frucht vie-
les guten vor dem HErren dermahleins zugerechnet werden ſolle. Andere dinge
insgeſamt ſehe ich von geringen nutzen an/ und weiß nicht/ warum ich arbeit an-
wenden ſolte/ ſolche dinge/ davon nichts zuhoffen/ zu publiciren. Dann ich æſti-
mire
alles aus dem/ was es vor nutzen zu befoͤrderung des guten bringen kan. Weil
er aber in den meiſten ſchrifften/ vornehmlich den letzten auch auff ein gewiſſes mit-
tel kommet/ nehmlich ſich der armen anzunehmen/ ſo geiſtlich als leiblich/ ſo erken-
ne gern/ daſſelbe nuͤtzlich und bereits Luc. 16/ 9. von unſerem liebſten Heyland ca-
noniſi
ret zu ſeyn. Jch ſtelle aber dabey dieſes zu betrachten vor.


1. Ob und wo etwa einige dergleichen bekantlich arme und glieder CHriſti
ſind?


2. Wie ihnen am beſten geholffen werden moͤge? Dann wie bereits in
meinem vorigen gemeldet/ kan ich keine vor arme Chriſti erkennen/ die etwa aus
eigener wahl und obwahl manchmahl ſcheinbahren/ wo die ſache aber vor GOtt
unterſuchet wird/ die probe nicht haltenden/ urſachen in die armuth ſich geſetzet/ oder
darinnen gern bleiben/ und da ſie vermoͤchten nach ihren gemuͤths und leibes kraͤff-
ten/ das jenige zu erwerben/ davon ſie ihr leben fuͤhren ſolten/ ſolches lieber von an-
derer handreichung erwarten wollen. Wo ich ſehr anſtehe/ was bey ſolchen leu-
ten zuthun? Was unſeren hieſigen ort anlangt verſichere demſelben/ daß nicht
nur allen armen nothwendige pflegung geſchiehet/ nach dem GOTT vor etlichen
jahren ſegen gegeben/ daß eine lang vergebens tentirte anſtalt zu werck gerichtet
worden: Sondern wo einige recht Gottſelige arme andern Chriſtlichen hertzen
allhier bekant werden/ ſo werden ſie uͤber verlaſſung nicht zu klagen finden. Wie
auch die bekandte N. N. allhie biß in ihren tod die jenige liebe von guten freunden
genoſſen/ welche ein Gottſeliges hertz ihm wuͤnſchen moͤchte. So iſt mehrmahl
wo einige Gottſeliger prediger auff den land etlicher orten geſtanden/ dero ſo hertzli-
che eiffer als mangel/ da ſie ihren gemeinden nicht ſchwehr weꝛden wolten/ u. doch die
lebens nothdurfft ohne verlaſſung deꝛſelben nicht haben koͤnten deꝛgleichen huͤlffe ge-
ſchen/ die ſolche gute hertzen/ ſo aus liebe es gethan nicht ruͤhmen wollen/ mir aber
deſſen zu gedencken nicht vor uͤbel mag gehalten werden/ weil es noͤthig ſcheinet/ zu-
zeigen/ wir glauben ſolches mittel nuͤtzlich zu ſeyn/ und wollen uns nicht entziehen/ wo
uns einige ſolche bekant werden/ ſo wir vor warhafftige armen Chriſti erkennen
moͤgen/ und alſo in welchen der HErr zu uns kommt/ und unſere liebe pruͤffet. Ach
wie hertzlich wuͤnſchte/ daß in ſo vielen andern ſtuͤcken/ da es noch manglet/ gleiches
zeugnuͤß noch einigen guten hertzen hie geben koͤnte/ wie ſie etwa in dieſer ſache die
aufrichtigkeit ihrer liebe zu erkennen gegeben! Was in der letzten einlag von den ar-
men
[517]ARTIC. I. DIST. III. SECT. XLIV.
men elenden und verachtetem volck und Jſrael in der wuͤſten geredet wird/ beken-
ne ich abermahl/ daß ich nicht wiſſe/ was darmit gemeinet werden ſolle. Jch
weiß/ der HERR hat ſeine wahre Jſraeliten hin und wieder/ und iſt dero wal-
len in der wuͤſten; Zu ſolchen gehoͤren alle die jenige/ welche in lebendigen glau-
ben ſtehen/ und alſo Abrahams ſaamen nach dem geiſt und verheiſſung ſind.
So bekenne auch/ das von ſolchen ein zimliche zahl auſſer der aͤuſſerlichen gemein-
ſchafft der ſichtbaren Evangeliſchen kiꝛchen lebet/ die der HErr. nach ſeinem weiſen
rath/ deſſen etliche und zwar weiſe urſachen wir etwa ſelbs ſehen koͤnnen/ aber ver-
ſichert ſind/ daß deroſelben noch mehr und wichtigere ſind/ unter den gemeinden/
die auch die buchſtaͤbliche warheit nicht einmahl haben/ erhalt und behalt/ das ſaltz
zu ſeyn die voͤllige faͤule in denſelben zu verwehren. Jndeſſen dancke billich dem him̃-
liſchen Vater/ daß er unter dem verderben des groſſen hauffens bey unſeꝛen gemein-
den/ denen er die warheit vor anderen anvertrauet hat/ auch ſeine zimliche zahl er-
halten/ die was ſie in dem nahmen heiſſen/ auch in der that zu ſeyn ſich befleiſſen/
und dem Evangelio wuͤꝛdiglich wandelen. Solche verdammen freylich an ſich
und anderen alles/ was nicht aus GOTT iſt/ ſie erinneren ſich aber im richten der
worte ihres Heylands/ und mit was behutſamkeit ſolches geſchehen muͤſſe/ und
ſondern ſich nicht ab von denen/ welche gleiche warheit mit ihnen empfangen haben/
noch verwerffen um anderer mißbrauchs willen/ was an ſich gut und ob von men-
ſchen aus goͤttlicher providenz geſtellet/ gleichwol goͤttlich wort gemaͤß iſt. Son-
dern halten uͤber jenem feſt/ damit ſie nicht vor die ihnen anvertrauete gnade der
warheit undanckbar werden/ mit trennung aͤrgernuͤß ſtifften/ den feinden zu laͤ-
ſtern urſach und materie geben/ in deſſen eyffern ſie wider dieſen/ und ſuchen ſo mit
ſanfftmuth und gedult (die wo ſie lang anhaͤlt/ offt mehr außrichtet als ungeſtuͤm-
migkeit) als mit eyffer daran zu beſſern/ nechſt deme in demuth und gehorſam er-
wartende/ daß der HErr ſelbſt komme/ und reinige was ihnen nicht muͤglich gewe-
ſen auszurichten. Von dieſem volck weiß ich/ und trachte mit mir ſelbſt jedermann
dahin anzu weiſen/ deſſen glieder zu werden und zu ſeyn. Jſt einander volck/ ſo
muß ich naͤhere kundſchafft davon haben/ ehe in einige gemeinſchafft mit denſelben
zu treten vermag.


Zuletzt habe dieſes auch zuerinnern/ daß ich nicht verſtehe/ wo hin die beſchul-
digung gehe/ das die Ungern und Reformirten in Franckreich von uns/ in ihrem
elend verlaſſen werden. Ach wolte GOtt/ ich wuͤßte und ſehe/ wie den lieben leu-
then huͤlffe und liebe nach GOttlicher ordnung erwieſen werden koͤnte/ nechſt dem
eyffrigen gebeth/ an welchen es vor dieſelbige bey vielen Gottſeligen hertzen nicht
mangelen wird. Auſſer dem ſehe noch nicht/ was wir weiter zu thun vermoͤgen.
Die leibliche waffen vor ſie zu ergreiffen/ ob wir auch die macht haͤtten/ iſt der juͤnger
Chriſti weiſe nicht/ denn wir wiſſen welches Geiſtes kinder wir ſind. An leiblichen
unterhalts mitteln meine ich habe es bißher den jenigen/ ſo ſolcher orten ſind/ noch
T t t 3nicht
[518]Das ſechſte Capitel.
nicht ermangelet. Welche anderwertlich hinkommen/ und in ihrer flucht ihr auf-
enthalt ſuchen/ erkenne gern/ daß wir ihnen zu allem vorſchub verbunden ſeyen/ und
hoffe/ daß man ſich auch darinnen nicht ſaͤumig finden werde laſſen. Sonſten
kan ich nichts weiter erdencken.


Dann zum exempel mit offentlichen ſchrifften/ die groſſe/ welche ſolche ar-
me drucken und verfolgen/ und die Roͤmiſche cleriſey, ſo ſie dazu anſtifftet/ hefftig
und nach dem verdienſt dero grauſamkeit angreiffen/ wird ſolchem elenden ſo gar
nichts nutzen/ daß es vielmehr jene deſto mehr erbittern/ und dieſer leiden ſo viel
ſchwehrer machen wird. Das ihnen alſo damit eine ſchlechte oder vielmehr keine
liebe eꝛzeiget wuͤrde. Hiemit ſiehet er/ mein geliebter Herr und freund/ daß wie er
ſeine liebe und aufrichtigkeit gegen mich bezeuget/ ich auch meines orts vor dem
HErren HErren nicht anders verlange erfunden zu werden/ als der es mit ihm
redlich meine. Jſts/ daß ihm GOtt einige gaben gegeben hat/ dadurch mir und
andern geholffen werden mag/ ſo nehme ich ſolche nicht nur willig an/ ſo fern ich ſol-
ches als goͤttlich in meinem gewiſſen erkennen mag/ ſondern bete viel mehr darum.
Er richte es aber dahin/ daß es nicht bloſſe oder unbegreiffliche wort ſeyen/ da man
nach allem uͤberleſen nichts richtiges davon weiſt/ ſondern gebe ſeinem rath deutlich
und vornehmlich/ wo er ſiehet daß zur beſſerung etwas geſchehen kan. Dann wie
dieſe mein einiger zweck iſt/ und ich nichts anders goͤttlichem willen gemaͤß erkennen
kan/ alſo mag auch von nichts anders wiſſen oder hoͤren/ als daß gelegenheit gutes
zu thun und den willen des HErren zu vollbringen gegeben werde. Findet er aber
auch aus dieſem einfaͤltigem einigs/ ſo ihm zum nachdencken/ auff was wege er ſtehe/
dienlich ſeyn mag/ ſo gebe er auch ſolcher warheit platz.


Ach der HErr reinige unſer aller hertzen von eigenem willen/ meiſtens wo der-
ſelbe einen goͤttlichen ſchein abzeucht/ und er gebe folgſame gemuͤther/ verbinde auch/
mit hinwegraͤumung aller hindernuͤſſen dieſelbe in wahrer einigkeit des geiſtes mit
dem bande des friedens. 1681.


SECTIO XLV.


Uber den ſeligen todt Hertzog Moritz zu Sachſen
Zeitz.


ES war mir des ſeligſten Fuͤrſten unverhofftes ableiben wenige ſtunden vor-
her/ als durch Herr Primen aus deroſelben ordre mir notificiret worden/
von Herrn Reichs Hoffrath von Hiuͤnefeld wiſſend worden; welches mich
auch ſo viel mehr perplex gemacht/ als weniger an dergleichen gedacht/ und noch
einmal gehoffet haͤtte/ die gnade und ehr zu haben/ etwada ſichs zu einer be-
quemen zeit gefuͤget haͤtte/ in dem Hennebergiſchen uns naͤheren landen/ den wer-
theſten
[519]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XLV.
theſten Fuͤrſten/ deſſen gnaͤdigſter zuneigung ſo offt von der Frau gemahlin Hoch-
Fuͤrſtl. Durchl. verſichert war worden/ einige ſtunden oder tage unterthaͤnig auf
zu warten: So fiele mir auch ſo bald der frommen Fuͤrftin zu ſtand ein/ und wie
ſchwer es ihr fallen wuͤrde/ wo ſie ihren Herrn ſo bald verliehren ſollen. Nun der
HErr/ der ein GOtt der geiſter alles fleiſches iſt/ hat macht uͤber unſer leben/ und
ſtehet uns nicht zu/ ſeiner heiligen weißheit ordnung zu geben/ wann und zu welcher
zeit/ er das jenige was ſeyn iſt/ wieder zu ſich abfordern ſolle. Sein nahme ſeye
und bleibe hoch geprieſen/ er gebe oder nehme/ denn er iſt und bleibet allezeit einer!
die gedaͤchtnuͤß des theuren Fuͤrſten ſoll auch bey mir im ſegen/ als lang ich lebe/ blei-
ben. Mir iſt ſehr angenehm geweſen (weswegen auch ſchuldigen danck erſtatte)
ausfuͤhrlicheren bericht von des Herren abſchied und letzter zeiten zuſtand einzuneh-
men; weiß mich zu erinneren/ daß in meiner kleinſten jugend von ihm/ und ihn allen
ſeinem hochgeehrten Herrn bruͤdern vorzuziehen/ gehoͤret/ daher ehe noch geden-
cken koͤnnen/ das mein weniger nahme ihm ja bekant werden ſolte/ ihn geehret ha-
be. So wiꝛd mir auch etwa nach GOttes willen gelegenheit einmahl kommen/ ſei-
nes ruhms in etwas meldung zuthun. Daß die wertheſte Fuͤrſtin/ dero ſo bald
die erſte poſt/ als ich es zu thun vermochte geſchrieben/ gleichwol zu vergnuͤglichen
auskommen wohl bedacht worden/ freue mich von hertzen/ und verſichere mich/ ſie
wird vermittels goͤttlichen beyſtands in ihren Fuͤrſtlichen witwenſtand ſo viel exem-
plariſcher leben/ als ſie biß daher gleiches verlangen getragen/ aber manche hinder-
nuͤſſen noch nicht genug aus dem weg zu raͤummen gewuſt. GOTT wolle auch die
geſamte Printzen/ ſonderlich aber den jetzo auf der reiß begriffenen/ und ſuccediren-
den Herrn mit ſeiner gnade erfuͤllen/ und ihn zu einen heilſamen werckzeug ſeiner
gnade/ zur zierde ſeines hauſes und troſt der unterthanen machen 1681. 30. Dec.


SECTIO XLVI.


Nothwendigkeit der einigkeit der Chriſten/ ſonder-
lich
Theologorum.


ACh der HErr verbinde noch mehr unſer und aller deren/ die ihn treulich ſu-
chen/ hertzen in der einigkeit des Geiſtes mit dem bande des friedens/ und
laſſe/ ſo viel mehr ſonſten leider in dem aͤuſſerlichen alles gleichſam von ein-
ander zu zerfallen ſcheinet/ der ſeinigen ſeelen/ ſo wol das enge band/ damit ſie ein-
ander und untereinander verknuͤffet ſind als glieder eines leibes/ und unter einem
hochgelobten haupt/ hertzlich erkennen/ als daſſelbe immer gleichſam naͤher zuſam-
men ziehen und befaͤſtigen/ zu ihrem eigenem wachsthum/ dazu die liebe vieles thut/
ſo dann mit deſto mehrerern krafft das werck des HErrn mit nachdruck zu treiben.
Jch habe hingegen offt bedauret/ nicht nur allein ſo offt ich die offenbare/ und gar
vor
[520]Das ſechſte Capitel.
vor jeder manns augen ausbrechende mißhelligkeiten mehrer unſerer Theologo-
rum,
oder doch die heimliche (und ach daß ſie gantz heimlich blieben/ und nicht in ſo
vielen ſtuͤcken heraus blickten!) ſimultates derſelben geſehen/ ſondern auch war
genommen habe/ daß auch unter den jenigen/ zwiſchen welchen keine widrigkeit iſt/
dennoch auch keine mehrere genaue freundſchafft als unter bruͤdern ſeyn ſolte/ ge-
machet wird. Damit alſo jeglicher wuͤſte/ was des andern arbeit/ vornehmen o-
der auch afflictiones waͤren/ um einander nach der pflicht der liebe/ mit raht/ troſt/
gebet/ und auf jegliche muͤgliche weiſe an hand zu gehen. Vielleicht wuͤrden viele
zuſammenſetzende und in der furcht des HErrn vereinigte haͤnde manchen ſtein in
ſeiner krafft heben und wegweltzen/ manchen feind uͤberwinden koͤnnen/ was jetzt
unmuͤglich faͤllet/ da faſt jeglicher ſo arbeiten muß/ ob waͤre er gar allein ohne an-
derer mitt- und bey-huͤlffe/ ja offt GOtt noch davor hoͤchlichſt danck zu ſagen hat/
wann er nur allein zu arbeiten gelaſſen/ und nicht darinnen von andern mißgoͤnſti-
gen an ſtatt der befoͤrderung gehindert wird. Welches wohl der groͤßte jammer
und verderben iſt. Damit unterbleibet nicht nur viel gutes/ oder wird doch un-
kraͤfftig aus der ſchwachheit der jenigen/ die es unternehmen/ oder aus anderer wie-
derſtand/ ſondern manches gutes wird etwa aus mangel des beyſtands und beytre-
tens der uͤbrigen erfahrner auff eine ſolche weiſe von gut meinenden angefangen/ daß
doch weniges ausgerichtet/ und einiges von ihnen ſelbs dabey gefehlet wird/ ſo nicht
geſchehen wuͤrde ſeyn/ wo ſie ſich anderer treuer bruͤder raht und huͤlffe haͤtten getroͤ-
ſten und gebrauchen duͤrffen. So ſtehets aller orten/ damit ja das gute nicht mit
rechtem nachdruck zu werck gerichtet werde/ worinnen ich zwar ein heilig gericht
GOttes erkenne/ aber uns doch nicht ohne ſchuld achte/ da wir auch dieſem uͤbel
nicht ſuchen nachdruͤcklich/ als viel an uns waͤre/ zubegegnen. Es waͤre zwar ein ſtat-
liches mittel der vereinigung/ wo jeweilige Synodi gehalten wuͤrden/ aber ſolche er-
warten wir vergeblich/ daher wuͤßte ich faſt kein anders zu dieſer unſerer zeit practi-
cabel,
als die ſchrifftliche correſpondenz, damit die jenige/ ſo einander in dem
HErrn genaue haben kennen lernen/ eine genauere bruͤderliche freundſchafft (ſo
ſonſten rechts wegen unter allen ſeyn ſolte) aufs wenigſte unter ſich ſtifften moͤgen/
die ſich aber allgemach außbreiten kan/ wo die jenige/ ſo andere freunde wiederum
heben/ ſie zugleich mit dem uͤbrigen bekant machen. Ach der HErr zeige uns noch
ferner/ wie wir am beſten/ den uns von ihm ſo ernſtlich befohlnen zweck der einmuͤ-
tigen und liebreichen zuſammen ſetzung erhalten moͤgen. Und ſo wirs ja nicht un-
ter viele bringen koͤnnen/ ſo laſſet uns auffswenigſte unter wenigen daſſelbige thun/
was wir von allen verlangten. Wir habens je ſo vielmehr urſach/ als ſchwehrere
gerichte es ſeyn moͤgen/ die uns uͤber haupten ſchweben/ und uns antreiben ſollen/
keine zeit mit willen zu verſaͤumen/ wo mir etwas zur beſſerung zu thun ſehen. 1681.


SECT
[521]ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECT. XLVII. XLIIX.

SECTIO XLVII.


Als in Straßburg an ſtatt des abgenommenen
Muͤnſters die Prediger kirche zum Evangeliſchen
GOttesdienſt bequem gemacht
worden.


JM uͤbrigen hoffe ich/ nunmehr werde in der Predigeꝛ kirche der gottesdienſt
angehoben ſeyn. Der HErr gebe lehrern und zuhoͤꝛern eine neue Geiſtes
krafft in ſolchem ſeinem hauß/ dahin ſie ſeine heimſuchung getrieben/ ihm ſo
viel demuͤthiger/ andaͤchtiger und gehorſamer zu dienen/ und in krafft ſeines leben-
digen worts/ welches er reichlich darinnen wolle ſchallen laſſen/ in dem glauben und
heiligung geſtaͤrcket zu werden. Ach daß alle in der neuen kirchen moͤgen neue men-
ſchen werden/ den alten menſchen taͤglich auszuziehen/ und den neuen anzuziehen
lernen/ ja jemehr und mehr bereitet werden/ zu dem neuen Jeruſalem dem neuen
himmel und der neuen erden/ die uns verheiſſen ſind/ und wir vermuthlich vorher/
ehe wir jener werden wuͤrdig gemacht werden/ manches auf der alten erden ſo zu
reden/ annoch werden verlieren muͤſſen/ in jene gleichſam gantz bloß und deſto reiner
einzugehen. Gibt GOtt ſolchen ſegen zu ihrer neuen kirchen/ wie er freylich ſol-
chen zu geben gantz willich ſeyn wird/ ſo moͤgen ſie leicht ihres Muͤnſters vergeſſen/
und ſolches aͤuſſerlich praͤchtige gebaͤu ohne murren gegen die goͤttliche gerechte dis-
poſition,
ja mit danckſagung gegen den alles gutmachenden Vater/ den jenigen
uͤberlaſſen/ deren aller GOttes dienſt mehr auf aͤuſſerliche gepraͤnge gehet; und
alſo auch ſolcherley kunſt-gebaͤu demſelben gemaͤſſer ſind/ da wir durch die gnade
des HErren gelernet haben/ ihn in dem Geiſt und in der wahrheit anzurufen/ und
zu ſolchen nichts aͤuſſerliches/ ſondern wo wir auch alle beyſammen ſind/ allemahl
nur ſolche plaͤtze beduͤrffen/ die zu der verſamlung und heiliger verrichtungen bequem
gemacht ſind. Ja wo es dem HErrn alſo gefallen ſolte/ uns nicht vor unſelig ſchaͤ-
tzen ſolten/ ob wir wiederum die alte lection der erſtẽ kirchen repetiren muͤſten/ de-
nen in ermanglung ſolcher offentlichen verſamlungsplaͤtze jegliches privat-hauß ei-
ne ſcheur/ eine hoͤle ein wald und anderes dergleichen zu ihrem GOttesdeinſt genug-
ſam vorkam. 1681.


SECTIO XLIIX.


Von meiner unſchuld.


DAß die leuthe in den Nordiſchen revieren goͤttliches wort mehr uñ mit hertz-
licherm gehorſam lieben/ freuet mich von grund der ſeelen. Ach daß wir
gleiches von allen orten ruͤhmen koͤnten! Jndeſſen laſſet uns GOTT davor
dancken/ wo er auffs wenigſte an ein und andern orten zeiget/ daß ſein wort noch
U u uplatz
[522]Das ſechſte Capitel.
platz finde. Daß vieler orthen in Dennemarck und daherum ſeltſame dinge von
mir geſprochen und vorgegeben worden/ weiß ich wohl/ und weiß auch eine gewiſ-
ſe perſon/ die ſehr vielesaus gegen mich verbitterten gemuͤth dazu gethan hat/ als
ſie auf eine reiſe dahin begriffen war. Aber ich troͤſte mich meines guten gewiſſen
vor GOtt und der gantzen kirche. Meine lehr ligt offentlich durch GOttes gna-
de in meinen ſchrifften an dem tag/ daß kein articul iſt/ daruͤber ich nicht meine be-
kautnuͤß hin und wieder gethan habe/ wie dann niemand als der neuliche Nord-
haͤuſer mich uͤber einen puncten (und zwar wie elend und falfch/ iſt offenbahr wor-
den) auch nur zu beſchuldigen ſich hat unternehmen doͤrffen/ ſo nicht ausblieben waͤ-
re/ in dem ich nicht heimlich ſondern offentlich allezeit vor ſo viel 100. perſonen frem-
den und einheimiſchen meine predigten halte. Wo es gewiß nicht mangelt an leu-
then die gern etwas anfffingen/ wo ſie nur koͤnten. Aber dem HErren ſey danck
daß ſie noch dergleichen nirgends vermocht haben. So iſt mein leben auch hier ſo
unbekant nicht/ als der ich nicht im winckel ſtecke. Jch habe mich nicht zu ruͤhmen/
doch hoffe ich getroſt aufftreten zu koͤnnen/ ob hier in dieſer ſtadt mir einer auch nur
mit einen ſchein das jenige insgeſicht vorhalten doͤrffte/ woruͤber ich erroͤthen muͤſte.
Daher auch unter ſo vielen calumnien, die ausgegangen/ gleichwohl keine gewe-
ſen/ worinnen ich noch jemahl des lebens wegen waͤre angegriffen worden/ ſondern
ſolches haben ſie mir allezeit unangetaſtet muͤſſen bleiben laſſen. Auch was uͤbrige
abentheurliche ſpargimenten anlanget/ hats allezeit nicht mehr bedorfft/ als daß
die leuthe/ ſo davon gehoͤret hatten/ hieher gekommen/ und alles in augenſchein ge-
nommen/ da ſie den ungrund ſolcher fabeln mit verwunderen gehoͤret/ und alle die
mir bekant woꝛden ſind/ oder mit mir geredet haben/ vergnuͤgt wieder weg gezogen
ſind. Dem HErrn ſey danck vor dieſe ſeine regierung/ da er dergleichen uͤber
mich verhaͤngen wollen/ mich immer deſto vorſichtiger zu machen/ und meine ge-
dult zu uͤben und zu pꝛuͤfen/ und ſeine guͤte noch dazu in allen kuͤnfftig ſpuͤꝛen zu laſſen.
Der gebe mir ferner ſeinen Geiſt/ ſeinen willen in allen dingen zu erkennen/ und ge-
troſt zu thun. Wo GOtt/ ſo ich wuͤnſche einige beſtaͤndige auffenthalt in Den-
nemarck zeigen wird/ hoffe ich/ werde derſelbe ſich auch dermaſſen dabey compor-
tiren/ daß er nicht unwehrt/ und die anfaͤngliche gute goͤnner nicht muͤde
oder verdroſſen werden. ꝛc. 1681.


DISTIN-
[523]ARTIC. I. DISTINCT. IV. SECT. I.

DISTINCT. IV.
Von 1682. 3. 4. 5. 6.
SECTIO


  • 1.
    AUsfuͤhrliche anmerckung/ wie es mit denen gegen das gute/ ſonderlich gegen
    mich und meine freunde/ ausgeſprengten calumnien hergegangen.
    Was der ſatan damit vorgehabt/ u. wie es ihm Gott mißlingen laſſen/
    und die unſchuld gerettet. Was nun unſere ſchuldigkeit ſeye.
  • 2. Betrachtung der ſchweren obſchwebenden ſtrafft-gerichte.
  • 3. Als J. Pater Spaͤth wieder zu dem Papſtum zukehren in cliniret/ aber vor-
    her einige in Holland zu rath ziehen wolte/ nachricht an einem/ der ihn von
    ſeinem vorhaben abziehen helffen wolte.
  • 4. Cognitio vera vel ſalutaris wegen der controvers mit Dilfelden. Das
    Taulerum recommandire.
  • 5. Als einer wegen i[r]rth[uͤ]me removiret worden. Daß mich ſeiner darin nicht
    annehme. Schaden vom eyffer/ wo eigenſinn dabey iſt.
  • 6. Nutzen Chriſtlicher freundſchafft. Meine ſchrifften. Allgemeine GOttes-
    gelahrheit. Gebet vor mich. Ruͤhrung vieler hertzen zu unſerer zeit.
  • 7. Wegen des zu E[ſſ]en in Weſtphalen angeſtelleten collegii pietatis.
  • 8. Von einigen dingen/ ſo in Franckfurt vorgenommen/ und vor andern mißdeu-
    tet worden. Auch ſachen die zum amt gehoͤrig. Großgebauers waͤchter-
    ſtimme.
  • 9. An G. Conrad. Dielfelden, der wider mich geſchrieben/ und ich ihm in der
    allgemeinen GOttes gelertheit geantwortet hatte: als die peſt nach Nord-
    hauſen gekommen war. Erinnerung an ihn zu bußfertige erkaͤntnuͤß ſeines
    unrechts und aͤrgernuͤſſes/ und anerbietung der vergebung.
  • 10. Was bey dem allgemeinem verderben/ zur beſſerung zuthun. Daß nicht bloß
    auff den ſtand der Obrigkeit zu warten. Die klage komt ſonderlich auch auf
    die ſchuld der Prediger.
  • 11. Bedencken uͤber einen Commentarium apocalypticum.
  • 12. Ein Superintendens mit mir nicht zufrieden. Gefahr deren/ die das gemeine
    verderben erkennen/ nicht auf andere irrwege zu gerathen. Armuth Chri-
    ſti.
  • 13. An G. Conrad Dilfelden letzte antwort und erinnerung. Faſt allgemeine
    approbation der Gottesgelehrtheit.
  • 14. Erinnerung an einen wegen editer Satyriſcher ſchrifft.

U u u 215. Als
[524]Das ſechſte Capitel.
  • 15. Als die ſtreitigkeiten zwiſchen Wittenberg und Helmſtaͤdt wieder ſchienen auf-
    zuwachen. Trennung in unſerer kirchen zuverhuͤten. Vom Biſchoff ver
    Thina. Gefahr der Roͤmiſchen offerten zur vereinigung. Tractat, mittel
    die ketzer zu bekehren. Ander ſcriptum wieder das Papſtum. Meine ar-
    beit wider D. Breving immer unterbrochen.
  • 16. Als ſich in Franckfurt einige von der gemeine und communion abſondern
    wolten. Gefahr und ſchade des regiments. Bitte an einen Chriſtlichen Pre-
    diger die leute mit helffen zurecht zubringen.
  • 17. An einen Prediger/ der ſich eine weile zu verdacht einnehmen laſſen. Gott
    laͤſt falſche ſpargimenten endlich zergehen. Des Satans boͤſe abſicht
    dabey.
  • 18. Erklaͤhrung gegen einen freund nach dem maß meiner gabe in dem bauen am
    Hauſe des HErrn fortzufahren.
  • 19. An einen Chriſtlichen Edelmann wegen getroffener ehe. Meine gedancken
    von gegenwertiger und nechſt kuͤnfftiger zeit.
  • 20. An eine Chriſtliche weibs-perſon wie fern man in goͤttlichen dingen auf das
    fuͤhlen zuſehen. Mein verhalten gegen die/ ſo ſich abſondern.
  • 21. An einen freund eine beantwortung an meinem verhalten gefaſter vielerſcru-
    pel. Von anblickung goͤttlichen liechtſcheins. Putrefaction vor der wie-
    dergeburth. Daß es GOtt nicht mit allen auf eine weiſe halte. Ob meine
    kraͤffte in dem dienſte des ſpiritus mundi verzehre. Ob mir juͤngeꝛ mache.
    Unordnung unſerer kirchen verfaſſung. Ob wir Babel. Secten ſtreit.
    Vorſatz meines gantzen lebens.
  • 22. Verboth irriger buͤcher. Wie mit gutmeynenden aber allzuhefftigen eyffe-
    rern zu verfahren. Daß uͤber Jacob Boͤhmen nicht urtheilen koͤnne. Von
    unrichtiger beruffung auff meinen conſenſum. Ob [m]ich mein Collegium
    gereuet.
  • 23. Als ein Prediger in gefahr ſein amt zuverlieren gekommen/ und man mich mit
    einflechten wolte.
  • 24. Als aus einem Fuͤrſtlichen Conſiſtorio mir ein collecte zu beſtellen zu geſand
    worden. Gefahr der gegenwertigen zeiten und goͤttlicher gerichte.
  • 25. Antwort an einem außlaͤndiſchen freund/ der bezeuget hatte/ durch meine ſchriff-
    ten erbauet zu ſeyn. Stifftung einer freundſchafft/ bitte um noͤthige vor-
    bitte.
  • 26. Als Horbius etlicher dinge wegen bey einem Theologo uͤbel angegoſſen wor-
    den.
  • 27. Falſches geruͤcht von einem Franckfurter ſchwarm. Auffmunterung an ei-
    nen Prediger in ſeinem amte.

28. Was
[525]ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECTIO I.
  • 28. Was bey dem aͤuſſerſt verderbten zeiten unſre pflicht und hoffnung ſeye.
  • 29. Von der art des wahren glaubens/ und deſſen unteꝛſcheid von den dem wahn-
    glauben.
  • 30. Unſere zeiten der gerichte. Was prediger zuthun/ wo die Papiſten die oberhand
    haben. Elenchus. Die beſte verwahrung von dem abfall die ins hertz ge-
    druck te liebe GOttes.
  • 31. Von meiner kranckheit (die 3. Adv. 1684. angefangen und ſo lange gewaͤhret
    daß erſt dem 3. p. Trinit. 1685. Die cantzel wieder betreten) Jn derſelben
    zwey traͤume. Kirchen diſciplin. Schwehrigkeit in ſolcher materie.
  • 32/ An einen Edelmann von dem einbrechenden gerichtẽ. Das feuer der verfolgung
    reinigt die kirche von heuchlern. GOttes tꝛeue in denſelben an den rechtſchaf-
    fenen. Gewißheit des endlichen ſieges. Vorſchlaͤge der vereinigung mit
    dem Roͤm. Babel gefaͤhrlich und ſchaͤdlich.
  • 33. Was in dem allgemeinen verderben der kirchen zuthun. Sich derſelben dienſt
    nicht zuentziehen. Menſchen ſatzungen. Verketzern. Arndius. Warum
    bey dem loͤß- als bindſchluͤſſel mehr freyheit.
  • 34. Daß die von andern mißbrauchte redens-arten deswegen nicht abzulegen.
    Arndius. Lutheri ſchrifften. Gemeinſchafft Chriſti und ſeiner glaͤubigen.
  • 35. Klagen uͤber Cæſaropapiam.
  • 36. Gefahr deren die nach hohen dingen und geheimnuͤſſen ſehen. Jacob Boͤh-
    mens ſchꝛifften.


Anhang etlicher Schreiben/
Theils derer jahre ich nicht weiß/ theils die zuſpaͤt
gefunden.


  • 1.
    SChwehrigkeit goͤttlichen willen zuerkennen. Darum vornemlich zubeten.
    Gefahr des geiſtlichen ſtandes. Vortheil des weltlichen.
  • 2. Wegen einiger Boͤmiſten meſſen urtheils/ ſich dadurch nicht ſchre-
    cken zulaſſen.
  • 3. Gefahr und elend unſrer zeiten in geiſt- und leiblichen. Troſt hingegen/ und
    rath wie ſich zu verhalten.
  • 4. Allerley materien. Wichtigkeit der arbeit in der jugend. Recht der Chriſten
    ſich unter einander zu erbauen. Kriegsmanns Symphoneſis. Hoffnung
    U u u 3von
    [526]Das ſechſte Capitel.
    von einiger wiederſprecher bekehrung. Von der innern verſieglung des
    Geiſtes zu ſchreiben. Loburgs ſchrifften. Scriver.
  • 5. An einem ort/ da die peſt regierte: von goͤttlicher abſicht in derſelbigen. Mit
    unrecht in verdacht gezogene phraſes/ gelaſſenheit/ verklaͤhren/ verherrlichen
    innerliche erleuchtung: auch einigen andern.
  • 6. Mißfallen an einiger eyfferer/ die alles niedrreiſſen wollen/ hefftigkeit.
  • 7. Von einigen durch einen guten freund geſchehenen beſſerungs vorſchlaͤgen/
    ſonderlich betreffend den beichtſtul/ beſtellung der Elteſten/ austheilung des
    heiligen Abendmahls. Wie Prediger ihre gewiſſen zu retten/ verfall un-
    ſrer zeiten und kirche.
  • 8. Die regeln ſo mir in meinem amte gemacht habe.

SECTIO I.


Ausfuͤhrliche anmerckung/ wie es mit denen ge-
gen des gute/ ſonderlich gegen mich und meine freunde/
ausgeſprengten calumnien hergegangen. Was der ſatan
damit vorgehabt/ und wie es ihm GOTT mißlingen
laſſen/ und die unſchuld gerettet. Was nun
unſere ſchuldigkeit ſeye.


JCh kan wohl ſagen/ daß mir in geraumer zeit kein ſchreiben zugekommen/ ſo
mir eine ſo hertzliche freude erwecket/ wie deſſen werthes gethan. Dann ich
erkante daraus eine ſonderbahre Goͤttliche wohlthat/ da vor ich des himmli-
ſchen Vaters guͤte froͤlichen danckzuſagen habe. Es beſtehet aber dieſelbe darinnen/
daß ich mehr und mehr ſehe/ wie von einiger zeit her deſſen Vaͤterliche providenz
wider anfaͤnget vieler bruͤder heꝛtzen zu mir und andeꝛn meinen freunden zuwenden/
vermittels offenbahrung der vor deme ausgeſtreuten calumnien und hingegen der
damit bey vielen auch ſonſt Chriſtlichen hertzen in verdacht gezogener unſchuld. Jch
weis und glaube/ daß nichts ungefehr geſchiehet/ ſondern die hand GOttes in allem
mit darunter iſt/ welches ich auch/ in deme/ was unterſchiedliche jahr nach einander
mich und etliche in freundſchafft mit mir geſtandene leute betroffen hat/ in demuth
meines hertzens eꝛkenne. Wir wurden durch gantz Ober- und nieder-Teutſch-
land alſo aus geſchrien/ ob waͤren wir die gefaͤhrlichſte irrgeiſter/ davon der geſam-
ten Evangeliſchen kirchen eine ſchwehre gefahr vorſtuͤnde/ und deswegen alles her-
bey und zuſammen lauffen muͤſſte/ das auffgehende feuer zu loͤſchen/ ehe es alles er-
greiffe. Die lehr hieſſe faſt nicht mehr verdaͤchtig/ ſondern gewiß irrig/ ob wohl
wor-
[527]ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECTIO I.
worinnen der irrthum beſtehen muͤſſte/ ſich niemand hervorthun wolte/ welcher
ſolches zeigte/ biß das elende ſcriptum der ſonderbahren GOttes gelehrheit
Horbii und Speneri durch heilige ſchickung GOTTes und zu unſerer unſchuld
rettung heraus kam. Es wurden ſolche ſeltzame fabelen von unſerer lebens art/
thun und vornehmen/ ſpargirt auch mit ſolcher fertigkeit angenommen/ daß man
ſich ſonderlich uͤber dieſes/ weilen es manchmahlen relationen waren/ deren un-
grund ſich in der erzehlung ſelbs offenbahrte/ verwundern muſſte. Jch und die
jenige wenige meine freunde ſo mit mir in ſolchen leyden ſtacken/ waren unſerer ſa-
che in unſeren ſeelen verſichert/ daß wir offentlich und abſonderlich/ muͤndlich und
ſchrifftlich/ nichts anders lehreten/ als was die unfehlbahre Goͤttliche wahrheit
waͤre/ ſo gar daß wir auch nicht in dem allergeringſten glaubens-puncten von der
gemeinen und in den Symboliſchen buͤchern enthaltenen unſerer Evangeliſchen kir-
chen lehre abwichen/ auch was wir ſonſten thaͤten/ nicht nur bloſſer dings und lau-
ter zu GOttes ehren gemeinet/ ſondern an ſich gleichfals ſeinen wort gemaͤß und er-
baulich waͤre/ ob wir wohl uns unſerer menſchlichen ſchwachheit dabeneben wohl
bewuſſt wahren/ daß wir leicht mit unvorſichtigkeit fehlen moͤchten; welches aber
kein ſolche feindliche widerſetzung erforderte/ ſondern eine bruͤderliche zu rechthelf-
fung eher meritiret haͤtte. Daher nebens deme/ daß wir/ wo gelegenheit von
GOTT ſelbs gezeiget wuͤrde/ unſere unſchuld muͤndlich und ſchrifftlich darzuthun/
ſolche nicht verſaͤumen wolten/ fanden wir das rathſamſte/ uns durch alles ſolches
widerſetzen von treibung des guten/ als viel uns der HERR gnade verleihen wol-
te/ nicht abhalten zulaſſen/ auff unſere hut deſto vorſichtiger zu ſtehen/ dem HEr-
ren ſeine ſache mit hertzlichen gebet zu empfehlen/ und dabey zu warten/ was ſeine
heilige providenz ferner verfuͤgen oder verhengen wolte/ und in aller dero ord-
nung ihre wunderbahre weißheit zu erkennen und zu verehren. Da konten wir
vieles ſehen und wahrnehmen/ was der Satan vor haͤtte/ wie die menſchen ſich zu
ſeinen werckzeugen gebrauchen lieſſen/ und wie hingegen GOTT ſein
werck dabey haͤtte. Daß der Satan mit im ſpiel waͤre/ und ſolchen lermen
anblieſſe/ war be reits dieſes ein unzweiffliches kennzeichen/ weil das meiſte
durch luͤgen und calumnien/ die ſeine wercke ſind/ geſchahe: ſo offenbahrte ſich
auch deſſen intention/ weil ſie zu unterdruckung des guten gerichtet war/ und ge-
ſucht wurde/ daß die aufferbauung des nechſten nicht mit ernſt und fleiß geſchehe/
wie es noͤthig waͤre/ ſondern alles in ſeiner ſchlaͤffrigkeit u. ſicherheit gelaſſen werden
moͤchte. Deſſen ich deſto mehr uͤberzeuget wurde/ als ich Goͤttlichen ſegen erkan-
te/ den der HERR zu ein und andern dingen/ wider welche der Satan dermaſſen
tobte/ gegeben hatte daß unter ſchiedliche gute ſeelen bezeugẽ muͤſſten/ daß das werck
des HERREN bey ihnen frucht gebracht haͤtte; Solche frucht aber zu hindern/
konte ich einmahl nicht finden/ daß es von jemand anders urſpruͤnglich als von dem
Fuͤrſten der finſternuͤß herkommen koͤnte/ und wurde durch deſſen widerſetzung ſo
viel-
[528]Das ſechſte Capitel.
vielmehr bekraͤfftiget/ daß die ſache an ſich von dem HERREN ſeye/ und deſſen
feind merckte/ daß er angegriffen wuͤrde/ und wo er ſich nicht bey zeiten widerſetzte/
ihm mehr ſchaden zu gefuͤgt werden moͤchte/ daher er ſich dagegen nach allen ver-
moͤgen ſtreuͤbte. Jch merckte dabey ſeine liſtige tuͤcke/ wie er nach GOTTes ver-
haͤngnuͤß die ſache angriffe/ daß man ſeine klauen ja nicht alſobald merckete/ und er
ſein ſpiel ſelbſt verderbte. Es zeigten ſich einige/ ſo theils den meiſten lermen erſt-
lich anfingen/ und ſich eiffrig dagegen bezeugten/ von denen offenbahr war/ daß es
leute ſeyen/ welche allem guten innerlich feind waͤren/ und denen bereits die Goͤtt-
liche lehr/ da ſie mit gebuͤhrenden eiffer und dermaſſen/ daß dem alten Adam
ſeine ruhe geſtoͤhret werde/ getrieben wird/ in der ſeelen wehe gethan hatte/ daß ſie
ſchon laͤngſt hie und da ſich mercken laſſen/ nicht zu frieden zu ſeyn/ weil nehmlich
ſolche lehr mit ihrer ſicherheit nicht uͤbereinſtimmen wolte/ und ſie ſorgten/ wo die-
ſelbe ins gemein erkant wuͤrde/ ſo wuͤrden ſie vor allen zu ſchanden werden; Dieſe
machten nun recht profeſſion davon/ allerhand zu erdencken/ und das gute zu miß-
deuten/ damit ja die jenige moͤchten aus allem credit geſetzt werden/ deren eiffer
ihnen untraͤglich waͤre. Nechſt denen fanden ſich einige andere perſonen/ welche
aus andern privat-urſachen/ dieſen leuten feind waren/ und ihnen mißgoͤnneten/
daß ſie bey etlichen einen guten nahmeu haͤtten/ da ſie ſolchen zu ihrer verkleinerung
ausdeuteten/ oder ſolche davon beſorgetẽ (wie dañ die æmulatioeiner der hefftigſten
affecten iſt) oder auch da ſie davorhielten/ es moͤchten dieſelbe ihnen/ als denen ſie
etwa bekant/ an befoͤrderung hinderlich ſeyn/ oder ſonſten im weg ſtehen/ ihre fleiſch-
liche abſichten zu erreichen. Beyderley arten ſolcher leute fanden ſich auch unter
denen/ die ſonſten der Theologiæ gewidmet waren und in geiſtlichen aͤmtern ſtun-
den/ dero widerſetzlichkeit nachmahl von ſo vielmehr nachdruck ſeyn konte. Jch
hatte bey manchen noſtri ordinis mit den piis deſideriis ſchlechte ehr eingelegt/
da ſie die klagen laſen uͤber die verderbnuͤß unſers ſtandes/ wie es in dem predigamt
und bey den Profeſſionen hergehe/ auch etwa in ihrem hertzen uͤberzeuget waren/
daß es ſie mit betreffe/ ſich aber nicht reſolviren moͤchten/ nach den regelen ſich zu
bequemen/ wir ihnen da gezeit wurde/ was unſer amt erforderte/ und wie wir zu ei-
nem von der welt abgezogenen/ unſtraͤfflichen und Goͤttlichen leben/ auch unver-
droſſenem fleiß/ alle unſere kraͤfften willig in unſern aͤmtern auff zu opffern/ und
das unſrige nicht zu ſuchen/ verbunden waͤren; Da ſie abermahl ſorgeten/ wo da
nicht geſteuret werde/ und dieſe ſchuldigkeit ihres amts/ (darinnen ihnen zwar nichts
neues als das jenige/ dazu uns der HERR laͤngſten verpflichtet/ auffgebuͤrdet
wurde/ ſolches aber gleichſam per deſuetudinem und communem praxin
contrariam
abgeſchafft und alt worden war/ anfing aller orten ernſtlicher getrie-
ben) auch dergleichen den zuhoͤrern/ (daß ſie ein ſolches von ihren lehrern fordern
koͤnten) mehr und mehr bekant wuͤrde werden/ ſie wuͤrden entweder eine gantz ande-
re lebens-art anfangen muͤſſen/ ſo ihnen nicht gelegen war/ oder wuͤrden je laͤnger
je
[529]ARTIC. I. DISTINCT. IV. SECTIO I.
je mehr zuſchanden werden/ und ein groſſes ihrer autoritaͤt verliehren: Daher
noͤthig ſchiehne/ die jenige an zugreiffen/ welche ſie davor hielten/ daß ſie zu frey von
ſolchen dingen ſprechen/ und ſolches trieben. Nun lieſſe ſichs nicht thun/ dieſe
rechte urſach oͤffentlich zu bekennen/ dann damit machten ſie ſich ſelbs zu ſchanden;
daher war noth/ mich und andere mit andern verdachten und aufflagen zu decre-
diti
ren/ damit wuͤrde alles/ was wir trieben/ ohne frucht ſeyn/ als von ſolchen leu-
ten herkommende/ ſo nicht richtig waͤren. Daher einige dieſer leute/ theils ſelbſt
moͤgen etliches der jenigen calumnien erdacht haben/ theils aber ſonderlich haben
ſie vieles an ſich gantz gutes non optimo animo in verdacht gezogen/ unſchuldige
und gantz nach der glaubens regel gefuͤhrte reden anders gedeutet/ wie dieſer oder
jener heimlicher irriger verſtand (deme doch die bekantnuͤß ander werts gantz klahr
entgegen ſtunde) drunter verborgen ſtecken/ und einige folgen daraus gezogen wer-
den koͤnten. Solches geſchahe nun erſtlich heimlich/ und ſuchten dieſe leute der-
gleichen verdacht andern gutmuͤthigen perſonen in die ohren zuſtecken/ aber daß ſie
alles in geheim behalten/ und nur mit fleiß acht darauff geben ſolten/ was noch vor
ungluͤck einmahl ausbrechen wuͤrde. Damit hatte ich und andere keine gelegen-
heit zur verantwortung/ wuſten theils nichts davon/ und lebten in unſerer einfalt/
theils merckten wir vieles/ aber hatten niemand/ daran man ſich als autorem hal-
ten konte. Jndeſſen wurden ſolche ſuſpiciones manchen auch vorhin freundlich
geſinnet geweſenen gemuͤtheren eingeſtecket/ und ſchliche ſolches durch gantz
Teutſchland unvermerckt herum. Damit wurde/ was ich ſchriebe/ nun von vie-
len nicht mehr mit vorigen oder unpartheyiſchen augen angeſehen/ noch nach den
worten und wie ſie warhafftig gemeinet waren/ verſtanden/ ſondern machte ſich
dieſer dieſe/ ein anderer andere grillen uͤber gantz unſchuldige wort/ die auch bey ſo
vielen andern Theologis ohne ſcrupel geleſen werden: Daß machte/ der ver-
ſtand ſolte ſich nun reguliren nach den eingeblaſenen ſeltzamen concepten/ und
nicht nach der wort einfalt. Entſtunden dann einige geſchrey von allerhand aben-
theurlichen ſachen/ die ich oder andere angeſtellet haͤtten/ die ohne ſolche vorhin ein-
gewurtzeltẽ verdacht von niemand verſtaͤndigem waͤren geglaubet worden/ ſo fan-
den ſie ſtracks allen glauben/ weil wir ohne das graviret waren: Und weil niemand
ſich ſolchen rumoribus/ die allhier ſelbſt entſtunden/ und ihre flabella hatten/ ſo aus
haß gegen mich dieſelbe auffblieſen/ andere ſie doch mit belieben annahmen/ und
mit begierde fortſetzten/ widerſetzte/ ſo nahmen ſie ſo uͤberhand/ daß auch gantz
Chriſtliche gemuͤther/ die die gelegenheit nicht hatten/ ſich der wahrheit der ſache
gruͤndlich zu erkundigen/ vornehmlich wo der urſprung aus hieſiger ſtatt ſelbs kam/
und wo es etwa ein Theologus bekraͤfftiget und uͤberſchrieben hatte/ damit einge-
nommen worden/ und ſich nicht erwehren konten/ einen hertzlichen eiffer zu faſſen
gegen ſolche leute/ welche die reinigkeit der lehr anfechten/ und neues ungluͤck auff
die arme ohne das bedrengte kirche fuͤhren wuͤrden. Wo als dann immer auffs
X x xneue
[530]Das ſechſte Capitel.
neue eines ſolchen mannes/ deſſen Chriſtliches gemuͤth ſonſten bekant/ er aber alſo
eingenommen war/ exempel andern ein neuer antrieb wurde/ ebenfalls uͤber ſolche
leute zu eifferen/ die ſolches boͤſen urſach waͤren. Jch gedachte waͤhrender ſolcher
zeit offtmahls/ wie es gewißlich dem boͤſen feind nicht wenig gefallen muͤſſte/ da der
ſelbe geſehen/ das es ihm angegangen/ einiges gute zu hindern/ und ſeine laͤſterun-
gen durch zutreiben/ und daß ihm dazu nicht nur ſolche/ welche mit boßheit ſich zu ſei-
nen werckzeugen machten/ helffen muͤſſten/ ſondern auch andere gute/ aber durch
anderer einblaſen eingenommene/ gemuͤther aus vermeinten eiffer vor die ortho-
doxiam
unwiſſend etwas dazu mit beytruͤgen. Wie wir nun in ſolchen
ſtuͤcken acht gaben/ was des Satans intention waͤre/ das gute zu hinderen und
unſeren armen dienſt der kirchen GOttes gantz unbrauchhar zu machen/ ſo erken-
neten wir auch mit hertzlicher demuth GOttes hand in ſolcher ſache/ wie er derglei-
chen aus gantz nuͤtzlichen urſachen verhengete: Jch will nicht davon ſagen/ daß es
eine freuͤde und ehre vor dem HERREN iſt/ um der wahrheit willen etwas zu
leiden/ welcher ehre mich unwuͤrdig ſchaͤtze/ ſondern nur deſſen gedencken/ daß ich
den nutzen dabey wahrgenommen/ daß der HERR mich und andere dadurch in ſo
viel tiefferer demuth behalten/ und in vielen ſtuͤcken vorſichtiger gemacht hat.
Wir wiſſen/ wie es uns menſchen gehet/ wo wir einen hertzlichen und redlichen
entſchluß gefaſſet/ das gute allein und mit eiffer zu thun/ auch dazu gelegenheit vor
augen ſehen/ daß man etwa in ſolcher guten intention gleichwohl unvorſichtig
wird/ und nicht eben in allen ſachen alle umſtaͤnde/ was jedes mahl das beſte/ ſo
ſorgfaͤltig erweget/ wie es unſerer zeiten zuſtand erfordert/ ſondern meinet/ weil die
ſache gut iſt/ ſo moͤge man darinnen nicht anſtoſſen/ welches aber als dann gantz
leicht geſchiehet/ und damit dem guten mag ſchaden thun. Wo ich nicht leugne/
daß ein und andere gute ſeelen moͤgen an ſolchen ſtein geſtoſſen/ und das gute zu wei-
len alſo gethan haben/ daß es mit mehrer bedachtſamkeit und klugheit geſchehen
haͤtte moͤgen: So lehrte uns aber der HERR durch dergleichen widerſtand/ ſo
viel genauer auff alles acht zu geben/ und uns bey dem guten was ſo ſehꝛ zu foͤrchten/
das iſt/ daſſelbe mit groſſer ſorge zu thun/ als kaum die boͤſe das boͤſe zu verrichten
ſorge tragen moͤgen. So wiſſen wir auch/ daß der gluͤckliche und ungehinderte
ſucceß deſſen/ was man vorhat/ unſern alten Adam ſehr wohl thut/ und gar
geſchwind unvermerckter weiſe einen hochmuth erwecket; Daher ich wohl ge-
dencken mag/ der HErr habe auch an mir und andern ſolche verderbnuͤß geſehen/
wie wir unſers guten als dann uns mißbrauchen und es ſelbs verderben moͤchten/
ſo war dieſes von ſeiner guͤtigſten weißheit die heilſamſte artzney/ einen ſolchen engel
des Satans gewalt zugeben/ der uns mit faͤuſten ins angeſicht ſchluͤge/ daß wir uns
ſo viel fleißiger pruͤffeten unſere ſchwachheit und gebrechen ſelbs aus der feinde an-
zeige deſto beſſer einſehen lehrnten/ und in der wahren nieder traͤchtigkeit blieben.
Dieſer erkante heilſame rath unſers GOttes troͤſtete uns hertzlich/ und ſind wir
ſolche
[531]ARTIC. I. DISTINCT. IV. SECTIO I.
ſolcher Vaͤterlicher guͤte demuͤthigen danck des wegen ſchuldig. Jndeſſen warte-
ten wir mit gebet/ in ſtill ſeyn und hoffen/ daß der HErr unſer recht wider an den
tag braͤchte/ ſo wir gewiß zu geſchehen verſichert waren/ und der teuffel ſelbſt dazu
helffen muͤſte: Er fing an mit calumnien ſo grob zu kommen/ daß nicht nur ver-
ſtaͤndige ſolchen keinen glauben beyfuͤgen mochten/ ſondern auch feindſelige/ die da
von hoͤrten/ ein mißfallen daruͤber bezeugen muſſten: Damit geſchahe/ daß man
anfienge zu glauben/ es ſeye nicht eben alles unzweiffenlich wahr/ was ein gemein
geruͤcht gegeben. Jch ſuchte durch daß herausgegebene ſendſchreiben an einen ex-
ternum Theologum
meine verantwortung zu thun; Die zwahr unterſchiedli-
che nur mehr irritirte/ und dero boßheit hefftiger machte/ aber doch von GOTT
alſo bey andern geſegnet wurde/ daß ſie anfingen zu ſtutzen/ und entweder ihr judi-
cium
zu ſuſpendiꝛen/ oder die waꝛhheit der ſache fleißiger zu unteꝛſuchen. Es kamen
einige/ ſo andere leute als prediger von fremden orten hieher/ u. nahmen den augen-
ſchein ein/ beſuchten mein collegium/ redeten mit mir und anderen in verdacht ge-
zogenen perſonen: Wie ich aber von allen verſtanden/ zogen ſie allemahl mit guter
ſatisfaction von hieꝛ/ und hatten andere conceptus gefaſſt als ſie mit gebracht/
daher jeglicher derſelben hinwider bey andern gutes zeugnuͤß geben konte. Weilen
anch die calumnien in der ſtatt ſelbſt nicht allzulang dauren konten/ ſondern dero
ungrund endlich ſich offenbahren muſſte/ ſo wurden immer bey mehrern die ver-
dachte gemindert/ und allgemach weg genommen/ daß auch von hier folglich nicht
mehr ſo viel an andere ort ausgeſtreuet werden konte/ und deswegen anderwertlich
ebenfalls die geruͤchte auch abnahmen/ wie die baͤche verſeigen u. ſchwaͤcher werden/
da die quelle anhebet nachzulaſſen. So geſchahe auch/ daß GOTT eine in autori-
taͤt ſtehende perſon wegnahm/ dero anſehen viele in den gegen mich gefaſſten widri-
gen gedancken erhalten hatte. Letzlich wolte der Satan mir in ſolcher ſache den
hertzſtoß geben/ da der gute Herr Dilfeld mit ſeinem ſcripto ausbrach/ aber durch
heilige ſchickung Gottes zu meinem beſten: Dann er nicht allein ſo elendes zeug
machte/ daß ſich auch die jenige/ welche ſonſten mir entgegen waren/ deſſelben ſchaͤ-
meten/ und ungewillig wurden/ daß er den angriff ſo verdorben haͤtte/ hingegen an-
dere mir uͤber denſelben/ als uͤber eine eigene victorie gratuliret/ ſondern damit
wurde mir gelegenheit gegeben/ daß ich mich in dieſer materieder GOttes ge-
lehrheit/
von dero ohne ſolche verlaſſung nicht haͤtte ohne groſſe in vidiam ſchreiben
koͤnnen/ expectorirte, und ſo in ſolchem als andern articulis meine orthodoxiam
deutlich vor augen legte. Welches dann der HErr nach ſeiner barmhertzigkeit
alſo geſegnet hat/ daß ſeithero immer mehr und mehr ſolche verdachte abge-
nommen/ und der jenigen mehrere/ welche vorhin uͤber mich angeſtanden
hatten/ zu andern gedancken gebracht ſind worden; Welches auch noch
von dem uͤbrigen zugeſchehen in gutem vertrauen ſtehe: Davor aber der guͤ-
te des HERREN demuͤthigen danckſage/ der nicht nur ſolche pruͤffung uͤber
X x x 2mich
[532]Das ſechſte Capitel.
uͤber mich verhenget/ ſondern auch endlichen dieſen ſieg gegeben hat/ da mich offt
dieſes vorhin meiſtens betruͤbte/ nicht ſo wohl was ich dabey zu leyden haͤtte/ weil in
ſolchen beſtand/ wie nuͤtzlich mirs geweſen/ als das ich der ſtein des anſtoſſens waͤre/
daran ſich ihrer viele verſuͤndigten. Habe nur jetzo/ ſamt andern meinen mit mir
in gleichen verdacht gezogenen freunden/ den HErren darum anzuruffen/ daß er
uns die gnade gebe/ der wieder einigerley maſſen gegoͤnneten ruhe uns recht und
alſo zugebrauchen/ daß wir nicht etwa traͤge werden/ das gute zu treiben/ und alſo
von dem eyffer/ der uns ſchaͤdlich geweſen waͤre/ nachzulaſſen/ ſondern fortzufahren/
nach allen kraͤfften das pfund/ ſo uns der HErr vertrauet auf alle muͤgliche weiſe
zu deſſelben ehren und des nechſten beſten und erbauung anzuwenden/ ohne furcht
vor des ſatans zorn/ oder der menſchen undanck; alles ſolches aber in hertzlicher de-
muth und vorſichtigkeit zu thun. Jch habe auch dieſe freude dabey/ daß dem ſa-
tan ſein ſtuͤck nicht angegangen/ welcher nicht nur geſucht/ das arme und wenige
gute/ ſo hier oder von uns geſchehen mag/ zu unterdrucken/ welches endlich keine ſo
groſſe ſache waͤre/ ſondern damit auszuꝛichten/ wo er durch die calumnien den ſieg
erhalten/ und es dabey haͤtte bleiben muͤſſen/ unſere ſache und vornehmen waͤre ir-
rig und ſchaͤdlich geweſen/ daher unterdruckt worden/ daß wo irgend auch anders-
wo ein Chriſtlicher lehrer eine redliche intention haͤtte/ das gute mit eyffer zu-
thun/ und den greuelen ſich mit macht zu widerſetzen/ derſelbe ſich durch unſer exem-
pel intimidiren und furchtſam machen lieſſe/ die warheit bey ſich aus ſolcher ſorge
in ungerechtigkeit auf zu halten/ oder ein ſolcher ſtracks deſto ſtaͤrckern widerſpruch
und obſtacula befaͤnde/ weil dergleichen an unſeren præ judicio bereits durch die
erfahrung ſchaͤdlich und unterdrucks wuͤꝛdig erkant worden waͤre. Welche liſt oh-
ne GOttes kraͤfftige ſteurung ihm ſonſten zu groſſen ſchaden des guten angehen und
gelingen haͤtte werden moͤgẽ/ aber dem HErren ſey lob zu nicht worden iſt. Jch hoffe/
mein werther bruder/ werde ſich nicht zu wieder ſeyn laſſen/ daß ich mit mehreren
die gantze ſache/ wie es hergegangen/ und wie ichs angeſehen/ vor augen geſtellet
habe/ weil derſelbe mir gelegenheit dazu gegeben und bezeuget/ daß er auch ſelbs
viel ſeltzames dings von Herrn N. mir und andern gehoͤret/ und ihm einige ſcrupu-
li
gemacht worden/ daruͤber wir uns aber ſo gar nicht zu beſchweren noch zu verwun-
dern haben/ weilen es nicht wol muͤglich war/ da die gerichte ſo ſtarck giengen/ ſich
derſelben zu entbrechen/ wo GOTT faſt nicht ſonderbare gelegenheiten dazu ge-
zeiget. Wie nun derſelbe ſelbs ſich freuet/ von Herrn N. in der that einanders
erfahren zu haben/ und ſo bald ſelbſt mit ein zeuge und vertheidiger dieſer unſchuld
zu worden ſich freundlich anerboten/ alſo dancke ich auch billich dem HERRen aller
HERRen vor einen ſolchen werthen freund/ zu dem auch kuͤnfftig ſo vielmehr gu-
tes mich verſehen/ da der ſelbe mich ſelbs zu einer Chriſtbruͤderlichen freundſchaffts
correſpondenz in vitirt, und den anfang gemacht/ mich hin wiederum zu aller
hertzlichen liebe und worinnen mir der HErr einiges angenehmes erzeigen zu koͤn-
nen
[533]ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECT. II.
nen die gnade und gelegenheit zeigen ſolte/ allen Chriſtlichen bruͤderlichen dienſten
ſo dann gebets gemeinſchafft/ dero mich hinwieder verſehe/ und darum geflieſſen
bitte. Es wolle der HERR auch ſolche unter uns machende freundſchafft dahin
laſſen geſegnet ſeyn/ daß wir uns untereinander erbauen/ und mit beyderſeits em-
pfangenen gaben treulich dienen: wie auch insgeſamt ſolche zuſam̃enſetzung Chriſt-
licher Prediger jelaͤnger jemehr ſo viel noͤtiger erſcheinen will/ als gefaͤhrlicher un-
ſere zeiten werden/ und unſerer kirchen ſchwere gerichte/ ſo unſerm orden ſelbs vor
andern hart betreffen moͤgen/ bevorſtehen und drohen. 1682. 10. Jan.


SECTIO II.


Betrachtung der ſchweren obſchwebenden ſtraff-
gerichte.


ES iſt freylich ſo/ daß wir/ wie von morgen die peſt erfahren/ zwar ſchlei-
chende/ doch immer weiter/ fortzugehen/ alſo von abend (wie wol auch von
aufgang nicht alle furcht ſolcher ſtraffe weg iſt) ein noch ſchwerer gericht vor
augen haben/ und eine uͤberaus groſſe revolution aller dinge in der Chriſtenheit
dieſer abendlaͤnder in der geburt ſtehen mag/ dero ſchmertzen und gefahr genug
wird gefuͤhlet werden. Wir ſehen nicht nur allein eine ſolche macht gegen uns/ die
uns menſchlicher weiſe/ ſonderlich in fleißiger gegenhaltung unſerer ſchlechten ver-
faſſung und faſt anſcheinender unmuͤglichkeit bey ſo vielen koͤpffen zu einer recht
daurhafften und gluͤcklichen anſtalt zu gelangen/ alle hoffnung benehmen kan/ ſon-
deren wo wir die urſachen aller zorn-gerichte in der furcht des HErren erwegen/ ha-
ben wir keine urſach zu erwarten/ daß der HErr uns zuerhalten werde wunder thun/
ſondern vielmehr ſorgen/ alle dieſe groſſe macht/ welche als eine fluth alles uͤber-
ſchwemmet/ ſeye ein werckzeuge goͤttlicher rachgerechtigkeit/ damit er die allgemei-
ne in dem reich uͤberhand genommene ungerechtigkeit/ ſonderlich der groͤſſeren/ ſo
dann den allgemeinen unſeren undanck gegen die Evangeliſche warheit/ welche uns
der HErr gewißlich nicht dazu gegeben hat/ ſie zur ſicherheit und fleiſchlichen leben
zu mißbrauchen/ beſorglich mit umſtuͤrtzung alles unſeres aͤuſſerlichen in geiſtlich
und weltlichen ſtraffen wolle. Wo wir aber allezeit finden werden/ daß in ſolchem
ſtand keine gegenwehr niemahl wieder die hand des HErren/ wo derſelbe ſein ge-
richt exequiren wollen/ etwas vermocht habe/ ſonderen ein Nebucadnezar alle ihre
entgegen ſtehende gewalt zu brechen/ und ihm auch in ſeinen ungerechteſten kriegen/
weil er auch unwiſſend dannoch der goͤttlichen gerechtigkeit vollſtreckeꝛ iſt/ nichts
mit ſucceß widerſtehen muß. Jn dieſen zeiten ſehe ich an/ daß wir ſtehen/ und
wird nichts uͤbrig ſeyn/ als daß das Roͤmiſche Babel eben damit ſeyn in der ſchriſt
angedrohetes gericht des untergangs/ ſich uͤber den halß ziehe/ da es ſeinen letzten
grimm/ uͤber das verdorbene Jeruſalem/ daſſelbe nach empfangener gewalt zu zer-
ſtoͤh-
[534]Das ſechſte Capitel.
oͤhren/ außgieſſen/ und alſo durch ſeine grauſamkeit das maaß ſeiner ſuͤnden er-
ſtuͤllen wird. Jn deſſen wird freylich das heiligthum des HErren erhalten wer-
den/ und unmuͤglich ſeyn/ ſeine kirche von dem erdboden zu vertilgen; es beſtehet
aber dieſelbe in einem unſichtbaren und meiſtens hin und her zerſtreueten haͤufflein
der vor der welt zimlich verborgenen wahren Chriſten; welches bleiben muß/ ob
zwar der HErr nach ſeiner gerechtigkeit alle unſere aͤuſſerliche verfaſſung unſerer
gemeinden uͤber einen hauffen gehen lieſſe/ an die er ſich nicht gebunden hat: So
dann auch wo die beſtimmte zeit ſeiner gerichte vor bey/ und ſeine gemeinde duꝛch
das feuer wol gelaͤutert iſt/ ſchon wiſſen wird ſie wieder zuſammlen/ und auch gleich-
ſam das aͤuſſerliche gebaͤu derſelben wieder aufzurichten: Davon etwa die ſchrifft
nicht wenige liebe veꝛheiſſungen in ſich faſſet/ wo mit man ſich in den zeiten der truͤb-
ſalen auffmunteren und erhalten mag. Deſſen verſehe ich mich gantz gewiß/ daß
ſolche bevorſtehende trangſalen zur zurechtbringung des jenigen/ was das vor-
nehmſte bey der kirchen iſt/ ein groſſes thun/ und ſie von dem aͤrgernuͤſſen und bißhe-
ꝛigen mißbraͤuchen reinigen wird/ daß alſo in allen ſolchen zorn- gerichten eine un-
ausſprechliche gnade zugleich mit ſtecket: ſie werden uns aber immer mehr und
mehr lehren unſere hertzen von den vergaͤnglichen guͤteꝛen dieſeꝛ welt/ deꝛo eitelkeit ſich
in ſolchen zeiten vornemlich offenbaret/ abzuwenden/ und zuglauben/ es ſeye nichts
wuͤrdig von uns geliebet und hochgehalten zu werden/ als was noch um ſolche zeit be-
ſtehet/ und uns troͤſten kan. Wol uns wo wir ſolche lection recht in das hertz
bringen! als die wolgefaſt eine ſtattliche erſetzung alles ſonſt leidenden verluſts iſt.
24. Jan. 82.


SECTIO III.


Als Johann Peter Spaͤth wieder zu dem Pap-
ſtum zukehren ſtarck
inclinirte/ aber vorher in Holland ei-
nige zurath ziehen wolte/ nachricht an einem/ der ihm
von ſeinem vorhaben abziehen helffen
wolte.


BRinger dieſes iſt ein Augſpurger/ ſo Paͤpſtiſch gebohren/ abeꝛ nachmahl zu
unſerer Confeſſion aus uͤberzeugung der wahrheit getreten/ dabey des gott
ſeligen Herrrn Spizelii huͤlffe ihm viel zuſtatten gekommen. Er hat ſich
auch eine zeitlang hie auff gehalten/ und mit information der jugend ſein brodt
verdienet/ wie er denn die information und methodum wol zuverſtehen das zeug-
nuͤß hat. Es iſt ihm aber vor unterſchiedlichen jahren/ ſo wol durch die bey uns
angetroffene aͤrgernuͤſſen als auch ſeiner meynung nach in unſres theuren Luthe-
ri
[535]ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECTIO III.
ri reformation beobachtete fehler nicht geringer ſcrupel gemacht worden/ denn er
ſtarck angeſtanden/ ob er recht dran ſeye/ und die Paͤpſtiſche kirche/ ob er wol dero
viele itrthuͤme wahrhafftig erkennet/ habe verlaſſen ſollen. Daher mehrmahl mit
ihm zuhandeln noͤthig geweſen: Daß er alſo bißher von der ruͤckkehr in das Pap-
ſtum/ an dem ihm ſelbs doch auch dermaſſen eckelt/ noch abgehalten worden. Jch
habe aber allezeit an ihm eine ſeele gefunden/ die es hertzlich meinet/ und ihr ein ernſt
iſt/ GOtt zu dienen. Weil er nun verreiſen und durch Holland gehen wollen/ hat
er verlangen getragen/ den HEꝛrn/ deſſen ſchrifften er theils geleſen/ auch zuſpre-
chen/ und mit ihm aus denſelben und daher gefaſten ſcrupuln zu conferiren. Der
hiermit gebende vorbericht mag dienlich ſeyn/ vernuͤnfftig und nach dem ers faſſen
kan/ mit ihm zuhandeln. HErr lehre ihn thun nach deinem wolgefallen/ denn du
biſt ſein GOTT/ dein guter Geiſt fuͤhre ihn auff ebener bahn! Wir ſind indeſ-
ſen ſchuldig uns ſeiner/ wie wir vermoͤgen/ anzunehmen. 4. Febr. 1682.


  • NB.Des guten freundes zuſpruch/ darum hierinnen gebeten/
    hat ſo wenig als unſere vorher gegangene vermocht/ Spaͤthen
    von Papſtum abzuhalten/ wie er dann bald nach ſeiner ruͤk-
    kehr in Franckfurth den andern morgen bey den Carmeli-
    tern ſich zu denſelben wieder bekant.

SECTIO IV.


Cognitio vera et ſalutaris.Wegen dercontro-
vers
mit Dilfelden. DaßTaulerum re-
commandire.


WAs die diſtinction anlangt inter cognitionem veram \& ſalutarem,
macht ſie die ſache nicht gantz aus. Wir nehmen das wort verum ent-
weder ſenſu logico das iſt de veritate logica, oder metaphyſico de
veritate metaphyſica. Cognitio vera priori ſenſu
iſt die jenige/ wo der
conceptus cum re uͤbereinkomt/ poſteriori ſenſu iſts die jenige/ wo alles das
jenige da bey iſt/ was zu einer cognitione divina gehoͤret/ damit nicht ſo wohl auff
die congruentiam objecti cum intellectu concipiente, als die formã cogniti-
onis ipſius,
ob ſie humana oder divina lux ſeye/ geſehen wird. Priori ſenſu habe
nie geleugnet/ das cognitio Theologi carnalis vera ſeye/ dañ wahr iſts/ was er
gefaſt und gelehrt/ aber ſenſu poſteriori leugne ichs/ daß ſolche cognitio nicht die
ware cognitio ſeye/ in dem eꝛ ſolche material-wahrheiten/ nicht in einer goͤttlichen
ſondern natuͤꝛlichen liecht begreifft. Nun nimt die ſchrifft das wort cognitio ve-
ra
nicht in priori ſondern poſteriori ſignificatu, wie zuſehen 1. Joh. 2/ 3. 4. Mit
dero
[536]Das ſechſte Capitel.
dero haben wir zu reden. So iſt die cauſa Dielfeldiana nicht bloß in dieſer fra-
ge beſtanden/ ſondern die haupt ſache iſt/ ob ich einem ſubtilen Enthuſiasmum
docire
oder nicht: Jn dieſer ſache iſt nachmahl jene controvers mit eingeflochten
worden: Daher ob ſchon aliquo ſenſu jene cognitio mag auch vera genennt
werden/ ſo iſts genug/ daß auch ein verſtand iſt/ nach welchem ſolche nicht vera iſt/
und zwar der jenige verſtand/ der mit der phraſi des heiligen Geiſtes uͤbereinkomt.
Damit felt Dilfelds beſchuldigung/ und bleibet er als ein laͤſterer in der ſchuld. Deꝛ
HErr laſſe ihn ſolches erkennen/ und mache ihm zu einem tuͤchtigen gefaͤß ſeiner
gnaden. Was die Prediger zu hauſe anlangt/ wundere ich mich gar nicht/ daß
ſie allerhand ſeltzame conceptus von mir gefaſt/ dann es konte ja nicht anders ſeyn/
bey denen ſo vielerley ſpargimenten. Weß wegen liebe leute als lang nicht verden-
cke/ als ſie keine gelegenheit gehabt/ ſich der ſache anders zu erkundigen. Hoffe nun
ſie werden nach beſſeren eingenommenen bericht auch allgemach anders ſinnes
werden. Daß ich Taulerum mit einer præfation recommandiret, reuet mich
noch nicht/ als der ich dariñen Luthero und Arndio gefolgt: ſo habe ja deutlich die
Paͤpſtiſche irrthuͤme excipiret in der vorrede: auch ſtehen in der Franckfurtiſchen
alten edition, die hier gantz mit allem nach gedruckt/ an allen o[r]ten/ wo was Paͤp-
ſtiſches ſtecket/ eine erinnerung an den leſer/ damit ja niemand unwiſſend etwas
ſchaͤdliches in ſich ſaugen moͤchten. Auch hat ſich Herr D. Olearius nicht geſcheu-
etz vor etzlichen jahren Th. a Kempis, ob zwar freylich auch mit der verwahrung/
auffs neue auffzulegen. Die viele ſcripta unſerer kirchen/ welche in den materi-
en/ die Thaulerus treibt/ ihm ſollen gleich kommen/ ſind mir noch nicht bekant
worden/ daß man deßwegen des guten mannes ſachen ſo gar aus den haͤnden zule-
gen urſach haͤtte. Doch ſtehet jeglichen frey/ nachmahl das jenige liegen zu laſſen/
was nicht nach ſeinem geſchmack iſt. ꝛc. 1682. m. Febr.


SECTIO V.


Als einer wegen irrthuͤmer removiret worden.
Daß mich ſeiner darinn nicht annehme. Schaden
von eyffer/ wo eigenſinnn dabey
iſt.


JCh bin von N. berichtet worden/ wann er nicht nur allein in einigen irr-
thum verfallen (da ich auch faſt nicht zweiffle/ deſſen proben in ſeinen eigenen
papiren geſehen zu haben) ſondern ſich auch gantz hartnaͤckig darinnen be-
zeuget/ demnach zu ſeiner remotion urſach genug gegeben habe. Dahero ich be-
dencken getragen/ an ihm ſelbs zuantworten/ damit ich nicht bey dem Miniſterio
zu
[537]ARTIC. I. DISTINCT. IV. SECTIO V.
zu N. auch in verdacht ſetzte/ ob billichte ich der gleichen eines mannes obſtination
die gleichwol nicht loͤblich iſt. Weswegen ich auch ihn nimmermehr mehr/ ob ei-
nige ſtellen ledig waͤren/ dero ich zwar jetzt keine vor ihm wuͤſte/ recommandiren
koͤnte; wofern er nicht dem Miniſterio voͤllig reconciliirt zu ſeyn/ und alſo
ſich der imputirten irrthuͤmer entſchuͤttet/ oder die erkante abgelegt zu haben mich
verſichern kan. Als lang er ſich auch deſſen nicht auff das aͤuſſerſte beſtrebet/ ſo
leidet er nicht um Chriſti willen/ ſondern um ſeines eigenen willens und obſtinati-
on
willen/ in welchen zuſtand wir gleichwol niemand ſtaͤrcken ſollen ‒ ‒ doch ver-
ſichere/ daß wegen einmahl mir communicirten er keine gefahꝛ haben ſolle. Jch
ruffe GOTT offters hertzlich vor ihn an/ der ihn mit ſeinem heiligen Geiſt erleuch-
ten/ und das aͤrgernuͤß zuerkennen geben wolle/ welches auch von ihm entſtanden:
Sonderlich ihn reinigen von allen eigenſinn/ hochmuth/ eingebildeter erleuchtung/
und dergleichen/ welche wol die gefaͤhrlichſte tentationes ſind/ und wo der teuffel
einen in denſelben gefangen nimmt/ es nicht weniger ſchadet/ als mit andern ſei-
nen ſtricken gehalten zu werden. Ach wie nuͤtzlich iſts/ in demuth zuwandeln/ ſich
zwar nicht ſeinem gewiſſen zu meinem menſchen knecht machen zulaſſen/ aber
doch auch die handleitung von andeꝛn bruͤdern/ die von GOTT gaben empfangen
haben/ nicht zuverachten/ noch allein weiſe ſeyn zu wollen/ und daher willig zu wei-
chen/ wo nicht GOttes ehre offenbahrlich entgegen ſtehet. Dergleichen ſinn wuͤn-
ſche ich Herr NN. von hertzen/ u. meine/ ich wuͤnſche ihm damit das allervertrau-
lichſte/ darvon ihm zeitlich und ewig wol ſeyn moͤchte. Mich betruͤbt wol hertzlich/
wo einige leute/ welche ſonſten einen guten eyffer vor die befoͤrderung des guten be-
zeugen oder haben/ wie ich Herrn N. gern zu traue/ ſich dermaſſen præcipitiren
daß ſie die ſache gantz verderben/ und nicht nur allein alſo ihren dienſt der kirche un-
brauchbar/ ſondern auch anderen/ die mit Chriſtlichen verſtand vor die ehre GOt-
tes eyffern/ viele vorwuͤrffe und verhindernuͤſſen verurſachen/ daß auch alles derſel-
ben vernehmen ſo vielmehr in verdacht gezogen/ und ihnen das werck ſaur gemacht/
ja vieles von der frucht/ welche ſie ſonſten erhalten koͤnten/ thaͤtlich geſchlagen wird.
Welches alles als ein ſchwehres aͤrgernuͤß gleichwol auff der jenigen verantwor-
tung ankommt/ die durch ihren eigen ſinn ſolches geben/ und damit machen/ daß
ſich andere ihrer nicht annehmen duͤrffen/ um ſich nicht noch mehr der ſachen theil-
hafftig zumachen. Wie ich dann dieſes als eine ſonderbare liſt des teuffels/ und
goͤttliches gericht/ ſo es demſelben zulaͤſſet/ anſehe/ daß wie er auff einer ſeiten durch
die offenbahr boͤſe das gute hindert/ er auff der andern ſeiten offtmahl nicht weniger
ſchaden thut durch unverſtaͤndigen eyffer und eigenſinn. Der HErr erbarme ſich
ſeiner armen kirche/ und ſteuͤre allen boͤſen/ fuͤhre auch ſonderlich die nicht aus
boßheit irrende auff richtigen weg. 4. Apr. 1682.


Y y ySECT.
[538]Das ſechſte Capitel.

SECTIO VI.


Nutzẽn Chriſtlicher freundſchafft. Meine ſchrif-
ten. Allgemeine GOttes gelehrtheit. Gebet vor mich.
Ruͤhrung vieler hertzen zu unſerer
zeit.


DEſſelben angenehmes neulich an mich auff der Poſt geſandtes/ hat mich aus
vielen uꝛſachen inniglich erfreuet/ und dem himmliſchen Vater uͤber ſeine
guͤtigkeit und weiſe regierung/ wormit eꝛ die hertzen der ſeinigen zuſammen
lencket/ danck zu ſagen verurſachet. Der jenige N. N. hat des Herrn auch gegen
mich ſehr ruͤhmlichen gedacht/ als eines mannes/ deme es ein ernſt waͤre/ GOTT
auffrichtig zu dienen/ und der die greuel unſereꝛ zeiten tieff einſehe/ wie ich hingegen
ſehe/ daß er auch meiner gegen denſelben meldung gethan/ und alſo GOtt ihm zum
werckzeuge gebrauchet/ unſere hertzen mit liebe untereinander zu verbinden/ ehe ich
noch an einige naͤhere kundſchafft/ dazu der HErr anlaß geben moͤchte/ gedencken
doͤrffte. Jndeſſen kan denſelben verſichern/ daß ſein nahme mir nicht aus dem ge-
daͤchtnuͤß gekommen/ ſo offt aber derſelbe mir vorgeſtanden/ allezeit von der guͤte
des HERRen die erhaltung und vermehrung deß in ihm gelegten guten gewuͤn-
ſchet/ auch einigemahl/ womit Hamburgern zu reden die bequemlichkeit hatte/ nach
denſelben gefraget habe. Deſto erfreulicher iſt mir alſo dieſes geweſen/ da die naͤ-
here kundſchafft mit mir von dem jenigen geſuchet worden/ welchen ich ohne das in
meinem hertzen werth zu halten von guter zeit angefangen hatte. Nechſt deme ha-
be mich auch daruͤber hertzlich erfreuet/ das GOtt ſeyn hertz auch abſonderlich mit
liebe gegen mich erfuͤllet. Dann wie die freunde wohl dieſes menſchlichen lebens
beſte verſuͤſſung ſeind/ dahero ſolche/ da es nemlich treue freunde ſind/ zu haben/
auch in dem leiblichen eine der vornehmſten wolthaten des HErren iſt/ alſo achte
ich auch die freund ſchafft Chriſtlicher hertzen billich hoch. Dann ſo viel mir der
Herr ſolcher lieber freunde beſchehret/ ſo viel ſeelen weiß ich/ die auch deſto innigli-
cher vor mich ſeufftzen/ und mit ihrem anhaltenden gebet bißhero ohne zweiffel offt
die jenige gnade und fortgang meiner arbeit zu weg gebracht haben/ deſſen mein ar-
mes und laueres gebet nicht wuͤrdig geweſen waͤre. So dienen ſie mir auch zu ſtaͤ-
ter [auffmunterung] in dem guten/ und darff ich ferner von ihnen hoffen/ daß ſie/
was ſie an mir zu beſſeren ſehen/ in hertzlicher liebe zu erinneren nicht ſaͤumig ſeyen
werden. Nicht weniger habe den HErren auch darum demuͤthigen danck zu ſa-
gen/ welcher mich auffs neue an ſeinem lieben exempel verſichert hat/ daß meine ein-
aͤltige arbeit und in ſeinem nahmen ausgegebene ſchrifften/ in denen die jenige/ ſo
nach
[539]ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECTIO VI.
nach der erudition ſehen (darauff faſt unſerer zeit alle augen gerichtet ſeyn) we-
nig vergnuͤgen finden moͤgen/ von ihm kraͤfftig geſegnet werden/ daß rechtſchaf-
fene und ſeine einfalt liebende ſeelen ſich darinnen ergoͤtzet/ und in denſelben etwas
deſſen/ wornach ſie verlanget haben/ zu finden bezeugen. Welches/ wie die ſache ſelb-
ſten und was vor kraͤfftige wahrheit in ſolchen buͤchlein enthalen iſt/ billich nicht mir
ſondern ſeiner gnaden guͤte zu ſchreibe/ als deſſen verſicherung zu haben mich treff-
lich auffrichtet und ſtaͤrcket/ auff daß ich nicht aus anſehen der jenigen/ welche ſich
offenbahrlich oder mit heimlichen und gefaͤhrlichern machinationen mir und mei-
ner arbeit widerſetzen/ ſo doch auch diener der warheit ſeyn wollen/ entweder in zweif
fel an mir ſelbs/ ob ich mich ſelbs betriegen moͤchte/ gefuͤhret/ oder allzuſehr nieder-
geſchlagen/ vielleicht auch muͤde gemacht wuͤrde/ alles ſtehen zu laſſen/ wovon ich
keinen ſucceß oder goͤttlichen ſegen ſehe. Wie wir dann/ wie ſehr wir uns etwa
allein auff GOtt zu ſehen beſtreben/ auch etwa einigemahl davor halten/ daß wir
zimlich ſtarck ſeyen/ dannoch nach fleißiger pruͤffung unſer ſelbs leicht unſerer
ſchwachheit gewar werden/ wie es nicht an ſolchen des fleiſches einwuͤrffen man-
gelt. Nun iſt es freylich an dem daß was wir recht oder nicht recht thun/ nicht an
anderer urtheil haͤnget/ noch wir auff dieſelbe ſondern allein auff unſern HERRen
und deſſen warheit zu ſehen haben. Jedoch iſts auffs wenigſt eine nicht geringe
auffmunterung und ſtaͤrckung/ wo wir finden/ daß der HERR ſegen zu der ar-
beit verleyhet/ und andere Chriſtliche hertzen der von uns behauptenden warheit
Chriſtliches zeugnuͤß geben. Welches ich als eine ſonderbahre gutthat des himm-
liſchen Vaters zu achten habe/ ſo mich von guter zeit offters auff dieſe art hat ſtaͤr-
cken laſſen/ wann von vielen ſonſt unbekanten freunden mir dergleichen auffmun-
terungs brieffe gekommen ſind/ dadurch der HERR meiner ihm beſt bekannten
ſchwachheit auffhelffen will. Sonderlich hat mich ergoͤtzet/ daß das letzte buͤchlein
von der allgemeinen Gottesgelehrtheit meinen geliebten freund ſo ſehr vergnuͤ-
get hat/ dann ob ich wol erkenne/ daß ich vor eine goͤttliche warheit darinnen ſtreite/
und alle deroſelben liebhabere in der ſach ſelbs auff meiner ſeiten haben muß/ ſo weiß
ich mich doch auch wol meiner ſchwachheit zu beſcheiden/ und daß es mir noch an un-
terſchiedlich vielen graden der erfahrung dieſer materie, wovon ich ſchreibe/ man-
glet/ daher einanderer hieriñen tieffeꝛ erfahrner wol waͤre noͤthig geweſen/ alles nach
wuͤrden auszufuͤhren/ wo ich nicht Gottes heilige regierung dariñen angeſehen/ daß
er mich ohne meinen willen durch einen widerſacher in dieſen kampff hat fuͤhren laſ-
ſen/ wo es nicht mehr frey ſtund/ ob ich mich der ſache annehmen wolte/ ſondern die-
ſe gethane ausfoderung als einem von dem HErrn mir zugeſanten beruff habe
anſehen muͤſſen. Woraus mich aber auch eines ſo viel kraͤfftigern bey-
ſtandes des heiligen Geiſtes verſehen/ und denſelben verſpuͤhret/ dahero ſeiner
himmliſchen leitung demuͤthigen danck zu ſagen habe. Jch weiß auch/ daß als ich
Y y y 2in
[540]Das ſechſte Capitel.
in dieſer ſache arbeitete/ unterſchiedliche Chriſtliche freunde/ ſo ich darum erſuchet/
vor mich mit ſonderbahren eyffer um die gnade und licht ſeines Geiſtes gebeten ha-
ben/ die alſo wol etwa mehr als ich bey der ſache gethan. Was ich bey meinen
widerſacher ſelbs aus gerichtet/ muß ich noch erwarten. Es hat bey einem halben
jahr her immer verlautet/ er wuͤrde wieder antworten/ iſt aber ausgeblieben. Der
HErr gebe ihm zuerkennen/ daß ers gewißlich nicht mit mir einem armen ſchwachẽ
menſchen/ ſondern mit ihm als den HErren der warheit/ zu thun habe/ wo er dero-
ſelben nicht weichen/ ſondern wider ihꝛen ſtachel lecken will.


Jch wuͤnſche daß er vielmehr ſeine gaben/ die er mag empfangen haben/ nuͤtz-
licher zu des nechſten beſten anwenden wolte. Sonſten verlautet/ daß er in den
Niederſaͤchſiſchen quartier zimlich viel goͤnner habe/ ſo mich gleich ſehr verwundert/
da meines erachtens die warheit dieſer lehr ſo ſonnen klahr iſt/ daß wir die ſchrifft
und unſere eigene Symboliſche buͤcher verwerffen/ oder dieſelbe ſtehen laſſen muͤſ-
ſen. Der HERR HERR/ als das einige wahre liecht/ oͤffne uns allen/ die wir
der blinden leiter ſeyn ſollen/ unſere augen/ ſelbs das jenige recht einzuſehen/ was
wir andern zu zeigen gedencken/ und amts halben verbunden ſeind. Solte es den
HERRN alſo gefaͤllig geweſen ſeyen oder werden/ daß wir uns hier in der wel[t]
einmahl einander beſprechen ſolten/ wuͤrde mir auch daſſelbige eine rechte vergnuͤ-
gung ſeyn/ uns in ihm mit einander zu ergoͤtzen/ auffzumuntern/ ihn an zuruffen
und vor ſeine guͤte zudancken. Jn ermanglung deſſen ſo laſſet uns damit zu frie-
den ſeyen/ in einer gemeinſchafft der heiligen zu ſtehen/ die unter denen/ welche an
dem einigen hochgelobten haupt Chriſto JEſu wahre lebendige glieder ſind/ viel
genauer iſt/ als alle leibliche bande ſeyn moͤgen. Es wird aber ſolche gemeinſchafft
ſo viel beſſer geuͤbet/ in fortſetzung der von GOtt gewuͤrckten Chriſtlichen liebe/
und eyfferigen gebet. Wie ich nun meiner ſeits deſſelben vor dem HERREN
offters zugedencken nicht ermangeln werde: Alſo bitte und verſehe mich gleicher
liebes bezeugung. Maſſen mir von niemand eine groͤſſere wolthat erwieſen wer-
den kan/ als wer auch vor mich wachet mit allen anhalten und flehen/ daß mir ge-
geben werde das wort mit freudigen auffthun meines mundes/ daß ich kund machen
moͤge das geheimnuͤß des Evangelii/ welches bote ich auch bin/ auff daß ich darin-
nen freudig handeln moͤge und reden/ wie ſichs gebuͤhret.


Dann gleich wie unſer der Prediger ſtand wohl der allergefaͤhrlichſte un-
ter allen in der gantzen welt iſt/ daher alle andere Chriſten mit ſo vielmehr erbar-
mender liebe vor uns zu GOtt beten ſolten/ ſo halte doch daß ich vor ſo vielen andern
noch gefaͤhrlicher in meiner ſtelle ſtehe/ ſo wol aus andern mir bekanten umſtaͤnden
und eigenen meiner ſeelen zuſtandes/ als weilen ſo vieler ſo boͤſer als frommer au-
gen auff mich gerichtet ſind/ und ich alſo nichts thue/ das nicht von feinden auffs ge-
naueſte belauſtert wird/ u. leicht zum aͤrgernuͤß auffgenommen werden mag. Wel-
ches
[541]ARTIC. I. DISTINCT. IV. SECT. VI.
ches zu verhuͤten gewißlich eine mehr als menſchliche klugheit noͤthig iſt/ an dero a-
ber gern bey mir groſſen mangel erkenne/ und dahero vor nichts angelegenlicher be-
te/ und von andern vor mich gebeten zu werden verlange/ als vor ſolches mir zu
meinem amt ſo noͤtigſte gut. Jm uͤbrigen ſehe ich aus den uͤberſchriebenen/ wie es
meinen geliebten freund/ gleich wie ſo vielen andern treumeinenden/ ergangen ſeye/
mich dabey meiner eigenen offtmahligen anfechtung erinnerende. Nehmlich daß
das vor augen liegende verderben unſerer kirche und dero aller ſtaͤnde uns offters
alſo einnehme/ daß wir vor demſelben faſt das uͤbrige/ durch ſeine guͤte erhaltene
gute nicht ſehen oder wahrnehmen/ dahero es offt faſt klagen gibt wie jenes alten E-
liaͤ: Jch bin allein uͤberblieben. Worinnen wir aber gewißlich/ da wirs am
hertzlichſten meinen/ um die ehre des HERREN eiffern und betruͤbt ſind/ gleich-
wohl irren/ und uns der HERR noch allmahl zuruffen laͤſt/ er habe ihm noch ſeine
7000. uͤberbleiben laſſen/ welche/ ob ſie nicht eben uns/ gleichwohl ihn/ ſattſam und
zur gnuͤge bekant ſind. Es ſind offt unter den jenigen/ die wir um uns haben/ eini-
ge beſſere ſeelen/ als wir ihnen zu trauen/ weil ſie ſich nicht alſo herauslaſſen/ noch die
gelegenheit haben/ oder wir nicht ſo tieff in ihre kundſchafft kom̃en. So ſind etwa an-
derwertlich noch mehrere/ die der HErr erhalten hat/ daß ſie ſich nicht mit den all-
gemeinen ſtrom der aͤrgernuͤße mit hinreiſſen laſſen/ ſondern nach ihrer maaß das
werck des HERREN treiben. Wie ſich auch gewißlich zu dieſer zeit der HErr
in unſerer Evangeliſchen kirchen nicht gantz unbezeuget laͤſſet/ ſondern in allen ſtaͤn-
den viele/ etwan mehr als wir glauben moͤchten/ ihm vorbehalten hat/ die rechtſchaf-
fen vor ihm ſeyen/ und entweder bereits jeglicher nach ſeinen ſtand oder habender
gelegenheit treulich arbeitet oder nur anlaß erwartet/ die ihm der HERR geben
wolte/ ſeine treue thaͤtlich zu erweiſen. Dann auch in dieſen ſtuͤck hat die weißheit
GOttes ihre weiſe diſpoſitiones einige etwa biß zu ihrer zeit durch gewiſſe urſa-
chen zuruͤck zu halten. Jch meines orts bekenne gern/ daß mir dieſes eine von den
groͤſſeſten freuden iſt/ daß der HERR mich von unterſchiedlichen jahren vieler ſol-
cher leute/ die hin und wider ſtehen und ſtecken/ hat laſſen gewahr werden. Wann
ſo wohl aus anderer profeſſion leuten als aus Predigern/ offteres von orten da ich
nie angedacht/ ſich ihrer viele mir mit ſchreiben bekant gemacht/ und da ſie etwa ihr
wohlgefallen an meiner wenigen arbeit/ alſo auch ihre begierde/ alles gerne gut zu
ſehen/ und dazu das ihrige zu thun/ bezeuget. Daruͤber ich mich offt hertzlich troͤſte
nicht nur allein/ wie oben gemeldet/ daß ich ſo vieler treuer mitbruͤder gebets/ mich
hieraus verſichern kan/ ſondern/ weil hieraus ſchlieſſe/ weil faſt eine allge-
meine bewegung bey guten hertzen ſich aller orten findet/ welche nach einer beſſe-
rung verlangen/ der HErr als von dem ſolche wirckung kommen muß/ muͤſſe ge-
dancken der gnaden uͤber uns haben/ und ſich wiederum ſeiner armen kirch erbar-
men wollen. Da es zwar etwa nicht ohne ſehr harte truͤbſalen/ die vorhero gehen ſol-
len/ abgehen moͤchte/ aber genug iſts/ daß den verderben geſteuert/ und eben durch
Y y y 3die
[542]Das ſechſte Capitel.
die truͤbſalen das gute gelaͤutert werden wird. Wie ja ohne das die in den euſſer-
lichen betruͤbteſte zeiten der Chriſtlichen kirche in den jenigen daran ihr am aller-
meiſten gelegen/ auch am meiſten genutzet haben. Nun laſſet uns zu dem HEr-
ren unauffhoͤrlich ruffen/ daß er ſich ſelbs ſeiner elenden ſchaffe annehme/ ja daß er
ſein Zion wider baue/ der getroſten zuverſicht der HERR wird uns nicht vergeb-
lich ruffen laſſen/ ſondern gewiß ſein ohr zu uns neigen/ und weiſen/ daß er der
auſſerwehlten braut ſeines einigen Sohns nicht vergeſſen habe. Was derſelbe
auch zuletzt bemercket/ daß wir den HERREN zu bitten/ daß er uns vor ſchein-
heiligen bewahren wolle/ iſt eine ja wohl noͤtige ſache: Dann freylich wo der teuf-
fel auff der lincken ſeiten nichts auszurichten hoffet/ wendet er ſich auff die rechte/ und
mag daſelbs eben ſo viel ſchaden. Alſo wolle er uns ſo wohl ſelbs den Geiſt der pruͤ-
fung geben/ in uns was falſcher ſchein von dem fleiſch oder Goͤttlicher tugend ſeye/
genau zu unterſcheiden/ daß wir uns nicht betruͤgen; als auch die augen oͤffnen/
am andern mit denen wirs zu thun haben/ gleicher maſſen alles ohne betrug zu un-
terſcheiden/ und darinnen jeglichen zubegegnen/ wie es noͤthig und nuͤtzlich iſt. 1682.
26. Apr.


SECTIO VII.


Wegen des zu Eßen in Weſtphalen angeſtelten
Collegii pietatis.


MJt was vor freuden ich deſſen geſegnetes empfangen habe/ kan ich nicht
wohl mit worten dieſes orts ausdrucken/ und bleibe deswegen zum hoͤch-
ſten deſſen gegen mich tragender liebe verbunden. Vornehmlich aber ſa-
ge danck dem Vater der barmhertzigkeit und GOtt alles troſts/ der unter zimlicher
laſt und verdrißlichkeit meines amts mir dieſe gnade mehrmahl erzeiget/ mit guten
bottſchafften hin und her erfreuet und auffgemuntert zu werden/ welcherley ich vor
eine ſonderbahre wohlthat erkenne/ und eben dieſe duꝛch das geliebte ſchreiben gege-
bene nachricht/ als mir ſolche rechne/ davor ich ſeine Goͤttliche guͤte zu preiſen habe.
Wie dann/ wo uns die ehre GOttes vornehmlich und vor allem/ wie es ſeyn ſolle/
angelegen iſt/ uns nichts mehrers zu erfreuen vermag/ als wo wir dasjenige aller
orten zugeſchehen ſehen oder hoͤren/ was dieſelbe zu befoͤrdern dienſam iſt. Wie ich
nun die abſonderliche zuſammenkunfften/ und zwar da dieſelbe ſich auff eine zahl er-
ſtrecken/ unter der auffſicht des miniſterii, vor ein ſehr nuͤtzliches mittel der erbau-
ung/ und alſo beſſerung der kirchen/ achte/ auch deswegen von zimlichen jahren deꝛ-
gleichen gehalten/ und durch den ſegen des HERREN einigen nutzen davon ver-
ſpuͤret habe/ ſo muß mich billich ergoͤtzen/ da ich hoͤre/ daß an mehrern orten einige
dergleichen gelegenheiten des guten gemacht werden: nicht zwar als uͤber eine
ſache
[543]ARTIC. I. DIST. IV SECT. VII.
ſache/ die von mir herkaͤme/ oder auffgebracht worden/ welche eitelkeit der HErr
ſo die hertzen forſchet/ noch immer ferne von mir ſeyn laſſen wolle/ wie ich dann auch
der erſte nicht ſeyn kan/ einer ſache/ ſo von anfang der Chriſtlichen kirchen/ und ſo
lange darnach/ als dieſelbe noch in gutem ſtande geblieben/ in ſchwang geweſen/ ſo
dann nach der reformation von unſerem lieben Luthero vorgeſchlagen und recom-
mendi
ret/ und hin und wieder/ ob ſchon auff unterſchiedliche/ aber doch zu einerley
zweck zielende arten/ von ein und andern Chriſtlichen lehrern publiciret worden:
ſondern als uͤber eine ſache/ davon ich der ehre GOttes vieles hoffe/ ſonderlich daß
weil ich an dieſem unſeren ort noch nicht alle die frucht/ welche ich verlangte/ und et-
wa folgen ſolte/ ſpuͤren kan/ aber den mangel meiner anſtalt billich zu meſſe/ ich in
dem guten vertrauen ſtehe/ der HERR werde gnade geben/ daß andere/ welche
ſolches nachahmen/ mit mehrer klugheit/ fleiß und frucht die ſache anſtellen/ und al-
ſo alles ſolches erſetzen moͤchten. So ich von ſeiner guͤte inniglich bitte/ auch mich
verbunden achte/ eben ſo hertzlichen danck der himmliſchen gnade davor abzuſtat-
ten/ da dergleichen von andern geſchiehet/ als wo dieſelbe mich ſelbſten zu deſſen in-
ſtrument
gewuͤrdiget haͤtte. Es hat aber meine freude auch dieſes vermehret/
daß mir dergleichen poſt ſo unverhofft und von einem ſolchen ort gekommen/ wo ich
dem fleiſch nach niemand bekant habe/ daß alſo ſolches nuͤtzliche inſtitutum,
ohne mit mir etwa vor angeſtelte communication/ angehoben/ und in den ſtand
gebracht worden iſt/ daß ich zu gleich von deſſen anfang und geſegneten ſortgang hoͤ-
ren kan; auch dieſes ein zeugnuͤß der guten ſach ſelbs geben wird/ daß ſolche uͤbung
von ſolchen perſonen angeſtellet/ welche nichts auff mich/ als den ſie nichts gekeñet/
darinnen werden geſehen haben/ ſondern von der guͤte und nutzbarkeit des wercks
ſelbs muͤſſen uͤberzeuget und bewogen worden ſeyn. So ſeyen alſo ſie ſaͤmtlich von
dem HERREN geſegnet/ daß ſie ohnerachtet der beſchwerden/ welche ſie ohn
zweiffel werden dabey haben ausſtehen muͤſſen/ und noch mehrere zu ſorgen gehabt
ſich reſolviret/ dergleichen erbauung anzuſtellen/ und ſich durch jene/ ſonderlich a-
ber die ſorge anderwertlicherer ungleichen auslegung/ nicht abſchrecken zulaſſen/
und daß ſie auch meine freude durch ſolche freundliche notification zu vermehren
geruhet/ ſo mir eine nicht geringe auffmunteruug gegeben. Jch verſichere dabey/
daß ich nicht unterlaſſen werde/ vor dero ihre Chriſtliche zuſammenkunfft hertzlich
zu dem HERREN zu beten/ daß er die krafft ſeines Geiſtes mildiglich und reichlich
uͤber ſie ausgieſſen/ und ſie vermittels ſolcher uͤbung taͤglich in dem geiſtlichen kraͤff-
ten geſtaͤrcket/ ſo dann ihr Chriſtliches exempel zu einer geſegneten anreitzung ande-
rer nachfolge werden laſſen wolle/ auff daß dermaſſen ihr liecht vor vielen ſcheine/
daß dieſe ihr gutes ſehen/ und mit worten und heiligen nacheiffern den himmliſchen
Vater preiſen.


Was in dem uͤbrigen die ſchrifft anlangt an Herrn Georg Conrad Dilfel-
den
(nicht paſtorem ſondern) predigern an der primat kirchen zu Northauſen uͤ-
ber
[544]Das ſechſte Capitel.
ber dieſe materie/ habe ſolche mit gutem vermoͤgen durchgeleſen/ und finde nichts
darinnen/ was nicht wohlſtehen/ und andern zur auffmunterung dienlich ſeyn koͤn-
ke; ſo iſt ſie/ wie es billich ſeyn ſolte/ ſehr modeſt und ohne bitterkeit/ welcherley
ſchrifften allezeit den beſten effect zu haben pflegen/ und von GOTT deſto mehr
geſegnet worden/ ferner auch deutlich und verſtaͤndlich; daher nicht nur den ge-
lehrten/ ſondern auch andern Chriſtlichen perſonen dienlich: welches ſich aber-
mahl zu dieſer materie am beſten ſchicket/ damit vielmehr eine anmuth zu einfaͤlti-
ger erbauung gemacht/ als den gelehrten in ihrer wiſſenſchafft zu zunehmen anlaß
zu geben geſucht wird. Daher ich es in ihrer gegend und nachbarſchafft (danm
hie wird es ſich nicht wohl ſchicken/ damit es nicht ein/ wider die darinnen enthaltene
proteſtation/ von mir angeſtelter handel von dem meiſten angeſehen werden
moͤchte) gedruckt zu werden ſehr nuͤtzlich achtete. Und finde die angefuͤhrte ra-
tiones dubitandi
nicht der erheblichkeit/ ein ſolches in zweiffel zu ziehen.


Dann erſtlich habe ich zwar/ biß mir mein adverſarius auff meine apo-
logiam
in der mich eigendlich angehenden materia wegen der Gottes gelehrheit
atworten wuͤrde/ ſo noch nicht geſchehen iſt/ auff das eigendlich gegen Herrn
Kriegsmann gerichtete tractaͤtlein/ zu antworten die muͤhe nicht nehmen wollen/
weil Herr Winckler ſolches uͤbernahm/ und nach genuͤge gethan hat. Wie mein
Hochgeehrter Herr aber errinnert/ iſt ſolches Herr Wincklers tractaͤtlein nicht e-
ben aller ortenhingekommen/ und dienet ihr ſcriptum auff andeꝛe weiſe zur auff-
munterung/ durch vorſtellung ihres exempels/ als welches eine thaͤtliche refuta-
tion
iſt einiger ſorge/ darauff ſich gegentheil ſo ſtarck beſteiffet.


2. Ob wohlen ihr collegium noch nicht viele jahr gedauret/ ſo habe doch
verſtanden/ daß es bereits anderthalb jahr ſeye/ da ſich ſchon offenbahret ha-
ben wuͤrde/ wo einiges inconveniens daraus entſtehen wolte: Vielmehr hof-
fe/ ſie werden in dem progreſſu die ſache bißher leichter befunden/ als es anfangs
moͤchte geſchiehnen haben.


3. Die betrachtung des zuſtandes ihrer kirchen/ weil ſie einiger preſſur un-
terworffen/ deuchtet mich dieſem werck keine neue ſchwehrigkeit zu machen/ in dem
es nichts iſt/ was die jenige/ von denen ſie weiter gedruckt zu werden ſorgen moͤch-
ten/ wider den kopff ſtieſſe: Da ich ſonſten freylich gern geſtehe/ daß man in Eccleſia
preſſa
ſehr genau auff ſich acht geben muͤſſe/ daß man nicht durch unzeitigen ge-
brauch ſeiner freyheit/ und an ſich ſelbs gute/ aber nicht eben nothwendige dinge/
die widerſacher gegen ſich reitze/ und der kirchen eine verfolgung unvorſichtig her-
bey ziehe/ welches ſonderlich durch ſcripta polemica/ vornehmlich wo ſie gegen die
herrſchende partey geſchrieben/ und mit einiger hefftigkeit abgefaſſet ſind/ geſchehen
wuͤrde/ auch mehrmahl geſchehen iſt/ daher allen denjenigen/ die an ſolchen orten
wohnen/ allezeit rathe/ daß ſie ſich ſolches ſchreibens enthalten und daſſelbe andern
leuten uͤberlaſſen ſolten. Was aber ſolche ſcripta anlangt/ darinnen der religions
con-
[545]ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECT. VII.
controverſien nicht gedacht/ ſondern die praxis des Chriſtenthums getrieben
wird/ habe bißher geſehen/ daß dieſelbe die widerſacher unſerer religion ſo gar nicht
offendiret haben/ daß von dieſen vielmehr offt ein favor daduꝛch iſt erlangt woꝛden.
Waͤren aber einige mir nicht bekante conſiderationes/ woraus zu ſorgen waͤre/
daß ihrer kirchen einiger weiterer druck daher erfolgen moͤchte/ und ſolche wuͤrden
wohl gegruͤndet befunden/ ſo bekenne gern/ daß als dann ich ſelbs die ſache mißra-
then/ und die ruhe ihrer kirchen allen uͤbrigen nutzbarkeiten/ ſo ich von der publica-
tion
hoffte/ vorziehen wolte. Geſtehe aber auch dabey/ daß ich dergleichen zu ſe-
hen nicht vermag/ ſondern davor gehalten wo die praxis einer ſache von den widri-
gen wol geduldet wird/ daß ſolche auch die vertheidigung derſelben wol leiden
moͤgen.


4. Es moͤchte auch die vorgeſchuͤtzte obſcuritas loci nicht mit nachdruck ent-
gegen gehalten werden. Jn dem nicht nur allein ihre ſtatt ſo unbekant nicht/ ſon-
dern auch ſolches exempel eines orts/ welches nicht ſo volckreich/ noch das miniſte-
rium
ſo ſtarck eine real antwort iſt auff einen vielen offt gebraͤuchlichen einwurff;
es lieſſe ſich dergleichen exercitium noch endlich wohl etzlicher maſſen in einer ſehr
populoſen ſtatt/ da man unter der menge auch eine zimliche zahl tuͤchtiger perſo-
nen finde/ practiciren/ aber an anderen orten wuͤrde es nicht moͤglich ſeyn.


5. Sehe ich auch nicht/ das eben zu ſorgen/ daß ſie in einem ſonderlichen
diſputat hiedurch wuͤrden eingepflochten werden/ wie faſt zu vermuthen/ daß Herr
Dilfeld/ ſo nun uͤber ein jahr auff Herr Wincklers antwort geſchwiegen/ ſchwehr-
lich etwas ferner finden wird/ was er replicire.


Am allerwenigſten aber moͤchte 6. den wercklein ſchaden/ daß es nicht von ei-
nem Theologo ſondern JCto gemacht ſeye. Dann es heiſſet/ nicht quis, ſed
quid;
und haben wir uns vielmehr zu erfreuen und es zu loben/ wo auch andere
als Theologi in dergleichen materien die feder anſetzen. Alſo meine ich/ moͤgen
die geſamte rationes dubitandi nicht von der wichtigkeit erkant werden/ die pu-
blication
zu mißrathen. Hingegen ſind die andere pro afflrmativa angezogene
momenta kraͤfftig genug/ ſolche zu perſvadiren. So weiß ich auch ſonderlich
nichts weiter bey dem tractaͤtlein ſelbs zu erinnern; Wie wohl ſich auch nicht zieh-
men wolte/ daruͤber unter uns vorher zu conferiren/ weilen ſich darauff be-
zogen wird/ daß ſie mit mir in einiger correſpondenz nicht ſtehen. Weswegen
auch vor noͤthig achte/ daß ein gewiſſes datum zu ende geſetzet werde/ wann ſol-
ches ſcriptum verfaſſet/ da es alſo der wahrheit nach aͤlter ſeyn muß/ als unſere nun
erſt anhebende kundſchafft. Solte ich aber je etwas erinneren: So wuͤnſche/
was die ſtelle anlangt/ da die nothwendigkeit dergleichen privat-zuſammenkunff-
ten gelehret wird/ daß dieſe etwas deutlicher ausgedruckt wuͤrde/ daß man nicht e-
ben von einer neceſſitate abſoluta ſondern expedientiæ rede. Zwar was das
genus anlangt/ daß einige privati congreſſus ſollen gehalten werden/ wird wohl
Z z zbloſſer
[546]Das ſechſte Capitel.
bloſſer dings nothwendig ſeyn/ wie dann unterſchiedliche pflichten uns GOTTes
wegen obligen/ die nicht anders als privatim etwa unter zweyen ver ichtet wer-
den koͤnnen/ deswegen dann ſolche zuſammen trettungen ſchlechter dings noͤthig
ſind: Wo wir aber abſonderlich handlen von der jenigen art der privatorum
congreſſuum
da ihrer mehrere unter der inſpection eines Predigers zu einem
Gottſeligen geſpraͤch zuſammen kommen/ ſo wolte ich nicht eben ſchlechter dings die
nothwendigkeit behaupten/ ſondern ihre nutzbarkeit/ ruͤhmen/ welche ſie ſo fern
nothwendig machet/ wo man nehmlich/ wie billich iſt/ alles das jenige thun ſoll und
will/ was die erbauung befordert/ ſo mag auch dieſes nicht mit fug ausgelaſſen wer-
den. Ferner wird an einem ort zum argument angefuͤhrt der ſpruch Matth. 13/
15.
wo der HERR ſeine juͤnger fragt/ ob ſie alles verſtanden haͤtten. Vielleicht
aber moͤchte zu ſolchem ſcopo aus ſolchem capitel der v. 10. ſonderlich aber Marc.
4/ 10.
dienlicher ſeyn/ wo die Juͤnger ſelbs den HERRN privatim gefragt/ und ſo
zu reden in collegio privato die ſache weiter unterſucht/ was in offentlicher pre-
digt gehandelt worden. So hielte auch/ daß mit fleiß vermeidet werde/ worin-
nen Herr Dilfeld ſeine meiſte ſubtilitaͤt ſuchet/ obs privati oder publici congreſ-
ſus
zu nennen ſeyen: nehmlich daß man bezeuge/ es liege an ſolchem nahmen das
geringſte/ und gelte gleich ob die verſammlungen publicæ oder privatæ nach ge-
wiſſen reſpecten genennet wuͤrden. Ja es mache auch keinen gewiſſen unter-
ſcheid/ ob ſie in loco publico oder privato geſchehen: da ich auch nicht leugne/ daß
ich/ wo es eine ziemlich numeroſe anzahl von leuten iſt/ die ſich zu einer ſolchen er-
bauung einfinden/ lieber ſehe/ daß als dann die ſelbe/ dafern man deſſen erlaubnuͤß
von Chriſtlicher Obrigkeit hat in einem loco publico angeſtellet werde/ wo zu auch
beſſre bequemlichkeit ſich allemahl finden wird/ maſſen ich es auch vor eine ſonder-
bahre Goͤttliche wohlthat halte/ daß ich neulich von unſerer Chriſtlichen Obrigkeit
die erlaubnuͤß erlangt/ daß meinige collegium/ ſo in das 12. jahr in dem hauß gehal-
ten worden/ aber der platz den leuten zu enge wurde/ in der oͤffentlichen kirchen zu
halten.


Die gantze macht aber der frage komme dahin/ ob es in der kirchen 1. noͤthig
ſeye/ daß ohne die oͤffentliche und ſolenne congreſſus einige recht eigendlich pri-
vati congreſſus
angeſtellet werden/ welches abſolute zu bejahen; in dem aller
privat-zuſpruch/ alle privat-erinnerung/ da Prediger oder andere ihren nechſten
erinnern/ ſtraffen/ warnen/ troͤſten/ alle hauß-uͤbung und hauß-kirchen-dienſt/ un-
ter ſolchem genere ſtehet/ an dero notwendigkeit niemand zweiffelen mag.


2. Ob es nicht dabey auch nuͤtzlich und an den orten/ wo man ſolches haben
kan/ nun alles das jenige wo zu uns der HERR gelegenheit zeiget/ zu thun (ſihe
Jaeob. 4/ 17.) in ſolcherer maß noͤthig ſeye/ daß ohne die jenige oͤffentliche ver ſam-
lungen/ darinnen allein einer lehret/ die andere aber allein zu hoͤren/ wie unſere pre-
digt-verſamlungen ſind/ auch andere verſamlungen (es geſchehe nun abermahl in
loco
[547]ARTIC. I. DISTINCT. IV. SECTIO VII.
loco publico oder privato/ ſo zur ſache ſelbs nicht thut/ und aber welches jeder zeit
und orts das fuͤglichſte ſeye/ aus andern umſtaͤnden zu beurtheilen iſt) gehal-
ten werden/ darinnen nicht nur einer allein redet/ ſondern auch audere entweder
bloß zu fragen oder zu antworten (wie ſonderlich die catechiſmus examina und
kinderlehren zu ſeyn pflegen) oder auch ihre erinnerungen und meinung modeſte
mit bey zu fuͤgen erlaubnuͤß haben.


Von dieſer letzten art wird nun meiſtentheils die frage angeſtellet/ und ligt als
dann wenig dran/ ob ſolche den nahmen der publicorum oder privatorum haͤt-
ten. Wo hierauff wohl acht gegeben wird/ doͤrffte ſich manches deſto leichter ge-
ben/ und dem widerſacher in worten zu cavilliren die gelegenheit benommen wer-
den. Sonſten finde nichts/ was ſonderlich dienſamer zu dem auffſatz waͤre. Wie
auch die geſchehene erinnerungen nicht von ſolcherer wichtigkeit ſind/ daß ſie eben
nothwendig muͤſſten attendirt werden.


Jm uͤbrigen ſchicke hiebey eines anderen Chriſtlichen Superintendenten
meinung/ dem ich in freundlichen vertrauen das MS. comuniciret/ und er mir
alſo geantwortet/ daß es zu dero auffmunterung dienlich und alſo zu uͤber-
ſchreiben wuͤrdig geachtet habe. Dabey ich gleichwohl bedeute/ daß
ich die von ſolchem guten freunde geſchehene erinnerungen nicht eben alle noth-
wendig achte: ſonderlich aber vielmehr wohl gethan glaube/ als es geaͤn-
dert verlangte daß ſie ſich in Herrn Dilfelds und meine uͤbrige controvers, ſo ih-
nen nicht noͤthig/ nicht einmiſchen wollen. Die uͤbrige uberlaſſe deroſelben eigenen
erwegung und beurtheilung. Endlich habe zu dero fernerer anfriſchung auch an-
zuzeigen/ daß ohne mein collegium noch andere mehr anderwerts gehalten wer-
den: Jn Schweinfurt hat ein Prediger Herr M.Berger dergleichen auch ſchon
viel jahr: zu Augſpurg iſt von Herrn Spizelio ebenfals mehrere jahr eines gehal-
ten/ ob zwar wie ich vernehme widerum nachgelaſſen worden: Herr Superinten-
dent
Winckler hat es in Wertheim auch auff die 3. jahr: und vor dem weis ich/
daß ein Chriſtlicher Prediger in Amſterdam auch ein ſolches gehalten/ aus deſſen
verlaſſung ein geweſſter goldſchlaͤger luſt zu dem ſtudiis bekommen/ ſeine hand-
thierung quittiret und ſich auff die Theologiam gelegt/ mit dem ich noch in Straß-
burg ſtudiret habe.


Nun der HERR lehre uns in allen ſtuͤcken ſeinen willen/ und wie ſeine ehre
an und von uns am kraͤfftigſten moͤge befordeꝛt werden/ erkennen: er gebe auch
weißheit und die wahre klugheit der gerechten/ in dero wir moͤgen der uns beſcheh-
renden gelegenheiten recht gebrauchen/ und nichts mit unvorſichtigkeit ſelbs ver-
derben/ ſo dann einen heiligen eiffer/ keine muͤhe arbeit und anderer weltleute ver-
achtung zu ſcheuen/ wo es um unſer und unſers nechſten erbauung zu thun iſt. Er
gebe uns aber die gnade/ daß wir auch alle ſolche ſo offentliche als beſondere ver-
ſamlungen alſo anſtellen/ daß wir nicht nur in der wiſſen[ſ]chafft verlangen zu zuneh-
Z z z 2men
[548]Das ſechſte Capitel.
men/ ſondern uns beſtreben/ dero fruͤchten in heiligen wandel zu bringen/ damit
das wort GOttes reichlich nicht nur in unſerem munde und verſtande ſondern her-
tzen und leben webe: Ja daß wir uus der abſonderlichen uͤbung alſo gebrauchen/
daß wir dadurch ſtets geſchickter werden/ auch die algemeine mit ſo viel mehr er-
bauung zu begehen/ undfrucht dieſes ihrer ſo viel verhaſſten inſtituti in der that
an uns zu jener uͤberzeugung zu weiſen. Jndeſſen gnade denſelben und ſaͤmtli-
che mitglieder ihres Chriſtlichen collegii, vor dero gebets gemeinſchafft mich bruͤ-
derlich bedancke/ dero continuation bitte/ und hingegen von meiner ſeiten derglei-
chen zu ſage/ hertzlich hiemit erlaſſende. u. ſ. w. 1682. 3. Jun.


SECTIO VIII.


Von einigen dingen ſo in Franckfurt vorgenom-
men/ und von andern mißdeutet worden. Auch
ſachen die zum amt gehoͤrig. Großgebauers
waͤchterſtimme.


JCh dancke dem grundguͤtigen GOTT/ daß derſelbe das meinige neuliche
(ſiehe Sect. I.) alſo geſegnet/ daß ſo wohl mein wehrteſter bruder in der aus
Herrn N. N. bericht bereits gefaſſten guten hoffnung von meiner und anderer
freunde und der guten ſache unſchuld bekraͤfftiget/ als duch andern gleiches bey ge-
bracht worden. Dann ob mir zwar nicht hoch angelegen ſeyn ſolle/ ob es GOtt
gefalle διὰ δυσ [...]ημίας oder ἐυ [...]ημίας mich zu fuͤhren/ noch mich ſehr bekuͤm̃ere/ ob
ich von menſchen oder einem menſchlichen tage gerichtet werde/ ſo habe doch freude
daraus zu ſchoͤpffen/ und GOTT zu dancken/ wo er die jenige nebel/ welche durch
vorgegangene calumnien viele verdacht gemacht/ und damit einiges gute verdeckt
worden/ durch die ſonne der wahrheit vertrieben werden laͤſſet; in dem liebe leut
ſich durch die beharrung in dergleichen argwohn ſonſten endlich ſchwehrlich verſuͤn-
digen wuͤrden/ mir aber billich leid ſeyn muß/ daß ich armer ein ſtein des anſtoſſens
zu anderer ſuͤnde werden muͤſſte: ſo dann weil die bruͤderliche meinung meh-
rer Chriſtlicher und die ehre ihres GOTTes treulich ſuchender hertzen nach
Gottes willen etwa kuͤnfftig einige mehrere frucht zu beforderung der gemeinen er-
bauung bringen moͤchte; daran ſonſten hinde[r]lich iſt/ wo die gemuͤther mit verdacht
gegen einander eingenommen ſind/ und alſo aufs wenigſte bedenckens tragen/ ge-
ſamter hand an dem bau des HERRen zu arbeiten/ und nicht ohne furcht und
ſcheu zuſammen ſetzen. Welches ich auch vor die abſicht deß feindes halte/ die er in
der außſtreuung der calumnien vornemlich vor augen gehabt. Aber nach dem et-
wa die zeit/ die GOtt zu uͤbung einiger gedult verhaͤnget hat/ vor bey iſt oder ſeyn
wird
[549]ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECTIO VIII.
wird/ ihm ſolches ſeyn ſtuͤck nicht angehen ſolle. Wie mich aber nun meines hoch-
geliebten freundes voͤllige bezeugte befriedigung uͤbeꝛ meine declaration vergnuͤ-
get/ ſo ſetze doch noch ferner bey/ das hertzlichen bitte/ wo demſelbẽ ſelbs durch jemand
einiges annoch vorgebracht worden waͤre/ an welchen/ derſelbe meiner perſon/ lehꝛ
u. wercke wegen einẽ ſcrupel faſſen moͤchte/ nur alles ſolches obs auch ſchon nicht ſolte
von groſſer wichtigkeit ſcheinen/ freundlich communiciren, als der ich bereit bin/
jederman in liebe und ſanfftmuth rechenſchafft zugeben/ alles deſſen was ich lehre
und vorhabe/ auch weiß daß dem richter der lebendigen und todten dermahleins re-
chenſchafft darvor geben muß. So kan ſolche communication und conferenz
niemahlen ohne nutzen abgehen: Dann es ſind entweder ſolche dinge/ woruͤber ich
meine unſchuld zur genuͤge darthun kan/ damit andern gerathen wird/ oder es moͤch
ten ſachen ſeyn/ woraus ich ſelbs einen eigenen verſtoß ſehen wuͤrde/ wie ich ja als
ein menſch gern erkenne/ daß ich fehlen kan/ und auch einer bruͤderlichen anzeige deſ-
ſen/ mich zu danck verbunden zu ſeyn glaube.


Mein collegium anlangende/ welches vernehme/ daß der hoch ſelige HErr
Graff vornehmlich geeckelt/ iſts ja ein ſolches unſchaͤdliches/ hingegen ohne ruhm
zumelden bey ihrer viel fꝛuchtbar befundenes/ inſtitutum, daß ich nicht leugne/ es
reue mich deſſen noch nicht. Jch habe einer gantzen Theologiſchen Facultaͤt (nem-
lich von Kiel) reſponſum daruͤber/ die auf bericht von deſſen ort daſſelbe gebilli-
chet/ welches Herr D. Fritſch auff mein veranlaſſung in eines ſeiner tractaͤtlein
mit einverleibet. So haben ſo viel Chriſtliche andere Theologi theils insge-
mein mit voͤlliger und ohne außnahm gethanene approbation der piorum deſi-
deriorum,
wo ſolcher vorſchlag ſtehet/ theils abſonderlich daſſelbe gebillichet/ daß
es auch an autoritaͤt nicht mangelt. So hat Herr D. Menzer ſelbs nicht nur al-
lein mit gleicher unbedingter gutheiſſung der piorum deſideriorum/ dero vor-
ſchlaͤge er mit nachdruͤcklichen terminis lobte/ daſſelbe gebillichet/ ſondern auch
nochmahl auf abſonderlich mein zuſchreiben bezeuget/ das ſolche collegia ſo wenig
als die collegia privata der Profeſſorum auf Univerſitaͤten/ ſo in ihrem amt mit
begriffen waͤꝛen/ an ſich ſelbs moͤchten verworffen werden/ nur wegen mehrerer
behutſamkeit einige conditiones da zu geſetzt/ als das die uͤbrige collegæ Mini-
ſterii
mit darzu kaͤmen/ daß die geſamte gemeinde etwa in gewiſſe theil abgeſondert
denſelben beywohnten und dergleichen/ die theils jeder ſehen wird/ daß ſie nicht noͤ-
tig (dann wozu darff man leuth zu etwas noͤthigen/ die nicht ſelbs verlangen dar-
nach tragen/ da man ſie kaum in die kirchen bringen kan) theils erfuͤllet ſind/ oder
bey mir ſie zuerfuͤllen nicht geſtanden hat; wie dann immer zu einigen zeiten einige
Collegæ ſich mit eingefunden/ ſo dann ich die andere ſo gar nicht davon ausgeſchloſ-
ſen/ daß ſie/ wo es ihre gelegenheit und geſchaͤffte zu geben wollen/ vielmehrdazu
gewuͤnſcht haͤtte. Daher der gute mann nicht urſach gehabt nach der zeit ander-
wertlich wie ich geſchehen zu ſeyn weiß/ die ſache invidioſe an zugeben. Der
Z z z 3HERR
[550]Das ſechſte Capitel.
HERR rechne es ihm nicht zu. Jetzo hat von einiger zeit GOtt miꝛ nach ſeiner
gnade eine ſonderbare freude gemacht/ in dem/ welches ich lang/ wo es bey mir ge-
ſtanden/ verlangt haͤtte/ unſer hochgeliebte Obrigkeit auf veranlaſſung der anwe-
ſenden Evangeliſchen geſandten mir vor etlichen monaten die erlaubnuͤß gegeben:
daß ſolches in oͤffentlicher kirchen verſamlung halten darff/ ſo ich nun ſeit der zeit thue
und deſto mehr erbauung darvon hoffe: Aber verlange/ daß Chriſtliche mit-bruͤ-
der den HERRN mit vor mich helffen anruffen/ mir die dazu noͤtige klugheit zu-
geben/ daß mich ſolcher ſtattlichen gelegenheit der erbauung nachtruͤcklich und
fruchtbarlich gebrauche/ und alles ungleiche/ ſo jemand dabey beſorgen moͤchte/ in
ſeiner gnade vermeide. Was meine diſcipulos betrifft/ ſo weiß ich von keinen/ die
ſich je vor meine ſonderbare diſcipulos bekant haͤtten/ wuͤſte auch einem ſolchen we-
nig danck davor/ als der ich den ſecten feind bin/ und alſo je keine eigene zumachen
verlange. Auch moͤgen keine meine diſcipuli ſeyn/ welche anders lehren wuͤrden
als ich: und wo es ja je geſchehe/ daß jemand derer/ welche mich gehoͤret haͤtten/
folgends in einige irrige meinung verfallen ſolten/ ſo wuͤrde ich eben das jenige ant-
worten/ was der ſelige D. Dañhauer mein Præceptor einem ſeiner widerſacher ant-
wortete/ als dieſer ihm eines gewiſſen mañes/ der damahl nicht juſt gehalten wurde
nahmen vorwarff/ der zu Straßburg ſtudiret/ und ſein auditor geweſen waͤre:
nemlich/ ſey er nicht richtig in der lehr/ ſo habe ers von ihm nicht gelernet. Daß
es zwar geſchehen koͤnne/ wo man mit rechtem ernſt auf etwas treibet/ daß andere
aus unverſtand oder auch boßheit ſich ſolcher gelegenheit mißbrauchen/ und auf an-
dere dinge hinaus fallen/ leugne ich nicht/ weil es der goͤttlichen weißheit deß Sa-
tans liſt und der eꝛfahrung gemaͤß iſt.


Das erſte/ in dem dero verhaͤngnuͤß eines auch boͤſen neben einem guten die
beſtaͤndigkeit in dem guten pruͤffet/ und denen/ die es laͤſtern wollen/ einen ſcheinba-
ren vorwuꝛff da zu geben muß/ ſich daran zu ihrem verderben zuſtoſſen;


Das andere/ in dem der Satan/ da er ſonſten das gute nicht wol hindern
kan/ ſolches durch dieſen weg verſuchet/ wo er demſelben gedencket ein klecke anzu-
ſchmitzen/ und durch eine beygebaute nebens-capell dem eyff[r]igen bau des hauſes
GOttes den credit zunehmen:


Das letzte/ weil freylich zu allen zeiten dergleichen geſchehen/ daß die auch
heiligſte lehren/ wo ſie am eyffrigſten getrieben worden/ neben ihrem nuͤtzlichen und
von GOtt und denen ſo ſie gefuͤhret intendirten gebrauch/ nicht ve[r]urſacht/ aber
doch veranlaſſet/ haben/ daß andere weiter gegangen/ und untergleichen ſchein
doch etwas anderes getrieben haben.


Die lehre von dem glauben an JEſum Chriſtum/ der uns allein ſelig
mache/ und von der freyheit/ von dem joch und fluch des geſetzes/ war nicht ſo bald
in die welt von den Apoſteln ausgebreitet/ ſo fand ſich ſtracks ſolcher mißbrauch uñ
ab-
[551]ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECTIO VIII.
abweichung von der richti[g]keit derſelben/ daß ſchon die Herrn Scribenten ſelbſt in
ihrem von GOTT eingegebenen ſchrifften daruͤber eyffe[r]n muſten/ daß bereits
Paulus den muth willigen laͤſt erern der gnade/ ſo entweder mit fleiß ſich derſelben
mißbrauchten/ oder mit ſolchem vorwand der lehre etwas ſchaͤdliches anzuhaͤngen
trachteten/ den mund ſtopffen muſte; Jacobus aber ſolche reden fuͤh[r]ete/ welche
ſcheinen daß gegentheil in ſich zu faſſen: Ob wohl der heilige Geiſt ſich nie wieder-
ſpricht. Was hat der liebe Lutherus ernſtlicher getꝛieben/ als daß wir uns allein
an die ſchrifft halten/ keines menſchen autoritaͤt unſern glauben unterwerffen/ und
alle leuthe dieſelbe leſen ſolten? was iſt aber aus ſolchem principio und deſſen
ernſtlicher einſchaͤrffung erfolgt? gewißlich wo mans ad inviduam Lutheri zie-
hen wolte/ ſolte man ſagen/ das es die urſach geweſen ſo vieler ſecten/ irrungen und
unruhen/ ſo erfolget: Ja man kans nicht leugnen/ daß wahrhafftig vieles davon
unterblieben wuͤ[r]de ſeyn/ wo man in der alten dienſtbarkeit der autoritaͤt der kirchen
geblieben waͤre/ und die goͤttliche wahrheit unter derſelben ferner forſchung unter-
druckt gelaſſen haͤtte. Ja was vor ein ſtaͤrckere veranlaſſung hat die ſo ſchreckli-
che ruchloſigkeit/ uͤber die wir noch jetzo nicht ſtarck genug ſchreyen/ oder ſie aus
der menſchen hertzen bringen koͤnnen/ als die von dem Luthero und ſeinen gehuͤlf-
fen ernſtlich getriebene und aus der finſternuͤß der troſtloſen weꝛck-lehr deß Pap-
ſtums an das liecht wiederum gebrachte lehr deß allein ſeligmachenden glau-
bens/
nicht in ihrem heiligen verſtand/ ſondern ungeſchickter oder boßhafftiger ver-
kehrung? Daß wir alſo ſreylich ſehen/ daß in allen dieſen begebenheiten der kirchen
und bey den jenigen groſſen wercken/ die unzweiffelich von GOTT gekommen
(wie wir an unſers theuren Lutheri reformation nicht zu zweiffelen haben)
dannoch/ ich will nicht ſagen die klugheit ſolcher herrlicher ruͤſtzeuge des HERRen/
ſondern das ihnen von demſelben in herr lichen maß verliehene maß des Geiſtes der
weißheit nicht hat verwehren koͤnnen/ daß nicht mißbraͤuche daher/ oder vielmehr
dabey (denn niemahl war die lehr ſelbs urſach/ ſondern nur eine anlaß des teuffels
der ſonſten ruhiger/ als dann am meiſten anfaͤngt zu wuͤten/ und auf alle weiſe ſich
zu widerſetzen/ wann er kraͤfftig angegriffen wird) entſtanden waͤren/ welche dazu
groſſen ſchaden gebracht haben. Was iſt ſich dann zu verwundern/ daß wo heut
zu tag von Chriſtlichen lehrern hin und wider die lehr von dem lebendigen glauben/
(die zweyerley in ſich faſt/ einmahl daß der glauben nicht in einer menſchlichen wiſſen-
ſchafft oder einbildung unſers verſtands/ die wir uns wie in andern ſcientiis ſelbs
machen und eindrucken koͤnten/ ſondern in einem aus der krafft des heiligen Geiſtes
gewuͤrcktem goͤttlichem liecht und erkaͤntnuͤß beſtehe/ andern theils/ das ſolches
liecht nicht ohne waͤrme/ und eine ſolche furcht ſeyn koͤnne/ die den gantzen menſchen
nicht nur aͤuſſerlich zu einem andern moral-leben bringe/ ſondern von innen aͤnde-
re/ und gantz anders/ nemlich nach dem himmliſchen geſinnet/ mache/ deßwegen
mit
[552]Das ſechſte Capitel.
mit dem weltfoͤrmigem leben nicht ſtehen moͤge/ ſondern wo dieſes ſich annoch nicht
nur iu aͤuſſerlichen groben ſchand und laſtern/ ſondern in der welt liebe/ ſo mit flei-
ſches luſt/ augen luſt und hoffaͤrtigem leben herrſcht/ daher ein ob wohl vor der welt
ehrliches/ jedoch nach jenem zweck und der eigenem liebe gerichtetes/ leben folget/
bey den leuten findet/ daß ſolches ein zeugnuͤß des unglaubens ſeye) mit eyffer von
jedem nach der gabe/ die ihm gegeben iſt/ getrieben und geſchaͤrffet wird/ (welches
nichts ſo neues iſt/ daß von noͤthen geweſen waͤre/ daß GOTT ſolche ſonderbare
und mit ungemeinen gaben des Geiſtes außgeruͤſtete leute haͤtte muͤſſen erwecken)
daß eben ſo wohl bey ſolchen treiben mißbraͤuche entſtehen koͤnnen/ und einige un-
verſtaͤndige die ſach uͤbel faſſen/ der teuffel aber auch daraus einen vortheil zugewin-
nen ſich bemuͤhen moͤchte: Welches alles/ wo mit mehrerem ernſt und nachdruck
angegriffen wuͤrde/ gewißlich eben ſo wol auch noch ſtaͤrcker geſchehen wuͤrde und
muͤſte. Gleich wie abeꝛ wir wedeꝛ um ſolcheꝛ urſach willen unſers lieben Lutheri re-
formation
ſtraffen/ noch verlangen ſollen/ daß dann die von ſo vielen mißbrauchte
ſchrifft den leuten nicht ohne unterſcheid in die haͤnde gegeben/ oder nunmehr wie-
der aus denſelben geriſſen wuͤrde/ ſondern wir erkennen die wolthaten GOTTes/
wir halten die warheit der lehr in ehren/ und unterſcheiden dieſelbe ſorgfaͤltig von
dem aus anderer menſchen ſchuld entſtehenden mißbrauch/ ſtraffen dieſen und ſu-
chen ihm zu begegnen/ ſo gut wir koͤnnen. Alſo meine ich/ daß wir noch heut zu ta-
ge die h. lehr ſolches muͤßbrauchs wegen/ oder wo ſich unter ſolchen ſchein und deck-
mantel nachmal falſche bruͤder wolten hervorthun/ nicht zu verwerffen oder zu
meiden/ ſondern vielmehr mit fleiß zu zeigen haben/ daß ſich die jenige derſelben zur
ungebuͤhr behelffen/ und darauff beruffen/ welche nicht mit redlichen hertzen der-
ſelben anhangen/ ob ſie auch ſchon ſolten in einigen ſtuͤcken gleiche reden fuͤhren/ ſich
damit zu verbergen: Wie unſer liebe Lutherus die von ihm ſo genannte himm-
liſche Propheten/
ob ſie wol ſich bey ſeiner lehre hervor gethan/ u. in vielen ſtuͤcken
faſt gleiche worte mit ihm gebraucht/ und die Antinomer, von denen gleiches zu-
ſagen/ ja die ſich faſt allein auf ſeine worte beruffen konten/ vor die ſeinige nicht er-
kant/ noch dero ſchuld aufbuͤrden laſſen/ ſondern mit ihnen nichts zuſchaffen haben
wollen/ aber doch ſeine lehren/ darauff ſich jene berufften/ von der innern erleuch-
tung/ freyheit der kinder GOttes/ von des geſetzes fluch und joch/ und dergleichen/
den andern zugefallen oder ſich weiter von jenen zu ſonderen/ nichts geaͤndert/ wol
aber ſich ſo viel deutlicher erklaͤret; damit ihnen von redlichen leuten mit fug nicht
moͤchte ſchuld gegeben werden; ob er wol von andern nicht wenig daruͤber laͤſterung
leiden mußte/ die abeꝛ keine laͤſterung ſondern goͤttlicher eyffer oder vorſichtigkeit uͤ-
ber die gefahr der kirchen haͤtten heiſſen ſollen/ wann die jenige propria ſolten guͤl-
tig ſeyn/ aus welchen manches gutes bißher hat beſtritten werden/ und alles ſolches
groſſe klugheit ſeyn ſollen.


Aber der HERR bewahre uns vor ſolcher klugheit wo wir wolten aus un-
ſerer
[553]ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECT. IIX.
ſerer vernunfft follgereyen machen/ damit aber dem werck des HERRen/ welches
fort und fort getrieben/ und doch allezeit der weiſen welt ein aͤrgernuͤß und ſtein des
anſtoſſens ſeyn muß/ hindernuͤß ſetzen. Der gottſeligſte rath waͤre wohl geweſen/
den mein werther Herr und bruder andeutet/ das alle die jenige ſo den nahmen
Chriſtlicher Theologorum haben wollen/ und einige ſcrupul uͤbeꝛ etwas gefaſ-
ſet/ in beſcheidenlicher liebe erinnerung gethan/ und die ſache unterſuchet/ nach dem
ſchoͤnen exempel/ welches wir Joſuaͤ XXII. 11. 13. 30. 31. in einigem wichtigſtem
werck/ da der gantzen Jſraelitiſchen kirchen ein groſſes ſchiene angelegen ſeyn/ pra-
cticiret
worden zu ſeyn leſen.


Nun den HErren ſey danck/ welcher ſelbſt rath ſchaffet/ und alles weißlich
regieret zu unſerem beſten/ ob zwar durch faſt unbekante und uns mißlich ſcheinen-
de wege. Der angedeutete jahr-methodus, wie man JEſum feſt behalten
und nicht laſſen ſolle/ iſt mir ſehr angenehm. Der HErr laſſe ihm kraͤfftig und
reichlich geſegnet werden. Und ſo muß es freylich ſeyn/ wir ſollen nichts wiſſen als
JEſum/ denſelben unſern zuhoͤrern zu predigen/ damit er durch glauben mit ſeinen
ſchaͤtzen erſtlich in die hertzen komme/ und nachmal aus ſolcher quelle das gute her-
aus flieſſe. Geſchiehets nicht auf die weiſe/ ſo moͤgen die moralia nicht zum him-
mel bringen/ ja nicht einmahl ein wahres Chriſtliches/ ſondern nur morales leben
verurſachen/ in dem was nicht aus dem glauben gehet/ GOtt nicht gefallen mag.
Ach daß der HErr uns hierinnen vornemlich das licht ſeines heiligen Geiſtes gebe/
zu erkennen/ wie wir den wahren lebendigen glauben den leuten in das hertz bringen
moͤgen/ dann iſt ſolcher da/ ſo iſt die wurtzel da/ welche alle fruͤchte von ſelbs tra-
gen wird/ und nur des ferneren begieſſens bedaꝛff. Jch tractire auch dieſes jahr
die ſchaͤtze unſerer ſeligkeit/ welche wir in Chriſto haben/ und laſſe ſie den grund
ſeyn aller unſerer lebens-pflichten; muß nun warten/ ob und was vor ſegen der
HErr darzu verleyhen wolle den darum hertzlich anruffe/ und vor mich angeruffen
zu werden verlange. Die kinderlehr anlangend ſo iſt E. Hoch Ehrw. Chriſtlicher
fleiß/ auch den alten die gruͤnde des Chriſtenthums beſſer bey zu bringen/ loͤblich
und freylich noͤtig/ in dem ja die erkaͤntnuͤß des glaubens erſtesſtuͤck iſt. Es iſt a-
ber war/ daß die ſache in uͤbung zu bringen nichts ſo leichtes ſeye/ weil man der hin-
dernuͤſſen ſo viel gegen ſich hat.


Jn deſſen laſſet uns thun/ was wir koͤnnen/ retten was ſich will retten laſſen/
wir vermoͤgen doch niemand mit gewalt bey den haaꝛenin den himmel zu ziehen/ ſon-
dern muͤſſen endlich fahren laſſen/ was ſich muthwillig verderben will; wie ich
mich erinnere/ daß der ſeel. D. Dannh. pflegte zu ſagen/ die alte ſind meiſtentheils
verhaͤrtet/ und moͤgen wenig gewonnen werden/ wo wir das unſrige verſucht/ ſo
laſſet uns zufrieden ſeyn/ daß wir die jugend erhalten. Das decret der Obrig-
keit/ ſo die erwachſene auch zur kinderlehr obligiret, iſt ſehr gut/ jedoch wolte ichs
nicht ſo wol anfangs brauchen zur execution voͤlligen/ die alten zu examiniren,
A a a aals
[554]Das ſechſte Capitel.
als zur betrohung/ wo ſie ſich nicht bey dem zuhoͤren fleißig einſtellen/ und alſo damit
den bey ihnen findenden mangel erſetzen wuͤrden/ ſo muͤſte ſolches decret endlich
mit zwang exequiret werden. Das vornehmſte mittel aber halte ich/ daß die
kinderlehr mit der jugend/ ſonderlich denen die ſchon etwas unter ihnen erwachſen
ſind/ alſo gehalten/ der gleichen dinge tractiret, und mit ſolcher deutlichkeit und fleiß
vorgetragen werden/ daß die jenige/ ſo es anhoͤren/ ſelbs durch den nutzen/ den ſie
da[v]on ſehen/ der [g]leichen uͤbung zu belieben/ und gern zu frequentiren/ moͤgen be-
wogen werden: Wie durch GOttes gnade hier unſeꝛs orts/ da wir gar keinem O-
brigkeitlichen befehl und zwangs mittel haben/ die einige art geweſt/ die leute her
bey zu bringen/ da ſie ſehen/ daß ſie ſolcher uͤbung wohl mit groͤſſerem nutzen als
den predigten bey wohnen wuͤrden. Auffs wenigſte iſt das gewiß/ das die jenige
ſich werden dadurch herbey ziehen laſſen/ die noch einige ſorge ihres heils haben: bey
den uͤbrigen iſt ohne das wenig aus zurichten/ noch mag ſie die buchſtaͤbliche wiſſen-
ſchafft vieles nutzen. Wie ich insgemein ſchon lang in den gedancken geſtanden
bin/ daß wiꝛ zwar unſer amt allemahl an der gantzen jedem anvertraueten gemein-
de zu verrichten uns befleiſſen ſolten/ und daher auch ſo viel als geſchehen kan/ den
jenigen in gewiſſer maß auftringen muͤſſen/ die ſolches auch nicht verlangen/ aber
daß doch das vornehmſte und kraͤfftigſte ſeye/ daß wir uns mit den jenigen meiſtens
behelffen/ und an denſelben den groͤſten fleiß thun/ welche willig ſind/ und nach der
gnade GOttes in verlangen tragen: bey jenem iſt alles meiſtens allein uns ein ge-
ruch des todes zum tode/
wie wol wir uns doch auch ſolchen amt nicht entziehen
doͤrffen/ ſondern es mit trau[r]igkeit verrichten muͤſſen; bey dieſen aber iſt es faſt allein
ein geruch des lebens zum leben/ und koͤnnen wir uns noch einigerley maſſen be-
friedigen und ver nuͤgen/ wo wir nur an denſelben noch zimliche frucht ſchaffen
koͤnnen. Dieſe betrachtung hat mich offt in vielen amtſachen zimlich aufgerichtet/
wo ich ſonſten nieder geſchlagen war/ daß bey dem meiſten groͤſſeſten hauffen/ ſo gar
nichts ſonderlicherliches zu hoffen ſahe.


Was des Chriſtlichen Großgebauers Waͤchterſtimm anlangt/ ſo hat mir
dieſelbe/ als ich ſie vor 20. jahren laſe/ hertzlich gefallen/ und mich ſehr geruͤhret/ daß
ich des wegen dem ſeligen mann vieles ſchuldig bin. Die vorſchlaͤge ſind alle ſehr
wol gemeint/ und meiſte auch in der that ſehꝛ nuͤtzlich/ wo ſie practiciret wuͤrden:
Jedoch bekenne/ daß an einigen orten/ ſonderlich in dem anhang von der wieder-
geburth/
ſich einige hypotheſes Calvinianæ befinden/ als ſonderlich daß die tauf
nicht eben das kraͤffrige mittel der widergeburt ſeye/ noch alle in der Tauff wieder-
geboren wuͤrden/ und dergleichen. Jch achte aber/ daß der liebe mann/ welcher
wie man ſihet viele Reformirte und Engliſche buͤcher geleſen/ daß donum diſcre-
tionis
nicht gehabt/ und da es ihm vielleicht an den ſolidioribus ſtudiis etwas ge-
mangelt/ dergleichen unwiſſend gefaſt/ und alſo nachmal auch in ſeine ſchrifft mit
ein-
[555]ARTIC. I. DIST. IV. SECT. IX.
eingeruckt. Sonderlich ſcheinet ihm dieſes in dem weg geſtanden zu ſeyn/ weil er
warhafftig einen groſſen theil der vor weilen getaufften in dem gegenwaͤ[r]tigen un-
wiedergeboren ſeyn fand uñ erkante/ nicht aber verſtunde/ daß die wiedergeburt wie-
der verlohren werden koͤnte/ und etwa wiederhohlet weꝛden muͤſte/ das er in zweif-
fel gezogen/ daß dann alle getauffte wiedergeboren worden/ und daher die Tauff
ſolcher theuren wohlthat mittel ſeye: welches mir auch anlaß gegeben hat/ daß ich
zu meinem lectionibus curſoriis autoritate Facult. Theol. zu Straßburg
dieſe materiam de iterata regeneratione aus Gal. 4/ 19. erwehlet. Wir
koͤnnen aber einige ſolche unwiſſenheit und irthum in Chriſtlicheꝛ liebe den jenigen
wol zu gut halten/ bey denen wir ſonſten den glauben und hertzliche intention vor
GOttes ehre ſehen. 3. Jul. 1682.


SECTIO IX.


An Georg Conrad Dilfelden/ der wider mich
geſchrieben/ und ich ihm in der allgemeinen GOttes ge-
lehrtheit geantwortet hatte/ als die peſt nach Nordhau-
ſen gekommen war. Erinnerung an ihn zu bußfertiger
erkaͤntnuͤß ſeines unrechts und aͤrgernuͤßes/ und aner-
bietung der vergebung.


Goͤttliche gnade/ friede/ troſt/ und wuͤrckung des heiligen Geiſtes
in Chriſto JEſu!

Wohl Ehrwuͤrdig Großachtbar und Wohlgelahrter/ Jn-
ſonders Hochgeehrter und in dem HERRN vielgeliebter
Herr

OBich weiter jemahlen an denſelben ſchreibẽ ſollen/ nachdeme meine vormalige
brieffe nicht nur ohne frucht verblieben/ ſondern vielmehr eine gelegenheit
demſelben wordẽ ſind/ ſich mehr an mir zuverſuͤndigen/ habe ich bißdahin ge-
zweiffelt/ und deswegen alles ſolches unterlaſſen/ umb weder ſelbſt meine zeit zuver-
derben/ noch denjenigen/ welcher ſich ohne urſach mir zum widerſacher entgegen
geſetzet/ anlaß zugeben/ ſich deſſelben zu anderern zweck/ als ich die brieffe ſchriebe/ zu
mißbrauchen. Nachdem aber nicht nur allein durch die oͤffentliche zeitungen/ ſon-
dern auch andere particular-berichte mir der betruͤbete jammer ſtand ihrer guten
ſtatt nachdem dieſelbe nach GOttes heiligen willen mit deꝛ contagion heimge-
A a a a 2ſucht
[556]Das ſechſte Capitel.
ſucht/ wiſſend worden/ und ich mich dabey billich der gefahr/ darinnen derſelbe
ſamt anderen mit-bruͤdern ſtehet/ mitleidig erinnert/ ſo habe mich nicht entbre-
chen koͤnnen/ mein hertz nochmahlen durch dieſes ſchreiben gegen denſelben auszu-
ſchuͤtten/ und das jenige zu thun/ was hierinnen mein gewiſſen von mir zu erfordern
eꝛachte.


Wie wir nur auch in oͤffentlicher gemeine taͤglich der anderwertlich unter
dieſer ſchwehrern goͤttlichen ruthe der ſeuche ſeufftzender mit-bruͤder gegen und vor
GOtt gedencken/ ich auch mit dem meinigem in meinem hauß nach meiner Chriſt-
lichen ſchuldigkeit ſolches zu thun nicht unterlaſſe; ſo verſichere daß unter andern
ingleichen ſtande dismahl ſtehenden nur beſonders ihre liebe ſtatt mit vor augen ſte-
he/ nicht aber leicht daran gedencke/ daß nicht auch ſeine perſon mir mit zu gemuͤth
ſteiget/ und einige ſeufftzer vor deſſen wolfahrt zu GOTT austreibet. Jch ha-
be deſſen ſo vielmehr urſach/ weilen mir nicht allein deſſen mit andern in dem leib-
lichen obſchwebende gefahr bekant/ ſondern auch ſorgen muß/ daß ich armer ob wol
ohne meine ſchuld/ ihm ein ſtein des anſtoſſes habe ſeyn ſollen/ daran er ſich verſuͤndi-
get/ hingegen dabey nicht weiß/ wie ſeine ſeele ſolcher ſache wegen vor GOtt dismahl
ſtehe.


Mein geliebter Bruder (wiewol ich faſt nicht weiß/ ob ich ſolchen nahmen
brauchen doͤrffe/ oder von ihm davor erkant werde) erinnert ſich bil-
lig/ mit was aͤrgernuͤß ſo vieler tauſenden menſchen unſerer kirchen und
anderer irrglaͤubiger gemeinden/ ſo ſich damit gekuͤtzelt haben/ er vor 3. jahren
mich und meinen geliebten Schwager Herrn Horbium unverſchuldeter weiſe an-
gegriffen/ und die h. lehre/ die wir aus GOttes wort und unſer Evangeliſchen kir-
chen gemaͤß gefuͤhꝛet/ hart gelaͤſtert/ und vor Enthuſiaſterei beſchuldiget hat. Nun
iſt mir hieduꝛch in der that der wenigſte ſchade/ ja wo ich es recht erwege/ groſſer vor-
theil geſchehen; Dann da ich ohne dieſe veranlaſſung nicht ſo wohl dieſe ſtatliche
lehre võ der GOttesgelehrheit dermaſſen auszufuͤhren mich wuͤrde unterſtanden
haben/ ſo iſt gleichwohl/ nachdem ich ſolches gethan/ daſſelbige durch GOTT der-
maſſen geſegnet worden/ daß von vielen orten brieffe empfangen/ daß auch ande-
ren/ welche aus denen vielen ſpargimenten võ mir ungleiche verdachte geſchoͤffpet/
und nicht wuſten/ wie ſie es mit mir halten/ dadurch voͤllig alle ſcrupuli gegen mich
benom̃en/ u. ſie zu eine genauen freundſchafft-liebe bewogen worden/ daß deñ unter-
ſchiedliche deswegen an mich ſelbſt geſchrieben/ ihre vorige ſuſpiciones bekant/ und
Gott vor deroſelbẽ benehmung gedancket. Weswegẽ ich auch ſolchen ſeinen angriff/
oď vielmehr deſſen verhaͤngnuͤß/ vor eine ſonderbahre groſſe wolthat der wunderbarẽ
goͤttlichen weißheit bißher erkant/ u. dieſelbe nicht nur einmahl daruͤber võ hertzẽ ge-
prieſen habe/ die durch das verwunden ſo guͤtig geheilet hat (Conf. Geneſ. 50/20.)
Aber neben dem/ daß ich mehr nutzen als ſchaden davon gehabt/ hat mich doch biß
da
[557]ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECTIO IX.
daher/ als offt daran gedachte/ billig betruͤbet/ daß er dennoch ſo ſchwehrlich in ſol-
cher ſache ſich verſundiget habe: Welches einmahl/ wer ſeine ſeele auffrichtig
liebet/ nicht anders als mit betruͤbnuͤß anſehen mag. Jch habe geſucht mit dem
letſten anſpruch zu ende meiner antwort ſein gewiſſen zu ruͤhren/ und ihn zu einiger
bußfertigen erkaͤntnuͤß des unrechtes zu b[r]ingen: Dabey nochmahl verſichere
daß ſolcher anſpruch aus einer redlichen liebe und ungefaͤrbten eiffer vor das heil
ſeiner ſeele/ wie mir deſſen mein gewiſſen vor GOTT zeugnuͤß giebet/ und nicht oh-
ne hertzliches gebet/ geſchehen iſt. Jch habe auch hoffnung gehabt/ der HERR
werde ſolche vor ihm thuende und nachmahl ſo offt widerhohlte ſeufftzer nicht uner-
fuͤllet laſſen/ deſſen ich noch in einiger zuverſicht ſtehe. Jedoch leugne nicht/ daß
mir bis dahin die freude noch nicht widerfahren/ deꝛ voͤlligen erhoͤrung ſothanes ge-
bets verſichert zu werden/ ſondern habe vielmehr unterſchiedliche mahl dergleichen
dinge hoͤren muͤſſen/ die mir ſorge machten/ daß er der wahrheit zu weichen ſich
nicht reſolviren wolle. Jn dem mir nicht nur allein/ daß er wider zu antworten
vorhabe/ von ihrem ort her einige andeutung zu gekommen/ ſondern es iſt mir auch
des ſeligen Herrn D. Muſæi ſchreiben communiciret worden; woraus erſehe/
daß er ſolchen gelehrten mann durch ſeiner wort wiederſinnige draͤhung von mir ab
zuziehen ſich unterſtanden/ derſelbe aber cordate dagegen geantwortet hat: So
habe auch ſonſten bericht/ daß er nicht unterlaſſen/ einige ſchrifft (die mir zwaꝛ von
guten freunden nicht wollen gezeiget werden) nach ſolcher zeit einigen Chriſtlichen
Theologis zu zuſenden/ die aber nicht eben ſolchen platz gefunden/ wie er verhofft.
Daher ich nicht unbillig in den ſorgen ſtehe/ daß er noch ſich die wahrheit nicht alſo
habe uͤberwinden laſſen/ wie ich gewuͤnſchet und gehoffet/ ſondern wieder derſelben
ſtachel lieber gelecket haͤtte/ wo nur das vermoͤgen/ mit einigen ſchein wieder her-
aus zu brechen/ nicht ermangelt haͤtte. Da ich aber ſo viel hertzlicher gewuͤnſchet/
daß ſein gemuͤth ſelbs ſolcher ſo deutlich vorgetragenen Goͤttlichen wahrheit platz
und dero bekaͤntnuͤß die ehre gegeben hatte. Welches gleichwohl noͤthig/ wo wir
in den ſtand kommen ſollen/ darinnen wir uns der Goͤttlichen gnade und vergebung
verſichern moͤgen.


Ach mein geliebter/ wie hertzlich wuͤnſche ich/ daß auffs wenigſte dieſes-
mahl gegenwaͤrtige zeilen ihn in einer ſolchen bewandnuͤß finden moͤchten/ oder dazu
geſeanet wuͤrden/ etwas deſſelben bey ihm zu wuͤrcken. Wir ſtehen alle aller or-
ten in ſtuͤndlicher lebensgefahr/ aber ſie ih[r]es ortes ſehen etwa dieſelbe ſo viel augen-
ſcheinlicher vor ſich/ und weiß er alſo nicht/ wann GOTT nach ſeinen heiligen rath
moͤchte ihn auch mit andern mit dahin raffen (welches gleichwohl ihm und ſeinen
geliebten mit Collegis nicht zu geſchen/ ſondern daß der HERR zum zeignuͤß ſeiner
macht und guͤte eine feurige mauer um ſie her ſeyen und alles ungluͤck von ihren huͤt-
kraͤfftiglich abwenden wolle/ wuͤnſche.) So iſt es ja noͤthig/ deſto ſorgfaͤltiger ſei-
ne ſeele in denjenigen ſtand ſuchen zu ſetzen/ daß ſie getroſt vor ihrem GOTT und
A a a a 3rich-
[558]Das ſechſte Capitel.
richter erſcheinen koͤnne. Nun wiſſen wir/ daß hiezu ſonderlich gehoͤre eine buß-
fertige erkaͤntnuͤß unſerer ſuͤnden und verſoͤhnung mit ſeinem beleidigten nechſten.
Ach laſſet uns dann da gedencken/ wo wir nicht unbedacht unſere gabe auff den al-
tar des HERREN vorbringen duͤrffen/ ohne ſolche verſoͤhnung/ wie viel weniger
koͤnnen wir ihm dann unſere ſeelen auff ſeine erforderung zu einem angenehmen
opffer darſtellen/ wir ſeyen dann auch darinnen der regel unſers Heylandes nach-
gekommen? Nun weiß er wohl/ daß ſeine bruͤder etwas wieder ihn haben/ ſo wohl
die gantze kirche/ als wir beyde/ welche er zur ungebuͤhr angetaſtet hat: Hie gehe
er mit hertzlicher anruffung GOttes in ſein gewiſſen/ und ſuche fleißig/ was die
ordnung ſeines Heylandes von ihm fordere. Uns belangend/ ſey er vor GOTT
verſichert/ daß wir beyde (wie ich dann vor meinen Schwager wohl auch reden kan)
ihm die gruͤndliche vergebung der uns zu gefuͤgten beleidigung entgegen tragen/ ja
laͤngſt in unſerer ſeelen dieſelbe alſo bereit behalten haben/ daß wir hertzlich zu dem
HERREN gebeten/ daß er moͤge der krafft derſelben faͤhig werden. Er laſſe a-
ber um GOttes willen/ was wir hierinnen thun/ und vor ihn beten/ an ſich nicht
umſonſt ſeyn. Wie mag aber/ daß wir ihn willig verzeihen/ und GOTT vor
ihn anruffen/ in der that ihm guͤltig und kraͤfftig ſeyn/ er erkenne es denn vor GOtt
worinnen er geſuͤndiget hat/ und ſtelle ſich in wahrer buße/ darinnen allein die goͤtt-
liche vergebung platz hat/ vor dieſer aber die unſrige her haben muß/ daß ſie ſeiner
ſeele nutze.


Wolte er auch die freude goͤnnen/ daß wir aus ſeiner bekaͤntnuͤß erkennen
moͤchten/ daß uns der HERR auch in dieſem einen bruder wider geſchencket habe/
ſo ſeye er verſichert/ daß deſto mehr danck auch ſeinet wegen vor GOTT auffſtei-
gen ſolle. Sonderlich aber trachte er darnach/ wie doch bey andern die durch ſol-
che ſchrifft betruͤbet/ und eine weile die Goͤttliche warheit ihnen verdaͤchtig gema-
chet worden/ woͤchte ſolches aͤrgernuͤs gleicher maſſen auffgehoben/ und ſeine ſeele
von denen ſeufftzen/ die wider ihn ergangen/ moͤge befreyet werden. Was ich
hierinnen thue und ſchreibe/ ſey mein geliebter verſichert/ daß ichs nicht vornehmlich
meinet wegen thue/ weil ich oben bekant/ daß durch GOttes guͤtige regierung ſol-
ches angriffs mehr nutzen als ſchaden gehabt/ und noch habe/ ſondern ich liebe ſeine
ſeele/ und achte mich vor dieſelbe ſo viel angelegenlicher zu ſorgen ſchuldig/ als
GOTT ſein/ ob wol uͤbel gegen mich gemeintes zu meinen beſten gewendet/ in-
deſſen gleichwohl ſich ſeiner etzlicher maſſen als eines werckzeuges gebrauchet hat/
hingegen nicht anders annoch davor halten kan/ als daß eine ſchwehre ſchuld annoch
auff ihm in dieſer ſache gelegen ſeye. Solte wider mein ve[r]ſchulden und verhof-
fen auch dieſe treugemeinte erinnerung/ uͤbel und anders als mit liebe/ darin ſie ge-
ſchrieben/ auffgenommen werden/ oder doch nichts ausrichten/ ſo waͤre mirs leyd/
muͤſſte aber die ſache dem HErren befehlen/ der allein die hertzen in ſeinen haͤnden
hat/ wie ich dennoch fuͤr ihm zu beten nicht unterlaſſen werde. Segnet der HErr
aber
[559]ARTIC. I. DISTINCT. IV. SECTIO X.
aber dieſe meine ernte/ ſo will ihm ſo viel freudiger fuͤr dieſe ſeine gnade preiſen. Der
HERR HEGR als deſſen alle ſeelen ſind/ erfuͤlle ihn mit der gnade ſeines Gei-
ſtes/ daß er in ſeinem liechte erkenne/ was zu ſeinem frieden dienet/ und ſeinem rath
platz gebe. Er wende nach ſeinen heiligen willen bald die plage wieder von ihren
graͤntzen weg/ laſſe ſie aber vorher ſeine heilige abſicht bey ihnen allen erreichen/
(weil ja dieſe immer auff die befoͤrderung ſeiner ehre und der ſeelen heil gehet) er er-
freue ſie wider mit aller art ſegens: ſteure auch dem Wuͤrgengel daß er nicht im-
mer weiter und weiter um ſich greiffe/ oder wo ja ſein unhintertreiblicher rath ein-
anders beſchloſſen hat/ nehmlich daß er auch biß an uns und noch weitergelangen ſol-
te/ ſo gebe er bußfertig ſeinen willen zu erkennen/ und denſelben zu gehorſamen.
Sonderlich erhalte er meinen geliebten ſamt den ſeinen maͤchtiglich/ auch eben da-
zu/ damit er hinkuͤnfftig ſeine wahrheit deſto kraͤfftiger ſelbſten bekennen/ ausbrei-
ten und verkuͤndigen/ damit aber in ſeiner gnade die gegebene aͤrgernuͤß auffheben
und erſetzen/ alſo ſothaner friſt zu ſolchen guten zweck ſich nuͤtzlich gebrauchen moͤch-
te.


Solte er aber allerdings beſchloſſen haben/ (wie wir dann voran
in ſeinen rath nicht einſehen koͤnnen) ihn von hier abzufordern/ ſo bereite er alſo ſei-
ne ſeele in wahrer buß/ und reinige ſie mit dem blute des unbefleckten lammes in le-
bendigen glauben/ daß ſie in jene herrlichkeit eingehe/ und wir (als der ich auch
nicht weis/ wie lang oder kurtz der HERR mich hie laſſen will) einander vor den
ſtuhl des Allerhoͤchſten mit freuden antreffen/ und der jenigen freude genieſſen/ da
wir nicht anders als in ſeinem liecht und von ihm ſelbſt durch ſeinem geiſt aus dem
[w]ort gelehret erkennen moͤgen. Hiemit der guͤtigen Vatershand in dem himmel
empfehlende bezeuge nochmahl zu ſeyn u. ſ. f. den 7. Sept. 1682.


P. S.


  • Jſt auch biß daher gedacht worden an das aͤrgernuͤß in dem ſtreit mit dem Herrn
    Rectore Hildebrand? Welchen ich zwar nicht kenne noch in correſpon-
    denz
    ſtehe/ aber weiß daß ſich Chriſtliche hertzen ſehr an ſolchen handel ge-
    ſtoſſen haben. Der HERR ruͤhre unſere gewiſſen in Goͤttlicher reue.

SECTIO X.


Was bey den allgemeinen verderben zur beſſerung
zuthun. Daß nicht bloß auff den ſtand der Obrig-
keit zu warten. Die klage komt ſonderlich
auch auff die ſchuld der Pre-
diger.


Jch
[560]Das ſechſte Capitel.

JCh habe das neuliche wohl erhalten/ und mich von hertzen zu erfreuen auffs
neue eines ſolchen mannes liebe und freundſchafft verſichert zu werden/ deſ-
ſen redliche intention und einſtimmiges verlangen nach beſſerung der kir-
chen aus demſelben mir ſtarck einleuchtet: Wo ich darinnen geſehen die ſehnliche
klage uͤber die uͤberhand genommene verderbnuͤß/ und bemerckung der urſachen/
welche dieſelbe noch immer befoͤrdern: ſolche aber recht in dem liecht des Geiſtes
einzuſehen/ und um die beſſerung bekuͤmmert zu ſeyn/ iſt faſt das jenige/ daran wir
dieſelbige am beſten erkennen moͤgen/ welchen es um das werck des HERRN ein
ernſt iſt.


Es bemercket mein werther bruder gar wol eine ſtarcke hindernuͤß/ wo nem-
lich Moſes den Araron nicht unter die arme greifft/ ſondern wol gar denſelben mit
fleiß hindert. Jch bekenne es auch/ und beklage es von hertzen/ ſehe auch die ſa-
che an/ als eine hindernuß/ daß nicht leicht jemal/ oder doch ſehr langſam/ eine ſolche
reformation zu erwarten ſeye/ die ſolenniter und mit groſſen apparat geſchehe/
als worinnen Moſes mit ſeiner von GOTT habender macht wohl das allermeiſte
thun muͤſſte/ weil vieles in euſſerlichen oͤffendlichen anſtalten beſtehen ſolte/ welche
ohne obrigkeit liche macht nicht angeordnet werden koͤnnen. Deßwegen vielmehr
davor gehalten habe/ daß wir auff eine andere art der reformation anfangs zu
reflectiren haͤtten/ worinnen wir keiner euſſerlichen gewalt oder Obrigkeitlicher
autoritaͤt bedoͤrffen/ ſondern allein trachten moͤchten/ durch ſorgfaͤltigen fleiß un-
ſers amts und allein vermittels des Goͤttlichen worts an den jenige/ welche ohne das
zu dem guten willig ſind/ und keines zwangs noͤthig haben/ dahin zu arbeiten/ daß
wir rechtſchaffene Chriſten/ und ſolten es nur ein und andere in jeglicher gemeinde
ſeyn/ machen und zu wegen bringen koͤnten/ durch dero exempel und vorgang ande-
re allgemach auch be wogen/ und unſer amt an ſolchen deſto fruchtbarer gemachet
werden moͤchte: wuͤrden derſelben abgemach an jedem ort eine zimliche anzahl/
ſo wuͤrde ſich von ſelbſten manches nachmahl ergeben/ was ſich jetzo nicht ausrichten
laͤſſet/ und dann moͤchte die Obrigkeit/ ihrer autoritaͤt zu coercirung und auch
allmaͤchlicher herbey bꝛingung dereꝛ ſonſten hartnaͤckigkeit anzuwenden leichter veꝛ-
moͤgend/ oder wo ſie nichts thun will/ ſolche boͤſe/ an denen wir nichts mehr auszuꝛich-
ten vermoͤgen/ weil unſer amt an ſich ſelbs keine gewalt hat/ ihrer boßheit uͤberlaſ-
werden: Nicht zwar ſie nicht weiter mehr zu erinnern dann dieſes muß bleiben/
ſondern daß wir endlich muͤſſen das jenige weitere/ ſo wir ſonſt hoffen moͤchten/
nachtruͤcklich geſchehn zu koͤnnen/ zu ruͤcklaſſen/ was nicht in unſeren haͤnden ſtehet/
zu verantwortung der jenigen/ die nicht ſo wohl dem predigamt als gantzer kirchen
das jenige vorenthalten/ was derſelben gebuͤhret. Jch hoffte aber/ wo wir erſt-
lich/ ſonderlich jedes orts alle die in ſolchem heiligen amt ſtehen mit zuſammen ge-
ſetzter hand/ eiffer und fleiß/ das unſrige in oben angezeigtem thun wuͤrden/ ſo wuͤr-
de vielleicht die Obrigkeit auch ſich geben/ oder GOTT vielmehr derſelben hertzen
an-
[561]ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECTIO X.
anders lencken. Wie ich dann/ wo ich an der Obrigkeit meiſter orten nachlaͤßig-
keit in dem guten/ oder gar widerſetzlichkeit/ gedencke/ davor halte/ urſach zu haben/
nicht ſo wohl gegen dieſelbe mich zu ereiffern als mitleyden mit ihnen zuhaben/ und
zu glauben/ der HERR gebe uns groſſentheils ſolche Obrigkeiten/ wie wir derſel-
ben werth ſind: Daher wo die uͤbrigen beyde ſtaͤnde ſich alſo anſchickten/ wie ſichs
gebuͤhret/ ſo wuͤrden ſie auch Obrigkeiten nach dem hertzen GOTTes er-
halten/ die ſie jetzt offt in dem zorn GOTTES bekommen. Daher
ich davor achte/ daß wir zwar auch nicht unterlaſſen muͤſſen/ vor die Obrig-
keit eiffrig zu beten (wie ſie es deſto mehr bedarff/ als eben ſo wohl ihr ſtand ver-
dorben iſt) ſo dann mit vermahnungen und beſtraffungen an ihnen nach dem ge-
wiſſen zu aꝛbeiten/ auff daß wirs auch in dieſem ſtuͤck nicht an uns ermangelen laſſen:
aber wir haben auff dieſelben nicht zu waꝛten/ ſondern in deſſen deſto ſoꝛgfaͤltiger an
den andern das jenige zu thun/ was wir noch thun koͤnnen/ und mit mehrer muͤhe zu
arbeiten zu dem zweck/ welcher mit befoͤrderung der Obrigkeit leichter und mit we-
niger arbeit zu erhalten waͤre; Dieſes erfordert die klugheit unſerer zeiten/ und
wird ſonſten die entſchuldigung der ermanglenden huͤlffe der Obrigkeit uns nicht ge-
nugſam vor GOttes gericht ſchuͤtzen/ wo wir nicht dabeneben das unſrige nach ſol-
cheꝛ zeiten bewandnuͤß zu thun nus befleißigen. Neben ſolchem bemercktem man-
gel von ſeiten der Obrigkeit/ bemercke ich billich dabey den anderen nicht weniger
gefaͤhrlichen mangel von ſeiten unſer ſelbs: maſſen wiederum das verderbnuͤß bey
uns ſelbs wohl ſo groß als in andern ſtaͤnden iſt. Dahero es geſchiehet/ wo wir mit
rechtem ernſt die ſache GOttes angreiffen wollen/ daß wir gemeiniglich eben ſo viel
hindernuͤß von denen/ die unſers ordens ſind/ erfahren werden/ als wir faſt von der
Obrigkeit leiden.


Einige die in unſerem ſtande ſind/ ſind faul und gehen gerne muͤßig/ die
laſſen ſich nicht leicht zu anderer arbeit anſtrengen/ als was ſo zu reden ausdruͤcklich
in dem beſtallungs brieff ſtehet/ damit man ſeine beſoldung verdienen muͤſſe/ daher
entziehen ſie ſich/ oder aus ſorge/ daß ihr unfleiß durch andere beſchaͤmet muͤſſe wer-
den/ hindern ſie wohl das jenige/ was andere gern thaͤten/ ſuchen es verdaͤchtig zu
machen/ zu laͤſtern oder ſonſt allerhand in wege zu werffen. Viele verſtehen ſelbſt
den weg des HERRN nicht gruͤndlich/ andere ſtecken ſonſten in der welt biß uͤber
die ohren/ in geitz/ ehrgeitz/ freſſen und ſauffen/ wolluͤſtigkeit und dergleichen/ wel-
cherley leute allemahl nicht nur vor ihre perſonen zu dem wercke des HERREN
etwas rechtſchaffenes auszurichten untuͤchtig ſind/ ſondern daß gantze miniſte-
rium
beſchimpffen/ und der uͤbrigen arbeit und frucht ſehr bey der gemeinde ſchla-
gen: Gemeiniglich aber nicht anders koͤnnen/ als andere beſſer und eyffrig geſin-
nete/ weil natuͤrlicher weiſe nichts anders als gleiches ſich unter einander liebet/ of-
fentlich oder heimlich zu haſſen/ ſich entweder/ wo ſie die gewalt wiſſen/ offentlich
widerſetzen/ oder mit allerhand practicen jene aus dem credit bringen/ und ſich
alſo dem teuffel zu werckzeugen in ſtoͤrung des guten dargeben. An welches al-
B b b bles
[562]Das ſechſte Capitel.
les/ als deſſen exempel mir genug bekant/ auch mein werther bruder ohn zweiffel
ſelbs dergleichen mehrmahl wird geſehen haben/ ich nicht ohne hertzliche wehmuth
gedencken kan: Sondern offters ſorgen muß/ wir liegen unter ſchwehrerem
Goͤttlichem gericht als wir glauben; in dem ſo zu reden allem gutem die thuͤr muß
verſperret werden/ damit vollends das ſuͤnden maß erfuͤllet/ und dem uͤbrigem ge-
richt das thor voͤllig geoͤffnet werde. Jndeſſen muͤſſen wir die haͤnde nicht ſincken
laſſen/ ſondern deſto eiffriger zu dem HERRN tag und nacht ſeufftzen/ deſto feſter
alle/ die es redlich meinen uns in einer einigkeit des Geiſtes zu gemeinem treiben des
guten verbinden/ und in dem glauben auff des HERRN wort fort zu fahren/ thun/
was unſere hand findet/ ihn endlich den letzten ausgang empfehlende/ der gewiſſen
verſicherung/ auch unſer hertzlicher wille und conatus werde mit Davids wohl in-
tendir
tem/ aber von dem HERRN ſelbſt abgeleinten/ tempel-bau/ GOTT
angenehm/ und zu ſeiner zeit nicht ohne frucht ſeyen.


Ach der HERR ſtaͤrcke uns in ſolchem glauben/ und gebe zu pflantzen und
begieſſen ſo viel gedeyen/ als ſeinem gnaͤdigen rath gemaͤß! Jch verſichere mich
es werde auch dieſe meine wehmuͤthige klage nicht uͤbel genommen werden/ als wo
zu mich das liebe ſchreiben veranlaſſet/ und gleichſam freundlich ausgelocket hat/ in
dem aus demſelben auch ſeine Chriſtliche erkantnuͤß des zuſtandes unſerer zeit
und hertzlichem vergnuͤgen eingeſehen zu haben nicht zweiffle/ und deſto getroſter
zu reden kein bedenckens gefunden habe. 11. Oct. 1682.


SECTIO XI.


Bedencken uͤber einenCommentarium apoca-
Iypticum.


MEil mein weniges judicium daruͤber verlangt worden/ ſo gebe daſſelbe
gantz offenhertzig und mit derjenigen freyheit/ ſo mir dero bißheriges gegen
mich bezeugtes vertrauen gemacht hat. Jch finde in dem gantzen werck eine
ſtatliche erudition/ daß unter anderen commentatoribus es nicht eben viele
dieſem mann werden vorthun: ſo iſt nicht weniger ein ſcharffes judicium bey dem
autore/ und neben der Philologia und illuſtration der locorum aus der anti-
qui
taͤt eine ſehr ingenioſa application der propheceyungen auff ſeinen jedesmahl
vorgeſetzten ſcopum: daß er mich meiſtens an den unvergleichlichen Grotium
deſſen er ſich auch offtmahls und vielleicht allzu offt gebraucht hat/ gemahnet. Wie
ich aber an ſolchem werck ein exempel habe/ wie eine mit dem text doch in den grund
nicht uͤbereinkommende meinung durch einen ſcharffſinnigen und gelehrten mann
ſo ſpecioſe dannoch behauptet werden koͤnne/ alſo leugne nicht/ daß ich mit der gan-
tzen explication faſt kaum in einigem einig ſeyn kan/ ſonder davor halte/ ob ſie wohl
von dem autore pro vera, oder doch veræ proxima, ausgegeben wird/ ſeyen
doch
[563]ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECTIO XI.
doch wenige interpretationes, auffs wenigſte der unſerigen/ und der Reformir-
ten/ ja auch unterſchiedliche der Paͤpſtiſchen/ die was die wahrheit der explication
ſelbs anlangt/ dieſer nicht ſolten vorzuziehen ſeyn.


Es ziehet dieſer commentarius die gantze apocalypſin biß in das 20. capitel
faſt allein in die vierthalb erſte ſecula: Warum ſolte aber der heilige Geiſt in
ſolcher zeit die viel geringere eventus, wie die explication der ſiegel poſaunen und
ſchaalen lautet/ ſo fleißig auffnotiret/ und die viel notabler in der policey und
reich der folgenden zeit biß auff uns gar nicht oder faſt nicht beruͤhret haben? Da
doch dieß buch die ſeriem aller kuͤnfftigen dinge biß auff die zukunfft des HERRen
uns vorſtellen ſollen/ wie unterſchiedliches ſolches zeigen mag.


Sonderlich aber hielte ich gar nicht rathſam/ daß das werck/ vornehmlich zu
jetziger zeit durch den truck zu publiciren waͤre/ vielmehr glaubte/ daß es unſerer
kirchen nicht wenig ſchaden thun ſolte. Es iſt bekant/ wie viele loca wir aus der
Offenbahrung bißher gegen das Roͤmiſche Papſtum angefuͤhret haben/ die mich
ſelbs in meinen gewiſſen ſo ſtarck als einige andere haben bewegt und noch bewe-
gen. Solte nun dieſes buch herausgehen/ ſo uns faſt auff gleiche art (nicht ratio-
ne
der particular anwendungen/ ſondern gleichſam des hauptwercks als Alcazar,
der auch allein mit den zeiten Conſtantini das meiſte geendet/ und auff ſolche fe-
lici
taͤt der kirchen/ zwar bey ihm mit zuſatz der hoheit der Roͤmiſchen kirchen) geſche-
hen zu ſeyn davor gehalten/ unſer gantze ſach/ die wir daraus hernehmen/ uͤber-
hauffen werffen will (wie ſie dannn ligt/ wo jene explication richtig iſt) ſo wuͤrden
die widerſacher ſtattlich gloriiren/ nicht nur da ſie uns ſo viel waffen gegen ſich ent-
riſſen ſehen/ ſondern gelegenheit haͤtten/ uns trefflich damit anzugreiffen/ daß wir
aus dieſem buch ſie unſchuldig gelaͤſtert haͤtten: Da wir doch ihnen nichts anders
bißher vorgehalten/ als was der heilige Geiſt von ihrem regiment laͤngſt vorge-
ſagt hat: Hingegen wuͤrden manche ſchwache der unſrigen ſehr irre gemacht
werden/ zu gedencken/ wie man mit uͤbelem verſtand der Apocalypſeos bißher
dem papſtum unrecht gethan/ ſo dieſer autor/ den man wohl ſiehet/ daß er von den
unſrigen ſeyn muß/ durch ſeine gelehrte interpretation zeige/ ſo moͤge es nichts
gewiſſers ſeyn mit allem anderem/ worinnen man den Papſt angreifft. Daß ich
alſo davor halte/ es ſolte da dergleichen der autor, nimmer intendiret/ dannoch aus
ſolchem buch ein und ander zu einem abfall zimlich vorbereitet oder doch mit ſtar-
cken ſcrupulen eingenommen werden. Daß alſo unſerer kirchen auffs wenigſte
ein ſtarckes præjudiz gemacht wuͤrde/ ſo ihr ſonderlich in gegenwaͤrtigen conjun-
ctu
ren und zu unſerer zeit deſto gefaͤhrlicher waͤre. Hielte alſo beſſer zu ſeyn/ daß
es als ein ingenioſes ſcriptum/ wie dann auch in einer irrigen meinung viel kunſt
und ingenium gezeiget werden kan/ in bibliotheca privata auffgehalten/ oder
in eine illuſtrem deponiret/ aber nicht publiciret wuͤrde: ſonderlich weil dem
werck nicht etwa mit einiger aͤnderung geholffen werden kan/ ſondern die gantze
B b b b 2aus-
[564]Das ſechſte Capitel.
austheilung der weiſſagungen in ihre zeiten iſt das jenige/ was unſerer ſach gegen
die Papiſten ſchnur ſtracks entgegen ſtehet: Da man ſonſten/ wo es nur einige
particulares applicationes dieſer viſionum (wo auch die unſrige ſelbs ſehr dif-
ferent
ſind/ die doch in den hauptwerck einſtimmen) angienge/ ſolche entmeder to-
leri
ren oder aͤndern koͤnte. Aber hie muß entweder alles ſtehen (und damit den
Roͤmiſchen ein ſieg gegoͤnnet werden) oder es faͤllet auch alles mit einander um.
Jch hoffe Ew. Excell. werden mir dieſes mein bedencken/ ſo ſie von mir erfordert/
uñ mir alſo daſſelbe mit einet parrheſia zu thun ſelbs anleitung gegeben haben/ nicht
in uͤblen auffnehmen/ ſondern meinem candori und ſorge vor das beſte unſerer
kirchen hochvernuͤnfftig und guͤtig zuſchreiben: Ja verſichere mich deſſen ſo
viel gewiſſer/ weil ich dero eigenem eiffer vor unſere wahrheit kenne/ daß ſie auch un-
wiſſend einiges unſerer kirchen hinderliches nicht wuͤrden befoͤrdern wollen. 18. Oct.
1682.


SECTIO XII.


EinSuperintendensmit mir nicht zufrieden.
Gefahr deren/ die das gemeine verderben erkennen/
nicht auff andere irrwege zu gerathen. Ar-
muth Chriſti.


DAß der bedeutete Superintendens nicht gar wohl mit mir zu frieden ſeye/
habe auch anderwertlich her gehoͤret. Der HERR erfuͤlle und regiere ihn
nur alſo mit ſeinem Geiſt/ daß/ er mag nun gegen mich geſinnet ſeyn wie er
will/ dannoch die Chriſtliche kirche und das anbefohlene amt vielen nutzen von ihm
habe/ ſo iſts ſchon gut.


Es moͤgen leute die ſcharff ſehen/ vieles an mir wahrnehmen/ was ſie
eckelen kan/ wie ich manchmahl ſelbs unterſchiedliches an mir gewahr werde/ ſo kan
ich dennoch es niemand vor uͤbel halten/ der nicht das beſte von mir urtheilet: Nur
wuͤnſche ich/ daß alle die wahrheit/ die ich treibe (ob ſie es wohl von mir nicht glau-
ben) in ihren ehren behalten/ und mit noch mehrerem eiffer treiben: ſo will gern
allen weichen/ die der HERR mehr begabet und hoͤher geſetzet hat/ und ſie ihm
auffrichtiger dienen. Daß immer ihrer mehr gefunden werden/ denen das Chri-
ſteuthum des gemeinen hauffens verdaͤchtig vorkomme/ iſt mir ſehr lieb. Der
HERR erleuchte mehrere augen/ die es noch nicht ſehen/ ſondern in der finſter-
nuͤß gehen/ damit ſie nachmahl nach dem wahren weſen trachten/ wann ſie finden/
daß ſie ſo vieles deſſen falſch und unnuͤtz geweſen/ darauff ſie ſich einig verlaſſen ha-
ben: GOTT wolle aber ſolche liebe leute/ die den ungrund des gemeinerem maul
Chriſtenthums einzuſehen anfangen/ auch genaͤdiglich bewahren/ daß ſie in ihren
ſchran-
[565]ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECTIO XII.
ſchrancken bleiben/ und von dem heiligen Geiſt auff richtigem weg ſich fuͤhren laſ-
ſen. Wie es dann in ſolchem ſtand noch groſſe gefahr giebet/ daß man nicht von
etwas ſchlimmes in irrthum auff etwas noch ſchlimmeres verfalle/ wie ſo viel trau-
rige exempel derjenigen zeigen/ welche von dem vorigen irrweg und von dem rechten
weg zugleich abgegangen/ und denen es deswegen beſſer geweſen waͤre/ in der erſten
ſinſternuͤß geblieben zu ſeyn.


Es gehoͤret gewißlich eine Goͤttliche weißheit und liecht des geiſtes dazu/ das
mittel recht zutreffen/ unter der fleiſchlichen ſicherheit der jenigen/ ſo ſich auff einen
mund-glauben verlaſſen/ und derer einbildun/ die auff die weꝛckheiligkeit verfallen/
daß man die Evangeliſche glaubens gerechtigkeit wahrhafftig erkenne und erlange/
alſo auch unter dem todten buchſtaben werck/ derer die von dem Geiſt nichts wiſſen
wollen/ und der eingebildeten erleuchtung verfuͤhrter leute die auſſer GOttes wort
ihnen von lauter geiſt traͤumen laſſen/ damit man an dem wort feſt halte/ aber des
heiligen Geiſtes krafft in demſelben ſuche und finde. Wie viele hingegen fehlen
dieſes mittels/ und fallen von einer ſeite auff die andere zu ihrem und anderer ſeelen
ſchaden? Jch ſehe ſolche exempel/ die ich ſelbs erfahren/ mit betruͤbnuͤß an/ erkenne
daraus die gefaͤhrlichkeit unſerer zeiten/ und liſt des ſich auff unterſchiedliche art
verſtellenden teuffels/ und ſeufftze ſtets: Heilige uns in deiner wahrheit/ dein wort
iſt die wahrheit.


Jn uͤbrigen weil ich weiß/ daß mein geliebter freund von lange mit N.N. be-
kant geweſen/ und ihn etwa genauer erkant haben mag als ich/ ſo bitte/ mir in ver-
trauen etwa part zu geben/ ſonderlich was es mit der vorhabenden armuth CHri-
ſti bey ihm vor eine bewandnuͤß habe. Armen CHRJSTJ liebe zu erzei-
gen ſind wir alle verbunden/ da wir einige wiſſen/ ja wir haben ſie billich
zu ſuchen: ob aber alles die ar[m]ɯuth CHRJSTJ zu achten ſeye/ da einige
bloß und mit unterlaſſung muͤglicher arbeit von anderer gutthaͤtigkeit leben/ und
daſſelbe/ vor das leben CHRJSTJ halten wolten/ ſtehe ich ſehr an/ ja kan es
nicht begreiffen. Jch urtheile nicht gern/ doch wolte ich auch nicht gern thaͤtlich ei-
nige ſolche mißbraͤuche ſtaͤrcken und billichen. 20. Jan. 1683.


B b b b 3SECT.
[566]Das ſechſte Capitel.

SECTIO XIII.


An Georg Conrad Dilfelden letzte antwort
und erinnerung. Faſt allgemeine
approbation
der GOTTEGgelehrt-
heit.


MJch hat hertzlich erfreuet/ daß mein hochgeehrter Herr bekennet/ er ha-
be in dieſer zeit und noth (NB.Es war damal die Peſt in Nordhau-
ſen/ und
grasſirtedaſelbs) mehr Theologiæ practicæ gelernet/ als
vormahl auff hohen ſchulen und ſonſten aus hochgelahrten Schrifften/ auch da-
vor GOTT danck ſaget. Ach der HErr gebe uns immer mehr und mehr die-
ſe warheit gruͤndlich in unſern hertzen zu erkeñen/ daß alſo ohne die buchſtaͤbliche er-
kaͤntnuͤß/ die freylich der andern grund/ und ihꝛ nicht bloß entgegen zu ſetzen iſt/ und
um welcher willen ſo Univerſitæten als gute buͤcher billich in wehrt zu halten ſind/
noch etwas mehr erfordert werde/ ein rechtſchaffener Theologus zu werden/ der
ſeine Theologiam nicht nur in dem hirn und gedancken ſondern in dem hertzen
habe. Wohin freylich neben gebet und meditation auch die tentatio und al-
lerhand aͤuſſerlich und innerliche leiden und anfechtung ein vortreffliches/ und von
GOTT ſonderlich geſegnetes mittel ſind.


Hingegen hat mich auch in dem brieff dieſes betruͤbet/ daß ich faſt ſorgen
muß/ mit meinem vorigen den gehabten zweck/ welcher geweſen/ ſein hertz zur er-
kaͤntnuͤß des gethanen unrechts zubewegen/ nicht erlangt zu haben. Weil es aus
dieſem ſcheinet/ man erkenne es noch wenig und ſuche nur beſchoͤnungen/ welches
aber vor GOTT wenig gnade bringet. Aus was gemuͤth der oͤffentliche an-
griff geſchehen/ habe ich nicht das urtheil zu ſprechen/ als der in die hertzen nicht ſe-
hen kan; wo man aber ſo viel/ als menſchen aus den umſtaͤnden und fruͤchten ſehen
moͤgen/ erweget/ wird ſich gewißlich kein reiner eyffer vor die reine Evangeliſche
warheit zeigen/ ſondern vielmehr dergleichen/ was nach fleiſchlichen affecten rie-
chet.


Daß in der ſache ſelbs mir und meinem geliebten ſchwager in ſolcher offent-
lichen anklage vor der gantzen kirchen zu viel und unrecht geſchehen/ halte mich ver-
ſichert/ daß es vor augen liege/ und ich nun wol einen couſenſum univerſalem
vor mich haben mag: Als der ich auffs wenigſte noch nicht einigen gehoͤret/ der
nicht mit meinem ſcripto zu frieden geweſen/ viele aber weiß/ die daraus alle
vor
[567]ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECTIO XIII.
vorhin von mir aus allerhand calumnien gefaſte verdaͤchte haben fallen laſſen/ uñ
meine freundſchafft darnach geſucht.


Daß aber auch widrige affecten und begierde mir und meinem ſchwager
zu ſchaden in dem hertzen geweſen/ ſorge ich/ ſeyen nur allzuklare zeugnuͤſſen. Es
beweiſen es die hin und wieder in dem ſcripto ſelbs befindliche ſtachelreden/ und
anzihungen ſolcher dinge/ die zu der ſache nichts dieneten/ ſondern nur der perſon
ſchaden moͤchten. So weiß ich/ und habe communication davon/ daß derſelbe
an einem benachbarten ort ſich erkundiget/ und zuwiſſen begehrt/ ob meine Herrn
Collegen mit mir eins/ oder welche es nicht mit mir hielten/ um alsdann mit den-
ſelben ſich in correſpondenz einzulaſſen/ und alſo mir in der ſtatt ſelbs ſuchen bey
zukommen.


Welches gewiß eine ſache iſt/ ſo einen ſtarcken widerwillen u. begierde zu ſchaden
zeiget: Zu geſchweigen anderes/ was ſonſten hin und wieder geſchrieben worden/ und
ich part davon bekommen; Jndem es GOtt ſo gnaͤdiglich gefuͤget/ daß mir nicht
viel verborgen geblieben; Wie ich auch des ſeligen Herrn D. Muſæi an denſel-
ben gethanes antwott ſchreiben habe/ darin er ſich nicht von der von mir behaupte-
ten Theſi abziehen laͤſſet. Welches alles nicht dazu anziehe/ daß ſolches nicht
von hertzen vergebe/ ſondern/ daß wohl ſehnlich verlangte/ daß es eben ſo wol hertz-
lich erkant wuͤrde; damit ihm meine vergebung auch vor GOTT zu ſtatten kom-
men moͤchte. Weil abeꝛ alles nur entſchuldiget/ oder gar juſtificiret werden
will/ ſo betruͤbt es mich hertzlich/ um ſein ſelbs willen/ um den miꝛs bloß nunmehr zu
iſt/ nachdem meine unſchuld offentlich genug gerettet. Das aͤrgernuͤß wo ein
lehrer in der kirchen einen andern lehrer aus nichtigem verdacht/ ſo vielmehr wo gar
aus fleiſchlichen abſichten/ offentlich angegriffen/ und irriger lehre beſchuldigt/ iſt
nicht per accidens, ſondern per ſe ein aͤrgernuͤß.


So redet Chriſtus Matth. X. 34. nicht von ſtreit/ welche die ſeinige anfan-
gen/ ſondern von andern erleiden werden muͤſſen. Durch ſchreiben unter uns uͤ-
ber ſolche ſtreit ſachen zu conferiren/ iſt mir nicht thunlich. Jch bedarff meine
zeit zu andern nuͤtzlichern dingen/ und habe aus dem erfolg auf die erſten meine
briefe geſehen/ wie mißlich es ſeye/ zu correſpondiren/ wo man auff anderes hin-
ziehlet/ wie ſich damal der ausgang gezeiget/ und mich darinnen kluͤger gemacht.
Jch habe meine ſache coram facie Eccleſiæ in meiner offentlichen antwort aus
gemacht/ und allen denen ſatisfaction gethan/ welchen es um die warheit auf-
richtig zuthun iſt. Jch habe hingegen auf die 70. brieffe/ die von tapfern gelehr-
ten und gottſeligen maͤnnern theils an mich/ einige aber an andere (ſo mir folglich
communication davon gethan) geſchrieben/ welche meine antwort mit ihrem
calculo, auch zu weilen allzugroſſen elogiis, bekraͤfftigen/ dero abnoͤtigende
pu-
[568]Das ſechſte Capitel.
publication aber meinem hochgeehrten Herrn wenig ehre und freude geben
wuͤrde.


Ach der HErr erfuͤlle ſein hertz auch hierinnen mit ſeiner gnade/ daß er ſich
nicht ſchaͤme/ das unrecht zu erkennen/ ſo er damahl (ob wohl nicht ohne anderer
mitanſtifftung/ von denen mir auch einiges wiſſend worden/ einige auch bereits
von GOTT abgefordert ſind) gegen mir und meine lehr gethan/ und ja mit be-
harrung darauff nicht fortgeſetzet werden ſolte. Deſſen guͤte erfuͤlle ihn auch ſon-
ſten mit allen noͤthigen der heiligung und amts-gaben und laſſe auch das ange[t]re-
tene jahr ſeine gnade uͤber ihn und ſeine gemeinde neu auffgehen. 1683. 27.
Jan.


SECTIO XIV.


Erinnerung an einen wegenedirtenSaty-
riſchen ſchrifften.


JCh habe deſſen beliebtes zurechter zeit wohl erhalten/ und mit freuden
daraus erſehen/ daß mein voriges nicht unangenehm geweſen. Jn deſſen
kan ich nicht leugnen/ und hoffe auch derſelbe werde es nicht verlangen/ daß
etwas verhaͤhle/ daß mir die mitgeſandte gedruckte unterredung und uͤbrige ſa-
chen betruͤbnuͤß gemacht. Jch weiß auf dieſe ſtunde von allen particularitaͤten/
wohin geſehen werde/ und was vorgegangen ſeye/ dadurch die anlaß gemachet o-
der gegeben worden nichtes aber die gedruckte ſachen ſelbſt/ weil ich ſie vor deſſelben
arbeit achte/ nachdem ſie mir geſand/ kommen mir ſo vor/ daß ich daruͤber ſeufftze.
Unſer Heyiand hat uns andeuten laſſen/ daß wir von jeglichen unnuͤtzen wort ſollen
rechenſchafft geben/ da doch ſolches etwa aus unbedacht oder uͤbereylung geſche-
hen mag.


Wie viel ſchwehrere rechnung muß es dann ſeyn/ der gleichen Satyriſche
und niemand nichts nutzende dinge mit bedacht drucken zulaſſen/ und damit ihm
ſelbs in dem aufſatz als anderen vielen/ die der gleichen leſen/ die edle zeit veꝛder-
ben? So weiß ich auch nicht/ ob ich dergleichen ſchreib-art anders anſehen moͤ-
ge/ als daß ſie mit durch das verbot Eph. 5/ 4. der narren theidung und unziem-
liche ſchertze/ den Chriſten verboten ſeynd. Uns die wir von GOTT zu wichti-
gen dingen geſetzet ſind/ und alſo nichts reden noch ſchreiben ſollen/ als was im
geiſtlichen oder leiblichen noth/ nuͤtzlich und erbaulich iſt/ will einmahl nicht ge-
ziehmen/ dergleichen dinge zu reden oder zu ſchreiben/ welche etwa ein und andere
Heyden ihrer gravitaͤt entgegen zu ſeyen geachtet haͤtten. Alſo auch wofern/ wie
faſt
[569]ARTIC. I. DISTINCT. IV. SECT. XIV.
faſt ſcheinen will/ meine hochgeehrte herren von jemand beleidiget oder be-
ſchimpffet zu dergleichen ſich bewegen laſſen/ ſo kan zwar von unbekandter ſache
nichts eigendliches urtheilen/ wohl aber insgemein ſagen/ das einzugefuͤgtes unrecht
entweder von der wichtigkeit nicht iſt (wo es nemlich uns nichts merckliches ſchadet/
oder an demjenigen dazu wir von Gott geſetzet ſind/ hindert) daß man ſich daruͤber
rege/ oder aber es lieget uns ein groſſes daran. Waͤre jenes/ ſo iſt ſo Chriſti als der
vernuͤnfftigen klugheit regeln gemaͤß/ dergleichen dinge zu verachten/ und uns zu gut
zuduͤncken/ als daß wir uns die ſache ſtarck annehmen/ gleich ob erkenneten wir uns
beleidiget: Waͤre aber das andere ſo hielte davor/ das andere ſo nachdruͤcklichere
als weniger anſtoͤßige mittel zu ergreiffen waͤren/ ſich gegen zufuͤgendes unrecht zu
ſchuͤtzen. Dieſe art moͤchte wol ſonſten auch gut meinende mehr ſtutzig machen/
und ihnen ungleiche gedancken bey bringen/ als denjenigen/ wider welchen ſie ge-
meinet waͤren/ ſonderlich wehe thun. Und begegnete uns nachmal aus veranlaſ-
ſung dergleichen dinge etwa widriges/ wuͤſte ich wenig troſt in einem ſolchen leyden/
und achtete daß wir uns ſelbs ſolches damit gemachet haͤtten. Da hingegen die
fleißige uͤbung der von Chriſto uns ſo hertzlich anbefohlenen ſanfftmuth/ gedult und
demuth uns ſo wol in dem gemuͤth/ eine wahre und mit vielen ſchaͤtzen nicht vertau-
ſchet zu werden wuͤrdige ruhe/ als auch in dem gemeinen leben dieſes ſchaffet/ daß
wir entweder weniger anſtoͤſſe von andern leyden doͤrffen/ oder doch davon keinen
ſchaden nehmen/ und in bloß unſchuldigen leyden einen ſtattlichen troſt haben: Da-
her ſolche reglen als ein der hoͤchſten goͤttlichen weißheit zu achten ſind. Wo alſo
MHHn. beklagte verfolgungen uñ widerwaͤrtigkeiten aus veranlaſſung dergleichen
dinge entſtanden ſolten ſeyen/ (davon mir alles nichts wiſſend/ ſondern nur eine ſorge
iſt/ die ich leicht fallen laſſe) wuͤrde es mir ſo viel leider ſeyen: in dem die ſonſten in
andern ſtuͤcken behaltene unſchuld/ dennoch mit der gleichen beginnen ſehr geſchwaͤ-
chet wuͤrde. Jch hoffe dieſe meine geiſtliche und gewiß aus liebe herkommende
erinnerung werde mit gleicher liebe angeſehen und auffgenommen/ ja auch damit
entſchuldiget werden/ da derſelbe zu anfang ſeines geliebten ſchreibens meldet/ daß er
ſchmeicheleyen feind ſeye/ daß mir dadurch die freyheit genommen/ gleiche art mei-
nes gemuͤths in der that zu zeigen/ wozu ohne das das gewiſſen verbindet. Wozu
noch kommet/ daß ein anders ſeye an einen guten freund/ ein anders von demſelben
ſchreiben: da in dieſem allemal liebreiche entſchuldigungen noͤthig/ in jenem beſſer
iſt/ ſein hertz auffrichtig auszuſchuͤtten/ und wo man etwas in demſelben/ das ihm
ſelbs hinderlich ſeyeu moͤchte/ warnimmet/ treulich erinnerung zuthun. Jch laſſe
es vor dieſes mal darbey bleiben/ ohn daß den himmliſchen vater hertzlich anruffe/
denſelben mit ſeinen H. Geiſt in allen ſtuͤcken zur erkantnuͤß ſeines willens zu regie-
ren/ und mit aller art erſprießlichen ſeegens in gnaden zu erfuͤllen. 20. April 1683.


C c c cSECTIO
[570]Das ſechſte Capitel.

SECTIO XV.


Als die Streitigkeiten zwiſchen Wittenberg und Helmſtaͤtt
wider ſchienen auffzuwachen. Trennung in unſer kirchen zu verhuͤ-
ten. Von Biſchoff von
Thina.Gefahr der Roͤmiſchenoffertenzur ver-
einigung.
Tractat,mittel die ketzer zu bekehren. Anderſcriptum
wieder das Papſthum. Meine arbeit widerD.Breving
immer unterbrochen.


WO nach gemachter hoffnung die ſtreitigkeiten zwiſchen den benachbaꝛten Uni-
verſitaͤten durch beyderſeits hohe obrigkeitliche inhibition ſopi[rt] werde blei-
ben/ halte ichs vor ein groſſes gluͤck unſer kirchen/ und iſt man ſo wol ſolcher ho-
her haͤupter als dero vornehmer miniſtror[um] ſo dazu behuͤlfflich/ treuer vorſorge uñ
Chriſtlicher klugheit hertzl. und hohen danck ſchuldig. Mich hat aber faſt erſchrecket/
daß neulich aus eines vornehmen manes brieffe die ſorge bekam/ ob wuͤrde daß allhieꝛ
ſup[p]rimirte buch anderwerthlich und gar unter unſern widerſachern (vielleicht
uns eben damit deſto weher zuthun/ und das pomum Eridos rechtſchaffen auszu-
werffen) wieder gedruckt: ſo ein groſſes elend ſeyn wuͤrde/ und ich an die traurige fol-
gen nicht ohne wehmuth gedencken kan. Das iſt gewiß/ daß der autor noch gantz
kuͤrtzlich ſelbs kein exemplar gehabt/ ſondern von einem/ bey dem er ſolches zu ſeyn
wußte deſſen communication oder doch es nur durch einen ſtu[di]oſum abſchreiben
zu laſſen/ gebeten/ ſo aber beſcheiden abgelehnet worden. Der HErr ſehe mit gnaden
unſere arme kirche an/ und gebe uns den H. Geiſt der liebe und des friedens/ auſſer
welchen auch die habende wahrheit der lehr keine fruͤchte bringen wuͤrde. Wir ſind
ohn das ein ſehr kleiner hauffe/ machen wir unter uns eine trennung/ ſo ſind wir bald
vollends dahin: q[ui]a ſemper gravior in pau[c]itare jactura eſt, wie jener ſagt.
Dieſes iſt dasjenige geweſen/ welches mich von der zeit an/ als ich nur etwas dieſe
dinge und den zuſtand unſerer kirchen einzuſehen angefangen/ am meiſten betruͤbt/
daß viel auch deren die es redlich gemeinet/ conſilia, auff ſolche dinge aus etwa uͤber-
eilten eiffer gegangen/ die eine ſolche trennung nothwendig nach ſich zie-
hen muͤßten: Da doch ſolches uͤbel eines der gefaͤhrlichſten iſt/ welche der kirchen be-
gegnen koͤnnen/ und ich auch die trennung in der Reformation nicht gnugſamen zu
rechtfertigen wuͤßte/ wo es nicht um ſo viele grundwahrheiten zuthun geweſen/ und
dieſe von Rom aus verdam̃t/ hingegen den unſrigen die gewiſſens-freyheit darinnen
abgeſchlagen worden. Wegen des Biſchoffs von Thina geſchaͤfft habe verlangt et-
was ſicheres zu wiſſen/ aber noch nichts vergnuͤglichers bekommen. Einige nennten
mir ihn/ daß er ein Spinola und nuncius Apoſto[l]icus waͤre/ von andern hoͤre/ daß
er ein Croat/ oder ein Jllyrier ſeye: Ein Paͤbſtiſcher groſſer Herr [r]ede[t]e mit mir nechſt-
mahl
[571]ARTIC. I. DISTINCT. SECT. XV.
mahl auch darvon/ aber wuſte doch auch den voͤlligen grund nicht: meldete nur dieſes
daß er ſeinen characterem nicht kundlich machte/ biß er hoͤrte/ ob die vorſchlaͤge
nicht gar abgeſchlagen wuͤrden/ ſondern zu einer conferenz gedeyen moͤchte/ als dañ
er ſeine macht genugſam vor zu zeigen haben ſolte/ die er ſonſten ohne ſeiner Principa-
len beſchimpffung nicht auff ein ungewiſſes hazardi[r]en doͤrffte. Aus Dreßden bekam
einige zeilen/ aber wurde bedeutet/ daß es ein mann waͤre/ dem es an noͤtigen qualitaͤ-
ten zu ſolchem werck al zu ſehr mangele. Jch leugne nicht/ daß ich dieſe [c]onatus von
Roͤmiſcher ſeiten/ wo man mine macht zu einer freundlichen vergleichung/ vor ge-
faͤhrlicher halte/ als alle deroſelben offenbahre gewalt: Wie wir dann dadurch
niemahls nichts beſtaͤndiges erhalten koͤnnen/ aber allezeit verliehren muͤßen. Was
wir eingehen/ wird uns voͤllig verbinden/ und allezeit gegentheil eine neue gewalt
geben: ſie aber/ ſo lang ſie die oberſte autori[t]aͤt der kirchen/ ſonderlich aber/ dar-
ein es ſich bey den meiſten reſolvirt, des Roͤmiſchen ſtuhls behaupten/ er-
halten in ſolchem per indirectum alles wiederum/ was ſie uns zugegeben zu haben
ſcheineten/ nicht nur/ da ſie allemahl nach gut befinden/ wiederum dasjenige zu revo-
ciren
macht behalten/ was ſie ſagen moͤgen/ daß ſie eine zeitlang um unſerer her-
tzen haͤrtigkeit willen/ nachgeben haͤtten muͤſſen; ſondern auch weil dieſer articul in-
diſpenſabel
bleibet/ daß die kirche in einem concilio œcumenìco, (wie ſie das
Trientiſche in glaubens ſachens davor erkennen) nicht irren moͤgen: Daher was
vor milderungen geſucht wuͤrden/ muß ich gleich wohl alle jenes decreta wahr zu
ſeyn erkennen/ und bleiben ſie die regel/ nach dero auch ſolche vergleiche interpretirt
werden muͤßten. Solte auch etwa/ ſonderlich das nachgeben der communion
unter beyden geſtalten/ unter laſſung der anruffung der Heiligen/ und dergleichen an-
erboten werden/ ſo haben wir abermahl wenig gewonnen/ in dem dieſe condition
daran haͤnget/ daß gleichwol die andere praxis Eccleſiæ recht und heilig ſeye; wel-
ches wo wir erkennen und bekennen muͤſſen/ ſo beſchuldigen wir uns eben damit
ſelbs einer ſtarcken halßſtarrigkeit/ daß wir uns ſolcher dinge entziehen/ die an ſich
gut und nuͤtzlich ſind/ und daß wir mit aͤrgernuͤß anderer etwas beſonders haben
wolten. Jndeſſen wo von Roͤmiſcher ſeiten ſie nur einige dergleichen offerten
thun/ gewinnen ſie alle zeit ſo viel/ daß wir mit ſchwehrerer invidia beladen werden/
als denen alle billigmaͤßige conditiones offerirt, aber niemahls angenommen
worden waͤren. Sonſten weiß ich nicht/ ob E. Excellenz zu handen kommen ein ge-
wiſſes aus dem Franzoͤſiſchen zu Nuͤrnberg ver irtes ſ[c]riptum unter dem namen:
ſichere und redliche mittel zu bekehrung aller ketzer/ und heilſamer
rath und anſchlaͤge zu
Reformationder kirchen. Auffs wenigſte hoffe ich/
E. Excell. werde ſich die muͤhe nicht reuen laſſen/ ſolches zu leſen. Es iſt der autor
entweder der ſo genanten Catholiſchen religion (kein Papiſt will er mit gewalt ſeyen/
als der den Papſt und Papſtum alles ungluͤcks anfang und fortſetzung haͤlt/) oder
wo es ein Reformirter iſt/ hat er ſeine perſon artig agirt/ er ſtraffet zwar
C c e c 2an
[572]Das ſechſte Capitel.
an uns/ daß wir nicht nur von dem Papſthum/ ſondern auch der Catholiſchen kirchen
ſelbſt/ abgewichen ſeyen/ er thut uns aber mit allem/ was gegen uns darinnen iſt/
wenig ſchaden; hingegen animir[e]t er die Potentaten/ ſonderlich ſeinen koͤnig/ als zu ei-
nem gantz glo[ri]oſen wercken den Paſt und Papſthum (dahin auch die Cardinaͤle
gehoͤren) abzuſchaffen/ oder doch in ihr Rom zu verweiſen/ und diejenige macht die
GOTT ihnen zum beſten ſener kirche gegeben/ treulich zugebrauchen/ durch die
Biſchoͤffe das geiſtliche verwalten zu laſſen/ und ſich und ihre lande von der er-
ſchrecklichen tyranney des Papſt zu befreyen. Jch habe nicht ſo bald ſo hart von
dem Pabſt ſprechen hoͤren/ als dieſer mann thut/ daß er auch dahin kommt/ zu
behaupten/ wo der Papſt (wie von den itzigen geſagt wuͤrde) gutes thue/ das thue er
nicht als Papſt/ ſondern als ein menſch/ in dem er nicht eben/ alle menſchliche na-
tur verliehre/ aber als Papſt koͤnne er in dergleichen einer angemaſten/ in goͤtt-
lichem wort und der alten kirchen nicht gegruͤndeten/ der kirchen und Policey hoͤchſt
ſchaͤdlichen gewalt-gebrauch nicht anders als boͤſes thun. Jn ſumma/ es iſt ein
ſcriptum ſo Rom ziemlich wehe thun mag/ und wo es einigen klugen und nicht all
zu pfaͤffiſchen herren ſolte zu geſicht kommen/ auch dieſelbe die zeit goͤnneten/ es zu le-
ſen/ hoffte ich/ es moͤchte ihnen ziemlich viel da von einleuchten/ und die augen in ge-
wiſſen dingen/ oͤffnen/ daran man ſich biß daher gefoͤrchtet zu gedencken. Der Com-
mentuͤr zu Nuͤrnberg forderte derowegen von der ſtatt die confiſcation des [ſ]cripti,
es wurde aber ſolches begehren decli[nirt.] Jm uͤbrigen iſt in hieſiger gegend ein an-
der ſcriptum ſo hiebey mit folget/ gedruckt worden/ ſo ſonderlich ad cap[t]um
auch den einfaͤltigen die Paͤpſtiſche irthum ziemlich gruͤndlich vorgeſtellt: ſonderlich
aber ex Ep. ad T[it]. die materien von der Roͤmiſchen kirchen/ und dem Anti Chriſt al-
ſo tr[a]ct[i]ret/ daß etwa ſo kurtz es/ nicht viel beſſer gefaſt werden moͤchte: Herr D.
Breving hat es alſo angeſehen/ ob haͤtte ichs gemacht/ da doch wer meines ſty[li] kuͤn-
dig/ erkennen wird/ daß nicht ein blat mein iſt: hat ſich gleich verlauten laſſen/
daß er doch ſolches an den Keyſerlichen hoff gelangen laſſen und geklagt/ als uͤber ein
ihrer religion injurio[ſ]es ſcriptum. Jn meiner arbeit gegen ihn ſind nun 5. wochen
vergangen/ daß nicht eine feder anzuſetzen vermocht/ ſondern erſt vorgeſtern wieder
angefangen habe: ſtehe in dem vierten capitel/ wo ich trachte mit mehreren fleiß und
gruͤndlicher unterſuchung alles deſſen/ was dahin gehoͤret/ die materi aus zu fuͤhren/
wie die goͤttliche gebot zu halten moͤglich oder unmoͤglich ſeyen/ damit ſo dan der wie-
derſacher pralen/ da ſie unſere Theſin von der unmoͤglichkeit ohne ausſuͤhrung bloß
dahin geſetzet/ ſtattlich zu ihrem vortheil und unſerer beſchwerung zu mißbrauchen
pflegen/ gewehret/ und doch die wahrheit ſolcher unſerer recht verſtandener lehre ge-
gen ſie dargethan werde. Weswegen ich in ſolchen capitel mich mehr bemuͤhe/ und
auch die an[ti]quit[aͤt] und dero zeugniſſen an zu fuͤhren nicht vergeſſe. Jch ſolte eine
hertzliche freude haben/ wo ich uͤber einer ſolchen materie zu weilen nur einige woche
oder etzliche tage unausſetzlich bleiben koͤnnte/ da man ſo viel beſſer arbeiten kan/ wo
man
[573]ARTIC. I. DISTINCT. IV. SECT. XVI.
man in einerley gedancken bleibet: aber ich bin meiner zeit nie maͤchtig/ und kan nicht
nach belieben nur uͤber etliche ſtunden diſponiren, ſondern muß mich mit den in-
terruptis ſtudiis
vergnuͤgen. 1683.


SECTIO XVI.


Als ſich in Franckfurt einige von der gemeinde undcom-
munion
abſondern wolten. Gefahr und ſchaden des beginnens.
Bitte an einem Chriſtlichen prediger/ die leute mit
helffen zurechte zubringen.


WAß die uͤbrige materie des brieffs betrifft/ wie ſie von betruͤbten dingen mei-
ſtens handlet/ ſo hat ſie nicht anders als meine betruͤbnis mehr unterhalten
als lindern koͤnnen. Jch bin nicht in abrede/ daß das hie entſtandene aͤrger-
nuͤß eine frucht ſeye/ der nicht recht eingerichteten kirchen verfaſſung. Aber mein
werther bruder/ ſo hertzlich eine beſſere verlangte/ und wo ſich eine hoffnung dazu
erreignete/ gern nach allen kraͤfften dahin mit arbeiten wolle/ ja mich gluͤcklich ſchaͤ-
tzen wuͤrde/ in einer ſolchen verſammlung zuſtehen (wie dann der HErr mein hertz
kennet/ daß ich an dem eingebildeten und ſelbſt-genom̃enen mehrere gewalt des pre-
digamts kein gefallen habe/ noch mich deſſen/ daß ich in ſolches geſetzet/ bey mir uͤber-
hebe) ſo wenig kan ich hin und wieder ohn euſſerſten kummer anſehen/ daß der dritte
ſtand/ unerwartet der goͤttlichen huͤlffe ihm ſelbs helffen wolle/ und damit nur eine aͤr-
gere und noch viel boͤſe conſequen[t]ien nach ſich ziehende zerruͤttungen anrichtet.
Wo gleichwol unter beyden uͤbelen es endlich leydenlicher waͤre/ da zwey ordines
nur etzlicher maſſen eine ſonſten an ſich ſelbs goͤttliche ordnung in dem ſtande erhal-
ten/ daß noch die gemeinde beyſam̃en bleibet/ als wo der dritte endlich eine vollkom̃e-
ne confuſio[n] anſtellet. Es waren in der erſten kirchen nur die 2. ord[i]nes, in dem
ſie keine Obrigkeit ihrer ſeits hatten/ und doch war die kirch wohl regieret/ nun be-
kenne ich zwar/ daß jene art beſſer iſt/ als die ietzige/ da dorten die gemeinde mit dem
einen ſtand allein concurri[r]te/ gegen den/ da jetzo die andere zwey/ ob zwar ſchwaͤch-
lich genug/ zuſammen halten mit der andern außſchlieſſung. Jndeſſen wird doch
dieſes drauß folgen/ daß die 3. ordines nicht ſo abſolu[t]e beyſammen ſeyen muͤſſen/
daß nicht zeiten und noͤthen ſich begeben koͤnnen/ wo das werck doch beſtehen mag/ da
ſchon nicht alle 3. ordines in ihrer harmonia, wie ſonſten zu wuͤnſchen/ ſtehen. Mein
werther bruder wird geſtehen/ und noch der meinung ſeyn/ wie mit mir geredet/ daß
das fundament ſolcher vorhabenden trennung irrig ſeye/ als welches auff die mey-
nung beruhet/ es koͤnne keiner mit guten gewiſſen mit einigen andern communici-
ren/ welche er ſeiner meynung nach vor unwuͤrdig achtete. Wie ich kein ander
fundament ſehe/ welches waͤre bißdaher angezogen worden. So dann mag die-
ſes dazu kommen/ daß beſorglich dieſe meynung bey einigen ſtecken doͤrffte/ es ſeye
C c c c 3das
[574]Das ſechſte Capitel
das H. Abendmal nicht eine wahrhaffte mittheilung des leibs und bluts Chriſti an
alle [communi]nican[t]en/ ſondern das haupt-werck in demſelbigen ſeye das zeugnuͤß
der vereinigung der glaubigen/ wie ſie von einem brod eſſen/ ſo ſeyen ſie mit einem
Geiſt in dem geiſtlichen leibe Chriſti unter einander vereiniget. Wann nun aber
dieſe meinungen nicht richtig/ ſondern was dieſes letztere anlangt/ einmal die ge-
meinſchafft/ die jeglicher in Chriſto hat/ und darin in dem H. Abendmal geſtaͤrcket
wird/ das hauptwerck des H. Abendmahl iſt/ die bezeugung aber der einigkeit mit
den andern communicanten eine nebens ſache iſt/ und nicht nothwendig da ſeyn
muß; wie ſie dann in einer privat communion einer perſon ermanglet: ſo mag
die ſich auff dieſelbige gruͤndende trennung ſo vielweniger zu entſchuldigen ſeyen/
als da etwas boͤſes auff einen nicht beſſeren grund gebauet wird: Woraus nachmal
auch nichts anders als ſelbs in den gemeinen leben und republica unordnung und
ungluͤck entſtehen moͤgen/ daß nachmal wo die obrigkeit/ welche uͤber die euſſerliche
ordnungen zu halten den befehl hat/ ihre hand darein ſch[l]aͤget/ und nach ihren geſe-
tzen der ſache hilffet/ diejenige/ welche daruͤber leiden muͤſſen/ ſolch ihr leyden mit kei-
nen guten gewiſſen tragen/ ſondern nicht der wahrheit Chriſti/ wol aber ihres eige-
nen ſinnes und wahl/ maͤrtyrer worden/ auch die verantwortung alles daher entſte-
henden aͤrgernuͤßes und uͤbels/ welches gemeiniglich darnach weiter ausbricht (wie
ein feuer daß man angezuͤndet/ nicht nur gerade ſo weit brennet/ als der es ange-
zuͤndet/ ihm die grentze geſtecket hat/ ſondern immerfort friſſet) ſolchen leuten auff ih-
rn rechnung vor GOtt kommet. Daher ich denſelben um des HErrn willen/ deſſen
ehre gewißlich hierinnen ſehꝛ intere[ſſir]et iſt/ als deꝛ ſeinem leib alle trennungen hoͤchſt
ſchaͤdlich erkennet/ und daher durch ſeinen Apoſtel dieſelbe uns als wercke des flei-
ſches vorſtellen laſſen/ hertzlich bete/ nachdem er bey einigen ſolcher lieben freunde/
die die gnade GOttes in ihm erkant/ ein gutes vertrauen vor ſich hat/ und hoffent-
lich nicht ohne frucht ſeine vermahnungen abzugehen ſorgen darff/ er geruhte nach
der gabe die ihm gegeben iſt/ an dieſelbe beweglich zuſchreiben/ und ihnen die gefahr/
worin ſie ſich ſetzen (in dem es ja eine groſſe gefahr iſt/ ich will nicht ſagen ihnen ſelbs
ohne noth in dem leiblichen allerhand leyden zu ziehen/ ſondern vornemlich die ver-
antwortung ſo vieler aͤrgernuͤß auff ſich laden/ ja damit erſt recht fremder ſuͤnden
ſich theilhafftig machen/ und GOttes gericht auff ſich ziehen) ſo dann den ungrund
der beyden oben bedeuteten fundamenten vorzuſtellen/ und damit die einigkeit un-
ſerer hieſigen lieben kirchen/ als viel an ihm iſt befordern zu helffen. Gibt GOTT
ſeegen hiezu/ darum ihn auch demuͤthig anzuruffen nicht unterlaſſen werde/ ſo
wird er ſelbs der H. Guͤte danckzuſagen urſach haben/ der einigen dienſt an einer ſon-
ſten demſelben nicht abſonderlich anbefohlenen gemeinde nicht unfruchtbar habe
werden laſſen/ und ſich etwa darinnen die urſach der weiſen goͤttlichen regierung zei-
gen/ der ihn nicht vergebens hie habe laſſen bekand werden/ ſondern ihm damit eine
gelegenheit von langen hergemacht/ etwas nuͤtzliches zu ſchaffen. Jch kan mich hertz-
lich
[575]ARTIC. I. DISTINCT. IV. SECT. XVII.
lich erfreuen/ was chriſtliche freunde/ von denen ich rede/ wo ſie dergleichen ſingu-
la[ri]
taͤten ablegten/ und ſonſten ihr pfund treulich und kluͤglich anwenden wolten
(ſonderlich aber des richtens anderer enthalten) durch ſeinen ſeegen annoch hier bey
andern ausrichten koͤnten/ und ja nicht gedrungen wuͤrden/ gegen ihr gewiſſen das
geringſte zuthun. Hingegen aber betruͤbet michs auch billich von hertzen/ wo ich
ſehen muß/ daß nicht nur ſolche hoffnung zu waſſer und in ihnen noch uͤbrige gute
bey andern frucht zuſchaffen untuͤchtig werden ſolte/ ſondern das aͤrgernuͤß/ ſo von
dergleichen ſonderung entſtehet/ hie und anderswo ſehr viel gutes auch kuͤnfftig ſchla-
gen werde: Woraus nichts anders/ als ein ſchweres gericht uͤber diejenige ſelbs ge-
fuͤhret werden mag/ ſo ich ja inniglich wuͤnſche von ihnen abgewendet zu werden.
Solte aus wie faſt ſorge/ mit der einen haupt-perſon nichts ausgerichtet werden
koͤnnen/ ach daß doch die uͤbrige in die chriſtliche einfalt und ordnung widerum ge-
bracht werden moͤchten! Der HErr verleyhe hiezu geiſt/ weißheit und gnade/ laſſe
auch ſein wort nicht ohne [k]rafft und nachdruck bleiben. 15. Octobr. 1683.


SECTIO XVII.


An einen prediger/ der ſich eine weil zu verdacht einnehmen
laſſen. Gott laͤßt ſolche
ſpargimenterendlich zergehen. Des
Satans boͤſe abſicht dabey.


DAs ſchreiben iſt mir ſonderlich deßwegen angenehm geweſen/ daß aus er-
neuernder alten freundſchafft geſchloſſen/ daß die/ wie vor einigen jahren eini-
gen bericht gehabt/ von mir gefaßte [ſu]ſpiciones nunmehr abgeleget ſeyn wor-
den: Wie ich ohne das das gewiſſe vertrauen zu Gott getragen/ daß deſſen guͤte
alle ungleiche von mir ſpargirte meinung mit der zeit/ ſo der wahrheit zeuge offters
am gewiſſeſten iſt/ als ein nebel von ſelbſten zergehen/ und meine unſchuld offenbahr
werde werden laſſen. Welches meiſter orten bereits geſchehen zu ſeyn/ ich ſeiner
g[oͤ]ttlichen guͤte billich demuͤthigen danck zu ſagen habe/ welche nicht zugiebet/ daß der
Satan/ welcher boͤſes imer in ſinn hat/ allezeit oder lange ſeinen werck erreichen moͤ-
ge/ der da iſt/ durch die zerruͤttung der gemuͤther unter bruͤdern die ſoviel genauere
zuſammenſetzung in gebet und uͤbrigen werck des HErrn/ vor welcher einigkeit er ſich
ſehr fuͤrchtet/ zuhindern. Aber maͤchtig iſt der HErr der wahrheit/ welcher durch
dero offenbahrung wieder ergaͤntzet/ was ſonſten geſchiehnen unter ſich zu zerfallen:
er erhalte uns noch ferner in der einigkeit des Geiſtes/ und verbinde unſere hertzen
mit dem bande des friedens/ geſamter hand zuthun/ was die noth des reichs Chriſti
erfordert. 2. Novembr. 1683.


SE-
[576]Das ſechſte Capitel

SECTIO XVIII.


Erklährung gegen einen freund/ nach dem maß meiner
gabe in dem bauen am hauß des HErrn fortzufahren.


JCh habe dieſes/ und das vergangene jahr unterſchiedliche brieffe von demfel-
ben empfangen/ aber zu beantworten nicht eben dienſam erachtet: Jndeme
wir einander ſcheinen nicht zu verſtehen: Sondern wie derſelbe ſeines orts
mich in denſelben verrichtungen zu laſſen hat/ dazu mich der HErr geſetzet/ ſo uͤber-
laſſe ich ihn hinwieder in ſeinem vorhaben dem jenigen/ auff den er ſich beruffet und
zu ſeiner rechenſchafft ſtehen will. Darinnen kommen wir uͤberein/ daß die zeiten
ſchwerer gerichte obhanden/ und daß innere verderben groß/ auch jener urſache ſeye/
ſo dann uns allen obliege zutrachten/ wie wirin der gnade Gottes ſtehen/ ſolche gerich-
te entfliehen oder uͤberwinden moͤgen. Jn den mittelen foͤrchte ich/ wir ſeyen ziemlich
different, Jch halte mich aber bloſſer dings an das wort Gottes/ und erkenne kei-
nen einigen menſchen in der welt/ von dem ich ſchuldig ſeye das goͤttliche wort/ das er
redet/ weil ers redet/ als aus Gottes munde anzunehmen. Dahero wo mir die
Schrifft angezogen wird/ muß mir klar gezeiget werden/ ſo wol dero verſtand als
dero application. Da ich eben biß dahin in uͤberſandten brieffen und ſchrifften in
den jenigen ſachen/ darinnen wir etwa different ſeyn moͤgen/ keine uͤberzeugung aus
der Schrifft finde. Jch werde meinen GOtt in einfalt meines hertzens fortfahre[n]
zu dienen/ nach dem maß der gnaden/ welches er mir gegeben/ und ſeiner anweiſung/
was ſich bey gegenwaͤrtigen zuſtand thun laſſet/ und ihm die ſache ferner be[f]ehlen.
Jch erkenne/ daß ich weder etwas bin noch vermag/ ich verleugne aber nicht die gna-
de/ die er gibt/ wie gering ſie iſt/ und mich dero nicht/ weniger noch einer mehreren/
wuͤrdig achte. Jch weiß/ ich bin zum bauen geſetzet/ dabey ich dem HErren nicht
zu wehren habe/ da er nach ſeinem rath niederreiſſen will/ wie ein Medi[cus] den pati-
enten artzney brauchet/ ob auch Gottes wille/ denſelben zu toͤdten ſeyn moͤchte. Und
ob die meiſte arbeit in dem bauen vergebens iſt/ traue ich doch Goͤttlicher verheiſung/
daß ſie nicht alle umſonſt iſt/ und preiße Gott welcher mich auffs wenigſte zuweilen
einige frucht ſehen laͤſſet/ und damit uͤberzeuget das ſeine ſeegens-krafft noch nicht
gewichen ſeye/ darvor ich auch demuͤtig dancke. Jn ſolcher ordnung/ vertrauen
und arbeit will ich mit goͤttlicher huͤlffe/ die etwan noch wenige uͤbrige tage gern zu-
bringen/ mit hertzlichem gebet zu dem HErren/ der ſich unſer erbarmen/ ſein Zion
mit gnaͤdigen augen anſehen/ und uns ſonderlich die zu dieſer zeit zu erkaͤntnuͤß ſeines
willens an uns noͤtige weißheit verleihen wolle/ ſo dañ imbruͤnſtigem verlangen nach
der endlichen huͤlffe/ die nicht immer verziehen wird/ Hab. 2/ 3. 6. Maj. 1684.


SE-
[577]ART. I. DIST. IV. SECT. XIX.

SECTIO XIX.


An einem Chriſtlichen Edelmann wegen getroffener ehe.
Meine gedancken von gegenwaͤrtiger und nechſt kuͤnfftiger zeit.


JCh habe deſſelben letzteſtes vom Dec. des vergangenen jahrs wol/ aber doch
etwas ſpaͤter erhalten/ um eine ſolche zeit/ da ich in verfertigung eines wercks
ſo in der meß an das liecht kommen ſollte/ begriffen war/ und daher um genug-
ſam zeit zu gewinnen faſt alle nicht euſerſt noͤthige brieffe bey ſeit ſetzen muͤßen.
Daß nun auch mit ſeinem geliebten ſolches geſchehen/ hoffe ich/ werde mir nicht uͤbel
gedeutet werden/ im uͤbrigen ob ich wol deſſen meinung nicht in allen ſtuͤcken voll-
kommen verſtehen kan (wie etwa mehr mal erinnert habe/ daß eine deutlichere aus-
truckung ſeiner gemuͤths-meynung zu wuͤnſchen waͤre) ſo will allein dermaſſen ant-
worten/ wie und ſo fern ich deſſen meinung eingeſehen. So ſehe nun zum vorderſten/
daß derſelbige ſich in den H. eheſtand begeben/ und ſeine vorige gedancken des ledi-
gen ſtandes durch GOttes leitung geaͤndert habe. Welches mir zu vernehmen
nicht unangenehm geweſen: dann ob ich wol die gabe der ledigen keuſchheit mit
Paulo 1. Cor. 7. auch nicht gering achte/ und auffs wenigſte zu allen zeiten tauſend
mal beſſer iſt/ ohne eine ehliche gehuͤlffin ſein leben zu zu bringen/ als etwa eine ſolche
an die ſeite zu bekommen/ die an redlicher fortſetzung unſers Chriſtenthums uns
moͤchte hinderlich ſeyn/ welcher ehegatten es leider nur allzu viel giebet: ſo halte den
eheſtand mit ſolchem H. Paulo eben ſo wol hoch/ und wo er in der furcht des HEr-
ren gefuͤhret wird/ erkenne ich/ daß es ein keuſcher und in GOTTES augen nicht
weniger reiner ſtand iſt/ als der jungfrauliche: So koͤnnen die urſachen/ welche uns
zu erwehlung deſſelben treiben/ nicht nur ſeyen unſere natuͤrliche ſchwachheit/ wo wie
uns zu der ledigen keuſchheit nicht tuͤchtig befinden/ und alſo gegen alle unreinigkeit
uns der von dem HErren verordneten artzney des ehebetts zugebrauchen haben/ ſon-
dern eben ſo wol die uͤbrige nothwendigkeit dieſes menſchlichen lebens oder beruffs/
dazu uns der HErr geſetzet hat/ wo wir nemlich ſehen/ daß wir in ſolchem ſtande
den obliegenden ſorgen und geſchaͤfften allein nicht genugſam ſind/ und alſo einiger
gehuͤlffin noͤthig haben/ mit dero wir ſolche laſt theilen moͤgen/ um als dann beyder-
ſeits ungehinderter dem HErren dienen zu koͤnnen. Dieſes daucht mich auch aus
dem ſchreiben zu erkennen/ daß deſſelben urſach geweſen ſeye/ da gegen ich nichtes
zu ſagen habe/ ſondern es wol gethan achte: ſonderlich wo es (wie ich nicht zweif-
felen will) mit dero geliebten frau mutter belieben/ als wozu alle kinder/ ſonderlich
aber die wir Chriſten ſeyen ſollen/ allerdings gehalten ſeynd/ geſchehen iſt. Wie
ich auch ſonſten hertzlich verlange/ daß derſelbe in allen ſtuͤcken gedachter frau mut-
ter ſeinem gehorſam und ehrerbiethigkeit erzeige/ und alſo das bild Gottes in derſelbi-
gen ehre. Waͤre mir deswegen ſehr leyd/ wo wegen der adminiſtration der guͤter
D d d deinige
[578]Das ſechſte Capitel.
einige mißheligkeit ſollten entſtanden ſeyn/ wie das ſchreiben faſt lauten wollen/ ſo
ich aber nicht hoffen will. Dann da ſolche pflicht eines hertzlichen gehorſams be-
reits aus der verbindung der natur kommet/ ſo haben diejenige/ welche von gantzem
hertzen ſich Chriſten bezeugen wollen/ deſto weniger einiges an ſich ſehen zu
laſſen/ welches nur ſcheinen moͤchte/ ſothaner ehrerbietung entgegen ſeyen/ aus
aus genommen des einigen falls/ wo uns die eltern wider das gewiſſen etwas zu-
mutheten/ da dann der himmliſche Vater den vorzug behaͤlt. Jn uͤbrigen wie ich
hoffe/ daß eben deſſen vaͤterliche guͤte denſelben mit einer ſolchen ehegattin begabt
werde haben/ welche wie in der haußhaltung alſo auch in der uͤbung des Chriſten-
thums eine gehuͤlffin ſeye: alſo ruffe auch ſolchen geber einer ſolchen theuern gabe
hertzlich an/ daß er ſie nicht nur in dieſen leiblichen leben lange bey guter geſundheit
bey ſammen laſſen/ ſondern vornehmlich den jenigen ſegen zu ihrer ehe verleihen wol-
le/ daß ſie dieſe vor ſeinem angeſicht gottſeelig und Chriſtlich fuͤhren/ daß ihnen die-
ſelbe eine taͤgliche gelegenheit ſich an und mit einander zu erbauen/ eine auffmunte-
rung zur andacht und eine vorbildung der geiſtlichen vermaͤhlung Chriſti mit de[n]
ſeelen werde. Er erfuͤlle ſie mit weißheit und ſeines H. Geiſtes gaben/ daß ſie mit
einander eine feine haußkirche anſtellen/ ihr haußgeſinde goͤttlig regiren/ und da ſie
der HErr mit leibesfrucht ſegenen wird/ ſolche ihm/ mit aufferziehung nicht nach
eigenern noch der welt wohlgefallen/ ſondern nach ſeiner regek/ auffopffern moͤgen;
er laſſe ihre hertzliche liebe unter einander ihnen ſeyn eine ſtaͤtig[e] erneuerung der goͤtt-
lichen liebe/ eine urſach ſtuͤndlichen dancks/ eine verſuͤſſung der uͤbrigen dieſes lebens
verdrießlichkeiten/ ein geſegnetes tugend-exempel anderer und an die ihrige ſelbſt/ eine
erleichterung der ſonſten einem allein all zu ſchwer fallender laſt. Er ſegne auch
ihre in ſeiner forcht fuͤhrende haußhaltung in dem leiblichen alſo/ daß ſie von ſeinem
ſegen leben/ und allezeit uͤberiges haben/ daß ſie zu ſeinen ehren und liebes wercken
anwenden. Er erleichtere ihnen alles creutz/ welches ſie in ſolchem ihren ſtand be-
treffen mag/ mit ſeinen troſt/ kraͤfftig in ihnen: biß er ſie ſeines ſegens in dieſem le-
ben ſatt zu der hochzeit des lams beruffe/ und in die ſeelige ewigkeit verſetze. Der
HErr Herr erfuͤlle dieſen in ſeinen namen thuenden wunſch von ſeinem hohen
himmels thron: wie ich auch noch ferner nicht unterlaſſen werde/ vor ſie zu ihme
hertzlich zu ſeuffzen: Was die vorgehabte reiſe hieher belanget/ wollen wir des
himmliſchen Vaters willen gerne erkennen/ welcher dieſelbige ſelbſt gehindert hat.
Es wuͤrde mein herr etwa weniges hie zu ſeiner erbauung angetroffen haben/ wel-
ches er nicht eben ſo wohl an ihrem ort und ſonderlich in fleißiger behandelung der
H. Schrifft ohne ſolche koſten haben kan: Der HERR iſt aller orten nahe de-
nen jenigen/ welche ihn ſuchen/ und iſt ſein wort nirgend ohne krafft/ wo wir ihm nur
platz bey uns laſſen. Meine gedancken von dem gegenwaͤrtigen zuſtand unſerer
zeit/ und was etwa nechſtens uns vorſtehen moͤchte/ belangend: ſo kan ich nicht an-
ders/ als daß euſerſte verderben unſerer Evangeliſchen kirchen bejammern/ in dero
inwen-
[579]ART. I. DIST. IV. SECT. XIX.
inwendig alle ſtaͤnde auff daß erbaͤrmlichſte verdorben ſind/ daß kaum eine beſſerung
irgens wo anſchlagen will/ und wir ohne die reinigkeit der lehr vor andern kaum et-
was mehr vorzug haben/ auswendig aber ſehen wir die macht und den grimm des
Roͤmiſchen Babels gegen uns taͤglich wachſen; Dahero nicht anders gedencken
kan/ als daß die zeit uns am nechſten ſeye/ daß die goͤttliche gerichte zu vorderſten an
ſeinem hauſe anfangen/ und Babel macht bekomme/ daß jenige hauß an dem ver-
gebens geflicket worden/ mit gewalt meiſtens nieder zu reiſſen/ aus deſſen herum
zerſtreueten ſteinen der HErr nachmahls ſolches wieder vortrefflicher auffbauen
wird. Aber mit eben ſolcher grauſamkeit wird ſich jenes Babel euſerſt verſchul-
den/ daß maß ſeiner ſuͤnden damit erfuͤllen/ und alſo ſein angedrohtes ſchreckliches
gericht ſich vollends uͤber den halß ziehen. Worauff nicht fehlen kan/ daß die durch
ſolches Babel vornehmlich verdorbene kirche nach deſſen gericht einige ruhe zeit er-
lange/ und goͤttlicher verheiſſungen erfuͤllung ſich erfreue. So viel ſehe ich einfaͤl-
tig aus betrachtung goͤttlichen Worts und gegenhaltung des jenigen/ das ich taͤg-
lich vor augen ſehe. Ein hoͤhers liecht aber habe ich mir nicht zu zu meſſen/ und iſt
mir nicht gegeben. Daher ich ſelbs in demuth/ gelaſſenheit/ und glauben erwarte/
was der HERR uͤber uns alle verhaͤngen will/ nur dahin trachtende/ daß ich
moͤge geſtaͤrcket werden/ mir in allem den goͤttlichen willen gefallen zu laſſen/ und
ihm nach vermoͤgen zu thun/ ihm aber alles in gebet und gedult zu uͤber laſſen/
welches ich auch andern freunden rathe/ und vor das ſicherſte halte/ wie man ſich
in die verderbte zeiten zu ſchicken habe. Jch habe auch nechſt in dieſer abſicht zu
der glaubens bruͤder ſtaͤrckung ein Tractaͤtlein geſchrieben/ genant Chriſtliche
auffinunterung zur beſtaͤndigkeit in der reinen lehr des Evangelii
und den mittelen dazu/
welches ſich auff der poſt nicht wohl ſchicken laͤßt. Doch
meine/ es wird in Leipzig zu bekommen ſeyen. Mein name ſteht gewiſſer urſach wil-
len nicht dabey/ ſondern die buchſtaben S. M. E. F. Nun der HErr oͤffene uns die
augen/ die zeichen unſerer zeit einfaͤltig doch Chriſtkluͤglich zu erkennen/ vornemlich
aber in demſelben unſere pflicht in acht zu nehmen/ und in allem zu preiſen/ womit
denſelben und deſſen adeliche ehliebſte und hauß in deſſen allgewaltigen Gottes
obhut und genaden regirung treulich erlaſſende/ verbleibe u. ſ. w. 21. Maj. 1684.


SECTIO XX.


An eine Chriſtliche weibsperſon: Wiefern man in goͤttlichen
dingen auff das fuͤhlen zu ſehen. Mein verhalten gegen die/
ſo ſich abſondern.


DErſelbigen neuliches/ obwohl aus betruͤbter gelegenheit und uͤber eine mir
offt betruͤbliche materie geſchriebenes/ war mir hertzlich angenehm und
erfreulich/ als ein zeugnuͤß der wahrheit ausſo lieben hertzen. Es iſt freylich ſo/
Dd d d 2nicht
[580]Das ſechſte Capitel.
nicht unſer gefuͤhl iſt die regel der wahrheit/ ſondern die goͤttliche wahrheit iſt die regel
unſers gefuͤhls/ ob es goͤttlich/ oder eine einbildung unſers fleiſches ſeye/ worinnen
man ſich ſonſten offt leicht verſtoſſen kan/ weil einmahl un ſer hertz an ſich ſelbs und
auſſer Gottes wuͤrckung die jenige unart an ſich hat/ da es insgemein von
uns heiſſet/ alle menſchen ſind luͤgner/ Pſal. 116. und kan ſich ſehr bald (wie die
betruͤbte exempel zeigen) der fuͤrſt der finſternuͤß in einen engel des liechts verſtellen/
da er uns dergleichen dinge eintruckt/ die einen ſchein der goͤttlichen wahrheit ha-
ben: da hingegen die goͤttliche barmhertzigkeit hertzlich zu preiſen iſt/ welche uns eine
regel der wahrheit in goͤttlichem wort auſſer uns gegeben hat/ nach welcher wir/ was
wir fuͤhlen/ genau zu pruͤffen haben: Noch gefaͤhrlicher aber iſt es/ deßwegen eine
goͤttliche wahrheit/ die in der Schrifft alſo gegruͤndet/ daß man nichts erhebliches da-
gegen aufzubringen weiſt/ nicht annehmen wollen/ weil man dieſelbe nicht auch in ſich
bezeuget fuͤhle. Aber dieſes hieſſe/ die Gewißheit GOttes/ welche auf ſeiner wahr-
heit und in dem wort gethaner offenbahrung beruhet/ an unſer armes gefuͤhl haͤn-
gen/ daß auff ſo viel weiſe wie betruͤglich iſt/ alſo gehindert werden kan. Und ſo
haͤtte ſolche himmliſche weißheit nicht ihrer eigenen goͤttlichen gewißheit/ ſondern uns
zu dancken daß ſie von uns angenommen wuͤrde/ als die/ wo wir ſie nicht fuͤhleten/
ohne verletzung des gewiſſens koͤnte verworffen oder doch ſtehen gelaſſen werden.
Wo dieſes guͤlte/ was wolten wir ſagen von allen denjenigen/ welche jemahl das ih-
nen von den H. Propheten und Apoſteln gepredigte wort verworffen haben/ derer
unglauen gleichwohl in der Schrifft ſo hoch geſtrafft/ und ihnen daher das gericht an-
gedrohet wird? Sie haben ja aller ſolcher wahrheit gefuͤhl nicht in ſich gehabt/ ſon-
dern das gegentheil vielmehr gemeiniglich zu fuͤhlen gemeinet/ daher ſie in einen ſol-
chen eyffer dagegen offt entbrannt ſind/ daß ſie die wahrheit zu verfolgen kein be-
denckens gehabt haben. Jſt nun keiner ſchuldig etwas zu glauben/ als davon er das
innere gefuͤhl in ſeinem hertzen hat/ ſo ſind all ſolche Leute unſchuldig/ und ihr un-
glaube wird ungerecht geſtrafft. Jch halte mich hingegen verſichert/ was in Gottes
wort klar bezeuget/ und aus deſſen buchſtaben uns dermaſſen vor augen geleget wird/
daß wir nichts dagegen gruͤndliches aus eben ſolchen wort Gottes auffzubringen ver-
moͤgen/ ſeye dasjenige/ welches wir zu glauben ſchuldig ſind/ ob wir auch davon kein
gefuͤhl haben ſolten: welchen mangel wir nicht der ſache ſelbs/ ob waͤre ſie keine goͤttli-
che wahrheit/ ſondern unſers hertzens natuͤrlicher unart und haͤrtigkeit zuzumeſſen/
Gott hingegen um die uͤberzeugung ſeines H. Geiſtes dabey ſtets anzuflehen haben
ſo mache ich auch billich einen unterſcheid unterdem glaubens ſachen/ deren theils von
ſolchen dingen handlen/ welche auſſer uns ſind und geſchehen/ theils welche in uns ſind
und geſchehen. Was jene erſte ſind/ zum exempel was in Gott ſelbs geſchehen und iſt/
was mit Chriſti perſon und mit ſeinem amt vorgegangen/ was ſeine verordnungen
ſind und dergleichen/ da bedarff es nicht eben eine ſonderbare fuͤhlung/ ſondern eine
verſicherung unſeres gewiſſens/ daß dieſes und jenes in H. Schrifft gegruͤndet ſeye/
von
[581]ARTIC. I. DIST. IV. SECT. XX.
von dero goͤttlichen wahrheit und krafft wir hingegen freylich eine empfindlichkeit
haben. Was aber die dinger anderer art ſind/ die GOTT in uns wuͤrcket/ oder
wie er in uns wohnet/ als dahin die rechtfertigung/ heiligung/ wiedergeburth/ erneue-
rung/ krafft der Sacramenten und dergleichen gehoͤren/ bekenne gern/ daß davon eine
empfindung hey uns ſeyen koͤnne und ſolle/ auch bey den glaubigen auſſer dem ſtande
der anfechtung ſich dermaſſen finden werde: wie ſich nemlich GOTT nicht unbe-
zeugt laſſe denjenigen/ welche ihn lieben. Ja ob bey den angefochtenen/ es an der
empfindlichkeit des glaubens fehlet/ ſo ſind ſie dennoch nicht ohne gefuͤhl derjenigen
fruͤchten/ aus welchen man ihnen die wahrheit ihres glaubens alſo zeigen kan/ daß
es auch zu deſſen empfindlichkeit kommen muͤſte/ wo nicht GOTT aus ihm bekan-
ten H. urſachen/ ſolche annoch eine zeitlang zuruͤck hielte. Alſo trennen wir das ge-
fuͤhl nicht von dem glauben und unſerem Chriſtenthum/ wir ſetzens aber in ſeine rechte
ordnung: Damit wird ſo wohl beſchaͤmet derjenigen falſche einbildung/ welche
alles goͤttliche allein auſſer ſich haben/ und von einiger krafft in uns nichts wiſſen
wollen/ vielmehr dieſelbe allerdings verlaͤſteren. Hingegen wird zu keinen irrun-
gen urſach gegeben/ noch die goͤttliche wahrheit auff einen unrechten grund geſetzet.
Ach daß ſolches von allen recht erkandt wuͤrde! wie wuͤrde es ſo viel beſſer ſtehen/ und
nicht ein aͤrgernuͤß nach den andern erweckt werden. Was mich anlangt/ keñet meine
werthe Schweſter mein hertz/ wie ich zu einigen gewaltſamen mittlen mein lebenlang
nicht geneigt bin/ ſondern von gern mit und in liebe alles beſſere. So habe ich mich
nicht geſondert/ ſondern weiſt ſie ſelbs/ daß es andere ſeyen/ die ſich ſelbs abgeſondert
haben/ von dem/ was ich ob wol vieler unordnung dabey geſtaͤndig/ an ſich ſelbs
gleichwohl goͤttlich erkenne/ als was aus goͤttlicher einſetzung herkommet. Sie ſind
auch mehrmahl bey unterſchiedlichen gelegenheiten ſelbs ihres fehlers erinnert/ und
zur wiederkehr geſuchet worden: ſo gar was auch offentlich von ſolcher materie zur
vrwahrung anderer gewiſſen und abwendung des aͤrgernuͤſſes gehandlet werden
muͤſſen/ iſt aus liebe und einer ſo liebreichen art geſchehen/ daß unpartheyi-
ſche erkennen muͤßen/ man ſuche in einem mitleyden der ſich ſonderenden beſſerung.
Hingegen leugne nicht/ daß nach dem ſolches geſchehen/ nicht anders kan/ als uͤbri-
gen vertraulichern converſation mich zu entſchlagen/ davon abermahl andere meh-
rere einen ſtarcken anſtoß faſſen wuͤrden/ auff dero liebe ich ſo wol als auff jene zu
ſehen habe. Ach der HErr beſchehre auch hierinnen die noͤthige Weißheit/ und
und gebe uus ſeinen willen wahrhafftig zu erkennen/ ſo denn denſelben getreulich zu
thun. 1684.


D d d d 3SECTIO
[582]Das ſechſte Capitel

SECTIO XXI.


An einen freund eine beantwortung an meinem verhalten.
gefaſter vieler
ſcrupul.Von anblickung des goͤttlichen liecht ſcheins.
Von
putrefaction.Von der wiedergeburt. Daß es GOtt nicht mit
allen auff eine weiſe halte. Ob meine kraͤffte in dem dienſt des
Spiri-
tus mundi
verzehre. Ob neue juͤnger mache. Unordnung unſer
kirchen verfaſſung. Ob wir Babel.
Sectenſtreit. Vorſatz
meines gantzen lebens.


JCh habe deſſelbigen an mich abgebenes vor mehreren monaten empfangen/
die beantwortung aber deswegen laͤnger verſchoben/ weil ich den winter zu
einer einigen arbeit/ nemlich ein theil des durch HErren D.Brevings an-
griff veranlaſſeten wercks durch goͤttliche gnade heraus zu geben und alſo zu verfer-
tigen beſtimmet hatte. Wie ich dann ſolche arbeit/ zu dero ich mich nicht einge-
drungen/ ſondern der HErr ſelbſt mit zimlich kantlicher ſeines willens bezeugung
(daher auch ob wol in einer von zimlicher zeit her ungewohneter arbeit daß gemuͤth
dennoch in einer ſteten freudigkeit durch ſeine gnaͤdigen wuͤrckung geblieben) beruffen
hatte/ ſo viel werth geachtet/ daß ich des wegen alle brieffe ausſetzte/ welche einiges
mehreres nachſinnen erfoderten/ und ohne verluſt deſſen/ an den ſie zu ſchreiben wa-
ren/ und alſo ohn verletzung der liebe koͤnten auffgeſchoben werden. Nach dem a-
ber die neuliche meß mit verleihung goͤttlicher gnade den erſten theil an das licht ge-
geben/ ſo habe nun einige monate zu den unter den ruͤckſtaͤndigen annoch noͤthigen
briffen beſtim̃et/ und alſo auch den ſeinigen vor die hand nehmen wollen. Wie nun
derſelbige ſein hertz gegen mich ausgeſchuͤttet/ und ſich verſichern kan/ daß alles wol
auffgenommen; Wie dann ob andere auch an mir irreten und mir unrecht thaͤten/
dannoch ihr treumeinen mir gefaͤllig iſt/ und mir auch in jenen gelegenheit zu ei-
ner nuͤtzlichen ſelbſt pruͤffung gegeben wird/ welche niemahl ohne frucht bleibet.
Hin wieder trage das vertrauen zu ihm/ er werde auch nicht anders als in der liebe
auffnehmen ſollen/ daß ebener maſſen freymuͤthig meine gedancken demſelben vor-
ſtelle; und vor GOtt mit ihm handele/ welchen ich auch um ſeine gnade und geiſt in
dieſer ſache angeruffen und anruffe. Es war nun das erſte/ wegen eines extracts
eines brieffes/ welchen ich geſchrieben/ und darinnen ſeiner als von ihm mich lædirt
befindende gedacht haͤtte. Nun entſinne mich nicht an wem ich eigentlich ſolches
geſchrieben/ habe auch nicht wol die zeit/ meine concepten durch zugehen/ ob ich
eine abſchrifft davon haben moͤge; aber es mag wol ſeyn/ und erinnere mich auch/
daß dergleichen und vielleicht nicht nur an einen ort/ ſondern wo mir von mehrern
gelegenheit gegeben worden/ an mehrere geſchrieben haben werde. Es iſt aber ſol-
ches
[583]ARTIC. I. DIST. IV. SECT. XXI.
ches durch aus nicht geſchehen/ das mich lædirt befunden/ oder wo auch von an-
dern verachtet wuͤrde/ eine offenſion daraus ſchoͤpffte; Dann dem Herren dancke
ich hertzlich/ der mir hierinnen einige gnade giebet: ſondern die urſach iſt dieſe/ mich
von allen demjenigen zu entladen/ daß ich keinen theil habe an demjenigen/ worinnen
er etwa vorher auſſer der ordnung geſchritten/ oder noch ins kuͤnfftige ſich nach Got-
tes verhaͤngnuͤß vergehen moͤchte. Es weiſt derſelbe von ſelbſten/ wie vielerley in
den vergangenen jahren in Teutſchland hin und wieder habe leiden muͤſſen/ von aller-
hand calumnien, feindſchafft und hindernuͤßen an gutem vorhaben. Nun was in
ſolchen leiden daher gekommen/ das in der krafft des HErrn unterſchiedliche goͤtt-
liche wahrheiten/ von der nothwendigkeit des lebendigen glaubens/ von der eitelkeit
des ſo uͤberhand genom̃enen operis operati, von dem verderben in unſern eignen kir-
chen in allerhand ſtaͤnden/ ſonderlich auch in dem unſerigen/ ſo dañ dabey ſchulen und
univerſitaͤten/ von der hoffnung der erfuͤllung der noch/ nach vollſtreckung der ge-
richte/ uͤbrigen herrlichen goͤttlichen verheiſſung und dergleichen (davon ich in meinen
ſchrifften zeugnuͤß gegeben/ und auch hoffe/ der HErr habe mich armen und unwuͤr-
digen in unterſchiedlichen ſtuͤcken zu einer ſtim̃e gebraucht/ etliche auff zu wecken und
auff zu muntern) mit ernſt getrieben habe/ nicht nur ſolches habe mit gedult ertra-
gen/ ſondern urſach gefunden/ den HErren danckbarlich zu preiſen/ daß er mich ge-
wuͤrdiget habe/ um ſeines nahmens und der Wahrheit willen auffs wenigſte (weil
er mich etwa zu einigen wichtigen leiden noch nicht ſtarck genug befunden) eini-
ge ſchmach und verachtung zu leiden. Jſt mir alſo weder leid/ mit behauptung
ſolcher dinge dergleichen leiden veranlaſſet zu haben/ noch begehre in dem kuͤnfftigen
einige derſelben zu verſchweigen/ oder nachlaͤßiger zu handlen damit ich meiner ſcho-
nete: will mich alſo darinnen weder des Evangelii noch der etwa daran hangender
leiden (ob ſie der HErr auch ſchwerer wollte ankommen laſſen) nicht ſchaͤmen/ ſon-
dern ſie vor meine groͤſſeſte ehre achten. Es ſind aber darneben andere leiden oder
ein theil der vorigen geweſen/ da vielerley verdachte auff mich gezogen worden von
unrichtiger lehre oder verurſachung einiger trennung und unordnungen. Wo zu
aber nicht ich ſelbſt gelegenheit gegeben/ ſondern unterſchiedliche der jenigen/ welche
mit mir freundlich umgegangen/ auch von mir wegen ſolcher uns gemeinen wahr-
heiten vertraulich geliebet worden/ eine urſach derſelben worden ſind. Dann wo
dieſe einige von unſerer kirchen genugſam gegruͤndete lehr/ davon ich/ wie ihme ſelbſt
wiſſend/ nie einem Fuß breit abgewichen/ abgehende meinungen ergriffen/ davon
ich offt nicht ein wort biß lange hernach gewuſt/ oder da ich etwas wargenommen/
mit einer gedult und in hoffnung/ wo wir iñ dem HErren werden rechtſchaffen treu
werden/ daß er auch in demſelben ſeine wahrheit denen/ die ſie noch nicht begreiffen
koͤnnten/ klaͤrer zu erkennen geben wuͤrde/ dieſelbe getragen/ oder da ſie in einigen
ſtuͤcken aus unverſtaͤndigen eiffer unordentlich gewandlet/ wurde mir ſolches alles zu
gerechnet/ in dem man ſolche alle als meine diſcipulos anſahe/ aus denen man/ was
hinter
[584]Das ſechſte Capitel
hinter mir ſeyn muͤſte/ wohl urtheilen doͤrffte. Jch habe zwar dargegen mehrmah-
len proteſtirt, daß mir damit unrecht geſchehe/ auch unbillich ſeye/ von mir/ waß
in meinem hertzen waͤre/ vielmehr aus andern als meinem worten und thaten zu
urtheilen. Welches auch durch Gottes gnad ſeiter bey den meiſten durchgedrun-
gen/ und dem laͤſter teuffel algemach der mund von ſelbſten zugegangen iſt. Jch
habe aber aus ſolcher erfahrung ſelbs geſehen/ wie noͤthig es einem etwa ohn ſein
verdienſt weiter bekant gewordenen lehrer ſeye/ ſich ſorgfaͤltig vor zu ſehen/ damit
nicht die von andern/ ihm zu gezogene ſuſpiciones etwas derjenigen frucht hin-
dern/ welche er ſonſtern in der krafft GOTTES bringen koͤnte. Nun bekenne
gern/ daß in allen ſtuͤcken es mir an der prudenz mangele/ (obwohl/ wo ich noch
immer das vorige uͤberdencke/ noch nicht finden kan/ wie ich es wohl anders mit
unterſchiedlichen freunden haͤtte halten koͤnnen/ vielmehr offt zu glauben be-
wogen werde/ daß der weiſe Vater in dem himmel mich einfaͤltiges kind in aller
ſolcher ſache/ da ich offt ſelbs nicht wuſte/ was ich thun ſolte/ nach ſeiner weiß-
heit alſo gefuͤhret habe/ daß wo ich mich anders bezeuget haͤtte/ ſchwehrere aͤr-
gernuͤſſen erfolgen waͤren:) aber es hat mich doch dieſes gelehret/ daß ie laͤnger
ie mehr und fleißiger dieſe ſtein des anſtoſſes zu vermeiden beflieſſen ſeye/ und wo
es noͤthig iſt/ darlege/ daß ich nicht an allem ſchuldig/ was von denen geſchiehet/
welche andere/ als von mir depeudirend, mehrmal angeſehen. Wie nun mein
geliebter freund weißt/ das gleichwohl der ſelbige auch einer der jenigen geweſen/
von deſſen nicht genugſam bedachten einigen actionen mir verdacht zu gewachſen/
nachmahl mit dem tractat (ob ich wohl nicht leugne/ daß ich viele wahrheiten
darinen hertzlich annehme Ap. Geſch. 35/ 15.) mir weiter ſorge gemacht worden/
man weiche allgemach von der Evangeliſchen gemeinen lehr/ ferner die andere
haͤndel/ ſo daroben vorgegangen/ und letzlich die entziehung von mir/ und außſchla-
gung des vorſchlags/ da denſelben gern in N. N. recommendiren wollen/ mir
billiche ſorge gemacht/ man werde mehr und mehr aus den ſchrancken ſchreiten/
ſo hoffe ich/ derſelbe werde ſelbs in Chriſtlichem nachſinnen bey ſich befinden/ daß es
nicht unbillich ſeye/ meine unſchuld an allem ſolchen nach vermoͤgen dar zu thun/
und alſo der verantwortung des jenigen/ daran ich die wenigſte ſchuld nicht habe/
ſo wohl was das vorige als kuͤnfftige angehe/ nach vermoͤgen ab zu lehnen.
Hierzu aber iſt kein ander mittel/ als zu zeigen/ daß der Herr weder von mir
ie etwas zu lernen begehret/ noch daßelbige vertrauen zu mir getragen habe/ ſo
mir von ſeinem vorhaben part zu geben/ da ſonſten vermuthet werden moͤgen/
ob haͤtte ich da auch einigen theil an dem jenigen/ was etwa derſelbige noch fer-
ner vornehmen moͤgte. Dieſe bezeugung achte mir gantz noͤthig/ damit ich nicht
ſo wohl meine ehre und exiſtimation, als vielmehr einen theil des daran hafften-
den nuͤtzlichen und ungehinderten gebrauchs des von GOTT vertrauten pfuͤnd-
leins rettete: Jn dem wo man an meiner orthodoxia bey dero mich der HERR
gnaͤ-
[585]ART. I. DIST. IV. SECT. XXI.
gnaͤdig bewahret hat/ zu zweiffelen mehr urſach finden ſolte/ durch ſolchen ver-
dacht ich ſo viehveniger tuͤchtig ſeyen wuͤrde/ etwas auszurichten. Womit ich
mich aber gegen die jenige/ ſo mir dazu anlaß moͤgen gegeben haben/ entſchuldiget/
ſind ſolche dinge/ wie er ſie ſelbſten anfuͤhret/ die an ſich aus der wahrheit geſchrieben
geweſen. Alſo habe ich mich daruͤber nicht zu beſchwehren/ daß mich derſelbige
in meinem hauße nicht geſprochen/ aber daß kan ich daraus zeigen: Daß das ver-
trauen gegen mich nicht der maſſen geweſen/ daß mit einigen ſchein/ was biß
daher paſſirt waͤre/ mir ferner moͤchte zu gerechnet werden. Von der beklagten
hoͤlliſchen anfechtungen und kampff/ verſichere/ daß ich nicht gewußt/ und wo ich
davon mehr und eigentlicher bericht gehabt haͤtte/ meiner liebe pflicht auch darin-
nen nicht wuͤrde unterlaſſen haben; Wiewol auch in ſolchem fall dahin ſtehet ob
mein hauß/ oder deſſen eigen loſament zu der handelung von ſolchem ſachen be-
[q]vemer geweſen. Zwar hat derſelbe/ als viel mich entſinne/ bereits ehe er in die
ſtatt gekommen/ in einen ſchreiben etwas dergleichen gegen mich gemeldet; aber ich
lengne nicht/ daß ich es damahl angeſehen/ als eine wuͤrckung/ theils der erkant-
nuͤß der ſuͤnden/ dero fuͤhlung ich allzu fruͤhe zu unterbrechen nicht eben nuͤtzlich ach-
te/ theils deß zugezognen ſchimpffs/ und alſo meiſtens als eine traurigkeit der
welt/
und fernere erregung eines melancholiſchen affects/ in welchem fall/ nicht
aber gegen die hoͤlliſche verſuchungen ſelbs/ die diſtraction des gemuͤths und
applicirung deßelben auf ſtete arbeit ein nuͤtzliches mittel ſeyen mag. So hat mir/
wie ich nicht leugne/ ſtets geeckelet/ daß mich gedeucht/ die ſchuld und das unrecht
werde nicht ſo hertzlich erkant/ ſondern mehr auff andere geſchoben/ in welchem zu-
ſtand biß zur voͤlligen erkentnuͤß einige weitere demuͤthigung nicht unnuͤtzlich iſt.
Sonſten/ hoffe/ wird derſelbe mir ſelbs in ſeinem gewiſſen zeugnuͤß geben/ daß ich
nach vermoͤgen es nicht eben gar an meiner liebe ermangeln laſſe: nicht nur allein
was wegen anderer promotion, nachdem ſeiner reinen orihodoxie wieder durch
N. N. verſichert worden war (und zwar wie dem herrn bekant iſt/ aus keiner inten-
tion
ihn von einigen guten abzuziehen/ ſondern in dem wahren gutten unſers Evan-
gelii feſter zu verbinden/ und gleichſam das biß dahin fluctuirende gemuͤth in je-
nem zu figiren/ und ihn nachmahl demſelben gemaͤßte occupationes zu geben) ehe
der fall ausgebrochen iſt/ vorgehabt habe/ ſondern da er auch hiegeweſen/ und ich
ja wo ad reſtitutionem famæ einige menſchliche mittel haͤtten moͤgen gefunden
werden/ dazu gern rath und that gegeben haͤtte/ auch denſelben durch ſeinem herrn
Hoſpitem bitten laſſen/ daß er auffs wenigſte/ wo er ſich bey tag unter die leute zu
gehen ſcheuete/ abends zu mir kommen moͤchte/ wo meine liebe gegen denſelben
mit allen guten vorſchlaͤgen und huͤlffe bezeugen wolle. So ich aber von dem
Herren ſelbs aus heiligen urſachen gehindert worden zu ſeyn achte: indeſſen hoffe/
er werde aus dieſem ſelbs abnehmen/ daß ich an der von mir beklagten verlaſſung
nicht eben ſchuldig ſeye. Was das ander anlangt/ daß derſelbe von mir nie be-
E e e egehren/
[586]Das ſechſte Capitel.
gehren zu lernen/ meine ſeye auch offenbahr. Jch ſchreibe es aber auch durch
aus nicht/ daß mich ſolches verdroͤſſe/ dann ich mir meiner ſchwachheit hertzlich be-
wußt bin/ und ſie vielleicht inniglicher anſehe/ als ſie mir viele andere vorſtellen
moͤgen; ſondern daß ich mich ſelbes purgirte/ keine ſchuld an vorigen und kuͤnff-
tigen bey ihnen zu haben/ als der niemahl mein diſcipul zu ſeyn mich wuͤrdig geach-
tet haben: ſo ja wahr/ mir aber allerdings gut iſt. So hoffe auch von meiner
gantzen gemeinde das zeugnuͤß zu haben/ daß ich niemand auff mich weiße/ ſon-
dern ſo offt ſelbs vor ihnen bezeuge/ daß mir niemand um meines ſagens willen
glauben wolte/ ſondern allein das jenige annehmen/ was ſie aus meinen worten
durch des Heiligen Geiſtes wirckuug in ihrer ſeelen bekraͤfftiget finden wuͤrden.
So eiffere ich auch mit niemand/ wer etwa hier in meine predigten nicht gehen/ ſon-
dern andere lieber hoͤren wolte: vielmehr wuͤrde ieglichen/ der ſich durch eines an-
dern predigt mehr als durch die meinigen erbauet zu werden bezeugte/ ſelbs dahin
weiſen/ daß erfolgen/ wo ihn goͤttlicher finger hin wincke: alſo gar begehre ich mich
niemand zu einem lehrer auff zu dringen/ oder zuͤrne daruͤber. Daß im uͤbrigen
derſelbe an ſich ſelbs und an ſeinem eignen zimlich/ ja faſt einig gefallen zu tragen ge-
pfleget/ daher insgemein andere in ſeinen augen gering gehalten/ habe gemeinet/ ſelbs
an ihm mehrmahls wargenommen zu haben: ſo war es auch andern guten freun-
den/ ja auch derjenigen/ welche ihn am innerſten gekant/ urtheil/ die auch deßwegen
die verhaͤngnuͤß Gortes zu damahligen fall ſolcher urſach zu geſchrieben/ daß ihn der
heilige und guͤtige Gott in eine hertzliche und heilſame demuth bringen wollen. Nechſt
deme was derſelbe ſchreibet/ daß/ wie ihn Gott in die wahrheit gefuͤhret/ der Sathan
ihn auff allerley weiſe nachgeſtellet/ und Gott endlich errettet habe/ laſſe ich billich
ſeiner eignen pruͤffung heimgeſtellet/ als deme ſolches von mir ſelbs nicht genug be-
kant: Doch habe billich zu bitten/ ſich wohl zu pruͤffen/ ob alles was er vor g[oͤ]ttli-
che leitung und liecht haͤlt/ dergleichen wahrhafftig ſeye/ und ſich nicht etwa einiges
falſches liecht mit eingemiſchet/ ſo dann ob alles von dem Salan geweſen/ welches
er davor haͤlt/ und leuten zimlich unrecht damit thun moͤchte/ die er vor deſſen werck-
zeuge gegen ſich anſiehet. Der effect wirds endlich weiſen/ in dem nichts von
Gott ſeyn kan/ was von einiger deſſen wahrheit und ordnung abzeucht. Ach der
HErr fuͤhre ihn ja nach ſeinem rath/ und laſſe ihn durch keine falſche liechter zu ſeinem
ewigen ſchaden bethoͤret werden/ ſondern bewahre ſeine liebe ſeele. Jch komme nun
auff daß Urtheil von mir/ und verſichere ihn/ daß ſolches mit gedult und ſanfftmuth
zu trageu von dem HErren gelernet habe/ auch etwa mehrmahl Gott zu dancken ur-
ſach finde/ wo er mich auch durch unbilliche urtheil zu meiner pruͤffung weißet. Was
eine anblickung eines goͤttlichen liecht-ſcheins zu vernuͤnfftigen erkaͤntnuͤß ſeye/ be-
kenne ich ihm/ daß ich ſo wenig verſtehe/ als andere in dem ſchreiben enthaltene mir
unbekandte terminos. Ach wie wohl thaͤten wir/ wo wir von den wercken des Gei-
ſtes Gottes reden/ daß wir auch ſeine ſprache brauchten/ da andere gute hertzen uns
recht
[587]ARTIC. I. DIST. IV. SECT. XXI.
recht verſtuͤnden/ ſonderlich: wo es ſie ſelbs treffen ſolte. Jch bleibe nach meiner
einfalt bey Gottes Wort/ das zeiget mir die zwey principia,geiſt und fleiſch
in uns/ und auſſer unſerm weſen/ die aber damit handeln/ den Heil. Geiſt Gottes und
den boͤſen geiſt. Jn welchem nun der Geiſt die obhand hat/ und nicht nur wider
das fleiſch ſtreitet/ ſondern daſſelbe gewoͤhnlich beſieget/ welche auch nach aller krafft
ſich nach dem Geiſt zu wandelen beſtreben uñ auf deſſen antrieb acht geben/ hingegen
vor dem Satan und deſſen wuͤrckung einen hertzlichen eckel haben/ und ihm mit
willen nicht dienen/ (dafern ſolches alles nicht nur gehet auf die eußerliche moral- und
der vernunfft ſelbs bekandte tugenden/ ſondern das hertz tieffer angreiffet/ und de[n]
grund der verderbnuͤß die eigen liebe zu reinigen trachtet/ ſo dann da ſolches aus ei-
nem vertrauen der gnade Gottes in Chriſto Jeſu herkommet) ſo achte ich ſolche leu-
te vor wahrhafftig wiedergebohrne/ und ihre erkaͤntnuͤß vor keine buchſtaͤbliche ſon-
dern lebendige erkaͤntnuͤß/ weil ſie ſich in ihren fruͤchten offenbahret. Dieſes lehret
mich der Heil. Geiſt aus dem Wort Gottes/ und begehre ich mein lebenlang dabey
zu bleiben. Er gedencke aber ſelbs/ obs der goͤttlichen wahrheit und der liebe gemaͤß
ſeye/ einem menſchen die goͤttliche erkaͤntnuͤß abzuſprechen/ welcher ſie nicht allein
bloſſer dings aus Gottes Wort herhat/ und alles nicht menſchen zu gefallen/ ſondern
dem zeugnuͤß des HErren in der Schrifft/ dero goͤttlichen krafft er bey ſich empfindt/
glaubet/ aus derſelben erkaͤntnuͤß der gnade Gottes in Chriſto/ und derer in dieſem
habender heils ſchaͤtze/ ſich alſo getroͤſtet/ daß er darin ſeine einige freude/ ruhe
und ſeeligkeit ſuchet/ mit gering achtung alles irdiſchen/ obs auch die groͤſſeſte gluͤck-
ſeligkeit waͤre/ kriegt auch krafft aus ſolcher erkaͤntnuͤß ſein fleiſch und blut zu creu-
tzigen/ und ſeinen luͤſten auch in den ſtuͤcken/ wo es kein menſch gewahr werden
kan/ ſondern er allein auff GOttes gegenwart ſiehet/ abzubrechen/ und darinn ſeine
freude zuſuchen/ worinn die natur ſonſten ihren todt und mißfallen hat/ nicht we-
niger ſich alſo zu demuͤthigen/ daß er gantz gruͤndlich ſein nichts in ſich ſelbs erken-
net/ ſo dann GOTT alſo hertzlich zu lieben/ daß er mit wahrheit/ was er thut/
in der abſonderlichen oder allgemeinen abſicht demſelben es zu liebe zu thun/ ſich
beſtrebet/ mit einer willigen reſolution, allezeit ſein leben vor denſelben auff zu
opffern/ auch den nechſten ſo zu lieben/ daß es keine heuchleriſche/ ſondern eine gruͤnd-
liche und von innen herausqvellende liebe ſeye/ ſonderlichſt aber die kinder Gottes
ſo zu lieben/ daß er ſobald er einige derſelben gewahr wird/ ſobald in ſich eine ſo zu
reden natuͤrliche (die aber uͤbernatuͤrlich iſt/) zuneigung gegen ſie bey ſich fuͤhlet/
hie ſage ich noch einmahl: Ob es GOttes Wort gemaͤß ſeye/ einen ſolchen men-
ſchen vor einen bloß natuͤrlichen menſchen zu achten/ kan ich nicht begreiffen/ viel-
mehr halte mich verſichert/ ſolche ſtuͤcke/ die alſo neben einander ſtehen/ ſeyen viel
zu viel/ als daß eine gute complexion und vernunfftliecht ex ſpiritu aſtrali ſolche
zu wuͤrcken vermoͤchte. Dabey dancke ich GOTT/ daß obwol meiner ſchwach-
heit mir hertzlich bewußt/ in der pruͤffung mich ſeiner gnade nicht gantz lehr befinde.
E e e e 2Was
[588]Das ſechſte Capitel.
Was von der putrefaction, die vor der widergeburth hergehen muͤſſe/ (wo ſie et-
was anders iſt/ als die wahre buß)/ auffſchlieſſung des contri der ſeelen/ und der-
gleichen geme det wird/ verſtehe ich ſolche wort nicht/ und bleibe bey meiner einfaͤlti-
gen Bieb[el]/ die iſt mir geheimnuͤß genug; ſo vergnuͤge mich auch an ihren redens-
arten/ und beſorge daß aus der καινο [...]ωνία leicht eine κενο [...]νία werden moͤchte. Daß
ein ieglicher zu ſeiner widergeburt durch eine ſolche verweſung gehen muͤſte/ daß die
ſeele eine weil eben ſo wenig labſal von innen und auſſen empfinden/ als Chriſtus an
dem creutz/ ſaget mir die Schrifft nirgends: ob ich wol nicht laͤugne/ daß der HErr
freylich auch manche/ und etwa die jenige/ welche er zu ſeinen wichtigſten geſchaͤfften
bereiten und kraͤfftigere werckzeuge aus ihnen machen will/ in eine dergleichen hoͤlle
fuͤhre/ geineiniglich aber nicht ſo wol in ihrer bekehrung und widergeburt/ als da ſie
ſchon in der gnade eine gute weil geſtanden/ und dergleichen einer probe faͤhig wor-
den ſind: Wodurch gewiß iſt/ daß viel ſtattliches und himmliſches in ihnen
dadurch gewuͤrcket werde. Daß aber alle widergeburt und bekehrung auff ſolche
weiſe geſchehen muͤſte/ wird weder GOttes Wort noch die erfahrung lehren.
Seine wege ſind heilig/ unbegreifflich und obwol auff einem zweck gerichtet/ den-
noch nicht ohne groſſen unterſcheid: Er ziehet einige ſeelen mehr mit ſanfften und an-
muthigen liebes-ſeilen/ und laͤſſet die ſelige geburt auch bey ihnen mit geringern oder
kuͤrtzern ſchmertzen hergehen/ bey andern haben ſeine ſchrecken mehr platz/ und gehet
ſaurer her: Jedes und bey ieden nicht von ungefehr/ ſondern nach dem rath ſeiner
H. Weißheit/ dero wir nicht mit Petro/ Joh. 21/ 21. einzureden/ oder ihn wegen des
unterſchieds/ welchen er in ſeinen wegen haͤlt/ zu rechenſchafft zu fordern/ haben/
wollen wir nicht auch hoͤren/ ſo ich will daß dieſer bleibe biß daß ich komme/
daß er auff leichtere und anmuthigere art durch weniger binden gefuͤhret werde/
was gehet es dich an/ folge du mir nach/ und ſeye zu frieden mit der diſpoſi-
tion
meiner weißheit uͤber dich. Einen Paulum ſchlaͤgt der HErr ſo zu reden als
mit einem blitz zur erden/ und muß er drey tage in blindheit/ und faſten aushalten/
wo es etwa ohn die empfindligſten ſchmertzen nicht her gegangen ſeyen mag/ ehe ein
ſolchs edles kind gebohren wurde: bey andern. Ap. Geſch. 2. war es aus einer
predigt eine einige ernſtliche buß betruͤbnuͤß/ ſo das hertz durchdringet/ und gelangen
ſolche leute ſobald ſolchen tage noch zu der gnade und Sacrament der widerge-
burt: mit dem Caͤmmrer und Kerckermeiſter Apoſt. Geſchicht 8. und 16. ginge es
etwa noch geſchwinder daher/ und wurden gleichwol alle ſo bald in den ſtand geſetzt/
darinnen ſie ſeelig werden koͤnten/ welches ie nicht ohne wahren goͤttlichen glauben
und alſo eindringung des himmliſchen liechts und krafft in die ſeelen ſelbs/ folglich
die wahre wiedergeburt/ kan geſchehen ſeyen: und gleichwohl fuͤhlen eben nicht alle ſel-
bige das jenige/ wo durch der HErr andere ſeine auserwehlten aus ihme beliebten
rath gefuͤhret hat: wie er auch in andern ſtuͤcken ſeines umgehens mit den ſeinen
in euſerlich und innerlichem zimlichen unterſchied haͤlt/ daß alſo auch dieſer art un-
ter-
[589]ART. I. DIST. IV. SECT. XXI.
terſcheid uns nicht ſo fremde vorkommen/ noch was wir an einigen warnehmen/ ja
wo wirs an uns ſelbs erfahren haͤtten/ ſo bald als die allgemeine regel/ die alle ange-
het/ von uns angeſehen/ oder davor ausgegeben werden ſolle. Dieſes bleibet allein
wahr und ausgemacht/ daß in Chriſto und in dem Chriſtenthum ſeye ἀλήθεια, eine
wahrheit und alſo nicht eine aus der vernunfft gefaßte einbildung/ ſondern etwas
wuͤrckliches von GOtt gewuͤrcket/ eine θεία φύσις, wie Petrus redet 2. 1/ 4. eine him̃-
liſche und goͤttliche art/ welche ſich in die gantze ſeele ergießet/ und deroſelben kraͤff-
ten/ verſtand/ willen und affecten, erfuͤllet: Daher der menſch wahrhafftig ſich an-
ders als er vorhin geweſen/ und die unwidergebohrne ſind/ geſinnet befindet/ daraus
er erkennet/ es ſeye etwas in ihm (in geſunden verſtand/ wie nicht nur die ſubſtantiæ
ſondern auch eigenſchafften ihr weſen haben) weſentlich/ ſo nun daß innere princi-
pium
in ihm iſt/ aus dem das gute bey ihn ſo eigentlich herkommet/ als ſonſten aus
der inwohnenden ſuͤnde er die reitzungen bey ſich fuͤhlet. Alſo erkenne ich gern/
daß unter dem buchſtaben und krafft ein maͤchtiger unterſchied ſeye/ in deſſen iſt
doch der buchſtaben das geſegnete mittel/ wodurch in den hertzen der jenigen/
welche dem Heil. Geiſt platz geben/ die krafft ſich offenbahret und wuͤrcket. Da-
her[o] der jenigen/ welche aus dem buchſtaben/ aber in der mitwuͤrckung des Heiligen
Geiſtes/ gelehret ſind/ wandel iſt nicht eben ein ſcheinwandel/ ſondern ihre ſeelen
ſind wahrhafftig voll glaubens/ nicht irrdiſch ſondern himmliſch geſinnet/ und wuͤr-
cken/ was ſie thun/ in einer nicht heuchleriſchen/ ſondern wahren liebe Gottes und
des nechſten. Bey wem aber mehr urtheilen/ richten und verdammen ſeye/ bey
den jenigen/ die ſich von dem buchſtaben als dem werckzeug der goͤttlichen krafft
nicht abziehen/ noch etwas anders als/ was ſie aus demſelben von Gottes gnaden
uͤberzeugt worden/ wiſſen wollen/ oder bey den ienigen/ welche andre als buchſtaͤbler
verachten/ und von lauter geiſt und offenbahrungen ſich ruͤhmen/ wird der tag
des HERRN offenbahren: Doch offenbahrets ſichs mannichmahls bereits
in der welt genugſam/ wie bald liebe/ ſa [...]fftmuth/ und gedult/ der jenigen aus
ſeye/ welche doch das anſehen haben wollen/ als waͤre ihre eigene uͤbung
durch das Creutz Chriſti ſich ſelbſt zu brechen zu laſſen. Welches wir aber
dem HERRN und unſer aller Richter zu uͤberlaſſen/ hingegen uns allerſeits
genau zu pruͤffen/ und in auffrichtiger liebe unter einander zu warnen haben.
Daß ich meiner ſeelen kraͤfften in dem dienſt des ſpiritus mundi verzehren muͤſſe/
bin ich nicht uͤberzeuget/ der ich vielmehr nach dem vermoͤgen/ daß der HErr
darreichet/ ob es wohl geringe iſt/ trachte dem Geiſt des HErrn zu dienen/ und ihn
um ſeine gnade flehentlich anruffe/ daß er meinem verſtand/ willen/ zunge und
feder regiren/ und mich nicht von mir ſelbs gefuͤhret werden laſſen wolle.
Dieſes bete ich in kindlicher einfalt/ und weiß daß ich darinnen bete nach des HErrn
willn/ als der ſolches will. Jch gebrauche mich darneben der ordrntlichen mittel/ und
E e ee 3begeh-
[590]Das ſechſte Capitel
begehre meinen zuhoͤrern nicht meine eigene einfaͤlle vorzutragen/ ſondern predige
ihnen das Wort des HErrn/ ſo in der Propheten und Apoſtel ſchrifften zu dieſen
ende uns hinterlaſſen/ von mir und andern vor der gemeinde ausgeſproch [...]n werden
muß. Weil ich mich auch ſelbs durch Gottes gnade kenne/ und weiß/ daß ich das fleiſch
an mir trage/ ſo dem Geiſt widerſtreitet/ und aus demſelben auch offt ein falſches
liecht ſich bey dem goͤttlichen unvermerckt einmiſchen kan/ habe ich meine zuhoͤrer ſo
offt vor mir ſelbſt und allen menſchen gewarnet/ daß ſie weder mir noch einigen men-
ſchen um unſer perſon und amts willen/ ſondern/ allein dem jenigen ſo wir ihnen aus
Gottes Wort alſo vorſtellen/ daß ihre gewiſſen durch die krafft und liecht deſſelben
uͤberzeuget werden/ glauben ſollen. Alſo begehre ich mir nicht/ ſondern allein Chri-
ſto/ juͤnger zu machen: ſage auch dem HErrn ewigpreiß/ der ſeines unwuͤrdigen
knechts ſtimme nicht allezeit hat laſſen in dem wind gehen/ ſondern ſich etwa ſeelen
ſinden werden/ welche bezeugen koͤnnen/ was vor ruͤhrung ſie davon empfunden/ ei-
nige eines geruchs des lebens zum leben/ andere leider eines geruchs des todes zum
tode/ ſo wider ihren willen die durchdringende und uͤberzeugende krafft haben fuͤhlen
muͤſſen. So formire ich nichts nach eignen willen/ ſondern wolte gerne in goͤttlicher
ordnung ein werckzeug ſeyen/ daß Chriſtus in vielen hertzen moͤgte formiret werden.
Ob mirs um das zeitliche und gemaͤchliche leben und der gleichen auctoramenta
ſæculi
zu thun ſeye/ will mich eben nicht nur auff mein gewiſſen/ ſondern auff den
augenſchein ſelbs beruffen: ob nicht manche ſeyen werden/ welche mit meiner lebens
art ihr auch muͤhſamen ſtand nicht wuͤrden verwechslen wollen: ob nicht etwa in al-
len dem/ was das fleiſch verlanget/ ſich zimlich offenbahr zeigen lieſſe/ daß ich mehr
haben/ und genieſſen/ und es weiter bringen koͤnte: und vielleicht moͤchte auſſer ſol-
chem dienſt/ den ich verwalte/ eine lebens art finden/ darinnen mehr von demjenigen
genoͤſſe/ was etwa viele vermuthen/ meine treibende urſach/ oder abhaltung von ei-
ner aͤnderung zuſeyen. Die unordnung unſerer kirchen-verfaſſungen/ woraus vie-
ler mißbrauch der goͤttlichen guͤter entſtehet/ bejammere mit andern Chriſtlichen
freunden hertzlich: ich ſehe aber mich und alle andere zu ſchmach/ den ſtein zu heben/
ſondern aus allen deßwegen vermeſſenlich vornehmenden conaminibus nur meh-
rere zerruͤttungen und remedium malo deterius. Jn dem der hauptfehler nicht
an ſolchem effectu zu ſuchen/ ſondern er ſtecket in cau[ſ]a, welcher ziemlicher maſſen
dieſe iſt/ daß dem dritten ſtand in der kirchen ihre rechte uͤber ihre glieder und dero
gemeinſchafft zu ertheilen von den beyden obern ſtaͤnden laͤngſten entzogen. Daß
aber jener wieder reſtituiret werde/ ſind ſolche hindernuͤßen/ die nicht anders als
durch goͤttliche allmacht uͤberwunden werden moͤgen. Jndeſſen thaͤten wir predi-
ger mehr unrecht/ als recht/ wo wir eigenmaͤchtig des jenigen rechts/ ſo der gantzen
kircken gebuͤhret/ uns annehmen/ und es uͤben wolten. Es waͤre dann ſach/ daß Gott
ſelbs iemand mit auſſer ordentlichen Heroiſchen Geiſt und trieb ausruͤſtete/ das was
niemand uͤben will/ oder ordentlich in ſolches eintringen darf/ weiß die jenige/ denen es
gebuͤhret
[591]ARTIC. I. DIST. IV. SECT. XXI.
gebuͤhret/ von ihren recht vertrungen worden/ in ſolcher krafft angriffe/ und ausfuͤh-
ret. So zwar zu geſchehen ſchwerlich hoffe/ vielmehr andere aͤnderung durch ſchwe-
re gerichte ſorge. Jndeſſen da ich hierinnen verfahren muß/ nicht wie ich wolte/
ſondern wie ich kan/ und die jenige nicht abhalten darff/ die ſich verſuͤndigen wollen/
ſtelle ich doch den leuten die ſache alſo vor/ daß ſie/ wo ſie verlohren gehen/ nicht aus
unwiſſenheit verderben/ ſondern ihnen genugſam vorgeleget iſt/ wo ſie dieverſiche-
rung der guͤltigkeit ihrer abſolution, und nutzen der communion zu ſuchen haben.
Wird es ihnen damit ein geruch des todes zum tode/ ſo iſts ihre ſchuld. Daß un-
ſern geſamten kirmen-weſen eine ſchwehre heimſuchung/ welche andere nach dem euſ-
ſerlichen vor eine voͤllige verſtoͤhrung achten moͤchten/ vorſtehe/ glaube und lehre ich
ſelbs. Daß es aber Babel ſeye/ hat mir noch nie keiner/ wie hertzlich ich gebeten/
aus goͤttlichen Wort zeigen koͤnnen; Dann die bloſſe derivatio des worts machets
in einer ſolchen wichtigen ſachen nicht aus/ ſondern mir haben aus dem typo des al-
ten Teſtaments und des Heil. Geiſts anweiſung in apocalypſi zu lernen/ was es ſeye.
Jch kehre und wende die ſache aber/ wie ich wolle/ ſo kommets nie anders heraus/ als
daß einmahl ein unterſchied unter einem verdorbenen Jeruſalem und dem Babel
ſeyen/ auch dieſes in der verſtoͤhrung des andern ſein maß der ſuͤnden erfuͤllen/ und ſein
gericht herbey ziehen muͤße. Zeiget mir ein anderer etwas beſſers/ aber alſo/ daß ich
deſſen aus dem Wort des HErrn uͤberzeuget/ nicht aber auff menſchen gutduͤncken
gewieſen werde/ ſo bin ich bereit/ iede wahrheit mit demuth an zu nehmen. Daß ich
neue meinungen ſchnitzen wolle/ hoffe nicht/ daß ich iemand nur anlaß gegeben habe/
dergleichen von mir zu gedencken: daß aber alles ſecten ſtreit ſeyn ſolle/ was uͤber
glaubens-lehren gehandlet wird/ iſt zu viel geredet. Zwar iſts freylich allemahl auff
ſeiten der jenigen/ welche die falſche lehre (da immer unter zweyen contradictoriis
die eine falſch ſeyn muß/) vertheidigen/ ein ſtreit einer ſecte/ die ſich von der wahrheit
getreñet hat: was aber vor die wahrheit gegen jener irthum in der furcht des HErrn
geredet und geſchrieben wird/ bleibet ein werck aus GOtt und in demſelben gethan.
Welches ſo lang fortgetrieben werden muß/ als die wahrheit widerfochten wird/ biß
der HErr ſelbs auff andere art die widerſprecher zu ſchanden mache. Wo ich alſo
endlich kurtz meinen gantzen ſinn und intention faſſen ſolle/ ſo ſtehet er dahin/ daß ich
mein gantzes leben/ (deſſen etwa weniges mehr uͤbrig ſeyen mag) verlange zu zu brin-
gen in einfaͤltiger vortragung goͤttlichen Worts und Evangelii bey alten und jungen/
offentlich und abſonderlich/ nach aller gelegenheit und vermoͤgen/ daß der HErr geben
wird/ damit ich mein armes pfund nach ſchuldiger treu anwende/ und ſo viel damit
wuchere/ als der HErr ſegen geben will/ ich werde mich befleißigen den ſuͤndern Got-
tes zorn vorzuſtellen/ ſonderlich die larve des falſchen mund glaubens und vertrauens
auff das opus operatum mehr und mehr den leuten abzuziehen/ und die gefahr/ ſo
ihrer ſeelen/ als unſerer zeiten/ auffs deutlichſte vor zumahlen: hin wieder allen
menſchen die gnade Gottes in Chriſto Jeſu verkuͤndigen/ ſie dazu einladen/ den weg
zeigen/
[592]Das ſechſte Capitel.
zeigen/ und denen die ſich gerne eriñern laſſen/ mehr und mehr die ſchaͤtze ihrer ſeeligkeit
weiſen: ich wuͤrde trachten/ keine zeit zu verſaͤumen/ ſondern in arbeit zum gehorſam
Gottes und liebe des nechſten alle ſtunden zuzubringen/ was nicht die nothdurfft des
leibes vor ſich erfodert: ich werde den HErren anruffen/ daß er ſich mein und ſei-
nes gantzen hauffens erbarmen/ mir dasjenige/ was mir vor mich und andere/ vor-
nemlich um dieſer willen/ da ichs vor mich nicht wuͤrdig bin/ noͤthig ſeyn mag/ aus
genaden verleihen/ und mich zu ſeinen werckzeug machen nimmermehr aber mich von
mir ſelbſt regieret werden laſſen wolle. Dieſes iſt mein ſtetes und in das hertz tieff ein-
getrucktes verlangen auch in der zeit/ da ich eben nicht bete/ ſoll aber imerfort in ſeuff-
tzen ausbrechen/ und gewißlich nach Goͤttlicher verheiſſung erhoͤret werden: ich werde
mit jammernden augen und ſeufftzen anſehen/ was ich nicht aͤndern kan/ ſondern der
HErr die aͤnderung und beſſerung ſeiner macht vorbehalten hat/ dero es auch befeh-
le/ indeſſen trachten mich von der welt unbefleckt zu behalten: ich werde der zeit er-
warten/ da der HErr etwa bald Babel uͤber uns macht geben wird/ und wo er auch
mich um ſeines nahmens willen etwas will leiden laſſen/ ihn bitten/ daß er mich ſol-
ches mit freuden und danckſagung vor ſolche wuͤrdigkeit wolle uͤberwinden laſſen/
als der mich der malzeichen des HErrn JEſu/ wo ich verſichert bin/ daß es ſolche/
und leiden vor die wahrheit/ ſeyen/ nicht ſchaͤmen will. So ſtehet mein hertz und
vorſatz vor ihm auffgedeckt/ und muß ich geſchehen laſſen/ was er davon urtheilen
will. Jch bitte ſchließlich den himliſchen Vater/ daß er auch das in ihm gelegte gu-
te mehr und mehr reinigen/ von aller eigenheit/ die in dem ſubtilſten am aller geſaͤhr-
lichſten iſt/ bewahren/ alle irrwege/ wo er in einige gerathen waͤre/ oder denſelben na-
he ſtuͤnde/ mit ſeinen liecht zeigen/ und ihn davon abwenden/ hingegen die verliehene
gaben zu einem nuͤtzlichen gebrauch heiligen und wiedmen wolle/ an jenem groſſen
tage davon rechenſchafft geben zu koͤnnen. Dieſes iſt der inniglichſte wunſch meiner
ſeelen aus wahrer liebe: Jn deme der HErr mich auch diejenigen zu lieben gelehret/
an denen die verlangte freude nicht finde/ aber demſelben ſein regiment uͤber die ſeelen/
welche ſein ſind/ laßen ſolle. Ach daß keine von allen verlohren gienge/ oder ie ſo
wenige/ als Goͤttliche gerechtigkeit zu giebt/ unter die wir auch unſere wuͤnſche und
begierden zu demuͤthigen haben. Jn des Vaters der barmhertzigkeit und unſers treu-
ſten Heylandes liebreiche obhut und gnadenregierung hertzlich erlaßende verbleibe
ſchließlich u. ſ. w. den 6. Jun. 1684.


SECTIO XXII.


Als ein prediger in gefahr ſein amt zu verliehren gekom-
men/ und man mich mit einflechten wolte.


JCh kan aus dem ſchreiben von dem gegenwaͤrt[i]gen zuſtande des herrn bru-
ders nichts voͤllig gewiſſes abſehen; ob die dimiſſion wuͤrcklich erfolget/ oder
nicht; hier aber erſchalte das geruͤcht/ daß es bereits geſchehen ſeye/ und er
naͤchſter
[593]ARTIC. I. DIST. IV. SECT. XXII.
naͤchſter tags hier ſeyen wuͤrde; Dahero noch die voͤllige gewißheit nicht habe/ und
deſto lieber/ wo er ohne das hier zu erwarten/ mein ſchreiben verſchieben wollen.
Es iſt mir die gantze ſache nicht wenig leid/ und wuͤnſche ich/ daß in derſelben anders
gegangen waͤre. So werde ich auch ſelbs faſt darinn eingeflochten/ da ich mich
doch allerdings daraus zu halten verlange/ und in einem mir ſo zweiffelhafften wer-
cke nicht anders urſach habe. Jch werde aus N. ſchon errinnert/ daß ich daſelbs
in groſſem verdacht ſtehe/ ob hielte ich die partes des herrn N. N. und anderer mit
denen das conſiſtorium in zwiſt ſtehet/ mit der anmuthung eines guten ſreundes/
daß ich doch publico ſeripto mich deſſen entſchuͤtten moͤchte: So ich zwar ntcht
reſolviren wuͤrde. Hingegen werde von gedachtem herrn bruͤder angeſehen/ ob
entzoͤge mich zu viel/ und wolte auff beyden ſeiten hincken/ der ſich auch druͤber be-
ſchwehret/ daß ihm vorgehalten worden/ daß ich nicht mit ihme zu frieden/ dadurch er
in ſeiner ſache graviret werde. Nun laſſe ich einen jeden unpartheyiſch/ und
Mghn. ſelbs Chriſtlich urtheilen/ ob ich nicht urſach habe/ mich nach allem vermoͤgen
aus dem werck zu halten. Es trifft daſſelbige nicht eine ſolche algemeine ſache oder
lehrpuncten an/ uͤber dem jeglicher unſerer kirchen lehrer nicht nur halten ſondern ſol-
chen auch mit hindanſetzung aller reſpecte behaupten muß/ ſondern einen abſonder-
licher ſtreit/ welchen das Conſiſtorium mit gewiſſen perſonen hat/ da aber ich uͤber
dieſes mich des gerichts nicht anzumaſſen/ noch einen ἀλλοτριο [...]πίσκοπον abzugeben/
zu deme auch nicht beyde partheyen daruͤber gehoͤret habe. Was meine lehre in theſi
in ſolchen materien/ daraus der ſtreit entſtanden/ betrifft/ habe ich dieſelbe publicis
ſcriptis
voꝛ augen geleget/ uñ nun daruͤbeꝛ weiteꝛ nichts zuthun/ ſolle auch billig damit
nicht eingeflochten werden. Was den werthen herrn bruder anlangt/ hoffe Mhghr.
werde ſich verſicheren/ daß ich denſelben liebe/ und von grund der ſeelen verlange/
daß ſeine gaben moͤchten viele frucht bringen. Jch æſtimire an ihm eine hertzliche
begierde/ GOtt treulich zu dienen/ daran und an der auffrichtigen intentio[n] in allen
ſeinen ſachen keinen zweiffel trage: daher erkenne mich ſchuldig/ ihn vor andern hertz-
lich zu lieben/ und das gute an ihm nach vermoͤgen zu befoͤrderen. Wie dann auch
vor dem HErren bezeugen kan/ daß mein hertz alſo gegen ihn wahrhafftig geſinnet
iſt: Hingegen auch neben dem wird Mhghr. ſich wohl erinnern/ daß wir nicht eben ei-
nerley meinung in allen ſtuͤcken ſeyen/ ſonderlich wie weit ſich eines predigers pflicht
erſtrecket/ wie denn nun derſelbe davor haltet/ er ſey ſeiner meinung gewiß/ und da-
her verbunden/ alles daruͤber zu leiden: ſo glaube auch meiner ſeiten/ guten grund zu
haben/ deſſen/ was ich davor halte? Wen nun der geliebte herr bruder wegẽ der behaꝛ-
rung auf dem ſeinigen/ wozu er ſich von ſeinem gewiſſen getrieben achtet/ leidet und in
ungelegenheit kom̃et/ ſo iſt ja nicht moͤglich/ daß ich mich ſeiner ſo fern annehmen kan/
die ſache und meinung ſelbſt zu billichen und was gegen ihn geſchiehet/ oder die ſich
gegen ihn ſetzen/ zu verurtheilen. Denn ob ich mich wohl verſichere/ daß er nach ſei-
nem gewiſſen thu ſo wiſſen wir doch daß eine conſcientia auch erronea oder ſcru-
F f f fpuloſa
[594]Das ſechſte Capitel.
puloſa ſeyen koͤnne. Jſt alſo gung/ daß ich mich davon abziehe/ und auff keine
ſeite mein urtheil faͤlle/ ob ich wohl nicht leugnen kan noch darff/ daß in quæſtione
ſelbſt/ was zu unſerer zeit einem diener Chriſti obliege/ ich mit ihme nicht aller dings
mit einſtimme/ in deſſen mit Chriſtlichen mitleiden das was ihme begegnet/ an-
ſehe/ und wo ich anderwerts/ da man etwa ihme eher in demjenigen/ was ſein gewiſ-
ſen aͤngſtiget/ an die hand gehen doͤrffte/ befoͤrderlich ſeyen kan/ mich dazu willig
verſtehe. Aber ſeine gegen parthey anzugreiffen/ oder mich gegen ſie zu declarirer,
hingegen ſein leiden als ein martyrium zu loben/ iſt mir nicht zu zumuthen; in dem
ich in ſolchen wieder meinen eigenen ſinn ſtaruiren, mein gewiſſen verletzen/ und auf
nicht nur einerley art unrecht thun wuͤrde. Jn deſſen kan nicht billigen/ wo man mit
falſis narra[t]is in ihn ſetzet/ wie er klaget/ ihm vorgehalten worden zu ſeyen/ ich haͤtte
nach N. N. in einem brieff conteſ[t]irt, ich haͤtte ſchon mit ſo viel 1000. bitteren zaͤh-
ren berenet/ daß ich mein collegi[u]m angefangen/ da ich doch noch niemahl einen
thraͤnen daruͤber vergoſſen/ noch urſache gehabt habe/ mich ſolches reuen zulaſſen/
vielweniger dergleichen geſchrieben habe. Welcherley zu thun und auff eine perſon zu
erdichten/ nicht recht gethan iſt. Jch verlange aber aufs eheſte den endlichen außgang
der ſachen zu erfahren/ und ruffe den HErren Herren demuͤthig an/ welcher alles
zum beſten wenden/ und ſonderlich den geliebte herrn bruder mit dem Geiſt der weiß-
heit und wahrheit alſo regieren wolle/ daß in patria oder wo er ihn anderwertlich
hinſenden wolte/ ſeine gaben und gute intention viel nutzen ſchaffen moͤchte. Wo-
zu dann was mit guten gewiſſen beyzutragen vermag/ willig thue/ und es ſo viel
kraͤfftiger zu thun vermoͤge/ werde wann man mich jetzo daraus laͤſſet/ und ſich in
nichts auff mich berufft. den 18. Jul. 1685.


SECTIO XXIII.


Verbot irriger buͤcher. Wie mit gutmeinenden aber allzu-
hefftigen eifferern zu verfahren. Daß uͤber Jacob Boͤhmen nicht ur-
theilen koͤnne. Von unrichtiger beruffung auff meinen
conſenſum.
Ob mich meincollegiumgereuet.


WEgen herr N. N. war mir ſehr lieb/ einigen bericht zu haben/ und zwar daß er
die ordination endlich angenommen: hingegen war mirleid/ daß nachmahl
die ſache wieder verdorben/ und das vorige revocirt worden. Gleichwol
wundere ich mich auch der zugemutheten durchgehung der bibliotheck. Wir ſchel-
ten an den Papiſten/ daß dieſelbe unſere buͤcher/ die ſie vor ketzeriſch halten/ ihren leu-
ten zu haben und zu leſen verbieten/ und achten ſolches vor eine boͤſe anzeige zu ſeyen
einer boͤſen ſache/ und wider das jenige zu ſtreiten/ daß wir 1. Theſſ. 5/ 21. alles pruͤf-
fen
moͤgen/ aber das gute behalten ſollen. Wie ich nicht leugne/ daß mir ſelbs
der Papiſten lehr wegen ſolches verbots ſo viel verdaͤchriger allezeit geweſen iſt. Sol-
te
[595]ARTIC. I. DIST. IV. SECT. XXIII.
te aber ſolches in praxi nicht allgemach da hinaus lauffen/ was wir in Theoria
verwerffen/ wo/ ich will nicht ſageu/ einem andern Chriſten/ ſondern gar eiuem pre-
diger/ verboten ſeyen ſolte/ irrlehrige buͤcher zu haben und zu leſen. Jch ſorge zwahr
haͤfftig wir proſtituiren uns damit ſelbs/ und aͤrgeren die widerſacher/ da es ihnen
kund wuͤrde; Daß ſie ſagen/ was wir pro forma und nach unſerem intereſſe
an ihnen ſtrafften/ thaͤten wir ſelbs und zeigten/ daß ſo wenig unſere lehr die gemuͤ-
ther feſt machen/ und gegen die irrthuͤmer verwahren muͤßte/ als wir der ihrigen
ſchuld geben/ daß wir ſie auch mit einer ſolchen gewaltſamen abhaltung fremder lehr
erſt muͤßten in ſicherheit ſetzen. Sonſten die ſache herr N. N. anlangende/ wiederhohle/
wie allemahl/ daß ich davon nicht urtheilen koͤnne/ als der ich nicht alles von beyden
theilen weiß/ und mirs auch nicht zukommt/ mich in fremde haͤndel zu miſchen: ei-
nes redlichen hertzens und treue nach ſeinem gewiſſen verſichere ich mich von ihm
gewiß/ habe auch an der orthodoxia keinen mangel gehoͤret; wie weit ſich abec ſei-
[n]e prudenz erſtrecke/ weiß ich nicht. Jndeſſen glaube/ daß allemahl ſolche leute/
dero redliches hertz gegen GOtt ſich zeiget/ ob ſie in dem eiffer zu weilen excediren,
und ſich/ nicht in einerley ſchrancken mit anderen einſchrencken laſſen koͤnnen/ mit
mehrer ſanfftmuth als ſonſt jemand zu tractiren und in ordnung zu bringen ſeyen/
damit das gute in ihnen nicht nieder geſchlagen/ ihren aͤngſten des gewiſſens gera-
then/ und ſie nicht geaͤrgert werden. Geſchiehet aber ſolches nicht/ und man brauchet
einige hefftigkeit/ daß man mehr mit autorit[aͤ]t und befehl als kraͤfftiger uͤberzeugung
des gewiſſens in ſie ſetzt/ ſo iſt nicht zu ſagen/ was vor aͤrgernuͤß in dem guten leuten
entſtehet/ daß ſie auch in den ſcrupulen und irthum ihres gewiſſens nur deſto mehr
geſtaͤrcket werden/ recht zu haben/ weil die procedur gegen ſie mit Chriſti manier/
uach ihrer meinung nicht uͤber einkommet/ ja es kan endlich gar weiter kommen/ daß
ihnen unſer kirchen-weſen/ und lehr endlich ſelbs verdaͤchtig wird/ biß ſie gar in
irrige meinungen verfallen/ und ihnen ſchwer mehr zu helffen iſt/ da ſie ſonſt auf ande-
re liebreiche arten noch moͤchten erhalten werden/ wann man ihn zeiget/ wie man
das gute in ihnen liebe/ und gerne befoͤrderen wolle. Ob nun auff dieſe weiß biß-
her mit ihm verfahren worden/ weiß ich nicht/ will es aber lieber hoffen/ als das ge-
gentheil beſchuldigen. Mit einem publico ſcripto mich von den Boͤhmiſten oder
abſonderlich von dieſem (wiewvl von herr N. N. nicht weiß/ daß er an Boͤhmen
hangen ſolte)/ zu ſepariren, kan ich den vorſchlag nicht annehmen. Was ich von
einigen ſcrupulis halte/ die ſeparation und zuſtand unſerer kirchen/ auch pflicht des
predigtampts anlangend/ habe ich meine meinung deutlich in dem tractat von dem
gebrauch und mißbrauch der klagen
erklaͤhret/und damit gezeiget/ wie ich mit
unterſchiedlichen ſolchen leuten nicht einerley halte: Deßwegen auch ſolche mit mir
nicht werden zu frieden ſeyen/ jedoch weil ſie in liebe geſchrieben zu ſeyen ſchon hoffe
etnige damit zu gewinnen. Boͤhmen beſonders betreffend/weiß mein werther
bruder meine ſorge und daß ich ihn weder geleſen noch zu leſen/ und folglich auch
F f f f 2nicht
[596]Das ſechſte Capitel
nicht zuurtheilen traue; Dahero keinem theil mich zu geſelle/ weil der dem die ihnvor ei-
nen von Gott hoͤchſterleuchteten mann achten/ nachdem ich deſſen noch keine genug-
ſame uͤberzeugende grunde ſehe/ noch denen/ die ihn vor einen gefaͤhrlichen irrgeiſt
halten/ und verdammen/ als deren keiner mir noch genug gethan/ oder ich nur in den-
ſelben ſehen koͤnnen/ daß ſie des mannes meinung in allem eigentlich begriffen ha-
ben; Daher allem wuͤnſche/ daß die ſachen in der kirchen mehr unterſuchet wuͤr-
de/ und der HERR ſolche leute erweckte/ welche mit genugſamer krafft des Gei-
ſtes das werck angreiffen/ und der kirchen deutlich vor augen legen/ was man an
dem mann habe/ ob man ihm folgen oder ihn verwerffen muͤße. Biß dieſes geſchie-
het/ ſtehe ich ſtille/ mißrathe wo mich jemand fragt/ die leſung des Boͤhmen ſchriff-
ten/ weil ſie auffs wenigſte dunckel ſind/ und wir an den ſchrifften genug haben/ aber
verbiete ſie nicht/ als wozu ich gegen die freyheit der Chriſten keine macht habe/ und
halte den jenigen noch vor orthodox welcher ſich zu unſerer orthodoxia und glau-
bens lehr unſerer kirchen bekennet/ ob er wol von Boͤhmen hoch haͤlt/ deren ich ei-
nige kenne. Der urſach wegen kan ich mit guten gewiſſen Boͤhmens in keinem
publico ſ[c]rip[t]o auff einige weiſe gedencken/ weniger mich gegen ihn declariren:
Was den conſenſum anlangt/ weiß ich nicht/ worinn etwa dergleichen leute ſich
auff mich beruffen/ als daß ich den zuſtand unſerer kirchen in allen ſtaͤnden/ ſonder-
lich aber in dem ſo genanten geiſtlichen ſtand/ ſehr elend und verdorben zu ſeyen er-
kenne und beſeuffze; ſo dann nach den goͤttlichen zorn gerichten die erfuͤllung der
noch weitern verheiſſung von beſſern zuſtand gewiß erwarte. Jn gegenwaͤrtiger
zeit aber ſtets bey aller gelegenheit lehre/ daß es mit der orthodoxia und dem opere
operato,
des euſſerlichen Gottesdienſt nicht ausgemacht/ ſondern der wahre und
leider bey wenigen befindliche glaube noͤthig/ alſo in Chriſto ἀλήϑεια, ein recht-
ſchaffenes weſen
ſeye. Dieſes iſt auch/ was ich in allen meinen oͤffentlichen ſchrif-
ten treibe/ und meine bekaͤntnuͤuͤs ohne jemands wiederſpruch vor der kirchen gethan
habe. Berufft ſich jemand auf weiteren conſenſum von dem muß gefodert wer-
den/ daß ers darthue. So leuge ich nicht/ daß ich die jenige vor keine rechtſchaffene
Theologo[s] halten koͤnte/ welche/ da ſie meine orthodoxiam aus meinen fchrifften
zwar ſehen/ wo ſich auch ein irrglaͤubiger auff mich beruffte/ mich daruͤber nicht
bruͤderlich befragen/ ſondern allein hinterrucks mich mit verdacht beleiden wolten/
wider die regul Sirach c. 19/ 14. ſeqq. Welcher wider ſolche regel mich dennoch
in verdacht ziehen wolte/ wuͤßte ich ſchier nicht/ ob ich um deſſen freundſchafft mich
bewerben/ oder mich viel bekuͤmmern ſolte/ in was credit ich bey ihm ſtehe. So
geſtehe auch/ daß mirs nicht wohl gefallen/ daß gehoͤret habe/ es ſey in N. N. vor ge-
geben worden/ wie ich ſelbs dahin geſchrieben/ ich haͤtte mit viel tauſend traͤhnen be-
reuet/ daß mein collegium angefangen habe/ da ich noch nicht eine deßwegen ver-
goſſen/ noch michs reuen zu laſſen/ urſach habe. So ſolle man gleichwol nicht wi-
der wahrheit reden. Jch uͤberlaſſe aber alles/ was mich betrifft/ der goͤttlichen
provi-
[597]ART. I. DIST. IV. SECT. XXIV.
providenz und laſſe meine regel ſeyen 2. Corinth 6. διὰ δυσ [...]ημίας και ἐυ [...]η-
μὶα [...]. durch boͤſe geruͤchte and gute geruͤchte: habe mich nun eine weil ver-
wundert/ und vor mich faſt vor kein gut zeichen gehalten/ daß alles uͤble nachreden
von einiger zeit unterblieben. Der HERR regiere uns alle mit ſeinem Gnaden-
Geiſt/ zu erkennen und zu thun ſeinen willen/ und nicht auff menſchen ſondern auff
ihn zu ſehen. Meinen vielgeliebten Bruder dancke vor ſeine treumeinen und
meine verthaͤdigung/ bitte alſo zu continuiren, ſonderlich aber alle die an mir
zweifflen/ an mich ſelbſt zu weiſen. 1685. 24. Jul.


SECTIO XXIV,


Als aus einem FuͤrſtlichenConſiſtorioeineCollectezu
beſtellen zu geſand worden. Gefahr der gegenwaͤrtigen
zeit en der goͤttlichen gerichte.


DEr HErr wolle dieſen ſeegen/ ſo aus dero Hochloͤbl. Fuͤrſtenthum zum beſten
der guten ſtadt und kirchen N. N. zugefertiget wird/ ihm laſſen in gnaden wol-
gefallen/ und hinwieder mit vielen ſo geiſt-als leiblichen ſeegen mildiglich er-
ſetzen: wie ich auch nach goͤttlicher verheiſſung daran nicht zweiffele/ und glaube/ in
dem zeiten des gerichts/ welche uns uͤber den haupten/ etwa gefaͤhrlicher als wir mei-
ſtens davor halten/ ſchweben/ moͤchte uns bald von unſern mittlen nicht mehr uͤbrig
bleiben/ als was wir zu der ehre des HErrn und zu liebes dienſten vorher angewen-
det/ und gleichſam Gott auff renten gelehnet haben. Das anſehen ſolcher betruͤb-
ten zeiten/ bekenne ich gern/ ſtehet mit ſtets dermaſſen vor augen/ daß ich mich bey je-
der gelegenheit deſſen erinnern muß; in neulicher meiner ſchwachheit aber (wie ich
dann erſt den 3. p. Trin. das erſte mahl noch 30. wochen durch GOttes gnade wie-
der geprediget habe) davor gehalten/ daß ſolches ein ſonderliches ſchonen von dem
himmliſchen vater ſeye/ der mich vor dem tagen der gefaͤhrlichſten verſuchung zu ſich
und zur ruhe ruffen wolte. Jetzo wo es lange mit mir beſtand haben ſolte/ ſo ich gleich-
wohl nicht weiß/ mus mit allen uͤbrigen erwarten/ womit der HErr unſern glauben
und gedult zu uͤben beſtimmen wird. Aber die groſſen exempel des groſſen gewalts
von Babel/ ſo faſt taͤglich waͤchſet/ und immer mehr freyheit bekomt/ die jenige zu
unterdrucken die es nicht mit ihm halten/ wie wir in Franckreich gegen die reformir-
te/ (und zwar meiſtens um der articul willen/ welche ſie mit uns gegen das Papſt-
thum gemein haben) und uͤber Rhein gegen uns zu geſchehen den anfang wahrneh-
men/ weiſen uns faſt in einem ſpiegel/ was vor pruͤffungen uns auch vorſtehen moͤ-
gen/ und wir uns darauff gefaſt zu halten haben. So gedencke ich offt an ihr liebes
fuͤrſtenthum/ welches von einer ſeiten/ und ſambt Darmſtadt die hieſige ſtadt auff
der andern ſeiten/ dem feuer am nechſten ſind/ wie kurtze friſt wir etwa noch vor uns
F f f f 3ha-
[598]Das ſechſte Capitel
haben moͤgen; weiß aber nichts anders/ als zu dem HErren dabey zu ſeufftzen/ wel-
cher ſeine gerichte mit vieler barmhertzigkeit mildern/ uns aber/ ſonderlich denen in
den beyden oberſtaͤnden begriffenen/ rechtſchaffen zu erkennen geben wolle/ was noch
in den zeiten der goͤttlichen langmuth zu unſerem frieden dienet/ alles das jenige uns
angelegen ſeyen zu laſſen/ und bey andern zu befordern/ womit wir dem ausbrechen-
den Zorn am kraͤfftigſten begegnen moͤge. Sehe ich zwar den zuſtand bey uns hie-
herum an/ ſo muß erſchrecken/ da ich nichts ſehe/ was ſich den einreiſſenden ſtrohm der
ſtraffen entgegen ſetzte: wuͤnſche aber/ daß es in ihrer landſchaff und kirche beſſer ſte-
hen/ uñ alſo mehr hoffnung uͤbrig ſeyn moͤge/ welches alsden ſonderlich geſchehen kan/
da die obrigkeitliche und ſo genante geiſtliche ſtaͤnd treulich zuſam̃en halten/ allen un-
ordnungen/ argernuͤſſen und was zu dem goͤttlichen zorns feuer ſtrohe zu traͤget/ kraͤff-
tig zu ſteuren/ hingegen durch alle zu laͤngliche mittel die wahrheit in die hertzen der
menſchen in goͤttlichen ſegen ein zudrucken/ daß was wir mit dem munde aus den E-
vangelio bekennen/ auch in lebendiger ereaͤntnuͤß in den ſeelen ſich finde: als welches
allein der mahleins in den proben beſtehen mag. Hierzu ſegne der HErr Herr
nicht nur E. Hochwohl Ehrw. wehrte perſon und arbeit/ ſondern das geſamte
Hochloͤbl. conſiſtorium, in allen angelegenheiten/ was der kirchen und dazu abzie-
lender gemeiner wohlfarth das erſprießlichſte ſtaͤts zu erkennen/ und in ſeiner krafft
mit gluͤcklichen ſucceß zubewerckſtelligen. 1685.


SECTIO XXV.


Antwort an einen auslaͤndiſchen freund/ der bezeuget hatte/
durch meine ſchrifften er bauet zu ſeyen: Stifftung einer
freundfchafft; bitte um nur noͤthige vorbitten.


JCh erkenne dieſes vor eine ſonderbahre gnad von GOtt dem himmliſchen
Vater da derſelbe unter der ziemlichen zahl der jenigen/ die mir als haſſer der
von mir bekennenden wahrheit bekand werden/ und von denen nach h. wil-
len GOttes offters einige verdrießlichkeiten und laͤſterungen einnehmen muͤſſen/ hin-
gegen auch wieder hier und dort gottſeelige ſeelen bekand werden laͤſſet/ welche er mit
liebe zu mir lencket/ und mir alſo an ſtatt der feinde auch freunde erwecket; ſo
dann da er neben dem/ wie er mich insgemein dadurch demuͤthiget/ daß dieſes orts
ſo wenige frucht meiner arbeit ſehe/ daß ich offt ſorgen muß/ ob haͤtte der HErr ſeine
gnade von meinem amt abgezogen/ daß ſo gar kein ſeegen folgen will/ hinwie-
der anderſeits mich zu weilen dadurch wieder aufgemuntert/ wo von andern orten
her zeugnuͤß vernehme/ daß meine arme arbeit gleichwol einigen ſeelen aufferbau-
ung geben ſolle. Dann ob es zwar an dem iſt/ daß uns an freunden und
freunden nicht hoch gelegen ſeyen ſolle/ die wir billich allein nach Gottes freundſchafft
zu
[599]ART. I. DIST. IV. SECT. XXV.
zu ſtreben/ und vor ſeiner feindſchafft uns zu huͤten haben/ ſo dann daß wir auch da-
mit uns vergnuͤgen ſollen wo wir das unſrige gethan zu haben das zeugnuͤß unſers
gewiſſens fuͤhlen/ es moͤge nachmahl die frucht erfolget oder ausgeblieben ſeyen/ ſo
wird es doch nicht nur unſeren fleiſch ſchwer/ alle abſicht auff liebe oder haß abzule-
gen/ ſondern iſt auch dem HErrn ſelbs nicht entgegen/ daß wir uns uͤber die jenige
wohlthat erfreuen/ da er anderer hertzen zur liebe gegen uns lencket; ſo dann iſt eben
dieſes der gewiſſens ſcrupul, wo man von ſeiner arbeit ſo gar wenig oder keine recht-
ſchaffene fruͤchten ſiehet/ ob man auch das ſeinige gethan/ und nicht vielmehr ſolche
ausbleibung der frucht unſerm unfleiß/ unvorſichtigkeit oder unwuͤrdigkeit/ weil wir
verſchuldet/ daß der HErr nicht mehr mit uns wuͤrcken wolle/ zu zu ſchreiben ſeye/
davon wir aber zimlich befreyet worden/ da er uns anderwerts her noch einige fruͤchte
mit freuden ſehen laͤſſet. Dieſes iſt die doppelte freude geweſen/ damit mein himm-
liſcher Vater auff meinen neulich kranckenbett durch meines wehrteſten Herrn und
freundes liebesbriefflein mich erqvicket hat. Jch habe aus demſelben wiederum er-
ſehen/ daß an ihn ſeine goͤttliche guͤte unverdienter weiſe mir abermal eine ſeele gezei-
get/ dero liebe ich mich verſichern kan/ und zwar einer ſolchen liebe/ welche die liebe
GOttes und ſeines worts zum grunde hat/ die dann beſtaͤndig bleibet/ und ge-
wiß/ ſonderlich in hertzlicher vorbitte/ daran uns ein groſſes gelegen/ thaͤtig iſt. So
habe auch aus ſolchem angenehmen ſchreiben ferner verſtanden/ daß derſelbe glau-
bet in meinen wenigen ſchrifften erbauung vor ſeine ſeele gefunden zu haben/ und noch
zu finden/ und alſo daß auch an faſt entfernten orten meine einfaͤltige arbeit ihn frucht
bringe. Vor beyde wohlthaten ſage ich der himmliſchen liebe demuͤtigſten danck/
daß ſie mich alſo ſtaͤrcket/ und verlange nicht mehr/ als von deroſelben noch weiter
die gnad zu haben/ daß ſolchen lieben freunden mit einer rechtthaͤtigen liebe hinwieder
begegnen koͤnne/ und in ſolchen vermehrten vertrauen deſto getroſter hin kuͤnfftig ar-
beite/ und ich ſehe ferner frucht von der arbeit oder nicht/ ihm allein dieſelbe empfehle/
daher zu frieden ſeye/ ob er mich hinkuͤnfftig/ um mich in ſteter furcht und eintraͤchtig-
keit zu erhalten/ weiter nichts mehr dergleichen ſehen laſſen wolte. Seiner freundli-
chen liebe aber ſage auch hertzlichen danck/ welche mir ſolche doppelte freude verurſa-
chen wollen. Verſichere mich auch/ der HErr habe unter uns eine ſolche freund-
ſchafft nunmehr geſtifftet/ welche biß in die ewigkeit waͤhren ſolle/ und mache daß
ob wir der leiblichen gegenwart nach zu rechnen fern gnug von einander ſind/ wir
dannoch als glieder eines leibes unter einem Hochgelobten Haupt Jeſu Chriſto
von einem Geiſt erfuͤllet und regieret wahrhafftig einander in dem Geiſt nahe und
mit vielen banden enge verknuͤpſſet ſind; wie denn ſolches die art der von uns be-
kommenden gemeinſchafft der heiligen iſt/ ſo ſonſten weder von allen lehrern
fleißig tractiret/ noch von allen Chriſten ſo recht erkant wird/ indeſſen denjenigen/
welche ſie einſehen/ und davon erfahrung haben/ eine treffliche auffmunterung und
freude
[600]Das ſechſte Capitel.
freude gibet. Jch kan zwar meiner ſeits nicht mehr von mir in dieſer freund- und
gemeinſchafft verſprechen/ aber zweiffle auch nicht/ derſelbe werde damit zu frieden
ſeyen/ daß ich ſeiner und ſeines heils vor dem thron des HErrn/ da ich mich vor
die mir bekandte bruͤder/ in denen ich das gute des HErrn erkandt/ vor demſelben dar-
ſtelle/ in einfalt meines hertzens gedencke/ und vor ſeine wolfarth bitte. Ob auch
wol insgeſambt die laulichkeit meines gebets/ und daß ich das verlangte feuer nicht
der maſſen als ich wuͤnſche bey mir fuͤhle/ meine hertzliche klage und anliegen iſt/ da-
her gedencken ſolte/ daß niemand das jenige verſprechen doͤrffte/ von dem zu ſorgen
haͤtte/ ob es auch in ſolcher bewandnuͤß dem HErrn gefaͤllig ſeyen koͤnte/ ſo troͤſte mich
dennoch auch deſſen/ daß der HErr das verlangen des hertzens/ obs auch die brunſt
des gebets nicht zu wegen bringen kan/ da jenes dennoch in einfalt wahrhafftig iſt/
gleichwol in gnaden anſehe/ und habe alſo kein bedencken/ deſſen zuſage lieben freun-
den zu thun. Hingegen verſichere denſelben in wahrheit/ daß mich die hertzliche
verſprechung von ihn einer gottſeeligen vorbitte vor mich inniglich troͤſte/ und noch
offtmahl troͤſten werde: Wie dann ſolches liebes dienſtes von Chriſtlichen mitbruͤ-
dern ſo vielmehr benoͤthiget bin/ als gefaͤhrlicher ſo insgeſambt alles predigtamt un-
ſerer zeit/ als abſonderlich die ſtelle darinnen ich ſtehe/ iſt/ wo alſo ja noͤthig iſt/ daß
mir auch andere erbitten helffen/ wozu mein ſchwaches gebet zu wenig ſeyen moͤchte.
Wo ich aber auch abſonderlich vorſchreiben darff/ warum ſonderlich vor mich ge-
beten zu werden wuͤnſche/ ſo beſtehet es darinnen/ daß mir doch der HErr Herr den
Geiſt der weißheit und der furcht des HErrn geben wolle/ damit ich in folchen ge-
faͤhrlichem amt/ ſo durch die verwirrte zeiten noch ſo gefaͤhrlicher worden iſt/ in allen
ſtuͤcken/ was ſein will an mich ſeye/ was zuthun und zu laſſen habe mit verſicherung
des gewiſſens erkenne/ ſo dann nachmal ſolchen erkandten willen ohne fernere menſch-
liche abſicht freudig verrichte: da ich leider nicht leugnen kan/ daß ſehr manchmal
mir nicht zu rathen/ noch zu erkennen weiß/ was ietzt in dieſem und jenem thun ſollte:
welch aͤngſten auch ſo gar an dem leben ſchaden ſollte/ und machen/ daß alsdañ man-
ches nicht mit gehoͤrigen fleiß noch freudigkeit thue/ wegen der ſtets noch ankleben-
den ſorge/ was ſonſten noch ſo fruchtbarlich geſchehen koͤnte. Nachdem ich nun nicht
vor mich wuͤrdig ſeyen muß/ ſelbs in allen zu pruͤffen welche da ſeye der gute/ der wol-
gefaͤllige der vollkommene Gottes wille/ ſo habe noch das vertrauen/ das Chriſtl.
freunde mir noch das jenige erbitten werden/ daran ſo wol wir zu meiner beruhigung/
als/ auff welche GOtt ſo viel mehr ſehen wolte/ den jenigen an denen ich arbeiten
ſollte/ zu ihren beſten und mehrer frucht der arbeit vieles gelegen iſt. Ach daß ich
ſo ſeelig werden moͤge/ auch vor dieſe theure wohlthat und gewiſſen Geiſt den HErrn
zu dancken! 11. Aug. 1685.


SECT.
[601]ARTIC. I. DISTINCT. IV. SECT. XXVI.

SECTIO XXVI.


AlsHorbiusetlicher dinge wegen bey einem
Theologouͤbel angegoſſen worden.


DJeſes mahl veranlaſſet mich zu dieſem brieff eine urſache/ daran Euer
Hoch-Ehrw. (als die nicht leicht in einem ungleichen concept von einem
Chriſtlichen bruder mit willen wird zu beharren begehren) ſo wohl als mir
und einem anderen gelegen iſt/ daher auch mich verſichere/ daß dieſelbe meine of-
fenhertzige eroͤffnung der ſache nicht anders als mit liebe auffnehmen wird.


Es iſt meinem lieben Schwager Herrn Horbio jetzmahligen paſtori zu
ſanct. Nicolai in Hamburg von jemand gegenwaͤrtiger extractus eines ſchrei-
bens von Euer Hoch-Ehrw. geſchrieben communicirt/ und ferner an mich geſandt
worden/ ſo ich mit genehmhaltung gedachten meines Schwagers um allem widri-
gen vernehmen dadurch zu begegnen wuͤrdig geachtet/ ſelbſt mit etlichen beygefuͤgten
zeilen zu uͤberſenden. Dabey ich Ew. Hoch-Ehrw. verſichern kan/ daß was der-
ſelben wegen erwehnten Herrn Horbii geſchrieben worden/ die pur lautere unwar-
heit ſeye/ daruͤber ſie ſich alſo billig gegen den jenigen/ der ihro daſſelbe beygebracht/
zu beſchwehren habẽ. Es iſt der wahrheit nicht gemaͤß/ daß er ſolle geſagt haben/ daß
er zu der Superint. bey ſ. Nicolai in Hamburg in vorſchlag ſeye. Wie dañ in Ham-
burg ingeſamt kein Superint. iſt/ weniger bey einer particular kirchen gedacht wer-
den kan/ welches mein Schwager wohl wuſſte: ob wohl zu gleicher zeit andeꝛweꝛtlich
zu einer Superintendenz im vorſchlag war. Wahr aber iſt/ daß er damahlen mit
drey vornehmen und wohlverdienten maͤnneren zu dem paſtorat denominirt ge-
weſen/ und in dem Decembri dazu unaninibus ſuffragiis erwehlet worden. Da-
von er in anteceſſum ſeiner gemeinde um ihr gebet zu erlangen/ daß der HERR
die ſache/ wie es zu ſeinen heiligen ehren und der kirchen beſten am vertraͤglichſten/
dirigiren wolle/ part gegeben. Solte aber ſolches dahin interpretirt werden/
daß er eine additionem ſalarii geſuchet/ ſo geſchehe ihm vielfaͤltig unrecht. Jch
kenne ſein gemuͤth von langem/ und weiß/ das es ihm um dergleichen irrdiſches
nicht zu thun iſt/ hoff auch daß er ſich in Windsheim alſo verhalten/ daß er auch
nicht einen ſchein des geitzes von ſich gegeben/ oder ihn ſeine gehaͤßige ſolches orts deſ-
ſen zu beſchuldigen das hertz gehabt. So hatte er auch bereits ſein wort von ſich
gegeben/ wo er ordentlicher weiſe wuͤrde erwehlet werden/ die folge nicht zu diffi-
culti
ren (maſſen die Hamburger um nicht mit beſchwehrde und verdruß der ge-
meinde vergebliche wahlen zu thun/ wie unterſchiedliche geſchehen/ gemeiniglich in
anteceſſum von dem jenigen/ auff welchen ſie unter den canditatis die meiſte re-
flexion
haben zu ſordiren und ſich zu verſicheren pflegen/ ob er auff dem fall de[r]
wahl deferiren wuͤrde) daß daher an die beſoldung nicht gedacht worden.


G g g gNicht
[602]Das ſechſte Capitel.

Nicht ohn iſts daß als der Magiſtratus von ſolchem conſilio der aͤnderung
hoͤrte/ er eine anſehnliche deputation an ihn geſant/ und ſo wohl die urſach der
intendirten mutation verlanget/ als ihn zu bleiben gebeten/ er hat ſich aber nicht
uͤber die beſtallung ſondern daruͤber beklagt/ daß ſeinem amt und deſſen nuͤtzlicher
fuͤhꝛung ſo viele hindeꝛnuͤſſen gemacht/ hingegen noͤthige huͤlffe nicht geleiſtet woꝛden/
daruͤber ihm zwar eine neue ordnung ſeines amts/ wie er in kuͤnfftig gehalten und
ſeine amts verrichtung mit nachdruck befordert werden ſollen/ offeriret worden/
er hat aber ſolcherley nicht annehmen wollen (wie ich ihn auch/ da er andere mahl
gefaͤhret worden/ darauff ſich zu verlaſſen/ und eine vortrefflichere von GOTT
ohne das ringſte ſein ſuchen angewieſene gelegenheit mit ſeinem pfund in dem geiſt-
lichen mehr zu wuchern/ deswegen fahren zu laſſen/ nicht rathen koͤnnen) ſondern
bleibe feſte dabey/ dem willen des HERREN durch den ausgang der wahl ab zu
warten/ und demſelben zu folgen. Jch zweiffle auch nicht/ daß er darinnen recht
gethan/ wie auch biß daher der HERR ſeinen noch kurtz fuͤhrenden dienſt dermaſ-
ſen und mit ſolcher krafft bey der gemeinde/ die nicht genug liebe gegen ihn und das
wort ſo er prediget bezeugen kan/ geſegnet/ daß wir auch daraus ſeines heiligen wil-
lens deſto verſicherter ſeyn koͤnnen.


Was aber daß andere anlanget/ daß er ſich allen ſuͤndlichen empfindlichkei-
ten abgeſtorben zu ſeyn ſolle geruͤhmet haben/ verwundere ich mich hoͤchſtens/ wie
nur jemand das hertz genommen/ eine ſolche ungereimte calumnie an Ew. Hoch-
Ehrw. zu berichten. Jch weis nicht nur hierinnen vor mich ſelbſt den grund ſeiner
ſeelen/ wie er ſein anligen und anfechtungen manchmahl vertraulich in meinen ſchoß
ausgeſchuͤttet/ wo ich befunden/ daß er gewißlich ſich ſelbs eher weniger als mehr zu
getrauet und gemeiniglich mehr bedoͤrffte auffgerichtet/ als zu erkaͤntnuͤß ſeiner
ſchwachheit gebracht zu werden/ ſondern es liegen ſeine oͤffentliche ſchrifften vor den
tag/ da er ſeine lehr/ wie weit er glaube die erneurung in dieſem leben/ ſich zu er-
ſtrecken oder nicht/ deutlich vor augen leget/ da ſolche perſon/ welche dergleichen an
Ew. Hoch-Ehrw. geſchrieben/ wohl alle ſcheu abgelegt haben muß; ich auch das
vertrauen trage daß dieſelbe auffs wenigſte dieſer delation nicht werden glauben
zu geſtellet haben.


Jch bitte aber dabey freundlich/ da deroſelben vor anderem eingenomme-
nen bericht/ das andere wahr zu ſein geſchiehnen/ ſie wolten/ wie zwar auch die lie-
be erforderen will/ ſolche meinung fahren laſſen/ hingegen dieſem meinem bericht
glauben zu ſtellen/ und das jenige concept wiederum bey ſich von Herrn Horbio
faſſen/ daß er ein mann ſeye/ gleich wie unſerer Evangeliſchen wahrheit von hertzen
zu gethan/ alſo auch von einem redlichen eiffer/ in ſeinem gantzen leben nichts anders
als die ehre ſeines GOttes treulich zu ſuchen. Dahero billig rechtſchaffene Theo-
logi
keine ungleiche gedancken von ihm zu hegen urſach haben/ wie auch dieſes zeu-
gen kan/ daß unterſchiedliche Gottſelige maͤnner/ welchen er aus erſtmahl gehaͤßi-
ge
[603]ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECT. XXVII.
ger und darnach von dieſen eingenommener leicht-glaͤubiger leute angeben gantz
verdaͤchtig geweſen/ nach dem ſie ihm ſelbſt lernen kennen/ gantz andere und beſſere
meinung gefaſſet/ auch wohl gar ſeine genauere freundſchafft geſuchet haben.
Wie ich mich nun hierinnen verſehe an Ew. Hoch-Ehrw. nichts anders zu geſin-
nen/ als was die billichkeit ſelbſt erforderte/ und ſie nach anderem bericht ohn ge-
beten gewaͤhren werden/ ſo hoffe ich ſie werden auch ſo guͤtig ſeyn/ zu rettung des
leumuths eines bruderen der jenigen perſon/ dadurch ſolche unziemliche berichte an
ſie gelanget/ ihren unfug nachdruͤcklich zu remonſtriren/ damit dieſelbe ihre ſuͤnde
bußfertig erkenne/ und dero vergebung von GOTT erlange/ in dem mir und
meinem geliebten Schwager dieſes vor allem betruͤblich iſt/ ein ſtein zu werden/
daran ſich andere ſtoſſende verſuͤndigen/ und ihre ſeele verletzen moͤgen. Womit
nechſt erbietung ſolche uns beyden erweiſende liebe mit aller muͤglichen dienſt erwei-
ſung zu erwiedern. ꝛc. 25. Aug. 1685.


SECTIO XXVII.


Falſches geruͤcht von einem Franckfurter-
ſchwarm. Auffmunterung an einen Pre-
diger in ſeinemamte.


AUff das ſchreiben ſelbs zu kommen/ hat mich unterſchiedliches darinnen erzehl-
tes erfreuet/ nicht zwar deſſen widerwertigkeit und leiden zu vernehmen/
ſondern vielmehr wie ihm der HERR darinnen kraͤfftig beygeſtanden/ und
es zu ſeinen geiſtlichen beſten habe laſſen ausſchlagen: dardurch ich hoffe/ daß
mein werther bruder werde dermaſſen nun in ſeinen glauben durch dieſe erfahrung
geſtaͤrcket ſeyn worden/ daß er auch aller uͤbrigen leiden/ die ihn noch in ſeinem am[t]
und deſſen treue fuͤhrung begegnen moͤgen/ und von denen er ſich jemahl gantz be-
freyet zu werden/ nicht gedencken mag/ ſo viel getroſter erwarten/ ſo dann dieſelbe
in der krafft ſeines GOttes uͤberwinden werde. Nur iſt mir leid/ daß eben ich
und unſer gutes Franckfurt der ſtein des anſtoſſes ſeyen ſollen.


Jch bin in meinem gewiſſen verſichert/ daß wir die reine Evangeliſche lehr hie
treiben/ wie bißher meine ſchrifften ſolches jederman haben bezeugen koͤnnen/ und
noch keiner ſich gefunden hat/ der mich eines articuls wegen haͤtte eines irthums uͤ-
berweiſen moͤgen. Nun was ich ſchrifftlich von mir gebe/ eben daſſelbe lehre ich
auch muͤndlich/ und mit mir alle meine Collegæ. Daß aber viele calumnien
allhier von boßhafftigen gemuͤthern erſonnen/ und anderwertlich von unwiſſenden
und leicht-glaͤubigen angenommen und auffgefangen worden/ davor kan ich nichts/
ſondern dancke meinem GOTT/ daß er mich einiges der mahlzeichen CHRJ-
STJ darinnen hat laſſen erfahren/ und moͤchte wohl jenes Pauliniſche zum Sym-
G g g g 2bolo
[604]Das ſechſte Capitel.
bolo brauchen 2. Cor. 6/ 8. διὰ δυσ [...]ημίας καὶ ἐυ [...]ημίας durch boͤſe geruͤchte/
und gute geruͤchte.


Nur iſt mir leid/ daß ſich andere an mir verſuͤndigen/ die der HERR zur er-
kaͤntnuͤß fuͤhren/ ihnen alles ſolches in gnaden vergeben/ und ſie hingegen dahin brin-
gen wolle/ ſelbs das jenige zu befoͤrdern/ wasſie etwa noch unwiſſend laͤſtern.


Jch hab mich auch offt gewundert/ wie plump der teuffel ſich darinnen ge-
wieſen/ da er von einen Franckfurter ſchwarm weit u. breit ein geſchrey gemacht/ a-
ber da man von allen andernſecten ſagen kan/ worinnen dann ihr irrthum beſtehe/
hat man dieſem vorgegebenen ſchwarm noch niemahl beylegen koͤnnen/ was dann
eigentlich darinnen irriges ſeyn ſolle/ damit ſich die laͤſterung genug verraͤth. Ach
der HERR gebe/ daß wir alle/ die wir auff catheder oder Cantzel das werck des
HErren zu treiben geſetz ſind/ immer vielmehr trachten/ die uns anvertraute mit
treuer und reiner lehr/ auch heiligen leben/ zu erbauen/ als andere unſere mitbruͤ-
der zu richten/ und ihnen unrechtes anzudichten.


Mein werther bruder aber dancke ſeinen GOTT demuͤthiglig der ihn nicht
nur ſiege gegeben/ ſondern/ wie er ſchreibet durch dieſe uͤbung ſo vielmehr in die
nachfolge CHRESTJ/ verleugnung ſein ſelbs und der welt/ auch andacht des
gebets/ ihn getrieben/ welcher nutzen groß und einiges leidens darum wohl wuͤrdig
iſt. Er fahre fort in der refolution ſeinen GOTT treulich zu dienen/ und auff
der menſchen danck oder undanck/ auff nutzen oder ſchaden/ ehr oder verachtung
nicht zu ſehen; vielmehr ſein amt in heiliger furcht vor den allezeit gegenwaͤrtigen
GOTT und in angelegenlicher ſorge vor die ſeligkeit der menſchen zu fuͤhren/ dar-
uͤber keine arbeit und muͤhe zu ſcheuen/ ſonderlich aber der lieben jugend und einfalt
durch den Catechiſmum die milch der reinen lehre mit fleiß einzufloͤſſen damit ſie zu
einer gruͤndlichen erkaͤntnuͤß ihres heils kommen/ und darnach wo ſolcher grund ge-
leget/ ihr gantzes lebenlang die predigten verſtehen/ und mit nutzen hoͤren moͤgen.
Er befleiſſe ſich auch ſeine gemeinde mit unſtraͤffllichen wandel und erweiſung ei-
nes ſolchen gemuͤths/ dem es nicht um zeitliches zu thun ſeye/ zu erbauen/ wo durch
die frucht des worts in den hertzen ſtattlich befordert wird. Vor allem aber hoͤre er
nicht auff/ den HErrn tag und nacht anzuflehen/ welcher ihn mit ſeinen helligen
Geiſt erfuͤllen/ ſeinen willen in allen ſtuͤcken zu erkennen geben/ ſolchen zu vollbrin-
gen muth und eiffer wuͤrcken/ und ſeine arbeit dermaſſen ſegnen wolle/ daß er moͤge
ſich und die ihn hoͤren ſelig machen. Dieſes gebet wird ſo viel thun/ als alle ſeine
arbeit und ſtudiren/ ſo wird er den HErrn auch zu ſeinen rathgeber erlangen da er
raths und troſt bedarff/ ob er auch keinen menſchen zur ſeiten haͤtte.


Was buͤcher anlangt/ wolte ich nicht rathen/ ſich in allzuviele zu verſtecken/
ſondern ſeine meiſte zeit mit der lieben Bibel zu zubringen/ und ſolche ſonderlich
darinn das Neue Teſtament/ gleichſam in ſein hertz durch andaͤchtiges leſen und
betrachten (vornehmlich mit einſehung des grundtextes) einzutrucken/ welches ge-
ſchiehet/
[605]ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECTIO XXVIII.
ſchiehet/ wo man mit eyffriger anruffung GOttes einen verſicul nach den andern
vornimmet/ und in aller einfalt nachſinnet/ was der einfaͤltigſte und klare wort
verſtand ſeye/ ferner was vor lehren oder lebens regeln aus jeglichen zu ziehen ſeyen/
ſo dann wie wirs in unſerer ſeelen finden/ was wir darinnen leſen/ wann wir uns
darnach pruͤffen. Wer auff dieſe weiſe in der ſchrifft maͤchtig wird/ iſt tuͤchtigeꝛ
zu dem werck des HErrn/ als wer viel andeꝛe buͤcher geleſen haͤtte: Die ich gleich-
wol anch ſonſten nicht verachte/ ſondern in unterſchiedlichen ſtuͤcken derſelben nu-
tzen erkenne. Vor andern wolte ſonderlich rathen unſers lieben Lutheri guͤldene
kirchen Poſtill/ ſo dann was von ſeinen Tomis, die vor etlichen jahꝛen um ein we-
nigs geld zu bekommen geweſt/ an hand zu bringen iſt. Luͤtkemans und Scriveri
wie auch D. Muͤllers ſchrifften moͤgen auch zu vielen nutzen gebraucht werden: der
theoreticorum und exegeticorum dißmal eben nicht zu gedencken. 1685.


SECTIO XXVIII.


Was bey den aͤuſſerſt verderbten zeiten unſere
pflicht und hoffnung ſeye.


DJe in dem erſten brieffe enthaltene wehmuͤtige klagen ſind wichtig und ge-
recht. Wie dann freylich der allgemeine verfall groͤſſer/ als daß wir leicht
in deſſen beklagung zu viel thun koͤnten. Laſſet uns aber dahin trachten/ daß
das anſehen ſolches verderbens uns nicht ſo wol traͤge mache/ und wir aus der ſorge/
daß ſich dennoch nichts ausrichten laſſe/ ſtang und ſtab hinwerffen/ welches offt den
beſten gemuͤthern begegnet/ aber eine heimliche verſuchung iſt/ und aus einen un-
glauben entſtehet/ als vielmehr/ daß wir uns dadurch bewegen laſſen/ deſto ange-
legenlicher zu den HErrn um huͤlff zu ſeuffzen/ und daß unſrige deſto fleißiger und
vorſichtiger zu thun. Es wird je der HErr noch in gnaden drein ſehen/ und auffs
wenigſte/ nach den ſeine gerichte werden vorbey ſeyn/ eine ſolche huͤlffe ſchaffen/ wel-
che wir vorher nicht eben ſehen koͤnnen/ um derſelben willen aber ihn demuͤtig zu
preiſen/ und ſeine wunder danckbar zu ruͤhmen urſach haben werden. Hiezu thun
frommer Chriſten unablaͤßige ſeuffzen und gebete derer/ die weil ſie daß verlangte
gehoͤr in der welt nicht finden/ zu dem jenigen/ der gewiß hoͤret/ ſich deſto ernſtlicher
wenden/ daß allermeiſte/ und eꝛlangen nicht nur ihnen ſondern auch andern viele
gnade. Ach daß wir uns ſolches mittels eyffriger gebrauchten/ und mit zujam-
men geſetzter gewalt bey demſelben eindruͤngen/ der ſolche gewalt ſo hertzlich liebet/ u.
aus uns nutzlichẽ urſachen dazu will von uns genoͤthiget werden/ was er zwahr ohne
das viel williger iſt uns zugeben/ als wir es zuſuchen. Gleichwol wollen wir auch/
ob ſchon unſers unvermoͤgens und der elenden zeiten bewußt/ nicht muͤde werden in
unſern amt mit ernſt anzuhalten: richten wir nichts aus/ damit vergnuͤgt/ daß wir
G g g g 3gleich-
[606]Das ſechſte Capitel.
gleichwol daß unſrige gethan/ u. damit die ehre goͤttlicher gerechtigkeit/ wann dieſelbe
folgends zu den ſtraffen ausbricht/ gerettet haben: Oder vielmehr auch wo wir die
frucht noch nicht ſehe/ dieſelbe zu ferner bequemer zeit nach des HErren ſeinen rath
erwartende/ der manchmal nach guter zeit/ wo menſchliche hoffnung ausgeweſen/
den von uns ausgeſtreuten ſaamen/ durch einen geſegneten regen erweichen/ erwe-
cken und zur frucht aufgehen laſſet: ſonderlich aber/ wo wir nicht ausrichten/ was
wir billich ſolten/ und uns darnach beſtreben/ daß wir auffs wemgſte ſo viel aus-
richten/ was dieſe betruͤbte zeiten annoch zugeben/ und uns verſichern/ der HERR
als vor dem unſer hertz und auch unſere hinderniſſen genugſam bekant/ laſſe ſich
jenes gefallen/ und meſſe uns nicht zu/ da uns dieſe zu maͤchtig in wege geſtanden.
Wie wir ohne daß in dieſen zeiten des gerichts uns die rechnung nicht zu machen
haben/ daß wir wol gantze und groſſe gemeinden voͤllig zurecht bꝛingen werden/ ſon-
dern alles mag wol dabey bleiben/ daß wir doch unſere ſeelen erretten/ und neben
uns immer eine und andere annoch erhalten/ die uns der HErr zum troſt ſchencket.
Mehrere frucht unſerer arbeit muͤſſen wir erſt in dem kuͤnfftigen warten/ wie wohl
vieleicht/ da der HErr den verfolgern mehr macht bald verhaͤngen moͤchte/ (dar-
an nicht zweiffle) um ſolche zeit bereits ſich auch bey einigen etwas mehr gutes her-
vor thun doͤrffte; als wir vorhin gehofft haͤtten. Die rechte eigentliche allgemei-
ne beſſerung aber der kirchen bleibet wol ſo lang auſgeſetzt/ biß Babel gefallen/ und
die nechſte ſchwehre gerichte geendet werdẽ ſeyn. Jn deſſen mag uns doch ſolche hoff-
nung bereits jetzo in unſern betruͤbten zeiten einigerley maſſen aufrichten/ die wir/ wo
jene beſſerung nicht eben erleben moͤchten/ doch der jenigen bruͤder und mit ihnen
in einen Geiſt vereiniget ſeynd/ welche der HErr deſſen wuͤrdigen wird. Er ge-
be uns nur jetzo die weißheit/ welche uns zu dieſen unſern zeiten noͤthig/ dz wir in den-
ſelben ſeinen willen recht erkennen/ und getroſt vollbringen moͤgen/ ſo genuͤget uns
billich/ und werden wir uns auch nicht uͤber unſere ungluͤckſeligkeit zu beklagen ſon-
dern zu erkennen haben/ daß der HErr zu allen zeiten das maaß ſeiner gnade gebe/
welches denen gnug iſt/ die ihn von gantzen hertzen ſuchen. 14. Sept. 1685.


SECTIO XXIX.


Von der art des wahren glaubens/ auch deſſen
unterſcheid von den wahnglauben.


JCh komme auff das hauptwerck des ſchreibens da mich hertzlich
erfreuet/ daß mein hochwerther Herr der ſachen nothwendigkeit
erkennende/ ſo ernſtlich darauf treibet/ die art und beſchaffenheit des
wahren glaubens den leuthen/ ſonderlich aber der jugend/ vornehmlich bey zubringē.
Dann wo dieſes præſtiret wird/ ſo iſt der ſicherheit/ ſonderlich in unſerer Evange-
liſchen kirche/ da wir nach goͤttlicher warheit dem glauben allein die ſeligkeit zu
ſchrei-
[607]ARTIC. I. DISTINCT. IV. SECTIO XXIX.
ſchreiben/ die vornemſte quelle verſtopffet. Daher ich in allen gelegen heiten. Die
ſache am eyfferigſten treibe/ und zu der pruͤffung des glaubens die zuhoͤrer anweiſe.
Nechſt deme ſtimme ich auch darin ein/ daß unter dem hiſtoriſchen und lebendigen
glauben der unterſcheid nicht nur in dem dritten ſtuͤck ſondern in allen dreyen zu ſu-
chen ſeye. Es iſt dieſer eine goͤttliche erleuchtung und mehr der ſachen ſelbs/ jener
aus menſchlichem fleiß und der worte: jener ein beyfall ohne nachdencken und aus
unbedachſamkeit oder fleiſchlichen motiven, dieſer aus goͤttlicher verſiglung: je-
ner ein vertrauen des fleiſches bey allem fleiſchlichen weſen/ dieſer eine zuverſicht
aus wuͤrckung des heiligen Geiſtes in den hertzen der wahrhafftig wiedeꝛgebornen/
und nun nicht mehr nach den fleiſch zu leben entſchloſſenen.


Die definition, oder vielmehr deutliche beſchreibung des glaubens/ an-
langend/ achtete dieſes einige noch ſehr dienlich mit inſeriret zu werden/ welches
den wahnalauben von dem wahren unterſcheidet/ daß der wahre glaube die goͤttli-
che gnade und geiſtliche guͤter nicht nur in Chriſto ſuchet/ und ergreiffet/ ſonderen
ſie einig vor ſeine ſeligkeit und wahres gut in gegenſatz alles irrdiſchen/ aller ehre/
nutzens/ luſt und dergleichen erkennet/ glaubet und hoch achtet: Daraus an ſich
ſelbſten folget/ daß er alle uͤbrige gegen dieſe gering und ſie deswegen nicht mehr vor
wuͤrdig achtet/ ſie zu lieben und ihnen nach zu ſtreben. Wo nun dieſe erkaͤntnuͤß/
welches unſere wahre guͤter/ und werth æſtimiret zu werden ſeye/ ſich lebendig
von dem Geiſt GOttes in die ſeele eingeſchrieben findet/ da iſts unmoͤglich in ſol-
cher dero bewandnuͤß und da ſie auff ſich acht giebet/ daß ſie ſolle der ſuͤnden die herr-
ſchafft bey ſich laſſen/ weil die ſuͤnden ordentlicher weiſe aus der hochachtung und
daraus herkommender liebe der irrdiſchen guͤter herkommen/ dero aber jene leben-
dige erkaͤntnuͤß der allein wahrer und hochgeachtet zu werden wuͤrdiger guͤter ſteu-
ret. Daher hauptſaͤchlich aus dieſen herzukommen erachte/ daß die herrſchafft der
ſuͤnden ſich bey dem wahren glauben nicht finden koͤnne/ weil durch derſelben/ nicht
nur durch welche mittel der menſch zu ſeiner ſeligkeit komme/ ſondern auch worinnen
dieſelbe beſtehe/ und alſo worinnen ihm eigentlich wohl ſeye/ der ſeele eingedruckt
wird/ daher gewißlich bey den jenigen ſolcher glaube nicht ſeyn kan/ welcher ehr/
nutzen/ luſt (die 3. principia faſt aller unſerer ſuͤnden) ſo wuͤrdig achtet/ um ih-
rent willen etwas zu thun ja gar GOtt zu beleidigen.


Es leidet aber dißmahl die enge der zeit nicht/ die ſache weiter aus zufuͤhren/
meine aber dennoch/ dieſes wenige/ ſolle genug zeigen/ wie ichs meine. Ach der
HErr wolle durch den Geiſt des glaubens dieſes himmliſchen liechtes art ſelbs zuer-
kennen geben/ ſo haben wir die wahre weißheit. 26. Sept. 85.


SECT.
[608]Das ſechſte Capitel.

SECTIO XXX.


Unſere zeiten der gerichte. Was prediger zu
thun/ wo die Papiſten die oberhaud haben.
Elenchus.
Die beſte verwahrung vor dem abfall. Die ins hertz
gedruckte liebe GOttes.


DEr zuſtand ihrer gegend liget mir w[o]l von grund der ſeelen an/ ich ſehe aber
keine menſchliche huͤlff/ darauff man nur die geringſte gedancken ſich zu ma-
chen haͤtte/ ſondern von den HErrn muß ſie allein folgen. Wo wir aber
recht die art unſerer zeiten anſehen/ ſorge ich ſie beſtehe darinnen/ daß die goͤttliche
gerichte in voͤlligen ausbruch ſind/ da er ſein verdoꝛben Jeruſalem in die haͤnde Ba-
bels uͤbergebe/ damit dieſes ſein ſuͤnden maaß erfuͤlle/ und damit ſein gericht
uͤber den halß ziehe/ welches gewiß geſchehen und hoffentlich die zeit unſerer
trangſal nicht auf lange beſtimmet ſeyn wird/ doch moͤchte das wetter ſo viel ſchwerer
ſeyn/ als ihn kuͤrtzere friſt geſetzet iſt. Wie aber ſich zu verhalten/ bekenne/ daß
ich mir in vielen ſelbs nicht genug thue/ was ich vorſchlagen ſolle/ und alſo getreue
bruͤder faſt mehr allein dahin weiſen muß/ daß ſie den HERRN um ſeines Geiſtes
weißheit und rath/ deſſen ſie beduͤrfftig/ ohne unterlaß anruffen/ und alsdann ge-
troſt das jenige thun/ was er ihnen vorkommen laͤſſet/ als daß mich erklaͤhren ſolte/
ihnen in ſolcher ſache maaß vorzuſchreiben. Jnsgemein bleibet wol die regel/ daß
man weder einer ſeits der warheit etwas begeben oder das bloſſer dings nothwendi-
ge unterlaſſen darff/ noch anderwerts nicht ſo wol ihn ſelbs als ſeiner kirchen keine
gefahr/ dero man noch entuͤbriget ſeyn koͤnnen/ zu ziehen ſolle.


Den Elenchum belangende/ kan das jenige/ was damit in bekraͤfftigung
der unſrigen geſucht wird (dann der wiedrigen bekehrung iſt ohne das in gegenwaͤr-
tigen zuſtand uns nicht muͤglich) damit erſetzet werden/ da man die theſin ſo viel
ſolider und deutlicher der gemeinde vortraͤget/ und was ſonſten zur refutation
der antitheſeos gehoͤret/ in jene confirmation einmiſchet. Hat man die gele-
genheit zur kinder lehr/ daß man mit der jugend handlet/ ſo dann wo man in privat
converſation
mit den zu hoͤrern umgehet (die man zu der zeit jetzo mehr als zu an-
deꝛn mahlen ſuchen muß) ſolte wol mehr freyheit gebrauchet werden doͤrffen/ als in
den offentlichen und von den Papiſten beſuchten predigten. Sonderlich aber/
was der prediger nicht ſagen darff/ mag durch buͤcher erſetzet werden/ die
man unter die gemeine bringet/ daß ſie ie einer den andern recommandi-
ret
und zubringt/ dero man dann nicht wenige findet/ welche hiezu bequem ſind.
Nach dem aber der meiſte abbruch uuſrer kiꝛche nicht ſo wol durch eigentliche ver-
fuͤh-
[609]ARTIC. I. DIST. IV. SECT. XXX.
fuͤhrung der leuthe in uͤberredung in den glaubens ſtreitigkeiten geſchiehet/ als
durch verheiſſungen und drohungen/ ſo ſehe ich nicht/ wie die tractirung der con-
troverſen
das meiſte thun koͤnte/ ob man ſie ſchon auch zimlich frey haͤtte/ ſondern
das kraͤfftigſte iſt/ daß den leuten die liebe der welt aus den hertzen/ hingegen die
wahre liebe zu GOTT und die hochachtung ſeiner warheit/ in daſſelbe gepredi-
get werde/ daß ſie was Math. 16/ 25. 26. ſtehet anfangen recht zu glauben. Wo
dieſer grund erſtlich feſt geleget und der menſch nur einiger hauptwarheiten/ die wiꝛ
gegen das Papſtum durch GOttes gnade behaupten/ in ſeiner ſeele uͤberzeuget iſt/
da iſt derſelbe beſſer gegen allen abfall verwahret/ als wo er auch die controverſen
gruͤndlich verſtuͤnde/ aber an der welt mit ſeiner liebe haͤnget. Jenes gibt freu-
dige maͤrtyrer auch unter einfaͤltigen/ die den widrigen auf ihre ſophiſmata zu ant-
worten nicht verſtehen/ aber alle wahrheit GOTT es alles ihres verluſts und des
lebens ſelbſten wuͤrdig achten: dieſe werden lieber zu heuchlern/ wo man nicht mit
ihnen disputiret/ ſondern mit anderer gewal[t] in ſie dringet. Daher gewißlich die
ernſtliche liebe zu GOtt und eine gruͤndliche pietaͤt in die hertzen gepflantzet/ ſamt
einer warhafftigen verſchmaͤhung der dinge/ damit die welt locket und ſchreibet/
ſind die ſicherſte verwahrung gegen jetztmalige arten der bekehrungen/ wie dieſer
liebe nahm ſo ſchaͤndlich jetzt verkehret wird. Das meiſte aber wird wol ſeyen das un-
ablaͤßige gebet/ ſo nicht nur allein võ uns Predigern/ vor unſre gemeinden geſchehen
muß/ ſondern auch allen andern vor ſich und die gantze kirche recommandiret
weꝛden ſolle.


Dieſe iſt die kraͤfftigſte wehre der kiꝛchen vor den geweſen/ wir werden auch
damit da es in glauben/ liebe und heiligen eyffer geſchiehet/ noch wunder thun/ und
immer mit den unſrigen noch andere ſeelen zu retten vermoͤgen. Darum laſt uns
fleiß erzeigen/ und nicht muͤde werden/ der gewiſſen zuverſicht aus Luc. 18. wo die
außerwehlte tag und nacht zu ihren HErrn ruffen/ ſo werden ſie gnade finden/ und
der HErr wird ſie erretten in einer kuͤrtze. 14. Dec. 85.


SECT. XXXI.


Von meiner kranckheit/ die 3. Adv. 1684. an-
gefangen und ſo lange gewaͤhret daß erſt dem 3ten p. Tri-
nit. 1685. die cantzel wieder betreten. Jn derſelben zwey
traͤume. Kirchen
diſciplin.Schwehrigkeit in
ſolcher
materie.


GElobet ſeye die guͤtigkeit des himmliſchen Vaters/ welche mich ihrer und
meiner mit neulich ausgeſtandener leibs ſchwachheit erinnert/ in der-
ſelbigen mit einer ſtaͤten ruhe des gemuͤthes beſeliget/ viel andere woltha-
H h h hten
[610]Das ſechſte Capitel.
ten durch gnaͤdiges ſchonen mir erwieſen/ die liebe in den hertzen ſo vieler bruͤder
und ſchweſtern hin und wieder erwecket/ und aus derſelben viel tauſend glaͤubige
ſeufftzer vor mich gewuͤrcket/ auch ſolche vor ſeinen gnaden thron angenommen/ und
darauff mir wiederum ſo viele krafft verliehen: ach daß ſie aber ſonſten auch mir ſo
viel moͤchten erlanget haben/ was zu heiligung meiner ſeelen und uͤbrigen lebens
mir noͤthig iſt/ maſſen ohne dieſes/ und alſo neue auffopfferung aller meiner kraͤff-
ten zu ſeinen preiß und des nechſten dienſt/ mir was ich empfangen habe mehr zu
ſchwehrer verantwortung dienen moͤchte.


Ach helffet mir alſo insgeſamt noch ferner erbitten/ was miꝛ noͤthig iſt/ den willen
meines GOttes an mich zu erkennen/ und denſelben mit getroſtem hertzen zu voll-
bringen. Jch leugne nicht/ daß meines wehrten bruder liebes ſchreiben in dieſer
materie, ob wol wegen ſeiner liebreichen zuneigung und wunſches in den uͤbrigen
erfreuet/ dennoch ſonderlich in zweyen ſtuͤcken mich durch vorſtellung meines ge-
brechens betruͤbet hat. Er gratuliret mir/ und ſtehet in der hoffnung/ daß ich
waͤhrender meiner kranckheit einen blick in die ruhe der heiligen gethan haben wer-
de. Aber ach wehrter brudeꝛ dieſe gnade iſt mir nicht wiederfahren/ ſondern al-
les/ wovor ich gleichwol dem himmliſchen Vater demuͤthig zu dancken habe/ und
auch deſſen nicht werth geweſen bin/ iſt darinnen beſtanden/ daß mir derſelbe die
gantze kranckheit ein zu fꝛiedenes hertz gegeben/ daß ich aus verſicherung ſeineꝛ Va-
ters liebe und meines Heylandes verheiſſenen heyls mich vor den todt nicht entſe-
tzet/ ſondern wo der HErꝛ mich dazu beruffen/ wuͤrde ſolches/ ſonderlich um jetziger
zeit willen/ vor ein gnaͤdiges ſchonen geachtet/ daher ob ich mirs ſchon etwa vorneh-
men wolte/ um meine geſundheit mit ſonderlicher angelegenheit zu beten nicht ver-
mocht/ hingegen wo er mich laͤnger in der welt laſſen wolte/ mich auch der arbeit
und anhaͤngender verdꝛießlichkeit nicht zu beſchweren reſolviret habe: in ſolcher
gemuͤths diſpoſition (da ohne das wegen ſchwachheit des kopffs und vieler ſchlaͤff-
rigkeit ich zu tiefferen nachſinnen oder betrachtungen nicht tuͤchtig geweſen waͤre)
habe die gantze zeit zugebracht/ ohne ſondere empfindlichkeit einer mehrern innerli-
chen krafft oder liechts/ ſo ich haͤtte hoffen moͤgen/ und auch mein wehꝛter bruder
ſich dergleichen von miꝛ verſehen. Nur dieſes einige iſt mir in meiner kranckheit/
ſo mir was ungewoͤhnliches (als der mein lebtag keinen traum gehabt habe/ darin-
nen das geringſte geweſen waͤre/ ſo etwas ſonderliches bedeuten moͤgen) begegnet/
daß in dem maꝛtio/ da eben ſo zu redẽ die natur die kranckheit zu uͤberwinden anfieng
ich in einer nacht zwey bedenckliche traͤume/ ſtracks auf einander bekommen.
Erſtlich traumete mir/ ob gienge ich aus der meinigen in eine nebens-
kammer mein damal kranckes kind zu beſuchen/ wurde aber gewahr/ daß in der
wand eine thuͤr und ſtiege hinauff/ oben aber viel treffliche ſchoͤne loſamenter und
weiter hinaus ein klahres liecht waͤre: Da nun mit verwunderung ſtund/ daß ſo
lang
[611]ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECTIO XXXI.
lang in dem hauß wohnende dieſe thuͤr und gemach nie beobachtet haͤtte/ deswegen
die ſtiege hinauff gehen wolte/ wurde mir zu geruffen/ ich ſolte darunten bleiben/
doͤrffte noch nicht hinauff kommen/ darauff ich zu antworten meinte/ ich moͤchte
nur das ſchoͤne liecht recht ſehen/ aber es ſchoß mir nur ein glantz davon in die augen/
daß ich daruͤber erwachte/ und nicht wuſte/ wie ich mich in den traum ſchicken ſolte.
Jch entſchlieff aber ſehr bald wieder/ und dauchte mich ich lege in meinen bett gantz
allein auff einen ſehr hohen berge/ deſſen gaͤhe ich hinab und unten das gantze be-
wohnte und bebauete land/ feld/ wieſen/ wohnungen und anders ſchauen konte.
Damit ſprach ich bey mir ſelbs/ wie komme ich doch zu den leuten/ daß ich nicht ſo
gantz allein bleiben muͤße? darauff hoͤrte zu mir ſagen: Es ſolle ein ſanffter wind
kommen/ der dich hinab trage: mir fiel in dem ſchlaff der ſpruch ein/ Er machet
ſeine Engel zu winden/
und fuͤhlte ſo bald/ daß ſich mein bett aufhub/ und ſchwe-
bende in der lufft allgemach hinab ſenckte/ als nun nahe bey den leutenzu ſeyn mein-
te/ ſahe uͤber mich/ wo ich gelegen haͤtte/ ſahe aber/ daß es eine hohe ſpitze des bergs/
und uͤber demſelben dicke dunckele wolcken/ uͤber ſolchen aber wiederum ein helles
liecht geweſen/ deſſen glantz mich auch ſo bald wieder erweckte.


Dieſe beyde traͤume/ ſo miꝛ ſo bald nach einander vorgekommen/ bekenne/ daß
als eine goͤttliche verſicherung angeſehen/ daß mich der HERR noch eine weile in
der welt haben wolte. Aber ach/ wie meiner phantaſie in den traum ein ſolcher
glantz des liechts ſich præſentiret/ daß auch tieffer in die ſeele hinein ein lebendiger
ſtrahl des ewigen liechts und jener herrlichkeit eingedrungen haͤtte! doch was ver-
lange ich das jenige/ deſſen ich wol weiß/ nicht wuͤrdig zu ſeyn. Ferneꝛ hoffet mein
geliebter freund/ daß ich wie andern Chriſtlichen Theologis begegnet/ eine ver-
mehrung meiner gaben in ſolcher kranckheit erlanget/ und bey mir ſpuͤren wuͤrde/ a-
ber ich kan eben ſo wenig deſſen mich ruͤhmen/ muß alſo an mir gemanglet/ daß
GOTT ſolches an mir vollbracht/ und ich demnach in etwas ſeinen rath an mir
gehindert haben: in dem ich/ ſo viel ich an mir gewar werden kan/ mich in keinen
andern als vorigen ſtand noch befinde. Ob auch wol freylich erkenne/ und beken-
ne/ daß in meinem vorigen leben manches verſaͤumet/ und nicht mit genugſamer
treue das werck des HErrn getrieben habe/ ſo bleibets doch allein bey den wunſch
und verlangen/ das gern wolte/ die neue lebens friſt ſeinen willen ſo viel hertzlicher
widmen/ und die voꝛige verſaumnuͤß erſetzen: wo ich aber nachdencke und unterſu-
che/ worinnen ich dann ein mehrers und anderes thun koͤnte/ ſo ſinde nichts/ der ich
doch verſichert bin/ daß mehr geſchehen ſolte.


Es bleiben mir aber die augen noch gehalten/ daß ichs nicht ſehen kan. Be-
trachte ich meine predigten/ ſe he ich wol/ daß ſie auch beſſer und nachtruͤcklicher ab-
gelegt werden ſolten/ weil ſie jetzt die frucht nicht bringen/ wie ſie ſolten: Will ichs
aber/ wie ich dann gern wolte/ anders und beſſer machen/ ſo weis ich nicht/ wie es
zu thun/ und ob ich wol gern alleꝛ erudition, dieſelbe mit einzumiſchen/ mich zu
H h h h 2ent-
[612]Das ſechſte Capitel.
entſchlagen verlange/ auch deswegen mit willen damit nicht zu peangen begehre/
kan ichs doch nie ſo einfaͤltig machen/ wie ich wolte. Und ſo gehet mirs auch in
den particular handlungen mit den leuten/ daß mir niemalen ſelbs gnug thue/ ſon-
dern ſehe/ daß anders und mehr ſeyn ſolte/ weiß es aber nicht anzugreiffen. Daß
ich ja wol angelegenlich den HErrn um dieſes/ ja mehr als um das meiſte andere/
anzuruffen habe/ (deswegen auch bitte/ daß andere vor mich dergleichen thun)
damit mir doch derſelbe ſeinen willen recht eigenlich/ was er in jeglichen und wie
ers gethan haben wolte/ zuerkennen gebe/ der ich hoffe/ es ſolte darnach nicht ſo
ſehr an den willen daſſelbige zu thun manglen/ wo ich die art recht erkennnete. Was
ich auch ferner zu der allgemeinen beſſerung der kirchen thun koͤnne (da das bißheri-
ge nicht wol in anderen beſtanden/ als daß der HErr meine ſtim̃e gebraucht damit
er ein und andere hin und wieder aufgewecket/ und an die dinge fleißiger zu geden-
cken) ſehe kaum etwas: mit bißherigen iſt wenig ausgerichtet/ ſo ſehe wenig/ davon
nicht bereits ſo viel erinnerung gethan haͤtte/ als GOtt mir das maaß der erkaͤnt-
nuͤß/ uͤber welches ich mich nicht erſtrecken darff/ gegeben hat. Zwar ſolte mir Gott
mehr zu erkennen geben/ oder gelegenheit weiſen/ wie zu der gemeinen der kirchen
wolfarth meine arme hand ferner anlegen koͤnte/ bin nicht nur verbunden/ ſondern
hoffe meinen wehrten bruder deſſen verſichern zu koͤnnen/ daß ichs von grund der
ſeelen gern thun/ mit willen die gelegenheit nicht verſaͤumen/ noch daher entſtehen-
de ungelegenheit und der welt haß hochachten wolte: Dann der HErr hat mich
gelehret/ den nutzen/ wann einer in der hoffnung anſcheinet/ allen meinen eigenen
wohlſeyen vorzuziehen.


Aber ich ſehe ohne die wiederholung der bereits mehrmal vorgeſtellter dinge
vor dißmahl nichts weiter/ was mir gegeben waͤre. Die kirchendiſciplin belan-
gend/ finde mich ſolches weꝛck zu urgiren vor andern faſt wenig tuͤchtig/ nach dem
ich ſelbs mein vieles bedencken und anſtand dabey finde. Jch erkenne die kirchen-
zucht an ſich ſelbs vor ein herrliches und heilſames werck/ dero rechter gebrauch un-
zaͤhlichen nutzen hat/ hingegen der mangel derſelben bey uns groſſen ſchaden thut.
Aber wo ich darnach unſern zuſtand/ wie wir ſtehen/ betrachte/ und bedencke/ wie
ſie etwa einzurichten waͤre/ ſo finde tauſenderley hindernuͤſſen/ die mir die hoffnung
theils die ſache in gang zu bringen/ theils der kirchen damit zurathen/ gantz nieder-
ſchlagen.


Jch bekenne/ in der meinung zu ſtehen/ daß die gewalt der kirchen zucht/ nicht
den obern ſtaͤnden allein gebuͤhre/ ſondern der gantzen kirchen/ daß alſo von ſolches
rechts uͤbung auch die gemeinde/ oder dero verordnete/ nicht außzuſchlieſſen/ auſſer
dem aber/ weil es nicht in goͤttlicher ordnung hergehet/ wenig goͤttlicher ſorgen bey
der ſache zu hoffen ſeye. Die gemeinde aber zu ihrem rechten/ und die obere ſtaͤnde
ſonderlich den obrigkeitlichẽ zu deroſelben zu laſſung zu bringen/ ſorge ich eine ſach zu
ſeyen
[613]ARTIC. I. DISTINCT. IV. SECTIO XXXI.
ſeyen/ die weit uͤber meine/ ja menſchliche kraͤfften gehet: ja es ſcheinet vielen eine
widertaͤuffriſche confuſion geſucht zu werden/ wo man hievon redet; obs wohl ei-
ne in theſi von allen rechtſchaffenen Theologis behauptete wahrheit iſt/ daß die
kirchen-rechte der gantzen kirche gehoͤren. Daher wo etwas in der welt waͤre/
darinnen ich mit freuden bey der hoffnung eines ſucceſſes arbeiten wolte/ wuͤr-
de es dieſes ſeyn/ ob die geſamte kirche wiederum in allen ihren ſtaͤnden
zu der erkaͤndnuͤß und uͤbung ihrer rechten in wahl der Prediger/ beur-
theilung der glieder/ auch lehr und lebens/ kirchen-zucht und dergleichen
gebracht werden moͤchte: Dann ich glaube/ daß hieraus der anfang des
meiſten verderbens in der kirchen auch ſo gar das Pabſtum ſelbs entſtanden ſeye/
da die rechte verfaſſung der kirchen verlohren/ und der dritte ſtand von den uͤbrigen
faſt gantz ausgeſchloſſen worden/ womit auch ein groſſes des Goͤttlichen ſegens/ der
ſonſten bey der kirchen haͤtte bleiben werden/ weggewichen iſt.


Hat mich auch des wegen ſo ſehr erfreuet/ als nechſt in des Chriſtlichen Staat-
manns Herrn von Seckendorff Chriſtenſtaat ſo offt von dieſen rechten der kir-
chen eine anregung zugeſchehen wargenommen. Hingegen bekenne/ daß mir alle
hoffnung entfaͤllet/ darinnen etwas auszurichten/ ſondern ſorge/ die ſich in die pro-
feſſion
des ihnen nicht gehoͤrenden geſetzet/ werden ſich das an ſich gezogene nicht
entreiſſen laſſen/ biß der HERR erſt alles unterſt zu oberſt kehret.


Ferner wo auch der kirche nunmehr hier und da ihr recht eingeraͤumet wuͤrde/
iſt mir auffs neue betruͤblich/ daß nicht bald eine gemeinde ſehe/ welche ihr recht
nach Goͤttlicher ordnung zu uͤben tuͤchtig waͤre/ ſondern nach dem allezeit das mei-
ſte in denſelben aus lauter fleiſchlichen leuten beſtehet/ iſt eine ſtarcke ſorge/ daß ihr
gebrauch und urtheil ſo leicht wider GOttes abſicht als derſelben gemaͤß ausſchla-
gen doͤrffte. Sehe ich wiederum die meiſte Prediger an/ ſind ſie wahrhafftig ſol-
che leute/ welche in der kirchen-zucht nach Goͤttlichen rath zu verfahren untuͤchtig
ſind/ und wuͤrden/ da ſie eine mehrere gewalt haͤtten/ ſolche beſorglich mehr zu ausuͤ-
bung fleiſchlicher affecten gebrauchen/ oder doch mit unverſtand darinnen verfah-
ren/ als ſie zu wahren nutzen der beſſerung in Goͤttlicher klugheit anwenden.
Kommets auff die Obrigkeit/ wo es noch an beſten hergehet/ ſo wird endlich die
kirchen-zucht eine art einer weltlichen ſtraffe/ welche auffs hoͤchſte mit einer euſer-
lichen furcht etwas von laſtern zuruͤck haͤlt/ aber ſelten einen wahrhafftig beſſert/ o-
der in der gantzen gemeinde denjenigen nutzen ſchaffet/ der in dem rechten gebrauch
ſeyen ſolte und wuͤrde.


Wir ſehen ohne das gemeiniglich/ daß wo noch etwas von der kiꝛchen-zucht
uͤbrig iſt/ das alles mit zwang hergehet/ und den meiſten buͤſſenden die nothwendig-
keit ihrer buß mehr leyd iſt/ als ihre ſuͤnde/ und bekommet die kirche nach derſelben
gewoͤhnlich mehr einen geſchaͤndeten als gebeſſerten bruder. Jch ſehe etlicher
H h h h 3maſ-
[614]Das ſechſte Capitel.
maſſ[e]n/ wie der ſache zu helffen waͤre/ aber nicht anders/ als daß vorher in der gan-
tzen kirchen es ſchon anders ſtehen/ und wir in allen ordnungen andere leute haben
muͤſſten. Daher ob wir hieran einen ſondern anfang machen wolten/ foͤrchte/
daß damir wenig gefruchtet wuͤrde: ohn allein/ daß wo ein Gottſeliger Prediger
waͤre/ ſo in der furcht des HErrn der gewalt ſich Goͤttlich gebrauchen wuͤrde/ der-
ſelbe ſeinen gewiſſen mehr rath ſchaffen moͤchte. Weil aber derſelben ſo wenig
ſind/ von den meiſten aber mißbrauch als rechter gebrauch zu erwarten ſtehet/ mag
dieſes auch ein ſtuͤck des heiligen gerichtes GOttes ſeyen/ daß er allen entzogen wer-
den laſſen/ was wenige recht brauchen koͤnten und wuͤrden. Wie ſchwehr es
zwar den gewiſſen damit werde/ weiß und fuͤhle ich wohl/ aber die huͤlffe ſehe noch
weit entfernet/ und muß mit ſeufftzen tragen/ was nicht zu aͤndern.


Der HERR erbarme ſich endlich unſrer aller/ und ſchaffe/ da menſchen
krafft zu ſchwach iſt/ ſelbſten die huͤlffe/ daß man getroſt lehren und ſeiner ordnung
aller orten recht nachkommen moͤge. Darum wir ihn dann unablaͤßig tag und
nacht anzuruffen haben/ bis er ſich ſeines Zions mit nachdruck annehme. 6. Jan.
1686.


SECTIO XXXII.


An einen Edelmann von dem einbrechenden ge-
richten. Das feuer der verfolgung reinigt die kirche von
heuchlern. GOTTES treue in demſelben an den recht-
ſchaffenen. Gewißheit des endlichen ſieges. Vor-
ſchlaͤge der vereinigung mit dem Roͤmiſchen
Babel gefaͤhrlich und ſchaͤdlich.


JCh gehe gleich zu der ſacheſelbs/ da ich mit denſelben gantz einer meinung bin/
nehmlich es ſeye ein feuer angezuͤndet/ welches ſich noch weit ausbreiten/ und
in demſelben nichts als das wahre und rechte gold beſtehen wird. Es ſind je
nunmehr die zeiten des gerichts/ welches an den hauſe des HErrn anfangen muß/
daſſelbige zu reinigen/ aber uͤber Babel endlich ausgehen wird.


Jch ſorge aber jene reinigung werde nicht nur allein unſerem natuͤrlichen
menſchen ſchwer genug werden/ was er dabey auszuſtehen/ ſondern es moͤchte ein
groſſer theil deren/ die ſich jetzo aus der ſtunde der verſuchung noch zu uns und der
bekandnuͤß der wahrheit halten/ ſich durch die verfuͤhrung und verfolgung davon
ableiten oder abtreiben laſſen: ſo zwar betruͤblich iſt/ wegen verluſts der ſeelen/ von
dero erhaltung wir ſo gute hoffnung gehabt hatten/ aber endlich der kirche ſelbs ſo
groſſen ſchaden nicht thun kan. Es iſt an dem/ daß ein groſſes ſtuͤck des verderbens
und
[615]ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECTIO XXXII.
und vieles andern urſach iſt/ weil in der euſſerlichen kirchen gemein ſchafft ſo eine
groſſe anzahl (wolte GOTT/ nicht die meiſten) derjenigen ſich findet/ welche war-
hafftig in ihren hertzen niemahl wahre Chriſten/ widergebohren oder glaubig gewe-
ſen/ ſondern denen das irdiſche ſtaͤts ihr hauptwerck und abſicht/ die bekantnuͤß a-
ber der religion/ bey de[ro] ſie gebohren/ ihre nebensſach geblieben und bleibet. Von
dieſen kommet alles aͤrgernuͤß der kirchen her/ ſo deren nahmen offt den widerſa-
chern ſtinckend machet/ und der wahrheit/ die wir haben/ laͤſterungen zu ziehet/ ja
es nimmet durch ſie das heuchelweſen in der kirche dermaſſen uͤberhand/ daß manche
ſo ſonſten rechtſchaffen geweſen/ durch das exempel ſolcher laulichkeit mit darin ge-
pflochten werden/ und eben ſo wohl von ihren eiffer ablaſſen/ daß zu ſorgen/ das uͤbel
nehme immer mehr und mehr uͤberhand/ und ſolte als ein um ſich freſſender krebs
leicht den gantzen leib vollends verderben.


Wo dann GOTT dieſes feuer der mit verfuͤhrung vermiſchter verfolgung
laͤſſet einbrechen/ verzehret es diejenige ſchlacken und falſches gold/ welches das
wahre gold faſt gantz umgeben/ und wie unſcheinbahr gemachet/ davon dann das
wahre gold gereiniget wird/ nicht aber thaͤtlich ſchaden leidet/ ſo vielmehr nutzen
hat/ und einen deſto herrlichern glantz dadurch uͤberkommet. Wolten wir
ein ander gleichnuͤß brauchen/ ſo iſt die kirche vielmahl in dem ruheſtand eine
zwar mit reinen leinewand gekleidete ſchoͤne Jungfrau/ an dero kleidung aber ſo
viele kletten und unflat haͤnget/ daß man nichts mehr von dero weiſſen farbe ſiehet/
daher ſie ihr himmliſcher Vater in die waſſer der truͤbſalen fuͤhret/ da die fluten al-
les ſolches unreine abwaſchen/ und das gantze kleid ſaͤubern.


Daher haben wir nur dahin zutrachten/ daß unſer gold moͤge wahrhafftig
und der rechte Goͤttliche glaube in unſerer ſeele ſeyen/ ſo doͤrffen wir jenes ferner
nicht fuͤrchten/ ſondern getroſt erwarten/ wann und auff wie lang uns der HErr
in ſolchen offen werffen und darinnen behalten will. Wir ſind je von ſeiner treue
verſichert/ daß was an ihn treulich zu halten verlanget/ gewißlich durch ſeine krafft
genugſam geſtaͤrcket und erhalten werden ſolle: ſo wiſſen wir auch/ wie nunmehr
das jenige in ſeine erfuͤllung gehet/ was von dieſen unſern letzten truͤbſalen geweiſſa-
get worden/ daß nicht weniger auch die uͤbrige verheiſſungen muͤſſen erfuͤllet werden/
was der HERR gleichfals von dem fall Babels und wider auffrichtung ſeines
geiſtlichen Jeruſalems verheiſſen und geweiſſaget hat/ daß auch nicht ein wort da-
von auff die erde fallen ſolle; Laſſet uns nur den HERRN bitten/ uns dazu be-
reiten/ oder vielmehr durch die gnaͤde GOttes dazu bereiten laſſen/ unter ſolchen le-
bendigen ſteinen als dann zu ſeyen/ die zu ſolchem bau gehoͤren/ und die vorhergehen-
de truͤbſalen mit gedult und freudigen glauben auff den beyſtand und huͤlffe des
HERRN ertragen; gewiß verſichert/ wir ſollen den drachen uͤberwinden mit
dem blut des lammes und dem wort unſeres zeugnuͤßes/ und da wir unſer leben nicht
de-
[616]Das ſechſte Capitel.
lieben biß in den todt. Der ſieg bleibt einmahl unſers JESU und in ihn unſer in
ewigkeit/ wohl werth um deſſen willen wir rechtſchaffen kaͤmpffen und mit gedult
aushalten.


Wann in den uͤbrigen derſelbe gedencket/ daß der vielguͤtige Heyland uns
vielleicht noch einen reichen ſeegen zeige/ und wir jetzo verluſtigt werden/ ſiebenfaͤl-
tig wieder erſetzen werde/ halte ich vor keine ungewiſſe muthmaſſung/ ſondern bin
deſſen verſichert/ und zwar nicht nur was einen jeglichen unter uns anlangt/ da der
Herr hier oder dorten uns unſers ſchadens reichlich widerum ergetzen wird/ ſondern
auch was betrifft die geſamte kirche/ derſelben wird der HErr mehr als ſiebenfaͤltig
erſetzen/ was ſie etwa ietzo verliehret/ an ſtatt vieler heuchler/ welche von ihr
ausgehen/ oder vielmehr ſie von denſelbigen befreyet werden wird/ unzaͤhlich viele
rechtſchaffene kinder GOttes/ die der HErr nach dem fall Babels zuſammenfuͤh-
ren/ und ihre zahl vermehren/ ſonderlich aber die uͤbrige ſeines ſo lang verſtoſſenen
volcks wiederum herbey fuͤhren/ und ſein reich mit ihnen ziehren wird. Ach eine
ſelige zeit/ der ſolche erlebet/ und des heils des HErren hie theilhafftig werden wird.
Welche aber aus uns ſolches hie nicht ſehen ſolten/ haben daran genug/ daß wir das
heil des HErrn ſchauen ſollen in dem rechten land der lebendigen in ewigkeit/ und
muͤſſen auch uns bereits jetzt freuen/ deren bruͤder zu ſeyen/ welchen GOTT auch
jene gluͤckſeligkeit beſtimmet hat. So bleibet es dann/ wir ſollen und muͤſſen es
gut haben/ da wir an dem HErrn treu bleiben/ hie oder dort/ ja wo wirs recht ver-
ſtehen/ wahrhafftig hie und dort. Der HErr ſchreibe ſolchen troſt in unfer aller
hertzen mit lebendigen buchſtaben/ daß uns derſelbe ſo vielmehr zur liebe und gehor-
ſam anſpohre und in den anfechtungen befeſtige. ꝛc.


Nun der HERR erbarme ſich ſeiner kirchen/ und laſſe auch ſolche truͤbſal
wider der feinde gedancken zu ihrem beſten ausſchlagen/ als der dieſe kunſt kan/ auch
ſolche macht hat/ daß er aus boͤſen gutes mache. Die vorſchlaͤge wegen der verei-
nigung der religionen waͤren nichts als fallſtricke den einfaͤltigen geleget/ ſie zu be-
ſtricken: und urtheilet mein wehrter freund wohl davon/ daß wo man den Vater
der luͤgen nur einen kleinen einbruch geſtattet/ er darnach bald vollends die uͤbrige
wahrheit uns entzeucht. Einmahl wir haben einen jeglichen puncten der Evan-
geliſchen wahrheit ſo hoch zu halten/ daß wir lieber alles verliehren/ was unſer iſt/
als dasjenige fahren laſſen/ was unſers GOttes iſt.


Jch ſehe keine verheiſſung/ daß Babel ſich bekehren werde/ ſondern daß es
in ſein gericht ſich ſelbſten ſtuͤrtzen ſolle; alſo muͤſſen wir vielmehr davon ausgehen/
und uns davon ſondern/ als in daſſelbe uns wider begeben oder uns mit ihm verein-
bahren/ damit wir ſeiner plagen/ auch muͤſten theilhafftig werden. Es hat je die
gewalt ſolches feindſeligen reichs nicht nur die laͤngſte zeit gewaͤhret/ ſondern ich hof-
fe ſein ende ſeye ihn ſo viel naͤher/ als ſeine gewalt auff das hoͤchſte geſtiegen iſt: und
ſollen wohl dieſe letzte truͤbſalen ob zwar von den ſchwehrſten ſeyn/ dañoch nicht lan-
ge-
[617]ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECTIO XXXIII.
ge waͤhren/ ſondern/ es bald ausgewittert haben/ und wann es ſcheinen wird/ daß
himmel und erden von dieſen ſchrecklichen wetter zuſammen fallen ſolte/ wirds ge-
than ſeyn/ und die herrliche ſonne der gerechtigkeit wiederum an einen klahren him-
mel ſich zeigen. Der HERR mache uns wuͤrdig zu ſehen ſein heil/ und gebe in
deſſen freudigen getroſten muth/ ſeinen nahmen auch mit unſeren leiden willig zu
verherrlichen/ und zu uͤberwinden in der krafft ſeines ſieges: Nun er kan es thun/
er will es thnn/ er wird es thun/ dann ſeine guͤte und wahrheit laͤſſets nicht anders
zu. So geſchehe dann ſein heiliger guter wille. Amen! 11. Jan. 1686.


SECTIO XXXIII.


Was in dem allgemeinen verderben der kirchen
zuthun. Sich derſelben dienſt nicht zu entziehen. Men-
ſchen ſatzungen. Verketzern. Arndius. Warum
bey den loͤße-als bindſchluͤſſel mehr frey-
heit.


WAs derſelbe von dem betruͤbten und ſo verdorbenen zuſtand der kirchen
ſchreibet/ iſt freylich allzuwahr/ und moͤgen wir die augen hinwenden/ wo-
hin wir wollen/ ſehen wir das verderben nur in wenig unterſchiedenen gra-
den: theils ſehen den ſchaden nicht/ theils wollen nicht helffen/ theils hindern noch
die jenige/ ſo gern wolten/ theils vermoͤgen nichts auszurichten: und ſtehet unſer
bild natuͤrlich faſt abgemahlet Jerem. 13/ 15. 16. 17. Wie vor 3. jahren ſolches zum
bußtext tractiret habe. Welches auch die urſach iſt/ warum ich laͤngſt davor ge-
halten/ und noch halte/ es ſeye mit unſerm euſſerlichen kirchen gebaͤu in den ſtand
kommen/ daß nicht mehr gnug geflickt werden kan/ ſondern der HERR werde es
durch die nun immer gefaͤhrlicher ausbrechende und androhende verfolgungen nie-
derwerffen/ uñ es erſt aus den uͤbrigen lebendigen ſteinen widerum nach ſeinen her-
tzen auffbauen. Nur bitte ich dabey ihn meinen geliebten freund/ und alle welche
uͤber dieſes elend betruͤbt ſind/ daß ſie ſich doch lernen in die zeit ſchicken/ und weder
auff einer noch andern ſeiten aus der richtigen bahn ſchreiten.


Dieſes geſchehe einstheils/ wo man dann in ſolchen verderben mit machen/
und ob waͤre alles durch die gewohnheit auctoriſirt/ ohne ſcheu der andern exem-
pel nachfolgen wolte: Dann es freylich an dem/ daß Goͤttliches wort durch die
verdorbene gewohnbeit unſrer zeiten nicht kan auffgehaben werden/ noch ſich nach
unſerem willen beuget: Andern theils aber geſchehe es auch/ wo wir gar entweder
ſtang und ſtab fallen laſſen/ oder uns von allem dem entziehen wolten/ was noch end-
lich guts aus zurichten iſt. Da fordert gleichwol Eott noch billich von uns/ weil wir
J i i inicht
[618]Das ſechſte Capitel.
nicht ſo viel ausrichten koͤnnen/ als wir ſonſten ſolten/ ſondern uns die haͤnde in ſo
vielen dingen mit dergleichen banden gebunden ſind/ die wir nicht ohne mehrere der
kirchen verwirrung und verunruhigung losreiſſen koͤnnen/ daß wir dennoch alle
muͤhe und ſorge anwenden zu den dingen/ welche noch einigerley maſſen in unſern
haͤnden ſtehen/ ja uns ſo viel treuer in denſelben erfinden laſſen.


Jch habe laͤngſt erkant/ daß wir mit den halßſtarrigen wenig ausrichten/
auffs wenigſte davon abgehalten werden/ was bey dero fortſetzender boßheit zwar
ſie nicht ſo wohl beſſern/ jedoch ſie von einigen ſuͤnden abhalten/ und einiges aͤrger-
nuͤß abwenden wuͤrde: nach dem aber einen Gottſeligen lehrer noch endlich ſo viel
uͤbrig bleibet/ daß er mit den jenigen oͤffentlich und auffs wenigſte zimlicher maſſen
auch beſonders handlen darff/ was zu dero ſeligkeit noͤthig iſt/ die da willig ſind/ ſich
erbauen zu laſſen/ und ſelbſten ſolches begehren/ ſo dann daß wir noch den boͤſen
Goͤttliches gericht androhen und ſie zur buß vermahnen doͤrffen/ wo je zu weilen
GOTT noch an etzlichen die krafft ſeines wort und gewahr werden laͤſſet/ ſo laſſet
uns auch dieſen nutzen/ welchen noch etliche ſeelen von uns haben koͤnnen/ ſo hoch ach-
ten/ daß wir deswegen uns des dienſtes des HERRN/ wo er uns dazu bereits ge-
ſetzet hat/ oder noch dazu ruffen wuͤrde/ nicht entſchlagen wolten/ ſondern uns
auch dazu reſolviren/ nichtnur unſre leibes kraͤfften gern zu verzehren/ ſon-
dern auch unſre ſeelen in gefahr zu begeben/ um der bruͤder willen/ die wir
ſo hertziich lieben ſollen/ daß wir auch unſre ſeelen nicht zu ſehr uͤber ſie und mit ver-
ſaͤumnuͤß der ihrigen lieben wolten. Wiewol wir doch dabey verſichert ſeyn koͤn-
nen/ da unſre liebe auch in ſolchem ſtuͤcke redlich/ daß ſich der HERR unſer erbar-
men/ und uns unſre ſeelen mit zur ausbeut geben und erhalten wird. Welches
mich offt troͤſtet/ hingegen das exemvel des knechts Matth. 25/ 24. 25. ſchrecket/
welcher nicht aus haß ſeines Herrn/ ſondern aus furcht/ daß er doch mit ſeinem
pfund nicht ſo viel gewinnen wuͤrde/ als ſein Herr nach ſeiner ſtrenge von ihn for-
derte/ das pfund liegen laſſen.


Jch will damit nicht ſagen/ daß er eben in ſeinen vaterland und ſo bald dienſt
annehmen ſolle/ vielmehr ſtelle ſolches in deſſen Gottſelige uͤberlegung/ ſondern/ daß
er ſich nur nicht (wie ich weiß/ einigen lieben gemuͤthern begegnet/ und damit eben
der kirche keinen nutzen geſchaffet zu ſeyn) allerdings durch das elende anſehen der
kirchen niederſchlagen laſſe/ damit alle luſt zu dero dienſt zu verliehren: welches
ich vor eine gefaͤhrliche verſuchung halte. An den buchſtaͤblichen doͤrffen wir je
nicht allein hangen/ doch haben wir dabey das hertzliche vertrauen zu GOTT zu
ſchoͤpffen/ wo wir in unſerm amt das wort GOttes treulich treiben/ ſolte es auch
bey den meiſten nicht weiter als auff eine buchſtaͤbliche erkantnuͤß gebracht werden/
daß dannoch immer noch einige (geſetzt es waͤren wenige) auch zu einer lebendigen
erkandnuͤß kommen werden/ ſo dann auch bey jener etlichen noch kuͤnfftig eine zeit
gehoffet werdẽ kan/ daß auch bey ihnen zu den buchſtaben endlich das leben des gei-
ſtes
[619]ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECTIO XXXIII.
ſtes in ihre ſeele dringe/ ſo ſie vo[r]hin eine weile gehindert haͤtten. Jn ſolcher
hoffnung haben wir zu thun/ was wir koͤnnen/ und das uͤbrige den HERREN
zu befehlen/ auff ſeine huͤlffe und beſſerung mit ſehnen wartende.


Was menſchen ſatzungen anlangt/ wuͤnſchte ich ſelbs derſelben weniger/ o-
der vielmehr keine: nachdem aber gleichwohl keine bey uns wie ich hoffe vorhan-
den/ die eigentlich GOttes wort entgegen waͤren/ muͤſten wir aus liebe und um der
ordnung willen auch uns denjenigen dingen unterwerffen/ daran wir ſonſten auſſer
dem mit unſern gewiſſen nicht gebunden waͤren/ weil ja ſich die liebe/ ſo ferne es oh-
ne des glaubens eintrag geſchiehet/ gern andern zu knechte machet.


Die luſt andere zu verketzern waͤhret ſchon lang/ und moͤgen wirs faſt allge-
mach gewohnen/ dergleichen zu hoͤren/ in deſſen zu den HERRN ſeufftzen/ daß er
denen die augen oͤffnen wolle die aus unzeitiger ſorge der orthodoxiæ ſich vor din-
gen foͤrchten/ davor ſie ſich nicht zu fuͤrchten haben/ und die derſelbe nicht entgegen
ſind.


Daß auch der liebe Arndius noch ſo boͤſen nahmen bey einigen behaͤlt/ hindert
ſeiner ſeligkeit nichts/ ſo wird auch ſein gedaͤchtnuͤß nichts deſto weniger in ſegen
bleiben/ bey allen denen/ welche ihn mit verſtand geleſen/ und etwas einen geſchmack
von geiſtlichen dingen haben: Vielleicht wird auch GOTT noch hie in der welt
in beſſeren zuſtand der kirchen ſeinen nahmen laſſen mehr zu ehren kommen/ und
von den laͤſterungen/ die er hie hat leiden muͤſſen/ gerettet werden/ da hingegen dort
ſeine krohne ſo viel herrlicher werden wird. Jch ſchaͤme mich nicht ſein diſcipul
zu heiſſen/ ob wohl weiß/ daß mich auch ſolches bey einigen mit verdacht beſchweh-
ret hat.


Was anlangt die frage/ warum ohne ausdruͤcklichen conſens der gantzen
kirchen keiner gebunden/ wohl aber geloͤſet werden koͤnne/ meine ich/ ſeye die ur-
ſach des unterſcheids offenbahr.


1. Weil das binden die ausſchlieſſung aus der gemeinde mit ſich bringet/ wel-
che zu der gemeinde erkaͤntnuͤß geſtellet werden muß/ und einmahl nicht in eines
mannes hand ſtehen ſolle/ wer vor der gemeinde glied gehalten werden ſolle oder
nicht: das loͤſen aber iſt nichts anders/ als die ertheilung eines allgemeinen rechten/
daran alle theil haben/ als lange ſie glieder des leibes ſind.


2. Bey dem loͤſen hat es keine contradiction/ ſondern iſt derjenige der ge-
loͤſet werden ſolle damit zu frieden/ bey den binden wird ordinarie derjenige/ den
man binden will/ widerſprechen/ da gehoͤret dann das judicium einen andern. Es
kan aber auch faͤlle geben/ daß bey den loͤſen/ zum exempel wo einer abſolvirt ſeyn
wolte/ welchen die gemein ausgeſchloſſen/ derſelben conſens erfordert/ oder viel-
mehr das urtheil von ihr geſucht werden muͤſſte. So koͤnnen wir nicht eben ſim-
pliciter
ſagen/ daß der Pfarrherr die kirche repræſentire/ auffs wenigſte kan ſol-
ches in nichts anders geſchehen/ als was und wie fern ſie ihn ſolches uͤbertragen haͤt-
J i i i 2te.
[620]Das ſechſte Capitel.
te. Ach wolte GOTT/ wir haͤtten die erſte ordnung der kirchen nach der einſe-
tzung des HERRN/ ſo ſolten wir in der that die weißheit deſſelben erkennen/ daß
er die ſtaͤnde alſo in einander gegattet/ daß alles zu der gemeine erbauung concur
riren
muͤſſte und ſolte. 25. Jan. 1686.


SECTIO XXXIV.


Daß die von andern mißbrauchte redens-arten
des wegen nicht abzulegen. Arndius. Lutheri ſchrifften.
Gemeinſchafft CHRJSTJ und ſeiner
glaͤubigen.


OB ich wohl vor deme deſſen wehrter perſon kundſchafft noch nicht gehabt/ ſo
hat mich dannoch deſto mehr erfreuet/ aus ſeinen lieben ſchreiben nicht nur
der gegen mich tragenden hertzlichen liebe/ ſondern vornehmlich ſeines Gott-
ſeligen gemuͤths/ und wie er den zuſtand unſerer kirche und zeit anſehe/ verſichert zu
werden. Wie mirs dann eine der groͤſſten vergnuͤgungen in dieſer welt iſt/ wo
mich der HERR bald da bald dort widerum auffs neue eines bruders/ welcher es
mit dem werck GOttes treulich meine/ gewahr werden laͤſſet/ daraus ich mich troͤ-
ſte gegen die betruͤbnuͤß/ welche ſonſten daher entſtehet/ da man von allen ſeiten ſo
viele um ſich ſiehet/ die das ihrige/ nicht aber was des HERREN iſt/ ſuchen/ und
deswegen offt nicht allein das gute zu thun nicht fleißig ſind/ ſondern noch andere
daruͤber haſſen/ und auff allerley weiſe zu hindern trachten. Welches nicht das
geringſte verderben unſerer kirchen iſt/ uñ ſich nicht nur in andern/ ſondern auch un-
ſerem ſtande/ die wir ſonſten zu den dienſt GOttes abſonderlich gewidmet ſind/ lei-
der allzu viel findet.


Ach wie viel ſind unter zahl derer/ die alle lehrer der Gottſeligkeit ſeyn ſol-
len/ die theils gar auch von oͤffentlichen aͤrgernuͤſſen nicht frey geſprochen werden
koͤnnen/ theils bey denen auffs wenigſte mehr nicht als eine erudition/ buchſtaͤbli-
che erkaͤntnuͤß und eine euſſerliche erbarkeit/ angetroffen wird/ aber ohne einiges in-
nerliches Goͤttliches liecht/ alſo gar daß auch was davon aus GOttes wort geredet
wird/ ſo bald in verdacht gezogen werden muß: wie ich weiß/ daß ſich einer gegen
einen guten freund vernehmen laſſen/ es ſeye gefaͤhrlich/ auch nur von dem geiſt zu
reden.


Jch habe hin und wieder in meinen ſchrifften daruͤber einige klagen gefuͤhret/
nach dem exempel anderer vor mir: ja mag ſelbs in ſolcher ſache einiges an mir ha-
ben erfahren muͤſſen/ davon nicht viel ſagen ſolle. Aber wie es ein leiden iſt/ daß
andere unſre bruͤder vor uns und mit uns betroffen (wie auch ſeine liebe perſon aus
gethaner anzeige darunter zehlen muß) ſo laſſet uns doch nicht daruͤber muͤde wer-
den
[621]ARTIC. I. DISTINCT. IV. SECTIO XXXIV.
den/ noch deswegen die jenige wahrheit/ welche den juckenden ohren der welt/ wo
ſie in eyffer vor die orthodoxiæ gantz fromm ſeyn und ſich zeigen will/ unertraͤglich
iſt/ nicht verleugnen noch verſchweigen. Wir wollen von der wiedergeburth/ von
dem innern menſchen/ von der ſalbung/ von dem liecht des heiligen Geiſtes ſo durch
das wort in die ſeele kommet/ von dem leben des glaubens/ von den iñerlichen friedẽ/
von der ruhe u. ſtilligkeit der ſeelen/ von d’ vereinigung mit Gott u. unſerem theureſtẽ
Heyland/ von deſſen huldreicher einwohnung/ von der glaͤubigen gemeinſchafft mit
ihm und unter ſich ſelbs/ und dergleichen materien zu ꝛeden und zu ſchreiben fort-
fahren/ was uns das wort der wahrheit lehret/ und wir in eigener unſrer und an-
derer erfahrung befinden: und die jenige daruͤber murren laſſen/ welche die wahr-
heit deswegen haſſen/ weil ſie ſie nicht kennen. Was gehet uns an/ was Wei-
gelius
oder einiger/ welcher entweder eigentlich falſch von ſolchen materien gere-
det/ oder deſſen beſchuldiget wird/ von jeglichen puncten und redens-art gehalten?
Oder ſolle uns die macht und recht benommen ſeyen/ gute/ von dem heiligen Geiſt
ſelbs vorgeſchriebene/ oder ſonſten von rechtglaͤubigen in unſtraͤfflichen ſinn ge-
brauchte/ worte ferner zu brauchen/ weil ſich etwa einige andere derſelben in ande-
ren verſtand mißbrauchet haben? dahin muß es einmal nicht kommen/ noch der teuf-
fel ſolchen vortheil gewinnen.


Wie er dann/ wo man es recht erweget/ nicht wenig damit gewinnen wuͤrde/
wo es dahin kaͤme/ daß man ſich der fleißigen handlung geiſtreicher materien und
nachdruͤcklicher redens-arten ſo bald enthalten/ oder ſonſten deswegen verdaͤchtig
werden muͤſſe/ ſo bald er jemand erwecket haͤtte/ der ſich ſolcher wort in irriger mei-
nung anmaſſete. Zugeſchweigen wie die irrglaͤubige ſelbs damit geaͤrgert/ und in
ihren irrthum geſtaͤrcket werden/ dann wo wir aus forcht vor ihnen uns gewiſſer
guter wort nunmehr begeben/ glauben ſie nicht weniger/ daß wir auch ſolche wahr-
heiten verlaͤugnen/ u. ihnen uͤberlaſſen. Viel nuͤtzlicher aber iſts vor die wahrheit/ wo
wir die gute redens-arten/ welche um ihrentwillẽ verdaͤchtig werdẽ wollẽ/ deſto fleißi-
ger/ aber auch vorſichtig/ u. mit noͤthiger erklaͤhrung des verſtandes/ gebrauchen/ uñ
alſo zeigen daß wir dero rechtmaͤßige beſitzer ſeyen/ wir koͤñen verſichert ſeyn daß der
GOtt der wahrheit ſolches ſich gefallen laͤſſet/ und redliche hertzen/ welche etwas
von dem geiſt haben/ unſre ſprache wol verſtehen werden/ wann ſie ſchon in uͤbel ein-
genommenen ohren fremde lauten moͤchte. So wird auch zu ſeiner zeit die wahr-
heit mit herrlichen ſieg mehr hervor brechen/ und ſich die jenige ſchaͤmen/ die ſie ge-
laͤſtert haben. Unſer theure Arndius hat zwar freylich noch auf dieſe ſtunde ſeine
haſſer und verlaͤumder/ aber etwa gemeiniglich die jenige/ beywelchẽ weder etwas
von dem liecht Gottes iſt/ davon er ſo herrlich zeuget/ noch von dem jenigen leben
und nachfolge Chriſti/ dazu er alle/ die Chriſten ſeyn wollen/ aus GOttes wort
verbindet/ und die alſo davor halten/ daß ihnen dran gelegen ſeye/ daß er nicht vor
einen wahren lehrer gehalten werde. Jndeſſen geneußt ſeine ſeele aller der herr-
J i i i 3lich-
[622]Das ſechſte Capitel.
lichkeit vor den thron GOttes/ und kan ſeiner ſeligkeit durch die laͤſterer zungen
nichts entzogen werden/ auch bleibet ſein nahme und ſeine buͤcher in den ſegen/ bey
allen kindern der wahrheit/ und die dieſelbe mit gehoͤrigen fleiß pruͤffen. Auch
lieget des rechtſchaffenen Varenii rettung vor ihn ſo lange zeit der kirche vor augen:
trotz das/ ohne was Roſtius gethan/ ſo aber ſeine gnugſame abfeꝛtigung auch be-
kommen/ einer ſeine feinde ſich unterſtanden haͤtte/ was vor ihn geſchrieben/ zu wi-
der legen. Dann daß ihn eineꝛ hie oder da anzaͤpffet/ iſt nicht genug/ ſeine ſonſten
ſo deutlich gerettete unſchuld wiederum in billichen zweiffel zu ziehen. So moͤch-
te ich nach meines ſeligen præceptoris Herr D. Danhauers redens-art dieſes cri-
men ſtellionatus
auch nennen (wie er ſolchen terminum von den Juriſten ent-
lehnt/ dazu zu gebrauchen pflegte) wo eine objection oder controvers ſolidere-
futirt
oder ausgefuͤhrt worden/ uñ man ohne gruͤndliche antwort dieſelbe doch wie-
derum/ als waͤre nichts dagegen noch gethan worden/ wiederhohlet und voꝛtraͤget.
Gewißlich ſind die jenige in ſolcher ſchuld/ die jenen rechtſchaffenen lehrer fortfah-
ren mit den alten beſchuldigungen zu belegen/ und doch ſeine rettung anzugreiffen
nicht getrauen.


So bin verſichert/ wer in unſers theuren Lutheri ſchrifften fleißig er-
fahren iſt/ wird an Arndio keinen eckel haben koͤnnen/ ſondern in dieſem das jenige
ausgefuͤhrt finden/ was in jenen der krafft nach/ zu weilen auch mit den worten/ be-
reits enthalten iſt. Und wolte ich als eine ſache unſerer kirchen ſehr nuͤtzlich achten/
wann manche Theologi in unſers lieben Lutheri buͤchern ſich mehr als in andern/
ſonderlich Scholaſticis, uͤbeten/ ſie ſolten hoffentlich von manchen wahrheiten
beſſern begriff haben. Jch komme endlich auff meines geliebten bruders program-
mata,
wo die in dem einen angegriffene wort ohne ſchuld ſind/ und die in dem andern
gefolgte vertheidigung ſolches gnugſam weiſet. Zwar wo man bloſſer dings dahin
ſagen wolte/ man begrabe nochmal Chriſtum/ oder derſelbe ſterbe/ ſo wuͤrde es in
dem verſtand/ welchen die bloſſe wort alsdenn primo conceptu mit ſich bringen/
falſch ſeyn. Aber hie ſtehen ſie nicht bloß/ ſondern mit ausdruͤcklicher anzeige des
verſtandes/ und der rechten meinung/ wenn es nicht nur heiſſet in fidelibus ſuis
\& vivit \& moritur,
ſondern auch noch weiter hinzugeſetzt wird/ es ſeye appropri-
ative,
wie er mit ſeinen glaͤubigen alles gemein habe. Alſo da es heißt/ wer einen
glaͤubigen in liebe begraͤbt/ begrabe Chriſtum/ iſts nichts anders/ als das Chriſtus
ſolche liebesthat alſo annehme/ wie er die jenige annimmet/ da jemand ſeinen glaͤu-
bigen ſonſten gutes thut/ mit ſpeiſen/ traͤncken/ beſuchen und dergleichen; wider
dieſen verſtand kan niemand nichts ſagen/ iſt auch die redens-art nicht ungereimt/
wann wir nicht vor ungereimt halten/ das Chriſtus kranck/ gefangen/ hungrig/ dur-
ſtig in ſeinen Chriſten ſeye/ und bekennet werde. Das wort/ moritur, daß er ſter-
be/ moͤchte das ſchwereſte ſcheinen; es iſt aber auch wol gezeiget/ daß Act. 9/ 4. 5.
2. Cor. 4/ 10. nicht weniger geſagt werde. Wird alſo Chriſtus in ſeinen Chriſten
von einem Paulo/ der ſie zum tode brachte/ verfolgt/ ſo wird er auch in gleichem
ver-
[623]ARTIC. I. DISTINCT. IV. SECTIO XXXV.
verſtand in ihnen getoͤdtet/ das iſt/ es thut der verfolger nichts anders/ da er den
glaͤubigen hinrichtet/ als ob er Chriſtum ſelbs hinrichtete/ dann dieſer rechnet ſichs
zu/ als ihn ſelbs geſchehen/ ſo wird auch wahrhafftig an Chriſto/ wie ſolcher nahme
auch dẽn gantzen geiſtlichen leibe mit ſeinen haupt gegeben wird/ ein glied getoͤdtet/
und alſo ſtirbt Chriſtus in ſolchen glied/ ob er wol in ſeiner perſohn nicht ſterben kan.
Es mag auch dieſes ein zeugnuͤß des obgedachten ſeyen/ wie unſers Lutheri le-
ſung manchen nutzen ſolte/ wie ſich denn vielleicht nicht leicht einer an dieſer formul
ſonderlich wuͤrde geſtoſſen haben/ deꝛ dieſen fleißig geleſen. Daher mein wehrter
bruder ſich mit recht auff denſelben beruffet/ und ſolten wir ſo vielweniger beden-
cken tragen/ mit dieſem lieben mann in dergleichen materien zu reden/ die wir wo
wir recht acht geben/ werden bekennen muͤſſen/ daß GOTT nach der Apoſtel zeit/
ſchwehrlich einigen lehrer ein vortrefflicher licht in den Evangeliſchen materien von
der gerechtigkeit Chriſti/ von dem glauben und ſeiner krafft/ von der gemeinſchafft
Chriſti mit ſeinen glaͤubigen/ und insgeſamt von den ſchaͤtzen des heils/ gegeben
habe/ und wir alſo billich in ihm die goͤttliche theure gnade preiſen/ daher uns mit
ihm zu reden nicht ſchaͤmen muͤſſen. Jch achte aber unnoͤthig zu ſeyn/ weitlaͤuffti-
ger von dieſer ſache zu ſchreiben/ und bedarff mein wehrter bruder ohne das von mir
nicht erſt in dieſer wahrheit geſtaͤrcket zu werden/ die er ſelbs bezeuget: ſondern mag
ihn genug ſeyn meine mit beypflichtung aus dieſen wenigen zu erſehen. 1686.
22. Apr.


SECTIO XXXV.


Klagen uͤberCæſaropapiam.


DJe gefuͤhrte klagen haben mich hertzlich betruͤbet/ und iſt mir wenig von al-
lem bekant geweſen. Ob nun wol mich zum richter nicht auffwerffen/ oder
mir ſelbs gewalt zu nehmen habe/ ſo mag doch in theſi wol ſagen/ Cæſaro-
papia
ſeye ein ſchaͤndliches monſtrum als eines ſeyn mag/ ein ſchandfleck unſerer
kirchen und beſorglich groſſe urſach ihres ruins, aber ohne GOttes eigene/ wenige
huͤlffe dagegen unter menſchen zu finden. Wir muͤſſen ſeufftzen/ thun was das
gewiſſen noch dabey erfordert/ und alsdann das heyl des HErren warten/ der es
in die haꝛre nicht alſo laſſen kan. Gegen ſeine liebe perſon/ oder daß etwas gegen
ſie war/ habe kein wort gehoͤret/ und von dem jenigen/ da etwa die ſorge auff ſeyen
moͤchte/ in jahr und tage nichts geſehen. Die excommunicativam ſententiam
wieder N. (davon das uͤberſchickte wieder zuruͤck ſende) kan nicht ſubſcribiren,
wurde vorher ſelbs uͤber die ſache von unſerem geliebten freund Herrn N. conſu-
liret,
meine antwort aber/ wie ich mit den brieffen der zeit nach nicht einhalten kan/
kam zu ſpaͤht/ ſie war aber dahin/ daß ich nicht ſehe wie man zu derſelben ſchreiten
koͤnte/ mit angefuͤhrten meinen rationibus. Weil ich alſo ſchon einmahl
meiner
[624]Das ſechſte Capitel.
meiner ſeits in hac cauſa geantwortet/ will ſichs nicht wol ſchicken/ daß noch-
mal ein reſponſum gebe: doch hoffe/ Herr N. ſolle nicht ſchweꝛ ſeyen/ daß an ihn
abgegebene zu communiciren. Womit in den goͤttliche gnaden ſchutz und regie-
rung ſeiner lieben perſon/ heiliges amt und gantze ihre kirche wider alles ſo ſich auff
einigerley weiſe dem guten wiederſetzen moͤchte/ treulich empfehlende. den 23. Apr.
1686.


SECTIO XXXVI.


Gefahr deren die nach hohen dingen und geheim-
nuͤſſen ſtehen. Jacob Boͤhmens ſchriff-
ten.


JCh laſſe aus bedeuteten/ ob zwar dieſer letzte brieff faſt anders lauten will/
dannoch nicht alle hoffnung ſchwinden/ ſondern trage gutes vertrauen/ der
HErr werde ſeine Chriſtliche intention, fleiß und umgang uͤber jetziges er-
warten ſegnen/ doch wird gedult dazu gehoͤren/ und daß wir die ſtunde des HErrn
in demuth und gedult erwartende in den guten fortfahren/ was wir eine weile an-
gefangen/ und nicht ſo bald die frucht deꝛſelben geſehen haben. Betruͤblich iſt mir
in dem uͤbrigen geweſen/ dieſes zu vernehmen/ daß es leute giebet/ welche eine gute
intention und ſich ſonſten der welt entſchlagen haben/ aber nachmal nicht den rech-
ten weg zu treffen befliſſen ſind/ ſondern den einfaͤltigen weg des glaubens/ der liebe
der gedult/ der demuth/ der hoffnung zu gering halten/ und ſo bald mit lauter ho-
hen dingen zu thun haben wollen. Worinnen wahrhafftig ein gefaͤhrlicher be-
trug des Satans und des eigenen fleiſches/ dem die nachſtrebung ſolcheꝛ hoher ſa-
chen etwa ſo wehe nicht thut/ als jene dinge/ darinnen man es ſtaͤrcker angreiffen
muß/ verborgen ſeyn/ und unſer heyl in gefahr ſetzen kan. Jch leugne nicht/ daß
es ſolche erkaͤntnuͤſſen der geheimnuͤß gebe/ welche ſich nicht eben bey allen Chriſten/
noch zu erſt/ finden: ich erkenne auch/ wenn der HErr dieſelbe giebet/ hat ſeine
guͤte deswegen zu preißen/ als vor eine/ wie alle andere auch/ unverdiente gnade/
ſo dann ſich derſelben vorſichtig nicht zu eigener vergnuͤgung/ noch pracht/ ſondern
zu des nechſten auffmunterung zugebrauchen/ aber es ſind dieſelbe dinge/ nach
welchen wir nicht eigenmaͤchtig gleichſam aufſolche klippen zu ſteigen/ ſondern zu
warten haben/ ob uns der HERR ſelbs dahin leitete.


Unſer weg aber heiſt der gecreutzigte Chriſtus/ an dem wir mit glauben
hangen/ in liebe/ gedult/ hoffnung/ ſanfftmuth/ reinigkeit/ demuth und andaͤchti-
ger betrachtung ſeines worts/ auch ſeiner anruffung/ ihm dienen/ ſeinen fußſtapf-
fen nachfolgen/ und der heiligung uns befleiſſen muͤſſen/ darinnen taͤglich zuzuneh-
men: fuͤhret uns nachmal der HErr weiter und auff hoͤhere dinge/ ſo uͤberlaſſen
wir uns ſeiner weiſen leitung und regierung und wiſſen/ was wiꝛ ihm nicht ſelbs
ab-
[625]ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECT. XXXVI.
abzurauben getrachtet/ ſondern von ihn erwartet haben/ ſeye uns geſegnet/ da hin-
gen wo wir ihn gleichſam in die kammer ſeiner hoͤhern geheimnuͤſſen einzubrechen
uns vermeſſen/ geſchehen kan/ daß er uns einen blick thun laſſe/ aber mehr in zorn/
wie dorten den Jſraeliten die wachteln/ ſo ſie mit murren gleichſam abgezwungen/
nicht eben wohl bekommen. 4. Moſ. 11. daher ich in allen ſolchen dingen rathe und
eriñeꝛe/ nach dingen nicht zu trachten/ welche uͤber uns und uns zu hoch ſind: ja wie
in andern ſtuͤcken alſo auch hierinnen die demuth lobe/ da wir gern bey dem niedri-
gen und einfaͤltigen bleiben/ und uns hoher dinge unwuͤrdig/ auch dazu ungeſchickt
halten.


Zwar haben wir auch nach den beſten gaben zuſtreben 1. Cor. 12/ 31.
aber in der rechten ordnung/ und nicht umgekehrt/ ſo zeiget der liebe Apoſtel den
koͤſtlichen weg auch zu den hoͤchſten gaben/ daß derſelbe die einfaͤltige/ und in man-
cher hoher geiſter augen verachtete liebe ſeye 1. Cor. 14/ 1. die iſt der weg/ der ſo zu
reden allgemach um einen berg herum gehet/ auff welchen man endlich auf die hoͤch-
ſte ſpitzen kommt/ und doch ſolches ohne gefahr/ da hingegen welche die felſen grad-
auff beſteigen wollen/ meiſtentheils abſtuͤrtzen/ oder endlich von dem ſteigen ablaſ-
ſen/ und jenen allmaͤhlichen weg hinauff zukommen wiederum erwehlen muͤſſen.
Dieſes iſt meine meinung/ und zweifle ich nicht/ mein wehrter freund ſeye auch in
denſelben: Daher wo er gelegenheit hat/ wohl thun wiꝛd/ da er jemand um ſich ge-
wahr wird/ den mehr gefaͤlt den bloſſen GOTT in ſeiner majeſtet (davor unſer
liebe Lutherus uns allezeit treulich als vor groſſe gefahr gewarnet) lieber als in
ſeinen gecreutzigten Sohn und deſſen einfaͤltiger offenbahrung zu ſuchen und zu
ſchauen/ mit guter beſcheidenheit zu warnen/ daß der glantz die augen nicht blende/
und der angemaſſte weg dazu keinen ſturtz nach ſich ziehe.


Wir haben auch vor ſolche liebe leute hertzlich zu beten/ daß ſie der HERR
ſelbs leite nach ſeinem rath/ und ſie nicht ihrer eigenen leitung uͤberlaſſe/ davon ſie
ſonſten ſchaden nehmen/ und das gute in ihnen um ſeine gehoͤrige frucht gebracht
werden moͤchte/ ſo unsbillich betruͤblich geachtet werden ſolle.


Was Joh. Boͤhmen anlangt/ weiſt derſelbe meine meinung/ wieich ihn nicht
uꝛtheilen kan noch darff/ als den ich nicht verſtehe/ in deſſen urſach zu haben glau-
be/ ſeine leſung/ zwar nicht/ wider das recht der Chriſten alles zu pruͤffen/ zu ver-
bieten/ aber doch wolmeinend zu mißrathen/ weil mir billicher verdacht annoch vor
augen ſchwebet/ und auffs wenigſte die heilige Schrifft uns noch heut zu tag ſo
gnug zu unſrer ſeligkeit ſeyen wird/ als ſie vor dieſes mannes ſchrifften geweſen/ biß
der HERR/ den wir darum zu bitten nach ſeiner barmhertzigkeit der kirchen deut-
licher zeige/ wie ſie dieſen ſcribenten anzuſehen. Wo aber jemand gleichwol ihn
lieſet/ finde ich nicht urſach/ ihn deswegen zu verwe[r]ffen als lang er noch bey der
ſchrifft bleibet/ und in nichts von derſelben abweichet/ ſo dann ihn nach deꝛſelben
geurtheilet werden laͤßt: Solte aber jemand durch jene ausgebende hoͤhere dinge
K k k kda
[626]Das ſechſte Capitel.
dahin gerathen/ daß ihm deswegen darnach die einfaͤltige ſchrifft eckelhafft und ver-
aͤchtlich wuͤrde/ daher jener nunmehr den vorzug bekaͤme/ ſorgte ich die aͤuſſerſte
gefahr/ und daß es um einen ſolchen menſchen/ wo er nicht bey zeiten wiederum
gerettet wuͤrde/ bald gethan ſeyn moͤchte. Mein gebet und wunſch iſt immer: Hei-
lige uns in deiner warheit/ dein wort iſt die warheit.
Der HErr erhoͤre
uns darinnen/ und bewahre uns vor allen nicht nur offenbahrlich boͤſen/ ſondern
auch ſcheinbaren abwegen/ ſo ſind wir in ſeiner fuͤhrung ſicher. 29. Maj 1686.


Anhang.


SECTIO I.


Schwehrigkeit goͤttlichen willen zuerkennen.
Darum vornehmlich zubeten. Gefahr des geiſtlichen
ſtandes. Vortheil des weltli-
chen.


SEin geliebtes hat mich inniglich ergoͤtzet/ getroͤſtet/ und zu unterſchiedlichem
guten anleitung gegeben/ weßwegen ſonderlich mich daruͤber verbunden er-
kenne. Es iſt freylich alſo/ daß wir mit der weltweißheit nichts zu thun/
noch wir Evangeliſche Prediger uns um dieſelbe viel zubekuͤmmern haben/ mit wel-
cher wir doch das werck des HERRN/ ſo gantz alterius generis iſt/ nicht befoͤr-
dern werden. So erkenne auch gerne/ daß wir in einfalt des hertzens/ unſer amt in
dem gegenwaͤrtigen zuthun haben/ und als die kinder das kuͤnfftige dem weiſen
Vater in dem himmel befehlen ſollen. Der HErr lehre mich mehr und mehr ſol-
ches auch wahrhafftig zu thun/ und alſo ſeyn kind zu werden. Mein anliegen iſt
meiſten dieſes/ daß ich in meinem amt ſo offtmahl ſehe/ wie ich dieß und das/ etwa
auch guter meinung/ unterlaſſen/ und ſo und ſo gethan habe/ nachmahl aber aller
erſt gewahr worden bin/ wie dieſes und jenes damit nicht recht angegriffen/ ſondern
dadurch einiges etwa verſaͤumet/ oder auch gutes gehindert worden ſeye:
So mich nachmal nicht nur betruͤbet ſondern ſorgfaͤltig machet/ ſo offtich wiede-
rum etwas zu thun vorhabe/ ob ichs auch recht angreiffe/ und nicht abermal in
meinung das gute zu foͤrdern/ etwa unwiſſend ſolches verhindere. Und das iſts/
wo ich offt mich faſt nichts reſolviren kan/ als der ich willig waͤre/ dem willen Got-
tes zu folgen/ da ich denſelben erkennen koͤnte/ aber ihn nicht anders als ſehr dunckel
und gleichſam durch lauter finſter wolcken ſehe.


Endlich auch kein gnugſam mittel finde/ als daß ich mit einfaͤltigen kindlichen
gebet/ den Vater der gnaden auruffe/ der mich fuͤhren wolle nach ſeinen wohlge-
fallen. So achte ich mir und vielleicht meiſtens allen GOtt ſuchenden ſeelen kein
ge-
[627]ARTIC. I. DIST. IV. SECT. I.
gebet nothwendiger/ als ihn demuͤthig anzuflehen/ daß er uns ſein licht verleihen
wolle/ ſeinen willen zu erkeñen/ und krafft/ demſelben auch wircklich nachzukommen.
Ach wie wohl iſt uns/ wenn wir ſolches erlangen; wir ſolten ja nichts andeꝛs/ als
nur dieſes/ begehren. So wuͤrde wahrhafftig der glorwuͤrdigſte name GOttes
auch wircklich von uns/ und an uns/ geprieſen/ das theure gnaden-reich in uns
feſter gegruͤndet/ und der ware wille des liebſten Vaters kraͤfftig vollbracht wer-
den/ an welchen allein gleichwol uns ewig gelegen iſt/ und darauf das wenige/ ſo
wir hiezu dieſes leibes auffenthalt bedoͤrfftig ſind/ ohne unſere ſorge ohnfehlbahr-
lich folgen.


Jch habe nun durch GOttes gnade allhier um mich etliche ſeelen/ welche wie
ſie dieſes feſt allein von ihrem GOtt bitten/ auch darzu erfordert worden/ an dero
geſellſchafft mich hertzlich ergoͤtze/ abeꝛ der ich ihnen hierin vorgehen ſolte/ damit zu
frieden ſeyn muß/ daß ich durch ſie angefriſchet ihnen nachfolge. Wie es dann
nunmehr dahin gekommen/ daß zwar die allermeiſten unter uns Predigern der
rechtſchaffenen lehr von der wahren Gottſeligkeit wo nicht offentlich doch in dem
hertzen feind ſind/ wir uͤbrige aber/ welche wir einige gute intention vor GOttes
ehre noch uͤbrig haben/ ſo ſchwach noch ſind/ daß wir mehr lernens bedoͤrfften/ als
das jenige/ was das einige nothwendige iſt/ die art und ordnung/ wie wir darzuge-
langen koͤnnen (davon wir von unſern præceptoribus faſt wenig hoͤren) unſer ge-
meinden mit rechtſchaffenen nachdruck lehren koͤnnen. Hingen erwecket GOtt
hin und wieder in dem weltlichen ſtande einige und andere rechtſchaffene ſeelen/ die
mit viel lauterern hertzen denſelben meinen/ und ſich von der welt abziehen/ als ſie
von uns zugeſchehen ſehen. Welchen ich zwar ſolche ehre und vorzug vor uns/ de-
nen ſie es ſo viel in dem himmelreich vor thun/ nicht mißgoͤnne/ aber verlange ihnen
rechtſchaffen folgen zu koͤnnen: und ach wie wuͤnſchte ich/ daß es nicht dahin gekom-
men waͤre/ daß durch unſere menſchliche kirchen-verfaſſungen und eingefuͤhrte ge-
wohnheiten unſer amt in den ſtand gerathen waͤre/ daß wir faſt nicht ſehen/ wie wir
unſer gewiſſen dabey retten koͤnnen! das iſt das jenige/ welches unausſprechliche
angſt in den gewiſſen erwecket/ und viel gute gemuͤther offt ſchon zur reſolution
wuͤrde gebracht haben/ die dienſte die ihnen bey nahen die gewiſſe gefahr der ver-
damnuͤß uͤber den halß ziehen/ lieber zu reſigniren/ wo ferne ſie nicht die conſide-
ration
der kirchen/ deren damit nicht gedienet/ ſondern ſie vielmehr des noch wenig
an ihnen uͤbrig habenden fruchtbaren dienſtes wuͤrde beraubet werden/ zuruͤck zoͤge/
und ihre eigene jener gefahr nachzuſetzen vermoͤchte. Obs aber in den HErrn gut
thun werde/ und wird nicht endlich unſere ſeelen werden trachten muͤſſen zuerretten/
weiß ich nicht. Und haben wir GOtt zu bitten/ daß er uns ſelbſt mit ſeinem Geiſt
regiere/ und ſeinen willen zeige.


Jn dieſen haben ſich alle/ die auſſer [u]nſerem ſtande leben/ inniglich zu freuen/
K k k k 2wi [...]
[628]Das ſechſte Capitel.
wie gluͤckſelig ſie ſeyen/ und ihr Chriſtenthum/ wo ſie nur wollen/ mit ſo unver-
gleichlich wenigeren anſtoß und hinder nuͤß ſeliglich fuͤhren koͤnnen. Sie beten auch
vor uns ſo viel hertzlicher/ daß doch GOTT uns armen beyſtehen/ und entweder
es dahin bringen wolle/ daß wir einig und allein nach ſeinen willen unſer amt fuͤhren
doͤrffen/ oder uns weiſen/ wie wir in gegenwaͤrtigen uns zu verhalten haben. Ach
daß doch die huͤlffe aus Zion uͤber Jſrael kaͤme/ und der HERR ſein gefangen
volck erloͤſete! Nun er wirds auch thun zu ſeiner beſtimmten zeit der wir zu er-
harren haben/ in deſſen heilige hand und gnade zu kraͤfftigen wircken/ und daher
folgenden wachsthum/ in reinigung/ erleuchtung und vereinigung mit ihm dem
hoͤchſten gut ihn empfehle. 167....


SECT. II.


Wegen einiger Boͤhmiſten vermeſſenen urtheils/
ſich da durch nicht ſchrechen zulaſ-
ſen.


DAs mein geliebter bruder ſich von der Boͤhmiſten judicio’ niederſchlagen
ſolte laſſen/ waͤre mir leid. Es machet mich ja eines andern urtheil vor
GOTT weder beſſer noch ſchlimmer/ ſondern der gerechte lebet ſeines
glaubeus.
Jch laſſe mich nicht in ihre ſubtiliteten, ſondern bleibe bey meiner
einfalt der ſchrifft. Die weiſet mich auf den glauben an Chriſtum/ wer an den-
ſelben glaube/ derſelbe ſey gerecht/
GOTTES kind/ wiedergebohren/ ſelig/
und habe den heiligen Geiſt. Daß ich mich aber in dem glauben nicht verſtoſſe/ ſo
bleibe ich wiederum bey den kennzeichen derſelben in der ſchrifft.


Wer 1. ein hertzliches vertrauen hat an JEſum Chriſtum und deſſen ver-
ſoͤhn-opffer/ darinnen allein ſeinen troſt und ſeligkeit mit außſchlieſſung ſeiner und
aller menſchen verdienſt ſuchet/ und ſolche ſeligkeit hoͤher ſchaͤtzet/ als alles in der
gantzen welt/ und ſeinen GOtt davor dancket.


2. Aus ſolchem vertrauen GOTT hertzlich und alſo liebet/ daß er deß we-
gen allezeit bereit iſt/ ſeinen willen/ den er ihm vorſchreibet/ und ſo viel er ihm noch
immer wird zu erkennen geben/ mit freudigkeit zuthun/ und muthwillens ihm
nicht zu beleidigen/ ſtellet deßwegen auch ſein leben nach ſeinem vermoͤgen/ ob
wol in ſchwachheit/ alſo an/ daß er eben um ſolcher liebe GOttes und von Chriſto
empfangener wohlthaten/ und nicht bloß um des lohns willen/ ſich des jenigen ent-
haͤlt/ was ihm ſonſt von natuꝛ lieb und er dazu geneigt geweſen/ hingegen das jeni-
ge thut/ was der natuꝛ nicht angenehm iſt/ fuͤhlet dazu mehrmahl einen trieb/
hin-
[629]ARTIC. I. DISTINCT. IV. SECT. II.
hingegen wo es verſehen worden/ das ſtarffen in ſeinem hertzen und ſo bald neue be-
gierde es wider zu erſetzen: Erkennet alſo in ſeinem hertzen/ bekennet mit ſeinem
munde/ ehret mit ſeinem leben/ ruffet an mit ſeinem gebet dem Herrn JEſum als
ſeinen Herren; derſelbe iſt einmahl nach dem urtheil der ſchrifft/ und alſo GOttes/
ein kind deſſelben/ und hat den heiligen Geiſt/ ohne welchen wir CHriſtum keinen
Herrn nennen koͤnnen. Man mag mir die natur ſo hoch ruͤhmen als man will/
und die guͤtigkeit derſelben aus den actis deduciren/ wie man kan/ ſo finde ich nach
der ſchrifft nicht/ daß ſolcher glaube/ liebe/ hoffnung und eine ſolche beſchaffenheit
des hertzens/ das nachmahl der baum ſeye des gantzen lebens/ von der natur und
nicht von GOTT herkomme/ und alſo ſeines geiſtes wuͤrckung ſeyn muͤſſe. Ei-
nes andern uͤber redet mich kein Boͤhmiſt. Laſſet uns alſo/ lieber bruder/ in unſe-
rer veſte ſtehen/ und uns von der einfalt der ſchrifft nichts abtreiben laſſen. Rich-
tet man uns druͤber ſo wollen wirs leyden/ und zu ſo viel fleißiger pruͤffung ſolches
dienen laſſen/ und GOTT deſto ernſtlicher ſo vor die uns noͤtige gnade als verge-
bung derer gegen uns unrechten urtheile anruffen. Haͤltet man uns ſonderlich da-
bey vor einfaͤltig/ ſoll dieſes ein ſtuͤck unſeres lobes ſeyn. Er gedencke nur/ wie
dieſes urtheil beſtehen koͤnne/ daß es nicht vermeſſen heiſſe. Er zeiget in ſeinem Ca-
techiſmo nichts/ was ſolchem Goͤttlichen liecht zu wider waͤre/ oder damit nicht uͤ-
bereinkomme/ und ſpricht ihm doch das Goͤttliche liecht ab.


Wollen dann ſolche leute ſich nicht nur derer gaben des heiligen Geiſtes/ die
wir allen gerne goͤnnen und wuͤnſchen/ ſondern auch der GOTT allein zuſtehen-
den eigenſchafft/ in die hertzen zu ſehen/ anmaſſen? daß ſie nicht nur urtheilen von
demjenigen/ was aus dem hertzen gekommen/ ſondern von dem hertzen ſelbs/ ohne
deſſen probe aus ſeinen fruͤchten zu geben. Er ſehe nur/ ob dieſes aus dem heiligen
Geiſt (will nicht ſagen liebe) gefloſſen: Da er ſchreibt.


1. Jch ſeye den leuten gehaͤßig/ die nicht zum abendmahl gehen wolten.


2. Jch wolte ſie von allen republiquen ausmuſtern. Beydes iſt nicht
aus der wahrheit/ und alſo nicht aus dem Geiſt der wahrheit. Jch haſſe dero leu-
te keinen/ ſondern der HERR ſihet/ welche eine liebe in meiner ſeelen gegen ſolche
leut/ da ich ſonſten gutes an ihnen ſehe/ trage/ die da machet/ daß als dann ſo viel
hertzlicher mitleyden mit ihnen trage/ und nur ihren irrthum/ vielmehr aber das
aͤrgernuͤß/ damit ſie ſich auff ſolche weiſe verſuͤndigen/ in der ſeele weh thut/ welches
weniger geſchehen wuͤrde/ da ich feindſelig gegen ſie geſinnet waͤre. So wird er
auch von mir nicht zeigen koͤnnen/ daß jemahl einen auszumuſtern/ der vorher eines
orts ſaͤßhafft geweſen/ gerathen/ weniger ſolches geſucht habe. Ein anders iſt/ er-
ner Chriſtlichen Obrigkeit von dem[j]enigen was ohne das ſtattkuͤndig worden/ dar-
an ich nicht ſchuld habe/ noͤthige part zugeben/ daß ſie eine ſache/ ſo zu oͤffentlichem
aͤrgernuͤß worden/ unterſuchen ſolle/ mit erbieten/ wo ſolches geſchehen/ was in un-
K k k k 3ſerer
[630]Das ſechſte Capitel.
ſereꝛ hand nicht ſtehet/ alsdann auch das unſrige ferner dabey zu thun/ was der
kirchen nothdurfft/ und ſolcher irrenden eigen heil erfordert.


Hie ſehe mein werther bruder/ ob ſolcher leute urtheil/ die ſich ſo offenbahrlich
proſtituiren/ und aus einiger furchtſamer leute klagen ſolche argumenta machen/
dadurch ein mann/ der in officio iſt/ und von deſſen handlungen/ ſonderlich da er in
einem collegio iſt/ da allezeit die majora gelten/ und man nicht weis wie viel part
jeder an ſolchem habe (wie wol ich in der hypotheſi/ worauff ſie deuten/ nicht leug-
ne/ ſelbs autor zu ſeyn/ daß der Obrigkeit inquiſition geſucht wuͤrde) und auch al-
lerhand reflexiones muß zu weilen machen/ daß man nicht allezeit das jenige thue/
was wir ſonſten am liebſten wolten/ ſondern was ſich zu wege bringen laͤſſet (wo
die urſachen von jeglichem andern nicht darff und mag vor die augen legen/ hingegen
dieſe unbefugt ſind ihre conjecturen druͤber zu machen) graviret/ und ſeines haſ-
ſes und verfolgung beſchuldiget wird/ vor wuͤrdig zu achten/ das was ſie von unſerem
hertzen/ ohne vorzeigung der proben urtheilen/ mehr als das zeugnuͤß/ das nach un-
ſerer pruͤffung uns unſer eigen hertz giebet/ gelten/ oder uns irre machen ſolle. Dann
der geiſt/ ſo in jenen ſo offenbahrlich geirret/ und mir wider das zeugnuͤß meines ge-
wiſſens/ ja auch was hie an dem tage liegt/ unrecht thut/ meritiret nicht/ daß er un-
fehlbahr in dem urtheil uͤber uns in anderen verborgenen dingen geachtet werde.
Wo beliebig/ der perſon dieſes/ oder was da von dienlich/ zu communiciren/ mag
es wohl leiden.


Der HERR mache unſere hertzen feſt/ und laſſe ſie nicht von der pleropho-
ria
durch ander urtheil jemahl abgetrieben werden. Amen.


SECTIO III.


Gefahr und elend unſrer zeiten in geiſt- und leib-
lichen. Troſt dargegen/ und rath wie ſich
zu verhalten.


DEr genante zuſtand unſerer ſo kirchen als gantzen teutſchlandes/ kan nicht
anders als einem jeglichen betruͤben/ der denſelben anſiehet/ und zwar ſo viel
mehr/ je tieffer etwa einer vor den andern dahinein/ und was menſchlicher
weiſe in den kuͤnfftigen zu hoffen oder ſorgen ſtehet/ vor ſich ſiehet. Sehen wir un-
ſerer armen kirchen zuſtand an/ ſo finden wir auſſer derſelben die Papiſten von aller
ſeiten uns nicht nur auff[ſ]etzig/ ſondern daß bey [denſelbigen die]conſilia bereits ge-
ſchmiedet ſeyen/ dardurch ſie nunmehr ſich verſichert halten/ daß ſie in nicht vieler zeit
werden die/ wie ſie uns zu nennen pflegen/ ketzer vertilget oder unter den gehorſam
des Roͤmiſchen ſtuhls gebracht haben.


Zu dieſen conſiliis/ zu der execution vor dem das hauß Oeſtereich beſtimt
ge-
[631]ARTIC. I. DISTINCT. IV. SECTIO III.
geweſen/ aber damit nicht auffkommen koͤnnen/ iſt jetzo Franckreick von ihnen de-
ſtinirt
: Daher uͤber neulich gluͤckliche progreſſen der Frantzoſen die Paͤpſtiſche
geiſtlichen ſo animos worden/ daß ſie faſt ungeſcheut von dem hauſe Oeſterreich in
vergleichung gegen Franckreich ſehr veraͤchtlich geredet. Wann dann ſchon von
dem Koͤnig in Franckreich zu gedencken waͤre/ daß er nicht aus eigenem eiffer der
religion ſo hoch achtete/ ſo wuͤrde doch ſeine ſtaats maxime es erfordern/ ſich einen
eifferer zuweiſen/ um durch ſolches mittel die gemuͤther an ſich zuhaͤngen/ die vor die-
ſem um dieſer urſach willen dem hauß Oeſterreich angehaͤnget/ ſonderlich aber den
Paͤpſtlichen hoff ihm damit zu obligiren/ daher er nicht allein in dem eigenen reich
die Reformirten auffs euſerſte druckt/ wider alle reglen ſeiner vorfahren/ ſondern
auch in den conqueſtirten orten mit fleiß ſich deſſen angenommen/ ob waͤre die vor-
nehmſte abſicht/ die Catholiſche religion zu ſtabiliren. Sehen wir unſere kirchen
von innen und deroſelben zuſtand an/ ſo iſt er ſo voller mißhelligkeit/ aͤrgernuͤß und
undanck gegen Goͤttliche reiche gnade/ daß wir ſorgen muͤſſen/ GOTT moͤchte
nach ſeiner alten gewohnheit widerum fortwandern/ und den ſeinden mehr gewalt
geben/ als wir jetzo gedencken moͤgen. Eine ziemliche vorbereitung dazu ſcheinets
zu ſeyn/ daß wenig Obrigkeiten mehr ſind/ die ſich die befoͤrderung des reichs Got-
tes mit hertzlichen ernſt laſſen angelegen ſeyn/ etlichen ſtinckt das maul wiederum
nach den fleiſchtoͤpffen Egypti/ und verlangen ſelbs nach dem Papſtum (nicht ge-
denckende in was ſclaveꝛey ſie ſich damit ſtecken) andeꝛe ſuchẽ unteꝛ den nahmen des
Evangeliſchen weſens einen bloſſen libertiniſmum und veꝛdecken damit ihꝛe athe-
iſti
ſche boßheit; daß gewißlich/ wo noch etwa die jenige fromme hertzen/ ſ[o] noch
itzt mit dem gebet vor dem riß ſtehen/ weꝛden von der welt weggenommen ſeyen u. in
ihrer ruhe liegen/ Goͤttliches geꝛicht von ſeinen hauſe anfangen muß/ ſo ſtehets in dem
geiſtlichen. Jn den zeitlichen und weltlichen muß ein menſch blind ſeyn/ der nicht
die zerruͤttung der gemuͤther in dem reich erkennete/ und daraus ſchlechten ausgang
erwartete.


Jn ſolcher zeit leben wir/ und in ſolcher laſſen wir die unſeren. Doch laͤſſet
uns GOTT ohne troſt nicht/ wo wir auch auff denſelben acht geben; Was ich
das vorige mahl geſchrieben/ iſt mir eben jetzt nicht mehr in den gedaͤchtnuͤß; aber
dieſes bleibet allezeit meine regel und das fundament alles meines troſts/ vor mich
und gute freunde: GOTT koͤnne nicht anders als alles wohl machen/ nur daß
wir nicht verſtehen/ was wohl gemacht heiſſe/ ſondern in dem urtheil was gut oder
boͤſe/ nuͤtzlich oder ſchaͤdlich ſeye/ unſer groͤſte weißheit die groͤſte und alberſte thor-
heit ſeye/ zu welcher erkaͤntnuͤß uns GOTT mit ſeiner ſo widerſinniſchen als aller
weiſeſten regierung fuͤhret. Werde ich gefraget/ was ich davor halte/ das zu be-
foͤrderung Goͤttlicher ehre am vortraͤglichſten ſeye; ſo weiß ich nicht anders zu ant-
worten/ als dieſes/ wo die wahre rechtglaͤubige kirche in guten flor ſtehet/ uͤber ihre
innerliche u. euſſerliche feinde ſtaͤtig triumphirte/ von allen aͤrgernuͤßen rein bleibet/
immer
[632]Das ſechſte Capitel.
immer zunimmet/ und in ſumma jederman auch euſſerlich erkennen kan/ daß ſeye
der hauffe der jenigen/ die Gott auff ihrer ſeiten haben/ weil er ſelbs ſich derſelben
ſo augenſcheinlich annehme; ſo und anders nicht muß ich u. jeder menſch urtheilen/
wo wir aus unſerer vernunfft urtheilen ſollen/ welches das beſte und zu Goͤttlicher
ehr vortraͤglichſte waͤre; aber ſo urtheile ich davon/ wie ein kind von groſſen ſtaats
geſchaͤfften urtheilen wuͤrde/ deſſen ein verſtaͤndiger lachen muͤſte; nicht anders
ſind vor GOTT unſere vernuͤnfftigſte gedancken/ von ſeiner regierung/ wie ers
ſchicken ſolle. Dann daß dieſes ſo augenſcheinlich beſte gleichwohl nicht das wah-
re und zu GOttes ehren erſprießlichſte beſte ſeye/ zeiget er ſelbs/ da ers gantz anders
gehen laͤſſet/ und aber weder zu ſchwach iſt/ ſeine ehre in allem zu befoͤrdern/ noch ihm
an weißheit manglet/ die art wie ſolches geſchehen ſolle zu erkennen. Alſo muͤſſen
die jenige dinge/ durch die wir nicht anders ſehen/ als daß GOttes nahme gelaͤſtert/
ſeine ehre gehindert/ ſein reich geſchmaͤhlert/ ſein wille hindertrieben werde/ gleich-
wohl die jenige ſeyn/ die er auff uns unbegreiffliche art zu mittlen braucht ſeiner eh-
re/ und diejenige dinge/ die gerad wider unſere ſeligkeit ſtreiten/ die mittel derſelben
zu erhalten/ wie nun GOTT ſiehet hiedurch uns dahin zu bringen/ daß wir end-
lich lernen glauben/ er ſeye allein weiß/ wir aber ſeyen thoren/ alſo iſt auch nichts
bequemer/ ſich zu allen/ wie es auch gehe/ vor zubertiten/ als ſich dieſes kraͤfftig ein-
zubilden/ und ſtetig daran zu gedencken/ ſo ſeye es allemahl das beſte/ wie es GOtt
fuͤget/ wo ers auch am ſeltzamſten anfaͤnget/ dann glauben wir einmahl dieſes/ daß
es allemahl das beſte ſeye/ wie es GOTT ſchicket/ ſo werden wir uns daruͤber
nicht beſchwehren/ was uns je begegnet/ weil wirs nun mehr erkennen/ daß es gut/
und uns auch gut/ ja indem groͤſten ſchaden der groͤſte gewinn ſeye. Das iſt allein
der troſt/ welcher den ſtich haͤlt/ es gehe auch drunter und druͤber/ wie es wolle/ dann
damit wird das gemuͤth und deſſen ruhe auff einen unfehlbahren grund geſetzt/ da
ſonſten wo mit man ſich troͤſten will/ offt nicht ſo unbeweglich ſtehet/ als mans etwa
gemeinet hat. Aber lerne ich nichts anderes wollen/ als was GOtt will/ ſo muß
auch mein wille allezeit geſchehen/ weil der Goͤttliche allezeit geſchehen muß. Dazu
ſetze ich auch billich/ wo ich ſehe/ daß es das anſehen gewinne/ die feinde der wahrheit
wuͤrden die gantze kirche und das reich CHRJSTJ ausrotten/ daß ich mich aus
GOttes wort verſichere/ ſolches koͤnne der teuffel mit aller ſeiner liſt und gewalt
nicht thun. CHRJSTUS muß Koͤnig bleiben/ ſo kan ihm ſein reich nicht ge-
nommen werden/ zwar dieſes mag endlich geſchehen/ und obs geſchehen werde/ iſt
allein dem groſſen GOTT wiſſend/ daß die kirche ſo unterdruckt werde/ daß kei-
ne oͤffentliche gemeinde mehr uͤbrig ſeye: ſo zwar der elendeſte ſtand und mit keinen/
andern leiblichen ungluͤck zu vergleichen iſt. Aber indeſſen bleibet die kirche doch
verborgen/ und herſchet CHRJSTUS mitten unter ſeinen feinden/ wider al-
len willen und danck derſelbigen. Sonderlich muͤſſen wir wiſſen/ daß das wahre
reich GOttes ohne das allein in den hertzen der glaͤubigen und alſo verborgen ſeye:
daß
[633]ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECTIO IV.
das muͤſſen die feinde wohl unzerſtoͤrt/ und daher CHRJSTUM von ſeinem
thron unverſtoſſen laſſen. Weswegen angeſehen dieſes aben/ wir nicht beſſer zu
dieſen zeiten uns anzuſchicken haben/ als daß wir eines theils GOTT hertzlich an-
ruffen/ er wolle alle rathſchlaͤge/ wider ſeine ehr und ſeiner kirchen beſtes gerichtet/
kraͤfftiglich auff ihm allein bewuſte weiſe zu nicht machen/ hingegen jene befoͤrdern
und uns um unſerer ſuͤnde und undanckbarkeit willen nicht gar verwerffen: wo
fern er auch auch ſchwehre truͤbſal uͤber uns verhengen wolte/ mit ſo viel kraͤfftigeren
troſt und gnade des heiligen Geiſtes beyſtehen/ daß wir und die unſrige darinnen
nicht weich werden/ ſondern feſt an ihn bleiben/ und mit unſern leiden ihn preiſen:
andern theils als dann mit getroſten gemuͤth erwarten/ was kommen wird/ und
uns nicht allzu viel fuͤrchten von denen die mit aller gewalt mehr nicht thun koͤnnen/
als wo wir uns recht darzu ſchicken/ unſer eigen beſtes wider ihren willen befoͤrde-
ren/ vielmehr alle ſorge GOtt befehlen/ der wie ers allezeit wohl gemacht hat/ alſo
allemahl ins kuͤnfftige noch wohl machen wird.


SECTIO IV.


Allerleymaterien.Wichtigkeit der arbeit in
der jugend. Recht der Chriſten/ ſich untereinander zu er-
bauen. Kriegsmanns
Symphoneſis.Hoffnung von ei-
niger wiederſprecher bekehrung. Von der in-
nern verſieglung des Geiſtes zu ſchrei-
ben. Hoburgs ſchꝛifften.

Scriver.


JCh dancke den guͤtigſten Vater/ von dem alle gute gaben kommen/ von
grund der ſeelen/ der durch ſeinen geiſt der liebe unſere hertzen immer naͤher
und feſter verbindet/ auch wie wir von ſeiner guͤtigkeit uns verſichern koͤn-
nen/ uns in ſolcher gemeinſchafft des Geiſtes erhalten wird/ biß wir nach unſers
theureſten Erloͤſers verheiſſung vollkommen ſeyn in eines in dem Vater und dem
Sohne. Jn anſehung ſolcher hertzlichen liebe/ ſo aus allen zeilen der beyden
neulichen zu gleich an mich abgeſandten brieffe hervorleuchtet/ haben mich dieſel-
be ſo inniglich erfreuet/ als in vieler zeit mir einige urſach zur freude gegeben wor-
den/ und bedarff es doch ja nicht einiger entſchuldigung gegen mir. Denn wie
ſehr mich deſſelben liebe hand ergoͤtzet/ und deswegen nicht leugne/ daß ich darnach
L l l loͤffters
[634]Das ſechſte Capitel.
oͤffters verlangen habe/ und haben werde/ ſo ſetze doch billig mein verlangen und ver-
gnuͤgen/ ſo aus deſſen ſchreiben ſchoͤpffe/ ſeinen geſchaͤfften nach/ und wolte nim-
mermehr daß um meinet willen entweder ein ſo lieber freund ihm ſelbs beſchwehrde
machen/ oder aber etwas der nuͤtzlichen amts verrichtungen unterlaſſen ſolte; ſon-
dern laſſet uns allezeit thun und von einander verlangen das jenige/ worinnen je-
desmahl wir erkennen/ das GOTT meiſtens geprieſen werde werden.


So erfahre ich auch meines orts taͤglich den zuſtand dererjenigen/ die nicht
viel uͤbrige zeit haben/ woruͤber ſie frey zu diſponiren macht haͤtten. GOTT a-
ber ſey gedancket/ der noch immer etwa zu ein und ander zeit ein virtelſtuͤndlein
ſchencket/ in dem wir uns auch mit zuſchreiben einander ermuntern/ und einen des
andern liebe genieſſen koͤnnen. Daß meine einfaͤltige ſchrifften denſelben und die
ſeinige hertzlich vergnuͤget/ erkenne ich auch/ und preiſe die Goͤttliche gnade/ dero al-
le krafft eigen iſt/ mir aber davon nichts gebuͤhret/ als wo ich ſolche Goͤttliche krafft
mit untermiſchten menſchlichen concepten unwiſſend verringert und geſchwaͤchet
haben moͤchte; Wiewohl ich nach dem vermoͤgen welches GOTT darreicht/ ſu-
che mehr und mehr dahin zugelangen/ daß ich doch nichts reden noch ſchreiben moͤch-
te/ als was der HERR in mir redet und wuͤrcket. Ach wie ſelig iſt derjenige/ der
ſolches recht und genau/ wie es ſeyn ſolle/ zu unterſcheiden vermag/ und ſich dem zu
folge dem HERRN allerdings uͤbergiebt und uͤberlaͤſſt. Jch bin leider noch zimlich
weit davon/ will aber auch in ſeiner krafft mich nach ſolchen ziel beſtreben. Herrn
N. N. werthe perſon liebe und ehre ich ſo hoch als jemanden von den jenigen/ welche
in der kirche GOttes arbeiten/ daß ich auch vor den jenigen die in kirchen ſollen das
werck des HERRN treiben ihn und den rechtſchaffenen D. Hartmann zu Roten-
burg/ keinen andern in teutſchland mit mir bekanten vorziehen oder faſt gleich hal-
te und ſchaͤtze. Der HERR laſſe ihn/ wie auch alle andere/ ſo er jedes orts mit
ſeiner gnade ausgeruͤſtet/ kraͤfftige werckzuge derſelben ſeyen/ und immer einen ſieg
nach dem andern vor ſeine ehre gegen die feinde derſelben erhalten.


Jch verlange von hertzen zu vernehmen/ wie es denn mit dem an ihm geſand-
ten ſchreiben hergegangen. Wolte nicht gern daß es waͤre in fremde haͤnde ge-
kommen/ in dem ich aus den innerſten grund als gegen meinen bruder mein hertz
ausgeſchuͤttet. Es hat mich M.N.N. ſelbſt gebethen/ daß ich ihm moͤchte einigs ſchrei-
ben mitgeben. Solte er untreu hierinnen verfahren ſeyn/ ſo laſſe es ihn der HErr
erkennen/ und es ihm nicht zugerechnet werden. Jch bin faſt in unruhe/ biß ich die
rechte gewißheit haben werde. Wird mir kuͤnfftig eine warnung ſeyen/ auch nicht
allemahl zu trauen denjenigen die ſich ſelber anbieten. Von Hern D. N. N. habe
bey einiger zeit nichts gehoͤret/ wie und ob es mit ſeiner verſprochenen arbeit von
ſtatten gehe. Muß leyder ſorgen/ es ſeye auch durch die vielerley relationen ein
ſtuͤck des alten vertrauens geſchlagen.


Ach
[635]ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECTIO IV.

Ach wie ſchwehr iſts dem HERRN zu unſrer zeit ernſtlich und nicht nach
der gemeinen mode zu dienen/ und damit nicht aller orten anſtoſſen; auch ſelbs bey
denjenigen/ die ſonſten auch in andern ſtuͤcken ihr pfund zu der kirchen beſten an-
zuwenden befliſſen ſind. GOtt erbarme ſich unſer gnaͤdiglich. Von Herrn N.
N.
habe ſeiter der zeit nichts gehoͤret/ GOtt ſegne anch ſeine ſtudia zu ſeinen heili-
gen ehren. Er thut nicht uͤbel/ daß er ſich meiner jetzo enthaͤlt um ſeine ſtudia
nicht mit haß und mißgunſt zu beladen/ die ihm zu ertragen noch zu ſchwehr ſeyen
moͤchten.


Das meiſte aber ſo mich in des liebwehrteſten bruders ſchreiben efreuet/ und
GOtt davor zu preiſen bewogen hat/ iſt die liebe frucht/ ſo GOtt zu ſeiner lieben
arbeit bey der jugend giebt. Ach wie eine liebe ſaat/ die auff dieſe aͤcker geſchiehet
von denen die erndte der kuͤnfftigen zeit/ und alſo alle meiſte hoffnung in der welt
dependiret. GOtt laſſe ſolche arbeit noch tauſendfaͤltig geſegnet werden/ und
gebe die freude einer reichſten erndte. Daß es viele nicht nur arbeit ſonderen ver-
druß und widerſprechens gebe und geben werde/ zweiffle ich nicht: aber das werck
iſt deſſen wohl werth/ wegen der frucht/ auch dabey zuleyden. Laſſet uns geſagt
ſeyn was dorten Jacob ſagt c. 5. So ſeyd nun geduldig ‒ ‒ ‒ iſt nahe. Ach
daß der HERR auch andere mitarbeiter in dieſem ſtuͤck noch erweckete/ damit die
jugend/ welche bißdaher faſt alle bluͤt ihrer jahr mit weltlichen kuͤnſten zu bringen
muͤſſen demjenigen anfingen zugefuͤhret zu werden/ welcher der einige zweck ihres
gantzen lebens ſeyn ſolte. Herr N.N. kleines tractaͤtlein von den ſchulen hat einige fei-
ne erinnerungen. Jch zweiffle aber nicht/ mein geliebteſter bruder wird aus eige-
ner erfahrung viel mehreres zeigen koͤnnen. Daß die lehr der Apoſtel ſonderlich
Ebr. 3/ 13. unter uns Chriſten ſo unbekant worden/ iſt freylich nicht gnugſam zu-
beklagen: und was iſts/ daß der teuffel in allen dingen/ die jetzo vorgehen/ mehr
beſtreitet als eben dieſes/ daß from̃e Chriſten ſich ſelber unter einander zu erbauen
macht haben ſollen. Er ſiehet gar wohl/ daß dieſes ſein reich den ſtaͤrckſten ſtoß gie-
bet. Wie ich durch GOttes gnade hier der exempel nicht wenig habe/ von leuten
die durch dergleichen gelegenheit ihrem GOtt gewonnen worden ſeynd/ die ſo lange
jahr alle unſere predigten vergebens hette angehoͤꝛet: und wuͤꝛde es dahin kom̃en/ daß
ſolches anfienge freyer zu geſchehen/ ſo wuͤrde der teuffel nimmer ſo viel wehren koͤn-
nen mit nachdruck/ daß ihm nicht viel ſeelen noch ſolten entriſſen werden/ wie er
biß daher gethan/ und dur chgedrungen.


Daß iſt die art geweſen/ wie die erſte kirche ſich erbauet hat/ und ſolchen rei-
chen ſegen Goͤttlicher gnade dabey geſpuͤret/ daß wir ohne ſcham und betruͤbnuͤß an
ſolch liebes exempel nicht gedencken koͤnnen/ wo wir das gegenwaͤrtige vor augen ha-
ben.


Cs hat ein guter freund und gottſeliger Politicus/ welcher zu Darmſtatt
L l l l 2Cam-
[636]Das ſechſte Capitel.
Cam̃eꝛꝛath iſt/ D.W. Chꝛiſtohp Kꝛiegsmañ vor etlichen tagen ein tractaͤtlein nur
von wenig bogen drucken laſſendes tituls Symphoneſis (Matth. 18/ 19.) Chriſtia-
norum
oder tractat von den einzeln und privat-zuſammenkuͤnfften der Chriſten/
welche CHRJSTUS neben den gemeinen oder kirchlichen verſamlungen zu hal-
ten eingeſetzt. Er wird damit etliche der widrigen Theologorum hefftig wider den
kopff geſtoſſen/ und ſich feinde erweckt haben/ aber auch danck bekommen von eini-
gen Goͤttlichen gemuͤthern/ ſo die erbauung lieben/ und auff alle weiſe/ die C Hriſto
reglen gemaͤß/ ſuchen. Ach was vor ein unfall des Chriſtenthums/ wo man da-
von fragen muß ob gutes zu thun erlaubet ſeye: und wie ſchwehr werden wir
Prediger es dermahleins zu verantworten haben/ daß wir das an den Papſtum ſo
geſtraffte monopolium/ daß wirs allein ſeyn muͤſſen/ die die geiſtliche verrichtun-
gen zu eigen haͤtten/ ſelbs zu behaupten ſuchen/ weil es unſer anſehen vergroͤſſert/
und etwas eintraͤgt. Nun der HERR wird einmahl drein ſehen/ als
der in die harre ſo vieler unter uns thorheit nicht wird tragen koͤnnen.
Mir ſchallt immer in den ohren die antwort: Darum ſpricht GOTT ich
muß auff ſeyen/ die armen ſind verſtoͤret/ ihr ſeufftzen dringt zu mir herein/
ich hab ihr klage erhoͤret. u. ſ. w. Amen.
Daß noch viele von den wiederſpre-
chern werden gewonnen werden/ trage ich auch zu Goͤttlicher guͤte das hertzliche
vertrauen. Mit deſto mehr gedult/ ſanfftmuth/ und erbarmender liebe haben wir
ſie zu tragen/ vor ſie zu bethen/ und ihnen zu begegnen. Der HERR wird uns
gewis einige ſchencken/ wo wir nicht nachlaſſen werden/ von ihnen zuleyden/ zu bit-
ten und der wahrheit mit ſanfftmuth bey ihnen zeugnuͤß geben. Wir haben der
exempel ſelbs in hieſige ſtatt deren/ ſo nachmahl diejenige/ welche ſie gelaͤſtert/ wi-
derum um vergebung gebeten haben/ und es andern nunmehr mit eiffer vorthun.
Der HERR ſey gelobet vor ſeine gnade/ und laſſe dieſelbe noch ferner kraͤfftiger
ſeyn. Von unterſchiedlichen aber ſorge ich leider/ daß ſie moͤchten gegeben ſeyn in
verkehrten ſinn/ und der ſo ſchrecklichen laͤſterung des heiligen Geiſtes ſehr nahe
kommen. Der HERR erbarme ſich aller/ die ſeine erbarmung nicht von ſich ſtoſſen
wollen.


Unſer lieber Herr N. N. hat einen harten ſtand/ und wie vermuthlich der erſte
ſeyen/ welchen GOTT einer verfolgung um ſeines nahmens und erkaͤntnuͤß willen
wird wuͤrdigen. Seine predigten haben in den hertzen trefflich durchgedrungen/
und viele ſeelen der wahrheit uͤberzeuget/ daß ſo wohl alte zu ihm gekommen/ und
von ihm den weg des HERRN mit mehrern auszulegen begehret/ als eine ſehr
ſtarcke anzahl kinder ihm nach hauſe geſandt worden/ mit welchen er die lehre der
Gottſeligkeit kraͤfftig getrieben. Aber ſein gegner hat nicht nur in predigten ſei-
ner lehre widerſprochen/ ſondern auch was er vermocht in der gemeinde/ von der
nach-
[637]ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECTIO IV.
nachfolge des guten abgezogen. Da wir wol wiſſen/ wie viel gehoͤr ſolche leute vor
den andern zuhaben pflegen/ hat ihn auch/ ob wol daß daſelbſtige Conſiſtorium,
deſſen mitglied er auch iſt/ ſeine ſache billiget/ bey der entferneten Cancelley dermaſ-
ſen angebracht/ daß er in groſſe gefahr ſtehet. Aber der HERR gibt ihm ruhe in
ſeiner ſeele und freudigkeit ſeinen nahmen auch mit leyden zu verherrlichen. Er
mache es/ wie es ihm wolgefaͤlt.


Er hat jetzo deswegen ſo viel laſt/ daß ich davor achte/ daß er davor noch nicht ge-
antwortet hat. Jndeſſen bedarff eꝛ/ daß wir alle unſern GOtt hertzlich vor ihn
anruffen/ daß er ihn regieren und krafft geben wolle/ zu thun und zu leyden was
ſeinen heiligen rath gemaͤß iſt.


Was anlanget meines werthen bruders bitt wegen eines aufſatzes von der
innern verſieglung des Geiſtes in den hertzen der glaͤubigen/
ſo wuͤrde ſo
gern hierinnen (wie in allen andern es an meiner bereitwilligkeit nicht erman-
geln ſolte) mich bereit und gehorſam erzeigen/ ſo vielmehr weil ohne eigne hertzli-
che erbauung und vergnuͤgung inder materie nicht arbeiten/ und daran geden-
cken wuͤrde/ wolte auch/ ob wol meine zeit nicht uͤberfließig iſt/ ſuchen/ wie ich mir
darzu weil machen moͤchte. Aber ich erkenne der ſachen ſo wichtigkeit als hoheit/
und daß in ſolcher/ ſolle anders zu rechteꝛ erbauung etwas geſchrieben werden/ mei-
ſtens aus eigener erfahrung gehandelt werden muß. Hingegen ob ich wol mei-
nen guͤtigſten Vater vor die einige troͤpfflein/ ſo er mir hierinnen gegeben/ dern ich
auch nicht werth bin/ demuͤthigſt danck zu ſagen habe/ ſo erkenne ich doch/ wie we-
nig das jenige ſeye welches ich hierinnen habe/ und alſo mache ich mir billich ein ge-
wiſſen/ daß ich etwas ſolte wollen ausgeben/ was ich nicht erſt von oben her em-
pfangen haͤtte/ in dem ich gar leicht anſtoſſen/ und an ſtatt der hoffenden und ſu-
chenden erbauung gute hertzen irre machen/ und ihnen ſchaden koͤnte. Aber ich
wuͤnſchete ſelbs/ daß ein ander gottſeliger mann/ aus mehrerer erfahrung hiervon
ſchreiben moͤchte. Solten wir unſern lieben Hrn. N. darzu animiren koͤñen/ ſo wuͤr-
den unſere wuͤnſche durch GOttes gnade erfuͤllet ſeyen. Was die frage von der
nothwendigkeit des actus reflexi anlanget/ meine ich/ daß in meinen einfaͤltigen
predigten von der verſuchung gottes laͤſterlicher gedancken die negativa ſo ge-
zeiget ſeye/ daß ein angefochtener wol damit zufrieden ſeyn moͤchte. Weiter ver-
mag ich nicht zugehen/ wie gern ich auch mein intent zu dem jenigen anwende/
worzu es mir gegeben. Aber uͤber daſſelbe zugehen/ iſt uns auch nicht erlaubt.
Jch komme itzo auff den andern brieff meines geliebten bruders. So habe nur
die fragen im beylage beantwortet in demjenigen vertrauen/ ſo zwiſchen uns ſeyen
ſolle der gewiſſen zuverſicht/ das mit gehoͤriger vorſichtigkeit ſolche meine offenher-
L l l l 3tzigkeit
[638]Das ſechſte Capitel.
tzigkeit werde behandlet werden: und erwarte ſonderlich uͤber das eꝛſte deſſelben
Chriſtliche gedancken.


Ach waͤren wir einige zeit beyſammen/ ſolte ſich vieles muͤndlich reden laſſen
wiewohl nunmehr eine freudige hoffnung habe/ demfelben nach gemachteꝛ vertroͤ-
ſtung hieroben zu ſehen. Der HERR erfuͤlle unſere hoffnung und ver-
langen/ und laſſe es euch zu ſeinem preiß gereichen. Jch zehle die zeit und monathe
jetzo ſo viel fleißiger/ biß es auff den ſommer gehen wird/ ob uns der liebſte Vater die
freude geben wird/ uns hier untereinander zu ergoͤtzen. Nun ſein wille ge-
ſchehe.


Was des frommen Hoburgs ſchrifften anlanget/ iſt mir lieb/ daß ich be-
richt habe von ſolcher nachfrage ſo nun hierauff geſchiehet. Jch geſtehe gern/ daß
ich ſie hertzlich liebe/ und GOTT dancke/ der mir die leſung derſelben nicht hat
unfruchtbar ſeyn laſſen. Von ſeiner Poſtill wuſte ich micht zu entſinnen/ daß ich
ſie einem menſchen recommandiret haͤtte/ zu kauffen/ wol aber wo einige gedach-
ten/ daß ſie ihn haͤtten/ daß ich mag geantwortet haben/ daß ſie ſie nuͤtzlich leſen koͤn-
ten. So bin itzt nicht nur der meinung/ ſondern ſage oͤffentlich offt auff der Can-
tzel daß man keines einigen menſchen ſchrifften anders als mit dem beding ſoll le-
ſen/ wie ſie mit der ſchrifft uͤber einkommen/ und alſo keinen einigen glauben um ſein
ſelbs willen/ maſſen auch nicht nur einmal in der predigt gemeldet/ ich begehrte nicht/
daß man mir in goͤttlichen dingen ein einig wort mir zugefallen/ oder in abſicht
auff mich/ glauben ſolte/ ſondern nichtes anders als ſie meine lehr mit GOttes wort
uͤbereinſtimmend finden.


Alſo nehme ich Hoburgen aus ſolcher zahl nicht aus. Sonſten bekenne
gern/ daß ich davor halte/ daß gelehrte in ſolches mannes ſchrifften ein und auders
finden werden/ worinnen ſie anſtoſſen moͤgen/ und wo ich nicht ſchwehren will/ al-
lemahl das jenige zu behaupten/ was der liebe mann geredet. Aber von einem
einfaͤltigen Chriſten/ der alles in einfalt auff das billigſte verſtehet/ hoffte ich
nicht/ daß er etwas in ihm ſolte antreffen/ daran er ſich leicht ſtoſſen koͤnte. Jn-
deſſen werde gern von ſelbſten und auch um meines liebſten bruders erinnerung
willen mich ſeiner ſchrifften nicht mit ſonderlicher angelegenheit annehmen/ ſon-
dern zu frieden ſeyn/ wo man nur um das liebe wort GOttes laͤſſet. Wie ich
noch nicht lange an einem der fuͤrnehmſten Theologorum, ſo im ſchreiben an
mich etwas davon gedacht/ geantwortet/ daß ich uͤber ihn mit niemanden viel ſtrei-
ten wolte/ haͤtte viel gutes in ſeinen ſchrifften erkennet/ aber wuͤnſchte ſie mit der
gedult geleſen zu werden/ wie wiꝛ den rationibus ihres orts ziemlich harte fehler
zu gute halten.


Jedoch koͤnte ich mich auch nicht darzu bringen laſſen/ gegen den jenigen
mich zu declariren oder ihn zuverurtheilen/ durch den GOTT meiner ſeelen
einiges
[639]ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECTIO V.
einiges gutes gethan hat/ ſo zwar mehr durch ſeine urſachen teutſchen kriegs/
praxin Arndianam und Theologiam myſticam als Poſtillam geſchehen
iſt/ als deren dieſe ich nicht alſo durchleſen als jene. Es iſt ja eine betruͤbte zeit/
daß es dahin gekommen. Aber GOTT wird helffen. M.N. betruͤbt mich
offt ſehr; nicht um des willen/ was er mir zu wider thut/ ſondern daß er ſeine ſee-
le verletzet/ und zur aͤrgernuͤß gelegenheit giebt. Jch habe ſchwerlich jemanden/
der mir mehr entgegen. Ach betet mit mir/ daß GOTT ihm zur erkaͤntnuͤß
bringen/ und nicht in ſein gericht fallen laſſen wolle. Nun GOTT hat ſeine
ſtunden die wir nicht vorher erkennen koͤnnen. Herr Scrivers zu Magdeburg
gottſeligen eyffer habe ich offtmahls ruͤhmen hoͤren/ aber keine bekandſchafft
noch zu ihm bekommen.


Der Vater aller guten gaben/ ruͤſte ihn noch ſerner mit gnaden aus/ und
mehre ſeine gaben. Jndeſſen heil. obhut ihn teureſter bruder und mit ihm alle
die bey ihnen den HErrn hertzlich lieben ſchließlich empfehle. Sein Geiſt ſeye
mit ihrem geiſt amen.


Wobey zum ſchluß zum nachfolgenden jahr wuͤnſche/ daß die liebe des ewi-
GOttes gleichwie ſie in erneuͤerung zeitlicher dinge ſich hervor thut/ alſo auch mit
taͤglicher erneuerung des goͤttlichen ebenbildes in ihrer und unſer aller ſeelen/ als
einem liechtlein der ewigkeit gewidmet/ je laͤnger je kraͤfftiger ſich erzeigen und uns
tuͤchtig machen wolle/ daß wir an dem groſſen tage der allgemeinen erneuerung
gleichfalß zu der neuen welt und ſtatt unſers GOttes in der ſeligſten ewigkeit moͤ-
gen erneuert werden.Amen.


SECTIO V.


An einem ort/ da die peſt regierte: Von
goͤttlicher abſicht in derſelbigen. Mit unrecht in ver-
dacht gezogene
phraſes,gelaſſenheit/ verklaͤhren/ ver-
herrlichen/ innerliche erleuchtung: auch ei-
nigen andern.


JCh habe zum aller vorderſten mein hertzliches und Chriſtliches mitleiden
mit dem betruͤbten zuſtand ihrer lieben ſtatt hiemit zu bezeugen/ wie michs
dann von grund meiner ſeelen afficiret, da ſo von ihnen/ als dem benach-
barten lieben Magdeburg gehoͤret habe/ und biß daher faſt die wochendliche rela-
tiones
und zeitungen das ungluͤck allemahl vorgeſtellet. Als vor einem jahr in
Meiſ-
[640]Das ſechſte Capitel.
Meiſſen und Sachſen das uͤbel ſo ſtarck einriſſe/ ſahe ich daſſelbe ſtracks als ein
ſolches gericht an/ mit welchem GOTT vermuthlich unſer gantzes Teutſch-
land heimſuchen wuͤrde/ die wir wol alle in gleicher ſchuld ſtuͤnden.


Nachdem aber der barmhertzige Vater vermittels eines ſo auſſerordent-
lichen hefftigen winters an den hart heimgeſuchten orten wiederum ſeine gnade er-
zeiget/ daß ſie der plage befreyet/ auch in dem warmen anfang dieſes fruͤhjahrs
in dem Aprilem nichts deſto weniger ein beyſtand deꝛ befreyung geſpuͤret wor-
den/ ſo habe mich verwundert der goͤttlichen barmhertzigkeit/ die uns wiederum
eine neue friſt zur buſſe gegeben und das angedrohete abgewendet habe. Daher
nach dem wir eine ziemliche zeit die vorbitte vor die unter ſolcher ꝛuthen ander-
wertlich ſeufftzenden mit-bruͤder in offendlicher verſammlungen zu thun gepfleget/
ſolche ſamt einer danckſagung auff verordnen unſerer Herrn und Oberen auff
Pfingſten geſchloſſen worden.


Kaum war ſolches geſchehen/ ſo kommt erſtlich ein ungewiß geruͤchte/ bald aber
voͤllige nachricht/ vondem auffs neue hin und wieder angehenden feuers. Da-
her wir bereits von einiger zeit verlangt/ daß die oͤffentliche vorbitte wiederum ge-
ſchehen/ aber von unſeren Herren die verordnung noch nicht haben erlangen koͤn-
nen/ ſondern dero noch warten. Nunmehralſo kan ichs nicht anders anſehen/ als
wie meine erſte gedancken geweſen/ der HERR HERR moͤge beſchloſſen ha-
ben/ unſer gantzes reich damit durchzugehen/ wo etwa kein unterſcheid ſeyen wird/
als das einige fruͤher andere ſpaͤter an dieſer reyhe kommen ſollen. Da alſo
GOTT ſein gericht noch mit dieſer barmhertzigkeit mildert/ in dem er den mei-
ſten noch ſo eine zimliche zeit das jenige/ was ihnen vorſtehet/ vor her an andern von
ferne anſehen laͤſſet/ ob wir uns ſolches bewegen laſſen wolten/ zu ſo viel hertzli-
cher buß/ und zu rechter beobachtung ſeines heiligſten raths auch in dieſem ſtuͤck.
Wie wohl ich leider an unſern orten ſehe/ und von andern hoͤre/ daß ſolches an-
ſehen wenig oder nichts verfange/ daher es der gerechte GOTT auch etwa
nicht bey dieſer plage allein bleiben laſſen/ ſondern noch haͤrter uͤber uns verhen-
gen moͤchte.


Laſſet uns nur auch dießmahl unſer wahrnehmen/ daß wir uns in die zeit
ſchicken/ und ſo wol den rath unſers GOTTES erkennen lernen/ als uns dem-
ſelben gehoꝛſamlich unterwerffen. Wir muͤſſen einmahl lernen glauben/ daß
auch in dieſer aller erbaͤrmlicheſten plage goͤttliche nicht nur gerechtigkeit ſondern
liebe und gnade ſich zeige/ dann ſeine gerichte in dieſer zeit ſind alle voller barmher-
tzigkeit/ was vor ein ſchreckliches anſehen ſie auch hie vor den augen der vernunfft
haben. Und wie kan etwasanders als gutes von dem ſo guten GOTT/ der
nichts als gutes iſt/ herkommen? Jch bin veꝛſichert/ es erkennet ſeine weißheit
noch
[641]ARTIC. I. DIST. IV. SECT. V.
noch viel anders als wir an dieſer gantzer ſache nach reifflicher erwegung finden und
erkennen/ und dennoch koͤnnen wir arme menſchen ſelbs/ wo wir dieſer/ plage in
der furcht des HERREN nachdencken/ unterſchiedliches ſehen/ wie gleich-
wol die ehre des HERREN durch vieler boͤſer ſchaͤdlicher menſchen hinraffung/
hingegen anderer die wol ſonſten nimmermehr waͤren bekehret worden/ kraͤfftige
bekehrung und gewinnung/ einiger gottſeliger aber ſchwaͤcherer hinraffung vor
den ſchwereren truͤbſalen und bevorſtehenden proben/ anderer fernerer laͤute-
rung und geſchicktmachung auf die bald einbrechende ſchwere gerichte/ in die-
ſer harten plage auf auch uns ſelbſt begreiffliche art moͤge befordert werden/ von
welcher materie ich vor einem jahr an einem lieben fꝛeund nach Leipzig einem
brieff geſchrieben/ den ein vornehmer Profeſſor Theologiæ daſelbſt hat drucken
laſſen.


Wo es nun an dem iſt/ wie es dann iſt/ daß auch in dieſer ſo boͤſe ſcheinen-
der ſache boͤſes iſt/ ſo erfordert unſere ſchuldigkeit/ daß wir dann auch lernen unſern
guten GOTT in derſelben eben ſo wol vor ſeine weißheit/ guͤte/ ehre/ danck zu-
ſagen/ als wir ihm ſonſten danck ſagen/ wo er etwas deſſen verfuͤget/ was unſerem
eigenen fleiſch angenehm iſt. Alſo auch das wir zwar/ weil es gleichwol eine ſchwe-
re probe iſt/ und ein betruͤbtes anſehen hat/ auch gegen die meiſte warhafftig ein
zorn gericht iſt/ um abwendung deſſelben demuͤthig bitten/ aber gleichwol dar-
neben uns den willen eines ſolchen heiligen GOTTES und barmhertzigen
Vaters gehorſamlich unterwerffen/ das nicht unſer/ ſondern ſeyn allerliebſter wil-
le allein an uns und allen creaturen geſchehen moͤge. Dabenebens wird ſich
gebuͤhren/ weil wir ohne das zu allen zeiten uns/ als unſers lebens nicht eine ſtun-
de gewiß/ zu der letzten reiſe ſollen bereiten und geſchickt halten/ daß wir zu einer
ſolcher zeit/ wo uns der todt ſo viel offenbahrer vor augen ſchwebet/ ſolche ſorge
unſere vornemſte ſeyen laſſen/ daß wir unſere ſeele taͤglich in dem blut des Lam-
mes ſo wohl in hertzlichen glauben der vergebung der ſuͤnden als ſtaͤts fortſetzender
reinigung waſchen/ damit wo ſie der HERR von uns fordert/ wir ſie getroſt in
ſeine haͤnde uͤberlaſſen und verſichert ſeyn moͤgen/ daß ſie ihm ein angenehm opffer
ſeyen.


Jſts nun/ daß der HERR ſolches uns geſchehen/ und alſo das ende unſers
lebens/ durch ſolche art der ſeuche erfolgen laͤſſet/ ſo iſt uns dieſelbige nicht unſe-
liger/ als da es durch eine andere art der kranckheit geſchehen waͤre/ und iſt unſer
vorbereitung nicht nur wohl angelegt/ ſondern aͤuſſerſt nothwendig geweſen.


Erhaͤlt uns aber der HErr durch ſeine Vaͤterliche guͤte/ weil etwa das
maaß unſers leidens und unſere arbeit noch nicht erfuͤllet geweſen/ ſo haben wir
uns gleichwol auch ſolcher bereitung nicht reuen zu laſſen/ ſondern iſt gewiß/ daß
M m m mſol-
[642]Das ſechſte Capitel.
ſolche taͤgliche betrachtung unſerer ſterblichkeit/ wo ſie nur eine zeitlang continui-
retwird duꝛch goͤttliche krafft ſo viel gutes in unſerer ſeele wuͤrcket/ als einmahl
durch einige andere uͤbung geſchehen kan/ daß alſo da wir eine zeitlang gleichſam
auſſer der welt bereits gelebet haben/ auch nachmahl die uͤbrige zeit unſers lebens
vollends anf eine von der welt abgezogene art deſto leichter gefuͤhret zu werden ver-
mag. Nun ich ruffe auch uͤber ſie jetzt bedraͤngte den HERRN uͤber tod und
leben demuͤthig an/ daß er ſein gericht auch wolle dieſes mahl mit groſſer barm-
hertzigkeit gemildert werden/ ja zu ihrer vielen beſſerung und bekehrung dienlich
ſeyn laſſen/ der jenigen vornemlich/ welcher dienſtes er zu ſeinen ehren und des
nechſten beſten vortraͤglich zu ſeyn erkennet/ vaͤterlichen zu ſchonen/ und nach
ſeinem rath dem wuͤrg-Engel bald wiederum befehlen wolle/ ſeyn ſchwerd in ſei-
ne ſcheide zu ſtecken.


Er wuͤrcke auch durch ſeine gnade alles das jenige gute in ihren ſeelen/ was
eꝛ durch eine ſolche ſcharffe heimſuchung ſuchet/ und wende das faſt vor augen
ſchwebende ungluͤck und gefahr in dem geiſtlichen von unſerer Lutheriſchen kirchen
nach ſeinem heiligen willen ab/ der auch unſeres lieben ſel. Lutheri Vaterland et-
wa nicht ohne ſonderbare abſicht uns zu einem betruͤbten ſpectacul in dem leib-
lichen hat werden laſſen. Sonderlich wolle er auch nun meinen geliebten freund
eine hut und ſchirm ferner ſeyn/ daß keine plage ſich zu ihnen machen/ ſondern er
noch deꝛmahleins mit den uͤbrigen errettet ſeinen heiligen nahmen preiſen/ und
das gefriſtete leben zu ſeinem preiß nutzlich anwenden und auffopffern moͤge.


Was nun die uͤberſandte predigt anlangt/ habe ich mich ſo vielmehr nach
deroſelben verleſung verwundert/ wie einige ſo vermeſſen ſeyn moͤgen/ dieſelbe zu-
beſchuldigen und in verdacht irrthums zu ziehen. Wir lehren unſere kinder als
eine pflicht des achten gebots/ daß wir unſeren nechſten entſchuldigen/ und alles
zum beſten kehren ſollen/ daher waͤꝛen wir ſchuldig/ ob ſchon auch einige dunckle-
re woͤrter und reden vorkaͤmen/ dieſelbe nach der liebe regel/ ſonderlich da die per-
ſon ſich eben ſonſten in keinen argwohn auff andere weiſe geſtecket hat/ auf das
beſte aufzunehmen und zu erklaͤren: geſchweige dann/ da ja in dieſer gantzen pre-
digt nicht von dergleichen reden ſich findet/ ſo nicht bey ſo vielen andern unver-
daͤchtigen gottſeligen lehrern vorlaͤngſten angetroffen worden.


Daß man die redens-aꝛt GOtt gelaſſene ſeele/ ſtille gelaſſenheit/ danck-
bahre gelaſſenheit ꝛc.
uͤbel anziehet/ iſt wahrhafftig wuͤrdig ſich daruͤber hoͤch-
ſtens zu verwunderen. Sehen wir die wort an ſich ſelbſt an/ [was haben] ſie dañ boͤſesin
ſich? Jſt etwas das nur einigerley maſſen mehr dariñen geſagtiſt/ als daß ſich eine
ſeele GOtt darſtellet/ daß er in und mit ihr thun und ſchaffen wolte/ alles was ihm
ge-
[643]ARTIC. I. DISTINCT. IV. SECTIO V.
gefaͤllig ſeye? Daß damit ſo wohl die willige unterwerffung unter ſeinen willen/
als die nicht reſiſtentia oder ſo zu reden paſſivitas, daß wir in geiſtlichen dingen
nicht ſo wol ſelbs wircken als den goͤttlichen wirckungen nicht widerſtreben/ ſondern
dieſelbe bey uns kraͤfftig ſeyn laſſen/ mit einem wort ausgedruckt wird/ und ich daſ-
ſelbe ſo viel mehr liebe/ weil ich in keiner ſprach ein gleichermaſſen nachtruͤckliches
und emphatiſches/ ſo alle dieſe dinge in ſich begꝛeifft/ weiß oder mich entſinnen
kan/ es ſind ja eben dieſes lauter ſolche dinge/ die wir mit keinem ſchein leugnen
moͤgen wir wollen dann allerdings unſer gantzes Chriſtenthum und unſer Evange-
liſche lehr verlaſſen: Warum wolten wir dann eckel haben an einem unſchuldi-
gen wort/ welches dieſelbe in ſich faſſet? Ferner/ was ſind ſolche wort anders/
als da ſonſten die Prediger ſo offt die zuhoͤreꝛ pflegen an zuſprechen/ GOTT er-
gebenen hertzen?
item da wir ſingen/ dir uns laſſen gantz und gar? So
haben unſere liebe vor-eltern keinen ſcheu gehabt/ das wort gelaſſenheit als ei-
nen ſonderbaren titul in das gewohnlich vor den Bibeln Lutheri befindliche re-
giſter der materien zu ſetzen/ und die dicta ſcripturæ dabey zu fuͤgen/ und wie viel
ſind von unſern theuerſten Theologis nach Luthero (ſihe T. 7/ 8. Altenb. f.
191. b.
) und Arndio, welche ſolches wort ohn einiges bedencken gebraucht/ ja
recht hertzlich geliebt haben? Hat Weigelius und andere ſich deſſelben in un-
rechtem verſtand gebraucht/ was kan das gute wort darfuͤr/ oder wollen wir die
wort glauben/ rechtfertigung/ erwehlung und andere dergleichen auch ver-
werffen/ weil ſie von irrigen lehrern in falſchen verſtand gebraucht werden. Al-
ſo die worte verklaͤhren und verherrlichen muͤſſen paffiret werden/ oder wir
muͤſſen das δοξάζειν, welches dieſelbe ausdrucken/ und alſo des heiligen Geiſtes
wort/ mit verwerffen: ſo iſt die innerliche erleuchtung abermahl ein articul und
wort/ welches wir ſo wenig verlaſſen koͤnnen/ als einiges andere von dem heiligen
Geiſt gebrauchte.


Geben andere irr-geiſter unmittelbare und falſche erleuchtungen vor/ ſo
gehet dieſes uns nicht an/ die wir keine andere erkennen und begehren/ als die
erleuchtung des heiligen Geiſtes in unſerm hertzen durch das liecht des goͤttli-
chen worts: wie wir ſingen/ mein fuͤſſen iſt dein heilig wort ein brennen-
de lucerne ꝛc. Wo dieſer morgenſterns in uns auffgehet ꝛc.
u. f. w. will
ſich einer an den andern wort ſtoſſen p. 42.Wann GOTT der heilige Geiſt
ſolches in dem er verborgenen hertzens kirche wiederholet/ andaͤchtig
und mit freuden anhoͤren ꝛc.
So iſts abermahl vergebens: Dann wiꝛ muͤſ-
ſen entweder ſolches zu geben/ oder geſtehen/ daß der heilige Geiſt durch das goͤtt-
liche wort nicht laͤnger in uns wuͤrcke/ als allein ſo lange der ſchall der wor in
den ohren gehoͤret wird/ welches ja ungereimt iſt.


M m m m 2Dann
[644]Das ſechſte Capitel.

Dann ſagen wir das ſolche wiꝛckung noch fort waͤhre/ ſo muß es ja dann
wiederum der heilige Geiſt ſeyen/ der ſolches in den hertzen wiederholet/ und dar-
durch wircket/ das ja nicht aͤuſſerlich ſondern in der verborgenen hertzens kirchen
geſchiehet. Will jemand einen Enthuſiasmum daraus machen/ ſo gedencke er
daß ja aus druͤcklich das wort hie genennet werde/ und das die predigt nicht ſage/
das der heilige Geiſt in den hertzen einige neue offenbarung/ oder etwas anders/
ſondern das gehoͤrte wort/ wiederhohle. Daß iſt ja kein Enthuſiasmus. Al-
ſo da p. 65. die abgeſchiedenheit von der welt genennet wird/ moͤchte zwar
einer ſcrupuliren, ob ſolches wort die da ſelbs gemeinte ſache ausdruͤcke/ im ge-
ringſten aber kan auf daſſelbe einiger verdacht nicht geſchoͤpffet worden. Daher ich
auf mein gewiſſen gefragt/ nicht anders antworten kan/ als daß ich nicht das we-
nigſte/ weder in ſachen noch phraſibus in der predigt angetꝛoffen/ ſo der allge-
meinen erkanten und bekanten orthodoxiæ der ſchrifft oder Libris Symbolicis
entgegen/ oder mir mit einem zimlichen ſchein auf ein verdacht zu ziehen waͤ-
re.


Das einige woꝛt p. 48. in deinem thierlichen ſtand/ haͤtte ich gewuͤn-
ſchet/ daß es ausgeblieb en waͤre. Jch zweiffele zwar nicht/ das mein geliebter
freund darinnen nichts anders ſuche/ als damit zu benennen den ſtand der unwi-
der gebornen/ wie der animalis homo dem durch den Geiſt wiedergeboꝛnen
entgegen geſetzet wird: aber ſolche phraſin, animalis homo, wolte ich nicht
gern vertirenthieriſcher menſch/ wie es einige moͤgen beliebt haben/ als wel-
ches nicht von animal ſondern anima herkommt ψυχικὸς ἄνϑρωπος. So meine
ich auch nicht/ daß ſolches wort die ſache recht ausdrucke: Dann unſere groͤſte
verderbnuͤß ſtecket nicht ſo wol in den kraͤfften der ſeele/ die wir mit den unver-
nuͤnfftigen thieren gemein haben/ und etwa deswegen moͤchten thieriſch
genennet werden/ ſondern vielmehr in den jenigen kraͤfften/ darinnen wir von
ihnen unterſchieden weꝛden. Jndeſſen ſo macht dieſe incommoda phraſis kei-
ne heterodoxiam oder einigen deroſelben verdacht. Gleichermaſſen von des
ſeligen Herrn NN. bey geſetzten verſen zu reden/ ſehe ich nicht/ wie dieſelbe be-
ſchuldiget werden koͤnnen/ welche ja vielmehr neben dem lob der ſchoͤnen poeſie
jeden der ſie mit andacht lieſet zeigen werden/ daß ſie aus einer mit wahrer goͤttli-
cher erkaͤntnuͤß erfuͤllter ſeele gefloſſen/ und voller geiſtes ſtecken.


Ein einiger verſ/ Er iſt ja meiner ſeelen quell ꝛc. moͤchte einigen widrig ge-
ſinneten gelegenheit zu laͤſteren geben/ und wuͤrde wo der ſelige Autor/ ſo in ſeiner
Chriſtlichen einfalt vor fromme hertzen geſchrieben/ vorſehen koͤnnen/ unter was vor
richter ſeine andachten kommen wuͤrden/ ſolches haben moͤgen verhuͤtet/ und die ſa-
che behutſamer ausgeſprochen werden: ſo ich ſelbſt gewuͤnſchet haͤtte. Jndeſſen
glau-
[645]ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECT. V.
glaube ich nicht/ daß der liebe mann unſere ſeele vor einen weſentlichen ausfluß des
Goͤttlichen weſens gehalten/ daß wie der ewige Sohn GOttes durch die geburt/
und der heilige Geiſt durch die ſpirationem von dem Vater ausgehen/ und gleich-
ſam als aus einer quelle ausflieſſen/ gleicher maſſen auch unſere ſeele aus GOTT
ausflieſſe/ daß derſelbe nicht nur principium à quo ſendern ex quo unſerer ſeele
waͤre. Dann alſo muſte die ſeele ſelbſt GOTT und Goͤttlich ſeyen/ daher ſo we-
nig einer verderbnuͤß/ ſuͤnde/ elend/ unterworffen ſeyen koͤnnen/ als das Goͤttliche
weſen ſelbſt nicht iſt.


Es erkennet aber der liebſte mann die ſchreckliche verderbnuͤß der ſeele; ſo
nennet er ſie auch vielmehr/ die Engliſch/ edle ſeele/ als Goͤttlich: Er ſagt zwar
auch/ daß faſt die Goͤttlichkeit in ihr ſich wie betrohnet/ er erklaͤhret ſich aber
ſelbs/ daß es daher geſchehe/ weil der werthe gaſt von oben ſie bewohnet/ nicht
daß ſie aus der natur bereits Goͤttlich ſeye/ und aus GOTT als ein waſſer aus
dem bronnen/ ſo mit demſelben gleicher natur iſt/ gefloſſen waͤre. Die wort ſelbſt
belangend/ achte ich/ haben wir auff die weiſe zu erklaͤhren/ wie die poeten freyer zu
reden macht haben/ und an die locutiones proprias nicht ſo genau gebunden ſind.
Wie er nun eines orts ſaget: Das leben flieſſet aus GOTT/ und bald nach den
vorigen worten/ mein lebens brunn iſt liebe werth/ ſehe ich dieſes auch an/ als die
erklaͤhrung der vorigen poetiſchen reden/ ſeelen quell/ die fleiſt aus ihm ꝛc. Es
werde nehmlich damit nichts anders gemeint/ als wie unſere ſeel gleich wie andere
creaturen von GOTT erſchaffen iſt/ daß nun das geiſtliche leben/ welches unſer
ſeele aus der widergeburt hat/ aus GOTT flieſſe/ das iſt/ ſeines Geiſts ſtaͤts fortſe-
tzende wuͤrckung ſeye/ und ſie alſo nach ſolchen ihren Goͤttlichen und geiſtlichen le-
ben aus GOTT flieſſe. Wo der liebe autor annoch lebte/ ſo wuͤrde er ſich etwa
beſſer ſelbs erklaͤhren/ und ſeinen verſtand ausdrucken koͤnnen/ als jetzo ich und an-
dere/ es noch nicht dermaſſen vermoͤgen. Jndeſſen ſind wir gleichwohl ſchuldig/
auffs beſte alles zu deuten.


Dieſes iſt mein einfaͤltiges urtheil uͤber die orthodoxiam des commu-
nicir
ten geiſtlichen wachsthums/ da bey ich den guͤtigſten Vater in dem him-
mel anruffe/ daß er aller die Chriſten heiſſen ſollen hertzen mit erkaͤmnuͤß der wahr-
heit und liebe erfuͤllen wolle/ daß ſie weder wieder jene irren/ noch wider dieſe gegen
ihren nechſten in unwiſſenden eiffer ſuͤndigen. Er nehme doch hingegen dieſe ſchaͤd-
liche unart dermahleins hinweg/ welche zu unſerer zeit ſich an ſo vielen orten weiſet/
da man alles auff das beſte verketzeren gar zu ſchnell iſt/ und damit manche ſchwache
ſchwerlich aͤrgert. Er leite auch ihn durch ſeines Geiſtes gnade in alle wahrheit/
und laſſe ihn werden und ſeyen ein tuͤchtiges gefaͤſſe ſeiner gnaden und werckzeug ſei-
ner ehre. 1681.


M m m m 3SECT.
[646]Das ſechſte Capitel.

SECTIO VI.


Mißfallen an einiger eifferer/ die alles niederreiſ-
ſen wollen/ hefftigkeit.


MAs die ſorge betrifft/ daß er zu gelinde gegen die hin und wieder befindliche
fleiſchliche geiſtliche verfahre/ und ſie gleichſam nahmentlich anzugreiffen
verbunden waͤre/ bekenne ich/ daß ich weder deſſen nothwendigkeit noch nu-
tzen ſehe. Es iſt uns nicht befohlen/ fremde knechte zu richten uͤber die wir die auff-
ſicht nicht haben/ und in der beurtheilung uns viel eher verſtoſſen/ als mit verſiche-
rung des gewiſſens verfahren wuͤrden: Sondern wir thun genug/ wo die kirche
insgemein gewarnet wird mit vorſtellung der kennzeichen/ da ſich jeglicher ſelbs/
und die uͤber die er zu urtheilen hat/ daran kennen mag: unterlaͤſſet er ſolches/ ſo
liegt die ſchuld auff ihm. Und bleibe ich immer noch bey meinem alten principio,
wir habens noch zu thun mit gewinnung derjenigen/ die ſich gewinnen laſſen und
folgen wollen/ die uͤbꝛige muͤſſen wir Goͤttlichen gericht/ ſo ohne das nahe genug zu
ſeyen ſcheinet/ uͤberlaſſen.


Man gedencke was Hoburg/ und andere ausgerichtet/ ob ſie der ſache mit
groͤſſer hefftigkeit nicht ſchlimmer gemacht/ und nun verurſacht haben/ daß ihr
dienſt der kirchen unbrauchbar worden/ daraus erfolgt/ weil ſie nicht haben alles
erbauen koͤnnen/ was ſie gewolt/ daß ſie auch das jenige nicht mehr auszurichten
ſich befliſſen/ was ſie noch haͤtten zu thun vermocht/ und gibts eine zeit/ dero chara-
cter
gleichſam ſeyn wuͤrde/ wer nicht mit mir iſt/ der iſt wider mich: ſo mags
auch wieder zu weilen eine zeit ſeyen/ da es heiſſe/ wer nicht wider mich iſt/ der iſt
vor mich.
So viel ich durch Gottes gnade erkenne/ ſo laſſe mir dieſes principium
befohlen ſeyen/ keinen derjenigen/ welche unſre kirche annoch in ihren ſchoß leidet/
mit urſach anzugreiffen und zu offendiren/ ſondern als viel ohne verletzung Goͤtt-
licher wahrheit geſchehen kan/ alle freundſchafft zu erhalten/ daß die jenige/ die das
rechtſchaffene gute nicht ſelbs thun noch befoͤrdern wollen/ auffs wenigſte nicht ge-
reitzet werden und ſcheinbahre urſach bekommen/ ſolches mit fleiß zu hindern. Jch
trage groß bedencken ein hemmer zu ſeyn/ etwas einzuſchlagen/ auch an dem gebaͤu
das ich wohl ſehe/ daß es nicht beſtehen kan/ ſondern ſuche nur an ſteinen zu arbeiten
die der HERR brauchen moͤge/ zur auffrichtung deſſen/ was er verſprochen hat/
und ohne uns vermuthlich durch die hand ſeiner feinde das verdorbene Jeruſalem
(dem beſſern platz zu machen) einſchmeiſſen wird. Jch ſehe vor augen/ wie das ie-
nige abgehet/ wo man das ſchadhaffte einreiſſen will/ daß es nehmlich nicht geſche-
hen
[647]ARTIC. I. DISTINCT. IV. SECT. VII.
hen koͤnne/ daß nicht zu gleich das gute auch mit fellet/ oder doch ein groſſes ſtuͤck deꝛ-
ſelben in die ruinammit gezogen wird; das iſt/ wo mans mit dem corrupto
ſtatu Eccleſiaſtico
und Academico angehen will/ ſo wird viel rechtſchaffenes und
gutes durch ſolche aͤrgernuͤß mit niedergeſchlagen werden/ und ſich auch diejenige
der guten ſache entſchlagen/ die ſonſten zum bauen mit handanlegen wuͤrden/ ge-
ſchweige anderer der kirche drauß entſtehender ungluͤcke. Treibt man aber das
gute mit ſanfftmuth und groſſer gedult/ auch gegen die boͤſe/ ſo wird GOtt die zahl
der arbeiter laſſen zunehmen/ und zu ſeiner zeit ihr werck beſſer von ſtatten gehen
laſſen. Wo endlich ein auff einmahl an allen orten ausbrechendes geſchrey mehr
thun wird/ als das ſchwache geruffe eines und andern eintzelen.


SECTIO VII.


Von einigen durch einen guten freund geſchehe-
henen beſſerungs-vorſchlaͤgen/ ſonderlich betreffend den
beichtſtuhl/ beſtellung der Elteſten/ austheilung des heili-
gen Abendmahls. Wie Prediger ihre gewiſ-
ſen zu retten. Verfall unſerer zeiten und
kirche.


ES hat mich zum erſten dieſes nicht wenig afficirt/ was mein werther bruder
anzeiget/ wie einmahl auch dieſes ein ſtuͤck des Goͤttlichen gerichts uͤber die
welt ſeye/ daß offtmahls in ein und andern wichtigen ſtuͤcken ſo zu der erbau-
ung gehoͤren/ wie die wenigſten mit treuen hertzen hand anlegen wollen/ alſo die uͤ-
brige/ ſo es hertzlich verlangten/ ſo viele hindernuͤſſen vor ſich/ manchmahl auch we-
niger gnade/ krafft und geiſt in ſich finden/ daß immerdar noch weit zuruͤck geblie-
ben wird von demjenigen/ was wir anfangs noch auszurichten gemeinet. Was
auch mich ſelbs anlangt/ dencke offt/ woher es doch komme/ daß da ich die hohe
nothwendigkeit der privat-arbeit erkenne/ und ſelbſt drauff treibe/ dannoch wo ich
auch in der praxi ſolche verſuche/ ſo gar keine oder wenige tuͤchtigkeit bey mir finde/
ſo mir nicht wenige wehmuth erwecket.


Was nun ferner den beichtſtul anlanget/ hat mir meines wehrten bruders
Chriſtlicher vorſchlag ſehr wol gefallen/ und ſehe ich denſelbigen vor ſo bewand an/
daß
[648]Das ſechſte Capitel.
daß damit unſerem gewiſſen trefflich gerathen wuͤrde und ich es ja hertzlich gern auf
die e art an den jenigen orten verlangte/ da nur andere wege zu einer particular
pruͤffang und handlung vor handen ſind. Denn was hieſige ſtatt anlangt/
manglets eben an ſelbiger/ und daß weder der Prediger nach proportion der
leute gnug ſind/ noch dieſelbe in ſolche ordnung ſich aus getheilet finden/ daß jeder
wer zu ſeiner abſondeꝛlichen ſeelen-ſorge gehoͤre/ wiſſen/ und ſie alſo kennen ler-
nen koͤnte. Daher immerdar ein groſſer theil der confitenten ſind/ die er nicht
anders als in der beicht kennen lernet/ und erſt daſelbs vernehmen kan/ wer ſie ſeyen
en/ und wo ſie ſich aufhalten. Weßwegen da wir die privat beicht und abſolu-
tion
haben/ aber zeit und ort derſelben ſo beſchaffen und eingeſchrencket ſind/ daß
uns nur der mißbrauch davon uͤbrig bleibet/ wir hieſige Preder aus trieb un-
ſers gewiſſens bereits vor etlichen jahren bey unſerer Chriſtlichen Obrigkeit um
huͤlffe und den unwiſſen zu ſteuren/ angehalten haben/ daruͤber wir noch/ wie dann
die ſache auffs neue in deliberation ſtehet/ eine gewihrige (die der HErr nach ſei-
ner hertzenlenckenden krafft befoͤrdern wolle) reſolution erwarten. Sonſten
wolte ſelbs nachgethanen vorſchlag lieber die privat-abſolution auff die art/ wie
derſelbe es projectirt/ wo es ohne aͤrgernuͤß der gemeinde und alſo mit der u. anmu-
thig belieben geſchehe (in dem ſonſten der ſchaden des aͤrgernuͤſſes durch keinen ver-
hofften nutzen leicht erſetzet werden koͤnte) abgeſtellet/ oder nur auff die dieſelbige
verlangende reſtringiret zu werden/ bitten helffen/ wo nicht dieſe beyde haupt ob-
ſtacula
ſich ſinden.


1. Daß ich nicht wohl einige andere gelegenheit nach unſers orts bewand-
nuͤß ſehe/ wie wir jeglicher zu der erkaͤntnuͤß ſeiner beichtkinder und ihrer unterſu-
chung kommen koͤnten/ als durch die beybehaltung der privat-beicht und abſolution/
wo ſie nehmlich fuͤglicher eingerichtet wuͤꝛde/ daß man mit jeglichen in geheim etwas
handlen koͤnte. Zwahr iſts nicht ohne/ daß ein ſolcher actus der auffs wenigſte
jeglichen nicht viele zeit geben kan/ zu der unterſuchung nicht allein genug iſt: aber
er gebe doch anlaß bey denen/ welche uns noch unbekant/ einen wenigen verſuch zu
thun/ wie die leute ſtehen/ da ſich bald ſehen laͤſſet/ wo etwa ſonderlich mangel er-
ſcheinet/ auff welchen fall/ nach den man die perſon hat kennen lernen/ ſie nach hau-
ſe beſcheiden/ und mit ihnen ins kuͤnfftige abſonderlich mehr zu handlen gelegenheit
gemacht werden kan. Da ſonſten ohne dergleichen mittel/ perſonen viele jahre hie
ſeyen koͤnnen/ von dero auch nur buchſtaͤbliche erkaͤntnuͤß wir die allergeringſte wiſ-
ſenſchafft nicht erlangen koͤnnen: woran es aber etwa in kleinern und in kirchſpiele
ordentlich abgetheilten orten nicht ſo viel manglen kan.


2. Daß auch dieſes die vornehmſte gelegenheit noch iſt/ daß wir jemand/ der
unordentlich lebet/ mit weniger anderer leute auffmercken (als wo man ſie zu ſich
fordert/
[649]ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECTIO VII.
fordert oder zu ihnen gehet/ daruͤber ſich alle eher beſchwehren) in das gewiſſen re-
den/ und um eine ſolche zeit/ da man ſich etwa einer beſſern diſpoſition des ge-
muͤths verſehen mag/ etwas fruchtbahrliches auszurichten vermoͤgen. Wo dieſe
beyde pnncten nicht waͤꝛen/ ſo riethe ſelbs lieber zu der abſtellung des beichtſtuls od’
einrichtung nach den gethanen vorſchlag; Daher auch ſolches mittel vor das heil-
ſamſte halte an den orten/ da jene incommoda, die ich angefuͤhret/ auff andere
weiſe ihre abhelffliche maaß haben koͤnnen. Es iſt auch eben diejenige art/ welche
derſelbe in Holland uͤblich zu ſeyen meldet/ in meinen eigenen Vaterland/ ſo dann
in Straßbnrg und an andern orten gebraͤuchlich/ daß deswegen/ wo man ſie ein-
fuͤhren wuͤrde/ und denen oben bedeuteten difficultaͤten auff andere art abgeholffen
werden koͤnte/ mit recht keine neuerung/ oder daß in unſerer kirchen ſolches nirgend
angenommen waͤre/ entgegen gehalten werden doͤrffe. Die angefuͤhrte ratio-
nes
ſind auch von gꝛoſſer wichtigkeit: daß ſo wohl der gottloſen boßheit nicht durch die
privat-abſolution geſtaͤrcket/ als der Prediger gewiſſen geſchohnet/ viel unziehm-
licher wahn von der abſolution abgeleinet/ die abſolution widerum auff die erſte
art mit ablegung deſſen/ was in den Papſtum angeklebet worden/ gebracht/ den un-
geſchickten und nicht verſtandenen beichtformuln derwegen benommen/ und die
glaͤubige der beſchwehrlichen nothwendigkeit der beicht (daruͤber ich ſelbs unter-
ſchiedliche mahl gute ſelen klagen hoͤren) uͤberhoben wuͤrden/ daß alſo ſie mit meh-
rern zu bekraͤfftigen nicht noͤthig habe. Weswegen mich ſolches hertzlich freuen
ſolte/ da vernehmen wuͤrde/ daß die ſache in die uͤbung gebracht wuͤrde/ in dem ich
hoffte/ daß ſolchen exempel etwa bald andere folget moͤchten an den orten/ wo man
der beſondern beicht der ſingulorum nicht um der obgedachten urſachen willen noͤ-
thig hat. Jedoch bekenne ich/ daß auch mit dieſer anſtalt nur ſo viel gefruchtet
wuͤrde werden/ als jedes orts der Prediger treu und verſtaͤndig iſt. Dann bey
denen/ welche ſelbs die ſache nicht gruͤndlich verſtehen/ oder denen es um die ſelen
der zuhoͤrer nicht hertzlich zu thun iſt (deren ich aller orten mehr als gut iſt/ angetrof-
fen zu werden ſorge/ ja verſichert bin) wird es doch auch bey jener anſtalt nicht beſſer
hergehen/ als es nunmehr gehet: aber bey allen dergleichen anſtalten iſt gnug/ wo
ſie nur ſo viel ausrichten/ daß rechtſchaffene diener CHRJSTJ/ die das ihrige
gern thun wollen/ ſolches zu thun gnugſam gelegenheit bekommen. So lang wir
ader noch alles in der vorigen unordnung haben/ ſehe ich nicht/ wie ich mein gewiſ-
ſen noch beſſer beruhigen kan/ als daß nicht nur in den predigten oͤffentlich mehr-
mahl/ wo die gelegenheit ergriffen werden kan/ die gemeinde erinnere/ wie die ab-
ſolution
allezeit von uns menſchen/ die in die hertzẽ nicht ſehen koͤñen/ geſpꝛochen den
verſtand nach conditionata ſeye/ wo die leute wie ſie vorgebẽ bußfertig/ daher ihnẽ
nichts mehr gebe/ als zu ergreiffen der wahre lebendige glaube bey ihnẽ ſeye/ worauff
folge/ wo ſie nicht mit auffrichtigen hertzen/ ſolche ſeyen wie ihre beicht lautet od’ lau-
ten ſolte/ daß iſt/ wo nicht reu und haß der ſuͤnde/ der wahre glaube/ und heilige vor-
N n n nſatz
[650]Das ſechſte Capitel.
ſatz in der wahrheit GOTT kuͤnfftig allein zu leben/ ſich finde/ ſo treffe ſie die abſo-
lution
nicht/ ſondern gehe neben ihnen hin/ und ſuche ſo zu reden einen andern/ der
ſo bewand ſeye/ und alſo wie ſie gleichſam der beicht geſprochen wird/ habe derjeni-
ge keinen nutzen davon/ deſſen beicht ſelbſten faſch iſt/ daher ſie mit anmaſſung de-
rer/ ihrer beicht/ vielmehr als ihnen gehoͤrigen/ abſolution ſich nicht nur betroͤgen
ſondern in ſ[uͤ]nden vielmehr weiter verſtrickten: ſondern ich widerhohle dergleichen
ſelbs mehrmahl in den beſondern anſpruch und erinnerung vor der abſoltion/ ſon-
derlich da ich ſorge trage daß es mit ihnen nicht richtig ſeyn moͤchte: weswegen
auch hauptſaͤchlich bequemere zeit und ort hiezu um daſſelbe nachdruͤcklicher/ wo es
noth thut/ vorſtellen zukoͤnnen/ verlange. Damit hoffe doch auszurichten/ daß
kein gottloſer und heuchler/ der nur acht giebet auff das jenige/ was man mit ihm re-
det/ ſonderlich in ſeiner boßheit geſtaͤrckt werden moͤge/ weil er hoͤret/ wie fern und
mit condition er ſich der abſolution anzunehmen habe/ oder nicht. Daͤhnet er
die ſache weiter aus/ und nimt ihn ſo zu reden dasjenige ſelbs/ was man ihn nicht zu
geben bezeuget hat/ ſo wird er ſein gericht ſelbs tragen. Jch hoffe auch/ daß dieſes
keine ſolche profonatio des Goͤttlichen nahmens ſeyn werde/ da man den jenigen/
der ſeiner beicht gleichmaͤßig waͤre/ und alſo dieſen individuo mit dieſer ausdruͤck-
lichen oder doch mehꝛmal bedeuten condition/ wo er wahrhafftig alſo bußfertig ſeye
(dazu eine hoffnung noch ſeyn mag/ ob etwa GOTT dießmahl ſein hertz zu einer
richtigern buß/ als zu andern mehrmahlen/ geruͤhret haͤtte) die abſolution ſpricht/
in dero als denn kein falſum mehr ſtecket/ ſo wenig als in jene predigt von den unter-
gang Ninivaͤ/ der doch nicht erfolgt/ aber daraus zu erſehen geweſſt/ daß jene die ta-
citam conditionem pœnitentiæ
in ſich gefaſſet habe. Mit dieſen betrachtun-
gen gebe ich noch mein hertz zufrieden: Aber ach daß wir ſolcher nicht bedoͤrfften/
und die verfaſſungen und anſtalten insgeſamt der abſicht GOttes gemaͤſſer waͤren.
Jch habe offt dabey gedacht/ daß aus eben dieſem exempel des beichtweſens kund
werde/ wie eine mißliche ſache es mit allen menſchlichen anordnungen ſeye/ die an
beſten gemeint meiſtens an ſtatt des gehofften nutzens/ und etwa neben denſelben/
da noch einer erhalten wird/ eben ſo viel incommoda und beſchwehrden des gewiſ-
ſens nach ſich ziehen: daß es alſo ja wohl daß beſte geweſen waͤre/ allemahl lau-
terlich bey den bloſſen einſetzungen GOttes geblieben zu ſeyn. Auff daß andere/
nehmlich die beſtellung der aͤlteſten zu kommen/ ſo finden ſich freylich auch die je-
nige difficultaͤten/ die mein wehrter bruder bemercket.


Erſtlich iſts gewiß/ daß mancher Prediger nicht nur allein/ die ſache nicht
noͤthig achten oder gern ſehen/ ſondern auch die frucht der anſtalt hindern wuͤrde:
wiewohl auch wiederum/ wo die ſache erſtlich in ſchwang waͤre/ daß man recht
Chriſtliche aͤlteſte eines orts haͤtte/ dieſelbe auch viele maͤngel des Pfarrherren erſe-
tzen/ und an ihn ſelbs beſſern koͤnten. Es giebet aberauch nachmahl die difficultaͤt/
woher wir ſolche aͤlteſten nehmen/ und wo wir ſie jedes orts finden ſolten/ da in den
mei-
[651]ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECTIO VII.
meiſten gemeinden alles ſo ſehr verdorben iſt. Jedoch hoffe abermahl/ wo erſtlich
ein rechtſchaffener treuer Prediger waͤre/ und ihn die huͤlffe ſolcher vorſteher oder
aͤlteſten gegoͤnnet wuͤrde/ daß derſelbe unter ſeiner gemeinde leicht einige Gottſelige
hertzen finden/ oder ſie durch ſein amt in kurtzen geſchickt machen koͤnte/ daß ſie ein ſol-
ches/ was ihnen anvertrauet wuͤrde/ in Chriſtlicher einfalt und doch mit nutzen ver-
richteten.


Alſo auch was wir immer vorſchlagen/ ſo kommet alle die macht darauff an
wie derſelbe wohl anmercket/ wo man ſolche leute finden oder hernehmen koͤnte/ da
iſt dann freylich guter rath theuer/ und da man bey der groſſen zahl der expectan-
ten
nicht weißt/ wo man ihnen dienſt genug verſchaffen wolle/ ſo kommts hinwider/
wo man recht bekehrte und Gottſelige Theologos ſuchet/ dahin/ daß wo mehrere
ſtellen auff einmahl vacirten/ man kaum ſiehet/ wohin man ſich wenden ſolle/ ſol-
che anzutreffen. Unterſuchet man die urſachen/ ſo liegen viele davon an tage: ja iſt et-
wa ſo ſchwehr nicht/ woran es meiſten hohen und niedern ſchulen mangle/ zu zeigen/
ja die ſache ſo deutlich vor augẽ zu legen/ daß mans faſt mit haͤndẽ gꝛeiffen ſolte. Wie
aber kein krancker noch darvon allein die geſundheit wider eꝛlangt/ da er ſeine kꝛanck-
heit erkennet/ ob wohl ſolches ein guter anfang iſt/ ſondern es gehoͤren auch kraͤfftig
und kluͤglich applicirte artzeney mittel dazu/ alſo mag die erkaͤntnuͤß der fehler in
ſchulen und ſonſten/ das uͤbel noch nicht heben/ ſo lang wir die mittel nicht ſehen/ und
ſie zu werck richten koͤnnen/ welche zu der beſſerung noͤthig.


Der Chriſtliche politicus Herr von Seckendorff hat in ſeinen neulichen Chꝛi-
ſtenſtaat
von dieſer und anderer materie viele ſehr heilſame vorſchlaͤge und erinne-
rung gethan/ auch aus andern widerhohlet. Aber ach wie waͤre zu wuͤnſchen/ daß
ſolche dinge nicht insgemein bey den bloſſen wuͤnſchen und verlangen blieben. Was
auch hie in dem wege ſtehe/ iſt abermahl eher zuſehen als weg zu bringen. Jn
ſumma ich ſehe die ſache in dergleichen allgemeinen beſſerungen die man in-
tendirt
und auch intendiren ſolte/ dermaſſen je laͤnger je mehr an/ daß nicht nur
der Satan auch unter uns ſein reich dermaſſen verbollwercket/ und ſich auff alles/
wo man ihm abbruch thun wolte/ laͤngſt vorgeſehen habe/ daß keine geringere als
Goͤttliche krafft da durch zudringen vermag/ ſondern daß auch Goͤttliches gerichte
alſo auff uns liege/ daß man kaum irgend etwas ausrichte/ ſondern muß nach aller
angewendter ſorge und muͤhe damit zufrieden ſeyen/ daß man ſein gewiſſen gerettet
habe/ und das uͤbrige den HERRN befehlen: damit wir alſo/ wo wir die Da-
vid ſeyen/ die den HERRN den tempel noch nicht bauen doͤrffen; erwarten biß
der von ihm darzu von ihm erwehlte Salomon aufftrete/ deme wir in deſſen doch
vorſpahren und vorarbeiten ſollen/ ſo weit wir jetzt zu kommen vermoͤgen/ daß der
von uns geſamlete vorrath ſein werck kraͤfftig befoͤrdere: Wie ich zwar/ je ſchweh-
rer die gerichte anfangen zu werden/ und bald noch ſchꝛecklicher ausbrechen doͤrfften/
ſo vielmehr mich verſichere/ das die zeit einiger erwuͤnſchten hauptbeſſerung uns
nicht mehr fern ſeye/ und bißherigen gleichſam unfruchtbaren unſerm ſeufftzenlein
N n n n 2ende
[652]Das ſechſte Capitel.
ende machen/ hingegen das begihrige verlangen erfuͤllen werde. Jch komme end
lich auch auff den letzten vorſchlag/ daß man nicht eben ſingulis die heilige commu-
nion
reichen doͤꝛffte/ ſondern ſie ſelbſten an der heiligen taffel ſolche zu nehmen ge-
laſſen wuͤrden: ſo pflichte abermal mit meinem wunſch bey: und glaube


1. Daß es vermuthlich auch werde alſo bey der erſten communion hergegan-
gen ſeyen/ daß der HErr JEſus das brod gebrochen/ nachmahl aber nicht eben
jeglichẽ beſonders gegeben/ vielweniger in den mund geſtecket/ ſondern entweder daꝛ-
geleget/ daß jeglich ſein ſtuͤck genommen/ oder dem nechſten gereichet/ der es ferner
und alſo immer einer den andern/ dargeboten/ biß ſie herum gekommen. Wie
auch des kelchs wegen nicht zu zweifflen iſt/ das Chriſtus ihn allein einem gegeben/
und nachmahl ſolche nach einander ihn unter ſich getheilet haben/ wie Luc. 22/
17.
von einem vorgehenden kelch geſagt wird.


2. Bin ich auch dergleichen meinung/ daß eben ſolcher gebrauch in der er-
ſten kirchen behalten worden/ ob ich wol bekenne/ daß mir eben die ort aus der an-
tiquit
aͤt nicht alſo in promptu ſind/ daß dieſelbe dazu anfuͤhren moͤchte.


3. Streitet es nichts wider unſre gemeine lehr/ dann ob wir ſchon lehren/ daß
die reichung und ſegnung die handlungen des Pꝛedigers bey ſolchen actu ſeyen/ ſo
geſchiehet damit gnug/ daß der Pꝛediger denen communicanten die geheiligte
Symbola darſtellet und darbietet/ ſo eben ſo wol ein darreichen iſt/ auch wie erweh-
net/ vermuthlich alſo von Chriſto gebraucht worden.


4. Wo allezeit ſo viele perſonen als platz haͤtten an ſolche heilige taffel ſich zu
mal ſtelleten/ und daſelbs jeder daß ſeinige empfingen/ und andern widerum platz
machten/ haͤtte es auch eine naͤhere gleichheit mit einer tiſch verſamlung/ und gebe
feine erinnerungen. Wie ich auch hoͤꝛe das zu Riga gewoͤhnlich/ daß allezeit ſo
viel zugleich hinzu treten/ als der platz mit ſich bringet/ jedoch nicht ſelbs nehmen/
ſondern von dem Predigern ſo herungehet empfangen: Wo dann eine parthey
weggegangen/ folget eine andere. Wo wir aber auf die exempel der Reformir-
ten gehen wolten/ ſolten wir etwa naͤher dazu kommen/ was hierinnen verlanget
wird. Jndeſſen bekenne gern/ daß nicht wol hoffe/ daß es dazu werde irgend leicht
zu bringen ſeyen/ wie auch nicht ohn iſt/ daß man mit der ſache behutſam umgehen
muͤſte/ in dem leicht nicht geringe aͤrgernuͤß entſtehen koͤnte/ wo nicht kluͤglich al-
len vorgebeuget wuͤrde. Was aber die hoffnung anlangt/ daß damit unſere ge-
wiſſen mehr tranquilliret wuͤrden/ wuͤſte ich eben nicht/ ob ſolches mehr erleichte-
rung machte/ ſondern bey mir ſchiene es faſt einerley/ eine gantze verſamlung zu
dem genuß invitiren und ihnen ſolche himmliſche ſchaͤtze darſtellen/ und einen je-
den beſonders dieſelbe zu geben. Womit ich mich nun in abſicht der unwuͤrdigen
in jenen fall verwahren und troͤſten wuͤrde/ daß es bey mir nicht ſtehe/ ſie abzuhalten/
daß bleibet in dieſen eben ſo wol/ da ich ohne das zu keinem mehr ſpreche/ als daß
ſolches
[653]ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECTIO VII.
ſolches der leib unſers Heylands ſeye/ den er vor ihn dahin gegeben/ und etwa (wo
es gebraͤuchlich) die wunſchwort hinzuthue.


Jch erinnere mich im uͤbrigen allezeit bey dieſer materie, daß nicht ohne ſon-
derbahren bedacht iſt/ daß wir nirgend ein eigentlich gebot finden/ dariñen uns Pre-
digern die communion der unwuͤrdigen verboten werde. Dann der locus
Matth. 7/ 6. der insgemein dahin gezogen zu werden pfleget/ deucht mich weder
directè davon zu handlen (welches hoffentlich gewiß ſeyen wird) noch auch ſich nach
des HERRN abſicht bequem dahin appliciren zu laſſen. Sondern wo wir die
gantze rede anſehen/ iſt die meynung unſers Heylandes/ uns die Chriſtliche klug-
heit gegen unſern nechſten zu recommendiren, wo wir etwa denſelben bruͤderlich
beſtraffen/ oder beſſern wollen/ daß wir ſolches heiligthum denjenigen nicht dar-
werffen ſollen/ die es verachten und uns noch daꝛzu uͤbel tractiren wuͤrden. Ein
mehrers laͤſſet ſich aus ſolchem ort zu uͤberzeugung des gewiſſens nicht erweiſen. Al-
ſo haben wir kein ausdruͤcklich verbot/ ſondern die ſache wird nur unrecht aus an-
dern urſachen/ wegen aͤrgernuͤßes/ wegen ſchadens des unwuͤrdigen communi-
canten
und dergleichen. Was aber ſolche ſachen ſind/ die nicht ausdruͤcklich ver-
boten ſind/ mag manchmal unterſchiedliches dazu kommen/ daß der urſach/ warum
es ſonſten unrecht waͤre/ gleich wichtig iſt/ und alſo hoͤret es auf unrecht zu ſeyen.
Dahingegen was ausdruͤckliche befehl oder verbote ſind/ ſich nicht ſo ableinen laſ-
ſen. So iſt mir auch allezeit ſehr bedencklich geweſen/ daß unſer liebſte Heyland
ſelbs bey den erſten abendmahl wiſſendlich einen unwuͤrdigen dazu gelaſſen hat:
Welches mir nicht nur eine erinnerung iſt/ daß es in der Chriſtlichen kirchen nicht
leicht zu hoffen/ daß es ohne ſolche bleiben werde/ ſondern auch klar bezeuget/ daß
die zulaſſung an und vor ſich ſelbs keine ſuͤnde ſeye/ ſondern aus gewiſſen umſtaͤnden
erſt zur ſuͤnde werde. Worinne ich hoffe/ daß wir nicht ſuͤndigen werden/ ſo wir
einigen troſt vor unſer gewiſſen in gegenwaͤrtigen fall ſuchen: wo wir nur ſonſten
nach unſeren vermoͤgen getrachtet in ſolcher ſache zu thun/ was wir muͤglich befin-
den. Aus allen aber/ wo wir untereinander handlen/ ſehen wir den ſchrecklichen
verfall unſerer zeiten und kirche; Stuͤnde unſere kirche nur zimlicher maſſen in
der ordnung/ darein CHRJSTUS ſie erſtlich geſetzet/ ſo wuͤrde
es ſo vieler ſorge und beaͤngſtigung nicht bedoͤrffen: gleich wie bey andeꝛn
Chriſtlichen hertzen/ wie ſie doch ihr leben recht nach den reglen ihres
Heylandes und ſich fuͤhren koͤnten/ welche einfaͤltig ſind/ und man alſo an
ihnen den richtigen weg findet/ hingegen aber offt aus den verwirreten zuſtand an-
jetzo der gleichen hindernuͤſſen ihn in den weg geworffen ſihet/ da man nicht weißt/
wie man ſolchen pflichten/ ohne mehreren ſchaden und alſo uͤberſchreitung anderer
pflichten/ nachkommen koͤnne (woraus manche angſt und ſeufftzen entſtehen) al-
ſo auch bey uns Predigern in unſern amts verꝛichtungen/ wie gleichfals dieſe an al-
ler nachtruͤcklichſten zu dem wahren zweck der erbauung gerichtet werden koͤnnen.
Es
[654]Das ſechſte Capitel.
Es bekraͤfftiget mich auch ſolches/ ſo offt ich daran gedencke/ immer mehr in der
ſorge/ daß der HERR/ was ſich nicht mehr flicken laͤſſet/ umſchmeiſſen und ſeinen
bau beſſer wieder auf fuͤhren werde/ und vielleicht die ſchwere verfolgung[en]/ ſo uns
von Babel vorſtehen/ bey den ſeinigen dazu heiligen werde.


Ach ſo laſſet uns noch zu unſerer zeit thun/ ſo viel der HERR uns gnade
giebet und die thuͤr oͤffnet/ mit willen des guten nichts zu unterlaſſen/ und unſere
kraͤfften gern daruͤber zu verzehren: in deſſen dabey unaufhoͤrlich zu dem HErrn fle-
hen/ dz er ſeinen knechte gnaͤdig ſeyn/ u. von unſern haͤnden was nicht darinnen iſt
nicht fordern/ ſich ſeines verſtoͤrten Zions dermaleins erbarmen/ die beſtim̃te gericht
mit vieler barmhertzigkeit mildern/ uns in den ſchwereꝛn verſuchungen die vorſtehen
mit krafft zum ſieg ausruͤſten/ endlich die huͤlffe nach ſeiner verheiſſungſchaffen wolle/
daß man getroſt lehren/ dz man getroſt und mit frucht ſein amt in allem thun moͤge.
Gewißlich wo wir damit anhalten werden/ ſo wird der HErr/ ja er muß nach ſei-
ner treue und warheit/ ſeine außerwehlte erretten/ er kan ſich nicht verleugnen/
der GOTT der warheit: Jn deſſen heilwaͤrtige hut regierung ihn und alles was
bey ihnen den HERRN unverruckt lieb hat treulich erlaſſende verbleibe. m. f. w.
2. Dec. 1685.


SECTIO IIX.


Die regeln ſo mir in meinem amt gemacht
habe.


Gegen denMagiſtrat.

1.


MJch niemal in nichts ihrer weltlichen geſchaͤfften einzumiſchen/ oder ihnen
darinnen vorzuſchreiben/ perſonen/ ſonderlich die meinige zu dienſten zu re-
commendire
/ in zeitlichen dingen zu intercediren, ſonderlich vor mich
und meinige nichts zeitliches zubegehren/ damit ich ſo viel freyer in amts ſachen mit
ihnen handlen moͤge.


2. Jn allen dingen/ welche das gewiſſen nicht betreffen/ mich ihnen willig zu
ſubmittiren: Dahero auch keiner onerum mich zu beſchweren/ und alſo des
Miniſterii ehre mehr in ſubmiſſione als exemtione zu ſuchen.


3. Von ihren actionibus nicht temere zu urtheilen/ in dem mir manchmal
die rationes nicht eben voͤllig bekant/ auch die leute mehrern tentationibus un-
terworffen/ daher auch gedult mit ihren ſchwachheiten zu tragen/ gern was moͤglich
iſt zu entſchuldigen/ nim̃ermehr ihre actiones mit verdacht zu beſchweren/ ſo lang
noch beſſeres davon gedacht werden kan/ und in dem hertzen das vertrauen nicht
gegen ſie fallen zu laſſen.


4. Wo
[655]ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECTIO VIII.

4. Wo mit den ſingulis umbgehe/ gern eine ſubmiſſion gegen ſie zu weiſen/
und zwar daß ſie wahrhafftig ſehen/ daß es mir ein ernſt ſeye/ ihren goͤttlichen cha-
racterem
zu erkennen.


5. Jhre fehler und ſuͤnden nicht publicè zu ſtraffen/ wo es nicht die nothwen-
digkeit und vermeidung aͤrgernuͤß erfordere/ aber auch alsdenn auffs modeſteſte,
mehr bitt- und obteſtations-weiſe/ als mit hefftigkeit und harten worten/ daß
immer auch in den beſtraffungen erhelle/ wie man ihr amt darneben ehre; ſonder-
lich aber mit veꝛmahnung an die unterthanen/ daß ſie ohneracht alles was ſie
veraͤchtliches an ihnen zu ſehen meinen/ ſie in ſchuldigen ehren und gehorſam zu hal-
ten verbunden ſeyen; und ihnen die beurtheilung derſelben oder boͤſe nachrede nicht
zu kommen wolle/ ſondern ſie ſich damit ſchrecklich verſuͤndigen/ als die mit gedult
es tragen muͤſſen.


2. Gegen meineCollegas.

1. Ob ich wol der erſte unter ihnen ſeye/ doch in der that zu zeigen/ daß ich
mich meiner prærogativ in nichts/ was meiner perſon und commoda anlangt/
pervaliren oder gebrauchen wolle/ daher mich ſo balden zu betſtunden und vica-
riats-
predigten erbothen/ auch dieſelbe zu thun/ wo es ſeyen koͤnnen/ mehr eine
freude gemacht als mich des beſchweret.


2. Jn dem votiren ihm ihre freyheit nich[t] zu hem̃en/ ja ſelbs mein votum
willig zu retractiren/ wo ich von einen andern [b]eſſere fundamenta hoͤrete: wo
aber eine ſache per majora durch gedrungen/ ſo [i]ch nicht ſo wol nuͤtzlich als ſchaͤd-
lich achtete/ mich dennoch nicht eigentlich zu wid[er]ſetzen/ ſondern zu tꝛachten/ wie
nachmahl bey der execution es ſo eingerichtet [w]uͤrde/ daß es nachmal vorkaͤme
und algemach die beſorgten incommoda ohne [a]ußdruͤcklichen bruch des ſchluſſes
evitiret wuͤrden.


3. Nicht unwillen zu ſchoͤpffen/ wo mir einer von jemand in particulari auff
einigerleyweiſe ſchiene vorgezogen zu werden/ oder meine beichtkinder ſich zu ihnen
wendeten.


4. Wegen der fraternæ correptionis haͤtte hertzlich verlangt/ wie derſel-
ben fꝛeymuͤthige uͤbung ins werck zurichten geweſen waͤre/ wie auch ausdruͤcklich da-
von gehandlet worden: Jch habe aber mit betruͤbnuͤß gefunden/ daß es ſich illo
animorum habitu
nicht wollen thun laſſen/ ſonderen viele mehrere ungelegenhei-
ten als beſſerung daraus zu ſorgen geweſen: daher mit [ſ]euffzen manches unterlaſ-
ſen/ was gern gethan haͤtte/ jedoch nicht vergeſſen das nothwendigſte bey gegebe-
ner gelegenheit mit freundlichkeit zu erinnern.


3. Was die predigten betrifft.

1. Jn der that zu zeigen/ daß ich nichts anders in denſelben als der gemeinde
erbau-
[656]Das ſechſte Capitel.
erbauung ſuchte/ und alſo mich alles zu enthalten/ was die oſtendation der eru-
dition
ſchiene bey ſich zu haben: wie ich ohne das gefoͤrcht/ es moͤchte das creutz
Chriſti durch affectation kluger worte zu nichte werden. 1. Corinth. 1.


2. Mich nach aller moͤglichkeit (auch mit anruffung GOttes darum) zu be-
fleiſſen/ alles was ich vortruͤge deutlich/ verſtaͤndlich und einfaͤltig vor zu tragen/
damit dero zweck moͤchte erhalten werden/ und alſo weil mein natuͤrlicher ſtylus
mit meinen mißfallen etwas ſchwer/ ich aber denſelben leider nicht aͤndern kan/ auffs
wenigſte mich immer mehr nach niederer redens art als nach hoͤher zu beſtreben/
deswegen niemahl auff einige elegantias in phraſi nach zu ſinnen/ ſondern alle-
mahl zu concipiren, wie conceptus mentis es ohngeſucht mir ſuggerirte, ob
ſchon ſaͤhe/ wie es elegantius und nach den reguln Oratoriæ eingerichtet und
mit dero floribus ausgezieret werden koͤnte.


3. Dem affectui animi in der predigt in ſprach und gebaͤrden allemahl den
zaum zu laſſen/ und alſo zu reden/ wie mirs gerade dießmahl ums hertz war/ ohn
einige affectation, daß die zuhoͤrer wahrhafftig an mir den unterſcheid ſehen/ wie
man einmahl kaͤlter/ einandermahl erwaͤrmter/ ein mahl freudig/ ein andermahl
niedergeſchlagener ſeye/ und alſo immer von meiner gemuͤths bewegung/ die ſich in
der rede treulich außdruͤckete/ urtheilen koͤnten/ und nicht in gezwungener gleich-
artigkeit erkennen muͤſſen/ daß es ein bloß ſtudirtes werck ſeye/ welches nachmal
weniger afficirt.


4. Gern mehrmahlen auch vor der gemeinde meine ſchwachheit/ und wo ich
in einigen ſpruch oder materie mir ſelbs nicht genug thue/ oder ihnen eine gewiß-
heit zu geben getraute/ zu bekennen.


5. Sie vielmahls deſſen zu erinnern/ daß ich ſie an mich oder einigen men-
ſchen nicht binden/ noch fordern wolle/ jemahls eigenlich deswegen mir etwas zu
glauben/ weil ich ihr lehrer/ zu deme ſie ein gutes vertrauen haͤtten/
ſolches geſagt haͤtte/ ſondern allesmit GOTTES wort zu vergleichen/ und
allein das jenige/ anzunehmen/ was ſie durch mein anweiſen als GOttes wort/ in
ihrem gewiſſen uͤberzeugt worden/ daß es die wahrheit ſeye: damitſie ſehen/ ich
ſuchte keine herrſchafft uͤber ihr gewiſſen.


6. Wie ich niemahl ohne mehrmahliges anruffen GOTTes vor und nach
dem concipiren, ſo dann da zu predigen ausgehen und auffſteigen ſollen/ die ar-
beit antrete (daran ſo viel als an den meditiren gelegen achte) alſo ſie oͤffters zu
bitten und zu ermahnen/ daß ſie mir und andern ihren lehrern mit ihrem gebet zu
ſtatten kommen moͤchten/ wie ſie ſolches GOTT/ der kirchen/ uns und ihnen ſelb-
ſten ſchuldig ſeyen.


7. Die controverſias ſparſam/ und nicht anders als wo es text und
noth eꝛforderte/ aber auch alsdann mit grund und uͤberzeugung des gewiſſens/ jedoch
ſo
[657]ARTIC. I. DISTINCTIO IV. SECT. VIII.
ſo viel moͤglich noch mit den gelindeſten worten gegen die wideꝛſacher/ und daß man
mehr erbarmen als haß gegen ſie wahrnehme/ auch die zuhoͤrer mehr zur liebe ge-
gen ihre perſonen als feindſchafft vermahne/ zu tractiren: den meiſten zweck der
predigten dieſen ſeyen zulaſſen damit erkantnuͤß GOttes/ der wahre lebendige glau-
be/ und deſſen fruͤchten durch die krafft des goͤttlichen worts in wuͤrckung des heili-
gen Geiſtes in ihren hertzen erwecket und vermehrt werden: als welches das vor-
nehmſte in unſerem amt iſt.


8. Die gottſeligkeit nicht ſo wohl zu treiben mere legaliter und mit bloſſen
ſchelten auff die laſter (ob wohl auch ſolches ad convictionem conſcientiæ zu-
thun) als zu zeigen/ wie ſolche einmahl eine nothwendige frucht des glaubens ſeyen
muͤſſe/ und ohne dieſes der glaube nicht wahrhafftig ſeye/ noch zum troſt dienen koͤn-
ne. So dann vielmehr die hertzen durch vorſtellung der liebe GOttes und theu-
rer uns erzeigten wohlthaten zu erwaͤrmen/ und mit ruͤhmung der ſeligkeit der kin-
der GOTTes auch hie in dieſem leben in der heiligung anzureitzen/ daß mit jener
furcht uns zu ſchrecken/ ſo zur erſten bereitung gehoͤren mag/ abeꝛ die ꝛechte bekeh-
rung der hertzen nicht ausrichten kan.


9. Wo etwas tractirte darauff zu ſehen/ daß alle einwuͤrffe ſo viel derer vorſehen
koͤnte/ abgeleinet/ und alſo den hertzen nach moͤglichkeit alle ausflucht zu ihreꝛ uͤber-
zeugung aus GOttes wort (daß ſie ja ſehen/ es ſeye nicht unſer trieb/ ſondern der
ausdruͤckliche wille GOttes) benommen werde: daher den elenchum in wich-
tigen ſachen niemal mit wenigen zu treiben/ ſondern ihm lieber eine weil gar auff zu-
ſchieben/ biß man gelegenheit haͤtte/ denſelben recht gruͤndlich außzufuͤhren/ es ſeye
dann ſache/ daß ſolches bereits zu andern mahlen und etwa kurtz vorher geſchehen/
und man ſich darauff beziehen koͤnnen/ da auch mit wenigen die beſtraffung geſche-
hen koͤnte: ſonſten ſorgte/ eine gantz kurtze und ohne voͤllig convicirende gruͤnde
thuende beſtraffung/ ſonderlich wann auch harte worte dazu gebraucht werden/
ſeye gleichſam/ wann man in ein feuͤer nur einwenig waſſer ſchuͤttet oder ſpruͤtzet/ ſo
es eher irritiret und ſtaͤrcker brennen macht als außloͤſchet. Alſo auch nach einem
ernſtlichen gethanenen elencho eine weil damit ein zu halten/ wo nicht ſonderliche
rationes die wiederhohlung erforderten/ hingegen den zuhoͤrern zeit zu goͤnnen/ ſich
gleichſam zu beſinnen/ und erſt wieder noch einer weil anzuſetzen.


10. Jn allen wichtigen materien gern an der zu hoͤrer gewiſſen mich zu ad-
dreſir
en/ ob ſie nicht vor GOTT/ der in ihre hertzen ſehe/ ſich uͤberzeugt befinden/
und insgeſamt ſie offt zu der pruͤffung ihrer ſelbſt vor GOttes angeſicht/ und daß ſie
demſelben auff dieſe frage jetzo in ihren hertzen antworten ſolten/ zu treiben. Wel-
ches ich weiß/ offt die meiſte krafft in den predigten gehabt zu haben.


11. Das Evangelium am meiſten zu treiben/ und um ſeines mißbrauchs
willen nichts von den guͤtern deſſelben zu verſchweigen/ aber auch nur zu verwahren/
daß unglaubige ſich deſſen ohne widerſpruch ihres eigenen gewiſſens nicht miß-
O o o obrau-
[658]Das ſechſte Capitel.
brauchen koͤnten; deßwegen einer ſeits die rechtfertigung allein aus dem glauben
mit außſchlieſſung aller wercke ernſtlich und fleißig zu inculciren, aber eben ſo
fleißig zu treiben/ wie der glaube keine menſchliche perſuaſion ſeye/ ſo bey einem
fleiſchlichen leben ſtehen koͤnte/ ſondern wie er in einen ſolchen goͤttlichen licht und
wuͤrckung beſtehe/ ſouns warhafftig allerdings zu andern menſchen machet: und
wo dieſe frucht/ ſich nicht in auffrichtigkeit des hertzens befinde/ daß alle hoffnung
des glaubens nur einbildung und betrug/ dieſe lehre aber die lehre der ſchrifften
Lutheri, und unſerer Evangeliſchen kirchen ſeye.


12. Jn den predigten immer den zuhoͤrern anlaß zu geben/ daß ſie ſich gewehn-
ten in der ſchrifft auch zu hauß fleißig zuleſen/ dahero einige dazu perſuadiret wor-
den/ die hauptſpruͤche in der Bibel ſo bald in der kirche auffzuſchlagen/ um dieſel-
be zu hauß zu wiederhohlen/ ſo dann habe ich in jeder pꝛedigt ein capitel zuꝛ hauß-le-
ction recommandiret,
darinnen die verfaſte materie vor andern enthalten.
Auch ſonſten insgeſamt/ bey ihnen eine begierde zu erwecken/ daß ſie gerne ihren
glauben ſelbs in GOttes wort zu gruͤnden lerneten/ und ſich nicht nur auff ihre
lehre zu beruffen noͤthig haͤtten.


4. Wegen des Catechiſmi.

1. Zwar allezeit zu erſt die worte des Catechiſmi von den kleinen her erzehlen
zulaſſen/ aber das meiſte auff das examen des verſtandes zu wenden/ und dabey
nicht zu foderen/ daß die auditores etwas weiters außwendig als die worte Lu-
theri
wiſſen muͤſten/ ohne daß/ die fertigere auch billich mehr ſpruͤche der ſchrifft ſol-
ten ſuchen in die gedaͤchtnuͤß zu faſſen.


2. Jn dem examine nie ordentlich und von perſon zu perſon zu fragen/ ſon-
dern bald da bald dort/ damit die examinandi immer munter bleiben/ und gefra-
get zu werden gedencken.


3. Niemand in den examine der antwort wegen zu beſchaͤmen/ ſondern wo
es moͤglich/ daß die antwort auff einigen nur ein wenig leidlichen verſtand gezogen
werden kan/ denſelben zur enſchuldigung zeigen/ und hingegen die eigentlichere ant-
wort hin zu zuthun/ wo ſich aber dieſelbe gar nicht zu rechte bringen laͤſſet/ beſchei-
dentlich die antwort ſelbſt zu ſagen: um die examinandos behertzt zu machen/ daß
ſie gerne kommen und ohne furcht antworten.


4. Allemahl zu letzt einige vermahnung hinzu zu thun/ wie man die materie
nun trachten ſolle in das werck zu richten/ und zu zeigen/ was wir auch dabey
von GOTT zu bitten haben.


ARTIC.
[659]ARTIC. II. SECT. I.

ARTIC. II.
Was in die zeit meines in Dreßden
gefuͤhrten amts einlauffet.

SECTIO


  • 1.
    ALs wegen der Oberhoffpredigeꝛ ſtelle in Sachſen zum erſtenmahl ſondi-
    ret worden.
  • 2. Als die Churſaͤchſ. vocation angekommen/ erklaͤhrung an den Ma-
    giſtrat
    zu Franckfurt am Mayn/ deſſelben entſchluß alles zu uͤberlaſſen.
  • 3. Als der Magiſtrat zu Franckfurt das deciſum ob die vocation goͤttlich o-
    der nicht/ nicht uͤbernehmen wolte/ wurde es mit jenes approbation auff
    die erkaͤntnuͤß 5. Chriſtlicher unpartheyiſcher Theologorum geſetzet/ und
    gleich lautendes ſchreiben ad ſingulos abgeſand.
  • 4. An das Churſaͤchſiſche Ober-Conſiſtorium wegen auf ſchubs der reſolution
    uͤber die vocation.
  • 5. An Churſachſen antwort-ſchreiben zu acceptation der vocation.
  • 6. Gleiches innhalts an das Churfuͤrſtliche Saͤchſiſche Ober-Conſiſtori-
    um.
  • 7. Intercipirung der brieffe nicht recht. Der Boͤhmiſten ſinn gegen mich. Wie
    mit ſolchen leuten zuverfahren.
  • 8. Als kurtz vorher mein amt in Dreßden angetreten/ wie den gantzen zuſtand
    angeſehen. Wie noͤthig gedultiges harren.
  • 9. An eine Chriſtliche freundin in Franckfurt. Danckſagung wegen der vorbit-
    te/ was am ſonderlichſten vor mich zu baͤten noͤthig. 2. Timoth. 2/ 24. 25.
    26. Sanfftmuth und ernſt. Zuſtand in Dreßden. Huͤtung fuͤr falſchen
    freunden. Goͤttliche regierung eigenes hauſes. Kuͤnfftige beſſerung.
    Freundliche erinnerung und regeln.
  • 10. Ob ich unſerer kirchen grund-irrthume oder andere irrthume beymeſ-
    ſe.
  • 11. Gefahr unſrer kirchen und verlaſſung von menſchlichen ſchutz.
  • 12. Auff die klagen des mangels der noͤthigen beſondern erbauung: daß man
    zuweilen durch angemaßte freyheit der meinungen ſich darum bringe. Wor-
    an eine fromme ſeele ſich alsdann zu halten habe.

O o o o 213. Als
[660]Das ſechſte Capitel.
  • 13. Als einer mich zu einer hefftigkeit im eyffern antreiben wolte. Vom Apo-
    ſtoliſchen charactere. Von Lutheri hefftigkeit. Von Arndio. Steph.
    Prætorio. Elia Prætorio.
    Wer die heiligung tꝛiebe. Von fleiſchlicher
    furcht. Ob man allezeit was ausrichte. Arbeiten auff hoffnung. D. Hein-
    rich Muͤller.
  • 14. Wegen meiner Dreßdiſchen beruffung. Dabey geſuchte vorſatz. Dieſer zeit
    bewandnuͤß.
  • 15. Auffmunterung an eine Chriſtliche freundin in Franckfurt zu ernſtlicher fort-
    fahrung in den guten.
  • 16. Sonderling. Was vom Papſt zuſorgen. Kaͤtzermacher begierde.
  • 17. Was gegen irꝛige lehren/ ſonderlich der Quaͤcker/ zuthun. Daß denſelben
    irgend unrecht gethan. Daß einige ſolcher lehre wegen im verdacht gezoge-
    ne derſelben unſchuldig halte. Die bekehꝛung der Juͤden. Nicht alle weiſ-
    ſagung noch erfuͤllet. Wichtigkeit ſolcher lehr.
  • 18. Uber (Dan. Kleſchii) Tractat. de beſtia bicorni, die der Koͤnig in Franck-
    reich ſeyn ſoll. Sandhagens gabe in propheticis. Ungriſche gefahr.
  • 19. Gratulation an H. George Albrechten Graffen zu Mansſeld uͤber ſeine be-
    bekehrung von der Roͤmiſchen zu der Evangeliſchen kirchen.
  • 20. An einen Doct. Theologiæ. Was zu unſern zeiten des gerichts auszurich-
    ten. Einigkeit im geiſtlichen ſtande. N. Widrigkeit gegen mich. D. Hin-
    ckelmann bezeugung gegen das Miniſterium. Mein Catechetiſche examen.
    Warum ungefragt angefangen. Allgemein einzufuͤhrende catechiſa-
    tion.
  • 21. Der freunde und feinde an mir fehlende nꝛtheile. Nutzen Chriſtlichen um-
    gangs. Goͤttliche erweckung vieler gemuͤther/ und daraus hoffnung.
  • 22. Falſcher vorwand der orthodoxiæ zu unterdruckung treuer diener Chriſti.
    Abſichtdes Satans darinne.
  • 23. Offentliche ableſung der gantzen heiligen Schrifft. Wie nothwendig. Nu-
    tzende der wol eingerichteten predigten neben ſolcher ableſung.
  • 24. An ein[e]n Chriſtlichen Edelmann/ auffmunterung und wunſch.
  • 25. An einen an einem orth verſtoſſenen Prediger/ da er wieder beruffen wor-
    den. Ob bey uns auch an der lehr mangel. Vater wieder den ſohn.
    Außlaſſung einiger geſaͤnge um der Papiſten willen. Titul der rechtfer-
    tigung. Arbeiten im glauben/ da man keine frucht ſiehet. Gewiſſe hoff-
    nung der beſſerung. Das einige bey der communion von den wein nichts
    bekommen. Quaͤcker nahme. Heilig leben. Neuer menſch. Ob in Pen-
    ſylvaniam
    zufliehen.
  • 26. An eine Prediger witwe. Freude uͤber zunehmede zahl der frommen. Be-
    truͤb-
    [661]ARTIC. II. SECT. I.
    truͤbnuͤß uͤber des ehegatten tod. Es kan derſelben zu viel nachgehaͤnget
    werden. Klage uͤber die traͤgheit. Dieſe unterſchiedlicher art. Was
    dabey zuthun.
  • 27. Quakerismus. Von welchen Theologis die defoꝛderung der gottſeligkeit zu
    erwarten. Recommendation der buͤcher/ darinnen nicht alles richtig.
    Collegium. Das 7. Capitel an die Roͤmer.
  • 28. An einen Studioſum Theologiæ. Art des wahren Chriſtenthums/ wi-
    der den betrug des todten glaubens. Die wahre goͤttliche Theologiæ.
    Dero Methodus. Auffmunterung darzu.
  • 29. Gratulation zu einem Fuͤrſtlichen Hoffprediger amt. Einige erinnerun-
    gen darzu.
  • 30. Antwort auff ein empfangenes tꝛoſtſchreiben an mich.
  • 31. Auff gnaͤdigſten Churfuͤrſtlichen befehl. Aus den acten abgefaſ[t]es beden-
    cken/ worinnen der ſo genante pietismus beſtehen ſolle. Wie dem wercke
    und entſtandener unordnung am beſten zurathen und abzuhelffen.
  • 32. Nochmahliges bedencken uͤber gleichen punct/ als die uͤbrige volumina a-
    ctori
    darzu gekommen.
  • 33. Zwene greuel/ denen man ſich in unſerer kirchen ſonderlich zuwiederſetzten
    dem todten glauben und herrſchafft uͤber die gewiſſen.
  • 34. Mein verhalten/ wann gute freunde mit andern in ſtreit gerathen.
  • 35. Verlangen nach beylegung der gantzen ſache des ſo genanten Pietismi. Dero
    wichtigkeit.
  • 36. Zuruͤttung der gemuͤther der Theologorum, und wie meiſtens von beyden
    ſeiten/ derer die ſtudia und derer die praxin treiben/ gefehlet werde. Groſ-
    ſer ſchade davon.
  • 37. Von [laͤſterung] des guten/ und dero gewiſſen folge. Wahre aͤnderung des
    menſchen wird vor zaubeꝛwerck gehalten.
  • 38. Klage des verderbens/ daß das Chriſtenthum noch nicht gnugſam aufgerich-
    tet. Woran es mangelt. Der ſchade davon. Unſre Pflicht und
    troſt.
  • 39. An Joh. Hirſchen einen blinden leinweber in Frauſtatt. Freude uͤber deſ-
    ſen brieff. Guͤte GOttes/ die den mangel des geſichts in geiſtlichen erſe-
    tzet. Arndts Chriſtenthum. D. H. Muͤller. Lutheri ſchrifften/ ſon-
    derlich kirchen Poſtill. Leſung der heiligen ſchrifft mit gebuͤdrendem be-
    dacht. Sontags feyer. Auch in der woche dem geiſtlichen abzuwarten.
    1. Thim. 5/8. Von verſorgung der ſeinigen erklaͤhret. Gebet aus Bi-
    bliſchen formuln.

O o o o 340. Das
[662]Das ſechſte Capitel.
  • 40. Das gute wird insgemein gelaͤſtert. Dreßdiſches Edict. Der ſpruch
    2. Cor. 12/9. Was vor ſchwachheit. 1. Tim. 5/8. Quedlinburgiſcher ca-
    techiſmus. Beſuchung der predigten an fremden ort. Vorſichtigkeit in
    verrichtung des guten.
  • 41. Bewandnuͤß unſerer zeiten. Starcke bewegung der gemuͤther. Der welt
    widrigkeit gegen das gute: ſonderlich auch der Theologorum. Gewiß-
    heit des ſiegs.
  • 42. Von der klage/ wie wenig man ausrichte. Deſſen urſachen. Hoffnung
    kuͤnfftiger beſſerung. Von dero art.

SECTIO I.


Als wegen der Oberhoffprediger ſtelle in Sach-
ſen zum erſtenmahl
ſondiret wor-
den.


JCh komme auff dasjenige/ was das nachdencklichſte in ſchreiben iſt/ wegen
Herrn von Frieſen Excell. und mit demſelben Eur. Excell. guter gedan-
[c]ken von mir. Wo ich die ſache in der furcht des HERRN erwege/ ſo ſte-
het


1. Dieſes gewiß/ daß einem wahrhafftig Goͤttlichen beruff ſo wenig ich als
einiger anderer mich entziehen koͤnne/ als fern ſolcher in den gewiſſen erkant wird.
Denn der HERR behaͤlt das recht uͤber uns ſeinen diener nicht nach unſerem oder
einiger menſchen ſondern allein nach ſeinem willen zu diſponiren.


2. Ob aber eben dieſes oder jenes von Goͤttlichen beruff oder tentation
zuhalten ſeye/ wird eine ſo viel ſchwehrere ſache zu erkennen/ nachdem das urtheil
aus ſo viel umſtaͤnde gefaſſet werden muß/ welche alle richtig ſeyn muͤſſen/ und zu
weilen ein einiger die gewißheit des θείου in der gantzen ſache kan ſchwaͤchen/ oder
auffheben. So iſt bey mir ohne das eine faſt ſtaͤte irreſoIution in eigenen ſachen/
als der mir niemahl traue/ ein ding approfondirt zu haben/ bleibet alſo bey einer
reſolution faſt immer noch formido oppoſiti. Jch weiß wie ſauer mir die ſache
wordẽ iſt/ von Straßburg hieher zu reſolviren/ u. habe nicht gedacht od’ gewuͤnſchet
daß mich Gott jemahl wieder in gleicher ſorge werde gerathen laſſen. Jch wuſte mir
auch nicht zuhelffe/ nachdem hauff guter freunde einꝛathẽ das gewiſſen nicht ruhig
ſtelle konte/ der ich aus der erfahrung weiß/ wie ſo gar gemein es ſeye daß gute freun-
de auch unwiſſend in ihren einꝛathen auff fleiſchliche dinge eben ſo viel alsauff dasje-
nige/ was allein Goͤttlich iſt zu ſehen pflegen. Vielweniger doͤrffte mir ſelbſt trauen
als meiner ſchwachheit noch mehr bewuſſt. Daher ich in ſolchẽ zweiffel keinen andeꝛn
rath wuſte/ als daß es denen beyden ſtaͤdten Straßburg und Franckfurth uͤberlieſ-
ſe/
[663]ARTIC. II. SECTIO I.
ſe/ ſich uͤber mich miteinander zu vergleichen/ und alſo mich revera paſſive gehalten/
die rationes obs ein Goͤttlicher ruff ſeyen oder nicht ſeyen moͤchte alſo pro u. contra
auffgeſetzt/ dem Magiſtratui uͤbergeben/ und endlichauff welche ſeite ſie Goͤttli-
chen finger erkenten/ deſſen endſcheid erwartet habe; ſo mir zwar biß daher nicht ge-
ringen troſt gegeben hat.


3. Wo dieſe ſache einiger ernſt werden ſolte/ (daran noch zweiffele) ſiehe ſo
ſo vieles Goͤttlich an (1) die intention der bey dem beruff intereſſirten/ welche ja
an meiner wenigen perſon nichts anſehen koͤnnen/ als daß ein gutes vertrauen iſt/
GOTT werde mir das hierzu noͤthige pfund beſchehret haben/ und die arbeit ſeg-
nen: maſſen ich keine fleiſchliche abſicht bey ihnen ne per conjecturam qui-
dem
ſehen koͤnte. (2) Eine wichtige/ ja wohl faſt wichtigſte/ in unſe-
rer gantzen Evangeliſchen kirchen/ alſo eine der vortrefflichſten gelegenhei-
ten/ Goͤttliche ehre zu befoͤrdern/ als jemand meiner condition in der welt finden
kan. (3) Daß ich nicht nur allein dergleichen nie weder geſucht noch gedencken
koͤnnen/ ſondern nicht wohl zu begreiffen iſt/ wie ohne Goͤttliche ſonderliche regie-
rung zu einer ſolchen ſtelle in ein land/ da der reichſte proventus tapfferer Theo-
logorum
/ und welches zu allen zeiten andern tapfere leute mitgetheilet hat/ ein
fremder in vorſchlage komme. Hingegen (4) funde derer gegen rationen nicht
weniger noch von weniger gewicht/ nicht zwar (ob ſchon dieſelbige etwa auch bey ei-
nigen vernuͤnfftig in conſiderationem gezogen werden moͤchten) eines theils die
unvermeidliche invidiam/ oder wo ich dieſe von Chriſtlichen gemuͤhtern nicht ſor-
gen will/ auffs wenigſte betruͤbnuͤß der einheimiſchen/ welche dieſes nicht wohl an-
ders als in contemtum ſui anziehen koͤnten/ und ihnen viele ſeufftzen ausdruͤcken
duͤrfften/ welche hingegen wenig ſeegen bringen; andern theils mein alter/ der ich
das 50. jahr angetreten/ und bereits von etlichen jahren eine ſtarcke declinatio-
nem naturæ
von ihrem vigore bey mir fuͤhle; in welcher bewantnuͤß eine ſolche aͤn-
derung der lufft/ lebens art/ ſpeiſe und trancks (ſonderlich bey einen gebohrnen
Weinlaͤnder/ der ſein lebtag nicht ein monat ſich in bierlanden auffgehalten) faſt
nicht wohl ohne gefahr ſeye/ und die ohne das niederſinckende natur auff einmahl
uͤber einen hauffen werffen moͤchte. Dieſe momenta/ ſage ich/ will ich nicht haupt-
ſaͤchlich urgiren/ als die etwa ihre beantwortung finden moͤchten: Sondern viel-
mehr ſtehen mir als ſtarcke und hohe berge vor/ uͤber die ich noch nicht hinauff ſehen
kan/ eines theils mein eigen unvermoͤgen/ anderntheils meine obligation an hieſi-
ge Chriſtliche gemeinde. Was das erſte anlanget/ ſo meine ich/ ob ſchon wir auff
unſrer tuͤchtigkeit nicht/ ſondern auff GOTTES beruff/ der die
tuͤchtigkeit auch geben kan/ zuſehen haben/ daß gleichwohl unter denen crite-
riis
eines Goͤttlichen beruffs/ davon deſſen wahrheit und gewißheit gehandelt wird/
die beobachtung des von GOTT habenden oder nicht habenden talenti eines von
denen kraͤfftigſten argumenten ſeye: Denn wir der Goͤttlichen weißheit zu zu-
trauen haben/ daß ſie in jeglichen dasjenige werde geleget und bereits gezeiget ha-
ben/
[664]Das ſechſte Capitel.
ben/ wozu ſie ſonderlich demſelben verordnet hat. Nun wo ich bedencke/ daß jede
function etwa ihr ſonderliches habe/ daß darin gleichſam das prædominans iſt/ ſo
darinn erfordert wird/ nebens denen jenigen ſtuͤcken/ die ſich insgemein bey allen
geiſtlichen ſtellen finden muͤſſen/ ſo wird ſich das jenige am wenigſten bey mir finden/
was zu einer ſolchen ſtelle das noͤthigſte. Unter allen dem/ was mir der HERR ver-
liehen hat (davor ihm demuͤthig danck zuſagen habe) iſt das hauptwerck/ ſo viel ich
an mir ſonderlich aus anderer anzeige erkennen ſolle/ einige vis dicendi vor einer
gemeinde/ dahingegen alle meine privat-verrichtungen ziemlich davon enfernet
ſind. Da habe ich nun bißher davor gehalten/ weil der gebrauch ſolcher gabe
vornehmlich platz hat vor einer gewiſſen gemeinde/ daß mir auch dieſes ein zeugnuͤß
Goͤttlichen beruffs ſeye/ da er mir unwuͤrdigen das jenige in mediocri menſura
gegeben/ was darinnen vornehmlſch nutzen kan. Hingegen ſehe ich jene ſtelle an/ daß
das hauptwerck in derſelben ſtehe in prudentia und in einer hertzhafftigkeit. Wie
mirs aber an vielen mangelt; ſo ſind an dieſen beiden ſtuͤcken meine vornehmſte
gebrechen/ und zwar ſolche/ die gleichſam nicht ohne Goͤttliches wunder bey mir ge-
aͤndert werden koͤnnen: Weil ſonderlich dieſer letzte mangel etwas von dem natuͤr-
lichen temperament ziehet. Wie ſchwehr ſolte alſo werden/ zu glauben/ daß
des HERRN wille ſeye/ mich zu einer ſtelle zu ſetzen/ wo eines theils meine gabe
wegen eines an der zahl ſchwaͤcheren Auditorii weniger angemendet wuͤrde/ andern
theils das jenige erfordert werden ſolte/ was ich am wenigſten bey mir finde/ und
deſſen mangel gleichwohl groſſen ſchaden bringen koͤnte. Wie denn die angeruͤhm-
te wichtigkeit des amts/ mit betrachtet dieſes gebrechens vielmehr contra als
pro militiret. Da kommet mir billig zu ſinne/ wie es bey Jeremie heiſſet. c. 12/
5. Wenn dich die muͤde machen/ die zu fuſſe gehen (wo diers am hertz offt man-
geln will/ ſo denn an klugheit der gerechten/ da du es mit noch geringern zu thun
haſt?) Wie will dirs gehen da dn mit den rentern lauffen ſoltſt? (Wie
wirſtu einen muth faſſen/ vor denenjenigen/ derer hoheit mehr ſchrecket/ und in die
geſchaͤfften dich ſchicken/ da eine hohe weißheit noͤhtig iſt) daher mir ſchwehrlich
einbilden kan/ daß der HERR/ dem meine ſchwacheit bekant/ mich zu dergleichen
ſolte beſtim̃et haben/ worzu er mich nicht ausgeruͤſtet. Das andeꝛe betreffend/ ſo bin
zwar meiner gemeinde und hieſiger ſtatt mit einigen ſonderbahren vinculis nicht
verbunden/ aber die allgemeine vincula des unzweifflich Goͤttlichen beruffs zu der-
ſelben/ der liebe gegen ſie/ der liebe unterſchiedlichen gegen mich (ob wohl deren
auch nicht wenig ſeyn moͤgen/ welche eines ihnen verdrießlichen mannes gern loß
kommen moͤchten) die furcht ſehr ſchwehrer ſeufftzen in ſolchen fall wider mich und
dergleichen/ ſind ſo ſtarck/ daß ohne gantz offenbahre zeugnuͤßen des andern Goͤttli-
chen beruffs/ und alſo uͤberzeugung des gewiſſens uͤber denſelbigen/ die verlaſſung
derſelben nicht in gedancken gefaſſet werden koͤnte. Wo aber Goͤttlicher wille
klaͤhrer einleuchtet/ ſo leugne nicht/ daß der HERR damit alle bande zerreiſſet.
Dieſe
[665]ARTIC. II. SECTIO II.
Dieſe ſind diejenige gedancken/ welche ich biß daher gehabt/ und noch ferner in der
furcht des HErren/ dem auch demuͤhtig daruͤber anruffe/ zu uͤberlegen habe. Habe
ſie aber Ew. Exc. allerdings offenhertzig vorſtellen/ und gleichſam meine gantze ſee-
le deroſelben bloͤſſen wollen/ deroſelben ferner Chriſtlich und vernuͤnfftiges gutach-
ten daruͤber mit gelegenheit vernehmen. Von GOTT habe meiſtens die-
ſes zu beten/ daß er ſeinen willen zeigen/ und uns in dergleichen wichtigere ſache
niemahlen einen mißgriff thun laſſen wolte: Es iſt ſeine ehre und ſein werck/ ſo
wird er es auch thun! den 29. Maj 1684.


  • NB.Es hat dieſes ſchreiben ſo viel gefruchtet/ daß man in Dreß-
    den mehr als ein jahr meiner mit ferneren anmuthigen ver-
    ſchonet hat. Nachdem 1685 nach meiner widergeneſung
    wurde auffs neue an mich geſetzet/ es geſchahe aber die
    corre-
    ſpondenz
    inLateiniſcher ſprach/ daher meine antworten hie
    nicht platz haben. Endlich im Mart. 1686 folgte die wuͤrckli-
    che
    vocation.

SECT. II.


Als die Chur-Saͤchſichſchevocationangekom-
men/ erklaͤhrung an den Magiſtrat zu Franckfurt
am Mayn/ deſſelben entſchluß alles zu
uͤberlaſſen.


Hoch Edelgebohrne/ geſtrenge/ Wohl Edel Veſt/ Hoch-
gelehrt/ Wohlfuͤrſichtig/ Hoch- und Wohlweiſe
Jnſonders Großguͤnſtige Hoch-
geehrte Herrn.

Eur. Hoch-Edl. Geſtreng und Herrlichkeit ſeyen nechſt
hertzlichen gebet vor dero wohlfahrt und regierung meine
gehorſame dienſt zu vor.

P p p pEs
[666]Das ſechſte Capitel.

ES iſt denſelben unentfallen/ wie nach des heiligen GOttes weiſer und guͤtiger
direction/ vor nunmehr faſt 20. jahren ich aus meinem damahligen Straß-
[b]urgiſchen kirchen-dienſt ohne mein geſuch und mit gnugſamer uͤberzeugung
Goͤttlichen fingers zu hieſiger gemeinde beruffen worden. Von ſolcher zeit habe
nach dem armen vermoͤgen/ daß mir der HERR verliehen hat/ deroſelben zu die-
nen und an ihr zu arbeiten nicht unterlaſſen/ auch in der hoffnung geſtanden/ bey
ſolcher verrichtung die uͤbrige lebenszeit/ wieviel oder wenig mir der HERR noch
moͤchte beſtim̃met haben/ zu zubringen: Welches auch noch/ da derjenige/ wel-
cher uͤber uns das regiment hat/ ſeinen willen nicht anders ſelbs zeiget/ mein eigenes
verlangen waͤre. Ob denn nun wol auch in den vertrauen geſtanden/ es werde
zu einer aͤnderung niemahl eine ſolche anmuthung kommen/ welche nicht leicht mo-
deſte
und doch ohne verletzung des gewiſſen decliniret werden moͤchte; ſo zeiget
ſich doch faſt nunmehr etwas anders/ welches/ wie andere unerwartete dinge/ mich
nicht wenig in meinem gemuͤth verunruhiget.


Es iſt bereits gegen zwey jahr/ daß aus dem hochloͤblichen Churſaͤchſiſchen
Ober-Conſiſtorio durch eine dritte vornehme hand ich ſondiret worden/ weil der
damahlen noch lebendige Churfuͤrſtliche Oberhoffprediger Herr D. Lucius je mehr
und mehr ableibig und zu ſeinem amt unvermoͤgen wuͤrde/ ob ich dermahleins auff
den fall der ordenlichen vocation zu ſolcher ſtelle/ daran ein groſſes gelegen/ mich
gehorſam verſtehen wolte. Jch habe aber ſo wenige inclination dazu bey mir ge-
funden/ daß vielmehr die vorſtellung der wichtigkeit des amts eine mehrere furcht
eingejaget/ als begierde erwecket; Daher auch mit wahrhafftiger einwendung
meines bey mir befindlichen unvermoͤgens ſolche gedancken abzuwenden getrachtet.
Es ſind aber ſolche anmuthungen an mich ſeither eines halben jahres noch mehr-
mahl/ theils aus dem mittel des hochloͤblichen Conſiſtorii ſelbs/ theils abermahl
durch andere perſonen/ widerhohlet worden.


Da ich aber nicht anders gekont/ als vorige entſchuldigungen zu wi-
derhohlen/ und zu bezeigen/ daß ich zwar einer wahrhafftig-Goͤttlichen beruffung
aller orten zu folgen ſchuldig waͤre/ auch die ſtelle dermaſſen zu der Evangeliſchen
kirche nutzen wichtig erkennte/ daß ich/ wo ich dazu tuͤchtig waͤre/ billich alles
andere zuverlaſſen haͤtte; ich ſinde aber ſothane tuͤchtigkeit ſo gar nicht/ daß ich
nach erwegen allem (wie meine letzte antwort in ſich hielte) nicht ſehe/ wie ge-
dachtes amt ohne ſuͤnde von mir uͤbernommen/ oder von denen/ die mich recht
kenneten/ mir auffgetragen werden koͤnte. Nebens dem ich hingegen einer an-
deren begabterer perſon an meine ſtelle meldung gethan/ die mit mehrerer frucht
ein ſolches vornehmes officium vrwalten koͤnte. Hiemit haͤtte gedencken ſollen/
daß die ſache zu ende ſeyn wuͤrde. Es iſt aber zu gleicher zeit/ als meine letzte/ ant-
wort
[667]ARTIC. II. SECTIO II.
wort unterwegen war/ und indeſſen bemeldter Herr D. Lucius von GOTT
nach ſeinem heiligen rath ſelig abgefordert worden/ auffs neue ſchreiben an mich
eingelauffen/ und bezeuget worden/ daß man einmahl auff meiner perſon bey hoch-
loͤblichen Conſiſtoriio noch verharrete/ und bald darauff/ daß neben andern ich
mit ſonderbahren zeugnuͤß gegen ſeiner Churfuͤrſtliche Durchleuchtigkeit zu deſſen
gnaͤdigſter wahl von demſelben vorgeſchlagen und recommendiret worden ſeye.
Darauff endlichen verſchienen donnerſtag ein pacquet angekommen/ in dem ich
ſo bald das wuͤrckliche und ſolenne gnaͤdigſte vocation-ſchreiben von den Durch-
leuchtigſten Churfuͤrſten zu dero Oberhoffpredigern/ Beichtvater/ Kirchenrath und
Aſſeſſore Conſiſtorii, ſo dann von mehr bemeldten Ober-Conſiſtorio zugleich
deſſen hochgeneigte invitation/ ſamt Churfuͤrſtlichen paß zum abzug/ auch zum
forderſten das von hochgedachter Churfuͤrſtlichen Durchleuchtigkeit an Euer
Hoch Edl. Geſtrengen/ und Herrlichkeit bey gelegte gnaͤdigſte ſchreiben enthalten
gefunden.


Wie ſehr mich dieſes unvermuthete beſtuͤrtzet/ und in meinem gemuͤth unru-
hig gemachet/ weil mir Goͤttlicher wille noch ſo gar verborgen/ kan ich nicht zur gnuͤ-
ge hie austrucken: Wie ich dann auch biß daher nach aller fernern uͤberlegung
und hertzlichen gebet nichts gewiſſes bey mir ſchlieſſen oder zu einer ruhe geben koͤn-
nen.


Einer ſeits bleibet dieſes eine ausgemachte ſache/ daß der hoͤchſte beruffer/ Gott
uͤber alle ſeine diener/ welche er hier und dort in ſeinen weinberg ſendet uñ ſtellet/ eine
ungebundene hand behalte/ dieſelbige zu allen zeiten nach ſeinen willen zu verſehen/
und daß deswegen weder ich noch einiger anderer einen wahrhafftig erkanten Goͤtt-
lichen beruff unter keinem vorwand mich entziehen/ oder von niemand davon abge-
halten werden ſolle: ſondern man wuͤrde hierinnen allerſeits ſich in Goͤttlichem
rath ſchwehrlich verſuͤndigen/ und die widerſetzlichkeit keine gnade nach ſich ziehen.
Anderſeits aber wird mirs ſehr ſchwehr/ ja biß daher noch unmoͤglich/ den Goͤttli-
chen rath und ob ich das werck vor einen wahrhafftigen Goͤttlichen beruff oder
menſchliche wohlgemeinte gedancken/ und alſo eine Goͤttliche tentation/ achten
ſolle/ zu erkennen und zu unterſcheiden. Jn deme beyderſeits die momenta und
urſachen ſehr wichtig ſind/ und in den gewiſſen tieff greiffen.


Auff meiner ſeite ſind die rationen ſehr nachdruͤcklich/ welche mir die ſa-
che dermaſſen vorſtellen/ das GOTTes finger in derſelben bißher geſpuͤhret
worden/ und faſt nicht dermaſſen angeſehen werden koͤnne/ das bloß menſchli-
che anſchlaͤge darinnen ſeyen ſolten.


  • 1. Jſt alles ſolches bißdaher ohne mich und das geringſte mein geſuch o-
    der veranlaſſung geſchehen/ und ich auch ohne das der perſon nach allen den
    P p p p 2uͤbri-
    [668]Das ſechſte Capitel.
    uͤbrigen welche damit zuthun gehabt/ unbekant ohne was Seiner Churfuͤrſtli-
    chen Durchlauchtigkeit ſelbs anlangt/ als welche ſich vor einigen jahren in de-
    ro hieſeyen meines geiſtlichen dienſt zu der heiligen communion einmal gebraucht/
    ich aber weder vor noch nach denſelben heiligen actibus dieſelbe unterthaͤnigſt
    zuſpꝛechen die gelegenheit gefunden/ jedoch (ſo nicht bergen kan) aus dem je-
    nigen/ ſo damal vorgegangen/ eine mehrere innerliche neigung zu dero hohen
    perſon (davon dergleichen folge nicht traͤumen koͤnnen/) in meiner ſeelen ſo bald
    gefuͤhlet. Mit einigen der vortrefflichen Herrn Conſiſtorialen/ deren her-
    tzen der HERR auch alſo gegen mich gelencket/ habe zwahr vor etzlichen jahren
    durch brieffliche correſpondenz einige kundſchafft verlanget; dazu aber al-
    lemahl der HERR auff eine ſolche unſchuldige art mich gefuͤhret/ daß was je-
    tzo geſchiehet/ auch nicht nur per obliquum anfangs geſucht oder dahin appli-
    ciret
    zuhaben gedacht werden kan: mich aber ſonſten ſolcher vortrefflicher
    maͤnner huld/ welche mir in andern ſtuͤcken zu treibung des wercks des HErrn
    eine huͤlffe ſeyen koͤnte/ hertzlich gefreuet/ und daher meine gerettete glaubens-
    gerechtigkeit/
    abermahl duꝛch eine andere Chriſtliche veranlaſſung/ ihnen zu-
    geſchrieben. Wo alſo aus dieſem einigen/ da man etwas nicht ſuchet/ ſondern
    ſolches von freyen auff zu tragen wird/ der goͤttliche beruff allein zu ſchlieſſen waͤ-
    re/ ſo wuͤrde hie kein zweiffel mehr uͤbrig ſeyn.
  • 2. Mag ſolche urſach noch ſo viel ſtaͤrcker werden/ wo ich gar hinzu ſetze/
    daß ich die dazu geſchehene veranmuthungen auff das glimpfflichſte allezeit ab-
    zuleinen geſucht/ andere lieber recommandiren wollen/ und mich darinnen
    auff mein gewiſſen/ welches mich meiner aufrichtigkeit uͤberzeuge/ mit auffrich-
    tigen hertzen auff ſolche art beruffen habe: Daß wo nicht GOTTES hand
    dabey geweſen waͤre/ zugedencken war/ es wuͤrde ſo bald davon abgeſtanden/
    und nach einem tuͤchtigern umgeſehen worden ſeyn.
  • 3. Jndeſſen geſchahe ſolches nicht/ ſondern vielmehr/ da ſonſten es faſt un-
    gewoͤhnlich/ daß von einem ſolchen hohen Herren ohne vorher habende gewiß-
    heit/ daß die perſon folgen wuͤrde/ eine ſolenne vocation wuͤrcklich abgehe/ iſt
    auch in dieſem etwas ſondeꝛliches vorgegangen/ welches ich abermal faſt nicht
    anders als der goͤttlichen regierung/ die ſich in allen offenbahren wollen/ zuzuſchrei-
    ben weiß.
  • 4. Jch ſetze noch dieſen umſtand dabey/ daß das Hochloͤbliche Churfuͤrſt-
    liche zu Sachſen allezeit das land geweſen/ daraus man annerwerts hin wolbe-
    gabte Theologos zu beruffen pfleget/ und es denſelben auch dieſes mal an tapf-
    fern leuthen nicht manglen kan: Dahero wiederum etwas ſonderliches/ daß
    man anders orts her einen mann/ der in einer bloſſen pfarr- und Seniors ſtelle
    biß-
    [669]ARTIC. II. SECTIO II.
    bißher gelebet/ da ſonſten auff den Univerſitaͤten die talenta weiter an ande-
    re bekant zu werden pflegen/ zu beruffen ſich reſolviret.
  • 5. Jch kan auch nicht bergen/ daß mir dieſes einen ſtarcken eindruck in das ge-
    muͤth giebet/ wo ich bedencke/ daß das vor etzlichen mehrern jahren von mir unver-
    ſchuldet hin und wieder außgebrochene boͤſe geruͤchte und verdacht/ eben ſo wol da-
    mal biß in Sachſen erſchollen/ da zwar an dem ſeligen und hochverhienten Herrn
    D. Geiero einen treuen Patronen meiner unſchuld gehabt/ auch bey andern
    dero liebe nicht verlohren habe/ aber gleichwol verſichert bin/ daß es auch nicht er-
    manglet an leuten/ die entweder gern von mir etwas widriges glaubeten/ o-
    der aus leichtſinnigkeit ſich gegen mich einnehmen laſſen: Daß aber zu einer ſol-
    chen ſtelle jemand erfordert werde/ welchen jemal die laͤſterungen geſchwaͤrtzet/
    iſt nicht weniger etwas ſonderliches/ und achte ich eine goͤttliche direction darin-
    nen zu erkennen.
  • 6. Zu dem vorigen umſtaͤnden kommet auch dieſes/ daß der beruff mit
    voͤlliger und deliberirter einſtimmung geſchiehet. Seine Churfuͤrſtliche Durch-
    lauchtigkeit hat nicht nur allein auff die bloſſe recommendation dero Herren
    Conſiſtorialium reflectiret, ſondern auch auff eigene meine kantnuͤſſe und gnaͤ-
    digſtes vertrauen gegen mich ſich beruffen. Das Hochloͤbliche Conſiſtorium
    hat nach langer und etliche jahr gewaͤhrter conſultation, da von mehrern ande-
    ren ſtattlichen leuten gehandlet worden/ ſtaͤts von ſelbſten ſich gegen mich genei-
    get/ und ihr verlangen/ zu dero Collegio bezeuget. So iſt mir auch von be-
    ruͤhmter Univerſitaͤt durch einen trefflichen Theologum darunter geſchrieben
    worden/ daß auch ſolches orts meine wenige perſon nicht unbeliebt zu ſeyen billich
    ſchlieſſe/ und ſolche conſpirantia vota \& deſideria nicht wol anders als einer
    oberern regierung zuſchreiben muß.
  • 7. Eines der vornehmſten haupt ſtuͤcke iſt aber noch ferner/ daß es
    die jenige ſtelle iſt/ / in dero ein mann/ welcher die gaben und ſegen von
    GOTT haben wuͤrde/ ſo vieles ja mehr außzurichten haͤtte/ als in einiger andern;
    wie ich ſie dann vor die wichtigſte unter alle geiſtlichẽ in unſerer gantzen Evangeli-
    ſchen kirche/ auffs wenigſte in Teutſchland/ ſchaͤtze/ und alſo derſelben gantzen cor-
    pori
    auffs hoͤchſte daran gelegen/ daß ſie wol beſetzet werde; daher jegliche ge-
    meinde/ die nicht nur voꝛ ſich/ ſondern auch den gantzen leib/ daran ſie ein glied
    iſt/ mit zu ſorgen hat/ den jenigen willig dazu folgen laſſen ſolte/ wo bey und von
    dem ſo viel gutes zu hoffen waͤre/ indem an einen ort zu ſo vieler gemeinden be-
    ſten etwas geſchehen koͤnte.
  • 8. Jndeſſen ſind gleichwol die bedeutete arbeiten/ bey meinem ſo impor-
    Pp p p p 3tan-
    [670]Das ſechſte Capitel.
    tanten amt/ nicht allzu viele/ noch was das aͤuſſerliche anlangt uͤber die kraͤfften
    eines mannes/ bey dem nunmehr das alter anfaͤngt abzugehen/ und der vorige
    vigor in unterſchiedlichem zu remittiren; auff welches man allezeit auch zuſe-
    hen/ und zu glauben hat/ daß der HERR keinem in dem reich der gnaden zu et-
    was beruffen/ wozu er in dem reich der natur die noͤthige gaben nicht gegeben/
    oder nunmehr zuentziehen angefangen haͤtte. Jch ſehe aber dorten nicht meh-
    rere bemuͤhung/ als mit dero jetzt auch umgehe/ und durch GOTTES gnade
    auſſer der zeit der ſchwachheit ſie nicht zu ſchwehr empfunden.
  • 9. Es mag auch in conſideration kommen/ daß meine ſtelle/ die von
    weniger wichtigkeit gegen jene iſt/ durch vermittlung goͤttlichen ſegens/ und wo
    die jenige/ die dazu zu reden haben/ mit auffrichtigem ernſt und einmuͤthig zu
    der ſache thun wollen/ auff den fall meines abgangs nicht nur durch meine
    bereits habende geliebte Herrn Collegas, ſondern dafern man mit allerſeits be-
    lieben lieber auff die frembde hinauß/ wie einigemal verlauten wollen/ reflecti-
    ren
    moͤchte/ nicht ſo ſchwehr zuerſetzen ſeyn doͤrffte: und traute ich ſelbs alsdañ
    auff verlangen einen mann zeigen zu koͤnnen/ deme es an keinen der recht noͤthigen
    ſtuͤcke zu dieſem amt und der kirchen erbauung manglet/ ſondern ich von ihm das
    vertrauen ſchoͤpffen wolte/ daß er mit mehrer frucht an der gemeinde arbeiten
    koͤnte/ wo ihn der HERR hieher fuͤhren wuͤrde. Dergleichen wir etwa auch
    noch mehrere zu finden der goͤttlichen guͤte zu trauen wolten.

Wolte aber GOTT/ ich muͤſte nicht 10. auch als eine urſach/
ob GOTTES rath mich von hier weg haben wolte anziehen/ weil
ich nemlich/ wie oben gemeldet/ nunmehr faſt 20. jahr allhier in dienſten ſtehe/ und
nach dem wenigen pfund zu arbeiten befliſſen geweſen/ aber leider bekennen muß/
daß ich nicht/ was ich verlangt/ auch hoffen moͤgen/ und GOTT fordern doͤrff-
te/ außgerichtet habe: ſondern es ziehet ſich alle frucht meines amts auff ſehr we-
niges zuſammen/ und ſtehet bey den meiſten allein in einen wenigen wachsthum der
buchſtaͤblichen erkaͤntnuͤß die zahl der ſeelen aber die zu dem rechtſchaffenen weſen/
daß in Chriſto JEſu iſt (dann von der zu erlangen unmuͤglichen vollkommenheit
will ich ohne daß nicht reden) gekommen waͤren/ iſt ſo ſchwach/ daß ich es nie an-
ders als mit betruͤbnuͤß/ ſchrecken und furcht vor GOTTES gericht/ anſehen
kan. Wie ich davor halte/ daß Ewr. Hoch Adeliche Geſtrenge und Herr-
lichkeiten nicht in abrede ſeyen werden/ daß die aͤrgernuͤß zeit meines hieſeyens
nlcht abgenommen/ einige aber/ daruͤber ſo offt geklagt wird/ in unterſchiedlichen
ſtaͤnden nur vielmehr zu genommen haben. Daher ich ſorgen mag/ ob hiemit
der
[671]ARTIC. II. SECTIO II.
der HERR den baum meines dienſtes/ ſo in hieſigen grund zu der frucht nicht
nach deſſen begehren kommen koͤnnen/ anderwerts zu mehrer fruchtbarkeit ver-
ſetzen wolte.


Jch will auch letſtens und 11. nicht bergen/ daß mir dieſes einen ſtar-
cken eindruck in das hertz giebet/ daß ich bißdaher in von mir und meinen gelieb-
ten Herrn Collegis zu mehrer erbauung gethanen petitis die ſehnliche
geſuchte erhoͤrung noch nicht erlanget/ noch dero verſichert bin. Ew. Hoch-
Adel. Geſtreng und Herrlichkeit ſolle billich unentfallen ſeyen/ wie wehemuͤ-
tig nicht nur zu andernmalen/ ſondern vornehmlich 1681. wie unſre klagen
in dero ſchooß geſchuͤttet/ nicht nur die regiernde aͤrgernuͤſſen gezeiget/ und dero
muͤgliche remedirung gebeten/ ſondern auch vernehmlich unterſchiedliches ge-
wieſen/ was unſer amt in der ſonſten noͤthigen frucht maͤchtig hindert/ ſonderlich
in unſrem confuſen beichtweſen: Es ſind auch dieſelbe wiederum in andern
ſchrifften wiederhohlet worden/ und auff oͤffentlicher cantzel aus uͤberflieſſenden
heꝛtzen ſich unſers gewiſſens zu erbauen aͤngſtliche erinnerungen geſchehen. So
laͤugne auch nicht/ das vor einiger zeit her/ wegen freundliche vertroͤſtung un-
ſerer Hochge Ehrten Herrn Scholarchen/ ſo ſich die ſache angelegen ſeyen laſſen
wolten/ einige mehrere hoffnung zur huͤlffe mir gemacht habe. Wann aber
der HERR der gleichwohl alle hertzen in ſeinen haͤnden hat/ es deꝛmaſſen ge-
ſchehen laſſen/ da nun uͤber vier jahr dannoch noch niemal etwas ſchluͤßiges aus-
gerichtet/ ſondern alles durch unzaͤhliche hindernuͤſſen immer zuruͤck geſetzet
worden: So iſt ſolches anſehen mir unterſchiedliche mal alſo vorgekommen/ ob
wolte mir der HERR eben hiedurch zeigen/ daß mein bey mir ſonſt feſt ge-
ſtelltes ſtaͤtes verbleiben allhier/ nicht eben ſo gewiß in ſeinem rath beſchloſſen
ſeye.


Dieſes ſind die jenige urſachen/ denen auch noch mehrere moͤchten beyge-
fuͤget weꝛden/ welche mich zwahr noch nicht gewiß des goͤttlichen beruffs uͤberzeu-
gen/ aber auch ſo viel in meinem gemuͤth vermoͤgen/ ſo ich nicht leugnen kan/ daß
ich eine groſſe ſorge daraus ſchoͤpffe/ der HERR heiſſe mich außgehen/ wohin
ich beruffen werde: Wie auch verſichern kan/ daß unterſchiedliche Chriſtliche
ſeelen/ ſo mich ſonſten gern bey ſich behalten/ aus denſelben geſagt/ einen ſolchen
willen des HERREN zuſehen/ dem ſie zu widerſtreben nicht getrauten. So
ſehen auch Ew. Hoch Adel. Geſtr. und Herꝛlichkeiten das ich hierinnen auff das
anſehen mehrer ehr und einkuͤnfften/ vor mich/ und meinige/ ſonderlich etwa der-
maleins verlaſſende witwe/ ſo dann mehrere ſicherheit und verſetzung von einen
ort/ an dem man einiger gefahr naͤher ſeyn moͤchte/ nicht reflectire, noch dieſel-
b
[672]Das ſechſte Capitel.
be unter die moviren de rationes geſetzt haben will/ als der ich weiß/ daß dieſe in
ſolcher wichtigen ſache kein momentum nicht haben.


Jndeſſen bin auch nicht in abrede/ daß auf der andern ſeiten eben ſo wol wich-
tige rationes ſind/ welche mir die ſache zweiffelhafft machen/ und mit ſich bringen
wollen/ daß bey den gegenwaͤrtigen amt ſtehen bleiben/ und alſo alles als nur eine
Goͤttliche verſuchung/ ob ich mich mehrers/ als in mir waͤre/ vermeſſen wolte/ anſe-
hen ſolte.


  • 1. Bin ich meines Goͤttlichen beruffs allhier ohne zweiffel verſichert/ und muß
    alſo auff der andern ſeiten dieſen auffzuheben der Goͤttliche wille mehr als proba-
    bel
    / und alſo ſtarck ſeyen/ daß deſſen gewißheit jenen auffhebe/ hingegen nichts
    mehr von wichtigen ſcrupuln uͤbrig laſſe. Welcherley gewißheit ich aber noch
    nicht zu ſehen oder zu erkennen vermag.
  • 2. Habe ich dem HERRN HERRN demuͤthig danck zu ſagen/ wel-
    cher ob wohl auch noch leute unterſchiedlicher ſtaͤnde ſeyn moͤgen/ die mich gern
    weg gehen ſehen/ und ſich freuen wuͤrden/ eins ihnen verdrießlichen und ihrer lebens
    art befchwehrlichen mannes loßzuwerden/ dannoch/ als viel ich hoffen kan/ das mei-
    ſte meiner gemeinde in liebe mit mir alſo verbundẽ habe/ hinwider mein heꝛtz auchge-
    gen ſie alſo gelencket/ das von ihnen geriſſen zu werdẽ/ mir eine blutige wunde ſchnei-
    den/ und bey jenen eben ſo wohl nicht wenige ſchmertzen und betruͤbnuͤß erwecken
    doͤrffte. Welches ich billich ohne offenbahrſten andern Goͤttlichen willen verhuͤ-
    ten und nicht verurſachen ſolle/ daß mir ſolche ſeufftzen und thraͤnen/ ſonderlich von
    Gottſeligen hertzen mit auff den weg gegeben wuͤrden/ die mich hart druͤcken moͤch-
    ten. Wie ich dann nicht ohne ſondere bewegung an die ſache zu gedencken ver-
    mag.
  • 3. Moͤchte auch in conſideration kommen/ daß/ ob endlich an mir ſelbs ſo
    groſſes nicht gelegen waͤre/ wie ich gern bekenne/ dannoch ich der gemeinde und ſie
    meiner dermaſſen gewohnet/ daß wir uns untereinander zu erbauen beſſer hoffen
    ſolten koͤnnen/ als ich dergleichen anderwerts zu erwarten/ wo etwa mein alter ſo
    hoch nicht anſtrecken doͤrffte/ nach dem ich erſt in die ungewoͤhnliche geſchaͤffte kaͤ-
    me/ und mich darein zuſchicken lernete/ noch dermahleins einiges nuͤtzliches auszu-
    richten. Was auch meiner ſtelle erſetzuug betrifft/ ob es wohl nicht an von GOtt
    ausgeruͤſteten lenten manglen wird/ moͤchten doch bey ſolcher bewerckſtelligung
    dergleichen difficultaͤten ſich finden/ dero leichten ausgang noch nicht ſo gewiß ver-
    ſehe.
  • 4. Hiezu ſetze billich und ſonderlichſt noch dieſes/ daß mein talentum/ ſo ich
    faſt
    [673]ARTIC. II. SECTIO II.
    faſt einig in einer mittelmaͤßigen gabe der oͤffentlichen predigten
    und catechiſirung zu beſtehen/ ſo viel mich erkennen kan/ achte/
    mir nicht anders vorkommt/ als daß es von dem Herrn zu dieſer
    ſtelle eigenlich gewidmet und darnach gerichtet ſeye/ in dem ſol-
    che bey einen gantz volckreicher gemeinde ihren meiſſten gebrauch ha-
    ben: hingegen in Dreßden ſolte an einer function ſtehen/ da
    die gemeinde aus zwahr viel hoͤhern an ſtande/ aber an zahl we-
    nigern perſonen beſtehet/ aber zu dem catechiſmo keine gelegen-
    heit vor mir ſehe. Woraus folget/ daß die mir vornehmlich
    geeignete gaben daſelbſten ehe weniger als mehr frucht zu ſchaffen
    gelegenheit finden duͤrfften: welches ich gleichwohl mit den wei-
    ſen rath und providenz GOTTes/ der uns kennet/ nicht aller-
    dings reimen kan.
  • 5.
    So vielmehr wo ich dieſes hinzuſetze/ welches mein ſchwehr-
    ſtes anliegen iſt/ daß ich hingegen bey mir die jenige gaben und
    qualitaͤten am allerwenigſten finde/ welche am allermeiſten bey der
    aufftragenden function erfordert werden. Nach meinen begriff
    will dieſes hohe amt einen man haben/ welcher von ungemeiner
    klugheit in allen amtsverrichtungen ſeye/ eine einem Theologo an-
    ſtaͤndige gravität habe/ zu erlangung einer ſolchen autoritaͤt/ die
    ihn zum nachtruck ſeines amts dienlich/ ſo dann mit einer getroſten
    hertzhafftigkeit ausgeruͤſtet ſeye/ nicht nur eine in dem amt noͤthi-
    ge reſolution in ſchwehren ſachen in dem hertzen zu faſſen/ ſondern
    auch dieſelbe ohne turbation des gemuͤtss/ wie es von noͤthen iſt/
    in das werck zu richten. Wie ich aber in den geringern dingen ge-
    gen jene zu rechnen ſo thane klugheit nicht finde/ ſondern ſo offt-
    mahls auch in nach vermoͤgen uͤberlegten ſachen bey dem ausgang et-
    was anders als verhoffet hatte erfahre/ und alſo daß non puta-
    ram
    ſagen muß/ ſo der klugheit zu wider iſt: alſo wird jeder-
    man/ der mich kennet/ befinden/ daß mirs auch an den manglet/
    was natuͤrlicher weiſe zu ſothanen dotibus erfordert wird. Daß
    alſo wo ich hirauff ſehe/ ſo viel ich mich pruͤffen kan (da gleichwohl
    der HERR nicht fordert/ blindlings in eine gefahr hinein zu lauf-
    Q q q qfen)
    [674]Das ſechſte Capitel.
    fen) ich einen gluͤcklichen fortgang jenes amts bey mir nicht voran
    hoffen koͤnte/ hingegen zu ſorgen habe/ wo ich nachmahl dariñen ſtuͤn-
    de/ aber ein vorher wargenommenes unverm[oͤ]gen thaͤtlich erfuͤhre/
    und den ſchaden daraus gewahr wuͤrde/ daß ich daraus faſt unuͤber-
    windliche gewiſſens aͤngſten fuͤhlen doͤrffte/ oder wiederum mit be-
    truͤbnuͤß verlaſſen muͤſſte/ was ich vermeſſen angenommen haͤt-
    te.
  • 6.
    Daher flieſſet aus vorigen/ daß ie wichtiger die ſtelle iſt/ ſo
    vielmehr ſchaden auch durch einen da zu nicht geſchickten mann in vie-
    lerley verſaͤumnuͤß und andern verſtoß ſo leicht erfolgen koͤnte/ als
    ſonſten die hoffnung des guten/ ſo auszurichten/ ein tuͤchtiges
    ſubjectum dazu animiren ſolte. Daher es ſich nicht gleichſam auff ge-
    rath wohl waͤgen laſſet/ man werde nachmahl die tuͤchtigkeit finden/
    weil die gefahr zu groß iſt. Und ob wol bey gantz verſicherten Goͤttli-
    chen beruff auff die eigene tuͤchtigkeit nicht geſehen werden darff/ ſon-
    der ein Moſes und Jeremia fort muß wo der HERR ihn ſendet/
    und von den als dann Geiſt/ mund und weißheit gewiß erwarten
    darff/ der alles ſolches in ſeinen haͤnden hat/ und was uns noͤthig
    ſeye verſtehet/ ſo fuͤrchte ich doch/ es heiſſe GOTT verſucht/ wo
    die frage noch nicht ſo gewiß iſt/ ob GOTT oder menſchen ruffen/
    ſich zu etwas veꝛſtehen/ woꝛinnen uns unſer hertz immer widerſpricht/
    daß wir dazu ungeſchickt ſeyen.
  • 7.
    Jch ſetze nicht unbillich dazu/ daß es mit meiner hoff-predica-
    tur
    ſo wohl eine andere bewantnuͤß habe gegen anderen ſtaͤttiſchẽ pre-
    digamt/ als die ſonſten beyderſeits lebens arten von eiander un-
    terſchieden ſind/ und iſt alſo bey weiten der jenige noch nicht zu je-
    nen tuͤchtig/ der in dieſen noch das ſeinige zimlich gethan haͤtte/ ja wie
    dieſes gewohut/ ſolte faſt eben dardurch zu jenen deſto unbequemer
    worden ſeyen: Wir wiſſen auch insgemein/ daß die hoͤffe/ ſie ſeyen
    wie ſie wollen/ ihre ſonderliche ſchwehrigkeiten/ fehler und kranck-
    heitenhaben/ zu dero nur ein vielmehrers als bey anderm geiſtlichen
    amt
    [675]ARTIC. II. SECTIO II.
    amt noͤthig iſt/ erfordert wuͤrde/ und alſo gewißlich auch ein meh-
    rers als ich an mir finde.
  • 8.
    So iſt gleichwohl auch nicht auſſer acht zulaſſen/ daß ich be-
    reits in dem 52ſten jahr meines alters ſtehe/ und ſo wol vorher/ als
    nach letzter unpaͤßlichkeit nach Gottes willen die kraͤfften des leibes/
    wie oben erwehnet/ den vorigen jahren nicht mehr gleich fuͤhle: und
    etwa zuſorgen ſtehet/ mir ſolche aͤnderung der lufft der natur nach
    ertraͤglich/ oder etwa zu fuͤrchten waͤre/ daß wo ſich das gegen theil
    finden ſolte/ ich aus mangel der geſuntheit zu allem nur ungeſchickt/
    und dem amt mehr eine laſt werdendoͤrffte.
  • Dieſe geſamte rationes haben abermahl ihr nicht geringes ge-
    wicht/ und machen mir ſehrzweiffelhafft/ ob ich jenes vor einen ei-
    genlichen von GOTT wahrhafftig beſchloſſenen beruff halten ſolle.
    Nun kan jederman wol ermeſſen/ nachdem ſo viel daran gelegen iſt/
    daß wir Goͤttliches beruffs verſichert ſeyen/ in dem ein groſſer theil
    der freudigkeit/ des troſtes und des ſegens daran liget/ daß mir
    in ſolchen zweiffelmuth einige reſolution zufaſſen/ ſchwehr/ ja vor
    mich ſelbs unmoͤglich werde. Jch kenne mich darinnen ſelbs/ und
    weiß dieſes mein gebrechen/ daß ich ohne das in eigenen meinen ſa-
    chen wo ſie wichtig ſind/ zu einer ſichern reſolution kaum je mit einer
    feſtigkeit kommen kan: und alſo ſolches hierinnen ſo vielweniger
    zuthun vermag/ alldieweil ich in ſtaͤter ſorge/ dahin ich mich auch
    wendete/ ſtehen muͤſſte/ ich traute mir zu viel oder wenig zu: ich
    wolte mit Jona fliehen/ oder haͤtte vermeßenlich wider das gefuͤhl
    meiner ſchwachheit mich aus fleiſchlichen abſichten zu etwas groſſes
    gebrauchen laſſen.
  • Nun ſolcherley gemuͤthern/ und alſo auch mir in dieſen ſtande/
    iſt allerdins noͤthig/ daß ſie den endlich in der furcht des HERRN/
    da ſie ſelbs Goͤttlichen guten/ wohlgefaͤlligen und vollkommenen
    willen nicht gnug pruͤffen koͤnnen (dazu ich mich auch nicht geneigt zu
    ſeyen beklage) deſſelben anzeige andern uͤberlaſſen/ und ihn alſo von
    denſelbigen erwarten.

Q q q q 2Die-
[676]Das ſechſte Capitel.

Dieſes iſt auch das einige mittel/ worzu ich nach Chriſtli-
chen gebet meine zuflucht nehme/ und des wegen Eure Hoch-Ade-
liche Geſtreng. und Herlichkeiten nach dem ohne das Seine Chur-
Fuͤrſtliche Durchlauchtigkeit den ſelben gnaͤdigſt in ſolchen ge-
ſchaͤfften zugeſchrieben hat/ gehorſamlich und um der liebe willen/
die ſie zu der ehre GOTTES und dero beforderung/ auch ge-
gegen mich/ tragen/ bitte/ ſie geruheten/ dieſes gantze geſchaͤfft
nach den jenigen oben beyderſeits angefuͤhrten rationibus, und wel-
che ſie noch ſelbs dazu ſetzen wollen/ in der forcht und anruffung
des HERREN reifflich zu uͤberlegen: und nach dem ich nicht zweif-
fle/ das ſie dieſe jahr uͤber/ mich beſſer alß ich auch ſelbſten/
kennen haben lernen/ daher wol verſtehen/ ob ich zu ſotha-
ner ſtelle tuͤchtig/ oder wie ich ſorge ungeſchickt/ wo ich/ bey
ihrer lieben ſtatt und bißherige gemeinde/ oder bey einer mir
von ferne anweiſenden ſtelle/ dem Hoͤchſten nach den verliehenen
gaben beſſer und mit mehrer frucht hoffnung dienen koͤnte/ und
alſo auff welche ſeite ſie in ihren hertzen den goͤttlichen finger zu
weiſen/ empfinden/ daß ſie mir alßdann ihre großguͤnſt. mei-
nung/ wornach ich hertzlich verlange/ wiederfahren laſſen wol-
len.


Jch ſtehe in den gutem vertrauen/ Ewre Hoch-Adeliche
Geſtreng. und Herrlichkeiten werden in einer ſolchen wichtigen
ſache/ davor wir dermaleins GOTT dem HERRN noch alle
rechenſchafft zugeben haben werden/ nicht nur allein ſelbs alſo ver-
fahren/ daß ſich dero ſchluß auff nichts fleiſchliches ſondern lau-
terlich auff die jenige dinge/ die der HERR ſelbs in dergleichen
werck angeſehen haben will/ reflexion machen/ dahero ihrer und
anderer kirchen nothdurfft wol gegen einander/ ſo dann meine
kraͤfften und unkraͤfften/ ohne eigene pasſion, ſondern auch mit den
jenigen uͤberlegen welche ſie in ſolchen gewiſſens faͤllen zurath zu-
ziehen noͤthig oder nuͤtzlich achten/ oder wen ſie noch ferner von der
gemeinde druͤber zuhoͤren thunlich finden; auff daß ich alsdann mit
ſo viel ruhigern gewiſſen das jenige/ was von deroſelben hoͤren
wer-
[677]ARTIC. II. SECT. II.
werde/ als meines GOTTES ſtimme/ die mich endlich ſeines wil-
lens verſichere/ anſehen/ mich dadurch zu frieden geben und den-
ſelben folgen moͤge.


Es iſt dieſes auch faſt die jenige art/ wie ich von Straß-
burg zu denſelben gekommen/ da ich mir auch in eigene uͤberlegung
des goͤttlicheu willens nicht gnug that/ und daher meiner damali-
gen Chriſtlichen Obrigkeit die ſache bloſſer dings uͤbergeben habe/
ſo mir auch den goͤttlichen rath in der ſache zuerkennen erklaͤhrte/
und mich hieſiger gemeinde uͤberließ/ auff welchen weg einherge-
gangen zu ſeyen mich noch niemal reuen ſoll/ ſondern mir eine
ſtattliche gewißheit gegeben hat: Daher da ich mich jetzo an Eure
Hoch-Adeliche Geſtreng. und Herrligkeiten addresſire, des troͤſt-
lichen vertrauens gelebe/ daß ſie mir ſolche hohe gunſt und eine
noͤthige antwort nicht verſagen werden.


Jſt es nun/ daß ſie das werck von dem HErrn zu ſeyen bey
ſich befinden/ und alſo nichts darwieder zu reden getrauen/ ſo
werde ſo viel getroſter auch ich mich zu dem gehorſam meines
GOTTES ſchicken/ da ich mit dero ſegen dimittiret werde:
und kan auch denſelben ſolche dimisſion ſo gar niemand uͤbeldeu-
ten/ als wenig man von einigen menſchen fordern kan/ dem erkanten
willen GOttes zu widerſtreben.


Werden ſie aber finden/ daß mein talentum deroſelben ge-
meinde/ nicht aber jene ſtelle/ bequeme/ und daher bey ihro/ nicht
aber bey jene/ mehr frucht zuſchaffen/ und ſie alſo damit einem
haupt-ſcrupel beſtaͤtigen/ ſo kan alßdann mit ſo viel weniger ſor-
ge damit gegen GOTT zu ſuͤndigen/ das jenige auch trachten ab-
zubitten/ was daher gekommen/ das man von meiner wenig-
keit mehr als in mir iſt gehoffet hat: dabey gleichwol auch des
vertrauens bin/ das ſie hie wieder meinem gewiſſen dermaſſen ruhe
ſchaffen werden/ daß ich nicht in aͤngſten und ſeufftzen mein amt bey
ihnen weiter fort treiben muͤſte.


Qq qq 3Jch
[678]Das ſechſte Capitel.

Jch ruffe ſchließlichen den heiligen GOTT und HERRen
der erndte/ welcher in dieſelbe dienere zu ſenden allein die hoͤchſte
macht hat/ demuͤthigſt an/ daß er das gantze werck nach ſeinen goͤttli-
chen rath ſelbs regieren/ in ihren hertzen die jenige weißheit/ ſo zu er-
kaͤntnuͤß deſſen was das beſte/ mein verbleiben oder abgehen/ ſeye/
gehoͤret/ geben ſie von allen fleiſchlichen abſichten/ in dieſer fache
reinige/ hingegen dieſe insgeſamt auff die dinge darauff allein geſe-
hen werden ſolle/ richten/ alſo welches dismahl ſein des HERRN
wille ſeye/ ihnen kraͤfftig einleuchten/ mir aber zu meines gewiſ-
ſens beruhigung und uͤberzeugung von ihnen vorgeſtellet werden
laſſen/ und ſonſten auch insgeſamt mit allen himmliſchen gnaden
und ſegen uͤber ihre liebe kirche/ ſtatt und wehrte perſonen kraͤfftig
walten wolle: Mit welchen gebets wunſch und verſicherung wo ich
ſie werde gleiches gemuͤths den HERRN HERRN in ſeine huld
erlaſſende verbleibe u. ſ. w.


m. Mart. 1686.


SECT.
[679]ARTIC. II. SECTIO III.

SECTIO III.


Als derMagiſtratzu Franckfurt das
dcciſum/ob dievocationgoͤttlich oder nicht/ nicht
uͤber nehmen wolte/ wurde es auff die erkaͤntnuͤß
5. Chriſtlicher
Theologorummit jenesapprobation
geſetzt/ und gleichlautendes ſchreiben anſingulos
abgeſandt.


Goͤttliche gnade/ liecht/ rath/ friede und heyl
von unſrem gecreutzigten Heyland JESU
CHRJSTO!


Hoch Ehrwuͤrdig/ Großachtbar und Hoch-
lahrter.
Jnſonders großguͤnſtiger Hochgeehrter Herr und
in dem HErrn HErrn vielgelieter Bruder.

ES hat der Goͤttlichen providenz gefallen/ nachdem nechſthin
der Churfuͤrſtliche Saͤchſiſche Oberhoffprediger und Conſi-
ſtorii Aſſeſſor
Herr D. Lucius ſelig abgeſchieden/ das werck
dahin zu dirigiren, daß auff des Ober-Conſiſtorii vorſchlaͤge von
Seiner Churfuͤrſtlichen Durchlauchtigkeit meine wenige perſon be-
liebet/ und ſo bald eine ſolenne vocation an mich geſendet worden.
Jch weis mich dabey wol zu beſcheiden/ daß der HERR HERR
allezeit ſeine feeye hand behalte/ ſeine diener gleich wie erſtmals in
ſeinem weinberg zu ſenden/ alſo auch nach ſeinem eigenen belieben
von einer ſtaͤtte deſſelbenan eine andere ſie zuverſetzen/ leugne auch
nicht/ daß ich ſo wol alß jeglicher Theologus einen warhafftig in
dem gewiſſen erkanten goͤttlichen beruff zu folgen/ und alle menſch-
liche
[680]Das ſechſte Capitel.
liche conſiderationes dabey auff eine ſeite zuſetzen/ verbunden
ſeye/ deswegen mich auch goͤttlichem willen ohne widerſtreben un-
terwerffe.


Wie aber nicht alles ſo bald ein goͤttlicher ernſtlicher beruff iſt/
was ein ſolcher erſtmals ſcheinet/ ſondern/ ob wol unter goͤttli-
cher regierung zu weilen menſchliche conſilia mit unterlauffen koͤn-
nen/ wo uns der HERR pruͤffen will/ ob wir uns einige dinge/
die uͤber unſer vermoͤgen/ waͤren unternehmen wolten/ alſo finde
ich ſo wol die materie (auffs wenigſte in der application und praxi)
wie man goͤttlichen beruff zuerkennen habe/ ſehr ſchwehr/ als ſon-
derlich in dieſem jetzigen fall dermaſſen intricat/ daß mein gewiſſen
ſehr verunruhiget iſt.


Jch kenne meine ſchwachheit/ wie ich in wichtigen dingen/
welche mich ſelbſten angehen/ ſehr ſchwehrlich jemal zu einer feſten re-
ſolution
zugelangen vermag/ ſondern in der ſtaͤten ſorge ſtehen blei-
be/ ich traue mir zu viel oder zu wenig zu. Jch habe zwahr ſo bald
meinen geliebten Herrn Collegis die ſachevorgetragen/ in der furcht
des HERRN ſie zu uͤberiegen/ wie ſie ſie finden; ich habe a-
ber von denſelben allein dieſe antwort erhalten/ daß ſie einiges
gottliches in dem gantzen werck zuerkennen erachteten/ jedennoch
nicht ſine gravi formidine oppoſiti, und haͤtten ſie dabey vornem-
lich auff ihre gemeinde zuſehen/ welche meiner bedoͤrffte.


Jch habe folglich dem Hochloͤblichen Magiſtrat, an den von
Churfuͤrſtl. Durchl. auch geſchrieben worden/ mit einem memori-
al
gleichfals das werck vorgeleget/ und die rationes pro \& con-
tra
dargeſtellet/ mit bitte/ mir goͤttlichen willen/ wie ſie ihn er-
kenneten/ zuerklaͤhren. Es iſt mir aber auch die antwort wor-
den/ daß ſie de divinitate vocationis zu urtheilen nicht uͤbernehmen
koͤnten/ als welches den Theologis zu komme; aber ob ſie wol/ da-
fern ich des goͤttlichen willens uͤberzeuget waͤre/ ſich denſelben zu wi-
derſetzen nicht getrauten/ nach ihren verlangen mein laͤngeres ver-
bleiben wuͤnſcheten/ und ihre gemeinde noͤthig achteten.


Wann nun alſo hier dieſes orts die laſt mir auffleget/
und ſelbs eine reſolution zu faſſen zugemuthet wird/ ich abeꝛ
mich noch dazu unvermoͤgend befinde/ und gleichwohl
mir
[681]ARTIC. I. SECT. XXII.
mir ein ſo groſſes daran gelegen iſt/ in dieſer wichtigen ſache den willen des
HErrn zu erkennen/ indem da ich wider deſſelben willen bliebe oder wiche/ ich
mich wenig ſeegens getroͤſten koͤnte/ ſo habe ich in Chriſtlicher uͤberlegung kein
ander mittel mehr uͤbrig befunden/ als etzlichen unpartheyiſchen Chriſtlichen
Theologis, daran gottſelige weisheit und aufrichtige ſorge vor das beſte der
kirchen mir bekannt/ und die mich bruͤderlich lieben/ die ſache auffzutragen/
daß ieglicher derſelbigen/ was er nach hertzlichem und eifrigem gebeth/ ſo dann
reifflicher uͤberlegung der mitkommenden beyderſeits rationum, in ſeinem
hertzen/ als vor GOttes angeſicht das beſte zu ſeyn/ nemlich ob ich hie blei-
ben oder weg gehen ſolle/ befinde/ und alſo/ wohin er den finger des HErrn
uͤber mich zu zeigen erkenne/ mir offenhertzig und poſitivè antwortlich an-
zeige: da ich dieſes demuͤthige vertrauen zu der Goͤttlichen guͤte trage/ (auch
dieſelbe ſamt andern guten freunden dieſe zeit uͤber darum anzuruffen nicht
ermangeln werde/) ſie wird ſolche liebe Chriſtliche freunde mit demjenigen
liecht und weisheit begaben/ daß ſie mir Goͤttlichen willen zeigen/ und ich
auf dero einſtimmung oder die majora unter denſelben/ da ich es in der furcht
des HErrn auf ſolches als das ſicherſte mittel habe ankommen laſſen/ und
hieſiger hochloͤblicher Magiſtrat daſſelbe auch nicht unbilliget/ mich verlaſſen/
und alsdenn/ was der ſchluß ſolcher antwort ſeyn wird/ in dem nahmen des
HErrn zu werck richten moͤge. Wann ich nun von meinem wertheſten
bruder gleichwie einer ungefarbten liebe gegen mich/ alſo auch ſorge vor das
beſte der kirchen/ mich allerdings verſichert weiß/ ſo habe das vertrauen auch
zu demſelben geſchoͤpfft/ und erſuche alſo denſelben um der liebe GOttes
willen/ er wolle die ſache nicht nur allein mit eiffrigem gebeth der heiligen
direction GOttes treulich empfehlen/ ſondern auch nach ſeiner gabe der
weisheit dieſelbe/ vornehmlich nach den rationibus, welche von beyden ſei-
ten abgefaßt ſub lit. A. eingeſchloſſen ſind/ uͤberlegen/ und wohin der HErr
ſein hertz daruͤber lencken wird/ mir aufs foͤrderlichſte (indem ſtarck darauff
getrieben/ und von mir auch aus ſolcher aͤngſtlichen ungewißheit eheſt zu
kommen ſehnlich verlanget wird/) mit wenigem wieder antwortlich bekannt
machen. Es geſchiehet hiermit mir eine groſſe wohlthat/ damit mir gute
freunde in dem nahmen des HErrn endlich den weg zeigen/ den ich wandeln
ſolle/ und ich warte nechſt inbruͤnſtigem gebeth (ſo ohne dem vor dieſelbe
bißher gethan zu haben mit wahrheit bezeugen kan) alle gelegenheit/ wo hin-
wieder mit bruͤderlichen dienſten ſolche liebe erwiedern ſolte koͤnnen/ mir laſ-
ſen hertzlich angenehm ſeyn. Jch ruffe den lieben GOtt demuͤthigſt an/ der
denſelben auch hinwieder mit dem Geiſt der weisheit und der erkaͤnntnuͤß er-
fuͤllen wolle/ den willen des HErrn uͤber mich zu erkennen/ und mich alſo dahin
zu weiſen/ wo/ hie oder anderwaͤrtlich/ derſelbe ins kuͤnfftige meine arbeit am
kraͤfftigſten ſegnen wolle: wie ich verſichern kan/ daß mirs um ſolche erkaͤnntnuͤß
R r r rund
[682]Das ſechſte Capitel.
und den rechten zweck/ ohne andere fleiſchliche nebens-abſichten/ wahrhafftig
zu thun ſeye/ und ferner ſeyn ſolle. Solche himmliſche guͤte ſegne auch in
allen ſtuͤcken deſſelben werthe perſon und heiliges amt/ noch lange ein heilſa-
mes gefaͤß der gnaden und werckzeug zur verherrlichung des groſſen nahmens
GOttes zu ſeyn und zu bleiben. 22. mertz. 1686.


P. S. Jch kan auch einiges nicht wohl aus den gedancken ſchlagen/
was den nechſten tag nach empfangener vocation ſich in meinem hauſe begeben/
daß nemlich meine aͤlteſte tochter (wie meine kinder mit meiner erlaubnuͤß/
und nicht kuͤnfftige dinge dadurch zu forſchen/ ſondern ſich zu weilen mit ein-
ander aufzumuntern/ die ſpruͤche in acht zu nehmen/ und ſich bekannt zu
machen/ welche ihnen zu gefallen mehrmahl zu thun pflegen) abends allein
in dem hauſe ſpruͤche aufſchlug/ wie ſie in dem eingreiffen oder aufthun in dem
N. T. (war die kleine Luͤneburgiſche edition) unter die finger fallen. Da
kam vor mich auff der rechten ſeiten Act. 7, 3. auff der lincken v. 10. ſolches
capitels. Welches ſie mir darauff zeugte/ und mich nicht wenig beſtuͤrtzet/
dann in der gantzen Bibel nichts eigendlichers mit fleiß auffgeſuchet werden
koͤnte/ wo mich GOtt weg haben will. Dergleichen mit faſt einſtimmenden
ſpruͤchen iſt etlichen meinen zuhoͤrern/ ſo von jenem gehoͤret/ auch ſeither
widerfahren.


NB. Etwas dergleichen iſt dem S. Hr. D. Geiern/ als er auch wegen
des berufs nach Dresden beaͤngſtiget war/ und aufſchlagung eines gebetbuchs
(wie er ſelbs bezeuget) begegnet.


Lit. A.
Rationes,
welche angefuͤhret werden moͤgen/ zu erwei-
ſen/ daß in dieſer ſach eine Goͤttliche
vocation
zu erkennen ſey.

  • 1. Jſt die vocation D. Spenern zugekommen/ ohne einiges ſein geſuch/
    directe oder indirecte: Wie dann/ daß derſelbe Sr. Churfuͤrſtl. Durchl.
    ſelbs bekannt worden/ durch die einige veranlaſſuͤng geſchehen/ daß Seine
    Churfuͤrſtl. Durchl. in vorigen jahren/ aus gelegenheit des kriegs/ ſich ſeines
    dienſts zur privat-communion einmahl gebraucht/ auſſer dem er dieſelbe
    niemahl geſprochen: So iſt auch die kundſchafft dererjenigen und denen
    Herren Conſiſtoriahbus, mit denen er zu weilen correſpondirt/ allemahl
    aus anderer veranlaſſung geſucht worden; daß man hieran nicht am wenig-
    ſten gedacht.
  • 2. Hat er vielmehr ſo bald von der erſten zeit/ da etwas prælimina-
    riter
    gegen ihn gemeldet/ und ſeine gedancken ſvadiret worden/ alles auffs
    glimpflichſte und modeſte aus ſo erkaͤntnuͤß als vorſchuͤtzung der dazu ermang-
    lenden
    [683]ARTIC. II. SECT. III.
    lenden qvalitaͤten decliniret/ und auff andere begabtere gewieſen; alſo gar/
    daß in dem letzten ſchreiben/ darinnen er in ſolcher materie nach Dresden
    geantwortet/ ob er wohl erkannt/ daß er ſo wenig als einiger Theologus
    einem wahrhafftigen Goͤttl. beruff ſich entziehen doͤrffte/ doch daß hier jener
    zu erkennen nicht befunden/ und daher mit dieſen worten geſchloſſen: Hæc
    in timore Domini probe expendens, confido, qvod idem mecum ſenſurus
    ſis, nimirum me ſparte tam illuſtri imparem, adeoqve ſine peccato (niſi
    de
    Θείῳ conſilia aliter convincerer) ea mihi nec demandari nec à me ſuſcipi
    poſſe. Deus ipſe, qvem ſuo conſilio deſtinavit, certis characteribus deſignet
    virum \& vobis feliciter jungat.
    Daß es aber (gegen alles ſolches entſchul-
    digen dennoch zu ſolchem ernſt gekommen) ſcheinet/ Goͤttlicher regierung zu-
    zuſchreiben zu ſeyn.
  • 3. Jſt auch faſt ungewohnt/ daß ein groſſer Herr ſo bald eine ſolenne
    vocation
    ſchicket/ da der verſpruch der folge noch nicht geſchehen/ ſondern die
    perſon glimpfflich die ſache zu decliniren ſich befliſſen. Welches ſonderlich
    ebenfalls Goͤttlichen finger andeuten mag.
  • 4. Wie das Churfuͤrſtenthum Sachſen allezeit dasjenige land gewe-
    ſen/ dahin man ſonſten vielmehr ſeine zuflucht genommen/ wo man ander-
    waͤrts hin rechtſchaffene Theologos verlanget/ es auch dieſesmahl an ein-
    heimiſchen tapfferen leuten nicht mangeln kan/ ſo iſt nachmahl etwas unge-
    woͤhnliches/ daß man in die fremde gehet/ und einen beruffen will/ der nichts
    anders als ein Pfarrherr und Senior in einer ſtadt iſt/ da ſonſten die Acade-
    mi
    en vielmehr die pflantz-garten ſind/ wo dergleichen leute geſuchet werden.
  • 5. D. Spener achtet auch dieſes als ein ſonderliches zeichen Goͤttlicher
    providentz/ daß auff ihn die ſache kommen ſollen/ da vor einigen jahren
    gleichwohl ſo barte verdacht und laͤſterungen hin und wieder/ uͤber und wider
    ihn ergangen/ und zwar auch in Sachſen erſchollen: da zwar der S. Herr
    D. Ge[i]er immer ſeine unſchuld erkannt/ auch einige andere ihre liebe nicht
    ſincken laſſen/ andere aber ſich durch ſolche dinge aus leichtglaubigkeit oder
    mit willen einnehmen laſſen: Es iſt aber faſt etwas ungewoͤhnliches/ iemand
    zu ſo wichtigem Amt zu beruffen/ der iemahl mit dergleichen laͤſterungen ge-
    ſchwaͤrtzet worden.
  • 6. Jndeſſen iſt von ſeiten der vocation alles richtig. Jndem Churfuͤrſtl.
    Durchl. auff den vorſchlag des Ober-Conſiſtorii auch aus eigenem belieben
    und gnaͤdigſtem vertrauen die vocation ergehen laſſen. Hochloͤbliches Ober-
    Conſiſtorium aber durch dero recommendation und eigen invitations-ſchrei-
    ben ſeine begierde nach mir bezeuget hat. So iſt auch von einer beruͤhmten
    Chur-Saͤchſiſchen Univerſitaͤt durch einen trefflichen Theologum an mich
    geſchrieben worden. Welcherley conſpirantia vota und deſideria man nicht
    wohl anders/ als Goͤttlicher regierung zu zuſchreiben weiß.

R r r r 27. Die-
[684]Das ſechſte Capitel.
  • 7. Die ſtelle an ſich iſt ſo bewandt/ daß wo zu derſelben ein mannkommen
    ſolte/ welcher die noͤthige gaben und genade hat/ er ſo vieles als in einiger andern
    ſtelle auszurichten vermag/ weil ſo wohl die Hof-Prediger-ſtelle des Hofs
    wegen ſehr wichtig/ als auch an dem Ober-Conſiſtorio, deſſen ſolcher auch ein
    membrum, ein groſſes hanget/ was zum beſten der ſo Saͤchſiſchen als in gewiſ-
    ſer maaß uͤbrigen Evangeliſchen kirchen/ ſo dann einiger Univerſitaͤten/ verlangt
    werden moͤchte. Daß daher zu glauben/ es ſeye ſchwerlich ein anderes amt der
    Evangeliſchen kirchen/ wichtiger als dieſes/ und waͤre alſo iegliche gemeinde/ da
    ſie einen mann haͤtte/ welchen der HErr zu ſolcher ſtelle tuͤchtig gemacht/ und
    ſchiene Goͤttlicher finger ihn dahin zu weiſen/ ſchuldig/ ihn mit gutem willen da-
    hin zulaſſen/ wo er dem gantzen leib/ davon ſie ſich ein glied zu ſeyn erkennet/ die-
    nen moͤchte.
  • 8. Es ſollen auch die arbeiter/ was das leibliche anlangt/ ſo bewandt ſeyn/
    daß ſie nicht mehr kraͤffte erfordern/ als diejenige/ welche er ietzo auch bereits zu
    verrichten pfleget/ und der HErr jene noch biß daher bey ihm erhalten hat.
  • 9. D. Spener haͤlt ſich auch verſichert/ daß ſeine ietzige ſtelle/ wo der Ma-
    giſtrat und das Miniſterium hertzlich und mit redlicher abſicht auff Gottes ehre
    zuſammen ſetzen wollen/ gantz wohl erſetzt werden koͤnne/ daß man an ſeinem
    abſchied nichts verliehren wuͤrde.
  • 10. Er ſorget auch/ es ſeye dieſes ein zeugnuͤß/ daß der HErr ihn ander-
    waͤrts hin verſetzen moͤchte/ weil er mit ſeiner nunmehr zwantzig jaͤhrigen arbeit
    bey weitem dasjenige nicht ausgerichtet hat/ als er gehoffet/ und GOtt von uns
    in unſerm amt fordert. Daher zu hoffen ſtuͤnde/ daß GOtt anderwaͤrts meh-
    reren ſegen moͤchte beſtimmet haben.
  • 11. Er kan auch dasjenige/ daß da in unterſchiedlichen ſtuͤcken er ſamt dem
    gantzen miniſterio in ſteurung gewiſſer aͤrgernuͤß und befoͤrderung der noͤthigen
    frucht unſers amts von dem magiſtratu bereits vor mehr als 4. jahren um huͤlff
    und gute verordnung gebeten/ auch ſolche bitte auf mehrere weiſe wiederholet/ ſo
    dann von denjenigen/ welchen es amts halben vornehmlich zukommt/ die ſache
    vorzunehmen/ von ziemlicher zeit reſolvirt worden/ dennoch alles biß daher durch
    unterſchiedliche hindernuͤß zuruͤck geſetzet worden/ ſich nicht wohl aus dem ſinne
    ſchlagen/ daß nicht ſolche zuruͤckhaltung vor ein werck Goͤttlicher regierung zu
    achten: wie er dann nicht in abrede iſt/ daß ihn diejenige angſt des gewiſſens/
    die aus der unfruchtbarkeit unterſchiedlicher amts-verrichtungen aus ermang-
    lender huͤlff und beſſerer anordnung/ ehe an dieſen beruff gedacht worden/ die
    erſten gedancken gemacht/ obs nicht GOttes willen ſeyn moͤchte/ daß [e]r anders
    wohin gehen ſolte/ da er ſonſten viel ſteiffer an dieſer ſtadt in ſeinem vorſatz
    gehangen.
  • 12. Er leugnet auch nicht/ daß durch die ſache das gemuͤth dazu gebracht/
    daß es ſtracks auff dieſe ſeite/ es werde GOttes wille ſeyn/ dem beruff zu folgen/
    ſich
    [685]ARTIC. II. SECT. III.
    ſich neiget/ und meiſtens zu keiner gewißheit zu kommen/ durch die furcht von
    der wichtigkeit des amts und ſeinem unvermoͤgen ſo dann liebe zu ſeiner gemein-
    de/ abgehalten wird.

Rationes,welche anzufuͤhren/ daß man die ſache nicht
vor einen wahrhafftigen Goͤttlichen rath und beruff
zu achten habe.

  • 1. D. Spener weiß gewiß/ daß er ietzt in einem Goͤttlichen beruff ſtehe/
    der alſo nicht kan auffgehoben werden/ GOtt zeige dann ſeinen andern willen
    auff eine gnugſam erkaͤnntliche art/ ſo er gleichwol biß daher noch nicht zur uͤber-
    zeugung ſeines gewiſſens erkennen koͤnnen.
  • 2. Gott hat die zeit uͤber des hieſigen dienſts ſein hertz mit ſeiner gemoinde
    und des faſt groͤſſeſten theils derſelben mit ihm dermaſſen mit liebe verbunden/
    daß es beyderſeits nicht ohne die empfindlichſte ſchmertzen hergehen wuͤrde/ wo
    man von einander ſcheiden ſolte/ ſonderlich wuͤrde es von vielen zuhoͤrern ſchwere
    ſeuffzen geben; da er doch ihrer billich ſchonen/ und nicht ohne die gewiſſeſte ver-
    ſicherung Goͤttlichen willens dasjenige ihnen ausdrucken ſolle/ was in dem an-
    dern fall ihn ſonſten noch ſchwerer drucken und keinen ſegen bringen wuͤrde.
  • 3. Der dienſt derjenigen/ die in einem amt eine gute zeit lang geſtanden/
    und dero man gewohnet iſt/ nutzet gemeiniglich/ auch bey wenigern gaben dan-
    noch mehr/ hingegen in einem amt/ das man neu antritt/ waͤhrets eine gute weil/
    biß man auch dazu kommt/ daß man auch recht frucht ſchaffen koͤnne. Und ſtehet
    ſehr dahin/ nachdem D. Spener anfaͤngt/ ſeines alters laſt zu fuͤhlen/ ob er hoffen
    moͤge/ vieles daſelbſt zu fruchten/ da ſonſt bald ſein ende moͤchte nahe ſeyn/ ehe er
    ſich noch recht in die neue geſchaͤfften ſchicken lernen.
  • 4. Muß er ſorgen/ daß ob zwar/ in ſo vornehme und wichtige ſtelle/ dan-
    noch ſeine gaben moͤchten wenigeꝛ frucht bringen/ als in der gegenwaͤrtigen/ dann
    weil alles/ was ihm unverdient die Goͤttliche guͤte gegeben/ in einer mitteimaͤßigen
    gabe der predigten und dem cathechiſiren beſtehet/ ſo ſiehet er zu dem letzten keine
    gelegenheit/ zu dem erſten aber ein zwar vom ſtande hoͤheres/ aber von deren zahl
    ſchwaͤcheres auditorium, da doch jens ihre meiſte frucht in der menge der zuhoͤrer
    finden ſolle.
  • 5. Hingegen diejenige klugheit in allerley geiſtlichen geſchaͤfften/ die hertz-
    hafftigkeit/ Theologiſche gravitaͤt und andere dergleichen gaben/ welche zu die-
    ſer ſtelle die wichtigſten ſeyn moͤchten/ findet er nicht bey ſich/ hat auch wenig na-
    tuͤrliche hoffnung darzu zu kommen. Muß alſo billich foͤrchten/ wo er dazu ſich
    verſtuͤnde bey dieſem ſeinem ſcrupel/ er dannoch in der erfahrung ſelbſt ſolchen
    mangel findende/ in ſteten aͤngſten ſtehen/ und entweder wiederum qvittiren
    oder immer ſorgen muͤſte/ daß durch ihn an dem werck des HErrn mehr verſaͤu-
    met als nutzen geſchaffet werden moͤchte.

R r r r 36. Daher
[686]Das ſechſte Capitel.
  • 6. Daher es nicht weit von einer vermeſſenheit zu ſeyn ſcheinet/ wo ſich ei-
    ner/ der ihm ſolches mangels bewuſt iſt/ zu einer ſo wichtigen function uͤberreden
    lieſſe/ an dero untuͤchtiger beſtellung der kirche eben ſo viel ſchade geſchehen doͤrff-
    te/ als man nutzen von einer wahrhafftig darzu von GOtt ausgeruͤſteten perſon
    hoffen ſolte: Daher will ſichs nicht auff ein gerath-wohl wagen laſſen. Und ob
    wol in dem fall/ daß man Goͤttl. beruffs bereits voͤllig verſichert iſt/ auf die eigene
    tuͤchtigkeit nicht zu ſehen/ ſondern von dem welcher ruffet auch was dazu noͤthig zu
    erwarten iſt/ in dem er geiſt und weisheit demjenigen geben wil uñ kan/ welcher ſich
    ihm in kindlichem gehorſam uͤberlaſſen. So mag dennoch in dem fall/ da noch von
    der gewißheit des beruffs geredet wird/ die fuͤhlung der eigenen ſchwachheiten
    ſtarckes momentum ſeyn/ daß der HErr denjenigen zu einem werck nicht werde
    verordnet haben/ deme er dazu die noͤthige gaben nicht verliehen.
  • 7. D. Spenern ficht auch hart an/ daß die hof-prædicatur ſo wol eine an-
    dere art von dem uͤbrigen predig-amt habe/ als das hof-leben von anderm leben
    unterſchieden iſt; weiß auch wohl daß alle hoͤfe ihre ſchwere maͤngel und kranckhei-
    ten haben/ dazu geſchicktere medici gehoͤren/ als er ſich davor erkennen kan.
  • 8. Er erweget gleichfalls/ daß er nunmehr in dem 52. jahr ſeines alters ſte-
    he/ und von unterſchiedlichen jahren der vorige vigor der natur ſehr abgenommen
    habe/ daher zu ſorgen/ es moͤchte dieſe groſſe aͤnderung in ſolchem alter derſelben
    ſchwer fallen/ und ſo bald um die geſundheit vollends gethan ſeyn/ daß er dem amt
    nur eine laſt und zu den geſchaͤfften untuͤchtig ſeyn wuͤrde.
  • 9. Er ſihet auch zwar daß ſeine ſtelle nicht ſo gar ſchwer unter gewiſſen con-
    dition
    en moͤchte erſetzt werden/ aber ſihet auch dabey daß ſolche conditionen ſich
    ſchwer erfuͤllen laſſen/ und muß in betrachtung unterſchiedlicher umſtaͤnde ſo bald
    zweiffeln/ ob die beſtellung ſo nach wunſch geſchehen wuͤrde.
  • 10. Vernimmt er nicht nur ein ſehnliches verlangen der meiſten gemeinde
    nach ſeinem verbleiben/ ſondern der Magiſtratus, ob er wol Goͤttlichem willen/ da
    er ihn erkennete/ nicht widerſtreben zu wollen ſich erklaͤhret/ begehret angelegenheit
    ihre gemeinde nicht zu verlaſſen/ alſo auch das miniſterium, ob es wohl nicht in
    abrede iſt/ daß einiges Goͤttliches in der ſache erkannt werde/ bezeuget dannoch da-
    neben/ daß eine groſſe formido oppoſiti dabey ſeye: und kan auch keine uͤberzeu-
    gung des gewiſſens Θείῳ dabey finden.

Einigerationes,ſo noch von einem hochloͤblichen
Magiſtratuhinzu geſetzt werden.

  • 1. Daß ſie davor halten/ es waͤre ſein amt biß daher dermaſſen von GOtt
    geſegnet worden/ daß unterſchiedliche aͤrgernuͤſſe geſteuret/ hingegen gutes befoͤr-
    dert worden.
  • 2. Sie meynen urſach zur ſorge zu haben/ daß eine dißmahlige verlaſſung
    der gemeinde vieles ſolches gute wieder umſchlagen/ und alſo dieſelbe nicht ohne
    der
    [687]ARTIC. II. SECT. III.
    der kirchen ſchaden geſchehen moͤchte/ daruͤber aber/ da er es dermahleins erfuͤhre/
    er ſich billich ein ſchweres gewiſſen machen ſolte.
  • 3. Sie ſehen nicht ſo bald einige perſon/ ſo an die ſtelle zu ſetzen/ vielmehr
    aber unterſchiedliche difficultaͤten/ welche auch ihre gute intention in ſolchem
    werck unfruchtbar machen doͤrfften.
  • 4. Nachdem unterſchiedliche gefahr der Evangeliſchen kirche dieſer gegend
    ſich mehr und mehr aͤuſſere/ und die gefahr ihnen vor vielen andern naͤherkomme/
    wuͤrde ihnen der abgang eines bißher gepruͤften lehrers ſo viel ſch[w]ehrer und
    ſchaͤdlicher.
  • NB. Auff dieſes ſchreiben haben alle 5. Theologi einmuͤthig die vocation
    vor Goͤttlich und mich zur folge verbunden erkannt.

SECTIO IV.


An das Churf. Saͤchſ. Ober-Conſiſtoriumwe-
gen aufſchubs der
reſolutionuͤber dievocation.
Goͤttliche gnade/ liecht/ friede und ſegen von unſerm gecreutzigten
Heiland JEſu Chriſto.


Hoch-wohlgebohrner Frey-Herr.
Hoch-Ehrwuͤrdige/ Wohl-Edle/ Veſt und Hochgelahrte Herren/
Hochgelahrte Herren und groſſe
Patronen.

WAs E. Hochherrl. Gn. Excell. und Hochwuͤrden nebs dem gnaͤdigſten
Churfuͤrſtlichen ſchreiben an mich gelangen laſſen/ habe ich wohl erhal-
ten/ und daraus ob zwar mit nicht weniger beſtuͤrtzung verſtanden/ was
Sr. Churfuͤrſtl. Durchl. gnaͤdigſtes abſehen und wuͤrckliches begehren/ ſo dann
E. Hochherrl. Gn. Exc. und Hochwuͤrden großguͤnſtiges anſinnen an mich ſeye:
da ich aus demjenigen/ was bißher vorbereitungsweiſe eines theils an mich zuſen-
d
irte anwuͤrffe geſchehen/ andern theils ich nicht anders vermocht/ als aus erkaͤnt-
nuͤß meiner ſchwachheit ſolche zu decliniren/ vermuthen ſollen/ es werde zu ſolchem
ernſt nicht kom̃en. Dem HErrn iſt bekañt/ in was vor unruh des gemuͤths ich dieſe
zeit uͤber zugebracht/ um ſo viel mehr/ da ich derienigen ort/ wo ich etwa meine ver-
ſicherung gehoffet/ mein verlangen voͤllig nicht eꝛhalten koͤnnen Wie dann ſo bald
den nechſten tag nach dem empfang einen auſſerordentl. conventum meiner col-
legarum convoc
iret/ und von ihnen bruͤderlich begehrt mir zu oͤffnen/ wie ſie ſolche
ſache anſehen. Wie aber auch dieſelbe ſich nicht wenig conſterniret/ alſo bliebe
es dabey/ da ſie nicht laͤugnen koͤnten/ einiges Goͤttliches in dem werck anzuſehen/
daß gleichwohl eine groſſe formido oppoſiti dabey ſeye/ nechſt dem ihnen die noth-
durfft ihrer gemeinde vor andern billich zu hertzen gehe. Auff ſolches habe auff
den
[688]Das ſechſte Capitel.
den nechſten raths-tag bey hieſigem hochloͤbl. Magiſtratu, als meiner von GOtt
geſetzten Obrigkeit ein memorial eingegeben/ und in der furcht des HErrn die
rationes, welche mich einen wahrhafftigen Goͤttlichen beruff zu erkennen lernen
wolten/ und hinwieder die andere/ welche den Goͤttlichen willen auf das hier-
bleiben vielmehr zoͤgen/ vorgelegt; mit bitte/ nachdem ſie mich/ was an mir waͤre
oder nicht/ beſſer kennꝛten/ ſolches werck reifflich zu uͤberlegen/ und ob und wie ſie
Goͤttlichen finger darinn erkenneten/ zu verſicherung meines gewiſſens/ als wel-
ches allein begierig ſey/ GOttes willenuͤber ſich zu erfahren/ ihren ausſpruch mir
großguͤnſtig mitzutheilen/ darauf nechſten Freytag/ da aber auf die poſt zu ant-
worten zu ſp[aͤ]th ware/ mir wiederum die antwort worden/ daß ſie ſolche frage de
divinitate vocationis,
als die den Theologis zuſtuͤnde/ nicht zu ihrer entſchei-
dung uͤbernehmen koͤnten/ in dem uͤbrigen/ wo es muͤglich ſeye/ daß ich bey ihrer
Chriſtl. gemeinde bliebe/ angelegenlich verlangten/ iedoch wo ich ſelbs den Goͤtt-
lichen willen erkennete/ demſelben zu wiederſtreben nicht getrauten. Hierauff
bekenne/ daß das gemuͤth noch nicht in ruhe geſetzt iſt. So werden auch Jhr.
Hochherrl. Gn. Exc. und Hochwuͤrden mir dieſe meine ungewißheit und anſtand
nicht uͤbel nehmen/ ſondern nach dero beywohnenden Chriſtlichen weisheit er-
meſſen/ wie wichtig das werck ſeye/ daß man in demſelben ſicher vor GOtt und
in ſeinem gewiſſen gehe. Es iſt unlaͤugbar/ daß an der gewißheit Goͤttlichen
beruffs nicht nur aller troſt und freudigkeit in dem amt/ ſondern auch das meiſte
des ſegens von GOtt haͤnge/ und wird der HErr weder in dem hierbleiben mei-
ne arbeit ſegnen/ noch wo ich dem anmuthen ſolge/ daſelbs zu dem amt den ver-
langten nachdruck geben/ wann mein verbleiben oder aͤndern wider ſeinen willen
geſchaͤhe/ und auff eine oder andere ſeite menſchliche conſilia an ſtatt des Goͤttli-
chen raths prævalirten: ja es liegt auch nicht weniger an der verſicherung unſers
gewiſſens in ſo wichtigem werck/ und wuͤrde derſelbige wenig hoffnung haben/
etwas kraͤfftiges auszurichten/ der in einem ſteten ſcrupel lebte/ ob er auch in
Goͤttl. beruff ſtehe. Nachdem dann nun ich mich dieſe verſicherung vor mich
ſelbs zu erlangen/ wegen der ſteten fluctuation unter den beyderſeits rationi-
bus,
zu ſchwach befinde/ ſo weiß ich mir ſelbs nicht zu rathen/ ob ich das gethane
anſinnen/ vor wohlgemeinte aber menſchliche conſilia derjenigen/ die mich nicht
zur gnuͤge kennen/ und aus gutem vertrauen mehr von mir hoffen/ als in mir iſt/
achten ſolle/ oder ob ich mich darinn des eigendlichen Goͤttl. willens/ ohnerachtet
des anſehens meiner ſchwachheit und der nothdurfft hieſiger gemeinde/ gewiß
verſichern doͤrffte; Jndem ja zu einem gewiſſen Goͤttlichen beruff von allen ſei-
ten vieles erfordert zu werden/ auſſer zweiffel ſeyn wird. Jch habe auch end-
lichen nechſt hertzlichem gebeth meiner und Chriſtlicher freunde kein ander expe-
diens
gefunden/ darinn ich getrauete mein gewiſſen zu tranqvilliren/ als ob ich
dieſes mein hertzensanliegen etlichen unpartheyiſchen Chriſtl. Theologis an un-
terſchiedenen orten/ denen was an mir iſt oder nicht iſt/ was ihre oder hieſige ſtelle
erfordert/
[689]ARTIC. I. SECT. IV.
erfordert/ genug bekannt iſt/ uͤbertrage/ denſelben die beyderley rationes com-
munic
ire/ und von ieglichem derſelben/ wohin er nach gottſeliger uͤberlegung der
ſache den Goͤttlichen finger zu weiſen/ erachte/ erwarte/ und alſo endlich aus dero
conſpirantibus oder doch pluribus votis den willen des HErrn zu deſſen ge-
wiſſer folge erlerne. Wie nun ſolches mittel auch meinem HErren und Obern
allhier nicht mißfaͤllig/ ſo habe zeit zu gewinnen daſſelbe alſo bald in dem nah-
men des HErrn zu werck gerichtet/ und laſſe die freundliche erſuch-ſchreiben in
dieſer materie an ſolche gottſelige freunde und Theologos abgehen/ dabey hof-
fende/ E. Hochherrl. Gn. Excell. und Hochw. werden ihnen gleichfalls daſſelbe
belieben laſſen/ wie nicht weniger bey Seiner Churfuͤrſtl. Durchl. vermitteln
helffen/ daß daſſelbe nicht ungnaͤdig auffgenommen werde. Solte zwar die
zeit zu lang fallen/ (wie dann von meinem ort unter 3. wochen die antwort nicht
erwartet werden kan/) oder ſonſten dieſer modus Seiner Churfuͤrſtl. Durchl.
nicht gnaͤdigſt belieben/ ſo wuͤſte der ſache nicht zu rathen/ und koͤnte nicht dage-
gen ſeyn/ wo deswegen die abſicht auff andere tuͤchtigere perſonen gerichtet wuͤr-
de/ ſondern muͤſte eben daraus/ daß der Goͤttliche wille anders/ als er anfangs
geſchienen/ waͤre/ zu befriedigung meiner ſeelen/ abnehmen. Doch wolte hoffen/
daß mir auch ſonſten einige zeit gnaͤdigſt gegoͤnnet werden moͤchte/ eine cur vor-
hero vorzunehmen/ als ich die reiſe antreten koͤnte. Es iſt bekannt/ was vor eine
langwiehrige und gefaͤhrlich geſchienene kranckheit ich das vorige jahr nach des
Hoͤchſten willen ausgeſtanden/ ſo mich 30. wochen von der cantzel abgehalten:
Nun hat aber der HErr zu dero ziemlicher hinwegnehmung hauptſaͤchlich den
gebrauch des warmen Emſer bruͤnnleins geſegnet. Hingegen hat ſolche cur die
art/ daß ſie zu voͤlliger friſt will wohl 2. jahr nach einander gebraucht ſeyn/ ſo iſt
auch nicht nur der eine zuſtand bey mir gantz gruͤndlich weggegangen/ ſondern
ich habe neulichen Januario, und auffs neue vor etzlichen wochen ſolche be-
ſchwerde wiederum ſtaͤrcker zu ſpuͤhren angefangen/ daß von den medicis in die-
ſem fruͤhling die cur zu wiederhohlen noͤthig erachtet wird/ um ſo viel mehr/ weil
ich ſorgen muß/ daß die bewegung bey herannahendem abſchied/ wo ſolcher fol-
gen ſolle/ ſo dann die ziemliche reiſe/ der ich alles reiſens von guter zeit unge-
wohnt/ mir naturlicher weiſe nicht anders/ als ſo zuſetzen werde/ daß ich einer
guten ſtaͤrckung der kraͤfften vorher durch eine ſolche cur/ zu dero mir ohne das die
weite des wegs und zunehmende jahre hinkuͤnfftig wenig hoffnung mehr laſ-
ſen/ bedoͤrffen mag/ und mir hoffendlich in gnaden gegoͤnnet werden wird: in-
dem mit einem mann/ der ſo bald in dem antritt wenig kraͤffte zur arbeit haͤtte/
einem wichtigen amt ſchlecht gedienet ſeyn wird. Es kan aber ſolche cur wenig
vor dem Majo angehoben weꝛden/ und ich alſo voꝛ dem Junio der wuͤꝛcklichen an-
kunft unmoͤgligkeit nicht vor mir ſehe: daher ich im fall der erfolgenden gewißheit
des beruffs ſelbs doch ſolche erlaubnuͤß unterthaͤnigſt und gehorſamlich zu bitten
haben wuͤrde. Jm uͤbrigen habe ich E. Hochherrl. Gn. Excell. und Hoch-
S s s swuͤrden
[690]Das ſechſte Capitel.
wuͤrden gehorſamen danck zu ſagen/ daß dieſelbe ihre biß dahin auch ſonſten gegen
mich bezeugte hohe affection nochmahl in dieſem werck uͤberfluͤßig dezeugen ha-
ben wollen: indem ich vielmehr deroſelben als meiner wuͤrdigkeit dasjentge ver-
trauen zuſchreibe/ aus dem die an S. Churfuͤrſtl. Durchl. gethane nachdruͤckliche
recommendation gefloſſen iſt/ ſo ſie auch mit ſo hochgeneigt und freundlich[e]r
invitation verſieglen. Wie ich mich nun davor hoͤchſt verbunden a[ch]te/ und
daher ſo bald mein gewiſſen mehr uͤberzeuget ſeyn wird/ dem gethanen winck ge-
horſamlich folgen werde/ alſo thue dieſen verſpruch ſchuldigſter maſſen/ da mir der
HErr ſeinen willen endlich auff verlangte weiſe zu meiner beruhigung zeigen/ und
mich alſo zu ihnen fuͤhren wird/ daß ich es nach allem veꝛmoͤgen/ ſo mir die him̃liſche
guͤte verleihen wird/ niemahl an meinem fleiß und ſorgfalt in den verrichtungen/
ſo mir auffgetragen werden ſollen ſo dann an ſchuldigem reſpect, obſervantz und
collegialiſcher treue gegen deroſelbe hochwerthe perſonen ermangeln laſſen, und
den HErrn HErrn um das darzu noͤthige unablaͤßig anruffen/ alſo in allem dar-
nach tꝛachten weꝛde/ daß aufs wenigſte etlicheꝛ maßen/ ſo viel neml. meine ſchwach-
heit zugiebet/ dero von mir geſchoͤpffte hoffnung erfuͤllet werde. Solte der HErr
aber ſeinen willen auff eine andere art durch jene Theologos mir zu verſtehen ge-
ben/ trage ich das groſſe vertrauen/ daß gleichwie Seine Churfuͤrſtliche Durchl.
nicht ungnaͤdig auffnehmen werden/ daß derjenige/ welchen der HErr deroſelben
nicht beſtimmet/ und deſſen arbeit auch ihres orts nicht wuͤrde geſegnet ſeyn/ ſei-
nes unvermoͤgens auff ſo viele weiſe uͤberzeuget/ dasjenige demuͤthigſt abbitte/
was uͤber ſeine kraͤffte gehet/ alſo auch E. Hochherrl. Gnaden/ Excellentz und
Hochwuͤrden nicht weniger dabey hochguͤnſtig acquieſciren werden/ worinnen
ſich Goͤttlicher rath deutlicher hervor gethan haͤtte/ und ſich verſichern/ daß es zu
des wichtigen amts beſſerer beſtellung von des Hoͤchſten weisheit muͤſte beſtim-
met/ und dasjenige abgewartet worden ſeyn/ was ſie dero Collegio nicht nuͤtzlich
ſeyn zu werden erkannt haͤtte: darbey gleichwohl nicht unterlaſſen wuͤrde/ zeit
meines lebens mit deſto andaͤchtigerm gebeth vor dieſelbe (der zwar auch biß daher
vor dem thron der gnaden ihro hertzlich gedacht) anzuhalten und alle muͤgiiche
gelegenheit meines gehorſams und obſervantz gegen dieſelbe willig zu ergreiffen.
Womit ich der getreue obhut und ſegen des hoͤchſten vaters dero theure perſonen/
und das gantze werck in deſſen heiligſte regierung ſchließlich empfehlende
m. f. w. den 23. Mart. 1686.


SECT. V.
[691]ARTIC. II. SECT. V.

SECTIO V.


An Chur-Sachſen antwort-ſchreiben zu
acceptationdervocation.


Goͤttliche Gnade/ krafft/ fried und ſegen von unſerm glorwuͤr-
digſten Heyland JEſu Chriſto zu allem hohen wohlweſen
und begluͤckter Landes-Regierung!


Durchlauchtiſter Chur-Fuͤrſt/
Gnaͤdigſter Chur-Fuͤrſt und Herr/

DAs von E. Churfuͤrſtl. Durchl. gnaͤdigſt obgelaſſene vocations-ſchreiben
habe ich den juͤngſten 11. Martii mit unterthaͤnigſter reverentz empfangen/
und aus deſſen ableſung dero gnaͤdigſte intention uͤber meine wenigkeit
verſtanden. Jch habe zum foͤrderſten mit nicht geringer beſtuͤrtzung mich uͤber
die wunderbahre regierung des weiſeſten GOttes in ſchuldiger demuth verwun-
dern muͤſſen/ daß dieſelbe E. Churfuͤrſtlichen Durchl. hertz dahin gelencket/ bey ſo
anſehnlicher anzahl wohl qvalificirter perſonen einen an einer geringern ſtelle der
kirch dienenden prediger zu ihro zu verlangen/ und mich von meinem platz/ der
ohne das hoch genug vor mich/ zu einer hoͤhern verrichtung zu beruffen; muͤſte al-
alſo auch in ſolchem fall erkennen/ wie GOttes gedancken ſo gar anders als die
unſerige waͤren. Nechſt dem hatte auch E. Churfuͤrſtl. Durchl. daraus gegen
mich unverdient vorieuchtende hohe gnade/ mit unterthaͤniger demuth zu veneri-
ren/ und ob mich wohl derſelben unwuͤrdig erkenne/ gehorſamſten danck daruͤber
zu erſtatten. Weil ich aber auch zugleich die hohe wichtigkeit der ſache und gnaͤ-
digſt antragender ſtelle billich vor dem angeſicht GOttes mir zu hertzen zu ziehen
hatte/ und meiu bereits einige mahl/ da mein gemuͤth erforſchet worden/ von her-
tzen eingewandtes unvermoͤgen mir allzu ſtarck in die augen leuchtete/ laͤugne ich
nicht/ daß ich des Goͤttlichen willens voͤllige verſicherung bey mir nicht ſo bald
finden koͤnnen/ ſondern geſorget/ ob der groſſe und wunderbare GOtt mir ſolches
zur verſuchung geſchehen lieſſe/ ob ich mich zu etwas/ ſo uͤber mein vermoͤgen/ ver-
ſtehen/ oder meine ſchwachheit gebuͤhrend erkennen wuͤrde. Dieſes iſt auch die
urſach/ warum meine unterthaͤnigſte reſolution und antwort ſpaͤter/ als ſonſten
geziemete/ einſchicke. Jch trage aber das unterthaͤnigſte vertrauen/ daß E.
S s s s 2Chur-
[692]Das ſechſte Capitel.
Churfuͤrſtl. Durchl. ſolchen verzug/ welcher allein aus n[oͤthi]gem verlangen eine
gewiſſens-verſicherung zu haben hergekommen/ nicht ungnaͤdig auffnehmen/ ſon-
dern vielmehr ſelbs hoch-vernuͤnfftig ermeſſen werden/ wie ein groſſes einem
prediger/ ja auch ſeinem amt ſelbſten/ und alſo in dieſer ſach E. Churfuͤrſtlichen
Durchl. eigener hoher perſon/ und allen/ mit welchen ich in dem nahmen des
HErrn hinkuͤnfftig zu handlen haben moͤchte/ daran gelegen ſeye/ daß man eine
vollkommene verſicherung des Goͤttlichen beruffs in ſeiner ſeelen habe/ und alſo
mit glaͤubigem hertzen dasjenige verrichten koͤnne/ was wir wiſſen/ daß der HErr
ſolches wahrhafftig alſo verordnet habe: als woran ein nicht geringes ſtuͤck des
amt-ſegens haͤnget. Damit nun den Goͤttlichen willen ſo viel ungezweiffelter
erfahren koͤnte/ als habe an etliche Chriſtliche unpartheyiſche Theologos die
ſache gelangen laſſen/ welche in der furcht des HErrn und mit ſeiner anruffung
ſolche uͤberlegten/ und mir Goͤttlichen willen zu meines gewiſſens beruhigung
anzeugeten. Wann denn nunmehr von deroſelben mehrern theil bereits die
antworten dahin lautende eingelauffen/ daß ſie mich goͤttlichen willens verſichern/
ſo will mir nun geziehmen/ denſelben auch davor anzuſehen und zu erkennen/ und
ob wohl mich ſonſten der hohen gnade E. Churf Durchl und ſo vornehmer an-
getragener ſtelle/ nach meinem eigenen gefuͤhl urfaͤhig und unwuͤrdig achte/ allem
ſolchen gefuͤhl und urtheil der allerhoͤchſten Goͤttlichen Majeſtaͤt befehl/ deſſen
nun in dem gewiſſen verſichert bin/ und E. Churfuͤrſtl. Durchl. beruff vorzuziehen.
Dahero ich dann in dem nahmen der Heiligen Dreyeinigkeit/ dero heilige fuͤh-
rung in der ſache ſich geoffenbahret/ die gnaͤdigſt anbefohlne functionen dero
Ober-Hof-Prædicatur und Conſiſtorial-Amts uͤbernehme/ und zu dero an-
tretung von bißheriger meiner werthen Obrigkeit hieſigem loͤblichem Magiſtrat
die dimiſſion heute dieſen tag erhalten habe. Gegen E. Churfuͤrſtliche Durchl.
erklaͤhre mich daruͤber mit unterthaͤnigſtem gehorſam/ daß auch ſolchen anver-
trauten functionen und daher dependirenden verrichtungen mit aller treue/
fleiß und ſorgfalt/ als der HErr HErr mir auff hertzliches gebeth gnade und
krafft verleihen wird/ abzuwarten mir aͤuſſerſt angelegen laſſen ſeyn will und
werde: dabey ich der getroſten zuverſicht gegen E. Churfuͤrſtliche Durchl. ge-
lebe/ wie dieſelbe mich unwuͤrdigen zu dero Ober-Hof-Prediger/ Beicht-
Vater/ Kirchen-Rath und Aſſeſſore dero Ober-Conſiſtorii gnaͤdigſt zu
verordnen geruhet/ daß ſie mir auch die aus Goͤttlichem recht und ernſtem
befehl ſolchem und allen geiſtlichen aͤmtern anhangende freyheit das wort des
HERRN getroſt und nach der wahrheit in Geſetz und Evangelio/ wie das
Chriſtliche Gewiſſen in deſſen forcht mit ſich bringet/ zu treiben/ und darin-
nen zum forderſten dem willen des Allerhoͤchſten ein gehorſames genuͤgen zu
thun/ gnaͤdigſt goͤnnen/ und gleichwie ſelbſten als ein Chriſtlicher Evangeli-
ſcher Chur-Fuͤrſt dero unterthaͤnigſten dieners vor dieſelbe uͤbernehmende
ſeelen-ſorge allezeit nach erkaͤnntnuͤß Goͤttlichen willens zu dero eigenem
ewigen
[693]ARTIC. II. SECT. V.
ewigen heil an ſich [fruchtbar ſeyn] l[a]ſſen/ als auch was deroſeits zu kraͤfftiger
fuͤhrung des geſammten geiſtlichen ambts bey andern hohen und niedern in
Goͤttlicher ordnung noͤthig ſeyn moͤchte/ gnaͤdigſt handhaben werden/ damit
ich eine ſolche ſchwere laſt/ welche billich mein gewiſſen mit ſchwehrer forcht
vor GOtt beladet/ und mir die reſolution ſo ſaur gemacht hat/ mit freudig-
keit und ohne aͤngſtliche ſeuffzen tragen/ ſo dann durch Goͤttliche gnade und
E. Churfuͤrſtlichen Durchl. bey-huͤlff geſegnete fruͤchten zu meinem troſt und
danckſagung gegen GOtt daraus ſehen moͤge. Nechſt dem troge auch die
unterthaͤnigſte zuverſicht/ daß E. Churfuͤrſtliche Durchl. nach dero bekannten
hochpreislichen guͤtigkeit ſich auch ſonſten mich und die meinige/ in meinem le-
ben und nach demſelben/ zu dero hohen Churfuͤrſtlichen gnade gnaͤdigſt vertroͤſte-
ter maſſen ſich allezeit werden empfohlen ſeyn laſſen. Schließlichen ruffe ich die
himmliſche guͤte flehendlichſt und inbruͤnſtig an/ daß dieſelbe dieſes ihr werck ferner
kraͤfftig fuͤllren/ und diejenige noͤthige gaben/ welche ich noch nicht habe/ von oben
herab mildigſt mittheilen/ mein von ihm hauptſaͤchlich anvertrautes amt/ wo er
mich nun nach nothwendigem gebrauch einer cur (dazu von E. Churfuͤrſtlichen
Durchl. ich mich einer guaͤdigſten friſt/ und ſolchen wenigen verzug am beſten
auffgenommen zu werden vertroͤſte) gluͤcklich hinein bringen wird/ in der krafft
des Heiligen Geiſtes an E. Churfuͤrſtliche Durchl. auch dero geſammten hohen
hauſes/ ſo dann uͤbrigen anvertrauten ſeelen zu dero erwuͤnſchter erbauung und
heiligung/ und damit keine unter allen verlohren gehen moͤchte/ ſtattlich ſegnen/
dem wort/ welches er durch ſeinen armen diener reden wird/ eine Goͤttliche und in
die hertzen wahrhafftig zu dero Geiſtlichem beſten tringende krafft verleihen/ und
es die ſeelen ſelig zu machen in dieſelbe mit ſanfftmuth gepflantzt/ auch zu vielen
fruͤchten der gerechtigkeit fruchtbar werden laſſen/ im uͤbrigen aber auch insgeſam̃t
das von ſeiner Him̃liſchen guͤte biß daher ſo hoch begnadete Chur-Haus Sachſen
in ſeiner vaͤterlichen gewarſame erhalten/ und mit allem erwuͤnſchlichem flor be-
kroͤhnen/ E. Churfuͤrſtl. Durchl. theure perſon/ ſamt dero Churfuͤrſtlichen Fr.
Gemahlin und wertheſten Printzen/ mit aller ſeel- und leibes-wohlfarth ver-
gnuͤglichſt beſeeligen/ dero ſo eigener lande regierung als vor das geſammte Reich
und Evangeliſche weſen fuͤhrende conſilia trefflich ſegnen/ und ſie in allen ſtuͤcken
zum ſeeligen werckzeug ſeiner herrlichkeit und ehren machen wolle. Mit welchem
von grund der ſeelen zu ihm dem einigen geber aller guten und aller voll-
kommenen gaben thuendem wunſch/ ſo auch nunmehr abſonderlichſt meines
meines gebeths ſtuͤck taͤglich ſeyn ſolle/ und empfehlung in die obwaltende
Goͤttliche gnadenheit verharre. u. ſ. f.
den 15. Apr. 1686.


S s s s 3SECT. XI.
[694]Das ſechſte Capitel.

SECTIO VI.


Gleiches innhalts an das Churfuͤrſtl. Saͤchſiſche
Ober-
Conſiſtorium.


Von unſerm Ehren-Koͤnig und aufferſtandenem Heyland JEſu
Chriſto guade/ friede und alle ſeiner herrlichen
aufferſtehung krafft!


Hoch-Wohl-gebohrner Frey-Herr/
Gnaͤdiger Herr/
Hoch-Ehrwuͤrdige/ Wohl-Edle/ Veſt und Hochgelahrte Herren/
Hoch-geehrte Herren und groſſe

Patronen.

WOrzu die erkaͤnntnuͤß der hohen wichtigkeit des von Seiner Churfuͤrſtl.
Durchl. von Sachſen auffgetragenen geiſtlichen amts und hingegen
meines bey mir fuͤhlenden unvermoͤgens mich gebracht/ haben E. Hoch-
herrliche Gnaden Excellentz und Hochwuͤrden aus meinem vorigen gehor-
ſamen bericht-ſchreiben zur gnuͤgen erſehen/ auch/ wie ich dero troͤſtlichen
zuverſicht gelebe/ ſothane meine reſolution, die ich damahls ergreiffen muͤſ-
ſen/ ſich nicht zuwieder ſeyn laſſen/ nehmlich daß ich zu beruhigung meines
gewiſſens/ daran mir und gantzem amt ſo groſſes lieget/ die gantze frage de
divinitate vocationis,
und alſo ob ich einen Goͤttlichen beruff erkennen/ oder
aber eine Goͤttliche verſuchung beſorgen ſolle/ fuͤnff Chriſtlichen unparteyiſchen
gottſeligen Theologis an unterſchiedlichen orten/ vorgeleget/ um ihre mey-
nung und wie ſie die ſache vor GOtt anſehen gebeten/ und dero deciſum
vor Goͤttlichen willen ungezweiffelt annehmen wolte. Nunmehr habe E.
Hochherrliche Gnaden Excellentz und Hochwuͤrden den fernern verlauff
und ausgang ſolches geſchaͤffts hiemit gehorſam anzuzeigen/ daß es nehmlich
dem heiligen weiſen GOtt/ den ſo wohl ſelbſten als mit andern Chriſtlichen
hertzen deswegen offters angeruffen habe/ gefallen/ die gemuͤther ſolcher maͤn-
ner dahin zu regieren/ daß bereits vier deroſelben einmuͤthig dahin geantwor-
tet/ daß ich das Werck aus GOtt zu ſeyn erkennen und alſo ſchuldige folge
leiſten muͤſte: dahero weil bereits mehr als die majora vorhanden ſind/ nicht
laͤnger
[695]ARTIC. II. SECT. VI.
laͤnger zu verzoͤgerung der gantzen ſache auff den fuͤnfften warten wollen/ ſondern
geſtern ſo bald unſere Herren eroͤffnung von dem ausſpruch gethan/ darauff
heut bey vollem Rath meine dimiſſion erfolget iſt. Jch dancke zum aller-
forderſten der heiligen Goͤttlichen regierung/ welche endlich ihres willens mich
verſichert/ und darinnen ſo fern mein hertz beruhiget hat/ folglich auch kuͤnff-
tigen beyſtandes mich vertroͤſtet/ dero auch das uͤbrige ferner empfehle. Ju
gegenwaͤrtigem beyſchluß ferner erklaͤhre nun mich gegen Seine Churfuͤrſtliche
Durchlaͤuchtigkeit/ daß in dem nahmen des Allerhoͤchſten die auffgetragene
functionen mit unterthaͤnigſtem gehorſam und demuth annehme: Welches
auch hiemit gegen E. Hochherrl. Gn. Excell. und Hochwuͤrden mit gehorfa-
men reſpect thue/ mit dieſer verſicherung/ daß ich/ als viel mir der HErr
HErr gnade ſeines Geiſtes/ ſo dann kraͤffie leibes und gemuͤths/ verle[i]hen
wird/ daß mir anbefohine mit aller treue/ fleiß und ſorgfa[ll]t zu verrichten
nicht ermangeln und den HErrn darum ſtets inbruͤnſtig anruffen wolle/ daß
er deroſelben uͤber mich in dieſem vocations-werck gute meynung nicht wolte
fehl ſchlagen/ ſondern vermittels ſeinergnade ihre hoffnung [a]n mir/ ſo viel von
meiner ſchwachheit zu erwarten/ erfuͤllet werden laſſen. Verſpreche auch darbey/
wo in dero hochpreißliches collegium auffgenommen zu werden die ehr und freu-
de haben werde/ daß meine ſtaͤte ſorge ſeyn ſolle/ wie ſie wohl in der furcht
des HErrn dasjenige/ was mir von ihnen iedesmahl committiret werden
mag/ treulich verrichten/ als in allen ſtuͤcken denen geſammten wuͤrdigſten
ſo præſidi als mit beyſitzern mit geziehmender ehrerbietung/ gehorſam und
einmuͤthigkeit/ wie es der ruhe eines collegii und gluͤcklicher verrichtung ge-
maͤß iſt/ begegnen moͤge; wie ich auch hoffe/ daß meine bißherige collegæ ein
fried-liebendes gemuͤth an mir verſpuͤhret/ und deſſen zeugnuͤß bey ieder-
mann zu geben kein bedencken haben werden. Wie nun hinwieder neulich ge-
thanen gehorſamen danck/ vor dero in gegenwaͤrtigen geſchaͤfften gegen mich
bezeugte gnade und groſſe affection auch vertrauen/ hiemit nochmahlen von
hertzen wiederhole/ und ſie vor die geſegnete werck-zeuge anſehe/ durch welche
der groſſe GOtt eine groͤſſere thuͤr zu mehrerem guten mir eroͤffnen wollen/
daher mich denenſelben ſtets auffs hoͤchſte verbunden erkennen will/ alſo verſehe
mich auch zu E. Hochherrl. Gnaden Excellentz und Hochwuͤrden/ daß ſie
mit gleichem gemuͤth noch immer gegen mir fortfahren wollen/ und mich/ da
uns die regierung GOttes zuſammen bringen wird/ deroſelben continuiren-
der gnaͤdiger zuneigung und collegialiſcher vertraulicher freundſchafft wuͤrdi-
gen/ auch biß mich in die noch ungewohnte geſchaͤfften zu richten gelernet ha-
ben moͤchte/ gedult mit mir tragen werden. Warum auch hiemit dienſtlich
und freundlich/ ſo dann auch um dieſes aus groſſem gegen dieſelbe von mir ge-
faßtem vertrauen bitte/ eines theils zwar ſo wohl ſelbs kein mißlieben zu tragen/
als auch bey Seiner Churfuͤrſtlichen Durchl. dergleichen zuwegen zu bringen/
daß
[696]Das ſechſte Capitel.
daß ich die mir ſonderbahr noͤthige Emſer cur vor der reiſe annoch vollbrin-
gen moͤge/ nach dero mich nicht lange ſaͤumen/ ſondern dieſelbe bald antreten
werde: andern theils auch eine großguͤnſtige ſorge zu tragen/ ob den lieben
meinigen/ als ehe-frauen und kindern (ſo mit mir von dieſer gegend und
aller ihrer freundſchafft/ davon ſie ſonſten menſchlicher weiſe huͤlffe und troſt
hoffen moͤchten/ in die fremde durch dieſem beruff gefuͤhret werden) einige
Churfuͤrſtliche gnade zu dero ehrlicher verſorgung/ in dem fall/ da mich der
HErr von ihnen nehmen wird/ erlanget werden koͤnte/ ſo mir und ihnen
ein ſo viel mehrer troſt und erleichterung des abſchieds von ſehr lieben freun-
den/ dazu ſie ſich aller liebe und vorſchubs zu verſehen gehabt haͤtten/ wer-
den wuͤrde/ ich aber ſolches insgeſamt/ wie Seiner Churfuͤrſtlichen Durchl.
hoher gnade/ alſo nechſt dem E. Hochherrlichen Gnaden Excellentz und
Hochwuͤrden treuem wohlmeynen zuverſichtlich anheim gebe. Der ich ſchließ-
lichen des Him̃liſchen Vaters ewige guͤte demuͤthigſt anruffe/ welcher uͤber ihro
werthe perſonen alle gaben und gnade ſeines Geiſtes ſamt uͤbriger erſprieß-
licher wohlfahrt reichlichſt ausgieſſen/ ihre ſtaͤte verrichtungen und ſorgfalt
vor das gemeine kirchen-weſen mit gluͤcklichem ſucceß allemahl ſecundi-
ren/ die in dieſer beruffs-ſache gebrauchte redliche intention und an mir er-
wieſene liebe/ ſamt allem/ was ſie ſonſten vor die ehre des HErrn gethan/
in gnaden vergelten/ und ſie und geliebte ihrige in allen ſtuͤcken und allezeit
zum ſeegen ſetzen wolle/ mit welchem hertzlichen und taͤglichen wunſch noch-
mahls in des grundguͤtigſten GOttes heiligen obhut und gnaden-regierung
treulich empfehlende verbleibe m. f. w. den 15. Apr. 1686.


SECTIO VII.


Intercipirung der briefe nicht recht. Der Boͤh-
miſten ſinn gegen mich. Wie mit ſolchen
leuten zu verfahren.


JCh komme auff den mir communicirten brieff/ den geleſen zu haben
unterſchiedliche urſache willen mir lieb iſt. Zwar bekenne ich/ daß
ich ſolches intercipiren nicht billigen kan/ und desjenigen/ was unſer
Lutherus von geſtohlnen briefen geſchrieben/ ingedenck niemahl an der-
[g]leichen theil haben moͤchte/ gleichwohl deren verantwortung uͤberlaſſe die
ſolches thun. Mir dienet ſolches ſchreiben/ daß es in derſelben haͤnde ge-
rathen zum zeugnuͤß/ was die/ welche ſie Boͤhmiſten nennen/ von mir
halten/
[697]ARTIC. II. SECT. VII.
halten/ nehmlich/ daß ſie zwar ſo fern ein gutes vertrauen zu mir tragen/ weil ſie
ſehen/ daß ich keines gewiſſen einige gewalt anthue/ und von dingen zu urtheilen
nicht uͤbernehme/ die ich uͤber mein vermoͤgen zu ſeyn erkenne/ und alſo nicht be-
urtheilen kan/ im uͤbrigen in einfalt bey der reinen lehre meinem GOtt zu die-
nen/ und andern/ ob ich wol nicht eben allemahl ihr thun billiche/ dennoch liebe
zu erzeigen/ mein einig werck ſeyn laſſe: indeſſen ſiehet man/ daß ich an ihren
eigenen dingen/ oder worinnen man ihnen ſchuld geben mag/ kein theil nicht
habe/ und ſie mich darinn unter die ihrige nicht nehmen doͤrffen. Auff das
ſcriptumdes bey nahe auffgedeckten Antichriſts/ da abermahl unſere
kirche zu Babel gezogen/ und daß der Antichriſt auch in derſelben herrſche vorge-
geben wird/ habe ich durch Gottes gnade wiederum ſchrifftlich dermaſſen geant-
wortet/ daß ich verhoffen ſolte/ wo es etwas thun koͤnte/ ſolte dieſes den autorem
zu andern gedancken/ und unſere/ ob wohl ihren maͤngeln unterworffene/ kirche
mit andern augen anzuſehen bewegen/ habe es aus neuliche Oſter-Meſſ ehin-
geſandt/ und will hoffen/ es werde zu recht kommen ſeyn; muß den erfolg GOtt
befehlen. Deſſen verſichere ich mich/ wo denen leuten/ welche aus anſehung
der verderbnuͤß in unſerer kirchen auch weiter anfangen zu gehen/ und in irrthum
ſich vertieffen/ mit mehr ſanfftmuth/ liebe und gedult begegnet wuͤrde/ als wo
man hart in ſie ſetzet/ oder pro imperio mit ihnen handelt/ oder etwas gegen ſie
thut/ ſo ſie dem ſanfftmuͤthigen und demuͤthigen Geiſt Chriſti zuwieder zu ſeyn
ſich uͤberzeugt halten/ ſolte noch manchmahl bey einigen etwas auszurichten
ſeyn/ da ſie hingegen durch haͤrtere begegnuͤß/ nur deſto mehr beſteiffet werden/
und ihr leiden daruͤber zur anzeige der guten ſache/ ja offt andere/ die es anſehen/
eben damit irre machen. So haben mich auch allezeit die ſehr beſcheidene
worte Hieronymi ſehr vergnuͤgt: Licet hanc ſententiam (millenariorum)
non ſeqvamur, tamen damnare non poſſumus, qvod multi Eccleſiaſticorum
virorum \& martyrum eam tenuerint, \& unusqvisqve ſenſu ſuo abundet, \&
Domini cuncta indicio reſerventur.
Jch meines orts traute nicht uͤber mein
gewiſſen zu bringen/ einen der ſonſt in den haupt-puncten unſerer ſeligkeit richtig
iſt/ und lehret/ um der meynung willen/ die die meiſte vaͤter/ ſo der kirchen leich-
ter noch ietzt gehalten werden/ und der grund des glaubens bey ihnen feſt geblie-
ben iſt/ getrieben haben/ zu verwerffen oder zu verſtoſſen. Der HErr bringe
alle irrende zu recht/ erfuͤlle uns mit hochhaltung ſeiner wahrheit/ und zugleich
mit liebe und ſanfftmuth gegen diejenige/ die noch anſtoſſen/ und reinige ſeine
kirche von allen bißherigen aͤrgerniſſen. 28. Aug. 1686.


  • NB.Die hie bemerckte antwort auff den bey nahe auffgedeckten
    Antichriſt ſtehet in dieſem bedencken
    P. I.in dem anhangc. 1.

T t t tSECT. VIII.
[698]Das ſechſte Capitel.

SECTIO VIII.


Als kurtz vorhero mein amt in Dresden angetre-
ten/ wie den gantzen zuſtand angeſehen. Wie
noͤthig gedultiges harren.


JCh wuͤnſchte/ daß wie deſſelben brief mich erfreuet/ ich auch hinwieder mit
dem meinigen denſelben erfreuen/ und deſſen verlangen/ etwas gutes von
mir wegen einer geſegneten arbeit zu hoͤren/ erfuͤllen koͤnte. Es kan aber
ſolches von mir leider noch nicht geſchehen/ ja halte auch insgeſamt davor/ es
waͤre eine unmuͤgliche ſache/ ſo bald nur etwas hoffnung zu machen. Wichtige
dinge wollen ihre zeit haben/ und muͤſſen langſam gefuͤhret werden/ ſollen ſie an-
ders wohl von ſtatten gehen. Ja wo ein bau am weislichſten gefuͤhret wird/
ſiehet man eine geraume zeit ſo zu reden nichts/ daß man an der arbeit zunehme/
weil ſie in der erde geſchiehet/ mit legung des grundes. Jch habe ietzund
ziemlicher zeit noͤthig/ ein und andere gemuͤther erſt lernen zu kennen/ weſſen
man ſich von ieglichem zu einer guten mitwuͤrckung zu verſehen/ ein und
andere lehren/ die etwa biß daher nicht von allen ſo fleißig moͤchten getrie-
ben ſeyn worden/ mit angelegenem fleiß den leuten vorzuſtellen und einzu-
trucken/ ein vertrauen gegen mich und erweiß/ daß man von mir der reinen
lehre ſich verſichern koͤnne/ ohne welche verſicherung nichts angenommen
wuͤrde werden/ zu erwecken/ wie ein und anders in Chriſtlicher klugheit ſich
anheben laſſe/ abzuſehen/ und immer auff iede gelegenheit/ die nicht ſo wohl
ich mir ſelbſt ſuche/ als der HErr mir kommen laſſen wird/ acht zu geben/
und weder etwas zu uͤbereilen/ noch auch mit willen zu verſaͤumen. Dazu
ich dann ſo wohl ſelbſt Gott um den Geiſt der weisheit hertzlich anruffe/ als
vor Chriſtlichen freunden/ mir denſelben erbitten zu helffen flehentlich ſuche/
auch darauff ein gutes vertrauen ſetze. Jch ſehe vor mir und neben mich
eine ſtarcke macht des Satans und ſein feſt geſetztes reich/ auch ſo viele dif-
ficult
aͤten/ welche zu uͤberwinden uͤber alle menſchliche huͤlffe und hoffnung
gehet. Aber allem ſolchem ſetze ich hinwiederum nichts anders entgegen/
als die macht GOttes/ wider die nichts beſtehet/ und deſſen heruff/ aus
dem ich hieher gekommen bin/ und derjenige/ welcher mich hieher hat gehen
heiſſen/ nach ſeiner treue meine ob wohl elende/ aber in ſeinem gehorſam
verrichtende/ arbeit nicht wird laſſen gantz ohne ſegen oder frucht bleiben.
Daran halte mich/ und hoffe/ wo nichts zu hoffen iſt/ mit gedult erwarten-
de/ was der HErr vor ſegen geben wolle. Jch ſage gern mit gedult/ dann
dieſe
[699]ARTIC. II. SECT. VIII.
dieſe noͤthig ſeyn wird/ ſo wohl zu leiden/ was mir der HErr vor truͤbſalen
mag beſtimmet haben/ als auch ſeiner rechten zeit zu erwarten/ und nicht
muͤde zu werden/ ob ich auch eine lange zeit ſolle ohne einige frucht merck-
lich zuſehen/ arbeiten muͤſſen/ wodurch man ſonſten nicht anders natuͤrlich
als verdroſſen/ und zaghafft zu werden pfleget/ aber auch dagegen gekaͤmpf-
fet werden muß. Liebe freunde/ ſie gewoͤhnen ſich auch an ſolche gedult/
bitten ſeine huͤlffe aus der hoͤhe/ aber ſetzen das maaß und die zeit des ſie-
gens in ſeinen heiligen rath und wohlgefallen. Jn ſolcher gedult/ beharren-
dem glauben und anhaltendem gebeth koͤnnen wir allein uͤberwinden; ſie
helffen mir auch ſonderlich erbitten die gabe 2. Tim. 2. v. 24. 25. 26. da ich
davor halte/ daß meine vornehmſte lection ſtehe. Dieſes kan gleichwohl
zum troſt verſichern/ daß viele ſeelen hier und in dem lande ſind/ die ſehnlich
nach beſſerung ſeuffzen/ und ſich ieglicher anſcheinenden hoffnung hertzlich er-
freuen: ich werde auch allgemach mehrer derſelben kundig werden; wie es
dann nicht undienlich iſt/ daß die einigkeit des geiſtes ohne das verbundene/ ſich
auch unter einander genauer kennen lernen: ſo zeiget ſich auch/ daß das wort/ ſo
der HErr durch mich redet/ ſeine krafft habe/ und haben einige auch hoͤchſte
bekannt/ nicht geglaubet zu haben/ daß ihnen das hertz geruͤhret werden koͤn-
te: andere folgſame ſeelen geben auch zeugnuͤß der uͤberzeugung/ ſo ſie davon
fuͤhlen. Laſſet uns nur immer fortfahren/ allerſeits und aller orten mit ar-
beiten/ beten und harren: der HErr kan einmahl ſich und ſeine wahrheit
nicht verleugnen. Und wird zu ſeiner zeit zeigen/ daß unſere arbeit in ihm
nicht vergebens geweſen ſeye/ oder bleiben koͤnne/ als deſſen ehre ſelbſt daran
gelegen iſt/ die wollen wir gern preiſen/ und uns ihres preiſes freuen in zeit
und ewigkeit. 3. Sept. 1686.


SECTIO IX.


An eine Chriſtliche freundin in Franckfurt. Danck-
ſagung wegen der vorbitte. Was am ſonderlichſten
vor mich zu bitten noͤthig 2. Timoth. 2. verſ. 24. 25. 26.
ſanfftmuth und ernſt. Zuſtand in Dresden. Huͤ-
tung vor falſchen freunden. Goͤttliche regierung ei-
genen hauſes. Kuͤnfftige beſſerung. Freundliche
erinnerung und regierung.


Wie ihre in dem HErrn geheiligte liebe gegen mich ſchon vor mehrern
jahren ſich in vielen mir nuͤtzlichen fruͤchten gewieſen hat/ alſo ſehe
T t t t 2auch
[700]Das ſechſte Capitel.
auch ihre letzte ſchrifft/ ſo ſie an mich noch in Franckfurth gethan/ als eine
herrliche frucht derſelben an/ von dero ich noch mehrmahl nutzen und kraͤffti-
ge erbauung hoffe. Es waͤre zwar auch einerley liebe geweſen/ da ſie ſolche
reden an mich muͤndlich gethan/ aber die krafft davon wuͤrde nicht ſo offt
wiederum auffs neue haben genieſſen koͤnnen/ daher da es ihrer ſeiten aus
ſorge geſchehen iſt/ bey dem abſchied aus ſtaͤrckerer bewegung es nicht aus-
ſprechen zu koͤnnen/ und auch bey meinem ſo ſehr zuſtreutem und von weh-
muth eingenommenen gemuͤth derjenige voͤllige/ und ſonderlich beſtaͤndige/
eintruck in einmahligem anhoͤren nicht geſchehen haͤtte koͤnnen/ ſo ſehe es als
eine guͤte GOttes an/ der ſie dahin regieret/ mir ſo wohl ein ſtetes und ſi-
cheres denckmahl ihrer gottſeligen liebe gegen mich zuzuſtellen/ als auch eine
ſchrifft mir damit zu hinterlaſſen/ die mir zu mehrmahlen zur auffmunte-
rung in ſeiner krafft dienete. Gelobet ſey alſo die guͤtigkeit unſers Himmli-
ſchen Vaters/ welcher von allen ſeiten demjenigen auch laͤſſet auffmunterun-
gen und erinnerungen zukommen/ welcher derſelben ſo beduͤrfftig iſt: und
geſegnet ſeyn ſie dem HErrn/ die der HErr auch dieſes/ wie vorhin mehre-
re/ mahl zum werckzeug ſeiner gnade an mir gemachet hat. Daher wie ich
hiemit auffs einfaͤltigſte will danck geſagt haben vor alles gutes/ was GOtt
mir durch ſie zu meiner erbauung und erquickung mehrmahl erzeiget hat/ alſo
dancke ſonderlich auch vor ſolche liebe ſchrifft/ damit ſie unſere biß dahin in
Franckfurt in dem HErrn gepflogene freundſchafft und umgang gleichſam
verſiegelet hat: ſo dann das ſo hertzlich vor mich ſtaͤts gethane gebeth/ deſſen
einiger austruck auch derjenige iſt/ ſo mir auff ſolchem bogen vorgeleget iſt. Ach
wertheſte ſchweſter/ es iſt dieſes dasjenige/ dadurch mir die vornehmſte wohlthat
in der welt geſchiehet/ wer mir von dem vater der gnaden erbittet und erlangen
hilfft/ was mir zu demjenigen nothwendig iſt/ an deſſen treuer und weiſer ver-
waltung mir mehr als an allem meinem uͤbrigen in der welt gelegen/ aber auch
mir die ſchwachheit meines gebeths/ daher wie viel ich Chriſtlicher mit-bruͤder
und ſchweſtern darinnen noͤthig habe/ ziemlich bekannt iſt. Da weiß ich nun
aber/ daß ſie biß daher in ſolchem liebes-dienſt fleißig/ und vor mich zu dem
HErrn inbruͤnſtig zu ſeuffzen unvergeſſen geweſen/ daher mich die auffrichtigkeit
ihrer liebe nicht zweiffeln laͤſſet/ ſie werde noch ferner/ da ich ſolches immer mehr
bedarff/ fortfahren/ auch hierinnen zu zeigen/ daß die aus GOtt entſprungene
und auff ihn gegruͤndete liebe nicht muͤde werde: darum auch gleichwohl hertzlich
zu bitten mich ſchuldig erkenne. Der HErr laſſe doch ihr und anderer gottſeli-
ger hertzen ſeuffzen vor mich niemahl vergebens ſeyn/ ſondern mache mich tuͤch-
tig in allen ſtuͤcken zu demjenigen/ was ſein auffgetragener beruff von mir for-
dert. Jch kan auch wohl ſagen/ daß ſie mir in demjenigen/ was ſie mir in ſolcher
ſchrifft wuͤnſchet/ recht bedaͤchtlich alles daſſelbige vorgeſtellet/ was ich ſtaͤts von
dem HErrn zu bitten habe; Worinn ſie mich ein und anderes ſtuͤckes erinnert/
daran
[701]ARTIC. II. SECT. IX.
daran ich/ wie ich bekenne/ nicht allezeit ſo austruͤcklichen gedacht habe; ob zwar
wohl weiß/ daß die von mir vergeſſene ſtuͤcke deswegen auch vor dem HErrn
nicht vergeſſen ſind/ der unſere noth beſſer als wir ſelber einſiehet und verſtehet;
iedoch iſt auch uns die erkaͤnntnuͤß unſerer eignen nothduͤrfftigkeit in ieglichen
beſondern ſtuͤcken ſehr dienlich/ deſto hertzlicher den HErrn um daſſelbe anzufle-
hen/ und ihm damit die ehre zu geben/ in ſuchung deſſen/ was wir beduͤrffen/ und
er uns zu andernmalen auch ohne ſonderbares gebeth gewaͤhret hat. Das gebeth
vor fernern ſegen der an meiner lieben Franckfurtiſchen gemeinde vormalen ge-
thaner arbeit will nicht zweiffeln erhoͤret zu werden/ und mag der HErr aus ſon-
derbarem rath vielleicht meine wegruͤckung eben dazu beſtimmet haben/ daß man
ſich des vorher gehoͤrten deſto fleißiger erinnere/ daß man etwa noch in gegenwart
mit weniger achtſamkeit angenommen haben wuͤrde. So trage ich auch das
hertzliche vertraren zu Gott/ er werde mich vor ſolche liebe ſeelen mein noch fort-
ſetzende ſeuffzen und bitte gnaͤdigſt erhoͤren/ und auch gedeyen zu ſolchem meinem
aus der ferne thuendem begieſſen verleihen/ wie auch meine geliebte nachfolger
und collegas mit doppeltem maaß des Geiſtes erfuͤllen: maſſen auch hoͤre/ daß
Herrn L. Arcularii erſte predigt ſo bald einen eintruck ſeiner liebe und vertrau-
ens zu ihnen in die hertzen gethan. Davor ſage ich der Himmliſchen guͤte danck/
daß dieſelbe biß daher die bey ihnen letzlich mir verliehene verſicherung des Goͤtt-
lichen beruffs in meiner ſeelen immer mehr und mehr befeſtiget/ daß auch hoffe/
mir nicht leicht ein zweiffel dagegen auffſtoſſen ſolle: es waͤre dann ſache/ daß der
HErr zu einiger meiner noͤthigen leuterung auch dieſe ruhe einmal wolte turbiret
laſſen werden; darinnen ich ihm auch nicht vorſchreiben ſolle. Jndeſſen machet
mich ſolche verſicherung getroſt in meinem amt/ und bleibet ein ſtattlicher grund
der hoffnung bey aller bewandnuͤß der dinge/ welche ich hier angetroffen/ und
mehr und mehr einſiehe/ ob wol ſolche ſonſten dieſe maͤchtig ſchwaͤchen moͤchten.
Aber dem HErren ſeye preis/ vor diejenige gewißheit/ daß weil er mich heiſſen
gehen/ ich einmahl nicht vergebens kan hieher gekom̃en ſeyn/ ob wol noch nicht ſo
eigentlich austrucken kan/ worinnen es beſtehen mag/ das mir der HErr beſtim-
met hat. Jch will es auch nicht ſorgfaͤltig unterſuchen/ ſondern nach der mir be-
kanntlich vorgeſchriebenen regel arbeiten/ und warten/ wie und wann mich der
HErr wolle die urſach ſeines raths einmahl erſehen laſſen; bin damit zu frieden/
daß doch weiß/ in ſeinem beruff zu ſtehen/ ob auch die urſachen jener erkaͤntniß biß
gar in die ewigkeit moͤchte verſparet muͤſſen werden. Das Goͤttliche liecht/ indem
wir allein/ was unſerer und andern ſeelen dienlich erkennen koͤnnen/ iſt das meiſte/
warum ich vor mich mit ihr zu beten habe/ ſonderlich wie ſie recht bemercket/ die
erkaͤnntnuͤß/ wie weit zu unſerer zeit ſich unſere gedult und langmuth erſtrecken/
und hingegen womit einer mehreren widerſetzung durchgebrochen werden muͤſte.
Ach/ wie ich mir den ſpruch Pauli 2. Tim. 2. v. 24. 25. 26. vor eine meiner haupt-
regeln vorgeſtellet/ daß ich doch recht dieſe beyde moͤgen zuſammen gatten lernen/
T t t t 3die
[702]Das ſechſte Capitel.
die boͤſen zu tragen mit ſanfftmuth/ und zu ſtraffen die wider-
ſpenſtige/
daß ich weder mit unzeitiger ſanftmuth ſeelen verſaͤumen noch mit un-
beſonnenem oder eigenſinnigem ſtraffen das boͤſe boͤſer mache. Dieſes bleibet mir
wol eines meiner vornehmſten anliegen: nachdem ich aber ie hertzlich gern will/
ſo wohl meine affecten zaͤhmen/ wo die ehre des HErrn und der ſeelen heil einer
ſanfftmuth erfordert/ als auch den undanck des haͤrtern ſtraffens eben nicht ſcheu-
en/ wo der wille GOttes dieſes haben will/ ſo trage ich die kindliche zuverſicht/
mein Himmliſcher Vater werde ſeinem armen kinde auch in ſeiner einfallt ſo viel
weisheit geben als noͤthig iſt/ doch auffs wenigſte/ ob ich auch zu meiner demuͤthi-
gung ein und andermal ſolte meiner fehler gewahr werden/ doch keinen ſeelen ſcha-
den zu meiner gaͤntzlichen niederwerffung gewahr werden muͤſte. Jch kan gleich-
wohl bereits meinem Gott mit demuͤthigem danck preiſen/ der mich auffs wenigſte
dieſe wenige wochen uͤber ſchon ſo viel erfahren laſſen/ daß das wort/ ſo er durch
mich geredet/ in den hertzen einige uͤberzeugung gewuͤrcket/ und ſie rege gemacht/
daß einige ſich auch bereits daruͤber beſchwehret gefunden/ aber bekennen muͤſſen/
daß ſie nichts aus Gottes wort dargegen einzuwenden wuͤſten; iedoch meynen/ ſie
haͤtten ſolches auf dieſe weiſe noch nie ſo angeſehen/ und geſorget/ Chriſti verdienſt
werde allzu eng eingeſpannet: denen aber verhoffendlich gnug auch begegnet wor-
den: mir aber dieſes ſchon lieb iſt/ daß die hertzen nicht unempfindlich. Ja aus
unſers lieben Churfuͤrſten mund ſollen einige Cavalliers gehoͤret haben/ daß er ge-
ſprochen/ er haͤtte nicht gemeynt/ daß ihm einer das hertz haͤtte ſollen ruͤhren koͤnnen.
Nuriſt mir wol hertzlich leid/ daß der Herr ſo gar ſelten in Dresden/ ſondern con-
tinu
irlich da und dorten auf dem lande iſt: wie er dann in den 9. wochen/ als ich
hie bin/ nicht mehr als 4. mahl/ und ſchwerlich uͤber ein paar tage/ hier geweſen/
gemeiniglich Samſtag gekom̃en/ und Montags wieder weggereiſt. Daher er mich
allein 3. mahl gehoͤret/ weil ich das eine mahl aus unpaͤßlichkeit die predigt beſtellet
hatte. Ach der HErr gebe mir ſonderlich darinnen (nach ſeiner verheiſſung Apo-
ſtelgeſch. 7. v. 10.) Weisheit vor ihm/ dieſe theure ſeele voͤllig zu gewinnen/ ſo
wuͤrde ein groſſes gethan ſeyn. Nun wir wollen auch dieſer ſtunde/ die er darzu
beſtimmet haben wird/ und die gelegenheit darzu ſelbſt zu machen/ oder den acker/
um den ſeligen ſaamen mit nutzen faſſen zu koͤnnen/ umzuackern weiß/ mit ge-
dult erwarten/ indeſſen beten und auff hoffnung arbeiten. Wie ich vor allem
ſonderlich ſothane gedult und ausharrende beſtaͤndigkeit in der arbeit/ ob wohl der
ſegen ſich nicht offenbahret/ von dem guͤtigen Vater deſto mehr hoffe/ weil er mich
biß daher etlicher maſſen mit ſothaner maaſſe begabet hat: daraus ich billich den
troſt faſſe/ daß der HErr auch in dieſem ort ſeine hand nicht von mir abwenden
werde. Was vertraute freunde/ und zwar ſolche/ zu dero weisheit ſo wohl als treue
mich alles verſehen koͤnne/ anlangt/ wirds am ſchwerſten mir deroſelben hoffnung
zu machen/ und ſehe ich noch darzu wenig anſehen. Solle mir auch etwas mein-
ſtens allhier gegen meinen Franckfurt ſchmertzlich und ſchwehr fallen/ ſo iſts dieſer
mangel:
[703]ARTIC. II. SECT. IX.
mangel: dañ ob ich in ihrer lieben ſtatt auch wol ſolcher iñerſt veꝛtrauten freunde in
dem HErꝛn und in den dingen/ die denſelben angehen/ wenige gehabt/ daher mein
hertz ohne hinterhalt wenigen auch da ich billich anderer urſachen wegen geſollt/
ausſchuͤtten doͤrffen/ ſo warens doch immer etliche/ und dann derjenigen noch eine
feine anzahl/ mit denen aufs wenigſte in den meiſten dingen mit ziemlicher freyheit
handeln dorffte/ in ſolchem grad als es etwa hier langſam darzu kommen moͤchte;
an jenen hoͤchſten grad kan kaum gedencken. Ach wie ſehne ich mich nach meiner
lieben ſchweſter zu weilen/ oder iemand ihres gleichen: wo ich mich auch viel nach
deme ſehnen darff/ was mir mein GOtt auffs wenigſte noch nicht beſtimmet hat/
ſondern mich ziemlich in dieſem ſtuͤcke als in einer einſamkeit laſſen will/ ſo aber
auch ſeinem heiligen willen in demuth heim gebe. Die weisheit mich vor der teu-
ſcherey falſcher freunde zu huͤten/ bedarff ich auch ſo viel als einiger anderer gabe.
Sie kennet mich darinn/ ob ich eben nicht ohne einigen bedacht mein hertz bey ie-
dermann gantz ausſchuͤtte/ daß gleichwol/ wo mich deucht/ etwas gutes bey einem
menſchen zu ſehen/ und ſich derſelbe einer angelegenheit vor das Goͤttliche annim̃t/
das hertz mir leicht zu weit auffgehe/ und aus forcht einem ſolchen mit einigem
verdacht/ dazu ich nicht urſach haͤtte/ zu beladen/ manchmahl in dergleichen mich
weiter als nutz iſt heraus laſſe/ was bey einem auffrichtigen kind GOttes zu ſei-
nem bericht oder auffmunterung nuͤtzlich wuͤrde geweſen ſeyn/ aber bey einem fal-
ſchen hertzen zu eigenem ſchaden und auch meinem nachtheil mißbrauchet werden
kan. Daher das gebeth in ſolcher ſache auch vor mich hoͤchſt noͤthig iſt/ damit ich
auch hierinn das GOtt gefaͤllige mittel treffe/ niemand in der Welt mich ohne
einige ausnahme auf die weiſe darzuſtellen/ wie GOtt allein in mich ſehen muß/
(weil ſolches vielleicht niemand moͤchte nuͤtzlich/ wol aber anſtoͤßig ſeyn/ ſo dann
dem Hoͤchſten auch in dieſem ſtuͤck noch ein vorzug vor allen unſeren bruͤdern und
ſchweſtern gebuͤhret/ daß vor ihm allein unſere ſeele bloß darſtehe) andern gottſel.
hertzen in demjenigen/ wo ich ſchwach und ſtarck mich alſo zu offenbahren/ wie es zu
eines ieglichen erbauung/ warnung/ troſt/ auffmunterung oder nur von ihm ge-
beſſert zu werden/ dienlich/ ſo dann deſſen eignem begriff gemaͤß iſt/ weder mehr
heraus zu laſſen/ noch mehr zu hinterhalten/ als dieſe zweck mit ſich bringen; vor
welt-hertzen aber mich wiederum recht vorzuſehen/ damit ſie nichts an mir ge-
wahr werden moͤchten/ woran ſie ſich entweder ſelbſt/ als die die ſache nicht zu faſ-
ſen vermoͤchten/ aͤrgerten oder zur laͤſterung und werckzeug ihrer bosheit m [...]ßbrau-
chen/ oder auch andern damit ſcha[d]en koͤnten/ hingegen auch wiederum vor dem-
ſelben nichts zu verbergen/ was zu ihrem geiſtlichen beſten dienen moͤchte. Je
mehr ich ſolcher ſache nachdencke/ ie m[e]hr finde ich/ daß weder meine noch einiges
menſchen klugheit dazu gnug ſeye/ indem ſo vieles hierinnen gelegen an der er-
kaͤnntnuͤß deſſen/ was in des andern hertzen liege/ wie ſchwach und ſtarck er ſeye/
welches allein der HErr ſelbs ohne fehler kennet/ und alſo ſein liecht allein uns dar-
innen regieren kan/ deſſen wir dann/ und folglich des gebeths darum/ ſo viel
be
[704]Das ſechſte Capitel.
beduͤrfftiger ſind. Jch erkenne ferner auch gantz wohl/ wie noͤthig mir die klug-
heit ſeye/ wie mich ſelbſt in meinem gantzen wandel unanſtoͤßig zum fuͤrbilde der
Herde darzuſtellen/ alſo auch die meinige goͤttlich zu regieren/ und betruͤbe mich
in dieſem letzten ſo viel mehr/ weil ich zu der particular-erbauung mich weniger
ausgeruͤſtet finde/ und in der kinder anweiſung diejenige faͤhigkeit und weisheit
nicht habe/ die ich hertzlich verlangete/ und gern auch meine treue darinnen er-
zeigen wolte. Jndem ich dahin mich hertzlich zu beſtreben verlangete/ damit aus
meinem hauſe nicht nur kein aͤrgernuͤß offenbahrlich gegeben werde/ dahin es
durch GOttes gnade noch zu bringen verhoffe/ ſondern daß auch wahrhafftiges
gutes exempel in dem geiſtlichen aus demſelben an allen meinigen moͤchte andern
allen zu deren erbauung in die augen leuchten. Jch ſehe aber wohl/ daß ich hier-
innen mehr hoffnung auff das anhaltende gebeth um ſolche gnade/ als auff mei-
nen fleiß/ ſetzen muß. Ach der HErr erfuͤlle doch in allem dieſem und was er
nur nothwendig erkennet/ meine/ anderer und abſonderlich ihre ſeuffzen vor
mich/ damit meine ſeele zur ausbeute davon bringe/ und andere auch in ſeiner
krafft neben mir aus dem verderben errette: ja ob ich es zu erleben nicht wuͤrdig
noch verordnet bin/ die bevorſtehende zeit der erquickung und beſſerung des zu-
ſtandes der braut Chriſti hier auff erden mit zu erleben/ (dero erinnerung und
vorſehung in dem kuͤnfftigen mich gleichwol offtmals/ wo ich mich als einen bru-
der derer/ die der HErr deſſen wuͤrdigen wird/ und ein glied deſſen leibes/ daran
die andern auch ſtehen/ an denen derſelbe ſeine ſonderbahre verheiſſung erfuͤllen
wird/ zu ſeyn gedencke/ kraͤfftig ermuntert) daß mich gleichwol die Goͤttliche guͤte
moͤge zu einem werckzeug gebraucht haben/ einige derſelben ſteine mit bereiten zu
helffen/ aus denen er das ſchoͤne Zion wieder bauen wird/ biß ich auch mit allen
vorgeſchickten und nachgelaſſenen bruͤdern und ſchweſtern des gemeinen erbes in
jener Glori/ oder vielmehr deſſen ſelbſt/ der vor alles erbe allein gnug iſt/ zu voͤlli-
ger ſaͤttigung genieſſe/ und der HErr alſo alles ſein gutes werck in uns vollkom-
men ewig vollfuͤhre. Nun ſie habe alſo nochmahl danck meine geliebte ſchwe-
ſter/ vor ihr innigliches gebeth vor mich/ ſo ſie ſo offt gethan/ geſchrieben/ und
noch ferner thut und thun will: auch die lieb-reiche vermahnung/ wie ich mich in
allem meinem amt und thun zu verhalten habe/ indem ſolche mir noͤthige regeln
in dem jenigen ſelbſten ſtecken/ was ſie mir von dem HErrn in ſolcher ſchrifft ge-
wuͤnſchet hat. Der HErr ſeye auch ihr groſſer lohn/ an ihr und allen ihren lie-
ben angehoͤrigen/ alles ſolchen guten/ ſo ſie mir zugedacht und erwieſen/ und ſetze
ihr davor an jenem groſſen tage eine ſo viel herrlichere krone auff. Jch weiß
davor auff meiner ſeit wenig zu verſprechen/ als daß auch nicht aufhoͤren werde/
vor ſie und ihre nothdurfft insgemein/ und was mir ſonders bekannt werden
ſolte/ zu dem HErrn zu flehen. Wie wuͤnſchte aber ſo hertzlich/ auch an ihrer ſee-
len und dero geiſtlichem wachsthum etwas arbeiten zu koͤnnen/ und damit eben-
falls ihrem verlangen von mir des ihr noch mangelnden erinnert zu werden eine
genuͤge
[705]ARTIC. II. SECT. IX.
genuͤge zu thun. Jch hoffe/ ſie traue meiner liebe zu/ daß ich weder dazu einige
muͤhe oder unterſuchung ſparen wuͤrde/ noch einige ſcheu vor ihr tragen/ der ich
weiß/ wie lieb-reich ſie es auffnehmen wuͤrde. Daß ich alſo nichts inſonderheit
zu erinnern vermag/ iſt das einige/ daß mir der HErr an ihr nichts gezeiget/
worinnen ich ſie erinnern koͤnte/ ſondern er ſie mir vielmehr in unterſchiedlichen
ſtuͤcken mehrere ſchritte vor mir weiſet/ worinnen ich ſie alſo nicht anzuweiſen
vermag/ ſondern gern nachfolge. Was ich alſo/ damit nicht allerdings ihrem
begehren hierinnen abhanden gehe/ darzu ſagen kan/ beſtehet allein darinnen/
ſie aus bruͤderlichem recht dahin noch zu vermahnen/ daß ſie fortfahre auff dem
wege/ darauff ſie der HErr bereits geſetzet hat; daß ſie ihr pfund nicht vergrabe/
ſondern willig ſey mit demſelben/ wie mit exempel/ alſo auch andern Chriſtlichen
erbauungs-pflichten/ nach der liebe und dem recht des uns gemeinen prieſter-
thums zu wuchern/ auch darinnen ſich andere natuͤrliche ſcheue oder forcht nicht
abhalten laſſe/ daher die gelegenheit darzu/ nachdem ohne das ihr ietziger ſtand
etwa mehrere freyheit laſſen mag/ lieber ſelbſt ſuche/ als einige an hand gegebene
mit willen verſaͤume; daß ſie in ſolchem allen ſo wohl Gott um die noͤthige weis-
heit anruffe/ als ſeiner leitung wahr nehme/ in ſolchen nuͤtzlichen pflichten gleich-
wohl ſich alſo zu bezeugen/ daß der laͤſterer keine ſcheinbare und ſchwachen anſtoͤſ-
ſige (dann alle verhuͤten wollen iſt unmuͤglich/ ſo lang der Teuffel bleibet/ was er
iſt) gelegenheit gute dinge zu mißdeuten bekomme/ daß ſie ſich zu den lehrern
freundlich thue/ auch denjenigen/ da ſie redliche intention ſiehet/ manche ſchwach-
heiten zu gut halte/ und ſich nicht von ihnen entferne (worinnen ihr der HErr
auch weisheit geben wird/ wem und wie weit ſie ſich zu vertrauen habe) daß ſie
in bißheriger einfalt ferner einher gehe/ und das vor augen ſchwebende aͤrgernuͤß
der gemeinen verderbnuͤß mit derjenigen Chriſtlichen gedult und vorſichtigkeit
anzuſehen fortfahre/ weder damit ſelbſt ſich einflechten zu laſſen/ noch ſich der beſ-
ſerung zu entziehen/ noch durch die flucht vor ſolchen aͤrgernuͤſſen ſelbſt ſich zum
aͤrgernuͤß anderer zu machen/ ſondern die mehrere befreyung von der vielen ver-
derbnuͤß (wovon wir alle lieber heut als morgen befreyt zu werden inniglich/ wo
es bloß bey uns ſtuͤnde/ verlangten/) lieber in demuth und gedultiger unterwerf-
fung unter Goͤttlichem willen/ (der uns in dieſer zeit der verwirrung aus heili-
gem rath/ den wir noch nicht tieff genug eingeſehen haben/ geſetzet hat/) zu der
ſtunde/ da der HErr die ſeinige ſelbſt ausfuͤhren wird/ zu erwarten/ und mit
auffgerecktem haupt und hertzlicher bereitung derſelben entgegen zu ſchauen/ als
aus eigenem bewillen ſich eher aller bande/ darinnen nicht alles menſchlich wie es
ſcheinet iſt/ ſondern Goͤttlicher rath mit darinnen ſtecket/ wider ſeinen willen da-
mit loßreiſſen zu wollen/ (wie es den Ephraimten/ ſo vor der ausfuͤhrung durch
Moſes in Egypten in das gelobte land einfielen/ aber niederlage litten/ 1. Chron.
1. v. 21. Pſalm 18. v. 10. uͤbel gelungen) daß ſie auch wie mit ihren gaben ſtaͤts
andern zu dienen/ ſonderlich aber in ihrem eigenen haus ie laͤnger ie fruchtbarer
U u u uzu
[706]Das ſechſte Capitel.
zu werden/ alſo auch an andern erbauet zu werden und ſelbſt zu wachſen/ von ih-
rem himmliſchen vater/ ſtaͤts einige auch etwa vorher nicht vermuthete gelegen-
heit erlangen. Endlich wuͤnſche noch insgeſamt/ daß die Sonne der ewigkeit
unſer heyland JEſus nicht weniger alle morgen ihre ſeele mit neuem licht beſtrah-
le und mit neuer krafft erwaͤrme/ als die natuͤrliche Sonne dieſem erden-kreiß zu
deſſen licht und lebendig machender waͤrme taͤglich auffgehet/ damit ſie ej laͤnger ie
mehr wachſe und zunehme in dem guten/ dieſes aber nach und nach vollends was
dem HErrn und ihr ſelbs noch mißfaͤlliges an ihr anklebet/ in Goͤttlicher krafft
tilge: Nun der Gott des fridens heilige euch (und mit euch alle die eurige/ ſo euch
auch nach dem fleiſch angehoͤren) durch und durch/ und euer geiſt gantz ſamt der
ſeele und leib muͤſſe behalten werden unſtraͤfflich auff die zukunfft unſers HErrn
JEſu Chriſti. Getreu iſt er/ der euch ruffet/ welcher wirds auch thun. Jhme
ſeye preiß von uns und allen creaturen in Ewigkeit. Amen. den 8. Sept. 1686.


SECTIO X.


Ob ich unſerer kirchen grund-irrthuͤmer oder an-
dere irrthuͤmer beymeſſe.


WEr/ was ich von unſerer kirchen halte/ wiſſen wil/ findet ſolche in Catech.
q. 748. 749. Tab. Catech. p. 35.
klagen des Chriſtenthump. 44. 47.
48.
ſonderlich Franckfurt. Denckmahlp. 261. dieſe ort liegen allen
vor augen und zeigen meine lehre. daß ich aber in der buß-predigtp. 17. ſage
daß unſere kirche gegen andere allein keine ſcheinbare grund-irr-
thuͤmer hat/
wuͤrde Lateiniſch heiſſen: ſola reliquis collata non habet erro-
res fundamentales,
nicht aber habet errores ſolum non fundamentales. Daß
ich aber der grund-irrthuͤmer gedencke/ iſt dieſe urſache/ daß ich von keiner
kirche in der welt getraue zu verſichern/ daß ſie [...]ar keine irrthuͤmer habe/ als wel-
ches ſcheinet ſupra conditionem humanam zu ſeyn. Die kirche zu Jeruſalem un-
erachtet der erleuchtung des Heil. Geiſtes hatte noch erſtlich den irrthum/ daß die
Heyden nicht anders/ als durch die thuͤr des Juͤdenthums/ in das reich Chriſti
eingehen koͤnten/ biß Ap. Geſch. 10. Gott Petro ein anders wieſe. Nach derſelben
zeit werden wir niemahl zeigen/ daß die kirche ie ohne einige irrthuͤmer geweſen/
wie wir viele dinge auch in den erſten Patribus verwerffen/ ſonderlich was expli-
cationem ſcripturæ
anbelangt. Wie ſolten wir zu unſerer zeit der kirchen die hohe
vollkommenheit denn zuſchreiben/ daß nun bey derſelben nicht der geringſte irr-
thum circa explicationem ſcripturæ, circa vaticinia u. andere dergleichen uͤbrig
ſeye? genug iſts ad veritatem Eccleſiæ, daß in der lehr kein irrthum ſeye/ ſo
einiger-
[707]ARTIC. II. SECT. X.
einigerley maſſen die ſeligkeit hinderte: das heiſſen die grund-irrthuͤme.
Daher mein præceptor D. Dannhauer ſehr ſtattlich redet Hodoſ. Pſ. 2. p. 121.
wenn er die notam Eccleſiæ ſetzet: E radiis cœleſtis veritatis, h. e. è funda-
mentis ſalutis ac fundamentalium ſalutis articulorum adeoque totius cate-
natim connexæ veritatis revelatæ ad ſalutem neceſſariæ;
Mehr koͤnnen wir
nicht mit verſicherung unſers gewiſſens der ſichtbaren kirche beylegen; denn ob
ich und andere keine irrthuͤme darinn finden/ (wie ich auch nicht ſage/ daß einige
irrthuͤmer circa leviora darinn ſeyn/ ſondern aſſeverire nur als mir gewiß/ daß
keine grund-irrthuͤmer anzutreffen) folget nicht/ ſo koͤnnen nicht einige/ nemlich
geringe/ und die zur ſeligkeit noͤthige lehr nicht verletzende irrthuͤmer darinn ſeyn.
Jch hoffe/ alle cordati Theologi ſollen darinn mit mir eins ſeyn/ und ſolche
modeſtien nicht improbiren. 13. Nov. 1686.


SECTIO XI.


Gefahr unſerer kirchen und verlaſſung von
menſchlichem ſchutz.


JCh werde gewiß immer in derjenigen meynung bekraͤfftiget/ der HErr laſſe
unſere kirche an allen orten alles deſſen/ worauff menſchliches vertrauen
noch einige reflexion machen moͤchte/ beraubet werden/ theils daß andere
der mitbruͤder anliegen und noth nicht einmal zu hertzen nehmen/ noch darzu thun/
was ſie noch zu thun vermoͤchten; theils daß dieſen auf ſo viel weiſe ſelbſt die haͤnde
muͤſſen gebunden werden/ daß ſie nichts thun koͤnnen/ und ihr unvermoͤgen auff
alle weiſe offenbahr werde. Damit wir uns lernen gewoͤhnen/ offt unſere zuverſicht
von allen menſchen abzuziehen/ auff das leyden/ als gewiß/ uns gefaßt zu machen/
und mit hertzlichem gebeth um ſeine ſtaͤrckende gnade/ dem HErrn/ wie viel er den
feinden der wahrheit uͤber uns verhengen wolte/ mit kindlicher gelaſſenheit zu uͤber-
geben. Jn welchen der hertzen zuſtand gewißlich derſelbe ſich ſeiner kirchen allezeit
am kraͤfftigſten angenom̃en/ ſo lange aber offt damit zuruͤck gehalten hat/ als lange
noch etwas geſchienen uͤbrig zu ſeyn/ auff welches ein vertrauen moͤchte geſetzet
werden. Welches er denn eben um der urſach willen thut/ damit nachmahlen der
erfolgte ſchutz und huͤlffe lauterlich ihm zugeſchrieben werde/ ohne daß menſchen an
ſolcher ſeiner ehre theil haben oder behalten. An dem Rhein gehet es auch alſo/ und
behaͤlt Franckreich die freye macht/ nach ſeinem belieben zu verfahren/ wie es wil/
ohne daß man ihm wehrte/ oder ſich deſſen mit nachtruck annaͤhme. Alſo daß ich ie
mehr und mehr ſehe/ es komme dahin/ daß die alte arma eccleſiæ, preces, lacry-
mæ, patientia \& vitæ ſanctitas
nicht nur auch ietzo das beſte thun/ ſondern als die-
jenige angeſehen werden muͤſſen. Der HErr laſſe ferner die zeiten ſeiner gerichte
U u u u 2bald
[709[708]]Das ſechſte Capitel.
bald vorbey gehen/ damit man auffs neue ihm dancke/ wo dieſelbe auff Babel zu-
ruͤck gefallen/ und das verſtoͤhrte Zion wieder auffzubauen zeit und ſtunde/ auch ſe-
gen von oben/ gegeben wird; ſo endlich ſo weit nicht mehr weg ſeyn kan/ und mit
deſto hertzlicher gedult zu erwarten ſeyn wird. 1687.


SECTIO XII.


Auff die klagen des mangels der noͤthigen beſondern
erbauung: daß man zuweilen durch angemaßte freyheit
der meynungen ſich darum bringe/ woran eine fromme
ſeele ſich alsdenn zu halten habe.


DJe ſehnliche neulich bey mir ausgeſchuͤttete klagen ſind mir tieff zu hertzen
getrungen; ach wie wuͤnſchte ſo ſehnlich/ daß ſo leicht helffen und rath ſchaf-
fen koͤnte/ als ich deſſen ſchwertzen mit fuͤhle: Wie mir aber die ſpecialia,
worauf ſolche klagen [jede]s ſtuͤckes zielen/ nicht zur gnuͤge bekannt ſind/ ſo weiß nicht/
was auf dieſelbe antworten ſolte/ als insgemein nochmal die gedult/ als das edelſte
heil-pflaſter aller ſonſt verzweiffelteſten ſchaͤden zu recommendiren: wozu noch
ſetze eine vor Gott anſtellende hertzliche unterſuchung/ wormit wir insgeſammt die
vor deme unter mehreren geweſte offenhertzige vertraulichkeit ſelbſt gehindert/ oder
auch Gott hindernuͤſſen darein kommen zu laſſen gereitzet haben. Wir werden ins-
geſamt in aufrichtiger pruͤfung ſo vieles finden/ daß wir ſagen muͤſſen/ der HErr
ſeye gerecht/ der uns dasjenige nicht laͤnger gelaſſen/ was wir entweder nicht danck-
barlich zu rechtem gebrauch angewendet/ oder wohl gar mißbrauchet haben. Wie
ich mich denn verſichere/ als viel menſchlich von der ſache geurtheilet werden mag/
da wir mit einander bey der erſten abſicht/ dahin einig zu trachten/ wie wir die uns
bey unſerer kirchen von jugend auf (und zwar als viel mich gewiß achte/ warhafftig
aus dem wort des HErrn) vorgetragene uñ eingetruckte warheiten fruchtbar ma-
chen/ und wohin uns dieſelbe weiſen allein in die uͤbung bringen moͤchten/ geblie-
ben waͤren/ ſolte der bau in Gottes ſegen trefflich von ſtatten gegangen/ und ver-
gebens geweſen ſeyn/ womit iemand denſelben zu ſtoͤhren geſucht ſolte haben.
Aber ungebundene freyheit/ ſo einen herrlichen ſchein hatte/ hat das gluͤcklich vor-
gehabte betruͤbter weiſe ins ſtecken gebracht/ da auch hertzlich geſinnete erſtlich
ſtutzig und forchtſam wuͤrden/ darauff wahrhafftig ſolche gefahr dero der verhoffte
nutzen nicht gleich geachtet werden koͤnte/ wargenommen/ und ſich zuruͤcke ziehen
muͤſſen; andere aber ſo etwa ohne das das gute auch nicht anders als mit ſchaͤlen
augen angeſehen/ dardurch die verlangte gelegenheit bekommen haben/ demjeni-
gen ſich zu widerſetzen/ woran man billich mangel und bedencken nun mehr zeigen
koͤnte.
[709]ARTIC. II. SECT. XII.
koͤnte. Uber allem dieſem aber ſahe ich noch eine hoͤhere hand an/ welche alles
regieret/ und entweder ſelbſt anordnet/ oder doch weislich verhaͤnget: und un-
terwerffe mich billich derſelbigen/ dasjenige nunmehr vor das beſte achtende/
nicht was mir dermaſſen vorgekommen waͤre/ ſondern was der ſchluß des o-
bern raths geweſen/ bey welchem es ſtehet/ ob und wie viel er zu ieder zeit zu
iedem guten vorhaben fortgang geben oder nicht/ und etwa eine vor der zeit
hervor gebrochene bluͤt durch einen froſt wiederum nieder gedruckt werden laſſen
wolle. Sein nahme bleibet auch darinnen geprieſen/ worinnen wir ſeiner fuͤ-
gung weiſe urſachen nicht genug erkennet/ aber ſolche zu ſeyn insgemein glauben;
indeſſen muß es einer ſeele/ welche GOtt hertzlich ſuchet/ dennoch niemahl an ihrer
notdurfft mangeln/ ſondern der HErr laͤſſet ſich einmahl von derſelben allezeit
finden. Hat man die gelegenheit der privat-erbauung nicht ſondern ſolte die-
ſelbe/ nachdem ſie von einigen durch freyheit der meynungen gefaͤhrlich oder ver-
daͤchtig gemacht worden/ von denjenigen/ welche die ober-auffſicht haben/ gantz
gewehret werden/ (ſo ich gleich wohl bey ihnen/ wo man ſich nur dererjenigen ent-
haͤlt/ die einen nicht ungegruͤndeten verdacht/ bey unſerer lehr nicht geblieben zu
ſeyn auff ſich gezogen/ und ſich damit zu ſolcher erbauung untuͤchtig gemacht ha-
ben/ allerdings zu geſchehen nicht hoffe/) ſo haben wir noch unſere allgemeine ver-
ſammlungen/ in denen und den predigten/ wo auch ieglicher ſeele nicht alles
ſchmecket/ ingleichem doch/ wo ſie es an dem rechten ort recht angreifft/ ihre noth-
durfft mit anruffung GOttes finden kan: ſolte man auch damit ſich nicht ver-
gnuͤgen koͤnnen/ wie ich ſolches nicht eben in abrede ſeyn will/ ſo iſt das allerhoͤchſte
kleinod unſerer kirchen/ daß wir das heilige wort unſers GOttes in der ſchrifft ha-
ben/ deſſen leſung zu unſerer erbauung uns ſo gar niemand wehren darff/ daß man
uns vielmehr daſſelbige recommendiret. Laſſet uns alſo darinnen ſuchen/ was
wir ſonſten nicht finden. So kan uns auch ferner kein menſch nicht wehren/ in
andern buͤchern/ auffs wenigſte/ welche von unſerer kirche zugethanen lehrern
geſchrieben worden/ uns zu ergoͤtzen/ und aus denſelben unſere fernere nothdurfft
zu ſuchen: und bekenne ich gern/ daß ich nicht ſehe/ wie wir als nothwendig im-
mer weiter prætendiren koͤnten/ daß uns auch frey ſtehen muͤſſe/ andere vor irrig
gehaltene ſchrifften zu leſen: indem zuweilen urſachen ſeyn moͤgen/ warum nach
einigem mißbrauch dasjenige eine weil eingeſchrencket werden mag/ deſſen freyheit
man ſonſten insgemein behauptet. Wo ich nun alles zuſammen faſſen ſolle/ achte
ich/ was meinen lieb-werthen freund anlangt/ ob wohl derſelbe nicht alle diejenige
mittel nunmehr haben kan/ welche er zu ſeiner ſeelen auffmunterung verlangte/ ſo
ſolle es dennoch aus dem obigen/ und ſonderlich aus der guͤte des himmliſchen
vaters ſelbſt/ welcher diejenige/ ſo nach der gerechtigkeit hungert und duͤrſtet/ gern
ſaͤttiget/ ihm an demjenigen nicht mangeln/ was zu deſſen mehrerem wachsthum
noͤthig iſt/ ja auch von andern befoͤrderung darzu geſchehen/ wo nur aller ſchein
oder ſorge einiger abweichung von unſerer allgemeinen lehr/ wie zwar auch billich
U u u u 3iſt/
[710]Das ſechſte Capitel.
iſt/ vermieden wird/ als davon ſonſten alles/ was wir zu beklagen haben/ herkom-
met. Ach der HErr HErr erbarme ſich alles verderbens/ und gebe uns auch
darinnen die weisheit zu erkennen/ was uns iedes mahl das nuͤtzlichſte ſeye: ſo
heilige er uns in der wahrheit/ die ſein wort iſt/ daß ſolches in die hertzen wahrhaff-
tig durch ſeinen Geiſt gepflantzet werde. Jſt es auch/ wie verlauten will/ daß
derſelbe ſich nechſt auff das land ſetzen werde/ ſo laſſe der HErr auch ſolches ein
mittel ſeyn/ in mehrerer einſamkeit und wenigerem umgang der menſchen mit ihm
ſo viel familiarer umzugehen: Er beſchere auch auffs wenigſte ein und anderer
ſeelen/ dero gottſeliger umgang zu weilen die verdrießlichkeit der einſamkeit weg-
nehme. den 11. Febr. 1687.


SECTIO XIII.


Als einer mich zu einer hefftigkeit in eifer antreiben
wolte. Vom Apoſtoliſchen
charactere.VonLutheri
hefftigkeit vonArndio. Stephan Prætorio. Elia Prætorio
Wie die heiligung treibe. Von fleiſchlicher frucht. Ob
man allezeit was ausrichte. Arbeiten auf Hoff-
nung.
D.Heinrich Muͤller.


DAmit ich ohne langen umbſchweiff ſo bald zur ſache ſelbſt ſchreite/ verſichere
denſelben/ daß er mit ſolchem ſchreiben nicht wuͤrde aller orten wohl auff-
genommen ſeyn worden/ ſondern etwa unbeliebige antwort von vielen zu
erwarten gehabt haben: Bey mir aber hat er dergleichen nicht zu ſorgen/ dann
mich der HErr gelehrt hat/ andere neben mir nicht nur in ihrer ſchwachheit/
ſondern auch hefftigkeit zu tragen/ und offt aus denſelben etwas anders/ alß
was ſie eigentlich intendiret/ zu lernen: Dahero ich/ wenn es mit wuͤnſchen
ausgerichtet waͤre/ wuͤnſchete/ daß das ſo harte ſchreiben an H. N. vielmehr
auch an mich ergangen waͤre/ da es eben keine motus gegeben haben ſolte. Wie
ich nun von allen alles zu tragen mich ſchuldig achte/ und mich wohl dabey be-
finde/ obs auch von widerſachern aus feindlichem gemuͤth kommet/ ſo viel we-
niger laſſe ich mich zum unwillen bewegen von denen/ welche aus liebe etwas
thun/ ob ſie wohl etwa darinnen irren/ und mir dinge zumuthen wollen/ welche
ich goͤttlichem willen nicht gemaͤß zu ſeyn achte. Nun urtheile ich von dem Her-
ren nichts anders/ alß daß ers treulich mit GOtt meyne/ und mich liebe/ daher
in ſeinem brieff aus ſeinem gewiſſen geſchrieben habe; ob er mir wohl hinwider
mit recht nicht verdencken kan/ daß ſo wenig ich ſein gewiſſen ſchlecht dahin dem
meinigen unterwerffen wolle/ eben ſo wenig ich mir das ſeinige/ ſo ich darinn
irrend
[711]ARTIC. II. SECT. XIII.
irrend zu ſeyn glaube/ zur regul aufftringen laſſe. Daher mir meine unge-
bundene und von keinem menſchen an ſich ſelbſt dependirende Freyheit blei-
bet/ und ich von niemand nichts anzunehmen habe/ alß ſo viel er mich aus
GOttes klarem wort uͤberzeugt/ daß das gewiſſen darauff ruhen koͤnne. Wie
ich auch meine zuhoͤrer ſo offt erinnere/ auch mir das geringſte nicht ohn uͤber-
zeugung aus GOttes wort zu glauben. Daß er alſo mir die augen zu oͤffnen
ſich bemuͤhen will/ nehme ich den guten willen/ an deſſen redlichkeit ich
nicht zweifelen will/ zu danck an/ der ich auch ſtets den HErren umb mehr
erleuchtete augen meines verſtaͤndnuͤſſes zu erkaͤntnuß ſein und ſeines Willens
anruffe/ und wohl weiß/ wie unſer aller licht ſtets noch mit ziemlicher finſterniß
umbgeben ſeye/ daher weiterer erleuchtung bedoͤrffe; daß aber demſelben ſol-
ches von GOtt gegeben ſey/ und er vermoͤge anderer augen auffzuthun/ habe
aus bißherigen noch nicht geſehen/ ſondern muß vielmehr ſorgen/ man wolle
mich lehren/ offne augen zuzuſchlieſſen/ und blindlings drein zu fahren/ in ſachen/
wo GOttes ehr mit ungeſtuͤmmigkeit mehr verletzt als beſodert wuͤrde. Hie
gedencke der Herr nicht/ daß ich ſolches rede aus anſehung ſeiner armſeeligkeit
und veraͤchtlichen zuſtandes/ ſondern der HErr hat mich gelehret/ nicht auff
eine perſon/ ſondern die ſache und dero warheit zu ſehen; dahero ſo wenig
deſſen beklagter ver[aͤ]chtliche zuſtand (ſo er zwar ſcheinet vor ein Apoſtoliſchen
Characterem zu halten) mich beweget/ ſeine wort als Apoſtoliſche wort
anzunehmen/ ſo wenig bewegt er mich auch/ dieſelbe ohngepruͤft zu verwerffe[n]/
ſondern meine regul bleibet/ Non quis ſed quid; daher ihn verſichere/ daß ich
von etwa geringeren perſonen freundliche erinnerung angenommen/ und mich
davon zu lernen nicht geſchaͤmet habe; da mich aber auch der alle[r]vornehm[ſt]e
und hoͤchſt gelehrte derjenigen dinge wollte bereden/ welche der HErr mir vor-
traͤget/ wuͤrde deſſen anſehen etwa nicht viel mehr zu annehmung der ſache
wuͤrcken. Was unſern theuren Lutherum anlangt/ verſichere denſelben/ daß
ich ihn nicht nur fleißig ohne ruhm zu melden geleſen habe/ ſondern von grund
meiner ſeele liebe/ und ihn hoch achte/ auch GOtt nicht gnug zu dancken weiß/
vor dasjenige/ was er mich aus einem ſolchen herrlichen Autore nechſt ſeinem
wort hat lernen laſſen. So habe ich mit andern Collaboratoribus, bey denen
ich aber die Direction gehabt/ aus Luthero einen voͤlligen Commentarium
uͤber die gantze Bibel/ aus den bloſſen worten Lutheri, daß wir nichts anders
als etwa und/ dann/ aber oder dergleichen particulas connexivas ſeine
ſtellen/ da manchmahl uͤber einen ſpruch an 20. 30. und mehr orten etwas geleſen
wird/ zuſammenzuhaͤngen/ des unſerigen dazu gethan haben/ zuſammen getragen/
ſo ein werck auf 100. bogen werden wird. Welcherley arbeit ich nimmermehr uͤber-
nommen/ und ſo manche zeit daran/ nemlich alle ſeine ſchrifften/ die zu haben ſind/
zu durchleſen/ gewendet haben wuͤrde/ wo ich den mann nicht hoch æſtimirte/ und
deßwegen ſeine arbeit ohne frembde vermiſchung der kirchen vor augen zu legen
wuͤr-
[712]Das ſechſte Capitel.
wuͤrdig achtete. Wie ich auch deswegen/ ob ich wohl unſerer Kirchen den
nahmen Lutheriſch nicht gegeben habe/ oder ſie ihn ſelbſt auff eine ſectiſche
art genommen hat/ mich gleichwohl/ da die Widerſacher uns denſelben zur
unehr alß einer ſecte gegeben/ deſſelben nicht ſchaͤme/ ſondern in dem verſtand/
wie wir ihn/ nicht alß unſers glaubens meiſter/ ſondern einen der theureſten
zeugen der Evangeliſchen wahrheit anſehen/ mich deſſen eher ruͤhme/ daher
nicht davor gehalten/ daß der Herr urſach gehabt/ gegen ſolchen nahmen ſo heff-
tigen eiffer zu bezeugen. Jndeſſen ſo hoch ich Lutherum halte. 1. ſo erkenne ich ihn
doch als einen menſchen/ und ſetze ihn/ weit weit unter die Apoſtel; indem in ihm
eine hohe kraft des geiſtes war geweſen/ aber ſeine menſchliche gebrechen dadurch
nicht auffgehoben worden ſind. Jch will jetzo nicht ſagen von ſeiner auslegung
der ſchrifft/ ſonderlich in den Propheten/ wie offt es dem lieben Mann geman-
gelt/ und er warhafftig den ſinn des geiſtes vielmahl nicht getroffen/ ſo gar/ daß
manche ort von ſolchen leuten/ die ihm ſonſten das waſſer nicht reichen moͤchten/
beſſer bißher ergruͤndet worden ſind/ alß er ſie erkant hat (davon ich nicht ſo viel
zeugen koͤnte/ wo ich ihn nicht ſo fleißig durchleſen haͤtte) ſondern auch in andern
ſtuͤcken hat ſich manches menſchliches und natuͤrliches mit untergemiſchet/
damit ja ein offenbahrer unterſchied bliebe zwiſchen den unmittelbahr erleuch te-
ten/ und allen uͤbrigen Lehrern/ ſie haben nahmen wie ſie wollen: Daher wir
auch alle andre ſchrifften nicht mit blindem gehorſam anzunehmen haben/ noch
hingegen der gebrechen unſrer Lehrer zu ſpotten/ aber ſie gleichwohl auch nicht
vor tugenden anzunehmen/ ſondern einige dinge an ihnen mit mitleyden zu tra-
gen. 2. Was die hefftigkeit des Styli anlangt/ iſts wahr/ daß dieſelbe zwar
nicht aller orten/ aber doch nach gelegenheit der materie/ ſich bey ihm findet.
Jch will auch nicht in abrede ſeyn/ daß es die goͤttliche Providenz nach ihrer
weißheit vor nuͤtzlich befunden/ einen mann zu ſolcher ſeeligen reformation zu
gebrauchen/ der von vielem auch natuͤrlichen feur waͤre/ dazu ſie ihre urſach
gehabt haben mag. Es iſt aber dabey auch zu bemercken/ daß es ſolches Seculi
art mehr mit ſich gebracht/ und damal insgemein haͤrtere redensarten uͤblich/
deßwegen auch zu ſolcher zeit weniger anſtoͤßig geweſen/ alß ſie jetzund ſind.
Wie wir finden werden/ daß damahls auch Fuͤrſten mit ſolchen harten worten
offentlich ſich gegen einander ausgelaſſen/ da auch die geringſte ſich untereinan-
der alſo zu ſchelten/ heut zu tage ſich ſchaͤmen wuͤrden. Ferner ſo braucht er der
gleichen harte reden meiſtens allein gegen die offenbahren feinde der Evangeli-
ſchen warheit/ gegen andere fehler in dem leben faͤhret er in vergleichung gegen
jene viel ſanffter. Jch ſiehe auch nicht/ warum wir nicht bekennen ſolten/ daß eben
auch dieſem lieben Mann in ſolcher ſache etwas menſchliches angeklebet/ ſo wir
als eine wartze an einem ſchoͤnen leib/ doch eben nicht hoch zu loben haben: indem
vielleicht ſich zeigen lieſſe/ daß ein und andere hefftigkeit unterſchiedliche mal den
lauff des Evangelii mehr gehindert alß ihn gefordert habe. Daher ich abermal die
goͤtt-
[713]ARTIC. II. SECT. XIII.
goͤttliche weiſe providenz hertzlich verehre/ die dieſen mann/ Philippum an die
ſeit geſetzet/ der nicht nur auch mit ſeiner erudition ihn in vielen ſtuͤcken nuͤtzlich
zu ſtatten gekommen/ ſondern auch mehr mahl deſſen hitz in einigen ſachen mode-
ri
ret hat. Ob alſo Melanchthon die hohe krafft des Geiſts nicht gehabt alß Luthe-
rus,
daher auch die haupt-perſon in dieſem groſſen werck nicht hat vertretten koͤn-
nen/ ſondern wo es an ihn gekommen/ ſeiner furchtſamkeit wegen alles wuͤrde in
ſtecken gerathen ſeyn/ ſo war doch dieſes die weisheit GOttes/ welche denſelben
unſern groſſen helden zugeordnet/ der zuweilen einige conſilia temperiren konte/
die ſonſten zu hitzig mochten gefaſſet werden. Weswegen ob wol Philippi actio-
nes
nicht alle billige/ ſonderlich nachdem er zu viel auff andere ſeiten ſich zu nei-
gen angefangen/ ſo preiſen wir dennoch billich GOttes weißheit/ der dieſe beyde
maͤnner zuſammen gegattet/ und haben nicht urſach/ Philippum ſo gar hinzu-
werffen/ und ſo ſchimpflich zu tractiren, wie Lutherus redivivus thut/ da er ſich
gleichwohl beſſer um unſere kirche verdienet hat. 3. Jndeſſen hat unſer liebe Lu-
therus
weder ſelbſt den damahligen Churfuͤrſten alſo angegriffen/ noch Spalati-
num
in ſeinen vielen brieffen an ihn/ dahin genoͤthiget/ wie ich mich verſichere/
daß der Herr/ da er an ſolcher ſtelle waͤre/ thun wolte: Sondern er ließ dem werck
des HErrn ſeine zeit/ das allgemach eines nach dem andern zeitigte: Ob es wohl
damahl auch bey hoff und der regierung durchaus nicht hergieng/ wie er verlang-
te; wie in ſeinen brieffen ſo viel zu ſehen iſt/ worinnen er es aber bey dem klagen
bleiben lieſſe/ und zu frieden war/ wo nur etzlicher maſſen das werck des HErrn
von ſtatten gienge/ und nicht gar gehindert wurde. 4. Jch entſinne mich viel herr-
liches in Luthero geleſen zu haben/ ob wol die zeit auffzuſchlagen nicht habe/ wie
der theure mann ſelbſt mißfallen gehabt an denen predigern/ die mit poltern und
ſtuͤrmen die leute wollten ſeelig machen/ und durch das geſetz dasjenige ausrich-
ten/ was in ſeinem vermoͤgen nicht ſtehet/ indem es nicht einmal ein guts werck
heraus bringen kan/ geſchweige denn/ daß es unſere bekehrung wircken koͤnte.
Daher er auff das Evangelium ſo herrlich treibet/ daß mich eben in dem theuren
lehrer nichts hertzlicher afficirt/ alß daß ihm GOtt die art des Evangelii/ die na-
tur und krafft des glaubens/ die weiſe/ wie man zu rechtſchaffener heiligkeit kom-
men ſolle/ heller einzuſehen gegeben hat/ alß wohl biß auff ihn nach den Apoſteln
ſchwerlich einem lehrer. Wo er alſo mit harten worten/ ſonderlich gegen die fein-
de des Evangelii/ ausbricht/ welches ich oben bekennet habe/ nicht ohne goͤttliche
leitung geſchehen zu ſeyn/ hat er ſolches gemein/ mit ſo viel anderen lehrern und
vaͤttern/ vor ihm/ die es ihm in ſolcher hefftigkeit und ſchelten gleich/ oder wohl
vorgethan haben/ aber wo er mit dem Evangelio umgehet/ da iſt er erſt recht der
unvergleichliche Lutherus, und ſtehet in ſeiner eigenen gabe: Denn deßwegen
manche in Luthero das jenige am meiſten ſuchen und lieben moͤgen/ das eben
nicht das haupt-werck in ihm iſt/ und laſſen daruͤber das beſte und vornehmſte
fahren/ oder ſehens doch nicht fleißig an. 5. Wenn aber der Herr unſern auch
X x x xtheu-
[714]Das ſechſte Capitel.
theuren Arndium nach Luthero ſo gering haͤlt/ und ihn lieber in Utopiam relegirt
wiſſen will/ auch klaget/ daß derſelbe ihn bald auff die ſchlingel-banck und gar
zum teuffel in die hoͤlle bracht haͤtte/ bekenne ich gern/ daß wo mich etwas gegen
denſelben zum zorn bewegen moͤgen/ ich daraus zu ſolchem recht zu haben ge-
dacht haͤtte. Jch ſehe aber/ mit was gedult und mitleiden des Herrn hefftig-
keit/ ſo ich nicht als einen Apoſtoliſchen geiſt anſehen kan/ ſondern vor einen
effect eines durch viel widrigkeiten in eine bitterkeit/ die als habitual worden/
gerathenen gemuͤths achten/ und daher denſelben/ was man andern eben nicht
thaͤt/ zu gut halten ſolte/ auffgenommen werden muß/ ob mirs wohl um Gottes
und deſſen ehre willen leid thut/ daß deſſen vortreffliches werck-zeug/ dadurch
er der kirchen ſo groſſes gut erzeiget hat/ ſo hart angelaſſen werden ſoll/ von
einem/ welcher unſerer kirchen diener geweſen. Der HErr vergebe ihm ſolche
ſuͤnde/ und laſſe ihn zu dero erk[aͤ]nntnuͤß kommen/ die gewißlich ſchwerer iſt/
als er ſich ietzo einbildet. Daher ſetze ich/ wie ſchon bekennet/ Lutherum billich
fornen an/ und/ nachdem GOtt durch ihn ein groͤſſer werck/ ſo mehr in die augen
gefallen/ ausgerichtet hat/ als durch Arndtium, laſſe ihm auch darinn ſeinen
vorzug/ aber dieſer ſtreicht ihm nahe/ und weiß ich nicht/ ober nicht noch in ſeinen
ſchrifften zu einem nicht geringern werck als Lutherus, mag von GOtt beſtim-
met ſeyn. Jch laͤugne auch nicht/ daß ich unſerer lehrer nicht leicht iemahl ei-
nigen/ als dieſe beyde/ auff der Canzel austruͤcke/ und ſie zuſammen ſetze/ welche
auch alle beyde gleichſam einen præceptorem an Taulero gehabt/ aus dem
warhafftig Lutherus, ſonderlich in den erſten Tomis, erkannt werden kan/ gleich-
ſam worden zu ſeyn/ was er worden iſt/ Arndius aber auch ſo viel geſchoͤpffet hat.
Daher ſo wenig mich reuet/ Lutherum geleſen zu haben/ ſo wenig reuet mich
auch/ an Arndium zeit gewandt zu haben/ und verſichere ich mich/ einen geiſt in
beyden/ was die ſache anlangt/ angetroffen zu haben/ daß ich niemahl/ von ei-
nem auff den andern kommende/ mein gemuͤth aͤndern habe doͤrffen. Jch wun-
dere mich auch deswegen/ da der Herr ſo offt auff Hoburgern ſich beruffen/
und denſelben geruͤhmet hat/ wie derſelbe darauf kommen koͤnnen/ da gleichwohl
Hoburg keinen unſerer Theologorum biß in ſeinen todt hertzlicher geliebet hat/
als Arndtium, ja denſelben Luthero ſehr weit wird vorgezogen haben. Allezeit
nach meinem gewiſſen finde ich keine arten/ wie auch zu unſerer zeit der Chriſt-
lichen kirchen kraͤfftiger zu rathen ſeye/ als auff die weiſe Arndtii; wie uns Gott
auch noch kuͤnfftig zeigen wird; vielleicht aber wo er die augen recht auffthun
wolte/ etwas dergleichen bereits als von weitem ſehen moͤchte. 6. Weil der-
ſelbe auch auff Prætorium kommt/ ob ich wohl nicht leugne/ daß in Stephano Præ-
torio
ein und andere flecken/ der ihn etwas verſtellet/ ſo aber meiſtens aus man-
gel der ſtudiorum und einiger leicht-glaubigkeit herkommen/ ſich finden/ ſo
bekenne doch hinwieder gern/ daß ich ihn vor einen gottſeligen frommen ſcri-
bent
en halte/ und wie ſeine lehre mit ſeinem judicio in ſeine ſchatz-kammer von
Statio
[715]ARTIC. II. SECT. XIII.
Statio in ordnung gebracht worden/ Chriſtlichen hertzen zu erbauung (wo
nur ein und anderer ort guͤtig erklaͤhret werden) nuͤtzlich achte/ und wo er mit
Elia Prætorio verglichen wird/ gewißlich mehr wahre zeugnuͤſſe des Geiſtes
Chriſti in Stephano finde. 7. Das ſtuͤrmen eines ſolchen geiſtes/ wie ſich bey
dem herrn weiſet/ verlange ich/ und andere/ die mit mir Arndtium, und mit ihm
Lutherum, lieben/ nicht/ aber wiſſen auch/ daß er nicht Apoſtoliſch iſt. Der
Geiſt kam auff die Apoſtel mit groſſem brauſen und feuer/ nicht aber mit don-
ner und blitz: wie dann freylich auch die predigt des Evangelii ihre feurige krafft
hat/ die hertzen durch zutringen/ ob wohl nicht zum ſchrecken: ſondern zu ent-
zuͤnden das licht des glaubens und das feuer der liebe. Welcherley das Geſetz
noch nicht ausrichten kan/ ſondern ſich vielmehr als ein verzehrend feuer dar-
ſtellet. Daher als die Apoſtel damit erfuͤllet wurden/ war die wuͤrckung allein/
daß ſie die groſſen thaten GOttes preiſeten/ nicht aber mit ſchelten und fluchen
anhuben. Wie auch die erſte in ſolcher fuͤlle des Geiſtes gehaltene predigt des
Petri, da er dazu das ſtraff-amt fuͤhren muſte/ viel gelinder gehet/ als ich etwa
ſorge/ das der Herr moͤchte vor noͤthig gehalten haben. Jndem ich in dem
ſchreiben begriffen war/ wird mir von einem Chriſtlichen freund ein ort des lie-
ben Mattheſii gezeiget/ wie Lutherus ſeine hefftigkeit ſelbſt angeſehen/ und da-
mit nicht eben gepranget/ oder andere zur nachfolge gereitzet habe/ welchen ich
hie anzufuͤhren wuͤrdig achte/ damit der herr ja nicht meyne/ es ſeye uns ſolche
art Lutheri zu einem muſter vorgeſtellet. Es gedencket jener wohl-verdiente
mann in der 7. predigt von der hiſtoria D. Luthers/ p. 69.Groſſe leute
haben auch hohe gedancken und ihre ſonderliche anfechtung/ darein
wir einfaͤltige uns nicht allweg ſchicken koͤnnen. Moſes zuwirfft
in ſeinem zorn die beyde tafeln/ darauff die Zehen Geboth ſtunden/

Pinehaserſticht in ſeinem eyffer den unzuͤchtigen Jſraetiter/ Sa-
muel richtet den Koͤnig hin/ den Saul unter einem groſſen ſchein
wieder GOttes wort verſchonet.
S. Paulusgiebt den Corinthiſchen
blut-ſchaͤnder dem teuffel. GOtt und ſeine leute haben auch ihren
hitzigen und brennenden zorn: wie es zwar unſerm
Doctorofft-
mahl auch hertzlich wehe gethan/ daß ſeine ſchrifften ſo rauſcheten
wie platz-regen/ und wuͤnſchte vielmahl/ daß er ſo fein ſanfft und
lieblich koͤnte regnen/ wie Herr
Philippusund herrBrentius,aber ei-
nerley geiſt hat mancherley wirckung. Wir die wir die land-ſtraſſe
oder gemeinen fuß-pfad reiſen/ koͤnnen und ſollen den nicht nach-
ſetzen/ die aus der fuhr-ſtraß und gebaͤhntem wege ſetzen/ und quer
feld durch gemoͤß/ waſſer/ waͤld/ berg und thal ihre wege nehmen.
Viel minder ſollen wir von groſſer leute ernſt/ brunſt/ eiffer und
hefftigkeit leichtlich urtheilen/ ſie haben ihren zeiger-ſteller und

X x x x 2ſchaͤr-
[716]Das ſechſte Capitel.
ſchaͤr-meiſter bey ſich im hertzen/ der geraͤth offt uͤber ſie und bringet
ſie auff/ treibet ſie fort und fuͤhret ſie offt/ dahin ſie nicht gedencken/
wie denn GOtt auch zu ihren wegen gluͤck und ſeegen ſpricht/ und
fuͤhret ihre reiſe wunderbarlich hinaus/ daß ſich iedeꝛmann daruͤber
zu creutzigen und zu ſegnen hat. Als der
Doctorvon derRebecca
Gen. 27.
im 41. jahr laſe/ die wider ihres mannes willen und befehl
ihm ihren juͤngern ſohn den Jacob einſchleichte/ habe ich dieſe worte
von ihm gehoͤret: Rebecca faͤhet es unordentlich an/ aber ſie fuͤhrets
hinaus. Alſo hab ich oft auch aus der fuhr-ſtraſſe geſetzet/ u. ein ſtaꝛck
Vater Unſer fuͤrgelegt/ oder zur bruͤcken gebraucht/ hinaus bin ich
mit GOtt kommen/ aber ich raths euer keinem/ bleibet auff dem
gebahnten wege/ und handelt nach der regel/ ſo verzaͤunet man euch
nicht. Mancher hat zu unſer zeit dieſem wagen und reuter
Jſraelis nachfolgen wollen/ aber er iſt beſteckt/ darum laſſet uns
nach der regul handeln. m. f. w.
Jch meyne/ der herr ſolte hieraus
ſehen/ ob mir und andern zu rathen ſeye/ daß wir GOtt verſuchen/ und uns der-
gleichen geiſt anmaſſen/ der uns nicht gegeben iſt. Anderwaͤrts
f. 35. b. vertheidiget er auch unſers theuren lehrers harte wort/ wegen der hoͤlli-
ſchen grund-ſuppe des damahligen Pabſtthums/ die GOtt durch ſeinen Moſen
wolte ſtraffen laſſen. Nachmahl conc. 12. p. 138. als er von des Doctors
platz-regen und wolcken-bruͤchen geredet/ ſagt er: Laufft bißweilen
was mit unter/ wie alle heiligen ihre fehl und gebrechlichkeit gehabt/
und allein aus gnaden vergebung der ſuͤnden bekommen/ das ge-
hoͤrt ins Vater Unſer/ und Helias mantel. u. ſ. f.
Dieſe ort von
einem Chriſtlichen freund gezeiget/ erinnerten mich auch einer præfation, die der
theure mann vor Brentii explication des Amos gemacht/ ſo Tom. 5. Alt. fol. 275.
befindlich: wo er ſagt/ daß gegen Brentii und derg/ eichen arbeit die ſeinige ihm
gantz und gar ſtincken: ſagt ferner/ ich heuchle dir hierinnen nicht/ ich
ertich[t]e auch nichts/ noch rede etwas ſchimpfliches/ ſo werde ich mit
meinem urtheil auch nicht betrogen. Deñ ich lobe nicht den
Brentium,
ſondern den geiſt/ der in ihm viel freundlicher/ lieblicher u. friedlicheꝛ
iſt/ denn mein geiſt/ mit allerley kuͤnſten der wohlredenheit gezieret/
ſo fleuſt auch daher ſeine rede viel reiner/ heller und deutlicher/ denn
anderer leute/ darum es dem leſer auch mehr geliebet und zu hertzen
gehet. Aber mein geiſt/ uͤber das/ daß er in den freyen kuͤnſten un-
erfahren u. unpolirt iſt/ thut nichts/ denn daß er einen groſſen wald
und hauffen der worte ausſpeyet. So hat er auch das gluͤck/ daß

er
[717]ARTIC. II. SECT. XIII.
er rumoriſch und ſtuͤrmiſch iſt/ und alſo ein kaͤmpffer iſt/ und mit
unzaͤhlichen ungeheuren thieren immerdar ſich ſchlagen muß/ und
ſo man groſſe dinge mit kleinen vergleichen moͤchte/ ſo habe ich von
dem vierfachtigen geiſt
Eliæ 4. Reg. 19.den wind/ ſturm und feuer/
ſo die berge zerreißt/ und die felſen zerſchmettert bekommen/ du aber
und deines gleichen/ das liebliche ſauſen/ und wehen/ die ſtille ſanfte
lufft ſo kuͤhlet. Und das iſt die urſach/ daß auch mir ſelbſt/ ich ge-
ſchweige andern/ eure buͤcher und reden deſto lieber und angeneh-
mer ſind. Jedoch troͤſte ich mich ſelber/ daß ichs dafuͤr halte/ ja viel
mehr weiß/ daß GOtt der haus-vater im Himmel fuͤr ſeine groſſe
haus-haltung auch eines oder mehr knechte bedarff/ die da hart wi-
der hart/ ernſt wider ernſt ſeyn muͤſſen. Gleichwie auff einen knorr-
igten aſt ein harter eiſerner keil gehoͤret/ und wenn Gott blitzen und
wetter-leuchten laͤſſet/ ſo muß nicht allein ein regen darauff fallen/
der es alles feucht mache/ ſondern auch ein donner folgen/ der alles
bewege/ auch ein blitz/ der die lufft reinige/ auff daß die erde deſto
beſſer u. mehr frucht tragẽ koͤñe.
Dieſes ſind unſers Lutheri eigne wort/
und daraus zu ſehen/ daß der theure Mann/ dem ich zwar gerne mehr zulege/ als
er ſich ſelbs beyleget/ dannoch ſeine hefftigkeit (in dero zwar abermahl/ wie oben
gethan/ eine ſonderliche Goͤttliche regierung erkenne) nicht gar hoch liebet/ viel
weniger von andern/ dergleichen fordert. Wie fern nun ſich der herr mit ſeinem
exempel ſchuͤtzen koͤnne/ ſtelle ich zu weiterem ermeſſen/ ob er etwas mehr als ge-
meines ſich attribuiren ſolle/ auffs wenigſte hat er nicht macht von andern glei-
ches zu fordern. Kan ſich auch nicht beſchweren/ daß ich ihn auff keine andere
art vor einen zeugen GOttes anhoͤren wolle/ als ich von einem ieglichen alles
zeugnuͤß der warheit/ deſſen valor nicht von der perſon dependirt/ anzunehmen
verbunden bin. Daß einige einen mehrern eyffer von mir in meinen predigten
erfordern/ mag gantz wohl ſeyn/ ſonderlich welche an dem herrn und etwa an-
andern einer mehr geſetzlichen art gewohnt ſind/ und meine art/ von demſelben
ſtraffen hoͤren/ wie ohne das unſere vernunfft/ wo ſie es gut meynet/ auff das
Geſetz eher faͤllet/ als die der innern krafft des Evangelii weniger kundig iſt:
aber ſolches moviret mich nicht/ und wo ich gelegenheit habe/ mit Chriſtl. gemuͤ-
thern gruͤndlich aus der ſache zu reden/ ſo getraue ich derſelben genug ſatisfaction
zu thun: Ja ich traue/ alle und iede/ ſo auf die hefftigſte art/ und mit lauter don-
nern und ſchelten das Geſetz treiben/ darinnen auszufordern/ ob einer unter allen
die wahre gerechtigkeit/ die vor GOtt gilt/ in der rechtfertigung/ reiner/ und die
gerechtigkeit unſerer heiligung vollkommener/ treibe. Daß ich alſo gewißlich keine
Phariſeiſche oder aͤuſſerliche gerechtigkeit lehre/ ſondern diejenige innerliche
heiligung/ welche aus der wiedergeburth kommet/ und welche den menſchen
nicht
[718]Das ſechſte Capitel.
nicht nur (auff Geſetzes art mit zwang) anders thun machet/ ſondern darinnen
er anders geſinnet ſeyn muß; dieſe art der heiligung treibe ich mit ſolchem ernſt/
daß es manchen bißher ein ziemlicher ſtachel im gewiſſen geweſen/ und viele da-
vor gehalten haben/ ſie haͤtten kaum andermahl dergleichen gefuͤhlet. Und
zwar treibe ich ſothane heiligung alſo/ daß ich ihnen allezeit vorſtelle/ ob ſie wohl
allein/ allein/ aus dem glauben ſeelig werden muͤſten/ daß dennoch auch kein andrer
glaube der wahre glaube ſeye/ alß derienige/ welcher ſolche heiligung wircket/ hin-
gegen ohne dieſe ſeye alles todt und heuchelweſen/ was man ſich von ſeinem glau-
ben einbilden wolte: Folglich muͤſten ſie ſich reſolviren zu einem rechtſchaffenen
Chriſtenthum/ oder ſich der hoffnung des ewigen lebens verzeihen; ſeye daher
lauter betrug/ was ſie ſich ſonſten einbilden wolten. Alſo trage ich zwar den troſt
des Evangelii reichlich vor/ aber ich zeige allezeit/ wer diejenige ſeyen/ welche ſich
deſſelben anzunehmen/ und ſolches ſo deutlich/ daß wo man ſich dabey betreugt/
gewiß nicht aus meiner ſchuld betrogen wird/ wie ich meine zuhoͤrer auff die pruͤ-
fung ihrer ſelbſten unablaͤßig treibe. Seye alſo der Herr verſichert/ ich ſchmeiche-
le meinen zuhoͤrern ſo wenig/ und ſage ihnen/ was ſie vor GOtt zu erwarten haben
ſo nachtruͤcklich/ alß immermehr derſelbe in den groͤbſten ſcheltworten in der that
nicht ernſtlicher ſagen koͤnte. So wird ſich durch GOttes gnade zu ſeiner zeit wei-
ſen/ ob durch das ſtuͤrmen/ oder gelinder aber mit krafft reden/ mehr auszurich-
ten: Wie ich denn nicht zweiffelen wolte/ wo der Herr bey ſeinem ambt mit
mehr ſanfftmuth und gedult gelehret haͤtte/ er ſolte mehr frucht gebracht haben/
alß auff dieſe weiſe/ da er nunmehr aller ſeiner gaben gebrauch nider geſchlagen
hat. Daß arme zu deſſen predigten mit groſſer begierde zugelauffen/ und ſolche
etwa vor andern gelobet/ moͤchte vielleicht auch eine urſach mit ſeyn/ daß deſſen
ſtraffambt gemeiniglich die reichere/ und insgemein vornehmere am meiſten wird
betroffen haben: Da aber wie bey den armen gemeiniglich auch dieſe heimliche
ſuͤnde iſt/ daß ſie die reichere beneiden/ und ſich ihrer armuth wegen vor ſeeliger
achten/ ſie auch mit ſonderbarer vergnuͤgung anhoͤren/ wo denſelben hart zuge-
ſprochen wird/ und ſolches faſt vor einen troſt in ihrem beſchwerlichen ſtand ach-
ten: obwol manchmal ihr hertz nichts beſſer alß der reichen iſt. Damit ich zwar
nicht die armuth verwerffe/ ſondern vielmehr erkenne/ daß GOtt in demſelben
ſtand noch mehr als unter vornehmen erhalte. Wie hingegen den Herrn verſiche-
ren kan/ daß die aͤrmſte in Franckfurth mich nicht weniger in meinem ambt/ ja
wohl mehr alß viele vornehmſte/ inniglich geliebt haben: Da ich mehr gelegen-
heit hatte/ auch mit denſelben umzugehen/ als ich ietzund in gegenwaͤrtiger ſtelle
habe/ und alſo nicht eben weiß/ wie ſie mit meiner lehrart zufrieden ſeyn. Den
Tractat von den bloſſen bruͤſten anlangend/ habe ich ſelber gehoͤret/ daß mir
einige ohne die geringſte urſach denſelben zueignen wollen. Jch hoͤre/ es ſeyen ſol-
cher Tractaten zween/ einen habe ich in Franckfurth geſehen/ und wurde mir von
einem Dantziger præſentirt/ ich hoͤre aber/ der eine ſey ziemlich grob/ doch kan nicht
davon
[719]ARTIC. II. SECT. XIII.
davon urtheilen/ weil ich ihn nicht ſelbſt geleſen habe. Daß in dem uͤbrigen derſelbe
mich in verdacht zeucht/ es ſeye fleiſchliche furcht/ daß ich das werck nicht heff-
tiger in ſtraffen angreiffe/ kan denſelbẽ verſicheren/ daß ſolche die bewegende urſach
nicht ſeye. Gott hat mich diejenigen Jahre bereits erlebẽ laſſen/ da ich aus betrach-
tung meiner leibes-kraͤfften natuͤrlicher weiſe mir nicht mehr viele weiter einbilden
kan/ noch auch zu verlangẽ/ deßwegen aber hohe ungnade/ remotion/ und anderes
dergleichen viel zu fuͤrchten nicht urſach habe. So ſeye er verſichert/ ob ich hier ver-
ſtoſſen wuͤrde/ ſolte mir anderwaͤrtlich villeicht durch Gottes ſchickung an offnen
thuͤren nicht manglen/ und als neulich ein falſches geſchrey in teutſchland erſchollẽ/
daß ich nicht eben mit guten augen bey hoff angeſehen wuͤrde/ mochten ſchon einige
geweſen ſeyn/ die mir ſo bald anſehnliche ſtellen anerboͤten. So habe mich ſamt den
mein[i]gen alſo zu leben gewehnet/ daß wir nicht ſo groſſe intraden zu unſerer unter-
haltung noͤthig haben/ als ich eben aller orten ſinden wuͤrde/ wo ich eine ſtelle be-
dienen ſolte. Zudem ſo ſehe den gantzen zuſtand unſerer kirchen alſo an/ daß wir be-
ſorglich in kurtzer zeit an den meiſten orten unſere glaubens-uͤbung/ und alſo wir
Prediger unſere ſtellen verliehren moͤchten/ wann GOtt auff eine kurtze zeit dem
Babel vollend gewalt/ ſeinen letzten zorn auszuuͤben ſeine macht geben wird: Jn
welcher erwartug derſelbe leicht erachten kan/ daß ich auch nicht vernuͤnfftig thaͤ-
te/ mit verletzung meines gewiſſens eine ſtelle behalten zu wollen/ und daher das
noͤthige zu unterlaſſen/ die ich doch vermuthlich noch aus noth/ da ich noch eine
weile leben ſollte/ werde verlaſſen muͤſſen/ und alsdann ſo viel weniger freudigkeit
und troſt davon haben wuͤrde. Alſo iſts gewiß die urſach nicht/ die derſelbe vermu-
thet/ ſondern dieſe/ daß ich mich in meinem gewiſſen uͤberzeuget achte/ des HErrn
willen an mich in meinem ambt ſeye nicht anders/ alß wie ich bißhero gethan nem-
lich buß und vergebung der ſuͤnden zu predigen/ die ſuͤnde alſo zu ſtraffen/ daß ich
allen ſuͤndern zeige/ was ſie von GOtt in ihrem ſtand zu erwarten haben/ und ſie
um ihrer ſeeligkeit willen bete/ daß ſie dieſelbe nicht verſaͤumen ſollen/ ſo dann daß
ich ihnen die wahre gerechtigkeit und den weg dazu/ und darinnen deutlich vor au-
gen lege/ und zwar alſo/ daß keiner/ wo er auff meine worte acht gibt/ bey ſeiner
ſicherheit einigen troſt behalten kan/ und alſo wo er verlohren gehet/ ohne meine
ſchuld verlohren gehet. Uber dieſes und weiter zu gehen/ ſonderlich mit unbeſchei-
denen und ungeſchickten ſtraffen und ſchelten mir nicht ſo wohl leibliche gefahr zu-
zuziehen/ welche nach obigem bey mir auch ſo groß nicht ſeyn moͤchte/ als die mit-
tel und gelegenheit zu verſchertzen/ mit ſanfftmuth/ langmuth und gedult endlich
etwas noch auszurichten/ finde ich nicht thunlich/ noch in meinem gewiſſen ver-
antwortlich. Ein auch reſolvirter ſoldat foͤrchtet ſich ſeines lebens zwar nicht/ er
gibts aber nicht muthwillig in gefahr/ wo es nicht noth iſt/ und verkaufft ſein blut/
wann ers vergieſſen ſoll/ auffs theuerſte/ ſich nicht wagende/ als wo es mit offen-
bahrem groſſen verluſt des feindes geſchiehet. Alſo will ich die gefahr nicht ſcheuen/
ich muß aber ſehen/ daß das leiden wohl angelegt/ und der gewinn der ſeelen ſo
groß
[720]Das ſechſte Capitel.
groß alß der entſtehende verluſt ferner guts zu ſchaffen/ vor augen ſtehe/ oder
GOtt muß mich nach ſeiner weißheit ſelbſt an die gefahr fuͤhren/ daß ich alßdenn
darinnen auch getroſt ſeyn moͤge/ weil ich alßdann weiß/ ich habe mirs nicht ſelbſt
gemacht/ noch GOtt verſucht/ ſondern der HErr ſeye es/ der mich dazu beruffen
habe. Hingegen darum leiden wollen/ nur daß es zum zeugnuͤß uͤber andere ſeye/
ohne dabey ſehenden der kirchen vortheil/ finde ich bey mir goͤttlichem rath nicht
gemaͤß/ alß der ich in allem/ was ich thun ſolle/ vorher bedencken muß/ wozu es/
nicht eben mir/ ſondern auch andern nutze. Daß der effectus allezeit folgen muͤſſe
bey den zuhoͤrern/ und der HErr JEſus diejenige lehrer nicht kennen werde/ die
nicht alſo generaliter und individualiter nachtruͤcken/ daß derſelbe in der zuhoͤ-
rer/ verſtehe aller oder der meiſten/ leben folge/ iſt ein poſtulatum, ſo mir aus
GOttes wort nicht zu erweiſen/ indem auch Chriſti und ſeiner Apoſtel lehr nicht
bey allen/ ja bey den wenigſten in vergleichung gegen die uͤbrige/ wuͤrcklich zur
frucht gekommen iſt. Und wie viel hat der doch eifferige Jeremias ausgerichtet
oder bekehret? ſolte er deßwegen von Chriſto nicht erkandt ſeyn? GOtt fodert
von ſeinen dienern den finem internum, das iſt/ daß ſie nach allem ihrem vermoͤ-
gen und maaß der empfangenen gaben thun/ was zur bekehrung der zuhoͤrer noͤ-
thig iſt/ alſo daß es dieſen an nichts deſſen mangle/ wodurch ſie gewonnen werden
ſollen (wozu jenes ſchelten nicht eben gehoͤrt/ oder einer mit denſelben in den him-
mel gejagt werden kan/ der ſich nicht durch die ſeyle GOttes ziehen laͤſſet) ſind ſie
darinn treu/ daß ſie mit willen deſſen nichts verſaͤumen/ ſo iſt GOtt zu frieden/ in
deſſen hand allein der finis externus, und wuͤrckliche durchtringung des worts ſte-
het daher er ſolchen von ihnen nicht fodern kan: Wiewol ſie dennoch auch dabey
die verſicherung haben koͤnnen/ daß GOtt ihre treue arbeit niemal gantz ungeſeg-
net laſſe/ wie der Herr ſich verſichern kan/ daß mich GOtt noch allemal einige we-
nige fruͤchte des ambts hat vernehmen laſſen: Ja ob ſolche GOtt uns verbergen
ſollte/ wie denn mir auch etwa in den meiſten aus H. urſachen GOttes mag geſche-
hen ſeyn/ ſo haben wir goͤttliche verheiſſung/ daß das wort/ nemlich mit treue getrie-
ben/ niemal gantz laͤhr wiederum zuruͤck kommen ſolle/ auff welches ich mich allezeit
auch gewiß verlaſſen/ und gelernet habe/ hoffen/ da nichts zu hoffen waͤre/
oder wie es eigentlich lautet/ glauben uͤber hoffnung in hoffnung. So iſt
auch bedencklich/ was unſer Heyland ſagt Marc. 4/ 28. daß erſtlich graß wachſe/
darnach die aͤhren/ darnach der volle weitzen in den aͤhren: Haben wir alſo die
hoffnung nicht ſincken zu laſſen/ obwohl eine gute weile aus unſerm ſaͤen nichts
ſcheinet auffzugehen/ alß eine gruͤne ſaat oder graß/ daran man noch nicht die zeiti-
ge frucht ſiehet/ ſondern allein eine anfangende mehrere erkaͤntnuͤß und beliebung
des guten mit auch ſehr ſchwacher wuͤrckung deſſelben/ dann wo wir mit
gedult fortfahren/ und nicht davon lauffende/ ſtang und ſtab fallen laſſen/
werden allgemach aus der krafft des worts die aͤhren anfangen
ſich zu zeigen/ biß der weitzen reiff werde: Das unkraut aber
doͤrf-
[721]DISTINCTIO II. SECTIO XIII.
doͤrffen wir noch nicht ausgaͤtten/ ſondern muͤſſen es noch wachſen laſſen/ und
nur fleiß ankehren/ wie wir dieſes und jenes aus dem unkraut durch goͤttliche
krafft noch moͤchten zu weitzen verwandlen/ ſo dann ihm nur wehren/ daß der
weitze/ ſo da zwiſchen ſtehet/ von dem was unkraut bleibet/ nicht erſtuͤcket wer-
de: Das iſt/ wir muͤſſen die unſrigen von den aͤrgerniſſen alſo verwahren/ daß
ſie davon nicht mit angeſtecket werden. Was den proceß anlangt/ der mit
dem landes fuͤrſten zu halten/ bin deſſen ſo wenig uͤberzeuget/ daß ich von dem
HErrn die Apoſtoliſche weiſe in ſolcher ſache zu erwarten habe/ als von uͤbri-
gen dingen: Wiewohl mir auch nicht zu kommt/ demſelben oder andern wiſſend
zu machen/ was nach meinem amt privatim geſchaͤhe. Den unterſcheid der eccle-
ſiæ plantatæ
und plantandæ betreffend/ darauf der HErr ein ziemliches zuſetzen
ſcheinet/ verſichere demſelben/ daß zwar unſere kirche/ was ſo das aͤuſſerliche we-
ſen und die buchſtaͤbliche wahrheit oder Orthodoxie anlangt/ als plantatam
anſehe/ aber in vielen ſtuͤcken auch als erſt plantandam, wie ſchon vor meh-
reren Jahren dieſes mein principium geweſen: daß unſer/ der prediger/ amt
ſeye nunmehr hauptſaͤchlich/ Eccleſiolas in Eccleſia colligere, das iſt/ weil
wir den groſſen hauffen/ da alles bereits ins verderben gerathen/ ſchwehrlich
mehr retten koͤnnen/ ob wohl auch davon kein fleiß geſparet werden ſolle/ daß
wir aufs wenigſte in demſelben ſuchen noch zu retten und naͤher zu uns zu zie-
hen/ diejenige/ welche in der gemeinde der HErr ruͤhret/ und zu ſich zeucht/ damit
wir an denſelben unſer meiſtes thun/ und unſerer arbeit meiſte frucht ſuchen/ wann
wir fahren muͤſſen laſſen/ was alle hilffe von ſich ſtoͤſſet. Daher bey dieſer neuen
pflantzung wahrhafftig groſſe gedult und ſanfftmuth noͤthig iſt. Weil auch ſehe/
daß der HErr den lieben Herrn D.Heinrich Muͤllern/ ſo in dem letzten Jahr ſei-
nes lebens durch correſpondentz ſein hertz mit mir genau verbunden hat/ vor ei-
nen redlichen diener Gottes erkennet/ darvor ich ihn auch billich preiſe/ ſo bitte zu
erwegen/ daß derſelbe biß in ſeinen todt Arndium aufs hertzlichſte und hoͤchſte
æſtimiret, ſo dann in ſeinen ſchrifften und predigten nicht ſtuͤrmet/ ſondern die
bittere warheit/ ſo viel es ſich noch hat thun laſſen/ mit den gelindeſten worten vor-
traͤget/ ſich aber der jenigen terminorum, die der Herr vermuthlich aus Elia Præ-
torio
angenommen/ mit fleiß enthaͤlt. Was die von ihm beſtraffende tempel
goͤtzen
anlangt (denn bloß dahin zu ſagen/ daß er habe unſeren lutheriſchen gottes-
dienſt einen goͤtzen dienſt genennet/ geſchiehet ihm zu viel/ und war er ſo unbeſon-
nen nicht) bin ich mit ihm gantz einerley meinung/ und kan ich denſelben verſichern/
daß ich ſolche materie mit gleichem eiffer und oͤffters in meinen predigten und
ſchrifften getrieben habe/ und immer treibe/ ja ich habe gefoͤrcht/ der liebe mann
habe ſolche wahrheit noch allzuforchtſam defendirt/ wenn er/ daruͤber ange-
fochten/ ſich darauf beruffen/ er habe nicht vom predigamt/ tauff/ abendmahl und
abſolution geredet/ ſondern von predig- und beichtſtul/ tauffſtein und altar/ da ich
Y y y ydavor
[722]Das ſechſte Capitel.
davor gehalten/ daß wir getroſt ſagen moͤgen/ daß auch das predigen ſelbſt/ die
tauff/ abendmahl und abſolution von denen maulchriſten durch das falſche ver-
trauen darauff zu goͤtzen gemacht werden/ ſo ich nicht nur einmahl wiederholet
habe; Und alſo wo es der HErr mit ſolchem theuern lehrer voͤllig hielte/ wuͤrden
wir bald eines ſinnes ſeyn. Wie ich nun bey demſelben hiemit mein hertz fuͤr
GOtt ausgeſchuͤttet/ hoffe ich der Herr habe nicht urſach mich zu beſchuldigen/
daß ich an meinem hohen ambt/ grad und tittul/ oder ſchrifften/ einen narren ge-
freſſen/ und daß mich an meinem pfauenſchwantz vergaffe/ ſondern GOtt hat mir
die gnade gethan/ daß ich weiß/ was ich nicht bin/ und wo mirs mangle/ daher
mich uͤber niemand uͤberheben will/ ſondern/ lieber unter andere demuͤthigen/ ſo
auch ſo gar zu viel zugeſchehen mir zuweilen von andern verdacht worden iſt.
Jndeſſen hat der HErr dieſes nicht vor einen hochmuth zuhalten/ daß ich demſel-
ben nicht auff ſein Wort/ weil er ſich vor einen zeugen der Apoſtoliſchen war-
heit
darſtellet/ glaube/ ſondern nichts weiter von ihm annehme/ als ich von einem
ieglichen andern auch annehme/ ſo fern er mir die goͤttliche wahrheit zu uͤberzeu-
gung des gewiſſens vorſtelt. Daher die vergleichung mit Nicodemo und dem
verachteten herumlauffenden JEſu von Nazareth/ von dem die groſſen Docto-
res
lernen ſolten/ faſt invidios iſt/ nicht ſo wohl von der andern ſeite/ als deſſen/
der unſerm JEſu ſich ſchier zu nahe vergleichet. Ach/ wehrter bruder/ laſſet uns
von beyden ſeiten uns nicht mehr nehmen/ als was uns der HErr ſelbſt gegeben
hat. Solte der HErr meine wort/ wie es ſcheinet/ alſo deuten wollen/ daß mich
ſeinem bericht und unterricht/ nehmlich als eines/ an dem der Apoſtoliſche chata-
cter
waͤre/ unterworffen/ und dazu erklaͤret hatte/ ſo iſt auch aus denſelben zuviel
geſchloſſen/ indem austruͤcklich in den worten ſtehet/ daß als dann die gantze ſache
ſich aͤndern wuͤrde/ und wir alle demſelben anders begegnen muͤſten/ wo er nem-
lich ſeinen Apoſtoliſchen character erweiſen wuͤrde/ ſo er nicht allein nicht gethan/
ſondern auch ſorglich nimmermehr zu erweiſen vermag/ daher nochmahl wiederho-
le/ daß ſo wenig von ihm als einigen anderen unterricht anders annehme/ als wir
aus GOTTes wort uͤberzeuget werden/ an welches ich mich allein halte/ und ſo
wenig an einigen menſchen/ wovor ſich derſelbe ausgiebet/ gehalten ſeyn wil/ als
ich auch niemand an meine autoritaͤt zu binden verlange/ ſondern iedermañ in ſei-
ner freyheit ſtehen laſſe: indeſſen ſtets bereit bin/ was mir vorkommt zu pruͤfen/
und dem jenigen/ von weme es auch kommen moͤchte/ folge zu leiſten/ was in ſol-
cher pruͤfung meines gewiſſens beſtehet. Daß er mich ſchließlich zu hertzlichem
gebet zu meinem JEſu anfriſchet/ iſt das vornehmſte/ ſo ich in dem ſchreiben zu
danck annehme/ und verſichere/ daß mein ſtetes gebet zu meinem Heyland gewiß-
lich nicht um leben und geſundheit/ oder leibliche wolfahrt gehe/ ſondern darum/
daß er mir mehr und mehr ſeinen willen an mich und die jenige/ dazu er mich
geſandt hat/ zu erkennen und krafft denſelben zu vollbringen/ geben wolle/ alſo
auch
[723]DISTINCTIO II. SECTIO XIII.
auch ins geſamt/ daß er mich mehr und mehr von mir ſelbſt und allem eigenen aus-
lehre/ um mich mit ihm zu erfuͤllen. Erlange ich dieſes/ wie ich nicht daran zweiffe-
len will/ weil ich ja darinnen nach ſeinem willen bete/ ſo bin zufrieden/ was er mir
vor fata hie in der welt beſtimmet haben mag/ der ich nicht mit worten/ ſondern
mit hertzen verlange/ daß nicht mein/ ſondern/ ſein will in/ von und an mir geſche-
he. Schließlich die mitgeſchickte ſchrifft oder vielmehr ſciagraphiam des wercks
von dem Miniſterio gefaͤllet mir ſehr wohl/ und iſt die ſache wohl eingetheilet/ wie
ſie aber ausgefuͤhret/ weiß ich nicht. Jſts auf eine gruͤndliche nachdruͤckliche und
dabey modeſte art tractiret/ ſo iſts ein werck/ welches wuͤrdig/ daß ich und ande-
re ſo es traͤulich mit Gottes reich meinen/ ſo viel wir koͤnnen/ die publication
befoͤrdern: Solts aber auf Eliaͤ Prætorianiſche art/ und wie ich bißher des HEr-
ren ſtylum geſehen abgefaſſet ſeyn/ ſo hoffe keinen nutzen darvon/ ſondern ſorge
ehe an ſtatt der verminderung/ vermehrung der aͤrgerniſſe: aufs wenigſte koͤnte
mich auf keine art und weiſe deſſen theilhafftig machen/ ſondern muß es GOTT
befehlen. Hiemit hat der Herr die antwort/ ſo ich unter ſo viel andern verrichtun-
gen/ da ich nicht zu zehlen weiß/ wie offt davon gemuͤſt/ verfertiget/ zuweiſen/ daß
ich meines thuns rechenſchafft zu geben nicht ſcheu trage/ wiewohl weiter und off-
ter zuſchreiben/ der noch ſo viel liebe brieffe vor augen liegen habe/ die halbe und
gantze Jahr offt auf antwort warten/ nicht ſtets zeit finden wuͤrde. Jch unter-
laſſe indeſſen nicht den HErrn HErrn anzuflehen/ der ſeine gute intention von
allem eigenen reinige/ und ihn nach ſeinem heil. rath durch ſeinen Heil. Geiſt
regiere/ auch zu ehren annehme. 18. 20. 21. Jun. 1687.


SECTIO XIV.


Wegen meiner dretzdiſchen beruffung/ dabey gefatz-
ter vorſatz. Dieſer zeit bewandnis.


DJe folge meines beruffs ſelbſten anlangend/ kan ich vergewiſſern/
daß ſolche zum einigen grund gehabt weil ſich Goͤttlicher finger unwie-
derſprechlich geoffenbahret hat/ wie vielleicht auch denſelben einige ſpe-
cialia,
oder gar die gantze ſeries, wie es mit dem geſchaͤfft hergegangen/ bekant
ſeyn werden. Nun wo die Stimme des HErrn erkand wird/ laͤſt ſich nicht
mehr mit fleiſch und blut zu rathe gehen/ ſondern man muß folgen/ auf den
befehl deſſen der die herrſchafft uͤber uns hat/ und nach ſeinem willen/
ie nach dem wir ſeinem beruff folgen oder nicht folgen/ die noͤtige ga-
ben entweder geben oder wieder entziehen kan. Wo ſonſten aus eigner uͤ-
berlegung haͤtte einen entſchluß faſſen ſollen/ wuͤrde es uͤber alle maſſen ſchwer
Y y y y 2her-
[724]Das ſechſte Capitel.
hergegangen/ oder wol gar dazu zugelangen mir unmoͤglich geweſen ſeyn/ we-
gen der ſo vielen auf beiden ſeiten erkanten ſcrupul. Was zwar das boͤſe ge-
ſchrey von dreßden ſelbſt betrifft/ laͤugne nicht/ daß mir ſolches (wo nur ſonſten
meiner tuͤchtigkeit eine wahrere uͤberzeugung gehabt haͤrte) vor ſich allein nicht
wuͤrde die ſache allzuſchwer gemacht haben/ der ich weiß/ wo wir GOtt die-
nen/ ſo dienen wir ihn in der welt die in dem argen liget/ nur daß die boßheit
eines orts groͤber/ am andern ſubtiler ſich findet. Daher ich verſichert war/
daß eben derjenige boͤſe Geiſt/ der in den kindern des unglaubens in dreßden
kraͤfftig ſeye/ auch derſelbe waͤre/ der in Franckfurt die ſeinige regierte/ daher
ichs mit einem Geiſt zu thun behalte/ ob wohl unter unterſchiedlichen larven.
Nach dem wir dann leider insgeſamt in einem ſolchen zuſtand der kirchen ſte-
hen/ da wir beſorglich wenig gemeinden werden zeigen (wie ich denn keine
noch geſehen) da das allermeiſte und was auch in die augen faͤllet/ aus wahr-
hafftigen Chriſten beſtuͤnde/ ſondern wir haben insgeſamt einen ſolchen acker/
auf dem ſorglich mehr unkraut als weitzen ſtehet/ alſo/ daß wir uns zufrieden
geben muͤſſen/ wo wir nur noch unter jenen des weitzens gewahr werden/ ſo
iſts endlich ſo groſſer unterſeheid nicht/ ob ich auf einem ſtuͤck des ackers mehr
diſteln und ſich weit ausbreitende dornſtraͤuche/ auff einem andern mehr un-
kraut/ ſo eben ſo ſcheinbar nicht als jene dornen und diſteln/ indeſſen dem weitzen
eben ſo hinderlich iſt/ auff einem andern meiſtens lauter taubes korn/ ſo ſonſten
dem weitzen noch am aͤhnlichſten ſiehet/ in dem doch alles ſolches eines ſo wenig
als das andre guten weitzen/ und von einem boͤſewicht geſaͤet iſt; daß ich deswegen
mich wegern ſolte/ von einer ecke des ackers auff das andere von dem HErrn deſ-
ſelben mich ſencken zu laſſen. Es beſtehet unſer amt ohne dem in nichts anders/
als in der predigt der Buß und des Evangelii/ und muͤſſen wir trachten/ durch
ſolchen guten ſaamen auch zwiſchen dem unkraut eine gute ſaat auffzubringen/
und zu wehren/ daß ſie nicht von dem unkraut gar erſticket werde/ ſo dann fleiß
anzukehren/ ob von den unkraut/ welches art wir es an unſrer eck finden/ durch
Goͤttliche krafft des worts einiges in guten weitzen verwandelt werden moͤchte.
Welches dem HErrn bey einer art unkraut ſo wohl als bey dem andern/ uns a-
ber bey keinem vor uns ſelbſt/ muͤglich iſt. Jn dieſer betrachtung gewaͤhne ich
mich viel mehr allein darauff zu ſehen/ wohin mich der HErr haben wolle/ als wie
gut oder ſchlim ich die leute antreffen werde: es iſt ohne das jetzt nicht ſo wol die
muͤgligkeit/ die gantze kirchen in den ietzigen zeiten der gerichte zu recht zu brin-
gen/ als vielmehr unſer hauptwerck und abſicht in der kirchen und groſſe verſam-
lungen kleine kirchlein dem HErrn zu ſammlen und an den wenigen haͤufflein/ ſo
unter dem groſſen noch erhalten wird uns endlich zuvergnuͤgen. Daher auch
mir nichts groſſes bey meiner ankunfft vorgenommen aber viele aͤngſtliche uͤber-
legungen gemacht/ was ich ausrichten wuͤrde oder nicht/ ſondern mir dieſes
allein
[725]DISTINCTIO II. SECTIO XIV.
allein zur regel geſetzt/ ich wolle nach allem vermoͤgen/ das der HERR geben
werde/ arbeiten/ nach dem maaß des Geiſtes hertzlich beten/ was ihm beliebig
ſeyn moͤchte/ uͤber mich zuverhaͤngen/ in ſeinem gehorſam leiden/ in gedult/ ich
ſehe die frucht oder ſehe ſie nicht/ ausharren/ und dabey die zeit und maaß ſei-
nes ſeegens in kindlicher gelaſſenheit erwarten. Von dieſer regel werck mit wil-
len nicht abweichen/ dabey mich verſehe/ der HErr werde ſeines armen kindes
arbeit nicht eben allerdings ohne ſeegen laſſen/ ſo vielmehr nach dem ſo viel
gottſeeliche Bruͤder an allen orten von dem HErrn mit liebe gegen mich genei-
get/ vor mich inbruͤnſtig beten/ welcher gedancken mich gewiß gewaltig ſtaͤrcket.
Was ferner mein werther Bruder/ von ſeiner kirchen zuſtand ſchreibet/ ob es
wohl weder nach ſeinem noch meinem wunſch annoch iſt/ freuet mich gleichwohl
mehr als michs betruͤbet. Denn ob das gute/ was man treibet/ nicht ſo von
ſtatten gehen will/ wie wir verlangten/ ſoll uns dennoch freuen/ wann uns nur
der HErr den willen des guten eingiebet/ nach welchen wir uns auffs wenigſte
immer weiter zu gehen beſtreben/ und ob es langſame ſchritte giebet/ auch man/
wie auff ſchluͤpffrigen weg nichts ungemeines iſt/ zuweilen wieder willen faſt zu-
ruͤcke glizſchet/ gleichwohl bald da bald dort einen tritt weiter geruͤckt wird. So
ich zwar nicht deswegen ſage/ uns traͤg zumachen/ ob laͤge uns nicht ob/ nach allem
vermoͤgen/ das der HErr giebt/ in der arbeit ungeſaͤumt fortzufahren/ ſondern
nur unſere ſchichterne gemuͤther auffzumuntern wenn dieſelbe gantz durch das
anſehen des elenden fortgangs niedergeſchlagen werden: daß wir gedencken/ es
ſeyen itzt die zeiten/ da faſt zu dem gebaͤhren bey allen wehen ſich wenig krafft
finde/ und GOtt ein groſſes ſeines Seegens wegen der gemeinen undanckbar-
keit zuruͤck gezogen habe: Jn welche zeiten wir uns gleichwohl ſo wohl als in an-
dere geduldig zuſchicken/ und uns dem oberſten willen mit demuth zuunterwerf-
fen haben. Jndeſſen hat mein vielgeliebter Bruder noch vor ſo vielen andern
dieſe gluͤckſeligkeit/ daß es der hohen Herrſchafft nicht an liebe zu dem goͤttlichen
wort und eiffer in befoͤrderung des guten manglet/ als die vielmehr ſelbſt auff
alle muͤgliche weiſe mit hand anzulegen geneigt iſt: welches derſelbe vor dem
HErrn billich mit demuͤtiger danckbarkeit zuerkennen/ ſich dadurch auffmun-
tern zulaſſen/ und daß es nicht ohne ſegen bleiben koͤnne/ gewiß zu glauben hat.
Nun der HERR erfuͤlle ſolche unſre hoffnung/ und mache uns alle mehr und
mehr bereit ſeinen willen zuerkennen/ und zu werck zurichten. 8. Jul. 1687.


Y y y y 3SECT.
[726]Das ſechſte Capitel.

SECTIO XV.


Auffmunterung an eine chriſtliche freundin in
Franckfurt zu ernſtlicher fortfahrung in dem guten.


JCh habe gleichwohl einige zeilen an ſie abgehen laſſen wollen/ damit ſie
eine neue erinnerung habe/ der bey mir unverruckt gegen ſie und uͤbrige/
welche ich in CHriſto ſonders habe kennen lernen/ fortwaͤhrender liebe/
und auch dadurch meiner vor GOtt deſto inbruͤnſtiger zugedencken (welcherley
vorbitte ich von ſo viel mehrern noͤtig habe/ als wichtigere ſtelle ietzo bekleide)
aufgemuntert werde. Mich ſolte auch hertzlich erfreuen/ und eine danckſagung
gegen GOTT wircken/ wann ich durch ſie ſelbſt oder andere oͤffters deren ver-
ſichert werden ſolte/ daß ſie in den wegen des HErrn unablaͤßig und unermuͤ-
det fortfahre/ auch daher ſtaͤts ſo wohl immermehr von dem/ was die welt
angehet/ ſich und die ihrige nach vermoͤgen reinige/ als hingegen an dem in-
nern menſchen in Goͤttlicher krafft zunehme. Welches ſo viel mehr mich zu ihr
verſehe/ weil ſie einmahl erka[n]ndt/ hat/ woran uns allein alles gelegen/ und
alſo was unſerer wahrhafftigen ſorge und angelegenheit wuͤrdig oder nicht wuͤr-
dig ſey: ſo dann/ wie hohe noht itzt ſey/ daß wir in dem licht treulich wandeln/
ſo lange wir es noch haben/ weil die ſtunde der finſternis nahe ſeyn mag/ da-
mit ſie uns nicht uͤberfalle/ und alsdann zu ſpaͤt ſey/ ſich auf die bevorſtehende
verſuchungen zuſchicken/ was vorher hat geſchehen ſollen. Ach ja/ daß die-
ſes uns nimmer von unſern augen/ oder vielmehr hertzen wegkomme/ wie wir
ietzt die zeit der gnaͤdigen heimſuchung haben/ die wir deswegen auch erken-
nen/ und uns derſelben gemaͤß mit annehmung Goͤttlicher gnade bezeugen muͤſ-
ſen/ wollen wir nicht unſere verſeumnis dermaleins alzuſpaͤt bereuen: ſonderlich
das wir bedencken/ es gelte vor GOTT nicht ein euſſerlicher Chriſt/ der ſich
der euſſerlichen anhoͤrung des worts und gebrauchs der Sacramenten ruͤhme/
ſondern der inwendig ein Chriſt ſey/ und jenen goͤttlichen mitteln ihre krafft in ſich
gelaſſen hatte/ daß nicht eine menſchliche unfruchtbahre einbildung den verſtand
nur eingenommen/ ſondern das Goͤttliche licht des glaubens von oben her aus
dem wort unſere hertzen erleuchtet/ und alſo dieſer ſeinen JEſum mit allen ſei-
nen guͤtern wahrhafftig ergriffen/ aber auch damit unſere gantze art/ ſinn und
gemuͤth geaͤndert habe/ daß wir nicht mehr die jenige ſeind/ die wir von der al-
ten natur geweſen/ ſondern der neuen und Goͤttlichen natur in uns gewiſſe zeug-
niſſen aus ihren fruͤchten/ nach denen wir uns ſtets zu pruͤffen/ in uns befinden.
Dann gewißlich/ wo wir in den ofen der truͤbſalen bald werden geworffen
wer-
[727]DISTINCTIO II. SECTIO XV.
werden muͤſſen/ duͤrffte es ein ſolches ſcharffes feuer ſeyn/ in welchem alles bloß
menſchliche verrauchet/ und nur allein uͤbrig bleiben wird/ was das warhafftig
Goͤttliche in uns geweſen. Hierauf laſſet uns uns gefaſſet machen/ nicht ruhen/
biß wir deſſen uͤberzeugung haben/ und uns untereinander dazu chriſtlich
auffmuntern. Meiner in dem HERRN wehrten freundin traue ich die-
ſes hertzlich zu/ ſie werde in ſolcher uͤbung nicht traͤge gewefen/ vielwe-
niger zuruͤcke gegangen ſeyn/ ſondern ſich angelegen ſeyn laſſen haben/
ſich von aller befleckung des fleiſches und des Geiſtes mehr und mehr zu
reinigen/ ihr hauß Goͤttlich zu regieren/ damit ſie die anvertraute ſeelen
zu dem HErrn fuͤhre/ und auch andere gute freunde neben ſich ſo mit exem-
pel/ als auf andere muͤgliche weiſe zum rechtſchaffenen weſen/ das in Chriſto/
anzufriſchen. Wie ſie dann auch nach der liebe/ die wir unter einander in un-
ſerm allerliebſtem Heylande haben ſollen/ dazu durch dieſe wenige zeilen hertzlich
erinnert haben will. Jch ruffe den himmliſchen Vater/ von dem als dem
Vater des lichts alle gute und alle vollkommene gaben herkommen/ uͤber ſie de-
muͤthiglich an/ daß er das gute werck in ihr angefangen vollfuͤhre auf den tag
JEſu Chriſti/ der ihre liebe iemehr und mehr reich werden laſſe in allerley
erkaͤntniß und erſahrung/ daß ſie pruͤfen moͤge was das beſte ſey/ umb lauter
und unanſtoͤßig erfuͤllet zu werden mit fruͤchten der gerechtigkeit/ die durch ih-
ren Heyland in ihr geſchehen zur ehre und lobe GOTTes. Er gebe ihr die
weißheit/ die von ihm iſt/ mit den ihrigen und andern auſſer dem hauſe alſo
umzugehen/ wie es deren wahren wolfahrt noͤthig/ weder etwas furchtſam zu-
verſaͤumen/ noch unvorſichtig zuverderben: Er ſchencke ihr alle die ſeelen der
ihrigen/ und ſegne ihre treu/ und chriſtlichen umgang an denſelbigen zu allem
geiſtlichem beſtem/ ſich von der welt und derſelben ſo offenbahren/ als ſubtile-
ren ſtricken loß zu reiſſen: Er erfuͤlle ſie ſonderlich mit dem Geiſt der gnaden
und des gebets/ daß ſie ihr/ und der ihrigen anliegen allezeit vor ſeinem ange-
ſicht alſo ausſchuͤtten moͤge/ daß ſie gnaͤdige erhoͤrung erlange: Er ruͤſte ſie
auch in ihrem ſtande mit noͤthiger ſanfftmuth/ gedult und langmuht aus/ ohne
welche wir das gute kraͤfftig und beſtaͤndig zu vollbringen nicht vermoͤgen: in
ſumma, er mache ſieihm gefaͤllig in zeit und ewigkeit. 30. Aug. 1687.


SECT.
[728]Das ſechſte Capitel.

SECTIO XVI.


Sonderlinge. Was vom Pabſt zu ſorgen. Ke-
tzermacher begierde.


DAß er/ ein ſonderling heiſt/ wundert mich nicht/ als welcher nahme von
guter zeit faſt der gemeine nahme der jenigen iſt/ welche nicht in der ge-
woͤhnlichen ſchlaͤffrigkeit mit den groſſen hauffen fortfahren wollen: wie
ich nun ſonſten die abſonderung einiger von dem jenigen/ was auch noch bey
den gemeinden gut iſt/ nicht liebe oder lobe/ ſo wuͤnſchte ich je mehr und mehr die
abſonderung aller derer/ die es mit GOTT treu meinen in ihrem amt und ge-
meinem Chriſtenthum/ von demjenigen/ was in beyden von guter zeit traͤgheit
und ſicherheit aufgebracht/ oder vielmehr das rechtſchaffne weſen verdorben hat.
Solcher ſonderlinge verlangte ich gern eine groſſe anzahl. Das Prognoſti-
con,
wie der Papſt unter denen/ die nicht mit einander/ da ſie einer kirchen glie-
der ſeyn und heiſſen wollen/ ſich vereinigen koͤnnen/ endlich friede machen doͤrff-
te/ wird gewiß erfuͤllet werden/ und habe ichs auch offt ſelbs gefuͤhret: es doͤrffte
aber ein ſolcher friede ſeyn/ wie man einiger orten zwey wiederwaͤrtige Eheleute
in ein gefaͤngnis zuſammen ſchleuſt/ daß ſie endlich mit einen loͤffel eſſen ſollen/
oder wo ſonſten das gemeine elend die vorige zwiſten aufheben muß/ dabey
gleichwol wenig troſt noch ſegen iſt. Alſo auch freuet mich hertzlich/ was von
NN. zu melden beliebet hat/ ſo wohl insgemein/ betreffende ſeinen wachſenden
eiffer in treibung des wahren Chriſtenthums/ als abſonderlich der recommen-
direnden ſanfftmuth und gelindigkeit gegen die jenigen/ welche entweder wahr-
hafftig in irrthum ſtecken/ oder doch unſchuldig deſſen beſchuldiget werden. Ge-
wißlich dieſe unart/ welche ſich bey vielen findet/ daß ſie ſo gern ketzer machen/
und meinen/ darinnen beſtehe ihr eyffer vor die beybehaltung der reinen warheit
(die an ſich freylich eine gefahr iſt/ daran wir allen fleiß anwenden ſollen) wo ſie
anderer ihre wort mißdeuten/ und aus jeglichem erzwungene folgen machen/ an die
die Autores nicht gedacht haben/ iſt eine unſrer zeit ſo gemeine als gefaͤhrliche
ſeuche/ daß ſie faſt morbum Epidemium Eccleſiæ nennen ſolte: wolte GOtt/ es
thaͤte aber dieſelbe nicht ſo viel ſchaden/ wie ſie thut/ durch ſchweres aͤrgerniß nicht
nur der gantz ſchwachen/ die endlich faſt nicht mehr wiſſen/ wohin ſie ſich wen-
den ſollen/ ſondern auch der mehr erfahrnen/ welche ſich hefftig ſtoſſen/ wo dieleh-
rer/ derer Goͤttliche warheit ſie erkennen/ wegen dieſer oder jener formul/ ſo nicht
eben in allen compendiis geſtanden/ oder unter die gewoͤhnliche kunſt worte ge-
meiniglich auffgenommen worden/ als falſch oder verdaͤchtig angegriffen wer-
den/ ſo dann durch hinderniſſe ſolcher leute/ welche theils aus furcht/ andern un-
ter die zaͤhne zugerathen/ manches unterlaſſen/ ſo ſie ſonſten in dem gebrauch ih-
rer
[729]DISTINCTIO II. SECTIO XVII.
rer gaben zu GOttes ehre gleich wie freyer alſo auch nutzbarer verrichten wuͤrden/
theils durch abgenoͤtigte rettungen von andern nuͤtzlichern verrichtungen ſehr ge-
hindert/ theils endlich ihre ſchrifften und arbeiten andern verdaͤchtig gemacht
werden/ daraus nicht fehlen kan/ daß ſie alßdenn auch weniger damit ausrich-
ten. Jch zweiffle aber nicht/ daß der HErr dermaleins von ſolchen unzeitigen
ketzermachern eine ſchwere rechenſchafft uͤber alles ſolches von ihnen verurſachte
boͤſes und gehinderten gutes fordern werde. Hingegen haben wir alle/ die es
treulich mit der kirchen und dero beſten meinen/ als mit einem munde dieſes uͤ-
bel zubeklagen/ und das ihm doch endlich geſteuret wuͤrde/ als viel an uns lege
zubearbeiten. So iſt das von NN. gefuͤhrte argument in ſolcher ſache recht
kraͤfftig/ in dem gewißlich der ſtreit von dem goͤtzen-opffer zu den zeiten des H.
Apoſtels wohl wichtiger geweſen/ als viele von den jenigen/ da man nur umb ein
oder ander worts willen einander verketzern will/ und das band des friedens un-
verantwortlich zerreiſt. Der HErr ſehe mit gnaden endlich drein/ reinige un-
ſern orden auch von ſolchem gefaͤhrlichen uͤbelſtand/ und laſſe unſers geliebten
NN. meines alten werthen freundes/ und aller gleichgeſinneter/ verlangen auch
in dem ſtuͤck erfuͤllet/ in uͤbrigen aber auch alle ſeine arbeit ſtets richtig geſegnet
werden. 18. Sept. 1687.


SECTIO XVII.


Was gegen irrige lehren/ ſonderlich der Qvackecker
zuthun. Daß derſelben irgends unrecht gethan. Daß ei-
nige ſolcher lehr wegen in verdacht gezogene derſelben un-
ſchuldig halte. Die bekehrung der Juden. Nicht alle weiſ-
ſagungen noch erfuͤllet. Wichtigkeit ſolcher lehr.


GLeichwie daß geliebter bruder ſein hertz dermaſſen offenbahr bey mir aus-
geſchuͤttet hat/ mir gantz angenehm geweſen/ und ſolches ſo gar keinen un-
willen bey mir erwecket/ daß vielmehr mich zu ſchuldigem danck davor
verbunden erkenne/ alſo verſehe mich auch/ daß gleichfals mir nicht verdacht wer-
de werden/ da ich dergleichen auch freymuͤthig gegen einen lieben freund thue/ und
ob wir in dem particularibus und der hypotheſi nicht einig ſeynd/ gnug zu aller
bruͤderlichen freundſchafft und deroſelben fortſetzung erkannt werde werden/ daß
wir in theſi eines ſind. Es bleibet unter uns beyden ausgemacht 1. daß man bey
der hergebrachten Evangeliſchen wahrheit verbleiben/ dieſelbe auff die nachfolger
auch treulich fortpflantzen/ und alſo iederman dazu unterrichten/ darin beſtaͤr-
cken/ und zu ſolcher erkaͤndtniß zu bringen trachten ſolle 2. daß man auch den irr-
Z z z zthuͤmen
[730]Das ſechſte Capitel.
thuͤmen widerſprechen/ deroſelben fortpflantzung durch geiſtliche mittel (was den
weltlichen arm anlangt/ bekenne einem guten freund gern/ daß ich von ziemlichen
Jahren nicht mehr in der meinung ſeye/ daß weltliche obrigkeit/ weil die herrſchafft
uͤber das gewiſſen/ ihr nicht zukommt/ viele macht darin habe/ und bleibe nun-
mehr bey dem jenigen/ was ich ohne beyſetzung meines nahmens in einem beden-
cken/ von der pflicht der Obrigkeit/ welche anderer religion unterthanen
hat/
hoffentlich gruͤndlich gezeiget habe/ und ſehr nothwendig achte/ in ſolcher
materie behutſam zugehen/ daß wir nicht principia ſtatuiren, darin mich ſelbſt
vorhin verſehen habe/ welche den Papiſten gegen uns auf gefaͤhrliche weiſe zu ſtat-
ten kommen) widerſtehen/ und nach moͤglichkeit die irrende zu recht zubringen
trachten ſolle. 3. liebe ich die wohlfahrt unſrer wehrten Franckfurtiſchen kirchen
mit demſelben ſo hertzlich/ als da ich daſelbſt geweſen bin. Jn dieſen puncten
werden wir eins ſeyn/ ob wir dann in den ſtuͤcken nicht einerley gedancken fuͤhren.
1. Daß auch in widerlegung der offenbahren irrthuͤme ſolcher ernſt gebraucht
werden ſolle/ daß die zuhoͤrer in der dabey noch ſpuͤhrenden ſanfftmuth gegen die
perſonen das principium, woraus die beſtraffung herkomme/ nehmlich eine er-
barmende und mit keiner bitterkeit vermiſchte liebe/ deutlich warnehmen koͤnne.
2. Daß welche ſich nicht offenbahrlich von uns trennen/ mit ſreundlichkeit mehr
bey zubehalten/ als mit haͤrtigkeit zur trennung ihnen mehr anlaß zu geben. 3. Daß
die gefahr ihrer liben kirchen in dieſem ſtuͤck nicht ſo groß ſeye/ als ſie angeſehen
wird/ wo man mit ſanffmuͤtiger klugheit die ſache fuͤhret; ſo halten uns gleich-
wohl jene allgemeine ſtuͤcke gnugſam zuſammen/ und wird der Herr etwa noch
gnade geben/ daß wir auch mehr und mehr in dieſen zu einerley ſinn kommen moͤ-
gen. Daß wehrter bruder gegen die Qvackeriſche lehr eiffere und mit nach-
truck offentlich widerlege/ halt ich an und vor ſich ſelbſt nicht unrecht/ ſondern ab-
ſolute
zu reden nothwendig. Wiewohl wie noͤthig zu dieſer zeit und an ſolchem
ort dieſes itzt geweſen/ kan ich nicht beurtheilen/ ſondern geliebter bruder wird
ſelbs die umſtaͤnde wargenommen haben: Meine reguln ſind die folgende: ſo
lange eine ſache unter wenigen iſt/ finde ich nicht rathſam/ daß publice davon/
ſonderlich mit einer mehrern angelegenheit/ als insgemein/ getrieben werde. Die
urſach iſt dieſe/ weil eine dergleichen offentlich anſtellende refutation die leute nur
rege macht/ daß deswegen auch diejenige/ ſo nimmermehr ſonſt daran gedacht/
begierig werden/ von ſolchen irrthumen etwas zu wiſſen/ und ſolcherley buͤcher zu
leſen/ da dann ſehr dahin ſtehet/ ob ſolcher fuͤrwitz nachmahl ihrer mehrern eher
gelegenheit zur verfuͤhrung gebe/ als andere dadurch verwahret werden: Wie
mir ein chriſtlicher und verſtaͤndiger mann erzehlt/ daß in einer beruhmten reichs-
ſtadt/ als etzliche perſonen Jacob Boͤhmens ſchrifften hatten/ und das miniſteri-
um
auf den cantzeln hefftig darauff zu predigen anfinge/ eine groſſe anzahl der
leute erſt darnach luͤſtern worden/ und ſolche ſchrifften aufs eifferigſte geſucht und
gele-
[731]DISTINCTIO II. SECTIO XVII.
geleſen worden ſeyen/ nicht bey allen mit gleichem Succeß: W[o] aber eine ſache/
irrthum/ buch bereits unter vielen bekandt worden/ daß man alſo in der ſtille nicht
mehr gnug wehren kan/ da will denn freylich offentliche widerlegung noͤthig ſeyn.
Sonſten in jenem fall moͤchte es offt heiſſen/ wie jener Hiſtoricus ſagt/ Apud
qvosdam plus proficit ignoratio vitiorum qvam notitia virtutis.
Wo auch
ferner derſelbe nuͤtzlich findet/ dagegen zu ſchreiben/ will ichs auch nicht unbillichen/
als der ich ſelbs gewuͤnſchet/ daß ein ſo gelehrter als gottſeliger und in der ſchrifft
maͤchtiger Theologus ſich an ſolche materie machte; indem meines und anderer
erachtens der liebe Herr D.Reiſer beſorglich noch nicht gnug gethan hat. Jch
verſihe mich aber/ daß es mit aller Modeſtia geſchehe/ wie Herr D. Baͤyer zu
Jena ſich ſehr beſcheiden gewieſen/ und damit vielen treflich gefallen hat/ daß eine
mehrere continuation immerdar gewuͤnſchet wird; ſo dann das ſonderlich fleis-
ſig/ was die eigentliche wirckungen GOttes in dem hertzen/ deſſen erleuchtung/
trieb/ zeugniß und anders dergleichen ſeye/ gezeiget/ ſelbſt gebilliget/ und von dem/
wie [j]ene die ſache darnach weiter treiben/ und ſich darinne verſtoſſen/ unterſchle-
den werde. Welche art zu widerlegen ſo viel nachdruͤcklicher iſt/ wo ein leſer ſihet/
was man auch zugiebt/ und hingegen/ was man von gegentheils zuſaͤtzen ver-
wirfft. Jm uͤbrigen was geliebter bruder mit mehrerem uͤber viele puncten der
chriſtlichen religion anfuͤhret/ worin ihre lehre beſtehe/ bekenne ich gern/ daß davon
nicht urtheilen koͤnne/ weil ich Barclaium nicht gantz/ ja ſchwehrlich meines beſin-
nens ein paar bogen nach einander/ geleſen/ auch wuͤrcklich das buch weder latei-
niſch noch teutſch/ nachdem ich dieſes Herr NN. auf ſein begehren uͤberlaſſen/ in
meiner gewalt/ ſondern wo ich etwas aufzuſchlagen gehabt/ von einem andern
das lateiniſche gelehnet habe: wo aber ſeine meinung recht alſo gefaſſet ſeyn ſolte/
kommet mir ſonderlich unterſchiedliches ſchrecklich vor. Jndeſſen was mein ju-
dicium
von den Qvackern in der Gottes gelehrigkeit p. 36, anlangt/ traute ich
mir/ was den einigen punct anlangt/ daß ſie alle uͤbrige religionen uͤber einen
hauffen verdammen/ nicht mehr wohl zu beſtehen. Jndem der D.Kohlhaß/
ſo der einige qvacker/ welchen ich mein lebenlang geſehen und geſprochen/ als er
nicht lang nach der edition des tractaͤtleins mir zuſprach/ mich freundlich daruͤber
erinnerte/ daß ich ihnen darin zu viele thaͤte/ und verſicherte/ ſie verdammeten nicht
alle auſſer ihrer verſammlung/ ſondern erkenneten auch unter andern ſecten kinder
Gottes zu ſeyn/ die demſelben treulich dieneten: Da ich hingegen jenes aus ver-
trauen auf das ſchreiben eines guten freundes/ ſo mir ſolches aus Engelland be-
richtet/ alſo geſetzet hatte; hingegen wider ihre eigene bekaͤndtniß ſie itzt gleicher-
maſſen weiter nicht beſchuldigen koͤnte. Was aber die in NN. beſchuldigte oder
verdaͤchtige perſonen anlangt/ laͤugne ich nicht/ daß ich ſie durchaus derſelben ke-
tzerey nicht verdaͤchtig halten kan: Jch kan verſichern/ daß der jenige/ welchen ge-
liebter Bruder ihren profeſſorem genennet/ ſelbſt gegen mich unterſchiedliches
Z z z z 2der
[732]Das ſechſte Capitel.
der Qvacker thun mißbillichet/ und einmahl geſag:/ wie die beyde/ die Socinla-
ner und Qvacker/ einander e diametro entgegen ſtuͤnden/ deren jene nichts im
geringſten anders als literam ſcripturæ cum ratione erkenneten/ und von keiner
illuminatione interna, die dazu noͤthig waͤre/ wiſſen wolten/ dieſe hingegen alles
allein auf dieſe ſetzten/ das es ſchiene/ GOtt werde ſolche ſich untereinander durch-
beiſſen laſſen/ daß es zu dem rechten medio von den extremis komme. So kan
ich wahrhafftig ſagen/ daß ich die angefuͤhrte irrige meinungen von einem an-
dern Chriſto/ als der GOtt und menſch/ und unſer Heyland iſt/ hingegen auch
wahrhafftig in ſeinen glaͤubigen wohnet/ und dergleichen nimmermehr von ie-
mand unter ihnen gehoͤrt/ da man doch gegen mich als viel andere freyer heraus
gangen. Ja eben oben erwehnter freund hat einmahl von der ewigen GOttheit
JEſu Chriſti/ wie er aus dem Vater geboren ſeye/ ſtatlich gegen mich geredet: ſo
weiß auch/ als ihm ein anderer chriſtlicher freund unſere lehr von der rechtferti-
gung/ nicht wie ſie von dem groſſen hauffen mißverſtanden wird/ ſondern eigent-
lich von uns gemeinet iſt/ ausfuͤhrlich erklaͤhret hatte/ daß er ſich darauf bedacht/
und den andern tag wieder zu ihm gekommen/ und bezeuget/ daß er nichts dagegen
habe. Deswegen mich noch nicht genug beweget/ daß ſie Barclaii buch recom-
mendiren
ſolten/ welches ich gleichwohl niemahl von ihnen gehoͤret habe: in-
dem nicht weiß/ wieweit ſie ſolches recommendiren, und ob ſie vielleicht ein und
anders darinnen nutzlich achten/ da ſie hingegen mit andern darinnen auch nicht
einſtimmig ſeyn wuͤrden. Wie wir auch Taulerum recommendiren, und ſon-
derlich jener denſelben vor allen andern buͤchern immer gepreiſet hat/ da wir
doch beyderſeits ziemlich viel paͤbſtliches in dem guten mann nicht loben. Aufs
wenigſte wo den Qvackern eine geringhaltung und hindariſetzung der ſchrifft zu-
kommen ſolte/ meine ich/ dieſelbige (ſie muͤſten dann in ein paar Jahren ſich gantz
umgekehret haben) davon bloß frey ſprechen zukoͤnnen/ und wuͤſte ich mein lebe tag
keine leute gekandt zu haben/ die ſich ſo gantz ſine exceptione an die ſchrifft allein
verbunden/ und uͤber nichts mehr geeiffert/ als wo das geringſte derſelben zugeſetzt
wuͤrde: Ja eben deswegen achten ſie anderer confeſſionen, catechismorum
und ſchrifften nicht/ weil ſie allein bey jenem buchſtaben bleiben wollen. Herr NN.
anlangend/ halte ihn ſo gar der aus Barclaio angezogener lehren nicht ſchuldig/
daß ich weiß/ dem lieben Mann mangle es vielmehr allein in einigen puncten an
der feſtigkeit unſerer lehr/ da er gern verlangte/ eine voͤllige deroſelben verſicherung
bey ſich zuhaben/ als daß er auf jenen ſich feſt zuſetzen verlangte. Und wie gut
ers mit unſerer kirche meine/ hoffe/ daß auch das neulichſte weiſen moͤge/ wie hertz-
lich er ſich angelegen laſſen/ damit die kirche zu NN. mit einem rechtſchaffenen
Theologen verſehen werden moͤge/ da er dann in beyder nach einander da ge-
ſtandenen treuen lehrer vocations ſache viele arbeit gethan/ ja unter menſchen
in der letzten als viel mir wiſſend die meiſte urſach iſt. So finde ich auch Hr.
NN.
[733]DISTINCTIO II. SECTIO XVII.
NN. nicht dermaſſen/ daß er mit ſolchem argwohn zu beladen ſeye/ hoffe auch ſei-
ne glaubens genoſſen ſonderlich Hr. NN. werde anders von ihm urtheilen. Jns-
geſamt halte es vor ein ſtuͤck meiner chriſtlichen pflicht/ ohne die gewiſſeſte gruͤnde
niemand/ ſonderlich mit ſolchen ſchwehren beſchuldigungen zu belegen. Dieſes
iſt meine meinung/ zu dero ich zwar ſo wenig iemand anders zu noͤthigen mir macht
nehmen/ als mir auch anders von andern zuhalten aufbuͤrden lieſſe. Der HErr
regiere uns allerſeits/ weder um der wahrheit willen/ die liebe/ noch um der liebe
willen/ die wahrheit zu verletzen/ ſondern nach dieſer doppelten Regul uns allezeit
zu richten. Was ferner meines wehrteſten bruders freundliche conteſtationes
gegen mich anlangt/ waͤren ſolche nicht noͤthig geweſen/ als der ich deſſen gegen
mich liebreich geſinnet gemuͤth von der erſten zeit an genugſam erkandt/ auch noch
biß daher daran zu zweiffelen keine urſach gehabt/ oder einiges deſſen wort auf die-
ſe weiß angenommen: Hingegen demſelben billich ſeine freyheit in ieglichem din-
ge nach ſeinem gewiſſen gelaſſen/ wie mir auch von allen mitbruͤdern/ ein gleiches
bedinge. Alſo in der materie von der bekehrung der Juden/ kan ich an ande-
ren wohl tragen/ da ſie darin dasjenige nicht erkennen/ darvon ich dannoch mich
verſichert glaube/ nur daß mich umb der gemeinde willen/ ſo irre zu werden ge-
ſorgt betruͤbet haͤtte/ wann es ſo geweſen waͤre/ wie ich war berichtet worden (da
aber gern und mit freuden beſſern bericht daß ſolches nicht geſchehen/ angenom-
men habe) und ich mir gleichfals mein freyheit auch behalte. An dem Loco
Matth. 23/39. erkenne ſolche ſelbſt nicht gegruͤndet/ ob wohl unſer Lutherus ſolche
meinung hat: Sehe aber auch aus dem uͤberſchriebenen/ daß es eben dieſe mei-
nung und nicht um die ſache ſelbſt ſondern ſolches orts verſtand zuthun geweſen
ſeyn muͤſte/ da mir (wo mir recht iſt/ ſo bald in dem erſten Jahr) von gel. Hr. Col-
lega
war referirt worden/ daß er auf Stephani tag dagegen geprediget/ ich hielte
es aber nicht wichtig/ mit demſelben deswegen zureden/ oder daruͤber zu befragen/
damit es nicht das anſehen gewinne/ ich beſchwehrte mich daruͤber/ und wolte an-
deren die geziemende freyheit neben mir nicht laſſen/ welches allezeit wider meine
art iſt/ daß ich bey mir und allen andern die freyheit ſo viel mit unverletztem gewiſ-
ſen geſchehen kan/ uͤber alles andere liebe. So bekenne auch/ daß vor weilen die-
ſe meinung von der Juden bekehrung/ und derer faſt daran haͤngender beſſerung
der geſamten kirche/ nicht gehabt habe/ als der ich ohne weiteren nachbedacht mei-
nem S. Præceptori D. Dannhauer gefolget war/ daher es wohl ſeyn mag/ daß
ich an den Hertzog von Gotha in den erſten Jahren ſchreibend/ von den letzten zei-
ten andere gedancken und wenig hoffnung gehabt habe. Hingegen habe es meinem
ſeligen Collegis Hr. Grambſen und Hr. Emmeln (ſo viel mich erinnere) vor-
nehmlich zu dancken/ welche mir dazu anleitung gegeben/ biß darinnen mich mehr
und mehr alſo befeſtiget habe/ daß nicht leugne/ ein groſſes itzo darauf zuſetzen/ daß
ſolche ſache auch nim̃ermehr fahren laſſen koͤnte; alſo daß mir mit hinfallung derſel-
Z z z z 3ben
[734]Das ſechſte Capitel.
ben die gewißheit des gantzen Goͤttlichen worts/ ſo ferne ſeye/ zugleich mit hinfallen
muͤſte. Hingegen kan an dem mir angenehmen Arndtio auch gantz wohl tragen/
daß er anderſt davor gehalten/ und wuͤrde von ihm auch wohl haͤrtere terminos
ohne unwillen vortragen/ ob zwar auch nicht in abrede bin/ daß mir ſein ſuffragi-
um,
da ihn GOtt auch dazu gefuͤhret/ wuͤrde angenehm geweſen ſeyn. Hie muß
es nur heiſſen/ ἕκαστος ἐν τῶ ἰδίῳ νοῒ πληρο [...]ορείσϑω. wegen Jurieu buch wird ſich
geliebter bruder errinneren/ daß mir vieles/ aber nicht alles/ darinnen gefallen/ was
aber den punct anlangt/ ob alles erfuͤllet ſeye/ oder nicht/ was in den Propheten
ſtehet/ bin ich nicht in abrede daß ich der negativæ ſo feſt anhange/ daß ich davor
halte/ ein kluger Mann/ welcher aber die authoritaͤt der ſchrifft ſonſten nicht hoch
hielte/ ſolte in ſeinem atheismo kaum kraͤfftiger bekraͤfftiget/ und die ſchrifft einer
vanitet zu beſchuldigen/ verleitet werden/ als wo er von vielen orten der ſchrifft hoͤ-
ret/ die man ſagen will/ daß ſie ſchon erfuͤllet ſeyn/ da man ſo viele arbeit offt brau-
chen muß/ eine ſolche erfuͤllung zuzeigen/ und man nach allem angewendeten fleiß
doch kaum ſiehet/ worin die erfuͤllung ſtecken ſolle/ da dannoch wie die weiſſagun-
gen dunckel ſind/ hingegen die erfuͤllung ein ſolches licht/ und nicht eben ſo dunckel
wider ſeyn muß. Ja ich dencke offt daran/ daß eben dieſes die Juden auch gegen
uns deſto mehr verſtockt/ da wir unterſchiedliche prophezeyungen als bereits erfuͤl-
let erklaͤhren/ wo ſie gewiß ſehen/ daß unſere vorgebende erfuͤllung/ der vortreflich-
keit der verheiſſung bey weitem nicht gleich komme. Wie mich alſo verſichert hal-
te/ daß die Propheten/ ſo von dem reich Chriſti reden/ offt auf das gantze neue te-
ſtament gehen/ ſo wolte ja nicht gern/ daß alles was ſie geſchrieben/ allein in den an-
fang deſſelben eingeſchrenckt wuͤrde/ ſondern glaube/ daß etwa vielmehr ihrer wort
auf die folgende/ auch itzige/ und letzte zeiten ſehen/ ob ich wohl bekenne/ daß mein
pfund ſich ſo weit nicht erſtrecke/ ſondern es mir gehet wie einem/ der eine ſache von
weitem ſiehet/ der aber wol warnim̃et/ es ſeye dieſes und jenes nicht/ aber doch auch
nicht was es ſey recht unterſcheiden kan. Alſo ſehe manches/ daß es eben dasjenige
nicht ſeyn koͤnne/ was etwa man offt als eine bereits geſchehene erfuͤllung angeben
will/ ob ich wol die rechte wahre erklaͤrung zugeben auch nicht vermoͤgend bin. Nun
der Herr oͤffne uns allen mehr und mehr die augen in ſeinem wort/ deſſen reichthum
immer weiter und tieffer einzuſehen/ zu ſeinem ſo viel mehrern preiß. 10. Oct. 1687.


SECTIO XVIII.


Uber(Dan. Kleſchii)tractatde Beſtia bicorni
die der Koͤnig in Franckreich ſeyn ſolle. Sandhagens ga-
be
in Propheticis.Ungriſche gefahr.


ES iſt mir vergangene woche zwey tage nach einander Herr D. Pfeif-
fers paqvetlein/ ſo dann deſſen eigenes wohl zuhanden kommen/ und ob
zwar
[735]DISTINCTIO II. SECTIO XVIII.
zwar bekenne/ daß ſonſten gemeiniglich in den etlichen erſten wochen zu antwor-
ten nicht wohl zeit finde/ habe ich doch gleichwohl dieſe ſache nicht laͤnger ver-
ſchieben ſollen/ nach dem ich nothwendig gefunden/ den inſchluß wiedrum zuruͤck
zuſenden: deſſen urſach dieſe iſt/ nicht nur/ weil ich ohne das ſchwerlich einem
guten freund etwas bey hieſigen buchfuͤhrern zum verlag unter zubringen ge-
trauete/ ſondern weil ich nicht in abrede ſeyn kan/ daß mir deß Hr. Superint.
meinung de beſtia bicorni, in denſelben der Koͤnig in Franckreich zu ſuchen/
kein gnuͤge gethan/ der mich wie auch viel andere freunde/ welche dieſelbe vor
mehrern Monaten geleſen/ deſſen uͤberzeuget/ daß wir deswegen von unſrer faſt
gemeinſten erklaͤhrung/ den Papſt mit ſeiner Roͤmiſchen Cleriſey darinnen zuſu-
chen/ abzuweichen haͤtten. Hiemit ſchmeichle ich dem Koͤnige in Franckreich nicht/
noch mache ſeine grauſamkeit geringe/ vielmehr nachdem mein Bruder ſein
politiſches amt in dem Elſaß um der Franzoſen willen verlaſſen muͤſſen/ der
andre/ ein prediger/ ſchon einen papiſtiſchen pfaffen neben ſich ſtehen hat/ auch
mein leiblicher Schwager ein Superintendens bereits zum viertenmahl von
Franckreich ſeiner amts-treue wegen gefangen gelegt worden/ ſolte ich einen ſo
viel hefftigern Eyfer gegen ſolchen Koͤnig haben. Aber indeſſen erkenne ich ihn doch
nicht vor ſolches zweyhoͤrnigte thier/ vielweniger traue der erklaͤhrung wegen der
3. Engel (von welchen ſonſten hertzlich gerne/ was hier verſprochen wird/ der kir-
chen goͤnnete und wuͤnſchte) glauben beyzulegen/ als wozu mich/ was bißher al-
le ſolche muthmaſſungen zubeſtaͤrcken angefuͤhret worden/ viel zu ſchwach und
nicht zulaͤnglich zu ſeyn deucht. Jedennoch wie ich mir meine gedancken uͤber ein
und andern ort der ſchrifft/ alsfern wieder die analogiam fidei nicht gefehlet wird/
freygelaſſen zuwerden mit recht fordere/ als kan ich auch andern Mitbruͤdern nicht
verwehren/ daß ſie ſich auch ihrer freyheit gebrauchen/ daher ich auch meinen Hr.
Superint. nicht zuwehren habe/ da er in dieſer perſvaſion ſtehet/ ſeinen ſinn andern
vorzuſtellen/ (ob ich zwar deñoch billich bitte/ die ſache noch weiter zuuͤberlegen/ wie
gegruͤndet ſie ſeye/ und nichts in dergleichen dingen zu præcipitiren/ was in etwa
nicht ſo langer zeit durch den ausgang anders gewieſen werden moͤchte) aber doch
hoffe ich/ ſo fern entſchuldiget zu ſeyn/ daß ein ſcriptum deſſen gantze hypotheſin
ich ungegruͤndet halte/ daher eher ungleiche als gute effectus der kirchen davon
ſorgen muß/ ſelbs zum vorſchein zubefoͤrdern/ und alſo mich ſo fern deſſelben theil-
hafftig zu machen bedenckens trage: ob wohl was ohne mich und anderswo her-
aus kaͤme/ mich nicht zu wiederſetzen/ ſondern anderer verantwortung zu uͤberlaſſen
haͤtte. Jch trage das gute vertrauen/ mein Hochgl. Hr. Superintend. werde mir/
gleich wie meine freymuͤtigkeit nicht in uͤbeln nehmen/ alſo auch nicht unbillich
finden/ daß ich mit einer meynung/ die ich nicht annehmen kan/ auch keine ge-
meinſchafft haben wolle. GOtt zeige uns allen ſeine warheit mit und zu kraͤffti-
ger uͤberzeugung des gewiſſens/ daß wir weder iemal derſelben erkaͤntnis uns ent-
ziehen/ noch auch hinwieder deroſelben ſchein vor ſie ſelbs ergreiffen/ und laſſe
bald
[736]Das ſechſte Capitel.
bald die zeit erſcheinen/ daß nach ſeiner verheiſſung viele uͤber die biß dahin verſie-
gelte ſchrifften kommen/ und vielem verſtand finden. Was Hr. D. Hildebrand
gegen denſelben geſchrieben haben ſolle/ habe nicht geſehen/ daß alſo nicht weiß/
ob es die hauptſache ſelbs oder nebens dinge angehe/ und alſo ob wir eine mey-
nung ſo ferne haben oder nicht. Jnsgemein weiß ich keinen Theologum der un-
ſrigen/ deſſen gedancken uͤber die offenbahrung mich mehr vergnuͤgen/ als Hr.
SandhagensSuperintendentens in Luͤneburg/ aus dem wenigen was ich von
ihm geſehen/ und durch gute freunde gehoͤret/ alſo daß ich wuͤnſchen moͤchte/ weil
er ſchwer dran kommet/ daß ihm publico nomine auferleget wuͤrde/ ſolches Pro-
phetiſche des N. T. buch ſo wol als unterſchiedliche Propheten aus dem alten voͤllig
zu commentiren/ wozu ich itzo der unſrigen leute keinen tuͤchtiger zu ſeyn glaube/
und auch mit geld/ wo ich einige tage mit ihm umgehen koͤnte/ gern erkauffen wol-
te. Wie ich denn billig die mannigfaltige austheilung der Goͤttl. gnaden gaben
hoch venerire/ und die darinnen ſteckende weißheit demuͤtigſt preiſe; wie wenig
mir aber hierinnen gegeben ſeye/ alſo daß ich was das kuͤnfftige betrift/ bloß bey den
generalibus ſtehen bleiben muͤße/ gern bekenne. Der zuſtand des lieben Unger-
landes/ darinnen auch noch unterſchiedliche liebe freunde habe/ iſt ſo/ daß recht
alles zwiſchen furcht und hoffnung ſtehet/ und zwar jene bekraͤfftiget alles was
menſchen augen und vernunfft erkennen koͤnnen/ dieſe beruhet endlich auff Gott
allein/ von dem wir zwar auch gewiß ſeynd/ daß er weder ſeine ehre ſtecken/ noch
ſein reich aller orten untertrucket werden laſſen werde/ aber gleichwohl auch nicht
vorher ſagen koͤnnen/ wie weit er noch dem gerichte uͤber ſein hauß zuſehen wolle.
Jndeſſen bleibet uns gewiß/ die warheit muß zuletzt uͤberwinden/ und ſolte es lange
zeit durch lauter ſcheinende verluſt geſchehen muͤſſen. Nun er erfuͤlle ſeinen willen
der allezeit gut iſt/ und maͤßige ſeine gerichte mit vieler barmhertzigkeit zu abwen-
dung der laͤſterung ſeiner feinde und ewigen preiß ſeiner guͤte. 28. Oct. 1687.


SECTIO XIX.


Gratulationan Hn. Georg Albrecht Grafen zu
Mansfeld uͤber ſeine bekehrung von der Roͤmiſchen
zu der Evangeliſchen kirchen.
Goͤttliche gnade/ licht/ friede und ſegen in unſern treuen
Heyland JEſu Chriſto!


Hochgebohrner Graff/
Gnaͤdiger Graff und Herr.

WJe allen denen/ welche Gott in deſſen reich lieben/ eben deßwegen zukom̃t/
daß gleich wie ſie daruͤber betruͤbt ſeyn ſollen/ wo daſſelbige gehindert
wird/ und ihm abbruch geſchiehet/ alſo ſich auch hertzlich zu freuen haben/
wenn
[737]DISTINCTIO II. SECTIO XIX.
wenn auff einigerley weiſe deſſen wohlſtand befoͤrdert wird/ ſo kan ich als einer der
geringſten unter denen/ welchen das beſte des Reichs Chriſti zu hertzen gehet/ ver-
ſichern/ daß auch bey mir eine ſonderbare freude entſtanden iſt/ als ich anfangs von
einiger hoffnung/ dero aber noch ziemliche hindernuͤſſen in dem wege legen/ nach-
mahl aber die voͤllige froͤliche poſt hoͤrte/ wie der him̃liſche Vater durch gnaͤdige er-
leuchtung E. Hochgraͤffl. Gnaden zu der warheit ſeines Evangelii ſeiner betraͤngten
kirchen eine neue freude erwecket/ und zur danckſagung urſach gegeben habe. Da-
hero auch billich ſeiner himmliſchen guͤte ſelbſten davor demuͤtigſt danck zuſagen
urſach gefunden habe. Nechſt dem erkuͤhne mich auch/ ob wohl ſonſten unbekant/
ſolche meine freude uͤber die E. Hochgraͤfl. Gnaden erwieſene himmliſche gnade
auch von derſelben ſelbs auszuſchuͤtten/ und mit gegenwaͤrtigen zeilen gehorſamſt
zubezeigen. Jch erkenne aber dasjenige/ das der HErr HErr an deroſelben/
und zugleich an unſrer kirchen gethan/ vor eine ſo viel hoͤhere wohlthat auff un-
terſchiedlichen urſachen. Zum aller forderſten ſehe ich billich deroſelben Hochgraͤfl.
familie an/ welcher der allerhoͤchſte/ gleich wie ſonſten von alters her ſo viel wohl-
thaten in dem weltlichen erzeiget/ und ſie hoch geſetzet/ alſo ſonderlich in dem ver-
gangenen ſeculo die gnade erwieſen/ daß nicht nur der werthe werckzeug der ſe-
ligen reformation Lutherus aus derſelben Graffſchafft entſprungen/ ſondern
auch dieſelbe bald vor ſo vielen andern gleiches ſtandes zu der ſeligen erkaͤntnuͤß
des reinen Evangelii durch die Goͤttl. guͤte gebracht worden iſt: Nach dem aber
die Goͤttliche verhaͤngniß zugegeben/ daß nicht nur ſo viele der Evangeliſch geblie-
benen Linien nach einander erloſchen/ daß alſo biß daher alles auff dem werthe-
ſten haupt des Hochgebohrnen Graffen HErrn Johann Georgen beruhet iſt/
ſondern hingegen die eine wiederum in etzliche abgetheilte Hochgraͤfl. linie von der
Roͤmiſchen kirchen durch gewoͤhnliche verleitung von ſolcher theuren erkaͤntnis ab-
gezogen worden/ welches wir billich mit hertzlichen betauren anzuſehen hatten
und haben/ ſo erkenne es billich vor eine ſo viel denckwuͤrdigere gutthat GOttes/
daß er an E. Hochgrl. Gnaden wiedrum einen ſeeligen anfang machet/ zuzeigen/
ſeine warheit ſey nicht unvermoͤgender/ die gemuͤther deren/ welche ihr nicht wie-
derſtreben/ wiedrum zu ruͤck zubringen/ als die perſvaſion en der wiedrigen maͤch-
tig ſind/ ihre irrthumen den jenigen beglaubt zu machen/ welche ſie ſonderlich mit
zeitlicher hoheit und gluͤckſeeligkeit begleitet vor ſich ſehen oder hoffen. Welches
auch dieſe neue conſideration giebet/ eine innigliche freude uͤber dero bekehrung
zuſchoͤpffen/ wann deroſelben ſtand und vorige condition keine ſorge laſſen/ daß
einige andre abſicht bey ſolcher aͤnderung geweſen ſeye/ ohne allein/ daß dieſelbe
dem Geiſt GOttes zu uͤberzeugung der lautern warheit bey ſich platz gegeben/ als
welche von derſelben in der welt keinen weitern vortheil/ ſondern vielmehr ver-
druß und/ durch entfremdung des nechſten angehoͤrigen/ nachtheil abzuſehen und
zu erwarten haben: da hingegen ob man ſich wohl allezeit der bekehrung eines jeg-
lichen aus der irre zu uns kommenden billich zu freuen hat/ dannoch dieſe freude
mehrmal ſehr verringert wird/ wo man ſich nicht nur eriñert der vielen exempel de-
A a a a arer
[738]Das ſechſte Capitel.
rer/ welche nachmahl/ weil ihre vorgegebene bekehrung niemahl auffrechten grun-
de geſtanden/ vielmehr unſrer kirchen ſchandflecken worden ſind/ ſondern ſolche
ſorge ſo offt vorkommet/ wo ſich dergleichen perſonen bey uns einfinden/ da man
nicht nur ſiehet/ wie wenig grund ſie anzufuͤhren wiſſen/ warum ſie die von jugend
auff vor die einig wahre erkante kirche verlaſſen/ (welches bereits eine nicht ge-
ringe leichtſinnigkeit iſt/ und alle hoffnung des kuͤnfftigen von ihnen bey mir ſehr
niederſchlaͤget) ſondern auch aus reden/ und allem verhalten erhellet/ daß ſie gar
anderes/ nemlich dinge/ ſo die welt angehen/ an ſtat des einigen verlangens nach
der wahrheit und ſeeligkeit/ mit ihrem umtreten ſuchen. Weßwegen ich bißher
offt als ein ſtuͤck des ſo viel ſchwerer auff der Roͤmiſchen kirche ligenden gerichts
angeſehen habe/ daß die gemuͤter in derſelben bereits ſo verdorben worden/ daß
ob ſie nachmahl zu uns und daſelbs auffs wenigſte zur beſten gelegenheit einer le-
bendigen wahren erkaͤntniß kommen/ ſie doch zu deroſelben ſich faſt ungeſchickt/
und ihre hertzen mit liebe des irrdiſchen dermaſſen eingenommen zeigen/ daß ob
ſie endlich zu einer buchſtaͤblichen erkaͤntnuͤß gebracht werden/ dannoch von dem
Goͤttlichen liecht/ in dem wir allein die warheit recht erkennen moͤgen/ meiſtens
nichts in ihre ſeele kommet/ daß alſo bey denſelben gemeiniglich allein mehr eine
verwechſelung der euſerlichen profeſſion/ alß eine innerliche aͤndrung des her-
tzens und kraͤfftige bekehrung/ vorgehet. So viel ungewiſſer uns alſo die ſo man-
che ungleiche exempel der den nahmen nach bekehrten die hoffnung bey dem mei-
ſten/ welche ſich bey uns einfinden/ und etwas dergleichen zu ſorgen iſt/ machen/
ſo viel hertzlicher iſt hingegen die freude/ uͤber die jenigen von dero ſtand/ und aus
dero bezeugung/ nichts dergleichen zu ſorgen iſt. Sonderlich aber erfreue mich
auch ſo viel mehr uͤber E. Hochgrl. gnaden Goͤttliche bekehrung/ wenn ich die be-
ſchaffenheit unſrer gegenwaͤrtigen zeit bedencke/ welche gewißlich/ wo wir ſie
recht einſehen/ die jenige iſt/ in dero der HErr HErr dem Roͤmiſchen Babel die
macht wird gegeben haben den hoͤchſten gipffel ſeiner gewalt wieder zubeſteigen/
ſein gericht uͤber unſre leider ziemlich lang undanckbar geweſene Evangeliſche kir-
che auszuuͤben und beſorglich ein groſſes derſelben/ wie wir bereits gegen abend
zugeſchehen taͤglich mit betruͤbnuͤß erfahren/ unter ſich zubringen/ indeſſen aber
durch ſeine grauſamkeit und boßheit vollends das maaß ſeiner ſuͤnde zuerfuͤllen/
und damit das ihm laͤngſt angedrohete gericht des untergans voͤllig uͤber den
halß zu ziehen. Daß nun um ſolche zeit/ da hingegen taͤglich ſo viele vor uns in die
Roͤmiſche dienſtbarkeit mit gewalt und liſtiger verfuͤhrung gezogen werden/ und
der betruͤbte zuſtand und gefahr unſrer kirchen bey den jenigen dero gliedern/ in
denen die liebe der welt noch ſtecket/ vielmehr die gedancken mehr und mehr er-
reget/ ſich bey zeiten zuder obſiegenden partie zu geben/ GOTT ein gemuͤth ſo
kraͤfftig ruͤhret/ ſich zu der gemeinde/ dero eine ſchwere verfolgung uͤber den
haupten ſchwebet/ unerachtet ſolcher gefahr/ zubegeben/ und mit Moſe viel lie-
ber zuerwehlen mit dem volck GOttes ungemach zu leiden/ denn die zeitliche er-
goͤtzung der ſuͤnden zu haben/ ja die ſchmach CHriſti fuͤr groͤſſer reichthum als die
ſchaͤ-
[739]DISTINCTIO II. SECTIO XIX.
ſchaͤtze Egypti zu achten/ iſt wahrhafftig eine ſo viel wichtigere urſach Chriſtliche
freude und danckſagung gegen die kraͤfftigſte gnade GOttes/ als wo dergleichen
um die zeit eines mehrern flors unſrer kirchen geſchehen waͤre. Wie ich auch
mich verſichere/ daß E. Hochgraͤfl. gnaden als ſie dieſe gottſeelige reſolution faſſen
wollen/ in der forcht des HErrn reiflich uͤberleget und ſich vorgeſtellet haben wer-
den/ wie ſie in dem zeitlichen ihren zuſtand dadurch ſo gar nicht verbeſſern/ daß
ſie nur deſto mehr gefahr und ungemach auff vielerley weiſe ſich zuentziehen/ und
in demſelben nicht viel anders als allein des goͤttlichen beyſtandes ſich zugetroͤ-
ſten vermoͤgen/ daran es zwar auch nach ſeiner verheiſſung nicht mangeln wird.
Unſer/ die wir uns alſo druͤber erfreuen/ daß GOttes himmliſche vaͤterliche guͤ-
te unſrer kirchen einen neuen troſt und zeugn[uͤ]ß ſeiner krafft in dieſem werck ge-
geben habe/ uͤbrige ſchuldigkeit beſtehet nun darinnen/ wie wir mit E. Hoch-
graͤfl. gnaden die deroſelben ſeele erzeigte theure wolthat mit demuͤtigſten danck
preiſen/ daß wir auch befliſſen ſeyen/ ferner den ienigen/ welcher in deroſelben ſein
gutes werck angefangen hat/ inniglich anzuruffen/ daß er ſolches fortſetzen und
vollfuͤhren wolle auf den tag JEſu Chriſti. Der allerliebſte him̃liſche Vater/ wel-
cher aufs neue durch dieſes werck ſich dero liebreich bezeuget/ und ſie zu der wahren
erkaͤntnis der in der H. Tauffe vormahlen geſchenckter kindſchafft und uͤbriger
heylsguͤter nunmehr recht gebracht hat/ walte immer fort und fort mit gleicher vaͤ-
terlicher gnade uͤber ſie/ und laſſe ſie ſchmecken und ſehen/ wie freundlich er ſeye den
ſeelen/ die ihn lieben: er ſchaͤtze ſie kraͤfftiglich gegen alle gefahr/ und wiederwaͤr-
digkeiten/ welche bevorſtehen moͤgen/ und wuͤrcke in ihren hertzen eine unbeweg-
liche zuverſicht auff ſeine maͤchtige krafft zu allen zeiten. Unſer treueſter Hey-
land JEſus CHriſtus/ der rechte ertzhirt/ welcher ſein mit ſo goͤttlichem Blut
erkaufftes Schaaff zu ſeiner heerde nach ſeiner treue gebracht hat/ weide ſie nun
ſelbſten mildiglich/ er regiere ſie mit ſeiner ſtimme/ und laſſe ſie dieſelbe auch in
ihrer ſeele hoͤren und erkennen/ er fuͤhre ſie ſelbs mit ſeinem geiſt/ daß ſie wiſſe/ wie
ſie nicht menſchen (welches der haupt-fehler der Roͤmiſch verdorbenen kirchen
iſt) ſondern GOtt und ihrem Heyland allein glaube/ er laſſe ſein vorgeſchriebe-
nes exempel in ihrem gantzen leben ihre ſeelige nachfolge wircken/ er vertheidige
ſie gegen alle woͤlffe/ und derſelben klauen/ ja er verſorge ſie alſo/ daß ſie in ſeiner
hand ſicher das leben bey ihm und volle gnuͤge haben. Er helffe ihr uͤberwinden/
daß er ihr alsdenn auch gebe zu ſitzen auff ſeinen ſtuhl/ GOtt der werthe heilige
Geiſt/ der geiſt der weißheit und der offenbahrung/ der ſein werck in deroſelben
kraͤfftig bißher gefuͤhret/ gebe ferner erleuchtete augen ihres verſtaͤndnuͤſſes/ daß
ſie erkennen moͤgen/ welches da ſey die hoffnung ihres beruffs/ und welches da
ſeye der reichthum ſeines herrlichen erbes an ſeinen heiligen. Er vermehre alſo
ſein himmliſches liecht der lebendigen erkaͤntnuͤß ſeines Heil. Evangelii in ihrer
ſeele/ damit es mehr und mehr tieff eintringe/ und befeſtiget werde. Er gebe ihr
zu erkennen die greuel der finſternuͤß/ aus dero ſie der HErr ſo gnaͤdig geriſſen
hat/ deſto mehrere danckbarkeit ihm und ſeinem licht wiederum zubezeugen: er
A a a a a 2befe-
[740]Das ſechſte Capitel.
befeſtige ſie gegen alle kuͤnfftige anfechtungen und verſuchungen/ an welchen es
gewißlich nicht mangeln wird/ ſie gleichwohl alle in ſeiner krafft zuuͤberwinden.
Er heilige ſie durch und durch/ und reinige ihr werthes hertz von aller liebe dieſer
welt/ und was dem theuren beruff des Evangelii zu wieder iſt/ daß ſie ein herrli-
ches zeugnis ſeye einer von innerſtem grund nicht nur von den irrthumen des ver-
ſtandes/ ſondern auch allen/ was der HErr an den ſeinigen nicht haben will/ be-
kehrten und gereinigtẽ perſon/ damit man an ihr ſehe das rechtſchaffene weſen/ das
in CHriſto JEſu iſt/ in taͤglicher auffziehung des alten/ und anziehung des neuen
menſchen/ auff daß ſo wohl unſre kirche an ihr eine zierde/ und liebes exempel der
nachfolgung und erbauung habe/ als auch die jenige/ welche ſie itzo verlaſſen/
durch ihren ſtets fuͤhrenden gottſeeligen wandel von der krafft des heiligen Evan-
gelii/ wie es die heiligung auch in uns wuͤrcke/ uͤberzeuget/ auch ein und andre
(ach wolte GOtt/ daß es auch von E. Hochgrl. gnaden nechſten anverwandten
waͤren!) zu einer ſeeligen nachfolge in goͤttlicher gnade bewogen wuͤrde. Nun
der GOtt des friedens (daß ich auch nochmahl dieſe wort unſern liebſten Apoſtel
abborge) heilige ſie durch und durch/ und ihr geiſt gantz ſamt der ſeele und leib
muͤſſe behalten werden unſtraͤflig auff die zukunfft unſers HErrn JEſu CHriſti.
Ach ja! getreu iſt er/ der ſie ruffet/ welcher wirds auch thun. Amen. Wie nun itzo
dieſes von grund meiner ſeelen wuͤnſche/ und mich goͤttlicher erhoͤrung/ in dem ich
nach GOttes willen bete/ gewiß getroͤſte/ ſo werde auch deroſelben ferner vor dem
thron der gnaden unvergeſſen ſeyn. 8. Decembr. 1687.


SECTIO XX.


An einenDoctorem Theologiæ.Was zu unſern
zeiten des gerichts auszurichten. Einigkeit im geiſtlichen
ſtand.
N.widrigkeit gegen mich.D.Hinckelmann. Bezeugung ge-
gen das
miniſterium.MeinCatechetiſchesexamen.Warum unge-
fragt angefangen. Allgemein einzufuͤhrende
catechiſation.


MEine art in meinem amt zuhandeln bekenne/ daß ſie noch auf den vorigen
regeln beruhe/ nicht mit willen einige gelegenheit/ welche mir der HERR
weiſet/ zu verſaͤumen/ hingegen mit gedult auf ſelbige zu warten. Was biß-
hero ausgerichtet worden/ kan nicht zeigen/ dennoch zweiffele ich an der erfuͤllung
der verheiſſung des HErrn nicht. Wir leben in den zeiten Goͤttl. gerichts/ da kei-
ne beſſerung ſo mit anſehen in die augen fallen moͤchte/ von ſtatten gehen wird/
nachdem ich ſorge/ das urtheil ſeye uͤber unſer hauß zu deſſen niederreiſſung ge-
ſprochen/ und wolle der HErr an ſtatt bißherigen flickens es lieber ſelbſt wiederum
neu bauen. Daher das allermeiſte unſers amts itzt darin ſtehet/ das wort und den
willen des HErrn insgemein und abſonderlich vortragen/ und nachmahl mit ge-
bet/ dem deſſen die ſache iſt/ empfohlen. Bey den meiſten wirds dennoch zum
zeug-
[741]DISTINCTIO II. SECTIO XX.
zeugniß uͤber ſie dienen: und ſorge ich/ daß der welt ergebenen hertzen werden ſo
viele itzt nicht bekehret werden/ ſondern unſere arbeit vornehmlich nur an den jeni-
gen kraͤfftig ſeyn/ die ſich noch helffen laſſen wollen/ daß ſie von uns hilffe haben.
Wir werden alſo an ſteinen zu arbeiten haben/ aus denen der HErr zu ſeiner zeit
ſeinen bau wiederum fuͤhren wird/ aber noch ſchwehrlicher ſelbſt dieſelbe in einen
rechten ſcheinbarn bau bringen/ ob wir zwar auch daran nach vermoͤgen zu arbei-
ten haben. Jch habe einigerley maſſen meine gedancken hieruͤber vor etzlichen jah-
ren vorgeſtellt/ in einem tractat von der klagen des verdorbenẽ Chriſtenthums
gebrauch und mißbrauch
: Werde auch in denſelben immer mehr bekraͤfftiget.
Der HErr gebe uns allen die weißheit/ die aus ihm iſt/ in ſeinem werck nichts zu
verſaͤumen/ und nichts zu verderben/ darinnen auch die zeichen unſerer zeit zu er-
kennen. Die einigkeit derer/ welche an dem leibe Chriſti arbeiten/ waͤre freylich
eines der kraͤfftigſten mittel/ wichtige dinge zuheben/ aber ich hoffe ſie ie laͤnger ie
weniger/ als ich in mehrern jahren die welt und der menſchen gemuͤther erkennen
gelernet. Einerley geſinnnet ſeyn/ machte wohl die beſte einigkeit/ und wuͤrde man/
wo wahrhafftig ein zweck im grunde iſt/ auch ſich der mittel unſchwehr vergleichen.
Aber!! Jch habe nun bey faſt 20. jahren erfahren/ aus welchem ſtande mir der
meiſte widerſtand geſchehen/ auch mich mein GOtt gedemuͤthiget/ deſſen wege und
gerichte ich aber auch alle heilig u. unſtraͤflich preiſen muß. Was den allegirten NN.
anlangt/ iſts freylich ſo/ daß da er vor eꝛſt ſich freundlich zu mir gehalten/ wie er von
den erſten war/ ſo meine pia deſideria approbirten/ er nochmal derjenige geweſen/
welcher nicht nur ſeines orts ſondeꝛn auch andeꝛwertlich mich zu faͤlle mag getrach-
tet haben/ ſo ihm der guͤtigſte Vater vergeben haben wolle. Waͤre auch dieſer nicht
mein ſchutz geweſt/ ſo moͤchten die conſilia von denſelben ſo concertirt geweſen
ſeyn/ daß ich/ ein ſchwacher mann/ der ohne huͤlffe ſtund/ unterliegen haͤtte muͤſſen.
Aber der HErr hat ein zeugniß ſeiner weißheit und krafft gezeiget/ die unſchuldige/
ſo in gedult und demuth ſich ſeinem willen/ und was er verhengen wolte/ allein uͤ-
berlieſſen/ zu retten und empor zu bringen. Jtzt iſt ſein ſucceſſor Hr. D.Hin-
ckelman
meiner vertrauteſten freunde einer/ welchen mir GOtt in der welt gege-
ben hat/ der in vielen ſtuͤcken jenes principiis mag entgegen ſeyn/ und ihm der
HErr bereits in wenigen monaten hat laſſen einige ſiege davon tragen. Dem der
alleine wunder thut/ ſeye preiß vor alles ſolches/ er laſſe uns durch ſothane betrach-
tung nur immer mehr auffgemuntert und in dem glauben geſtaͤrcket werden! Mit
hieſigem Ven: miniſterio wuͤndſche wohl nichts ſehnlichers als in guter vertrau-
lichkeit zuleben/ wie auch an meinem ort nicht ermangeln laſſen wuͤrde/ und viel-
leicht mehr als einiger meiner vorfahren ſolches geſuchet/ ich habe aber nicht in
meiner macht/ anderer hertzen zu mir zu neigen/ ob auch wohl zu ihnen neige. Wie
denn zu erſt alle/ und zwar mehr als einmahl beſuchet/ aber man entſchlaͤget ſich
meiner bereits lange/ ohn allein NN. der ſein redliches hertz mir zeiget/ und zuwei-
len zu mir kommet. Jch muß es dem HErrn befehlen/ biß er die gemuͤther auch
A a a a a 3zu
[742]Das ſechſte Capitel.
zu mir lencken/ und mir ſolche hertzliche freude machen wird: ſo zu ſeiner zeit zuge-
ſchehen nicht zweiffeln will. Solten die liebe maͤnner in meine Seele/ und wie ich/
ſo ſonſten als gegen ſie/ geſinnet/ ſelbſt darinnen ſehen/ ſo wuͤrde man vielen ver-
dacht fallen laſſen/ und ſich naͤher zu mir halten. Was aber darin dem Menſchen
verſagt iſt/ in des andern hertz zuſehen/ hoffe ſolle GOtt dadurch erſetzen/ wo man
nach langer zeit aus dem ſtaͤten fortfahren auf einem weg/ und alſo aus dem/ was
aus dem hertzen kommt/ und zeigen kan/ daß keine falſchheit da ſeye/ das innerſte
meiner ſeelen wahrhafftig erkennen wird: Denn da bin verſichert/ daß ſich alles
vertraulich zu mir halten wird/ was den HErrn hertzlich liebet/ da ſich itzt unter-
ſchiedliche von anderm argwohn abhalten laſſen. Nur iſt langmuth und gedult
noͤthig/ welche mir hoffentlich mein GOtt/ als welcher mich lange in dieſer ſchul
geuͤbet/ verleyhen wird/ ſo trage ich auch das vertrauen/ er werde mein ſeufftzen
darin anſehen; daß ich ohne communication mein catechetiſches exercitium an-
gefangen/ und ſolches unwillen verurſachet/ iſt nicht ohne: ſolte ich aber meine urſa-
chen geliebtem bruder/ wie ſie in meiner ſeelen ſind/ darſtellen/ wuͤrde derſelbe es
nicht unbilligen koͤnnen: im ſchreiben aber trage bedencken/ alles zu entdecken.
Bitte aber zubedencken/ daß zuweilen ein durchriß/ ſo andern gewaltſam vorkom-
met/ geſchehen muß/ wo man auf die ordentliche weiſe verfahrend gewiß verſichert
iſt/ daß die im weg ſich legende hinderniſſen unuͤberwindlich werden wuͤrden. So
iſt zu weilen beſſer/ in einer guten ſache gute freunde nicht zu fragen/ da man aus
gnugſamen urſachen verſichert iſt/ daß dero conſens aus dergleichen præconce-
ptis,
ſo man ihnen nicht anders als durch die erfahrung benehmen kan/ nicht zuer-
halten/ und alſo nochmehr unwillen zu ſorgen waͤre/ wieder als ohne dero willen
etwas vorzunehmen/ an deſſen bewerckſtelligung man gleichwohl ein groſſes zu
liegen weiſt. Jn gegenwart koͤnte mehr davon ſagen als ſchreiben. Jn deme ich
auch nicht leugne/ daß einen ſolchen ſucceß und zulauff mir nimmermehr einbil-
den oder hoffen haͤtte koͤnnen/ als GOtt (der warhafftig in dem werck iſt) geſchi-
cket hat. Jch bin auch gewiß verſichert/ daß chriſtliche mitbruͤder zu ſeiner zeit
dasjenige/ was itzo nicht beſtens gefaͤllet/ ſelbſt billigen und Gottes weiſe regie-
rung preiſen werden. Nuꝛ bedaꝛf es auch hier zeit und gedult. Jndeſſen hoffe ich/ deꝛ
HErr habe dieſe meine einfaͤltige arbeit nicht ohne ſeegen an alten und jungen ge-
laſſen/ und ſolte damit auch die allgemeine catechiſatio etwas befoͤrdert werden.
Wie denn numehro durch Gottes gnade der Landtags ſchluß die ſache voͤllig au-
toriſiret,
und daheꝛ kuͤꝛtzlich das allgemeine ausſchreiben in das gantze land geſche-
hen ſolle. Der Herr gebe nur weißheit zu den anſtalten/ und willigen muth denjeni-
gen/ welche hand anlegen ſollen/ davon ein groſſes des ſeegens/ den wir davon zu
hoffen/ gelegen ſeyn wird/ wir ihn aber auch darum hertzlich anzuruffen ha-
ben. Als dann wird auch hie ſolches examen angeſtellet werden: weil man biß-
hero in der perſvaſion geſtanden/ daß man dergleichen ſine autoritate ſuperio-
rum
zuthun nicht macht habe: Da ich aber bekenne/ allezeit anderer meinung ge-
weſen
[743]DISTINCTIO II. SECTIO XXI.
weſen zu ſeyn/ und zu glauben/ daß wir zu denjenigen/ was uns vor hundert jahren
befohlen keine neue autoritaͤt beduͤrffen/ ohn allein/ daß es eben nicht mit groſſem
weſen vorgenommen werde. Maſſen biß dahero hin und wieder auf dem lande
Gottſelige prediger ohngefragt dasjenige angefangen und gethan/ was ihnen nun
befohlen/ keinem aber/ daß er ſolchen befehl vorgekommen/ verarget wird. Jch
werde auch/ geliebt es GOtt/ auf numehrige gnaͤdigſte erlaubniß der Churf. herr-
ſchafft meine uͤbung in publicum transferiren/ dazu mir der S. Churfuͤrſtin ca-
pell eingeraͤumet worden. Ach der HErr befoͤrdern doch ſelbſt worin einiges orts
ſeine ehre zu befoͤrdern geſucht wird/ und gebe ſo weißheit als krafft und ſieg. 13.
Mart. 1688.


SECTIO XXI.


Der freunde und feinde an mir fehlende urtheil.
Nutzen chriſtlichen umgangs. Goͤttliche erweckung vieler
gemuͤther/ und daraus hoffnung.


AUs dem an mich von 18. Novembr. freundlichen abgegebenen habe mit
freuden und vergnuͤgung verſtanden/ wie Goͤttliche vaͤterliche gnade den-
ſelben auf der reiſe ſo wohl gefuͤhret/ und ihn gluͤcklich wiederum zu hauſe
gebracht habe: Dero dann auch billich mit demſelben ſchuldigen demuͤthigſten
danck ſage. Daß aber derſelbe ſo viel vergnuͤgen an unſrer hieſigen converſation
bezeuget/ ſchreibe deſſen hertzlicher liebe zu/ welche der kunſt-glaͤſer natur ofters hat/
daß ſie das gute/ was ſie lieben/ vor viel groͤſſer anſiehet/ als es ſonſten an ſich iſt/
dahero auch nicht anders davon zu urtheilen vermag. Jch ſelbſt aber bin mir
meiner wenigkeit wohl bewuſt: und ob ich wol das mir unwuͤrdigen anvertraute
pfund nicht zu verlaͤugnen habe/ ſo kan ich doch/ wie gering daſſelbe/ oder wie we-
nig ich/ ohne zweiffel aus eigener ſchuld/ deſſen annoch theilhafftig worden ſeye/ mit
mehr gewißheit erkeñen als andere/ nach dem ich meine maͤngel bey mir fuͤhle/ wel-
che einige an mir nicht warnehmen koͤñen/ oder ſie/ weil ihrer augen allein auf eini-
ges gutes gerichtet ſind/ nicht ſo genau beobachten. Ja ich habe bißher billig mich
offt verwundert/ uͤber die ſonderliche ſchickung GOttes bey mir/ daß derſelbe zu
meiner pruͤfung mich groſſen theils damit verſuchet werden laͤſſet/ daß freunde und
feinde meiſten theils an mir fehlen/ dieſe mir mehr boͤſes als GOtt nach ſeiner gna-
de in mir gelaſſen hat/ jene mehr gutes/ als ſich bey mir findet/ mir zuſchreiben. Jch
ſehe es aber billich ſo an/ daß aus dieſer urtheil/ wie ich auſſer GOttes gnade ſeyn
wuͤrde/ zu erkennen/ uͤber jenes aber mich vor ihme deſto mehr zu demuͤthigen ha-
be/ weil mir ſeine guͤte in der jenigen maß/ welche andere an mir zu finden meinen/
wuͤrde von ihme wiederfahren ſeyn/ wo ich nicht etwa ſelbſt gehindert haͤtte. So
in deſſen/ geliebter bruder/ durch unſern umgang allhier/ wie er auch ruͤhmet/ ge-
[ſ]taͤrcket worden/ preiſe ich billich den jenigen/ von dem/ nicht aber von uns/ alles
kom-
[744]Das ſechſte Capitel.
kommet/ was gut iſt: Dem ich auch demuͤthigſt dancke vor die freude/ troſt/ und
aufmunterung/ ſo er mir an denſelben ſolche tage uͤber beſchehret/ und alſo unſre
ohne das in ihn vereinigte ſeelen ſo viel inniglicher verbunden hat: Daß nunmehr/
da zwar ohne das vor mehrer zeit deſſen lieben nahmen vor den thron der gnaden
gebracht/ ſolches mit ſo viel mehr krafft taͤglich forthin thue. Er laſſe uns noch
ferner untereinander und mit allen andern wahrhafftigen mitbruͤdern ie laͤnger ie
inniger vereinbaret/ und alſo die gemeinſchafft der heiligen ſtets mehr beſtaͤrcket/
oder uns in derſelben tieffer gegruͤndet werden. Laſſet uns indeſſen aus der ver-
gnuͤgung/ welche wir aus etlicher tage chriſtlichem umgang in ſeiner gnade gefaſ-
ſet/ abnehmen/ was wir vor ein vergnuͤgen bereits hier in der welt haben moͤchten/
wo wir uns alle/ wie wir billich ſolten/ eines ſolchen bruͤderlichen umgangs beflieſ-
ſen/ und die meiſte alſo bewandt finden/ daß dergleichen in dem gemeinen leben
durch und durch muͤglich waͤre/ welcherley ich verſichert bin/ daß der erſten Chri-
ſten/ da ihre gantze menge ein hertz und eine ſeele war/ umgang ſtets in lauter
liebe und abſicht auf das einig nothwendige werde gefuͤhrt ſeyn worden/ in welcher-
ley art des lebens mich deucht/ daß wir ſo zu reden einen himmel auf erden haben
koͤnten: folglich es nicht an GOtt manglet/ daß wir nicht ſchon auch hier ſeliger
ſeyen/ ſondern dieſes eine groſſe hinderniß iſt/ daß ſo wenig wahre Chriſten ſeynd/
und die es ſind/ durch ſo vielerley abgehalten werden/ daß ſie nicht/ wie ſie koͤnten
und ſolten/ zu verſuͤſſung auch dieſes lebens/ ja wahrhafftig zu ihrer kraͤfftigern er-
bauung/ ſich ſo nahe zuſammen thun. Wie ja freylich recht inniglicher uͤmgang
vor dem HErrn eine ſeltzame ſache zu unſrer zeit/ hingegen dieſe in goͤttlichem ge-
richt ſo zu reden eine zeit von lauter zertrennung und abſonderung worden iſt. Ach
daß der Herr ſeinen Geiſt der einigkeit/ liebe und vertrauens immer in mehrer
maaß in die hertzen gebe/ daraus alsdenn jene vereinigung gewiß folget/ und alſo
zeige/ daß ſein gebet Joh. 17/ 21. 22. 23. bey uns recht in die krafft gehe. Jm uͤbrigen
iſt ie der mir gethane danck uͤberfluͤßig geweſen/ indem ich einem ſolchen bruder
mehr als dieſes ſchuldig bin. Die zuſage des hertzlichen gebets aber nehme danck-
bar an/ mit gleicher liebe verſicherung. Der allerliebſte Vater erfuͤlle uns nur al-
lezeit/ wenn wir vor uns und andre mitbruͤder vor ſeinem angeſicht erſcheinen/ mit
dem Geiſt der gnaden und des gebets/ das um ſeines einigen Sohnes willen unſre
opffer ihm ſtets moͤgen von ſ[uͤ]ſſen geruch ſeyn/ und erhalten/ was wir nach ſeinem
willen beten. Das einige prediger in dem lande ſich auch mehr und mehr aufmun-
tern laſſen/ das werck des HErrn mit angelegeneren fleiß und eiffer zu treiben/ hoͤ-
re auch anderwertlich her/ und dancke billich dem/ welcher zeiget/ daß er der ſeinigen
noch nicht vergeſſen habe/ und ob das meiſte unſers aͤuſſerlichen in ſeinem gericht
moͤchte bald zu grunde gehen muͤſſen/ dennoch bereits an den jenigen lebendigen
ſteinen arbeite/ und arbeiten laſſe/ aus denen er kuͤnfftig ſeinen fernern bau fuͤhren
will. Wie mich auch insgeſamt offt vergnuͤgt/ wenn ich bedencke/ daß inner we-
niger als 20. Jahren faſt eine mehrere bewegung aller orten ſich hervor gethan
hat/
[745]DISTINCTIO II. SECTIO XXII.
hat/ indem manche den zuſtand der kirchen und die bewandtniß des gemeinen ver-
dorbenen Chriſtenthums mit andeꝛn augen anzuſehen/ nach mehr beſſerung eiffrig
ſich zu ſehnen/ und andere neben ſich aufzumuntern angefangen haben. Welche
bewegung gewißlich nicht anders als von oben herkommen kan/ und uns billich ei-
ne mehrere hoffnung des kuͤnfftigen machet. 15. Mart. 1688.


SECTIO XXII.


Falſcher vorwand derorthodoxiæ, zu unterdru-
ckung treuer Diener Chriſti. Abſicht des ſatans darinnen.


JCh ſorge/ præ nimium ſcrupuloſa orthodoxiæ conſervatione/ werden
wir die goͤttliche wahrheit/ und alſo die orthodoxiam ſelbſt/ endlich ver-
liehren. Des teuffels abſicht iſt wohl keine andere/ weil ihm die lehre vom
lebendigen glauben und deſſen fruͤchten/ von der aus dem wort noͤtigen erleuch-
tung/ von dem innern menſchen/ von der gnaden wuͤrckung GOttes in ſeinen kin-
dern/ wohl den meiſten abbruch thut/ weil dadurch dem wahn-Chriſtenthum ge-
ſteuret wird/ damit er ſonſten ſo viele tauſend in ſeinen ſtricken behaͤlt/ als daß er
die jenige ſo alte als neue lehrer/ die dergleichen meiſtens treiben/ in verdacht brin-
gen/ und damit die von ihrer arbeit gehoffte frucht hindern moͤge: da muͤſſen auch
die vorſichtigſt-geſetzte formeln angegriffen werden: hat aber ein Chriſtl. lehrer
aus der freyheit des geiſtes/ ſo ſich nicht eben an alle von menſchen vorgeſchriebe-
ne ſylben bindet/ ein wort geredet oder geſchrieben/ ſo einigerley maſſen auff ei-
nen irrigen/ von ihm aber nicht intendirten/ verſtand gezogen werden kan/ ſo
ſolte nichts gelten/ daß man ſich anderwertlich zur gnuͤge erklaͤhret hat/ und noch
erklaͤhret/ ſondern da muß die ὑποτύπωσις τῶν ὑγιαινόντων der vorwand al-
les liebkoſen und blinden/ oder auch boßhafftigen/ eyffers/ und das gute
weidlich verlaͤſtert/ werden. Gewißlich ich entſetze mich offt daruͤber/ wann
ich ſehe/ wie es dem ſatan in dieſem ſtuͤck aus gerechtem gerichte GOttes ſo offt
gelingen hat muͤſſen/ zu vieler ſeines reichs beforderung/ und wuͤnſchte/ daß nur
diejenige/ die das reich Chriſti/ ſo ein reich der liebe ſo wohl als ein reich der wahr-
heit iſt/ fortpflantzen/ und jenem abbruch thun ſolten/ nicht meiſtentheils ſich zu dem
werckzeugen ſolcher ſeiner boßheit mißbrauchen lieſſen. Der HErr ſteure doch
auch dem friede in dieſem ſtuͤcke/ binde die zunge und haͤnde denen welche das gu-
te wiſſentlich oder unwiſſentlich laͤſtern/ oder bekehre ſie; laſſe ſeine kinder dadurch
nicht irre werden/ oder ihnen auf dieſe weiſe gute buͤcher aus den haͤnden geriſſen
werden laſſen/ und ſtaͤrcke ſeine treue diener/ daß ſie auch in dieſer anfechtung
nicht muͤde werden/ und etwan von ihren arbeiten ablaſſen/ ſondern dem feind zu
trutze fortfahren/ ja ihnen auch die freyheit in Chriſto nicht nehmen laſſen/ als
die ja des endlichen ſieges verſichert ſind. 26. Oct. 1688.


B b b b bSECT.
[746]Das ſechſte Capitel.

SECTIO XXIII.


Offentliche ableſung der gantzen H. Schrifft/ wie
nothwendig. Nutzen der wohl eingerichteten predigten
neben ſolcher ableſung.


ES iſt an dem/ daß wie vorher einige/ alſo ſonderlich letztmahls von dem
Septembri zwey brieffe empfangen habe/ deren letzterem/ ſo NN. aus
Hamburg an mich beſtellet/ und das andere ſchreiben an ihre Churfuͤrſtl.
Durchl. ſamt den paqvet beygefuͤget geweſen. Jch habe auch daſſelbe unverlaͤngt
in unſers gnaͤdigſten Churfuͤrſten haͤnde ſelbs gelieffert. Hierauff zweiffelte nicht/
daß der ordnung nach ſolches wuͤrde von ihr Churfuͤrſtl. durchl. in dero geheimen
Rath eingegeben/ und von dar in unſer Ober-Conſiſtorium remittiret werden/
welches aber bißher nicht geſchehen iſt/ und ich die urſachen nicht weiß/ waruͤm es
hingelegt und zur deliberation nicht gebracht worden; bin auch nicht verſichert/
ob und wann es noch ferner geſchehen moͤchte. Weiln denn meine antwort an-
fangs ſo lange verſchieben wollen/ biß ich von dem ausgang deſſen/ was in un-
ſerm Ober-Conſiſtorio in der ſache gut befunden waͤre worden/ etwas berichten
koͤnte/ und mir aber dieſe hoffnung etwas zweiffel-hafftig werden will/ ſo habe
nicht laͤnger anſtand nehmen/ ſondern in privato meine wohlmeinende gedan-
cken/ nachdem das uͤberſchickte in der forcht des HErrn durchgeleſen/ offenher-
tzig hinderbringen und mittheilen wollen.


So kan nun 1. deſſelben und aller derer/ welche uͤber die wuͤrde der H. ſchrifft
halten/ und den leuten dero gebrauch mehr und mehr beybringen/ gute intention
insgemein nicht anders als billichen und loben/ mit verſicherung/ daß auch mei-
ne abſicht laͤngſt dahin gegangen/ wie das wort des HErrn immer reichlicher in
ſeiner gemeinde wohnen moͤchte/ alß deſſen vorzug vor allen menſchen ſchrifften
ich ſo gar nicht laͤugne/ daß ich meinen zuhoͤrern bey aller gelegenheit denſelben
einſchaͤrffe.


Jndeſſen 2. wo wir ad hypothefin gehen und den vorſchlag/ ſo von Mhhl.
geſchiehet/ wegen mehrer einfuͤhrung der oͤffentl. leſung der H. Bibel/ und zwar
wie und mit was argumenten derſelbe in dem tractat getrieben wird/ anſehen/
bin ich nicht in abrede/ daß demſelben nicht allerdings unterſcheiden kan/ und ſehr
wuͤnſchte derſelbe haͤtte ſeinen auffſatz/ ehe er gedruckt worden/ andern mehrern
chriſtlichen und klugen Theologis communiciret/ und vorher dero bedencken da-
ruͤber eingeholet: da ich verſichre/ daß manche wohlmeinende erinnerungen wuͤr-
den geſchehen ſeyn/ welche billich in acht zunehmen geweſen waͤren. Jn deſſen ent-
ſtehung ſehe ich das werck alſo abgefaſſet/ daß Mhhl. ohne noth ſeinem gut mei-
nenden vorhaben nur viel mehrere hindernuͤſſen und beſorglich feinde wird durch
ſeine allzu hefftige klagen und vielerley eingemiſchtes erwecket/ daher die ſach an
ſtat des erleuchterens nur deſto ſchwerer gemacht haben. Da hingegen bey allen
ſol-
[747]DISTINCTIO II. SECTIO XXIII.
ſolchen wichtigen und weit um ſich greiffenden vorhaben das vornehmſte ſtuͤck der
Theologiſchen klugheit iſt/ ſo viel muͤglich waͤre/ alles was dieſelbe noch mehr
widrig machen koͤnte/ mit fleiß abzuwenden und zuverhuͤten.


3. Die offentliche leſung der H. ſchrifft in der verſammleten gemeinde unbil-
liche ich ſelbſt ſo gar nicht/ daß ich ſie vielmehr vor gantz nuͤtzlich und ziehmlich hal-
te in den groͤſſern gemeinden/ wo mehrmalige verſamlungen die woche gehalten
werden/ und eine anzahl der leute ſich finden/ welchen der geſamten ſchrifft leſung
erbaulich ſeyn kan. Denn was zum exempel doͤrffer anlangt/ da gemeiniglich
die woche uͤber nicht wohl mehr als ein einiges mahl eine kirchen verſammlung iſt/
und die bauren ſo bewandt/ daß man gnug zu thun hat/ das ihnen bloß zur ſelig-
keit noͤtigſte bey zubringen/ und ſolche erkaͤntnis bey ihnen ſo zu erlangen als zu-
erhalten/ dazu und alſo zu dem milchlehren ſolche wochentliche ſtunde kaum gnug
ſeyn mag/ wolte ich in denſelben ſolche durchgehende leſung der ſchrifft/ ob die ſa-
che auch in meine haͤnde gegeben wuͤrde/ nicht einfuͤhren/ ſondern auffs hoͤchſte
mit der vorleſung des neuen teſtaments/ ſamt auſſerleſenen capiteln des alten/ zu
frieden ſeyn. Aber wie gedacht in groͤſſern gemeinden wuͤnſchte ſie ſelbs einge-
fuͤhrt/ und wo es bey mir ſtuͤnde/ ſolte es nicht lang anſtehen/ daß man nicht der-
gleichen anſtalten ſehen wuͤrde. Dennoch bin wiederum nicht in abrede/ daß ich
die ableſung nicht alſo einrichtete/ wie ihn die vorſchlaͤge gethan worden/ ſondern
viel weniger auf einmal nehmen wolte/ ob ſchon die ſache ſich deßwegen auf meh-
rere zeit erſtrecken wuͤrde: So vielmehr weil das neue teſtament/ in dem die meiſte
uns zur ſeligkeit noͤthige materien ſo viel voͤlliger und klahrer vor dem alten vorge-
ſtellet werden/ muͤſſe es alle mahl auffs wenigſte drey biß vier mal durch gebracht
werden/ biß man mit dem alten einmahl fertig wuͤrde. So wuͤrde auch die able-
ſung lieber anordnen auff die weiſe/ wie die texte in der ſchrifft ſtehen/ nicht aber
nach der harmoniſchen zuſammengattung/ welche mehr zu den predigten alß der
ableſung meines erachtens gehoͤrte.


4. Dergleichen ableſungen ſind auch bey unſern kirchen ſo ſeltſam nicht/ ſon-
dern der orte noch viele/ da ſie ſtets in ſchwange ſind. Wie wir denn hier in unſrer
Schloß-capell von alten her ſolche ordnung baben/ daß in beyden wochen-pre-
digten/ ehe der Prediger auff die Cantzel ſteigt/ vor der gemeinde bey dem altar
ein capitel des neuen teſtaments nach der ordnung/ taͤglich aber in den nachmit-
tags-betſtunden eines aus dem alten teſtament/ wie aus demſelben die vornehm-
ſte ſelegiret ſind/ abgeleſen wird. So ſind an andern orten mehr ſolche an-
ſtalten. Dabey ich auch vergeblich halte dieſes deſideriret zu werden/ daß die
ableſung nicht von der Cantzel/ ſondern vor dem altar gemeiniglich nicht von
dem jedes orts vornehmſten Pſarrherren/ ſondern einem deren Diaconorum ver-
richtet wird. Welches ich nicht zugeben kan/ daß es aus geringachtung des goͤttl.
worts geſchehe/ in dem ie die verrichtungen der H. Sacramenten nicht anders als
vor ſehr Heil. wercke/ und nicht geringer als die predigten/ geachtet werden
B b b b b 2koͤn-
[748]Das ſechſte Capitel.
koͤnnen/ und dannoch werden ſie gemeiniglich in dem chor/ und nicht in der uͤbri-
gen kirchen und von den Diaconis verachtet. So iſt vielmehr die wahre urſach/
weil der vornehmſte gemeiniglich die predigt zu thun hat/ und in ſeinen medita-
tionibus
nicht zu turbiren iſt/ daß ein anderer Collega die lection vorher verrich-
tet. Welches die ſache darum nicht veraͤchtlich machet/ oder dahin anzuſtehen iſt.


5. Jndeſſen ſihe ich nicht/ mit was grund eine ſolche durchjaugige leſung der
ſchrifft in den offentlichen verſammlungen als etwas bloß nothwendiges getrie-
ben/ und in ſolcher unterlaſſung die vornehmſte verderbniß der kirchen und mangel
verlangter erbauung geſuchet werden koͤnne/ daher ich der klagen/ ſo uͤber die un-
terlaſſung gefuͤhret werden/ uͤbermaͤßig und nicht gegruͤndet halte/ auch ſo viel
mehr daruͤber erſchrocken bin/ daß p. 142. das jenige/ was der lieben Straßburgi-
ſchen kirchen begegnet/ als eine ſtraffe Gottes durch ſolche unterlaſſung verſchuldet
angegeben werden wil: da ich doch davor halte/ daß uns weder dergleichen gericht
zukommen wolle nach Joh. 9. noch da wir ja ſonderbahre urſachen anziehen ſol-
ten/ dieſe unterlaſſung vor die eigendliche ſchuld anzugeben waͤre. Vielmehr bin
ich verſichert/ daß um dieſer urſach willen/ wo ſonſten dem goͤttlichen wort ſein re-
ſpect
und gehorſam geleiſtet wird/ weder einen noch anderen ort ein Goͤttliches
ſtraffgericht zu beſorgen ſeye. Was nun dieſen punct der nothwendigkeit der ab-
leſung der ſchrifft/ der weiter zu unterſuchen iſt betrifft/ ſo bekenne (1. daß der gan-
tzen kirchen die gantze H. Schrifft nothwendig ſeye/ und ſie keines buchs oder Ca-
pitels aus derſelben ohne ſchaden entrahten koͤnne/ nach dem ſie gantz von GOtt
ſelbſt eingegeben/ gewiß aber iſt/ daß der weiſe GOtt nichts ohne nutzen kan einge-
geben oder ſeiner kirchen anvertrauet haben. (2. Lehrern und predigern iſt auch
nothwendig die gantze H. Schrifft geleſen zu haben/ daß ſie ſich nicht nur ihres
glaubens aus einem und andern ort verſichern/ ſondern ihrer lehr gewißheit aus
der gantzen ſchrifft und uͤbereinſtimmung faſſen: damit ſie auch immer einen ort
aus dem andern zu erklaͤhren vermoͤgen. (3. Was andre Chriſten anlangt/ welche
zu einer weitern als bloß zur ſeligkeit nothwendigen erkaͤndtniß zu gelangen die ga-
ben haben/ denen iſt wiederum nicht nur nuͤtzlich/ ſondern auch noͤthig/ die gantze
ſchrifft zu leſen/ und aus deroſelben gantzen abfaſſung/ iegliches nach dem maaß als
ihnen verliehen iſt/ das jenige zu ſuchen und zu begreiffen/ was zu ihrer erbauung in
glauben und leben dienlich iſt. (4. Was aber die jenige betrifft/ deren gaben ſich
ſo weit nicht erſtrecken/ daß ſie viel uͤber das jenige zukommen vermoͤchten/ als
was ihre noͤthigſte glaubens lehren und lebens reglen ſind/ ſolchen halte die erkaͤnt-
nuͤß der gantzen ſchrifft nicht noͤthig/ ſondern vor ſie gnug/ da ſie aus derſelben ſo
vieles vorgelegt bekommen/ und faſſen/ was ſolchem zweck gemaͤß iſt. (5. Daher
iſt einer gantzen gemeinde/ in dero ein und anderer art leute ſind/ wohl zu goͤnnen/
daß ihr das Goͤttliche wort gantz vorgetragen werde/ wo daſſelbe dermaſſen ge-
ſchehen kan/ daß dem einfaͤltigen nicht zu vieles von dem ihnen nothwendigſten
entzogen wird. Wo aber dieſes zu ſorgen/ ſo iſt beſſer/ daß in oͤffentlicher gemein-
de
[749]DISTINCTIO II. SECTIO XXIII.
de das jenige ſtets gehoͤret werde/ was allen allezeit noͤthig iſt/ als daß durch die
ordentliche ableſung der ſchrifft/ wann dadurch die zu der gemeinſten erbauung
noͤthige predigten zu viel muͤſſen hindangeſetzt werden/ die einfaͤltige an dem ihnen
vornehmlich noͤthigen verkuͤrtzet werden. Daher in ſolchem fall/ und an ſolchen
orten vielmehr verlange/ daß die leſung der gantzen ſchrifft in die haͤuſer verwieſen
werde/ indem der jenigen/ ſo mehrere gaben empfangen haben/ an gelegenheit ſich
durch leſen zu uͤben nicht mangeln wird/ daß ihnen alſo durch die unterlaſſung der
oͤffentlichen leſung nichts abgehet/ hingegen die einfaͤltigere/ welche zu hauß wenig
auszurichten vermoͤgen/ an ihrer nothdurfft keinen gebruch leiden. Dieſes iſt
die urſach/ warum ich aber gewuͤndſchet/ daß die ordentliche ableſung an
den orten geſchehe/ wo die verſammlungen in der wochen mehrmahlen gehalten/
und alſo unter denſelben einige zeit zu ſolcher ableſung ohne abgang des noͤthig-
ſten angewendet werden koͤnnen/ nicht aber an den orten/ an welchen nur einmahl
die gemeinde zuſammen kommet/ wo alſo kaum ſo viel zeit verhanden iſt/ den ein-
faͤltigen ihre nothdurfft vorzutragen.


Ja an ſolchen orten halte ich die durchgaͤngige ableſung der ſchrifft/ wodurch
die gemeinde an dem ſtaͤten vortrag des ihren noͤthigſten gehindert wuͤrde/ ſo gar
nicht noͤthig/ daß ich ſie auch nicht nuͤtzlich zu ſeyn glaube/ ſondern viel erbaulicher
achte/ wo die zuhoͤrer in allen predigten etwas des ihnen noͤthigſten von glaubens-
lehren/ und lebens-regeln zu hoͤren haben.


Die urſach deſſen iſt dieſe/ weil das meiſte in der H. Schrifft/ ſonderlich alten
Teſtaments/ nehmlich die meiſte hiſtorien und weiſſagungen/ ſo bewandt ſind/
daß ob ſie zwar obgedachter maſſen der gantzen kirchen nothwendig ſind/ und man
nichts deſſelben ohne ſchaden miſſen koͤnte/ dannoch die meiſte leute ohne ſonderli-
chen abgang ihrer erbauung dero entrathen koͤnnen/ hingegen was aus denſelben
zu eigentlicher gruͤndung des glaubens und einrichtung des lebens noͤthig/ in we-
niger zeit zuſammen gezogen den einfaͤltigen beygebracht werden kan: alſo gar/
daß ich traue/ was in der gantzen helffte der ſchrifft/ oder vielleicht drey qvarten
derſelben ſich findet/ woraus ein einfaͤltiger/ deren art ſtaͤts die allermeiſte glieder
der kirchen ſind/ ſich eigentlich in glauben und leben erbauen kan/ in nicht viele boͤ-
gen ſich zuſammen ziehen lieſſe/ aufs wenigſte in der uͤbrigen helffte oder qvart der
ſchrifft alſo erſetzt ſich finden wuͤrde/ daß ein ſolcher der uͤbrigen ohne abbruch ſei-
ner erbauung entrathen koͤnte. Wie denn das meiſte aus den hiſtorien und weiſ-
ſagungen/ auſſer den jenigen/ die von Chriſto handeln/ faſt allein gehet auf die er-
kaͤndtniß goͤttlicher weißheit/ allmacht/ guͤtigkeit und gerechtigkeit in belohnung
des guten/ und beſtraffung des boͤſen/ in ſchuͤtzung der frommen und abhaltung
oder ſtuͤrtzung der gottloſen/ und alſo auf ſolche dinge/ die kurtz gefaſt mit wenigen
den leuten eingetruckt werden moͤgen: daß ein oder zween ſpruͤche mit weniger er-
klaͤhrung einem ſolchen einfaͤltigen/ der tieff nicht eintringen kan/ viel einen meh-
rern eintruck in das hertz geben ſolten/ als die anhoͤrung mehrer Capitel aus de[n]
B b b b b 3hiſto-
[750]Das ſechſte Capitel.
hiſtorien/ oder meiſten propheceyungen des A. Teſt./ woraus ihm die erbauliche
folgen heraus zu ziehen ſchwehr wuͤrden/ und er alles ſolches/ was er daraus ler-
net/ viel kuͤrtzer in etzlichen ſpruͤchen begreiffen koͤnte. Wie wir denn nicht davor
zu halten haben/ daß die hiſtorien als hiſtor[i]en etwas zu unſrer ſeligkeit oder hei-
ligung thun/ ſondern nur das jenige/ was aus denſelben zu unſers glaubens unter-
richtung oder des lebens-beſſerung gezogen werden kan/ welches wir aber alles in
kurtzen und deutlichen ſpruͤchen finden moͤgen. An ſich ſelbſt aber ohne dieſe daraus
ziehende folgen/ ſo dann auſſer dem/ daß die hiſtorie uns die wahrheit der ſchrifft/
die folge der zeiten/ und Goͤttliche regierung in denſelben zeiget/ und ſo fern den
glauben der jenigen/ welche jene dinge daraus zu ziehen verſtehen/ ſtaͤrcket/ wuͤrden
uns die hiſtorien in der ſchrifft nichts mehr nutzen/ als andere auſſer der ſchrifft be-
findliche hiſtorien. Dahero ich ſie des nutzen und der erbauung wegen den lehrbuͤ-
chern der ſchrifft weit nachſetze/ aber eben daraus folget/ daß ſie nicht ſo viele zeit
wegnehmen muͤſſen/ als den jenigen materien zugewendet wird/ welche unmittelbar
unſre erbauung wircken: Dero erkaͤntniß und ableſung allein ſchlechter dinges
nothwendig iſt/ wie aber und was von den andern mit vorzunehmen/ nach der be-
wandniß ieder gemeinde und derſelben umſtaͤnden billich gerichtet wird.


6. Was die predigten anlangt/ iſt mit recht vieles an denſelben geſtrafft/ und
ich ſtraffe es eben ſo wol/ ſuche mich auch vor ſolchen dingen zu huͤten: aber es be-
trifft alſo ſolches nicht den rechten gebrauch/ ſondern nur den mißbrauch der pre-
digten/ dero nutzen an ſich gewißlich viel groͤſſer iſt/ als er in dieſer ſchrifft vorgeſtel-
let/ ja insgeſamt faſt verkleinerlich von den predigten geredet wird. Die urſach
aber des haͤrtern urtheils uͤber die predigten ſelbſt finde in einem dreyfachen fal-
ſchen præſuppoſito, welches Mhhr. ſich ſelbſt gemachet hat. 1. Daß alle die pre-
digten muͤſten nach gewiſſen kunſtregeln eingerichtet ſeyn. Dahero 2. dero zweck
nach der rhetoric kein anderer ſey als perſvadiren/ und eine ſache amplificiren.
Und 3. daß das wort in der predigt nicht Gottes wort eigentlich/ noch von gleicher
krafft auf ſolche art vorgetragen ſeye/ als da es bloß dahin/ wie der text laute/ geleſen
werde. Hierauf ſorge ich billich/ ruhe alles/ was mit ſolcher hefftigkeit theils gegen
die predigtẽ/ theils vor die abſolute nothwendigkeit der ableſung der gantzen ſchrifft
in dem tractat getrieben wird. Es ſind aber alle ſolche præſuppoſita nicht richtig.
1. Ob wol die predigten in der that orationes ſeynd/ ſo finde ich gleichwol dieſelbe
nach einer arte oratoria und dero præceptis einzurichten ſo gar nicht noͤthig/ daß
ich auch ſolches zu thun weder lobe noch nuͤtzlich achte/ ſondern verſichert bin/ es
bedoͤrffe das goͤttl. wort/ welches in den predigten vorgetragen werden ſolle/ ſo gar
einer oratoriæ eloqventiæ nicht zu ſeinen fruchtbarlichen vortrag/ daß dieſelbe
vielleicht ihm zuweilen ehe hinderlich 1. Cor. 1/ 17. als foͤrderlich ſeyn wuͤrde. Menſch-
liche orationes tragen ſolche dinge vor/ die nicht allezeit in ſich ſelbſt ſo kraͤftig ſind/
in die gemuͤther einzutringen/ und ihnen deswegen mit allerley kunſtmitteln geholf-
fen
[751]DISTINCTIO II. SECTIO XXIII.
fen werden muß/ damit ſie nicht vergebens ſeyn/ und durch der worte anmuth oder
artlichkeit/ was der krafft der ſachen abgehet/ erſetzet werde. Die Goͤttlichen
warheiten aber ſind von ſolchem licht und krafft/ daß ſie auch in ihrer einfalt vorge-
tragen ſelbſt in die ſeelen eintringen/ und ihre krafft nicht erſt von menſchlicher
wolredenheit zu entlehnen bedoͤrffen. Daher/ wo ie noch etwas aus der rhetoric
zu entlehnen waͤre/ wuͤrde es in nichts anders beſtehen/ als daß man daraus etwas
erſehe/ wie man eine ſache verſtaͤndlicher machen/ und in die fuͤglichſte ordnung/
damit es zu faſſen leichter werde/ bringen koͤnne. Jch verſichre auch Mhhr. daß ich
dieſer meinung allezeit geweſen bin/ und die artem oratoriam ſtets von den pre-
digten entfernet gewuͤnſchet habe. Daher ich auch mit fleiß nie keine buͤcher von der
oratoria eccleſiaſtica leſen wollen noch geleſen habe/ und mirs daher vor keine
ſchande achte/ daß ich derſelben regeln und præcepta nicht weiß/ nach dem ich mit
reiffen bedacht mich derſelben enthalten/ auch ſo ungern ſehe/ wo man gleichſam
gewiſſe leges vorſchreibet/ alſo/ da dieſelbe nicht obſerviret werden/ ſolches vor ei-
nen fehler ſolle geachtet werden. Daher/ wo iemand dergleichen nothwendigkeit
aufdringen wolte/ wuͤrde ich eher mit fleiß das gegentheil thun/ als mich ſolches le-
gis
wegen laſſen an etwas verbinden. Wie meine predigten ſelbſt weiſen werden/
daß ich mir allezeit die freyheit behalte/ iegliches auf die weiſe allemahl vorzutra-
gen/ wie mich deucht/ dißmal am erbaulichſten zu ſeyn/ ohne die geringſte reflexion
auf gewiſſe oratoriſche regeln: Ja ich achte immer meinem amt am meiſten eine
gnuͤge gethan zu haben/ wann ich mich vor allen am fleißigſten gehuͤtet/ was nach
der arte oratoria ſchmecket. 2. Ob die perſvaſio allein der zweck ſeye der orato-
riæ,
uͤberlaſſe ich deren ermeſſen/ welche von ſolcher kunſt profeſſion machen/ und
bekuͤmmere mich nichts darum: Aber in den predigten iſt mein zweck die erbau-
ung allerley art/ ſo wol insgemein als nach erforderung iegliches textes. Daher
ich zwey ſtuͤcke der predigten noͤthig finde/ und alſo einen doppelten zweck habe
bey ieglicher predigt/ nehmlich 1. daß der eigentliche verſtand des textes aus der-
ſelben ſelbſt und gegenhaltung andrer ſtellen aufs gruͤndlichſte und deutlichſte den
zuhoͤrern vorgeſtellet/ ſo dann 2. deſſelben fruͤchten gewieſen werden/ theils ſo fern
ſolche fruͤchten darinnen beſtehen/ eine Goͤttliche wahrheit/ die zu unſrer glaubens-
ſtaͤrckung noͤthig iſt/ deutlicher vorzutragen/ und alſo eine ſolche lehr mit zuziehung
anderer ſpruͤche auszufuͤhren/ oder auch einige irrthum zu widerlegen/ theils ſo fern
ſie in einrichtung oder beſſerung des lebens beſtehen/ theils ſo fern dadurch das hertz
getroͤſtet werden ſolle: Daher zu ſolchen fruͤchten die unterrichte/ die beſtraffungen
und vermahnung/ und die vorſtellungen des troſtes gehoͤren. Davon hats nun die
erklaͤrung des textes und die glaubens lehren meiſtentheils mit dem verſtand des
menſchen zu thun/ die andere fruchten beruͤhren mehr den willen. Welches aber un-
ter allen ausgelaſſen wird/ wird der erbauung dadurch etwas abgehen. Wo hin-
gegen dieſe dinge recht/ wie ſichs geziemet/ getrieben werden/ mag man erſt ſagen/
daß
[752]Das ſechſte Capitel.
daß die predigten zur erbauung eingerichtet. Daher rechte predigten damit nicht
getroffen werden/ was p. 116. geſagt wird: Der orationum homileticarum
entzweck iſt dieſer/ mit vielen menſchlichen worten wenig ausreden/ dann wo einer
nur gleich zugehen/ und die ſache in ihrer nuditet vorſtellen wolte/ lieber/ wo wuͤrde
das flumen eloqventiæ bleiben/ und wo wuͤrden materien erfunden werden/ die
zu beredung ſo vieler 1000. ſtundẽ wuͤrden gnug ſeyn. Und bald darauf: die oratoria
eccleſiaſtica
handelt alle ihre ſachen ſtuͤckweiß/ und dienet nicht dazu/ noch iſt ge-
ſchickt/ eine gantze ſache oder ſcienz in ihrer vollkommenheit darzulegen/ und den
augen der lehrſchuͤler zu entdecken/ deñ ihre indoles und ultimus finis iſt nicht igno-
tas res docere \& methodice diſcere,
ſondern antehac notas illuſtrare, exornare, am-
plificare, \& ad amplectendum perſvadere.
Daher es dañ nicht ohn/ daß dieſe prom-
te
vielredenheit in Theologia bey denen/ die vorher die erkaͤndtniß der Goͤtt-
lichen geheimnuͤſſen haben/ nuͤtzlich gebraucht werden koͤnte. Aber die capita fi-
dei \& morum,
ja die erkaͤntnuͤß der H. ſchrifft per oratoriam jemand beyzubrin-
gen/ iſt eine verlohrne arbeit/ und heiſſet mit der ruthe ins waſſer ſchlagen. Fer-
ner p. 117. die erkaͤntnis und wiſſenſchafft eines dinges kommet mir demnach zu/
und ich erlange dieſelbe nicht per oratorias perſvaſiones, dann dieſelbe hindern
mehr/ als daß ſie foͤrdern ſolten/ ſondern per continuas lectiones aut lectio-
num diligentes auſcultationes
m. f. w. Hier geſtehe ich gern/ daß ich eine von
Mhhr. beſchriebene oratoriam Eccleſiaſticam freylich mehr vor eine hindernis
als befoͤrderung der erbauung hielte/ ich gebrauche ſie aber ſelbs nicht/ und bin
verſichert/ daß andre rechtſchaffene prediger eben ſo wenig dieſelbe achten: So
kan ich gewiß von mir ſagen/ daß wo man mir eine kunſt zeigen koͤnte/ wie etwas
zu contrahiren waͤre ohne abgang der erbauung/ ich ſolche lieber lernen wolte/
als die kunſt zu amplificiren. Denn da wird kein text ſeyn der nicht/ wo man ihm
nachgraͤbet/ ſo viel von ſelbſten an die hand gebenkan/ daß man gewiß keines an-
derwertlich her entlehnten amplificirens bedarff: wer alſo ſich dahin genoͤtigt fin-
det/ allerhand amplificationes rhetoricas zu ſuchen/ wird ſorglich wenig erbau-
en/ und die ſache daher kommen/ daß er ſeinen text und die darinnen enthaltene
goͤttliche wahrheit nicht recht inne hat/ aus dero er ſonſten zur erbauung ohne
weitgeſuchtes amplificiren gnug herausgeben koͤnte. Alſo ſey Mhhl. verſichert/
ich mit aller Chriſtlich geſinnten predigern laſſen dieſes unſre hauptſorge ſeyn/
jegliche ſache in ihrer nuditet deutlich vorzuſtellen/ und ſuchen darinnen mehr ver-
gnuͤgung/ als in einem affectirten flumine eloqventiæ. Wiewohl dahin ſtehet/
ob in der that diejenige art mehr eine eloqvenz ſeye/ eine ſache recht deutlich vorzu-
ſtellen/ und wenig vergebliche wort zubrauchen/ oder wie Mhhl. ſaget/ mit vielen
worten wenig ſagen. Auffs wenigſte ich meines orts wuͤrde auch in humanis
ſolches vielmehr vor einvitium eloqventiæ halten. So begreif ich auch nicht/ war-
um eine gantze ſache oder ſcienz in ihrer vollkommenheit nicht ſolte koͤnnen in den
predigten vorgeſtellet werden: Vielmehr iſt meine meinung/ daß ſolches auf kei-
ne
[753]DISTINCTIO II. SECTIO XXIII.
ne art fuͤglicher als in wol eingerichteten predigten geſchehen koͤnne/ denn wil man
einen articul des glaubens recht aus dem grunde ausfuͤhren/ daß die zuhoͤrer dem-
ſelben recht einnehmen koͤnnen/ ſo bedarff man ja nur einen claſſicum locum vor-
zunehmen/ denſelben genau durch zugehen/ und gleichſam nach dem innerſten/
was darinnen ſtecket zu anatomiren/ und alßdenn was an andern orten von eben
ſolcher materie befindlich/ zur erklaͤhrung ein zumiſchen. Will man aber die gan-
tze Theologie voͤllig und alſo ein gantzes ſyſtema dem zuhoͤrern vorſtellen/ kan
ſolches abermahl geſchehen/ wo man ſolche texte dazu wehlet. Alſo daß ich nicht
ſehen kan/ wie Mhhl. eine fuͤglichere art zeigen koͤnte/ maſſen ihn verſichern will/
ob er nach ſeiner art die gantze bibel ein oder zweymahl einer gemeinde vorleſen
wird/ daß ſie die gruͤndliche erkaͤntnuͤß aller glaubens articul bey weitem der-
maſſen nicht faſſen werden/ als es geſchehen kan/ wo auch nur einmal ſolche ar-
ticul aus auserleſenen texten und beyziehung anderer zu jeder materie gehoͤriger
ſpruͤche von einem der ſache und der ſchrifft maͤchtigen mann durchgepredigt
wuͤrden. Alſo iſts einmal nicht gegruͤndet/ daß der predigten/ dann die werden doch
immer durch die Oratoriam Eccleſiaſticam gemeinet (davon zwar meine mei-
nung ſelbs bereits entdecket habe) art und zweck nicht ſeye/ dinge die man nicht
gewuſt lehren und lernen/ ſondern allein bekante ſachen zu amplificiren und da-
von zu perſvadiren. Da ich hingegen Mhhl. verſichre/ daß bey mir und allen
rechtſchaffenen predigern die unterweiſung der gemeinden/ dinge ſo ſie noch nicht
begriffen zufaſſen/ oder die ſie nur etwas verſtanden/ beſſer verſtehen zu lernen/
ſamt vorſtellung der darausflieſſenden fruͤchten/ dahin vermahnungen und war-
nungen gehoͤren moͤgen/ der gantze inhalt und abſicht der predigten ſeyen: wel-
ches dem jenigen concept/ ſo Mhhl. ſich von den predigten macht/ ſchnur ſtracks
entgegen ſtehet/ und deſſen mißverſtand zeiget. 3. Was das gepredigte wort
GOttes anlangt/ ſiehe ich nicht/ wie man denſelben ſolchen titul mit recht beneh-
men koͤnte. Jch laſſe freylich den unterſcheid unter dem formali und materiali
des worts GOttes wohl pasſiren/ indeſſen ſorge/ daß dieſes allzu geringe geach-
tet werde. Jch erkenne daß das formal wort GOttes vor allen menſchlichen para-
phraſibus,
erklaͤhrungen und anwendungen einen groſſen vorzug habe/ es beſte-
het aber derſelbe hauptſaͤchlich allein in deſſen infallibilitaͤt/ ἀυτοπιστία und gewiß-
heit. Alſo was dem text der ſchrifft anlangt/ iſt derſelbe allein der unmittelbare
grund meines glaubens/ auff den ich mich ohne ſorge eines fehls ſicherlich verlaſ-
ſen darff/ und nicht noͤtig habe/ was ich darinnen finde erſt nach andern zu pruͤ-
fen/ ob es auch wahrhafftig GOttes wort ſeye: da hingegen was mit andern/
und menſchlichen worten/ jenes zuerklaͤhren/ oder einigen nutzen daraus zu zie-
hen/ ausgeſprochen wird/ hat gleiche gewißheit nicht/ ſondern iſt allezeit der pruͤ-
fung nach dem buchſtaben des formalen worts unterworffen/ und wo ich meinen
glauben auff daſſelbe gruͤnde/ beruhet er nicht eigentlich auff ſolchen menſchli-
chen worten/ ſondern auff den worten des H. Geiſtes durch ſeine diener ſelbs auf-
C c c c cgeſetzet/
[754]Das ſechſte Capitel.
ſetzet/ und auff meiner uͤberzeugung/ daß ſolche erklaͤhrung in jenen worten in der
that ſtecke. Gegen dieſen vorzug ſpreche ich nichts/ ja ſetze noch dazu/ daß unſre
gemeine dolmetſchungen auch noch erſt nach dem grund-text examiniret zu wer-
den noͤthig haben/ und alſo wann man in dem groͤſten rigor reden wolten/ nicht
recht das formal wort GOttes waͤren. Welche bemerckung von nicht geringer
wichtigkeit iſt/ ſondern weiſet/ weil Mhhl. gleichwohl das wort in den dolmet-
ſchungen vor das formal goͤttliche wort/ und das gewiſſe kraͤfftigſte mittel unſrer
erleuchtung erkennet/ da doch ein menſchlicher fleiß in der uͤberſetzung dazu gekom-
men iſt/ der nicht nur irrthumen unterworffen war/ ſondern wircklich in vielen
ſtellen/ ob nicht in dem uͤberſetzen gefehlet worden/ mit gutem grund diſputiret
wird daß denn/ ob auch in den worten der erklaͤhrung was menſchliches dazu ge-
komm[en] waͤre/ ſolches aufs wenigſte die krafft des worts zu unſrer erbauung
nicht auf hebe oder ſchwaͤche. Wie denn dieſes nun ferner hinzuthue/ wie ich den
unmittelbahren worten des H. Geiſtes wegen ſolcher gewißheit dem gedachten
vorzug nicht nur goͤnne/ ſondern ſelbs daruͤber eiffern wolte/ wo jemand das jenige/
da etwas von menſchlicher hand dazu gekom̃en/ demſelben gleich zu machen ſich
unterſtuͤnde/ daß gleichwohl ſolchen unterſcheid/ welchen Mhhr ſcheinet zu intendi-
ren/ was betrifft die krafft die menſchliche ſeele zu erleuchten und zu beſſern/ nicht
zugeben koͤnte/ ſondern mich verſicheren/ es habe das material goͤttliche wort/ wie
es zu nennen beliebet hat (ich rede aber von dem jenigen/ wo die erklaͤhrungen und
daraus ziehende gebraͤuche mit der ſchrifft wahrhafftig uͤbereinſtimmen/ dazu die
vorige pruͤfung der gewißheit wegen gehoͤret/ und alſo auch von den jenigen per-
ſonen/ die der gewißheit wegen uͤberzeuget ſind) eben diejenige ſeligmachende
krafft als das ſo genante formal wort GOttes ſelbs. Dieſer ſatz beſtaͤrcket ſich
ſo bald aus der gethanen bemerckung wegen der dolmetſchungen/ ſo von den bloſ-
ſen menſchen gemacht worden/ und alſo keines præciſe der jenigen wort/ welche
von dem H. Geiſt eingegeben worden/ darinnen geleſen oder gehoͤret wird. Dann
ſind dieſe zu der erbauung und innerlichen wirckung bey denen/ ſo nun an der rich-
tigen uͤberſetzung nicht zweiffeln/ nicht von geringerer krafft/ als wo man ſie in
der grundſprach laͤſe/ welches ich von Mhhl. zugeſtanden zu werden nicht zweif-
feln will/ und ſonſten folgen wuͤrde/ daß welche die grundſprachen nicht verſtehen/
und alſo das allermeiſte theil aller chriſten/ allzu vieles/ was ihnen zur ſeligkeit
noͤtig iſt/ ermangeln muͤſte/ welches mir mit goͤttlicher guͤte und weißheit ſich nicht
zu reimen vorkommet: ſo folget/ daß was die wuͤrckung der wort in der ſeelen an-
langt/ derſelben dadurch nichts abgehe/ ob ſchon menſchlicher fleiß dabey etwas
zu thun gehabt/ und die wort die man hoͤret/ aus demſelben geſetzet ſind/ und kan
man deswegen auch die krafft des ſo genanten material worts GOttes nicht ge-
ringer ſchaͤtzen. Die ſache kommet daher/ weil ob ſchon ſo wohl die wort ſelbs/
als die dadurch angedeutete oder darinnen enthaltene goͤttliche wahrheiten von
dem H. Geiſt ſind/ jene als gleichſam das kaͤſtlein/ dieſe als die darinnen verwahr-
te
[755]DISTINCTIO II. SECTIO XXIII.
te und uns vorgetragene guͤter/ die krafft der wuͤrckung nach dieſer diſtinction
nicht in dieſen worten als worten (dann ſonſten wuͤrden allemahl die dolmet-
ſchungen allzu unkraͤfftig gehalten werden muͤſſen) ſondern in ſolche Goͤttliche
warheiten einerley blieben/ ſo haben ſie in den ſeelen der menſchen einerley kraft/
ſie werden mit jenen erſten worten des H. geiſtes (die der gewißheit regel nach o-
bigen ſtaͤts bleiben) oder mit andern worten ausgeſprochen. Ja es kan geſche-
hen/ daß durch dieſe zuweilen mehr gewuͤrcket wird/ nemlich/ wenn ein text uns
dunckel iſt/ und alſo einer deſſen wahren verſtand nicht begreiffen kan/ ob er ihn
ſchon vielmal lieſet/ es erklaͤhret ihn aber ein chriſtlicher lehrer denſelben ſonſten
oder ſonderlich in einer predigt durch anfuͤhrung und gegenhaltung anderer ſpruͤ-
che/ und andere mittel den rechten verſtand hervorzubringen/ da er ſtaͤts andere/
und alſo ſeine menſchliche wort braucht/ ſo wird erſtlich des zuhoͤrers verſtand
durch die hertzliche erwegung der angefuͤhrten gruͤnde/ daß dieſes der rechte ver-
ſtand ſeye/ uͤberzeuget/ und leuchtet ihm ſolcher verſtand durch die menſchliche wort
ein/ daß er die darinnen enthaltene goͤttliche warheit erkennet: nachmahl da vor-
hin die formal goͤttliche wort deßwegen in ſeiner ſeele wenig erbauung wircken
konten/ weil er ſie nicht verſtund/ ſo fangen ſie nunmehr an dergleichen zu thun ver-
mittels der menſchlichen erklaͤhrung und worte/ nicht daß die krafft in dieſen wor-
ten ſteckte/ denn ſie ſtecket vielmehr allein in den goͤttlichen warheiten/ ſondern daß
die menſchliche wort das mittel geweſen ſind dadurch er zu der erkaͤntnuͤß der ihm
in jenen worten verborgen gebliebener warheiten gekommen iſt. Welches ich/
wo es fleißig erwogen wird/ nicht koͤnnen geleugnet zu werden hoffe. 7. Hierauß
ſchlieſſe nun ferner/ wo die bloſſe ableſung der H. ſchrifft/ und zwar mit ſo groſſen
ſtuͤcken und mehrern capiteln auff einmal dermaſſen ſolte eingefuͤhret werden/
daß die predigten gar abgeſchafft/ oder doch denſelben zu wenig mehr uͤbrig ge-
laſſen wuͤrde/ daß die mehrere erbauung der gemeinde eher dadurch gehindert als
befoͤrdert werden doͤrffte: Folglich das kraͤfftigſte mittel dieſer erbauung nicht
in demjenigen/ was Mhhl. hauptſaͤchlich veꝛlangt (und ich oben bereits bekant/
was ich davon zugebe) ſondern in der beſſern einrichtung der predigten/ zu ſuchen
ſeye/ nemlich daß dieſelbe einmal nichts anders ſeyen als erklaͤhrungen der ſchrift
und anweiſungen deſſen/ was in derſelben verborgen iſt/ welches ohne andrer an-
weiſung zu finden/ nicht eben eines jeglichen gabe iſt. Wo aber eine predigt/
wie ſie ſeyn ſolle/ recht eingerichtet iſt/ getraue ich nicht zu ſagen/ daß ſie ſo viel
und meiſtens mehr zur wahren erbauung thun werde/ als die ableſung mehrer
capitul aus der H. ſchrifft/ ſonderl. was die capitul anlangt/ da nicht ex profeſſo
die dogmatica gehandelt werden. Hiemit entziehe dem goͤttlichen wort aller-
dings nichts/ ſondern wie ich dem buchſtaben des ſo genanten formal worts den
vorzug der unfehlbarkeit laſſe/ alſo ſchreibe nichts von der krafft den menſchli-
chen worten zu/ ſondern den goͤttlichen warheiten/ die dorten in jenen worten ver-
borgen ſtecken/ in dieſem aber zu dem menſchlichen gebrauch beqvemer angewen-
C c c c c 2det
[756]Das ſechſte Capitel.
det werden. Welches ich nach beiden ſtuͤcken/ die ich in den predigten erforde-
re/ zeigen kan/ die da ſind die erklaͤhrung des buchſtaͤblichen verſtandes und
die herausziehung und vorſtellung der uſuum und fruͤchten. Was die erklaͤh-
rung anlangt/ wird mein hochgeehrter Herr nicht in abrede ſeyn/ daß viel ſtel-
len ſind/ welche einiger erleuterung bedoͤrffen/ ſollen ſie anders nuͤtzlich ſeyn/ und
ſtreitet ſolches wider unſre theſin nicht/ die wir von der klarheit der Schrifft
wider die papiſten behaupten: wenn denn ſolche ſtellen geleſen/ und nicht ver-
ſtanden werden/ wird jedermann bekennen muͤſſen/ daß ſie ihre frucht bey
uns nicht haben koͤnnen. Daher ſind menſchliche wort der jenigen/ welchen GOtt
eine mehrere gabe und erfahrung in der ſchrifft gegeben hat/ daß ſie das in den uns
duncklern orten klaͤhrer vorzuſtellen vermoͤgen/ wenn ſie ſolches in den predigten
thun/ das mittel/ wodurch jene zu ihren nutzen bey uns gebracht werden/ aber die
krafft iſt dannoch nicht unſrer worte/ ſondern der goͤttlichen warheit: gleich wie ei-
ner der zu ſchwach waͤre ein brodt aufzuſchneiden/ und nur euſſerlich daran nagte/
nicht gnugſam nahrung davon bekommen wuͤrde/ wann ihm aber iemand daſſel-
be aufſchneidet/ daß ers genieſſen kan/ hat jener dazu geholffen/ und doch iſt die
krafft allein des brodts ſelbſt geweſen. Was aber die uͤbrige uſus anlangt/ haben
wir widrum zu bedencken/ daß es mit dem goͤttlichen wort gar eine andere be-
wandtniß als mit menſchlichen worten habe/ und daß es als eine reiche fundgrube
ſeye/ worinnen unvergleichlich mehr ſtecke/ als man in dem erſten anblick darin
vermuthete/ ſich aber alsdenn erſt offenbahrete/ wo wir entweder ſelbſt nach dem
vermoͤgen/ das GOtt gibet/ ieglichen wort nachdencken/ oder einen andern lehrer
haben/ der uns nach ſeiner mehrern erfahrung eines nach dem andern darinnen
zeiget/ welches wir ſelbſt nicht haͤtten finden wuͤrden. Daher allen/ ſonderlich aber
den predigern/ das ἐρευνᾶν ſuchen und forſchen in derſelben anbefohlen iſt/ und iſt
noch dabey wol inacht zunehmen/ da in menſchen ſchrifften nicht alles vor des au-
toris
ſinn kan angenommen werden/ was durch einige folge aus ſeinen worten ge-
zogen werden koͤnte/ weil kein menſch die jenige weißheit hat/ alle muͤgliche folgen
aus ſeinen worten vorzuſehen/ und ſie deswegen alle ſo vorſichtig zuſetzen/ damit
nichts ſeiner meinung widriges daraus von iemand gezogen werden koͤnte/ daß hin-
gegen was die H. Schrifft anlangt/ weil die wort von dem H. allwiſſenden Geiſt
eingegeben ſind/ alles das jenige was richtig aus derſelben folget/ wahrhafftig
auch vor ein wort und wahrheit Gottes/ ob es wol deutlich nicht da ſtehet/ zu hal-
ten ſeye. Worauf ſich alle unſre conſeqvenzen gruͤnden. Alſo gar/ daß ſolche
Goͤttliche wahrheiten aus den gewiſſen conſeqvenzen mit als ein theil des worts
zu halten ſind: Daß deswegen unſer Heyland zu den Sadduceern/ ſo die aufer-
ſtehung leugneten/ Matth. 22/ 29. ſagt/ nicht nur/ ſie wuͤſten die krafft Gottes nicht/
ſondern ſiewuͤſten auch die ſchrifft nicht/ da ſie gleichwol den ort/ den er fuͤhret/ und
das jenige/ was der unmittelbare verſtand war/ wol wuſten/ nicht aber ſo tieff ein-
ſahen/ daß ſie auch dieſe folgen geſehen haͤtten. Bey ſolchem reichthum der
ſchrifft
[757]DISTINCTIO II. SECTIO XXIII.
ſchrifft iſt ja nicht nur nuͤtzlich/ ſondern/ wo wir Goͤttlichen zweck/ welcher alles
gern zu unſern nutzen angewendet haben will/ anſehen/ der gemeinde allerdings
noͤthig/ daß weil eben nicht ieglichen dero gliedern muͤglich iſt/ ſo tieff in dieſe fund-
grube ſich einzulaſſen/ daß dann in der kirchen einige ſeyen/ die ſolche grube gleich-
ſam beſteigen/ und den andern das jenige/ was ſie darinnen finden/ heraus langen/
ihnen nehmlich zeigende/ wie dieſe oder jene lehre/ dieſe vermahnung/ warnung/
troſt und dergleichen darinnen ſtecke/ und ſolche ſtracks alſo treiben/ daß ſie in ihre
hertzen eintringen. Alſo hoffe ich/ daß ich die H. Schrifft/ wo ich zu dero reicherem
gebrauch ſolchen dienſt der prediger erfordere/ nicht beſchimpffe/ oder ihr einen
mangel zuſchreibe/ ſondern dero unerſchoͤpfflichen reichthum recht hoch erhebe. Und
was dann durch ſolche erklaͤhrungen und folgen erbauet wird/ hat ſeine krafft nicht
aus den menſchlichen worten/ mit denen dieſe vorgeſtellet werden/ ſondern aus de-
nen Goͤttlichen wahrhetten ſelbſt/ die gefunden worden ſind/ und zu ihren gebrauch
angewendet werden. Gleichwie die Artzney ihre geſundmachende krafft in ſich
haben muß/ ob wohl des medici verordnung und wahl/ auch des apotheckers kunſt
in dero vermiſchung/ mit dazu kommen muß. Item, wie der weitzen die naͤhrende
krafft in ſich hat/ ob wol zu fuͤglicher genieſſung der muͤller und becker mit ihrer ar-
beit concurriren, aber keine neue krafft dem weitzen geben/ ſondern denſelben uns
zum gebrauch am beqvemſten machen. Alſo hat eine wol eingerichtete predigt
uͤber einen reichen und wichtigen text (indem ich abermahl nicht billichen wuͤrde/
wo iemand in iedem text ſo vieles ſuchen/ und vielmehr fremde dinge hineintragen/
als daraus hervor langen wolte/ ſo aber widrum ein mißbrauch waͤre) dieſen vor-
theil/ daß ein andaͤchtiger Zuhoͤrer den reichthum deſſelben aus ſolcher anhoͤrung
erkennen und ins hertz faſſen kan/ welchen er etwa ſonſten/ ob er ihn in der able-
ſung 10. oder 20 mahl gehoͤret hatte/ nicht alſo zu ſeiner erbauung zu gebrauchen
vermocht haͤtte. Da mag als eine ſolche predigt/ ob wol das formal wort Gottes
etwa in einem kurtzen text beſtanden/ und das uͤbrige nach der gemachten diſtin-
ction
allein das material wort Gottes geweſen/ leicht mehr erbauung geben/ als
eine ſo lang waͤhrende ableſung vieler capitel/ aus dero etwa nicht ſo viel gruͤndli-
che erbauung in das hertz gekommen waͤre. Wie eben dieſes das jenige iſt/ wel-
ches in der bloſſen ableſung und zwar vieler capitel (dann in den hiſtorien/ ſonder-
lich des A. T. da ſo vieles nicht darinnen verborgen iſt/ gehets noch eher an) de-
ſiderir
et werden mag/ daß man alles zu geſchwind uͤbergehet/ und in nichts tieff
eintringet. Da ich hingegen die Heil. Schrifft wegen dero krafft vor eine ſolche
theure und ſtarcke artzney halte/ daß man ſie nicht mit gantzen bechern/ ſondern mit
loͤffeln/ ja mit tropffen/ am nuͤtzlichſten einnimmet. Wie etwa einer/ der eine fei-
ne erkaͤndtniß bereits hat/ und alſo zur betrachtung geſchickt iſt/ bey ſich befinden
wird/ wenn er einen kleinen text in der forcht des HErrn vor ſich nimmet/ und nach
hertzlichem gebet alle wort darinnen fleißig erweget/ um die krafft derſelben/ und
der darinnen enthaltenen lehren zu ſchmecken/ daß er davon ſich mehr erbauet und
C c c c c 3geſtaͤr-
[758]Das ſechſte Capitel.
geſtaͤrcket fuͤhlet/ als wo er noch ſo vieles lieſet/ aber nur auf das jenige achtung gi-
bet/ was ſich ſo zu reden in dem erſten anblick præſentiret. Was dann ein ſolcher/
der bereits ſelbſt tieffer eine ſache einzuſehen/ und einen text zu unterſuchen tuͤchtig
iſt/ von ſeiner meditation vor nutzen ſchaffen wird/ eben denſelben ſucht ein chriſt-
licher prediger ſeinen zuhoͤrern auch zuzuwenden/ da er ihnen das jenige vortraͤgt/
was er nach geſchehener nachforſchung gefunden hat. Welches gewiß vermit-
tels Goͤttlicher gnade und ſegens nicht anders kan als in die hertzen ſo viel tieffer
eintringen/ als eine ſolche ableſung/ weil in jener uͤbung das gemuͤth eine gute weil
auf einer ſache bleibt/ und das feuer ſo zu reden zeit hat hinein zu brennen/ in der
ableſung aber in unterſchiedlichen capiteln man niemal auf eines lange dencken
kan/ ſondern offt viel gantz unterſchiedener materien nach einander folgen/ bey
dero keine man lange ſtille ſtehen und weiter nachdencken kan. Daher das haus-
leſen noch vor dem oͤffentlichen leſen dieſen vortheil hat/ daß wo man in dem leſen
auf einen ſpruch koͤmmet/ an dem man ſo bald einen ſonderlichen geſchmack ſpuͤ-
ret/ der menſch gleich dabey ſtill ſtehen/ und ferner nachſinnen/ ja gar dabey abbre-
chen/ und nur in ſolcher materie ſich ergoͤtzen und erbauen/ das folgende aber auf
andre mahl verſchieben kan. So in der oͤffentlichen ableſung nicht thuelich. Wel-
cher urſach wegen ich auch die an gewiſſe tage und anzahl der capitel gebundene
leſung niemand rathe/ in dem ſolche etwa eher den nutzen hindert/ wann man mei-
net/ man muͤſſe gerad ſeine geſetzte zahl taͤglich erfuͤllen/ damit man nicht aus der
ordnung komme/ ſich aber eben damit des mehrern nutzens verluſtig machet/ den
man zu weilen daraus nehmen koͤnte/ wenn man bey einem ſpruch ſich geruͤhrt ge-
fuͤhlet/ und dabey geblieben waͤre.


Aus allen dieſen verſihe mich/ daß Mhhr/ erkennen wird/ wo ich die recht-
gefaßte predigten von mehrer frucht/ als derſelbe ſie anſiehet/ zu ſeyn achte/ und zu-
weilen von denſelben mehr erbauung/ als von der bloſſen ableſung erwarte/ daß
ich damit dem Goͤttlichen wort nichts entziehe oder menſchen worten zulege/ ſon-
dern daß es dabey bleibe/ alle krafft und geiſtliche wirckung komme aus dem wort
Gottes allein/ das iſt aus den jenigen wahrheiten/ welche die ſchrifft uns vorſtellet/
ſie werden nun mit den worten des H. Geiſtes/ oder mit erklaͤhrungs worten der
menſchen/ aber richtig/ vorgetragen: Denn was der menſch oder prediger dabey
thut/ beſtehet nur darinnen/ daß er/ was in den worten ſteckt/ mit mehrern vor-
legt/ damit es zu ſinne gefaßt/ nachmal ſeine krafft in den hertzen ereigne. Daher
ſolches ſo wenig die krafft des worts hindern kan/ als Mhhr. nicht wuͤrde zugeben/
daß man eine harmonie aus mehreꝛn orten zuſam̃en gegattet/ wolte von geringerer
krafft halten/ weil ja die wort nicht mehr in der ordnung ſtuͤnden/ wie ſie der Heil.
Geiſt geſetzet hat/ und in ſolcher zuſammengattung unzweiflich auch gefehlet wer-
den kan. Wo auch die biblia dogmatica ſolte heraus kommen/ an welcherley ar-
beit etwa vielmehr der kirchen moͤchte gelegen ſeyn/ als an der harmonia hiſtori-
ca,
ſo ſihe ich nicht/ wie ſie anders eingerichtet werden koͤnte/ als itzt ein gottſeliger
predi-
[759]DISTINCTIO II. SECTIO XXIII.
prediger/ wo er eine materie auszufuͤhren ſich vornimmet/ die dahin gehoͤrige texte
alle mit einiger erklaͤhrung anfuͤhret. Und ob es hieſſe/ hie miſche der prediger vie-
le ſeiner menſchen wort mit ein/ dorten aber wuͤrden allein die goͤttliche wort in ei-
ne gewiſſe harmonie gebracht/ mag doch ſolches zeigen/ daß ein an das wort ge-
wandter menſchlicher fleiß deſſen krafft nicht verringere/ und iſt gewiß/ daß in der
zuſammengattung ſo viele fehler/ ſo ein wichtiges austragen koͤnnen/ moͤgen vor-
gehen/ und die ſo oder anders zuſammen geſetzte worte leicht dieſen oder jenen ver-
ſtand ſo wohl annehmen koͤnnen/ als etwa durch die erklaͤhrung gefehlet werden
moͤchte. Dergleichen harmoniſche zuſammenſetzung aber ohneracht der dabey
muͤglichen oder vorgehenden fehler goͤnnet Mhhr. gern den nahmen des goͤttlichen
wortes/ und halt ſie von der groͤſten erbauung/ warum denn nicht auch die pre-
digten? daher ich dieſes mit nicht gnugſamen grund geſtraffet zu werden achte/ wo
die prediger ſich ruͤhmen/ ſie haben Gottes wort geprediget/ und die zuhoͤrer/ daß
ſie ſolches gehoͤret haͤtten: Dann dazu iſt all gnug/ daß ſolche goͤttliche wahrhei-
ten/ die der Heil. Ge[i]ſt geoffenbahret hat/ mit richtigen und beqvemen worten
ausgeſprochen und gehoͤret worden ſind.


Hingegen erhellet/ daß alſo die gefuͤhrte klagen nicht von gnugſamen grunde
ſind/ und ob wol geſtandener maſſen die offentliche ableſung der ſchrifft an dazu be-
qvemen orten eine erbauliche uͤbung ſeyn wuͤrde und zu wuͤnſchen waͤre/ dannoch
der erbauung dadurch noch nicht ſo wol geholffen werden moͤchte/ als durch die beſ-
ſere einrichtung der predigten/ daß nehmlich dieſelbe allein mit erklaͤhrung und
anwendung der ſchrifft umgiengen. Daher wuͤrde Mhhr. viel beſſer gethan/ und
ſeinen insgemein habenden zweck vermuthlich eher erlangt haben/ wo er die gaͤntz-
liche ableſung der ſchrifft mehr als nuͤtzlich gelobet und gerathen/ als vor bloß noͤ-
thig mit ſo vielen klagen und obteſtationen/ dadurch viele gemuͤther der ſache eher
moͤgen widrig gemacht ſeyn worden/ getrieben haͤtte. Jch habe auch/ ſo nicht
laͤugne/ faſt mit beſtuͤrtzung den titel geleſen/ die erſte goͤttliche predigt/ dann
ob zwar Mhhr denſelben nachmahl emolliren will/ ſo ſind doch die wort gleich an
ſich zu hart/ und beruhet ſolcher nahmen insgeſamt auf einigen oben nicht richtig
befundenen hypotheſibus: zu geſchweigen daß einige/ ſo nicht in chriſtlicher liebe
alſobald iedes von einen bruder aufs beſte auszulegen ſich geweigert/ aus ſolchem
titel und einigen faſt exceſſiven lobſpruͤchen dieſes inventi bey demſelben ein ge-
muͤth ſorgen moͤchten/ das ihm und ſeinen gedancken zu viel zuſchriebe/ andre aber
wuͤrcklich den verdacht geſchoͤpffet haben/ ob waͤre ein groſſes motiv der gantzen
ſache die verhoffte befoͤrderung der mit unkoſten heraus gegebener Bibliorum
Harmonicorum,
ſo ich aber lieber anders wuͤnſche und hoffe.


Aus allem/ trage das vertrauen/ werde mein werther Bruder mein auf-
richtiges gemuͤth erkennen/ daß ich die gantze ſache/ wie ich ſie in meinem gewiſ-
ſen vor GOtt befinde/ offenhertzig zu fernern nachdencken/ wie etwa zu helffen
waͤre/ hiemit in ſchuldiger liebe vorzuſtellen mich unternommen/ und alles mit glei-
chemliebreichem hertzen aufnehmen.

Auß
[760]Das ſechſte Capitel.

Der HErr HErr/ deſſen wort es iſt/ mit dem wir vor der gemeinde allezeit
umgehen ſollen/ laſſe daſſelbe ie laͤnger ie reichlich er unter uns wohnen in aller
weißheit: er befoͤrdere auch alle die jenige mittel/ wie er nach ſeinen rath iedes orts
und zu ieder zeit/ dieſes oder jenes zu der erbauung am dienſamſten erkennet/ damit
lehrende und lernende nichts deſſen unterlaſſen/ was beyderſeits pflichten hierinnen
erfordern. Er gebrauche auch meinen hochgeehrten Herrn ferner zu einem theu-
ren und kraͤfftigen werckzeug ſeiner gnaden/ ſegne alle zu ſeinen ehren dienſame ar-
beit/ und weiſe ihm ſelbſt/ worinnen ſeine gaben am fruchtbarlichſten angewen-
det werden koͤnnen. Womit der ewigen liebe und verſorgung unſers himmliſchen
Vaters treulich erlaſſende verbleibe. u. ſ. w. 13. Febr. 1689.


SECTIO XXIV.


An einen chriſtlichen Edelmann aufmun-
terung und wunſch.


DEm Herrn Herrn ſage ich demuͤtigen danck/ der nechſt andern ſeinen kin-
dern auch deſſen liebe perſon/ aus dem ſtande derer/ welche ſonſten vor an-
dern faſt mehrere hinderniſſen des wahren Chriſtenthums haben/ dadurch
aber die meiſte ſich von deſſen ernſtlicher fuͤhrung abhalten laſſen/ kraͤfftiglich be-
ruffen/ und von der welt zu ſich gezogen/ mir aber auch eine ſonderbahre freude
daruͤber durch ſeine guͤte erwecket hat. Wie dann uns Chriſten allen/ ſo viel mehr
denen/ die der HErr zu ſeiner gemeinde dienern verordnet hat/ zukommet/ daß
wir unſre groͤſte freude darinnen ſuchen und erkennen/ wo wir von wachsthum
des reichs Gottes/ und wie ſo wol die zahl der rechtſchaffnen kinder Gottes/ als in
denſelben die krafft ſeines Geiſtes/ zunehme/ hoͤren und vernehmen koͤnnen; indem
wir darinnen ſtets die erfuͤllung und erhoͤrung der uns nothwendigſten und an ſich
wuͤrdigſten erſten bitten des vater unſers erkennen moͤgen/ und iedesmal urſach
haben/ den himmliſchen Vater/ ſo offt er uns etwas deſſen zu geſicht oder gehoͤr
kommen laͤſſet/ davor demuͤthigſten danck zu ſagen/ und uns ſtets daraus zu troͤ-
ſten/ daß der HErr ſein angeſicht noch nicht gantz von uns gewendet habe/ oder
uns als ein born worden ſeye/ welcher gar nicht qvellen wolle/ wie es ſo offt das
anſehen gewinnet/ wo man das allgemeine verderben vor augen ſihet/ und immer
mit David zu ſeufftzen urſach findet: Hilff Herr die heiligen haben abgenommen/
u. der glaͤubigen iſt wenig unter den menſchen kindern. Aber gelobet ſeye die goͤtt-
liche guͤte und barmhertzigkeit/ die auch mitten in dieſen zeiten des gerichts ſich
nicht gar von uns abgewendet hat/ ſondern uns noch da und dort gewahr werden
laͤſſet eines uͤbergebliebenen ſaamens/ damit wir nicht werden moͤgen wie So-
dom und wie Gomorrha. Ach der HErr HErr maͤchtig von krafft und guͤte er-
halte nicht allein das jenige/ was er bereits kraͤfftig mit ſeinem Geiſt geruͤhret/ ſon-
dern thue noch taͤglich zu der zahl derer/ die in lebendigem glauben/ ob wol mitten
unter
[761]DISTINCTIO II. SECTIO XXV.
unter den hauffen derer/ welche ſich mit dem wahnglauben aufs elendeſte betrie-
gen/ ihm dienen. Ja nach dem die auſſerwehlte Gottes tag und nacht zu ihm ruf-
fen/ daß er drein ſehen/ den geiſtlichen vielmehr als leiblichen verderben ſteuren/
hingegen das gute/ die erkaͤntniß der wahrheit zur gottſeligkeit/ mehr und mehr ob-
hand gewinnen/ und durchbrechen laſſen wolle/ ſo erfuͤlle er ſeine verheißung/ und
errette ſie in einer kuͤrtze/ daß wir unſer Jeruſalem in anderem ſtand und herrliche-
rem ſchmuck wiedrum ſehen moͤgen. Er laſſe auch ihres orts vor andern die je-
nige/ bey welchen er das rechtſchaffene weſen in CHriſto JEſu gewircket hat/ in
ſolchem guten geſtaͤrcket/ und welches eine ſtattliche beforderung dazu iſt/ naͤher
und naͤher unter ſich miteinander vereiniget werden. Sonderlich gieſſe er uͤber
ſeine liebe perſon taͤglich von dem thron ſeiner heiligen hoͤhe aus mit reichem maaß
die krafft des Geiſtes ſtarck zu werden an dem geiſt und innern menſchen/ und
wircke insgeſamt in ihm alles was vor ihm gefaͤllig iſt/ daß die beklagte ſchwach-
heit immer nach und nach raum geben muͤſſe einer goͤttlichen krafft und ſtaͤrcke
durch vielen ſelbſt in ſolcher ſchwachheit annoch davon tragenden ſieg. Ja er ſe-
gne deſſen liebes exempel zu erwuͤnſchter nachfolge vieler andern gleiches ſtandes/
um zu erkennen/ da die adeliche geburt in der welt eine ſonderbare wuͤrde iſt/ daß
deroſelben vornehmſte zierde ſeye eine noch hoͤhere geburt aus GOtt/ mit dero jene
vereinbaret/ allererſt ihren rechten glantz erlanget/ und daher ſich gern an alle die
regeln/ die der himmliſche Vater denen aus ſich gebohrnen kindern vorgeſchrieben
hat/ verbunden glaubet/ und ſich keine ausnahen von denſelben mit der thoͤrichten
welt einbildet: Wie ſonſten leider der jenigen/ ſo allein an der fleiſchlichen geburt
und dero vorzug hangen bleiben/ gefaͤhrliche meinung iſt; Dero hinwider durch
loͤbliche exempel ſolcher perſonen/ bey welchen der doppelte Adel beyſammen iſt/ und
die gleichwol den jenigen/ der von oben kommt/ dem fleiſchlichen vorziehen/ am
kraͤfftigſten geſteuret werden mag. 27. Apr. 1689.


SECTIO XXV.


An einem an meinem ort verſtoſſenen prediger/ da
er widerberuffen worden. Harte klagen. Ob bey uns auch
an der lehr mangel. Vater wider den ſohn. Auslaſſung einiger ge-
ſaͤnge um der Papiſten willen. Articul der rechtfertigung. Arbeiten
an glauben/ da man keine frucht ſiehet. Gewiſſe hoffnung der beſſe-
rung. Daß einige bey der
communionvon dem wein nichts bekom-
men. Qvacker nahme. Heilig leben. Neuer menſch.
Ob in
Penſylvaniamzu fliehen.


DAß der himmliſche Vater denſelben nicht allein wiedrum gnaͤdiglich ver-
ſorget/ ſondern auch unter verſchiedenen ſtellen die wahl gegeben/ er-
kenne ich billich deſſelben heilige guͤte/ weiſe regierung und gewiſſe wahr-
D d d d dheit/
[762]Das ſechſte Capitel.
heit/ die den ſeinigen gethane verheiſſungen ohne ſehl zuerfuͤllen. Er ſeye auch da-
vor von mir demuͤthigſt geprieſen. Die unter verſcheidenen ſtelien angeſtellte
wahl kan ich nicht urtheilen/ nach dem mir die voͤllige bewandnuͤß einer jeglichen
nicht zur gnuͤge bekant/ wie ich aber ſein hertz habe kennen lernen/ daß ihms
wahrhafftig allein um GOtt in allem zu thun ſeye/ und die insgemein angefuͤhr-
te urſachen der bey den andern mehrer zeitlicher zerſtreuungen/ ſind mir gnug/ zu
glauben/ daß ſolcher auch in dieſer wahl nach dem willen des HErrn gewehlet/
und alſo von dieſem wahrhafftig in dieſe ſtelle geſand ſeye. Jch ruffe ihn demuͤ-
thigſt an/ daß er nun ſolchen ruff auch ſo viel kraͤfftigern nachtruck und ſegen ver-
leyhen/ ſein werck durch ihn kraͤfftig gegen alle hindernuͤſſen durchgetrieben/
viele ſeelen wahrhafftig zu dem HErrn und erkaͤntnuͤß ihres heils gefuͤhret/ und
alſo was an der frucht der arbeit anderer orten ermangelt/ an dieſem reichlich
erſetzet werden laſſen/ ſo dann dieſe ſtelle zu derjenigen machen wolle/ da er ſo wol
in genieſſung anderer ſeiner gnaden und ſegens als freudiger anſehung der rei-
chen ernde ſeiner bißherigen leiden ergoͤtzet/ hingegen die vorige klagen in deſto
froͤlichere danckſagung verwandelt werden moͤgen. Der HErr verleihe auch
hierzu beſtaͤndige leibes und gemuͤths kraͤfften/ ſonderlich aber licht und krafft
des H. Geiſtes/ gleich wie in jenem ſtaͤts einzuſehen/ was vor ihm in allen dingen
wolgefaͤllig iſt/ alſo auch in dieſer alles endlich ſiegreich zuuͤberwinden/ was ſich
eine weile noch wiederſetzen moͤchte. Nun er iſt der HErr/ wir ſeine diener: Er
regiere uns ſo/ daß wir nichts thun/ als was er von uns fordert/ und in uns wir-
cket. Daß ſelbigen mit einigen freyern klagen oder haͤrtern worten bey mir
unwillen erwecket haben moͤchte/ wolle derſelbe alle ſorge fahren laſſen/ und ſich
verſichern/ daß ich die ſache ſelbſt ſo betruͤbt und elend zu ſeyn anſehe/ daß nicht
wohl einige klagen an ſich ſelbſt zu hart ſeyn/ ob zwar an gewiſſen orten unzeitig
und zu ſchaden ausgeſchuͤttet werden koͤnten. Daher wenn Chriſtl. Bruͤder in
meinem ſchooß ihren kummer ausſchuͤtten/ iſt bey mir nie zu hart: doch werde ich
ſie zu weilen bitten/ bey andern mit demſelben nicht auszubrechen/ die ſich daran
aͤrgern/ oder bey denen ſie ſich nur vergebene wiederwertigkeit dadurch erregen
wuͤrden: wo wir aber vor GOtt ligen/ oder es mit denjenigen zu thun haben/ de-
nen GOtt auch die augen etwas geoͤffnet hat/ moͤgen wir dem ſchmertzen den
lauff ſo fern laſſen/ daß wir uns nur nicht mit murren gegen GOttes Heil. regie-
rung und wider die liebe des nechſten verſuͤndigen. Daß die wahre lehr auch bey
der wahren lehre ſchier unbekant werde/ iſt leider allzuwahr. Dabey bleibets zwar/
wie unſre Evangeliſche lehr in Symboliſchen buͤchern/ und vieler unſrer gottſeli-
ger lehrer buͤchern/ vor augen liget/ ſo iſt ſie die goͤttliche wahrheit/ und koͤnnen wir
nicht klagen/ daß nicht die articul ſo wohl der rechtfertigung als der heiligung rich-
tig vorgeſtellet werden ohne vermiſchung und trennung. Wolte aber GOtt/ daß
alle unſrer kirchen-lehrer und prediger dieſelbe alſo inne haͤtten/ daß ſie ſie wahr-
hafftig verſtuͤnden/ und daher auch ihren gemeinden recht vortragen koͤnten. Aber
ſo
[763]DISTINCTIO II. SECTIO XXV.
ſo manglet es leider nicht an vielen ſolchen/ die von der lehr der heiligung nichts
wahrhafftig wiſſen und verſtehen; daher iſts unmoͤglich/ daß ſie auch den articul
von der rechtfertigung gruͤndlich verſtehen/ oder davon eine gemeinde wie ſichs
geziehmet/ unterweiſen ſolten koͤnnen: ſondern ſie ſagen zwar/ der menſch werde
gerecht allein durch den glauben: welches eine goͤttliche wahrheit iſt/ aber ſie wiſ-
ſen nicht was ſie ſagen/ als die nicht verſtehen/ was gerecht werden/ noch was
glaube ſeye: ja der verſtand/ wie ſie ſolche wort nehmen/ mag wohl gar falſch ſeyn/
nach dem ſie durch den glauben eine menſchliche unkraͤfftige einbildung verſtehen/
und von keinem andern glauben leider wiſſen. Damit kan geſchehen/ daß man die
wahre wort behaͤlt/ und dennoch lehrer und zuhoͤrer die warheit in denſelben ge-
faͤhrlich verliehren. Was iſts denn wunder/ wenn es ſolchen leuten/ die wohl die
wahre wort gewuſt/ aber den wahren verſtand davon nie eingeſehen haben/ als
eine frembde lehr vorkommet/ wo leute aufftreten/ die bey den worten auch die
wahrheit und die krafft treiben? So kans alſo auch nicht anders geſchehen/ als
daß ſolcher wahrheit von denen widerſprochen wird/ die ſie nie erkant/ und ſich
nur an nicht/ oder vielmehr falſch/ verſtandene worte gehalten haben. Nun der
HErr wird endlich drein ſehen. Daß im uͤbrigen auch deſſen leiblicher Vater ſich
nicht nur unter den wiederſprechern dieſer goͤttlichen warheit finden laſſe/ ſondern
von demſelben dieſer urſach wegen alle vaͤterliche liebe abziehe/ bekenne ich/ daß es
wohl eines der ſchwehreſten leiden/ ſo einer ſeelen widerfahren koͤnne/ ſeyn muͤſſe.
Doch muͤſſen wir uns ſolches auch nicht befrembden noch aͤrgern laſſen/ dann der
HErr hats uns laͤngſt zuvor geſagt/ Luc. 12/ 53. es wird ſeyn der Vater wider
den Sohn:
daher wir auch einen Vater haſſen Luc. 14/ 26. das iſt/ den Vater
nicht mehr als ihn lieben muͤſſen. Matth. 10/ 37. Alſo ob alle welt ſich wiederſetzte/
und auch unſre Eltern/ ſo wollen wir dennoch an dem treu bleiben/ welcher der
rechte Vater iſt/ uͤber alles was kinder heiſt/ im himmel und auff erden/

und an ſich reichlich erſetzet/ was uns an der entziehung eines leiblichen Vaters
abgehen mag. Jedoch laſſet uns fleißig vor ihn bitten/ welches ich auch mei-
ner ſeits thun werde/ daß GOtt dem mann noch die augen/ ſo durch die ſchein-
bare præjudicia der welt/ welche die aͤlteſte lehr/ ſo ſie eine zeit lang/ ſo viel an
ihr geweſt/ zuverbergen geſucht hat/ nun wann ſie wieder hervor blickt/ vor neue-
rungen laͤſtert/ eingenommen ſind/ oͤffnen/ und die hertzen der Vaͤter zu den
kindern
(Luc. 1. 17.) bekehren auch dadurch zu neuer danckſagung urſach geben
wolle. Was die gethane anfrage anlangt/ ſo ſtehet nicht in unſrer macht/ daß
wir einige unſre glaubenslehren und puncten verleugnen und ablegen/ und alſo
den Papſt oder ſeinen ſtuhl nicht vor den Anti-chriſt/ der er iſt/ erklaͤhren ſolten:
ſo ſind wir auch gegen ihn zu beten verbunden. Und alſo/ wo es auff ſolche Ter-
minos
kaͤme/ etwas gegen dieſes zuverheiſſen/ doͤrffen wir nicht weichen. Wan es
aber dabey bleibet/ bey welcher gelegenheit/ auff was art/ mit welchen formalien
man ſolche bekaͤntnuͤß thun/ oder ſolches gebet ablegen ſolle/ da iſt nicht einerley
D d d d d 2ver-
[764]Das ſechſte Capitel.
verbindung/ ſondern da ein prediger nur befliſſen iſt/ ſeine zuhoͤrer gegen die ver-
fuͤhrung zu verwahren/ und hingegen in der wahrheit zu befeſtigen/ ſtehet ihm frey/
er ſeye dann durch der obern anordnung an etwas gewiſſes verbunden) die jeni-
ge geſaͤnge zuwehlen/ die er auch dem euſerlichen zuſtand ſeiner kirchen/ ihr nicht
ohne noth unruhe und widerwaͤrtigkeit zu machen/ am beqvemſten findet/ und wo
er einige auslaͤſſet/ aus denen er der gemeinde von den feinden gefahr ſorget/ hat
er damit noch nichts unſrer wahrheit begeben/ die nicht in gewiſſen geſaͤngen be-
ſtehet/ noch dieſe/ wie wohl erinnert worden/ als ein Symbolum fidei auffge-
nommen worden ſind. Ja es kans der prediger vor ſich lieber ungeheiſſen aus-
laſſen/ als wo ihm ſolches von den widerſachern mit gewalt und trohen auffge-
zwungen wuͤrde/ wo die chriſtliche freyheit mehr noth leiden moͤchte. Jn Straß-
burg weiß ich nicht anders/ alß daß dergleichen geſaͤnge ſtaͤts vermeidet werden/
womit ſie der wahrheit nichts begeben/ ſondern ihrer kirchen kluͤglich ſchohnen.
So halte auch davor daß die herrſchafftliche erinnerung bey der beruffung/ alles
zuverhuͤten/ was auch die herrſchafft incommodiren/ und mit den benachbarten
in ſtreit/ darinnen ſie leicht unterliegen moͤchte/ bringen doͤrffte/ eben dieſe klug-
heit von ihm fordere/ zwar von der goͤttlichen wahrheit nichts zuruͤck zulaſſen/ a-
ber auch in der art dero vortrags auff ihren zuſtand zu ſehen. Der HErr gebe
auch hierinnen den geiſt der weißheit. Was den articul de juſtificatione an-
langt/ bin ich verſichert/ daß wir in denſelben ſo gegruͤndet/ als in einigen ſeyen:
nur will immer dieſes in acht genommen werden/ daß ein anders ſeye/ daß bey ei-
nem glaͤubigen Chriſten auch eine innerliche inhafftende gerechtigkeit aus der hei-
ligung ſeye/ ja ſeyn muͤſſe/ ſo wir gern bekennen/ aber die wiederſacher auch nichts
mehrers erweiſen koͤnnen/ und daß dieſelbe das jenige ſeye/ damit wir vor GOtt
beſtehen moͤgen/ wovon aller unſer zwieſpalt iſt ꝛc. Die klage/ daß wir ſo wenig mit
unſern amt außrichten/ und wo wir zuweilen meinen viel ausgerichtet zu haben/
nur heuchler machen/ iſt eine allgemeine klage aller derer/ die tieffer in das gemei-
ne weſen einſehen. Jedoch muß uns auch dieſes nicht muͤde machen/ ſondern wir
nach dem maaß der gnaden/ das unſer iedem gegeben iſt/ unſer amt thun/ Geſetz
und Evangelium/ abermahl nach der verliehenen weißheit/ bey der gemeinde trei-
ben/ und den ausgang oder wirckliche frucht dem uͤberlaſſen/ der allein in die her-
tzen ſo ſiehet als den eintruck geben kan/ verſichert/ daß weder ſeine verheiſſung/
die das wort nicht gar laͤhr zu laſſen uns vertroͤſtet hat/ uns triegen koͤnne/ noch
allemahl gantz vergebens ſeye/ was wir wohl vergebens zu ſeyn ſorgen. Es iſt
zuweilen dem anſehen nach gruͤnes graß/ und weil die halmen zu gewoͤhnlicher zeit
nicht auffſchieſſen/ achten wir es vor bloſſes unfruchtbahres graß/ es kan aber die
zeit kom̃en/ daß da alles geſchienen verlohren zu ſeyn/ eins mahls der halm auffſtei-
get und in den aͤhren die verlangte frucht zeiget. Offt liegt lange das koͤrnlein
dem anſehen nach gar todt in dem ſtaub/ es folget aber zu ſeiner zeit ein geſegneter
regen/ der es lebendig und auffgehen machet. Daher ich nicht zweiffle/ daß bey
eini-
[765]DISTINCTIO II. SECTIO XXV.
einigen die frucht unſrer arbeit erſt recht vorbrechen mag/ wenn wir ſelbs nicht
mehr verhanden ſind. Alſo lehret uns Gott/ wenn wir nichts ſehen/ in bloſſen glau-
ben arbeiten/ und wird ſichs laſſen angenehm ſeyn/ ob wir unſrer meinung nach
uns ſelbſt faſt vor unglaubig haben halten muͤſſen. Daß aber werther Bruder
eine huͤlffe und rettung von dem HErrn hoffet/ darin pflichte nicht nur derſelben
bey/ ſondern bekenne ihm/ daß ſolches meine vornehmſte hoffnung/ ja troſt und
auffmunterung in alle betruͤbnuͤß und beſchwerde iſt/ daß ich weiß/ der Herr werde
ſeine auſſerwehlte/ ſo tag und nacht zu ihn ſeuffzen/ retten in einer kuͤrtze. Wie ich
verſichern kan/ daß dis mein angelegenſtes gebet iſt/ und mich noch wohl erinne-
re/ wie vor mehrern jahren/ als ich in dergleichen betruͤbten gedancken zu Franck-
furt in die betſtunde gieng/ die wort des geſanges: darum ſpricht GOtt/ ich
muß auff ſeyn/ die armen ſind verſtoͤret/ ihr feuffzen dringt zu mir herein/
ich hab ihr klag erhoͤret.
m. f. w. welche in meinem eintrit geſungen wurden/
mir mit einer ſolchen ungewoͤhnlichen krafft ins hertz getrungen ſind/ daß ich we-
der vor noch nach eine ſolche lieblichkeit auch nur des thons/ als damahl/ geſpuͤh-
ret/ es aber billich als eine goͤttliche antwort auff meinen kummer geachtet habe.
Die mich auch nicht triegen wird. Laſſet uns nur nicht muͤde werden anzuhalten/
und was die welt von unſrer hoffnung urtheile/ oder ſie ſpotte/ wenig achten. Gnug
daß wir wiſſen/ an wen wir glauben/ und wem wir dienen/ nemlich GOtt/ der
ſich nicht vergebens dienen laͤſſet. Was anlanget die klage/ daß einige nichts
von dem wein bey der communion ſolten genoſſen haben/ bekenne ich/ daß es
kein geringer fehler ſeye/ aber nicht ſo wohl des adminiſtrantis, als der Commu-
nicant
en: Jndem der prediger weniger wiſſen kan/ ob der menſch etwas empfaͤn-
get/ als der Communicant ſelbſt/ ſo viel mehr wo jener einen natuͤrlichen mangel
des geſichts hat/ dem der andre ſeiner ſeits mit errinnern nichts empfangen zu ha-
ben/ zu ſtatten kom̃en ſollen. Daher an ſtatt deſſen/ daß dieſes als ſein verbrechen
dem paſtori zugemeſſen wird/ haͤtte vielmehr den klaͤgern der ernſtliche verweiß ge-
geben werdẽ ſollen/ daß ſie ohne empfangung des weins von der communion weg-
gegangen/ u. nicht vielmehꝛ ſich entweder beſſer dazu etwas zu empfangẽ geſchicket/
odeꝛ daß ſie nichts empfangen haͤtten gemeldet/ u. alſo was ihnen gebuͤhꝛet empfan-
gen haben. Wie ich weiß/ daß in Franckf. geſchehen/ als von einer frauen kund wur-
de/ die auch einigen orts ſich beſchweret/ daß ſie nichts von dem geſegneten wein be-
kom̃en/ daß ihr durch den Beichtvater von wegen des gantzen miniſterii zugeſpro-
chen/ und kuͤnfftig beſſer acht zu geben ernſtlich anbefohlen: darauf aber/ weil man
geſorget/ daß mehrmal dergleichen caſus geſchehen moͤchte/ in den predigten einige
mahl erinnerung gethan worden/ daß ja niemand ohne etwas genoſſen zu haben
von dem kelch weggehen/ ſondern vielmehr den prediger/ welcher gemeiniglich ohne
ſchuld iſt/ erinnern wolte. Daß aber endlich derſelbe von ſeiner ſtelle gleichwol
abgekommen/ ob ich wol der jenigen verantwortung nicht auf mich nehmen wolte/
welche ſolches verurſachet/ ſihe ich deñoch an/ als eine fuͤgung Gottes/ welcher etwa
D d d d d 3denen/
[766]Das ſechſte Capitel.
denen/ ſo ſeiner treue nicht wehrt waren/ ſeinen treuen diener nicht laͤnger laſſen/
und hoffentlich ſeinen dienſt anderwertlich reichlicher habe ſegnen wollen. Daß
rechtſchaffne und treue diener Gottes/ ja faſt insgeſamt alle/ die ſich ihr Chriſten-
thum ernſtlich laſſen angelegen ſeyn/ der Qvacker nahmen von der welt tragen
muͤſſen/ iſt nun faſt ein altes/ und haben wir uns deſſen ſo viel weniger mehr zu be-
frembden. Wie denn neulich auch einem vornehmen Profeſſori Theologiæ, ſo
ſelbſt gegen die Qvacker etwas geſchrieben/ von einem hoff-geiſtlichen (wenn zwar
ſolcher nahme eines geiſtlichen einen ſolchen zukommt) dieſer titul beygeleget wor-
den. Ach daß wir doch damit nicht unſre kirche zu ſehr beſchimpffeten/ als beken-
nende/ daß ſo gar nichts gutes bey uns ſeyn muͤße/ daß wo nur etwas ſich blicken
laͤſſet/ ihm gleich ein fremder nahme gegeben werden muͤſſe. Wie ich hingegen
davor halte/ daß wo die Qvacker in etwas eine ehr ſuchen wolten/ ſie es in dieſem
ſtuͤck ſolten finden koͤnnen. Alſo auch/ wo man die wort heilig leben/ nicht mehr
leiden will/ ſo muͤſſen wir nebenſt der Bibel auch unſern Catechismum abſchaffen/
und endlich zu der regel unſers lebens nicht mehr Gottes wort/ ſondern Ariſtote-
lem
oder Senecam vornehmen/ damit man ja endlich ſehe/ daß wir des Chriſten-
thums uͤberdruͤßig nach dem heydenthum luſt haben/ und an ſtatt des heiligen le-
bens JEſu und ſeiner nachfolger das tugendthaffte leben der beruͤhmten Heyden
ſetzen/ wobey wir alsdenn auch an der natur gnug haben/ und des H. Geiſtes nicht
mehr bedoͤrffen/ daher auch nicht mehr Enthuſiaſten zu werden zu ſorgen haben.
Ob aber der jenige/ der den neuen menſchen in das ewige leben verſpahret haben/
und in der zeit davon nichts wiſſen will/ daher auch ſorglich ihn nicht haben wird/
ihn in der ewigkeit anzuziehen bekommen werde/ iſt mir faſt zweiffelhafft/ ja daß
es nicht geſchehen werde/ wo man nicht anders licht annimmet/ mit betruͤbniß ge-
wiß. Der HErr erbarme ſich unſrer kirchen/ und laſſe es nicht dahin kommen/
daß es endlich heiſſen muͤſſe: Alle ihre waͤchter ſind blind/ ſie wiſſen alle nichts.
Von Hr. L. Paſtorio aus Penſylvania erinnere mich nichts gehoͤrt zu haben/ als
lang ich hie bin: ſolte ich aber ſem tractaͤtlein zuſehen bekommen/ wuͤrde mirs an-
genehm ſeyn. Denen die ihre zuflucht dahin nehmen/ uͤberlaſſe ich ihre gedancken:
ich koͤnte niemand rathen/ zu fliehen/ ehe der HErr austreibet: ſo ſcheinet jener
ort ſo leicht in gefahr kommen zu koͤnnen als andere/ und ſtehet dahin/ was die itzi-
ge engliſche unruhen auch dorten vor veraͤnderungen nach ſich ziehen moͤchten.
Von Hn. Pennen ſelbſt hats ſchon eine weil bey ſeinen eignen leuten verlauten
wollen/ er waͤre nicht mehr/ der er vorhin geweſen. Meine gedancken ſind alle-
zeit/ zu bleiben/ wo uns der HErr hinſetzt/ und wie lang er uns daſelbſt laͤſſet; zu
gehen/ wo er uns gehen heiſſet. Auff ſolchem wege bin ich gewiß ſicher. 1. Aug. 1689.


SECT.
[767]DISTINCTIO II. SECTIO XXVI.

SECTIO XXVI.


An eine prediger witwe. Freude uͤber zunehmende zahl der
frommen. Betruͤbniß uͤber des ehegatten todt. Es kan derſelben
zuviel nachgezeuget werden. Klage uͤber die traͤgheit. Dieſe unter-
ſchiedlicher art. Was dabey zuthun.


WJe mir das gute zeugniß von deroſelben bereits vorher angenehm geweſen/ ſo konte das dar-
auf von dero lieber hand empfangene briefflein auch nicht anders als angenehm ſeyn/ in-
dem nicht nur die gegen meine wenigkeit tragende chriſtliche liebe/ ſo mich hinwieder ſonderbar
verbindet/ ſondern vornehmlich die gnade Gottes/ ſo ſie in Chriſto JEſu ergrieffen/ zu erkaͤntniß
des rechtſch affen weſens/ das in denſelbigen iſt/ gebracht/ und ein verlangen ihm beſtaͤndig zu die-
nen in ihro erwecket hat/ zu vielem meinem vergnuͤgen heraus leuchtet. Dem HErrn HErrn ſeye
ewiger preiß/ der auch zu dieſen zeiten der goͤttlichen ſo geiſt-als weltlichen gerichten/ da es offt
ſcheinet/ er ſeye uns worden/ wie ein bronne/ der nicht mehr qvellen will/ dannoch weiſet/ daß er
ſeiner guͤte noch nicht vergeſſen/ oder ſeinem wort alle wiedergebaͤhrende und heiligende krafft ent-
zogen habe/ ſondern unß noch ſtets exempel ſolcher ſeelen vor augen kommen laͤſſet/ die er kraͤfftig
ruͤhret/ ſie aus der welt und dero verderbniß/ oder doch gemeinen ſicherheit herausreiſſet/ und als-
denn ſein werck in ihnen herrlich und kraͤfftig fuͤhret. Wie wir denn vor iedes dergleichen exem-
pel/ welches er uns vor augen kommen laͤſſet/ billich demuͤthigſt danck zuſagen/ uns der wachſen-
den zahl der kinder Gottes zu freuen/ und unſern glauben auch daraus zu ſtaͤrcken/ hingegen vor
einander wo uns der HErr bekant machet/ deſto hertzlicher zu beten haben. Daß dero Eherrns
ſeliger aber fruͤhzeitiger todt dieſelbe eine gute zeit ſehr nieder geſchlagen habe/ iſt eine wirckung der
liebe/ und ſo wol die daraus uͤber den verluſt des geliebten erweckte traurigkeit als ſehnen/ an
und vor ſich ſelbſt/ nach dem der HErr uns nicht zu ſteinen und kloͤtzern erſchaffen/ noch zu denſel-
ben werden laſſen/ ſondern ſeine hand/ die uns ſchlaͤget und ſchmertzen verurſachet/ von uns gefuͤh-
let haben will nicht unrecht: Es iſt aber ſehr ſchwehr/ ſolche natuͤrliche empfindlichkeit alſo zu
maͤßigen/ daß nicht die trauer das hertz zu ſehr einnehme/ oder zu lang verunruhige/ ja wir wer-
den bey den allermeiſten ſehen/ daß die ſchrancken der chriſtlichen gelaſſenheit uͤberſchritten wer-
den. Wo aber ſolches geſchiehet/ iſts uns allemal ein zeugniß/ daß unſre an ſich ſelbſt gute und
goͤttlicher einſetzung gemaͤſſe liebe in einiger unordnung geſtanden ſey: Dann wie wir alles unter
und in GOtt lieben ſollen/ dermaſſen daß wirs nicht anders lieben ſollen/ als nach ſeinem willen/
ſo wuͤrde in ſolcher ſchuldigen bewandtniß unſre ſeele bey der entziehung des geliebten die kindliche
annehmung goͤttlichen Vater willens/ die unruhe bald ſtillen/ und die empfindlichkeit des ſchmer-
tzens maͤßigen: Wo wir nun ſolches nicht vermoͤgen/ offenbahret ſichs/ wie auch etwas unordent-
liches in der liebe geweſen ſeye: aus welchem alle ſtarcke verunruhigung der ſeele und hefftigers
dero leiden entſtehet/ aber uns dieſes eben zur zuͤchtigung wird/ da uns unſer ſchmertzen ſo viel
mehr wehe thut/ als wir vorhin das jenige/ was wir gehabt/ mit mehr als ſich geziemet/ eigenheit
geliebet und beſeſſen haben. Dem HErrn aber ſey danck/ der ſie auch nicht nur mit erkaͤntniß
ſeines willens aus ſeinem wort wiedrum kraͤfftig aufgerichtet/ ſondern auch ihre vorige ſchwach-
heit endlich zu einen mittel mehrer heiligung bey ihr gemachet hat: der fuͤhre ferner ſein werck in
ihr zu ſeinen ehren. Die klage der Traͤgheit betreffende/ glaube ſie/ daß ſie dieſelbe mit ſo vielen
auserwehlten bruͤdern und ſchweſtern gemein habe. Wie aber die traͤgheit an ſich ſelbſt nicht loͤb-
lich iſt/ ſo iſt hingegen die klage an ſich ſelbſt ein gutes zeichen. Wir muͤſſen aber mercken/ daß auch
dieſe traͤgheit unterſchiedlicher art ſeye. Es iſt bereits unſer natuͤrliches/ ſich bey allen menſchen
aus ihrer natur befindendes/ unvermoͤgen des guten eine traͤgheit/ auch aller uͤbriger traͤgheit
urſprung. Nechſt deroſelben iſt abermal eine doppelte traͤgheit; die eine art liſt der jenigen/ die
ihr nachhaͤngen/ und da ſie ſich ſonderlich die einbildung eines Chriſtenthums/ ſo in bloſſer aͤuſer-
lichen wenigen dingen beſtehe/ haben einnehmen laſſen/ und einen mehrern fleiß in dem wege der
gottſeligkeit nicht moͤglich noch noͤthig achten/ als ſie gemeiniglich vor augen ſehen/ zwar nicht un-
ter-
[768]Das ſechſte Capitel.
terlaſſen/ einige ſolche aͤuſſerliche wercke zu verrichten (dann ſonſten muͤſten ſie ſelbſt offentlich vor
unchriſten darſtellen) aber doch keinen eiffer an der heiligung bey ſich anwenden/ ſondern entweder
niemal etwas mit ernſt angreiffen/ oder wenn es ja nicht gleich von ſtatten gehen will/ die haͤnde ſo
bald ſincken laſſen/ und alſo in der traͤgheit ſo einſchlaffen/ daß ſie nie einen rechten ernſt anwenden.
Dieſe art der traͤgheit gehoͤret unter die ſuͤnden/ die der menſch ohne kampff bey ſich herrſchen laͤſ-
ſet/ und alſo welche ohne zweiffel denſelben von der ſeligkeit in ſolchem ſtande ausſchlieſſen. Die
andre art der traͤgheit iſt die jenige/ wo ein Chriſt von grund ſeiner ſeelen verlanget ſeinem GOtt
ernſtlich zu dienen/ und alle dahin gehende uͤbungen mit eiffer zu verrichten/ auch zu weilen zu eini-
gem ſolchen ernſt kommet/ aber nicht nur fuͤhlet/ wie ihm alles/ was er gutes thun will/ ſauer an-
kommet/ und er ſich gleichſam ſtets gewalt anthun muß/ ſondern auch ſo bald er nur etwas von
ſeinem wachen und ihm ſelbſt anthuender gewalt ablaͤſſet/ gleich eine ſolche traͤgheit ſpuͤhret/ wel-
che wo er ſich nicht bald aufmunterte/ viel gutes gar unterbleiben machen wuͤrde/ und wenn er die
ſache wieder angreiffet/ ihn nicht viel weniger zuruͤck haͤlt/ als die in GOtt gefaßte reſolution fort-
reiſſet: Er haͤlt aber ſolches vor ſein ereutz und leiden/ ſeufftzet dagegen/ ruffet GOtt um ſeine
huͤlffe an/ und widerſtehet ſolcher traͤgheit mit dem gebrauch der auffmunterungs mittel nach ſei-
nem vermoͤgen. Dieſe traͤgheit gehoͤret nun unter die ſchwachheit-ſuͤnden/ iſt eine frucht der un-
vollkommenheit unſrer erneuerung/ und ſetzet den menſchen nicht aus dem gnaden-ſtand. Wie-
wol ſie auch ihre grade hat/ und mehrmal viel ſchuld bey dem menſchen ſeyn kan/ der wo er ſich
goͤttlicher gnade mit mehrer ſorgfalt gebrauchet haͤtte/ viel ſtaͤrcker ſeyn/ und ſich der traͤgheit mit
mehr nachdruck widerſetzen koͤnte/ in welchem fall gleichwol der zuſtand eines ſolchen ſo viel ge-
faͤhrlicher iſt/ und ſo viel eher geſchehen kan/ daß die traͤgheit gar uͤberhand nehme/ und vollends
allen eiffer des guten austilge. Wie denn nun bey verſpuͤhrung der traͤgheit ein Chriſt ſich vor-
ſichtig zu halten/ und ja zu huͤten hat/ damit er nicht moͤge von derſelben gar uͤberwunden wer-
den/ ſondern vielmehr ſie abzulegen/ ſo hat er gleichwol als lang nicht allein das innigliche ver-
langen nach mehrern eiffer/ die beſtrebung nach ſtaͤter aufmunterung und das mißfallen an ſeiner
traͤgheit vorhanden ſind/ aus ſolcher noch uͤbrigen traͤgheit ſeinen gnaden-ſtand nicht in zweiffel zu
ziehen. Dann 1. gehoͤret es unter die rechte der kinder Gottes/ daß weil und ſo lange ſie in Chri-
ſto JEſu ſind/ das fleiſch/ nach dem ſie gleichwol nicht wandeln/ ihnen auch nicht verdam̃lich ſeyn
kan: nun iſt ſolche traͤgheit nichts anders als ein ſtuͤck ihrer natuͤrlichen verderbniß und dero
nechſte wirckung. So lang ſie alſo dermaſſen bey ihnen iſt/ daß ſie derſelben nicht muthwillig
nachhaͤngen/ bleiben ſie dabey Gottes angenehme und liebe kinder. 2. Jſt der gegen ſie hochgeprie-
ſenen guͤte Gottes allerdings zu wider/ daß er um des jenigen willen ſeine kinder verſtoſſen ſolte/
was ſelbſt ihr ſchmertzliches ereutz iſt/ und ſie ein recht innigliches mißfallen daran haben/ deswe-
gen tag und nacht um die erloͤſung von denſelben zu ihm ſeufftzen. Da kans nicht anders ſeyn/ als
daß der HErr vielmehr mitleiden mit ſolchem ihrem elend habe/ als deswegen mit ihnen zuͤrne.
3. Es gehoͤret auch dieſes zu der beſchreibung des zuſtands des lieben Apoſtels/ wenn er klagt/ das
vollbringen finde er bey den wollen nicht/ und was er wolle/ das thue er nicht Rom. 7/ 15. 18. Nicht
ob haͤtte er/ wo er ſich was gutes vorgeſetzt/ keinen fleiß gebraucht/ daſſelbige zu verrichten/ ſon-
dern daß er dabey eine ſolche traͤgheit der natur gefuͤhlt/ die ihn immer zuruͤck gehalten/ als das
gute/ was er verrichtet/ bey weitem nicht ſo voͤllig geweſen/ als er ſichs vorgenommen/ und es ohne
ſolche noch uͤbrige traͤgheit und widerſtand wuͤrde worden ſeyn. Jndeſſen war der liebe Apoſtel
ein angenehmes kind Gottes/ und in deßen ſeiner gnade. 4. Wie GOtt in andern ſtuͤcken alles/
auch das boͤſe zu ſeiner liebhaber beſten weißt und pfleget zu richten/ alſo auch geſchihet es mit die-
ſer traͤgheit und fuͤhlung derſelben. Wir ſind nicht nur ſonſten verdorben/ ſondern unſre verderb-
niß mißbrauchet ſich offt ſelbſt des guten an uns/ und wo wir in dem Chriſtenthum weit gekom-
men ſind/ und etwa viele andre ſuͤnden uͤberwunden haben/ uͤberliſtet ſie uns/ daß ſie einiges gefal-
len an uns ſelbſt erwecket in uns/ daß wir uns ſelbſt erheben; welcher geiſtliche hochmuth/ wie er
ziemlich verborgen und uns unerkantlich iſt/ ſo iſt er uns ſo viel gefaͤhrlicher/ und gar zu leicht ge-
ſchehen/ daß wir druͤber verlohren gehen/ alſo daß GOtt ſeinem theuren Apoſtel 2. Cor. 12/ 7. ein
ſehr hartes und ſchmertzliches artzney-mittel gegen dieſe kranckheit verordnen muſte. Es iſt aber
dieſe
[769]DISTINCTIO II. SECTIO XXVII.
dieſe unſre natuͤrliche traͤgheit auch ein ſolch mittel davor/ und da es GOtt muͤglich waͤre/ durch
eine groſſe krafft auff einmal ſolche traͤgheit auffzuheben/ daß wir lauter freude/ trieb und feuer zu
dem guten in uns fuͤhleten/ thut ers nicht/ ſondern laͤſſet uns unſer traͤgheit fuͤhlen/ wie uns alles
noch ſo ſchwehr werde/ und wenn wir uns hin auf ſchwingen wolten/ der an den ſuͤßen hangende
ſtein uns noch ſo ſtarck zuruͤck halte: Woraus geſchiehet/ daß wir uns nicht uͤberheben/ ſondern
ob wir wol dann und wann einen ſtarcken eiffer fuͤhlen/ dannoch meiſtens mit unſrer traͤgheit
ſchleppen und kaͤmpffen muͤſſen. Daraus wir ſehen/ was wir ſind/ demuͤthigen uns vor GOtt de-
ſto hertzlicher/ ſeufftzen ſo viel in bruͤnſtiger zu dem lieben Vater/ erkennen unſre gefahr/ ſind ſo viel
vorſichtiger und wachſamer/ damit die traͤgheit uns nicht gar niederwerffe/ und werden alſo aus
gelegenheit des jenigen/ was wir ſuͤndlich erkennen/ und uns deſſen vor GOtt billich ſchaͤmen/ von
vielen andern boͤſen abgehalten/ und zu den guten angetrieben: Weswegen wir den guͤtigen und
weiſen rath Gottes auch in dieſem ſtuͤck mit kindlicher verehrung zu erkennen haben. Dieſe be-
trachtungen moͤgen eine chriſtliche Seele wohl auffmuntern/ daß ſie ſich in ihre traͤgheit nicht allzu
ſehr niederſchlagen laſſe/ u. ſich drein ſchicken lerne. Daher auch meine wehrte freundin bitte/ ſolche
in der forcht des HErrn und mit gebet ſich fleißig vorzuſtellen/ und zwar auch zu unterſuchen/ ob
ſie ſelbſt (welches zu weilen auch geſchehen kan) zu ihrer traͤgheit durch verſaͤumung deſſen/ wenn
goͤttliche gnade in ihr kraͤfftiger hat wircken wollen/ etwas mehrers geholffen haͤtte/ wo ſie dann
deswegen ſich ſo viel hertzlicher vor Gott zu demuͤthigen/ ſich auch ſo viel gelaſſener in die gedult zu
geben haben wuͤrde: insgeſamt aber ihr mehr angelegen ſeyn laſſen/ ſolcher traͤgheit zu wider-
ſtehen/ und ſich aller ſeligen mittel der ſtaͤrckung angelegenlich zu gebrauchen/ als nur ſich druͤber
zu aͤngſten/ und mit ſolchen aͤngſtlichen ſorgen dieſelbe mehr zu befoͤrdern. Der HErr aber/ der
unſre krafft und ſtaͤrcke iſt/ ſtaͤrcke ſie an geiſt/ ſeel und leib/ ja er wolle ſie vollbereiten/ ſtaͤrcken/
kraͤfftigen/ gruͤnden: auch ſie fertig machen in allem gutem werck zu thun ſeinen willen/ und ſchaf-
fe in ihr was vor ihm gefaͤllig iſt/ durch JEſum Chriſtum/ welchem ſeye ehre von ewigkeit zu ewig-
keit. Amen. 15. Aug. 1689.


SECTIO XXVII.


Qvackerismus.Von welchenTheologisdie be-
forderung der gottſeligkeit zuerwarten.
Recommendation
der buͤcher/ darinnen nicht alles richtig.Collegium.
Das 7. capit.ad Romanos.


DEr Diſcurs zu N. belangend/ wundre mich nicht daruͤber/ denn was mir
von des guten mannes gemuͤth unterſchiedliche mahl und nicht von einer
perſon allein erzehlet worden/ hat mir gnug gewieſen/ daß von ihm zur be-
foͤrderung der gottſeligkeit und des rechtſchaffenen weſens in Chriſto JEſu beſorg-
lich wenig zu hoffen iſt. GOtt bewahre ihn nur gnaͤdiglich/ daß er ſich mit wi-
derſetzung gegen einiges gutes nicht ein ſchwehr gericht einmal uͤber den hals zie-
hen moͤge. Daß aber dem Qvackerismo, wie er redete/ der gelehrte teuffel zuge-
ſchrieben worden/ hat mich gewundert/ in dem ja die eigentliche ſo genandte Qva-
cker die erudition weniger achten/ als andere ſecten. Jm uͤbrigen wolle ſich
mein wehrter Herr dieſes eine ſtaͤte regel ſeyn laſſen/ wo er einen gelehrten lernet
kennen/ der entweder geitzig iſt/ und deſſen proben an ſich mercken laͤſſet/ oder hoch-
muͤthig/ und der ſeine ehre ſuchet/ alſo daß wo man die ſache recht tieff einſiehet/
ſolches in dem grund ſeines hertzens zu ſeyn gefunden werden kan/ daß er von dem-
E e e e eſelben
[770]Das ſechſte Capitel.
ſelben ſich niemal verſehe/ daß er von hertzen das ſtudium der rechtſchaffenen gott-
ſeligkeit werde lieben und befordern/ obs wol moͤglich iſt/ daß er eine weil etwas
davon thun moͤchte/ wozu er fleiſchliche urſachen haben kan: aber beſtaͤndig wirds
nicht bey ihm ſeyn/ ſondern wo dieſe urſachen auf hoͤren oder ſich umwenden/ ſo
zeigt man einen andern ſinn/ tritt davon zuruͤcke/ was man zu vorher ſelbſt gelo-
bet und befoͤrdert hatte/ oder faͤngt es wol ſelbſt an zu widerfechten. Alſo darff
man ſich in ſolcher ſache auf niemand etwas gewiſſes verlaſſen/ an dem man nicht
ziemlich kaͤntliche zeichen hat einer ſeele/ ſo ihr ſelbſt abgeſtorben iſt/ oder in ſolchem
abſterben ſtehet/ denn dieſen allein iſts ein wahrer ernſt/ andern iſts entweder kein
ernſt/ oder mangelt doch gewiß an der beſtaͤndigkeit. Daher wo ich von einer per-
ſon etwas gutes wahrnehme oder ruͤhmen hoͤre/ gefaͤllet mirs zwar wol/ und freue
mich deſſen/ ehe ich aber auch davon zeugniß habe/ daß derſelbe eigene ehr und nu-
tzen von grund der ſeelen zu verlaͤugnen angefangen hat/ vielmehr wo ich noch pro-
ben ſehe/ daß ſolche bey demſelben maͤchtig ſind/ ſetze ich wenig hoffnung vor das
werck des HErrn auf ihn/ entziehe mich zwar ſeiner nicht/ ſondern thue mich wol
naͤher zu ihm/ entweder ob er ſich voͤllig gewinnen lieſſe/ oder ihn ſo lang als noch
moͤglich iſt/ dabey zu erhalten/ daß er etwas vor das gute thue/ aufs wenigſte ſich
denſelben nicht widerſetze: Aber ich gehe doch nicht anders mit ihm um/ als mit ei-
nem/ der ſich wiedrum leicht abwenden moͤge/ daher mich ihm auch nie gantz ver-
traue/ ſondern an das exempel und lehr meines Heylands gedencke/ Matth. 10/ 17.
Joh. 2/ 24. iedoch ohne abbruch der ihm in den uͤbrigen ſchuldigen liebe. Daß nun
in dieſem ſtuͤck nicht unrecht thue/ ſondern vielmehr dieſes zu der klugheit der ge-
rechten gehoͤre/ und ſonderlich zu unſrer zeit gantz noͤthig ſeye/ werde ich immerfort
durch neue exempel beſtaͤtiget. Daß im uͤbrigen ſich einige daran ſtoſſen/ wo in
ſonſten gottſeeligen/ und von andern der gottſeligkeit liebhabern belobten buͤchern
einige harte/ ja zu weilen wol gar nicht gantz richtige/ dinge angetroffen werden/
und daher dieſe/ ſo der buͤcher ſich gebrauchen oder ſie loben/ in verdacht ziehen/ iſt
mir auch bekant. Jch meine aber/ man koͤnne ſolchen leuten wol damit begegnen/
wo man ihnen zeiget/ daß wir ja kein einiges menſchliches buch ohne allen fehleꝛ und
irrthum halten koͤnnen/ in dem der preiß der unfehlbarkeit allein den jenigen ſchriff-
ten eigen iſt/ welche von dem Geiſt der wahrheit unmittelbar herkommen/ dahin-
gegen wo menſchen verſtand dabey ſein werck gehabt/ nach dem alle menſchen luͤ-
gner ſind/ nichts ſo ſorgfaͤltig und vorſichtig abgefaßt ſeyn kan/ das nicht eigentlich
etwas menſchliches/ das iſt/ einiger verſtoß/ darinnen ſich finde. Weswegen wir uns
auch von jugend auf alſo gewehren muͤſſen/ menſchliche ſchrifften nicht anders zu
leſen/ als alles in denſelben zu pruͤffen/ und das gute zu behalten. Ob dann in ei-
nem buch/ ſo im uͤbrigen erbaulich iſt ſich neben dem gold und ſilber/ auch etwas
von holtz/ heu und ſtoppeln findet/ ſuchet ein gottſeliger leſer aus jenem ſeine erbau-
ung/ dieſe laͤſt er fahren: ſo vielmehr weil er ohne das gewohnt iſt/ von keinem
menſchen und aus keinem buch etwas anzunehmen/ weiter als er ſich in ſeiner ſeele/
daß
[771]DISTINCTIO II. SECTIO XXVII.
daß es gottes wort ſeye/ und mit dem jenigen/ was er allezeit daraus erkant hat/
uͤbereinkomme/ uͤberzeuget findet. Weil auch die leſer theils ziemlich geuͤbte und
verſtaͤndige leute ſind/ theils einfaͤltige/ ſo ſind die erſte zu der pruͤfung bereits ge-
ſchickt/ dieſe aber verſtehen gemeiniglich das jenige am wenigſten/ was anſtoͤßig
iſt/ und laſſen deswegen fahren/ was ſie nicht verſtehen. Wie ich denn weiß/ daß
einfaͤltige leute buͤcher geleſen/ darinnen vieles nicht richtig war/ ohne dem gering-
ſten irrthum daraus gefaßt zu haben. Denn entweder faßten ſie aus den irrigen
gar keinen verſtand/ oder einen guten verſtand/ der nicht ſo wol des Autoris und
der wort war/ als der ſchon in ihrem gemuͤth aus ihrer vorigen unterrichtung war.
Daß aber die recommendation eines buchs/ in dem einiges nicht eben gebilliget
zu werden verdienet/ einen chriſtlichen mann nicht ſtracks verdaͤchtig machen ſolle/
achte ich/ daß wir auch daraus abzunehmen haben/ weil ja keiner unſrer Theolo-
gen
die Apocryphiſche buͤcher aus der ſchrifft ausmuſtert/ ſondern vielmehr de-
roſelben leſung gelehrt und ungelehrten recommendiret/ da doch keines unter ſel-
bigen iſt/ ſo nicht ſeine irrthume haͤtte/ deren etzliche nicht ſo gar geringe ſind/ und
ſtarck gegen uns von den papiſten getrieben werden. Wolten wir aber um ſolcher
recommendation willen alle Theologos verdaͤchtig machen/ oder ihnen zuſchrei-
ben/ daß ſie jenen irrthumen/ aufs wenigſte heimlich/ favoriſirten? das ſeye ferne.
Vielmehr haben wir an ſolchem exempel wahr zunehmen/ daß keine recommen-
dation
einiges menſchlichen buchs ohne alle ausnahme gemeinet zu ſeyn/ verſtan-
den werden muͤſte. Der HErr gebe uns allen zwar auch vorſichtige augen/ uns
vor irrthumen/ die der ſeligkeit ſchaͤdlich ſeyn moͤchten/ zu huͤten/ aber dabey wie-
drum wahre liebe/ die nicht argwoͤhniſch in ihrer natur iſt. Daß im uͤbrigen alles
zu hauſe in vergnuͤglichen zuſtand/ ſonderlich die gemuͤther der vornehmſten in
dem geiſtlichen ſtand zu beforderung des guten und erbauung eifrig und mit einan-
der genau verbunden angetroffen worden/ war mir eine innigliche freude. Der
HErr des friedens laſſe dieſelbe beſtaͤndig ſeyn/ und alle die er dazu verordnet hat/
ihres und anderer orten mit redlichem ernſt und zuſammen geſetzter treue ſein und
ihr werck treiben/ damit es endlich ſo viel kraͤfftiger durchdringe. Von dem an-
geſtelleten Collegio hoffe ich ſo viel mehr frucht/ nach dem daſſelbe auch unter au-
torit
aͤt der obern angefangen worden/ und deſto weniger hinderniſſen dagegen zu
ſorgen ſind. Jedoch verſehe ich mich noch mehr frucht davon/ wenn es nicht bloß
vor ſtudioſos gehalten/ ſondern auch andere dazu gelaſſen wuͤrden/ deren jenes ich
aber mehr aus dem ſchreiben abnehme. Der jenige von dem alle gute und alle
vollkommene gaben herkommen/ der Vater des lichts/ laſſe es eine ſaat ſeyn einer
dermaleins aus ſeinem ſegen hoffende ſehr reichen ernde.


Das 7. Cap. an die Roͤmer anlangende/ iſts nicht ohn/ daß nicht nur leute auſ-
ſer unſrer kirchen/ daſſelbe anders als insgemein geſchiehet/ erklaͤhren/ ſondern mir
ſind ſelbſt chriſtliche und im uͤbrigen unſrer orthodoxie zugethane Theologi be-
kant/ die Pauli reden alſo annehmen/ daß er ſeinen zuſtand/ da er noch im fleiſch
E e e e e 2und
[772]Das ſechſte Capitel.
und nicht wiedergebohren geweſen ſeye/ darinnen beſchreibe. Jch bekenne aber/
ob wol derſelben argumenta einen ziemlichen ſchein haben/ daß ſie dennoch von
mir erwogen mich nicht dahin uͤberzeuget/ daß ich die gemeine erklaͤhrung fahren
muͤſte laſſen: Denn ob ich wol nicht in abrede bin/ daß Paulus einige ſehr harte
reden von ſich brauchet/ die in dem verſtand/ wie ſie an den andern orten in der
ſchrifft gebraucht werden/ einem wiedergebohrnen nicht beygeleget werden koͤn-
ten/ ſiehe ich dannoch/ daß hinwider auch andere prædicata da ſtehen/ die ich aber-
mal von einem unwidergebohrnen zu brauchen bedenckens mache: Wenn alſo
nothwendig dieſe oder jene prædicata mit einiger erklaͤhrung muͤſſen gleichſam ge-
mildert werden/ als die beyderſeits in ihrem rigor nicht neben einander ſtehen koͤn-
ten/ finde ichs billiger und der gantzen Apoſtoliſchen handlung gemaͤßer/ daß die
wort fleiſchlich/ unter die ſuͤnde verkaufft ſeyn/ und dergleichen nicht nach der
ſtrenge genommen werden/ als daß wir den andern worten/ die die wiedergeburt
voraus ſetzen/ gleichſam eine gewalt anlegen wolten. Weil ich auch weiß/ daß
etzliche liebhaber der gottſeligkeit die andre erklaͤhrung deswegen lieber erwehlen
wolten/ weil ſie gedachten/ die gemeine gebe der ſicherheit zu viel vorſchub/ wie nicht
ohne iſt/ daß ſich manche ſichere der wort des Apoſtels mißbrauchen/ ſo meine doch
nicht/ daß auch derſelben ſorge wichtig gnug ſeye/ die gemeine auslegung zuver-
werffen: Vielmehr bin ich verſichert/ wo dieſe recht gefaßt wird/ wie ich ſie ſelbſt
hin und wieder vorgeſtelt habe/ behalte die ſicherheit keine ausflucht/ noch moͤge
ſich der wort des Apoſtels zum deckmantel bedienen. Der HErr oͤffne uns aber
allen mehr und mehr die augen/ daß wir in die weißheit ſeines worts und geheim-
niſſen ſtets tieffer einſehen/ und ie laͤnger ie gewiſſer in dero erkaͤntniß werden. 13.
Sept. 1689.


SECTIO XXVIII.


An einenStudioſum Theologiæ.Art des wahren
Chriſtenthums wider den betrug des todten glaubens. Die
wahre goͤttliche
Theologie. Deromethodus.Aufmunterung darzu.


AM allerangenehmſten iſt mir geweſen aus ſolchen ſchreiben zu erſehen/
daß der treue GOtt und Vater des lichts denſelben die augen geoͤffnet/
die art des wahren Chriſtenthums und der rechten krafft-Theologie
anders einzuſehen/ als es gemeiniglich geſchiehet. Wie ich denn verſichere/ daß die
allermeiſte in eben denjenigen gedancken von dem wahren Chriſtenthum ſtehen/
wie deſſelben bekaͤntnuͤß lautet: und wolte GOtt/ ſie wuͤrden nicht von vielen
unſers ſtandes und amts alzuſehr in ſolcher meinung geſtaͤrcket/ ja die nothwen-
digkeit und moͤgligkeit eines rechtſchaffenen thaͤtigen Chriſtenthums und nach
den geboten GOttes/ ob wohl nach dem maaß ietziger zeit ſchwachheit/ ſorg-
faͤltig eingerichteten lebens/ als eine halbe ketzerey verſchreyet/ und den leuten
(denen ohne das eine angenehmere poſt iſt/ welche ihrem fleiſch mehr freyheit zu
geſte-
[773]DISTINCTIO II. SECTIO XXVIII.
geſtehet) verdaͤchtig gemacht. Da doch die H. ſchrifft und aus derſelben unſre
Symboliſche Buͤcher gleich wie ſie unſre rechtfertigung der bloſſen gnade GOt-
tes durch den glauben/ und nicht die wercke/ ergriffen/ alleining zuſchreiben/ alſo
hingegen ſolchen ſeligmachenden glauben uns viel anders vorſtellen/ als daß wir
unter denſelben ſchoͤnen nahmen diejenige menſchliche einbildung von Chriſto pas-
ſiren laſſen doͤrfften/ welche ſich ſichere hute machen/ wenn ſie auff deſſen theu-
res verdienſt ſich bey allem ihrem nach dem fleiſch und bey deſſen herrſchafft fuͤh-
rendem leben verlaſſen wollen/ ſich aber damit erbaͤrmlich zu ihrem ewigen ſcha-
den betriegen. Dieſem betrug mit nachtruck mich zu widerſetzen/ bekenne ich/
daß meine angelegenſte materie iſt/ die ich muͤndlich und ſchrifftlich treibe/ auch
nicht weiß/ ob einige andere zu dieſer zeit bey ſo tieffem ſchlaff der ſicherheit je-
derman einzublaͤuen noͤtiger ſeye. Wie aber dieſe lehr ihrer ſo vielen ein dorn in
den augen (oder vielleicht gar in dem hertzen/ welches er ſchmertzet) ſeye/ habe vor
mehrern jahren gnug erfahren/ u. erfahre es noch taͤglich: wobey mich zwar dieſes
am allermeiſten betruͤbet/ weñ auch ſolche leute derſelbẽ zu wieder ſind/ die ſie ſelbs
vortragen u. vertheidigen ſolten. Jndeſſen doͤrffen wir um keines einigen menſchen
widerſpruchs willen/ das wenigſte von der goͤttlichen wahrheit aͤndern oder zu-
ruͤck laſſen/ noch weder die enge pfort weiter/ noch die ſchmale ſtraſſe breiter ma-
chen/ alß ſie der HErr gemacht hat/ oder wir wuͤrden das blut aller dadurch be-
trogener und in das verderben geſtuͤrtzter ſeelen auff uns laden. Je gemeiner denn
die thoͤrichte einbildung von der ſeligkeit/ dieſe durch einen todten oder wahn-glau-
ben zu erhalten/ iſt/ ſo viel hertzlicher freuet mich/ ſo offt von einer ſeele hoͤre/ die
aus dieſem ſchlaff auffwachet/ und die himmliſche wahrheit recht einſiehet/ ſo viel
mehr wo es von denen geſchiehet/ welche dermahleins auch andrer handleiter wer-
den ſollen. Alſo dancke ich billich mit und vor ihm dem geber alles guten/ wel-
cher denſelben kraͤfftig geruͤhret/ und wie ich mich verſichere/ dadurch einen ſol-
chen grund bey ihm geleget hat/ auff welchen das uͤbrige gantze ſtudium Theo-
logicum
ſo viel veſter wird gebauet werden koͤnnen. Denn wer nunmehr trach-
tet vor GOtt ſtaͤts in einem ſolchen lebendigen glauben erfunden zu werden/ aus
welchem er ſich und ſein gantzes leben demſelben taͤglich auffzuopffern ſich bemuͤ-
het/ der iſt recht eine werckſtaͤtt desjenigen geiſtes/ aus deſſen erleuchtung alle
wahre und goͤttliche Theologie kommet. Daher da andre/ welche weltlich ge-
ſinnet bleiben/ und mit der welt auch in dem leben mit machen/ durch einen menſch-
lichen fleiß zu einer buchſtaͤblichen erkaͤntnuͤß und gleichſam Philoſophie de re-
bus Theologicis
gelangen koͤnnen/ die aber einmahl viel zu ſchlecht iſt/ als daß
wir ihr den edlen nahmen der Theologie geben ſolten: ſo haben hingegen die
jenige/ ſo nunmehr rechtſchaffene thate Chriſten ſind/ und ſich von der welt unbe-
fleckt zubehalten bemuͤhen/ dieſen vortheil/ daß ihre ſtudia und fleiß/ welchen ſie
anwenden/ von dem H. Geiſt geheiliget werden/ zu einer rechten lebendigen und
kraͤfftigen Theologie/ die von jener unterſchieden iſt/ als das himmliſche licht von
E e e e e 3dem
[774]Das ſechſte Capitel.
dem irdiſchen. Und dieſe ſinds nachmahl/ von welchen ich/ wo ſie nach GOttes
rath dermahleins in aͤmter kommen/ die meiſte frucht hoffe wie denn ihr licht/ ſo
nicht nur ſcheinet/ ſondern feurig iſt/ in die hertzẽ alſo eintringt/ daß es ſie erwaͤrmet
und mit vieler krafft erfuͤllet. Dergleichen verſehe ich mich nun auch von ihm/ aus
demjenigen kraͤfftigen anfang/ welchen aus deſſelben lieben ſchreiben mit freuden
abgenom̃en habe. Dahero ich treumeinend erinnere/ nicht allein/ von ſolchen richti-
gen weg ſich niemahl und durch nichts widrum abwendig machen zulaſſen/ viel-
mehr nicht weniger in ſtetem gebet und wandel vor dem Herrn als den ſtudiis
ſelbſt/ ſo zwar von jenen viele krafft empfangen werden/ zu uͤben/ ſondern auch
andre gute freunde unter den Commilitonibus auffzumuntern/ daß ſie auch die-
ſen weg erwehlen/ und ſonderlich auff der univerſitaͤt/ da die Cathedra unſers
S. Lutheri iſt/ nach der jenigen Theologie zu trachten/ die nicht durch bloſſes leſen
und hoͤren erlangt werden kan/ ſondern zu dero methodo die von ihm recommen-
dir
te ſtuͤcke meditatio, oratio, tentatio gehoͤren: mit gewiſſer verſicherung/ ob
ſie von andern weltgeſinneten Studenten einige verachtung und ungelegenheit
ausſtehen muͤſſen (ſo mit ein ſtuͤck jener tentation iſt/ und ihnen mehr nutzen kan
als ſchaden wird) daß ſie doch dadurch einen ſchatz bekommen/ den die welt ihnen
nicht bezahlen kan/ und aus dem ſie recht tuͤchtig werden/ dermahleins ſich ſelbs
und die ſie hoͤren ſelig zumachen. Ach daß die zahl ſolcher perſonen groß werde!
welches mir gewißlich eine der groͤſten freuden/ ſo mir in der welt begegnen koͤn-
te/ ſeyn/ und ſo offt ich von einigen dergleichen hoͤre/ eine neue freudige danckſa-
gung zu GOtt bey mir erwecken wuͤrde. Den himmliſchen Vater ruffe ich in-
niglich an/ daß das gute werck in ſeiner ſelen angefangen ferner befeſtigen und
fortſetzen/ ſeine ſeele mit ſeinem licht und krafft von oben erfuͤllen/ und die Studia
durch ſeinen geiſt dermaſſen heiligen wolle/ daß er ob wol durch menſchen ie dan-
noch wahrhafftig von Gott gelehret ein kraͤfftiges werckzeug der goͤttlichen gna-
de zu vieler menſchen ſeligkeit werden moͤge. Dabey verſichere/ daß wie mir deſ-
ſen geiſtlicher wachsthum allezeit erfreulich/ alſo auch iede gelegenheit liebe zu er-
zeigen angenehm ſeyn werde. Jm uͤbrigen hat mich auch der beyden NN. biß-
heriger fleiß nicht wenig contentiret/ und erfreuet/ daß noch vieles gutes von ih-
nen hoffe. Ach daß doch mehr und mehr das von mehrern eine gute zeit lang
verſaͤumete mit deſto hertzlichen eiffer eingebracht/ und durch die jenige/ ſo nun
rechtſchaffen geſinnet/ ja von allen die der HErr in aͤmter geſetzet hat/ oder die
denſelben nahe ſind/ die ſtudirent jugend zu einer ſolchem liebe der H. ſchrifft/
daß ſie dieſelbe allen uͤbrigen Studiis vorziehen/ und jegliches ſo viel mehr oder
weniger zu derſelben erkaͤntnuͤß thut/ ſo viel hoͤher oder geringer achten/ und zu
der rechtſchaffenen Gottſeligkeit/ daran es zwar/ wenn das wort GOttes in die
hertzen recht zukommen anfaͤnget/ nie mangeln kan/ mit ernſt angewieſen werden:
ſo werden wir erkennen/ daß der HErr ſeine kirche noch liebe/ und dero bruͤche hei-
len wolle. 20. Jan. 1690.


SECT.
[775]DISTINCTIO III. SECTIO XXIX.

SECTIO XXIX.


Gratulationzu einem fuͤrſtlichen Hofprediger amt.
Einige erinnerungen darzu.


JCh ruffe zum foͤrderſten den himmliſchen Vater demuͤthigſt an/ daß derſelbe nicht allein ſeine
liebe perſon mit den ſeinigen unter dem ſchutz ſeiner H. Engel ſicher und wohl an den ort/ wo-
hin er ſie beſtimmet/ bringen/ und daſelbſt nach ſeinem H. rath viele zeit und jahr bey guter geſund-
heit und geſegnetem wolſtand erhalten/ hingegen alles/ was ſolchem zuwider iſt/ maͤchtig von ih-
nen abwenden/ ſondern vornehmlich die krafft ſeines H. Geiſtes zu der neuen wichtigen ſtelle auch
erneuern und verdoppeln wolle. Er wolle alſo in ſeiner wehrten ſeele ſein licht immer heller laſ-
ſen aufgehen/ zu erkaͤntniß ſeines goͤttlichen willens an ihm/ und die ihm anvertraute gemeinde/
nicht nur zuverſtehen/ was/ ſondern auch wie alles zu derſelben ſeliger erbauung das beſte ſeye. Er
erhalte ihm ſtets den redlichen willen in ſeiner anbeſohlenen haushaltung treu erfunden zu wer-
den/ und nichts nach eigenen gutduͤncken/ ſondern wahrhafftig nach goͤttlicher regel zu thun. Er
reinige ſeine ſeele von allem eigengeſuch/ menſchlicher forcht und hoffnung/ und was in dem lauff
der treue ihn aufhalten moͤchte: Er ſtaͤrcke ſeinen muth mit kraͤfftigen vertrauen auf die allmacht
ſeines beruffers weder in der arbeit ſelbſt muͤde zu werden/ noch durch allerley hinderniſſen ſich muͤ-
de machen zu laſſen: Er gebe in ihm den Geiſt der gnaden und des gebets in ſolcher maaß/ taͤglich
mit gebet/ was ihm nothwendig ſeyn wird/ von ihm zu erlangen/ er lege ſein wort allezeit in ſeinem
mund/ wie ſolches zu iederzeit am erbaulichſten ſeyn wird/ und laſſe es kraͤfftiglich in die ſeele ein-
tringen/ und alles das ausrichten/ was von ihm Hebr. 4/ 12. 13. geruͤhmet wird. Er bereite alſo die
hertzen durch ſeinen dienſt und ſelbſt durch ſeinen Geiſt/ daß der von ihm darein ausſtrenende ſaa-
me zu einer ſchoͤnen ſaat bald aufgehe/ und zu ſeiner zeit eine reiſſe und reiche ernde bringe/ ſonder-
lich erfuͤlle er ſie mit hertzlicher liebe und vertrauen zu ihm/ ſo dann mit wahrer ehrerbietung des
tragenden H. amts/ und des Gottes von dem ers traͤget. Er neige zu ihm ſonderlich das hertz
ſeines gnaͤdigſten Fuͤrſtens/ nicht allein das wort des HErrn aus ſeinem munde auch zu eigner er-
bauung mit ſanfftmuth anzunehmen/ ſondern auch nach an hand gebendem rath in allen ſtuͤ-
cken/ wo es noͤthig ſeyn mag/ ſeine gewalt zur befoͤrderung des reichs Chriſti willig anzuwenden/ ſo
dann das hertz der uͤbrigen hohen herrſchafft zum fruchtbaren gebrauch deſſen lieben amts. Er
verbinde mit ihm das hertz anderer mit arbeiter/ daß ſie in einigkeit des Geiſtes und gleichgeſinnet
mit zuſammen geſetzten fleiß das werck des HErrn ſo viel nachdruͤcklicher treiben/ und er von nie-
mand ſolches ſtandes hinderniß erfahren muͤſſe. Er gebe ihm dabey gedult/ weil man ja nicht
dencken darff/ daß der teuffel uns irgend/ wo wir ſeinem reich abbruch zu thun bemuͤhet ſeyn/ und
es ihm nicht ſchencken/ in ruhe und in dem amt unangefochten laſſen werde/ wenn auch derſelbe in
ſolchem ſeinem amt widerwaͤrtigkeit/ was art ſie waͤre/ ausſtehen wird muͤſſen/ daß es niemal an
goͤttlichen troſt/ freudigem muth/ treuem rath/ kraͤfftiger hilffe/ und gluͤcklichem ausgang mangeln
moͤge. Er gebe endlich zu allen pflantzen und begieſſen das jenige gedeyen/ daß er nicht noth habe
nur immer in bloſſen glauben zu arbeiten/ ſondern die freude genieſſe/ die frucht ſelbſt zu ſehen/ da-
mit der Hoͤchſte ſeinen fleiß eroͤhne: in ſumma/ daß er ſich ſelbſt und alle die ihn hoͤren ſelig mache.
Amen. Nechſt dieſem bedarff es nicht/ daß denſelben erſt von den jenigen/ was in fuͤhrung des
amts noͤthig iſt/ unterrichte/ dem der himmliſche Vater lichts und erkaͤntniß gnug gegeben hat.
Nach dem aber doch einiger chriſtlicher rath aus bruͤderlichem vertrauen verlanget worden/ ſo
moͤchte derſelbe darinnen beſtehen: Des Geſetzes nicht zu vergeſſen/ aber gleichwol die vornehmſte
hoffnung auf die krafft des Evangelii/ ſo allein ſelig machen kan/ zu ſetzen: wie die warmſcheinende
Sonne zu weilen den wandersmann ſeinen mantel ſelbſt von ſich abzulegen mit ihren lieblichen
ſtrahlen beweget/ der wo der gewaltſame wind ſolchen ihm entreiſſen will/ ſich nur deſto ſtaͤrcker
darein huͤllet. Bewegliche vorſtellung der guͤter des Evangelii und der goͤttlichen Gnade/ ſonder-
lich wie es die kinder Gottes auch bereits hier in dieſem leben in ihren ſeelen gegen andere/ welche
die tyranney der ſuͤnde bey ſich leiden muͤſſen/ ſo gut haben/ dringet mauchmal am tieffſten durch:
So
[776]Das ſechſte Capitel.
So wird das Geſetz am nachdruͤcklichſten getrieben/ nicht ſo wol directe mit hefftigem ſtraffen und
ſchelten/ als wo man den troſt des Evangelii nachtruͤcklich gezeiget hat/ darauf aber weiſet/ wie
ſich deſſelben alle die jenige/ ſo der ſuͤnde die herrſchafft bey ſich laſſen/ durchaus nichts anzunehmen
haben/ ſondern ſich aller gnade verluſtigt machen: wo dieſes geſchiehet/ wird die ſeele alſo kraͤfftig
geruͤhret durch eine unwiderſprechliche uͤberzeugung/ daß hingegen die affecten nicht zu einer bit-
terkeit oder zorn gereitzet werden/ in welcher des gemuͤthes bewantniß nichts ausgerichtet zu wer-
den pfleget. Es wird aber der HErr auch hierinnen weißheit verleihen. 22. Jan. 1690.


SECTIO XXX.


Antwort auf ein empfangenes troſtſchreiben an mich.


JCh habe einige meine freude gegen diejenige/ welche mich ſelbſt zur freude ſo hertzlich aufmun-
tert zu bezeugen. Wie ich mich dann in der wahrheit erfreuet habe uͤber den chriſtlichen und
aus treuer ſeele her gefloſſenen troſt/ auch deswegen dem GOtt alles troſtes/ welcher mir durch
ihre wehrte feder ſolchen zuſprechen wollen/ ſo dann ihro als deſſen werckzeuge/ ſchuldigen danck
ſage. Es iſt freylich an dem/ wo uns der HErr um ſeines nahmens und wahrheit willen einiges
leiden wiederfahren laͤſſet/ daß der darzu vom himmliſchen Vater uns in ſeinem wort ertheilende
troſt ſo uͤberſchwencklich iſt/ daß er das leiden weit uͤbertri[fft]/ und eben daher auch kommet/ daß
wir um deswillen der uns geliebet hat/ alles weit/ weit uͤberwinden: daher es billich iſt/ daß wir
uns vielmehr/ wo uns der liebſte vater ſolcher hoffarbe ſeines lieben Sohnes wuͤrdiget/ daruͤber
erfreuen/ als betruͤbt ſeyen. Wo man aber von mir reden will/ ſo hat es bey mir noch wenig platz/
weil das jenige/ was mich der HErr bißher erfahren laſſen/ noch gar gering geweſen/ in dem es
allezeit allein in verachtung/ uͤbler nachrede/ laͤſterung/ haß/ drohen und unwillen beſtanden iſt/
welches aber lauter kinderproben und die unterſte gnade der leiden ſind/ hingegen hat es GOTT
bißher noch niemal an thaͤtliches und wuͤrckliches leiden/ welches vor mir andere treue diener
Gottes haben erfahren muͤſſen/ gelangen laſſen: vielleicht daß er mich biß daher zu dergleichen zu
ſchwach befunden/ und daher noch mit den ſchwehrern proben verſchonet hat. Solte es aber/ wie
es aus einigem das anſehen gewinnet/ auch noch an dieſe kommen/ ſo trage ich das kindliche ver-
trauen zu dem getreueſten vater/ daß er mir auch die krafft und vermoͤgen aus der hoͤhe alsdenn
in dem jenigen maaß ertheilen werde/ welche gemaͤß ſeye dem maaß des mir alsdenn beſtimmten
leidens. Und vielleicht wil er mich durch den jenigen troſt/ welchen mir ietzund chriſtliche hertzen
zuſprechen/ und deſſen ſonſten mein ietziges leiden nicht eben wehrt iſt/ zu den ienigen haͤrtern an-
ſtoͤſſen/ welche mir vorſtehen moͤgen/ bereiten: Daher ich auch ſolches vor eine wohlthat zu erken-
nen habe: Jch ſchreibe auch hierinnen ſeiner weiſen regierung nichts vor/ entweder um ſchwehrere
leiden zu bitten/ damit ich ihn verſuchen moͤchte/ noch dieſelbe zu ſoͤrchten und davor zu fliehen/ ſon-
dern uͤberlaſſe billich alles ſeiner guͤtigſten verfuͤgung/ ſo alles dermaſſen ſchicken wird/ wie es mir
und andern ſelig ſeyn mag. Weil aber um der gottſeligkeit willen nicht allein die jenige/ welche die-
ſelbe lehren muͤſſen/ ſondern die auch ſich derſelben befleiſſen/ ihre leiden zu erwarten haben/ und ſich
darauf gefaſt machen muͤſſen/ ſo laſſet uns allerſeits ſo viel ernſtlicher unter und vor einander vor
dem HErrn zu ſeuftzen fortfahren/ der an uns allen ſeinen gnaͤdigen willen vollbringen/ im̃er deſſen
lebendige erkaͤntuiß in unſre ſeelen geben/ und uns iedesmal mit dem zu ſolchen proben noͤthigen
maaß des glaubens und troſtes von oben herab ausruͤſten wolle: als verſichert/ er koͤnne ſich nicht
verlaͤugnen/ ſondern werde unfehlbar ſeine verheiſſung an uns erfuͤllen. Wie ich nun weiß/ und auch
ſolches vor eine theure wohlthat des liebſten Vaters achte/ daß derſelbe viele ſeelen ſeiner kinder
zu mir geneiget/ daß ſie in reiner liebe vor mich hertzlich beten unter denen E. Gn. zu ſeyn erkenne/
alſo verſichere/ daß auch meines orts mit gleicher liebe denſelben zubegegnen/ und vor ſie vor dem
gnadenthron zuerſcheinen unvergeſſen bin/ daß aber ſolches mit ſo viel mehr krafft geſchehe/ ihn
umb ſeinen H. Geiſt der gnaden und des gebets anruffe Nun der HErr/ der ie mehr und mehr ſeine
gnade kraͤfftig auf ſeine kinder auszugieſſen beginnet/ und vieles hin und wieder rege macht/ hinge-
gen eben dadurch hoffnung giebet/ er wolle ſich ſeines verſtoͤhrten Zions wiederum nachtruͤcklicher
annehmen/ wird ie mehr und mehr alle derſelben hertzen in einigkeit des Geiſtes und mit heiliger
lie-
[777]DISTINCTIO II. SECTIO XXXI.
liebe alſo unter einander verbinden (damit unſre danckſagung und gebete deſto ernſtlicher zuſam-
men geſetzt kraͤfftiger bey ihn eindringen/ und endlich alles uns verſprochene in zeit und ewigkeit
erhalten. 9. May. 1690.


SECTIO XXXI.


Auf gnaͤdigſten chuꝛfuͤꝛſtlichen befehl aus denacten
abgefaßtes bedencken/ worinnen der ſo genanntePietismus
beſtehen ſolle/ und wie dem werck und entſtandener unordnung
am beſten zu rathen und abzuhelffen.


Goͤttliche gnade/ friede und heil in CHriſto JEſu zu allem hohen
wohlweſen und geſegneter Regierung!

Durchlaͤuchtigſter Fuͤrſt/
Gnaͤdigſter Churfuͤrſt und Herr.

WAs E. Churf. Durchl. nechſt hin an dero verordnetes Ober-Conſiſto-
rium
wegen der ſache des ſo genannten pietiſmi gnaͤdigſt reſcribiret/
und abſonderlich anbefohlen/ daß wir beyde geiſtliche raͤthe zu forderſt
unſre rathſame gedancken abfaſſen/ deßwegen vorher das werck nach ſeiner wich-
tigkeit abſonderlich reiflich erwegen/ und darauff wie wir unſers orts daſſelbe an-
ſehen/ worinnen eigenlich der ſo genante pietiſmus beſtehen ſolle/ auch wie wir
vermeineten/ daß dem werck und der entſtandenen unordnung am fuͤglichſten und
kuͤrtzeſten zurathen und abzuhelffen/ jeder abſonderlich unſre gegruͤndete beden-
cken und gutachten in unterthaͤnigkeit erſtatten ſolten/ habe auch meines wenigen
orts nicht nur mit unterthaͤnigſtem gehorſam ſondern auch ſonderbahrer freude/
verſtanden/ weil ich dadurch gelegenheit/ davor ich GOtt und derſelben demuͤtig-
ſten danck ſchuldig bin/ bekaͤme/ vor E. Churfl. Durchl. mein anligen in ſo wich-
tiger ſache/ ſo mich bißher nicht wenig geaͤngſtet/ voͤllig auszuſchuͤtten/ und damit
mein gewiſſen vor dem angeſicht des groſſen GOttes/ deſſen ehre vielfaͤltig hie-
rinnen intreſſirt iſt/ zu kuͤnfftigen deſſen beruhigung zu erleichtern.


Zum allerfordriſten verſichere E. Churfl. Durchl. nochmahlen in aller unter-
thaͤnigſter treue/ daß wie ich zu der reinen unverfaͤlſchten Evangeliſchen in un-
ſern Symboliſchen buͤchern enthaltenen lehr nicht allein bey meinem eintritt in
den dienſte mich eydlich verbunden/ ſondern auch in vorigen meinen kirchendien-
ſten allezeit in gleicher verbindnuͤß geſtanden/ und von mir ſagen darff/ niemahl
nichts begangen zu haben/ was wieder die feſthaltung derſelben einen billichen
verdacht machen koͤnte/ ich alſo unverruͤckt in ſolcher bekaͤntnuͤß noch ſtehe/ auch
biß an mein ſeliges ende ſtehen zubleiben geſonnen bin/ daher wo etwas wieder
ſolche lehr vorgenommen wuͤrde/ an meinem ſchuldigen eyffer dagegen nichts
manglen laſſen wuͤrde: weßwegen auch wo jemand ein anders und ſtrengeres
Chriſtenthum und art ſelig zu werden/ als uns der liebſte Heyland und ſeine H.
Apoſtel ſelbs laͤngſt in der H. ſchrifft vorgeſchrieben haben/ vorgeben und darauf
F f f f ftreiben
[778]Das ſechſte Capitel.
treiben wolte/ wuͤrde ich ſelbs daran einen eckel und abſcheuen haben/ als ver-
ſichert/ daß GOtt kein ſelbs erwehlter dienſt gefallen koͤnte: ferner wie ich ruhe/
einigkeit und ordnung in der kirche liebe/ ſo verlange auch meines orts nimmer-
mehr etwas/ ſo dieſelbe eigentlich und vor ſich ſtoͤhren moͤchte/ ſondern vielmehr
daß auf alle chriſtliche weiſe der friede in der kirchen in beybehaltung der wahrheit
und der liebe unverbr[uͤ]chlich erhalten werde.


Wann aber E. Churfl. Durchl. vornemlich zweyerley gnaͤdigſt von uns er-
fordern/ daß wir einstheils wie wir das gantze werck unſers orts anſehen/ und
worinnen der ſo genannte pietiſmus beſtehen ſolle/ andern theils wie dem werck
und entſtandnen unordnung am fuͤglichſten und kuͤrtzeſten zu rathen und ab-
zuhelffen ſeye/ unſre gegruͤndete bedencken und gutachten/ iedweder abſonderlich
in unterthaͤnigkeit erſtatten ſolten/ ſo habe auch darinnen unterthaͤnigſt gehorſam
zu leiſten.


Was nun das erſte anlangt/ die ſache ins gemein/ und was der pietiſmus
ſolle ſeyn: So iſt nicht zu laͤugnen/ daß nunmehr faſt bey drey viertel jahren vie-
le unruhe ſolches wercks wegen ſich erhoben/ ſo noch nicht geſtillet iſt/ weil nicht
allein in Leipzig anfangs das geruͤchte einer neuen ſecte ſich hervorgethan/ und
auf allerley weiſe vermehret/ ſondern daſſelbe in das gantze land/ ja faſt in gantz
teutſchland/ ausgebrochen iſt: Es hat aber dieſe ſach etwas beſonders vor an-
dern exempeln/ dann wo man ſonſten von einer ſecte gehoͤret hat/ oder etwas er-
ſchollen iſt/ konte man mit grund ſo bald ſagen/ was ſolche ſecte ſeye/ und worin-
nen ihre lehre/ oder was ſie ſonderbares vor andern haͤtte/ beſtuͤnde; den pietis-
mum
aber anlangend/ habe weder ich bißher warnehmen/ noch mir von andern
gezeiget werden koͤnnen/ worinnen deñ derſebe als eine ſecte beſtuͤnde. So gar
daß in allen bißherigen unterthaͤnigſten berichten/ ſo eingeſchickt worden/ ſich noch
niemand unterfangen wollen/ denſelben eigentlich und mit beſtand zu definiren.
Daher es alles dabey annoch geblieben iſt/ daß man gewiſſe leute hat zeigen koͤn-
nen/ welchen man den nahmen der pietiſten beygeleget/ was aber das jenige ſeye/
warum ſie mit einem ſonderbahren nahmen bezeichnet werden ſolten oder doͤrff-
ten/ kan ich mit allem fleiß und forſchen nicht befinden/ ſorge auch andere moͤgen
mit grund ebenfals dergleichen nichts zu zeigen. Wie ich auch nicht gedencken
will/ daß Act. Vol. ☾ f. 55. b. vor eine eigentliche definition wird ſollen gehalten
werden/ wann es heiſt/ daß der nahme der Pietiſten nichts anders heiſſe/
als leute/ welche ſich fuͤr andern mit beten/ mit ſeuffzen/ mit kopf haͤn-
gen/ mit faſten/ in gleichen in kleidung und andern dingen/ heilig/ ge-
recht und gottſelig anſtellen/ und komt doch ſo gezwungen heraus: wel-
che andere zur
pietetwollen anfuͤhren/ und haben doch das geſchicke
nicht dazu: welche mit hindanſetzung aller noͤtigen
ſtudiorumallein vom
ſtudio pieratisreden. Auffs wenigſte/ ob alles dergleichen von ſolchen leu-
ten wahr waͤre/ ſo ſich in der unterſuchung anders befindet/ wuͤrde doch ſolches
alles noch keine ſondere ſecte machen.

Weßwe-
[779]DISTINCTIO II. SECTIO XXXI.

Weßwegen ich gewiſſens halben noch biß daher nach verleſung und reiffer uͤ-
berlegung aller acten, nicht anders kan ſagen noch bezeugen/ als daß keine neue
ſecte/ ketzerey/ ſchisma/ oder auch nur orden und geſellſchafft (dergleichen doch
nicht eben alle bloß dahin verdammt werden koͤnten) ſich (wie gleichwohl das
geruͤcht ſich entſponnen hat/ und wolte GOtt daß es nicht ſo ſehr von vielen
fomentirt worden waͤre) in E. Churf. Durchl. landen/ und abſonderlich in Leip-
zig/ erhaben habe/ ſondern bin verſichert/ daß alles nach ſorgfaͤltiger unterſuchung
und unpartheyiſcher pruͤffung ſich ergeben werde/ wie das geſchrey davon als
von einer neuen ſecte nicht allein viel zu groß/ ſondern wahrhafftig in der that
ohne grund ſeye.


Was ich hie ſetze/ traue ich mit GOttes huͤlffe klahr vor augen zu legen/ und
zu erweiſen: Solten wir eine neue ſecte haben/ ſo muͤſte dieſelbe entweder eine
eigenliche ketzerey ſeyn (welche erforderte/ daß neue und falſche glaubens articul/
folglich irrthum in der lehre/ ſich bey denjenigen/ welche unter dem nahmen der
Pietiſten zuſammen hielten/ entſtanden und geheget worden ſeyn muͤſten) oder
ein abſonderlich ſo genañtes ſchiſma/ da ſich ein hauffe perſonen/ und zwar in
der lehr mit andern ihrer kirchen einig blieben/ ſich aber von dem uͤbrigen hauf-
fen um dero beklagte aͤrgernuͤß willen abgetrennet/ und einen ſonderbahren Got-
tesdienſt angeſtellet haͤtten: wie vor deme von dem bekanten Johann von Laba-
die eine trennung angeſtellet worden/ ſo noch ietzo waͤhret/ da deſſen geſellſchafft/
ob ſie ſich wohl in allen glaubens puncten zu der Reformirten kirchen bekennet/ dan-
noch ſich von derſelben gemeinden gemeinſchafft wegen der aͤrgernuͤſſen in die-
ſem/ und daß die leute ohne rechte pruͤffung zu dem H. Abendmahl gelaſſen wuͤr-
den/ abgeſondert haͤlt/ und ihren ſonderbaren Gottesdienſt deswegen angeord-
net hat. Wie nun dieſes letztere von dieſen leuten nicht geſagt werden kan/ als
die ſich/ als viel mir wiſſend iſt/ alle bis daher zu der gemeinen ordenlichen und
offentlichen verſamlung in der predigt und bey dem H. Sacrament gehalten/
hingegen keinen ſonderbaren altar gegen den altar (wie man zu reden pfleget)
auffgerichtet haben: ſo gar daß ich von niemand gehoͤret/ der ſich noch bißher einen
ſcrupul der offentlichen communion wegen gemacht haͤtte/ da gleichwohl an
einigen andern orten unſrer kirchen ſolche leute gefunden werden/ die ſich we-
gen der unordnung bey der communion und vermuthlicher zulaſſung vieler un-
wuͤrdigen derſelben allerdings entziehen/ vor welchem ſcrupul dieſe gute leute ver-
wahret zuhaben/ ich die goͤttliche guͤte demuͤthigſt preiſe/ und vorſichtigkeit noͤ-
tig achte/ ihnen nicht auff einige weiſe erſt zu denſelben gelegenheit zu geben. Alſo
kan das erſte nemlich/ daß es eine ketzerey ſeye/ oder ſich daraus anzuſpinnen
anfange/ mit eben ſo wenigem grund geſaget werden. Jedennoch nicht ein
einiger punct der lehr oder ſolcher irrthum/ welcher wieder einen glaubens arti-
ckul (dann ſolches gehoͤrte zu einer ketzerey) ſtritte/ bey den leuten/ ſo man Pie-
tiſt
en genennet/ gefunden worden: maſſen die acta von vorigem ſommer nach
F f f f f 2genau-
[780]Das ſechſte Capitel.
genauer inqviſition nichts gebracht haben. Zwar ſind von dem miniſterio zu
Leipzig Act. Vol. ☽. p. 85. 86. einige irrige puncten/ ſo in den collegiis ſolten do-
cir
et worden ſeyn/ eingeſandt worden/ von welchen ich bekenne/ wo erweißlich waͤ-
re/ daß dieſelbe von den ienigen/ ſo die collegia gehalten/ alſo vorgetragen/ o-
der unter die leut gebracht worden waͤren/ daß ſolches ein ſtarcker und gefaͤhr-
licher anfang neuer lehr und alſo ſecte waͤre. Es iſt aber ſolches nicht erwieſen/
und mir ſo viel weniger glaublich/ in dem mir die vornehmſte perſonen/ ſo die col-
legia
gehalten/ M.Francke und M.Schade ſelbs vor ihre perſon/ und was ſie
von ſolchen glaubens puncten/ nemlich mit uns einerley/ halten/ gnugſam be-
kant/ daß ich gegen ſie ohne gnugſamen erweiß dergleichen noch nicht annehmen
kan: hingegen mir/ wie es mit ſolchen beſchuldigungen pflege herzugehen/ aus lang-
wihriger erfahrung wohlwiſſend iſt/ wie entweder von uͤbelgeſinnten und boß-
hafften leuten vorſetzlich manchmal chriſtlichen leuten dergleichen dinge auf-
gedichtet zu werden pflegen/ daran ſie nie gedacht haben/ oder von unverſtaͤndi-
gen wort/ die ſie nicht begreiffen/ aufgefaſſet/ in andern verſtand gezogen/ und
alſo nachmal verkehrt ausgebreitet werden koͤnnen: wie ich auch noch in den ge-
dancken ſtehe/ was dem miniſterio in Leipzig in ſolchen puncten angebracht
worden/ ſeye keiner andern art/ hoffe auch in genauer inqviſition werde ſich der-
gleichen bereits ergeben haben oder noch ergeben.


Weil aber ſonderlich ſo wohl ſonſten vielfaͤltig durch das geruͤcht ausgebrei-
tet worden iſt/ als man auch aus den acten erſiehet/ daß dieſe leute in verdacht
gezogen worden ſind/ ob lehreten ſie von der haltung des goͤttlichen geſetzes oder
der gebote GOttes nicht nach unſrer Evangeliſchen wahrheit/ ſo iſt gleichwohl
von M. Francken/ nach deſſen lehr man doch der andern lehr vermuthlich auch æ-
ſtimir
en wird/ aus den acten erweißlich/ daß nichts heterodoxes in dieſem punct
gegen ihn erfunden worden. Wie dann die zeugen Vol. Act. ☉ f. 41. u. f. ihn
theils voͤllig abſolviren/ theils nichts gnugſam gegen ihn deponiren/ alſo unter
denen mit ihm in verdacht gezogenen antworten ſeinet wegen M. Schade/ fol. 57.
daß man das geſetz perfecte nicht erfuͤllen koͤnte/ M. Lange fol. 58. ein regenitus
ſeye nicht ohne ſuͤnde/ M. Thieme/ f. 59. daß ein regenitus das wort GOttes
nach dem rigore legis vollkomlich nicht halten koͤnne/ aliqvo modo kan ers hal-
ten. Endlich fol. 69. antwortet er auf die frage: ob einregenitusGOttes
geſetz vollkommlich halten/ und ohne ſuͤnde leben koͤnne/
mit einem run-
den Nein. Ob ich dann wohl/ daß er nachmal fol. 106. in ſolchem punct ſeinen præ-
ceptoribus
einiges vorhaͤlt/ nicht billiche/ ſo finde doch auch nicht Vol. ☽. f. 57. daß
etwas auf ihn gebracht wuͤrde/ was gegen unſre geſunde lehr in dieſem punct ſtreit-
te: indem es nicht weniger ein ſtuͤck unſrer Religion iſt/ daß ein wiedergebohr-
ner in der krafft GOttes/ ob zwar nicht nach der ſtrenge des geſetzes und alſo voll-
kommen/ dannoch etlicher maſſen/ und wie der himmliſche Vater mit ſeiner kin-
der unvollkommenen aber gleichwohl redlichem gehorſam gedult tragen will/ die
gebote
[781]DISTINCTIO II. SECTIO XXXI.
gebote GOttes halten koͤnne/ als wie jenen theſin/ daß die vollkommene haltung
und erſuͤllung des geſetzes in dieſem leben noch unmuͤglich ſeye/ mit gutem grund
gegen die Papiſten behalten muͤſſen. Jenes iſt offenbar/ weil der H. Geiſt ſelbs
von den glaͤubigen das halten der goͤttlichen gebote aſſeriret, und unſre Symbo-
liſche buͤcher/ ſonderlich die Apologie D. A. C. gantz deutlich und offters die re-
dens art/ von haltung goͤttlicher gebote gebrauchet/ ja ſo gar auch das wort
erfuͤllen (von dem ich ſonſten lieber mich enthalte) zu brauchen nicht bedenckens
hat. Daher wer mit den libris ſymbolicis nechſt der ſchrifft redet/ deswegen kei-
ner verdaͤchtigen lehr beſchuldiget werden kan/ wie ich auch meine lehr in dieſem
punct gegen einige/ ſo im finſtern dagegen zumurren geſchienen/ einige mahl
gruͤndlich und mit gnugſamen zeugnuͤſſen unſer beſten Theologen alſo befeſtigt
habe/ daß ich verſichert bin/ daß kein rechtſchaffner Theologus den geringſten
mangel daran finden kan.


Wo nun dieſes wegfaͤllet/ ſo faͤllet aller auch nur ſcheinbarer verdacht irriger
lehr und alſo einer ſecte hinweg: ja wo man etwa nur an eine ſonderbare geſell-
ſchafft oder gleichſam orden (etwa aus nachahmung der Paͤpſtiſchen orden) ge-
dencken/ und dergleichen von dieſen leuten vermuhten wolte/ muͤſten aufs wenigſte
einige gewiſſe leges oder anordnungen gezeiget werden/ womit ſie ſich unter ein-
ander verbunden und etlicher maſſen von andern abgeſondert haͤtten: ob nun wol
allerley/ ſo gar etliche laͤcherliche und abſurde dinge/ ſonderlich erſtlich von beſon-
derer kleidung/ und dergleichen/ die ſie unter ſich eingefuͤhret/ ausgeſprenget woꝛ-
den/ ſo hat ſich gleichwol nicht das geringſte von ſolchen erweißlich gemacht/ und
verſichere ich mich/ aus allem was ich von den leuten und dero ſo reden als umgang
habe/ finden kan/ haben ſie ſo wenig in dem leben andere regeln als in der lehr an-
dere dogmata ihnen ſelbſt geſetzet/ ſondern was auch jene anlangt/ achten ſie ſich
allein verbunden an die gebot und regeln/ an welche unſer Heyland alle ſeine Chri-
ſten ſelbſt verbunden hat/ und welche kein menſch aufzuloͤſen ſich die macht nehmen
darff/ verlangen deswegen auch nichts anders/ als wie ſie ſich nach vermoͤgen gern
derſelben befleiſſen wollen/ daß alle die Chriſten heiſſen/ ihren gꝛoͤßten fleiß ſeyn lieſ-
ſen/ dieſelbe recht wie ſie vorgeſchrieben ſind/ und nicht wie die welt ihr ſo vielerley
diſpenſation ſelbſt darinnen machen will/ zu practiciren. Alſo ſind ſie auch in
dieſem ſtuͤcke keinerley welſe/ als ein aus eigner wahl von andern abgeſondertes
corpus oder geſellſchafft anzuſehen.


Wenn auch die Theologiſche Facultaͤt von Leipzig Act. Vol. ☾ f. 58. die XXX.
Converſations
und lebens regeln von M. Francken ausgegeben/ anſehen als ein
ſpecimen Symboli Pietiſtici, wie ſie auch deswegen dieſelbe nicht zu drucken ge-
ſtatten wollen/ und ſich druͤber beſchwehren Act. Vol. ☉ f. 82. So wuͤrde auch
ſolches ein zeugnuͤß ſeyn/ daß die Pietiſten keine andere lehr von dem gottſeligen le-
ben fuͤhren/ als bißher von allen gottſeligen Theologis unſrer religion gefuͤhret
worden iſt/ und alſo keine ſecte machen: Jndem ja iegliche religion in ihre ſym-
F f f f f 3bola
[782]Das ſechſte Capitel.
bola ihre hauptlehren/ vornehmlich da ſie ſich von andern unterſcheidet/ zu ſetzen
pfleget.


Dieſes einige moͤchte einen ziemlichen ſcrupul erregen/ wann es gleichwol heiſ-
ſet/ daß ſie einen beſondern nahmen truͤgen/ und alſo deswegen auch vor eine be-
ſondere ſecte zu halten waͤre. Nun iſts nicht ohn/ wo ſie ſich einen ſolchen ſon-
derbaren nahmen gegeben haͤtten/ und ſich damit ſelbſt von andern unterſcheiden
wolten/ wuͤrde ſie ſolches nicht wenig graviren. Aber wie der nahme der Pieti-
ſten
bereits vor mehrern jahren in Ober-teutſchland von ſpoͤttern iſt andern chriſt-
lichen leuten gegeben worden (daß ich auch ſelbſt eines chriſtlichen Theologi tra-
ct
aͤtlein/ ſo er damal zur vertherdigung gegen die laͤſterung wider ſolche leute/ ſo
damal alſo genennet wurden/ heraus geben wolte/ ich aber die edition nicht rath-
ſam gehalten/ in haͤnden habe) alſo iſt er weder vor dieſe leute als eine ſondere ſe-
ct
e neu erfunden/ noch viel weniger von ihnen ſelbſt genommen worden. Wie
dann ſo wol die univerſitaͤt als Theologiſche facultaͤt zu Leipzig bekennen/ Act.
Vol. ☉ f. 81. b. 100. a. ☾ f. 10. b.
daß von andern zum ſpott ſolcher nahme dieſen leu-
ten gegeben worden. So gar daß auch M. Fonne, ſo unter den zeugen in allen ſtuͤ-
cken ein erbittertes gemuͤth gegen die leute angezeiget/ dannoch auch den nahmen
nicht anders getraut herzu fuͤhren/ als daß ihnen derſelbe/ weil ſie pietatem colir-
t
en/ per calumniam beygeleget worden ſeye. Act. Vol. ☉ f. 25. Wo dann iemand
imprudenter ſich denſelben ſelbſt nachmal zugeeignet/ kan ſolches andere nicht
beſchwehren/ und mag allein zu dem ende geſchehen ſeyn/ daß man ſich endlich der-
gleichen nahmens/ wo man gottſelige perſonen damit zu ſchmaͤhen gedaͤchte/ weil
er an ſich ſelbſt gut waͤre/ zuſchaͤmen nicht urſach haͤtte. Wie nachmal die urſach
deſſen von der Theologiſchen Facultaͤt Vol. Act. ☾ f. 42. b. daher angefuͤhret
wird/ weil ſie in ihren neuen und ſonſt ungewoͤhnlichen conventen von nichts als
von der pietet redeten. Da ie die urſach der benennung von ihrer ſeit/ zu præſcin-
dir
en von der art der convente/ nichts in ſich faſt/ weſſen man ſich zu ſchaͤmen haͤt-
te. Zwar moͤchte man zu behauptung/ daß es gleich eine ſecte ſeyn moͤchte/ nach
Act. Vol. ☾ f. 34. einen unterſcheid machen/ inter errores formaliter \& aperte
propoſitos \& ſemina errorum tecte \& clanculum diſperſa,
da M. Franck jener
noch nicht ex actis uͤberfuͤhret ſeye/ dieſe aber nicht unbillich beſorget wuͤrden:
Aber er iſt gleichwol daſelbſt deſſen nicht uͤberwieſen/ indem derſelbe von der im-
pletione legis
nichts anders/ wie gerad vorher auch erinnert worden/ gelehret/ als
was expresſis terminis in den libris ſymbolicis ſtehet. So nun auf den jenigen/
welcher des pietismi urheber angeſehen wird/ keine irrige lehr mit beſtand ge-
bracht werden kan/ als welches aus den acten kuͤndig/ ſo wird auch ſo viel weni-
ger dergleichen von den uͤbrigen zu vermuthen ſeyn. Weilen aber andere unordnun-
gen daraus entſtanden zu ſeyn vorgegeben worden/ und ich nicht eben laͤugnen wil/
daß nicht einiges anders und ordentlicher geſchehen/ theils auch verhuͤtet werden
koͤnnen und ſollen/ ſo iſt auch alles ſolches aus dem grund zu unterſuchen/ indem
die
[783]DISTINCTIO II. SECTIO XXXI.
die unordnungen geſucht werden muͤſten (1.) in M. Francken collegiis, (2) in M.
Schaden und anderer magiſtrorum collegiis, und (3) in denen angegebenen an-
derer leute zuſammenkunfften. M.Francken nun (1.) betreffend/ deſſen gruͤndli-
che erudition, exemplariſches leben und redlicher eiffer vor Gottes ehre nicht nur
mir bekant/ ſondern auch von niemand mit grund beſtritten werden kan/ welcher
ſich auch rechenſchafft ſeiner lehr und thuns zu geben niemal beſchwehret/ ſondern
vielmehr ſelbſt gehoͤret zu werden unterſchiedlich verlanget/ und ſich auf die libros
ſymbolicos
bezogen hat/ ſo mag mit recht wegen ſeiner collegiorum, welche er
gehalten/ nichts gefaͤhrliches aus denſelben gezogen werden. Daß in denſelben
nichts wider unſre lehr und orthodoxiam vorgebracht worden/ iſt aus den zeug-
nuͤſſen ſo vieler abgehoͤrten perſonen/ und daruͤber eingeſchickten inqviſitions actis
Vol. ☉
bekant/ und ob wol M. Fonne, nach dem er in ſeinen depoſitionibus ſo viel-
mal auf offenbaren falſis ergriffen worden/ (als da nach ſeiner depoſition mein
famulus ſoll collegia gehalten haben Vol. Act. ☉ f. 28. 31. da ich gleichwol/ ehe ich
hieher gekommen/ niemal einigen famulum gehabt/ der einige aber/ welchen ich
hier angenommen/ ſeiter zwey jahr/ da ich ohn eins letzte mal in Leipzig war/ ſolche
ſtadt nicht geſehen/ und alſo keine collegia kan daſelbſt gehalten haben/ item da
M. Franck auf dem felde ſolle gepredigt haben ibid. f. 40. b. 53. b.) ſich noch hier in
dieſer ſtadt privatim alſo verlauten hat laſſen/ ob waͤre mit ſolcher inqviſition
und actis nicht recht verfahren worden/ hoffe ich nicht/ daß einem ſolchen menſchen/
der vorher ſeinen glauben billich verlohren/ und ſich ſehr verdaͤchtig machet/ einer
der vornehmſten urheber zu ſein der boͤßlich ausgeſprengeten vielen laͤſterungen/ ge-
gen die fidem publicam der jenigen inqviſition die unter dem directorio des re-
ctoris Theologi
(und da D. Carpzovius Theologus meiſtens dabey geſeſſen)
verrichtet/ und die acta verfertigt worden/ das geringſte gehoͤr zu geben ſeye/ ſon-
dern die univerſitaͤt urſach haͤtte/ ſolches gegen den verleumder/ ſo damit ſeine of-
fenbarte falſa beſchoͤhnen wollen/ zu anden. Was aber belangt das jus derglei-
chen collegia zu halten/ ſo iſt nicht nur aus den actis zu ſehen/ daß biß dahin ma-
giſtri
ohne hinderuiß gepflegt collegia philologica zu halten/ daruͤber ſie den
Decanum Theologiæ nicht begruͤſſen (daruͤber ſich zwar Facultas Theologica
Vol. Act. ☉ f. 81. b.
beſchwehret/ es aber als etwas ſchon eine weil eingeriſſenes be-
klagt) weswegen M. Francke ſich der ſo viel ihm bekant war nicht beſtrittenen
freyheit auch gebrauchet hat. Ob dann nun wol zwiſchen beyden/ der Theolo-
gica
und philoſophica, facultate uͤber ſolches jus ſtreit iſt/ den ich hier nicht de-
cidire,
iſts genug/ daß damal dergleichen mehrfaͤltig geſchehen/ und er alſo nicht
mala fide die permisſion der Facult. theologicæ zu ſuchen unterlaſſen/ vielmehr
aus ſeinem mir ſonſten bekandten gemuͤth/ da er dergleichen noͤthig zu ſeyn gewuſt/
oder von iemand er[i]nnert waͤre worden/ er die ehr ſeinen præceptoribus willig
wuͤrde gegeben haben: ſo zeiget auch die art ſeiner collegien, wie ſie ſelbſt von
der Facultaͤt Theologie angefuͤhret wird/ Act. Vol. ☉ f. 4. b. daß er das
jenige
[784]Das ſechſte Capitel.
jenige/ was propriisſime den Theologis zukommt/ nehmlich die eigentliche do-
gmata
zu tractiren/ aus- und aus reſpect gegen ſie denſelben uͤberlaſſen/ hingegen
nichts anders gehandelt/ als erſtlich philologica, ſo ohne zweiffel einem magiſtro
zukommt/ und nachmal was pietatem den auditoribus inculcirte/ da die Facul-
t
aͤt ausdruͤcklich Act. Vol. ☾ 39. b. ſolches von ſich abzuweiſen ſcheinet: daher daß
M. Franck falcem in alienam meſſem vorſetzlich immittirt, mit grund nicht ge-
ſagt werden kan. Ob dann wol aus dem damal uͤblichen M. Franck ſeine colle-
gia exegetica
nicht voran bey der Facult. Theolog. angemeldet/ ſo ſind ſie doch
ſo fern nachmal auf gewiſſe weiſe von derſelben zugegeben worden/ da ſie derſelben
bereits etliche monath kund geweſen/ und ſie ſich nichts moviret/ auch da der
Decanus ihn daruͤber beſchicket/ ſolcher ſelber mit ihm zu frieden geweſen/ und ihm
ſolche nicht inhibiret/ vielmehr ihm (ſo nicht vermuthlich/ daß gegen einen geſchehen
waͤre/ welchen man vor einen offenbaren violatorem der jurium der facultaͤt ge-
halten haͤtte) an ſeine ſtatt die lectiones caniculares publice zu halten von dem-
ſelben aufgetragen/ wie auch nachmahl das auditorium qvaſi publicum die
lampe/ wegen angewachſener freqvenz, von zweyen andern membris vergoͤnnet
worden iſt. Dann was die entſchuldigung Act. Vol. ☾ f. 49. anlangt/ ob waͤre
es ihm nie eigentlich vergoͤnnet worden/ waͤre nicht allein nicht vermuthlich/ daß
dergleichen proprio auſu einzunehmen einem magiſtro ſo lang wuͤrde nachgeſe-
hen worden ſeyn/ ſondern mir iſt ex ore Theologi, daß ſie ihm vergoͤnnet worden/
ſelbſt bekant. Wie auch Act. Vol. ☉ f. 4. ausdruͤcklich die Theologiſche Facul-
t
aͤt ſolches mit vorbewuſt des Rectoris Magnifici und præpoſiti geſchehen zu ſeyn
einraͤumet. Alſo iſt in haltung ſolcher collegien ie nichts unordentliches vorſetz-
lich vorgegangen: ſo hat er auch nach dem er der Theologiſchen Facultaͤt diſpli-
cenz
verſtanden/ ſelbſt ſeine collegia philologica unterlaſſen/ und da er auf anſu-
chen keine neue permiſſion erlangen koͤnnen/ nicht weiter angefangen.


Will man aber von unordnungen ſolcher zeit reden/ ſo wuͤꝛden ſie in nichts an-
ders beſtehen/ als in den vielen verleumdungen und laͤſterungen/ ſo damal entſtan-
den/ da aber eine gute ſache wol eine anlaß/ ob ſchon nicht eine urſach/ des boͤſen
werden kan/ ja wegen anderer menſchen boßheit jenes gemeiniglich wird/ aber dar-
um das gute nicht unterlaſſen werden darf. Wo man nun die eigentlichen urſachen
ſolcher unruhen unterſuchet/ ſo hat die anlaß gegeben der ſtarcke und ungewoͤhnliche
numerus der ſtudioſorum, ſo ſich in die collegia eingefunden/ und nach dem in
exegeticis
biß dahin von den ordinariis nicht ſo viel geſchehen war/ als derſelben
profectus erforderten/ dieſe bald aus der art zu tractiren erkant/ wie ſehr ihren
ſtudiis dadurch gerathen waͤre/ weswegen nicht leicht einer einmal eine lection
gehoͤret/ daß er dadurch nicht ſo bald bewogen waͤre worden/ ſie weiter zu freqven-
tir
en/ nach dem methodus und materien ſich ſelbſt recommendirten. Wie nun
Gott die arbeit darinne geſegnet hatte/ daß ſo viel ſtudioſi, wie nothwendig ihnen
vor allen andern das ſtudium publicum waͤre/ erkanten/ ſo kam noch dieſes dazu/
daß
[785]DISTINCTIO II. SECTIO XXXI.
daß ihrer viele aus dem jenigen/ was ſie hoͤrten/ was Gottes wort von uns erfor-
derte/ durch deſſen krafft uͤberzeuget wurden/ und in der that ihren ſinn und leben
ziemlich aͤnderten/ auch dergleichen von ſich bekanten. (Deren bekaͤntniſſen ich
ſelbſt unterſchiedliche gehoͤret/ und verſichert bin/ daß viele derſelben biß an ihr en-
de Gottes guͤte dancken werden/ die ſie von manchem/ darinnen ſie in der welt ge-
ſteckt waren/ durch ſolche gelegenheit abgezogen habe; Wie nun dieſes alles an
ſich ſelbſt gut war/ ſo mag ſich wol dabey/ wie allezeit in dergleichen dingen zu ge-
ſchehen pfleget/ begeben haben/ daß einige der auditorum theils allzu viel ruͤhmens
davon gemacht/ ſo zu anderer verkleinerung ausgedeutet werden moͤchte/ theils in
dem eiffer excediret (ſo bey dem anfang aller auch beſter dinge ſchwehr zu verhuͤ-
ten iſt) theils unbedachtſame ſachen gethan/ die ſie wol unterlaſſen ſollen/ als wañ
einiger ein collegium metaphyſicum, weil er befunden/ wie wenig ihm daſſelbe
ſtudium gegen dem ſtudio ſcripturæ zu rechnen genuͤtzet haͤtte/ verbrandt zu ha-
ben erzehlet wird. Die rechte urſach aber dar unruhe wird hergekommen ſeyn
aus neid und mißgunſt anderer ſtudioſorum oder magiſtrorum, denen der ap-
plauſus
dieſer perſon in die augen ſtach/ vielleicht auch einige/ wo ihrer mehrere
ſich einer ernſtlichen gottſeligkeit befliſſen/ ſorgen muͤſten/ daß ſie kuͤnfftig weniger
gelten doͤrfften: ſo dann aus verlaͤſterung der dinge/ die ietzt von den auditori-
bus
der collegiorum (daran doch M. Francke nicht ſchuld hatte) angefuͤhret wor-
den ſind. Wie aber eine ſache/ welche neu ſcheinet/ ſo bald in aller mund kommet/
aber das geruͤcht nach ſeiner gewohnheit luͤgen und wahrheit ſtracks unter ein-
ander miſchet/ ſo wurden bald nicht nur gantz Leipzig/ ſondern auch dieſe ſtadt und
das land/ damit erfuͤllet: und weil nicht alſo bald/ welches ohne weitlaͤufftigkeit
und mit kraͤfftiger untertruckung/ nicht der ſache ſondern der laͤſterung/ geſchehen
haͤtte koͤnnen/ ſolchen luͤgen wiederſtanden werden/ hingegen ſich immer mehrere/
auch leute/ die ſonſten wehren koͤnnen/ daran einnehmen haben laſſen/ ſo wuchs
ſolche unordnung eine gute weil/ nicht aber von ſeiten der nunmehr zum ſchimpff
alſo genannten pietiſten als derſelben verleumder. Daß dadurch Facultas theo-
logica
an E. Churfl. Durchl. unterthaͤnigſte nachricht davon zuertheilen/ und wie
ſie M. Francken die collegia inhibiren/ ſo dann ferner nachforſchen wolten/ an-
zufuͤgen bewogen wurde/ Act. Vol. ☉ f. 4. da bereits unter der zeit auch von hier
aus von der univerſitet bericht erfordert worden war. Worauff die inqviſition
erfolget iſt. Daß aber auch damal gegen M. Francken noch nichts gewiſſes/ ſo
ſeine orthodoxiam oder leben graviren koͤnnen/ erweißlichen bekant muß geweſen
ſeyn/ habe auch daraus abzunehmen gehabt/ nicht nur weil die Theol. Fac. ☉
f. 7.
bekennet/ daß ſie noch keine eigenliche nachricht haͤtten/ ſondern auch weil/ als
zu anfang des Septembris in Leipzig meiner verrichtungen wegen zwey tag war/
und viere der profeſſ. Theologiæ mich beſuchten/ auch iede von der ſache rede-
ten/ keiner etwas mir zeigen koͤnnen/ darauff man gewiß fuſſen moͤge. Vielmehr
ſprach mich D. Valentinus Alberti an/ weil damahl die Superintendenz zu Pe-
G g g g ggau
[786]Das ſechſte Capitel.
gau ledig war/ ob ich durch tertium M. Francken am Fuͤrſtlichen hoff zu Zeitz zu
derſelben recommendiren wolte: welches von einem Theologo unverantwort-
lich waͤre/ dafern er auch nu gnugſam gegruͤndete ſu ſpiciones auf ſeine ortho-
doxiam
gehabt haͤtte. Wie ihn auch nachmal die acta alſo abſolviret/ daß Fa-
cultas Theologica Act. Vol. ☉ f. 81.
ſelbs bekennt/ daß er noch zur zeit keiner
heterodoxiæ,und anderer in gemein ihm beygemeſſener dinge beſchuldi-
get werden koͤnne/
ob ſie ihn wohl vor ſich nicht gaͤntzlich auſſer ſchuld hal-
ten will.
Erhellet alſo/ daß bis dahin keine ſtraͤfliche unordnungen vorgegangen
von ſeiten M. Francken und ſeiner auditorum, ſondern daß alle unruhe und un-
weſen von denjenigen entſtanden ſeye/ welche falſche geruͤchte ausgeſtreuet/ wolte
Gott nicht gar aller orten dergleichen ſo ausgeſchrieben/ daß E. Churfl. Durchl.
univerſitet und land anderwerts mit uͤbler nachrede beleget worden. Vielleicht
ſolte aber auch damahl der gantzen ſache nicht unſchwer zu helffen/ und dieſe zu
rettung der unſchuld ihrer univerſitet nieder zulegen geweſen ſeyn.


Nebens M. Francken/ und als derſelbe meines behaltens bereits in dem No-
vember,
nach dem er ſeine apologia hier eingeſchicket (welche ich von ihm unter-
laſſen und ſeiner præceptorum reſpects mehr geſchauet worden zu ſein/ billich
verlangt hatte) nach ihm hat M.Schade (von andern iſt mir weniger gruͤndli-
ches bekant) dergleichen collegia eadem methodo, nach dem ihnen nichts ver-
boten worden/ fortgeſetzt/ und hoffe ich/ daß abermal in denſelben einiges hetero-
doxes
gelehret worden zu ſeyn/ ſich nicht erfinden werde. Jn dem mir nicht nur
aus privat diſcurſen deſſen mit goͤttlicher ſchrifft und unſern Symboliſchen buͤ-
chern uͤbereinſtimmende lehr bekant iſt/ ſondern auch durch einige tractaͤtlein/ ſo
mit der Theol. Facult. zu Leipzig cenſur herausgegeben/ ſolche ziemlicher maſ-
ſen bezeuget hat. Dieſer einige hat ſich nur noch bey ſeinen collegiis begeben/
daß algemach/ nach deme durch mehrere ſtudioſos unterſchiedliche buͤrger davon
gehoͤret/ auch aus derſelben zahl ſich einige als zuhoͤrer eingefunden/ die er aber
weder ſelbs dazu eingeladen/ noch hingegen weggehen zu heiſſen ſich getrauet
hat. Nun wuͤnſchte ich zwar abermahl/ daß ſolches nicht geſchehen waͤre/ weil es
die gelegenheit mehrer motuum worden iſt/ und ſolche M. Schaden nie verboten
worden ſind/ ſo iſts auf wenigſte kein verbrechen/ daß andere/ ſo nicht ſtudiret
hatten/ zu ſolcher uͤbung ſich mit eingefunden haben. Und iſt mir noch wol erin-
nerlich/ daß in Straßburg buͤrger/ ſo in der jugend in der ſchul etwas latein geler-
net/ und nachmal ihrer handarbeit ſich genaͤhret/ in den diſputationibus und ex-
ercitiis Academicis
zu zuhoͤren ſich offt mit eingefunden/ ohne daß die Theologi
ſich im geringſten ſolches haͤtten mißfallen laſſen/ vielmehr es gelobet/ und die bey-
de beruͤhmte maͤnner D. Dorſche und D. Dannhauer deswegen dergleichen uͤbun-
gen in teutſcher ſprach angeſtelt/ und alſo dieſen den zugang dazu erleichtert zu wer-
den/ gewuͤnſchet haben: Daher es an ſich ſelbſt nichts unordenliches ſeyn kan.
So hat M. Schade/ als die anzahl dieſer buͤrger ſich vermehrte/ von ſelbſt das
colle-
[787]DISTINCTIO II. SECTIO XXXI.
collegium, ehe noch das Churfl. edict kam/ ob wol mit der guten leute vieler be-
truͤbniß/ diſſolviret/ ſo viel mehr nach dem jenes erfolget war/ ſich alles deſſen aus
gehorſam enthalten: Daß daher auch in dieſem ſtuͤck keine ſtraͤffliche unordnung
ſich antreffen laͤſt.


Nun komme 3. auf die vorgegebne zuſammenkunfften der buͤrger/ als von
welchen die hitzig eingelauffenen relationes die meiſte motus gemacht haben: alſo
daß weilen dieſelbe dahin lauteten/ daß nicht allein von ſtudioſis, ſondern auch
von buͤrgers leuten/ ja allerdings weibsperſonen/ fuͤrnemlich Sontags/ bedenckli-
che conventicula und zuſammenkunfften/ unter dem vorwand der gemeinen er-
bauung und beforderung des Chriſtenthums/ angeſtellet wuͤrden/ darinnen man
die H. ſchrifft nach eignem gutachten auslegte/ und allerhand neuerliche/ und in
der rechtglaͤubigen evangeliſchen kirchen bißher ungewoͤhnliche dinge fuͤrgenom-
men wuͤrden/ man auf ſolche ob ſchon nur durch privat ſchreiben gekom̃enen nach-
richt (wie dann der erſte an E. Churfl. Durchl. gerichtete ſonderliche bericht der
Theologiſchen facultaͤt 4 tag darnach den 14. Martii eingelauffen Act. Vol. ☾
f. 94.
) bey E. Churfl. Durchl. verordneten Kirchenrath/ nach dem dergleichen als
ein weitauſſehendes und zu allerhand conſeqventien abziehlendes unweſen ange-
ſehen worden/ der nothdurfft erachtet/ dergleichen unbefugte und gefaͤhrliche zu-
ſammenkunfften allerdings und ernſtlich zu verbieten/ maſſen denn dergleichen den
10. Mart. an die univerſitaͤt/ amt und rath zu Leipzig reſcribiret/ und ſolche inhi-
bition
durch offentlichen anſchlag werckſtellig gemacht iſt worden. Wo ich nicht
laͤugne/ daß aus conſideration der geſchehenen relationen von groſſer anzahl der
leute in dergleichen verſam̃lungen und dabey vorgehenden unordnungen/ ſolche in-
hibition
mit meinem ſuffragio ſelbſt habe bekraͤfftiget. Jch bin aber hinwieder
nicht in abrede/ daß ich nach der zeit gehoͤret habe/ wie es bey weitem nicht ſolche
anzahl der leute oder dergleichen unordnungen geweſen/ wie es anfangs ange-
bracht worden/ alſo daß es dahin ſtehet/ ob es ſo weit damit gekommen ſeye/ daß
dergleichen verordnungen/ ſo die liberalere erzehlungen deſſen was vorgegangen
waͤre/ veranlaſſet hatten/ nothwendig geweſen waͤren/ auf andere weiſe haͤtte zu
recht gebracht oder verhuͤtet werden koͤnnen. Jnsgeſamt wie viel in dieſer ſache
Chriſten an ſich ſelbſt erlaubet ſeye/ und wo wie fern dieſelbe nicht zwar groſſe ver-
ſammlungen anzuſtellen/ welche einen ſchein einer trennung haͤtten/ und vieler an-
derer ungelegenheit unterworffen waͤren/ iedoch wo nemlich ſolches nicht austruͤck-
lich verboten iſt/ zu ihrer erbauung unter einander ausdruͤcklich zuſammen zu kom-
men vermoͤgen/ ſo dann wie ſie ſich in ſolcher ſache in gewiſſen ſchrancken zu halten
haben/ habe ich meine lehr und meinung bereits vor mehr als 13. jahren in dem
tractaͤtlein von dem geiſtlichen Prieſterthum durch offentlichen druck an den tag
geleget: Welches in vieler hundert Prediger und Theologorum, auch deren in
hieſigen landen/ wie mir wol bewuſt/ haͤnden bißher geweſen/ und von einigem nie-
mal publice oder gegen mich privatim das wenigſte widerſprochen worden: Wel-
G g g g g 2ches
[788]Das ſechſte Capitel.
ches dannoch deroſelben gewiſſen/ ſonderlich da ich hieher beruffen werden ſollen/
erfordert haͤtte/ dafern in ſolcher lehre ichtwas dem goͤttlichen wort und der wol-
fahrt der kirchen wiedriges enthalten waͤre. Es haben auch andere chriſtliche
Theologi hievon gehandelt: wie ich anfuͤhren kan den vor noch nicht vielen jah-
ren beruͤhmt geweſenen Sachſen-Haͤlliſchen Oberhoffprediger D. Olearium, der
in ſeinem teutſchen Bibelwerck/ ſo zu E. Churfl. Durchl. vielen kirchen auzuſchaf-
fen wuͤrdig erkant worden/ uͤber 1. Cor[i]4/ 23. alſo ſchreibet: Es iſt dabey zu mer-
cken/ daß dergleichen chriſtliche unterredungen gar noͤthig und nuͤtzlich/
aber gar vorſichtig und ordenlich einzurichten. 1. Von gottſeligen leh-
rern und
collegen,2. vonſtudioſisund liebhabern der goͤttlichen wahrheit.
3. von guten freunden. 4. Von nahon anverwandten. 5. Von benachtbar-
ten. 6. Von denen ſo gleicher lebensart. 7. Von chriſtlichen hausvaͤtern.
Jedoch alſo/ daß alle unordnung/ aͤrgerniß und mißbrauch nach reiffer
uͤberlegung und noͤthigem ermeſſen des lehr- und nehrſtandes wol be-
daͤchtig verhuͤtet werde/ damit nicht der aus uͤbereilen und unvorſichtig-
keit entſtehende ſchade den verhofften nutz uͤbertreffen moͤge.
Es koͤntẽ noch
der jenigen tapffren leute die hievon geſchrieben mehr genennet werden: unter wel-
chen nur fuͤr allen anfuͤhren will D. Juſtum Chriſtophorum Schomerum pro-
feſſ. Theol.
zu Roſtock/ der in unterſchiedlichen Diſputationibus de collegiis
privatæ pietatis
die materie am fleißigſten ausgearbeitet hat/ und wie er was bey
allen collegiis zu verhuͤten/ oder auch dabey zu ſorgen/ mit ſolcher behutſamkeit
vorſtellet/ daß einer Wiedertaͤufferiſchen oder Qvackeriſchen Licenz kaum von
einigem bedachtſamer begegnet/ dero gefahr gewieſen/ und ihre gruͤnde wiederle-
get worden ſind/ alſo gleichwol die macht der Chriſten insgemein zu erbauung zu-
ſammen zu kommen/ nicht nur nicht wiederſpricht/ ſondern ſelbſt bekraͤfftigt. Weil
dann ſeine wort ſehr wichtig ſind/ ſo wird Ewre Churfuͤrſtliche Durchlauchtig-
keit nicht ungnaͤdig vernehmen/ daß dieſelbe etwas weitlaͤufftiger anfuͤhre. Al-
ſo ſchreibet er nun § 19.Etenim agnoſcimus, non fortuitis tantum congreſſioni-
bus, ſed \& ſtudio qvæſitis mutuam illam
οἰκοδομὴν urgeri poſſe, \& pro re nata etiam
debere. Uti enim qvodqve laudabiliter fit, ita etiam laudabiliter intenditur. In exem-
plis etiam ſanctorum, qvæ adduximus, illum principalem \& unicum forte, finem
fuiſſe conveniendi, ut piis colloqviis animi erigerentur, circumſtantiæ omnes ſatis
produnt. Permittunt \& probant hujusmodi conventus non tantum ſacræ ſed \& ci-
viles leges. Nam conventus qvi ad finem bonum \& honeſtum, ſ. ob cauſam licitam
fiunt, non improbantur, nec indigent ſuperioris venia, adeo ut licet expreſſo ſupe-
riorum decreto prohibitum ſit inire congregationes, cauſa tamen \& intentionis bo-
nitas excuſet coeuntes, utlatius tradit Mevius ad jus Lubec. P. 4. tit. 13. art. 1. n. 5. ſeqq.

Noch viel deutlicher und ausfuͤhrlicher aber handelt er davon § 21. u f. Daraus allein
das vornehmſte anziehe:
Forma ipſa generalis horum collegiorum omnium ſimpli-
citer \& in ſe conſiderata, præciſis circumſtantiis alterantibus reprehendi neqvit,

qvaſi
[789]DISTINCTIO II. SECTIO XXXI.
qvaſi vel juri divino vel veteris Eccleſiæ canonibus adverſa, qvibuscunqve etiam per-
ſonis conſtet ſ. laicis ſ. clericis, ſive utroqve horum genere. Qvia enim locorum
temporumqve nulla definita lege Dei ſanctitas eſt, ſed omnis angulus, omnis hora,
omnis numerus eorum qvi in nomine Chriſti conveniunt, ipſi ſacer eſt Matth. 18, 20.
utiqve aſſiduitas major, \& continuatio in bono pactis firmata ipſi diſplicere non pot-
eſt. Volo, inqvit Paulus, viros orare in omni loco 1. Tim. 2, 8. ſine ceſſatione 1. Theſſ.
5, 17. etiam communi conſilio, ut inqvit Chriſtus Matth. 18, 19. neqve differentia eſt
maris aut fœminæ, ſervi aut liberi, in Chriſto Jeſu. Gal. 3, 38. omnes ſe in domum Dei
ſpiritualem \& ſacerdotium ſpirituale ædificare juſſi ſunt. 1. Pet. 2, 5.
Hierauff fuͤhret
er aus/ daß dieſem ſeinem ſatz nichts mit grund entgegen geſetzt werden koͤnne. §. 22.

Non obſtat 1. libertati convenientium collegarum jus parochiale, qvo qvisqve ſuo
parocho \& Eccleſiæ aſſcriptus eſt.
(Welches er darnach mit mehreren erweiſet.) §. 23.
Non obſtat 2. defectus aliqvis vocationis(So auch in dem folgenden ausgefuͤhret
wird.) Sonderlich §. 24.
non obſtat 3. idem vel probabilior vocationis defectus ho-
mini laico tales ſocietates colligenti. Ad inſtitutum enim privatum publica vocatio
non reqviritur, ſufficit vocatio charitatis, qva qvisqve alteri placere ad bonum bo-
næqve actionis
πρὸς οἰκοδομὴν auctor eſſe jubetur. Rom. 15, 2. Si qvis in tali collegio
ſibi docendi jus peculiare aſſereret ut eos qvi ipſum pro patre nec humano nec divi-
no jure tenentur revereri, ab ore ſuo cuperet pendere,
ἀλλοτριοεπίσκοπον recte dice-
res, qvi contra monita Apoſtolica Hebr. 5, 4. \& Jac. 5, 1. ſe muneri non demandato
ingereret. At qvi liberis, pupillis, famulis, clientibus eorumqve familiis in privatam
eccleſiam collectis hoc officium præſtiterit, jure ſuo agere dicendus eſt. Sic etiam qvi
vicinis ac familiaribus norit neceſſaria religionis ſubſidia de eſſe, ad catecheticas vel
S. Scripturarum prælectiones illos invitans, etiamſi ut eo melior informatio ſit, con-
tinuatum collegium conſtituat, modeſtiæ fines non egreditur, cum charitati opera-
tur. Ubi omnes pares ſunt, ſi qvisqve pro ſuo modulo ſymbolam conferat, aut ſi cui
uberior ſcientia vel docendi precandive chariſma ſit, ut ſine ſtudio
ὑπεροχῆς copio-
ſius aliis in tali conventu diſſerat, nihil omnino peccatur. Conſtantinus Imp. ap.
Euſeb. in vita ejus L. 2. c. 60. ita præcipit: qvod qvisqve novit ac intelligit, eo proxi-
mum, ſi fieri poteſt, juvet. Nam \& laicus, qvi in his terris proedria non honoratur,
verus tamen ſacerdos \& Eccleſiæ miniſter eſt, ſi fecerit docueritqve qvæ ſunt Domini,
inqvit Clem. Alex. L. 6. Strom. p. 667. In hac mutua opera cum adoleſcimus, com-
miſſura ſit ſubminiſtrationis ejus, per qvam totum corpus Eccleſiæ coagmentatur, \&
conjungitur, ad incrementum ipſius noſtramqve ædificationem, juxta Eph. 4, 16.
Gaudebant Apoſtoli cum audirent \& per illorum ſermones atqve operam converſas
eſſe gentes, qvibus prædicatio Evangelii peculiariter commiſſa non erat. Act. 11, 23.
Phil. 1, 18. qvare non etiam gauderent presbyteri, cum talibus adjuvantur parochia-
norum exercitiis, qvibus non minima parte curarum, levari poſſunt? Peccant igitur
haud leviter (verba ſunt Ægid. Hunnii tr. 4. op. p. 604.) qvi ex præpoſtera \& perverſa
æmulatione improbant conatus eorum, qvi pio ſtudio doctrinam Evangelii propa-

G g g g g 3gare
[790]Das ſechſte Capitel.
gare ſatagunt. Laudabilius \& rectius Moſes: utinam omnis populus vaticinaretur.
Plane \& Baptiſta Johannes ſuorum æmulationem compeſcit Joh. 3. \& Chriſtus Jaco-
bum \& Joannem, qvi prohibere volebant eum, qvi in nomine Jeſu dæmonia ejicie-
bat Luc. 9. Nec immerito huc ad ducitur exemplum Auguſtini, qvi anteqvam ad
presbyterium vocaretur, teſte Posſidonio in vita ejus c. 3. laicus etiam de iis, qvæ ſibi
Deus cogitanti atqve oranti intellecta revelabat, \& præſentes \& abſentes ſermone ac
literis docebat. §. 25. Non obſtat 4. in iisdem Laicis ſine presbytero tali exercitio va-
cantibus præſumtus eruditionis ac
ἱκανότητος defectus. Qvamvis enim, cum omnes
capita fidei ſatis perfecte hauferint, vel ſ. literas intelligant, qvi alios docere conan-
tur, alii etiam qvi rem ipſi probe perceperunt, alios docere apti non ſint, ſed prompti
ſermonis flumine deſtituti qvandoqve \& a ſanioribus verbis aberrent, qvantum ta-
men qvisqve profecerit, ut cum aliis communicet, vel eo nomine ſalubre fuerit, ut
mutui errores mutuis correctionib9 emendentur, perinde ut pueri ſe Latini ſermonis
rudimentis alter alterum in ſcholis exercent, qvamvis nemo latinitatis veram habeat
peritiam. Id ſi in vagis conventibus locum habet, ut agnoſcunt omnes, nulla cauſa
eſt, qvare non \& procedat in ſtatis collegiis. Neqve etiam ea eſt ſacrarum literarum
difficultas, qvæ obſtet qvo minus qvisqve etiam ſtupidior paulo inde per Spiritus S.
gratiam, haurire posſit, qvod ad ſalutem creditu, \& ad vitam recte in ſtituendam ſci-
tu neceſſarium eſt, uti contra Pontificios perſpicuitatem hanc ſolemus aſſerere. Et
vos itaqve alloqvebatur plebem chriſtianam qvondam Chryſoſtomus, ſi lectioni
ſcripturæ cum animi alacritate volueritis attendere, nulla alia re præterea opus ha-
bebitis. Verus enim eſt ſermo Chriſti, cum dicit: qværite \& invenietis, pulſate \& a-
perietur. Præf. in ep. ad Rom. Plura tamen ſubſidia laicis ſuppeditabit freqventatio ſ.
concionum \& libellorum Theologicorum lectio, qvibus plures per Dei gratiam ſatis
attente adhærent. Autor. ep. Hebr. 5, 12. hanc velut indubitatam ponit hypotheſin,
qvod illos, qvi jam ab aliqvo tempore Chriſtianiſmi fundamenta hauſerunt, opor-
teat doctores eſſe,
qvi alios poſſint feliciter informare. Si accuratior evolutio qvæſtio-
num Theologicarum, ſi notitia idiomatis avtentici aliorumqve ad interpretationem
Scripturæ reqviſita media ab unoqvoqve deſiderentur, qvi cum fructu alios docere
cupit, eqvidem vereor, ut id argumentum contra ſolos laicos concludat, nec plures
hodie parochos officio movere oporteat. Nihilominus ut cum Apoſtolo 1. Cor. 14, 5.
Eph. 1, 17. Phil. 1, 9. omnibus ſpiritum ſapientiæ \& profectus cognitionis uberrimos
eſſe optamus, ita etiam qvemqve, qva ſit
ἱκανότητι ſe ipſum jubemus explorare, an \&
peritus ſermonis \& moribus gravis ſit, qvod in laico docente L. 8. Conſtit. Apoſt. c. 38.
reqviritur, neqve in difficiliora, qvæ captum ejus ſuperant, ſe immittat; ſed diſcere
potius a peritioribus, qvam aliis non intellecta proponere ſataget.
Erremoviret end-
lich auch einen wichtig ſcheinenden einwurff
§. 26. Non obſtat deniqve 5. jus epiſcopa-
le, vel expectanda primum autoritas eorum, qvorum eſt, qvæ ad Eccleſiæ bonum per-
tinent, ordinare: qvam ita religioſe ſolent multi prætexere, ut qvicqvam niſi ejus
juſſu in hiſce tentare nefas eſſe arbitrentur, utut id ne fiat, nullibi ſit interdictum.

Agitur
[791]DISTINCTIO II. SECTIO XXXI.
Agitur enim hic de re naturalis libertatis, qvæ unicuiqve ſalva eſſe intelligitur, donec
ſit qvi impediat, nec qvi jure \& libertate ſua utitur, alii, nec ipſi ſuperiori, facit in-
juriam. Agitur de re per ſe favorabili, nempe proximi ædificatione \& exercitio pie-
tatis, cui impedimentum a poteſtate ſuperiori poſitum eſſe, non debet præſumi.
Exercitii hujus licentia non pendet ab Epiſcopo, vel eo qvi epiſcopi vicem ſupplet,
ſed immediate a Deo, qvi nobis hanc gratiam fecit, ut ubiqve posſimus de magnali-
bus ejus loqvi. Ergo ſi qvis nobis modus ad id videtur aptus eſſe, qvo leges publicæ
aut aliena libertas non convelluntur, non expectandum eſt, donec præſul id permit-
tat vel jubeat, ſed pergendum, donec ſit qvi prohibeat. Agnoſcimus hanc poteſta-
tem legislatoriam in ipſo, qva prohibere posſit, attamen qvicqvid ille legibus ſuis non
complectitur, qvi imperat, noſtræ induſtriæ reliqvit. Qvo jure paterfamilias de do-
meſticæ pietatis legibus diſponit, nempe qvod legibus publicis de ea nihil definitum
ſit, eodem \& vicini de vicinali ſ. collegiali pietate diſponere poterunt. Paſtor etiam
Eccleſiæ, cui officium publicum demandatum eſt, eo magis ſibi \& privati collegii
jus peculiare datum eſſe concludet, qvo magis id officio qvod gerit congruum eſt: \&
ſicut profeſſor in publica cathedra conſtitutus, nulla indiget peculiari vocatione aut
indulgentia ad collegia etiam privata formanda, ita neqve paſtor. Qvod recte ali-
qvando in pari caſu objectum eſſe legimus. Multa cepere in veteri Eccleſia, qvæ E-
piſcopos non habuere autores: \& conſvetudine laudabili introducta violari jus le-
gislatoris nunqvam hactenus creditum eſt.
Nach dieſem examiniret er das Roͤ-
miſche recht/ was die Heydniſche Roͤmiſche geſetze in ſolcher ſache verordnet/ wel-
cher krafft iedoch ſo viel weniger gegen die chriſtliche uͤbungen gelten kan. Jns-
geſamt aber treibet gleichwol gedachter autor dieſes/ daß abſonderliche und or-
denliche dergleichen collegia nicht eben/ wie etliche darvon ausgeben wolten/ als
nothwendig von GOtt eingeſetzte ordnungen gehalten werden muͤſten/ ſondern
wie die gemeine erbauung/ die ohne gewiſſe ordnung oder collegia geſchiehet/ ihre
freyheit von GOtt habe/ auch dergleichen collegia ſo ihre gewiſſe ordnung haben/
auch nicht ſtraͤfflich ſeyen/ als lange ſolche nicht von der obrigkeit verboten wer-
den/ daß gleichwol in dieſer macht ſtehe/ nach ihrem gut befinden/ wie an iedem
ort mehr guts draus zu hoffen/ oder boͤſes draus zu ſorgen waͤre/ dieſelbe entweder
mit ihrer autoritaͤt zu bekraͤfftigen oder hingegen zu verbieten. Dieſe etwas weit-
laͤufftige ausfuͤhrung eines gelehrten und unverdaͤchtigen Theologi habe ich wuͤr-
dig geachtet/ hie zu wiederholen/ als dero fernere erwegung der gantzen ſache ein
ziemliches licht geben mag. Wann wir daraus ſehen 1. daß die zuſammenkunff-
ten der Chriſten/ nicht nur wo prediger mit dabey ſind/ ſondern auch ohne die pre-
diger unter ihnen allein/ an ſich nichts unrechts haben/ ſondern in der chriſtlichen
freyheit ſtehen. 2. Daß ſie auch dardurch nicht unrecht werden/ wo ſie ſchon zu
ordentlichen collegiis/ und alſo von gewiſſen perſonen/ zu gewiſſen zeiten und or-
ten gehalten wuͤrden/ ſondern ſie bleiben ſo lang und viel Chriſtliche und unſtraͤf-
liche uͤbungen/ ohne daß ſie vor einen eingriff in der prediger amt/ oder in die ge-
walt
[792]Das ſechſte Capitel.
walt des juris epiſcopalis zu achten waͤren/ biß ſie von denjenigen/ ſo die auff-
ſicht auf kirch und policey haben/ als dieſen nicht dienlich/ verboten werden/ in
welchem fall ſie dann die art/ wie ſie vorhin als untadelich zuerkennen geweſen
waren/ verliehren. Da hingegen als viel mir wiſſend worden/ die jenige in Leip-
zig/ ſo einige mahl zu ihrer erbauung zuſammen gekommen waren/ nach dem das
obrigkeitliche verbot da zwiſchen gekommen/ demſelben willig gehorſam gelei-
ſtet/ und demſelben zu reſpect dieſe ihre obwol ſo erbaulich ihnen ſelbs befundene
uͤbungen eingeſtellet haben. Wann aber auch eine ſache zuweilen aus uͤblen da-
her folgenden fruͤchten beſchuldiget zu werden pfleget/ habe ich auch aus den acten
noch nichts finden koͤnnen/ daß einige boͤſe fruͤchten der in verdacht gezogenen
zuſammenkunfften auffgewieſen worden/ ſondern ſehe/ daß GOtt dieſe leute/ da
ſonſten der erſte eyffer ſich offt ſehr ſchwer in den ſchrancken alſo halten laͤſſet/ daß
er nicht etwa austrete/ davor gnaͤdiglich bewahret habe: Zwar wird Act. Vol. ☾
f. 95.
dahin angefuͤhret/ daß ein ſchumacher einem prediger zugeſprochen/ und ihn
uͤber etwas/ ſo er in ſeinem leben ſtraͤflich hielte/ erinnert habe. Nun kan davon
hie nicht urtheilen/ aus was trieb und mit was beſcheidenheit der mann ſeinen
ausſpruch gethan: aber ich begreiffe allerdings nicht/ wie ſolches bereits eine for-
male
ſchwaͤrmerey ſeyn koͤnne/ wie es daſelbſt heiſſen muß. Es ſind ja wir predi-
ger nicht davon frey/ daß ob wirs in einigem verſehen/ auch unſre zuhoͤrer uns aus
liebe nicht daruͤber zuſprechen doͤrfften/ indem ſolches vielmehr zu unſerm beſten ge-
reichet/ und hingegen wir ſo viel uͤbler dran ſeyn wuͤrden/ wo uns niemand uͤber das
jenige/ welches er an uns ſiehet/ und wir etwa nicht ſo wol ſelbſt warzunehmen ver-
moͤgen/ zu erinnern ſich unterſtuͤnde. Wie ich nicht in abrede bin/ daß ich vielmehr
unterſchiedlich meine gemeinden gebeten habe/ uns predigern die liebe zu thun/ wo
ſie einen anſtoß an uns nehmen/ uns freundliche eroͤffnung davon zu thun/ daß wir
entweder ſelbſt uns beſſern/ oder ihnen ihren mißverſtand an uns hinwiederum
freundlich benehmen koͤnten: welches ie keine formale ſchwaͤrmerey zu heiſſen wuͤr-
dig iſt/ ſondern deſſen offtmaligere praxis vielmehr hertzlich zu wuͤnſchen waͤre.


Weil in dem uͤbrigen auch mehrere klagen und ſorgen in den acten geleſen wer-
den/ daß die ſtudia philoſophica und was zu der rechten ſoliditet der erudition
gehoͤret/ durch den pietiſmum aufgehoben/ und eine neue barbarey in kurtzem ein-
gefuͤhret werde werden/ ſo habe ich auch ſolchen punct nicht auszulaſſen/ aber ſo
bald zu mercken/ daß auch dieſe beſchuldigung mit nichts erwieſen ſeye/ ſondern die
zeugniſſen lauten gar anders/ wie auch M. Franck ausdruͤcklich Act. Vol. ☉ f. 72.
befragt/ ob er nicht vorgebe/ die philoſophie waͤre einem ſtudioſo Theologiæ
nichts nuͤtze/ mit Nein antwortet/ und ſich darauf berufft/ daß vielmehr das con-
trarium publice
und privatim von ihm vielfaͤltig geſagt worden/ wiewol er ſie vor
den abuſum der philoſophiæ treulich gewarnet/ doch nicht als was neues ſondern
ſo bereits von vielen Theologis und Philoſophis geſchehen. Was auch die ſorge
des kuͤnfftigen anlangt/ ſo ſiehe ich die folge durchaus nicht. Vielmehr da das
ſtudium
[793]DISTINCTIO II. SECTIO XXXI.
ſtudium der H. Schrifft ernſtlich getrieben wird/ ſo erforderts an ſich ſelbſt/ daß
ein ſolcher menſch/ der daſſelbe zu ſeinem hauptzwecke ſetzet/ wie ſolches von den ſo
genannten Pietiſten geſagt wird/ die grundſprachen nothwendig fleißig handeln/
und darinnen etwas rechtes thun muß/ und alſo kommt das ſtudium philologi-
cum
deſto mehr empor/ ſo der barbariei am meiſten/ und vielmehr/ als die philo-
ſophia ſcholaſtica
wehret/ wie wir denn insgemein die zeiten vor Luthero der bar-
barey beſchuldigen/ da die ſprachen gelegen/ und alles auf die Philoſophie geſe-
tzet worden iſt. Jndeſſen wird die Philoſophiſche auch nicht weg geleget/ aber der
philologie etlicher maſſen nachgeſetzt: ſo dann iſt ohne das billich des gemeinen
beſten wegen dahin zugedencken/ wie dem groſſen mißbrauch bey der Philoſophie
mit krafft gewehret werden moͤchte/ da ſo viele ihr lebtag daruͤber klagen/ daß ſie
ihre meiſte und beſte zeit auf den univerſitaͤten auf die Philoſophie gewant haͤtten/
da ſie gleichwol nachmal in ihren aͤmtern ſich derſelben wenig getroͤſten koͤnnen/
das jenige hingegen daruͤber verſaͤumt zuhaben bethauren/ woran ihnen das mei-
ſte gelegen war: Nemlich daß die jenige/ welche ſo gar kurtze zeit auf der univer-
ſit
aͤt ſich aufzuhalten vermoͤgen/ und doch zur Theologie gewidmet ſind/ treulich
angewieſen wuͤrden/ was ihnen um ſolche zeit das noͤthigſte waͤre; Da gewißlich
die Philoſophie dieſem nicht gerathen werden koͤnte/ ſondern alles bey den ſpra-
chen/ bey der ſchrifft und der Theologie bleiben muͤſte: Ob wol hingegen die jeni-
ge/ welche laͤngere zeit auf der academie zu bleiben gelegenheit und mittel haben/
daher auch die ſtudia hoͤher treiben koͤnnen/ billich ſich der Philoſophie mit meh-
rerm zubefleiſſen urſach haben/ und dahin anzuweiſen ſind/ nach dem zu dem grad
der erudition, nach welchem ſie in der Theologie zu trachten haben/ auch ein meh-
rers von der Philoſophie erfordert wird.


Wann nun endlich alles dieſes in der forcht des HErrn erwogen wird/ hoffe ich/
werde ſich ergeben/ daß bey weitem ſolche unordnungen oder gefahr der kirchen ſich
nicht ereignet/ viel weniger eine neue ſecte in E. Churfl/ Durchl. ſtadt und land
entſtanden ſeye/ wie das gemeine geruͤcht gebracht/ und auch wir in dero Kirchen-
rath dergleichen bericht aus Leipzig mehrmal haben einnehmen muͤſſen/ deſſen
auszug aber in dem E. Churfl. Durchl. geſtellten unterthaͤnigſten bericht vorge-
tragen haben. Wob ey ich unterthaͤnigſt zuerinnern nicht unterlaſſen kan/ weil
vernehme/ daß ſolcher bericht habe wollen alſo angeſehen werden/ gleich ob von
uns insgoſamt die wahrheit aller ſolcher darinnen der laͤnge nach erzehlter facto-
rum,
die ſo bewandt ſind/ daß ſie nicht ohn gefahr ſeyn moͤchten/ aſſeriret wuͤrde/
auch von mir mit meiner ſubſcription gleichfals bezeuget worden waͤre/ dahero
ich ietzo dieſelbe nicht hinwieder in zweiffel zu ziehen vermoͤchte/ daß nemlich als
ſolcher unterthaͤnigſter bericht abgeleſen wurde/ und unterſchrieben werden ſolte/
ich anfangs ſelbſt die ſache angeſehen/ ob wuͤrde die wahrheit der dinge/ ſo an uns
aus Leipzig angebracht worden waͤren/ gegen E. Churfl. Durchl. hiedurch bezeu-
get/ und deswegen in conſeſſu ſo bald erinnert habe/ daß ich viele deroſelben nicht
H h h h hvor
[794]Das ſechſte Capitel.
vor wahr achtete/ und wo es ſolche meinung haben ſolte/ mit guten gewiſſen nicht
ſubſcribiren koͤnte: Jch erhielte aber zur antwort/ daß man darinnen nichts an-
ders thaͤte/ als E. Churfl/ Durchl/ den extract der acten und berichte/ wie ſie an
uns eingelauffen waͤren/ vortruͤge/ nicht aber was davon gegruͤndet oder nicht ge-
gruͤndet waͤre/ da ohne das noch die unterſuchung geſchehe/ decidirte/ ob mir dañ
wol auch freyheit gelaſſen wurde zu unterſchreiben oder nicht/ ſo habe doch weil es
nur dieſe meinung habe/ und ich nicht laͤugnen kan/ daß nichts in dem unterthaͤnig-
ſten bericht ſtehe/ ſo nicht ſonſten oder nach dem zeugniß der acten eingelauffen und
angebracht worden waͤre/ in der ſubſcript. aber in ſolchem verſtand ſo ſich auf die
erhaltene antwort gruͤndete/ mich von dem uͤbrigen collegio abzuſondern nicht ur-
ſach gefunden/ ob ich wol gedachter maſſen in der gantzen ſache mehr mißverſtand
und ungleichen bericht/ als wahrhafftig ſtraͤfliches an den beſchuldigten/ ange-
troffen zu werden mich verſichere/ und wo ich mit kurtzen nach meinem gewiſſen al-
les zuſammen faſſen ſolle/ von den perſonen/ ſo man pietiſten bißher unter ſtu-
denten
und buͤrgern genant/ nicht anders ſagen kan/ als daß es leute ſeyen/ die
ſich ihre
ſtudiazu dem rechten zweck der heilſamen erbauung und ihr Chri-
ſtenthum GOtt gefaͤllig fleißiger zu fuͤhren/ als ſie vorhin mangel bey
ſich befunden hatten/ hertzlich
reſolviret/ und ein ander in ſolcherreſolu-
tion
geſtaͤrckt haben/ daher einigemagiſtridie andere mehr und mehr zu
dem
ſtudioder H. ſchrifft/ als der eintzigen regel lehr und lebens/ aufzu-
muntern
collegiauͤber dieſelbe gehalten/ und ſonderlich alles zu derpraxi
gerichtet/ dardurch der guten leute eiffer gewachſen iſt/ und ſich auch in
wuͤrcklicher aͤnderung ihres lebens hervor gethan hat/ worauf ſie erſt von
ſpoͤttern und rohen leuten vielfaͤltig verleumdet und mit ſonderbaren nah-
men bezeichnet worden/ daruͤber auch bey andeꝛn in verdacht gefallen ſind/
iedoch in der
inqviſitionnichts auf ſie gebracht worden: als auch bey vie-
len die begierde ihrer erbauung weiter zugenommen/ haben angefangen
ſo wol buͤrger mit den
ſtudioſisin diecollegiaſich einzufinden/ als auch
wo dieſe einige mahl beyſammen geweſen/ lieber allein von goͤttlichen
dingen und der ſchrifft als andern
materien unter einander zu handlen/
welches aber ſorge der unordnung gemacht/ und das
publicirte edict,ſo
dann nach bißherige
inqviſition,verurſachet hat. Aus welchem allen erhel-
len wird/ daßpietismuskeineſecte/ ſondern ein aufgebuͤrdeter beynahme
der ietzt beſchriebenen und in meiſten ſtuͤcken nur mit ungegruͤndetem ver-
dacht
gravirten perſonen ſeye.


Wann aber 2. E. Churfl. Durchl. auch ein gegruͤndetes bedencken erfordern/
wie dem werck und entſtandenen unordnungen am fuͤglichſten und kraͤfftigſten zu
rathen und abzuhelffen ſeye/ ſo erfordert meine unterthaͤnigſte ſchuldigkeit/ auch
hieruͤber/ was ich vor dem angeſicht GOttes und in meinem gewiſſen vor noͤthig
und nuͤtzlich erachte vorzuſtellen.


So
[795]DISTINCTIO II. SECTIO XXXI.

So iſt nun 1. allerdings noͤthig/ daß dieſe boͤſe nachrede von einer in E. Churfl.
Durchl. lande und univerſitaͤt entſtandnen und gehegten ſecte oder kaͤtzerey kraͤf-
tig abgewendet werde. Als woran ſo wol E. Churfl. Durchl. hohem reſpect nicht
wenig gelegen iſt/ und denſelben hingegen verletzte/ wo es dermaleins heiſſen ſolte/
daß unter deroſelben regierung ſich ein ſolches unweſen erhoben/ und demſelben
nicht mit geziehmender vorſichtigkeit ſolte vorgebogen oder mit nachdruck bald
anfangs geſteuret worden ſeyn/ als auch der guten univerſitaͤt wolſtand und flor/
deſſen ſie bißher die goͤttliche providenz gewuͤrdiget hat/ ſehr daran haͤnget/ den-
ſelben durch Gottes gnade weiter fort zuſetzen oder ſorglich zu verlieren. Ja dem
gantzen lande liegt groß dran/ ſo dann gleichwie den kirchen deſſelbigen abſonder-
lich/ alſo ebenfals der gantzen Evangeliſchen kirchen/ daß ſie weder in gefahr eini-
ger verwirrung gerathe/ wie gleichwol eben ſo wol aus dergleichen ungegruͤndeten
ausſprengungen/ als wo es in der that ſich ſo verhielte/ entſtehen koͤnte/ als auch
von den widerſachern nicht wiederum einen neuen vorwurff leiden muͤſſe. Dahero
die remedirung des gantzen wercks ſo noͤtig/ und die deliberation davon ſo wich-
tig/ als einige in langer zeit hat ſeyn moͤgen/ auch GOtt hertzlich anzuruffen iſt/ er-
ſprießliche mittel zu aller beruhigung und abwendung muͤglichen aͤrgerniſſes ſelbſt
zu zeigen. Es will ſolche ſorge/ und daß man vorſichtig verfahre/ auch ſo viel noͤ-
thiger werden/ weil was bißher in der ſache vorgegangen/ vor den augen ſo vieler
menſchen geſchehen iſt/ und ferner geſchehen wird/ die von allen auch wiſſenſchafft
haben/ damit man ſich in allem/ was man alles zu recht zubringen vornimmet/ alſo
verwehre/ daß nicht nach dem ſtudioſi ſich aller orten hin vertheilen/ und nicht alle
allezeit unter E. Churfl. Durchl. botmaͤßigkeit verbleiben/ wo haͤrtere mittel ge-
braucht wuͤrden/ die zum grunde das falſche præſuppoſitum einer neuen ſecte
haͤtten/ anderwertlich offentliche ſchrifften heraus kommen/ und die rechte wahr-
heit der ſachen/ wie niemal eine ſolche ſecte geweſen/ und dem geruͤchte zu viel ge-
trauet worden ſeye/ alſo vor augen legten/ daß man dieſelbe gleichwol nicht durch
rechtmaͤßige acten widerlegen koͤnte/ und alsdann ſolche urtheil uͤber ſich leiden
muͤſte/ die man lieber vermeiden ſolte: ſonderlich wann etwa art und weiſe/ wie und
warum von einigen die falſche ſpargimenten fovirt worden/ ſehr ſcheinbar vor-
geſtellet wuͤrden/ und man nachmal nicht eben alles gnug ableinen koͤnte. Da-
her man ſtaͤts zu gedencken/ man verſire in einem ſolchen geſchaͤfft/ in dem man
uͤber die arth des verfahrens unzaͤhliche richter haben werde/ die auff keines
menſchen autoritet, ſondern allein was erwieſen oder nicht erwieſen wor-
den ſeye/ ſehen werden.


2. Was nun die mittel ſelbs anlanget/ finde ich die meiſte der bißher vorgeſchla-
genen durchaus nicht zu laͤnglich oder vortraͤglich zu ſein/ als welche faſt ins ge-
mein ein falſches præſuppoſitum haben/ auch wohl in dem munde fuͤhren/ ob
waͤre wahrhafftig eine neue ſecte und gefaͤhrliches ſchiſma bereits entſtanden o-
der in dem nechſten ausbruch. Wo ich nicht leugne/ wañ dieſes eine ausgemach-
H h h h h 2te
[796]Das ſechſte Capitel.
te ſache waͤre/ daß die von denen Conſiſtoriis und Faculteten vorgeſchlagene
mittel nicht zuverwerffen waͤren/ ſondern wol noͤtig ſeyn moͤchten. Wann aber
das gegentheil/ daß ſich nemlich nichts deſſen/ wo man die ſache unpartheyiſch
unterſuchet/ antreffen laſſe/ ziemlich offenbahr/ und aus den actis zu erſehen iſt/
ſo faͤllet die gantze vorgeſchriebene cur/ da die vorgegebene kranckheit verſchwin-
det/ ja es ſolten ſolche remedia/ da man ſie brauchen wolte/ leicht ſo viel unheil
verurſachen/ als eine ſtarcke einer ſchweren knanckheit zugemeſſene cur/ da man
ſie einem geſunden leib appliciren wolte/ und eben dadurch erſt eine kranckheit
herbey ziehen koͤnte. Sonderlich faͤllet damit das ienige hinweg/ was wegen
der ſo genanten Pietiſten beforderung/ ob ſie dazu zulaſſen oder auszuſchlieſſen
ſeyen/ ſo dann die entziehung oder verſagung der ſonſten genoſſenen oder vertroͤ-
ſteten beneficiorum, vorgekommen iſt: dann nach dem auff ſolche leute nichts
des jenigen gebracht worden/ was ſie entweder irriger lehr/ oder anderer verun-
ruhigung der kirchen/ ſchuldig machte (maſſen alle unruhe und unweſen vielmehr
von denjenigen entſtanden iſt/ die durch verlaͤumdungen und laͤſterungen ſo viel
weſens gemacht haben) ſo iſt keine urſach/ daß man jemand/ weil er mit einem
ſolchen nahmen von ſpoͤttern belegt worden/ von demjenigen ausſchlieſſe/ dazu
ihm ſonſten die von GOtt verliehene gaben u. andere urſachen einiges recht und
zugang geben. Und wo einer dem pietiſmo abſagen ſolle/ fragt ſich billich/ was
denn dasjenige ſeye/ dem er abſagen muͤſſe? der pietet ſelbs/ auch ſo wohl ſich
derſelben in eigner perſon zubefleißigen/ als bey aller redlichen und ziemlichem
gelegenheit mit andern gern davon zu reden/ und ſie dazu aufzumuntern/ wird ie
niemand abſagen doͤrffen: dergleichen formliche collegia aber zu halten/ als biß
dahin gehalten worden waren/ bedarffs abermal nicht ſo wohl eines abſagens/
als einer richtigen verordnung/ was E. Churfl. Durchl. in dero landen und auff
dero univerſitaͤt kuͤnfftig zugeben wolle oder nicht/ da alsdenn ieglicher ohne
das an dieſelbe gehalten iſt/ und der jenige/ der ſich wiederſetzen wolte/ alsdenn
nicht ſo wohl wegen eines pietiſmi ſondern ungehorſams ſich der beforderung un-
faͤhig machen wuͤrde: wo aber jemand ſo weit gehen wolte/ zu zumuthen und zu
fordern/ daß man verſprechen muͤſte/ alle gelegenheit welche GOtt zeigen moͤch-
te/ ſeinen nechſten neben ſich zuerbauen (welcher pflicht eine chriſtliche Obrigkeit
einige regeln/ was die art anlangt/ vorzuſchreiben vermag/ aber ſie insgeſammt
aufzuheben/ oder die Chriſten davon zu befreyen nicht macht hat) allerdings zu
verſaͤumen/ und alſo dem hauptgeſetz der liebe abzuſagen/ ſo waͤre ſolches begeh-
ren wieder GOtt/ und alſo doͤrffte ſich niemand dazu verbinden/ ich will aber
auch nicht hoffen/ daß jemand ſo unverſchaͤmt ſeyn werde/ ſeine affecten ſich ſo
weit treiben zu laſſen/ dergleichen anzumuthen. Alſo bedarff es auch keine diſtin-
ction
unter den ſeductoribus und ſeductis, wo noch keine verfuͤhrung gezeigt
werden mag/ nach dem ſich noch kein irrthum hervor gethan/ oder hoffentlich her-
vor thun wird/ und wann auch in den collegiis nach der art des eiffers zu weit ge-
gan-
[797]DISTINCTIO II. SECTIO XXXI.
gangen worden waͤre/ ſolches noch den nahmen einer ſeduction nicht meritirte
an denjenigen/ die ſich zu unſerer Evangeliſchen wahrheit und libris ſymbolicis,
und nechſt dem was das euſerliche anlangt dem ſchuldigen gehorſam bekennen/ ob
ſie auch der meinung waͤren/ daß in der materie der erbauung Chriſten vielmehr
erlaubt ſeye/ als man insgemein glaubt/ aber in gehorſam der oberen ſich auch
ihrer freyheit begeben.


3. Wo ich dann endlich vor E. Churfl. Durchl. meine eigne meinung und gut-
achten in unterthaͤnigſtem gehorſam entdecken ſolle/ ſo hielte ich folgendes zu thun/
als das beqvemſte mittel der gantzen ſache und bißherigen weiterung ohne groſſe
ſchwerigkeit ihre abhelffliche maaß zu geben.


1. Daß die angefangene inqviſition auf alles dasjenige/ was vorgegangen ſol-
le ſeyn/ vollends an gehoͤrigen orten zu ende gebracht/ ſo dann ſolche acta, die der
gantzen ſache das rechte licht erſt werden geben muͤſſen/ eingeſchickt werden ſollen:
da ſonderlich der hauptpunct wegen der angeſchuldigten oder beſorgeten irrigen
lehr anzuſehen ſeyn wird/ ob man darinnen auf den rechten grund kommen moͤge/
ehe deſſen man auch nichts recht ausmachen kan. Solte nun ſolcher punct noch
nicht mit gehoͤrigem fleiß unterſuchet ſeyn worden/ ſo wuͤrde derſelbe aufs neue/
fleißigſte und ſorgfaͤltigſte unterſucht zu werden/ zu verordnen ſeyn. Daß man
nemlich zum foͤrderſten denjenigen buͤrger/ ſo die puncten Act. Vol. ☾ f. 85. 86.
ſchrifftlich eingegeben aufs ſchaͤrffſte examinirte/ daß er von wem eriedes gehoͤret/
nahmhafft machen muͤſte/ daruͤber er ſamt denjenigen/ welche mit ihm gleiches ge-
hoͤret haben ſolten/ mit denen/ welche ſolches geredet oder gelehrt zu haben beſchul-
diget werden/ muͤſte confrontiret, und durch zuziehung aller derer/ die mit dabey
geweſen waͤren/ und alſo zeugen koͤnnen/ was wahr oder nicht wahr heraus ge-
bracht werden. Ob ich nun wol aus dem/ was mir privata ſcientia von M. Scha-
den und anderer reinen lehr bekant iſt/ vermuthe/ es werde ſich ergeben/ daß entwe-
der ſolcher buͤrger/ das ich doch nicht gern wolte/ boͤßlich dergleichen erdichtet/ oder
aus unverſtand die dinge nicht wie ſie gemeint/ ſondern nach ſeinen gedancken/ un-
recht gefaßt habe/ alſo daß was allerdings/ wie es hie vor augen ſtehet/ gefaͤhrliche
irrthum in ſich faſte/ in ſeiner rechten geſtalt und verſtand vorgeſtellet/ nichts der-
gleichen mehr haben/ ſondern einige goͤttliche wahrheiten begreiffen werde: ſo halte
ich doch nicht davor/ daß man dabey ſicher ſeyn doͤrffe/ in dem auch ein verdacht ei-
ner heterodoxiæ genauer unterſuchung wuͤrdig iſt/ und alſo damit nicht in ruhe
ſtehen darff/ bis alles voͤllig an den tag gebracht worden waͤre. Welches ich glei-
chermaſſen von demjenigen/ was auch p. 86. von einer lohnwaͤſcherin/ ſo ſich auff ei-
nen candidatum medicinæ, und eine jungfrau Heinrichin beruffen/ verſtanden
haben will/ daß man nemlich auch/ was daſelbs und unter ſolchen perſonen vorge-
gangen/ voͤllig unterſuchen muͤſſe. Jn dem ja/ daß einer von dem andern irrige lehr
gelehret worden zu ſeyn vorgiebet/ noch nicht gnug ſeyn mag dieſen zu verdammen/
H h h h h 3nach
[798]Das ſechſte Capitel.
nach dem nicht nur gantz reine Theologi ſich von andern leuten haben muͤſſen ir-
riger lehr/ wol zuweilen aus boßheit oder doch groben unverſtand/ beſchuldigen laſ-
ſen/ ſondern auch ſchwerlich ein prediger ſich finden wird/ dem ſein lebtag nicht be-
gegnet waͤre/ daß einige zuhoͤrer ſeine wort zu ein oder andern mahlen unrecht und
mißverſtanden haͤtten/ davor ſich keine klugheit gnugſam huͤten kan. Wo nun/ dar-
an ich zwar/ wo in der inqviſition als vor Gottes angeſicht und unpartheyiſch ver-
fahren wird/ billich zweifle/ dannoch wieder verhoffen/ wahrhafftig dergleichen
irrige lehren ſolten gefuͤhret worden ſeyn/ ſo leugne ich nicht/ daß die ſache eine
andere geſtalt/ als ich noch glauben kan/ gewoͤnne; Und wuͤrde ſo bald anſtalt zu
machen ſeyn/ daß die jenige/ welche unrechte lehr erſtlich ſelbs gefaſſet/ und drauff
andern vorgetragen haͤtten/ zum allerfoͤrderſten vorgenom̃en/ u. an ihrer zurecht-
bringung gearbeitet wuͤrden: wo auch das vorgeſchlagene mittel dergleichen leu-
te nicht ohne ablegung ihres irrthums in dienſt zunehmen allerdings gerecht iſt/
ja nach dem billichen vorſchlag/ ob ſie auch denſelben abzulegen bezeugeten/ mit ih-
rer beforderung eine gute weil verzogen/ und ſie auf die probe geſetzt werden muͤ-
ſten. Maſſen die wahre und ſichere beybehaltung der reinen lehr unſre regel billich
bleibet/ und wieder dieſelbe nichts nachgeſehen werden ſolle. Jn ſolchem fall waͤ-
ren gleichfals diejenige ſo ſtudioſi als buͤrger/ die man dabey geweſen zu ſein erfah-
ren koͤnte/ fleißig zu examiniren/ ob alle oder welche ſich dergleichen irrthum haͤt-
ten beybringen laſſen/ damit alsdann auch ſie wiederum/ jedoch mit gebuͤhrender
ſanfftmuth/ welche das meiſte bauet/ zu recht gebracht/ und der gleichen feur eines
irrthums recht in der aſche/ und ſo ſtill als es muͤglich iſt/ dann ſolches in dieſer
art geſchaͤffte allezeit ſicherer iſt/ als viel laut davon zu machen/ gedaͤmpffet wuͤrde.


Wo fern aber/ wie ich in ſolcher hoffnung ſtehe/ alles was von ſolcher irrigen
lehr vorgegeben worden/ ein bloſſes gedicht uͤbel geſinnter leute/ die andere bey dem
miniſterio faͤlſchlich angegeben haͤtten/ oder ein mißverſtand (in welchem fall
gleichwohl/ wo aufs wenigſte einige zuweilen nicht vorſichtig gnug geredet/ und al-
ſo zu dem mißverſtand etlicher maſſen anlaß gegeben haͤtten/ dieſen ein verweiß
gebuͤhrte/ und ſie zu vorſichtigern reden angehalten werden ſolten) geweſen zu ſeyn
befunden wuͤrde/ und alſo der punct der orthodoxiæ feſt ſtehet/ ſo wuͤrde doch die
nothwendigkeit erfordern/ aus dieſen bißherigen motibus eine gelegenheit eines
guten zuziehen/ und alſo 2. ſolte nicht undienlieh ſondern faſt noͤthig ſeyn/ daß
von E. Churfl. Durchl. an die Theologiſche Facultaͤten beyder Univerſitaͤten
gnaͤdigſte erinnerung geſchehe/ wie in andern ſtuͤcken ihrer profeſſion alſo fuͤr-
nehmlich in treibung des ſtudii Scripturæ oder Exegetici eifrig fortzufahren/ und
ſich des ruͤhmlichen eiffers und begierde der ſtudirenden jugend/ ſo ſie nunmehr
auf dieſes unter allen uͤbrigen noͤthigſte ſtudium gefaſt haben/ dieſes mal dazu
zugebrauchen/ ihnen nach moͤglichkeit in denſelben an die hand zu gehen/ nach
dem
[799]DISTINCTIO II. SECTIO XXXI.
dem ohne das zwar auch die uͤbrige theile der Theologiæ hoͤchſt nuͤtzlich und noͤthig ſind/ da-
her bey leibe nicht unterlaſſen werden doͤrffen/ dieſes ſtudium aber ohne billichen wiederſpruch
das vornehmſte unter allen bleibet/ und den uͤbrigen maaß gibet/ weßwegen auch Doctores
und ſtudioſi den nahmen von der H. Schrifft fuͤhren/ und E. Churfl. Durchl. loͤblichſte vor-
fahren in den legibus auch die Theologos auf dieſelbe hauptſaͤchlich weiſen: und zwar wie die
austruͤckliche verordnung des theuren Churfuͤrſten Auguſti Univerſitaͤt-Ordnung (p. 397.)
mit ſich bringen/ daß die profeſſores ihre lectiones alſo unter ihnen ſelbs austheilen/ und der-
maſſen anſtellen/ damit ein ſtudioſus derſelben auff beſtimmte gewiſſe zeit durch Gottes gna-
de in den ſchrifften der Propheten und Apoſtel einen ſolchen verſtand faſſen moͤge/ da er gleich
nicht alle buͤcher gaͤntzlich hoͤren erklaͤren/ ſich dannoch in alle ſchicken koͤnne. m. f. w. Wo
auch außtruͤcklich befohlen wird: damit die zuhoͤrer nicht lange an einem ort der H. Schrifft
mit verdruß und verſaͤumniß auffgehalten werden/ ſollen ſie nicht lange bey einer materie
verharren/ noch viel weniger dictiren/ ſondern ein ieder profeſſor aufs laͤngſt in 3. oder 4.
lectionibus ein Capitel abſolviren/ und die zeit mit den opinionibus doctorum Eccleſiæ, oder
andern unnothwendigen/ vorwitzigen ſachen nicht vergeblich zubringen/ ſondern allen ihren fleiß
dahin wenden/ daß ſie uach anleitung des H. Chriſtlichen glaubens und art der ſprachen eines ie-
den orts oder ſpruchs H. Schrifft eigentlichen verſtand auf das einfaͤltigſte und kuͤrtzeſt/ ſo es im-
mer ſeyn kan/ ihren diſcipeln erklaͤren/ und darneben anzeigen/ wie ſolcher entweder zur beſtaͤti-
gung/ oder zum troſt/ vermahnung oder warnung vor ſuͤnden und ungerechtigkeit nuͤtzlich ge-
braucht werden moͤge/ vornemlich aber mit allem fleiß achtung geben/ daß die ſpruͤche H. Schrifft
eigentlich erklaͤret werden/ welche von den Papiſten und rottengeiſtern/ alten und neuen ketzern.
m. f. w. Gewiß iſts/ wo dieſer methodus (wozu auch die daſelbs anbefohlne/ aber nicht richtig biß
her/ wie ich hoͤre/ continuirte jaͤhrliche 12. diſputationes ordinariæ geſetzt werden moͤgen/ und dero
unterlaſſung nicht laͤnger mehr nachzuſehen waͤre) fleißig und ſtaͤts nach dem vorgeſchriebenen in
acht genommen wuͤrde/ ſolte ein ſolcher nutze und profectus der ſtudioſorum Theologiæ folgen/
vor welchen wir dem hoͤchſten nicht gnug danck zuſagen wuͤſten/ und die kirche einen unbeſchreibli-
chen nutzen davon ſchoͤpffen wuͤrde. Da hingegen leider die offenbahre erfahrung zeiget/ wie bey
denjenigen/ welche zu der beforderung examiniret werden/ nicht nur die meiſte wenige fundamen-
ta
der ſtudiorum mit ſich bringen/ ſondern auch unter denen/ welche ſonſten in uͤbrigen partibus
Theologiæ
nicht ungeſchickt/ auffs wenigſte von dem ſtudio exegetico, ſo ihnen ihr lebenlang das
meiſte nutzen ſolte/ ſehr wenig wiſſen/ und ſich dazu wenig angeleitet worden zu ſeyn/ gemeiniglich
entſchuldigen. Daher auch ſchwerlich eine gleich wichtige urſach ſich finden wird/ warum die le-
ctiones publicæ
und collegia privata M. Antonii und M. Francken/ ſo dann auch M. Schaden und
anderer ſo bald einen faſt ungemeinen zulauff der ſtudioſorum bekommen/ und der eiffer derſelben
ſtaͤts beharret/ als weil ſie/ wie nuͤtzlich und hoͤchſinoͤthig vor allen andern ſtudiis dieſes ihnen ſeye/
bey ſich ſelbs erkant und empfunden/ da ſie nichts in ſpem futuræ oblivionis lerneten/ ſondern was
ſie hoͤrten lauter dergleichen dinge zu ſeyn fanden/ davon ſie und andere nutzen haben wuͤrden.
Daher allerdings kein zweiffel iſt/ wo die profeſſores ordinarii ſich dermaſſen nach dem begriff und
nutzen ihrer auditorum ſchicken und herab laſſen/ und dieſelbe in dasjenige/ was das hauptwerck
iſt/ am fleißigſten fuͤhren werden/ daß auch dieſe deſto mehr vertrauen und liebe gegen ſie haben
werden.


Es wuͤrde aber auch noͤthig ſeyn/ daß Profeſſores Theologiæ ſich angelegen ſeyn laſſen/ ih-
re lectiones alſo einzurichten/ daß die auditores auch allezeit einigen guſtum und ſenſum pietatis
drauß ſchoͤpffen moͤchten. Jch bin nicht in abrede/ daß ich faſt erſchrocken bin/ und kaum meinen
augen gegla[u]bet habe/ als ich in dem nahmen der Theologiſchen Facultaͤt Act. Vol. ☾ f. 39. b.
„dieſe wort geleſen: Die prediger/ zu denen wir die ſtudenten in die kirche weiſen/ ſollen ſie fromm/
„wir zu denen ſie in die lectiones und collegia kommen/ ſollen ſie gelehrt machen. Jch will auch
nicht hoffen/ daß dieſes/ wie die wort ſo crude da ſtehen/ dieſer maͤnner/ welche im uͤbrigen billich
liebe/ und in ehren halte/ meinung ſolle ſeyn/ ſondern gern eine interpretation, wie ſie gefunden
wer-
[800]Das ſechſte Capitel.
werden mag/ daruͤber annehmen. Solte aber dieſes die wahre meinung ſeyn/ wie die wort an
ſich ſelbs mit ſich bringen/ wuͤßte ich nicht/ wie ich ſolches vertheidigen ſolte/ und bin verſichert/
daß unſre Chriſtliche alte Theologi gar anders von der ſache gehalten haͤtten. Jch habe ander-
wertlich (Allgem. Gottesgelehrth. q. 5. p. 185. u. f.) aus unſern vornehmſten lehrern hoffentlich
mit unwiederſprechlichen gruͤnden und zeugnuͤſſen dargethan/ daß die wahre Theologia nicht al-
lein in einer natuͤrlichen und durch menſchlichen fleiß zu wegen gebrachten wiſſenſchafft beſtehe/
ſondern daß nothwendig die goͤttliche erleuchtung auch dazu erfordert werde/ und alſo bey keinem
menſchen/ der nicht auch von hertzen gottsfuͤrchtig ſeye/ und zu einer tuͤchtigen werckſtatt des Heil.
Geiſtes ſich bereiten laſſe/ gefunden werden moͤge. Daher wo Chriſtliche profeſſores rechtſchaf-
fene Theologos durch ihre anweiſung in goͤttlichem ſegen machen ſollen/ mag zu ſolchem zweck
noch nicht gnug ſeyn/ daß ſie gelehrte leute machen/ denn ſolche ſind deßwegen noch nicht wahre
Theologi, ſondern ſie muͤſſen auch dazu mit das ihrige beytragen/ daß ſie fromm/ und alſo tuͤchti-
ge officinæ werden/ in welchen der H. Geiſt wuͤrcke/ und ihre uͤbrige arbeit an ihnen zur rechtſchaf-
fenen und lebendigen Theologie ſegne. Wie daher derjenigen Theologorum gedaͤchtnuͤß ſtaͤts
am meiſten in dem ſegen geblieben/ und das meiſte kraͤfftige ausgerichtet haben wird/ welche ihre
meiſte lectiones allezeit dahin gerichtet haben/ daß auch nicht nur bey allen glaubens-articuln o-
der auch abhandlung der ſchrifftſtellen/ wie iede wahrheit des glaubens auch ihre lebens-pflicht
nach ſich ziehe/ gemeldet/ ſondern auch ſo offt ſichs thun lieſſe/ bewegliche paræneſes von ihnen un-
termiſchet worden ſind/ und Chriſtliche lehrer noch leben werden/ die ihren præceptoribus nicht
geringern danck/ daß ſie ſie fromm als gelehrt gemacht haben/ dieſe ſtunde vor GOtt ſagen/ und
ſich ihnen ewig davor verbunden erkennen. Daher ich hoffe/ es werden auch E. Churfl. Durchl.
Univerſitaͤten ſichs nicht nachſagen wollen laſſen/ daß man nur ſo zu reden zur helffte Theologos
daſelbs durch die inſtructionem Theologicam machen/ die uͤbrige helffte/ von dero doch die ande-
re alle ihre vornehmſte krafft herhaben muß/ dem miniſterio allein uͤberlaſſen wolte/ wie ſichs auch
nicht verantworten lieſſe.


3. Weilen aus den acten erhellet/ daß eine differenz von guter zeit zwiſchen den beiden der Theo-
logiſchen und Philoſophiſchen Facultaͤten obſchwebet/ und der mißverſtand wegen des rechts der
collegiorum ziemlichen theils aus derſelben entſtanden iſt/ ſo wuͤrde faſt noͤtig ſeyn/ daß E. Churf.
Durchl. foͤrderlichſt dieſelbe gegen einander gnugſam zu hoͤren/ und alsdenn ein ſolches deciſum zu
geben gnaͤdigſt geruhen wolten/ wie ſie am beſten und fuͤglichſten ſich mit einander wol verſtehen/
und beiderſeits zu dem gemeinen zweck der auffnahm der ſtudien neben einander arbeiten koͤnten:
ſo viel mehr nach dem in dem Philoſophiſchen collegio gemeiniglich eine gute zahl der Profeſſo-
rum
zugleich auch Licentiati oder Doctores Theologiæ, hingegen gemeiniglich unter den Profeſ-
ſoribus Theologiæ
einige mit paſtoralen beladen ſind/ welche ſie bey den verrichtungen der pro-
fesſion
nicht allein laſſen/ daher der gemeinen wolfahrt der Univerſitaͤt und der ſtudirenden ju-
gend beſtem gemaͤſſe iſt/ wo ihrer mehrere/ doch gleichwol mit freundlichem vernehmen unter ein-
ander/ an dem ſich ſo weit erſtreckenden ſtudio Theologico arbeiten/ als da die geſamte theologi-
ſche/ oder auch gar die Theologie nur etzlicher maſſen beruͤhrende/ materien bloß auff etzliche we-
nige maͤnner reſtringiret werden. Sonderlich iſt die Vol. Act. ☾ f. 16. b. angefuͤhrte Churfl.
verordnung wol in acht zu nehmen/ dadurch ohne zweiffel aus angezogner urſach und wegen meh-
reren nutzes der ſtudirenden jugend verordnet worden/ daß von den materiis philologicis den
Profeſſoribus lingvarum und Magiſtris philoſophiæ zu diſputiren zugelaſſen werden ſolte/ doch
daß ſolches von einem profeſſore, der von Fac. Theologica dependiret/ moderiret wuͤrde. So
iſt auch der unter beyden collegiis nachmal gemachte vergleich ſehr fein/ und meritirte eine ſolche
confirmation, daß er zu kuͤnfftiger regel diente. Daß aber die bißher den baccalaureis Theolo-
giæ,
und andern/ ſo ſich dazu durch eine diſputation habilitiren/ durch die hohe verordnung ge-
gebne erlaubnuͤß mehr ins kuͤnfftige zu reſtringiren ſolte ſeyn/ finde ich keine/ ſondern vielmehr es
dabey zu laſſen/ rechtmaͤßige urſache.


4. Nach
[801]ARTIC. II. SECTIO XXXI.

4. Nachdem bey hieſigen Univerſitaͤten in allen ſtudiis faſt gebraͤuchlich/
daß auch zu allen zeiten von Studioſis unter ſich allerley collegia und exercitia
gehalten worden ſind/ welches auch den flor derſelben gegen einige andere/ da der-
gleichen nicht herkommens iſt/ groſſen theils verurſachet und erhalten hat/ ſo wird
nicht allein dergleichen in materia exegetica fortzuſetzen/ billich zu vergoͤnnen/
ſondern vielmehr aus hoher autoritaͤt Ew. Churfuͤrſtl. Durchlauchtigkeit anzu-
ordnen ſeyn/ daß ſonderlich das collegium Phylobiblicum, welches nun in das
vierdte jahꝛ mit gꝛoſſen nutzein der membrorum, welcher auch anderwertlich hin
zum preiß der loͤblichen Univerſitaͤt Leipzig weit erſchollen iſt/ und andere aufge-
muntert hat/ gehalten/ aber nach dem juͤngſt hin D. Valentinus Alberti ſein hauß
und auffſicht daruͤber auffgeſaget/ und ohne dieſe die membra ſorgten/ daß ihre
zuſammenkunfft auch vor verboten geachtet werden moͤchte/ diſſolviret worden
iſt/ auffs forderlichſte reſtabiliret, und nach ihren vorigen legibus, oder wie ſie
zur erbauung nuͤtzlicher eingerichtet werden koͤnten/ zu continuiren, einem Pro-
feſſori
das præſidium oder auffſicht uͤber daſſelbige auffgetragen wuͤrde: damit
nicht der davon biß dahin verſpuͤhrte groſſe nutze zur verantwortung niedergeſchla-
gen/ ſo dann nach dem das gericht von ſolchem collegio gedachter maßen ſich an
viele orte erbreitet hat/ die opinion ihrer vielen beygebracht wuͤrde/ ob ſuchte man
das ſtudium biblicum ſelbs bey uns mehr zu hemmen als zu fordern. Ob nun
auch wol mir noch nichts vorgekommen iſt/ ſo mich uͤberzeuͤgte/ daß die wenigſte
unordnung oder inconveniens aus dem gedachten collegio Philobiblico, wie
es biß dahin war continuiret worden/ entſtanden waͤre/ da doch nicht ordinarie
ein Profeſſor dabey geweſen/ ſo moͤchte gleichwol dieſes die ſache noch ſo viel ſiche-
rer ſtellen/ wo das ordentliche præſidium einem Profeſſori auffgetragen wuͤrde/
welcher allezeit oder meiſtentheils dabey waͤre; Auff welche art nicht einmal ein
billicher verdacht nur davon geſchoͤpffet werden koͤnte/ hingegen die frucht ſolches
exercitii und dadurch ſchaͤrffenden fleiſſes der Studioſorum ſehr reichlich ſich zei-
gen wuͤrde.


5. Nechſt dem was andere gemeine erbauung anlangt/ ſo bliebe das aus
Ew. Churf. Durchl. kirchen-Rath angeordnete edict, daß dergleichen bedenck-
liche
conventiculaundprivat-zuſammenkunfften/ darinnen man die hei-
lige ſchrifft nach eigenem gutachten auslege/ und allerhand neuerliche
und in der rechtglaͤubigen Evangeliſchen kirchen bißher ungewoͤhnliche
dinge fornehme/ die auff weit auſſehende und gefaͤhrliche
conſequentien
abziehleten/ gaͤntzlich eingeſtellet werden ſolte/ in ſeinem vigor feſt; muͤſte
aber nicht uͤber ſeine wort und meinung extendiret werden/ wie gleichwol von den
meiſten bißher hat geſchehen wollen/ ſo gardaß auch einige befragt/ ob dann auch
verboten ſolte ſeyen/ wo ein hauß-vater mit den ſeinigen in der Bibel leſe/ und al-
lerdings von ungefehr ein anderer dazu kaͤme/ mit dem leſen fortzufahren/ ſolches
J i i i ibeja-
[802]Das ſechſte Capitel.
bejahet worden/ und man haben wollen/ man ſeye ſchuldig/ das buch ſo bald zu zu-
machen/ und das leſen zu unterlaſſen. Sondern moͤchte unmaßgeblich dahin er-
laͤubet werden/ daß Ew. Churfuͤrſtl. Durchl. aus vorſorge gegen allerley gefahr/
ſo ſonſten entſtehen moͤchte/ keine formliche und den ſchein gewiſſer Collegiorum
habende verſamlungen von vielen perſonen/ welche ohne auffſicht oder præſidio
eines ordenlicher Profeſſoris oder Predigeꝛs waͤren/ gehalten haben wolten/ ſon-
dern ſolche verboten bleiben ſolten. Damit aber wuͤrde nicht verboten/ wo einige
wenige Chriſtliche perſonen ſich je zuweilen von ungefehr antreffende oder auch mit
fleiß einander beſuchende von goͤttlichem wort und erbaulichen dingen beredeten/
ohne eigenmaͤchtiges auslegung der heiligen Schrifft/ wie dann die jenige/ ſo ſich er-
bauen wollen/ uͤber ſchwehꝛe und hohe ſachen/ wo man ſich leicht verſteigen koͤnte/
ſich nicht zu machen pflegen/ ſondern allein ſich in dem HErrn zu erfreuen und auff-
zumuntern trachten. Welcherley geſpraͤche unter Chriſten von allen Chriſtlichen
Theologis gewuͤnſchet/ hingegen offt klagen gefuͤhret werden/ daß an ſtatt erbau-
licher geſpraͤche meiſtens ſo viel unnuͤtze geſchwaͤtze getrieben werden. Ja es kan
ſo gar die freykeit der Chriſten ſich dann und wann gottſelig zu unterreden vor
nichts neuerliches gehalten werden/ in dem wir ſelbs in unſern Libris Symbolicis,
nahmentlich dem ort Schmalcald. S. 3. n. 4. p. 329. unter die mittel/ dadurch
GOTT ſeine gnade und guͤte reichlich uns ertheile/ zehlen mutuum colloqui-
um \& conſolationem fratrum:
Mit anfuͤhrung des ſpruchs Matth. 18. Wo
zwey odeꝛ drey verſamlet ſind: Daher billich zu præcaviren iſt/ daß das Churfuͤrſtl.
edict wieder dieſe bekaͤntnuͤß zu ſtreiten das anſehen nicht gewinnen moͤge. Nach
dem ferner unterſchiedliche Chriſtliche Theologi ſelbs rathen/ daß ob wol mit gu-
ter behutſamkeit an orten/ wo keine beſondere hindernuͤſſen ſich vor thun/ auch ei-
gentliche collegia zur erbauung unter auffſicht des predigamts angeſtellet wuͤr-
den/ alſo daß auch die Theologiſche Facultaͤt zu Leipzig Act. Vol. ☉ f. 81. b.
außtruͤcklich ſagt: daßcollegia pietatisan ihnen ſelbs/ da in gewiſſer ord-
nung unter dem
præſidioeines gottſeligen Predigers oderProfeſſorisdie
ſpruͤche der heiligen ſchrifft unterſuchet/ die unteꝛlauffende
ſcrupulbenom-
men/ die zweiffels fragen beantwortet/ und andere zur [erbauung] des Chri-
ſtenthums noͤtige dinge abgehandelt werden/ nicht zu verwerffen/ ſondeꝛn
ihren guten und herrlichen nutzen haben:
nur daß ſie ſolche daſelbs nicht wol-
len jungen leuten geſtatten. Wie ſie auch nachmal Act. Vol. ☾ f. 52. b. 53. a.
einem unterſcheid unter einigen conventiculis ex cacozelia, und unter dem von
unterſchiedlichen Theologis gerathenen collegiis pietatis, und von dieſem ſagen/
daß ſie ſie billich ruͤhmen und rathen/ daß ſie auff EvangeliſcheUniverſi-
taͤten ſo wol als an andern orten/ da keineUniverſitaͤten ſeyen/ ſo ſichs an-
ders
absque abuſu inſeparabiliwillpracticirenlaſſen/ eingefuͤhret wer-
den moͤchten.
So ſtuͤnde ferner zu reiffer deliberation, ob nicht jetzo eben die
zeit
[803]ARTIC. II. SECTIO XXXI.
zeit waͤre/ da bekanntlich eine mehrere begierde bey ſo vielen entſtehet/ ſich in ih-
rem Chꝛiſtenthum beſſer als vormahlen zu uͤben/ einigen oder etzlichen Predigern/
welche zeit/ prudenz und zuneigung dazu haͤtten/ auffzutragen/ daß ſie derglei-
chen uͤbungen auff art und weiſe/ welche denſelben vorgeſchrieben weꝛden moͤchte/
wuͤrcklich anſtelleten/ damit die leute nicht in die gedancken kommen/ man verlan-
ge hohen orts nicht alles zu thun/ was ihr ewiges heyl mehr befordern koͤnte/ ſon-
dern daß ſie vielmehr ſehen/ was vorhin gegen die vorige Collegia gethan worden
ſeye nicht geſchehen zu daͤmpffung des guten/ ſondern deſſen uͤbung allein in die
rechte und ſicherſte ordnung zu bringen. Jch ſehe auch nicht/ wie einiger abu-
ſus
der inſeparabel waͤre/ und nicht prudenter vorgebauet/ oder ſtracks abge-
lehnet werden koͤnte/ da gegen angefuͤhret werden koͤnte. Daher eine bloſſe forcht/
der erhaltung eines ſtarck einleuchtenden guten mit recht nicht gleich wichtig gehal-
ten werden mag.


6. Wann dann alles ſolches duꝛch GOttes gnad voͤllig zu ſtand und in ord-
nung gebracht waͤre/ ſolte an ſtatt der Act. Vol. ☾ f. 89. vorgeſchlagenen predigt/
nicht undienſam ſeyen/ daß/ wie vor einigen jahren die Univerſitaͤt Jena ſich pu-
blice purgiret
hat/ als ein geſchrey von einer daſelbs neu entſtandenen ſecte der
gewiſſener entſtanden war/ u. deſſen ungrund von ihnen dargethan worden iſt/ a[lſo]
durch einen offenlichen anſchlag unter E. Churf. Durchl. autoritaͤt auch bezeuget
wuͤrde/ wie unguͤtlich dero unſchuldige Univerſitaͤt Leipzig/ ob haͤtte daſelbs eine neue
ſecte ſich entſponnen/ hin und wieder diffamiret worden/ wie die ſache auffs ge-
naueſte unterſucht/ des ausgeſprengten nichts gefunden/ einigen bemerckten ge-
ringen unordnungen abgeholffen/ und alles in ſolche verfaſſung/ daß weder dem
ſtudio pietatis einige hinderung gemacht/ nach dem vorwand deſſelben eine ge-
legenheit ſchaden zu thun gelaſſen wuͤrde/ gebracht worden ſeye. Wo etwa auch
unmaßgeblich etliches von gewiſſen anſtalten/ dero kundmachung bey andern vor
nuͤtzlich erachtet wuͤrde/ den nahmen des pietismi oder der pietiſten nicht weiter
mehr hoͤren zu laſſen. So moͤchte auch deꝛgleichen in ausdruͤcklichen predigten
der gemeinde wiſſend gemacht/ und ſie von dem mißverſtand von einer ſeiten eines
haſſes gegen unſchuldige leute/ von der andern ſeite der ſorge/ daß man das gute
ſelbs hindern wolle/ durch Chriſtkluge information befreyet werden. Jndeſſen
aber wuͤꝛde zum allerfoͤrderſten wol die hoͤchſte nothdurfft erfordern/ daß Ew.
Churfuͤrſtl. Durchl. hier/ in Leipzig/ in Wittenberg/ und an allen orten ernſtli-
che inhibition thaͤten/ daß ehe alles ausgemacht/ auff den cantzeln/ wie mit be-
truͤbnuͤß und aͤrgernuͤß vieler Chriſtlichen hertzen bißher geſchehen iſt/ von der glei-
chen unerfindlichen und aufs wenigſte noch unerwieſenen dingen nicht gepredigt/
das falſche geruͤcht geſtaͤrckt/ und die beylegung des gantzen wercks ſchwerer ge-
macht wuͤrde.


J i i i i 2Die-
[804]Das ſechſte Capitel.

Dieſes iſts/ Gnaͤdigſter Churfuͤrſt und Herr/ worinnen ich meine einſicht in
das gantze geſchaͤfft/ und was mich dabey zu thun noͤthig bedeucht/ vor dem angeſicht
des HErrn und derſelben in ſchuldiger demut vorzuſtellen noͤthig und Ew. Chur-
fuͤrſtlichen Durchlauchtigkeit gnaͤdigſtem befehl gemaͤß erachtet habe: Der gaͤntz-
lichen zuverſicht/ wo auff dieſe weiſe die ſach mit gebuͤhrender ſorgfalt und vorſichtig-
keit angeſtellet werden ſolte/ daß damit viel beſorgendes unheil vermieden/ vieler ſe-
len heil ſo viel kraͤfftiger befordert/ und nicht geringer ſegen uͤber dieſe lande und kir-
che unfehlbahr gezogen werden wuͤrde.


Wie ich dann noch zuletzt davor achte/ die hauptabſichten/ ſo zu gleich die re-
glen mitgeben koͤnnen in dieſem gantzen geſchaͤffte ſollen nechſt der Goͤttlichen ehr
und der kirchen wohlfahrt/ ſo in allen folgenden mit ſtecken/ ſeyen/ daß


1. Aller irrthum verhuͤtet/ oder wo einer waͤre/ ſo bald gebeſſert/ und das theu-
re kleinod der reinen lehr/ als eine Goͤttliche beylage/ in Ew. Churfuͤrſtlichen
Durchlauchtigkeit landen ohne einigen abbruch erhalten.


2. Dabey aber auch keine muͤgliche gelegenheit zur erbauung und einem Got-
ſeligen leben/ deſſen mangel bey den meiſten ſo wol den mangel des wahren glau-
bens verraͤth/ als auch wol deſſen urſach iſt/ mit willen zu einer ſchwehren verant-
wortung verſaͤumet/ ſondern alle welche GOTT zeiget danckbahrlich angewen-
det/ und alſo wo man weiſſt gutes zu thun/ nichts wider des Apoſtels lehr Jac. 4/
17. unterlaſſen.


3. Niemand ſo unſchuldig iſt/ der reinen lehr beypflichtet/ und dieſelbe mit
heiligen wandel zu zieren/ auch andern dazu nach moͤglichkeit befoͤrderlich zu ſeyen/
begiehrig iſt/ um verdacht oder einiger wiederwaͤrtigen eigen ſinns willen/ gedruckt
und zu ſeufftzen bewogen.


4. Auch niemanden/ der wahrhafftig der gottſeligkeit zu wider waͤre/ und
unter dem vorwand der reinen lehr und guter ordnung in der that dieſelbe zu hin-
dern bedacht waͤre/ die hand gegen dieſelbe auch unwiſſend geſtaͤrcket.


5. Ew. Churfuͤrſtlichen Durchlauchtigkeit land und kirche der auffgelegten
uͤblen nachrede nachdruͤcklich befreyet/ der wiederwaͤrtigen freude und frolocken uͤ-
ber die poſt einer neuen ſecte unter den Evangeliſchen geſchweiget und die kirche
ſelbs in ruhe erhalten/ auch zu dieſer fernerem GOTT gefaͤlligem flor guter vor-
ſchub gethan.


6. Das vertrauen gegen Eurer Churfuͤrſtlichen Durchlauchtigkeit hohe per-
ſon und dero regierung bey gottſeligen hertzen wegen dero treuen vorſorge in befoͤr-
derung des guten ſtattlich beſtaͤrcket.


7. Des heiligen predigamts wuͤrde/ ſo durch nichts bey ſonſt Gottsfuͤrchtigen
ſeelen gefaͤhrlicher verletzt und das noͤthige vertrauen geſchwaͤchet werden kan/ als
wo es das anſehen gewinnet/ daß die perſonen in demſelben nicht alles zur erbau-
ung
[805]ARTIC. II. SECT. XXXII.
ung dienliches nach muͤglichkeit zu befoͤrdern bereit ſeyen/ ſondern aus fleiſchlichen
abſichten daſſelbe hinderten/ kraͤfftiglich gerettet.


8. GOttes gerechter und wegen vieler ſuͤnde leider allzuſehr auff uns liegen-
der zorn/ welcher durch jede hindernuͤß einiges guten/ daran auch die verſaͤumung
einiger ſeelen hangen koͤnte/ allzuſehr vermehret/ und deſſen ausbruch gefaͤhrlich
beſchleunigt werden moͤchte/ abgewendet/ hingegen


9. Deſſen ſegen durch befoͤrderung der erkaͤntnuͤß der wahrheit und uͤbung
der Gottſeligkeit/ auff eiffrige taͤgliche danckſagung frommer ſeelen/ vor das gute
ſo ſie genieſſen/ auffs reichlichſte uͤber dero gantze land/ ja auch eigner hohen perſon
und hauß/ gezogen werde.


Wo dieſe abſichten nicht aus den augen geſetzt/ und nach denſelben alle deli-
berationen
angeſtellet/ folglich auch alles/ was man vornimmt/ wie jedes ſonder-
lich denſelben gemaͤß iſt/ in der furcht des HERRN erwogen werden wird/ bin ich
in meiner ſeelen verſichert/ traue auch in den nahmen GOttes zu verſprechen/ daß
niemand/ welcher daran theil habe/ ſich deſſen zeitlich oder ewig gereuen zu laſſen
urſach haben wird.


Nach dem alſo vor Ew. Churfuͤrſtlichen Durchlauchtigkeit nach meinem ver-
langen mein hertz ausgeſchuͤttet/ und mich alſo der ſonſt beſorgenden verantwor-
tung vor GOTT hiemit entladen habe/ ſo uͤberlaſſe ichs numehr in ſtille und ge-
horſam gleich wie der heiligſten regierung des HERRN/ deſſen ehre ſo vielfach
hierinnen intereſſiret iſt/ alſo auch deroſelben gnaͤdigſten entſcheidung: den him̃-
liſchen Vater demuͤthigſt anruffende/ ſo auch ferner zu thun niemahl unterlaſſen
werde/ welcher ſeine weißheit von oben auch in dieſem ſo wichtigen geſchaͤffte in de-
ro theures hertz/ auch dero treuen Raͤthe und miniſtrorum hertzen reichlich geben/
und ſie ſo zu erkennen/ was wahrhafftig ſeines willens iſt/ als ohne andere fleiſch-
liche abſichten dieſem in allem nachzukommen/ kraͤfftig regieren/ dadurch aber ei-
nen ſolchen ausgang derſelben verleihen wolle/ daß allein boͤſen geſteuret/ und des
Satans liſt zu ſchanden gemacht werde/ hingegen viele ſeelen uͤber ſolche Goͤttliche
gnade/ und dero geſegnete werckzeuge treue denſelben mit freuden in zeit und e-
wigkeit dancken. Womit zu aller hohen wohlfart und in geiſt- und weltlichem
geſegneter regierung inbruͤnſtig in des HERRN HERRN ſtarcke obhut
empfehlende verharre. u. ſ. f.


SECTIO XXXII.


Nochmahliges bedencken uͤber gleichen punct/ als
die uͤbrige
volumina actorumdarzu gekommen.


Goͤttliche gnade/ friede und heil in CHRJSTO JESU zu allem
hohen wohlweſen und geſegneter regierung!

J i i i i 3Durch-
[806]Das ſechſte Capitel.
Durchlauchtigſter Fuͤrſt/
Gnaͤdigſter Chur-Fuͤrſt und Herr.

DAß Ew. Churfuͤrſtliche Durchlauchtigkeit auff unterthaͤnigſtes mein bitten
von den acten/ die ſo genante Pietiſten betreffende/ mir nebens den erſten
bereits durch geſehenen ſub ſigno. ☉. und ☾ auch die uͤbrige ſub ſign.
♂ ☿ und ♃ die letzte inquiſition in ſich faſſende volumina gnaͤdigſt zu be-
ſtellen laſſen wollen/ habe hiedurch unterthaͤnigſten danck zu ſagen/ und
ſolches ſo viel freudiger/ als mich deroſelben fleißige durchleſung ſo beruhi-
get als erfreuet hat/ alſo daß ich urſach finde/ zum allerfoͤrderſten die himmliſche guͤ-
te mit demuͤhtigſten danck zu preiſen/ welche Ew. Churfuͤrſtliche Durchlauchtig-
keit anvertraute lande und kirche ſo gnaͤdigſt und maͤchtigſt erhalten habe/ daß ſol-
che mit keinen irrthuɯe oder anderen gefaͤhrlichen dingen/ wie die falſche geruͤcht
bißher aller orten dergleichen ausgeſprenget hatte/ angefochten oder beflecket wor-
den ſind/ und alle unruhe und unweſen meiſtens allein jenem ungegruͤndeten geꝛuͤcht
und allerley mißverſtaͤnden/ in welchem fall hinwider auch alles ſo viel leichter voͤl-
lig beruhiget werden kan/ zu zuſchreiben iſt. Ob ich dann wol/ wie mich bil-
lich allezeit dahin erklaͤhret habe/ bereit geweſen/ dafern ſich in der letzten inquiſi-
tion
etwas anderes/ und von mir nicht vermuthetes/ angeben ſolte/ meine vorige
meinung/ da in gnaͤdigſt erforderten meinem unterthaͤnigſten bericht von den 14.
Jan. von denjenigen perſonen/ welche ſpottsweiſe Pietiſten genennet werden/ und
der gantzen ſache nicht anders als gut/ und daß ſie des beygemeſſenen nicht ſchuldig
ſeyen/ zu halten/ und darauff mein gantzes gehorſamſtes gutachten zu gruͤnden ver-
mocht habe/ zu retractiren/ und nach befinden anderer vorſchlaͤgen mich zu con-
formi
ren/ ſo hat mich dennoch die durchſehung dieſer acten mit freuden verſichert/
daß ich mich in meiner gantzen hoffnung nicht betrogen/ noch von meinen vorigen
gedancken abzuweichen/ ſondern obgedacht gnaͤdigſt erforderten unterthaͤnigſten
bericht hiemit nochmahl zu beſtaͤrcken und zu ſuppliren urſach habe.


Dann es erhellet aus dieſen actis 1. Daß keine neue ſecte oder ketzerey in
Ew. Churfuͤrſtlichen Durchlauchtigkeit land/ und ſonderlich dero ſtatt und uni-
verſi
taͤt Leipzig/ entſtanden/ noch die genannte Pietiſten vor eine ſolche zuhalten
ſeyen: Wie dann die gantze acten nicht das geringſte/ daß nur einen ziemlichen
ſchein einer ſecte oder trennung geben koͤnte/ in ſich faſſen: So hat ſich auch nicht
ein einiger irrthum hervorgethan/ welcher entweder von den davor gehaltenen au-
toribus
des ſo genanten Pietismi hergekom̃en/ oder in ihren collegiis gehoͤret wor-
den waͤre/ ſondern alle/ welche von ſolchen collegiis examiniret worden/ haben
nichts anders zeugen koͤnnen gehoͤret zu haben/ als was unſrer kirchen allgemeine
lehr iſt. Da es unmoͤglich iſt/ wo etwas irriges vorgebracht worden waͤ-
re
[807]ARTIC. II. SECTIO XXXII.
re/ daß nicht auffs wenigſte einige zeugen in ihren depoſitionibus entweder auff-
richtig davon wuͤrden herausgegangen ſeyen/ oder aber auch unwiſſend ſich in den
reden verſchnappet haben. Dann ob wohl von einem buͤrger Act. ☾. f. 85. 86.
ſchrifftlich 9. puncten uͤberreichet ſollen worden ſeyen/ welche freylich ſchwere irr-
thuͤme in ſich faſſen/ u. da ſie alſo gelehret worden waͤren/ die gantze ſache wider ſolche
leute ausmachen koͤnten/ ſo findet ſich doch in der gantzen inquiſition nicht ein
jota von ſolchen buͤrger/ der alſo widerum muß zuruͤck und in ſich gegangenſeyen/
oder wuͤrde ſich nicht verantworten laſſen/ daß da ſo viele andere ſtudioſi und
buͤrger examiniret worden ſind/ der jenige an deſſen auſſage alles am meiſten ge-
legen iſt/ von denen verſchohnet waͤre/ unter welche er gehoͤret. Jn deme ihn abge-
hoͤret zu werden/ nicht haͤtte ſchuͤtzen koͤnnen/ daß er dergleichen puncten ſeinem
Seelſorger und alſo in geheim uͤbergeben habe/ alldieweil das ſecretum confeſſio-
nis
nicht darauff ſich zeucht/ ſondern allein die jenige ſuͤnden/ ſo jeglicher von ſich
beichtet/ angehet/ und wo dieſe ſache unter daſſelbe gehoͤrete/ der ſeelſorger ſolche
puncten auch nicht an Ew. Churfuͤrſtlichen Durchlauchtigkeit haͤtte bringen/
noch viel weniger weiteꝛ propaliren (ſo doch geſchehen/ und von ſolchen biß auſſer
landes erſchollen/ ſo gar daß ich ſorge/ wo nicht verſehung geſchiehet/ ſolche pun-
cten
noch in oͤffentlichen ſchrifften alſo die errores pietiſtarum werden von der
nachwelt geleſen werden/ davon bereits einiger anfang ſich zeigen lieſſe) ſollen: nach
dem aber dieſes einmahl geſchehen/ koͤnte ſolcher buͤrger keinerley weiſe ſich entſchuͤt-
ten/ ſeine auſſage oͤffentlich zu thun/ und ſolche unterſuchen zulaſſen/ und wuͤrde al-
len ſeinen entſchuldigungen das hierunter verſirende bonum publicum, auff den
grund zu rettung der wahrheit oder abwendung aller gefahr zu kommen/ kuͤnfftig
verdringen. Alſo kan ich die uͤbergehung dieſes hauptſtuͤcks/ daran mehr als an
allen andern examinibus gelegen geweſen waͤre/ nicht anders anſehen/ weil ich ſie
der Churfuͤrſtlichen commiſſion nicht zu zutrauen habe/ als daß der buͤrger wide-
rum zuruͤck gegangen/ und alſo ſein voriges eingeben eine bloſſe verlaͤumdung ge-
weſen ſeye/ bey dero er nachmahl zu ſtehen nicht getrauet habe. Welches gleich-
wohl nicht wenig ſtraffbahr iſt/ hingegen/ der ſo genanten pietiſten unſchuld tref-
lich beſtaͤrcket: und bleiben ſie ohne irthum/ nachdem keiner derſelben in der auch
genau angeſtelten inquiſition auff ſie gebracht worden iſt. Dieſem moͤchte zwar
entgegen geſetzet werden/ was uͤber Chriſtian Gaulicke/ einen ſtudioſum medi-
cinæ
erſtlich Vol. ☾. f. 86. b. wie er die Junfrau Henrichin/ und nebens ihr ei-
ne lohnwaͤſcherin/ E[liſa]beth Karigſin/ irriger dinge theils beredet/ theils bere-
den haben wollen geklagt worden. Welche Karigſin auch nachmahl Vol. ♂. f.
27. b.
u. f. ſo dann Vol. ☿. f. 16. u. f. ihre ausſage gethan/ auch Vol. ♂. f. 88. und
☿. 100. mit einem eid bekraͤfftigt hat: daruͤber [f]erner ſo wohl die jungfrau. Vol. ♂.
f. 41.
u. f. ☿. f. 38. u. f. ſo dann Benjamin Meſer und Elias Gebler Vol. ♂. f, 67.
84.
u. f. ☿. f. 47. u. f. abgehoͤret/ endlich er Gaulicke ſelbs zum examine gebracht
wor-
[808]Das ſechſte Capitel.
worden iſt. Vol. ♂ f. 77. u. f. ☿. f. 92. u. f. Nun moͤchte ſo bald vor ihn dieſes ange-
fuͤhret werden/ daß ſo wol die jungfrau als auch er ſelbs ſich anders und orthodo-
xe
gnug erklaͤhret haben/ insgeſamt auch der Karigſin/ von dero ohne daß als einer
der Goͤttlichen dinge unkuͤndigen perſon wol muͤglich iſt/ daß ſie/ wie jegliches ge-
redet geweſen/ nicht gnugſam eingenommen habe/ ausſage in unterſchiedlichen
durch die andere zeugen und die eigne erklaͤhrung geſchwaͤchet worden ſeye. Aber
ich erkenne gern/ das Gaulicke nicht allerdings zu entſchuldigen ſeye/ ſondern ge-
zeiget habe/ daß er die lehre der rechtfertigung und heiligung nicht recht verſtehe/
unterſchiedliches irrig darinnen gefaſſet/ und ſich in reden verſtoſſen habe/ daher
ihm ſo wohl ein verweiß als beſſerer unterricht gebuͤhret. Hingegengraviret die-
ſes exempel die gantze ſache/ wo es recht erwogen wird/ bey weitem nicht dermaſſen/
als es zu erſt das anſehen haben moͤchte. Dann was biß daher von einer neuen
ſecte und irrthum ausgeſprenget/ und unterſucht worden/ betrifft eigentlich die-
ſes/ daß oder ob die von M. Francken/ M. Schaden und andern haltende collegia
eine neue ſecte ausgebruͤtet haben/ und die Pietiſten ſo die jenige ſeyen ſollen/ wel-
che aus jener collegiis daß ihrige hergenommen/ alſo auch allein nach deme zu
urtheilen waͤren/ was ſie daraus gehoͤret haͤtten/ irriger lehre ſchuldig ſeyen. Sol-
ches wird nun im geringſten durch dieſes exempel nicht erwieſen: Jndem 1. Gau-
licke nicht allein ein ſtudioſus medicinæ der dazu vor noch nicht vieler zeit ein wil-
des wuͤſtes leben gefuͤhret zu haben Vol. ♂. f. 54. b. bezeuget wird/ ſondern mir
auch anderwerts her bekant worden iſt/ daß er bereits vor etzlichen jahren/ ehe der
nahme der pietiſten bekant/ oder von dergleichen collegiis gehoͤret worden iſt/
nicht in allen vor richtig gehalten worden ſeye. 2. Ob er wohl nach Vol. ♂. f. 79.
b. 80.
in M. Antonii, M. Francken/ und M. Schaden collegiis fleißig geweſen
zu ſeyn geſtehet/ bekenet er dannoch ſelbs/ daß er darinnen die jenige dinge nicht ge-
hoͤret/ welche ihn vorgehalten worden ſind: ſo muß auch ſonſten wenig abſonder-
liche kundſchafft mit denſelben vorgegangen ſeyn/ den M. Schade Vol. ♂. f. 8. b.
bezeuget/ daß er ein eintzig mahl bey ihm auff der ſtube geweſen/ aber damahl we-
nig/ von den imputirten meinungen aber gar nichts/ geredet habe: Daher we-
der er ſelbs/ noch andere die dieſer gefragt/ wie fleißig er in den collegiis geweſen/
bezeugen haben koͤnnen. 3. Jſt alſo der irrthum einer einzeln perſon/ der ſie von
andern nicht her hat/ noch ſich auff dieſe bezeugt/ den ſo genanten Pietiſten ſo we-
nig zu zumeſſen/ als ein rechtglaubiges Miniſterium ſich nicht zumeſſen lieſſe/ wann
auch unter ihrer gemeinde/ ſo ſie vor ihre lehrer erkennet/ ſich einige perſonen finden
ſolten/ die in privat-diſcurſen ſich einiger irriger reden zu weilen vernehmen lieſ-
ſen/ wo nur dieſe nicht ſagen koͤnnen/ daß ſie dieſelbe von ihnen haben. Waͤre aber
dieſes die rechte eigentliche lehre der ſo genandten Pietiſten/ ſo wuͤrde ſie nicht Gau-
licke allem/ ſondern weil in den collegiis/ ſonderlich auff die letzte/ der numerus
allezeit groß/ vermuthlich aber allezeit auch unter denſelben einige laͤſterer geweſen/
ihrer
[809]ARTIC. II. SECTIO XXXII.
ihrer viel mehrere gehoͤret haben. Als bleiben dem Gaulicke ſeine mißverſtaͤnde
und irrthuͤme allein vor ſich/ und gehen die ſo genannte Pietiſten/ welche gantz an-
ders und das gegentheil muͤndlich und ſchrifftlich gelehret haben/ nichts an. 4.
So iſts ohne das nichts ungewoͤhnliches/ wo etwas gutes mit ernſt getrieben wird/
daß der jenige/ ſo das gute gern verderbet/ auff GOTTES verheng-
nuͤß ſo bald einige dinge ſuchet anzuſtifften/ da durch demſelben ein boͤſer nahme
und dardurch ein hindernuͤß geinachet werde/ ſo aber dem guten nicht zu zuſchrei-
ben iſt; Oder wir muͤſſen dem theuren werckzeug GOttes Luthero auch ſchuld
geben aller irrthuͤme Carlſtads Muͤntzers/ Storchens und anderer/ welche bey ſei-
ner reformation auff allerley weiſe in irrthum verfallen ſind/ ja viel unheil ge-
ſtifftet haben/ die er aber vor die ſeinige alsdann nicht mehr erkant hat. Und zwar
haͤtte man ihm mit ſo vielmehr ſchein ſolcher leute fehler beymeſſen koͤnnen/ (wie ſie
ihm auch wuͤrcklich von den Papiſten bey gemeſſen worden ſind/ und noch mit un-
recht bey gemeſſen werden/) weil ſie offenbahrlich von ſeiner reformation/ die ein
gantz auſſerordenliches werck war/ anlaß zu ihrem unfuge genommen haben.
Wie wir aber eine ſolche aufflage vor ungerecht erkennen/ und keine vor Lutheri
diſcipul paſſiren
laſſen/ als welche ihre lehr von ihm gefaſt haben/ alſo wuͤrde es
auch unbillich ſeyn/ wann man/ da keine außerordenliche reformation angeſtellet
wird/ ſondern GOtt nur gnade gegeben hat/ daß einige ſo ſtudioſi als buͤrger ſich
ihres Chriſtenthums ernſtlicher anzunehmen angefangen haben die irrthuͤme eines
oder des andern/ ſo ſich mit zu denſelben geſellete/ und ſie von dero meinungen nicht
einmahl wuͤßten den uͤbrigen zu ſchreiben/ und ſie da mit zu einer irrigen ſecte ma-
chen wolte/ ſo E. Chuꝛfuͤrſtl. Duꝛchl. nach dero gerechtigkeit nicht zugeben wird.


2. Erhellet ferner daraus/ daß auch in den Collegiis der Studioſorum
nichts eigenlich ſtraͤffliches vorgegangen ſeye: dann die gantze hiſtorie aus den a-
ctis
wird dahinaus lauffen: daß 1. privat collegia uͤber die Bibel zur beſſeren
verſtaͤndnuͤß der ſchrifft/ vorbereitung zum kraͤfftigen predigamt/ und eigener auff-
munterung zur gottſeligkeit von Studioſis angefangen und mit gutem ihrem nutzen
eine gute zeit continuiret worden. Wie nun in ſolcheꝛ ſache zweck und metho-
dus
an ſich ſelbs unſtraͤfflich ſind/ alſo hat auch/ ſonderlich in Leipzig (welcher Uni-
verſi
taͤt freyheit in unterſchiedlichen ſtuͤcken vor andern ihn nicht wenigen ruhm ge-
bracht/ und im flor erhalten hat) niemand iemal bißher den Studioſis das
recht zu dergleichen uͤbungen in zweiffel gezogen. 2. Nach deme dieſe Collegia
eine weil mit der beſuchenden groſſen erbauung gehalten worden/ hat ſich die zahl
der Studioſorum in denſelben immer vergroͤſſert/ in dem ie einer den ande[r]n die
nutzbarkeit geruͤhmet haben wird/ und aber jeder/ welcher gern proficiren will/ mit
freuden jegliche gelegenheit ergreifft/ wovon er dergleichen hoffet. Hierinnen iſt
abermal nichts wieder einige leges oder herkommen geſuͤndiget worden/ als wann
nirgend die zahl der Collegarum oder auditorum determiniret iſt/ in den Col-
Kk k kklegiis
[810]Das ſechſte Capitel.
legiis, die einen eigenlichen Præſidem haben/ daher auch den collegiis amicis und
die in einer conferenz beſtehen/ keine genauere ſchrancken biß dahin geſetzet wor-
den waren 3. Jſt bey der vorigen gegen M. Francken gehaltenen inquiſition,
ob wol M. Schade auch abgehoͤret worden/ weder dieſem noch einigem andern/ ohne
Francken/ das halten ihreꝛ Collegien verboten wordẽ/ daher ſie ſolches vor eine bil-
ligung zu der fortſetzung/ wohl haltẽ kontẽ. Wañ aber nebens Studioſis auch letzlich
Chriſtliche buͤrger mit hinein gekom̃en/ iſt nicht zu leugnen/ daß ſolches nicht eben ſo
gewoͤhnlich ſeye: indeſſen aber (1. iſts auch nulla lege verboten. (2. haben die-
ſe Magiſtri vor ſich das verlangen und wuͤnſche Chriſtlicher Theologorum, ſo
verſtorbener als lebender/ die dergleichen gern geſehen/ daher ſie ſich ſo viel weni-
ger ſolcher guten leuthe verlangen zu widerſetzen urſach gefunden haben (3. haben
ſie ſolche leute dazu nicht invitiret, dann das einige bezeugen/ von andern mit da-
zu beredet worden zu ſeyen iſt von den auditoribus, nicht aber den eigenlichen
collegis, geſchehen/ da was einer ihm ſelbs nuͤtzlich befunden/ gern andern re-
commendiret
hat: ſondern (4. Die buͤrger ſind von ſelbs gekommen und ſa-
hen dieſe nicht/ wie ſie ſie bequem oder ohne verletzung Chriſtlicher liebe abwei-
ſen koͤnten. Da gleichwol/ als weibs perſonen ſich einfinden wolten/ dieſelbe weg-
gewieſen worden ſind Vol. ♂ fol. 4. b. (5. hat keiner derſelben niemahl etwas mit
proponiret, ſondern allein zuhoͤrer abgegeben. Daher auch ſolches an ſich ſelbs
vor keine ſtraͤffliche unordnung gehalten werden kan. 5. Dazu kommet/ als M.
Schaden von dem Rectore Magnifico das Collegium, nach dem es mehr pu-
blic
worden Vol. ♂. fol. 4. b. inhibiret worden/ er ſolches ſo bald auffgeho-
ben/ wie er nicht weniger ſein privat - collegium abgeſtelt (daſelbs f. 5.)
nachdem das Churfuͤrſtliche patent angeſchlagen worden/ deme auch die uͤbrige
Magiſtri nicht weniger ſchuldige parition geleiſtet. Mehrers als dieſes/ wird
ſich aus den actis nicht ziehen laſſen/ noch etwas/ ſo ſie weiter gewuͤrckt/ angeben.
Darauß aber zuſehen ſeyen wird/ das M. Schade und andere ſich nicht zu lehrern
anderer leute eigenmaͤchtig auffgewoꝛffen haben/ da ſo gar in den Collegio er nicht
der einige proponens geweſen iſt/ ſondern allezeit mehrere oder wenigeren nach
ihrem inſtituto die ſymbolas beygetragen haben. Jn dem ihre intention
allein war/ unter ſich als ſtudioſi Theologiæ zuhandlen/ weswegen die uͤbrige
ſich dazu eingefundene auditores etwas zufaͤlliges dabey ſind.


3. Was anderer buͤrger oder auch der weibs perſonen zuſammenkuͤnfften an-
langt/ findet ſichs in den acten weit nicht ſo/ als der rumor groß geweſen iſt/ und
die gefahr ergroͤſſert hat. Bey Samuel Voigten dem kornſchreiber ſind ande-
de leute auff 3. Sontag nacheinder geweſen/ wer aber des mannes eingegebe-
nes ſchreiben Vol. ☿ f. 5. 6. liſet/ wird ſo wol der Chriſtlichen leute/ die beyſammen
geweſen ſind/ gute intention, als auch das nichts ſtraͤffliches dabey vorgegangen
am wenigſten aber/ daß er/ wie von ihm ausgegeben worden/ andern gepredigt ha/
be-
[811]ARTIC. II. SECT. XXXII.
be/ ſonnen klahr erſehen: wie man ja ein Chriſtliches geſpraͤch/ da jeder ſeine
meinung ſaget/ nicht deswegen eine predigt zunennen hat.


Was Cath. Meyin anlangt/ iſt zwar erwieſen/ daß ſo wol einige weibs per-
ſonen mit ihr bekant worden/ und zu weilen zu ihr gegangen ſind/ als auch das M.
Franck und M. Schade mit ihr und ihrem mann/ als einem melancholico, um-
gang gehabt haben: auch daß dieſer/ als er bey ihr zu abend ſpeiſen ſollen/ eine
ſtund vorher gekommen ſeye/ und da er mehrere leute da angetroffen/ aus g[!]egen-
heit einer lection aus der Bibel einen Chriſtlichen diſcours angehoben/ und mit
dem andern ſtudioſoZielen meiſtentheils continuiret habe. Jndeſſen ob ich
wol/ ſonderlich in ſolchem ſtuͤck/ mehrere vorſichtigkeit gebraucht und dieſes unter-
laſſen worden zu ſeyen gewuͤnſchet haͤtte/ wol abeꝛ weiß/ wie der erſte eyffer auch zu
dem guten ſich nicht allemahl gnug zuruͤck und in den ſchrancken zu halten vermoͤ-
ge/ iſt gleichwol auch eine dergleichen verſamlung/ und was darinnen geſchehen iſt/
an ſich nichts unrechtes und ſectiriſches. Maſſen weder in GOttes wort/ wel-
ches vielmehr dergleichen verſtattet/ noch in einigen kirchen ordnungen/ eine die-
ſer art uͤbung verboten ſtehet/ wie darvon in vorigem unterthaͤnigſt bericht aus
dem beruͤhmten Roſtockiſchen Theologo D. Schomero gruͤndlich gezeiget wor-
den: iſt daher werſich dergleichen ſeiner habenden freyheit gebraucht/ deswegen nicht
als thaͤte er unrecht/ beſchuldiget werden kan/ biß eine hoͤhere verordnung und von
der Obrigkeit herkommendes verbot das jenige/ ſo ſonſten frey geweſen war/ un-
recht machet. Wobey ich billich zuerinneren habe/ daß erſt vor dritthalb jahren
die Theologiſche Facultaͤt in Leipzig einiger Chriſtlicher kauffleute und buͤrger in
Riga abſonderliche zuſammenkuͤnfften/ da ſie ſich auch aus GOttes wort mit ein-
ander erbaueten/ und einige des daſigen ſtaͤttiſchen Miniſterii ſolches beſtritten/
durch ein abſonderliches reſponſum gebillicher hat.


Aus allem iſt abzunehmen/ daß dieſe acta nichts in ſich haben/ womit die ſo
genannte Pietiſten als irriger lehr oder anderes gegen goͤttliche oder gemeine geſetze
gethan uͤberzeuget woꝛden waͤren: Dazu 4. kommet/ daß von der jenigen zeit/ als
in Ew. Churfuͤrſtlichen Durchlauchtigkeit nehmen nur die in dem gnaͤdigſten re-
ſcript
verclauſulirte zuſammenkuͤnfften oder conventicula (darunter mit
recht nicht alle zu der erbauung angeſehene unterredungen koͤnten verſtanden wer-
den) verboten worden ſind/ ſich nicht aus den actis angibet/ daß eine einige ſolche
verſamlung/ ſo nur der gleichen zimlichen ſchein haͤtte/ waͤre gehalten worden:
ſondern wird offenbahr/ daß die leute/ ſo doch von vielen als veraͤchter aller
goͤttlichen und menſchlichen ordnung angeſehen und beſchrieben worden/ ſolchen
gehorſam geleiſtet haben/ daß ehe ſie auch den ſchein auff ſich laden wolten/ ihrer
von GOTT vorgeſetzten Obrigkeit ungehorſam zu ſeyen/ ſie ſich auch der weitern
mittel ihrer erbauung/ ob ſie wohl dero nutzen vorhin verſpuͤret hatten mit gedult be-
geben haben.


K k k k k 2Dann
[812]Das ſechſte Capitel.

Dann was anlangt den convent, welchen den 5. Maj. D. Peterſen in Au-
guſtin Frentzels hauſe gehalten haben ſolte/ wird ſich in erwegung/ was die in-
quiſition
gegeben/ gnugſam zeigen/ daß es weder eine angeſtelte verſamlung/
noch von D. Peterſen dem Miniſterio gethaner eingriff/ geweſen ſeye. Sondern
nachdem D. Peterſen nach Leipzig gekommen/ deſſen nahme ohne das ſtudioſis
Theologiæ
nicht unbekant iſt/ und etzliche von Luͤneburg in Leipzig ſtudirten, ſei-
ne aber mehrmahl gegen andere als eines Chriſtlichen und Gottſeligen Theologi
gedacht hatten/ ſo waren viele ſo Studioſi als Buͤrger begihrig/ ihn und ſeine hauß-
frau/ dero nahm nicht unbekant iſt/ zu ſehen und zu ſprechen: ich will auch nicht in
abrede ſeyen/ daß ſeine ankunfft je von einen dem andern kund gethan worden.
Nachdem nun bekant worden war/ daß er bey Frentzeln zu mittag gegeſſen/ ver-
fuͤgten ſichder leute mehꝛere den nachmittag dahin/ deꝛen einige auch ihn in Samuel
Knauers hauß erſtlich ſuchten (da alſo keine gewiſſe beziehlung kan geſchehen ſeyen)
ſo ihn aber/ weil er auch ausgegangen/ nicht bald antraffen/ dahero theils wieder
weggegangen ſind/ theils unterſchiedliche ſtunden gewartet haben/ welches die ge-
legenheit geweſen iſt/ da ſonſten jede eintzel mit ihm zu reden verlangten/ daß die an-
zahl ſtaͤrcker worden/ die er/ nach dem er endlich um 6. uhr heimgekommen war/
angetroffen hat; wo ja leicht zuerachten iſt/ nach dem die zeit des tages nicht mehr
zu gelaſſen/ daß er mit jedem abſonderlich redete/ daß er nicht wol anders gekonnt/
als mit ihnen insgemein daß jenige zureden/ was jeden Theologo, wann ihm an-
laß dazu gegeben wird/ an allen orthen zu reden frey-ja wohl anſtehet: als dem ja
gebuͤhren will/ nicht von andern unnuͤtzen ſondern ſeinem ſtande und profeſſion an-
ſtaͤndigen dingen am liebſten bey ieder gelegenheit zuſprechen: welches deswegen
nicht alſo bald eine predigt heiſſen muß oder kan. So wird außdruͤcklich von den
zeugen deponiret, nach dem unter ſeinem diſcurs auch des Churf. mandats mel-
dung gethan worden/ daß er davon vernehmende gedacht habe/ wie man der dieß-
fals ergangenen gnaͤdigſten verordnung allerdings nach kommen ſolte/ und habe
ſie von conventen abgemahnet. Wie alles dieſes/ und nichts das ihn weiter
graviren koͤnte zufinden iſt aus der inquiſition Vol. ♂ f. 72-76. und 81. 82.
83. Hingegen iſt nichts ungemeines in allem ſolchen 1. das einem fremden Doctori
Theologiæ
ihrer viele zuſpꝛechen/ und ſeine kundſchafft ſuchen/ 2. daß es muͤglich/
wo ihrer mehrer auff einen einige ſtunde warten/ daß derſelben zahl ſtarck wer-
de/ ſo dann 3. daß einer der nicht mit jeglichen zu reden zeit findet/ zu allen zugleich
rede/ und 4. daß ein Theologos ſeiner profeſſion zukommende ſachen bey jeder
gelegenheit am liebſten rede.


Weil aber 5. nicht nur niemahl dieſes eine der haupt beſchuldigungen gewe-
ſen iſt/ daß das gantze werck dem Miniſterio verkleinerung braͤchte/ und die pre-
digten dadurch verſaͤumet/ und gering gehalten wuͤrden worden: ſo dann daß ſol-
che leute von dem gliedern des Miniſterii uͤbel geredet haͤtten/ welches alles/ wo es
er
[813]ARTIC. II. SECTIO XXXII.
er wieſen wuͤrde/ die gantze ſache ſehr graviren ſolte/ ſo hat doch GOTT gnade
gegeben/ daß abermal in dieſeꝛ inquiſition dergleichen ſich nicht hervor gethan
hat/ ſondern die beſchuldigte ohne ſchuld befunden worden ſind. Vielmehr fin-
den ſich zeugnuͤſſen des gegentheils/ wie Vol. ♂ f. 74. einer bekant/ dieſes koͤnne er
wol mit warheit ſagen/ er habe die predigten nie mit ſolcher auffmerck-
ſamkeit angehoͤret/ als nach dem er in dieſen verſamlungen geweſen:
und
einanderer Vol. ☿ f. 6.dieſes kan ich vielmehr nicht verſchweigen/ daß ein
jeder unter uns niemal lieber/ und freudiger/ den oͤffentlichen GOttesdienſt
und pregigten beſucht/ als ſeit dem wir mit dieſen
Studenten umgan-
gen:
nochmal einanderer Vol. ♂ f. 25. er habe nichts gehoͤret/ daß etwas gelehrt
worden‒‒was etwa zu verachtung des predigamts oder hindanſetzung oͤffentlichen
Gottesdienſts gereichen koͤnte/ vielmehr wuͤrden die zuhoͤrer ermahnet/ ſich in die
kirchen zu denen predigtenfleißig einzufinden/ (dergleichen auch f. 39. 40.
zu leſen) wie dann auch er mit warheitſagen koͤnte/ daß er niemals die predigt
mit mehrere attentation angehoͤret/ als nachdem er in bemeldeter verſammlung
geweſen. Dazu auch komt/ das nach der zeugen beſtaͤndiger auſſage die colle-
gia
allezeit erſt nach geendigten oͤffentlichen GOttesdienſt/ um deſſen zuſchohnen/
angegangen ſind/ und wo einige etwa platzes wegen/ ſich zeitlicher eingefunden/
daruͤber geeyffert worden iſt. Dem kan nun nicht mit fug entgegen gehalten oder
ein wiedriges daraus geſchloſſen werden/ wann einige den nutzen aus ſolchen pri-
vat-
zuſammen kuͤnfften ſonderlich geruͤhmet haben: als wen eben in gedachter
auſſage Vol. ♂ f. 25. b. ſtehet: daß er die in ſolcher verſamlung geſchehene
außlegung beſſer verſtehen und faſſen koͤnne/ als bey der oͤffentlichen pre-
digt/ die darinnen vorkommende
generalerinnerungen: zwahr wurde dieſen
leuten ſchuld gegeben/ ob ſagten ſie/ man koͤnte aus einer ſolchen verſamlung mehr
lernen als aus den predigten/ oder wol 10. predigten: es haben aber die zeugen wi-
derſprochen. Vol. ♂ f. 56. 62. Auß deme erſten aber folget nichts wider die wuͤrde
des predigamts oder der predigten; ob wol nicht geleugnet werden kan/ ich mich
auch ſelbs auff eigne erfahrung beruffen moͤchte/ daß offt aus familiar vortraͤgen/
wo alles kuͤrtzer und vertraulicher gefaſt wird/ mehr gelernet worden/ und ſolches
zu hertzen dꝛingen koͤnne/ als in foꝛmlichen langen und an einander hangenden reden:
dann ſolches aus der art des vortrags entſpringet: alſo daß auch D. Johann. Be-
nedict. Carpz.
in ſeinen tugend-ſpruͤchen. 23. p. 448. zu ſchreiben ſich nicht ent-
bloͤdet: Es iſt nicht zuſagen/ was dieſelben (die erbauliche geſpraͤch und hei-
lige reden der Chriſten) fuͤr nutzen bringen/ abſonderllch wannzuhoͤrer ſich
mit ihren lehrern alſo beſprechen/ da gewißlich ein gemeiner maun in ei-
ner ſtunde mehr/ als ſonſt auß zehen predigten lernet.
Womit gleichwol den
oͤffentlichen predigten nichts zunahe geredet wird/ wie ja auch in ſolchen worten
von dieſem Theologo denſelben nicht wird zu nahe geredet haben werden wollen.
K kk kk 3Fer-
[814]Das ſechſte Capitel.
Ferner iſt zwar auch Joh. Andr. Schilling. beſchuldiget worden/ daß derſelbe
gegen das Miniſterium/ abſonderlich aber einige deſſen membra in Leipzig/ hart
geredet haben ſolte Vol. ♃ f. 1. Aber nicht allein ſeine auſſage/ ſondern auch des
zeugen eydliche bekaͤntnuͤß f. 11. ſeq. zeuget ein anders/ und daß wider dieſe nichts
geredet worden/ was aber jenes insgemein betrifft/ aus El. Prætorii buch/ daß ei-
ner/ dem es von Wittenberg um nach Magdeburg zubeſtellen geſand worden/ com-
municiret
hatte/ geleſen und keine application gemacht worden ſeye: Ob dann
wol der denunciant. Vol. ☿ f. 116. daruͤber geſchwohren hat/ ſo wird doch ſeiner
auſſag ſo wol durch andere eydliche auſſag (an gedachter ſtelle Vol. ♃ f. 11.) als
durch eine andere perſon. Vol. ☿ f. 116. wiederſprochen/ daher er allerdings ſeinen
glauben billich verliehret. Wie ohne daß unmuͤglich iſt/ daß einem/ dem es recht um
ſeine erbauung zu thun iſt/ das jenige amt an ſich ſelbs verachten koͤnne/ welches zu
derſelben von GOtt verordnet iſt; ob wol muͤglich iſt/ daß in ſolcher uͤber einige feh-
ler der jenigen/ die es tragen/ klagen koͤnte.


Wann auch 6. eine klage unterſchiedliche mal geweſen iſt/ daß die Philoſo-
phie
von den ſo genanten Pietiſten verworffen wuͤrde/ ergibet ſich abermahl das
gegentheil aus der jenigen auſſage nemlich das ſolche nicht nur allein nicht verachtet
ſondern in ihrem rechten gebrauch recommandiret wuͤrden. Vol. ♂ f. 10. 11. 20.
22. 23. 24. 36.
daß alſo jene beſchuldigung wiederum aus einer bloſſen calumnie
her entſtanden ſeyen muß.


Endlich 7. ſind auch dieſe leute bezuͤchtiget worden/ daß ſie zu den buͤrgern in
die haͤuſer wider ihren willen gegangen waͤren/ und ihren zuſpruch ihnen auffge-
drungen haͤtten: aber auch deſſen iſt nichts erwieſen: zwar deponiret einer Vol.
♃. f. 1.
das Schilling der Studioſus gegen eine perſon dergleichen gethan habe/
aber Vol. ☿ f. 116. ſind ſich die ſache gantz anders zu ſeyen. Was M.Friedeln an-
langt/ iſt nicht ohn/ daß er zu einem vor beſeſſen gehaltenen maͤgdlein erſtmals aus
curioſitet gekommen/ nachmal aber wurde er von dero eltern ihr mit liebe an
die hand zugehen erbethen. So ſind insgeſamt dergleichen liebes dienſte der art/
daß nicht allezeit beſondere erforderung noͤthig/ ſondern die liebe thut auch gern gu-
tes ohne viele erſuchung/ wo ſie ſolches angenehm zu ſeyen weiſt: und wo in ſol-
cher ſache einige fehler geſchehen/ ſind auch dieſelbe um der guten abſicht willen/
leicht zu vergeben. Auß allem dieſem/ was ſich aus den acten, wo ſie mit unein-
genommenen gemuͤth/ und nach der billichkeit/ nach welcher alle rechten dem be-
klagten einen favor ſo weit goͤnnen/ daß er genug uͤberfuͤhrt ſeyn muß/ oder eher
vor ſeine unſchuld als ſchuld præſumiret werden ſolte/ geleſen und examiniret
werden/ colligiren laͤſſet/ werden E. Churf. Durchl. von ſelbſten gnaͤdigſten er-
keñen/ daß das jenige/ was von dem Pietiſtiſchen unweſen dz gantze land erfuͤllet/ ſich
in der wahrheit nicht alſo befunden habe ſondern das unweſen vielmehr in den fal-
ſchen außſprengungen/ und leichtglaubiger annehmung und daher erweckteunruhe/
als
[815]ARTIC. II. SECTIO XXXII.
als in einigem unfug der ſo genanten Pietiſten ſelbs beſtanden/ alſo dero univerſi-
taͤt und lande zur ungebuͤhr einer daſelbs entſtandenen neuen ſecte mit nicht weni-
ger beſchimpffung bezuͤchtiget worden ſeyen: Welches Ew. Churfuͤrſtlichen Durch-
lauchtigkeit ſelbs zu viel groͤſſrer vergnuͤgung/ ehr und freude gedeyen ſolte/ als hin-
gegen verdrießlich geweſen waͤre/ deroſelben begluͤckten regierung bey der nach-
welt einen ſolchen nahmen einer neuen ſecte angeſchmitzet zu werden.


Ob nun wol dieſem allem entgegen gehalten werden wolte/ (wie ich leider
dergleichen geſchehen/ und auch an andre ort geſchrieben worden zu ſeyen/ vor mich
ſelbs weiß) daß dieſe leute/ die examiniret worden ſind/ die wahrheit weder mit noch
ohne eyd ausgeſaget haͤtten/ ſondern der Baſilidianer irrthum bey gethan waͤren/
und ſich die wahrheit vor einem Richter der nicht widergebohren waͤre/ aus zuſagen
nicht ſchuldig hielten (wie auch nur Vol. ♂. f. 39. 40. ohne zweiffel auff vorhalten/
ſich daruͤber erklaͤhren muͤſſen) ſo iſt doch die geringſte urſach nicht/ warum er die-
ſelbe/ auff die man ſonſten nichts ungleiches bringen koͤñen/ mit dem verdacht ſolcher
gottloſigkeit und falſchheit belegen wolte. Dahero der troͤſtlichen zuverſicht gele-
be/ daß Ew. Churfuͤrſtliche Durchlauchtigkeit ſelbs an dergleichen aufflage viel-
mehr ein ungnaͤdiges mißfall tragen/ als unverſchuldete mit einem ſolchen ſchweh-
ren verdacht ohne einigen erweiß beſchwehren laſſen werden. Dann wo dieſe be-
ſchuldigung ſolte ohne gruͤndliche uͤberfuͤhrung angenommen werden/ ſo waͤre es um
allen ſchutz der unſchuldigen gethan/ und ſtuͤnde einem jeglichen frey/ einen from-
men menſchen/ dem er dieſen irrthum andichtete/ nach ſeinem belieben alles boͤſen
anzuklagen/ und waͤre dieſem/ weil alle verantwortung durch jene exception elu-
di
ret wuͤrde/ vor ſeine unſchuld nichts mehr uͤbrig: welches ferne ſeye unter Chri-
ſten gehoͤret zu werden.


Jch ſtehe auch in den unterthaͤnigſten vertrauen/ nach dem gedachter maſſen
die unſchuld dieſer uͤber ein jahr in ziemlicher bedraͤngnuͤß von allerley leuten ge-
ſtandenen perſonen ſich darthat/ daß Eure Churfuͤrſtliche Durchlauchtigkeit gnaͤ-
digſi anorden werden/ daß ſie auff gebuͤhrende weiſe in ſchutz genom̃en/ aller arreſt/
ſuſpenſionen von beneficien/ oder beforderung/ und dergleichen/ ſo biß zu der
ſachen unterſuchung noͤthig gehalten worden iſt/ auffgehoben/ und ſie weiter von
niemand mehr graviret werden moͤchten.


Es wird auch Ew. Churfuͤrſtliche Durchlauchtigkeit ſelbs gnaͤdigſt und hoch-
vernuͤnfftigſt ermeſſen/ wie hoch dero reſpect, dero kirchen und lande gutem ruhm
und wohlweſen daran gelegen ſeye/ daß alle die bißherige motus auffs foͤrderlich-
ſte/ gerechteſte/ kraͤfftigſte und beſtaͤndigſte beygelegt werden/ wie nun auff gnaͤdigſte
erforderung vorige unterthaͤnigſtebedencken/ wie ich daher hielte/ daß das werck
am beſten zu heben aus treueſten und gehorſamſten hertzen vorgeſtellet habe/ welche
beſondere vorſchlaͤge alle hiemit nochmahl unterthaͤnigſt wider hohlet habẽ will: alſo
achtete nach gaͤendigter inquiſition daß es nun in dero hohen hand ſtehet/ alles gantz
leicht-
[816]Das ſechſte Capitel.
leichtlichen auff einmahl zu recht zubringen. Wo Ew. Churfuͤrſtliche Durch-
lauchtigkeit gnaͤdigſt geruhen wolten/ nunmehr zu declariren/ und ſoches auff die
jenige art/ ſo am nachdruͤcklichſten und ſicherſten nach reiffer berathſchlagung ge-
funden werden moͤchte/ offentlich zu jeder mans wiſſenſchafft zubringen/ daß nach
genauer erforſchung des gantzen wercks der ruff einer neuen ketzeꝛey nicht gegꝛuͤndet
befunden/ einige unordnungen aber/ oder was leicht darzu ausſchlagen koͤnnen/ ab-
geſtellet worden ſeyen: Daher wie alle mißliche und auff unordnung ziehlende
conventicula nach dero publicirten patent unterbleiben ſolten/ alſo ſolten hin-
wiederum der nahme und beſchuldigung des pietismi hiemit gaͤntzlich auffgehoben/
und bey vermeidung dero hohen ungnade mit ſolchem niemand zu belegen ernſtlich
verboten/ hingegen alles in denjenigen ſtand/ als es vor enſtandener dieſer unruhe
geweſen/ widerum geſetzet ſeyen: Mit fernerem ernſtlichẽ befehl an alle ordines/ daß
jeglicher ſeines orts/ was zu befoͤrderung Goͤttlicher ehr und ungefaͤrbter Gottſelig-
keit nach Gottes wort/ den Symboliſchen buͤcheꝛn und kirchenoꝛdnungen/ anweiſung
dienſam ſeye/ ſich ſeinen verpflichten nach angelegen ſeyen laſſen/ die Profeſſores u.
das Miniſterium ihrem amt vorgeſchriebener maſſen mit aller treue gegen die an-
vertraute ſtudioſos, und gemeinden/ zu dero erbauung abwarten/ wo ſie aber eini-
ge unordnungen ferner vermercken ſolten/ bey zeiten/ und ſo viel muͤglich ohne viele
weitlaͤufftigkeit und ſtrepitum/ denſelben ſelbs abhelffen/ oder an gehoͤrige ort be-
richten/ hingegen jeder an ſeine vorgeſetzte/ ſonderlich das miniſterium/ in ſeiner
von GOTT ihm beygelegten wuͤrde und amt nicht turbirte, noch denſelben ein-
griff thun/ oder den vorwand gemeiner erbauung dazu mißbrauchen/ untereinan-
der aber ſamt und ſonders was zu gaͤntzlicher tilgung alles unvernehmens/ ſo aus
voriger unruhe entſtanden waͤre/ vortraͤglich auffs fleißigſte beytragen/ und daran
ſeyen ſolten/ daß kuͤnfftig Ew. Chuꝛfuͤrſtliche Durchlauchtigkeit mit dergleichen ver-
drießlichkeit/ dero kirche ſchul und land aber mit ſolcher nachrede verſchonet werden
moͤchte.


Wie ich nun keinen zweiffel trage/ daß auff eine ſolche oder doch zu ſolchem
zweck gerichtete andere art das feuer/ welches ſo weit um ſich gefreſſen u. noch ferner
zu freſſen getrohet hatte/ auff einmahl und in kurtzem geloͤſchet werden koͤnne/ ſo ver-
ſichere mich auch/ daß darauß nicht wenig ſeyen/ von der himmliſchen guͤte auff Ew.
Churfuͤrſtlichen Durchlauchdigkeit hohe perſon u. Churfuͤrſtliches hauß/ ja gantze
regierung und lande/ gezogen worden/ und dieſelbe ie mehr und mehr dieſe in rei-
ner bekantnuͤß der wahrheit und ungeheuchelter uͤbung der eiffrigen Gottſeligkeit
bluͤhende mit iñiglichſter freude ſehen/ die aber ſonſten auch dieſen orten wie andern
um der ſuͤnde willen ſchwehr trohende gerichte/ wo nicht abgewendet/ dannoch
mercklich gemildert werden werden.


Der HERR aber/ der wunderbahr/ rath/ krafft/ held/ einiger Vater/ frie-
de fuͤrſt iſt/ walte ſelbs uͤber Ew. Churfuͤrſtliche Durchlauchtigkeit/ erfuͤlle ſie mit
ſei-
[817]ARTIC. II. SECTIO XXXIII.
ſeiner weißheit von oben/ in dieſen und in allen andern regierungs geſchaͤfften ſtets
zu erkennen/ was das beſte ſeye/ auch mit krafft ſolches nachtruͤcklich ins werck zu
ſetzen/ auch aus ſeinem ſegen allemahl den gluͤcklichen ſucceß zuſehen/ damit dero
regierung wegen vieles guten ſo unter derſelben befoͤrdert werden/ noch bey den
nachkommen vor andern einen froͤlichen ruhm behalte. m. f. w. den 10. Oct. 1690.


SECTIO XXXIII.


Zwey greuel/ denen man ſich in unſrer kirchen ſon-
derlich zu wiederſetzen/ dem todten glauben und
herrſchafft uͤber die gewiſſen.


GEliebter bruder/ iſts zeit zum heyl unſrer kirchen ſich einiger boßheit zu wi-
derſetzen/ ſo iſts gewiß dieſe doppelte boßheit/ eins theils/ da man unſer Chri-
ſtenthum in das opus operatum ſetzt/ und durch einen todten glauben ſelig
zu werden meinet; andern theils da Prediger und Theologi ſich der herrſchafft
uͤber die gewiſſen annehmen/ ohne zuziehung der uͤbrigen kirchen alles decidiren/
und was zuglauben ſeye/ andern vorgeſchreiben und auffdringen/ welche ange-
maſſte macht des cleri/ ſo vielmehr nur gewiſſer theil deſſelben/ als das hertz des
Papſtums zuhalten iſt/ und gleichſam ein Babel der menſchlichen autoritaͤt unter
uns gruͤnden will; Daher von allen denen/ die den HERRN lieben/ ſonderlich
die Gott/ da ſie ſelbs wider ſich dergleichen erfahren muͤſſen/ ſonderbar dazu berufft/
dieſer tyꝛanney getroſt begegnet werden muß: Solten wir dabey auch alles muͤſ-
ſen auffſetzen/ ſo geſchichts nicht weniger zu der ehre unſers groſſen GOttes/ als
vor welchen andern articul wir etwas leiden wuͤrden. Dann wir leiden vor die
freyheit der wahrheit insgemein/ und thun nach den befehl/ nicht menſchen knechte
zu werden. Jch halte auch dafuͤr/ es werden ſich mehr und mehr leute hervor thun
die ſich der herrſchafft uͤber die gewiſſen freudig entgegen ſetzen ſollen. Der Herr
aber regiere ſie alle mit der weißheit aus der hoͤhe/ hierinn auch zu thun/ was ſeine
ehre erfordert und gebe ihnen endlich den ſieg. 8. Jul. 1690.


SECTIO XXXIV.


Mein verhalten/ wann gute freunde mit andern
in ſtreit gerathen.


DJeſes hoffe und verlange von guten freunden/ wo ſie mit andern etwa in eine
contradiction gerathen/ die ſonſten auch mit mir bekant ſind/ u. ich eine gu-
te meinung von ihnen gefaſſt/ daß ſie zwar wohl meine gedancken moͤgen von
L l l l lmir
[818]Das ſechſte Capitel.
mir verlangen/ die ich auch auffrichtig geben/ auch wo ſie ſorgen/ das gegentheil
etwas wider ſie bey mir tendirt haͤtte/ was zu ihrer unſchuld dienet/ mir commu-
nici
ren moͤgen/ aber nicht fordern/ daß mich deswegen gegen die andere erklaͤhren
und ſolchen mich widerſetzen muͤſſte; Wie wohlich gemeiniglich als denn ihnen zu
lieb mich der communication mit den andern entſchlage/ damit ſie ſich begnuͤgen
koͤnnen/ und wo ich nicht ſo zu reden/ gantz die partey nehme/ ſolches nicht als ein
mißtrauen in ſie auffnehmen ſollen. Dann da bekenne/ daß mich ſauer ankomt/ voͤl-
lig auff eine ſeite zu treten/ wo mir die cognitio cauſæ nicht anbefohlen/ noch auch
in abweſenheit voͤllig moͤglich iſt; alldieweil auch die Chriſtliche freunde/ wenn auch
die ſache ſelbs gut iſt/ in einigen umſtaͤnden zuweilen den andern theil gewinnen
moͤchten/ ob wohl ohne einige boßheit/ ſondern aus dem/ wie ſie ſich die ſache ein-
mahl inprimirt haben.


Hingegen verlange auch von andern gleiches gegen mich zu halten/ und
fordere von niemand ein mehrers vor mich/ noch ſetze deswegen mißtrauen in die je-
nige/ welche mir nicht voͤllig bey zutreten ſich reſolvirten. Der HERR verbinde
allezeit unſere hertzen in wahrhafftiger einigkeit und erkaͤntnuͤß ſeines willens. 9.
Sept. 1690.


SECTIO XXXV.


Verlangen nach beylegung der gantzen ſache desſo
genanten
Pietismi: Dero wichtig-
keit.


EUer Excell. beliebiges iſt mir wol worden/ und habe ich draus verſtanden
daß dieſelbe rathſam befinden/ daß hierausgefertigte klag-memorial wide-
rum zuruͤck an den Hochl geheimen rath zuſenden. Wie mir nun leid iſt/ daß
Ew. Excell. hiedurch unnoͤthe beſchwerde gemachet worden/ alſo ſage gehorſamen
danck/ vor die auch hierunter unterſchiedliche genomme bemuͤhung und bezeugte
großguͤnſtige affection.


Die ſache ſelbs anlangend/ als meines reinen gewiſſens verſichert/ erwarte
ich ferner/ was ein Hochl. geheimter Rath vornehmen werde. An mir hof-
fe in meinem gantzen leben gezeiget zu haben/ daß wie niemand mit willen beleidige/
alſo in unvermuthet enſtehenden zwiſtigkeiten mich allezeit zu der guͤte als fern
das gewiſſen zugeben mag/ bereit erweiſe. Was den gantzen pietismumbetrifft/
pflichte Ew. Excell. vornehmen billich auch von hertzen bey/ daß mit dem nah-
men deſſelben alles ſo nach einer ſecte ſchmecken ſolte/ aus den grund gehoben wuͤr-
de: wozu ich auch hoffe/ in dem an Sr. Churfuͤrſtlichen Durchlauchtigkeit unſren
gnaͤ-
[819]ARTIC. II. SECT. XXXV.
gnaͤdigſten Herrn auff gnaͤdigſten befehl eingegebenen bedencken durch GOttes
gnade zu laͤngliche und ſolche mittel vorgeſchlagen zu haben/ dardurch weder einige
unſchuldige einigerley maſſen beſchwehret/ noch einiges gutes zu ſchwehrer ver-
antwortung verhindert/ hingegen kirche und ſchul in voͤllige ruhe geſetzet/ und mit
tilgung alles falſchen geruͤchts den Churfuͤrſtlichen landen ihre durch jenes verletzte
ehre wider gegeben werden moͤchte. Wozu aber die gantze gruͤndliche und genaue-
ſte unterſuchung aller geſchehnen denunciationen/ u. was ſich in der inquiſition
gefunden/ der einige ſichere weg und mittel iſt/ damit man vor GOTT und der
welt/ wenn auch jemand auſer landes kuͤnfftig davon urtheilen wuͤrde/ den man als
dann getroſt begegnen kan/ zu beſtehen vermag. Wie ich nun nicht in abrede bin/
daß die ſorge dieſer ſache mir die angelegenſte iſt/ ſo mrin gemuͤlh mein lebenlang af-
ficirt
hat/ ſo gehet mein taͤgliches gebet dahin/ daß der HERR HERR/ deſſen
ehre ſie an dem ort betrifft/ wo ſie am zarteſten iſt/ alle ſo damit um zugehen haben/
und dero berathſchlagungen durch ſeinen heiligen Geiſt dahin regieren wolle/ daß
alles aͤrgernuͤß abgethan und verhuͤtet/ hingegen einerſeits die wahrheit der lehr
und ordenliche ruhe der kirchen/ anderſeits hertzlicher eiffer die wahre pietaͤt ohne
ſorge oder ſchein einer ſecte/ ſondern als die allgemeine pflicht aller Chriſten ne-
ben einander/ und daß keine die andere hindere/ wie ſie es auch in ihrer wahren ord-
nung nicht koͤnnen erhalten/ und mehr und mehr in ſchwang gebracht werde. Hier-
an bin ich verſichert/ liege ein groſſes theil der zeitlichen und ewigen wohlfahrt un-
ſers gnaͤdigſten Churfuͤrſten und Herrn/ des ſegens des gantzen Durchlauchtigſten
Churhauſes/ des gluͤcks der geſamten lande/ und des heils deren/ welchen die him̃-
liſche guͤte gelegenheit dero ehre ſo kraͤfftig zu befoͤrdern gegeben hat. GOTT
laße mich meines wunſches/ ſo mich zwar am wenigſten betrifft/ gewaͤhret werden/
ſo ſolte mich genuͤgen/ wie es auch ſonſten je mit meinen eigenen dingen ſtehen moͤch-
te/ darinnen mich ohne das billich in deſſen heiligen willen lediglich reſignire. Die
von Ew. Excell. gemachten hoffnung eines baldigen ſchluſſes dieſer campagne/ uñ
ſo Jhr. Churfuͤrſtliche Durchlauchtigkeit als geſamten anſehnlichen comitats e-
hender zuruͤckkunfft wird durch das noch biß daher continuirte zu campiren
unbequeme wetter mehr confirmiret. Der groſſe GOTT laſſe nur ſolche zu-
ruͤckkunfft mit voͤlliger geſundheit und freuden geſchehen/ ſo haben wir/ ob wir wol
dabey mit betruͤbnuͤß ſehen muſſen/ daß GOTT uns noch nicht verſoͤh net/ und
auch noch dieſes jahr deſſen gericht unſren/ ob ſchon der ſache nach gerechten waf-
fen gegen einem ungerechten feind entgegen ſtehende die gefaſſte hoffnung nicht hat
erfuͤllet werden laſſen/ dennoch ſeine himmliſche guͤte vor die erhaltung gnaͤdigſter
Herrſchafft und dero Miniſtrorum demuͤthigſt zu dancken. 11. Sept. 1690.


Lll ll 2SECT.
[820]Das ſechſte Capitel.

SECTIO XXXVI.


Zerruͤttung der gemuͤther derTheologorum,
und wie meiſtens von beyden ſeiten/ derer die dieſtudiaund
die die
praxintreiben/ gefehlet werde. Groſ-
ſer ſchade davon.


WAs von dem elend unſerer kirchen wegen der zeꝛruͤttung der gemuͤther unter
den Theologen gemeldet wird/ iſt die lautere wahrheit/ und mir ſchon
lang ein ſolcher kummer/ daß ich unſerer gantzen kirchen nichts gutes drauß
weiſſagen kan/ ſondern deſto ſchwehrere gerichte ſorge/ oder daß wir unſer gebaͤu/
daß ohne das klein genug und ſchadhafft iſt/ endlich ſelbs niderreiſſen werden. Daß
von denen/ die die controverſen hauptſaͤchlich lieben/ und von denen/ welche die
praxin treiben beiderſeits einiges menſchliches zu weilen begangen werde/ zweiffle
ich nicht/ ſondern ſeufftze bald uͤber dieſes/ bald uͤber jenes/ kan aber nicht gnug hel-
fen: Doch finde jener affecten hefftiger/ ihre anſchlaͤge gewaltſamer/ und ihre ab-
ſicht weniger rein. Obs dann geſchiehet/ daß der HERR denſelben mehr
zu der unterdruckung zulieſſe/ ſo doͤrffte es zu dieſer reinigung dienen/ daß ſolches
feuer der truͤbſal/ wo auch gefallen an ſich ſelbſten vorhanden geweſſt/ und man je-
ner gewaltſamkeit nicht mit gnugſamer liebe und gedult getragen/ ſondern auch
den menſchen hervor gucken laſſen/ ſolches alles verzehre/ und ſie deſto auser-
wehlter machen: da ich alsdann ihnen den ſieg von dem HERRN/ wider die/
welche ſich fleiſchlichen arms gegen ſie mißbraucht/ gewiß zuzuſa gen getraue. Jch
bekenne/ daß zur befoͤrderung der rechtſchaffenen Gottſeligkeit nach der ſchrifft und
auch unſren Symboliſchen buͤchern/ nun ſo viele jahr alle meine abſichten/ arbeiten/
predigten/ ſchrifften und rathſchlaͤge gerichtet habe/ daher wohl weiß auch ihrer
vielen ein dorn in den augen zu ſeyn: Jndeſſen æſtimire ich auch alle ſtudia Aca-
demica
/ ſelbs die Polemica/ und wolte nicht/ daß unſre kirch eines einigen deſſel-
bigen entrathen ſolte; wie ichs auch ohne dero ſchaden nicht glaube geſchehen zu
koͤnnen: nur daß alles zu dem rechten zweck gerichtet/ jeden gleichſam ſein pen-
ſum
/ was ihm am nuͤtzlichſten zu kommet/ angewieſen/ das ſtudium exegeti-
cum
den uͤbrigen vorgezogen/ und die rechtſchaffene pietaͤt zum grunde geleget/
das iſt/ dahin getrachtet werde/ daß alle diejenige erſtlich wahre Chriſten werden
und bleiben/ welche zu der Theologie ſich appliciren. Wie ich dieſes alles in
in der præfatione ad Tabb. Hodoſoph. neulich ausgefuͤhret/ wie wol auch un-
verſchuldeter weiſe ſich dieſelbe von unterſchiedlichen leiden muß. Alſo erkenne
ich ſelbs an unterſchiedlichen Academicis leute/ die ich ſo hoch/ und vor ſo treue die-
ner GOttes halte/ als andere/ ſo auſſer ſolchen lebens art dem HERREN die-
nen
[821]ARTIC. II. SECTIO XXXVI.
nen. Wo ich hingegen unter dieſem einige finde/ welche das rechtſchaffene Chri-
ſtenthum eyffrig treiben und vernehme/ daß ſie auſſer den ſchrancken gehen wolten/
thut mir ſolches nicht nur leid/ ſondern ſo viel der HERR gnade verleihet/ ſuche
auch dieſelbe freundlich zu erinnern/ und ſie auff die pflicht der nicht argwoͤhniſchen
liebe und ſanfftmuth zu weiſen/ damit ſie nicht durch ihre unordenliche affecten
dem ſtudio pietatis einen ſchandfleck anhaͤngen/ und hindernuͤß ſetzen. Wasin uͤ-
brigen ſolche colliſiones und ſondeꝛlich der bey vielen faſt mehr und mehruͤbeꝛhand
nehmende haß gegen alle/ welche jenes hoch preiſen/ vor boͤſes in und auſſer der kir-
chen ſtiffte/ habe ich auch neulich in meiner rettung gegen Hartnacken meine wehe-
muͤtige/ aber gewiß gegruͤndete klagen gefuͤhret.


Das bekenne/ wo ich bey anderer religion gebohren und erzogen waͤre/ daß
dieſes aͤrgernuͤß mir einen ſolchen nebel vor die augen machen wuͤrde/ daß ob auch
unſrer lehr grund in vielem einſaͤhe/ dannoch unſre kirch vor die jenige nicht erkeñen
koͤnte/ zu dero mich verfuͤgen muͤſte. Ja wo die arme Quacker ein ſcheinbar ar-
gument
gegen uns brauchen wolten/ moͤchte es dieſes ſeyen/ es muͤſſe ſich ja bey ih-
nen die wahre erleuchtung des geiſtes und rechte gottſeligkeit vor allen finden/ und
ſie die wahre kirche gegen uns gehalten ſeyen/ in dem man/ wo nur von
der erleuchtung des geiſtes und goͤttlichen wandel geredet wird/ ſolches ſtracks vor
Quackeriſch halte/ und ihnen alſo dieſelbe als gleichſam ihr eigenthum heim weiſe.
Wir moͤchten jenes alten worte wiedeꝛhohlen. Domine, in quæ nos tempo-
ra!
das betruͤbteſte iſt/ daß faſt auch die mittel/ ſo man wider dieſes uͤbel gebrauchen
moͤchte/ nicht mehr zulaͤnglich ſcheinen wollen: daher zwar alles dienliche vorzukeh-
ren und zu verſuchen/ der HErr aber vornehmlich ohne auffhoͤren anzuruffen iſt/
daß er ſich ſeines Zions erbarmen/ und deſſen bruͤche heilen/ die es treulich mit ſei-
ner ehre meinen erhalten/ ſchuͤtzen und ſtaͤꝛcken/ die neben ihrer guten meinung ſich
nicht allezeit in ihren ſchrancken zu halten wiſſen/ durch ſeine gnade auff die rechte
wege leiten/ welche er aber muthwillig ſich dem guten/ zu widerſetzen erkennen
moͤchte/ entweder znruͤck halten/ und ihnen die haͤnde binden/ oder (ſo er ja allen
thun wolte) auff ihm bekante art beſſern/ die bißherige aͤrgernuͤßen aber an abthun/
hingegen ſeine gnade auffs neue reichlicher uͤber ſeine kirche außgieſſen wolte.
1690. 12. Sept.


SECTIO XXXVII.


Von laͤſterung des guten/ und dero gewiſſen fol-
ge. Wahrer aͤnderung des menſchen wird vor zau-
berwerck gehalten.


L l l l l 3Was
[822]Das ſechſte Capitel.

WAs die klage anlangt/ wie die laͤſterungen/ verachtung und haß der gemei-
[n]e lohn ſeyen/ damit die welt die jenige ihrer ſeits ablohnet/ welche ſich von
GOtt geruͤhret zur rechtſchaffenen gottſeligkeit und dero uͤbung fuͤhren
laſſen/ und alſodann ihr ſelbs mit exempel und vermahnung gern dienen wolten/ iſt
mir die wahrheit derſelben gnug/ und auch aus eigener erfahrung/ von ziemlicher
zeit bekant. Aber gelobet ſeye unſer theurſter Erloͤſer der uns ſolches lang zuvor
geſagt hat/ damit wir uns/ wann es komme/ nicht daruͤber aͤrgern. Nur iſts
noͤthig/ daß wir allezeit auch in ſolchem leiden auff ihn und ſein wort ſehen. Wann
wir dann hoͤren in demſelben/ daß es nicht anders ſeyn koͤnne/ als daß die welt das
jenige haſſe/ was nicht ihr/ ſondern von GOTT erwehlet/ und alſo aus ihr heraus
gezogen ſeye/ und das exempel unſers Heylands vor augen haben/ dem es nicht an-
ders gegangen/ ſo befremdet unſern neuen menſchen das jenige nicht/ was dem al-
ten nicht wol ſchmecket.


Vielmehr erkennet jener/ daß dieſes wort des HERRN ſo wol erfuͤllet
und von unſrem glauben angenommen werden muͤſſe/ als andere goͤttliche wort
ſtets erfuͤllet werden/ und ſich unſer glaube an dieſelbe haͤlt. Und ſind wir mit
dieſer bedingung von dem HErrn unter ſeine juͤnger auffgenommen worden/ daß
ſo bald wir uns ſelbs nach ſeiner erſten regel verlaͤugnet haben/ wir uns gefaſt ma-
chen muͤſſen/ auch ſeyn creutz/ ſo daran unabſonderlich iſt/ auff uns zunehmen/ ſo
wollen wir uns nicht entziehen/ wann auch ſolche bedingung bey uns platz finden
ſolle: der gewiſſen verſicherung/ je aͤhnlicher wir unſrem vorgaͤngeꝛ auch in dieſem
ſtuͤck werden/ je ein mehrer maß der gnaden hier/ ſo dann auch dorten der herrlich-
keit/ ſeye uns von dem libſten Vater beſtimmet: Der zugleich in aller ſolcher
pruͤffung unſers glaubens und gedult uns kraͤfften gnug ertheilen wird unſre pro-
be außzuſtehen/ und in unſrer ſchwachheit zu uͤberwinden. Daß iſt je gewßilich
war! Daß ferner die blinde welt (wolte GOTT es machten ſich nicht zu wei-
len ſolcher ſchuld auch blinde leiter/ die aber damit zeugen/ was ſie ſind/ ſchuldig)
die aͤnderung eines menſchen zu einem andern ſinn und rechtſchaffenen Chꝛiſten-
thum vor zauberwerck halte/ iſt ſchrecklich/ aber muß auch nicht fꝛemd ſeyen. Der
natuͤrliche menſch
(dahin gehoͤret nach der gloſſe Lutherialler menſch auſſer
der gnade/
das iſt/ auſſer der wahren goͤttlichen erleuchtung/ mit aller vernunft/
kunſt/ ſinnen und vermoͤgen/ auch auffs beſte geſchickt
) vernimmt nichts
vom Geiſt GOttes/ es iſt ihm eine thorheit/ und kan es nicht erkennen/
denn es muß geiſtlich gerichtet ſeyen.
Nun iſt ja die krafft der wiedergeburt
und erneuerung in einer glaͤubigen ſeele etwas des Geiſtes GOttes/ und ſeine
wahre gnaͤdige wuͤrckung: Wie ſolte dieſelbe dann ein natuͤrlicher menſch/ ein auch
ſehr (ja in der ſchrifft) gelehrter mann/ da er das licht des heiligen Geiſtes
nicht hat/ und ſelbs nicht in erfahrung rechter goͤttlicher wuͤrckungen in ſeiner ſeelen
ſte-
[823]ARTIC. II. SECTIO XXXVII.
ſtehet/ ſondern ſein lebenlang allein an einem unfruchtbaren muͤßigen buchſtaͤbli-
chen wiſſen kleben geblieben iſt/ aber die krafft des Geiſtes immer in ſich gehindert
hat/ vernehmen und begreiffen koͤnnen die krafft GOTTES/ wo er den ſeini-
gen ein neues hertz und einen neuen ſinn ſchencket/ das fleiſcherne hertz ihnen gibet/
und hin hingegen das ſteinerne von ihnen nimmet: von welcherley ein ſolcher menſch
wol mag offt gehoͤret/ geleſen/ auch wol geredet haben/ da er doch die ſache ſelbs
niemal warhafftig eingeſehen hat.


Jndeſſen iſts/ wie oben geſprochen/ recht erſchrecklich/ GOTTES werck
zu zauber- und alſo teuffels-weꝛck machen. Als dorten unſer Heyland einen teuf-
fel durch den finger GTTTES aus getrieben/ und ſeine feinde ihn beſchuldiget/
er thue ſolches durch Beelzebub/ der teuffel Obriſten/ zeiget er an/ dieſes ſeye eine
laͤſterung in dem heiligen Geiſt/ die ihnen nimmermehr vergeben werden ſolte. Der
gleichen will ich zwar von dieſer art laͤſterern nicht ſagen/ in dem ich in ihr hertz nicht
ſehen kan/ aber die ſache ſelbs anlangend/ kommt dieſe ſuͤnde/ des heiligen Geiſtes
werck dem zauber-geiſt zuzuſchreiben/ mit jener ſehr uͤberein. Uns kommet al-
ſo zu/ daß wir/ wo wiꝛ in der forcht des HERRN ihm treulich zu dienen vorge-
nommen haben/ auff ſolchem wege ernſtlich fortfahren/ darbey vorſichtig wand-
len/ daß wir uns weder mit einigem aberglauben oder gemeinſchafft eines irthums
ſelbs hindernuͤß ſetzen/ und dem jenigen welche gern gelegenheit zu laͤſtern ſuchen/
dieſelbe geben/ vielmehr bey der reinen warheit der Gottſeligkeit/ und bey deꝛ
Gottſeligkeit der reinen wahrheit feſt anhangen/ von der welt und dero laͤſterun-
gen uns nicht muͤde machen laſſen/ hertzlich abeꝛ vor die jenige beten/ ſo uns um
des guten willen zu wider ſind/ daß der liebſte Vater im himmel ſich ihrer erbar-
me/ und ihnen die augen oͤffne/ zu ſehen wie gefaͤhrlich ſie ſich ſelbs/ wider den
ſtachel leckende verwunden/ ob ſie endlich ſelbs/ daß jenige/ dem ſie zu wider gewe-
ſen/ nach dem ſie es erkant/ kuͤnfftig befordern/ oder der HERR ihnen die haͤn-
de binde/ ſich nicht weiter mehr zu verſundigen. Wo wir auff dieſem wege fort-
fahren/ ſo wird uns wol ſeyen/ und endlich jenes Apoſtoliſche erfuͤllet werden:
Selig iſt der mann/ der die anfechtung erduldet denn nach dem er bewaͤb-
ret iſt/ wird er die crone des lebens empfahen/ welche GOTT verheiſſen
hat/ denen die ihn liebhaben ꝛc.
1690. 20. Sept.


SECTIO XXXIIX.


Klage des verderbens/ daß das Chriſtenthum
noch nicht gnugſam aufgerichtet. Woran es mangelt.
Der ſchade davon. Unſre pflicht und
troſt.


Die
[824]Das ſechſte Capitel.

DJe mit der meinigen einſtimmende klage uͤber das allgemeine verderben/ iſt
leider allzu gnug gegruͤndet/ ja ich ſorge/ wir die wir es ziemlich einſehen/ ſe-
hen dannoch den gantzen grund deſſelben nicht tieff genug: daher es hart lau-
tet/ was derſelbe ſchreibet/ aber ich auch nicht wol widerſprechen kan/ daß das
Chriſtenthum bey uns Evangeliſchen nicht ſo wol gefallen/ als niemal
gnugſam auffgerichtet wordꝛn ſeye:
Freylich ſind wir leyder/ nachdem die
haupt irrthuͤme der lehr waren abgeſchafft/ und dieſer reinigkeit erlangt worden/
zu fruͤhe ſtill geſtanden/ da man haͤtte fortfahren/ und darauff bedacht ſeyn ſollen/
wie alles in der kirche nach allen ſtaͤnden alſo eingerichtet wuͤrde/ daß die wahrhei-
ten/ die nach dem buchſtaben von den vorigen irrthumen waren gerettet worden/
auch durch des heiligen Geiſtes krafft in die hertzen gebracht/ und dieſe dazu ge-
ſchickt zu ſeyen bereitet wuͤrden. Dieſer urſach wegen/ ſorge ich/ habe uns bißda-
her/ an dem ſegen gemanglet/ den wir von GOtt beduͤrffen/ weil man ſich ins ge-
mein mit dem buchſtaben vergnuͤget hat/ und GOTT ſelbs damit hat abſpeiſen
wollen/ ohne daß man ihn lernen im geiſt und in der wahrheitanbeten/ ja insge-
mein wenig davon weißt/ was ſolches ſeye/ oder wol gar vor Enthuſiaſterey haͤlt
und ausgiebet/ was uͤber das jenige gehet/ was unſere kraͤfften ſich vvr conce-
pten
in den hirn machen koͤnnen/ die gewiß ſo weit von goͤttlichen wirckungen/ als
das wahre liecht von den ſchimmern eines faulen holtzes entfernet und unterſchieden
ſind.


Jemehr auch unſre Theologie wiederum von der Bibliſchen einfalt/ darzu
ſie der liebe Lutherus zu bringen ſich bemuͤhet/ hat anfangen von luͤſtrenden koͤpf-
fen auff die alte ſcholaſtic gefuͤhrt zu werden/ ſo hat alles/ was aus der ſchrifft
und nach dero anleitung aus der erfahrung von einigen gottſeligen/ von dem in-
nern weſen und dem werck des heiligen Geiſtes in dem glaubigen bezeuget worden/
mit ſo viel hefftigerem eyffer vor Enthuſiaſterey und Quackerey muͤſſen ausgeruf-
fen werden/ ſo viel weniger ſolche leute zu dieſen ſeligen wuͤrckungen tuͤchtig ſind/
und daher gemeiniglich laͤſtern/ was ſie nicht wiſſen. Daher findet ſich freylich/
wie gantz wol bemercket worden/ auch bey unſrem ſtande das verderben nicht we-
niger ſondern ſo groß als bey anderen iſt/ kan auch nicht wol anders ſeyen/ dann wel-
che unter uns keine wahre Chriſten ſind (ach daß doch die zahl derſelben nicht allzu-
groß waͤre!) koͤnnen alsdenn die ihnen anbefohlene gar ſchwehrlich den weg fuͤh-
ren/ den ſie ſelbs nie recht eingeſehen haben/ wann ſie dann unter ihren amts-bruͤ-
dern andere ſehen/ durch dero exempel ſie ſorgen beſchaͤmet zu werden/ und ſie doch
ihrem fleiſchlichen leben noch nicht abſchied zu geben gedencken/ neiden und haſſen
ſie dieſelbe/ und trachten ſie in verdacht deꝛ heucheley/ ſonderlichkeit oder gar heim-
licher ketzerey zu bringen/ damit derſelben exempel ihnen darnach nicht weiter moͤge
vorgeruͤcket werden: ja ſie ſuchen ſich wol gar mit einandeꝛ zu verbinden/ um die
andere zu unterdrucken/ und alſo der verdruͤßlichen leute abzukommen. Dieſes
aͤr-
[825]ARTIC. II. SECT. XXXIIX.
aͤꝛgert die ſchwache/ haͤlt/ welche einen guten trieb zur gottſeligkeit bekommen ha-
ben/ maͤchtig zuruͤcke/ beſteiffet die boßhafftige in ihrer boßheit/ ſonderlich aber be-
kraͤfftiget die Atheiſten in ihrer gottloſigkeit/ daß ſie mit einander auf alles Chri-
ſtenthum nichts/ ſondern es vor erdicht pfaffen geſchwaͤtz/ halten/ da die ſo davon
prefeſſion machten/ ſelbs nicht thaͤten (und alſo auch nicht glauben muͤſten) was
ſie ſagten/ die jenige aber die es thaͤten/ vor einfaͤltige tropffen oder gefaͤhrliche
heuchler von dem amts-bruͤdern ausgeſchrien wuͤrden. Hieran ligt gewiß der
groͤſte verfall alles unſers weſens/ und ich ſorge es ſeye der letſte ſtoß/ dem wir un-
ſerem baufaͤlligen hauſe ſelbs geben/ das beſorglich zum meiſten theil bald vollend
ligen/ der HERR aber aus denuͤbergebliebenen und auffgehabenen ſteinen daſſel-
be beſſer auffuͤhren wird.


So ſtehen wir jetzt: wir muͤſſen aber nicht daruͤber muͤde werden/ oder die
haͤnde ſincken laſſen/ ſondern fortfahren den willen unſer GOttes dem volck vor-
zutragen/ ſie hoͤrens oder laſſens/ und es werde ihnen ein geruch des todes zum to-
de odeꝛ des lebens zum leben: auch willig ſeyen daruͤber zu leyden/ ſo viel der himm-
liſche Vater uͤber uns zur probe unſeꝛs glaubens und gedult verhaͤngen will: Dann
die ſache/ warum es zu thun/ iſt je werth/ und der jenige/ um deſſen ehr willen wir
leiden ſollen/ alles leyden mit freuden vor ihn zu erdulden unendlich wuͤrdig. Wir
thun aber wohl/ ſo viel unſer die hertzliche reſolution haben/ uns nicht von dem
ſtrohm der aͤrgernuͤſſen mit hinreiſſen zu laſſen/ in welchem aͤuſſerlichen ſtand wir
auch leben moͤchten/ daß wir mit den jenigen zwahr/ ſo ſich widerſetzen/ hertzliches
erbarmen tragen/ und ihnen die bekehrung von GOTT in liebe zu erbitten trach-
ten/ unter uns aber ſo viel hertzlicher zuſammen halten/ aus inniglicher liebe/ un-
ſern kummer bey und gegen einander vertraulich außſchuͤtten/ ſo dann mit und voꝛ
einander unablaͤßig beten/ daß der HERR drein ſehen und ſeiner elenden ſich er-
barmen wolle. Jch weiß/ wir wollen ſiegen/ oder der HERR wird vielmehr
ſelbs in uns ſiegen/ ob wir auch in der welt den nahmen der uͤberwundenen tragen
muͤſſen: aber unſre palmen und triumph ſol uns gewiß weder teuffel noch ſeine
braut nehmen.


Gelobet ſeye GOTT und der Vater unſers HERRN JESU CHRJ-
STJ/ der Vater der barmhertzigkeit und GOTT alles troſtes/ der uns troͤſtet
in allem unſren truͤbſall/ ja der uns freudigen muth gibet/ daß wir uns ob noch nicht
vollkommen freuen/ dannoch nicht mehꝛ viel betruͤben uͤber die mahlzeichen ſeines
Sohns/ indeſſen auch immer nach jenem grad der freude in ſeiner krafft ſtreben/
daran ers auch ſeinen kindern nicht wird manglen laſſen/ wo er das leyden auch
auff einen hoͤhern grad ſolte kommen laſſen/ nach dem uns insgeſamt biß daher
noch keine andere als menſchliche verſuchungen und gleichſam kinder proben (weil
er uns nemlich nur noch als kinder anſihet/ und alſo tractiret) betroffen haben/ da
uns aber die verſicherung von ſeiner treue gewiß iſt/ daß zu ſchwehrern proben ein
M m m m mkraͤff-
[826]Das ſechſte Capitel.
kraͤfftiger geiſt gegeben werden ſolte. Nun er wiꝛd und wolle alles wol machen!
1690. 23. Sept.


SECTIO XXXIX.


An Joh. Hirſchen einen blinden leinweber in
Frauſtatt. Freude uͤber deſſen brieff. Guͤte GOTTes/
die den mangel des geſichts in geiſtlichen erſetzet. Arndts
Chriſtenthum. D. H. Muͤller. Lutheri ſchrifften/ ſon-
derlich kirchen Poſtill. Leſung der heiligen ſchrifft mit ge-
buͤrenden bedacht. Sontags feyer. Auch in der woche
dem geiſtlichen abzuwarten. 1. Thim. 5/ 8. Von verſor-
gung der ſeinigen erklaͤhret. Gebet aus Bibliſchen
formuln.


GOettliche gnade/ friede/ licht/ troſt und leben/ in unſerm treuſten Heylan-
de JEſu Chriſto. Jndemſelben vielgeliebter freund; Ob mir wol deſ-
ſelben liebreiches ſchreiben bereits vorigen monath zu haͤnden gekommen/
habe dennoch nicht fuͤglich ehe antworten koͤnnen/ nachdem die menge der an mich
einlauffenden brieffe nicht leicht ſchleuͤnige antwort zu giebt/ es ſeye denn ſache/ daß
die verzoͤgerung der antwort/ die frucht derſelben gantz auffheben wuͤrde/ da alſo
unverzoͤglich geantwortet werden muß; auſſer dieſen fall iſt mirs nichts neues/ erſ[t]
noch virtel-halben- oder gantzen jahren zu antworten. Jndeſſen kan er ſich verſi-
cheren/ daß mir deſſen ſchreiben von hertzen angenehm geweſen/ und mich auff un-
terſchiedliche art erfreuet habe. Es hat mich zum allerforderſten erfreuet/ das
aus den gantzen brieffe gegen mich hervor leuchtende/ gute vertrauen und liebe.
Wie denn ich mich zu dehmuͤthigen dancke dem himmliſchen Vater verbunden er-
kenne vor dieſe gnade/ daß er mich unter deme/ da ich ſonſten auch von mancher leu-
te faſt feindſeeligen gemuͤthe gegen mich offt hoͤren muß/ damit troͤſtet/ wenn er mir
da und dorten wiſſend werden laͤſſet/ daß er auch Chriſtliche hertzen zu mir neiget/
und mit einer reinen liebe erfuͤllet. Jn dem ſolches zu doppelten troſt gereichet/ ei-
nes theils/ weil daraus erſehe ſeine guͤte/ daß er ſeines knechtes arbeit in ſchrifften
nicht ungeſegnet ſeyn laͤſſet; weil unbekanter perſohnen liebe gegen mich nicht
wohl andern grund haben kan/ als daß der Herr durch meine ſchrifften derſelben
ſeelen geruͤhret/ und er alſo in mir ſchwachen auch kraͤfftig geweſen ſey (womit ich
mich gegen die anfechtunge mannigmahl ſo weniger frucht meiner arbeit/ die ich
den
[827]ARTIC. II. SECTIO XXXIX.
bey den gegenwaͤrtigen ſehe/ etwas auffrichte) andern theils/ weil ich gewiß bin/
daß die jenigen/ ſo mich in GOTT lieben/ auch vor mich andaͤchtig zu bethen
nicht unterlaſſen/ welches mir die groͤſte wohlthat iſt/ ſo eꝛzeiget werden kan!
Daher mich auch ihm zu freundlichem danck vor gegen mich geſchoͤpfftes vetrau-
en/ und bezeugte vorbitte verbunden erkenne; hingegen auch meiner liebe/ und ſeiner
fuͤr dem HErrn zu gedencken verſichere. Nechſt dem wuͤnſchete/ daß auch dem
gegen mich gefaſſetem vertrauen ein genuͤgen leiſten koͤnte. Ob denen wol
an meiner ſeiten eben mit willen nichts ermangeln laſſen ſolle/ ſo dazu gehoͤret
ſo kan doch nicht vieles verſprechen/ ſo gar/ ob mir wohl deſſen hieherkunfft nicht
unangenehm ſeyen/ und ich zur liebe mich willig bezeugen wuͤrde/ daß faſt zu beſor-
gen habe/ daß ihn/ nach dem Er mich gegenwaͤrtig geſprochen/ die angewandte
muͤhe und verdruͤßlichkeit reuen moͤchte. Jedoch will denſelben damit nicht gantz
abgeſchraͤcket/ ſondern darinn erinnert haben/ wenn es gegen ſolche zeit gehen/ und
uns der HErr noch ſo lange lebendig laſſen ſolte/ vorhin in der furcht des HErren
wol zu uͤberlegen/ ob dergleichen bey habenden zuſtande uͤbernehmende beſchwerde
durch das jenige/ was bey mir zuerwarten/ wiederum erſetzet zu werden/ zu hof-
fen waͤre.


Ob nun aber mich/ die gegen mich ſelbs bezeigte liebe/ ſo viel mehr/ weil ſie
nichts iꝛrdiſches auf beyden ſeiten zu grunde hat/ hertzlich freuet/ ſo freuet mich
doch noch mehr/ die an demſelben/ aus dem ſchreiben/ auſſer welchen er mir ſonſt
unbekant geweſen/ in reicher maß erkante goͤttliche gnade/ und preiſe den wunder-
bahren/ weiſeſten und guͤtigſten. Vater/ welcher zum zeugnuͤß ſeiner weißheit und
guͤte/ den mangel ſeines aͤuſſerlichen geſichts/ mit ſo viel innerlichem liechte aus gna-
den erſetzet hat. Jch verehre deſſen vaͤterlichen vorſorge/ die demſelben zu derglei-
chen buͤchern gebracht/ in welchen er nechſt der heiligen ſchrifft als dem haupt-
buch aller buͤcher/ den aus dieſer gelegten grund ferner befeſtigen und vieles dar-
auff bauen koͤnnen. Wie denn alle geruͤhmte buͤcher mir ſelbſt auch allezeit ſehr
angenehm geweſen ſind.


Des theuren Arndts Wahres Chriſtenthum bekenne/ daß es den meiſten
andern menſchlichen ſchrifften weit vorziehe/ und mich nicht wol erinnere/ daß mir
einiges anders vorkommen/ davon ſo viele zeugnuͤſſen der jenigen haͤtte/ welche
durch deſſen anleitung zu einem rechtſchaffenen thaͤtigen und wahren Chriſtenthum
wie des buchs titul lautet/ durch wuͤrckung GOttes gekommen waͤren/ wie ich von
dieſem einigen weiß. Jedoch wundere mich nicht/ daß es vielen auch ein dorn in
den augen ſeye/ und wol garzuweilen harte worte darwieder gebrauchet werden;
die urſache iſt/ weil es dem alten Adam nicht ſchmeichelt/ ſondern ihn mit GOttes
wort alſo angreiffet/ daß er ſich nicht weiter mit falſch eingebildeten vertrauen auf
Chriſti verdienſt/ ſo denſelben nicht angehet/ ſondern allein den menſchen welcher
M m m m m 2ſtets
[828]Das ſechſte Capitel.
ſtets in wahrer buſſe ſtehet/ und jenem den krieg mit eꝛnſt angekuͤndiget hat) mit
dem aͤuſſerlichen GOttes-dienſte/ (deſſen/ wo er von den innerlichen abgeſon-
dert wird/ heucheley/ recht in ihrer bloͤſſe vorgeſtellet wird) troͤſten und beruhigen
kan. Dahero kan das buch keinem von heꝛtzen gefallen/ welcher nicht mit ernſt
entſchloſſen hat/ den goͤttlichen erkanten willen anzunehmen/ und nach demſelben
ſich ohne ausnahm zurichten; Wann dann dieſes fleiſch und blut ſchwer ankoͤm̃t/
und ſein todt iſt/ ſo iſt ſich nicht zu verwundern/ daß ſich viele vor dieſem buch/ ſo in
GOttes nahmen ihren todt von ihnen fodert/ fuͤrchten/ die aber ruchloß ſind/ es
allerdings laͤſtern: Jndeſſen bleibet es rechtſchaffenen ſeelen ihre einige freude/ und
halten ſie ſich demſelben verbunden/ daß es ihnen ihre ſchaͤndliche geſtalt in Adam
ſchaͤndlich gnug verſtellet/ weil es hingegen auch ihnen ihre ſchoͤne geſtalt in Chri-
ſto weiſet/ und den weg/ auff dem ſie dazu gelangen moͤgen/ zeiget. Dieſes ſel. Arnd-
ten/
ſo dann auch D.Luͤtkemanns/ der auch mit groſſer krafft geſchrieben/ ſchuͤler
und juͤnger iſt auch der von demſelben belobte D. Muͤller geweſen/ deſſen ſchrifften
auch vielen die augen aufgethan/ und ſie erwecket haben/ auch hoffentlich noch fer-
ner viele frucht bringen werden. Es war mir aber ſonderlich lieb zuvernehmen/
daß auch unſers theuren Lutheri ſchrifften nicht unbekant/ ſonderlich ſeine werthe
Kirchen-Poſtill/ die wir nicht nur deßwegen ſo viel hoͤher zu ſchaͤtzen haben/ weil
GOTT durch ſeinen dienſt uns in unſern vor-eltern das liecht des Evangelii aus
aus den [fi]nſternuͤſſen des Papſtums wieder herfuͤr gebracht/ und aufgehen hat laſ-
ſen/ ſondern weil er auch in ihn ein ſolches reiches maaß des Geiſtes geleget hat/ daß
ſeine ſchrifften voller krafft und ſonderlich nach der Apoſtel zeit wenige gleichermaſ-
ſen/ die lebendige krafft des glaubens werden erkant und beſchrieben haben/ wie
ihn der HERR dieſelbe hat einſehen und andern zeigen laſſen. Unter ſeinen ge-
ſammten ſchrifften aber iſt wohl ſeine Kirchen-Poſtill eine der beſten/ wie er ſie
ſelbſt ſein liebſtes buch genant/ darinnen er mit reicherm Geiſt die goͤttliche war-
heit vorgeſtellet hat/ und ſo viel weniger er/ der ſonſt offt in predigten befindlicher
kuͤnſten und wol-rendenheit zeiget/ ſo viel mehrere krafft empfindet davon ein an-
daͤchtiger leſer.


Taulerum anlangend/ hat derſelbe zwar zu einer zeit gelebet/ wo das
Papſtum in dicker finſternuͤß geſtecket iſt/ jedennoch ſiehet und findet man in
demſelbigen mehr liecht als man ſich von ſolcher zeit haͤtte verſprechen und ver-
ſehen ſollen/ und dienet dieſer Chriſtliche lehrer zum zeuͤgnuͤß/ wie GOTT zu allen
zeiten die ſeinigen erhalten habe/ daß die auch ihrer zeit gemeine iꝛ[ꝛ]thuͤmer das liecht
ihres wahren glaubens ſo nicht ausloͤſchen moͤgen. Wie auch gewiß iſt/ daß unſer
lieber Lutherus/ (ſo er ſelbſt bekennet) ſolchem Taulero nicht wenig ſeiner erkaͤnt-
nuͤß gedancket habe; Jch habe mich auch etzliche mahl daruͤber verwundert/ daß
mir exempel vorgekommen/ daß einige ungelehrte und einfaͤltige/ ſolche ſchrifften
beſ-
[829]ARTIC. II. SECTIO XXXIX.
beſſer und ungehinderter als gelehrte verſtanden haben. Von der lieben Alt-
Vaͤter buͤchern iſt nicht ohne/ daß wenige in unſerm teutſchen zu haben/ unterwei-
len moͤchten vielleicht einige derſelben nicht ohne nutz auch von den unſrigen geleſen
werden/ indem der Gottſeligen leute (ſo vielmehr ſie von den jetzt in ſtreit gezoge-
nen dingen wenig gewußt/ noch davon gehandelt/ oder zuhandeln noͤthig gehabt/ da-
hero allein diejenigen dinge meiſtens getrieben/ die zu ſtaͤrckung des glaubens und
der liebe dienlich ſind) ſchrifften meiſtentheils in einer mehreren einfalt von
allen materien gehandelt haben/ als nach der zeit geſchehen iſt. Jedoch
iſts nicht ohne/ daß ſie auch den menſchen an vielen orten ſehen laſſen/ ſo wir a-
ber mit gedult an ihnen zu tragen/ nicht aber deswegen das gute zuverwerffen ha-
ben. Hat er nun etwas von denem ſelben ſchrifften geleſen/ ſo wird er auch das
reiche maß des Geiſtes in demſelben zum preiß GOttes erkant/ und dem HER-
REN/ vor die durch ſeine diener erzeigte gnade zu dancken nicht vergeſſen haben.
Jndeſſen trage ich doch auch zu ihm das gute vertrauen/ (und haͤtte dabey auch die
erinnerung zu thun) daß er werde ſolchen allen menſchlichen ſchrifften ſich haben
laſſen angelegen ſeyen/ die Goͤttliche ſchrifft vor zu ziehen/ in dem dieſes buch das a[l]-
lein nothwendigſte buch iſt/ der andren nutze aber fuͤrnehmlich darinn ſtehet/ daß ſie
uns eine handleitung ſeyen muͤſſen/ zu der ſchriff[t] immer naͤher und tieffer zu kom-
men/ ſo denn uns das jenige aus derſelben zu zeigen/ was der guͤtige GOTT jedem
ſeiner diener/ durch ſeinem heiligen Geiſt aus der ſchrifft zu erkennen gegeben hat/
und wir es etwan ohne ſolche beyhuͤlffe/ und anderer anzeige/ nicht haͤtten gefun-
den. Weswegen wir freylich ſolche wohlthat widerum mit danck gegen GOtt
auch zu gebrauchen/ aber doch keines menſchen ſchrifften deſſen eigenen worten vor-
zuziehen/ je mehr und mehr zu trachten haben/ daß wir anderer buͤcher weniger
mehr beduͤrffen/ und ſelbſt ungehindert ſtets im Goͤttlichem worte fort kommen
moͤgen. Wozu ſonderlich dienlich iſt/ daß man in der Bibel nicht geſchwinde/ und
viel auff einmahl lieſet/ ſondern ſich gewehnet/ neben derjenigen leſung/ da man
insgemein gantze oder mehrer capitel zuſammen nimt/ ſie auch auff eine andere art
zu leſen; Da man nehmlich von verſicul zu verſicul gehet/ und bey einem jegli-
chen nachdencket/ was darinnen die meinung des heiligen Geiſtes ſeye: was vor
lehren/ lebens-regeln/ troſt/ vermahnung und dergleichen zu unſerer und anderer
erbauung darinnen ſtecken/ ſich bemuͤhe/ und alſo gleichſam einen jeden verſicul ſo
kaͤue/ daß er uns als eine lebendig machende ſpeiſe in dem innerlichen ſtaͤrcke/ wel-
cher nutzen von dem geſchwinden leſen nicht ſo reichlich folgen kan. Wo man aber
alſo damit umgehet/ ob wir auch in einer ſtunde nicht gar viel verſicul durch braͤch-
ten/ bin ich verſichert/ es werde dennoch mit mehr nutzen geſchehen/ als ob man ſo
viel capitel oben hingeleſen. Damit koͤmt man in die ſchrifft allgemach tieffer/ und
bedarff immer ſo viel weniger anderer buͤcher/ die wir zwar niemahls aus den haͤn-
den deswegen gar zu legen haben: Wie ich dann oben bedeuteter maſſen/ Goͤttli-
M m m m m 3cher
[830]Das ſechſte Capitel.
cher guͤte uͤber demſelben preiſe/ welche ihn zu vielen erbaulichen buͤchern gebracht/
aus welchen derſelbe ſein Chriſtenthum ſtaͤrcken koͤnne; ſo bezeuge ich auch/ daß ich
mich gefreuet habe/ aus ſeinem ſchreiben geſehen zu haben/ daß er auch/ was er
geleſen/ nicht an ſich unfruchtbahr ſeyn laſſen/ und dadurch ſo viel inbruͤnſtiger
und begieriger worden/ in dem guten immer ferner zu wachſen/ welches ein ſicheres
anzeigen iſt/ eines recht gelegten grundes/ da hingegen der zu dem geiſtlichen nicht
immer mehr hunger und durſt hat/ ſich damit verrathet/ daß er noch niemahls deſ-
ſelben geſchmack geſchmecket habe. Denn wer dieſes waſſer ſchmecket/ duͤrſtet im-
mer wieder darnach; Sonderlich ſehe ich gerne/ daß derſelbe ſich die liebe Son-
tags-feyer laͤſſet hertzlich angelegen ſeyen/ wie denn derſelbe einmahl der geſegnete
tag des HERREN/ und uns zur wohlthat von GOTT gegeben iſt/ daß/ da wir
die uͤbrige zeit ziemlich theils zur arbeit gleichſam/ verdam̃t ſind/ auffs wenigſte der
liebe Sontag ausgenommen bleibet/ da wir ſo zu reden in unſere alte Paradieſi-
ſche ruhe/ mit einer befreyung von unſern taͤglichen frohn-dienſten/ geſetzet werden/
um macht zu haben/ den gantzen tag mit geiſtlichen dingen und was bereits zu jener
Ewigkeit gehoͤret/ um zu gehen. Und bin ich verſichert/ wer eine zeitlang mit ſonder-
bahrer ſorgfalt ſeinen Sabbath recht halten wird/ wird bald einen nicht geringen
wachsthum indem Geiſtlichen bey ſich ſpuͤhren.


Es gefaͤllet mir auch wohl/ daß derſelbe ſo wol ſolches tages die oͤffentlichen pre-
digten fleißig beſucht/ (wie wir denn die oͤffentliche predigten aus vorwand der pri-
vat-
andacht/ ja nicht verſaͤumen/ oder uns einiger urſachen willen/ wie ſcheinbahr
ſie ſeyen moͤchte/ von der gemeine trennen ſollen) als auch auſſer ſolcher zeit mit an-
dern Chriſtlichen freunden die erbauung ſuchet. Denn wir auch dieſes mittel/ ſo
das Gottſelige geſpraͤch unter Chriſtlichen mit-bruͤdern iſt/ und von GOTT herr-
liche verheiſſung des ſegens hat/ nicht zuverachten/ ob gleich wir deſſen uͤbung alle
zeit alſo anzuſtellen haben/ daß aller boͤſer ſchein/ fuͤrwuͤtz/ und was der an ſich guten
ſache einen ungleichen nahmen machen koͤnte/ und einiger orten gemacht hat/ nach
moͤglichkeit vermieden/ und alles nur dahin hauptſaͤchlich gerichtet werde/ in der
einfalt des glaubens geſtaͤrcket/ und zu bringung deſſen fruͤchte auffgemuntert zu
werden. Jch zweiffle auch nicht/ er werde auch dieſes noch hinzuthun/ ſeine eigene
andacht fuͤr ſich ſelbſt in pruͤffung ſeiner/ betrachtung der Goͤttlichen/ in der vorigen
woche empfangenen wohlthaten und verrichteten guten oder boͤſen/ ſo dann vorbe-
reitung zu der inſtehenden wochen anzuſtellen/ als welches den uͤbrigen uͤbungen
nicht wenig krafft giebet. Ferner kann ich auch nicht anders als billigen deſſen
fleiß in der uͤbrigen wochen/ ſo wohl den oͤffentlichen GOttesdienſt mit zu beſuchen/
als zu hauſe ſich mit den ſeinigen in der Gottſeligkeit zuuͤben. Und hat ſich derſel-
be von denjenigen nicht irre machen zu laſſen/ welche die woche allein zur leiblichen
arbeit beſtimmet zu ſeyen/ wider ſolche geiſtliche wercke einwenden: Denn es iſt
wol wahr/ daß der HERR zu unſerer ſtraffe die wochen-arbeit uns auffgeleget
hat
[831]ARTIC. II. SECTIO XXXIX.
hat: Aber es hat durchaus die meinung nicht/ daß man in der woche ſo wenig mit
geiſtlichen/ als des Sontags mit weltlichen/ dingen um zugehen macht haͤtte/ ſon-
dern der ſiebende tag wird von den andern 6 alſo abgeſondert/ daß derſelbige mit de-
nen dingen/ ſo zur nahrung gehoͤren/ nichts zu thun haben ſolle. Hingegen wer-
den dieſe auff die ander 6 tage verwieſen/ ſo viel nehmlich jedem von ſolcher arbeit
obliget. Wie nun einige in einer ſolchen dienſtbahrkeit ihrer arbeit ſtehen/ als
zum exempel gantz arme leute/ tagloͤhner/ dienſtbothen/ ſo ſonderlich bey harter
Herrſchafft dienen/ daß ſie an ſolchen tagen in der wochen zu den beſondern geiſtli-
chen uͤbungen in oͤffentlicher kirchen oder zum leſen/ nicht kommen koͤnnen/ ſondern
ſich ſolche zeit mit ihrem gebeth und inneren andacht vergnuͤgen/ ſo denn des
abgans in der wochen am Sontag ſich wieder zu erhohlen/ nach vermoͤgen ſich be-
fleißen muͤſſen/ und damit ohne ſuͤnde ſind: So hingegen andere in ſolchen ſtan-
de da ſie ihre beruffs-arbeit/ und was die liebe des nechſten erfordert/ alſo in der
woche verrichten koͤnnen/ daß ihnen noch zeit uͤbrig bleibet zu geiſtlichen/ ſo oͤffent-
lich als zu hauſe anzuſtellenden uͤbungen. Dieſen iſt es nicht nur erlaubet/ daß
ſie/ was ſie alſo von ihrer noͤthigen arbeit eruͤbrigen koͤnnen/ auch in der woche an
das geiſtliche anwenden/ ſondern wo ſie ſo gar auff das irrdiſche verpichtet ſind/ daß
ſie um mehrers gewinſt und verdienſt willen/ ohne welchen ſie doch mit den ihrigen
nach nothdurfft leben koͤnten/ in der wochen ſich keiner zeit zu ihrer ſeelen abbrechen
wollen/ iſt es eine betruͤbte anzeigung/ daß ihre ſeele des reiches GOt-
tes/ und ſeiner gerechtigkeit wenig achte/ und beſorglich der bauch ihr GOtt
ſeye; Dahero von ihren Chriſtenthum man ſich nicht viel verſprechen kan/ auch
gewiß iſt/ daß das gebot von der arbeit der ſechs tage nicht ſo wohl der haupt antrieb
in ihre ſeele ſeye/ als der geitz und anhaͤngigkeit an das irrdiſche/ da ſie doch allein je-
nes zu deck-mantel nehmen. Welche bewandnuͤß es auch mit dem ſpruch 1. Ti-
moth. 5/ 8.
hat/ welchen gewiß ihrer mehrere faſt unrecht erklaͤhren/ und mißbrau-
chen/ als den verſtand des Apoſtels recht faſſen. Wie dann einmahl derſelbe de-
nen eltern nimmer dieſe laſt auffgebuͤrdet hat/ daß ſie muͤſten/ auch mit verſaͤumung
einiger ihrer geiſtlichen pflichten/ alſo arbeiten/ daß ſie den kindern groſſe ſchaͤtze
und reichthum ſammlen/ und hinderlaſſen/ oder aͤrger als die heiden gehalten wer-
ſolten: Nachdem er wohl gewußt/ wie unſer Heyland vielmehr die ſorge ſchaͤtze
zu ſammlen/ ſeinen Chriſten verboten/ als anbefohlen habe; Daher er ſelbſt
gleich 1. Timoth 6. v. 9. Die begierde reich zu werden vor ſehr gefaͤhrlich und
den Chriſten fuͤr hinderlich haͤlt; Sondern wo wir ja dieſe worte von der pflicht
der eltern gegen die kinder verſtehen wolten/ wuͤrde das verſorgen denjenigen in
nichts anders beſtehen/ als in ſoꝛgfaͤltiger aufferziehung derſelben/ wie in dem geiſt-
lichen zur furcht GOttes/ alſo in dem euſſerlichen/ zu einer ſolchen arbeit und lebens
art/ daß ſie dermahl eins GOTT und dem nechſten dienende ſich ſelbſt ernehren
koͤnnen/ und nicht der gemeine kuͤnfftig eine laſt werden duͤrfften. Wo man aber
den ort des Apoſtels fleißig einſiehet/ wird man gar finden/ daß er nicht ſo wohl von
ſchul-
[832]Das ſechſte Capitel.
ſchuldigkeit der eltern gegen ihre kinder/ als der kinder gegen ihre alte verlebte eltern
[h]andele/ wo man ſonderlich den 4. verß anſiehet/ und iſt alſo die meinung des Apo-
ſtels vielmehr/ weil da mahls witwen in der gemeine zu den geiſtlichen dienſt der
armen/ krancken und fremden gebrauchet/ und hingegen von der gemeine ernaͤhret
worden/ daß er Thimotheo zeiget/ was er vor wittwen dazu waͤhlen ſolte/ nehmlich
ſolche/ welche niemand haben und verlaſſen ſind. Welche aber kinder oder neffen
haben/ da ſollen dieſe ihre kinder oder neffen erſtlich lehren/ ihre eigene haͤuſer Goͤtt-
lich regieren/ und ihren eltern gleiches vergelten/ das iſt/ daß ſie ihre muͤtter und
großmuͤtter ſelbſt verſorgen/ und die laſt nicht laſſen auff die gemeine fallen: Dar-
auff ſaget er: Wenn aber einer nicht wolte die ſeinigen/ ſeine mutter oder groß-
mutter/ verſorgen/ ſondern die gemeine dabey beſchwehrete/ derſelbe ſey aͤrger als
ein heyde/ welche aus der natur gelernet/ von ihren eltern ſich nicht zu entziehen.
Dieſe erklaͤhrung doͤrffte wol die abſicht des Apoſtels am gemaͤchſteſten ſcheinen.
Aber auch die gemeine auslegung von der ſchuldigkeit der eltern gegen die kinder/
braͤchte die meinung nicht mit ſich/ welche zu beſchoͤnung des geitzes daraus gezo-
gen werden will: Jnsgemein bleibet es bey dieſer regel: Wie die ſeele das vor-
nehmſte an uns/ und wir nicht ſo wol um deszeitlichen/ als geiſtlichen und ewigen
lebens willen erſchaffen und in der welt ſind/ alſo muß auch das geiſtliche unſer
hauptwerck in dem gantzen leben bleiben; Das irrdiſche aber als ein neben werck
angeſehen ſeyen/ daher immer jenen nachgehen. Jch billige auch von gantzem her-
tzen/ was derſelbe bey ſich befindet/ daß es nehmlich mit den euſſerlichen in unſerm
GOttesdienſt nicht ausgemacht ſeye/ ſondern daß innerliche vornehmlich dazu ge-
hoͤre/ und baher Gott der ein Geiſt iſt/ ein auffrichtiges hertz/ und demnach dieſes von
uns erfordere/ daß unſere ſtaͤte abſicht/ unſer ſtetswehrender innerlicher GOttes-
dienſt ſeyn muß: Jch bekenne/ daß dieſes fleiſch und blut ſehr ſauer ankoͤmmet/ da es
hingegen demſelben ſo ſauer nicht wird/ einige ſtunde oder zeit auff euſſerliche geiſt-
liche uͤbungen zu wenden. Jndeſſen fordert GOTT jenes einmahl von uns/ und
will ſich hingegen mit dieſen von uns nicht abſpeiſen laſſen. So iſts auch denjeni-
gen durch ſeine gnade nicht unmoͤglich/ welchen es einmahl ein rechter ernſt iſt.
Denn ob wir wol gerne bekennen/ daß der hoͤchſte grad/ welchen wir/ als lang wir
noch in dem fleiſch leben/ erreichen/ ſehr weit von der vollkommenheit/ die das geſetz
erfordert/ zuruͤck bleiben/ ſo wiſſen wir dennoch/ und trauen es der guͤte unſres him̃-
liſchen Vaters zu/ daß er es den ſeelen/ welche ihm gern gefallen wollen/ nicht laſſe
an kraͤfften manglen/ es dahin zu bringen/ daß ſie in einer kindlichen einfaͤltigen
auffrichtigkeit/ ſeine ehre wahrhafftig ſuchen/ und ſie dazu gewaͤhnen koͤnnen/ bey
welchen er um CHriſti willen mit ihrer ſchwachheit gedult tragen/ und gefallen
an ihm haben wolle: Daher abermahl die meiſte entſchuldigung der unmoͤglich-
keit eines thaͤtigen Chriſtenthums eine ausflucht des fleiſches iſt/ damit es ſeine faul-
beit bedecken/ und ſich von ſeiner ſchuldigkeit vergebens loßwuͤrcken will.


GOtt
[833]ARTIC. II. SECT. XXXIX.

GOTT aber und rechtſchaffene Chriſten/ welche ſolches wohl ſehen/ laſſen
ſich damit nicht betruͤgen/ ſondern verſtehen allemahl/ wo man ſich entſchuldiget/
man koͤnne nicht/ daß es vielmehr heiſſe/ man wolle nicht. Jch komme nunmehr
auff das gebeth/ da ich zum beſonderſten nochmahls den himmliſchen Vater dan-
cke/ welcher ihm den Geiſt der gnaden und des gebeths bereits in zimlicher maß ge-
geben haben muß/ daß er viele dinge in ſolcher materie erkennet/ welche nicht von
allen/ wie ſichs geziehmet/ erkant zu werden pflegen: Wie nehmlich in unſerem
gebet hertz und mund einſtimmen muͤße/ wo daſſelbige ein GOTT recht wohlge-
faͤlliges opffer ſeyn ſolle/ und daß das gebeth nicht eben an das buch gebunden ſeye/
ſondern ob wohl der gebethbuͤcher gebrauch/ wo er recht eingerichtet wird/ auch ſei-
nen nutz haben kan/ daß gleichwohl das vornehmſte gebet aus dem hertzen ſelbſt zu
GOTT auffſteigen/ und durch die eigene erkaͤntnuͤß unſerer beduͤrffnuͤß/ gewir-
cket werden muͤſſe. Jch ſehe auch gerne/ daß er ſich die in den pſalmen und ſonſten
in der ſchrifft befindliche kurtze ſtoß-gebethlein/ wohl bekant macht; und derſel-
ben fleißig gebraucht/ wie ſie denn ihre Goͤttliche krafft haben/ und dahero anderen
vorgezogen werden muͤſſen. Wann aber derſelbige von mir etliche von denen vor-
geſchlagenen materien/ aus lauter dergleichen bibliſchen formuln zuſammen ge-
ſetzte gebethe verlanget/ muß ich mich entſchuldigen/ nicht daß einem Chriſtlichen
freunde zugefallen eine arbeit nicht gerne auffnehmen wolle/ da ich hoffe daß eben
dieſer brieff ein anders von mir zeugen moͤge; Sondern weil ich bekenne/ daß mei-
ne gabe nicht ſeye/ aus andern formuln ein gebeth zuſetzen/ und ob ich mich unter-
ſchiedliche mahl deſſen bemuͤhet/ ſo will es doch nicht wohl von ſtatten gehen; Son-
dern ich muß vielmehr aus dem hertzen ſelbſt/ mit mehrer freyheit/ wie mir GOtt
die materie und angelegenheit es eingiebet/ meine worte faſſen: Da ich bekenne/
daß die redens-arten zwar nicht aus der ſchrifft genommen ſind/ (auffs wenigſte ge-
hen die gedancken/ nicht eben dahin) aber ſelbſt verſichere mich/ daß ſie Goͤttlichen
worte gemaͤß ſind. Wie alſo die gaben unterſchiedlich ſind/ ſo ſchaͤtze ich die jeni-
ge hoch/ denen aus der uͤbung die vorher von andere heiligen auch gebrauchte for-
muln ſtets zu fallen/ und GOTT ſie alſo in ihnen wuͤrcket. Jch kan mir aber ſol-
che nicht geben/ und weil ich/ was meinen eigenen gebrauch anlanget/ durch einen
ſolchen zwang/ vielmehr meine andacht ſtoͤhren wuͤrde/ finde ich rathſamer/ auch
hierinnen demjenigen zufolgen/ wie mich GOttes Geiſt ſelbſt darinnen leitet; zweif-
fele auch nicht/ daß deſſen liebe/ dieſe meine entſchuldigung nicht uͤbel nehmen werde/
als die auff der wahrheit gegruͤndet iſt/ ſondern vielmehr ſich entweder ſelbſt ver-
gnuͤgen/ mit denen aus eigener andacht zuſammengeſetzten Davidiſchen ſtoß-ge-
bethlein/ oder ſich anderer arbeit gebrauchen; Da ich unter allen gebeths-formuln
die meiſten aus Johann Arndten paradieß gaͤrtlein die beſten und kraͤfftigſten zu
ſeyen finde/ und deswegen vor anderen recommendire. Jch bin auch bereit/ nach
dem der vor etlichen monaten verſtorbene Chriſtliche Propſt zu Berlin/ Herr
N n n n nTeu-
[834]Das ſechſte Capitel.
Teuber nicht lange vorher drucken laſſen ein Goͤttliches gebetbuch (wie er es
nennet) da alle ſolche Bibliſche formuln/ und ihre titel auch nach den bitten des Va-
terunſers/ zuſammen getragen ſind/ ſolches/ wenn mir wege gezeiget werden/ wie
es am beſten zu uͤberſchuͤcken waͤre/ mitzutheilen/ ob villeicht ſolches zu dieſem zweck
dienlich ſeyen moͤchte.


Jch ruffe aber vornehmlich und ſchließlich den himmliſchen Vater demuͤ-
thigſt an/ der noch ferner den Geiſt des gebeths ihm reichlich verleihen/ und ſelbſt/
was ihm gefaͤllig/ in ihm wircken/ hingegen ſeine taͤgliche opffer vor ſich und ande-
re/ einen ſuͤſſen geruch fuͤr ſeinen angeſicht ſeyen laſſen/ ferner den mangel der euſ-
ſerlichen augen/ mit ſeinen innerlichen ſeelen lichte/ deſto uͤberfluͤßiger erſetzen/ ihn
in allen guten wercken ſeinen willen zuthun fertig machen/ und in ihm/ was vor ihm
gefaͤllig iſt durch JESUM CHRJSTUM ſchaffen/ ſo dann auch zu ertragung
der aufferlegten laſt geziemende gedult verleihen wolle/ womit in der Goͤttlichen
treuen obhut zu allen Chriſtlichen wohlweſen deroſelben mit ſeinem hauſe und
Chriſtlichen freunden befehlende/ verbleibe meines vielgeliebten freundes zu gebet
und liebe williger ꝛc. den 29. Sept. 1690.


Wenn ich etwas zuſenden gelegenheit bekomme/ oder mir dieſelbe an die
hand gegeben wird/ ſo ſchicke auch meine predigten wider die liebe der welt/ da die
frage mit eroͤrtert iſt/ von wiederkehr derer wider in die welt verpflochtenen. Jh-
ren Chriſtlichen Predigern/ ob wohl unbekant/ bitte auch bey gelegenheit einen
bruͤderlichen gruß anzuzeigen.


  • NB.Es hat HerrD.Schelwig ſeinemitinerario Antipietiſtico p.
    91.
    u. f. Dieſe brieff antrucken laſſen/ aber ſovitioſe,daß er an
    unterſchiedlichen orten keinen richtigen verſtand hat. Weil
    ich nun keine
    copiamdeſſelben behalten/ oder doch dieſe nicht
    finde/ habe nur nach gutduͤncken/ wie es vermuthe geheiſſen
    zu haben/
    corrigiren muͤſſen.

SECTIO XL.


Das gnte wird insgemein gelaͤſtert. Dreßdi-
ſches Edict. Der ſpruch 2. Cor. 12/ 9. Was es vor ſchwach-
heit. 1. Tim. 5/ 8. Quedlinburgiſcher catechiſmus. Be-
ſuchung der predigten an fremden ort. Vorſichtigkeit
in verrichtung des guten.


Jch
[835]ARTIC. II. SECTIO XL.

JCh dancke dem treuen Vater in kidlicher demuth/ daß er mir auch aus den-
ſelben eine neue freude gegeben/ daraus zu vernehmen/ daß auch ihres orts
mehrere ſeelen auffgemuntert werden/ aus der ſicherheit auffzuſtehen/ und
dasjenige was das einige nothwendige iſt/ ſich auch vor allem andern angelegen ſeyn
laſſen. Und woruͤber ſollen wir uns mehr und inniglicher freuen/ als wo wir ſe-
hen oder hoͤren/ daß das reich GOttes/ ſo da nicht in worten und nach der ſchrifft
aus der vernunfft gemachten concepten/ ſondern in krafft und geiſt/ daß die in
dem Goͤttlichen wort vorgeſtellte wahrheit auch tieff in die hertzen eingedrucket wer-
den/ beſtehet/ an mehrern orten mit gewalt durchbricht/ und die heucheley der jeni-
gen/ welche die rechtſchaffene Gottſeligkeit der heucheley und ſcheinheiligkeit gemei-
niglich beſchuldigen/ deſto mehr offenbahret und beſchaͤmet? Deme auch was ſich
ſchon demſelbigen widerſetzet/ nichts dermaſſen wird widerſtehen koͤnnen/ daß es
nicht endlichen durchbrechen muͤſſte.


Jndeſſen befremdet mich dieſes nicht/ was derſelbe meldet/ daß bereits auch
ihres orts der ſich etwas mehr als vorher hervorthuende eiffer der welt ſchon ſo in die
augen ſticht/ daß ſie nach ihres fuͤrſten art einen erblickten funcken gern mit aller-
ley laͤſterungen ausloͤſchen wolte. Dann was wolten wir uns anders von ihr ver-
ſehen/ als was ihrer art gemaͤß iſt/ nehmlich eines haſſes gegen das gute/ dardurch
ſie ihr weſen wegen des gegenſatzes in ſcham geſetzt zu werden ſorget/ und derglei-
chen mittel ſolchen haß auszuuͤben/ die darzu dienlich ſind? Nun mag die wahrheit
dem guten nicht ſchaden thun/ ſo muß es alſo mit luͤgen und verleumden verſucht
werden: wie an allen orten die exempel zeigen: daß wir ſagen moͤgen/ es werde
an allen orten einerley ſpiel getrieben/ nur mit verwechſelung der perſonen. Was
man gegen die beſprachung fuͤnf Chriſtl. perſonen/ ſonderlich in eines predigershauß
(dendabey geweſen zuſeyen vermuthe) welche auch nur einmahl geſchehen/ auch nur
mit einem vernuͤnfftigen ſchein reden oder auffbringen koͤnne/ ſehe ich nicht: und da
man die ſache ja genauer zu unterſuchen wuͤrdig geachtet/ haben ſich ſolche leut ſol-
ches auch nicht leid ſeyn zu laſſen/ weil ihre unſchuld/ dero mich verſichert halte/
durch die genaueſte aber auffrichtige und gerechte forſchung nur deſto offenbahrer
werden muß/ welches zur befoͤrderung des guten vermittels Goͤttlicher guͤte heil-
ſamlich ausſchlagen kan.


Daß zwar etwas davon hiehergebracht ſolte ſeyen worden/ iſt mir nicht das
geringſte wiſſend/ jedoch kan es auch nicht wiederſprechen/ nicht geſchehen zu ſeyn/
als dem was in dem geheimen rath kommet ſelten kund wird. Was den Chur-
fuͤrſtlichen befehl wegen der conventiculorum/ ſo nach Leipzig ergangen/ anlan-
get/ laͤſſet meinen zuſtand/ weil ich ſelbs in den kirchenrath ſitze/ nicht zu/ davon zu
ſchreiben: gnug iſts/ daß wo die wort in ihrem rigor bleiben/ man ſich nicht zu
beſchwehren/ und wo dergleichen conventicula/ wie ſie daſelbs bezeichnet (ob aber
dergleichen alſo gehalten worden/ uͤberlaſſe ich andern) gehalten worden waͤren/ ſie
N n n n n 2mit
[836]Das ſechſte Capitel.
mit guten fug muͤgen verboten werden: wo man aber die ſache weiter ausdaͤh-
net/ berufft man ſich vergebens auff ſolches patent.


Die gethane fragen anlangend/ ſo diene darauff 1.) 2. Corinth. 12/ 9. wird
nicht eine ſuͤndliche ſchwachheit verſtanden/ dann es an ſich ungereimt iſt/ daß ſich
Paulus derſelben ſolte ruͤhmen/ und gutes muths daruͤber ſeyen/ oder wie es gar
lautet wohlgefallen dran haben: Da wir hingegen ſeine ſehnliche klage
daruͤber Rom. 7. leſen und ja niemand an der ſuͤnde freude haben oder rurm ſuchen
darff: ſo koͤnte auch die Goͤttliche krafft in derſelben nicht vollendet werden. Da-
her die auff die ſaͤudliche ſchwachheit eine abſicht haben wollen/ eine fernere wort-
blum darinnen ſuchen/ daß die ſchwachheit heiſſe die erkaͤntuuͤß ſeiner menſchlichen
ſchwachheit/ wie Herr D. Calovius ſchreibet: alii agnitionem infirmitatis
facere ad perfectionem gratiæ exhibitionem intelligunt.
Es iſt aber zu
weit geſucht/ und will es Herr D. Calovius ſelbs lieber von dem leiden des Apoſtels
vernehmen. Und ſolchen verſtand werden wir an andern orten finden/ nehmlich
daß die ſchwachheit des Apoſtels heiſſe ſo wol ſeine veraͤchtliche und unanſehnliche
geſtalt nach dem euſſerlichen/ als allerley leiden einstheils euſſerlich der verfol-
gungen ſeiner feinden/ anderntheils innerlich in anfechtungen/ deren er ſich nicht
gnug erwehren oder frey machen konte. Dieſer verſtand wird gnug erhellen/ wo
wir die ſtellen einſehen 1. Cor. 2/ 3. 2. Cor. 10/ 10. 11. 21. 29. 30. Gal. 4/ 13. Die ſich
gewiß zu den ſuͤndlichen ſchwachheiten allerdings nicht ſchicken. Daher auch un-
ſer liebe Lutherus es auff das leiden des Apoſtels ziehet. Zwar bey 2. Cor. 11/ 29.
hat er dieſe randgloß: Mit dem ſchwachen im glauben thaͤt und ließer viel/
daß er wol andere macht hatte/ wie er 1. Corinth. 9/ 12. ſagt und brante/ das
iſt es verdroß ihn hart/ wenn man die ſchwachen aͤrgerto.
Da er zwar in
dem erſten wort die ſchwachheit des glaubens verſtehet/ die daher ſuͤndlich iſt/ aber
bey dem Apoſtel nimmt ers an/ als von ſeinem hertzlichen mitleiden mit der andern
ſchwachheit geredet/ welches gewiß nicht eine ſuͤndliche ſchwachheit iſt. Anders
wo redet er deutlich von dem leiden/ als bey 2. Cor. 12/ 9. mit dieſen worten troͤ-
ſtet CHRJSTUS alle die in ſchwachheit oder leiden ſind/ denn er kan ſei-
ne ſtaͤrcke in uns nicht beweiſen/ wir ſeyen denn ſchwach und leiden.
Son-
derlich aber erklaͤhret er ſich uͤber Gal. 4/ 13.Tom. 6. Altenb. f. 786. a.Wenn
Sanct Paulus hie von der ſchwachheit nach dem fleiſch redet/ will er nicht
gemeinet noch verſtanden haben eine kranckheit oder [anfechtung] zur un-
keuſchheit/ ſondern er redet von der leiblichen verfolgung/ ſo er dazumahl
hat leiden muͤßen. Er nennets aber eine ſchwachheit nach dem fleiſch/ daß
er ſie der krafft und ſtaͤrcke des Geiſtes entgegen ſetzet:
Wiederum: Siehe
ſolche leibliche truͤbſalen und verfolgung nennet er ſchwachheit nach dem
fleiſch/ darum redet er von leiblicher noth und leiden: als wolt er ſagen zur
zeit/ als ich das Evangelium bey euch Galatern predigte/ war ich

mit
[837]ARTIC. II. SECT. XL.
mit viel und mancherley unfall und widerwertigkeit beladen und
umgeben/ da muſſt ich mich auf allen ſeiten fuͤr luͤſten und gefahr
beſorgen/ von Juden/ Heyden/ und falſchen bruͤdern: Da war allent-
halben angſt und noth/ außwendig ſtreit/ inwendig forcht/ zit-
tern und zagen/ mangel/ kummer und armuth.
m. f. w. darauf er auch die-
ſen ort 2. Cor. 12/ 9. anſuͤhret/ und auff ſolchem verſtand erklaͤhret/ von deſſen ſo
gegruͤndeter außlegung wir zu weichen nicht urſach haben. Es gehen auch davon
andere unſere Chriſtliche lehrer nicht ab: alß wenn in der Weinmarſchen Bibel
die wort 2. Cor. 11/ 30. ſo gloßiret werden: meiner ſchwachheit/ daß ich um
des Evangeli[i] willen ſo viel muͤhe/ gefahr/ widerwertigkeit und unge-
mach außgeſtanden.
Wiederum 2. Cor. 12/ 9. es gereichet mir zu ehren/
daß ich durch dich/ ob duglelch ein ſchwacher wol geplagter menſch und
taͤglich vielen angefechtungen unterworffen biſt:
nochmahl/ ſchwachheit
meiner vielfaͤltigen truͤbſalen/ und Gal. 4/ 13. ſchwachheit/ ohne aͤuſſerlichem
pracht und glantz/ unter viel haß und anſtoß in ſchlechter verachter geſtalt. So
redet auch Flacius uͤber Gal. 4/ 13.Forte etiam ſuas cruces \& pericuIa
commemorat, in quibus perrexerit eos docere: p.p.
da er den ort 1. Cor. 2/
3. angefuͤhret: ut recte queas intelligere varias cruces \& afflictiones, qui-
bus perpetuo exercebatur adeo ut eo nihil eſſet abjectius, ſi externam
ſpeciem inſpexiſſes.
Herr D. Calovii zeugnuͤß iſt bereits angefuͤhret/ dazu
ich noch das andere aus ihm ſetze uͤber Gal. 4/ 13. wo er die ſchwachheit des Apo-
ſtels alſo anſiehet: Agit de ſuæ perſonæ infirmitate deſpicatui habita, tum
quod vilis, abjectus \& contemtus venerit, tum quod variis contumeliis,
perſecutionibus ac periculis obnoxius fuerit.
Unter den aͤltern erklehret
der liebe Ægid. Hunnius den ort 2. Cor. 13/ 30. in infirmitate ſua, id eſt in
laboribus, quos ſuſtinuit, in moleſtiis, quas devoravit, in periculis, quæ
adiit, in tribulationibus, quas ſenſit, in hujus vitæ incommoditatibus,
quas propter Evangelium Chriſti expertas eſt.
Es iſt aber die ſache ſo
klahr und offenbahr/ daß es nicht vielmehr zeugnuͤſſen bedoͤrffen wird/ ich wuͤrde
auch dieſe nicht angefuͤhret haben/ wo wir nicht zu einer ſolchen zeit lebten/ da man
ſo ſchwer eine auch beſt gegruͤndete erklaͤhrung annehmen will/ wo ſie nicht mit ande-
rer lehrer zeugnuͤſſen befeſtiget wird.


Bleibet alſo dabey/ die ſchwachheit heiſſe hie nicht eigenlich ſuͤndliche ſchwach-
heit/ ſondern das leyden der verfolgung und der anfechtung/ dazu noch die natuͤrli-
che ſchwachheit des Apoſtels wird zu ſetzen ſeyen/ daß nemlich dieſelbe/ nach welcher
dem fleiſch das leyden allezeit widrig und bitter iſt (ſo gar daß auch unſer Heyland/
der ohne ſuͤnde war/ eine ſchwachheit in anſehung und fuͤhlung ſeines leidens em-
pfunden hat. Matth. 26/ 39. Joh. 12/ 27. 13. 21.) noch nicht alſo durch den
geiſt uͤber wunden geweſen/ daß er mit lauter freudigkeit das leyden haͤtte moͤgen tꝛa-
N n n n n 3gen
[838]Das ſechſte Capitel.
gen/ ſondern gefuͤhlet hat/ wie ſchwehr es ihm falle. Welche ſchwachheit gleich-
wol an ſich ſelbs nicht ſuͤndlich iſt. Wo aber einige dieſen ſpruch dannoch von den
ſuͤndlichen ſchwachheiten verſtehen/ und damit ſich in ihrer ſicherheit ſtaͤrcken wol-
len/ moͤgen ſie wol zuſehen/ daß ſie nicht mit dem ruhm ihrer ſchwachheit vor den
heiligen augen GOttes ihre ſuͤnde noch dazu vermehren.


2.) Was den andern ort anlangt 1. Tim. 5/ 8. bin ich nicht in abrede/ daß
ihn biß dahin anders/ nemlich von der ſorge der eltern vor die kinder verſtanden ha-
be/ daß jenen obligen/ gleich wie die kinder in der forcht GOttes zu erziehen/ alſo
auch ohne geitz/ ungerechtigkeit und verſaͤumung der liebe des nechſten/ in dem zeit-
lichen alſo vor ſie zu ſorgen/ daß ſie moͤgen wol erzogen werden/ und nicht wo die
eltern nachlaͤßig und faul waͤren/ auch alles das ihrige verthaͤten/ der gemeinde
zur laſt uͤber den halß fallen: Jch habe aber von kurtzer zeit aus anderer veranlaſ-
ſung den text anders anfangen einzuſehen/ daß ich nun faſt nicht zweifle/ es werde
von der verſorgung alter und unvermoͤglicher eltern geredet/ und dieſe den kindern
befohlen. Welches der gantze context und die abſicht des Apoſtels/ die da war/ zu
zeigen welche witwen aus der gemeinde guͤtigkeit unterhalten werden ſolten/ mit
ſich bringet: ſonderlich v. 4. da außtruͤcklich davon geredet wird/ daß die wit-
wen
nicht dazu gezogen werden ſolten/ die kinder und neffen haben: da heiſt
es/ ſolche (nicht die witwen/ ſondern kinder und neffen/ wie es dann der pluralis
iſt/ da von der witwe in ſingulari geredet wird) laß zuvor (ehe ſie die kirche be-
ſchwehren) lernen ihre haͤuſer goͤttlich regieren (zu welcher gottſeligkeit auch
das folgende gehoͤret) und den eltern gleiches vergelten/ alſo wie ſie/ da ſie ſich
nicht ſelbs verſorgen koͤnten von den eltern unterhalten worden/ ihnen in ihrem un-
vermoͤglichen ſtande auff gleiche weiſe begegnen. Auff dieſes zeigt der Apoſtel
ferner/ welches hingegen eine rechte und alſo der gemeinen wolthat wuͤrdige wit-
we ſeye v. 5. 6. darauff v. 7. erinnert er/ daß ſie dergleichen wol in acht nehmen ſol-
len. Endlich v. 8. folget die urſach/ warum man ſich/ ſonderlich von ſeiten der
kinder gegen ihre alte muͤttern/ dergleichen treue ſolle laſſen angelegen ſeyen/ will ſo
gar wer die ſeinige nicht verſoꝛge/ aͤrger als ein Heyde ſeye/ und den glauben
verlaͤugnet habe/
alſo vor keinen Chriſten gehalten werden koͤnne. Wo dann
die abſicht vornehmlich gerichtet iſt/ auff die pflicht der kinder gegen die eltern/ aber
die worte gehen allgemeiner/ und drucken die pflicht eines jeden gegen ſeine hauß-
genoſſen aus.


Dieſe ſache finde nun ſo klar/ daß mich verwundere/ ſolche nicht eher war-
genommen zuhaben. Jch ſehe aber/ daß auch andere unſerer Chriſtlichen lehrer
dieſen rechten verſtand weiſen. Alſo redet Hunnius, daß der Apoſtel hie die je-
nige ſtraffe/ welche ihren muͤttern und großmuͤttern/ ſo von alter unvermoͤglich
worden die ſchuldige liebe nicht erweiſen. Alſo uͤber v. 4. gloßiren die Weymariſche
alſo/ ſo aber eine witwe kinder oder neffen/ (kindes kinder) hat/ ſolche (kinder
oder
[839]ARTIC. II. SECTIO XL.
oder neſſen) laſſe zu vor (ehe die kirche angelauget werde/ ihre mutter o-
der großmutter mit dem allmoſen zu verſorgen)
lernen/ ihre eigne haͤuſer
goͤttlich regiren/ (ihren muͤttern oder großmuͤttern die nothduͤrfftige hand-
reichung zu leiſten.)
und derer eltern (von denen ſie erzogen ſind) gleiches ver-
gelten (ſie ernehren und verſorgen/ gleich wie die eltern ihnen zuvor auch
gethan haben/ ehe ſie erwachſen.)
bey v. 8. aber erklaͤren ſie die haußgenoſſen
insgemein/ eltern/ kinder und bluts-freunde. Alſo auch Flacius gedencket bey
v. 4. dieſes: ejusmodi liberos rectè ab ea educatos grandesque illius vi-
duæ præſertim in ejus ſenectute curam ſuſcipere debere, eamque enu-
trie, ne ſit neceſſe Eccleſiam Dei gravari ſumptibus. v. 8.
ſetzet er auch
die witwen und kinder zuſammen/ die an einander die liebesthaten erzeigen ſolten.
Letzlich Herr D. SebaſtianSchmidt in ſeiner Paraphraſi ſtimmet bey v. 4. auch
bey/ und bey v. 7. paraphraſirt ers mit fleiß alſo: dieſes gebiete nicht allein
den witwen ſelbs/ ſondern auch ihren kindern/ neffen und anverwandten.

m. f. w. Sihe alſo insgeſamt nicht/ was ferner ſolcher erklaͤhrung mit ziemlichen
ſchein entgegen geſetzet werden koͤnte.


Jch komme nun auff den Quedlinburgiſchen Catechiſmum/ da mir a-
ber leid iſt/ daß nicht gnugſam und nach verlangen antworten kan. Jch habe
demſelben damal/ als ich den meinigen edirte, von einem guten freund gelehnt ge-
habt und geleſen/ vor michſelbs aber zu bekommen nicht vermocht. Wie mir der-
ſelbe ſo trefflich wol gefallen/ habe ich in der ſelbs angefuͤhrten vorrede bezeuget: ob
ich aber in dem leſen auch einige ſtellen bemercket haͤtte/ daran ich angeſtanden
waͤre/ weiß ich mich nicht zu entſinnen/ in dem ſeither ſo viel jahr verfloſſen/ da mir
alles ausgefallen: auffs wenigſte muß es nichts von einiger wichtigkeit geweſen
ſeyen/ in dem ich ſonſten ohne beyerinnerung demſelben zu recommendiren ohne
zweiffel um die zeit da ich ihn neulich geleſen/ wuͤrde bedenckens gehabt haben. Da-
mit ich endlich auch das P. S. und die darinnen vorgeſtellte materien beruͤhre/ laß
ich wol gelten/ daß einiger Chriſtlichen perſonen ausreiſen nach NN. zu Herr NN.
predigten andern ungewoͤhnlich vorkommen wird: wo aber die predigt ihres orts
dadurch nicht verſaͤumet wird/ kan ſolches niemand verwehꝛet/ und mit gutem
grund dargegen geſprochen werden: nur wird ſehr zu huͤten ſeyen/ daß man nicht
mit allzuvielen ruhm der erbauung aus der fremden predigt ſich den haß der ein-
heimiſchen prediger zu ziehe/ und dieſe jenen zuꝛ verkleinerung der ihrigen ſcheinbar
ziehen koͤnten. So dann wolte ich auch wuͤnſchen/ daß ſolche gute freunde es
nicht eben ordinarie thaͤten/ ſondern allein zu weilen/ um die ungleiche urtheil et-
licher maſſen zu vermeiden. Alſo auch wie niemand Herrn NN. verwehren
kan/ daß er Chriſtliche freunde in der nachbarſchafft beſuche/ ſo iſts auch nicht zu
wehren/ denſelben in dem hauſe zu beherbergen. Jedennoch wolte auch da rathen/
daß die beſuchungen von andern/ wañ er zu ihnen kom̃t/ nicht ſo viel geſchehen/ daß
es
[840]Das ſechſte Capitel.
es das anſehen gewinnen moͤchte/ ob nehme er ſich durch dergleichen beſuchungen/ da
ſie offters vorgenommen wuͤrden/ einen theil des lehramts an dem ort/ welcher ſei-
ne ordinari lehrer hat/ davon dero klagen uͤber ſolchen eingriff einen ſtarcken
ſchein haben wuͤrden. Daher ſolches alſo einzurichten/ daß dieſen nicht zu viel ge-
legenheit/ ſich zu beſchwehren gegeben werde/ in dem ſonſten die hieraus mit dem
uͤbrigen Miniſterio entſtehende mißhelligkeiten und unruhe leicht mehr aͤrger-
nuͤß und ſchaden verurſachen moͤchte/ als erbauung und nutzen von ſolchem zuſpruͤ-
chen Chriſtlichen zu hoffen waͤre. Jnsgeſamt aber bleibet dieſes wol die regel/ wie
in den dingen/ welche und ſo fern ſie als nothwendig von GOtt erfordert werden/
um des voꝛwands des daher nehmenden aͤꝛgernuͤſſes willen/ nichts zu unterlaſſen
iſt/ ſo hats doch etwas eine andere bewandnuͤß mit den dingen/ die nicht bloß noth-
wendig ſind/ und da/ was davon zu hoffen/ zur noth auch noch auff andere wege
ſich erſetzen laͤſſet/ nemlich daß man daruͤber/ um andern nicht eine gelegenheit zum
aͤrgernuͤß/ ſo uns und viel andere verunruhigen und an anderem guten hindern
moͤchte/ zu geben/ ſich zu weilen auch deſſen zu entſchlagen/ oder es doch zu maͤßigen
hat/ worvon man ſonſten wojene ſorge und gefahꝛ nicht waͤre/ gute erbauung hof-
fen koͤnte. Welches ich der regel der liebe und Chriſtlichen klugheit allerdings ge-
maͤß zu ſeyn erachte: insgeſamt aber das elend unſerer zeit beſeufftze/ in dero man
bey dem guten/ ob mans thun doͤrffe/ und wie mans um nicht anzuſtoſſen anzugreif-
fen habe/ vielmehr bedenckens haben muß/ als die boͤſe nicht bedoͤrffen/ wo ſie boͤ-
ſes zu thun ſich vornehmen. Ach der HErr ſehe von himmel darein/ erhoͤre die des-
wegen zu ihm auffſteigende ſeufftzer/ und ſchaffe endlich eine ſolche huͤlffe/ daß man
getroſt lehren/ und das gelehrte practiciren moͤge: in deſſen gebe er uns gedult
der huͤlffe zu erwarten/ und weißheit uns in die zeit zu ſchicken. 1690. 15. Dec.


SECTIO XLII.


Bewandnuͤß unſrer zeiten. Starcke bewegung
der gemuͤther. Der welt widerwertigkeit gegen das gu-
te: ſonderlich auch der
Theologorum,Gewiß-
heit des ſiegs.


JCh ſage freundlichen danck vor die neuliche bruͤderliche auffmunterung/ ſo
ich nicht ohne bewegung geleſen habe. Es iſt freylich an dem/ daß wir ins-
gemein alle Chriſten/ abſonderlich wir prediger/ zum kampff beruffen ſind/ a-
ber dieſe jetzige zeit ſcheinet noch vor andern zu erfordern/ daß wir uns auff ſchweh-
rere angriff gefaſt machen. Das reich Gottes will mehr und mehr durchbrechen/
und hat der HERR hin und wieder/ vieler an manchen orten aus unſrem ſtande
hertzen bey einiger zeit geruͤhret/ zuerkennen/ daß die vorige laulichkeit nichts tau-
ge/
[841]ARTIC. II. SECTIO LXI.
gen/ und wir zur rettung unſrer ſeelen ein mehrers thun muͤſſen/ als die mei-
ſte bißher gethan/ ſonderlich aber hat er in vielen andren ſeelen einen
ungemeinen hunger und durſt erwecket nach der kraͤfftigen ſpeiſe/ daß ſie ſich nicht
mehr mit der oratorie und menſchlichen kunſtworten abſpeiſen laſſen wollen/ ſon-
dern verlangen das wort des HErrn mit geiſt u. krafft vorgetragen/ erkeñen auch
bald einen unterſcheid unter den treuen und untreuen hirten. Wie denn gewiß
dieſe regung der gemuͤther von mehrern jahren zimlich kantlich angefangen hat/ a-
ber je laͤnger je mehr zu nimmet/ und nicht allein das verlangen nach einer fernern
beſſerung bruͤnſtig machet/ ſo auch in viel tauſend ſeuffzen/ die ſich faſt nicht mehr
daͤmpffen laſſen/ daß ſie nicht in offentlichen laut ausbrechen/ bißdaher ſich bezeu-
get hat/ ſondern auch denen die auff das werck des HErrn ſehen (neben einigen din-
gen/ da der HErr auch auſſer der oꝛdnung ſich ſcheinet anfangen den ſeinigen
kund geben zuwollen) die gewiſſeſte verſicherung gibet/ daß ſich der liebſte Hey-
land ſeiner armen braut erbarmen wolle/ und ihre geſtalt beſſern. Dieſes werden
nicht nur allein fromme hertzen gewar/ und immer begiehriger/ nechſt freudiger er-
wartung der vertroͤſteten huͤlffe des HErrn/ ſondern auch der Fuͤrſt der finſter-
nuͤß mercket es allerdings wol/ und ſuchet ſich nach vermoͤgen zuwiderſetzen. Daher
ruͤſtet er ſich nicht weniger: die offenbahr boͤſe mag er nun leicht weil ſie ohne das al-
lerdings in ſeiner gewalt ſtehen/ nach ſeinem willen haben/ zu offenbahren u. wiſſent-
lichen luͤgen/ laͤſtrungen/ verleumdungen/ und gewaltſamer verfolgung: was
andere ſind/ die ob ſie nicht rechtſchaffen vor GOtt/ dannoch einige erbarkeit und
froͤmmigkeit in ſich haben/ ſucht er auf andre weiſe an ſich zu ziehen/ mit forcht vor
die reine lehr/ die in gefahr/ und vor den reſpect des predigamts/ ſo in abnehmen
kommen moͤchte/ oder mit leichtglaͤubiger annehmung aller von gottſeligen leuten
und dero vornehmen boͤßlich ausgedachten laͤſtrungen/ dardurch ſie zu einem blin-
den eyffer entzuͤndet werden/ und darinnen allerdings recht zu haben meinen: damit
haͤlt er ſie nicht allein ab/ daß ſie zu dem rechtſchaffenen weſen in Chriſto JEſu nie-
mal kommen/ ſondern vielmehr daſſelbige auch andern verdaͤchtig halten/ haſſen
und jeglicher nach ſeinem vermoͤgen zu hindern ſuchen. Die meiſte aber/ die er zu
ſeinen werckzeugen gebraucht/ ſind leider leute unſers ordens/ die das gute mit dop-
pelter verbindlichkeit befordern ſolten: aber einige ſind ohne das in der ſeelen den
guten feind/ und foͤrchte ich/ der Theologus ſo vor einigen jahren de atheismo
Theologorum Lutheranorum
ſchreiben wollen/ den ich aber hertzlich abgerathen/
wuͤrde viele warheit geſchrieben haben/ und ſeyen manche allzuweit von allen/ was
nur einiger maſſen eine wahrheit iſt/ entfernet: andeꝛe ſo es noch auff ihre art nicht
ſo boͤſe meinen/ ſorgen abermahl nicht allein vor die reinigkeit der lehr (gerade als
wann dieſelbe durch die ernſtliche gottſeligkeit gehindert/ uñ nicht vielmehr vortref-
lich gefoꝛdert wuͤrde) ſondern theils es wuͤrde ihre vorige traͤgheit/ wo andere nun
O o o o omehr
[842]Das ſechſte Capitel.
mehr thaͤten/ oder unwiſſenheit/ wo die zuhoͤrer weiter gefuͤhrt wuͤrden/ dardurch
zu ſchanden werden/ theils weil ihr eigen leben nicht eben mit den rechten reglen
Chriſti uͤbereinkoͤmt/ u. bey einem auch erbaren wandel eigne ehre/ nutzen u. luſt die
herꝛſchafft behaͤlt/ daher abeꝛmal die forcht eingehet/ ſie wuͤrden nichts mehꝛ gelten/
wo andere ſo viel weiter zukommen nicht nur ſich beſtrebten/ ſondern auch deſſen
nothwendigkeit zeigten. Ob nun alſo wol aus unterſchiedenen principiis und mo-
tiven,
ſind doch alle ſolche wahrhafftig dem wachsthum des guten von hertzen zu
wieder: und alſo wiederſetzen ſie ſich entweder bereits/ oder werden ſich kuͤnfftig/
wo es zu einem mehrern eꝛnſt kommen wird/ zu widerſetzen anfangen. Alſo ſihet viel
geliebter bruder/ wo wir die ſache auch nur nach menſchlicher vernunfft anſehen/
daß es nicht anders muͤglich ſeye/ als daß der kampff immer ſo viel hefftiger werden
muͤſſe/ als das gute zunimmet/ und deſſen nachfolgere in dem eyffer wachſen: daß
vielleicht das bißherige nur noch vorſpiele mag heiſſen gegen das jenige/ was folgen
wird. Jndeſſen iſt uns gleichwol der ſieg gewiß/ ob wir woll art und zeit nicht be-
ſtimmen koͤnnen/ und nicht wiſſen/ ob wir in der zeit oder in der ewigkeit unſern tri-
umph zuerwarten haben/ ohne daß uns dieſes auch ſicher bleibet/ daß wo nicht wir/
doch unſre mit-bruͤder/ wann wir nicht mehr da ſolten ſeyen/ ſondern von der welt
uͤberwunden von dem kampff-platz abgetrieben zu ſeyn ſcheinen/ noch in der zeit ih-
re ſiegs-lieder dem deꝛ auff den thron ſitzet ſingen werden. Dieſes macht uns mu-
thig und getroſt/ und muntern wir uns billich untereinander hertzlich auff/ damit
keiner muͤde werde/ noch aus forcht die haͤnde ſincken laſſe. So laſſet uns alſo mit
glauben/ gedult/ gebet und hoffnung/ als welche unſre einige waffen ſind/ ruͤſten/
daß wir wenn das boͤſe (wie es von dem feind gemeinet iſt/ an ſich abeꝛ gute und ſe-
lige) ſtuͤndlein kommt/ alles wol außrichten und das feld behalten moͤgen.
Der bey uns iſt/ iſt einmal groͤſſer/ dann der in der welt iſt/ trotz daß dieſer ihm den
ſieg disputire. So hat uns unſer liebſte JEſus eine weil unſren glauben zuſtaͤr-
cken/ hier und dar einige ſiege/ die vor der welt augen faſt unanſehnlich ſind/ aber
gewiß goͤttlicher krafft zeugnuͤß geben/ erhalten laſſen/ damit wir auch hinkuͤnfftig
niemal zaghafft werden/ als wormit wir allein unſern ſieg/ der verſprochen iſt/
verderben koͤnten: davor uns der HERR bewahre/ und hingegen ſo viel die gefahr
zunehmen mag/ ſeine krafft von oben uns auch ſo viel reichlicher geben wird. Amen
Hallelujah. 8. Jan. 1691.


SECTIO XLII.


Von der klage/ wie wenig man ausrichte. Deſſen
urſache. Hoffnung kuͤnfftiger beſſerung/ und dero
art.


Das
[843]ARTIC. II. SECTIO XLII.

DAs erſte war die nicht nur von uns beiderſeits/ ſondern auch von faſt allen
andern mit-bruͤdern auch anderwertlich/ fuͤhrende klagen wegen der weni-
gen frucht/ ſo wir mit aller unſrer arbeit bey den gemeinden auszurichten fin-
den: da ich nicht zweiffle/ daß wir deſſen einige urſach auch ſelbs auff uns nehmen
muͤſſen/ und zu bekennen haben/ daß auch an uns manches manglen mag/ und uns
zuweilen einweniger maß gegeben wird/ nach dem wir uns eines mehrern unwuͤr-
dig machen/ alſo daß der HERR in unſre ſeelen/ die noch nicht recht gereiniget/
nicht mehr licht/ ſeiner ordnung nach/ geben kan/ damit eine auch ſtaͤrckere erleuch-
tung von uns bey andern entſtuͤnde: indeſſen halte mich doch verſichert/ daß nicht
weniger ſchuld bey den gemeinden ſeye und hingegen das maaß der uns ertheilten
gnade an ſich ſelbs zu voͤlliger heiligung der anvertrauten gnug ſeyn wuͤrde wo nicht
von dieſen die meiſte ſich der guͤtigen goͤttlichem wuͤrckung widerſetzten: dazu wir
zwar auch letzlich GOttes gericht ſetzen/ und deſſen geꝛechtigkeit veneriren muͤſſen/
der manchmal vorige ſuͤnden derer/ an denen wir zu arbeiten haben/ mit zuruͤck-
haltung fernerer gnade beſtraffet. Jndeſſen iſt mir hertzlich lieb/ daß derſelbe auff
die jenige erinnerung gekommen/ daß wir offt nichts ausgerichtet zu haben meinen/
und nachmal durch GOttes regierung eines beſſeren gewahr werden: daran
nicht nur offt gedacht/ die gewißheit deſſen/ ob ich auch nichts erfahre/ auff die goͤtt-
liche verſicherung geſetzet/ und folgends ſelbs unterſchiedliche mal dergleichen exem-
pel bemercket/ ſie auch als ſonderlich zu meiner ſtaͤrckung von dem himmliſchen Va-
ter angeſehen vor neue wolthaten GOttes gehalten habe. Nechſt dem iſt mir
auch von grund der ſeelen angenehm geweſen/ daß wir beiderſeits auch darinnen
einſtimmig ſind/ daß der HERR HERR ſeiner kirchen noch einigen ſonnenſchein
und beſſerung verſprochen habe/ und alſo noch vorbehalte. Was aber die art des
anbruchs deſſelben anlangt/ werden wir vielleicht auch darinnen nicht weit von ein-
ander abgehen/ daß wir beyde erkennen/ es werde auff eine art geſchehen/ die kein
menſch voͤllig vorher erkennen oder beſtimmen koͤnne/ ja wer ſich deſſen unternehmen
wolte/ ohne vermeſſenheit ſolches zu thun nicht vermoͤchte. Ob nicht GOTT
freylich neben den ordentlichen gnaden-mitteln/ wo er ſein groſſes werck wird auß-
richten/ manches auſſer der ordnung thun moͤchte/ will auch nicht in abrede ſeyn/ ſon-
dern achte es ſeiner weißheit nicht ungemaͤß. Jndeſſen ſehe ich dannoch das weni-
ge/ was GOtt hie und da in dieſen tagen geſchehen und auffgehen laͤſſet/ auch an/
als etwas dazu gehoͤriges/ nicht daß auff der gleichen gemeine weiſe das gantze
werck zum ſtande ſolte gebracht werden/ ſondern daß der HERR etwa jetzt eine be-
reitung machet der jenigen ſeelen/ an dero gedult und leyden er in den bevorſtehen-
den ſchwehrſten truͤbſalen/ und wo Babel/ vielleicht das letſte mal/ die heiligen (der
gleichen dann auch vorhanden ſeyn muͤſſen) uͤberwinden ſolle/ geprieſen werden
will: oder daß er die ſteine allgemach bereitet/ aus denen eꝛ nach ſolchen ſchwehr-
O o o o o 2ſten
[844]Das ſechſte Capitel.
ſten veꝛfolgungen/ in denen er ſie wol wird zu verwahren wiſſen/ ſein liebes Zion
auffs neue wiederum herlicher bauen wird. Alſo iſt weder was jetzt in der gnade
geſchihet/ das rechte was wir noch warten/ noch von denſelben gantz unteꝛſchieden/
ja gleichſam deſſen vorbote. Laſſet uns alſo unſrer ſeits mit aller treue an dem je-
nigen arbeiten/ wozu uns der HErr geſetzt hat/ ob es wol nur eine vorbereitung iſt/
und uns verſichren/ daß gleichwol auch ſolche arbeit nicht werde umſonſt ſeyen/
darneben aber unauffhoͤrlich zu dem HErrn um ſeine gnaͤdige huͤlffe/ nach dem faſt
in geiſt und leiblichem die noth uͤber das vermoͤgen menſchlicher huͤlffe gekom-
men iſt/ ſeuffzen und ruffen/ damit er ſeine außerwehlte rette
in einer kuͤrtze.



ARTIC
[458[845]]ARTIC. III. SECT. I.

ARTIC. III.
Was meinberuff und amts bedie-
nung in Berlin anlanget/ und in ſolche zeit
einlaufft.

SECTIO.


  • 1.
    AAls ein jahr vor hero erſtmahl wegen hieſiger Propſtey/ ſo damal auch va-
    cant,
    durch einen vornehmen geheimen Rath ſondirt worden/ erklaͤh-
    rung.
  • 2. Als wegen Seiner Churfuͤrſtlichen Durchlauchtigkeit von Sachſen mein amt
    freywillig zu reſigniren mir zugemuthet wurde/ erklaͤhrung an das Churf.
    Saͤchſ. Geheime Raths Collegium.
  • 3. Nach erhaltenen Churfuͤrſtlichen vocations-ſchreiben an das Miniſterium
    in Berlin meine kuͤnfftige Collegas.
  • 4. Schreiben an Buꝛgemeiſter und Rath zu Berlin nach empfangeneꝛ Churfuͤrſt-
    licher vocation.
  • 5. Von der abreiſe auch Sachſen unterthaͤnigſt abſchieds-ſchreiben an Chur-
    Printz Joh. Georg. IV.
  • 6. Bey dem abſchied aus Sachſen unterthaͤnigſtes abſchieds-ſchreiben an den
    Churfuͤrſtl. Printzen Hertzog Friederich Auguſt von Sachſen.
  • 7. Den tag vor der abreiß aus Dreßden unterthaͤnigſtes abſchieds-ſchreiben an
    Churfuͤrſt Joh. Georg III.
  • 8. Aus meiner vocation nach Berlin von einigen gefaſter verdacht abgelei-
    net.
  • 9. An einen auch dimittirten und anderwerts wieder beruffenen Theologum.
    Jn Sachſen bin nicht ohne frucht geblieben. Wiederſtand des guten von
    Univerſitaͤten. D. Carpzovius. Berliniſcher ſtelle bewandnuͤß. Mann
    will allenthalben die wahrheit weiter als zu einem moral-leben nicht leyden.
    Gratulation zu neuen amte.
  • 10. Unbilligkeit der Theologorum/ die ein ſchisma intendiren.
  • 11. Das predigamt hat billig der zuhoͤrer unter ſich anſtellende uͤbungen zu befor-
    dern und zu ſchuͤtzen. Mangel der kiꝛchen disciplin. GOTTES rath
    darinnen.

O o o o o 312. Nach-
[846]Das ſechſte Capitel.
  • 12. Nach dem tod Churfuͤrſt Joh. Georg. III. zu Sachſen unterthaͤnigſt condo-
    lenz
    -ſchreiben und wunſch zur angetretenen regierung an Chuꝛfuͤrſt Joh.
    Georg den IV.
  • 13. An eine Fuͤrſtliche perſon/ die den erbarmung wuͤrdigen zuſtand der kirchen er-
    kante. Hoffnung der beſſerung.
  • 14. Uber die anfechtung eines Studioſi Theologiæ, der eine weile faſt zu allen
    untuͤchtig wurde. Ob man von einem gottloſen adminiſtratore ein ſtipen-
    dium
    annehmen koͤnne.
  • 15. An den leinweber Joh. Hirſchen (ſiehe art. 2. Sect. 39.) entſchuldigung der
    langſamkeit der antwort. Meine aͤnderung von Dreßden nach Berlin
    M. Schade. M. Lehman. Gluͤckwuͤnſchung zu einem kinde. Jch weiche
    nicht von meiner lehre und art des vortrags.
  • 16. An eine Churfuͤrſtl. Rath. Chur[f]uͤrſtliches reſcript wegen der ſo genanten
    Pietiſten. Der Gottſeligkeit nutzen auch in gemeinen weſen. Wegen aͤnde-
    rung eines beichtvaters.
  • 17. An einen Fuͤrſtlichen Hoffprediger. Schrecklicher irrthum/ vertrauen auff
    eingebildeten glauben. Leyden daruͤber. Die wahrheit bricht mehr durch.
  • 18. An einen Chriſtlichen Edelman von verderbnuͤß der kirchen und urſach des haſ-
    ſes gegen die Gottſeligkeit.
  • 19. Als uͤber mein edirtes bedencken ein vornehmer mann ſcrupel gefaſt wegen
    vertheidigung der Pietiſten/ der von Aſſenburg und des tauſendjaͤhrigen-
    reichs erklaͤhrung.
  • 20. An Churfuͤrſt Joh. Georgen den IV in Sachſen gerechte beſchwerde uͤbeꝛ das
    ſo mir als andern unter dem nahmen der Pietiſten angethanes unrecht.
  • 21. An M. Joh. Chriſtoph Holtzhauſen wegen ſeiner gewiſſens angſt uͤber das veꝛ-
    meſſene urtheil wider die Pietiſten/ verdammung Jacob Boͤhmens und har-
    te ſchreib-art gegen Matthaͤi.
  • 22. Meine außfuͤhrung aus Sachſen und beſtaͤndige liebe gegen daſſelbige. Von
    einem vermeinten geſpenſt.
  • 23. Lehre der Gottſeligkeit und goͤttlichen wuͤrckungen werden verlaͤſtert. Wie
    in der that die laͤſterungen zu wiederlegen.
  • 24. An einen Edelmann von Caſſuben. Freude uͤber deſſen kandnuͤß. Hoffnung
    von dem ſohn. Fraͤulein von der Aſſenburg. Gefaͤhrliche zeit. Weder
    tag noch nacht.
  • 25. An M. Joh. Chriſtoph Holtzhauſen fernere erinnerung ſeinem gewiſſen ruhe
    zu ſchaffen. Einen fehler zu bekennen hebt die autoritaͤt des Miniſterii nicht
    auff. Jacob Boͤhme hat einiges retractiret. Bey einem goͤttlichem liech-
    te kan noch einige finſternuͤß ſeyen.

26. Noch-
[847]ARTIC. III. SECTIO I.
  • 26. Nochmahl an M. Joh. Chriſt. Holtzhauſen uͤber ſeine declaration/ die er mir
    geſandt. Uberlaſſung an GOTT und ſein gewiſſen. Ob Jacob Boͤhme
    etwas revociret: Ob ein mittler weg des urtheils von ihm zu finden.
  • 27. An einen Chriſtlichen ſchulmeiſter in Sachſen/ den GOTT von jugend auff
    gefuͤhret auff den weg der buſſe und glaubens. Hochachtung der ſchrifft.
    Einige Prediger verbieten dero leſung. Wir haben alle zuboͤrer auff dieſelbe
    zu weiſen. Maͤßigung des entbrennenden eiffers. Wie auff dem land
    auch erbauliche buͤcher unter die leute zu bringen. Gebet um beſſerung.
    Luc. 18/ 7. 8. Hoffnung deſſelben.
  • 28. An einen Chriſtlichen Prediger in Sachſen. Jch ſetze Goͤttlichen worte keine
    andere offenbahrung zur ſeiten. Haß fleiſchlicher Theologorum gegen die
    lehre der Gottſeligkeit aus ihrem intereſſe. Unſere pflicht in ſolchem zuſtand
    und gewiſſer ſieg.
  • 29. An einem vornehmen Frantzoſen/ der aus guten trieb von dem Pabſtum zu uns
    getreten. Salbung des Geiſtes wenig bekant. Die kirche ihrer gebrechen
    wegen nicht zuverlaſſen/ ſondern erbarung mit zutragen. Zum predigamt
    iſt neben der ſalbung auch der beruff noͤthig.
  • 30. An Churfuͤrſt Johann Georg IV. von Sachſen auff begehren widerholte be-
    ſchwerde uͤber das unbillige verfahren in der ſache Pietismi.
  • 31. Jch lielle keinen ſtreit noch bin an den entſtandenen ſchuld. Deswegen auch
    bey der ſache freudig. Warum uͤber Jacob Boͤhmen nicht urtheilen noch
    ihn verwerffen kan. Ob ein mittler weg zu finden. Hoffnung zu GOtt
    zu entſchuldigung der ſache.
  • 32. Gabe des gebets. Verlangen den nahmen GOttes groß zu machen/ daß
    nichts auſſer ordentliches habe. Durch vorbitte vor andern mehr in die ge-
    meinſchafft der heiligen einzutringen. Was von ermanglender luſt zuſter-
    ben zu halten.
  • 33. Von den gerichten unſerer zeiten in unterſchiedlichen ſtuͤcken.
  • 34. An den Churfuͤrſten zu Sachſen als meine verantwortuug gegen die Witten-
    bergiſche Facultaͤt Seiner Churf. Durchl. dedicirte.
  • 35. Gegen die Pietiſten/ wird nicht uͤber die lehre geſtritten. Intereſſe in ſolcher
    ſache der cleriſey und Doctorum Academicorum.
  • 36. An eine Adeliche Jungfrau in Sachſen. Derſelben vor dieſem ertheilete troſt.
    Betruͤbnuͤß uͤber der unruhe in die kirchen. Ob und was vor eine reforma-
    tion intendi
    ret werde. Jch bin von der Evangeliſchen lehre im geringſten
    nicht abgetreten: noch auch andere deſſen beſchuldigte/ ſonderlich M.
    Franck. Dieſer laͤſtert Lutheri dolmetſchung nicht/ noch begehrt ſie den leu-
    ten zu verleiden. Alle Theologi haben zu allen zeiten gleiche oder mehrere
    freyheit gebraucht.

37. Viele
[848]Das ſechſte Capitel.
  • 37. Viele greiffen mich an um mein ſelbs und meiner freunde willen. Hertzliches
    gebet vor mich und deſſen frucht.
  • 38. Als man mir in der ſache des beichtweſens/ alles auff die ſpitze zuſetzen/ zumuh-
    tete.
  • 39. Von meinem zuſtand/ unſchuld und verlangen keine freunde meines leydens
    theilhafftig zu machen.
  • 40. Als J. Peter Spaͤth zum Judenthum abgetreten. Letztes ſchreiben an
    ihn.
  • 41. Als eine Graͤffin/ von den wahren urſachen der vielen wiederwaͤrtigen gegen
    mich. Treibung der lehr der heiligung. Mehrere forderung an das
    predigamt. Hoffnung beſſerer zeiten. Daß die unruhe nicht erweiſe daß
    unſere kirche nicht die wahre kirche ſeye: Gefahr vom Papſtum.
  • 42. Klage uͤber die univerſitaͤt Wittenberg.
  • 43. Meine art zu verfahren. Kurtze anſchlaͤge und beginnen nicht die beſte. Wie
    man ſich jeglicher zeit zu verhalten. Fingirung neuer ſecte der Pietiſten.
    Daß den widerſachern nicht mehr antworten wolle. Mittelſtraſſe wegen
    der Symboliſchen buͤcher Churfuͤrſtliches deciſum wegen der beicht freyheit
    ob geaͤndert.
  • 44. Daß meine lehre/ ſonderlich von haltung Goͤttlicher gebote/ mit Lutheri lehr
    voͤllig uͤbereinſtimme.

SECTIO I.


Als ein jahr vorhero erſtmal wegen hieſigen
Propſtey/ damahl noch vacant/ durch einen vornehmen
geheimen rath ſondiret worden/ erklaͤh-
rung.


MJe ich Ew. Excell. gegen mich tragender ſonderbahren affection von
mehrern jahren auff unterſchiedliche art bisher verſichert worden bin/ alſo
habe dero letzteres durch des Heꝛꝛn N.N. Excell. uͤberbrachtes als ein neues
zeugnuͤß deꝛſelben anzuſehen/ ob wohl in nicht geꝛinge unruhe des gemuͤths daꝛdurch
geſetzet worden zu ſeyen dabey nicht in abrede ſeyn kan: Jch habe aber in Chriſtlicher
uͤberlegung des gantzen in dero ſchreiben vorgeſtellten geſchaͤffts zum all[b]efoͤꝛdeꝛſten
die ewige guͤte des him̃liſchen Vaters mit demuͤhtigſtẽ danck zu preiſen/ ſo ihren neuẽ
knecht zu der zeit/ da ſich der jenigẽ/ die mir zu wider ſeyen/ zimlich viele offenbahren/
mit neuemzeugnuͤß guͤtigſter vorſorge nicht wenig troͤſtet und ſtaͤrcket/ und wie ich in
gewiſſen glauben mich verſichere/ alles weißlich zum beſten ausfuͤhren wird.
Nechſt
[849]ARTIC. III. SECTIO I.
Nechſt deme bin auch unterthaͤnigſten danck ſchuldig Seiner Churfuͤrſtlichen
Durchlauchtigkeit von Brandenburg/ ſo durch gnaͤdigſte abſicht auff einige meine
beforderung zu der Evangeliſchen in dero lande kirchendienſt dero gnade gegen
mich zu bezeugen geruhet; Dergleichen ich um dieſelbe nicht verdienet/ ob zwar
dieſes auch nicht in abrede bin/ daß bereits von mehrern jahren/ wie des geſamten
hohen Churhauſes/ alſo auch dero glorwuͤrdigen Herrn Vaters/ und nunmehr de-
ro theuren perſon/ vor dem angeſicht des HERREN zu gedencken mich verbun-
den erkant habe. Jch ſage aber auch gehorſamen danck Ew. Excell. in dieſer ſache
auffs neue gegen mich bezeigte gewogenheit und ſorge/ auch ferner großguͤnſtigen
anerbietung ihres hohen favors/ ſo ich in ſchuldiger veneration billich halte.
Wann ich aber zu der ſache ſelbs ſo bald ſchreiten ſolle/ leugne ich nicht/ daß mich der
allweiſe GOTT durch dieſes geſchaͤfft in einen ſolchen ſtand ſetzet/ deſſen ſchwehre
ſonderlich als auch die mutation auff hieher vor war/ ich bereits genugſam gefuͤh-
let/ und nicht widerum in dergleichen verſuchung zu kommen gehoffet habe: hinge-
gen Goͤttlichen rath hierinnen mit kindlicher demuth veneriren ſolle/ da ſolcher
auffs neue die proben des glaubens und gehorſams von mir fordert. Seine ewige
guͤte ruͤhme ich billich darinn/ daß ſie von der erſten ſtunde dieſer ſache mein hertz ge-
neiget zu einer willigẽ unterwerffung unter dero willen/ hier zu bleiben oder weg zu
gehen/ wo ich denſelben voͤllig erkennen ſolte: Aber dahinaus gehet alle meine ſorge/
nicht ohne ziemliche beaͤnſtigung/ wie ich den willen meines guͤtigſten Vaters ohne
fehl und kuͤnfftigen ſcrupul erkennen moͤgen; in dem es als dann an williger folge
auff ein oder andere ſeite durch ſeine gnade nicht manglen ſolle. Waͤre es ſache/
daß ich gantz frey ſtuͤnde/ oder aus GOttes verhaͤngnuͤß von jetziger ſtelle ſchlechter
dings ausgeſtoſſen und dimittiret wuͤrde/ ſo koͤnnen Euer Excell. ſich großguͤnſtig
verſichern/ daß mirs eine ſonderbahre freude ſeyen/ und vor eine wohlthat GOt-
tes erkant werden ſolte/ der gnade eines ſolchen Potentaten verſichert zu werden/
und unter deſſelben gnaͤdigſten ſchutz dem Evangelio zu dienen/ deſſen nicht nur uͤ-
brige hoͤchſtruͤhmliche Regenten tugenden/ ſondern vornehmlichẽ deſſen eiffrige vor-
ſorge/ GOttes ehre und alles zu ſolchen zweck abziehlendes treulich und kraͤfftig zu
befoͤrdern/ mir von guter zeit bekant worden/ und bey mir und allen andern den
HErrn und ſein reich liebenden eine ſchuldige veneration erwecket hat: weswe-
gen es keiner oder weniger deliberation zu endlicher entſchlieſſung in ſolchem fall
von noͤthen ſeyen wuͤrde. Es ſtehet aber mit mir/ wie zwar auch mit andern bereits
in dienſten lebenden/ in dem ſtande/ daß Goͤttlichen willen bey meinem antrag zu er-
kennen ſo leicht nicht wird. Daß ich durch einen ſonderbahren rath GOttes von mei-
ner lieben gemeinde zu Franckfurt am Mayn abgerißen/ und hieher gefuͤhret wor-
den ſeye/ bin ich auff vielerley/ auch einige faſt ungemeine arten dermaſſen uͤber-
[z]euͤget/ daß mir ſolcher ruff nicht ungewiſſer iſt/ als ob ich denſelben ſelbs von him-
P p p p pmel
[850]Das ſechſte Capitel.
mel herab gehoͤret haͤtte/ daher ich auch verſichert bin/ daß der allerhoͤchſte ſeine
weiſe und wichtige urſachen gehabt/ mich hieher zu ſenden. Ob nun ſchon dieſe vier
jahr uͤber wohl vielmehrers von mir ausgerichtet worden zu ſeyen gefordert werden
koͤnte/ ich auch mehr mit betruͤbnuͤß was noch zu ruͤck geblieben/ als was ausge-
richtet worden mit freuden/ anſehe/ ſo vin ich doch deſſen verſichert/ daß der treue
GOTT ſeines elenden knechts ſchwache arbeit an mehrern zu ſegnen nicht unter-
laſſen habe/ ja daß mancher widerſtand/ den ich fuͤhle/ mir ein zeugnuͤß gebe/ wie
das werck des HERREN durch mich armen dem teuffel mehr als gemein wehe
thue/ daher er ſich deſto mehr ſtreubet/ aber eben deswegen hoffnung ſeyen mag wo
ich in gedult und demuth GOTT ſtill haltende in der arbeit fortfahre/ daß ſo viel
kraͤfftiger manches noch uͤber hoffnung durchbrechen/ und ich hingegen wo ich zu fruͤ-
he dem HErrn aus der arbeit gienge/ ſelbs mit kuͤnfftiger deſſen bereuung und
ſchwehrer verantwortung ſeyn werck hindern moͤchte. Welche betrachtung er-
fordert/ daß ich meine ſtation nicht verlaſſe/ ohne des Goͤttlichen willens hieruͤber
eben ſo gewiſſe verſicherung/ als diejenige geweſen iſt/ welche mich hieher gebracht
hat. So viel mehr nach dem ich zwar nicht in abrede bin/ daß das gemuͤth der je-
nigen hohen perſon/ vor welche vornehmlich mir dieß verordnet ſolte ſeyen/ nach Got-
tes verhengung eine zeitlang von mir abgewendet ſeye/ ſo dann an nicht wenigern
haß unterſchiedlicher anderer/ auch welches das betruͤbteſte iſt/ meines eigenen or-
dinis
/ nicht zu zweifflen habe/ vielmehr deſſen fruͤchten und manchen widerſtand
verſpuͤhre; ſo hat mich dennoch der Allmaͤchtige durch ſeine gewaltige hand noch
biß daher bey meinem beruff alſo geſchuͤtzet/ u. ſo hoher als anderer vornehmen per-
ſonen hertzen mir heuͤffig zu geneiget/ daß mir nichts uͤbels zugefuͤget hat werden
doͤrffen/ ſonderlich aber/ daß mir ſelbs die haͤnde in meinen geiſtlichen verrichtungen
annoch nicht gebunden worden/ hingegen dieſe vielen ſeelen angenehm geblieben
ſind. Daher wo ich mich uͤber verfolgung beklagte/ darinnen zu viel thun wuͤrde/
und alſo nicht ſagen koͤnte/ daß um ſolcher urſach willen/ ob wohl der HERR etwa
meinen glauben und gedult mit mehrerem noch zu uͤben verſehen moͤchte/ in dem
gewiſſen befugt waͤre/ meinem vorigen ſo gewiß Goͤttlichen beruff deswegen zu ver-
laſſen. Zwar iſts an dem/ wo ich die gnaͤdigſt zu gedachte præpoſitur erwege/
dieſelbe gegen der jetzigen ſo wol nach meinem gemuͤth und lebens art/ ſonderlich weil
die freyheit von beichtſtuhl dabey iſt/ bequemer ſcheinet/ als auch bey einer groſſen
gemeinde mehr nutzen zuſchaffen die hoffnung gefaſſt werden koͤnte/ daß alſo der
menſchliche wille bey mir/ ſonderlich weil auch nicht zu zweifflen/ daß in den zeitlichen
vor mich und die meinige ein noͤthiges auskommen finden wuͤrde/ etwa ohne zu ſol-
cher ſtelle incſiniren als mich davon abhalten moͤchte. Jch erkenne aber gar wol/
daß weder was unſer nutze oder gemaͤchlichkeit und eigen belieben iſt die regel unſe-
rer wahl ſeyen darff/ noch allezeit die groͤſſe der gemeinde gegen eine andere gehalten
die
[851]ARTIC. III. SECTIO I.
die gewiſſe verſicherung der mehrern erbauung gibet. Daher ich billich zu beru-
higung meines gewiſſens/ mehrere und kantlichere zeugnuͤſſen des Goͤttlichen wil-
lens uͤber eine aͤnderung noͤthig habe. Und ſolches ſo vielmehr/ weil an ſolcher ge-
wißheit alles gelegen iſt/ und wo ich wider Goͤttlichen willen endlich hie bliebe/ oder
wider denſelben weggienge/ ich mich alsdann in ſolchem ſtande keines Goͤttlichen
ſegens zu getroͤſten habe/ ſondern der HErr mich entweder ſo bald weggeriſſen/ oď
doch meine gaben entziehen/ und alſo niemand viel nutzen mehr von mir haben wuͤr-
de. Welche betrachtung ſo wohl von ſeiten der berrffenden/ als von welchen ich
abgeruffen werden ſolte/ und meiner eigenen/ erfordert/ daß auff nichts ſorgfaͤltiger
geſehen werde/ als woraus wir allerſeits in der gantzen ſache den Goͤttlichen willen
gnugſam erkennen moͤchten. Nun hat zwar GOTT einigen ſeiner diener ſo vie-
les liecht und krafft verliehen daß ſie in dergleichen faͤllen nach hertzlichem gebet/ und
Gottſeliger uͤberlegung der ſache zu einer gewißheit in denen hertzen kommen koͤn-
nen/ und gleichſam den innerlichen beruff bey ſich ſelbs fuͤhlen: ich bin aber nicht
in abrede daß mir ſolche gnade nicht gegeben ſeye/ weswegen ich auch niemahl vor
mich zu dergleichen gewißheit habe zukommen vermocht/ ſondern es allezeit auff an-
derer ausſpruch in Goͤttlicher ordnung habe muͤſſen kommen laſſen. Daher ich
nach bißherigen gebet und erwegung der umſtaͤnde auch dieſes mahl kaum einigen
andern weg zu gehen getraue. Wie dann nun bey meiner aͤnderung von Straß-
burg nach Franckfurth ich die deciſion ſchlechter dings dem jenigen was die beyde
ſtaͤtte ſich uͤber mich mit einander vereinbahren wuͤrden/ uͤberlaſſen/ als aber von
Franckfurt hieher beruffen wurde/ der erkaͤntnuͤß ſolcher ſtatt rath als meine O-
brigkeit/ gleichwohl mit ſtarcker obteſtation Goͤttlichen willen wol zu pruͤfen/ uͤ-
bergeben habe/ darauff zwar folgte/ nach dem ſie ſich Goͤttlichen willen zu deter-
miniren
nicht getraute/ daß man untereinander auff gewiſſe Theologos compro-
mittirte
/ dero deciſum uns deyderſeits obligiren ſolte; alſo wuͤrde ich auch diß-
mahl in dieſer ordnung zu bleiben haben. Dahero Ew. Excell. ich nicht wohl
vor dieſes mahl anderszu antworten weiß/ als daß ich zu allen zeiten Goͤttlichen
erkanten willen unverlaͤngt folge zu leiſten bereit ſeye. Wuͤrde alſo ferner un-
terthaͤnigſt zubitten habendaß zum aller foͤrderſten Seine Churfuͤrſtliche Durch-
lauchtigkeit von Brandenburg oder diejenige/ welche dieſelbe das geſchaͤfft anzube-
fhelen beliebten/ gnaͤdigſt geruhen wolten/ die obige momenta meines uͤbrigen be-
ruffes und zuſtandes nochmahl eine zeitlang reifflich vor dem HERRN zu erwe-
gen/ ob an der zu gedachten ſtelle/ als viel menſchen vorzuſehen vermoͤchten/ mehr
als bey meinen gegenwaͤrtigen zuſtand auszurichten/ und insgeſamt den umſtaͤn-
den Goͤttlicher wille als dahin ziehlende anzuſehen waͤre: ſolte ſich dann die wag-
ſchal in der berathſchlagung dahin neigen/ daß ich aus meinen jetzigen beruff an-
noch nicht abzufordern/ und alſo mein bleiben allhier dem rath GOttes gemaͤſſer
waͤre/ ſo wuͤrde als denn die gnaͤdigſte reſolution auff eine andere perſon/ welche
P p p p p 2der
[852]Das ſechſte Capitel.
der HERR zeigen moͤchte/ gefaſſet werden/ und nichts deſto weniger Seiner
Churfuͤrſtlichen Duꝛchlauchtigkeit vor dero gnaͤdigſte intentionzeit lebens zu alle[m]
unterthaͤnigſten danck/ gehorſam und fortſetzung meines gebets verpflichtet blei-
ben. Ergebe ſich aber der ſchluß dahin/ daß man davor hielte/ ohne wider GOt-
tes willen zu thun es zu einer wuͤrcklichen vocation gelangen zu laſſen/ ſo wuͤrden
Seine Churfuͤrſtliche Durchlauchtigkeit zu Brandenburg an Seiner Chur-
fuͤrſtlichen Durchlauchtigkeit zu Sachſen/ in deſſen als meines jetzigen gnaͤdigſten
Herrn pflichten ich ſtehe/ ein freundliches ſchreiben meinet wegen und um meine
dimiſſion abgehen zu laſſen nicht bedenckens tragen/ ich aber daſſelbe mir zu gefer-
tigt unterthaͤnigſt uͤber antworten laſſen/ und wo als dann nach ohne zweiffel dar-
uͤber gepflogene deliberation der groſſe GOTT das hertz meines gnaͤdigſten
Herrn hinlencken und den ſchluß ausfallen laſſen wuͤrde/ ich als denn mir dardurch
in ſeiner ordnung geoffenbahrten ſeinen willen auff ein oder andere ſeite zur regel
meiner folge und verhaltens ſetzen und annehmen/ und verhoffentlich dabey die ruhe
eines gewiſſens finden. Den groſſen GOTT und himmliſchen Vater ruffe ich
ſchließlich demuͤthigſt an/ der auch dieſes gantze werck/ ſo ich nicht geringer wichtig-
keit zu ſeyen erkenne/ alſo regieren/ und deswegen die hertzen derjenigen/ die dazu zu
reden oder zu rathen haben/ dahin richten wolle/ wie ers zu ſeines nahmens mehrer
heiligung/ zu ſeines reichs erweiterung und ſeines willens vollbringung am dien-
lichſten erkennet; alſo gebe er nun den jenigen/ durch welche er mir ſeinen willen
offenbahren ſolle ſelbs denſelben mit einer verſicherung zu erkeñen/ mir aber auch die
gnade/ alsdenn mit eine feſtigkeit auff denſelben zu beruhen. Wie ich dann noch-
mahl ſchließlich von grund der ſeelen verſichern kan/ daß es mir um nichts anders
in dieſer gantzen ſache zu thun ſey/ als wie der wille ſolcher groſſen Herrn von und an
mir gewiſſeſten vollbꝛacht weꝛden moͤge/ ſo auch geſchehen zu werden/ zu ſeiner vaͤteꝛ-
lichen guͤte das kindliche vertrauen billich trage; dabey auch Ew. Excell. um dieſes
am allermeiſten und angelegenſten bitte/ nach der gegen mich bißher bezeigten groſ-
ſen affection ſolche in dieſem werck vielmehr ferner in dem zu erweiſen/ wie vor
meiner verſicherung des Goͤttlichen willens als ſonſten uͤbrige verſorgung ſorge ge-
tragen werde. Der HERR HERR aber ſeye auch davor dero groſſer lohn.
den 12. Jun. 1690.


SECTIO II.


Als wegen Seiner Churfuͤrſtlichen Durchlauch-
tigkeit von Sachſen mein amt freywillig zu
reſigniren mir
zugemuthet wurde/ erklaͤhrung an das Churf. Saͤchſ.
Geheime Raths
Collegium.


Nach-
[853]ARTIC. III. SECT. II.

NAchdem aus dero mittel durch des Herrn Directoris und Herrn Ober-
Conſiſtorii Præſidenten E. Excel. mir hinterbracht worden/ das unſer
Durchlauchtigſter Churfuͤrſt und Herr nachdruͤcklich verlange/
daß zu vermeidung allerley inconvenientien ich zu eigne reſignation mei-
nes tragenden Oberhoffpr. amts moͤchte disponiret weꝛden/ auch daruͤber meine
gedancken ſondiret worden/ ſo habe zwar ſo bald dieſe nach einfalt meines hertzens
in unterthaͤnigem gehorſam muͤndlich von mir gegeben/ aber auch dieſe zeit uͤber ne-
ben dem/ dz der heiligen direction des alles in haͤnden habenden gꝛoſſen uñ allmaͤch-
tigen Gottes ſo viel oͤffteꝛ und heꝛtzlicher empfohlen der gantzen ſache in ſeineꝛ furcht
ferner nach gedacht/ und was ich zu thun vermoͤchte/ reifflich erwogen/ finde aber
allerdings nach allem uͤberlegen nichts anders/ als auch mich jedesmal muͤndlich er-
klaͤhret/ nehmlich wie ich einmahl mit guten gewiſſen zu eineꝛ ſolchen freywilligen
reſignation mich nicht verſtehen koͤnte. Denn wie willig und ſchuldig ich bin
Seiner Chuꝛf. Durchl. gnaͤdigſten willen in allen dingen welche nicht GOttes ſind
zugehorſam en/ ſo gehoͤret dieſe ſache gleichwol unter die letzte art.


Jch bin zu meinem amte nicht aus eigener wahl/ oder daß ich etwas darzu
cooperiret ſondern von GOTT durch das Churfuͤrſtliche vocations-ſchreiben
beruffen/ und demnach von der heiligen Dreyeinigkeit/ in dero nahmen die beruf-
fung geſchehẽ muͤſſen/ an dieſe ſtelle geſand worden/ daran ich bißdaher nach verlie-
henen kraͤfften treulich zuarbeiten mich befliſſen/ hingegen von derſelben/ wo mich
GOTT nicht ſelbs außtreibet/ finde ich mich nicht bemaͤchtiget/ eigen willens mich
ſelbſt loßzumachen/ oder darzu zuhelffen/ ſondern achte mich vielmehr ſchuldig/ lie-
ber in gedult alles endlich abzuwarten. Und weil meine dimiſſion ohne derglei-
chen verſchuldet zuhaben (maſſen ſolches mir gezeiget zuwerden nicht hoffe/ oder es
zuerwarten haͤtte) nicht ohne ſuͤnde und beleidigung deſſen/ deſſen diener ich aus ſei-
nem hoͤchſten beruff bin/ geſchehen kan/ auch ſie offenbarlich nicht alleine viele men-
ſchen ſeufftzen/ ſondern auch aͤrgernuͤß/ ſo dann manche ungleiche urtheile in uns
auſſer landes bey unſern und andern religions verwanten ja noch bey der nachwelt/
erꝛegen wird/ ſo kan ich ohne verletzung meines gewiſſens und mich aller ſolcher
ſchuld ſelbs vor GOTT theilhafftig zumachen/ nicht ſelbs etwas darzuthun/ ſon-
dern wo der HERR HERR einanders/ nemlich mich anderswo zuhaben uͤber
mich nach ſeinen heiligen rath/ der allezeit gut iſt/ und auch das boͤſe zum beſten zu
wenden weiß/ beſtimmet haben ſolte/ muß ichs zum wenigſten auff eine ſolche wei-
ſe erwarten/ daß ich nicht nur keiner Chriſtlichen leute thraͤnen ſondern vornemlich
keine verantwortung vor GOTTes gericht/ vor der welt/ vor den nachkoͤmmlin-
gen und in meinen gewiſſen/ auff mich lade ſondern bey dergleichen erfolg mit rei-
ner ſeele dahin gehen moͤge/ wohin mich GOTTES heiliger rath/ den ich daraus
erſt ſchlieſſen muſte/ weiter ſenden wuͤrde. Weil nun davor halte daß einem gan-
P p p p p 3tzen
[854]Das ſechſte Capitel.
tzen hochpreißlichen Collegio, ſo wol wie ich die ſache bey mir nach ferner uͤberle-
gung befunden/ zuwiſſen/ als auch ſolches ſchrifftlich zu haben/ angenehm ſeyen
moͤchte/ habe ich nicht nur mich erkuͤhnen wollen/ ſondern ſelbs meine unterthaͤnig-
keit und gehorſamen ſchuldigkeit erachtet/ mit dieſen zeilen meiner vo[r]ige einigemal
muͤndlich gethane reſolution, weilen nicht dieſelbe zuaͤndern vermag/ zu wieder-
hohlen/ das gantze geſchaͤffte aber/ dabey nichts mehr weiter zu thun vermag/ em-
pfehle ich in demuth und kindlicher gelaſſenheit und hertzlichem gebet dem HErrn
alleꝛ Herrn und oberſten Biſchoff aller ſeiner diener/ ihn anflehende Seiner Churf.
Durchl. und alle dero hohe Miniſtros auch in dieſer wichtigen angelegenheit alſo zu
regieren/ daß ſein rath und reich am beſten befo[r]dert/ und aller verletzung der ge-
wiſſen abgewendet/ hingegen ſegen uͤber kirche und lande gezogen werde. Wor-
mit auch ſolcher heiligen regierung GOttes ſo dann theuren ſegen derſelben hohe
perſonen und haͤuſer ſchließl. empfehlende verbleibe u.ſ.w. 14. Mart. 1691.


SECTIO III.


Nacherhaltener Churfuͤrſtlichervocation
ſchreiben das Miniſterium in Berlin/ meine kuͤnfftige
Collegas.


ES kan denſelben nicht verborgen ſeyn/ daß der Durchlauchtigſte Churfuͤrſt
zu Brandenburg ꝛc.ꝛc. vor einigen wochen mich wie zu ſeinem Rath in dem
Conſiſtorio, als auch zu der Propſtey und der Inſpection der kirchen zu S.
Nicolai in dero ſtatt beruffen habe. Nun ſind zwar bereits 2. jahr/ daß nach
dem todte des ſel. Herrn Propſt Schraders Seiner Churfuͤrſtl. Durchl. in der
ſtille erſtmals meine meinungen ob einem gnaͤdigſten beruff folgen moͤchte/ verneh-
men laſſen. Aber nach abermaligen abgang des ſel. Herrn Propſt Teuͤbers wur-
de voꝛ drey viꝛtel jahren der gnaͤdigſte antrag ſolcher ſtelle wiederhohlet. Jndeſſen
ſchiene immer/ der HERR wuͤrde nichts draus werden laſſen/ weil ich aus einer ge-
wiß goͤttlichen vocation eignen willens außzugehen mir allezeit ein gewiſſen ge-
macht/ hingegen ohne gewiſſe reſolution von meineꝛ ſeiten zugeben zu einer vo-
cation
zugelangen nicht wol hoffnung gefaſt werden koͤnte. Es wuſte es aber
doch die goͤttliche weißheit/ nachdem ſie es einmal beſchloſſen/ alſo zu regieren/ daß
es juͤngſthin ohne mein geringſtes zuthun unter bey den Durchlauchtigſten Chur-
fuͤrſten/ uͤber mich zur richtigkeit gekommen/ und ich derſelben werthen kirchen ge-
widmet habe werden ſollen.


Wie ich mich nun der gewißheit goͤttlichen ruffs daraus ſo vielmehr verſichere/
weilen ich das geringſte darzu von meiner ſeiten nicht contribuiret, ſondern mich
bloß
[855]ARTIC. III. SECT. III.
bloß paſſive gehalten habe/ alſo dancke ich billig der guͤte meines himmliſchen Va-
ters/ der mich ſeines willens verſicheꝛt/ und je mehr und mehr mir zeiget/ daß
ich nicht an einem/ ſondern am mehreren orten/ das Evangelium zu predigen ver-
ordnet ſeye/ dabey ich das kindliche vertrauen zu deſſen guͤte trage/ er werde mir ih-
ꝛes ortes/ wohin er mich ſendet/ auch einigen geiſtlichen ſegen beſtimmet haben.
Wann dann nun von den groſſen GOtt und in deſſen nahmen von unſerm gnaͤdig-
ſten Churfuͤrſten und Herrn die vocation empfangen/ auch dieſelbe mit unterthaͤ-
nigſten reſpect angenommen habe ſo hoffe auch EE. W. W. Wol Erwuͤꝛden
werden ſolchen meinen empfangenem beruff nicht weniger vor goͤttlich erkennen/
und ein bruͤderliches veꝛtrauen gegen mich ſchoͤpffen. Wie ich von meiner ſeite
dazu mich ſchuldig bekenne; hinwiederuni verſichere/ daß mich alſo durch die gna-
de GOttes zu bezeugen gedencke/ daß weder die Chriſtliche gemeinde ander reinig-
keit meiner lehr/ noch ſorgfaͤltigem fleiß exemplariſchen lebens/ noch meine wehr-
teſte Herrn Collegen an Collegialiſcher einigkeit und bruͤderliche liebe/ etwas
mangel bey mir finden ſollen. Dieſes hoffe ſo viel gewiſſer zuverſprechen/ nach-
dem bereits deſſen pꝛoben zu zeigen vermag/ als der von Straßburg nach Franck-
furt am Mayn zum Seniore Miniſterii, und alſo præſide conventus Eccleſia-
ſtici
/ (da erſt 31. jahr alt war/ und die 4. nechſte nach mir alle uͤber 60. jahr waren)
beruffen worden/ mich aber vermittelſt goͤttlicher gnade alſo gegen das geſamte Mi-
niſterium
bezeuget/ daß ſie nicht allein bald eine liebe und vertrauen gegen
mich gewonnen/ ſondern auch die gantze 20. jahr unter uns eine unzerſtoͤrte einig-
keit erhalten worden iſt; ſo ohne friedfertiges gemuͤth unmoͤglich geweſen waͤre.
Wie nun dergleichen meiner ſeits/ nach der gnade GOttes/ ſo mir beyſtehen wird/
verſichere/ alſo trage das liebreiche vertrauen/ das EE. Wohl Ehrwuͤrden auch
ihrer ſe its willig ſeyen werden/ mit liebe und bruͤderlicher einigkeit mit mir zuſam-
men zu ſetzen/ damit daß werck des HErrn/ durch ſolche treue zuſammenſetzung de-
ſto kraͤfftiger von uns gemeinſchafftlich getrieben/ und ſo viel reicherer ſegen von o-
ben herab erlanget werden moͤge/ darum auch meines orts hiermit freundlich bit-
te.


Der GOtt des friedens bringe uns nicht allein nach ſeinem willen bald zuſam-
men ſondern vereinige uns mit dem band des friedens in einigkeit des Geiſtes/ lehre
uns in allen ſtuͤcken ſeinen willen an uns und die uns anvertraute erkennen/ gebe
uns ferner krafft denſelben getroſt und mit nachdruck zuerfuͤllen/ und ſchencke uns
neben den unſrigen alle die ſeelen derer/ welche unſrer treue und ſorge anbefohlen
ſind/ mit denſelben dermahleins vor den thron GOttes mit freuden zuerſcheinen.
Wormit ſchließlichen in des himmliſchen Vaters treue abſicht/ milden ſeegen/ und
weiſe regierung hertzlich erlaſſende/ und dero angeſicht bald ſelbſt mit freuden zu
ſehen verlangende/ verbleibe u.ſ.f. 20. Apr. 91.


SECT.
[856]Das ſechſte Capitel.

SECTIO IV.


Schreiben an Buͤrgemeiſter und Rath zu Ber-
lin nach empfangener Churfuͤrlichen

vocation.


NAchdem der Durchlauchtigſte Churfuͤrſt von Brandenburg/ unſer gnaͤ-
digſter Herr von dato 28. Mart. mich wie zu ſeiner Conſiſtorial-Rath ſtel-
le alſo auch der Propſtey und inſpection der kiꝛchen zu S. Nicolai in dero
ſtatt Berlin gnaͤdigſt beruffen/ ich auch aus erkanten goͤttlichen willen/ nach von
jetzigem meinem gnaͤdigſten Churfuͤrſten und Herrn geſchehener uͤberlaſſung mei-
neꝛ perſon/ zu ſolchem beruff mich gehorſamſt verſtanden habe/ und an deme bin/
dem zufolge mich unter dem geleite GOttes ihres orts zuverfuͤgen: ſo habe meiner
ſchuldigkeit erachtet/ mit dieſemzeilen gegen E. Wol Edl. Herrl. und Weißh. mei-
nen gehorſam/ obſervanz und reſpect zu bezeugen und in dero wehrte gunſt
mich beſter maſſen zu recommendiren. Jch erkenne mehr und mehr/ daß mei-
nes himmliſchen Vaters wille und rath uͤber mich ſeye/ nicht an einem/ ſondern an
mehrern orten ſein wort und Evangelium zuverkuͤndigen/ wie nun mit demſelben
als einem weiſen und guͤtigen rath hertzlich zu frieden bin/ alſo freue mich auch/ nach
ſeiner anweiſung vor dieſesmal in ihrer werthen ſtatt mein weniges pfund in goͤtt-
lichen ſeegen treulich anzuwenden/ und gehe auff goͤttlichen ruff mich hertzlich ver-
laſſende/ mit getꝛoſten hertzen dahin/ wo mich der HERR HERR unzweiffent-
lich gehen heiſſet.


E. Wohl Edl. Herrl. und Weißh. verſicheꝛe alles deſſen/ was ſie gegen ſich
von einem diener GOttes in ihrer ſtatt verlangen moͤgen: wie auch verhoffe noch
jetzo das zeugnuͤß von einem Hochweiſen Rath zu Franckſurt am Mayn/ unter dem
ich 20. jahr als Senior ihres Miniſterii geſtanden bin/ zu haben/ daß denſelben in
nichts in ihre gerechtſame eingegriffen/ oder zu einiger klage gegen mich urſach ge-
geben/ ſondern mich vermittels goͤttlicher gnade alſo verhalten habe/ daß als mich
der allerhoͤchſte von ihnen nahm/ und hieher fuͤhrte/ ſolcher mich nicht ſo gar gern/
ſondern alleinaus gehorſam gegen goͤttlichen willen/ von ſich gelaſſen hat. Den him̃-
liſchen Vater ruffe ich demuͤthigſt an/ welcher gleich wie uͤber E. Wohl Edl. Herrl.
und Weißh. alle arten ſeines himmliſchen ſegens in geiſtlichem und leiblichem wol-
weſen/ ſonderlich friedlicher und begluͤckter regierung der anvertrauten ſtatt/ mil-
diglich ausgieſſen/ alſo auch mich ſeinen knecht/ welchen er zu denſelben ſendet/ von
oben herab dermaſſen ausruͤſten wolle/ daß die Evangeliſche kirche dero ſtatt von
dem wort/ ſo er durch mich auch verkuͤndigen laſſen wird/ viele ſelige erbauung in
ſeinem ſegen genieſſen/ E. Wol Ed. Herrl. und Weißh. aber auch alle verlangte
ver-
[857]ARTIC. III. SECTIO V.
vergnuͤgung davon ſchoͤpffen moͤge. Welches alles auch aus vertrauen gegen den
erkanten goͤttlichen beruff von ſeiner vaͤterlichen guͤte ſo viel unzweiffenlicher er-
warte/ und nechſt hertzlicher deroſelben/ ihrer amts-verrichtungen und eigener haͤu-
ſer empfehlung in des allerhoͤchſten treuen ſchutz/ milden ſegen und weiſeſte regierung
verbleibe m.f.w. Dreßden den 18. Maji. 1691.


SECTIO V.


Von der abreiſe aus Sachſen unterthaͤnigſtes ab-
ſchieds-ſchreiben an Chur-Printz Johann
Georg
IV.


Von unſrem durch leiden in ſeine herrlichkeit eingegangenen Heyland
JEſu Chriſto alle ſeiner leyden verdienſte und ſeiner herrlich-
keit krafft und leben!
Durchlauchtigſter Fuͤrſt/
Gnaͤdigſter Chur-Printz und Herr.

OB ich wol juͤngſthin zu Coßdorff die gnade gehabt/ E. Churprintzliche
Durchl. letztes mahl zuſehen/ und von deroſelben damal unterthaͤnigſt ab-
ſchied nehmen koͤnnen/ ſo hat doch theils die gemuͤths bewegung bey mir/
theils die zeit/ ſolches damal mir nicht wol verſtatten wollen/ ſondern
habe alſo was mir obgelegen/ mit dero gnaͤdigſter erlaubnuͤß ſchrifftlich
zuverrichten mir vorgenommen. So habe nun zum foͤrderſten Ew. Chur-
Printzl. unterthaͤnigſten danckzuſagen vor alle zeit meines anweſens in die-
ſen landen bezeugte hohe gnade und gnaͤdigſtes vertrauen/ deſſen mehrere zeugnuͤſ-
ſen verſpuͤhret habe/ und billich des allerhoͤchſten himmliſchen Vaters anade gegen
mich auch daraus zu demuͤthigſtem danck erkannt/ daß deſſelbigen maͤchtige hand
dero hertz gegen mich kraͤfftig geneiget hat. Solte nun ſein heiliger rath gewe-
ſen ſeyen/ mich laͤnger dieſes orts zu laſſen/ wuͤrde mir ſolches auch eine freude erwe-
[c]ket/ und meine hoffnung/ (dafern er der groſſe GOTT mein leben ſo lang haͤt-
te erſtrecken wollen/) dermaleins unter E. Churprintzliche Durchl. regierung
mehr gelegenheit und vorſchub das gute zubefordern zufinden/ mich hoffentlich kuͤnf-
tig nicht betrogen haben. Wañ aber alles unſer thun nicht in unſerer macht ſondern
unter deſſen hoͤchſten regierung allein ſtehet/ der gleich wol alles/ es habe vor men-
ſchen ein anſehen wie es wolle/ recht macht/ und auffs weißlichſte ſchicket/ und aber
deſſen heilige verſehung es alſo gefuͤget/ daß von S. Churfuͤrſtl. Durchl. an des
Q q q q qChur-
[858]Das ſechſte Capitel.
Churfuͤrſten von Brandenburg Durchlaucht. ich uͤberlaſſen nunmehr von den
Saͤchſiſchen zu den Brandenburgiſchen Evangeliſchen kirchen gehen ſolle/ bin ich
des guten vertrauens/ das E. Churpr. Durchl. dieſen des allerhoͤchſten rath/
welchen ich zur uͤberzeugung des gewiſſens gnuglich erkant habe/ ſich auch nicht
werden mißfallen laſſen/ ſondern damit friedlich ſeyen/ und was derſelbe ſchicket/ vor
das beſte halten. Wann ich aber damit auch die von E. Churpꝛ. Durchl. mir
gnaͤdigſt anvertraute dero beſondere ſeelen-ſorgen und beichtvater amt ablegen/
und dem jenigen/ welchen die himmliſche guͤte nunmehr an meine ſtelle anweiſen
wird (und mit aller noͤthigen weißheit und Geiſtes krafft dazu ausruͤſten wolle)
uͤberlaſſen ſolle/ ſo verſehe mich/ daß mir gnaͤdigſt zugelaſſen werde ſeyn/ bey dieſem
abſchied meine letzte amts erinnerungen aus treuen hertzen und mit unterthaͤnigſten
reſpect zu thun. Da ich zu eꝛſt vor GOttes heiligen augen bezeuge/ wie ich biß
daher E. Churprintzl. [Durchl.] wahres ſeelen heyl inniglich verlanget und geſuchet
habe/ auch hertzlich wuͤnſchete/ daß ich mehrere krafft und weißheit darzu bey mir
gefunden haͤtte/ und niemahl von mir in ſolcher meiner pflicht und zwar auch geha-
bter hertzlicher intention nichts waͤre verſaͤumet worden (da ich aber meiner
ſchwachheit mir wol bewuſt/ ſolcher meiner verſaͤmnuͤß und fehler/ die das ſcharffe
auge GOTTes in meinem amt/ wo ich mehr haͤtte thun ſollen und koͤnnen/ ver-
gebung von ſeiner himmliſchen und vaͤterlichen guͤte bitte/ und auch von E. Churpr.
Durchl. gutmuͤtigkeit hoffe) daß gleichwol die jenige lehr/ welche ich die zeit mei-
nes anweſens offentlich und abſonderlich getrieben habe/ dem worte GOTTES
und unſern Symboliſchen buͤchern in allen ſtuͤcken wahrhafftig gemaͤß ſeye/ und
ich das vertrauen trage/ wie andere alſo auch zum forderſten E. Churprintzliche
Durchl. werden aus der pruͤffung aus der heil. ſchrifft/ auff welche ich zu jederzei[t]
alle meine zuhoͤrer hoͤhere und niedere zu weiſen pflege/ ſolche derſelben alſo gemaͤß
befunden haben/ und ſtets befinden. Wie nun zwar nicht verlange/ daß jemand
werder auch waͤre das geringſte um meinet willen annehme oder glaube/ ſondern
alles nach GOttes wort pruͤfe/ ſo habe doch unterthaͤnigſt zu bitten/ E. Churpr.
Durchl. geruheten ſich der jenigen dinge/ ſo ſie die wenige zeit uͤber von mir gehoͤret/
offtmal zu erinnern/ um ſolche immerdar gegen die heilige ſchrifft zuhalten/ und
da ſie ſie darinnen gegruͤndet erkennen/ ſie durch fernere betrachtung ſo viel tieffer in
die ſeele einzudrucken/ ſonderlich aber das allein unbetruͤgliche Wort GOTTes in
der ſchrifft ſich vor allem am hertzlichſten angelegen ſeyen zu laſſen/ und zuglauben/
daß ſolches das jenige ſeye/ welches wie insgeſamt Chriſten/ alſo auch vor anderen
die Fuͤꝛſten/ nimmer aus den augen kommen laſſen ſollen. Sie machen alſo mit
ihrem GOTT und HERREN den jenigen bund/ daß derſelbe/ als viel moͤglich
iſt/ alle morgen der erſte ſeye/ welchen ſie mit ſich in ſeinem wort reden laſſen/ und
ſie hinwiederum mit denſelben in deſſen betrachtung und in dem gebet reden. Sie
glauben/ es ſeye die heilige ſchrifft nicht nur dasjenige/ worinnen man das gute
was
[859]ARTIC. III. SECTIO V.
was man thun ſolle und zu hoffen hat/ zu lernen vor ſich ſehe/ ſondern auch aus
dem man/ wo man recht mit umgehet/ die krafft hernimmet des glaubens und deſ-
ſen heilige fruͤchten. Sie ſeyen aber auch hertzlich erinnert/ allezeit alſo die ſchrift
zu leſen/ als das wort der hoͤchſten Majeſtaͤt/ vor dero ſich alles demuͤthigen muß/
und alſo mit wahrer demut/ ehrerbietigkeit/ andacht und hertzlicher begierde/ was
man geleſen hat ſo bald nach vermoͤgen mit ſchuldigem gehorſam in die uͤbung zu
bringen.


Wo ſich nun E. Churpr. Durchl. erſtlich gewehnen die heilige ſchrifft ſelbs
dermaſſen fruchtbarlich zu leſen/ werden ſie mit ſo viel mehr nutzen alsdann auch
andere buͤcher Chriſtlicher leute leſen koͤnnen/ da ſie vor allen andern ſich dieſe bei-
de arten der buͤcher recommendiret ſeyen zu laſſen haben/ ein theils welche die ſchaͤ-
tze des heils und der guͤter der wahren Chriſten deutlich und beweglich vorſtellen/
andern theils welche derſelben ihre Chriſtliche und auch Fuͤrſtliche pflichten aus
goͤttlichem woꝛt/ ſo aller ſtaͤnde norm bleibet/ zeigen: jene zur auffmunterung und
ſtaͤrckung des glaubens/ dieſe zu Gottgefaͤlliger einrichtung des lebens/ welche bey-
de ſich mit von einander trennen laſſen.


2. Weil aber E. Churpr. Durchl. verſichert iſt/ daß ſo wenig ſie als einiger
menſch das gute aus eigenen kraͤfften zu thun vermoͤge/ oder auch ſeinem werck ei-
nen verlangten ſucces geben koͤnne/ ſondern daß alles von dem himmliſchen Va-
ter erlanget werden muͤſſe/ ſo werden ſie ſich auch angelegen ſeyen laſſen/ vor den-
ſelben immer mit ihrem gebet zuerſcheinen/ und dieſes vor das kraͤfftigſte mittel zu
halten alles andern ihr noͤtigen gutes. Und zwar daß das gebet nicht allein geſche-
he mit dem munde/ ſondern vornehmlich mit dem hertzen (daher auch rathſam iſt/
es nicht allein bey den gebeten/ die aus dem buch geleſen oder aus der gedaͤchtnuͤß re-
ciret
werden zulaſſen/ ſondern offtmal die angelegenheiten dem liebſten Vater
aus eigenem hertzen und mit eigenen einfaͤltigſten worten/ die ihm am angenehm-
ſten ſind/ vorzutragen) und allezeit mit vorſtellung/ daß man vor dem hoͤchſten Mo-
narchen uͤber himmel und erden/ gegen welchen alles hohe in der welt nichts anders
als ſtaub und aſche ſich halten muß/ in dem gebet ſtehe oder liege/ welches alsdann
eine innigliche ehrerbietung/ demuth und andacht in der ſeele wircken/ und hingegen
das gebet recht erhoͤrlich machen wird. Ob nun ſchon E. Churprintzl. Durchl.
veꝛſichert ſeyen moͤgen/ daß vor dieſelbe wie vor das geſamte hohe Churhauß viel
tauſend perſonen taͤglich beten/ unter welchen kein zweiffel iſt/ daß nicht manche
andaͤchtige und eyffrige beter ſich befinden/ dero gebet an ſich ſelbs nicht anders kan/
als dem himmliſchen Vater angenehm ſeyen/ ſo glaube ſie dannoch darbey/ daß ihr
eigen gebet nichts deſto weniger vor GOtt nothwendig ſeye/ deſſen beſtaͤrckung al-
lein von anderer vorbitte kommt/ dieſe hergegen bey des eigenen gebets verſaͤum-
nuͤß nichts zuerlangen vermag. Weil aber nicht allein ein jeweiliges und zuge-
wiſſen zeiten geſchehendes gebet noͤthig iſt/ ſondern Chriſtus fordert/ daß wir alle-
Qq q q q 2zeit
[860]Das ſechſte Capitel.
zeit beten ſollen/ ſo wird auch dieſes aͤuſſerſt noͤthig ſeyen/ ſich zugewoͤhnen/ auſſer
der gewoͤhnlichen betzeit/ zum oͤfftern des tages unter allen andern geſchaͤfften das
hertz zu GOtt mit einem blick oder ſeufftzen zuerheben/ und mit wenig worten/ oder
gar ohne wort/ ſeine gnade und beyſtand zu erbitten. Wie dieſe ſtuͤck/ die betrach-
tung goͤttlichen worts und das gebet/ zu dem jenigen pflichten gehoͤre/ welche unmit-
telbar dem allerhoͤchſten Gott E. Churpr. Durchl. ſchuldig ſind/ und alle tage gewiſſe
zeit/ vornehmlich aber der liebe Sontag (deſſen eyffrige und voͤllige heiligung nicht
nur durch den offentlichen ſondern eben ſo wol beſondern GOttes dienſt billich mit
aͤuſſerſter angelegenheit recommendire, hingegen wo ſolche in acht genommen
werden wird/ unendlichen ſegen in geiſtlichem/ ja auch gewiſſer maaß leiblichen/ von
dem groſſen GOTT davor zu zuſagen getraue) dazu gewidmet werden muͤſſen/
ſo wird E. Churpr. Durchl. nicht weniger ſich angelegen ſeyn laſſen


3. Die fruͤchten des goͤttlichen worts und deſſen wirckung in allen ſtuͤcken
bey ſich zu zeigen. Da hat ſie mit allen andern hohen in der welt gewiß zuglauben
und ſich vorzuſtellen/ je auff eine hoͤhere ſtuffe in der zeit ſie der Allerhoͤchſte geſetzet
hat/ ſo viel naͤher habe er ſie ihm ſelbs gemacht/ hingegen ſehe er auch ſo viel genau-
er vor andern menſchen auff alles ihr thun und laſſen/ ja er fordere von ihnen nichts
weniger als von gemeinen leuten/ nach dem ſie ihm vor mehrere empfangene wohl-
thaten auch vor andern mehr zum gehorſam verbunden ſeyen: da ſeye alſo keine ei-
nige lebens-pflicht von Gottesfurcht/ andacht/ demuth/ zufriedenheit in allem/
gedult/ ſanfftmuth/ nuͤchterkeit/ keuſchheit/ warheit/ fleiß/ und wie ſie alle heiſſen
moͤgen/ welche die groͤſſeſte in der welt nicht mit gleicher verbindlichkeit angehe/ wie
ſie von den geringern erfordert werden; weswegen ſie ihr ſtand in nichts von ſol-
cher ſchuldigkeit befreye/ ſondern dieſe vielmehr nachſchaͤrffe: ſonderlich nach dem
greſſer Herren gantzes leben nach allen ſeinen ſtuͤcken jederman in die augen leuchtet/
und weder gutes noch boͤſes an denſelben verborgen ſeyen kan/ daher ihr gutes exem-
pel alsdann ſo viel mehrere zu treuer und loͤblicher nachfolge treibet/ hingegen jede
begehende ſuͤnde ſo viel ſchwerer aͤrgernuͤß und ſchaden bringet/ deswegen aber von
GOtt ſo viel hefftiger geſtraffet wird. Sie tragen das goͤttliche bild an ſich/ da
ihnen der groſſe GOTT einen theil ſeiner gewalt und ehre anvertrauet hat/ daher
aber auch fordert/ daß ſie daſſelbe auch alſo ziehren/ ſein bild in allen Chriſt- und
Fuͤrſtlichen tugenden an ſich mehr und mehr leuchtende zu bekommen: Dann wo
dieſes nicht geſchiehet/ ſondern groſſe Herrn den ſuͤnden freventlich dienen/ ſchaͤn-
den ſie zu ſchwerſter verantwortung ſolches bilde an ſich ſelbſten/ und verunehren
GOTT/ der es nicht ungerochen laͤſſet. Hingegen iſt es das ziehmlichſte/ daß der
jenige/ ſo in einem lande der vornehmſte an ſtand und wuͤrde iſt/ auch der vornehm-
ſte an wahren tugenden ſeye.


Hierzu gehoͤret 4. auch dieſe betrachtung/ daß der von Gott verordneter
Fuͤr-
[861]ARTIC. III. SECTIO V.
Fuͤrſten leben nicht in einem muͤßigang oder wohlleben beſtehe/ ſondern vielmehr
in einem ſteten fleiß und geſchaͤfft; dann weil andere leute verrichtungen mit we-
nigerem umgehen/ der jenigen aber/ die der HERR HERR am hoͤchſten geſetzt
hat/ vorſorge auff gantze lande und ſo viel tauſend menſchen gerichtet ſeyn ſolle/ ſo
erfordert nothwendig ihr ſtand von ihnen nicht weniger ſondern mehr als der niede-
re ſtand/ wollen ſie anders/ wie ſie ſchuldig ſind/ dem jenigen zweck einigeꝛley maſſen
gnung thun/ zu dem ſie der HERR verordnet hat. Wie nun ſolches vornemlich
platz hat bey den jenigen/ welche wuͤrcklich in regierung ſtehen/ denen GOtt nicht
frey giebet/ die regierung allein auff die Raͤthe und bediente ankommen zulaſſen/
ſondern dermaleins von ihnen/ wie ſie ſelbs derſelben abgewartet haben/ rechen-
ſchafft fordern/ hingegen alles was verſaͤumet worden/ auff ihre eigene verant-
wortung ankom̃en wird: ſo gehet es doch auch auff gewiſſe weiſe die jenigen an/ ſo al-
lein in der anwartſchafft der regierung ſtehen/ daß ſie bereits ihre vorige zeit ſorg-
faͤltig dahin anwenden/ wie ſie ſich in allen dingen/ welche zu der klugheit eines Re-
genten gehoͤren/ und in allerley tugenden/ unauffhoͤrlich uͤben moͤgen/ damit ſie
ſich bereiten/ wo ſie der HERR HERR zu ſeiner zeit auff den thron ſetzet/ alsdañ
bereits dazu tuͤchtig zu ſeyen/ was der Regenten ſtand erfordert/ um nicht in erman-
glung der noͤthigen weißheit ſich mehr von andern regieren zulaſſen/ und alsdann
allzu theur lehr-geld mit ſchaden der regierung geben. E. Churpr. Durchl. verſte-
het von ſelbſt/ daß dieſes jetzo derſelben gegenwaͤrtiger zuſtand ſeye/ und wird ſich
alſo/ ſo lieb deroſelben iſt dermaleines eine geſegnete regierung zubekommen/ ange-
l[e]gen ſeyen laſſen/ jetzige zeit dahin anzuwenden/ mit leſen/ erkundigen/ und aller-
ley loͤblichen uͤbungen/ damit man zu rechter zeit dazu bereit werde/ was das werck
des gantzen lebens dermaleins ſeyn wird.


Weil 5. einer der groͤſten anſtoͤſſe wie anderer menſchen alſo vornehmlich
groſſer Herren iſt/ daß ſie ſo viele ja die allermeiſte exempel um ſich haben nicht von
tugendhafften leuten/ ſondern an welchen das meiſte zuſtraffen iſt/ ſo will hingegen
wieder ſolches aͤrgernuͤß die beſte und kraͤfftigſte verwahrung ſeyen/ ſich allezeit vor-
zuſtellen/ daß ſo wol groſſer Fuͤrſten als anderer leute leben durchaus nicht nach
dem jenigen/ wie mans bey andern/ wer die auch ſeyn moͤgen/ ſiehet/ ſondern nach
der regel goͤttlichen worts/ welches allem ſtaͤnde ihre pflichten vorſchreibet/ gefuͤh-
ret weꝛden muͤſte/ und daß daher die auch allgemeine gewohnheit/ ob ſie alle hoͤffe/
ja alle lande/ erfuͤllet haͤtte/ nichts des jenigen/ was goͤttlicher ſeinen Chriſten vor-
geſchriebener ordnung zuwieder waͤre/ autoriſiren oder recht machen koͤnne; daher
in der frag/ ob etwas zuthun ſeye oder nicht/ durchaus nicht/ obs andere (waͤrens
auch die hoͤheſte und anſehnlichſte in der welt) zu thun pflegten/ ſondern ob es goͤtt-
lichen willen gemaͤß ſeye/ zu unterſuchen iſt/ und daraus geurtheilet werden ſolle.
Wie ich auch von E. Churpr. Durchl. michdeſſen gehorſamſt verſehe/ daß ſie laͤngſt
gelernet/ durch die Exempel hindurch allemahl auff die rechte regel zuſehen/ daher
Q q q q q 3auch
[862]Das ſechſte Capitel.
auch flehenlich zu bitten habe/ ſich auch kuͤnfftig durch kein ungleiches exempel je-
mahl von der regel abziehen zu laſſen.


6. Wann der Allmaͤchtige nach ſeinem rath Ew. Churprintzliche Durch-
lauchtigkeit zu wuͤrcklicher regierung ſetzen wird/ habe ich das kindliche vertrauen
zu ſeiner ewigen guͤte/ daß er deroſelben auch alle dazu noͤthige Gottſelige weißheit
verleihen werde. Jch meines wenigen orts recommendire voran dieſe beyde
wichtigſte regeln/ deren die eine die unterthanen angehend iſt/ daß deroſelben wohl-
fahrt der hauptwerck eines Regenten ſeye/ und wo deſſen vermeintes intereſſe und
jene einander begegnen/ daß jener billich dieſes weichen ſolle/ alldieweil nicht die un-
terthanen um des Regenten/ ſondern dieſer um jener willen in der welt iſt: Die an-
dere betrifft die geſamte hohe und niedrige bediente/ und wuͤrde darinnen beſtehen/
daß man in dero wahl allezeit hauptſaͤchlich auff die Gottſeligkeit zuſehen/ und zu
glauben habe/ daß je treuer einer ſeinem GOTT ſeye/ je treuer werde er auch fei-
ner herrſchafft dienen/ da hingegen wer ſich kein gewiſſen macht wiſſentlich wider
GOTT zu ſuͤndigen/ ſich auch kein bedenckeu machen wird/ wo er ſeinen vortheil
ſiehet/ ſeiner herrſchafft etwas zu verſaͤumen. Welche regel Ew. Churprintzlichen
Durchlauchtigkeit auch auff dieſe ſtunde zu obſerviren noͤthig iſt/ daß ſie nehm-
lich/ da ſie einige ihrer diener zu wehlen willens ſind/ immer nicht nur auff uͤbrige
geſchicklichkeit/ oder wie man ſich nach der welt mode zuſchicken gelernet habe/ ſehe/
ſondern wie das gemuͤth eines jeden beſchaffen ſeye/ ob es GOtt und die tugend
hauptſaͤchlich liebe/ oder ſeine fortun/ nutzen oder ehre zu ſeinem goͤtzen und end-
zweck gemachet haben: an den erſten werden Ew. Churprintzliche Durchlauch-
tigkeit niemahl fehlen/ an der letztern art aber niemahl beſtaͤndige treu[e] finden.


Ein kennzeichen aber dieſer letztern art iſt unter andern dieſes/ wo bediente ih-
ren Herrn zu einigen ſuͤnden rathen/ anlaß geben/ ja auch wo die Herrn ſelbſten
ſolches verlangen ihnen willig darzu helffen. Da moͤgen Ew. Churpritznliche
Durchlauchtigkeit dieſes als eine gewiſſe wahrheit ſich feſt eintrucken/ wo jemand
ihrer bedienten ſie jemahl zu einigem unrechten veranlaſſet/ ſein wohlgefallen daran
bezeuget oder dazu geholffen/ ſo vielmehr gar dazugerahten haͤtte/ oder ins kuͤnfftige
dergleichen thun wuͤrde/ der ſeye wahrhafftig kein treuer diener/ dann er liebet E.
Churprintzliche Durchlauchtigkeit und ihre wahre wohlfahrt nicht/ da doch die
liebe der grund aller treue iſt/ ſondern er ſucht allein ihre gnade um ſeines vortheils
willen/ und trachtet ſie auch mit dero ſchaden zu erlangen oder zu erhalten. Wo
aber Ew. Churprintzliche Durchlauchtigkeit einige finden werden/ welche mit un-
terthenigſtem reſpect/ wo etwas GOTT miß gefaͤlliges vorgegangen waͤre/ oder
vorgehen ſolte/ lieber dieſelbe ſelbs erinnern/ oder doch ihr mißfallen bezeuͤgen/ und
nichts damit zu thun haben wollen/ von denen koͤnnen ſie ſich unfehlbahr ſolcher tꝛeue
verſehen/ daß ſie ihnen alles auch wichtigſte vertrauen doͤrffen/ in dem ſie es wahr-
hafftig treu mit derſelben und ihrer wohlfahrt meinen. Wird Ew. Churrintz-
liche
[863]ARTIC. II. SECTIO V.
liche Durchlauchtigkeit dieſe regel ihr gantzes lebenlang fleißig in acht nehmen/
und alſo mit David aus dem 101. Pſalm. (welchen ſie ſich ſamt den 6. 7. 8. und 9.
Capiteln des buchs der weißheit zu offtmaliger veꝛleſung recommendiret ſeyen laſ-
ſen wollen) gern fromme diener haben/ daher dieſe allen andern vorziehen/ ſo traue
von GOTT zu verſprechen/ daß ſie ein ſonderbahr geſegneter Regent werden wer-
den. Zu allen dieſen erinnerungen ſetze noch dieſe 7. als zum ſiegel/ daß Eure
Churprintzliche Durchlauchtigkeit ſich bereits bey dieſen ihren noch juͤngere jahren
gleichwohl erinnern der ungewißheit des lebens und dermahleins gewiß folgenden
abſchieds/ um alles ihr leben alſo vor GOTT zufuͤhren// wie ſie an deſſen ende ver-
langen wuͤrden ſolches gefuͤhret zu haben. Dieſe betrachtung/ da ſie ſtets erwe-
gen werden/ wie ſie auff dem wege zu der ewigkeit ſeyen/ wird ein ſteter antrieb ſeyen
das jenige treulich zu thun/ was in der ewigkeit ſeine belohnug erwartet/ und das je-
nige ſorgfaͤltig zu vermeiden/ was alsdann ſtraffe leyden muß: und ſolches ſo viel-
mehr/ wo ſie noch beyſetzen/ daß mit dieſem leben der ſtand und alle irrdiſche hoheit
auffhoͤre/ und die ſeele des groͤſſeſten Monarchen vor dem unpartheyiſchen Richter
mit keinem mehrern vortheil erſcheine als des aͤrmſten bettlers/ daher ſie alle nicht
nach voriger wuͤrde und dero unterſcheid/ ſondern nach ihrem glauben und wercken
gerichtet werden ſollen: daß alſo die ſeele nichts anders dahin mit ſich bringet/ als
was ſie aus Goͤttlicher wuͤrckung in ſich hat/ und ſie des fernern genieſſes der ewigen
herrlichkeit und ſeligen gemeinſchafft mit der ſeligſten Dreyeinigkeit faͤhig ma-
chet.


Gnaͤdigſter Chur-Printz und Herr/ dieſe erinnerungen/ welche gewiß aus ei-
nem dero theure ſeele und ihr ewiges wohl hertzlich liebenden gemuͤthe flieſſen/ moͤ-
gen vor GOttes heiligen angeſicht der ſchluß meines an Ew. Churprintzliche Durch-
lauchtigkeit biß daher in meiner ſchwachhet vollbrachten amtes ſeyen/ und ſtehe ich in
dem unterthaͤnigſten vertrauen/ daß ſie dieſelbige nicht nur in gnaden auffnehmen/
ſondern auch mit fleiß erwegen und etwa mehrmahl zu ſteter erinnerung/ welche
ohne frucht aus GOttes ſegen nicht bleiben wird/ anſehen werden. Wie dann
alſo nochmahl Ew. Churprintzliche Durchlauchtigkeit vor des himmliſchen Vaters
allſehenden angeſicht in hertzlicher demuth bezeuge/ daß ſie das wort des HErrn
ſo ſie auch aus meinem ſeines armen dieners mund angehoͤret haben/ und ihre
ſeele ſelig machen kan/ ſich die tage ihres lebens angelegen ſeyen laſſen wollen/ alſo
ſchlieſſe endlich mit inniglichem wunſch und gebet zu dem Vater des liechts/ von
welchem alle gute und alle vollkommene gabe kommen/ daß derſelbe nach ſeiner ewi-
gen guͤte mit aller gnade und ſegen uͤber ſie walten wolle. Er als der GOTT
des lebens friſte ihr leben nach ſeinem wohlgefallen lange zeit/ daß ſie erreichen oder
uͤberſchreiten moͤgen die jahre ihrer hohen vorfahren/ und ſolches bey ſteter geſunt-
heit/ als viel zu der ehre GOttes auch darinnen dienlich ſeyn wird: Er wende
deswegen ab alle gefahr und umgebe ſie ſtets mit der ſtarcken wache ſeiner himm-
liſchen
[864]Das ſechſte Capitel.
liſchen heerſcharen/ ſonderlich auff allen reiſen und expeditionen/ an ſonderbahr-
ſten aber auch dieſes mahl in gegenwaͤrtigen zug/ davon er zu rechter zeit eine froͤli-
che/ ſiegreiche und geſunde widerkunfft beſcheren wolle. Er laſſe auch alles ubri-
ge Chriſtfuͤrſtliche vornehmen immer nach wunſch in ſeinem ſegen gluͤcklich gera-
then/ daß uͤber ſteten geſegneten ſucceß ihre theure ſeel ſich immer zu freuen urſach
finde. Er laſſe ſonderlich den vorſtehenden heurath mit dero verlobten Koͤnigli-
chen Princeſſin hoheit zu rechter zeit mit allem vergnuͤgen vollzogen/ und ein exem-
pel einer unter hohen perſonen ſonderbarſt nach allen ſtuͤcken/ was man von dem
reichthum der Goͤttlichen milde dazu verlangen moͤchte/ geſegneten ehe/ und urſach
taͤglicher danckſagung vor dem thron deroſelben/ weꝛden. Sonderlich aber wol-
le er der heilige GOTT das werck ſeiner heiligung in ihrer wertheſten ſeele immer
durch des heiligen Geiſtes gnade auffs kraͤfftigſte vollfuͤhren/ daß wie ſie einmahl
aus ihm wiedergebohren ſind/ daß aus der wiedergeburh erſtmahl gewuͤrckte gute
immer in gleicher wuͤrckung fortgeſetzt werde: Er laſſe aus ſeinem liecht das liecht
ſeiner und ſeines willens lebendiger erkantnuͤß in deroſelben taͤglich vermehret/ und
ſie mit krafft aus der hoͤhe zu deſſen vollbringung ſtets auffs neue erfuͤllet werden/
zum wachsthum der fruͤchten des Geiſtes der liebe/ der freude/ des friedens/ der ge-
dult/ der freundlichkeit/ der guͤtigkeit/ des glaubens/ der ſanfftmuth/ der keuſchheit/
hingegen zutilgung aller den menſchen angebohrne liebe der welt in augenluſt/ flei-
ſchesluſt und hoffaͤrtigem leben: Er erfuͤlle ſie mit dem Geiſt der gnaden und des
gebeths/ damit ihre taͤgliche rauchopffer/ in bitten und danckſagungen/ vor ſeinen
thron moͤgen angenehm ſeyen: Er eroͤffne ihn die geheimnuͤſſen ſeines worts/ wo ſie
damit umgehen/ und gebe demſelben die noͤthige krafft zu ihrer mehrern erleuch-
tung und heiligung: Er laſſe ſie genieſſen ſeiner Vaͤterlichen ſuͤſſen liebe/ und in
derſelben taͤglich mit dem blut JESU CHRJSTJ von allen ſuͤnden gereini-
get/ von deſſen allguͤtiger vorbitte vertreten/ und alles ſolches durch den heiligen
Geiſt bey dero zu wege gebracht werden: Daß ihro niemahl mangle an irgend ei-
nen geiſtlichen gut/ ſo zu dero heil/ troſt/ ſtaͤrckung und freude in ihren GOTT
dienen mag/ daß daher das reich GOttes/ ſo beſtehet in gerechtigkeit/ friede und
freude in dem heiligen Geiſt/ immerfort in ihrem hertzen biß zur ewigen offenbah-
rung feſt gegruͤndet bleibe. Weil aber auch der allgewaltige GOTT dieſelbe
dermaleins zu einem groſſen Regenten beſtimmet hat/ ſo bereite er ſie auff das jeni-
ge/ was ihr der mahleins obliegen wird/ und wenn es dazu kommet/ ruͤſte er ſie auffs
neue aus mit dem Geiſt der weißheit und des verſtandes/ mit dem Geiſt des raths
und der ſtaͤrcke/ mit dem Geiſt der erkaͤntnuͤß und der furcht des HERRN/ ja mit
der jenigen weißheit/ durch welche herrſchen die Fuͤrſten und alle Regenten auff er-
den/ und ſtehe ihr in allen ſtuͤcken kraͤfftig bey/ damit als dann ſein heiliger nahme
und reich voꝛtrefflich durch ſie befordert und ſo vieler tauſenden unterthanen hertzli-
che hoffnung in dero unter ihro regierung genieſſender voͤlliger wohlfarth vollkom-
men-
[865]ARTIC. III. SECT. VI.
menlich erfuͤllet werde: Damit auch der mahleines die nachwelt dero wuͤrdige
perſon und zeit zu ruͤhmen habe/ ſie aber auch nach in Goͤttlicher krafft gefuͤhrten le-
ben und regierung in die unendliche freude und herrlichkeit ihres HERRN/ da
endlich alle wuͤnſche zuſammen flieſſen/ eingehe. Wie dieſes das innigliche gebet
dero wertheſten frau Mutter Hoheit/ (welche der guͤtigſte Vater als ein theures
ſtuͤck ihrer Churfuͤrſtlichen Durchlauchtigkeit wohlfarth lange zeit erhalten/ und
ihro alle an deroſelben ſorgfaͤltigen erziehung angewandte treue/ auch noch uͤber ſie
wachende ſorgfallt/ herrlich vergelten wolle) ſo dann des gantzen landes/ auch biß
daher das meinige nach meiner pflicht geweſen iſt/ ſo werde ich auch abweſend/ als
lang der HERR HERR mich leben laſſen wird/ nicht weniger als ob noch in vo-
riger ſtelle ſtunde/ damit fortfahren/ und will mich auch hierdurch nochmahl dar zu
verbunden haben. m. f. w. Dreßden den 25. Maj. 1691.


SECTIO VI.


Bey den abſchied aus Sachſen unterthaͤnigſtes
abſchieds-ſchreiben an den Churfuͤrſtlichen
Printzen Hertzog Friderich Auguſt
von Sachſen.


Goͤttliche gnade/ friede/ leben und regierung von unſern in ſeine herr-
lichkeit eingegangenen Heyland JESU CHRJ-
STO!


Durchlauchtigſter Fuͤrſt/
Gnaͤdigſter Fuͤrſt und Herr.

DJe kurtze zeit und unbequemlichkeit des orts/ als ſonſten juͤngſthin zu Coß-
dorff die gnade gehabt/ Ew. Hochfuͤrſtlichen Durchlauchtigkeit letztesmahl
zu ſehen/ haben mir nicht zugelaſſen geziehmenden unterthaͤnigſten abſchied
zunehmen/ ſondeꝛn habe deswegen ſolches ſchrifftlich zu thun mit dero gnaͤdigſter er-
laubnuͤß verſpahren muͤſſen: Stehe aber in guter hoffnung/ wie auch unterthaͤ-
nigſter bitte/ Ew. Hochfuͤrſtliche Durchlauchtigkeit geruchen die zeit zu nehmen/
da ſie anderer gedancken frey/ das jenige/ was noch dieſes mahl ſchreibe/ mit be-
dacht zuleſen und zu hertzen zuziehen. Da ich dann erſtlich unterthaͤnigſten danck-
ſage vor alle bißherige gegen mich bezeigte gnade/ vertrauen und geſtatteten zu-
ſpruch/ ſo mich allezeit hertzlich gefreuet hat/ und ich ſolche gnaͤdigſte zuneigung Ew.
Hochfuͤrſtlichen Durchlauchtigkeit gegen mich als ein zeugnuͤß Goͤttlicher wuͤr-
R r r r rckung
[866]Das ſechſte Capitel.
ckung mit demuͤtigſten danck gegen den himmliſchen Vater angeſehen habe/ ſo
dann auch dero fortſetzung zuverſichtlich hoffe. Wann aber der jenige groſſe
GOTT/ welcher macht hat allemahl auff ihm beliebende weiſe ſeine diener da o-
der dorthin zuverſetzen/ mich nunmehr von hier anderwers hinſendet/ deſſen heiliger
fuͤhrung ich auch mit freudigem gehorſam und hertzlicher zuverſicht eines mehrern
an andern orten mir beſtimmten ſegens nechſtens folgen werde/ hingegen damit
wie mein uͤbriges predigamt alſo auch die uͤber Ew. Hochfuͤrſtlichen Durchlauch-
tigkeit mir gleichfalls anvertrauet geweſte beichtvaters ſorge abzulegen habe/ ſo ha-
be mit dieſem vorher Ew. Hochfuͤrſtlichen Durchlauchtigkeit nochmahl hertzlich
verſichern wollen/ daß dasjenige/ was dieſelbige die zeit uͤber von mir ſo wohl in
predigten als beſondern zuſpruͤchen gehoͤret/ nicht allein aus treuer begierde/ gleich
wie alle mir anvertraut geweſene alſo auch Ew. Hochfuͤrſtlichen Durchlauchtigkeit
ſeele zu erkantnuß und beliebung des allein guten Goͤttlichen willens zubringen/ her-
gefloſſen/ und nach ſorgfaͤltiger pruͤfung gewißlich den heiligen geoffenbahrten
wort GOttes gemaͤß gefunden werde werden. Jch erkenne dabey meine ſchwach-
heit/ und muß aus derſelben ſorgen/ daß manches zu Ew. Hochfl. Durchl. wie auch
anderer [erbauung] mit mehrerem fleiß und weißheit haͤtte ſollen von mir vorgenom-
men und verrichtet werden/ daran es aber annoch gemanglet hat: daß deswegen
unterthaͤnigſt zu bitten habe/ daß Ew. Hochfl. Durchl. mir in gnaden vergeben wol-
le/ was auch hierinnen jemahl von mir mag verſaͤumet ſeyn worden/ deſſen verge-
bung aber auch zum foͤrderſten von meinen him̃liſchen Vater und ſeiner barmher-
tzigkeit zu erbitten und zu erwarten habe. Hingegen ſetze auch dieſe unterthaͤnigſte
bitte hinzu/ daß ſich gleichwohl Ew. Hochfl. Durchl. zum offter des etwa angehoͤr-
ten guten/ ſonderlich aber derer zu unterſchiedlichen mahlen GOTT dem HErrn
in mir ſein em diener/ vornehmlich bey und nach letzter kranckheit/ gethaner zuſa-
gungen zu dero erfuͤllung gegen den/ welchem ſie geſchehen ſind/ und der kuͤnfftig
davon rech enſchafft fordern wird/ treulich erinnern/ und daran nicht ein geringes
gelegen zu ſeyn glauben wolle.


Es werden Ew. Hochfuͤrſtliche Durchlauchtigkeit mir guaͤdigſt vergoͤn-
nen/ daß zu dieſem beſchluß meines getragenen beichtvater amts annoch einige re-
geln deroſelben hinterlaſſe/ dero fleißige beobachtung dero leben dem Allerhoͤchſten
hertzlich angenehm machen/ und vielen ſegen herbey ziehen wird. Wie nun unſre
pflichten ſich in drey abtheilen/ ſo fern wirs darinnen mit GOTT/ mit uns ſelbs/
und mit dem nechſten zu thun haben/ ſo moͤgen alle ihre gewiſſe regeln erfordern.
Was dann anlangt die pflichten/ damit Ew. Hochfuͤrſtl. Durchlauchtigkeit dem
groſſen GOTT verbunden ſind/ wuͤrden ſich ſolche in drey regeln abtheilen laſſen/
deren die erſte iſt: ſich GOttes heiliger gegenwart zu allen zeiten zu erinnern/ und
gewiß zu glauben/ daß ſeine augen ſtets auff alle menſchen/ auch die er in der welt
ſo hoch geſetzet hat/ aber von demſelben einen nicht weniger als von andern leuten
ernſt-
[867]ARTIC. III. SECT. VI.
ernſtlichen gehorſam und furcht erfordert/ gerichtet ſeyen/ und auff dero gedan-
cken/ wort und wercke acht gebe/ als welche dermahleins vor ſein gericht gebracht
werden ſollen. Wo dieſe erinnerung ſtets geſchiehet/ da wird die ſeele mit einer
heiligen ehrerbietung gegen dieſe gegenwart ihres GOttes erfuͤllet/ und betrachtet
alles was ſie thut. Die andere regel ſolle billich ſeyen/ das Goͤttliche wort nicht nur
fleißig wo man kan zuhoͤren/ ſondern auch in der heiligen Schrifft taͤglich zu leſen/
und den jenigen tag vor ungluͤckliche zu gebracht zu halten/ da man ſeinen GOtt
nicht mit ſich in ſeinem worte haͤtte reden laſſen. Wie nun aber ſolches leſen auch
mit andacht und ehrerbitung/ auch vorſatz des gehorſams/ taͤglich geſchehen ſolle/
alſo muß ſonderlich der liebe Sontag zu ſothaner uͤbung unausſetzlich angewendet
werden/ als deſſen rechte heiligung den ſeegen auff die gantze woche ziehet/ wo er a-
ber entheiliget wird/ einiger fluch daher erwartet werden muß. Die dritte re-
gel recommendiret billich das liebe gebeth/ welches taͤglich nicht allein der anfang
des tages/ ſondern auch aller vornehmenden verrichtungen/ ſeyen ſolle/ hingegen a-
ler wahre ſeegen an demſelben haͤnget: Wie dann nichts auff GOTT gefaͤllige
art geſchehen kan/ was man ohne gebeth vornimmet. Wo bey ſonderlich die fal-
ſche einbildung gemieden werden muß/ welche zu weilen einige denen hohen ſtandes
perſonen zu machen unterſtehen/ gleich ob bedoͤrffte es dieſer gebets nicht/ weil ſo
viele vorbitten von andern vor ſie geſchehen. Wo aber jemand Ew. Hochfuͤrſtl.
Durchl. jemahl etwas dergleichen beybringen wolte/ ſo haben ſie demſelben billich
vor einen untreuen menſchen/ ſo dieſelbe um ihre wohlfart bringen wolle/ zu achten/
und dero gerechten eiffer gegen ihn ſpuͤhren zulaſſen. Wie nun diſe regeln ein zim-
liches ſtuͤck der pflichten gegen GOTT/ von dem doch alle ſeligkeit zu erwarten/
und alſo ſein dienſt allem andern vorzuziehen iſt/ in ſich faſſen/ ſo beſtehen hingegen
die pflichten gegen ſich ſelbs nicht weniger in drey regeln.


Die 1. iſt/ daß Ew. Hochfuͤrſtl. Durchl. den von GOtt verliehenen verſtand
immer mit mehrern nuͤtzlichen/ und die ſo geiſtliche als leibliche/ deroſelben ſelbſten
und anderer/ wohlfahrt angehenden wiſſenſchafften zu perfectioniren ſuchen.
Dann wie der verſtand an dem menſchen nach dem natuͤrlichen das edelſte iſt/ deſ-
ſen vollkommenheit aber in vieler erkaͤntnuͤß wichtiger und noͤthiger dinge beſtehet/
ſo iſt eines hohen Fuͤrſten ſonderbahrſte zierde/ andere auch wie von ſtande/ alſo
nicht weniger mit erkaͤntnuͤß wichtiger und zu GOttes ehre und der gemeinen
wohlfahrt dienlicher dinge/ zu uͤbertreffen. Daher alles dahin gerichtete ſtudi-
ren eine der anſtaͤndigſten uͤbungen einer hohen perſon ſeyen ſolle.


2. Die andere regel betrifft den leib/ weil nun dieſer allezeit alſo gehalten wer-
den muß/ damit er ſtets eine wohnung des heiligen Geiſtes ſeyen/ und zu allen loͤbli-
chen verrichtungen geſchickt uno fertig bleiben moͤge/ alſo will noͤthig ſeyen/ daß er
allezeit maͤßig und keuſch gehalten/ hingegen alle trunckenheit und unzucht als ſolche
laſter geflohen werden/ welche GOttes Geiſt vertreiben/ den verſtand verfinſtern/
R r r r r 2die
[868]Das ſechſte Capitel.
die geſuntheit ſchwachen/ den leib verunreinigen/ und dem Goͤttlichen zweck unſ-
rer erloͤſung und heiligung ſchnur ſtracks entgegen ſeyen. Daher auch billich das
ſechſte Capitel der epiſtel an die Corinthier offt und andaͤchtig zu leſen iſt.


3. Weil unſer leben eine gabe GOttes und keine ſache iſt/ damit wir nach be-
lieben umzugehen haͤtten/ ſo erfordert GOtt als der HERR deſſelben/ daß man
mit dem leben vorſichtig umgehe/ und ſich nimmer in muthwilliger gefahr begebe/
als der ſonſten wo wir in der gefahr ſchaden leiden von uns ſelbs ſchwehre rechnung
fordern wird. Dieſe regeln wollen Ew. Hochfuͤrſtl. Durchl. ſamt den andern
ſorgfaͤltig ſich angelegen ſeyn laſſen/ und ſonderlich auch bey dieſer letzten bedencken
wie offt ſie bißher GOtt verſucht/ dadurch aber mit fallen/ ſtoͤrtzen und auff andere
weiſe in offenbahre lebens gefahr gerathen/ aber von der Vaͤterlichen guͤte gnaͤdig
wieder erhalten worden ſind. Es fordert aber GOtt/ daß die bißherige exempel
ſeines ſonderbahr geleiſteten ſchutzes in dergleichen gefahr nicht zur ſicheꝛheit miß-
brauchet/ ſondern ein antrieb werden/ hinkuͤnfftig in reiten und allen andern mit ſo
vielmehr vorſichtigkeit ſich zu moderiren/ damit der HErr nicht dermahleins einen
traurigen fall/ von dem man offt nicht weit entfernt geweſen/ verhaͤngen moͤchte.
Jch ſetze noch die pflichten gegen den nechſten hinzu/ die in den folgenden regeln be-
ſtehen/ daß 1. bitte/ Ew. Hochfuͤrſtl. Durchl. wollen ſich zum grund des meiſten le-
bens dieſes vorſtellen/ daß kein menſch/ wie hoch er in der welt ſeyen moͤchte/ um ſein
ſelbs willen lebe/ ſondern alle um des nechſten willen: Daher Fuͤrſtliche perſo-
nen ſich dieſes auch feſt einzutrucken haben/ daß ihr gantzes leben durchaus nicht zu
eigenem wohlgefallen geſuͤhret/ ſondern nothmendig gleich wie zur ehre GOttes/
alſo nechſt derſelben zu dem beſten des nechſten/ gerichtet werden muͤſſe: wes we-
gen ihre groͤſte freude billich ſeyen ſolle/ wo ſie nach gelegenheit ihres ſtandes vielen
gutes zu erzeigen vermoͤgen. 2. Wird auch dieſes eine regel ſeyen/ daß man dem
nechſten gutes zu erzeigen habe/ nicht allein in leiblichen dingen/ ſo viel GOtt gele-
genheit vorkommen laͤſſet/ ſondern auch darinnen/ mit gutem exempel vorzugehen/
und ſich hingegen ſorgfaͤltigſt zu huͤten/ damit ja niemand je eines aͤrgernuͤß nehmen
moͤge. Und weil hoher perſonen leben ſo viel offenbahrer iſt/ daß unzaͤhliche au-
gen auff ſie gerichtet ſind/ die alles ihr boͤſes und gutes genau beobachten/ ſo will E.
Hochfuͤrſtl. Durchl. ſo vielmehr gewiſſens wegen obligen/ auff alles ihr thun ge-
nau acht zu geben/ damit ja niemand je darinnen anſtoß finde/ ſondern vielmehr al-
le zu Chriſtlicher tugend durch dero exempel auffgemuntert werden. 3. Weil E.
Hochfuͤrſtl. Durchl. ihres ſtandes wegen mehrere bediente noͤthig haben/ ſo iſt bil-
li[c]h dieſe auch eine wichtige hauptregel/ daß in der wahl nicht allein auff andere
qualitaͤten ſondern hauptſaͤchlich auff die wahre Gottſeligkeit geſehen werde/ wie
der kluge Koͤnig David gern fromme diener hatte in dem 101. Pſalmen (ſo ein
Pſalm iſt/ den alle hohe offtmahls zu betrachten und in das hertz zu faſſen haben)
dann wer ſeinen GOtt auffrichtig fuͤrchtet/ dem kan man gewiß zutrauen/ daß er
auch
[869]ARTIC. III. SECTIO VI.
auch ſeiner herrſchafft allezeit getreu ſeyn werde: Wer aber nicht rechtſchaffen
gottſelig oder nach GOtt geſinnet iſt/ wie er in allem nach antrieb der natuͤrlichen
verdeꝛbnuͤß nach eigener ehr/ nutzen oder luſt trachtet/ alſo iſts unmoͤglich/ daß er
ſeiner herrſchafft weiter getreu ſeye/ alß ſo weit es jenem ſeinem hauptzweck gemaͤß
iſt.


Alſo kan man ſich nimmermehr einer ſolchen auffrichtigen und beſtaͤndigen
treue verſehen/ wie bey den warhafftigen gottſeeligen. Sonderlich koͤnnen Ew.
Hochfuͤrſtl. Durchl. ein gewiſſes zeugnuͤß der foͤmmigkeit und alſo auch treue ihrer
bedienten daran finden/ ob ſie denſelben jemahl gelegenheit oder reitzung zu einigem
unrecht geben/ dazu rathen/ ihr wohlgefallen daran bezeugen/ und alſo dazu ſelbs
beforderlich ſind/ oder das gegentheil thun/ und ihr mißfallen uͤber das/ was dem
willen GOttes nicht gemaͤß iſt/ zuerkennen geben. Was leute ſind/ an denen man
das erſte findet/ und die alſo das boͤſe ſelbſten belieben/ und ihre Herrn mit dazu rei-
tzen/ dieſe begehen die groͤſte und hoͤchſt ſtraͤffliche untreue/ als die den genuß von
ihrer Herrn gunſt und alſo ihr eigen intereſſe der herrſchafft wahren wohlweſen
verziehen/ daher man in wichtigen dingen ſich nimmermehr auff dieſelbige/ gleich
wie auff die/ von denen man weiß/ daß es ihnen um das gewiſſen und um GOTT
redlich zuthun ſeye/ verlaſſen darff. Hingegen welche ſo gar nicht zu dem boͤſen
helffen/ daß ſie vielmehr mit allem reſpect und beſcheidenheit zu bequemer zeit dar-
uͤber erinnerung thun/ von denen iſt man verſichert/ daß ſie ihre herſchafft auffrich-
tig lieben/ und alſo in allem gehorſam ſtets dero wahres beſtes befordern wer-
den.


Durchlauchtigſter Printz/ dieſe dreymahl drey reglen empfehle ich nochmal
zu meinem abſchied aus unterthaͤnigſter treue und hertzlichen verlangen nach E.
Hochfuͤrſtl. Durchl. geiſtlichen/ leiblichen und ewigen heyl/ dazu ſie gewiß in goͤtt-
licher gnade vieles beytragen/ und ſie ſich verſichern koͤnnen/ wo ſie werden treu-
lich nach demſelben einher gehen/ daß der himmliſche Vater ſie auch ferner auff rich-
tigem wege fuͤhren/ und was ihro weiter noͤthig ſeyen mag/ ſeinem willen offenbah-
ren werde. Wie ich nun dabey verſichre/ daß auch abweſend nicht weniger vor
dieſelbe bey unſrem getreueſten Vater zu beten mir angelegen ſeyen laſſen/ und in
ermanglung anderer gelegenheit auffs wenigſte in dieſem ſtuͤck meine unterthaͤnig-
ſte devotion noch fortſetzen werde/ ſo verlange wol inniglich daß ich ſtets hoͤren
moͤge/ daß E. Hochfuͤrſt. Durchl. auffrichtiger bahn der Chriſtlich-und Fuͤrſtli-
chen tugenden/ auff welchen ſie von ſeiner ewigen guͤte ſonderlich durch gottſelige
vorſorge Dero Durchl. Fr. Mutter Hoheit treulich angewieſen werden/ ruͤhm-
lich fortfahren/ und vor allen denen muͤtterlichen vermahnungen ſtets bey ſich platz
laſſen/ damit neben meinen armen gebet ich auch vor dieſelbe mit freudigem gemuͤth
und verſicherter hoffnung ſie wiederum in der ewigkeit mit noch groͤſſern freuden zu-
ſehen/ meine danckopffer vor den thron der gnaden bringen moͤge. Nun der all-
R r r r r 3maͤch-
[870]Das ſechſte Capitel.
maͤchtigſte groſſe GOTT und himmliſche Vater/ bieibe auch unaufhoͤr-
lich deroſelben treueſter Vater/ verſorge ſie mildiglich/ erhalteihr leben/
leibes und gemuͤths kraͤfften nach ſeinem willen lange zeit ohne anſtoß/
umbgebe ſie zu ſolchem ende mit einer flarcken wache ſeiner maͤchtigen himmels-
Fuͤrſten/ und ziehe deroſelben ſeele allezeit kraͤfftiglich zu ſeinem Sohn. Unſer treu-
eſte Heyland JEſus CHriſtus ſeye in bꝛuͤderlicher treue allezeit ihr liebreichſter
Heyland/ reinige ſie taͤglich mit ſeinem blut von ihren ſuͤnden/ vertrete ſie mit ſeiner
allguͤltigen vorbitte vor ſeinem Vater/ mache und beꝛeite ſie zu einem herrlichen
werckzeug ſeiner ehre in ſeinem gnadenreich/ erfuͤlle ſie deswegen mit einer auffrich-
tigen begierde ſolche auff alle weiſe nach ihrem ſtand eyffrig zu befoͤrdern/ und ſol-
che wuͤrde allem uͤbrigen ruhm und reputation in der welt vor zu ziehen. Der wer-
theſte heilige Geiſt/ welcher uͤber ſie in der heiligen Tauffe reichlich ausgegoſ-
ſen worden iſt/ ſtelle ihr in ihrer werthen ſeele ſolchen tauff-bund/ ſo wol was die
darinnen erlangte ſeligkeit und heyls-guͤter/ als auch dero pflicht und geluͤbde an-
langt/ alſo vor/ daß er niemal aus ihrem gedaͤchtnuͤß komme/ ſondern ſtets ſo die
kraͤfftigſte ſtaͤrckung des glaubens als auch nachdruͤcklichſter antrieb zur wahren
gottſeligkeit bleibe/ um in deſſen wuͤrcklichen genuß immer zuſtehen: Er erfuͤlle ih-
rem verſtand immerdar mit lebendiger erkaͤntnuͤß ſeiner und ſeines guͤtigſten wil-
lens: er lencke ihr hertz kraͤfftig zu dem gehorſam ſeiner gebote/ in ihrem gantzen le-
ben niemahl zu thun/ was deroſelben vor ſich wol gefiehle/ oder was die ſeiner heilig-
keit widrige welt zuthun pfleget/ und ſie etwa von andern (wer dieſelbige auch ſeyen
moͤgen) zugeſchehen ſehen/ ſondern allein/ was ihr HErꝛ und GOTT/ deſſen wil-
le allein der meiſter unſers lebens ſeyn muß/ fordert/ und alſo insgeſammt/ ſich
nicht nach exempeln/ welche uns auff allerley weiſe leicht verfuͤhren moͤgen/ ſondern
nach ſeinem wort zurichten: Er treibe ſie alſo innerlich an zu allem guten/ und
terdrucke in ihr/ was ſeinem trieb widerſtehen moͤchte: Er ſeye in ihr ein Geiſt der
gnaden und des gebets/ in ihꝛer ſeelen allezeit zu wuͤrcken/ was ſie der himmliſchen
gnade theilhafftig machet/ und die gottgefaͤllige ſeuffzer: Er bewahre ſie vor allem/
was ihr ſeel und leib beflecken/ und ſie ſeiner ſeligen einwohnung unfaͤhig machen
wuͤrde: Er ſeye ihr rath in zweiffelhafften ſachen/ der zaum ſie zuruͤck zu halten/
wo ſie ſich ſonſten in gefahr wuͤrden begeben/ der friede ihres hertzens: Er tilge in
ihr alle liebe der welt und dero eitelkeit/ um zu der liebe ihres getreueſten GOTTes
ſtets tuͤchtig zu bleiben.


Die gantze heilige Dreyfaltigkeit ergieſſe alle ihre gnade uͤber ſie reichlich
aus/ zu werden ein kꝛaͤfftig inſtrumens dero verherrlichung/ der Evangeliſchen
kirchen zierde/ des geſamten reiches wohlgefallen/ der hohen eltern freude/ dieſer
lande troſt und der jenigen/ welche auch deroſelben zur ꝛegierung werden nach des
HErrn willen anvertrauet werden/ wahre gluͤckſeligkeit/ endlich aber auch in die
vollkommene herrlichkeit nach hier genoſſenem vielen ſeegen einzugehen. Nun
der
[871]ARTIC. III. SECTIO VII.
der HErr HEꝛr/ zu dem alle unſre gebete und wuͤnſche gehen/ ſpreche auch alſo
wie wir bitten und ferner bitten werden/ und laſſe ja und Amen ſeyen. Dreßden/
den 25. Maji. 1691.


SECTIO VII.


Den tag vor der abreiſe aus Dreßden unterthaͤ-
nigſtes abſchied ſchreiben an Churfuͤrſt Johann
Georgen den
III.


Goͤttliche gnade/ friede/ heyl und leben mit reichem maß des hei-
ligen Geiſtes durch JEſum Chriſtum unſern treuſten Hey-
land.


Durchlauchtigſter Fuͤrſt/
Gnaͤdigſter Churfuͤrſt und Herr.

WEil es an dem iſt/ daß nunmehr nach von E. Churf. Durchl. an das
Churfuͤrſten von Brandenburg Durchl. erfolgter mein er uͤberlaſſung/
und erhaltener vocation, aus allen concurrenzen aber erkanten goͤttli-
chen willen/ morgenden tag von hier aus meine reiſe im nahmen des HErrn fort-
ſetzen werde/ ſo habe ſolches nicht ohne zugleich von E. Churf. Durchl. hie-
mit unterthaͤnigſt nehmenden abſchied ins werck richten ſollen. Da mich dann
zum foͤrderſten unterthaͤnigſt bedancke vor alle dieſe zeit uͤber mir und den meinigen
erzeigte gnade/ und daraus hergefloſſene auch noch ferner gnaͤdigſt verſicherte meh-
rere gutthaten/ dero der HERR HERR ein veꝛgelter ſeyn wolle. Die innere
urſachen zu meiner dimiſſion gefaſten entſchluſſes habe nicht zu unterſuchen/ ſon-
dern E. Churfuͤrſtl. Durchl. eigenem gewiſſen/ und was Gott darinnen noch zuer-
kennen geben werde/ zu uͤberlaſſen: Dabey aber vor dem angeſicht des allſehen-
den groſſen GOttes/ vor deſſen richtſtuhl wir ſtehen muͤſſen/ und ich nicht weiß/
wann ich davor erſcheinen ſolle/ E. Churf. Durchl. gewiß verſichere/ daß in gan-
tzem meinem getragenen amt (ob ich mich wol vor des Hoͤchſten richters thron nicht
zu rechtfertigen vermag/ ſondern derſelbe noch viel ein mehrers/ als ich gethan ha-
be/ nehmlich mehrern ernſt und mehrere klugheit/ von mir geſordert hat) ich gleich-
wol es in allem mit E. Churf. Durchl. ſeele in predigten und uͤbrigen zuſpruͤchen
treulich gemeinet/ und alles aus unterthaͤnigſter liebe/ treuſter abſicht und nach dem
trieb meines gewiſſens als vor GOtt frey von allen intriguen, gethan/ auch keine
an-
[872]Das ſechſte Capitel.
andere lehr deroſelben/ oder der geſamten gemeinde/ offentlich oder abſonderlich/
jemal vorgetragen habe/ als welche nach beſten meiner erkaͤntnuͤß gleich wie der hei-
ligen ſchrifft alſo auch den Symboliſchen buͤchern/ dazu ich verbunden/ nach allen
puncten gemaͤß iſt/ deſſen auch GOTT dem Koͤnig der warheit/ der gantzen kir-
chen/ und E. Chuꝛf. Durchl. rechenſchafft zu geben allezeit beꝛeit bin. Ob dann
wol uͤbriges mein amt hiermit unterthaͤnigſt niederlege/ ſo werde mich dannoch
zu allen zeiten verbunden erkennen/ nicht weniger als bißdaher vor E. Churfuͤrſtl.
Durchl. vor dem thron der gnaden/ als lange ich lebe/ zu bitten/ und zu ſeufftzen/
daß der groſſe GOTT/ der HERR aller HERRN/ der nach ſeinem wolgefal-
len dieſelbe hochgeſetzet/ und ihro vieles anvertrauet hat/ nicht allein nach ſeinem
heiligen willen dieſelbe ferner erhalten/ dero geſundheit friſten und bißherige be-
ſchwehrden mildern oder gar hinweg nehmen/ ſondern auch ſo dero hohes hauß mit,
allem muͤglichen ſegen uͤberſchuͤtten als dero regierung in allen ſtuͤcken begluͤcken
wolle. Vornehmlich aber gebe er doch in dero theure ſeele ſeinen heiligen Geiſt in
gnugſamer maaß/ durch ihn/ wie ſie vor ſeinem heiligen angeſicht in derſelben ſte-
hen moͤgen wahrhafftig zuerkennen/ ſich von allem/ ſo ihm mißfaͤllig iſt/ bußfertig
zuꝛeinigen/ und in den jenigen ſtand zukommen/ wo ſie taͤglich alsdann mit freuden
ihr angeſicht zu dem himmliſchen Vater auffrichten/ durch das blut JEſu Chriſti
abgewaſchen werden/ und mit beruhigem hertzen ihre lebens-zeit ihm dienen/ end-
lich aber zu ſeiner zeit in die herrlichkeit ſeliglich eingehen moͤgen. Jn welcher die-
ſelbe dermaleins gewiß zuſehen/ das vornehmſte iſt/ damit meine aus tieffſtem
grund der ſeelen gehende wuͤnſche verſigle: und nechſt ſchließlicher empfehlung in
die ſchuͤtzende/ enthaltende und regierende gnade des Allerhoͤchſten verharre u. ſ. w.
Dreßden den Pfingſt dienſt. als den 2. Jun. 1691.


SECTIO VIII.


Aus meinervocationnach Berlin von einigen
gefaſten verdacht abgeleinet.


DJe widrige urtheile/ welche uͤber dieſe aͤnderung fallen wuͤrden/ habe ſelbs
lang vorgeſehen/ auch ſo vielmehr mich befliſſen/ daß in der gantzen ſache oh-
ne die geringſte mitwuͤrckung mich bloß paſſive hielte/ um des goͤttlichen wil-
lens zu meinen eigenem troſt und ſchutz gegen die jenige/ welche ungleich davon
ſprechen moͤchten/ deſto vꝛrſicherter zu ſeyen. Wie nun gewiß iſt/ daß mit allen auch
an ſich ſelbs guͤltigſten gruͤnden nicht allen leuten in dieſer ſache von mir eine gnuͤge
geſehen kan/ am wenigſten aber die jenige falſche bruͤder/ ſo mir ohne das in unſrem
ordine feind ſind/ und nur nach anlaß zu laͤſtern und uͤbel zu urtheilen verlangen/
ſich dieſe entreiſſen werden laſſen wollen/ ſo bin ich gleichwol nicht nur verſichert
vor
[873]ARTIC. III. SECTIO VIII.
vor mich ſelbs/ daß ich mit gutem gewiſſen hieher gekont/ ja gemuſthabe/ ſondern
traue auch allen denen/ welche einige billichkeit bey ſich haben/ voͤllige ſatisfacti-
on
darinnen zu geben.


Dann 1. bin ich beruffen zu einer Evangeliſchen Lutheriſchen kirchen/ dero
ich nicht nur das reine wort GOttes zu predigen gewiſſens halben verbunden bin/
ſondern auch ſelbs die Churf. beruffung mich nicht auff die Reformiꝛte lehr/ ſon-
dern die Augſpurgiſche Confesſion, verweiſet.


2. Stehet es gleichwol mit der freyheit der Evangeliſchen kirchen dieſer lan-
de anders/ als man auſſen davon meiſtens berichtet iſt oder glaubet: Dann es ſte-
het frey und geſchicht taͤglich in dieſer ſtatt und gantzen lande/ daß nicht allein die
Evangeliſche wahrheit in theſi vorgetragen und befeſtiget/ ſondern auch die an-
titheſis
gehandelt/ abſonderlich den Reformirten meinungen nahmentlich ange-
fuͤhret und gruͤndlich wiederle get/ auch die wichtigkeit der ſtreit-fragen und gefahr
der irrthuͤme gezeiget werden doͤrffen/ und werden: nuꝛ daß es mit beſcheidenheit/
ohne bittere wort/ andichtung der conſequenzien, ob waͤre ſolches ihre eigene leh-
re/ geſchehe/ und nicht zu allen zeiten in allen predigten die Reformirten mit haaren
herbey gezogen werden. Daher ich mich verſichere/ daß ich hier/ und ob einige-
mal Sr. Churf. Duꝛchl. ſelbs zu gegen ſeyen ſolten/ alſo werde predigen und re-
den doͤrffen/ als ich in der ſchloß-capelle zu Dreßden gepfleget habe.


3. Hat ja jeglicher ſo unſerer geſamten kirchen wohlfahrt verlanget/ dazu wir
gleichwol alle verbunden ſind/ auch dieſer Maͤrckiſchen Evangeliſchen kirchen beſtes
hertzlich zu wuͤnſchen und ſo viel an ihnen waͤre/ auch gern mit zubefordern/ deswe-
gen ihnen auch ſolche lehrer/ die das wort des HErrn mit krafft treiben moͤgen/ zu
goͤnnen ſind/ ja gern zu ſehen iſt/ daß ſie auch der jenigen/ welche vor andern ein
mehrers pfund empfangen haͤtten (ſo von mir eben nicht ruͤhmen kan) dienſtes/ deſ-
ſen ſie vor andern/ wo man ſie vor gedruckte kirchen halten wolte/ bedoͤrfftig waͤ-
ren/ theilhafftig werden moͤchten. Weswegen dann welche dahin warhafftig
von GOTT beruffen werden/ um des beſchwerlichen zuſtands der kirchen wil-
len/ ſich von den beruff ſo gar nicht abziehen laſſen doͤrfften/ daß vielmehr das anſe-
hen deſſelben ſie zur folge ſo vielmehr verbindet. Andere aber haben wiederum ſo
gar nicht macht/ daß ſie deswegen ſie mit verdacht beladen/ daß ſie vielmehr ſich
verbunden ſolten erkennen/ voꝛ ſie deſto hertzlicher zu bitten/ und ſie ſo vielmehr zu
lieben/ da ſie vor andere ſich inmehr gefahr um des wercks des HErrn willen be-
geben muͤßten. Hingegen welche die jenige/ ſo ſich zu einer kirchen ziehen laſſen/
die unter anderer religion herrſchafft die wahrheit bekennet/ um ſolcher urſach wil-
len uͤbel anſehen/ und mit verdacht beſchwehren wollen/ zeigen/ daß ſie dann ſol-
che kirchen denen widrigen lieber gern in die haͤnde geben wolten/ wo ſie nemlich ih-
nen keine andere lehrer goͤnneten/ als welche bey anderen gemeinden keinen platz
vor ſich finden koͤnten. Welches je ſchnurſtracks wider die ehre GOttes/ der ge-
S ſ ſ ſ ſſam-
[874]Das ſechſte Capitel.
ſamten kirchen wolfahrt und die liebe ſtreiten wuͤrde. Da hingegen andere reli-
gions genoſſen/ ſonderlich die Papiſten/ an die jenige ort/ wo ſie gedruckt werden/
am liebſten ihre tuͤchtigſte leute ſenden/ und ſolches dem intereſſe der religion ge-
maͤß achten.


4. So bin ich auch nicht zu dieſer ſtelle aus eigenem rath oder willkuͤhr gegan-
gen/ daß ein ſonderlich verlangen unter denen Reformirten zu ſeyn mich dazu bewo-
gen haͤtte/ ſondern ohne einiges mein zuthun bin ich von einem Churfuͤrſten beruf-
fen/ von dem andern ausdruͤcklich demſelben uͤberlaſſen worden/ deswegen einiger
verdacht auch nur mit einem ſchein der billigkeit auff mich nicht gefaſt zu werden
vermag.


5. Das Conſiſtorium belangend/ iſt ſolches von beyderſeits religionen zu-
gleich beſetzet wiewol da ich jetzo darzu beruffen nunmehr zwey Theologi unſerer
religion darinnen ſein werden/ da nur ein Reformirter darinnen ſitzet/ man moͤchte
dann auch extra ordinem noch einen Reformirten jetzo beyfuͤgen. Aller dieſer ur-
ſachen bedarff es bey meinem hochgeehrten Herrn nicht/ als der ohne das beſſer ur-
theilet/ ich habe ſie aber anfuͤhren wollen/ damit wie ich mich verſichert halte/
derſelbe werde gern in ſolcher ſache vor mich ſprechen/ das jenige ſo ich anfuͤge an-
dern zu deſto beſſern nachricht hinwiederum vorgeſtellet merden koͤnte. Der HErr
verleihe mir nur ſeines heiligen Geiſtes gnade und krafft/ daß ich einige ſeelen ge-
winne/ ſo mags nachmal mit andern urtheil gehen wie es wolle/ und bin ich ohne
das dergleichen von allen orten uͤber mich zuhoͤren/ lang gnung gewohnet. 11. Jun.
1691.


SECTIO IX.


An einen auchdimittirtenund anderwerts wie-
der beruffenen
Theologum.Jn Sachſen bin nicht ohne frucht
geblieben. Wiederſtand des guten von Univerſitaͤten.
D.
Carpzovius.
Berliniſche ſtelle bewandnuͤß. Man will al-
lenthalben die warheit weiter als zu einem
moral -leben
nicht leyden.
Gratulationzum neuen
amt.


JN Sachſen/ wohin mich der HErr auch voꝛher gefuͤhret/ und nun wieder
ausgefuͤhret hat/ geweſen zu ſeyen/ reuet mich nicht/ ſo wol wegen des auch
dahin gehabten goͤttlichen ruffs/ als auch daß der himmliſche Vater meinen
armen dienſt daſelbſt nicht ohne ſegen gelaſſen hat/ dann ob ich wol leider weder ruͤh-
men kan/ daß ich zeit meines anweſens alles das jenige erfuͤllet haͤtte/ was treue
und
[875]ARTIC. III. SECTIO IX.
und fleiß von uns fordern kan/ noch auch ſehe/ daß eine mercklich allgemeine aͤnde-
rung erfolget waͤre/ dero das allzu tieffe verderben zu dieſer zeit des gerichts noch
zu ſtarck entgegen ſtehet/ ſo manglets gleichwol nicht an mehrern ſeelen/ welche
dem HErrn dancken/ daß er zeit meines anweſens ihnen die augen weiter geoͤffnet
und ſein wort in ihnen lebendig und fruchtbar gemachet habe: ſonderlich iſt nicht zu
leugnen/ daß gleichwol inner ſolcher zeit nicht nur in Dreßden ſondern auch dem
gantzen lande eine ſtarcke bewegung erreget worden/ daß man insgemein hat an-
fangen etwas mehr aus dem ſchlaff auff zu wachen/ und zu ſehen/ daß nach GOt-
tes wort ein mehrers/ als man insgemein ſehe/ eꝛfordert werde/ daruͤber eines
theils/ welchen ſolches liecht in den augen wehe that/ ſich demſelben deſtomehr wi-
derſetzet und des wegen es auszuloͤſchen getrachtet/ aber doch ihr gewiſſen nicht voͤllig
zuſtillen vermocht/ andere aber/ ſo ſich von denſelben bewegen laſſen/ es anzuneh-
men und andern auch vorzutragen/ oder doch gut davon zureden/ ſich beflieſſen ha-
ben.


Daher unter denen Predigern hin und wieder gleichwol mehr von dem recht-
ſchaffen Chriſtenthum und der heiligung zu handlen angefangen iſt worden/ ſorg-
lich zwar von einigen auch nur zum ſchein und ſich in credit zu ſetzen/ von andern a-
ber auch aus redlichen hertzen/ dero eyffer hoffentlich nicht wiederum erkalten ſon-
dern durch GOttes gnade ferner entbrennen wird. Alſo daß ich des guten ver-
trauens gelebe/ der HErr habe eine gute ſaat ausgeſtreuet/ welche in ſeinem ſee-
gen noch immer weiter biß zu einer ꝛeiffen erndte erwachſen werde/ ohnerachtet eini-
ger ſchweren wetter/ welche ich fuͤrchte/ von einigen gegen das wachsthum des gu-
ten bald erreget zu werden: jedoch wird der HErr vor ſeine ehre und die ſeelen de-
rer die ihn lieben/ hertzlich ſorgen/ und ſie zu beſchuͤtzen/ ja bey denen wo allein ein
weniger anfang gemachet worden/ auch dieſen durch ſeine krafft durchbrechen laſ-
ſen/ weil es je nicht unſer ſondern ſein werck iſt/ darum wir ihn auch hertzlich und
unablaͤßig anruffen wollen/ daß er doch dermaleines zeige/ er ſeye noch richter auff
erden/ und maͤchtiger ſeine ſache und ſeines reichs wachsthum zuvertheidigen/ als
der Fuͤrſt dieſer welt alles ſolches zu unterdrucken/ deſſen gewalt ſich einmal zu en-
de neigen muß.


Auff denen Univerſitaͤten iſt bißdaher meiſtens der beforderung des guten/
wiewohl allein durch etlicher/ ſo ſich eine autoritaͤt gemachet/ und vor denen die uͤ-
brige nicht viel ſagen doͤrffen/ widerſpruch und hartnaͤckigkeit widerſtanden wor-
den/ daher auch Herr D. Carpzovius Prof. zu Leipzig/ da er vorher mich mit
mehrer ſubmiſſion, als gern habe zugeben moͤgen verehret haͤtte/ ſich deſſen/ daß
von dem als 1689. auff den bußtag 22. Febr. an Sr. Churf. Durchl. krafft meines
beicht-vater amts noͤthige erinnerung/ und zwar (nach dem exempel meiner ſelig n
anteceſſorum Herr D. Wellers und Herr D. Geiers) ſchrifftlich gethan/ und
deroſelbẽ mit beybehaltenem unterthaͤnigſten reſpect den zuſtand dero ſeele beweg-
S ſ ſ ſ ſ 2lich
[876]Das ſechſte Capitel.
lich und weitlaͤufftig vorgeſtellet hatte/ dadurch in ungnade gefallen/ die ſich im-
mer durch einblaſen gehaͤßiger leute vermehret/ und daher bey hoff ohne ſchutz waͤ-
re/ dazu mißbrauchet hat/ daß er mich/ als dem er alles zuſchriebe/ was andere ge-
than haͤtten/ zu mehrern malen/ ſonderlich in predigten/ ſo dann dreyen program-
matibus,
ſo dazu ſub nomine Rectoris und alſo academiæ publibiret worden/
zum hefftigſten angegriffen/ und vielerley dinge beſchuldigt/ da ich hingegen wie-
der ihn ohne ſchutz geblieben bin. Nun der HErr hat ihm auch ſolches zur uͤbung und
pruͤffung meiner gedult zu gelaſſen. Dem bleibe deswegen auch ſchuldiges danck-
bares lob/ und ihm alles zu ſeiner gnade empfohlen.


Die hieſige ſtelle anlangend/ ob ſie wol unterſchiedlicher bekanter urſachen
willen nicht wenig gefaͤhrlich iſt/ und ich wol vorſehe/ daß es an allerhand wider-
wertigkeiten nicht manglen wird/ ſehe gleichwol auch alſo an/ daß ſich vieles gutes
in derſelben werde ausrichten laſſen. Wie ich dann ſo wol wegen des gewiß goͤtt-
lichen beruffs/ da wieder aller auch ſonſten kluger ſtaats-leute vermuthen das werck
dieſen ausgang nehmen muͤſſen/ aber eben dardurch der unhintertreibliche rath des
HErrn ſich ſo viel verſicherter offenbahret hat/ der dann deswegen nicht anders
als guͤtig und weiſe ſeyen kan und muß/ als auch wegen anderer umſtaͤnde/ der troͤſt-
lichen zuverſicht gelebe/ daß mir eine weitere thuͤr des guten hieſigen orts geoͤffnet
werden ſolle/ u. mir der HErr einen reichern ſegen beſtimmet haben werde. Er gebe
mir doch dazu ſeinẽ h. Geiſt in dem jenigẽ maß als die ſtelle erfordert/ weder aus man
gel noͤthiger klugheit in etwas anzuſtoſſen/ u. dẽ wort ſelbs eine hindernuͤß zu machẽ/
noch ſonſten aus forcht oder nachlaͤßigkeit etwas noͤthiges zuverſaͤumẽ. Welche noͤ-
thige gaben aber Chriſtliche mit-bruͤder mir auch mit ihrem gebet erbitten zu helffen
gebeten werden. Jm uͤbrigen haben wir ja hertzlich zu bejam̃ern den zuſtand unſerer
armen kirchen/ da es nun dahin gekommen/ daß man die warheit faſt nirgend mehr
leiden will/ ſonderlich wo mans nicht bey dem ſchelten auff dieſes und jenes beſondern
laſter bleiben laͤſſet/ ſondern die wurtzel und den ſtamm/ von welchem jene boͤſe
fruͤchten herkommen/ ſelbs angreifft/ und die rechte innere hertzens-buß und einen
gantz andren ſinn/ als der menſch von natur hat/ folglich die gruͤndliche verleugnung
ſeiner ſelbs/ als etwas das bloſſer dings nothwendig ſeye/ erfordert: Dañ darwieder
ſtreubet ſich der alte Adã am allermeiſten/ der ſonſten noch wohl leidet/ daß man ein
moral-leben treibe/ und ſich auch/ wo man etwas grob verſehen hat/ zu einer corre-
ction
daruͤber verſtehet/ nur daß man nicht gar ſeinen todt fordere/ ſondern eine ſol-
che buß gelten laſſe/ welche bey ſeinem leben ſtehen koͤnne. Sonderlich aber ha-
ben wir zu bedauren den verfall unſeres ordinis, nach dem wir ſehen/ und an eige-
nem exempel mehrmahl ſelbs erfahrenhaben/ daß die jenige/ ſo aus doppelter
pflicht das gute befordern ſolten/ die jenige ſeyen/ welche mit nachlaͤßiger und der
welt-art ſich bequemender lehr/ ſchmeicheley und traͤgheit/ ſo dann fleiſchlichem le-
ben/ der beforderung des guten am meiſten entgegen ſtehen/ deßwegen aber auch
de-
[877]ARTIC. III. SECTIO IX.
denen jenigen/ welche ſie das werck des HERRN mit mehrern ernſt angelegen
ſeyen laſſen ſich am hefftigſten widerſetzen/ und wie ſie koͤnneu ſie zu unterdrucken ſu-
chen/ dergleichen exempel ich faſt/ wohin ich mich nur wende/ mit hertzlichſter betruͤb-
nuͤß aller orten ſehen muß/ und daraus des ſchrecklichſten gerichts GOttes uͤber
unſre kirche/ welches ſo wol uͤber derſelben bereits ſchwebet/ als ſich noch ferner uͤ-
ber ſie ergieſſen mag/ anzeige nehme. Ach daß der HERR kaͤme/ und erſtlich
die kinder Levi reinigte/ ſo wolte hoffen/ es wuͤrde auch alsdann mit den uͤbrigen
ſtaͤnden ſich ſo viel eher zur beſſerung geben. Nun wir wollen zu dem HERRN
tag und nacht ſeufftzen/ biß er ſich ſeines armen Zions erbarme/ und es wider auff
ihm gefaͤllige art baue/ ſolcher zeit aber auch mit glaͤubiger gedult in ſeiner krafft er-
warten.


Meinen wertheſten bruder gratulire nochmahl hertzlich vor ſeinen vielfa-
chen ſieg/ ſo wohl in uͤberzeigung und gewinnung vieler ſeelen/ durch die krafft des
worts/ welche auch nach ſeinen abſchied von vorigen ort ferner das angefangene
fortſetzen wird/ als in beſchaͤmung der jenigen ſo ſich der wahꝛheit in allerleyſtaͤnden
widerſetzet/ aber eben damit allezeit ihre ſchande nur mehr offenbahret/ und wie ſie
dieſelbe in ihrem gewiſſen widerwillen fuͤhlen bezeiget haben: ferner erkenne auch
ſolchen ſieg in deme/ da er vor der welt uͤberwunden zu ſeyen geſchiehnen/ aber vor
GOttes und des glaubens (ſo immer widerſinniſch urtheilet) augen wahꝛhafftig die
welchen er weichet uͤberwunden hat/ ſo dann in dem neuen beruff/ welchen GOttes
guͤte zur confuſion deren/ ſo ihn auszuſtoſſen veranlaſſet haben/ ihm wieder zu ge-
ſant/ und eine ſolche ſtelle angewieſen hat/ in dero ich auch demſelben unvergleichlich
mehr gelegenheit des guten und krafft damit durchzudringen gegeben zu werden
nicht zweiffele/ auch um Goͤttliches liecht/ ſchutz und ſegen/ welche zu denen nun
auffgetragenen aͤmtern erfordert werden/ zu dem HERRN zu flehen taͤglich nicht
unterlaſſen will: ſonderlich aber/ daß er/ ſo der GOTT der liebe iſt/ liebe und ver-
trauen in die hertzen der jenigen/ zu welchen er ihn nunmehr ſendet/ meiſtens wel-
che mit ihm zugleich an dem weinberg des reichs GOttes arbeiten ſollen/ durch ſei-
nen Geiſt geben/ und ſie alſo mit ihm hertzlich verbinden wolle/ damit ſie ſo wol das
Goͤttliche wort aus ſeinem munde gehorſamlich annehmen/ als auch bruͤderlich zu
dem gemeinen werck hand mit anlegen/ und alſo deſto mehrer ſegen folgen moͤgen.
Nun der HERR erfuͤlle an ihm/ an ihren orten/ und bey uns allen alles/ wordurch
ſein nahme mehr und mehr verherlichet und ſein reich ſo befeſtiget alsfort gepflan-
tzet werden moͤge.


11. Jun. 1691.


S ſſ ſſ 3SECT.
[878]Das ſechſte Capitel.

SECTIO X.


Unbillichkeit derTheologorum/ die einſchis-
ma intendiren.


WAs Ew. Excellenz ſorget/ gewinnet ley der das anſehen/ als wenn einige
ein ſchisma intendirten/ nehmlich daß gewiſſe unſers Ordinis, welche
fleiſchlich geſinnet ſind/ auff allerley art und weiſe trachten doͤrfften/ ande-
re/ die mit ihnen dem ſinne nach nicht einſtimmen/ ſo viel ihnen muͤglich ſeyen wird/
auszuſtoſſen/ und weil ſie ſonſten ſolches nicht zu wercke richten koͤnnen/ als durch
falſche aufflagen/ und ſie irriger lehre zu beſchuldigen/ ſo werden ſie es auff dieſe
weiſe verſuchen welches ihnen menſchlicher weiſe ſo gar ſchwehr nicht weꝛden moͤchte
(wie ich laͤngſt gehoͤret/ daß ein vornehmer Theologus ſolte geſagt haben/ wenn
3. oder 4. Theologi, die in anſehen ſind/ zuſammen halten wolten/ daß ſie den vier-
ten/ oder fuͤnfften leicht zum ketzer machen koͤnten) aber ich hoffe/ eben dieſes/ was
dergleichen leute ſuchen/ ſolle ihnen nicht nur nicht angehen/ ſondern es ſolle gar
dasjenige ſeyen/ dadurch ſie ihre thorheit u. boßheit endlich jederman offenbahren
denen leuten aber die augen beſſer auffgehen/ und ſie zuletzt/ was ſie an dieſen oder
jenen haben/ deutlich erkennen werden/ auffs wenigſte muß dieſes/ ob ſichs verzoͤge/
und unſchuldige zimlich lange von anderer trotz leyden muͤſten/ der endliche ausgang
ſeyen/ und wird der HERR nicht immer den menſchen in der welt die uͤberhand laſ-
ſen/ ſondern daß er noch richter und meiſter auff erden ſeye mit krafft erzeigen/ dar-
auff wir mit gedult warten wollen 1691. 13. Jun.


SECTIO XI.


Das predigamt hat billig der zuhoͤrer unter ſich
anſtellende uͤbungen zu befoͤrdern und zu ſchuͤtzen. Man-
gel der kirchen
diſciplin.GOTTes rath
darinnen.


AM heꝛtzlichſtẽ hat mich ergoͤtzet/ u. daher mein gegẽ E. Wohl-Ehꝛw. u. gantzes
Ven. Miniſterium ihres orts tragendes vertrauen gemehret/ daß dieſelbe
meldet/ als des guten mannes (welches war der Johann Hirſch. ſiehe
Artic. II. Sect...) und ſeiner mit andern Chriſtlichen freunden anſtel[l]ender an-
dachtsuͤbungen wegen bey ihnen klage angebracht worden/ ob waͤren ſie halbe
Schwenckfelder/ daß dieſelbe nicht zugefahren/ ſondern die ſache unterſuchet/ und
nach dem ſie die perſonen/ buͤcher auch uͤbungen ohne rechtmaͤßigen verdacht ge-
fun-
[879]ARTIC. III. SECT. XI.
funden/ die liebe leute in ihren guten vorhaben nicht allein nicht gehindert/ ſondern
vielmehr gelobet und und befordert haben. Welche Vaͤterliche vorſorge vor das
geiſtliche wachsthum ihrer anvertrauten kirchkinder von ihnen ſo viel ruͤhmlicher
iſt/ als leider ſich an andern orten von einer zeit her ſo viele finden/ welche ſo bald ſich
nur einige ihrer zuhoͤrer ihrer Chriſtlichen pflicht nach um der erbauung willen zu-
ſammen thun/ ſich auffs hefftigſte widerſetzen/ und es vor dem gefaͤhrlichſten anfang
allerley ketzerey und ſchwaͤrmerey achten/ daher eher deroſelben zuſammenkuͤnfften
zu trincken und ſpielen als zu handlung Goͤttlichen worts leiden koͤnnen: gerad als
wenn das geiſtliche Prieſterthum mit ſeinen uͤbungen dem predigamt entgegen waͤ-
re/ oder dieſes ſich jenem widerſetzen muͤſte/ da ſie doch als zwey herrliche kleinoden
immer neben einander ſtehen ſolten. Es iſt nicht zu ſagen/ was vor ſchaden jener
blinde eiffer unbeſonnener prediger thut/ in dem Gottſelige hertzen denen in ihren
loͤblichen vorhaben einhalt geſchiehet/ und ſie an ſtatt des lobes geſcholten werden/
daruͤber inniglich betruͤbt und irre gemacht/ andere nachlaͤßige in ihrer traͤgheit ge-
ſtaͤrcket/ offenbahre weltkinder zulaͤſtern veranlaſſet werden/ daraus nichts anders
als ſchwere gerichte GOttes uͤber unſere kirche zu erwarten ſind/ und ſorglich bald
ausbrechen werden. Ach daß wir ſtets an die wort Pauli gedaͤchten: Den Geiſt
daͤmpffet nicht:
und Moſis: Wolte GOTT daß alles volck des HErrn
weiſſaget/ und der HERR ſeinen Geiſt uͤber ſie gebe.
Wo zu es gleichwol
auch noch nach ſeiner verheiſſung kommen ſolte.


Was ferner geliebter bruder klaget uͤber des Politiſchen Antichriſts eingriff
und daher ſich bey unſerer kirchen befindenden mangel der kirchen diſciplin/ iſts
freylich auch eine gerechte klage/ aber menſchlicher weiſe nicht abzuſehen/ wie zuhelf-
fen ſeye/ ſondern es gehoͤret nur Goͤttliche krafft darzu/ zurecht zu bringen/ was
durch und durch verdorben iſt; Daher ich offt in die furcht gerathen/ nachdem
unſre kirch dermaſſen verdorben/ daß kein flicken mehr hilfft/ GOTT werde unſer
gebaͤu mit einander niederſchmeiſſen/ und aus der beyſeit gebrachten ſteinen/ es ſo
viel herrlicher wider auffrichten. Dabey erinnere ich mich/ wie einmahl ein
Gottſeliger freund es vor eine heilige verhaͤngnuͤß GOttes hielte/ daß die haͤnde
dem predigamt wegen der diſciplin von der Obrigkeit dermaſſen gehemmet waͤ-
ren/ weil leider die meiſte Prediger ſich einer mehrer macht/ da ſie dieſelbe haͤtren/
eher miß- und zur ausuͤbung ihrer affecten/ als recht und zu der ſeelen beſten ge-
brauchen wuͤrden. Jch habe der ſache ſeither offt nachgedacht/ und ſolche gedan-
cken nicht ungegruͤndet/ und gewiß die meiſte unſers ordens von ſolchen ſinn befun-
den/ daß ihnen eine freyere gewalt in ſolchem wichtigen werck zu geben nicht nuͤtz-
lich waͤre. Wie dann die zeit uͤber in Sachſen bey dem Ober-Conſiſtorio ſo viele
klagen uͤber die Prediger/ da dieſelbe in amts-geſchaͤfften ihre affecten herrſchen
laſſen/ erfahren habe/ daß daraus ſchlieſſen koͤnnen/ wo ſie nicht eine andere gewalt
uͤber ſich haͤtten/ vor dero ſtraff ſie ſich fuͤrchten muͤſten/ wie unertraͤglich derſelben
herr-
[880]Das ſechſte Capitel.
herrſchafft nicht ſo wol den wahrhafftig aͤrgerlichen/ als manchmahl den jenigen/ de-
nen ſie ſonſten nicht gut ſind/ fallen wuͤrde. Nun der HERR gebe uns mehr
und mehr hirten nach ſeinen hertzen/ ſo wird auch denſelben mit ſamt ihren gemein-
den von ſeiner guͤte und weißheit der freye gebrauch ihrer rechten widerum ſicher
gegeben werden/ und laſſe ſeine ehre und wahrheit aller orten maͤchtiglich durchbre-
chen. 18. Jul. 1691.


SECTIO XII.


Nach dem tod Churfuͤrſt Joh. Georg.III.zu
Sachſen unterthaͤnigſt condolenz-ſchreiben und wunſch
zur angetretenen [regierung] an Churfuͤrſt Joh.
Georg den
IV.


Goͤttliche gnade/ friede/ troſt/ rath/ heil/ ſegen und leben von unſren
treueſten Heiland JESU CHRJSTO zu aller hohen wohlfahr[t]
und begluͤckten regierung!


Durchlauchtigſter Fuͤrſt/
Gnaͤdigſter Churfuͤrſt und Herr.

DAß es dem Allerhoͤchſten HERRN uͤber leben und tod nach ſeinem uner-
forſchlichen rath gefaͤllig geweſen ſeye/ den Weyland Durchl. Fuͤrſten und
Herrn/ Herrn Johann Georg den III. Hertzog zu Sachſen/ Juͤlich/ Clev/
und Berg/ des heiligen Roͤmiſchen Reichs Ertz-Marſchalln und Churfuͤrſten. ꝛc. ꝛe.
Ew. Churfuͤrſtlichen Durchl. geliebteſten Herrn Vater/ in Tuͤbingen juͤngſthin
aus dieſer zeitlichkeit abzufordern/ iſt geſtern mit der poſt das zweitemahl (da der
erſten nicht voͤlliger glaube noch zugeſtellet wurde) berichtet worden. Wie nun
nechſt den allgemeinen leidweſens und ſchreckens der dieſer fall in dem gantzen reich/
vornehmlich wegengegenwaͤrtiger conjuncturen eꝛwecket haben wird/ abſonderl.
E. Churfuͤrſtl. Durchl. aus Soͤhnlicher und natuͤrlicher liebe uͤber ſolchen abſchied
dero ſchmertzen empfunden hat/ alſo habe auch ich billich meine Chriſtliche condo-
lenz
in unterthaͤnigſter demuth hiemit von hertzen bezeugen ſollen. Jch achte mich
aber deſſen dabey verſichert/ daß der himmliſche Vater/ ſo dieſen fall nach ſeinem
heiligen willen geſchicket hat Ew. Churfuͤrſtl. Durchl. mit der jenigen Chriſtfuͤrſt-
lichen beſtaͤndigkeit und gedult geſtaͤrcket haben werde/ ſich auch in deroſelben der
obriſten verordnung deſſen/ in deſſen hand unſre aller leben ſtehet/ und der alle au-
gen
[881]ARTIC. III. SECTIO XII.
genblick uns die jenige/ welche wir hertzlich lieben/ zu entziehen und von uns abzu-
fordern macht hat/ gehorſam und mit geziehmender gelaſſenheit unterworffen ha-
ben werde; wie dann ſeine kraͤfftigſte hand noch ferner die geſchlagene wunde
mit dem troſtbalſam ſeines heiligen Geiſtes heilen/ und zu ſolchem ende ſo wol die
lebendi[g]e erkaͤntnuͤß gedachtes ſeines willenstieff in dero hertz eindrucken/ als auch
die himmliſche gnade/ welche dero Hochſel. Herrn Vater widerfahren iſt (daß ihm
vor dem abſchied einige wochen zur ſeligen vorbereitung und bußfertiger uͤberden-
ckung des vorigen lebens aus groſſeꝛ barmhertzigkeit gegoͤnnet worden ſind/ ich auch
dieſelbe durch des heiligen Geiſtes wuͤrckung hoffen will/ nach dem mir keine ſpe-
cialia
noch bekant ſind worden/ wohl und heilſamlich angewendet worden zu ſeyen)
alſo kraͤfftig vor augen ſtellen wolle/ daß dardurch das gemuͤth in dem trauren maß
zuhalten geziemlich befriediget werde. Warum ich dann auch/ wie nicht weniger
daß ſolcher groſſe GOTT durch ſeine allmacht Ew. Churfuͤ[r]ſtl. Durchl. zu dero
alter/ die dem wehrteſten Herrn Vater (ſo das Vaͤter-Muͤtter-auch allerſeits
Groß-Vaͤter- und Muͤtterliche maß bey weitem nicht erreichet) abgekuͤrtzete jahre
ferner gnaͤdigſt zuſetzen/ alle weitere betruͤbte eingriffe von dero hohen Churhauſe
(ſo ohne daß wenig mehr zu zuſetzen hat) maͤchtigſtlich abwenden/ vornehml. aber die
numehr antretende regierung von himmel herab mildigſt ſegnen/ und dieſelbe mit
dem dazu noͤthigen Geiſt/ weißheit und gaben reichlichſt erfuͤllen wolle/ deſſen ewi-
ge liebe demuͤthig anflehe. Wann aber dieſes das erſtemahl Ew. Churfuͤrſtl.
Durchl. in dieſen zuſtand unterthaͤnigſt zu zuſchreiben ich die gnade habe/ ſo
trage auch das unter thaͤnigſte vertrauen/ daß dieſelbe gnaͤdigſt ausnehmen werde/
wo in meinung des vormahls getragenen Characteris dero unwuͤrdigen beicht-
vaters und aus gedaͤchtnuͤß dero gegen mich allzeit gnaͤdigſt bezeigten vertrauens/
mich deſſen unterſtehe/ wo von ich zwahr euſſerlich loßgeſprochen bin/ aber in mei-
ner ſeele mich aus ſchuldiger treue noch darzu verbunden erkenne/ nehmlich bey
nun antretender regierung mein hertz nochmahl bey deroſelben/ und zwar vor Got-
tes hei[li]gen angeſicht auszuſchuͤtten. Ew. Chur[f]uͤrſtliche Durchl. treten nach des
HERRN aller HERREN befehl die regierung an zimlich weitlaͤufftiger und
vieler lande und leute/ welche derſelbe mit vielem allerley aꝛt ſegen/ ſamt andeꝛn laͤn-
dern des reichs/ theils auch vor andern geſegnet hat/ aber welche Ew. Chuͤrfuͤrſtl.
Durchl. gewißlich nicht in dem ſtande finden/ wie ſie wuͤnſcheten. Den zuſtand
nach allen ſtuͤcken vorzuſtellen/ iſt nicht noͤthig/ ſondern es iſt/ wie mir wohl wiſſend/
und aus Ew. Churfuͤrſtl. Durchl. eigenem munde erinnerlich/ derſelben groſſen
theils bekont/ was in dem geiſtlichen und weltlichen vor maͤngel ſich befinden/ wel-
che/ wo nicht kraͤfftig gewehret/ und alles nach vermoͤgen gebeſſert wird/ freylich
das euſſerſte verderben und viele ſchreckliche gerichte bald nach ſich ziehen werden.
Alſo gedencken Ew. Churfuͤrſtl. Durchl. daß dieſelbe nicht zu einen wohlleben ſon-
dern einer der ſchwehrſten arbeiten von ihrem hoͤchſten Lehns-Herren/ und ſolches
T t t t tzur
[882]Das ſechſte Capitel.
zur gefaͤhrlichſten zeit/ geſetzet ſeyen/ der nun von deroſelben eine probe fordere dero
treue/ und wie ſie das jenige/ wodurch ſeine himmliſche guͤte ſie hierauff lange be-
reitet hat/ hinkuͤnfftig anwenden werde. Hieran ligt deroſelben zeitlich und ewi-
ges heil: Hingegen iſt dieſe regierung ein ſolches werck/ welches unmuͤglich mit
menſchliſcher klugheit und krafft gluͤcklich gefuͤhret werden kan/ ſondern es muß
GOTT der Hoͤchſte herſcher ſolches thun/ und wird Ew. Churfuͤrſtliche Duꝛchl.
als dann ein begluͤckter und ſeliger Regent ſeyen/ wo ſie nichts anders thut/ als daß
ſie ein werckzeug ſich ihren GOTT darſtelle/ der alles durch ſie wuͤrcke. Alſo
bleibet je dieſes das erſte und wichtigſte/ daß Ew. Churfuͤrſtl. Durchl. ſo wol ihren
GOTT und deſſen ehr zu den erſten und letzten zweck alles ihres lebens und regie-
rung/ zu welchem das uͤbrige gerichtet werde/ ſich vorſetze/ als beflieſſener un-
ausſetzlichen vor ihre eigene hohe perſon in dem ſtande zu bleiben/ darinnen GOtt
in deroſelben ſeele wohne/ und ſie zu einem gefaͤß ſeiner gnade allezeit behalte. Ge-
ſchiehet dieſes/ ſo kans unmuͤglich daran manglen/ daß nicht die regierung in allen er-
wuͤnſchet ſeye.


Es werden Ew. Churfuͤrſtlichen Durchl. lande anvertrauet/ darinnen un-
ſer him̃liſche Vater vor mehr als anderthalb hundert jahren/ das liecht ſeines Ev-
angelii angezuͤndet/ und ſeither die reine lehr ohne untermiſchung gefaͤhrlicher irr-
thum erhalten hat. Aber ach daß ich auch aus der erfahꝛung der zeit/ die ich in demſel-
ben nach des HErrn willen zugebracht habe/ richten koͤnte/ daß ſolche reine lehre/
wie in den kirchen bekantnuͤſſen und etwa predigten/ alſo auch den hertzen der mei-
ſten unterthanen mit ihren heiligen fruͤchten ſich finden moͤchte/ und nicht billich die
klage gefuͤhret werden muͤſſte/ daß nicht allein die erkaͤntnuͤß GOttes in denſelben
bey der gemeinde weit geringer ſeye/ als man gedencken ſolte/ ſondern auch bey den
jenigen/ welche dieſelbe fuͤhren ſollen/ groſſer mangel ſich find; wie vielleicht Ew.
Churfuͤrſtl. Durchl. ſelbs bereits nicht einmahl vieles beobachtet haben wird/ wie
kirchen/ academien und ſchulen dero lande bey weitem nicht in dem florirenden
ſtand ſtehen/ wie ſie ſolten und koͤnten/ ja derer nicht wenig ſeynd/ diẽ was ſie zu be-
foͤrdern verbunden/ mehr und lieber hindern.


Durchl. Churfuͤrſt/ wo Ew. Churfuͤrſtl. Durchl. ſich von dero gnade ihres
GOttes alſo regieren laͤſſt/ daß ihre erſte ſorge ſeye/ dieſem nach allen vermoͤgen/
als auch in dieſem menſchlichen weſen geſchehehen kan/ ſeine ehre wider zu geben/
und die uͤbung der wahren Gottſeligkeit/ als die krafft und zweck der reinen lehre/
recht empor und in ſchwang zu bringen/ ſo wird damit der feſteſte gꝛund geleget wer-
den dero eigenen und dero lande zeitlichen und ewigen wolweſens. Hiezu will auch
gehoͤren eine genaue und und vor Gott fleißig anſtellende unterſuchung vieler dinge/
die in dergleichen materie eine zeitlang vorgegangen ſind/ viele tauſend ſeufftzen/
GOtt angenehmen ſeelen ausgetrucket haben/ und Ew. Churfuͤrſtl. Durchlauch-
tigkeit
[883]ARTIC. III. SECTIO XII.
tigkeit zum theil zimlich bekant worden ſind: dardurch ich nicht ohne urſach ſorge/
daß nicht weniger fluch herbey gezogen worden/ welchen hingegen Ew. Churfuͤrſtl.
Durchlauchtigkeit widerum abthuende/ ſich am vortrefflichſten um dero lande und
das reich GOttes verdienet machen/ damit tauſend danckſagungen gegen GOtt er-
wecken und ſegen auff ſich ziehen kan. Es wird aber auch neben dem Ew. Churf.
Durchl. die lande finden wegen des leiblichen voller klagens von lauter jam̃er/ ab-
nahm der nahrung in ſtaͤtten und lande/ allgemeine armuth/ und wie alles ſich tieff
herabneige/ da es hingegen an andern landen nicht mangelt/ von dero in nicht ſo
langer zeit mercklichen auffnahm und zuwachs nicht ohne grund geruͤhmet werden
kan. Da hat ſich Ew. Churfuͤrſtl. Durchl. zu verſichern/ alle nothleidende ſeuff-
tzen/ die auch nicht vor dero ohren kommen/ gehen doch in gewiſſer maß auff ſie/ und
fordern vor GOtt von derſelben/ die urſachen des uͤbelſtandes ſorgfaͤltig zu unter-
ſuchen/ und ohne anſehen der perſon kraͤfftig zu remediren: Wie ich nun nicht
zweiffle/ daß Ew. Churfuͤrſtliche Durchl. mit ſolchen loͤblichen vorſatz dero thron
beſteigen/ ſo wuͤnſche und hoffe auch ernſtlichen und unermuͤdeten fleiß denſelben zu
bewerckſtelligen. Weil aber eine perſon zu dergleichen ſchwehren regierungs ge-
ſchaͤfften unmuͤglich gnug iſt/ ſondern deswegen groſſe Regenten auch ihre vorneh-
me bediente haben muͤſſen/ mit denen ſie die regierungs und ſorgen-laſt theilen/ die
ihre augen/ ohren und haͤnde ſind/ verbunden mit rath u. beyſtand ihnen zur ſeiten
zu ſeyen/ ſo iſt eines angehenden Regenten vornehmſte angelegenheit billich/ nechſt
dem was ſeine eigene hohe perſon betrifft/ daß er tuͤchtige leute ſich darzu erwehle.
Will nun Ew. Churfuͤrſtl. Durchl. eine rechte unpartheyiſche regel haben/ nach
dero ſie abzumeſſen/ welcherley leute zu dero dienſten die capabelſte ſind/ ſo finden
ſie keine beſſere als in dem 101. Pſalmen (welchen Ew. Churfuͤſtl. Durchl. wo es
nicht taͤglich ſolte ſeyen koͤnnen/ auffs wenigſte woͤchenlich einmahl mit groſſen be-
dacht und anruffung GOttes leſen wolle/) dann da ſehen ſie/ was vor leute Da-
vid/ der mit groſſen vergnuͤgen und vielen ſegen das volck Jſrael regieret hat an ſei-
ren hoff und zu ſeiner regierung genommen/ andern Regenten aber damit ein exem-
pel gelaſſen habe/ ja was der heilige Geiſt durch Davids feder zur nachfolge der
kuͤnfftigen zeiten auffzeichnen habe [l]aſſen. Ew. Churfuͤrſtl. Durchl. aber ſe-
hen/ wie die vornehmſte qualitaͤt/ die er an ſeinen bedienten erfordert/ geweſen/ daß
er gern fromme diener gehabt/ und ſeine augen nach den treuen (oder nach den
glaubigen) in dem lande geſehen/ darmit ſie bey ihn wohneten: hingegen bezeuget
er/ daß er nicht um ſich leiden moͤge die uͤbertreter/ verkehrte hertzen/ boͤſe menſchen/
ſolche die den nechſten verleumden/ die ſtoltze geberden und hohen muth haben/ ja
auch alle falſche/ luͤgner und gottloſe. Was dieſer art geweſen iſt/ ſie ſeyen in
dem uͤbrigen von qualitaͤten geweſſt/ wie ſie wolten/ litte er nicht allein nicht um
ſich/ ſondern ſo viel an ihm war/ ſuchte er ſie gar zu vertilgen. Wird nun E.
Churfuͤrſtliche Durchlauchtigkeit ſtets ſolche leute um ſich haben/ und ſie deswe-
T t t t t 2gen
[884]Das ſechſte Capitel.
gen vor allen andern ſuchen/ ſo wird auch GOTT ſtets bey und um ſie ſeyen/ und es
gewiß an ſegen nicht manglen: Und kan dieſelbe ſich gewiß verſichern/ kein be-
ſtaͤndig treuer diener kan wol ſeyen/ auffs wenigſte man ſich nie gewiß auff ihn als
einen ſolchen verlaſſen/ der nicht von hertzen GOTT fuͤrchtet/ hingegen wer von
hertzen GOTT fuͤrchtet/ von deme kan ſich ein Herr unfehlbahrlich aller treue al-
lezeit verſichern/ ja er kan nicht untreu werden/ er laſſe dann nunmehr ſelbs ſeine
froͤmmigkeit fahren. Die urſach iſt dieſe/ es iſt die eigne liebe und alſo das eigue
intereſſe/ in dieſer unſrer verderbnuͤß nunmehr allzuſtarck bey den menſchen/ daß
es nicht anders als durch Goͤttliche krafft und alſo in wahrer gottſeligkeit uͤber-
wunden werden kan: alſo der auch ſonſten aus ehrlichkeit des gemuͤths und weltli-
cher tugend lange zeit treu iſt/ kan doch/ wo endlich das zeitliche intereſſe worinnen
es auch bey jeden beſtehen mag/ zuſtarck einleuchte[t]/ ſich von der treue auffs wenig-
in etwas abbeugen laſſen/ wo ihn nicht die wahre furcht GOttes/ die allein kraͤfftig
gnug iſt/ davon zuruͤcke haͤlt.


Alſo hat Ew. Churfuͤrſtliche Durchlauchtigkeit ihr lebtag niemand voͤllig/
ſonderlich in wichtigen dingen zu trauen/ von dem ſie nicht als viel geſchehen kan
ſihet/ daß er von grund der ſeelen GOtt fuͤrchte/ ſo viel weniger wo ſie klar ſihet/
daß keine furcht GOttes vorhanden ſeye: hingegen kan ſie ſich ſicher verlaſſen
auff die jenige/ dero ungeheuchelten Gottesfurcht proben verhanden ſind: bey de-
ro werck auch nach GOttes des HERRN verheiſſung allezeit ſegen iſt/ da der an-
dern gottloſigkeit auch uͤber ihre geſchaͤfften den fluch zeucht. Alſo kan Ew.
Churfuͤrſtl. Durchl. ferner daraus eine probe nehmen der treue ihrer Miniſtro-
rum
/ wo ihre confilia allezeit wahrhafftig Goͤttliche ehr und die gemeine wohl-
fahrt zum zweck haben. Jch weiß wohl/ daß leider aller orten dergleichen Mini-
ſtri
ſind/ welche daꝛiñen ihre treue zu zeigen meinen/ daß ſie alle anſchlaͤge richten/ wie
ſie reden/ nach dem intereſſe des Herrn/ wie nehmlich deſſen hoheit juraund intra-
den
/ durch allerley erfindungen immer moͤgen vergroͤſſert werden/ ob es wol ge-
ſchiehet mit ungerechtigkeit und der armen unterthanen unterdruͤckung. Wolte
GOTT es wuͤrden dergleichen leute nicht auch von den meiſten Regenten mit
willigen ohren angehoͤret/ und offt eben deswegen vor die treuſte gehalten: da doch
gewißlich dieſes die groͤſſeſte untreue iſt/ ſeinen Herrn in dergleichen dinge einzu-
wickeln/ dardurch uͤber denſelben und gantzes hauß GOttes zorn erwecket/ viel tau-
ſend ſeutzen erreget/ dadurch der fluch herbey gezogen/ aller ſegen hingegen vertrie-
ben wird. Und iſt gewiß dieſes ein verfluchter und ſchaͤdlicher nutz/ der ſo erſchreck-
lichen ſchaden nach ſich zeucht/ der jenige aber als ein verfluchter verraͤther zu ſchel-
ten/ welcher ſeinen Herrn nicht in weltlicher feinde haͤnde lieffert/ ſondern gar in
GOTT es zorn ſtuͤrtzet.


Jch trage aber das hertzliche vertꝛauen/ nachdem E. Churf. Durchl. verhof-
fentlich dieſes principium ſich feſt werden in das hertz gedruckt haben (als wel-
ches
[885]ARTIC. III. SECT. XII.
ches mit dem Chriſtenthum uͤbereinkommt) daß die unterthanen nicht um des Re-
genten willen/ oder deſſen hoheit/ ſchaͤtze und wolluͤſtiges leben zubefordern/ ſondern
die Regenten um der unteꝛthanen willen/ der mit dieſen unter dero ſchutz allezeit in
geiſt- und leiblichem wohl ſeye/ in der welt ſeye/ ſie werde auch dieſen feſten vorſatz
vor GOttes angeſicht gefaßt haben/ und denſelben unveraͤnderlich behalten/ daß ſie
zwar die von GOtt derſelben anvertraute jura und befuͤgnuͤſſen/ dero conſerva-
tion
ſelbs mit zu dem gemeinen beſten gehoͤret/ ſorgfaͤltig erhalten/ aber mit nicht
weniger ſorgfalt die jura ihrer unterthanen beobachten/ und niemand auch in par-
ticulari,
geſchweige wo es mehrere betrifft/ darinnen laſſen um dero vorgewen-
deten intereſſe willen zu kurtz thun. Wie dann ſonderlich alle Regenten ſich
auffs fleißigſte vor zu ſehen haben/ daß was die jenige anlangt/ welche mit dem cam-
mer-weſen zuthun haben/ weil ſonderlich in derſelben vor andern leicht himmel-
ſchreyende injuſtiz vorgehen kan/ und dergleichen dannoch denſelben unter gantz
ſpecioſen und der gerechtigkeit gemaͤſſen prætexten und nahmen von leuten/ die
GOtt nicht fuͤrchten/ beygebꝛacht/ ſie aber dar durch zu ſchwehren ſuͤnden verleitet
werden moͤge/ keine andere dazu angenom̃en werden/ alß von den man ſo wol ihrer
politiſchen redlichkeit und experienz, als auch ihrer ernſtlichen GOttesfurcht
verſichert iſt/ auch daß denſelben niemahl abſolute gewalt gelaſſen werde/ ſondern
alle ihre actiones dem urtheil und examini anderer/ ſo vor das allgemeine beſte zu
ſorgen haben/ unterworffen bleiben.


Geſchiehet dieſes/ ſo wird mancher fluch von einer regierung abgewendet/ und
in ſolchem ſtaat werden offt 100 thaler weiter wegen des goͤttlichen ſegens reichen/
als ſonſten 1000 mit ungerechtigkeit und fluch beſchwehrte. Wie beſorglich die-
ſes neben dem groſſen und unverantwortlichen luxu welcher an meiſten hohen or-
ten getrieben und alles verſchwendet wird/ die urſach iſt/ warum heut zu tag die ſo
vielfach gegen den alten zeiten erhoͤhete revenuen der gꝛoſſen nicht ſo weit zulangen
wollen/ als vor dem/ da dieſelbe nicht den fuͤnfften theil ſo hoch geweſen/ weil immer
die adler federn der ungerechtigkeit die uͤbrige neben ſich verzehren. Da nun abeꝛ
Ew. Churf. Durchl. mit treuen leuten (dergleichen ſie mehrere unter den bereits
bißher in erfahrung geſtanden findẽ wird) verſehen ſeyn wird/ ſo will aber nicht gnug
ſeyen/ alles auff dieſelbe allein ankommen zu laſſen/ ſondern Regenten/ denen es
warhafftig darum zu thun iſt/ daß ſie vor GOtt ihre regierung fuͤhren/ liget ob/ daß
ſie ſelbs die laſt tragen/ und ihre Raͤthe allein zu ihren gehuͤlffen gebrauchen/ da-
her bey allen wichtigen deliberationen dabey ſeyen/ und von allen uͤbrigen als viel
muͤglich iſt/ ihnen relation abſtatten laſſen/ darmit nicht nur in ihrem hohen
nahmen/ ſondern warhafftig von ihnen ſelbs/ als viel menſchliche kraͤfften zulan-
gen/ die regierung gefuͤhret wird. Welches GOTT der hoͤchſte Herrſcher von
ihnen als ſeines reiches amt leuͤt[ñ] dermaſſen fordert/ daß wo ſie es hingegen alles auf
T t t t t 3die
[886]Das ſechſte Capitel.
die diener ankommen laſſen/ alle dieſer begehende fehler ihnen vor GOTTes ge-
richt auffgebuͤrdet werden/ wo aber auch/ jene alles wie ſichs geziehmet verwalten/
ihre verſaͤumnuͤß dannoch vor ſeinem gericht nicht entſchuldigt wird. Jch verſichre
mich/ daß E. Churf. Durchl. alles dieſes laͤngſt erwogen haben wird/ und alſo jetzt
mit vorbereiteten gemuͤth ihre regierung antrete: Mir/ hoffe ich aber/ werde es nicht
in ungnaden auffgenom̃en werden/ daß ich aus erinneꝛung vormaliger pflicht und
noch waͤhrender ungefaͤrbter treue mit dieſen zeilen mich unternehme/ dieſelbe darin-
nen zu bekraͤfftigen.


Wann aber alles dieſes/ wie oben gedacht nicht menſchen werck iſt/ ſondern
GOTT der hoͤchſte Herrſcher ſolches in den ſeelen ſeiner unter-regenten wuͤrcken
muß/ ſolches aber auch in keinen thut/ als die auch vor ihre eigene perſon der gott-
ſeligkeit ſich beflieſſen/ ſo erkennet E. Churf. Durchl. endlichen nachmal auch die-
ſes/ daß deroſelben/ ob zwar allezeit noͤthig geweſen/ doch nunmehr noch noͤtiger
worden ſeye/ vor ihres himmlifchen Vaters augen ſich eines heiligen andaͤchtigen/
nuͤchtern/ keuſchen und goͤttlichem willen gemaͤſſen lebens nach allen vermoͤgen/ das
er geben wird/ zu befleißigen/ die anhoͤrung und leſung ſeines worts (ſo dann auch
aus denſelben gezogener Chriſtlicher buͤcher) nun ſich noch fleißiger taͤglich angelegen
ſeyen zu laſſen/ hingegen um goͤttliche gnade nicht zuverſchertzen ſichvor allen ſuͤnden
und welt eitelkeit (dazu die um groſſe Herrn gemeiniglich ſich nechſt haltende ſchmei-
cheler gern anreitzen/ aber eben daran zuerkennen und zu meiden ſind) zu huͤten und
deswegen genau auff ihr leben acht zu geben/ uñ taͤglich ſich in der pruͤfung vor Gott
zuſtellen/ ſonderlich aber unablaͤßig tag und nacht zu GOtt dem HErrn um ſeinen
Geiſt und was ihr noͤthig iſt zubeten/ auch dazu Salomonis worte in buch der
Weißh. c. 9. ſich wol bekant zu machen: insgeſamt das zu glauben/ daß dieſes de-
ro gebet/ ſo mit andacht und inbruͤnſtigem geiſt geſchehen muß/ ihro ſelbs/ ihrer re-
gierung und lande wol ſo viel als uͤbrige ſorge zu wege bringen muſſe. Da als-
dann in ſolchem fall (dem ohne eignes gebet vermag anderer vorbitte nichts aus zu-
richten) auch dero treuen unterthanen ſtuͤndliches gebet vor dieſelbe kraͤfftig gen
himmel auffſteigen/ vor dem thꝛon der gnaden angeſehen werden/ und alles wor-
durch dero zeitlich und ewig wol ſeyen/ erlangen wird. Jch meines geringen orts
der nun abweſend nichts weniger/ als da noch in Sachſen lebte/ das hohe Chur-
hauß und jegliche deſſen perſonen/ taͤglich mehrmahl vor GOtt bringe/ beuge auch
dieſesmal meine knie vor dem Vater unſers HERRN JEſu Chriſti/ der uͤber
dieſelbe nun mit doppelter maaß als vorhin außgieſſe ſeinen Geiſt/ den Geiſt der
weißheit und des verſtandes/ den Geiſt des raths und der ſtaͤrcke/ den Geiſt der
erkaͤntnuͤß und der furcht des HERRCN.


Er gebe ihr in allen dingen zuerkennen ſeinen willen an Sie und die ihr anver-
trauet ſind/ auch krafft denſelben zu vollbringen. Er reinige Sie mehr und mehr
bey
[887]ARTIC. III. SECTIO XIII.
bey dieſen antritt mit dem blut JEſu in vergebung aller ſuͤnden der jugend und in
taͤglicher heiligung/ um tuͤchtig zu ſeyn/ daß er durch ſie ſeinem volck heyl ſchaffe. Er
erfuͤlle ſie mit liebe zur Gottſeligkeit/ zur gerechtigkeit und allem guten/ ſolchem ſelbs
nachzuſetzen/ und bey ihren unterthanen ſie zu befordern. Er wuͤrcke in ihr taͤglich
die ſeufftzen/ die er alsdann ſelbs erhoͤre. Er umgebe ſie mit treuen bedienten/ und
laſſe von ihr ferne ſeyen/ alle von denen dero ſeel oder leib ſchaden leiden moͤchte. Er
erſetze an ihr wiederum alle tugenden der hohen ehꝛen/ und laſſe allen dero ſegen auff
ſie kommen. Er erfuͤlle ihre regierung mit ſtetem fꝛiede/ wahren einigkeit/ ver-
trauen der niedern und obern/ fruchtbarkeit des landes/ und wiederbringung des
alten flors. Er laſſe ſie ins geſamt alſo regieren/ daß ſie nicht anders als in hohen
bey geſundheit erreich tem alter/ und nach genuß unzehlichen ſegens/ ſolche regie-
rung mit den durchgang in das herrliche reich ihres GOttes endige/ und noch da-
ſelbs einer ewigen ernde der hie außgeſtreuet en ſaat ſeliglich genieſſen. m. f. w. den
21. Sept. 1691.


SECTIO XIII.


An eine Fuͤrſtliche perſon/ die den erbarmung
wuͤrdigen zuſtand der kirchen erkante. Hoffnung
der beſſerung.


WOrmit E. Hochf. Durchl. ihr gnaͤdigſtes wollen ſchlieſſen/ habe auch da-
mit dieſes zuverſieglen/ daß GOtt ſich ſeiner kirche ſelbs erbarmen wolle:
welcher von E. Hochf. Durchl. gethaner wunſch mich verſichert/ daß die-
ſelbe den zuſtand unſrer kirchen mit viel erleuchtetern augen anſehen/ als vor weniger
zeit ein beruͤhmt gehaltener Theologus, der demſelben florentiſſimum erkant ha-
ben wolte/ woruͤber es eben nicht vieles erbaꝛmens folglich noͤthig waͤre. Aber
wir wenden die augen hin/ wohin wir wollen/ ſo ſehen wir dinge/ die hertzliches mit-
leiden bey Chriſtlichen ſeelen erwecken/ und ſolches nicht allein angeſehen der feind-
lichen anſchlaͤge/ die auſſer derſelben zu ihrem untergang geſchmiedet werden/ und
wir nicht wiſſen/ wie vielen ſucceß der gerechte GOTT denſelben uͤber uns ver-
haͤngen werden; ſondern vornehmlich wegen der innerern deroſelben bewandnuͤß/
in dem auch in dem heiligthum deꝛ feind faſt alles verderbet hat/ und alles voller aͤr-
gernuͤſſen iſt: unter welchen ich wohl eines der ſchwehrſten halte/ ſo ſich in unſern
eigenen ſtande findet/ wann nemlichen/ wie E. Hochf. Durchl. ohne zweiffel mit
vielen ſeufftzen nicht nur einmal werden bemercket haben/ deren unteꝛ uns ſo viele
ſind/ die es nicht nur nicht treulich mit der kirchen GOttes und den gemeinden mei-
nen/ und alſo vielmehr ſich als dieſelbe und dero erbauung ſuchen/ ſondern hinge-
gen
[888]Das ſechſte Capitel.
gen die jenige/ welche ihr gewiſſen treibet/ einen meh eren fleiß anzuwenden/ und
alle mittel/ ſo zu befordeꝛung des wahren Chriſtenthums dienlich ſeyen moͤgen/ mit
ſorgfalt zu gebrauchen/ der urſachen wegen/ damit durch anderer exempel nicht ihre
nachlaͤßigkeit beſchaͤmet wuͤrde/ anfeinden/ nach allem vermoͤgen hindern/ und weil
ſie keinen ſcheinbaren vorwand ihrer widrigkeit erfinden koͤnnen/ ſie in verdacht irri-
ger lehr ziehen.


Woraus denn nicht wenig unheils entſtehet/ ſchwachen anſtoß geſetzt/ den
widrigen unſer zuſpotten gelegenheit gegeben/ hingegen manches gutes/ ſo ſonſten
ausgerichtet zu werden vermocht/ ungluͤckſelig hintertrieben wird. Alſo wuͤnſche
nochmal nach E. Hochf. Durchl. wunſch/ den ich auch ein ſtuͤck dero taͤglichen ge-
bets zu ſeyen nicht zweiffle/ daß ſich der HErr ſelbs ſeiner kirchen erbarme/ welches
ich zwar zugeſchehen/ u. uns die fruͤchten ſolcher erbarmung nahe vorzuſtehen/ mich
gewiß verſichere/ und von dem GOTT der warheit aus nicht wenigen anzeigun-
gen/ da er hin und wieder die gemuͤther faſt rege macht/ erwarte/ daß er ſein werck
nach nicht ſo langer zeit gegen alle hindernuͤſſen/ die der feind in weg geworffen hat/
oder noch ferner werffen wird/ werde laſſen durchbrechen/ und mit groſſen heyl
und reicherem liecht/ uͤber ſeine kirche ausgegoſſen/ zu groſſer freude ſeiner kinder/
daß er ſich ſeiner verlaſſenen kraͤfftig angenommen habe/ thaͤtlich erweiſen. Ach
daß wir in ſolcher hoffnung alles jetzige leiden und was eine fromme ſeele anzuſehen
jetzund offt aͤngſtiget/ deſto kraͤfftiger uͤberwinden/ unſern glauben ſtaͤrcken/ und in
gedult die eꝛfuͤllung erwaꝛten. 1. Oct. 1691.


SECTIO XIV.


Vber die anfechtung einesStudioſi Theologiæ,
der eine weile faſt zu allen untuͤchtig wurde. Ob man
von einem gottloſen
adminiſtratoreeinſtipendiuman-
nehmen koͤnne.


MAs derſelbe wegen NN. berichtet/ daß er ſich nicht/ wie man gern ver-
langte/ nach ſeineꝛ ruͤckunfft bezeuge/ nicht nur von den predigen ſich ent-
ſchuldige/ ſo dann die bruͤder nicht informire/ ſondern insgeſamt ſtille blei-
be/ auch faſt nichts leſen wolle/ iſt miꝛ zwar ſo fern leid/ weil mein Herr und die ſei-
nige betruͤbens davon haben/ auch ſich andre dran ſtoſſen moͤchten/ ſo dann zimliche
zeit ohne ſcheinbaren nutzen zugebracht wird. Jndeſſen iſt mirs nichts fremdes/
ſon dern habe dieſer tentation, davor ich es billich halte/ unterſchiedliche exempel
auch vor deme geſehen; daher mich deſto eher darein richten kan/ und es als eines
guten ausgangs verſichert mit weniger bewegung/ als ſonſten thun wuͤrde/ anſehe.
Es
[886[889]]ARTIC. III. SECTIO XIV.
Es hat GOTT unterſchiedliche arten uns auzugreiffen und zu laͤutern/ nicht al-
lein mit leibes ſchwachheiten/ ſondern auch wo das gemuͤth leiden muß. Unter die-
ſen iſt auch dieſer zuſtand/ da ein gemuͤth mit eckel alles deſſen/ wormit es umge-
hen ſolle/ erfuͤllet wird/ alſo daß es ſich auch/ ſich etwas ernſtlich anzunehmen vor
ſuͤnde achtete/ ziehet ſich abeꝛ darmit in ſich ſelbs/ fuͤhlet doch auch darinnen ſeine
beſchwerde/ ja iſt um ſolche zeit nicht tuͤchtig etwas vorzunehmen. Da iſt aber
das beſte/ wo man ſolchen leuten nach ſihet/ und ſie nicht mit gewalt zu etwas noͤtigt/
in dem ſonſten in dieſen fall man ihren zuſtand nur deſto ſchwehrer macht/ und ihnen
dinge zumuthet/ ſo in ihren kraͤfften nicht ſtehen: Daher wo man ſtarck an ſie ſe-
tzet/ ſie faſt deſto tieffer darein gerathen/ und laͤnger darinnen ſtecken bleiben. Hin-
gegen da man ihnen indulgiret, und nur allgemach wieder zu dem reden durch
gelegenheit erbaulicher reden bringet/ ſo dann dergleichen buͤcher/ daran ſie ſonſten
gefallen tragen/ vorleget/ ſo erholen ſie ſich allgemach/ wo nemlich der HERR ſihet/
daß er durch die zugeſandte tentation ſeinen zweck erreichet/ und daß gemuͤth in
ſolcher ſtille von einigen nicht bekant geweſten gebrechen/ fonderlich in der allzuvie-
len zuſtreuung/ gelaͤutert hat/ da gehet alsdann ſolchen leuten der mund gleichſam
wieder auff/ und kehren ſie zu vorigen geſchaͤfften/ die ſie folgend mit mehrer ſorg-
falt und krafft wiederum verrichten. Wie mir das exempel bekant iſt/ jetzo des al-
ten Tauleri nicht zugedencken/ von dem ſel. Herr D.Johann Schmiden in
Straßburg/ der nach dem er mehreꝛe jahr der Præſident des kirchen convents
geweſen/ nachmal in ſolchen ſtand gerieth/ daß er zu predigen/ reden und allen ſei-
nen amts geſchaͤfften eine geraume zeit gantz untuͤchtig wurde/ daß man auch kaum
gedacht/ daß er wieder zu recht kommen wuͤrde. Aber es hat auch nur ſeine ge-
wiſſe von GOtt beſtimmte zeit/ und fand ſich der theure mann endlich voͤllig wiedeꝛ/
daß er nach der zeit noch mit mehr krafft des geiſtes ſein amt und predigten verrich-
tete.


Alſo hoffe/ wo dieſer innerliche kampff bey NN. vorbey ſeyen wird/ der ihn
jetzt in ſolcher ſtille helt/ werden die freunde zu ſeiner zeit mit ſo vielmehr vergnuͤgen
warnehmen/ wie GOTT in ſolcher ſtille/ da er nichts thut/ nicht unkraͤfftig ge-
weſen/ und der nutz ſeiner gaben groͤſſer werden wird. Wie mich/ in dem ich die-
ſes ſchreibe erinnere noch eines exempels eines predigers/ ſo mir wohl bekant/ und
mir erſt dieſes jahr was ihm begegnet geſchrieben/ u. darmit ſein langes ſtillſchwei-
gen entſchuldiget hat; es wurde nehmlich derſelbe aus gelegenheit des todes ſeiner
nur eine kurtze zeit gehabten eheliebſten/ weil ſolcher ſehr ploͤtzlich war/ in eine ſolche
traurigkeit geſtuͤrtzet/ daß er ſich mit nichts auffrichten konte/ und ihm alles zu wi-
der wurde/ keinen umgang mit leuten auſſer amts-nothwendigkeit zu vertragen
wuſte/ daher er auch alle correſpondenz unterlieſſe: er konte nicht ſtudiren auch
nicht auff die predigt/ muſte doch wann die ſtunde da war/ auff die cantzel/ und re-
den/ was GOTT beſcherte: dieſes wehrte etliche jahr bey ihm/ aber GOTT es
U u u u ukrafft
[890]Das ſechſte Capitel.
krafft wurde in ihm immer ſtaͤrcker/ daß ſeine predigten/ dero er ſich ſcheute/ weil
er nicht ſtudiren konte/ nicht allein die gemeinde mehr als vorhin contentirten,
ſondern einen ſolchen ruffihm machten/ daß allemahl von andern orten mehrere/
auch vornehme zuhoͤrer ſich einfunden. Biß nunmehr der kampf uͤberſtanden iſt/
da e[r] aber GOTT nicht gnung dancken kan wegen der krafft ſo derſelbe in
ihm gewuͤrcket/ daß nach ſolcher gegne von vielen orten ſich leute bey ihm einfinden/
und ſeines raths gebrauchen.


Jch kan nicht ſagen/ das NN. zuſtand (von dem als was deſſen eigen ſchrei-
ben mich berichtet nichts anders weiß) eben dergleichen ſeye: ſondern weiſe nur/
wie GOttes wege bey den ſeinigen ſo wunderbar ſeyen/ daß wir uns uͤbel drein rich-
ten koͤnnen/ wo wir nach der vernunfft die anfechtungen betrachten/ in welche er et-
wa die ſeinige gerathen laͤſſet. Wann mir aber ſonſten bekant/ daß er GOTT
hertzlich geſuchet und geliebet/ auch daß er von ſolchen guten weg abgetreten ſeye/
keine gegruͤndete vermuthung habe/ ſo ſehe auch dieſen zuſtand als eine anfechtung
an/ darein ihn GOtt fuͤhre/ aber ihm in demſelben beyſtehen wolle/ und gewiß nach
ſeiner wahrheit ſolches thnn werde. Nur iſt bey denen/ welche mit ihm umgehen
weißheit und gedult von noͤthen/ neben dem hertzlichen gebet/ ſo ich auch von mei-
ner ſeite weder bißher unterlaſſen habe/ noch ferneꝛ unterlaſſen will/ der allerdings
verſicherten zuverſicht/ daß der HERR dieſer verſuchung ein gutes ende verlei-
hen werde.


Daß die vorgehabte Disputation nicht gehalten worden iſt mir leid/ vielleicht
aber hat ſich das gemuͤth dazu bereits nicht tuͤchtig befunden. Jn uͤbrigen/ wo ei-
nerein ſtipendium (ſo er ſonflen mit guten gewiſſen ſuchen oder ſich dazu tuͤchtig
ma chen kan) deswegen nicht annehmen wolte/ da ers ſonſten noͤthig haͤtte/ weil es
ein bekantlich gottloſer menſch veꝛwaltete oder zu aſſigniren haͤtte/ waͤre es ein un-
noͤthiger ſcrupel/ in dem ich ohne die geringſte verletzung des gewiſſens mein bꝛod/
wein/ bier/ auch von den gottloſeſten leuten/ die es feil haͤtten/ kauffen/ von gottloſe-
ſten leuten meine beſoldung empfangen/ oder was ſie mir ſchuldig worden ſind/ von
ihnen annehmen kan. Jn dem mit gottloſen genaue freundſchafft zu pflegen Chri-
ſten nicht anſtaͤudig/ nicht aber verboten iſt/ gleich wie ihnen in der noth die wercke
der liebe zu leiſten/ alſo auch in ſachen die gerechtigkeit angehenge; ihnen zugeben
odeꝛ von ihnen zu empfangen. Wie nun ſolches in dem fall/ daß ſtipendia in der
verwaltung bekantlich gottloſer leute ſtuͤnden/ gewiß iſt/ und alſo vergebene forcht
bey der annehmung ſeyen wuͤrde/ ſo iſts hingegen auch gewiß/ und in GOttes wort
gnu[g] gegꝛuͤndet/ daß ich keinen menſchen als gottloß zu beurtheilen befugt bin/ ſei-
ne gottloſigkeit ſeye dann recht offenbahr: thue ich hiegegen/ ſo ver ſuͤndige ich mich
ſchwerlich/ ob nicht mit gewiß falſchen/ auffs wenigſte veꝛmeſſenen urtheil. Und
dieſes iſts/ welches ich neben meinen hochge. Herrn zuweilen an einigen/ welche ich
ſonſten liebe/ ſo war genommen habe/ als auch nothwendig mißbilliche/ daß man
zur
[891]ARTIC. III. SECT. XV.
zur verurtheilung anderer leichter als ſichs geziehmet ausfaͤllet. Daher ich wo
ich kan gern erinnere/ und gute freunde warne/ da ſie ſich uͤber anderer boͤſe urtheil
beſchwehren/ daß ſie hingegen nicht auch vermeſſen von andern leuten/ auch zuwei-
len dero verrichtungen/ von welchen ſie die rechte urſach offt nicht wiſſen/ oder wiſ-
ſen koͤnnen/ urtheilen/ und darmit goͤttlichen berichts ſich ſchuldin machen/ Der
HERR zeige uns doch in allen ſtuͤcken ſeinen heiligen willen/ und gebe uns gnade
und krafft denſelben zuthun. Er regiere auch die jenige/ deren hertzen er zur wah-
ren gottſeligkeit ſonſten gelencket hat/ durch ſeinen heiligen Geiſt/ daß ſie unter deſ-
ſen fuͤhrung auff richtigem weg ſtets bleiben/ und nicht durch eigenen duͤnckel oder
ſonſten auff einige abwege ſich verleiten laſſen. Sonderlich erhalte er NN. in ſei-
ner heiligen ordnung/ und ſetze ſein werck/ ob uns unbegreifflich/ doch hertzlich und
ſelig fort/ ihn zu einen theuren gefaͤß ſeiner gnade und werckzeug ſeiner ehre kuͤnfftig
zu bereiten. 9. Oct. 1691.


SECTIO XV.


An den leinweber Joh. Hirſchen (ſieheart. 2.
Sect. 39.
) Entſchuldigung der langſamkeit der antwort. Mei-
ne aͤnderung von Dreßden nach Berlin. M. Schade.
M. Lehman. Gluͤckwunſch zu einem kinde. Jch wei-
che nicht von meiner lehre und art des vor-
trags.


JESVM
Mit allen ſeinem liecht/ gnade/ friede/ heyl und leben! in dem-
ſelben unſerem erſt gebohrnen bruder/ hertzlich geliebter
freund.

WJe mich ſeine liebe/ ſo aus allen brieffen abnehme/ nicht wenig erfreut/ ſo
ſolte zwar allemahl bald wieder antworten. Wie aber daß erſte mal be-
zeuget habe/ mangelt es gemeiniglich nicht an gutem willen/ zu antwoꝛten/
ſondern an zeit und vermoͤgen. Denn weil meine von den ampts-verrichtungen
und nothwendiger leibes-Ruhe uͤbrige nicht alzuviele zeit/ unter allzuviele perſoh-
nen/ die muͤndlich oder ſchrifftlich mit mir reden wollen/ ausgetheilet werden ſoll/
gibt es ſchmale theile/ und kans des jahrs an einer perſon nicht offtmals kommen/
es ſeyen dann ſondeꝛbahre dringende urſachen/ die ſolches erfodern. Nach dem
ich deſſen andern brieff bekommen hatte/ ſo war zwar die reſolution ſo bald/ daß
U u u u u 2ich
[892]Das ſechſte Capitel.
ich antworten wolte/ aber was ich mir vornehme/ erfordert manchmal zur be-
werckſtelligung viele monathe; So war auch nichts in dem ſchreiben/ welches nicht
wol verzug litte; weil ich aber ſonderlich des ſel. Herrn Teubers buͤchlein demſel-
ben nuͤtzlich und an ſtatt eines ſtuͤcks meiner antwort zu dienen erachte/ ſo wolte die
gelegenheit des vorgeſtandenen Breßlauer marcks nicht verſaͤumen/ und ob ſchon
nicht zugleich ſchreiben konte/ dennoch das gedachte buͤchlein (dem noch andere bey
gefuͤget/ unter denſelben ſonderlich Crameri buͤchlein recommandire) uͤberſenden/
u. damit deſſen verlangen aufs wenigſte etlicher maaß ſtillen/ biß ich ſelbs ſchreiben
koͤnte/ ſo bald hat folgen ſollen. Es geſchach aber gleich in etlichen wochen/ daß es
mit meiner endeꝛung ein ernſt werden wolte/ da ſo wol eine zeitlang nichts gewiſſes
von mir ſchꝛeiben konte/ als auch/ nach dem es endlich geſchehen/ ſo viel zu thun be-
kahm/ daß an die auch noͤthigſte brieffe nicht gedencken konte: Wie auch hie mich
noch nicht recht eingerichtet habe. Aus dieſem wird derſelbe erſehen/ daß keine
auch geringſte urſach ſey/ meines ſtillſchweigens wegen ungleiche gedancken zufaſ-
ſen/ entweder daß mein gemuͤth geaͤndert haͤtte/ oder iemanden verachtete/ (da hin-
gegen Fuͤrſtl. brieffe vorlegen kan/ die uͤber jahr und tage ohne antwort ligen) ſon-
dern daß mein zuſtand/ da ich allen in der liebe gerne diene/ es nicht anders zugebe.
Dahero es auch nicht noͤtig geweſen/ abſchied von mir zunehmen/ oder nur noch
einiges ſchreiben zu begehren/ ſondern ich will gerne zu weilen auch mehrere brieff
von demſelben erwarten/ und auch einige ſchreiben/ aber alles mit der zeit. Und ver-
dencken mirs Chriſtliche freunde nicht/ wenn zu weilen erſt nach dem dritten oder
vierdten brieff eine antwort folget.


Die uͤberſchickte Sachen verlange nicht bezahlt/ ſondern der preiß davon ſolle
ſeyen/ wo derſelbe und andere ſich warhafftig daraus erbauen werden. Was
meine aͤnderung anlanget/ daruͤber ſich derſelbe verwundeꝛt/ dienet zur nachricht/
daß ich nicht aus eigener wahl oder willen bin hieher gekommen/ ſondern von den
Churfuͤrſten von Sachſen/ nachdem er mich wegen ſchrifftlicher gewiſſenhafftiger
erinnerung bereit damahls uͤber 2. jahr nicht mehr hoͤren wollen/ und ſolches verre-
det gehabt/ dahero ſich meiner loß zumachen getrachtet/ an den hieſigen Churfuͤr-
ſten/ ſo mich zu ſeinen Conſiſtorial-Rath und Propſt der Berliniſchen kirchen/
darinnen ich dem ſeligen Herrn Teuberſuccedire, verlangte/ uͤberlaſſen wor-
den. Sehe man an/ was in dem werck von menſchen/ die die warheit nicht leiden
wollen/ ſondern ſie gerne von ſich weit weg ſchicken/ vorgegangen/ ſo iſts betruͤbt/
daß ſich unterſchiedliche ſo rohe welt-kinder als falſche bruͤder/ an mir verſuͤndiget/
denen es GOtt gnaͤdigſt verzeihen/ deswegen aber auch zu erkennen geben wolle.
Siehet man aber/ wie man billig ſoll/ vornehmlich auf GOttes rath/ der ob wohl
durch ſuͤndiger menſchen-werck endlich zum beſten durchgedrungen hat/ und ich
alſo mit freuden demſelben gefolget bin/ voller hertzlichen vertrauens/ daß mir
GOTT. eine weitere thuͤre des guten oͤffnen/ und einen mehrern ſeegen in dem
amt
[893]ARTIC. III. SECTIO XV.
amt beſtimmet haben werde/ darinnen ich auch ſonderlich geſtaͤrcket werde/ wenn
er wege/ daß ich in Dreßden eine kleine ſchloß-capelle und gemeine gehabt/ da-
hingegen hier durch GOTTes gnade eine ſehr groſſe gemeine habe/ welche bereits
bey dem wenigen anfang ſcheinet/ eine ſonderbahre begierde nach kraͤfftigen vor-
trag goͤttliches wortes zu haben/ und ſolche auff unterſchiedliche art bezeuget.
Doch werden hie und anderwerts Chriſtliche mit-bruͤder nicht unterlaſſen/ mir
auch/ die mir zu dieſer in gewiſſen ſtuͤcken auch gefaͤhrlichen ſtelle noͤthige/ und noch
nicht bey mir befindliche klugheit der gerechten mit ihrem gebet/ erbitten zu helffen.
Das in uͤbrigen meine wenige erinnerung zu dem gebet aus dem eigenen hertzen ſol-
che frucht geſchaffet/ daß derſelbe nun in eigener erfahrung/ die krafft ſolcher uͤ-
bung erkennet/ und preiſet/ dancke ich billich den himmliſchen Vater und verſichere
daß in fleißiger und gottſeliger fortſetzung derſelben die krafft des Geiſtes ſich immer
ſtaͤrcker einfinden und erweiſen werde.


Denn der HERR iſt freundlich gegen alle/ die ſich zu ihm nahen/ und von
gantzen hertzen ihm ſuchen. Der liebe Herr Schade iſt mein guter freund. Jn
Leipzig war er einer unter den vornehmſte/ welche unter dem nahmen der Pietiſten/
von ſolchen geiſtlichen/ die es ſchwer zu verantworten haben werden/ unſchuldig in
verdacht gezogen/ und hart gedruckt wurden. Seine ſchrifften zeugen von ſeiner
reinen lehꝛe/ und ſamt dem leben/ (das damit allerdings einſtimmet) von ſeiner
ungefaͤrbten gottſeligkeit.


Uber die angefuͤhrten tractaͤtlein hat er auch ein anders geſchrieben/ unter
den titul: Was muß ich thun[?] die anleitung zum Bibel leſen iſt mir noch
nicht bekant geweſen/ ſondern erſt durch deſſen anzeige mir erſt bekant worden/ da-
hero ich auch daſſelbe mit leſen noch nicht gantz durchgehracht. Er hat die gabe
von GOTT/ ſich deutlich außzudrucken/ und die warheit mit groſſer krafft zu-
treiben; dahero ich hoffe/ der HERR werde ihn zu einem ſonderlichen werckzeuge
ſeiner ehre beſtimmet haben/ dazu er ihn denn durch leyden/ und hartes tracta-
ment unbilliger leute deſto mehr bereitet hat. Ohne dieſen ſeye der Herr verſicheꝛt
daß GOTT noch eine ſtarcke Anzahl derer habe/ welche je laͤnger jemehr an vie-
len orten durchbrechen/ und das rechtſchaffene weſen/ das in CHriſto JEſu iſt/
ſich mit mehr alß mit gemeinem ernſt laſſen angelegen ſeyen/ und derſelben immer
mehr erwecke. Aber es wird ſorglich noch ſchwere truͤbſalen und verfolgung ge-
ben/ ehe wir die Evangeliſche kirche in ſchoͤnerem und erfreulicherem verhofften
wolſtande mitfreuden ſehen werden; So aber gleichwol endlich geſchehen muß/
und GOTTes warheit nicht truͤgen kan.


Jhres getreuen predigers Herr M.Lehmans brieff hat mich erfreuet/ und
dancke dafuͤr GOTT/ daß er denſelben und ſeine Collegas alſo regieret/ daß
ſie Chriſtlicher leute erbauliche zuſam̃en kuͤnffte nicht/ wie es leyder an unterſchiede-
nen orten geſchicht/ verhindern/ ſondern liebreich befordern. Daher ich verſichert
U u u u u 3bin/
[864[894]]Das ſechſte Capitel.
bin/ daß GOTT auch zu ihrem uͤbrigen amte deſto mehr Geiſt und ſegen verlei-
hen werde. Und ſo ſoll es freylich ſeyen/ daß wir alle mit Moſe wuͤnſchen ſollen/
daß alles volck des HERRN weiſſagte: Weßwegen auch was einige werck-
ſtellung ſolches wunſches befordert/ uns alles angenehm ſeyen muß. Zum neuen
Soͤhnlein wuͤnſche auch neue gnade; daß der himmliſche Vater daſſelbe unaus-
geſetzet unter der zahl ſeiner kinder behalten; Der HERR JESUS es taͤglich
mit ſeinem blute abwaſchen/ und mit ſeinem leben ſtaͤrcken; Der heilige Geiſt/ ſo
uͤber daſſelbe in der heiligen tauffe ausgegoſſen worden/ ſein gutes werck in ihm an-
gefangen/ biß auff den tag JESU CHRJSTJ allerdings vollfuͤhren wolle/
damit es ein nuͤtzliches gefaͤß ſeiner gnaden und erbe der ſeligkeit wahrhafftig ſeye
und bleibe/ in der zeit und ewigkeit. GOtt regiere auch ſie beyde eltern/ daß ſie
ſolches ſein geſchenck ihm willig wieder auffopfferen/ es nicht nach eigenen willen oď
der welt zu gefallen/ ſondern zu ſeinen ehren treulich auffzuziehen/ und ewig ſeiner
zugenieſſen. Jm uͤbrigen ſeye derſelbe verſichert/ daß ich von meiner lehre und art
des vortrags derſelben mein lebelang nicht weichen werde. Denn jener bin ich
uͤberzeuget in meiner ſeelen/ daß ſie nicht mein ſondern GOttes ſeye/ aus deſſen wort
ich dieſelbige gefchoͤpffet. Dieſe halte ich einfaͤltig/ und habe ſie auch in Goͤttlichen
ſeegen nicht ohne erbauung in der erfahrung gefunden. Jedoch ſolte mir/ was
die art des vortrags anlanget/ durch Chriſtliche freunde in liebe gezeiget werden/
wie eines und anders noch erbaulicher eingerichtet werden koͤnte/ bin ich allezeit auch
dazu willig und bereit.


Der HERR zeige uns aber allen zu allen zeiten/ was ſein wille iſt an uns/
und die jenigen/ welche er uns zu geordnet hat/ und verleihe uns krafft und eiffer/
denſelben zu vollbringen. Ja je boͤſer die welt von tage zu tage wird/ ſo vielmehr
laſſe er auch das gute bey den ſeinigen wachſen und zunehmen/ biß die verheiſſene
zeit einiger ferneren beſſerung fuͤrhanden ſeye/ und dieſe mit gewalt durch alle hin-
dernuͤſſe durchdringe. Nun in deſſen heilige hut/ macht/ ſegen und krafft denſel-
ben mit ſeinem gantzen hauſe und andern freunden/ ſo ſich mit ihm in der Gottſe-
ligkeit uͤben/ und unter demſelben ſeinen ſchreiber/ der ſich einen lehrling/ nicht nur
des handwercks/ ſondern auch des Chriſtenthums nennet/ und ich ihm in beyden
wachsthum wuͤnſche/ hertzlich empfehlend verbleibe/ m. f. w.


Den 16. October 1691.


  • (NB.Auch dieſen brieff hatD.Schelwigin itin. Antipiet.drucken
    laſſen
    p. 100.)

SECT.
[895]ARTIC. III. SECT. XVI.

SECTIO XVI.


An einen Churfuͤrſtlichen Rath. Churfuͤrſt-
liches
reſcriptwegen der ſo genanten Pietiſten. Der Gottſe-
ligkeit nutzen auch in gemeinen weſen. We-
gen aͤnderung eines Beichtva-
ters.


WAs derſelbe in dem an mich abgegebenen angenehm verlanget/ daß unſers
gnaͤdigſten Churfuͤrſten und Herrn Durchl. ein einſehen auff die verlaͤſte-
ſterung unſchuldiger leute und den nahmen der Pietiſten/ ſo an ſo vielen
orten dero herrſchafft ungeſcheuet von den cantzeln bißher geſchehen war/ haben und
derſelben ſteuren moͤchte/ hatte bereits ehe ſolches eingelauffen angefangen/ und
war/ weil ich an einem vornehmen ort repræſentiret/ wie von den leuten/ ſo mit ge-
walt einigen Leipzigſchen Theologen zu gefallen/ eine neue ſecte machen wolten/
S. Churfuͤruͤlichen Durchl. die zu erſt daruͤber cognitionem hatten unverant-
wortlich vorgegriffen und præjudiciret wuͤrde/ bereits ein ſchreiben an die Magde-
burgiſche und Halberſtaͤttiſche regierung dergleichen und ſchwehren geldſtraffen/
ohne welchen die leute ſich ſchwehrlich geben wuͤrden/ zu inhibiren abgefaſſet ge-
weſen/ ſo auch fort geſendet wird worden ſeyen. Der HERR gebe nur einen
nachdruck/ und laſſe entweder ſolche unzeitige zeloten ſelbſt zu erkaͤntnuͤß deſſen
was ſie thun zu ihren eignem beſten gebracht/ oder ihnen haͤnde und zungen ſich de-
roſelben nicht mehr mit ſolcher licenz zu mißbrauchen gebunden werden. Wozu
ſichs faſt einiger orten anlaſſen/ und das anſehen gewinnen will/ als wolten viel
rechtſchaffene leute auffwachen/ und ſehen/ was der ungezaͤhmte und auff falſchem
grunde ruhende eiffer ſo vieler genannter geiſtlicher vor groſſen ſchaden thue/ dahe-
ro diejenigen/ denen das allgemeine beſte ein ernſt iſt/ auch finden werden/ zeit zu
ſeyen/ daß man denſelben mit nachdruck einhalt thue. Daß die ungefaͤrbte Gott-
ſeligkeit auch zu der gemeinen ruhe und weltlichen wohlſtand vieles thue/
werden alle bekennen/ ich will nicht ſagen/ die das Chriſtenthum verſtehen
und die Goͤttliche gnade den grund aller wohlfahrt zu ſeyen glauben: ſondern auch
ſelbs ſein Machiavelliſt/ der in den hertzen der Gottſeligkeit ſportet/ wird doch ſei-
nem fuͤrſten das nuͤtzlichſte/ und ihn am gluͤcklichſten halten/ wo er lauter Gottſeli-
ge unterthanen haͤtte. Daraus aber erhellet/ wie dan der conatus der jenigen/ ſo
gleichſam mit haͤnden und fuͤſſen wehren/ daß ja die leute nicht fromm werden
moͤchten/ und deswegen ſo wol die jenige/ welche vor andern mit ernſt darauff
trei-
[896]Das ſechſte Capitel.
treiben als auch die dahin dienende mittel/ wie ſie nur koͤnnen in verdacht zie-
hen/ und mit aller macht hindern/ gleichwie dem Goͤttlichen w[o]rt und reguln des
Chriſtenthums alſo auch der politiſchen klugheit in der that entgegen ſeye. Wel-
ches letztere denn vielen mehr und mehr in die augen leuchten wird/ die auch von je-
nen noch wenig begriffen haben. Uber dieſes ſo iſts ohne das unmuͤglich/ daß der
HERR HERR immerdar ſo bloß zuſehen/ und die ſich ſeiner ehre widerſetzen ih-
ren muthwillen ſtets ohne einhalt forttreiben laſſen ſolte: vielmehr wird derſelbe
nach ſo viel tauſend ſeufftzern der armen und elenden/ die zu ihm auffſteigen ſich hof-
fentlich bald/ auffmachen/ und eine huͤlffe an vielen orten ſchaffen/ daß man getroſt
lehren ſolle. Dieſe hoffnung muntert uns billich auff/ und machet uns freudig/ ſo
wol fortzufahren auff dem guten wege/ als auch daruͤber/ was die welt vor lohn
zu geben pfleget/ zu leiden. Es wird gewiß nichts vergebens ſeyen/ ſondern ſich zu
ſeiner zeit klahr weiſen/ daß der HErr der ſeinigen gedencke.


Was unſern werthen Herrn N. N. anlangt/ wuͤnſche auch denſelben abſon-
derlich ruhe und beyſtand/ ich ſehe aber nicht/ wie hier zu erlaugen waͤre/ daß man
ſich eher ſeiner annehme/ oder die acta hieher fordere/ wo er nicht durch ein unter-
thaͤnigſt memorial ſchutz ſuchet/ und die abforderung verlanget. Daher wofern
ſeine widrigen nicht ſo bald durch die allgemeine inhibition ſich zu einiger ſtille be-
geben/ wuͤrde das mittel zu ergreiffen ſeyen/ die hieſige huͤlffe zu imploriren. Gott
laſſe ihn aber einen ſieg nach dem andern kraͤfftig erhalten. Uber Herrn N. N. er-
zehlung verwundere ich mich ſehr/ u. dienet mir zum exempel deſſen/ was ſo offt ſage/
wo man klaget/ das der bindſchluͤſſel den Predigern genommen ſeye/ nehmlich daß
GOttes guͤtige providenz darinnen erkenne in dem dieſelbe nicht zugebe/ daß das
predigamt/ ſo lange noch ſolches ſinnes leute darinnen ſind/ ſolche gewalt in die haͤn-
de bekomme/ denn wir wuͤrden bald in dieſer ſache nicht vielweniger mißbrauch ſol-
ches gewalts finden/ als ſich in dem Papſtum gewieſen hat/ und alles geſchwind wi-
derum auff eine herrſchafft der gewiſſen/ nicht ohne dero angſt und gefahr/ auslauf-
fen. Wo aber/ was zurathen/ gefraget wird/ iſt mir ihrer kirchen ordnung nicht ge-
nugſam bekant. Waͤre es ſache/ daß bey ihnen die wahl und aͤnderung des beicht-
vaters (wie es in dem reich an den meiſten orten uͤblich iſt) frey ſtuͤnde/ ſo wolte ra-
then/ ſich zu einem andern zu wenden/ dem vorigen aber ſagen zu laſſen/ wie man
ihm/ wodurch er denſelben in gedachter begebenheit betruͤbt und irre gemacht habe/
von grund der ſeelen (wie es auch in der that alſo ſeyen muß) vergebe/ aber ſeiner ſo
wol als eigner ſeele/ um nicht wider in der andacht geſtoͤret zu werden/ zu ſchonen
eines andern beichtvaters ſich brauchen wolle. Waͤre aber bey ihnen die aͤnde-
rung nicht frey/ (wie es in Sachſen damit auch ſchwehr hergehet) ſo riethe bey den
Conſiſtorio die diſpenſation zu ſuchen und demſelben frey zuſtellen/ ob es bloß die-
ſe ertheilen/ oder die urſache vorhero unterſuchen wolle. Auff ſolche art achte ich
dem
[897]ARTIC. III. SECTIO XVII.
dem gewiſſen am beſten gerathen zu werden. Der HERR aber mache ſelbſt das
hertz gewiß/ und zeige was das beſte ſeye. 23. Oct. 1691.


SECTIO XVII.


Aneinen Fuͤrſtlichen Hoffprediger. Verfall
der kirchen. Schrecklicher irrthum/ vertrauen auff einge-
bildeten glauben. Leyden daruͤber.
Die wahrheit bricht mehr
durch.


DAß derſelbe den verfall unſers Chriſtenthums und nahmentlich unſerer armẽ
Evangeliſchen kirche tieffer einſiehet/ als derer viele ſind/ die wieder die offen-
bahre wahrheit denſelben florentisſimum zu ſeyen andere uͤberreden wol-
len/ ja wer es nicht mit haͤlt/ deswegen in verdacht nicht richtiger lehre ziehen/ iſt
mir ein angenehmes zeugnuͤß/ daß der HERR auch denſelben bereitet habe zu ei-
nem ſolchen werckzeuge/ welches dermahleins in ſeiner gnade etwas wichtiges zu
ſeinen ehren ausrichte: Wie hingegen/ welcher nicht recht erkennet/ worinn unfer
verderben ſtehet/ ſo wol was das geſamte Chriſtenthum als unſer amt anlanget/
unmuͤglich auch das jenige ausrichten kan/ was auszurichten noͤthig iſt. Denn
wie will einer einen krancken recht tractiren/ welcher ſeine kranckheit noch nicht
verſtehet. Wo wir nun abſonderlich bey den allgemeinſten ſtuͤck des gemeinen
verderben bleiben/ ſo ſtehet es wol unzweiffentlich in der ſo gefaͤhrlichen (nicht in un-
ſere confeſſionen und oͤffentliche lehre/ aber doch in ſo vieler hertzen unter der ge-
meinde/ wolte GOtt nicht auch unter prediger) eingeriſſenen falſchen perſuaſion
ob koͤnte man durch einen bloſſen gedancken/ den man ſich bey allen fleiſchlichen we-
ſen vor CHRJSTO und ſeinem verdienſt machet/ ſelig werden; ſo ich vor eine
der gefaͤhrlichſten ketzereyen halte/ die jemahl geweſen waͤren; als welche meiſtens
unter lauter orthodoxis terminis/ daß man allein durch den glauben ohne zu-
thun der wercke gerecht werde/ vorgebacht wird/ aber weil man durch den glauben
die bloſſe menſchliche einbildung/ nicht aber daß Goͤttliche werck in uns (von welchen
zweyen unterſchiedenen dingen und dero unterſchied unſer theurer Lutherus in der
billich deswegen ſo offt anfuͤhrenden vorrede der Epiſtel an die Roͤmer handelt/ und
nur zu wuͤnſchen waͤre/ daß die wahrheit/ die er darinnen vertheidigt allen bekant
wuͤrde) verſtehet/ und dannoch jenen hirngeſpenſt die gerechtigkeit vor GOtt zu
ſchreiben will/ unter ſolcher wahꝛen/ aber uͤbel gedeutetẽ terminis ein recht verfuͤhri-
ſch[er] irrthum verborgen liget. Wider dieſen greuel bekenne gern/ daß ich biß daher
X x x x xnach
[898]Das ſechſte Capitel.
nach vermoͤgen geeyffert/ aber vor mir auch andere rechtſchaffene Theologos zu
vorgengern gehabt habe. Daß aber ein und anders widriges aus GOttes ver-
haͤngnuͤß mich daruͤber betroffen/ ſoll ich mich nicht befremden laſſen/ ja haͤtte deſſen
mehr urſach/ wo es ohne dergleichen leiden bliebe: So bin ichs auch nicht alleine/
ſondern iſt ein leiden/ damit GOtt nicht weniger auch anderer ſeiner kinder und die-
ner glauben und gedult uͤbet/ dero exempel uns hertzlich auffrichten kan. Gnug
iſts/ daß wir alle (wie denn geliebter bruder ſein theil aus dieſem kelche auch bißher
wird gekoſtet haben) wiſſen wir leiden nicht um falſcher lehre willen/ ſondern um ei-
ner ſolchen Goͤttlichen wahrheit willen/ daran ein groſſes der ehre GOttes/ und
vieler ſeelen heil gelegen iſt. Dem HERRN ſeye danck/ der uns nicht nur dieſer
mahlzeichen wuͤrdiget/ ſondern uns die freude goͤnnet/ zuſehen/ wie gleichwol durch
das treiben eines rechtſchaffenen Chriſtenthums immer mehr und mehr gute ſee-
len/ aus unſerem ordine und andern erwecket werden/ die dieſe wahrheit/ die von
andern ſo hart widerſprochen wird/ je laͤnger je gruͤndlicher einſehen/ ja daß dieſelbe
durch manchen widerſpruch nur deſto mehreren bekant worden: Daher ich das
feſte vertrauen trage/ der HERR werde/ ob zwar etwa durch noch mehrere truͤb-
ſalen/ ſein werck immer ſtaͤrcker laſſen durchbrechen/ daß man ſehe/ wie in dem
kampff mit der ſinſternuͤß wahrhafftig das liecht endlich den ſieg davon trage. Er
gebe uns nur immer mehr liecht ſeinen willen zu erkennen/ mehr treue denſelben zu
vollbringen/ und bald mehrern ſegen/ ſeinen nahmen deſto herrlicher zu preiſen. So
ſolle uns genuͤgen. 19. Nov. 1691.


SECTIO XIIX.


An einen Chriſtlichen Edelman von verderbnuͤß
der kirchen und urſach des haſſes gegen die
Gottſeligkeit.


JCh habe hertzlichen danck zu ſagen/ vor die gegen mich bezeugte liebe/ und
[f]reundliches vertrauen/ deßen ein zeugnuͤß das gantze ſchreiben iſt/ den him̃li-
ſchen Vater aber preiſe ich zu foͤrderſten billich mit demuͤthigen danck/ der
mich ſo offt zu der zeit/ da ſich von allen orten ſo viele wieder mi[ch] ſetzen/ hinwide-
rum troͤſtet/ durch offenbahrung anderer rechtſchaffener ſeelen/ die er mit liebe ge-
gen mich erfuͤllet hat/ und die davor halten/ daß deſſen guͤte auch meine einfaͤltige
ſchrifften zu ihrer auffmunteꝛung geſegnet habe/ zum zeugnuͤß/ daß noch an mir u. an
dern/ die es mit den HErrn treulich meinen/ ſtets erfuͤllet werden muͤſte/ was Pau-
lo begegnet da es geheiſſen/ 2. Cor. 6. Durch ehre u. ſchande/ durch gutegeruͤchte
und hoͤſe geruͤchte.
Deswegen wir auch uͤber dergleichen begegnuͤßen nicht muͤ-
de
[899]ARTIC. III. SECTIO XIIX.
de werden/ ſondern den treuen Vater in ſeine weiſe diſpoſition ſtellen ſollen/ wel-
ches unter beyden er uns in mehrerer maß widerfahren laſſen wolle/ dieſes vornehm-
lich von ihn bittende und verlangende/ daß er nicht zu gebe/ daß entweder jene uns
auffblaſen/ noch dieſe niederſchlagen moͤgen. Sonderlich aber ſeye ſeine guͤte und
krafft auch uͤber deſſen wehrteſte perſon geprieſen/ welche wie ich mit inniglicher
freude ſehe deſſen ſeele kraͤfftig geruͤhret/ zur erkaͤntnuͤß/ wie das Chriſtenthum in
einen rechtſchaffenen weſen in CHRJSTO JESU ſtehe/ und was fuͤr ein un-
terſchied unter demſelben/ und unter dem was ſonſten die welt/ wann ſie gleichwol
auch fromm heiſſen will/ davor haͤlt/ ſich befinde/ gebracht/ auch mit einer ſolchen
liebe gegen jenes/ ſo den fleiß ſeine ſeele zu retten/ und ſolches die vornehmſte ſorge
ſeyen zu laſſen/ erfuͤllet hat/ daß man ob einiges in der welt daruͤber zu leyden ſeyen
moͤchte/ auch der mahlzeichen unſers Heilandes ſich nicht zuſchaͤmen reſolviret. So
iſts nun andern/ wo ich den zuſtand der Chriſtlichen kirchen und in derſelben ſonder-
lich unſerer Evangeliſchen gemeinden anſehe/ daß mir lauter betruͤbtes faſt vor au-
gen kommet/ und man das gantze gebaͤude kaum anders vergleichen kan/ als mit ei-
nen ſolchen/ ſo aller orten krachet/ und kein flicken faſt mehr helffen will. Bey an-
dern religionen ſehen wir irthume/ welche alle ihre/ ob wohl nicht gantz gleiche/ ge-
fahr haben: Darum der HERR uns von irrthumen der lehr befreyet hat/ fin-
det dannoch ein tieffer einſehendes auge/ daß es aller orten an den leben (folglich auch
an dem glauben/ weil der lebendige glaube bey boͤſen leben/ oder ohne gutes leben
nimmermehr beſtehen kan) magle/ ja wo wirs recht anſehen/ auch an der lehr/ nicht
zwar wie dieſelbe in unſern bekaͤn[t]nuͤſſen und ſymboliſchen buͤchern ſtehet/ an dero
richtigkeit ich nichts deſiderire/ ſondern wie ſ[i]e von manchen getrieben und von den
meiſten gefuͤhret wird. Wie mirs an exempeln nicht mangelt von predigern/ ſo
gantz Chriſtlich geſinnet ſind/ und mir bekant haben/ daß ſie mehrere jahre/ in den
lehramt geſtanden/ und doch weder den articul vor der rechtfertigung noch von der
heiligung ob ſie wol die worte davon aus unſern buͤchern gewuſt/ und nachgeſpro-
chen/ verſtanden haͤtten/ biß ihnen GOTT allgemach erſt in den amt durch die heili-
ge bibel/ und einige Chriſtliche ſchrifft die augen beſſer geoͤffnet/ da ſie aber wuͤſten
wie mahrhafftig bey ſo vielen andern/ es eben ſo wohl an gruͤndlicher erkantnuͤß
ſonderlich dieſer haupt articul mangele; Daher ich ſorge/ daß noch von vielen
cantzeln die lehre des Evangelii nicht gantz/ nehmlich nach allen ſtuͤcken/ die dazu ge-
hoͤren/ ſondern (vornehmlich die lehre von der rechtfertigung) nur ſtuͤckweiſe vor-
getragen werde/ wann man nehmlich meiſter orten/ nur die eine Goͤttliche wahr-
heit treibet/ (wie man freylich davon nicht weichen ſolle) daß wir allein aus den
glauben gerecht werden muͤſten: hingegen der andern nicht weniger Goͤttlicher
wahrheit dabey vergiſſet/ nicht weniger zu treiben/ was die art des allein ſeligma-
chenden glaubens und ſeine wuͤrckung/ alſo der unterſchied des wahren- und ſchein-
glaubens ſeye: Da doch die zuhoͤrer/ welche das erſte ſtuͤck allein hoͤren/ von dieſen
X x x x x 2letzten
[900]Das ſechſte Capitel.
letzten aber wenig unterrichtet werden/ auch jenes nicht anders als in einen unrech-
ten verſtand annehmen/ und ſich zur verluſt ihrer ſeligkeit betruͤgen koͤnnen: Da-
her wir leyder unter denen/ ſo viel zu der rechten lehr und glauben ſich bekennenden/
ſo wenig rechtglaͤubige/ und alſo wahre Chriſten haben. Daß da dorten Matth.
22.
unter den vielen gaͤſten nur einer (das iſt eine geringe zahl) eingefuͤhret wird/
dem es an den hochzeitlichen kleid mangelte/ nun bey uns unter vielen offt kaum ei-
ner mit dem hochzeitlichen kleid des glaubens angethan angetroffen wird. Wel-
ches verderben denn nicht anders als ſchreckliche gerichte GOttes/ oder wohl gaͤntz-
liche verſtoſſung/ nach ſich ziehen kan. Es iſt aber ſolches verderben nur noch da-
durch ſo viel ſchwehrer worden/ wann nunmehr von guter zeit/ da GOtt nach ſei-
ner groſſen barmhertzigkeit einige ſeelen unter andern Chriſten/ und auch unter pre-
digern/ aus dem ſchlaff gewecket/ daß ſie das elend erkennen/ und ſo wol ſelbſt ein
rechtſchaffeners Chriſtenthum anders als heutige mode ſonſten iſt/ anſtellen/ als
bey andern darauff treiben/ ſolchem guten ſich faſt alles widerſetzen will/ und der
teuffel/ der den gefaͤhrlichen abbruch ſeines reichs wol mercket/ gleichſam alle
macht ſeiner hoͤllen auffbiethet/ daß doch ſolcher neurung (denn ſo muß es heiſſen/
wo man die alte wahrheit hervorbringet/ und ſie vor denen eine weil eingeſchlieche-
nen mißbraͤuchen reinigen will) geſteuret werde. Daß betruͤbteſte aber iſt/ daß
ſo viele aus unſern ſtande/ die doch GOTT taͤglich auff ihren knien vor die beſſe-
rung der kirchen anruffen/ wo ſich etwas hervor thaͤte/ ſich deſſen freuen/ und gleich
mit hand anſchlagen ſolten/ am hefftigſten allem was zur beſſerung des rechtſchaf-
nen guten vorgenommen wird/ widerſtehen/ und es deswegen/ (weil es gar zu grob
lauten/ und ſich nicht entſchuldigen laſſen wuͤrde/ die Gottſeligkeit nahmentlich zu
verwerffen) unter den ſchein/ als wenn allerley irrthum und heimliches gifft darun-
ter verborgen laͤge/ da ſie doch deſſen das wenigſte nicht erweißlich machen koͤnnen/
laͤſtern und verfolgen/ da doch die wahre urſach iſt/ theils das einige forgen/ wo ei-
niger leute mehrer fleiß/ an das amt und die erbauung der kirchen gewendet/ gebilli-
get werden ſolte/ es das anſehen gewinnen wuͤrde/ als haͤtten ſie bißher nicht das ih-
rige gnugſam/ und wie ſichs geziehmet gethan/ (da ihnen doch an ſolchen ruhm viel-
leicht mehr als an der ehre GOttes gelegen ſeyen mag) theils daß andern in den ſin-
ne liget/ wo ein ſolches ernſtliches Chriſtenthum/ wie einige fagten/ erfordert wuͤr-
de/ und ſolches auffkommen ſolte/ wuͤrden ſie gar nichts mehr gelten/ oder ſelbs an-
ders werden muͤſſen/ ſo ihnen gar nicht gelegen iſt. Dahero/ damit ſolches ihrem
intereſſe ſo ſchaͤdlich ſcheinendes werck/ nicht moͤge auffkommen/ muͤſſen alle fleiſch-
lich geſinnete ſich zuſammenthun um zu wehren/ und da es auff andere art und mit
[der] wahrheit nicht kan gehindert werden/ es mit falſchen verdacht zu belegen/ und
mit laͤſtern zu unterdrucken. Jch habe dieſes nun viele jahre nach einander ge-
ſehen/ und wol ſels erfahren; finde auch noch ſtaͤts/ daß der teuffel nicht anders/
ſondern endlich je laͤnger je gewaltſamer und unverſchaͤmter werde/ ſo aber ein zei-
che
[901]ARTIC. III. SECTIO XIIX.
hen iſt/ daß ſein reich zur neige gehet; wie nun dieſes das allgemeine gluͤck der recht-
ſchaffenen gottſeligkeit an allen orten iſt/ daß ſie gelaͤſtert/ uñ die dieſelbe ſich ernſtlich
laſſen angelegen ſeyen/ deßwegen von der welt (auch die unter geiſtlichen habit
ſich verbirget) verachtet/ verſpottet/ und gehaſſet werden/ ſo iſt ſich nicht zuverwun-
dern/ daß in ihrem land es nicht anders hergehet.


Vielmehr haͤtten wir uns zu befremden/ wo noch einiger ort waͤre/ an wel-
chen der guͤtige Vater ſeinen kindern dieſe pruͤffung ihres glaubens und ihrer ge-
dult nicht noͤthig finden/ und ihrer damit ſchonen ſolte. Daher wollen wir uns je
laͤnger je mehr lernen in ſolche ordnung GOttes ſchicken/ deſto fleißiger nach allen
vermoͤgen/ daß der HErr jeden darreichen wird/ das jenige/ was unſere Chriſten-
pflicht erfordert/ ohne aufſehen auf menſchen zuverrichten trachten/ der welt urtheil
und haß daruͤber nichts achten/ hertzlich um beſſerung beten und derſelben nach goͤtt
licher verheiſſung in glauben und gedult e[r]warten/ gewißverſichert/ auf ſolche wei-
ſe koͤnne es uns an ſieg nicht ermangeln und ſolte die welt vor zorn berſten wollen.
Wir leben ohne das in der zeit/ da die huͤlffe des HEꝛrn immer naͤher komt/ und
dieſer/ wo er die ſeinige gnug/ auch durch leyden/ gelaͤuteꝛt haben mag/ ſeine feinde
und der ſeinigen verfolger mit maͤchtigem arm angreiffen/ und zur ſtraffe ziehen/
hingegen an denen jenigen/ die in denen truͤbſalen ausgehalten haben/ ſeine auch de-
nenſelben gethane herrliche verheiſſungen haar klein und ſehr herrlich erfuͤllen wird.
Welche verſicherung uns den trefflich aufmuntern kan/ das wenige/ was uns
etwa zu dieſer zeit zuleiden noch vorſtehen moͤchte/ mit getroſtem hertzen anzuſehen:
und obs dann eine weil hart halten/ und die feinde des guten die voͤllige obhand zu
gewinnen ſcheinen moͤchten/ ſolle dochgewiß ď ſieg auff der jenigen ſeite bleiben/ wel-
chenin glauben u. gedult ausharren. Dz in uͤbrigen auch an hieſigen hof das geruͤch-
te als von einer neuen ſecte erſchollen/ will ich nicht zweiffeln/ doch haben wir den
himmliſchen Vater demuͤtigſt zu dancken/ der uns eine ſolche Chriſtliche herrſchaft
beſcheret hat/ die ob ſie unſerer confeſſion nicht zugethan/ doch auch unſerer kirchen
rechtſchaffene erbauung gern ſihet/ und willig befordert/ hingegen der widrigkeit
derjenigen/ welches aus falſch genanter geiſtlichen antrieb aus unwiſſenheit oder
boßheit das gute anfeinden/ nicht freye macht unſchuldige zu unterdrucken laſſen
wird. Wie denn bereits durch reſcripta an die regierungen von Magdeburg uñ
Halberſtadt auch ſtadt Magdeburg ergangen/ da denen jenigen inhibition zu thun
befohlen wird/ die auf denen cantzeln die ſo genante Pietiſten angreiffen und mit ge-
walt eine neue ſecte/ wo keine iſt/ erzwingen wollen. Jndeſſen wollen wir uns doch
nicht auf menſch- und weltlichen arm verlaſſen/ ſondern aufden HErrn HErrn/
deſſen ſache es iſt/ und der die jenige/ ſo ihm treulich zu dienen ihre ſorge ſeyen laſſen/
zu ſchuͤtzen/ oder wo er ſie in gefahr kommen zu laſſen dienlich findet/ wiederum zu-
errettẽn vermag. Er gebe uns nur alle zeit ſeinen willen zuerkennen/ daß noͤthi-
ge liecht/ u. zu volbringen die zu laͤngliche krafft. Sonderlich wolle er das jenige gu-
Xx x x x 3te/
[902]Das ſechſte Capitel.
te/ ſo er in meines wertheſten Heꝛrn theurer ſeelen angefangen und bekraͤfftiget hat
immer ſtaͤreken gegen alle anlaͤuffe der feinde/ innerlich und aͤuſſerlich/ an denen es
nicht mangelnkan/ befeſtigen/ einen ſieg nach den andern erhalten laſſen/ und den-
ſelben zu einenliecht machen/ daß ihrer viel zugeſegneter nachfolge leuchten moͤge.
den 24. Oct. 91.


SECTIO XIX.


Als uͤber meinedirtesbedencken ein vornehmer
mann ſcrupel gefaſt wegen vertheidigung der Pietiſten/
der von Aſſenburg und des tauſend jaͤhrigen-reichs
erklaͤhrung.


ALs NN. mir die ehre that/ abſchied bey mir zunehmen/ that er meldung das
des Herrn NN. Exc. mit meinem judicio, ſo ich auf befehl an unſere gnaͤ-
digſte Churfuͤſtin geſtellet/ nicht zu frieden ſeye/ und einige objectiones an
ihn gemachet/ mich daruͤber zubefragen/ wie er aber das ſchreiben nicht bey ſich hatte/
nach ſich alles erinnerte/ alſo nahm er vor/ mir einen extract davon noch zuſtellen
zulaſſen/ ſo aber durch ſeine abreiſe mag gehindert worden ſeyen: deswegen E. Excel.
ſo vielmehr verbunden bin/ daß dieſelbe mir großg. eroͤffnung und communicati-
on
davon thun wollen/ um gelegenheit zuhaben/ meine declaration zuthun/ als
der nicht gerne bey einem hohen Patron/ welcher mehrere jahre mich ſeiner gunſt ge-
wuͤrdiget/ in andern concept kommen moͤchte. Es hat mich aber bald dieſes ge-
freuet/ daß ich davor halten muß/ weil Herr NN. einer Apologie gedencket/ daß
derſelbe mein bedencken nicht geſehen/ ſondern nur etwas davon gehoͤret haben
muͤſte/ daher wo ers ſelbs ſehen ſolte/ vielleicht dieſe objectiones nicht noͤthig zu
ſeyen vor ſelbſten erkennen wird. Maſſen mein bedencken keine Apologie in den
erſten beiden ſtuͤcken iſt/ in dem was die Fraͤulein von Aſſenburg anlangt/ ich mein
judicium noch ſuſpendiren muß/ und davor halte/ daß die ſache gruͤndlich davon
zu urtheilen noch nichtzeitig gnug ſeye/ u. mich alſo huͤte etwas mich zu præcipitiren
in einer ſache/ wo man ſein gewiſſen leicht verletzen kan: Hr. D. Peterſen belangend
gebe ich ihm ein zeugnuͤß/ wie ich aus warheit und liebe ſchuldig bin; berge aber nicht
daß ich unterſchiedliches anders gethan wuͤnſchete/ ihm daruͤber mehr entſchuldi-
gende/ als voͤllig vertheidigende: Nur was den dritten punct angehet/ bekeñe daß die
unſchuld der ſogenanten Pietiſten defendire, und ſo fern iſts eine Apologie: ſo
aber auch nur darinnen beſtehet/ daß ich/ wie ich als der acten voͤllig kundig wohl
vermag/ bezeuge/ daß ſie alles deſſen/ weſſen ſie beſchuldiget worden ſind/ unſchul-
dig ſeyen/ und von dem neid fleiſchlicher Theologorum haben leyden muͤffen:
dabey wiederum bedinge/ daß ich vor keine andere die feder anſetze/ als welchen ſol-
cher nahme erſt in Leipzig gegeben worden/ und wo dieſelbe hingekommen ſind: dañ
wie geſchehen kan/ das anderwertlich ſolcher nahme auch anderen leuten/ die in et-
was mit dieſen uͤbereinkommen gegeben worden/ und ſolche doch warhafftig mit
ſchwer-
[903]ARTIC. III. SECT. XIX.
ſchwermereyen behafftet ſeyẽ koͤnten/ ſo haͤtte mich deroſelben nicht anzunehmẽ/ noch
hielte gemeinſchafft mit ihnen: Wie ich auch es mit dieſen/ deren unſchuld ich jetzt
erkenne/ nicht halten wuͤrde/ wo ſie desjenigen/ was von ihnen ausgegeben worden
ſchuldig waͤren/ ſo ich aber anders weiß. Nechſt dem bekenne/ daß auch die obje-
ctiones
nicht voͤllig verſtehe/ in dem ich nicht weiß/ ob ſie wieder alle 3. ſtuͤcken mei-
nes bedenckens/ oder allein eines gerichtet ſeyen; jedoch will meine declaration hier-
uͤber thun/ ſo viel ich die abſicht derſelben erkenne.


1. Was anlangt die ſingularitæt dieſer neuer Chriſten/ welche ordenlich
hochmuth und verachtung anderer nach ſich ziehe/ m der kirchen trennungen mache/
und alſo auch den ſtaat folglich turbire: ſo bekenne 1. daß ich keine ſingularitaͤt lie-
be und billige/ ſo gar als vor mehreren jahren ein Chꝛiſtltcher politicus eine ſonder-
bahre ſocietaͤt rechtſchaffener Chriſten unter gewiſſen legibus anſtellen wolte/ und
meinen aſſens zu erſt hoffte/ ich alles mißrathen/ daß es auch unterbliebe.


Wo aber 2. von denen ſo genanten Pietiſten dieſes geſagt wird/ daß ſie ſin-
gularitæten
haͤtten/ kan ich verſichren/ daß mir weder in lehre noch in leben eine
einige ſingularitæt vorgekommen: man moͤchte denn daß jenige eine ſingulari-
tæt
nennen/ daß ſie ſich deſſen/ was wahrhafftig allen Chriſten zukommt/ mit
mehrerer ſorgfalt als insgemein geſchiehet/ beflieſſen: Da aber die ſchuld/ daß ſol-
ches etwas ſingulares wird/ nicht derer jenigen iſt/ die die allgemeine pflichten in
acht nehmen/ ſondern derer/ welcher leben dieſelbe rar machet. Jch weiß zwar
wol/ was vor ſeltſame und abenthererliche dinge/ die rechte ſingulariteten gewe-
ſen waͤren/ von ihnen in Leipzig geſaget worden/ es hatt ſich aber in der unterſuchung
alles falſch befunden. Wo man aber ihr leben vor ſingular haͤlt/ ſo muͤſte die ſchuld
auff goͤttliches wort fallen/ indem ſie nichts als deſſen reguln ihnen ſelbs und andern
vorſchreiben. Wie Herr M. Franckens converſation regeln deſſen zeugnuͤß
geben koͤnnen.


3. Daher kan auch keine hoffarth oder verachtung anderer daraus entſtchen/
ſondern ſie ſetzen die demuth ſelbs zu eine der erſten pflichten der Chriſten/ und ken-
ne ich unter ihnen ſolche/ welche von GOtt ein gleiches gnaden-maß empfangen/
aber ſo gar ſich deſſen nicht uͤberheben/ da ſie was an ihnen iſt nicht einmal erken-
nen.


Alſo finde auch 4. nichts/ was einige trennung in der kirchen an ſich ſelbs er-
wecken koͤnte/ da dieſe leute weder anders lehren noch anders thun/ als was ande-
re ſelbs bekennen muͤſſen/ daß man thun und lehren ſolte. Zwar das unruhen ent-
ſtanden ſind und entſtehen koͤnnen/ leugne ich nicht/ es zeigen es auch die exempel/ abeꝛ
davon iſt die frage/ ob dieſe leute/ oder wer daran urſach ſeye? das exempel in Leipzig
u. Erffurt iſt neu/ da es ziemlich lermen gegeben/ an dieſem ort auch Hr. M. Fran-
ckedimittiret worden. Jndeſſen hat durch alle inquiſitionen in Leipzig nicht die
geringſte unrechte lehre noch begangenesſtraͤffliches auf die ſo genanten Pietiſten
gebracht werden koͤnnen: Ja in Erffurt hat man gegen Herrn M. Francken bey der
di-
[904]Das ſechſte Capitel.
dimisſion ſich nicht einmal getrauet darauff zu beruffen/ daß er in lehr oder leben
ſtraͤfflich geweſen/ ſondern allein/ daß ſeinet wegen viel unruhe entſtanden. Su-
chet man denn die urſach/ die ja an den unſchuldigen nicht ſeyen kan/ ſo iſt ſie allein
zu finden bey den Predigern/ welche ſich denenſelben aus gewiſſer ratione ſtatus,
weil ſie ſorgen/ ihr leben und fleiſchliches thun werde durch anderer beſſer exempel uñ
mehreren fleiß beſchaͤmet/ wiederſetzen/ allerley boͤſes ihnen aufdichten/ ſie dem
volck verhaſt machen/ und unter dieſen die boͤſe ſonderlich gegen ſie animiren. Hier
aber hoffe/ ein jeder cordatus werde erkennen/ ſolchen motibus vorzukommen/ o-
der dieſelbe zu ſtillen/ ſeye das zulaͤngliche mittel nicht/ unſchuldige zu unterdrucken
zu laſſen/ ſondern denen fl[e]iſchlichen auffzulegen/ daß ſie jene etwas boͤſes uͤberfuͤh-
ren/ oder da ſie es nicht koͤnnen/ ein gebiß ins maul zu werffen/ ſo wird ſich die un-
ruh bald ſtlllen. So folget nicht/ wo einige widerſetzlichkeit ſich findet/ daß ſolche
leute gleich deſſen gegruͤndete urſach haben/ ſondern man haſſet offt unveꝛſchuldet.
Jch erinnere mich dabey/ was mir ein vornehmer und anſehnlicher Cavallier, ſo in
nicht geꝛinger charge ſtehet/ juͤngſt geſchrieben/ daß er ſich verwundern muͤſſe/ was
ihm ſelbs begegne/ da er anfange nichts anders zuthun/ als worzu er ſein lebtag von
denen Predigern in predigten angewieſen worden/ daß ers thun ſolte/ in dem nun
dieſe die hefftigſte dagegen waͤren/ und aus ſolchen einigen verdacht ſchoͤpfen wol-
ten. Alſo folget 5. daß von dieſen leuten daß gemeine weſen keinen nachtheil habe/
ſondern vielmehr wann ſie geziemend geſchuͤtzet werden/ davon nicht weniger ſeegen
hoffen koͤnne.


[II]. Was die andere objection anlangt/ bleibe noch dabey/ daß man ſich
groſſer vorſichtigkeit zugebrauchen habe gegen falſche Propheten: alſo auch daß ei-
nige falſche Propheten werden koͤnten/ die es nicht wuͤſten durch phantaſie und
kranckheit. Doch wuͤrde mir die propoſition zu hart vorkommen/ und ich derſelben
nicht unterſchreiben koͤnnen/ daß auch die heiligſte leute (les plus ſaints hommes)
falſche Propheten werden koͤnten: Jndem die jenen nahmen tragen koͤnten/ noth-
wendig in einem ziemlichen grad goͤttlichen liechtes (ſo mit zu der heiligkeit gehoͤ[r]et)
ſtehen muͤſten/ da mit ich einen ſolchen betrug der phantaſie/ da ſie ſich goͤtt-
liche offenbahrungen faͤlſchlich einbildeten/ nicht zu reimen vermoͤchte/ ob ich wol zu-
gebe/ daß ſich dergleichen wohl bey guten frommen einfaͤltigen finden koͤnte. Alles
aber dieſes kan meinem bedencken wegen der Fraͤulein von Aſſenburg nicht entge-
gegen gehalten werden. Denn ich erfordere mit ernſt gegen falſche Propheten
vorſichtigkeit: Es gehoͤret aber zu der vorſichtigkeit/ als deroſelben erſte pflicht/ die
pruͤffung und erkaͤntnuͤß derſelben/ daß ſie es nemlich ſeyen: wo denn unſer Hey-
land ſelbs die kennzeichen giebet/ daß man ſie an den fruͤchten erkennen ſolle. Nun
wo erſtlich ausgemachet waͤre/ daß gedachte von Aſſenburg eine falſche Prophetiñe
waͤre/ ſo ginge daß vorſehen vor ihr weiter/ und erforderte unterſchiedliches von un-
terſchiedlichen ſtaͤnden/ um allerley gefahr/ ſo von falſchen Propheten zubeſoꝛgen/
zube-
[905]ARTIC. III. SECTIO XIX.
zubegegnen. Jn dieſem zuſtand aber ſtehet alles noch in denen terminis, daß di[e]
ſache zu pruͤffen und zu unterſuchen/ und zwar/ wie ich noͤthig achte/ nichts zu uͤber-
eilen iſt. Dahin aber gehet alles in meinen bedencken/ nachdem meine meinung gnaͤ-
digſt begehret worden/ daß ich ſage/ ich koͤnte noch davon nicht urtheilen/ ſondern
weiſe es auff die unterſuchung und zwar die mit groſſer vorſichtigkeit und ſorgfalt/
als in einer ſache da es aufs wenigſte moͤglich ſeye/ daß GOtt etwas ſonderbares
innen haben moͤchte/ vorzunehmen iſt. Worzu vielleicht einige zeit mag erfordert
werden/ biß alles etwas zeitiger werde. Alſo ziele[t] meine gantze abſicht auf das je-
nige/ was auch Chriſti meinung iſt/ der uns befohlen/ uns vor denen falſchen
Propheten fuͤꝛzuſehen/ davon ich geprediget habe/ aber dzuͤbrige fuͤrſehen nothwen-
dig vor ſich her die unterſuchung erfordert. Dann ſo gefaͤhrlich es iſt falſchen Pro-
pheten zu folgen/ ſo mißlich wuͤrde es auch ſeyen/ da GOtt eine Huldam/ (welche 2.
Chron. 34/ 22. der Koͤnig und Prieſter rath zu fragen ſich nicht ſcheueten) irgend
erweckte/ ohne gnugſame pruͤffung ſolche verwerffen. Jndem GOtt alles mit groſ-
ſer ſorgfalt behandelt haben will/ wo moͤglich iſt/ daß er ſeine werck darinnen haͤtte/
um ſich nicht unvorſichtig an ihr ſelbs zuvergreiffen.


3. Was endlich betrifft die meinung von dem tauſendjaͤhrigen reich Chriſti auff
erden/ habe mich ſo wol mehrmahls anderwertlich als auch in den bedencken erklaͤ-
ret/ wiefern ich etwas darvon annehuie/ und wo ich anſtehe. Die gantze ſache aber
ſelbs anlangend/ kan ich nicht ſagen/ daß nachgethanener objection, die verkuͤndi-
gung unſers Heylandes an ſeine juͤnger/ von dem leyden und verfolgung/ welches
dieſelbe hier in deꝛ zeit betreffen ſolte/ die von einer herrlichen zeit ſchoͤpfende hoff-
nung umſtoſſe; ſondern die bekante regul, diſtingve tempora \& concordabit
ſcriptura
hebet alle ſchwerigkeit auff. Alſo muͤſſen beyderley ſpruͤche wahr bleiben
ſo wol welche von den leyden lauten/ als auch die einen gluͤckſeligern zuſtand der
kirchen gegen die letzte zeit hin und wieder in den Propheten zuſagen/ wiewohl ich
nicht ſagen will/ daß in ſolcher beſſern zeit die glaͤubige gantz ohne leyden ſeyen wer-
den/ dann ob die kirche auch ohne verfolgung waͤre/ und das meiſte leyden eine zeit-
l[a]ng aufhoͤrete/ welches die frommen von denen untermiſchten boͤſen leiden muͤſſen/
ſo wirds doch bey allen die noch in dem fleiſch leben/ an andern leiden auch nicht eꝛ-
mangeln/ durch welche der himmliſche Vater ihren glauben und gedult uͤben wird.
Wie wir alſo nicht leugnen koͤnnen/ daß ob wohl allen Chriſten ihr leyden vorgeſa-
get iſt/ dannoch unterſchiedliche perſonen/ zeit und ort mit groſſem unterſchied/ we-
niger und mehr deſſelben theilhafftig werden/ ſo wird uns auch ſo ungereimt nicht
vorkommen/ daß der HErr einige zeit mehr als jemahl der leyden befreyen wolle.


Hiermit hoffe Sr. Excel. dem Hrn. NN. wegen gedachter objectionen eine
gnuͤge zugeſchehen: auch wuͤrde ſelbs/ wo ich anlaß darzu gehabt/ an denſelben des-
wegen geſchrieben haben/ als der nicht gern wolte der vorigen gunſt eines hochge-
ſchaͤtzten Patronen verluſtigt werden. Solte auch dafern S. Excel. ſelbs oder
Y y y y ydurch
[906]Das ſechſte Capitel.
durch Herrn NN. einiges hiervon zu communiciren belieben/ etwas weiters
in der ſache von denſelben veꝛlangt/ und mir ſelbs davor zuſchreiben verſtattet
werden/ werde ich nicht entſtehen/ alß der ich allerdings wuͤnſche/ ſolchen voꝛ-
nehmen Herrn allezeit unter die befoͤrderen desreichs Gottes/ ſo ohne ſegen nie blei-
bet zu wiſſen und zu veneriren. 9. Jan. 1692.


SECTIO XX.


An Churfuͤrſt Joh. Georg denIV.in Sach-
ſen gerechte beſchwerde uͤber das ſo mir als andern un-
ter den nahmen der Pietiſten angethanes
unrecht


(NB. Dieſes unterth. ſchꝛeiben habe bereits 1695. in meiner gegen Herr D. Schel-
wigen ausgegebenen freudigen gewiſſens frucht p. 10. und ferner drucken laſ-
ſen.)


Goͤttliche gnade und Geiſt zu geſegneter regierung u. aller hohen wolfahrt.


Durchlauchtigſter Fuͤrſt/
Gnaͤdigſter Churfuͤrſt und Herr.

OBich wol bey antretender Ew. Churfuͤrſtl. Durchl. regierung die ſo viel
mehrere und ſchwaͤhrere geſchaͤfften ſehr ungern mit meiner angelegenheit
vermehre/ ſo dringet mich dennoch ſo wol die noth/ als unterthaͤnigſtes ver-
trauen zu Ew. Churfuͤrſtl. Durchl. gerechtigkeit/ bey deroſelben das jenige anzu-
bringen/ woran nicht nur mir/ ſondern als viel ich begreiffe ſelbſten Ew. Churf.
Durchl. und dero ſelben regierung/ ſo allen gluͤcklichen fortgang von goͤttlicher gna-
de haben muß/ dieſe aber die rettung der unſchuldigen allerdings erfordert/ nicht ein
weniges gelegen iſt: Auf was vor eine art D. Carpzovius in Leipzig numehr auff an-
derthalb jahr und druͤber/ ſich gegen mich bezeuget/ mich nicht nuꝛ bey den daſelbſt
ſich haltenden ſtudioſis ſondern auch außwaͤrtigen in allerley verdacht zu ziehen ſich
bemuͤhet/ und endlich mit gedruckten programmatibus in dem nahmen der Uni-
verſitaͤt (deſſen er ſich als zeitlicher Decanus Theologiæ gebrauchet/ und der Re-
ctor
ſolches vorher nicht zuſehen pfleget) offentlich angegriffen habe/ mag viel-
leicht Ew. Churf. Durchl. aus dem was noch in Dreßden gegen dieſelbe unter-
ſchiedliche [m]ahl muͤndlich gedacht habe/ einiger maaſſen erinnerlich ſeyen; er iſt a-
ber in ſolchem noch nach demſelben/ aus hoffnung ſich der zeit und conjuncturen
zu ſeinem vortheil zugebrauchen/ zu meines ohne ꝛuhm zumelden vor der kirchen her-
gebrachten guten zeugnuͤßes bekraͤnckung unverantwortlich fortgefahren; Nechſt
dem will verlauten/ nach dem der groſſe GOTT Ew. Churfuͤrſtl. Durchl. ſelbſt
in die regierung geſetzet/ daß deroſelben von einigen/ welche geſorget/ daß dieſelbe
von
[907]ARTIC. III. SECTIO XX.
von dero geweſenen beichtvaters lehre und gemuͤth beffeꝛ gedancken haben moͤchten/
bey zu bringen getrachtet werde/ gleich als waͤren alle Univerſitaͤten und Theolo-
gi
in dero landen mir zu wider/ und fuͤhreten beſchwehrung wider mich/ ob ſuch-
te ich neue lehr-arten wider die Augſpurgiſche Confeſſion und libros Symbolicos
einzufuͤhren/ hingegen die alte loͤbliche ordnungen auff Schulen und Univerſitaͤ-
ten zuzernichten und waͤre ein urheber und vertheidiger des ſo genanten pietismi,
der vor eine ſchaͤdliche ſecte ausgegeben wird; ja gar ſolte Ew. Churf. Durchl.
aus dero Ober-Confiſtorio ein Theologiſches bedencken wider mich eingegeben
ſeyen/ da doch noch vor einen jahre der Superintendens zu Dreßden auff befragen
E. Churf. Durchl. præſidenten (aus deſſen munde es habe) als von meiner dimis-
ſion
gehandelt worden/ außdruͤcklich bekant hat/ daß man mich keiner irrigen lehre
zu beſchuldigen vermoͤge/ ſondern wo man auch an einiger redens-art anſtoß habe/
ich mich allezeit orthodoxe erklaͤhrete. Wenn aber ich meiner unſchuld verſichert
bin/ und deßwegen getroſt vor jedem ſtehen darff/ ſo ergehet zu vorderſt an E. Churf.
Durchl. mein unterthaͤnigſtes/ und wie ich nicht zweiffele deꝛ billigkeit/ ja gerechtig-
keit/ allerdings gemaͤſſes bitten dahin/ mir die gnade zu erzeigen/ und das jenige/ ſo
wieder mich eingegeben/ damit ich nicht ungehoͤret verdammet und als ein verwir-
rer der kirchen angeſehen werde/ zu meiner verantwortung communiciren zu laſ-
ſen; Denn ob ich wol verſichert bin/ wann auf Ew. Churf. Durchl. Univerſiteten
an ſingula membra aus allen corporibus begehret wuͤrde/ daß ein jeder nach
dem eyd und pflicht/ damit er ſeinem GOtt u. ſeinem Churfuͤrſten verbunden waͤre/
in einen verſchloſſenen ſchreiben/ was ihn von meiner lehre und dem auch ſo genanten
pietismo wiſſend waͤre und was er von mir und andern vor grund habe/ an Jhre
Churf. Durchl. ſelbſt einſchicken/ und dabey veꝛſichert ſeyen ſolte/ daß die jenige/ vor
denen ſich ein und andere zufuͤrchten haͤtten/ nichts davon erfahren ſolten/ daß ge-
wiß ſolche nachrichten einlauffen wuͤrden/ dadurch mein und anderer leute unſchuld
ſattſam an dentag kommen ſvlte; ſo iſt doch die hoͤchſte billigkeit/ die jenige anſchul-
digungen/ wo mit ich mich vor der Evangeliſchen kirchen eines gantzen landes/ den
ich nach GOttes willen eine zeitlang voꝛgeſtanden bin/ u. nach geſchehener goͤttliche
vocacation hieher mit aller gnadẽ bezeugung weg gelaſſen worden/ graviret ſehen
ſolle/ mir zu meiner eigenen verantwortung zu communiciren, und nicht mit mi-
wie mit denen ſo genanten Pietiſten/ verfahren zu laſſen; von welchen unlaugba[r]
und notoriſch iſt/ daß man keinen der angeſchuldigten weder ſelbs hoͤren noch ihr[e]
beſchuldigung/ dem geſetz der billichkeit nach in gebuͤhrender ordnung von unpar-
theiſchen Richtern hat unterſuchen laſſen wollen/ wormit man ſonſten gar leicht hin-
ter die warheit wuͤrde gekommen ſeyen; da doch dem aͤrgſten auch woll nothoriſchen
uͤbelthaͤtern dergleichen nicht verfagt zu werden pflegt; welches bißherige verfah-
ren vermuthlich weder von E. Churf. Durchl. ſelbſt (vor dero regierung desglei-
chen vorgegangen) noch der geheimen Rath/ darinnen gleichwol viel redliche Chriſt-
Y y y y y 2liche
[908]Das ſechſte Capitel.
liche leute ſind/ die ihr gewiſſen mit ſolcher ungerechtigkeit nicht beſchweret (wieder
dero verordnung aber nicht weniges von andern geſchehen iſt) noch ſich fre[m]der
ſuͤnden werden theilhafftig machen wollen/ gebilliget werden wird/ oder kan.


Damit aber Ew. Churf. Durchl. mein gutes und freudiges gelaſſen/ ſo ich
vor GOtt und derſelben habe/ mit wenigern darſtelle/ ſo bezeuge


1. Daß ich mir nicht bewuſt bin/ ein einiges dogma, ſo wider die Augſpur-
giſche Confesſion und libros Symbolicos ſtreite/ behauptet zu haben/ ober zube-
haupten: und haͤtte deßwegen unterthaͤnigſt zu bitten/ meine widrige dahin zuhal-
ten/ mir einiges nahmhafft zu machen/ da ich denn/ wo ich eintziges deſſen warhaf-
tig uͤberfuͤhret wuͤrde/ mich zur enderung (denn auch in dieſen jahren mich wo ich
anſtieſſe/ weiſen zu laſſen nicht ſchaͤme) ja zu aller beſtraffung/ ob wol nunmehr
auſſer Ew. Churf. Durchl. lande nach GOttes fuͤgung lebe/ willig erbiehte ꝛc.


2. Daß ich weder jemahlen die kirche zu verwirren geſucht/ noch etwas deſ-
ſen jemahlen angegeben habe/ woraus von ſelbſten deroſelben verwirrung folgte:
denn wo heylſame anſchlaͤge gegeben oder anſtalten veranlaſſet werden/ dadurch
andere/ ſo das ihrige nichtrechtſchaffen gethan haben/ beſchaͤmet zu werden ſorgen/
und dieſe deswegen unruhe anfangen/ auch von den jenigen/ welche derſelben muth-
willen nach ihrenpflichten und amt ſteuren/ und das gute ſecundiren ſolten/ nicht
coerciret werden/ ligt ſolche ſchuld deꝛ verwirrung alsdenn nicht auff denen/ die die
beſſerung geſuchet/ ſondern welche dero gute intention boͤßlich beſtreiten/ und alles
lieber in unruhe ſetzen/ als etwas zu geben/ daß ſie ihrer rationi ſtatus widrig zu
ſeyen ſorgen.


3. Daß ich keine einige alte ordnung der Univerſitaͤten und Schulen uͤmzu-
ſtoſſen getrachtet/ ſondern vielmehr/ da was die. Theologiam anlanget E. Churf.
Durchl. hochſelige vorfahren/ das hauptwerck/ auff die handlung der heiligen
ſchrifft geſetzet (daran das wenigſte leyder gedacht wird) dieſelbe abſicht auch zum
letzten zweck aller meiner conſiliornm geſtellet/ aber eben damit ſo viele/ deren ab-
ſicht auff andersgehet/ wieder mich irritiret habe.


4. Daß es ein gottloſes gedicht ſey/ was von dem pietismo als einer ſon-
derbahren ſecte/ in alle welt aus Leipzig auſ-ſpargiret worden/ u. noch zu feꝛner zeit
die boßheit der jenigen/ welche damit ſie nicht in ihren erſten vorgeben moͤchten falſch
befunden werden/ ſolches noch immerfort behaupten/ ſich klar nicht nur vor GOt-
tes richterſtul/ ſondern hoffentlich noch vor der gantzen welt offenbahren werde.
Wie denn da ich tragenden amts-wegen die geſamten acta der beyden inquiſi-
tionen
durchleſen/ und meinen unterthaͤnigſt. bericht auff gnaͤdigſten befehl ein-
geben muͤſſen/ und als in der furcht des HErrn die ſache alſo genau eingenommen/
und erwogen babe/ ich nochmals Ew. Churf. Durchl. hiemit vor GOttes augen
verſichere/ daß auff die unte den nahmen des pietismi angeſchuldigte nichts weder
von irrthuͤmern der lehre/ noch in dem leben und wercken wider goͤttliche und welt-
che
[909]ARTIC. III. SECT. XX.
che geſetze ſtreiten des/ erwieſen worden u. ſie als rechtswegen aſo unſchuldige haben
abſolviret werden ſollen/ und billig noch zu abſolviren ſind. Hirmit nach einigen
linien fahre ich fort.
Jch erbiete mich auch/ da Ew. Churfuͤrſtliche Durchl. gnaͤ-
digſt geruhen ſolte meine beyde unterthaͤnigſte in den geheimen rath befindliche be-
dencken/ denen ſo widriger meinung ſind zur beantwortung vorlegen zulaſſen/ ſol-
che von allen dem/ was dieſe dagegen excipiren wuͤrden/ mit gutem grund zu ret-
ten/ als der ich weiß vor GOTT und vor der unpartheyiſchen welt eine gute ſache/
und mich unſchuldiger und von maͤchtigern hart gedruckter leute/ angenommen/ zu
haben: deſſen mich auch nimmermehr gereuen ſolle. Alſo geſchiehet Ew. Churf.
Durchl. kirche und lande von eigenen dero einwohnern und zwar ſolchen/ die viel-
mehr deſſen guten nahmen und ruhm befoͤrdern ſolten/ unrecht/ mit der erdichtung
einer neuen in denſelben entſtandenen ſecte, davon der geꝛingſte doch nicht voꝛhandẽ
iſt/ und mit oerwirrung der gemuͤhter/ welche vor gefahr gewarnet werden/ da kei-
ne ſich findet/ und ſie deswegen nachmahl in verdacht das jenige ziehen/
was gantz ohne ſchuld iſt. Daraus auch geſchehen kan/ daß kuͤnfftig alle Theolo-
gi
und Prediger dero lande furcht haben werden/ einige Gottſeligkeit von ſich leuch-
ten zu laſſen/ damit ſie nicht den nahmen der Pietiſten auff ſich laden moͤchten.


5. Daß wo man die gantze ſache nach der wahrheit/ wie ſich endlich offenbah-
ren muß/ unterſuchet/ ſich nichts anders ergeben werde/ als daß in Leiptzig Chriſt-
liche ſtudioſi gewefen die ſo wol ſelbſt erkant/ als andere angewieſen haben eins-
theils/ daß einem ſtudioſo Theologiæ das ſtudium der heiligen Schrifft das aller-
nothwendigſte ſeye/ und zwar ohne ausſchlieſſung der uͤbrigen ſtudiorum/ nach
CHRJSTJ und der Apoſtel eigenen zeugnuͤß der vornehmſte fleiß auff daſſelbe
(wie dieſes auch in denen alten ordnungen befohlen/ nicht aber wie ſichs geziehmet
in acht genommen worden iſt) gerichtet/ anderntheils daß die uͤbung des rechtſchaf-
fenen Chriſtenthums zu der erudition hinzu gethan und nicht weniger auff jene als
auff dieſe getrieben werden muͤſſe/ welche nun dieſes gethan/ und in ihren ſo colle-
giis
nach der academiſchen freyheit als aller converſation getrieben haben/ die
hat man ſpotsweiſe Pietiſten gẽnennet/ und ſie daruͤber ſo hart gedruͤckt. Was
aber weiter ihnen ſchuld gegeben wird/ iſt alles ohne grund/ und unerwieſen/ beſte-
het auch zimlich theils in verkehrung an ſich guter dinge/ welche ungleich und nicht
nach der regel der wahrheit und liebe auffgedeutet werden.


Wo auch E. Churfuͤrſtliche Durchlauchtigkeit gnaͤdigſt befehlen ſolten/ bin
ich bereit dergleichen dinge ſo in der ſache vorgegangen/ deroſelben vorzuſtellen/ dar-
an handgreifflich viele ungerechtigkeit/ welche veruͤbet worden/ zu erkennen iſt.
Wiewohl bey allen dieſen ich bedinge/ wo von dem pietismo redet/ daß nichts mei-
ne/ als was die jenige und ihre actiones betrifft/ die zu Leipzig beſchuldiget/ und ih-
[n]en des falls ſolcher nahme beygeleget iſt worden/ vor dero unſchuld ich ſtehen kan/
Y y y y y 3mich
[910]Das ſechſte Capitel.
mich aber nichts anzunehmen haͤtte/ wo andern anders wo ſolcher nahme auch gege-
ben wuͤrde/ die ſich etwa in andern dingen vergehen moͤchten.


Wenn denn Ew. Churfuͤſtl. Durchl. aus dieſer kurtzen vorſtellung nach de-
ro erleuchteten veꝛſtand auffs wenigſte ſo viel eꝛkennen/ daß es gleichwohl eine wich-
tige ſache ſeye/ und wo es ſich alſo verhalten ſolte/ daß ſolchen leuten bisher unrecht
waͤre geſchehen/ wie ich mich ſolches darzuthun unterthaͤnigſt erbiehte/ der gleichen
unrecht/ dafern damit fortgefahren wuͤrde/ uͤber Ew. Churfuͤrſtl. Durchl. deroſel-
ben regierung und lande nichts anders als GOttes/ der uͤber die beſchwehrung der
frommen und unſchuldigen ernſtlich eiffert/ zorn/ auch die ſchuld/ daß andere orte
gegen ſolche leute/ als bereits von ſo hohen ort verdammte/ auch unbillig verfahren
und ſich auff ſolches præiudiz beruffen (wie wircklich bereits geſchehen iſt) ziehen
wuͤrde; ſo weꝛden ſie nicht weniger gnaͤdigſt eꝛmeſſen/ daß es eine der alleꝛwichtigſten
angelegenheiten bey derer geſegneten antrit ihrer regierung billig ſeyen ſolle/ alles
was in ſothanen gefchaͤfften bey 2. jahren vorgangen iſt/ auffs genauſte und ohne
partheiligkeit oder anſehn derer/ ſo bißher damit zu thun gehabt/ durch deren gehei-
men rath zu unterſuchen/ die beſchuldigte zu ihrer allerzeit geſuchten aber niehmahls
verſtatteten defenſion zu admittiren/ und alsdenn zu gleich ein gerechts urtheil/
wie es vor jenen gerechten richter dermahleinſt beſtehen kan/ ausſprechen zu laſſen:
Denn wie ich ſelbſt nicht verlange/ daß wo die beſchuldigte einiger boßheit/ unrechts
u. unziemlicher neuerung uͤberfuͤhret wuͤrden/ ihnen nach geſehen wuͤrde/ ſo wird die
gerechtigkeit ſelbs erfordern daß auch die jenigen nicht leer ausgehen/ die unter fal-
ſchen vorwand der orthodoxiæ und ſorge vor die ruhe der kiꝛchen ungegruͤndete de-
lationes
gethan/ und die unſchuld Chriſtlicher leute auff allerhand weiſe zu unter-
druͤcken getrachtet/ darmit aber unſere arme kirche verunruhiget/ und doch deſſen
ſchuld auff friede- und ruhe-liebende perſonen unbillig geleget haben.


Geſchiehet nun ſolches/ wie denn zu Ew. Churfuͤrſtl. Durchl. die gerechtig-
keit liebenden gemuͤht mich dergleichen/ wie auch dero gnaͤdigſten ſchutzes gegen D.
Carpzov.
in Leipzig und andere/ welche mich unbillig bißher angegriffen haͤtten/
gebuͤhrender maſſen unterthaͤnigft verſehe/ ſo werden dieſelbe ſich um die ehre Got-
tes und ruhe der nicht nur Saͤchſiſchen ſondern insgeſamt Evangeliſchen kirchen/
dero erſtes directorium bey dero durch GOttes gnade ſtehet/ wohl verdienen/ vie-
lem ſonſten beſorglichen ungemach und befuͤrchtenden ſchismati (deme nicht durch
unterdruͤckung der unſchuldigen ſondern coercirung deren/ ſo ſich ihrer gewalt
und autoritaͤt mißbrauchen/ vorgebeuget werden kan) zu vorkommen/ ein ruͤhm-
liches zeugnuͤß wie dero treuen ſorgfalt vor das gemeine beſte/ alſo auch von
GOtt habender weißheit in ſo ſchwehrer ſache/ an allen orten erlangen/ viele Goͤtt-
lichen ſeegen uͤber dero hohe perſonen/ trohn und anvertrauten lande ziehen/ und al-
ler an aller orten GOTT hertzlich fuͤrchtender ſeelen/ ſo wohl freidige danckſagung
gegen GOTT alſo vil eiffriger gebtee vor ihre geiſtliche und leibliche wolfahrt die
un-
[911]ARTIC. III. SECT. XXI.
unmuͤglig unerhoͤret bleiben koͤnnen/ ſich zu wege bringen: Wormit der himmli-
ſchen regierung und mildeſten ſegen treulich empfehlende verharre. u. ſ. f.


SECTIO XXI.


AnM.Joh. Chriſtoph Holtzhauſen wegen ſei-
ner gewiſſens angſt uͤber das vermeſſene urtheil wider die
Pietiſten/ verdammung Jacob Boͤhmens und
harte ſchreib-art gegen Matthaͤi.


  • (NB.Die gantze hiſtorie ſamt des S. mañes eigenẽ brieffe habe einverleibt
    meiner rettung der gerechten ſache gegen
    D.Aug. Pfeifferncap. 4. §. 9.
    u. ſ. f. 260. u. f. Wie nun damahl dieſesconcept pag. 279. nicht hatte
    finden koͤnnen/ ſo aber ſeither wie auch die num.folgen/ ſich wider ge-
    funden hat/ ſo mangelt mirs dießmahl an dem erſten/ dar auff ſich die-
    ſer brieff bezencht/ worinnen ihm allein zum troſt gezeigt/ daß er kei-
    ne ſuͤnde in den heiligen Geiſt begangen haben koͤnne.
    )

JCh habe ſeither ſo wol wegen bekanten geſchaͤfften/ als auch weil gern eine
mehrere zeit verlangte/ der wichtigen ſache nachzudencken/ und dieſen ter-
minum
/ ſelbſt neulich geſetzt/ daß etwa dieſe woche ſchreiben moͤchte/ die ant-
wort annoch verſchoben/ ſo hiermit in der furcht des HErrn und mit deſſen anruf-
fung abſtatte.


1. Erkenne ich/ die geliebten bruder widerfahrne auffwachung des gewiſ-
ſens/ und daher entſtandene der ſeelen unruhe uͤber eine ſache/ darinnen derſelbe
nach damahligen ſeines gewiſſens vorſtellung nicht zu ſuͤndigen/ ſondern vor GOt-
tes ehre und die wahrheit auch zueiffern gedachte/ ſo dann haͤrtere wort einen ſolchen
eiffer nicht umſtaͤndig zu ſeyen glaubte/ vor ein nicht ungefehres werck/ ſondern vor
einen finger Gottes: Um ſo viel mehr weil ſolche unruhe und angſt ſich nicht legen
wollen/ was auch derſelbe zu ſeiner beruhigung mag vorgenommen haben/ alſo daß
auch der troſt der abſolution einige nur kurtze linderung gegeben/ hingegen dieſelbe
widerum auffs neue hefftiger angeſetzet hat: So gewiß nirgends anders her/ als
von der ruͤhrung deſſen/ eeſſen hand unſere ſeele/ ſie wolle oder wolle nicht/ fuͤhlen
muß/ herruͤhren kan/ und mich des zuſtands Davids/ den er Pſalm. 32. beſchreibet
erinnert. Wo nun dergleichen Goͤttliche ruͤhrungen ſich zeigen/ iſt man ſchuldig
denenſelben platz zugeben/ und demjenigen nachzukommen/ was uns alsdenn das
gewiſſen vor rath giebet; indem man ſonſt zu einer beſtaͤndigen ruhe nimmermehr
kommen kan. Wie mir erſt neulich ein exempel aus N. N. bekant worden da miꝛ
der ehemann/ ſelbſt ein Prediger berichtet/ daß ſeine ehefrau/ mit dero er liebreich
lebet/
[914[912]]Das ſechſte Capitel.
lebet/ und ihr eines Gottſeligen lebens zeugnuͤß giebet/ 5. gantzer jahr in hertzlicher
betuͤbnuͤß zugebracht/ uͤber einige unbekante in der jugend begangene ſunden/ ſie hat
auch dem gewiſſen wollen ruhe ſchaffen/ und erſtlich ihm ſolche geoffenbahret/ und
ſeinen troſt geſucht/ nachmabl ihrem beicht vater geklagt/ und die abſolution em-
pfangen/ da zwar jedesmahl das gewiſſen erſtlich ſich etwas beſaͤnfftiget/ aber im̃er
wider auffgewachet/ und ihr ein elendes leben verurſachet/ daß ſie endlich eine ge-
luͤbde that/ oͤffentlich in der kirchen die bekaͤntnuͤß zu thun. Er trachtete ſie davon
abzuhalten/ weil heimliche ſuͤnden nicht vor die gemeinde gehoͤrten/ und dieſelbe
nicht dadurch geaͤrgert/ auch ohne das eine ſolche abbitt gantz ungewoͤhnlich waͤre.
Aber die angſt nahm ſo zu/ daß ſie weder zu gebeth nach haͤußlichen geſchaͤfften mehr
tuͤchtig war/ und ſelbſt ſorgte/ bey laͤngerer verhaltung entweder gar in verzwei-
felung oder verſtockung zugerathen. Darauff der mann ſelbs drein gewilliget.
Jch will ſeine wort ſelbſt hieher ſetzen: Hac ergo tam miferabili nec non peri-
culoſa lorte ejus impulſus ego in Eccleſiola illa rurali, cui præeram, juxta
verba, Pſalm. 32/ 3. 4. 5. paucis explicata, \& ad ejus ſtatum, ut pote adprime
congruentia, adplicata, per comminiſtrum meum votum ejus impleri cu-
ravi: quo facto, laus Clementiſſimo JESU, dulci \& ſvavi gaudet pace con-
ſcientiæ, ſentit ſe ereptam laqueis mortis \& inferni, atque adeo in uſuram
beatiſſimæ in Chriſto vitæ translocatam.
Er klagt zwar/ da Chriſtliche ſee-
len die ſache hertzlich gebilliget/ und troſt daraus gefaſſet/ daß hingegen andere/ auch
vorgeſetzte/ ſolches hefftig geunbilliget/ um welcher urſach willen er auch meines
raths zupflegen die ſache uͤberſchrieben. Jch fuͤhre auch die hiſtorie allein an zum
zeugnuͤß/ was die macht des einmahl ſtarck auffgeweckten gewiſſens/ zu ſeyen pfle-
ge/ und nicht wol anders denſelben/ als mit gehorſamer folge/ zu rathen ſeye.


2. Erkenne ich auch/ nicht ohne Goͤttliche ſonderliche fuͤgung geſchehen zu ſeyen
daß derſelbe/ nachdem das gewiſſen bereits in unruhe geſtanden/ uͤber dieſes buͤchlein
des Jacob Boͤhmens gerathen: Von welchen ich zeugnuͤſſen einiger leute weiß/
welche GOTT durchleſung deſſelben zu erſt ſtarck geruͤhret/ und ſie von der welt zu
ſich gezogen hat/ daruͤber er auch ſelbſt ſo bald ein gefuͤhl bekommen/ daß ſolche ar-
beit nicht von einen/ welchen der luͤgen geiſt zu ſeinem werckzeug gebraucht/ her-
kommen koͤnne/ auch ſo bald in ſolche angſt daruͤber geſetzet worden/ daß er ſich der
ſuͤnde in den heiligen Geiſt ſchuldig worden zu ſeyen/ zu ſorgen anfinge/ und eine
weil mit ſolcher furcht gekaͤmpffet hat. Wir wiſſen/ daß auch die ringſte bewe-
gung eines fingers auſſer Goͤttlichen rath nicht geſchehen/ ſo vielmehr ſind wir ver-
ſichert/ daß der gleichen begebnuͤßen/ da uns dieſes oder jenes in die haͤnde oder au-
gen faͤllt/ und ſo bald ſtarcken eintruck daraus in das hertz kommet/ nichts ungefeh-
res ſind/ ſondern gewißlich aus einen ſonderbahren rath GOttes herkommen.


3. Ob
[913]ARTIC. III. SECTIO XXI.

3. Ob nun wohl bereits neulich zur gnuͤge dargethan zuhaben glaube/ daß
hier keine ſuͤnde wider dem Heil. Geiſt habe begangen werden koͤnnen/ wir ver-
ſtehen nun dieſelbe nach der nunmehr von denen Theologis insgemein ange-
nommenen definitione Feurbornii, oder nach anderer erklaͤrung/ und naͤherer
vergleichung/ mit dem exempel der Phariſeer und ihres verhaltens gegen Chri-
ſtum. Dann ſo viel wird unlaͤugbar ſeyen/ daß bey ſolcher ſuͤnde ſich noth-
wendig muͤſſe boßheit befinden/ hingegen ein irrendes gewiſſen dieſelbe nicht bege-
hen koͤnne. Wie ich auch das exempel Pauli aus 1. Tim. I, 13. angefuͤhret/ bey
dem es nechſt dem laͤſteren auch zu dem verfolgen gekommen war/ und der
doch damit ſich jener unvergeblichen ſuͤnde nicht theilhafftig gemacht: wie auch
in dem vertrauen ſtehe/ das geliebter Bruder druͤber wol keinen weitern ſcru-
pel
haben werde.


So iſt doch 4. die angſt des gewiſſens nicht bloß vergebens/ oder ohne
grund/ ſondern wo wir in der furcht des HErrn und ohne affecten die ſache/
wie ſie an ſich ſelbſt iſt/ anſehen/ ſo wuͤſte ich vor GOtt nicht zu verantworten/
ſo wol da gegen die ſo genante Pietiſten ein ungleiches urtheil gefaͤllet worden
(denn ob ich wol den tractat habe/ ſo laͤſſet mir doch die zeit nicht leicht
zu/ einige ſchrifften/ die uͤber etliche bogen ſich erſtrecken/ durchzuleſen/ und hin-
gegen in dem durchblaͤttern/ habe ich die ſtelle/ wo davon gehandelt wird/ nicht
finden koͤnnen) als auch was theils in dem harten urtheil gegen J. Boͤhmens
buͤcher/ und woher dieſelbe kommen ſollen/ theils durch die hefftigkeit gegen dem
adverſarium, gegen die liebe geſuͤndiget worden. Jndem erſten konte es nicht
ohne vermeſſenheit abgehen/ indem ich nicht glaube/ daß geliebtem bruder die
gantze wahre bewantnuͤß und hiſtorie des Pietiſmi dermaſſen bekant hat ſeyn
koͤnnen/ daß es muͤglich geweſen waͤre/ das derſelbe ein judicium dagegen/ da-
mit er vor GOttes trohne getroſt beſtehen koͤnnte/ zuſaſſen vermocht haͤtte.
Was das andere anlangt/ bekenne/ daß auch ein dergleichen hartes urtheil von
eines mannes ſchrifften/ deren man das wenigſte geleſen/ von andern vernom-
men/ das ſeine reden zuverſtehen ſchwer ſeyen/ und was einigen anſtoß giebet
gantz anders gemeinet ſeye/ und der von andern/ an dero Chriſtlichen weſen
man nicht eben zu zweiffeln wichtige urſachen hat/ aus ihrer eignen erfahrung/
als ein Lehrer/ in deſſen ſchrifften GOtt viele krafft geleget habe/ geruͤhmet wird/
zufaͤllen/ mir auch nicht muͤglich waͤre/ von der vermeſſenheit und gefahr ihm
unrecht zuthun zubefreyen. Endlich was die ſchreibart gegen dem widerſacher
anlangt/ ſehe ich ſie auch nicht an/ als der ſanfftmuth des Geiſtes Chriſti ge-
maͤß: noch wuͤrde mir zur entſchuldigung ſeyn/ daß gegentheil durch ſeine haͤr-
tigkeit dazu anlaß gegeben/ denn uns die regel immer vor augen ſchweben muß/
der nicht ſchalt/ da er geſcholten ward. Alſo kan ich nicht anders erken-
nen/ als daß die angſt des gewiſſens guten grund habe/ und deswegen von dem-
Z z z z z zjenigen
[914]Das ſechſte Capitel.
jenigen herkommen der uns die ſuͤnden fuͤhlen laͤſſet/ davon er uns hei-
len will.


5. Nun iſt es zwar an dem/ das wo wir unſre ſuͤnde bekennen/ ſo iſt der
HErr gerecht und getreue/ das er uns die ſuͤnde vergiebet/ und reiniget uns von
aller untugend 1. Joh. I. und alſo wo wahre buß und reue der ſuͤnden verhan-
den iſt/ beut goͤttliche gnade ſo bald unſerm glauben die vergebung an/ ohne
daß etwas mehr vonnoͤthen iſt. Wie aber einige ſondere faͤlle ſind/ wo die buſ-
ſe noch etwas weiter erfordern will/ alſo ſehe ich dieſen auch an/ daß nemlich eini-
ge ſatisfaction nicht an GOtt/ ſondern an diejenige/ welche beleydiget/ oder
vielmehr an diejenige/ ſo geaͤrgert worden/ und noch ferner geaͤrgert werden
moͤchten/ abzuſtatten ſeye/ nach der alten regel: Non remittitur peccatum, niſi re-
ſtituatur ablatum.
Was alſo die ſo genannte Pietiſten anlangt/ nachdem kei-
ner in ſpecie angegriffen ſeyen wird/ iſt darmit alle genug/ wo nur dasjenige
aufgehoben wird/ womit ſie graviret worden/ und ins kuͤnfftige ſonſt ferner
graviret werden moͤchten/ darmit alsdann dem aͤrgernuͤß geſteuret werde. Ja-
cob Boͤhmen
betreffend/ iſt auch nichts weiter noͤthig/ als daß das urtheil uͤ-
ber ihm aufgehoben/ und ſeine ſache dem urtheil GOttes und der kirchen wie-
derum lediglich heimgegeben werde. Denn Matthæi vor ſich/ da er ſelbſt in
gleiche ſuͤnde ſtecket/ und ſeine feder nicht zuzaͤhmen gewuſt/ gehoͤret etwa kei-
ne andere ſatisfaction, ſondern nur iſt dem aͤrgernis/ ſo andere davon gefaßt ha-
ben moͤgen/ zuwehren.


6. Damit aber dieſer zweck erhalten/ und das gewiſſen ſeiner angſt gruͤnd-
lich befreyet werde/ will nothwendig ſeyen/ daß was geſchehen ſolle/ durch ei-
ne oͤffentliche ſchrifft geſchehe: Jndem auf andre art ſonſt unmuͤglich wieder zu-
rechte gebracht werden kan/ was geliebter bruder ſelbs ſorget/ durch ſeine ſuͤn-
den ſchaden geſchehen oder anſtoß geſetzt worden zu ſeyen. Jedoch muß hinwi-
der auch mit groſſer vorſichtigkeit dergleichen ſchrifft aufgeſetzet werden/ daß
nicht ein neues aͤrgernuͤs daraus entſtehe/ und da man dem verunruhigten ge-
wiſſen auf einer ſeite rathen will/ auf der andern eine anlaß einer neuen unruhe
gegeben wuͤrde.


7. Wo ich dann mein einfaͤltiges bedencken geben ſolle/ ſo gehet es in der
furcht des HErrn dahin/ daß ein nicht weitlaͤufftiges ſcriptum aufgeſetzet und
publiciret wuͤrde; in dem was den Pietiſmum oder was von ſolcher materie de-
pendi
ret/ anlangt/ geliebter bruder ſich dahin erklaͤhrete/ was er davon geſchrie-
ben (ſo iſt oben bekant/ daß es nicht habe zu leſen finden koͤnnen) ſeye ihm von
andern durch allerley rationen beygebracht und glaubhafft gemacht/ alſo ſein
gemuͤth mit unterſchiedlichem verdacht erfuͤllet worden/ daher er ſich bewegen
laſſen/ ſolche perſohnen/ die mit ſolchem nahmen beleget worden/ auch mit
ſeinem urtheil zubeſchwehren. Weilen ihm aber nunmehr von andern leuten
ein
[915]ARTIC. III. SECTIO XXI.
ein anders und das gegentheil von ſolcher ſache gezeiget werden wolle/ komme
er auf die billige ſorge/ ihrer mehren damit zu viel gethan zuhaben: Daher wo
ſichs alſo verhalte/ wie andre zeugnuͤſſen lauteten/ und ſonderlich in dem be-
dencken uͤber die imaginem Pietismi/ ſo dann meiner præfation, gemeldet wuͤr-
de/ wolte er niemand von ſolchen unſchuldigen mit ſeinem urtheil beſchwehret wiſ-
ſen/ ſondern ſolches nicht gefaͤllet haben. Hiemit wird alles ſeuffzen/ ſo etwa
von einigen ſeelen/ dem dieſer leute unſchuld bekant/ uͤber geliebten bruder ſonſt
gehen moͤchte/ abgewendet/ hingegen dero ſeegen auf ihn gezogen/ denen wel-
che aus boßheit die unſchuldige bisher verfolget/ die gelegenheit geliebten bru-
ders wort auch wider jene zu misbrauchen abgeſchnitten/ andern der ſtein des
anſtoſſens da ſie ſich auch aus deſſen vorurtheil gegen die bedruckte einnehmen
laſſen/ kraͤfftig weggenommen/ und hingegen das gewiſſen/ ſo von eigner als
gemeinſchafft frembder ſuͤnden befreyet werden/ welches nichts anders als eine
hertzliche ruhe/ was dieſes betrifft/ geben kan.


8. Was hingegen/ Jacob Boͤhmen anlangt/ ſo wolte ichs/ wo es mei-
ne ſache waͤre/ alſo einrichten: Erſtlich zubekeñen/ daß was er wider den mann ge-
ſchrieben haͤtte/ aus einer ſolchen meynung geſchehen waͤre/ daß er ſich im gewiſſen
verbunden gehalten/ vor die ehre GOttes gegen ſolche ſchrifften/ die er von kei-
nen guten geiſt hergekommen zuſeyen und andere verfuͤhren zukoͤnnen geglaubet/
zu eiffern/ und andre davor zuwarnen (wie ich ſolches auch gewiß glaube/ daß
in ſeinem hertzen geweſen/ und nichts fleiſchliches ſonſt untergelauffen zu ſeyen/
dann wo ſich auch dieſes in genauer pruͤfung finden ſollte/ ſo duͤrffte man auch
ſolche bezeugung nicht thun:) Es ſtuͤnden auch noch wuͤrcklichen geliebten bru-
der die harte reden Jacob Boͤhmens vor augen/ welche er mit goͤttlichen wort
bisher noch nicht conciliiren/ oder mit den erklaͤhrungen/ ſo gemacht worden/
zu frieden habe ſeyen koͤnnen; da dann dieſelbe puncten/ ſo noch am haͤrteſten
entgegen ſtehen/ candidè noch moͤchten wiederhohlet/ und was vor ſchwehrig-
keit darinnen ſtecke modeſtè/ und alſo mit muͤglicher moderation, dem leſer noch-
mal vorgeſtellet werden. Weil es aber in zweiffelhafften ſachen zuurtheilen
dem gewiſſen faſt gefaͤhrlich fallen wollen/ und ihn dieſes von einer zeit her nicht
allein wegen gebrauchter harten wort gegen den adverſarium, zubeſchuldigen an-
gefangen habe/ ſondern ihm auch nunmehr ein neuer ſcrupel gemacht worden
ſeye/ nachdem er ſich in leſung des wegs der ſeeligkeit J. Boͤhmens aus dem
vielen geleſenen guten faſt geruͤhrt befunden/ ob er nicht dem autori mit der
harten beſchuldigung moͤchte unrecht gethan haben/ ſo finde er ſich von GOtt
verbunden/ eine offentliche declaration zuthun/ das ob ihm wol keine ſatisfacti-
on
in denjenigen dingen/ ſo ihm bisher des mannes ſchrifften ſo zuwider ge-
macht/ zu ſeiner uͤberzeugung geſchehen waͤre/ er dennoch wuͤnſchete/ daß er ſol-
ches urtheil uͤber ihn nicht gefaͤllet haͤtte/ und alſo nicht wolte/ daß ſich jemand
Z z z z z 2hinkuͤnff-
[916]Das ſechſte Capitel.
hinkuͤnfftig darauf beruffete. Vielmehr uͤberlieſſe er das gericht uͤber ihn/ und
ſeine ſchrifften GOtt und der kirchen; jenem daß er mehr und mehr/ was gutes
oder boͤſes an ihnen waͤre/ zuerkennen geben; dieſer aber/ daß ſie es erkennen
moͤge. Er recommendirte aber jedermann/ gleich wie nicht vermeſſen zuurthei-
in einer ſache/ die ſich villeicht anders einmahl befinden moͤchte/ alſo eben ſo
wol vorſichtig zu ſeyn/ darmit nicht/ wofern/ wie es das anſehen habe/ irrige
dinge darinnen waͤren/ jemand ſich dadurch einnehmen lieſſe. Seye alſo daß
ſicherſte/ daß wir allein bey dem ohne zweiffel gewiſſen wort GOttes in der
heil. ſchrifft blieben/ und aus ſolchem unſern glauben zufaſſen/ und nach ſol-
chem unſer leben zufuͤhren/ daran wir gnug haben koͤnten. Wolte aber jemand
nach der freyheit/ die GOtt ſeinen kindern gegeben/ alles zu pruͤffen/ Jacob
Boͤhmen leſen/ moͤchte ſolches mit guter vorſichtigkeit und anruffung GOttes
geſchehen/ durch dunkele und unverſtaͤndliche wort ſich von nichts deſſen/ was
man aus dem klaren wort GOttes uͤberzeuget worden/ abziehen zulaſſen/ aber
auch nichts deſſen vermeſſentlich zuverwerffen/ was man nicht gewiß verſtehe/
und wieder die ſchrifft zu ſtreiten verſichert ſeye. Jnsgemein aber muͤſte eine
treuhertzige warnung angehaͤnget werden/ ſich ja vor dem urtheil uͤber zweif-
felhaffte dinge zuhuͤten/ weil man ſich ſonſten in ſchwere gewiſſens-angſt/ da-
ran man vorhin nicht gedacht/ ſtuͤrtzen/ und hingegen alsdenn ſobald ſich nicht
wieder helffen koͤnne: Daher in dergleichen dingen/ wo muͤglich waͤre/ daß
etwas gutes darunter ſeyn koͤnte/ das ſicherſte ſeye/ ſtille zuſtehen/ das boͤſe ſo
man erkant/ zwar nicht anzunehmen/ aber auch nichts zu verdammen/ wovon
wir bekennen muͤſten/ daß wirs nicht voͤllig verſtehen/ aber eben durch ſolche
verdammung uns ſehr verſuͤndigen/ hingegen ſothane uͤbereylung/ wenn das
gewiſſen aufwachte uns vieles koſten moͤchte.


9. Weil auch was die ſchreibart anlangt/ ich verſichern kan/ daß ſich
auch gute ſeelen daran geſtoſſen/ ſo moͤchte etwan beygefuͤget werden/ wie der
widerſacher zwar darzu anlaß mit ſeinem exempel gegeben/ und das vertrauen
der guten ſache nochmehr darzu animiret: Wie man aber dem andern theil die
verantwortung ſeiner heftigkeit uͤberlaſſe/ ſo finde man nun/ daß es beſſer ge-
weſen/ dem exempel des Heylandes in der ſanfftmuth zufolgen/ und darmit
des andern haͤrtigkeit zu uͤberwinden.


10. Von dergleichen einer ſchrifft hoffe ich aus GOttes ſeegen nicht wenig
gutes/ 1. trage ich das vertrauen/ das geliebter bruder in ſeinem gewiſſen wiederum
zu einer beſtaͤndigen ruhe kommen. 2. Sich der verantwortung dererjenigen/
welche ſeines tractats mißbrauchen/ und ferner ſuͤndigen moͤchten/ ſuͤnden vor
GOtt entſchuͤtten. 3. Bey mehreren Gottſeeligen hertzen zum lob und danck ge-
gen GOtt anlaß geben. Und 4. ihrer vielen/ die auch zu urtheilen vorſchnel
ſind/ ſo ich eine der gemeinſten ſuͤnden unſerer zeiten achte/ eine warnung/ in al-
len
[917]ARTIC. III. SECT. XXII.
len dingen mit judiciren ſehr bedachtſam zu werden/ beybringen werde: wel-
ches ich vor einen wichtigen nutzen halte. So hat geliebter bruder ſich auch
nicht einiges wahren ſchimpfes daraus zubeſorgen/ denn ob wol mehrere fleiſch-
liche leute/ wie zum haß alſo auch verachtung deſſelben ſich dadurch moͤgen be-
wegen laſſen/ weiß ich doch wohl/ daß derſelbe mit allen denen/ ſo was ehr o-
der ſchande ſeye/ warhafftig verſtehen/ dieſer urtheil nicht hochachten oder glau-
ben werde/ daß ihm das wenigſte an demſelben gelegen ſey: hingegen da aus
dem vorigen tractat beſorglich unterſchiedliche etwas der guten meinung von dem-
ſelben moͤgen haben fallen laſſen/ und alſo derſelbe vielmehr deſſen exiſtimati-
on
verletzet/ ſo wird hingegen dergleichen ſchrifft/ nicht nur bey dieſen/ ſondern
auch bey allen dem HErrn treulich ſuchenden hertzen/ ja dem HErrn ſelbſt/ zur
ehre gereichen.


Wie nun dieſes vor dem angeſicht GOttes meine meinung in dem gegen-
waͤrtigen anliegen iſt/ ich auch nicht zweifele derſelben guten grund zuhaben/ ſo
ſtelle dieſelbe hiemit in bruͤderlichen vertrauen vor/ und uͤberlaſſe ſie deſſelben
fernerer pruͤfung und ſeines gewiſſens (dem ich keinen ſtrick vor mich ſelbſt an-
legen werde/ ſondern alles GOttes wirckung uͤberlaſſe) eigener uͤberzeugung.
Der Vater des liechts/ von dem alle gute gaben/ und alle vollkommene gaben
kommen/ gebe ihm ſelbſt/ erleuchtete augen ſeines verſtaͤndnuͤſſes/ auch in die-
ſem anliegen/ ſelbſt oder aus Chriſtlicher freunde anleitung/ zuerkennen/ was
deſſen heiliger ehre/ der Kirchen erbauung/ des nechſten beſſerung/ und eigener
gewiſſens beſtaͤndiger ruhe an dienſamſten iſt. Er laſſe aber auch insgeſamt
ſein liecht in allen ſtuͤcken immer weiter durchbrechen/ zu vertreiben alle finſter-
nuͤß und zweiffel/ damit wir alle unangeſtoſſen/ ſtaͤts in demſelben wandeln biß
zu dem ſeel. eingang in die voͤllige liechte ewigkeit.


Den April 1692.


SECTIO XXII.


Meine Ausfuͤhrung aus Sachſen/ und beſtaͤndige
Liebe gegen daſſelbe. Von einem vermeintem
Geſpenſt.


OB ich wohl die weiſe und guͤtige vorſehung meines himmliſchen Va-
ters zu veneriren habe/ die mich zu meinem beſten aus Sachſen ausge-
fuͤhret (da ſie ſich vielleicht zu erinnern weiß/ was ich einmahl von
meinem Pathmo erwehnet/ ) auch es etwa in ſolchem lande nicht an leu-
ten gefehlet hat/ auch ex noſtro ordine, uͤber die ich mich beſchweren moͤchte/ ſo
bewahre mich doch mein GOtt/ daß ich einen feindſeligen gedancken gegen ſol-
Z z z z z z 3chem
[918]Das ſechſte Capitel.
chem lande iemahl in meiner ſeele hegen/ oder unterlaſſen ſolte/ einen tag deſſel-
ben in liebe vor dem thron des HErren zu gedencken/ oder daß ich iemand da-
rinnen einiges boͤſes wuͤnſchen ſolte: hingegen iſt mein ſtetes ſeuffzen zu Gott/
daß derſelbe es immerdar ein land ſeyen laſſen wolle/ da ſeine ehre wohne/ und
alle ſtaͤude in diejenige ordnung bringe/ wie es ihm gefaͤllig/ und zur wahren
wohlfarth der kirchen und gemeinen weſens dienlich iſt: ſonderlich bete ich oh-
ne unterlaß/ daß der HErr denjenigen/ welche nicht bruͤderlich gegen mich ge-
handelt/ oder noch handeln moͤchten/ ſolches zu erkennen gebe und verzeihe/ die
aber in liebe noch mit mir verbunden ſtehen/ darinnen bekraͤfftigen/ und ſolche
unſere verbindung in gebeth und andern liebesfruͤchten fruchtbar machen wol-
le. Vornehmlich erhalte er geliebten bruder lange/ vermehre/ reinige/ und hei-
lige ſeine gaben/ zu viel tauſendfaͤltiger frucht/ und laſſe ihn ſtets einen geſe-
gneten des HErrn bleiben. Hierzu und alſo deſſelben in liebe zu gedencken/
verpflichte ich mich allezeit/ und ſolle mich auch hieran keine entlegene des orts
hindern. Als ich im uͤbrigen deſſen anderes bekam/ und die wunderliche ge-
ſchichte/ welche ſich in deſſem hauſe begeben/ (davon aus den zeitungen etwas
bereits geſehen hatte) laſe/ war ſo bald der ſchluß gefaßt/ auffs foͤrderlichſte
zu antworten/ ſchaͤme mich aber/ da erſtlich allein von woche zu woche zuſchrei-
ben/ verſchoben/ daß die zeit nunmehr mit monaten zehlen muß. Doch habe
nicht zu bergen/ daß nicht allein mir/ ſondern auch/ als die relation einen Ge-
heimen Rath communiciret/ ſolcher ſie aber aus curioſitaͤt denen uͤbrigen gewie-
ſen/ denſelben allen die ſache ſo vorgekommen/ daß aus dem erzehlten dingen
nichts voͤllig convincirendes zu finden ſey/ daß es warhafftig ein geſpenſt gewe-
ſen/ ſondern waͤre muͤglich/ daß ein boͤſewicht/ ſo aus einigen urſachen andere
aͤffen wollen/ alles ſolches moͤchte gethan haben. Sonderlich weil ſo offt mein
hochgl. Herr und vermuthlich andre leute/ die ihm beſſer in die carte ſehen koͤn-
nen/ vorhanden geweſen/ das geſpenſt ſich ſehr zuruͤck gehalten/ allerdings aber
ausgeblieben/ da eine ſtarcke wache zu dem hauſe verordnet worden. Wo dann
nun von ſolcher zeit ſich alles verlohren haben/ oder ſich nicht ſeither etwas wei-
tres mit augenſcheinlichen proben hervor gethan haben ſolte/ bin ich nicht in
abrede/ daß wie ich der uͤberſchickten relation gern glauben beymeſſe/ doch ſtarck
zweiffele/ ob etwas auſſernatuͤrliches/ und was ein betruͤger/ ſonderlich wo ein
paar perſonen ſich mit einander verſtanden haben ſolten/ nicht ausrichten koͤn-
te/ daraus zuerzwingen waͤre. Wie dann zwar die liſt des ſatans unerforſch-
lich/ aber auch der menſchen betrug (davon mir gnug exempel bekant) nicht al-
lemahl gnug zuerkennen iſt. Hingegen wo wahre geſpenſter ſind/ offenbahret
ſichs auch alſo/ daß man klar ſolche dinnge dabey findet/ die unmuͤglich durch
die natur geſchehen koͤnnen. Doch wil ich mit meinen gedancken niemand/ ſo
alles naͤher und genauer angeſehen/ præjudiciret haben/ dancke vielmehr Gott/
der
[919]ARTIC. III. SECT. XXIII
der entweder dem teuffel/ da er unmittelbahr ſolches ſpiel geſpielet/ / oder eini-
gen boͤſen leuten/ wo ſolche ihr werck dabey gehabt/ nicht zugelaſſen/ mehre-
ren ſchaden zuzufuͤgen/ ſondern alles bey allerley angſt und ſolchem ungemach/
ſo noch leicht zuuͤberwinden/ bleiben hat laſſen. Der walte ferner mit gnaden
uͤber dieſelbe und gantzes hauß/ und bewahre ſie vor allen ſichtbahren und un-
ſichtbahren ſeinden/ dero gewalt/ liſt und betrug ꝛc.


1692. 16. Apr.


SECTIO XXIII.


Lehre der Gottſeligkeit und goͤttliche wirckungen
werden gelaͤſtert. Wie in der that die laͤſterungen
zu wiederlegen.


WO wir ſo vieles offt hoͤren muͤſſen/ daß ſo wol der wahren Lehr der
Gottſeligkeit/ (die doch das hertz der Evangeliſchen religion iſt/ und ſich
ja dieſe mit nichts mehr hervorgethan/ als daß ſie den lebendigen glau-
ben deutlicher vorgeſtellet hat) als auch allen denen wirckungen/ wel-
che GOTT in einigen ſeelen weiſet/ mit laͤſterung und ſonſten wiederſprochen
wird/ ſo laſſet uns auch ſolches zu unſerm beſten gebrauchen: jenes erſte/ daß
wir uns gewehnen/ die muͤglichkeit und nothwendigkeit der gottſeligkeit/ ſo dann
wiewohl ſie einen menſchen ſeyen mache/ nicht allein mit worten aus der ſchrifft
zuerweiſen/ ſondern mit unſeren lebendigen exempeln der laͤſterer ungrund zu
wiederlegen/ darmit ſie nicht immerdar verneinen moͤgen/ muͤglich zuſeyen/ was
ſie wuͤrcklich vor augen ſehen; darzu aber auch gehoͤret/ daß unſer gantzes le-
ben nach allen deſſen ſtuͤcken/ als viel dieſe zeit/ da wir noch in dem fleiſch wallen/
zugiebet/ dem willen unſers Heylandes gleichfoͤrmig eingerichtet werde/ darmit
nicht/ wo ſie dieſes und jenes/ ſo bekantlich von der regul abweiche/ an uns ſe-
hen/ ſolches ihnen anlaß gebe/ auch alles unſer uͤbriges thun vor heucheley aus-
zugeben/ und ſich damit eines ſieges gegen uns zu beruͤhmen: Das andere aber
mag uns darzu dienen/ wo wir uns dermaſſen der goͤttlichen gnade in ſchuldi-
gem gehorſam uͤberlaſſen/ und alsdann dieſelbe in ſolcher ihrer ordnung ihre ge-
woͤhnliche wuͤrckungen deſto kraͤfftiger zeiget/ hingegen die welt dergleichen wahr-
nimmet/ was ihr aus eigener erfahrung nicht bekant iſt/ aber ihr ſo in die au-
gen leuchtet/ daß ſie es nicht leugnen darff/ daß ſie dadurch uͤberzeuget werde/
wir haben keinen ohnmaͤchtigen GOtt ſondern moͤgen an ſeinen ordentlichen
wercken wohl abnehmen/ was er dann auch/ wo er will/ auſſer der ordnung
zu thun vermoͤge. Wiewohl was ſolche ſonderliche und auſſerordentliche din-
ge anlanget/ von denen man dieſer zeit hin und her allerhand hoͤret/ ich Chriſt-
liche hertzen billig allezeit erinnere/ daß wir in ſolcher ſache behutſam gehen
muͤſſen/ darmit wir weder etwas warhafftig goͤttliches vermeſſenlich verwerf-
fen/
[920]Das ſechſte Capitel.
fen/ welches gleichwol keine geringe ſuͤnde iſt/ noch hinwieder/ ſo etwas von
der krafft der phantaſie herkaͤhme/ und nur goͤttlich ſchiene davor annehmen:
Welches zu vielen irrungen anlaß geben wuͤrde. Nachdem aber unſere vor-
ſichtigkeit hierinnen viel zu ſchwach waͤre/ iſts noͤthig/ daß wir unablaͤßig zu
den himmliſchen Vater ruffen und flehen/ daß er doch ſelbſt ſeine arme kirche
in gnaden anſehen/ ſo dann ſeine kinder/ welche gern in aller einfalt ihm ge-
horchen wollen/ und vor ſich ſelbſt leicht auf die eine oder andere ſeite anſtoſ-
ſen moͤchten/ vor allem irrthum bewahren/ hingegen ſeine warheit in den ſeelen
kraͤfftig verſieglen wolle. Dieſes gebeth wird wohl das vornehmſte ſeyen/ dar-
mit wir uns gegen die gefahr dieſer zeiten zuverwahren haben werden/ hinge-
gen verſichert ſeyen koͤnnen/ wo ſeine auserwehlte nicht muͤde/ viel mehr tag und
nacht zu ihm ruffen werden/ daß er ihrer ſeuffzen nicht uͤberdruͤßig werden/ ſon-
dern wo ſie die erforderte proben ihrer gedult werden abgeleget haben/ in einer
kuͤrtze ſie erretten werde. Jn dieſer hoffnung wollen wir vollends auswarten/
wann die laͤngſtbeſtimte und verheiſſene huͤlffes ſtunde auch der goͤttliche lohn
vorhanden ſeyen wird; Er ſtaͤrcke aber ſelbſt unſere ſchwachheit/ und fuͤhre ins-
geſamt ſein werck herlich hinaus. Amen. Er wird es thun. 1692.


SECTIO XXIV.


An einen fuͤrnehmen von Adel in Caſſuben. Freu-
de uͤber deſſen kantnuͤße. Hoffnung von dem ſohn. Fraͤulein
von der Aſſenburg. Gefaͤhrliche zeit. Weder tag
noch nacht.


Von unſerm aufferſtandenen Sieges-Fuͤrſten JEſu CHriſto/ gna-
de/ friede/ licht/ rath/ krafft/ ſieg und leben.


Hoch-Edeler gebohrner Herr.
Jnſonders hochgeehrter Herr und Patron.

JCh habe zwar deſſen geliebtes zu rechter zeit wohl erhalten/ wie es mir
aber mit allen brieffen gehet/ daß auſſer denen/ ubi ſummum in mora pe-
riculum,
nicht leicht ohne zimlichen verzug beantworten kan/ ſo ging mirs
auch mit ſolchem ſchreiben: daß/ ob ich wol bedacht geweſen/ foͤrder-
ſamſt zu antworten/ dennoch wegen ſo vieler hinderniſſen immer eine woche
nach der andern/ auch endlich gantze monathen daruͤber verſtrichen ſind; wel-
ches verzuges und langſamkeit wegen ich zum foͤrderſten uͤmb verzeihung
bitte. Dabey aber verſichere/ daß mir das ſchreiben ſehr angenehm geweſen
ſey/ aus demſelben wiederumb eine vornehme perſon erkandt zu haben/ dero es
ein ernſt ſey mit den ihrigen GOtt treulich zu dienen/ und ſolches die vornehm-
ſte ſorge des lebens ſeyn zu laſſen: dazu ich denn immer mehr und mehr goͤtt-
liche
[921]ARTIC. III. SECTIO XXIV.
liche krafft wuͤnſche/ zu erkentniß und vollbringung ſeines heil. willens/ auch zu eig
ner erfahrung/ wie gut es bereits in dieſer welt diejenigen haben/ welche das einig
nothwendige auch ihre ſonderbahreſte ſorge vor allen ſeyen laſſen/ wo man nur
recht verſtehet/ worinnen einer ſeele nicht der einbildung nach/ ſondern wahr-
hafftig/ wohl ſeye. Den herrn ſohn habe nicht nur geſprochen/ ſondern halte
davor/ bey ihm ein Chriſtliches gemuͤthe aus ſeinen reden erkant zu haben/ wie
er denn nicht allein meinen freundlichen zuſpruch liebreich angenommen; ſon-
dern bezeuget/ daß er ſelbſt bereits ſich dazu entſchloſſen/ das itzige leben/ nach ge-
endigter dieſer campagne, welche er auszuſetzen nicht meynte in ſeiner gewalt zu ſte-
hen/ mit einem ſtillern in ſeiner werthen eltern hauſe zu verwechſeln/ und ſich dem-
jenigen zu entziehen/ was ihn an treuen dienſte GOttes laͤnger hindern moͤchte.
Der HErr bewahre ihn in gnaden/ und bringe ihn gluͤcklich wieder zuruͤcke/ ſo
dann bekraͤfftige er in ihm ſo itzt als nachmals den gefaßten vorſatz/ und be-
reite ihm zu einem heiligen werckzeug ſeiner ehre/ mit voͤlliger erfuͤllung alles
vaͤterl. verlangens. Was die Adeliche Fraͤulein Rohamunden Julianam von
der Aſſenburg und ihre vorgebende offenbahrung/ daruͤber meine gedancken be-
gehret worden/ anlanget/ habe ich ſolche in einem bedencken/ welches auf gnaͤ-
digſtes begehren an unſere Durchl. Churfuͤrſtin gegeben/ und nachmahlen ge-
drucket worden/ ausgedruckt/ ich weiß auch nicht anders/ als daß ich davon ein
exemplar ſamt der antwort uͤber Imaginem Pietismi dem herrn ſohn umb zu uͤber-
ſchicken/ zugeſtellet habe/ und alſo ſolches werde bereits geleſen worden ſeyen. Wie
nun daſſelbe mein urtheil habe muͤſſen ſuſpendiren und davor gehalten/ daß die
ſache noch nicht reiff genug ſeye/ mit grund ob es goͤttliche offenbahrung oder
die krafft einer ſtarcken phantaſie oder impresſion ſeye/ zu determiniren/ deßwe-
gen auch den rath Gamalielis ergriffen habe. Alſo ob ich wohl ſeither die Fraͤu-
lein/ da ſie ſich unterſchiedliche wochen bey ihrem herrn vormund alhie aufge-
halten/ zu etlichen mahlen geſprochen habe/ kann ich doch weder weiter fort noch
zu ruͤcke gehen/ weil mir weder mein zweiffel dargegen ſtarck vermehret wor-
den die ſache zuverwerffen/ noch auch ich eine kraͤfftigere uberzeugung der goͤtt-
lichkeit derſelben/ aus den umgehen mit den Fraͤulein bekommen habe. Alſo
bleibet es noch allezeit ein ſtuͤck meines hertzl. anliegens und taͤglichen gebeths/
daß uns der HErr weder unter ſeinem nahmen gefaͤhret/ noch etwas das von
ihm zu unſerem beſten geſaget waͤre/ zu verachten/ verleitet werden laſſe/ ſon-
dern vielmehr ſeinen rath zu aller erkaͤntnuͤß kraͤfftig durchbrechen/ ſich auch ins-
geſamt in ſo mißlichen und gefehrlichen zeiten ſeiner kinder vaͤterlich annehmen/
und ſie ſelbſt auf richtigem weg fuͤhren wolle. Es verhalte ſich nun aber mit die-
ſer ſache/ wie ſichs dermahleins zeigen wird/ achte ich mich doch verſichert/ daß
wir unterſchiedlicher urſach wegen wohl klagen moͤgen/ daß es bey uns faſt nacht
ſey/ oder wie dorten der prophet Zacharias C. 14. ſaget: Ein tag dem HErrn
A a a a a abekand/
[922]Das ſechſte Capitel.
bekand/ weder tag noch nacht; nicht voͤllig nacht/ indem das liecht der lehre
heller ſcheinet/ als vormahlen unter den papſthum/ aber auch nicht voͤllig tag/
indem wenig hertzen durch ſolches liecht der lehre wahrhafftig innerlich zum e-
wigen lebendigen glauben erleuchtet ſind/ ſondern die meiſten noch in der fin-
ſterniß der unwiſſenheit oder todten wahn-glaubens alzutief ſtecken: Jndeſſen
muß es doch wahr bleiben/ daß an dem abend liechte werde. Und ach! daß
wir nahe dabey ſeyn moͤchten! nun wir wollen im glauben/ und deſſen fruͤchten/
in verleuchnung der welt/ und ihrer luͤſten/ im gebeth und gedult des geiſtes uns
trachten taͤglich zu denjenigen gerichten zubereiten/ die vor dem anbruch der zei-
ten der beſſerung hergehen muͤſſen/ in dero anfang wir bereits ſtehen/ aber die
noch ſchwer genug werden moͤchten/ um darinnen zubeſtehen und alles zu uͤber-
winden/ mit glaͤubiger hoffnung und erwartung/ wenn der HErr auch die ſei-
nen kindern gethane verheiſſung erfuͤllet werde. den 21. April Anno 1692.


  • (NB.Auch dieſes ſchreiben hatD.Schelwigin itin. Antipiet. p. 103.
    abdrucken laſſen.)

SECTIO XXV.


An M. J. Chriſtoph Holtzhauſen fernere erinnerung ſeinem
gewiſſen ruhe zuſchaffen. Einen fehler zu bekennen/ hebet die
auto-
ri
taͤt des miniſteriinicht auff. J. Boͤhm hat einigesretractirt.
Bey einigen goͤttlichen liecht kan noch einige finſternuͤß ſein.


DAß meine beyde brieſſe wol uͤberliefert worden/ iſt mir lieb zu verneh-
men geweſen/ wiewol gewindſchet haͤtte/ daß der erſte nicht ſo bald dem
uͤbrigen miniſterio waͤre kund worden/ doch ſcheue mich meiner perſon
wegen nicht/ und was ich vor GOtt rede oder ſchreibe/ mag auch von
andern gehoͤret und geleſen werden/ in fall es ihnen ſelbſt nicht etwa unnuͤtz-
lich iſt. Weilen aber ſonderlich in dem letzten mein gantzes hertz ausgeſchuͤttet/
und dem rath/ ſo gut mich GOtt demſelben erkennen laſſen/ treulich gegeben ha-
be/ ſo weiß ich nun wenig mehr bey der ſache zu thun/ als einerſeits mit fortwaͤh-
renden/ und gewiß des tags nicht nur einmahl vor GOtt bringenden/ gebeth an-
zuhalten/ und deſſen HErrn und weiſe regierung anzuflehen/ anderſeits geliebten
bruders eigenen gewiſſen/ uͤber welches weder ich noch jemand anders ihm einige
macht zunehmen hat/ den fernern entſchluß zuuͤberlaſſen/ mit der einigen erinne-
rung/ ſich ja wol zu pruͤffen/ was eine goͤttliche ruͤhrung geweſen waͤre/ nicht in
ſich zu unterdrucken: Worbey man gewiß zu keiner beſtaͤndigen ruhe gelangen
wuͤrde. Daß ungleiche urtheil fallen werden/ zweifele ich nicht/ wie auch das be-
ſte denſelben allezeit/ ja wohl mehr als anders/ unterworffen iſt/ aber daß mit gu-
tem grund jemand/ der das wahre beſte der kirchen erkennet/ uͤbel davon urtheilen
koͤnne/ glaube ich nimmer. Jch halte dem pruritum von allen dingen/ auch die
nicht
[923]ARTIC. III. SECTIO XXV.
nicht gnugſam bekant ſind/ zuurtheilen vor eine ſchwere kranckheit unſerer kir-
chen/ ſo dazu von wenigen erkennet worden/ in deſſen vielen ſchaden thut; nun
hoffe durch eine bewegliche erinnerung bey dieſer gelegenheit/ ſolte ihrer unter-
ſchiedlichen anlaß gegeben werden/ in ſich ſelbſt zu ſchlagen/ und hinkuͤnfftig
ſich davor zu huͤten. So ſehe ich der reinigkeit der lehr keine gefahr aus der
ſache/ indem geliebter bruder Jacob Boͤhmen nicht billigen darff/ ja bey noch
habenden ſcrupeln nicht billigen kan/ ſondern nur die ſache nach immer fernern
gottſeeliger uͤberlegung einer jeden ſeelen/ und dem auſpruch der kirchen/ da
der HErr es zeit finden/ und hierzu die hertzen lencken wird/ heimgiebet. So
ſehe auch nicht/ wie des Miniſterii autoritaͤt dadurch fallen kan. Jndem wir uns
ja keine infallibilitaͤt anmaſſen doͤrffen oder wolten/ ja auch nicht zu fordern ha-
ben/ daß ſich die gemeinde dergleichen fuͤrbildung vor uns machte/ dero wir/ wo
ſie uns bekant wuͤrde/ vielmehr zu wiederſprechen haͤtten/ daher wo einer ſich aus
menſchlicher/ durch das gemeine exempel der meiſten auctoriſirten/ præcipitanter
mit einem urtheil vergangen hat/ von GOtt aber ſelbſt ſeines ſehlers erinnert
wird/ iſts vielmehr ein erbaulicher candor von ihm/ da er zwar zeiget/ wie er
warhafftig zu erſt ſeinem gewiſſen auch gefolget/ aber bezeuget/ daß er nun deſ-
ſen verſtoß ſehe/ und das vorige retractire/ welches gewißlich ſo gar kein aͤrger-
uuͤß meines ermeſſens geben kann/ daß andere vielmehr einen ſolchen prediger
deſto mehr lieben und das beſte vertrauen zu ihm tragen werden. Dann daß
wir alle fehlbahre menſchen ſind/ weiß jederman/ daß wir aber auch/ wo wir ge-
fehlet/ uns nicht wieder Sirachs regel c. 41, 31. ſolches zu bekennen und zu beſſern
ſchaͤmen/ weiß man nicht/ man erkenne es denn aus dergleichen exempeln. Und
verſichere ich/ daß die retractationes Auguſtini weder ſeiner noch anderer Theo-
logorum autorit
aͤt ſchaden gethan/ ſondern vielmehr ſie vermehret haben. Nun
der HErr HErr der ſeine ſeele auch in haͤnden hat/ regiere ſie in dieſer ſache/
und beuge ſie zu einer ungezweiffelten erkantnuͤß ſeines willens/ alsdann ohne
ferner abſehen auf menſchen das zu thun/ was dieſer fordert: Er ſegne aber als-
den ſolchen vorſatz und deſſen bewerckſtelligung zu nicht allein voͤlliger beruhi-
gung ſeiner ſeelen/ in dieſer particular-ſache/ ſondern laſſe ihn auch alsdañ aufs
neue/ die verſicherung ſeiner gnade erlangen/ dero unterbrechung/ und was ſol-
che verurſachet/ villeicht uns nicht allemahl ſo bekant iſt/ aber auf unterſchied-
liche/ etwa auch faſt unangenehme art/ zuweilen ungezeiget werden muß. Nun
der liebſte Vater wird es thun/ wie ich zu ihm hoffe/ und geliebten bruder ſein
angeſicht wieder ſehen laſſen. Jch habe ſeiter auch wegen Jacob Boͤhmen
von jemand dieſe erinnerung bekommen/ daß derſelbe ſelbſt einiges aus ſeiner
Aurora retractiret/ und c. 10. von denen principiis goͤttl. weſens §. 9. 1. und 2. ſchrei-
be: Moſes hatte recht geſchrieben/ aber ich hatte es nicht recht verſtan-
den:
Dergleichen er auch anderwertlich bezeugen ſolle. Daraus aber folgte
A a a a a a 2nicht/
[924]Das ſechſte Capitel.
nicht/ daß nicht/ etwas von goͤttlichen licht bey ihm moͤchte geweſen ſeyen/ ſondern
daß bey dem liecht viele finſternuͤß ſich gefunden/ wie jener blinde Marc. 8, 29.
als der HErr JEſus ihm zu erleuchten anfinge/ menſchen als baͤume anſahe/
biß er zu voͤlligem geſichte kam. Jſt es nun eine muͤgliche ſache geweſen/ daß
Petrus/ und ohne zweiffel auch mit ihm andere Apoſtel/ ſo gar nach unmittel- und
wunderbahrer ausgieſſung des heil. Geiſtes uͤber ſie/ der ſie auch in dem amt
ſelbſt allezeit erleuchtete und fuͤhrete/ dennoch in einen ziemlichen irrthum betruͤf-
fende die Juden und friden geſtecket/ biß Petro ſelbſt wiederum durch eine neue
offenbahrung Act. 10. auch ſolches geheimnuͤß mehr geoffenbahret worden iſt/
warum ſolte man deßwegen dem Satan zuſchreiben/ was Jacob Boͤhm ge-
ſchrieben/ weil er in einigen ſtuͤcken ſich verſtoſſen hat? Ja warum ſolte des-
wegen unmuͤglich ſeyen/ daß er ein ſonderbahres liecht von GOtt in gewiſſen din-
gen empfangen haͤtte/ weil er in einigen dingen/ was ihm etwa in ſolchem liecht
gezeiget worden/ als von ferne erſtlich noch nicht recht/ ſondern confus, und alſo
mit einigem irrthum/ angeſehen/ nachmahl aber auch daſſelbe tieffer und klaͤrer
eingeſehen? da wir in uͤbrigen ihn nicht den Apoſteln und allgemeinen lehrern
der kirchen/ auf dero grund dieſelbe erbauet iſt/ und von denen wir den weg un-
ſerer ſeeligkeit alſo zu lernen haben/ daß wir ihren ſchrifften ohne fernere pruͤf-
fung glauben/ nach ihnen aber alle andre erſt pruͤffen muͤſſen/ vergleichen: ſon-
dern wo man etwas goͤttliches in ihn erkennen wolte (davon ich aber ſelbſt noch
nicht urtheilen kan) es alſo eine ſonderbahre Gabe/ etwa wie dorten Bezaleels/
dem auch der Geiſt GOttes gegeben worden Exod. [3]5, 31. achten moͤchten. Nun
aber auch ſolcherley gabe hart zu tractiren/ mag das gewiſſen auch verletzen.
Was eine remotion oder dero androhung anlangt/ darff geliebter bruder/ ob er
auch ſeinen gewiſſen nicht anders als durch eine retractation rathſchaffen koͤn-
te/ jene nicht fuͤrchten/ noch dieſe anders anſehen/ als daß einige denſelben damit
zuſchrecken und abzuhalten/ gedencken. Jedoch GOtt/ der ſein werck aller orten
kraͤfftig wird laſſen durchdringen/ wird alles wol machen. ꝛc. 9. May 1692.


  • (NB. Sectionem XXVI. ſuche am ende dieſes dritten theils.)

SECTIO XXVII.


An einen Chriſtlichen ſchulmeiſter in Sachſen/ den
GOtt von jugend auf gefuͤhret auf den weg der buße und
glaubens. Hochachtung der ſchrifft. Einige prediger verbieten dero
leſung. Wir haben alle zuhoͤrer auf dieſelbe zu weiſen. Maͤßigung
des entbreñenden eyffers. Wie auf dem lande auch erbauliche buͤcher
unter die leute zu bringen. Gebet um beſſerung. Luc. 18/
7. 8. Hoffnung derſelben.


Daß
[925]ARTIC. III. SECT. XXVII.

DAß ſobald zur ſache ſelbſt ſchreite/ ſo muß vor GOtt bekennen/ daß ich
mich uͤber deſſen ſchreiben in Dreßden dermaſſen erfreuet habe/ daß
die empfangung deſſelben/ eine von den vornehmſten ſtaͤrckungen gewe-
ſen/ damit in den damaligen vielen zerſtreuungen/ ſorgen und unruhe
der himmliſche Vater mich erqvicket hat: Wie ich verſichern kann/ daß mir
dieſes eine der inniglichſten freuden hier iu dieſem leben iſt/ ſo offt hie und da-
her eines und andern rechtſchaffenen Chriſten/ den der HErr kraͤfftig geruͤhret/
gewahr werde/ und aus jedem exempel zu ſtaͤrckung meines glaubens in eige-
ner erfahrung ſehe/ daß auch in den zeiten der uͤber uns noch ſo ſchwere liegen-
den gerichte/ der guͤtigſte Vater nicht unterlaſſe/ ſein werck in denenjenigen ſee-
len zu treiben/ welche ſeiner gnade annoch bey ſich platz laſſen/ und alſo daß er
uns noch einigen ſaamen uͤbrig laſſe/ damit wir nicht werden moͤchten wie So-
doma und Gomorrha. Gelobet ſeye alſo die himmliſche ewige guͤte/ welche
denſelben auch/ wie ſobald in der kindheit durch treue anweiſung einer gottſe-
ligen mutter und vorhaltung des Chriſtlichen exempels eines ſeligen groß-va-
ters/ kraͤfftig zu ſich zu ziehen angefangen/ und ſein werck immer/ ob wol etwas
verborgener fortzuſetzen nie unterlaſſen/ alſo endlich ſo viel kraͤfftiger bey ihm
durchgebrochen hat/ in ihm ſo wol eine heilige begierde/ ſein eigen heil in der goͤt-
lichen gnade treulich zu wircken/ als auch einen aufrichtigen liebreichen eyffer/
erwecket hat/ auch ſeinen neben-menſchen nach beſten vermoͤgen zu ſeiner ret-
tung an hand zu gehen. Ach geliebter freund/ er hoͤre nicht auf/ (wie zwar ohne
das das vertrauen habe/ daß ers ohne meine erinnerung thun werde) den treue-
ſten GOtt vor dieſe uͤberſchwengliche barmhertzigkeit an ſeiner ſeelen erzeiget/
mit tieffſter demuth zu preiſen/ und derſelben ſich in ſchuldiger danckbarkeit folg-
ſam zu uͤberlaſſen/ der gewiſſen verſicherung/ daß er auf dem rechten wege ſte-
he/ und ſich nur fener von dem guten geiſt/ der ihn bereits kraͤfftig ergriffen hat/
leiten laſſen duͤrffe. Es iſt einmahl dieſes der einige weg zu GOtt zu kommen/
buß und glauben: und zwar jene nicht allein von den groben ſuͤnden/ damit die
offenbar ruchloſe ſich zu beflecken pflegen/ ſondern auch von dem der meiſten
welt (ob ſie wol allertieffſt darinnen ſtecket/) unbekannt bleibenden fleiſchlichen
ſinn/ der ſeine ehre/ nutzen/ luſt und willen in allen ſuchet/ und darinnen nicht zu
ſuͤndigen meinet/ bey deſſen beybehaltung aber nimmermehr das goͤttliche liecht
in die ſeele einleuchten kan: dieſer aber/ nemlich der glaube/ nicht wie er in einer
fleiſchlichen einbildung von der gnade GOttes beſtehet/ ſondern eine goͤttliche
krafft in uns ſeyen/ und dasjenige an ſich haben muß/ was unſer theure Luthe-
rus in der mehrangefuͤhrten vorrede uͤber die Roͤmer bezeuget. Nachdem ich
nun ſehe/ daß mein geliebter freund ſich dieſen einigen weg gefallen laͤſſet/ und
auf denſelben ein hergehet/ ſo kan mit warheit ſagen/ daß er auf den rechten we-
ge ſtehe/ und auch auf denſelben getroſt fortwandern ſolle. So vielmehr aber
A a a a a a 3freuet
[926]Das ſechſte Capitel.
freuet mich/ daß derſelbe/ ob zwar andere buͤcher/ und die gaben/ welche GOtt
in andere ſeine diener geleget hat/ nicht verachtet/ dennoch ſeinen grund allein
auf das goͤttliche unbetruͤgliche wort ſelbſt ſetzet: Wie wir denn alle andere buͤ-
cher nicht anders als zeugen derjenigen warheit/ die in der ſchrifft gelehret wird/
und als einige handleiter zu deroſelben leichteren verſtand anzuſehen haben/
dero wir je laͤnger je weniger bedoͤrffen/ je mehr wir in ſolches buch des lebens
ſelbſt nunmehr eindringen. Daher er auch wol thut/ daß er nach ſeinen ver-
moͤgen jedermann zur leſung ſolches buchs hilfft vermahnen/ und ſolches allen
rathet. Dieſes aber iſt erſchrecklich/ und ſolte man nicht davor gehalten haben/
daß es in unſer Lutheriſchen kirchen/ und zwar wo man ſich des erſten urſprun-
ges der ſeligen reformation ruͤhmet/ dahin ſolte gekommen ſeyen/ daß prediger
ſelbſt den zuhoͤrern die leſung der heil. ſchrifft mißrathen. Welches leider all-
zuſtarck nach dem Pabſtum ſchmecket/ und ſolche leute anzeiget/ die wiederum
den alten blinden gehorſam/ und die von damaliger geiſtlichkeit uͤber die andere
geuͤbte tyranney im hertzen haben/ da ſie wollen/ daß die menſchen an ihrer au-
tori
taͤt hengen ſollen/ damit ſie aus ihnen machen koͤnnen/ was ſie wollen. Aber
wehe denen lehrern/ welche nicht fleiß ankehren/ die menſchen dahin zu weiſen/
daß ſie ſelbſt gern ihren wahren meiſter Chriſtum Matth. 23/ 8. in ſeinen wort
hoͤren/ damit ſie darnach alle uͤbrige lehren pruͤffen lernen; ſo vielmehr wo ſie
ſie noch von demſelben als viel an ihnen iſt/ abhalten. Jch kan von einen ſol-
chen wenig anders vermuthen/ als daß er ſeine gemeine betruͤgen will/ wann er
ſie an ſich/ als einen betruͤglichen menſchen/ weiſet/ die er doch von ſich ab/ und
zu dem/ der allein weder betruͤgen noch betrogen werden kan/ weiſen ſolte. Ach
wie wuͤnſchte ich ſo hertzlich/ daß keiner meiner zuhoͤrer waͤre/ der ſich nicht aufs
fleißigſte in der bibel/ ſonderlich in dem neuen teſtament/ ſo das klaͤreſte iſt/ uͤb-
te! und wird mir ein jeglicher unter denenſelben ſo viel lieber ſeyen/ als fleißiger
ich weiß/ daß er ſich ſolches laͤſſet angelegen ſeyen. Weswegen auch ſo offt von
der cantzel ſie erinnert habe/ daß ſie weder mir/ noch jemand von den anderen
predigern/ etwas um unſer ſelbſt willen glauben/ ſondern allezeit auf die gruͤn-
de/ die wir aus GOttes wort anfuͤhrten/ vornehmlich acht geben/ daher alle unſere
predigten nach denſelben pruͤffen ſolten. Jch leſe ihnen auch die vornehmſte ſpruͤ-
che/ worauf ich mich beziehe/ auf der cantzel vor/ damit ſie/ [wie es denn auch ei-
nige thun/] ſobald ſolche nachſchlagen/ und zu hauß wiederleſen und erwegen
moͤgen. Alſo in den catechiſmus-examinibus eirnnere ich eben dieſes/ daß die
jugend/ wo ſie nicht ſobald die gantze bibel haben kan/ auffs wenigſte das neue
teſtament ſich bald bekant mache/ und alles was ſie aus dem catechiſmo unter-
richtet werde/ daraus erweiſen lernen moͤchte: weil der catechiſmus in der form/
wie ſie ihn vor ſich haben/ von einen menſchen Luthero gemachet worden ſeye/
deswegen noch ferneres erweißthums beduͤrffe. Dergleichen hoffe ich/ daß alle/
welche
[927]ARTIC. III. SECTIO XXVII.
welche treue hirten und diener Chriſti ſeyen ſollen/ thun werden/ welche aber nicht
thun/ was hierinnen die verſicherung ihrer zuhoͤrer erfordert/ weiß ich von den
miedlings-namen nicht frey zu ſprechen. Was im uͤbrigen den gegen die ge-
lahrte und insgeſamt diejenige/ welche nicht nach vermoͤgen trachten/ daß die
kirche wiederum in rechten zuſtand komme/ bey demſelben erregten eyfer an-
langet/ iſt mir wohl bekant/ wie derſelbe gemeiniglich ſich bey denenjenigen ent-
zuͤndet/ welche aufangen das verderben recht einzuſehen/ und es gern gut haͤtten/
weil ſich aber auch leicht eine fleiſchliche bitterkeit unvermerckt mit einflicht/ ſo
iſt wohl gethan/ daß man ſich wiederumb darin gemaͤßiget/ und vielmehr mit
erbarmender liebe diejenige nunmehr anſiehet/ die es an ſich ermangeln laſſen/
und mit Sanfftmuth ſie vielmehr zu dem guten allgemach zu lencken trachtet/
als das man einige hefftigkeit gegen ſie ſpuͤren lieſſe. Daher iſt mir leid/ daß
in ein buch geſchrieben worden/ ſo lange keinen wiedergebohrnen Predi-
ger erkant zuhaben/
und ſiehe ich ſchon vor/ wo ſolches in das Conſiſtorium
kaͤme/ daß es nicht eben zum beſten ablauffen doͤrffte. Jch finde aber das rath-
ſamſte/ daß es aufs glimflichſte erklaͤret werde/ ſo auch der warheit gemaͤß ſeyn
wird: daß er nemlich keinen alſo gekant/ nicht aber daß keiner/ auch unter denen
die er gekant/ dergleichen geweſen waͤre: Es moͤchten alſo wohl/ welches er auch
hoffte und wuͤnſchte/ ſich warhafftig wiedergebohrne unter denſelben gefun-
den haben/ da er aber nicht in ſolche genaue ihre kundſchafft gekommen waͤ-
re/ daß er die zeugnuͤſſen der wiedergeburth ſo eigendlich an ihnen haͤtte ken-
nen koͤnnen. Daß den leuten auf dem land mit guten buͤchlein auch zur hand
gegangen wuͤrde/ ſehe ich ſelbſt vor eine nicht nur nuͤtzliche ſondern auch ſol-
che ſache an/ vor die die obere/ wo ſie alle ſtuͤcke ihres amts erfuͤllen wolten/ bil-
lig ſorge zu tragen haͤtten: Was ich aber vor hoffnung darzu machen ſolle/
weiß ich nicht. Aufs wenigſte wuͤndſchete/ daß nur bey jeglicher haußhaltung/
wo nicht die gantze bibel/ doch aufs wenigſte das N. Teſtament/ gefunden wer-
den mochte/ deſſen leſung den mangel anderer buͤcher erſetzen koͤnte: So moͤch-
te auch ein feines mittel ſeyn/ wo an einem ort nicht mehr als etzliche waͤren/
die einen hertzlichen eyſer haͤtten zu der erbauung/ die ſich nachmahl mit an-
dern an andern orten ſofern vereinbahrten/ daß ſie einander/ was ſich einer vor
ein buch ſchaffte/ nach der ordnung nachmahl allen uͤbrigen zu leſen leihete;
Da alſo einer dieſes/ der andere ein ander feines buch kaufte/ welche immer un-
ter ihnen herum zum gebrauch gingen/ da es keinen zu viel wuͤrde/ indem kei-
ner viele kauffen doͤrffte/ und doch da die zahl derer/ die es miteinander in die-
ſer Sache hielten/ zunehmen wuͤrde/ ein jeder den gebrauch der mehreren vor
ſich erlangte/ welches eine feine huͤlffe geben moͤchte. Wir muͤſſen alſo ſehen/
wie wir noch da und dorten ein und andere huͤlffe ſchaffen/ und einige retten
moͤgen/
[928]Das ſechſte Capitel.
moͤgen/ nachdem in dieſer zeit des gerichts/ und bey gegenwaͤrtiger befchaffen-
heit/ ſonderlich der beyden obern ſtaͤnde/ annoch nicht zu hoffen iſt/ daß durch of-
fentliche anſtalten eine allgemeine beſſerung zu werck gerichtet werde. Hin-
gegen laſſet uns neben dem fleiß/ den ſo wohl ein jeglicher an erhaltung ſeiner
eigenen ſeele und rettung einiger ſeiner bruͤder/ ſo viel ihm der HErr gnade
und gelegenheit giebet/ anzuwenden hat/ und in ſolchen nicht muͤde werden muß/
tag und nacht den himmliſchen Vater mit imbruͤnſtigen ſeuffzen anruffen/ daß
er ſich doch ſelbſten ſeiner ſache annehmen/ das elend ſo vieler tauſend ſeelen/
die aus eigner ſchuld und anderer verſaͤumnuͤß verlohren gehen/ zuhertzen neh-
men/ die hindernuͤſſen des guten auf ihm bekante weiſe wegraͤumen/ und hinge-
gen ſeiner Propheten verheiſſungen/ daß es an dem abend liecht werden ſolle/
ſamt ſo vielen andern/ dermahleins erfuͤllen/ alſo ſein reich mit gewalt endlich
gegen dasjenige/ was ſich biß daher demſelben widerſetzet hat/ durchbrechen laſ-
ſen wolle; Wo wir hiemit treulich unausgeſetzt anhalten/ ſo muß gewiß auch
erfuͤllet werden was der HErr meldet Luc. 18, 7. 8.Solte GOtt nicht ret-
ten ſeine auſerwehlte/ die zu ihm tag und nacht ruffen/ und ſolte gedult
daruͤber haben? Jch ſage euch/ er wird ſie erretten in einer kuͤrtze.
Und zwar
etwa mit ſolcher geſchwindigkeit/ daß wann er kommen und erſcheinen wird mit
ſeiner huͤlffe/ er nicht glauben bey dem ſeinigen finden wird/ ſondern ſie we-
gen ihrer angſt die ſchon vor augenſtehende huͤlffe eine weile nicht glauben wer-
den. Nechſt dem gebeth laſſet uns an ſolcher hoffnung feſt halten/ und uns
darmit gegen alle truͤbſalen und kummer/ die uns betrifft/ wapnen/ als verſi-
chert/ daß kein woͤrtlein von dem/ was der HErr je ſeinen kindern verheiſſen
hat/ auf die erde fallen/ ſondern alles warhafftig in zeit und ewigkeit erfuͤllet
werden ſolle und muͤſſe. Nun der HErr gebe uns hierzu den geiſt der gna-
den und des gebeths/ damit unſere ſeuffzer fuͤr ihm tuͤgen/ den geiſt der weiß-
heit/ daß wir verſtehen/ wie wir uns in dieſe boͤſe zeiten ſchicken ſollen/ und was
in allen ſtuͤcken zu thun ſeye/ als lange wir noch unter dieſen unſchlachtigen und
verkehrten geſchlecht leben ſollen/ den geiſt der krafft und gedult/ zu thun was
ihm gefaͤllig iſt/ und auszuſtehen/ woran er an uns geprieſen werden will/ den
geiſt des glaubens und der hoffnung/ mit jenem unſer heil zu ergreiffen/ und
zubehalten/ mit dieſer ſeiner verheiſſung zu erwarten/ endlich den geiſt des glau-
bens und der liebe/ darmit wir alles uͤberwuͤnden. Nun/ er wirds thun/ wa-
rum ihn ſeine kinder bitten! 30. May 1692.


SECTIO
[929]ARTIC. III. SECTIO XIIX.

SECTIO XXVIII.


An einen Chriſtlichen Prediger in Sachſen.
Jch ſetze Goͤttlichem wort keine andre offenbahrung
zur ſeiten. Haß fleiſchlicher
Theologorumgegen die lehre
der Gottſeligkeit aus ihrem
intereſſe.Unſere
pflicht in ſolchen zuſtand und gewiſſer
ſieg.


MJt meiner bißherigen erklaͤhrung zweiffele ich nicht/ daß allein billichkeit
liebenden gemuͤthern ein genuͤge geſchehen werde. Was aber andere an-
langt/ welche mit bitterer gall gegen mich oder auch insgeſamt gegen das
gute ſo ich treibe/ eingenommen ſeind denen geſchiehet mit nichts gnug/ ſondern in
der geradeſten bintzen werden ſie knoten finden/ daher ich ihrer wenig achte/ ſondern
nur vor ſie bete. Jn uͤbrigen kan ich alle fromme ſelen ein vor allemahl verſichern/
daß mich nimmermehr durch etwas/ was es auch ſeyen ſolte/ von den unbetruͤgli-
chen wort GOttts abziehen/ oder nur einige ſcheinbahrſte offenbahrung darneben
zum grunde unſers glaubens ſetzen laſſen werde/ ſondern ich erkenne den hohen vor-
zug des geſchriebenen Goͤttlichen der allgemeinen kirchen gegebenen worts vor al-
len andern (wann auch ſolche waͤren) von GOTT gewiſſen leuten/ abſonderlich
gegebenen offenbahrungen. Jenes bleibet die einige richtſchnur/ dieſe muͤſſen ſich
erſt nach jener urtheilen/ und von der uͤbereinſtimmung mit derſelbigen/ ſo wohl
als andere auslegungen/ ihren glauben hernehmen. Ach geliebter bruder/ laſſet
uns die liſt des teuffels/ deſſen herrſchafft ſo maͤchtig iſt/ auch darinne wahrnehmen/
daß er unter den ſchein des eiffers vor die orthodoxie alles gute/ wo nehmlich
Chriſtliche hertzen/ daß es mit der buchſtaͤblichen wahrhett nicht gnug/ ſondern ne-
ben derſelben/ die jenige wahrheit/ ſo Lutherus Epheſ. 4/ 21. das rechtſchaffene
weſen in CHRJSTO JESU
nennet/ welche voller fruͤchten der heiligung
iſt/ noͤthig ſeye/ ernſtlichtreiben/ und andere ſo ſolcher wahrheit aus uͤberzeugung ih-
res gewiſſens anfhngen bey ſich platz zu geben/ zu unterdrucken ſuchet/ und ihm lei-
der aus Goͤttlichem gericht nur allzuſehr gelinget. Er bekommet auch gar leicht
fleiſchliche Theologos zu inſtrumenten ſeiner boßheit: Denn weil dieſelbe nichts
an ſich haben als eine buchſtaͤbliche gelehrheit ohne innerlichen Geiſt und krafft/ aus
ihrem geiſtlichen ſinn aber ihre hauptabſicht iſt wie ſie ſich unter den vorwand der
heiligkeit des amts in hohen anſehen/ reichen auskom̃en/ u. bey mitteln eines beque-
men oder gar wolluͤſtigen lebens erhalten moͤchten/ ſo ſehen ſie ſolchem ihren inter-
eſſe
nichts gerader entgegen zu ſtehen/ als wo ein ſolches Chriſtenthum nicht nur
gelehret/ ſondern von mehrern in der [uͤbung] gebracht wuͤrde/ ſo daß ihrige beſchaͤ-
B b b b b bmete:
[930]Das ſechſte Capitel.
mete: Daher muß aller fleiß angewendet werden/ denen jenigen den mund zu
ſtopffen/ welche ſolches treiben/ oder ſie in miß-credit zu bringen/ darmit jener wort
nicht mehr gelten muͤſſen/ und dieſe die gemeinden alſo behalten koͤnnen/ daß ſie
nicht weiter kommen doͤrffen/ als ihnen gelegen/ und ihren ſtand vortraͤglich iſt.
Jch bin verſichert/ wo man alles bißher vorgegangene recht tieff einſihet/ wird ſichs
finden/ daß der gantze lermen daher entſtehet. Daher vor dieſen ſonſten andern
Theologis/ wo ſie auch in der lehr gantz ſonderbahre meinungen gehabt haben/ al-
lerley zu gut gehalten worden iſt/ wo ſie ſich nur ſonſten alſo bezeuget/ daß fleiſchli-
che Theologi ſich nicht vor ihnen fuͤrchten doͤrffen; dann es iſt ihnen entweder
gantz hingegangen und nicht geachtet worden/ oder obs zu einiger refutation ge-
kommen/ hat man dannoch nicht wie jetzt gleich wind und mehr in ſturm und bewe-
gung daruͤber gebracht. Aber an den jenigen/ vor denen ſich die andere/ ſo das an-
ſehen in der kirchen zu haben meinen/ foͤrchten/ daß ihr reſpect durch ſie etwa (ob
wohl ohne ihr ſuchen) geſchmaͤhlert werden/ u. das volck lautere augen ſie zukeñen
bekom̃en moͤchte/ muß nichts geduldet werden/ ſondeꝛn wo ſie einmahl ein woꝛt/ ohne
vorgaͤnger darinnen zu haben/ reden/ wo ſie eine formul/ die einmahl von ketzern
mißbrauchet werden/ ob wol mit guter erklaͤhrung/ gebrauchen/ wo ſie eine mei-
nung/ die an andern nie geſtraffet worden/ hegen/ wo ſie etwas daß vor jenen pro
autoritate
verurtheilet worden/ nicht mit condemniren/ muͤſſen alle ſolche dinge
lauter gnugſame zeugnuͤßen einer wo nicht oͤffentlichen doch heimlichen heterodo-
riæ
ſeyen. Warum? Wo haß das hertze eingenommen hat/ kan kein urtheil
mehr nach der liebe gefaͤllet werden. Dieſe liſt des Satans/ die darzu offenbahr
gnug iſt/ laſſet uns recht einſehen/ und das elend unſerer zeiten hertzlich beſeufftzen/
aber auch andere unſere mitbruͤder/ welche ſich in ihrer einfalt vor der andern an-
ſehen moͤchten allzuſehr einnehmen/ und in die gemeinſchafft ſolcher ſuͤnden mit ein-
flechten laſſen/ trachten nach vermoͤgen davon abzuhalten/ und ihnen die augen auch
zu oͤffnen: indeſſen mit gedult ertragen/ was die welt mit uns vornehmen will/ ſie
kann uns endlich nichts mehr nehmen/ als was wir ohne das vor den HErrn zu laſ-
ſen freudig oder doch willig/ allezeit ſeyen ſollen/ hingegen wird ſie noch ihren kopff
zuſtoſſen an dem felſen/ darauff wir gegruͤndet ſind. Und alſo bleibt es dabey/ was
derſelbe in Dreßden von mir gehoͤret zu haben ſich erinnert/ wir wollen nicht allein/
ſondern werden ſiegen in der krafft des HERRN HERRN: ob wir aber den
ſieg noch in dem fleiſch erleben werden/ iſt den allein wiſſend/ welcher alles in ſeinen
haͤnden hat. Jndeſſen iſt unſer ſieg nicht weniger wahrhafftig/ ob wohl in der zeit
nicht wir/ ſondern unſere zuruͤcklaſſende bruͤder und ſchweſtern deſſelben genieſſen
ſollen/ uns genuͤgt an der freude/ daß der HErr uns doch gewuͤrdiget hat zu ſeinen
werckzeugen mit zu gebrauchen/ ſeine trotzige feinde/ und welche die herrſchafft der
gewiſſen/ ſo ihm allein gebuͤhret/ ihnen ſelbs zu gemeſſen haben/ zu bekriegen/ und
ſie zu uͤberwinden/ ſo dann an derjenigen herrlichkeit/ die/ der durch uns ſieget/ ſei-
nen
[931]ARTIC. III. SECTIO XXIX.
nen kaͤmpffern in jenen leben verheiſſen hat/ und gewiß geben wird/ hierauff mit
glauben ſehende/ wird uns alles leiden leicht werden/ und koͤnnen wir der feinde la-
chen: wie ich auch mit demuͤthigſten danck des HERRN guͤte uͤber mich preiſe/
welche mich bißher/ wie viel mir auch mit worten und thaten vor allen orten getro-
het wurde/ dermaſſen geſtaͤrcket/ daß ich mich nicht gefuͤrchtet/ noch eine nacht dar-
uͤber ſchlaffloß zu bringen doͤrffen; und alſo mit wahrheit David Pſalm. 4/ 9.
nachſprechen mag/ ich lige und ſchlaffe gantz mit frieden/ denn du HERR
allein hilffeſt mir/ daß ich ſicher wohne.
Nun er ſtaͤrcke nicht allein mich/
ſondern uns alle/ zu allen den kaͤmpffen/ die uns noch moͤgen bevorſtehen/ ihm treu
zu bleiben/ an ſeinem wort/ glauben und gebothen feſt zu hengen/ der welt trohen
und trotzen nicht zu fuͤrchten/ hingegen ihr getroſt/ mit freudigen glauben/ hertzlichen
eiffer zur befoͤrderung Goͤttlicher ehre und des nechſten ſeligkeit/ lebendiger hoffnung
und unermuͤdeter gedult zu begegnen/ biß er uns die palmen ſelbs darreiche.


Er erbarme ſich aber auch derer/ welche ſich durch blinde leiter verfuͤhren laſ-
ſen/ und oͤffne ſolchen ihre augen/ darmit ſie ſich nicht aus dero verhetzung immer
weiter dem guten widerſetzen/ ſo dann der feinde ſelbſten/ ſie vornehmlich in ihren
ſeelen ſeine gewaltige hand fuͤhlen zulaſſen/ damit ſie ſich in wahrer buß zu ihren
heil vor ihme demuͤthigen/ oder wo ſie ſolches nicht zugeben/ ihre haͤnde zu binden/
damit ſie ſich nicht ſchwehrer verſuͤndigen/ biß end lich ihre zeit heran komme. Er
eile auch mit erfuͤllung ſeiner verheiſſungen/ auff welche wir hoffen/ wenn die zeit
ſeiner gerichte um ſeyen wird/ um rette damit ſeine von ſo vielen in dieſem ſtuͤck an-
gegriffene wahrheit. Abſonderlich aber erhalte er auch geliebten bruder nach ſei-
nen heiligen willen lang/ zur verherrlichung ſeines nahmens und gewinnung vieler
ſeelen; ruͤſte ihn auch dazu immer mit mehr licht/ und krafft aus/ damit die frucht
und ſegen deſto reicher ſeye/ und wo es ſein heiliger wille iſt/ laſſe er ihn auch noch das
heil ſehen/ wo der HERR ſeiner glaubigen ſeufftzen in kurtzen erhoͤren und ſie ret-
ten wird. ꝛc. 1692. 12. Oct.


SECTIO XXIX.


An einen vornehmen Frantzoſen/ der aus guten
trieb von dem Papſtum zu uns getreten. Salbung des
Geiſtes wenig bekant. Die kirche ihrer gebrechen wegen
nicht zu verlaſſen/ ſondern eꝛbarmung mit zutragen.
Zum predigamt iſt neben der ſalbung auch
der beruff noͤthig.


B b b b b b 2Jn
[932]Das ſechſte Capitel.

JN deſſen ſchreiben/ hat mich unterſchiedliches ſonderlich erfreuet: Wann
ich daraus meines wehrten Herrn zuſtand ziemlicher maſſen eingeſehen zu
haben getraue. Da ich alſo zum allerfoͤrderſten billich des himmliſchen Va-
ters guͤte und weißheit auch heilige fuͤhrung erkenne und preiſe/ welche ſich in deſ-
ſelben herbeyfuͤhrung offenbahret hat. Dem ich dann billich zu ſchreibe den hertz-
lichen trieb noch zeit voriger Paͤpſtiſcher bekaͤntnuͤß/ ſich ſtets in dem neuen Teſta-
ment umzuſehen/ und alſo einen grund des glaubens zulegen; ferner daß dem-
ſelben die Augſpurgiſche bekaͤntnuͤß zu haͤnden kommen/ GOTT aber ſein liecht
dazu verliehen hat/ die irrthuͤme und abgoͤtterey des Papſtums zu erkennen/ und
die wahrheit unſrer lehꝛe denenſelben/ auch mit hindanſetzung des ſeinigen in Fꝛanck-
reich/ vorzuziehen. Nachdem aber aus dem Papſtum mehrere zu uns kommen/
die nur gleichlam den bloſſen nahmen aͤndern/ von denen aber in dem uͤbrigen
nnſre kirche wenig nutzen oder erbauung erlanget/ vielmehr manche aͤrgernuͤß lei-
den muß/ welches nnſre freude uͤber die ankommende offt vermindert/ ſo hat mich
billig dieſes hingegen ferner erfreuet/ daß aus dem brieff nicht allein eine hertzliche
intention/ GOTT treulich in der erlangten erkaͤntnuͤß und auch zu derſelben
ausbreitung zu dienen/ ſondern auch dieſes/ erſehen/ daß deſſen erkaͤntnuͤß rechter
art ſeye/ darvon man auch kuͤnfftig alles beſte hoffen mag: worinnen ich bekraͤff-
tiget werde/ wann ich anſehe/ daß man die heilige Schrifft allein zu ſeinem grunde
leget/ aus deroſelben Goͤttlicher offenbahrung viel lieber als menſchlichen meinun-
gen alles herzunehmen/ welches dañ einrecht geſegneter und der wahrhafftig feſteſte
grund iſt/ welchen der hoͤllenpforten nicht zu uͤberwaͤltigen vermoͤgen. Jch neh-
me auch daraus ab/ daß derſelbige mit der ſchrifft gebuͤhrend umgehe/ nehmlich
nicht allein vermittelſt menſchlichen fleiſſes und gebrauchs des eignen verſtands aus
derſelben eine buchſtaͤbliche erkaͤntnuͤß zu wege zubringen/ ſondern aus GOTT
durch ſolches ſein wort gelehret zu werden/ wohin ich ziehe/ die meldung der ſal-
bung des heiligen Geiſtes/
von dem wir Chriſten alles haben muͤſſen/ was eine le-
bendige erkaͤntnuͤß ſeyen ſolle/ dardurch auch die jenige erkaͤntnuͤß/ welche wir predi-
ger bey unſern amt bedoͤrffen/ geheiliget werden muß: alſo daß derheilige Geiſt das
jenige/ was er vor dem durch die Propheten und Apoſtel/ welche er unmittelbahr
erleuchtet/ geredet und auffgezeichnet hat/ auch in unſern hertzen/ da wir ſolches le-
ſen und betrachten/ lebendig machet/ und gleichſam auffs neue redet. Wiewol
leider dieſe ſalbung viel ſeltzamer und rarer iſt/ als ſeyen ſolte: Daraus aber ge-
ſchiehet/ das Chriſten ohne ſalbung eben deswegen auch nicht Chriſten ſind/ noch
ihr vermeinter glaube vor einen glauben/ ſondern nur eine unfruchtbahre und
muͤßige einbildung oder auffs hoͤchſte wiſſenſchafft gehalten werden mag: Die
Prediger aber ohne die ſalbung ſind nicht viel beſſer als thoͤnennes ertz und klingende
ſchellen/ daher ſie weder ſelbs ſelig werden/ noch auch alles das jenige auszurichten
ver-
[933]ARTIC. III. SECTIO XXIX.
vermoͤgen/ was ihnen ſonſten amts-wegen obliget. Bebtruͤbt aber aber iſt noch die-
ſes dabey/ daß auch die lehre von der ſalbung bey vielen der unſrigen ſo fremd und
unbekant worden iſt/ daß ob wol das woꝛt ſo wol als die ſache in der heiligen ſchrifft
ſtehet/ dannoch manche/ wann ſie ſolches hoͤren/ ſo bald den veꝛdacht einer irrigen
lehre daraus ſchoͤpffen/ ob wolte man mit außſchlieſſung goͤttlichen worts alles auff
unmittelbare offenbahrung und eingebung ſetzen/ von welcher einbildung man
gleich wol entfernet iſt.


Jch erkenne auch/ daß mein wehrter Herr die ſachen insgeſamt tieffer einſe-
hen muß/ als insgemein geſchiehet/ wann er unſre kirche/ ob wol/ in ſe kurtzer zeit/
alſo erkant hat/ wie nehmlich wenig Evangeliſches auſſer des tituls ſich bey derſel-
ben/ was die anſta[lt]en und das leben anlangt/ befinde/ und dannoch ſolche deswe-
gen zuverlaſſen nicht in die gedancken faſſet/ folglich die lehre an ſich ſelbs/ welche
heilig und gut iſt/ von den verhalten der menſchen zu unterſcheiden gelernet hat;
darein ſonſten manche gute ſeelen ſich nicht wol zufinden wiſſen/ und ſich gefaͤhrli-
cher als ſie ſolten daran aͤrgern. Jch erkenne gern/ daß wir ſehr abgewichen ſeind
von den erſten wegen/ darauff uns der HErr gefuͤhret hatte/ und ſorge/ daß der-
ſelbe einige ſchwehre gerichte deswegen auff uns fallen laſſen mag/ wie er gemeinig-
lich allezeit die gerichte gegen ſeine feinde (welche auch vielleicht nach nicht langer zeit
uͤber Babel gehen werden) erſtlich an ſeinen eignen hauſe/ wann daſſelbige unge-
horſam worden/ anzufahen pfleget.


Uns gebuͤhret indeſſen uͤber das innerliche verderbnuͤß unſrer mutter hertzli-
ches mittleiden zu tragen/ es zubejammern/ wo wir etwas vermoͤgen zu beſſern zu-
trachten/ vor ſie inniglich zu beten/ und vollends gedult mit ihr zuhaben/ indeſſen
uns des guten in derſelben treulich und fruchtbarlich zugebrauchen/ und der miß-
braͤuche uns nicht theilhafftig zu machen/ ſondern vielmehr nach vermoͤgen uns den-
ſelben zu widerſetzen. Dieſe achte die ſumme zu ſeyen/ was uns allen obliget/ dazu
uns auch der himmliſche Vater ſein liecht und kraͤffte verleihen wolle. Was in
uͤbꝛigen die reſolution anlangt/ ſich zu dem Predigamt zubequemen/ kan ich die-
ſelbige an und vor ſich ſelbs nicht mißbilligen: jedoch bekenne ich/ daß die ſchwehrig-
keiten dabey nicht geringe ſind/ nachdem es an erkaͤntnuͤß der lateiniſchen/ vornem-
lich aber der teutſchen/ ſprache mangelt. Nun haben wir in unſer gantzen kirche/
als viel mir wiſſend iſt/ keine gemeinden/ da man Frantzoͤſiſch-predigte/ als in den
Fuͤrſtenthum Montbelgard, ſo aber nun unter Franckreich iſt/ und zu Franck-
furt am Mayn. Alſo ſehe ich die ſache alzuſchwehr/ und wenig hoffnung davon
zumachen.


Es waͤre dann ſache/ daß Mein Hochgeehrter Herr zeit und muͤhe anwenden
wolte/ ſich in der Teutſchen ſpꝛache alſo zu uͤben/ um derſelben maͤchtig zu werden/
und darinnen einer gemeinde dienen zu koͤnnen/ ſo dann darzu des beruffs zuerwar-
ten/ als welcher auch das amt mit guten gewiſſen zufuͤhren allerdings noͤtig iſt.


B b b b b b 3Dann
[934]Das ſechſte Capitel.

Dann gleich wie die ſalbung uns tuͤchtig machet/ ſo muͤſſen wir hingegen das
recht mit unſern gaben vor der gemeinde zu dero aufferbauung auffzutreten von
dem ordentlichen beruff her haben/ wozu das geiſtliche Pꝛieſterthum/ ſo allen Chri-
ſten gemein iſt/ nicht gnug ſeyen will; Jch wuͤnſche hiemit hertzlich/ daß der groſſe
GOTT auch demſelben ſeinen willen in allem ſtets zu erkennen geben/ in ihm im-
mer mehr und mehr ſeyen liecht und krafft wachſen laſſen/ u. alles zu ſeines nahmens
verherrlichung anzuwenden gelegenheit nach ſeiner weißheit verſchaffen wolle. 10.
Dec. 1692.


SECTIO XXX.


An Churfuͤrſt Johann GeorgIV.von Sach-
ſen auff begehren wiederholte beſchwerde uͤber das un-
billige verfahren in der ſache

Pietismi.


Von dem GOTT der zeit und ewigkeit/ aus deſſen befehl
unſre jahre kommen und hingehen/ zu angetretenen neu-
en jahr und viele folgenden reiche gnade/ im liecht und krafft
des Geiſtes/ geſundheit des leibes und mit allen ſegen be-
ſeligte regierung!


Durchlauchtigſter Fuͤrſt/
Gnaͤdigſter Churfuͤrſt und Herr.

DAß E. Churf. Durchl. dero Cammer-Herrn NN. dero Churf. gnaden
mich auffs neue verſichern laſſen/ habe mit unterth. danck zuerkennen/ ob
wol davor nichts hinwieder ſetzen kan/ als daß taͤglich nicht nur zu einem
mahl auff meinen knien/ wie auch mit geſamten meinigen/ dero nahmen vor den
HERRN bringe. Es hat mich auch ſonderbahr erfreuet/ daß E. Churf. Durchl.
das jenige wieder zu ſehen verlangt/ was deroſelben vor einem jahr alhier unterthaͤ-
nigſt uͤbergeben hatte/ ſolches aber wiederum von handen gekommen iſt; allermaſ-
ſen mir ſolches ein neues zeugnuͤß gibet/ das E. Churf. Durchl. angelegen ſeye/ in
einer ſolchen wichtigen ſache/ als jemal dero regierung betreffen kan/ ſich von nie-
mand einnehmen oder uͤbereylen zu laſſen/ ſondern alles reifflich und nach dem ge-
wiſſen zu unterſuchen/ und alsdenn erſt ein gerechtes urtheil zuſprechen.


Ob dann nun wol/ wie ich ſchuldig bin/ mit wieder einſendung des vorigen
gern
[935]ARTIC. III. SECTIO XXX.
gern unterth. gehorſamen wolte/ bin ich doch ſo ungluͤcklich/ daß nach allen ſuchen
voriges concept gleichwol nicht wieder [fi]nden kan. (NB.ich habe es nach
der zeit gefunden/ und ſtehet oben
Sect. 20.) Es werden aber E. Churf.
Durchl. nicht ungnaͤdig nehmen/ daß an ſtatt d[e]s vorigen/ ob wol etwa mit andern
worten dennoch einerley ſache/ nach dero gnaͤdigſte erlaubnuͤß hiermit wieder-
hohle.


So habe nun damal gegen E. Churf. Durchl. meiner eigenen perſon wegen
dieſe gerechte klage gefuͤhret/ daß von D. Carpzovio ſo unguͤtig und unverſchuldet
angegriffen wuͤrde: wie dann berichtet worden war/ daß derſelbe/ als wegen der
erſetzung des Oberhoffprediger amts gehandelt wurde/ eine harte beſchuldigung
gegen mich eingegeben habe/ daher ich unterth. gebeten/ auch hiemit nochmal ſolches
wiederhole/ ob mir die gnade dero communication ſolcher ſchrifft wieder fahren/
und verſtattet moͤge werden/ meine gebuͤhrende verantwortung daruͤber zu thun/
mit dem unterthaͤnigſten erbieten/ uͤber meine zeit meines anweſens in Sachſen
gefuͤhrte lehr/ amt und leben vor E. Churf. Durchl. (ob ich wol ſonſten nach GOt-
tes willen nunmehr auſſer dero botmaͤßigkeit lebe) freudig rechenſchafft zugeben/
und da ich in ſolchen dingen ſchuldig uͤberwieſen wuͤrde (welches ich unmuͤglich zu-
ſeyen aus meinem gewiſſen verſicheꝛt bin) alleꝛ verdienten ſtraffe dar zu ſtellen. Wie
ich dann mit unerſchrockenen hertzen/ wie ohne das ſtuͤndlich mich des goͤttlichen
richteꝛſtuhls/ vor demſelben mich zu ſtellen/ verſehen muß/ alſo auch vor allen un-
partheyiſchen gerichten (wo nur dieſe einige maxime gilt/ daß man denen in geiſt-
lichen aͤmtern ſitzenden wider andre ihre mit-bruͤder nicht eben auff ihr beziehen
auff ihr gewiſſen/ verpflicht und eyffer uͤber die reinigkeit der lehr/ bloß dahin glau-
be/ ſondern ihrer beſchuldigungen gruͤndlichen beweiß allemal von ihnen erfordere)
zuerſcheinen/ und was ich gelehret und gethan/ unterſuchen zulaſſen bereit bin.
Und wo E. Churf. Durchl. ich unterthaͤnigſt anflehe/ (wie auch hiermit nochmal
thue) daß ſie ehe und bevor ich einiges unrechten uͤberfuͤhret bin/ meinen offentlichen
widerſachern mich ferner in predigten und ſchrifften (dergleichen bißher ſonderlich
zu Leipzig ohne die geringſte ahndung ſo offt an den vorſchein gekommen) un-
ſchuldig anzugreiffen ernſtlich verwehren wolten/ bin ich verſichert/ daß ich was
vor GOtt/ und nicht nur der Chriſtlichen/ ſondern nuꝛ ehrbaren/ welt/ die gerechtig-
keit erfordert/ bitte und ſuche/ daher auch E. Churf. Durchl. gnaͤdigſter gewehrung
mich billich verſehen ſolle.


Weil aber E. Churf. Durchl. von den ſo genanten pietismo insgeſamt mei-
ne er klaͤhrung/ und was mir davon wiſſend/ gnaͤdigſt verlangen/ ſo kan ich vor
GOttes angeſicht getroſt bekennen/ daß der gantze leꝛmen nicht von den jenigen
leuten/ welche man mit ſolchem nahmen beleget/ ſondern von dem gegentheil und
deſſen unzeitigem eyffer hergekommen ſeye. Bin auch gewiß/ wo alles unparthey-
iſch und ohne ſchohnen gewiſſer perſonen unterſuchet und examiniret werden ſolte/
daß
[936]Das ſechſte Capitel.
daß ſichs ſonnenklahr ergeben weꝛde/ wie weder eine ſecte noch dero eigentlicher
anfang in Leipzig entſtanden/ davon doch nicht nur ſolche ſtatt und gantzes land
von ſo genannten geiſtlichẽ mit boͤſen geruͤchte erfuͤllet ſondern auch die gantze Evan-
geliſche kirche zu groſſem aͤrgernuͤß verunruhigt worden iſt: uñ hat man ſich nicht zu
zu verwundeꝛn/ daß aus falſcher urſach dañoch groſſe unruhe entſtehen koͤñe/ wie dañ
wo zum exempel in der nacht in einer ſtatt einige boßhafftige herum lauffen/ daß ver-
raͤtherey in der ſtatt ſeye ausſchreyen/ und wol gar die ſturm-glock anziehen wuͤr-
den/ einen ſolchen tumult u. in denſelben wahrhafftig faſt ſo viel ungluͤck/ mord und
unweſen entſtehen koͤnte/ als wann in der that etwas daran geweſen waͤre. Nicht
viel andere bewandnuͤß hat es mit dem gantzen pietiſtiſchen unweſen/ und kommt
der lermen von denen/ die eine ſecte faͤlſchlich erdichtet/ und alles damit in unruhe
geſetzt haben: darzu ſie aus fleiſchlichen urſachen/ neid und ſorge durch anderer
fleißiger und gottſeliger leute exempel beſchemet zu werden/ moͤgen bewogen ſeyen
worden/ aber auffs wenigſte dem groſſen GOtt des wegen ſchwehre rechnung zu
thun haben werden.


Daß aber E. Churf. Durchl. nicht in die gedancken kom̃en moͤchten/ ob redete
ich hierinnen meinen willen/ ſo kan ich die unſchuld/ derer/ welche wegen des pietis-
mi
beſchuldiget werden/ ſattſam darthun/ als der ich damal durch GOttes gnade
in dero kirchen-rath geſeſſen/ und alle acta leſen muͤſſen/ auch geleſen habe: Da
E. Churf. Durchl. ſich verſichern koͤnnen/ daß nicht ein einiger irrthum der lehr o-
der etwas deſſen/ ſo wider GOtt oder Chriſtliche Obrigkeit oder den nechſten ſtrit-
te und ſtraͤfflich waͤre/ den leuten erweißlich gemacht worden ſeye. Der anfang
war 1689. als M. Franck/ jetziger Profeſſor zu Halle und Paſtor zu Glauche da-
ſelbs/ in Leipzig mit andern Magiſtris und Studioſis Collegia uͤber die Bibel
nach hergebrachter Academiſcher freyheit hielte/ mit dieſem einigen unterſchied/
daß er mehr auff die practica als theoretica triebe/ und den Studioſis das haupt
ſtudium der ſchrifft vor andern recommendirte/ dadurch viele Studioſi daſſel-
bige vor allen andern ſich angelegen ſeyen zu laſſen/ und ſo bald auch eines Chriſtli-
chern lebens/ ſich zu beflieſſen angefangen haben. Weil nun der zulauff unge-
mein groß/ und ſolcher Magiſter ohne ſeinen willen von den zuhoͤrern mehr als an-
dre es ertragen konten gelobet wurde/ gieng der handel an/ und demunciirte die
Theologiſche Facultaͤt in Leipzig ſolches in den kirchen-rath als eine gefaͤhrliche
ſache/ die ſie ferner unterſuchen wolte/ wurden auch ſo bald M. Francken ſeine Col-
legia inhibiret
/ und eine inquiſition angeſtellet/ ſo ein paar monat gewaͤhret.
Hievon ligen in E. Churf. Durchl. kirchen-rath die acta mit der Univerſitaͤt rela-
tion,
ja es hat die Theologiſche Facultaͤt/ wie das original bey den acten vor-
handen iſt/ bekennet/ es ſeye in ſolcher inquiſition nichts deſſen/ was wider M.
Francken und andre/ ſo es mit ihm gehalten geklaget/ erwieſen worden/ wie wol ſie
ihn
[937]ARTIC. III. SECT. XXX.
ihn deswegen nicht unſchuldig halten wolten/ ſondern begehrten/ man ſolte ſich in
Hamburg ſeines verhaltens wegen erkundigen.


Nachdem aber M. Franck nicht mehr Collegia halten dorffte/ ſondern M.
Schade jetziger prediger allhier/ dergleichen continuirte, und ſich ohne ſein verlan-
gen anfingen etzliche mal bey denſelben buͤrger einzufinden/ wiewol er ſie deswegen
ſelbs/ um alle unordnung zu verhuͤten/ auffgegeben haͤtte/ gieng die unruhe auffs
neue 1690. an/ und lieffen die hitzigſte denunciationes in Dreßden ein/ daß daher
nicht nur ein patent angeſchlagen/ ſondern eine ſcharffe inquiſition der Univer-
ſitaͤt/ amt und rath uͤber die gantze ſache anbefohlen wurde/ welche abermahl etzli-
che monate gewaͤhret hat/ und ſehr viel leute eydlich abgehoͤret worden ſind. Aber
als auch dieſer acta eingeſchicket wurden/ fand ſich abermal nichts/ was die leute
vor unpartheyiſche richtern ſchuldig machen koͤnnen. Sonderlich wollen E. Churf.
Durchl. gnaͤdigſt dieſes erwegen. Es war unter andern denunciationen auch
eine von dem Miniſterio zu Leipzig/ die das allerwichtigſte unter allen in ſich faßte/
nemlich eine deſignation der glaubens irrthuͤme und falſcheꝛ lehꝛ/ welche ein buͤr-
ger in den collegiis gehoͤret/ und dem Miniſterio uͤbergeben haͤtte. Welche irr-
thuͤme gleich wol darnach aller orten auß-ſpargiret/ ja auff E., Churf. Durchl.
ſchloß-capell cantzel/ zugeſchweigen anderer unzeitigen cantzlen/ wiederholet wor-
den ſind/ auch deswegen noch dieſe ſtunde als der pietiſten irrthume pflegen ange-
fuͤhret zu werden. Nun iſts an dem/ wo die leute ſolche lehr gefuͤhret haͤtten/ muͤ-
ſte ich ſelbs ſagen/ daß es ein ſtarcker anfang einer eigenlichen ſecte geweſen waͤre.
Aber wo E. Chuꝛf. Durchl. gnaͤdigſt geruhen wollen/ nachſuchen zu laſſen/ wer-
den ſie vernehmen/ das in den inquiſitions-acten, da doch ſo viele zeuͤgen von U-
niverſitaͤt und rath abgehoͤret worden/ ſich nicht nur das geringſte finde/ daß ſol-
cher buͤrger (deſſen vorgeben wichtiger geweſen/ als alle andre zeugen) waͤre ad ex-
amen
gebracht worden. Welches eine klahre anzeige iſt/ weil ja der rath nicht wider
pflicht bey anbefohlener ernſten inquisition des jenigen wuͤrde geſchohnt haben/
der das meiſte haͤtte auſſagen koͤnnen/ daß ſich kein ſolcher buͤrger gefunden/ oder daß
er wieder zuruͤckgegangen und ſeine auſſage widerruffen haben muß. Und gleich-
wol wehret dieſe imputation noch. Jch habe damal auff gnaͤdigſten befehl uͤber
beide inquiſitionen meine doppelte unterthaͤnigſte relation 1690. nach gewiſ-
ſen abgeſtattet/ daß der angeſchuldigten leute unſchuld aus den actis erhelle/ klar
dargeſtellet/ und wie dem unweſen zuhelffen/ auch alles zur ruhe zubringen/ un-
maßgeblich gezeiget. Welche zwifache relation in E. Churf. Durchl. geheimen
Rath noch liget/ und ich zu deꝛoſelben verantwortung vor GOtt und menſchen freu-
dig bin/ auch wuͤnſchen moͤchte/ daß E. Churf. Durchl. dieſelbe (ſo zwar etwas
weitlaͤufftig/ weil derſachen wichtigkeit eserforderte) ſich vorleſen zu laſſen gnaͤdigſt
geruheten.


Von allen dieſen dingen kan ich zeugen/ als der mit dabey geſeſſen/ da davon
C c c c c cgehan
[938]Das ſechſte Capitel.
gehandelt worden/ und die acta geleſen/ daß ich mit grund der warheit ſagen kan/ wo
nicht ſeiter durch neue inquiſitiones wichtigere dinge hervorgebracht worden (da-
von ich nichts weiß) daß als lang ich in Sachſen geweſen/ gegen den ſo genantẽ Pie-
tismum,
daß er eine ſecte waͤre/ oder irrthum hegte/ nichts heraus gebracht/ ſondern
die beſchuldigungen auff ihrem ungrunde befunden worden. Da wollen aber E.
Churf. Durchl. gnaͤdigſt ermeſſen/ wie unrecht es ſeye/ das gleichwol ſo genan-
te geiſtliche mit gewalt eine ſecte erdichten/ E. Churf. Durchl. gewiſſen/ um ſich
an unſchuldigen leuten zuvergreiffen/ noͤthigen wollen/ und das gantze land mit haß
gegen ſie erfuͤllen. Daß aber E. Churf. Durchl. an einigen abſonderlichen exem-
peln/ wie unbillig einige ihrer Theologorum hirinnen verfahren offentlich ſehen/
bitte ich unterth. dieſe mit gedult anzuhoͤren.


M. Schade hatte nechſt M. Francken die meiſte collegia gehalten/ als er
nun nach der inquiſition, da alle ſeine dinge nach muͤglichkeit unterſucht/ aber
nichts wider ihn auffgebracht worden/ keinen ſentenz kriegte/ ſiſtirte er ſich in
Dreßden dem examini, da man ja ihn am ſchaͤrffſten examinirte, und ob er irrig
oder nicht waͤre/ unterſuchen koͤnte/ er wuꝛde aber gegen meine meinung ab- und
Leipzig gewieſen/ als er aber dahin kam/ wolte man ihn auch nicht anhoͤren/ daher
er an den geheimen Rath gegangen/ und ſich deswegen/ weil man ihn nicht admit-
tiren
wolte/ beſchwehret/ darauf ein befehl an den kirchen-rath und von dieſem
an die Theologiſche Facultaͤt in Leipzig ergangen/ M. Schaden auffs ſchaͤrffſte
zu examiniren, und dar von/ wie ſie ihn befunden/ relation abzuſtatten/ aber es hat
zum deſpect des Churfuͤrſtl. befehls derſelbe von damaligen Decano D. Carpzo-
vio
in dem gantzen jahr/ als er noch in Leipzig geblieben/ nicht erlangen koͤnnen/ ad
mittiret
und gehoͤret zu werden. Alſo auch 1690. ſandte D. Alberti als Epho-
rus
der Churfuͤrſtlichen Stipendiaten im nahmen der geſamten Ephororum
(damit gleichwol die uͤbrige nicht zu frieden geweſen) an den kirchen rath eine for-
mul/ mit welcher alle ſo aus den Stipendiaten des pietismi ſchuldig oder ſuſpect
waͤren/ ihren irrthum erkennen und revociren ſolten/ darmit man dermaleins
ſchrifftlich zeigen koͤnte/ daß gleichwol eigenliche irrthuͤme verhanden geweſen/ und
von einigen erkant haͤtten werden muͤſſen. Jch zeigte der ſachen unbillichkeit/ aber
die majora erhieltens/ das ſolche formulæ approbirt wurden/ und ob wol feine ſtu-
dioſi,
wo man ihnen einigen irrthum zeigen koͤnte/ ſich willig erboten/ denſelben ab-
zulegen/ halfft doch nichts/ ſie ſolten bekennen davon ſie nichts wuſten/ oder der
Churf. gnade quitt gehen; wie dann durch dieſes mittel unteꝛſchiedliche gelehrte
u. feine leute/ ſo der kirchen vor andern haͤtten nutzliche dienſte leiſten koͤnnen/ abge-
wieſen worden/ und von beforderung in ihrem vaterland ausgeſchloſſen blieben.


Hieraus und aus mehrern andern/ ſo alles dargethan werden kan/ vermoͤ-
gen E. Churf. Durchl unſchwehr zu ſehen/ wie nicht allein die ſo. genante Pietiſten
un-
[939]ARTIC. III. SECTIO XXX.
unſchuldige leute ſeyen/ und alſo dero vertilgung mit groͤſſeſten unrecht gefordert
worden/ ſondern auch wie viele ungerechtigkeit von ihren feinden biß daher gegen ſie
veruͤbet/ damit aber gewiß uͤber E. Churf. Durchl. regierung wenig ſegen gezo-
gen worden ſeye. Jch kan auch verſichern/ daß ſelbs in Leipzig und an an-
dern orten in dero landen/ in allen ſtaͤnden es an rechtſchaffenen Chriſtlichen leuten
nicht mangle/ welche die unſchuld ſolcher leute/ und hingegen die unbilligkeit ihrer
widerwertigen/ einſehen und erkennen: alſo das wo ſinguli Profeſſores und
Prediger in geheim und ohne deswegen haben furcht vor dem kirchen-rath (davor
ſie zwahr zu verſichern ſchwer werden wuͤrde) nach den pflichten/ damit ſie GOtt
und ihren landes-Herrn verbunden ſind/ offenhertzig/ was ſie von der gan-
tzen ſache wißen und halten/ bekennen ſolten/ Ew. Churf. Durchl. ein groſſes liecht
erlangen/ und das gantze werck eine andere geſtalt gewinnen wuͤrde.


Es geruhen Ew. Churf. Durchl. uͤber obiges noch ferner gnaͤdigſt zu ermeſſen/
da dieſe gedruckte leute/ Studioſi und andre/ das offenbahre unrecht gegen ſich der
jenigen die doch vaͤterlich gegen ſie geſinnt ſeyen ſollen/ etzliche jahr nach einander
erfahren/ obs zu verwundern waͤre/ wann ſie in ein ſtarckes mißtrauen gegen die
Theologos und das Miniſterium und daraus endlich in einige unordnung ver-
fallen waͤren (ſo zwar noch nicht geſchehen) oder noch verfallen moͤchten? und ob
nicht die ſchuld alsdann vielmehr bey ihren widrigen als ihnen ſelbs zu ſuchen ſeyen
wuͤrde? So dann auch daß man jetzund die ſache der lehr von dem tauſendjaͤhri-
gen reich/ ſo dann den offenbahrungen/ mit aller macht in die cauſam Pietismi ein-
miſchen will: da ſie doch gantz unterſchieden ſind/ und ja in Leipzig als der handel
angieng/ von beiden andern materien nicht einmal gedacht worden iſt. Daher
bleibet der ſo genante Pietismus unſchuldig/ wann auch in jenen ſich nach gnugſa-
mere pruͤffung mangel finden wuͤrde. Weswegen beyde ſachen nicht wider ein-
ander zuerregen ſind; wie zwar die jenige gern thun wolten/ welche durch die ei-
ne die andere ſo vielmehr zu graviren ſich bemuͤhen.


Wann nun E. Churf. Durchl. von dem Allerhoͤchſten die regierung auff
dero theure ſeele alſo anvertrauet iſt/ daß er von derſelben erfoꝛdert/ in allen ſtuͤcken
recht und gerechtigkeit zu adminiſtriren, ſonderlich aber alle betrengte von der ge-
walt derer/ welche ihnen zu maͤchtig ſind/ zuretten/ ſo werden dieſelbe leicht und
hoͤchſt erleuchtet ermeſſen/ wie deroſelben ſo vielmehr obliege/ dieſe leute/ ſo
unter den nah[m]en des pietismi ſo viel haben leiden muͤſſen/ und gegen
welche gleichwol nichts erweißliches jemal dargethan worden/ ſondern ſie allein der
haß etlicher in dem ſo genanten geiſtlichen ſtande angeſehener Maͤnner/ und der je-
nigen/ die ſich in andern ſtaͤnden durch derſelben autoritaͤt einnehmen laſſen/ der
maſſen drucket/ daß ſie ſchuldig heiſſen muͤſſen/ in dero maͤchtigen ſchutz zunehmen:
die ſache mit außſchlieſſung dero/ ſo ſich bißdahin partheyiſch bezeuget/ von unpar-
theyiſchen Chriſtlichen leuten/ auffs genaueſte examiniren zu laſſen/ die jenige wel-
C c c c c c 2che
[940]Das ſechſte Capitel.
che wahrhafftig an ſolcher unꝛuhe ſchuldig ſind/ und welchen der vorgewante eyffer
der orthodoxiæ (die freylich beybehalten werden muß) nicht eben zu ſtatten kom-
men ſoll/ zu gebuͤhrender ſtraff zu ziehen/ und damit ſo ihrer lande kiꝛchen und U-
niverſitaͤten mit ernſtlicher einfuͤhrung der wahren ungefaͤrbten gottſeligkeit in beſ-
ſern ſtand/ auch ruhe zu bringen/ als in der gantzen Evangeliſchen kirche aus dieſen
unweſen entſtandenes aͤrgernuͤß wieder abzuwenden.


Hiedurch werden ſich E. Churf. Durchl. uͤm goͤttliche ehr und wahrheit (die zu
erhalten ein hauptmittel iſt die verpflegung der fruchtbaren pietet) um der kirchen
wahren wolfahrt u. vieler ſeelen/ die durch die bisherige ungegruͤndete beſchuldigun-
gen irre gemacht/ zu ſuͤnden verleitet und von der wahren Gottesfurcht abgeſchrecket
woꝛden/ ewiges heyl/ ja um dero gantzen lande gluͤckſeligkeit/ die an der guͤte Got-
tes henget/ hochverdient machen/ und von dem HErrn deſto mehr ſeegen auff dero
regierung laden/ hingegen ſeine gerichte (die ſonſten nechſt andern ſuͤnden auch durch
dieſe bißher ſehr gereitzet worden ſind) deſto laͤnger abwenden. den 16. Jan. 1693.


SECTIO XXXI.


Jch liebe keinen ſtreit/ noch bin an den entſtande-
nen ſchuld. Deswegen auch bey der ſache freudig. War-
um uͤber Jacob Boͤhmen nicht urtheilen noch ihn verwer-
fen kan. Ob ein mittler weg zu finden. Hoffnung
zu GOTT zu entſchuldigung der ſa-
che.


JCh komme ſo bald auf den mehrern inhalt des brieffes. Da zum allerfoͤr-
derſten mit meinen werthen Herrn inniglich bedaure/ die in unſerer kirchen
entſtandene unruhen. Wie ich aber hoffe/ wer mich von jugend auf gekant
hat/ werde mir das zeuguuͤß geben/ daß ich mein lebtag nicht nur mit wenigen/ ge-
ſchweige vielen zuſtreiten oder zu zancken nie luſt gehabt habe/ ſondern ſolche le-
bens-art mir gleichſam von natur einen ekel ſeye/ alſo kan ich vor Gottes angeſicht
mit reinem gewiſſen bezeugen/ daß weder jemahlen einen ſtreit und unruhe in der
kirche anzurichten geſuchet/ noch mich ſchuldig weiß/ dergleichen dinge vorgenom-
men zu haben/ darauß die jenige/ ſo dieſen lermen machen/ eine vor GOTT und
Chriſtlichen hertzen/ redliche urſach deſſelben gehabt haͤtten. Sondern ich bedau-
re vielmehr des Satans liſt/ ſo dann das ſchwere gericht GOttes/ welches jenen
viele macht zugelaßen: daß derſelbe aus dem jenigen/ was erſt zu rechter ruhe/ und
friede der kirchen/ dero gewiſſeſtes mittel iſt/ wo der wahre lebendige glaube in al-
ler
[941]ARTIC. III. SECT. XXXI.
ler hertzen durch Goͤttliche krafft eigepflantzet wuͤrde/ abgeziehlet geweſen (wie der
HERR mein zeuge iſt/ daß dieſes meine einige abſicht jederzeit in meinen conſiliis
geblieben) anlaß der unruhe genommen/ da er einstheils einige (von dero wahrer
boßheit mir leid iſt/ ſo viele zeugnuͤſſen zuhaben) aus unſern ſtande/ nach dem ſie ih-
nen hoͤchſt præjudicirlich achten/ wenn ein ſolches Chriſtenthum/ daß ihr weſen be-
ſchaͤmte/ auffkommen ſolte/ mit haß und neid erfuͤllet/ um an vielen orten lemren zu-
blaſen/ und mit allerley ſo verdacht als gar laͤſterungen daß gute zubelegen/ andrer
theils aber verurſacht hat/ daß auch andere nicht boͤßgeſinnte/ ſich von jenen unter
den ſchoͤnen ſchein des eiffers vor die orthodoxie/ und vorſtellung/ der derſelben ob-
ſchwebender/ in die ſache mit einflechten haben laſſen: Daraus es denn dazu ge-
kommen iſt/ wie wir vor augen ſehen/ u. billich beſeufftzen. Mir zwar bleibet dieſe un-
zweiffenliche zuverſicht/ der himmliſche Vater/ deſſen guͤte und weißheit iſt/ auch
aus den boͤſeſten gutes heraus zubringen/ werde unter allen dieſen aͤꝛgernuͤſſen ſeinen
heiligen rath laſſen durchbrechen/ und/ ob wol nach noch mehreren truͤbſalen/ ſo
wol die unſchuld der faͤlſchlich beſchuldigten an den tag bringen/ als die redliche
intention deren/ ſo ſein reich in den ſeelen mehr zu beſeſtigen getrachtet/ endlich mit
gluͤcklicheren ſucceß beſeligen. Welches mich ſo getroſt gemacht/ daß ob mir
wohl wehe thut/ daß ich andere ſehe/ ſich ſo ſchwehrlich verſuͤndigen/ dannoch im-
merfort in einer freudigkeit vor meinen GOTT durch deſſen gnade erhalten wer-
de/ daß ich mich weder fuͤrchte noch aͤngſte/ ſondern nebens den/ das gerne thue/ wo-
hin mich derſelbe anweiſet/ alles lediglich ſeiner guͤtigſten regierung uͤberlaſſe/ deſ-
ſen ſache es insgeſamt iſt. Und traue ich mit freudigem hertzen/ dieſe worte des
lieben Lutheri (ohne mich in uͤbrigem ihm zu vergleichen) zu widerholen: Nos i-
ſtam pugnam velut alia agentes ſuſtineamus: Cauſa Dei eſt, cura Dei eſt,
opus Dei eſt, victoria Dei eſt, gloria Dei eſt. Sine nobis pugnabit \& vin-
cet. Quod ſi nos dignabitur pro armis ſuis apprehendere, proni libentes-
que erimus.
Und widerum: Si injuſti ſumus, quid juſtius, quam ut oppri-
mamur! ſi juſti, juſtus eſt Deus, qui educet juſtitiam noſtram tanquam
meridiem. Cadat itaque quod cadit, ſtet quod ſtat res noſtra non agitur, qui
non ea quæ noſtra ſunt quærimus.


Neben dieſer freudigkeit des glaubens/ ſo ich vor die groͤſſeſte gnade meines him̃-
liſchen Vaters erkenne/ und ihn nur um deroſelben ſtaͤtige erhaltung vor allen bitte/
bin ich auch bereit/ ſo oͤffentlichen als abſonderlich jeglichen Chriſtlichen bruder re-
chenſchafft des jenigen zu geben/ was ich thue oder gethan habe: thue auch ſolches
hertzlich gern/ als der doch bald vor hoͤherem gericht rechenſchafft zu geben habe.
Wann alſo auch mein wehrter Herr mir ſeinen gefaſten ſcrupel freundlich vor-
ſtellet/ daß er ſich in mein vielleicht allzuzartes ſchonen der Boͤmiſten ſchrifften nicht
ſchicken koͤnne: ſo liebe ich billich auch deſſen auffrichtigkeit/ hoffe aber hin-
gegen wiederum/ daß derſelbe in bruͤderlicher liebe meine erklaͤhrung vernehmen/
Chriſt-
[942]Das ſechſte Capitel.
Chriſtlich uͤberlegen/ und mich dabey tragen wolle. So habe nun in der freiheit
der glaͤubigen
c. 6. §[.] 20. bereits meine meinung deutlich bekant/ von dero noch
unmuͤglich weichen kan: Jch habe noch ſeither nichts mehr in Boͤhmen geleſen/
als vor deine das gantz wenige (ſo auch damahl nicht verſtanden) ſo wol weil mei-
ne geſchaͤfften mir die zeit nicht laſſen/ ſolche dinge/ die ein freyes gemuͤth und be-
harren auff einer materie erfordern/ zu leſen/ als auch weil ſie nicht zuverſtehen noch
zu beurtheilen getraue. Daher ihn noch die ſtunde nicht als einen Goͤttlichen leh-
rer annehmen kan. Wie dann verſichere/ wo ich davon eine gewißheit in meiner
ſeelen haͤtte/ ich die zeitliche gefahr/ die mir daher entſtehen moͤchte/ nicht achten
wuͤrde/ mich auch offentlich zu ihn zu bekeñen/ ja ich hielte davor/ mein gewiſſen wuͤr-
de mich darzu allerdings noͤthigen. Aber wo ichs jetzo thaͤte/ mich zu ihn zu beken-
ſen/ ſo wuͤrde ich mein gewiſſen verletzen/ als in welchem ich noch nichts deſſen ſinde
ſo mich darvon uͤberzeugete. Ja die harte reden/ welche ich ſehe/ aus ihn angefuͤh-
ret zu werden/ kommen mir theils ſchrecklich vor/ und ſolte mir ſchwehr werden/
ſie alle aus dem grunde mit GOttes wort zu conclliiren. Alſo daß ich gegen ihn
nicht wenig eingenommen bin. Jndeſſen was ich gegen ihn habe/ und deswegen
auch nicht nur mich des leſens enthalte (ſo ich nicht thun koͤnte/ wo ich ihn vor einen
von GOTT geſanten lehrer unſerer kirchen hielte) ſondern ſie auch andern nicht
rathe/ iſt doch ſo maͤchtig nicht/ daß ich mit einer plerophoria meines gewiſſens/ ſo
in dergleichen dingen allerdings noͤthig iſt/ ihn als einen irrgeiſt verwerffen koͤn-
te.


1. Habe ich noch nichts bißher gegen ihn angefuͤhret gefunden/ ſo mich dahin
ſine omni formidine oppoſiti braͤchte: ſondern auff unterſchiedliche argu-
menta,
als was ſtylum anlangt/ und dergleichen traute ſelbſt zu antworten/ andeꝛe
haben auffs wenigſte keine gnugſame krafft der uͤberzeugung gegen ihm.


2. Hingegen habe von unterſchiedlichen Chriſtlichen leuten (wie mich auch
etliche mahl auff einer ſtandsperſon beruffen/ ſo ſonſt auch wie anderer ſtudiorum
alſo auch der Theologiæ wohl erfahren war) gehoͤret/ daß er was die glaubens
articul angehet/ und zwar was indenſelben zum glauben gehoͤret/ allerdings mit un-
ſerer analogia fidei Evangelicæ uͤbereinkomme/ ob er wol in den quæſtionibus
annatis Theologicis
von unſern ſchulen differire/ daher unterſchiedliche des Boͤh-
mens liebhabere/ weñ ſie mich hoͤrten predigen ſich kaum haben bereden laſſen wolle
daß ich den autorem nicht ſolte geleſen haben/ und gleichſam aus ihm predigen.
Wann ich nun meiner lehr/ die ich offentlich und privatim fuͤhre/ als welche einer-
ley iſt/ verſichert bin/ daß ich ſie nicht aus Jacob Boͤhmen/ als den ich weder geleſen
noch verſtanden/ ſondern aus der heiligen ſchrifft/ und ſo fern nechſt derſelben aus
unſern Evangeliſchen lehrern herhabe/ und daß man mich nicht der wenigſten he-
terodoxiæ
beſchuldigen koͤnne; und aber die des Boͤhmen liebhaber ſie vor richtig
er-
[943]ARTIC. III. SECTIO XXXI.
erkennen/ ſo kan ich nicht dencken/ daß deſſen lehr/ nehmlich in glaubens ſachen/
von den unſrigen unterſchieden ſeye.


3. Jch habe gekant und kenne noch unterſchiedliche/ die Jacob Boͤhmen hoch-
halten/ auch theils im lehrſtand leben/ und biß an ihr ende gelebet haben/ von denen
ich ſagen kan/ daß unter ſolchen die ich kenne/ (denn von andern habe auch boͤſes ge-
hoͤret) ich nicht einen/ ſo viel mich erinnere/ weiß/ der nicht ſolte einen Chriſtlichen
und zwar nicht nur moral wandel/ ſondern einen ſolchen fuͤhren/ daß der glanbe an
den mittler JESUM CHRJSTUM der grund bleibet/ und ſie aus denſelben
alles ihr leben herziehen: auch die geſtorben ſind/ auff unſern Heyland lauterlich/
und auch mit freudigkeit des glaubens/ geſtorben ſind. Jch habe auch unter de-
nen/ welche in den lehramt geſtanden/ gemercket/ daß ſie gemeiniglich mit vieler
krafft den wahren und thaͤtigen glauben alſo getrieben haben/ daß nicht wenige
fruͤchten bey den gemeinden/ die ſie darzu niemahl auff Jacob Boͤhmen gewieſen/
ja wol dieſe nicht moͤgen gewuſt haben/ was ihre prediger davon hielten/ ausge-
richtet worden ſind/ und der HERR zu ihren pflantzen und begieſſen ungemeinen
ſegen gegeben hat.


4. Ferner habe auch von denſelben gehoͤret/ daß ſie die heilige ſchrifft niemahl
fleißiger und mit mehr geſchmack geleſen haͤtten/ als nachdem ſie Boͤhmen geleſen
gehabt; alſo daß deſſen leſen die ſchrifft ihnen nicht verleitet ſondern angenehmer ge-
macht. Ja ich entſinne mich eines/ der als einſtudioſus kaum konte zu leſung der
Bibel gebracht werden/ ſo gar ſchiene ſie ihn ungeſchmackt/ daß ihm ſelbſt deswegen
erinnerung thate: Da er aber nach der zeit uͤber jene ſcripta gekommen/ ſo war
nachmahl die liebe Bibel feine freude/ auch in ſeinen amt darein er gekommmen
iſt.


5. Hingegen ſchrecken mich einige Goͤttliche gericht/ uͤber Jacob Boͤhmens
laͤſterer/ da das nachdencklichſte an einem Superint. mir umſtaͤndlich bekant/ ſo
mir ſtets einen ſolchen ſchauer einjagt daß mich nicht getraue/ dieſen feuer nahe zu
kommen. So iſt mir auch nicht wenig bedencklich vor gekommen/ daß die Theo-
logi
ſo gegen ihn ex profeſſo geſchrieben/ allemahl geringe e[h]re davon gehabt. Als
Herr D. Calovius ſeinen tractat verfertiget/ iſt mir erzehlet worden/ daß er denſel-
ben Herrn D. Pomario nach Luͤbeck geſandt/ darmit er daſelbſt gedruckt wuͤrde/
dieſer aber ſolle ihn/ weil er deſſen ſchwachheit anſahe/ znruͤck gehalten haben/ biß an
ſeinen tod/ nachdem aber derſelbe geſtorben/ ſo habe ihn Herr D. Calovius wider
gefodert von den Erben/ und ſelbſt drucken laſſen. Er iſt aber einmahl ſo geſchrieben/
daß derſelbe ſeinem nahmen wenig vortheil thut/ wie denn der zuletzt angehenckt
Catalogus der Boͤhmiſten leute in ſich faſſt/ theils die bekant orthodoxi geweſen/
vielleicht wohl von Boͤhmen nichts gewuſt/ theils geſtorben ebe J. Boͤhme geſchrie-
ben/ theils nicht eben richtig in glauben/ aber dennoch mit Boͤhmen nicht einſtim-
mig
[944]Das ſechſte Capitel.
mig geweſt. Wie ich von N. N. gehoͤret/ daß die ſeinige ihm ſelbſt ſolchen catalo-
gum
auff anderer erinnerung gezeiget/ da er aber nichts daruͤber zu ſagen gewuſt:
Wie dann der mann einige jahr vor ſeinen todt/ ſehr an kraͤfften des gemuͤths ab-
genommen haben ſolle. Nechſt dem hat Herr D. Wagner Cancell. der Univer-
ſi
taͤt zu Tuͤbingen ein in den uͤbrigen wohlmeinender mann/ eine diſputation wi-
der Boͤhmen ediret/ welche aber ſehr ſchwach wahr/ und das meiſte ſolle gerichtet
ſeyen gegen ein buch jehi Or/ ſo gleichwohl Boͤhmen nichts angehen ſolle. Hierauff
hat er einen groſſen tractat gegen ihn geſchrieben/ auch noch in ſeinem todt-bette ihn
dictando abſolviret/ er iſt aber nach ſeinen todt alſo befunden worden/ daß man
ihn heraus zugeben noch biß daher bedenckens gehabt. Nach demſelben iſt her-
aus gekommen Herr Johann Muͤllers Predigers in den Erfurthiſchen Phan-
taſtiſcher Atheiſt.
Als ihn aber jemand daruͤber beſprochen/ ſolle er bekant ha-
ben/ daß er Jacob Boͤhmen nie geleſen/ ſondern von Herrn D. Leichnern erbethen
worden/ ſeinen nahmen zu dem von dieſen verfertigten tractat zu ſpendiren/ nach-
dem derſelbe es dahin gebracht/ daß kein buchfuͤhrer mehr ein blat unter ſeinen nah-
men annehmen wollen/ als welches alle zeit gewiß maculatur waͤre. Endlich hat
unſer fromme Herr M.Holtzhauſen ſich daran gemacht. Der aber daruͤber in
die noth gerathen/ die ich/ ob wohl nur zum theil/ in der dedication an ihn gemel-
det. Der liebe man bekahme erſtlich eine ſolche angſt des gewiſſens/ daß er gar
meinte/ die ſuͤnde in den heiligen Geiſt begangen zu haben/ und einen ſehr klaͤgli-
chen brieff an mich ſchriebe/ daß zu thun hatte/ ihn wieder auffrichten. Er hat
auch nachmahl eine revocation auffgeſetzt/ ſo er publiciren wolte/ weil aber ihn
ſolches ſeine collegæ nicht verſtatteten/ ſo bath er mich/ daß ich meinen tractat wi-
der Herrn D. Meyern/ den er unter der hand zu ſeyen wuſte/ ſo viel aus ſeiner re-
vocation inſeri
ren/ und ſo Herr D. Meyern als andere an ſeinen exempel warnen
wolte/ ſich nicht mit vermeſſenen urtheil zu vergreiffen: Daher ich ſolches nach-
mahl zu ſeines gewiſſens erleichterung in der form der dedication verrichtet habe.
Jch weiß wol/ daß auff alle dieſe angedeutete ſcrupel ſich vieles antworten laͤſſet/
wie ſie daher auch bey mir ſo ſtarck nicht ſind/ daß ich deswegen mich vor ihn de-
clarirte:
aber ſielaſſen doch in mir eine ſolche furcht/ die ich nicht uͤberwinden kan/
und mich abhaͤlt/ daß ich den/ gegen welchen ich auch ſtarcke præſumtiones zu ha-
ben nicht in abrede bin gleichwohl zu verwerffen nicht getraue. Wiewol mir die-
ſes gewiß bleibet/ daß auffs wenigſte die jenige zu weit gehen/ (wie vernehme/ daß
der bemelte N.N. von dem ſonſt nichts weiß/ thue) ſo Jacob Boͤhmens ſchrifften
gar zu einer canonica autoritate/ ſo die gantze kirche obligire/ erheben wollen/ dar-
innen hoffentlich auch die meiſte deren/ welche den mann gleichwol hochhalten/ ih-
nen nicht beypflichten werden; Wie mir einer einmahl ſchrieb/ daß Jacob Boͤhm
ein mann geweſen ſeye/ dem GOTT ein ſonderbahres hohes liecht ſeines Geiſtes
gegeben/ un[d] viele vortreffliche ſachen geoffenbahret/ aber da auch das liecht ſeiner
ver-
[945]ARTIC. III. SECT. XXXI.
vernunfft ſich offt mit eingemiſchet habe/ daraus er ſich verſtoſſen haͤtte. Alſo
meinte ich/ es gebe gar wol ein tertium/ daß er weder ein Θεόπνευστος (ſenſu ex-
cluſo,
wie diejenige/ derer gantze ſcripta zur regul der kirchen von GOTT ein-
gegeben worden) noch ein haupt-Enthuſiaſt geweſen. Wenn es nehmlich GOtt
alſo gefallen haͤtte/ ihm nicht ſo wol circa œconomiam ſalutis, als andere dinge/
ſo gleichſam zu einer philoſophia ſacra gehoͤrten/ (wie mir einmahl eine ſtelle in
ihm gewieſen worden/ da er ſpricht/ daß er nicht geſetzt ſeye in der Theologia etwas
zu aͤndern/ ſondern wo mir recht iſt/ die wahre philoſophia zuzeigẽ) vieles unmittel-
bahr zu offenhahrer/ nicht aber auch die gnade verliehen/ ſolche erkaͤntnuͤß mit glei-
cher Goͤttlicher gewißheit in ſchrifften zuverfaſſen/ ſondern wol darneben zugelaſ-
ſen/ daß er auch des ſeinigen mehreres mit untergemiſchet haͤtte. Vielleicht wo
wir noch heut zu tage des Koͤnigs Salomons viele ſchrifften/ (davon 1. Koͤnig. 4/
32. 33.
meldung geſchiehet) haben ſolten/ moͤchten in denſelben manche wahrheiten
ſtehen/ die derſelbe wahrhafftig in Goͤttlichen liecht erkannt/ ob ſie wol nicht in einer
ſolchen infallibilitaͤt geſchriben worden/ wie diejenige/ ſo wir in der Bibel haben/
ſondern er ſolche erkaͤntnuͤßen mit menſchlichem fleiß mag ausgedruckt haben/ wel-
cher nicht eben frey iſt von allen fehlern. Jch ſage hiemit nicht/ daß es ſich mit
Boͤhmen alſo verhalte/ noch koͤnte ſolches erweiſen/ ſondern weiſe allein/ wie ein
medium unter ſolchen extremis zu treffen muͤglich. Was alſo mich ſelbſt betꝛifft/
wie gern ich verlangte/ in der gantzen ſache zu einer gewißheit zu gelangen/ und ver-
ſichere/ wo ich zu einer wahren hertzens uͤberzeugung kommen koͤnte/ daß der mann
ein verfuͤhrer waͤre/ daß es mir an eiffer nichts mangeln ſolte/ ihn von grund der ſee-
len zu widerſprechen: hingegen da ich mich vor GOTT in dieſen wichtigen werck
zu ſchwach zu urtheilen befinde/ weiß ich wohl/ daß meine forſetzliche feinde ſich deſ-
ſen trefflich zum vortheil gebrauchen/ auch einige ſchwache anſtoß daran finden; a-
ber ich trage gleichwohl das vertrauen/ daß cordate und billiche gemuͤther/ welche
verſtehen/ was die krafft des gewiſſens ſeye/ mir das jenige nicht verdencken koͤn-
nen noch zumuthen werden/ daß in deſſen zweiffel etwas auff eine ſeite thue/ da ja
nicht anders als ſuͤndigen koͤnte. Verſichere dabey/ daß dieſes mit ein ſtuͤck mei-
nes offtmahligen gebeths vor GOTT ſeye/ daß er uns doch nicht allezeit in ſolchem
zweiffel laſſen/ ſondern da er bey vielen ſeinen kindern/ das hertzliche verlangen/ ſei-
nen willen gern zu erkennen/ und als denn denſelben auch willig zufolgen/ ſehe/ auff
ihm bekante art endlich die ſache an den tag bringen wolle/ daß wir mit verſicherung
wiſſen/ wo vor wir den mann halten ſollen. Vielleicht geben die von Herrn D.
Hickelmannen heraus gegebene fragen/ wan von einigen darauff geantwortet/ und
die materie mehrmahl ultro citraqueventiliret wird werden/ gelegenheit/ daß als
dann mit mehr gewißheit davon geurtheilet werden moͤge. Wie ich denn insge-
ſamt das kindliche veꝛtrauen zu der vaͤterlichen guͤte GOttes t[r]age/ daß ſie ge-
genwaͤrtige betruͤbte und ſo elendes anſehen gebende verwirrung/ endlich zu einem
D d d d d dſeli-
[946]Das ſechſte Capitel.
ſeligen und ſeiner ehr gemaͤſſen ende werde ausſchlagen laſſen/ wie es einmahl de-
roſelben gemaͤß/ hoffentlich auch die zeit der erfuͤllung vieler dinge/ ſo ſie in dem klah-
ren wort zugeſagt hat/ nicht zu weit ent[f]ernet iſt. Nun der HERR fuͤhre uns
ſelbſt an der hand/ ſo irren wir nicht/ und komme unſerer ſchwachheit/ die wir er-
kennen und gewahr gnug werden/ kraͤfftiglich zu huͤlffe. ꝛc. 16. Maj. 1693.


SECTIO XXXII.


Gabe des gebets. Verlangen den nahmen Got-
tes großzumachen. Daß nichts auſſer ordentliches habe.
Durch vorbitte vor andre mehr in die gemeinſchafft
der heiligen einzutringen. Was von er-
manglender luſt zu ſterben zu
halten.


WAnn derſelbe davor haͤlt an ſtatt der allgemeinẽ formul eines gebeths/ wel-
che er von mehrern ſehnlich aber vergebens geſucht habe/ von den guͤtigſten
Vater ein ſo viel reicheres maß des Geiſtes des gebeths/ ſelbs aus deſſen
trieb zu beten und das Abba lieber Vater zuruffen empfangen zu haben/ ſo gebrau-
che er ſich nicht nur ſolcher gabe treulich/ ſondern dancke auch GOTT davor/ der
ihm an ſtatt eines geringeren eine beſſere gabe gegeben habe/ und es alſo der libſte
Vater allezeit zum beſten zu machen wiſſe. Vor das hertzliche verlangen/ auch
ſeines orts den nahmen GOttes groß zu machen/ dancke er auch GOTT hertzlich/
und verſaͤume mit willen keine gelegenheit darzu: dabey mich aber aber auch deſ-
ſen verſehe/ daß ſolches verlangen gleichwol in den ihm zukommenden ſchran-
cken bleiben/ und er ſich nichts des jenigen unternehmen werde/ was uͤber ſein
maß gehen wuͤrde/ wie wir uns dann deſſen gewiß verſichern koͤnnen/ daß der liebſte
Vater einem jeglichen unter uns das jenige zugeordnet habe/ worinnen er vor und
an uns geprieſen werden wolle/ dabey wir in einfalt bleibende ihm allemahl am be-
ſten gefallen/ und verſichert ſeyen koͤnnen/ er ſehe nicht auff das anſehen der wercke/ in
welchen wir ihm nach ſeiner ordnung dienen/ welche gering ſcheinen moͤgen/ ſondern
auff das kindliche hertz/ daß ihm gern in dem anvertrauten/ wie wenig es auch ſchei-
nen ſolte/ wahrhafftig treu erfunden zu werden verlangt. Wie in den uͤbrigen
derſelbe auff die vermutung moͤchte gekommen ſeyn/ ob ich meine liebe oder das
wenige gute/ ſo ich habe/ in mutterleib uͤberkommen haͤtte/ kan ich nicht abſehen: ver-
ſichere hingegen/ daß ich vor andern nichts ſonderbahres zu haben mir einbilden
doͤrffen/ ſondern dancke der himmliſchen guͤte des liebſten Vaters/ der mich/ da ich
nichts beſſers als andere in die welt mit mir gebracht/ nicht allein ſo bald in der hei-
ligen tauff widergebohren/ und wie in andern kindern der Chriſten das gute werck
in
[947]ARTIC. III. SECTIO XXXII.
in mir gleich angefangen/ ſondern es auch nachmahl durch ſein wort/ theils vermit-
tels der treue aufferziehung meiner ſeligen eltern/ die mich als von mutterleibe an
dem HERRN zu ſeinem dienſt gewidmet/ theils durch anweiſung meiner Præcep-
torum
und prediger/ theils durch das einigen leſe ſo wol der ſchrifft ſelbs als anderer
Chriſtlicher buͤcher/ bald fortgeſetzet hat/ alſo daß mich der HERR bereits zimlich
in meiner ſeele durch verleidung aller eitelkeit bereitet/ ehe ich noch auff die univerſi-
taͤt gekommen/ auch manchmahl in den noch jungen jahren viele gute bewegungen/
dero erinnerung mich jetzo noch offt erfreuet/ bey mir zu wircken angefangen hat.
Alſo weiß ich von keinen auſſerordentlichen wegen/ ſondern allein denjenigen durch
welche insgemein der HERR die ſeinige fuͤhret/ nehmlich daß das wort ſamt den
ſacramenten/ und dero krafft/ alles gute in uns ausrichten muß. Auff welchen
wege mich GOTT auch biß an mein end erhalten wird/ und ich ihm davor demuͤ-
thigen danck ſagen will. Das gebet anlangend/ dancke ich auch meinen liebſten
Vater/ was er mir darinnen zu meiner noth gegeben hat/ es findet ſich aber auch
darinnen bey mir nichts ungemeines/ ſo nicht jegliches kind GOttes auch haben
koͤnte. Hingegen zu den jenigen betern darff ich mich nicht zaͤhlen/ dero gebete
krafft ſich bald ſcheinbarlich weiſet/ und denen uͤber das gemeine ein noch mehreres
maß von bruͤnſtigkeit/ ſuͤßigkeit/ freude/ heldenmuth und wunderkrafft (dergleichen
mir an andeꝛn wol bekant woꝛdẽ ſind) zugetheilet woꝛdẽ waͤre. Jch tꝛachte aber durch
taͤgliches gebet vor andere Chriſtliche hertzen ſo viel tieffer in die gemeinſchafft der
heiligen auch auff ſolche weiſe einzutringen/ damit auch ihr gebet vor GOTT
dem mangel des meinigen zu huͤlffe komme: hoffe auch ſolche uͤbung nicht ohne
frucht zu ſeyen. Der HERR erfuͤlle uns alle mehr und mehr mit ſeiner gnaden/
daß auch alle unſere opffer ihm mehr und mehr moͤgen gefaͤllig auffſteigen/ und
alle dero maͤngel durch die theure vorbitte unſers wuͤrdigſten hohenprieſters vor ſei-
nem angeſicht erſetzet werden.


Was endlich anlangt/ die ermanglende luſt zuſterben/ habe ich in einer predigt
alſo darvon geredet: Die jenigen welche den todt ſo fuͤrchten/ daß ſie GOtt
gern den himmel lieſſen/ wo ſie nur immer auff erden bleiben doͤrfften/ wel-
che dem juͤngſten tag feind ſind/ und nicht anders als mit widerwillen an
denſelbigen gedencken/ haben gar einen ſchlechten
characterem/ und bey ſol-
cher bewandtnuͤß/ da ſie ſo bleiben/ iſt ihr tod nicht ſelig. Zwar kans bey
einigen eine natuͤrliche ſchwachheit ſeyen/ daß einige wahre glaubige ein[e]n
ſolchen ſchrecken vor dem tode haben/ daß ſie nicht ohne entſetzung daran
gedencken/ da ſie doch ihrer furcht ſelbs feind ſind/ und lieber nach der ewi-
gen freudigkeit verlangten/ daher ſelbs nach moͤgligkeit ſich nach ſolchem
verlangen beſtrebtn. Solche habe ich nicht zu verdammen/ indem eben
dieſe beſtrebuͤng weiſet/ ob wol das entſetzen die euſſere krafft der natur ein-
genommen hat/ daß dennoch in den grund der ſeelen ein verlangen nach dem

Ddd ddd 2tode
[948]Das ſechſte Capitel.
tode verhanden ſeye. Jndeſſen iſt es ihnen doch eine anzeigung einer groſ-
ſen ſchwachheit/ uñ haben ſie ſo viel ſorgfaͤltiger mit gebet und ſonſten dar-
gegen zu kaͤmpffen/ darmit ihnen der tod je laͤnger je anmuthiger werden/
und ſie ein ernſtliches verlangen daruach bekommen moͤgen.
Dieſes iſt/
was auch ihm zur antwort widerfahren laſſen ſollen/ dabey GOTT anruffe/ daß
er ſeinen glauben ſtaͤrcke/ und die erkaͤntnuͤß der himmliſchen guͤter in ſeine ſeele al-
ſo eintrucke/ daß er zwar ſo lange das maß ſeiner arbeit und leidens hier annoch nicht
erſuͤllet iſt/ in der welt auszuhaiten wohl zufrieden ſeyen/ aber auch wann es dem
HERRN ihn zur ruhe zufuͤhren beliebig ſeyen wird/ ſich ihm zu folgen hertzlich
freue. 5. Dec. 1693.


SECTIO XXXIII.


Vom grrichte unſerer zeiten in unterſchiedlichen
ſtuͤcken.


JCh erkenne wol daß zu manchen laͤſterungen durch auch gutmeinender leute
uuvorſichtigkeit und verſtoß anlaß gegeben werde/ nun ſolten zwar auch dero-
ſelben fehltritte/ als lange ſie bey reiner lehr und unſtraͤfflichen wandel blei-
ben ihnen/ zu gut gehalten werden/ wie ich auch von rechtſchaffenen Chriſten zu ge-
ſchehen verſichert bin; es ſinn auch darmit die laͤſterer/ ſo davon anlaß nehmen
nicht entſchuldiget: aber ich bekenne auch/ daß jener unbedachtſamkeit/ ſonderlich
wo eigenſinn darzukommet/ damit nicht gerechtfertigt werde. Jndeſſen ſehe ich
auch dieſes als ein ſtuͤck Goͤttlichen gerichts an/ daß nicht allein ſonſten dem guten/
wo es mit ernſt getrieben werden will/ ſo vielerley hindernuͤſſen in den weg geworf-
fen werden/ ſondern der HERR auch geſchehen laͤſſet/ daß die ſo es redlich meinen/
ſo offt da und dorten anſtoſſen: ob wolte GOTT zeigen/ daß noch ein ſolcher
zorn auff unſrer kirchen ligender noch nichts mit gnugſamen und kraͤfftigen nach-
druck auffkommen und durchtringen laſſe. Ach daß wir doch mit wahrer buß und
gebet ſolchen zorn verſoͤhnen/ damit doch endlich der liebſte Vater ſein gnaden an-
geſicht wieder zeigen/ und zu dem/ was zu ſeinen ehren vorgenommen wird/ mehr ſe-
gen geben/ daher auch ſeine diener mit allen darzu noͤthigen gebrauch der klugheit
und ſonſten ausruͤſten wolle: ſo er auch thun wird/ indeſſen unſeren glauben und ge-
dult auch mit ſolchem verzug pruͤffet und uͤbet. Der jammer in dem euſſerlichen
und leiblichen/ ſo nach dem gerechten willen des groſſen GOttes ihre dem ſchein naͤ-
here quartire bißher betroffen/ iſt ein ſtuͤck meines hertzlichen anliegens/ ſo vielmehr
als es die jenige ort betrifft/ an welchen ich die meiſte zeit meines lebens zugebracht/
und viele den HERRN treulich ſuchende ſeelen habe kennen lernen. Ja ich ver-
wundre mich offt uͤber ſolche ſchwehre gerichten/ wenn ich gedencke/ ob mir wol be-
kant/
[949]ARTIC. III. SECTIO XXXIII.
kant/ daß man freylich draus in ſolcher gegend auch den gerechten zorn GOttes
offters mit ſuͤnden gereitzet/ daruͤber manchmahl daſelbs ſeyende hertzlich geklaget/
daß dannoch deroſelben ſuͤnden die jenige nicht uͤberſteigen/ ja bißweilen vielleicht
nicht gleichkommen/ die ich an andern orten ſeither angetroffen/ deren der HErr
dannoch ſo lange ſchonet: wiewol zuſorgen/ daß das laͤngere ausbleiben der ſtraf-
fe derſelben ſchwehre nur vermehren/ und alſo wol gar das verderben zu erwarten
ſeyen mag.


Das allerbetruͤbteſte iſt/ daß man ſihet/ wie bey allen ſo bereits auffliegen-
den als noch antrohenden gerichten der menſchen verſtockung und ſicherheit ſo groß
iſt/ daß ſo wenig an die wahre buß/ welche dennoch das einige mittel der abwendung
derſelben ſeyen wuͤrde/ mit ernſt gedacht/ oder dieſelbe nach GOttes willen gethan
werde. Welches gemeiniglich ein zeugnuͤß iſt des endlichen unvermeidlichen un-
tergangs. Der HERR aber gedencke doch mitten in ſeinen zorn auch ſeiner barm-
hertzigkeit/ und laſſe jenen fallen/ oder wo er ja fortbrennen ſolle/ ſo ſehe er doch die
ſeinige/ die er ſelbs kennet/ in gnaden an/ und verberge ſie heimlich in ſeinem gezelt/
biß das ſchwehrſte wetter vorbey ſeyen wird/ wie wir uns auch deſſen zu ſeiner guͤte
und wahrheit verſehen wollen. 12. Jan. 1694.


SECTIO XXXIV.


Anden Churfuͤrſten zu Sachſen als meine ver-
antwortung gegen die Wittenbergiſche
Facul-
taͤt Seiner Churfuͤrſtlichen Durchlaucht.
dedicirte.


Goͤttliche gnade/ friede und heil zu allem hohen wohlweſen und geſeg-
neter regierung!


Durchlauchtigſter Fuͤrſt/
Gnaͤdigſter Churfuͤrſt und Herr.

DAs unterthaͤnigſte vertrauẽ zu E. Churf. Durchl. ſo wol gerechtigkeit lieben-
den als noch an ihre alte diener (wie ſie ſich noch dieſes jahr gegen einen ſelbs
gnaͤdigſt erklaͤhret) gedenckenden gemuͤth/ nechſt der verſicherung meines
gewiſſens treibet mich/ Ew. Churfuͤrſtl. Durchl. in meinen wichtigen anliegen un-
terthaͤnigſt anzugehen und gegen einige deroſelben Theologos/ ſo mich bißher auff
vielerley weiſe auffs unbillichſte tractiret/ nunmehr aber eine gantze dero Facul-
taͤt mich etlich hundert irriger gegenſaͤtze/ welche wider die richtige lehrſaͤtze ſtritten/
D d d d d d 3vor
[950]Das ſechſte Capitel.
vor der gantzen kirchen beſchuldiget hat/ dero gerechten ſchutz zu ſuchen. Daher
meine gegen ſolche Wittenbergiſche Facultaͤt nothwendig publicirte verantwor-
tung E. Churf. Durchl. hohen nahmen ſelbs zuſchreiben ſollen; nichts anders da-
bey unterthaͤnigſt bittende/ als daß ſie nach der macht/ die ihro der Allerhoͤchſte ge-
geben/ und ſie auch zu ſeinen ehren anzuwenden fordert/ durch nachdruͤckliche daͤm-
pfung der vonden widrigen auffgebrachten und durch allerley unloͤbliche kuͤnſte biß
daher gehegte fabel einer neuen ſecte des pietismi, nach deꝛ loͤblichen intention
dero Hoch Sel. Herrn Bꝛuders Churf. Durch. der Evangeliſchen ki[r]chen ihrer
ſeits erwuͤnſchte ruhe zu verſchaffen/ meine und andrer betrangten unſchuld zu ret-
ten/ und welche alles bißherigen unweſens urheber ſind maͤchtiglich zuruͤck zuhal-
ten geruhen wolten.


Dieſes thuende wird E. Churf. Durchl. ſich um des groſſen GOttes/ von
deſſen gnade ſie ihre wuͤrde traͤgt/ ehꝛe/ um der kirchen/ die ſonſten von denen/ wel-
che andere deſſen faͤlſchlich beſchuldigen/ immer mehr zerruͤttet werden wird/ ſeligen
wolſtand/ um des reichs (wie ſich denn gefahr aus dem geiſtlichen das weltliche
durch boͤſe leute endlich ziehen moͤchte) fried und einigkeit/ um dero lande geſegne-
tes wohlſeyen/ welches ſonſten durch reitzung goͤttlichen zorns mehr und mehr gehin-
dert werden wuͤrde/ und um viele bißher auf allerley weiß betrangte/ die nachmal
deſto innbruͤnſtiger vor dieſelbe zu GOtt ruffen und alles erſprießliche erbitten helf-
fen werden/ ſtattlich verdienen/ und vielen ſegen auff dero wuͤrdige perſon und
hohes Churhauß ziehen. ꝛc. 5. Oct. 1695.


SECTIO XXV.


Wegen die Pietiſten wird nicht uͤber die lehr ge-
ſtritten.
Intereſſein ſolcher ſache dercleriſeyundDo-
ctorum Academicorum.


ES iſt einmal an dem/ daß nicht geſtritten werde eigenlich um die lehre ſelbs
oder um glaubens articuln/ gleich ob waͤre wahrhafftig unter beyden bereits
ein unterſcheid (wiewol dahin ſtehet/ wie weit Gott das gegentheil noch in ſei-
nem gericht verfallen laſſen moͤchte/ maſſen es in der Wittenberger ſchrifft ein faſt
betruͤbtes anſehen gewinnet/ als wolte man allgemach von unſrer wah[r]en lehr/ wie
ſie von Luthero und in dem Symboliſchen buͤchern getꝛieben worden/ etwas ab-
weichen) auch wo noch eine differenz iſt/ als von der kuͤnfftigen hoffnung/ wuͤrde
man bey anderer bewandnuͤß der gemuͤther bald ſich mit einander vergleichen: ſon-
dern es iſt zu thun um das intereſſe theils der geſamten cleriſey, theils ſonderlich deꝛ
Doctorum Acade micorum: jenen iſt das bißher getriebene ſtudium pietatis
beſchwehrlich/ weil ſie mehrern fleiß in ihrem amt anzuwenden angemahnet wer-
den
[951]ARTIC. III. SECTIO XXXVI.
den/ auch ſorgen/ wo ein ſolches Chriſtenthum auffkommen ſolte/ daß ihr leben bey
vielen daruͤber zu ſchanden werden moͤchte: Dieſe ſehen/ daß ihre dictatoria pote-
ſtas
einen anſtoß gewinne/ wenn die freyheit der glaͤubigen von dem anſehen der
menſchen in glaubens-ſachen in die hertzen kommet/ und dieſe anfangen an dem eini-
gen meiſter JEſu Chriſto zu hangen/ und aller menſchen lehr erſtlich aus goͤttlichem
wort zu pruͤfen ſich gewehnen. Weil aber dieſes offentlich zubekennen allzu plump
lautete (wie wol etliche ziemlich unverſchaͤmt ſich auch darinne zu bloͤſſen beginnen)
ſo muß die ſorge vor die reinigkeit der lehr zum vorwand gebrauchet werden/ daß
man die arme ſo genannte Pietiſten mit vertraͤhung ihrer worte allerley unerfindli-
che irrthuͤme beſchuldige/ und wo man in nebens-fragen nicht gerade eines mit ih-
nen haͤlt/ ſolche ſtreitigkeiten/ als wuͤrde die ſeligkeit in euſſerſte gefahr geſetzet/ all-
zu groß mache/ um dieſe in allgemeinen haß/ auffs wenigſte ſolchen verdacht zu ſe-
tzen/ daß ſie wenig oder nichts mehr außrichten/ ſondern in allen gehindert werden
moͤchten. Wie viel ſie bey manchen in dieſer ſache außgerichtet/ liget vor augen/
aber der HERR wird mehr und mehr ihre thorheit/ auch vieler boßheit/ offenbah-
ren: und ſie endlich einen ſo viel ſchrecklichern ſturtz thun laſſen/ als hoch ſie ſich er-
haben halten. Dem bleibt deswegen die ſache der armen empfohlen/ und ſteigen
taͤglich ſo viel tauſende ſeufftzer gottſeliger hertzen zu ihm auff/ die durchdringen/ uñ
zu ihm bekanter zeit huͤlffe bringen werden; wie wuͤnſche ſo hertzlich/ daß es viel-
mehr durch der widerſacher bekehrung als ſchwehres gericht an ihnen geſchehen
muͤſte/ und ſie ſich ſelbs zu dem fuͤſſen unſers allgewaltigen Koͤnigs niederwerffen/
als erwarten/ daß ſie davor nidergeſchmiſſen werden. 23. Jan. 1696.


SECTIO XXXVI.


An eine Adeliche Jungfrau in Sachſen. Derſel-
ſelben vor dem ertheilete troſt. Betruͤbnuͤß uͤber die un-
ruhe in der kirchen. Ob und was vor eine
reformation in-
tendi
ret werde. Jch bin von deꝛ Evangeliſchen lehꝛe imgering-
ſten nicht abgetreten: noch auch andere deſſen beſchuldig-
te: ſonderlich M. Franck. Dieſer laͤſtert Lutheri dolmet-
ſchung nicht/ noch begehrt ſie den leuten zu verleiden. Alle

Theologihaben zu allen zeiten gleiche oder mehrere
freyheit gebraucht.


BEy empfangen des ſchreibens habe mich erfreuet/ darauß ein zeugnuͤß zuſe-
hen/ der noch gegen mir fortwaͤhrenden Chriſtlichen zuneigung/ wie hingegen
verſichern kan/ daß auch bißher ſo wolder oſelben als dero wehrten angehoͤri-
gen
[952]Das ſechſte Capitel.
gen/ vor dem thron der gnaden zu gedencken nicht nachgelaſſen habe/ noch auch
kuͤnfftig nachlaſſen werde. Aus uͤberfluͤßiger liebe aber kommet her/ daß noch
auffs neue gefallen hat danck zu ſagen wegen eines vormahlen ertheilten troſtes: da
doch was hierinnen von mir geſchehen/ nicht allein wenig/ ſondern ohne das meine
ſchuldigkeit gegen alle/ ſo von mir rath oder troſt verlangen/ geweſen/ alſo alles zu
viel iſt/ was vor danck gegen mich abgeſtattet wird. Nur wuͤnſche/ wo ja der HErr
nach ſeiner guͤte einiges ſeines worts/ durch meinen unwuͤrdigen mund oder feder
zugeſprochen/ zu dero ſeelen erquickung und auffmunterung geſegnet haͤtte/ darvor
ihn zu preiſen mich ſchuldig erkenne/ daß er ſolchen troſt bey ihro immer mehr ver-
ſiglen und befeſtigen wolle. Wie mich dann vornehmlich auch dieſes erfreuet/ ſo
dann ich daruͤber goͤttliche guͤte hertzlich zu preiſen habe/ daß dieſelbe meldet/ ob wol
die anfechtung noch nicht auffgehoͤret/ folglich der liebſte Vater noch nuͤtzlich befin-
den muß/ deroſelben gold ferner durch ſolches feur zu reinigen/ daß dannoch die laſt
um ſo vielmehr erleichtert worden/ als ſie vor dem geweſen: welches eine ſo viel
gewiſſere verſicherung iſt/ daß der jenige/ welcher ſo weit geholffen/ und ſo viele
ſtuͤrme zu uͤberwinden/ beygeſtanden hat/ ſein werck kraͤfftig zu ende fuͤhren/ und
biß zu endlichem triumph immer einen ſieg nach dem andern beſchehren weꝛde. So
er ja thun wolle um unſers ſiegesfuͤrſten JEſu Chꝛiſti willen.


Nechſt dem habe aus meiner wehrteſten Jungf. brieff mit billichem mittlei-
den eingenommen dero gottſelige betruͤbnuͤß uͤber den jetzigen zuſtand/ welchen wir
leider an meiſten orten in unſrer Evangeliſchen kirchen ſehen. Und wem ſolte es
nicht zu hertzen gehen/ wo man das kleid der braut JEſu Chriſti mit ſo vielen un-
flat bemackelt ſchauet? Wie dann wer ſich noch uͤber ſolches boͤſe freuen/ oder doch
es nicht achten wolte/ eben damit/ daß er keine liebe weder vor GOTT noch deſſen
gemeinde habe/ bezeugen wuͤrde. Nur wuͤnſche ich hertzlich/ das alle gottſelige ſce-
len nicht ſo wol allein wie es ſtehe ſondern auch die urſach/ und wo die ſchuld her-
komme/ in der furcht des HErren erwegen. Wie ich dann derſelben von grund
der ſeelen wuͤnſche/ ſich in ſolcher ſache von niemanden einnehmen zulaſſen/ ſondern
alles wahrhafftig und ohne affecten nach der wahrheit zu unterſuchen/ da ich ver-
ſichert bin/ das viel andeꝛe gedancken/ als aus deroſelben ſ[c]ſhertzlich gemeinten ſchrei-
ben hervor zublicken ſcheinen erfolgen werden; alſo daß dieſelbe die jenige/ die von
ſo vielen als verwirrer der kirchen beſchuldiget werden/ alsdenn ſelbs loß zehlen/ hin-
gegen die ſchuld bey den jenigen finden wird/ die uͤber die verwirrung der kirchen/
welche ſie mit ihrem geſchrey ſelbs machen/ immer klagen.


Wer eine Reformation unſerer Evangeliſchen lehr anſtellen wolte/ wie
nemlich dieſelbige in unſrer kirchen bekantnuͤß/ was die ordnung des heils anlangt/
enthalten iſt/ der wuͤrde eben damit ſich verſchulden: Dann die wahrheit kan nicht
reformiret werden/ ohne daß ſie auffhoͤren muͤßte zu ſeyen was ſie iſt. Ob wol et-
wa nicht zu leugnen ſtehet/ daß man nicht ohne urſach klagen moͤge/ daß ihrer viele
die
[953]ARTIC. III. SECTIO XXXVI.
die warheit einer ſeits nicht mit ſolchem fleiß und krafft vortragen/ wie ſichs gezieh-
met/ anderſeits dieſelbe zu faſſen keine muͤhe anwenden; daher es komt/ und nich
gnug betrauret werden kan/ daß wir bey aller bekantnuͤß und lehr der warheit gleich
wol eine ſolche menge leute in un ſren gemeinden haben/ welche allerdings von Gott
und ihꝛem heyl wenig wiſſen. Und eben deswegen/ ſo dann weil leider ſo wenig fruͤch-
ten der lehr ſich bey unſern kirchen am meiſten orten zeigen/ koͤnnen wir nicht wol
jeugnen/ daß wiꝛ nicht einer faſt ſtarcken und allgemeinen reformation bedoͤrffen/ die
nicht dieſer und jener allein außzufuͤhren hat/ ſondeꝛn da kein ſtand/ ja in keinen ſtand
einige peꝛſon iſt/ die nicht an ſolcher Gottgefaͤlligen reformation/ an ſich und andeꝛn/
ohne unordnung und jeglicher/ wie ihn der HErr ſelbs geſetzet hat/ und fuͤhret/ zu
arbeiten verbunden waͤre/ und wir doch/ biß der groſſe Reformator von himmel
ſelbs komme/ und was menſchen nicht vermocht/ durch ſeine goͤttliche krafft alles
neu/ einen neuen himmel und neue erde ſchaffende/ ausrichte/ damit nie zu ende
kommen werden. Wie ich dann nicht zweiffle/ daß derſelben GOTT ergebene ſeele
ſelbs ſo viel hertzlicher eine ſtaͤte beſſerung wuͤnſchen werde/ als ſie das anſehen der
verderbnuͤß betruͤbet. Weiter gehet auch weder die intention noch der fleiß der
jenigen/ welche von ſo vielen andern Theologen (denen der HERR es zu erken-
nen geben wolle) mit unverdienten aufflagen beleget/ und auch Chriſtlichen hertzen
wiederlich und verdaͤchtig gemacht werden.


Wie ich nun von mir ſelber/ als der nechſt GOtt am beſten wiſſen muß/ was
in meiner ſeelen ſeye/ verſichert bin/ daß ich nicht in einem einigen lehr-puncten von
unſrer Augſp. Confeſſion abgetreten bin (wie auch neulich gegen die ohne urſach
wider mich erbitterte Theologiſche Facultaͤt zu Wittenberg meine unſchuld durch
GOttes gnade ſo deutlich als kraͤfftig dargethan habe) auch ſolcher meiner reinen
Evangeliſchen lehr ſo viel tauſend zeugen/ welche mich in Franckfurt/ Dreßden uñ
Berlin gehoͤret u. hoͤren/ ſo dann die an allen orten meine ſchrifften in nicht geringer
anzahl leſen/ zu haben getraue/ ſo bin nicht weniger ferner verſichert/ daß mir
kein widriger etwas anders von mir oder aus meinen buͤchern/ ohne boßhafftige ver-
kehrung meiner worte/ darthun oder zeigen werde/ daß ich vor einigen jahren in der
lehr des heils mich geaͤndert haͤtte. Dann was im uͤbrigen anlangt die fernere
unterſuchung der ſchrifft/ welche als ein bergwerck iſt/ aus dem man immer mehr
und mehr herrliches ertzt durch gottſeligen fleiß heꝛausholen/ und ſolche wahrheiten/
die einigen neu ſcheinen/ da ſie doch/ als gleich in die ſchꝛifft von dem heiligen Geiſt
hingeleget/ alt gnug ſind/ an dem tag bringen kan/ iſt ſolcher fleiß der abſicht GOt-
tes und dem befohlenen wachsthum in allen ſtuͤcken der goͤttlichen erkaͤntnuͤß aller-
dings gemaͤß/ und an niemand zuſtraffen: nur das die regel des glaubens/ und
deſſen nothwendig an einander hangende articul von der ordnung der ſeligkeit/ un-
verletzet bleiben.


Wie nun gedachter maſſen vor mir ſelbs/ daß in der religion nicht die gering-
E e e e e eſten
[954]Das ſechſte Capitel.
ſte aͤnderung weder mir vorgeſetzt/ noch auch etwas dergleichen ins weꝛck zurichten
mich bemuͤhet habe/ verſichert bin/ ſo habe auch bey allem ſchreyen einiger widrigen
uͤber die gefahr der reinigkeit der lehr an andern gutẽ freund/ uͤber welche jenes im̃er
gegangen/ ebenfals deꝛgleichen boͤſes voꝛnehmen nicht/ ſondeꝛn vielmehr/ wo ich nach
der wahrheit die ſache unterſucht/ die beſchuldigungen falſch/ und ſie ſelbs ꝛichtig
befunden: bin auch verſichert/ daß der GOtt der warheit nach ſeiner guͤtigkeit uñ
gerechtigkeit deren/ die bißdaher ſo viele aufflagen leiden muͤſſen/ unſchuld zu ſeiner
zeit voͤllig an den tag bringen/ und rechtſchaffene ſeelen/ die durch das anſehen
der widerwertigen eingenommen wol auch eine zeitlang ſie bey ſich verdammet ha-
ben/ ſich darvon uͤberzeuget flnden/ und GOTTES wunderbare regierung in
allem preiſen weꝛden.


Was ſonderlich Herr M. Francken anlangt/ wie ich ſehe/ daß meine Hoch-
Edelgebohrne Jungfrau durch ungleichen bericht in zimlichen eyffer gegen ihn ge-
ſetzt iſt/ ſo halte mich dannoch verſichert/ wo dieſelbe ihn/ der nicht allein einen hertz-
lichen und heiligen eyffer vor Gott hat/ ſondern auch gewiß durch die krafft des E-
vangelii (welches er/ wo er iſt/ offentlich und abſonderlich/ mit herrlichen geiſt und
leben verkuͤndiget) bereits manche ſeelen/ die ihm deswegen ewig vor Gottes thron
dancken werden/ zur lebendigen erkaͤntnuͤß des heyls gebracht hat/ recht/ u. was an
ihm iſt/ kennen ſolte/ daß dieſelbe gantz andere gedancken von ihm faſſen/ und die
gnade GOttes in ihm hochachten wuͤrde. Zwahr bin ich nicht in abrede/ daß als
ſeine monate erſt geſehen/ daruͤber erſchrocken bin/ gleich wahrnehmende/ wie das
gutgemeinte auff allerley art uͤbel gedeutet/ und zum ſtein des anſtoſſens gemachet
werden wuͤrde/ da vielleicht mit einer geringen aͤnderung des vortrags ſolches haͤt-
te verhuͤtet/ und doch die wahre abſicht erhalten werden koͤnnen: alſo haͤtte es lieber
anders geſehen/ uñ wo ich es vorher gewuſt/ ſolches ſo viel an mir iſt gehindert. Jn-
deſſen kan nicht anders als ſagen/ daß er/ wo ſeine abſicht recht in acht genommen
wird/ weder unſers theuren L[ut]heri dolmetſchung/ die wir ſreylich vor einen un-
vergleichlichen ſchatz unſrer kirchen halten/ und GOtt nicht gnug darvor zudan-
cken vermoͤgen/ laͤſtere/ noch ſie den leuten aus den haͤnden zu bringen trachte: wie
ich dann verſichert bin/ daß vielleicht wenige prediger/ die 4. 5. mal ſo lang im amt
als er geweſen/ ſo viele leut/ alt und junge/ zu fleißiger leſung der heiligen Bibel
wircklich gebracht haben werden/ als dieſer liebe freund in den kurtzen jahren ſeines
predigamts gethan hat/ und alſo ja unſers Lutheri Bibel den leuten zu verleiden kei-
nes weges gedencket. So hat er auch in einem der monate gnugſam ſich erklaͤhret/
wie hoch er dieſen theuren lehrer unſrer kirchen/ und die durch ihn geben in dieſer
dolmetſchung erzeigte wolthat achte. Jndeſſen kan mit wahrheit niemand
leugnen/ und wuͤrde Lutherus ſelbs/ wo er noch lebte/ nicht leugnen/
daß ers in dem uͤberſetzen eben nicht allemal voͤllig getroffen habe; daher er
noch in ſeinem gantzen leben an dieſem theuren werck zu beſſern bemuͤhet geweſen
auch nicht zu zweifflen iſt/ ob er laͤnger gelebet haͤtte/ daß er immer weiter zu corri-
grien
[955]ARTIC. III. SECTIO XXXVI.
giren nicht unterlaſſen haben wuͤrde: hingegen ſeinen nachfolgern nie verboten/
daſelbs/ wo ers gelaſſen hat/ noch ferner fortzufahren. Wo man dann beyſeit
geſetzt aller ungleichen und von ſeinen widrigen erſt veranlaßten affecten in der
wahrheit/ was er gethan/ erweget/ wird ſichs ergeben/ daß er nichts anders gethan
als in eine ſchrifft das jenige zuſammen zutragen angefangen/ was meiſtentheil
oder dergleichen laͤngſt vor ihm ander hin und wider in ihren ſchrifften zerſtreut an-
gemerckt/ oder in predigten erinnert/ daher es auff dieſe weiſe weniger/ hingegen
in ſeinem tractat nur deutlicher in die augen faͤllet/ an ſich aber eines iſt. Wie dañ
wenig gelehrte Theologi oder prediger ſein werden/ die nicht in ſchrifften und pre-
digten ſo offt auff den grund text/ wie es daſelbs anders laute/ oder worinnen der
nachdruck mehr beſtehe/ ſich beruffen/ ohne das deßwegen jemand ſie einer boßheit
gegen unſrem wehrteſten lehrer beſchuldige. Was vor eine menge ſtellen der
ſchrifften werden von den beiden ſo ſtattlich verdienten lehrern Herr D. Geiern uñ
dem erſt nechſt entſchlaffenen Herr D. Schmiden in Straßburg gar weit anders
erklaͤhret/ als nach unſerer verſion? daher dieſer gantz eine neue lateiniſche dol-
metſchung verfeꝛtigt hat/ auff dero heraußgebung alle unſre beſte Theologen mit
vielen verlangen/ ja faſt mit ungedult uͤber den verzug/ bißher gewartet/ und darvor
gehalten/ daß ihm die kirche darvor zu groſſen danck verbunden ſeye. Jch glaube
auch nicht/ wann ſchon M. Francke ſeine monate viele jahr continuirte, daß er der
ſtellen mehr ſolte anfuͤhren/ als ſelbs einige ſeiner widerſacher/ ſo etwa viele jahr in
dem pꝛedig-amt geweſen/ bißher in ihren predigten corrigiret haben. So be-
gehrt er durchaus nicht unſre Bibel verdaͤchtig zu machen/ vielweniger eine andre
einzufuͤhren/ ſondern verlangt ſelbs/ daß wir bey unſrer allgemeinen eingefuͤhrten
dolmetſchung bleiben; nur iſt ſeine abſicht/ den jenigen/ welche da ſie nicht ſtudiret,
und alſo die grundſprachen ſelbs nicht zurath ziehen koͤnnen/ gleichwol/ wie jedes in
denſelben am eigenlichſten heiſſe/ zu wiſſen verlangen/ mit ſeiner arbeit einigen
dienſt zu thun; hingegen weder dieſelbige noch andere damit irre zumachen. Da-
her wo andre Prediger und Theologi an ſtatt/ daß in liebe die abſicht andern viel
lieber vorgeſtellet/ und wie man ſich darein zuſchicken habe/ gezeiget werden koͤnnen/
nicht vielmehr ſolches auffs hefftigſte beſtrafft/ und folgen/ die ihm nie in ſinn ge-
kommen ſind/ daraus gezogen haͤtten/ habe ich urſach zu glauben/ daß ſich nicht ein-
mal die einfaͤltigſte/ geſchweige recht Chriſtliche gemuͤther/ mehr daran wuͤrden ge-
ſtoſſen haben/ als ſie ſich nicht ſtoſſen/ wann ſie in predigten uͤber dieſen oder jenen
ort der gleichen erinnerungen hoͤren. Ob ich wol nicht in abrede bin/ und an meineꝛ
theuren jungfrauen das exempel ſelbs habe/ das einiges aͤrgernuͤß daher nun ge-
nommen worden; deſſen ſchuld aber ſorge mehr auff die jenige zufallen/ welche das
werck in gantz anderer als ſeiner eignen wahren geſtalt allerley auch gottſeligen leu-
ten vorſtellen/ da ſie das aͤrgernuͤß gantz leicht abwenden koͤnten. Glaube auch-
wo ein anderer/ als einer deren/ die ohne das in dem haß ſo vieler des geiſtlichen ſtan-
E e e e e e 2des
[956]Das ſechſte Capitel.
des ſtehen/ dergleichen gethan haͤtte/ es wenig oder keine bewegung daruͤber wuͤr-
de gegeben haben.


Der HERR/ HERR aber zeige ſelbs/ wie allen irrungen und mißverſtaͤn-
den am kraͤfftigſt en von allen ſeiten moͤge geſteuꝛet werden/ darzu meines wenigen
orts/ wo zu mir ſe[i] ne guͤte gelegenheit gaͤbe/ willig das meinige mit beytragen wolte:
wie noch erſt kuͤrtzlich in meiner vertheidigung gegen Herr D. Alberti die mittel und
wege gezeiget/ wie bald in der kirchen friede geſtifftet/ und die mißverſtaͤnde auff-
gehoben werden koͤnten. Laſſet uns aber alle mit zuſammen geſetzten gebet tag
und nacht ihn um ſolche gnade anruffen/ und nicht nachlaſſen/ biß ſich ſein geiſt/ ein
geiſt des friedens und der einivgkeit/ in ſo viel reicherer maß uͤber alle ergieſſe: ſo
dann auff die uns ſehr nahe eorſtehende verfolgungen und uͤber uns weil wir we-
nig fruͤchten des Evangeliig bracht haben/ beſorglich beſtimmte ſchwehre gerichte
mit glauben und gedult wapnen. 1696. 29. Jan.


SECTIO XXXVI.


Viele greiffen mich an um mein ſelbs und meiner
freunde willen. Hertzliches gebet vor mich und deſ-
ſen frucht.


ES haben mich deſſelben liebreiche zeilen/ die vor wenig tagen empfangen/
ſonderlich der treue wunſch und verſicherung deſſen gebets/ von grund der
ſeelen erfreuet. Wie mich denn nechſt goͤttlicher gnade ſelbs nichts mehr
billich freuen ſolle/ als Chriſtlicher mit-bruͤder gebete/ und dero vertroͤſtung. Es
iſt an dem/ das es GOtt gefallen hat von einiger zeit her mich vornehmlich zum ziel
zuſetzen/ auff den die meiſte der jenigen/ welche in unſrer Evangeliſchen kirchen dem
wachsthum der lebendigen erkaͤntnuͤß/ auch dero außuͤbung/ widrig ſeynd/ ihꝛe pfei-
le abſchieſſen laſſen: wie dann eine ſtarcke anzahl der jenigen/ und zwar zum mei-
ſten theil benahmter Theologorum ſich findet/ die ſich vor etzlichen jahren mit of-
fentlichen ſchꝛifften an mich gemacht/ und ſich immer mehrere gleiches fort zuſetzen
zu zuruͤſten ſcheinen/ ob ſie mich mit der maͤnge endlich unteꝛdrucken moͤchten. Nun
haben zwar die meiſten ihren abſonderlichen haß gegen mich/ in dem ſie mich uñ mei-
ne ſchrifften darvor halten/ ihrem fleiſchlichen intereſſe allzuviel eintrag gethan zu
haben.


Jedoch muß ich in der that auch vor andre bꝛuͤder leiden/ dañ weil ich auch mehr-
mal rechtſchaffner und bekandter Chriſtl. leute/ welche jene gern gantz auff einmal
unterdrucken wolten/ nach meinem wenige vermoͤgen mich anzunehmẽ verbunden
erachtet/ auffs wenigſte mich nicht/ mit jenen gegen ſie anzutreten/ entſchlieſſen koͤn-
nen
[957]ARTIC. III. SECTIO XXXVI.
koͤnnen/ hingegen auch mehrere von dieſen ſich auff mich/ auch wol in terminis/
welche jenen mehr verdruß gemacht/ beruffen haben/ ſo kommen die widrige immer
mehr auff die gedancken/ ich muͤſſte erſt niedergelegt ſeyen/ ehe ſie mit den uͤbrigen
fertig werden koͤnten/ daher ſie alle kraͤfften ſonderlich gegen mich anwenden. Weñ
denn in der that mein kampff ſo fern auch vor andre mit geſchiehet/ insgeſamt aber
zum zweck nichts anders hat/ als der Goͤttlichen wahrheit rettung und mehrere of-
fenbahrung/ ſo dann hemmung der jenigen gewalt/ damit einige die freiheit der kin-
der GOttes allzuſehr einſchrencken/ und dieſelbe widerum in dem geiſtlichen an der
menſchen autoritaͤt binden wollen/ an welchen beyden der Goͤttlichen ehre gelegen
iſt/ ſo dancke der him̃liſchen guͤte/ die bißher nicht allein ſo leibs als gemuͤths kraͤfften
und eine ſonderbahre freudigkeit zu aller ſolcher arbeit/ bey mir erhalten/ ſondern
auch an allen orten viele Chriſtliche hertzen zu einer ſondern liebe und vorbitte vor
mich geruͤhret/ daß in dem ich meine haͤnde zur feder ausſtrecken muß/ ſie mit ihrer
haͤnde auffheben mir manches erlangen/ deſſen ich ſonſten nicht wuͤrdig bin/ ja dar-
durch den ſieg mit erhalten helffen. Solche alle/ und unter ihnen auch geliebter
bruder/ mit denen die ihres orts gleichgeſinnet ſind/ ſeyen geſegnet dem HERRN/
der deſſen frucht/ was ſie mir erbitten/ auch auff ſie fallen laſſen/ ſo dann nicht we-
niger meinen ſeufftzen vor ſie zu ihren beſten krafft geben/ ja alle ſeine kinder zur ge-
nauſten gemeinſchafft wie aller geiſtlicher guͤter alſo auch dieſes gebets vereinigen
wolle. Alfo fahren ſie fort vor mich den HERREN anzuflehen/ am meiſten/ daß
er mir ſeinen willen zu erkennen geben/ und ſolchen zu vollbringen in mir wuͤrcken/
hingegen mich bewahren wolle/ daß ich in ſo heiliger ſache kein fremdes feuer eini-
ger fleiſchlichen affecten in das heiligthum bringe. Er regiere aber auch alle die-
jenige/ vor welche ich ſo offt einigen kampff angehen muß/ daß ſie auch zu allen zei-
ten bey ſeiner wahr heit und in dem gleiß ſeiner ordnungen bleiben/ nicht aber durch
einiges austreten/ wo ſie jemahls eigenen duͤnckel folgeten/ die gute ſache verderben/
dem laͤſterer das maul oͤffnen/ und was ich vor ſie thue/ nicht allein fruchtloß ma-
chen/ ſondern auch dardurch mich ſelbs in vielen verdacht einflechten/ und dardurch
vieles anderes gutes/ daß es wenig durch mich geſchehen koͤnne/ hindern. Der-
gleichen bißher einiger orten geſchehen/ und eine ſtarcke hindernuͤß des Wercks des
HERRN worden iſt. So uns alle zu ſo vielmehr vorſichtigkeit (weil ja aller
anderer augen auff uns gerichtet zu ſeyen pflegen) und ſolche von GOTT zu erbit-
ten/ antreiben ſolle. Jch zweiffle nicht/ geliebter bruder/ werde auch aller orten/
wo er etwas vermag/ dergleichen erinnerungen zu thun nicht ermanglen. Der
liebſte Vater aber habe ſtets geduld mit ſeiner kinder ſchwachheit/ die er wol ken-
net/ und fuͤhre uns alle ſtaͤts auff richtiger bahn durch ſeinen heiligen Geiſt. ꝛc. 1696.
15. Febr.


E e e e e e 3SECT[.]
[958]Das ſechſte Capitel.

SECT. XXXVIII.


Als man mir in der ſache des beichtweſens/ alles
auff die ſpitze zuſetzen/ zumuhtete.


DAß meine Herr Collegæ/ die mit dem beichtſtul umzugehen haben/ ihr amt
treulich und fleißig (ich will auch ſagen fleißiger als es geſchicht) thun verlan-
ge ich hertzlich/ und helffe gern dazu/ daß ſie aber mit Herrn S. alles auff die
ſpitze ſetzten/ wuͤnſche ich nicht/ ſondern fordere/ nichts an ſich unrechts zu thun/ aber
ein und anders/ daß bey anderer umſtaͤnden/ zu andern zeiten/ an andern orten/ ſo
gut als noͤthig zu unterlaſſen/ oder noch zu verſchieben/ wo eine gantze zuruͤttung der
kirchen vor augen iſt. Das creutzes haben wir nicht zu fliehen/ das uns betrifft/
wol aber das jenige leiden/ was mehr andere/ die geiſtliche huͤlffe beduͤrfftig ſind/
als uns ſelbs troffen/ ja vielleicht uns in eine uns angenehme freiheit ſetzen wuͤrde/
nach aller muͤglichkeit zu meiden/ als lang es ohne ſuͤnde geſchehen kan. Beſſer
iſts eine auch in vieler verwirꝛung ſtehende gemeinde als keine haben. Beſſer/ daß
die rechte ſchaffe vor ſich weide gnug behalten/ ob wohl die boͤcke zur ungebuͤhr mit
eſſen/ als das jenen ihre weide entzogen oder geſchmaͤhlert/ oder doch in deſſen ge-
fahr geſetzt wuͤrde. Wie alſo wir Herr S. darinnen tragen/ und deswegen ihm
gern ſeine laſt als viel in unſern haͤnden ſtehet/ erleichtern/ ſo wird Herr S.
hingegen uns auch tragen/ und unſer gewiſſen frey laſſen: auch bedencken/ daß in
einer ſtatt als Berlin/ ſo aus mehrern miniſteriis/ zugeſchweigen anderen verfaſ-
ſungen/ beſtehet/ viele es nicht angehe/ was ſich auch an vielen orten practiciren lieſ-
ſe. Der HERR gebe uns allen/ ſeinen willen mit gewißheit zu erkennen/ und
leite uns ſelbs nach ſeinem rath. 28. Mart. 1696.


SECTIO XXXIX.


Von meinen zuſtand/ unſch[u]ld und veꝛlangen keine
freunde meines leidens theilhafftig zu
machen.


DEſſen ſchreiben hat mich inniglich erquickt/ daß auch den himmliſchen Vater
demuͤthigen danck zuſagen habe/ der mich dadurch/ wie auch zu andern mah-
len bißweilen geſchiehet/ ſtaͤrcken und auffrichten wollen; deswegen aber zu-
gleich der liebe deſſen/ welchen er dazu gebrauchet/ mich zu vielinniglicher liebe auch
verbunden erkenne.


Mein euſſerlicher zuſtand iſt zimlich bekant/ daß zwar auch vor dem um des
verlangens willen an meinem wenigen ort etwas zu befoͤrderung des rechtſchaffenen
weſens in CHRJSTO JESU zu thun/ und andere nachdem maß meiner ga-
ben
[959]ARTIC. III. SECTIO XXXIX.
ben dazu auffzumuntern/ viele laͤſterungen uͤber mich ergangen ſind ſolche aber nie-
mahl den grad erreichet haben/ welchen zu erreichen ihnen bey nunmehr ſtarck anſe-
tzenden alter (als der ich gegen das ende des 63ſten jahrs ſtehe) der treue Vater von
einiger zeit verhaͤnget hat: Alſo daß nunmehr von unterſchiedlichen jahren das
haupt einer neuen und ſchaͤdlichen ſecte/ und der Patriarch der Pietiſten/ welche
als ein ausbung irriger und boͤſer leute jederman zum haß vorgeſtellet werden/ auf
oͤffentlichen cantzeln und in oͤffendlichen ſchrifften von ſo vielen auch in anſehen ſte-
henden maͤnnern erklaͤhret worden bin/ und daher mir die urſach alles aͤrgernuͤſſes/
nnruhe und ſchadens der kirchen beygemeſſen/ damit aber viel einfaͤltiges volck zu
einen haß und grimm wieder mich erfuͤllet wird. Welches alles dann noch immer
im wachſen ſtehet/ und da es dem HERRN gefaͤllet weiter zu verhaͤngen/ ferner
zunehmen wird. Nun habe ich mich uͤber ſolches leiden gegen GOTT nicht zu
beſchwehren/ als der ich das leiden an meinen guten nahmen/ welches ſo fern in die-
ſer ſache unſchuldig trage/ ſonſten mehr als wol verdienet/ ja auch in der guten ſa-
che ſelbs mags in manchen an gnugſamer vorſichtigkeit/ ſo dann zuweilen an der
treue/ gemanglet/ daher alles eine ſchaͤrffere ruthe erfordert haben: Vielmehr ha-
be ich die guͤte des himmliſchen Vaters zu preiſen/ der das auch anderes verdiente
leiden in ſolche art verwandelt/ von dero/ weil die haupt-urſach/ ſo fern es von mei-
nen wiederſachern kommt/ die verthaͤidigung der wahrheit/ und alſo es an ſich ſelbs
mir mehr ehrlich iſt/ ich deſto reichern troſt empfinde/ ſo dann uͤber die laͤſterungen/
verlaͤumdungen uñ was ſolcher art iſt (die ich gegen andern orten nur noch vor kin-
derleiden achte) meinen widerſachern noch nichts gegen mich verhaͤnget hat/ als der
meine ſchwachheit kennende mich zu haͤrtern proben der gedult noch nicht geſchickt
erkeñen muß: Welches lauter betrachtungen ſind/ die mir alles leicht machenſollen/
und in gewiſſer maß durch ſeine gnade annoch zimlich leicht bißher gemachet haben.
Jndeſſen ſchlaͤgt mich zu weilen dieſes doppelte nieder: Einstheils/ daß ich gleich-
wol darinnen ſo ungluͤcklich ſeyen ſolle/ der ſtein des anſtoſſes geſetzt zu ſeyen/ an wel-
chen ſich ihrer ſo viele/ und beſorglich manche zu ihrem ziemlichen ſchaden/ ſtoſſen/
auch ſo viel aͤrgernuͤß aller orten aus dieſer gelegenheit entſtanden iſt/ da mir billig
offt einkommt ob nicht ein und anders auch vermieden und mit mehrer klugheit ab-
gemendet werden ſollen und koͤnnen: Anderntheils daß offt in die gedancken gera-
the/ wenn dieſes orts mich nicht ruͤhmen kan/ viele fruͤchten meines amts und ſolche
leute/ die der HERR durch meinen dienſt eigentlich zu ſich gezogen haͤtte/ zeigen zu
koͤnnen (welches ſonſten eine ſtattliche auffmunterung giebet) daß ich gar moͤchte
unfruchtbahr erfunden werden/ ſonderlich nachdem meine feinde meine ſchrifften/
wenn mich noch von denſelbigen einer frucht getroͤſten wolte/ jederman trachten
verdaͤchtig zu machen/ und auch alle derſelben frucht niederzuſchlagen/ ſo ſie auch
beſorglich bey vielen ausrichten. Wie ich aber der eine[n] anfechtung durch Goͤtt-
liche gnade alſo begegne/ daß mich getroͤſte/ der unruhe wahre urſach nicht zu
ſeyen/
[960]Das ſechſte Capitel.
ſeyen/ als der ich nichts als die beſſerung der kirchen und offenbahrung der wahrheit
zum zweck zu haben mir bewuſt bin/ daher meine ſache an ſich ſelbs gut iſt/ hingegen
mich wegen der in dem gantzen werck auch an mir bemerckten ſchwachheit und ge-
brechen vor dem lieben Vater demuͤthige/ und mich ſeiner vergebung und gnade
in kindlichen vertrauen verſichere: Alſo ſtaͤrcket mich deſſen himmliſche guͤte ge-
gen die andere ſelbs/ wenn ſie mir bald von dieſem bald jenem ort zeugnuͤſſen kom-
men laͤſſet/ daß ſie den ſeegen meiner arbeit noch nicht entzogen habe/ ſondern wo ich
hie in gegenwart kaum einige frucht ſehe/ dieſelbe von andern orten hoͤren ſolle/ da-
mit ich den muth nicht ſincken laſſe/ ſondern in dem glaubigen vertrauen ferner ge-
ſtaͤrcket werde.


Hieher ziehe ich auch meines werthen Herrn an mich abgegebenes/ daß
mich der guͤtige Vater/ wie ers bißher durch mehrere andere auch geſchehen
hat laſſen/ durch deſſen exempel mehr aufrichten wolle/ wenn derſelbe mich berichtet/
daß es GOTT gefallen/ meine wenige ſchrifften dahin zu ſegnen/ ihm eine hand-
leitung zu werden/ ſich von der welt mehr ab- und zu ihm mit gantzen hertzen zu wen-
den/ auch hinwider ihn zu einem werckzeug zu gebrauchen/ andere zu ſuchung glei-
chen weges anzufriſchen. Wie nun nichts deſſen lobes mir gebuͤhret/ als der in
meinen ſchrifften nichts vor mein eigen/ als das noch untermiſchte menſchliche und
und mangelhaffte erkenne/ das uͤbrige aber lediglich GOttes gabe bleibet/ ſo preiſe
mit ihm deſſen ewige liebe/ der deſſen ſeele ſo kraͤfftig geruͤhret und zu ſich gezogen/ ſo
dann mich armen auch durch deſſen kundmachung auffs neue auffmuntern/ ferner
mir damit eines guten freundes liebe zu wegen bringen wolle/ von dem verſichert
waͤre/ und mich deſſen troͤſten koͤnte/ daß er auch hinkuͤnfftig nebenſt andern meine
perſon und amt dem Herrn vortragen werde; Dergleichen vorbitter und zwar
mehrer ich ſo viel beduͤrfftiger bin/ als das jenige/ wozu mich der HERR geſetzt/ vor
ſo viel andern mitbruͤdern mehrerer gefahr unterworffen iſt. Wie nun ſolches
kuͤnfftig ferner vor mich zu thun/ deſto fleißiger bitte/ alſo verſichere/ daß auch von
der zeit des empfangenen brieffs an/ deſſen gleichfalls vor dem HERRN zu geden-
cken nicht ſaͤumig geweſen/ noch jenes forthin unterlaſſen will/ GOTT aber auch
darum ſelbs anflehe/ daß er mir auch den dazu noͤthigen geiſt in gnaden verleihen
wolle. Daß im uͤbrigen mein werther Herr wegen deſſen/ daß er ſich von der
welt abgeriſſen/ und dem HERRN mit volligen hertzen zu dienen deſto mehr fleiß
anzuwenden angefangen/ von der welt ſtarck angefochten wird/ erwecket zwar bey
mir ein Chriſtliches mitleiden/ ſo wol mit demſelben ſelbs/ weil es gleichwol dem
euſſerlichen menſchen keine freude iſt/ fonderlich weil auch die nahrung dadurch ge-
hemmet werden ſoll/ als auch gegen die welt/ die damit ihre ſchuld vermehret/ aber
es befremdet mich nicht/ weil es das jenige iſt/ was unlaͤngſt vorgeſagt worden/ ja
auch dieſes wundere mich nicht/ daß ſich unter ſolchen an das gute ſich mit wider-
ſpruch machenden welt leuten auch maͤnner befinden/ die ein heiliges amt tragen:
indem
[961]ARTIC. III. SECTIO XL.
indem meiſtentheils zu allen zeiten aus unſerm ſtand ſolche aufgeſtanden ſind/ die
ſich aus unziemlicher unwiſſenheit/ oder auch boßheit/ der wahren befoͤrderung des
relchs CHRJSTJ/ ob zwar aus ſcheinbahren vorwand eines heiligen eiffers
vor die reine lehr/ widerſetzet haben. Daher wir auch heut zu tage uns daran
nicht aͤrgern muͤſſen. Doch bitte freundlich/ auch in ſolcher ſache Chriſtliche
klugheit/ die wir von dem HERRN erbitten wollen/ zu gebrauchen/ und ja ſol-
chen leuten mit aller ſanfftmuth und gedult zu begegnen/ daher als viel das gewiſ-
ſen leiden kan/ ihnen lieber zu weichen/ als ohne tringende noth ſich ihnen zu wider-
ſetzen/ womit man insgemein nichts anders ausrichtet/ als nur dero bitterkeit ver-
mehret. Daher ich ſonderlich alle Chriſtliche freunde bitte/ daß ſie meiner perſon
gegen die jenige/ die ihnen ſchaden koͤnnen/ ſich nicht weiter annehmen/ als mit demje-
nigen zeugnuͤß der wahrheit/ aus meinen ſchꝛifften durch Gottes gnade einiges gutes
gefaſſt zu haben/ im uͤbrigen ſich darauff zu beziehen/ daß ſie mir meine ſache zu mei-
ner verantwortung uͤberlieſſen. Denn ob man ſich meiner mit mehrer angelegen-
heit gegen bittere feinde annehmen wolte/ thut man mir damit weh auch der ſache
ſelbs/ keinen vortheil/ ſondern naͤchſt dem/ das jene gemeiniglich deſto mehr erzuͤr-
net werden/ ziehet man ohne noth und frucht dero haß deſto hefftiger auff ſich/ ſo
mir alsdenn deſto mehr leid thut/ als weniger ich verlange/ daß andere meiner lei-
den theilhafftig werden/ und ich dazu urſach geben ſolle. Wie wir zwar die truͤb-
fahlen/ wo GOttes ehre dergleichen erfordert/ und wir ohne verleugnung derwar-
heit ihnen nicht entgehen koͤnnen/ mit freudigem hertzen auffnehmen/ ſo lang ſie aber
noch ohne ſuͤnde vermeiden werden koͤnnen/ denſelben mit aller ſorgfalt zu entwei-
chen trachten ſollen. 1697.


SECTIO XL.


Als Johann Peter Spaͤth zum Judenthnm ab-
gefallen. Letztes ſchreiben an ihn.


Der barmhertzige Heiland und hirt CHRJSTUS JESUS wende
noch einen blick auff ſeine arme ſeele/ oder vielmehr gebe dem ſo ſchreck-
lich verirreten/ weiland ſeinem/ ſchaff in die wuͤſten nach/ biß daß ers
finde/ und mit frenden auff ſeine ſchultern nehmend widerum zur[uͤ]ck
bringe!


Jndemſelben vorweilen mit freuden/ jetzo aber mit wehmuͤthigen
erbarmen geliebter Herr Spaͤth/

WJe ſchmertzlich ſein erſtmahl durch das geruͤcht nochmahl durch eigenes
ſchreiben mir kund gewordener ſchrecklicher ſtuꝛtz mich betꝛuͤbet/ kan er leicht
daraus abnehmen/ wann er bedencket/ daß ich ſeine ſeele geliebet/ und zwar
noch jetzt/ als lang die gnadenthuͤr noch offen iſt/ liebe aber mit deſto mehrer emfind-
F f f f f flich-
[962]Das ſechſte Capitel.
ligkeit ihn bereits in der gefahr ſehe/ aus dero ihn kein menſchlicher arm zu
retten vermag/ ſondern ein ſonderbahres zeugnuͤß nicht allein der allmacht
ſondern auch faſt [un]gemeinen barmhertzigkeit GOttes erfordert wird/ wo
ſeiner rettung hoffnung uͤbrig ſeyen ſolte. Jndeſſen glaube noch nicht/ daß er
die jenige ſuͤnde begangen/ davon es heiſſet/ daß ſolche leute unmuͤglich ſol-
ten zur buſſe erneuert werden koͤnnen. Denn ob er wol abgefallen/ und ihn
ſelbs den ſohn GOttes gecreutziget und fuͤr ſpott haͤlt/ glaube ich doch je
aͤnger je weniger/ daß er einmahl recht erleuchtet geweſen/ geſchmecket habe
die himml. gabe/ u. theilhaftig worden ſeye des h. Geiſtes u. geſchmecket habe
das guͤtige wort GOttes und die kraͤffte der zukuͤnfftigen welt. Denn ob ich
wol ein und ander gutes an ihm damahl zuſehen gemeinet/ hab ich doch allzeit
ein gemuͤth gefunden/ daß nie zu keiner feſtigkeit gekom̃en/ oder eine gewiß
heit hatte/ daher ich ſorgen muß/ daß noch einmahl die wahre erkaͤntnuͤß
JESU CHRJSTJ/ von den er gleichwol ſo viel geruͤhmet/ und deſſen
zeugnuͤſſen in vielen ſeinen ſchrifften ich auch noch bey mir habe/ in ſeine ſeele
gekommen ſeye oder wurtzel gefaſſet habe. Verſichere mich aber auch/ daß
da er ruhe auff dieſen abwege geſucht/ er auch dieſelbe nicht lange behalten
werde. Ob nun wol es ſcheinen moͤchte/ daß ich ihn jetzt auff ſeinen irrwe-
gen ſuchen ſolte/ ſo will doch einstheils mein alter/ und auch jetziger zuſtand/
auch wehmuth uͤber ſeinen fall/ mir nicht zugeben mich mit ihm in weitlaͤuff-
tige conferenz einzulaſſen/ anderntheils muß ich ſorgen/ daß da er zuweilen
anderer freunde zuſpruch mehr bey ſich gelten laſſen/ hingegen der meinige
weniger angeſchlagen/ es wuͤrde auch dießmal/ was von mir kommt
weniger eintruck finden. Daher da ihm noch gnade einer ſeligen wiederkehr
widerfahren ſolle/ hoffe ich/ der HERR HERR werde andere zu dero
werckzeugen an ihm verordnet haben. Jch werde ſeines nahmens/ ſo
lang mir GOTT dieſes leben laͤſſet/ in wehmuth vor deſſen thron gedencken/
ob ihm noch einige barmhertzigkeit um des zwahr von ihm verleugneten
HERRN JESU willen erlangen koͤnte. Jm uͤbrigen bleibe von ihm ge-
ſchieden; Daher auch das pacquet an mich uneroͤffnet wieder zuruͤck ſende/
auch kein folgendes niemahl annehmen werde. Begehre aber von ihm/ wo
er da vor haͤlt/ daß ich ihm jemahl einige liebe erzeiget/ keine andere danck-
bahrkeit/ als dieſe/ ſo lange er in dem ſtande ſtehet/ meinen nahmen weder in
munde noch in der feder zufuͤhren/ weil es in eigener macht nicht ſie het ihn
gar aus ſeiner gedaͤchtnuͤß auszuloͤſchen. Nun der Vater der barmhettzig-
keit erbarme ſich unſer aller/ denen er ſeine wahrheit zu erkennen gegeben/ in
derſelben feſt zu ſtehen/ und ſeiner bald in wahrer buß zuruͤck zukehren: auffs
wenigſte/ ſolte dieſem verlangen ſeine gerechtigkeit/ wider welche ich nichts
vealangen darff/ entgegen ſtehen/ binde er ihm die haͤnde/ um niemand mit
ſich
[963]ARTIC. III. SECTIO XLI.
ſich zu verfuͤhren/ uñ damit dasſchreckliche gericht/ welches leiderſeiner war-
tet/ noch zu vermehren. Mehr weiß in liebe nicht zuwuͤn ſchen/ dem der ſich
aller uͤbrigen wuͤnſche unfaͤhig gemacht. 4. Oct. 1697.


SECTIO XLI.


An eine Graͤſſin von den wahren urſachen der
vielen widerwaͤrtigen gegen mich. Treibung der lehr der
heiligung. Mehrere forderung an das predigamt. Hoff-
nung beſſerer zeiten. Daß die unruhe nicht zeige/
daß unſer kirche nicht die wahre ſeye.
Gefahr. vom Papſtum.


WAs die eigenliche und wahre urſachen ſeyen/ daß ſo viele gemuͤther
theils von langer theils neulicher zeit in eine hefftigkeit gegen mich
gerathen/ und ſich daher feiudſeliger weiſe an mich gemachet haben/
vorzuſtellen/ ſo ſind derſelben ſonderlich zwo/ welche aus meiner lehrart her-
kommen/ ich mich aber auch derſelben vor GOTT und denſelben/ welche
dieſen kennen/ nicht zuſcheuen noch zuſchaͤmen habe. Die erſte beſtehet
darinn/ daß faſt von der erſten zeit an meines predigamts in Franckfurth am
Mayn den vornehmſten inhalt alles deſſen/ wo es oͤffentlich und abſonder-
lich getrieben habe/ ſeyn laſſen die articul von der rechtfertigung u. heiligung
und ſolches auf dieſe weiſe/ daß wir zwar vor Gottes gericht gerecht und ſelig
werden muͤſſten aus bloſſer gnade GOTT es in CHRJSTO JESU
ohne einiges verdienſt oder abſicht auff unſere wercke allein durch den glau-
ben/ der die gerechtigkeit unſers Heilandes ergreifft/ und damit zu eigen be-
kommt/ darvon wir auch nicht einen finger zu weichen haben: Aber auch
mit dieſer erinnerung daß kein ander wahrer und lebendiger glaube ſeye/ o-
der ſeyen koͤnne/ als derjenige/ der durch die liebe thaͤtig iſt/ und daher nach
unſers theuren lehrers Lutheri worten uns zu gantz andere menſchen mache
von hertz/ muth und ſinn/ und deswegen den h Geiſt mit ſich bringe: Nicht
zwar wiederum ob muͤſſten ſolche fruͤchte des glaubens dieſem erſt ſeine ge-
recht machende krafft geben/ denn er iſt ſelbs derjenige/ der die gerechtigkeit
ſeines Jeſu ergreifft/ und gibt den wercken dz leben: ſondern weil der glaube
nicht eine muͤßige meuſchliche einbildung ſondernein Goͤttlich liecht des heili-
gen Geiſtes in der ſeele iſt/ welches unmuͤglich ohne krafft bleiben kan/ ſon-
dern den gantzen menſchen aͤndert. Daher ich ſtets treibe/ wo ein menſch auch
bey der wahren religion lebet/ einen groſſen eiffer daruͤber bezeiget demeuſ-
F f f f f f 2ſerli-
[964]Das ſechſte Capitel.
ſerlichen GOttesdinſt fleißig beywohnet und ſich feſtiglich auff CHRJ-
STUM und ſein verdienſt verlaͤſſt/ aber dabey ſeinen alten menſchen bey
ſich herrſchen laͤſſet/ und alſo von ſeinen wiſſentlichen vorſetzlichen ſuͤnden
nicht laſſen will/ ſondern in denſelben immer beharret/ ſo koͤnne ihn ſein glau-
be nicht ſeligmachen/ nicht deswegen/ als wenn die wercke dem glauben erſt
ſolzu reden helffen muͤſſten/ ſondern weil ſein glaube ſich verathet/ er ſie
nicht der wahre glaube/ vielmehr nur ein todter mund und heuchel-glaube
der vor GOTT nichts gilt. Ob nun wol dieſe lehre nicht allein die offen-
bahre Goͤttliche wahrheit/ ſondern auch die eigentliche lehre unſrer Evan-
geliſchen kirchen und in unſern Symboliſchen buͤchern (wie ich offt erwieſen)
vortrefflich gegruͤndet iſt/ ſo thut ſie doch den leuten insgemein ſehr wehe/
indew ſie von ihnen fordert/ daß ſie von innen und auſſen gantz andere men-
ſchen werden muͤſſen/ und ihnen bey ihrem eingebildeten glauben die ſeelig-
keit abſpricht; Daher auch viele fleiſchlich geſinnte prediger dadurch zum
haß gegen mich im̃er ſind bewogen worden/ einstheils weil damit ihre kalte
u. die wahrheit nicht kraͤfftig vorſtellende lehr-art beſtraffet wuͤrde/ andern-
theils weil ſolche auch ihr eigen leben beſchaͤmete; Daher man ſo offt die
leute zu uͤberreden geſucht/ daß die meinige eine troſtloſe lehre waͤre/ und die
menſchen zur verzweiffelung treibe.


Der andere punct iſt/ weil ich von dem predigamt lehre/ es ſeye daſ-
ſelbe zwar eine heilige einſetzung GOttes/ und wolle dieſer in deſſen dienſt
durch ſein wort zur ſeligkeit der menſchen kraͤfftig ſeye/ und zwar daß das
wort und die ſacramenten ihre krafft nicht von dem Prediger und deſſen wuͤr-
digkeit ne hmen/ ſondern von GOTT haben/ aber daß GOTT von allen
predigern ein nicht nureuſſerlich tugendhafftes ſondern wahrhafftig Chriſt-
liches und der welt abſterbendes leben fordere/ abermahl nicht nur/ weil
ſonſten das boͤſe leben die erbauung des worts niederſchlaͤgt/ ſondern weil
ein gottloſer prediger diejenige weißheit des heiligen Geiſtes nicht hat/ die
ihn doch in allen ſtuͤcken das amt recht zu fuͤhren noͤthig waͤre die ermang-
lung deſſen aber ihn viel hindere. Daher komme ein groſſes ſtuͤck des ver-
derbens der kirchen her von den untuͤchtigen und untreuen predigern/ auch
ſolte derſelben um ihres amts willen/ wo ſie boßhafft lebten/ nicht geſchoh-
net/ ſondern ſie nur deſto haͤrter geſtrafft werden. Ferner es ſolten die pre-
diger ihre zuhoͤrer nicht auff ſich und ihre perſon weiſen/ noch ſich einer herr-
ſchafft uͤber ihr gewiſſen anmaſſen/ ſondern alle auff GOTT/ CHRJ-
STUM und das wort weiſen/ daher allen fleiß anwenden/ daß ſie nicht al-
lein mit predigen ſondern auch catechiſiren/ oͤffentlich und abſonderlich/ das
wort des HErrn ihren zuhoͤrern/ alten und jungen/ hekant machten/ und
daruͤber keine arbeit ſcheuen.


Ob
[965]ARTC. III. SECT. XLI.

Ob nun wol abermahl dieſes die wahre lehr unſerer kirchen/ und der
meiſten kirchen ordnungen innhalt gemaͤß iſt/ will doch dero treibung vielen/
denen es ſonderlich gilt/ unertraͤglich fallen/ und geben mich deswegen vor
einen feind des predig-amts auß/ der denſelben nur weitere laſt ohne weite-
re ergoͤtzung aufflege. Dieſe beyde urſachen/ gnaͤdige Graͤfin und Frau/ ſind
die jenige geweſen/ die bereits bey nahe dreyßig jahr mir vielen haß von pre-
digern und andern leuten erwecket haben/ ſolcher ſich auch/ als ich noch in
Franckfurt lebte/ an manchen orten ſehr geaͤuſſert hat. Als aber in Sach-
ſen die unruhe entſtunde/ daß man Chriſtliche/ eyfrige und unſchuldige leu-
te unter den nahmen der Pietiſten anzugreiffen begunte/ vermehrte ſich die
anzahl der feinde ſo vielmehr. Denn weil deren nicht wenig waren/ die mir
gedachter urſachen willen im hertzen feind waren/ aber doch ſich nicht regten/
in dem ſie davor hielten/ daß ich allein doch niemal nichts ausrichten wuͤrde/
ſo fiengen ſie an ſich erſt zu fuͤrchten/ da ſie bey Studioſis und auch hin und
wieder bey predigern eine ſtarcke bewegung gewahr wuden/ es moͤchten nun-
mehr mit mehrern ernſt/ ſo den auch wegen der zuſammenſetzung mit meh-
rern nachdruck/ auff die ernſtliche gottſeligkeit getrieben/ darmit aber ſo wol
ihr denſelben nicht gemaͤſſes leben/ als auch kalte ſchlaͤffrige lehr-art offent-
lich zu ſchanden/ und an eine beſſerung der prediger auch von denen dadurch
erweckten Regenten gedacht werden. Daher muſte ſich alles auffmachen/
deſſen fleiſchliches intereſſe erfoderte/ daß die gottſeligkeit nicht uͤberhand
nehme. Hingegen konte das wiederſetzen auch mit keinen zimlichen ſchein
geſchehen/ als daß man die leute/ und ſonderlich mich/ dem man die meiſte
urſach zuſchriebe/ irriger lehr beſchuldigte/ und ſie unter ſolchem vorwand
leicht unterdruckte. Daher kommen die vielen ſchrifften wieder mich/ denen
ich aber/ ſo viel derſelben ſolche muͤhe etlicher maſſen zu verlohnen ſchiehnen/
bißher gruͤndlich geantwortet habe. Zu dieſen iſt endlich noch eine dritte
urſach gekommen/ darinnen ihrer viel den beſten ſchein gegen mich gefunden
zu haben davor gehalten/ weil ich nemlich die hoffnung beſſrer zeiten (ſo zwar
in der ſache ſelbs bereits laͤngſt in Franckfurt geſchehen wie ſie denn in mei-
nen daſelbs heraus gekommenen piis deſideriis ſtecket) behauptet/ und leh-
rete/ daß noch vor dem ende der welt das Roͤmiſche Babel und Papſtum von
grund aus geſtuͤrtzet/ hingegen das Juͤdiſche volck durch goͤttliche gnade wie-
derum bekehret/ darmit aber die erkaͤntnuͤß GOttes aller orten herrlich
gemehret/ die Chriſtliche kirche in einen viel herrlichern und heiligern ſtand
geſetzet/ und in ſolchem die erfuͤllung aller uͤbrigen goͤttlichen verheiſſungen/
die in dieſe zeit gehoͤren/ erfolgen ſolle/ wohin ich auch die tauſend-jahr der
Offenbahrung Johannis ziehe. Gegen dieſe lehr/ die doch ſo ſtattlich in
der ſchrifft gegruͤndet/ und auch nach meiſten ihren ſtuͤcken nicht nur alte/ ſon-
Ff f f f f 3dern
[966]Das ſechſte Capitel.
dern auch unſrer kirchen lehrer zu beypflichtern hat/ die ich auch mit derglei-
chen beſcheidenheit handle/ daß ich ſie niemand als zu glauben noͤtig auffdrin-
ge/ ſetzen ſich der leute ſo viele/ ſorglich aber vornehmlich der urſach wegen/
nicht ſo wol daß ſie die materia ſelbs von ſolcher wichtigkeit achteten/ denn
ſonſten wuͤrde gleicher widerſpruch damal als in Franckfurt ſchon davon ge-
ſchrieben/ entſtanden ſeyen/ ſondern daß man an ſolchem ort mich dem man
um der andern urſach willen feind iſt/ am nachdruͤckligſten angreiffen zu koͤn-
nen glaubet.


Bey allen dieſen unruhen aber troͤſtet mich von meiner ſeiten/ und beru-
higet mein gewiſſen/ einmal dz ich weis/ keinen einigen ſelbs jemal zu erſt an-
gegriffen zu haben/ ſondern von andern allein angegriffen zu ſeyen/ ſo dañ/ dz
ich mir der wahrheit meiner lehr u. auffrichtiger abſicht deſſen was ich gethan
bewuſt bin/ hingegen meiner widrigen fleiſchliche abſichten ſich faſt allent-
halben offenbahren/ daher auff ſie alle ſchuld der unruhe faͤllet. Jndeſſen
betruͤbt mich dieſes offt allein ſo fern/ von dem himmliſchen Vater zu einem
ſtein des anſtoſſes geſetzt zu ſeyen/ daran ſich ihrer viele ob wol aus eigner
ſchuld ſtoſſen/ und damit ſo wol manche der unſrigen aͤrgern/ als auch den
wiedrigen uns zu laͤſtern mehr anlaß geben. Ob wol/ wo die ſache recht er-
wogen wird/ keine andere religionen gnugſame urſachen haben/ ſich unſrer
uneinigkeiten zu ihrem vortheil zu ruͤhmen: Jn dem wann es darauff kom-
met/ eine jede vor ihrer eignen thuͤr gleichen unrath weg zu kehren hat. So
gar in dem Papſtuhm/ da man doch ſolche gewaltſame mittel der aͤuſſerli-
chen einigkeit brauchet/ und mit tyranney uͤber die gewiſſen herrſchet/ kan
man doch nicht alle außbrechende uneinigkeit verhuͤten: wie deſſen zeugen
ſind die Quietiſten (deren feuer in Jtalien nicht/ wie man gedencken moͤchte/
gantz gedaͤmpffet/ ſondern gleichſam unter der erden glumſet/ u. zu ſeiner zeit
wieder außbrechen mag) die Janſeniſten/ die ſtarcke denũciationes gegen die
gantze Jeſuitiſche ſocietaͤt des P. Valeriani Magni, neulich des Monſ. Arnauld,
insgeſamt die widrigkeit gegen dieſelbe der Patrũ Oratorii in Franckreich;
der langen ſtreitigkeiten der Dominicaner gegen die Franciſcaner und Jeſui-
t
en zu geſchweigen. Alſo auch hats unter den Reformirten von alten u. noch
bisher uneinigkeiten gegeben unter den Abſolutiſten u. hypotheticis, unter
Coccejanis und Mareſianis, auch Voetianis, unter den Epiſcopalibus und
Presbyterianis, in Engelland. Ja auch die kleinere hauffen der Mennoni-
ſten
und Quacker haben ſich nicht vor uneinigkeit/ die ſo gar in trennung
außgebrochen/ verwahren koͤnnen. Dieſes ſage ich nicht/ die ſchuld deren/
die bey uns ſolche unruhe ſtifften/ auff zu heben/ denn da uns GOTT ſeine
wahrheit in mehrern mans hat erkennen laſſen/ ſolten wir uns auch der einig-
keit vor andere mehr ruͤhmen koͤnnen/ ſondern allein zu zeigen/ daß ſich ſchwa-
che
[967]ARTIC. III. SECTIO LXII.
che deswegen in und an unſrer gemeinde nicht zu ſtoſſen haben: weil es eine
von allen menſchlichen geſellſchafften unabſonderliche unvollkommenheit iſt/
daß da ſie ſich weit erbreiten/ mit der zeit uneinigkeiten ſich darinnen erhe-
ben; der HERR auch nach ſeiner weißheit/ gerechtigkeit und guͤte ſeine hei-
lige urſachen hat/ dergleichen auch in ſeinem hauſe entſtehen zulaſſen/ dar-
mit aber unſern glauben/ ob er rechtſchaffen ſeye/ und nicht an menſchen/ ſon-
dern allein an ihm und ſeinem wort/ hange/ pruͤfe: daran ihres heils begie-
rige ſeelen deſto hertzlicher allezeit zugedencken haben. Jch ſorge aber/ es
ſtehe unſrer armen Evangeliſchen kirchen eine noch haͤrtere probe vor/ dero
wir nicht entgehen werden/ nemlich in wachsthum des Papſtuhms/
das wir vor augen ſehen. Wie ich zwaꝛ bereits vor langer zeit in
Franckfurt geprediget/ gleiches auch in Dreßden und hier wiederholet habe/
daß ich mich verſicherr halte/ weil Babel/ ehe ſein ſchreckliches gericht kom̃t/
ſprechen wird (Offenb. 18/ 7.) ich ſitze und bin eine Koͤnigin/ und werde keine
wittwe ſeyen/ und leid werde ich nicht ſehen/
daß G[O]TT dem Roͤmiſchen
Papſtum noch zu laſſen werde/ wo nicht alles/ doch das meiſte/ deſſen was
ſich ſeiner tyranney einmal entriſſen/ wiederum unter ſein joch zubringen/
mit ſolcher grauſamkeit aber ſein gericht ihm ſelbs uͤber den hals ziehen. Die-
ſes moͤchte uns je laͤnger je naͤher kommen/ und iſt der abtritt des Chur-
fuͤrſten von Sachſen (welcher auch mit dem exempel viel ſchaden thut) eine
nicht geringe ſtuffe zu mehrerer emporſteigung ſolches dem Evangelio feind-
ſeligen reiches. Daher wir uns auff ſolche pruͤffungen und truͤbſalen ja bey
zeiten gefaſt zu machen/ und auff allerley weiſe vermittelſt goͤttlicher gnade
zu bereiten haben/ daß wañ nun die ſtunde der verſuchung einbricht/ wir in
glauben und gedult beſtehen/ mit unſern leiden/ ſo viel der HErr uͤber jeg-
lichen verhaͤngen will/ ihn preiſen/ und in ſeiner krafft alles uͤberwinden
moͤgen.


Zu welchem ende ich neulich eines meiner tractaͤtchen Chriſtliche auf-
munterung zur beſtaͤndigkeit/ ſammt e[i]nem untericht von der wiederkehr
der gefallenen/
zu Franckfurth nochmal habe drucken und an das licht geben
laſſen. Der HErr aber ſehe ſelbſt in gnaden drein/ befeſtige uns ſelbs in
ſeiner krafft/ und zeichne die ſeinigen auffdie kuͤnfftige ſchwehre zeiten/ E-
zech. 9/ 4. Laſſe den feinden der wahrheit nicht mehrere macht/ als die offen-
barung ſeiner gerechtigkeit und warheit erfordert/ endlich gebe er den ſeini-
gen nach außgeſtandenem maaß des leidens den ſieg/ und fuͤhre ſeine gerich-
te uͤber ſeine feinde aus. 11. Nov. 97.


SECTO. XLII.


Klageuͤber die Univerſitaͤt Wittenberg.


Wir
[968]Das ſechſte Capitel.

MJr thuts wehe/ und iſt ein betruͤbtes omen vor uns/ daß es mit
ſolcher Univerſitaͤt/ da das liecht des Evangelii in vergangenem ſe-
culo
zu hellerem ſchein erſtmals wieder auffgegangen/ aus goͤttli-
chen gericht in den jenigen ſtand gerathen/ daß man nicht ohne wehmuth/
theils in mitleiden/ theils gerechten eyffer vor die wahrheit/ an dieſelbige
wegen ihrer Theologiſchen Facultaͤt gedencken kan. So vielmehr weil an
ſtatt gehoffter beſſerung es ſchier immer aͤrger und unverſchaͤmter werden
will: welches in vorigen ſommer Herr D. Neumanns Disp. de juſtificatione
gnugſam angezeiget. Ach daß nunmehr die lehr von lebendigen glauben/ wie
allein derſelbige/ nicht aber der todte/ gerecht mache/ als ein ſchwehrer irr-
thum will angegeben und verworffen werden/ an dem jenigen ort/ wo vor-
weilen unſer theurer Lutherus ſo hertzlich gegen die falſche einbildung des
glaubens geeyffert/ und die ſicherheit/ die auff dieſe ſich gruͤndet/ aͤrger ge-
halten hat/ als alle irrthum/ die vor der zeit in dem Papſtuhm im ſchwang
geweſen ſind: wie er unter andern T. 7. Alt. f. 11. a deutlich redet/ und ſeine
meinung außdrucket. Daher ich den zuſtand der Studioſorum Theologiæ
in Wittenberg hertzlich bedaure/ die entweder als der wahrheit noch uner-
fahren zu deroſelben laͤſterung und hingegen in irrthum gefuͤhret/ oder da ſie
beſſern grund gefaſt auffs wenigſte irre gemacht/ oder doch weiter nicht zuzu-
nehmen verhindert werden. 6. Oct. 1699.


SECT. XLIII.


Meine art zuverfahren. Hitzige anſchlaͤge und
beginnen nicht die beſte. Wie man ſich jetziger zeit zuver-
halten. Regierung neuer ſecte der Pietiſten. Daß den wi-
derſachern nicht mehr antworten wolle. Mittelſtraſ-
ſe der Symboliſchen buͤcher. Churfuͤrſtl.
deciſum
wegen der Reichs-freyheit ob geaͤn-
dert.


ES iſt mir angenehm ge weſen/ wenn mein Hochgeehrter Herr befin-
det/ daß die in meinen geringen ſchrifften angefuͤhrte wahrheiten
nach heutigen zuſtand des Chriſtenthums ſich ad vitam practicam
beſſer und nachdruͤcklicher appliciren laſſen/ als einige ſonſten ſcheinbare
ſpeculationes academicæ. Jn welchem ſinn verſichere/ daß man durch die
erfahrung immer mehr bekraͤfftiget werde werden. Was zwar die Theo-
retica
und gleubens puncten anlanget/ iſt darinnen die wahrheit allezeit ei-
ner
[969]ARTIC. III. XLIII.
nerley/ und aͤndert ſich dieſelbe weder durch zeit noch ort/ ohne daß zu derſel-
ben deutlicher vorſtellung und erklaͤhrung eine zeit vor der andern mehr ge-
legenheit giebet. Alſo auch die regulæ practicæ von unſern pflichten ins-
gemein und in theſi ſind allezeit einerley: und weil ſie ſowol als die glau-
bens-lehren aus der goͤttlichen offenbahrung in der ſchrifft allein zu erken-
nen ſind/ ſtehen ſie niemal unter unſerm gutachten/ noch laſſen ſich jemal
von uns ſelbſten nach befinden beugen. Wo es aber in hypotheſi darauff
ankommet/ wie zu dieſer zeit oder an jenem ort das werck des HERRN am
nuͤtzlichſten zutreiben/ wie die lehre zufuͤhren/ und die pflichten am beſten
zu werck zurichten ſeyen/ da bedarffs Chriſtliches nachſinnens/ pruͤffens und
gebets/ daß man goͤttlichen willen erkenne/ und demſelben allemal in ihm
gefaͤlliger klugheit folge. Da bekenne nun/ daß immer in den gedancken ge-
ſtanden/ auch in denſelben ſtets mehr durch erfahrung bekraͤfftigt werde/ daß
die generoſiora conſilia und hitzige beginnen/ wo man in meinung grade
durch zugehen/ und eins zu wagen/ vielmehr durch die hindernuͤſſen mit ge-
walt durch reiſen will/ als ſie mit guter manier und allgemach abzuweiſen
ſich unterſtehet/ mir nicht gefallen/ noch ich mich denſelbigen conformiren
koͤnnen; wie wol ich dardurch bey vielen/ auch guten ſeelen offt keinen danck
verdienet/ ſondern dieſelbe es meinen naturel, alter und furchtſamkeit zu-
geſchrieben.


Ob ich nun wol/ daß niemal darinnen gefehlet haben ſolte/ zu behaupten
nicht getraue/ gereuet mich doch insgemein dieſe meine bißherige art nicht/
vielmehr dancke meinem GOtt/ der mich alſo gefuͤhret; hingegen habe offt
mit betruͤbnuͤß erfahren/ wie manches gutes/ das ſich noch ſtifften oder er-
halten haͤtte laſſen/ durch allzueyffrige außbruͤche auch gutmeinender leute
gantz verdorben/ auch ſeits mir manches/ damit ſonſten durch zukommen
vermocht/ gehindert worden. Alſo iſt der jenige medicus eben nicht der
beſte/ der grad zufaͤhret/ und einen an einer alten eingewurtzelten kranckheit
ligenden patienten mit denen in dem uͤbrigen appropriateſten und kraͤfftig-
ſten ſpecificis angreifft/ ja es kan geſchehen/ daß er ihn eben damit toͤdtet.
Kluͤglicher aber handelt der jenige/ der den urſprung der kranckheit/ wodurch
ſie unterhalten und vermehret werde/ was dero gefaͤhrlichſte ſymptomata
ſeyen/ und dergleichen/ bedaͤchtlich unterſucht/ und als denn allen ſeinen
fleiß dnhin anwendet/ den ſymptomatibus nur erſt zu wehren, daß ſie nicht
uͤberhand nehmen und den todt bringen/ nechſt dem die urſachen allgemach
abzuwenden und den leib zu bereiten. Da meinet zwar der patient, und
etwa auch andere/ der medicus gehe zu ſchlaͤffrig/ er ſolte die kranckheit ſtaͤr-
cker angreiffen: aber wer den methodum verſtehet/ wird ſeine klugheit lo-
ben und er ſelbs wartet ſeiner zeit/ der kranckheit nach gnugſamer vorberei-
G g g g g gtung
[970]Das ſechſte Capitel.
tung immer naͤher zu treten. So muͤſſen wir offt auch mit dem allgemeinen
kranckheiten umgehen/ wollen wir etwas auszurichten hoffnung haben. Al-
ſo laͤſſet ſichs in derokirchen uñ ſonderlich dero itzigen bewandnuͤß/ nicht ver-
fahren/ wie in einer republica Platonis, oder auch nur wie in der erſten kir-
chen. Daher ſind nicht allezeit die jenige beſſerungs mittel die beſte/ die der
gleichen lob ſonſten an ſich verdienten/ ſondern die dieſesmal ſich am beſten
und mit nutzen practiſiren laſſen. So giebets hindernuͤſſen und ſteine/ die
wir eine weil auf eine ſeite nicht weltzen koͤnnen/ ſondern annoch ligen laſſen
muͤſſen/ aber daher neben wege umher ſuchen muͤſſen/ daß wir doch
dahin kommen wo wir ſollen. Da bleiben meine regeln 1. et-
was wahrhafftig boͤſes darff ich nimmermehr aus einigen vorwand thun. 2.
Das gute/ ſo bloßdahin nothwendig/ darff auch nicht unterlaſſen werden.
3. Was aber die dinge anlangt/ die an ſich zwar gut und nuͤtzlich/ nicht aber
bloß nothwendig ſind/ haben wir nicht wo wir mehr boͤſes darauß zu ſorgen/
eine weile zu unterlaſſen/ oder auff beſſer gelegenheit zu verſchieben: oder
nicht eben auff die ſonſt beſte art/ ſondern wie man itzo am beſtem und un-
gehindertſten durchdringen kan/ zu bewerckſtelligen. 4. Die hindernuͤſſen/
die uͤber alle unſere kraͤfften in dem gegenwaͤrtigen gehen/ und wir ſolches
nach Gottſeliger uͤberlegung und mit gebet angeſtellter pruͤffung finden/ ha-
ben wir nicht mit gewalt vergeblich anzugreiffen/ ſondern dahin zu trachten/
daß wir deroſelben mehrern ſchaden allgemach abwenden. 5. Ob wir das
boͤſe noch nicht bey ſeit raͤumen koͤnnen/ iſt GOtt ſchon davor zu dancken/ wo
es nur erſt in engere ſchrancken gebracht/ und allgemach præparatoria gema-
chet werden/ daß man denſelben immer naͤher kommen/ und es kraͤfftiger an-
greiffen koͤnne. An dieſe regeln halte mich/ und achte ſie nicht ohne nutzen/
auch bin verſichert/ daß auff dieſem langſamen weg mit der zeit unvermerckt
mehr außgerichtet werde/ als wo man ſtets gern zu fahren will/ und aber
damitoffte nicht nur im gegenwaͤrtigen nichts außrichtet/ ſondern auch
auffs kuͤnfftige alles verderbet. Der HErr aber gebe uns allen ſelbs die
weißheit/ die auß ihm iſt/ und weiſe uns ſeinen willen: auch laſſe er uns
nicht durch eigene weißheit/ da ſie der ſeinigen entgegen/ betrogen werden.
Daß mein Hochg. Hr. nunmehr aus gelegenheit des Conſiſtorii die wahr-
heit/ der von Chriſtlichen maͤnnern bißher gefuͤhrter wehmuͤtiger klagen im-
mer mehr erfahre/ glaube ich wol/ und weiß es auß gleicher erfahrung. Es iſt
freylich leider dahin kommen/ daß ich dem verderben zu wehren alle menſchl.
conſilia viel zu ſchwach erkenne/ und alleine auff den HERRN meine au-
gen wegen beſſerung wenden muß: aber ſehr ſorge: dieſe werde ſchwerlich
anders geſchehen/ als durch die niederſchmeiſſung des gantzen hauſes/ daß
ſich nicht flicken laͤſſet/ daß ers neue auffuͤhre. So gehoͤret das ſchreckliche
aͤrgernuͤß/ daß die Wittenbergiſche und zum theil Leipzigiſche Theologi mit
ih-
[671[971]]ARTIC. III. SECT. XLIII
ihren adhærenten durch erregung einer neuen ſecte der Pietiſten in unſrer
kirchen geſtifftet haben/ ſo wol unter die ſchwehrſte gerichte GOttes/ dar-
mit er ſeinen zorn weiſet/ als auch unter die liſtigſte ſtrategemata des teuf-
fels/ in dem nicht nur in dem gegenwaͤrtigen ſo viel gutes dadurch geſtoͤhret/
ſondern auch noch andern zuvor aus lauter rigel vorgeſchoben worden ſind/
wie ich in meiner hiſtoria des Pietismi und auch anders wo wehmuͤtig gekla-
get habe. Daß es nun auch bey ihnen alſo hergehe/ habe auch noch vor deſſen
brieff von dem Hrn. NN. gehoͤret; Wenn aber auch ſolches nicht geſchehen/
haͤtte es bereits daraus gewiß zuhalten gehabt/ weil der teuffel an allen or-
ten eines ſinnes iſt/ und daher an allen orten/ ſo viel ihm GOtt macht laͤſſet/
einerley treibet/ mit wenigerm unterſchied des ſucceſſes. Das harte ſcri-
ptum
des Predigers habe mit wehmuth geſehen: war aber in der hoffnung
geſtanden/ daß ſeither autoritate Principis und Conſiſtorii die ſache beyge-
legt/ und abgethan ſeyen werde: wie es denn zu geſchehen billig geweſen/ uñ
noch waͤre. Daß die Wittenberger/ und welche durch ſie angeſtifftet wer-
den (unter welchen ſich M. Buͤcher in Dantzig am eyffrichſten bezeugt und
am aͤrgſten wuͤthet) nicht auffhoͤren in lectionen, diſputationen und oͤffent-
lichen ſchrifften mich anzugreiffen/ ligt am tage. Jch habe aber bereits vo-
riges jahr mich oͤffentlich erklaͤhret keinen mehr zu antworten. Dann 1. ihrer
ſind viele/ ſuchen mich mit der zahl zu unter drucken/ ja mit der arbeit mich
uͤber vermoͤgen zubeladen: ſo ihnen nicht angehen ſolle: hingegen mir nicht
verdacht werden kan/ daß mich ihnen entziehe/ und theils ihre ſchrifften
auch nicht zuſehen bemuͤhet bin. 2. Vor meine unſchuld und der ſachen ge-
rechtigkeit habe bißher bereits ſo viel geſchrieben/ als bey rechtſchaffenen
leuten gnug iſt/ was aber eingenommene und unverſtaͤndige leute anlangt/
denen geſchihert nie gnug/ ob ich alle meß neue apologien heraus gebe. 3. Es
kommet nichts vor/ das nicht ſchon von mir insgemein examiniret waͤre/ o-
der aus meinen andern ſchrifften leicht beantwortet werden koͤnte. Daher
iſt nicht noͤthig mehr davon zu ſchreiben/ in demes beiderſeits faſt nur auff
lauter wiederholungen und endlich gezaͤnck außlauffen wuͤrde. 4. Jch ha-
be meine theſin durch alle articuln, die vorkommen koͤnnen/ in ſo vielen chrif-
ten und alſo ſo offt wiederholet/ daß ein der wahrheit liebhaber ohne mich
meine unſchuld gnug ſehen kan; Daher 5. achte ich meine zeit/ die ſehr
kurtz uͤbrig ſeyen mag/ da ich bereit in den 65. jahr ſtehe/ zu edel darzu/ als
vollens in ſtreit ſchrifften zu conſumirem, ſondern will ſie lieber zu beſſern
und wuͤrdigern ſachen anwenden. Welche meine urſachen von Chriſtlich ge-
ſiñete leute gebilliget zuwerden nicht zweiffle. Daß ſich hingegen einige wie-
drig geſinnten auff mich beruffen/ iſt mir leid/ aber befremdet mich nicht:
ich habe mich aber offt erklaͤhret/ daß ſich keiner weiter auff mich beziehen
G g g g g g 2koͤn-
[972]Das ſechſte Capitel.
koͤnne: als er klahr meine wort/ zu denen ich nicht auff hoͤre mich zu beken-
nen/ vor augen legen kan. Was ſonderlich die Symboliſche buͤcher anlangt/
habe ich meine meinung darvon gegen Herr D. Meyern und die Witteber-
genſes
ſo offt und ſo deutlich erklaͤhret/ daß ich mich nicht deutlicher zuer-
klaͤhren wuͤſte. So bleibe allezeit auff der richtigen mittel ſtraſſe: daß ich
eineß theils weder mit Herr D. Hannekenio ihnen eine ϑεοπνευστίαν zu le-
gen laſſe/ noch ihre hoͤchſte nothwendigkeit/ als wann die kirche ohne dieſel-
bẽ/ nicht haͤtte ſtehen koͤnnen/ zugebe/ noch die verbindungen dieſelbe auff alle
apices ziehe/ ſondern auff die glaubens-lehren ſelbs einſchrencke/ noch die je-
nige/ die unſre Gvangeliſche lehr behaupten/ aber ſich zu dem Symboliſchen
buͤchern zu verbmden ſcrupel haben/ vor irrlehrer halte/ oder aus der bruͤ-
derſchafft außſch lieſſe: daß ich aber auch andern theils der jenigen thun nicht
billige/ die ſie und die verbindung daran verwerffen/ und ſie aus der kirchen
ausgeſchafft haben wollen; da ſie doch in richtigen verſtand/ und bey der
recht verſtandenen verbindung/ auffs wenigſte zu dieſer zeit/ ihren guten
nutzen haben/ hingegen dero abſchaffung der kirchen itzo groſſen ſchaden thun
wuͤrde. Wie dann unter dem nicht einfuͤhren und abſchaffen gar ein groſſer
unterſchied iſt. Jch komme endlich auff die letzt an gehengte frage/ ob die
Churf. wegen des beicht-weſens gemachte verordnung wiederum geaͤndert
ſeye? Darauff aber mit wenigem zu antworten habe/ daß ſolches im ge-
ringſten nicht geſchehen ſeye/ ſondern bißher von der zeit des deciſi an nicht
allein alhier in der Nicolai kirchen in Berlin (dahin ſich zwahr die meiſte/
die ſich der freyheit gebrauchen/ ziehen/ ſondern auch in der Peters-kirchen
zu Coͤln (da Herr Luͤtke Propſt iſt) immer die jenige/ die es verlanget haben/
und ſonſten nichts widriges an ihnen gefunden/ auff ihr anmelden zur com-
munion
gelaſſen worden ſind/ und noch gelaſſen werden. Nur iſt die anzahl
der jenigen/ die ſich der freyheit gebrauchen/ nicht ſo groß/ als ſie erſtlich
war/ die ſie begehrten: in dem viele von dieſen/ da ſie den haß der blinden
eyfferer wider die jenige/ ſo ſich der freyheit gebrauchen geſehen/ lieber ſich
derſelben begeben und zur beicht gehen/ als ſich mit demſelben beloden wol-
len laſſen. Jndeſſen wer dieſes nicht achtet/ und urſachen zu haben meinet
ohne beicht zu communiciren, genieſſet deſſen/ worzu das Churf. deciſum
die Prediger verbunden hat. So mangelts auch nicht an ſolchen/ die zu-
weilen beichten/ zu weilen nicht beichten/ je nach dem ſie jedesmal eines oder
anders ihnendienlicher achten. Der HERR aber/ der alleine die bruͤche
heilen kan/ vereinige ſelbs die hierdurch ſolchem ſtreit etlicher maſſen zerruͤt-
tete gemuͤther/ daß ſie einander beſſer verſtehen und fragen letnen: und richte
alles in ſeiner kirchen/ hier und an allen orten zu ſeiner ehre und reichſter er-
bauung. 17. Jan. 1699.


SECT.
[973]ART. III. SECT. XLIV.

SECTIO XLIV.


Daß meine lehꝛ/ ſondeꝛlich von haltung Goͤttlicher
gebot/ mit Lutheri lehr voͤllig uͤbereinſtimme.


AUff freundlicher commmunication des mir geſchehenen vorwurffs/
daß ich mit der Lutheriſchen lehr nicht voͤllig uͤbereinſtimme/ dienet
zur nachricht/ daß mir damit zuviel geſchehe.


1. Kan man bey unſerer Evangeliſchen kirchenlehr bleiben ob man auch
in dieſen und jenen von Lutheri ein und andern ſaͤtzen abweichen ſolte. Jndem
wir ihn zwar vor einen theuren lehrer achten/ aber es heiſſt zu weilen/ in
hoc Magiſter non tenetur.
Und ſind wir nicht in unſrer kirchen an Lutheri
ſchrifften/ ſondern nechſt der ſchrifft an die Symboliſche buͤcher verbunden.


2. Jch glaube und lehre/ daß man Goͤttliche gebot in unterſchiedlichen
verſtand halten koͤnne/ und nicht halten koͤnne. Man kan ſie nicht halten nach
dem rigore legis/ und alſo in ihrer ſchaͤrffe/ vollkommenlich/ und der maſſen
daß man daraus vor Gott gerecht werden koͤnte. Man kan und muß ſie
halten nach der moderatione Evangelica/ wie Gott mit dem zwar unvoll-
kommenen aber auffrichtigen und nach dem maß der mitgetheilten gnade ge-
leiſteten gehorſam um Chriſti willen gedult tragen/ und ſich denſelben gefal-
len laſſen will/ nicht daraus gerecht zu werden/ als welches den glauben zu-
kommt/ ſondern dem himmliſchen Vater die fruͤchten ſeiner gnaden und der
dauckbahrkeit zu bringen.


3. Dieſe haltung der gebote GOttes lehret die Apologie der Augſpur-
giſchen Confeſſion und alſo unſere kirche ſo wol/ als ſie die vollkommene hal-
tung dem menſchen in dieſem leben wegen des noch anklebenden fleiſches ab-
ſpricht. Daher ich/ wenn ich dieſelbe behaupte/ ſo wenig einen finger breit
von unſerer gemeinen kirchenlehr abweiche/ daß ich deſſen vielmehr beſchul-
diget werden koͤnte/ wo ich alle moͤgligkeit einiger weiſe die gebot zuhalten
widerſprechen wolte.


4. Unſers lieben Lutheri erinnerung und lehr hiervon iſt auch keine
andere geweſen: wie ich ſolches mit mehrern ſtellen aus ihm er wieſen habe
in der glaubigen gerechtigkeit wider D. Brewing c. 4. §. 31. pag. 349. Alſo
ſchreibet gedachter unſer lehrer T. 6. Alt. f. 1278. b.Moͤcht nun einer ſagen/
ſoll man denn nicht die 10. gebot halten? Wann man ſie aber haͤlt/ iſt man
dann nicht fromm und gerecht? Dar auff antworte ich/ daß wir die 10. ge-
bot halten wollen doch mit dem unterſcheid und Evangeliſchen
diſpenſa-
tion/
weil wir allein des geiſtes erſtling empfangen haben/ und das ſeufftzen
des geiſtes in unſern hertzen bleibet. Jtem weil auch noch unſer fleiſch mit

Ggg ggg 3allen
[974]Das ſechſte Capitel.
allen boͤſen begierden und ſuͤndigen zuneigungen (welches iſt der gantze
baum ſamt den fruͤchten) auch noch in uns bleibet/ ſo koͤnnen aus dieſen
urſachen die 10. gebot nicht vollkommenlich vollbracht und gehalten wer-
den. Dann wann wir die 10. gebot gantz erfuͤllen und halten koͤnten/ was
duͤrfften wir der gerechtigkeit/ welche David hie durch das wort gnaͤdig be-
gehret und bittet/ das iſt/ was waͤre es von noͤthen zu bitten/ daß er unſre
miſſethat nicht ſolle zu rechnen. Weil aber auch in den heiligen noch ſ[uͤ]nde
uͤbrig iſt/ und die ſuͤndliche natur ſich noch ſtarck reget/ und nicht gar getoͤ-
tet iſt/ ſo widerfaͤhret uns leides: Erſtlich daß wir durch den Geiſt/ ſo in
uns wohnet/ den ſ[uͤ]nden widerſtreben/ und nach den 10 gebothen thun und
leben: Darnach wann wir gleich von unſerm fleiſch und ſatan zu zeiten uͤ-
bereilet in ſuͤnden fallen/ daß wir gleichwol vergebung der ſuͤnden hoffen.

Und bald darauff: Darum iſt unſer gantzes leben biß in den todt nichts an-
ders denn lauter barmhertzigkeit GOttes gegen uns. Doch halten gleich-
wol die Chriſten die 10. gebote/ wiewol unvollkoͤmmlich/ um der ſuͤnde
willen/ ſo in uns wohnet.
Nochmahl ſchreibet er Tom. 6. Alt. f. 866. a.So
erfuͤllt nun ein Chriſt das geſetz innerlich durch den glauben
imputative,
auswendig durch die wercke und vergebung der ſuͤnden.


5. Was den angefuͤhrten ort anlangt aus Tom. 1. Wittenb. f. 273. da die
wort ſtehen ſollen: præcepta ſervari non poſſe, imo nec hominem ad ea ſer-
vanda obligari,
kan ich/ weil ich die Lateiniſche Tomos Witenbergenſes nicht
zur hand bekommen koͤnnen/ nicht ſo eigenlich darauff antworten/ ich will a-
ber/ als des mannes ſchrifften und ſchreibart zimlich kundig/ verſichern/ daß
wo man den gantzen context nach ſehen/ kein anderer verſtand ſeyen wird/ als
wie ich auch lehre. Nehmlich 1. das Göttliche gebote nach dem rigore le-
gis
und in ihrer vollkommenheit von uns nicht gehalten/ und wir alſo dar-
aus die ſeligkeit nicht herhaben koͤnnen; ja eben daher bedoͤrffen wir Chri-
ſti und ſeiner zugerechneten gerechtigkeit/ weil wir ſie nicht vollkommen zu
halten vermoͤgen. Jn deſſen bleibet 2. dennoch wahr/ daß ſie von einen glau-
bigen gehalten werden koͤnnen auff zwar unvollkommene/ gleichwohl ſolche
art/ daß der himmliſche Vater ſolchen gehorſam von ſeinen kindern gnaͤdig
annimmet. 3. Alſo iſt auch beides wahr/ einerſeits/ der menſch iſt ſtets ver-
bunden Goͤttliche gebot zu halten/ ſo wol als ferne er noch unter dem geſetz
und auſſer Chriſto/ alſo daß ihm wegen des nicht haltens ſtets noch mit der
verdamnuͤß gerechter weiſe gedrohet wird/ als auch da er durch den glauben
in Chriſto und von des geſetzes gewalt erloͤſet iſt; Dann ob GOtt wol aus
gnaden ihm ſeine maͤngel vergiebet/ ſo bleibet doch die verbindlichkeit an den
gehorſam unverruͤckt: anderſeits aber iſt auch wahr/ der menſch (nehmlich
der numehr in Chriſto Jeſu durch den glaubẽ iſt) iſt nicht verbundẽ die Goͤtt-
liche
[975]ARTIC. III. SECT. XXVI.
liche gebot vollkommen alſozu halten/ daß er aus ſolcher haltung gerecht und
ſelig werden muͤſſte/ ſondern weil er nicht mehr unter dem geſetz
ſondern unter der gnade iſt Rom. 6. ſo hat er eine andere art gerecht und ſe-
lig zu werden/ nehmlich durch die gerechtigkeit JEſu CHriſti durch den
glauben ergrieffen: Dahero die verbindlichkeit zu der haltung nicht mehr
auff den zweck der gerechtigkeit gehet/ ſondern andern grund hat.


6. Wo dieſes recht erwogen wird/ zeiget ſich/ daß Lutherus die wahre aꝛt
der muͤglichkeit und unmuͤgligkeit zu halten/ beyde recht gelehret/ wie auch
wie fern ein glaͤubiger an das geſetz verbunden und nicht veꝛbunden/ oder von
demſelben erloͤſet ſeye/ mit welchem ich allerdings uͤbereinſtimme. Der
GOtt der wahrheit laſſe dieſe wahrheitauch den jenigen kund werden/ die
ſie noch nicht erkennen/ um CHriſti willen. Amen.


SECTO XXVI.


Nochmal anM.Johann Chriſtoph Holtzhauſen uͤber ſeine
declaration/ die er mir geſandt. Uberlaſſung an GOTT und ſein gewiſſen. Ob Jacob Boͤhme et-
was revociret. Ob ein mittler weg des urtheils vor ihm zu finden.


DAß das vorhaben weiter vor der zeit eclattiret/ und dadurch gelegenheit zu mehrer aͤngſt-
licher verunruhigung gegeben worden/ iſt mir leid; ich habe auch die ſache nicht nach Ham-
burg geſchrieben/ ſondern muß eine andere feder geweſen ſeyen: jedoch hoffe ich/ wie auch ſol-
ches nicht ohne GOTT geſchehen/ er werde es darzu gefuͤget haben/ damit geliebter bruder den
entſchluß mit ſo viel reifferer uͤberlegung faſſe/ und ſich niemahl nichts wiederum gereuen laſſen
duͤrffe. Die uͤberſandte declaration habe etliche mahl durchleſen: es kommet mir aber nicht zu/
etwas darinnen zu aͤndern indem ſie aus deſſelben eigenen hertzen herausgehen/ und fremdes ur-
theil darinnen nichts aͤndern ſolle. Daher weil derſelbe wegen Jacob Boͤhmens noch ſolche
præcautionen zu gebrauchen ſich in dem gewiſſen getrieben findet/ ſo habe auch darinnen nichts
[z]uaͤndern/ ſondern iſt endlich dieſes genug/ das urtheil nicht ſelbs zu nehmen/ ſondern es GOtt
[un]d der kirchen zulaſſen. Sonſten wo es beliebig/ waͤre ich erboͤthig/ eines nur bekanten Chriſt-
lichen predigers geſchriebene beantwortung der an gedachten ſtellen gefundener oder gemach-
ter ſcrupel/ welche ſie alle ohne zwang zu retten und mit der heiligen ſchrifft zu conciliiren trach-
tet/ zu uͤberſenden: ob ſie aber beſſer zum zweck treffe/ als des Joh. Matthaͤi/ weiß ich nicht/ als
der ich deſſen buch nicht geleſen habe/ dieſes geſchriebene aber habe durchlauffen/ und hat mich
gedeucht/ daß es eine ziemliche ſatisfaction gebe einen andern verſtand in denen beſchuldigten
worten zu finden/ als die beſchuldigung gelautet: jedoch habe nicht genugſamen fleiß angewen-
det/ als der mit fleiß mich in ſolche ſache nicht einlaſſen mag.


Es wurde mir aber zugeſtellet/ geliebtem bruder zu ſchicken oder auch drucken zulaſſen; wie
[n]un zu den letztern mich nicht reſolviren konte/ ſo haͤtte jenes gethan/ wann deſſen ſchwehre kranck-
heit nicht ſo bald darzwiſchen kommen waͤre/ da ich mir bedencken gemacht einen ſchwachen zu
beunruhigen. Wie im uͤbrigen von ihrem miniſterio und den guten freunden aus Hamburg
uͤber dieſe declaration werde geſprochen/ und ſie approbiret/ verworffen oder geaͤndert werden/
muß ich erwarten. Mir iſt in ſolchen faͤllen genug/ wie allezeit bezeuget habe/ meinen rath vor
GOttes angeſichte aus meinen hertzen zu geben/ darauff ich als dann den andern billich ſelbs
wehlen laſſe/ was ihm ſein gewiſſen/ uͤber welches bey keinen menſchen die herrſchafft nehme/
an die hand giebet. Alſo habe ich geliebten brudes angſt und ſtarcken trieb zu einer declaration
vor eine gewiſſe wuͤrckung des guͤtigſten Vaters gehalten/ wie auch noch halte/ demſelben zu
folgen gerathen/ art und weiſe/ wie ichs vors beſte hielte/ gezeiget/ und ſeiter den HERRR
HErrn
[976]Das ſechſte Capitel.
HERRN um die regierung des gantzen wercks taͤglich angeruffen: nunmehr uͤberlaſſe ichs
deſſen eigenen gewiſſen/ aber mit dem gebet zu GOTT/ ohne welches ich nichts ferner zu thun
vermag/ ferner anhaltende. Der ſo ſolchen nahmen mit recht bißher allzeit getragen/ wolle
noch immer alles gut machen/ wie er gewi[ß]lich thun wird/ und ich ſolches billich ſeiner guͤte glau-
big zutraue. Wo nun der ſchluß in deſſen ſeele dahinaus fallen/ wuͤrde dieſe declaration zu publi-
ci
ren/ und des drucks wegen an ihrem ort difficultaͤt gemacht werden moͤchte/ erbiethe ich mich/ auf
erhaltenen winck die edition/ und ſolche ohne einen heller unkoſten/ zu verſchaffen. Was im uͤ-
brigen die gemelte revocation der auroræ anlangt/ habe ich die ſache nicht ſo eingenommen/ als
meinte man/ daß er Jacob Boͤhm die genante auroram ſolte revocirt haben/ ſondern nur/ daß er
bekenne/ daß er einige mahl eine ſache unrecht angeſehen/ und alſo gefehlet/ auch Moſi ſchuld
gegeben habe/ nachmahl aber ſeye ihm klahr worden/ daß die ſchuld nicht Moſis ſondern ſein ge-
weſenſeye. Daher ich den locum allein zu dieſen doppelten zweck brauchte/ einmahl wo er in der
aurora ſolte Moſis autoritaͤt (wi[e] mich deucht allegirt geſehen zu haben) in zweiffel gezogen habe/
daß ſeine bekaͤntnuͤß da waͤre/ wie er Moſen nicht recht verſtanden haͤtte/ ſo auff alle ſtellen ſich
ſchickte/ da er gedachter maſſ[e]n Moſen etwas beſchuldiget haͤtte; nochmahl/ daß man daraus ſe-
he/ wie ſich Boͤhme ſelbs nicht unfehlbahr gehalten habe: und alſo diejenige fꝛeilich zu wei[t]
giengen/ welche ihn abſolute vor einen Θεόπνενστον u. welcher alles aus GOttes Geiſt geſchrieben
haͤtte/ halten wolten. Da in deſſen dieſes doch bleiben koͤnte/ daß er einstheils ein frommer
Chriſt geweſen waͤre/ und die eigenliche glaubens ſachen in dem liecht des h geiſtes/ wie jede kin-
der GOttes/ aus dem worte gefaſſet haͤtte/ andern theils aber von GOTT manchmal eines ſon-
derbahren liechts aus ſeinem Geiſt gewuͤrdiget worden waͤre/ die natuͤrliche dinge und wercke
Gottes tieffer einzuſehen/ als andere gepflegt. Wie mir einmal ein ort aus deraurora gezeigt wor-
den/ da er ſeine gabe ſetzen ſolle/ nicht erſt di[e] lehre Chriſti oder von unſerer ſeligkeit zu offen-
bahren/ ſondern die philoſophiam und alſo wie ichs faſſe/ die pnevmaticam und phyſicam: wie
dorten 2. Moſ 31/ 3. u. f Bezaliel u. Ahaliab mit weißheit u. allerley kunſt- arbeit von dem heiligen
Geiſt erfuͤllet worden ſind. Da moͤchte es wol ſeyen/ daß er im goͤttlichen liecht viele wahrhei-
ten eingeſehen/ u. derſelben manche auch zu ſtattlichem liecht deren die ihn verſtehen beſchrieben
haͤtte/ in andern moͤchte er auch gefehlet/ und nicht alles gnugſam erkant/ oder ſich zu erklaͤhren
nicht vermocht haben/ wie er dann auch ſonderlich daruͤber etliche mahl klagen ſolle/ daß es ihm
daran mangle. Daraus folget zwar nicht/ daß er nicht etwas unmittelbahres und ungemeines
von dem heiligen Geiſt gehabt/ ſondern nur allein/ daß ihn der heilige Geiſt nicht unmittelbahr
in ſeinen ſchreiben regieret haͤtte/ wie die Propheten und Apoſtel/ nach dem ſeine ſchrifften von
GOtt nicht zur richtſchnur des glaubens beſtimmet geweſen waren. Darmit blieben ſeine ſchriff-
ten aller Chriſtlicher hertzen pruͤffungen noch unterworffen/ und nehmen dieſe nichts anders dar-
aus an/ als was ſie entweder auch in der ſchrifft gegruͤndet finden/ oder da es ſachen ſind/ davon
die ſchrifft keine meldung thut/ aber auch nicht dagegen iſt/ ſo viel ſie von ſolchen bey ſich in ihren
hertzen wahr zu ſeyen aus dero betrachtung finden/ und uͤberzeuget werden; nicht zwar als ſtuͤ-
cke ihres ſeligmachenden glaubens/ der allein auff der ſchrifft beruhet/ ſondern der gabe des
erkantnuͤſſes/ die Gott ſo wol als andere nach ſeinen wohlgefallen unterſchiedlich austheilet. Auff
dieſe mittler art doͤrffen wir vielleicht am ſicherſten bleiben/ weder Boͤhmen zu einen mitgrund des
glaubens zu machen/ und ihm eine voͤllige unfehlbahrkeit zu zuſchreiben/ noch anderſeits ihm ſei-
ne vielleicht ungemeine gaben/ weil ſie der Apoſtoliſchen noch nicht gleich waͤren/ allerdings abzu-
ſprechen/ und zuverdammen. Jch kan aber insgeſamt/ wie ich offtmahl bezeuget in der gantzen
ſache nichts gewiſſes ſetzen/ ſondern allein meine unmaßgebliche gedancken guten freunden ver-
traulich vorſtellen/ die ſie ſelbſt zu pruͤffen haben. Der HErr ſelbs mache uns in allen gewiß/
oder ob wir zu ſolchen maß des liechts noch nicht kommen ſollen/ bewahre er uns nur/ daß wir
aus ungewißheit uns nicht verſuͤndigen. Derſelbige reinige/ befeſtige und verſichere auch in allen
ſtuͤcken abſonderlich geliebten bruder/ ſo wol ſeine uͤber ihn waltende gnade zu erkennen/ als etwa
bald widerum nach ſeinen rath das heilige amt mit mehrer gewißheit zufuͤhren/ u. in
allen ſtuͤcken nichts zuthun als was der HErr in ihm wircket. 9. Jul. 1662.


ENDE.


[[977]][[978]][[979]][[980]][[981]][[982]][[983]]

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 2. Theologische Bedencken. Theologische Bedencken. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bnzg.0