Beruf unſrer Zeit
für
Geſetzgebung
und
Rechtswiſſenſchaft.
bey Mohr und Zimmer.
1814.
[][]
Inhalt.
- Seite
- 1) Einleitung 1
- 2) Entſtehung des poſitiven Rechts 8
- 3) Geſetze und Rechtsbücher 16
- 4) Römiſches Recht 27
- 5) Bürgerliches Recht in Deutſchland 37
- 6) Unſer Beruf zur Geſetzgebung 45
- 7) Die drey neuen Geſetzbücher 54
- 8) Was wir thun ſollen wo keine Geſetzbücher ſind 111
- 9) Was bey vorhandenen Geſetzbüchern zu thun iſt 135
- 10) Das Gemeinſame 151
- 11) Thibauts Vorſchlag 155
- 12) Schluß 161
1.
Einleitung.
In vielen deutſchen Ländern hat jetzt ein äußeres
Bedürfniß die Frage nach der beſten Einrichtung des
bürgerlichen Rechts angeregt, und ſo iſt dieſe Frage,
welche unſere Staaten lange Zeit auf ſich beruhen
laſſen konnten, zur gemeinſamen Berathung der
Staatsmänner und der Gelehrten gediehen. Aber
noch ein edlerer Grund als das bloße Bedürfniß hat
zu dieſer öffentlichen Berathung gewirkt: das Ge-
fühl, daß in der abgewendeten Unterdrückung der
deutſchen Nation eine dringende Aufforderung an
jede lebendige Kraft liegt, ſich dieſer Zeit nicht un-
werth zu zeigen. Darum iſt es nicht Anmaaßung,
ſondern recht und gut, wenn jeder, der ein Herz hat
für ſeinen Beruf, und eine klare Anſchauung von
demſelben, dieſe Anſchauung öffentlich mittheilt, und
A
[2] die Rechtsgelehrten dürfen darin am wenigſten zurück
bleiben. Denn gerade im bürgerlichen Rechte iſt der
Unterſchied der gegenwärtigen und der vergangenen
Zeit recht augenſcheinlich. Ohne Zweifel kann auch
hierin im einzelnen noch viel Verkehrtes geſchehen
aus Unverſtand oder böſem Willen. Aber die erſte
Frage darf doch wieder ſeyn: was iſt recht und gut?
Die Sache trägt doch wieder ihren Zweck und ihre
Beſtimmung in ſich ſelbſt, die Fürſten können wieder
thun nach ihrer Ueberzeugung, und ihre Ehre ſetzen
in das gemeine Wohl. Das wird von der vergan-
genen Zeit niemand behaupten. Als der Code in
Deutſchland eindrang, und krebsartig immer weiter
fraß, war von inneren Gründen nicht die Rede,
kaum hie und da in leeren Phraſen: ein äußerer
Zweck beſtimmte alles, dem eigenen Werthe des Ge-
ſetzbuchs völlig fremd, ein an ſich ſelbſt heilloſes Ver-
hältniß, ſelbſt abgeſehen davon, daß es der verderb-
lichſte unter allen Zwecken war. Darum war es bis
jetzt fruchtlos darüber zu reden. Die in dieſer Zeit
geredet haben, waren theils eigennützig der ſchlechten
Sache hingegeben, theils in unbegreiflicher Gutmüthig-
keit von ihr bethört, die meiſten blos zur Ausfüh-
rung mitwirkend als Geſchäftsmänner, ohne ſich in
ein Urtheil einzulaſſen: einzelne ehrenwerthe Stimmen
ließen ſich hören, ſtrafend und warnend, andere an-
deutend und winkend, an Erfolg aber konnte keiner
denken. Daß wieder eine Verſchiedenheit der Mey-
[3] nungen wirkſam werden, daß wieder Streit und
Zweifel entſtehen kann über die Entſcheidung, gehört
zu den Wohlthaten, womit uns jetzt Gott geſegnet
hat, denn nur aus dieſer Entzweyung kann eine
lebendige und feſte Einheit hervorgehen, die Einheit
der Ueberzeugung, nach welcher wir in allen geiſti-
gen Dingen zu ſtreben durch unſre Natur gedrun-
gen ſind.
Aber es giebt einen zweyfachen Streit, einen
feindlichen und einen friedlichen. Jenen führen wir,
wo wir Ziel und Zweck verwerflich finden, dieſen wo
wir Mittel ſuchen zu gemeinſamen löblichen Zwecken.
Jener wäre auch jetzt noch, da nicht mehr vom Code
die Rede iſt, an ſeiner Stelle, wenn Einer behaup-
ten wollte, jetzt ſey die rechte Zeit, wo alle einzelne
Staaten in Deutſchland ſich feſt abſchließen müßten:
dazu ſey auch das Recht gut zu gebrauchen, und
jede Regierung müſſe für ein recht eigenthümliches
Geſetzbuch ſorgen, um auch hierin alles gemeinſame
aufzuheben, was an den Zuſammenhang der Nation
erinnern könnte. Dieſe Anſicht iſt nichts weniger als
willkührlich erſonnen, vielmehr ſind ihr manche Re-
gierungen offenbar günſtig: wohl aber hindert eine
gewiſſe Scheu, ſie jetzt laut werden zu laſſen, und
ich wüßte nicht, daß ſie in Schriften für das bür-
gerliche Recht benutzt worden wäre. Ganz anders
iſt es mit den Vorſchlägen, die bis jetzt für dieſes
kund geworden ſind, denn mit ihnen iſt, wo wir
A 2
[4] nicht übereinſtimmen, ein friedlicher Streit möglich,
und ein ſolcher führt, wo nicht zur Vereinigung der
Streitenden, doch zu beſſerer Einſicht im Ganzen.
Von zwey Meynungen über die Einrichtung des
bürgerlichen Rechts, die mir bekannt geworden ſind,
geht die eine auf Herſtellung des alten Zuſtandes 1),
die zweyte auf Annahme eines gemeinſchaftlichen Ge-
ſetzbuches für die Deutſchen Staaten 2). Zur Er-
läuterung dieſer zweyten Meynung ſind gleich hier
einige Bemerkungen nöthig, indem ſie in einem
doppelten hiſtoriſchen Zuſammenhang betrachtet wer-
den muß.
Erſtens nämlich ſteht ſie in Verbindung mit vie-
len ähnlichen Vorſchlägen und Verſuchen ſeit der
Mitte des achtzehnten Jahrhunderts. In dieſer Zeit
hatte ſich durch ganz Europa ein völlig unerleuchte-
ter Bildungstrieb geregt. Sinn und Gefühl für die
Größe und Eigenthümlichkeit anderer Zeiten, ſo wie
für die naturgemäße Entwicklung der Völker und Ver-
faſſungen, alſo alles was die Geſchichte heilſam und
fruchtbar machen muß, war verloren: an die Stelle
getreten war eine gränzenloſe Erwartung von der
[5] gegenwärtigen Zeit, die man keinesweges zu etwas
geringerem berufen glaubte, als zur wirklichen Dar-
ſtellung einer abſoluten Vollkommenheit. Dieſer Trieb
äußerte ſich nach allen Richtungen: was er in Reli-
gion und Staatsverfaſſung gewirkt hat, iſt bekannt,
und es iſt unverkennbar, wie er hier durch eine na-
türliche Gegenwirkung aller Orten einer neuen, leben-
digeren Liebe die Stäte bereiten mußte. Auch im
bürgerlichen Rechte war er thätig. Man verlangte
neue Geſetzbücher, die durch ihre Vollſtändigkeit der
Rechtspflege eine mechaniſche Sicherheit gewähren
ſollten, indem der Richter, alles eigenen Urtheils über-
hoben, blos auf die buchſtäbliche Anwendung be-
ſchränkt wäre: zugleich ſollten ſie ſich aller hiſtori-
ſchen Eigenthümlichkeit enthalten, und in reiner Ab-
ſtraction für alle Völker und alle Zeiten gleiche
Brauchbarkeit haben. Es würde ſehr irrig ſeyn, je-
nen Trieb und dieſe Anwendungen deſſelben einzel-
nen Irrlehrern zuzuſchreiben: es war, nur mit ſehr
achtungswerthen Ausnahmen, die Meynung der Völ-
ker. Darum ſtand es nicht in der Macht der Re-
gierungen, allen Anwendungen auszuweichen, und die
bloße Milderung und Beſchränkung derſelben konnte
oft ſchon als ſehr verdienſtlich und als Beweis inne-
rer Kraft gelten. Vergleichen wir mit dieſen vergan-
genen Zuſtänden die gegenwärtige Zeit, ſo dürfen
wir uns freuen. Geſchichtlicher Sinn iſt überall er-
wacht, und neben dieſem hat jener bodenloſe Hoch-
[6] muth keinen Raum. Und wenn auch angehende
Schriftſteller oft noch einen ähnlichen Anlauf nehmen,
ſo iſt es doch gar nicht mehr herrſchender Geiſt.
Auch in den oben genannten Vorſchlägen von Ge-
ſetzbüchern iſt zum Theil dieſe erfreuliche Vergleichung
bewährt. Frey von jenen übertriebenen Anſprüchen
gehen ſie auf ein beſtimmtes praktiſches Ziel, und
auch ihre Motive ſtehen auf feſtem Boden. Das
Durchlaufen jener Periode aber gewährt uns den gro-
ßen Vortheil, daß wir ihre Erfahrungen zu Rathe
ziehen können. Aus den Anſichten derſelben ſind nach
einander Geſetzbücher für drey große Staaten hervor
gegangen. Dieſe, und zum Theil ihre Wirkungen,
liegen vor uns, und es würde unverzeihlich ſeyn,
die Lehre zu verſchmähen, die ſie uns aufmunternd
oder warnend geben künnen.
Zweytens ſtehen jene Vorſchläge in Verbindung
mit einer allgemeinen Anſicht von der Entſtehung
alles poſitiven Rechts, die von jeher bey der großen
Mehrzahl der deutſchen Juriſten herrſchend war.
Nach ihr entſteht im normalen Zuſtande alles Recht
aus Geſetzen, d. h. ausdrücklichen Vorſchriften der
höchſten Staatsgewalt. Die Rechtswiſſenſchaft hat
lediglich den Inhalt der Geſetze zum Gegenſtand.
Demnach iſt die Geſetzgebung ſelbſt, ſo wie die Rechts-
wiſſenſchaft, von ganz zufälligem, wechſelndem In-
halt, und es iſt ſehr möglich, daß das Recht von
morgen dem von heute gar nicht ähnlich ſieht. Ein
[7] vollſtändiges Geſetzbuch iſt demnach das höchſte Be-
dürfniß, und nur bey einem lückenhaften Zuſtande
deſſelben kann man in die traurige Nothwendigkeit
kommen, ſich mit Gewohnheitsrecht, als einer ſchwan-
kenden Ergänzung, behelfen zu müſſen. Dieſe An-
ſicht iſt viel älter als die oben dargeſtellte, beide ha-
ben ſich auf manchen Punkten feindlich berührt, weit
öfter aber ſehr gut vertragen. Als Vermittlung
diente häufig die Ueberzeugung, daß es ein prakti-
ſches Naturrecht oder Vernunftrecht gebe, eine ideale
Geſetzgebung für alle Zeiten und alle Fälle gültig,
die wir nur zu entdecken brauchten, um das poſitive
Recht für immer zu vollenden.
Ob dieſe Anſicht von der Entſtehung des poſiti-
ven Rechts Realität habe, wird ſich aus der folgen-
den Unterſuchung ergeben.
[8]
2.
Entſtehung des poſitiven Rechts.
Wir befragen zuerſt die Geſchichte, wie ſich bey
Völkern edler Stämme das Recht wirklich entwickelt
hat: dem Urtheil, was hieran gut, vielleicht nothwen-
dig, oder aber tadelnswerth ſeyn möge, iſt damit
keinesweges vorgegriffen.
Wo wir zuerſt urkundliche Geſchichte finden, hat
das bürgerliche Recht ſchon einen beſtimmten Cha-
racter, dem Volk eigenthümlich, ſo wie ſeine Sprache,
Sitte, Verfaſſung. Ja dieſe Erſcheinungen haben kein
abgeſondertes Daſeyn, es ſind nur einzelne Kräfte
und Thätigkeiten des einen Volkes, in der Natur un-
trennbar verbunden, und nur unſrer Betrachtung als
beſondere Eigenſchaften erſcheinend. Was ſie zu ei-
nem Ganzen verknüpft, iſt die gemeinſame Ueberzeu-
gung des Volkes, das gleiche Gefühl innerer Noth-
wendigkeit, welches allen Gedanken an zufällige und
willkührliche Entſtehung ausſchließt.
Wie dieſe eigenthümlichen Functionen der Völ-
ker, wodurch ſie ſelbſt erſt zu Individuen werden,
entſtanden ſind, dieſe Frage iſt auf geſchichtlichem
Wege nicht zu beantworten. In neueren Zeiten iſt
die Anſicht herrſchend geweſen, daß alles zuerſt in
[9] einem thierähnlichen Zuſtand gelebt habe, und von
da durch allmähliche Entwicklung zu einem leidlichen
Daſeyn, bis endlich zu der Höhe gekommen ſey, auf
welcher wir jetzt ſtehen. Wir können dieſe Anſicht
unberührt laſſen, und uns auf die Thatſache jenes
erſten urkundlichen Zuſtandes des bürgerlichen Rechts
beſchränken. Wir wollen verſuchen, einige allgemeine
Züge dieſer Periode darzuſtellen, in welcher das
Recht wie die Sprache im Bewußtſeyn des Vol-
kes lebt.
Dieſe Jugendzeit der Völker iſt arm an Begrif-
fen, aber ſie genießt ein klares Bewußtſeyn ihrer Zu-
ſtände und Verhältniſſe, ſie fühlt und durchlebt dieſe
ganz und vollſtändig, während wir, in unſrem künſt-
lich verwickelten Daſeyn, von unſerm eigenen Reich-
thum überwältigt ſind, anſtatt ihn zu genießen und
zu beherrſchen. Jener klare, naturgemäße Zuſtand
bewährt ſich vorzüglich auch im bürgerlichen Rechte,
und ſo wie für jeden einzelnen Menſchen ſeine Familien-
verhältniſſe und ſein Grundbeſitz durch eigene Würdi-
gung bedeutender werden, ſo iſt aus gleichem Grunde
möglich, daß die Regeln des Privatrechts ſelbſt zu
den Gegenſtänden des Volksglaubens gehören. Allein
jene geiſtigen Functionen bedürfen eines körperlichen
Daſeyns, um feſtgehalten zu werden. Ein ſolcher
Körper iſt für die Sprache ihre ſtete, ununterbrochene
Uebung, für die Verfaſſung ſind es die ſichtbaren
öffentlichen Gewalten, was vertritt aber dieſe Stelle
[10] bey dem bürgerlichen Rechte? In unſren Zeiten ſind
es ausgeſprochene Grundſätze, durch Schrift und münd-
liche Rede mitgetheilt. Dieſe Art der Feſthaltung
aber ſetzt eine bedeutende Abſtraction voraus, und iſt
darum in jener jugendlichen Zeit nicht möglich. Da-
gegen finden wir hier überall ſymboliſche Handlun-
gen, wo Rechtsverhältniſſe entſtehen oder untergehen
ſollen. Die ſinnliche Anſchaulichkeit dieſer Handlun-
gen iſt es, was äußerlich das Recht in beſtimmter
Geſtalt feſthält, und ihr Ernſt und ihre Würde ent-
ſpricht der Bedeutſamkeit der Rechtsverhältniſſe ſelbſt,
welche ſchon als dieſer Periode eigenthümlich bemerkt
worden iſt. In dem ausgedehnten Gebrauch ſolcher
förmlichen Handlungen kommen z. B. die germani-
ſchen Stämme mit den altitaliſchen überein, nur daß
bey dieſen letzten die Formen ſelbſt beſtimmter und
geregelter erſcheinen, was mit den ſtädtiſchen Verfaſ-
ſungen zuſammen hangen kann. Man kann dieſe
förmlichen Handlungen als die eigentliche Gramma-
tik des Rechts in dieſer Periode betrachten, und es iſt
ſehr bedeutend, daß das Hauptgeſchäft der älteren
Römiſchen Juriſten in der Erhaltung und genauen
Anwendung derſelben beſtand. Wir in neueren Zei-
ten haben ſie häufig als Barbarey und Aberglauben
verachtet, und uns ſehr groß damit gedünkt, daß wir
ſie nicht haben, ohne zu bedenken, daß auch wir
überall mit juriſtiſchen Formen verſorgt ſind, denen
nur gerade die Hauptvortheile der alten Formen ab-
[11] gehen, die Anſchaulichkeit nämlich und der allgemeine
Volksglaube, während die unſrigen von jedem als
etwas willkührliches und darum als eine Laſt em-
pfunden werden. In ſolchen einſeitigen Betrachtungen
früher Zeiten ſind wir den Reiſenden ähnlich, die in
Frankreich mit großer Verwunderung bemerken, daß
kleine Kinder, ja ganz gemeine Leute, recht fertig
franzöſiſch reden.
Aber dieſer organiſche Zuſammenhang des Rechts
mit dem Weſen und Character des Volkes bewährt
ſich auch im Fortgang der Zeiten, und auch hierin
iſt es der Sprache zu vergleichen. So wie für dieſe,
giebt es auch für das Recht keinen Augenblick eines
abſoluten Stillſtandes, es iſt derſelben Bewegung und
Entwicklung unterworfen, wie jede andere Richtung
des Volkes, und auch dieſe Entwicklung ſteht unter
demſelben Geſetz innerer Nothwendigkeit, wie jene
früheſte Erſcheinung. Das Recht wächſt alſo mit
dem Volke fort, bildet ſich aus mit dieſem, und ſtirbt
endlich ab, ſo wie das Volk ſeine Eigenthümlichkeit
verliert. Allein dieſe innere Fortbildung auch in der
Zeit der Cultur hat für die Betrachtung eine große
Schwierigkeit. Es iſt nämlich oben behauptet wor-
den, daß der eigentliche Sitz des Rechts das gemein-
ſame Bewußtſeyn des Volkes ſey. Dieſes läßt ſich
z. B. im Römiſchen Rechte für die Grundzüge deſſel-
ben, die allgemeine Natur der Ehe, des Eigenthums
u. ſ. w. recht wohl denken, aber für das unermeß-
[12] liche Detail, wovon wir in den Pandekten einen
Auszug beſitzen, muß es jeder für ganz unmöglich
erkennen. Dieſe Schwierigkeit führt uns auf eine
neue Anſicht der Entwicklung des Rechts. Bey ſtei-
gender Cultur nämlich ſondern ſich alle Thätigkeiten
des Volkes immer mehr, und was ſonſt gemeinſchaft-
lich betrieben wurde, fällt jetzt einzelnen Ständen an-
heim. Als ein ſolcher abgeſonderter Stand erſcheinen
nunmehr auch die Juriſten. Das Recht bildet ſich
nunmehr in der Sprache aus, es nimmt eine wiſſen-
ſchaftliche Richtung, und wie es vorher im Bewußt-
ſeyn des geſammten Volkes lebte, ſo fällt es jetzt dem
Bewußtſeyn der Juriſten anheim, von welchen das
Volk nunmehr in dieſer Function repräſentirt wird.
Das Daſeyn des Rechts iſt von nun an künſtlicher
und verwickelter, indem es ein doppeltes Leben hat,
einmal als Theil des ganzen Volkslebens, was es zu
ſeyn nicht aufhört, dann als beſondere Wiſſenſchaft
in den Händen der Juriſten. Aus dem Zuſammen-
wirken dieſes doppelten Lebensprincips erklären ſich
alle ſpätere Erſcheinungen, und es iſt nunmehr be-
greiflich, wie auch jenes ungeheure Detail ganz auf
organiſche Weiſe, ohne eigentliche Willkühr und Ab-
ſicht, entſtehen konnte. Der Kürze wegen nennen
wir künftig den Zuſammenhang des Rechts mit dem
allgemeinen Volksleben das politiſche Element, das
abgeſonderte wiſſenſchaftliche Leben des Rechts aber
das techniſche Element deſſelben.
[13]
In verſchiedenen Zeiten alſo wird bey demſelben
Volke das Recht natürliches Recht (in einem andern
Sinn als unſer Naturrecht) oder gelehrtes Recht ſeyn,
je nachdem das eine oder das andere Princip über-
wiegt, wobey eine ſcharfe Gränzbeſtimmung von
ſelbſt als unmöglich erſcheint. Bey republikaniſcher
Verfaſſung wird das politiſche Princip länger als in
monarchiſchen Staaten unmittelbaren Einfluß behal-
ten können, und beſonders in der Römiſchen Repu-
blik wirkten viele Gründe zuſammen, dieſen Einfluß
noch bey ſteigender Cultur lebendig zu erhalten. Aber
in allen Zeiten und Verfaſſungen zeigt ſich dieſer
Einfluß noch in einzelnen Anwendungen, da wo in
engeren Kreiſen ein oft wiederkehrendes gleiches Be-
dürfniß auch ein gemeinſames Bewußtſeyn des Vol-
kes ſelbſt möglich macht. So wird ſich in den mei-
ſten Städten für Dienſtboten und Miethwohnungen
ein beſonderes Recht bilden und erhalten, gleich un-
abhängig von ausdrücklichen Geſetzen und von wiſ-
ſenſchaftlicher Jurisprudenz: es ſind dieſes einzelne
Ueberreſte der früheren allgemeinen Rechtsbildung.
Vor der großen Umwälzung faſt aller Verfaſſungen,
die wir erlebt haben, waren in kleinereu Deutſchen
Staaten dieſe Fälle weit häufiger als jetzt, indem
ſich Stücke altgermaniſcher Verfaſſungen häufig durch
alle Revolutionen hindurch gerettet hatten.
Die Summe dieſer Anſicht alſo iſt, daß alles
Recht auf die Weiſe entſteht, welche der herrſchende,
[14] nicht ganz paſſende, Sprachgebrauch als Gewohn-
heitsrecht bezeichnet, d. h. daß es erſt durch Sitte
und Volksglaube, dann durch Jurisprudenz erzeugt
wird, überall alſo durch innere, ſtillwirkende Kräfte,
nicht durch die Willkühr eines Geſetzgebers. Dieſer
Zuſtand iſt bis jetzt nur hiſtoriſch aufgeſtellt worden,
ob er löblich und wünſchenswerth iſt, wird die fol-
gende Unterſuchung zeigen. Aber auch als hiſtoriſche
Anſicht bedarf dieſer Zuſtand nach einiger näheren
Beſtimmungen. Zuerſt iſt dabey eine ganz ungeſtörte
einheimiſche Entwicklung vorausgeſetzt worden; der
Einfluß früher Berührung mit fremdem Rechte wird
weiter unten an dem Beyſpiel von Deutſchland klar
werden. Eben ſo wird ſich zeigen, daß allerdings
ein theilweiſer Einfluß der Geſetzgebung auf bürger-
liches Recht, bald löblich, bald tadelnswerth, ſtatt
finden kann. Endlich finden ſich große Verſchieden-
heiten in den Gränzen der Gültigkeit und Anwen-
dung des Rechts. Wie nämlich daſſelbe Volk ſich in
viele Stämme verzweigt, Staaten ſich vereinigen
oder zerfallen, ſo muß bald daſſelbe Recht mehreren
unabhängigen Staaten gemein ſeyn, bald in ver-
ſchiedenen Theilen deſſelben Staates, neben gleichen
Grundzügen des Rechts, eine große Mannichfaltig-
keit einzelner Beſtimmungen gelten.
Unter den Deutſchen Juriſten hat Hugo das
große Verdienſt, in den meiſten ſeiner Schriften die
herrſchenden Anſichten gründlich bekämpft zu ha-
[15] ben 1). Hohe Ehre gebührt auch hierin dem Anden-
ken Möſers, der mit großartigem Sinn überall die
Geſchichte zu deuten ſuchte, oft auch in Beziehung
auf bürgerliches Recht; daß dieſes Beyſpiel den Juri-
ſten größtentheils unbemerkt geblieben iſt, war zu er-
warten, da er nicht zünftig war und weder Vorle-
ſungen gehalten, noch Lehrbücher geſchrieben hat.
[16]
3.
Geſetze und Rechtsbücher.
Der Einfluß eigentlicher Geſetzgebung auf bürgerli-
ches Recht iſt in einzelnen Stücken deſſelben nicht ſel-
ten, aber die Gründe dieſes Einfluſſes ſind ſehr ver-
ſchiedener Art. Zunächſt kann nämlich gerade die
Abänderung des beſtehenden Rechts Abſicht des Ge-
ſetzgebers ſeyn, weil höhere politiſche Zwecke dieſes
fordern. Wenn in unſren Tagen Nichtjuriſten von
dem Bedürfniß neuer Geſetzgebung ſprechen, ſo iſt
gewöhnlich blos dieſes gemeynt, wovon die Beſtim-
mung der gutsherrlichen Rechte eines der wichtigſten
Beiſpiele iſt. Auch die Geſchichte des Römiſchen
Rechts liefert Beyſpiele dieſer Art, wenige aus der
freyen Republik, unter Auguſt die wichtige Lex Iu-
lia et Papia Poppaea, ſeit den chriſtlichen Kaiſern
eine große Anzahl. Daß die Geſetze dieſer Art leicht
eine fruchtloſe Corruption des Rechts ſind, und daß
gerade in ihnen die höchſte Sparſamkeit nöthig iſt,
wird jedem einleuchten, der die Geſchichte zu Rathe
zieht. Die techniſche Seite des Rechts wird bey
ihnen blos für die Form, und für den Zuſammen-
hang mit dem ganzen übrigen Rechte in Anſpruch
genommen, welcher Zuſammenhang dieſen Theil der
Geſetz-
[17] Geſetzgebung ſchwieriger macht, als er gewöhnlich ge-
dacht zu werden pflegt. Weit unbedenklicher iſt ein
zweyter Einfluß der Geſetzgebung auf das bürgerli-
che Recht. Einzelne Rechtsſätze nämlich können zwei-
felhaft ſeyn, oder ſie können ihrer Natur nach ſchwan-
kende, unbeſtimmte Gränzen haben, wie z. B. alle
Verjährung, während die Rechtspflege durchaus ſchar-
fe Gränzen fodert. Hier kann allerdings eine Art
von Geſetzgebung eintreten, welche der Gewohnheit
zu Hülfe kommt, jene Zweifel und dieſe Unbeſtimmt-
heiten entfernt, und ſo das wirkliche Recht, den ei-
gentlichen Willen des Volks, zu Tage fördert, und
rein erhält. Die Römiſche Verfaſſung hatte für die-
ſen Zweck eine treffliche Einrichtung in den Edicten
der Prätoren, eine Einrichtung, welche auch in monar-
chiſchen Staaten unter gewiſſen Bedingungen ſtatt
finden könnte.
Aber dieſe Arten eines theilweiſen Einfluſſes ſind
gar nicht gemeynt, wenn ſo wie in unſern Tagen
von dem Bedürfniß allgemeiner Geſetzbücher die Rede
iſt. Hier iſt vielmehr folgendes gemeynt. Der Staat
ſoll ſeinen geſammten Rechtsvorrath unterſuchen und
ſchriftlich aufzeichnen laſſen, ſo daß dieſes Buch nun-
mehr als einzige Rechtsquelle gelte, alles andere aber,
was bisher etwa gegolten hat, nicht mehr gelte. Zu-
vörderſt läßt ſich fragen, woher dieſem Geſetzbuch der
Inhalt kommen ſolle. Nach einer oben dargeſtellten
Anſicht iſt von vielen behauptet worden, das allge-
B
[18] meine Vernunftrecht, ohne Rückſicht auf etwas beſte-
hendes, ſolle dieſen Inhalt beſtimmen. Die aber mit
der Ausführung zu thun hatten, oder ſonſt das Recht
praktiſch kannten, haben ſich dieſer großſprechenden,
völlig hohlen Anſicht leicht enthalten, und man iſt
darüber einig geweſen, das ohnehin beſtehende Recht
ſolle hier aufgezeichnet werden, nur mit den Abände-
rungen und Verbeſſerungen, welche aus politiſchen
Gründen nöthig ſeyn möchten. Daß dieſes gerade
bey den neueren Geſetzbüchern die herrſchende Anſicht
war, wird ſich unten zeigen. Demnach hätte das
Geſetzbuch einen doppelten Inhalt: theils das bishe-
rige Recht, theils neue Geſetze. Was dieſe letzten be-
trifft, ſo iſt es offenbar zufällig, daß ſie bey Gele-
genheit des Geſetzbuchs vorkommen, ſie könnten auch
zu jeder anderen Zeit einzeln gegeben werden, und
eben ſo könnte zur Zeit des Geſetzbuchs kein Bedürf-
niß derſelben vorhanden ſeyn. In Deutſchland be-
ſonders würden dieſe neuen Geſetze oft nur ſcheinbar
vorkommen, da das, was einem Lande neu wäre,
in einem andern meiſt ſchon gegolten haben würde,
ſo daß nicht von neuem, ſondern von ſchon beſtehen-
dem Rechte verwandter Stämme die Rede wäre, nur
mit veränderten Gränzen der Anwendung. Um alſo
unſere Unterſuchung nicht zu verwirren, wollen wir
die neuen Geſetze ganz bey Seite ſetzen, und blos
auf den weſentlichen und Hauptinhalt des Geſetzbuchs
ſehen. Demnach müſſen wir das Geſetzbuch als Auf-
[19] zeichnung des geſammten beſtehenden Rechts denken,
mit ausſchließender Gültigkeit vom Staate ſelbſt ver-
ſehen.
Daß wir dieſes letzte als weſentlich bey einer
Unternehmung dieſer Art vorausſetzen, iſt in unſren
ſchreibthätigen Zeiten natürlich, da bey der Menge
von Schriftſtellern und dem ſchnellen Wechſel der
Bücher und ihres Anſehens, kein einzelnes Buch einen
überwiegenden und dauernden Einfluß anders als
durch die Gewalt des Staates erhalten kann. An
ſich aber läßt es ſich gar wohl denken, daß dieſe
Arbeit ohne Aufforderung und ohne Beſtätigung des
Staates von einzelnen Rechtsgelehrten vollbracht
würde. Im altgermaniſchen Rechte war dieſes häu-
fig der Fall, und wir würden viele Mühe gehabt
haben, unſren Vorfahren den Unterſchied eines Rechts-
buchs als einer Privatarbeit von einem wahren Ge-
ſetzbuche deutlich zu machen, den wir uns als ſo na-
türlich und weſentlich denken. Wir bleiben aber jetzt
bey dem Begriffe ſtehen, welcher unſren Zeiten ange-
meſſen iſt. Jedoch iſt es klar, daß der Unterſchied
lediglich in der Veranlaſſung und Beſtätigung von
Seiten des Staates liegt, nicht in der Natur der Ar-
beit ſelbſt, denn dieſe iſt auf jeden Fall ganz techniſch
und fällt als ſolche den Juriſten anheim, indem bey
dem Inhalte des Geſetzbuchs, den wir vorausſetzen,
das politiſche Element des Rechts längſt ausgewirkt
hat, und blos dieſe Wirkung zu erkennen und auszu-
B 2
[20] ſprechen iſt, welches Geſchäft zur juriſtiſchen Technik
gehört.
Die Forderungen an ein ſolches Geſetzbuch und
die Erwartungen von demſelben ſind von zweyerley
Art. Für den innern Zuſtand des Rechts ſoll da-
durch die höchſte Rechtsgewißheit entſtehen, und damit
die höchſte Sicherheit gleichförmiger Anwendung. Die
äußeren Gränzen der Gültigkeit ſollen dadurch gebeſ-
ſert und berichtigt werden, indem an die Stelle ver-
ſchiedener Localrechte ein allgemeines Nationalrecht
treten ſoll. Wir beſchränken uns hier noch auf den
erſten Vortheil, indem von dem zweyten beſſer unten
in beſonderer Anwendung auf Deutſchland geredet
werden wird.
Daß jener innere Vortheil von der Vortrefflich-
keit der Ausführung abhange, leuchtet jedem ſogleich
ein, und es iſt alſo von dieſer Seite eben ſo viel zu
verlieren als zu gewinnen möglich. Sehr merkwür-
dig iſt, was Baco aus der Fülle ſeines Geiſtes und
ſeiner Erfahrung über dieſe Arbeit ſagt 1). Er will,
daß ſie nicht ohne dringendes Bedürfniß geſchehe,
dann aber mit beſonderer Sorgfalt für die bisher
gültigen Rechtsquellen: zunächſt durch wörtliche Auf-
nahme alles anwendbaren aus ihnen, dann indem ſie
im Ganzen aufbewahrt und fortwährend zu Rathe
[21] gezogen werden. Vorzüglich aber ſoll dieſe Arbeit
nur in ſolchen Zeiten unternommen werden, die an
Bildung und Sachkenntniß höher ſtehen als die vor-
hergehenden, denn es ſey ſehr traurig, wenn durch
die Unkunde der gegenwärtigen Zeit die Wer-
ke der Vorzeit verſtümmelt werden ſollten 1).
Worauf es dabey ankommt, iſt nicht ſchwer zu ſagen:
das vorhandene, was nicht geändert, ſondern beybe-
halten werden ſoll, muß gründlich erkannt und rich-
tig ausgeſprochen werden. Jenes betrifft den Stoff,
dieſes die Form.
In Anſehung des Stoffs iſt die wichtigſte und
ſchwierigſte Aufgabe die Vollſtändigkeit des Geſetz-
buchs, und es kommt nur darauf an, dieſe Aufgabe,
worin Alle einſtimmen, recht zu verſtehen. Das Ge-
ſetzbuch nämlich ſoll, da es einzige Rechtsquelle zu
ſeyn beſtimmt iſt, auch in der That für jeden vor-
kommenden Fall im voraus die Entſcheidung enthal-
ten. Dieſes hat man häufig ſo gedacht, als ob
es möglich und gut wäre, die einzelnen Fälle als
ſolche durch Erfahrung vollſtändig kennen zu lernen,
und dann jeden durch eine entſprechende Stelle des
Geſetzbuchs zu entſcheiden. Allein wer mit Aufmerk-
[22] ſamkeit Rechtsfälle beobachtet hat, wird leicht einſe-
hen, daß dieſes Unternehmen deshalb fruchtlos blei-
ben muß, weil es für die Erzeugung der Verſchieden-
heiten wirklicher Fälle ſchlechthin keine Gränze giebt.
Auch hat man gerade in den allerneueſten Geſetzbü-
chern allen Schein eines Beſtrebens nach dieſer mate-
riellen Vollſtändigkeit völlig aufgegeben, ohne jedoch
etwas anderes an die Stelle derſelben zu ſetzen.
Allein es giebt allerdings eine ſolche Vollſtändigkeit
in anderer Art, wie ſich durch einen Kunſtausdruck
der Geometrie klar machen läßt. In jedem Dreyeck
nämlich giebt es gewiſſe Beſtimmungen, aus deren
Verbindung zugleich alle übrige mit Nothwendigkeit
folgen: durch dieſe, z. B. durch zwey Seiten und den
zwiſchenliegenden Winkel, iſt das Dreyeck gegeben.
Auf ähnliche Weiſe hat jeder Theil unſres Rechts
ſolche Stücke, wodurch die übrigen gegeben ſind: wir
können ſie die leitenden Grundſätze nennen. Dieſe
heraus zu fühlen, und von ihnen ausgehend den in-
nern Zuſammenhang und die Art der Verwandtſchaft
aller juriſtiſchen Begriffe und Sätze zu erkennen, ge-
hört eben zu den ſchwerſten Aufgaben unſrer Wiſſen-
ſchaft, ja es iſt eigentlich dasjenige, was unſrer Ar-
beit den wiſſenſchaftlichen Character giebt. Entſteht
nun das Geſetzbuch in einer Zeit, welche dieſer Kunſt
nicht mächtig iſt, ſo ſind folgende Uebel ganz unver-
meidlich. Die Rechtspflege wird ſcheinbar durch das
Geſetzbuch, in der That aber durch etwas anderes,
[23] was außer dem Geſetzbuch liegt, als der wahrhaft
regierenden Rechtsquelle, beherrſcht werden. Dieſer
falſche Schein aber iſt höchſt verderblich. Denn das
Geſetzbuch wird unfehlbar durch ſeine Neuheit, ſeine
Verwandtſchaft mit herrſchenden Begriffen der Zeit,
und ſein äußeres Gewicht alle Aufmerkſamkeit auf
ſich und von der wahren Rechtsquelle ablenken, ſo
daß dieſe in dunklem, unbemerktem Daſeyn gerade
der geiſtigen Kräfte der Nation entbehren wird, wo-
durch ſie allein in einen löblichen Zuſtand kommen
könnte. Daß dieſe Gefahr nicht grundlos iſt, wird
unten aus der Betrachtung der neuen Geſetzbücher
klar werden, und es wird ſich zeigen, daß nicht blos
der einzelne Inhalt, ſondern ſelbſt der Begriff und
die allgemeine Natur dieſer eigentlich regierenden
Rechtsquelle verkannt wird, wie ſie denn unter den
verſchiedenſten Namen, bald als Naturrecht, bald als
jurisprudence, bald als Rechtsanalogie vorkommt.
Kommt nun zu dieſer mangelnden Erkenntniß der
leitenden Grundſätze das oben beſchriebene Beſtreben
nach materieller Vollſtändigkeit hinzu, ſo werden ſich
ſehr häufig die einzelnen Entſcheidungen, den Verfaſ-
ſern unbemerkt, durchkreuzen und widerſprechen, was
erſt allmählich durch die Anwendung, und bey gedan-
kenloſem Zuſtand der Rechtspflege auch hier nicht,
offenbar werden wird 1). Dieſer Erfolg iſt gleich
[24] für die Gegenwart unvermeidlich, wenn auf dieſe
Weiſe ein Zeitalter ohne innern Beruf ſeine Anſicht
des Rechts durch das Anſehen der Geſetzgebung fixirt;
eben ſo nachtheilig aber iſt die Wirkung auf die fol-
gende Zeit. Denn wenn in dieſer günſtigere Bedin-
gungen für die Behandlung des Rechts eintreten,
ſo iſt nichts förderlicher, als die vielſeitige Berührung
mit früheren einſichtsvollen Zeiten: das Geſetzbuch
aber ſteht nun in der Mitte und hemmt und erſchwert
dieſe Berührung auf allen Seiten. Ohnehin liegt in
der einſeitigen Beſchäftigung mit einem gegebenen
poſitiven Rechte die Gefahr, von dem bloßen Buch-
ſtaben überwältigt zu werden 1), und jedes Erfri-
ſchungsmittel muß dagegen ſehr willkommen ſeyn:
das mittelmäßige Geſetzbuch aber muß mehr als alles
andere dieſe Herrſchaft einer unlebendigen Anſicht
des Rechts befeſtigen.
Außer dem Stoff muß aber auch die Form des
Geſetzbuchs in Erwägung gezogen werden, denn der
Verfaſſer des Geſetzbuchs kann das Recht, welches er
bearbeitet, völlig durchdrungen haben, und ſeine Ar-
beit wird dennoch ihren Zweck verfehlen, wenn er nicht
1)
[25] zugleich die Fähigkeit der Darſtellung hat. Wie
dieſe Darſtellung beſchaffen ſeyn müſſe, läßt ſich leich-
ter in gelungenen oder verfehlten Anwendungen füh-
len, als durch allgemeine Regeln ausſprechen. Ge-
wöhnlich fordert man, daß ſich die Sprache der Ge-
ſetze durch beſondere Kürze auszeichne. Allerdings
kann Kürze große Wirkung thun, wie ſich durch das
Beyſpiel Römiſcher Volksſchlüſſe und des Römiſchen
Edicts anſchaulich machen läßt. Allein es giebt auch
eine trockene, nichtsſagende Kürze, zu welcher derje-
nige kommt, der die Sprache als Werkzeug nicht zu
führen verſteht, und die durchaus ohne Wirkung
bleibt; in den Geſetzen und Urkunden des Mittelalters
finden ſich davon Beyſpiele in Menge. Auf der an-
dern Seite kann Weitläufigkeit in Rechtsquellen völlig
verwerflich, ja ganz unerträglich ſeyn, wie in vielen
Conſtitutionen von Juſtinian und in den meiſten
Novellen des Theodoſiſchen Codex: allein es giebt
auch eine geiſtvolle und ſehr wirkſame Weitläufigkeit,
und in vielen Stellen der Pandekten iſt dieſe unver-
kennbar.
Faſſen wir dasjenige, was hier über die Bedin-
gungen eines vortrefflichen Geſetzbuchs geſagt worden
iſt, zuſammen, ſo iſt es klar, daß nur in ſehr weni-
gen Zeiten die Fähigkeit dazu vorhanden ſeyn wird.
Bey jugendlichen Völkern findet ſich zwar die be-
ſtimmteſte Anſchauung ihres Rechts, aber den Geſetz-
büchern fehlt es an Sprache und logiſcher Kunſt, und
[26] das Beſte können ſie meiſt nicht ſagen, ſo daß ſie oft
kein individuelles Bild geben, während ihr Stoff
höchſt individuell iſt. Beyſpiele ſind die ſchon ange-
führten Geſetze des Mittelalters, und wenn wir die
zwölf Tafeln ganz vor uns hätten, würden wir viel-
leicht nur in geringerem Grade etwas ähnliches em-
pfinden. In ſinkenden Zeiten dagegen fehlt es meiſt
an allem, an Kenntniß des Stoffs wie an Sprache.
Alſo bleibt nur eine mittlere Zeit übrig, diejenige,
welche gerade für das Recht, obgleich nicht nothwen-
dig auch in anderer Rückſicht, als Gipfel der Bil-
dung gelten kann. Allein eine ſolche Zeit hat für
ſich ſelbſt nicht das Bedürfniß eines Geſetzbuchs; ſie
würde es nur veranſtalten können für eine folgende
ſchlechtere Zeit, gleichſam Wintervorräthe ſammlend.
Zu einer ſolchen Vorſorge aber für Kinder und Enkel
iſt ſelten ein Zeitalter aufgelegt.
[27]
4.
Römiſches Recht.
Dieſe allgemeinen Anſichten von Entſtehung des Rechts
und von Geſetzbüchern werden durch die Anwendung
auf Römiſches Recht und auf das Recht in Deutſch-
land klarer und überzeugender werden.
Die Vertheidiger des Römiſchen Rechts haben
nicht ſelten den Werth deſſelben darin geſetzt, daß es
die ewigen Regeln der Gerechtigkeit in vorzüglicher
Reinheit enthalte, und ſo gleichſam ſelbſt als ein
ſanctionirtes Naturrecht zu betrachten ſey. Erkun-
digt man ſich genauer, ſo wird freylich wieder der
größte Theil als Beſchränktheit und Spitzfindigkeit
aufgegeben, und die Bewunderung bleibt meiſt auf
der Theorie der Contracte haften: wenn man hier
die Stipulationen und einigen andern Aberglauben
abrechne, ſo ſey im übrigen die Billigkeit dieſes
Rechts über die Maaßen groß, ja es ſey zu nennen
l’expression des sentimens mis par Dieu même
dans le coeur des hommes1). Allein gerade die-
ſes übrig bleibende materielle des Römiſchen Rechts,
was man ſo für ſeine wahre Vortrefflichkeit aus-
giebt, iſt ſo allgemeiner Natur, daß es meiſt ſchon
[28] durch gefunden Verſtand ohne alle juriſtiſche Bildung
gefunden werden könnte, und um einen ſo leichten
Gewinn lohnt es ſich nicht, Geſetze und Juriſten von
zweytauſend Jahren her zu unſrer Hülfe zu bemü-
hen Wir wollen verſuchen, das eigenthümliche des
Römiſchen Rechts etwas genauer ins Auge zu faſſen.
Daß es damit eine andere als die hier angedeutete
Bedeutung habe, läßt ſich im Voraus ſchon darum
vermuthen, weil es das einzige Recht eines großen,
lange beſtehenden Volkes iſt, welches eine ganz na-
tionale, ungeſtörte Entwicklung gehabt hat, und zu-
gleich in allen Perioden dieſes Volkes mit vorzügli-
cher Liebe gepflegt worden iſt.
Betrachten wir zuerſt die Juſtinianiſchen Rechts-
bücher, alſo diejenige Form, in welcher das Römi-
ſche Recht zu den neueren Staaten in Europa ge-
kommen iſt, ſo iſt in ihnen eine Zeit des Verfalls
nicht zu verkennen. Der Mittelpunkt dieſer Rechts-
bücher iſt eine Compilation aus Schriften einer claſ-
ſiſchen Zeit, die als verloren und jetzt unerreichbar
daſteht, und Juſtinian ſelbſt hat deſſen kein Hehl.
Dieſe claſſiſche Zeit alſo, die des Papinian und
Ulpian iſt es, worauf wir unſre Blicke zu richten
haben, und wir wollen verſuchen, von der Art und
Weiſe dieſer Juriſten ein Bild zu entwerfen.
Es iſt oben (S. 22) gezeigt worden, daß in
unſrer Wiſſenſchaft aller Erfolg auf dem Beſitz der
leitenden Grundſätze beruhe, und gerade dieſer Beſitz
[29] iſt es, der die Größe der Römiſchen Juriſten begrün-
det. Die Begriffe und Sätze ihrer Wiſſenſchaft er-
ſcheinen ihnen nicht wie durch ihre Willkühr hervor-
gebracht, es ſind wirkliche Weſen, deren Daſeyn und
deren Genealogie ihnen durch langen vertrauten Um-
gang bekannt geworden iſt. Darum eben hat ihr
ganzes Verfahren eine Sicherheit, wie ſie ſich ſonſt
außer der Mathematik nicht findet, und man kann
ohne Uebertreibung ſagen, daß ſie mit ihren Begrif-
fen rechnen. Dieſe Methode aber iſt keinesweges
das ausſchließende Eigenthum eines oder weniger
großen Schriftſteller, ſie iſt vielmehr Gemeingut Al-
ler, und obgleich unter ſie ein ſehr verſchiedenes
Maaß glücklicher Anwendung vertheilt war, ſo iſt doch
die Methode überall dieſelbe. Selbſt wenn wir ihre
Schriften vollſtändig vor uns hätten, würden wir darin
weit weniger Individualität finden, als in irgend
einer andern Literatur, ſie alle arbeiten gewiſſermaa-
ßen an einem und demſelben großen Werke, und die
Idee, welche der Compilation der Pandekten zum
Grunde liegt, iſt darum nicht völlig zu verwerfen.
Wie tief bey den Römiſchen Juriſten dieſe Gemein-
ſchaft des wiſſenſchaftlichen Beſitzes gegründet iſt, zeigt
ſich auch darin, daß ſie auf die äußeren Mittel die-
ſer Gemeinſchaft geringen Werth legen; ſo z. B. ſind
ihre Definitionen größtentheils ſehr unvollkommen,
ohne daß die Schärfe und Sicherheit der Begriffe
im geringſten darunter leidet. Dagegen ſteht ihnen
[30] ein viel wichtigeres, mehr unwillkührliches Mittel zu
Gebot, eine treffliche Kunſtſprache, die mit der Wiſ-
ſenſchaft ſo zuſammenfällt, daß beide ein unauflösli-
ches Ganze zu bilden ſcheinen. Mit dieſen Vorzügen
aber könnte ſich eine ſchneidende Einſeitigkeit ſehr
wohl vertragen. Das Recht nämlich hat kein Da-
ſeyn für ſich, ſein Weſen vielmehr iſt das Leben der
Menſchen ſelbſt, von einer beſondern Seite angeſe-
hen. Wenn ſich nun die Wiſſenſchaft des Rechts
von dieſem ihrem Objecte ablöſt, ſo wird die wiſſen-
ſchaftliche Thätigkeit ihren einſeitigen Weg fortgehen
können, ohne von einer entſprechenden Anſchauung
der Rechtsverhältniſſe ſelbſt begleitet zu ſeyn; die
Wiſſenſchaft wird alsdann einen hohen Grad for-
meller Ausbildung erlangen können, und doch alle
eigentliche Realität entbehren. Aber gerade von die-
ſer Seite erſcheint die Methode der Römiſchen Juri-
ſten am vortrefflichſten. Haben ſie einen Rechtsfall
zu beurtheilen, ſo gehen ſie von der lebendigſten An-
ſchauung deſſelben aus, und wir ſehen vor unſern
Augen das ganze Verhältniß Schritt vor Schritt
entſtehen und ſich verändern. Es iſt nun, als ob
dieſer Fall der Anfangspunkt der ganzen Wiſſenſchaft
wäre, welche von hier aus erfunden werden ſollte.
So iſt ihnen Theorie und Praxis eigentlich gar nicht
verſchieden, ihre Theorie iſt bis zur unmittelbarſten
Anwendung durchgebildet, und ihre Praxis wird ſtets
durch wiſſenſchaftliche Behandlung geadelt. In je-
[31] dem Grundſatz ſehen ſie zugleich einen Fall der An-
wendung, in jedem Rechtsfall zugleich die Regel,
wodurch er beſtimmt wird, und in der Leichtigkeit,
womit ſie ſo vom allgemeinen zum beſondern und
vom beſondern zum allgemeinen übergehen, iſt ihre
Meiſterſchaft unverkennbar. Und in dieſer Methode,
das Recht zu finden und zu weiſen, haben ſie ihren
eigenthümlichſten Werth, darin den germaniſchen Schöf-
fen unähnlich, daß ihre Kunſt zugleich zu wiſſen-
ſchaftlicher Erkenntniß und Mittheilung ausgebildet
iſt, doch ohne die Anſchaulichkeit und Lebendigkeit
einzubüßen, welche früheren Zeitaltern eigen zu ſeyn
pflegen.
Dieſe hohe Bildung der Rechtswiſſenſchaft bey
den Römern im Anfang des dritten Jahrhunderts
chriſtlicher Zeitrechnung iſt etwas ſo merkwürdiges,
daß wir auch die Geſchichte derſelben in Betracht
ziehen müſſen. Es würde ſehr irrig ſeyn, wenn man
dieſelbe als die reine Erfindung eines ſehr begünſtig-
ten Zeitalters, ohne Zuſammenhang mit der Vorzeit,
halten wollte. Vielmehr war der Stoff ihrer Wiſ-
ſenſchaft den Juriſten dieſer Zeit ſchon gegeben,
größtentheils noch aus der Zeit der freyen Republik.
Aber nicht blos dieſer Stoff, ſondern auch jene be-
wundernswürdige Methode ſelbſt hatte ihre Wurzel
in der Zeit der Freyheit. Was nämlich Rom groß
gemacht hat, war der rege, lebendige, politiſche Sinn,
womit dieſes Volk die Formen ſeiner Verfaſſung ſtets
[32] auf ſolche Weiſe zu verjüngen bereit war, daß das
neue blos zur Entwicklung des alten diente, dieſes
richtige Ebenmaaß der beharrlichen und der fortbe-
wegenden Kräfte. Dieſer Sinn war in der Verfaſ-
ſung wie im bürgerlichen Rechte wirkſam, aber dort
war er ſchon vor dem Ende der Republik erloſchen,
während er hier noch Jahrhunderte lang fortwirken
konnte, weil hier nicht dieſelben Gründe der Corrup-
tion ſtatt fanden wie in der Verfaſſung. Alſo auch
im bürgerlichen Rechte war der allgemeine Römiſche
Character ſichtbar, das Feſthalten am Herkömmli-
chen, ohne ſich durch daſſelbe zu binden, wenn es
einer neuen, volksmäßig herrſchenden Anſicht nicht
mehr entſprach. Darum zeigt die Geſchichte des Rö-
miſchen Rechts bis zur claſſiſchen Zeit überall allmäh-
liche, völlig organiſche Entwicklung. Entſteht eine
neue Rechtsform, ſo wird dieſelbe unmittelbar an
eine alte, beſtehende angeknüpft, und ihr ſo die
Beſtimmtheit und Ausbildung derſelben zugewendet.
Dieſes iſt der Begriff der Fiction, für die Entwick-
lung des Römiſchen Rechts höchſt wichtig und von
den Neueren oft lächerlich verkannt: ſo die bono-
rum possessio neben der hereditas, die publiciana
actio neben der rei vindicatio, die actiones utiles
neben den directae. Und indem auf dieſe Weiſe das
juriſtiſche Denken von der größten Einfachheit zur
mannichfaltigſten Ausbildung ganz ſtetig und ohne
äußere Störung oder Unterbrechung fortſchritt, wurde
den
[33] den Römiſchen Juriſten auch in der ſpäteren Zeit die
vollendete Herrſchaft über ihren Stoff möglich, die
wir an ihnen bewundern. So wie nun oben be-
merkt worden iſt, daß die Rechtswiſſenſchaft in ihrer
claſſiſchen Zeit Gemeingut der Juriſten war, ſo er-
kennen wir jetzt auch eine ähnliche Gemeinſchaft zwi-
ſchen den verſchiedenſten Zeitaltern, und wir ſind ge-
nöthigt, das juriſtiſche Genie, wodurch die Trefflich-
keit des Römiſchen Rechts beſtimmt worden iſt, nicht
einem einzelnen Zeitalter, ſondern der Nation über-
haupt zuzuſchreiben. Allein wenn wir auf die lite-
rariſche Ausbildung ſehen, durch welche allein dem
Römiſchen Recht eine bleibende Wirkung auf andere
Völker und Zeiten geſichert werden konnte, ſo müſſen
wir das Zeitalter das Papinian und Ulpian als
das vornehmſte erkennen, und wenn wir juriſtiſche
Bücher aus der Zeit des Cicero oder des Auguſt
übrig hätten, ſo würden wir ſchwerlich die Unvoll-
kommenheit derſelben neben jenem Zeitalter verkennen
können, ſo wichtig ſie auch für unſere Kenntniß
ſeyn müßten.
Aus dieſer Darſtellung iſt von ſelbſt klar, daß
das Römiſche Recht ſich faſt ganz von innen heraus,
als Gewohnheitsrecht, gebildet hat, und die genauere
Geſchichte deſſelben lehrt, wie gering im Ganzen der
Einfluß eigentlicher Geſetze geblieben iſt, ſo lange das
Recht in einem lebendigen Zuſtande war. Auch für
C
[34] dasjenige, was oben über das Bedürfniß eines Ge-
ſetzbuchs geſagt wurde, iſt die Geſchichte des Römi-
ſchen Rechts ſehr lehrreich. So lange das Recht in
lebendigem Fortſchreiten war, wurde kein Geſetzbuch
nöthig geſunden, ſelbſt da nicht, als die Umſtände
dafür am günſtigſten waren. Nämlich zur Zeit der
claſſiſchen Juriſten hätte es keine Schwierigkeit ge-
macht, ein treffliches Geſetzbuch zu verfaſſen. Auch
waren die drey berühmteſten Juriſten, Papinian,
Ulpian und Pauluspraefecti praetorio; dieſen
fehlte es ſicher weder an Intereſſe für das Recht,
noch an Macht, ein Geſetzbuch zu veranlaſſen, wenn
ſie es gut oder nöthig fanden: dennoch ſehen wir
keine Spur von einem ſolchen Verſuche. Aber als
früher Cäſar im Gefühl ſeiner Kraft und der
Schlechtigkeit des Zeitalters nur ſeinen Willen in
Rom gelten laſſen wollte, ſoll er auch auf ein Ge-
ſetzbuch in unſerm Sinne bedacht geweſen ſeyn *).
Und als im ſechſten Jahrhundert alles geiſtige Leben
erſtorben war, ſuchte man Trümmer aus beſſeren
Zeiten zuſammen, um dem Bedürfaiß des Augen-
blicks abzuhelfen. So entſtanden in einem kurzen
Zeitraum verſchiedene Römiſche Geſetzbücher: das
Edict des Theoderich, das Weſtgothiſche Brevia-
[35] rium, der ſogenannte Papian, und die Rechtsbücher
von Juſtinian. Schwerlich hätten ſich Bücher über
Römiſches Recht erhalten, wenn nicht dieſe Geſetzbü-
cher geweſen wären, und ſchwerlich hätte Römiſches
Recht im neueren Europa Eingang gefunden, wären
nicht unter dieſen Geſetzbüchern die von Juſtinian
geweſen, in welchen unter jenen allein der Geiſt des
Römiſchen Rechts erkennbar iſt. Der Gedanke zu
dieſen Geſetzbüchern aber iſt augenſcheinlich nur durch
den äußerſten Verfall des Rechts herbeygeführt
worden.
Ueber den materiellen Werth des Römiſchen
Rechts können die Meynungen ſehr verſchieden ſeyn,
aber über die hier dargeſtellte Meiſterſchaft in der
juriſtiſchen Methode ſind ohne Zweifel alle einig,
welche hierin eine Stimme haben. Eine ſolche Stim-
me aber kann offenbar nur denjenigen zukommen,
welche unbefangen und mit literariſchem Sinn die
Quellen des Römiſchen Rechts leſen. Die es blos
aus Compendien oder Vorleſungen kennen, alſo von
Hörenſagen, ſelbſt wenn ſie einzelne Beweisſtellen
nachgeſchlagen haben mögen, haben keine Stimme:
für ſie iſt jegliche Anſicht möglich, unter andern die
eines trefflichen Franzöſiſchen Redners. Dieſer be-
hauptet, das Römiſche Recht habe zur Zeit der alten
Juriſten aus einer unzählbaren Menge einzelner Ent-
ſcheidungen und Regeln beſtanden, die ein Menſchen-
leben nicht habe erfaſſen können: unter Juſtinian
C 2
[36] aber „la législation romaine sortit du chaos,“
und ſein Werk war das am wenigſten unvollkom-
mene, bis in dem Code Napoleon ein ganz vollkom-
menes erſchien 1).
[37]
5.
Bürgerliches Recht in Deutſchland.
Bis auf ſehr neue Zeiten war in ganz Deutſchland
ein gleichförmiges bürgerliches Recht unter dem Na-
men des gemeinen Rechts in Uebung, durch Lan-
desrechte mehr oder weniger modificirt, aber nirgends
in allen ſeinen Theilen außer Kraft geſetzt. Die
Hauptquelle dieſes gemeinen Rechts waren die Rechts-
bücher von Juſtinian, deren bloße Anwendung auf
Deutſchland indeſſen von ſelbſt ſchon wichtige Modi-
ficationen herbeigeführt hatte. Dieſem gemeinen Rechte
war von jeher die wiſſenſchaftliche Thätigkeit der
deutſchen Juriſten größtentheils zugewendet. Aber
eben über dieſes fremde Element unſers Rechts ſind
auch ſchon längſt bittere Klagen erhoben worden.
Das Römiſche Recht ſoll uns unſre Nationalität ent-
zogen haben, und nur die ausſchließende Beſchäfti-
gung unſrer Juriſten mit demſelben ſoll das einhei-
miſche Recht gehindert haben, eine eben ſo ſelbſtſtän-
dige und wiſſenſchaftliche Ausbildung zu erlangen.
Beſchwerden dieſer Art haben ſchon darin etwas lee-
res und grundloſes, daß ſie als zufällig und will-
kührlich vorausſetzen, was ohne innere Nothwendig-
keit nimmermehr geſchehen oder doch nicht bleibend
geworden wäre. Auch liegt überhaupt eine abge-
[38] ſchloſſene nationale Entwicklung, wie die der Alten,
nicht auf dem Wege, welchen die Natur den neueren
Völkern angewieſen hat; wie ihre Religion nicht
Eigenthum der Völker iſt ihre Literatur eben ſo we-
nig frey von den mächtigſten äußeren Einflüſſen, ſo
ſcheint ihnen auch ein fremdes und gemeinſames bür-
gerliches Recht nicht unnatürlich. Ja ſogar nicht
blos fremd überhaupt war dieſer Einfluß auf Bil-
dung und Literatur, ſondern größtentheils Römiſch,
eben ſo Römiſch als jener Einfluß auf unſer Recht.
Allein in dieſem Falle liegt noch ein beſonderer Irr-
thum bey jener Anſicht zum Grunde. Nämlich auch
ohne Einmiſchung des Römiſchen wäre eine unge-
ſtörte Ausbildung des Deutſchen Rechts dennoch un-
möglich geweſen, indem alle die Bedingungen fehl-
ten, welche in Rom das bürgerliche Recht ſo ſehr
begünſtigt hatten. Dahin gehörte zuerſt die unver-
rückte Localität, indem Rom, urſprünglich der Staat
ſelbſt, bis zum Untergang des weſtlichen Reichs der
Mittelpunkt deſſelben blieb, während die Deutſchen
Stämme auswanderten, unterjochten und unterjocht
wurden, ſo daß das Recht unter alle vertheilt war,
aber nirgends eine unverrückte Stelle, noch weniger
einen einzelnen Mittelpunkt fand. Dann haben ſchon
ſehr frühe die Deutſchen Stämme Revolutionen er-
fahren von ſo durchgreifender Art, wie ſie die ganze
Römiſche Geſchichte nicht kennt. Denn ſelbſt die
Aenderungen der Verfaſſung unter Auguſt und un-
[39] ter Conſtantin wirkten auf das bürgerliche Recht
nicht unmittelbar und ließen ſelbſt Grundbegriffe des
öffentlichen Rechts, wie z. B. den der Civität, unbe-
rührt. In Deutſchland dagegen, als das Lehenwe-
ſen ganz ausgebildet war, blieb von der alten Na-
tion eigentlich nichts mehr übrig, alles bis auf For-
men und Namen war von Grund aus verändert,
und dieſe gänzliche Umwalzung war ſchon entſchie-
den, als das Römiſche Recht Eingang fand.
Im vorigen Abſchnitt iſt gezeigt worden, wie
wichtig das Römiſche Recht als Muſter juriſtiſcher
Methode ſey: für Deutſchland iſt es nun auch hiſto-
riſch, durch ſein Verhältniß zum gemeinen Recht,
von großer Wichtigkeit. Es iſt ganz falſch, wenn
man dieſe hiſtoriſche Wichtigkeit des Römiſchen Rechts
auf die Fälle einſchränken wollte, welche unmittelbar
aus demſelben entſchieden werden. Nicht nur iſt in
den Landesrechten ſelbſt ſehr vieles blos Römiſches
Recht und nur in ſeinem urſprünglichen Römiſchen
Zuſammenhang verſtändlich, ſondern auch da, wo
man abſichtlich ſeine Beſtimmungen verlaſſen hat, hat
es häufig die Richtung und Anſicht des neu einge-
führten Rechts beſtimmt, ſo daß die Aufgabe, die
durch dieſes neue Recht gelöſt werden ſoll, ohne Rö-
miſches Recht gar nicht verſtanden werden kann.
Dieſe hiſtoriſche Wichtigkeit aber theilt mit dem Rö-
miſchen Recht das Deutſche, welches überall in den
Landesrechten erhalten iſt, ſo daß dieſe ohne Zurück-
[40] führung auf die gemeinſame Quelle unverſtändlich
bleiben müſſen.
Gegen dieſen nicht wenig verwickelten Zuſtand
der Rechtsquellen in Deutſchland, wie er aus der
Verbindung des ſchon an ſich ſehr zuſammen geſetzten
gemeinen Rechts mit den Landesrechten hervorgieng,
ſind die größten Klagen geführt worden. Diejeni-
gen, welche das Studium betreffen, werden beſſer
unten ihre Stelle finden: einige aber betreffen die
Rechtspflege ſelbſt.
Erſtlich ſoll dadurch die übermäßig lange Dauer
der Prozeſſe in vielen Deutſchen Ländern bewirkt wor-
den ſeyn. Dieſes Uebel ſelbſt wird niemand abläug-
nen oder für unbedeutend erklären können, aber man
thut den Richtern in ſolchen Ländern in der That zu
viel Ehre an, wenn man glaubt, auf das ängſtliche
Grübeln über der ſchweren Theorie werde ſo viele Zeit
verwendet. Ueber dieſe Theorie hilft das erſte Com-
pendium oder Handbuch hinweg, welches zur Hand
iſt: ſchlecht vielleicht, aber gewiß mit nicht mehr Auf-
wand von Zeit als das vortrefflichſte Geſetzbuch. Je-
nes Uebel entſpringt vorzüglich aus der heilloſen
Prozeßform vieler Länder, und deren Reform gehört
allerdings zu den dringendſten Bedürfniſſen: die
Quellen des bürgerlichen Rechts ſind daran ſchuldlos.
Daß dem ſo iſt, wird jeder Unbefangene zugeben,
welcher Acten aufmerkſam geleſen hat. Auch die Er-
fahrung einzelner Länder ſpricht dafür, ſo z. B. war
[41] ſchon längſt in Heſſen die Rechtspflege gut und ſchnell,
obgleich da gerade in demſelben Verhältniß gemeines
Recht und Landesrecht galt, wie in den Ländern, in
welchen die Prozeſſe nicht zu Ende gehen.
Zweytens klagt man über die große Verſchie-
denheit der Landesrechte, und dieſe Klage geht noch
weiter als auf das Verhältniß verſchiedener Deut-
ſcher Länder, da häufig auch in demſelben Lande
Provinzen und Städte wiederum beſonderes Recht
haben. Daß durch dieſe Verſchiedenheit die Rechts-
pflege ſelbſt leide und der Verkehr erſchwert werde,
hat man häufig geſagt, aber keine Erfahrung ſpricht
dafür, und der wahre Grund iſt wohl meiſt ein an-
derer. Er beſteht in der unbeſchreiblichen Gewalt,
welche die bloſe Idee der Gleichförmigkeit nach al-
len Richtungen nun ſchon ſo lange in Europa aus-
übt: eine Gewalt, gegen deren Mißbrauch ſchon
Montesquieu warnt 1). Es lohnt wohl der
Mühe, dieſe Gleichförmigkeit in dieſer beſondern An-
wendung näher zu betrachten. Das wichtigſte, was
man für die Gleichförmigkeit des Rechts ſagt, iſt die-
ſes: die Liebe zum gemeinſamen Vaterland werde
durch ſie erhöht, durch die Mannichfaltigkeit der Par-
ticularrechte aber geſchwächt. Iſt dieſe Vorausſetzung
[42] wahr, ſo wird jeder wohlgeſinnte Deutſche wünſchen,
daß Deutſchland in allen ſeinen Theilen gleiches Recht
genießen möge. Aber eben dieſe Vorausſetzung iſt
nun der Gegenſtand unſrer Prüfung.
In jedem organiſchen Weſen, alſo auch im
Staate, beruht die Geſundheit darauf, daß beides,
das Ganze und jeder Theil, im Gleichgewicht ſtehe,
daß jedem ſein Recht widerfahre. Daß ein Bürger,
eine Stadt, eine Provinz den Staat vergeſſen, dem
ſie angehören, iſt eine ſehr gewöhnliche Erſcheinung,
und jeder wird dieſen Zuſtand für unnatürlich und
krankhaft erkennen. Aber eben ſo kann die leben-
dige Liebe zum Ganzen blos aus der lebendigen
Theilnahme an allen einzelnen Verhältniſſen hervor-
gehen, und nur wer ſeinem Hauſe tüchtig vorſteht,
wird ein trefflicher Bürger ſeyn. Darum iſt es ein
Irrthum, zu glauben, das Allgemeine werde an Le-
ben gewinnen durch die Vernichtung aller individuel-
len Verhältniſſe. Könnte in jedem Stande, in jeder
Stadt, ja in jedem Dorfe ein eigenthümliches Selbſt-
gefühl erzeugt werden, ſo würde aus dieſem erhöh-
ten und vervielfältigten individuellen Leben auch das
Ganze neue Kraft gewinnen. Darum, wenn von
dem Einfluß des bürgerlichen Rechts auf das Vater-
landsgefühl die Rede iſt, ſo darf nicht geradezu das
beſondere Recht einzelner Provinzen und Städte für
nachtheilig gehalten werden. Lob in dieſer Beziehung
[43] verdient das bürgerliche Recht, inſoferne es das Ge-
fühl und Bewußtſeyn des Volkes berührt oder zu
berühren fähig iſt: Tadel, wenn es als etwas fremd-
artiges, aus Willkühr entſtandenes, das Volk ohne
Theilnahme läßt. Jenes aber wird öfter und leich-
ter bey beſonderen Rechten einzelner Landſtriche der
Fall ſeyn, obgleich gewiß nicht jedes Stadtrecht et-
was wahrhaft volksmäßiges ſeyn wird. Ja für die-
ſen politiſchen Zweck ſcheint kein Zuſtand des bür-
gerlichen Rechts günſtiger, als der, welcher vormals
in Deutſchland allgemein war: große Mannichfaltig-
keit und Eigenthümlichkeit im einzelnen, aber als
Grundlage überall das gemeine Recht, welches alle
Deutſchen Volksſtämme ſtets an ihre unauflösliche
Einheit erinnerte. Das verderblichſte aber von die-
ſem Standpuncte aus iſt leichte und willkührliche
Aenderung des bürgerlichen Rechts, und ſelbſt wenn
durch dieſelbe für Einfachheit und Bequemlichkeit gut
geſorgt wäre, ſo könnte dieſer Gewinn gegen jenen
politiſchen Nachtheil nicht in Betracht kommen. Was
ſo vor unſern Augen von Menſchenhänden gemacht
iſt, wird im Gefühl des Volkes ſtets von demjenigen
unterſchieden werden, deſſen Entſtehung nicht eben
ſo ſichtbar und greiflich iſt, und wenn wir in unſerm
löblichen Eifer dieſe Unterſcheidung ein blindes Vor-
urtheil ſchelten, ſo ſollten wir nicht vergeſſen, daß
aller Glaube und alles Gefühl für das was nicht
[44] unſres gleichen iſt, ſondern höher als wir, auf einer
ähnlichen Sinnesart beruht. Eine ſolche Verwandt-
ſchaft könnte uns über die Verwerflichkeit jener Un-
terſcheidung wohl zweifelhaft machen 1).
[45]
6.
Unſer Beruf zur Geſetzgebung.
Von den Gründen, auf welche das Bedürfniß eines
Geſetzbuchs für Deutſchland gebaut zu werden pflegt,
iſt im vorigen Abſchnitt geſprochen worden: wir ha-
ben jetzt die Fähigkeit zu dieſer Arbeit zu unterſuchen.
Sollte es an dieſer fehlen, ſo müßte durch ein Geſetz-
buch unſer Zuſtand, den wir beſſern wollen, noth-
wendig verſchlimmert werden.
Baco forderte, daß die Zeit, in welcher ein Ge-
ſetzbuch gemacht werde, an Einſicht die vorhergehen-
den Zeiten übertreffe, wovon die nothwendige Folge
iſt, daß manchem Zeitalter, welches in anderer Rück-
ſicht für gebildet gelten mag, gerade dieſe Fähigkeit
abgeſprochen werden muß. In den neueſten Zeiten
haben ſich beſonders die Gegner des Römiſchen Rechts
über ſolche Anſichten nicht ſelten entrüſtet: denn die
Vernunft ſey allen Völkern und allen Zeiten gemein,
und da wir überdem die Erfahrung voriger Zeiten
benutzen können, ſo müſſe unfehlbar, was wir ver
fertigen, beſſer als alles vorige werden. Aber eben
dieſe Meynung, daß jedes Zeitalter zu allem berufen
ſey, iſt das verderblichſte Vorurtheil. In den ſchö-
nen Künſten müſſen wir wohl das Gegentheil aner-
[46] kennen, warum wollen wir uns nicht daſſelbe gefal-
len laſſen, wo von Bildung des Staates und des
Rechts die Rede iſt?
Sehen wir auf die Erwartungen der Nichtjuri-
ſten von einem Geſetzbuch, ſo ſind dieſe ſehr verſchie-
den nach den verſchiedenen Gegenſtänden des Rechts,
und auch hierin zeigt ſich das zweyfache Element
alles Rechts, welches ich oben das politiſche und das
techniſche genannt habe. An einigen Gegenſtänden
nehmen ſie unmittelbar lebhaften Antheil, andere wer-
den als gleichgültig der juriſtiſchen Technik allein
überlaſſen: jenes iſt mehr im Familienrecht, dieſes
mehr im Vermögensrecht der Fall, am meiſten in
den allgemeinen Grundlagen deſſelben 1). Wir wol-
len als Repräſentanten dieſer verſchiedenartigen Gegen-
ſtände die Ehe und das Eigenthum wählen, was aber
von ihnen geſagt werden wird, ſoll zugleich für die
ganze Claſſe gelten, wozu ſie gehören.
Die Ehe gehört nur zur Hälfte dem Rechte
an, zur Hälfte aber der Sitte, und jedes Ehe-
recht iſt unverſtändlich, welches nicht in Verbin-
dung mit dieſer ſeiner nothwendigen Ergänzung
betrachtet wird. Nun iſt in neueren Zeiten aus
[47] Gründen, die mit der Geſchichte der chriſtlichen
Kirche zuſammenhangen, die nichtjuriſtiſche Anſicht
dieſes Verhältniſſes theils flach, theils im höchſten
Grade ſchwankend und unbeſtimmt geworden, und jene
Flachheit, wie dieſes Schwanken, haben ſich dem Recht
der Ehe mitgetheilt. Wer die Geſetzgebung und das
practiſche Recht in Eheſachen aufmerkſam betrachtet,
wird darüber keinen Zweifel haben. Diejenigen nun,
welche glauben, daß jedes Uebel nur auf ein abhel-
fendes Geſetz warte, um dann auf der Stelle zu ver-
ſchwinden, werden dieſen traurigen Zuſtand gern
anerkennen, um dadurch das Bedürfniß einer kräfti-
gen, durchgreifenden Geſetzgebung in helles Licht zu
ſetzen. Aber eben die Hoffnung, die ſie hierin auf
Geſetze bauen, halte ich für ganz grundlos. Iſt ein-
mal in der allgemeinen Anſicht eine beſtimmte und
löbliche Richtung ſichtbar, ſo kann dieſe durch Geſetz-
gebung kräftig unterſtützt werden, aber hervorge-
bracht wird ſie durch dieſe nicht, und wo ſie gänz-
lich fehlt, wird jeder Verſuch einer erſchöpfenden Ge-
ſetzgebung den gegenwärtigen Zuſtand nur noch ſchwan-
kender machen und die Heilung erſchweren.
Wir betrachten ferner diejenigen Gegenſtände,
welche (wie das Eigenthum) im nichtjuriſtiſchen Pu-
blikum mit Gleichgültigkeit betrachtet werden, und
wovon ſelbſt Juriſten urtheilen, daß ſie unter allen
Umſtänden dieſelben ſeyn können 1), ſo daß ſie le-
[48] diglich der juriſtiſchen Technik anheim fallen. Daß
wir dieſe Anſicht von ihnen haben, iſt eigentlich ſelbſt
ſchon Zeichen eines öffentlichen Zuſtandes, welchem
die rechtsbildende Kraft fehlt; denn wo dieſe leben-
dig iſt, werden alle dieſe Verhältniſſe nichts weniger
als gleichgültig, ſondern vielmehr ganz eigenthümlich
und nothwendig ſeyn, wie die Geſchichte jedes ur-
ſprünglichen Rechts beweiſt. Jenen Zuſtand aber als
den unſrigen vorausgeſetzt, wird unſre Fähigkeit zur
Geſetzgebung von dem Werthe und der Ausbildung
unſrer juriſtiſchen Technik abhangen, und auf dieſe muß
demnach unſer Unterſuchung zunächſt gerichtet ſeyn.
Unglücklicherweiſe nun iſt das ganze achtzehente
Jahrhundert in Deutſchland ſehr arm an großen Ju-
riſten geweſen. Fleißige Männer zwar fanden ſich
in Menge, von welchen ſehr ſchätzbare Vorarbeiten
gethan wurden, aber weiter als zu Vorarbeiten kam
es ſelten. Ein zweyfacher Sinn iſt dem Juriſten un-
entbehrlich: der hiſtoriſche, um das eigenthümliche je-
des Zeitalters und jeder Rechtsform ſcharf aufzufaſſen,
und der ſyſtematiſche, um jeden Begriff und jeden
Satz in lebendiger Verbindung und Wechſelwirkung
mit dem Ganzen anzuſehen, d. h. in dem Verhält-
niß, welches das allein wahre und natürliche iſt.
Dieſer zweyfache wiſſenſchaftliche Sinn findet ſich un-
gemein wenig in den Juriſten des achtzehenten Jahr-
hunderts, und vorzüglich ein vielfältiges flaches Be-
ſtreben in der Philoſophie wirkte ſehr ungünſtig. Ueber
die
[49] die Zeit, in welcher man ſelbſt lebt, iſt ein ſicheres
Urtheil ſehr ſchwer: doch, wenn nicht alle Zeichen
trügen, iſt ein lebendigerer Geiſt in unſre Wiſſenſchaft
gekommen, der ſie künftig wieder zu einer eigenthüm-
lichen Bildung erheben kann. Nur fertig geworden
iſt von dieſer Bildung noch ſehr wenig, und aus dieſem
Grunde läugne ich unſre Fähigkeit, ein löbliches Ge-
ſetzbuch hervorzubringen. Viele mögen dieſes Urtheil
für übertrieben halten, aber dieſe fordere ich auf,
mir unter der nicht geringen Zahl von Syſtemen des
Römiſch-Deutſchen Rechts eines zu zeigen, welches
nicht etwa blos zu dieſem oder jenem beſondern
Zwecke nützlich dienen könne, denn deren haben wir
viele, ſondern welches als Buch vortrefflich ſey; die-
ſes Lob aber wird nur dann gelten können, wenn die
Darſtellung eine eigene, ſelbſtſtändige Form hat, und
zugleich den Stoff zu lebendiger Anſchauung bringt.
So z. B. im Römiſchen Rechte würde es darauf an-
kommen, daß die Methode der alten Juriſten, der
Geiſt der in den Pandekten lebt, erkennbar wäre,
und ich würde mich ſehr freuen, dasjenige unſrer
Syſteme kennen zu lernen, worin dieſes der Fall ſeyn
möchte. Hat nun dieſe Arbeit bey vielem Fleiße und
guten Talenten bis jetzt nicht gelingen wollen, ſo be-
haupte ich, daß in unſrer Zeit ein gutes Geſetzbuch
noch nicht möglich iſt, denn für dieſes iſt die Arbeit
nicht anders, nur ſchwerer. Es giebt noch eine an-
dere Probe für unſre Fähigkeit: vergleichen wir un-
D
[50] ſre juriſtiſche Literatur mit der literariſchen Bildung
der Deutſchen überhaupt, und ſehen wir zu, ob jene
mit dieſer gleichen Schritt gehalten hat, das Urtheil
wird nicht günſtig ausfallen, und wir werden ein
ganz anderes Verhältniß finden, als das der Römi-
ſchen Juriſten zur Literatur der Römer. In dieſer
Anſicht liegt keine Herabſetzung, denn unſre Aufgabe
iſt in der That ſehr groß, ohne Vergleichung ſchwe-
rer als die der Römiſchen Juriſten war. Aber eben
die Größe dieſer Aufgabe ſollen wir nicht verkennen
aus Bequemlichkeit oder Eigendünkel, wir ſollen nicht
am Ziel zu ſeyn glauben, wenn wir noch weit da-
von entfernt ſind.
Haben wir nun in der That nicht was nöthig
iſt, damit ein gutes Geſetzbuch entſtehe, ſo dürfen wir
nicht glauben, daß das wirkliche Unternehmen eben
nichts weiter ſeyn würde, als eine feylgeſchlagene
Hoffnung, die uns im ſchlimmſten Fall nur nicht
weiter gebracht hätte. Von der großen Gefahr, die
unvermeidlich eintritt, wenn der Zuſtand einer ſehr
mangelhaften unbegründeten Kenntniß durch äußere
Autorität fixirt wird, iſt ſchon oben (S. 22.) ge-
ſprochen worden, und dieſe Gefahr würde hier um
ſo größer ſeyn, je allgemeiner die Unternehmung
wäre und je mehr ſie mit dem erwachenden Natio-
nalintereſſe in Verbindung gebracht würde. Nahe
liegende Beyſpiele geben in ſolchen Dingen oft ein
weniger deutliches Bild: ich will alſo, um anſchau-
[51] lich zu machen, was auf ſolche Weiſe entſtehen kann,
an die Zeit nach der Auflöſung des weſtrömiſchen
Reichs erinnern, wo eben ſo ein unvollkommner Zuſtand
der Rechtskenntniß fixirt worden iſt (S. 34). Der
einzige Fall, der hier eine Vergleichung darbietet, iſt
das Edict des Oſtgothiſchen Theoderich, weil hier
allein das vorhandene Recht in einer eigenen, neuen
Form dargeſtellt werden ſollte. Ich bin weit ent-
fernt zu glauben, daß, was wir hervorbringen könn-
ten, dieſem Edict völlig gleich ſehen würde, denn der
Unterſchied der Zeiten iſt in der That ſehr groß: die
Römer im Jahr 500 hatten Mühe zu ſagen was
ſie dachten, wir verſtehen gewiſſermaaßen zu ſchrei-
ben: ferner gab es damals gar keine juriſtiſche Schrift-
ſteller, wir haben daran keinen Mangel. Allein da-
rin iſt die Aehnlichkeit unverkennbar, daß dort ein
hiſtoriſcher Stoff dargeſtellt werden ſollte, den man
nicht überſah und nicht regieren konnte, und den wir
Mühe haben in dieſer Darſtellung wieder zu erkennen.
Und darin iſt der Nachtheil entſchieden auf unſrer Seite,
daß im Jahr 500 nichts zu verderben war. In unſrer
Zeit dagegen iſt ein lebendiges Beſtreben nicht abzu-
läugnen, und niemand kann wiſſen, wie viel beſſeres
wir der Zukunft entziehen, indem wir gegenwärtige
Mängel befeſtigen. Denn „ut corpora lente au-
gescunt, cito extinguuntur; sic ingenia studiaque
oppresseris facilius quam revocaveris.“1)
D 2
[52]
Ein wichtiger Punkt iſt noch zu bedenken, die
Sprache nämlich. Ich frage jeden, der für wür-
digen, angemeſſenen Ausdruck Sinn hat, und der
die Sprache nicht als eine gemeine Geräthſchaft,
ſondern als Kunſtmittel betrachtet, ob wir eine Spra-
che haben, in welcher ein Geſetzbuch geſchrieben wer-
den könnte. Ich bin weit entfernt, die Kraft der
edlen Deutſchen Sprache ſelbſt in Zweifel zu ziehen;
aber eben daß ſie jetzt nicht dazu taugt, iſt mir ein
Zeichen mehr, daß wir in dieſem Kreiſe des Denkens
zurück ſind. Kommt nur erſt unſre Wiſſenſchaft
weiter, ſo wird man ſehen, wie unſre Sprache durch
friſche, urſprüngliche Lebenskraft förderlich ſeyn wird.
Noch mehr, ich glaube wir ſind in dieſem Stücke
noch in neueren Zeiten rückwärts gegangen. Ich
kenne aus dem achtzehenten Jahrhundert kein Deut-
ſches Geſetz, welches in Ernſt und Kraft des Aus-
drucks mit der peinlichen Gerichtsordnung Karls des
fünften verglichen werden könnte.
Ich weiß, was man auf dieſe Gründe antwor-
ten kann, ſelbſt wenn man ſie alle zugiebt: die Kraft
des menſchlichen Geiſtes ſey unendlich, und bey red-
lichem Streben könne auch jetzt plötzlich ein Werk
hervorgehen, woran von allen dieſen Mängeln keiner
verſpürt würde. Wohl: der Verſuch ſteht jedem frey,
an Aufmerkſamkeit fehlt es unſrer Zeit nicht, und es
hat keine Gefahr, daß das wirkliche Gelingen über-
ſehen werde.
[53]
Ich habe bis jetzt die Fähigkeit unſrer Zeit zu
einer allgemeinen Geſetzgebung unterſucht, als ob der-
gleichen noch nicht unternommen worden wäre. Ich
wende mich jetzt zu den Geſetzbüchern, welche die
neueſte Zeit wirklich hervorgebracht hat.
[54]
7.
Die drey neuen Geſetzbücher.
Die vollſtändige Kritik eines Geſetzbuchs, die von
größerem Umfang ſeyn muß, als das Geſetzbuch ſelbſt,
kann eben deshalb in den Gränzen einer kleinen
Schrift nicht verſucht werden. Auch kommt es hier
auf dieſe Geſetzbücher nicht ſowohl in ihrem Werthe
im einzelnen an, als in der Wahrſcheinlichkeit, die ſie
uns für oder wider das Gelingen einer neuen Unter-
nehmung dieſer Art darbieten. Sie ſind nämlich
ſämtlich aus demjenigen Zuſtande juriſtiſcher Bil-
dung hervorgegangen, für welchen oben die Fähig-
keit zur Verfertigung eines guten Geſetzbuchs verneint
worden iſt, und ſie werden folglich hiſtoriſch zur Be-
ſtätigung oder Widerlegung unſrer Behauptung die-
nen können. Ich ſtelle den Code Napoleon zuerſt,
weil über ihn allein ausführliche Verhandlungen be-
kannt gemacht ſind, welche recht unmittelbar zu un-
ſrem Zwecke führen können. 1)
[55]
Bey dem Code ſind die politiſchen Elemente der
Geſetzgebung vor den techniſchen von Einfluß gewe-
ſen, und er hat deshalb in dem beſtehenden Rechte
mehr als die deutſchen Geſetzbücher geändert. Die
Gründe und die Natur dieſes überwiegenden Einfluſ-
ſes ſind neuerlich in einer ſehr geiſtreichen Schrift ſo
gründlich dargeſtellt worden 1), daß ich mich begnü-
gen kann, ihre Anſichten hier kurz zuſammen zu faſ-
ſen. Die Revolution nämlich hatte zugleich mit der
alten Verfaſſung auch einen großen Theil des bür-
gerlichen Rechts vernichtet, beides mehr aus blindem
Trieb gegen das beſtehende und in ausſchweifenden,
ſinnloſen Erwartungen von einer unbeſtimmten Zu-
kunft, als von dem Wahn eines beſtimmten, für
trefflich gehaltenen Zuſtandes geleitet. Als nun Bo-
naparte alles unter militäriſchen Despotismus zwang,
hielt er den Theil der Revolution, der ihm diente,
und die Rückkehr der alten Verfaſſung ausſchloß, be-
gierig feſt, das übrige, was nun ſchon Alle anekelte,
und was ihm ſelbſt entgegen geweſen wäre, ſollte
verſchwinden, nur war dies nicht überall möglich, da
1)
[56] die Wirkung der vergangenen Jahre auf Bildung,
Sitten und Geſinnungen nicht auszulöſchen war.
Dieſe halbe Rückkehr zu den vorigen ruhigen Zuſtän-
den war allerdings wohlthätig, und ſie gab dem Ge-
ſetzbuch, das in dieſer Zeit entſtand, ſeine Hauptrich-
tung. Aber dieſe Rückkehr war Ermüdung und Ueber-
druß, nicht der Sieg edlerer Kräfte und Geſinnun-
gen, auch wäre für dieſe in dem öffentlichen Zuſtand,
der ſich nun zur Plage von Europa bildete, kein
Raum geweſen. Dieſe innere Bodenloſigkeit iſt in
den Discuſſionen des Staatsraths unverkennbar, und
muß auf jeden aufmerkſamen Leſer einen troſtloſen Ein-
druck machen. Dazu kam nun der unmittelbare Ein-
fluß der Staatsverfaſſung. Dieſe war, als der Code
gemacht wurde, der Theorie nach republikaniſch im
Sinn der Revolution, in der That aber neigte ſich
ſchon alles zu dem ſpäter entwickelten Despotismus.
Daher entſtand in den Grundſätzen ſelbſt Schwanken
und Veränderlichkeit, ſo z. B. erklärte Bonaparte
ſelbſt 1803 im Staatsrathe dieſelben Familienfidei-
commiſſe für ſchädlich, unſittlich und unvernünftig 1),
welche 1806 wieder eingeführt und 1807 in den Code
aufgenommen wurden. Weit gefährlicher aber für
die Geſinnung war es, daß durch dieſen ſchnellen
[57] Wechſel der letzte ſo oft beſchworene Gegenſtand des
Glaubens und der Verehrung wieder vernichtet wur-
de, und daß Ausdrücke und Formen nunmehr beſtän-
dig mit den Begriffen in Widerſpruch kamen, wo-
durch in den Meiſten auch der letzte Reſt von Wahr-
heit und ſittlicher Haltung verſchwinden mußte. Es
würde ſchwer ſeyn, einen öffentlichen Zuſtand zu er-
finden, welcher für die Geſetzgebung nachtheiliger als
dieſer wirkliche wäre. Auch blickt bey den Franzo-
ſen ſelbſt nicht ſelten durch die ſtehenden Lobpreiſun-
gen ein Gefühl dieſes unſeeligen Zuſtandes und der
Unvollkommenheit der auf denſelben gegründeten Ar-
beit hervor 1). Für Deutſchland aber, das der Fluch
dieſer Revolution nicht getroffen hatte, war der Code,
der Frankreich einen Theil des Weges zurück führte,
vielmehr ein Schritt vorwärts in den Zuſtand der
Revolution hinein, folglich verderblicher und heilloſer
als für Frankreich ſelbſt 2). — Doch alle dieſe An-
ſichten haben glücklicherweiſe für uns Deutſche nur
noch ein hiſtoriſches Intereſſe. Napoleon zwar hatte
es anders gemeynt. Ihm diente der Code als ein
Band mehr, die Völker zu umſchlingen, und darum
[58] wäre er für uns verderblich und abſcheulich geweſen,
ſelbſt wenn er allen innern Werth gehabt hätte, der
ihm fehlt. Von dieſer Schmach ſind wir erlöſt, und
es wird bald wenig mehr davon übrig ſeyn, als die
Erinnerung, daß ſo manche Deutſche Juriſten, ſelbſt
ohne allen äußeren Beruf, recht vergnügt mit dieſem
Inſtrument geſpielt, und uns Heil verkündigt haben
von dem was uns zu verderben beſtimmt war. Jetzt
hat der Code eine andere Stellung gegen Europa
angenommen, und wir können ihn ruhig und unpar-
teyiſch als ein Geſetzbuch für Frankreich beurtheilen.
Wir betrachten nunmehr den techniſchen Theil
des Code, welcher gedacht werden könnte ohne alle
Revolution, indem er ſchon beſtehendes Recht ent-
hält 1). Dieſes beſtehende Recht aber iſt theils Rö-
miſches, theils Franzöſiſches (coutumes), ſo daß auch
dieſer Theil des Code in jedem einzelnen Stücke von
Frankreich zur Hälfte neues Recht einführte, und nir-
gends willkommen war 2); derſelbe Erfolg würde
bey einem ähnlichen Verſuche in Deutſchland unver-
meidlich ſeyn. Davon abgeſehen, wenden wir uns
nun zur Arbeit ſelbſt. Es iſt ſelbſt in Deutſchland
[59] nicht ſelten der Ernſt und die Gründlichkeit gerühmt
worden, womit man dieſe Arbeit betrieben habe 1).
Daß die vier Redactoren mit der Grundlage des
ganzen (dem projet de code civil) in wenigen
Monaten zu Stande kamen, war freylich nicht zu
längnen: aber alles, was hier mangeln mochte, ſoll-
te in der Discuſſion des Staatsraths, dieſem Stolze
der Franzöſiſchen Adminiſtration, vollendet worden
ſeyn. Daß in dieſer Discuſſion öfters auch gute
Gedanken vorkamen, iſt wahr, aber den allgemeinen
Character derſelben hat Thibaut ſehr richtig in ober-
flächliches Hin- und Herreden und Durcheinandertap-
pen geſetzt 2). Doch, was hier die Hauptſache iſt,
das eigentlich techniſche, wovon der wahre Werth ab-
hieng, iſt ſo gut als gar nicht zur Sprache gekom-
men. Und wie konnte es auch anders ſeyn! Einem
ſehr zahlreichen und ſehr gemiſchten Collegium konn-
ten wohl Fragen begreiflich gemacht werden, wie die-
ſe, ob der Vater ſeine Tochter ausſtatten müſſe, und
ob der Kauf wegen großer Läſion angefochten wer-
den könne, aber die allgemeine Theorie des Sachen-
rechts und der Obligationen iſt nun einmal nicht ohne
wiſſenſchaftliche Vorbereitung zu verſtehen, ja ſie
[60] konnte nicht einmal zur Sprache kommen bey einer
Discuſſion, die den Entwurf blos nach der Reihe der
einzelnen Artikel prüfte, ohne den Inhalt und die
Behandlung ganzer Abſchnitte zu unterſuchen. So iſt
es denn gekommen, daß z. B. die Discuſſion über
die Anfechtung des Kaufs wenigſtens viermal ſo ſtark
iſt, als die über die zwey erſten Kapitel der Verträ-
ge 1). Und doch wird mir jeder Sachkundige zuge-
ben, daß für den Werth und die Brauchbarkeit des
Geſetzbuchs überhaupt jene iſolirte Fragen gegen die-
ſen allgemeinen Lehren ganz unbedeutend ſind. Der
Staatsrath alſo hat an dem Code, ſoweit er tech-
niſch iſt, keinen Theil, und der Code iſt und bleibt
die ſehr ſchnelle Arbeit der bekannten Redactoren, ei-
gentlicher Juriſten. Und wie ſtand nun die Rechts-
wiſſenſchaft in Frankreich, als dieſe Männer ſich bil-
deten? Es iſt allgemein bekannt, daß für das Römi-
ſche Recht Pothier der Leitſtern der neuern Franzöſi-
ſchen Juriſten iſt, und daß ſeine Schriften den un-
mittelbarſten Einfluß auf den Code gehabt haben.
Ich bin weit entfernt, Pothier gering zu ſchätzen,
vielmehr wäre die Jurisprudenz eines Volkes, worin
er einer von vielen wäre, recht gut berathen. Aber
eine juriſtiſche Literatur, in welcher er allein ſteht,
[61] und faſt als Quelle verehrt und ſtudiert wird, muß
doch Mitleid erregen. Betrachten wir ferner dieſe
juriſtiſche Gelehrſamkeit, wie ſie in unläugbaren
Thatſachen vor uns liegt, ſo iſt ſie in der That
merkwürdig. Sehr bedeutend ſind ſchon ſolche Er-
ſcheinungen wie Desquiron1), der von ei-
nem Römiſchen Juriſten Juſtus Lipſius bald
nach den zwölf Tafeln und von dem berühmten
Sicardus unter Theodoſius II., Verfaſſer des
Codex Theodoſianus, erzählt; ſelbſt ſolche Monſtroſi-
täten verſtatten einen Schluß auf den mittleren Durch-
ſchnitt des wiſſenſchaftlichen Zuſtandes. Allein wir
wollen uns unmittelbar an die Verfaſſer des Geſetzbuchs
wenden, an Bigot-Preameneu, Portalis und
Maleville. Von den gelehrten Anſichten des erſten
iſt bereits oben (35) eine Probe vorgekommen. Von
Portalis mag die folgende Probe genügen. Der
art. 6. enthält die Regel: jus publicum privato-
rum pactis mutari non potest. Man hatte den
Einwurf gemacht, jus publicum heiße nicht das
Recht was den Staat intereſſirt, ſondern jedes Ge-
ſetz ohne Unterſchied, jedes jus publice stabilitum.
Darauf antwortet Portalis2): im allgemeinen ſeyen
[62] beide Bedeutungen des Worts zuzugeben, aber es
frage ſich, was es eben in dieſer Stelle des Römi-
ſchen Rechts heiße. „Or, voici comment est conçu
le sommaire de la loi 31me au Digeste de pac-
tis: contra tenorem legis privatam utilitatem
continentis pacisci licet. … Ainsi, le droit pu-
blic est ce que interesse plus directement la
societé qui les particuliers.“ Ich will nicht da-
von reden, daß hier jus publicum oberflächlich und
ſchief verſtanden iſt, aber ich frage: was lag bey
dieſer allgemeinen Regel daran, wie ſich die Römer
eine ähnliche Regel dachten? und wenn daran etwas
lag, wie war es möglich, den Sprachgebrauch der
Römer aus einer Stelle des Bartolus (denn von
dieſem iſt das summarium) darzuthun, d. h. dieſen
mit den Römiſchen Juriſten für Eine Maſſe zu hal-
ten? Das heißt doch wohl tamquam e vinculis
sermocinari!Maleville zeigt ſich in ſeinem Buche
durchaus als ein ehrenwerther und verſtändiger Mann:
aber einige Spuren ſeiner juriſtiſchen Gelehrſamkeit
ſind um ſo entſcheidender, da er gerade unter die
Repräſentanten des Römiſchen Rechts bey der Re-
daction des Code gehörte. So z. B. giebt er eine
kleine Ueberſicht der Geſchichte der Uſucapion und
der res mancipi, die einzig in ihrer Art iſt 1): ſo
[63] lange die Römer nur kleines und nahes Landeigen-
thum hatten, ſagt er, waren zwey Jahre zur Ver-
jährung hinreichend, als ſie aber in den Provinzen,
alſo in großer Entfernung von Rom, Land erwar-
ben, wurden zehen Jahre erfodert (die longi tem-
poris praescriptio). Res mancipi hießen die Ita-
liſchen Grundſtücke und alle bewegliche Sachen, bey
beweglichen Sachen gieng durch bloße Tradition Ei-
genthum über und Uſucapion ging nur auf res
mancipi; bey res nec mancipi aber, d. h. bey Pro-
vincialgrundſtücken, gab es eine longi temporis prae-
scriptio, wozu kein Titel gehörte; der Inhaber derſel-
ben hieß dominus bonitarius. An einer andern Stelle
iſt von der Juſtinianiſchen Uſucapion die Rede: man
müſſe unterſcheiden zwiſchen dem Diebe ſelbſt und dem
dritten, welcher von dem Diebe kaufe, jener brauche
30 Jahre, bey dieſem komme die L. un. C. de
usuc. transform. in Anwendung, alſo dreyjährige
Verjährung 1), ganz als ob von res furtiva bey
den Römern niemals die Rede geweſen wäre.
Ein anderer ſehr merkwürdiger Fall betrifft Por-
talis und Maleville zugleich. Bey der Ehe-
ſcheidung nämlich wird beſtändig Römiſches Recht
mit zur Sprache gebracht, aber Portalis und Ma-
leville gehen aus von einer Geſchichte der Römi-
ſchen Eheſcheidung, welche nicht etwa blos falſch,
[64] ſondern ganz unmöglich iſt; ſo z. B. glauben beide,
die Ehe habe nicht von einem Ehegatten einſeitig,
ſondern nur durch Uebereinkunft getrennt werden
können, wodurch in der That das ganze Recht der
Pandekten, ja ſelbſt das von Juſtinian über die-
ſen Gegenſtand, vollkommen ſinnlos wird; ſelbſt die
Scheidung durch Uebereinkunft ſey bey den Römern
blos eine Folge der irrigen Anſicht, daß die Ehe mit
anderen Contracten auf gleicher Linie ſtehe 1)! Und
dieſes betraf hier nicht etwa eine geſchichtliche Curio-
ſität, ſondern Grundſätze, welche auf die Discuſſion
unmittelbaren Einfluß hatten, wie denn z. B. gerade
das unverſtändigſte in der ganzen Geſchichte der Rö-
miſchen Eheſcheidung zum allgemeinen Ekel in den
Art. 230 aufgenommen iſt. Dieſer Zuſtand juriſti-
ſcher Gelehrſamkeit aber iſt nicht als Hochmuth oder
Verſtockung auszulegen; bey den Debatten über die
Reſciſſion des Kaufs führte einem Staatsrath der
Zufall die Diſſertation von Thomaſius über die
L. 2. C. de resc. vend. in die Hände, und es iſt
ordentlich rührend zu ſehen, mit welchem Erſtaunen
dieſe Schrift aufgenommen, excerpirt und discutirt
wird 2). Mit ähnlicher und beſſerer Gelehrſamkeit
könnten
[65] könnten wir freilich noch in anderen Materien die-
nen! auch kann man dieſer literariſchen Unſchuld keine
nationale Parteylichkeit vorwerfen, denn bekanntlich
lebten in Frankreich im 16ten Jahrhundert einige
Leute, von denen man noch jetzt Römiſches Recht ler-
nen kann. Aber ich ſelbſt habe einen juriſtiſchen
Profeſſor in Paris ſagen hören, die Werke des Cu-
jaz dürften zwar in einer ſehr vollſtändigen Biblio-
thek nicht fehlen, gebraucht würden ſie indeſſen nicht
mehr, weil alles gute aus ihnen bey Pothier ſtehe.
So viel von dem Boden, worauf der Code ge-
wachſen iſt, nun von der Frucht ſelbſt. Materielle
Vollſtändigkeit lag nicht im Plane, es kam daher auf
folgende drey Stücke an: Auswahl der Gegenſtände,
Auswahl der Beſtimmungen über jeden Gegenſtand,
und Verhältniß zu demjenigen, was in subsidium
gelten ſollte, wo der Code nicht zureichen würde. —
Die Auswahl der Gegenſtände war für den praktiſch
gebildeten Juriſten das leichteſte, aber gerade dieſe
iſt hier ſo ungeſchickt ausgefallen, daß für die An-
wendung die fühlbarſten Lücken im großen entſtehen.
Nicht Erfahrung und praktiſcher Sinn hat ſie be-
ſtimmt, ſondern der Anſtoß, welchen herkömmliche
Lehrart gegeben hatte, und geht man weiter zurück,
ſo wird man häufig finden, daß wichtige Gegenſtände
blos deswegen fehlen, weil ſie auch gar nicht oder
nur beyläufig in Juſtinians Inſtitutionen vorkom-
men, die ja ſo vielen neueren Syſtemen oft unbe-
E
[66] merkt zum Grunde liegen 1). Doch dieſer Mangel
kann uns gleichgültiger ſeyn, da er in jedem künfti-
gen Fall leicht zu vermeiden wäre.
Weit wichtiger in dieſer Rückſicht, und weit ſchwe-
rer an ſich, iſt die Auswahl der Beſtimmungen über
die wirklich abgehandelten Gegenſtände, alſo das
Finden der Regel, wodurch künftig die Maſſe des
einzelnen regiert werden ſoll. Hier kam es dar-
auf an, ſelbſt im Beſitz der leitenden Grundſätze zu
ſeyn, worauf alle Sicherheit und Wirkſamkeit im
Geſchäft des Juriſten beruht (22), und worin die
Römer ſo groß als Muſter vor uns ſtehen. Gerade
von dieſer Seite aber erſcheint die Arbeit der Fran-
zoſen am allertraurigſten, wie nunmehr in einigen
Beyſpielen gezeigt werden ſoll.
Ein Hauptfehler, der überall fühlbar wird, iſt
dieſer. Die Theorie des Vermögensrechts iſt im Gan-
zen die Römiſche. Bekanntlich beruht aber das Rö-
miſche Vermögensrecht auf zwey Grundbegriffen, der
dinglichen Rechte nämlich und der Obligationen,
und jeder weiß, wie viel die Römer mit der Schärfe
und Beſtimmtheit dieſer Begriffe ausrichten. Dieſe
Grundbegriffe nun ſind hier nicht etwa blos nirgends
definirt, was ich gar nicht tadeln wollte, ſondern ſie
kennen ſie gar nicht in dieſer Allgemeinheit, und dieſe
[67] Unkunde verbreitet über das ganze Werk mehr Däm-
merung, als man glauben ſollte. Allein dieſer Punkt,
ſo wichtig er iſt, bleibt doch zu ſehr im allgemeinen
ſtehen; die Lehre von der Ungültigkeit juriſtiſcher
Handlungen in Anwendung auf die Verträge, auf
die actes de l’etat civil und auf die Ehe, wird
Gelegenheit geben, mehr in das beſondere einzuge-
hen. Für die Ungültigkeit der Verträge hat das
Römiſche Recht den bekannten Unterſchied von ipso
jure und per exceptionem, der im alten Recht mit
der höchſten Beſtimmtheit ausgebildet war, und noch
im Juſtinianiſchen Recht wohl mehr, als man ge-
wöhnlich annimmt, wirkſam geblieben iſt. Im Code
kommt ein Gegenſatz von convention nulle de
plein droit und action en nullité ou en rescision
vor (a. 1117). Ob die Verfaſſer dieſen Gegenſatz
für einerley mit jenem Römiſchen gehalten haben,
kann uns gleichgültig ſeyn: aber ſehr wichtig iſt es,
daß die Theorie dieſer indirecten Ungültigkeit (durch
action en nullité) ganz unbeſtimmt gelaſſen iſt.
Es kommt faſt nichts davon vor, als die Zeit der
Verjährung (a. 1304), während ſehr viele und ſehr
wichtige Verſchiedenheiten der Wirkung gerade ſo
noch jetzt ſtatt finden können, wie ſie bey den Rö-
mern ſtatt fanden, alſo auf irgend eine Weiſe be-
ſtimmt werden mußten, da die Sache einmal ange-
regt war. — Für die actes de l’état civil iſt eine
Menge von Förmlichkeiten vorgeſchrieben, die ihrer
E 2
[68] Natur nach ganz willkührlich ſind (L. 1. T. 2. Ch.
1.). Aber eben deshalb war es doppelt nöthig zu
beſtimmen, was für Folgen die Vernachläſſigung die-
ſer Formen haben ſollte. Mehrere Gerichtshöfe mach-
ten auf dieſe Nothwendigkeit aufmerkſam 1), den-
noch enthält der Code davon gar nichts. Man
ſollte nun denken, in Paris ſey man über die Sache
ſelbſt ſo ſicher und einig geweſen, daß man eine
ausdrückliche Beſtimmung für überflüſſig gehalten
hätte; keinesweges. Cambaceres nimmt an, die
Nichtbeobachtung jeder Form erzeuge Nullität, d. h.
ſie vernichte alle Beweiskraft der Urkunde. Tron-
chet dagegen meynt, bey Geburt und Tod komme
auf die Formen gar nichts an, und Falſum allein
könne entkräften: bey Ehe hingegen, laſſe ſich aller-
dings eine ſolche Nullität wegen fehlender Form den-
ken. 2)Simeon aber nimmt an, die nichtbeobach-
tete Form entkräfte niemals den Beweis, alſo auch
nicht bey Ehe. 3) Iſt nun dieſe Meynung richtig,
ſo gehörten alle dieſe Formen gar nicht in den Co-
de, ſondern in die bloße Inſtruction der Beamten,
die Faſſung des Code alſo ſpricht eigentlich gegen
dieſe Meynung. Die Sache iſt aber um ſo ſchlim-
mer, da dieſe Formen bey den Todtenliſten wenig-
[69] ſtens in Paris ganz unausführbar ſind, und auch
in den Provinzen ihre Aufrechthaltung nur gewünſcht
wird. 1). — Noch weit wichtiger aber iſt die Lehre
von der Ungültigkeit der Ehe. Das Römiſche Recht
hatte hier einen ſehr einfachen und ſehr klaren Weg
eingeſchlagen. Fehlte eine Bedingung gültiger Ehe,
ſo hieß es: non est matrimonium, und auf dieſes
Nichtdaſeyn konnte ſich zu jeder Zeit jeder berufen,
der Luſt dazu hatte; eine beſondere Klage zur Auf-
hebung war nicht nöthig, ja nicht denkbar, alſo gab
es auch keine Verjährung noch andere Beſchränkung
dieſes Rechts. Dieſe Einfachheit genügte, weil für
jeden andern Fall die einſeitige Eheſcheidung aus-
half; daß man in unſern Zeiten damit nicht auskam,
war natürlich, und man konnte alſo außer den Fäl-
len jener Nullität (welche ich die Römiſche Nullität
nennen will) noch ein beſonderes Recht auf Anfech-
tung aufſtellen, was man (da es auf das Wort
nicht ankommt) immerhin action en nullité nennen
mochte. Wie verhält ſich nun dazu der Code? er
nimmt zweyerlei Nullitäten an, abſolute und relative
(L. 1. T. 5. Ch. 4.). Dieſes möchte man wohl ge-
rade für den hier beſchriebenen Gegenſatz halten, ſo
daß z. B. Vernachläſſigung der Trauungsform eine
Römiſche Nullität wäre. Genau ſo verſteht es auch
Portalis2), der eben für dieſen ſpeciellen Fall
[70] die wahre, ächte Nullität mit lebhaften Farben aus-
mahlt. Allein Maleville nimmt die Römiſche Nul-
lität (das non est matrimonium) außer allen die-
ſen Anfechtungsrechten (mariage qui peut être
cassé) und verſchieden von denſelben an, ſo daß es
dreyerley gäbe: 1. non est matrimonium; 2. ab-
ſolute Nullität des Code; 3. relative Nullität 1).
Auch bey N. 2. läßt ſich wohl etwas denken, näm-
lich es wäre ein Klagerecht auf Vernichtung, was
jeder hätte, aber doch ein bloßes Klagerecht, ſo daß
ohne alle Klage, und wenn z. B. ein Ehegatte ge-
ſtorben wäre, die Ehe mit allen Folgen gültig blie-
be; nur wäre das freylich eine überflüſſige Subtili-
tät. Aber noch verwickelter iſt die Anſicht von Ma-
leville in dem ſpeciellen Fall, wenn die Trauungs-
form fehlt. Dieſe Ehe, ſagt der Art. 191. peut être
attaqué von jedermann; aber Art. 193. läßt mer-
ken, es werde Fälle dieſer Art geben, in welchen
die Ehe nicht werde aufgehoben werden, doch ohne
dieſe Fälle zu nennen. Aus beiden Stellen zieht
Maleville folgendes Reſultot 2): die Ehe peut
être attaqué, d. h. man kann auf Aufhebung kla-
gen, das Geſetz verwehrt die Klage nicht, aber was
der Richter thun will, iſt ſeine Sache, oder mit an-
dern Worten, die Aufhebung der Ehe hangt von der
[71] Willkühr des Richters ab. Das wäre folglich noch
eine vierte Art der Ungültigkeit, verſchieden von
den drey oben angegebenen. Schwerlich giebt es
einen Fall, in welchem richterliche Willkühr gefähr-
licher und unpaſſender iſt als in dieſem. Ob ſie
gilt, ſteht freylich dahin, denn das Geſetz ſagt davon
eigentlich nichts, und zwey Redactoren haben dar-
über, wie ich gezeigt habe, ganz entgegen geſetzte
Meynungen. Aus zwey Gründen aber wird dieſe
Ungewißheit noch beſonders hart: erſtlich, weil ſich
in Paris (und wahrſcheinlich nicht bloß da) die mei-
ſten Armen der Koſten wegen gar nicht trauen laſſen 1),
zweytens weil die Form der Trauung ſelbſt eine höchſt
ſchwankende Bedingung in ſich faßt. Nämlich die
Trauung muß nothwendig von dem officier du do-
micile eines der beyden Ehegatten geſchehen, ſo daß
nicht einmal Delegation zuläſſig iſt 2). Aber das
domicile iſt hier nicht das ſonſt gewöhnliche (Art.
102), ſondern ein beſonderes, für die Trauung al-
lein erfundenes, nämlich Aufenthalt von 6 Monaten
(Art. 74), ſo daß man nicht einmal zwiſchen bei-
den Arten von domicile zu dieſem Zwecke die Wahl
hat 3). Wie oft nun muß es bey manchen Gewer-
ben zweifelhaft ſeyn, ob man auch bey dem beſten
[72] Willen den rechten Beamten getroffen hat! In jedem
Falle dieſer Art aber iſt das ganze Schickſal einer
Familie der völlig blinden Willkühr eines Gerichts
überlaſſen, welchem bey keiner möglichen Entſcheidung
ein Vorwurf gemacht werden kann, da jede Entſchei-
dung die angeſehenſten Autoritäten für ſich hat. Und
der erſte Grund dieſes heilloſen Schwankens iſt, daß
man nicht von einem beſtimmten, entſcheidenden Be-
griffe ausgegangen iſt, ſondern ſich in ſteter Verwir-
rung zwiſchen wahrer Nullität und Anfechtungsrecht
hin und her bewegt hat, ohne jemals aus der Un-
klarheit heraus kommen zu können 1), wodurch die
gänzliche Unnützlichkeit der Staatsrathsdisruſſionen in
techniſchen Dingen recht anſchaulich wird. Bey den
Römern waren ſolche Dinge gar nicht möglich, und
es war dieſe Unmöglichkeit nicht etwa der Gipfel
ihrer Kunſt, ſondern der erſte Anfang: das heißt, ſie
waren Männer vom Fach, während dieſe Redacto-
ren und Staatsräthe reden und ſchreiben wie Dilet-
[73] tanten, oder mit anderen Worten, jene brauchten
kein Geſetzbuch, dieſe ſollten keines machen wollen.
Noch wird durch dieſen Fall recht anſchaulich, was
oben über die Gefährlichkeit unnöthiger und unberu-
fener Geſetzgebung geſagt worden iſt. Eine Verwir-
rung der Begriffe, wie die hier beſchriebene, kann
viele Jahre da ſeyn, unbemerkt und unſchädlich, weil
ſich durch Gebrauch das alles in ein gewiſſes leidli-
ches Gleichgewicht geſetzt hat. Aber jetzt wird ſie
geſetzlich ausgeſprochen, und wohl gar durch Discuſ-
ſionen ohne Erfolg zur allgemeinen Kenntniß ge-
bracht, und nun wird ſie gefährlich, nun wird ſie
in der Hand des Ungerechten ein Mittel, Andere zu
beſtricken und zu übervortheilen. Dieſes wäre eine
politiſche Deutung der Regel: omnis definitio in
jure civili periculosa est.
Zuletzt iſt noch bey dem Code über dasjenige
zu ſprechen, was in subsidium gelten ſoll, wo er
nicht zureicht. Ueber den Umfang und die Wichtig-
keit deſſelben haben ſich die Franzoſen nicht getäuſcht,
ſie haben eingeſehen, daß eigentlich die allerwenigſten
Rechtsfälle unmittelbar durch eine Stelle des Code
entſchieden werden können, daß alſo faſt überall
jenes unbekannte das wahrhaft entſcheidende ſeyn
müſſe 1). Aber über die Natur deſſelben erklären
[74] ſie ſich etwas mannichfaltig, ſie behandeln es wie
eine unbeſtimmte Größe, welche viele Werthe haben
kann. Als ſolche Werthe nämlich kommen vor 1):
1. équité naturelle, loi naturelle; 2. Römiſches
Recht; 3. die alten coutumes; 4. usages, exemples,
décisions, jurisprudence; 5. droit commun2);
6. principes généraux, maximes, doctrine, scien-
ce. Ueber das Verhältniß dieſer ſehr verſchiedenen
Werthe zu einander wird gar nichts geſagt, außer
einmal, daß das Naturrecht nur in subsidium gelte,
wenn ſelbſt usage und doctrine nicht ausreiche 3).
Wir wollen es verſuchen, beſtimmte Reſultate hier-
aus zu ziehen.
Zuvörderſt iſt es auffallend, daß Eine Art der
Ergänzung gar nicht vorkommt, die organiſche näm-
lich, welche von einem gegebenen Punkt (alſo von
einem Grundſatz des Geſetzbuchs) mit wiſſenſchaftli-
cher Sicherheit auf einen nicht gegebenen ſchließt.
Unſere Juriſten haben davon unter den Namen Ana-
1)
[75] logie und argumentum legis etwas beſchränkte Be-
griffe, und auch bey den Franzoſen findet ſich einmal
beyläufig eine Ahnung davon 1). Aber daß nicht
eigentlich Gebrauch davon gemacht wird, iſt wohl
nicht zufällig. Dieſes Verfahren ſetzt in dem Geſetz-
buch ſelbſt eine organiſche Einheit voraus. An eine
ſolche aber iſt hier auch nicht entfernt zu denken,
weder materiell, noch formell. Nicht materiell,
denn der Code enthält blos mechaniſch vermengt die
Reſultate der Revolution und das vorige Recht
(S. 56), ja auch das vorige Recht iſt in ihm nichts
in ſich verbundenes, da er eine transaction zwiſchen
Römiſchem Recht und coutumes ſeyn ſoll, wie öf-
ters von ihm gerühmt worden iſt. Formelle Einheit
würde er ſeyn, wenn er von den Juriſten, ſeinen
Verfaſſern, durch die verarbeitende Kraft des Gedan-
kens zu einem logiſchen Ganzen geworden wäre,
aber daß man ſich nicht ſo hoch verſtiegen hat, wird
durch die bisherige Darſtellung klar geworden ſeyn.
Demnach blieb freylich nichts übrig, als eine Ergän-
zung von außen zu ſuchen.
Die oben angegebenen Ergänzungsmittel, welche
[76] bey den franzöſiſchen Schriftſtellern ſelbſt vorkom-
men, laſſen ſich noch ſehr reduciren. Das Natur-
recht iſt wohl mehr zum Staat als zu ernſtlichem
Gebrauch mit aufgeführt; wo von beſondern Anwen-
dungen die Rede iſt, wird keine Notiz davon genom-
men, und nur in Deutſchland hat man den Zuſtand
der Franzöſiſchen Richter wegen des freyen Gebrauchs
dieſer Rechtsquelle glücklich geprieſen 1); ich wünſchte
aber wohl gegenwärtig zu ſeyn, wenn ein Franzöſi-
ſches Gericht nach dem Naturrecht entſcheidet, ob
eine Ehe wegen unvollkommener Form der Trauung
ungültig iſt. Die übrigen Stücke kommen zurück
auf dieſe zwey: 1. bisheriges Recht; 2. wiſſenſchaft-
liche Theorie. Dieſe ſind nun einzeln zu prüfen.
Das bisherige Recht iſt bekanntlich nicht blos,
wo es dem Code widerſpricht, ſondern in allen Ma-
terien, die der Code berührt, aufgehoben (Art. 4),
alſo ſo gut als überall. Indeſſen ſind die Franzoſen
über die Bedeutung dieſer Aufhebung mehr im kla-
ren, als die Deutſchen Juriſten, welche aus Haß
oder Neigung gegen das Römiſche Recht viel dar-
über geſtritten haben. Jene nehmen an, das Römi-
ſche Recht ſowohl als die coutumes zu befolgen,
ſey dem Richter erlaubt, aber es ſey ihm nicht gebo-
ten, und zwar habe das den Sinn, daß ein richter-
[77] liches Urtheil nicht deswegen raſſirt werden könne,
weil es dieſen Rechtsquellen widerſpreche 1). Daſ-
ſelbe gilt nun auch vom vormaligen Gerichtsge-
brauch 2), wie denn unzähligemal die alte jurispru-
dence als Quelle angeführt wird. Ohne Zweifel
denkt man ſich das nicht ſo, daß jeder Richter in
einem Fall, den der Code unentſchieden läßt, zwi-
ſchen Römiſchem Recht und irgend einer coutume
wählen dürfe, denn ſonſt wäre die Willkühr zu un-
geheuer, ſondern jeder ſoll das Recht befolgen, was
in dieſer Gegend vormals galt, d. h. entweder Rö-
miſches Recht, durch den alten Gerichtsgebrauch mo-
dificirt, oder eine ſpecielle coutume mit derſelben
Modification. Die nothwendige Folge davon wird
wiederum eine große Rechtsverſchiedenheit in den
Sprengeln der einzelnen Appellationsgerichte ſeyn,
und dieſe Verſchiedenheit wird jetzt, wo ſie in der
Stille, gegen die Abſicht des Geſetzes, und mit Ver-
wirrung der vorigen Gränzen ſtatt finden muß, ein
wahres Uebel ſeyn, was ſie vormals nicht war.
Dabey wird aber ſchon der günſtige Fall vorausge-
ſetzt, daß die Gerichte auf dieſe regelmäßige Weiſe
von der Erlaubniß jener entfernten Rechtsquellen Ge-
brauch machen wollen. Aber wer bürgt dafür, da
es ihnen nicht geboten iſt? Wenn alſo in einem
[78] Rechtsfall ein Gericht vorzieht, irgend eine beliebige
équité oder loi naturelle anzuwenden aus beſonde-
rer Ueberzeugung, oder als Vorwand einer Ungerech-
tigkeit, ſo kann ihm durchaus kein Vorwurf gemacht
werden, denn das Geſetz läßt dieſes alles gelten.
Man ſage nicht, das Caſſationsgericht werde die
künftige Praxis in Ordnung, ja ſogar in Gleichför-
migkeit erhalten: das Caſſationsgericht ſoll ja blos
caſſiren, wo gegen ein Geſetz des Code oder ein
neueres Geſetz geſprochen wird: der Spruch für oder
wider loi naturelle, Römiſches Recht, coutume
oder jurisprudence liegt alſo ganz außer der Wirk-
ſamkeit jenes Gerichtshofes. Endlich iſt auch noch
der wichtige Umſtand zu bemerken, daß in allen aus
der Revolution hervorgegangenen Stücken des Code
das vorige Recht gar keinen Schutz gegen die blin-
deſte Willkühr gewährt. Auch dafür mag wiederum
das oben gewählte Beyſpiel von Ungültigkeit der
Ehe zur Erläuterung dienen.
Das zweite, was als Supplement des Code
gelten kann, iſt die wiſſenſchaftliche Theorie. Porta-
lis beſchreibt dieſe einmal ſehr prächtig: ſie ſey wie
das Meer, die Geſetze ſeyen die Ufer 1). In Frank-
reich hat es nun freylich mit dieſem Meere nicht viel
zu bedeuten, denn eine Rechtswiſſenſchaft, die nicht
auf dem Boden gründlich hiſtoriſcher Kenntniß ruht,
[79] verſieht eigentlich nur Schreibersdienſt bey dem Ge-
richtsgebrauch. So iſt es in Frankreich in der That,
und eine von dem Gerichtsgebrauch verſchiedene The-
orie exiſtirt da eigentlich nicht, ſo daß alles, was
über die Unſicherheit des praktiſchen Rechts geſagt
worden iſt, auch die Theorie trifft. Die Lehranſtal-
ten allein haben ihrer Natur nach eine ganz theore-
tiſche Form: von dieſen wird im folgenden Abſchnitt
bequemer geſprochen werden können.
Allerdings können einige Umſtände eintreten,
wodurch der Zuſtand der praktiſchen Rechtspflege
günſtiger ausfällt, als hier angedeutet worden iſt.
Durch Unkenntniß und Geiſtesträgheit kann es dahin
kommen, daß einzelne Quellen und Schriftſteller in
vielen Gerichten gleichförmig befolgt werden, ſo z. B.
kann man die coutume von Paris mit ihrem Com-
mentator Ferriere weit und breit bequem finden,
auch wo ſie ſonſt nicht gegolten hat. Auch mögen
in der alten jurisprudence gar manche Sätze ziemlich
allgemein angenommen geweſen ſeyn. Vielleicht iſt es
etwas der Art, was man ſich unter dem oben ge-
nannten droit commun (S. 74) denkt. Ferner
muß man nicht glauben, daß gerade alle hier ge-
nannte Uebel als ſolche empfunden werden müſſen;
die Römer des vierten und fünften Jahrhunderts
nach Chriſtus haben auch nicht daran gedacht, daß
wir ſie wegen ihres tiefen Verfalls bedauern wür-
den. Im Ganzen aber iſt doch nicht zu läugnen,
[80] daß ein Zuſtand ſehr großer Rechtsungewißheit zu be-
fürchten iſt. Dieſer Zuſtand nun iſt unerträglich; denn
ob an verſchiedenen Orten verſchiedenes Recht gilt,
daran liegt wenig, aber wenn für einen gegebe-
nen einzelnen Fall das Recht dem Zufall und der
Willkühr preis gegeben iſt, ſo iſt das ſchlimmſte ein-
getreten, was für die Rechtspflege gedacht werden
kann, und dieſes Uebel wird gewiß von jedem em-
pfunden.
Es verdient die rühmlichſte Anerkennung, daß
in Frankreich wenigſtens Eine wahre und gründliche
Stimme über das, was man thun wollte, gehört
worden iſt: aber dieſe Stimme iſt verhallt ohne Spur
einer Wirkung. Das Txibunal von Montpellier
ſpricht über den künftigen Gerichtsgebrauch, wodurch
der Code ergänzt werden ſoll, alſo 1): „Mais
quelle jurisprudence! n’ayant d’autre règle que
l’arbitraire sur l’immensité d’objets à co-ordon-
ner au systême de la législation nouvelle, à quel-
le unité, à quel concert faudrait il s’attendre de la
part d’une pareille jurisprudence, ouvrage de
tant de juges et de tant de tribunaux, dont l’opi-
nion ébranlée, par les secousses révolutionnai-
res, serait encore si diversement modifiée! quelle
serait enfin le régulateur de cette jurispruden-
ce disparate, qui devrait nécessairement se com-
poser
[81]poser de jugemens non sujets à cassation, puis-
qu’ils ne reposeraient pas sur la base fixe des
lois, mais sur des principes indéterminés d’équi-
té, sur des usages vagues, sur des idées logi-
ciennes, et, pour tout dire en un mot, sur l’ar-
bitraire! A un systême incomplet de législa-
tion, serait donc joint pour supplément une
jurisprudence défectueuse.“ Dieſem Uebel zu be-
gegnen, heißt es weiter, könne man zwey Wege ein-
ſchlagen. Entweder den Code blos betrachten als
Inſtitutionen, und ihm ein zweytes, ausführlicheres
Werk beygeben, was den Zweck von Juſtinians Pan-
dekten und Codex hätte. Oder man könnte zweytens
und beſſer als Regel das bisherige, verſchiedene Recht
beſtehen laſſen, und blos in einzelnen beſtimmten
Stücken neues und gleichförmiges Recht durch ganz
Frankreich einführen, das heißt alſo, kein Geſetzbuch
machen. Dieſes iſt der eigentliche Vorſchlag, und die
ganze Art, wie er ausgeführt und begründet wird,
iſt ſo gediegen und ächt praktiſch, daß man in die-
ſer Umgebung durch ſo friſche Gedanken zwiefach er-
freut wird.
Ich wende mich nun zum Preußiſchen Landrecht.
Zur Geſchichte deſſelben dienen zunächſt die officiellen
Bekanntmachungen über dieſen Gegenſtand 1), dann
F
[82] einige Stellen aus Kleins Schriften 1), der wich-
tigſte Beytrag aber von Simon iſt erſt 1811 durch
folgende Veranlaſſung erſchienen 2). Die Materia-
lien der geſammten neuen Geſetzgebung nämlich ſind
noch größtentheils vorhanden; dieſe zu ordnen und
dadurch erſt brauchbar zu machen, wurde dem eben
genannten Rechtsgelehrten übertragen, und deſſen Be-
richt über dieſes Geſchäft giebt eine ſo gründliche und
vollſtändige Geſchichte der ganzen Unternehmung, daß
dagegen die bisherigen Nachrichten fragmentariſch
und zum Theil unzuverläſſig erſcheinen. Es iſt nicht
möglich, in dieſer trefflichen Schrift zu ſehen, wie
durch vereinte und ſtets wiederholte Arbeit der eigent-
lichen Redactoren, der Geſetzcommiſſion, der Landes-
collegien, der ſtändiſchen Deputirten, und vieler Ge-
lehrten und Geſchäftsmänner aus allen Theilen von
Deutſchland das Landrecht entſtanden iſt, ohne vor
1)
[83] dem Ernſt und der Ausdauer, die darin bewieſen wor-
den ſind, große Achtung zu empfinden; die Seele
des Ganzen aber war der geiſtreiche Suarez, durch
welchen Einheit in der Wirkſamkeit ſo vieler und ver-
ſchiedener Mitarbeiter erhalten wurde. Gleich von
dieſer Seite wird kein Unbefangener den Code mit
dem Landrecht vergleichen wollen: nicht blos die Ge-
wiſſenhaftigkeit und Liebe zur Sache, die den beſſe-
ren Deutſchen natürlich iſt, erklärt dieſen Unterſchied,
ſondern auch die ganz verſchiedene äußere Lage, aus
welcher beide Geſetzbücher hervorgiengen: der Code
ſollte ſchnell fertig ſeyn, um manches drückende Uebel
aus der Revolution zu mildern, und um alles auf
gleichen Fuß zu ſetzen, während das Landrecht blos
mit dem Zweck und dem Gefühl, etwas treffliches zu
leiſten, ohne äußere Noth, die dazu drang, bearbeitet
wurde. Was ich als einen zweyten großen Vorzug
des Landrechts betrachte, iſt das Verhältniß deſſelben
zu den localen Quellen; es ſollte blos als ſubſidiari-
ſches Recht an die Stelle des „Römiſchen, gemeinen
Sachſen- und andrer fremden ſubſidiariſchen Rechte
und Geſetze treten“ 1), und alle Provincialrechte ſoll-
ten fort beſtehen, aber auch binnen drey Jahren zu
beſonderen Geſetzbüchern verarbeitet werden 2). An-
F 2
[84] dere werden dieſes Verhältniß vielmehr als eine Un-
vollkommenheit des Landrechts betrachten.
Sehen wir aber auf die innere Entſtehung des
Landrechts, ſo wird auch dadurch unſre Anſicht beſtä-
tigt, nach welcher in dieſer Zeit kein Geſetzbuch unter-
nommen werden ſollte. Der Plan, nach welchem ge-
arbeitet wurde, liegt vor Aller Augen. Das Juſti-
nianiſche Recht ſollte dergeſtalt Grundlage des Gan-
zen ſeyn, daß davon nur aus beſonderen Gründen
abgewichen werden ſollte. Dieſe Gründe wurden
darin geſetzt, wenn ein Satz des Römiſchen Rechts
aus der ſtoiſchen Philoſophie, oder der beſondern Ver-
faſſung, z. B. der Politik der Kaiſer, oder aus den
ſpitzfindigen Fictionen und Subtilitäten der alten Ju-
riſten entſtanden wäre 1). Dadurch zerfällt das
Römiſche Recht im Verhältniß zum Landrecht in zwey
Theile, einen anwendbaren als Regel, und einen un-
anwendbaren als Ausnahme, und es entſtand die
doppelte Aufgabe, die Ausnahme gehörig abzuſon-
dern, und die Regel gründlich zu verſtehen. Näm-
lich was in der That auf ſtoiſcher Philoſophie oder
2)
[85] beſonderer Verfaſſung beruht, und was eine verwerf-
liche Subtilität iſt, kann offenbar nur von einer ſehr
gründlichen Rechtsgeſchichte aus erkannt werden; dieſelbe
geſchichtliche Kenntniß und zugleich ein lebendiges Quel-
lenſtudium iſt nöthig, wenn das anwendbare recht ver-
ſtanden und zu wirklicher Anwendung erſprieslich ver-
arbeitet werden ſoll. Ob nun die Schulen von Net-
telbladt und Darjes, in welchen gewiß die Meiſten
gebildet worden ſind, die auf das Landrecht großen
Einfluß gehabt haben, im Beſitz dieſer geſchichtlichen
Kenntniſſe und dieſes Quellenſtudiums waren, über-
laſſe ich jedem aus den Schriften dieſer Schulen und
ihrer Meiſter zu beurtheilen 1). Der Anfang des Gan-
zen ſollte ein vollſtändiger Auszug der Juſtinianiſchen
Rechtsbücher ſeyn. Dazu war Anfangs an Schloſſer
der Antrag gemacht worden, mit welchem man aber
über die Bedingungen nicht einig werden konnte 2).
Der Auszug ſelbſt wurde nun von D.Volkmar
nach einem ſyſtematiſchen Plane von Suarez ge-
macht; zur Kontrolle der Vollſtändigkeit verfertigte
Volkmar ein Verzeichniß aller Stellen des Corpus
juris nach Ordnung der Quellen, ſo daß bey jeder
Stelle bemerkt wurde, wo ſie in jenem Syſteme vor-
[86] komme, oder warum ſie da fehle. Dieſer ſyſtemati-
ſche Auszug wurde dann von Volkmar und Pa-
chaly verarbeitet, welche Verarbeitung als das erſte
Material der eigentlichen Redaktion anzuſehen iſt 1).
Dieſes Material iſt allerdings unglaublich oft geprüft
und wieder bearbeitet worden, und gewiß iſt im
Landrecht davon ſehr wenig unmittelbar übrig geblie-
ben. Aber nicht blos hangt in der Richtung jedes
Geſchäfts von großem Umfang ungemein viel von
dem erſten Anſtoß ab, ſondern gerade hier konnte
gar vieles beynahe nur in dieſer erſten Grundlage
geſchehen, und was von Volkmar gethan und un-
terlaſſen worden iſt, muß wohl für alle nachfolgende
Arbeiten ſehr beſtimmend geweſen ſeyn. Sollte die-
ſer überwiegende Einfluß vermieden werden, ſo hätte
ein Anderer, unabhängig von Volkmars Arbeit,
und unmittelbar aus den Quellen ſelbſt, das erſte
Material nochmals aufſtellen müſſen, und darin allein
hätte eine durchgreifende Probe für Volkmars Ar-
beit, was die Kenntniß und den Gebrauch der Quel-
len betrifft, beſtehen können. Dieſes iſt nicht geſche-
hen, alle folgende Reviſionen ſind wahrſcheinlich hier-
auf am wenigſten gerichtet geweſen, und ſo ſteht
Volkmars Arbeit ſehr allein, obgleich man ihn blos
als Sammler betrachtet, auch nicht vorzüglich geſchätzt
[87] zu haben ſcheint 1). Gerade für dieſe Stelle wäre
ein Mann von Geiſt und Gelehrſamkeit ſehr wün-
ſchenswerth geweſen, und es wäre intereſſant, wenn
man wenigſtens nach einzelnen Proben vergleichen könn-
te, wie Schloſſer die Aufgabe gelöſt haben würde.
Vielleicht lag aber in dem Mechanismus des gan-
zen Geſchäfts ein Grund, warum dieſer Auftrag für
einen Mann von Bedeutung und Selbſtſtändigkeit
nicht paſſend geweſen wäre.
Sieht man auf das Reſultat, wie es vor uns
liegt, ſo iſt ein beſtimmtes Urtheil ſchwerer als bey
dem Code, weil die Verhandlungen, woraus dieſes
Reſultat hervorgegangen iſt, nicht bekannt gemacht
ſind. Auch ſcheint es, daß der Plan des Werks, ſo
wie der ganzen Rechtspflege, die darauf gegründet
werden ſollte, nicht immer derſelbe geweſen iſt. Ur-
ſprünglich hatte unläugbar Friedrich II. die Abſicht,
daß das Geſetzbuch höchſt einfach, populär und zu-
gleich materiell vollſtändig ſeyn ſollte, ſo daß das
Geſchäft des Richters in einer Art mechaniſcher An-
[88] wendung beſtehen könnte 1). Dieſem gemäß verbot
er ſchlechthin alle Interpretation, und wollte, daß
bey unzulänglichen oder zweifelhaften Geſetzen, in je-
dem einzelnen Fall bey der geſetzgebenden Gewalt an-
gefragt würde 2). Auch noch im Entwurf des Ge-
ſetzbuchs iſt die Interpretation dem Richter eigentlich
ganz unterſagt, und alles an die Geſetzcommiſſion
auch für einzelne Fälle gewieſen 3). Ganz anders
nach dem Landrechte; dieſes will, daß der Richter
auch auf den Grund des Geſetzes ſehe, vorzüglich
aber, daß er jeden Fall, für welchen er kein Geſetz
findet, nach den allgemeinen Grundſätzen des Geſetz-
buchs und nach den Geſetzen ähnlicher Fälle entſchei-
de 4); die Anfrage bey der Geſetzcommiſſion war
ſchon dadurch äußerſt beſchränkt und ſelbſt wo ſie
ſtatt fand, war doch nur der anfragende Richter an
den Ausſpruch gebunden, und es galten Rechtsmittel
[89] gegen das Urtheil 1). In der neueſten Ausgabe
des Landrechts aber iſt auch dieſe beſchränkte Anfrage
aufgehoben, und die Interpretation des Richters für
jede Art von Fällen geſtattet 2). Dadurch iſt denn
allerdings die ganze Lage des Richters anders, als
Friedrich II. ſie gedacht zu haben ſcheint, und dem
ganzen Richteramte wird dadurch ein mehr wiſſen-
ſchaftlicher und weniger mechaniſcher Character zuer-
kannt. Dennoch iſt dieſes nur eine einzelne Abwei-
chung von der Regel, es ſoll offenbar nur von den
als ſelten gedachten Ausnahmen gelten, in welchen
ein unmittelbar beſtimmendes Geſetz fehlen würde, ja
ein Fall dieſer Art ſoll, ſobald er vorkommt, ange-
zeigt und durch ein neues Geſetz entſchieden werden 3).
Die eigentliche Tendenz des beſtehenden Geſetzes ſelbſt
alſo geht auch jetzt noch darauf, daß die einzelnen
Rechtsfälle als ſolche vollſtändig aufgezählt, und ein-
zeln entſchieden werden. Und gerade darin iſt die
Methode des Landrechts der oben beſchriebenen, wel-
che wir in den übrig gebliebenen Schriften der
Römiſchen Juriſten finden, entgegen geſetzt; nicht
zum Vortheil des Landrechts, wie es mir ſcheint.
[90] Bey den Römern beruht alles darauf, daß der
Juriſt durch den lebendigen Beſitz des Rechts-
ſyſtems in den Stand geſetzt wird, für jeden gegebe-
nen Fall das Recht zu finden. Dazu führt die ſchar-
fe, individuelle Anſchauung der einzelnen Rechtsver-
hältniſſe, ſo wie die ſichere Kenntniß der leitenden
Grundſätze, ihres Zuſammenhangs und ihrer Unterord-
nung, und wo wir bey ihnen Rechtsfälle in der be-
dingteſten Anwendung finden, dienen ſie doch ſtets
als verkörperter Ausdruck jenes allgemeinen. Dieſen
Unterſchied wird mir jeder zugeben, der das Land-
recht unbefangen mit den Pandekten vergleicht, und
eine ſolche Vergleichung iſt hier gewiß zuläſſig, da ja
nicht von eigenthümlicher Römiſcher Verfaſſung, ſondern
von allgemeiner Methode die Rede iſt. Was insbe-
ſondere die ſcharfe, individuelle Auffaſſung der Be-
griffe betrifft, ſo iſt der nicht ſeltene Mangel derſel-
ben im Landrecht weniger auffallend und fühlbar,
weil eben die materielle Vollſtändigkeit des Details
ihrer Natur nach dahin ſtrebt, dieſe Lücke auszufül-
len. Was aber die praktiſchen Regeln ſelbſt, als den
eigentlichen Zweck jedes Geſetzbuchs anlangt, ſo iſt die
Folge des hier beſchriebenen Characters, daß die mei-
ſten Beſtimmungen des Landrechts weder die Höhe
allgemeiner, leitender Grundſätze, noch die Anſchau-
lichkeit des individuellen erreichen, ſondern zwiſchen
beiden Endpunkten in der Mitte ſchweben, während
die Römer beide in ihrer naturgemäßen Verknüpfung
[91] beſitzen. Es darf aber auch nicht überſehen werden,
daß eine große, vielleicht unüberſteigliche Schwierig-
keit in der gegenwärtigen Stufe der deutſchen Spra-
che lag, welche überhaupt nicht juriſtiſch, und am
wenigſten für Geſetzgebung, ausgebildet iſt; wie ſehr
dadurch die lebendige Darſtellung individueller Rechts-
verhältniſſe erſchwert, ja unmöglich gemacht wird,
kann jeder finden, der irgend einen eigenen Verſuch
der Art, z. B. eine Ueberſetzung aus den Pandekten,
unternehmen will. Ja hierin hatten ſogar die Fran-
zoſen in der größeren Beſtimmtheit der Formen und
in der lateiniſchen Abſtammung ihrer Sprache vor
uns einen großen Vorzug: daß ſie ihn nicht beſſer
benutzt haben, erklärt ſich aus dem eben dargeſtellten
traurigen Zuſtand ihrer Sachkenntniß. — Man wür-
de dieſe Bemerkungen ſehr wisverſtehen, wenn man
ſie ſo deuten wollte, als ob die Verfaſſer des Land-
rechts gegen das künftige wiſſenſchaftliche Studium
deſſelben gleichgültig geweſen wären, was gar nicht
meine Meynung iſt. Sehr merkwürdig iſt in dieſer
Rückſicht die bekannte Preißaufgabe von 1788 1),
welche ein Lehrbuch in zwey Theilen forderte, deren
erſter ein aus dem Geſetzbuch ſelbſt abſtrahirtes Na-
turrecht, der zweite einen Auszug des poſitiven Rechts
ſelbſt enthalten ſollte. Man hat dieſe Anſicht des
[92] Naturrechts mitunter ſehr vornehm angelaſſen und
ihr damit Unrecht gethan; offenbar ſollte unter die-
ſem Namen dasjenige dargeſtellt werden, was der
Geſetzgeber ſelbſt in ſeinen Geſetzen für allgemein und
nicht für poſitiv anſehe, eine intereſſante hiſtoriſche
Aufgabe, der des Römiſchen jus gentium ganz ähn-
lich. Alſo gering geſchätzt hatte man die wiſſenſchaft-
liche Kenntniß des praktiſchen Rechts keinesweges,
vielmehr erkennt das Landrecht in ſeiner neueſten Ge-
ſtalt das dringende Bedürfniß dieſer wiſſenſchaftlichen
Kenntniß an: aber es iſt unverkennbar, daß ein in-
nerer Widerſtreit zwiſchen dieſer Anerkennung und der
Conſtruction des Werkes ſelbſt obwaltet, indem dieſe
Conſtruction ſelbſt nach der urſprünglichen Idee von
Friedrich II. hinneigt, woraus ſie ja auch hervorge-
gangen iſt.
Jede Regierung iſt zu tadeln, welche die Einſich-
ten ihres Zeitalters nicht kennt oder verſchmäht. Von
dieſer Seite aber iſt die Preuſſiſche Geſetzgebung ge-
wiß keinem Vorwurf ausgeſetzt. Die Stimme nicht
blos der eigenen Geſchäftsmänner, ſondern aller
Deutſchen Gelehrten 1), iſt aufgerufen und gehört
worden, und jeder unbefangene Beobachter wird ein-
räumen, daß, was gethan und unterlaſſen worden iſt,
dem Sinn und der Einſicht des Zeitalters vollkom-
[93] men entſprach. Selbſt die bedeutendſte Stimme, wel-
che ſich gleichzeitig dagegen erhoben hat 1), beweiſt
mehr für als wider dieſe Behauptung. Ich verkenne
nicht, wie viel treffliches in Schloſſers Anſichten
und Urtheilen enthalten iſt, allein das beſte darin
betrifft den allgemeinen politiſchen Character unſrer
Zeiten, und mit den eigenthümlichen Bedürfniſſen des
bürgerlichen Rechts war er ſelbſt keinesweges im reinen.
Dieſes erhellt theils aus der von ihm entworfenen
Einleitung eines Geſetzbuchs 2), theils und noch weit
mehr aus ſeinem Plan, das corpus juris auf ein
caput mortuum eigentlicher Geſetze von weniger als
zehn Bogen zu reduciren 3). Daß es ihm an Sinn
für das rechte nicht fehlte, zeigt ſein geiſtreicher und
durchaus vortrefflicher Aufſatz über das Studium des
reinen Römiſchen Rechts 4).
Ein vollſtändiges Urtheil über das techniſche des
Landrechts würde erſt dann möglich ſeyn, wenn die
oben erwähnten Materialien verarbeitet und zur all-
[94] gemeinen Kenntniß gebracht würden. Alles, was für
Erhaltung und Verbreitung wichtiger geſchichtlicher
Quellen geſchieht, verdient ehrenvolle Anerkennung;
ſo die Organiſation jener Materialien, welche von
dem Chef der Preuſſiſchen Juſtiz, dem Herrn Juſtiz-
miniſter von Kircheiſen, verfügt und dann aufs
trefflichſte ausgeführt worden iſt. Allein noch iſt zu
hoffen, daß daſſelbe liberale Intereſſe an der innern
Geſchichte des Landrechts auch die Bekanntmachung
eines zweckmäßigen Auszugs aus denſelben veranlaſ-
ſen wird. Zu befürchten iſt dabey gewiß nichts,
denn was mit ſolchem Ernſt gethan worden iſt, kann
ſehr ruhig jedem Urtheil entgegen ſehen. Daß auf
dieſem Wege, ſelbſt von dem zugegebenen Geſichts-
punkte des Ganzen aus, manches einzelne als unhalt-
bar erkannt werden könnte, iſt wahr, aber dieſes
würde offenbar ein ſehr glücklicher Erfolg ſeyn, denn
jeder Geſetzgebung iſt ein ſolches Mittel zu wünſchen,
wodurch ſie von innen heraus gereinigt werden kann.
Dieſe Materialien müſſen ungleich lehrreicher ſeyn
als die gedruckten über den Code, denn dieſe betref-
fen doch meiſt nur den Uebergang vom projet zum
Code, über die Entſtehung des projet ſelbſt, was
bey weitem die Hauptſache iſt, geben ſie keine Auf-
ſchlüſſe, man müßte denn die leere Declamation der
meiſten Reden für ſolche Aufſchlüſſe halten wollen;
jene Materialien dagegen würden bis auf die erſte
Entſtehung der Gedanken zurück führen können. Ein
[95] beſonderer Vortheil aber würde darin beſtehen, daß
das Landrecht dadurch ein geſchichtliches und litera-
riſches Leben erhalten würde, welches ihm bis jetzt
ganz fehlt. Damit, daß es von einſeitigen Gegnern
ungerecht leiden könnte, hat es keine Noth, denn un-
ter den geiſtreichen und gebildeten Männern, auf
deren Anzahl die Preußiſche Juſtiz ſtolz ſeyn darf,
würden ſich gewiß Mehrere finden, die ein ſolches
Unrecht abzuwehren vermöchten.
Die Geſchichte des Oeſterreichiſchen Geſetzbuchs 1)
hat mit der des Preuſſiſchen Landrechts die Aehnlich-
keit, daß zu beiden der erſte Anſtoß um die Mitte
des vorigen Jahrhunderts gegeben worden iſt 2),
ſo daß eben derſelbe Zuſtand der Deutſchen juriſti-
ſchen Literatur auf beyde einwirken konnte. Die
Grundlage war eine handſchriftliche Arbeit von acht
ſtarken Folianten, größtentheils aus den Commenta-
toren des Römiſchen Rechts gezogen, und ſchon im
Jahre 1767 vollendet. Hieraus machte Horten ei-
nen Auszug, welcher von Martini zu einem Geſetz-
buche verarbeitet wurde; dieſe Arbeit von Martini
wurde dann öffentlich bekannt gemacht, und von den
[96] Oeſterreichiſchen Landescollegien und Univerſitäten ge-
prüft und beurtheilt 1), aus welcher Reviſion end-
lich das gegenwärtige Geſetzbuch entſtanden iſt. Die
Mitwirkung der Rechtsgelehrten des übrigen Deutſch-
lands ſcheint ſehr unbedeutend geweſen zu ſeyn, ja
man ſcheint ſie nicht für ſehr wünſchenswerth gehal-
ten zu haben, theils wegen des ſchlechten Erfolgs ei-
ner Preisaufgabe über den Wucher, theils weil das
Preuſſiſche Landrecht ſchon ſolche Beyträge erhalten hatte,
die alſo in ihm zugleich mit benutzt werden konnten
deshalb ſind nicht ſo, wie im Preuſſiſchen, für die
Beurtheilung öffentlich Preiſe ausgeſetzt worden 2).
Daß man keine Preiſe ausſetzte, konnte ſehr gute
Gründe haben, aber auch ohne Preiſe waren Gut-
achten und Urtheile leicht zu erlangen, nur war frey-
lich bey dem ſehr geringen literariſchen Verkehr des
übrigen Deutſchlands mit Oeſterreich der bloße Ab-
druck des Entwurfs nicht hinreichend; ein Circular
an alle Deutſche Univerſitäten wäre gewiß nicht ohne
Erfolg geblieben. So iſt dieſe Unternehmung, die
ihrer Natur nach nur auf den wiſſenſchaftlichen Zu-
ſtand der ganzen Nation gegründet werden konnte,
als ein gewöhnliches Geſchäft des einzelnen Landes
voll-
[97] vollführt worden, und jede Abſonderung dieſer Art
iſt für den Erfolg, wenn gleich nicht entſcheidend,
doch immer ſehr gefährlich.
Was den Stoff betrifft, ſo könnte man nach den
Vorſchriften der Kaiſerin Maria Thereſia eine größe-
re Originalität als im Preuſſiſchen Rechte erwarten,
da die Verfaſſer ſich nicht an das Römiſche Recht
binden, ſondern überall die natürliche Billigkeit wal-
ten laſſen ſollten 1). Allein was über die Entſtehung
der erſten Grundlage aus den Commentatoren geſagt
worden iſt, ſo wie die Betrachtung des Geſetzbuchs
ſelbſt, zeigt, daß dennoch aus derſelben Quelle, nur
noch weniger rein und unmittelbar, als bey dem
Landrecht geſchöpft worden iſt. In der Behandlung
zeigt ſich ſogleich der Hauptunterſchied, daß man im
Oeſterreichiſchen Geſetzbuch nicht ſo, wie im Preuſſi-
ſchen, die Rechtsfälle ſelbſt zu erſchöpfen, ſondern nur
die Begriffe der Rechtsverhältniſſe und die allgemein-
ſten Regeln für dieſelben aufzuſtellen geſucht hat 2).
In der ganzen Form und Anlage iſt das Werk einem
etwas ausführlichen Inſtitutionencompendium ſehr
ähnlich. Die Ausführung ſoll nun theils für die Be-
griffe (das formelle oder theoretiſche), theils für die
praktiſchen Regeln beſonders geprüft werden.
G
[98]
Daß die Begriffe der Rechtsverhältniſſe bey ei-
nem Werk von dieſem Plan und Umfang vorzugs-
weiſe wichtig ſeyn müſſen, leuchtet von ſelbſt ein;
im Preuſſiſchen Landrecht treten ſie wegen des Reich-
thums an praktiſchen Regeln mehr zurück, und ihre
fehlerhafte Behandlung iſt weniger nachtheilig. Und
gerade von dieſer Seite iſt gar vieles gegen das
Oeſterreichiſche Geſetzgebuch einzuwenden. Die Be-
griffe der Rechte nämlich ſind theils zu allgemein und
unbeſtimmt, theils zu ſehr auf den bloßen Buchſta-
ben des Römiſchen Rechts, oder auch auf das Mis-
verſtändniß neuerer Commentatoren deſſelben gegrün-
det, was bey gründlicher Quellenkenntniß nicht mög-
lich geweſen wäre. Beiderley Fehler hat das Geſetz-
buch nicht blos mit dem Landrecht gemein (welchem
ſie, wie ſchon bemerkt iſt, weniger ſchaden), ſondern
noch vor demſelben voraus, wie nunmehr in einigen
Beyſpielen gezeigt werden ſoll. Von der Conſtruc-
tion der Begriffe ſelbſt aber iſt hier die Rede, nicht
von Definitionen, denen als bloßen Symptomen je-
ner Conſtruction nur ein bedingter und untergeord-
neter Werth zugeſchrieben werden muß, und welche
nur in dieſer Beziehung und nicht um ihrer ſelbſt willen,
Gegenſtand der folgenden Beurtheilung ſeyn werden.
— Zuvörderſt iſt ſchon oben (S. 66) bey dem Code
bemerkt worden, wie wichtig und überall eingreifend
im Römiſchen Rechte die höchſt beſtimmten Begriffe
von dinglichen Rechten und Obligationen ſind. Daſ-
[99] ſelbe gilt vom Begriff des Status. Hier nun liegt
die Unterſcheidung von Perſonenrechten und Sachen-
rechten zum Grunde (§. 14. 15), die aber weder auf
Römiſche, noch auf irgend eine andere Weiſe beſtimmt
gedacht ſind. Das Landrecht (I. 2. §. 122 — 130)
iſt darin genauer. — Der Begriff der Sache (§.
285 vgl. §. 303) wird in ſolcher Allgemeinheit ge-
nommen, daß kaum etwas iſt, was nicht Sache
heißen könnte: Künſte, Wiſſenſchaften, Fertigkeiten,
Begriffe ſind insgeſammt Sachen in dieſem allgemei-
nen Sinne. Nun werden aber unmittelbar auf den
Begriff der Sache zwey der allerwichtigſten Rechts-
begriffe gegründet: Beſitz (§. 309) und Eigenthum
(§. 353. 354). Allein es iſt einleuchtend, daß eben
dadurch dieſe Begriffe durchaus geſtaltlos und un-
brauchbar werden; ſo müßten wir z. B. nach §. 309
einem Gelehrten den juriſtiſchen Beſitz ſeiner Wiſſen-
ſchaft zuſchreiben, denn er hat ſie in ſeiner Macht,
und er hat den Willen, ſie zu behalten. Unvermerkt
wird deshalb in der Behandlung dieſer Lehren ein
engerer, nirgends beſtimmter Begriff von Sache un-
tergelegt, allein auch dieſer ſtillſchweigend eingeführte
Begriff iſt nicht zulänglich, denn nach ihm müßte es
doch noch z. B. an einer Forderung (obligatio)
Beſitz und Eigenthum geben, was zwar uneigentlich
geſagt werden kann, wozu aber die ganze Theorie
von Beſitz und Eigenthum gar nicht paßt. Das
Landrecht (I. 2. §. 3) hilft hier durch einen beſonders
G 2
[100] aufgeſtellten engeren Begriff der Sachen, worauf ſich
nachher die Rechtsverhältniſſe beziehen. Ein noch
allgemeinerer Nachtheil jenes unbrauchbaren Begriffs
der Sache zeigt ſich ſchon bey der Eintheilung der
Sachenrechte in dingliche und perſönliche (§. 307):
zu den dinglichen werden die bekannten fünf Arten
gerechnet, Beſitz, Eigenthum, Pfand, Dienſtbarkeit
und Erbrecht (§. 308), deren Zuſammenſtellung al-
lein ſchon hinreicht, jeden beſtimmten Gattungsbegriff
ganz unmöglich zu machen. — Die Objevte der
Erſitzung werden ſo allgemein angegeben (§. 1455),
daß man viele Rechte, z. B. Forderungen, darunter
rechnen müßte, auf welche doch dieſe Art des Erwerbs
nur auf ſehr gezwungene und überflüſſige Weiſe an-
gewendet werden könnte, eine Anwendung, die wahr-
ſcheinlich gar nicht einmal gemeynt iſt. Das Land-
recht (I. 9) verhütet dieſen Zweifel dadurch, daß es
die ganze Lehre unter den Erwerbungen des Eigen-
thums abhandelt. — Unter den perſönlichen Ser-
vituten werden das Recht des Gebrauchs und das
der Fruchtnießung dadurch unterſchieden, daß jenes
auf das bloße Bedürfniß des Berechtigten beſchränkt
ſeyn ſoll, dieſes aber nicht (§. 504. 509). Der
praktiſche Sinn davon iſt dieſer, daß Verträge und
Teſtamente, wenn ſie von einem Recht des Gebrauchs
reden, von einem ſolchen auf das Bedürfniß be-
ſchränkten Nutzungsrecht ausgelegt werden ſollen.
Allein dieſe Interpretation iſt gewiß nicht natürlich,
[101] da es gar nicht gewöhnlich iſt, gerade dieſes mit
dem Worte Gebrauch zu bezeichnen. Wie dieſer Be-
griff entſtanden iſt, kann nicht zweifelhaft ſeyn; es
iſt der usus, im Gegenſatz des ususfructus, aber
nicht der usus der Römiſchen Juriſten ſelbſt, ſon-
dern der, welcher in unſern Compendien bis auf die
neueſten Zeiten fälſchlich angenommen war. Die
Römer verſtehen unter usus den Gebrauch ohne
allen Fruchtgenuß, z. B. bey einem Pferde das
Reiten und Fahren, aber nicht die Füllen und das
Miethgeld. Nur wenn aus Verſehen ein usus an
einer ſolchen Sache gegeben iſt, an welcher ganz oder
zum Theil dieſer reine Gebrauch unmöglich iſt, inter-
pretiren ſie ausnahmsweiſe den usus wie vollen oder
theilweiſen ususfructus, indem ſie nothgedrungen an-
nehmen, daß man ſich ſchlecht ausgedrückt habe, wes-
halb durch Interpretation nachgeholfen werden müſ-
ſe. Das eigenthümliche Daſeyn dieſes usus beruht
auf Römiſchem Sprachgebrauch, und da wir kein
Wort von entſprechender Beſtimmtheit haben, ſo
ſchlägt das Landrecht den richtigern Weg ein, den
usus ganz zu ignoriren, und außer dem Nießbrauch
zuerſt im allgemeinen zu bemerken, daß man auch
nach Belieben eingeſchränkte Nutzungsrechte geben
könne (I. 21. §. 227), dann aber ſolche Fälle dieſer
Art abzuhandeln, die noch bey uns gewöhnlich ſind.
— Den Unterſchied des Vormundes vom Curator
(§. 188) möchte man auf den erſten Blick darin
[102] ſetzen, daß jener auf Minderjährige, dieſer auf alle
übrige Hülfsbedürftige bezogen würde. Dieſe Ter-
minologie wäre zwar neu und dem Geſetzbuch eigen,
doch tadellos. So iſt es aber nicht, denn auch Min-
derjährige erhalten ſehr oft einen Curator, und nicht
einen Vormund (§. 270 — 272). Unverkennbar iſt
dieſes aus dem Römiſchen Rechte beybehalten, das
ja auch häufig dem Pupillen einen bloſen Curator
giebt: nur daß hier überhaupt an die Stelle der
Pupillen mit Recht alle Minderjährige getreten ſind.
Allein das Römiſche Recht hat zu dieſer ſcharfen Un-
terſcheidung der Tutel und Curatel einen beſonderen
Grund. Der Tutor nämlich iſt ihm diejenige Per-
ſon, durch deren auctoritas der ſonſt zum Handeln
unfähige Pupill ergänzt werden kann, während jeder
Curator nichts als gemeiner Verwalter fremder Rechte
iſt. Das alſo iſt das eigenthümliche und wichtige
des Römiſchen Tutors, daß mit ſeiner Hülfe für den
Pupillen Mancipationen, Stipulationen, Vindicatio-
nen u. ſ. w. möglich ſind, welche Handlungen durch
freye Stellvertreter, alſo auch durch Curatoren, gar
nicht vorgenommen werden können. Der Schlüſſel
der ganzen Tutel alſo, inſofern ſie etwas eigenthüm-
liches, von der Curatel verſchiedenes war, lag in der
Regel: per extraneam personam nihil adquiri
(neque alienari) potest1); dieſe Regel wurde
[103] zwar ſpäter auf civile Handlungen beſchränkt 1),
aber bey dieſen erhielt ſie ſich noch in Juſtinians
Zeit, wie die angeführten Stellen ſeiner Rechtsbü-
cher beweiſen. Wir dagegen in unſerm praktiſchen
Rechte, haben davon keine Spur mehr, alſo auch
keinen Grund, zwiſchen Tutor und Curator die
Römiſche Gränze zu behalten, die für uns ihren
Sinn verloren hat. Das Geſetzbuch ſucht nun gleich
bey der erſten Einführung des Vormundes (§. 188)
die Fälle auszuſchließen, in welchen der Pfleger eines
Minderjährigen blos Curator heißt; dieſes geſchieht
durch die Beſtimmung: „Ein Vormund hat vor-
züglich für die Perſon des Minderjährigen zu
ſorgen, zugleich aber deſſen Vermögen zu verwalten.“
In der vorzugsweiſen Beziehung auf die Perſon
alſo (obgleich nach §. 282 dieſelbe Beziehung auch
bey Curatoren ſtatt finden kann) läge das unter-
ſcheidende des Vormundes. Dieſes iſt nun unver-
kennbar die Römiſche Regel: personae, non rei vel
causae (tutor) datur2), die in unſern neueren
Compendien ganz auf dieſelbe Weiſe wie in dem
Geſetzbuch modificirt worden iſt, weil man ſich doch
nicht verbergen konnte, daß der Tutor allerdings
auch mit dem Vermögen einiges Geſchäft habe 3).
[104] Ganz conſequent wird daher dem Vormund das
Recht und die Verbindlichkeit der Erziehung „gleich
dem Vater“ übertragen (§. 216), wobey er nur in
wichtigen und bedenklichen Angelegenheiten an die
Genehmigung des Gerichts gebunden iſt. Allein der
Sinn jener Römiſchen Regel iſt ein ganz anderer:
die persona, von welcher darin geſprochen wird,
iſt die juriſtiſche Perſönlichkeit des Pupillen, die Fä-
higkeit deſſelben zu förmlichen Handlungen. Dieſe
Fähigkeit für alle Anwendungen zu ergänzen (will
die Stelle ſagen) iſt der Hauptberuf des Tutors,
darum muß ſich ſein Amt allgemein auf alle Theile
des Vermögens erſtrecken, und kann nicht auf ein-
zelne Rechtsverhältniſſe des Pupillen beſchränkt wer-
den. Darum hat denn auch der Römiſche Tutor
mit der Erziehung des Pupillen durchaus gar nichts
zu ſchaffen, ſondern über dieſe verfügt der Prätor
ganz frey nach den Umſtänden, wobei zufällig ſeine
Wahl auf den Tutor wie auf jeden Andern fallen
kann 1). Man wird dagegen einwenden, eben die-
ſen Satz des Römiſchen Rechts habe man aus guten
Gründen abändern wollen. Wohl: aber der übrige
Zuſammenhang macht dabey eine nicht geringe
Schwierigkeit. Denn das Geſetzbuch hat aus dem
Römiſchen Rechte das ſtrenge Recht der nächſten
Verwandten auf tutela legitima angenommen (§.
[105] 198), und dieſe allgemeine Gewalt des künftigen
Inteſtaterben 1) über die Perſon des Minderjährigen
iſt ſehr bedenklich. Man braucht nicht gerade den
äußerſten Fall anzunehmen, daß der Vormund den
Mündel umbringt, um ihn zu beerben: auch in vie-
len anderen unbemerkteren Fällen wird in der per-
ſönlichen Leitung und Erziehung das Intereſſe des
Mündels von dem ſeines künftigen Erben ſehr ver-
ſchieden ſeyn. Dagegen ſchützen weder die geſetzli-
chen Gründe der Unfähigkeit zur Vormundſchaft (§.
191. 193), die immer ſehr ſelten nachzuweiſen ſeyn
werden, noch die Genehmigung des Gerichts, die ja
nur in bedenklichen Angelegenheiten eingeholt zu wer-
den braucht (§. 216), noch endlich die Anzeige, die
hinterher von wirklichem Misbrauch der Gewalt ge-
macht werden kann (§. 217). In dieſem Fall iſt
der organiſche Zuſammenhang verſchiedener Rechts-
ſätze recht merkwürdig. Das Römiſche Recht macht
ſeine tutela legitima dadurch unſchädlich, daß es
die Erziehung davon abſondert: der Hauptberuf des
Tutors iſt der, zu auctoriren, und gewiß iſt von kei-
nem Menſchen weniger als von dem künftigen Er-
ben zu befürchten, daß er in leichtſinnige Veräuße-
[106] rungen oder Verſprechungen einwilligen werde. Nach
dem Preuſſiſchen Landrecht beſtimmt auf gleiche Wei-
ſe, wie nach dem Römiſchen Rechte, das Gericht un-
mittelbar den Erzieher, ohne an den Vormund ge-
bunden zu ſeyn (II. 18. §. 320); und überdem gilt gar
kein Recht beſtimmter Verwandten auf tutela legi-
tima (II. 18. §. 194), was unſrer heutigen Anſicht
der Vormundſchaft gewiß angemeſſen iſt. Auch in
Beſtimmung des Begriffs der Vormundſchaft geht
das Landrecht freyer zu Werke: Vormund heißt ihm
derjenige, welcher alle, Curator der, welcher nur ge-
wiſſe Angelegenheiten zu beſorgen hat (II. 18. §. 3.
4). Dabey iſt die Römiſche Terminologie mit Recht
ganz verlaſſen, dafür aber innerer Zuſammenhang
erlangt. So z. B. hat nun auch der Wahnſinnige
einen Vormund (II. 18. §. 12), der nach dem Oeſter-
reichiſchen Geſetzbuch nur einen Curator hat (§. 270).
Dieſes folgt darin dem Römiſchen Rechte; aber der
Grund des Römiſchen Rechts, den Schutz der Pupil-
len von dem der Wahnſinnigen ſtreng zu unterſchei-
den, lag darin, daß bey Pupillen und nicht auch
bey Wahnſinnigen eine auctoritas möglich war, und
dieſer Grund exiſtirt nicht mehr. Daß Dinge ſolcher
Art geringfügig und unbedeutend ſeyen, wird nie-
mand behaupten, der aufmerkſam den großen Ein-
fluß dieſer Verknüpfung und Bezeichnung der Be-
griffe auf die Rechtsſätze ſelbſt beobachtet hat.
Bisher iſt von der Conſtruction der Begriffe im
[107] Oeſterreichiſchen Geſetzbuch die Rede geweſen, und
nur beyläufig auch von praktiſchen Sätzen, inſofern
nämlich jene Conſtruction unmittelbaren Einfluß auf
dieſelben ausgeübt hat. Nun iſt noch beſonders von
den praktiſchen Sätzen zu ſprechen. Es iſt ſchon be-
merkt worden, daß die materielle Vollſtändigkeit,
welche im Preuſſiſchen Landrechte geſucht war, hier
gar nicht zur Aufgabe gehörte: die Entſcheidung der
einzelnen Rechtsfälle wird demnach meiſtens, ſo wie
bey dem Code (S. 73), nicht unmittelbar durch das
Geſetzbuch beſtimmt werden können, und das außer
ihm liegende, wodurch ſie in der That beſtimmt wer-
den wird, verdient auch hier die allergrößte Aufmerk-
ſamkeit. Das Geſetzbuch ſelbſt (§. 7) ſchreibt eine dop-
pelte Quelle dieſer Ergänzung vor: zunächſt die wirk-
lich im Geſetzbuch enthaltene Entſcheidung ähnlicher
Fälle, und, wo dieſe nicht ausreicht, das Naturrecht.
Allein die erſte Quelle wird wenig ſichere Hülfe ge-
ben: denn materieller Reichthum des Geſetzbuchs war,
wie ſchon bemerkt, gar nicht geſucht, und von der
formellen Unzulänglichkeit deſſelben iſt ſo eben aus-
führlich die Rede geweſen. Die zweyte Quelle aber
(das Naturrecht) iſt ſelbſt von den würdigen Män-
nern, welche zuletzt zur Entſtehung des Geſetzbuchs
mitgewirkt haben, als ſehr gefährlich für die Rechts-
pflege anerkannt 1). Der Erfolg wird alſo auch
[108] hier, wie bey dem Code, ein ganz anderer ſeyn, als
ihn das Geſetzbuch anzunehmen ſcheint, indem un-
vermeidlich und ganz in der Stille die wiſſenſchaft-
liche Theorie den Einfluß auf die Rechtspflege be-
haupten wird, den ihr das Geſetzbuch zu entziehen
beſtimmt war. Ob alſo die wirklich verbreitete Theo-
rie gut oder ſchlecht iſt, davon wird in der That
das meiſte abhangen, und der Zuſtand der Lehran-
ſtalten (wovon der folgende Abſchnitt reden ſoll)
wird für die Rechtspflege noch in ganz anderer Rück-
ſicht, als wegen der bloßen Kenntniß des Geſetzbuches
ſelbſt, enſcheidend ſeyn.
Iſt dieſes Urtheil über die drey neuen Geſetzbü-
cher gegründet, ſo liegt darin eine Beſtätigung mei-
ner Anſicht, daß die gegenwärtige Zeit keinen Beruf
hat, ein Geſetzbuch zu unternehmen: und gewiß eine
ſehr ſtarke Beſtätigung. Denn wie viel die Franzo-
ſen durch Gewandtheit und Leichtigkeit im praktiſchen
Leben auszurichten vermögen, iſt uns allen oft genug
wiederholt worden: welche Zeiträume hindurch von
verdienten, einſichtsvollen Männern an den Deutſchen
Geſetzbüchern mit ernſtlichem Eifer gearbeitet worden
iſt, wiſſen wir. Iſt alſo durch ſo verſchiedenartige
Bemühungen das Ziel dennoch nicht erreicht worden,
ſo muß es in der juriſtiſchen Bildung eines ganzen
1)
[109] Zeitalters Hinderniſſe geben können, welche nicht zu
überſteigen ſind. Dieſe Ueberzeugung aber iſt ent-
ſcheidend, da ohne Zweifel die eifrigen Freunde der
Geſetzbücher die Bürgſchaft eines glücklichen Erfolgs
blos in ihrem lebhaften Beſtreben nach dieſem Ge-
genſtande finden, was doch nach jenen Erfahrungen
nicht hinreichend iſt. Es würde alſo nur noch dar-
auf ankommen, die gegenwärtige Bildung der Rechts-
wiſſenſchaft mit derjenigen zu vergleichen, aus wel-
cher die vorhandenen Geſetzbücher hervorgegangen
ſind: und bey unbefangener Selbſtprüfung müſſen
wir bekennen, daß beide vielleicht wohl dem Grade
nach, aber nicht generiſch verſchieden ſind.
Alle dieſe Erinnerungen übrigens betreffen nicht
etwa einzelne Mängel, durch deren Verbeſſerung dem
Ganzen leicht ein wahrhaft treffliches und genügen-
des Daſeyn verſchafft werden könnte: ſie betreffen
vielmehr den Character des Ganzen ſelbſt und alles
einzelne, was herausgehoben worden iſt, ſollte blos
dazu dienen, dieſen allgemeinen Character anſchau-
lich zu machen, und ein Urtheil über denſelben zu
begründen. Anderer Meynung iſt ein neuerer Schrift-
ſteller 1), welcher von dem Code glaubt, die weni-
gen Flecken, welche denſelben verunſtalten, könnten
leicht abgewiſcht werden, worauf er allerdings zu ei-
ner dankenswerthen Wohlthat werden würde. Allein
[110] es ſey uns dieſe fremde Weisheit überflüſſig, denn,
ſagt er, „wir haben kürzlich ein bürgerliches Ge-
ſetzbuch in Oeſterreich erhalten, welches dem Franzöſi-
ſchen wenigſtens an die Seite geſetzt werden kann
und für uns den Vorzug hat, ohne alle weitere Vor-
bereitung in ganz Deutſchland anwendbar zu ſeyn.“
Sein Rath geht dahin, daß dieſes Geſetzbuch augen-
blicklich angenommen, und dann den Regierungen
überlaſſen werde, ihre Vorſchläge einzelner Abände-
rungen einer Geſetzcommiſſion vorzulegen. Dieſe An-
ſicht ſcheint mir ſchon aus ſich ſelbſt und ohne Prü-
fung des innern Werthes der Geſetzbücher widerlegt
werden zu können: denn wenn es wahr wäre, daß
der Code vortrefflich und mit geringen Modificatio-
nen eine Wohlthat, das ſehr verſchiedene Oeſterrei-
chiſche Geſetzbuch aber auch vortrefflich, ja noch beſſer
und völlig anwendbar wäre, ſo müßte den Geſetz-
büchern überhaupt eine völlig fabrikmäßige Vortreff-
lichkeit zugeſchrieben werden, und es wäre unmög-
lich, ſie für etwas großes und höchſt wünſchenswer-
thes zu halten.
[111]
8.
Was wir thun ſollen wo keine
Geſetzbücher ſind.
Bey der Unterſuchung deſſen, was geſchehen ſoll,
müſſen vor allem diejenigen Länder, in welchen bis
jetzt gemeines Recht und Landesrecht (nur etwa un-
terbrochen durch die kurze Herrſchaft des Code) galt,
von denen getrennt werden, welche bereits unter ein-
heimiſchen Geſetzbüchern leben.
In den Ländern des gemeinen Rechts wird, ſo
wie überall, ein löblicher Zuſtand des bürgerlichen
Rechts von drey Stücken abhängig ſeyn: erſtlich ei-
ner zureichenden Rechtsquelle, dann einem zuverläſſi-
gen Perſonal, endlich einer zweckmäßigen Form des
Prozeſſes. Ich werde in der Folge auf dieſe drey
Stücke zurückkommen, um die Zulänglichkeit meines
Plans darnach zu prüfen.
Was zuerſt die Rechtsquelle anlangt, wozu eben
das neu einzuführende Geſetzbuch beſtimmt ſeyn ſoll-
te, ſo würde nach meiner Ueberzeugung wieder ein-
zuführen ſeyn an die Stelle des Code, oder beyzu-
behalten, wo der Code nicht galt, dieſelbe Verbin-
dung des gemeinen Rechts und der Landesrechte, wel-
che früher in ganz Deutſchland herrſchend war: dieſe
Rechtsquelle halte ich für hinreichend, ja für vor-
[112] trefflich, ſobald die Rechtswiſſenſchaft thut, was ihres
Amtes iſt, und was nur durch ſie geſchehen kann.
Betrachten wir nämlich unſern Zuſtand, wie er
in der That iſt, ſo finden wir uns mitten in einer
ungeheuern Maſſe juriſtiſcher Begriffe und Anſichten,
die ſich von Geſchlecht zu Geſchlecht fortgeerbt und
angehäuft haben 1). Wie die Sache jetzt ſteht, be-
ſitzen und beherrſchen wir dieſen Stoff nicht, ſondern
wir werden von ihm beſtimmt und getrieben nicht
wie wir wollen. Darauf gründen ſich alle Klagen
über unſern Rechtszuſtand, deren Gerechtigkeit ich
nicht verkenne, und daher iſt alles Rufen nach Ge-
ſetzbüchern entſtanden. Dieſer Stoff umgiebt und
beſtimmt uns auf allen Seiten, oft ohne daß wir es
wiſſen: man könnte darauf denken, ihn zu vernich-
ten, indem man alle hiſtoriſche Fäden zu durchſchnei-
den und ein ganz neues Leben zu beginnen verſuchte,
aber auch dieſe Unternehmung würde auf einer
Selbſttäuſchung beruhen. Denn es iſt unmöglich,
die Anſicht und Bildung der jetztlebenden Rechtsge-
lehrten zu vernichten: unmöglich, die Natur der be-
ſtehenden Rechtsverhältniſſe umzuwandeln; und auf
dieſe doppelte Unmöglichkeit gründet ſich der unauf-
lösliche organiſche Zuſammenhang der Geſchlechter
und Zeitalter, zwiſchen welchen nur Entwicklung aber
nicht
[113] nicht abſolutes Ende und abſoluter Anfang gedacht
werden kann. Insbeſondere damit, daß einzelne, ja
viele Rechtsſätze abgeändert werden, iſt für dieſen
Zweck gar nichts gethan: denn, wie ſchon oben be-
merkt worden iſt (S. 39), die Richtung der Gedan-
ken, die Fragen und Aufgaben werden auch da noch
durch den vorhergehenden Zuſtand beſtimmt ſeyn,
und die Herrſchaft der Vergangenheit über die Ge-
genwart wird ſich auch da äußern können, wo ſich
die Gegenwart abſichtlich der Vergangenheit entge-
gen ſetzt. Dieſer überwiegende Einfluß des beſtehen-
den Stoffs alſo iſt auf keine Weiſe vermeidlich: aber
er wird uns verderblich ſeyn, ſolange wir ihm be-
wußtlos dienen, wohlthätig, wenn wir ihm eine le-
bendig bildende Kraft entgegen ſetzen, [durch] hiſtori-
ſche Ergründung ihn unterwerfen, und ſo den gan-
zen Reichthum der vergangenen Geſchlechter uns an-
eignen. Wir haben alſo nur die Wahl, ob wir wol-
len, nach Baco’s Ausdruck, sermocinari tamquam
e vinculis, oder ob eine gründliche Rechtswiſſen-
ſchaft uns lehren ſoll, dieſen hiſtoriſchen Stoff frey
als unſer Werkzeug zu gebrauchen: ein drittes giebt
es nicht. Bey dieſer Wahl möchte die Wiſſenſchaft-
lichkeit ſchon von ſelbſt, als der edlere Theil, für ſich
gewinnen: aber es kommen noch beſondere Gründe
aus unſrer Lage hinzu. Zuerſt die allgemeine wiſ-
ſenſchaftliche Richtung, die den Deutſchen natürlich
iſt, und wodurch ſie es andern Nationen in vielen
H
[114] Dingen zuvor zu thun berufen ſind: dann auch man-
ches iu unſren politiſchen Verhältniſſen. Darum wird
nicht die Erfahrung anderer Nationen oder Zeiten
zur Widerlegung angeführt werden können, nicht der
Zuſtand des bürgerlichen Rechts in England, noch
der bey unſren Vorfahren. Was unſre Vorfahren
betrifft, ſo hat Möſer in einem trefflichen Aufſatz den
Unterſchied zwiſchen dem, was er Willkühr, und was er
Weisheit nennt, entwickelt 1): bey jener konnte Frei-
heit und Gerechtigkeit beſtehen, ſolange ebenbürtige ge-
noſſe Richter urtheilten, wir können Weisheit durch-
aus nicht entbehren. Als Currogat derſelben ver-
dient in dieſer Rückſicht ſelbſt das Hangen an mittel-
mäßigen Autoritäten (ſo ſchlecht dieſes in anderer
Rückſicht iſt) alle Achtung 2), und kann als ein
Schutzmittel gegen die verderbliche Verwechslung von
Willkühr und Weisheit dienen.
Erſt wenn wir durch ernſtliches Studium voll-
ſtändigere Kenntniß erworben, vorzüglich aber unſren
geſchichtlichen und politiſchen Sinn mehr geſchärft
haben, wird ein wahres Urtheil über den überliefer-
ten Stoff möglich ſeyn. Bis dahin dürfte es gera-
thener ſeyn, etwas zu zweifeln, ehe wir vorhandenes
für ſchlaffe Angewohnheit, unkluge Abgeſchiedenheit
[115] und bloſe Rechtsfaulheit halten 1): vorzüglich aber
mit der Anwendung des wundärztlichen Meſſers 2)
auf unſern Rechtszuſtand zu zögern. Wir könnten
dabey leicht auf geſundes Fleiſch treffen, das wir
nicht kennen, und ſo gegen die Zukunft die ſchwerſte
aller Verantwortungen auf uns laden. Auch iſt der
geſchichtliche Sinn der einzige Schutz gegen eine Art
der Selbſttäuſchung, die ſich in einzelnen Menſchen,
wie in ganzen Völkern und Zeitaltern, immer wie-
derholt, indem wir nämlich dasjenige, was uns eigen
iſt, für allgemein menſchlich halten. So hatte man
ehemals aus den Inſtitutionen mit Weglaſſung eini-
ger hervorſtehenden Eigenthümlichkeiten ein Natur-
recht gemacht, was man für unmittelbaren Ausſpruch
der Vernunft hielt: jetzt iſt niemand, der nicht über
dieſes Verfahren Mitleid empfände, aber wir ſehen
noch täglich Leute, die ihre juriſtiſchen Begriffe und
Meynungen blos deshalb für rein vernünftig halten,
weil ſie deren Abſtammung nicht kennen. Sobald
wir uns nicht unſres individuellen Zuſammenhangs
mit dem großen Ganzen der Welt und ihrer Ge-
ſchichte bewußt werden, müſſen wir nothwendig un-
ſre Gedanken in einem falſchen Lichte von Allgemein-
heit und Urſprünglichkeit erblicken. Dagegen ſchützt
nur der geſchichtliche Sinn, welchen gegen uns ſelbſt
zu kehren gerade die ſchwerſte Anwendung iſt.
H 2
[116]
Man könnte verſucht ſeyn, die Nothwendigkeit
dieſer hiſtoriſchen Ergründung des Stoffs, in welchem
wir unwillkührlich befangen ſind, zwar für unſre
Lage zuzugeben, aber zugleich für ein Uebel zu hal-
ten, indem dadurch Kräfte in Anſpruch genommen
werden, die zu nützlicheren Zwecken verwendet wer-
den könnten. Dieſe Anſicht wäre traurig, weil ſie
das Gefühl eines unvermeidlichen Uebels erregen
würde, aber wir können uns damit tröſten, daß ſie
falſch iſt. Vielmehr iſt dieſe Nothwendigkeit auch
an ſich für ein großes Gut zu achten. In der Ge-
ſchichte aller bedeutenden Völker nämlich finden wir
einen Uebergang von beſchränkter, aber friſcher und
lebensvoller, Individualität zu unbeſtimmter Allge-
meinheit. Auf dieſem Wege geht auch das bürger-
liche Recht, und auch in ihm kann zuletzt das Be-
wußtſeyn der Volkseigenthümlichkeit verloren gehen:
ſo geſchieht es, wenn bejahrte Völker darüber nach-
denken, wie viele Eigenheiten ihres Rechts ſich be-
reits abgeſchliffen haben, daß ſie leicht zu dem ſo
eben dargeſtellten Irrthum kommen, indem ſie ihr
ganzes noch übriges Recht für ein jus quod natu-
ralis ratio apud omnes homines constituit hal-
ten. Daß damit zugleich der eigenthümliche Vorzug
verloren geht, welchen das Recht in frühen Zeiten
hat (S. 9), iſt unverkennbar. Zu dieſem vergan-
genen Zuſtande zurück zu kehren, würde ein frucht-
loſer und thörichter Rath ſeyn: aber etwas anderes
[117] iſt es, den eigenen Werth deſſelben in friſcher Anſchauung
gegenwärtig erhalten, und ſich ſo vor der Einſeitig-
keit der Gegenwart bewahren, welches allerdings
möglich und heilſam iſt. Wenn überhaupt die
Geſchichte auch im Jünglingsalter der Völker eine
edle Lehrerin iſt, ſo hat ſie in Zeitaltern, wie
das unſrige, noch ein anderes und heiligeres Amt.
Denn nur durch ſie kann der lebendige Zuſammen-
hang mit den urſprünglichen Zuſtänden der Völker
erhalten werden, und der Verluſt dieſes Zuſammen-
hangs muß jedem Volk den beſten Theil ſeines gei-
ſtigen Lebens entziehen.
Dasjenige alſo, wodurch nach dieſer Anſicht das
gemeine Recht und die Landesrechte als Rechtsquel-
len wahrhaft brauchbar und tadellos werden ſollen,
iſt die ſtrenge hiſtoriſche Methode der Rechtswiſſen-
ſchaft. Der Charakter derſelben beſteht nicht, wie
einige neuere Gegner unbegreiflicherweiſe geſagt ha-
ben, in ausſchließender Anpreiſung des Römiſchen
Rechts: auch nicht darin, daß ſie die unbedingte
Beybehaltung irgend eines gegebenen Stoffs ver-
langte, was ſie vielmehr gerade verhüten will, wie
ſich dieſes oben bey der Beurtheilung des Oeſterrei-
chiſchen Geſetzbuchs gezeigt hat. Ihr Beſtreben geht viel-
mehr dahin, jeden gegebenen Stoff bis zu ſeiner Wurzel
zu verfolgen, und ſo ſein organiſches Princip zu ent-
decken, wodurch ſich von ſelbſt das, was noch Leben
hat, von demjenigen abſondern muß, was ſchon ab-
[118] geſtorben iſt, und nur noch der Geſchichte angehört.
Der Stoff aber der Rechtswiſſenſchaft, welcher auf
dieſe Weiſe behandelt werden ſoll, iſt für das ge-
meine Recht dreyfach, woraus ſich drey Haupttheile
unſrer Rechtswiſſenſchaft ergeben: Römiſches Recht,
Germaniſches Recht, und neuere Modifikationen bei-
der Rechte. Das Römiſche Recht hat, wie ſchon
oben bemerkt worden, außer ſeiner hiſtoriſchen Wich-
tigkeit noch den Vorzug, durch ſeine hohe Bildung
als Vorbild und Muſter unſrer wiſſenſchaftlichen Ar-
beiten dienen zu können. Dieſer Vorzug fehlt dem
Germaniſchen Rechte, aber es hat dafür einen an-
dern, welcher jenem nicht weicht. Es hangt nämlich
unmittelbar und volksmäßig mit uns zuſammen, und
dadurch, daß die meiſten urſprünglichen Formen wirk-
lich verſchwunden ſind, dürfen wir uns hierin nicht
irre machen laſſen. Denn der nationale Grund die-
ſer Formen, die Richtung woraus ſie hervor giengen,
überlebt die Formen ſelbſt, und es iſt nicht vorher
zu beſtimmen, wie viel von altgermaniſchen Einrich-
tungen, wie in Verfaſſung ſo im bürgerlichen Recht,
wieder erweckt werden kann. Freylich nicht dem
Buchſtaben, ſondern dem Geiſte nach, aber den ur-
ſprünglichen Geiſt lernt man nur kennen aus dem
alten Buchſtaben. Endlich die Modification beider
urſprünglichen Rechte iſt gleichfalls nicht zu vernach-
läſſigen. Auf dem langen Wege nämlich, welchen
jene urſprünglichen Rechte bis zu uns gehen mußten,
[119] hat ſich natürlich vieles ganz anders geſtaltet und
entwickelt, theils nach wirklich volksmäßigem Bedürf-
niß, theils auf mehr literariſche Weiſe, unter den
Händen der Juriſten. Dieſes letzte iſt hier überwie-
gend, und die Grundlage davon iſt eine Geſchichte
unſrer Rechtswiſſenſchaft vom Mittelalter herab. Ein
vorzügliches Beſtreben dieſes dritten Theiles unſrer
Wiſſenſchaft muß darauf gerichtet ſeyn, den gegen-
wärtigen Zuſtand des Rechts allmählich von demje-
nigen zu reinigen, was durch bloße Unkunde und
Dumpfheit literariſch ſchlechter Zeiten, ohne alles
wahrhaft praktiſche Bedürfniß, hervorgebracht wor-
den iſt.
Es kann nicht meine Abſicht ſeyn, dieſe hiſtori-
ſche Behandlung aller Theile unſres Rechts hier in
einer ausführlichen Methodik darzuſtellen; allein über
das Römiſche Recht muß noch einiges hinzugefügt
werden, da gerade deſſen Behandlung neuerlich in
Frage gekommen iſt. Was ich für den einzig mög-
lichen Standpunkt dieſes Studiums halte, wird aus
der oben gegebenen Darſtellung des Römiſchen Rechts
einleuchtend ſeyn: es iſt das Recht der Pandekten,
von welchem aus dann die Uebergänge zu den
neueren Modificationen bis Juſtinian zu be-
ſtimmen ſind. Willkührlich wird dieſe Anſicht niemand
finden, welcher bedenkt, daß ſchon Juſtinian ſie
gehabt hat, und daß ſie wenigſtens dem Namen nach
dem Hauptunterricht auf Univerſitäten, und den aus-
[120] führlichſten Werken über das Römiſche Recht ſeit
Jahrhunderten zum Grunde liegt. Wie nun die al-
ten Juriſten zu ſtudieren ſind, läßt ſich leicht ſagen,
obgleich ſchwer ohne wirkliche Probe anſchaulich ma-
chen: ſie ſollen nicht blos die Schule hüten, ſondern
wieder belebt werden: wir ſollen uns in ſie hinein
leſen und denken, wie in andere mit Sinn geleſene
Schriftſteller, ſollen ihnen ihre Weiſe ablernen, und
ſo dahin kommen, in ihrer Art und von ihrem Stand-
punkt aus ſelbſt zu erfinden und ſo ihre unterbrochne
Arbeit in gewiſſem Sinne fortzuſetzen. Daß dieſes
möglich iſt, gehört zu meinen lebendigſten Ueberzeu-
gungen. Die erſte Bedingung dazu iſt freylich eine
gründliche Rechtsgeſchichte, und, was aus dieſer folgt,
die völlige Gewöhnung, jeden Begriff und jeden Satz
ſogleich von ſeinem geſchichtlichen Standpunkte aus
anzuſehen. Viel iſt hierin noch zu leiſten: aber wer
bedenkt, was unſre Rechtsgeſchichte vor füuf und
zwanzig Jahren war, und wie vieles nun in Kennt-
niß und Behandlung, hauptſächlich durch Hugos
Verdienſt, anders geworden iſt, der kann auch für
die Folge den beſten Hoffnungen Raum geben. Wer
nun auf dieſe Weiſe in den Quellen des Römiſchen
Rechts wahrhaft einheimiſch geworden iſt, dem wird
das Studium unſrer neuern juriſtiſchen Literatur, vom
Mittelalter bis auf uns herab, zwar noch Arbeit und
oft unerfreuliche Arbeit geben, aber er wird dadurch
nur noch ſeine Anſichten vervollſtändigen und auf
[121] keine Weiſe irre gemacht werden können, alſo keine
innere Schwierigkeit darin finden; wer dagegen das
Römiſche Recht nicht ſo an der Wurzel angreift, der
wird faſt unvermeidlich durch jene neuere Literatur
immer mehr in Schwanken und Unſicherheit gerathen,
er müßte ſie denn im Ganzen ignoriren, und es dem
Zufall überlaſſen, welches einzelne, neue, vielleicht
ſehr flache Reſultat dieſer literariſchen Entwicklung
auf ihn einwirken ſoll, und hierin iſt allerdings in
den neueſten Zeiten viel geleiſtet worden. Die hier
angedeutete literariſche Ausfüllung indeſſen gehört zur
allmählichen Vollendung und nicht zum nothwendi-
gen Grund des Studiums. Der Grund aber muß
allerdings in den Vorträgen der Univerſitäten gelegt
werden, und dazu dürften anderthalb bis zwey Jahre
(die man ja auch bis jetzt darauf zu verwenden
pflegte) hinreichend ſeyn. Nämlich hinreichend nicht
zu vollendeter Gelehrſamkeit, was ohnehin kein ver-
nünftiger Menſch von irgend einem Univerſitätsun-
terricht verlangen wird: wohl aber hinreichend, um
in den Quellen zu Hauſe zu ſeyn, um ſie ſelbſt leſen
zu können, und um neuere Schriftſteller unabhängig
und mit eigenem Urtheil zu leſen, und ihnen nicht
mehr preis gegeben zu ſeyn. Es iſt einleuchtend,
daß dagegen die Erfahrung eines wirklichen Unter-
richts nicht angeführt werden kann, ſobald in dieſem
Unterricht die unmittelbare Einführung in die Quel-
len gar nicht verſucht worden iſt.
[122]
In neueren Zeiten ſind über die Bedingungen
unſres Studiums zwey von dieſer Anſicht abweichen-
de, völlig entgegengeſetzte Meynungen gehört wor-
den. Thibaut nämlich 1) ſtellt die Schwierigkeit deſ-
ſelben faſt ſchauderhaft dar, und ſo, daß allerdings
jedem, der es unternehmen wollte, der Muth entfal-
len müßte; ſo z. B. ſollen wir vielleicht erſt nach
tauſend Jahren ſo glücklich ſeyn, über alle Lehren
des Römiſchen Rechts erſchöpfende Werke zu erhalten.
Das iſt zu wenig oder zu viel, je nachdem man es
nimmt. Ganz erſchöpfen und völlig abthun, ſo daß
kein Weiterkommen möglich wäre, läßt ſich eine wür-
dige hiſtoriſche Aufgabe niemals, auch nicht in tau-
ſend Jahren; aber um zu ſicherer Anſchauung und
zur Möglichkeit unmittelbarer, verſtändiger Anwen-
dung des Römiſchen Rechts zu gelangen, brauchen
wir ſo lange Zeit nicht, dies iſt größtentheils ſchon
jetzt möglich, obgleich mit ſtetem Fortſchreiten nach
innen, was ich unſrer Wiſſenſchaft nicht zum Tadel,
ſondern zu wahrer Ehre rechne. Es kommt alles auf
die Art an, wie das Studium behandelt wird. Vor
hundert Jahren hat man in Deutſchland viel mehr
Mühe und Zeit an das Römiſche Recht geſetzt als
jetzt, und es iſt unläugbar, daß man in eigentlicher
Kenntniß nicht ſo weit kommen konnte, als es jetzt
[123] bey guten Lehrern möglich iſt. Vollends mit den
kritiſchen Schwierigkeiten, die Thibaut für ganz un-
überſteiglich erklärt 1), hat es ſo große Noth nicht.
Wer es recht angreift, kann ſich mit einer ganz
ſchlechten Ausgabe der Pandekten in die Methode der
Römiſchen Juriſten einſtudieren: es werden ihm zwar
manche Irrthümer im einzelnen übrig bleiben, aber
auch dieſe wird er größtentheils bey etwas kritiſchem
Sinn mit Hülfe von drey, vier Ausgaben, wie ſie
jeder leicht finden kann, mit Sicherheit zu berichtigen
im Stande ſey. Auch hierin ſind zwey Dinge gänz-
lich verwechſelt: dasjenige nämlich, was zur allmäh-
lichen und ganz erſchöpfenden Entwicklung einer gro-
ßen hiſtoriſchen Aufgabe allerdings gehört, mit dem
was nothwendige Bedingung eines unmittelbar mög-
lichen, in gewiſſem Sinne befriedigenden Grades ſiche-
rer Kenntniß iſt. Alles, was hier Thibaut über die
Unſicherheit unſres Textes ſagt, gilt eben ſo von un-
ſren heiligen Büchern; auch da wird die Kritik nie-
mals ein Ende finden, aber wer überhaupt Nahrung
und Freude in ihnen finden kann, wird dadurch ge-
wiß nicht geſtört werden. — Eine gerade entgegen
geſetzte und viel verbreitetere Anſicht geht darauf,
daß das Römiſche Recht viel leichter genommen wer-
den könne und müſſe, und daß nur wenig Zeit dar-
[124] auf zu wenden ſey. Dieſes iſt theils behauptet,
theils (wie ſich noch unten zeigen wird) praktiſch
ausgeführt worden, beſonders wo bey eingeführten
neuen Geſetzbüchern das Römiſche Recht bloßes Hülfs-
ſtudium werden ſollte; desgleichen wenn von der
Bildung künftiger Geſetzgeber die Rede war. Zu die-
ſen Zwecken, glaubte man, ſey das mühſelige Detail
entbehrlich, man könne ſich mit dem, was man den
Geiſt dieſes Rechts nannte, begnügen. Dieſer Geiſt
nun beſteht in dem, was ſonſt Inſtitutionen heißt und
was zum erſten Orientiren ganz gute Dienſte leiſten
kann: die allgemeinſten Begriffe und Sätze ohne kri-
tiſche Prüfung, ohne Anwendung und beſonders ohne
Quellenanſchauung, wodurch alles erſt wahres Leben
erhält. Dieſes nun iſt ganz umſonſt, und wenn man
nicht mehr thun will, ſo iſt ſelbſt dieſe wenige Zeit
völlig verloren: der einzige Nutzen, den ein ſolches
Studium haben kann, iſt die Erhaltung des Namens
und der äußeren Form unſrer Wiſſenſchaft, wodurch
vielleicht in einer künftigen, beſſeren Zeit ihre Wie-
derbelebung erleichtert werden kann. Ganz heillos
iſt beſonders die Anſicht, als ob ein künftiger Geſetz-
geber, für welchen doch überhaupt dieſer Stoff als
wichtig und bildend anerkannt wird, mit einer ſol-
chen leichten, vornehmen Kenntniß, wofür das fran-
zöſiſche teinture die glücklichſte Bezeichnung iſt, aus-
kommen könnte. Gerade für dieſe Anwendung auf
eigene, neue Production iſt noch weit mehr gründli-
[125] che Kenntniß nöthig, als für das gewöhnliche Ge-
ſchäft des Juriſten; man muß über den Buchſtaben
des hiſtoriſchen Materials ſehr Herr geworden ſeyn,
um daſſelbe frey als Werkzeug zur Darſtellung neuer
Formen gebrauchen zu können, ſonſt iſt das sermo-
cinari tamquam e vinculis unvermeidlich. Jene
verkehrte Anſicht ließe ſich auf die Sprache ungefähr
ſo anwenden, als ob man zwar für den Umgang
und das gemeine Leben den Reichthum, die Kraft
und die Fülle der Sprache kennen müßte, für die
Poeſie aber mit oberflächlicher Kenntniß genug haben
könnte.
Was nun hier von dem Studium des Rechts
verlangt worden iſt, ſoll nicht etwa in Büchern auf-
bewahrt, auch nicht einzelnen Gelehrten anvertraut,
ſondern Gemeingut aller Juriſten werden, die mit
Ernſt und mit offenem Sinn für ihren Beruf arbei-
ten wollen. Es ſoll alſo eine lebendige Schule ent-
ſtehen, ſo wie ſämmtliche Römiſche Juriſten, nicht blos
die Sabinianer und eben ſo die Proculianer für ſich,
in der That Eine große Schule gebildet haben. Auch
können nur aus einer ſolchen über die Geſammtheit
der Juriſten verbreiteten lebendigen Bearbeitung ſelbſt
die Wenigen hervorgehen, die durch ihren Geiſt zu
eigentlicher Erfindung berufen ſind, und es iſt ein
ſchädliches Vorurtheil, als ob dieſe ſich immer finden
würden, der Zuſtand der Schule möchte ſeyn wel-
cher er wollte. Das Beyſpiel von Montesquieu
[126] iſt in dieſem Stück ſehr lehrreich; niemand kann die
unabhängige Kraft verkennen, womit er ſich von der
Beſchränktheit ſeiner Zeit und Nation frey zu erhal-
ten geſtrebt hat: nun war er Juriſt vom Handwerk
und in einem pays de droit écrit, auch haben die
Römer keinen eifrigern Verehrer als ihn gehabt, ſo
daß es ihm an Veranlaſſung und Neigung, Römi-
ſches Recht zu kennen, nicht fehlen konnte; dennoch
waren ſeine Kenntniſſe hierin ſehr mittelmäßig, und
ganze Stücke ſeines Werkes werden dadurch völlig
bodenlos, wovon ſeine Geſchichte des Römiſchen Erb-
rechts 1) als Beyſpiel dienen kann. Dies war die
Folge der gänzlichen Nullität der [juriſtiſchen] Schule
ſeiner Zeit, welche er nicht zu überwinden vermochte.
Ueberhaupt wird ſich Jeder durch gründliches Stu-
dium der Literargeſchichte überzeugen, wie weniges
in ihren Erſcheinungen ganz den einzelnen Indivi-
duen, unabhangig von den Kräften und Beſtrebun-
gen des Zeitalters und der Nation, mit Wahrheit
zugeſchrieben werden kann. — Aber dieſe Gemeinſchaft
unſrer Wiſſenſchaft ſoll nicht blos unter den Juriſten
von gelehrtem Beruf, den Lehrern und Schriftſtellern,
ſtatt finden, ſondern auch unter den praktiſchen Rechts-
gelehrten. Und eben dieſe Annäherung der Theorie
und Praxis iſt es, wovon die eigentliche Beſſerung
der Rechtspflege ausgehen muß, und worin wir vor-
[127] züglich von den Römern zu lernen haben: auch un-
ſere Theorie muß praktiſcher und unſere Praxis wiſ-
ſenſchaftlicher werden, als ſie bisher war. Leibniz
urtheilte, daß unter den juriſtiſchen Schriftſtellern faſt
nur die Verfaſſer von Conſilien die Rechtswiſſenſchaft
[wahrhaft] erweiterten und durch Beobachtung neuer
Fälle bereicherten 1): zugleich wünſcht er, daß eine
Geſellſchaft von etwa 30 Juriſten neue Pandekten
als Auszug alles wahrhaft praktiſchen und eigenthüm-
lichen in neueren Schriftſtellern verfaſſen möchte 2).
Unabhängig von Leibniz, aber in ähnlichem Sinne,
ſchlägt Möſer vor, durch planmäßige Sammlung
wirklicher Rechtsfälle eines Landes neue Pandekten
anzulegen 3). Beides ſehr ſchön; nur iſt eine noth-
wendige Bedingung nicht mit in Rechnung gebracht,
die Fähigkeit nämlich wahre Erfahrungen zu machen.
Denn man muß das klare, lebendige Bewußtſeyn des
Ganzen ſtets gegenwärtig haben, um von dem indi-
viduellen Fall wirklich lernen zu können, und es iſt
alſo wieder nur der theoretiſche, wiſſenſchaftliche Sinn,
wodurch auch die Praxis erſt fruchtbar und lehrreich
erſcheint. Allerdings iſt in dem Mannichfaltigen die
Einheit enthalten, aber wir ſehen ſie darin nicht,
wenn wir nicht den ausgebildeten Sinn für dieſelbe
[128] mit hinzu bringen: ja, wir werden ohne dieſen Sinn
die individuelle Geſtalt des Mannichfaltigen ſelbſt nicht
mit Sicherheit unterſcheiden. Darum hat in den Pan-
dekten jeder Rechtsfall eine beſtimmte Individualität:
dagegen, wenn man Urtheilsſprüche des achten und
neunten Jahrhunderts lieſt, ſo lautet einer wie der
andere, und es iſt, als ob ſich nur immer derſelbe
Rechtsfall wiederholt hätte. Nicht als ob in der
That die Verhältniſſe ſelbſt bis zu dieſem Grad der
Einförmigkeit herabgeſunken wären; aber die Fähig-
keit der Unterſcheidung war verloren, und je mehr
dieſe fehlt, deſto unmöglicher iſt ſicheres und gleiches
Recht. Ein treffliches Mittel zu dieſer Annäherung
der Theorie und Praxis würde ein zweckmäßiger Ver-
kehr der Juriſtenfakultäten mit den Gerichtshöfen
ſeyn, welcher neuerlich vorgeſchlagen worden iſt 1).
Die Juriſtenfakultäten als Spruchcollegien konnten
dazu dienen, und thaten es wohl urſprünglich nach
ihrer Weiſe: aber nachdem ſie zu allgemeinen Ur-
theilsfabriken geworden, mußte ihre Arbeit meiſt
handwerksmäßiger ausfallen, als die der beſſern Ge-
richte, ja es ſtand nun bey alten Fakultäten nicht
mehr in der Macht einſichtsvoller Mitglieder, dieſes
Verhältniß zu reinigen; nicht zu gedenken, daß
durch die nothwendige Uebung dieſes unerſpriesli-
chen Handwerks der gelehrten Jurisprudenz die
beſten
[129] beſten Kräfte entzogen wurden und zum Theil noch
entzogen werden. Zugleich iſt dieſe Verknüpfung
der Praxis mit einer lebendigen, ſich ſtets fort-
bildenden Theorie das einzige Mittel, geiſtreiche Men-
ſchen für den Richterberuf wahrhaft zu gewinnen.
Zwar Ehre und Rechtlichkeit kann der Richterſtand
auch ohne dieſes haben, auch kann er ſich fortwäh-
rend bilden durch Beſchäftigungen außer ſeinem Be-
ruf, wie ſie jeden nach ſeiner Eigenthümlichkeit vor-
zugsweiſe anſprechen: aber ganz anders wird es ſeyn,
wenn der eigene Beruf ſelbſt durch ſeinen Zuſammen-
hang mit dem Ganzen einen wiſſenſchaftlichen Cha-
racter annimmt, und ſelbſt zu einem Bildungsmittel
wird. Ein ſolcher Zuſtand allein wird alle Forde-
rungen befriedigen können: der Einzelne wird nicht
als bloßes Werkzeug dienen, ſondern in freyem, wür-
digem Berufe leben, und die Rechtspflege wird wah-
re, kunſtmäßige Vollendung erhalten. Auch die Fran-
zoſen haben dieſes Bedürfniß anerkannt, nur freylich
auf ihre eigene etwas unedle Weiſe 1). Das nach-
theiligſte Verhältniß in dieſer Rückſicht iſt unläugbar
dasjenige, worin der Richter darauf beſchränkt ſeyn
J
[130] ſoll, einen gegebenen Buchſtaben, den er nicht inter-
pretiren darf, mechaniſch anzuwenden: betrachtet man
dieſes Verhältniß als den äußerſten Punkt auf einer
Seite, ſo würde das entgegen geſetzte äußerſte darin
beſtehen, daß für jeden Rechtsfall der Richter das
Recht zu finden hätte, wobey durch die Sicherheit ei-
ner ſtreng wiſſenſchaftlichen Methode dennoch alle
Willkühr ausgeſchloſſen wäre. Zu dieſem zweyten
Endpunkte aber iſt wenigſtens eine Annäherung mög-
lich, und in ihm wäre die älteſte Deutſche Gerichts-
verfaſſung in verjüngter Form wieder erweckt.
Ich bin oben von einem dreyfachen Bedürfniß
ausgegangen: Rechtsquelle, Perſonal, und Prozeß-
form, alle im löblichem Zuſtande. Wie die Rechts-
quelle auf gründlicher und verbreiteter Wiſſenſchaft
beruhen ſolle, iſt gezeigt worden: desgleichen wie eben
dadurch das Perſonal der Rechtspflege für dieſen Be-
ruf wahrhaft gewonnen werden könne. Allein bei-
des wird allerdings nicht zureichen, wenn die Form
des Prozeſſes ſchlecht iſt. Von dieſer Seite aber be-
dürfen manche Deutſche Länder einer ſchnellen und
gründlichen Hülfe. Die allgemeinſten Gebrechen ſind:
Anarchie der Advokaten, Misbrauch der Friſten und
ihrer Verlängerungen, Vervielfältigung der Inſtan-
zen und vorzüglich der Aktenverſendung, die auf ver-
ſtändige Weiſe angewendet die trefflichſten Dienſte
leiſten würde. Dagegen muß allerdings durch Ge-
ſetzgebung geholfen werden: auch iſt gemeinſame Be-
[131] rathung und Mittheilung der Deutſchen Länder hier-
über ſehr wünſchenswerth. Nur iſt nicht nothwen-
dig, daß gerade Eine allgemeine Form ſogleich über-
all eingeführt werde. Mögen doch verſchiedene Er-
fahrungen gemacht werden, was ſich als das beſte
bewährt, wird dann wohl allgemeinen Eingang fin-
den. Zwiſchen dem Preuſſiſchen und dem bisherigen
gemeinen Prozeß, deren Idee man als entgegenge-
ſetzt betrachten kann, liegen noch manche Abſtufungen
in der Mitte, über deren Werth wohl nur Erfah-
rung entſcheiden kann.
Nach dieſer Anſicht alſo würde in den Ländern
des gemeinen Rechts zwar kein Geſetzbuch gemacht
werden: aber die bürgerliche Geſetzgebung überhaupt
iſt damit keinesweges für entbehrlich erklärt. Außer
den Geſetzen von politiſchem Grunde (welche nicht
hierher gehören), würde ſie ein doppeltes Object
haben können: Entſcheidung von Controverſen, und
Verzeichnung alter Gewohnheiten. Mit der geſetzli-
chen Entſcheidung von Controverſen wäre ein Haupt-
einwurf beſeitigt, wodurch man bisher die praktiſche
Anwendbarkeit des Römiſchen Rechts ohne weitere
Unterſuchung zu widerlegen geglaubt hat. Ueberdem
iſt es aber mit dieſen Controverſen ſo ſchlimm in der
That nicht. Man muß erſtlich nicht gerade alles
für controvers halten, woran ſich irgend einmal Un-
wiſſenheit oder Geiſtloſigkeit verſucht hat, ohne ſon-
derlichen Eingang zu finden. Zweytens braucht ſich
J 2
[132] die Geſetzgebung auch mit ſolchen Controverſen nicht
zu bemühen, die zwar in unſern Lehrbüchern ſtehen,
aber in der Praxis ſehr ſelten vorkommen. Rechnet
man beide Fälle ab, ſo bleibt allerdings noch man-
ches zu thun übrig, allein der Code Napoleon, ſo
jung er iſt, kann ſich darin ſchon recht gut neben
dem Römiſchen Rechte ſehen laſſen. Dieſe Contro-
verſen indeſſen wären vielleicht beſſer in Form pro-
viſoriſcher Verfügungen oder Anweiſungen an die
Gerichte zu entſcheiden, als durch eigentliche Geſetze,
indem durch jene der möglichen beſſeren Ergründung
durch Theorie weniger vorgegriffen würde. — Das
zweyte Object der Geſetzgebung wäre die Verzeich-
nung des Gewohnheitsrechts, über welches auf dieſe
Weiſe eine ähnliche Aufſicht wie in Rom durch das
Edict ausgeübt würde. Man darf nicht glauben,
daß ſo das bisher beſtrittene Geſetzbuch doch wieder
zugelaſſen würde, nur unter anderem Namen: der
Unterſchied betrifft vielmehr gerade das Weſen der
Sache. Nämlich in dieſes Gewohnheitsrecht wird
nur dasjenige aufgenommen, was durch wirkliche
Uebung entſchieden iſt, und dieſes wird ohne Zwei-
fel jetzt, da man dieſe Entſcheidung vor ſich hat,
völlig begriffen: das Geſetzbuch dagegen iſt genöthigt,
über alles zu ſprechen, auch wenn kein Trieb dazu
da iſt, und keine ſpecielle Anſchauung dazu fähig
macht, blos in Erwartung künftiger möglicher Fälle.
Daß über die Art der Ausführung dieſer übrig blei-
[133] benden Zweige bürgerlicher Geſetzgebung hier nicht
geſprochen werden kann, wird jedem von ſelbſt ein-
leuchten.
Ich habe bis jetzt für die Länder des gemeinen
Rechts unterſucht, welcher Weg für das bürgerliche
Recht zunächſt zu betreten iſt, wenn daſſelbe in einen
löblichen Zuſtand kommen ſoll. Ich will noch das
höhere Ziel hinzufügen, deſſen Möglichkeit auf dem-
ſelben Wege liegt. Iſt einmal Rechtswiſſenſchaft auf
die hier beſchriebene Weiſe Gemeingut der Juriſten
geworden, ſo haben wir in dem Stand der Juriſten
wiederum ein Subject für lebendiges Gewohnheits-
recht, alſo für wahren Fortſchritt, gewonnen; von
dieſem Gewohnheitsrecht war unſer Gerichtsgebrauch
nur ein kümmerliches Surrogat, am kümmerlichſten
der Gerichtsgebrauch der Juriſtenfakultäten. Der hi-
ſtoriſche Stoff des Rechts, der uns jetzt überall hemmt,
wird dann von uns durchdrungen ſeyn und uns be-
reichern. Wir werden dann ein eigenes, nationales
Recht haben, und eine mächtig wirkſame Sprache
wird ihm nicht fehlen. Das Römiſche Recht können
wir dann der Geſchichte übergeben, und wir werden
nicht blos eine ſchwache Nachahmung Römiſcher Bil-
dung, ſondern eine ganz eigene und neue Bildung
haben. Wir werden etwas höheres erreicht haben,
als blos ſichere und ſchnelle Rechtspflege: der Zuſtand
klarer, anſchaulicher Beſonnenheit, welcher dem Recht
jugendlicher Völker eigen zu ſeyn pflegt, wird ſich
[134] mit der Höhe wiſſenſchaftlicher Ausbildung vereini-
gen. Dann kann auch für zukünftige ſchwächere Zei-
ten geſorgt werden, und ob dieſes durch Geſetzbücher
oder in anderer Form beſſer geſchehe, wird dann
Zeit ſeyn zu berathen. Daß dieſer Zuſtand jemals
eintreten werde, ſage ich nicht: dieſes hangt von der
Vereinigung der ſeltenſten und glücklichſten Umſtände
ab. Was wir Juriſten hinzu bringen können, iſt
offener Sinn, und treue tüchtige Arbeit: haben wir
dieſe gethan, ſo mögen wir den Erfolg ruhig abwar-
ten, vor allem aber uns hüten, dasjenige zu zerſtö-
ren, was näher zu jenem Ziele führen kann.
Als das Jüdiſche Volk am Berge Sinai das
göttliche Geſetz nicht erwarten konnte, machte es aus
Ungeduld ein goldenes Kalb, und darüber wurden
die wahren Geſetztafeln zerſchlagen.
[135]
9.
Was bey vorhandenen Geſetzbü-
chern zu thun iſt.
Ich komme nun zu den Deutſchen Ländern, in wel-
chen Geſetzbücher ſchon vorhanden ſind: es verſteht
ſich, daß darunter nur das Preuſſiſche Landrecht und
das Oeſterreichiſche Geſetzbuch gedacht werden kann,
nicht der Code, welcher als eine überſtandene politi-
ſche Krankheit betrachtet werden muß, wovon wir
freylich noch manche Uebel nachempfinden werden.
Ueber jene Deutſchen Geſetzbücher nun habe ich
meine Meynung ſchon geäußert; aber man würde
mich misverſtehen, wenn man dieſe Meynung ſo
deuten wollte, als ob damit die Abſchaffung der Ge-
ſetzbücher für etwas wünſchenwerthes erklärt wäre.
Dieſe ſind vielmehr als eigene, neue Thatſachen in
der Geſchichte des Rechts zu behandeln, und ihre
Aufhebung würde nicht nur unvermeidlich große Ver-
wirrung zur Folge haben, ſondern es müßte auch
nachtheilig auf den öffentlichen Geiſt wirken, wenn
dasjenige, was mit der beſten Abſicht und großer
Anſtrengung kaum vollendet war, plötzlich zurückge-
nommen werden ſollte. Auch tritt ein großer Theil
des Uebels, welches aus einem allgemeinen Geſetz-
buche folgen würde, bey ihnen nicht ein, ſo lange in
[136] andern Deutſchen Ländern das gemeine Recht fort-
dauert. Alſo von Aufhebung iſt nicht die Rede, wohl
aber iſt ernſtlich zu bedenken, wie die Uebel vermie-
den werden können, die bey unrichtiger Behandlung
der Geſetzbücher eintreten dürften.
Wen nämlich dasjenige, was über die Natur
und Entſtehung unſrer Geſetzbücher geſagt worden iſt,
überzeugt hat, der wird nicht zweifeln, daß daſſelbe
hiſtoriſch begründete Rechtsſtudium, welches vor ihrer
Einführung nothwendig war, auch durch ſie nicht im
geringſten entbehrlicher geworden iſt, und daß insbe-
ſondere gar nichts geleiſtet wird, wenn man glaubt,
ſich um ihretwillen nun mit einer oberflächlichen
Darſtellung des bisherigen Rechts behelfen zu kön-
nen. Dieſe fortdauernde Nothwendigkeit iſt für die
unmittelbare Anwendung dringender bey dem Oeſter-
reichiſchen Geſetzbuch (S. 108): aber ſie iſt aus
anderen Gründen auch bey dem Preuſſiſchen Land-
recht nicht geringer. Die häufig gehegte Erwartung
alſo, daß das Rechtsſtudium dadurch leichter und
einfacher werden könne, iſt irrig: ſoll es nicht ſchlecht
und für den gegebenen Rechtszuſtand unzureichend
werden (denn alsdann iſt jeder Grad der Vereinfa-
chung möglich), ſo bleibt alle vorige Arbeit, und es
kommt noch eine neue hinzu, die wegen Zerſtörung
der urſprünglichen Form unerfreulicher iſt, als die
vorige. Aber nicht blos für die gründliche Kennt-
niß und Anwendung der Geſetzbücher iſt das vorige
[137] Studium unentbehrlich, ſondern auch für ihre Fort-
bildung und Vervollkommung, die doch jeder für
nothwendig erkennen wird, er mag auch den Werth
derſelben noch ſo hoch anſchlagen. Denn die Geſetz-
bücher ſelbſt ſind auf theoretiſchem Wege entſtanden,
und nur auf dieſem Wege können ſie mit Sicherheit
geprüft, gereinigt und vervollkommt werden. Für
dieſe Arbeit ſcheint ein bloßes Collegium von Geſchäfts-
männern, die durch ihren Beruf und die Menge
übriger Arbeiten ihren lebendigen Verkehr mit der
Theorie zu beſchränken genöthigt ſind, nicht hinrei-
chend. Auch die fortgeſetzte Prüfung des Geſetzbuchs
durch Achtſamkeit der Gerichte auf die Anwendung
iſt zwar vortrefflich, aber nicht hinlänglich: viele
Mängel werden auf dieſem Wege entdeckt werden
können, dennoch bleibt der Weg ſelbſt zufällig, und
eben ſo viele Mängel können von ihm unberührt
bleiben. Die Thorie ſteht zur Praxis nicht ganz in
demſelben Verhältniß, wie ein Rechnungsexempel zu
ſeiner Probe.
Es iſt intereſſant, zu betrachten, wie man in
den Staaten, worin Geſetzbücher eingeführt ſind, das
Studium angeſehen und geordnet hat. Dabey mag
denn auch wieder der Zuſtand der Dinge in Frank-
reich, und zwar die gegenwärtige Einrichtung der Pa-
riſer Rechtsſchule, in Betracht kommen 1). Zu dieſer
[138] Schule gehören drey Profeſſoren für den Code, einer
für den Prozeß, einer für das Römiſche Recht, und
dieſe ſollen ſich in jeder Rechtsſchule finden; aber
Paris hat noch außerdem zwey beſondere Lehrſtellen,
für den code civil approfondi und für den code
de commerce. Criminalrecht und Criminalprozeß,
Rechtsgeſchichte und altfranzöſiſches Recht werden
nicht geleſen. Jeder Profeſſor hält ſtets Einen Cur-
ſus, welcher einjährig iſt (mit Abzug von 3 Mona-
ten Ferien in Paris, an andern Orten aber nur von
2 Monaten), und wöchentlich aus drey anderthalb-
ſtündigen Vorleſungen beſteht: dieſer Unfang iſt bey
allen Vorleſungen derſelbe. Der Code alſo wird in
drey ſolchen Curſen gelehrt, indem jeder Lehrer nur
ein Drittheil des Ganzen abhandelt. Jeder Profeſſor
hat einen suppléant, der für ihn eintritt, wenn er
zu leſen verhindert iſt. Das Römiſche Recht las
Berthelot über die Inſtitutionen des Heineccius,
denen er eine franzöſiſche Ueberſetzung beygegeben
hatte, damit die Zuhörer ſie verſtehen könnten; ſeit
Berthelots Tode lieſt es deſſen bisheriger supplé-
antBlondeau, aber, was man nicht glauben ſoll-
te, über den Code, indem er bey jedem Artikel die
Abweichungen bemerkt. Der Baccalaureus muß zwey
Jahre, der Licentiat drey, der Doctor vier Jahre
ſtudiert haben; dem erſten iſt der Curſus des Römi-
ſchen Rechts vorgeſchrieben, für den zweyten iſt deſ-
ſen Wiederholung eigenem Gutdünken überlaſſen, dem
[139] dritten iſt dieſe Wiederholung wiederum vorgeſchrie-
ben: was aber wohlgemerkt immer nur die Wieder-
holung derſelben Inſtitutionen bey demſelben Lehrer
iſt. Es wird nicht nöthig ſeyn, nach dem, was bis-
her ausgeführt worden iſt, noch beſondere Gründe
gegen dieſen Studienplan vorzubringen; aber beſon-
ders merkwürdig iſt der greifliche Zirkel, worin man
ſich befindet. Die Redactoren ſelbſt haben oft er-
klärt, daß der Code zur Anwendung nicht hinreiche,
ſondern für dieſe die Ergänzung durch Wiſſenſchaft
nothwendig ſey. Und doch dreht ſich der wiſſen-
ſchaftliche Unterricht wieder ganz um den Code, denn
das wenige Römiſche Recht iſt gar nicht zu rechnen.
Welches iſt denn alſo die factiſche Grundlage dieſer
Wiſſenſchaft? ohne Zweifel der Gerichtsgebrauch, der-
ſelbe Gerichtsgebrauch, deſſen Verſchiedenheit aufzuhe-
ben das wichtigſte Beſtreben ſchien, und der durch
Auflöſung der alten Gerichte und Vermiſchung ihrer
Sprengel alle Haltung verloren hat! Daß nun ein
ſolcher Zuſtand nicht ſtehen bleibt, ſondern immer
weiter rückwärts führt, iſt handgreiflich. Es liegt in
der Natur, daß in jedem Zeitalter der Zuſtand der
Rechtswiſſenſchaft durch den Werth desjenigen beſtimmt
wird, was dieſes Zeitalter als nächſtes Object des
Studiums in der That (wenn gleich nicht immer den
Worten nach) betrachtet und behandelt; ſtets wird
die Rechtswiſſenſchaft etwas und vielleicht viel tiefer
ſtehen, als dieſes Object. So z. B. hatten die erſten
[140] Gloſſatoren den Vortheil, daß ſie aus den Quellen
ſelbſt zu ſchöpfen genöthigt waren, dieſe waren alſo
ihr Object; Bartolus dagegen hatte ſchon die Schrif-
ten der Gloſſatoren zum Object, die ſich nunmehr
zwiſchen die gegenwärtigen Juriſten und die Quellen
geſtellt hatten, und dieſes iſt ein Hauptgrund, warum
die Schule des Bartolus ſo viel ſchlechter iſt, als die
der Gloſſatoren. Derſelbe Rückſchritt wird überall
ſtatt finden, wo nicht der Grundſatz befolgt wird, je-
den Stoff bis zu ſeiner Wurzel zu verfolgen, welcher
Grundſatz oben als der Character der hiſtoriſchen
Methode angegeben worden iſt. So denn auch bey
dem Code; wenn z. B. einer der Redactoren auch
die übertriebenſte Meynung vom Werthe des Code
hegte, ſo würde er doch im Vertrauen bekenuen, daß
er ſelbſt höher ſtehe als dieſes ſein Werk: er würde
einräumen, daß er ſelbſt ſeine Bildung unabhängig
von dem Code erhalten habe, und daß die gegen-
wärtige Generation, die durch den Code erzogen wer-
den ſoll, nicht auf den Punkt kommen würde, worauf
er ſelbſt ſteht, und worauf er fähig war, ein ſolches
Werk hervorzubringen. Dieſe einfache Ueberlegung
wird daſſelbe Reſultat überall haben, wo man mit
Einführung des neuen Geſetzbuchs zugleich das vori-
ge Studium zerſtört, gleichſam die Brücke hinter ſich
abwerfend, auf welcher man über den Strom gekom-
men iſt.
Die neue Oeſterreichiſche Studienordnung (von
[141] 1810) verbindet das juridiſche und politiſche Stu-
dium zu einem Ganzen 1), welches in vier Jahren
dergeſtalt geendigt wird, daß dieſe ganze Zeit hin-
durch täglich drey Stunden den Vorleſungen beſtimmt
ſind 2). Jeder Lehrgegenſtand wird nur einmal ge-
hört. Deutſches Recht kommt nicht vor, ohne Zwei-
fel deshalb, weil es auch vor dem neuen Geſetzbuch
in Oeſterreich wenig verbreitet war 3). Dagegen
wird allerdings Römiſches Recht gelehrt, und die
Gründe, welche die Aufnahme deſſelben in den Lehr-
plan bewirkt haben, ſind die trefflichſten und liberal-
ſten. Der erſte iſt die Entſtehung des neuen Geſetz-
buchs aus dem Römiſchen Recht: der zweyte, daß
das bisherige gemeine Recht (und beſonders der Rö-
miſche Theil deſſelben) zu jeder poſitiven Rechtswiſ-
ſenſchaft in einem ähnlichen Verhältniß ſtehe, wie
die alten Sprachen zur allgemeinen Bildung: nämlich
als das eigentlich gelehrte Element, wodurch unſer
Fach zur Wiſſenſchaft werde, und zugleich als das
[142] Gemeinſame unter den Juriſten verſchiedener Völker 1).
Dieſe Anſicht, die ohne Zweifel die der Studiencom-
miſſion ſelbſt iſt 2), verdient gewiß den größten Bey-
fall: allein ob die gewählten Mittel zu dieſem aner-
kannten Zweck hinreichen, muß ich bezweifeln. Zwar
ſoll der Lehrer des Römiſchen Rechts eine Geſchichte
deſſelben voraus ſchicken, und dahin trachten, daß
der Zuhörer „das Syſtem deſſelben in ſeinen Grund-
zügen und aus ſeinen Quellen kennen lerne“ 3):
allein bey der vorgeſchriebenen beſchränkten Zeit iſt
es ganz unmöglich, mehr als gewöhnliche Inſtitutio-
nen vorzutragen, da für das ganze Fach nur eine
halbjährige Vorleſung von zwey Stunden täglich
(nach ſchriftlichen Nachrichten eigentlich neun Stun-
den die Woche) beſtimmt iſt, alſo genau dieſelbe Zeit
wie in Paris. Was in einer ſo kurzen Zeit möglich
iſt, kann jeder leicht berechnen: auch iſt bereits ein
Lehrbuch für die Vorleſungen nach dieſem Plane er-
ſchienen 4), an welchem deutlich zu ſehen iſt, wie
unbefriedigend dieſer Unterricht bleiben muß, und ge-
wiß ohne Schuld des Verfaſſers, deſſen Fleiß und
Kenntniß neuerer Fortſchritte der Rechtswiſſenſchaft
[143] vielmehr das beſte Lob verdient. Es käme nur dar-
auf an, ſich von der Unzulänglichkeit dieſes Planes
zu überzeugen, und dabey die Erfahrung anderer
Deutſchen Länder unbefangen zu Rathe zu ziehen: an
Mitteln zu einer andern Einrichtung würde es nicht
fehlen, am wenigſten an Zeit. Der Plan iſt darauf
berechnet, daß jeder Studierende täglich drey Stun-
den höre; nimmt man anſtatt deſſen fünf Stunden
an, ſo werden in vier Jahren 16 einfache Collegien
gewonnen, und es können dann nicht nur alle zum
gelehrten Studium unentbehrliche Fächer, ſondern auch
die Hauptvorleſungen bey mehreren Lehrern gehört
werden, wodurch erſt rechtes Leben in den Unterricht
der Univerſitäten kommt. Zwar glaubte man, daß
fünf Stunden täglich nach der Localität zu viel ſey,
indem es z. B. zu viel Anſtrengung koſten würde,
drey Stunden ununterbrochen zu hören 1): allein ich
berufe mich auch hierüber auf die Erfahrung ande-
rer Deutſchen Univerſitäten, wo dieſes niemals die
geringſte Schwierigkeit macht. Davon, daß es Uni-
verſitäten giebt, wo manche Studenten 10 — 11
Stunden täglich hören, will ich nicht ſprechen, denn
dieſes wird auch dort für einen ſehr ſchädlichen
Misbrauch erkannt, dem man entgegen zu arbeiten
ſucht.
[144]
In den Preußiſchen Staaten iſt auch ſeit Ein-
führung des Landrechts niemals eine Studienordnung
vorgeſchrieben worden, und dieſe durch alte Erfah-
rung Deutſcher Univerſitäten bewährte Freyheit iſt
ſtets unverſehrt geblieben. Auch die Anzahl der Leh-
rer, wie ſie vorher durch das gemeine Recht nöthig
war, iſt nicht vermindert worden, und die Curatoren
der Univerſitäten haben niemals in den Lehrern oder
den Studierenden die Meynung erregt, als wäre ein
Theil der vorher nöthigen Vorleſungen für entbehr-
lich zu achten. Urſprünglich hielt man es für räth-
lich, daß auf jeder Univerſität wenigſtens Eine Haupt-
ſtelle für das Preußiſche Recht beſtimmt würde, und
es wurde ein anſehnlicher Pceiß für das beſte Lehr-
buch ausgeſetzt 1). Allein ſelbſt dieſes wurde in der
Folge nicht mehr befördert, wie denn die Univerſität
zu Berlin das Preußiſche Recht bis jetzt nicht gelehrt
hat. Dieſelbe Anſicht liegt den eingeführten Prüfun-
gen zum Grunde, indem die erſte Prüfung, bey dem
Eintritt in wirkliche Geſchäfte, blos auf gemeines
Recht gerichtet wird: die nächſte Zeit iſt nun für die
unmittelbar praktiſche Bildung des Rechtsgelehrten
beſtimmt 2), und erſt die nun folgenden zwey Prü-
fungen
[145] fungen haben auch das Landrecht zum Gegenſtande,
jedoch ohne daß das gemeine Recht dabey ausge-
ſchloſſen wäre. Offenbar iſt alſo gegenwärtig die Bil-
dung des Juriſten, als aus zwey Hälften beſtehend,
gedacht, ſo daß die erſte Hälfte (die Univerſität) nur
die gelehrte Grundlage, die zweyte dagegen die
Kenntniß des Landrechts, die des Preuſſiſchen Prozeſ-
ſes, und die praktiſche Fertigkeit zur Aufgabe hat.
Dafür, daß die erſte Hälfte nicht aus Bequemlichkeit
verkürzt werde, hat man nicht durch eine ſpecielle
Studienordnung geſorgt, wohl aber erſtlich durch
das vorgeſchriebene Triennium 1), ſo daß die An-
wendung dieſer Zeit, wie billig, der eigenen Wahl
und dem Rathe der Lehrer überlaſſen blieb; zwey-
tens durch die Vorſchrift, bey der Zulaſſung zum
Staatsdienſte auch auf das Zeugniß der Univerſitäts-
lehrer, und ſelbſt auf das frühere Schulzeugniß,
Rückſicht zu nehmen 2). Man muß bedenken, mit
welchem Ernſt und welcher Anſtrengung das Land-
recht gemacht worden iſt, um die ganze Achtung zu
empfinden, welche dieſem Verfahren der Preußiſchen
Regierung gebührt. Denn auch bey der feſten Ueber-
zeugung, daß das neu eingeführte ein unbedingter
K
[146] Fortſchritt ſey, hat ſie dennoch mit edler Scheu ſich
enthalten, der feſt gewurzelten wiſſenſchaftlichen Ge-
wohnheit zu gebieten, die durch das Bedürfniß und
die Einſicht der Zeiten allmählich entſtanden und ent-
wickelt war. Rühmliche Erwähnung verdient auch
der gründliche Sinn des Kammergerichts, auf deſſen
Veranlaſſung im Jahr 1801. den juriſtiſchen Fakul-
täten der Gebrauch lateiniſcher Lehrbücher empfohlen
wurde, weil ſeit Einführung der Deutſchen Lehrbü-
cher die juriſtiſche Kunſtſprache den Juriſten weniger
geläufig war 1); noch ſicherer und vollſtändiger als
durch Lehrbücher dürfte freylich dieſer Zweck durch die
Quellen ſelbſt erreicht werden. — Was insbeſondere
die Vorleſungen über das Landrecht betrifft, ſo glaube
ich allerdings, daß dieſe in der gegenwärtigen Lage
beſſer nicht gehalten werden, indem zum praktiſchen
Bedürfniß die ſpätere Einübung hinreicht, eine wiſſen-
ſchaftliche Seite aber dem Gegenſtande abzugewin-
nen, aus Mangel an ſpeciellen geſchichtlichen Quellen,
ſchwer ſeyn dürfte. Anders würde es vielleicht ſeyn,
wenn der oben (S. 94) ausgeſprochene Wunſch
öffentlicher Mittheilung von Materialien des Land-
rechts in Erfüllung gehen ſollte.
Betrachten wir nun nochmals die drey genann-
ten Geſetzbücher im Zuſammenhang, und in beſonde-
rer Beziehung auf das Studium des Rechts, ſo iſt
[147] einleuchtend, daß ein eigenthümliches wiſſenſchaftliches
Leben aus ihnen nicht entſpringen kann, und daß
ſich auch neben ihnen wiſſenſchaftlicher Geiſt nur in
dem Maaße lebendig erhalten wird, als die geſchicht-
lichen Quellen dieſer Geſetzbücher ſelbſt fortwährend
Gegenſtand aller juriſtiſchen Studien bleiben. Der-
ſelbe Fall aber müßte unfehlbar eintreten, wenn wir
ein Geſetzbuch für Deutſchland aufſtellen wollten.
Thibaut, welcher dieſes anräth, will, wie ſich bey
ihm von ſelbſt verſteht, nicht die Wiſſenſchaftlichkeit
aufheben, vielmehr hofft er gerade für dieſe großen
Gewinn. Welches nun die Baſis der künftigen
Rechtsſtudien ſeyn ſoll, ob (wie in Preußen) die al-
ten Quellen, oder (wie in Frankreich und Oeſter-
reich) das neue Geſetzbuch ſelbſt, ſagt er nicht deut-
lich, doch ſcheint mehr das letzte ſeine Meynung 1).
Iſt aber dieſes der Fall, ſo fordere ich jeden auf,
bey ſich zu erwägen, ob auf eines der drey ſchon vorhan-
denen neuen Geſetzbücher, unabhängig von den Quel-
len des bisherigen Rechts und dieſer Geſetzbücher ſelbſt,
eine wirklich lebendige Rechtswiſſenſchaft möglicher-
weiſe gegründet werden könne. Wer aber dieſes
nicht für möglich erkennt, der kann es auch nicht
für das vorgeſchlagene Geſetzbuch behaupten. Denn
ich halte es, aus den oben entwickelten Gründen,
für ganz unmöglich, daß daſſelbe von den bisheri-
K 2
[148] gen Geſetzbüchern nicht blos durch Vermeidung einzel-
ner Mangel (was allerdings gedacht werden kann),
ſondern generiſch verſchieden ausfalle; ohne eine ſolche
generiſche Verſchiedenheit aber wird die Untauglich-
keit zu Begründung einer ſelbſtſtändigen Rechtswiſ-
ſenſchaft ſtets dieſelbe ſeyn. Was alsdann eintreten
wird, läßt ſich leicht vorherſehen. Wir werden ent-
weder gar keine juriſtiſche Literatur haben, oder (was
wahrſcheinlicher iſt) eine ſo flache, fabrikmäßige, un-
erträgliche, wie ſie uns unter der Herrſchaft des
Code zu überſchütten angefangeu hatte, und wir wer-
den dann alle Nachtheile eines cultivirten, verwickel-
ten, auf literariſches Bedürfniß gebauten Zuſtandes
empfinden, ohne durch die eigenthümlichen Vortheile
deſſelben entſchädigt zu werden. Ja, um alles mit
Einem Worte zu ſagen, es könnte leicht kommen,
daß der Zuſtand des bürgerlichen Rechts bey uns
ſchlechter würde, als er in Frankreich iſt; denn das
Streben nach wiſſenſchaftlicher Begründung gehört
nicht zu den nationalen Bedürfniſſen der Franzoſen,
wohl aber zu den unſrigen, und ein ſo tief wur-
zelndes Bedürfniß läßt ſich nicht ungeſtraft hintanſetzen.
Wollte man dagegen die Rechtswiſſenſchaft auch
neben dem neuen Geſetzbuch auf die alten Quel-
len gründen, ſo würden die oben 1) angegebenen
Schwierigkeiten eintreten, und man würde das Stu-
dium, anſtatt es zu vereinfachen, vielmehr verwickeln
[149] und weniger belohnend einrichten, alſo dem wahren
Zwecke gerade entgegen arbeiten. Man möchte etwa
glauben, der Erfolg würde ganz derſelbe ſeyn, wie
er bey einem ähnlichen Verfahren in den Preuſſiſchen
Staaten wirklich vor Augen liegt, wo gewiß das
Perſonal der Rechtspflege trefflich iſt und allgemeine
Achtung genießt und verdient; aber auch dieſe Er-
wartung halte ich für eine leere Täuſchung. Denn
zwey Umſtände dürfen dabey nicht überſehen werden,
die den Erfolg in anderen Deutſchen Ländern leicht
ungünſtiger beſtimmen dürften: erſtlich, daß der
allgemeine Character der Preuſſiſchen Einrichtungen
auch dieſer einzelnen Einrichtung zuſagt, und ihre
Ausführung in geſundem Zuſtande erhält, was ſich
in anderen Deutſchen Ländern ſchwerlich ſo zeigen
würde: zweytens aber und weit mehr dieſes, daß
ſelbſt in den Preuſſiſchen Staaten die Lage des Rechts
durch das vorgeſchlagene Geſetzbuch der übrigen Deut-
ſchen Länder anders werden würde. Denn die Bil-
dung der Preuſſiſchen Juriſten wird begründet auf
den Univerſitäten, alſo durch die Quellen des gemei-
nen Rechts: das Studium auf den Univerſitäten
alſo macht mit dem der übrigen Deutſchen Ein Gan-
zes aus. Es iſt aber nicht zu beſtimmen, wie viel
Lebenskraft dieſes Studium noch dadurch zieht, daß
ſeine Quellen im übrigen Deutſchland geltendes Recht
ſind, und wie ihm allmählich Kraft und Leben ſchwin-
den würde, wenn dieſe Quellen überall unmittelbar
[150] zu gelten aufhören ſollten. Dann alſo würde durch
das Deutſche Geſetzbuch ſelbſt für die Preuſſiſchen
Staaten das Studium entkräftet ſeyn, und gegen
dieſes zu befürchtende Uebel kann uns begreiflich die
Erfahrung nicht ſicher ſtellen, die bis jetzt der Preuſ-
ſiſche Staat gemacht hat.
[151]
10.
Das Gemeinſame.
Die Folge dieſer Anſichten iſt, daß das wiſſenſchaft-
liche Studium des Rechts, als welchem alle Erhal-
tung und Veredlung deſſelben obliegt, in beiderley
Ländern, den [...] die Geſetzbücher haben, und die ſie
nicht haben, daſſelbe ſeyn müſſe. Ja nicht auf das
gemeine Recht allein beſchränke ich dieſe Gemeinſchaft,
ſie muß vielmehr auch auf die Landesrechte erſtreckt
werden aus zwey Gründen. Erſtlich weil die Lan-
desrechte großentheils nur durch Vergleichung und
durch Zurückführung auf alte nationale Wurzeln ver-
ſtanden werden können: zweytens weil ſchon an ſich
alles geſchichtliche der einzelnen Deutſchen Länder für
die ganze Nation ein natürliches Intereſſe hat. Daß
die Landesrechte bisher am wenigſten auf dieſe Weiſe
behandelt worden ſind, wird niemand läugnen 1);
aber viele Gründe laſſen für die Zukunft allgemei-
nere Theilnahme an der vaterländiſchen Geſchichte
hoffen, und davon wird auch das Studium der Lan-
desrechte belebt werden, die eben ſo wenig als das
gemeine Recht dem bloſen Handwerk anheim fallen
dürfen. Und ſo führt unſre Anſicht auf einem an-
[152] deren Wege zu demſelben Ziel, welchem die Freunde
des allgemeinen Geſetzbuchs nachſtreben, aus dem
bürgerlichen Recht nämlich eine gemeinſame Angele-
genheit der Nation, und damit zugleich eine neue
Befeſtigung ihrer Einheit zu machen; nur führt un-
ſre Anſicht vollſtändiger dahin, indem ſie in der That
alle Deutſchen Lande umfaßt, während durch das
vorgeſchlagene Geſetzbuch Deutſchland in drey große
Ländermaſſen zerfallen würde, die durch das bürger-
liche Recht ſogar ſchärfer als vorhin geſchieden wä-
ren: Oeſterreich nämlich, Preußen, und die Länder
des Geſetzbuchs 1).
Daß nun dieſe Gemeinſchaft des bürgerlichen
Rechts in allen wirklichen Einrichtungen anerkannt
und vorausgeſetzt werde, halte ich eben wegen jener
durch ſie mit zu begründenden Vereinigung für eine
der wichtigſten Angelegenheiten der Nation. Wie es
keine Preuſſiſche und Bairiſche Sprache oder Litera-
tur giebt, ſondern eine Deutſche, ſo iſt es auch mit
den Urquellen unſres Rechts und mit deren geſchicht-
[153] licher Erforſchung; daß es ſo iſt, hat kein Fürſt mit
Willkühr gemacht, und keiner kann es hindern, nur
kann es verkannt werden: aber jeder Irrthum über
das, was wahrhaft der Nation angehört, und fälſch-
lich als dem einzelnen Stamme eigen behandelt wird,
bringt Verderben.
Sehen wir nun um uns, und ſuchen ein Mittel,
wodurch dieſes gemeinſame Studium äußerlich be-
gründet und befördert werden könne, ſo finden wir
ein ſolches, nicht mit Willkühr erſonnen, ſondern durch
das Bedürfniß der Nation ſeit Jahrhunderten be-
reitet, in den Univerſitäten. Die tiefere Begründung
unſres Rechts, und vorzüglich des vaterländiſchen,
für welches noch am meiſten zu thun iſt, iſt von ih-
nen zu erwarten, aber auch mit Ernſt zu fordern.
Allein damit ſie dieſem Beruf ganz genügen könnten,
müßte ein Wunſch erfüllt werden, in welchen gewiß
auch diejenigen herzlich einſtimmen werden, welchen
bis jetzt unſre Anſicht entgegen geſetzt war. Oeſter-
reich, Baiern und Würtemberg, dieſe trefflichen, ge-
diegenen Deutſchen Stämme, ſtehen (theils von je-
her, theils gegenwärtig) mit dem übrigen Deutſch-
land nicht in dem vielſeitigen Verkehr des Univerſi-
tätsunterrichts, welcher den übrigen Ländern ſo gro-
ßen Vortheil bringt; theils Gewohnheit, theils be-
ſchränkende Geſetze hemmen dieſen Verkehr. Die Er-
fahrung dieſer letzten Zeit hat gezeigt, welches Zu-
trauen die Deutſchen Völker zu einander faſſen dür-
[154] fen, und wie nur in der innigſten Vereinigung ihr
Heil iſt. Darum ſcheint es an der Zeit, daß jener
Verkehr nicht nur völlig frey geſtattet, ſondern auf
alle Weiſe begünſtigt und befördert werde: für ge-
fährlich kann ihn jetzt niemand halten, und wie er
wohlthätig für die Verbrüderung der Völker wirken
könne, muß jedem einleuchten. Aber nicht blos poli-
tiſch würde dieſer unbeſchränkte und vielſeitige Ver-
kehr höchſt wichtig ſeyn, ſondern auch noch mehr für
den innern, wiſſenſchaftlichen Werth der Lehranſtalten
ſelbſt. Wie ſich bey dem allgemeinen Welthandel ein
irriges Münzſyſtem einzelner Staaten nicht halten
kann, ohne bald in ſchlimmen Folgen empfunden und
entdeckt zu werden, ſo würde eine mangelhafte Ein-
richtung einzelner Univerſitäten durch dieſen erwünſch-
ten Verkehr bald erkannt und verbeſſert werden kön-
nen; alle Univerſitäten würden ſich gegenſeitig halten
und heben, und die Erfahrung einer jeden würde ein
Gemeingut aller werden.
[155]
11.
Thibauts Vorſchlag.
Thibaut verſichert im Eingang ſeiner Schrift, daß
er als warmer Freund ſeines Vaterlandes rede, und
gewiß, er hat ein Recht, dieſes zu ſagen. Denn er
hat zur Zeit des Code in einer Reihe von Recenſio-
nen auf die Würde der Deutſchen Jurisprudenz ge-
halten, während Manche die neue Weisheit, Manche
ſelbſt die Herrſchaft, wozu dieſe führte, mit thörichtem
Jubel begrüßten. Auch das Ziel ſeines Vorſchlags, die
feſtere, innigere Vereinigung der Nation, beſtätigt dieſe
gute Geſinnung, die ich mit Freuden anerkenne. Bis
auf dieſen Punkt alſo ſind wir einig, und darum iſt
unſer Streit kein feindſeeliger, uns liegt derſelbe Zweck
ernſthaft am Herzen, und wir berathen und beſpre-
chen uns über die Mittel. Aber freylich über dieſe
Mittel ſind unſre Anſichten ſehr entgegen geſetzt. Vie-
les davon iſt ſchon oben im Zuſammenhang dieſer
Schrift abgehandelt worden, der eigentliche Vorſchlag
ſelbſt iſt nun noch zu prüfen.
Thibaut nimmt an, das vorgeſchlagene Ge-
ſetzbuch könne in zwey, drey, vier Jahren gemacht
werden 1), nicht als bloſer Behelf, ſondern als ein
[156] Ehrenwerk, welches als Heiligthum auf Kinder und
Kindeskinder vererbt werden möge 1), und woran
auch in Zukunft nur noch in einzelnen Stellen nach-
zubeſſern ſeyn würde 2). Für leicht hält er die
Arbeit keinesweges, vielmehr für das ſchwerſte un-
ter allen Geſchäften 3). Natürlicherweiſe iſt die
Hauptfrage die, wer dieſes Werk machen ſoll, und
dabey iſt es höchſt wichtig, daß wir uns nicht durch
übertriebene Erwartungen von der Gegenwart täu-
ſchen laſſen, ſondern ruhig und unparteyiſch über-
ſchlagen, welche Kräfte uns zu Gebote ſtehen. Die-
ſes hat auch Thibaut gethan; auf zwey Claſſen
von Arbeitern müſſen wir rechnen, Geſchäftsmänner
und Juriſten von gelehrtem Beruf, und beide ver-
langt, wie ſich von ſelbſt verſteht, auch er. Aber
von den Geſchäftsmännern im einzelnen iſt ſeine Er-
wartung ſehr mäßig 4), und auch auf die Gelehr-
ten ſetzt er nach einigen Aeußerungen keine übertrie-
bene Hoffnung 5). Eben deshalb fordert er eine
collegialiſche Verhandlung: nicht Einer, auch nicht
Wenige, ſondern Viele und aus allen Ländern ſol-
len das Geſetzbuch machen 6).
Allerdings giebt es Geſchäfte im Leben, worin
ſechs Menſchen genau ſechsmal ſo viel ausrichten als
Einer, andere worin ſie ſogar mehr, noch andere
dagegen
[157] dagegen worin ſie weit weniger als dieſes leiſten.
Das Geſetzbuch nun iſt eine ſolche Arbeit, worin die
vereinigte Kraft Vieler keinesweges eine nach Ver-
hältniß erhöhte Kraft ſeyn würde. Noch mehr: es
wird als ein löbliches, treffliches Werk auf dieſem
Wege gar nicht entſtehen können, und zwar aus dem
einfachen Grunde, weil es nach ſeiner Natur weder
eine einzelne Beſtimmung, noch ein Aggregat ſolcher
einzelnen Beſtimmungen iſt, ſondern ein organiſches
Ganze. Ein Richtercollegium z. B. iſt deshalb mög-
lich, weil über Condemnation oder Abſolution in je-
dem einzelnen Fall die Stimmen abgegeben und ge-
zählt werden können. Daß damit die Verfertigung
des Geſetzbuchs keine Aehnlichkeit hat, leuchtet von
ſelbſt ein. Ich komme auf dasjenige zurück, was
oben erörtert worden iſt. Unter den Römern zur
Zeit des Papinian war ein Geſetzbuch möglich,
weil ihre geſammte juriſtiſche Literatur ſelbſt ein or-
ganiſches Ganze war: man könnte (mit einem Kunſt-
ausdruck der neueren Juriſten) ſagen, daß damals
die einzelnen Juriſten fungible Perſonen waren. In
einer ſolchen Lage gab es ſogar mehrere Wege, die
zu einem guten Geſetzbuch führen konnten: entweder
Einer konnte es machen, und die Andern konnten
hinterher einzelne Mängel verbeſſern, was deswegen
möglich war, weil in der That jeder einzelne als
Repräſentant ihrer juriſtiſchen Bildung überhaupt gel-
ten konnte: oder auch Mehrere konnten, unabhän-
L
[158] gig von einander, jeder das Ganze ausarbeiten, und
durch Vergleichung und Verbindung dieſer Werke
würde ein neues entſtanden ſeyn, vollkommner als
jedes einzelne, aber mit jedem gleichartig.
Nun bitte ich jeden, mit dieſem Zuſtand den
unſrigen zu vergleichen, der jenem gerade hierin völ-
lig entgegen geſetzt iſt. Um mit dem geringeren an-
zufangen, wähle jeder in Gedanken eine Anzahl der
jetztlebenden Juriſten aus, und frage ſich, ob aus
deren gemeinſchaftlicher Arbeit auch nur ein Syſtem
des beſtehenden Rechts hervorgehen könne: er wird
ſich bald von der völligen Unmöglichkeit überzeugen.
Daß aber ein Geſetzbuch eine viel größere Arbeit iſt,
und daß von ihm beſonders ein höherer Grad orga-
niſcher Einheit verlangt werden muß, wird gewiß
niemand läugnen. In der That alſo würde das
Geſetzbuch, wenn es nicht durch blos mechaniſche Zu-
ſammenſetzung unlebendig und darum völlig verwerf-
lich ſeyn ſoll, doch nicht von jenem Collegium ge-
macht werden können, ſondern nur von einem Ein-
zelnen; die übrigen aber würden nur untergeordnete
Dienſte leiſten können, indem ſie bey einzelnen Zwei-
feln Rath und Gutachten ertheilten, oder die fertige
Arbeit durch Entdeckung einzelner Mängel zu reini-
gen ſuchten. Wer uns aber dieſes zugiebt, der muß
für die gegenwärtige Zeit an der Möglichkeit über-
haupt verzweifeln; denn eben jenen einzelnen, den
wahren Geſetzgeber, zu finden, iſt ganz unmöglich,
[159] weil wegen der völligen Ungleichartigkeit der indivi-
duellen Bildung und Kenntniß unſrer Juriſten kein
einzelner als Repräſentant der Gattung betrachtet
werden kann.
Wer auch nach dieſer Betrachtung noch an die
Möglichkeit einer wirklich collegialiſchen Verfertigung
des Geſetzbuchs glauben möchte, der wolle doch die
Discuſſionen des Franzöſiſchen Staatsraths, die Thi-
baut ſo treffend geſchildert hat 1), auch nur in ei-
nem einzelnen Abſchnitt durchleſen. Ich zweifle nicht,
daß unſre Discuſſionen in manchen Stücken beſſer
ſeyn würden; aber, auf die Gefahr hin, der Partey-
lichkeit für die Franzoſen beſchuldigt zu werden, kann
ich die Ueberzeugung nicht verbergen, daß die unſri-
gen in anderer Rückſicht hinter dieſem Vorbild zu-
rück bleiben dürften.
Es iſt oft verlangt worden, daß ein Geſetzbuch
populär ſeyn ſolle, und auch Thibaut kommt ein-
mal auf dieſe Forderung zurück 2). Recht verſtan-
den, iſt dieſe Forderung wohl zuzugeben. Die Spra-
che nämlich, die das wirkſamſte Mittel iſt, wodurch
Ein Geiſt zum andern kommen kann, hemmt und
beſchränkt auch dieſen geiſtigen Verkehr vielfältig;
oft wird der beſte Theil des Gedankens von dieſem
Medium abſorbirt, wegen der Ungeſchicklichkeit ent-
weder des Redenden, oder des Hörers. Aber durch
[160] Naturanlage oder Kunſt kann dieſes Medium ſo un-
terworfen werden, daß beiderley Ungeſchicklichkeit nicht
mehr im Wege ſteht. Der Gedanke ſchreitet dann
weg über die verſchiedene Act und Bildung der hö-
renden Individuen, und ergreift ſie in dem gemein-
ſamen geiſtigen Mittelpunkt. Dann kommt es, daß
die Hohen befriedigt werden, während auch den Ge-
ringen alles klar iſt: beide ſehen den Gedanken über
ſich als etwas höheres, bildendes, und beiden iſt er
erreichbar. So iſt irgendwo ein wunderthätiges Chri-
ſtusbild geweſen, das die Eigenſchaft hatte, eine Hand
breit höher zu ſeyn, als der größte Mann, der ſich
daran ſtellen mochte: kam aber ein Mann von mä-
ßiger Größe, oder ein kleiner, ſo war der Unterſchied
dennoch derſelbe, nicht größer. Dieſen einfältigen,
einzig populären Styl ſehen wir (um nur von der
einheimiſchen Literatur zu reden) in unſren beſſeren
Chroniken, aber er kann auch in mancherley anderen
Arten erſcheinen. Wenn wir ihn einmal wieder fin-
den, dann wird manches treffliche möglich ſeyn, un-
ter andern eine gute Geſchichtſchreibung, und unter
andern auch ein populäres Geſetzbuch.
[161]
12.
Schluß.
Ich faſſe nochmals in kurzen Worten zuſammen,
worin meine Anſicht mit der Anſicht der Freunde
eines Geſetzbuchs übereinſtimmt, und worin ſich beide
unterſcheiden.
In dem Zweck ſind wir einig: wir wollen Grund-
lage eines ſicheren Rechts, ſicher gegen Eingriff der
Willkühr und ungerechter Geſinnung; desgleichen Ge-
meinſchaft der Nation und Concentration ihrer wiſ-
ſenſchaftlichen Beſtrebungen auf daſſelbe Object. Für
dieſen Zweck verlangen ſie ein Geſetzbuch, was aber
die gewünſchte Einheit nur für die Hälfte von Deutſch-
land hervorbringen, die andere Hälfte dagegen ſchär-
fer als vorher abſondern würde. Ich ſehe das rechte
Mittel in einer organiſch fortſchreitenden Rechtswiſ-
ſenſchaft, die der ganzen Nation gemein ſeyn kann.
Auch in der Beurtheilung des gegenwärtigen Zu-
ſtandes treffen wir überein, denn wir erkennen ihn
beide für mangelhaft. Sie aber ſehen den Grund
des Uebels in den Rechtsquellen, und glauben durch
ein Geſetzbuch zu helfen: ich finde ihn vielmehr in
uns, und glaube, daß wir eben deshalb zu einem
Geſetzbuch nicht berufen ſind.
[162]
Wie in unſrer Zeit geſprochen ſind die Worte
eines der edelſten Deutſchen des ſechzehenten Jahr-
hunderts 1):
Nam mihi aspicienti legum libros, et cog-
nita pericula Germaniae, saepe totum cor-
pus cohorrescit, cum reputo quanta in-
commoda secutura sint, si Germania prop-
ter bella amitteret hanc eruditam doctri-
nam juris et hoc curiae ornamentum …
Non igitur deterreamur periculis, non fran-
gamur animis, .... nec possessionem stu-
dii nostri deseramus. — — Itaque Deus
flectat animos principum ac potentum ad
hujus doctrinae conservationem, magno-
pere decet optare bonos et prudentes.
Nam hac remota, ne dici potest quanta in
aulis tyrannis, in judiciis barbaries, deni-
que confusio in tota civili vita secutura
esset, quam ut Deus prohibeat, ex animo
petamus.
[][][][][]
135 ꝛc. Thibaut über die Nothwendigkeit eines allg. bürgerlichen
Rechts für Deutſchland. Heidelberg 1814. Jener wünſcht für den
Augenblick Annahme des Oeſterreichiſchen Geſetzbuchs, dieſer ſogleich
ein neues.
ed. 3. §. 130. Civiliſt. Magazin B. 4. Num. 4.
ſcient. L. 8 C. 3).
„stauratio illis temporibus ſuscipiatur, quae antiquioribus, quorum
„acta et opera tractant, literis et rerum cognitiono praestiterint…
„Infelix res namque est, cum ex judicio et delectu aetatis minus
„prudentis et eruditae antiquorum opera mutilantur et recompo-
„nuntur.“
von oben herab entſchieden werden ſollten, ſo würde es ſolcher
„tanquam e vinculis sermocinantur.“
alle zu kennen, und für die unentſchiedenen Fälle, deren doch im-
mer noch genug übrig blieben, gäbe es nur um ſo mehr wider-
ſprechende Analogien.“
Paris 1807. 8. p. IX. (von Bigot-Preameneu).
gere, atque ex immensa diffusaque legum copia, optima quaeque
et necessaria in paucissimos conferre libros.
Code ſeit 1807, von Bigot-Preameneu.
Rehberg über den Code Nap. S. 33 und f., ſo wie über die
wichtigen Folgen der gänzlichen Umwandlung des Rechts derſelbe
S. 57 u. f. ſagt.
Code geben eine bequeme Ueberſicht über das Verhältniß dieſer
Theile: bey jenen konnten die Nichtjuriſten kein Ende finden, von
dieſen war oft gar nicht die Rede.
férence du code civil avec la discussion … du conseil d’etat et
du tribunat. Paris Didot 1805. 8. vol. in 12. — Code civil suivi de
l’exposé des motifs (die Reden im corps legislatif). Paris Didot
1804. 8. vol. in 12. — (Crussaire) Analyse des observations des
de civil. Paris 1802. 4. — Maleville analyse raisonnée de la dis-
cussion du code civil, ed. 2. Paris 1807. 4. vol. in 8. Der Code
und das Projet de code civil ſind ohnehin bekannt.
traires à l’intérêt de l’agriculture, aux bonnes moeurs, à la raison;
personne ne pense à les rétablir.“
und ich ſehe nicht, wie man dieſen ungerechte Bitterkeit vorwer-
fen kann: die Anwendung auf manche einzelne Stellen läßt ſich
freylich beſtreiten.
Rehbergs Zweck. Viel treffliches hierüber enthält Thibauts
Rec. von Rehbergs Schrift in den Heidelb. Jahrb. 1814. Jan.
S. 1 u. f.
des Appellationsgerichts von Montpellier bey Crussaire p. 5—9.
leon S. 221 — 224.
43 — 94, dieſe über a. 1101 — 1133, T. 5. p. 1 — 21, und davon
nimmt der Text wenigſtens die Hälfte ein.
le code Nap. Paris Renaudiere, 1807. 2 vol. 4., in der hiſtori-
ſchen Einleitung.
nachher unterdrückten Verhandlungen.
Emmeryp. 139 iſt um einige Grade geringer.
tentheils fehlen, ſtehen in den Heidelb. Jahrb. 1814 Januar
S. 13.
79 — 90. Der Gipfel der Verwirrung iſt in der Bemerkung von
Tronchetp. 84 que jamais le mariage n’est nul de plein droit;
il y a toujours un titre et une apparence qu’il faut détruire.
Wenn jemand mein Haus beſitzt, ſo giebt es auch une apparence
à détruire, (etwas blos factiſches), dazu dient die Vindication;
aber ſein angebliches Recht des Eigenthums iſt dennoch nul de
plein droit, d. h. es iſt gar nicht da, und dieſes aufzuheben
brauche ich keine Klage. Bey Teſtamenten läßt es ſich durch den
Gegenſatz der alten Nullität wegen eines präterirten Sohnes,
und der querela inofficiosi, recht deutlich machen.
niteur an X. N. 86. p. 343. „On sait que jamais, ou presque
leville T. 1. p. 13. Projet, discours préliminaire p. XI. XII.
XIII.
seil d’état im Bulletin des lois und bey Locré T. 3. p. 104,
„les divers cas que la loi … a laissés à la disposition des prin-
„cipes généraux et du droit commun.“
et bien précis de loi, ensorte que ce n’est jamais que par le
bon sens et par l’équité que l’on peut décider.“
mensité d’objets divers, qui composent les matières civiles, et
dont le jugement, dans le plus grand nombre des cas, est moins
l’application d’un texte précis que la combinaison de plusieurs
textes qui conduisent à la décision bien plus qu’ils ne la renfer-
ment, on ne peut pas plus se passer de jurisprudence que
de lois.“
Reichs B. 1. S. 21 — 23. 373. 374.
num B. 1. Berlin 1781. 8. — Die Vorerinnerungen vor dem Ent-
der Bände. — Kleins Selbſtbiographie. Berlin 1806. 8. S. 47.
Materialien der preuſſ. Geſetzgebung, in Mathis jur. Monats-
ſchrift B. 11 Heft 3. S. 191 — 286 nebſt einem Konſpektus der Mate-
rialien. — Die Materialien zum Landrecht allein (ohne die Ge-
richtsordnung) betragen 1500 — 2000 einzelne Stücke in 88 Fo-
lianten.
Cabinetsordre von 1786 in Kleins Annalen Th. I. S. XLIX. —
Publicationspatente von 1791 und 1794 vor dem Geſetzbuch (1791)
und dem Landrecht (1794).
([Oſtpreuſſiſches] Provinzialrecht. Berlin 1801. 8), für die übrigen
Annalen B. 8. S. XXVI — XXIX.Simon S. 197 — 199. Meh-
rere der wichtigſten Neuerungen wurden noch in der allerletzten
Reviſion des Landrechts weggelaſſen. Simon S. 235.
ner alten Form.
B. 2. N. 1.
Schriften: 1) De condictionum indole. Hal. 1777. (Simon S. 200).
2) De intestatorum Atheniensium hereditatibus. Traj. ad Viad. 1778.
(Schott Critik. B. 10. S. 79). 3) Erörterung der Begriffe Erb-
ſchaft ex asse ꝛc. Breslau 1780. (ib. S. 82). 4) Varia quae ad le-
ges Romuleas et magistratus pertinent. Vratislav. 1779. 8. 5) Ueber
urſprüngliche Menſchenrechte. Breslau 1763 8. (Erſch Literatur
der Jurisprud. S. 272). Ich kenne davon nur die vierte, und
dieſe iſt allerdings wenig bedeutend.
Meinen Endzweck .. erlange, ſo werden freylich viele Rechtsge-
lehrten bey der Simplifikation dieſer Sache ihr geheimnißvolles
Anſehen verlieren, um ihren ganzen Subtilitäten-Kram gebracht,
und das ganze Corps der bisherigen Advokaten unnütz werden.
Allein ich werde dagegen .... deſto mehr geſchickte Kaufleute,
Fabrikanten und Künſtler gewärtigen können, von welchen ſich der
Staat mehr Nutzen zu verſprechen hat.“
Bemerkungen eingeſandt, und welche Preiſe erhalten haben.
1789, und: Fünfter Brief ꝛc. Frankfurt 1790. 8.
Deutſchen bürgerlichen Rechts ꝛc. Leipzig 1777. 8. — Schloſſers
Briefe S. 46. 342. in welcher letzten Stelle er ſogar Weſtphals
Schriften als ſehr brauchbar für dieſen Zweck rühmt.
Vorbereitung zur neueſten Oeſterreichiſchen Geſetzkunde. Wien und
Trieſt 1810. B. 1. S. 19 — 30.
Geſetzgebung. Simon S. 194. Zeiller S. 19.
Seiten, ſehr weitläufig gedruckt.
sione personae pupilli principaliter, et secundario in defensione
bonorum pupillarium.“
ſichtlich der Inteſtaterbe zur Tutel berufen; im Oeſterreichiſchen
Geſetzbuch kann es wegen der Linealerbfolge kommen, daß der
Inteſtaterbe und der zur Vormundſchaft berufene nächſte Ver-
wandte verſchiedene Perſonen ſind, in den meiſten Fällen aber
wird es auch hier dieſelbe Perſon ſeyn.
loſophiſchen Gebiete jedermann nach ſeiner Ueberzeugung urthei-
gebildeten Billigkeit (aequitas cerebrina) und im Grunde nach
Willkühr gefället werden.“
134. 135.
ceſſe abgekürzet haben; patriotiſche Phantaſien Th. 1. N. 51.
ſogenannte Allegiren, a. a. O. Th. I. N. 22.
Rechtsfälle; patriot. Phantaſien Th. 2. N. 53. (3te Ausgabe N. 44).
il est trop heureux que la jurisprudence forme une science qui
puisse fixer le talent, flatter l’amour propre et réveiller l’émula-
tion.“ — P. XIV. „On ne saurait comprendre combien cette
habitude de science et de raison adoucit et règle le pouvoir.“
eines Doctors dieſer Rechtsſchule.
Ausführung des Lehrplanes ꝛc. im 35ten Bande von K. FranzI.
Geſetzſammlung. — A. von Heß encycl. methodol. Einleitung in
das juridiſch-politiſche Studium. Wien u. Trieſt 1813. 8. Dem
Vf. ſind laut S. 9. die Acten über den Studienplan mitgetheilt
worden, ſo daß ſeine Darſtellung der Gründe deſſelben gewiſſer-
maaßen als officiell zu betrachten iſt.
Erſte Abtheilung. Wien u. Trieſt 1814. 8.
Abth. 3.
miniſter von Kircheiſen ſteht in Mathis juriſt. Monats-
ſchrift B. 4. S. 65.
folgenden Orten zu finden: Mathis Monatsſchrift B. 1. S.
56, 61.; B. 8. S. 352. 462. Kamptz Monatsſchrift Heft 1. S. 18.
S. 14.
führenden Geſetzbuchs ſind lediglich veranlaßt durch den Zuſtand
der Länder, worin bis jetzt das gemeine Recht oder der Code
galt, und ich habe ſtillſchweigend angenommen, daß der Vorſchlag
ſelbſt nicht weiter gehe als dieſe ſeine Veranlaſſung. Sollte aber
auch Oeſterreich und Preuſſen darin mitbegriffen ſeyn, ſo wäre
allerdings von der politiſchen Seite dieſe Vollſtändigkeit ſehr zu
loben, aber für dieſe Länder ſelbſt wäre wohl zu bedenken, was
oben (Abſchn. 8.) in anderer Rückſicht gegen die Abſchaffung ihrer
Geſetzbücher geſagt worden iſt.
clamat. T. 1. Servestae 1587. p. 247 und Or. de vita Irnerii et
Bartoli. T. 2. p. 411.
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 2. Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bnz3.0