Staatsrecht
des
Deutſchen Reiches.
Verlag der H. Laupp’ſchen Buchhandlung.
[[II]]
Das Recht der Ueberſetzung wird vorbehalten.
Druck von H. Laupp in Tübingen.
[[III]]
Inhalts-Verzeichniß.
- Zehntes Kapitel.
Die bewaffnete Macht des Reiches. - I.Abſchnitt. Verfaſſungsrechtliche Grundlagen.
- Seite
- Seite
- §. 77. Allgemeine Prinzipien 1
- §. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen 12
- §. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches 35
- §. 80. Die Gemeinſchaft der Laſten und Ausgaben für die bewaffnete
Macht 48 - §. 81. Die Militairhoheitsrechte der Einzelſtaaten 59
- §. 82. Die Feſtungen und Kriegshäfen 72
- II.Abſchnitt. Die Organiſation und Gliederung der
bewaffneten Macht. - §. 83. Das ſtehende Heer 79
- §. 84. Die Landwehr 98
- §. 85. Der Landſturm 103
- §. 86. Die Militairverwaltung 104
- §. 87. Die Kriegsmarine 130
- III.Abſchnitt. Der Militairdienſt.
- §. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht 136
- §. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht 209
- §. 90. Einfluß des Militairdienſt-Verhältniſſes auf andere Rechtsver-
hältniſſe 252 - §. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen 274
- IV.Abſchnitt. Die Militairlaſten.
- §. 92. Begriff und allgemeine Rechtsſätze 311
- §. 93. Die Friedensleiſtungen 318
- §. 94. Die Kriegsleiſtungen 342
- §. 95. Die Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen 372
[[IV]]
Berichtigungen.
- S. 30 letzte Zeile fehlt hinter „31. Oktober“ die Jahreszahl „1866“.
- S. 42 Z. 3 iſt ſtatt „Landesrath“ zu leſen „Bundesrath“.
- S. 46 Z. 21 iſt ſtatt „Art. 29 und 30“ zu leſen „Art. 27 und 28“.
- — Z. 22 iſt ſtatt „Juni“ zu leſen „Mai“.
- — Note 2 iſt hinzuzufügen, daß in Elſaß-Lothringen, ſo lange das Reichs-
preßgeſetz daſelbſt nicht zur Einführung gelangt, ſtatt des letzteren
Art. 1 des franzöſ. Geſ. v. 11. Mai 1868 bei Verhängung des Be-
lagerungszuſtandes außer Kraft zu ſetzen ſein würde.
- S. 120 Note 3 iſt hinzuzufügen, daß auch auf die in Elſ.-Lothr. ſtehenden
Württemb. und Bayeriſchen Truppen die Preuß. Milit.-Strafgerichts-
Ordn. keine Anwendung findet. Geſ. v. 6. Dezember 1873 §. 1
Abſ. 2. (Geſetzbl. f. Elſ.-Lothr. S. 331.) - S. 128 letzte Zeile fehlt hinter „Culm“ das Wort „Potsdam“.
- S. 132 Note 2 iſt ſtatt „1878/80“ zu leſen „1879/80“.
- S. 135 Note 1 iſt ſtatt „1874 S. 44“ zu leſen „1872 S. 41“.
- S. 161 Note 4 iſt ſtatt „§. 13 Abſ. 3“ zu leſen „§. 13 Abſ. 4“.
- S. 189 vorletzte Zeile fehlt das Citat: „Milit.Geſ. §. 50 Abſ. 3“.
- S. 232 Note 1 iſt ſtatt „§. 19 Ziff. 6“ zu leſen „§. 19 Ziff. b“.
- S. 234 Z. 18 iſt ſtatt „darauf“ zu leſen „darüber“.
- S. 253 Z. 17 iſt ſtatt des Geſetzes f. Elſ.-Lothr. v. 23. Nov. 1872 zu citiren
das Geſ. v. 6. Dezemb. 1873. (Geſetzbl. f. Elſ.-Lothr. 1873 S. 331.)- — Note 2 iſt ſtatt „1872“ zu leſen „1871“.
- — Note 7 Ziff. 1 iſt nach „§§.“ die Ziffer „50“ hinzuzufügen.
- S. 255 Note 3 iſt ſtatt „§. 15 Abſ. 8“ zu leſen „§. 15 Abſ. 3“.
Zehntes Kapitel.
Die bewaffnete Macht des Reiches*).
Erſter Abſchnitt.
Verfaſſungsrechtliche Grundlagen.
§. 77. Allgemeine Prinzipien.
Nach dem Eingang der Reichsverfaſſung iſt das Reich ge-
gründet „zum Schutz des Bundesgebietes und des innerhalb des-
Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 1
[2]§. 77. Allgemeine Prinzipien.
ſelben gültigen Rechtes“; dem Reiche müſſen daher die zur Er-
füllung dieſer Aufgabe erforderlichen ſtaatlichen Machtmittel zur
Verfügung ſtehen. Die völkerrechtliche Stellung des Reiches als
politiſche Einheit wäre praktiſch bedeutungslos ohne Zuſammen-
faſſung und einheitliche Organiſation der im Reiche vorhandenen
Streitkräfte; die Willensacte des Reiches ſowohl im internationalen
Verkehr mit auswärtigen Mächten als auch in Ausübung der ſtaat-
lichen Funktionen im Innern würden der Energie und Würde ent-
behren, wenn das Reich nicht im Stande wäre, denſelben durch
Entfaltung phyſiſcher Kraft Nachdruck zu geben. Alle Schriftſteller
über das Weſen und die Einrichtungen des Bundesſtaates waren
von jeher darüber einig, daß ſowie die völkerrechtliche Vertretung
und die Wahrnehmung der internationalen Intereſſen ſo auch die
Ordnung des Heerweſens und der Oberbefehl über die bewaffnete
Macht zur Kompetenz der Bundesgewalt gehöre. Auch die Reichs-
verfaſſung erkennt dieſes Prinzip an, welches durch die Natur der
Sache von ſelbſt geboten iſt, und ſie ſichert nach allen Richtungen
die thatſächliche Durchführung deſſelben. Die ſtaatsrechtliche Ge-
ſtaltung aber, welche dieſe Durchführung gefunden hat, die formell
juriſtiſche Form, in welche die Rechte des Reiches auf dem Gebiete
des Heerweſens gebracht worden ſind, gehört zu den eigenthüm-
lichſten und ſonderbarſten Gebilden des öffentlichen Rechts. Die
herrſchende Theorie, welche das Weſen des Bundesſtaates darin
erblickt, daß ein Theil der ſtaatlichen Thätigkeit ganz und aus-
ſchließlich unter die ſouveräne Gewalt des Bundes, der andere
Theil ebenſo vollſtändig und ausſchließlich unter die ſouveräne
Gewalt der Einzelſtaaten fällt 1), erweiſt ſich zwar auf ſämmtlichen
Gebieten des Reichsrechts als falſch und undurchführbar, kaum
irgendwo tritt dies aber klarer zu Tage als beim Heerweſen;
denn grade hier ſind die „Sphären“ der Reichsgewalt und der
Gliedſtaatsgewalt in einer ſolchen Weiſe mit einander verknüpft
und verſchlungen, daß von einer völligen Trennung derſelben nur
ſolche Schriftſteller reden können, welche die Fähigkeit beſitzen,
*)
[3]§. 77. Allgemeine Prinzipien.
gegen die wirklich beſtehenden Einrichtungen und die wahre Natur
der Dinge feſt die Augen zu verſchließen.
Die Eigenthümlichkeiten des deutſchen Militairrechts beruhen
nicht auf rationellen Gründen, auf allgemeinen Rechtsprinzipien
oder auf ſachlichen (techniſchen) Erwägungen, ſondern lediglich auf
hiſtoriſchen Urſachen, auf der Art und Weiſe, wie die Grün-
dung des Reiches ſich vollzogen hat, und auf dem Zuſtande des
Heerweſens, den das Reich bei ſeiner Entſtehung als thatſächlich
gegeben vorgefunden hat. Denn das, was der Militairverfaſſung
des deutſchen Reiches einen ſo eigenartigen, ja man kann faſt ſagen
abſonderlichen, Charakter verleiht, iſt nicht die conſequente Durch-
führung eines eigenthümlichen ſtaatsrechtlichen Grundſatzes, ſondern
der Mangel eines einheitlichen Prinzips, indem ſowohl für die ver-
ſchiedenen Theile der bewaffneten Macht als für die verſchiedenen
Territorien, aus denen ſich das Bundesgebiet zuſammenſetzt, ganz ver-
ſchiedene Rechtsſätze beſtehen. Insbeſondere kommt für die Marine
ein anderes Grundprinzip zur Anwendung wie für das Heer, und
rückſichtlich des Heeres kann man behaupten, daß die in der R.V.
enthaltene Regelung des Verhältniſſes zwiſchen Reich und Einzel-
ſtaat nirgends im ganzen Reiche unveränderte Geltung hat und
auch von Anfang an gar nicht haben ſollte; denn ſchon bei der
Feſtſtellung der Norddeutſchen Bundesverfaſſung und der Reichs-
verfaſſung wurde durch vertragsmäßige Vereinbarungen für alle
Einzelſtaaten ein Zuſtand herbeigeführt, der für einige derſelben
eine Erweiterung, für die meiſten eine Beſchränkung, für alle eine
Veränderung der verfaſſungsmäßigen Befugniſſe darſtellt. Die
Reichsverfaſſung enthält demnach gleichſam ein Idealrecht, welches
nirgends verwirklicht iſt, das vielmehr nur die Normallinie bildet,
um welche ſich die thatſächlich in Geltung ſtehenden Regeln in
mancherlei Windungen ziehen.
Als der norddeutſche Bund gegründet wurde, war unter allen
Staaten, welche ſich zu demſelben vereinigten, nur ein einziger,
der eine Kriegsmarine hatte, nämlich Preußen. Es war daher
nicht die mindeſte Schwierigkeit vorhanden, die Preuß. Kriegsmarine
nebſt dem dazu gehörigen Inventar, Häfen, Werften u. ſ. w. dem
Bunde zu überweiſen, die Koſten ihrer Erhaltung, Vergrößerung,
Verwaltung auf den Bundesetat zu übernehmen, den Oberbefehl
dem Könige von Preußen, der ja zugleich Präſident des Bundes
1*
[4]§. 77. Allgemeine Prinzipien.
war, uneingeſchränkt zu laſſen und die mit der Verwaltung betraute
Behörde zur Bundesbehörde zu erklären. Der Eintritt der ſüd-
deutſchen Staaten in den Bund bot begreiflicher Weiſe keinen An-
laß, in dieſer Beziehung eine Aenderung vorzunehmen. Hinſicht-
lich der Marine beſteht daher ein ſehr einfacher und durchgreifender
Grundſatz; ſie iſt ausſchließlich Reichs-Angelegenheit; ſie iſt in
Wahrheit einheitlich; die Einzelſtaaten ſind als ſolche völlig unbe-
theiligt; Geſetzgebung, Verwaltung, Oberbefehl, Dienſtherrlichkeit
ſtehen einzig und allein dem Reiche, reſp. dem Kaiſer zu. Für
keinen Verwaltungszweig iſt die Emancipation des Reiches von
den Einzelſtaaten vollſtändiger durchgeführt wie für die Marine.
Dagegen waren alle zum norddeutſchen Bunde beziehentlich zum
Deutſchen Reiche ſich vereinigenden Staaten von Alters her im
Beſitze militairiſcher Streitkräfte und in der durchaus ſelbſtſtändigen
Ausübung der militairiſchen Hoheitsrechte. Der ehemalige deutſche
Bund beſchränkte die Militairhoheit der deutſchen Staaten ebenſo-
wenig, wie er im Uebrigen ihrer Souveränetät Abbruch that; er
begründete nur eine Verpflichtung aller deutſchen Staaten zu
gegenſeitigem Schutz und Beiſtand d. h. zur Vereinigung ihrer
Truppen im Falle eines gemeinſchaftlichen Krieges zu einer com-
binirten Heeresmacht, der ſogen. Bundesarmee. In Folge dieſer
völkerrechtlichen Verpflichtung, welche eine der weſentlichſten Seiten
des Bundesverhältniſſes bildete, verabredeten die deutſchen Staaten
in der Form von Bundesbeſchlüſſen gewiſſe allgemeine Grundzüge
der Heeresorganiſation und ſie ſetzten eine nach der Bevölkerungs-
zahl bemeſſene Präſenzſtärke feſt, zu deren Bereithaltung die ein-
zelnen Staaten ſich gegenſeitig verbindlich machten. Sie einigten
ſich ferner über Errichtung, Erhaltung und Beſetzung gewiſſer im
gemeinſchaftlichen Intereſſe der Landesvertheidigung nothwendigen
Feſtungen. Den Inbegriff dieſer Verabredungen (Bundesbeſchlüſſe)
bezeichnete man mit dem Namen „Bundeskriegsverfaſſung“; die-
ſelben waren in jeder Beziehung ungenügend, um eine wirkliche
Uebereinſtimmung in der Formation, Bewaffnung und Ausbildung
der einzelnen Kontingente herbeizuführen, um das Gefühl der Zu-
ſammengehörigkeit, gleichmäßiger Kriegstüchtigkeit und ſolidariſcher
Verantwortlichkeit zu ſtärken, um ein einheitliches Zuſammenwirken
der combinirten Heereskörper im Falle eines Krieges zu ſichern,
endlich um die Laſten des Heerweſens auf die geſammte Bevölke-
[5]§. 77. Allgemeine Prinzipien.
rung Deutſchlands gleichmäßig zu vertheilen. Schon lange vor
dem Zuſammenbruch des Bundes war die Preußiſche Regierung
eifrig und unabläſſig bemüht eine Verbeſſerung des Bundesmilitair-
weſens herbeizuführen; dieſe Beſtrebungen waren aber ohne erheb-
lichen Erfolg.
Auch bei der im Jahre 1866 von Preußen beantragten Bundes-
reform ſtand die Reviſion der Bundeskriegsverfaſſung in erſter
Reihe; die Vorſchläge der Preußiſchen Regierung vom 11. Mai
1866 1) enthielten die Forderung „einer Conſolidirung der mili-
tairiſchen Kräfte Deutſchlands für Feldarmee- und Feſtungsweſen
aus dem Geſichtspunkte einer beſſeren Zuſammenfaſſung der Ge-
ſammtleiſtung, ſo daß deren Wirkung gehoben und die Leiſtung
des Einzelnen möglichſt erleichtert wird.“ Die Geſichtspunkte, von
denen die Preuß. Regierung bei ihren Anträgen auf Reform der
alten Bundeskriegsverfaſſung ausgegangen iſt, wurden dann bei
den Vorſchlägen zur Gründung eines neuen Bundesverhältniſſes
feſtgehalten. In den „Grundzügen zu einer neuen Bundesver-
faſſung“ vom 10. Juni 1866 2) Art. IX ſind dieſelben näher aus-
geführt und die hier präciſirten Vorſchläge ſind — abgeſehen von
der damals beabſichtigten Theilung der Landmacht des Bundes in
eine Nordarmee unter Preußiſchem und in eine Südarmee unter
Bayeriſchem Oberbefehl — im Weſentlichen in die Verfaſſung des
Norddeutſchen Bundes übergegangen. Sie knüpfen an das be-
ſtehende Recht an und nehmen die Fortexiſtenz der Armeen der ein-
zelnen Staaten als getrennter, von einander unabhängiger Kontin-
gente zur Vorausſetzung; von dem Gedanken einer Verſchmelzung
dieſer Kontingente zu einer einheitlichen Bundesarmee findet ſich
nicht die leiſeſte Andeutung. Nach den Grundzügen vom 10. Juni
1866 ſoll jede Regierung die Verwaltung ihres Kontingents ſelbſt
führen, die erforderlichen Auslagen vorbehaltlich gemeinſamer Ab-
rechnung leiſten, die Offiziere des eigenen Kontingentes ernennen.
Der Bundes-Oberfeldherr ſoll das Recht und die Pflicht haben,
dafür Sorge zu tragen, daß die bundesbeſchlußmäßigen Kontingente
vollzählig und kriegstüchtig vorhanden ſind und daß die nothwendige
Einheit in der Organiſation, Formation, in Bewaffnung und Com-
[6]§. 77. Allgemeine Prinzipien.
mando, in der Ausbildung der Mannſchaften, ſowie in der Quali-
fikation der Offiziere hergeſtellt wird; er ſoll die Befugniß haben
diejenigen Kommando’s, unter welchen mehr als ein Kontingent
ſteht, zu beſetzen; er ſoll die kriegsbereite Aufſtellung jedes Theils
der Bundesarmee anordnen dürfen und die Bundesregierungen
ſollen ſich verpflichten, „eine ſolche Anordnung in Betreff ihrer
Kontingente unverzüglich auszuführen.“ Für das Bundesheer ſoll
ein gemeinſchaftliches Militairbudget mit der Nationalvertretung
vereinbart werden; die Ausgaben ſollen durch Matrikularbeiträge
der Staaten nach Maßgabe ihrer Bevölkerung gedeckt werden; Er-
ſparniſſe ſollen nicht der einzelnen Regierung, welche ſie macht,
ſondern dem Bundeskriegsſchatze zufallen. Die Wortfaſſung der
geltenden Reichsverfaſſung zeigt an vielen Stellen ihre Abſtammung
aus jenen Grundzügen vom 10. Juni 1866; die Anordnungen der
R.V. ſind zwar ſehr viel genauer und vollſtändiger, in keiner Be-
ziehung aber prinzipiell verſchieden.
Als oberſtes Prinzip der Militairverfaſſung des deutſchen
Reiches iſt daher der Satz feſtzuhalten: Es giebt kein Heer
des Reiches, ſondern nur Kontingente der Einzel-
ſtaaten. Wenn der Art. 63 der Reichsverf. den Satz an die
Spitze ſtellt: „die geſammte Landmacht des Reichs wird ein ein-
heitliches Heer bilden, welches in Krieg und Frieden unter dem
Befehl des Kaiſers ſteht“, ſo hat dies einen völlig anderen juriſti-
ſchen Sinn, als wenn der Art. 53 der Reichsverf. ſagt: „die
Kriegsmarine des Reichs iſt eine einheitliche unter dem Ober-
befehl des Kaiſers.“ Die Einheit der Kriegsmarine iſt eine innere
untheilbare, durch Begriff und Weſen gebotene, die Reichsarmee
dagegen iſt eine zuſammengeſetzte Einheit; die „Einheitlichkeit“ der
Landmacht des Reiches hebt die geſonderte Exiſtenz der Contingente
der einzelnen Staaten nicht auf, ſondern ſie bedeutet lediglich das
Band, welches dieſe verſchiedenen Kontingente zuſammenhält. Die
Einheit iſt bei der Marine Conſequenz, bei dem Heer Modifikation
des Grundprinzips. Die Contingente der einzelnen Bundesſtaaten
werden zum einheitlichen Heere zuſammengefaßt durch drei, unten
noch näher zu erörternde Einrichtungen, nämlich durch den Ober-
befehl des Kaiſers in Krieg und Frieden, durch die völlig über-
einſtimmende gleichmäßige Organiſation, Bewaffnung, Ausbildung
u. ſ. w. und durch die Beſtreitung der geſammten Koſten aus
[7]§. 77. Allgemeine Prinzipien.
Reichsmitteln. Die ſtrenge Durchführung dieſer 3 Sätze hat aller-
dings den Erfolg, daß die aus den Kontingenten der Einzelſtaaten
zuſammengeſetzte Armee im militairiſch-techniſchen Sinne eine ein-
heitliche iſt, denn die Heereskörper, aus denen die Einheit ſich
combinirt, ſind materiell gleichartig; mag dies aber in noch ſo
hohem Grade erreicht werden, mögen die verſchiedenen Kontingente
als ununterſcheidbare Beſtandtheile einer durchweg gleichmäßigen
Armee erſcheinen, formell juriſtiſch bleibt der Grundſatz beſtehen,
daß eine Reichsarmee nicht exiſtirt, ſondern daß dies nur eine
Collektivbezeichnung iſt, um die Contingente der einzelnen Bundes-
ſtaaten zuſammenzufaſſen.
Dieſem Prinzip ſteht nun aber ein zweites, nicht minder wich-
tiges zur Seite: die Einzelſtaaten haben zwar Truppen, aber die
ihnen zuſtehende Militairhoheit iſt keine ſouveräne.
Sowie die Souverainetät der Gliedſtaaten durch die Unterordnung
unter die Reichsgewalt im Allgemeinen aufgehoben iſt 1), ſo auch
insbeſondere hinſichtlich des Militairweſens. Kein Staat iſt befugt,
ſeine Armee nach eigenem Belieben zu organiſiren, zu bewaffnen,
auszubilden u. ſ. w., ſondern das Reich ertheilt die Vorſchriften,
nach denen dies geſchehen muß. Die Wehrpflicht der Bevölkerung,
die Rekrutirung, die Qualifikation und das Dienſtrechtsverhältniß
der Offiziere, der Einfluß des Militärverhältniſſes auf andere
Rechtsverhältniſſe, das Militair-Strafrecht, -Prozeß, -Disciplinar-
recht, die Verpflegung und Ausrüſtung, die Militairlaſten u. ſ. w.,
mit einem Worte die geſammte Einrichtung des Heerweſens wird
vom Reich normirt; Geſetzgebung und im praktiſchen Reſultat auch
die Verordnungsgewalt in Armeeangelegenheiten werden vom Reich
ausgeübt. Die Einzelſtaaten ſind formell die Subjecte der Mili-
tairhoheit, aber Inhalt und Umfang derſelben beſtimmt das Reich;
jeder einzelne Staat hat (nach der Reichsverf.) eine Armee für
ſich, aber nicht nach eigenem Belieben, ſondern nur eine ſo be-
ſchaffene, wie das Reich ihm erlaubt und wie das Reich ihm be-
befiehlt. Ferner: die Landesherren ſind die Kontingentsherren,
Mannſchaften und Offiziere ſtehen zu ihnen im militairiſchen Dienſt-
verhältniß, ſind ihnen zu militairiſcher Treue verbunden und leiſten
ihnen den Fahneneid; aber der Kaiſer hat den Oberbefehl, das
[8]§. 77. Allgemeine Prinzipien.
Recht auf Gehorſam, das Recht die oberſten Kommando’s zu be-
ſetzen und die Befugniß, die einzelnen Kontingente zu inſpiziren
und die Abſtellung der dabei vorgefundenen Mängel anzuordnen.
Die Kontingente ſind formell Machtmittel der Einzelſtaaten, ma-
teriell Machtmittel des Reiches; ſie gleichen einem Vermögen,
das dem Einen gehört, über das der Andere aber die Verfügung
hat. Endlich ſteht den Einzelſtaaten zwar die Verwaltung ihrer
Kontingente zu, aber dieſelbe iſt eine durchaus unfreie; ſie iſt nach
den vom Reich gegebenen Geſetzen, Verordnungen und Reglements,
nach den vom Kaiſer erlaſſenen Befehlen und nach Maßgabe der
im Reichshaushaltsgeſetz feſtgeſtellten Etats zu führen. Die Einzel-
ſtaaten leiſten (nach der R.V.) die für ihre Kontingente erforder-
lichen Ausgaben, aber es ſteht ihnen kein Pfennig zur Verfügung,
der ihnen nicht durch das Reichsbudget angewieſen iſt; ſie können
keine Erſparniſſe machen, die ſie nicht der Reichskaſſe überlaſſen
müßten; ſie haben nicht darüber zu befinden, welche Ausgaben zu
leiſten oder zu unterlaſſen ſind, ſondern ſie ſind auf die Ausfüh-
rung deſſen beſchränkt, was ihnen vorgezeichnet iſt.
Auf der Verbindung dieſer beiden Prinzipien beruht das
Heerweſen des Deutſchen Reiches nach derjenigen Organiſation,
welche gemäß der Reichsverfaſſung die normale iſt. Hiervon weicht
aber der thatſächlich beſtehende Zuſtand ſehr erheblich ab. Zunächſt
darf man nicht überſehen, daß die in der R.V. anerkannten Rechts-
ſätze in Preußen eine völlig andere Wirkung äußern, wie in
allen übrigen Bundesſtaaten: denn da der König von Preußen
zugleich Kaiſer iſt, ſo wird die Theilung der Befugniſſe zwiſchen
Landesherrn (Kontingentsherrn) und Kaiſer (Oberfeldherrn), welche
die R.V. anordnet, hier nicht effectiv; ſie bleibt eine nominelle,
wirkungsloſe; die quoad jus getrennten Befugniſſe fließen quoad
exercitium wieder zuſammen. Daſſelbe gilt vom Reichslande,
über welches der Kaiſer die Staatsgewalt ausübt. Nach der ent-
gegengeſetzten Richtung entfernt ſich der für Bayern anerkannte
Rechtszuſtand von dem verfaſſungsmäßigen Normalrecht, indem
durch den in der R.V. beſtätigten Verſailler Vertrag vom 23. Nov.
1870 dem Könige von Bayern im Frieden der Oberbefehl über
ſeine Armee und die Beſetzung ſämmtlicher Kommando’s in der-
ſelben überlaſſen, die Fortgeltung der Bayeriſchen Militairgeſetze,
Verordnungen, Reglements u. ſ. w. bis zur Aufhebung im Wege
[9]§. 77. Allgemeine Prinzipien.
der Reichsgeſetzgebung zugeſtanden, die Selbſtſtändigkeit der Armee-
verwaltung, insbeſondere auch hinſichtlich der Aufſtellung der Special-
etats, Rechnungscontrole u. ſ. w., gewährleiſtet worden iſt. Wenn
man der Kürze wegen an dieſer Stelle die Rechte des Kaiſers als
Oberbefehl, diejenigen des Landesherrn als Contingentsherrſchaft
charakteriſirt, ſo laſſen ſich ſchon nach den vorſtehenden Ausfüh-
rungen drei Gruppen unterſcheiden; in Preußen und dem Reichs-
land ſind Oberbefehl und Kontingentsherrſchaft vereinigt in der
Hand des Kaiſers, in Bayern ſind ſie (im Frieden) vereinigt in der
Hand des Königs, in allen andern Staaten ſind ſie der Verfaſſung
nach getrennt. Mit Ausnahme von Württemberg, Sachſen und
Braunſchweig iſt dieſe Trennung aber auf einem Umwege beſeitigt,
indem alle übrigen Staaten mit Preußen Conventionen abgeſchloſſen
haben, durch welche ſie die Verwaltung ihrer Kontingente, die Er-
nennung der Offiziere und Beamten und die meiſten anderen nach
der R.V. ihnen zuſtehenden militairiſchen Hoheitsrechte dem Könige
von Preußen zur Ausübung übertragen und ſich nur gewiſſe Ehren-
rechte von geringer ſtaatsrechtlicher und politiſcher Bedeutung vor-
behalten haben. Durch dieſe freiwillige Abtretung der in der Kon-
tingentsherrlichkeit enthaltenen, durch die R.V. den Landesherren
zuerkannten Rechte an den König von Preußen wird für dieſe
Staaten thatſächlich derſelbe Zuſtand begründet, als hätte
die Reichsverf. ihnen die Militairhoheit und die Verwaltung ihrer
Kontingente gänzlich entzogen und das Heer ebenſo wie die
Marine zur Inſtitution des Reiches gemacht. Für das Reich aber
entſteht ein thatſächlich zwar ſehr einfacher, juriſtiſch aber ſehr com-
plizirter Rechtszuſtand; denn das Reich als ſolches hat durch die
erwähnten Conventionen kein weitergehendes Recht erlangt, als die
Reichsverf. ihm zuſchreibt; alle von den Einzelſtaaten aufgegebenen
Rechte ſind Preußen zugefallen; die Kontingente der erwähnten
Einzelſtaaten ſind nicht Reichstruppen geworden, ſondern dem
Preußiſchen Kontingente zugewachſen, ſie ſtehen nicht unter Ver-
waltung des Reiches, ſondern unter Preußiſcher Verwaltung.
Während die Reichsverfaſſung von dem Grundſatz ausgeht, daß
es ſoviele Armee-Kontingente giebt, als Bundesglieder vorhanden
ſind, iſt durch die Militairkonventionen der Effekt erzielt worden, daß
nur 5 getrennte Kontingente vorhanden ſind, das Preußiſche, Baye-
riſche, Württembergiſche, Kgl. Sächſiſche und Braunſchweigiſche. Das
[10]§. 77. Allgemeine Prinzipien.
Preußiſche Kontingent aber beſteht wieder aus Beſtandtheilen, deren
Zugehörigkeit auf 3 verſchiedenen Gründen beruht; der Kaiſer iſt
Kontingentsherr über die Preußiſchen Truppen kraft ſeines Mo-
narchenrechts (jure proprio), über die elſaß-lothringiſchen Trup-
pen kraft der Delegation der landesherrlichen Rechte Seitens
des Reiches durch das Geſetz vom 9. Juni 1871 §. 3, über die
Truppen der andern Staaten kraft der Ceſſion Seitens der
Landesherren und Senate durch die Militairkonventionen.
Obwohl in der angegebenen Beziehung ſämmtliche Konventionen
übereinſtimmen 1), ſo enthalten ſie doch im Uebrigen überaus mannig-
fache und von einander abweichende Anordnungen, ſo daß ein völlig
gleichheitlicher Rechtszuſtand auch in den mit Preußen hinſichtlich
der Militairverwaltung verbundenen Gebieten durchaus nicht be-
ſteht. Bei den betreffenden Lehren werden dieſe Beſtimmungen
Erwähnung finden; hier iſt nur folgender Punkt von allgemeiner
Bedeutung noch hervorzuheben. Die ehemaligen Bundeskontingente
einiger Staaten ſind im Jahre 1867 gänzlich aufgelöſt worden,
nämlich in Schwarzburg-Sondershauſen, Waldeck, Lippe-Detmold,
Schaumburg-Lippe, und in den 3 Hanſeſtädten. Dieſe Staaten
gelten in militairiſcher Hinſicht als Preußen einverleibt; ihre Wehr-
pflichtigen werden in Preußiſche Truppentheile eingeſtellt. In den
andern Staaten dagegen ſind die Kontingente nur nach Preußiſchem
Muſter reorganiſirt und in den Verband der Preußiſchen Armee
aufgenommen worden; die Regimenter werden nach dem Staate,
dem ſie angehören, benannt, tragen am Helm das Landes-Wappen
und die Landeskokarde, ergänzen ſich vorzugsweiſe aus den Wehr-
pflichtigen der betreffenden Staaten und haben Garniſonen in letz-
teren erhalten. In den größeren Staaten, insbeſondere in Mecklen-
burg, Heſſen und Baden iſt außerdem die Kontingentsgemeinſchaft
der den betreffenden Staaten angehörigen Truppen gewahrt; die
Heſſiſchen bilden eine geſchloſſene Diviſion, die Badiſchen ein Armee-
corps für ſich und ſind als ſolche ein Beſtandtheil der Preußiſchen
Armee 2).
Mit Braunſchweig iſt eine Militairconvention zwar nicht
[11]§. 77. Allgemeine Prinzipien.
abgeſchloſſen worden und der Herzog übt im Allgemeinen die
Rechte eines Kontingentsherrn aus, insbeſondere die Ernennung,
Beförderung, Verabſchiedung der Offiziere; es ſind aber die Braun-
ſchweigiſchen Truppen nicht nur ebenfalls nach dem Muſter der
Preußiſchen formirt und in entſprechende taktiſche Verbände des
Preußiſchen Heeres eingereiht und den Preußiſchen Kommandobe-
hörden unterſtellt worden, ſondern es iſt auch das Braunſchweigiſche
Kontingent ganz in die finanzielle Verwaltung und Abrechnung des
Preußiſchen Heeres eingetreten 1).
Es bleiben demnach im Ganzen nur zwei Staaten übrig, auf
welche die in der R.V. normirte Ordnung des Heerweſens, insbe-
ſondere die hier anerkannte Theilung der ſtaatlichen Militair-
hoheitsrechte zwiſchen Reich und Einzelſtaat wirklich Anwendung
findet, nämlich die Königreiche Sachſen und Württemberg; und
auch mit ihnen ſind Militairconventionen abgeſchloſſen worden,
durch welche zwar nicht die prinzipiellen Grundlagen verändert,
wohl aber die in der Reichsverfaſſung gezogenen Grundlinien der
beiderſeitigen Kompetenz verſchoben worden ſind, in praktiſch minder
erheblichem Grade zu Gunſten Sachſens, in bedeutenderem Maße
zu Gunſten Württembergs.
Sowie hinſichtlich der Poſt- und Telegraphenverwaltung für
den größten Theil des Bundesgebietes thatſächlich eine größere
Einheitlichkeit und Concentration durchgeführt iſt, als die Reichs-
verfaſſung anordnet, ſo iſt auch hinſichtlich des Heerweſens die
Einheit thatſächlich weit über das in der Reichsverfaſſung beſtimmte
Maß hinausgeführt. Die reichsverfaſſungsmäßigen Grund-
lagen der Militairorganiſation laſſen ſich in dem Satze zuſammen-
faſſen: Dem Reiche ſteht zu die einheitliche Ordnung
und Einrichtung des Heeres, der Oberbefehl in Krieg
und Frieden, die Feſtſtellung des Rekrutenbedarfs
und des Ausgabe-Etats; den Einzelſtaaten iſt ver-
blieben die Kontingentsherrlichkeit und die Selbſt-
verwaltung.
Die in dieſem Satze zuſammengefaßten Momente werden nun
im Einzelnen darzuſtellen ſein.
[12]§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.
§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-
Einrichtungen.
I.Die Militairgeſetzgebung.
Zur Zeit der Errichtung des Norddeutſchen Bundes hatte
jeder deutſche Staat ſein beſonderes Militairrecht und ſeine beſon-
dere Heeres-Organiſation. Dieſe Vielgeſtaltigkeit ſollte beſeitigt
und durch eine einheitliche Regelung erſetzt werden; zu dieſem
Zwecke wurden in die Verfaſſung zwei Sätze aufgenommen, Art. 4,
Ziff. 14 und Art. 61, welche in die Reichsverfaſſung übergegangen
ſind. Die erſte dieſer Beſtimmungen wies dem Bunde die Kompe-
tenz zur Geſetzgebung über das Militairweſen und die Kriegs-
marine ohne jede Beſchränkung zu und ſetzte ihn dadurch in den
Stand, ein vollkommen einheitliches, formell gemein verbindliches,
alle Seiten des Heerweſens vollſtändig regelndes Militairrecht zu
ſchaffen. Für die Dauer war dieſe Befugniß des Bundes zwar völlig
ausreichend und bedurfte keiner Ergänzung; für den Augenblick
aber war ſie ungenügend und wirkungslos, da die Herſtellung
einer umfaſſenden Bundes-Militairgeſetzgebung ein ſchwieriges, zeit-
raubendes und von unvorherzuſehenden Hinderniſſen bedrohtes Werk
war. Es war unmöglich, bis zur glücklichen Löſung einer ſo weit-
reichenden legislatoriſchen Aufgabe die zahlreichen partikulären
Militairordnungen fortgelten zu laſſen. Ueberdies kam es nicht
darauf an, ein wirklich neues Militairrecht zu ſchaffen und eine
neue Heeres-Einrichtung zu treffen. Man hatte vielmehr in
Preußen eine muſtergültige, in Frieden und Krieg bewährte Organi-
ſation, eine bis in das feinſte Detail ausgebildete und durch eine
langjährige und reiche Praxis erprobte Armee-Verwaltung und
eine in dem Rechtsbewußtſein und in den Lebensverhältniſſen des
Volkes ſowie in den Traditionen der geſammten Staatsverwaltung
feſtwurzelnde Militair-Rechtsordnung und Geſetzgebung. Es lag
keine Veranlaſſung vor, an dieſer Ordnung des Heerweſens zu
rütteln oder ſie in Frage zu ſtellen 1); was für den weitaus größten
[13]§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.
Theil des Bundes in Geltung ſtand, konnte auf den übrigen Theil
ausgedehnt werden, zumal im Königr. Sachſen eine Reorganiſation
der Armee ohnedies in Folge des Krieges von 1866 nothwendig
war, die andern Bundesſtaaten aber zu klein waren, als daß ſie
eine Militairgeſetzgebung von ſelbſtſtändiger Bedeutung hätten
ſchaffen können.
Die ſofortige Herſtellung der Rechtseinheit im Bunde war
daher zu erreichen, indem man den Geltungsbereich der Preußiſchen
Geſetzgebung auf das ganze Bundesgebiet erſtreckte. Demgemäß
verordnete der Art. 61 der B.V., daß in dem ganzen Bundesge-
biete die geſammte Preußiſche Militairgeſetzgebung ungeſäumt ein-
zuführen ſei, mit alleiniger Ausnahme der Militair-Kirchenordnung.
Die hierdurch gewonnene Rechtseinheit ſollte aber in formeller
Hinſicht nur eine proviſoriſche ſein; durch ein „umfaſſendes Bundes-
Militairgeſetz“ ſollte die definitive Codifikation des Militairrechts im
verfaſſungsmäßigen Wege der Bundesgeſetzgebung erfolgen. Art. 61
Abſ. 2. Dem Geltungsgebiet der Preußiſchen und der Bundes-
Militairgeſetzgebung trat Südheſſen durch die Militair-Convention
vom 7. April 1867 Art. 2 hinzu 1); ferner Baden und Württem-
berg durch die Bündnißverträge von Verſailles vom 15. Nov. 1870
und von Berlin vom 25. Nov. 1870 2), endlich Elſaß-Lothringen
durch das Geſetz vom 23. Januar 1872 (Geſ.Bl. f. Elſ.-Lothr. S. 83).
Für Bayern wurde dagegen durch den Bündnißvertrag vom
23. Nov. 1870 unter III §. 5 und durch die Schlußbeſtimmung
zum IX. Abſchn. der R.V. ein anderer Grundſatz anerkannt. Die
erſte der beiden oben erwähnten Vorſchriften der R.V., die im
Art. 4 Ziff. 14 ſanctionirte unumſchränkte Kompetenz des Reiches
zur Militairgeſetzgebung findet auch auf Bayern volle Anwendung;
[14]§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.
dagegen iſt die im Art. 61 der R.V. ausgeſprochene Regel hin-
ſichtlich Bayerns ausgeſchloſſen. Die in Bayern zur Zeit der Er-
richtung des Reiches in Geltung geweſene Militairgeſetzgebung
nebſt den dazu gehörigen Vollzugs-Inſtruktionen, Verordnungen,
Erläuterungen ꝛc. iſt in Kraft geblieben; die Einführung der be-
reits vor dem Eintritte Bayerns in den Bund in dieſer Hinſicht
erlaſſenen Geſetze und ſonſtigen Beſtimmungen in Bayern iſt von
„freier Verſtändigung“ d. h. von der Einwilligung der Bayeriſchen
Regierung abhängig gemacht worden 1); nur das in den Art. 57
und 59 der R.V. anerkannte Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht
hat für Bayern ſofort Geltung erhalten.
Sonach bildet das Bundesgebiet ein einheitliches Rechts-
gebiet nur hinſichtlich derjenigen Militairgeſetze, welche ſeit Errich-
tung des Deutſchen Reiches erlaſſen worden ſind; hinſichtlich aller
übrigen auf das Heerweſen bezüglichen Rechts- und Verwaltungs-
vorſchriften dagegen zerfällt es in zwei Rechtsgebiete, welche
man als die des Preußiſchen und des Bayeriſchen Rechts
einander gegenüberſtellen kann 2). Der Gegenſatz der beiden letz-
teren hat aber mit der fortſchreitenden Ausbildung der Reichs-
Militairgeſetzgebung und der allmälichen Umgeſtaltung der Bayeri-
ſchen Heereseinrichtungen nach Preußiſchem Vorbilde ſeine praktiſche
Bedeutung zum größten Theile eingebüßt.
Die Reichs-Militairgeſetzgebung hat einheitliches Recht ge-
ſchaffen
- 1. hinſichtlich der Wehrpflicht, der Organiſation des Heeres
und der Rechtsverhältniſſe der Militairperſonen durch das Wehr-
geſetz vom 9. Nov. 1867 (B.G.Bl. 1867 S. 131), eingeführt
in Bayern durch Reichsgeſ. vom 24. Nov. 1871 (R.G.Bl. 1871
S. 398); das Militairgeſetz vom 2. Mai 1874 (R.G.Bl.
1874 S. 45) 3), das Landſturmgeſetz vom 12. Februar 1875
[15]§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.
(R.G.Bl. 1875 S. 63), und das Kontrolgeſetz vom 15. Febr.
1875 (R.G.Bl. 1875 S. 65). - 2. hinſichtlich der Penſionirung und Verſorgung der Militair-
perſonen durch das Penſionsgeſetz vom 27. Juni 1871
(R.G.Bl. S. 275) und durch die Novelle hierzu vom 4. April
1874 (R.G.Bl. S. 25). - 3. hinſichtlich des Militair-Strafrechts durch das Militair-
Strafgeſetzbuch vom 20. Juni 1872 (R.G.Bl. S. 173). - 4. hinſichtlich der finanziellen Militairlaſten durch das Quar-
tierleiſtungsgeſetz vom 25. Juni 1868 (B.G.Bl. 523), ein-
geführt in Bayern durch Reichsgeſ. vom 9. Febr. 1875 (R.G.Bl.
S. 41), das Naturalleiſtungsgeſetz vom 13. Febr. 1875
(R.G.Bl. S. 52), das Kriegsleiſtungsgeſetz vom 13. Juni
1873 (R.G.Bl. S. 129) und das Feſtungsrayongeſetz
vom 21. Dezember 1871 (R.G.Bl. S. 459).
II.Das Militair-Verordnungsrecht.
1. Umfang deſſelben.
Es iſt bereits oben Bd. II S. 210 fg. darauf hingewieſen
worden, wie ſchwankend und unſicher die Grenze zwiſchen einer
allgemeinen Verwaltungs-Anordnung und der Aufſtellung einer
Rechtsregel iſt, wie eine Vorſchrift, die urſprünglich nur als In-
ſtruction der Behörden und Beamten gegeben war, zu einem Satze
der Rechtsordnung erhoben werden kann, und wie insbeſondere
ſowohl die Form der Geſetzgebung zum Erlaß von Verwaltungs-
vorſchriften als auch die Form der Verordnung zum Erlaß von
Rechtsvorſchriften verwendbar iſt. Alle dieſe Sätze finden in her-
vorragender Weiſe Anwendung auf das Militairweſen. Nach der
geſchichtlichen Entwicklung deſſelben im ganzen mittleren Europa
und insbeſondere im Preußiſchen Staate galt die Armee bis in
dieſes Jahrhundert für eine Inſtitution, deren Ordnung und Lei-
tung gänzlich dem unbeſchränkten Willen des Landesherrn unter-
ſtellt war; man vermochte nicht, ſich den militairiſchen Oberbefehl
zu denken ohne die Befugniß, die geſammte Einrichtung des Heeres
3)
[16]§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.
in allen Beziehungen zu regeln; man hatte überdies der Armee
eine ſo geſchloſſene und ſelbſtſtändige Verwaltung gegeben, daß
dieſelbe innerhalb der übrigen ſtaatlichen Verwaltungen mit voller
Unabhängigkeit fungirte, gleichſam ein Staat im Staate, ſo daß
ſie von der Rechtsordnung, die rings um ſie her galt und von
allen Veränderungen, welche die letztere erfuhr, unberührt blieb
und ganz auf ſich ſelbſt geſtellt ſchien. Erſt durch die Einführung
der allgemeinen Wehrpflicht wurde die organiſche Verbindung
zwiſchen der Heerverfaſſung und der eigentlichen Staatsverfaſſung
wieder gewonnen und die Grundlage, auf welcher die ganze Wehr-
verfaſſung ruhte, wieder zum Beſtandtheil der öffentlichen Rechts-
ordnung gemacht. Denn der Natur der Sache nach kann die Ver-
waltungs-Verordnung nur innerhalb des Verwaltungs-Apparates
wirkſam werden; die Militair-Verordnung demnach nur innerhalb
der Armee und hinſichtlich der zum militairiſchen Gehorſam ver-
pflichteten Perſonen. Die Vorſchriften über die Dienſtpflicht der
Unterthanen und über die Verpflichtung zu Vermögensleiſtungen
für die Armee ſind daher ihrer Natur nach Rechtsvorſchriften und
fallen in das Gebiet der Geſetzgebung im materiellen Sinne, weil
es ſich bei ihnen nicht um Befehle an die zum militairiſchen Ge-
horſam verpflichteten Perſonen handelt, ſondern um Befehle an
Perſonen, die außerhalb des Armeeverbandes ſtehen. Dagegen
unterlagen alle Interna der Armee, ſowohl was das dienſtliche
Verhältniß der Militairperſonen als was die Organiſation und
Formation des Heeres und die Einrichtung der Militair-Anſtalten
anlangt, der Regelung durch Verordnung des Kontingentsherrn und
der mit der Militair-Verwaltung betrauten Behörden. Daran hat
ſich im Prinzip auch durch die Einführung der conſtitutionellen
Verfaſſungsform Nichts geändert, da man zwar überall der Volks-
vertretung ein Recht der Mitwirkung an der Geſetzgebung einge-
räumt, eine verfaſſungsmäßige Abgränzung des der Geſetzgebung
unterworfenen Gebietes von demjenigen, auf welchem die Verwal-
tung freien Spielraum behielt, aber nicht getroffen hat. Nur ver-
mittelſt des Antheils, den die Volksvertretung an der Feſtſtellung
des Budgets, an der Kontrole der Staatshaushalts-Rechnungen
und an der Ordnung des Finanzweſens im Allgemein hat, iſt es
derſelben allmälich gelungen, einen maßgebenden Einfluß auch auf
die Ordnung des Heerweſens in ſtets wachſendem Maße zu gewinnen
[17]§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.
und zwar vorzugsweiſe in denjenigen Theilen des Militairrechts,
die eine vorwiegend finanzielle Bedeutung haben, wie z. B. die
Penſionsanſprüche. Je mehr in Folge der Durchführung der all-
gemeinen Wehrpflicht die innige Verbindung der Militairverfaſſung
mit den übrigen Theilen der Staatsverfaſſung wieder hergeſtellt
wurde, und je mehr in Folge der Ausbildung des conſtitutionellen
Finanzrechts die Volksvertretung Gelegenheit fand, ſich mit den
Armee-Angelegenheiten zu befaſſen, in deſto größerem Umfange
fand auch die Form der Geſetzgebung auf die Ordnung des Heer-
weſens Anwendung. Immerhin blieb aber die Verwaltungsthätig-
keit der Landesherren und der Behörden auf dem Gebiete des
Heerweſens eine bei Weitem freiere und durch Geſetze viel weniger
beſchränkte als auf irgend einem anderen Gebiete der ſtaatlichen
Thätigkeit, mit alleiniger Ausnahme der auswärtigen Angelegen-
heiten. Die Reichsverfaſſung hat die Gränzen zwiſchen dem Be-
reich der Geſetzgebung und demjenigen der Verwaltungs-Verordnung
für das Heerweſen und die Marine prinzipiell nicht geregelt.
Während dieſelbe Frage hinſichtlich des Poſt- und Telegraphen-
weſens durch Art. 48 Abſ. 2 der R.V. eine ausdrückliche Löſung
gefunden hat 1), fehlt in der R.V. eine entſprechende Beſtimmung
hinſichtlich des Heerweſens und der Kriegsmarine.
Wenn im Art. 4 Ziff. 14 der R.V. dem Reiche die Geſetz-
gebung über das Militairweſen des Reichs und die Kriegsmarine
zugeſprochen wird, ſo iſt dadurch zwar materiell eine ganz unbe-
ſchränkte Kompetenz des Reiches zum Erlaß jeder beliebigen, das
Militairweſen und die Kriegsmarine betreffenden Vorſchrift aner-
kannt, aber es iſt zugleich vermöge des Doppelſinnes, welcher dem
Worte „Geſetzgebung“ zukömmt, die Ausübung dieſer Kompetenz
an die Bedingung geknüpft, daß dabei die Form der Geſetzgebung,
der Geſetzgebungsweg, beobachtet wird 2). Dagegen giebt dieſe
Stelle der R.V. keine Auskunft darüber, welche Vorſchriften im
Wege der Geſetzgebung getroffen werden müſſen und welche durch
Verordnung erlaſſen werden können.
Daß die R.V. aber in der That nicht das ganze Militair-
weſen in allen Theilen und Einzelheiten durch Reichsgeſetz ordnen
Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 2
[18]§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.
wollte, ſondern nur gewiſſe, zur geſetzlichen Regelung geeignete
Theile, ergibt ſich mit Deutlichkeit aus dem Bündnißvertrag mit
Bayern III §. 5, welcher unter Ziff. I beſtimmt:
„Bayern behält zunächſt ſeine Militairgeſetzgebung nebſt den
dazu gehörigen Vollzugs-Inſtruktionen, Verordnungen, Erläute-
rungen ꝛc. bis zur verfaſſungsmäßigen Beſchlußfaſſung über die
der Bundesgeſetzgebung anheimfallenden Ma-
terien.“
Es wird hier alſo vorausgeſetzt, daß es auch ſolche Materien
giebt, welche der Bundesgeſetzgebung nicht anheimfallen; leider
wird aber auch hier nicht die geringſte Andeutung gegeben, welche
Materien dies ſind.
Der Art. 61 Abſ. 2 der R.V. ordnet an, daß nach gleich-
mäßiger Durchführung der Kriegsorganiſation des Deutſchen Heeres
ein umfaſſendes Reichs-Militairgeſetz dem Reichstage und dem
Bundesrathe zur verfaſſungsmäßigen Beſchlußfaſſung vorgelegt wer-
den ſoll; aber auch durch dieſe Vorſchrift wird nicht der Weg der
Reichsgeſetzgebung als der in Militair-Angelegenheiten ausſchließlich
zuläßige erklärt und der Erlaß allgemeiner Verwaltungsverordnungen
unterſagt, ſondern der Artikel verſpricht nur, ſelbſt wenn man ihn
buchſtäblich interpretirt, ein Reichsgeſetz, welches alle diejenigen
Materien umfaſſen ſoll, die überhaupt der geſetzlichen Regelung
unterliegen.
Im Art. 61 Abſ. 1 wird die Geſammtheit aller in Preußen
ergangener Vorſchriften über das Militairweſen zwar unter dem
Ausdruck „Preußiſche Militairgeſetzgebung“ zuſammengefaßt, for-
melle Geſetzeskraft wird aber den hierbei erwähnten Reglements,
Inſtruktionen und Reſkripten nicht beigelegt 1).
In Ermangelung einer poſitiven verfaſſungsmäßigen Abgrän-
zung des Verordnungsrechts iſt demnach dieſelbe aus allgemeinen
ſtaatsrechtlichen Prinzipien zu gewinnen, und da laſſen ſich zwei
Rechtsſätze bilden, welche feſte Schranken für das Verordnungs-
recht aufſtellen und welche der materiellen und der formellen Be-
deutung der Worte Geſetz und Verordnung entſprechen.
a) Eine Verwaltungs-Verordnung iſt nur innerhalb der Ver-
[19]§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.
waltung wirkſam und kann alſo nur Interna der Armee- und
Marine-Verwaltung regeln; ſobald eine Vorſchrift den Unterthanen
im Allgemeinen oder gewiſſen Klaſſen derſelben, oder den Gemein-
den, Korporationen, Eiſenbahn-Unternehmern u. ſ. w. Verpflich-
tungen für die bewaffnete Macht auferlegt, oder in das Gerichts-
weſen, Steuerweſen, die Gemeindeverfaſſung u. ſ. w. eingreift, iſt
ſie ihrem materiellen Inhalt nach nicht mehr eine res interna der
Armee- und Marine-Verwaltung, ſondern eine Rechtsvorſchrift 1).
Für ſolche Anordnungen iſt daher der Regel nach die Form der
Geſetzgebung erforderlich; es ſei denn, daß der Erlaß derſelben
durch ein Geſetz dem Kaiſer oder einem andern ſtaatlichen Organe
delegirt iſt (Rechtsverordnung) 2).
b) Auch Verwaltungs-Vorſchriften können im Wege der Ge-
ſetzgebung erlaſſen werden und erhalten dadurch formelle Geſetzes-
kraft d. h. ſie können nur wieder im Wege der Geſetzgebung auf-
gehoben oder verändert werden 3). Inſoweit daher ein Reichsgeſetz
Anordnungen enthält, wenngleich dieſelben nur die innere Verwal-
tung der Armee und Marine betreffen, iſt der Erlaß von Verord-
nungen, welche damit im Widerſpruch ſtehen, unzuläſſig.
Dagegen iſt das ganze von dieſen beiden Rechtsſätzen nicht
eingeſchloſſene Gebiet der freien Regelung durch Verwaltungs-Ver-
ordnung unterworfen 4).
2. Subject des Verordnungsrechts.
Schwieriger und verwickelter als die Feſtſtellung des Umfanges
iſt die Beantwortung der Frage, wer zum Erlaß der Militair-Verord-
nungen befugt iſt. Es unterliegt zwar keinem Zweifel, daß Art. 7
Ziff. 2 der R.V., wonach der Bundesrath über die zur Ausfüh-
rung der Reichsgeſetze erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvor-
ſchriften und Einrichtungen zu beſchließen hat, ſofern nicht durch
Reichsgeſetz etwas Anderes beſtimmt iſt, auch auf die Militair- und
Marine-Verwaltung Anwendung findet. Dieſe Verfaſſungsbeſtimmung
2*
[20]§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.
giebt aber nur eine theilweiſe Löſung; denn die Ausübung des Ver-
ordnungsrechts des Bundesrathes iſt eben an die Vorausſetzung ge-
bunden, daß bereits ein Reichsgeſetz erlaſſen iſt. Der Bundes-
rath kann nur ſolche allgemeine Verwaltungsvorſchriften beſchließen,
welche „zur Ausführung der Reichsgeſetze“ erforderlich ſind. Da
nun ein großer Theil der das Heerweſen und die Kriegsmarine
betreffenden Anordnungen und Einrichtungen nicht durch Reichs-
geſetze geregelt iſt, ſo iſt auch für alle dieſe Gegenſtände ein
Verordnungsrecht des Bundesrathes verfaſſungsmäßig nicht be-
gründet und ebenſowenig iſt der Bundesrath befugt, in die im
Art. 63 der R.V. dem Kaiſer zugewieſenen Rechte des militairiſchen
Oberbefehls einzugreifen 1). Für die Marine iſt es nun ſelbſt-
verſtändlich, daß alle Anordnungen, welche weder in den Bereich
der Geſetzgebung noch unter die Kompetenz des Bundesrathes fallen,
vom Kaiſer reſp. von den kaiſerlichen Behörden, denen die Ver-
waltung der Marine-Angelegenheiten obliegt (Reichskanzler, Ad-
miralität u. ſ. w.), zu erlaſſen ſind, da die Marine in der un-
mittelbaren und ausſchließlichen Verwaltung des Reiches ſich be-
findet. Dies hat auch im Art. 53 Abſ. 1 der Reichsverf. eine
geſetzliche Stütze und wenngleich in dieſem Artikel das umfaſſende
Verordnungsrecht des Kaiſers keine ganz beſtimmte und ausdrück-
liche Anerkennung gefunden hat, ſo iſt daſſelbe doch niemals von
irgend einer Seite angefochten oder in Zweifel gezogen worden
und es iſt dies auch der Natur der Sache nach unmöglich.
Hinſichtlich des Heeres dagegen entſteht die Frage,
ob das Verordnungsrecht in Betreff der durch Reichsgeſetze
nicht geregelten Materien dem Kaiſer oder den einzelnen
Landesherren für ihre betreffenden Kontingente zuſteht. Für dieſe
Frage findet ſich in der Reichsverfaſſung zwar keine direkte Be-
antwortung, wohl aber eine indirekte von ſehr eigenthümlicher Be-
ſchaffenheit. Da die Verfaſſung des Nordd. Bundes und ebenſo
die Reichsverf., wie oben S. 6 ausgeführt worden iſt, die Kon-
tingente der Einzelſtaaten nicht beſeitigte, ſondern den letzteren die
Kontingentsherrlichkeit und Militairverwaltung ließ, ſo folgt daraus,
daß die Landesherren auch das Verordnungsrecht für ihre Kontin-
gente ſoweit behalten haben, als es nicht durch Vorſchriften der
Reichsgeſetze ihnen entzogen oder beſchränkt worden iſt. Gerade
[21]§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.
wegen des ſehr bedeutenden Umfanges dieſes Verordnungsrechtes
aber war die Aufrechterhaltung deſſelben ganz unvereinbar mit der
durchzuführenden vollen Uebereinſtimmung und Gleichheit der Heeres-
Einrichtungen in allen Bundesſtaaten; dieſe Gleichheit war nur
dann eine wirkliche und den Bedürfniſſen der Landesvertheidigung
entſprechende, wenn auch diejenigen umfangreichen Materien des
Heerweſens gleichmäßig normirt wurden, welche nicht zur reichs-
geſetzlichen Regelung ſich eigneten. Der Conflict zwiſchen den bei-
den angeführten Prinzipien wurde nun in der Nordd. Bundes-
und in der Reichsverfaſſung in der Art gelöſt, daß den Landes-
herren der Einzelſtaaten (beziehentl. den Senaten der freien Städte)
formell der Erlaß der Militair-Verordnungen zwar verblieb,
materiell aber ihnen vom Kaiſer vorgeſchrieben wurde, was
ſie zu verordnen haben; oder mit andern Worten: den Landes-
herren ſteht die Sanction der Verwaltungs-Verordnungen zu, aber
der Kaiſer (König von Preußen) ſetzt den Inhalt derſelben feſt 1).
Dieſer Grundſatz hat in der R.Verf. in zwei Artikeln eine be-
ſtimmte, wenngleich indirekte, Anerkennung erhalten. Art. 61 der
R.V. ſagt in Uebereinſtimmung mit der Verf. des Nordd. Bundes:
„Nach Publikation dieſer Verfaſſung iſt in dem ganzen
Reiche die geſammte Preußiſche Militairgeſetzgebung unge-
ſäumt einzuführen, ſowohl die Geſetze ſelbſt, als die zu
ihrer Ausführung, Erläuterung oder Er-
gänzung erlaſſenen Reglements, Inſtruk-
tionen und Reſkripte.“
Aus dieſem Satze und der demſelben hinzugefügten Aufzäh-
lung einzelner Beiſpiele ergiebt ſich als unzweifelhaft, daß nicht
blos die eigentlichen Militairgeſetze, ſondern auch alle Militair-
Verwaltungsverordnungen, welche für die Preußiſche Armee in
Geltung ſtanden, im ganzen Reiche Geltung erlangen ſollten; auf
welchem Wege dieſes Reſultat aber zu erreichen ſei, alſo der ſtaats-
rechtlich wichtigſte Punkt, — darüber ſchweigt der Artikel. Deſſen-
ungeachtet läßt ſeine Faſſung keine andere Auslegung zu, als daß
dies durch die Einzelſtaaten zu geſchehen habe. Der
Artikel ſagt nicht: „Nach Publikation dieſer Verf. tritt in dem
ganzen Reiche die geſammte Preuß. Militairgeſetzgebung ꝛc. in
Geltung“, er führt dieſelbe nicht ein, ſondern er legt die
[22]§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.
Verpflichtung auf, ſie einzuführen; es wird dies ganz un-
zweifelhaft, durch den Zuſatz, daß ſie ungeſäumt einzuführen
iſt. Der Nordd. Bund (und das Reich) konnte ſich aber doch
nicht ſelbſt den Befehl ertheilen, ſofort gewiſſe Befehle zu ertheilen;
es hätte doch wenig Sinn gehabt, wenn der Bund die ſofortige
Geltung dieſer Militair-Reglements im ganzen Bundesgebiet an-
ordnen wollte, ſtatt deſſen anzuordnen, daß die Einführung unver-
züglich erfolgen werde. Dagegen iſt die im Art. 61 beliebte Faſ-
ſung eine völlig correcte und ſinnentſprechende, wenn dadurch den
Einzelſtaaten die verfaſſungsmäßige Pflicht auferlegt werden ſollte,
die Preußiſchen Militair-Vorſchriften ungeſäumt einzuführen.
Eine volle Beſtätigung erhält dieſe Auslegung durch eine
zweite Anordnung der Verfaſſung, nämlich durch Art. 63 Abſ. 5.
Verblieb den Einzelſtaaten das Militair-Verordnungsrecht zu for-
meller Ausübung, ſo war die Einführung der im Jahre 1867 be-
ziehentl. im Jahre 1871 grade in Geltung geweſenen Preußiſchen
Reglements ſelbſtverſtändlich nicht ausreichend; den Einzelſtaaten
mußte vielmehr in dieſem Falle die fernere Verpflichtung auferlegt
werden, auch alle künftig ergehenden Reglements bei ſich einzu-
führen. — Dies thut in der That Art. 63 Abſ. 5 cit., welcher
beſtimmt:
„Behufs Erhaltung der unentbehrlichen Einheit in der
Adminiſtration, Verpflegung, Bewaffnung und Ausrüſtung aller
Truppentheile ſind die bezüglichen künftig ergehenden Anord-
nungen für die Preußiſche Armee den Kommandeuren
der übrigen Kontingente durch den Art. 8 Nro. 1 bezeichneten Aus-
ſchuß für das Landheer und die Feſtungen, zur Nachachtung
in geeigneter Weiſe mitzutheilen.“
Hätte der Kaiſer das Verordnungsrecht für die ganze Reichs-
armee, ſo könnte es in den, in dieſem Artikel erwähnten Bezieh-
ungen, „Anordnungen für die Preußiſche Armee“ überhaupt
nicht mehr geben, ſondern nur Anordnungen für das Reichsheer,
und die Geltung derſelben für die „übrigen Kontingente“ würde
ſich von ſelbſt verſtehen und ipso jure eintreten, ohne daß es der
Vermittlung des Bundesausſchuſſes behufs Mittheilung an die
Kontingentskommandeure zur Nachachtung bedürfte. Der Art. 63
Abſ. 5 läßt eine andere Auslegung nicht zu, als daß der König
von Preußen das Verordnungsrecht für die Preußiſche Armee be-
[23]§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.
hält und ebenſo alle anderen Bundesfürſten für ihre Kontin-
gente, daß die letzteren aber von dieſem Verordnungsrecht nur in
der Art Gebrauch machen dürfen und müſſen, daß ſie dasjenige
für ihre Kontingente verordnen, was der König von Preußen für
das ſeinige verordnet hat. Mit klaren Worten hat der hier aus-
geführte Rechtsſatz ferner Anerkennung gefunden in der Militair-
Konvention mit dem Königreich Sachſen vom 7. Febr. 1867
Art. 2, welche in dieſer Beziehung keine beſonderen Beſtim-
mungen für Sachſen enthält, ſondern nur dasjenige vertragsmäßig
feſtſtellt, was in dem Entwurf der Bundesverf. als geſetzliche Regel
in Ausſicht genommen war, und ebenſo hat die Militair-Konvention
mit Württemberg vom 21/25. Nov. 1870 Art. 10 und Art. 15
das Militair-Verordnungsrecht nicht dem Kaiſer, ſondern dem
Könige von Württemberg zugewieſen, dabei aber die für die Preuſ-
ſiſche Armee zur Zeit gültigen oder ſpäter zu erlaſſenden Normen,
Reglements u. ſ. w. als „maßgebend“ erklärt und die Württemb.
Regierung „zur entſprechenden Ausführung“ verpflichtet 1).
Endlich findet dieſe Interpretation darin eine Unterſtützung,
daß bei der Aufzählung der Rechte des Kaiſers in der R.V., ins-
beſondere in Art. 63 Abſ. 3 und 4 und Art. 64 fg. das aus-
ſchließliche Recht zum Erlaß der Verordnungen nicht erwähnt wird,
und daß ebenſowenig das Militairgeſetz vom 2. Mai 1874, welches
in den §§. 7—8 den Erlaß gewiſſer Vorſchriften dem Kaiſer über-
trägt, ein allgemeines Verordnungsrecht deſſelben anerkennt.
Auch die Praxis hat — mit einer Ausnahme — ſich an die
hier entwickelten Grundſätze gehalten. Im Jahre 1867 und in
den darauf folgenden Jahren ſind die Preußiſchen Verordnungen,
Reglements u. ſ. w. in den Staaten des Nordd. Bundes, wenig-
ſtens zum größten Theil, durch Anordnungen der Bundesregie-
rungen zur Einführung gelangt; die ſeitdem neu erlaſſenen Vor-
ſchriften ſind vom „König von Preußen“ für die „Preußiſche“
Armee ergangen und im Preuß. Armee-Verordn.-Bl. verkündet
worden; in den übrigen Kontingenten — ſoweit dieſelben nicht mit
dem Preußiſchen verbunden ſind — haben ſie durch Vermittlung
der Kontingentsherrn oder der Kommando-Behörden Geltung er-
[24]§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.
langt. Allein gleich nach Erlaß der Nordd. Bundesverf. hat die
ſchlechte und unklare Faſſung des Art. 61 der R.V. eine unrichtige
Auslegung deſſelben verſchuldet und eine Abweichung von dem an-
gegebenen Grundſatz zur Folge gehabt. Das Präſidium des Nord-
deutſchen [Bundes] hat nämlich „auf Grund des Art. 61 der Bundes-
verfaſſung“ durch Verordnungen vom 7. November 1867 (B.G.Bl.
S. 125), vom 29. Dezember 1867 (B.G.Bl. S. 185) und vom
22. Dezember 1868 eine beträchtliche Anzahl der für die Preußiſche
Armee geltenden Vorſchriften „im ganzen Bundesgebiete“ einge-
führt und ebenſo iſt durch Kaiſerl. Verordnung vom 24. Nov.
1871 die Geltung der V. vom 29. Dezemb. 1867 auf das Groß-
herzogth. Baden ausgedehnt worden. Mag man auch zugeben,
daß dieſer Weg der Einführung mit dem Wortlaut des Art. 61
nicht in offenkundigem Widerſpruch ſteht, weil eben Art. 61 darüber
eine beſtimmte Anordnung nicht enthält, mag man alſo nicht ſoweit
gehen, in dem Erlaß dieſer Verordnungen eine Ueberſchreitung der
Präſidialbefugniſſe zu erblicken und die Verordnungen ſelbſt für
ungültig zu erachten, ſo iſt doch andererſeits feſtzuhalten, daß dieſe
Verordnungen zur authentiſchen Auslegung des Art. 61 nicht ge-
eignet ſind und daß Art. 61 nur eine Art von Uebergangsbeſtim-
mung enthält, nur einen einmaligen Akt, die ungeſäumte Einfüh-
rung der damals geltenden Preußiſchen Geſetzgebung, betrifft, daß
daher der aus den allgemeinen Prinzipien der deutſchen Heerver-
faſſung hergeleitete und im Art. 63 Abſ. 5 der R.V. ausdrücklich
anerkannte Grundſatz durch die Exiſtenz der angeführten Verord-
nungen nicht in Frage geſtellt werden kann 1). Die Praxis in
Sachſen und Württemberg hat auch an der richtigen Anſicht con-
ſtant feſtgehalten.
Der im Vorſtehenden dargelegte, verfaſſungsmäßige Rechtszu-
ſtand iſt nun aber in folgender Art modifizirt und durch einfachere
Verhältniſſe erſetzt worden:
1) Alle Bundesſtaaten, welche die Verwaltung ihrer Kontin-
gente dem Kaiſer oder dem Könige von Preußen abgetreten und
ihre Truppen dem Verbande der Preußiſchen Armee eingefügt
haben, haben zugleich das Armee-Verordnungsrecht dem Könige
[25]§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.
von Preußen zur Ausübung übertragen. Auf alle dieſe Staaten
iſt daher Art. 63 Abſ. 5 ebenſowenig anwendbar wie auf Preußen
ſelbſt und auf Elſaß-Lothringen, da der Kaiſer hier zugleich die
Rechte des Kontingentsherrn ausübt.
2) Hinſichtlich Bayern’s iſt ſowohl die Anwendung des
Art. 61 wie die des Art. 63 Abſ. 5 ausgeſchloſſen. Die Einführung
der vor dem Eintritte Bayerns in den Bund erlaſſenen Geſetze
und ſonſtigen Beſtimmungen iſt — abgeſehen von dem Erlaß von
Reichsgeſetzen — von der „freien Verſtändigung“ abhängig, d. h.
der eigenen Entſchließung Bayerns überlaſſen. Die Ausübung
des Verordnungsrechts ſteht dem Könige von Bayern nicht nur
formell zu, ſondern auch inhaltlich; insbeſondere hat die Königl.
Bayeriſche Regierung bezüglich der Bewaffnung und Ausrüſtung,
ſowie der Gradabzeichen die Herſtellung der vollen Uebereinſtim-
mung mit dem Bundesheere „ſich vorbehalten“, alſo das Selbſt-
beſtimmungsrecht ſich gewahrt. Dagegen iſt Bayern verpflichtet,
in Bezug auf Organiſation, Formation, Ausbildung und Gebühren,
dann hinſichtlich der Mobilmachung volle Uebereinſtimmung
mit den für das Bundesheer beſtehenden Normen herzuſtellen 1).
3) Endlich iſt hervorzuheben, daß von dem im Art. 7 Ziff. 2
der R.V. gemachten Vorbehalte in der Mehrzahl der auf das
Heerweſen bezüglichen Reichsgeſetze in der Art Gebrauch gemacht
worden iſt, daß der Erlaß der Ausführungs-Verordnungen dem
Kaiſer und für Bayern dem Könige von Bayern über-
tragen worden iſt 2). Eine ſolche Vorſchrift iſt in allen denjenigen
Geſetzen durchaus rathſam und faſt unerläßlich, welche Gegenſtände
betreffen, bei denen die Gränzen zwiſchen dem Armee-Verordnungs-
recht und dem militairiſchen Oberbefehl unſicher und ſchwankend
ſind und dies gilt von dem weitaus größten Theile aller die innere
Ordnung des Heerweſens betreffenden Materien.
[26]§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.
III.Die Militair-Konventionen.
Die ſtaatsrechtliche Bedeutung der, in den vorſtehenden Aus-
führungen wiederholt in Bezug genommenen Militair-Konventionen,
iſt nicht unbeſtritten und mehrfacher Auffaſſung fähig; ein völlig
befriedigendes Reſultat iſt auch nur zu gewinnen, wenn man den
Inhalt derſelben ſcheidet und die einzelnen Beſtandtheile analyſirt.
Ungenügend iſt namentlich der Hinweis darauf, daß die Anfangs-
worte des Art. 66 der R.V. „beſondere Konventionen“ erwähnen,
und dadurch den Einzelſtaaten eine „verfaſſungsmäßige Ermächti-
gung“ zum Abſchluß derſelben ertheilen 1); denn abgeſehen davon,
daß die erwähnte Stelle die Befugniß der Einzelſtaaten nicht con-
ſtituirt, ſondern als von ſelbſt beſtehend vorausſetzt, ſo ſpricht
ſie auch lediglich von der Ernennung der Offiziere, während die
Konventionen einen viel umfaſſenderen und ſehr mannigfaltigen
Inhalt haben.
1. Die eigentliche Grundlage, auf welcher die Militair-Kon-
ventionen ruhen, iſt die den Einzelſtaaten auf dem Gebiete des
Heerweſens verbliebene Autonomie und Selbſtverwal-
tung. Innerhalb des von der Reichsgeſetzgebung gezogenen Rah-
mens haben die Staaten freie Bewegung und über die ihnen ver-
bliebene (beſchränkte) Militairhoheit ſelbſtſtändige Dispoſition. Es
gilt dies ebenſo von den objektiven Rechtsſätzen, welche in den
Bereich dieſer Autonomie fallen, als auch von den entſprechenden
ſubjektiven Hoheitsrechten (Kontingentsherrlichkeit und Verwaltungs-
befugniß). Die Bethätigung dieſer Autonomie kann nun auch in
Form eines Staatsvertrages erfolgen, durch welchen ſich ein Staat
einem andern gegenüber verbindlich macht, beſtimmte Rechtsſätze
oder Verwaltungsvorſchriften bei ſich einzuführen, und von den
ihm zuſtehenden Hoheitsrechten kann der Staat in der Art Ge-
brauch machen, daß er ihre Ausübung einem andern Bundesſtaat
(oder auch dem Reiche ſelbſt) überträgt. Dies iſt in der That der
weſentliche Inhalt und der überwiegende Schwerpunkt ſämmt-
licher, von den Bundesſtaaten abgeſchloſſener Militair-Konventionen,
mit alleiniger Ausnahme der von Sachſen, Württemberg und
Bayern, die einer beſonderen Erörterung bedürfen.
[27]§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.
Sämmtliche Konventionen, von den drei genannten abgeſehen,
ſtimmen darin überein, daß durch dieſelben die Einzelſtaaten die
ihnen zuſtehenden Militairhoheitsrechte ganz oder doch zum größten
Theile dem Könige von Preußen zur Ausübung übertragen, und
daß über die Verwaltung und Unterhaltung des Kontingents, über
die Ernennung, Patentirung, Verabſchiedung der Offiziere und
Beamten, ſowie über den Fahneneid, über Rekrutirungs- und Land-
wehr-Angelegenheiten, militairgerichtliche und Disciplinar-Verhält-
niſſe, Beſteuerung und andere Rechtsverhältniſſe der Militairper-
ſonen, Garniſon-Einrichtungen u. ſ. w. Abreden getroffen werden.
Würden die Militair-Konventionen keinen andern Inhalt haben,
ſo würde ihre rechtliche Würdigung keinerlei Schwierigkeiten unter-
liegen; ſie würden grade ſo wie die oben Bd. II S. 289 ff. be-
ſprochenen Poſtverträge und wie die unten zu erörternden Juris-
dictions-Verträge lediglich als Bethätigung der den Einzelſtaaten
verbliebenen Autonomie zu erachten ſein.
Der Umſtand jedoch, daß alle dieſe Verträge von den einzelnen
Bundesſtaaten mit dem Könige von Preußen abgeſchloſſen worden
ſind und daß der letztere zugleich Bundesoberfeldherr beziehentl.
Kaiſer iſt, war Veranlaſſung, daß ſie noch einen Nebenbeſtandtheil
enthalten, der ſich nicht als zwiſchenſtaatliches Rechtsgeſchäft
charakteriſirt, ſondern der das Rechtsverhältniß zwiſchen Einzelſtaat
und Reich betrifft. Während in der Hauptſache die Konventionen
Rechte der Einzelſtaaten an Preußen abtreten, enthält dieſer
Nebenbeſtandtheil, gleichſam als eine Art von Gegen-Conceſſion,
Beſchränkungen der dem Kaiſer zuſtehenden Befugniſſe; nament-
lich des Dislokationsrechtes und des Rechtes, die Formation
und Gliederung der Kontingente zu beſtimmen. Dieſes Verhält-
niß unterliegt natürlich nicht der Autonomie der Einzelſtaaten.
Wenn Feſtſetzungen über daſſelbe in den Militair-Konventionen
getroffen worden ſind, ſo beruht dies auf dem engen thatſäch-
lichen Zuſammenhange zwiſchen den Militairhoheitsrechten des
Reichs und den Militairhoheitsrechten der Einzelſtaaten; für die
rechtliche Beurtheilung aber iſt es erforderlich, dieſe zwei ſtaats-
rechtlich verſchiedenartigen Beſtandtheile der Konventionen aus-
einander zu halten.
2. Von dieſem Geſichtspunkte aus ſind zunächſt die Rechts-
ſubjekte, unter welchen die Konventionen abgeſchloſſen worden ſind,
[28]§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.
zu betrachten. Die älteren Konventionen von 1867 und 1868 ſind
mit dem „Könige von Preußen“, diejenigen der Hanſeſtädte mit
der „Königl. Preußiſchen Regierung“ abgeſchloſſen worden, dagegen
iſt die Konvention von Baden mit dem „König von Preußen als
Bundesfeldherrn“, und alle übrigen ſeit der Gründung des Reiches
verfaßten Konventionen ſind mit dem „Deutſchen Kaiſer und König
von Preußen“ contrahirt 1). Aus der Wahl dieſer Bezeichnung
allein iſt nicht zu entnehmen, in welcher rechtlichen Eigenſchaft der
Kaiſer und König den Vertrag geſchloſſen hat und ob demgemäß
das Reich oder Preußen als das Subjekt der aus dem Vertrage
hervorgehenden Rechte und Pflichten zu erachten iſt; vielmehr iſt
der Inhalt der Abrede dafür entſcheidend. Das Verhältniß der
Einzelſtaaten zum Reich, insbeſondere die Anwendung und Aus-
führung der in der Reichsverfaſſung dem Kaiſer übertragenen
Rechte, kann nicht durch einen Staatsvertrag des Königs von
Preußen, ſondern nur durch einen Willensact des Kaiſers normirt
werden; andererſeits kann die Aufnahme der Truppen deutſcher
Bundesſtaaten in die Kontingentsgemeinſchaft und Verwaltung der
Preußiſchen Armee und die Feſtſtellung der Modalitäten, unter
welchen dieſe Aufnahme erfolgt, nicht vom Deutſchen Kaiſer, ſon-
dern allein vom Könige von Preußen erfolgen 2).
3. Von Wichtigkeit wird die hervorgehobene Unterſcheidung
aber namentlich hinſichtlich der Erforderniſſe der Gültigkeit und
der rechtlichen Wirkungen der Konventionen.
a) Inſoweit der Inhalt derſelben in den Bereich der Auto-
nomie der Einzelſtaaten fällt, iſt die Genehmigung des Bundes-
rathes und des Reichstages nicht erforderlich, da die Rechte des
[29]§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.
Reiches hiervon unberührt bleiben; dagegen iſt die Gültigkeit der
Konventionen nach Maßgabe des Landesrechts des betreffenden
Bundesſtaates von der verfaſſungsmäßigen Zuſtimmung des Land-
tages abhängig, wenn durch die Konvention die beſtehende Geſetz-
gebung des Landes abgeändert oder ein Hoheitsrecht aufgeopfert
wird. In Folge dieſes Prinzips bedurften die bisher abgeſchloſſenen
Konventionen zu ihrer Geltung ſtets nur auf einer Seite der
landſtändiſchen Genehmigung und ordnungsmäßigen Verkündigung,
nämlich auf Seiten des Mitcontrahenten Preußens, während der
Preuß. Landtag ebenſowenig wie der Reichstag ein Zuſtimmungs-
recht in Anſpruch zu nehmen befugt war 1). Dem entſprechend
haben dieſe Konventionen aber auch keine andere rechtliche Wirkung
als ſie oben Bd. II §. 66 für die Staatsverträge der Bundes-
glieder überhaupt entwickelt worden iſt. Dieſe Verträge dürfen
nicht nur keine Beſtimmungen enthalten, welche mit Anordnungen
bereits verkündigter Reichsgeſetze im Widerſpruch ſtehen, ſondern
ſie verlieren auch gemäß Art. 2 der R.V. ihre Geltung, ſobald
das Reich durch Geſetz eine andere Vorſchrift ſanctionirt 2); denn
die Autonomie der Bundesglieder wird eben durch jedes neue
Reichsgeſetz beſchränkt oder theilweiſe beſeitigt. Ein großer Theil
der in den Militair-Konventionen enthaltenen Beſtimmungen iſt
auch in der That durch die ſpäter ergangenen, oben S. 14 fg. ange-
führten, Reichsgeſetze aufgehoben oder bedeutungslos geworden.
b) Inſofern die Militair-Konventionen das Verhältniß des
Einzelſtaates zum Reich betreffen, iſt die Zuſtimmung des Land-
tages des contrahirenden Staates ebenfalls erforderlich, falls Rechte
dieſes Staates aufgegeben oder beſondere Laſten übernommen wer-
den. Ebenſo iſt die Zuſtimmung des Bundesrathes und Reichs-
tages erforderlich, wenn Anordnungen der Reichsgeſetze modi-
fizirt werden, und zwar unter Beobachtung der im Art. 78 der
R.V. aufgeſtellten Regeln, wenn die Konvention Verfaſſungsvor-
ſchriften abändert. In einem ſolchen Falle würde ferner die ord-
nungsmäßige Verkündigung der Konvention im Reichsgeſetzblatt
eine unerläßliche Vorausſetzung ihrer Gültigkeit ſein.
[30]§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.
Von dem hier vorausgeſetzten Falle iſt nun aber ein anderer
wohl zu unterſcheiden; nämlich der, daß die Konvention nicht die
in der Reichsverfaſſung oder den Reichsgeſetzen aufgeſtellten Rechts-
ſätze abändert, ſondern nur die Ausübung der durch dieſe Rechts-
ſätze dem Kaiſer übertragenen Oberbefehlshaber-Befugniſſe betrifft.
Nur dieſer letztere Fall iſt in den bisher abgeſchloſſenen Konven-
tionen gegeben; ſie enthalten nur Zuſicherungen über die Art und
Weiſe, in welcher die dem Kaiſer verfaſſungsmäßig eingeräum-
ten Befugniſſe ausgeübt werden ſollen 1). Dieſe Konventionen
reichen an das Niveau der Geſetzgebung, insbeſondere der Ver-
faſſung, gar nicht hinan; ſie laſſen die verfaſſungsmäßig oder reichs-
geſetzlich ſanctionirten Rechtsſätze völlig unberührt; ſie äußern ihre
Wirkungen ausſchließlich auf dem Gebiet der Verwaltung, in specie
des militairiſchen Oberbefehls, welches der freien Entſchließung
des Kaiſers unterſtellt iſt 2). Aus dieſem Grunde bedurften auch
dieſe Konventionen nur der Genehmigung des Kaiſers, nicht der-
jenigen des Bundesrathes und Reichstages, und ebenſowenig einer
ordnungsmäßigen Verkündigung im Reichsgeſetzblatt. Es genügt
eine Mittheilung der Konventionen an Bundesrath und Reichs-
tag behufs Conſtatirung, daß die Konventionen nicht in das
Gebiet der Geſetzgebung eingreifen.
4. Auf die Konventionen mit Sachſen, Württemberg und
Bayern beziehen ſich die vorſtehenden Ausführungen nicht, jede
derſelben hat vielmehr einen eigenthümlichen juriſtiſchen Charakter.
a) Die Konvention mit dem Königreich Sachſen iſt am
7. Februar 1867 abgeſchloſſen worden, alſo vor Einführung der
Verf. des Nordd. Bundes. Im Eingange der Uebereinkunft wird
bemerkt, daß dieſelbe geſchloſſen werde, „um die Beſtimmungen
der Verfaſſung des Nordd. Bundes über das Bundeskriegsweſen
den beſonderen Verhältniſſen des Königreichs Sachſen anzupaſſen“,
und ſie wird bezeichnet als eine „auf der Grundlage des Friedens-
vertrages vom 21. Oktober getroffene beſondere Verabredung,
[31]§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.
welche unabhängig von allen ferneren darauf bezüglichen Verhand-
lungen in Kraft treten und bleiben ſoll.“ Bei Abfaſſung dieſer
Konvention hatten die Kontrahenten daher offenbar den überein-
ſtimmenden Willen, einerſeits, daß dieſelbe auch in dem Falle
Geltung haben ſolle, wenn die in Ausſicht genommene Verein-
barung einer Bundesverfaſſung nicht gelingen ſollte, andererſeits,
daß ſie für Sachſen unverändert in Kraft bleiben ſolle, wenngleich
etwa die Bundesverfaſſung Beſtimmungen über das Kriegsweſen
enthalten ſollte, welche mit ihr im Widerſpruch ſtehen. Eine aus-
drückliche Beſtätigung hat dies in einem Nachtragsprotokoll vom
8. Febr. 1867 erhalten, in welchem vereinbart wurde, daß die von
der Konferenz der Bevollmächtigten vom 7. Febr. 1867 in Art. 61
des Verfaſſungs-Entw. eingeſchobenen Worte 1) „oder ohne“ (R.V.
Art. 64 Abſ. 3) „als über die Abſicht der Konvention zwiſchen
Preußen und Sachſen hinausgehend, auf das Verhältniß zum
Königr. Sachſen keine Anwendung finden.“ Hervorzuheben iſt
ferner, daß dieſe Konvention mit Sachſen unter allen mit Staaten
des Norddeutſchen Bundes geſchloſſenen Konventionen die einzige
iſt, welche keine Beſchränkung oder Verminderung der nach der
Verfaſſung den Einzelſtaaten verbliebenen Rechte enthält und welche
keines dieſer Rechte auf Preußen überträgt, ſondern daß ſie
lediglich das Verhältniß des Sächſiſchen Kontingents zum
Bunde und zum Bundesfeldherrn betrifft. Als Contrahent der-
ſelben wird im Eingang genannt „der König von Preußen als
Bundesfeldherr“, obſchon zur Zeit ihres Abſchluſſes kein anderes
Bundesverhältniß beſtand als das durch den Vertrag vom 18. Auguſt
1866 begründete 2). Es ergiebt ſich aus alledem, daß die Konven-
tion vom 7. Febr. 1867 nach der Abſicht ihrer Contrahenten eine
ſpezielle Regelung der Heeres-Verfaſſung für Sachſen enthalten
ſollte, welche vor der generellen Regelung des Bundeskriegs-
weſens, wie ſie die Bundesverfaſſung normiren würde, den Vor-
rang haben ſollte. Allein dieſer Charakter eines Spezial-Verfaſſungs-
geſetzes iſt ihr in der Folge nicht beigelegt worden; es wäre dazu
erforderlich geweſen, daß in die Verf. des Nordd. Bundes ein
ähnlicher Vorbehalt aufgenommen wurde, wie ihn die Schlußbe-
[32]§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.
ſtimmung zum XI. Abſchnitt rückſichtlich Bayerns und Württem-
bergs enthält. Dadurch, daß Sachſen, obwohl dies nicht geſchehen
iſt, dennoch die Nordd. Bundesverfaſſung angenommen hat und in
den Bund eingetreten iſt, hat es auf die Anerkennung der in der
Konvention enthaltenen Beſtimmungen als Verfaſſungs-Son-
derrecht verzichtet und ſich mit dem gemeingültigen Verfaſſungs-
recht begnügt; und es wurde dies in concludenter Weiſe durch das
thatſächliche Verhalten ſowohl Sachſens als des Reiches dadurch
beſtätigt, daß bei der Redaktion der R.V. die gebotene Gelegenheit,
in der Schlußbeſtimmung zum XI. Abſchnitt auch die Sächſiſche
Konvention aufzuführen, nicht benutzt worden iſt. Inſoweit dem-
nach die Vorſchriften der Sächſ. Konvention mit Vorſchriften der
Reichsverfaſſung oder der Reichsgeſetze im Widerſpruch ſtehen,
hat nicht die Konvention, ſondern die Reichsverfaſſung und das
Reichsgeſetz den Vorrang. Ein ſolcher Widerſpruch iſt aber nicht
vorhanden, wenn die Reichsverfaſſung dem Kaiſer Befugniſſe ein-
räumt, welche er nach freiem eigenen Ermeſſen geltend machen darf,
die Konvention dagegen dieſes Ermeſſen beſchränkt und einen be-
ſtimmten Gebrauch der Befugniſſe Seitens des Kaiſers zuſichert;
vielmehr liegt hierin grade eine Anwendung der in der Verfaſſung
dem Kaiſer gewährleiſteten Dispoſitionsfreiheit 1).
b) Die Konvention mit Württemberg iſt gleichzeitig mit
dem Verfaſſungsbündniß-Vertrag geſchloſſen und durch Art. 2 Ziff. 5
deſſelben als ein integrirender Beſtandtheil dieſes Vertrages erklärt
worden 2). Mit der Sächſiſchen Konvention hat ſie gemein, daß
ſie die verfaſſungsmäßig den Einzelſtaaten gewährten Militairho-
heitsrechte nicht einſchränkt und keines derſelben auf Preußen über-
trägt, daß ſie ausſchließlich das Verhältniß Württembergs zum
Reich beziehentl. zum Kaiſer betrifft, und daß ſie Vereinbarungen
über die beſondere Art der Anwendung der verfaſſungsmäßigen
Beſtimmungen auf das Württembergiſche Armeekorps enthält. Nur
iſt ſie inhaltlich von der Sächſiſchen Konvention dadurch verſchieden,
daß ſie bei Weitem eingreifendere und erheblichere Modifikationen
[33]§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.
der verfaſſungsmäßigen Normen enthält, wie jene 1). Mit der Sächſ.
Konvention ſtimmt auch überein die Tendenz, welche bei dem Ab-
ſchluß der Württembergiſchen verfolgt wurde, nämlich daß dieſelbe
ein ſinguläres Recht gegenüber dem gemeinen Verfaſſungsrecht
bilden und demgemäß demſelben vorgehen ſolle. Während aber rück-
ſichtlich Sachſens dieſes Ziel nicht erreicht wurde, iſt rückſichtlich
Württembergs ſeine vollſtändige und rechtlich unanfechtbare Ver-
wirklichung eingetreten. Die Beſtimmungen der Württemberg. Kon-
vention ſind durch die Schlußbeſtimmungen zum XI. Abſchnitt der
R.V. zum integrirenden Beſtandtheil der R.V. erklärt worden; ſie
bilden ein verfaſſungsmäßiges Sonderrecht und die Beſeitigung
deſſelben iſt nur nach den im Art. 78 der R.V. aufgeſtellten Regeln
zuläſſig 2). Während durch die Sächſiſche Konvention der Kaiſer
ſich ſelbſt freiwillig in dem Gebrauch der ihm zuſtehenden
verfaſſungsmäßigen Befugniſſe Schranken auferlegt hat, ſtehen dieſe
Befugniſſe dem Kaiſer in Württemberg von Rechtswegen nur
in demjenigen Umfange zu, den die Württemb. Konvention aner-
kannt hat; ihre Schranken wurzeln nicht in dem freien Willen des
Kaiſers, ſondern in der Verfaſſungsvorſchrift des Reiches.
c) Mit Bayern iſt eine Militairkonvention in einem beſon-
deren Aktenſtück zwar nicht abgeſchloſſen worden, der Bündnißver-
trag vom 23. Nov. 1870 unter III §. 5 und das dazu gehörige
Schlußprotokoll enthalten aber eine ſolche. Von derſelben gilt
Alles, was von der Württembergiſchen Konvention ſoeben ausge-
führt worden iſt; ſie iſt zum verfaſſungsmäßigen Spezialrecht er-
klärt, auf deſſen Aufrechterhaltung Bayern ein Sonderrecht (im
ſubjektiven Sinne) hat. Materiell freilich iſt dieſes Bayeriſche
Sonderrecht von dem Württembergiſchen ſehr erheblich verſchieden;
Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 3
[34]§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.
denn für das letztere bildet die Anwendung der Vorſchriften der
R.V., für Bayern der Ausſchluß derſelben den Ausgangspunkt.
Verzeichniß der gegenwärtig in Geltung ſtehenden
Militairkonventionen1).
- 1. Sachſen vom 7. Febr. 1867.
- 2. Württemberg vom 21./25. Novemb. 1870.
- 3. Baden vom 25. Novemb. 1870.
- 4. Heſſen vom 13. Juni 1871 (an Stelle der Konvention
vom 7. April 1867). - 5. Mecklenburg-Schwerin vom 24. Juli 1868 und
vom 19. Dez. 1872. - 6. Mecklenburg-Strelitz vom 9. Novemb. 1867 und
vom 23. Dez. 1872. - 7. Oldenburg vom 17. Juli 1867.
- 8. Thüringiſche Staaten (Sachſen-Weimar, Sachſen-
Meiningen, Sachſen-Altenburg, Sachſen-Koburg-Gotha,
Schwarzb.-Rudolſt., Reuß ä. L. und Reuß j. L.) vom
15. Sept. 1873 (an Stelle der Konvent. v. 26. Juni 1867). - 9. Anhalt vom 16. Sept. 1873 (an Stelle der Konvent.
vom 28. Juni 1867). - 10. Schwarzburg-Sondershauſen vom 17. Sept. 1873
(an Stelle der Konvent. vom 28. Juni 1867). - 11. Lippe-Detmold vom 14. Nov. 1873 (an Stelle der
Konvent. vom 26. Juni 1867). - 12. Schaumburg-Lippe vom 25. Sept. 1873 (an Stelle
der Konvent. vom 30. Juni 1867). - 13. Waldeck vom 24. Novemb. 1877 (an Stelle der Konvent.
vom 6. Auguſt 1867). - 14. Hamburg vom 23. Juli 1867.
- 15. Bremen vom 27. Juni 1867.
- 16. Lübeck vom 27. Juni 1867.
[35]§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.
- 17. Vereinbarung zwiſchen Preußen, Bayern und Württemberg
bezüglich der Feſtung Ulm. de dato Ulm den
16. Juni 1874.
§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.
I. Den Bereich des Armee-Befehls von dem Bereich der
Armee-Verordnung ſcharf und prinzipiell abzugränzen, iſt nicht
möglich; denn die weſentlichen Kriterien ſind beiden Begriffen ge-
meinſam: es ſind Unterarten des Verwaltungsbefehls. Die Armee-
Verwaltung unterſcheidet ſich in dieſer Beziehung nicht im Geringſten
von jeder anderen Verwaltung und ſowie der dienſtliche Befehl
irgend eines Beamten an ſeinen Untergebenen, eine beſtimmte ein-
zelne Handlung zu verrichten, von der allgemeinen, auf unzählige
Fälle anwendbaren Verordnung (Generalverfügung) des oberſten
Verwaltungschefs hinſichtlich ihres juriſtiſchen Weſens und ihrer
rechtlichen Wirkung nicht verſchieden iſt, ſo beſteht auch keine we-
ſentliche juriſtiſche Differenz zwiſchen dem Befehl des Unteroffiziers
an den Rekruten, ſich rechts umzukehren, und einer Anordnung des
oberſten Kriegsherrn, die vielleicht von dem eingreifendſten Einfluß
auf die ganze Ausbildung, Bewaffnung, Uniformirung u. ſ. w. der
Armee iſt 1). Der Sprachgebrauch unterſcheidet freilich, indem man
den Befehl zu einer einzelnen beſtimmten Handlung gewöhnlich
nicht als Verordnung und andererſeits die Anordnung dauernder
Einrichtungen und allgemeiner Verhaltungsregeln nicht als Dienſt-
befehl bezeichnet; eine beſtimmte Gränze aber, nach welcher mit
Sicherheit zu entſcheiden wäre, ob eine Ordre Dienſtbefehl oder
ob ſie Verordnung iſt, läßt ſich nicht feſtſtellen. Der Rechtsgrund
für die Verbindlichkeit des Befehls iſt in allen Fällen die Dienſt-
pflicht und die in derſelben enthaltene Pflicht zum Gehorſam;
auch in dieſer Hinſicht gelten für die Armee keine anderen Prin-
zipien wie für die Civilverwaltungszweige, nur daß die militairiſche
Gehorſamspflicht einen größeren Umfang hat und durch ſtrengere
Strafen gegen Verletzungen geſichert iſt 2). Aus dem angegebenen
Prinzip folgt, daß das Recht des Oberbefehls an und für ſich
3*
[36]§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.
dem Kontingentsherrn zuſteht, da ſeine Truppen zu ihm in
einem Dienſtverhältniß ſtehen und demgemäß ihm gegenüber zu
Gehorſam und Treue verpflichtet ſind. Da nun aber eine einheit-
liche Verwendung der Kontingente und eine Zuſammenfaſſung der
in ihnen vorhandenen Streitkräfte nicht denkbar iſt, ohne einen ein-
heitlichen Oberbefehl über ſämmtliche Kontingente, ſo hat die Reichs-
verfaſſung dem Kaiſer dieſe Machtbefugniß verliehen und zwar
nicht nur für den Krieg, ſondern auch im Frieden. Im Zuſam-
menhange mit dieſem Recht des Oberbefehls ſteht eine Reihe von
Befugniſſen, welche die Reichsverfaſſung dem Kaiſer als ſolchem
beilegt und welche unter dem Namen „Oberbefehl“ mit verſtanden
werden. Dieſe Rechte hat der Kaiſer auch über diejenigen Truppen
auszuüben, über welche ihm die Kontingentsherrlichkeit nicht zuſteht,
und er iſt bei ihrer Ausübung nicht an die Zuſtimmung des Bun-
desrathes und des Reichstages gebunden. Nur iſt es ſelbſtver-
ſtändlich, daß alle im Wege der Reichsgeſetzgebung ſanctionirten
Vorſchriften auch bei Handhabung des militairiſchen Oberbefehls
beobachtet werden müſſen.
II. Die Rechte und Pflichten, welche nach der R.V. und den
auf Grund derſelben ergangenen Reichsgeſetzen den Inhalt des
kaiſerlichen Militair-Oberbefehls bilden, ſind folgende:
1) „Alle deutſchen Truppen ſind verpflichtet, den Befehlen des
Kaiſers unbedingte Folge zu leiſten. Dieſe Verpflichtung
iſt in den Fahneneid aufzunehmen“ 1). R.V. Art. 64 Abſ. 1.
2) Behufs Ausübung des Befehls iſt der Kaiſer berechtigt,
den Höchſtkommandirenden eines Kontingents, ſowie alle Offiziere,
welche Truppen mehr als eines Kontingents befehligen und alle
Feſtungskommandanten zu ernennen. Die von ihm ernannten Offi-
ziere leiſten ihm den Fahneneid. Auch innerhalb der einzelnen
Kontingente darf die Ernennung der Generale und der Offiziere,
welche Generalsſtellungen verſehen, nur mit jedesmaliger Zuſtim-
mung des Kaiſers erfolgen. R.V. Art. 64 Abſ. 2.
Eine Ausnahme hiervon beſteht für Württemberg. Die
Beſetzung der Generalsſtellen in dieſem Kontingent iſt an die jedes-
malige Zuſtimmung des Kaiſers nicht gebunden und die Ernennung
des Höchſtkommandirenden erfolgt nicht Seitens des Kaiſers, ſon-
[37]§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffuete Macht des Reiches.
dern Seitens der Königs von Württemberg nach vorgängiger Zu-
ſtimmung des Kaiſers 1).
3) Der Kaiſer hat das Recht der Inſpektion. Er kann
jeder Zeit von dem Zuſtande der einzelnen Kontingente ſich per-
ſönlich oder durch von ihm ernannte Inſpekteure überzeugen, um
feſtzuſtellen, daß innerhalb des deutſchen Heeres alle Truppentheile
vollzählig und kriegstüchtig vorhanden ſind, und er hat dafür zu
ſorgen, daß Einheit in der Organiſation und Formation, in Be-
waffnung und Kommando, in der Ausbildung der Mannſchaften,
ſowie in der Qualifikation der Offiziere hergeſtellt und erhalten
wird. Der Kaiſer iſt befugt, die Abſtellung der bei den Inſpek-
tionen vorgefundenen Mängel anzuordnen. R.V. Art. 63 Abſ. 3 2).
4) Nach der R.V. Art. 63 Abſ. 4 hat der Kaiſer den Prä-
ſenzſtand, die Gliederung und Eintheilung der Kon-
tingente des Reichsheeres zu beſtimmen. Dieſe Befugniß iſt aber
hinſichtlich des Friedensſtandes des ſtehenden Heeres weſentlich
eingeſchränkt worden durch die Vorſchriften des Militairgeſetzes
§. 1—4 3); und es ſind nunmehr folgende Unterſcheidungen zu
machen:
a) hinſichtlich des ſtehenden Heeres im Frieden erſtreckt
ſich die Befugniß des Kaiſers nur auf diejenigen taktiſchen und
adminiſtrativen Verbände, ſowie auf diejenigen beſonderen Forma-
tionen, welche in den §§. 2 und 3 des Militairgeſetzes nicht er-
wähnt werden 4).
b) hinſichtlich der Landwehr hat der Kaiſer das Recht, die
[38]§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.
Organiſation (Gliederung, Eintheilung u. ſ. w.) zu beſtimmen und
er iſt dabei nur an den Rechtsſatz gebunden, daß die Territorial-
Eintheilung des Bundesgebietes in 17 Armeekorps-Bezirke als
Grundlage für die Organiſation der Landwehr zu dienen habe 1).
c) Die Kriegsformation des Heeres ſowie die Organiſation
des Landſturmes beſtimmt der Kaiſer, ohne daß er hierbei
irgend welchen geſetzlichen Einſchränkungen unterliegt 2).
d) Daſſelbe gilt von der Organiſation und Zuſammenſetzung
der Kriegsmarine, abgeſehen von den aus dem Etatsgeſetz
ſich ergebenden Schranken für die Friedenszeit 3).
5) Der Kaiſer hat das Dislokationsrecht d. h. das
Recht, die Garniſonen der einzelnen Truppenkörper zu beſtimmen
und zwar innerhalb des ganzen Bundesgebietes, ſo daß er den
Truppentheilen der einzelnen Kontingente auch außerhalb ihres
Staatsgebietes Garniſonen anweiſen kann 4). Ueber die Aus-
übung dieſes Rechtes 5) ſind aber den meiſten Staaten in den
Militairkonventionen beſtimmte Zuſicherungen ertheilt worden und
zwar in dreifacher Richtung:
a) Zahlreichen Staaten iſt die Zuſicherung ertheilt worden,
daß ihre Kontingente für die Dauer friedlicher Verhältniſſe im
eigenen Lande dislozirt bleiben 6). Indeſſen ſind Truppen mehrerer
dieſer Staaten nach Elſaß-Lothringen verlegt worden. Die Dis-
lozirung der Sächſiſchen Truppen innerhalb Sachſens und der
Württembergiſchen Truppen innerhalb Württembergs ſteht den
Kontingentsherren zu, während hinſichtlich der übrigen hier in Be-
[39]§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.
tracht kommenden Kontingente die Anweiſung der einzelnen Garni-
ſonen von dem Kaiſer verfügt wird.
b) Mehreren dieſer Staaten iſt ferner zugeſichert worden, daß
ohne beſondere militairiſche oder politiſche Intereſſen Truppen
anderer Kontingente in ihren Gebieten nicht Garniſon erhalten
werden, nämlich Sachſen, Württemberg, Heſſen, Baden und Olden-
burg 1).
c) Anderen Staaten iſt dagegen wieder das Verſprechen ge-
geben worden, das ſie an beſtimmten in ihrem Gebiete gelegenen
Orten eine fremde und zwar Preußiſche Garniſon erhalten werden 2).
Eine mittelbare Beſchränkung des kaiſerl. Dislokations-
rechts ergiebt ſich außerdem, ſoweit die vorhandenen Kaſernen
zur Unterbringung der Truppen nicht ausreichen, dadurch, daß die
Herſtellung neuer Kaſernen an die Bewilligung der dafür erfor-
derlichen Mittel im Etatsgeſetz, die Einquartirung aber an die im
§. 6 des Quartierleiſtungsgeſetzes gezogenen Schranken gebunden iſt 3).
6) Endlich hat der Kaiſer das Recht, die kriegsbereite
Aufſtellung eines jeden Theiles des Reichsheeres anzuordnen
und die Reſerve, Landwehr und Seewehr zu den Fahnen einzube-
rufen 4). Zur Sicherung der prompten Ausführung eines ſolchen
Befehls ſind alle bereits im Frieden zur ſchleunigen Ueberführung
des Heeres auf den Kriegsfuß erforderlichen Vorbereitungen nach
den Beſtimmungen des Kaiſers zu treffen 5).
[40]§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.
III. Die angegebenen Rechtsvorſchriften haben für Bayern
keine Geltung 1). Nur im Kriege ſind die Bayeriſchen Truppen
verpflichtet, den Befehlen des Bundesfeldherrn (Kaiſers) unbedingt
Folge zu leiſten 2); im Frieden ſtehen ſie ausſchließlich unter dem
Befehl des Königs von Bayern. Der Oberbefehl des Kaiſers tritt
ein mit Beginn der Mobiliſirung 3). Im Frieden gelten nur
folgende Regeln, um die Einheitlichkeit des Deutſchen Heeres auch
mit Rückſicht auf das Bayeriſche Kontingent zu ſichern:
1. Der oben S. 25 in Betreff des Verordnungsrechts er-
wähnte Satz, daß Bayern verpflichtet iſt, in Bezug auf Organiſation,
Formation, Ausbildung und Gebühren, ſowie hinſichtlich der Mo-
bilmachung volle Uebereinſtimmung mit den für das Reichsheer
beſtehenden Normen herzuſtellen, findet auch Anwendung auf die
Ausübung des dem Könige von Bayern zuſtehenden Oberbefehls-
rechtes.
2. Dem Kaiſer ſteht das Recht der Inſpektion des Baye-
riſchen Kontingents, um ſich von der Uebereinſtimmung in Organi-
ſation, Formation und Ausbildung, ſowie von der Vollzähligkeit
und Kriegstüchtigkeit deſſelben Ueberzeugung zu verſchaffen, grund-
ſätzlich zu; in jedem einzelnen Falle der Vornahme einer ſolchen
Inſpektion muß ſich jedoch der Kaiſer über die Modalitäten ſowie
über das Ergebniß mit dem Könige von Bayern ins Verneh-
men ſetzen 4). Ohne die Einwilligung des Königs von Bayern
kann daher der Kaiſer ſein Inſpektionsrecht nicht ausüben, und es
beſteht keine Verpflichtung des Königs, wenn bei einer ſtatt-
gefundenen Inſpektion perſönliche oder ſachliche Mängel bemerkt
werden, dieſelben auf eine vom Kaiſer an ihn gerichtete Aufforde-
rung abzuſtellen; es iſt dies vielmehr dem eigenen Willensentſchluß
des Königs anheimgegeben.
3. Die Anordnung der Kriegsbereitſchaft (Mobiliſirung) des
Bayeriſchen Kontingents erfolgt zwar Seitens des Königs von
Bayern; derſelbe iſt aber verpflichtet, dieſen Befehl „auf Veran-
laſſung des Bundesfeldherrn“ zu ertheilen 5). Durch Erlaß der
[41]§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.
Mobilmachungs-Ordre unterſtellt der König von Bayern zugleich
ſein Kontingent dem Oberbefehl des Kaiſers.
IV. Zu den militairiſchen Rechten des Kaiſers zählt die
Reichsverf. auch die Befugniß deſſelben, wenn die öffentliche Sicher-
heit in dem Bundesgebiete bedroht iſt, einen jeden Theil deſſelben
in Kriegszuſtand zu erklären 1). Dieſe Beſtimmung findet ſich
in dem XI. Abſchnitt der R.V., welcher die Ueberſchrift „Reichs-
kriegsweſen“ trägt, und nach dem Wortlaut der Nordd. Bundes-
verfaſſung war dieſe Befugniß nicht dem Bundespräſidium, ſondern
dem „Bundesfeldherrn“ beigelegt; es iſt alſo kein Zweifel, daß
nach der Verfaſſung dieſes Recht des Kaiſers als ein Ausfluß oder
Beſtandtheil ſeines militairiſchen Oberbefehls aufgefaßt wird. Daraus
iſt aber nicht zu folgern, daß von dieſer Befugniß nur im Kriegs-
falle oder zur Sicherung der öffentlichen Ordnung gegen äußere
Feinde Gebrauch gemacht werden dürfte; denn der Kaiſerl. Ober-
befehl beſteht auch im Frieden und das Militair iſt nicht nur
zum Schutz gegen äußere Feinde, ſondern auch zur Aufrechterhal-
tung des Landfriedens gegen innere Bedrohungen beſtimmt 2).
Ihrem Inhalte nach reicht die im Art. 68 dem Kaiſer eingeräumte
Machtvollkommenheit aber weit über die Gränzen hinaus, welche
dem Militair-Oberbefehl an ſich gezogen ſind; denn die Erklärung
des Kriegszuſtandes wirkt nicht nur auf die zur Armee gehörenden,
zum Militair-Gehorſam verpflichteten Perſonen, ſondern ſie erſtreckt
ſich auf die geſammte Verwaltung und ſogar auf das Strafrecht
und die Rechtspflege und erzeugt eine tief eingreifende, wenngleich
nur zeitweilige, Veränderung des geſammten Rechtszuſtandes. Die
Erklärung des Belagerungszuſtandes iſt im Weſentlichen als die
Einführung einer Militairdiktatur zu bezeichnen. Dieſelbe
kann ſich auf jeden Theil des Bundesgebietes (ausgenommen
Bayern) erſtrecken, alſo nöthigenfalles auch auf das ganze Bundes-
gebiet 3). Die Entſcheidung der Vorfrage, ob die öffentliche Sicher-
[42]§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.
heit bedroht iſt, hat der Kaiſer allein zu entſcheiden; weder hat
die Landesregierung ein Zuſtimmungs- oder Widerſpruchsrecht,
noch ſteht dem Landesrath oder dem Reichstage eine Beſchluß-
faſſung reſp. Genehmigung zu 1).
Im Einzelnen gelten darüber folgende Regeln:
1. Die Vorausſetzungen, die Form der Verkün-
digung und die Wirkungen einer ſolchen Erklärung ſind
durch ein Reichsgeſetz zu regeln; bis zum Erlaß eines ſolchen gelten
dafür die Vorſchriften des Preußiſchen Geſetzes vom 4. Juni
1851 (Pr. Geſ. S. 1851 S. 451 ff.) 2). Die proviſoriſche Gel-
tung dieſes Geſetzes erſtreckt ſich daher nicht auf den geſammten
Inhalt deſſelben, ſondern nur auf diejenigen Beſtimmungen, welche
Vorausſetzungen, Verkündigung und Wirkungen betreffen 3); und
auch dieſe Anordnungen laſſen zum Theil keine vollſtändige und
wörtliche Anwendung in den nichtpreußiſchen Theilen des Bundes-
gebietes zu, weil ſie ſich auf Preußiſche Staatseinrichtungen und
Verfaſſungsbeſtimmungen beziehen.
a) Vorausſetzungen. Das Geſetz geſtattet nur in zwei
Fällen die Erklärung des Belagerungszuſtandes, für den Fall
eines Krieges in den von dem Feinde bedrohten oder theilweiſe
ſchon beſetzten Provinzen (§. 1) und für den Fall eines Auf-
ruhrs bei dringender Gefahr für die öffentliche Sicherheit (§. 2).
Andere Gefahren für die öffentliche Sicherheit rechtfertigen die
Erklärung des Belagerungszuſtandes nicht 4).
[43]§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.
b) Form der Verkündigung. Unter der Verkündigung
iſt nicht zu verſtehen die Publikation der kaiſerl. Verordnung im
ſtaatsrechtlichen Sinne (vgl. Bd. II S. 54 fg. 90 fg.); dieſelbe
iſt in allen Fällen durch Abdruck im Reichsgeſetzblatt zu bewirken;
ſondern die faktiſche Kundmachung an die von der Verhängung
des Kriegszuſtandes betroffene Bevölkerung. Die Erklärung des
Belagerungszuſtandes iſt „zur allgemeinen Kenntniß“ zu bringen
durch Verleſung der kaiſerl. Verordnung bei Trommelſchlag oder
Trompetenſchall und außerdem durch Mittheilung an die Ge-
meindebehörde, durch Anſchlag an den öffentlichen Plätzen und
durch öffentliche Blätter (Geſ. §. 3). Daß die drei zuletzt erwähn-
ten Bekanntmachungsarten ſämmtlich angewendet werden, iſt zwar
nicht erforderlich, dagegen iſt es nach dem Wortlaut des Geſetzes
unerläßlich, daß die Verkündigung bei Trommelſchlag oder Trom-
petenſchall erfolgt und wenigſtens mit einer der 3 anderen Be-
kanntmachungsformen combinirt werde. Aus dieſer Vorſchrift über
die Bekanntmachungsform ergiebt ſich übrigens, daß die Erklärung
in jeder einzelnen Gemeinde zur allgemeinen Kenntniß ge-
bracht werden muß und daß daher in Ortſchaften, welche vom Feinde
bereits beſetzt ſind, die Erklärung des Belagerungszuſtandes nicht
wirkſam erfolgen kann.
c) Die Wirkungen der Verhängung des Kriegszuſtandes
ſind folgende:
α) „Mit der Bekanntmachung der Erklärung des Belagerungs-
zuſtandes geht die vollziehende Gewalt an die Militairbe-
4)
[44]§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.
fehlshaber über. Die Civilverwaltungs- und Gemeindebehörden
haben den Anordnungen und Aufträgen der Militairbefehlshaber
Folge zu leiſten.“ (§. 4 Abſ. 1.) Dadurch werden alle Civilbe-
hörden des Staates und alle Gemeindebehörden zu Unterbehörden
und Vollzugsorganen der Militairkommandanten gemacht; die An-
ordnungen der letzteren ſind auszuführen ohne Rückſicht und ohne
Prüfung, ob dieſelben nach den Geſetzen zuläſſig ſind; die unbe-
dingte Gehorſamspflicht der Civilbehörden entbindet dieſelben anderer-
ſeits von jeder Verantwortlichkeit für die Geſetzmäßigkeit der Maß-
regeln 1); die Militairbefehlshaber tragen dieſelbe für alle von
ihnen ausgehenden Anordnungen perſönlich (§. 4 Abſ. 2).
β) Die Militairperſonen ſtehen während des Belage-
rungszuſtandes unter den Geſetzen, welche für den Kriegszuſtand
ertheilt ſind 2) und der Befehlshaber der Beſatzung hat über ſämmt-
liche zu der letzteren gehörende Militairperſonen die höhere Ge-
richtsbarkeit (§§. 6 und 7).
γ) Gewiſſe ſtrafbare Handlungen ſind mit härterer
Strafe bedroht, wenn ſie in einem in Belagerungszuſtand erklärten
Orte oder Diſtrikte verübt werden. Die im §. 8 des Preuß. Ge-
ſetzes hierüber enthaltenen Beſtimmungen haben aber keine Geltung
mehr, da ſie durch ein Reichsgeſetz erſetzt worden ſind, nämlich
durch das Einführungs-Geſetz zum Strafgeſetzbuch vom
31. Mai 1870 §. 4. Darnach ſind die in den §§. 81 (Hochver-
rath) 88 (Landesverrath) 90 (Kriegsverrath) 307 (Brandſtiftung)
311. 312. 315. 322. 323. 324 (andere gemeingefährliche Verbrechen)
des St.G.B.’s mit lebenslänglichem Zuchthaus bedrohten Ver-
brechen mit dem Tode zu beſtrafen, wenn ſie in einem Theile
des Bundesgebietes, welchen der Kaiſer in Kriegszuſtand erklärt
hat, begangen werden 3). Dagegen iſt §. 9 des Preuß. Geſetzes
vom 4. Juni 1851 nicht aufgehoben, welcher für die daſelbſt an-
[45]§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.
gegebenen Handlungen, wenn die beſtehenden Geſetze keine höhere
Freiheitsſtrafe beſtimmen, Gefängnißſtrafe bis zu Einem Jahre
androht.
δ) Es kann ferner zur Anordnung von Kriegsgerichten
geſchritten werden; die darüber getroffenen Beſtimmungen müſſen
aber entweder ausdrücklich in die Bekanntmachung über die Er-
klärung des Belagerungszuſtandes aufgenommen oder in einer be-
ſonderen, unter der nämlichen Form bekannt zu machenden Ver-
ordnung verkündet werden (Geſ. §. 5 Abſ. 1) 1). Das Preußiſche
Geſetz verlangt zur Errichtung von Kriegsgerichten, daß zuvor oder
gleichzeitig der Art. 7 der Preuß. Verf.Urk. ſuſpendirt werde 2);
in denjenigen außerpreußiſchen Staatsgebieten, in denen eine Ver-
faſſungsbeſtimmung gleichen Inhaltes beſteht, wird in analoger
Anwendung des Geſetzes die Suspenſion des betreffenden Ver-
faſſungsſatzes auszuſprechen ſein 3); wo es an einer ſolchen Ver-
faſſungsbeſtimmung fehlt, iſt die Einrichtung der Kriegsgerichte an
die Beobachtung dieſer Formalität nicht gebunden. Der Art. 7
der Preuß. Verf.Urk. iſt aber faſt wörtlich im Art. 16 des Ge-
richtsverfaſſungsgeſetzes wiederholt worden und hat ſonach durch
die Erhebung zum Reichsgeſetz ſeine landesgeſetzliche Bedeutung
verloren. Da nun Art. 16 des Gerichtsverf.-Geſetzes ausdrücklich
die Ausnahme zufügt: „die geſetzlichen Beſtimmungen über Kriegs-
gerichte werden hiervon nicht berührt“, ſo erſcheint eine ausdrück-
liche Suſpenſion des Art. 7 der Preuß. V.U. bei Einrichtung der
Kriegsgerichte auch in Preußen nicht mehr nothwendig.
Vor die Kriegsgerichte gehört die Unterſuchung und Aburthei-
lung der Verbrechen des Hochverraths, des Landesverraths, des
Mordes, des Aufruhrs, der thätlichen Widerſetzung, der Zerſtörung
von Eiſenbahnen und Telegraphen, der Befreiung von Gefangenen,
der Meuterei, des Raubes, der Plünderung, der Erpreſſung, der
[46]§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.
Verleitung der Soldaten zur Untreue und der in den §§. 8 und 9
des Geſetzes mit Strafe bedrohten Verbrechen und Vergehen, in-
ſofern alle genannten Verbrechen und Vergehen nach der Erklärung
der Bekanntmachung des Belagerungszuſtandes begangen oder fort-
geſetzte Verbrechen ſind (§. 10 Abſ. 1) 1). Ueber die Zuſammen-
ſetzung der Kriegsgerichte, ihre Zahl, die Vereidigung der Mit-
glieder, ſowie über das vor den Kriegsgerichten zu beobachtende
Verfahren enthält das in Rede ſtehende Geſetz in den §§. 11—13
die näheren Vorſchriften.
ε) Es können ferner die Vorſchriften der Preuß. Verf. über
die Gewährleiſtung der perſönlichen Freiheit (Art. 5), über die
Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 6), über die Freiheit der Preſſe
(Art. 27. 28), über das Verſammlungs- und Vereins-Recht (Art. 29.
30), und über das Einſchreiten der bewaffneten Macht (Art. 36)
ſuſpendirt werden. Wenn die Suſpenſion dieſer Artikel oder ein-
zelner derſelben angeordnet wird, ſo gilt über die Bekanntmachung
dieſelbe Vorſchrift wie von der Einrichtung von Kriegsgerichten
(§. 5 Abſ. 1). An die Stelle der Art. 5 und 6 der Preuß. Verf.
ſind aber jetzt, und zwar im ganzen Bundesgebiet, die Beſtim-
mungen im I. Buch 8. und 9. Abſchnitt der Strafprozeß-Ordnung,
und an die Stelle der Art. 29 und 30 der Preuß. Verf. die Be-
ſtimmungen des Reichsgeſetzes über die Preſſe vom 7. Juni 1874
(R.G.Bl. S. 65) getreten 2). Die Erklärung der Suſpenſion
wird demnach eintretenden Falles auf dieſe Reichsgeſetze zu
richten ſein.
2. Die Frage, ob auch den Einzelſtaaten die Befugniß zuſteht,
für ihre Gebiete den Belagerungszuſtand — wenigſtens in Friedens-
zeiten — zu verhängen, wird von den meiſten Schriftſtellern be-
jaht 3). Das Gegentheil iſt richtig und zwar aus zwei Gründen.
[47]§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.
Die Erklärung des Kriegszuſtandes iſt ein Ausfluß des Kaiſerl.
Militair-Oberbefehls; die Einzelſtaaten ſind nicht befugt, in den-
ſelben einzugreifen, insbeſondere den Militair-Befehlshabern
die geſammte Oberleitung der Civilverwaltung und die
Verantwortlichkeit für dieſelbe zu übertragen und die Militair-
Gerichtsverfaſſung eigenmächtig umzuändern. Dies aber
ſind die mit der Erklärung des Kriegszuſtandes eintretenden, in
§§. 4, 6 und 7 des Geſetzes erwähnten Rechtsfolgen. Kein Feſtungs-
kommandant und kein kommandirender General dürfte einem der-
artigen Befehle nachkommen, wenn er ihm nicht vom Kaiſer er-
theilt iſt, oder gar gegen den Willen des Kaiſers. Sodann ſind
die Regierungen der Einzelſtaaten nicht befugt, Reichsgeſetze eigen-
mächtig aufzuheben oder umzuändern; die Erklärung des Belage-
rungszuſtandes hat aber eine zeitweiſe Veränderung des
Strafgeſetzbuchs, und ſofern Kriegsgerichte eingeſetzt wer-
den, auch des Gerichtsverfaſſungsgeſetzes und der Strafprozeß-
Ordnung zur Folge. Das Einf.-Geſ. zum R.St.G.B. §. 4 bedroht
die dort aufgeführten Verbrechen nur dann mit dem Tode, „wenn
ſie in einem Theile des Bundesgebietes, welchen (der Bundes-
feldherr) der Kaiſer in Kriegszuſtand (Art. 68 der Verf.)
erklärt hat, … begangen werden.“ Einem Landesherrn ſteht es
demnach nicht zu, die im §. 4 cit. enthaltenen Normen in Geltung
zu ſetzen. Der Art. 68 der R.V. ermächtigt den Kaiſer allein
zur zeitweiligen Suſpenſion des beſtehenden Rechts, insbeſondere
auch der Reichsgeſetze; folglich haben die Regierungen der Einzel-
ſtaaten dieſes Recht nicht. Völlig unrichtig iſt es, wenn v. Mohl
ſich darauf beruft, daß die Bundesfürſten nach Art. 66 der R.V.
das Recht haben, die in ihren Ländergebieten dislozirten Truppen
zu polizeilichen Zwecken zu requiriren. Die „Requiſition“ iſt in
allen Beziehungen das Gegentheil des Belagerungszuſtandes; die
Truppen ſchreiten hier nur auf Erfordern der Civilbehörde und zu
ihrer Unterſtützung ein, beim Belagerungszuſtand dagegen iſt der
Militairbefehlshaber der Herr, er requirirt die Civilbehörden und
ertheilt ihnen Anordnungen, wenn er ihrer Hülfe bedarf. Die
Requiſition zu polizeilichen Zwecken ſetzt die Fortdauer des gemein-
gültigen Rechtes voraus, der Belagerungszuſtand iſt die zeitweiſe
Aufhebung deſſelben. Die Reichsverfaſſung unterſcheidet daher mit
gutem Grunde, wenn ſie im Art. 66 den Bundesfürſten das Recht
[48]§. 80. Die Gemeinſchaft der Laſten u. Ausgaben f. d. bewaffnete Macht.
zur Requiſition von Truppen, dagegen im Art. 68 dem Kaiſer das
Recht zur Erklärung des Belagerungszuſtandes zuſchreibt und es
iſt grade aus dieſer Unterſcheidung der Schluß gerechtfertigt, daß
die Bundesfürſten das im Art. 68 erwähnte Recht nicht haben.
3. Alles, was im Vorſtehenden über die Verhängung des
Belagerungszuſtandes ausgeführt worden iſt, findet auf Bayern
keine Anwendung. Daß der Kaiſer im Frieden Bayern nicht in
Belagerungszuſtand verſetzen kann, folgt ſchon aus dem Ausſchluß
des Oberbefehls des Kaiſers über die Bayeriſche Armee in Ver-
bindung mit dem Ausſchluß des Rechts, andere Truppen nach
Bayern zu disloziren, aber auch für den Fall des Krieges iſt dieſes
Recht dem Kaiſer nicht eingeräumt. Nach dem Vertrage v. 23. Nov.
1870 und der Schlußbeſtimmung zum XI. Abſchnitt der R.V. iſt
die Anwendung des Art. 68 der R.V. auf Bayern unbedingt und
vollſtändig ausgeſchloſſen. Dagegen iſt das Reich competent, ein
Geſetz über die Erklärung des Bundesgebietes oder eines Theiles
deſſelben in Kriegszuſtand zu erlaſſen, welches auch für Bayern
Geltung haben würde. Dieſe in Art. 4 Ziff. 14 begründete Kom-
petenz iſt im Vertrage v. 23. Nov. 1870 III §. 5 Ziff. VI aus-
drücklich anerkannt worden. Die Sonderſtellung Bayerns iſt daher
nur gewährleiſtet, ſo lange das Preuß. Geſ. v. 4. Juni 1851 in
Geltung bleibt.
Dem Ausſchluß des Rechts des Kaiſers zur Erklärung des
Kriegszuſtandes entſpricht es, daß der König von Bayern in
ſeinem Staatsgebiete zur Ausübung deſſelben befugt iſt. Demge-
mäß hat das R.G. v. 22. April 1871 §. 7 (R.G.Bl. S. 89) be-
ſtimmt, daß an Stelle des §. 4 des Einf.Geſetzes zum St.G.B.
für Bayern es bis auf Weiteres bei den einſchlägigen Beſtim-
mungen des Militärſtrafrechts, ſowie bei den ſonſtigen Vorſchriften
über das Standrecht ſeine Bewenden hat, und ebenſo iſt in das
Gerichtsverfaſſ.-Geſ. Art. 16 die Klauſel aufgenommen worden,
daß von dieſem Artikel die geſetzlichen Beſtimmungen über Stand-
rechte nicht berührt werden.
§. 80. Die Gemeinſchaft der Laſten und Ausgaben für die be-
waffnete Macht.
Weder die Einheitlichkeit der Militärgeſetze und Heereseinrich-
tungen noch der Oberbefehl des Kaiſers über die Truppen der
[49]§. 80. Die Gemeinſchaft d. Laſten u. Ausgaben f. d. bewaffnete Macht.
Einzelſtaaten würden genügen, um die übereinſtimmende und gleich-
mäßige Kriegstüchtigkeit und Vollzähligkeit der einzelnen Kontin-
gente zu ſichern, wenn die Einzelſtaaten von der mangelhaften oder
unvollſtändigen Durchführung der Militairgeſetze materielle Vor-
theile hätten. Die eigentliche Bürgſchaft für die „Einheitlichkeit
des Heeres“ und für die Gleichartigkeit ſeiner Beſtandtheile, die
fundamentale Baſis der Reichskriegsverfaſſung, durch welche alle
anderen Einrichtungen erſt Feſtigkeit und Halt gewinnen, iſt daher
in dem weitreichenden Prinzip des Art. 58 der R.V. zu erblicken:
„Die Koſten und Laſten des geſammten Kriegsweſens des
Reichs ſind von allen Bundesſtaaten und ihren Angehörigen gleich-
mäßig zu tragen, ſo daß weder Bevorzugungen noch Prägrava-
tionen einzelner Staaten oder Klaſſen grundſätzlich zuläſſig ſind.“
In dieſem Satze ſind allerdings zwei ſehr verſchiedene Dinge
durcheinander geworfen: die gleichmäßige Vertheilung der Laſten
auf die Bundesſtaaten und die gleichmäßige Verpflichtung
der Angehörigen der Bundesſtaaten zur Leiſtung von Militair-
dienſten und Militairlaſten. Das letztere Prinzip hat lediglich die
Bedeutung eines verfaſſungsmäßigen Programmes für die Militair-
Geſetzgebung des Reiches; das erſtere dagegen iſt in der Reichs-
verfaſſung ſelbſt effektiv durchgeführt und für das Verhältniß des
Reiches zu den Einzelſtaaten hinſichtlich des Militairweſens, ja hin-
ſichtlich des geſammten Verfaſſungsbaues des Reiches von maß-
gebender Bedeutung. Nur dieſes Prinzip ſteht hier zur Erörte-
rung. Ohne die Durchführung dieſes Grundſatzes von der gleichen
Vertheilung der Laſten wären auch die Militairkonventionen mit
Preußen ſchwerlich abgeſchloſſen worden; dieſelben waren nur des-
halb möglich, weil ſie die materiellen Leiſtungen der Einzelſtaaten
für Heer und Marine unverändert ließen. Der erwähnte Grund-
ſatz iſt ſo weſentlich und überdies ſo ſehr in der Billigkeit begrün-
det, daß er auch für Bayern volle und unbeſchränkte Anwendung
erhalten hat und nur die Art und Weiſe ſeiner Ausführung iſt für
Bayern anders wie für die übrigen Staaten geregelt worden. In
dem Bündnißvertrage v. 23. Nov. 1870 III §. 5 iſt feſtgeſetzt, daß
Art. 58 der R.V. für das Königreich Bayern gültig iſt, jedoch den
Zuſatz erhält: „der in dieſem Artikel bezeichneten Verpflichtung
wird von Bayern in der Art entſprochen, daß es die Koſten und
Laſten ſeines Kriegsweſens, den Unterhalt der auf ſeinem Gebiete
Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 4
[50]§. 80. Die Gemeinſchaft d. Laſten u. Ausgaben f. d. bewaffnete Macht.
belegenen feſten Plätze und ſonſtigen Fortifikationen inbegriffen,
ausſchließlich und allein trägt“.
Die von den Einzelſtaaten zu machenden Leiſtungen für die
Armee ſind von zweierlei Art; ſie beſtehen theils in der Hergabe
von dienſtfähiger Mannſchaft (Rekruten- oder Erſatzleiſtung) theils
in der Hergabe von Geld (Finanzleiſtung).
I.Die Stellung des Erſatzbedarfes.
1. Art. 60 der R.V. enthält außer der Beſtimmung über die
Friedens-Präſenzſtärke des Deutſchen Heeres bis zum 31. Dez.
1871 die Vorſchrift, daß die Mannſchaften pro rata der Bevölke-
rung von den einzelnen Bundesſtaaten geſtellt werden. Derſelbe
Grundſatz iſt als dauernde, von der Präſenzſtärke unabhängige
Rechtsregel in dem Wehrgeſetz v. 9. Nov. 1867 §. 9 ſanctionirt
und in dem Militärgeſetz §. 9 beſtätigt und weiter ausgeführt
worden. Auf Grund der geſetzlich feſtgeſetzten Präſenzſtärke wird
alljährlich der für Heer und Flotte erforderliche Rekrutenbedarf vom
Kaiſer beſtimmt 1) und demnächſt durch den Bundesausſchuß für
[51]§. 80. Die Gemeinſchaft d. Laſten u. Ausgaben f. d. bewaffnete Macht.
das Landheer und die Feſtungen, unter Mitwirkung des Bundes-
ausſchuſſes für das Seeweſen hinſichtlich des für die Marine er-
forderlichen Erſatzes, auf die einzelnen Bundesſtaaten nach dem Ver-
hältniß der Bevölkerung vertheilt.
Der für das Bayeriſche Kontingent erforderliche Bedarf an
Rekruten wird formell vom König von Bayern beſtimmt; materiell
ſind hiefür aber die vom Kaiſer für das Bundesheer gegebenen
Vorſchriften maßgebend. Es iſt dies eine Folge des erwähnten,
im Art. 58 der R.V. ſanctionirten Prinzips.
2. Den Maßſtab für die Vertheilung des Erſatzbedarfs bildet
die Bevölkerung. Die Größe derſelben wird nach dem Reſul-
tat der vorhergegangenen auf Anordnung des Reiches vorgenom-
menen Volkszählung ermittelt. Hiebei kommen natürlich nur die
Reichsangehörigen in Betracht, da Ausländer (Reichsfremde) in
Deutſchland nicht wehrpflichtig ſind; dagegen iſt die Staats an-
gehörigkeit für die Feſtſtellung der Bevölkerungszahl nicht von Be-
lang, da für die Erfüllung der Militärpflicht nicht die Staatsan-
gehörigkeit, ſondern der dauernde Aufenthalt entſcheidend iſt 1).
Von dieſer ortsanweſenden reichsangehörigen Bevölkerung wer-
den ſodann in Abzug gebracht die im aktiven Dienſt befindlichen
Militairperſonen 2). Der Erſatzbedarf für die Marine wird nach
Maßgabe der vorhandenen ſeemänniſchen Bevölkerung ver-
theilt 3) und die für die Marine ausgehobenen Mannſchaften ſind
in ihren Aushebungsbezirken auf die Geſtellung zum Landheere in
Abrechnung zu bringen 4). Auf die Quote des Erſatzbedarfes,
welche nach dieſen Regeln auf jeden Staat entfällt, werden die-
jenigen Mannſchaften angerechnet, welche aus den Gebietstheilen
des Staates innerhalb des letztverfloſſenen Kalenderjahres freiwillig
in den Militairdienſt eingetreten ſind 5).
4*
[52]§. 80. Die Gemeinſchaft d. Laſten u. Ausgaben f. d. bewaffnete Macht.
3. Eine Conſequenz des Satzes, daß der Rekrutenbedarf von
den Staaten nach Verhältniß ihrer Bevölkerung gedeckt werden
ſoll, beſteht darin, daß, wenn ein Aushebungsbezirk ſeinen Re-
krutenantheil nicht aufzubringen vermag, der Ausfall auf die an-
dern Bezirke deſſelben Bundesſtaates übertragen wird und daß
die Erhöhung der Rekrutenantheile anderer Bundesſtaaten erſt
dann erfolgen kann, wenn die geſammten Aushebungsbezirke eines
Bundesſtaates nicht zur Leiſtung des demſelben aufgegebenen Re-
krutenantheils im Stande ſind 1). Dieſer zu repartirende Ausfall
iſt nach dem im Wehrgeſetz v. 9. Nov. 1867 §. 9 enthaltenen
Grundprinzip ebenfalls wieder auf ſämmtliche Bundesſtaaten
5)
[53]§. 80. Die Gemeinſchaft d. Laſten u. Ausgaben f. d. bewaffnete Macht.
nach Verhältniß ihrer ortsanweſenden reichsangehörigen Bevölke-
rung zu vertheilen; hiervon iſt nach Art. 58 der R.V. auch Bayern
nicht ausgenommen, jedoch erleidet die Regel für alle Staaten,
welche beſondere Armeekorps bilden, eine unter Nr. 5 noch zu
erörternde Modifikation.
4. Von dem Falle, daß ein Bundesſtaat nicht im Stande iſt,
die auf ihn entfallende Quote des Rekrutenbedarfs zu ſtellen, iſt
wol zu unterſcheiden der andere Fall, daß nach erfolgter Ver-
theilung des allgemeinen Erſatzbedarfs auf die Bundesſtaaten bei
einem Truppentheile durch unvorhergeſehenen Ausfall oder
Abgang an Mannſchaften ein außerordentlicher Erſatzbe-
darf entſteht. Während in dem unter 3 erörterten Falle (Mil.-
Geſ. §. 9 Abſ. 3) der Erſatzbedarf für das Heer unverändert bleibt
und nur die Vertheilung anders regulirt werden muß, ändert ſich
in dem hier beſprochenen Falle (Mil.Geſ. §. 9 Abſ. 2) der Erſatz-
bedarf ſelbſt, indem ein Nacherſatz erforderlich wird. Hier iſt
nun nicht die Repartirung deſſelben auf ſämmtliche Bundesſtaaten
nothwendig, ſondern es iſt eine Abweichung von dem vorge-
ſchriebenen Vertheilungsmaßſtabe unter Zuſtimmung des Ausſchuſſes
für das Landheer und die Feſtungen geſtattet. Die in Folge deſſen
entſtehende Ungleichheit in der Belaſtung der Bundesſtaaten iſt bei
der Rekrutengeſtellung des nächſtfolgenden Jahres auszugleichen 1).
5. Zu der Regel, daß der für das Reichsheer erforderliche
Erſatz gleichmäßig auf alle Bundesſtaaten zu vertheilen iſt, tritt
ein anderer Grundſatz hinzu, welcher eine ſehr eingreifende Be-
ſchränkung der Kontingentsherrlichkeit der Einzelſtaaten enthält 2).
Verfaſſungsmäßig haben nämlich die Bundesſtaaten (außer
Bayern) kein Recht darauf, daß der von ihnen geſtellte Erſatz in
ihre Kontingente eingereiht wird, ſondern die Geſammtleiſtung
ſämmtlicher Staaten an Rekruten ſteht für das geſammte Reichs-
heer zur Verfügung des Kaiſers 3). Für die Zutheilung der aus-
[54]§. 80. Die Gemeinſchaft d. Laſten u. Ausgaben f. d. bewaffnete Macht.
zuhebenden Rekruten an die Truppen des Reichsheeres iſt das
militairiſche Bedürfniß beſtimmend 1); da über dieſes Be-
dürfniß aber der Kaiſer reſp. die Militairkommandobehörde zu ent-
ſcheiden hat, ſo folgt, daß die aus einem Aushebungsbezirk oder
Staatsgebiet geſtellten Rekruten nach Anordnung des Kaiſers in
jeden beliebigen Truppenkörper des ganzen Reichsheeres eingeſtellt
werden können, ohne daß der Regierung des Einzelſtaates ein
Widerſpruchsrecht zuſteht. An dieſem Rechtsſatz wird auch dadurch
nichts geändert, daß thatſächlich die meiſten Truppenkörper, insbe-
ſondere die Linien-Infanterie-Regimenter, beſtimmte Rekrutirungs-
bezirke haben. Der erwähnte Rechtsſatz kann in doppelter Richtung
wirkſam werden; es können ſowohl in das Kontingent des einzel-
nen Staates die in andern Staaten ausgehobenen Rekruten einge-
ſtellt als auch die im eigenen Staatsgebiet zur Aushebung ge-
langten Rekruten zur Kompletirung anderer Kontingente verwendet
werden. Für eine große Zahl von Staaten iſt aber die Anwen-
dung dieſes Grundſatzes ausgeſchloſſen oder beſchränkt und zwar
in folgender Weiſe:
a) Verfaſſungsmäßig iſt der Grundſatz gänzlich aus-
geſchloſſen für Bayern und zwar durch den Zuſatz, welchen Art.
58 der R.V. in dem Vertrage v. 23. Nov. 1870 erhalten hat,
wonach Bayern die Laſten ſeines Kriegsweſens ausſchließlich
und allein trägt und durch den Ausſchluß des militairiſchen
Oberbefehls u. ſ. w. des Kaiſers über die Bayeriſche Armee im
Frieden. In das Bayriſche Kontingent können daher weder die in
andern Bundesſtaaten ausgehobenen Rekruten eingereiht werden,
noch kann der in Bayern geſtellte Erſatz für andere Kontingente in
3)
[55]§. 80. Die Gemeinſchaft d. Laſten u. Ausgaben f. d. bewaffnete Macht.
Anſpruch genommen werden 1). Es gehört dieſe Selbſtändigkeit der
Erſatzſtellung zu den verfaſſungsmäßigen Sonderrechten Bayerns,
welche nur nach Art. 78 der R.V. beſeitigt werden können.
b) Durch das Reichsmilitairgeſetz §. 9 Abſ. 4 iſt
denjenigen Bundesſtaaten, welche beſondere Armeekorps
bilden, zugeſichert worden, „daß ſie unbeſchadet der Beſtim-
mungen in Abſ. 3 im Frieden zur Rekrutengeſtellung für andere
Armeekorps nur in dem Maße herangezogen werden, als An-
gehörige anderer Bundesſtaaten bei ihnen in Gemäßheit des §. 12
zur Aushebung gelangen“. Der Sinn dieſer dunkeln Worte iſt
der, daß auch für Sachſen und Württemberg im Frie-
den daſſelbe Verhältniß gelten ſoll, welches für Bayern beſteht;
d. h. daß dieſe beiden Staaten den Erſatz für ihre Armeekorps in
ihren Gebieten ſelbſt aufbringen und daß die von ihnen ausge-
hobenen Rekruten nicht in andere Kontingente eingereiht werden 2).
Außerdem aber erkennen die citirten Geſetzesworte eine Ausnahme
von dieſem Grundſatz an rückſichtlich der Staaten mit ſelbſtſtän-
diger Kontingentsverwaltung, einſchließlich Bayerns, deren
Bedeutung und Begründung erſt bei Erörterung der Kontingents-
herrlichkeit dargelegt werden kann (vgl. §. 81 I, 1).
c) Durch die Militair-Konventionen haben die-
[56]§. 80. Die Gemeinſchaft d. Laſten u. Ausgaben f. d. bewaffnete Macht.
jenigen Staaten, welche ihre Kontingente mit der Preußiſchen Ar-
mee vereinigt haben, beſtimmte Zuſicherungen über die Verwen-
dung der in ihren Gebieten ausgehobenen Rekruten erhalten. Je
nach der Größe der Staaten beſteht hier eine Verſchiedenheit.
Baden1) und Heſſen2) bilden je einen Ergänzungsbezirk für
ſich und werden hinſichtlich der Erſatzſtellung thatſächlich wie Sach-
ſen und Württemberg behandelt. Mit dem Großherzogthum Ol-
denburg iſt vereinbart, daß die aus dem Herzogthum Ol-
denburg (nicht die aus den Fürſtenthümern Lübeck und Birkenfeld)
ausgehobenen Wehrpflichtigen nur als Erſatz für die im Art. 3
der Konvent. aufgeführten Truppenkörper verwendet werden 3);
daſſelbe iſt den Thüringiſchen Staaten und Anhalt hin-
ſichtlich der Thüringiſchen und des Anhaltiſchen Infanterie-Regi-
ments zugeſichert worden 4), und gilt auch für Mecklenburg5).
Den übrigen Staaten iſt nur das Verſprechen ertheilt worden, daß
die ihnen angehörigen Erſatzmannſchaften in demjenigen Preuß.
Truppenkörper ihrer Dienſtpflicht genügen können, welcher in dem
betreffenden Gebiete in Garniſon liegt, reſp. bei nächſtgelegenen
Preuß. Truppentheilen 6).
6. Die Aushebung des auf den einzelnen Staat ent-
fallenden Antheils an dem Erſatzbedarf und die Organiſation und
das Verfahren der Erſatzbehörden ſteht nicht im Zuſammenhang
mit der Leiſtung der Bundesſtaaten ſondern mit der Erfül-
lung der Wehrpflicht Seitens der Reichsangehörigen und wird dem-
gemäß unten §. 88 dargeſtellt werden.
[57]§. 80. Die Gemeinſchaft d. Laſten u. Ausgaben f. d. bewaffnete Macht.
II.Die finanziellen Laſten.
1. Der zur Gründung und Erhaltung der Kriegsflotte und
der damit zuſammenhängenden Anſtalten erforderliche Aufwand wird
aus der Reichskaſſe beſtritten 1). Ebenſo werden die Ausgaben für
das geſammte Reichsheer und deſſen Einrichtungen aus der Reichs-
kaſſe beſtritten und durch das Etatsgeſetz feſtgeſtellt 2). Durch dieſe
Verfaſſungs-Grundſätze wird die gleichmäßige Vertheilung der für
die bewaffnete Macht des Reiches erforderlichen Koſten auf alle
Staaten nach Verhältniß ihrer Bevölkerung herbeigeführt, da zur
Beſtreitung aller gemeinſchaftlichen Ausgaben des Reiches, ſoweit
dieſelben nicht durch die ſogen. eigenen Einnahmen der Reichskaſſe
gedeckt werden, von den einzelnen Staaten Beiträge nach Maßgabe
ihrer Bevölkerung zu entrichten ſind 3).
Dieſes Prinzip findet auch auf Bayern vollſtändig Anwen-
dung, jedoch mit derjenigen Modifikation, welche Art. 58 der R.V.
für Bayern erhalten hat, daß nämlich Bayern die Koſten und
Laſten ſeines Kriegsweſens ausſchließlich und allein trägt. Für
die finanziellen Leiſtungen gelten daher ganz analoge Regeln wie
für die Leiſtungen an Mannſchaften. Die von Bayern aufzuwen-
denden Beträge werden in Einer Summe feſtgeſtellt, deren Höhe
zu der für das Reichsheer zu verausgabenden Summe in demſelben
Verhältniß ſteht wie die Kopfſtärke des Bayriſchen Kontingents zu
der des übrigen Reichsheeres. Die Verwendung dieſer Summe iſt
Bayern überlaſſen; die Spezialetats werden nicht vom Reich, ſon-
dern von Bayern aufgeſtellt, das aber verpflichtet iſt, hierbei im
Allgemeinen diejenigen Etatsanſätze nach Verhältniß zur Richtſchnur
zu nehmen, welche für das übrige Reichsheer in den einzelnen Titeln
ausgeworfen ſind 4).
2. Die Leiſtung der Ausgaben ſelbſt nach Maßgabe der im
Etat feſtgeſtellten Sätze und der durch Geſetze oder Verordnungen
[58]§. 80. Die Gemeinſchaft d. Laſten u. Ausgaben f. d. bewaffnete Macht.
gegebenen Normen erfolgt durch diejenigen Einzelſtaaten, welche
eine eigene Militairverwaltung haben. Da dieſe Ausgaben aber
für Rechnung des Reiches erfolgen, ſo unterliegen ſie der
Kontrole Seitens des Rechnungshofes des Reiches und es iſt über
dieſelben durch den Reichskanzler dem Bundesrathe und dem Reichs-
tage zur Entlaſtung jährlich Rechnung zu legen 1). Da die De-
charge dem Reichskanzler ertheilt wird und dieſer die ver-
faſſungsmäßige Pflicht hat, dem Bundesrathe und Reichstage Rech-
nung zu legen, ſo folgt daraus, daß die Kontingentsverwaltungen
verpflichtet ſind, dem Reichskanzler Rechnung zu legen und
daß ſie zu allen Abweichungen von den Anſätzen des Etats die
Genehmigung des Reichskanzlers einholen müſſen. Für Bayern
gilt dies jedoch aus dem angegebenen Grunde nicht; dem Bundes-
rath und Reichstag iſt nur nachzuweiſen, daß die für das Baye-
riſche Heer erforderliche, im Etat ausgeworfene Hauptſumme wirk-
lich an Bayern überwieſen worden iſt, während die Kontrole und
die Ertheilung der Entlaſtung über die Verwendung dieſer Summe
den nach dem Bayeriſchen Staatsrecht hierzu berufenen Organen
des Königreichs zuſteht 2).
3. Aus demſelben Grundſatz folgt, daß Erſparniſſe an dem
Militair-Etat, welchen eine Regierung bei der ihr zuſtehenden Ar-
mee-Verwaltung macht, nicht der Kaſſe dieſes Staates, ſondern
der Reichskaſſe zufallen 3); ausgenommen iſt auch hier Bayern4),
da die Geltung des Art. 67 für Bayern in dem Verſailler Ver-
trage ausdrücklich ausgeſchloſſen iſt und Bayern ſeine Armee-Ver-
waltung auf eigene Rechnung und ſelbſtſtändig führt. Eine for-
melle Garantie, daß Bayern nicht auf Koſten der Kriegstüchtigkeit
[59]§. 81. Die Militairhoheitsrechte der Einzelſtaaten.
ſeines Kontingentes Erſparniſſe macht, iſt lediglich durch das dem
Kaiſer eingeräumte Inſpektionsrecht gegeben.
Auch Württemberg iſt verfaſſungsmäßig 1) das Sonder-
recht eingeräumt worden, daß die Württemberg. Regierung nach
Maßgabe des Reichshaushalts-Etats den Aufwand für die Unter-
haltung des Württemb. Armeekorps … in ſelbſtſtändiger
Verwaltung beſtreitet, und daß Erſparniſſe, welche unter
voller Erfüllung der Bundespflichten als Ergebniſſe der obwalten-
den beſondern Verhältniſſe möglich werden, zur Verfügung
Württembergs verbleiben2). Dieſes Recht Württem-
bergs iſt von dem erwähnten Rechte Bayerns erheblich verſchieden,
weil die Spezialetats auch für das Württemberg. Armeekorps vom
Reiche feſtgeſtellt und die wirklich erfolgten Ausgaben vom Rech-
nungshofe des Reiches geprüft werden und weil das Württem-
bergiſche Kontingent auch im Frieden dem Oberbefehl des Kaiſers
in dem oben dargelegten Umfange unterworfen iſt. Die für das
übrige Reichsheer aufgeſtellten Vorſchriften dienen für die Verwal-
tung des Württemb. Armeekorps nicht nur „im Allgemeinen zur
Richtſchnur“ — wie für die Bayeriſche Armee —, ſondern ſie
müſſen „volle Erfüllung“ finden 3). Dadurch iſt die thatſächliche
Möglichkeit, an den Ausgaben für das Kontingent Erſparungen zu
machen, eine ſehr beſchränkte.
4. Endlich ſind auch die Naturalleiſtungen für das Heer und
die Marine im Krieg und Frieden, ſowie die Beſchränkungen des
Grundeigenthums in den Umgebungen der Feſtungen für das ganze
Reichsgebiet gleichmäßig normirt. Vgl. unten §§. 92 ff.
§. 81. Die Militairhoheitsrechte der Einzelſtaaten.
Der Satz, welcher das Kompetenz-Verhältniß zwiſchen Reich
und Einzelſtaaten im Allgemeinen charakteriſirt, nämlich daß die
letzteren alle diejenigen Hoheitsrechte behalten haben, welche ihnen
nicht durch Reichsverfaſſung oder durch Reichsgeſetze entzogen wor-
den ſind, gilt auch hinſichtlich des Heerweſens. Theoretiſch iſt
[60]§. 81. Die Militairhoheitsrechte der Einzelſtaaten.
demnach die Kompetenz des Einzelſtaates, beziehentl. des Landes-
herrn, die Regel und die Kompetenz des Reiches, beziehentl. des
Kaiſers, die Ausnahme, für welche es in jedem einzelnen Falle eines
beſonderen geſetzlichen Grundes bedarf.
Praktiſch iſt dieſes Verhältniß aber nur für Bayern durch-
geführt; den andern Staaten gegenüber hat die Ausnahme in ſo
weitem Umfange die Regel durchlöchert, daß die ihnen verbliebenen
Reſte der Militairhoheit von geringfügiger Bedeutung ſind. Eine
ſelbſtſtändige Entfaltung militairiſcher Macht iſt ihnen ebenſo ent-
zogen, wie eine ſelbſtſtändige Ausübung der Geſetzgebung, Organi-
ſation, Verwaltung und des Oberbefehls und es iſt demnach der
Reſt, den die R.V. den Bundesgliedern gelaſſen hat, werthlos,
ausgenommen in Preußen, weil hier dieſer dem Könige verbliebene
Reſt ſich mit der dem Kaiſer zuſtehenden Machtbefugniß wieder
zur vollen, zuſammenhängenden, mit Wirkſamkeit auszuübenden
Militairhoheit vereinigt. Hieraus erklärt ſich, daß die Mehrzahl
der Staaten bereit war, die Ausübung der ihnen verbliebenen
Rechte durch Militairkonventionen an Preußen abzutreten, da dieſe
Ceſſion den Staaten ein wirkliches Opfer an politiſcher Macht nicht
auferlegte; und es erklärt ſich ferner hieraus, daß Militairkonven-
tionen nur mit Preußen, und in keinem einzigen Falle mit einem
andern Bundesgliede abgeſchloſſen worden ſind. Die Rechte, welche
den Einzelſtaaten noch verblieben ſind, erſcheinen gleichſam als ein
ihnen gelaſſenes Andenken an ihre ehemalige Souveränetät; denn
wenn man einem Staate, der rechtlich nicht befugt iſt, phyſiſche
Machtmittel zu organiſiren und zur Anwendung zu bringen, die
Eigenſchaft der Souveränetät zuſchreibt, ſo muß man dieſes Wort
in einer ſehr eigenthümlichen, von dem gemeinen Sprachgebrauch
abweichenden Bedeutung verſtehen, jedenfalls nicht in demjenigen
Sinne, in dem es als ſtaatsrechtlicher Begriff von Werth iſt, näm-
lich als höchſte öffentliche Gewalt.
Die nach der Reichsverfaſſung den Landesherren der Einzel-
ſtaaten und den Senaten der freien Städte verbliebenen Rechte
laſſen ſich auf folgende Kategorien zurückführen.
I.Die Kontingentsherrlichkeit.
Die Landmacht des Reiches bildet — wie oben S. 6 dar-
gethan worden iſt — kein einheitliches Heer, ſondern iſt aus den
[61]§. 81. Die Militairhoheitsrechte der Einzelſtaaten.
Kontingenten der einzelnen Staaten combinirt. Der eigentliche
Kern aller den Bundesgliedern verbliebenen Militairhoheitsrechte
iſt daher die Kontingentsherrlichkeit. Obgleich dieſelbe im Art. 63
der R.V. erwähnt iſt, ſo hat doch weder die Reichsverfaſſung noch
das Militairgeſetz ſie definirt und ebenſowenig iſt in der ſtaats-
rechtlichen Literatur bisher auch nur ein Verſuch gemacht worden,
die Kriterien dieſes Begriffes feſtzuſtellen; man hat ſich damit be-
gnügt, ein Verzeichniß der einzelnen in der R.V. erwähnten Befug-
niſſe der Bundesfürſten aufzuſtellen 1). Die Kontingentsherrlichkeit
iſt ſowohl von der Kriegshoheit, als auch von dem Oberbefehl
unterſchieden und ſie iſt unabhängig von dem Recht zur Geſetz-
gebung in Militairangelegenheiten. Ihr juriſtiſches Weſen beſteht
in Folgendem: Der Eintritt in die Armee, gleichviel ob derſelbe
auf Grund der geſetzlichen Unterthanenpflicht oder ob er freiwillig,
alſo auf Grund eines Rechtsgeſchäftes, erfolgt, iſt Begründung
eines öffentlich-rechtlichen Dienſtverhältniſſes von beſtimmtem
Inhalt 2); jedes Dienſtverhältniß ſetzt aber nothwendig zwei Per-
ſonen voraus, einen Diener und einen Herrn; der militairiſchen
Dienſtpflicht entſpricht daher die militairiſche Dienſtherrlichkeit.
Alle Mannſchaften, Offiziere und Militairbeamte, welche einem
und demſelben Dienſtherrn gegenüber zur Erfüllung der mili-
tairiſchen Dienſtpflichten verbunden ſind, alſo zu ihm in einem
militairiſchen Dienſtverhältniß ſtehen, bilden ein Kontingent; der
Kontingentsherr iſt demnach der militairiſche Dienſt-
herr. Die Mannſchaften und Offiziere ſeines Kontingents ſtehen
zu ihm im Dienſtverhältniß, ſind ihm gegenüber zur Erfüllung
der militairiſchen Dienſtpflichten, zur Treue und zum Gehorſam
verpflichtet, ſind ſeiner Dienſtgewalt unterworfen und andererſeits
ihm gegenüber zu den geſetzlich normirten oder vertragsmäßig ver-
einbarten Gegenleiſtungen berechtigt. Wenn demnach die R.V.
anerkennt, daß die Landesherren der einzelnen Bundesſtaaten die
Kontingentsherren ſind, ſo ſpricht ſie damit aus, daß dieſe Landes-
herren die Subjecte der militairiſchen Dienſtgewalt ſind, nicht der
Kaiſer. Dieſes Prinzip äußert ſich in folgenden Anwendungen:
[62]§. 81. Die Militairhoheitsrechte der Einzelſtaaten.
1. Die geſetzliche Wehrpflicht iſt eine Unterthanenpflicht
und als ſolche von den Angehörigen der einzelnen Staaten ihrem
Landesherrn zu leiſten. Für die thatſächliche Erfüllung der
Militairpflicht iſt dieſer Grundſatz zwar modifizirt, theils durch das
bereits erörterte Recht des Kaiſers zur Verfügung über die von
den Einzelſtaaten geſtellten Rekruten 1), theils durch die Vorſchrift,
daß die Geſtellung und Aushebung des einzelnen Wehrpflichtigen
im Bezirke ſeines dauernden Aufenthaltsortes erfolgt 2); es iſt
daher die Möglichkeit ſehr wohl gegeben, daß der Angehörige eines
Bundesſtaates ſeine Militairdienſtpflicht in dem Kontingent eines
andern Bundesſtaates ableiſtet. Deſſenungeachtet beſteht dieſe Pflicht
für jeden Deutſchen ſeinem Staat gegenüber; der Dienſt in einem
andern Kontingent des Reichsheeres iſt nur ein reichsgeſetzlich ge-
ſtatteter Modus der Leiſtung; durch Ableiſtung des Dienſtes in
einem andern Kontingent erfüllt man die Dienſtverpflichtung ſeinem
eigenen Staate gegenüber. Dieſes Prinzip kommt in zwei Conſe-
quenzen zur Geltung, die ſich nur aus dieſem Prinzip erklären
laſſen und die ihrerſeits die Richtigkeit deſſelben beſtätigen.
a) Wenn in dem Kontingent eines Staates Angehörige eines
andern Staates dienen, ſo empfängt der erſtere Leiſtungen, die
dem letzteren gebühren; er empfängt ſie deshalb gewiſſermaſſen
für Rechnung des letzteren und iſt verpflichtet, ſie ihm zu reſtituiren
d. h. ebenſoviele Angehörige ſeines Staates zum Dienſt in dem
Kontingent des andern Staates abzugeben, als Angehörige des
letzteren in ſeinem Kontigente dienen. Die Staaten mit ſelbſt-
ſtändiger Kontingentsverwaltung 3) halten demnach unter einander
Abrechuung über diejenigen Mannſchaften, welche in einem
andern Kontingente als in demjenigen des Staates, deſſen Ange-
hörige ſie ſind, ihrer Dienſtpflicht genügen und gleichen die ſich
hierbei ergebende Differenz dadurch aus, daß ſie von ihren eigenen
Angehörigen die entſprechende Anzahl von Rekruten an die anderen
Armeekorps abgeben. Es iſt dieſes, urſprünglich auf einem Ab-
kommen unter den Staaten beruhende Verfahren ausdrücklich in
dem Mililtairgeſetz §. 9 Abſ. 4 ſanctionirt worden 4). Unter den-
[63]§. 81. Die Militairhoheitsrechte der Einzelſtaaten.
jenigen Staaten, welche mit Preußen zu einer gemeinſamen Kon-
tingentsverwaltung verbunden ſind, findet eine ſolche Abrechnung
nicht ſtatt; unter dieſen Staaten beſteht vielmehr eine Art von
Rekrutengeſtellungs-Sozietät.
b) Den prägnanteſten Ausdruck findet der Grundſatz, daß die
geſetzliche Dienſtpflicht eine Pflicht gegen den einzelnen Staat iſt,
darin, daß jeder Wehrpflichtige den Fahneneid ſeinem
Landesherrn leiſtet. Ihm gelobt er Gehorſam und Treue.
In dieſen, dem Landesherrn zu leiſtenden Eid iſt
nach Art. 64 Abſ. 1 der R.V. die Verpflichtung aufzunehmen,
„den Befehlen des Kaiſers unbedingte Folge zu leiſten.“ Der
Gehorſam gegen den Kaiſer iſt ein Beſtandtheil der Treu- und
Dienſtverpflichtung gegen den Landesherrn. Dienſtpflicht und Ge-
horſamspflicht decken ſich demnach vollkommen nur für die Ange-
hörigen Preußens, weil der Kaiſer zugleich Landesherr iſt, und
andererſeits im Frieden für die Bayeriſchen Staatsangehörigen,
weil für die Bayeriſchen Truppen eine Gehorſamspflicht gegen den
Kaiſer im Frieden nicht beſteht 1).
[64]§. 81. Die Militairhoheitsrechte der Einzelſtaaten.
2. Da die geſetzliche Dienſtpflicht eine Unterthanenpflicht iſt,
ſo erſcheint ihr gegenüber die Kontingentsherrlichkeit als ein bloßer
Anwendungsfall der Landesherrlichkeit; denn der Landesherr als
ſolcher iſt, wenigſtens in der Regel, Dienſtherr. Dagegen erweiſt
ſich in Bezug auf die freiwillig übernommene Mili-
tairdienſtpflicht, welche nicht auf der Unterthanenqualität
beruht 1), die Kontingentsherrlichkeit ganz rein und unverhüllt als
Dienſtherrlichkeit. So wenig das Deutſche Reich eine eigene
Armee hat, ebenſowenig hat es eigene Offiziere und Militairbe-
amte (für das Heer). Dieſelben ſtehen vielmehr in einem Dienſt-
verhältniß nur zu demjenigen Landesherrn, von welchem ſie
angeſtellt worden ſind. Dieſer Grundſatz bildet die ausnahmsloſe
verfaſſungsmäßige Rechtsregel; die Reichsverf. hat ihn nicht ein-
geſchränkt, auch nicht durch die Anordnungen im Art. 64 Abſ. 2;
denn hier handelt es ſich nicht um die Eingehung eines Dienſt-
verhältniſſes, ſondern um die Uebertragung eines militairiſchen
Amtes (Kommando’s) an einen Offizier, der einem Deutſchen Kon-
tingent bereits angehört. Es iſt auch nicht erforderlich, daß der
letztere durch Uebernahme des vom Kaiſer verliehenen Amtes aus
dem Offiziercorps ſeines Kontingents ausſcheidet 2).
Dagegen iſt der verfaſſungsmäßige Rechtsſatz in ſeiner that-
ſächlichen Geltung dadurch beſchränkt, daß die Mehrzahl der Deutſchen
Staaten — mit alleiniger Ausnahme von Bayern, Sachſen, Würt-
temberg und Braunſchweig — die Rechte des Kontingentsherrn
durch Konvention dem Könige von Preußen zur Ausübung über-
1)
[65]§. 81. Die Militairhoheitsrechte der Einzelſtaaten.
tragen hat, ſo daß ihm allein die Ernennung, Beförderung, Ver-
abſchiedung der Offiziere und Militairbeamten zuſteht und dieſe in
einem direkten Dienſtverhältniß zu ihm ſich befinden 1). Er iſt als
Militairdienſtherr einerſeits zu unterſcheiden vom Landesherrn und
andererſeits vom Kriegsherrn (Kaiſer).
Die in der Kontingentsherrlichkeit enthaltene oder vielmehr
mit ihr identiſche Dienſtgewalt darf nun aber in keiner Beziehung
in Conflict kommen können mit dem Recht des Kaiſers zum Ober-
befehl und dem Grundprinzip der einheitlichen Organiſation aller
Kontingente und demgemäß iſt ſie in dreifacher Beziehung modi-
fizirt und beſchränkt.
a) Die Offiziere, Aerzte und Militairbeamten ſind ebenſo wie
die Mannſchaften verpflichtet, den Befehlen des Kaiſers unbedingte
Folge zu leiſten 2); falls der Kaiſer nicht zugleich der Dienſtherr
iſt, ſind ſie daher zum unbedingten militairiſchen Gehorſam gegen
einen Andern als ihren Dienſtherrn verpflichtet. Die Bundes-
fürſten ſind zwar befugt, Offiziere ꝛc. für ihre Kontingente zu er-
nennen, aber nur in der Art, daß die Offiziere nicht ihnen, ſondern
dem Kaiſer zum unbedingten militairiſchen Gehorſam verbunden
ſind 3). Der Kaiſer als oberſter Kriegsherr ſteht über den Kon-
tingentsherren, ſowie das ſouveraine Reich über den autonomen
Einzelſtaaten. Der Fahneneid wird daher auch Seitens der
Offiziere dem Kontingentsherrn geleiſtet und in dieſem Eide wird
dem Kontingentsherrn das Verſprechen gegeben, ihm treu
zu dienen und dem Kaiſer Gehorſam zu leiſten 4); in Bayern unter
Beſchränkung auf den Fall des Krieges. In Preußen und in allen
mit der Preuß. Armee verbundenen Kontingenten fällt dieſe Unter-
ſcheidung fort und die Offiziere, Aerzte und Militairbeamten leiſten
Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 5
[66]§. 81. Die Militairhoheitsrechte der Einzelſtaaten.
den Fahneneid reſp. Beamteneid dem Könige von Preußen als
Kontingentsherrn; in mehreren Konventionen iſt aber ausbedungen,
daß ſie ſich gleichzeitig verpflichten: „das Wohl und Beſte des be-
treffenden Landesherrn zu fördern, Schaden und Nachtheile
von Allerhöchſtdemſelben und Seinem Hauſe und Lande abzu-
wenden“ 1).
b) In der Dienſtgewalt iſt enthalten das Recht zur Verwen-
dung des Dienenden behufs Führung der amtlichen Geſchäfte,
d. h. zur Ertheilung eines Kommandos (militairiſchen Amtes).
Dieſe Befugniß ſteht demnach prinzipiell dem Kontingentsherrn in
Betreff ſeiner Offiziere und Militairbeamten innerhalb des Kon-
tingents zu. Ausgenommen ſind jedoch diejenigen Befehlshaber-
ſtellen, welche nach Art. 64 Abſ. 2 der R.V. vom Kaiſer zu be-
ſetzen ſind 2). Dieſe Ausnahme führt eine Conſequenz mit ſich,
welche in das Dienſtverhältniß der Offiziere eingreift. Nach Art. 64
Abſ. 3 der R.V. iſt nämlich „der Kaiſer berechtigt, behufs Ver-
ſetzung mit oder ohne Beförderung für die von ihm im Reichs-
dienſte, ſei es im Preußiſchen Heere oder in anderen Kontin-
genten zu beſetzenden Stellen aus den Offizieren aller Kontingente
des Reichsheeres zu wählen.“ Dieſe Anordnung der R.V. läßt
den Gegenſatz zwiſchen Kommando und Dienſtverhältniß ſehr deut-
lich hervortreten; denn ſie ermächtigt den Kaiſer, auch ſolchen
Offizieren ein militairiſches Reichsamt („eine Stelle im Reichs-
dienſte“) zu übertragen, welche in keinem perſönlichen Dienſtver-
hältniß zu ihm ſtehen, und folglich ſie aus dem Dienſt bei ihrem
Kontingentsherrn wider den Willen deſſelben in den Dienſt des
Reiches abzurufen. Hierin liegt zweifellos eine Anomalie; dieſelbe
iſt aber thatſächlich für faſt alle Kontingente beſeitigt. Für das
Preußiſche Heer und alle mit demſelben vereinigten
[67]§. 81. Die Militairhoheitsrechte der Einzelſtaaten.
Kontingente fällt ſie von ſelbſt fort wegen der Identität des
Dienſtherrn und des Kaiſers. Auf Bayern iſt die Anwendung des
Art. 64 Abſ. 3 verfaſſungsmäßig ausgeſchloſſen; vertragsmäßig
iſt dieſelbe zwar für einige Offiziersſtellen in Ulm in Geltung ge-
ſetzt worden, jedoch mit der Maßgabe, daß der Kaiſer dieſe Stellen
auf Vorſchlag der Bayeriſchen Regierung beſetzt und bei der
Ernennung zum Ausdruck bringt, daß dieſelbe entſprechend dem
Vorſchlage des Königs von Bayern erfolgt ſei 1). Württemberg
iſt die Zuſicherung ertheilt worden, daß der Kaiſer, wenn er für
eine von ihm zu beſetzende Stelle einen Offizier aus dem Württem-
bergiſchen Armeekorps wählen will, ſich mit dem König von Würt-
temberg vorher ins Vernehmen ſetzen werde 2). Mit Sachſen
iſt vereinbart worden, daß der Kaiſer von dem in Rede ſtehenden
Recht nur dann Gebrauch machen wolle, wenn mit der Verwendung
des Sächſiſchen Offiziers im Reichsdienſte eine Beförderung ver-
bunden iſt 3). Thatſächlich wird wol dieſe Schranke auch den
Offizieren des Braunſchweigiſchen Kontingents gegenüber
beobachtet, obwohl es hier an einer verpflichtenden Zuſage fehlt.
Im Zuſammenhange mit dem im Art. 64 Abſ. 3 der R.V.
dem Kaiſer eingeräumten Rechte ſteht die Aufſtellung jährlicher
Perſonal- und Qualifikationsberichte über die Offiziere des Würt-
tembergiſchen und des Sächſiſchen Armeekorps vom Stabsoffizier
aufwärts nach Preußiſchem Schema und die Einſendung dieſer
Berichte an den Kaiſer 4).
Keine Ausnahme von der Dienſtgewalt der Kontingentsherren,
ſondern eine Beſtätigung und Anerkennung derſelben iſt die Feſt-
ſetzung, daß zur Beförderung der Gleichmäßigkeit in der Ausbil-
dung und dem inneren Dienſt der Truppen nach gegenſeitiger
Verabredung einige Sächſiſche und Württembergiſche Offiziere
5*
[68]§. 81. Die Militairhoheitsrechte der Einzelſtaaten.
je auf ein bis zwei Jahre in die Preußiſche Armee und Preußiſche
Offiziere in das Sächſiſche und Württembergiſche Armeekorps kom-
mandirt werden 1).
Denjenigen Bundesfürſten, welche mit Preußen Militair-Kon-
ventionen abgeſchloſſen haben, iſt meiſtens 2) zugeſichert worden,
daß bei Verſetzungen und Anſtellungen von Offizieren und Militair-
beamten, die ihre Kontingente betreffen, ihre Wünſche, ſoweit
thunlich, Berückſichtigung finden ſollen 3). Es iſt dies ein Reſt
ihres verfaſſungsmäßigen Ernennungsrechts.
c) Obgleich formell das Dienſtverhältniß der Offiziere,
Aerzte und Beamten des Heeres (nicht der Marine) ein Rechts-
verhältniß zwiſchen dieſen und den Kontingentsherren iſt, ſo iſt
dasſelbe doch in allen weſentlichen Beziehungen materiell vom
Reich normirt 4). Dieſe einheitliche Regelung erſtreckt ſich auf die
Qualifikation und die Grundſätze über das Aufrücken in höhere
Stellen, auf die dienſtlichen Obliegenheiten und Befugniſſe, auf die
Disciplinar- und Rechtsvorſchriften, auf die Dienſtentlaſſung, auf
die perſönlichen Anſprüche auf Gehalt, Servis, Penſion u. ſ. w. 5).
Dem entſprechend ſind die pekuniären Anſprüche der Offiziere ꝛc.
formell Forderungen gegen den Fiskus des Staates, in deſſen
Dienſt ſie ſtehen, materiell aber erfolgt die Befriedigung derſelben
aus der Reichskaſſe.
3. Zu den Rechten des militairiſchen Dienſtherrn gehört nach
der hiſtoriſchen Entwicklung des Militairrechts die Gerichts-
herrlichkeit in Strafſachen; dieſelbe ſteht daher den Kon-
tingentsherren rückſichtlich ihrer Truppentheile zu 6). Die Aus-
[69]§. 81. Die Militairhoheitsrechte der Einzelſtaaten.
übung derſelben iſt durch die Militair-Konventionen dem Könige
von Preußen übertragen und nach Maßgabe der Militair-Straf-
prozeß-Ordnung zu handhaben 1).
4. Das äußere Merkmal des militairiſchen Dienſtverhältniſſes
iſt das Dienſtkleid, die ſogenannte Uniform, welches vom Dienſt-
herrn ertheilt reſp. vorgeſchrieben wird. Das Tragen der Uniform
iſt Dienſtpflicht. Für die Bekleidung der Offiziere und Mann-
ſchaften ſind zwar die Grundfarben und der Schnitt der Königl.
Preußiſchen Armee maßgebend; innerhalb dieſer Schranken aber
hat der Kontingentsherr die Uniform, insbeſondere die äußeren
Abzeichen (Kokarden ꝛc.) zu beſtimmen 2). Auch in denjenigen Kon-
tingenten, welche in den Verband der Preußiſchen Armee aufge-
nommen worden ſind, iſt den Landesherren ein Reſt dieſer äußeren
Bekundung ihrer Kontingentsherrlichkeit gelaſſen worden, indem
beſondere Beſtimmungen über die Helmdekoration, Kokarden, Schärpe,
Portepee, Epauletten, Achſelſtücke und Achſelklappen der betreffen-
den Truppentheile verabredet worden ſind 3). Durchweg iſt die
Regel anerkannt, daß die ihrer Dienſtpflicht genügenden Wehr-
pflichtigen neben der Kokarde des Truppentheils, in dem ſie dienen,
die Kokarde des Staates, dem ſie angehören, tragen 4).
II.Landesherrliche Ehrenrechte.
Den Bundesfürſten und Senaten ſind im Art. 66 Abſ. 1 der
[70]§. 81. Die Militairhoheitsrechte der Einzelſtaaten.
R.V. gewiſſe Rechte hinſichtlich „aller ihren Gebieten angehörenden
Truppentheile“ eingeräumt. Vorausſetzung dieſer Rechte iſt dem-
nach nicht die Zugehörigkeit der Truppen zum Kontingent d. h.
die Dienſtgewalt, ſondern die Zugehörigkeit zum Gebiet d. h. die
Landeshoheit. Dieſe Rechte kommen daher auch denjenigen Landes-
herren und Senaten zu, welche gar keine eigenen Kontingente haben,
und jeder Landesherr hat dieſe Rechte hinſichtlich derjenigen Trup-
pentheile, welche in ſeinem Gebiete dauernd oder vorübergehend
ſich befinden, wenngleich ſie einem fremden Kontingente angehören.
Die unter dieſe Kategorie gehörenden Rechte ſind durchweg Ehren-
rechte, die weder hinſichtlich des militairiſchen Befehls noch hin-
ſichtlich der Verwaltung der Truppen-Abtheilungen von erheblicher
praktiſcher Bedeutung ſind. Es ſind folgende:
1. Den Bundesfürſten und den Mitgliedern ihrer Familien
ſind diejenigen militairiſchen Ehrenbezeugungen zu erweiſen, welche
nach den beſtehenden Dienſtvorſchriften dem Landesherrn und ſeinen
Angehörigen zukommen 1).
2. Die Landesherren ſtehen in dem Verhältniß eines kom-
mandirenden Generals zu allen in ihren Gebieten garniſo-
nirenden oder vorübergehend dorthin kommandirten Truppen und
üben als ſolche neben den Ehrenrechten die entſprechende
Disciplinarſtrafgewalt aus 2); ſie ſind befugt, in dieſer
Beziehung ihre Befehle direkt an die betreffenden Abtheilungs-
Kommandeure zu erlaſſen 3). In demſelben Umfange ſteht ihnen
die Dispoſition über die Truppen zu Zwecken des inneren Dienſtes,
z. B. zur Stellung von Ehrenpoſten, Wachen u. dgl., zu und die
Truppen-Kommandeure haben in dieſer Beziehung ihren Anord-
nungen Folge zu leiſten 4).
[71]§. 81. Die Militairhoheitsrechte der Einzelſtaaten.
3. Die Bundesfürſten haben das Recht, Offiziere à la suite
zu ernennen, deren etwaige Beſoldung und dereinſtige Penſioni-
rung nicht aus Reichsmitteln erfolgt; ſie ſind ferner befugt zur
Auswahl (beziehentl. zum Wechſel) der Adjutanten, welche ihnen
oder den Prinzen ihres Hauſes zur Verfügung zu ſtellen ſind 1).
4. Die Hoheitszeichen des betreffenden Staates werden
in Wappen und Farben an den dem Militair eingeräumten Lokali-
täten und Garniſons-Einrichtungen beibehalten, ſoweit nicht Bundes-
zeichen und Farben an die Stelle treten 2).
III.Requiſitionsrecht.
Den Bundesfürſten und Senaten iſt verfaſſungsmäßig das
Recht gewährleiſtet, „zu polizeilichen Zwecken nicht blos ihre eigenen
Truppen zu verwenden, ſondern auch alle anderen Truppentheile
des Reichsheeres, welche in ihren Ländergebieten dislozirt ſind, zu
requiriren“ 3). Dieſes Recht iſt das nothwendige Correlat zu dem
kaiſerlichen Dislokationsrecht. Es findet Anwendung nicht nur bei
Störungen der öffentlichen Ruhe, wenn die Polizeibehörden den
Beiſtand des Militairs in Anſpruch nehmen, ſondern auch im
Intereſſe der Sicherheit in gewöhnlichen Zeitverhältniſſen, z. B. zur
Bewachung der Strafanſtalten 4). Ueber das Verhältniß dieſes
Rechtes zur Verhängung des Kriegszuſtandes ſiehe oben S. 47.
[72]§. 82. Die Feſtungen und Kriegshäfen.
Die Vorausſetzungen, unter denen das Militair zur Aufrecht-
haltung der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit einſchreiten
und von den Waffen Gebrauch machen darf, ſowie die übrigen
Fälle, in denen Waffengewalt Seitens des Militairs angewendet
werden darf, ſind normirt in der Preuß. Verordn. zur Aufrecht-
haltung der öffentlichen Ordnung ꝛc. vom 17. Aug. 1835 und in
dem Preuß. Geſ. vom 20. März 1837. Beide Geſetze ſind auch
in Württemberg durch Erlaß vom 27. Mai 1878 eingeführt
worden 1).
§. 82. Die Feſtungen und Kriegshäfen.
Die ſtaatsrechtlichen Regeln über Feſtungen und Kriegshäfen
im Bundesgebiete erhalten dadurch einen eigenthümlichen Charakter,
daß hier nicht blos die Grundſätze über die Militairverfaſſung,
ſondern auch diejenigen über die Gebietshoheit in Betracht kommen
und daß dadurch das Rechtsverhältniß zwiſchen dem Reich und den
Einzelſtaaten beſtimmt wird. Die in der Reichsverfaſſung enthal-
tenen Vorſchriften ſind ſehr unvollſtändig und bedürfen in ver-
ſchiedenen Richtungen der Ergänzung.
1. Den Ausgangspunkt bildet der Satz, daß den Einzelſtaaten
an den Feſtungen und Kriegshäfen die Gebietshoheit in dem Um-
fange zukommt, welcher oben Bd. I §. 20 ff. dargelegt worden
iſt. Alle in der Landeshoheit begründeten Rechte ſtehen ihnen ſo-
weit zu, als ſie nicht durch Reichsgeſetze entzogen oder beſchränkt
ſind, insbeſondere Gerichtsbarkeit, Polizeigewalt und Beſteuerungs-
recht. Eine direkte Anerkennung hat dies, wenn auch nicht in der
R.V. ſelbſt, ſo doch in der gleichzeitig mit ihr abgefaßten Militair-
Konvention mit Sachſen Art. 8 erhalten, woſelbſt es heißt:
„Die territorialen Souveränetätsrechte ſollen durch
dieſe Beſtimmung ebenſowenig wie die ferner geltenden Privatbeſitz-
verhältniſſe eine Aenderung erleiden.“
Die Feſtungen und Kriegshäfen ſind demnach integrirende
Beſtandtheile der Gebiete der Einzelſtaaten, und das Reich iſt nicht
befugt, dieſelben der Landeshoheit der Einzelſtaaten zu entziehen.
[73]§. 82. Die Feſtungen und Kriegshäfen.
Weder die bereits vorhandenen noch die neu anzulegenden Feſtungen
und Kriegshäfen ſind reichsunmittelbare Gebiete 1).
Das Reich iſt aber berechtigt, innerhalb des Bundesgebietes
Feſtungen anzulegen, und zwar ſteht die Ausübung dieſes Rechtes
dem Kaiſer zu 2), mit der aus den Grundſätzen des Finanzrechts
ſich ergebenden, ſelbſtverſtändlichen Beſchränkung, daß die dazu er-
forderlichen Geldmittel im Wege der Reichsgeſetzgebung bewilligt
werden müſſen 3). Dieſes Recht bezieht ſich nicht blos auf neu
anzulegende Feſtungen, ſondern ebenſo auf Erweiterungen und
Veränderungen, welche an bereits vorhandenen Feſtungen erforder-
lich werden 4).
Den Einzelſtaaten ſteht demnach weder ein Widerſpruch gegen
die Anlage oder Erweiterung von Feſtungen in ihrem Gebiete zu,
noch ſind dieſelben befugt dieſelbe zu erſchweren oder zu verhindern
durch baupolizeiliche, waſſerpolizeiliche oder dergleichen Anordnungen.
Ausgenommen von dieſem Grundſatz ſind Bayern und Würt-
temberg; zur Anlage neuer Befeſtigungen auf dem Gebiete dieſer
beiden Staaten iſt die Zuſtimmung der letzteren erforderlich. Auf
Bayern findet nach dem Vertrage vom 23. Nov. 1870 Art. 65 der
R.V. überhaupt keine Anwendung; es hat lediglich die Zuſage er-
theilt, daß es die Anlage von neuen Befeſtigungen auf Bayeriſchem
Gebiete im Intereſſe der geſammtdeutſchen Vertheidigung „im Wege
jeweiliger ſpezieller Vereinbarung“ zugeſtehen werde.
Württemberg gegenüber iſt in der Militair-Konvent. Art. 7
zwar das Recht des Kaiſers, neue Befeſtigungen innerhalb des
Königreichs anzulegen, prinzipiell feſtgehalten, aber hinſichtlich der
Ausübung deſſelben iſt verabredet worden, daß ſich der Kaiſer
[74]§. 82. Die Feſtungen und Kriegshäfen.
„eintretenden Falls mit dem König von Württemberg vorher in
Vernehmen ſetzen werde“ 1).
2. Soweit nun das Recht des Reiches zur Anlage neuer oder
zur Erweiterung und Verſtärkung bereits vorhandener Feſtungen
reicht, ſtehen demſelben auch die dazu nothwendigen Mittel zu Ge-
bote, insbeſondere das Recht der Expropriation2) und das
Recht der Rayonbeſchränkungen3). Ueberdies aber muß als
ſelbſtverſtändliche Folge dieſes Rechtes erachtet werden, daß den
Einzelſtaaten jede Ausübung der Landeshoheit unterſagt iſt, welche
die Vertheidigungsfähigkeit der Feſtungen mittelbar oder unmittel-
bar beeinträchtigen könnte, insbeſondere Veränderungen der Waſſer-
läufe oder die Anlage von Eiſenbahnen, Kanälen u. dgl. in der
Nähe der Feſtungen, wenngleich außerhalb der Rayongränzen.
Aus demſelben Grunde iſt es als ſelbſtverſtändlich zu erachten,
daß die Einzelſtaaten nicht befugt ſind, ihrerſeits Feſtungen anzu-
legen, ſelbſt wenn ſie die Koſten aus eigenen Mitteln beſtreiten
wollten, da alle Feſtungen ein einheitliches Vertheidigungsſyſtem
bilden. Das Vorhandenſein einer Feſtung kann in großem Maße
die Fürſorge für Handel und Verkehr u. dgl. hindern oder er-
ſchweren. Andererſeits iſt dem Reiche geſetzlich die Pflicht aufer-
legt, daß wofern ſich in den Reichsfeſtungen die für den öffentlichen
Verkehr beſtimmten Thore und Thorbrücken im Laufe der Zeit als
unzulänglich für dieſen Verkehr erweiſen, auf Antrag der Gemein-
den dieſe Thore und Thorbrücken, ſoweit ein fortifikatoriſches
Intereſſe nicht entgegenſteht, auf Koſten des Reiches erweitert
werden. Die Entſcheidung hierüber wird in letzter Inſtanz durch
die vereinigten Ausſchüſſe des Bundesrathes für Handel und Ver-
kehr und für das Landheer und die Feſtungen getroffen 4). Dieſe
Beſtimmung findet auf die Bayeriſchen Feſtungen keine Anwendung,
denn dieſelben ſind nicht „Reichsfeſtungen“, ſondern „Landesfeſt-
ungen“ 5).
[75]§. 82. Die Feſtungen und Kriegshäfen.
3. Die militairiſche Verfügung über die Feſtungen
und Kriegshäfen ſteht dem Kaiſer zu. Es ergiebt ſich dies ſchon
aus dem allgemeinen Grundſatz, daß alle Truppen, alſo auch die
Beſatzungstruppen, ſeinen Befehlen unbedingte Folge zu leiſten
haben. Das ihm zuſtehende Dislokationsrecht ermächtigt ihn, die
zur Beſatzung zu verwendenden Truppentheile aus allen Kontingen-
ten zu wählen 1) und der Art und Zahl nach zu beſtimmen. Ferner
erſtreckt ſich die ihm nach allgemeinen Verfaſſungsprinzipien obliegende
Beaufſichtigung (R.V. Art. 4 Ziff. 14), ſowie das ihm ſpeziell
eingeräumte Recht der Inſpektion und das Recht die Abſtellung
der vorgefundenen Mängel anzuordnen (R.V. Art. 63 Abſ. 3) nicht
nur auf die Truppen ſelbſt, ſondern auch auf die geſammte Aus-
rüſtung und alle militairiſchen Anſtalten, folglich auch auf die
Feſtungen, ihren baulichen Zuſtand, ihre Armirung, Verprovianti-
rung u. ſ. w. Wegen der Wichtigkeit der Feſtungen iſt zur Siche-
rung dieſer im militairiſchen Oberbefehl enthaltenen Befugniſſe dem
Kaiſer das Recht eingeräumt, alle Feſtungskommandanten
zu ernennen 2). Hierdurch iſt aber in Verbindung mit Art. 68 der
R.V. noch ein weiteres, ſehr eingreifendes Recht gegeben. Mit
der Bekanntmachung der Erklärung des Belagerungszuſtandes geht
nämlich die vollziehende Gewalt an den Feſtungskommandanten
über, und ebenſo die höhere Militairgerichtsbarkeit über ſämmtliche
zur Beſatzung gehörende Militairperſonen aller Kontingente 3).
Die vorſtehend aufgeführten Rechtsſätze haben für Bayern
keine Geltung; alle militairiſchen Oberbefehlshaber-Rechte des Kaiſers
5)
[76]§. 82. Die Feſtungen und Kriegshäfen.
ſind im Frieden auch rückſichtlich der Bayeriſchen Feſtungen ausge-
ſchloſſen 1) und es ſteht ihm nur ein Recht zur Inſpektion derſelben
in demjenigen Umfange zu, der oben S. 40 für die Inſpektion
des Bayeriſchen Kontingents feſtgeſtellt worden iſt. Die Erhaltung
der Feſtungen Ingolſtadt und Germersheim und der im Bayeriſchen
Gebiete auf Koſten des Reiches etwa künftig errichteten Feſtungen
in vollkommen vertheidigungsfähigem Stande iſt eine verfaſſungs-
mäßige Pflicht Bayerns, die es gemäß der ihm eingeräumten mili-
tairiſchen Sonderſtellung unabhängig und ſelbſtſtändig zu erfüllen
hat 2). Im Kriege dagegen, d. h. mit Anordnung der Kriegsbe-
reitſchaft (Mobiliſirung) des Bayeriſchen Kontingents erſtreckt ſich
der militairiſche Oberbefehl des Kaiſers auch auf die Bayeriſchen
Feſtungen. Das Preuß. Geſetz über den Belagerungszuſtand findet
in Bayern aber auch im Fall des Krieges keine Anwendung 3).
4. Alle im Bundesgebiet vorhandenen Feſtungswerke, mögen
dieſelben bei Gründung des Norddeutſchen Bundes beziehentl. des
Deutſchen Reiches ſchon vorhanden geweſen oder erſt ſpäter herge-
ſtellt worden ſein, nebſt allen dazu gehörenden Gebäuden, Grund-
ſtücken und Ausrüſtungsgegenſtänden ſind Eigenthum des
Deutſchen Reichs4). Dagegen iſt das geſammte in Bayern
befindliche Feſtungs-Material an unbeweglichen und beweg-
lichen Gegenſtänden Eigenthum des Königreichs Bayern, da die
Verwaltung der Bayeriſchen Feſtungen, ihre Ausrüſtung, Erhaltung
u. ſ. w. nicht aus Reichsmitteln erfolgt, ſondern Bayern dieſe
Koſten ausſchließlich und allein trägt 5). Auch für den Fall, daß
in Bayern auf gemeinſchaftliche Koſten neue Befeſtigungen ange-
legt werden ſollten, iſt verabredet worden, daß dieſelben bezüglich
ihres immobilen Materials in das ausſchließliche Eigenthum Bayerns
treten, während das bewegliche Material gemeinſames Eigenthum
der Staaten des Bundes, das heißt Miteigenthum des Reiches
und Bayerns, wird 6).
[77]§. 82. Die Feſtungen und Kriegshäfen.
Im Uebrigen findet der Verfaſſungsgrundſatz, daß die Koſten
und Laſten des Kriegsweſens von allen Bundesſtaaten gleichmäßig
zu tragen ſind, auch hinſichtlich der Feſtungen Anwendung und
zwar auch auf Bayern. Soweit dieſe Koſten aus dem regelmäßigen
Etat der Militair-Verwaltung zu beſtreiten ſind, nimmt Bayern
im Verhältniß der Kopfſtärke ſeines Kontingents, alſo im Ver-
hältniß ſeiner Bevölkerung daran Theil, da ſich der für das Baye-
riſche Kriegsweſen zu verwendende, in einer Summe auszuwerfende
Betrag darnach berechnet; und nur in der Verausgabung dieſer
Summe iſt Bayern ſelbſtſtändig. Aber auch an den Koſten für
die Herſtellung und Ausrüſtung neuer Befeſtigungsanlagen, mögen
dieſelben nun auf Bayeriſchem Staatsgebiete oder auf einem andern
Theile des Bundesgebietes errichtet werden, betheiligt ſich Bayern
in dem ſeiner Bevölkerungszahl entſprechenden Verhältniſſe 1). Dieſer
Grundſatz iſt auch in den Reichsgeſetzen vom 8. Juli 1872 (R.G.Bl.
S. 289) und vom 30. Mai 1873 (R.G.Bl. S. 123) thatſächlich
befolgt worden, ebenſo in den Anſätzen des Reichshaushalts-Etats 2).
5. Beſondere etwas complicirte Rechtsverhältniſſe beſtehen hin-
ſichtlich der Feſtung Ulm, welche theils auf bayeriſchem, theils
auf württembergiſchen Gebiet liegt, dabei aber für das Verthei-
digungsſyſtem Geſammtdeutſchlands von ſo hervorragender Bedeu-
tung iſt, daß die Bayeriſchen und Württembergiſchen Sonderrechte
hier nicht uneingeſchränkte Geltung finden können. Dieſe Verhält-
niſſe ſind geregelt in der Vereinbarung zwiſchen Preußen,
Bayern und Württemberg v. Ulm d. 16. Juni 1874,
zu welcher noch ein Separat-Protokoll vom gleichen Tage zwiſchen
Preußen und Bayern und ein Separat-Protok. zwiſchen Preußen
und Württemberg hinzugefügt iſt 3). Den Hauptgrundſatz enthält
der Art I, welcher die Feſtung Ulm beider Ufer für einen ein-
heitlichen Waffenplatz unter einheitlichem Kommando
6)
[78]Die Feſtungen und Kriegshäfen.
und einheitlicher Verwaltung durch Organe des Deutſchen
Reiches erklärt 1). Der Kaiſer ernennt den Gouverneur und den
Kommandanten nebſt dem dazu gehörigen Stabe 2); die Territorial-
ſtaaten ſtellen nach Maßgabe des Etats das übrige Perſonal.
Alle dieſe im Reichsdienſte verwendeten Offiziere, Aerzte und Be-
amten werden für den Kaiſer verpflichtet. Für die dienſtlichen
Verhältniſſe ſind die Preuß. Dienſtvorſchriften maßgebend; ebenſo
für das Verhältniß des Gouverneurs, Kommandanten u. ſ. w. zu
den Beſatzungstruppen 3). Die geſammten perſönlichen und
ſächlichen Ausgabepoſitionen, einſchließl. die feſten Dotirungen für
Artillerie und Fortifikation, finden in dem Preußiſchen Milit.-
Etat des Reichshaushalts-Etats Aufnahme in der Art, daß der
auf Rechnung des Bayeriſchen Etats fallende Antheil 4) in Abrech-
nung gebracht und in letzterem vorgetragen wird. Die Verwal-
tung der geſammten Etatsſumme führt das Preuß. Kriegsmi-
niſterium durch Vermittlung der Intendantur des XIV. Armee-
korps 5).
6. Ueber die Kriegshäfen enthält die Reichsgeſetzgebung keine
Beſtimmung als die im Art. 53 Abſ. 2 der R.V. enthaltene: „Der
Kieler Hafen und der Jadehafen ſind Reichskriegshäfen“. Durch
Kaiſerl. Kab. Ordre v. 15. Febr. 1873 6) iſt dieſen beiden Häfen
die Eigenſchaft von Feſtungen beigelegt und beſtimmt worden, daß
dieſelben in allen militairiſchen und territorialen Beziehungen mit
alleiniger Ausnahme der Erſatz- und Landwehr-Angelegenheiten von
der Kaiſerl. Admiralität reſſortiren.
[79]§. 83. Das ſtehende Heer.
Zweiter Abſchnitt.
Die Organiſation und Gliederung der bewaffneten Macht.
§. 83. Das ſtehende Heer.
I.Die Friedensformation.
Obgleich in der R.V. Art. 63 Abſ. 4 der Grundſatz aner-
kannt iſt, daß der Kaiſer den Präſenzſtand, die Gliederung und
die Eintheilung der Kontingente des Reichsheeres beſtimmt, ſo hat
doch das Militairgeſetz von 1874 eine Anzahl von organiſatoriſchen
Anordnungen getroffen, durch welche die Grundzüge der Friedens-
formation des Heeres mit formeller Geſetzeskraft feſtgeſtellt ſind,
und dadurch einerſeits das Gebiet, auf welchem die freie Entſchlie-
ßung des Kaiſers Spielraum hat, erheblich eingeſchränkt, anderer-
ſeits aber eine feſte Grundlage für die Aufſtellung des Militair-
Etats geſchaffen.
1. Die Organiſation des Deutſchen Heeres beruht auf dem
Kadre-Syſtem d. h. die im Kriege zur Verwendung kommende
Heeresmacht wird im Frieden nur zum Theil präſent gehalten.
Die Friedensformationen bilden den Rahmen, welcher erſt im
Kriege durch die eingezogenen Mannſchaften und Offiziere völlig
ausgefüllt wird; zugleich aber dienen ſie zur militairiſchen Aus-
bildung der Mannſchaften, ſie ſind gleichſam die militairiſchen
Schulen und die Zeit des Dienſtes im ſtehenden Heere iſt die mi-
litairiſche Lehrzeit. Das Wehrgeſetz v. 9. Nov. 1867 §. 4 erklärt
das ſtehende Heer und die Flotte für „die Bildungsſchulen der
ganzen Nation für den Krieg“ und giebt hierdurch ſowie durch die
Vorſchriften über die allgemeine Wehrpflicht dem Kadre-Syſtem ge-
ſetzliche Geltung.
2. Die Grundeinheit für die Formation und Gliederung der
ganzen Armee iſt das Bataillon für die Infanterie nebſt den
Jägern, für die Fußartillerie, die Pioniere und den Train, die
Schwadron (Eskadron) für die Kavallerie und die Batterie
für die Feldartillerie. Die Bataillone zerfallen in Kompagnien,
und zwar in der Regel in je 4, bei dem Train in je 2—3; allein
ſo wichtig dieſe Unterabtheilungen auch in Bezug auf die Ausbil-
dung der Mannſchaften und die Einrichtung des Dienſtes ſind, ſo
[80]§. 83. Das ſtehende Heer.
bleibt durch dieſelben doch der Grundſatz unberührt, daß das Ba-
taillon die letzte taktiſche Einheit der Infanterie iſt 1). Daher iſt
auch die Anzahl der Kompagnien geſetzlich nicht fixirt und die Ein-
theilung des Infanteriebataillons in 4 Kompagnien nur als die
regelmäßige Formation hingeſtellt, von welcher in Berückſichtigung
beſonderer Verhältniſſe Abweichungen ſtatthaft ſind 2). Anderer-
ſeits iſt bei der Feldartillerie nicht die Abtheilung, ſondern die
Batterie die letzte taktiſche Einheit und demgemäß die Anzahl der
Abtheilungen nicht im Geſetz feſtgeſtellt, ſondern nur angeordnet,
daß je 2 bis 4 Batterien eine Abtheilung bilden. Die hiernach
beſtehenden Grundformationen oder Kadres ſind im §. 2 des Mi-
litairgeſetzes der Zahl nach fixirt, und zwar
- für die Infanterie (nebſt den Jägern) 469 Bataillone
- für die Kavallerie 465 Eskadrons
- für die Feldartillerie 300 Batterien
- für die Fußartillerie 29 Bataillone
- für die Pioniertruppe 18 Bataillone
- für den Train 18 Bataillone 3).
Dieſe Kadres ſind dauernde Einrichtungen, die von der
Bewilligung im Haushalts-Etats des Reiches reſp. Bayerns un-
abhängig ſind und die durch den Ablauf der Friſt, für welche die
Friedenspräſenzſtärke des Heeres feſtgeſetzt iſt (ſiehe unten), nicht
betroffen werden. Ebenſowenig kann die Zahl dieſer Kadres durch
[81]§. 83. Das ſtehende Heer.
Kaiſerl. Verordnung erhöht werden; es iſt hierzu ein Reichsgeſetz
erforderlich.
Dagegen bleiben von dieſer geſetzlichen Feſtſtellung unberührt
die ſogenannten „beſonderen Formationen“; dazu gehören die Ei-
ſenbahntruppen, die Landwehr-Bezirks-Kommandos, die Garniſon-
Kompagnien in Bayern, das Lehrbataillon, die Unteroffizierſchulen,
Schießſchulen, die Kadettenkorps und andere Militair-Erziehungs-
und Bildungs-Anſtalten 1). In dem Militairgeſetz ſind dieſelben
nicht erwähnt und es iſt unterlaſſen, einen Vorbehalt rückſichtlich
derſelben zu machen. Aus den Motiven zum §. 2 des Militair-
geſetzes und aus den Verhandlungen des Reichstages ergibt ſich
aber, daß dieſe Formationen neben den im §§. 2 u. 3 des Mi-
litairgeſetzes erwähnten beſtehen und ſie ſind auch in den jährlichen
Etats-Geſetzen des Reiches anerkannt worden. Hinſichtlich dieſer
beſonderen Formationen beſteht das verfaſſungsmäßige Organiſa-
tionsrecht des Kaiſers ungeſchmälert fort und es findet ſeine
Schranke lediglich in dem Budgetrecht des Bundesrathes und des
Reichstages.
3. Die nächſt höhere Einheit iſt das Regiment; die For-
mation derſelben iſt dem Kaiſer (in Bayern dem Könige) über-
laſſen und es iſt nur angeordnet 2), daß „in der Regel“ ein Re-
giment gebildet wird
- bei der Infanterie aus 3 Bataillonen 3)
- bei der Kavallerie aus 5 Eskadrons
- bei der Artillerie aus 2 bis 3 Abtheilungen reſp. Bataillonen.
4. Zwei oder drei Regimenter (derſelben Waffengattung) wer-
den zu einer Brigade, zwei oder drei Brigaden der Infanterie
und Kavallerie zu einer Diviſion vereinigt 4). Weder die Zahl
noch die Zuſammenſetzung der Brigaden und Diviſionen iſt geſetz-
lich fixirt, alſo von der Anordnung des Kaiſers (reſp. des Königs
von Bayern) abhängig; jedoch enthalten die Anlagen zu den Mi-
Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 6
[82]§. 83. Das ſtehende Heer.
litair-Konventionen mit Sachſen, Württemberg und Heſſen beſtimmte
Vereinbarungen über die Formation der Kontingente.
5. Die höchſte Friedensformation iſt das Armeekorps;
daſſelbe bildet eine für die geſammte Organiſation und Verwal-
tung der Armee in allen Beziehungen wichtige Einheit und es iſt
deshalb im Militairgeſetz die Zahl und Vertheilung der Armee-
korps feſt beſtimmt. Ein Armeekorps beſteht aus 2 bis 3 Divi-
ſionen 1) mit den entſprechenden Artillerie-, Pionier- und Train-
Formationen. Die geſammte Heeresmacht des Deutſchen Reiches
beſteht aus achtzehn Armeekorps, von denen Bayern zwei, Sachſen
eines, Württemberg eines, Preußen gemeinſchaftlich mit den übrigen
Staaten und mit Elſaß-Lothringen vieŕzehn Armeekorps formiren 2).
Für mehrere Armeekorps, in der Regel für je 3 bis 4, be-
ſteht eine Armee-Inſpektion, die aber weder in taktiſcher noch
adminiſtrativer Hinſicht als eine Formation des Heeres zu bezeichnen
iſt. Gemäß der Kabin. Ordre v. 1. Nov. 1877 ſind der I. Ar-
mee-Inſpektion das 4. 5. 6., der II. das 1. 2. 9., der III. das
7. 8. 10. 12., der IV. das 3. 11. 13., der V. Armee-Inſpektion
das 14. und 15. Armeekorps unterſtellt.
6. Die im Vorſtehenden aufgeführten Kadre’s, welche zur
Aufnahme und Ausbildung der Mannſchaften dienen, erfordern
eine entſprechende Anzahl von Offizieren, Unteroffizieren, Aerzten
u. ſ. w. Das Militairgeſetz §. 4 hat deshalb im Anſchluß an die
Regelung der Formationen auch die für dieſelben erforderlichen
militairiſchen Amts- (Offiziers-) Stellen normirt, hiebei aber einen
ziemlich weiten Spielraum gelaſſen. Es ſind im Weſentlichen die
in der Preußiſchen Armee hergebrachten Einrichtungen und Be-
zeichnungen nur aufgezählt.
An der Spitze jeder Kompagnie, Eskadron und Batterie
ſteht „in der Regel“ ein Hauptmann oder Rittmeiſter, dem ein
[83]§. 83. Das ſtehende Heer.
Premierlieutenant, zwei oder drei Sekonde-Lieutenants 1) und die
„entſprechende“ Anzahl von Unteroffizieren unterſtellt ſind. Jedes
Bataillon und jede Artillerie-Abtheilung wird befehligt von
einem Stabsoffizier, jedes Regiment von einem älteren Stabs-
offizier (Oberſt, Oberſtlieutenant, Major). Zu den Regiments-
ſtäben gehört außerdem „in der Regel“ noch je ein zweiter Stabs-
offizier und zu den Stäben der Regimenter und Bataillone (reſp.
Abtheilungen) je ein Lieutenant als Adjutant, ſowie das „erfor-
derliche“ Perſonal an Aerzten, Zahlmeiſtern, Roßärzten, Büchſen-
machern und Sattlern.
Eine Brigade wird in der Regel durch einen Generalmajor,
eine Diviſion durch einen Generallieutenant, ein Armeekorps
durch einen kommandirenden General (General der Infanterie ꝛc.
oder Generallieutenant) befehligt. Den höheren Truppen-Kom-
mandos ſind die zur Befehlsführung „erforderlichen“ Stäbe bei-
gegeben.
Die bisher aufgeführten Offiziere entſprechen der Gliederung
der Truppenkörper; außer ihnen gehört noch zum Heere eine An-
zahl von Offizieren, welche das Geſetz als „Offiziere außer Reih
und Glied“ bezeichnet, nämlich General-, Flügel- und andere per-
ſönliche Adjutanten, Offiziere der Kriegsminiſterien, des General-
ſtabes, des Ingenieurkorps, des Militair- Erziehungs- und Bil-
dungsweſens. Hierzu kömmt endlich das geſammte Heeres-Ver-
waltungsperſonal.
Eine feſte Zahl der im Heere zu beſetzenden Offiziers- und
Beamtenſtellen iſt demnach nicht geſetzlich angeordnet; es iſt aber
andererſeits auch die Beſtimmung derſelben nicht dem Belieben des
Kaiſers anheimgeſtellt, ſondern es werden durch den Reichshaushalts-
Etat die für das Heer nothwendigen Stellen und die hieran erfor-
derlichen Aenderungen feſtgeſtellt 2). Indem das Militairgeſetz §. 4
Abſ. 5 dies ausdrücklich anerkennt, trifft es keine für das Heer-
weſen eigenthümliche Anordnung, ſondern es erkärt nur eine Regel
für anwendbar, welche für alle Verwaltungen Gültigkeit hat und
6*
[84]§. 83. Das ſtehende Heer.
deren Geltung für die Armee-Verwaltung ſelbſtverſtändlich iſt, es
ſei denn, daß dieſelbe davon beſonders ausgenommen wäre. Dem
Militairgeſetz-Entwurf iſt ein Verzeichniß ſämmtlicher im Reichs-
heer (mit Ausnahme Bayerns) erforderlichen Offiziere, Aerzte
und Beamten beigefügt und dem Reichstage vorgelegt worden 1).
Dieſem Verzeichniß kömmt irgend welche formale Geſetzeskraft nicht
zu und es iſt insbeſondere nicht zum Beſtandtheile des Militair-
geſetzes gemacht worden; allein es bildet die Grundlage für die
Anſätze des Militair-Etats im Reichshaushaltsgeſetze ſeit 1875 2).
Durch die erwähnte Anordnung im §. 4 des Mil.Geſ. iſt nur an-
erkannt, daß die allgemeinen Regeln des Budgetrechts durch Art. 62
und 63 der R.V. hinſichtlich des Heerweſens nicht modifizirt ſind.
Zu beachten iſt aber, daß ein Etatsgeſetz-Entwurf, welcher an den
beſtehenden Einrichtungen des Heerweſens Veränderungen hervor-
bringen würde, als vom Bundesrath abgelehnt gilt wenn
ſich die Stimme des Präſidiums gegen denſelben erklärt,
R.V. Art. 5 Abſ. 2, und es kann kein Zweifel darüber obwalten,
daß die einmal gültig errichteten und in den früheren Etatsgeſetzen
genehmigten Offizier- und Beamtenſtellen zu den „beſtehenden Ein-
richtungen“ des Heerweſens gehören.
II.Die Friedenspräſenzſtärke.
Die Kadres ſind gleichſam die Zellen, aus denen der Körper-
bau des Heeres gebildet iſt; es frägt ſich nun, wie dieſelben aus-
gefüllt werden, wie viele Wehrpflichtige in dieſelben eintreten. Erſt
dadurch verbindet ſich mit den Ausdrücken Bataillon, Eskadron
und Batterie ein feſtbeſtimmter und präziſer Sinn, daß man nicht
nur die zu dieſen Formationen erforderlichen Offiziere ꝛc., ſondern
auch die dazu gehörenden Mannſchaften angibt. Leider hat die
Reichsgeſetzgebung dies nicht gethan und deshalb auch die „feſte
geſetzliche Grundlage“ für die Heeresorganiſation nicht geſchaffen,
die von ſo vielen Seiten als durchaus nothwendig und wünſchens-
werth erklärt worden iſt. Wäre dies wirklich die ernſte Abſicht
geweſen, ſo hätte man nur nöthig gehabt, dem §. 2 des Militair-
[85]§. 83. Das ſtehende Heer.
Geſetzes einen Satz hinzuzufügen, welcher die Begriffe „Bataillon,
Eskadron und Batterie“ definirt, d. h. ihre normale Kopf-
ſtärke angiebt 1). Es hätte dies immerhin ſo gefaßt werden können,
daß Schwankungen im Einzelnen geſtattet blieben; da doch für jede
dieſer taktiſchen und adminiſtrativen Einheiten ein „Friedensver-
pflegungs-Etat“ beſteht, der nicht nur von dem Kaiſer reſp. der
oberen Militairbehörde genehmigt, ſondern auch von dem Reichs-
tage bei der Feſtſtellung des Militair-Etats des Reiches zu Grunde
gelegt wird, ſo hätte auch im Geſetz beſtimmt werden können, nach
welchen Normalſätzen dieſe Verpflegungs-Etats aufzuſtellen ſeien.
Dadurch hätten alle in den §§. 2 und 3 des Milit.-Geſetzes ent-
haltenen Anordnungen erſt einen concreten Inhalt und verſtänd-
lichen Sinn erhalten, während ſie jetzt nur eine militairiſche Nomen-
clatur geben, die praktiſch eine ſehr verſchiedene Bedeutung haben
kann 2).
[86]§. 83. Das ſtehende Heer.
Statt des correcten Weges, ein Geſetz ſo zu machen, daß es
einen deutlichen, feſten, gemeinverſtändlichen Sinn hat, d. h. im
vorliegenden Falle die im §. 2 aufgeſtellten Grundformationen
geſetzlich zu definiren, hat man einen Umweg eingeſchlagen, indem
man die Friedenspräſenzſtärke des geſammten Heeres in Einer
Hauptſumme feſtgeſetzt hat. Dieſe Methode ſchreibt ſich aus der
Zeit der Errichtung des Norddeutſchen Bundes, alſo vor der völligen
Durchführung der Heeresverfaſſung her. Die Nordd. Bundesver-
faſſung enthielt im Art. 60 den Satz:
„Die Friedens-Präſenzſtärke des Bundesheeres wird bis zum
31. Dezemb. 1871 auf Ein Prozent der Bevölkerung von 1867
normirt und wird pro rata derſelben von den einzelnen Bundes-
ſtaaten geſtellt. Für die ſpätere Zeit wird die Frie-
dens-Präſenzſtärke des Heeres im Wege der Bun-
desgeſetzgebung feſtgeſtellt.“
Die Reichsverfaſſung hat dieſen Artikel wörtlich beibehalten;
nur iſt ſtatt „Bundesheeres“ „Deutſchen Heeres“ und ſtatt „Bundes-
geſetzgebung“ „Reichsgeſetzgebung“ geſetzt worden. Das Reichs-
geſetz vom 9. Dezemb. 1871 (R.G.Bl. S. 411) behielt das
im Art. 60 ſanctionirte Prinzip bei und prolongirte die Geltung
deſſelben für 3 Jahre; veränderte die Faſſung aber in der Art,
daß es die Friedenspräſenzſtärke nicht auf eine Quote der Be-
völkerung, ſondern auf eine beſtimmte, dieſer Quote genau ent-
ſprechende, Zahl fixirte. Es verordnet im §. 1:
„Für die Jahre 1872, 1873 und 1874 wird die Friedens-
präſenzſtärke des deutſchen Heeres auf 401,659 Mann … feſt-
geſtellt.“
Dieſem Vorgange folgte das Reichs-Militairgeſetz.
Es lautet §. 1 deſſelben:
„Die Friedenspräſenzſtärke des Heeres an Unteroffizieren und
2)
[87]§. 83. Das ſtehende Heer.
Mannſchaften beträgt für die Zeit vom 1. Januar 1875 bis zum
31. Dezember 1881 401,659 Mann. Die Einjährig-Freiwilligen
kommen auf die Friedenspräſenzſtärke nicht in Anrechnung.“
Hiernach gelten folgende Rechtsregeln:
1. Nur die Geſammtſtärke des ganzen Heeres ſteht feſt und
demgemäß die antheilsmäßige Stärke des Bayeriſchen Kontingents 1).
Dagegen iſt die Vertheilung dieſer Geſammtmaſſe auf die einzelnen
Formationen geſetzlich nicht normirt. Nicht einmal das Verhältniß
der Waffengattungen zu einander iſt beſtimmt 2) und noch viel
weniger beſteht eine geſetzliche Nöthigung, daß die einzelnen gleich-
namigen Kadres gleich ſtark ſein müſſen 3). In der geſetzlichen
Ziffer ſind auch die „beſonderen Formationen“ mit inbegriffen; da-
gegen treten zu ihr hinzu die Offiziere, Aerzte und ſämmtliche Mili-
tairbeamte aller Kategorien.
2. Die geſetzliche Ziffer der Friedenspräſenzſtärke hat nicht
die Bedeutung, daß das Deutſche Heer in dieſer Stärke wirklich
präſent gehalten werden müſſe; ſondern ſie bezeichnet nur das
Maximum der Effectivpräſenzſtärke. Zu keinem Zeitpunkt im
Jahre darf eine größere Zahl bei den Fahnen im activen Dienſt
gehalten werden, abgeſehen von der Einziehung der Reſerve- und
[88]§. 83. Das ſtehende Heer.
Landwehr-Mannſchaften zu Uebungen und etwaigen Verſtärkungen
aus Anlaß beſonderer Verhältniſſe, z. B. zum Zweck einer Gränz-
ſperre, oder behufs Aufſtellung eines Obſervationskorps oder dgl. 1).
Dagegen bleibt die Effektivſtärke hinter der geſetzlichen Präſenzziffer
theils aus zufälligen Gründen theils in Folge kaiſerlicher Anord-
nung zurück, insbeſondere wegen Beurlaubungen und wegen des
Zwiſchenraumes zwiſchen der Entlaſſung der Reſerven und Ein-
ſtellung der Rekruten, der durchſchnittlich mindeſtens vier Wochen,
bisweilen über 2 Monate beträgt 2).
3. Die wichtigſte praktiſche Bedeutung der geſetzlichen Präſenz-
ſtärke beſteht darin, daß ſie den Anſätzen des Militair-
Etats zu Grunde gelegt wird. Die einzelnen Truppen-
theile müſſen auf Grundlage des für ſie gegebenen Verpflegungs-
Etats wirthſchaften und Rechnung legen und die Veranſchlagungen
in den einzelnen Ausgabe-Titeln des Militair-Etats des Reiches
beruhen auf den in den Verpflegungs-Etats der Truppentheile
normirten Kopfſtärken.
Hierbei gilt der Grundſatz, „daß die Geſammtſumme der in
den Friedensverpflegungs-Etats aufgeführten Mannſchaften unver-
änderlich für das ganze Jahr 401,659 Mann beträgt“ 3);
alſo ohne Rückſicht auf die durchſchnittliche Effectivpräſenzſtärke 4).
Man kann die doppelte Bedeutung der geſetzlichen Präſenz-
ziffer durch den Satz ausdrücken: ſie iſt die Maximalziffer hin-
ſichtlich des Beſtandes an Mannſchaft, alſo für das Quantum an
perſönlicher Militairdienſtpflicht, das die Bevölkerung zu
[89]§. 83. Das ſtehende Heer.
leiſten hat; ſie iſt die Normalziffer hinſichtlich der Anſätze des
Militair-Etats, alſo für das Quantum an finanziellen
Leiſtungen, die das Volk für das Militairweſen zu machen hat 1).
Aus dieſer finanziellen Bedeutung erklärt ſich, daß in dieſe
Präſenzſtärke alle diejenigen Militairperſonen nicht eingerechnet wer-
den, welche den normalen Friedensverpflegungs-Etats nicht zur Laſt
fallen, ſondern welche entweder Nichts erhalten, wie die Einjährig-
Freiwilligen, oder deren Bezüge aus beſonderen Fonds beſtritten
werden, wie die zu Uebungen eingezogenen Reſerve- und Land-
wehrmannſchaften, die einberufenen Verſtärkungen aus beſonderen
politiſchen Veranlaſſungen u. ſ. w.
4. Die Friedens-Präſenzſtärke gilt nach dem gegenwärtigen
Zuſtande der Reichsgeſetzgebung nur bis zum Ablauf des Jahres
1881. Mit dieſem Zeitpunkt tritt die Vorſchrift des Art. 60 der
R.V. wieder ein: „Für die ſpätere Zeit wird die Friedens-Prä-
ſenzſtärke des Heeres im Wege der Reichsgetzgebung
feſtgeſtellt.“ Nach dem Wortlaut dieſer Beſtimmung und nach der
erörterten Bedeutung der geſetzlichen Ziffer kann es keinem be-
gründeten Zweifel unterliegen, daß die Feſtſtellung auch durch den
Reichshaushalts-Etat erfolgen kann. So wenig wünſchenswerth
es auch iſt, daß eine der weſentlichſten Grundlagen der Heeres-
verfaſſung und der Finanzwirthſchaft von einer Etatsperiode zur
andern in Frage geſtellt und zum Gegenſtande immer wiederkehren-
der Verhandlungen gemacht werde, ſo ſehr daher Zweckmäßigkeits-
Gründe dafür ſprechen, die Präſenzſtärke in einem beſonderen Ge-
ſetz dauernd oder für längere Zeit feſtzuſtellen, ſo beſteht doch
rechtlich keine Nöthigung hierzu. Denn Art. 60 verlangt nur
die Feſtſtellung „im Wege der Reichsgeſetzgebung“,
alſo die Beobachtung der für die Reichsgeſetzgebung vorgeſehenen
Form2); dieſe Form wird aber bei der Feſtſtellung des Reichs-
haushalts-Etats beobachtet 3) und es iſt demnach der Vorſchrift
[90]§. 83. Das ſtehende Heer.
des Art. 60 genügt, wenn im Etatsgeſetz eine beſtimmte Präſenz-
ſtärke dem Militair-Etat zu Grunde gelegt wird 1).
Es entſteht nun die zwiefache Frage, ob bei der Feſtſtellung der
Friedenspräſenzſtärke durch Geſetz Art. 5 Abſ. 2 der R.V. Anwen-
dung zu finden habe, und welche Rechtsfolgen eintreten, wenn ein neues
Geſetz über die fernere Präſenzſtärke nicht zu Stande kömmt. Dieſe
beiden Punkte darf man aber nicht durcheinander werfen; die Be-
jahung der Anwendbarkeit des Art. 5 Abſ. 2 darf nicht zu dem
Schluß verleiten, als ob damit indirekt eine Fortgeltung der
im Militair-Geſetz §. 1 feſtgeſtellten Präſenzziffer auf unbeſtimmte
Zeit behauptet werde 2).
Die Vorſchrift des Art. 5 Abſ. 2 greift nur Platz bei der
Abſtimmung innerhalb des Bundesrathes; hier aber giebt
die Stimme des Präſidiums bei Geſetzesvorſchlägen über das
Militairweſen den Ausſchlag, wenn ſie ſich für die Aufrechter-
haltung der beſtehenden Einrichtungen ausſpricht.
Die Reichsverfaſſung ſtellt dieſen Satz ganz unbedingt und ohne
Einſchränkungen und Unterſcheidungen auf; namentlich iſt es auch
nicht erforderlich, daß „die beſtehende Einrichtung“ überhaupt
auf einem Geſetz beruhe 3). Daß aber die durch die Verfaſſung
[91]§. 83. Das ſtehende Heer.
ſelbſt eingeführte, durch die Geſetze von 1871 und von 1874 pro-
longirte Friedenspräſenzſtärke und die durch dieſelbe bedingte Stärke
der Kadres eine beſtehende Einrichtung iſt, kann nicht in Ab-
rede geſtellt werden. Man kann höchſtens behaupten, daß ſie vom
1. Januar 1882 ab nicht mehr eine „geſetzlich beſtehende Ein-
richtung“ ſei, immerhin aber iſt ſie eine „beſtehende Einrichtung“
und der Bundesrath kann daher gegen den Widerſpruch Preußens
keinen Geſetzesvorſchlag beſchließen, der auf eine Abänderung dieſer
beſtehenden Einrichtung geht 1).
Dies findet aber gleichmäßig Anwendung ſowohl auf ein
Etatsgeſetz, welches eine andere Präſenzſtärke als die beſtehende
zur Grundlage der Militair-Ausgabe-Poſten nimmt, als auch auf
ein beſonderes, die Friedenspräſenzſtärke auf längere Zeit oder
auf unbeſtimmte Dauer feſtſetzendes Reichsgeſetz.
Sowie nun aber die Zuſtimmung des Kaiſers (Preußens) zu
jeder geſetzlichen Abänderung der bisher beſtehenden Präſenzſtärke
erforderlich iſt, ſo kann andererſeits die geſetzliche Grundlage
derſelben für die Zeit nach 1881 nur durch übereinſtimmende
Mehrheitsbeſchlüſſe des Bundesrathes und des
Reichstages geſchaffen, reſpective prolongirt werden. Denn
dieſe Rechtsgrundlage erliſchtipso jure mit dem 31. Dezemb.
1881; von einer Fortgeltung des §. 1 des Mil.-Geſ. nach
dieſem Termin, falls ein neues Geſetz über die Präſenzſtärke nicht
zu Stande kömmt, kann nicht die Rede ſein. Wortlaut und Ent-
ſtehungsgeſchichte des Art. 60 der R.V. und des §. 1 des Milit.-
Geſetzes ſtehen entgegen 2). In einem ſolchen Falle würde es eben
an jeder geſetzlichen Rechtsnorm über die Frie-
denspräſenzſtärke des Heeres fehlen. Allein deſſenunge-
achtet würden gewiſſe verfaſſungsmäßige Grundlagen der Heeres-
organiſation vorhanden ſein, welche nicht interimiſtiſch, ſondern
[92]§. 83. Das ſtehende Heer.
dauernd Geltung haben und welche deshalb mit dem im §. 1 des
Militairgeſetzes angegebenen Endtermin nicht mit erlöſchen. Dieſe
Grundlagen ſind folgende:
a) Die im Militairgeſetz §. 2 bis 4 angegebenen Kadres und
deren Formationen bleiben beſtehen 1).
b) Der Grundſatz der Reichsverfaſſung Art. 63
Abſ. 4: „Der Kaiſer beſtimmt den Präſenzſtand …
der Kontingente des Reichsheeres“ gilt fort. Die
Behauptung, daß dieſe Anordnung durch das Militairgeſetz §. 1
aufgehoben ſei, iſt eine ganz grundloſe. Dieſe Beſtimmung
ſteht in der R.V. neben dem Art. 60, kann alſo mit ihr nicht
im Widerſpruch ſich befinden; das Geſetz vom 9. Dezember 1871
und das Milit.-Geſetz §. 1 haben den im Art. 60 enthaltenen Satz
prolongirt, haben ſich alſo ebenfalls nicht an Stelle der Regel des
Art. 63 Abſ. 4, ſondern neben dieſe Regel geſetzt. Sie enthalten
allerdings eine Einſchränkung derſelben, indem der Kaiſer die für
jedes Jahr in das Heer einzuſtellenden Rekruten „nach Maßgabe
des Geſetzes“ zu beſtimmen hat 2); ſobald aber die Geltung des
Militairgeſetzes erliſcht, hört eben nur dieſe Einſchränkung
auf, aber nicht die im Art. 63 Abſ. 4 der R.V. ſanctionirte
dauernde Regel.
c) Die allgemeine Wehrpflicht dauert in dem Umfange,
den die [Reichsverfaſſung], das Wehrgeſetz und das Militairgeſetz
normirt haben, fort; die Reichsangehörigen können alſo nach Vor-
ſchrift dieſes Geſetzes zum Dienſt herangezogen werden ohne Rück-
ſicht darauf, ob eine Präſenzſtärke des Heeres geſetzlich feſtgeſtellt
iſt oder nicht.
d) Der im Art. 62 Abſ. 2 der R.V. enthaltene Grundſatz hat
dauernde Geltung. Er lautet: „Nach dem 31. Dezember 1871
müſſen dieſe Beiträge von den einzelnen Staaten des Bundes zur
Reichskaſſe fortgezahlt werden. Zur Berechnung derſelben wird
die im Art. 60 interimiſtiſch feſtgeſtellte Friedens-Präſenzſtärke ſo
lange feſtgehalten, bis ſie durch ein Reichsgeſetz abgeändert iſt.“
Die Behauptung, daß dieſe Beſtimmung ihre Geltung verloren
habe, ſeitdem an die Stelle des Pauſchquantums die jährliche Ver-
[93]§. 83. Das ſtehende Heer.
anſchlagung der Militairausgaben im Etatsgeſetz getreten 1), iſt
gänzlich unbegründet. Ihre Haltloſigkeit ergiebt ſich ſofort, wenn
man nur den folgenden Abſatz des Art. 62 hinzu lieſt: „Die
Verausgabung dieſer Summe für das geſammte Reichs-
heer und deſſen Einrichtungen wird durch das Etatsgeſetz
feſtgeſtellt.“ Die Verpflichtung zur Zahlung der „Beiträge“ ſteht
demnach nicht in Zuſammenhang mit dem Pauſchquantum; das
letztere iſt als eine vorübergehende Modifikation des Budgetrechts
im Art. 71 Abſ. 2 aufgeführt; im Art. 62 dagegen ſteht das volle
und uneingeſchränkte, regelmäßige Budgetrecht unmittelbar neben
der Verpflichtung zur Zahlung der Militairbeiträge. Es iſt daher
ganz unerfindlich, wie dieſe Verpflichtung im Widerſpruch mit der
ordnungsmäßigen Feſtſtellung der Militairausgaben durch das
Etatsgeſetz ſtehen oder durch die Beendigung der Pauſchquantum-
Periode und das Eintreten der ordentlichen Ausgabe-Veranſchlagung
in Wegfall gekommen ſein ſoll. Abſ. 3 handelt von der Feſtſtellung
der Ausgaben für das Heer, Abſ. 2 betrifft die Sicherſtellung
der Einnahmen. Die Einnahme-Quellen können durchaus un-
abhängig ſein von der Ausgaben-Bewilligung. So gut die Er-
träge der Zölle und Verbrauchs-Abgaben, der Poſt und der Reichs-
eiſenbahn u. ſ. w. zur Reichskaſſe fließen, ohne alle Rückſicht, ob
und wie über ihre Verwendung Beſtimmung getroffen worden iſt,
ſo beſteht auch die Pflicht der Einzelſtaaten die im Art. 62 Abſ. 2
angegebenen Beiträge zur Reichskaſſe einzuzahlen, mag nun in
Form des Pauſchquantums oder in Form des regelmäßigen Etats-
geſetzes oder in beliebiger anderer Art die Verausgabung für das
Heer feſtgeſtellt werden. Freilich tritt dieſe Anordnung formell
nicht in Wirkſamkeit, wenn ein Etatsgeſetz zu Stande kommt; denn
in dieſem Falle finden die geſammten Militair-Ausgaben durch den
Etat ſelbſt und ſoweit erforderlich durch die Matrikularbeiträge
ihre Deckung. Aber wenn ein Etatsgeſetz nicht vereinbar iſt, der
Reichskanzler alſo die im Art. 70 der R.V. vorgeſehenen Matri-
kularbeiträge nicht erheben darf, dann treten die Militairbeiträge
des Art. 62 theilweiſe an die Stelle derſelben und das grade
iſt der Zweck dieſer Anordnung.
[94]§. 83. Das ſtehende Heer.
Der Art. 62 der R.V. iſt hervorgegangen aus einem Amende-
ment der Abgeordneten Herzog v. Ujeſt und v. Bennigſen,
welches der Reichstag von 1867 erſt in der Schlußberathung des
Verfaſſungs-Entwurfes angenommen hat und das einen Ausgleich
zwiſchen den Anſprüchen der Regierung und denen der Reichstags-
mehrheit darſtellte. Die Regierung forderte, daß die Friedens-
präſenzſtärke dauernd feſtgeſtellt werde 1), und acceptirte eine in-
terimiſtiſche Feſtſtellung derſelben nur unter der Bedingung, daß
wenigſtens die Einnahmen der Bundeskaſſe, die zur Beſtreitung
des für das Heer erforderlichen Aufwandes unerläßlich ſind, dauernd
ſichergeſtellt werden 2). Es wurde dadurch im Weſentlichen für den
Nordd. Bund dieſelbe Grundlage gewahrt, die im Preußiſchen
Staatsrecht anerkannt iſt, indem nach dem Art. 109 der Preuß.
Verf.Urk. die Forterhebung der beſtehenden Steuern und Abgaben
von der jährlichen Etatsfeſtſetzung unabhängig iſt. Die Preuß.
Regierung war nicht Willens, dieſe verfaſſungsmäßig vorhandene
Grundlage aufzuopfern und den Fortbeſtand der Preuß. Armee
vom Jahre 1872 ab dem willkührlichen Gutbefinden einer Reichs-
tagsmajorität anheimzugeben, und der Reichstag beſtand nicht auf
einem ſolchen Verlangen, ſondern begnügte ſich mit der vollen
Wahrung des Ausgabebewilligungsrechts unter Einſchiebung einer
kurzen Pauſchquantum-Periode und dem Vorbehalte einer ſpäteren
Vereinbarung über die dauernde Präſenzſtärke 3).
Die Berechnung der von den Einzelſtaaten an die Reichs-
kaſſe zu zahlenden Beiträge erfolgt nach der im Art. 60 interimiſtiſch
feſtgeſtellten Friedens-Präſenzſtärke, bis ſie durch ein Reichsgeſetz
[95]§. 83. Das ſtehende Heer.
abgeändert iſt; tritt ein ſolcher Fall ein, ſo wird alsdann die in
dem Reichsgeſetz — ſei es nun wiederum interimiſtiſch oder ſei es
für immer d. h. für unbeſtimmte Zeit — feſtgeſetzte Friedens-
Präſenzſtärke der Berechnung zu Grunde gelegt 1).
e) Der letzte Abſatz des Art. 62, wonach bei der Feſtſtellung
des Militair-Ausgabe-Etats die auf Grundlage dieſer Verfaſſung
geſetzlich feſtſtehende Organiſation des Reichsheeres zu
Grunde gelegt werden ſoll, würde unanwendbar werden. Denn
wenn die Friedenspräſenzſtärke geſetzlich nicht beſtimmt iſt, fehlt es
an einer geſetzlichen Grundlage für die Veranſchlagung der Mili-
tair-Ausgaben. Gelingt es nicht, zwiſchen dem Reichstage und
der Reichsregierung hierüber eine Einigung zu erzielen, ſo wird
die Vorſchrift im Art. 62 Abſ. 3, daß die Verausgabung der von
den Einzelſtaaten gezahlten Beiträge durch das Etatsgeſetz feſtge-
ſtellt werden ſoll, unausführbar; alle für das geſammte Reichsheer
und deſſen Einrichtungen zu machenden Ausgaben würden alsdann
auf Verantwortlichkeit des Reichskanzlers erfolgen und ſtaatsrecht-
lich wie außeretatsmäßige Ausgaben zu beurtheilen ſein 2).
III.Die Territorial-Eintheilung.
Das Bundesgebiet wird in militairiſcher Hinſicht in Bezirke
eingetheilt und zwar in ſiebzehn Armeekorps-Bezirke 3), welche wie-
der in Diviſions- und Brigadebezirke und in Landwehr-Bataillons-
und Landwehr-Kompagnie-Bezirke eingetheilt werden 4). Dieſe
Eintheilung hat in dreifacher Beziehung juriſtiſche Bedeutung.
1. Sie liegt der Organiſation der Landwehr zu
Grunde. Siehe den folgenden §. Da nun dieſe Organiſation
[96]§. 83. Das ſtehende Heer.
vom Kaiſer beſtimmt wird (Art. 63 der R.V.), ſo folgt daraus,
daß der Kaiſer auch die Militair-Territorial-Eintheilung zu be-
ſtimmen hat 1).
2. Sie bildet ferner die Grundlage für die Heeres-Er-
gänzung2); demgemäß lehnt ſich die Einrichtung der Erſatzbe-
hörden an die Eintheilung des Reichsgebietes in Militairbezirke an
und jeder Landwehr-Bataillons-Bezirk bildet entweder ungetheilt
einen Aushebungsbezirk oder er zerfällt in mehrere Aushebungs-
bezirke, für deren Abgränzung auf die entſprechenden Civil-Ver-
waltungsbezirke Rückſicht zu nehmen iſt 3). In denjenigen Staaten,
in welchen eine Kreiseintheilung beſteht, bildet in der Regel jeder
Kreis einen Aushebungsbezirk; größere Kreiſe können zwar in
mehrere Aushebungsbezirke getheilt werden, dies iſt aber nicht zu-
läſſig hinſichtlich der Städte, welche einen eigenen Kreis bilden 4).
3. Die kommandirenden Generale ſind die Militair-Be-
fehlshaber in den Armeekorps-Bezirken 5). Ihrem Befehle ſind
daher auch die, zum Verbande eines andern Armeekorps gehören-
den Truppentheile unterſtellt, wenn dieſelben in dem Armeekorps-
Bezirk ihren Garniſonsort erhalten und ſie ſind befugt, gegen die
Civilbehörden aller zu ihrem Armeekorps-Bezirk gehörenden Staaten
alle diejenigen amtlichen Rechte zur Geltung zu bringen, welche im
Militairbefehl enthalten ſind 6).
IV.Die Kriegsformation des Heeres.
Dieſelbe wird vom Kaiſer beſtimmt 7). Geſetzliche Vorſchriften
darüber ſind nicht erlaſſen; die vom Kaiſer ergangenen Anordnungen
[97]§. 83. Das ſtehende Heer.
ſind in dem „Mobilmachungs-Plan“ enthalten 1). Die weſentlichſten
Unterſchiede der Kriegsformation des ſtehenden Heers von der Frie-
densformation beſtehen in der größeren Kopfſtärke (Kriegsſtärke) der
Kadres, in der Formirung von Erſatz-Truppenkörpern bei den Regi-
mentern ꝛc. behufs Ausbildung von Rekruten und behufs Nachſen-
dung ausgebildeter Rekruten zum Erſatz für die Abgänge bei den im
Felde ſtehenden Truppen, ſodann in der Bildung gewiſſer, im Frieden
entbehrlicher Formationen, insbeſondere Feldeiſenbahn- und Feld-
telegraphie-Abtheilungen, Feldpoſt, Munitionsdepots, Etappenkom-
mando’s, Lazarethe, Feld-Proviantämter u. ſ. w., und endlich in
der Einſetzung von ſtellvertretenden Kommando- und Militairver-
waltungs-Behörden 2). Im Allgemeinen bleiben die taktiſchen Ver-
bände der Friedensorganiſation auch im mobilen Zuſtande erhalten,
insbeſondere die Eintheilung in Brigaden, Diviſionen und Armee-
Korps. Jeder Infanterie-Diviſion wird aber ein Kavallerie-Regi-
ment und eine Artillerie-Abtheilung zugetheilt; während die übrigen
Kavallerie-Regimenter unter Beigabe von einer oder mehreren rei-
tenden Batterien in Diviſionen oder ſelbſtſtändigen Brigaden formirt
und den Armee-Korps (reſp. Armeen) überwieſen werden. Eigen-
thümlich der Kriegsformation iſt die Bildung einer, unter dem
unmittelbaren Befehle des kommandirenden Generals ſtehenden
„Korps-Artillerie“, welche aus denjenigen Theilen der Feldartillerie
zuſammengeſetzt wird, die nicht den Infanterie- und Kavallerie-
Diviſionen einverleibt werden. Das Heer zerfällt in den mobilen
und den nicht mobilen Theil; im mobilen Zuſtande befinden ſich
die Feldtruppen nebſt den zu ihnen gehörenden Kommando- und
Verwaltungsbehörden; dagegen ſind die Erſatztruppen und die Be-
ſatzungstruppen, ſowie die ſtellvertretenden Kommando- und Ver-
Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 7
[98]§. 84. Die Landwehr.
waltungsbehörden nicht mobil. Der mobile Zuſtand beginnt mit
dem Tage des Erlaſſes des Mobilmachungs-Befehls und hört mit
dem Tage des Eintritts der Demobilmachung auf. Die in Folge
der Kriegsformation eintretenden Stellenverleihungen1) und
die mit ihnen verbundenen Rechte gelten nur für die Dauer des
Kriegszuſtandes 2).
§. 84. Die Landwehr.
I. Mit dem Kadreſyſtem hängt die Inſtitution der Landwehr
enge zuſammen. Die in den Kadres des ſtehenden Heeres ausge-
bildeten Mannſchaften bilden einen Vorrath, aus welchem im Falle
eines Krieges die nothwendige Verſtärkung der Streitkräfte ent-
nommen wird. Dies kann aber in doppelter Weiſe geſchehen;
entweder durch Erhöhung des Präſenzſtandes der dem ſtehenden
Heere angehörenden Kadres oder durch Formirung neuer Truppen-
körper, die im Frieden nicht vorhanden ſind, ſondern deren Bil-
dung nur vorbereitet iſt. Beide Arten der Verwendung haben in
der Deutſchen Heeresverfaſſung Platz gefunden. Die jüngeren
Jahrgänge der ausgebildeten und von den Fahnen bereits ent-
laſſenen Mannſchaften werden im Falle der Kriegsbereitſchaft oder
Mobilmachung in die Kadres des ſtehenden Heeres eingeſtellt und
zur Erhöhung derſelben bis zur Kriegsſtärke verwendet; ſie werden
als die „Reſerve“ bezeichnet 3). Die Verpflichtung zum Dienſt
im ſtehenden Heere umfaßt auch das Reſerveverhältniß mit; be-
ſondere „Reſerve-Kadre’s“ giebt es nicht 4). Dagegen die älteren
Jahrgänge der ausgebildeten wehrpflichtigen Mannſchaften werden,
falls ihre Einberufung erfolgt, in der Regel in beſondere Trup-
penkörper eingeſtellt 5). Dieſe älteren Jahrgänge heißen die „Land-
[99]§. 84. Die Landwehr.
wehr“; die Verpflichtung zum Dienſt in derſelben dauert 5 Jahre
nach abgeleiſteter Dienſtpflicht im ſtehenden Heere 1).
Die Organiſation der Landwehr iſt nach Art. 63 Abſ. 4 der
R.V. vom Kaiſer zu beſtimmen; in Bayern vom König von
Bayern in Uebereinſtimmung mit den für das Bundesheer erlaſſenen
Anordnungen. Dieſe Regelung iſt ergangen für das Preußiſche
Heer und die unter Preuß. Verwaltung ſtehenden Kontingente durch
die Heerordnung vom 28. Septemb. 1875, deren zweiter Theil
als „Landwehrordnung“ bezeichnet iſt 2). Die Heerordnung iſt nach
Vorſchrift des Art. 63 Abſ. 5 der R.V. (ſiehe oben S. 22 fg.) auch
in Sachſen und Württemberg in Kraft getreten. Für das Baye-
riſche Heer iſt eine übereinſtimmende Heerordnung vom König von
Bayern am 20. Dezember 1875 erlaſſen worden 3).
Für die Organiſation der Landwehr giebt es aber gewiſſe
geſetzliche Grundlagen, welche für die Anordnungen des Kaiſers
maßgebend ſind. Dieſelben beſtehen in folgenden zwei Sätzen:
1. Für die Landwehr-Infanterie gilt die Regel unbedingt,
daß ſie in beſonderen Truppenkörpern formirt und zur
Vertheidigung des Vaterlandes als Reſerve für das ſtehende Heer
verwandt wird 4). Für die Mannſchaften der Landwehr-Kaval-
lerie iſt zwar prinzipiell derſelbe Grundſatz in Kraft, jedoch mit
der Einſchränkung, daß die Formirung in beſondere Truppenkörper
nach Maßgabe des Bedarfs erfolgt 5). Für die Landwehrmann-
ſchaften der übrigen Waffen iſt die Regel ausgeſchloſſen; ſie werden
bei eintretender Kriegsgefahr nach Maßgabe des Bedarfs zu den
Fahnen des ſtehenden Heeres einberufen. Hieraus ergiebt ſich,
daß nicht allen Kadres des ſtehenden Heeres auch Landwehr-Kadres
entſprechen und daß die regelmäßige Organiſation der Land-
wehr eine Organiſation der Landwehr-Infanterie iſt.
2. Die Militair-Territorial-Eintheilung iſt die Grundlage für
7*
[100]§. 84. Die Landwehr.
die Organiſation der Landwehr 1). Die Landwehr-Truppenkörper
müſſen daher beſtimmten Bezirken entſprechen, welche als Land-
wehr-Bataillons- und Landwehr-Kompagnie-Bezirke bezeichnet wer-
den. Da dieſe zugleich die Aushebungsbezirke beſtimmter Forma-
tionen des ſtehenden Heeres (Brigaden und Regimenter) ſind, ſo
ergiebt ſich hieraus eine große Congruenz zwiſchen der Organiſation
des ſtehenden Heeres und der Landwehr. Durch den Wohnſitz
des Wehrpflichtigen beſtimmt ſich zunächſt der Ort ſeiner Geſtellung,
ferner das Infanterie-Regiment, bei welchem er ſeine Dienſtpflicht
im ſtehenden Heer zu erfüllen hat, und endlich das Landwehr-
Bataillon, zu welchem er nach Beendigung dieſer Dienſtpflicht ge-
hört 2). Es iſt hierdurch einerſeits eine Beziehung der Truppen-
körper zu gewiſſen Landſchaften hergeſtellt, die auch in ihren Be-
zeichnungen Ausdruck gefunden hat, und andererſeits eine Verbin-
dung der Linien-Regimenter und Landwehr-Regimenter untereinan-
der geſichert, indem im Allgemeinen 3) ſämmtliche Mannſchaften
eines Landwehrbataillons bei einem und demſelben Linien-Regiment
ihre militairiſche Ausbildung erhalten haben.
II.Die Friedens-Organiſation der Landwehr-Behör-
den iſt durch die angegebenen Grundſätze beſtimmt; es gelten für
dieſelbe folgende Regeln.
1. Das ganze Bundesgebiet zerfällt in Landwehr-Batail-
lonsbezirke. Die Eintheilung iſt vom Kaiſer (reſp. dem Könige
von Bayern) zu beſtimmen; ſie iſt in der Anlage 1 zur Wehrord-
nung I. Theil (Erſatz-Ordnung) feſtgeſtellt 4). Jedem Infanterie-
Regiment entſprechen in der Regel zwei Landwehr-Bataillons-
[101]§. 84. Die Landwehr.
bezirke 1). Jedem dieſer Bezirke iſt ein Stabsoffizier als „Land-
wehr-Bezirkskommandeur“ vorgeſetzt, welchem zur Unter-
ſtützung in den Büreaugeſchäften ein „Bezirksadjutant“ beigegeben
iſt. Die letzteren ſind Lieutenants des aktiven Dienſtſtandes, die
auf 2—3 Jahre kommandirt werden; die Regelung dieſer Kom-
mando’s liegt den Generalkommando’s ob. Ausnahmsweiſe wird
einzelnen Bezirkskommando’s ein Militairarzt und ein Zahlmeiſter
zur ſtändigen Unterſtützung beigegeben. Das Unterperſonal der
Bezirkskommando’s beſteht aus einem „Bezirksfeldwebel“ für jeden
Landwehr-Kompagniebezirk, ferner Sergeanten, Unteroffizieren und
Gefreiten, und befindet ſich entweder im Stabsquartiere oder in
den Stationsorten der Kompagnie. Die Zutheilung dieſes Per-
ſonals erfolgt in der Regel durch den Brigade-Kommandeur 2).
Dieſe Perſonen ſind Militairperſonen des aktiven Dienſtſtandes und
das Unterperſonal iſt auf die geſetzliche Friedenspräſenzziffer des
ſtehenden Heeres mit einzurechnen 3).
Für die Landwehr-Kompagniebezirke können Landwehr-Kom-
pagnieführer aus der Zahl der Hauptleute oder älteren Lieutenants
der Provinzial-Landwehr-Infanterie ernannt werden 4); ſie dienen
innerhalb ihrer Kompagnie-Bezirke zur Unterſtützung der Bezirks-
kommandeure; jedenfalls halten ſie die Kontrolverſammlungen in
ihren Kompagniebezirken ab; inwieweit ſie außerdem zum Dienſt
in ihren Kompagniebezirken heranzuziehen ſind, beſtimmen die Be-
zirkskommandeure 5).
[102]§. 84. Die Landwehr.
2. Den Landwehr-Bezirkskommandeuren liegt die Kontrole der
Perſonen des Beurlaubtenſtandes, insbeſondere die Führung der
Liſten 1) und die Anordnung der Kontrolverſammlungen ob 2);
ferner die Vorbereitung aller zur Formirung der Landwehrbatail-
lone erforderlichen Maßregeln. Wenn Perſonen des Beurlaubten-
ſtandes zum aktiven Dienſt einberufen werden, ſo erhalten ſie die
Ordre von Seiten des Landwehrbezirkskommandos; dem letzteren
ſind daher alle Deſignationen für den Mobilmachungsfall und deren
Veränderungen mitzutheilen und es ſind von ihm, ſoweit dies
von den Generalkommandos vorgeſchrieben iſt, die Geſtellungsordres
bereits im Voraus auszufüllen. Die Einberufenen werden in der
Regel in den Stabsquartieren der Landwehrbataillone geſammelt
und in Transporte formirt, ſoweit nicht nach Anordnung der
Generalkommandos gewiſſe Kategorien direkt bei den Truppen-
theilen eingeſtellt werden 3).
3. Die Eintheilung in Landwehr-Bataillonsbezirke iſt eine
vollſtändige, alle Landwehrpflichtige umfaſſende. Auch die bei der
Garde, bei der Kavallerie und bei den andern ſpeziellen Waffen
ausgebildeten Mannſchaften gehören nach Beendigung ihrer Dienſt-
zeit im ſtehenden Heer zu dem Landwehr-Bataillonsbezirk ihres
dauernden Aufenthalts und ſtehen unter der Kontrole des Bezirks-
Kommandeurs. Deſſenungeachtet werden ſie im Falle der Einbe-
rufung zum aktiven Dienſt derjenigen Waffe zugetheilt, bei der ſie
ausgebildet worden ſind. Demgemäß werden für jede dieſer Kate-
gorien die Rangliſten und die Landwehr-Stammrollen beſonders
angelegt und fortgeführt 4).
[103]§. 85. Der Landſturm.
4. Die Landwehr-Bezirkskommandos ſtehen unter der Leitung
des Infanterie-Brigadekommandos; die letzteren ſind in allen An-
gelegenheiten der militairiſchen Kontrole den Generalkommandos
direkt unterſtellt, inſoweit nicht ausnahmsweiſe die Mitwirkung der
Diviſionskommandos beſonders vorgeſchrieben iſt. Nur im Großherz.
Heſſen tritt in dieſen Beziehungen an Stelle des Generalkommandos
das Diviſionskommando 1). Zu generellen Erlaſſen über die Ge-
ſchäftsführung der Landwehr-Bezirkskommandos ſind nur die Gene-
ralkommandos befugt 2).
III. Die Kriegs-Organiſation der Landwehr iſt vom
Kaiſer anzuordnen. Der Mobilmachungs-Plan enthält die erfor-
derlichen Beſtimmungen, ſoweit dieſelben nicht nach der Natur der
Sache im concreten Falle erſt getroffen werden müſſen. Von
Wichtigkeit iſt auch hier der Satz, daß beſondere Truppenkörper
nur für die Landwehr-Infanterie und nach Maßgabe des Bedarfs
für die Landwehr-Kavallerie, nicht für die übrigen Waffengattungen
formirt werden. Mit der Friedensorganiſation ſtimmt die Kriegs-
formation der Landwehr inſofern nicht überein, als aus den Ba-
taillonsbezirken nicht blos Provinzial-Infanterie-Regimenter, ſon-
dern auch die Garde-Landwehr-Regimenter, die Landwehr-Kavallerie-
Regimenter, Landwehr-Jäger-Bataillone, ſowie die Verſtärkungen
der Feld-Artillerie, Fußartillerie, Pioniere, Eiſenbahntruppen und
Trains u. ſ. w. entnommen werden.
§. 85. Der Landſturm.
Während das ſtehende Heer und die Landwehr unter dem
gemeinſamen Namen „das Heer“ zuſammengefaßt werden, bildet
der Landſturm einen Gegenſatz zum Heer. Er umfaßt diejenigen
Wehrpflichtigen vom vollendeten 17. bis zum vollendeten 42. Lebens-
jahre, welche weder dem Heere noch der Marine angehören 3).
4)
[104]§. 86. Die Militair-Verwaltung.
Dieſe Wehrpflichtigen bilden einen weiteren Reſerve-Vorrath an
Mannſchaften, der erſt dann in Anſpruch genommen werden ſoll,
wenn die Landwehr nicht ausreichend zur Landesvertheidigung er-
ſcheint. „Der Landſturm tritt nur auf Befehl des Bundesfeld-
herrn zuſammen, wenn ein feindlicher Einfall Theile des Bundes-
gebietes bedroht oder überzieht“ 1). Der Landſturm iſt aber kein
ungeregeltes Maſſenaufgebot, ſondern ein organiſirter Beſtandtheil
der bewaffneten Macht, der als ſolcher erkennbar gemacht und den
Militairgeſetzen und der Disciplinarordnung unterworfen iſt 2). Man
kann ihn als eine Landwehr zweiten Aufgebotes charakteriſiren.
An einer Friedens-Organiſation deſſelben fehlt es gänzlich; die
Kriegs-Organiſation wird vom Kaiſer beſtimmt 3). Die kaiſer-
liche Verordnung, durch welche das Aufgebot des Landſturmes er-
folgt, hat zugleich feſtzuſetzen, in welchem Umfang dies geſchieht 4).
Der Umfang kann theils in territorialer Beziehung theils mit
Rückſicht auf gewiſſe Jahrgänge beſchränkt ſein 5). Für die Kriegs-
organiſation des Landſturms giebt es keine geſetzliche Anord-
nung mit alleiniger Ausnahme der Vorſchrift, daß der Landſturm
„in der Regel in beſondere Abtheilungen formirt wird“ 6). In
Fällen außerordentlichen Bedarfs können die Mannſchaften des auf-
gebotenen Landſturms aber auch zur Ergänzung der Landwehr
verwendet werden 7) und hieraus folgt rückſichtlich derjenigen Waffen-
gattungen, für welche auch für die Landwehr die Formirung be-
ſonderer Truppenkörper unterbleibt, daß die Landſturmpflichtigen
ſogar auch in die Kadres des ſtehenden Heeres eingereiht werden
können.
§. 86. Die Militair-Verwaltung.
I. Es giebt keine Reichs-Armeeverwaltung, ſondern nur vier
Kontingents-Verwaltungen, welche formell von den Einzelſtaaten
geführt werden, materiell gemäß den in den §§. 77—82 entwickel-
[105]§. 86. Die Militair-Verwaltung.
ten Grundſätzen durch die Anordnungen des Reiches gebunden ſind.
Hinſichtlich der eigentlichen Reichsverwaltung bleiben nur folgende
Punkte zu erwähnen:
1. Dem Reiche ſteht nach Art. 4 der R.V. die Beaufſich-
tigung des Militairweſens aller Bundesſtaaten zu 1). Ueber
dieſe Funktion gelten die Bd. II §. 69, insbeſondere S. 232 ff.,
erörterten Rechtsſätze. Die Ausübung dieſer Thätigkeit liegt dem
Reichskanzler ob; für dieſelbe kann ein Spezial-Stellvertreter
nicht ernannt werden, da das Militairweſen nicht zu denjenigen
Amtszweigen gehört, welche ſich in der eigenen und unmittelbaren
Verwaltung des Reiches befinden 2).
2. Für die Herſtellung übereinſtimmender Verwaltungsnormen
und zur Ausgleichung hervorgetretener Verſchiedenheiten oder Mängel
beſteht beim Bundesrath der Ausſchuß für das Land-
heer und die Feſtungen, in welchem alle 4 Staaten mit
eigener Kontingentsverwaltung vertreten ſind 3). Dieſem Ausſchuß
liegt verfaſſungsmäßig 4) die Vermittelung der dienſtlichen Bezieh-
ungen zwiſchen der Preußiſchen Kontingentsverwaltung und den
übrigen Kontingentsverwaltungen ob 5).
3. Diejenigen Geſchäfte, welche ihrer Natur nach einheitlich
für die ganze deutſche Armee oder wenigſtens für die ganze Armee
mit Ausnahme des Bayeriſchen Kontingents erledigt werden müſſen,
werden von den betreffenden Centralſtellen der Preußiſchen Kontin-
gentsverwaltung, insbeſondere vom Preuß. Kriegsminiſterium und
dem Generalſtab der Armee, wahrgenommen. Eine Theilnahme
an den gemeinſchaftlichen Heereseinrichtungen, namentlich an den
höheren Militair-Bildungsanſtalten, Examinationskommiſſionen, den
militairwiſſenſchaftlichen und techniſchen Inſtituten u. ſ. w. hat
[106]§. 86. Die Militair-Verwaltung.
Preußen durch Militair-Konvent. nicht nur den in die Preußiſche
Verwaltung aufgenommenen Kontingenten, ſondern auch Sachſen
und Württemberg zugeſichert 1).
4. Die Verwaltungen der Einzelſtaaten, mit Ausnahme Bayerns,
unterliegen der Rechnungskontrole Seitens des Rechnungshofes des
Deutſchen Reiches. Siehe oben S. 58.
II. Innerhalb jeder der 4 Kontingentsverwaltungen iſt die
Centralbehörde „das Kriegsminiſterium.“
A. Das Preußiſche Kriegsminiſterium 2) beſteht zur Zeit
aus ſieben Abtheilungen oder Departements 3).
1. Die Central-Abtheilung; dieſelbe iſt das eigentliche
Bureau des Kriegsminiſters; ſie hat deshalb die Bearbeitung der-
jenigen Angelegenheiten, welche der perſönlichen Entſcheidung des
Kriegsminiſters unterliegen; ferner die Perſonalien der Mitglieder
und Beamten des Kriegsminiſteriums, ſowie der Intendanturen.
2. Das Allgemeine Kriegs-Departement. Dem-
ſelben liegen nach dem Publik. v. 18. Febr. 1809 „alle auf die
Verfaſſung der Armee und das Kommando Bezug habenden Ge-
ſchäfte“ ob. Es zerfällt in 5 (Unter-) Abtheilungen.
a) Die Armee-Abtheilung A4) umfaßt die Organiſations-For-
mations-Mobilmachungs-Landwehr-Angelegenheiten; die Rekruti-
rung, Uebungen, Dislokationen und die militair-politiſchen Ange-
legenheiten.
[107]§. 86. Die Militair-Verwaltung.
b) Die Armee-Abtheilung B bearbeitet das Militair-Erzieh-
ungs- und Bildungsweſen, die Angelegenheiten des Generalſtabes,
die milden Stiftungen, Begräbniß- und Kriegervereine, Militair-
Kirchenweſen, Militair-Juſtiz-Angelegenheiten, Steuerſachen, Marſch-
und Etappenſachen, ſtatiſtiſche und literariſche Angelegenheiten,
Militairmuſik u. a.
c) Die Abtheilung für die Artillerie-Angelegenheiten ſorgt für
die Ausrüſtung der Armee und befeſtigten Plätze mit Waffen,
Artillerie-Material und Munition, für die Aufbewahrung, Fabri-
kation, Reparatur dieſes Materials, ſie leitet die Verſuche über
Waffenwirkung, ſie inſpizirt die Gewehrfabriken ſowie die Fuß-
Artillerie-Brigaden in Bezug auf die Verwaltung der ihnen unter-
gebenen Artillerie-Depots.
d) Die techniſche Abtheilung für Artillerie-Angelegenheiten 1).
Von ihr reſſortiren die Artillerie-Werkſtätten, die Geſchütz-Gießerei
und das Feuerwerks-Laboratorium zu Spandau, die Pulverfabriken,
die Geſchoßfabrik bei Siegburg.
e) Die Abtheilung für die Ingenieur-Angelegenheiten bear-
beitet alle, die feſten Plätze des Landes in fortifikatoriſcher Be-
ziehung betreffenden Angelegenheiten, die Feſtungs-Bauſachen, die
Verwaltung der Feſtungs-Grundſtücke, die Angelegenheiten des
Pionier-Korps und des Pontontrains, die Anlage von Chauſſeen
und Eiſenbahnen, welche das Militair-Reſſort berühren.
3. Die Abtheilung für die perſönlichen Ange-
legenheiten. Ihr liegt ob die Bearbeitung der Offizier-
Perſonalien und aller den Offizier-Erſatz betreffenden Angelegen-
heiten. Von ihr reſſortirt „die Geheime Kriegskanzlei“ 2).
4. Das Militair-Oekonomie-Departement. Das
Publik. vom 18. Febr. 1809 beſtimmt: „Dieſem Departement ſind
alle, die Militair-Oekonomie angehenden Sachen als adminiſtriren-
der und ausübender Behörde unterworfen. Sie hat gleichfalls
[108]§. 86. Die Militair-Verwaltung.
ihren eigenen Chef und zerfällt in vier Diviſionen.“ Die Geſchäfts-
vertheilung unter die letzteren iſt neugeordnet worden durch die
Verordn. vom 27. Okt. 1868 und 11. Nov. 1872; ſie ergiebt ſich
im Allgemeinen aus der Bezeichnung der vier Abtheilungen, nämlich
- a) Abtheilung für das Etats- und Kaſſen-Weſen.
- b) Abth. f. die Natural-Verpflegungs-Angelegenheiten.
- c) Abth. f. die Bekleidungs-, Geldverpflegungs-, Reiſe- und
Vorſpann-Angelegenheiten. - d) Abth. f. das Servis-Weſen 1).
5. Das Departement für das Invaliden-Weſen.
Daſſelbe zerfällt in zwei Abtheilungen, deren Geſchäftskreiſe durch
Verf. vom 18. Dezemb. 1871, 30. Juni 1873 (A.V.Bl. S. 202)
und vom 11. Dezemb. 1873 (A.V.Bl. S. 273) abgegränzt wor-
den ſind.
6. Die Abtheilung für das Remonteweſen. Ihr liegt
die Bearbeitung der auf die Remontirung der Armee Bezug haben-
den Angelegenheiten, ſowie die Aufſicht über die Verwaltung der
Remonte-Depots ob; ihr ſind die Remonte-Ankaufs-Kommiſſionen
unterſtellt.
7. Die Militair-Medizinal-Abtheilung2). Ihr
ſind übertragen: die Wahrnehmung der Militair-Hygiene, die Sani-
tätspolizei und die Sanitätsſtatiſtik der Armee, die techniſche Super-
arbitrirung der Erſatz-Aushebungs- und Invaliden-Sachen, das
geſammte Friedens- Feld- und Belagerungs-Lazareth-Weſen, die
Angelegenheiten des Sanitätskorps, der militairärztlichen Bildungs-
anſtalten u. ſ. w., jedoch mit der Maßgabe, daß alle von dieſer
Abtheilung ausgehenden Anordnungen, welche die Verhältniſſe der
Truppen reſp. deren Oekonomie berühren, der Mitwirkung des
Allgem. Kriegs-Departements reſp. Militair-Oekonomie-Departe-
ments unterliegen 3).
[109]§. 86. Die Militair-Verwaltung.
8. Dem Kriegsminiſter ſind ferner unterſtellt:
a) Die Militair-Oberexaminations-Kommiſ-
ſion1); ihr liegt die Abhaltung ſämmtlicher Prüfungen zum Por-
tepeefähnrich und Offizier ob; ferner hält ſie die Eintritts-Prüfun-
gen der Schüler der Prima des Kadettenhauſes zu Berlin ab.
b) Das Direktorium des Potsdam’ſchen großen Militair-
Waiſenhauſes.
c) Die General-Militair-Kaſſe2); ſie reſſortirt von
dem Oekonomie-Departement; ſie verwaltet die reſervirten Fonds
und empfängt die Quartal- und Final-Extrakte der Korps-Zah-
lungsſtellen, nach welchen die General-Buchhalterei die Haupt-
Ueberſichten fertigt. Sie verwaltet zugleich die Militair-Wittwen-
Kaſſe und die Militair-Penſionskaſſe.
B. Das Sächſiſche Kriegsminiſterium beſteht aus
fünf „Abtheilungen“, welche in Wirklichkeit aber nur Dezernate
ſind, nämlich für Juſtiz-Angelegenheiten, für juriſtiſche Verwaltungs-
Angelegenheiten, für Commando-Angelegenheiten, für techniſche An-
gelegenheiten und die Intendantur. Außerdem ſind dem Kriegs-
miniſterium aggregirt der Commandeur des Kadettenkorps zu
Dresden und der Remonte-Inſpekteur.
C. Das Württembergiſche Kriegsminiſterium iſt
nach dem Jahre 1871 nach Preuß. Muſter reorganiſirt worden;
es beſteht aus 4 Abtheilungen, dem Centralbüreau mit der Kanzlei,
der Militair-Abtheilung, der Oekonomie-Abtheilung und der Juſtiz-
Abtheilung (Ober-Kriegs-Gericht) 3). Von demſelben reſſortiren die
Oberbau-Deputation, das Kriegs-Zahlamt, das Militair-Reviſions-
Gericht und der Ober-Rekrutirungsrath 4).
D. Das Bayeriſche Kriegsminiſterium iſt durch Kgl.
Erlaß vom 2. März 1876 organiſirt worden 5). Es beſteht aus
7 Abtheilungen unter je einem Chef, nämlich:
- 1. Central-Abtheilung. (Betrieb des formellen Dienſtes, innere
[110]§. 86. Die Militair-Verwaltung.
Verwaltung des Kriegsminiſteriums, Perſonal-Angelegen-
heiten der Sekretariats-Branche.) - 2. Abtheilung für perſönliche Angelegenheiten. Dieſe Ab-
theilung dient zugleich als ſpezielles Büreau des Miniſters
und bearbeitet diejenigen Angelegenheiten, deren definitive
Erledigung er ſich ſelbſt vorbehält. - 3. Abtheilung für allgemeine Armee-Angelegenheiten. (Organi-
ſation, Formation, Mobilmachung, allgemeine Dienſtver-
hältniſſe, Dislokationen, Angelegenheiten des Generalſtabs,
Bauſachen, Militair-Bildungs- und Erziehungsweſen, Er-
ſatz- und Landwehr-Angelegenheiten, allgemeine Disciplin,
Dienſtauszeichnungen, Polizei, Statiſtik u. ſ. w.) - 4. Militair-Oekonomie-Abtheilung. Dieſelbe zerfällt in vier
Sektionen mit beſonderen Vorſtänden aber unter einem ge-
meinſamen Abtheilungschef, für Etats- und Kaſſenweſen
(Geldverpflegung), für Naturalverpflegung, für Bekleidung,
Ausrüſtung und Bewaffnung, und für Servisweſen. - 5. Abtheilung für das Invaliden-Weſen.
- 6. Militair-Medizinal-Abtheilung, deren Vorſtand den Titel
„Generalſtabsarzt der Armee“ führt. - 7. Juſtitiar.
III. An der Spitze eines jeden Armeekorps ſteht das Ge-
neral-Kommando, welchem nicht blos die Handhabung des
militairiſchen Oberbefehls, ſondern auch die Leitung der Armeever-
waltung für das betreffende Korps (Armeekorps-Bezirk, Provinz)
übertragen iſt, und das in dieſer Beziehung dem Kriegsmi-
niſterium untergeordnet iſt. Die Generalkommando’s ſind oberſte
Provinzialbehörden, welche auf derſelben Linie wie die Oberprä-
ſidien ſtehen. Nach der Inſtruktion über die Geſchäfts-
führung bei den Truppen v. 12. Juli 1828 1) ſind die Ge-
ſchäfte bei den Generalkommando’s in vier Sectionen zu bearbeiten,
1. Generalſtab, 2. Adjudantur, 3. Auditoriat, 4. Intendantur und
General-Arzt. Das in der angef. Inſtruktion enthaltene „Tableau“
enthält die Geſchäftsvertheilung. Durch Kab.Ordre v. 28. Ja-
nuar 1869 2) ſind diejenigen Verwaltungs-Angelegenheiten feſt-
[111]§. 86. Die Militair-Verwaltung.
geſtellt worden, über welche die General-Kommando’s endgültige
Entſcheidungen zu treffen haben; eine Erweiterung hat dieſe Kom-
petenz noch erhalten durch die Kab.Ordre v. 16. Sept. 1871 Ziff. V1).
IV. Die mit der wirthſchaftlichen Armee-Verwal-
tung betrauten Behörden ſind die Militair-Intendanturen;
ſie ſind in Folge der Kab.Ordre v. 1. Nov. 1820 an Stelle der
Ober-Kriegs-Kommiſſare getreten und haben die obere Verwaltung
und Aufſicht über alle Zweige der Militair-Oekonomie des betref-
fenden Armeekorps. Ihre Zuſammenſetzung und ihre Geſchäfts-
führung wurden geregelt durch die Inſtruktion v. 16. Januar 1821,
welche die weſentliche Grundlage aller ſpäteren Vorſchriften ge-
blieben iſt 2). Bei der Reorganiſation der Preußiſchen Armee er-
hielt auch die Intendantur eine andere Gliederung, indem außer
den Korps-Intendanturen noch beſondere Diviſions-Intendanturen
eingerichtet wurden 3). Hierdurch wurde eine neue Regelung der
Verfaſſung, Geſchäftsvertheilung und des Verfahrens dieſer Be-
hörden erforderlich. Die gegenwärtig geltenden Beſtimmungen be-
ruhen auf dem „Geſchäftsplan für die Korps-Intendanturen“,
welcher durch Erl. des Kriegsminiſt. v. 28. Novemb. 1875 feſtge-
ſtellt worden iſt.
1. An der Spitze der geſammten Intendantur des Armeekorps
ſteht der Korpsintendant; ihm ſind die übrigen Intendanturbeamten
untergeordnet. Er iſt das Organ des Kriegsminiſteriums und bil-
det eine Zwiſcheninſtanz zwiſchen demſelben und den unteren Mi-
litair-Oekonomie-Behörden. Die bei dem General-Kommando vor-
kommenden zu dem Reſſort der Intendantur gehörigen Geſchäfte
werden von dem Intendanten erledigt, der erforderlichen Falles dem
kommandirenden General perſönlich Vortrag zu halten hat. Neue
Vorſchriften, nach denen ſich die Truppen richten ſollen, können von
dem Intendanten ſelbſtſtändig nicht erlaſſen werden, ſondern müſſen
von dem kommandirenden General als Befehle ausgehen. Hin-
ſichtlich der Rechnungslegung und Kontrole ſind die Intendanturen
[112]§. 86. Die Militair-Verwaltung.
dem Rechnungshof untergeordnet und müſſen an denſelben in gleicher
Form, wie an die vorgeſetzte Verwaltungsbehörde (Kriegsminiſte-
rium) berichten 1).
2. Der Regel nach zerfällt der Geſchäftskreis der
Korps-Intendanturen in 5 (bei dem Gardekorps in 4) Ab-
theilungen 2). Er umfaßt alle diejenigen Zweige der Militair-
Oekonomie des Armee-Korps, reſp. des zugetheilten Bezirks, welche
entweder territorialer Natur ſind und daher im Falle einer Mo-
bilmachung bei der Provinzial-Intendantur verbleiben, oder
einer einheitlichen Leitung bedürfen; insbeſondere die allgemeinen
Kaſſen- und Etats-Angelegenheiten, die Beſchaffung und Verwal-
tung der Mund- und Fourage-Verpflegungs-Gegenſtände für die
Truppen des Korps und die Aufſicht über die Magazine, die Be-
ſchaffung der Tuche und ſonſtiger zur Bekleidung und Ausrüſtung
gehörigen Gegenſtände ſowie die Aufſicht über die Montirungs-
und Traindepots, die Leitung und Aufſicht der Garniſon- und La-
zarethverwaltung, die Mitwirkung bei der Materialien- und
Kaſſenverwaltung der militairiſchen Erziehungs- und Bildungsan-
ſtalten, der techniſchen Inſtitute des Artillerie- und Ingenieurweſens,
der Remonte-Depots-Verwaltung. Ihnen liegt weiterhin ob die
Bearbeitung der Mobilmachungsangelegenheiten der Adminiſtra-
tionen des Korps, der Invaliden-Angelegenheiten, die Befriedigung
der Kommunen für Naturalleiſtungen.
Die Korps-Intendanturen ſind legitimirt zur Führung von
Prozeſſen für den Preuß. Militair-Fiskus 3).
3. Den Diviſions-Intendanturen liegen ob alle
Geſchäfte, welche die Gehalts- und Löhnungsverhältniſſe, die Ge-
währung von Servis- und Wohnungsgeld, die Reiſekoſten und
Marſchverpflegung betreffen, ferner die Kontrole des Buch-, Kaſſen-
und Rechnungsweſens; die auf die Bekleidung und Ausrüſtung der
Truppen der Diviſion Bezug habenden Angelegenheiten und Theil-
nahme an den Muſterungen; die Ueberwachung der Lokalverwal-
tungen u. ſ. w. Zu den Diviſions-Kommando’s nehmen die ihnen
zugetheilten Intendanturen dieſelbe Stellung ein, wie zu den Ge-
neral-Kommando’s die Korps-Intendanturen.
[113]§. 86. Die Militair-Verwaltung.
4. Im Königreich Sachſen iſt die Intendantur mit dem
Kgl. Kriegsminiſterium verbunden und bildet eine Abtheilung deſ-
ſelben; Diviſions-Intendanturen ſind in dem Kgl. Sächſ. Armee-
korps bisher nicht errichtet worden. In Württemberg ſind
Korpsintendantur und Diviſionsintendanturen nach Preußiſchem
Muſter eingerichtet worden 1); zur Vertretung des Württ. Mili-
tair-Fiskus in privatrechtl. Streitigkeiten iſt die Korps-Intendantur
legitimirt 2). Auch in Bayern iſt die Intendantur in gleicher
Weiſe organiſirt 3).
5. Die unmittelbare Befriedigung der gewöhnlichen laufenden
Armeebedürfniſſe iſt den einzelnen Truppenkörpern überlaſſen. Die
Kommandobehörden bis herab zum Kompagnie-, Eskadrons- oder
Batteriechef haben unter eigener Verantwortlichkeit die Oekonomie
der betreffenden Truppen-Abtheilung zu verwalten. Regelmäßig
hat jedes Regiment oder jedes ſelbſtſtändige (nicht regimentirte)
Bataillon Selbſtbewirthſchaftung und es gehen alle
Oekonomie-, Montirungs- und Armatur-Angelegenheiten unmittel-
bar an die Regiments-Kommandeure. Sowohl die höheren Mili-
tairbefehlshaber als die Intendanturen ſind im Weſentlichen auf
die Leitung und Kontrole dieſer Selbſtbewirthſchaftung beſchränkt.
Die letztere umfaßt die Kaſſengeſchäfte 4) und die Geldverpflegung,
die Naturalverpflegung und Menage, die Bekleidung und die Mon-
tirung 5), die Unterſtützungsfonds und die bei den einzelnen Truppen-
Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 8
[114]§. 86. Die Militair-Verwaltung.
theilen für beſondere Zwecke (z. B. Muſik, Unterricht, Bibliothek,
Medizingelder u. dgl.) gebildeten Spezialfonds. Genaue Vor-
ſchriften über die Verwaltung dieſer Fonds ſind enthalten in dem
Geldverpflegungs-Reglement für das Preuß. Heer im Frieden v.
24. Mai 1877 1).
Für die örtliche Verwaltung der Garniſon-Einrichtungen,
zu denen namentlich gehören die Kaſernen, Militair-Stallungen und
Schmieden, Wach- und Arreſtlokale, Landwehr-Zeughäuſer, Dienſt-
wohnungsgebäude, Reitbahnen, Exercierplätze und Exercierhäuſer,
Garniſonkirchen und Begräbnißplätze, und ſonſtige, nicht einem be-
ſtimmten anderen Dienſtzweige zugewieſenen Militairgebäude und
Räume, beſtehen Garniſon-Verwaltungen. Auch können
die Funktionen der letzteren den Magiſtraten und Kommunalbe-
amten übertragen werden. Die Garniſonverwaltungen ſind den
Korps-Intendanturen direkt untergeordnet und haben in Friedens-
zeiten eine von den Feſtungskommandanten, Garniſon-Chefs und
ſonſtigen militairiſchen Oberbefehlshabern unabhängige Stellung,
ſind jedoch verpflichtet den Requiſitionen der letzteren ſoweit Folge
zu geben, als es mit den Geſetzen, Verordnungen, Reglements und
Inſtruktionen zuläſſig iſt 2).
6. Die Feldadminiſtration. Sowie die Kommandobe-
hörden im Falle einer Mobilmachung der Armee für die immobilen
Theile in Wirkſamkeit bleiben und im territorialen Bereich des
Armeekorps-, Diviſions-, Brigadebezirks weiter fungiren, ſo tritt auch
für die Verwaltung der Armee bei einer Mobilmachung eine Ver-
doppelung der Formation ein; neben die Intendantur des Friedens-
zuſtandes tritt eine ihr analog gegliederte Feldintendantur. Für
die ganze mobile Armee oder für eine aus mehreren Armeekorps
beſtehende Armee wird ein General- oder Armee-Inten-
5)
[115]§. 86. Die Militair-Verwaltung.
dant eingeſetzt, welcher als Stellvertreter des Kriegsminiſteriums
(Oekonomie-Departements) die oberſte Leitung und Beaufſichti-
gung der geſammten Militair-Oekonomie der mobilen Armee
hat. Er ſteht zu dem Oberbefehlshaber der Armee reſp. dem
Generalſtabs-Chef in demſelben Verhältniß, wie der Intendant
zum kommandirenden General. Für jedes mobile Armeekorps
wird ein Feld-Intendant ernannt, der unter den Be-
fehlen des kommandirenden Generals ſteht und zu ſeiner beſtän-
digen Umgebung gehört. Ihm ſind unterſtellt die Feld-Intendan-
turen der Diviſionen, zu welchen noch eine Feld-Intendantur für
die Reſerve-(Korps-)Artillerie hinzutritt, ferner die Feld-Proviant-
Aemter nebſt dem Feldbäckerei-Amt und die Kriegskaſſe. Den
thatſächlichen Verhältniſſen entſprechend iſt der Wirkungskreis dieſer
Beamten ein freierer und demgemäß ihre perſönliche Verantwort-
lichkeit eine größere wie im Friedenszuſtande. Ihre dienſtlichen
Obliegenheiten und ihre Geſchäftsführung ſind geregelt durch die
Dienſtinſtruktion vom 1. Juni 1859 1). Bei der Demobilmachung
gehen alle Geſchäfte der aufgelöſten Feld- und ſtellvertretenden
Intendanturen auf die Friedens-Intendanturen über.
Das Syſtem der Selbſtbewirthſchaftung der Truppen iſt, ſo-
weit die thatſächlichen Verhältniſſe die Durchführung deſſelben ge-
ſtatten, auch für die Feldtruppen beibehalten.
V.Das Militair-Sanitätsweſen2). Die Organi-
ſation deſſelben ſchließt ſich im Allgemeinen an die Formation des
Heeres und der ökonomiſchen Armee-Verwaltung an und iſt mit
beiden vielfach verknüpft.
1. Das Sanitätskorps. Die jetzige Einrichtung deſſelben
beruht auf der Verordnung vom 6. Februar 1873. A.V.Bl.
S. 103 ff. Die Centralſtelle bildet die Medizinal-Abtheilung des
Kriegsminiſteriums, deren Vorſtand den Titel: General-Stabs-
Arzt der Armee führt. Für jedes Armeekorps wird ein Gene-
8*
[116]§. 86. Die Militair-Verwaltung.
ral-Arzt beſtellt, welchem die Militairärzte des ganzen Armee-
korps-Bezirkes, ohne Rückſicht auf die Art ihrer dienſtlichen Ver-
wendung unterſtellt ſind, und der in derſelben Art wie der Korps-
intendant dem Generalkommando angehört und den Befehlen des
kommandirenden Generals Folge leiſten muß. Ihm liegt außer
der Leitung und Kontrole des Sanitäts- und Lazarethweſens im
Armeekorps-Bezirk insbeſondere auch die techniſche Reviſion der
Arznei-Rechnungen ob, zu welchem Zwecke ihm ein Stabs-Apo-
theker beigegeben iſt 1). Bei den Diviſions-Kommando’s fungirt
ein Diviſions-Arzt, der aus der Zahl der älteſten Regiments-
ärzte genommen wird; er bildet die Zwiſchen-Inſtanz zwiſchen dem
Generalarzt und den bei den Truppen und in den Lazarethen fun-
girenden Aerzten, er iſt der ärztlich-techniſche Referent des Diviſions-
Kommandeurs und hat außer der Leitung des Sanitätsdienſtes die
Sammlung, Kontrole und Zuſammenſtellung der militairärztlichen
Eingaben, Berichte, Rapporte u. ſ. w. Auch iſt er Vorſitzender der
wiſſenſchaftlichen Prüfungs-Kommiſſion für die Aſpiranten der mili-
tairärztlichen Bildungs-Anſtalten 2). Die eigentliche Krankenpflege
bei den Regimentern und Bataillonen und bei den Militairinſtituten
leiten die Oberſtabsärzte und Stabsärzte, denen Aſſi-
ſtenzärzte beigegeben ſind. Die oberen Truppenärzte ſind in der
Regel verbunden, ſich unentgeltlich der ärztlichen Behandlung aller
bei ihrer Truppen-Abtheilung befindlichen Offiziere und Militairbe-
amten zu unterziehen 3) und alle im dienſtlichen Intereſſe erforder-
lichen ärztlichen Unterſuchungen und Feſtſtellungen des Geſundheits-
zuſtandes der Offiziere und Mannſchaften (Körperletzungen, innere
Dienſtbeſchädigungen u. dgl.) vorzunehmen. In größeren Garniſons-
orten werden überdies Garniſonärzte angeſtellt, denen die
Behandlung aller in den Garniſonen vorhandenen nicht regimentirten
Offiziere und Militair-Beamten, des Feſtungsperſonals und der
Arbeitsſoldaten, ſowie der Fuß-Artillerie-Regimenter und Train-
Bataillone obliegt 4).
[117]§. 86. Die Militair-Verwaltung.
Zum Zwecke der Hilfsleiſtung, insbeſondere zur Ausführung
der von den Aerzten angeordneten niederen chirurgiſchen Verrich-
tungen werden Lazareth-Gehilfen ausgebildet, welche aus
den Verpflegungs-Etats der Truppentheile ihre Bezüge erhalten 1).
Im Falle der Mobilmachung werden für jedes Armeekorps
drei Sanitäts-Detachements formirt, die zu dem Train-
bataillon gehören. Je eins derſelben iſt den beiden Infanterie-
Diviſionen, das dritte der Korps-Artillerie zuzutheilen. Jedes
Detachement iſt ſo eingerichtet, daß es in zwei ſelbſtſtändigen Sek-
tionen verwendbar iſt. Die den Diviſionen zugetheilten Detache-
ments folgen den Truppen unmittelbar in’s Gefecht und ſtehen
zur Verfügung des Diviſionskommandeurs 2).
2. Das Lazarethweſen.
a) Die Friedenslazarethe3). Garniſonlazarethe ſind
einzurichten in allen Garniſonorten (und in Orten mit bleibendem
Kommando), in denen die Truppentheile die Stärke einer Kom-
pagnie oder Eskadron und darüber haben, und in Feſtungen. Auch
können für einzelne Truppentheile der Garniſon ſogen. Spezial-
Lazarethe und in Fällen eines vorübergehend geſteigerten Bedürf-
niſſes Hülfslazarethe reſp. Kantonnements-Lazarethe eingerichtet
werden. Die einzelnen Friedenslazarethe ſtehen zwar unter einer
einheitlichen Verwaltung, die aber einerſeits den Intendanturen
und dem Militair-Oekonomie-Departement und andererſeits den
Generalärzten und der Militair-Medizinal-Abtheilung (General-
Stabsarzt) untergeordnet iſt. Von den Intendanturen reſſortirt
die adminiſtrative und ökonomiſche Partie, die Anſtellung des Ver-
waltungs-Perſonals, die Anſchaffung und Erhaltung der Gebäude
[118]§. 86. Die Militair-Verwaltung.
und Grundſtücke, des Lazarethgeräthes, der Verpflegungs-Haushalt
und das ganze Kaſſen- und Rechnungsweſen 1). Zum ſpeziellen
Reſſort der Generalärzte gehört die Aufſicht über die Ausführung
des geſammten Krankendienſtes, über das ärztliche Perſonal, über
die Diſpenſir-Anſtalten und über die Anſchaffung von Medika-
menten 2). Beide Behörden müſſen hinſichtlich der Lazarethverwal-
tung in ſteter Verbindung bleiben und im gegenſeitigen Einverſtänd-
niß ihre Anordnungen treffen 3).
Die Friedenslazarethe ſtehen unter einem Chefarzt, der
zugleich eine etatsmäßige Stelle als Truppen- oder Garniſonarzt
einnimmt 4). Derſelbe führt den Befehl über das Lazareth und
er iſt der Vorgeſetzte des geſammten für den Dienſt des Lazareths
beſtimmten militairiſchen, ärztlichen und adminiſtrativen Perſonals,
welches demgemäß ſeinen Anordnungen unbedingt Folge leiſten
muß 5). Nach Anordnung des Korps-Generalarztes werden von
dem Chefarzt Stationen eingerichtet und den „ordinirenden Aerzten“
übergeben. Die letzteren, welche vom Generalarzt beſtimmt wer-
den, ſind in Betreff der Krankenbehandlung durchaus ſelbſtſtändig;
ihren Aufforderungen zu Konſultationen bei Lazarethkranken iſt der
Chefarzt aber verpflichtet, ſofort Folge zu leiſten 6). Für die
Kaſſen- und Oekonomie-Verwaltung wird ein Ober-Lazareth-
Inſpektor, welchem nach Bedürfniß ein oder mehrere Lazareth-
Inſpektoren beigegeben ſind, ernannt 7).
b) Die Feldlazarethe8). Es werden für jedes mobile
Armeekorps 12 Lazarethe für je 200 Kranke eingerichtet; ſie ſind
zur Aufnahme der von den Verbandplätzen oder direkt von den
Truppen kommenden Verwundeten und Kranken beſtimmt. Jedes
Lazareth kann in zwei Sektionen getheilt werden, die ganz ſelbſt-
[119]§. 86. Die Militair-Verwaltung.
ſtändig etablirt und erweitert werden können. Die Zutheilung der
Lazarethe an die Diviſionen verfügt der kommandirende General
und er ſorgt durch Vermittelung der General-Etappen-Inſpektion
für den erforderlichen Nachſchub von Reſerve-Feldlazarethen. Die
Leitung eines jeden Feldlazarethes wird einem Chefarzte übertragen.
Von den Feldlazarethen zu unterſcheiden ſind die „Stehen-
den Kriegslazarethe.“ Es ſind dies diejenigen im Kriege
[e]rrichteten Lazarethe, welche wegen des Vorrückens des Armeekorps
mit dem Kommando deſſelben keinen unmittelbaren Verkehr unter-
h[a]lten können; dieſelben ſind zunächſt der General-Etappen-In-
ſp[e]ktion unterſtellt, welcher es obliegt, das Perſonal abzulöſen und
das Material zu erſetzen und das hierdurch wieder verwendbar
ge[m]achte „Feldlazareth“ dem Armeekorps nachzuſenden. Die ſtehen-
den Kriegslazarethe werden ſodann, wenn ſie im Inlande ſich be-
find[e]n, den Provinzial-Militairbehörden, wenn ſie im Auslande
erric[h]tet ſind, den General-Gouvernements von der General-Etappen-
Inſp[e]ktion überwieſen 1).
VI.Die Militair-Gerichtsverwaltung2).
Die Militair-Strafgerichte ſind keine ſtändigen Gerichte, ſon-
dern [fü]r jeden einzelnen Fall werden ſowohl die Unterſuchungs-
gerichte wie die Spruchgerichte beſonders gebildet; die höheren
Truppe-Befehlshaber ſind mit der Handhabung der Gerichtsge-
walt be[t]raut und heißen in dieſer Eigenſchaft „Gerichtsherren.“
Eine ſol[c]he Gerichtsbarkeit haben außer dem Kontingentsherrn
ſelbſt die kommandirenden Generale, die Diviſionskommandeure,
die Regi[me]ntskommandeure und diejenigen Truppenbefehlshaber,
denen die Berichtsgewalt derſelben ſpeziell beigelegt worden iſt,
und die G[o]uverneure oder Kommandanten von Feſtungen. Dem-
gemäß zerfa[l]len die Militair-Gerichte in Korps-Gerichte, Diviſions-
Gerichte, R[e]giments-Gerichte und Garniſon-Gerichte. Den Regi-
mentskomman[d]euren ſteht jedoch nur die niedere Gerichtsbarkeit
zu. Den Gerichtsherren mit höherer Gerichtsbarkeit iſt bei Aus-
übung der geri[ch]tsherrlichen Befugniſſe ein Auditeur als richter-
licher Beamter [z]ugeordnet; demgemäß fungiren Korps-Auditeure,
Diviſions-Auditere und Garniſon-Auditeure als richterliche Mili-
tair-Juſtizbeamte. Zu der Stelle eines ſolchen kann nur berufen
[120]§. 86. Die Militair-Verwaltung.
werden, wer die Befähigung zur Bekleidung eines Richteramtes in
einem Bundesſtaate erworben hat 1). In Betreff ſeiner Pflichten
als Gerichtsperſon finden die allgemeinen für Richter geltenden
Vorſchriften Anwendung. Im Weſentlichen beſchränken ſich die
Funktionen des Auditeurs auf die Führung der ihm aufgetragenen
Unterſuchungen und einen Vortrag darüber an den Gerichtsherrn,
ſowie auf eine Theilnahme an den Verhandlungen des Spruch-
gerichts, deſſen Erkenntniß er auszufertigen hat.
Ueberdies beſteht als oberſter Militair-Gerichtshof das Gene-
ral-Auditoriat. Nach §§. 86. 87 der Preuß. Milit.-Stra[f]-
gerichts-Ordnung iſt es die Rekurs-Inſtanz, ſowie die begutachten[d]e
Behörde in den, in dieſem Geſetzbuch näher bezeichneten Fäll[e]n.
Daſſelbe bildet die zweite Inſtanz in Strafſachen der Militair[b]e-
amten und iſt die vorgeſetzte Dienſtbehörde der Auditeure [u]nd
Aktuarien. Es hat die Geſchäftsführung der Militairgerichte [n]ach
den darüber beſtehenden beſonderen Vorſchriften zu beaufſicht[i]gen,
Beſchwerden in militairgerichtlichen Angelegenheiten abzuhelfen und
es iſt ihm überdies die Befugniß beigelegt, „die Zweifel übe[r] die
Kompetenz der Militairgerichte oder über die Anwendung und Aus-
legung der Militairgeſetze zu erledigen, nöthigenfalls zur E[n]tſchei-
dung des Königs zu bringen.“ Gegen die rechtlichen B[e]ſcheide
des General-Auditoriats findet der Rekurs an den König ſtatt.
Im Königreich Sachſen werden die nach der Milit.-S[t]rafger.-
Ordn. dem General-Auditoriat obliegenden Geſchäfte [v]on dem
Ober-Kriegsgericht wahrgenommen 2).
In Württemberg richtet ſich die Verwaltung de[r] Militair-
gerichtsbarkeit nach der Mil.-Strafger.-Ordn. vom 20. J[un]i 1818 3);
[121]§. 86. Die Militair-Verwaltung.
in Bayern nach der Mil.-Strafger.-O. vom 6. Novemb 1872 1).
Eine Regelung der Gerichtsbarkeit über Militairperſonen durch
Reichsgeſetz iſt in dem Milit.-Geſ. §. 39 in Ausſicht geſtellt.
VII.Das Militair-Kirchenweſen.
Die Heeresorganiſation hat mit der Kirchenverfaſſung und der
Ausübung der gottesdienſtlichen Handlungen einen nur loſen Zu-
ſammenhang und von der im Art. 61 der R.V. vorgeſehenen Her-
ſtellung eines einheitlichen Militairrechts durch Einführung der
Preuß. Geſetzgebung iſt die Militair-Kirchenordnung ausdrücklich
ausgeſchloſſen worden. Den Landesgeſetzen iſt es überlaſſen, die
kirchlichen Verhältniſſe der Militairperſonen zu regeln. In meh-
reren Staaten ſind in den Garniſonen beſondere Militairgemeinden
gebildet. Die Wahrnehmung der Seelſorge und der anderen Ob-
liegenheiten des geiſtlichen Amtes für die Militairgemeinde iſt theils
den Civilgeiſtlichen des Ortes übertragen, theils werden beſondere
Militairgeiſtliche ernannt. Für das Reichsſtaatsrecht ſind dieſe
Einrichtungen inſofern von Belang, als die Koſten des Militair-
Kirchenweſens aus der Reichskaſſe beſtritten und im Reichsetat
feſtgeſetzt werden und die Militairgeiſtlichen die rechtliche Eigen-
ſchaft von Reichsbeamten haben.
In Preußen ſind die dienſtlichen Verhältniſſe der Militair-
Geiſtlichkeit geregelt durch die Militair-Kirchenordnung
vom 12. Februar 1832. Preuß. Geſ.-Sammlung S. 69 2).
VIII.Wiſſenſchaftliche Inſtitute, Bildungs- und
Erziehungs-Anſtalten.
1. Der Generalſtab der Armee iſt zwar nicht aus-
ſchließlich wiſſenſchaftlichen Zwecken gewidmet, er dient vielmehr
in erſter Reihe zur Unterſtützung der Oberbefehlshaber in allen
auf Taktik und Strategie bezüglichen Verhältniſſen und er hat im
Frieden die Mobilmachung, die Dislokationen, die Telegraphen-
und Eiſenbahn-Angelegenheiten u. ſ. w. zu bearbeiten; allein er
iſt zugleich ein wiſſenſchaftliches Inſtitut erſten Ranges 3). Ihm
[122]§. 86. Die Militair-Verwaltung.
liegt das Studium und die Pflege aller Zweige der Kriegswiſſen-
ſchaften ob, insbeſondere die fortlaufende Kenntnißnahme der Heeres-
Einrichtungen der fremden Staaten 1), das Eiſenbahn-Bau- und
Transportweſen, Kriegsgeſchichte, Geographie, Statiſtik, Topo-
graphie. Das Landesvermeſſungsweſen und die Herſtellung von
Landkarten und Plänen iſt in enge organiſche Verbindung mit
dem Generalſtab gebracht 2). Es werden ferner unter der Lei-
tung des Chefs des großen Generalſtabes jährlich Uebungsreiſen be-
hufs Ausbildung von Truppenführern gemacht 3).
2. Die Kriegs-Akademie in Berlin. Dieſelbe iſt aus
der im Jahre 1816 gegründeten Kriegsſchule hervorgegangen; ihre
jetzige Organiſation beruht auf dem Erlaß vom 15. Aug. 1856
und der Kab.-Ordre vom 21. Nov. 1872 (A.V.Bl. S. 350) 4).
Der Chef des Generalſtabes der Armee hat die Oberaufſicht über
die wiſſenſchaftliche Thätigkeit der Anſtalt; in disciplinariſchen,
ökonomiſchen und polizeilichen Angelegenheiten ſteht ſie direkt unter
dem Allg. Kriegs-Departement (des Kriegsminiſteriums). Die
Aufnahme wird nur Offizieren gewährt, welche mindeſtens
3 Jahre als ſolche gedient haben, ſich um Aufnahme in die An-
ſtalt bewerben und die Eintrittsprüfung beſtanden haben 5). Der
Lehrkurſus umfaßt 3 Jahre 6), die Kommandirung erfolgt aber
3)
[123]§. 82. Die Militair-Verwaltung.
ſtets nur auf 1 Jahr und die Erneuerung derſelben hängt von
dem Fleiße und den Fähigkeiten der Offiziere ab.
Die Theilnahme an der Kriegs-Akademie iſt nach den Militair-
Konventionen den Offizieren des Sächſiſchen und Württembergiſchen
Kontingents 1) gewährt; Bayern hat ſeine eigene im Jahre 1867
gegründete Kriegs-Akademie in München.
3. Die Kriegs-Schulen. Die „Beſtimmungen über Or-
ganiſation und Dienſtbetrieb“ derſelben ſind durch Kab.-Ordre vom
27. Februar 1873 genehmigt 2). Zweck derſelben iſt die kriegs-
wiſſenſchaftliche Ausbildung der Offizier-Aſpiranten aller
Waffen; es beſtehen ſolche Anſtalten in Anklam, Potsdam, Erfurt,
Neiſſe, Engers, Hannover, Kaſſel und Metz, jede unter der Lei-
tung eines Stabs-Offiziers als Direktor 3). Die Aufſicht und
Oberleitung wird geführt von der „General-Inſpektion des Mili-
tair-Erziehungs- und Bildungsweſens“, welcher als berathendes
und begutachtendes Organ „die Studien-Kommiſſion für die Kriegs-
ſchulen“ unterſtellt iſt. Der Vorſitzende dieſer Kommiſſion iſt zu-
gleich Inſpekteur der Kriegsſchulen. Die Inſpektion der Kriegs-
ſchulen bildet für die letzteren die erſte höhere Inſtanz und iſt der
General-Inſpektion unterſtellt 4). In allen adminiſtrativen Be-
ziehungen reſſortiren die Kriegsſchulen von dem Allg. Kriegs-
Departement. Die Lehrer ſind Offiziere, welche für die Dauer
dieſer Verwendung aus dem Etat ihrer Truppentheile ausſcheiden
und einen in ſich geſchloſſenen Offizier-Korps-Verband bilden. Zur
Theilnahme am Unterricht in den Kriegsſchulen iſt jeder Offizier-
Aſpirant vor der Zulaſſung zur Offizier-Prüfung verpflichtet 5);
6)
[124]§. 82. Die Militair-Verwaltung.
die Zulaſſung ſetzt eine Dienſtleiſtung im aktiven Dienſte von
mindeſtens 5 Monaten und die Beibringung eines Brauchbarkeits-
Zeugniſſes voraus. Am Schluſſe des neunmonatlichen Kurſus
legen die Kriegsſchüler in der Anſtalt die Offizier-Prüfung ab und
kehren demnächſt zu ihren Truppentheilen zurück 1).
4. Die vereinigte Artillerie- und Ingenieur-
Schule. Ueber die Verfaſſung und Einrichtung derſelben geben
die vom Kuratorium dieſer Schule redigirten „Grundzüge“ vom
November 1869 detaillirte Auskunft 2). Zweck der Anſtalt iſt:
„den durch die Kriegsſchulen vorgebildeten jungen Offizieren der
Artillerie und des Ingenieur-Korps des Deutſchen Reiches3)
Gelegenheit zu geben, ſich die wiſſenſchaftliche Ausbildung zu ver-
ſchaffen, welche der Dienſt eines etatsmäßigen Lieutenants der
Artillerie und des Ingenieurkorps erfordert und welche ſie befähigt,
ihre Weiterbildung durch Selbſtſtudium ſowie durch die Praxis zu
verfolgen“ (§. 1 a. a. O.). Das Kuratorium der Schule beſteht
aus den General-Inſpekteuren der Artillerie und des Ingenieur-
korps; der General-Inſpektion des Mil.-Erziehungs- und Bildungs-
weſens ſind jährlich Berichte über den Zuſtand und Fortgang der
Schule zu erſtatten; die ökonomiſche Verwaltung reſſortirt vom
Allg. Kriegs-Departement. Die Direktion der Anſtalt führt ein
höherer Stabsoffizier der Artillerie oder des Ingenieurkorps, dem
eine Studienkommiſſion zur Seite ſteht. Bedingung für die Zu-
laſſung zur Schule iſt für Artilleriſten, daß ſie nach beſtandenem
Armee-Offizier-Examen 2 Jahre, für Ingenieure, daß ſie nach be-
ſtandenem Armee-Offizier-Examen 1 Jahr im praktiſchen Dienſt
beim Truppentheil geweſen ſind. Am Schluſſe des theoretiſchen
Unterrichts des unteren Cötus legen die zum Beſuche der Schule
kommandirten Artillerie-Offiziere die Berufungsprüfung ab;
es iſt ihnen alsdann noch geſtattet in einen Selecta-Kurſus einzu-
treten. Auch für die Ingenieur-Offiziere beſtehen zwei Cötus;
nach Beendigung des theoretiſchen Unterrichts des unteren Cötus
legen dieſe Offiziere den erſten Theil der Berufungsprüfung ab,
treten dann in den oberen Cötus ein, welcher vorzugsweiſe zu
praktiſchen Uebungen beſtimmt iſt, und abſolviren dann den 2. Theil
[125]§. 86. Die Militair-Verwaltung.
der Berufsprüfung. Ueber Unterricht und Lehrplan vgl. die an-
geführten Grundzüge §§. 34 ff.
5. Die militairärztlichen Bildungs-Anſtalten.
Es beſtehen in Berlin zwei ſolcher Anſtalten, das mediziniſch-
chirurgiſche Friedrich-Wilhelms-Inſtitut 1) und die mediziniſch-chirur-
giſche Akademie für das Militair. Der Unterſchied der beiden
Anſtalten beruht im Weſentlichen darauf, daß das Friedr.-Wilhelm-
Inſtitut außer koſtenfreiem Unterricht in allen Zweigen der Heil-
kunde auch noch jedem Zöglinge für die Dauer der Studienzeit
freie Wohnung und eine Geldunterſtützung gewährt. Die Aufnahme
in das Friedr.-Wilhelms-Inſtitut erfolgt unter der Bedingung,
daß ſich der Zögling verpflichtet, für jedes Studienjahr zwei Jahre
im ſtehenden Heere oder in der Flotte als Arzt zu dienen; bei der
Aufnahme in die mediz.-chirurg. Akademie iſt für jedes Studien-
jahr eine entſprechende Dienſtverpflichtung für ein Dienſtjahr zu
übernehmen. Die Leitung beider Inſtitute, welche in enger Be-
ziehung zur Berliner Univerſität ſtehen, liegt dem General-Stabs-
arzt der Armee als Direktor ob; die ökonomiſche Verwaltung wird
von der Intendantur des Gardekorps beaufſichtigt; die letzte und
oberſte Inſtanz iſt der Kriegsminiſter als Kurator der Anſtalt.
Die Zöglinge der Anſtalt ſtehen unter Militair-Gerichtsbarkeit und
unter der Disciplinar-Strafgewalt der Direktion 2).
6. Die Infanterie-Schulen. Für die Leitung derſelben
iſt eine beſondere Behörde eingerichtet, welche die Benennung „In-
ſpektion der Infanterie-Schulen“ führt und ihren Sitz in Berlin
hat 3). Ihre Obliegenheiten ſind normirt durch eine beſondere Dienſt-
Inſtruktion vom 6. April 1872 (A.V.Bl. S. 135). Die Schulen,
welche dieſer Behörde unterſtellt ſind, ſind folgende:
a) Die Unteroffizier-Schulen zu Potsdam, Biebrich,
Weißenfels, Ettlingen und Marienwerder und die Unteroffizier-
Vorſchule zu Weilburg. In Sachſen beſteht eine beſondere Unter-
offizier-Schule (und Vorſchule) zu Marienberg; aus dem Würt-
[126]§. 86. Die Militair-Verwaltung.
tembergiſchen Kontingente werden jährlich 60 Zöglinge in den
Schulen zu Biebrich, Ettlingen und Potsdam untergebracht 1). Die
Schulen haben die Beſtimmung, junge Leute, welche ſich dem
Militairſtande widmen wollen, zu Unteroffizieren für die Infanterie
des ſtehenden Heeres heranzubilden. Der Aufenthalt in der Schule
dauert in der Regel drei, ausnahmsweiſe zwei Jahre; der Einzu-
ſtellende muß wenigſtens 17 Jahr und höchſtens 20 Jahr alt ſein,
die erforderlichen Vorkenntniſſe beſitzen und ſich zu einer vierjährigen
aktiven Dienſtzeit nach erfolgter Ueberweiſung aus der Unteroffi-
zierſchule an einen Truppentheil verpflichten 2). Die Meldung zum
Eintritt erfolgt entweder bei dem Landwehrbezirkskommando der
Heimath oder bei dem Kommando einer der Schulen ſelbſt 3).
b) Die Militair-Schießſchule4). Dieſelbe tritt in
ihrem vollen Beſtande am 1. April zu einem Sommer-Lehrkurſus
znſammen, während in den 6 Wintermonaten ein Winterſtamm zur
Ausbildung von Lehrern u. ſ. w. zurückbleibt 5).
c) Die Central-Turnanſtalt6) in Berlin, welcher die
Ausbildung tüchtiger Turn- und Fechtlehrer obliegt.
7. Das Militair-Reit-Inſtitut in Hannover7).
An der Spitze des Inſtituts ſteht ein Chef mit den Einkünften
und der Gerichtsgewalt eines Diviſionskommandeurs; er hat die
Befugniß, dem Könige direkt zu berichten und iſt nur in den öko-
[127]§. 86. Die Militair-Verwaltung.
nomiſchen Beziehungen dem Kriegsminiſterium untergeordnet. Das
Inſtitut zerfällt in 2 von einander unabhängige Abtheilungen, deren
jede unter einem Direktor ſteht, die Offizier-Reitſchule und
die Kavallerie-Unteroffizierſchule1). Zur Reitſchule
kommandirt jedes Kavallerie-Regiment der Armee ein Jahr um
das andere und jede Feld-Artillerie-Brigade alljährlich einen Offi-
zier von angemeſſenem Dienſtalter und entſchiedener Anlage und
Neigung zum Reiten und zur Ausbildung als Reitlehrer. Zur
Kavallerie-Unteroffizierſchule kommandirt jedes Kavallerie-Regiment
einen Gefreiten oder Unteroffizier, welche 2 Jahre oder länger
gedient, hervorragende Anlage zum Reiten haben und brauchbare
Unteroffiziere zu werden verſprechen; ſie müſſen ſich zu mindeſtens
einjährigem Fortdienen nach der Rückkehr zum Regiment (reſp. nach
Ablauf der 3jährigem Dienſtzeit) verpflichten. Der Kurſus dauert
ein Jahr; nach Ablauf deſſelben kann eine Elite bis zur Höhe
von 20 Mann noch ein 2tes Jahr zurückbehalten werden 2).
8. Artillerie-Schulen.
a) Die Artillerie-Schießſchule in Berlin hat die Be-
ſtimmung, „eine genügende Anzahl von Inſtruktoren für die Ar-
tillerie-Truppen zur Erweiterung der Kenntniſſe derſelben in der
Behandlung und im Gebrauch der ſämmtlichen Geſchütz- und Muni-
tions-Arten heranzubilden.“ Sie iſt dem Präſes der Artillerie-
Prüfungs-Kommiſſion unterſtellt und wird von einem Stabsoffizier
dirigirt. Abgeſehen von dem Stamm zur Ertheilung des Unter-
richts werden zu jedem Kurſus von den Artillerie-Regimentern und
Abtheilungen ſowohl Offiziere als Unteroffiziere kommandirt. Die
Schule abſolvirt jährlich 2 Kurſus 3).
b) Die Oberfeuerwerker-Schule in Berlin iſt er-
richtet und in ihren Einrichtungen geregelt durch die Kab.-Ordre
vom 3. Auguſt 1869. Sie iſt dazu beſtimmt, die Aſpiranten des
Feuerwerksperſonals von der Artillerie des Landheeres auszubilden
und die Berufsprüfung zum Oberfeuerwerker reſp. zum Zeugfeuer-
[128]§. 86. Die Militair-Verwaltung.
werks-Lieutenants abzuhalten 1). Sie ſteht unter der Leitung eines
Direktors, die nächſtvorgeſetzte Behörde (Inſpektion) bildet die 2te
Artillerie-Inſpektion; das Kuratorium der Anſtalt wird von der
General-Inſpektion der Artillerie geführt 2). Jeder Schüler muß
bei Antritt ſeines Kommandos zur Oberfeuerwerker-Schule etats-
mäßiger Unteroffizier ſein und durch eine Vorprüfung ſich über
das erforderliche Maß der Vorbildung ausweiſen.
9. Die Militair-Roßarztſchule iſt in Folge der
Kab.-Ordre vom 5. Febr. 1863 aus dem ehemaligen „Militair-
Kurſchmids-Eleven-Inſtitut“ hervorgegangen und iſt der, durch
Kab.-Ordre vom 6. März 1873 errichteten und dem Allg. Kriegs-
departem. untergeordneten „Inſpektion des Militair-Veterinär-
Weſens“ unterſtellt worden 3). Mit der Roßarztſchule iſt eine
Lehrſchmiede verbunden.
10. Regiments- und Bataillons-Schulen ſollen
dazu dienen, um Unteroffiziere und Soldaten im Leſen, Schreiben
und Rechnen zu unterrichten und ſie für die künftige Anſtellung
im Civildienſt brauchbar zu machen. Die Ertheilung des Unter-
richts darf auch an zuverläſſige Lehrer des Civilſtandes übertragen
werden 4). Für dieſe Zwecke werden dem „Selbſtbewirthſchaftungs-
fonds“ der Truppen gewiſſe Beträge zur Verfügung geſtellt 5).
Der Unterricht wird auf zwei Stufen ertheilt; der Lehrplan und die
Schuleinrichtungen ſind geregelt durch Erlaß vom 2. Novemb. 1876 6).
11. Kadettenanſtalten. Das Kadettenkorps beſteht aus
zwei Abtheilungen, nämlich a) den 6 Voranſtalten (Kadetten-
häuſern) zu Culm, Wahlſtatt, Bensberg, Ploen und Oranienſtein
[129]§. 86. Die Militair-Verwaltung.
mit den Lehrklaſſen Sexta bis Tertia für Zöglinge in dem Alter
von 10—15 Jahren und b) aus der Hauptkadetten-Anſtalt
zu Lichterfelde mit den Lehrklaſſen Sekunda und Prima, einer
Ober-Prima und Selekta, in welchen letzteren die unmittelbare Be-
rufsbildung beginnt, für Zöglinge zwiſchen 15 und 18 Jahren.
Die Aufnahme erfolgt theils in etatsmäßige (oder königliche) Stellen
theils gegen eine jährliche Penſion 1). Die Aufnahme iſt auch den
Angehörigen aller Staaten, welche mit Preußen Militair-Konven-
tionen geſchloſſen haben, zugeſichert; dem Württembergiſchen Kriegs-
miniſt. iſt die Verfügung und Zuertheilung über 54 etatsmäßige
Stellen eingeräumt 2); für Sachſen beſteht z. Z. noch eine beſon-
dere Kadetten-Anſtalt zu Dresden; desgleichen für Bayern in
München. Das Preuß. Kadettenkorps ſteht unter einem Korps-
kommandeur im Range eines Generalmajors 3).
12. Militairiſche Knaben-Erziehungs-Inſti-
tute. Hierher gehören
a) Das Inſtitut zu Annaburg. Daſſelbe iſt dem In-
ſpekteur der Infanterie-Schulen unterſtellt und reſſortirt in ökono-
miſcher Beziehung von der Intendantur des 4. Armeekorps. Die
Grundſätze, nach welchen bei der Aufnahme von Soldaten-Söhnen
in das Inſtitut zu verfahren iſt, ſind durch Miniſt.-Reſcr. vom
28. April 1870 formulirt 4).
b) Das große Militair-Waiſenhaus zu Pots-
dam und Schloß Pretzſch iſt zur Aufnahme und Erziehung
von ehelich geborenen und bedürftigen Soldaten-Waiſen beſtimmt;
die Knaben finden in Potsdam, die Mädchen evangel. Konfeſſion
in Pretzſch Aufnahme 5). Der Inſpekteur der Infanterie-Schulen
iſt beauftragt, die Militair-Schule des Waiſenhauſes zu inſpiziren
Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 9
[130]§. 87. Die Kriegsmarine.
und darüber an das Direktorium deſſelben zu berichten 1). Im
Uebrigen reſſortirt die Verwaltung dieſer Stiftung direkt vom
Preuß. Kriegsminiſterium.
§. 87. Die Kriegsmarine2).
Ueber die Organiſation und Zuſammenſetzung der Kriegs-
marine fehlen geſetzliche Vorſchriften gänzlich; die Beſtimmung
darüber ſteht nach Art. 53 der R.V. ausſchließlich dem Kaiſer zu,
der dabei lediglich hinſichtlich der Dienſtpflicht an die im Wehr-
geſetz und hinſichtlich der finanziellen Mittel an die in dem Reichs-
haushalts-Etatsgeſetz gezogenen Schranken gebunden iſt. Das
Reichs-Militairgeſetz findet auf die Marine keine Anwendung.
Mit Rückſicht auf die Dienſtpflicht ergiebt ſich die Eintheilung
der Marine in die Kriegsflotte, welche dem ſtehenden Heere, und
in die Seewehr, welche der Landwehr entſpricht 3). Eine be-
ſondere Formirung der letzteren findet nicht ſtatt, dieſelbe wird viel-
mehr im Falle des Bedürfniſſes zur Verſtärkung der Flotte einberufen.
Hinſichtlich der Feſtſtellung der finanziellen Mittel iſt eine Grund-
lage geſchaffen in dem ſogen. Flottengründungsplan. Derſelbe iſt
zuerſt dem Reichstage von 1867 zur Motivirung der von der
Bundesregierung verlangten Anleihe behufs Erweiterung der Bun-
desmarine vorgelegt worden 4); nachdem ſich jedoch das Bedürfniß
ergeben hatte, dieſen Plan in vielen Beziehungen abzuändern und
zu erweitern, wurde dem Reichstage von 1873 eine Denkſchrift der
Admiralität vorgelegt, welche einen neuen Flottengründungsplan
enthält 5). Obwohl derſelbe eine formelle Rechtskraft in keiner
Beziehung hat, ſo iſt ihm doch im Allgemeinen die Billigung des
Bundesrathes und des Reichstages zu Theil geworden und er liegt
den Anſätzen des Reichshaushalts-Etats im Weſentlichen zu Grunde.
Die gegenwärtige Organiſation der Marine hat ſich im engſten
Anſchluß an die Einrichtungen der ehemaligen Preußiſchen Marine
allmählig entwickelt; den Ausgangspunkt für die zur Zeit gelten-
[131]§. 87. Die Kriegsmarine.
den Vorſchriften bildet demgemäß das Preuß. Organiſations-
Reglement für die Marine-Stations-Kommandos, die Werften,
die Depots und die Marine-Intendantur vom 19. Juni 1862 1).
Daſſelbe iſt jedoch ſeit der Gründung des Reiches, namentlich ſeit
1872 vielfach abgeändert worden.
I.Die Centralbehörde für die geſammte Kriegsmarine
iſt die Kaiſerl. Admiralität, welche ſich von dem Kriegs-
miniſterium dadurch ſehr weſentlich unterſcheidet, daß ſie nicht blos
die oberſte Verwaltungsbehörde für die Marine (unter Verant-
wortlichkeit des Reichskanzlers) iſt, ſondern daß ſie auch den
Oberbefehl über die Flotte nach den Anordnungen des Kaiſers
zu führen hat. In dieſer Beziehung hat ſie eine ähnliche Doppel-
ſtellung wie die General-Kommandos der Armeekorps. Ihre Er-
richtung, Verfaſſung und Wirkungskreis ſind bereits oben Bd. I
S. 333 bei der Darſtellung des Behördenſyſtems des Reiches er-
örtert worden.
Maßgebend für die Gliederung der Marine iſt die Eintheilung
derſelben in zwei Stationen, die der Oſtſee und die der Nordſee.
Für jede derſelben beſteht ein Marineſtationskommando
(zu Kiel und zu Wilhelmshafen), an deren Spitze ein Marine-
ſtationschef mit den Befugniſſen eines Diviſionskommandeurs der
Armee ſteht. Er iſt der militairiſche Befehlshaber der Station und
der Inſpekteur der techniſchen Inſtitute 2).
II. Die maritimen Streitkräfte ſind in folgenden For-
mationen gegliedert:
1. Die beiden Matroſen-Diviſionen in Kiel und in
Wilhelmshaven. Die Organiſation derſelben iſt unter Aufhebung
der früheren Beſtimmungen geregelt durch die Kab.-Ordre vom
18. Juni 1872 3). Dieſe Formationen ſind zur militairiſchen Aus-
bildung der Matroſen beſtimmt 4). Zu jeder Matroſen-Diviſion
gehören 4 Abtheilungen und — ſeit der Aufhebung der Seeartil-
lerie-Abtheilung — 1 Matroſen-Artillerie-Abtheilung, welche zur
9*
[132]§. 87. Die Kriegsmarine.
Vertheidigung der Hafen- und Küſtenbefeſtigungen und zur Aus-
führung artilleriſtiſcher Arbeiten dient.
2. Die beiden Werft-Diviſionen zu Kiel und in Wil-
helmshaven. Die älteren Beſtimmungen über die Einrichtung der-
ſelben ſind erſetzt durch das Reglem. vom 10. Dezember 1872 1).
Die Aufgabe derſelben beſteht nach §. 1 dieſes Reglements darin,
die Schiffe ihres Stationsortes mit Maſchiniſten- und Handwerker-
perſonal zu verſehen, ſowie die Werften mit Arbeitskräften zu
unterſtützen. Dieſer Beſtimmung entſprechend zerfällt jede Werft-
Diviſion in die erſte oder Maſchiniſten-Abtheilung und in die zweite
oder Handwerker-Abtheilung. Die erſtere beſteht wieder aus der
Maſchiniſten-Sektion und der Heizer-Sektion 2).
3. Die Schiffsjungen-Abtheilung zu Friedrichsort. Die
gegenwärtige Formation derſelben beruht auf der Verordn. vom
22. Oktober 1872 3). Die Abtheilung ſoll Matroſen und Unter-
offiziere ausbilden. Der Eintritt erfolgt freiwillig und iſt nur
körperlich vollkommen qualifizirten Leuten im Alter von 15—17
Jahren geſtattet; die Annahme erfolgt nur unter der Bedingung,
daß man ſich zu einer neunjährigen aktiven Dienſtzeit in der Kriegs-
marine nach ſtattgehabter Ausbildung verpflichtet 4). Die Aus-
bildungszeit ſelbſt beträgt 3 Jahre, während derſelben gelten die
Schiffsjungen nicht als Perſonen des Soldatenſtandes, ſondern als
militairiſche Zöglinge; erſt wenn ſie die genügende ſeemänniſche
Ausbildung erlangt haben, werden ſie vereidigt und als Matroſen
entweder in die Matroſen-Diviſion oder in die Werft-Diviſion
eingeſtellt.
4. Das Seebataillon. Daſſelbe iſt eine Infanterie-
Truppe, welche aus 6 Kompagnien beſteht (4 in Kiel, 2 in Wil-
helmshaven 5). Es iſt vorzugsweiſe für den Wacht- und Garniſon-
[133]§. 87. Die Kriegsmarine.
dienſt in den Marine-Etabliſſements und an Bord der Kriegsſchiffe,
event. auch zu Landungen, beſtimmt 1).
5. Die Kommandantur zu Kiel. Von derſelben reſſor-
tirt der Garniſondienſt, alle garniſonpolizeilichen Angelegenheiten,
ihr ſteht die Aufſicht über die Garniſon- und Lazareth-Anſtalten
und eigene Militair-Gerichtsbarkeit zu 2).
6. Das Lootſen-Kommando an der Jade zu Wil-
helmshaven reſſortirt von der Marine-Station der Nordſee. Das
Lootſen-Perſonal gehört zu den Militair-Beamten der Marine
und zwar der Lootſen-Kommandeur und die Ober-Lootſen als obere
Milit.-Beamte mit Offizier-Rang, die Lootſen als untere Milit.-
Beamte mit dem Range der Portepee-Unteroffiziere 3).
III. Für die Verwaltung der Marine beſtehen unter der
Oberleitung der Admiralität folgende Behörden:
1. Die beiden Stations-Intendanturen zu Kiel und
zu Wilhelmshaven, welche durch Erlaß vom 18. Juni 1872 4) errichtet
worden ſind und im Allgemeinen mit den Diviſions-Intendanturen
der Armee auf gleicher Stuſe ſtehen. Die Geſchäfte werden bei
jeder derſelben in zwei Abtheilungen bearbeitet. Ueber die An-
nahme, Ausbildung und Prüfung von Kandidaten für den Marine-
Intendanturdienſt ſind die näheren Vorſchriften in dem Reglem.
vom 19. Januar 1875 5) ergangen. Für die örtliche Verwaltung
der Kaſernen, Uebungsplätze und der übrigen Gebäude, Grund-
ſtücke und Anſtalten der Marine beſtehen Garniſonverwaltungen
zu Kiel, zu Friedrichsort und Wilhelmshaven.
2. Die Krankenpflege iſt in ganz ähnlicher Weiſe wie
bei der Armee geregelt und die Kaiſerl. V. vom 6. Febr. 1873
(oben S. 115) hat auch für das Sanitäts-Korps der Marine Gel-
tung. An der Spitze dieſes Korps ſteht der Generalarzt der
[134]§. 87. Die Kriegsmarine.
Marine, welchem die Oberſtabsärzte, Stabsärzte und Aſſiſtenzärzte
untergeordnet ſind 1). Die Marine-Lazarethe 2) ſtehen unter der
Leitung von Chefärzten, unter denen für die ökonomiſche Verwal-
tung Oberinſpektoren und Inſpektoren fungiren 3).
3. Die Militair-Gerichtsbarkeit wird nach Vor-
ſchrift der Preuß. Militair-Strafprozeß-Ordnung ausgeübt; die
höhere Gerichtsbarkeit (der Diviſionskommandeure 4) ſteht den
Stationschefs zu und es ſind denſelben Marine-Auditeure
beigegeben, für welche dieſelben Regeln wie für die Auditeure des
Heeres gelten. Die niedere Gerichtsbarkeit ſteht den Kom-
mandanten der in Dienſt geſtellten Schiffe zu 5). Das oberſte
Militairgericht in Marinejuſtizſachen iſt mit dem Preuß. General-
Auditoriat verbunden; es führt die Bezeichnung „General-
Auditoriat der Kaiſerl. Marine“ 6). Es iſt die auf-
ſichtführende Behörde über ſämmtliche Marine-Gerichte.
4. Für die Seelſorge werden Marinepfarrer und Küſter
angeſtellt 7), auf welche hinſichtlich ihrer dienſtlichen Verhältniſſe
die für die Militairgeiſtlichen gegebenen Vorſchriften d. h. die An-
ordnungen der Militair-Kirchen-Ordnung vom 12. Febr. 1832,
Anwendung finden 8).
5. Unterricht. Für die wiſſenſchaftliche Ausbildung der
Marine-Angehörigen ſind die Marineakademie und die Marineſchule
zu Kiel beſtimmt. Beide Lehranſtalten reſſortiren von der Ad-
miralität und ſind unter einer gemeinſchaftlichen Direktion ver-
einigt 9). Die Einrichtung der Marineakademie iſt geregelt
[135]§. 87. Die Kriegsmarine.
durch die Kab.-Ordre vom 5. März 1872 1); demnach hat ſie die
Beſtimmung: „den Seeoffizieren durch weitere wiſſenſchaftliche
Ausbildung die Mittel zu gewähren, ſich zu den höheren Stellen
der Marine beſonders geeignet zu machen und den Offizieren über-
haupt Gelegenheit zu einer höheren wiſſenſchaftlichen Ausbildung
. . . . darzubieten.“ Der Lehrkurſus iſt ein zweijähriger und zer-
fällt in zwei einjährige Abſchnitte für einen erſten und zweiten
Cötus 2). Die Marineſchule iſt aus dem ehemaligen Preuß.
Seekadetten-Inſtitut hervorgegangen; ihre jetzige Organiſation iſt
durch einen Erlaß vom 15. Mai 1866 normirt 3). Sie hat die
Beſtimmung: „den Seeoffizieraſpiranten diejenige wiſſen-
ſchaftliche Bildung zu verleihen, deren der Seeoffizier zur gedeih-
lichen Ausübung ſeines Berufes bedarf, und welche daher als
ſichere Grundlage für ferneres Selbſtſtudium in der Prüfung zum
Seeoffizier nachzuweiſen iſt“ 4).
Für den niederen Unterricht und für die Vorbildung des
Perſonals der unteren Chargen für die höheren Stellen beſtehen
Diviſions-Schulen5) in jeder Matroſen- und in jeder Werft-
diviſion und als Lehranſtalt einer höheren Stufe die „Maſchi-
niſten- und Steuermannsſchule“ zu Kiel 6). Die letztere
hat das Maſchiniſten- und Steuermannsperſonal wiſſenſchaftlich
fortzubilden und auf die Prüfungen vorzubereiten.
IV.Anſtalten für den Schiffsbau und die Schiffs-
ausrüſtung.
1. Die Werften. Der Kaiſerl. Admiralität unmittelbar
untergeordnet ſind die 3 Werften zu Danzig, Kiel und Wilhelms-
[136]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
haven; zu ihrer Aufgabe gehört der Schiffsbau und die Reparatur
der Schiffe, der Maſchinenbau, der Hafenbau, die Ausrüſtung und
Armirung der Fahrzeuge, die Aufſtellung des Bedarfs an Mate-
rialien, ſowie die Anſchaffung, Aufbewahrung und Verwendung
derſelben 1). Ueber das an denſelben beſchäftigte Perſonal und
die Eintheilung ihres Geſchäftskreiſes vgl. oben Bd. I S. 339. 340.
2. Die Marine-Artillerie-Depots und die Artil-
lerie-Verwaltungen der Werften zu Friedrichsort und Wilhelmshaven.
3. Die Torpedo-Depots zu Friedrichsort und Wil-
helmshaven, denen die Verwaltung des Minen-Materials obliegt;
das geſammte Torpedo-Material wird bei dem Depot zu Friedrichs-
ort verwaltet 2).
V. Die Deutſche Seewarte zu Hamburg und das Ob-
ſervatorium zu Wilhelmshafen. Siehe darüber Bd. I S. 340. 616.
Dritter Abſchnitt.
Der Militairdienſt.
§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht3).
I.Die allgemeine Wehrpflicht.
Die Wehrpflicht iſt die ſtaatsbürgerliche Verpflichtung
zur Dienſtleiſtung in der bewaffneten Macht (Heer, Marine, Land-
ſturm). Ueber dieſelbe gelten folgende Rechtsregeln.
[137]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
1. Die Wehrpflicht iſt eine ſtaatsbürgerliche Verpflichtung;
ſie beruht auf der Staats- reſp. Reichsangehörigkeit und iſt das Cor-
relat des ſtaatsbürgerlichen Rechts auf Schutz. Die Wehrpflicht ſteht
daher begrifflich im Gegenſatz zur vertragsmäßigen Ver-
pflichtung zur Leiſtung militairiſcher Dienſte. Das Syſtem der
allgemeinen Wehrpflicht unterſcheidet ſich juriſtiſch von dem Werbe-
ſyſtem, indem das erſtere das Hoheitsrecht des Staates, von ſeinen
Unterthanen perſönliche Militairdienſte zu verlangen, zur Grund-
lage hat, bei dem letzteren dagegen ein ſolches Hoheitsrecht nicht
anerkannt oder wenigſtens nicht zur Durchführung gebracht wird,
ſondern die Leiſtung von militairiſchen Dienſten durch Verträge
geſichert wird. Die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht ent-
hebt den Staat der Nothwendigkeit, die erforderlichen Mili-
tairkräfte ſich vertragsmäßig zu verſchaffen, aber ſie ſchließt dieſen
zweiten Weg nicht aus; ſoweit militairiſche Bedürfniſſe durch die
allgemeine Wehrpflicht nicht völlig gedeckt werden, iſt der Staat
auf die vertragsmäßige Gewinnung der erforderlichen Kräfte hin-
gewieſen. Dies gilt auch von der Heeresverfaſſung des Deutſchen
Reiches; dieſelbe beruht nicht ausſchließlich auf der allgemeinen
Wehrpflicht und könnte mit ihr allein durchaus nicht erhalten wer-
den; es beſteht neben der ſtaatsbürgerlichen Wehrpflicht die ver-
tragsmäßige Dienſtpflicht. Vgl. §. 89.
2. Die Wehrpflicht umfaßt nicht alle für Zwecke der Landes-
vertheidigung beſtimmten Dienſte und Leiſtungen, ſondern lediglich
den Dienſt in der organiſirten, bewaffneten Macht, d. h. im Heere,
in der Marine und im Landſturm 1). Wenn im Falle äußerſter
3)
[138]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
Noth noch über die Mannſchaften des Landſturmes hinaus ein
Maſſen-Aufgebot erfolgt, ſo kann auch dieſer Befehl der Staats-
gewalt mit Rechtswirkungen ausgeſtattet ſein 1), aber ihm Folge
zu leiſten bildet nicht mehr den Inhalt der in der Reichsverfaſſung
und den Militairgeſetzen anerkannten allgemeinen Wehrpflicht.
Ebenſowenig begreift dieſelbe ſolche Dienſte, welche außerhalb des
Verbandes der bewaffneten Macht geleiſtet werden, mögen dieſelben
auch der Thätigkeit des Heeres zu Gute kommen. Andererſeits
iſt aber die Wehrpflicht nicht beſchränkt auf den Waffendienſt;
ſondern ſie umfaßt alle militairiſchen Dienſtleiſtungen und es
können nicht nur neben dem eigentlichen Waffendienſt auch andere
Dienſtleiſtungen von dem Wehrpflichtigen gefordert werden, ſondern
diejenigen Wehrpflichtigen, welche zwar nicht zum Waffendienſte,
jedoch zu ſonſtigen militairiſchen, ihrem bürgerlichen Berufe ent-
ſprechenden Dienſtleiſtungen fähig ſind, können zu ſolchen heran-
gezogen 2) und ausſchließlich zu ſolchen Dienſten verwendet
werden.
3. Die Wehrpflicht iſt wegen ihrer Natur als ſtaatsbürger-
lichen Pflicht eine kraft Geſetzes beſtehende, gemeſſene und
für alle Unterthanen im Prinzip gleiche Laſt. Die Regierungs-
behörden können von keinem Wehrpflichtigen ein größeres Maß
von Dienſten verlangen, als das Geſetz beſtimmt, und es giebt
keine Befreiungsgründe von Erfüllung der Wehrpflicht als die im
Geſetz anerkannten. Das Maß der Verpflichtung beſtimmt ſich
nach der Zeitdauer des Dienſtes, der von dem Wehrpflichtigen
verlangt werden kann. Die Wehrpflicht iſt beſchränkt auf die
Zeit vom vollendeten 17. bis zum vollendeten 42. Lebensjahre,
denn nur innerhalb dieſer Altersgränzen iſt eine Einberufung zur
bewaffneten Macht (Landſturm) zuläſſig 3). Innerhalb dieſes Le-
bensabſchnittes iſt im Frieden der Dienſt bei den Fahnen
(aktiver Dienſt) auf drei Jahre, in der Reſerve auf vier Jahre,
[139]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
in der Landwehr auf fünf Jahre beſchränkt 1). Dieſe Zeiträume
bilden das Maximum des Dienſtes, der kraft des Geſetzes geleiſtet
werden muß; ſie bilden die Gränzen für das Recht des
Staates, von dem Unterthan im Frieden Militairdienſte zu ver-
langen.
4. Die Wehrpflicht an ſich erzeugt keine ſubjektive Verpflicht-
tung zu einer beſtimmten militairiſchen Dienſtleiſtung; eine
ſolche Verpflichtung entſteht erſt durch den hinzukommenden Befehl
des Staates in jedem einzelnen concreten Fall; die allgemeine
Wehrpflicht iſt nur der Inbegriff derjenigen ge-
ſetzlichen Vorausſetzungen, bei deren Vorhan-
denſein der Befehl der Staatsbehörden zur Lei-
ſtung von Militairdienſten mit rechtlicher Kraft
und Gültigkeit erlaſſen werden kann. Es beruht
dies auf dem tiefgehenden Gegenſatz zwiſchen ſtaatsbürgerlichen
Laſten und obligatoriſchen Verpflichtungen; der Beſtand der letz-
teren iſt unabhängig davon, daß der Berechtigte ihre Erfüllung
fordert und ſie erlöſchen regelmäßig nur durch Leiſtung oder
Erlaß; die ſtaatsbürgerlichen Pflichten dagegen ſind Gehorſams-
pflichten, ſie entfalten keine Wirkſamkeit, wofern der Staat nicht
ihre Erfüllung fordert d. h. befiehlt, und ſie können demnach
völlig wirkungslos bleiben, wenn dieſer Befehl thatſächlich nicht er-
laſſen wird. So kann namentlich die Wehrpflicht des Einzelnen
erlöſchen, ohne daß er durch dieſelbe zu irgend einer militairiſchen
Dienſtleiſtung genöthigt worden iſt; denn das Weſen derſelben be-
ſteht nur in der rechtlichen Gebundenheit, einem Befehl des
Staates zur Leiſtung militairiſcher Dienſte Folge geben zu müſſen.
Unter Befreiung von der Wehrpflicht iſt demnach nicht zu ver-
ſtehen, die thatſächliche Nicht-Einforderung von Militairdienſten von
Jemandem, z. B. wegen geiſtigen oder körperlichen Gebrechens
wegen Auslooſung u. ſ. w., ſondern ſie bedeutet die Exemtion von
jener Rechtspflicht, d. h. den Satz, daß der Staat Militair-
dienſte von dem Befreiten nicht verlangen, ihn zur Leiſtung der-
ſelben nicht zwingen darf. Eine ſolche Befreiung iſt im
Wehrgeſetz §. 1 zugeſtanden:
a) den Mitgliedern regierender Häuſer,
[140]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
b) den Mitgliedern der mediatiſirten, vormals reichsſtändiſchen
und derjenigen Häuſer, welchen die Befreiung von der Wehrpflicht
durch Verträge zugeſichert iſt oder auf Grund beſonderer Rechts-
titel zuſteht.
Befreit von der Wehrpflicht ſind ferner:
c) die vor dem 1. Januar 1851 geborenen Angehörigen von
Elſaß-Lothringen 1).
5. Da die Wehrpflicht eine ſtaatsbürgerliche Laſt iſt, ſo kann
ſie nur die Reichsangehörigen betreffen. Ausländer können
zwar zum Dienſt im Deutſchen Heere und in der Flotte zugelaſſen
werden 2) und freiwillig Dienſtpflichten übernehmen, aber wehr-
pflichtig ſind ſie niemals 3). Mit dem Verluſt der Reichsangehörig-
keit erliſcht demnach von ſelbſt auch die Wehrpflicht. Durch die
Auswanderung kann man ſich daher derſelben entziehen und aus
dieſem Grunde bewirkt die Wehrpflicht eine Erſchwerung der Vor-
ausſetzungen, unter denen die Auswanderung geſtattet iſt. Anderer-
ſeits ſoll die Auswanderungsfreiheit nicht durch die Rückſicht auf
die Wehrpflicht aufgehoben oder ſoweit beſchränkt werden, daß ſie
thatſächlich werthlos wird; dies würde aber der Fall ſein, wenn
die Auswanderung während der ganzen Dauer der Wehrpflicht
unſtatthaft wäre. Es iſt deshalb die Geſtattung der Auswande-
rung nicht an die Beendigung der Wehrpflicht, ſondern an die
Erfüllung des wichtigſten Theiles derſelben, der activen Dienſt-
pflicht (ſiehe unten sub IV.) geknüpft. Die Auswanderung, um
ſich dem activen Dienſte im Heere oder in der Flotte
zu entziehen, iſt verboten; wenn die active Dienſtpflicht aber er-
füllt iſt 4), oder wenn der Wehrpflichtige zur Erfüllung der Dienſt-
pflicht ſich geſtellt hat, zur Ableiſtung derſelben aber deshalb nicht
[141]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
gelangte, weil er zur Erſatzreſerve überwieſen worden iſt, ſo bildet
die Wehrpflicht im Frieden kein weiteres Hinderniß der Auswan-
derung 1). Im Kriege dagegen oder in Zeiten einer Kriegsgefahr
können beſondere Anordnungen über die Auswanderung vom Kaiſer
erlaſſen werden 2). Mit dieſem Grundſatz, daß nicht die allgemeine
Wehrpflicht als ſolche d. h. in ihrem vollen Umfange, ſondern nur
die in ihr enthaltene oder aus ihr reſultirende Pflicht zur Ableiſtung
von Militairdienſten im ſtehenden Heere oder in der Flotte eine
Beſchränkung der Auswanderungs-Freiheit begründet, iſt zugleich
die Conſequenz gegeben, daß die Auswanderungsbeſchränkung der
Wehrpflichtigen nur ſo lange dauert, als die letzteren zur Ablei-
ſtung der Dienſtpflicht herangezogen werden können und bis über
ihre active Dienſtpflicht definitiv entſchieden iſt, d. h. ſo lange ſie
militairpflichtig ſind. (Siehe unten sub II und III.) Die Aus-
wanderung kann nun aber in doppelter Form erfolgen 3), entweder
mit Conſens des Heimathsſtaates, d. h. durch Entlaſſung aus dem
Staatsverbande, oder in Folge langer Abweſenheit, alſo durch
einſeitigen Willensakt des Staatsangehörigen 4). Für beide Fälle
ſind demnach Auswanderungsbeſchränkungen zur Sicherung der
activen Dienſtpflicht geſetzlich angeordnet und es iſt überdies die
Wehrpflicht der ausgewanderten und in das Bundesgebiet wieder
eingewanderten Reichsangehörigen normirt worden.
a) Die Entlaſſung aus dem Staatsverbande eines
Deutſchen Bundesſtaates darf Wehrpflichtigen, welche ſich in dem
Alter vom vollendeten 17. bis zum vollendeten 25. Lebensjahre
befinden, nicht ertheilt werden, bevor ſie ein Zeugniß der Erſatz-
kommiſſion darüber beigebracht haben, daß ſie die Entlaſſung nicht
blos in der Abſicht nachſuchen, um ſich der Dienſtpflicht
im ſtehenden Heere oder in der Flotte zu entziehen 5).
[142]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
Da die Entlaſſung des Angehörigen eines Deutſchen Staates aus
dem Staatsverbande zugleich auch auf die noch unter väterlicher
Gewalt ſtehenden minderjährigen Kinder ſich erſtreckt, ſofern nicht bei
der Entlaſſung eine Ausnahme gemacht wird 1), ſo iſt in dem Falle,
daß der Auswanderer minderjährige Söhne hat, welche das 17.
Lebensjahr zurückgelegt haben, in der Entlaſſungsurkunde ein Vor-
behalt hinſichtlich dieſer Söhne zu machen, wenn nicht für dieſelben
das erforderliche Zeugniß der Erſatzkommiſſion beigebracht wird 2).
In Kriegszeiten kann durch Kaiſerliche Verordnung auf Grund des
§. 17 des Reichsgeſetzes v. 1. Juni 1870 die Ertheilung der Aus-
wanderungs-Erlaubniß an Wehrpflichtige ganz unterſagt werden 3).
b) Ein Wehrpflichtiger, welcher in der Abſicht, ſich dem
Eintritte in den Dienſt des ſtehenden Heeres oder der
Flotte zu entziehen, ohne Erlaubniß das Bundesgebiet
verläßt oder nach erreichtem militärpflichtigen Alter ſich außer-
halb des Bundesgebietes aufhält, wird mit Geldſtrafe von 150
bis zu 3000 Mark oder mit Gefängniß von einem Monat bis zu
einem Jahre beſtraft. Der Verſuch iſt ſtrafbar. Die Beſchlag-
nahme des Vermögens des Angeſchuldigten zur Deckung von Geld-
ſtrafe und Koſten iſt ſtatthaft 4). Für den Thatbeſtand des Deliktes
5)
[143]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
iſt es unerheblich, ob der Heerespflichtige durch lange Abweſenheit
vou Deutſchland die Reichsangehörigkeit wirklich eingebüßt hat oder
nicht und ob er eine fremde Staatsangehörigkeit erworben hat
oder nicht. Kehrt er in das Bundesgebiet zurück, ſo kann er zur
Strafe gezogen werden, wofern die Strafverfolgung noch nicht ver-
jährt iſt 1). Von dieſem Grundſatz iſt eine Ausnahme nur aner-
kannt, wenn ein Angehöriger des Deutſchen Reiches, der ſich ſeiner
Dienſtpflicht durch Auswanderung entzogen hat, in Nordamerika
naturaliſirt worden iſt und dann nach Deutſchland zurückkehrt; in-
dem Art. 2 des Vertrages des Nordd. Bundes v. 22. Febr. 1868
(B.G.B. S. 228) und der entſprechenden Verträge der Nordameri-
niſchen Union mit Bayern, Württemberg, Baden und Heſſen vom
Jahre 1868 beſtimmt, daß der zurückkehrende Auswanderer nur
wegen ſolcher Handlungen, welche er vor ſeiner Auswanderung
verübt hat, zur Strafe gezogen werden könne 2).
[144]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
Eine erhöhte Strafe tritt ein, nämlich Gefängniß bis zu zwei
Jahren, neben welchem auf Geldſtrafe bis zu 3000 Mark er-
kannt werden kann, wenn ein Wehrpflichtiger nach öffentlicher Be-
kanntmachung einer vom Kaiſer für die Zeit eines Krieges oder
einer Kriegsgefahr erlaſſenen beſonderen Anordnung in Widerſpruch
mit derſelben auswandert 1).
Das Strafverfahren gegen Abweſende, welche ſich der Wehr-
pflicht entzogen haben, iſt in der Reichs-Strafprozeß-Ordnung §§.
470 ff. beſonders geregelt worden. Eigenthümlich iſt demſelben,
daß die Erhebung der Anklage und die Eröffnung der Unterſuchung
auf Grund einer Erklärung der mit der Kontrole der Wehrpflich-
tigen beauftragten Behörde erfolgt.
c) Wenn ein Wehrpflichtiger durch Entfernung aus dem
Bundesgebiet ſich der Erfüllung der Wehrpflicht entzogen hat und
ſpäter wieder zurückkehrt, ſo entſteht die Frage, in wie weit er
nachträglich zur Erfüllung der Wehrpflicht und insbeſondere der
activen Dienſtpflicht im Heere oder in der Flotte angehalten wer-
den kann. In dieſer Beziehung ſind 3 Fälle zu unterſcheiden.
Entweder hat die Entfernung den Verluſt der Reichsangehörigkeit
nicht nach ſich gezogen, indem ſie den Erforderniſſen des §. 21 des
Geſ. v. 1. Juni 1870 nicht entſprochen und mit der Entlaſſung nicht
verbunden war — alsdann dauert auch die Wehrpflicht ununter-
brochen fort und der Wehrpflichtige kann zur nachträglichen Erfüllung
derſelben 2) als unſicherer Heerespflichtiger in die Armee eingereiht
werden. Oder der Auswanderer hat die Reichsangehörigkeit aufge-
geben und eine fremde Staatsangehörigkeit erworben und kehrt als
Bürger eines fremden Staates zurück — alsdann iſt er im deutſchen
Reiche nicht wehrpflichtig. Der dritte Fall endlich iſt der, daß der
zurückkehrende Deutſche die Reichsangehörigkeit zwar verloren, eine
andere Staatsangehörigkeit aber nicht erworben oder wieder ver-
loren hat. In dieſem Falle lebt die Wehrpflicht wieder auf und mit-
[145]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
hin auch die Militairpflicht, gleichviel ob der zurückkehrende Auswan-
derer die Reichsangehörigkeit wieder erworben hat oder „ſtaaten-
los“ den Aufenthalt in Deutſchland genommen hat. Jedoch können
ſolche Perſonen im Frieden nicht über das vollendete 31. Lebens-
jahr hinaus im Dienſt zurückbehalten werden 1). Dieſelbe Ver-
pflichtung trifft die Söhne ausgewanderter und wieder in das Deutſche
Reich zurückgekehrter Perſonen, ſofern ſie keine andere Staatsan-
gehörigkeit erworben haben 2). Auch Perſonen des Beurlaubten-
ſtandes und der Erſatzreſerve I. Kl., welche nach erfolgter Aus-
wanderung vor vollendetem 31. Lebensjahre wieder naturaliſirt
werden, ſind ebenfalls wieder wehrpflichtig und treten in den-
jenigen Jahrgang ein, dem ſie ohne die ſtattgehabte Auswanderung
angehört haben würden 3).
6. Die Erfüllung der Wehrpflicht iſt auch außer den erwähn-
ten Beſtimmungen über die Auswanderung durch eine Anzahl von
Strafdrohungen geſichert. Die meiſten derſelben betreffen die ein-
zelnen in der allgemeinen Wehrpflicht enthaltenen Verpflichtungen
und können daher erſt bei Erörterung der letzteren dargeſtellt wer-
den; auf die Wehrpflicht im Allgemeinen aber 4) beziehen ſich
folgende Vorſchriften:
a) „Wer ſich vorſätzlich durch Selbſtverſtümmelung oder
auf andere Weiſe zur Erfüllung der Wehrpflicht untauglich macht
oder durch einen Anderen untauglich machen läßt, wird mit Ge-
fängniß nicht unter Einem Jahre beſtraft; auch kann auf Verluſt
der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Dieſelbe Strafe trifft
denjenigen, welcher einen Anderen auf deſſen Verlangen zur Er-
füllung der Wehrpflicht untauglich macht“ 5). Zum Thatbeſtande
iſt nicht erforderlich, daß die Handlung die gänzliche Untaug-
lichkeit zum Militairdienſt herbeiführt; die Strafe iſt auch dann
Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 10
[146]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
verwirkt, wenn der Wehrpflichtige zum Waffendienſt untauglich ge-
macht wird, zu anderen militairiſchen Dienſten dagegen verwend-
bar bleibt 1).
b) „Wer in der Abſicht, ſich der Erfüllung der Wehrpflicht
ganz oder theilweiſe zu entziehen, auf Täuſchung berechnete
Mittel anwendet, wird mit Gefängniß beſtraft; auch kann auf Ver-
luſt der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Dieſelbe Straf-
vorſchrift findet auf den Theilnehmer Anwendung“ 2). Dieſes
Delict kann nur einer Behörde gegenüber verübt werden, welche
über die Erfüllung der Wehrpflicht des Einzelnen eine Ent-
ſcheidung zu treffen hat; dieſe Behörde braucht aber nicht gerade
eine Erſatzkommiſſion oder Obererſatzkommiſſion zu ſein; ſondern
es kann jede Civil- oder Militärbehörde ſein, welche behufs Durch-
führung der Wehrpflicht in irgend einem Stadium vom Beginn
bis zum Erlöſchen derſelben eine amtliche Thätigkeit zu entfalten
hat, alſo insbeſondere auch die mit der Aufſtellung der Liſten be-
trauten Gemeindebehörden, die Landwehr-Bezirkskommando’s u. ſ. w.
Zum Thatbeſtande iſt ferner nicht erforderlich die Vorſpiegelung
eines körperlichen oder geiſtigen Mangels, um die Behörden über
die Tauglichkeit des Wehrpflichtigen zu täuſchen, ſondern es
kann auch verübt werden durch Machinationen, um die über die
Erfüllung der Wehrpflicht entſcheidenden Behörden hinſichtlich der
Reichsangehörigkeit des Wehrpflichtigen, über ſeine rechtliche Fähig-
keit zum Eintritt in das Heer oder zum Verbleiben in demſelben,
über ſein Lebensalter, über das Vorhandenſein von Befreiungs-
gründen u. ſ. w. irre zu führen.
II.Die Militairpflicht.
1. Begriff. Militairpflichtig iſt derjenige, welcher der Aus-
hebung zum Dienſt im ſtehenden Heere oder in der Flotte unter-
worfen iſt 3). Die Militairpflicht iſt begrifflich der Wehrpflicht
ganz gleichartig. Sie iſt keine Dienſtpflicht; ſie enthält nicht die
Obliegenheit zu Leiſtungen für das Heer oder die Flotte; der
[147]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
Militairpflichtige gehört nicht zur bewaffneten Macht; er unterliegt
nicht der militairiſchen Disciplin und Rechtsordnung. Aber die
Militairpflicht iſt eine Potenzirung oder Qualifikation der Wehrpflicht.
Wehrpflichtig iſt jeder, welcher dem Befehl zum Dienſt
in der bewaffneten Macht zu gehorchen verpflichtet iſt, alſo auch
dem Befehl zum Dienſt im Landſturm, in der Landwehr und in
der Seewehr; die Wehrpflicht umfaßt ferner auch den activen
Dienſt ſelbſt mit. Die Militairpflicht dagegen iſt nur ein
vorübergehendes Stadium der Wehrpflicht; ſie bezieht ſich nur
auf die Aushebung zum ſtehenden Heere und zur
Flotte; ſie beginnt daher erſt mit dem Lebensalter, in welchem
der Wehrpflichtige ſich die Aushebung gefallen laſſen muß, und ſie
endet mit der definitiven Entſcheidung über die Dienſtpflicht,
gleichviel ob dieſe Entſcheidung in der Aushebung für einen Trup-
pen- oder Marinetheil, oder in der Ueberweiſung zur Erſatzreſerve
oder Seewehr, oder in der Ausmuſterung reſp. Ausſchließung vom
Dienſt beſteht 1). Während die Wehrpflicht mit dem vollendeten
17. Lebensjahre beginnt, fängt die Militairpflicht erſt am 1. Januar
des Kalenderjahres an, in welchem der Wehrpflichtige das 20.
Lebensjahr vollendet 2). Wenn der Wehrpflichtige ſchon vor dieſem
Zeitpunkt ſich freiwillig zum Eintritt in das Heer oder die Flotte
meldet und zur Erfüllung der Dienſtpflicht zugelaſſen wird 3), ſo
wird er im juriſtiſchen Sinne überhaupt niemals militairpflichtig,
da er der Aushebung nicht mehr unterworfen iſt 4). Wenn anderer-
ſeits ein Wehrpflichtiger die endgültige Entſcheidung über ſeine
Dienſtpflicht dadurch unmöglich macht, daß er ſich vor den Erſatz-
behörden nicht zur Unterſuchung geſtellt, ſo bleibt er bis zum
Erlöſchen ſeiner Wehrpflicht fortdauernd militair-
pflichtig5).
Die Wehrpflicht in ihrer allgemeinen Bedeutung und die
Militairpflicht insbeſondere haben das mit einander gemein, daß
3)
10*
[148]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
ſie an ſich, d. h. ſo lange nicht die Einberufungsordre hinzukömmt,
zu militairiſchen Dienſten nicht verpflichten. Dagegen iſt die
Militairpflicht dadurch von der Wehrpflicht verſchieden, daß ſie die
Verpflichtung zu Handlungen in ſich ſchließt, welche die Durch-
führung der die Dienſtpflicht regelnden Vorſchriften, die Rekruti-
rung, erleichtern oder ermöglichen. Dieſe Handlungen ſind die
Anmeldung und die Geſtellung. Mit Rückſicht hierauf giebt
es in der That eine Erfüllung der Militairpflicht durch ein poſi-
tives Thun. Für die Erfüllung der Militairpflicht iſt reichs-
geſetzlich der wichtige Grundſatz anerkannt, daß ſie nicht in dem Ge-
biete desjenigen Staates zu erfolgen hat, dem der Militairpflichtige
angehört, ſondern in demjenigen, in welchem er ſeinen dauernden
Aufenthaltsort hat. Man pflegt dies die „militairiſche Frei-
zügigkeit“ zu nennen. Wenn der Militairpflichtige im Bundes-
gebiet einen dauernden Aufenthaltsort nicht hat, ſo iſt die Mili-
tairpflicht da zu erfüllen, wo er ſeinen Wohnſitz d. h. ſeinen
ordentlichen Gerichtsſtand hat. Wer innerhalb des Bundesgebietes
weder einen dauernden Aufenthaltsort noch einen Wohnſitz hat,
muß die Militairpflicht an ſeinem Geburtsort erfüllen, und wenn
auch der Geburtsort im Auslande liegt, in demjenigen Aushebungs-
bezirke des Inlandes, in welchem die Eltern oder Familienhäupter
ihren letzten Wohnſitz hatten (locus originis) 1).
2. Die Meldepflicht. „Die Militairpflichtigen und deren
Angehörige haben die Anmeldung zur Stammrolle nach Maßgabe
der gegenwärtig beſtehenden Vorſchriften zu bewirken.“ Mil.-Geſ.
5)
[149]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
§. 31. Durch dieſe Anordnung iſt nicht nur die Meldepflicht ge-
ſetzlich begründet, ſondern es iſt auch die Geſammtheit der über die
Erfüllung derſelben „gegenwärtig“ d. h. bei Erlaß des Militair-
geſetzes beſtehenden Vorſchriften mit formeller Geſetzeskraft ausge-
ſtattet worden, ſo daß dieſelben nur in der Form des Geſetzes ab-
geändert werden können. Dieſe Vorſchriften ſind enthalten im §. 59
der Militair-Erſatz-Inſtruktion vom 26. März 1868 und ſind in die
Wehr-Ordn. I §. 23 übergegangen. Im Einzelnen gelten folgende
Sätze:
a) Die Rekrutirungs-Stammrollen ſind von den
Gemeinden oder gleichartigen Verbänden unter Kontrole der
Erſatzbehörden zu führen 1). In dieſelben ſind alle Militair-
pflichtigen der Gemeinde einzutragen; ſie werden auf Grund der
Civilſtandsregiſter 2) und der erfolgten Anmeldungen der Militair-
pflichtigen, ſowie amtlicher Ermittelungen geführt. Die Regelung
und Kontrole der Führung innerhalb des Aushebungsbezirkes iſt
Sache des Civilvorſitzenden der Erſatzkommiſſion; zu allgemeinen
Erlaſſen über die Führung der Stammrollen iſt die in der dritten
Inſtanz fungirende Civilbehörde befugt. Die Eintragungen erfolgen
in alphabetiſcher Ordnung der Militairpflichtigen. In die Liſten
ſind auch diejenigen Wehrpflichtigen aufzunehmen, welche vor Be-
1)
[150]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
ginn des militairpflichtigen Alters freiwillig eingetreten ſind; ſie
werden jedoch nach der Eintragung mit bezüglichem Vermerk wie-
der geſtrichen. Zum 15. Februar jedes Jahres werden die Stamm-
rollen des laufenden Jahres und der beiden Vorjahre unter Bei-
fügung der Auszüge aus den Geburtsregiſtern und der Benach-
richtigungsſchreiben über Todesfälle, an den Civilvorſitzenden der
Erſatzkommiſſion eingereicht. Derſelbe veranlaßt, ſoweit erforderlich,
die [Berichtigung] der Stammrollen, fertigt auf Grund derſelben
für jedes Jahr die alphabetiſche Liſte, d. h. die Zuſammenſtellung
aller in den Stammrollen eines Jahres enthaltenen Militairpflich-
tigen für den ganzen Aushebungsbezirk, an und ſendet ſodann die
Stammrollen dem Gemeindevorſteher zurück 1).
b) Die Wehrpflichtigen haben nach Beginn der Militairpflicht
die Verpflichtung, ſich bei der Behörde des Ortes, an welchem
ſie die Militairpflicht zu erfüllen haben, zur Aufnahme in die
Rekrutirungs-Stammrolle anzumelden. Die Mel-
dung muß in der Zeit vom 15. Januar bis zum 1. Februar er-
folgen und iſt alljährlich ſo lange zu wiederholen, bis eine end-
gültige Entſcheidung über die Dienſtpflicht durch die Erſatzbehörden
erfolgt iſt; es ſei denn, daß der Militairpflichtige von der Wieder-
holung der Anmeldung auf einen beſtimmten Zeitraum von den
Erſatzbehörden ausdrücklich befreit oder über das laufende Jahr
hinaus zurückgeſtellt worden iſt. Verlegt der Militairpflichtige nach
Anmeldung zur Stammrolle im Laufe des Jahres ſeinen dauern-
den Aufenthalt oder Wohnſitz nach einem andern Aushebungs-
bezirk, ſo hat er dies ſowohl derjenigen Behörde, welche ihn in die
Stammrolle aufgenommen hat, als auch derjenigen, welche an ſei-
nem neuen Aufenthaltsorte die Stammrolle führt, anzumelden.
Eine Verſäumniß der Meldefriſten entbindet nicht von der Er-
füllung der Meldepflicht 2).
c) Wenn Wehrpflichtige von dem Orte, an welchem ſie ſich
zur Eintragung in die Stammrolle anzumelden haben, zeitweilig
abweſend ſind, ſo haben ihre Angehörigen d. h. ihre Eltern,
Vormünder, Lehr-, Brod- oder Fabrikherren die Verpflichtung,
ſie anzumelden 3).
[151]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
d) Die Nichterfüllung der Meldepflicht wird an den
Militairpflichtigen und deren Angehörigen, ſofern ihnen ein Ver-
ſchulden zur Laſt fällt, mit Geldſtrafe bis zu 30 Mark oder mit
Haft bis zu 3 Tagen beſtraft 1). Das Delict iſt kein militairiſches;
es gehört zur Kompetenz der bürgerlichen Gerichte.
3. Die Geſtellungspflicht. „Die Militairpflichtigen
haben ſich vor den Erſatzbehörden zu geſtellen bis über ihre Dienſt-
verpflichtung endgültig entſchieden iſt, jedoch höchſtens zweimal
jährlich.“ Mil.Geſ. §. 10. Die Geſtellung findet in demjenigen
Aushebungsbezirk ſtatt, in welchem der Militairpflichtige ſich zur
Stammrolle zu melden hat 2), und zwar während der ganzein Dauer
der Militairpflicht, ſofern der Militairpflichtige nicht durch die Er-
ſatzbehörden von der Geſtellung ganz oder theilweiſe entbunden
worden iſt 3). Die Geſtellungspflicht gliedert ſich wieder in die
Geſtellung zur Muſterung, das iſt die Geſtellung vor der Er-
ſatzkommiſſion, und in die Geſtellung zur Aushebung, das iſt
die Geſtellung vor der Ober-Erſatzkommiſſion.
a) Die Geſtellung zur Muſterung. Der Aushebungs-
bezirk wird, wenn nöthig, in mehrere Muſterungsbezirke zerlegt 4);
die Muſterungsorte ſind ſo zu wählen, daß die zu muſternden
Militairpflichtigen möglichſt nicht länger als einen Tag, einſchließ-
lich des Rückweges, ihren bürgerlichen Geſchäften entzogen werden,
und die Zahl der an einem Tage zu muſternden Militairpflich-
tigen darf 200 nur ausnahmsweiſe überſteigen 5). Die Beorderung
der Militairpflichtigen zur Muſterung erfolgt durch die Gemeinde-
vorſteher; in Folge der Beorderung müſſen ſich alle Militairpflich-
tigen des Bezirks, welche noch keine endgültige Entſcheidung durch
die Erſatzbehörden erhalten haben oder von der Geſtellung zur
Muſterung nicht ausdrücklich durch den Civilvorſitzenden der Erſatz-
kommiſſion dispenſirt worden ſind, in dem Muſterungsorte ihres
Muſterungsbezirkes ſtellen 6). Wer der Beorderung keine Folge
[152]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
leiſtet, kann durch Anwendung geſetzlicher Zwangmaßregeln zu ſo-
fortiger Geſtellung angehalten werden.
Jeder Militairpflichtige wird der Erſatzkommiſſion einzeln vor-
geſtellt; er muß ſich einer körperlichen Unterſuchung unterwerfen
und ſich zu dieſem Zwecke auf Verlangen des Arztes völlig ent-
blößen; er muß ferner behufs Vervollſtändigung und Berichtigung
der Grundliſten über ſeine bürgerlichen Verhältniſſe Auskunft geben
und die erforderlichen Angaben machen behufs Feſtſtellung, ob
Ausſchließungsgründe vom Militairdienſte vorhanden ſind 1).
b) Die Geſtellung zur Aushebung. Nach beendigter
Muſterung werden die Militairpflichtigen dem Ausfall der Muſterung
gemäß in Kategorien getheilt und für jede dieſer Kategorien wird
eine Vorſtellungsliſte angelegt 2). Die vom Dienſt im Heere aus-
zuſchließenden Militairpflichtigen (Vorſt.-Liſte A), die wegen geiſtiger
oder körperlicher Gebrechen oder wegen Mindermaßes dauernd
untauglichen (Vorſt.-Liſte B), und die wegen zeitlicher Untauglich-
keit, wegen bedingter Tauglichkeit oder als überſchüſſig zur Erſatz-
reſerve II. Kl. in Vorſchlag gebrachten Militairpflichtigen (Vorſt.-
Liſte C lit. a, b, d) werden der Ober-Erſatzkomm. nur auf be-
ſondere Anordnung derſelben perſönlich vorgeſtellt 3); für dieſelben
hat daher die Militairpflicht nach geſchehener Muſterung in der
Regel keine praktiſche Bedeutung mehr. Dagegen ſind die wegen
häuslicher Verhältniſſe zur Erſatzreſerve II. Kl. in Vorſchlag ge-
brachten Militairpflichtigen (V.L. C lit. c), ſämmtliche zur Erſatz-
reſerve I. Kl. (V.L. D) und ſämmtliche zur Aushebung (V.L. E)
in Vorſchlag gebrachten Militairpflichtigen der Landbevölkerung,
ſowie die Militairpflichtigen der ſeemänniſchen Bevölkerung (V.L. F),
wofern ſie an der Muſterung Theil genommen haben, endlich die
von den Truppen- oder Marinetheilen abgewieſenen Freiwilligen ver-
pflichtet, ſich vor der Ober-Erſatzkommiſſion zur Aushebung zu geſtellen.
[153]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
Der Plan zur Aushebungsreiſe im Bezirke wird von der
Ober-Erſatzkommiſſ. feſtgeſtellt und den Erſatzkommiſſionen mitge-
theilt 1). Die Civilvorſitzenden der letzteren haben die Aushebungs-
termine amtlich bekannt zu machen und die Geſtellungspflichtigen
nach dem Aushebungsort zu beordern 2). Außerdem iſt jeder in
den Grundliſten des Aushebungsbezirks enthaltene Militairpflichtige
berechtigt, im Aushebungstermin zu erſcheinen und der Ober-Er-
ſatzkomm. Anliegen vorzutragen 3).
Die Militairpflichtigen werden der Ober-Erſatzkommiſſion in
der Reihenfolge vorgeſtellt, in welcher ſie in den Vorſtellungs-
liſten oder deren Beilagen ſtehen. Sie müſſen ſich einer noch-
maligen körperlichen Unterſuchung unterwerfen. Die von der Ober-
Erſatzkomm. getroffenen Entſcheidungen werden ſogleich in die Vor-
ſtellungsliſten eingetragen. Die tauglich befundenen Militairpflich-
tigen werden, ſoweit es zur Deckung des Rekrutenbedarfes und
des Nacherſatzes erforderlich iſt, in der regelmäßigen Reihenfolge 4)
ausgehoben. Die Reihenfolge wird in jedem Aushebungsbezirk
durch das Loos beſtimmt 5). Die ausgehobenen Rekruten werden
in den Grundliſten geſtrichen und erhalten Urlaubspäſſe. Mit
Aushändigung derſelben treten ſie zu den Mann-
ſchaften des Beurlaubtenſtandes über und ſind der
Kontrole der Landwehrbehörden unterſtellt 6).
c) Die ſchuldbare Verletzung der Geſtellungs-
pflicht iſt mit derſelben Strafe bedroht wie die Verletzung der
Meldepflicht, nämlich mit Geldſtrafe bis zu 30 Mark oder Haft
bis zu 3 Tagen 7), falls nicht zugleich eine härtere Strafe ver-
wirkt, d. h. der Thatbeſtand des im §. 140 Z. 1 des St.G.B.’s
normirten Delicts gegeben iſt.
[154]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
Außer dieſer gerichtlichen Beſtrafung kann die Nichterfüllung der
Geſtellungspflicht Nachtheile hinſichtlich der Erfüllung der Dienſtpflicht
nach ſich ziehen. Die Erſatzbehörden ſind befugt, Militairpflichtigen,
welche in dem Muſterungs- oder Aushebungstermin nicht pünktlich
erſchienen ſind, die Vortheile der Looſung zu entziehen 1), und wo-
fern die Verſäumniß in böslicher Abſicht oder wiederholt erfolgt
iſt, können die Erſatzbehörden ſie des Anſpruchs auf Zurückſtellung
oder Befreiung von der Dienſtpflicht verluſtig erklären und als
unſichere Heerespflichtige ſofort in die Armee einreihen laſſen.
Alsdann wird die Dienſtzeit erſt vom nächſtfolgenden Rekruten-
Einſtellungstermin ab gerechnet 2).
Wenn der Militairpflichtige bei der Muſterung auf Täuſchung
berechnete Mittel anwendet, um ſich der Erfüllung der Dienſtpflicht
zu entziehen, ſo wird er nach §. 143 des St.G.B.’s beſtraft 3).
Dem Civilvorſitzenden der Erſatzkommiſſion liegt es ob, die Ein-
leitung der gerichtlichen Unterſuchung herbeizuführen 4).
III.Die Entſcheidung über die Dienſtpflicht.
Die allgemeine Wehrpflicht iſt, wie bereits bemerkt wurde,
keine allgemeine und gleiche Dienſtpflicht, d. h. nicht jeder Wehr-
pflichtige iſt dienſtpflichtig. Die Einziehung der Wehrpflichtigen
zum Dienſt iſt vielmehr abhängig von ihrer Würdigkeit, ihrer
Tauglichkeit, ihren bürgerlichen Verhältniſſen und von der Rangi-
rung der Militairpflichtigen. Ueber jeden Militairpflichtigen findet
daher eine Unterſuchung und Entſcheidung hinſichtlich ſeiner Dienſt-
pflicht ſtatt. Hierbei iſt der Rechtsweg ausgeſchloſſen, die Gerichte
ſind nicht competent, ein Prozeßverfahren findet nicht ſtatt; auch die
Verwaltungsgerichte können nicht angerufen werden. Die Entſchei-
dung liegt vielmehr ausſchließlich den Erſatzbehörden d. h. den mit
den ſtändigen Geſchäften der Heeresergänzung betrauten Verwal-
tungsbehörden ob. Ihrer Natur nach iſt die Entſcheidung über
die Dienſtpflicht aber kein Verwaltungsgeſchäft 5), ſondern ein rich-
terliches Urtheil; ſie beſteht in der Feſtſtellung der relevanten that-
[155]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
ſächlichen Umſtände und in der logiſchen Unterordnung derſelben
unter Rechtsregeln. Durch die Entſcheidung der Erſatzbehörden
wird in rechtskräftiger Weiſe der Anſpruch des Staates auf die
militairiſchen Dienſte des Wehrpflichtigen reſp. das Vorhandenſein
und der Umfang der Dienſtpflicht des letzteren feſtgeſtellt; ſie ſchafft
formelles Recht zwiſchen dem Staat und dem Wehrpflichtigen in ähn-
licher Weiſe wie das gerichtliche Urtheil unter den Prozeß-Parteien.
1. Die zur Entſcheidung kompetenten Behörden.
Dieſelben ſind aus militairiſchen und bürgerlichen Elementen zu-
ſammengeſetzt, da bei der Rekrutirung nicht ausſchließlich militai-
riſche Intereſſen in Betracht kommen. Sie ſind in vier Inſtanzen
gegliedert. Die erſte Inſtanz iſt die Erſatzkommiſſion. Sie
wird für den Aushebungsbezirk gebildet und beſteht aus dem
Landwehr-Bezirkskommandeur und einem Verwaltungsbeamten des
Bezirks, oder wo ein ſolcher Beamter fehlt, einem beſonders zu
dieſem Zwecke beſtellten bürgerlichen Mitgliede 1). Die zweite In-
ſtanz bildet die Ober-Erſatzkommiſſion für den Infanterie-
Brigadebezirk; ſie beſteht aus dem Infanterie-Brigadekommandeur
und einem höheren Verwaltungsbeamten 2). Die dritte In-
ſtanz fungirt für den Armeekorps-Bezirk; ſie wird gebildet durch
den kommandirenden General des Armeekorps in Gemeinſchaft mit
dem Chef einer Provinzial- oder Landesbehörde, ſofern nicht hier-
für in einzelnen Bundesſtaaten beſondere Behörden beſtellt ſind 3).
Die Oberaufſicht über die Geſchäftsthätigkeit der Erſatzbehörden
und die oberſte Leitung der Heeresergänzung wird von den zu-
ſtändigen Kriegsminiſterien in Gemeinſchaft mit den oberſten Civil-
Verwaltungsbehörden der einzelnen Bundesſtaaten geführt 4). Dieſer,
[156]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
ſogen. Miniſterial-Inſtanz, ſind Angelegenheiten zur Ent-
ſcheidung vorzulegen, hinſichtlich deren bei den Erſatzbehörden dritter
Inſtanz Meinungsverſchiedenheiten beſtehen, über welche eine Ver-
einbarung durch ſchriftliche oder mündliche Berathung nicht erzielt
wird 1).
Zur Entſcheidung über die geſetzlichen Anſprüche auf Befrei-
ungen und Zurückſtellungen (Mil.Geſ. §. 20), ferner über die Ent-
ziehung gewährter Vergünſtigungen und Befreiungen vom Militair-
dienſt (eod. §. 33, 21, 51 und 55), endlich über die Klaſſifikation
der Reſervemannſchaften, der Landwehr und der Erſatzreſerve
I. Klaſſe mit Rückſicht auf die gewerblichen und häuslichen Ver-
hältniſſe (eod. §. 64. 69) treten den ſtändigen Mitgliedern der
Erſatz- und Ober-Erſatzkommiſſion andere Mitglieder hinzu, welche
aus den Bezirks-Eingeſeſſenen von den Kommunal- oder Landes-
vertretungen gewählt, oder wo ſolche Vertretungen nicht vorhanden
ſind, von der Landes-Verwaltungsbehörde ernannt werden. Die
verſtärkte Erſatzkommiſſion beſteht neben den ſtändigen
Mitgliedern aus höchſtens noch einem Offizier 2) und aus vier
bürgerlichen Mitgliedern; die verſtärkte Ober-Erſatzkom-
miſſion wird von den ſtändigen Mitgliedern und noch einem
bürgerlichen Mitgliede gebildet 3). Die bürgerlichen Mitglieder
der Erſatz- und Ober-Erſatzkommiſſion nebſt einer gleichen Anzahl
von Stellvertretern werden auf drei Jahre gewählt 4).
Das Verhältniß der verſchiedenen Inſtanzen iſt in ſehr eigen-
thümlicher, fein ausgeſonnener Weiſe geregelt, die ſowohl den In-
tereſſen der Militair- und Civilverwaltung als denen der Wehr-
pflichtigen Rechnung trägt.
Definitive Entſcheidungen über die Dienſtpflicht werden der
Regel nach nur von der Ober-Erſatzkommiſſion getroffen; die Er-
ſatzkommiſſion arbeitet ihr nur vor und ihre Beſchlüſſe unterliegen
der Reviſion und endgültigen Entſcheidung der Ober-Erſatzkommiſ-
ſion. Insbeſondere kann daher die Erſatzkommiſſion Wehrpflichtige
[157]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
nicht von der Dienſtpflicht befreien oder der Erſatzreſerve zuweiſen.
Dagegen verfügt die Erſatzkommiſſion die nach dem Geſetze zuläſ-
ſigen Zurückſtellungen 1).
Wo nur die ſtändigen Mitglieder an der Beſchlußfaſſung
Theil nehmen, iſt bei Meinungsverſchiedenheit derſelben die Ange-
legenheit der nächſt höheren Inſtanz zur Entſcheidung vorzulegen.
Für unaufſchiebbare vorläufige Maßregeln iſt bei der Erſatzkommiſſion
die Stimme des Civilmitgliedes maßgebend; dieſe Beſtimmung be-
ruht darauf, daß keine Verfügung der Erſatzkommiſſion im Stande
iſt, einen Wehrpflichtigen definitiv von der Erfüllung der Dienſt-
pflicht zu befreien, die ausſchließliche Geltendmachung des militai-
riſchen Intereſſes aber unwiderbringliche Nachtheile für ihn her-
beiführen könnte. Bei der Ober-Erſatzkommiſſion iſt dagegen die
Stimme des militairiſchen Mitgliedes maßgebend nicht nur für
unaufſchiebbare vorläufige Maßregeln, ſondern auch bei der Ent-
ſcheidung über die körperliche Brauchbarkeit der Militairpflichtigen
und die Vertheilung der ausgehobenen Mannſchaften auf die ver-
ſchiedenen Waffengattungen und Truppentheile 2). [Durch] dieſe
Vorſchriften wird das gegenſeitige Verhältniß der Civilverwaltung
und der Militairverwaltung bei dem Erſatzgeſchäft geregelt und
zwar ſo, daß das militairiſche Intereſſe überall volle Wah-
rung findet.
Wenn die verſtärkte Erſatzkommiſſion oder Ober-Erſatz-
kommiſſion die Entſcheidung zu treffen hat, ſo haben alle Mitglieder
gleiches Stimmrecht und die Beſchlüſſe werden mit Stimmenmehr-
heit gefaßt 3). Dem ſtändigen militairiſchen Mitgliede ſteht aber
die Erhebung des Einſpruches zu gegen Entſcheidungen der Erſatz-
kommiſſion über die Klaſſifikation der Mannſchaften der Reſerve,
der Landwehr und der Erſatzreſerve I. Kl.; in dieſem Falle erfolgt
die endgültige Entſcheidung lediglich durch die ſtändigen Mitglieder
der Ober-Erſatzkommiſſion 4).
Die Betheiligten d. h. die Militairpflichtigen und ihre Ange-
hörigen ſind berechtigt, bei dem Verfahren vor den Erſatzbehörden
[158]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
Reklamationen anzubringen und Anträge zu ſtellen und dieſelben
durch Vorlegung von Urkunden und Stellung von Zeugen und
Sachverſtändigen zu unterſtützen 1). Gegen die Entſcheidungen der
Ober-Erſatzkommiſſion ſteht den Militairpflichtigen und ihren zur
Reklamation berechtigten Angehörigen die Berufung an die höheren
Inſtanzen zu. Nur in ſolchen Aushebungsbezirken, welche ihren
Rekrutenantheil nicht aufzubringen vermögen, iſt das ſtändige mili-
tairiſche Mitglied der Ober-Erſatzkommiſſion berechtigt, gegen die
auf Befreiung vom Militairdienſt gerichteten Entſcheidungen Be-
rufung an die höhere Inſtanz einzulegen 2).
2. Zurückſtellungen. Dieſelben erfolgen in der Regel
nur für die Dauer des laufenden Jahres d. h. bis zu dem Termin
für Anmeldung zur Stammrolle im nächſten Jahre; wegen be-
ſonderer Verhältniſſe kann aber eine Zurückſtellung bis zum dritten
Militairpflichtjahre gewährt werden 3). Für die Dauer der Zu-
rückſtellung iſt der Militairpflichtige von der Melde- und Geſtellungs-
pflicht dispenſirt; bei Ablauf der Friſt iſt er in dem Bezirk der-
jenigen Erſatzkommiſion geſtellungspflichtig, welche die Zurückſtellung
verfügt hat; an dieſe Erſatzkommiſſion ſind daher auch Anträge
auf Ueberweiſung an einen andern Aushebungsbezirk zu richten.
Zurückſtellungen auf längere Dauer oder aus andern Billigkeits-
gründen, als den in dem Militairgeſetz angegebenen, können nur
von der Miniſterial-Inſtanz des betreffenden Bundesſtaates verfügt
werden; der Antrag iſt Seitens der Erſatzkommiſſion auf dem In-
ſtanzenweg einzureichen; die Zurückſtellung ganzer Berufsklaſſen
auf Grund dieſer Beſtimmungen iſt unzuläſſig 4). Bei Eintritt
[159]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
einer Mobilmachung verlieren alle Zurückſtellungen ihre Gültigkeit;
ſie können jedoch durch die Erſatzkommiſſion für die Zeit bis zum
nächſten Muſterungsgeſchäft von Neuem ausgeſprochen werden 1).
Die geſetzlich anerkannten Zurückſtellungs-Gründe ſind folgende:
a) Zeitige Untauglichkeit. Militairpflichtige, welche
noch zu ſchwach oder zu klein für den Militairdienſt oder mit heil-
baren Krankheiten von längerer Dauer behaftet ſind, werden vor-
läufig zurückgeſtellt und falls ſie nicht nach ihrer Loosnummer zu
den Ueberzähligen ihres Jahrganges gehören, für das nächſte Jahr
vorgemerkt 2). Die Zurückſtellung erfolgt im Intereſſe des Dienſtes,
folglich ohne Antrag und ſelbſt wider den Wunſch des Militair-
pflichtigen. Die für den Militairdienſt erforderliche Körpergröße
wird durch Kaiſerliche Verordnung beſtimmt 3).
b) Zeitige Unwürdigkeit4). Wer wegen einer ſtraf-
baren Handlung, die mit Zuchthaus oder mit dem Verluſt der
bürgerlichen Ehrenrechte beſtraft werden kann, oder wegen welcher
die Verurtheilung zu einer Freiheitsſtrafe von mehr als ſechs-
wöchentlicher Dauer oder zu einer entſprechenden Geldſtrafe zu er-
warten iſt 5), in Unterſuchung ſich befindet, wird nicht vor Be-
endigung der Unterſuchung eingeſtellt. Wer zu einer Freiheits-
ſtrafe oder zu einer in Freiheitsſtrafe umzuwandelnden Geldſtrafe
rechtskräftig verurtheilt iſt, wird nicht vor deren Vollſtreckung oder
Erlaß eingeſtellt. Damit die Verzögerung der Unterſuchung oder
Strafvollſtreckung aber nicht zur Befreiung von der Militairpflicht
[160]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
mißbraucht werde, kann die Zurückſtellung ſolcher Perſonen bis zum
fünften Militairpflichtjahre verlängert werden.
c) Berückſichtigung bürgerlicher Verhältniſſe.
Die Zurückſtellung wird von den Erſatzehörden auf Antrag der
Militairpflichtigen oder deren Angehörigen auf Grund ſpecieller
Prüfung der Umſtände verfügt 1). Anſpruch darauf haben 2):
- α) „Die einzigen Ernährer hülfloſer Familien, erwerbsunfähiger
„Eltern, Großeltern und Geſchwiſter 3). - β) „Der Sohn eines zur Arbeit und Aufſicht unfähigen Grund-
„beſitzers, Pächters oder Gewerbetreibenden, wenn dieſer
„Sohn deſſen einzige und unentbehrliche Stütze zur wirth-
„ſchaftlichen Erhaltung des Beſitzes, der Pachtung oder des
„Gewerbes iſt. - γ) „Der nächſtälteſte Bruder eines vor dem Feinde gebliebenen
„oder an den erhaltenen Wunden geſtorbenen oder in Folge
„derſelben erwerbsunfähig gewordenen oder im Kriege an
„Krankheit geſtorbenen Soldaten, ſofern durch die Zurück-
„ſtellung den Angehörigen des letzteren eine weſentliche Er-
„leichterung gewährt werden kann. - δ) „Militairpflichtige, welchen der Beſitz oder die Pachtung von
„Grundſtücken durch Erbſchaft oder Vermächtniß zugefallen,
„ſofern ihr Lebensunterhalt auf deren Bewirthſchaftung an-
„gewieſen und die wirthſchaftliche Erhaltung des Beſitzes
„oder der Pachtung auf andere Weiſe nicht zu ermöglichen iſt. - ε) „Inhaber von Fabriken und anderen gewerblichen Etabliſſe-
„ments, in welchen mehrere Arbeiter beſchäftigt ſind, ſofern
„der Betrieb ihnen erſt innerhalb des dem Dienſtpflichtjahre
„vorangehenden Jahres durch Erbſchaft oder Vermächtniß
„zugefallen und deren wirthſchaftliche Erhaltung auf andere
„Weiſe nicht möglich iſt. Auf Inhaber von Handelshäuſern
„entſprechenden Umfanges findet dieſe Vorſchrift ſinngemäße
„Anwendung 4). - ζ) „Militairpflichtige, welche in der Vorbereitung zu einem
[161]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
„Lebensberufe oder in der Erlernung einer Kunſt oder eines
„Gewerbes begriffen ſind und durch eine Unterbrechung be-
„deutende Nachtheile erleiden würden 1). - η „Militairpflichtige, welche ihren dauernden Anfenthalt im
„Auslande haben.“
Eine beſondere Art der Zurückſtellung iſt für den Fall ange-
ordnet, daß zwei arbeitsfähige Ernährer hülfloſer Familien, er-
werbsunfähiger Eltern, Großeltern oder Geſchwiſter, im militair-
pflichtigen Alter ſich befinden und gleichzeitig nicht entbehrt werden
können. In dieſem Falle iſt Einer von ihnen zurückzuſtellen bis
der Andere entlaſſen wird; ſpäteſtens nach Ablauf des zweiten
Dienſtpflichtjahres ſoll der einſtweilen Zurückgeſtellte eingeſtellt und
gleichzeitig der zuerſt Eingeſtellte entlaſſen werden. Dieſelbe Be-
ſtimmung findet auf den unter β) angegebenen Fall Anwendung 2).
d) Ueberzählige. Diejenigen Militairpflichtigen, welche
bei der Looſung 3) eine ſo hohe Nummer getroffen haben, daß ſie
bei der Aushebung nicht zur Einſtellung in den Militairdienſt ge-
langen, werden nicht ſogleich definitiv vom Dienſt befreit. Es
kann vielmehr in den beiden nächſtfolgenden Jahren auf dieſe Wehr-
pflichtigen zurückgegriffen werden, jedoch nur dann, wenn in dem
Aushebungsbezirk der Rekrutenbedarf in anderer Weiſe nicht ge-
deckt werden kann 4).
3. Definitive Entſcheidungen. Dieſelben können einen
vierfachen Inhalt haben, nämlich
a) Ausſchließung. Die Verurtheilung zur Zuchthausſtrafe
hat die dauernde Unfähigkeit zum Dienſte in dem Deutſchen Heere
und der Kaiſerlichen Marine zur Folge 5). Ebenſo ſind diejenigen
Militairpflichtigen vom Dienſte auszuſchließen, welche noch in ihrem
Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 11
[162]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
fünften Militairpflichtjahre wegen einer gegen ſie ſchwebenden Unter-
ſuchung oder wegen einer gegen ſie verhängten Strafe nicht ein-
geſtellt werden können 1). Auch die Aberkennung der bürgerlichen
Ehrenrechte bewirkt die Unfähigkeit, während der im Urtheile be-
ſtimmten Zeit in das Heer oder die Marine einzutreten 2). Wenn
Militairpflichtige jedoch vor Ablauf ihrer aktiven Dienſtzeit wieder
in den Beſitz der Ehrenrechte gelangen würden, ſo kann ihre Ein-
ſtellung — ihre körperliche Tauglichkeit vorausgeſetzt — in eine
Arbeiterabtheilung unter Anrechnung auf die Dienſtzeit erfolgen 3).
Bei Wiedererlangung der Ehrenrechte werden ſie zur Ableiſtung
des Reſtes der Dienſtzeit einem Truppentheile überwieſen 4).
b) Ausmuſterung. Militairpflichtige, welche wegen körper-
licher und geiſtiger Gebrechen dauernd unbrauchbar befunden wer-
den, ſind vom Militairdienſt und von jeder weiteren Geſtellung
vor die Erſatzbehörden zu [befreien]5). Dies findet nur auf ſolche
Militairpflichtige Anwendung, welche auch zum Dienſt ohne Waffe 6)
dauernd untauglich ſind 7). Ihre Ausmuſterung erfolgt durch die
Ober-Erſatzkommiſſion ohne Rückſicht auf das Militairpflichtjahr,
in welchem ſie ſich befinden.
c) Ueberweiſung zur Erſatzreſerve. Dieſelbe iſt im
praktiſchen Erfolge eine Befreiung von der aktiven Dienſtpflicht im
Frieden 8). Der Erſatzreſerve ſind zu überweiſen:
- α) Militairpflichtige, welche wegen unheilbarer körperlicher Fehler
nur bedingt brauchbar befunden werden 9) und zwar ohne
Rückſicht auf das Militairpflichtjahr, in dem ſie ſich befinden.
[163]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
- β) Ueberzählige, welche auch im dritten Militairpflichtjahr noch
nicht zur Einſtellung gelangen 1). - γ) Zeitig Untaugliche, welche vor Ablauf des dritten Militair-
pflichtjahres nicht dienſtfähig werden 2). - δ) In Berückſichtigung bürgerlicher Verhältniſſe Zurückgeſtellte,
denen die im Militairgeſetz §. 20 unter 1 bis 5 aufgeführten
Berückſichtigungsgründe auch im dritten Militairpflichtjahre
noch zur Seite ſtehen 3). Wenn ein ſolcher Militairpflichtiger
aber ſich der Erfüllung des Zweckes entzieht, welcher ſeine
Befreiung vom Militairdienſt herbeigeführt hat, ſo kann er
vor Ablauf des Jahres, in welchem er das 25. Lebensjahr
vollendet, nachträglich ausgehoben werden 4). Die Entſchei-
dung hierüber erfolgt von der verſtärkten Ober-Erſatzkom-
miſſion, nachdem die verſtärkte Erſatzkommiſſion ſich gutacht-
lich geäußert hat 5). - ε) Militairpflichtige, welche wegen beſonderer, geſetzlich nicht
vorgeſehener Billigkeitsgründe ausnahmsweiſe von der Mini-
ſterial-Inſtanz von der Einſtellung in das Heer befreit werden 6).
Bei der Ueberweiſung eines Militairpflichtigen zur Erſatzreſerve
wird gleichzeitig darüber entſchieden, welcher der beiden Klaſſen der
Erſatzreſerve er zugewieſen wird. Der erſten Klaſſe werden zu-
nächſt die Ueberzähligen zugewieſen, welche wegen hoher Loos-
nummer nicht zur Einſtellung gelangt ſind. Außerdem wird der
Bedarf gedeckt aus den wegen häuslicher Verhältniſſe Befreiten,
wenn die weitere Berückſichtigung dieſer Verhältniſſe im Falle des
Krieges nicht gerechtfertigt erſcheint; aus den wegen geringer kör-
perlicher Fehler Befreiten und aus den wegen zeitiger Dienſtun-
brauchbarkeit Befreiten, wenn ihre Kräftigung während der nächſt-
11*
[164]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
folgenden Jahre in dem Maße zu erwarten iſt, daß ſie voraus-
ſichtlich zum Kriegsdienſte werden eingezogen werden können 1).
Der erſten Klaſſe ſind alljährlich ſo viele Mannſchaften zu über-
weiſen, daß mit fünf Jahrgängen der Bedarf für die Mobil-
machung des Heeres gedeckt wird 2). Wenn ein Ueberſchuß vor-
handen iſt, ſo entſcheidet unter den Freigeloosten die Reihenfolge
der Loosnummer, unter den übrigen Mannſchaften das Lebensalter,
die beſſere Dienſtbrauchbarkeit und Abkömmlichkeit 3). Der zwei-
ten Klaſſe werden alle diejenigen, der Erſatzreſerve zugetheilten
Militairpflichtigen überwieſen, welche als weniger geeignet oder
überſchüſſig nicht der erſten Klaſſe zugetheilt werden 4).
In allen Fällen, in welchen Militairpflichtige der Landbe-
völkerung der Erſatzreſerve I oder II zu überweiſen ſind, werden
Militairpflichtige der ſeemänniſchen Bevölkerung der Seewehr zweiter
Klaſſe überwieſen 5).
d) Aushebung für das ſtehende Heer oder die
Flotte. Dieſelbe iſt zu unterſcheiden von der Einſtellung; ſie
iſt lediglich das Urtheil, daß der Militairpflichtige den Dienſt
im aktiven Heer oder in der Flotte zu leiſten habe. Sie kann
wieder einen vierfach verſchiedenen Inhalt haben, nämlich
α) zum Dienſt mit der Waffe. Die hierzu tauglich Be-
fundenen werden auf die einzelnen Waffengattungen nach ihrer
Körpergröße und ihren beſonderen Eigenſchaften vertheilt 6). Die
ſeemänniſche Bevölkerung des Reiches iſt nur der Aushebung für
die Flotte unterworfen, vom Dienſte im Landheer befreit 7).
β) zum Dienſte ohne Waffe und zwar als Krankenwärter
Leute, welche Luſt und Befähigung zur Krankenpflege haben, als
Oekonomiehandwerker Militairpflichtige, welche als Schneider, Schuh-
macher oder Sattler zu verwenden ſind, und als Pharmazeuten
ſolche zum einjährig-freiwilligen Dienſt berechtigte Perſonen, welche
die Approbation als Apotheker erlangt haben 8).
[165]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
γ) als Arbeitsſoldaten ſolche zum Dienſt mit der Waffe
taugliche Militairpflichtige, welche nicht im Beſitz der bürgerlichen
Ehrenrechte ſind 1).
δ) zur verſuchsweiſen Einſtellung, wenn Militairpflichtige
angeblich an Gebrechen leiden, deren Vorhandenſein bei der Ge-
ſtellung vor den Erſatzbehörden überhaupt nicht oder nicht in dem
behaupteten Grade nachgewieſen werden kann 2).
IV.Die Verpflichtung zum aktiven Dienſt im ſtehen-
den Heere oder in der Flotte.
Mit dem Ausdruck „ſtehendes Heer“ bezeichnen die Reichs-
geſetze nicht blos die Geſammtheit der bei den Fahnen befindlichen
Militairperſonen des Friedensſtandes, ſondern auch die zur Reſerve
Beurlaubten 3). Er iſt demnach nicht gleichbedeutend mit dem
Ausdruck: „aktives Heer“ 4). Ebenſo umfaßt der Ausdruck „Flotte“
auch die Marinereſerve mit. Die Dienſtpflicht im ſtehenden Heere
oder in der Flotte gliedert ſich daher in zwei Theile, in die Pflicht
zum aktiven Dienſt (bei den Fahnen) und in die Reſervepflicht 5),
die juriſtiſch von einander ſehr verſchieden ſind.
Die aktive Dienſtpflicht als Beſtandtheil der geſetzlichen Wehr-
pflicht d. h. im Gegenſatz zur vertragsmäßig übernommenen Dienſt-
verpflichtung iſt ein Anwendungsfall der Unterthanenpflicht und
hat deshalb qualitativ keinen andern Inhalt als die ſtaatsbürger-
liche Unterthanenpflicht überhaupt, nämlich Gehorſam und
Treue6). Sie iſt aber eine ſtark potenzirte Unterthanenpflicht,
indem ſowohl die Gehorſamspflicht als die Treuverpflichtung einen
ſehr ausgedehnten Umfang haben und indem ihre Erfüllung durch
ſchwere Strafdrohungen geſichert iſt.
1. Die militairiſche Gehorſamspflicht.
Die ausgehobenen Rekruten ſind von dem Tage ihres Ein-
trittes in das aktive Heer bis zu dem Ablauf des Tages ihrer
[166]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
Entlaſſung aus dem aktiven Dienſte 1) der Gewalt ihrer militairi-
ſchen Vorgeſetzten in der Art unterworfen, daß ſie dienſtlichen Be-
fehlen derſelben unbedingt Folge leiſten müſſen. Dieſe Gewalt iſt
eine obrigkeitliche, eine im öffentlichen Recht wurzelnde; ſie iſt ein
Anwendungsfall der Staatsgewalt ſelbſt; daher darf ſie nur im
Intereſſe des Dienſtes verwendet werden und der Mißbrauch der-
ſelben iſt mit Kriminalſtrafe bedroht 2). Dies iſt aber auch die
einzige juriſtiſche d. h. durch Rechtsſatz gegebene Schranke
dieſer Gewalt. Worin der Inhalt dienſtlicher Befehle beſtehen
kann, iſt nicht rechtlich beſtimmt, ſondern durch thatſächliche Um-
ſtände, techniſche Rückſichten, durch das Intereſſe an der Ausbil-
dung der Soldaten, der Sicherheit, Ordnung, Sparſamkeit der
Verwaltung u. ſ. w. bedingt. Man kann nicht angeben, zu welchen
einzelnen Leiſtungen der bei den Fahnen befindliche Soldat recht-
lich verpflichtet ſei; ſeine Gehorſamspflicht iſt vielmehr inhaltlich
eine unbegränzte; er muß jedem dienſtlichen Befehl des Vorge-
ſetzten nachkommen, ſoweit er es vermag.
Zwar kann der Vorgeſetzte nicht befehlen, was ihm beliebt;
er iſt vielmehr ſeinerſeits wieder durch Verordnungen, Inſtruktionen
und Befehlen ſeiner Vorgeſetzten angewieſen, was er den ihm
untergebenen Mannſchaften befehlen dürfe und ſolle. Die Ord-
nung dieſer Verhältniſſe aber iſt eine innere Angelegenheit der
Militair-Verwaltung und nicht von rechtlicher Natur. Das Rechts-
verhältniß zwiſchen dem ſeine aktive Dienſtpflicht erfüllenden
Unterthan und der Staatsgewalt iſt lediglich durch den Satz ge-
geben, daß der erſtere allen dienſtlichen Befehlen Gehor-
ſam ſchuldig iſt. Durch dieſen Satz iſt die aktive Dienſtpflicht
von allen andern Unterthanenpflichten ſpezifiſch verſchieden; nicht
weil ſie eine Gehorſamspflicht iſt, ſondern weil es keine recht-
lichen Gränzen für das giebt, was dienſtlich befohlen werden
kann 3). Hierauf und auf den ſtarken Schutzmitteln, mit denen
[167]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
der militairiſche Gehorſam geſichert iſt, beruht die außerordentliche
Intenſivität der ſtaatlichen Militairgewalt.
Die Erfüllung der militairiſchen Gehorſamspflicht iſt durch
eine Reihe von Rechtsvorſchriften geſichert:
a) Die Wehrpflichtigen leiſten bei ihrer Einſtellung in einen
Truppentheil den Fahneneid, in welchem ſie die genaue Be-
folgung der ihnen ertheilten Befehle angeloben. In die Formel
iſt nach R.V. Art. 64 Abſ. 1 die Verpflichtung, „den Befehlen des
Kaiſers unbedingte Folge zu leiſten“, aufzunehmen 1).
b) Das Militair-Strafgeſetzbuch behandelt im ſechſten
Abſchnitt (§§. 89—113) Verletzungen der Pflicht der militairiſchen
Unterordnung. Die Strafen ſind je nach dem Thatbeſtande ab-
geſtuft; in ſchweren Fällen tritt die Todesſtrafe ein 2). Ganz all-
gemein aber beſtimmt §. 92: „Ungehorſam gegen einen Befehl in
Dienſtſachen durch Nichtbefolgung oder durch eigenmächtige Ab-
änderung oder Ueberſchreitung deſſelben wird mit Arreſt beſtraft.“
c) Die Disciplinar-Strafordnung für das Heer vom
31. Oktober 1872 3) und die Disciplinar-Verordnung für die
Kaiſerl. Marine vom 23. November 1872 4) enthalten ebenfalls
Vorſchriften über die Beſtrafung des Ungehorſams. Die Discipli-
narſtrafordnung geht über den Umfang, welchen die Disciplinar-
gewalt ihrem Begriffe nach ſonſt hat und der namentlich im Reichs-
beamten-Geſetz feſtgehalten iſt 5), weit hinaus; ſie läßt in weitem
Maße die Verhängung von Arreſtſtrafen zu; ſie iſt überhaupt ein
zweites Militair-Strafgeſetzbuch, das gleichſam für leichtere Fälle
die Ergänzung des eigentlichen vom 20. Juni 1872 bildet. Dieſe
Verwendung der Disciplinargewalt hat eine ausdrückliche geſetz-
liche Anerkennung gefunden im Einführungsgeſetz zum Militair-
3)
[168]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
Strafgeſetzbuch vom 20. Juni 1872 §. 3, welches die Beſtrafung
im Disciplinarwege der Beſtrafung auf Grund eines gerichtlichen
Erkenntniſſes gegenüberſtellt, den Gegenſatz alſo lediglich in die
Form des Verfahrens legt. Zu den leichteren Fällen, welche im
Disciplinarwege geahndet werden können, gehören nach §. 3 Z. 1
des erwähnten Geſetzes gerade auch Ungehorſamsfälle. Die Dis-
ciplinargewalt reicht aber viel weiter als die eigentliche Straf-
gewalt; ſie iſt recht eigentlich das Mittel, durch welches der Staat
die Erfüllung der militairiſchen Dienſtpflicht und insbeſondere der
Gehorſamspflicht mit unwiderſtehlicher Kraft und ſofortigem Er-
folge erzwingt 1); ſich ſichert nicht nur — wie das Strafgeſetz —
den Gehorſam, ſondern den prompten Gehorſam. Der Dis-
ciplinarbeſtrafung unterliegen insbeſondere alle Handlungen gegen
die militairiſche Zucht und Ordnung und gegen die Dienſtvorſchrif-
ten, für welche die Militairgeſetze keine Strafbeſtimmungen ent-
halten 2). Das Recht, die Vorſchriften über die Handhabung der
Disciplin im Heere zu erlaſſen, ſteht dem Kaiſer zu 3).
d) Zur Sicherung der Disciplin dienen ferner die Vorſchriften
über die Behandlung von Beſchwerden, indem die letzteren den
Charakter einer Oppoſition gegen den Vorgeſetzten tragen und die
Subordination beeinträchtigen könnten. Um dies zu verhüten, iſt
angeordnet, daß ſie nicht ſogleich, ſondern früheſtens am nächſten
Morgen nach dem Vorfall, der zur Beſchwerde Anlaß gegeben hat,
erhoben werden dürfen, ferner ſind ſie an beſtimmte Friſten ge-
bunden, iſt die Beobachtung eines beſtimmten Weges und Ver-
fahrens, die Meldung bei dem nächſten direkten Vorgeſetzten u. ſ. w.
vorgeſchrieben 4). Die Verletzung dieſer Vorſchriften iſt — ganz
unabhängig von der materiellen Entſcheidung über die Beſchwerde
ſelbſt — ein Vergehen, das von Perſonen des Soldatenſtandes,
welche im aktiven Dienſt ſich befinden, gerichtlich, an ſolchen Per-
ſonen, die dem Beurlaubtenſtande angehören, gerichtlich oder dis-
[169]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
ciplinariſch beſtraft wird 1). Auch die Erhebung unbegründeter,
leichtfertiger oder wider beſſeres Wiſſen auf unwahre Behauptun-
gen geſtützter Beſchwerden bildet den Thatbeſtand eines beſonderen
militairiſchen Delictes 2).
e) Auch die Anreizung einer Perſon des Soldatenſtandes zur
Verletzung der militairiſchen Gehorſamspflicht iſt unter Strafe ge-
ſtellt. Wird das Vergehen von einer im activen Dienſt ſtehenden
Militairperſon verübt, ſo wird es nach dem Milit.-Strafgeſetzbuch
§. 99 ff. beurtheilt; in allen anderen Fällen findet §. 112 des
Reichs-St.G.B’s Anwendung.
f) Endlich iſt es den militairiſchen Vorgeſetzten anheimgeſtellt,
ſich im Nothfalle ſelbſt Gehorſam zu erzwingen. „Diejenigen Hand-
lungen, welche der Vorgeſetzte begeht, um den thätlichen Angriff
der Untergebenen abzuwehren oder um ſeinen Befehlen im Fall
der äußerſten Noth und dringendſten Gefahr Gehor-
ſam zu verſchaffen, ſind nicht als Mißbrauch der Dienſtgewalt an-
zuſehen“ 3). Namentlich kann ein Offizier in Ermangelung an-
derer Mittel, um den durchaus nothwendigen Gehorſam zu er-
halten, gegen den thatſächlich ſich ihm widerſetzenden Untergebenen
von der Waffe Gebrauch machen 4).
2) Die militairiſche Treuverpflichtung.
Auch dieſe Verpflichtung iſt eine Verſtärkung oder Potenzirung
der Treupflicht des Unterthanen. Die letztere iſt nur nach ihrer
negativen Seite rechtlich von Belang, d. h. der Unterthan muß
jede gegen das Wohl des Staates und ſeines Oberhauptes ge-
richtete Handlung unterlaſſen; die Verletzung dieſer Unterlaſſungs-
pflicht wird als Hochverrath oder Landesverrath geahndet 5). In
dieſer Beziehung ſtehen die Perſonen des Soldatenſtandes den
übrigen Staatsunterthanen völlig gleich. „Auf eine Perſon des
Soldatenſtandes, welche ſich eines Hochverrathes oder eines Landes-
verrathes ſchuldig macht, finden die Vorſchriften des Deutſchen
[170]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
Strafgeſetzbuchs (§§. 80—93) Anwendung“ 1). Nur ſind erheblich
höhere Strafen für den ſogen. Kriegsverrath d. h. für einen im
Felde begangenen Landesverrath feſtgeſetzt 2). Dagegen iſt die
militairiſche Treupflicht von der gewöhnlichen Unterthanen-Treu-
pflicht dadurch unterſchieden, daß ſie zu poſitiver Förderung des
Wohles des Kriegsherrn reſp. des Staates und Reiches nach
beſtem Wiſſen und Können verpflichtet, ſelbſt wenn die Erfüllung
dieſer Pflicht mit der Gefährdung oder Aufopferung der höchſten
perſönlichen Intereſſen, der Geſundheit, Freiheit oder des Lebens
verbunden iſt 3). Eine poſitive Aufzählung beſtimmter einzelner
Handlungen, zu welchen die Treupflicht verbindlich macht, iſt nach
dem Begriff derſelben unmöglich; das Maß der Leiſtungen be-
ſtimmt ſich nach der ſubjectiven Einſicht und Fähigkeit und richtet
ſich nach den thatſächlichen Verhältniſſen; der Idee nach ſchließt
die Treue die Bereitſchaft zur vollſtändigen Selbſtverläugnung und
Selbſtaufopferung ein. In dieſem vollen Maße iſt ſie aber recht-
lich nicht erzwingbar, die Strafgewalt des Staates kann immer
nur einzelne, durch beſtimmte Thatbeſtände umſchriebene Ver-
letzungen der Treue treffen. Die Treue im ideellen Sinne iſt
eine moraliſche Pflicht und kann deshalb auch nur durch ein Mittel
von weſentlich moraliſchem Charakter geſichert werden. Dieſes
Mittel iſt der Treueid. In dem Fahneneid der Soldaten lebt
das alte juramentum fidelitatis fort; er enthält das Verſprechen:
„dem Landesherrn in allen und jeden Vorfällen, zu Lande
und zu Waſſer, in Kriegs- und Friedenszeiten, und an welchen
Orten es immer ſei, getreu und redlich zu dienen, Allerhöchſt
Dero Nutzen und Beſtes befördern, Schaden und Nachtheil
aber abwenden ..... zu wollen.“
Aber auch rechtliche Folgen kann die Verletzung der poſitiven
Seite der Treupflicht nach ſich ziehen, wenn ſie in beſtimmten, im
Geſetz vorgeſehenen Thatbeſtänden geſchieht. Dahin gehört nament-
[171]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
lich die ſtrenge Beſtrafung der Feigheit1), der Deſertion 2), der
Gefährdung der Kriegsmacht im Felde durch Verletzung einer
Dienſtpflicht 3), wiſſentlich unwahrer Ausſagen in dienſtlichen An-
gelegenheiten 4) u. ſ. w.
3) Die Gegenleiſtung des Staates.
Die active Dienſtpflicht abſorbirt wegen der in ihr enthaltenen
unbeſchränkten Gehorſamspflicht die perſönliche Kraft und Leiſtungs-
fähigkeit des Pflichtigen in dem Maße, daß er der Regel nach
gänzlich außer Stande iſt, daneben ſeinem bürgerlichen Beruf ſich
zu widmen und eine Erwerbsthätigkeit auszuüben. Aus dieſem
Grunde laſtet auf dem Staate die Verpflichtung, die im activen
Dienſt befindlichen Wehrpflichtigen zu erhalten. Der Anſpruch
des Wehrpflichtigen iſt aber kein Anſpruch auf Lohn, auf Bezahlung
der Dienſte, wie er bei der Dienſtmiethe begründet iſt, ſondern
auf Alimentirung 5). Die Erfüllung der Dienſtpflicht iſt daher
trotz der Verpflegung der Mannſchaften auf Koſten des Staates
eine unentgeldliche Leiſtung der Wehrpflichtigen; ſie iſt keine
Erwerbsthätigkeit, keine bezahlte Arbeit. Aus der Natur der Wehr-
pflicht als einer ſtaatsbürgerlichen oder Unterthanenpflicht ergiebt
ſich dies von ſelbſt; es iſt aber von Wichtigkeit für das Verſtänd-
niß des juriſtiſchen Charakters der Wehrpflicht, dies klar zu er-
kennen. Damit der Staat ſeine weſentlichſte Aufgabe, nämlich
Schutz gegen äußere Feinde und Aufrechthaltung der Rechtsordnung
im Innern, wirkſam erfüllen könne, fordert er von allen dazu ge-
eigneten Unterthanen die Militairdienſte. Die wahre Gegen-
leiſtung des Staates für dieſelben iſt eben dieſer
Schutz nach Außen und Innen. Leiſtung und Gegenleiſtung
[172]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
ſind gleichartig; ſie ſind beide unſchätzbar, unentgeldlich, von
durchaus öffentlich-rechtlicher Natur. Aber eine thatſächliche
Folge der Erfüllung der Dienſtpflicht beſteht in einer zeitweiſen
Beeinträchtigung oder Vernichtung der Erwerbsthätigkeit. Der
Staat, welcher durch die Anforderung des activen Militairdienſtes
den Wehrpflichtigen außer Stande ſetzt, ſeinen Unterhalt zu er-
werben, ſieht ſich dadurch genöthigt, die Fürſorge für dieſen Unter-
halt ſelbſt zu übernehmen. Von dieſem Princip aus ergiebt ſich
der eigenthümliche Rechtscharakter dieſer Leiſtung des Staates.
Es hängt nämlich von dem alleinigen Belieben des Staates ab,
in welchem Maße und in welcher Art und Weiſe er dem Dienſt-
pflichtigen den Unterhalt gewähren will; der eigene Wille des
Dienſtpflichtigen kömmt hierbei in keiner Hinſicht in Betracht. Der
Dienſtpflichtige hat deshalb keine civilrechtliche Klage gegen den
Staat auf Gewährung des Unterhaltes oder auf Gewährung be-
ſtimmter Leiſtungen und es giebt kein Gericht, welches bei einem
Streit zwiſchen dem Staat und dem Dienſtpflichtigen das ange-
meſſene Maß der Verpflegung ꝛc. feſtſtellen könnte. Hierdurch
unterſcheidet ſich der Anſpruch des Wehrpflichtigen nicht nur von
dem Anſpruch auf Lohn auf Grund eines Dienſtmiethevertrages,
ſondern auch von dem Anſpruch der Beamten. Denn, wenn auch
die Beſoldung der letzteren ebenfalls den Charakter der Alimen-
tirung, nicht den der Lohnzahlung hat 1), ſo beruht doch der An-
ſpruch auf Gewährung derſelben auf einem Vertrage und er bildet
das Aequivalent für Leiſtungen, zu denen der Beamte nicht kraft
Rechtsſatzes ſondern kraft freiwilliger Uebernahme verbunden iſt 2).
Deshalb ſteht den Beamten auch für die Geltendmachung dieſer An-
ſprüche der Weg der Klage vor den Gerichten offen und der ihnen zu-
geſicherte Gehalt kann von Rechtswegen gegen ihren Willen nicht
herabgeſetzt werden. Der Wehrpflichtige dagegen erfüllt durch
Leiſtung des activen Dienſtes eine geſetzliche Unterthanenpflicht, die
ihm auch ohne ſeinen Willen obliegt, und demgemäß empfängt er
in völlig paſſiver Weiſe die Verpflegung Seitens des Staates nach
deſſen freiem Ermeſſen. Der Anſpruch des Wehrpflichtigen auf
Unterhalt hat demnach nicht den Charakter eines vermögensrecht-
[173]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
lichen ſubjectiven Rechts und der Fiskus iſt nicht civilrechtlich ob-
ligirt. Die Verpflegung der dienſtpflichtigen Mannſchaften des
Heeres und der Marine hat vielmehr durchaus den Charakter
einer Verwaltungsthätigkeit des Staates. Es ſchließt dies
nicht aus, daß ſie nicht theilweiſe durch Vorſchriften geregelt iſt,
die in der Form der Geſetzgebung ergangen ſind 1), und insbeſon-
dere findet die Rechtswirkung des Staatshaushalts-Etats auch hier
ihre volle Anwendung.
Die Fürſorge für die Lebensbedürfniſſe der Mannſchaften er-
folgt theils in der Geſtalt der Naturalverpflegung theils durch Geld-
verpflegung. Dieſelbe erſtreckt ſich auch auf die Märſche der aus-
gehobenen Rekruten zum Truppentheil und der entlaſſenen Wehr-
pflichtigen vom Truppentheil, ferner auf Krankheitsfälle, auf die
Zeit der Verbüßung einer Gefängniß-, Haft- oder Arreſtſtrafe;
dagegen erhalten Wehrpflichtige, während ſie auf Urlaub ſind, keine
Löhnung 2).
4) Die Dauer der activen Dienſtpflicht.
Nach dem Art. 59 der R.V. hat jeder wehrfähige Deutſche
den Dienſt im ſtehenden Heere bei den Fahnen in der Regel drei
Jahre vom vollendeten 20. Lebensjahre an zu leiſten. Dieſe Regel
[174]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
hat aber verſchiedene Modifikationen durch die Reichsgeſetzgebung
erfahren.
a) Die Verpflichtung zum Dienſt im ſtehenden Heere oder in
der Flotte beginnt bereits mit dem 1. Januar desjenigen Kalender-
jahres, in welchem der Wehrpflichtige das 20. Lebensjahr voll-
endet 1). Obwohl dem Wortlaut nach zwiſchen dieſer Beſtimmung
und dem Art. 59 der R.V. keine volle Uebereinſtimmung beſteht,
ſo vermindert ſich doch thatſächlich dieſer Widerſpruch dadurch, daß
die im Laufe eines Jahres für das aktive Heer ausgehobenen
Wehrpflichtigen in der Regel erſt im letzten Quartal deſſelben
Jahres in das Heer eingeſtellt werden 2).
b) Die dreijährige Friſt wird von dem Tage des wirklich er-
folgten Dienſtantritts berechnet, jedoch mit der Maßgabe, daß die-
jenigen Mannſchaften, welche in der Zeit vom 2. Oktober bis
31. März eingeſtellt werden, als am vorhergehenden 1. Oktober
eingeſtellt gelten 3). Hierdurch tritt eine Verminderung der drei-
jährigen Dienſtzeit ein. Andererſeits kann die Entlaſſung einge-
ſchiffter Mannſchaften der Marine, wenn den Umſtänden nach eine
frühere Entlaſſung nicht ausführbar iſt, bis zur Rückkehr in Häfen
des Bundes verſchoben werden 4).
Die Dienſtzeit der als unſichere Heerespflichtige außertermin-
lich eingeſtellten Militairpflichtigen wird erſt vom nächſtfolgenden
Rekruten-Einſtellungstermine ab gerechnet 5) und die Zeit einer
[175]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
Freiheitsſtrafe von mehr als ſechs Wochen wird auf die geſetzliche
Dienſtzeit im ſtehenden Heer oder in der Flotte nicht angerechnet 1).
c) Vor Ablauf der geſetzlichen Dienſtzeit können Wehrpflichtige
aus dem activen Dienſt entlaſſen werden und zwar entweder zur
Dispoſition des Truppentheils oder zur Dispoſition der Erſatz-
behörden.
Beurlaubungen zur Dispoſition des Truppen-
theils ſind nach Ablauf einer zweijährigen activen Dienſtzeit
ſtatthaft, ſofern die entſtehenden Vakanzen durch Einſtellung von
Rekruten oder Freiwilligen gedeckt werden können. Für die Aus-
wahl der Mannſchaften iſt Lebensalter, ſowie Rückſicht auf häus-
liche und dienſtliche Verhältniſſe maßgebend. Die Entſcheidung
ſteht der Militairbehörde allein zu. Die beurlaubten Mannſchaften
können bis zum Ablauf ihres dritten Dienſtpflichtjahres jederzeit
wieder zu ihren Truppentheilen einberufen werden 2). Bis dahin
bedürfen ſie zum Wechſel des Aufenthaltsorts der militairi-
ſchen Genehmigung. Dieſelbe wird von den Landwehr-Bezirks-
Kommando’s ertheilt. Wer ohne die Genehmigung nachgeſucht und
erhalten zu haben, den Aufenthalt wechſelt, wird ſofort wieder ein-
berufen 3).
Eine beſondere geſetzliche Begünſtigung genießen Volks-
ſchullehrer und Kandidaten des Volksſchulamtes, welche die vor-
ſchriftsmäßige Prüfung für das Schulamt beſtanden haben. Sie können
nach kürzerer Einübung mit den Waffen d. h. nach ſechswöchentlicher
aktiver Dienſtzeit bei einem Infanterie-Regiment beurlaubt werden 4).
Wenn der Beurlaubte aber ſeinen bisherigen Beruf gänzlich auf-
giebt oder aus dem Schulamte für immer entlaſſen wird, ſo kann
er vor Ablauf des Jahres, in welchem er das 25. Lebenjahr
vollendet zum aktiven Dienſt wieder eingezogen werden 5). Die
Entſcheidung über die Wieder-Einberufung ſteht der verſtärkten Er-
ſatzkommiſſion reſp. Ober-Erſatzkommiſſ. zu 6).
[176]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
Zur Dispoſition der Erſatzbehörden zu entlaſſen
ſind Soldaten, welche während der Erfüllung ihrer aktiven Dienſt-
pflicht dienſtunbrauchbar werden 1). Die Entlaſſung wird durch
den kommandirenden General, bei Marinemannſchaften durch den
Chef der Kaiſerl. Admiralität verfügt 2). Außerdem können Sol-
daten auf Anſuchen aus dem aktiven Dienſt entlaſſen werden, wenn
nach ihrer Aushebung einer der Gründe eingetreten iſt, aus welchem
ihre Zurückſtellung hätte verfügt werden können, wenn er vor der
Aushebung bereits vorhanden geweſen wäre 3). Das Geſuch iſt
durch die ſtändigen Mitglieder der Erſatzkommiſſion zu begutachten;
die Entſcheidung fällt der kommandirende General des Armeekorps,
in welchem der Reklamirte ſeiner Dienſtpflicht genügt, in Gemein-
ſchaft mit der (nach §. 30 Z. 3 lit. c competenten) Landes- oder
Provinzialbehörde ſeines Heimathsbezirkes 4). Die Entlaſſung er-
folgt zu dem nächſten allgemeinen Entlaſſungstermin, ſofern nicht
ein ungewöhnlicher Grad der Dringlichkeit die frühere Entlaſſung
nothwendig macht 5). In beſonderen Ausnahmefällen kann eine
vorzeitige Entlaſſung, auch wenn keiner der im §. 53 Abſ. 1 des
Mil.Geſ. vorgeſehenen Gründe vorliegt, von der Miniſterialinſtanz
genehmigt werden 6). Soldaten, welche ſich bei mobilen Truppen
im Dienſt befinden, können nur im äußerſten Nothfalle reklamirt
werden 7).
Ueber das fernere Dienſtverhältniß der zur Dispoſition der
Erſatzbehörden entlaſſenen Mannſchaften entſcheiden die Erſatzbe-
hörden nach denſelben Grundſätzen wie über die noch nicht einge-
ſtellten Militairpflichtigen der entſprechenden Altersklaſſen. Ihre
Wiederaushebung ſoll jedoch nicht ſtattfinden, wenn ſie bereits ein
Jahr oder als Einjährig-Freiwillige 9 Monate aktiv gedient haben;
es ſei denn, daß ſie der Verpflichtung, deren Erfüllung ihre Ent-
laſſung aus dem Militairdienſt begründete, ſich entziehen und das
[177]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben 1). Die Entſcheidung
über die Wiederaushebung iſt von der verſtärkten Erſatzkommiſſ.
reſp. Ober-Erſatzkommiſſ. zu fällen 2).
Die zur Dispoſition der Erſatzbehörden entlaſſenen Soldaten
gehören bis zur Entſcheidung über ihr ferneres Militairverhältniß
zu den Mannſchaften des Beurlaubtenſtandes.
d) Nach Erfüllung der geſetzlichen activen Dienſtpflicht werden
die Soldaten im Frieden zur Reſerve entlaſſen 3); im Kriege findet
eine Entlaſſung ausgedienter Mannſchaften nur inſoweit ſtatt, als
der Abgang dem Bedürfniß entſprechend durch anderweitige Aus-
hebungen gedeckt werden kann 4).
V.Die Dienſtpflicht in der Reſerve und in der Land-
oder Seewehr.
1. Begriff. So erheblich der Unterſchied zwiſchen der Reſerve
und der Landwehr hinſichtlich der Organiſation des Heeres iſt, in-
dem die Reſerve zum ſtehenden Heere gehört, die Landwehr dagegen
in der Regel in beſonders formirten Truppenkörpern verwendet
wird 5), ſo gleichartig iſt die Dienſtpflicht der zur Reſerve und
der zur Land- oder Seewehr gehörenden Wehrpflichtigen normirt.
Die Landwehrdienſtpflicht iſt lediglich eine fortgeſetzte Reſervedienſt-
pflicht. Gemeinſam iſt beiden, daß ſie die militairiſche Ausbildung
der Wehrpflichtigen, alſo die Ableiſtung der aktiven Dienſtpflicht
zur Vorausſetzung haben; gemeinſam iſt ferner beiden, daß die
Wehrpflichtigen von dem aktiven Dienſt zwar dispenſirt ſind, aber
ſich bereit halten müſſen, der Einberufung zu den Fahnen Folge
zu leiſten; gemeinſam iſt ihnen endlich, daß die Mannſchaften im
Frieden zu Uebungen, Kontrolverſammlungen und Meldungen ver-
pflichtet ſind. Die Dienſtpflicht in der Reſerve und in der Land-
oder Seewehr läßt ſich dahin charakteriſiren, daß die Pflicht zum
aktiven Militairdienſt quoad ius fortdauerd, quoad exercitium aber
ſuspendirt iſt. Die Mannſchaften der Reſerve und der Landwehr
Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 12
[178]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
gelten daher als von den Fahnen beurlaubt und bilden gemein-
ſchaftlich mit den bereits ausgehobenen aber noch nicht eingeſtellten
Rekruten und den zur Dispoſition der Truppenkörper oder der
Erſatzbehörden vor erfüllter aktiver Dienſtpflicht entlaſſenen Mann-
ſchaften den Beurlaubtenſtand1). Die Pflichten, welche den
zur Reſerve- und Land-(See-)wehr gehörenden Mannſchaften ob-
liegen, zerfallen in zwei weſentlich verſchiedene Kategorien; die
einen ſind die ordentlichen, d. h. im Frieden und bei gewöhnlichen
Verhältniſſen zu erfüllenden, die anderen ſind die außerordentlichen,
welche nur bei Verſtärkungen oder Mobilmachungen des Heeres
wirkſam werden.
2. Die ordentlichen Dienſtpflichten (im Frieden).
a) Die Theilnahme an Uebungen. Jeder Wehr-
pflichtige iſt während der Dauer des Reſerveverhältniſſes zur Theil-
nahme an zwei Uebungen verpflichtet, welche die Dauer von je
acht Wochen nicht überſchreiten 2). Jede Einberufung zum Dienſt
im Heere, beziehungsw. zur Ausrüſtung in der Flotte, zählt für
eine Uebung 3). Die Uebungen finden bei den Truppentheilen des
ſtehenden Heeres ſtatt 4). Die Mannſchaften der Landwehr können
während der Landwehr-Dienſtzeit ebenfalls zweimal auf 8—14 Tage
zu Uebungen einberufen werden; die Uebungen der Landwehr-Infan-
terie finden in beſonderen Kompagnien oder Bataillonen ſtatt; die
der Jäger und Schützen, der Artillerie, der Pioniere und des Trains
im Anſchluſſe an die betreffenden Linien-Truppentheile; die Land-
wehr-Kavallerie wird im Frieden zu Uebungen nicht einberufen 5).
[179]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
Landwehr-Mannſchaften, welche das 32. Lebensjahr überſchritten
haben, können zu den geſetzlichen Uebungen nur ausnahmsweiſe,
auf Grund beſonderer Kaiſerlicher Verordnung einberufen werden,
ausgenommen wenn ſie in Folge eigenen Verſchuldens 1) verſpätet
in den aktiven Dienſt getreten ſind, oder wenn ſie wegen Kontrol-
entziehung oder in Folge einer erlittenen Freiheitsſtrafe von mehr
als ſechswöchentlicher Dauer nachdienen müſſen, oder wenn ſie auf
ihren Antrag von den zuletzt vorhergegangenen Landwehr-Uebungen
befreit worden ſind 2). Die Schifffahrt treibenden Mannſchaften
der Reſerve und der Landwehr ſollen zu Uebungen im Sommer
nicht einberufen werden 3).
Die Seewehr wird in Friedenszeiten in der Regel zu Uebungen
nicht einberufen 4).
Während der Zeit, in welcher die Reſerve- und Landwehr-
Mannſchaften zum Dienſt einberufen ſind und zwar von dem Tage,
zu welchem ſie einberufen ſind bis zum Ablauf des Tages ihrer
Wiederentlaſſung, gehören dieſe Perſonen zum aktiven Heere 5);
die Regeln über die aktive Dienſtpflicht finden auf ſie Anwendung,
insbeſondere die Vorſchriften des Militairſtrafgeſetzbuchs und der
Disciplinar-Ordnung 6); ſie haben den Militair-Gerichtsſtand 7).
Die Einberufung zu den Uebungen erfolgt hinſichtlich aller
Perſonen des Beurlaubtenſtandes auf Anordnung der komman-
direnden Generale, reſp. des Chefs der Kaiſerl. Admiralität durch
die Landwehr-Bezirkskommandos und zwar ſtets durch Geſtellungs-
Ordres 8).
Ungehorſam gegen die Einberufungs-Ordre wird nach §. 113
des Milit.-Strafgeſetzb. beſtraft; im Disciplinarwege iſt die Be-
ſtrafung nur dann zuläſſig, wenn der Einberufene nur zu ſpät ſich
an den ihm beſtimmten Ort geſtellt hat, oder wenn die Umſtände
ſonſt eine milde Beurtheilung zulaſſen 9). Außerdem können die
12*
[180]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
Wehrpflichtigen unter Verlängerung ihrer Dienſtzeit in die nächſt
jüngere Jahresklaſſe verſetzt werden 1). Die Entſcheidung hierüber
ſteht dem Landwehr-Bezirkskommandeur zu 2).
b) Geſtellung zu Kontrolverſammlungen. Die
Mannſchaften der Landwehr können alljährlich einmal 3), die übrigen
Perſonen des Beurlaubtenſtandes zweimal zu Kontrolverſammlun-
gen zuſammenberufen werden 4) Die Einberufung erfolgt in der
Regel durch öffentliche Aufforderung. Wer ohne Entſchuldi-
gung ausbleibt, kann behufs ſeiner Rechtfertigung nach dem Stations-
ort der Landwehr-Kompagnie oder auch in das Stabsquartier des
Landwehr-Bezirkskommando’s zur perſönlichen Vernehmung beor-
dert werden 5). Mannſchaften, welche ſich der Kontrole länger als
ein Jahr entziehen, können, abgeſehen von der etwa verwirkten
Strafe wegen Ungehorſams, unter Verlängerung der Dienſtzeit in
die nächſt jüngere Jahresklaſſe — und wenn die Kontrolentziehung
zwei Jahre und darüber dauert — entſprechend weiter zurückver-
ſetzt werden 6). Dispenſationen von den Kontrolverſammlungen
ſind ſtets zu ertheilen, wenn Billigkeitsrückſichten dafür ſprechen
und nicht beſondere militairiſche Bedenken entgegenſtehen 7).
Das Erſcheinen bei der Kontrolverſammlung iſt ein militai-
riſcher Dienſt; die Perſonen des Beurlaubtenſtandes gehören
daher während der ganzen Dauer des Tages, an welchem ſie zur
Kontrolverſammlung einberufen ſind, zum aktiven Heere 8). Sie
ſind an dieſem Tage zum militairiſchen Gehorſam verpflichtet 9)
[181]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
und unterliegen den Vorſchriften des Militair-Strafgeſetzbuchs und
der Disciplinar-Strafordnung 1). Die Geſtellung zu den Kontrol-
verſammlungen begründet jedoch keinen Anſpruch auf Verpflegung
oder auf Gebühren 2). Mit Rückſicht hierauf ſind die Kontrolver-
ſammlungen in Bezug auf Zeit und Ort ſo einzurichten, daß die
betheiligten Mannſchaften nicht länger als einen Tag, einſchließlich
des Hinweges und des Rückweges, ihren bürgerlichen Geſchäften
entzogen werden 3).
c)Meldepflicht behufs der Kontrole. Während
die Kontrole der Wehrpflichtigen von dem Eintritt in das mili-
tairpflichtige Alter bis zur Entſcheidung über die Dienſtpflicht von
den Erſatzbehörden geführt wird, tritt von dieſem Zeitpunkt an
die Kontrole der Landwehrbehörden ein. Die mit der Ausübung
der Kontrole beauftragten Behörden ſind die Landwehr-Bezirks-
kommando’s; unter ihrer Leitung ſtehen die Landwehr-Bezirksfeld-
webel, denen die Führung der Kontrole über die Mannſchaften4)
übertragen iſt. Alle Reichs- Staats- und Kommunalbehörden ſind
verpflichtet, in dem Bereiche ihrer geſetzlichen Befugniſſe die Mili-
tairbehörden bei der Kontrole zu unterſtützen 5).
Der Zweck der Kontrole beſteht darin, daß die Einberufung
der Perſonen des Beurlaubtenſtandes zu Uebungen, nothwendigen
Verſtärkungen oder Mobilmachungen des Heeres und der Marine
jederzeit ſtattfinden kann. Den zur Ausübung dieſer Kontrole er-
forderlichen Anordnungen ſind die beurlaubten Mannſchaften des
Heeres und der Marine unterworfen 6). Zur Führung der Kon-
[182]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
trole über die Mannſchaften der Reſerve und der Landwehr dienen
die Landwehr-Stammrollen, welche für die verſchiedenen
Waffengattungen getrennt angelegt werden und in welche die Wehr-
pflichtigen, nach Jahresklaſſen abgetheilt, einzutragen ſind 1). Um
die Landwehr-Stammrollen jeder Zeit in der erforderlichen Ord-
nung zu halten, ſind die Mannſchaften des Beurlaubtenſtandes
verpflichtet, von jedem Wechſel ihres Aufenthaltsortes oder ihrer
Wohnung und von jeder Reiſe von mehr als 14tägiger oder un-
beſtimmter Dauer dem Bezirksfeldwebel Meldung zu erſtatten 2).
Bedürfen ſchriftliche Meldungen weiterer Erläuterungen, ſo kann
die perſönliche Geſtellung im Stationsorte gefordert werden.
Zuwiderhandlungen gegen die zum Zweck der Aufrechterhal-
tung der militairiſchen Kontrole ertheilten Dienſtvorſchriften über
die Meldung werden an Mannſchaften des Beurlaubtenſtandes mit
Geldſtrafe bis zu 60 Mark oder mit Haft bis zu 8 Tagen be-
ſtraft. Die Feſtſetzung der Strafen geſchieht durch das Landwehr-
bezirkskommando, die Vollſtreckung auf Requiſition deſſelben durch
die Civilbehörde 3). Außerdem können die Wehrpflichtigen, wenn
die Kontrolentziehung länger als ein Jahr dauert, gemäß §. 67
des R.Mil.Geſ. in die nächſt jüngere Jahresklaſſe verſetzt werden 4).
d)Dispenſation von den gewöhnlichen Dienſt-
pflichten. Mannſchaften der Reſerve und Landwehr, welche nach
außereuropäiſchen Ländern gehen wollen, können von der Er-
füllung der gewöhnlichen Dienſtpflichten im Frieden auf zwei Jahre
dispenſirt werden, jedoch unter der Bedingung der Rückkehr im Falle
6)
[183]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
einer Mobilmachung 1). Der Dispens wird durch die Landwehr-
Bezirkskommando’s ertheilt 2). Wenn der Beurlaubte durch Kon-
ſulatsatteſte nachweiſt, daß er ſich in einem der erwähnten Länder
eine feſte Stellung als Kaufmann, Gewerbetreibender ꝛc. erworben
hat, ſo kann der Urlaub bis zur Entlaſſung aus dem Militair-
verhältniſſe und unter gleichzeitiger Dispenſation von der Rückkehr
im Falle einer Mobilmachung verlängert werden. Dieſe Beſtim-
mung findet aber auf die Küſtenländer des Mittelländiſchen und
Schwarzen Meeres keine Anwendung 3). Solche Anträge unter-
liegen der Entſcheidung der Infanterie-Brigadekommandeure 4).
3. Die außerordentlichen Dienſtpflichten (im Falle
der Mobilmachung).
Die Mannſchaften der Reſerve, Landwehr und Seewehr ſind
verpflichtet, bei nothwendigen Verſtärkungen oder Mobilmachungen
des Heeres beziehentl. bei Ausrüſtung der Flotte der Einberufung
zur Fahne (zur Flotte) Folge zu leiſten 5). Die Einberufung er-
folgt auf Befehl des Kaiſers; in dem Falle, daß Theile des Bun-
desgebietes in Kriegszuſtand erklärt werden, ſind die kommandiren-
den Generale zur Einberufung befugt 6). In Bayern erfolgt die
Einberufung auf Veranlaſſung des Kaiſers durch den König von
Bayern 7). Die Mannſchaften gehören von dem Tage, zu welchem
ſie einberufen ſind, bis zum Ablauf des Tages ihrer Wiederent-
laſſung, zum aktiven Heere 8); während dieſer Zeit ſind ſie zum
aktiven Dienſt verpflichtet und die oben entwickelten Rechtsſätze
von der aktiven Dienſtpflicht finden auf ſie vollſtändige
und ausnahmsloſe Anwendung.
[184]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
Ueber die Einberufung gelten im Einzelnen folgende Rechts-
regeln:
a) Die Einberufung erfolgt, nach Maßgabe des Bedarfs und
ſoweit die militairiſchen Intereſſen es geſtatten, nach den Jahres-
klaſſen, mit der jüngſten beginnend 1). Demgemäß werden die
Mannſchaften der Reſerve und Landwehr in Jahresklaſſen nach
ihrem Dienſtalter eingetheilt 2). Dieſe regelmäßige, durch das
Alter beſtimmte Reihenfolge kann jedoch wegen dringender häus-
licher oder gewerblicher Verhältniſſe oder wegen Unabkömmlichkeit
aus einer Stellung im öffentlichen Dienſt modifizirt werden; hier-
nach unterſcheidet man das Klaſſifikations-Verfahren und das Un-
abkömmlichkeits-Verfahren.
α) Das Klaſſifikations-Verfahren. Die Klaſſifika-
tionsgründe ſind geſetzlich nicht fixirt; das Militairgeſetz §. 64
erwähnt nur dringende häusliche und gewerbliche Verhältniſſe; die
Wehrordnung II §. 17 ſpezialiſirt dieſelben aber und bildet dadurch
eine Ergänzung des Mil.-Geſetzes 3). Die Geſuche um Zurück-
ſtellung ſind bei dem Vorſteher der Gemeinde anzubringen, welcher
dieſelbe prüft und eine Nachweiſung aufſtellt, aus der nicht nur
die militairiſchen, bürgerlichen und Vermögensverhältniſſe der Bitt-
ſteller, ſondern auch die obwaltenden beſonderen Umſtände erſicht-
lich ſind, durch welche eine zeitweiſe Zurückſtellung bedingt werden
kann 4). Die Geſuche nebſt dieſen Nachweiſungen ſind an den
Civilvorſitzenden der Erſatzkommiſſion einzureichen. Die Entſchei-
dung darüber erfolgt durch die verſtärkten Erſatzbehörden 5).
Gegen die Entſcheidung der verſtärkten Erſatzkommiſſion 6) ſteht
dem ſtändigen militairiſchen Mitgliede die Erhebung des Einſpruchs
zu, in welchem Falle die endgültige Entſcheidung lediglich durch
die ſtändigen Mitglieder der Ober-Erſatzkommiſſion erfolgt 7).
[185]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
Die Berückſichtigung der Klaſſifikationsgründe findet in der Art
ſtatt, daß Reſerviſten hinter die letzte Jahresklaſſe der Reſerve
ihrer Waffe oder Dienſtkategorie, Landwehrmannſchaften aber, ſowie
in beſonders dringenden Fällen auch einzelne Reſerviſten, hinter
die letzte Jahresklaſſe der Landwehr ihrer Waffe oder Dienſt-
kategorie zeitweiſe zurückgeſtellt werden 1). Die Zurückſtellungen
behalten ihre Gültigkeit nur bis zum nächſten Klaſſifikationstermin
und erlöſchen, wenn Mannſchaften aus einem Aushebungsbezirk in
einen andern verziehen 2). In keinem Aushebungsbezirk darf die
Zahl der hinter den letzten Jahrgang der Reſerve zurückgeſtellten
Mannſchaften zwei Prozent der Reſerve, die Zahl der hinter den
letzten Jahrgang der Landwehr zurückgeſtellten Mannſchaften drei
Prozent der Reſerve und Landwehr überſteigen 3).
β) Das Unabkömmlichkeits-Verfahren. Als unab-
kömmlich können reklamirt werden Reichs- Staats- und Kommunal-
beamte, ferner Angeſtellte der Eiſenbahnen 4) und endlich Perſonen,
welche ein geiſtliches Amt in einer mit Korporationsrechten inner-
halb des Bundesgebietes beſtehenden Religionsgeſellſchaft bekleiden.
Unabkömmlich ſind dieſelben nur dann, wenn ihre Stellen ſelbſt
vorübergehend nicht offen gelaſſen werden können und eine geeignete
Vertretung nicht zu [ermöglichen] iſt 5); unter ihnen dürfen in erſter
Reihe nur ſolche Beamte berückſichtigt werden, welche in ihren
Civilverhältniſſen für militairiſche Zwecke wirkſam ſind. Die Be-
ſcheinigung der Unabkömmlichkeit erfolgt nach näherer Beſtimmung
der Landesregierungen durch den Chef derjenigen Civilbehörde, bei
oder unter welcher der Civilbeamte angeſtellt iſt 6). Jede zur Er-
theilung ſolcher Atteſte berechtigte Behörde trägt die für unabkömm-
lich erklärten Beamten in eine Liſte ein und theilt zum 1. Dezember
jedes Jahres dieſe Liſte, ſowie zum 1. Juni eine Nachtragsliſte,
dem Provinzial-Generalkommando mit, in deſſen Bezirk die Be-
[186]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
amten militairiſch kontrolirt werden. Die Generalkommando’s
prüfen dieſe Liſten; im Beanſtandungsfalle werden ſie dem zu-
ſtändigen Miniſterium, zu deſſen Reſſort die Civilbehörde gehört,
zur Beſtätigung oder Abänderung vorgelegt 1). Unabkömmlichkeits-
erklärungen im Moment der Einberufung ſind unzuläſſig 2). Die
Wirkung der Unabkömmlichkeitserklärung beſteht in der Zurück-
ſtellung hinter den älteſten Jahrgang der Landwehr; ſobald
dieſe Jahresklaſſe einberufen wird, erliſcht jedes Anrecht auf Zu-
rückſtellung 3).
b) Perſonen des Beurlaubtenſtandes (der Reſerve oder Land-
wehr), welche nach bekannt gemachter Kriegsbereitſchaft oder nach
angeordneter Mobilmachung ihrer Einberufung zum Dienſte oder
einer öffentlichen Aufforderung zur Stellung nicht binnen 3 Tagen
nach Ablauf der beſtimmten Friſt Folge leiſten, werden mit Frei-
heitsſtrafe von 6 Monaten bis zu 5 Jahren beſtraft 4). Wer der
Einberufung den Gehorſam in der Abſicht verweigert, ſich dauernd
ſeiner Verpflichtung zum Dienſte zu entziehen, wird wegen Fahnen-
flucht (Deſertion) beſtraft 5). Wer eine Perſon, welche zum Be-
urlaubtenſtande gehört, auffordert oder anreizt, der Einberufung
zum Dienſt nicht zu folgen, wird mit Gefängniß bis zu 2 Jahren
beſtraft 6).
c) Die Mannſchaften der Reſerve werden zu den Truppen-
theilen des ſtehenden Heeres behufs Verſtärkung derſelben einbe-
rufen; dagegen wird die Landwehr-Infanterie in beſonderen Trup-
penkörpern formirt und daſſelbe geſchieht im Kriegsfalle nach
Maßgabe des Bedarfs mit den Mannſchaften der Landwehr-Ka-
vallerie 7). Auf dieſem Satze beruht die große thatſächliche Ver-
[187]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
ſchiedenheit, die trotz der formell-juriſtiſchen Gleichartigkeit zwiſchen
der Reſervepflicht und der Landwehrpflicht beſteht und zu ihrer
ſcharfen Unterſcheidung im Art. 59 der R.V., ſowie in §§. 6 und 7
des Wehrgeſetzes Anlaß gegeben hat; denn die Linientruppen des
ſtehenden Heeres finden im Falle eines Krieges in erſter Reihe
Verwendung, während die beſonders formirten Landwehr-Truppen-
körper nach ausdrücklicher Anordnung des Wehrgeſetzes „zur Ver-
theidigung des Vaterlandes als Reſerve für das ſtehende Heer
verwandt werden ſollen.“ Im Frieden befinden ſich die Perſonen
der Reſerve und Landwehr als „Beurlaubte“ im gemeinſamen
Gegenſatz zu den Perſonen des aktiven Heeres und bilden zu-
ſammen eine faſt gleichartige Klaſſe der Wehrpflichtigen; im Kriege
wächſt die Reſerve-Mannſchaft den Truppenkörpern der Linie zu
und bildet gemeinſam mit der bei denſelben ihre Dienſtpflicht er-
füllenden Mannſchaft als „ſtehendes Heer“ einen gemeinſamen
Gegenſatz zu der Landwehr. Der Gegenſatz beruht aber — wie
bemerkt — nicht auf einer juriſtiſchen Verſchiedenheit in der Nor-
mirung der Dienſtpflicht, ſondern auf einer militairiſch-techniſchen
Verſchiedenheit in der Ausnützung derſelben. Der Unterſchied iſt
daher auch nicht ſtreng innegehalten. Zunächſt fällt bei den Spe-
zialwaffen die Bildung beſonderer Landwehr-Truppenkörper ganz
fort; die Landwehrmannſchaften derſelben werden nach Maßgabe
des Bedarfs zu den Fahnen des ſtehenden Heeres einberufen;
ebenſo die Seewehrmannſchaften zur Flotte 1). Sodann können die
Mannſchaften des jüngſten Jahrganges der Landwehr-Infanterie
bei Mobilmachungen erforderlichenfalls auch in Erſatz-Truppentheile
eingeſtellt werden 2). Endlich können im Kriege die zu den Land-
wehr-Regimentern einberufenen Mannſchaften auch in Truppen-
körpern der Linie zur Verwendung gelangen 3) und ein Uebertritt
vom ſtehenden Heere (Reſerve) zur Landwehr findet während der
Dauer einer Mobilmachung nicht ſtatt 4).
d) Perſonen des Beurlaubtenſtandes, welche ein geiſtliches
[188]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht
Amt in einer mit Korporationsrechten innerhalb des Bundesgebiets
beſtehenden Religionsgeſellſchaft bekleiden, werden zum Dienſte mit
der Waffe nicht herangezogen, ſondern im Falle des Bedürfniſſes
im Dienſt der Krankenpflege und Seelſorge verwandt 1).
e) Die Reſerve- und Landwehrmannſchaften erhalten, ſobald
ſie zum Kriege oder wegen außerordentlicher Zuſammenziehung der
Reſerve- oder der Landwehr einberufen werden, nicht nur wie alle
im aktiven Militairdienſt befindlichen Wehrpflichtigen die regle-
mentsmäßige Beköſtigung, Verpflegung, Löhnung u. ſ. w., ſon-
dern im Falle der Bedürftigkeit auch für ihre Familien eine Unter-
ſtützung, welche ſich bis zum Erlaß eines dieſe Materie regelnden
Reichsgeſetzes nach den Vorſchriften des Preuß. Geſetzes vom
27. Februar 1850 normirt. In Bayern gilt bis zu demſelben
Zeitpunkt Art. 33 Abſ. 1 des Bayr. Geſetzes betreffend die Wehr-
verfaſſung vom 30. Januar 1868 2).
4. Die Dauer der Reſerve- und Landwehrpflicht.
Für die Berechnung der Dienſtzeit im Frieden iſt die Ein-
theilung der Mannſchaften der Reſerve und Landwehr in Jahres-
klaſſen von praktiſcher Bedeutung. Die Wehrpflichtigen rücken
gleichſam von einem Jahrgang zum andern fort, ſie gelangen nach
Militairpflicht-Jahren zur Einſtellung bei den Truppen, ſie werden
in Jahrgängen von dem aktiven Heere zur Reſerve übernommen,
gliedern ſich in Jahresklaſſen der Reſerve, werden jahrgangsweiſe
zur Landwehr verſetzt und endlich, nachdem ſie die Jahresklaſſen
der Landwehr durchgemacht haben, zum Landſturm entlaſſen. Von
dieſem Prinzip aus ergeben ſich mehrere, geſetzlich anerkannte
Rechtsſätze. Die Dienſtzeit in der Reſerve und Landwehr wird
von demſelben Zeitpunkt an berechnet, wie die aktive Dienſtzeit 3),
auch wenn in Erfüllung der letzteren eine Unterbrechung ſtattge-
funden hat 4). Andererſeits treten Mannſchaften, welche in Folge
eigenen Verſchuldens verſpätet aus dem aktiven Dienſt entlaſſen
[189]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
werden 1), ſtets in die jüngſte Jahresklaſſe der Reſerve ein 2).
Wegen Kontrolentziehung oder Ungehorſams gegen Einberufungs-
Ordres kann eine Verſetzung in die nächſt jüngere Jahresklaſſe zur
Strafe verhängt werden, was einer Verlängerung der geſetzlichen
Dienſtzeit gleichkömmt 3). Reſerviſten oder Landwehrleute, welche
nach erfolgter Auswanderung vor vollendetem 31. Lebensjahr wie-
der naturaliſirt werden, treten in denjenigen Jahrgang, welchem
ſie ohne die ſtattgehabte Auswanderung angehört haben würden,
wieder ein, d. h. ſie rücken während der Zeit der Auswanderung
durch die Jahresklaſſen mit fort 4). Die Verſetzung aus der Re-
ſerve in die Landwehr, ſowie die Entlaſſung aus der Landwehr
erfolgt bei den Herbſt-Kontrolverſammlungen des betreffenden
Jahres 5), auch wenn die zwölfjährige Geſammtdienſtzeit gemäß
Art. 59 der R.V. ſchon vor dieſem Tage abgelaufen ſein ſollte 6).
Die Dienſtzeit in der Reſerve beträgt zwar nach der Aus-
drucksweiſe des Art. 59 der R.V. vier Jahre; dieſer Ausdruck iſt
indeſſen nicht correct, da die Dauer der Reſervepflicht davon ab-
hängig iſt, wann die Beurlaubung des Wehrpflichtigen von den
Fahnen eintritt. Feſt beſtimmt iſt nur die Geſammtdienſtpflicht
im ſtehenden Heere und zwar auf ſieben Jahre. Treffender ſagt
das Wehrgeſetz §. 6 Abſ. 5, daß nach der Entlaſſung aus dem
aktiven Dienſt während des Reſtes der ſiebenjährigen Dienſtzeit
die Mannſchaften zur Reſerve gehören. Die Dienſtzeit in der
Landwehr und in der Seewehr umfaßt die (auf die Verſetzung aus
der Reſerve zur Land- oder Seewehr) folgenden fünf Lebensjahre 7).
Mannſchaften der Kavallerie, welche ſich freiwillig zu einer vier-
jährigen aktiven Dienſtzeit verpflichtet haben, dienen in der
Landwehr nur drei Jahre.
In denjenigen Bundesſtaaten, in denen vor Einführung der
[190]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
Bundesverfaſſung eine längere als 12jährige Geſammtdienſtzeit
geſetzlich beſtanden hat, iſt dieſelbe zunächſt aufrecht erhalten wor-
den; es iſt jedoch dem Kaiſer die Befugniß übertragen worden,
unter Berückſichtigung der Kriegsbereitſchaft des Reichsheeres die
Herabſetzung dieſer Verpflichtung auf das reichsgeſetzliche Maß
anzuordnen 1).
VI.Die Erſatzreſerve-Pflicht.
1. Begriff. Die Erſatzreſerve-Pflicht iſt eine eventuelle
Dienſtpflicht. Dadurch wird der Unterſchied derſelben ſowohl
gegenüber der definitiven Befreiung von der Dienſtpflicht als auch
gegenüber der Reſerve- oder Landwehrpflicht charakteriſirt. Wäh-
rend bei der letzteren die aktive Dienſtpflicht nur quoad exercitium
ſuspendirt, die Wehrpflichtigen „beurlaubt“ ſind, gehören die Er-
ſatzreſerviſten nicht zum Heere, alſo auch nicht zum Beurlaubten-
ſtande; während die Reſerve- und Landwehrpflicht eine Fortſetzung
der aktiven Dienſtpflicht iſt, läßt ſich die Erſatzreſervepflicht
als die Fortſetzung der Militairpflicht bezeichnen. Andererſeits
enthält die Zuweiſung zur Erſatzreſerve zwar eine Befreiung von
der Einſtellung in das ſtehende Heer und von der militairiſchen
Ausbildung, aber keine Beendigung der Wehrpflicht; die Dienſt-
verpflichtung in der Erſatzreſerve iſt vielmehr eine beſondere Ge-
ſtaltung oder Differenzirung derſelben. Die eventuelle Dienſtpflicht
kann ſich in eine aktive verwandeln, wenn das Bedürfniß der
Heeresergänzung die Einberufung von Erſatzmannſchaften erfordert 2).
Dieſem Begriffe entſpricht es, daß der Erſatzreſerve alle Per-
ſonen überwieſen werden, welche aus irgend einem Grunde nicht
[191]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
zur Einſtellung in das aktive Heer gelangen, ausgenommen die-
jenigen, welche gänzlich untauglich oder dauernd unfähig zum
Dienſt im Heere oder in der Flotte ſind 1), und daß die Erſatz-
reſervepflicht ebenſolange dauert wie die Dienſtverpflichtung im
Heere oder in der Flotte, nämlich bis zum vollendeten 31. Lebens-
jahre 2).
Die Erſatzreſerve wird in zwei Klaſſen getheilt. Die erſte
beſteht aus denjenigen Militairpflichtigen, aus welchen bei Mobil-
machungen die regelmäßige Ergänzung des Heeres und nament-
lich die Mannſchaft zur Bildung von Erſatz-Truppentheilen ent-
nommen wird; die zweite Klaſſe dagegen bildet eine Art von
Reſervefonds an wehrpflichtiger Mannſchaft, auf welchen nur bei
ausbrechendem Kriege und auch alsdann nur im Falle eines außer-
ordentlichen Bedarfes zurückgegriffen werden darf 3). Nach
dieſem Princip beſtimmt ſich die Entſcheidung der Erſatzbehörden,
welche Perſonen der erſten Klaſſe der Erſatzreſerve und welche der
zweiten Klaſſe zu überweiſen ſind 4); aus demſelben Grundſatz er-
giebt ſich aber auch eine erhebliche Verſchiedenheit der Dienſtver-
pflichtungen der beiden Erſatzreſerve-Klaſſen.
Bei der zum Dienſt in der Flotte verpflichteten ſeemänniſchen
Bevölkerung findet dieſe Eintheilung nicht ſtatt; die Seewehr erſter
Klaſſe entſpricht der Landwehr, die Seewehr zweiter Klaſſe der
Erſatzreſerve 5).
2. Die Dienſtpflichtinder Erſatzreſerve I. Klaſſe.
a) Der weſentliche Inhalt des Rechtsverhältniſſes beſteht in
der Verpflichtung, der Einberufung zum aktiven Dienſt Folge
zu leiſten. Vorausſetzung der Einberufung iſt die Anordnung der
Mobilmachung oder der Bildung von Erſatztruppen 6). Für die
Reihenfolge der Einberufung gilt das Prinzip der Jahres-
klaſſen; dringende häusliche und gewerbliche Verhältniſſe können
jedoch in derſelben Art wie bei den Perſonen des Beurlaubten-
[192]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
ſtandes Berückſichtigung finden 1). Die Klaſſifikation erfolgt durch
die verſtärkte Erſatzkommiſſion und das Verfahren iſt das gleiche
wie bei der Klaſſifikation der Reſervemannſchaften 2). Der Modus
der Einberufung iſt entweder die öffentliche Aufforderung oder die
an den Einzelnen gerichtete Geſtellungs-Ordre 3). Die im Aus-
lande befindlichen Erſatzreſerviſten I. müſſen ſich bei eintretender
allgemeiner Mobilmachung unverzüglich in das Inland zurück-
begeben und ſich bei dem Bezirksfeldwebel, in deſſen Kontrole ſie
ſtehen, oder bei demjenigen der nächſten Landwehr-Kompagnie an-
melden. Von dieſer Verpflichtung können ſie aber im Falle des
§. 59 des Mil.Geſ. (ſ. oben S. 183) dispenſirt werden 4). Un-
gehorſam gegen den Einberufungsbefehl wird nach den Vor-
ſchriften des Militair-Strafgeſetzbuchs beſtraft; Erſatzreſerviſten I.
ſtehen in dieſer Beziehung den Perſonen des Beurlaubtenſtandes
völlig gleich 5). Von dem Tage, zu welchem ſie einberufen ſind,
bis zum Ablauf des Tages der Wiederentlaſſung gehören ſie zum
aktiven Heere 6); alle von der aktiven Dienſtpflicht geltenden
Rechtsregeln finden in dieſer Zeit auf ſie Anwendung; ſie haben
andererſeits Anſpruch auf reglementsmäßige Verpflegung und Be-
ſoldung und unter denſelben Vorausſetzungen und in demſelben
Umfange wie Mannſchaften der Reſerve und Landwehr auf Unter-
ſtützung ihrer Familien 7).
b) Zur Sicherung dieſer Verpflichtung unterliegen ſie einer
militairiſchen Kontrole. Dieſelbe wird von den Landwehr-
Bezirkskommando’s geführt, welche die Erſatzreſerviſten — nach
Jahrgängen getrennt — in die Kontrol-Liſten einzutragen haben 8).
[193]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
Behufs Durchführung der Kontrole beſteht für die Erſatzreſerviſten I.
eine Meldepflicht, welche der Meldepflicht der Reſerve- und
Landwehr-Mannſchaften völlig gleichartig iſt 1). Dagegen beſteht
für ſie der Regel nach keine Verpflichtung zur Geſtellung zu Kon-
trol-Verſammlungen; ſie können jedoch im Falle eines außerordent-
lichen Bedürfniſſes auf Grund Kaiſerlicher Verordnung zu Kontrol-
Verſammlungen einberufen werden und müſſen ſich bei denſelben
einer ärztlichen Unterſuchung hinſichtlich ihrer Dienſttauglichkeit
unterwerfen 2). Die Kontrol-Entziehung wird an Mann-
ſchaften der Erſatzreſerve I. mit Geldſtrafe bis zu 60 Mark oder
mit Haft bis zu 8 Tagen beſtraft. Das Delict gehört zur Kompe-
tenz der bürgerlichen Gerichte; die Landwehr-Bezirkskommando’s
ſind aber verpflichtet, die ſtrafrechtliche Verfolgung zu veranlaſſen
und es iſt ihnen von der erfolgten Verurtheilung Mittheilung zu
machen 3). Außerdem können Erſatzreſerviſten wegen Kontrol-Ent-
ziehung durch Verfügung des Landwehr-Bezirkskommandeurs in
die nächſt jüngere Jahresklaſſe verſetzt werden; in keinem Falle
aber darf dadurch eine Ausdehnung der Erſatzreſervepflicht über
das vollendete 31. Lebensjahr hinaus bewirkt werden 4).
Im Zuſammenhange mit dieſer Kontrole ſteht die Verpflich-
tung der Erſatzreſerviſten von ihrer bevorſtehenden Auswanderung
der Militairbehörde Anzeige zu machen 5). Die Unterlaſſung der
Anzeige wird nach §. 360 Z. 3 des St.G.B.’s mit Geldſtrafe bis
zu 150 Mark oder mit Haft beſtraft 6).
c) Da in jedem Jahre ſo viele Mannſchaften der Erſatzreſerve
I. Kl. überwieſen werden, daß mit fünf Jahrgängen der Bedarf
für die Mobilmachung des Heeres gedeckt wird 7), ſo iſt die Dienſt-
Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 13
[194]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
zeit in der Erſatzreſerve I. auf 5 Jahre normirt; ſie hat alſo die-
ſelbe Dauer wie die Dienſtzeit in der Landwehr. Die 5jährige
Friſt beginnt am 1. Oktober des Jahres, in welchem die Ueber-
weiſung zur Erſatzreſerve erfolgt iſt; nach Ablauf der 5 Jahre
werden die Mannſchaften in die zweite Klaſſe der Erſatzreſerve
verſetzt 1).
d) Erſatzreſerviſten, welche zu den Fahnen einberufen werden,
ſind bei Zurückführung des Heeres auf den Friedensfuß wieder
zu entlaſſen 2). Sie treten in die Erſatzreſerve zurück, wenn ſie
militairiſch nicht ausgebildet ſind. Haben Erſatzreſerviſten bei ihrer
Entlaſſung drei Monate aktiv gedient, ſo werden ſie als ausgebildet
angeſehen 3). Sie treten alsdann bei ihrer Entlaſſung nach ihrem
Lebensalter zur Reſerve oder Landwehr über 4) und ihre Reſerve-
und Landwehrpflicht wird ſo bemeſſen, als wenn ſie im erſten
Jahre ihres dienſtpflichtigen Alters ausgehoben worden wären 5).
3. Die Dienſtpflicht in der ErſatzreſerveII.Klaſſe.
a) Im Frieden ſind die Mannſchaften derſelben von allen
militairiſchen Verpflichtungen befreit, insbeſondere auch von der
Meldepflicht behufs der Kontrole 6).
b) Bei ausbrechendem Kriege kann im Falle außerordentlichen
Bedarfs ihre Einberufung durch Kaiſerl. Verordnung ange-
ordnet werden. Die Wirkung dieſer Verordnung beſteht darin,
daß die Militairpflicht der Erſatzreſerviſten II. wieder auflebt,
d. h. die Pflicht, ſich zur Stammrolle wieder anzumelden und ſich
zur Aushebung zu geſtellen. Auf Grund der Kaiſerl. Einberufungs-
ordre iſt in ortsüblicher Weiſe bekannt zu machen, welche Alters-
7)
[195]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
klaſſen zunächſt zur Einziehung gelangen. Vom Zeitpunkte der
Bekanntmachung an unterliegen die Mannſchaften der bezeichneten
Altersklaſſen den Vorſchriften über die Militairpflichtigen 1). Von
der Erfüllung der Geſtellungspflicht können die jenigen Mannſchaften
der Erſatzreſerve II, welche durch Konſulatsatteſte nachweiſen, daß
ſie in einem außereuropäiſchen Lande, jedoch mit Ausſchluß der
Küſtenländer des Mittelländiſchen und Schwarzen Meeres, eine
feſte Stellung als Kaufleute, Gewerbetreibende ꝛc. erworben haben,
für die Dauer ihres Aufenthalts außerhalb Europas befreit werden 2).
c) Für die Erſatzreſerviſten zweiter Klaſſe, welche zur Aus-
hebung und Einſtellung gelangen, gelten im Falle der Zurückfüh-
rung des Heeres auf den Friedensfuß dieſelben Regeln, wie für
Erſatzreſerviſten I.3). Hinſichtlich der nicht zur Einziehung gelangten
Mannſchaften hört mit der Auflöſung der Erſatz-Truppentheile das
Militairpflichts-Verhältniß von Neuem auf 4).
4. Die Dienſtpflicht in der SeewehrII.Klaſſe.
Dieſelbe entſpricht der Dienſtpflicht der Erſatzreſerviſten I. Kl. 5).
Die Mannſchaften ſind in derſelben Art wie dieſe der militairiſchen
Kontrole unterworfen und zur Meldung verpflichtet, während
Kontrolverſammlungen im Frieden nicht ſtattfinden 6). Bei
ausbrechendem Kriege können ſie zur Ergänzung der Marine ein-
berufen werden. Ueber Einziehung, Wiederentlaſſung, Dauer der
13*
[196]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
Dienſtzeit u. ſ. w. gelten ebenfalls dieſelben Regeln wie für die
Erſatzreſerve I1). Nur in einer Beziehung beſteht eine, allerdings
erhebliche, Abweichung. Für die Mannſchaften der Seewehr II. Kl.
finden nämlich zeitweiſe kürzere Uebungen an Bord, namentlich
behufs Ausbildung in der Schiffsartillerie, ſtatt und es wird jeder
dieſer Verpflichteten in der Regel zweimal zu dieſen Uebungen
herangezogen 2).
VII.Die Landſturmpflicht.
1. Begriff. Der Landſturm beſteht aus allen Wehrpflich-
tigen vom vollendeten 17. bis bis zum vollendeten 42. Lebensjahre,
welche weder dem Heere noch der Marine angehören 3). Die Land-
ſturmpflicht iſt demnach ein generelle und ſubſidiäre Dienſt-
pflicht, die letzte und allgemeinſte Verwirklichung der Wehrpflicht 4).
Ihrem juriſtiſchen Charakter nach entſpricht die Landſturmpflicht der
Dienſtpflicht in der Erſatzreſerve II. Klaſſe, indem ſie wie dieſe eine
nur eventuelle Dienſtpflicht iſt und nur im Falle eines außerordent-
lichen Bedürfniſſes reelle Wirkungen äußert, in ihrer praktiſchen Ge-
ſtaltung dagegen iſt die Landſturmpflicht der Landwehrpflicht nachge-
bildet und man kann den Landſturm als eine Landwehr zwei-
ten Aufgebots bezeichnen 5). Der Landſturm tritt nur zuſam-
men, wenn ein feindlicher Einfall Theile des Reichsgebietes bedroht
oder überzieht 6). Das Aufgebot erfolgt durch kaiſerl. Verord-
[197]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
nung 1); durch dieſelbe wird zugleich beſtimmt, auf welchen terri-
torialen Umfang und auf welche Kategorien von Wehrpflichtigen
(Jahrgänge u. ſ. w.) ſich das Aufgebot erſtreckt 2).
2. Inhalt. Wenn der Landſturm nicht aufgeboten iſt, dürfen
die Landſturmpflichtigen keinerlei Kontrole oder Uebung unterworfen
werden 3); die Landſturmpflicht enthält demnach keinerlei aktive
Dienſtverpflichtung. Sobald dagegen das Aufgebot ergangen iſt,
finden auf die von demſelben betroffenen Landſturmpflichtigen die
für die Landwehr geltenden Vorſchriften Anwendung 4). Sie
werden alſo zunächſt ſo angeſehen, als gehörten ſie zum Beurlaub-
tenſtande; ſie ſtehen unter der Kontrole der Landwehrbehörden;
ſie ſind der Meldepflicht, der Geſtellungspflicht zu Kontrolverſamm-
lungen unterworfen, ſie müſſen einer Einberufungs-Ordre Folge
leiſten; die Militairſtrafgeſetze und die Disciplinarordnung finden
auf ſie Anwendung. Die Einberufung der durch Kaiſerl. Verord-
nung aufgebotenen Kategorien landſturmpflichtiger Perſonen erfolgt
durch die Landwehrbehörden. Die einberufenen Landſturm-
pflichtigen gehören zum aktiven Heere5) und auf ſie finden
alle Regeln von der aktiven Dienſtpflicht in vollem Umfange
Anwendung. Die Einberufung erfolgt nach Jahresklaſſen, mit der
jüngſten beginnend, ſoweit die militairiſchen Intereſſen dies ge-
ſtatten 6). Die einberufenen Laudſturm-Mannſchaften werden in der
Regel in beſondere Abtheilungen formirt 7). Hierauf beruht
praktiſch der wichtige Unterſchied zwiſchen der Landſturmpflicht und
[198]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
der Erſatzreſervepflicht und die Aehnlichkeit der Landſturmpflicht
mit der Landwehrpflicht. Die Erſatzreſerviſten werden zur Er-
gänzung und Verſtärkung der Truppenkörper des Heeres verwen-
det; die Landſturmpflichtigen werden zu Truppenkörpern vereinigt,
welche einen von dem Heere verſchiedenen Beſtandtheil der bewaff-
neten Macht bilden 1). Dieſer Grundſatz gilt aber nur als Regel;
er wird nur inſoweit durchgeführt, als dies mit techniſch-militairi-
ſchen Rückſichten verträglich iſt. Einerſeits kann das Aufgebot zum
Landſturm ſich auch auf die verfügbaren, d. h. für die Ergänzung
des Heeres nicht erforderlichen, Theile der Erſatzreſerve erſtrecken 2),
ſo daß auch Erſatzreſerviſten in die Landſturm-Bataillone eingeſtellt
werden können. Andererſeits iſt es zuläſſig, daß in Fällen außer-
ordentlichen Bedarfs die Landwehr aus den Mannſchaften des auf-
gebotenen Landſturms ergänzt wird; jedoch nur dann, wenn bereits
ſämmtliche Jahrgänge der Landwehr und die verwendbaren Mann-
ſchaften der Erſatzreſerve einberufen ſind 3).
Werden Landſturmpflichtige aus dem aktiven Dienſt ent-
laſſen, ohne daß das Aufgebot zum Landſturm ſelbſt aufgehoben
wird, ſo treten ſie in den Beurlaubtenſtand zurück und verbleiben
unter Kontrole der Landwehrbehörden. Die Auflöſung des
Landſturms wird vom Kaiſer angeordnet 4); mit der Auflöſung der
betreffenden Formationen hört das Militairverhältniß der Land-
ſturmpflichtigen auf 5).
VIII.Die Dienſtpflicht der Einjährig-Freiwilligen
und der Offiziere des Beurlaubtenſtandes.
1. Begriff und juriſtiſche Natur. Der Dienſt als
[199]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
Einjährig-Freiwilliger iſt eine Modifikation der Erfüllung der
geſetzlichen Wehrpflicht. Die Dienſtpflicht iſt keine freiwillig
übernommene, ſondern eine Unterthanenpflicht; der Rechtsgrund
derſelben iſt nicht der Dienſtvertrag, ſondern das Geſetz; im All-
gemeinen finden daher nicht die Vorſchriften, welche über die ver-
tragsmäßig übernommene Dienſtpflicht (der Kapitulanten, Offiziere ꝛc.)
gelten, ſondern die Rechtsregeln von der geſetzlichen Wehrpflicht
Anwendung. Aber die Dienſtpflicht iſt nicht die regelmäßige und
gewöhnliche, ſondern eine beſonders geartete. Dieſe Modifikation
beſteht theils in Erſchwerungen, indem der Wehrpflichtige für ſeine
Bekleidung, Ausrüſtung und Verpflegung auf eigene Koſten Sorge
tragen muß, theils in Erleichterungen, unter denen die wichtigſten
und hervorragendſten die Wahl des Truppentheils und die Ver-
kürzung der aktiven Dienſtzeit im Frieden auf Ein Jahr ſind. Dieſe
beſondere Art der Dienſtleiſtung beruht auf dem freien Willen
des Wehrpflichtigen; ſie wird ihm durch das Recht geſtattet, aber
nicht abgenöthigt. Auf einem Conſens1) beruht alſo nicht die
Dienſtpflicht an ſich, ſondern die Modifikation der Erfüllung der-
ſelben; und nur in dieſer Hinſicht ſteht der Dienſt der Einjährig-
Freiwilligen juriſtiſch den freiwillig begründeten Militair-Verhält-
niſſen gleich. Die praktiſche Verwirklichung dieſes Grundſatzes be-
ſteht darin, daß kein Wehrpflichtiger, in deſſen Perſon die Voraus-
ſetzungen zum einjährig-freiwilligen Dienſt begründet ſind, rechtlich
gehindert iſt, ſeine Wehrpflicht in der gewöhnlichen Weiſe zu er-
füllen; daß er ſich zum einjährig-freiwilligen Dienſt ausdrücklich
melden muß 2); daß ihm Reklamationsgründe wie allen übrigen
Wehrpflichtigen zur Seite ſtehen 3), und daß bei dem Wegfall der
Vorausſetzungen zum einjährig-freiwilligen Dienſt oder wenn der
Freiwillige die Verpflegung auf eigene Koſten nicht länger beſtrei-
ten kann oder will, die regelmäßige Art der Wehrpflichts-Erfüllung
wieder an die Stelle der außerordentlichen Art tritt 4).
2. Vorausſetzungen5). Außer den allgemeinen Voraus-
[200]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
ſetzungen zum Eintritt in das Heer und in die Marine, nämlich
körperliche Tauglichkeit und Unbeſcholtenheit 1), iſt erforderlich der
Nachweis wiſſenſchaftlicher Bildung und die Uebernahme der Ver-
pflichtung zur Selbſtverpflegung 2).
a) Der Nachweis wiſſenſchaftlicher Bildung kann geführt wer-
den entweder durch Ablegung einer Prüfung oder durch Schul-
zeugiſſe. Für die Prüfung beſtehen beſondere Kommiſſionen unter
dem Vorſitz des Civilvorſitzenden der Ober-Erſatzkommiſſion, welche
jährlich zwei Mal, im Frühjahr und im Herbſt, die Prüfungen
abhalten 3).
Die Lehranſtalten, welche berechtigt ſind, Befähigungszeugniſſe
für den einjährig-freiwilligen Dienſt auszuſtellen, werden durch den
Reichskanzler bezeichnet und durch das Centralblatt f. das D. R.
veröffentlicht 4). Von dem Nachweis der wiſſenſchaftlichen Befähi-
gung dürfen entbunden werden junge Leute, welche in einem Zweige
der Wiſſenſchaft oder Kunſt, des Kunſthandwerks oder der mecha-
niſchen Arbeiten, oder in einer andern dem Gemeinweſen zu Gute
5)
[201]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
kommenden Thätigkeit ſich beſonders auszeichnen, ſowie die zu
Kunſtleiſtungen angeſtellten Mitglieder landesherrlicher Bühnen 1).
b) Die Verpflichtung zur Bekleidung, Ausrüſtung und Ver-
pflegung auf eigene Koſten wird übernommen durch Beibringung
eines Atteſtes des Vaters oder Vormunds, in welchem er ſeine
Bereitwilligkeit und Fähigkeit bekundet, dieſe Koſten zu tragen.
Der Umfang der Verbindlichkeit iſt normirt in einem beſonderen
Reglement, welches als Anlage 5 zu § 18 der Rekrutirungs-Ord-
nung (Heerordnung I. Theil) beigegeben iſt. Ein Freiwilliger,
welchem die Mittel zu ſeinem Unterhalt fehlen, darf ausnahms-
weiſe mit Genehmigung des Generalkommandos in die Verpfle-
gung des Truppentheils aufgenommen werden 2).
Für die Marine beſteht aber eine abweichende Regel, die
auf der eigenthümlichen Art des Dienſtes in der Flotte beruht.
Junge Seeleute von Beruf und Maſchiniſten, welche beim Eintritt
in das dienſtpflichtige Alter die Qualifikation zum einjährig-frei-
willigen Dienſt erlangt, oder welche das Steuermanns-Examen ab-
gelegt haben, werden zum einjährig-freiwilligen Dienſt in der Ma-
rine zugelaſſen, ohne zur Selbſtverpflegung verpflichtet zu ſein 3).
Das Vorhandenſein der Vorausſetzungen zum einjährig-frei-
willigen Dienſt wird conſtatirt durch einen Berechtigungsſchein, den
die Prüfungskommiſſion auf ſchriftlichen Antrag ertheilt. Der An-
trag darf nicht vor vollendetem 17. Lebensjahre und muß ſpäte-
ſtens bis zum 1. April des erſten Militairpflichtjahrs geſtellt
werden 4).
3. Militairpflicht. Wer die Berechtigung zum einjährig-
freiwilligen Dienſt hat, iſt von der gewöhnlichen Melde- und Ge-
ſtellungspflicht frei; er hat ſich vielmehr beim Eintritt in das mi-
litairpflichtige Alter bei der Erſatzkommiſſion ſeines Geſtellungs-
ortes ſchriftlich oder mündlich zu melden und unter Vorlegung des
Berechtigungsſcheines die Zurückſtellung von der Aushebung zu
beantragen; er wird hierauf bis zum 1. Oktober ſeines vierten
Militairpflichtjahrs zurückgeſtellt und iſt bis zum Ablauf dieſer
[202]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
Friſt von der Geſtellung dispenſirt 1). Ausnahmsweiſe kann die
Zurückſtellung bis zum 1. Oktober des ſechſten Militairpflicht-
jahres erſtreckt werden 2). Auch eine Aushebung der zum einjährig-
freiwilligen Dienſt Berechtigten findet nicht ſtatt; ſie haben ſich
vielmehr bis zum Ablauf der ihnen gewährten Zurückſtellungsfriſt
zum Dienſtantritt zu melden, widrigenfalls ſie die Berechtigung
verlieren. Dieſelbe kann ihnen jedoch durch die Erſatzbehörde dritter
Inſtanz wieder verliehen werden 3). Bei ausbrechendem Kriege
müſſen ſich alle zum einjährig-freiwilligen Dienſt Berechtigten, welche
bereits in das militairpflichtige Alter eingetreten ſind, auf öffent-
liche Aufforderung ſofort zum Heeresdienſt ſtellen 4).
4. Aktive Dienſtpflicht. Dieſelbe iſt in folgenden Be-
ziehungen von der Dienſtpflicht der gemeinen Soldaten verſchieden:
a) Den Freiwilligen ſteht die Wahl des Truppenthei-
les, bei welchem ſie ihrer aktiven Dienſtpflicht genügen wollen,
innerhalb des ganzen Reiches frei 5). Der Dienſteintritt derſelben
findet alljährlich bei der Infanterie am 1. April und 1. Oktober,
bei dem Train am 1. Novemb., bei den übrigen Waffengattungen
am 1. Oktober ſtatt. Bei der Meldung iſt der Berechtigungsſchein
und ein obrigkeitliches Atteſt über die ſittliche Führung ſeit Er-
theilung der Berechtigung vorzuzeigen, worauf der Kommandeur
des Truppentheils die ärztliche Unterſuchung des ſich Meldenden
veranlaßt. Bei derſelben dürfen die zuläſſig geringſten körperlichen
Anforderungen gemacht werden 6). Die von den Truppentheilen
als untauglich abgewieſenen Freiwilligen melden ſich unter Vor-
legung des Berechtigungsſcheines, auf welchem die Gründe der Ab-
[203]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
weiſung vermerkt werden, innerhalb 4 Wochen bei dem Civilvor-
ſitzenden der Erſatzkommiſſion ihres Aufenthaltsortes. Dieſer be-
ordert ſie zur Vorſtellung vor der Ober-Erſatzkommiſſion beim
Aushebungsgeſchäft, welche nach den allgemeinen Grundſätzen ent-
ſcheidet. Der von ihr für eine beſtimmte Waffengattung als taug-
lich erklärte Freiwillige muß von jedem Truppentheil dieſer Waffen-
gattung angenommen werden 1).
b) Die Dauer der aktiven Dienſtzeit beträgt ein Jahr vom
Tage des Dienſteintritts an gerechnet. Nach Ablauf dieſer Zeit
werden die Freiwilligen zur Reſerve beurlaubt 2).
c) Die militairiſche Ausbildung der Freiwilligen iſt
eine andere wie die der gewöhnlichen Soldaten, da ſie zu Unter-
offizieren und Offizieren der Reſerve und Landwehr vorbereitet
werden ſollen. Einjährig-Freiwillige, welche ſich gut geführt und
ausreichende Dienſtkenntniß erworben haben, werden nach halb-
jähriger Dienſtzeit zu Gefreiten befördert und erhalten nach einge-
tretener Beförderung theoretiſchen und praktiſchen Unterricht über
alle Dienſtobliegenheiten des Offiziers und Unteroffiziers, ſowie
über die beſonderen Standespflichten des Offiziers 3). Vor Be-
endigung der aktiven Dienſtzeit werden ſie einer theoretiſchen und
praktiſchen Prüfung unterworfen, durch welche ihre Qualifikation
zum Reſerveoffizier feſtgeſtellt wird. Die Truppenbefehlshaber
treffen die näheren Beſtimmungen über die Prüfung, und den
höheren Vorgeſetzten liegt die Pflicht ob, ſich bei Inſpizirungen
von dem Stande der Ausbildung der Einjährig-Freiwilligen zu
überzeugen. Wer die Prüfung beſteht, erhält ein Qualifikations-
[204]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
atteſt zum Reſerveoffizier und wird bei ſeiner Entlaſſung zum über-
zähligen Unteroffizier befördert 1).
5. Reſerve- und Landwehrpflicht. Die Dienſtzeit
im ſtehenden Heer wird durch die Verkürzung der aktiven Dienſt-
zeit nicht berührt; die Reſervepflicht dauert demnach bei den Ein-
jährig-Freiwilligen ſechs Jahre, nach deren Ablauf die fünfjährige
Verpflichtung zum Dienſt in der Landwehr beginnt. Prinzipiell
gelten nun auch für Wehrpflichtige, welche ihre aktive Dienſtpflicht
als Einjährig-Freiwillige erfüllt haben, die allgemeinen Regeln über
die Reſerve- und Landwehrpflicht ohne alle Ausnahme; es kann
jedoch eine Abweichung in der Erfüllung dieſer Pflicht dadurch
eintreten, daß ſie zu Offizieren der Reſerve oder Landwehr ernannt
werden 2). Die Dienſtpflicht der Reſerve- und Land-
wehr-Offiziere hat juriſtiſch vollkommen denſelben Charakter
wie die aktive Dienſtpflicht der Einjährig-Freiwilligen d. h. ſie iſt
eine modifizirte Erfüllung der geſetzlichen Wehr-
pflicht. Der Reſerveoffizier fällt daher nicht wie der Berufs-
Offizier unter die Rechtskategorie der Beamten, ſondern er
gehört zu den ihrer geſetzlichen Wehrpflicht genügenden
Unterthanen. Dieſe Unterthanenpflicht erfüllt er aber in einer be-
ſonderen, theils Erſchwerungen, theils Erleichterungen in ſich ſchlieſ-
ſenden Art und deshalb iſt ein Conſens zwiſchen dem Wehr-
pflichtigen und dem Kontingentsherrn (reſp. dem die Rechte des-
ſelben auf Grund von Militair-Konventionen ausübenden Kaiſer,)
erforderlich, damit dieſe beſondere Art der Erfüllung an die
Stelle der allgemeinen trete. Niemand kann wider ſeinen Willen
zum Reſerveoffizier ernannt und zur Erfüllung der mit dieſer
Stellung verbundenen Pflichten genöthigt werden. In dieſer
Hinſicht beſteht allerdings zwiſchen dem Rechtsverhältniß, in wel-
chem der Berufsoffizier zu ſeinem Dienſtherrn ſteht, und dem
Rechtsverhältniß des Reſerve- und Landwehroffiziers Gleichheit 3).
Die Grundlage des ganzen Verhältniſſes bleibt aber immer die
geſetzliche Wehrpflicht.
[205]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
Die Vorausſetzungen zur Erlangung des Charakters
eines Reſerve- oder Landwehr-Offiziers ſind außer dem Erwerb
des Qualifikationsatteſtes zum Offizier folgende: Die „Offizier-
Aſpiranten“ müſſen nach ihrer Entlaſſung aus dem aktiven Dienſt
eine achtwöchentliche Uebung abſolviren, um ihre dienſtliche und
außerdienſtliche Befähigung zum Offiziere darzuthun; am Schluß
der Dienſtleiſtung trägt der Befehlshaber des Truppentheils,
bei welchem ſie die Uebung machen, in das Ueberweiſungs-
nationale ein, ob er einverſtanden ſei, daß der betreffende Offi-
zier-Aſpirant zum Reſerve-Offizier des Truppentheils beziehw. zum
Landwehr-Offizier in Vorſchlag gebracht werde 1). Hierauf muß
ſich der Offizier-Aſpirant zur Offizierwahl ſtellen. Die Wahl
erfolgt durch das Offizierkorps des Landwehrbataillons, welchem
der Aſpirant angehört; falls er aber zum Dienſt einberufen iſt,
durch das Offizierkorps des Truppentheils. Nur diejenigen Offi-
zier-Aſpiranten werden zur Wahl geſtellt, welche mit ihrer Beför-
derung zum Offizier ſich ſchriftlich einverſtanden erklären,
die Charge eines Vicefeldwebels oder Vicewachtmeiſters bekleiden
und den gedachten Vermerk im Ueberweiſungsnationale haben 2).
Die gewählten Offiziers-Aſpiranten werden hierauf dem Kontin-
gentsherrn reſp. dem Kaiſer durch den Landwehr-Bezirkskomman-
deur auf dem Waffen-Inſtanzenwege mittelſt Geſuchsliſte in Vor-
ſchlag gebracht und geeigneten Falls zu Offizieren des Beurlaub-
tenſtandes ernannt 3).
[206]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
Die Dienſtpflichten der Reſerve- und Landwehroffiziere
ſind im Allgemeinen nicht analog denjenigen der Berufsoffiziere,
ſondern denjenigen der Mannſchaften des Beurlaubtenſtandes, d. h.
ſie ſind im Frieden nur verpflichtet zur Meldung des
Wohnungswechſels, zur Geſtellung zu Kontrolver-
ſammlungen und zur Theilnahme an Uebungen1).
Hinſichtlich der Meldungen beſteht nur die aus dem Rangver-
hältniß ſich ergebende Modifikation, daß ſie nicht an den Bezirks-
feldwebel, ſondern an das Landwehr-Bezirkskommando zu richten
ſind 2). In Betreff der Kontrolverſammlungen gilt für
die Offiziere des Beurlaubtenſtandes die Vorſchrift, daß ſie in
Uniform zu erſcheinen haben 3). Wenn ſie zur Geſtellung in das
Stabsquartier des Landw.-Bezirkskommandeurs beordert werden,
haben ſie keinen Anſpruch auf Gebühren 4). Die Verpflichtung
zur Theilnahme an den Uebungen iſt dem Umfange nach er-
weitert, indem Offiziere der Reſerve während der Dauer des Re-
ſerveverhältniſſes dreimal zu vier- bis achtwöchentlichen Uebun-
gen, die Offiziere der Landwehr außer zu den gewöhnlichen Land-
wehr-Uebungen auch zu Uebungen bei Linien-Truppentheilen behufs
Darlegung ihrer Qualifikation zur Weiterbeförderung heranzuziehen
ſind 5). Die Einberufung zum Dienſt bei außergewöhnlicher Ver-
anlaſſung (Mobilmachung u. ſ. w.) iſt als eine Uebung anzu-
rechnen 6).
[207]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
Der Uebertritt von der Reſerve zur Landwehr erfolgt nach
denſelben Grundſätzen wie die der Mannſchaften. Auf Wunſch des
Reſerveoffiziers kann die Ueberführung zur Landwehr jedoch unter-
bleiben, falls der Truppentheil ſich damit einverſtanden erklärt;
die Geſammtdauer der Dienſtpflicht wird dadurch nicht verändert 1).
Die Ueberführung von Offizieren des Beurlaubtenſtandes zum
Landſturm findet jedoch auch im Frieden nicht ipso iure ſtatt, ſon-
dern nur auf Grund eines von ihnen einzureichenden und geneh-
migten Abſchiedsgeſuches 2).
Im Kriege können auch die Offiziere der Landwehr erfor-
derlichen Falls bei Truppen des ſtehenden Heeres verwendet wer-
den 3).
Hinſichtlich aller Rechte und Pflichten aber, welche nicht durch
den Rechtsgrund der militairiſchen Dienſtpflicht, ſondern durch
den militairiſchen Rang und die Dienſtſtelle bedingt ſind,
beſteht völlige Gleichheit zwiſchen den Offizieren des Beurlaubten-
ſtandes und denen des aktiven Friedensſtands. Dies gilt insbe-
ſondere von dem Anſpruch auf Gehalt und auf alle anderen Dienſt-
emolumente, von der Beförderung zu höheren Dienſtſtellen, von
den militairiſchen Ehrenrechten, von der Ausübung obrigkeitlicher
Befugniſſe über Untergebene, von der Beſtrafung wegen Dienſt-
vergehen, von den Penſionsanſprüchen im Falle der Invalidität
durch Dienſtbeſchädigung u. ſ. w. In allen dieſen Beziehungen
werden ſelbſtverſtändlich die Offiziere des Beurlaubtenſtandes nicht
wie die Reſerve- und Landwehr-Mannſchaften behandelt, ob-
gleich die Dienſtpflicht beider auf demſelben Rechtsgrund beruht,
ſondern wie die Offiziere des Friedensſtandes; denn für dieſe
Verhältniſſe iſt eben der Rechtsgrund der Dienſtpflicht unerheblich.
Aber dies gilt nicht nur von denjenigen Rechten und Pflichten,
welche unmittelbar mit dem eigentlichen militairiſchen Range und
Amte zuſammenhängen, ſondern auch von denjenigen, welche auf
der Zugehörigkeit zum Offiziersſtande beruhen und ſich mit-
[208]§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
hin als Standespflichten der Offiziere charakteriſiren. Denn auch
derjenige, welcher ſeiner geſetzlichen Wehrpflicht als Offizier
genügen will, tritt ebenſo wie der Berufsoffizier in dieſen Stand
ein und unterwirft ſich hiermit den Standespflichten. Die wichtigſte
Conſequenz dieſes Satzes iſt die, daß die Verordnung über
die Ehrengerichte der Offiziere v. 2. Mai 1874 1) auf
die Offiziere des Beurlaubtenſtandes volle Anwendung findet.
Endlich iſt ein Rechtsſatz zu erwähnen, welcher mit dem ſo
eben entwickelten Unterſchied, der zwiſchen den Offizieren und den
Mannſchaften des Beurlaubtenſtandes hinſichtlich ihrer Dienſtpflicht
beſteht, in engem Zuſammenhang ſteht. Reſerve- und Landwehr-
Mannſchaften treten nämlich beim Verziehen von einem Staate in
den anderen zur Reſerve, beziehungsweiſe Landwehr des letzteren
über 2); Offiziere des Beurlaubtenſtandes verbleiben dagegen ſtets
im Dienſtverhältniß desjenigen Bundesſtaates, von deſſen Kon-
tingentsherrn ſie zum Offizier ernannt worden ſind 3). Dieſer
Unterſchied beruht darauf, daß Offiziere der Reſerve und Land-
wehr nicht wie die Mannſchaften lediglich ihre geſetzliche Wehr-
pflicht als einfache Unterthanenpflicht erfüllen, ſondern daß ſie zu-
gleich mit einem militairiſchen Range ausgeſtattet ſind, der ſie zur
Handhabung einer militairiſchen obrigkeitlichen Gewalt befähigt.
Die Quelle derſelben iſt aber der betreffende Bundes-Staat; die
den Offizieren zur Ausübung übertragene Militairgewalt ſteht dem-
jenigen Kontingentsherrn zu, von welchem ſie ihre Ernennung er-
halten haben. Offiziere des Beurlaubtenſtandes ſtehen in dieſer
Hinſicht den Offizieren des activen Friedensſtandes ganz gleich;
ſie haben nicht nur eine Dienſtpflicht, ſondern ſie bekleiden zu-
gleich auch eine beſtimmte Dienſtſtelle und führen das derſelben
entſprechende Kommando; ſie können daher nicht durch bloßen
Wechſel des Aufenthalts oder der Niederlaſſung ohne Weiteres in
ein anderes Kontingent eintreten, ſondern ſie müſſen, wenn beſon-
dere Verhältniſſe einen ſolchen Uebertritt ausnahmsweiſe als zu-
[209]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
läſſig erſcheinen laſſen, aus ihrem bisherigen Dienſtverhältniß den
Abſchied, und in dem Kontingent ihres neuen Wohnorts die Wie-
derernennung zum Offizier des Beurlaubtenſtandes nachſuchen 1).
Durch dieſe beſondere Dienſtſtellung, in welcher Offiziere des Be-
urlaubtenſtandes ſich befinden, iſt auch die Rechtsvorſchrift begrün-
det, daß denſelben die Entlaſſung aus der Staatsangehörigkeit nur
mit Genehmigung der Militairbehörde ertheilt werden darf, falls
ſie nicht nachweiſen, daß ſie in einem andern Bundesſtaate die
Staatsangehörigkeit erworben haben 2), und daß ihnen die Aus-
wanderung aus dem deutſchen Reich ohne Löſung ihres Militair-
verhältniſſes nicht geſtattet iſt 3).
§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
I.Begriff und rechtliche Natur.
1. Die geſetzliche Wehrpflicht iſt, weil ſie eine Unterthanen-
pflicht iſt, zeitlich begränzt; der aktive Dienſt bei den Fahnen ſoll
die Verfolgung eines bürgerlichen Lebensberufs und die Ausübung
einer wirthſchaftlichen Erwerbsthätigkeit nicht dauernd verhindern.
Grade aus dieſem Grunde iſt aber die allgemeine Wehrpflicht zur
vollen Befriedigung der Militairbedürfniſſe des Staates nicht aus-
reichend. Der Staat bedarf Perſonen, welche ſich berufsmäßig
dem Militairdienſt widmen, welche ſich für denſelben ausbilden
und vorbereiten, in ihm ihre Lebensaufgabe erblicken und in ihm
ausharren. Es iſt allbekannt und bedarf keiner weiteren Aus-
führung, wie zahlreiche und weſentliche Aufgaben des Heerweſens
nur durch ſolche Perſonen erfüllt werden können. Der berufs-
mäßige Dienſt im Heere iſt aber wie jeder Beruf ein freiwillig
übernommener; Niemand kann gegen ſeinen Willen oder ohne
ſeine ausdrückliche Zuſtimmung dazu genöthigt werden. Eine
Pflicht, andere oder längere Dienſte im Heere zu leiſten als
Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 14
[210]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
die allen wehrpflichtigen Unterthanen obliegenden, kann daher nur
durch einen Willensakt, durch ein Rechtsgeſchäft, begründet
werden 1); es iſt ein Conſens erforderlich zwiſchen demjenigen,
welcher ſich zum Dienſt im Heere oder in der Flotte verbindlich
macht, und dem Kontingentsherrn, welcher dieſe Dienſte annimmt.
Der durch dieſen Conſens zu Stande kommende Vertrag hat im
heutigen Recht allerdings nicht die Natur eines obligatoriſchen Ver-
trages des Privatrechts, einer gewöhnlichen Dienſtmiethe, ſondern
er iſt ein Dienſtvertrag des öffentlichen Rechts in dem oben Bd. I
§. 38 dargelegten Sinne; immerhin iſt er aber ein Vertrag.
Hierauf beruht der prinzipielle Gegenſatz des berufsmäßigen Mili-
tairdienſtes gegenüber dem Militairdienſt auf Grund der Wehr-
pflicht; das juriſtiſche Fundament der Verpflichtung iſt ein ver-
ſchiedenes; dort iſt es das Geſetz, hier der freie Wille des In-
dividuums, das Rechtsgeſchäft.
Beide Rechtsgründe können allerdings theilweiſe zuſammen-
treffen. In dieſem Falle kömmt die Wehrpflicht formell nicht zur
Wirkſamkeit, denn die vertragsmäßige Dienſtpflicht iſt ſtets die
weiterreichende, die geſetzliche Verpflichtung überdeckende. Die ge-
ſetzliche Wehrpflicht beſteht aber virtuell fort und tritt wieder in
Wirkſamkeit, wenn die vertragsmäßige Dienſtpflicht aufgehoben
wird. So treten Offiziere des aktiven Dienſtſtandes, welche vor
Beendigung ihrer geſetzlichen Dienſtpflicht aus dem aktiven Dienſt
entlaſſen werden, nach der Jahresklaſſe, welcher ſie angehören, als
Offiziere des Beurlaubtenſtandes zur Reſerve oder Landwehr über 2)
und ebenſo haben Kapitulanten nach ihrer Entlaſſung der Reſerve-,
[211]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
Landwehr- und Landſturmpflicht nach Maßgabe ihrer Dienſtjahre
zu genügen.
Der Eintritt in den berufsmäßigen Militairdienſt iſt Eintritt
in den berufsmäßigen Staatsdienſt; der Offizier iſt im juriſtiſchen
Sinne ein Staatsbeamter; die von ihm verwaltete Stelle im Heere
iſt im juriſtiſchen Sinne ein Staatsamt; die ihm obliegenden
Pflichten ſind Beamtenpflichten 1). Nicht in den Grundſätzen
über die Wehrpflicht, ſondern in den Grund-
ſätzen des Beamtenrechts ſind demnach die all-
gemeinen Rechtsnormen zu ſuchen, welche für das
Dienſtverhältniß der Offiziere ꝛc. ꝛc. maßgebend
ſind und wenn auch im Einzelnen zahlreiche und erhebliche Modi-
fikationen in der Anwendung und Durchführung der Rechtsſätze
beſtehen, ſo giebt es doch keinen einzigen allgemeinen Rechtsbegriff,
der nicht gleichmäßig für Offiziere, Unteroffiziere, Militairärzte
und Militairbeamte wie für die Staatsbeamten des Civildienſtes
Anwendung fände.
Insbeſondere iſt es für das juriſtiſche Verſtändniß des hier
in Rede ſtehenden Rechtsverhältniſſes erforderlich, die Dienſt-
pflicht als ſolche von dem in Folge derſelben übertragenen Amte
(Kommando) begrifflich zu unterſcheiden. Das Dienſtverhältniß
erzeugt auch außeramtliche Pflichten, deren Erfüllung auch dann
dem Offiziere ꝛc. ꝛc. obliegt, wenn ihm ein Amt (Kommando) nicht
übertragen iſt, wenn er „zur Dispoſition“ geſtellt iſt. Andererſeits
kann ein Kommando auch demjenigen ertheilt werden, welcher nicht
kraft freiwilligen Eintrittes in den Dienſt, ſondern kraft geſetzlicher
Wehrpflicht daſſelbe zu übernehmen verbunden iſt. Der Zweck des
Dienſtvertrages beſteht eben darin, daß ſich der Staat geeignete
Individuen verſchafft, denen er ein Kommando wirkſam ertheilen
kann, weil die geſetzliche Wehrpflicht hierzu ganz ungenügend iſt.
Die Pflicht, ein Kommando zu übernehmen und ſich der hier-
mit verbundenen Thätigkeit zu widmen, iſt Folge und Inhalt des
Dienſtverhältniſſes, dagegen der concrete Umfang der zu führenden
amtlichen Geſchäfte und der auszuübenden ſtaatlichen Hoheitsrechte
14*
[212]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
beſtimmt ſich nach dem übertragenen Amte. Namentlich hat die
militairiſche Befehlsgewalt über Untergebene ihr rechtliches Funda-
ment niemals in dem Dienſtvertrage, ſondern ausſchließlich in dem
Amtsauftrage, d. h. in einer ſtaatlichen Delegation.
2. Unter den Perſonen, welche eine freiwillige Dienſtpflicht in
dem Heere oder in der Marine übernommen haben, laſſen ſich
mehrere Klaſſen unterſcheiden. Sie zerfallen zunächſt in Perſo-
nen des Soldatenſtandes und Militairbeamte; eine
Unterſcheidung, welche juriſtiſch von der größten Bedeutung iſt, in-
dem das Reichsbeamtengeſetz auf Militairbeamte Anwendung fin-
det, auf Perſonen des Soldatenſtandes dagegen nicht 1), während
andererſeits das Militair-Strafgeſetzbuch im Frieden nur für Per-
ſonen des Soldatenſtandes Geltung hat, für Militairbeamte da-
gegen nur im Felde und auch in dieſem Falle nur theilweiſe (Tit.
I. Abſchn. 1. 2. 3. 6. 8.) 2).
Die Perſonen des Soldatenſtandes zerfallen wieder in zwei
Klaſſen, die ſowohl in ſozialer als in rechtlicher Beziehung ſich weſent-
lich von einander unterſcheiden und die man im Allgemeinen durch
den Gegenſatz des höheren und niederen Militairdienſtes charakteri-
ſiren kann. Der höhere Militairdienſt bietet eine Laufbahn für das
ganze Leben; er iſt ein Lebensberuf im ſtrikten Sinne; er erfor-
dert einerſeits eine umfaſſende und ſorgfältige Vorbereitung und
er ermöglicht andererſeits das Aufrücken in die höchſten und ein-
flußreichſten Stellungen; die höhere Art der Dienſte, die mehr auf
der Intelligenz und den Eigenſchaften des Charakters als auf kör-
perlicher Kraft beruhen, geſtattet die Fortleiſtung derſelben auch
in vorgerückten Lebensjahren. Demgemäß wird die Aufnahme in
den Dienſt von Bedingungen abhängig gemacht, welche die Quali-
fikation des Eintretenden ſicher ſtellen, und es wird das Dienſt-
verhältniß auf Lebenszeit eingegangen; dasſelbe erliſcht der Regel
nach ſelbſt dann, wenn die aktive Erfüllung der Dienſtpflicht nicht
mehr geleiſtet werden kann, nicht gänzlich, ſondern dauert mit ab-
geſchwächten Wirkungen fort. Der niedere Militairdienſt dagegen
iſt ſeinem Weſen nach auf eine begränzte Reihe von Jahren be-
rechnet; ſowie er eine geringere, weniger koſtſpielige und weniger
[213]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
zeitraubende Vorbildung vorausſetzt, ſo führt er auch nicht über
ein gewiſſes niedriges Niveau hinaus; ſowie er vorzugsweiſe phy-
ſiſche Kraftleiſtungen und Ausdauer erfordert, an Kenntniſſe und
Urtheilskraft dagegen mindere Anforderungen ſtellt, ſo verliert ſich
auch die Qualifikation mit dem höheren Alter; er bildet daher
nicht die Laufbahn für das ganze Leben, ſondern er iſt gewöhnlich
nur ein Durchgangsſtadium, aus welchem man in andere Lebens-
ſtellungen einzutreten pflegt. Daraus ergiebt ſich eine Verſchieden-
heit in der juriſtiſchen Geſtaltung des Verhältniſſes.
Die Perſonen des höheren und niederen (berufsmäßigen) Mi-
litairdienſtes kann man kurz einander gegenüberſtellen als Offiziere
und Unteroffiziere; nur iſt dabei zu beachten, daß auch die Aſpi-
ranten des höhern Militairdienſtes regelmäßig als ſogen. Portepee-
Fähnriche reſp. als Seekadetten durch die Unteroffiziersſtellung hin-
durchgehen müſſen und daß andererſeits den Unteroffizieren die
Beförderung zu höheren Dienſtſtellungen von Rechtswegen nicht
verſchloſſen iſt.
II.Das Dienſtverhältniß der Offiziere.
1. Die Qualifikation zum Offizier und die Er-
gänzung des Offizierkorps. Die Grundprinzipien über
die Zulaſſung zu den Offizierſtellen im Heere ſind enthalten in
der Kabinets-Ordre v. 6. Auguſt 18081). Sie ſtellt den
Grundſatz an die Spitze: „Einen Anſpruch auf Offfzierſtellen ſollen
von nun an in Friedenszeiten nur Kenntniſſe und Bil-
dung gewähren, in Kriegszeiten ausgezeichnete Tapferkeit
und Ueberblick. Aus der ganzen Nation können daher alle
Individuen, die dieſe Eigenſchaften beſitzen, auf die höchſten Ehren-
ſtellen im Militair Anſpruch machen. Aller bisher ſtattgehabte
Vorzug des Standes hört beim Militair ganz auf und jeder ohne
Rückſicht auf ſeine Herkunft hat gleiche Pflichten und gleiche Rechte.“
Sie erkennt ferner als Vorſtufe für die Offiziersſtellung den Dienſt
als Portepeefähnrich an und ſanktionirt den Grundſatz, daß
„wenn eine vakante Offizierſtelle beſetzt werden ſoll, dieſelbe durch
Wahl des Offizier-Korps aus der Zahl der Portepeefähnriche
[214]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
dem Könige zur Wiederbeſetzung in Vorſchlag gebracht wird, daß
im Kriege aber die Wahl ſich auch über alle Unteroffiziere und
Gemeine erſtreckt und ein Jeder durch ausgezeichnete tapfere That
zum Offizier erwählt werden kann, ohne vorher Portepeefähnrich
geweſen zu ſein, wenn er dabei von guter Führung und die tapfere
That mehr als eine gewöhnliche iſt.“ Den Offizieren wird zur
Pflicht gemacht, ſich um die Ausbildung ihrer Untergebenen zu be-
kümmern und insbeſondere „die Portepeefähnriche zwar mit Ernſt
zu ihrer Pflicht anzuhalten, aber doch Alles anzuwenden, um ſie
durch freundſchaftliche Aufmunterungen und Anleitungen auszubil-
den und ſie ihres künftigen Poſtens würdig zu machen.“ Dieſe
Grundſätze ſind in der Preuß. Armee ſeitdem maßgebend geblie-
ben und auf die übrigen Kontingente ausgedehnt worden.
a) Eine genauere Regelung der Vorbedingungen zum Eintritt
in den höheren Militairdienſt iſt unter Aufrechterhaltung dieſer
Grundprinzipien erfolgt durch die Verordnung über die Er-
gänzung der Offiziere des ſtehenden Heeres v. 31. Ok-
tober 1861, welche in einzelnen Beziehungen durch ſpätere Kabi-
nets-Ordres ergänzt und modifizirt worden iſt, im Weſentlichen
aber noch gegenwärtig in Geltung ſteht 1).
Im Frieden muß der Offiziers-Aſpirant zunächſt Portepee-
Fähnrich werden. Hierzu iſt erforderlich die wiſſenſchaftliche
Qualifikation, welche entweder durch den Beſitz eines vollgültigen
Abiturientenzeugniſſes eines deutſchen Gymnaſiums oder einer zur
Ausſtattung ſolcher Zeugniſſe berechtigten Realſchule I. Ordnung
oder durch Ablegung der Portepeefähnrich-Prüfung vor der Ober-
Militair-Examinations-Kommiſſion dargethan wird 2). Die Quali-
fikation muß vor dem Dienſteintritt erworben werden, insbeſon-
dere iſt auch die Ablegung der Portepee-Fähnrichs-Prüfung vor
dem Eintritt in den aktiven Dienſt eine unerläßliche Bedingung
für die Annahme derjenigen junge Leute, welche mit der ausge-
ſprochenen Abſicht auf Beförderung zum Offizier zu dienen, in
[215]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
die Armee einzutreten wüuſchen 1). Es iſt ferner erforderlich die
Beibringung eines Dienſtzeugniſſes. Dasſelbe wird von dem
Chef und den Offizieren der Kompagnie, dem Bataillons- und dem
Regiments-Kommandeur ausgeſtellt und darf erſt ertheilt werden,
wenn der Betreffende mindeſtens 5 Monate praktiſch den Dienſt
bei der Truppe erlernt hat. „Das Dienſtzeugniß entſcheidet über
die Würdigkeit eines Unteroffiziers oder Soldaten, im Frieden mit
Ausſicht auf Beförderung fortzudienen; es muß ſich daher aus-
ſprechen über die körperlichen und geiſtigen Eigenſchaften des Be-
treffenden, über ſeine Führung und Dienſt-Applikation, ſowie über
den Grad der erworbenen Dienſtkenntniſſe“ 2). Iſt den beiden an-
gebenen Erforderniſſen genügt, ſo kann jeder Unteroffizier oder
Soldat, der nach vollendetem 17. und vor zurückgelegtem 23. Le-
bensjahre mindeſtens 6 Monate gedient hat, ſobald bei ſeinem
Truppentheile eine Vakanz in der etatsmäßigen Zahl der Porte-
peefähnriche vorhanden iſt, zu letzterer Charge in Vorſchlag gebracht
werden.
„Portepeefähnriche, welche vor dem zurückgelegten 25. Lebens-
jahre mindeſtens 6 Monate in ihrer Charge patentirt ſind, die
Kriegsſchule beſucht haben und nach dem Urtheile der letzteren
reif für die Prüfung zum Offizier erachtet worden ſind, können,
bei untadelhafter Führung der Ober-Militair-Examinations-Kom-
miſſion zum Offizier-Examen angemeldet werden“ 3).
„Von den im Offizier-Examen Beſtandenen werden bei ein-
tretender Vakanz die der Anciennetät nach älteſten Portepeefähn-
riche dem Könige zum Offizier vorgeſchlagen, nachdem das Offi-
zier-Korps des betreffenden Truppentheils in einem eigenen, dem
Vorſchlage beizufügenden Protokoll erklärt hat, daß es den Vor-
zuſchlagenden für würdig erachtet, in ſeine Mitte zu treten, und
[216]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
nachdem in einem beſonderen Atteſte bezeugt iſt, daß derſelbe die
einem Offiziere nöthige praktiſche Dienſtkenntniß beſitzt 1).
Auszeichnung vor dem Feinde befreit von dem Examen
zum Portepeefähnrich und fortgeſetztes ausgezeichnetes Benehmen
im Kriege auch von dem zum Offizier 2).
b) Auf denſelben Grundprinzipien beruhen auch die Vorſchrif-
ten über die Ergänzung des Offizierkorps der Marine;
dieſelben ſind jedoch im Einzelnen nicht nur, den Bedürfniſſen des
Dienſtes auf der Flotte entſprechend, modifizirt ſondern auch viel
complizirter. Sie ſind enthalten in der Verordnung vom 10.
März 18743). Der Eintritt in den Dienſt auf der Flotte er-
folgt entweder als Kadett oder im Falle des Uebertritts aus der
Handelsmarine als Matroſe. Zum Eintritt als Kadett iſt erfor-
derlich der Nachweis wiſſenſchaftlicher Qualifikation, der entweder
durch ein Zeugniß der Reife für Oberſekunda eines deutſchen Gym-
naſiums, Realſchule I. Ordnung ꝛc. ꝛc. oder durch Ablegung der
Eintrittsprüfung vor der „Seeoffizier- und Kadettenprüfungs-
kommiſſion“ in Kiel dargethan wird; ferner die Beibringung eines
Zeugniſſes eines Marine- oder Militairarztes über körperliche Taug-
lichkeit; endlich eines Reverſers über Gewährung der Mittel zur
Equipirung und einer Zulage. Die Einſtellung als Kadett muß
vor dem 17. Geburtstage erfolgen; nur bei den mit dem Zeugniß
der Reife für die Univerſität entlaſſenen Abiturienten kann die Ein-
ſtellung bis zum 19. Geburtstage hinausgeſchoben werden 4).
Die „Kadetten“ werden im Monat April an Bord des
Kadettenſchiffes eingeſchifft und erhalten daſelbſt ihre erſte militai-
riſch-ſteuermänniſche Erziehung. Das Kadettenſchiff kreuzt während
des Sommers und kehrt Ende September zur Station zurück.
[217]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
Diejenigen Kadetten, von denen es ſich während der Uebungsreiſe
herausſtellt, daß ſie ſich nicht zum Seedienſte eignen und daß ſie
die genügende Anlage zum See-Offizier nicht beſitzen, werden auf
Grund eines motivirten Berichts, den der Kommandant des Schiffes
nach Anhörung der Offiziere des letzteren an die Admiralität ein-
zureichen hat, von dem Chef der Admiralität entlaſſen 1).
Die übrigen Kadetten erhalten Anfangs September von dem
Kommandanten und den Offizieren des Kadettenſchiffes ein Dienſt-
zeugniß und werden von der Admiralität Anfangs Oktober zum
Beſuch des Kadettencötus der Marineſchule kommandirt. Vor
der Ueberweiſung werden ſie vereidigt. Der Unterricht in dem
Kadettencötus hat den Zweck, die Kadetten zur Ablegung der See-
kadettenprüfung vorzubereiten und dauert circa 6 Monate. Die-
jenigen, welche die Seekadettenprüfung beſtanden und die Reife-
zeugniſſe erhalten haben, können zur Beförderung zum Seeka-
detten mittelſt Geſuchsliſte in Vorſchlag gebracht werden 2). Der
militairiſche Rang der Seekadetten entſpricht demjenigen der Por-
tepee-Fähnriche 3).
Die „Seekadetten“ werden an Bord eines Schulſchiffes
auf zwei Jahre eingeſchifft; ſie erhalten daſelbſt eine allſeitig prak-
tiſche Ausbildung zum Dienſt als Unterlieutenant und Unterricht
in den mehr praktiſchen Disciplinen zur Vorbereitung auf die
Seeoffiziers-Prüfung. Diejenigen, welche bei der Rückkehr des
Schulſchiffes von dem Kommandanten und den Offizieren desſelben
ein günſtiges Dienſtzeugniß erhalten, werden von der Admiralität zur
Ablegung der erſten Seeoffizier-Prüfung vor die Prüfungs-
kommiſſion in Kiel kommandirt 4). Diejenigen Seekadetten, welche
die Prüfung beſtanden haben, werden auf Antrag des Kommandeurs
des Seekadettenſchiffes dem anweſenden Seeoffizierkorps der Marine-
ſtation der Oſtſee zur Wahl geſtellt. Hinſichtlich dieſer Wahl
gelten dieſelben Regeln wie für die Wahl zum Offizier im ſtehen-
den Heere. Die Gewählten werden alsdann mittelſt Geſuchsliſte
[218]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
zur Beförderung zum Unterlieutenant zur See, unter Vor-
behalt der Patentirung, in Vorſchlag gebracht 1).
Die ſo ernannten Unterlieutenants ohne Patent werden durch
den Chef der Admiralität zum Beſuche des Offiziercötus der Ma-
rineſchule einberufen. Dieſer Unterricht iſt der vervollkommneten
theoretiſchen Ausbildung und der Vorbereitung zur Ablegung der
(zweiten) Seeoffizierberufsprüfung gewidmet, welche letz-
tere im September jeden Jahres vor der Prüfungskommiſſion in
Kiel abgelegt wird. Nach dem Ausfall dieſer Prüfung, den Dienſt-
zeugniſſen und Rangirungsvorſchlägen werden die Reifezeugniſſe
ausgeſtellt und es kann gleichzeitig nach Maßgabe der feſtgeſtellten
Anciennetät, des Etats und der zurückgelegten dreijährigen See-
fahrzeit die Verleihung von Patenten als Unterlieutenant zur See
an den Betreffenden beim Kaiſer beantragt werden 2). „Das Be-
ſtehen der Seeoffizierberufsprüfung iſt außer der ſonſtigen dienſt-
lichen Qualifikation und einer Seefahrzeit von fünf Jahren in der
kaiſerlichen Marine unerläßliche Bedingung für die Beförderung
zum Lieutenant zur See“ 3).
Etwas abweichende Beſtimmungen gelten für den Vorberei-
tungs-Dienſt der Seeleute der Handelsmarine, welche in
die Kriegsmarine mit der Ausſicht auf Beförderung eintreten wol-
len. Sie haben ſich über ihre geiſtige und körperliche Qualifikation
und außerdem durch Zeugniſſe der Schiffsführer über eine auf
Kauffahrteiſchiffen zurückgelegte Fahrt von 12 Monaten und über
Führung, Kenntniſſe und Leiſtungen auszuweiſen. Diejenigen,
welche dieſen Bedingungen entſprechen und die Eintrittsprüfung
beſtanden haben, werden als Matroſen eingeſtellt 4), und auf dem
[219]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
Kadettenſchiffe eingeſchifft und den Kadetten gleich behandelt. Nach
erfolgter Beförderung zum Seekadetten müſſen ſie den Kurſus auf
dem Artillerieſchiffe durchmachen und können, ſofern ſie ſich hier
ein günſtiges Dienſtzeugniß erwerben, zur erſten Seeoffizierprüfung
zugelaſſen werden, nach günſtigem Ausfall derſelben an dem See-
offiziercötus Theil nehmen und nach dem Schluß des Curſus die
Seeoffiziersberufsprüfung ablegen 1).
c) Die Ergänzung des Maſchineningenieurkorps
der Marine iſt geregelt durch die Kaiſerl. Verordnung
vom 7. Mai 18722). Zum Eintritt in dasſelbe werden zuge-
laſſen diejenigen Obermaſchiniſten, welche ſich durch ihre techniſchen
Kenntniſſe und Erfahrungen zur Leitung großer Schiffsmaſchinen
eignen und zugleich in Betreff der allgemeinen und geſelligen Bil-
dung, ſowie der perſönlichen Verhältniſſe und Eigenſchaften, der
Aufnahme in das Maſchineningenieurkorps würdig ſind 3). Sie
müſſen die Maſchiniſtenprüfung mindeſtens mit dem Prädikat „gut“
beſtanden haben, eine zweijährige Seefahrt als leitende Maſchiniſten
in der Marine — wovon mindeſtens 6 Monate an Bord eines
Panzerſchiffes oder eines Schiffes erſten bis vierten Ranges — zu-
rückgelegt haben und die Maſchineningenieur-Prüfung beſtanden
haben 4). Die Wahl erfolgt von den Offizieren und den Mit-
gliedern des Maſchineningenieurkorps des Stationsortes, welchem
der Betreffende oder das Schiff, auf dem er ſich befindet, ange-
hört. Für die Wahl gelten im Uebrigen analoge Vorſchriften wie
für die Offizierswahl 5). Der Gewählte wird zunächſt zum Ma-
ſchinen-Unteringenieur ernannt; nach einer zwölfmonatlichen
Fahrzeit als leitender Ingenieur an Bord eines Schiffes 1—4ten
Ranges kann er zum Maſchinen-Ingenieur, und nach einer
weiteren zwölfmonatlichen Fahrzeit als leitender Ingenieur eines
Schiffes 1. oder 2. Ranges zum Maſchinen-Oberingenieur
befördert werden 6).
[220]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
d) Die Ergänzung des Sanitäts-Offizier-Korps.
Nachdem durch das Militair-Strafgeſetzb. §. 5 und durch die
Verordn. vom 6. Februar 1873 über die Organiſation des
Sanitäts-Korps die Militair-Aerzte, welche früher die rechtliche
Eigenſchaft der Militairbeamten hatten, zu Perſonen des Soldaten-
ſtandes erklärt worden ſind, iſt die Ergänzung des Sanitäts-Offi-
zier-Korps mit den Grundſätzen, welche für die Offiziere im All-
gemeinen gelten, in Uebereinſtimmung gebracht worden, d. h. es
iſt die Ernennung zum „Sanitäts-Offizier“ abhängig gemacht wor-
den nicht nur von der Ablegung einer Prüfung, ſondern auch von
einer Wahl der Berufsgenoſſen. Die Vorſchriften, welche gleich-
mäßig für das Heer und die Marine gelten, ſind in der erwähn-
ten V. v. 6. Febr. 1873 1) enthalten. Der Eintritt in das Sani-
täts-Offizier-Korps iſt einjährig-freiwilligen Aerzten geſtattet, wenn
ſie nach Ablauf der ſechsmonatlichen Dienſtzeit mit der Waffe von
ihrem militairiſchen Vorgeſetzten das für jede Beförderung erfor-
derliche Dienſtzeugniß2) erhalten haben; ſie können nach vier-
wöchentlicher Dienſtzeit im Sanitätskorps von dem Korps-General-
arzt zur Anſtellung als Unterarzt bei dem General-Stabsarzt
der Armee in Vorſchlag gebracht werden 3). Die Unterärzte haben
den militairiſchen Rang eines Portepeefähnrichs. Ihre Beförde-
rung zum Aſſiſtenzarzt ſetzt voraus die Abſolvirung der medi-
ziniſchen Staatsprüfung, eine dreimonatliche Dienſt-
leiſtung bei der Truppe, die Beibringung eines Zeugniſſes
des Regiments-Arztes, daß der Vorgeſchlagene ſowohl ſeiner Füh-
rung und Dienſt-Applikation als auch ſeiner, den Anſichten der
Standesgenoſſen entſprechenden moraliſchen Eigenſchaften halber zur
Beförderung pflichtmäßig empfohlen werde, und die Wahl durch
[221]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
die im Offizierrange ſtehenden Militair-Aerzte der Diviſion 1). Der
Vorſchlag erfolgt durch den Diviſionsarzt auf Antrag des rang-
älteſten ärztlichen Vorgeſetzten und nach eingeholter ſchriftlicher
Genehmigung des Kommandeurs des Truppentheils 2).
2. Die dienſtlichen Pflichten der Offiziere im
aktiven Dienſt.
Offiziere haben ganz dieſelben Pflichten wie andere Beamte,
nämlich die Pflicht zur Verwaltung des übertragenen Amtes (Kom-
mando’s), die Pflicht zur Treue und zum Gehorſam, und die
Pflicht eines achtungswürdigen Verhaltens 3). Daß die Dienſt-
verrichtungen andere ſind wie die im Civildienſt, daß die Bethäti-
gung der Treue und des Gehorſams unter gewiſſen Umſtänden,
namentlich im Kriege, den Offizieren eine Gefährdung des eigenen
Lebens und der Geſundheit, eine Selbſtaufopferung, auferlegt, wie
ſie andern Beamten gewöhnlich nicht zugemuthet wird, und daß
der Begriff des achtungswürdigen Verhaltens durch die Sitte und
Anſchauungen der Standes- und Berufsgenoſſen eigenthümlich
modifizirt iſt, dies alles begründet zwar eine ſehr bedeutende that-
ſächliche Verſchiedenheit zwiſchen der Dienſtpflicht eines Offiziers
und derjenigen eines Beamten im gewöhnlichen Sinne, ein juri-
ſtiſcher Unterſchied iſt aber darin nicht zu finden. Die Rechts-
normen ſind durchaus identiſch. Dagegen ſind die rechtlichen
Mittel zur Erzwingung der Pflichterfüllung ſtärkere; die Rechts-
folgen der Pflichtverletzung ſind ſchwerere. Im Allgemeinen gilt
hier ein ſehr einfacher und durchgreifender Grundſatz: die Ver-
letzung der freiwillig übernommenen Militairdienſt-
pflicht wird ganz ebenſo behandelt wie die Verletz-
ung der geſetzlichen Dienſtpflicht bei den Fahnen.
Der Begriff „der Perſonen des Soldatenſtandes“ umfaßt beide
Kategorien von Dienſtpflichtigen und beiden gegenüber kommen
völlig dieſelben Rechtsmittel zur Anwendung, um ſie zur Erfüllung
ihrer Pflicht anzuhalten. Das Militair-Strafgeſetzbuch und die
Disciplinar-Strafordnung, ſowie die übrigen hier in Betracht
[222]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
kommenden ſpeziellen Verordnungen unterſcheiden nicht nach dem
Rechtsgrunde der Dienſtpflicht, ſondern, ſoweit überhaupt
unter den Perſonen des Soldatenſtandes ein Unterſchied anerkannt
wird, lediglich nach dem militairiſchen Dienſtrange, ſo daß
zwar für Offiziere theilweiſe andere Rechtsregeln gelten, wie für
Unteroffiziere und Gemeine, z. B. hinſichtlich der Strafen, aber
nicht für Berufsoffiziere andere wie für Offiziere des Beurlaubten-
ſtandes. Dies gilt im Prinzip ſelbſt für die Strafe der Dienſt-
entlaſſung; im praktiſchen Erfolge aber beſteht hier allerdings eine
Verſchiedenheit, indem ſie für die Offiziere des Beurlaubtenſtandes
lediglich eine Ehrenſtrafe iſt, für Berufsoffiziere dagegen zugleich
die Entziehung einer Einnahmequelle involvirt.
In Anwendung dieſes Grundſatzes ergeben ſich folgende Regeln:
a) Die Erfüllung der mit der dienſtlichen Stellung verbundenen
Obliegenheiten iſt geſichert durch die Beſtimmungen im Militair-
Strafgeſetzb. §. 64 ff. über die Beſtrafung der unerlaubten Ent-
fernung von der Dienſtſtellung. Eine freiwillige Entfernung von
der Dienſtſtellung iſt nur geſtattet nach vorher eingeholtem Urlaub.
Die Beſtimmungen über Urlaubsertheilungen ſind — unter Auf-
hebung aller früheren Anordnungen — zuſammengefaßt worden in
der Verordnung vom 23. Oktober 1879 (Armee-V.Bl. S. 223 fg.);
für Militairärzte in der V. vom 6. Febr. 1873 §§. 30. 31. Iſt
ein Offizier durch Krankheit an der Wahrnehmung des Dienſtes
verhindert, ſo iſt er verpflichtet dies beim Feldwebel reſp. Adju-
tanten melden zu laſſen und es ſteht dem Vorgeſetzten frei, ſich
von dem Krankheitszuſtande durch den Bataillons- oder Regiments-
Arzt in Kenntniß zu erhalten 1).
Ob Offiziere im aktiven Dienſte zum Eintritt in den Reichs-
tag eines Urlaubs bedürfen, iſt zweifelhaft. Da Offiziere unter
den allgemeinen Begriff der Beamten fallen und Militairperſonen
hinſichtlich der Wählbarkeit in den Reichstag keiner Beſchränkung
unterworfen ſind, ſo iſt es wol dem Sinne des Art. 21 Abſ. 1
der R.V. entſprechend, ihn auch auf Offiziere zu beziehen; anderer-
ſeits iſt aber nicht zu überſehen, daß nach dem regelmäßigen
Sprachgebrauch der Reichsgeſetze der Ausdruck Beamte die Per-
ſonen des Soldatenſtandes nicht mit umfaßt 2).
[223]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
b) Die Verletzung der militairiſchen Treu- und Gehorſams-
pflicht unterliegt hinſichtlich der Berufsoffiziere, Aerzte ꝛc. denſelben
Regeln, welche oben S. 165 fg. bei Erörterung der geſetzlichen Wehr-
pflicht dargeſtellt worden ſind. Dies gilt auch hinſichtlich der Vor-
ſchriften über Beſchwerden gegen Vorgeſetzte; jedoch mit der Modi-
fikation, daß die Offiziere des Heeres und der Marine, die Mit-
glieder des Sanitäts-Offiziers-Korps und die Maſchinen-Ingenieure
verpflichtet ſind, bevor ſie ihre Beſchwerden der Entſcheidung des
kompetenten Vorgeſetzten zuführen, in Verhandlungen über eine
dienſtliche Vermittlung einzutreten 1).
c) Die Pflicht des achtungswürdigen Verhaltens iſt bei dem
Offiziersſtande in beſonderer Weiſe ausgeprägt. Die Offiziere
ſind nicht nur wie alle anderen Staatsbeamten verpflichtet, Sitte,
Zucht und Ordnung in ihrem dienſtlichen und außerdienſtlichen Ver-
halten zu beobachten und ſie unterliegen nicht nur bei einer Ver-
letzung dieſer Pflicht einer disciplinariſchen Beſtrafung nach Maß-
gabe der Discipl. Straf-Ordn. v. 31. Okt. 1872, ſondern ſie ſollen
in ihrem geſammten Verhalten ſich in vollem Einklange mit den
Anſchauungen ihrer Standesgenoſſen befinden. Um die Erfüllung
dieſer Pflicht zu ſichern, ſind Ehrengerichte der Offiziere gebildet
worden, welche den Zweck haben, die gemeinſame Ehre der Ge-
noſſenſchaft, ſowie die Ehre des Einzelnen zu wahren. Die Vor-
ſchriften darüber ſind ergangen in der Verordnung über die
Ehrengerichte der Offiziere im Preußiſchen Heere
vom 2. Mai 18742), welche an die Stelle der älteren Vor-
ſchriften, namentlich der V. v. 20. Juli 1843 getreten und in den
anderen drei Kontingenten eingeführt worden iſt 3). Die Aufgabe
2)
[224]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
der Ehrengerichte iſt es, gegen diejenigen Offiziere, deren Beneh-
men dem richtigen Ehrgefühl oder den Verhältniſſen des Offizier-
ſtandes nicht entſpricht, einzuſchreiten und, wo es zur Erhaltung
der Reinheit der Ehre des Offizierſtandes nöthig, auf die Entfer-
nung unwürdiger Mitglieder aus der Genoſſenſchaft anzutragen;
ſowie die Offiziere von unbegründeten Verdächtigungen ihrer Ehren-
haftigkeit zu reinigen, inſoferne andere ſtandesgemäße Wege hierzu
nicht vorhanden ſind. Den Offizieren ſteht es daher frei, zum
Schutz ihrer eigenen Ehre ſelbſt auf einen ehrengerichtlichen Spruch
anzutragen 1). Die Ehrengerichte zerfallen in zwei Klaſſen; in
Ehrengerichte über Hauptleute (Rittmeiſter) und Subaltern-Offi-
ziere, welche durch Offizier-Korps gebildet werden 2), und in Ehren-
gerichte über Stabsoffiziere, welche durch beſonders dazu gewählte
Stabsoffiziere gebildet werden 3). Bei jedem Ehrengericht wird
ein Ehrenrath eingeſetzt; derſelbe hat unter der Leitung des Kom-
mandeurs als deſſen Organ die Geſchäfte des Ehrengerichts zu
führen 4). Die Mitglieder des Ehrenraths werden durch Wahl
der Offiziere ernannt 5).
Jeder Offizier hat das Recht, Handlungen und Unterlaſſun-
gen jedes andern Offiziers des Deutſchen Heeres oder der Marine,
welche die Ehre desſelben oder die des Standes gefährden oder
verletzen, zur Kenntniß des Ehrenraths oder des direkten Vorge-
ſetzten des Bezichtigten zu bringen. Der Ehrenrath hat die Pflicht,
ſobald Handlungen oder Unterlaſſungen der bezeichneten Art zu
ſeiner Kenntniß kommen, dem ihm vorgeſetzten Kommandeur davon
Meldung zu machen. Der Kommandeur entſcheidet dann nach An-
hörung des Ehrenraths, ob und auf welchem Wege die Sache
weiter zu verfolgen iſt 6). Das ehrengerichtliche Verfahren iſt ein-
gehend geregelt 7). Eine Strafgewalt ſteht den Ehrengerichten nicht
zu; dieſelben haben lediglich einen Wahrſpruch darüber
[225]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
abzugeben, ob der Angeſchuldigte die Standesehre gefährdet oder
verletzt oder unter erſchwerenden Umſtänden verletzt habe und hie-
ran den Antrag zu knüpfen, dem Angeſchuldigten eine Warnung
zu ertheilen, ihn mit ſchlichtem Abſchied zu entlaſſen oder ihn aus
dem Offizierſtande zu entfernen 1). Die Ausfertigung des Spruchs,
welche zugleich die nöthigen Nachrichten über die perſönlichen Ver-
hältniſſe des Angeſchuldigten, eine Darſtellung des Sachverhalts
und die Angabe der Entſcheidungsgründe enthalten muß, iſt nebſt
den Akten und einem kurzen Aktenauszug durch denjenigen Befehls-
haber, der das Ehrengericht angeordnet hatte, im Inſtanzenzuge
der Entſcheidung des Königs zu unterbreiten 2).
3. Die Rechte der Offiziere.
Die aus dem Dienſtverhältniß und der Amtsführung den
Offizieren zuſtehenden Rechte ſind den Rechten anderer Beamten
gleichartig, wenngleich nicht völlig ihnen entſprechend. Im Allge-
meinen iſt daher auf die oben Bd. I § 42 gegebene Darſtellung
zu verweiſen; die Unterſchiede beruhen z. Th. auf techniſch mili-
tairiſchen Verhältniſſen und ſind ohne juriſtiſches Intereſſe, ſo z. B.
die beſonderen Vorſchriften über das Tragen der Uniform, über
gewiſſe militairiſche Ehrenrechte u. dgl. Von hervorragender recht-
licher Bedeutung ſind dagegen die Regeln über die pekuniären
Rechte der Offiziere.
Der Anſpruch auf Gehalt und andere Dienſteinkünfte iſt
nach der hiſtoriſchen Entwicklung des Heerweſens und nach herge-
brachten Rechtsgrundſätzen nicht im Rechtswege verfolgbar 3). Die
Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 15
[226]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
den einzelnen Offizieren zu zahlenden Gebührniſſe werden nach
Maßgabe der Beſoldungs- und Verpflegungs-Etats von dem Kriegs-
miniſterium, reſp. von den Intendanturbehörden nach den ihnen
vom Kriegsminiſterium zugehenden Anweiſungen feſtgeſtellt. Zu-
lagen, welche nicht im Voraus feſtgeſtellt werden können, ſind bei
den Intendanturen zu liquidiren. Reklamationen können nur im
Beſchwerdewege verfolgt werden; jedoch ſind die beſchränkenden
Vorſchriften über den Beſchwerdeweg ausgeſchloſſen, „ſofern es ſich
um Hebung von Meinungsverſchiedenheiten in Bezug auf Zuſtän-
digkeit materieller Kompetenzen handelt“ 1). Die Regeln über die
Berechnung und Zahlung des Gehaltes und anderer perſönlicher
Gebührniſſe ſind enthalten in dem durch Kabinets-Ordre v. 24. Mai
1877 genehmigten Geldverpflegungs-Reglement für das
Preuß. Heer im Frieden2). Die Höhe der Gehälter beſtimmt
ſich nach der Dienſtſtelle, der Charge und dem Dienſtalter. Durch
die Etats wird feſtgeſetzt, welches Gehalt mit einer gewiſſen dienſtli-
chen Stelle verbunden und für den Inhaber derſelben verfügbar iſt,
ſo daß im Allgemeinen jeder Dienſtſtelle eine „Etatsſtelle“ entſpricht.
Innerhalb dieſer durch die Etats gegebenen Gränzen erfolgt die
Gewährung des Gehalts nach dem für die einzelnen Chargen feſtgeſetz-
ten Beträgen inſofern, als die Gehaltsſätze einer höheren Charge erſt
nach dem Aufrücken in dieſe Charge gewährt werden dürfen. Wenn
für Offiziere derſelben Charge verſchiedene Gehaltsſätze beſtehen, wie
insbeſondere für Hauptleute und Rittmeiſter, ſo beſtimmt ſich die
Klaſſe nach dem Dienſtalter im Regiment, reſp. desjenigen Ver-
bandes, für welchen ein beſonderer Etat aufgeſtellt iſt 3). Wenn
jedoch ein Offizier eine Stelle verwaltet, mit der etatsmäßig ein
höheres Gehalt verbunden iſt, als ihm nach ſeiner Charge oder
ſeinem Dienſtalter zukommt, ſo wird ihm der Mehrbetrag des etats-
3)
[227]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
mäßigen Stellen-Gehalts gegen das ihm nach ſeiner Charge und
ſeinem Dienſtalter zukommende Gehalt inſoweit als Zulage ge-
währt, als der Etat nicht anderweite Beſtimmungen enthält 1).
Die Gehaltszahlung erfolgt monatlich im Voraus 2); bei Anſtel-
lungen, Beförderungen und Verſetzungen beginnt der Bezug des
Gehalts oder des höheren Gehalts, wofern dasſelbe vakant iſt,
mit dem erſten Tage des Monats, aus welchem die Kabinets-Ordre
über die Ernennung ſtammt; ſtirbt ein Offizier, ſo wird ſein etats-
mäßiges Gehalt noch für den Monat nach dem Ableben den Hin-
terbliebenen gewährt (ſogen. Gnadengehalt); ſcheidet ein Offizier
mit Penſion aus dem Dienſte, ſo behält er für denjenigen Monat,
in welchem ihm die betreffende Kab.Ordre bekannt gemacht iſt,
das volle Einkommen der Stelle und für den folgenden Monat
das etatsmäßige Gehalt ohne Zulagen und dgl. 3). Beurlaubte Of-
fiziere erhalten in der Regel für die erſten 1 ½ Monate des Urlaubs
das volle Gehalt, für die folgende Zeit findet ein Abzug ſtatt 4);
gleiche Grundſätze gelten für die Zeit der Verbüßung einer Feſtungs-
haft oder Gefängnißſtrafe, ſowie wenn in Folge einer gerichtlichen
Unterſuchung Dienſtſusſpenſion oder Verhaftung eintritt, jedoch vor-
behaltlich der Nachzahlung des entzogenen Gehaltstheiles im Falle
der Freiſprechung 5).
Werden Offiziere vom Range des Regiments-Kommandeurs
abwärts dienſtlich außerhalb ihrer Garniſon verwendet, ſo erhalten
ſie eine ſogen. Kommandozulage 6). Außerdem wird den Offi-
15*
[228]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
zieren zur Beſtreitung der Wohnungs-Bedürfniſſe ein ſogen. Ser-
vis und überdies der geſetzliche Wohnungszuſchuß gewährt 1).
Im Falle der Mobilmachung erhalten die Offiziere, Aerzte u. ſ.
w. zum Zweck der Ausrüſtung das Mobilmachungsgeld und während
des mobilen Verhältniſſes eine Feldzulage nach Maßgabe des Geld-
verpflegungs-Reglements im Kriege v. 29. Aug. 1868 2).
Die Reiſekoſten, Tagegelder und Umzugs-Gebühren bei Dienſt-
reiſen und Verſetzungen der Perſonen des Soldatenſtandes ſind
geregelt durch die Kaiſerl. Verordnung v. 15. Juli 1873 3).
4. Die Beförderung der Offiziere.
Ein wirkliches Recht auf Beförderung giebt es im Militair-
dienſt ſo wenig wie in andern Zweigen des Staatsdienſtes; die
Beförderung eines Offizieres hängt vielmehr von der freien Willens-
entſchließung des betreffenden Kontingentsherrn ab. Es beſtehen
aber gewiſſe Verwaltungsvorſchriften, nach welchen die Truppen-
befehlshaber und die übrigen mit der Bearbeitung der Avance-
ments-Angelegenheiten betrauten Offiziere zu verfahren haben, ſo
daß dadurch die Beförderung wenigſtens theilweiſe verwaltungs-
rechtlich geregelt iſt und für die einzelnen Offiziere eine rechtlich
begründete Anwartſchaft gegeben iſt, bei dem Eintritt gewiſſer that-
ſächlicher Verhältniſſe zu einer höheren Charge, Dienſtſtellung oder
Gehaltsklaſſe aufzuſteigen. Als allgemeines Princip gilt der Grund-
ſatz, daß die Beförderung zu einer höheren Stelle oder Charge ꝛc.
[229]§. 88. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
nach Maßgabe des Dienſtalters erfolgt. Dieſes Princip galt in
der Preuß. Armee ſeit alter Zeit; eine Ausnahme wurde nur hin-
ſichtlich der Generale gemacht 1); ferner hinſichtlich der Regiments-
Kommandeure 2), endlich allgemein „bei der Beſetzung der höheren
Stellen in der Armee“ d. h. bei Stabsoffizieren 3). Das Dienſt-
alter beſtimmt ſich in jedem Dienſtrange nach dem Datum des
Patentes. Jedes Patent wird in der Regel nach dem Tage der
Ernennung datirt; für die an einem und demſelben Tage Beför-
derten beſtimmt ſich die Rangordnung nach dem Patent der frü-
heren Charge, giebt auch dies keine Entſcheidung nach dem Tage
des Dienſteintrittes und äußerſten Falles nach dem Lebensalter 4).
Hierdurch ergibt ſich eine Rangordnung aller Offiziere durch
alle Waffen und durch die ganze Armee, welche dadurch von Wich-
tigkeit wird, daß in dienſtlichen Angelegenheiten ſtets der ältere
Offizier als der Vorgeſetzte des jüngeren gilt und ihm Befehle zu
ertheilen befugt iſt 5). Für die Beförderung iſt dieſe Rangord-
nung jedoch in der Regel nicht unmittelbar entſcheidend; es iſt
vielmehr folgende Unterſcheidung zu machen: Die nicht regimen-
tirten Offiziere aller Grade haben die Anciennetät in der Ar-
mee6); bei den regimentirten Stabsoffizieren berechnet ſich die
Anciennetät in der Regel nach allen Truppen ihrer Waffe in
der Armee; die übrigen Offiziere vom Hauptmann oder Rittmeiſter
abwärts haben die Anciennetät in ihrem Regiment7). Für die
nicht regimentirten Offiziere, ſowie für die Offiziere ohne Dienſt-
ſtellungen (Offiziere der Armee und Offiziere à la suite) fehlt es
[230]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
an einer beſtimmten Regel über ihre Beförderung; wenngleich auch
bei ihnen die Anciennetät Berückſichtigung findet, ſo erfolgt doch
die Beförderung lediglich „nach Allerhöchſter Intention“ 1). Inner-
halb der Regimenter dagegen erfolgt die Beförderung nach Maß-
gabe der Anciennetät auf Grund des von dem Regiments-Kom-
mandeur beim Eintritt von Vakanzen mittelſt Geſuchsliſte einzu-
reichenden Vorſchlages. Das Princip der Anciennetät iſt jedoch
auch hier nicht abſolut durchgeführt; um die raſchere Beförderung
beſonders befähigter Offiziere zu ermöglichen, ſtehen diejenigen
Offiziersſtellen, welche durch außergewöhnliche Ereigniſſe erledigt
werden, „zur Allerhöchſten Dispoſition“, d. h. es dürfen Wieder-
beſetzungs-Vorſchläge erſt eingereicht werden, wenn nach Verlauf
eines Jahres über die Beſetzung nicht verfügt worden iſt 2). Das
Aufrücken der Hauptleute oder Rittmeiſter in eine höhere Gehalts-
klaſſe geſchieht bei eintretender Vakanz ohne Weiteres. Aehnliche
Regeln gelten auch für die Mitglieder des Sanitäts-Korps. Bei
den Vorſchlägen zum Aufrücken der Militair-Aerzte in höhere Char-
gen und Dienſtſtellungen iſt möglichſt die Anciennetät zu berück-
ſichtigen; das Avancement außer der Tour iſt nur in beſonders
begründeten Fällen in Antrag zu bringen. Für die Ernennung
zum Ober-Stabsarzt iſt die Ablegung eines ſpezifiſch militairärzt-
lichen Examens Bedingung, ohne daß aber der Zeitpunkt, in wel-
chem dieſes Examen abſolvirt wird, auf die Anciennetät Einfluß
hat 3).
5. Entlaſſung aus dem aktiven Dienſt.
Offiziere können — ebenſo wie Beamte 4) — aus dem Dienſte
entlaſſen werden, ohne daß das Dienſtverhältniß beendigt wird;
[231]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
ſie bleiben Offiziere, ſie behalten ihren militairiſchen Rang, die
mit demſelben verbundenen Ehrenrechte und Standespflichten, ſie
ſind zur Treue, zum Gehorſam und zur Wahrung eines achtungs-
würdigen Verhaltens verbunden, ſie unterliegen gewiſſen, aus dem
Dienſtverhältniß entſpringenden Beſchränkungen; aber ſie leiſten
keinen aktiven Militairdienſt. Ein ſolches Aufhören der aktiven
Dienſtleiſtung ohne Auflöſung des Dienſtverhältniſſes kann nun
aber bei Offizieren in einer doppelten Weiſe vorkommen 1), indem
ſie entweder zu den Offizieren des Beurlaubtenſtandes verſetzt oder
zur Dispoſition geſtellt werden. In beiden Fällen findet weder
Verabſchiedung noch Ausfertigung eines Entlaſſungspatentes ſtatt,
da nicht das Dienſtverhältniß gelöſt, ſondern nur die Dienſtſtellung
verändert wird.
a) Die Verſetzung zu den Offizieren des Beur-
laubtenſtandes. Durch dieſelbe hört die Zahlung von Gehalt
und anderen Gebührniſſen vollkommen auf, ebenſo aber auch die
Verpflichtung zu anderen Militairdienſten als ſie den Reſerve- oder
Landwehr-Offizieren geſetzlich obliegen. Die Verſetzung zur Reſerve
oder Landwehr tritt nur auf Antrag ein. In Fällen, in denen
im Civildienſt der Beamte einfach ſeine Entlaſſung fordern würde,
wird beim Militairdienſt die Verſetzung zu den Offizieren des Be-
urlaubtenſtandes beantragt, da ſie dem Offizier die Freiheit gewährt,
ſich einem andern Beruf zu widmen und doch zugleich die Standes-
und Ehrenrechte des Offiziers und ſeine Verwendung im Kriegs-
falle fortbeſtehen läßt. Auf Berufsoffiziere, welche in den Beur-
laubtenſtand verſetzt werden, finden vollſtändig und ausnahmslos
diejenigen Regeln Anwendung, welche oben S. 204 fg. von den Re-
ſerve- und Landwehr-Offizieren entwickelt worden ſind 2). Das
Gleiche gilt von den im Offiziersrange ſtehenden Militairärzten.
b) Die Stellung zur Dispoſition kann jeder Zeit
[232]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
auch ohne den Willen des Offiziers erfolgen; der Kontingentsherr
iſt befugt, nach ſeinem Belieben jedem Offizier die ihm übertragene
Dienſtſtelle zu entziehen. Dies kann aber wieder in zwei Formen
geſchehen, entweder als Verſetzung zu den „Offizieren von der
Armee“ d. h. mit Belaſſung des vollen Gehaltes und aller
Rechte der Offiziere des aktiven Dienſtſtandes 1), oder als eigent-
liche Stellung zur Dispoſition mit Penſion (Wartegeld, In-
aktivitätsgehalt). Das Recht des Kontingentsherrn bei der Stel-
lung zur Dispoſition die geſetzmäßige Penſion zu bewilligen, iſt
reichsgeſetzlich ausdrücklich anerkannt worden 2). Die Dienſtzeit
wird, inſoweit dieſelbe für die Höhe der Penſion in Betracht
kommt, bis zum Tage, an welchem die Ordre der Dispoſitions-
ſtellung ergangen iſt, gerechnet 3); bei einer Wiederverwendung des
zur Dispoſition geſtellten Offiziers im aktiven Dienſt und in einer
etatsmäßigen Stellung erhöht ſich der Penſions-Anſpruch nach Maß-
gabe der Geſammt-Dienſtzeit 4).
Die zur Dispoſition geſtellten Offiziere 5) bleiben Perſonen
des Soldatenſtandes; ſie unterliegen allen für dieſe Perſonen
geltenden Rechtsvorſchriften ſowohl des Militairgeſetzes als des
Militair-Strafgeſetzbuchs; ſie ſind zum Tragen der Uniform befugt,
ohne daß es einer beſonderen Verleihung dieſes Rechtes bedarf;
die Kompetenz der Militairgerichte dauert ihnen gegenüber unver-
ändert fort 6), die Verordnung über die Ehrengerichte findet auf
ſie Anwendung 7). Insbeſondere hört ihre Dienſtverpflich-
[233]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
tungquoad ius nicht auf 1); die Erfüllung derſelben wird von
ihnen nur thatſächlich nicht in Anſpruch genommen; ſie müſſen
daher einem Befehl zum Wiedereintritt in den Dienſt, nicht nur
im Falle der Mobilmachung, ſondern auch in Friedensverhältniſſen,
unverzüglich Folge leiſten 2). Obwohl die zur Dispoſition geſtell-
ten Offiziere nicht zu den Perſonen des Beurlaubtenſtandes ge-
hören 3), insbeſondere alſo ohne Genehmigung ihrer Vorgeſetzten
ein Gewerbe nicht betreiben dürfen 4), ſo haben ſie doch das Recht,
ihren Aufenthaltsort zu wählen und ſie ſind hinſichtlich der Pflicht,
ihren Wohnort reſp. Aufenthalt anzumelden und geeignete Vor-
kehrungen zu treffen, daß dienſtliche Befehle ihnen jederzeit zuge-
ſtellt werden können, denſelben Vorſchriften wie die Offiziere des
Beurlaubtenſtandes unterworfen 5). Der Auswanderungs-Conſens
kann ihnen erſt ertheilt werden, wenn ſie ihren Abſchied erhalten
haben 6). Sie unterliegen den Vorſchriften der Militair-Disciplinar-
ſtrafordnung ganz ebenſo wie die Offiziere des Beurlaubtenſtandes 7)
und die Landwehr-Bezirks-[Kommandeure] ſind zur Ausübung der
Disciplinar-Strafgewalt über die unter ihrer Kontrole ſtehenden
Offiziere z. D. wie über die Landwehr-Offiziere befugt 8).
6. Beendigung des Dienſtverhältniſſes.
In ähnlicher Art wie dies oben Bd. I §. 45 hinſichtlich der
Reichsbeamten dargeſtellt worden iſt, laſſen ſich auch hinſichtlich
[234]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
des Dienſtverhältniſſes der Offiziere die Beendigungsarten in zwei
Kategorien gruppiren, die ſich dadurch von einander unterſcheiden,
daß bei der einen die Ehrenrechte und der Anſpruch auf Lebens-
unterhalt (Penſion) fortbeſtehen, ebenſo aber auch eine ſubſidiäre
Dienſtpflicht und die Pflicht eines der Standesehre entſprechenden
Verhaltens, bei der andern dagegen alle durch das Dienſtverhält-
niß begründeten Rechte und Pflichten gänzlich erlöſchen.
a) Mit Anſpruch auf Penſion und Ehrenrechte.
Die Auflöſung des Dienſtverhältniſſes erfolgt durch die „Verab-
ſchiedung“ mittelſt eines Entlaſſungs-Patents; ſie iſt auf dem
militairiſchen Inſtanzenwege durch Geſuchsliſte zu beantragen. Zur
Begründung des Antrages iſt erforderlich, daß der Offizier oder
Militairarzt ſeine Invalidität nachweiſt, falls er nicht bereits das
60. Lebensjahr zurückgelegt hat 1). Auch wider den Willen des
Offiziers kann ſeine Verabſchiedung mit Penſion erfolgen, wenn
derſelbe ungeachtet ſeiner körperlichen oder geiſtigen Unfähigkeit
zur Fortſetzung des Dienſtes es unterläßt, den Abſchied zu ver-
langen. Die Vorgeſetzten ſind verpflichtet darauf zu wachen, daß
ſolche Offiziere nicht zum Nachtheil des Dienſtes in ihrer Stelle
verbleiben. Um aber gleichzeitig die Offiziere vor Willkür zu
ſichern, iſt angeordnet, daß unter den Vorgeſetzten eine ſchriftliche
Berathung über die Dienſtfähigkeit des Offiziers gehalten werde;
lautet das Urtheil auf Dienſtunfähigkeit, ſo iſt der Offizier durch
den Kommandeur, der die Berathung geleitet hat, aufzufordern,
ſeine Verabſchiedung zu beantragen; im Weigerungsfalle iſt Seitens
des Kommandeurs der Antrag darauf unter Beifügung des Be-
rathungsprotokolls und des ärztlichen Gutachtens im dienſtlichen
Wege dem Kontingentsherrn einzureichen 2).
Die Befugniß, die Armee- reſp. Regiments-Uniform zu tragen,
wird bei der Verabſchiedung beſonders verliehen; beſtimmte Regeln,
[235]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
unter welchen Vorausſetzungen dieſes Recht verliehen wird, ſind
nicht aufgeſtellt worden. In der Preußiſchen Armee iſt es üblich,
daß bei einer Dienſtzeit von mindeſtens 10 Jahren das Tragen
der Armee-Uniform, bei einer Dienſtzeit von 15 Jahren oder bei
dem Ausſcheiden in Folge einer im Kriege erhaltenen Verwundung
das Tragen der Regiments-Uniform geſtattet wird 1), ſo daß die
mit Penſion verabſchiedeten Offiziere regelmäßig dieſe Befugniß
haben. Die Genehmigung iſt von dem Bundesfürſten zu ertheilen,
von welchem die Offiziere desjenigen Kontingents ernannt werden,
in dem der Verabſchiedete zuletzt aktiv gedient hat 2).
Alle mit Penſion verabſchiedeten Offiziere haben noch eine
ſubſidiäre und beſchränkte Dienſtpflicht, indem ſie im Noth-
falle zu militairiſchen Dienſten, zu welchen ſie ihrem Geſundheits-
zuſtande nach geeignet ſind, herangezogen werden können 3). Die
mit Penſion verabſchiedeten Offiziere werden deshalb zu den Mi-
litairperſonen gezählt; das Militair-Strafgeſetzb. findet auf die-
ſelben Anwendung, ſoweit dies der Natur der Sache nach möglich
iſt 4), ſie unterliegen dem Militairgerichtsſtande 5) und — falls ſie
das Recht haben, die Militairuniform zu tragen — den Offiziers-
Ehrengerichten 6).
b) Ohne Anſpruch auf Penſion und Ehrenrechte.
Ein formelles Recht des Offiziers, ſeinen Abſchied nach Belieben
[236]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
zu verlangen, iſt nicht anerkannt; es hängt von der Entſchließung
des Kontingentsherrn ab, ob dieſelbe gewährt werde oder nicht.
Wenn der Offizier mit Rückſicht auf die von ihm genoſſene Aus-
bildung in Militair-Erziehungs-Anſtalten zu einem activen Dienſt
von gewiſſer Dauer verpflichtet iſt 1), ſo muß er dieſe Verpflichtung
erſt erfüllen, bevor er ſeine Entlaſſung fordern darf. Hat er ſeine
geſetzliche Dienſtzeit noch nicht zurückgelegt, ſo wird er nicht
verabſchiedet, ſondern zunächſt zu den Offizieren des Beurlaubten-
ſtandes verſetzt 2). Wenn der Offizier jedoch die zwölfjährige Dienſt-
zeit abſolvirt hat und den Abſchied verlangt, ohne Anſprüche auf
Penſion und militairiſche Ehrenrechte zu erheben, oder wenn er
vor Erfüllung der geſetzlichen Geſammt-Dienſtzeit dringende
perſönliche Gründe zur Rechtfertigung ſeines Abſchiedsgeſuchs an-
führen kann, ſo wird ihm die Entlaſſung ſchwerlich verweigert, da
dieſelben Gründe, welche es als unthunlich erſcheinen laſſen, Je-
manden wider ſeinen Willen im Civilſtaatsdienſte zurückzuhalten 3),
in erhöhtem Grade auch bei Berufsoffizieren wirkſam ſind. Ab-
geſehen von dieſem, im Allgemeinen nicht häufigen und praktiſch
nicht belangreichen Falle tritt die Verabſchiedung ohne Penſion und
Ehrenrechte nur zur Strafe ein und zwar auf Grund eines Ur-
theils. Dieſe Ehrenſtrafe hat mehrere Abſtufungen.
α) Die Entfernung aus dem Heer oder der Marine. Ge-
gen Offiziere muß auf dieſe Strafe erkannt werden neben Zucht-
haus oder dem Verluſte der bürgerlichen Ehrenrechte ohne Rückſicht
auf die Dauer derſelben, und in allen Fällen, wo gegen Unter-
offiziere oder Gemeine die Verſetzung in die zweite Klaſſe des
Soldatenſtandes geboten iſt. Auf dieſe Strafe kann erkannt wer-
den neben Gefängniß von längerer als fünfjähriger Dauer und
in allen Fällen, wo gegen Unteroffiziere oder Gemeine die Ver-
ſetzung in die zweite Klaſſe des Soldatenſtandes zuläſſig iſt 4).
[237]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
Sie tritt ferner ein, wenn ein Spruch des Ehrengerichts, der den
Offizier der Verletzung der Standesehre unter erſchwerenden Um-
ſtänden für ſchuldig erklärt, die Allerh. Beſtätigung erhalten hat 1).
Sie bewirkt das völlige Ausſcheiden aus dem Heer oder der Ma-
rine, und hat von Rechtswegen den Verluſt aller durch den Mili-
tairdienſt erworbenen Anſprüche, ſoweit dieſelben durch Richter-
ſpruch entzogen werden können 2), den dauernden Verluſt der Orden
und Ehrenzeichen, die Verwirkung des Rechts die Offizier-Uniform
zu tragen und den Offizierstitel zu führen, und die Unfähigkeit
zum Wiedereintritt in das Heer und in die Marine zur Folge 3).
Gegen penſionirte Offiziere iſt ſtatt auf Entfernung ꝛc. auf Verluſt
des Offiziertitels zu erkennen, womit zugleich der Verluſt der Orden
und Ehrenzeichen, die Verwirkung des Rechtes die Offizieruniform
zu tragen, und die Unfähigkeit zum Wiedereintritt in das Heer
und die Marine von Rechtswegen verbunden iſt 4).
β) Die Dienſtentlaſſung iſt eine leichtere, weniger ehren-
rührige Strafe 5). Auf ſie muß erkannt werden neben Erkennung
auf Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter, ſowie in den
Fällen, wo gegen Unteroffiziere Degradation geboten iſt; es kann
auf ſie erkannt werden neben Freiheitsſtrafe von längerer als ein-
jähriger Dauer und wo gegen Unteroffiziere Degradation zuläſſig
iſt 6). Sie bewirkt von Rechtswegen den Verluſt der Dienſtſtelle
und aller durch den Dienſt als Offizier erworbenen Anſprüche, ſo-
[238]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
weit dieſelben durch Richterſpruch aberkannt werden können 1), in-
gleichen die Verwirkung des Rechts, die Offizieruniform zu tra-
gen; dagegen iſt der Verluſt des Dienſttitels mit dieſer Strafe
nicht verbunden 2). Gegen penſionirte Offiziere, welche das Recht
zum Tragen der Offizieruniform haben, iſt ſtatt auf Dienſtent-
laſſung auf Verluſt dieſes Rechtes zu erkennen 3).
Der Dienſtentlaſſung kraft gerichtlichen Urtheils ſteht hinſicht-
lich der Wirkungen gleich die Entlaſſung mit ſchlichtem
Abſchied auf Grund eines ehrengerichtlichen Spruches, welcher
auf ſchuldig der Verletzung der Standesehre lautet 4).
III.Das Dienſtverhältniß der Kapitulanten.
1. Unter Kapitulation verſteht man einen ſchriftlichen Vertrag
zwiſchen einem Truppenbefehlshaber oder einer Militairbehörde
und einem militairdienſtfähigen Mann, durch welchen der letztere
ſich verpflichtet, nach erfüllter aktiver Dienſtpflicht noch eine gewiſſe
Zeit im aktiven Dienſt zu verbleiben, wogegen ihm die mit ſeiner
Dienſtſtelle geſetzlich und reglementsmäßig verbundenen Einkünfte
und andere Vortheile zugeſichert werden. Daß dieſe Dienſtſtelle
eine Unteroffiziers- oder Sergeanten-Stelle ſei, iſt durchaus nicht
erforderlich. Auch zu einem verlängerten Dienſt als gemeiner
Soldat kann man ſich verpflichten; es werden ſolche Verträge ab-
geſchloſſen insbeſondere mit den Mannſchaften der Kavallerie, welche
ſich freiwillig zu einem vierjährigen activen Dienſt verpflichten;
ſie ſind ferner früher abgeſchloſſen worden mit ſolchen Soldaten,
welche als Offiziersburſchen verwendet und in einer ſolchen Stel-
lung nach Ableiſtung der geſetzlichen Dienſtpflicht beibehalten wur-
den. Aus finanziellen und militairiſchen Gründen dürfen aber
nur ſolche Perſonen als Kapitulanten angenommen werden, durch
welche ein weſentlicher Nutzen für den Dienſt zu erwarten
iſt und in allen Fällen ſind Kapitulationen zu ſolchen Zwecken
und Aufgaben, welche vermittelſt der geſetzlichen Wehrpflicht er-
[239]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
füllt werden können, zu vermeiden. Als thatſächliche Regel iſt es
daher allerdings richtig, daß die Kapitulation das Mittel iſt, um
der Armee und Marine den erforderlichen Bedarf an Unterof-
fizieren zu ſichern 1). Juriſtiſch begründet aber die Kapitula-
tion lediglich eine Dienſtpflicht, keine Amtsgewalt; die letztere und
alle damit verbundenen obrigkeitlichen Befugniſſe und vermögens-
rechtlichen Anſprüche beruhen auf der Ernennung zum Unteroffizier
oder der Uebertragung einer beſtimmten Dienſtſtelle.
2. Die Beſtimmungen über Kapitulationen für die Preußiſche
Armee ſind durch Kabinets-Ordre vom 8. Juni 1876 2) genehmigt
worden. Ermächtigt zum Abſchluß der Kapitulation iſt der Befehls-
haber eines Truppentheils (Regiment, ſelbſtſt. Bataillon, Bezirks-
kommando) 3); der Kapitulant muß großjährig ſein oder — falls er
bereits vor erreichter Großjährigkeit eine Kapitulation abſchließen
will, die ſchriftliche und beglaubigte Zuſtimmung des Vaters oder
Vormundes beibringen 4). Er kann die Kapitulation bereits vor
Erfüllung der aktiven Dienſtpflicht, ja ſogar ſchon bei der Annahme
oder dem Dienſteintritt abſchließen 5). Der Vertrag muß in allen
Fällen ſchriftlich abgeſchloſſen werden 6). Kein Truppentheil darf
mit Kapitulanten eines andern Truppentheils ohne Zuſtimmung des
letzteren behufs Gewinnung derſelben in Verbindung treten und
er darf mit Mannſchaften, welche Truppentheilen oder Inſtituten
derſelben Garniſon angehört haben, nicht früher eine Kapitulation
abſchließen als nach Ablauf eines Jahres nach ihrer Entlaſſung
[240]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
von ihrem Truppentheil, wofern nicht der letztere die Zuſtimmung
zu einer früheren Kapitulation ertheilt 1).
3. Der Kapitulant iſt verpflichtet, während der Zeit,
für welche er den Vertrag abgeſchloſſen hat, den activen Militair-
dienſt ebenſo zu leiſten, wie ihm dies in Erfüllung der geſetzlichen
Wehrpflicht obliegen würde. Die Anwendung der Vorſchriften des
Militair-Strafgeſetzbuchs, der Strafgerichts-Ordnung, Disciplinar-
ſtrafordnung und aller übrigen die Dienſtpflicht regelnden und ihre
Erfüllung ſichernden Vorſchriften erfolgt auf Kapitulanten ganz
ebenſo wie auf Mannſchaften, welche ihrer geſetzlichen activen Dienſt-
pflicht genügen 2). Auch Verſetzungen von Kapitulanten können
nach denſelben Grundſätzen, wie die aller übrigen Mannſchaften
geſchehen 3). Kapitulanten gehören zu den Militairperſonen des
Friedensſtandes vom Beginn bis zum Ablauf oder bis zur Auf-
hebung der abgeſchloſſenen Kapitulation 4).
4. Die Rechte und Anſprüche der Kapitulanten beſtim-
men ſich nicht nach freier vertragsmäßiger Feſtſetzung des einzelnen
Falles, ſondern lediglich nach den geſetzlichen und reglementsmäßi-
gen Vorſchriften über Löhnung, Verpflegung, Ausrüſtung, Beklei-
dung, Quartiergewährung, Verſorgung u. ſ. w. Sie ſind daher
je nach der Dienſtſtellung und Charge des Kapitulanten verſchie-
den 5). Ein Recht zum Unteroffizier ernannt oder weiter beför-
dert zu werden, hat der Kapitulant nicht, während andererſeits
ein Wehrpflichtiger ſchon vor Abſchluß einer Kapitulation oder ohne
dieſelbe zum Unteroffizier ꝛc. ernannt werden kann 6).
5. Hinſichtlich der Beförderung der Unteroffiziere
ſind allgemeine Beſtimmungen durch die Kabin.Ordre vom
[241]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
22. Juni 1873 getroffen 1). Als Grundſatz für das Avance-
ment iſt in dieſer Verordnung § 6 feſtgeſtellt, daß bei Beförderung
eines Unteroffiziers zum etatsmäßigen Vice-Feldwebel oder zum
Sergeanten zunächſt die Anciennetät entſcheidet und zwar bei
der Kavallerie innerhalb des Regiments, bei den übrigen Waffen
innerhalb der Kompagnie reſp. Batterie 2). Iſt der hiernach zu
befördernde Sergeant oder Unteroffizier nicht ausreichend qualifi-
zirt, ſo darf nur der in der Tour nächſtfolgende qualifizirte Unter-
offizier befördert werden. Dagegen kann zum Feldwebel jeder
hierzu geeignete Unteroffizier ohne Rückſicht auf ſeine Anciennetät
befördert werden.
6. Die Beendigung des Dienſtverhältniſſes erfolgt
a) Durch Ablauf der in der Kapitulation vereinbarten Zeit.
In der Regel iſt dieſelbe auf mindeſtens Ein Jahr feſtzuſetzen 3).
Perſonen, welche in eine Unteroffiziersſchule behufs ihrer Ausbil-
dung aufgenommen werden, müſſen ſich zu einer 4jährigen aktiven
Dienſtzeit nach erfolgter Ueberweiſung an einen Truppentheil ver-
pflichten 4). Eine Verlängerung der Dienſtzeit erfordert den ſchrift-
lichen Abſchluß einer erneuerten Kapitulation 5). Mit Mannſchaf-
ten, welche unter Doppelrechnung der Kriegsjahre zwölf Jahre und
länger aktiv gedient haben, iſt ein Kapitulationsvertrag nicht mehr
abzuſchließen. So lange dieſelben noch dienſtbrauchbar ſind, dür-
fen ſie gegen ihren Willen nur ausnahmsweiſe, wenn gewichtige
Gründe vorliegen, und nach ſechsmonatlicher Kündigung aus dem
Dienſt entlaſſen werden, nachdem die Genehmigung des General-
Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 16
[242]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
Kommando’s hierzu eingeholt worden iſt 1). Kapitulanten, deren
Kapitulation während des mobilen Zuſtandes oder einer vom
Kaiſer angeordneten außergewöhnlichen Verſtärkung ihres Truppen-
theils abläuft, dürfen ihre Entlaſſung aus dem Dienſt erſt bei der
Demobilmachung oder Ueberführung ihres Truppentheils auf den
Friedensſtand fordern 2).
b) Durch Uebereinkunft zwiſchen dem Truppentheil und dem
Kapitulanten, wenn die häuslichen Verhältniſſe deſſelben ſeine Ent-
laſſung dringend wünſchenswerth machen. Eine ſolche Ueberein-
kunft bedarf aber der Beſtätigung Seitens des Generalkommandos 3).
c) Von Rechtswegen hört das Dienſtverhältniß auf durch
Verurtheilung des Kapitulanten zur Entfernung aus dem Heere
oder der Marine. Auf dieſe Strafe muß gegen Unteroffiziere und
Gemeine neben Zuchthaus ſtets, neben dem Verluſte der bürger-
lichen Ehrenrechte dann erkannt werden, wenn die Dauer dieſes
Verluſtes drei Jahre überſteigt. Auf dieſe Strafe kann erkannt
werden neben Gefängniß von längerer als fünfjähriger Dauer 4).
Die Wirkungen dieſer Strafe ſind bei Kapitulanten dieſelben wie
bei Offizieren 5).
d) Die Degradation eines Unteroffiziers 6) und die Verſetzung
in die zweite Klaſſe des Soldatenſtandes 7) haben die Auflöſung
des durch die Kapitulation begründeten Dienſt verhältniſſes zwar
nicht zur Rechtsfolge; dem Truppentheil ſteht aber die Befugniß
zu, vor Ablauf der Kapitulationszeit die Kapitulation aufzuheben,
wenn der Kapitulant zu einer der erwähnten Strafen oder zu
einer Freiheitsſtrafe von 6 Wochen oder zu einer höheren Strafe
gerichtlich verurtheilt wird 8).
e) Durch das Generalkommando kann die Kapitulation vor
Ablauf der Kapitulationszeit aufgehoben werden, wenn bei fort-
[243]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
geſetzt ſchlechter Führung des Kapitulanten durch das längere
Verbleiben deſſelben im Dienſt das Intereſſe des Truppentheils
geſchädigt wird 1).
7. Den Hinterbliebenen derjenigen Kapitulanten, welche der
dreijährigen geſetzlichen Dienſtpflicht genügt haben, wird die Löh-
nung der Verſtorbenen für die Dekade, in welcher der Tod erfolgt
iſt, belaſſen und für weitere drei Dekaden als Gnadenlöhnung
gewährt. Ueber die Gnadenlöhnung gelten dieſelben Regeln wie
über den Gnadengehalt der Hinterbliebenen von Offizieren 2).
IV.Das Dienſtverhältniß der Beamten der Mili-
tair- und Marine-Verwaltung.
Die Beamten der Militairverwaltung 3) ſind mittelbare, die
der Marineverwaltung unmittelbare Reichsbeamte, auf welche das
Reichsgeſetz vom 31. März 1873 anwendbar iſt. Hinſichtlich ihrer
Rechtsverhältniſſe kann daher auf die oben Bd. I §. 37 ff. ge-
gebene Darſtellung verwieſen werden. Dieſelbe bedarf jedoch in
der Richtung eine Ergänzung, daß dieſe Beamten zum Heere reſp.
zur Flotte gehören und deshalb bei ihnen zu dem a. a. O. erör-
terten Beamten-Verhältniß noch ein Militair-Verhältniß
hinzutritt. In Beziehung auf dieſes letztere Verhältniß zerfallen die
Beamten der Militair- und Marine-Verwaltung in zwei Klaſſen,
nämlich in Militair-(Marine-)Beamte und in Civilbeamte der
Militair-(Marine-)Verwaltung; beide Kategorien gehören zwar zum
„aktiven Heere“ (Flotte), die Militair- und Marinebeamten aber
ſind wie die Offiziere und Aerzte des Friedensſtandes „Militair-
perſonen“, während die Civilbeamten der Militair- und Marine-
verwaltung von den Militairperſonen unterſchieden und als eine
beſondere Kategorie neben ihnen aufgeſtellt werden 4).
Die Anlage zum Militair-Strafgeſetzbuch v. 20. Juni 1872
(R.G.Bl. S. 204) erklärt: „Militairbeamte ſind alle im Heer und
in der Marine dauernd oder auf Zeit angeſtellten, nicht zum Sol-
datenſtande gehörenden und unter dem Kriegsminiſter oder Chef
der Admiralität als Verwaltungschef ſtehenden Beamten, welche
16*
[244]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
einen Militairrang haben. Es macht dabei keinen Unterſchied, ob
ſie einen Dienſteid geleiſtet haben oder nicht.“ Von den in dieſer
Definition hervorgebobenen fünf Merkmalen paſſen vier auch auf
die Civilbeamten der Militairverwaltung; auch ſie ſind „im“ Heer
oder „in“ der Marine angeſtellt, da ſie ja nach § 38 des Milit.-
Geſ. zum activen Heere gehören; ſie ſind ferner für das Bedürf-
niß des Heeres oder der Marine — und zwar entweder dauernd
oder auf Zeit — angeſtellt; ſie gehören nicht zum Soldatenſtande
und ſie ſtehen unter dem Kriegsminiſter oder Chef der Admirali-
tät als Verwaltungschef. Als das charakteriſtiſche Unterſcheidungs-
Merkmal zwiſchen den Militairbeamten und den Civilbeamten der
Militairverwaltung bleibt demnach allein übrig, daß die erſteren
einen Militairrang haben, die letzteren nicht. Sowie hierin
der alleinige Unterſchied zwiſchen den Militairbeamten und den
Civilbeamten beſteht, ſo bildet andererſeits der Militairrang die
gemeinſame Eigenſchaft der Perſonen des Soldatenſtandes und der
Militairbeamten, und da dieſe beiden Klaſſen von Perſonen unter
der Bezeichnung „Militairperſonen“ zuſammengefaßt werden 1), ſo
ergiebt ſich, daß der Begriff „Militairperſon“ identiſch iſt mit
„Perſon, welche einen Militairrang hat“. Auf dieſen „Militair-
rang“ ſind auch in der That alle rechtlichen Unterſchiede zurück-
zuführen, welche zwiſchen den Militairbeamten und den übrigen
Reichsbeamten beſtehen. Auf ihm beruht zunächſt die Eintheilung,
welche die angef. Anlage zum Mil.Strafgeſetzb. unter den Mili-
tairbeamten macht; indem ſie definirt: „Militairbeamte, die im
Offizierrange ſtehen, ſind obere Militairbeamte, alle anderen Mi-
litairbeamten ſind untere Militairbeamte.“ Eigenthümlich für
dieſen Militairrang iſt aber, daß er kein „beſtimmter“ zu ſein
braucht; ja es giebt überhaupt gar keine Militairbeamten mit
einem „beſtimmten“ Militairrange mehr, ſeitdem die Militairärzte
zu Perſonen des Soldatenſtandes erklärt worden ſind 2). Obwohl
es nun rechtlich von der erheblichſten Bedeutung iſt, ob ein Be-
amter der Militairverwaltung einen Militairrang hat oder nicht,
[245]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
ſo hat doch weder das Militair-Strafgeſetzbuch noch das Militairge-
ſetz die Beamten angegeben, bei denen das Eine oder das An-
dere der Fall iſt. Dagegen iſt dem alten „Strafgeſetzbuch für
das Preußiſche Heer“ v. 3. April 1845 als Anlage eine „Claſſifi-
kation“ der zum Preuß. Heere und zur Marine gehörenden Mili-
tairperſonen beigegeben, welche ein Verzeichniß der Militairbeam-
ten enthält. Bei Einführung jenes Geſetzbuchs im Gebiet des
Norddeutſchen Bundes durch V. v. 29. Dezemb. 1867 iſt dieſe
Klaſſifikation den veränderten Verhältniſſen entſprechend neu redigirt
und im Bundes-Geſetzbl. von 1867 S. 283 ff. publizirt worden.
Aus dieſem Verzeichniß iſt im Weſentlichen auch gegenwärtig
noch zu entnehmen, welche Beamte Militairbeamte ſind; in einer
demſelben beigefügten „Anmerkung“ (B. G.Bl. 1867 S. 289) iſt
ausdrücklich erklärt, daß „diejenigen Beamten der Militairverwal-
tung, welche nicht in dem vorſtehenden Verzeichniß sub B. aufge-
führt ſind, zu den Militairperſonen nicht gehören“ 1).
Gemeinſchaftlich für beide Klaſſen von Beamten gilt der Rechts-
ſatz, daß die Beſtimmungen über ihre Zulaſſung (Qualifikation) und
über ihre Beförderung für alle Kontingente mit Ausnahme des
[246]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
Bayeriſchen vom Kaiſer zu erlaſſen ſind 1). Im Uebrigen beſtehen
unter den beiden erwähnten Kategorien folgende Unterſchiede:
1. Die Militair- und Marine-Beamten.
a) Die von ihnen im Heere oder in der Marine zu leiſten-
den Dienſte ſind zwar keine Dienſte mit der Waffe, immerhin aber
Militairdienſte, welche dem Organismus des Heeres und
der Marine eingeordnet ſind. Die praktiſch wichtigſte und folgen-
reichſte Conſequenz dieſes Satzes beſteht darin, daß die Militair-
beamten einen militairiſchen Vorgeſetzten haben. Es giebt
keine Militairbeamten, die nicht einem ſolchen untergeordnet wären,
während es nicht weſentlich iſt, daß ſie einem höheren Beamten
unterſtellt ſind. Demnach zerfallen die Militairbeamten wieder in
zwei Klaſſen; in ſolche, die nur ihren vorgeſetzten Militairbefehls-
habern untergeordnet ſind, und in ſolche, die in einem doppelten
Unterordnungsverhältniß ſtehen, d. h. die neben ihrem Militair-
Vorgeſetzten auch noch einen Militair-Beamten zum Vorgeſetzten
haben. Zu den letzteren gehören die Auditeure und Aktuarien, die
Militairgeiſtlichen und Küſter, die Intendantur-Beamten bei der
Armee und ſämmtliche Marine-Beamten 2); alle andern Militair-
beamten ſind nur einem Militair-Vorgeſetzten unterſtellt 3). Aus
dieſem Subordinations-Verhältniß folgt, daß alle Militair- und
Marine-Beamten hinſichtlich der Disciplin, der Urlaubsertheilung,
des Weges für dienſtliche Beſchwerden ähnlichen Vorſchriften unter-
liegen, wie die Perſonen des Soldatenſtandes 4).
Ein ſehr eigenthümlich complizirter Rechtszuſtand ergiebt ſich
hieraus hinſichtlich der Disciplinar-Gewalt über Militair-
[247]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
Beamte, indem dieſelben zugleich den Vorſchriften des Reichs-
beamten-Geſetzes und denjenigen der Disciplinarſtrafordnungen für
das Heer beziehentl. für die Marine unterliegen, und zwar in
folgender Weiſe. Die letzteren Verordnungen kennen die Strafe
der Entfernung aus dem Amte nicht; in allen Fällen alſo, in wel-
chen auf dieſe Strafe erkannt werden ſoll, iſt die Einleitung eines
Verfahrens nach Maßgabe des Reichsbeamtengeſetzes er-
forderlich und zwar findet rückſichtlich derjenigen Militair- und
Marinebeamten, welche unter einem doppelten Unterordnungs-
verhältniß ſtehen, mit Ausnahme der richterlichen Juſtizbeamten,
das gewöhnliche Verfahren wie gegen andere Reichsbeamte vor
den Disciplinarkammern ſtatt, dagegen rückſichtlich derjenigen
Beamten, welche ausſchließlich unter Militair-Befehlshabern ſtehen,
iſt nach dem im Reichsbeamten-Geſetz § 120 fg. normirten Ver-
fahren vor den Militair-Disciplinarkomiſſionen einzuſchreiten 1).
In Betreff der Verfügung von Disciplinarſtrafen aber, welche
nicht in der Entfernung aus dem Amte beſtehen, hat das Reichs-
beamtengeſetz § 123 ſelbſt „die auf jene Beamten bezüglichen be-
ſonderen Beſtimmungen“ für anwendbar erklärt. Dieſe beſonderen
Beſtimmungen ſind in der Disciplinarſtrafordnung für das Heer
(reſp. für die Marine) enthalten. Nach § 1 derſelben unterliegen
der militairiſchen Disciplinarbeſtrafung „alle Handlungen ge-
gen die militairiſche Zucht und Ordnung und gegen die Dienſt-
vorſchriften“ 2); die Miltairbeamten ſind ſonach einer viel weiter
reichenden Disciplinarſtrafgewalt unterworfen als andere Beamte.
Hinſichtlich der Vorgeſetzten, welche dieſe Disciplinargewalt
auszuüben haben, und hinſichtlich der Strafen, iſt nun wieder zu
unterſcheiden zwiſchen den Militairbeamten, welche in einem doppel-
ten Unterordnungsverhältniß ſtehen, und denjenigen, welche ledig-
lich einem Militairvorgeſetzten untergeben ſind. Ueber die in einem
doppelten Unterordnungsverhältniß ſtehenden Beamten übt der Ver-
waltungsvorgeſetzte ausſchließlich die Disciplinarſtrafgewalt aus bei
[248]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
Verletzung von ſolchen Dienſtvorſchriften, welche die Grundlage der
Amtswirkſamkeit der Militairbeamten bilden, während alle andern
zur Disciplinarbeſtrafung geeigneten Handlungen ſolcher Militair-
beamten zur Zuſtändigkeit des ihnen vorgeſetzten Militairbefehls-
habers gehören, unbeſchadet jedoch der Mitaufſicht der Verwal-
tungsvorgeſetzten über die ſittliche Führung des untergebenen Be-
amten 1). Dagegen ſteht die Disciplinargewalt über Beamte,
welche ausſchließlich in einem militairiſchen Unterordnungsverhält-
niß ſtehen, lediglich den Militairvorgeſetzten zu und zwar innerhalb
derſelben Gränzen, wie über Perſonen des Soldatenſtandes 2).
Soweit die Verwaltungsvorgeſetzten die Disciplinarſtrafgewalt aus-
zuüben haben, regelt ſich dieſelbe nach dem Reichsbeamten-Geſetz
(§§. 80—83) 3); ſoweit die Militairvorgeſetzten dieſelbe handhaben,
regelt ſich dieſelbe nach der Disciplinarſtrafordnung für das Heer
(reſp. die Marine). Dies gilt auch rückſichtlich der Beſchwerde-
führung über Disciplinarbeſtrafung. Ueber ſolche obere Beamte
aber, welche unter einem doppelten Vorgeſetzten ſtehen, darf der
Militairvorgeſetzte die Strafe des Stubenarreſtes nur in der Zeit
verhängen, während welcher ſie nach § 9 des Milit.Strafgeſetzbuchs
unter den Kriegsgeſetzen ſtehen 4).
In Betreff der Urlaubs-Ertheilung an Militairbeamte
finden zwar im Allgemeinen dieſelben Regeln wie bei andern Reichs-
beamten Anwendung 5), jedoch mit der Einſchränkung, daß, wenn
die Kriegsbereitſchaft oder Mobilmachung der bewaffneten Macht
[249]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
oder einer Abtheilung derſelben angeordnet wird, mit der Bekannt-
machung dieſer Anordnung jede Urlaubsbewilligung erliſcht 1). Be-
amte, welche in einem doppelten Unterordnungs-Verhältniß ſtehen,
haben den Urlaub zwar in der Regel bei dem Verwaltungsvorge-
ſetzten nachzuſuchen; derſelbe darf den Urlaub aber nur bewilligen,
wenn der Militärvorgeſetzte ſein Einverſtändniß ertheilt hat 2).
Ueber den Dienſtweg und die Behandlung von Be-
ſchwerden gelten für Militairbeamte dieſelben Vorſchriften, wie
für Perſonen des Soldatenſtandes mit den in den §§ 24—26 der
V. v. 6. März 1873 enthaltenen Modifikationen 3). Insbeſondere
iſt das im II. Abſchnitt der erwähnten Verordn. für Offiziere ꝛc.
vorgeſchriebene Vermittlungsverfahren den Militairbeamten freige-
ſtellt, aber für ſie nicht obligatoriſch.
b) Die Vorſchriften des Reichsmilitairgeſetztes §§ 39 ff.
über die beſonderen Rechtsregeln für Militairperſonen 4) finden
auch auf Militairbeamte Anwendung mit alleiniger Ausnahme des
§ 49 Abſ. 1, welcher die Suspenſion des Wahlrechts für die Per-
ſonen des Soldatenſtandes ausſpricht 5). Ebenſo ſind Militairbe-
amte denſelben Auswanderungsbeſchränkungen wie andere Militair-
perſonen des aktiven Heeres oder der Flotte unterworfen 6).
c) Das Militair-Strafgeſetzbuch findet im Frieden
auf Militairbeamte keine Anwendung 7). Die Motive zum Ent-
wurf dieſes Geſetzbuches 8) begründen dies damit, daß, während
für die Perſonen des Soldatenſtandes als leitendes Princip bei
Ausübung ihrer Dienſtobliegenheiten der pünktliche Gehorſam gegen
den Vorgeſetzten anzuſehen ſei, der Militairbeamte das ihm über-
tragene Amt nach den Grundſätzen ſeiner Wiſſenſchaft oder nach
[250]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
Verwaltungsgrundſätzen oder beſonderen Inſtruktionen zu verwal-
ten habe und deshalb in ſtrafrechtlicher Hinſicht im Allgemeinen
ebenſo behandelt werden müſſe wie der Civilbeamte, mit welchem
er im Weſentlichen gleiche Berufspflichten habe. Im Kriege ſei
es dagegen zur Sicherung der Armee, ſowie zur Erhaltung ihrer
Schlagfertigkeit und Thatkraft dringend geboten, daß der Militair-
beamte denſelben Pflichten und ſomit auch denſelben Strafbeſtim-
mungen unterworfen werde, wie eine Perſon des Soldatenſtandes.
Demgemäß iſt im § 154 a. a. O. angeordnet, daß ein Militair-
beamter, welcher ſich im Felde einer der in dem 1—3, 6 u. 8
Abſchnitt des I. Titels bezeichneten Handlungen ſchuldig macht,
nach den daſelbſt für Perſonen des Soldatenſtandes gegebenen Be-
ſtimmungen beſtraft wird, mit der Modifikation, daß ſtatt auf
Verſetzung in die zweite Klaſſe des Soldatenſtandes auf Amts-
verluſt zu erkennen iſt 1). Andere Pflichtverletzungen, d. h. alſo im
Frieden alle Verbrechen und Vergehen im Amte, im Felde alle
nicht militairiſchen Delicte der Militairbeamten ſind nach
den allgemeinen für Beamte geltenden Vorſchriften, alſo insbe-
ſondere nach dem Allg. Strafgeſetzbuch Th. II Abſchn. 28 (§§ 331
bis 359) zu beurtheilen 2).
d) Die Militairbeamten ſind der Militair-Gerichtsbar-
keit und der Militair-Strafgerichts-Ordnung unter-
worfen, und zwar nicht nur in den nach dem Militair-Strafgeſetz-
buch zu beurtheilenden Fällen, ſondern in allen Straffachen 3).
Ebenſo ſind Straferkenntniſſe gegen Militairbeamte zu vollſtrecken
nach Maßgabe des Reglements v. 2. Juli 1873 4). Dagegen fin-
det die Verordn. v. 2. Mai 1874 über die Ehrengerichte auf Mi-
litairbeamte keine Anwendung.
2. Die Civilbeamten der Militair- und Marine-
Verwaltung.
Obwohl auch dieſe Beamten vom Tage ihrer Anſtellung bis
zum Zeitpunkte ihrer Entlaſſung aus dem Dienſte zum aktiven
[251]§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.
Heere gehören und die von ihnen zu leiſtenden Dienſte zu den Mi-
litairdienſten gezählt werden können, ſo ſind dieſelben doch in einer
ſo loſen Verbindung mit der Organiſation des Heeres und der
Marine und bei ihren amtlichen Geſchäften iſt der ſpezifiſch mili-
tairiſche Charakter ſo wenig ausgeprägt, daß die Anwendung der
für Militairperſonen gegebenen beſonderen Rechtsvorſchriften auf
ſie nicht als angemeſſen, jedenfalls nicht als erforderlich erſcheint.
Von den im Militairgeſetz enthaltenen beſonderen Rechtsregeln
für Militairperſonen findet allein die Beſtimmung des § 41 über
die Uebernahme von Vormundſchaften auch auf die Civilbeamten der
Mil.Verw. Anwendung. Die Disciplinar-Strafordnung f. das
Heer (reſp. f. die Marine) iſt auf dieſe Beamten in keinem Falle
anwendbar, ſelbſt dann nicht, wenn ſie einem Militair-Befehlshaber
dienſtlich untergeordnet ſind 1). Dagegen gilt die Verordnung
v. 6. März 1873 über den Dienſtrang und die Behandlung von
Beſchwerden (Armee-V.Bl. 1873 S. 63 ff.) auch für die Civilbe-
amten der Mil.- und Marine-Verwaltung. Der Militairgerichts-
barkeit ſind dieſe Beamten nicht unterworfen, ebenſo wenig dem
Militairſtrafgeſetzbuch und der Militairſtrafgerichtsordnung. Eine
Ausnahme hiervon kann jedoch in Kriegszeiten eintreten, da wäh-
rend eines gegen das Deutſche Reich ausgebrochenen Krieges alle
Perſonen, welche ſich in irgend einem Dienſt- oder Vertrags-Ver-
hältniſſe bei dem kriegführenden Heere befinden, oder ſonſt ſich
bei demſelben aufhalten oder ihm folgen, den Vorſchriften des
Militair-Strafgeſetzb., insbeſondere den Kriegsgeſetzen unterworfen
ſind 2). Sind dieſe Vorausſetzungen vorhanden, ſo iſt zugleich für
dieſe Perſonen der Militairgerichtsſtand begründet 3). Werden ſie
[252]§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.
zu einer Freiheitsſtrafe verurtheilt, ſo kann das Gericht zugleich
auf Aufhebung des Dienſtverhältniſſes erkennen 1).
§ 90. Einfluß des Militairdienſt-Verhältniſſes auf andere
Rechts-Verhältniſſe.
In ganz ähnlicher Art wie das Beamten-Verhältniß, jedoch
in größerem Umfange, äußert der Militairdienſt im Heere und in
der Flotte einen Einfluß auf andere Rechtsverhältniſſe, welche mit
demſelben in keinem nothwendigen und logiſch gebotenen Zuſammen-
hange ſtehen 2). Im Allgemeinen macht es hierbei keinen Unterſchied,
ob die Militairperſon den Dienſt auf Grund des Geſetzes leiſtet
oder ob ſie die Dienſtpflicht freiwillig übernommen hat; der Militair-
dienſt als ſolcher und die mit demſelben verbundene eingreifende
Beſchränkung der individuellen Freiheit erſcheint als genügendes
Motiv zur Ausſchließung des gemeinen Rechts und zur Anerken-
nung eines jus singulare. Das letztere findet nicht nur auf Of-
fiziere, Kapitulanten und Militairbeamte, ſondern auch auf alle
Wehrpflichtigen Anwendung, während ſie im aktiven Heer ſich be-
finden. Einzelne dieſer Rechtsſätze ſtehen aber in ſo enger Be-
ziehung mit dem Beruf und den allgemeinen Lebensverhältniſſen,
daß ſie auf Perſonen, welche aus ihrer bürgerlichen Lebensſtellung
zeitweilig zum Militairdienſt eingezogen werden, nicht vorübergehend
Anwendung finden können; ſie gelten daher nur für die Militair-
perſonen des Friedensſtandes, ſind dagegen für die Militair-
perſonen des Beurlaubtenſtandes, ſelbſt wenn dieſelben zum
aktiven Dienſt einberufen ſind, unanwendbar 3).
Die Rechtsmaterien, in denen für Militairperſonen Sätze des
ius singulare beſtehen, ſind im Weſentlichen auf dieſelben Kate-
gorien zurückzuführen, welche oben Bd. I § 46 hinſichtlich der
Reichsbeamten angegeben worden ſind; dieſe beſonderen Rechts-
regeln betreffen theils die Rechtsverfolgung, theils Exemtionen von
[253]§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.
allgemeinen ſtaatsbürgerlichen Laſten oder Rechten, theils endlich Be-
ſchränkungen oder Begünſtigungen in privatrechtlichen Verhältniſſen.
I.Beſondere Vorſchriften hinſichtlich der
Rechtsverfolgung.
1. In Strafſachen unterliegen Militairperſonen einer be-
ſonderen Gerichtsbarkeit. Dieſelbe ſoll durch Reichsgeſetz geregelt
werden 1). Bisher iſt die reichsgeſetzliche Regelung jedoch noch
nicht erfolgt und ein übereinſtimmendes Recht im Bundesgebiet
noch nicht hergeſtellt. Die Militair-Strafgerichts-Ordnung für das
Preußiſche Heer v. 3. April 1845 iſt auf Grund des Art. 61
der Bundes-Verf. im ganzen Gebiet des Norddeutſchen Bundes
durch Verordnung vom 29. Dezemb. 1867 (B. G.Bl. S. 185),
in Südheſſen auf Grund der Militairkonvention v. 4. April 1867
Art. 14 und bei der Errichtung des Deutſchen Reiches in Baden
eingeführt worden 2); ausgeſchloſſen wurde ihre Einführung in
Württemberg 3) und Bayern 4). In Elſaß-Lothringen iſt die Ein-
führung erfolgt durch das Geſetz v. 23. Januar 1872 5). Es be-
ſtehen ſonach zur Zeit im Reich drei verſchiedene Militair-Straf-
gerichts-Ordnungen, die Preußiſche v. 3. April 1845, die Bayeriſche
v. 29. April 1869 6) und die Württembergiſche v. 20. Juli 1818.
Die Militair-Gerichtsbarkeit umfaßt nicht blos die ſpezifiſch mili-
tairiſchen Delicte, ſondern alle Strafſachen 7) und ſie umfaßt auch
[254]§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.
die Vollſtreckung der gerichtlich erkannten Strafen gegen Militair-
perſonen. Die letztere iſt für die Preußiſche Armee geregelt durch
das, mittelſt Kabin.-Ordre genehmigte, ſehr ausführliche Militair-
Strafvollſtreckungs-Reglement v. 2. Juli 1873 1), welches eine ſehr
bedeutſame und wichtige Ergänzung der Strafgerichts-Ordnung
bildet. Für die Marine iſt ein Straf-Vollſtreckungs-Reglement
durch Erl. vom 4. April 1876 genehmigt worden.
Die Militairgerichtsbarkeit erſtreckt ſich auf alle Militairper-
ſonen des Friedensſtandes und des Beurlaubtenſtandes, ſo lange
dieſelben dem aktiven Heere angehören. Inſoweit jedoch Perſonen
des Beurlaubtenſtandes auch während der Beurlaubung den Vor-
ſchriften des Militairſtrafgeſetzbuchs unterworfen ſind 2), unterlie-
gen dieſelben in dieſer Zeit auch dem Militairgerichtsſtand 3). Iſt
die ſtrafbare Handlung von der Militairperſon vor dem Eintritt
in den Dienſt verübt worden, ſo ſteht in dem Geltungsbereich der
Preußiſchen Milit.Strafger.Ordn. die Unterſuchung und Abur-
theilung dem Militairgerichte zu, wenn die wahrſcheinlich zu er-
wartende Strafe eine dreimonatliche (jetzt ſechswöchentliche) Ge-
fängnißſtrafe 4) nicht überſteigt, und zwar auch dann, wenn die
Unterſuchung bei dem bürgerlichen Gericht bereits eingeleitet, das
Erkenntniß erſter Inſtanz aber dem Angeſchuldigten vor dem Ein-
tritt in den Dienſtſtand noch nicht publizirt iſt. Iſt dagegen eine
längere Freiheitsſtrafe zu erwarten oder das Erkenntniß erſter In-
ſtanz vor dem Eintritt in den aktiven Dienſt bereits verkündigt,
ſo iſt die Kompetenz des bürgerlichen Gerichtes begründet 5).
[255]§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.
Nach der Bayeriſchen Milit.Strafger.Ordn. Art. 8 und 9
kommt es lediglich darauf an, ob gegen die Militairperſon vor
ihrem Eintritt in den aktiven Dienſt von dem bürgerlichen Richter
oder Staatsanwalt bereits die Strafverfolgung begonnen worden
iſt oder nicht; in dem erſteren Falle ſind die bürgerlichen, in dem
andern die militairiſchen Gerichte zuſtändig. Nach der Württem-
giſchen Mil.St.G.O. § 128 fällt die Unterſuchung und Entſchei-
dung der vor dem Eintritt in den Militairdienſt begangenen und
erſt nach dem Eintritt zur Sprache kommenden Verbrechen und
Vergehen ohne Einſchränkung den bürgerlichen Gerichten zu.
Der Militairgerichtsſtand hört auf durch Ausſcheiden aus
dem Militairverhältniß 1), gleichviel ob die Löſung des letzteren
freiwillig oder durch Urtheil erfolgt 2). Mit der Beendigung des
Militair-Gerichtsſtandes hört auch die Befugniß der Militairbe-
hörden zur Strafvollſtreckung auf; wenn daher das Militair-
gericht auf Zuchthausſtrafe oder neben einer Freiheitsſtrafe auf
Entfernung aus dem Heer oder der Marine oder auf Dienſtent-
laſſung erkannt hat oder wenn das militairiſche Dienſtverhältniß
aus einem andern Grunde aufgelöſt wird, ſo geht die Vollſtreck-
ung der Strafe auf die bürgerlichen Behörden über 3). Zur Kom-
5)
[256]§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.
petenz der bürgerlichen Gerichte gehört ferner die Aburtheilung der
von Militairperſonen begangenen militairiſchen oder gemeinen Ver-
brechen oder Vergehen, wenn die Unterſuchung erſt nach dem gänz-
lichen Ausſcheiden des Angeſchuldigten aus dem Militair-Verhält-
niß eingeleitet wird 1).
Die Zuſtändigkeit der einzelnen Militairgerichte iſt von der
Staatsangehörigkeit der Militairperſonen unabhängig, ſie beſtimmt
ſich lediglich nach dem Militairdienſtverhältniß, ſo daß z. B. ein
Preuße, der ſeiner Wehrpflicht in einem bayeriſchen Truppentheil
genügt, dem entſprechenden bayeriſchen Militairgericht unterworfen
iſt. Dieſem Grundſatz gemäß iſt auch die nach den Militairgeſetzen
erforderliche Genehmigung zur Einleitung eines ſtrafgerichtlichen
Verfahrens, ſowie die Beſtätigung gerichtlicher, disciplinariſcher
oder ehrengerichtlicher Urtheile von dem zuſtändigen Militairbefehls-
haber, reſp. von dem Kontingentsherrn zu ertheilen, mithin
in allen, mit der Preußiſchen Armee verbundenen Kontingenten
von dem Könige von Preußen, da auf dieſen die Rechte der Kon-
tingentsherren übergegangen ſind 2); in den Kontingenten von
Bayern, Württemberg und Sachſen von den betreffenden Landes-
herrn 3).
Mit dieſen in der militairiſchen Gerichtsherrlichkeit begründe-
3)
[257]§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.
ten Befugniſſen iſt ferner auch das Begnadigungsrecht ver-
bunden. Dasſelbe ſteht alſo bei allen von den Militairgerichten
erkannten Strafen ſowohl wegen militairiſcher als wegen nicht mi-
litairiſcher Verbrechen und Vergehen dem Dienſtherrn des Kon-
tingents zu, ohne Unterſchied, welchem Staate der Verurtheilte
angehört. Die Militair-Konventionen enthalten jedoch regelmäßig
die Zuſage, daß die Wünſche der betreffenden Landesherren hin-
ſichtlich ihrer Unterthanen Berückſichtigung finden werden 1).
Durch die Einführung des Gerichtsverfaſſungsgeſetzes ſind
die über die Militairgerichtsbarkeit beſtehenden Rechtsſätze unbe-
rührt geblieben 2).
2. Auf bürgerliche Rechtsſachen der Militairperſonen
erſtreckt ſich die Militairgerichtsbarkeit nicht; es finden vielmehr
die allgemeinen Rechtsregeln auch auf Militairperſonen Anwen-
dung. Der allgemeine Gerichtsſtand derſelben beſtimmt ſich daher
durch ihren Wohnſitz3). Für die Frage aber, welcher Ort der
Wohnſitz einer Militairperſon ſei, iſt die Unterſcheidung nach dem
Rechtsgrund der Dienſtpflicht von Belang. Durch die Erfüllung
der geſetzlichen Wehrpflicht wird ein Wohnſitz nicht begründet, Wehr-
pflichtige behalten daher, während ſie im aktiven Dienſt ſich be-
finden, denjenigen Wohnſitz, welchen ſie nach ihren bürgerlichen
Lebensverhältniſſen haben. Der freiwillige (berufsmäßige) Eintritt
in den Militairdienſt dagegen iſt maßgebend für die ganze Lebens-
ſtellung und alle Rechtsverhältniſſe und demgemäß haben ſolche
Militairperſonen in Anſehung des Gerichtsſtandes ihren Wohnſitz
Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 17
[258]§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.
am Garniſonorte, wofern ſie überhaupt ſelbſtſtändig einen
Wohnſitz begründen konnen 1). Wenn ein Truppentheil im Deut-
ſchen Reich keinen Garniſonort hat, ſo gilt in Anſehung des Ge-
richtsſtandes der letzte deutſche Garniſonort des Truppentheils als
Wohnort der zu dieſem Truppentheil gehörenden Militairperſonen 2).
Der dienſtliche Aufenthalt einer Militairperſon außerhalb des Gar-
niſonortes begründet keinen Gerichtsſtand für dieſelbe. In Be-
treff aller Klagen, welche wegen vermögensrechtlicher Anſprüche
erhoben werden, iſt für Militairperſonen, welche nur zur Erfüllung
der Wehrpflicht dienen, oder welche ſelbſtſtändig einen Wohnſitz
nicht begründen können, das Gericht des Garniſonorts zuſtändig;
der Garniſonort hat für dieſe Perſonen daher diejenige rechtliche
Bedeutung, welche in bürgerlichen Verhältniſſen ähnlicher Art der
Aufenthaltsort hat 3).
Wohl zu unterſcheiden von der Begründung des Gerichtsſtan-
des iſt dagegen die Bedeutung des Wohnſitzes reſp. des Garniſon-
ortes hinſichtlich der Frage, welches Recht bei Beurtheilung der
Rechtsverhältniſſe in Anwendung zu bringen iſt (ſogen. Statuten-
lehre). In dieſer Hinſicht hat weder die Militairgeſetzgebung noch
die Juſtizgeſetzgebung des Reiches eine gemeinrechtliche Regel auf-
geſtellt; es kommen daher die Vorſchriften der Landesgeſetze zur
Anwendung 4). In einer großen Anzahl von Militair-Konventionen
[259]§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.
iſt übereinſtimmend der Grundſatz anerkannt worden, daß die per-
ſönlichen Verhältniſſe der Militairperſonen durch Verlegung ihres
Domicils nicht verändert werden 1) und daß ihr eheliches Güterrecht,
die Erbfolge in ihre Verlaſſenſchaft und die Bevormundung ihrer
Hinterbliebenen ſich nach den Rechtsnormen ihrer Heimath
richtet 2).
Auch hinſichtlich des Bürgerlichen Prozeßverfahrens
(ausgenommen die Zwangsvollſtreckung) beſtehen für Militairper-
ſonen keine abweichenden Vorſchriften, mit der alleinigen Ausnahme,
daß die Zuſtellungen für einen Unteroffizier oder einen Ge-
meinen des aktiven Heeres oder der aktiven Marine an den Chef
der zunächſt vorgeſetzten Kommandobehörde (der Kompagnie, Schwa-
dron, Batterie u. ſ. w.) erfolgen müſſen, und daß Zuſtellun-
gen an Perſonen, welche zu einem im Auslande befindlichen oder
zu einem mobilen Truppentheile oder zur Beſatzung eines in Dienſt
geſtellten Kriegsfahrzeuges gehören, mittelſt Erſuchens der vorge-
ſetzten Kommandobehörde erfolgen können3).
Zu erwähnen iſt ferner, daß zu denjenigen Fällen, in denen
die Ausſetzung des Prozeßverfahrens ſtatthaft iſt, auch der gehört,
4)
17*
[260]§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.
daß eine Partei „zu Kriegszeiten“ im Militairdienſte ſich
befindet 1).
3. Das Militairdienſtverhältniß bildet das Motiv für eine be-
deutende Anzahl von Sonderbeſtimmungen hinſichtlich der Zwangs-
vollſtreckung. Dieſe Beſtimmungen finden nicht nur auf die
gerichtliche, ſondern auch auf jede andere Art von Zwangsvoll-
ſtreckungen, insbeſondere auf die von Verwaltungsbehörden auszu-
führenden, Anwendung, und da ſie nicht im perſönlichen Intereſſe
des Schuldners, ſondern im Intereſſe des militairiſchen Dienſtes
getroffen ſind, ſo haben ſie den Charakter des jus cogens und
können durch Einwilligung des Schuldners nicht aufgehoben wer-
den 2). Für alle Arten von Exekutionen beſteht der Grundſatz,
daß ſie gegen eine dem aktiven Heere oder der aktiven Ma-
rine angehörende Militairperſon erſt beginnen dürfen, nachdem die
vorgeſetzte Militairbehörde davon Anzeige erhalten hat 3), und daß
die Zwangsvollſtreckung gegen eine dem aktiven Heere oder der
aktiven Marine angehörende Perſon des Soldatenſtandes 4) in Ka-
ſernen und andern militairiſchen Dienſtgebäuden, ſowie auf
Kriegsfahrzeugen in der Art erfolgen muß, daß das Voll-
ſtreckungsgericht die zuſtändige Militairbehörde um die Zwangs-
vollſtreckung erſucht 5).
Der Pfändung ſind nicht unterworfen:
a) Der Sold und die Invalidenpenſion der Unteroffiziere und
der Soldaten 6); das Dienſteinkommen der Militairperſonen, welche
zu einem mobilen Truppentheile oder zur Beſatzung eines in Dienſt
[261]§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.
geſtellten Kriegsfahrzeuges gehören 1); ferner das Dienſteinkommen
der Offiziere, Militairärzte, Deckoffiziere, Beamten, ſowie die Pen-
ſion dieſer Perſonen nach deren Verſetzung in einſtweiligen oder
dauernden Ruheſtand und der nach ihrem Tode den Hinterbliebe-
nen zu gewährende Sterbe- oder Gnadengehalt 2). Ueberſteigen
in den zuletzt erwähnten Fällen (§ 749 Ziff. 8) das Dienſtein-
kommen, die Penſion oder die ſonſtigen Bezüge die Summe von
1500 Mark für das Jahr, ſo iſt der dritte Theil des Mehrbe-
trages der Pfändung unterworfen 3); jedoch ſind die Einkünfte,
welche zur Beſtreitung eines Dienſtaufwandes beſtimmt ſind 4) und
der Servis der Offiziere, Militairärzte und Militairbeamten weder
der Pfändung unterworfen noch bei der Ermittelung, ob und zu
welchem Betrage ein Dienſteinkommen der Pfändung unterliege, zu
berechnen 5).
b) Von der Pfändung ſind ferner ausgenommen bei Offi-
zieren, Aerzte, Deckoffizieren und Beamten die zur Ausübung des
Berufs erforderlichen Gegenſtände mit Einſchluß anſtändiger Klei-
dung; ſowie ein Geldbetrag, welcher dem der Pfändung nicht un-
terworfenen Theile des Dienſteinkommens oder der Penſion für
die Zeit von der Pfändung bis zum nächſten Termine der Gehalts-
oder Penſionszahlung gleichkommt 6).
c) Die Haft (zur Erzwingung der Ableiſtung des Offenbarungs-
eides) iſt unſtatthaft gegen Militairperſonen, welche zu einem mo-
bilen Truppentheile oder zur Beſatzung eines in Dienſt geſtell-
ten Kriegsfahrzeuges gehören 7), und demgemäß wird die Haft
gegen Militairperſonen unterbrochen, wenn dieſelben zu einem mo-
bilen Truppentheile oder auf ein in Dienſt geſtelltes Kriegsfahr-
zeug einberufen werden, für die Dauer dieſer Verhältniſſe 8). Die
[262]§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.
Vollſtreckung der Haft gegen eine dem aktiven Heere oder der
aktiven Marine angehörende Militairperſon erfolgt durch die vor-
geſetzte Militairbehörde auf Erſuchen des Gerichts 1).
d) Dieſelben Vorſchriften gelten für die Vollziehung des per-
ſönlichen Sicherheitsarreſtes, wenn ſie durch Haft erfolgt 2).
II.Ausſchluß von öffentlichen Rechten und
Pflichten.
1. Wahlrecht. Für die zum aktiven Heere und zur Ma-
rine gehörigen Perſonen des Soldatenſtandes ruht die Berechtigung
zum Wählen ſowohl in Betreff der Reichsvertretung als in Betreff
der einzelnen Landesvertretungen 3).
2. Vereinsrecht. Den zum aktiven Heere gehörigen
Militairperſonen (alſo auch den Militairbeamten) iſt die Theil-
nahme an politiſchen Vereinen und Verſammlungen unter-
ſagt 4).
3. Gewerbefreiheit. Die Militairperſonen des Frie-
densſtandes (alſo nicht die zum Dienſt einberufenen Perſonen des
Beurlaubtenſtandes) bedürfen zum Betriebe eines Gewerbes für
ſich und für die in Dienſtgebäuden bei ihnen wohnenden Mitglie-
der ihres Hausſtandes der Erlaubniß ihrer Vorgeſetzten, ſofern
nicht das Gewerbe mit der Bewirthſchaftung eines ihnen gehörigen
ländlichen Grundſtücks verbunden iſt 5). Auf die Militairbeamten
[263]§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.
und auf die Civilbeamten der Militair- und Marine-Verwaltung
finden außerdem die Vorſchriften des § 16 des Reichsbeamten-
Geſetzes Anwendung 1). Die Perſonen des Beurlaubtenſtandes
ſind von dieſen Beſchränkungen ausdrücklich ausgenommen 2).
4. Gerichtsdienſte. Die dem activen Heere angehören-
den Militairperſonen werden weder zu dem Amte eines Schöffen
noch zu dem eines Geſchworenen berufen 3).
5. Vormundſchaften. Die Militairperſonen des Frie-
densſtandes und die Civilbeamten der Militairverwaltung ſind von
der geſetzlichen Verpflichtung zur Uebernahme von Vormundſchaf-
ten befreit. Wenn ſie freiwillig Vormundſchaften übernehmen wol-
len, ſo müſſen ſie die Genehmigung ihrer Vorgeſetzten einholen 4).
6. Verwaltungsdienſte in Kommunal- und Kir-
chenämtern. Eine Befreiung der Militairperſonen des aktiven
Heeres von der Uebernahme dieſer Aemter iſt reichsgeſetzlich nicht
anerkannt; es kommen in dieſer Beziehung daher die landesgeſetz-
5)
[264]§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.
lichen Vorſchriften zur Anwendung. Durch die letzteren ſind Mi-
litairperſonen des aktiven Dienſtſtandes regelmäßig entweder von
der Berufung zu ſolchen Aemtern ganz ausgeſchloſſen oder von der
Verpflichtung zu deren Führung befreit. Inſoweit ſolche Aemter
Militairperſonen der erwähnten Art übertragen werden können,
bedürfen die letzteren zur Annahme derſelben der Genehmigung
ihrer Dienſtvorgeſetzten 1).
7. Steuerpflicht. Die Beſteuerung der Militairperſonen
richtet ſich nach den Landesgeſetzen; eine doppelte Beſteuerung der-
ſelben in verſchiedenen Staaten iſt durch das Reichsgeſetz v. 13.
Mai 1870 ausgeſchloſſen 2). Nach § 4 dieſes Geſetzes dürfen Ge-
halt, Penſion und Wartegeld, welche Militairperſonen und Civil-
beamte, ſowie deren Hinterbliebene aus der Kaſſe eines Bundes-
ſtaates beziehen nur in demjenigen Staate beſteuert werden, wel-
cher die Zahlung zu leiſten hat. Da aber die geſammten Koſten
des Heeres und der Marine von der Reichskaſſe beſtritten werden,
ſo iſt dieſe Vorſchrift im Allgemeinen unanwendbar 3). Es kommt
daher der im § 2 Abſ. 3 ausgeſprochene Grundſatz zur Anwen-
dung, daß die in Reichs- oder Staatsdienſten ſtehenden Deutſche
nur in demjenigen Bundesſtaate beſteuert werden, in welchem ſie
ihren dienſtlichen Wohnſitz haben, d. i. für Militairperſonen ihr
Garniſonort 4).
Im Uebrigen gelten für Militairperſonen folgende Steuer-
Privilegien:
[265]§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.
a) Hinſichtlich der Staatsſteuern. Das Militaireinkom-
men der Perſonen des Unteroffizier- und Gemeinenſtandes, ſowie
für den Fall einer Mobilmachung das Militaireinkommen aller An-
gehörigen des aktiven Heeres iſt bei der Veranlagung bezw. Er-
hebung von Staatsſteuern außer Betracht zu laſſen 1). Für die
Beſteuerung des Militaireinkommens der Offiziere und der andern
im Offiziersrang ſtehenden Militairperſonen, ſowie für die Be-
ſteuerung des aus andern Quellen herfließenden Einkommens ſämmt-
licher Militairperſonen enthält die Reichsgeſetzgebung keine Vor-
ſchrift 2); ebenſo iſt die Feſtſtellung eines angemeſſenen Steuer-
nachlaſſes für die Unteroffiziere und Gemeinen des Beurlaubten-
ſtandes und deren Famlilien für die Monate, in welchen jene ſich
im aktiven Dienſt befinden, der Landesgeſetzgebung überlaſſen 3).
b) Hinſichtlich der Kommunalſteuern enthält zwar weder
das Reichsmilitairgeſetz noch ein anderes Reichsgeſetz eine Anord-
nung 4), deſſen ungeachtet beſteht aber in dem größten Theile des
deutſchen Bundesgebietes eine gleichmäßige weitreichende Befreiung
der Militairperſonen von den Gemeinde-, Kreis- und andern Kom-
munalſteuern. Auf Grund des Art. 61 der Verf. des Nordd.
Bundes, welcher die ungeſäumte Einführung der geſammten „Preu-
ßiſchen Militairgeſetzgebung“ im ganzen Bundesgebiete vorſchreibt,
wurden nämlich durch Verordnung des Bundes-Präſidiums vom
22. Dezemb. 1868 die in Preußen geltenden Vorſchriften über die
Heranziehung der Militairperſonen zu Kommunalauflagen im gan-
[266]§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.
zen Gebiet des Norddeutſchen Bundes, ſoweit ſie in demſelben
noch nicht Geltung hatten, eingeführt 1). Die Rechtsgültigkeit dieſer
Verordnung wurde zwar ſofort und von vielen Seiten beſtritten 2),
von der Bundesregierung aber aufrecht erhalten. Die Entſchei-
dung der Frage hängt theoretiſch lediglich davon ab, ob man unter
dem Ausdruck „Militairgeſetzgebung“ auch die Vorſchriften über
Veranlagung und Erhebung von Kommunalſteuern hinſichtlich der
Militairperſonen mitbegreifen kann. Da der Ausdruck „Militair-
geſetzgebung“ eine feſt beſtimmte techniſche Bedeutung nicht hat und
die Protokolle und Reichstags-Verhandlungen über den Entw. der
Norddeutſchen Bundesverf. eine Erläuterung des Umfangs dieſes
Begriffes nicht enthalten, ſo läßt ſich eine zweifelloſe und unbe-
dingte Beantwortung dieſer Frage nicht gewinnen; nach dem Wort-
ſinn und gewöhnlichen Sprachgebrauch wird man allerdings ge-
neigt ſein, den Ausdruck auf die Steuergeſetzgebung nicht aus-
zudehnen, wie ja auch kein Verſuch gemacht wurde, die Vorſchrif-
ten des Preuß. Rechts über die Heranziehung der Militairperſonen
zu den Staatsſteuern im Wege der Präſidialverordnung auf
das Bundesgebiet auszudehnen. Thatſächlich iſt jedoch die Ver-
ordn. v. 22. Dezemb. 1868 im Gebiet des ehemal. Nordd. Bun-
des in Geltung geblieben und durch die Militair-Konventionen 3)
iſt ihr dieſe Geltung bis zu einer Regelung im Wege der Reichs-
geſetzgebung auch rechtlich geſichert worden; auf Grund der Mili-
tairkonventionen iſt außerdem im ganzen Gebiet des Großherz.
Heſſen und in Baden die Freiheit der Militairperſonen von Kom-
munalſteuern in demſelben Umfange, in dem dieſelbe in Preußen
beſteht, geſetzlich anerkannt worden 4).
[267]§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.
In Bayern, Württemberg und Elſaß-Lothrin-
gen iſt dagegen das Preuß. Recht nicht zur Einführung gelangt.
Nach den Vorſchriften des Preuß. Rechts ſind die ſervis-
berechtigten Militairperſonen des aktiven Dienſtſtandes, ſowohl
hinſichtlich ihres dienſtlichen als ſonſtigen Einkommens, voll-
ſtändig befreit von allen direkten Kommunalauflagen, ſowohl
der einzelnen Stadt- und Landgemeinden, als der weiteren kom-
munalen Körperſchaften und der Kreis-, Kommunal- und Provin-
zialverbände. Ausgenommen ſind die auf den Grundbeſitz oder das
ſtehende Gewerbe oder auf das aus dieſen Quellen fließende Ein-
kommen gelegten Kommunallaſten, zu dem die Militairperſo-
nen herangezogen werden können, falls ſie in dem Kommunal-
bezirk Grundbeſitz haben oder ein ſtehendes Gewerbe betreiben 1).
Demgemäß erſtreckt ſich die Steuer-Befreiung nicht auf das Ein-
kommen der Militairärzte aus einer Civilpraxis. Die mit Ruhe-
gehalt oder mit Penſion zur Dispoſition geſtellten Offiziere ſind
von allen direkten Kommunalauflagen befreit hinſichtlich ihrer Ge-
halts- und ſonſtigen dienſtlichen Bezüge; die verabſchiedeten Be-
amten und Militairperſonen hinſichtlich ihrer aus Staatsfonds
oder ſonſtigen öffentlichen Kaſſen zahlbaren Penſionen und laufen-
den Unterſtützungsbezüge 2).
c) Gleichmäßig für Staatsſteuern und Kommunal-
Abgaben beſteht die reichsgeſetzliche Vorſchrift, daß diejenigen
Begünſtigungen, welche nach der Geſetzgebung der einzelnen Bun-
4)
[268]§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.
desſtaaten den Hinterbliebenen von Staatsbeamten hinſichtlich der
Beſteuerung der aus Staatsfonds oder aus öffentlichen Verſor-
gungskaſſen denſelben gewährten Penſionen, Unterſtützungen oder
ſonſtigen Zuwendungen zuſtehen, auch zu Gunſten der Hinter-
bliebenen von Militairperſonen hinſichtlich der denſelben
aus Reichs- oder Staatsfonds oder aus öffentlichen Verſorgungs-
kaſſen zufließenden gleichartigen Bezüge Anwendung finden 1).
8) Endlich ſind hier die Portovergünſtigungen zu er-
wähnen, welche den Perſonen des Militairſtandes und der Kriegs-
marine bewilligt ſind 2).
III.Beſondere Vorſchriften hinſichtlich der
Rechtsgeſchäfte.
1. Eheſchließung. Die Militairperſonen des Friedens-
ſtandes bedürfen zu ihrer Verheirathung der Genehmigung ihres
Vorgeſetzten 3). Daſſelbe gilt von den vorläufig in die Heimath
beurlaubten Rekruten und Freiwilligen 4). Dagegen ſind die übri-
gen Perſonen des Beurlaubtenſtandes rückſichtlich ihrer Verhei-
rathung einer geſetzlichen Beſchränkung nicht unterworfen 5). Dieſe
Vorſchriften ſind aufrecht erhalten im Reichsgeſ. v. 6. Februar
1875 über die Eheſchließung § 38. Offiziere haben die Ertheilung
der Genehmigung ſowohl in der Preußiſchen, wie in der Bayer.
Württembergiſchen und Sächſ. Armee bei ihrem Könige nachzu-
ſuchen 6). Nach den gegenwärtig in Preußen geltenden Anordnun-
gen darf die Genehmigung zur Verheirathung eines Offiziers vom
Hauptmann oder Rittmeiſter II. Kl. abwärts nur dann nachgeſucht
werden, wenn der Nachweis geführt iſt, daß der Offizier neben
ſeiner Beſoldung ein Einkommen von 250 Thlr.; 450 Thlr. reſp.
600 Thlr. jährlich hat 7). Außerdem müſſen alle aktiven und z.
[269]§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.
D. geſtellten Offiziere eine Wittwen-Penſion verſichern 1). Unter-
offiziere und Soldaten haben den Eheconſens durch ihren Kom-
pagnie-Chef bei dem Regiments-Kommandeur nachzuſuchen 2); die
allgemeinen Bedingungen ſind unbeſcholtener Lebenswandel der
Braut, die Nachweiſung der Mittel zur erſten häuslichen Einrich-
tung und Deponirung eines Kapitals von 100 Thlrn. in die Kaſſe
des Truppentheils 3).
Wenn Militairperſonen eine Ehe eingehen, ohne die erforder-
liche Genehmigung erhalten zu haben, ſo iſt der Mangel der Ge-
nehmigung auf die Rechtsgültigkeit der geſchloſſenen Ehe ohne Ein-
fluß 4); die Militairperſon begeht aber eine Pflichtwidrigkeit. An
Perſonen des Soldatenſtandes iſt dieſelbe gemäß dem Milit.Straf-
geſetzb. § 150 mit Feſtungshaft bis zu 3 Monaten zu beſtrafen;
zugleich kann auf Dienſtentlaſſung erkannt werden. Auf Militair-
beamte und auf die vorläufig in die Heimath beurlaubten Rekru-
ten und Freiwilligen erſtreckt ſich dieſer Paragraph nicht; dieſelben
können daher nur im Disciplinarwege beſtraft werden 5).
2. Rechtsgeſchäfte des Vermögensverkehrs. Die
in den Landesgeſetzen enthaltenen ſingulären Vorſchriften für ver-
mögensrechtliche Geſchäfte der Militairperſonen hat das Reichs-
Militairgeſetz im Allgemeinen unberührt gelaſſen; denn es enthält
weder eine ausdrückliche Aufhebung derſelben noch eine Andeutung,
daß es das Sonderrecht der Militairperſonen hinſichtlich der pri-
vatrechtlichen Verhältniſſe in vollſtändiger und ausſchließender Weiſe
normiren will 6). In Kraft geblieben ſind daher insbeſondere die
7)
[270]§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.
Vorſchriften des Preußiſchen Rechts über die Darlehensverträge
der Militairperſonen 1), über die Aufhebung von Miethsverträgen
bei Verſetzungen und beim Ausrücken der Truppen in’s Feld 2),
über die Verjährung gegen Militairperſonen, welche des Krieges
wegen ihre Garniſon verlaſſen müſſen 3).
Aufgehoben ſind jedoch die landesgeſetzlich für einzelne Klaſſen
von Militairperſonen beſtehenden Beſchränkungen hinſichtlich der
Erwerbung, Veräußerung und Belaſtung von Grundſtücken 4).
Außerdem iſt hier zu erwähnen, daß die Militairperſonen den An-
ſpruch auf Zahlung von Dienſt-Einkünften, Wartegeldern oder Pen-
ſionen mit rechtlicher Wirkung nur inſoweit abtreten, verpfänden
oder ſonſt übertragen können, als eine Beſchlagnahme im Falle
einer Zwangsvollſtreckung zuläſſig geweſen wäre 5). Die Benachrichti-
gung an die auszahlende Kaſſe geſchieht durch eine der Kaſſe aus-
zuhändigende öffentliche Urkunde 6).
3. Verfügungen von Todeswegen. Alle Vor-
ſchriften der Partikularrechte mit Einſchluß des römiſchen Rechts
über Soldaten-Teſtamente und über andere erbrechtliche Privi-
legien der Militairperſonen ſind ausnahmslos und im vollen
Umfang aufgehoben und durch die Vorſchriften des § 44 des Mi-
lit.Geſetzes erſetzt worden 7). Die in dieſem Geſetz ſanctionirten
[271]§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.
Rechtsregeln haben aber keinen inneren Zuſammenhang mit dem
militairiſchen Dienſtverhältniß. Denn ſie gewähren die Befug-
niß, unter beſonders erleichterten Formen letztwillige Verordnungen
zu errichten, den Militairperſonen und Civilbeamten der Militair-
verwaltung nur in Kriegszeiten oder während eines Belagerungs-
zuſtandes und nur von dem Zeitpunkte an, wo ſie ihre Stand-
quartiere oder bisherigen Wohnorte im Dienſte verlaſſen oder in
denſelben angegriffen oder belagert werden; unter den gleichen
Verhältniſſen ſteht dieſelbe Befugniß aber allen Perſonen zu, welche
nach §§. 155—158 des Milit.Strafgeſetzb. den Militairgeſetzen
unterworfen ſind, ſowie den Kriegsgefangenen und Geißeln, ſo
lange ſie ſich in der Gewalt des Feindes befinden; endlich ver-
lieren privilegierte militairiſche letzwill. Verfügungen ihre Gültig-
keit mit dem Ablauf eines Jahres von dem Tage ab, an welchem
der Truppentheil, zu dem der Teſtator gehört, demobil gemacht
iſt, oder der Teſtator aufgehört hat zu dem mobilen Truppentheil
zu gehören oder als Kriegsgefangener oder Geißel aus der Ge-
walt des Feindes entlaſſen iſt 1). Die Formen, unter denen unter
den angegebenen Vorausſetzungen letztwillige Verfügungen errichtet
werden können, ſind entweder eigenhändige Niederſchrift und Unter-
ſchrift durch den Teſtator oder Unterzeichnung der Willenserklärung
durch den Teſtator und durch zwei Zeugen oder ſtatt der letzteren
durch einen Auditeur oder Offizier, oder endlich mündliche Erklä-
rung des letzten Willens zu Protokoll, welches von einem Audi-
teur oder Offizier unter Zuziehung zweier Zeugen oder noch eines
Auditeurs oder Offiziers aufgenommen, dem Teſtator vorgeleſen
und von dem Auditeur oder Offizier und den Zeugen unterſchrie-
ben iſt 2).
4. Verrichtungen der Standesbeamten. Im An-
ſchluß an die Vorſchriften über die Errichtung letztwilliger Ver-
fügungen ſind die beſonderen Regeln über die Beurkundung
des Perſonenſtandes von Militairperſonen zu er-
[272]§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.
wähnen. Das Reichsgeſetz über die Beurkundung des Perſonen-
ſtandes und die Eheſchließung v. 6. Febr. 1875 hat im § 71 an-
geordnet, daß durch Kaiſerliche Verordnung beſtimmt werden ſolle,
in welcher Weiſe die Verrichtungen der Standesbeamten in Be-
zug auf ſolche Militairperſonen wahrzunehmen ſind, welche ihr
Standquartier nicht innerhalb des Deutſchen Reichs, oder dasſelbe
nach eingetretener Mobilmachung verlaſſen haben, oder welche ſich
auf den in Dienſt geſtellten Fahrzeugen der Marine befinden.
Auf Grund dieſer Delegation ſind folgende Anordnungen erlaſſen
worden:
a) Die Kaiſerl. Verordn. v. 4. November 1875 1) betrifft
die Sterbefälle von Militairperſonen auf den in Dienſt ge-
ſtellten Schiffen oder andern Fahrzeugen der Kaiſerl. Marine; ſie
beſtimmt, daß das Kommando des Schiffes eine Urkunde über
den Sterbefall aufzunehmen und an das zuſtändige Marine-Sta-
tionskommando einzuſenden hat, welches die Anzeige von dem
Sterbefalle unter Ueberſendung der erwähnten Urkunde demjenigen
Standesbeamten zu erſtatten hat, in deſſen Bezirk der Verſtorbene
ſeinen letzten Wohnſitz gehabt hat.
b) Die Kaiſerl. Verordnung v. 20. Januar 1879 2) betrifft
die Beurkundung der Geburten, Eheſchließung und Sterbe-
fälle in Bezug auf die zum Heere gehörenden Militairperſonen,
welche ihr Standquartier nach eingetretener Mobilmachung verlaſſen
haben; ſie findet auch Anwendung auf alle diejenigen Perſonen,
welche ſich während der Dauer einer Mobilmachung in irgend
einem Dienſt- oder Vertragsverhältniſſe bei dem Heere befinden
oder ſonſt ſich bei demſelben aufhalten oder ihm folgen, einſchließl.
von Kriegsgefangenen 3). Bei der Beurkundung von Geburten,
welche ſich innerhalb des Gebiets des Deutſchen Reichs ereignen,
ſind die allgemeinen geſetzlichen Beſtimmungen maßgebend; erfolgt
die Geburt außerhalb des Reichsgebietes, ſo geſchieht die Anzeige
an den Standesbeamten durch Vermittlung des Kommandeurs der-
jenigen Truppe oder Behörde, bei welcher ſich die Mutter bei ihrer
Niederkunft aufhielt oder vor ihrer Niederkunft zuletzt aufgehalten
[273]§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.
hat 1). Für die Eheſchließung von Militairperſonen, welche
ihr Standquartier nach eingetretener Mobilmachung verlaſſen ha-
ben, gelten die allgemeinen geſetzl. Beſtimmungen, wenn ſie inner-
halb des Gebiets des Deutſchen Reiches erfolgt, nur iſt außer
den im § 42 des Geſetzes v. 6. Febr. 1875 genannten zuſtändigen
Standesbeamten auch derjenige zuſtändig, in deſſen Bezirk der
Verlobte ſeinen augenblicklichen dienſtlichen Aufenthalt hat 2). Da-
gegen können die Diviſions-Kommandeure (ſowie die mit höheren
oder gleichen Befugniſſen ausgerüſteten Militairbefehlshaber) für
Eheſchließungen der ihnen untergebenen Militairperſonen,
wenn dieſelben außerhalb des Gebiets des Deutſchen
Reichs erfolgen, die Verrichtungen der Standesbeamten einem
oberen Militairbeamten 3) als Stellvertreter des zuſtändigen
Standesbeamten 4) übertragen. Dem letztern iſt von den Verlob-
ten die Dispenſation von dem Aufgebot oder eine Beſcheinigung
des zuſtändigen Standesbeamten über das erfolgte Aufgebot und
daß Ehehinderniſſe nicht zu ſeiner Kenntniß gekommen ſind, vorzu-
legen, worauf derſelbe über die Eheſchließung eine Urkunde auf-
nimmt, welche die im § 54 des Geſetzes v. 6. Febr. 1875 be-
ſtimmten Angaben enthalten ſoll. Auf dieſer Urkunde hat der
Militairbefehlshaber (Diviſions-Kommandeur), welcher den Stell-
vertreter beſtellt hat, dieſe Beſtellung zu beſcheinigen; dieſelbe iſt
alsdann dem zuſtändigen (oder einem von mehreren zuſtändigen)
Standesbeamten behufs der Eintragung in das Heirathsregiſter
zu überſenden. Eine Abſchrift der Urkunde wird bei der Militair-
behörde aufbewahrt 5). Für die Beurkundung der Sterbefälle
von Militairperſonen, welche ihr Standquartier nach eingetretener
Mobilmachung verlaſſen haben, macht es keinen Unterſchied, ob
Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 18
[274]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
die Sterbefälle innerhalb oder außerhalb des Gebiets des Deut-
ſchen Reichs erfolgen. Die Eintragung in das Sterberegiſter er-
folgt [auf] Grund einer ſchriftlichen dienſtlich beglaubigten
Anzeige, welche einen Vermerk über die Todesurſache enthalten
ſoll und welche zu erſtatten iſt, ſobald der Sterbefall und die Per-
ſönlichkeit des Verſtorbenen durch dienſtliche Ermittelung feſtgeſtellt
iſt 1). Die Anzeige erfolgt durch den Vorſtand der Militairbehörde
beziehentl. durch den Regiments-Kommandeur oder den in gleichem
Verhältniß ſtehenden Befehlshaber der Truppe oder durch den
Kommandeur des betreffenden Erſatztruppentheils 2). Sobald die
Militairperſonen in ihr [Standquartier] zurückgekehrt ſind, oder
nachdem die Truppe (Behörde), zu welcher ſie gehörten, demobil
geworden oder aufgelöſt iſt, kommen die allgemeinen geſetzlichen
Beſtimmungen zur Anwendung 3).
§ 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer
Hinterbliebenen*).
I.Allgemeine Geſichtspunkte.
1. Die Verpflichtung zur Verſorgung der durch den Militair-
dienſt invalide oder erwerbsunfähig gewordenen Perſonen liegt
allgemeinen Rechtsgrundſätzen gemäß demjenigen ob, welchem die
Militairdienſte geleiſtet worden ſind. Da nun ein Militair-Dienſt-
verhältniß zum Reiche, abgeſehen von der Marine, nicht beſteht,
ſondern die Armee aus Kontingenten der Bundesſtaaten zuſammen-
geſetzt iſt, ſo richtet ſich auch der Rechtsanſpruch auf Penſion wegen
geleiſteter Militairdienſte nicht gegen das Reich, ſondern gegen
denjenigen Bundesſtaat, in deſſen Kontingent die Militairdienſtpflicht
erfüllt worden iſt. Die Ausgaben für das geſammte Reichsheer
und deſſen Einrichtungen ſind aber nach der Reichsverf. Art. 62
vollſtändig auf die Reichskaſſe übernommen worden; der Reichs-
[275]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
fiskus hat ſonach den Einzelſtaaten diejenigen Beträge zu über-
weiſen, welche dieſelben zur Verſorgung der Militairperſonen (reſp.
ihrer Hinterbliebenen) aufzuwenden haben und die für dieſen Zweck
erforderlichen Summen ſind in den Reichsetat aufzunehmen. Aus
der materiellen Uebertragung dieſer Koſten von den Kaſſen der
Einzelſtaaten auf die Reichskaſſe, ſowie aus der im Uebrigen durch-
geführten Einheitlichkeit der Heeresorganiſation und der Armee-
Einrichtungen folgt, daß auch die Grundſätze über die Verſorgung
der Militairperſonen für alle Kontingente gleichmäßige und ein-
heitlich normirte ſein müſſen. Zu der nach der Verfaſſung des
Nordd. Bundes Art. 61 im ganzen Bundesgebiete einzuführenden
Preußiſchen Militairgeſetzgebung gehörte deshalb auch das Preußi-
ſche Militair-Penſionsrecht. Dasſelbe beruhte in Betreff der Of-
fiziere und oberen Militairbeamten auf dem Militair-Pen-
ſionsreglement vom 13. Juni 1825, zu welchem zahl-
reiche Ergänzungen und Erläuterungen hinzu gekommen ſind 1).
Im Wege der Geſetzgebung geregelt war dagegen die Verſorgung
der Militairperſonen der Unterklaſſen vom Oberfeuerwerker ꝛc. ab-
wärts durch das Geſetz v. 6. Juli 18652), welches durch Geſ.
v. 9. Febr. 1867 ergänzt worden iſt 3), und außerdem die Pen-
ſions erhöhung für die im Kriege invalide gewordenen oder
durch den Militairdienſt verſtümmelten oder erblindeten Offiziere
und oberen Militairbeamten, und die Unterſtützung der Wittwen
und Kinder der im Kriege gebliebenen Militairperſonen desſelben
Ranges durch Geſ. v. 16. Oktob. 18664), welches ebenfalls
durch das erwähnte Geſ. v. 9. Febr. 1867 einige Erweiterungen
erhalten hat. In Betreff der Militairperſonen der Marine
war durch eine Königl. Kab.Ordre v. 16. Dezemb. 1863 beſtimmt
worden, daß ſie hinſichtlich der Penſionirung den Militairperſonen
des Heeres durchweg gleichgeſtellt werden. Die Einführung dieſer
18*
[276]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
Vorſchriften in den übrigen Staaten des Norddeutſchen Bundes iſt
nicht durch Präſidialverordnung erfolgt, ſondern den einzelnen
Staaten überlaſſen worden. Vgl. oben S. 23.
Bei der Uebernahme der Heeres-Kontingente der Bundes-
ſtaaten in Preußiſche Verwaltung iſt die Verpflichtung zur Zahlung
ſämmtlicher von dieſen Staaten zu zahlenden Militairpenſionen oder
Unterſtützungen an Hinterbliebene auf Preußen übergegangen 1);
die Militairkonventionen enthalten die Anerkennung dieſes Satzes 2).
Außerdem beſtimmen dieſelben, daß die in Zukunft zu penſioniren-
den Militairperſonen, welche bei Uebernahme der Kontingente
bereits eine Anſtellung in Militairdienſten hatten, nach Preußi-
ſchen Normen zu penſioniren ſind, daß ſie aber mindeſtens den-
jenigen Penſionsbetrag zu erhalten haben, welcher ihnen zu dem
Zeitpunkte des Inkrafttretens der Konvention nach den für das
betreffende Kontingent geltenden Vorſchriften zugeſtanden haben
würde 3).
Auch den Angehörigen der vormaligen im Jahre 1851 auf-
gelöſten Schleswig-Holſtein’ſchen Armee wurden vom Norddeutſchen
Bunde Penſionen bewilligt, welche nach Maßgabe der für die Preuß.
Armee geltenden Vorſchriften ſich berechnen 4).
Nach der Beendigung des Franzöſ. Krieges wurde das Mi-
[277]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
litairverſorgungsweſen in einem umfaſſenden und für das ganze
Reich geltenden Geſetze geregelt, welches ſowohl materiell als for-
mell auf den älteren Preuß. Vorſchriften beruht 1). Es iſt dieß
das Reichs-Geſetz, betreffend die Penſionirung und Verſorgung der
Militairperſonen des Reichsheeres und der Kaiſerl. Marine, ſowie
die Bewilligungen für die Hinterbliebenen ſolcher Perſonen, v. 27.
Juni 1871 2). Schon wenige Jahre darauf ſtellte ſich das Be-
dürfniß nach zahlreichen Abänderungen und Ergänzungen der Be-
ſtimmungen dieſes Geſetzes heraus; dieſelben ſind erfolgt durch
das Reichsgeſetz v. 4. April 1874 3). Den in dieſen beiden Reichs-
geſetzen enthaltenen Beſtimmungen wurde rückwirkende Kraft bei-
gelegt hinſichtlich der Theilnehmer am Kriege des Jahres 1870/71,
auch wenn ſie bereits vor dem Inkrafttreten des Penſionsgeſetzes
verabſchiedet worden waren 4); jedoch mit der Maßgabe, daß die
denſelben hiernach zu bewilligenden Penſionen nicht hinter dem
Betrage zurückbleiben, welcher ihnen bei etwaiger Penſionirung
vor Erlaß des Reichsgeſetzes bereits zugeſtanden haben würde 5).
Auf alle übrigen, vor dem Inkrafttreten des Geſ. v. 27. Juni
1871 bereits aus dem Heere oder der Marine ausgeſchiedenen
Perſonen finden die älteren Rechtsvorſchriften Anwendung; ausge-
nommen die Beſtimmungen des Reichsgeſetzes über Zahlbarkeit,
Kürzung, Einziehung und Wiedergewährung von Penſionen, ſo-
[278]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
weit nicht die älteren Beſtimmungen für die Penſionäre günſtiger
ſind 1).
2. Die Verpflichtung des Staates zur Verſorgung der Mili-
tairperſonen beruht darauf, daß der Militairdienſt den Betrieb
einer andern Erwerbsthätigkeit ſtört oder ganz verhindert. Dies
geſchieht aber in doppelter Weiſe, theils dadurch, daß während
der Leiſtung des Militairdienſtes, alſo während der Dienſtzeit,
die Erfüllung jedes andern Lebensberufes unthunlich iſt, theils da-
durch, daß der Militairdienſt mit Gefahren für die Geſundheit
verbunden iſt, daß alſo in Folge desſelben eine dauernde Störung
der Erwerbsfähigkeit und unter Umſtänden noch überdies eine be-
ſondere Pflegebedürftigkeit eintreten kann. Das Penſionsgeſetz er-
kennt demgemäß zwei verſchiedene Grundlagen für die Verſorgungs-
Anſprüche an, die Dienſtzeit und die Dienſtbeſchädi-
gung.
Der erſte dieſer Gründe der ſtaatlichen Verſorgungspflicht ſteht
in einer engen Beziehung zum Rechtsgrunde der Militairdienſt-
pflicht. Die Störung in dem Aufſuchen von Erwerbsquellen durch
den Militairdienſt wird nämlich nur dann als erheblich genug er-
achtet um eine Verſorgungspflicht des Staates zu begründen, wenn
der Dienſt lange Zeit hindurch geleiſtet worden iſt. Sowie den
Beamten nach dem Reichsgeſ. v. 31. März 1873 § 34 der An-
ſpruch auf Penſion nur nach einer Dienſtzeit von wenigſtens 10
Jahren zuſteht, ſo auch den Offizieren nur nach 10jähriger, den
zur Klaſſe der Unteroffiziere und Gemeinen gehörenden Perſonen
nach achtjähriger Dienſtzeit 2). Dieſe Zeiträume ſind bedeutend
größer als die Zeit des aktiven Militairdienſtes auf Grund der
geſetzlichen Wehrpflicht im Frieden; die geſetzliche aktive Friedens-
Dienſtzeit iſt in allen Fällen viel zu kurz, als daß der Staat
durch ſie einen Verſorgungs-Anſpruch für rechtlich begründet aner-
kennt. Das Militairverhältniß der Perſonen des Beurlaubten-
ſtandes aber involvirt überhaupt keine ſo eingreifende Beſchränkung
[279]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
der Handlungsfreiheit und Erwerbsthätigkeit, daß der Staat dafür
eine Verſorgungspflicht übernähme. Für alle Klaſſen des Beur-
laubtenſtandes iſt vielmehr reichsgeſetzlich der Grundſatz anerkannt,
daß ſie den Anſpruch auf eine Invaliden-Verſorgung nicht auf
Grund der Dienſtzeit, ſondern lediglich durch eine im Militairdienſt
erlittene Verwundung oder Beſchädigung erwerben 1).
Die Erfüllung der geſetzlichen Wehrpflicht als ſolche
begründet daher überhaupt gar keinen Anſpruch auf Verſorgung.
Dagegen erzeugt die Erfüllung der berufsmäßigen, alſo
freiwillig übernommenen Dienſtpflicht einen nach Verhältniß der
Dienſtzeit bemeſſenen Verſorgungs-Anſpruch. Der Anſpruch auf
Grund der Dienſtzeit iſt demnach ſeinem juriſtiſchen Weſen nach
ein Anſpruch auf Grund des berufsmäßigen Militairdienſtes. Er
ſteht begrifflich dem Verſorgungs-Anſpruch der Beamten auf Grund
ihres berufsmäßigen Staatsdienſtes ganz gleich; er iſt wie dieſer
ein Anſpruch auf Fortgewährung des ſtandesmäßigen Lebensunter-
haltes auch für die Zeit, in welcher die wirkliche Leiſtung der
Militairdienſte wegen Invalidität nicht mehr erfolgen kann 2).
Daß die Invalidität in Folge des Militairdienſtes ent-
ſtanden ſei, iſt keine Vorausſetzung dieſes Anſpruchs.
Der andere Verpflichtungsgrund des Staates dagegen hat
keinen Zuſammenhang mit dem Rechtsgrund der Dienſtpflicht, ſon-
dern mit der thatſächlichen Beſchaffenheit der Dienſte, mit ihrer
Gefährlichkeit für die Geſundheit und Erwerbsfähigkeit. Der Staat
erkennt die Verpflichtung an, für die bei Ausübung des aktiven
Militairdienſtes erlittenen Beſchädigungen einen pekuniären Erſatz
zu leiſten, das von ihm aufgenöthigte periculum — wenigſtens
theilweiſe — zu übernehmen. Dies findet ganz gleichmäßige An-
wendung auf alle Perſonen, welche ſich den mit dem Militairdienſt
verbundenen Gefahren ausſetzen müſſen, gleichviel ob ſie die Ver-
pflichtung hierzu freiwillig (vertragsmäßig) übernommen haben oder
ob ſie ihnen durch Geſetz auferlegt worden iſt. Dieſe Entſchädi-
[280]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
gungs-Anſprüche ſind demnach auch nicht durch eine Dienſtzeit von
beſtimmter Dauer bedingt 1). Bei einer conſequenten Durchfüh-
rung des Rechtsgedankens, auf welchem dieſe Anſprüche beruhen,
müßte auch das Maß der Entſchädigung von der Länge der Dienſt-
zeit unabhängig ſein und ſich allein nach der Schwere der Beſchä-
digung und dem Grade der Erwerbsſtörung beſtimmen. Allein
praktiſch iſt dies nur für die durch den Krieg herbeigeführte
Invalidität und außerdem für die Fälle ſchwerer Beſchädigungen
inſoweit feſtgehalten, als in dieſen Fällen ohne alle Rückſicht auf
die Dienſtzeit beſtimmte Erhöhungen der Penſion gewährt werden 2).
In den übrigen Fällen beſtimmt ſich die Höhe der Penſion, auch
wenn ſie auf Grund der Dienſtbeſchädigung beanſprucht wird, nach
der Dienſtzeit; denn eine Abſchätzung der durch die Dienſtbeſchädi-
gung eingetretenen Erwerbsſtörungen iſt praktiſch unausführbar.
Zur Begründung dieſer Anſprüche iſt der Cauſalzuſammen-
hang zwiſchen der Leiſtung des Militairdienſtes und der eingetre-
tenen Beſchädigung weſentliche Vorausſetzung. Derſelbe wird durch
die Bezeichnung der Beſchädigung als Dienſtbeſchädigung angedeu-
tet. Ein ſolcher Cauſalzuſammenhang iſt vorhanden zunächſt bei
jeder Verwundung und anderen äußeren Beſchädigung, welche
bei Ausübung des aktiven Militairdienſtes im Kriege oder Frieden
ohne eigene Verſchuldung erlitten worden iſt 3). Als Dienſtbe-
ſchädigung gilt aber ferner jede anderweite, nachweisbar durch die
Eigenthümlichkeiten des Militäirdienſtes, ſowie durch epidemiſche
oder endemiſche Krankheiten, welche an dem zum dienſtlichen Auf-
enthalt angewieſenen Orte herrſchen (insbeſondere durch die kon-
tagiöſe Augenkrankheit) hervorgerufene bleibende Störung der Ge-
ſundheit 4). Dieſe Störung muß der obigen Ausführung gemäß
[281]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
von der Art ſein, daß ſie die Erwerbsfähigkeit des Beſchä-
digten beeinträchtigt. Dieß iſt auch für die Perſonen der Unter-
klaſſen im Penſionsgeſetz anerkannt 1); dagegen für Offiziere und
im Offiziersrange ſtehende Militairärzte iſt der Anſpruch nur da-
von abhängig gemacht, daß durch die Verwundung oder Geſund-
heitsſtörung die Militair-Dienſtfähigkeit ſowohl für den
Dienſt im Felde als auch in der Garniſon aufgehoben wird 2).
Bei den Offizieren ꝛc. der Marine gilt als Dienſtbeſchädigung au-
ßerdem auch die, lediglich und nachweislich auf die klimatiſchen
Einflüſſe bei Seereiſen, insbeſondere in Folge längeren Aufenthaltes
in den Tropen, zurückzuführende bleibende Störung der Geſund-
heit, wenn dadurch die Dienſtfähigkeit für den Seedienſt auf-
gehoben wird 3).
Die Entſcheidung der Frage, ob eine Dienſtbeſchädigung vor-
handen, erfolgt nicht im Rechtswege, ſondern durch die oberſte
Militair-Verwaltungsbehörde des Kontingents und bei den Per-
ſonen der Unterklaſſen muß die Thatſache der erlittenen Dienſtbe-
ſchädigung durch dienſtliche Erhebungen nachgewieſen ſein 4). Ueber
das Verfahren bei Beurtheilung der Militair-Dienſtfähigkeit und
4)
[282]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
bei Ausſtellung von Atteſten iſt von dem Preuß. Kriegsminiſterium
am 8. April 1877 eine ausführliche Dienſtanweiſung erlaſſen
worden 1).
Iſt die Beſchädigung von der Art, daß eine Beſſerung des
Zuſtandes erwartet werden kann, ſo wird die Verſorgung nur auf
Zeit bis zur Wiederherſtellung der Dienſtfähigkeit reſp. Erwerbs-
fähigkeit bewilligt, ſofern nicht bereits die zum Penſionsanſpruch
berechtigende Dienſtzeit von 10 beziehentl. 8 Jahren vollendet iſt 2).
Offizieren (mit Einſchluß der Sanitäts-Offiziere) wird jedoch die
Penſion ſtets auf Lebenszeit gewährt, wenn die Urſache der In-
validität in einer vor dem Feinde erlittenen Verwundung oder
äußerlichen Beſchädigung beruht 3). Auf die Temporärinvaliden
der Unterklaſſen ſind die Vorſchriften des Penſionsgeſetzes ſo lange
ohne Einſchränkung maßgebend, bis ihrem Zuſtande nach definitiv
über ſie entſchieden wird, und ſie bleiben verſorgungsberechtigt bis
zur Rückkehr der Felddienſt fähigkeit 4).
Den Soldaten, welche ſich in der zweiten Klaſſe des Solda-
tenſtandes befinden, iſt ein Rechtsanſpruch auf Invalidenverſorgung
nur in dem Falle zugeſtanden, wenn ſie vor dem Feinde verwun-
det und in Folge deſſen invalide ſind. Den übrigen Soldaten
der zweiten Klaſſe kann jedoch im Falle der Bedürftigkeit unter
beſchränkenden Vorausſetzungen eine Unterſtützung gewährt wer-
den 5).
3. Obgleich der militairiſche Rang des Verſorgungsberechtig-
ten für die juriſtiſche Begründung und den Rechtscharakter des
Verſorgungsanſpruchs unerheblich und nur für die Höhe des Pen-
[283]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
ſions-Betrages von Belang iſt, ſo beſteht doch eine eingreifende
Verſchiedenheit in der Behandlung der Militair-Perſonen von Of-
fiziersrang und der zur Klaſſe der Unteroffiziere und Gemeinen ge-
hörenden Perſonen. Dieſer Unterſchied beruht auf der bereits
oben S. 212 hervorgehobenen ſpezifiſchen Verſchiedenheit des höhe-
ren und des niederen berufsmäßigen Militairdienſtes. Der höhere
Militairdienſt iſt ein Lebensberuf im vollen Sinne des Wortes;
der Anſpruch, aus demſelben auszuſcheiden und eine lebenslängliche
Penſion zu beziehen, iſt daher an die Vorausſetzung der Untaug-
lichkeit zur Fortleiſtung des Dienſtes (Invalidität) geknüpft 1) und
nur Perſonen, welche das 60. Lebensjahr zurückgelegt haben, ſind
bei Nachſuchung ihrer Verabſchiedung mit Penſion von dem Nach-
weiſe der Invalidität befreit 2). Dagegen iſt der niedere Mili-
tairdienſt der Regel nach kein Beruf, der das ganze Leben erfüllt,
ſondern er wird nur für einen gewiſſen Zeitraum mit der Aus-
ſicht oder dem Vorbehalt des Uebertritts in eine andere Erwerbs-
ſtellung übernommen 3). Dem entſprechend iſt der Anſpruch auf
Penſion mit dem Ablauf einer gewiſſen Dienſtzeit begründet auch
ohne Nachweis der Invalidität. Dieſe Dienſtzeit beträgt 18
Jahre und der Anſpruch auf Penſion wächſt mit einer Verlänge-
rung der Dienſtzeit, mag im Laufe derſelben die Invalidität ein-
treten 5) oder nicht 6). Außerdem aber findet auf dieſe Perſonen
noch eine weſentlich andere Art der Verſorgung ſtatt, wie die Pen-
ſionszahlung, nämlich die Anſtellung im Civildienſt oder
Garniſondienſt 7). Der Uebertritt in den Beamtendienſt ſteht am
Ende der Militairdienſtzeit; die Eröffnung einer bürgerlichen Be-
rufsſtellung entſchädigt die Militairperſonen der Unteroffiziers-
klaſſen dafür, daß ſie eine Anzahl von Lebensjahren dem Militair-
dienſt gewidmet haben; der Staat reſervirt ihnen eine große An-
zahl von dazu geeigneten Amtsſtellungen behufs ihrer Verſorgung,
4)
[284]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
ſo daß der Weg zur Erlangung dieſer Aemter zum großen Theil
nur durch den niederen Militairdienſt hindurch führt. Dadurch
ändert aber auch die Penſionszahlung ſelbſt theilweiſe ihren Cha-
rakter. Denn abgeſehen von den ſchweren Fällen gänzlicher Er-
werbsunfähigkeit iſt die Penſion nicht dazu beſtimmt, ausreichende
Mittel für den vollen Lebensunterhalt zu gewähren, ſondern ſie
bildet einen Zuſchuß zu anderen Einnahmen, deſſen Höhe nach den
verſchiedenen dabei in Betracht kommenden Momenten vielfach ab-
geſtuft iſt.
Auf den hervorgehobenen Unterſchieden, ſowie auf der abwei-
chenden Art und Weiſe, in welcher der Anſpruch auf Invaliden-
verſorgung bei den Perſonen von Offizierrang und denen der un-
teren Klaſſen feſtgeſtellt wird, beruht es, daß das Penſionsgeſetz
in zwei abgeſonderten Theilen die Penſionirung der Offiziere ꝛc.
und die Verſorgung der Militairperſonen der Unterklaſſen behan-
delt 1).
II.Die Berechnung der eigentlichen Penſion.
Die Höhe der Penſion bemißt ſich nach der Dienſtzeit und
dem Dienſteinkommen und nach einer auf dieſen beiden Fak-
toren beruhenden, jedoch für die verſchiedenen Klaſſen von Mili-
tairperſonen ungleichen Abſtufung.
1. Die Dienſtzeit2). Dieſelbe wird berechnet vom Tage
des Eintritts in den Dienſt bis zu dem Tage, an welchem die
Ordre der Verabſchiedung oder Dispoſitionsſtellung ergangen iſt 3).
Die im Civildienſte des Reiches oder eines Bundesſtaates zuge-
brachte Zeit wird mit in Anrechnung gebracht; bei den Perſonen
des Beurlaubtenſtandes jedoch nur dann, wenn ſie ſich bei ihrer
Militair-Penſionirung nicht mehr im aktiven Civildienſt befinden.
[285]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
Ob auch die Zeit des Gemeinde-, Kirchen-, Schul- oder landes-
herrl. Haus- oder Hofdienſtes anzurechnen ſei, iſt dem Befinden
der oberſten Militairverwaltung des Kontingents überlaſſen, in
keinem Falle aber iſt eine doppelte Anrechnung desſelben Zeitraums
ſtatthaft 1). Außer Anſatz bleibt die Dienſtzeit, welche vor den
Beginn des 18. Lebensjahres fällt, ſofern ſie nicht während der
Dauer eines Krieges bei einem mobilen oder Erſatztruppentheile
abgeleiſtet iſt 2), ferner die Zeit eines Feſtungsarreſtes von ein-
jähriger und längerer Dauer und die Zeit der Kriegsgefangen-
ſchaft 3). Bei den zur Marine gehörenden Perſonen wird jedoch
die Zeit, die ſie im aktiven Marinedienſte zugebracht haben, von
dem Zeitpunkt der erſten Einſchiffung ab in Anrechnung gebracht,
auch wenn derſelbe vor den für den Beginn der penſionsberechti-
genden Dienſtzeit vorgeſchriebenen Termin fällt und die Fahrzeit
auf der Handelsflotte vom 18. Lebensjahre an bis zum Eintritt
in die Kriegsmarine wird zur Hälfte auf die Dienſtzeit ange-
rechnet 4).
Für jeden Feldzug, an welchem eine Militairperſon (ausge-
nommen Militairbeamte) derart theilgenommen hat, daß ſie wirk-
lich vor den Feind gekommen oder bei den mobilen Truppen an-
geſtellt geweſen und mit dieſen in das Feld gerückt iſt, wird zu
der wirklichen Dauer der Dienſtzeit ein Jahr zugerechnet 5). Für
[286]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
die Beſatzung der Kriegsſchiffe werden überdies größere oder für
die Geſundheit beſonders gefährliche oder ſchädliche Seereiſen dop-
pelt gerechnet 1).
2. Das Dienſteinkommen. Bei den Offizieren und
Militairärzten mit Offizierrang wird als penſionsfähiges Dienſt-
einkommen in Anſatz gebracht das chargenmäßige Gehalt nach den
Sätzen für Infanterie-Offiziere, oder, wo das wirklich bezogene
etatsmäßige Gehalt niedriger iſt, dieſes letztere 2); ferner der
mittlere Stellen- beziehungsweiſe Perſonal-Servis und der
Durchſchnittsſatz des Wohnungsgeldzuſchuſſes für die Servisklaſſen
I bis V3); endlich für die Offiziere vom Brigade-Kommandeur
einſchließlich aufwärts die im Etat ausgeworfenen Dienſtzulagen,
für die Offiziere vom Hauptmann erſter Klaſſe einſchließlich ab-
wärts eine Entſchädigung für Bedienung, für die Offiziere vom
Hauptmann dritter Klaſſe abwärts eine billige Durchſchnittsver-
gütung für ihre Berechtigung zur Aufnahme in das Lazareth, für
die Premier- und Sekonde-Lieutenants außerdem der etatsmäßige
Werth ihrer Berechtigung zur Theilnahme an dem gemeinſchaft-
lichen Offiziertiſche 4). In Fällen, wo das penſionsmäßige Dienſt-
einkommen insgeſammt mehr als 12000 Mark beträgt, wird von
dem überſchießenden Betrage nur die Hälfte in Anrechnung ge-
bracht 5). Die Perſonen der Unterklaſſen zerfallen in Beziehung
auf die Penſionsberechnung in vier Chargen, Feldwebel, Sergean-
ten, Unteroffiziere und Gemeine 6).
[287]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
Das Dienſteinkommen einer Charge wird aber nur dann der
Berechnung zu Grunde gelegt, wenn die Charge mindeſtens wäh-
rend eines Dienſtjahres innerhalb des Etats innegehabt iſt, aus-
genommen wenn die Penſionirung in Folge von Dienſtbeſchädigung
eintritt. Die Beförderung über den Etat, die bloße Charakter-
erhöhung, ſowie die vorübergehende Verwendung in einer höher
dotirten Stelle gewähren keinen höheren Penſionsanſpruch 1).
3. Die Abſtufung der Penſionsſätze.
a) Bei den Offizieren (mit Einſchluß der Sanitätsoffi-
ziere). Die Penſion beträgt, wenn die Verabſchiedung nach vollen-
detem zehnten, jedoch vor vollendetem elften Dienſtjahre eintritt,
20/80 2) und ſteigt von da ab mit jedem weiter zurückgelegten
Dienſtjahre um 1/80 des penſionsfähigen Dienſteinkommens. Ueber
den Betrag von 60/80 dieſes Einkommens hinaus findet eine Steige-
rung der (regelmäßigen) Penſion nicht ſtatt 3). Wird ein Offizier
in einem militairiſchen Dienſtverhältniß mit geringerem Dienſtein-
kommen als er bisher etatsmäßig bezogen hat, verwendet, ſo wird
bei ſeiner ſpäteren Verabſchiedung die Penſion dennoch nach
dem vorher bezogenen höheren Dienſteinkommen unter Berück-
ſichtigung der geſammten Dienſtzeit berechnet. Soweit jedoch das
früher bezogene höhere Dienſteinkommen aus Dienſtzulagen beſtand,
wird die Penſion nur, je nachdem es für den zu Penſionirenden
günſtiger iſt, entweder nach dem früheren Dienſteinkommen und
der bis dahin zurückgelegten Dienſtzeit oder nach dem zuletzt
bezogenen Dienſteinkommen und der geſammten Dienſtzeit be-
rechnet 4). Die Zeit, während welcher ein mit Penſionsanſprüchen
aus dem aktiven Dienſt geſchiedener Offizier zu demſelben wieder
herangezogen worden iſt und in einer etatsmäßigen Stellung Ver-
6)
[288]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
wendung findet, begründet bei einer Geſammtdienſtzeit von minde-
ſtens 10 Jahren mit jedem weiter erfüllten Dienſtjahre den An-
ſpruch auf Erhöhung der bisher bezogenen Penſion um 1/80 des
derſelben zu Grunde liegenden penſionsfähigen Dienſteinkommens 1).
b) Dür die Militairbeamten wird die Penſion berechnet
nach den Vorſchriften des Reichsbeamtengeſetzes, welches in den
weſentlichen Punkten mit den angegebenen Vorſchriften des Milit.-
Penſions-Geſetzes übereinſtimmt 2). Jedoch finden die Anordnungen
des letzteren über die Dienſtzeit (§. 18. 19. 50) auf die oberen
Militairbeamten Anwendung 3).
c) Für die Militairperſonen der Unterklaſſen beſtimmt
ſich der Penſionsbetrag nicht nach einer mit der Dienſtzeit wachſen-
den Quote des Dienſteinkommens, ſondern es ſind in jeder der
vier Rangſtufen 5 Klaſſen unterſchieden, für welche feſte Penſions-
beträge normirt ſind 4). Die erſten 4 dieſer Klaſſen werden ohne
Nachweis der Invalidität gewährt bei einer Dienſtzeit von 36, 30,
24, 18 Jahren; ferner den Ganzinvaliden bei einer Dienſtzeit von
25, 20, 15, 12 Jahren; endlich ohne Rückſicht auf eine beſtimmte
Dienſtzeit denjenigen Ganzinvaliden, welche durch Dienſtbeſchädigung
ganz erwerbsunfähig und beſonders pflegebedürftig, reſp. welche
gänzlich, größtentheils oder theilweiſe erwerbsunfähig geworden
ſind 5). Die 5. Klaſſe wird gewährt den Ganzinvaliden nach
8jähriger, den Halbinvaliden nach 12jähriger Dienſtzeit oder wenn
die Invalidität durch Verwundung, äußere Dienſtbeſchädigung oder
kontagiöſe Augenkrankheit begründet iſt 6). Das Penſionsgeſetz be-
zeichnet als Ganzinvalide diejenigen Perſonen, welche zu keinerlei
[289]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
Militair dienſt mehr tauglich ſind, als Halbinvalide ſolche,
welche zum Feld- beziehentlich Seedienſt untauglich, aber zum
Garniſondienſt noch fähig ſind. Die Invalidität und der Grad
derſelben werden durch die Militairbehörde feſtgeſtellt 1).
Ueber den Civilverſorgungsſchein, welchen die Invaliden theils
neben theils an Stelle der Penſion erhalten, vgl. unten sub IV.
An Stelle der Penſionirung können Ganzinvaliden auch durch
Aufnahme in ein Invaliden-Inſtitut verſorgt werden. Ein recht-
licher Anſpruch darauf iſt in keinem Falle begründet und anderer-
ſeits kann Niemand wider ſeinen Willen zum Eintritt in ein ſolches
Inſtitut gezwungen werden. Die Invalidenhäuſer ſollen vorzugs-
weiſe als Pflegeanſtalten für ſolche Invaliden dienen, die beſonderer
Pflege und Wartung bedürftig ſind 2).
III.Die Penſionserhöhungen3).
1. Kriegszulage. Unteroffiziere und Soldaten, welche
nachweislich durch den Krieg ganzinvalide geworden ſind, erhalten
eine Penſionszulage von 6 Mark monatlich neben der Penſion 4);
Offiziere, welche durch den Krieg invalide und zur Fortſetzung des
aktiven Militairdienſtes unfähig geworden ſind, eine Penſionser-
höhung, die je nach der Höhe der Penſion ſich bemißt 5). Denſelben
Anſpruch haben Offiziere, die auf Seereiſen nachweislich in Folge
einer militairiſchen Aktion oder durch außerordentliche klimatiſche
Einflüſſe invalide und zur Fortſetzung des Seedienſtes ohne ihr
Verſchulden unfähig geworden ſind 6). Ob die Invalidität durch
Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 19
[290]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
Verwundung oder Beſchädigung oder ob ſie durch eine anderweitige
Störung der Geſundheit begründet iſt, macht im Allgemeinen keinen
Unterſchied 1); reactivirte, d. h. mit Penſion verabſchiedete und
zum Militairdienſt wieder herangezogene Offiziere erhalten jedoch
die Penſions-Erhöhung nur dann, wenn durch eine im Kriege er-
littene Verwundung oder Beſchädigung ihre Geſundheit dauernd
geſtört worden iſt, und zwar zur Hälfte, wenn dadurch nur ihre
Felddienſtfähigkeit, zum vollen Betrage, wenn auch ihre Garniſons-
dienſtfähigkeit aufgehoben worden iſt 2). Die Bewilligung der
Penſions-Erhöhung wegen Kriegsbeſchädigung iſt nur zuläſſig,
wenn die Penſionirung vor Ablauf von 5 Jahren nach dem Frie-
densſchluſſe 3) reſp. nach der Rückkehr des Schiffes in den erſten
heimathlichen Hafen eintritt 4).
Für jeden einzelnen Feldzug erläßt der Kaiſer beſondere Be-
ſtimmungen darüber, wer im Sinne des Penſionsgeſetzes Theil-
nehmer am Kriege war 5). Die Entſcheidung der Frage, ob die
Dienſtunfähigkeit durch den Krieg herbeigeführt worden iſt, erfolgt
durch die oberſte Militair-Verwaltungsbehörde des Kontingents 6).
2. Verſtümmelungszulage. Militairperſonen, welche
durch den Militairdienſt, ſei es im Krieg oder im Frieden, ver-
ſtümmelt, erblindet oder ſchwer und unheilbar beſchädigt worden
ſind, erhalten eine Erhöhung der Penſion, welche für Offiziere ꝛc.
600 Mark jährlich, für Unteroffiziere und Soldaten 18 Mark
[291]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
monatlich beträgt 1). Bei mehrfacher Verſtümmelung oder Be-
ſchädigung wird dieſe Erhöhung für jede einzelne derſelben ge-
währt; die Erhöhungen dürfen aber den Betrag von 1200 Mark
jährlich, reſp. 36 Mark monatlich, nur in dem Falle überſteigen,
wenn die Invalidität durch Verwundung oder äußerliche Beſchä-
digung herbeigeführt iſt; die für Erblindung eines oder beider
Augen ausgeſetzten Penſions-Erhöhungen werden von dieſer Ein-
ſchränkung jedoch nicht betroffen.
Der Anſpruch auf Verſtümmelungszulagen iſt an eine Zeit-
beſchränkung nicht gebunden 2). Iſt die Verſtümmelung ꝛc. ꝛc. durch
den Krieg herbeigeführt, ſo wird die Verſtümmelungszulage neben
der Kriegszulage gewährt. Dieſe Penſions-Erhöhungen werden
auch in dem Falle im vollen Umfange bewilligt, daß der Geſammt-
betrag der Verſorgung den Betrag des penſionsfähigen Dienſtein-
kommens erreicht oder überſteigt 3).
3. Die Vorſchriften über Gewährung von Kriegszulagen und
Verſtümmelungszulagen (Penſionserhöhungen) finden auch Anwen-
dung auf die oberen Militairbeamten4), auf die unteren Mi-
litairbeamten 5), und auf die, ihr Einkommen aus dem Marine-
Etat empfangenden Lootſen, Schiffsführer, Steuerleute u. ſ. w. 6).
4. Dienſtzulage. Den Unteroffizieren vom Feldwebel
abwärts wird vom zurückgelegten 18. Dienſtjahre ab für jedes
weitere Dienſtjahr bei eintretender nachzuweiſender Ganzinvalidität
eine Penſionszulage von 1½ Mark monatlich gewährt; der hier-
nach erworbene Penſionsſatz darf jedoch das geſammte Dienſtein-
kommen der Stelle, welche der Invalide im Etat bekleidet hat,
nicht überſteigen 7).
19*
[292]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
5. Anſtellungsentſchädigung. Den Ganzinvaliden,
deren Invalidität durch eine in dem Kriege von 1870/71 erlittene
Dienſtbeſchädigung herbeigeführt worden iſt, und welche Anſpruch
auf den Civilverſorgungsſchein haben, wird nach ihrer Wahl an
Stelle des Civilverſorgungsſcheins eine Penſionszulage von 6 Mark
monatlich gewährt 1).
Invaliden, welche an der Epilepſie leiden und aus dieſem
Grunde den Civilverſorgungsſchein nicht erhalten, oder welche
ihrer Gebrechen wegen zu keinerlei Verwendung im Civildienſt
tauglich ſind, erhalten, wenn die Invalidität durch Dienſtbeſchädi-
gung entſtanden iſt, unter der Vorausſetzung ihrer Berechtigung
zum Civilverſorgungsſchein anſtatt des letzteren eine Penſionszulage
von 9 Mark monatlich. Ganzinvaliden von mindeſtens achtjähri-
ger aktiver Dienſtzeit bedürfen zum Erwerbe dieſer Penſionszulage
des Nachweiſes erlittener Dienſtbeſchädigung nicht 2).
Die vorher erwähnte Penſionszulage (Geſ. v. 4. April 1874
§ 11) und dieſe Anſtellungsentſchädigung können nicht neben ein-
ander bezogen werden, wohl aber kann jede derſelben neben einer
dem geſammten Dienſteinkommen gleichkommenden Penſion im Falle
des § 74 (Dienſtzulage) gezahlt werden 3).
6. Ehrenzulage an die Inhaber des Eiſernen
Kreuzes v. 1870/71. Diejenigen Perſonen, welche im Kriege
gegen Frankreich von 1870/71 in den unteren Chargen bis zum
Feldwebel einſchließlich das Eiſerne Kreuz erſter Klaſſe erworben
haben oder welche unter denſelben Vorausſetzungen das Eiſerne
Kreuz zweiter Klaſſe erhalten haben und daneben das preuß. Mi-
litair-Ehrenzeichen zweiter Klaſſe oder eine dieſem gleich zu ach-
tende militairiſche Dienſtauszeichnung eines andern deutſchen Bun-
[293]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
desſtaates 1) beſitzen, erhalten vom 1. April 1878 ab eine Ehren-
zulage von 3 Mark monatlich. Invalidität iſt keine Vor-
ausſetzung dieſes Anſpruchs. Die Ehrenzulage wird auf
Lebenszeit gewährt; der Anſpruch auf dieſelbe erliſcht mit dem
Eintritt der Rechtskraft eines ſtrafgerichtl. Erkenntniſſes, welches
den Verluſt der Orden zur Folge hat 2).
IV. Die Civilverſorgung.
A.Offiziere.
Einen Rechtsanſpruch auf Anſtellung im Civildienſte haben
Offiziere und im Offiziersrange ſtehende Militairärzte in keinem
Falle. Es kann jedoch den zu lebenslänglicher Penſion berech-
tigten Offizieren bei ihrer Verabſchiedung durch beſondere Allerh.
Entſchließung die „Ausſicht“ auf Anſtellung im Civildienſt ertheilt
werden 3). Eine ſolche Verleihung berechtigt den betreffenden Of-
fizier, „ſich bei den Behörden um eine Anſtellung zu bewerben“,
und legt den Behörden die Befugniß bei, ihn anzuſtellen, falls er
den geſetzlich oder verordnungsmäßig beſtehenden Anforderungen
für die Führung des Amtes genügt. Für die Civilbehörden be-
ſteht aber keineswegs irgend eine Verpflichtung, einem mit Aus-
ſicht auf Anſtellung im Civildienſt verabſchiedeten Offizier ꝛc. eine
beſtimmte von ihm gewünſchte Stelle zu verleihen, und ſie ſind
auch nicht befugt, ihre Verantwortlichkeit für die zweckmäßige Be-
ſetzung vakanter Stellen mit geeigneten Perſonen dadurch von ſich
abzuwälzen, daß ſie die Stellen den mit Ausſicht auf Civilanſtel-
lung verabſchiedeten Offizieren verleihen 4). Eine Ausnahme be-
ſteht allein für die Poſtverwaltung. In den älteren Pro-
[294]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
vinzen Preußens ſind ſeit der Zeit König Friedrich’s II. eine An-
zahl von Poſtämtern ausſchließlich für die Armee zur Verſorgung
penſionirter, mit Ausſicht auf Anſtellung im Civildienſt verabſchie-
deter Offiziere beſtimmt 1). Die Anſtellung erfolgt jedoch nur,
wenn der vom Kriegsminiſterium der Poſtverwaltung zur Anſtel-
lung überwieſene Exſpectant die erforderliche Kenntniß und Brauch-
barkeit durch Ablegung der vorgeſchriebenen Prüfung dargethan
hat. Die in der Prüfung beſtandenen Exſpectanten werden bei
eintretenden Vakanzen in der durch die Zeitfolge des abgeleiſteten
Examens beſtimmten Reihenfolge zuerſt auf Probe mit der Ver-
waltung eines Poſtamtes kommiſſariſch beauftragt und nach einem
Jahre, wenn ſie den dienſtlichen Anforderungen genügt haben, de-
finitiv angeſtellt 2).
B.Militairperſonen der Unterklaſſen.
1. Einen geſetzlich begründeten Anſpruch auf den Civilver-
ſorgungsſchein haben:
- a) Die als verſorgungsberechtigt anerkannten 3) Ganz-Inva-
liden, wenn ſie ſich gut geführt haben. Dieſelben erhalten dieſen
Schein neben der Penſion. - b) Den verſorgungsberechtigten Halbinvaliden, welche minde-
ſtens zwölf Jahre gedient haben, wird, wenn ihre Führung gut
geweſen iſt, der Civilverſorgungsſchein nach ihrer Wahl an Stelle
der Penſion ertheilt 4). - c) Unteroffiziere erlangen durch zwölfjährigen aktiven 5)
[295]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
Dienſt bei fortgeſetzter guter Führung den Anſpruch auf den Ci-
vilverſorgungsſchein, auch wenn ſie nicht als Invaliden verſor-
gungsberechtigt ſind 1).
Invalide, welche an der Epilepſie leiden, dürfen den Civil-
verſorgungsſchein nicht erhalten 2).
Von dem Civilverſorgungsſchein zu unterſcheiden iſt der Ci-
vil-Anſtellungsſchein, welcher nach Maßgabe des Preuß. Regl. v.
20. Juni 1867 § 2 B verliehen wird und eine Ausſicht auf Ci-
vilanſtellung begründet, jedoch in der Art, daß bei der Anſtellung
im unmittelbaren Reichs- oder Staatscivildienſt die Inhaber des
Civil-Verſorgungsſcheins, unter der Vorausſetzung ihrer Qualifi-
kation, den Vorrang vor den Inhabern des Civil-Anſtellungs-
ſcheines haben 3).
Die Inhaber von Scheinen der beiden Kategorien werden
unter der Bezeichnung „Militairanwärter“ zuſammengefaßt.
2. Die Subaltern- und Unterbeamtenſtellen bei den Reichs-
und Staatsbehörden, mit Ausnahme des Forſtdienſtes, wer-
den vorzugsweiſe mit Invaliden beſetzt, welche den Civilver-
ſorgungsſchein beſitzen 4). Die Grundſätze, nach welchen hier-
bei zu verfahren, ſind von dem Bundesrath feſtzuſtellen. Zur Zeit
ſind dieſe Anordnungen vom Bundesrath noch nicht beſchloſſen
worden; es beſteht vielmehr folgender Rechtszuſtand:
a) In Preußen gilt das Reglement v. 20. Juni 1867
über die Civilverſorgung und Civilanſtellung der Militairperſonen
[296]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
des Heeres und der Marine vom Feldwebel abwärts. Dasſelbe
iſt durch eine Kommiſſion, beſtehend aus Vertretern ſämmtl. Mi-
niſterien, ausgearbeitet und mit Motiven verſehen worden und hat
durch Kab.Ordre die Genehmigung des Königs erhalten. Es iſt
mehrfach ergänzt und durch Reſcripte erläutert worden 1).
b) Der Bundesrath des Nordd. Bundes hat im Jahre 1869
einige „Grundſätze“ vereinbart, welche im ganzen Gebiet des ehe-
mal. Nordd. Bundes Geltung haben. Dieſelben beruhen auf dem
erwähnten Preuß. Reglem. Sie ordnen insbeſondere an (Ziff. 2),
daß die Erwerbung der Eigenſchaft als Militairanwärter für alle
Militairperſonen der Bundesarmee von der Erfüllung derſelben
Bedingungen und zwar der im § 2 des Preuß. Regl. aufgeſtellten,
abhängig ſei; daß der Ausweis als Militairanwärter durch ein
im ganzen Bundesgebiet nach demſelben Schema auszufertigendes
Legitimationspapier erfolgt (Ziff. 3); daß die Subaltern- und
Unterbeamten ſtellen bei den Staatsbehörden mit Einſchluß
der der Bundesaufſicht unterſtellten Dienſtzweige, jedoch mit Aus-
nahme der Forſtverwaltung, entweder ausſchließlich oder
zur Hälfte mit Militairanwärtern beſetzt werden 2). Die nähe-
ren Vorſchriften zur Durchführung dieſer Grundſätze blieben den
Einzelſtaaten überlaſſen. Auch in Südheſſen, Baden und
Elſaß-Lothringen iſt das Civilverſorgungsweſen in Uebereinſtimmung
mit den vom Bundesrath des Nordd. Bundes beſchloſſenen Grund-
ſätzen geregelt worden 3).
[297]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
c) In Bayern iſt bereits vor der Errichtung des Deutſchen
Reiches das Civilverſorgungsweſen durch eine Königl. Verordn. v.
5. April 1869 1) geregelt worden, welche ſich in weſentlichen Be-
ziehungen an das Preuß. Reglem. v. 1867 anſchließt.
d) In Württemberg iſt ein proviſoriſches Reglement v. 8.
Aug. 1878 ergangen 2), welches aber nur auf ſolche Militair-An-
wärter Anwendung findet, die entweder den Verſorgungsſchein im
Württemb. Kontingent erdient haben oder die ſowohl zur Zeit der
Erlangung des Scheins als auch zur Zeit der Bewerbung die
Württemb. Staatsangehörigkeit haben.
Auf dem aus der vorſtehenden Ueberſicht ſich ergebenden
Rechtszuſtande beruht es, daß nach einem Beſchluß des Bundes-
rathes bis zur Aufſtellung einheitlicher Grundſätze über die An-
ſtellung der Militairanwärter die von den Bayeriſchen und Würt-
temberg. Militairbehörden ausgeſtellten Civilverſorgungsſcheine nur
in dem betreffenden Bundesſtaate Gültigkeit haben, während da-
gegen die von den übrigen, hierzu berufenen Militairbehörden aus-
geſtellten Civil-Verſorgungsſcheine in allen Bundesſtaaten,
mit Ausnahme von Bayern und Württemberg, zu einer Verſorgung
berechtigen 3).
3. Das Reichsgeſetz legt den Bundesſtaaten zwar nur die
Verpflichtung auf, die Subaltern- und Unterbeamtenſtellen bei den
Staatsbehörden vorzugsweiſe mit Invaliden zu beſetzen, welche
den Civilverſorgungsſchein haben; es beſtimmt aber zugleich, daß
dadurch die in den einzelnen Bundesſtaaten bezüglich der Verſor-
gung der Militair-Anwärter im Civildienſte erlaſſenen weiter-
gehenden Beſtimmungen nicht geändert werden 4). In dieſer
Beziehung iſt Folgendes zu bemerken:
[298]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
a) Die Stadtgemeinden in Preußen ſind geſetzlich
verpflichtet, die beſoldeten ſtädtiſchen Unterbeamtenſtellen und —
ſoweit Militairinvaliden mit der erforderlichen Geſchäftsbildung
vorhanden ſind — auch die ſtädtiſchen Subalternbeamtenſtellen mit
verſorgungsberechtigten Militair-Invaliden zu beſetzen 1). Ausge-
genommen ſind die Stellen der Kämmerei-Rendanten und Kaſſen-
beamten (Kabin.Ordre v. 1. Aug. 1835. Geſ.Samml. S. 179).
Die für die Städte beſtehenden Vorſchriften finden auch Anwen-
dung auf die Beſetzung der Kreisbeamtenſtellen und der
Stellen für die Provinzialbeamten2).
In den andern Deutſchen Staaten beſteht für die Kommunen
eine geſetzliche Verpflichtung dieſer Art nicht.
b) Den Privat-Eiſenbahnen iſt in Preußen bei der
Konzeſſionirung die Pflicht auferlegt worden, zu den Unterbeam-
tenſtellen, mit Ausnahme der einer techniſchen Vorbildung bedürfen-
den, Militair-Anwärter, welche das 35. Lebensjahr noch nicht zu-
rückgelegt haben, vorzugsweiſe zu wählen 3).
c) Die „ſtändiſchen Inſtitute“, ſie mögen von ſtän-
diſchen oder Staatsbehörden verwaltet werden, haben in Preußen
bei der Anſtellung der Unterbeamten die für die Kommunen gege-
benen Vorſchriften zu befolgen, ſoweit nicht ſtatutariſche Anordnun-
gen eine Abweichung begründen 4).
[299]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
4. Zu einer jeden Anſtellung im Civildienſte iſt die für die
betreffende Stelle vorgeſchriebene Qualifikation unbedingt erforder-
lich; insbeſondere die Ablegung der Prüfungen, und der Nachweis
der körperlichen und geiſtigen Befähigungen, welche für die Er-
langung gewiſſer Stellen verlangt werden 1). Unter den qualifi-
zirten Militair-Anwärtern haben die Inhaber des Civilverſorgungs-
ſcheines den Vorrang vor den Inhabern des Civilanſtellungsſchei-
nes; unter den erſteren ſind zunächſt Unteroffiziere, welche nach
mindeſtens achtjähriger Dienſtzeit ausgeſchieden ſind, zu berückſich-
tigen; im Uebrigen richtet ſich die Reihenfolge der Militair-An-
wärter nach der Zeit der Anmeldung zu einer Stelle, bei gleich-
zeitiger Anmeldung nach der Länge der militair. Dienſtzeit 2). Bei
der Beſetzung von Stellen des Küſten- und Hafendienſtes haben
Anwärter aus dem Seemannsſtande der Reichsmarine den Vor-
zug 3). In der Regel erfolgt die Anſtellung der Militair-Anwär-
ter erſt nach einer zur Zufriedenheit der vorgeſetzten Civilbehörde
abgelegten Probedienſtleiſtung von 6 Monaten, für welche eine an-
gemeſſene Remuneration zu zahlen iſt 4). Die für Militair-
Anwärter beſtimmten Civilſtellen dürfen durch Ci-
vil-Anwärter nicht beſetzt werden, ſo lange quali-
fizirte Militairanwärter vorhanden ſind und ſich
darum bewerben.
Es iſt demgemäß ein Verfahren vorgeſchrieben, um die va-
kanten für Militair-Anwärter zugänglichen Stellen bekannt zu ma-
chen und Bewerbungen zu ermöglichen 5). Sowohl die Reſſort-
[300]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
miniſterien wie die Oberrechnungskammer, und hinſichtlich der Kom-
munal-, Kreis-, Provinzial- und Inſtituts-Stellen die aufſichtfüh-
renden Regierungen und Oberpräſidien, ſind verpflichtet, die Kon-
trole darüber zu führen, daß die den Militair-Anwärtern zugäng-
lichen Stellen auch wirklich durch ſolche beſetzt werden 1).
5. Sowohl das Vorzugsrecht der Militairanwärter als die
unter denſelben beſtehende Rangordnung gelten nur für die erſte
Anſtellung; die Beförderung in höhere Dienſtſtellen oder Gehalts-
ſtufen erfolgt lediglich nach dem Ermeſſen der vorgeſetzten Civil-
behörde, beziehw. nach dem Dienſtalter im Civilſtaatsdienſte 2).
Wenn ein im Civildienſt angeſtellter Inhaber des Verſorgungs-
oder Anſtellungsſcheins aus dieſem Dienſt mit Penſion aus-
ſcheidet, ſo verliert der Schein ſeine Wirkſamkeit 3). Außerdem
verliert er von Rechtswegen ſeine Kraft, wenn dem Inhaber durch
rechtskräftiges Erkenntniß die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher
Aemter abgeſprochen wird 4).
6. An Stelle der Civilverſorgung können halbinvalide
Unteroffiziere im aktiven Militairdienſt belaſſen und in ſol-
chen Stellen verwendet werden, deren Dienſt das Vorhandenſein
der Feld- beziehungsw. Seedienſtfähigkeit nicht erfordert (ſogen.
Garniſondienſt), wenn ſie hierzu geeignet ſind und dies ſtatt
der Gewährung der Penſion wünſchen 5).
V.Feſtſtellung, Zahlung, Kürzung ꝛc.
der Penſion.
In der juriſtiſchen Natur des Verhältniſſes iſt zwar ein Un-
terſchied zwiſchen dem Penſions-Anſpruch der Offiziere und dem
5)
[301]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
der Perſonen der Unterklaſſen in den angegebenen Beziehungen
nicht begründet und es ſind demgemäß auch die weſentlichen Rechts-
grundſätze für alle Militairperſonen gleichartig, im Einzelnen aber
hat das Penſionsgeſetz ſehr zahlreiche Abweichungen zwiſchen den
oberen und unteren Rangklaſſen eingeführt. Es empfiehlt ſich des-
halb, dem Vorgange des Penſionsgeſetzes gemäß die für jede der
beiden Klaſſen beſtehenden Vorſchriften geſondert darzuſtellen.
1. Offiziere und im Offizierrange ſtehende
Militairärzte.
a) Die Feſtſtellung und Anweiſung der Penſionen erfolgt durch
die oberſte Militair-Verwaltungsbehörde des Kontingents 1) und
zwar nur auf Antrag. Das Geſuch um Gewährung von Penſion
muß in dem Abſchiedsgeſuche enthalten und begründet ſein.
Eine nachträgliche Forderung von Penſion iſt nur in dem Falle
zuläſſig, daß die Art der Invalidität gleichzeitig den Anſpruch auf
Penſionserhöhung begründet 2). Offiziere ꝛc., welche das 60. Le-
bensjahr noch nicht zurückgelegt haben, müſſen in dem Penſions-
geſuch ihre Invalidität nachweiſen 3) und die Erklärung der un-
mittelbaren Vorgeſetzten beibringen, daß dieſelben nach pflichtmäßi-
gem Ermeſſen den die Penſionirung Nachſuchenden für unfähig zur
Fortſetzung des aktiven Militairdienſtes halten 4). Den oberſten
Militair-Verwaltungsbehörden iſt es überlaſſen zu beſtimmen, in
wie weit noch andere Beweismittel allgemein oder im einzelnen
Falle beizubringen ſind 5).
[302]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
b) Die Zahlung der Penſion erfolgt monatlich im Voraus;
ſie beginnt mit dem Ablaufe desjenigen Monats, für welchen der
Verabſchiedete das etatsmäßige Gehalt zum letzten Male empfan-
gen hat, und falls er zur Zeit der Penſionirung Gehalt nicht mehr
bezog, mit dem Monat, für welchen die Penſionirung ausgeſpro-
chen worden iſt 1).
c) Das Recht auf den Bezug der eigentlichen Penſion
ruht2), wenn ein Penſionair das Deutſche Indigenat (d. i. die
Reichs-Angehörigkeit) verliert, bis zur Wiedererlangung desſelben;
ferner wenn er im aktiven Militairdienſt wieder angeſtellt wird
während der Dauer des Dienſtes; endlich wenn und ſo lange ein
Penſionair im Reichs-, Staats- oder im Kommunaldienſte ein
Dienſteinkommen bezieht, inſoweit als der Betrag dieſes neuen
Dienſteinkommens unter Hinzurechnung der Penſion (excl. Pen-
ſionserhöhungen) den Betrag des vor der Penſionirung bezogenen
penſionsfähigen Dienſteinkommens überſteigt 3).
Erwirbt der Militairpenſionär eine Civilpenſion aus Reichs-
oder Staatsfonds, ſo wird um den Betrag der letzteren die Mili-
tairpenſion gekürzt 4); erwirbt er eine Penſion im Kommunaldienſt,
ſo hat dieſe denſelben Einfluß wie ein Dienſteinkommen im Kom-
munaldienſt 5).
Im Fall vorübergehender Beſchäftigung im Reichs-, Staats-
oder im Kommunaldienſte gegen Tagegelder oder eine anderweite
Entſchädigung wird die Penſion für die erſten ſechs Monate dieſer
5)
[303]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
Beſchäftigung unverkürzt gewährt; in allen andern Fällen tritt
die Einziehung, Kürzung oder Wiedergewährung der Penſion mit
dem Beginn desjenigen Monats ein, welcher auf das eine ſolche
Veränderung nach ſich ziehende Ereigniß folgt1).
d) Auf Penſions-Erhöhungen finden die Vorſchriften über
Entziehungen, Kürzungen ꝛc. im Allgemeinen keine Anwendung;
ſie verbleiben vielmehr dem Penſionär, ausgenommen wenn derſelbe
die Reichsangehörigkeit verliert oder wenn er im aktiven Mili-
tairdienſt wieder angeſtellt wird; und auch in dem letzterwähnten
Falle werden Penſionserhöhungen fortgezahlt bei Anſtellung in den
für Garniſondienſtfähige zugänglichen Stellen 2); das Recht ruht
ferner bei vorübergehender Heranziehung zum aktiven Dienſt für
die Dauer des mobilen Verhältniſſes und bei Verſorgung in In-
validen-Inſtituten 3).
2. Unteroffiziere und Soldaten.
a) Der Anſpruch auf Invalidenverſorgung muß vor der
Entlaſſung aus dem aktiven Dienſt angemeldet werden;
dies gilt auch für Unteroffiziere und Soldaten des Beurlaub-
tenſtandes, wenn ſie zum aktiven Militairdienſt einberufen ſind 4).
Nur wenn die Invalidität nachweislich durch eine während des
aktiven Militairdienſtes (im Frieden) erlittene Dienſtbeſchädi-
gung verurſacht iſt und dieſe Dienſtbeſchädigung durch dienſtliche
Erhebungen vor der Entlaſſung aus dem aktiven Dienſt feſt-
geſtellt iſt, kann der Anſpruch noch binnen 6 Monaten nach der
Entlaſſung geltend gemacht werden 5). Von dieſem Grundſatz ſind
jedoch ausgenommen die Verſorgungs-Anſprüche der nachweislich
durch den Krieg oder durch eine auf Seereiſen erlittene
innere oder äußere Dienſtbeſchädigung invalide gewordenen Unter-
offiziere und Mannſchaften, für welche innerhalb der dem betreffen-
den Friedensſchluſſe beziehentl. der Rückkehr in den erſten heimath-
lichen Hafen folgenden 3 Jahre die §§ 65—80 des Penſionsgeſ.
[304]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
Anwendung finden; für die Invaliden des Krieges v. 1870/71 iſt
dieſer Termin auf 4 Jahre verlängert worden 1). Nach Ablauf
dieſer Friſt können Anſprüche noch erhoben werden, wenn die In-
validität als veranlaßt nachgewieſen wird durch eine im Kriege
erlittene Verwundung oder äußere Dienſtbeſchädigung oder durch
eine während des aktiven Militairdienſtes im Kriege oder im Frie-
den überſtandene kontagiöſe Augenkrankheit 2). Allein es werden
alsdann (d. h. bei Erhebung des Anſpruchs nach Ablauf der drei-
jährigen, reſp. 4jährigen Friſt) nur die Penſions- und Verſtümme-
lungszulagen unbeſchränkt gewährt, die eigentliche Penſion da-
gegen wird nach der nächſt niedrigen Klaſſe berechnet 3).
Auch den nach ihrer Entlaſſung als verſorgungsberechtigt an-
erkannten Invaliden kann der Civilverſorgungsſchein ertheilt wer-
den 4).
Bei den im aktiven Dienſt befindlichen Perſonen erfolgt die
Feſtſtellung der Invalidität durch den Hauptmann (Schwadron-
oder Batteriechef) und den Militairarzt. Erſterer hat zu beſchei-
nigen, ob und welche Beſchädigung ein Soldat erlitten hat 5), ob
dieſe Beſchädigung im Dienſt erlitten iſt, ob ſie dem Betreffenden
durch eigene Verſchuldung zur Laſt fällt, oder ob ſie außerdienſt-
lich entſtanden iſt; der Militairarzt hat die Dienſtunbrauchbarkeit
und Erwerbsunfähigkeit, ihre Grade und ihre Dauer zu konſta-
tiren 6).
Die Entſcheidung über die zu bewilligende Invaliden-Verſor-
gung wird von dem Generalkommando getroffen; zweifelhafte Fälle
ſind dem Kriegsminiſterium vorzulegen; an welche Inſtanz auch
[305]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
der Rekurs gegen die Entſcheidung des Generalkommandos zu richten
iſt 1). Wird nach der Entlaſſung aus dem aktiven Dienſt
ein Verſorgungsanſpruch erhoben, ſo muß derſelbe bei dem Be-
zirksfeldwebel oder dem Bezirkskommando angemeldet werden. Das
Bezirkskommando veranlaßt die nähere Feſtſtellung der dem Ge-
ſuch zu Grunde liegenden thatſächlichen Angaben, die ärztliche Un-
terſuchung, die Prüfung der Verſorgungsberechtigung. Wenn dieſe
Recherchen nicht die ſofortige Abweiſung des Antrages ergeben,
ſo wird derſelbe der vorgeſetzten Infanterie-Brigade vorgelegt, von
welcher die Einleitung des Prüfungsverfahrens verfügt wird 2). Die
Prüfung und Anerkennung der nach der Entlaſſung aus dem ak-
tiven Dienſt erhobenen Verſorgungs-Anſprüche findet alljährlich
nur einmal ſtatt 3). Der Regel nach wird dieſe Prüfung mit dem
Aushebungsgeſchäft verbunden 4); in beſondern Fällen ſind auch au-
ßerterminliche Unterſuchungen ſtatthaft 5).
Erweiſt ſich nach dem Ausfalle der Unterſuchung der An-
ſpruch als unbegründet, ſo wird der Antrag durch das Landwehr-
Bezirkskommando ſchriftlich abgewieſen; andernfalls werden die
Eingaben nebſt Atteſten, Bemerkungen u. ſ. w. dem Generalkom-
mando zur Entſcheidung eingereicht 6). Gegen die Beſcheide des
Landwehr-Bezirkskommando’s iſt der Rekurs an das Generalkom-
mando, gegen die Beſcheide des letzteren der Rekurs an das Kriegs-
miniſterium zuläſſig.
b) Die Zahlung der Penſion und Penſionszulagen erfolgt mo-
natlich im Voraus 7); ſie beginnt mit dem Erſten desjenigen Monats,
welcher auf die regelmäßige Anerkennung des Anſpruchs durch
Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 20
[306]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
die kompetente Behörde folgt; hierbei werden aber die im Rück-
ſtande gebliebenen Beträge ſeit dem Erſten des auf die Anmel-
dung des Anſpruchs folgenden Monats nachgezahlt 1).
c) Das Recht auf die Penſion und Zulagen erliſcht —
abgeſehen von dem Tode und dem Eintritt des Endtermins bei
zeitweiliger Bewilligung — ſobald das Gegentheil der Voraus-
ſetzungen erwieſen iſt, unter denen die Bewilligung ſtattgefunden
hat 2). Das Recht ruht, wenn der Penſionär die Reichsange-
hörigkeit verliert oder wenn er im aktiven Militairdienſt wie-
der angeſtellt wird 3).
Nur die Penſions- und Verſtümmelungszulagen4) werden
fortgezahlt, ſo lange ſich der Penſionair in einem Invaliden-In-
ſtitut oder in einer militairiſchen Kranken-, Heil- oder Pflegeanſtalt
befindet 5), oder wenn er im Civildienſt angeſtellt oder beſchäftigt
wird mit Ablauf des 6. Monats, welcher auf denjenigen Monat
folgt, in dem die Anſtellung oder Beſchäftigung begonnen hat 6).
Wenn das reine Dienſteinkommen aber nicht den doppelten Betrag
der Invalidenpenſion (ausſchließl. der Kriegs- und Verſtümme-
lungszulagen) erreicht oder mindeſtens bei einem Feldwebel 350
Thlr., bei einem Sergeanten oder Unteroffizier 250 Thlr. 7), bei
einem Gemeinen 130 Thlr. beträgt, ſo wird dem Penſionair, je
7)
[307]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
nachdem es günſtiger für ihn iſt, die Penſion bis zur Erfüllung
des Doppelbetrages oder bis zur Erfüllung jener Sätze belaſſen 1).
Als Civildienſt iſt jeder Dienſt (Beſchäftigung) eines Beamten
zu verſtehen, für welchen ein Entgelt aus einer öffentlichen Reichs-,
Staats- oder Gemeindekaſſe direkt oder indirekt (z. B. durch Tan-
tiéme) gewährt wird, ſowie der Dienſt bei ſtändiſchen oder ſolchen
Inſtituten, welche ganz oder zum Theil aus Mitteln des Staats
oder der Gemeinden unterhalten werden. Auch der Dienſt in der
Militair- oder Marine-Verwaltung oder in der Feldadminiſtration
iſt ein Civildienſt in dieſem Sinne 2). Dagegen gehören nicht hier-
her ſolche Dienſtverrichtungen, für welche dem Penſionair ohne
daß ihm die Eigenſchaft eines Beamten beigelegt iſt;
ſtückweiſe Bezahlung, Boten-, Tag- oder Wochenlohn oder Kopialien-
vergütung gewährt wird 3). Ebenſowenig kommen Anſtellungen in
Privatdienſt-Verhältniſſen, z. B. bei Privateiſenbahnen, in Betracht.
20*
[308]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
Nach den vom Bundesrath beſchloſſenen Ausführungs-Beſtim-
mungen (Centralbl. 1875 S. 142 ff.) muß diejenige Behörde,
welche einen penſionsberechtigten Invaliden im Civildienſt anſtellt,
ihm das Penſions-Quittungsbuch abfordern, in dasſelbe das An-
ſtellungsverhältniß und den Betrag des Dienſteinkommens eintra-
gen und das Quittungsbuch der die Penſion feſtſtellenden Militair-
behörde einreichen. Die letztere hat in das Quittungsbuch einzu-
tragen, bis zu welchem Zeitpunkt der Angeſtellte die Penſion un-
verkürzt zu beziehen hat und in welchem Betrage die Kürzung zu
erfolgen hat. Durch Vermittlung der Civilbehörde empfängt hie-
rauf der Invalide das Quittungsbuch zurück 1). Wenn der Pen-
ſionsempfänger nicht mit feſtem Einkommen, ſondern gegen Tan-
tième, Gebühren und dgl. im Civildienſt angeſtellt iſt, ſo ſind die
ihm zukommenden Penſionszuſchüſſe im Laufe des Jahres von der
Dienſtbehörde vorſchußweiſe zu zahlen und im Januar des folgen-
den Jahres derjenigen Behörde, auf deren Militairpenſionsetat
der Empfänger ſteht, zur Feſtſtellung und Erſtattung nachzuweiſen.
d) Erwirbt der Militairpenſionair beim Ausſcheiden aus dem
Civildienſt ein Civilpenſion, ſo iſt zu unterſcheiden, ob bei Feſtſtel-
lung der letzteren die Militairdienſtjahre zur Anrechnung kommen
oder nicht. Iſt dies der Fall, ſo wird der geſetzliche Betrag der
Invalidenpenſion wieder ganz auf Militairfonds übernommen und
nur der etwaige Mehrbetrag der Civilpenſion aus dem Civilpen-
ſionsfonds gezahlt. Kriegs- und Verſtümmelungszulagen bleiben
jedoch bei dieſer Berechnung außer Betracht und werden unter
allen Umſtänden aus Militairfonds beſtritten. Wird die Militair-
dienſtzeit bei der Civilpenſion nicht in Anrechnung gebracht, ſo
zahlt der Militairpenſionsfonds zu der Civilpenſion einen Zuſchuß
aus der früher erdienten Invalidenpenſion bis zur Erreichung des
für die Geſammtdienſtzeit zu beanſpruchenden Penſionsbetrages 2).
VI.Bewilligungen für Hinterbliebene.
1. Hinterläßt eine penſionirte Militairperſon des Soldaten-
ſtandes 3) eine Wittwe oder eheliche Nachkommen, ſo wird die Pen-
[309]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen
ſion noch für den auf den Sterbemonat folgenden Monat bezahlt;
im Falle der Bedürftigkeit kann dieſe Penſionszahlung auch an-
deren Familienmitgliedern, deren Ernährer der Verſtorbene geweſen
iſt, oder zur Deckung der Koſten der letzten Krankheit und Beer-
digung gewährt werden 1).
2. Beſondere Beihülfen erhalten die Wittwen und Kinder 2)
ſowie hülfsbedürftige Eltern und Großeltern derjenigen Militair-
perſonen 3) der Feldarmee 4), welche
- a) im Kriege geblieben oder an den erlittenen Verwundungen
während des Krieges oder ſpäter geſtorben ſind, - b) im Laufe des Krieges erkrankt oder beſchädigt und in
Folge deſſen vor Ablauf eines Jahres nach dem Friedensſchluß
verſtorben ſind, - c) welche durch Schiffbruch verunglückt oder in Folge einer
militairiſchen Aktion oder der klimatiſchen Einflüſſe auf Seereiſen
oder innerhalb Jahresfriſt nach der Rückkehr in den erſten heimath-
lichen Hafen verſtorben ſind 5).
VII.Geltendmachung der Verſorgungsanſprüche.
Die Anſprüche auf Penſionen, Beihülfen und Bewilligungen
auf Grund des Militair-Penſionsgeſetzes 6) ſind in erſter Reihe bei
3)
[310]§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.
den Militairverwaltungsbehörden geltend zu machen
und erſt, wenn der Inſtanzenzug bei denſelben erſchöpft iſt, kann
die Klage innerhalb einer präkluſiviſchen Friſt von 6 Monaten,
nachdem die endgültige Entſcheidung der Militairverwaltungsbe-
hörde dem Kläger bekannt gemacht worden iſt, bei dem Gericht
angebracht werden 1). Bei der Beurtheilung der Anſprüche ſind
die Gerichte gebunden an die Entſcheidungen der Militairbehörden
darüber: ob und in welchem Grade eine Dienſtunfähigkeit einge-
treten, ob im einzelnen Falle das Kriegs- oder Friedensverhältniß
als vorhanden anzunehmen und ob die Zugehörigkeit einer Mili-
tairperſon zur Feldarmee im Sinne des § 45 des Penſ.Geſ. vor-
handen geweſen iſt, ob eine Beſchädigung als eine Dienſtbeſchädi-
gung anzuſehen iſt und ob ſich der Invalide gut geführt hat 2).
Der Entſcheidung des Richters unterliegt dagegen ein Streit über
die Berechnung des penſionsfähigen Dienſteinkommens oder der
Dienſtzeit, über den Grad der Erwerbsunfähigkeit, über das Vor-
handenſein einer Verſtümmelung (§. 13. 72), über die Zuläſſigkeit
einer Kürzung der Penſion reſp. über den Umfang, in welchem die
Kürzung ſtatthaft iſt, über die Erhebung weitergehender Anſprüche
als ſie das Reichsgeſetz gewährt auf Grund älterer günſtigerer
Vorſchriften u. ſ. w.
In einem Rechtsſtreite wegen Penſionen, Beihülfen u. ſ. w
iſt, wenn die Kriegsdienſte in der Marine geleiſtet worden ſind,
der Reichsfiskus, in allen andern Fällen der Landesfiskus der Ver-
klagte, die mit dem dominium litis ausgeſtattete Prozeßpartei.
Ihre Vertretung beſtimmt ſich daher nach der Behördenverfaſſung
und den Geſetzen des Einzelſtaates; in Ermangelung einer anderen
landesgeſetzlichen Beſtimmung wird der Militairfiskus durch die
oberſte Militair-Verwaltungsbehörde des Kontingents ver-
treten. Die Vertretung des Marinefiskus liegt der Kaiſerl. Ad-
6)
[311]§. 92. Begriff der Militairlaſten und allgemeine Rechtsſätze.
miralität ob 1). Der Militairfiskus iſt Landesfiskus 2), der Marine-
fiskus iſt Reichsfiskus.
Vierter Abſchnitt.
Die Militairlaſten.
§ 92. Begriff und allgemeine Rechtsſätze.
I. Militairlaſten ſind geſetzliche Verpflichtungen zu Vermögens-
Leiſtungen für die bewaffnete Macht.
Ihrem Rechtsgrunde nach gehören ſie dem öffent-
lichen Rechte an; ſie beruhen wie die Wehrpflicht auf dem ob-
jectiven Rechte, auf dem Geſetz; ſie unterſcheiden ſich hierdurch von
den auf Rechtsgeſchäften beruhenden Verpflichtungen, insbeſondere
von den contractlichen Obligationen der Lieferanten. Die Militair-
laſten bilden aus dieſem Grunde einen Gegenſtand des ſtaatlichen
Verwaltungsrechtes, d. h. ihre Vertheilung, Erhebung, Geltend-
machung u. ſ. w. geſchieht nach den Grundſätzen des öffentlichen
Rechtes im öffentlichen Intereſſe durch die Verwaltungsbehörden,
während die Rechte und Pflichten der Armee-Lieferanten lediglich
nach den Regeln des Privatrechts zu beurtheilen und im Wege
des bürgerlichen Prozeſſes geltend zu machen ſind.
Ihrem Inhalte nach ſtehen die Militairlaſten aber den
Verpflichtungen des Privatrechtes gleich; denn ſie beſtehen in allen
Fällen nur in Vermögensleiſtungen. Hierauf beruht der tiefgrei-
fende Gegenſatz zwiſchen Militairdienſten und Militairlaſten; die
letzteren involviren keine Verpflichtung zur Treue, zum Gehorſam,
zu perſönlichem Dienſt, ſondern ſie betreffen lediglich das Vermö-
gen. Eine Conſequenz dieſes Gegenſatzes zeigt ſich ſofort rückſicht-
lich der verpflichteten Perſonen. Die Wehrpflicht ſetzt einen Staats-
[312]§. 92. Begriff der Militairlaſten und allgemeine Rechtsſätze.
angehörigen, einen der Staatsgewalt unterworfenen Menſchen vor-
aus; die Militairlaſten treffen das der Staatsgewalt unterworfene
Vermögen. Ihnen unterliegen daher auch alle juriſtiſchen Perſonen
und alle Ausländer, wofern ſie im Inlande ſolche Vermögensſtücke
haben, welche von den Militairlaſten berührt werden, z. B. Wohn-
räume, Grundſtücke im Feſtungsrayon, Pferde, Schiffe u. ſ. w.
Andererſeits bleiben die Staatsangehörigen unberührt von den
Militairlaſten hinſichtlich derjenigen Vermögensſtücke, die ſie im
Auslande haben 1).
Aus dem pekuniären Inhalt der Militairlaſten ergiebt ſich
aber noch eine andere bedeutſame Folge, die einen wichtigen Un-
terſchied gegenüber dem Militairdienſt begründet. Die Erfüllung
der Dienſtpflicht iſt eine unſchätzbare und unentgeldliche Leiſtung;
es iſt oben S. 171 bereits hervorgehoben worden, daß die vom
Staate den Soldaten gewährte Kleidung, Verpflegung, Löhnung
u. ſ. w. nicht Lohnzahlung, ſondern Alimentirung iſt. Die Mili-
tairlaſten dagegen ſind Vermögensleiſtungen und daher in allen
Fällen abſchätzbar und vergütungsfähig.
Die Wehrpflicht iſt ferner eine allgemeine, gleiche Unterthanen-
pflicht, die Jeder, der dazu geeignet iſt, nach dem Maße ſeiner
Kräfte erfüllen muß. Die Militairlaſten dagegen legen einzelnen
Perſonen nach zufälligen Umſtänden Vermögenseinbußen auf, welche,
da ſie der Allgemeinheit zu Gute kommen, von dieſer d. h. vom
Staate getragen werden müſſen. Die Forderung ihrer unentgeld-
[313]§. 92. Begriff der Militairlaſten und allgemeine Rechtsſätze.
lichen Leiſtung würde eine ſchwere Unbilligkeit enthalten, eine will-
kührliche, vom Zufall abhängige Rechtsungleichheit herbeiführen.
In der Natur der Militairlaſten iſt es daher begründet, daß der-
jenige, der durch die Erfüllung derſelben getroffen wird, Anſpruch
auf Schadloshaltung hat. Der Staat bedarf zur Befriedigung ge-
wiſſer Militairbedürfniſſe zwar gewiſſer Vermögensobjecte oder
Arbeitsleiſtungen, aber nicht um ſich ihren pekuniären Werth anzu-
eigenen, ſondern wegen ihrer thatſächlichen Unentbehrlichkeit; gerade
deshalb iſt er verbunden, den pekuniären Werth zu reſtituiren.
Hieraus ergiebt ſich der Rechtsſatz, daß mit der Erfüllung aller
Militairlaſten der Regel nach ein Entſchädigungs-Anſpruch gegen
den Fiskus verknüpft iſt 1).
Eine dritte Folge des Satzes, daß die Militairlaſten Ver-
mögensleiſtungen zum Inhalt haben, beſteht darin, daß ihre Er-
füllung ſtets nur dann zu fordern iſt, wenn die Militairbedürfniſſe
nicht auf anderem Wege befriedigt werden können. Denn das für
Durchführung der Staatsaufgaben erforderliche Vermögen iſt
der Regel nach durch die Mittel des Finanzrechts herbeizuſchaffen.
Die Staatswirthſchaft iſt nicht Naturalwirthſchaft ſondern Geldwirth-
ſchaft. In erſter Reihe ſind daher auch die Bedürfniſſe der Armee
und der Flotte mit den im Syſtem der Geldwirthſchaft liegenden
Hülfsmitteln, alſo durch privatrechtliche Geſchäfte des Fiskus zu
erfüllen.
Die Militairlaſten treten immer nur ſubſidiär ein, wenn
durch die Umſtände zu einer gewiſſen Zeit oder an einem gewiſſen
Orte Bedürfniſſe entſtehen, denen wegen ihrer Natur oder wegen
ihres Umfanges durch die gewöhnlichen Mittel der Militair-Ver-
waltung nicht genügt werden kann; insbeſondere nicht durch Ver-
wendung der bereits vorhandenen Vorräthe oder durch Abſchluß
von Lieferungsverträgen oder anderen Contrakten. Jedoch iſt das
Vorhandenſein dieſer Vorausſetzung nicht im Rechtswege feſtzuſtel-
len, d. h. der Verpflichtete kann ſich der Erfüllung der Militair-
laſt nicht durch die Behauptung entziehen, daß die Bedürfniſſe der
bewaffneten Macht auch ohne Beanſpruchung der Leiſtungspflicht
[314]§. 92. Begriff der Militairlaſten und allgemeine Rechtsſätze.
befriedigt werden können, und darüber auf richterliche Entſcheidung
provoziren. Denn der Staat ſteht dem Verpflichteteten nicht als
Gläubiger, ſondern als Herrſcher gegenüber, deſſen Forderung den
Charakter des obrigkeitlichen Befehles hat. Die zum Erlaß
dieſes Befehles zuſtändigen Behörden haben ſelbſtſtändig zu prü-
fen, ob die im Geſetz erforderten Vorausſetzungen im gegebenen
Falle vorhanden ſind oder nicht; das Reſultat dieſer Prüfung iſt
für den Militairlaſt-Pflichtigen bindend. Wenn die Behörde da-
bei pflichtwidrig verfährt, ſo treten die Bd. I § 41 erörterten
Rechtsfolgen der Pflichtverletzung ein, insbeſondere auch die Ver-
pflichtung zum Schadenserſatz.
Aus den vorſtehenden Erörterungen ergibt ſich, daß alle Mi-
litairlaſten ihrem juriſtiſchem Charakter nach eine gewiſſe Ver-
wandtſchaft mit der Expropriation haben. Die Enteignung
iſt gleichſam der Grundtypus derſelben. Die Militairlaſten haben
mit der Enteignung die weſentlichen Merkmale gemein, daß ſie
Eingriffe des Staates im öffentlichen (militairiſchen) Intereſſe in
die Privatrechtsſphäre des Einzelnen ſind, daß der Rechtsgrund
für die Befugniß hierzu im öffentlichen Recht gegeben iſt und dem-
gemäß auch die Vorausſetzungen, unter denen dieſe Eingriffe ge-
ſtattet ſind, durch das öffentliche Recht beſtimmt werden, daß zu
den Vorausſetzungen ein Bedürfniß gehört, welches ohne dieſe Ein-
griffe entweder gar nicht oder nicht in genügender oder zweckent-
ſprechender Weiſe befriedigt werden kann, und endlich daß die An-
wendung dieſer Befugniß die Verpflichtung zur Entſchädigung nach
ſich zieht 1).
Einige Militairlaſten ſtimmen mit der Expropriation auch noch
darin überein, daß ſie auf Entziehung des Eigenthums gerichtet
ſind, ſo z. B. die Pferdeaushebung; ſo daß der Unterſchied gegen
die gewöhnliche Expropriation nur in dem anders geregelten Ver-
fahren beſteht. Die Mehrzahl der Militairlaſten geht aber nicht
auf Entziehung oder Beſchränkung des Eigenthums, ſon-
dern auf die Lieferung von Sachen oder auf Leiſtung von
Arbeit, alſo auf ein dare, facere, praestare. Deshalb können
die von der Expropriation geltenden Rechtsregeln keine unmittel-
[315]§. 92. Begriff der Militairlaſten und allgemeine Rechtsſätze.
bare und vollkommene Anwendung auf die Militairlaſten finden,
ſondern nur eine allgemeine Analogie bieten. Immerhin iſt aber
die Erkenntniß dieſer Analogie, d. h. der begrifflichen Gleichartig-
keit der Enteignung und der Militairlaſten, für das Verſtändniß
der rechtlichen Natur der letzteren von Wichtigkeit.
II. Die Militairlaſten dienen, wie erwähnt, nicht zur Durch-
führung dauernder und regelmäßiger Aufgaben der Militairver-
waltung, ſondern zur Befriedigung beſonderer und ungewöhnlicher,
in eigenthümlichen thatſächlichen Verhältniſſen begründeter Bedürf-
niſſe. Hieraus ergiebt ſich eine Eintheilung derſelben in 3 Klaſſen.
Die Bedürfniſſe, zu deren Abhülfe die Militairlaſten auferlegt
ſind, beſtimmen ſich für die Verhältniſſe des Friedens durch weſent-
lich andere Momente wie für den Krieg. Zur Zeit des Krieges
oder der Kriegsvorbereitungen ſind die Bedürfniſſe umfangreicher,
dringender, vielſeitiger; andererſeits ergiebt ſich aber gerade aus
den Verhältniſſen des Friedenszuſtandes die Nothwendigkeit gewiſſer
Laſten, auf welche im Kriege verzichtet werden kann, da durch die
Mobilmachung für die entſprechenden Bedürfniſſe geſorgt wird 1).
Auch bringen die Verhältniſſe des Krieges es mit ſich, daß
andere Vorſchriften über Erhebung und Vertheilung der Militair-
laſten und über die Vergütung für Leiſtung derſelben gelten müſ-
ſen, wie im Frieden. Hieraus ergiebt ſich die durchgreifende Ein-
theilung in Friedensleiſtungen und in Kriegsleiſtungen. Zu
dieſen beiden Klaſſen tritt noch hinzu als eine dritte eigenartige
Kategorie, die Beſchränkung des Grundeigenthums in der Umgebung
der Feſtungen. Dieſe Beſchränkungen beruhen auf lokalen Ver-
hältniſſen, und ſind im Krieg und Frieden gleichmäßig fortdau-
ernd; indeſſen treten auch hier im Kriege d. h. im Falle einer
Armirung der Feſtung noch beſondere Verpflichtungen hinzu.
Dieſe Eintheilung iſt auch von der Geſetzgebung des deutſchen
Reiches bei der Regelung dieſer Materie zu Grunde gelegt wor-
den. Die Militairlaſten für den Friedenszuſtand ſind geregelt
durch zwei Geſetze, von denen das eine v. 25. Juni 1868 die
[316]§. 92. Begriff der Militairlaſten und allgemeine Rechtsſätze.
Quartierleiſtung, das andere v. 13. Febr. 1875 alle übrigen „Na-
turalleiſtungen“ behandelt; die Militairlaſten für den Kriegszuſtand
haben ihre geſetzliche Regelung gefunden durch das Geſetz über
die Kriegsleiſtungen v. 13. Juni 1873; endlich die Beſchränkungen
des Grundeigenthums in der Umgebung von Feſtungen ſind nor-
mirt worden durch das ſogen. Feſtungs-Rayongeſetz v. 21. Dezem-
ber 1871.
III. Die Entſchädigungspflicht für die Erfüllung der Miltair-
laſten trifft den Reichsfiskus und zwar nicht nur materiell
oder indirekt, indem er etwa die erforderlichen Beträge den Staats-
kaſſen der Bundesglieder zu überweiſen hätte, ſondern formell und
direct. Daß das Reich materiell dieſe Koſten tragen muß, ver-
ſteht ſich von ſelbſt, da ihm die geſammten Koſten der Armee und
Flotte mit Einſchluß aller Feſtungen und anderen Vertheidigungs-
Anſtalten in Krieg und Frieden verfaſſungsmäßig obliegen. Aber
auch formell iſt nicht der Fiskus eines einzelnen Staates, ſondern
der Reichsfiskus verpflichtet. Denn die Kriegsleiſtungen und Rayon-
Beſchränkungen werden erforderlich durch Willensacte des Rei-
ches, nicht durch Handlungen der Einzelſtaaten, da nur das Reich
im Stande iſt, Krieg zu führen und Feſtungen anzulegen; und
auch bei den Friedensleiſtungen trifft dies für die Marine immer,
für die Armee in der Mehrzahl der Fälle zu 1). Auch iſt wohl
zu beachten, daß die Kriegs- und Friedensleiſtungen nicht blos für
die Bedürfniſſe des Kontingents des eigenen Staates, ſondern in
gleicher Art für die Kontingente aller übrigen Bundes-Staaten zu
machen ſind und daß dies um ſo häufiger thatſächlich eintritt, je
mehr die Erfüllung der Militairlaſten an die Vorausſetzung gebun-
den iſt, daß die Truppen ſich außerhalb ihres Garniſonortes be-
finden.
Daß die Entſchädigungspflicht eine Pflicht des Reichsfis-
kus iſt, wird ausdrücklich anerkannt im Rayongeſetz § 42 und
im Kriegsleiſtungs-Geſetz § 34; ebenſo erklärt das Quartierlei-
ſtungs-Geſetz § 3 und § 4, daß die Entſchädigung „vom Bunde“
[317]§. 92. Begriff der Militairlaſten und allgemeine Rechtsſätze.
zu gewähren und daß der „Bund“ berechtigt iſt, die Quartier-
leiſtung gegen Entſchädigung zu verlangen 1).
Von erheblicher praktiſcher Bedeutung iſt dies übrigens nicht,
da der Reichsfiskus ſowohl wie der Fiskus der Einzelſtaaten von
den Intendanturbehörden vertreten wird, und auch die Zuſtändig-
keit der Gerichte hiervon in der Regel unberührt bleibt.
Rückſichtlich der Bayeriſchen Armee jedoch beſteht hin-
ſichtlich der Entſchädigung für die Friedensleiſtungen und
für Rayonbeſchränkungen dieſe Verpflichtung des Reichs-
fiskus nicht. Denn da Bayern eine ſelbſtſtändige Verwaltung der
Armee hat und die Koſten und Laſten ſeines Kriegsweſens, den
Unterhalt der auf ſeinem Gebiete belegenen feſten Plätze und ſon-
ſtigen Fortifikationen einbegriffen, ausſchließlich und allein trägt
und dafür eine im Reichsetat ausgeworfene, der Kopfſtärke ſeines
Kontingents entſprechende Pauſchſumme empfängt 2), ſo muß es
auch ſelbſtſtändig die Entſchädigungspflicht für die von ihm gefor-
derten Militairleiſtungen tragen. Im Falle des Krieges dagegen
fällt dieſe Trennung zwiſchen der Armee-Verwaltung Bayerns und
derjenigen der übrigen Kontingente fort. Der Krieg iſt ein Unter-
nehmen des Reiches, als eines einheitlichen völkerrechtlichen
und ſtaatsrechtlichen Subjects; er wird ebenſo wie in politiſcher
ſo auch in finanzieller Beziehung auf Gewinn und Verluſt des
Reiches geführt. Alle Kriegskoſten, d. h. alle durch den Krieg
verurſachten Ausgaben, für welche nicht in dem Reichshaushalts-
Geſetze (Friedens-Etats) die erforderlichen Beträge ausgeworfen
ſind, fallen daher auch für das Bayeriſche Kontingent dem Reichs-
fiskus unmittelbar zur Laſt. Dies gilt daher auch hinſichtlich der
für Kriegsleiſtungen zu zahlenden Vergütungen, ſowie hinſichtlich
der im Falle der Armirung einer Bayeriſchen Feſtung für Frei-
legung des Feſtungsrayons zu gewährenden Demolirungs-Ent-
ſchädigungen 3).
[318]§. 93. Die Friedensleiſtungen.
§. 93. Die Friedensleiſtungen1).
Die Vorſchriften über die Friedensleiſtungen kommen in allen
Fällen zur Anwendung, in welchen nicht die in §. 1 des Kriegs-
[319]§. 93. Die Friedensleiſtungen.
leiſtungsgeſetzes aufgeführten Vorausſetzungen begründet ſind. Vgl.
den folgenden Paragraphen. Sie bilden alſo die dauernde Regel,
die Vorſchriften über Kriegsleiſtungen die zeitweiſe eintretende Aus-
nahme. Andere Leiſtungen für die bewaffnete Macht als die in
den beiden Reichsgeſetzen v. 25. Juni 1868 und vom 13. Febr.
1875 normirten, können während des Friedenszuſtandes nicht ge-
fordert werden 1).
I.Die Quartierleiſtung.
1. Vorausſetzungen.
a) Die Verpflichtung zur Quartierleiſtung iſt eine ſubſi-
diäre Laſt, welche nur dann eintritt, wenn dem Bedürfniß der
Truppen weder durch fiskaliſche Kaſernen und Stallungen noch
durch Räumlichkeiten, welche der Militairverwaltung freiwillig über-
laſſen, insbeſondere vermiethet, worden ſind, genügt werden kann 2).
Für die Truppen in Garniſonen iſt die Unterbringung in Kaſernen
die Regel; und auch da, wo dieſelbe noch nicht durchgeführt iſt,
kann die Gewährung von Quartieren nur für die Mannſchaften vom
Feldwebel abwärts, und die Gewährung von Stallungen nur für
Dienſtpferde 3) gefordert werden; für alle übrigen Bedürfniſſe der
Militairverwaltung an Räumlichkeiten beſteht keine Leiſtungspflicht.
Derſelbe Grundſatz gilt für Truppen in Kantonnements, wenn die
Dauer des Kantonnements von vornherein 4) auf einen 6 Monate
1)
[320]§. 93. Die Friedensleiſtungen.
überſteigenden Zeitraum feſtgeſetzt iſt. Dagegen kann bei Kan-
tonnements von nicht längerer als 6monatlicher oder von unbe-
ſtimmter Dauer, ferner bei Märſchen und Kommando’s im Be-
dürfnißfall Quartier für Offiziere, Beamte und Mannſchaften, ferner
Stallung für die von denſelben mitgeführten Pferde, ſoweit für
dieſelben etatsmäßig Rationen gewährt werden, endlich das erfor-
derliche Gelaß für Geſchäfts- Arreſt- und Wachlokalitäten verlangt
werden 1).
Der Begriff der Truppen umfaßt die geſammte bewaffnete
Macht einſchließlich der Marine und zwar nicht nur die in einem
eigentlichen Militairdienſt-Verhältniß ſtehenden Perſonen ſondern
auch das Heergefolge 2); er bedeutet ferner nicht nur geſchloſſene
Truppenkörper, ſondern auch einzelne, auf dem Marſche oder auf
einem Kommando befindliche Perſonen oder Truppentheile, insbe-
ſondere auch die zum Dienſt einberufenen Rekruten, Reſerviſten oder
Landwehrleute u. ſ. w.
b) Die Quatierleiſtung kann nur in demjenigen Umfange
verlangt werden, welcher dem Bedürfniß entſpricht. Durch ein be-
ſonderes, dem Geſetz als Beilage angehängtes Regulativ iſt
die Größe, Beſchaffenheit, Ausſtattung des erforderlichen Raumes
ſowohl für Garniſonquartier als für vorübergehende Einquartierung
für die einzelnen Chargen ꝛc. beſtimmt worden 3). Dagegen hängt
die Zahl und Art der Truppen, welche an einem gewiſſen Ort
dauernd oder vorübergehend unterzubringen ſind, ausſchließlich von
der Entſcheidung der Militairbefehlshaber ab. Die Anweiſung
einer Garniſon erfolgt in jedem Falle durch Anordnung des
Kaiſers (in Bayern des Königs); bevor dieſelbe erlaſſen wird, ſind
4)
[321]§. 93. Die Friedensleiſtungen.
zwiſchen dem Generalkommando und der oberen Verwaltungsbe-
hörde Verhandlungen über die Zuläſſigkeit der Belegung und die
Garniſonſtärke zu führen 1). Das Maximum, bis zu welchem die
garniſonmäßigen Quartierleiſtungen von der Gemeinde im Ganzen
verlangt werden können, iſt durch ein von der Gemeindebehörde all-
jährlich aufzuſtellendes Einquartierungskataſter zu beſtimmen 2). Bei
Kantonnements und Märſchen wird das Bedürfniß durch
die Marſchroute feſtgeſtellt, d. i. eine Urkunde, welche von
der oberen Verwaltungsbehörde auf Requiſition der militairiſchen
Kommandobehörde ausgefertigt wird. Das Original derſelben er-
hält der Kommandoführer der marſchierenden Truppe, eine Ab-
ſchrift die Aufſichtshehörde des mit Einquartierung zu belegenden
Bezirks 3).
c) Die Pflicht zur Quartierleiſtung iſt eine Reallaſt. Der-
ſelben ſind alle benutzbaren d. h. für Einquartirung, Stallung oder
als Geſchäfts-, Wacht- und Arreſtlokale geeignete 4) Baulichkeiten
unterworfen, ſoweit dadurch der Inhaber in der Benutzung der für
ſeine Wohnungs-, Wirthſchafts- und Gewerbebetriebs-Bedürfniſſe
unentbehrlichen Räumlichkeiten nicht behindert wird 5). Unter
welchem Rechtstitel der Quartierträger die Räume inne hat, iſt
rechtlich unerheblich, wenngleich es den einzelnen Gemeinden ge-
ſtattet iſt, bei der Untervertheilung der Leiſtungen hierauf Rückſicht
zu nehmen (ſiehe unten S. 323); die Laſt liegt auf dem Gebäude
als ſolchem. Dieſem Charakter der Einquartirungslaſt entſpricht es,
daß der Quartierträger zu neuen, einen Koſtenaufwand verurſachen-
den Herſtellungen nicht verpflichtet iſt, es ſei denn, daß ihm eine
Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 21
[322]§. 93. Die Friedensleiſtungen.
vollſtändige Entſchädigung Seitens des Reiches dafür gewährt wird 1).
Die Räume müſſen aber von dem Quartierträger mit den zu ihrer
Benutzung für Einquartirungszwecke erforderlichen Utenſilien ausge-
ſtattet werden 2) und er iſt von der Verpflichtung zur Anſchaffung
derſelben nicht befreit.
Den Quartierträgern iſt es geſtattet, ihre Verbindlichkeit da-
durch zu erfüllen, daß ſie andere geeignete Quartiere zur Verfü-
gung ſtellen. Dieſelben ſind der das Quartier vertheilenden Be-
hörde anzumelden und von dieſer zu prüfen; wenn dieſelbe das
anderweitige Quartier zurückweist, ſo findet gegen dieſe Verfügung
keine Berufung ſtatt. Erfolgt die Annahme ſolcher Quartiere, ſo
tritt der Inhaber in die Obliegenheiten des urſprünglich Verpflich-
teten ein 3).
d)Befreit von der Einquartierungslaſt ſind nur die im
Quartierleiſt.Geſ. §. 4 Abſ. 2 aufgeführten Gebäude; alle andern
Befreiungen ſind aufgehoben 4). In wie weit für die Aufhebung
der Befreiung eine Entſchädigung in Anſpruch genommen werden
kann, iſt nach Maßgabe der Landesgeſetze zu beurtheilen.
[323]§. 93. Die Friedensleiſtungen.
2. Vertheilung und Geltendmachung der Ein-
quartierungslaſt.
a) Obgleich die Pflicht zur Quartierleiſtung eine auf den Ge-
bäuden ſelbſt ruhende Reallaſt iſt, ſo erfolgt doch die Geltendma-
chung derſelben nicht unmittelbar gegen den Beſitzer, ſondern durch
Vermittelung der Gemeinden, denen die ſelbſtſtändigen Gutsbezirke
vollkommen gleichgeſtellt ſind. Die örtliche Vertheilung der Quartier-
leiſtung erfolgt auf die Gemeinde- und Gutsbezirke im Ganzen; den
Vorſtänden derſelben liegt die weitere Untervertheilung und die
Fürſorge für die gehörige und rechtzeitige Erfüllung der Quartier-
leiſtungen ob. In den Städten kann die Verwaltung der Ein-
quartierungs-Angelegenheiten beſonderen Deputationen übertragen
werden 1). In den Landkreiſen und analogen Verbänden regeln
Kommiſſionen, welche aus dem Landrath, Amtshauptmann u. ſ. w.
und zwei Mitgliedern beſtehen, die Grundſätze und Ausführung der
allgemeinen Vertheilung der Einquartierung auf den betreffen-
den Kreis; beſtehen derartige Vertretungen in einem Bundesſtaate
nicht, ſo bleibt die Regulirung dieſer Angelegenheit der Landesge-
ſetzgebung überlaſſen 2). In jedem einzelnen Gemeindebezirk
wird die Vertheilung der Laſt durch Gemeindebeſchluß oder durch
Ortsſtatut geregelt; für die Beſchlußfaſſung ſind dieſelben Grund-
ſätze wie für die Einführung von Gemeindeſteuern maßgebend 3).
Durch ein ſolches Statut kann nun zwar keinem Gebäudebeſitzer
eine größere Laſt als die ihn geſetzlich treffende auferlegt werden;
es können aber die individuellen Verhältniſſe eine billige Berück-
ſichtigung finden, es kann beſtimmt werden, daß nur die Eigen-
thümer und Nutznießer der Gebäude, nicht deren Miether, heran-
gezogen werden ſollen; es kann angeordnet werden, daß diejenigen,
welche die Quartierleiſtung effectiv übernehmen, aus Gemeinde-
mitteln Zuſchüſſe erhalten; es kann endlich feſtgeſetzt werden, daß
4)
21*
[324]§. 93. Die Friedensleiſtungen.
die einzuquartierenden Truppen von dem Gemeindevorſtand in ge-
mietheten Quartieren untergebracht und in welcher Weiſe die da-
durch entſtehenden Koſten gedeckt werden ſollen. Zwiſchen ſelbſt-
ſtändigen Gutsbezirken und Gemeinden können Verbände zur ge-
meinſamen Leiſtung der Einquartierungslaſt nach Maßgabe des
Ortsſtatuts eingegangen werden 1). In den dazu geeigneten Ort-
ſchaften, namentlich in großen Städten oder ausgedehnten Land-
gemeinden, können beſondere Quartierbezirke gebildet werden 2).
Der Ortsvorſtand kann nach Ablauf von drei Monaten einen
allgemeinen oder theilweiſen Wechſel der Quartiere vornehmen,
nach Ablauf einer kürzeren Friſt nur mit Zuſtimmung der Mili-
tairbehörde 3).
b) Der Gemeindevorſtand oder die vorgeſetzte Aufſichtsbehörde
deſſelben ſind befugt, die Quartierträger durch Anwendung admi-
niſtrativer Zwangsmittel zur Erfüllung ihrer Obliegenheiten —
mit Einſchluß der Beſchaffung der erforderlichen Utenſilien — anzu-
halten und die verauslagten Koſten von dem Verpflichteten auf
dem für die Einziehung der Gemeindeabgaben vorgeſchriebenen
Wege beizutreiben 4). Ebenſo haben die erwähnten Behörden Be-
ſchwerden über mangelhafte oder nicht vollſtändige Quartierleiſtung
endgültig zu erledigen. Die einquartierten Offiziere oder Mann-
ſchaften ſind indeß nicht berechtigt, die Beſchwerde unmittelbar bei
dem Gemeindevorſtand oder der Kommunal-Aufſichtsbehörde vor-
zubringen; zur Erhebung der Beſchwerde iſt vielmehr in Garni-
ſonen nur der Garniſonälteſte oder deſſen Beauftragter, auf Mär-
ſchen ꝛc. der Truppenbefehlshaber, beziehentl. der Fourieroffizier
befugt 5), ſo daß dieſen Offizieren eine Vorprüfung in Betreff der
ihnen gemeldeten oder von ihnen bemerkten Mängel obliegt. Dem
entſpricht es, daß auch Beſchwerden der Quartiertträger durch
die Kommunal-Behörden in Gemeinſchaft mit den genannten Offi-
[325]§. 93. Die Friedensleiſtungen.
zieren zu erledigen ſind; können ſich beide nicht einigen, ſo erfolgt
die endgültige Entſcheidung von der höheren Verwaltungsbehörde
unter Zuziehung des Truppenkommando’s 1).
c) Die Zuweiſung der Quartiere, Stallungen ꝛc. an die Trup-
pen erfolgt mittelſt Quartierbillets2). Dieſelben ſind vom
Ortsvorſtande auszufertigen; ſie enthalten die genaue Bezeichnung
der zu belegenden Quartiere mit Beifügung der Charge und Kopf-
zahl der Einzuquartierenden; ſie ſind den Truppen zu übergeben,
denen ſie zur Legitimation den einzelnen Quartierträgern gegenüber
dienen; gegen Gewährung des Quartiers werden ſie den letzteren
ausgehändigt 3).
3. Die Entſchädigung. (Servis.)
a)Die Höhe der vom Reiche (reſp. von Bayern) zu ge-
währenden Entſchädigung beſtimmt ſich durch den Servistarif und
die Klaſſeneintheilung der Orte, welche einer allgemeinen, alle 5
Jahre zu wiederholenden Reviſion unterliegen 4). Ueberdies iſt
der Kaiſer ermächtigt, unter Zuſtimmung des Bundesraths die
Verſetzung einzelner Orte aus einer niederen Servisklaſſe in eine
höhere anzuordnen 5). Seit dem 1. April 1879 iſt der durch das
Reichsgeſ. v. 3. Aug. 1878 feſtgeſtellte Servistarif nebſt Klaſſen-
eintheilung in Kraft getreten. Der Tarif unterſcheidet in ähnlicher
Weiſe wie der Tarif zum Reichsgeſetz v. 30. Juni 1873 über den
Wohnungsgeldzuſchuß 6) Servisſtufen nach dem Range 7) und theilt
[326]§. 93. Die Friedensleiſtungen.
die Orte nach den Theuerungsverhältniſſen in 6 Servisklaſſen ein 1).
Der hiernach ſich ergebende Jahresſervis wird wieder in der Art
vertheilt, daß auf die Wintermonate (1. Oktober bis 31. März)
ein größerer Antheil als auf die Sommermonate fällt 2).
b) Die Berechnung der zu zahlenden Entſchädigungsſumme
erfolgt in der Art, daß für jeden Einquartierungstag 1/30 des
Monatsbetrages gewährt wird. Dabei wird der Abgangtag nicht
mitgerechnet und wenn Ankunft und Abzug auf einen Tag fällt 3),
eine Vergütung nicht gezahlt. Für ganze Kalendermonate wird
ohne Rückſicht auf die Anzahl ihrer Tage ein Servis für 30 Tage
gerechnet 4). Eine Entſchädigung wird in der Regel nur für die
Zeit der wirklichen Quartierleiſtung gezahlt; ausgenommen ſind
nur einige Fälle, in denen für kranke, arretirte, beurlaubte oder
kommandirte Mannſchaften oder für die zu den Uebungen ausge-
rückten Truppen die ihnen eingeräumten Wohnungen, Stallungen
u. ſ. w. reſervirt bleiben 5).
c) Die Zahlung des Serviſes erfolgt an den Ortsvor-
ſtand und zwar in den Garniſonen allmonatlich 6) In Kanton-
nements und auf Märſchen empfangen die Ortsvorſtände von den
Truppentheilen Quartierbeſcheinigungen und liquidiren 7) auf Grund
derſelben die Servisentſchädigungen vierteljährlich bei derjenigen
[327]§. 93. Die Friedensleiſtungen.
Intendantur, zu deren Bezirk die mit Einquartierung belegten
Ortſchaften gehören 1). Die Befriedigung der einzelnen Quartier-
geber iſt Sache des Ortsvorſtandes 2).
d) Die Entſchädigungsanſprüche für gewährtes Naturalquar-
tier ſowie alle Nachforderungen verjähren, wenn ſie nicht bis
zum Ablauf des Kalenderjahres, welches auf dasjenige folgt, in
welchem die Zahlungsverpflichtung begründet worden iſt, bei dem
Gemeindevorſtand, beziehungsw. der vorgeſetzten Kommunal-Auf-
ſichtsbehörde angemeldet werden 3). Dieſe Vorſchrift bezieht ſich
lediglich auf die Anſprüche der Quartiergeber gegen die Gemeinde,
dagegen nicht auf die Forderungen der Gemeinden gegen die Reichs-
kaſſe, da dieſelben nicht „bei dem Gemeindevorſtand angemeldet
werden“ können. Ueber die Verjährung dieſer Anſprüche ent-
hält das Reichsgeſetz gar keine Beſtimmung; ſie richtet ſich daher
nach den Landesgeſetzen 4).
II.Naturalverpflegung.
Die Verabreichung der Naturalverpflegung an Truppen kann
nur als Acceſſorium der Quartierleiſtung gefordert werden, nie-
mals als ſelbſtſtändige Verpflichtung. Im Allgemeinen beſtehen
daher für dieſe Militairlaſt auch dieſelben Vorſchriften, wie für die
Einquartierungslaſt, insbeſondere hinſichtlich der Durchführung der-
ſelben durch Vermittlung der Gemeinden; im Einzelnen ſind aber
[328]§. 93. Die Friedensleiſtungen.
theils durch die Verſchiedenheit der Leiſtung Unterſchiede begründet,
theils beſchränken die Vorausſetzungen, unter denen die Anforde-
rung zuläſſig iſt, ſie auf ein engeres Gebiet.
1. Vorausſetzungen und Inhalt.
a) Jeder Quartiergeber iſt verpflichtet, die bei ihm ein-
quartirten Offiziere und Mannſchaften zu verpflegen, wofern
ſich dieſelben auf Märſchen befinden. Dies gilt ſowohl für die
Marſch- und Ruhetage, als auch für die auf dem Marſche eintre-
tenden Aufenthaltstage; dagegen beſteht eine geſetzliche Verpflich-
tung zur Naturalverpflegung weder für Truppen in Garniſonen
noch für Truppen in Kantonnements 1).
b) Der mit Verpflegung [Einquartierte] — ohne Unterſchied der
militair. Charge — muß ſich in der Regel mit der Koſt des Quar-
tiergebers begnügen. Im Falle des Streites muß ihm aber das-
jenige in gehöriger Zubereitung gewährt werden, was er nach dem
Reglement bei einer Verpflegung aus dem Magazine zu fordern
berechtigt ſein würde 2).
2. Geltendmachung.
a) Die Verpflichtung zur Naturalverpflegung tritt ein auf
Grund der von den zuſtändigen Civil-Behörden ausgeſtellten
Marſchrouten; nur in dringenden Fällen kann die zuſtändige
Militairbehörde die Leiſtungen direkt von der Gemeindebehörde
und, wenn dieſe nicht rechtzeitig zu erreichen iſt, von den Leiſtungs-
pflichtigen unmittelbar requiriren 3). Alle Requiſitionen der Mili-
[329]§. 93. Die Friedensleiſtungen.
tairbehörden, ſowohl die an die Civilbehörden wegen Ausſtellung
der Marſchrouten als auch die unmittelbar an die Gemeinden oder
Quartiergeber gerichteten, müſſen ſchriftlich erfolgen und Umfang,
Ort und Zeit der in Anſpruch zu nehmenden Leiſtung genau be-
zeichnen. Ebenſo iſt über die erfolgte Marſchverpflegung von der
Militairbehörde oder dem Kommandoführer eine ſchriftliche Be-
ſcheinigung zu ertheilen 1).
b) Die örtliche Vertheilung der Leiſtung erfolgt wie die Ver-
theilung der Einquartierung durch die zuſtändige Civilbehörde auf
die Gemeinden im Ganzen. Ebenſo gelten für die Unterverthei-
lung dieſelben Regeln wie ſie das Quartierleiſtungsgeſetz aufſtellt.
Die Gemeinden können die Leiſtungen aber auch ohne Unterver-
theilung für eigene Rechnung übernehmen und die erwachſenden
Koſten auf die hierdurch von unmittelbarer Leiſtung befreiten Pflich-
tigen nach Verhältniß ihrer Verpflichtung zur Naturalleiſtung um-
legen oder ohne Weiteres aus der Gemeindekaſſe beſtreiten. Die
Gemeindevorſtände ſind befugt, die Leiſtungspflichtigen durch ad-
miniſtrative Zwangsmittel zur Erfüllung ihrer Obliegenheiten an-
zuhalten, beziehungsw. den auf ſie entfallenden Koſtenbetrag auf
dem für die Einziehung der Gemeindeabgaben vorgeſchriebenen
Wege beizutreiben 2).
c) Die Vorſtände der Gemeinden und ſelbſtſtändigen Guts-
bezirke ſind verpflichtet, für die rechtzeitige Beſchaffung der Marſch-
verpflegung zu ſorgen. Unterläßt ein Gemeindevorſtand die Er-
füllung dieſer Pflicht, ſo iſt bei Gefahr im Verzuge die Mi-
litairbehörde berechtigt, die Leiſtung ohne Zuziehung des Gemeinde-
Vorſtandes anderweit zu beſchaffen und von letzterem, falls ihm
eine Verſäumniß zur Laſt fällt, Erſatz der für die Militairver-
waltung entſtandenen Mehrkoſten zu verlangen 3).
3. Entſchädigung.
a) Die Höhe der für die Marſchverpflegung zu zahlenden
Vergütung iſt ohne Rückſicht auf die Klaſſeneintheilung der Orte
dieſelbe und ebenſowenig macht die Servisklaſſe oder die Charge
[330]§. 93. Die Friedensleiſtungen.
des Einquartirten einen Unterſchied. Jedoch iſt für Offiziere und
im Offiziersrange ſtehende Aerzte und Militairbeamte, wenn ſie
ſich nicht ausdrücklich mit der magazinmäßigen Verpflegung ein-
verſtanden erklärt haben, der doppelte Betrag des Vergütungs-
ſatzes zu entrichten 1). Die Normalhöhe des letzteren iſt geſetzlich
für die einzelnen Mahlzeiten feſtgeſtellt und beträgt für die volle
Tageskoſt 80 Pf. (ohne Brot 65 Pf.). Wenn jedoch der Preis
des Winterroggens nach dem Durchſchnitte der November-Markt-
preiſe in Berlin, München, Königsberg und Mannheim für 1000
Kilogr. mehr als 160 M. beträgt, ſo wird im folgenden Jahre
für je 10 M. des Mehrbetrages die Vergütung für die volle
Tageskoſt um 5 Pf., bis zum Maximalbetrage von einer Mark
erhöht und ebenſo in entſprechendem Verhältniß die übrigen Ver-
gütungsſätze 2). Demgemäß werden die hiernach für das folgende
Jahr zur Anwendung kommenden Vergütungsſätze durch den Reichs-
anzeiger öffentlich bekannt gemacht 3). Die Feſtſtellung der Ver-
gütungsſätze erfolgt vom Reichskanzler-Amte. Der Bundes-
rath iſt außerdem befugt, bei außergewöhnlicher Theurung der
Lebensmittel die Vergütungsſätze zeitweiſe für das ganze Bun-
desgebiet oder für einzelne Theile deſſelben über den Normalſatz
von 80 Pf. bis zu 1 M. und auch über den Betrag von einer
Mark hinaus zu erhöhen 4).
b) Die Zahlung für empfangene Marſchverpflegung erfolgt
von dem Kommandoführer an den Gemeindevorſtand und
zwar ſofort 5). Iſt ausnahmsweiſe die ſofortige Bezahlung nicht
thunlich geweſen, ſo iſt der Betrag von dem Gemeindevorſtande,
beziehentl. der Aufſichtsbehörde desſelben, auf Grund der über
die erfolgte Leiſtung ertheilten Beſcheinigung zu liquidiren 6). Die
Befriedigung der einzelnen Quartiergeber für die von ihnen
[331]§. 93. Die Friedensleiſtungen.
in natura gewährte Marſchverpflegung liegt dem Gemeindevor-
ſtand ob 1).
c) Ueber die Verjährung der Anſprüche auf Entſchädi-
gung gelten dieſelben Regeln wie bei der Quartierleiſtung 2).
III.Fourage-Lieferung.
Die Verpflichtung zur Verabreichung der Fourage iſt der Ver-
pflichtung zur Marſchverpflegung inſoferne ganz gleichartig, als ſie
nur auf den Unterhalt der Pferde und ſonſtigen Zugthiere der auf
Märſchen befindlichen Theile der bewaffneten Macht, und zwar
ſowohl für die Marſch- und Ruhetage, als auch für die Liegetage,
ſich erſtreckt. Aber auch darin ſteht ſie unter denſelben Regeln wie
die Verpflegungslaſt, daß ſie durch Vermittlung der Gemeinden
geltend gemacht wird, daß die Vertheilung demnach auf die Gemein-
den im Ganzen erfolgt, daß denſelben die Wahl frei ſteht, ob ſie
die Laſt durch Untervertheilung auf die Beſitzer von Fouragebe-
ſtänden oder durch unmittelbare Lieferung auf Gemeindekoſten er-
füllen wollen, daß die Entſchädigung an den Gemeinde-Vorſtand
für die Geſammtleiſtung bezahlt wird und dieſem die Befriedigung
der einzelnen Verpflichteten für die von dieſen gelieferten Beſtände
obliegt, daß über Marſchrouten, Requiſitionen, Beſcheinigungen,
Liquidationen und Verjährung dieſelben Vorſchriften gelten. Ein
rechtlicher Unterſchied zwiſchen beiden Militairlaſten beſteht ledig-
lich in folgenden Beziehungen:
1. Vorausſetzungen und Inhalt.
a) Die Verpflichtung trifft alle Beſitzer von Fouragebeſtän-
den, gleichviel ob zugleich ihre Stallungen auf Grund der Ein-
quartierungslaſt in Anſpruch genommen werden oder nicht 3). Wie
alle Militairlaſten iſt aber auch dieſe Verpflichtung eine ſubſi-
diäre. Die Verabfolgung der Fourage darf daher in keinem
Falle gefordert werden, wenn am Orte des Marſchquartiers Ma-
gazinverwaltungen oder Lieferungs-Unternehmer der Militairver-
[332]§. 93. Die Friedensleiſtungen.
waltung vorhanden ſind; und auch an ſolchen Orten, wo dies
nicht der Fall, darf die Fourage-Lieferung für Heeresabtheilungen
mit mehr als 25 Pferden nur dann gefordert werden, wenn der
Bedarf im Wege des Vertrages gegen ortsübliche Preiſe durch
die Militair-Intendantur nicht rechtzeitig hat ſichergeſtellt werden
können 1).
b) Die Verpflichtung bezieht ſich nur auf die für den eigenen
Wirthſchaftsbedarf entbehrlichen Beſtände; wenn im Gemeindebe-
zirk ſolche entbehrliche Beſtände in dem erforderlichen Maaße nicht
vorhanden ſind, ſo tritt an die Stelle der Pflicht zur Lieferung
der Fourage die Verpflichtung, ſie gegen die tarifmäßige Vor-
ſpannvergütung von der nächſten militairiſchen Verabreichungsſtelle
abzuholen. Der Gemeindevorſtand iſt dafür verantwortlich, daß
die Abholung rechtzeitig bewirkt werde 2).
c) Zur Fourage gehört Hafer, Heu und Stroh; ſie iſt in
guter Qualität nach Gewicht zu liefern. Die Größe der Rationen
iſt in der Ausführungs-Inſtr. v. 2. Sept. 1875 Ziff. 3 feſtgeſetzt.
2. Entſchädigung.
Die Vergütung für verabreichte Fourage erfolgt nach dem
Durchſchnittspreiſe des Kalendermonats, in welchem die Lieferung
ſtattgefunden hat. Bei der Berechnung des Durchſchnittspreiſes
werden die Marktpreiſe desjenigen Ortes zu Grunde gelegt, wel-
[333]§. 93. Die Friedensleiſtungen.
cher für die Landlieferungen nach § 19 des Kriegsleiſtungsgeſetzes
maßgebend iſt 1). Die höheren Verwaltungsbehörden ſind ver-
pflichtet, dieſe Durchſchnittspreiſe durch die öffentl. Anzeigeblätter
regelmäßig bekannt zu machen und bei Einreichung der Liquidatio-
nen an die Intendantur hat die zuſtändige Civilbehörde die Rich-
tigkeit der angeſetzten Preiſe zu beſcheinigen 2).
IV.Vorſpannleiſtung3).
1. Vorausſetzungen und Inhalt der Ver-
pflichtung.
a) Verpflichtet zur Stellung von Vorſpann ſind alle Beſitzer
von Zugthieren und Wagen; unter dieſen ſind aber in erſter Linie
diejenigen heranzuziehen, welche aus dem Vermiethen ihrer Thiere
und Wagen oder dem Betriebe des Fuhrweſens ein Gewerbe ma-
chen. Befreit ſind nur die im § 3 des Naturall.Geſ. aufgeführten
Perſonen 4); es ſind im Weſentlichen dieſelben, welche auch nach
dem Kriegsleiſtungsgeſetz § 25 Befreiung von der zwangsweiſen
Pferdeaushebung genießen.
b) Die Stellung von Vorſpann kann nur gefordert werden
für die auf Märſchen, in Lagern oder in Kantonnirungen befind-
lichen Theile der bewaffneten Macht; niemals für Truppen in
Garniſonen. Dagegen iſt die Verpflichtung kein Acceſſorium der
Quartierleiſtung, Naturalverpflegung und Fourageleiſtung, ſondern
ſie kann für ſich allein geltend gemacht werden.
c) Nur inſoweit der Bedarf im Wege des Vertrages gegen
[334]§. 93. Die Friedensleiſtungen.
ortsübliche Preiſe durch die Militair-Intendantur nicht rechtzeitig
hat ſichergeſtellt werden können, darf er durch Geltendmachung der
geſetzl. Vorſpannlaſt befriedigt werden 1).
d) Der geſtellte Vorſpann ſoll der Regel nach nicht länger
als einen Tag benutzt werden; eine längere Benutzung iſt nur in
den dringendſten Fällen zuläſſig.
e) Die Stellung von Vorſpann umfaßt die Stellung von Fuhr-
werken, Geſpannen 2) und Geſpannführen; dagegen iſt die Ver-
pflichtung zur Stellung von Reitpferden in dem Reichsgeſetz nicht
anerkannt und ſonach da, wo ſie partikularrechtlich beſtanden hat,
aufgehoben. Der Umfang, in welchem im einzelnen Falle Vor-
ſpannleiſtungen gefordert werden dürfen, iſt durch die Ausführungs-
verordnung zu normiren, deren Erlaß in Bayern dem Könige, im
ganzen übrigen Reichsgebiet dem Kaiſer übertragen iſt 3). An
die Stelle der früheren Vorſchriften ſind jetzt die Anordnungen
unter Ziff. 2 der Verordn. v. 11. Juli 1878 (in Bayern vom
28. Aug. 1878) getreten 4).
2. Geltendmachung.
Auch die Laſt der Vorſpannleiſtung wird durch Vermittelung
der Gemeinden geltend gemacht und es finden daher dieſelben
Vorſchriften Anwendung wie bei der Quartierleiſtung, Marſchver-
pflegung und Fouragelieferung. Nur der eine Umſtand begründet
eine Abweichung, daß die Vorſpannleiſtung häufig in ſolchen Fällen
erforderlich wird, welche ſich nicht vorherſehen laſſen, ſo daß bei
[335]§. 93. Die Friedensleiſtungen.
Ausſtellung der Marſchrouten auf ſie keine Rückſicht genommen
werden kann. An Stelle der Marſchrouten treten daher beſondere
Anordnungen. Dieſelben ſind in der Regel aber auch von den
zuſtändigen Civilbehörden auf Requiſition der Intendanturen zu
erlaſſen und nur in dringenden Fällen darf die Requiſition direct
von der Militairbehörde an die Gemeindebehörden oder an die
einzelnen Verpflichteten gerichtet werden 1).
3. Entſchädigung.
a) Die Höhe der Vergütung für Vorſpann iſt vom Bundes-
rath von Zeit zu Zeit für jeden Bezirk eines Lieferungsverban-
des 2) feſtzuſtellen. Maßgebend ſind dafür die in dem betreffenden
Bezirke üblichen Fuhrpreiſe. Die Feſtſtellung des Bundesrathes
iſt endgültig d. h. die Entſcheidung im Rechtswege über die An-
gemeſſenheit der Vergütungsſätze iſt ausgeſchloſſen 3). Der gegen-
wärtig geltende Tarif iſt vom Bundesrath am 25. Juni 1875
beſchloſſen worden; er beruht auf einer Eintheilung der Lieferungs-
verbände in 4 Klaſſen 4).
b) Die Berechnung der Vergütungsſumme erfolgt tage-
weiſe; werden die Fuhren einen halben Tag oder darunter in An-
ſpruch genommen, ſo wird ein halber Tag berechnet. In Anſatz
zu bringen iſt auch die Fahrt vom Wohnort nach dem Stallungs-
orte und zurück, wenn die Entfernung mehr als 7½ Kilometer
beträgt; in dieſem Falle iſt eine Wegeſtrecke bis zu 15 Kilom
einem halben Tage gleichzuſetzen 5).
c) Die Zahlung erfolgt im Ganzen an die Gemeindebe-
hörde, welcher die Befriedigung der einzelnen Fuhrwerksbeſitzer
obliegt. Sie erfolgt in der Regel ſofort Seitens der Truppen-
theile; ausgenommen iſt der Vorſpann zur Anfuhr der Verpfle-
[336]§. 93. Die Friedensleiſtungen.
gungs- und Bivouaksbedürfniſſe und des Fouragebedarfs, für wel-
chen die Beträge monatlich bei den Intendanturen zu liquidiren
ſind. Ueber die Verjährung kommen dieſelben Regeln zur An-
wendung wie bei den andern durch Vermittlung der Gemeinden
geltend zu machenden Militairlaſten.
d) Außer der Vergütung iſt dem Eigenthümer voller Er-
ſatz zu leiſten für Verluſt, Beſchädigung und außergewöhnliche
Abnutzung an Zugthieren, Wagen und Geſchirr, welche in Folge
oder bei Gelegenheit der Vorſpann- oder Spanndienſtleiſtung ohne
Verſchulden des Eigenthümers oder des von ihm geſtellten Geſpann-
führers entſtanden ſind 2). Die Feſtſtellung des Erſatzanſpruches
erfolgt in derſelben Weiſe wie bei Flurſchäden 3). Die Forderung
erliſcht, wenn ſie nicht binnen 4 Wochen nach dem Eintritt
der behaupteten Beſchädigung angemeldet worden iſt 4). Die
Anmeldung iſt an den Gemeindevorſtand zu richten, dem die Ein-
leitung des Verfahrens zur Feſtſtellung der Entſchädigungsſumme
obliegt 5).
V.Stellung von Schiffsfahrzeugen6).
1. Vorausſetzungen und Inhalt der Ver-
pflichtung.
a) Verpflichtet zur Stellung von Schiffsfahrzeugen ſind alle
Beſitzer ſolcher Fahrzeuge, ausgenommen die Inhaber öffent-
licher Fähren und anderer öffentlicher Transportanſtalten hin-
ſichtlich derjenigen Fahrzeuge, welche nach Anordnung der zu-
ſtändigen Behörden oder auf Grund abgeſchloſſener Verträge von
ihnen für die öffentliche Benutzung gehalten werden müſſen.
b) Die Erfüllung dieſer Laſt kann nur für die Kaiſerliche
Marine gefordert werden und nur zu folgenden Zwecken:
α) für Truppentransporte an und von Bord außerhalb der
Kriegshäfen und
β) für Ausrüſtungen von Schiffen mit Proviant, Inventar,
1)
[337]§. 93. Die Friedensleiſtungen.
Kohlen und ſonſtigem Material aller Art an ſolchen Orten, an
denen die Marine keine etablirten Proviant-, Inventarien- und
Kohlendepots beſitzt.
c) Die Verpflichtung iſt nur begründet, inſoweit die eigenen
Fahrzeuge der Kriegsmarine für die gedachten Zwecke nicht aus-
reichen und die nöthigen Fahrzeuge nicht gegen angemeſſene Ver-
gütung im Wege des Vertrages beſchafft werden können.
d) Die in Anſpruch genommenen Fahrzeuge ſind in einem
zur Ausführung des Transports geeigneten Zuſtande und mit dem
erforderlichen Perſonal zu ſtellen und die Verpflegung des Per-
ſonals iſt von dem Schiffseigenthümer zu bewirken 1).
2. Geltendmachung.
Den Gemeinden liegt die Durchführung dieſer Militairlaſt
nicht ob; ſie wird vielmehr gegen die einzelnen Schiffseigenthümer
unmittelbar geltend gemacht. Dabei haben jedoch die Hafenpoli-
zeibehörden und in Ermangelung ſolcher die Ortspolizeibehörden
zur Vermittelung zu dienen, welche Seitens der Marinebehörden
auf ſchriftlichem Wege in Anſpruch zu nehmen iſt 2).
3. Entſchädigung.
Sowohl die Vergütung für die geleiſteten Dienſte wie der
Erſatz für Verluſt, Beſchädigung und außergewöhnliche Abnutzung
am Fahrzeug nebſt Zubehör, welche in Folge oder gelegentlich der
geforderten Leiſtung ohne Verſchulden des Beſitzers oder des von
ihm geſtellten Schiffers entſtanden ſind, werden in dem für Schätz-
ung der Flurſchäden vorgeſchriebenen Verfahren feſtgeſtellt 3). Die
Forderung iſt bei dem Vorſtande derjenigen Gemeinde anzumel-
den, in deren Bezirk die Leiſtung in Anſpruch genommen worden
iſt; dieſer Behörde liegt es ob, die zur Feſtſtellung der Ver-
gütung erforderlichen Verhandlungen herbeizuführen 4). Für die
Anmeldung der Anſprüche auf Vergütung der Dienſte beſteht eine
Präcluſivfriſt bis zum Ablauf des Kalenderjahres, welches auf
das Jahr folgt, in dem die Dienſte geleiſtet worden ſind; für die
Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 22
[338]§. 93. Die Friedensleiſtungen.
Forderung wegen Schadenserſatzes beträgt die Anmeldungsfriſt vier
Wochen von dem Eintritte der behaupteten Beſchädigung an 1).
VI.Transportleiſtungen der Eiſenbahnen.
Die Verpflichtung der Eiſenbahnverwaltungen zur Beförderung
der bewaffneten Macht und des Materials des Landheeres und
der Marine kann an ſich als eine beſondere Militairlaſt nicht
erachtet werden; denn Eiſenbahnen, welche der Benutzung des Pu-
blikums übergeben ſind, haben den Charakter öffentlicher
Verkehrsanſtalten, ihre Benutzung darf daher Niemandem verwei-
gert werden, der ſich den allgemeinen Vorſchriften und Reglements
unterwirft, mithin darf ſie auch der Militairverwaltung weder ver-
ſagt noch durch beſondere Bedingungen erſchwert werden. Anderer-
ſeits iſt die Militair- und Marineverwaltung verbunden, ſich
den Vorſchriften der Betriebs- und Polizeireglements zu unter-
werfen und ſie kann keine Transportleiſtungen verlangen, die mit
den allgemeinen Betriebseinrichtungen und der Ausrüſtung der
Eiſenbahn unvereinbar ſind.
Eine beſondere Verpflichtung iſt den Eiſenbahnverwaltungen
nur inſoferne auferlegt worden, als ſie das Militair und alles
Kriegsmaterial zu gleichen ermäßigten Sätzen zu befördern
verpflichtet ſind. Dieſe Laſt iſt in der Reichsverfaſſung
Art. 47 anerkannt 2). Die Reichsverf. hat aber nicht beſtimmt,
wie dieſe ermäßigten Sätze feſtzuſtellen ſind; ſie verordnet nur, daß
die Eiſenbahn-Verwaltungen nicht berechtigt ſind, für Militair-
transporte die gewöhnlichen tarifmäßigen Sätze zu liquidiren und
daß die zu gewährende Vergütung für ſämmtliche Eiſenbahnen
gleich ſein ſoll. In dieſer Beziehung iſt Art. 47 der R.V. nä-
her ausgeführt worden durch § 15 des Naturalleiſt.Geſ., welcher
beſtimmt, daß der allgemeine Tarif vom Bundesrath zu er-
laſſen und von Zeit zu Zeit zu revidiren ſei 3). Der Tarif iſt
ſonach nicht mit den Eiſenbahn-Verwaltungen zu vereinbaren, ſon-
[339]§. 93. Die Friedensleiſtungen.
dern er wird vom Reich einſeitig feſtgeſtellt und zwar durch das
Organ des Bundesrathes. Hierin allein beſteht die Militairlaſt
der Eiſenbahnen in Friedenszeiten 1).
Dieſer allgemeine, im § 15 cit. vorgeſehene Tarif iſt bis jetzt
vom Bundesrath noch nicht beſchloſſen worden. Es iſt jedoch be-
reits im Jahre 1870 ein Reglement für die Beförderung von
Truppen und Armeebedürfniſſen auf den Staats eiſenbahnen
und den unter Staatsverwaltung ſtehenden Privat-Eiſenbahnen
innerhalb des Gebiets des Norddeutſchen Bundes (incl. Südheſſen),
ſowie im gegenſeitigen Verkehr zwiſchen den Staatsgebieten des
Norddeutſchen Bundes, Bayerns, Württembergs und Badens unter
den Regierungen vereinbart worden, welches zugleich einen Tarif
enthält 2). Dieſes Reglement iſt auch von den meiſten anderen
Eiſenbahnen freiwillig angenommen worden 3) und auf den Reichs-
Eiſenbahnen in Elſaß-Lothringen zur Einführung gelangt 4).
VII.Laſten der Beſitzer von Grundſtücken.
1. Die Befugniß der Truppen, Grundſtücke zu Uebungs-
zwecken zu benutzen, iſt in dem Reichsgeſetz nicht direkt anerkannt
worden; da aber für die Ausübung dieſer Befugniſſe gewiſſe Be-
ſchränkungen aufgeſtellt ſind, ſo iſt damit auch die Verpflichtung
der Grundſtückbeſitzer, die Ausübung dieſer Befugniß innerhalb
dieſer Beſchränkungen zu dulden, als eine beſtehende vorausge-
ſetzt5). Ausgeſchloſſen von jeder Benutzung bei Truppenübungen
22*
[340]§. 93. Die Friedensleiſtungen.
ſind Gebäude, Wirthſchafts- und Hofräume, Gärten, Parkanlagen,
Holzſchonungen, Dünen-Anpflanzungen, Hopfengärten und Wein-
berge, ſowie Verſuchsfelder land- und forſtwirthſchaftlicher Lehr-
anſtalten und Verſuchsſtationen. Außerdem iſt den Militairbehör-
den die Verpflichtung auferlegt worden, wenn kultivirte Grund-
ſtücke zu Truppenübungen benutzt werden ſollen, zuvor die betreffen-
den Ortsvorſtände davon zu benachrichtigen, damit die vorzugsweiſe
zu ſchonenden Ländereien durch Warnungszeichen kenntlich gemacht
werden. Eine rechtliche Wirkung iſt mit der Aufſtellung der War-
nungszeichen nicht verbunden; weder iſt es den Truppen verbo-
ten, die durch Warnungszeichen bemerkbar gemachten Grundſtücke
dennoch zu benutzen, noch iſt die Pflicht des Schadenserſatzes da-
5)
[341]§. 93. Die Friedensleiſtungen.
von abhängig gemacht worden, daß ſolche Zeichen wirklich aufge-
richtet worden ſind 1). Die Warnungszeichen haben vielmehr nur
den Zweck, die Truppen darauf aufmerkſam zu machen, daß die
betreffenden Grundſtücke ſowohl im landwirthſchaftlichen als im
fiskaliſchen Intereſſe möglichſt zu ſchonen ſind 2).
2. Eine Eigenthumsbeſchränkung iſt dagegen in dem Natural-
leiſtungsgeſ. § 12 ausdrücklich anerkannt hinſichtlich der Brunnen
und Tränken. Die Beſitzer derſelben ſind verpflichtet, deren Mit-
benutzung Seitens der marſchirenden, bivouakirenden, kantonniren-
den und übenden Truppen — abgeſehen von den Uebungen der
Truppen auf ihren ſtändigen Exerzier- und Schießplätzen — zu
dulden, falls die vorhandenen öffentlichen Brunnen und Tränken
für die Bedürfniſſe der Truppen nicht ausreichen und zwar auch
dann, wenn zu dieſem Zwecke Wirthſchafts- und Hofräume betre-
ten werden müſſen. Ferner ſind die Beſitzer von Schmieden ver-
pflichtet, marſchirende, bivouakirende und kantonnirende Truppen zur
Mitbenutzung der Schmieden zuzulaſſen 3).
3. Eine Vergütung für die Benutzung von Grundſtücken zu
Truppenübungen, ſowie für die Benutzung von Brunnen und Trän-
ken haben die Beſitzer nicht zu beanſpruchen; dagegen ſind ihnen
die dadurch entſtehenden Schäden zu erſetzen. Die Höhe der-
ſelben iſt zunächſt durch Vereinbarung zu beſtimmen; gelingt es
nicht, eine Einigung zu erzielen, ſo iſt der Betrag auf Grund ſach-
verſtändiger Schätzung zu ermitteln 4).
Das hierbei zu beobachtende Verfahren iſt durch die Ausf.-
Inſtr. v. 11. Juli 1878 Ziff. 8 geregelt; geſetzlich iſt nur vorge-
ſchrieben, daß bei der Auswahl der Sachverſtändigen die Vertre-
tungen der Kreiſe oder gleichartigen Verbände mitzuwirken haben
und daß die Betheiligten zum Schätzungstermine vorzuladen ſind 5).
[342]§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
Die Flurſchäden ſind bei dem Ortsvorſtande anzumelden, der zu-
nächſt darüber zu entſcheiden hat, ob und inwieweit die Aberntung
der beſchädigten Felder vorzunehmen iſt. Die Abſchätzungskommiſſion
für Flurſchäden, welche durch größere Truppenübungen (Korps,
Diviſionen und Artillerie-Schießübungen) verurſacht worden ſind,
beſteht aus einem Kommiſſar der betheiligten Landesregierung,
einem Offizier, einem Militairbeamten, und mindeſtens zwei Sach-
verſtändigen 1). Der Kommiſſar leitet die Verhandlungen. Die
Gutachten der Sachverſtändigen bilden die Grundlage für die Er-
wägungen der Kommiſſion, ſind für dieſelbe aber nicht bindend.
Die Beſchlußfaſſung erfolgt nach Stimmenmehrheit; die Stimme
des Kommiſſars giebt im Falle der Stimmengleichheit den Aus-
ſchlag. Die Feſtſtellung der Vergütung hat möglichſt bald nach
Entſtehung des Schadens ſtattzufinden 2). Für die Anmeldung der
Entſchädigungsanſprüche beſteht die Präcluſivfriſt von vier Wo-
chen 3). Die Beſitzer von Schmieden haben eine angemeſſene
Vergütung für die Mitbenutzung derſelben zu beanſpruchen; hin-
ſichtlich der Feſtſtellung dieſer Vergütung kommen dieſelben Regeln
wie bei dem Erſatz der Flurſchäden zur Anwendung, auch die vier-
wöchentliche Anmeldungsfriſt.
§ 94. Die Kriegsleiſtungen*).
A. Allgemeine Grundſätze.
1. Die Vorſchriften des Geſetzes vom 13. Juni 1873 ſind
Ausnahmebeſtimmungen für Kriegszeiten; ſie treten in Wirkſamkeit
5)
[343]§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
von dem Tage ab, an welchem die bewaffnete Macht mobil ge-
macht wird, und ſie verlieren ihre Anwendbarkeit mit dem Zeit-
punkt, mit welchem der Friedenszuſtand wieder eintritt. Beides,
ſowohl die Mobilmachung als die Zurückführung auf den Frie-
denszuſtand, kann für einzelne Theile des Heeres und der Ma-
rine angeordnet werden; wenn und inſoweit dies der Fall iſt, dür-
fen die Kriegsleiſtungen nur für die im mobilen Zuſtande befind-
lichen, augmentirten oder in Bewegung geſetzten Theile der be-
waffneten Macht, ſowie zur Herſtellung der nothwendigen Ver-
theidigungsanſtalten in Anſpruch genommen werden. Das Kriegs-
leiſtungsgeſetz kann alſo partiell in Wirkſamkeit und wieder außer
Wirkſamkeit geſetzt werden. Die Abgränzung iſt aber keine räum-
liche und ebenſowenig eine ſachliche d. h. auf einzelne Arten von
Kriegsleiſtungen beſchränkte; ſondern ſie betrifft den Umfang, in
welchem die Leiſtungen erhoben werden dürfen, indem derſelbe durch
das Bedürfniß der mobilgemachten Theile der bewaffneten Macht
ſich beſtimmt 1).
2. Dem allgemeinen Begriff der Militairlaſten entſprechend
*)
[344]§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
iſt die Verpflichtung zu Kriegsleiſtungen eine ſubſidiäre, die nur
ſoweit geltend gemacht werden darf, als für die Bedürfniſſe nicht
anderweitig durch freien Ankauf oder andere Geſchäfte des Privat-
rechts oder durch Entnahme aus den Magazinen geſorgt werden
kann 1). Die Frage aber, ob und in wie weit im einzelnen Falle
das militairiſche Bedürfniß die Beanſpruchung von Kriegsleiſtun-
gen nothwendig macht, iſt lediglich von den zuſtändigen Militair-
behörden zu entſcheiden. Den Requiſitionen derſelben iſt promp-
ter Gehorſam zu leiſten; die Beſtreitung des Bedürfniſſes hat in
keiner Beziehung einen ſuſpenſiven Effect; die ſofortige Erfüllung
kann durch Zwangsmittel herbeigeführt werden 2). Der richter-
lichen Beurtheilung unterliegt die Frage, ob die Militairbehörde
für die Befriedigung der Bedürfniſſe anderweitig ſorgen konnte
und ob ein Bedürfniß zur Erhebung der Leiſtungen überhaupt
vorhanden geweſen iſt, auch dann nicht, wenn auf Grund der that-
ſächlich erfolgten Leiſtungen Anſprüche an den Reichsfiskus erhoben
werden. Dagegen iſt dieſe Frage der richterlichen Beurtheilung
in dem Falle unterworfen, wenn ein Militairbeamter oder Offizier
wegen geſetzwidriger Requiſition perſönlich auf Schadenserſatz ver-
klagt wird. Die Beweislaſt für die behauptete Geſetzwidrigkeit liegt
in dieſem Falle ſelbſtverſtändlich dem Kläger ob, da ſie zur Klage-
begründung gehört. Hinſichtlich der perſönlichen Verantwortlichkeit
der Militairperſonen iſt hierbei zu beachten, daß auf alle Militair-
beamten, insbeſondere alſo auch auf die Intendanturbeamten, das
Reichsbeamtengeſetz § 13 und 154 Anwendung findet, auf die Per-
ſonen des Soldatenſtandes dagegen nicht 3).
3. Auch für die Kriegsleiſtungen gilt im Allgemeinen der
[345]§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
Satz, daß für dieſelben Vergütung zu gewähren iſt 1). Nur
einige Leiſtungen ſind hiervon ausgenommen, welche mehr mit Un-
bequemlichkeiten als mit poſitiven Vermögenseinbußen für den Ver-
pflichteten verbunden ſind, nämlich die Gewährung von Quartier
und Stallung an durchmarſchirende oder kantonnirende Truppen und
die Ueberlaſſung von Gemeinde-Gebäuden, Plätzen u. ſ. w. zu
Kriegszwecken 2). In dieſen Fällen werden nur die Auslagen und
poſitiven Beſchädigungen erſetzt; vorbehaltlich einer Schadloshal-
tung derjenigen Gemeinden oder Perſonen, welche in außergewöhn-
lichem Maaße belaſtet worden ſind, nach Maßgabe eines Spezial-
geſetzes 3). Eigenthümlich für die Kriegsleiſtungen iſt jedoch die
Art, in welcher die Vergütung gewährt wird. Nur ausnahms-
weiſe beſteht dieſelbe in Baarzahlung 4); in der Regel werden über
die Vergütungs-Anſprüche auf Grund der feſtgeſtellten Liquidation
Anerkenntniſſe d. h. Schuldurkunden des Reichsfiskus aus-
geſtellt und demjenigen übergeben, welcher die Vergütung zu ver-
langen hat 5). Der Bundesrath hat die Behörden zu beſtimmen,
bei welchen die Vergütungsanſprüche anzumelden und von welchen
die Anerkenntniſſe auszuſtellen ſind, und das dabei zu beobachtende
Verfahren vorzuſchreiben 6). Die Anerkenntniſſe lauten auf be-
[346]§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
ſtimmte Geldſummen, welche vom erſten Tage des auf die Leiſtung
folgenden Monats an mit vier Procent verzinst werden. Die
Einlöſung und Zinszahlung findet nach Maßgabe der verfügbaren
Mittel ſtatt. Die Inhaber werden von den oberen Verwaltungs-
behörden durch öffentliche Bekanntmachung in den amtl. Anzeige-
blättern zur Empfangnahme von Kapital und Zinſen bei den zu
bezeichnenden öffentlichen Kaſſen aufgefordert. Mit dem Ende des
Monats, in welchem dieſe Bekanntmachung erfolgt iſt, hört der
Zinſenlauf auf. Die Anerkenntniſſe haben den rechtlichen Charak-
ter von Scriptur-Obligationen; ſie lauten auf den Namen des
Gläubigers (Gemeinde, Lieferungsverband), können aber veräußert
(indoſſirt) und verpfändet werden und die Zahlung der Beträge
erfolgt gültig an die Inhaber der Anerkenntniſſe gegen Rück-
gabe derſelben. Die Legitimation der Inhaber zu prüfen, iſt
die zahlende Kaſſe berechtigt, aber nicht verpflichtet 1).
Nach Wiedereintritt des Friedenszuſtandes haben die oberen
Verwaltungsbehörden durch Bekanntmachung in den amtlichen An-
zeigeblättern eine Aufforderung zur Anmeldung aller noch nicht
angemeldeten Anſprüche auf Vergütung zu erlaſſen. Die Friſt zur
Anmeldung bei den Behörden der Gemeinden und Lieferungsver-
bände beträgt ein Jahr und beginnt mit dem Tage der Ausgabe
des Anzeigeblattes; den Gemeinden und Lieferungsverbänden iſt
eine weitere Friſt von drei Monaten zur Anmeldung bei den Staats-
behörden gewährt. Die Friſt iſt eine präcluſiviſche, mit deren Ab-
lauf die nicht angemeldeten Anſprüche erlöſchen 2).
4. Ueber die Grundſätze, nach welchen die Vergütung zu be-
6)
[347]§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
meſſen iſt, und über das dabei zu beobachtende Verfahren enthält
das Kriegsleiſtungsgeſetz für die meiſten Arten von Leiſtungen ſpe-
zielle Vorſchriften. Soweit dies nicht der Fall iſt, hat der Bun-
desrath die Behörden zu beſtimmen, denen die Feſtſetzung obliegt,
und das von ihnen zu beobachtende Verfahren, insbeſondere den
etwa einzuhaltenden Inſtanzenzug, anzuordnen 1). In allen Fällen,
in denen das Geſetz nichts Anderes vorſchreibt, erfolgt die Feſt-
ſetzung der Vergütung auf Grund der Schätzung von Sachverſtän-
digen, bei deren Auswahl die Vertretungen der Kreiſe oder gleich-
artigen Verbände mitzuwirken haben 2). Zum Schätzungstermin
ſind die Betheiligten vorzuladen und ſind befugt, Einwendungen
gegen das Reſultat der Ermittelungen zu erheben. Die Koſten
des Feſtſtellungsverfahrens, ſoweit ſie nicht durch eine Verſchuldung
des Forderungsberechtigten entſtanden ſind, fallen dem Reiche zur
Laſt 3).
Abgeſehen von dieſer regelmäßigen, im Kriegsleiſtungsgeſetz
ſelbſt normirten Vergütung iſt eine nachträgliche Schadloshaltung
derjenigen Bezirke, Gemeinden oder Perſonen vorbehalten, welche
durch Kriegsleiſtungen außergewöhnlich belaſtet werden, wofern
nach dem Geſetz für die Leiſtung gar keine oder keine hinreichende
Entſchädigung gewährt wird. Dasſelbe gilt hinſichtlich der durch
den Krieg verurſachten Beſchädigungen an beweglichem und unbe-
weglichem Eigenthum (ſogen. Kriegsſchäden). Umfang und Höhe
der zu gewährenden Entſchädigung, ſowie das Verfahren bei Feſt-
ſtellung derſelben ſind aber jedes Mal durch Spezialgeſetz des
Reiches zu beſtimmen 4). So lange ein ſolches Spezialgeſetz nicht
erlaſſen iſt, kann der Entſchädigungs-Anſpruch gegen das Reich
rechtlich nicht durchgeführt werden 5).
[348]§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
5. Die Kriegsleiſtungen werden in dem Geſetz eingetheilt in
Verpflichtungen der Gemeinden und Lieferungsverbände, der Eiſen-
bahnverwaltungen und der Beſitzer von Schiffsfahrzeugen und von
Pferden. Rückſichtlich der letzteren 3 Klaſſen unterliegt das Sub-
ject der Verpflichtung keinem Zweifel; dagegen bedarf die Stellung
der Gemeinden nnd die völlig gleichartige der Lieferungsverbände
einer näheren Erörterung, da ſie für die Kriegsleiſtungen in an-
derer Weiſe wie für die Friedensleiſtungen geregelt iſt. Die Ge-
ſetze über die [Quartierleiſtung] und über die Naturalleiſtungen
im Frieden erkennen dem Vorſtande der Gemeinden durchweg
nur die Function eines Verwaltungs-Organes zu, durch deſſen
Thätigkeit die Militairlaſten durchgeführt und geltend gemacht
werden, während die eigentlich Verpflichteten die Beſitzer der
Wohnungen u. ſ. w. ſind. Die Verpflichtung der Gemeinde-Vor-
ſtände beſchränkt ſich daher auf diejenige Thätigkeit, welche zur
Ausführung der Requiſitionen erforderlich iſt, und ihre Verant-
wortlichkeit geht nur darauf, daß ſie hierbei die gehörige Sorg-
falt anwenden. Zwar ſteht es den Gemeinden frei, ſtatt der Heran-
ziehung der Einzelnen zur Naturalleiſtung die Requiſition auf
Koſten der Gemeinde zu erfüllen und von den Einzelnen die auf
ſie entfallenden Antheile einzuziehen; es hängt dies aber von dem
Belieben der Gemeinde ab; die Gemeinde als ſolche haftet nicht
für die Erfüllung der Militairlaſt; die Leiſtung auf Gemeinde-
koſten iſt zwar in solutione, aber nicht in obligatione.
Für die Kriegsleiſtungen dagegen, welche durch Vermittlung
der Gemeinden geltend gemacht werden, reicht die Haftung derſel-
ben weiter. Das Geſetz erklärt dieſe Gemeinden ſelbſt als die
dem Reiche verpflichteten Subjekte 1), desgleichen die Lieferungs-
verbände 2); und erklärt nicht blos die Gemeindevorſtände für ver-
antwortlich für die Fürſorge behufs Durchführung der Requiſition,
5)
[349]§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
ſondern macht die Gemeinden als ſolche verantwortlich für die
vollſtändige und rechtzeitige Erfüllung der geforderten Leiſtungen
ſelbſt 1). Dem entſprechend ſteht auch der Anſpruch auf Vergütung
den Gemeinden als ſolchen zu und die Anerkenntniß-Scheine wer-
den auf den Namen der Gemeinden (oder Lieferungsverbände) aus-
geſtellt.
Deſſen ungeachtet ſind die einzelnen Gemeinde-Angehörigen
von der direkten Verpflichtung zur Erfüllung der Militairlaſten nicht
frei. Denn die Gemeinden ſind berechtigt, behufs Erfüllung der
geforderten Leiſtungen die zur Theilnahme an den Gemeindelaſten
Verpflichteten 2), ſowie die ſonſt in der Gemeinde ſich aufhalten-
den oder Eigenthum in derſelben beſitzenden Angehörigen des Reichs
zu Naturalleiſtungen und Dienſten aller Art heranzuziehen, insbe-
ſondere auch die in den Gemeindebezirken gelegenen Grundſtücke
und Gebäude — mit Ausnahme der landesherrlichen Schlöſſer
und der unmittelbar zu Staatszwecken dienenden Gebäude oder
Gebäudetheile — zu benutzen und ſich nöthigenfalls zwangsweiſe
in deren Beſitz zu ſetzen 3). Dieſelben Befugniſſe ſtehen den Liefe-
rungsverbänden zu, die ſich hierbei der Vermittlung der Gemeinden
bedienen können 4). Das Rechtsverhältniß iſt alſo in folgender
Weiſe zu conſtruiren: Verpflichtet zu den Kriegsleiſtungen dem
Reich gegenüber ſind prinzipiell die einzelnen Reichsangehörigen
und die einzelnen Beſitzer der im Reichsgebiet befindlichen, für
Kriegsleiſtungen erforderten Vermögensſtücke; die Befugniß des
Reiches zur zwangsweiſen Erhebung der Leiſtungen iſt aber den
Gemeinden delegirt und dafür iſt den Gemeinden die
Haftung für Erfüllung der geforderten Leiſtungen aufer-
legt. Eine Beſtätigung findet dies in dem Satz, daß bei Weige-
rung oder Säumniß der Gemeinden die Civilbehörden und bei
Gefahr im Verzuge auch die Militairbehörden befugt ſind, die
Leiſtung von den einzelnen Angehörigen der Gemeinden resp. von
den Beſitzern der erforderlichen Gegenſtände direkt zwangsweiſe
[350]§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
herbeizuführen 1). Eine fernere Conſequenz dieſes Grundſatzes iſt
die, daß die Untervertheilung der Leiſtungen innerhalb der Ge-
meinde und die Art und Weiſe der Aufbringung den Gemeinden
überlaſſen iſt und daß dieſe Verhältniſſe theils durch die Gemeinde-
geſetzgebung der Einzelſtaaten, theils durch Ortsſtatut oder Ge-
meindebeſchluß geordnet werden können, daß dadurch aber das
Recht des Reiches nicht beſchränkt werden kann, im Bedürfnißfalle
alle im Bereich der Gemeinde ſich vorfindenden Hülfsmittel für
Kriegsleiſtungen in Anſpruch zu nehmen.
Quartierleiſtung und Naturalverpflegung können die Gemein-
den für eigene Rechnung übernehmen und die erwachſenden Koſten
auf die hiedurch von unmittelbarer Leiſtung befreiten Pflichtigen
nach Verhältniß ihrer Verpflichtung zur Naturalleiſtung umlegen,
ſo daß alſo auch die Externen, wofern ſie in der Gemeinde Be-
ſitzthum haben, heranzuziehen ſind 2). Alle andern durch die Lei-
ſtungen entſtehenden Baarkoſten ſind von den zur Theilnahme an
den Gemeindelaſten Verpflichteten aufzubringen; das Verhältniß,
in welchem ſie zu den Gemeindelaſten im Frieden beitragen iſt
daher auch für dieſe Baarkoſten maßgebend. Die Vergütung für
die den Gemeinden obliegenden Laſten wird — wie bemerkt —
dieſen gewährt; die Gemeinden ſind aber verbunden, den mit
Naturalleiſtungen und Dienſten in Anſpruch Genommenen die Ver-
gütung in dem Umfange zu gewähren, in welchem ſie vom Reiche
geleiſtet wird 3). Zur ſofortigen, vorſchußweiſen Bezahlung dieſer
[351]§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
Beträge ſind aber die Gemeinden nur in den Fällen beſonderer
Bedürftigkeit oder unverhältnißmäßiger Belaſtung einzelner Lei-
ſtungspflichtiger verbunden; der Regel nach iſt die Vergütung erſt
dann von der Gemeinde auszuzahlen, wenn ſie ihr vom Reiche
zur Verfügung geſtellt wird, und zwar mit Einſchluß der vom Reiche
gezahlten Zinſen. Dem Einzelnen iſt inzwiſchen über die von ihm
gemachte Leiſtung eine Beſcheinigung von der Gemeinde auszu-
ſtellen 1).
Dieſelben Rechtsregeln finden analoge Anwendung auf die
Lieferungsverbände und auf die an Stelle derſelben verpflichteten
Staaten von geringem Gebietsumfange 2).
Bei denjenigen Kriegsleiſtungen, welche unmittelbar gegen die
Verpflichteten (Eiſenbahnverwaltungen, Schiffsbeſitzer, Pferdebeſitzer)
geltend gemacht werden, findet eine Verpflichtung der Gemeinden
und eine Mitwirkung derſelben bei der Durchführung der Requi-
ſitionen, ſowie bei Feſtſtellung und Auszahlung der Vergütung
nicht ſtatt.
B. Die einzelnen Kriegsleiſtungen.
I.Laſten der Gemeinden.
a) Umfang der Laſt. Für die bewaffnete Macht, ein-
ſchließlich des Heergefolges iſt Quartier, ſowie für die zugehörigen
Pferde iſt Stallung zu gewähren, ſoweit Räumlichkeiten hierfür
vorhanden ſind 3). Eine andere Einſchränkung für dieſe Kriegs-
laſt als die thatſächliche Leiſtungsfähigkeit der Gemeinde beſteht
nicht; weder ſind gewiſſe Gebäude befreit, noch haben die Inhaber
der Räumlichkeiten einen rechtlich anerkannten Vorrang für die
Befriedigung ihrer eigenen Wohnungs- und Gewerbebetriebs-Be-
dürfniſſe.
b) Vergütung. Dieſelbe wird nach den für den Friedens-
zuſtand geltenden Sätzen 4) gewährt: für die Truppentheile, welche
3)
[352]§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
ſchon vor der Mobilmachung zur Beſatzung des Ortes gehörten,
bis zu ihrem Ausmarſche; ferner für die Truppentheile, welche
zur Beſatzung des Ortes nach der Mobilmachung einrücken 1),
insbeſondere auch für die Beſatzung der Etappenorte; endlich für
Erſatztruppen in den Standquartieren. Ueber die Beſchaffenheit,
Größe, Ausſtattung u. ſ. w. des zu gewährenden Quartiers finden
in dieſen Fällen die für den Friedenszuſtand geltenden Vorſchriften,
alſo namentlich die Anordnungen des Regulativs zum Quartier-
leiſtungsgeſetz, Anwendung 2).
Für Truppen, welche ſich auf dem Marſche oder in Kanton-
nements befinden, wird keine Vergütung für Naturalquartier und
Stallung gewährt 3). Nur die auf Requiſition der Militairbehörde
gemachten Auslagen, insbeſondere behufs Ausſtattung der
Quartiere mit dem nothwendigen Mobiliar, ſind dem Quartier-
geber zu erſetzen. Solche Requiſitionen ſind auf die Grenzen des
unabweisbaren Bedürfniſſes zu beſchränken. Der Einquartirte
muß ſich mit demjenigen begnügen, was nach Maßgabe der ob-
waltenden Verhältniſſe angewieſen werden kann; d. h. er hat
keinen Anſpruch darauf, daß das Quartier den für den Friedens-
zuſtand gegebenen Vorſchriften genügt 4).
a) Umfang der Laſt. Die Verpflichtung iſt beſchränkt
auf die Verpflegung der auf Märſchen und in Kantonnirungen
befindlichen Theile der bewaffneten Macht, einſchließlich des Heer-
gefolges; die Leiſtung kann alſo nicht gefordert werden für Be-
ſatzungstruppen und Erſatztruppen 5). Andererſeits iſt ihre Er-
füllung nicht davon abhängig, daß eine genügende Menge von
[353]§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
Nahrungsmitteln in dem Gemeindebezirk vorräthig iſt; vielmehr
ſind die Gemeinden verbunden, im Bedürfnißfalle ſie anzuſchaffen 1).
Der Einquartierte hat ſich in der Regel mit der Koſt des Quar-
tiergebers zu begnügen; im Falle des Streites iſt ihm dasjenige zu
gewähren, was er reglementsmäßig bei einer Verpflegung aus
dem Magazin zu erhalten hätte 2).
b) Die Vergütung erfolgt nach den für den Friedenszu-
ſtand beſtehenden Sätzen 3).
a) Der Umfang der Laſt beſtimmt ſich ganz ebenſo wie
der der Naturalverpflegungspflicht 4).
b) Vergütung. Für die Fourage, welche aus den in der
Gemeinde vorhandenen Beſtänden geliefert wird, werden die Durch-
ſchnittspreiſe der letzten zehn Friedensjahre, mit Weglaſſung des
theuerſten und des wohlfeilſten Jahres, bewilligt; für die Fourage
dagegen, welche die Gemeinde durch Ankauf herbeizuſchaffen ge-
nöthigt war, erfolgt die Vergütung nach den Durchſchnittspreiſen,
welche zur Zeit der Lieferung 5) in dem Marktorte des Lieferungs-
verbandes beſtanden, zu deſſen Bezirk die Gemeinde gehört 6).
Wenn die Gemeinde in der Liquidation die letzterwähnten Preiſe
in Anwendung bringt, ſo liegt ihr der Nachweis ob, daß die
nöthige Fourage zur Zeit der geforderten Leiſtung im Gemeinde-
bezirk in der That nicht vorhanden war.
Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 23
[354]§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
a) Umfang der Laſt. Alle im Gemeindebezirk vor-
handenen Transportmittel und Geſpanne ſind den Truppen für
militairiſche Zwecke zur Verfügung zu ſtellen 1). Es beſtehen keine
geſetzlichen Befreiungen; zur Anſchaffung von Wagen und Zug-
thieren ſind die Gemeinden aber nicht verpflichtet. Hinſichtlich der
Zeit, für welche der Vorſpann in Anſpruch genommen werden
kann, iſt geſetzlich keine Schranke gezogen; das Bedürfniß allein
entſcheidet.
b) Vergütung. Dieſelbe erfolgt nach denſelben Grund-
ſätzen wie für die Vorſpannleiſtung im Frieden; die Vorſchriften
des Naturalleiſt.-Geſetzes §. 9 Ziff. 1 ſind dem Kriegsleiſtungsgeſ.
§. 12 Ziff. 1 entnommen. Die Höhe der Vergütung wird dem-
nach durch einen vom Bundesrath zu beſchließenden Tarif normirt
und tageweiſe berechnet 2). Mit Rückſicht darauf aber, daß die
Fuhrdienſte im Kriege auch für längere Zeit gefordert werden
können, iſt die Beſtimmung hinzugefügt worden, daß bei Fuhren,
die länger als 48 Stunden von ihrer Heimath fern gehalten wer-
den, den Führern und Zugthieren auf der ihnen vorzuſchreiben-
den Etappenſtraße freies Quartier und freie Verpflegung zu ge-
währen iſt, und zwar ohne Kürzung der zu vergütenden Fahr-
preiſe 3).
Außer der Vergütung für die Fuhrdienſte iſt dem Eigen-
thümer voller Erſatz für die Verluſte, Beſchädigung und außer-
gewöhnliche Abnutzung an Zugthieren, Wagen und Geſchirr zu
gewähren, welche in Folge oder gelegentlich der Vorſpann- oder
Spanndienſtleiſtungen ohne Verſchulden des Eigenthümers oder
des von ihm geſtellten Geſpannführers entſtanden ſind. Wenn
Fuhren länger als 48 Stunden außerhalb ihrer Heimath oder auf
unbeſtimmte Dauer in Anſpruch genommen werden, ſo ſind Zug-
thiere, Wagen und Geſchirr vor dem Abgang durch Sachverſtändige
zu taxiren und dem Eigenthümer der Erſatz auf Grund der Taxe
zu zahlen; iſt aber eine vorherige Schätzung nicht möglich, ſo ſoll
der Werth nachträglich feſtgeſtellt werden, wofür die allgemeinen
[355]§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
Vorſchriften des §. 33 des Kriegsl.-Geſetzes in Anwendung zu
bringen ſind 1).
a) Umfang der Laſt. Die Gemeinden ſind verpflichtet
zur Stellung der in der Gemeinde anweſenden Mannſchaften
zum Dienſte als Geſpannführer, Wegweiſer und Boten, ferner
zum Wege- Eiſenbahn- und Brückenbau, desgleichen zu fortifika-
toriſchen Arbeiten und zu Fluß- und Hafenſperren, und endlich
zu Boots- und Prahmdienſten 2). Die Verpflichtung der Gemein-
den geht nicht auf Herſtellung des erforderlichen Werks (opus),
ſondern auf Lieferung der Arbeitskräfte (operae) zur Verfügung
der Militairbehörde. Die Verwendung der Arbeiter iſt der letz-
teren überlaſſen. Die Gemeinde iſt zwar nicht verpflichtet, aus-
wärtige Arbeitskräfte herbeizuſchaffen, ſondern ſie braucht nur die
anweſenden (arbeitsfähigen) Männer zu ſtellen; es iſt ihr aber
unbenommen, der Requiſition in der Art zu genügen, daß ſie die
verlangte Anzahl von Arbeitern miethet und dadurch die Mit-
glieder der Gemeinde als ſolche von der unmittelbaren Erfüllung
der Militairfrohnden befreit.
b) Vergütung. Für die Gewährung von Arbeitskräften
und Transportmitteln mit Ausnahme der Fuhrenleiſtung wird
eine Vergütung gewährt, welche nach den in gewöhnlichen
Zeiten ortsüblichen Preiſen berechnet wird 3).
a) Umfang der Laſt. Die Gemeinden ſind verpflichtet, der
Militairbehörde die für den Kriegsbedarf erforderlichen Grundſtücke
und vorhandenen Gebäude einzuräumen 4). Es macht in dieſer Be-
ziehung keinen Unterſchied, ob die Grundſtücke im Eigenthum oder
23*
[356]§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
in der Nutzung der Gemeinde ſelbſt ſich befinden oder nicht und
ebenſowenig iſt es von Belang, zu welchem Zwecke die Truppen
ſich der Grundſtücke und Gebäude bedienen, wofern er nur als
„Kriegszweck“ ſich charakteriſirt.
b) Vergütung. Keine Vergütung wird bezahlt für die
Ueberlaſſung der leerſtehenden oder disponiblen eigenen Gebäude
der Gemeinden, ſowie der freien Plätze, Oedungen und unbeſtell-
ten Aecker bis zur Zeit der Beſtellung. Dagegen wird Erſatz ge-
währt für die durch die Benutzung erweislich herbeigeführte Be-
ſchädigung und außerordentliche Abnutzung 1). Behufs Feſtſtellung
derſelben iſt bei der Uebernahme der Gebäude eine genaue Be-
ſchreibung des baulichen Zuſtandes und eine Werthstaxe aufzu-
nehmen und bei der Rückgabe die eingetretene Beſchädigung und
außerordentliche Abnutzung zu conſtatiren 2).
Für andere Grundſtücke wird eine Vergütung für die entzo-
gene Nutzung gewährt, ſofern der Anſpruch darauf nicht durch
das Rayongeſetz ausgeſchloſſen iſt (Vgl. unten §. 95) 3). Die
Vergütung iſt in allen Fällen durch Abſchätzung zu ermitteln 4).
Die Benutzung zu Kriegszwecken kann ſich in eine definitive
Expropriation verwandeln, wenn Grundſtücke zur Ergänzung forti-
fikatoriſcher Anlagen im Falle der Armirung einer Feſtung in
Anſpruch genommen worden ſind und nach eingetretener Desarmi-
rung nicht zurückgegeben werden. In dieſem Falle iſt die für
die Eigenthumsabtretung zu zahlende Enſchädigung nach Vorſchrift
des, in dem betreffenden Gebiete geltenden Enteignungsgeſetzes
feſtzuſtellen 5).
a) Umfang. Den Truppen ſind zu liefern die im Ge-
meindebezirke vorhandenen Materialien zur Anlegung von
Wegen, Eiſenbahnen, Brücken, Lagern, Uebungs- und Bivouaks-
[357]§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
plätzen, zu fortifikatoriſchen Anlagen und zu Fluß- und Hafen-
ſperren, ſowie das im Gemeindebezirk vorhandene Feuerungs-
material und Lagerſtroh für Lager und Bivouaks 1).
b) Die Vergütung wird berechnet nach den am Orte und
zur Zeit der Leiſtung beſtehenden Durchſchnittspreiſen 2); fehlt
es an ſolchen, z. B. hinſichtlich der Feldſteine, Erdmaterialien u.
ſ. w., ſo wird der Preis durch ſachverſtändige Schätzung er-
mittelt.
Eine Ausnahme hat das Geſetz jedoch hinſichtlich des für
Lager und Bivouaks gelieferten Feuerungsmaterials und Lager-
ſtrohes anerkannt, indem die Vergütung dafür nur nach den in
gewöhnlichen Zeiten (Friedenszuſtand) ortsüblichen Preiſen ge-
währt wird 3).
bedürfniſſe.
Zu den im Vorhergehenden aufgeführten, durch einen beſtimm-
ten Inhalt abgegränzten Kriegslaſten der Gemeinden hat das Ge-
ſetz noch eine generalis clausula hinzugefügt, kraft welcher die Ge-
meinden zur Leiſtung aller Dienſte und zur Lieferung aller
Gegenſtände verpflichtet ſind, welche das militairiſche Intereſſe
ausnahmsweiſe erforderlich machen könnte, ſoweit die hierzu
nöthigen Perſonen und Gegenſtände im Gemeindebezirke anweſend
oder vorhanden ſind 4). Als Beiſpiele führt das Geſetz die Liefe-
rung von Bewaffnungs- und Ausrüſtungsgegenſtänden, von Arznei-
und Verbandmitteln an. Dem ganz unbeſtimmten und unbegränz-
ten Umfang der Laſt entſpricht der ganz ſubſidiäre Charakter der-
ſelben; ihre Erfüllung ſoll nur „ausnahmsweiſe“ verlangt werden,
wenn ungewöhnliche Verhältniſſe ungewöhnliche Bedürfniſſe hervor-
rufen. Eine Sicherung gegen eine mißbräuchliche Geltendmachung
dieſer Laſt iſt dadurch geboten, daß die Vergütung für dieſe Lei-
ſtungen ausnahmsweiſe nicht durch Anerkenntnißſcheine, ſondern
baar aus den bereiteſten Beſtänden der Kriegskaſſe zu zahlen iſt 5).
[358]§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
Die Höhe der Vergütung beſtimmt ſich nach den Durchſchnitts-
preiſen am Ort und zur Zeit der erfolgten Leiſtung 1).
II.Landlieferungen.
Der Zweck der Landlieferungen iſt die Füllung der Kriegs-
magazine; ſie haben alſo nicht, wie die den Gemeinden aufer-
legten Kriegslaſten, die Beſtimmung, den augenblicklichen Bedürf-
niſſen der Truppentheile unmittelbar abzuhelfen, ſondern ſie ſollen
zur Anſammlung der Vorräthe dienen, welche zu einem ordnungs-
mäßigen Unterhalt der bewaffneten Macht im Wege der Magazin-
verpflegung erforderlich ſind. Zunächſt ſind dieſe Vorräthe durch
Ankäufe und ähnliche Rechtsgeſchäfte (Lieferungsverträge) anzu-
ſchaffen und zu ergänzen und nur im Nothfalle, d. h. falls der
Unterhalt für die bewaffnete Macht auf andere Weiſe nicht ſicher
zu ſtellen iſt, darf die Ausſchreibung von Landlieferungen er-
folgen 2).
Die Anordnung der Landlieferungen geſchieht deshalb durch
einen Beſchluß des Bundesrathes, welcher ſowohl das
thatſächliche Bedürfniß conſtatirt als auch den Umfang der Liefe-
rungen feſtſtellt 3). Objecte der Lieferung ſind: lebendes Vieh,
Brotmaterial, Hafer, Heu und Stroh.
a) Aus der Beſtimmung der Landlieferungen zur Füllung der
Kriegsmagazine zu dienen, ergiebt ſich, daß es ſich bei dieſer Mi-
litairlaſt um ſehr bedeutende Mengen von Nahrungsmitteln und
Fourage handelt. Die Gemeinden ſind daher, abgeſehen von den
großen Städten, nicht im Stande, ſie zu erfüllen. Vielmehr ſind
als Subjekte der Laſt Lieferungsverbände bezeichnet. Die
Bildung derſelben iſt den einzelnen Bundesſtaaten überlaſſen, den-
ſelben aber dabei die Rückſichtnahme auf angemeſſene Leiſtungs-
fähigkeit und auf die beſtehende Bezirkseintheilung zur Pflicht ge-
[359]§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
macht 1). Staaten von geringem Gebietsumfange iſt es freige-
ſtellt, von der Bildung von Lieferungsverbänden abzuſehen und
die Lieferungspflicht ſelbſt zu übernehmen 2).
b) Der Bundesrath hat feſtzuſetzen, welche Lieferungen von
den einzelnen Verbänden zu leiſten ſind, ſowohl der Art wie der
Größe nach. Hierbei, ſowie bei der Untervertheilung iſt darauf
Rückſicht zu nehmen, daß den einzelnen Verbänden nur die Liefe-
rung ſolcher Gegenſtände und Quantitäten auferlegt wird, die ſich
in deren Bereich in natura vorfinden 3).
c) Hinſichtlich der Obliegenheiten der Lieferungsverbände und
der ihnen zur Erfüllung derſelben zuſtehenden Befugniſſe gelten
dieſelben Vorſchriften, welche für die Gemeinden rückſichtlich der
ihnen obliegenden Kriegsleiſtungen gelten. Auch können ſich die
Lieferungsverbände zur Beſchaffung der von ihnen geforderten Lei-
ſtungen der Vermittlung der Gemeinden bedienen 4). In dem
letzteren Falle können die Laſten der Lieferungsverbände vermittelſt
der Untervertheilung thatſächlich in Gemeindelaſten aufgelöſt wer-
den; rechtlich aber bleibt der Lieferungsverband als ſolcher für
die ganze, ihm auferlegte Lieferung verpflichtet, ſo daß er für
die Antheile der etwa leiſtungsunfähigen oder ſäumigen Gemein-
den aufkommen muß.
Dieſelbe wird berechnet nach den Durchſchnittspreiſen
der letzten zehn Friedensjahre mit Weglaſſung des theuer-
ſten und des wohlfeilſten Jahres, indem für jeden Lieferungsver-
band die Preiſe des Hauptmarktortes (beziehentl. der in einzelnen
Bundesſtaaten auf Grund der Geſetze beſtimmten „Normal-Markt-
[360]§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
orte“) zu Grunde gelegt werden 1). Eine Ausnahme von dieſer
Regel beſteht jedoch für die Vergütung für geliefertes lebendes
Vieh. Dieſelbe iſt nach Maßgabe der ortsüblichen Friedenspreiſe
durch die Schätzung Sachverſtändiger feſtzuſtellen 2).
III.Kriegsleiſtungen der Eiſenbahn-Verwal-
tungen3).
Die Kriegslaſten der Eiſenbahn-Verwaltungen ſind verſchieden
nach Art, Umfang und Geltendmachung, je nachdem die Eiſen-
bahnen auf dem Kriegsſchauplatz ſelbſt oder in der Nähe deſſelben
ſich befinden oder nicht. Welche Eiſenbahnen als zu der erſteren
Kategorie gehörend anzuſehen ſind, beſtimmt der Kaiſer 4). Die
Grenze der beiden Rayons wird für alle in Betracht kommenden
Bahnlinien durch eine „Uebergangsſtation“ bezeichnet, auf welcher
der Uebergang aus dem gewöhnlichen in den Kriegsbetrieb ſtatt-
findet 5). Für die oberſte militairiſche Leitung des geſammten
Eiſenbahn-Weſens im Kriege wird nach Erlaß der Mobilmachungs-
Ordre ein „General-Inſpekteur“ ernannt; bis zur Ernennung deſ-
ſelben übernimmt der Chef des Generalſtabes der Deutſchen Ar-
mee deſſen Funktionen. Unter demſelben ſteht an der Spitze des
Eiſenbahnweſens im Kriegsrayon der „Chef des Feld-
Eiſenbahn-Weſens“, deſſen Obliegenheiten bis zu ſeiner Er-
nennung oder im Falle ſeiner Verhinderung von dem Chef der
Eiſenbahn-Abtheilung des Preuß. großen Generalſtabes wahrge-
nommen werden. Ihm liegt namentlich die Leitung des Betriebes
aller von den deutſchen Truppen occupirten Eiſenbahnen oder der
von der Armee ſelbſt conſtruirten Bahnſtrecken ob; er hat für die
geregelte Benutzung und Inſtandhaltung der Eiſenbahnen des
[361]§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
Kriegsſchauplatzes zu ſorgen und muß fortgeſetzt einen Ueberblick
über die Inanſpruchnahme und den Zuſtand der ſämmtlichen inlän-
diſchen und okkupirten ausländiſchen Eiſenbahnen haben. Er iſt
befugt, falls es ihm nothwendig erſcheint, beſondere Kommiſſare
zur Regelung und Ordnung der Bahn-Verhältniſſe innerhalb der
Grenzen ſeiner eigenen Befugniſſe abzuſenden 1). Für okkupirte
Bahnen werden Militair-Eiſenbahn-Direktionen eingeſetzt, die dem
Chef des Feld-Eiſenb.-Weſens untergeben ſind. Hinſichtlich aller
nicht im Kriegsrayon gelegenen und unter militairiſchen Ei-
ſenbahn-Direktionen ſtehenden Eiſenbahnen ſteht die Leitung des
Eiſenbahndienſtes für militairiſche Zwecke dem Chef der Eiſen-
bahn-Abtheilung im ſtellvertretenden Preuß. Generalſtabe
zu. Er iſt dem Chef des Feld-Eiſenbahnweſens unterſtellt und er-
hält von demſelben die allgemeinen Direktiven; er bewirkt die
Vertheilung der Transporte auf die verſchiedenen Linien unter
Mitwirkung des Reichs-Eiſenbahnamtes und unterhält den Ver-
kehr mit den Central-Civilverwaltungen 2). Die einzelnen Bahnen
bleiben zwar unter ihrer regelmäßigen Friedens-Verwaltung, für
beſtimmte Bahnſtrecken oder Bahn-Komplexe werden jedoch Linien-
Kommandanten ernannt, welche dem Chef der Eiſenbahn-Abtheilung
untergeben ſind 3).
Sowohl im Kriegsrayon als im Friedensrayon können Bahn-
hofs-Kommandanten ernannt werden; im Kriegsrayon befinden ſie
ſich im mobilen Verhältniß und ſind dem Militair-Eiſenbahn-Di-
rektor unterſtellt, wofern eine Militair-Eiſenbahn-Direktion einge-
richtet iſt; im Friedensrayon ſind ſie im nicht mobilen Dienſt und
einem Linien-Kommandanten untergeordnet. Sie haben den tech-
niſchen Stationsvorſtand in der Erfüllung der für Militairzwecke
ihm aufgetragenen Obliegenheiten zu unterſtützen 4).
a) Inhalt der Laſt. Alle Eiſenbahn-Verwaltungen im
Deutſchen Reiche ſind verpflichtet, die Beförderung der bewaffneten
Macht und der Kriegsbedürfniſſe zu bewirken 5). Unter Beförde-
[362]§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
rung iſt nicht blos die eigentliche Fortbewegung der Militairzüge,
ſondern auch jede dazu gehörende Hülfsleiſtung zu verſtehen. Ins-
beſondere gehört hierher das Beladen und Entladen der Wagen 1);
ferner die Freihaltung der Bahnhöfe, die Herſtellung von Rampen,
von proviſoriſchen Lagerräumen, Güterſchuppen, Schutzdächern; end-
lich die Ausrüſtung der Wagen, um ſie für die Beförderung von
Mannſchaften und Pferden benutzbar zu machen. Den Verwal-
tungen iſt in letzterwähnter Beziehung noch beſonders die Pflicht
auferlegt, dieſe Ausrüſtungsgegenſtände für ihre Eiſenbahnwagen
vorräthig zu halten 2). Der Bedarf an ſolchen Gegenſtänden wird
von den vereinigten Ausſchüſſen des Bundesrathes für das Land-
heer und die Feſtungen und für Eiſenbahnen, Poſt und Tele-
graphen feſtgeſetzt und durch das Reichs-Eiſenbahnamt, dem die
Ueberwachung der Ausführung obliegt, den einzelnen Eiſenbahn-
Verwaltungen mitgetheilt 3).
Das Maß, in welchem die Transportleiſtung einer Eiſenbahn
in Anſpruch genommen werden kann, iſt geſetzlich nicht beſtimmt;
es findet ſeine Grenze in der thatſächlichen Leiſtungsfähigkeit. Im
Kriegsrayon kann bis zu dieſer äußerſten Grenze gegangen wer-
den; die Feſtſtellung der Fahrpläne, ſowie die Zuläſſigkeit des
Privatverkehrs unterliegt den Beſtimmungen des Chefs des Feld-
Eiſenbahnweſens unter Mitwirkung des Reichseiſenbahnamtes. Bei
den übrigen Eiſenbahnen bleibt in der Regel, d. h. wenn nicht be-
[363]§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
ſondere Aufgaben zu erfüllen ſind, z. B. die ſchnelle Beförderung
großer Truppenmaſſen, der gewöhnliche Fahrplan beſtehen und die
Militairzüge ſind in denſelben einzuſchalten 1).
b) Die Geltendmachung der den Eiſenbahnen obliegen-
den Verpflichtung, die Vertheilung der Laſt auf die einzelnen Ver-
waltungen, das Verfahren bei den Requiſitionen, die Art und Weiſe
der Ausführung des Transportes, das Verhältniß der regelmä-
ßigen Verwaltungsbehörden zu den Militair-Behörden u. ſ. w. iſt
durch ein Reglement zu normiren, welches der Kaiſer mit Zu-
ſtimmung des Bundesrathes zu erlaſſen hat 2). Dieſes
Reglement iſt noch nicht ergangen; zur Zeit würde eintretenden
Falles die oben erwähnte Inſtruktion vom 20. Juli 1872 zur An-
wendung kommen.
c) Die Vergütung für die Transportleiſtungen wird be-
rechnet nach einem allgemeinen Tarife, welchen der Bundesrath
zu erlaſſen und von Zeit zu Zeit zu revidiren hat 3). Bis jetzt iſt
die Feſtſtellung deſſelben noch nicht erfolgt. Die Abrechnung
der Eiſenbahn-Verwaltungen mit den Militairbehörden iſt durch
das vom Kaiſer unter Zuſtimmung des Bundesrathes zu erlaſſende
Reglement zu ordnen 4). Die den Eiſenbahn-Verwaltungen zu zah-
lenden Beträge werden bis nach Eingang, Prüfung und Feſtſtel-
lung der Liquidationen geſtundet und von dem erſten Tage des
auf den Eingang der gehörig belegten Liquidation folgenden Mo-
mats an mit vier Prozent verzinst. Die Zahlung der feſt-
geſtellten Beträge und Zinſen findet nur nach Maßgabe der ver-
fügbaren Mittel ſtatt 5).
a) Inhalt der Laſt. Die Eiſenbahn-Verwaltungen ſind
verpflichtet, ihr zur Herſtellung und zum Betriebe von Eiſenbahnen
dienliches Material herzugeben 6). Zur Anſchaffung von Eiſen-
[364]§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
bahnmaterial um es der Militair-Verwaltung zu liefern, können
ſie nicht angehalten werden; ſie brauchen nur „ihr“ Material her-
zugeben, dieſes aber ohne Einſchränkung, ſelbſt wenn ſie dadurch
in betriebsunfähigen Zuſtand verſetzt werden 1). Die Verpflich-
tung umfaßt ſowohl das Betriebsmaterial als die zum Bau und
zur Ausrüſtung von Eiſenbahnen erforderlichen Gegenſtände und
zwar nicht nur die von der Eiſenbahn-Verwaltung in Vorrath ge-
haltenen, ſondern auch die mit dem Bahnkörper und den Gebäuden
verbundenen 2). Der Zweck der Kriegslaſt beſteht vorzugsweiſe
darin, der Armeeleitung die ſchleunige Herſtellung und Reparatur
von Eiſenbahnen und den Betrieb von okkupirten auslän-
diſchen Eiſenbahnen zu ermöglichen 3).
b) Geltendmachung. Das Reichs-Eiſenbahn-Amt ſetzt
den Maßſtab feſt, nach welchem die Eiſenbahn-Verwaltungen ihr
Material herzugeben haben 4). Es iſt nicht vorgeſchrieben, daß der-
ſelbe für alle Eiſenbahnen derſelbe ſei; es wird vielmehr denjenigen
Bahnen, von denen Transportleiſtungen in großem Umfange ge-
fordert werden, ihr Betriebs- und Ausrüſtungsmaterial nicht ent-
zogen werden können; im Allgemeinen aber iſt an dem Grundſatz
feſtzuhalten, daß die Eiſenbahnen nicht ohne dringende Noth in die
Lage verſetzt werden ſollen, ihren Betrieb einzuſtellen. Die Her-
gabe des Materials ſelbſt erfolgt auf direkte Requiſition der vom
Kaiſer hierzu autoriſirten Militairbehörden, insbeſondere der Linien-
Kommandanten. Die Requiſition ſoll nur im Falle des wirklich
eintretenden Bedarfes erlaſſen werden. Die auf Grund der Re-
quiſition gelieferten Lokomotiven und Wagen ſind mit der Inſchrift
„Militair-Eiſenbahn-Direktion Nro. …“ zu verſehen; ſie werden
ſo behandelt, als wenn die betreffende Militair-Eiſenbahn-Direk-
tion Eigenthümerin derſelben wäre und ſind der letzteren von allen
Bahnverwaltungen ſobald als möglich wieder zurückzuführen 5).
[365]§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
c) Vergütung. Für das gelieferte Betriebsmaterial er-
halten die Bahnverwaltungen eine Vergütung nach Maßgabe eines
vom Bundesrath feſtzuſetzenden allgemeinen Tarifs 1); für das ge-
lieferte Bau- und Ausrüſtungsmaterial dagegen erfolgt die Ver-
gütung nach den am Orte und zur Zeit der Leiſtung beſtehenden
Durchſchnittspreiſen und wird durch Schätzung Sachverſtändiger
(§. 33 des Geſ.) feſtgeſtellt 2). Hinſichtlich der Liquidation, Stun-
dung, Verzinſung und Zahlung gelten dieſelben Regeln wie für
die Transportvergütung 3).
a) Inhalt der Laſt. Den Eiſenbahnverwaltungen iſt die
Verpflichtung auferlegt, „ihr Perſonal herzugeben“ 4). Obwohl
dieſe Laſt in einem und demſelben Satze mit der Verpflichtung zur
Hergabe von Material zuſammengeſtellt iſt, ſo unterſcheidet ſie ſich
doch von der letzteren ihrem rechtlichen Charakter nach erheblich,
denn freie Perſonen können eben nicht wie Lokomotiven oder
Schienen „geliefert“ werden. Der Inhalt der Laſt beſteht viel-
mehr im Allgemeinen nur darin, daß die Eiſenbahn-Verwaltungen
ihren Beamten und Arbeitern gegenüber auf Erfüllung der Dienſt-
pflicht verzichten, damit dieſelben in den Dienſt der Militair-Eiſen-
bahn-Direktionen zeitweiſe eintreten können, und daß ſie ihre An-
geſtellten auffordern, den Militair-Eiſenbahndienſt zu verſehen.
Einen rechtlichen Zwang, dieſer Aufforderung Folge zu leiſten,
können die Eiſenbahn-Verwaltungen in der Regel nicht ausüben.
Inſofern jedoch den Verwaltungen entweder vertragsmäßige oder
geſetzliche Befugniſſe zuſtehen oder inſofern ſie kraft ihrer Disci-
plinargewalt ihrer Aufforderung Nachdruck zu geben vermögen,
was insbeſondere bei den Staats-Eiſenbahnverwaltungen der Fall
iſt, liegt ihnen die poſitive Verpflichtung ob, ihre Beamten zur
Dienſtleiſtung bei den Militair-Eiſenbahnverwaltungen anzuhalten.
Wohl zu unterſcheiden von der Verpflichtung der Verwaltung
iſt die Verpflichtung der Beamten zum Feld-Eiſenbahn-Dienſt. Die
letztere iſt lediglich ein Anwendungsfall der geſetzlichen Wehrpflicht
und wird durch die für die letztere geltenden Regeln beſtimmt.
[366]§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
Nur ſoweit die Wehrpflicht ſich erſtreckt, kann das Eiſenbahn-Per-
ſonal zum Dienſt in den Feldeiſenbahn-Formationen geſetzlich an-
gehalten werden 1). Die nicht dienſtpflichtigen Eiſenbahnbeamten,
welche in den Feld-Eiſenbahndienſt eintreten, haben die rechtliche
Eigenſchaft der Militairbeamten und werden als ſolche behandelt 2).
b) Ueber die Geltendmachung finden die Vorſchriften
analoge Anwendung, welche für die Lieferung von Eiſenbahn-Ma-
terial gegeben ſind 3).
c) Eine Vergütung wird den Eiſenbahn-Verwaltungen da-
für, daß ſie ihr Perſonal der Militair-Verwaltung zur Dispoſition
ſtellen, nicht gewährt. Dagegen übernimmt die letztere für die in
ihren Dienſt eintretenden Perſonen für die Zeit des Dienſtes die
Zahlung des ihnen zukommenden Friedenseinkommens, ſowie ihre
Verpflegung nach den im Etat für die einzelnen Stellen ausge-
worfenen Anſätzen 4).
im Rayon des Kriegsſchauplatzes5).
Während im Allgemeinen die Kriegsleiſtungen der Eiſenbahn-
Verwaltungen einen beſtimmten Inhalt haben, ſind die Eiſenbahnen
auf dem Kriegsſchauplatz ſelbſt oder in der Nähe deſſelben der
Verfügung der Militairbehörden gänzlich unterworfen. Die letz-
teren können beſtimmen, daß der Betrieb fortgeführt, daß er ein-
geſtellt und daß er wieder aufgenommen wird; ſie können ferner
die „Einrichtung“ des Betriebes vorſchreiben, alſo insbeſondere die
Art, in welcher die Züge zu formiren und zu führen ſind, die Vor-
kehrungen, welche für die Sicherheit der Züge, der Bahnanlagen,
der Betriebsmittel zu treffen ſind u. ſ. w. Die Verwaltungen
haben in allen dieſen Beziehungen den Befehlen der Militairbe-
hörde Gehorſam zu leiſten. Im Falle des Zuwiderhandelns ent-
[367]§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
ſteht für die Verwaltungen, abgeſehen von einem etwa begründeten
ſtrafrechtlichen oder disciplinariſchen Einſchreiten gegen die Mit-
glieder derſelben, eine doppelte Rechtsfolge. Die Militairbehörde
iſt befugt, die Verwaltungsvorſtände ihrer Funktionen zu entheben
und den Bahnbetrieb ſelbſt zu übernehmen, indem die betreffende
Bahnſtrecke einer Militair-Eiſenbahn-Direktion unterſtellt wird. Sie
iſt zweitens berechtigt, ihre Anordnungen auf Koſten der Eiſenbahn-
verwaltungen 1) zur Ausführung zu bringen. Die Art und Weiſe,
wie dieſe Befugniſſe gegen die Eiſenbahnverwaltung geltend zu
machen ſind, beſtimmt ſich lediglich nach den beſonderen Umſtänden
im einzelnen Fall.
Inwiefern die Eiſenbahn-Verwaltungen eine Vergütung für
die Erfüllung der in Rede ſtehenden Verpflichtungen zu beanſpruchen
haben, iſt im Geſetz nicht beſtimmt. Nach allgemeinen Rechtsſätzen
iſt in dieſer Beziehung folgende Unterſcheidung zu machen. Wenn
den Verwaltungen Anlagen oder Einrichtungen anbefohlen werden,
welche mit Auslagen oder andern Vermögensaufwendungen (Ma-
terialien, Arbeitskräften u. ſ. w.) verbunden ſind, ſo ſteht ihnen
ein Anſpruch auf Erſatz der wirklich geleiſteten Verwendungen zu.
Für die Einſtellung des Betriebes dagegen haben ſie ebenſowenig
eine Entſchädigung zu fordern wie für die eigentlichen, an den
Bahnanlagen verurſachten Kriegsſchäden. Es bleibt vielmehr nach
§. 35 des Kriegsleiſtungsgeſetzes dem Reiche anheimgeſtellt, durch
ein Spezialgeſetz über eine etwa zu gewährende Entſchädigung An-
ordnung zu treffen.
IV.Kriegsleiſtungen der Beſitzer von Schiffen und
Fahrzeugen2).
a) Inhalt der Laſt. Die Beſitzer von Schiffen und
Fahrzeugen ſind verpflichtet, dieſelben zur Benutzung für Kriegs-
zwecke der Militairverwaltung auf Erfordern zur Verfügung zu
[368]§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
ſtellen 1). Die Zwecke können ſowohl in der Ausführung von
Transporten als auch in der Herſtellung von Fluß- und Hafen-
ſperren beſtehen. Während nach dem Naturalleiſt.Geſ. § 10 die
Stellung von Schiffen nur für die Kaiſerl. Marine gefordert wer-
den kann 2), enthält das Kriegsleiſtungsgeſetz dieſe Beſchränkung
nicht; es können daher die Requiſitionen auch von den Militair-
behörden des Heeres, den Feſtungskommandanten u. ſ. w. erlaſſen
werden. Nach den Motiven der Regierungsvorlage iſt dieſe Kriegs-
laſt eingeführt worden für Zwecke der Kriegführung zur See und
des Küſtenſchutzes 3); das Geſetz ſelbſt enthält aber auch in dieſer
Hinſicht keine Einſchränkung, ſo daß auch im Binnenlande die Her-
gabe von Flußkähnen im Falle eines Bedürfniſſes verlangt wer-
den könnte. Dagegen ſind die Beſitzer der Schiffe zur Ausführung
von Transporten oder zur Stellung von Schiffsleuten nicht ver-
pflichtet.
b) Geltendmachung. In der Regel iſt die Leiſtung
durch Vermittlung der zuſtändigen Hafenpolizeibehörde, oder in
Ermangelung einer ſolchen durch Vermittlung der Ortspolizeibe-
hörde in Anſpruch zu nehmen. Die requirirte Behörde hat ſogleich
die nöthigen Anordnungen zu treffen, um die Erfüllung der gefor-
derten Leiſtung zu ſichern, und hat vor oder bei Uebergabe der
Schiffe die für die Benutzung derſelben zu gewährende Vergütung
feſtzuſtellen und eine genaue [Beſchreibung] des Zuſtandes und eine
Werthstaxe aufzunehmen 4).
c) Eine Vergütung erfolgt für die entzogene Benutzung
ſowie für die durch dieſelbe herbeigeführte Werthsverminderung.
Hinſichtlich der Bemeſſung derſelben gelten dieſelben Vorſchriften
wie bei der Hergabe von Gebäuden (§ 14), hinſichtlich der An-
meldung, Prüfung und Feſtſtellung der Anſprüche, der Ertheilung
von Anerkenntniſſen, der Verzinſung und Zahlung kommen die all-
gemeinen, für die Leiſtungen der Gemeinden und Leiferungsver-
bände gegebenen Regeln zur Anwendung 5).
[369]§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
Zum Zwecke der Hafen- und Flußſperren kann die Militair-
Verwaltung die Beſitzer von Schiffen ꝛc. zur Abtretung des Eigen-
thums daran nöthigen. In dieſem Falle iſt den Expropriirten der
volle Werth der ihnen entzogenen Schiffe aus den bereiteſten
Beſtänden der Kriegskaſſe baar zu bezahlen. In Ermangelung
einer Einigung über die Höhe der zu gewährenden Vergütung wird
dieſelbe durch die Abſchätzung Sachverſtändiger nach Maßgabe des
§ 33 des Geſetzes feſtgeſtellt 1).
V.Kriegsleiſtungen der Beſitzer von Pferden.
Alle Pferdebeſitzer ſind verpflichtet, ihre zum Kriegsdienſt für
tauglich erklärten Pferde zur Beſchaffung und Erhaltung des kriegs-
mäßigen Pferdebedarfs der Armee der Militairverwaltung zu
überlaſſen. Befreit hiervon ſind nur die Mitglieder der regieren-
den deutſchen Familien, die Geſandten fremder Mächte und das
Geſandtſchaftsperſonal, ferner die Beamten im Reichs- oder Staats-
dienſte hinſichtlich der zum Dienſtgebrauch, ſowie Aerzte und Thier-
ärzte hinſichtlich der zur Ausübung ihres Berufes nothwendigen
Pferde, endlich die Poſthalter hinſichtlich derjenigen Pferdezahl,
welche von ihnen zur Beförderung der Poſten kontraktmäßig ge-
halten werden muß 2). Alle andern Befreiungen, gleichviel auf
welchem Rechtstitel ſie beruht haben, ſind aufgehoben.
Die „Ueberlaſſung“ der Pferde iſt ihrem juriſtiſchen Charak-
ter nach kein Verkauf, ſondern ein Dulden der Expropriation.
Deshalb haften die Pferdebeſitzer weder für die Kriegsbrauchbarkeit
der ausgehobenen Pferde noch für heimliche Mängel derſelben und
ſie ſind zur Zurücknahme auch dann nicht verpflichtet, wenn Krank-
heiten der Pferde in beſtimmter Friſt zu Tage treten, welche nach
den Landesgeſetzen zur Rückgängigmachung des Kaufes berechtigen
würden.
Andererſeits befreit der Abſchluß eines Verkaufes der Pferde
den Beſitzer derſelben nicht von Erfüllung der Laſt, ſo lange die
Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 24
[370]§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
Pferde nicht wirklich übergeben ſind. Dagegen tritt die Enteig-
nung nicht ein hinſichtlich aller derjenigen Pferde, welche an die
Militairverwaltung oder an Offiziere, Militairärzte oder Militair-
beamte, welche ſich ihre Mobilmachungspferde ſelbſt beſchaffen
müſſen, verkauft worden ſind.
Das Reichsgeſetz hat den einzel-
nen Staaten die Befugniß übertragen, das Verfahren bei der Ent-
eignung der Mobilmachungspferde zu ordnen. Auf Grund dieſer
Ermächtigung ſind von den Regierungen der Bundesſtaaten Regle-
ments erlaſſen worden, welche ſämmtlich ſich eng an das Preu-
ßiſche Pferde-Aushebungs-Reglement v. 12. Juni
1875 anſchließen 1). Das in dieſen Reglements vorgeſchriebene
Verfahren iſt eine vollſtändige Nachbildung des Rekrutirungsver-
fahrens. In dem Mobilmachungsplane wird auf jede Provinz
der von ihr in natura aufzubringende Bedarf repartirt; dieſer Be-
darf wird bereits im Frieden von dem Oberpräſidenten im Ein-
vernehmen mit dem kommandirenden General auf die einzelnen
Kreiſe oder Lieferungsverbände vertheilt und die Landräthe haben
die von jedem Kreiſe aufzubringende Quote nach Maßgabe des
Pferdebeſtandes weiter zu vertheilen 2). Von 6 zu 6 Jahren fin-
den behufs Feſtſtellung des Pferdebeſtandes auf Anordnung der
Landesregierungen Vormuſterungen ſtatt, welche in jedem
Kreiſe von dem Landrath und einem von dem kommandirenden
General ernannten Offizier abgehalten werden. Zu dem Vor-
muſterungstermin müſſen die Beſitzer ihre Pferde geſtellen; über
das Ergebniß werden in jedem Kreiſe Ueberſichten angefertigt,
welche den Regierungspräſidenten zum Zweck der Zuſammenſtellung
einzureichen ſind 3). Bei Eintritt einer Mobilmachung werden in
den einzelnen Kreiſen Muſterungen abgehalten. Die Bildung
der Muſterungsbezirke und die Bezeichnung der Muſterungsorte
liegt dem Landrath ob; die Muſterungs-Kommiſſionen werden von
[371]§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
den Kreisvertretungen von 6 zu 6 Jahren gewählt 1). Jeder
Pferdebeſitzer iſt nach erhaltener Aufforderung verpflichtet, ſeine
ſämmtlichen der Aushebung unterworfenen Pferde zur beſtimmten
Zeit und an dem beſtimmten Orte zur Muſterung vorzuführen 2).
Die von der Muſterungs-Kommiſſion als kriegsbrauchbar bezeich-
neten und ausgewählten Pferde ſind von den Beſitzern an dem
vom Landrath beſtimmten Tage der Aushebungs-Kommiſſion vor-
zuführen 3). Für die Aushebung bildet in der Regel jeder
Kreis einen Bezirk; die Aushebungskommiſſion beſteht aus dem
Landrath als Civilkommiſſarius und einem vom kommandirenden
General bezeichneten Offizier als Militairkommiſſarius; ihnen ſind
zuzutheilen ein Thierarzt und drei von der Kreisvertretung von
6 zu 6 Jahren zu wählende Taxatoren 4). Die Pferde ſind von
der Kommiſſion zu unterſuchen; die als kriegsbrauchbar anerkann-
ten Pferde werden — nach den verſchiedenen Kategorien getrennt
— in ein Nationale eingetragen, die übrigen werden ſogleich ent-
laſſen. Aus den als kriegsbrauchbar anerkannten Pferden iſt das
auf den Aushebungsbezirk fallende Kontingent, ſowie eine Reſerve
von 3 Prozent, auszuwählen 5). Sämmtliche ausgewählten Pferde,
mit Einſchluß der Reſervepferde, werden abgeſchätzt und hierauf
von dem Militairkommiſſarius übernommen 6). Bis zur wirklichen
Abnahme der Pferde müſſen dieſelben von den Beſitzern beauf-
ſichtigt und verpflegt werden und bei der Abnahme mit Halfter,
Trenſe, zwei Stricken und gutem Hufbeſchlag verſehen ſein 7).
Ausnahmsweiſe kann den Beſitzern ausgehobener Pferde auf ihren
Wunſch geſtattet werden, an deren Stelle andere dienſttaugliche
Pferde, welche ſogleich vorgeführt werden, zu geſtellen 8).
24*
[372]§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.
Uebertretungen der hinſichtlich der Anmeldung und Stellung
der Pferde zur Vormuſterung, Muſterung oder Aushebung getrof-
fenen Anordnungen werden mit einer Geldſtrafe bis zu 150 Mark
geahndet 1).
3. Die Vergütung für die enteigneten Pferde wird durch
Sachverſtändige feſtgeſtellt, welche für jeden Lieferungsverband durch
deſſen Vertretung periodiſch zu wählen ſind 2). Bei der Schätzung
ſind die Friedenspreiſe zu Grunde zu legen; der Pferdebeſitzer hat
demnach zwar keinen Anſpruch auf die durch die Mobilmachung
hervorgerufene Preisſteigerung, aber Erſatz des vollen Werthes
nach Maßgabe der Friedenspreiſe zu beanſpruchen 3). Die Koſten
des Abſchätzungsverfahrens trägt das Reich; die Leitung des Ver-
fahrens erfolgt durch einen von der Landesregierung beſtellten
Kommiſſar 4). Die von der Kommiſſion feſtgeſtellte Taxſumme be-
ſtimmt endgültig die Höhe der zu gewährenden Vergütung 5). Die
Zahlung derſelben erfolgt ſofort baar aus den bereiteſten
Beſtänden der Kriegskaſſe 6).
§. 95. Die Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon
der Feſtungen*).
I.Begränzung und Eintheilung des Rayonbezirkes.
1. Die Umgebung der Feſtungen, innerhalb deren die Benutz-
ung des Grundeigenthums aus Rückſicht auf die Vertheidigungs-
[373]§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.
fähigkeit der Feſtungen geſetzlichen Beſchränkungen unterworfen iſt,
beſteht aus einem, um die Feſtungswerke gezogenen Gürtel, deſſen
äußere Umgränzungslinie von der Feſtungs-Enceinte bei normaler
Abſteckung 2250 Meter entfernt iſt. Dieſer Bezirk zerfällt der
Regel nach in drei Rayons, welche für das Maß der Eigenthums-
beſchränkungen beſtimmend ſind. Der erſte Rayon erſtreckt ſich
bis zu einer, der Feſtungs-Einfaſſung parallelen, von derſelben
600 Meter entfernten Linie; der zweite Rayon begreift das Terrain
zwiſchen der äußeren Grenze des erſten Rayons und einer von
dieſer im Abſtande von 375 Metern gezogenen Linie; der dritte
Rayon endlich umfaßt das Terrain zwiſchen der äußeren Grenze
des zweiten Rayons bis zu einer Entfernung von 1275 Metern.
Zum erſten Rayon gehört außerdem bei Feſtungen, welche an Ge-
wäſſern belegen ſind und beſondere Kehlbefeſtigungen haben, das
Terrain zwiſchen dieſen und dem Ufer 1).
Bei detachirten Forts hat der Rayonbezirk zwar dieſelbe Ge-
ſammtausdehnung wie bei Feſtungen; ſie haben indeß keinen zwei-
ten Rayon, ſondern das Terrain von der Grenze des erſten Rayons
bis zu einer Entfernung von 1650 (375 + 1275) Metern unter-
liegt den für den dritten Rayon beſtehenden Einſchränkungen 2).
Wenn mehrere zuſammenhängende Befeſtigungslinien vor ein-
ander liegen, ſo bildet der Raum zwiſchen denſelben die Zwiſchen-
*)
[374]§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.
Rayons. Dieſelben zerfallen in ſtrenge und einfache; die erſteren
umfaſſen das Terrain im Abſtande von 75 Metern von der inneren
Befeſtigungslinie; darüber hinaus liegt der einfache Zwiſchen-
rayon 1).
Endlich beſtehen beſondere Vorſchriften bei Feſtungen mit einer
Citadelle für den Rayonbezirk vor den ſtadtwärts gewendeten
Werken derſelben, die ſogenannte Esplanade 2).
Dieſe Abgränzung der Rayons tritt jedoch nur bei der Neu-
anlage oder dem Umbau von Feſtungen in Kraft. Die bisherigen
von den Anordnungen des Reichsgeſetzes abweichenden Rayons be-
ſtehender Befeſtigungen, insbeſondere die der vorhandenen deta-
chirten Forts 3), verbleiben unverändert bis zur Ausführung eines
Neu- oder Verſtärkungsbaues 4). Bei den Preuß. Feſtungen er-
ſtreckt ſich daher, — dem Feſtungs-Regulativ v. 10. Sept. 1828
(Geſ.Samml. S. 120) entſprechend — bis zu dieſem Zeitpunkt
der Rayonbezirk nur im Ganzen 360 Ruthen oder 1800 Schritt
weit von den Feſtungswerken aus 5). Auch die vorhandenen Es-
planaden bleiben in ihrer bisherigen Ausdehnung unverändert und
bei dem Neubau einer Citadelle wird über den Umfang der Es-
planade in jedem Falle beſondere Beſtimmung durch die R.-Rayon-
kommiſſion getroffen 6).
2. Die erſten beiden Rayons, ſowie etwaige Esplanaden und
Zwiſchenrayons, werden bei Neu-Anlagen von Befeſtigungen
abgeſteckt und durch Rayonſteine bezeichnet. Eine Verſteinung des
dritten Rayons iſt geſetzlich nicht vorgeſchrieben; den Beſitzern der
[375]§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.
Grundſtücke iſt von der Kommandantur die erforderliche Auskunft
über die Rayongrenze zu ertheilen. Die Abſteckung und Verſtei-
nung erfolgt durch die Kommandanturen unter Mitwirkung der
Polizeibehörden und unter Zuziehung der Ortsvorſtände und Be-
ſitzer ſelbſtſtändiger Gutsbezirke 1).
Dasſelbe Verfahren iſt bei Veränderungen der Rayonbezirke
zu beobachten; es iſt dazu ſtets ein Zuſammenwirken der Kom-
mandantur und der Civilbehörde und die Genehmigung der R.-
Rayon-Kommiſſion erforderlich.
Von dem Zeitpunkt der Abſteckung und Vermarkung an treten
die geſetzlichen Beſchränkungen in der Benutzung des Grundeigen-
thums in Wirkſamkeit.
3. Unmittelbar nach der Abſteckung der Rayonlinie hat die Kom-
mandantur einen Rayonplan und ein Rayonkataſter aufzuſtellen.
Bei bereits beſtehenden Feſtungen bleibt die Anfertigung dem Er-
meſſen der Kommandantur überlaſſen; ſie muß jedoch ſtets erfol-
gen, wenn die bisherigen Rayons in Folge eines Neu- oder Ver-
ſtärkungsbaues verändert werden ſollen 3). Der Rayonplan muß
die Gränzen der Rayonbezirke, ſowie die Lage, Beſchaffenheit und
Benutzungsweiſe der einzelnen in den Rayons belegenen Grund-
ſtücke erkennen laſſen; das Kataſter muß unter Bezugnahme auf
den Rayonplan die Beſitzer der einzelnen Grundſtücke, eine Be-
ſchreibung aller innerhalb der erſten beiden und der Zwiſchenrayons
vorhandenen Baulichkeiten und Anlagen unter Angabe ihres Zu-
ſtandes und ihrer Entſtehungszeit 4), endlich Vermerke über die
Entſchädigungsberechtigung bei etwa ſtattfindender Demolirung ent-
halten 5). Rayonplan und Rayonkataſter haben eine doppelte Be-
2)
[376]§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.
ſtimmung; ſie dienen einerſeits der Kommandantur zur Informa-
tion über die Terrainverhältniſſe des ganzen Rayonbezirks und
als Anhalt zur Ueberwachung aller baulichen Veränderungen; ſie
dienen andererſeits aber auch den Eigenthümern der einzelnen
Grundſtücke gegenüber zum Erweiſe des Zuſtandes der letzteren
und zum Anhaltspunkte bei Geltendmachung der Eigenthums-
Beſchränkungen.
Aus dieſem Grunde findet die Aufſtellung von Rayonplan
und Rayonkataſter nicht einſeitig durch die Kommandantur ſtatt,
ſondern es iſt dafür ein Aufgebotsverfahren vorgeſchrieben. Plan
und Kataſter ſind in derjenigen Gemeinde, in deren Bezirk die
aufgenommenen Grundſtücke liegen, während 6 Wochen öffent-
lich auszulegen. Der Gemeindevorſtand hat die Auslegung in
ortsüblicher Weiſe öffentlich bekannt zu machen und gleichzeitig
zur Erhebung etwaiger Einwendungen aufzufordern. In dieſer
Aufforderung iſt die Friſt zu beſtimmen, innerhalb derer die Ein-
wendungen bei dem Gemeindevorſtande anzubringen ſind, und die
Verwarnung beizufügen, daß nach Ablauf der Friſt mit Feſtſtellung
des Kataſters verfahren wird.
Alle eingehenden Beſchwerden oder Anträge werden nach Ab-
lauf der Anmeldefriſt der Kommandantur zugeſtellt; letztere prüft
dieſelben und ertheilt den Beſcheid. Gegen die Entſcheidung der
Kommandantur ſteht binnen einer Präcluſivfriſt von 4 Wochen
nach dem Empfang der Rekurs an die Reichs-Rayonkommiſſion
zu. Der Rekurs iſt bei der Kommandantur einzulegen. Nach
Ablauf der vierwöchentlichen Friſt beziehentl. nach Eingang der
Rekursbeſcheide hat die Kommandantur Kataſter und Plan
feſtzuſtellen. Die betreffenden Gemeindevorſtände ſind hier-
von zu benachrichtigen und haben die Feſtſtellung öffentlich bekannt
zu machen 1). Die Wirkung dieſes Verfahrens iſt dahin zu be-
ſtimmen, daß Rayonplan und Kataſter als von den Intereſſenten
2)
[377]§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.
anerkannte, für dieſe und die Feſtungskommandantur gemein-
ſchaftliche Urkunden anzuſehen ſind 1).
Die Kommandantur hat dafür zu ſorgen, daß im Rayonplan
und Rayonkataſter alle Veränderungen in baulicher Beziehung,
ſowie im Beſitz, der Benutzung oder Beſtimmung der Grundſtücke
nachgetragen werden 2). Zu dieſem Zwecke muß ſich die Komman-
dantur mit den betreffenden Civilbehörden (Kataſter-Kontroleuren
u. ſ. w.) in Verbindung ſetzen 3).
II.Inhalt der Eigenthums-Beſchränkungen.
Die Eigenthumsbeſchränkungen ſind durchweg Verbote, Ver-
änderungen der Terrainoberfläche vorzunehmen; ſie ſind nach der
Entfernung des Grundſtücks von der Feſtungs-Enceinte abgeſtuft,
ſo daß Alles, was in dem entfernteren Rayon unterſagt iſt, auch
in den näher gelegenen verboten iſt. Die Verbote ſind theils ab-
ſolute, theils relative d. h. gewiſſe Anlagen dürfen nur mit Ge-
nehmigung der Militairbehörden erfolgen. Die Ertheilung oder
Verſagung der Genehmigung iſt aber nicht immer in das freie
Ermeſſen der Militairbehörde geſtellt. Das Geſetz hat vielmehr
für viele Fälle die Bedingungen normirt, unter denen die Geneh-
migung ertheilt werden muß. Dieſe Genehmigung hat daher nur
die Bedeutung, daß die Kommandantur das Vorhandenſein der
geſetzl. Erforderniſſe prüft und conſtatirt, beziehentl. die Innehal-
tung der geſetzl. Beſchränkungen Seitens der Grundbeſitzer ſicher-
ſtellt.
1. Im dritten Rayon und folglich auch in allen andern
Rayons iſt die Genehmigung der Kommandantur erforderlich zu
jeder dauernden Veränderung der Höhe der Terrainoberfläche.
Dahin gehört die Anlage und der Betrieb von Lehm- und Sand-
gruben, Stein- und Kalkbrüchen, die Anlage von Plätzen zur Ab-
lagerung von Ballaſt, ſowie eine ſolche Ablagerung an nicht dazu
beſtimmten Plätzen. Die Genehmigung der Kommandantur iſt
ferner einzuholen zu allen die Waſſerverhältniſſe und die Wege
betreffenden Neuanlagen oder Veränderungen, insbeſondere von
[378]§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.
Dämmen, Deichen, der Vorfluthverhältniſſe, der Ent- und Be-
wäſſerungsanlagen und ſonſtigen Waſſerbauten, desgleichen der
Chauſſeen, Wege und Eiſenbahnen; ſodann zur Anlage von größe-
ren Parken, Baumſchulen und Waldungen; endlich zur Errichtung
und Veränderung von Kirch- und Glockenthürmen und aller thurm-
artigen Konſtruktionen 1).
Die Genehmigung der Kommandantur darf aber nur dann
verſagt werden, wenn die Anlage einen nachtheiligen Einfluß auf
die Vertheidigungsfähigkeit der Feſtung hat; insbeſondere wenn
dadurch eine nachtheilige Deckung gegen die raſante Beſtreichung
der Werke, ein nachtheiliger Einfluß auf das Waſſerſpiel der Fe-
ſtungsgräben, auf Inundation des Vorterrains oder auf die Tiefe
der mit den Feſtungsanlagen in Beziehung ſtehenden Flußläufe
entſteht, oder wenn eine vermehrte Einſicht in die Werke des Platzes
gewonnen wird 2).
Abgeſehen von Thürmen iſt demnach die Herſtellung von Ge-
bäuden aller Art in dem 3. Rayon freigegeben; nicht aber die
Herſtellung von großen Gebäude-Complexen. Steht die Anbauung
des 3. Rayons in Ausſicht, ſo iſt ein Bebauungsplan feſtzuſtellen
und es iſt hierbei die Genehmigung der Reichs-Rayonkom-
miſſion in Beziehung auf die Breite und Richtung der Stra-
ßen erforderlich 3).
[379]§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.
Die Bauart der einzelnen Häuſer, ſowie die Aufführung
von Gebäuden auf dem zwiſchen den Straßen liegenden Terrain
unterliegt in keiner Hinſicht einer Beſchränkung 1).
Abſolute Verbote beſtehen für den 3. Rayon überhaupt nicht.
2. Im zweiten Rayon und folglich auch im erſten gelten
folgende Beſchränkungen:
a) Ganz unzuläſſig ſind alle Maſſivkonſtruktionen von Ge-
bäuden oder Gebäudetheilen (ausgenommen Feuerungsanlagen und
Fundamente, die das umliegende Terrain nicht über 30 Centi-
meter, im erſten Rayon nicht über 15 Centim. überragen); ferner
jede Art von Gewölbebauten, ſowie Eindeckungen von Kelleranla-
gen mit ſteinerner und eiſerner Konſtruktion; endlich die Anlage
von bleibenden Ziegel- und Kalköfen, ſowie überhaupt von maſ-
ſiven zu Fabrik- und ſonſtigen gewerblichen Zwecken beſtimmten
Oefen von größeren Abmeſſungen 3).
b) Alle andern Gebäude, ſowie maſſive Dampfſchornſteine
dürfen nur mit Genehmigung der Kommandantur errichtet werden.
Die Genehmigung darf jedoch nicht verſagt werden, wenn die Ge-
bäude den im Geſetz § 15 B Ziff. 3 unter a) bis c) aufgeführten
Bedingungen entſprechen, beziehentl. wenn die Höhe der Dampf-
ſchornſteine 20 Meter nicht überragt. Außerdem iſt die Genehmi-
gung der Kommandantur erforderlich zur Anlage von Beerdigungs-
plätzen, von Grabhügeln von mehr als 50 Centimeter Höhe und
von größeren Denkmälern 4).
3. Im einfachen Zwiſchenrayon gelten dieſelben Be-
ſchränkungen wie im zweiten Rayon; indeß kann unter beſonde-
ren Verhältniſſen die Herſtellung maſſiver Bauten und gewölbter
Anlagen geſtattet werden. Ob die Genehmigung hierzu zu erthei-
len iſt oder nicht, iſt ganz in das Ermeſſen der Militairbehörde
geſtellt 5). Gebäude, welche mit Genehmigung der Kommandantur
2)
[380]§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.
zuläſſig ſind, dürfen die Höhe von 8 Metern bis zur Dachfirſt
nicht überragen, (während im zweiten Rayon eine Höhe von 13
Metern geſtattet iſt) 1).
4. Die im erſten Rayon geltenden Einſchränkungen be-
ruhen auf zwei verſchiedenen Motiven. Das eine iſt das für alle
Rayons maßgebende, daß die Vertheidigung der Feſtung nicht er-
ſchwert und dem Feinde keinerlei Deckung gegeben werde, das aber
für den erſten Rayon ſtrenger durchgeführt iſt, indem alle Anlagen
unterſagt ſind, die nicht ſofort und ohne Aufwendung bedeutender
Kräfte weggeſchafft werden können. Das zweite Motiv dagegen
kömmt nur für den erſten Rayon in Betracht; es beſteht darin,
alle Wohngebäude von demſelben auszuſchließen, weil die Bewoh-
ner gleich zu Anfang der Armirung der Feſtung ihres Obdaches
beraubt werden müßten 2). Demgemäß ſind
a) abſolut unzuläſſig: außer den im 2. Rayon bereits für
unzuläſſig erklärten Anlagen Wohngebäude jeder Art und
die im § 17 A Ziff. 3—6 angeführten Baulichkeiten und Anlagen
(Lokomobilen, Denkmäler, lebendige Hecken).
b) nur mit Genehmigung der Kommandantur geſtattet: Die
nicht als unzuläſſig bezeichneten Baulichkeiten, bewegliche Feuerungs-
anlagen, leicht zu beſeitigende Einfriedigungen von Holz oder Eiſen,
Brunnen, hölzerne Windmühlen, falls die Entfernung derſelben
von den Feſtungswerken mindeſtens 300 Met. beträgt 3).
Von dem Verbote, wohnliche Einrichtungen irgend welcher
Art herzuſtellen, ſind nur ausgenommen Wächterhütten, wenn
die Nothwendigkeit der Anweſenheit eines Wächters nachge-
wieſen werden kann 4). Dieſelben dürfen im Grundflächenmaß 20
Quadratmeter nicht überſchreiten, mit andern Baulichkeiten nicht
in Verbindung geſetzt ſein und müſſen mit einem transportabeln
eiſernen Ofen mit blecherner Rauchröhre verſehen ſein.
[381]§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.
5. Innerhalb des ſtrengen Zwiſchenrayons ſind alle
baulichen Anlagen unzuläſſig; auf Esplanaden ſind nur ſolche
Anlagen geſtattet, welche nach dem Urtheil der Militairbehörde
zur Vertheidigung dienen können. Die Anlage von Hecken iſt
ſowohl im ſtrengen Zwiſchenrayon wie auf Esplanaden unzu-
läſſig 1).
6. Für den erſten und zweiten Rayon und den ein-
fachen Zwiſchenrayon beſtehen noch folgende gemeinſame Anord-
nungen:
a) Das Alignement der zu errichtenden Gebäude unterliegt
der Genehmigung der Kommandantur, inſoferne dasſelbe nicht von
der Richtung vorhandener öffentlicher Wege oder Straßen ab-
hängig iſt 2).
b) Die Einrichtung von Niederlagen und Plätzen, auf welchen
Vorräthe zu gewerblichen Zwecken im Freien oder in Schuppen
aufgeſtapelt werden, iſt nur mit Genehmigung der Kommandantur
zuläſſig, die nicht verſagt werden darf, wenn die Entfernung von
den Feſtungswerken 225 Meter beträgt 3). Ausgenommen ſind
Lagerplätze und die zum Ein- und Ausladen nöthigen Anſtalten
an Flußufern; jedoch ſteht es der Kommandantur zu, die einzu-
haltende Entfernung von der Kehle und die Zeit für die Wieder-
beſeitigung zu beſtimmen 4).
c) Zu vorübergehenden Veränderungen der Höhe der
Terrainoberfläche, z. B. zur Auflagerung von Baumaterialien wäh-
rend der Ausführung eines genehmigten Baues u. dgl., bedarf es
zwar keiner beſonderen Genehmigung der Kommandantur; es iſt
jedoch derſelben vorher Anzeige zu machen und es ſteht ihr zu,
die Zeit der Wiederbeſeitigung zu beſtimmen 5).
7. Die im Vorſtehenden aufgeführten Regeln erleiden zwei
durchgreifende Modifikationen:
[382]§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.
a) Die [Reichsrayonkommiſſon] iſt befugt, aus örtlichen Rück-
ſichten ſowohl die räumliche Ausdehnung der Rayons zu vermin-
dern als auch die geſetzlichen Eigenthumsbeſchränkungen zu er-
mäßigen 1).
b) Die einmal vorhandenen Baulichkeiten und Anlagen, auch
wenn ſie den Vorſchriften dieſes Geſetzes nicht entſprechen, dürfen
erhalten bleiben. Das Geſetz unterſagt die Herſtellung und Er-
richtung von neuen Bauten und Anlagen, aber es befiehlt nicht
die Beſeitigung der bereits vorhandenen. Unter das Verbot des
Geſetzes an ſich würden aber auch alle Wiederherſtellungsbauten
der zwar vorhandenen, aber in Verfall gerathenen Anlagen fallen.
In dieſer Beziehung aber hat das Geſetz beſtimmt, daß wenn die
vorhandenen Baulichkeiten und Anlagen ganz oder theilweiſe zer-
ſtört oder baufällig geworden ſind, ſie nach vorgängiger Anzeige
bei der Kommandantur in den alten Abmeſſungen und der bis-
herigen Bauart wieder hergeſtellt werden dürfen, falls nicht auf
ihnen die beſondere Bedingung des Eingehens durch Verfall oder
der künftigen Reduktion auf eine leichtere Bauart ſchon haftet 2).
Die Genehmigung der Kommandantur iſt jedoch in allen Fällen
erforderlich, in denen Wiederherſtellungsbauten das vorbeſtimmte
Maß überſchreiten 3). Darunter fallen nicht nur Erweiterungen
und Erhöhungen der Gebäude oder Anlagen über das früher inne-
gehaltene Maß, ſondern auch Wiederherſtellungen in maſſiverer
Konſtruktion, namentlich mit geſetzwidrigem Material; für den
erſten Rayon kommt insbeſondere in Betracht, daß jede Erweite-
rung der Bewohnbarkeit ausgeſchloſſen iſt 4).
III.Geltendmachung des Unterſagungsrechtes.
Die Erzwingung der Innehaltung der im Rayongeſetz aner-
kannten Eigenthumsbeſchränkungen erfolgt nicht im Wege des Ci-
[383]§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.
vilprozeſſes, ſondern durch Strafdrohungen und Verwaltungsmaß-
regeln; denn da dieſe Beſchränkungen nicht zu Gunſten des Fis-
kus, ſondern zu Gunſten des Staates im publiziſtiſchen Sinne und
zur Erfüllung öffentlich rechtlicher Aufgaben eingeführt ſind, ſo
werden ſie auch mit den für Zwecke der Verwaltung anerkannten
Machtmitteln der Staatsgewalt durchgeführt.
Die von den Verboten des Rayongeſetzes betroffenen Bauten
und Anlagen zerfallen in dieſer Beziehung in drei Kategorien,
ſolche welche nur nach vorheriger Anzeige bei der Kommandantur
ausgeführt werden dürfen, ſolche welche nicht ohne Genehmigung
ſtatthaft ſind, und ſolche, welche gänzlich unzuläſſig ſind.
1. Die vorgängige Anzeige hat den Zweck, daß die Aus-
führung kontrolirt und das Rayonkataſter auf dem Laufenden er-
halten werden kann 1). Sie iſt vorgeſchrieben bei den in den
§§ 21 und 22 erwähnten Fällen. Wer die Anzeige unterläßt,
wird mit einer Geldbuße bis zu 15 Mark beſtraft 2). Wer die
Anzeige erſtattet, iſt für befugt zu erachten, von der Feſtungskom-
mandantur eine Beſcheinigung darüber zu verlangen 3).
2. Die Fälle, in welchen die Genehmigung der Komman-
dantur erforderlich iſt, ſind wieder von doppelter Art; ſolche, in
denen die Genehmigung nicht verſagt werden darf 4), und ſolche,
in denen die Ertheilung der Genehmigung in das Ermeſſen der
Behörde geſtellt iſt 5). Die Verpflichtung, die Genehmigung nach-
zuſuchen, bevor mit der Ausführung des Baues oder der Anlage
u. ſ. w. begonnen wird, beſteht jedoch für beide Kategorien gleich-
mäßig 6) und die Verletzung dieſer Pflicht, ſowie jede eigenmäch-
tige Abweichung von dem genehmigten Plan wird ſowohl an dem
Grundbeſitzer, welcher den Bau oder die Anlage ausführen läßt,
als an demjenigen, welcher als Baumeiſter oder Bauhandwerker 7)
[384]§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.
die Ausführung geleitet hat, mit einer Geldbuße bis zu 150 Mark
beſtraft 1).
Sind ſeit der Aushändigung der Genehmigung zwei Jahre
verfloſſen, ohne daß davon Gebrauch gemacht worden iſt, ſo wird
ſie als erloſchen betrachtet 2).
Das Verfahren behufs Erlangung der Genehmigung iſt
im Geſetz in folgender Weiſe geregelt.
a) Das Geſuch iſt an die Ortspolizeibehörde zu rich-
ten; es muß Alles enthalten, was zur Prüfung und Beurtheilung
der Zuläſſigkeit der in Ausſicht genommenen Anlagen erforderlich
iſt; insbeſondere ſind die Bauten zu beſchreiben und die Bauzeich-
nungen in 2 Exemplaren beizulegen.
b) Die Ortspolizeibehörde unterwirft den Antrag einer Vor-
prüfung; ergibt ſich hierbei die Unvollſtändigkeit oder formelle
Mangelhaftigkeit, ſo hat ſie das Geſuch behufs Ergänzung und
Verbeſſerung dem Antragſteller zurückzugeben; findet ſie Nichts zu
erinnern, ſo überſendet ſie das Geſuch der Kommandantur. Die
letztere entſcheidet 3), ob die Genehmigung zu ertheilen oder zu
verſagen ſei. Wird ſie ganz oder theilweiſe verſagt, ſo ſind die
Gründe der Ablehnung anzugeben; wird die Genehmigung ertheilt,
ſo müſſen in der Ausfertigung derſelben alle für den betreffenden
Fall feſtzuſtellenden ſpeziellen Beſchränkungen genau beſtimmt wer-
den, denen der Grundbeſitzer und alle Beſitznachfolger bezüglich
des Baues, der Niederlage von Materialien, der Anlage oder des
Gewerbebetriebes ſich zu unterwerfen haben. In das eine Exem-
plar der mit dem Geſuch eingereichten Zeichnung, welches der Aus-
fertigung der Genehmigung beizulegen iſt, ſind die im Feſtungs-
Intereſſe nothwendigen Abänderungen einzutragen. In denjenigen
Fällen, in welchen nach dem Geſetz die Genehmigung nicht zu ver-
ſagen iſt, darf dieſelbe auch nicht an Bedingungen geknüpft wer-
den 4). Die Enſcheidung der Kommandantur wird an die Orts-
[385]§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.
polizeibehörde geſendet, welcher die Mittheilung an den Antrag-
ſteller obliegt.
c) Gegen die Entſcheidung der Kommandantur iſt binnen einer
vierwöchentlichen Präcluſivfriſt von der Zuſtellung ab der Rekurs
an die Reichs-Rayonkommiſſion zuläſſig 1). Derſelbe iſt bei der
Kommandantur einzulegen. Iſt durch die Kommandantur eine
Anlage unterſagt worden, ſo darf dieſe erſt dann begonnen
oder fortgeſetzt werden, wenn die Reichs-Rayonkommiſſion die
Anordnung aufgehoben hat 2).
3. Die Herſtellung von unzuläſſigen Bauten und Anlagen
bildet den Thatbeſtand einer Rayoncontravention, welche ganz
ebenſo zu beurtheilen iſt, wie die eigenmächtige Vornahme von
Bauten und Anlagen, welche nur mit Genehmigung der Komman-
dantur geſtattet ſind 3). Iſt ein Geſuch um Genehmigung einer
ſolchen Anlage bei der Kommandantur eingereicht worden, ſo iſt
dasſelbe unter Angabe der geſetzlichen Beſtimmung, welche die An-
lage für unzuläſſig erklärt, zurückzuweiſen.
4. Widerrechtlich hergeſtellte Bauten und Anlagen müſſen von
dem Beſitzer innerhalb der vom Kommandanten zu beſtimmenden
Friſt beſeitigt werden, wenn ſie nach dem Urtheil der Komman-
dantur für unzuläſſig zu erachten ſind. Es gilt dies nicht blos
von ſolchen Anlagen, die nach dem Geſetz abſolut unzuläſſig ſind,
ſondern auch von ſolchen, zu deren Herſtellung die Genehmigung
ertheilt werden kann, die aber ohne Einholung derſelben oder mit
eigenmächtiger Abweichung von dem genehmigten Plane hergeſtellt
4)
Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 25
[386]§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.
worden ſind. Die Entſcheidung der Frage, ob die Bauten oder
Anlagen unzuläſſig ſind, ſteht der Militairbehörde ausſchließlich zu 1).
Gegen die Verfügung der Kommandantur, welche die Beſei-
tigung der Anlage ꝛc. anordnet, ſteht dem Beſitzer binnen einer
Friſt von 4 Wochen der Rekurs an die R.-Rayon-Kommiſſion zu.
In dieſem Falle hat der Rekurs Suſpenſiveffect; die Anordnung
der Kommandantur wird erſt vollſtreckbar, wenn ſie von der R.-
Rayonkommiſſion beſtätigt worden iſt oder wenn die Friſt für
Einlegung des Rekurſes abgelaufen iſt 2).
Wenn der Beſitzer die Beſeitigung der Anlage unterläßt, ſo
erfolgt dieſelbe nöthigenfalls auf Antrag der Kommandantur durch
die Ortspolizeibehörde auf Koſten des Beſitzers 3).
5. Die Kommandanturen und Ortsbehörden und deren Organe
ſind befugt behufs der Kontrole über alle Bauten, Anlagen
und die Benutzung von Grundſtücken in den Rayons, in den Stun-
den von 8 Uhr Morgens bis 4 Uhr Nachmittags den Zutritt zu
allen Privat- und öffentlichen Grundſtücken in den Rayons zu ver-
langen. Organe der Kommandantur ſind die Ingenieur-Offiziere
vom Platz, Poſten-Offiziere und Wallmeiſter 4). Falls der Zu-
tritt etwa verweigert werden ſollte, ſo iſt er von der Ortspolizei-
Behörde nach Maßgabe der ihr nach den Landesgeſetzen zuſtehen-
den Machtmittel zu erzwingen.
Eine allgemeine Reviſion der Bauten und Anlagen
in allen Rayons erfolgt alljährlich einmal durch die Kommandan-
tur oder ihre Organe unter Zuziehung der Ortspolizeibehörde und
des Gemeindevorſtandes 5).
[387]§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.
IV.Die Entſchädigung.
1. Die Vorausſetzungen der Entſchädigungspflicht des
Reichsfiskus ſind folgende:
a) Die Beſchränkungen müſſen in Folge des Reichs-
geſetzes eingetreten ſein 1). Folglich kann ein Entſchädigungs-
Anſpruch gegen das Reich nicht erhoben werden, wenn die Be-
ſchränkungen bereits vor dem Erlaß des Geſetzes auf Grund älterer
Landesgeſetze beſtanden haben und durch das Reichsgeſetz nicht er-
ſchwert worden ſind 2). Der Anſpruch iſt daher nur begründet,
wenn entweder durch Neuanlage oder Erweiterungsbauten von
Feſtungen Grundſtücke, die bisher außerhalb des Rayonbezirks
lagen, in den Rayon einbezogen werden 3), oder wenn Grundſtücke,
die ſchon vor Erlaß des Reichsgeſetzes zu einem Rayonbezirke ge-
hörten, durch das Reichsgeſetz neuen, in dem früheren Rechte nicht
anerkannt geweſenen Beſchränkungen unterworfen werden. Ebenſo
wenig kann vom Reiche eine Entſchädigung verlangt werden für
Rayon-Beſchränkungen, welche auf beſonderen Rechtstiteln, insbe-
ſondere auf Rechtsgeſchäften (Reverſen) der Grundſtücks-Eigenthümer,
beruhen; denn auch dieſe Beſchränkungen ſind nicht in Folge des
Reichsgeſetzes entſtanden 4).
b) Die Beſchränkungen müſſen eine Werthverminderung
des Grundſtücks herbeiführen. Es iſt nun zwar im Allgemeinen
davon auszugehen, daß die Rayonbeſchränkungen dieſen Effect haben,
indem ſie die freie Benutzung des Grundſtücks erſchweren oder hin-
dern; allein es gilt dies nicht unbedingt; es kann im einzelnen
Falle nach den beſonderen Umſtänden und Verhältniſſen eines Grund-
25*
[388]§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.
ſtückes die Annahme einer Werthverminderung ausgeſchloſſen ſein.
Insbeſondere gilt dies von den Beſchränkungen in Betreff der An-
lagen auf Beerdigungsplätzen 1). Ebenſowenig wird durch die Ver-
pflichtung zur Duldung der Rayonſteine der Werth des Grund-
ſtücks beeinträchtigt 2).
Es wird ferner für die geſetzlichen Beſchränkungen im 3. Rayon
eine Entſchädigung nicht gewährt, da in dieſem Rayon abſolute
Verbote überhaupt nicht beſtehen und auch die Genehmigung der
Kommandantur nur zur Herſtellung von ſolchen Anlagen erforder-
lich iſt, welche der gewöhnliche Wirthſchaftsbetrieb nicht mit ſich
bringt. Nur dann, wenn die Genehmigung zu einer ſolchen An-
lage nachgeſucht, aber verſagt worden iſt, tritt die Verpflichtung
des Reiches zur Entſchädigung ein 3).
c) Das Reich kann natürlich ſich ſelbſt nicht entſchädigen; aber
auch den Bundesſtaaten wird für die in ihrem Eigenthum befind-
lichen Grundſtücke eine Entſchädigung für Rayonbeſchränkungen
nicht gezahlt 4).
2. Die Höhe der Entſchädigung beſtimmt ſich durch die
Größe der Vermögens-Einbuße, welche für den Beſitzer des Grund-
ſtückes dadurch entſteht, daß daſſelbe fortan Beſchränkungen in der
Benutzung unterliegt, denen es bisher nicht unterworfen war. Für
die Feſtſtellung dieſer Vermögens-Einbuße gelten im Allgemeinen
dieſelben Geſichtspunkte wie bei Enteignungen. Die Verringerung
des gemeinen Kaufwerthes des Grundſtückes iſt nicht in allen Fällen
dieſer Vermögens-Einbuße gleich; ſie bezeichnet vielmehr nur das
Minimum derſelben, da der gemeine Verkaufswerth als der ſtets
realiſirbare Werth anzuſehen iſt. Nach den beſonderen Verhält-
niſſen des Beſitzers, ſeinem Gewerbebetrieb, ſeinen Wirthſchafts-
Bedürfniſſen u. ſ. w. kann aber durch Auflegung der Rayonbe-
ſchränkungen ſein Vermögen eine weit erheblichere Verminderung
erleiden als ſie durch die Differenz des Kaufwerthes vor und nach
der Auferlegung ausgedrückt wird; und in dieſem Falle iſt auch
die Schadloshaltung ſo hoch zu bemeſſen, daß dem Vermögen des
[389]§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.
Beſitzers wieder ſo viel zugeführt wird, als ihm durch die Rayon-
beſchränkungen entzogen worden iſt 1). Ein wichtiger Anwendungs-
fall dieſes Grundſatzes liegt vor, wenn das von der Beſchränkung
betroffene Grundſtück mit einem anderen Grundſtück deſſelben Be-
ſitzers dergeſtalt in Zuſammenhang ſteht, daß die Beſchränkung des
erſteren auch auf den Werth des letzteren Einfluß übt. In dieſem
Falle wird das Vermögen des Beſitzers um ſo viel verringert als
die Werthsverminderung des geſammten Grundbeſitzes beträgt 2).
Immer aber kann es ſich nur um den Erſatz von Vermögens-
einbußen handeln, niemals um eine Entſchädigung für blos ge-
hofften Gewinn oder für einen imaginären Werth. Um den er-
littenen Schaden feſtzuſtellen iſt es in allen Fällen erforderlich, den
Werth des Grundſtückes vor Auferlegung der Rayonbeſchränkungen
mit dem Werth deſſelben nach ihrer Auferlegung zu vergleichen.
Nun tritt aber eine Werthsverminderung regelmäßig ſchon vor
dem wirklichen Inkrafttreten der Rayonbeſchränkungen ein, ſobald
es gewiß iſt, daß ein Feſtungsbau in Ausſicht ſteht, deſſen Rayon
das Grundſtück umfaſſen wird. Aus dieſem Grunde darf bei der
Feſtſtellung des bisherigen Werthes die Zeit nach der im Reichs-
geſetzblatt erfolgten Bekanntmachung des Reichskanzlers, daß die
Neubefeſtigung des Platzes oder die Erweiterung der ſchon beſte-
henden Feſtungsanlage oder deren Rayons in Ausſicht genommen
iſt, nicht berückſichtigt werden 3). Iſt Entſchädigung dafür zu ge-
währen, daß dem Beſitzer eines im dritten Rayon belegenen Grund-
ſtücks die Genehmigung zu einer der in §. 13 erwähnten Anlagen
verſagt wird, ſo iſt bei Feſtſtellung des Schadens die Zeit der
Anbringung des Geſuchs bei der Kommandantur zu Grunde zu
legen 4).
3. Das Verfahren behufs Feſtſtellung der Ent-
ſchädigung.
a) Die Gutsbeſitzer, welche Anſpruch auf Entſchädigung zu
haben glauben, müſſen denſelben binnen einer ſechswöchentlichen
Präcluſivfriſt nach Feſtſtellung des Rayonplanes bei der Kom-
[390]§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.
mandantur anmelden. Bei der öffentlichen Bekanntmachung
der Feſtſtellung des Rayonplanes ſind gleichzeitig auch Beginn und
Ablauf der Anmeldefriſt bekannt zu machen 1).
b) Die eingegangenen Anmeldungen werden von der Kom-
mandantur der höheren Civil-Verwaltungsbehörde mitgetheilt, welche
einen Kommiſſarius zur Erörterung der Anſprüche ernennt.
Die Erörterung geſchieht in Gegenwart der Entſchädigungsberech-
tigten und eines Vertreters der Kommandantur. Einigen ſich die
Parteien, ſo nimmt der Kommiſſarius einen Rezeß auf, welcher
die Kraft einer gerichtlichen oder notariellen Vertragsurkunde hat 2).
Falls die Kommandantur die Verpflichtung zur Entſchädigung über-
haupt beſtreitet, ſo bleibt dem Beſitzer des Grundſtücks die Be-
tretung des Rechtsweges überlaſſen; dem Civilkommiſſarius ſteht
eine Entſcheidung darüber nicht zu 3).
c) Wenn das Vorhandenſein oder die Höhe des Schadens
ſtreitig iſt, ſo werden Sachverſtändige darüber vernommen. Jede
der beiden Parteien wählt einen Sachverſtändigen und der Kom-
miſſarius ernennt den Dritten, falls ſich nicht beide Parteien über
Einen Sachverſtändigen einigen. Die Sachverſtändigen haben ihr
Gutachten zu begründen und die Richtigkeit deſſelben zu be-
ſchwören oder auf den ein- für allemal geleiſteten Sachverſtändigen-
Eid zu verſichern 4).
d) Der Kommiſſarius hat ebenfalls ein Gutachten abzugeben
und die Abſchätzungsverhandlungen mit dieſem Gutachten der hö-
heren Civil-Verwaltungsbehörde zu überreichen. Die letztere
ſetzt die Entſchädigung durch Beſchluß feſt. Dabei iſt
dieſelbe an das Gutachten der Sachverſtändigen nicht gebunden;
ſie beſtimmt vielmehr den Entſchädigungsbetrag nach ihrem aus
der Verhandlung und den Umſtänden geſchöpften pflichtmäßigen Er-
meſſen 5).
e) Dem Entſchädigungsberechtigten ſteht gegen den Beſchluß
der Verwaltungsbehörde innerhalb einer Präcluſivfriſt von 90
Tagen, vom Empfange des Beſchluſſes an gerechnet, der Rechts-
[391]§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.
weg offen. Die Klage iſt gegen den Reichsfiskus zu richten,
welcher durch die Kommandantur vertreten wird; zuſtändig iſt das
Gericht, in deſſen Bezirk das betreffende Grundſtück belegen iſt 1).
f) Der Militairbehörde ſteht innerhalb derſelben Präcluſiv-
friſt das Recht zu, die Enteignung des Grundſtücks zu ver-
langen. Die Erklärung der Militairbehörde an die höhere Ver-
waltungsbehörde, daß von dieſer Befugniß Gebrauch gemacht wird,
unterbricht den Lauf der Friſt zur Beſchreitung des Rechtsweges
ſowie das gerichtliche Verfahren über die Höhe der Entſchädigung.
Das Verfahren bei der Enteignung richtet ſich nach den Landes-
geſetzen 2).
Der Beſitzer des Grundſtücks iſt befugt zu verlangen, daß die
Enteignung auf alle diejenigen Theile des Grundſtücks ausgedehnt
werde, deren fernere Benutzung in der bisherigen Weiſe nach
dem Gutachten von Sachverſtändigen durch die Abtrennung des
den Rayonbeſchränkungen unterworfenen Theiles weſentlich
beeinträchtigt, erſchwert oder verhindert werden würde 3).
4. Die Zahlung der Entſchädigung.
a) Der Regel nach wird die Entſchädigung in Rente ge-
währt. Dieſelbe beträgt jährlich 6 Prozent der Summe, um
welche ſich der Werth des Grundſtücks vermindert hat. Der Lauf
der Rente beginnt mit dem Tage der Abſteckung der Rayonlinien 4)
und bei Entſchädigungen für die verſagte Genehmigung zu Anlagen
im 3. Rayon mit dem Tage des ablehnenden Beſcheides der Kom-
mandantur 5). Die Rente wird in vierteljährigen Raten postnu-
merando aus der Feſtungskaſſe gezahlt 6). Sie erliſcht nach Ab-
lauf von 37 Jahren oder ſobald das Grundſtück aufhört, den Be-
ſchränkungen der erſten beiden Rayons oder der Zwiſchenrayons
unterworfen zu ſein 7).
[392]§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.
b) Renten, welche jährlich weniger als 3 Mark betragen, wer-
den mit dem 16⅔fachen Betrage kapitaliſirt und ſofort an die
Beſitzer ausgezahlt 1). Außerdem hat der Beſitzer das Recht, falls
die Werthsverminderung ſeines Grundſtücks mindeſtens ein Drittel
des bisherigen Werthes beträgt, nach ſeiner Wahl die Entſchädi-
gung in Rente oder in Kapital zu verlangen 2). Das Wahlrecht
muß bereits während des Abſchätzungsverfahrens ausgeübt wer-
den. Sobald nach dem Gutachten eines Sachverſtändigen die
Werthsverminderung ſo groß iſt, daß der Beſitzer eine Entſchädi-
gung in Kapital zu fordern berechtigt iſt, muß er auf die Aufforde-
rung des Kommiſſarius binnen einer Präkluſivfriſt von 4 Wochen
erklären, daß er die Entſchädigung in Kapital verlange, widrigen-
falls er nur die Abfindung durch Rente fordern kann 3). Die
Entſchädigungsſumme iſt von demjenigen Tage an mit fünf Pro-
zent zu verzinſen, mit welchem der Lauf der Rente beginnen
würde 4).
c) Berechtigt zum Empfange der Entſchädigungsſumme und
Rente iſt der Beſitzer des Grundſtücks; die Legitimation desſelben
zum Empfange des Kapitals, ſowie der einzelnen Raten der Rente
wird der Feſtungskaſſe gegenüber dadurch geführt, daß er im
Rayonkataſter eingetragen iſt 5). Inwieweit anderen Realberech-
tigten, insbeſondere Pfandgläubigern, Nießbrauchsberechtigten, Mit-
eigenthümern u. ſ. w., Rechte an der Entſchädigung zuſtehen, iſt
nach Maßgabe der im concreten Falle beſtehenden Rechtsverhält-
niſſe nach den Landesgeſetzen zu beurtheilen 6). Hierbei iſt davon
auszugehen, daß von den ſechs Prozent der Entſchädigungsſumme,
welche als Rente gezahlt werden, fünf Prozent als Verzinſung
[393]§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.
(d. h. Nutzung) anzuſehen ſind 1), während das ſechſte Prozent
zur Amortiſation dient d. h. als Vergütung für die eingetretene
Verminderung der Vermögensſubſtanz gilt. In demſelben Ver-
hältniß wird daher die Rente zu vertheilen ſein, wenn an dem
Grundſtück das Recht an der Subſtanz und das Recht auf die
Nutzungen verſchiedenen Subjekten zuſtehen.
V.Beſondere Vorſchriften für den Fall der Armi-
rung.
1. Inhalt der beſonderen Verpflichtungen.
Wenn die Armirung permanenter Befeſtigungen angeordnet wird,
ſo treten zu den in non faciendo beſtehenden Eigenthumsbeſchrän-
kungen Verpflichtungen zu einem poſitiven Thun hinzu. Die Be-
ſitzer der in den Rayons belegenen Grundſtücke ſind nämlich ver-
pflichtet zur Niederlegung von allen vorhandenen baulichen oder
ſonſtigen Anlagen, zur Wegſchaffung von Materialien-Vorräthen,
zur Beſeitigung von Pflanzungen und zur Einſtellung des Ge-
werbebetriebes 2).
2. Die Geltendmachung dieſer Verpflichtung erfolgt
mittelſt einer Aufforderung der Kommandantur, welche an die
Grundbeſitzer entweder ſchriftlich oder durch öffentliche Bekannt-
machung zu richten iſt und in welcher die Friſt angegeben wird,
innerhalb deren der Aufforderung genügt werden ſoll. Wenn ein
Beſitzer dieſer Aufforderung nicht Folge leiſtet, ſo kann er durch
adminiſtrative Zwangsmaßregeln hierzu angehalten werden 3). „Ad-
miniſtrative“ Maßregeln ſtehen im Gegenſatz ſowohl zu gericht-
lichen als auch zu militairiſchen und bedeuten ein Einſchreiten der
Civilbehörden. Die Kommandantur hat alſo die Ortspolizeibehörde
und erforderlichen Falles die höhere Verwaltungsbehörde zu requi-
riren, damit dieſe Behörden einen Zwang gegen die Beſitzer der
Grundſtücke zur Anwendung bringen.
Sobald die Freilegung des Feſtungsrayons von der Kom-
mandantur angeordnet wird, hat die letztere vor der Beſeitigung
der baulichen und ſonſtigen Anlagen, Pflanzungen u. dgl. eine
[394]§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.
Beſchreibung und nähere Feſtſtellung des Zuſtandes zu veranlaſſen.
Die Feſtſtellung erfolgt durch die Ortsobrigkeit unter Zuziehung
des Beſitzers, eines Vertreters der Kommandantur und zweier
Sachverſtändigen. Die darüber aufgenommene Verhandlung wird
von der Ortsobrigkeit der höheren Verwaltungsbehörde überreicht;
ſowohl der Kommandantur als den Betheiligten (Grundbeſitzern)
wird eine Abſchrift ertheilt. Ueber die ſtattgefundene Zerſtörung
oder Entziehung ſtellt die Kommandantur dem davon betroffenen
Beſitzer eine Beſcheinigung aus 1).
3. Eine Entſchädigung für die Demolirung oder Be-
ſeitigung von Bauten und Anlagen iſt nicht in allen Fällen zu
gewähren. Zunächſt iſt ein Entſchädigungs-Anſpruch nicht be-
gründet für alle vor Eintritt der Geltung dieſes Geſetzes d. h.
vor dem 12. Januar 1872 2) vorhandenen Gebäude und Anlagen,
welche nach der bisherigen Geſetzgebung oder in Folge beſonderer
Rechtstitel die Beſitzer auf Befehl der Kommandantur unentgelt-
lich zu beſeitigen verpflichtet waren 3). Denn durch das Rayon-
geſetz iſt an dieſer Verpflichtung eine Aenderung nicht eingetreten 4).
Für die Bauten und Anlagen, welche innerhalb der alten d. h.
vor Geltung des Rayongeſetzes bereits vorhandenen Rayons er-
richtet ſind, wird demnach eine Demolirungs-Entſchädigung nur
dann gewährt, wenn die Bauten entweder ſchon vor dem 12. Jan.
1872 ohne die Verpflichtung der Beſitzer zur unentgeldlichen Be-
ſeitigung derſelben beſtanden haben 5) oder wenn ſie nach dem
12. Januar 1872 genehmigt und hergeſtellt worden ſind 6). Für
die neuen Rayons dagegen iſt der Geſichtspunkt maßgebend, daß
durch die für die Eigenthumsbeſchränkungen gezahlte Entſchädigung
der Grundbeſitzer bereits dafür ſchadlos gehalten worden iſt, daß
[395]§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.
er neue Bauten und Anlagen nicht herſtellen darf; wenn er deſſen-
ungeachtet mit Genehmigung der Kommandantur dies thut, ſo
kann er daraus nicht nochmalige Entſchädigungs-Anſprüche herleiten,
ſondern er trägt die Gefahr der im Falle der Armirung eintreten-
den Nothwendigkeit zur Wiederbeſeitigung der Anlagen. Der Ent-
ſchädigungs-Anſpruch iſt daher begründet für alle Bauten und
Anlagen im dritten Rayon — falls deren Beſeitigung verlangt
wird —, da für die geſetzlichen Beſchränkungen im 3. Rayon Ent-
ſchädigung nicht gewährt wird 1); und ferner für alle Bauten und
Anlagen in den andern Rayons, wenn dieſelben bei Abſteckung der
Rayonlinien ſchon vorhanden waren; denn die Entſchädigung wird
nur gewährt für das Verbot, neue Bauten und Anlagen herzu-
ſtellen und Veränderungen des Terrains vorzunehmen, nicht für
die möglicher Weiſe nothwendig werdende Demolirung bereits vor-
handener Bauten und Anlagen. Eine Entſchädigung kann dagegen
nicht verlangt werden für ſolche Bauten in neuen Rayons, welche
erſt nach erfolgter Abſteckung der Rayonlinien errichtet worden ſind
entweder im erſten oder zweiten Rayon oder in einem Zwiſchen-
rayon oder auch auf einem Terrain, welches in Folge des Neu-
oder Verſtärkungsbaues einer ſchon beſtehenden Feſtung in einen
ſtrengeren Rayon fällt 2).
Die Feſtſtellung der Entſchädigung für Demolirung erfolgt
nach denſelben Regeln wie die Ermittlung der Entſchädigung für
die geſetzlichen Rayonbeſchränkungen. Sie ſoll ſo bald als mög-
lich ſtattfinden, ſpäteſtens ſofort nach Aufhebung des Armirungs-
zuſtandes der Feſtung. Die Entſchädigung wird nicht baar aus-
gezahlt, ſondern das Reich ſtellt — wie bei der Vergütung für
Kriegsleiſtungen — Anerkenntniſſe über die Entſchädigungs-
ſumme aus, welche vom erſten Tage des auf die ſtattgefundene
Zerſtörung oder Entziehung folgenden Monates bis zur Auszah-
lung mit fünf Procent jährlich verzinst wird 3).
4. Von der Entſchädigung zu unterſcheiden ſind die Koſten
der Demolirung und Beſeitigung. Zwar gilt für beide inſofern
der gleiche Rechtsſatz, als das Reich die Koſten der Beſeitigung
[396]§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.
nur für ſolche Gebäude und Anlagen trägt, für welche es auch
Entſchädigung zu leiſten hat, während die Demolirungskoſten der
ohne Anſpruch auf Entſchädigung zu beſeitigenden Bauten und
Anlagen den Beſitzern zur Laſt fallen 1). Dagegen beſteht keine
Verpflichtung der Beſitzer, den Erſatz der Koſten in verzinslichen
Anerkenntniß-Scheinen anzunehmen, ſondern es ſind ihnen die zum
Zweck der Freilegung des Feſtungsrayons gemachten Auslagen
und Verwendungen aus den baaren Beſtänden der Feſtungskaſſe
zu erſetzen.
mit Erläuterungen herausgegeben auf Veranlaſſung des Kgl. Preuß. Kriegs-
miniſteriums. Berlin, Mittler und Sohn. 1877. 78. 6 Abtheilungen, welche
2 Bände bilden. Dieſes Buch iſt das beſte Werk, welches die deutſche Militair-
rechts-Literatur bisher beſitzt; die Erläuterungen zeichnen ſich ebenſoſehr durch
Kürze wie durch Umſicht und Sachkenntniß aus.
Karl v. Helldorff. Dienſtvorſchriften der Königl. Preuß. Armee.
4 Thle. in zahlreichen Abtheilungen. Die dritte Aufl. dieſes trefflichen Werkes
iſt noch nicht vollendet, inzwiſchen iſt von Thl. 1 Abth. 1. die 4. Aufl. (Berlin
1879. A. Bath.) erſchienen.
v. Brieſen. Das Reichskriegsweſen und die preuß. Militair-Geſetzgeb.
Düſſeldorf 1872.
A. Frölich. Die Verwaltung des deutſchen Heeres. 2 Bde. 4. Aufl.
Berlin 1875. Dazu zwei Ergänzungshefte. Berlin 1876. 1877.
H. v. Löbell. Jahresberichte über die Veränderungen und Fortſchritte
im Militairweſen. Seit 1874 jährlich ein Band. Berlin, Mittler und Sohn.
Hervorzuheben iſt hier beſonders die Abhandlung Bd. I S. 1 ff.
H. Blankenburg. Das Heerweſen des deutſchen Reichs. In v. Holtzen-
dorff’s Jahrb. f. Geſetzgeb., Verwaltung und Rechtspfl. d. D. R. B. I S. 379 ff.
Thudichum. Die Grundlagen der heutigen deutſchen Kriegsverfaſſung.
Ebenda Bd. II S. 87 ff. Vgl. auch deſſelben Verfaſſers „Verfaſſungsrecht des
Nordd. Bundes.“ Tübingen 1870 S. 368 ff.
Seydel. Das Kriegsweſen des deutſchen Reichs, in Hirth’s Annalen
des deutſchen Reichs. 1874 S. 1035 ff., 1875 S. 53 ff. 1081 ff. 1393 ff.
Ferner v. Rönne das Staatsr. des deutſchen Reichs. II, 2 S. 111 fg.
Lor. v. Stein, Die Lehre vom Heerweſen. Als Theil der Staatswiſſen-
ſchaft. Stuttg. 1872. behandelt nicht das poſitive Staatsrecht.
Württembergiſchen und Sächſiſchen.
Mecklenburg nicht unerheblich von einander ab.
rathes und Reichstages die Preußiſchen Militairgeſetze und Einrichtungen gegen
den Willen Preußens Veränderungen erlitten, wurde dadurch vorgebeugt, daß
im Art. 5 Abſ. 2 der B.Verf. dem Präſidium d. h. dem König von Preußen
ein Veto eingeräumt wurde. Vgl. Bd. I S. 280. Bd. II S. 36.
Nordd. Bundes S. 397 fg.
Milit.Konv. v. 21/25. Nov. 1870 Art. 10 zwar einige Ausnahmen gemacht,
indem gewiſſe Württembergiſche Geſetze und Einrichtungen vorerſt und bis zur
Regelung im Wege der Bundesgeſetzgebung in Geltung verbleiben ſollten;
dieſer Vorbehalt hat aber gegenwärtig, abgeſehen von der Milit.-Kirchenordnung,
praktiſche Bedeutung nur noch hinſichtlich der Milit.-Strafgerichtsord-
nung, da alle übrigen in dem Art. 10 aufgeführten Gegenſtände ſeither durch
Reichsgeſetze geregelt worden ſind.
dem Geſetz, betreffend die Wehrverfaſſung, vom 30. Januar
1868. Zu demſelben iſt ein ausführlicher Commentar erſchienen von M.
Stenglein. Erlangen 1869. (In „die Geſetzgebung des Kgr. Bayern ſeit
Maximilian II.“ Thl. II Bd. 5.)
Bayeriſche Kontingent vom König von Bayern ausgeübt werden, was im §. 72
heitliche Geltung der objektiven Rechtsnormen dieſes Geſetzes für das ganze
Reichsgebiet nicht aus. Das Gleiche gilt auch vom Landſturmgeſetz §. 9 und
dem Kontrolgeſetz §. 9.
lich durch eine Erklärung des Bundes-Komm. v. Roon conſtatirt (Stenogr.-
Berichte S. 581) und iſt unbeſtritten.
Chef eines andern Reſſorts Interna des letzteren im Intereſſe der Militairver-
waltung oder mit Rückſicht auf ihre Bedürfniſſe regelt. Hierauf beruhen die
zahlreichen gemeinſchaftlichen Verordnungen von 2 oder mehr Miniſtern.
den folgenden Paragraphen.
Verordnungs-Blatt, welches die Anordnungen des Königs, des Würt-
temberg. Kriegsminiſters u. ſ. w. enthält.
zu Thudichum in v. Holtzendorff’s Jahrb. II S. 91 und v. RönneII,
2 S. 136.
z. XI. Abſchnitt der R.V. Die Bayeriſchen Militair-Verordnungen werden
verkündigt in dem: „Verordnungsblatt des Kgl. Bayeriſchen Kriegsminiſteriums.“
Militairgeſetz §. 71 u. 72. Landſturmgeſetz §. 8 u. 9. Kontrol-
geſetz §. 8 u. 9. Quartierleiſtungsgeſetz §. 20 und Geſ. v. 9. Febr.
1875 §. 3 (Bayern). Naturalleiſtungsgeſetz §. 18. Eine Ausnahme
machen die Penſionsgeſetze und das Kriegsleiſtungsgeſetz; unklar und nichts-
ſagend iſt die Beſtimmung im Rayongeſetz §. 47 Abſ. 2. (Vgl. Bd. II S. 78.)
welche vom „König von Preußen“ mit dem Fürſten vereinbart iſt; in den
einzelnen Artikeln begegnet man aber wiederholt dem „Deutſchen Kaiſer.“
Preußen, ſondern dem Reiche (Kaiſer) cedirt haben, würde zu einer übermäßig
verwickelten Konſtruktion führen; denn da das Reich eine eigene Militair-
verwaltung nicht hat, ſo müßte man unterſtellen, daß 1) das Reich durch die
Reichsverfaſſung den Einzelſtaaten die Selbſtverwaltung ihrer Kontingente zu-
gewieſen, daß 2) die Einzelſtaaten dieſe Befugniß dem Reich abgetreten, daß
3) das Reich wieder die Ausübung derſelben Preußen übertragen habe und
man müßte dabei ferner annehmen, daß das Letztere durch eine ſtillſchweigende
Uebereinkunft geſchehen ſei.
Militairkonventionen berührt und ebenſowenig wurde irgend ein Preuß. Ho-
heitsrecht beſchränkt oder der Preußiſche Staat finanziell belaſtet.
willigten Nachläſſe von den Militair-Ausgaben. Dieſelben hatten
nur für die Uebergangszeit praktiſche Bedeutung und können hier unerörtert
bleiben.
führungen Hänel’s S. 247 nicht bei.
1870 und ſie iſt im Bundesgeſetzblatt 1870 S. 658 als Beſtandtheil des Bünd-
nißvertrages publizirt worden.
nung, die ſelbſtändige Beſtimmung über die Bekleidung, die weſentliche Be-
ſchränkung des Dislocirungsrechtes des Kaiſers, das Recht des Königs von
Württemberg den Höchſtkommandirenden zu ernennen und bei der Ernennung
der übrigen Generale nicht an die Zuſtimmung des Kaiſers gebunden zu ſein,
das Zugeſtändniß, daß Erſparniſſe am Württemb. Militairetat zur Verfügung
Württembergs verbleiben, daß der Kaiſer wegen der Anlage von Befeſtigungen
in Württemberg ſich vorher mit dem Könige von Württemberg in’s Vernehmen
zu ſetzen habe u. a.
Reichs“ I S. 55—181. Die Konventionen von 1867 in den Druckſachen des
Reichstages 1867 Nro. 21 und in Glaſer’s Archiv I Heft 3. und 4.; die
ſpäteren in den Druckſachen des Reichstages 1872 Nro. 189, 1873 Nro. 18,
1874 Nro. 33.
leiſten müſſen, ſo ergiebt ſich, daß dieſe Anordnungen unmittelbar vom Kaiſer
an die betreffenden Truppen-Kommando-Behörden ergehen können. Durch die
Militairkonventionen mit Sachſen Art. 4 Abſ. 2 und mit Württemberg
Art. 9 Abſ. 2 iſt jedoch vereinbart worden, daß der Kaiſer die in Folge ſol-
cher Inſpizirungen bemerkten ſachlichen oder perſönlichen Mißſtände dem
Könige von Sachſen, reſp. Württemberg, mittheilt, welcher ſeinerſeits
dieſelben abzuſtellen ſich verpflichtet und von dem Geſchehenen dann dem Kaiſer
Anzeige machen läßt.
einbarungen über die Formation der einzelnen Kontingente, nämlich für Sachſen,
Württemberg, Heſſen, beide Mecklenburg, Baden, Oldenburg, die Thüringiſchen
Staaten und Anhalt.
verfaſſungsmäßigen Umfange.
dienſtes der Kaiſer zu einer Dislozirung der Sächſ. Truppen ſich bewogen
findet, ſo will er ſich vorher mit dem Könige von Sachſen in Vernehmen ſetzen.
Konvent. mit Württemberg Art. 6. Eine Dislozirung der Württemberg.
Truppen außerhalb des Staatsgebietes ſoll nur mit Zuſtimmung des
Königs v. W. erfolgen, ſofern es ſich nicht um Beſetzung ſüddeutſcher oder
weſtdeutſcher Feſtungen handelt. Heſſen Art. 6 (wie Sachſen). Baden
Art. 4. Oldenburg Art. 4 Abſ. 2. Thüringen Art. 2. Anhalt
Art. 2.
gehenden, inzwiſchen aufgehobenen Beſetzung einzelner befeſtigter Plätze mit
Preuß. Truppen). Württemberg Art. 6 (ausgenommen Ulm); Heſſen
Art. 6 (ausgenommen Mainz Art. 22); Baden Art. 4 (ausgenommen
Raſtatt); Oldenburg Art. 4 Abſ. 2 (mit Ausnahme der Stadt Bir-
kenfeld).
Detmold Art. 2. Schaumburg-Lippe Art. 2. Lübeck Art. 2. 3.
Hamburg Art. 2 u. 3. Bremen Art. 3. 4. Waldeck (von 1877) Art. 2.
Milit.-Konvent. Ziff. 5 Abſ. 2 die Zuſicherung ertheilt worden, daß nach Orten,
in denen die erforderlichen Kaſernen-Einrichtungen nicht vorhanden ſind, nur
aus beſonders dringenden Gründen eine Garniſon verlegt werden wird.
und mit Württemberg Art. 14 betreffen zwar dieſes Recht des Kaiſers, ohne
daſſelbe aber irgend wie einzuſchränken.
ſelbſt zu widerlegen. Seine Ausführungen finden ſich abgedruckt bei v. Rönne
I S. 82. Vgl. ferner Seydel in Behrend’s Zeitſchrift f. Deutſche Geſetz-
gebung Bd. VII S. 620.
v. Rönne a. a. O. S. 86.
des Reichsſtaatsrechtes der Bundesrath in der Lage ſei, auf dem im Art. 7
der R.V. vorgeſehenen Wege (?) die vom Kaiſer ausgehende Maßregel der
Erklärung des Belagerungszuſtandes zu ſeiner Kognition (?) zu ziehen“, iſt
ebenſo haltlos wie nichtsſagend.
liche Geltung haben, gehören insbeſondere §. 16, wonach das Staatsminiſterium
zur Suſpenſion gewiſſer Verfaſſungsartikel auch dann befugt iſt, wenn der
Belagerungszuſtand nicht erklärt iſt, und §. 17, welcher vorſchreibt, daß dem
Preuß. Landtage Rechenſchaft zu geben ſei.
hörden, denen die Erklärung des Belagerungszuſtandes zuſteht, nämlich im
Falle des Krieges die Feſtungskommandanten und die kommandirenden Gene-
rale, im Falle des Aufruhrs das Staatsminiſterium und in dringenden Fällen
die Militairbefehlshaber, haben keine Geltung, da ſie nicht die Voraus-
durch die ausdrückliche Anordnung im Art. 68 der R.V., daß der Kaiſer den
Kriegszuſtand zu erklären habe, beſeitigt ſind. Die Behauptung von Rönne’s
S. 84 Note 1, daß ſie im Preuß. Staatsgebiete Geltung haben, im außer-
preußiſchen nicht, iſt gänzlich unbegründet und ſteht im Widerſpruch mit dem
Grundſatz, daß Reichsgeſetze (nämlich Art. 68 der R.V.) den Landesgeſetzen
vorgehen, ſowie mit dem Prinzip der Einheitlichkeit des Militairrechts. Thu-
dichum Verf.R. des Nordd. Bundes S. 293 hält dieſe Beſtimmungen des
Preuß. Geſetzes im ganzen Bundesgebiet für anwendbar, was ſich durch Art. 68
der R.V. widerlegt. In dem einzigen Falle, in welchem bisher von Art. 68
Gebrauch gemacht worden iſt, erfolgte die Erklärung des Belagerungszuſtandes
ſowohl in Preußen als außerhalb Preußens durch Bundespräſidial-Verordnung
vom 21. Juli 1870 (B.G.Bl S. 503), welche vom Bundeskanzler contra-
ſignirt iſt.
auf ſie darf alſo nicht erkannt werden, wenn — ohne die Verhängung des
Kriegszuſtandes — auf eine niedrigere Strafe als lebenslängl. Zuchthaus zu er-
kennen wäre. Für dieſe Fälle bleiben die Strafdrohungen des Strafgeſetzb.
auch während des Belagerungszuſtandes unverändert. Vgl. Oppenhoff.
Strafgeſetzb. (5. Aufl.) Note 7 zu §. 4 cit.
zuſtandes iſt unzuläſſig. §. 5 Abſ. 2. Ihre Wirkſamkeit hört mit der Be-
endigung des Belagerungszuſtandes ipso jure auf. §. 14.
werden. Ausnahmegerichte und außerordentliche Kommiſſionen ſind unſtatthaft.“
verfaſſ. S. 67 erwähnter allerh. Erlaß v. 22. Juli 1870, betreffend die Er-
richtung von General-Gouvernements, Nro. 6.
(Belagerungs-) Zuſtandes in Bezug auf die Preſſe beſtehenden beſonderen
geſetzlichen Beſtimmungen bis auf Weiteres in Kraft.
deſſen Erörterungen mit einigen ſtyliſtiſchen Abänderungen v. Rönnel S. 87
fg. abgeſchrieben hat. Vgl. außerdem Thudichum Verf.R. des Nordd. Bundes
S. 294. Meyer Staatsr. S. 494. Seydel Kommentar S. 248, der letz-
tere Schriftſteller hat ſeine Anſicht aber geändert. (Zeitſchr. f. die deutſche
Geſetzgebung Bd. VII S. 621.)
ſentlichen ein nur formelles, denn durch die geſetzlich feſtgeſtellte Friedensprä-
ſenzſtärke (vgl. §. 83 II) und die beſtehende Heeresorganiſation iſt der jährliche
Bedarf an Rekruten materiell beſtimmt. Nach einer dem Reichstage vorge-
legten Berechnung (Druckſ. 1874 I. Seſſ. Beilage zu Nr. 106) beträgt derſelbe
für das ganze Heer jährlich 130,000 Mann, dazu circa 10 % Nacherſatz 13,000
M. und für die Marine 2,500 M., ſonach im Ganzen 145,500 Rekruten. Da
jedoch die geſetzliche Präſenzſtärke mit der effectiven Präſenzſtärke nicht über-
einſtimmt, die letztere vielmehr durch Beurlaubungen, ſpätere Rekruteneinſtel-
lungen, und andere „Manquements“ zeitweiſe erheblich niedriger iſt und da
die Zeit, welche der einzelne Wehrpflichtige bei den Fahnen gehalten wird, va-
riabel iſt und bisweilen erheblich unter die normale Dauer verkürzt wird, ſo
kann andererſeits die Rekrutenquote relativ höher bemeſſen werden, um die für
die Kriegsſtärke erforderlichen Jahresraten von Beurlaubten zu beſchaffen.
Insbeſondere aber iſt der Kaiſer befugt, den Präſenzſtand in den einzelnen
Kadres (unter Feſthaltung der geſetzlich feſtgeſtellten Maximal-Präſenzſtärke des
ganzen Heeres) anzuordnen und den Termin der Entlaſſung der ausgedienten
Mannſchaften und der Einſtellung der Rekruten zu beſtimmen. Der thatſäch-
liche Geſchäftsgang iſt der, daß bei jedem einzelnen Truppen- und Marinetheil
der zur Kompletirung der etatsmäßigen Stärke erforderliche Bedarf zu er-
mitteln und dem Preuß. Kriegsminiſterium mitzutheilen iſt, welches nach Feſt-
ſetzung des Geſammtbedarfs denſelben dem Bundesraths-Ausſchuß anzeigt.
männiſchen Bevölkerung vorhanden ſind, erfolgt daher die Erſatzvertheilung
nach Land- und ſeemänniſcher Bevölkerung getrennt. W.O. I §. 41 Ziff. 4.
klang zu bringen mit dem Grundſatz, daß die Einjährig-Freiwilligen auf die
beobachten. Vgl. Wehrordnung I §. 50 und Heerordnung I §. 1.
dere Beſtimmung noch eingeſchaltet, welche leicht zu einem Mißverſtändniß An-
laß bieten kann. Es wird nämlich angeordnet, daß bei der Repartirung des
Ausfalls eines Aushebungsbezirkes auf die andern Bezirke deſſelben
Staates, der Ausfall zunächſt auf die der nächſt höheren Militär-Territorial-
einheit angehörigen Bezirke übertragen werden ſoll. Dieſe Beſtimmung bezieht
ſich alſo nicht auf das Verhältniß unter mehreren Bundesſtaaten und die
gleichmäßige Behandlung derſelben Seitens des Reiches, ſondern ſie ſtellt einen
Grundſatz auf hinſichtlich der Aushebung innerhalb eines Bundes-
ſtaates. Sie iſt aber geeignet den Anſchein zu erwecken, als ob auch unter
mehreren Staaten, welche zu derſelben Militair-Territorial-Einheit ge-
hören, der in einem Staate entſtandene Ausfall zunächſt auf die andern über-
tragen werden müſſe, bevor die zu einem andern Militair-Bezirk (Bri-
gade-, Diviſions- oder Armeekorps-Bezirk) gehörenden Staaten zum antheils-
mäßigen Erſatz herangezogen werden dürfen. Nach der Faſſung des §. 9 cit.
im Entwurfe v. 1873 und v. 1874 (Druckſ. I Seſſ. 1874 Nro. 9 S. 34) war
eine ſolche Beſtimmung allerdings beabſichtigt und ſie hat auch noch in einer
Aeußerung des Berichterſtatters der Reichstags-Kommiſſion (Stenogr. Berichte
1874 S. 841) Erwähnung und, wie es ſcheint, Billigung gefunden. Auch em-
pfiehlt ſich ihre Beobachtung aus Zweckmäßigkeitsgründen. Mit dem Wortlaut
des Geſetzes aber, auf den es allein ankommt, iſt ſie unvereinbar. Vergl.
auch Seydel in Hirth’s Annalen 1875 S. 1450 ff.
Vertheilung des Erſatzes in der Art vorgenommen, daß die Geſammtzahl der
im Vorjahre eingetretenen Freiwilligen dem auszuhebenden Rekrutenbedarf hin-
zugerechnet, die hiernach ſich ergebende Summe auf die Bundesſtaaten repar-
tirt und von der auf jeden einzelnen Staat entfallenden Quote die aus dieſem
Staate in das Heer und in die Marine eingetretenen Freiwilligen wieder ab-
gerechnet werden. — Die Freiwilligen werden immer demjenigen Bezirke an-
gerechnet, in welchem ſie geſtellungspflichtig ſind. Preuß. Miniſt.-Reſcr. v. 5.
Dezemb. 1877 bei v. Helldorff Dienſtvorſchriften I. 1. S. 107.
die Beſtimmungen des Militairgeſetzes keine Anwendung. Beim Mangel an
Erſatzmannſchaften der ſeemänniſchen Bevölkerung iſt ein Hinübergreifen auf
Militairpflichtige der Landbevölkerung innerhalb der aufzubringenden Geſammt-
zahl ohne Weiteres zuläſſig. W.O. I §. 51 Ziff. 7.
§. 9 iſt das Verſtändniß ſehr erſchwert worden, da dieſer Geſetzesparagraph
ſehr heterogene Dinge zuſammenfaßt. Vgl. die Erläuterungen, welche Seydel
in Hirth’s Annalen 1875 S. 1454 fg. giebt.
bezirke herangezogen werde, in welchem er ſeinen Wohnſitz hat (Wehr-
geſetz §. 17 Milit.Geſ. §. 12. Siehe unten §. 88), ein Recht, das ihn freilich
nicht davor ſchützt, nach erfolgter Einreihung in das Heer in einen beliebigen
Theil des Reichsgebiets geſchickt zu werden; dieſes Recht des einzelnen Wehr-
pflichtigen iſt aber nicht zu verwechſeln mit dem Anſpruch der einzelnen Staaten,
die von ihnen geſtellten Rekruten zur Kompletirung ihrer eigenen Kontingente
zu verwenden.
fall in andern Bundesſtaaten pro rata mit aufkommen müſſe und vice versa
fort; er iſt aber in der Art zu realiſiren, daß wenn in Bayern ein Ausfall
ſich ereignet, die Kontingente der übrigen Staaten entſprechend erhöht werden,
und daß wenn der Ausfall außerhalb Bayerns (z. B. in Elſaß-Lothringen) ein-
tritt, die Rekruten-Einſtellung in das Bayeriſche Heer um ſo viel erhöht wird,
als der auf Bayern kommende Antheil an dieſem Ausfall beträgt. Für das
ganze Reichsheer wird hierdurch die feſtgeſetzte Zahl der einzuſtellenden Re-
kruten, reſp. der geſetzlichen Friedens-Präſenzſtärke erreicht. Die praktiſche
Durchführung dieſes Prinzips würde allerdings mit Mißſtänden verknüpft ſein,
weil die etatsmäßige Stärke der einzelnen Truppenkörper dadurch Verände-
rungen erleiden würde.
des-Erſatz-Vertheilung wird daher auf dieſe Staaten nur der für ihre Armee-
korps erforderliche Bedarf in Einer Summe vertheilt. Vergl. Wehr-Ordn. I
§. 51 Ziff. 5. „Die Beſtimmungen in Abſ. 3“ d. h. die Repartirung des Aus-
falls in einem Bundesſtaat auf die andern, finden auf Sachſen und Württem-
berg in derſelben Art Anwendung, wie dies in der vorhergehenden Note für
Bayern erläutert iſt.
treff des Ergänzungsweſens den Armeekorps gleichgeſtellt.
Train und Bundeskriegsmarine erforderlichen Quote. Oldenb. Mil.Konv. Art. 4
Abſ. 1.
Thüring. Staaten findet, ſofern dieſelben nicht Widerſpruch erheben, die Re-
krutirung auch für das Preuß. Garde-Korps ſtatt. Schlußprotok. zu Art. 3
der Mil.Konvent. Heer-Ordn. §. 2 Ziff. 1.
bis 3. Schaumburg-Lippe Art. 1. und 2. (Jägerbataillon), Lippe-Detmold
Art. 1—3. Lübeck §. 2. Hamburg §. 2. Bremen §. 2.
nanzrechtes. — Ueber die einigen kleineren Norddeutſchen Staaten zeitweilig
bewilligten Nachläſſe vgl. meine Darſtellung des Reichsfinanzrechts in Hirth’s
Annalen 1873 S. 494 fg.
verf. S. 146, Seydel Commentar S. 235.
das deutſche Reich S. 150 und die daſelbſt citirte Aeußerung des Staatsmi-
niſters Lutz; ferner Blankenburg in v. Holtzend. Jahrbuch I S. 394.
Riedel Reichsverf. S. 154. v. Pözl Bayer. Verf.R. 4. Aufl. Supple-
ment §. 44. Seydel Commentar S. 234 und in Hirth’s Annalen 1875
S. 1503. Meyer Staatsrecht S. 551. Anderer Anſicht iſt nur Thudi-
chum in v. Holtzendorffs’ Jahrb. II S. 116, deſſen Ausführungen bei v.
RönneII, 2 S. 119 wiedergegeben ſind.
ſetzung der Präſenzſtärke des Armeekorps Erſparniſſe machen.
in Hirth’s Annalen 1875 S. 1400 und die hieraus entnommenen Bemerkungen
bei v. RönneII, 2 S. 146, ſowie Meyer Staatsrecht S. 512.
normirt. Es ſind folgende Fälle zu unterſcheiden: Für Preußiſche Staats-
angehörige iſt die im Art. 64 Abſ. 1 der R.V. vorgeſchriebene Klauſel
gegenſtandslos und deshalb in den Eid nicht aufzunehmen; ſie leiſten den
Fahneneid in der durch die Kabin.-Ordre vom 5. Juni 1831 vorgeſchriebenen
Faſſung. Falls ſie aber ihrer Dienſtpflicht in einem nichtpreußiſchen Kontin-
gent genügen, ſo haben ſie außerdem zu Protokoll zu erklären, daß der von
ihnen geleiſtete Fahneneid die Verpflichtung einſchließe, dem betreffenden Kon-
tingentsherrn als Bundesfürſten treue Dienſte zu leiſten u. ſ. w. (Reſcript des
Preuß. Kriegsminiſters vom 19. Febr. 1869). Ein ſolches Protokoll iſt auch
aufzunehmen, wenn Unterthanen anderer Bundesſtaaten in ein anderes als das
heimiſche Kontingent eintreten. — Im Uebrigen iſt der Fahneneid für die-
jenigen Militairpflichtigen, welche ihrer Dienſtpflicht nicht bei einem Truppen-
theile des Bundesſtaates genügen, dem ſie angehören, feſtgeſtellt worden durch
die Kabinets-Ordre vom 14. Dezemb. 1867 (Armee-V.Bl. 1867 S. 179).
Dieſelbe findet auch auf Bayeriſche Unterthanen Anwendung, welche in
nichtbayeriſchen Kontingenten zur Einſtellung gelangen (Reſcr. des Preuß.
Kriegsmin. vom 4. Mai 1872). Der Fahneneid der Sächſiſchen Staats-
angehörigen iſt in der Sächſ. Milit.-Konvention Art. 6 feſtgeſtellt; für Würt-
temberg und Baden ſind entſprechende Verabredungen getroffen worden
(Reſcript des Preuß. Kriegsmin. vom 19. Juli 1872). Elſaß-Lothringer
I Seſſ. 1874 S. 841 und Seydel in Hirth’s Annalen 1875 S. 1455.
zwiſchen Preußen, Bayern und Württemberg bezügl. der Feſtung Ulm vom
16. Juni 1874 Art. II Abſ. 5. Vgl. auch wegen der Feſtungskommandanten
in Sachſen die Sächſiſche Mil.-Konv. Art. 7: „Dieſelben haben, wenn
ſie den Kgl. Sächſiſchen Truppen angehören, nachfolgenden Eid
zu leiſten.“
Kaiſer vereidigt (Reſcr. vom 28. Mai 1872 und Kab.-Ordre vom 4. Dezemb.
1878). Die angeführten Reſcripte ſind abgedruckt bei v. Helldorff Dienſt-
vorſchriften Bd. II Th. 1 S. 2 ff. In Bayern endlich iſt in den dem
Könige von Bayern zu leiſtenden Fahneneid die Verpflichtung aufzunehmen:
„im Kriege den Befehlen des Kaiſers unbedingt Folge zu leiſten.“ Vertrag
vom 23. Nov. 1870 III §. 5 Ziff. IV.
erhalten die Offiziere ꝛc. ꝛc. jedoch neben den Königl. Preuß. Patenten auch
noch Großherzogl. Patente und führen, ſolange ſie dieſen Kontingenten ange-
hören, ausſchließlich die Bezeichnung „Großherzoglich.“ Heſſiſche Mil.-
Konvent. Art. 4. Beide Mecklenburgiſche Konventionen v. 1872 Art. 9.
deren Ernennung nur unter Zuſtimmung des Kaiſers erfolgen darf, dem
Kaiſer gegenüber das eidliche Verſprechen des Gehorſams abzulegen.
Milit.-Konv. Art. 7.
Kontingenten von Heſſen (Milit.-Konv. Art. 4), von Baden (Mil.-Konv.
Art. 3 Abſ. 4) und von Oldenburg (Mil.-Konv. Art. 3 a. E.); mittelſt
Handgelöbniſſes in den Kontingenten der beiden Mecklenburg
(Mil.-Konv. Art. 5), der Thüringiſchen Staaten (Mil.-Konv. Art 10 Abſ. 2)
und Anhalt (Mil.-Konv. Art. 10). — Nach den Konventionen mit Lippe
und mit Schaumburg hat der Kommandeur der in Detmold reſp. in
Bückeburg dislozirten Garniſon jenes Gelöbniß mittelſt Handſchlages oder Re-
verſes abzulegen.
im Reichsdienſte verwendeten Bayeriſchen Offiziere und Militairbeamte werden
für den Kaiſer vereidigt. Hauptprotokoll vom 16. Juni 1874 Art. II Abſ. 4
und Separat-Protok. Art. 2. — Vgl. R.V. Art. 64 Abſ. 2.
die Mil.-Konv. Art. 7 Abſ. 2. Daſſelbe iſt vereinbart für die im Reichsdienſte
(in Ulm) verwendeten Bayeriſchen Offiziere und Beamten im Separat-
Protok. vom 16. Juni 1874 Art. 9.
Preuß. Armeeverbande eingefügt worden ſind.
Art. 7. Mecklenburg (von 1868) Art. 11. Oldenburg Art. 7. Thü-
ringen Art. 10 Abſ. 1. Anhalt Art. 10 Abſ. 1.
Wer in Bayern oder Württemberg einen Brief zur Poſt giebt, ſchließt zwar
ein Rechtsgeſchäft mit der Bayeriſchen oder Württembergiſchen Poſtverwaltung
ab, das daraus hervorgehende Rechtsverhältniß iſt aber materiell geregelt durch
das Reichspoſtgeſetz.
unten §. 89. 91.
werden dieſe Anordnungen vom König v. W. gegeben „und es ſoll dabei den
Verhältniſſen der Bundesarmee die möglichſte Rechnung getragen werden.“
Dem Braunſchweigiſchen Kontingent iſt eine in den Grundfarben
und dem Schnitt abweichende Bekleidung bisher ſtillſchweigend gelaſſen worden.
Auf Bayern findet dieſer Art. keine Anwendung.
burg 1868 Art. 10. 1872 Art. 9 und Schlußprotok. Art. 6. Baden Art. 2
und Schlußprotok. Art. 2. Oldenburg Art. 3 und Schlußprotok. Art. 10.
Thüringen Art. 7. Anhalt Art. 7. — Vgl. Bekleidungs-Reglement §. 88.
(v. Helldorff Dienſtvorſchriften Th. 3 Abth. 4. I S. 76.)
welche keine eigenen Kontingente haben. Vgl. die Milit.-Konvent. mit Waldeck
Art. 1 Abſ. 2, mit Schwarzburg-Sondershauſen Art. 6. Lippe-
Detmold Art. 6. Schaumburg Art. 5. Lübeck §. 2 Abſ. 3. Ham-
burg §. 2. Bremen §. 3.
Abſ. 2. Baden Art. 5 Abſ. 1. Mecklenburg Art. 9. Oldenburg
Art. 5 Abſ. 1. Vgl. ferner Lübeck §. 4. Hamburg §. 4. Bremen §. 9.
Die Befugniß, Regimentsinhaberſtellen zu verleihen, iſt anerkannt für den Groß-
herzog von Heſſen in der Milit.-Konv. Art. 3 Abſ. 2; vgl. auch das Schluß-
protokoll Art. 2 zur Badiſchen Mil.-Konv.
Art. 5 Abſ. 2. Thüringen und Anhalt Art. 8. Waldeck, Schwarz-
burg und Lippe Art. 7. Schaumburg Art. 6.
von Lübeck, Hamburg und Bremen eingeräumt.
burg Art. 11 u. 12. Baden Art. 6 und Schlußprotok. Art. 3. Olden-
burg Art. 6 und Schlußprotok. 10. Thüringen und Anhalt Art. 11.
Lippe-Detmold, Schwarzb.-Sondersh., Waldeck (1877) Art 9.
Schaumburg Art. 8.
Baden und Oldenburg Art. 5 Abſ. 3. Schwarzburg, Lippe und
Waldeck (1877) Art. 7 Abſ. 3. Schaumburg Art. 6. Lübeck und Ham-
burg §. 4 c.Bremen §. 6.
Heſſen Art. 13. Baden Art. 13. Oldenburg Art. 16. Waldeck
Art. 7 Abſ. 4. Lübeck §. 4 letzt. Abſ. und §. 6. Hamburg §. 5 und 7.
Bremen §. 10—12. — Auf Bayern findet Art. 66 der R.V. keine An-
wendung; ſollten daher einmal nichtbayeriſche Truppen vorübergehend in baye-
riſchem Gebiete dislozirt ſein, ſo ſind die bayeriſchen Behörden nicht befugt,
dieſe Truppen zu polizeilichen Zwecken zu requiriren, und ebenſowenig im um-
gekehrten Falle Behörden anderer Bundesſtaaten die bayeriſchen Truppen.
S. 101.) Die Einführung iſt erfolgt „in Vollzug des Art. 10 der Mil.Konv.“
z. B. der Erl. vom 27. Mai 1869, der im Bundesgeſetzbl. 1869 S. 375 be-
kannt gemacht worden iſt.
bedarf.
lichen Mittel, ſoweit das Ordinarium ſie nicht gewährt, nach Abſchnitt XII
beantragt“, hatten einen guten Sinn, ſolange ein feſtes Pauſchquantum für die
Militairbedürfniſſe dem Bundesfeldherrn zur Verfügung ſtand (Art. 71 Abſ. 2).
Seitdem dies aufgehört hat, ſind ſie mindeſtens überflüſſig.
(R.G.Bl. S. 123) zu Grunde.
deſſen Anſichten und Wünſche vernehmen, ſondern deſſen Einwilligung einholen.
Vgl. oben Bd. II S. 80 Note 3.
S. 267.
eingeſchränkt worden iſt, ſind grade die Feſtungen davon ausgenommen worden.
Siehe oben S. 39 Note 1.
der in Württemberg gelegenen feſten Plätze hat der Kaiſer ſich vorher mit
dem König von W. in Vernehmen zu ſetzen. Mil.-Konv. Art. 7. Ueber Ulm
ſiehe unten Nro. 5.
4; 7. Vgl. oben S. 44.
ſich auch Ingolſtadt befindet, als Reichsfeſtungen bezeichnet werden,
beruht auf einem Irrthum. Art. VII enthält gar keine Bezugnahme auf Art. I,
und Art. IV enthält eine Beſtimmung lediglich über diejenigen im Art. I
genannten Feſtungen, welche Reichsfeſtungen ſind, ſagt aber nicht, daß
alle im Art. I aufgeführten Feſtungen dieſe Eigenſchaft haben.
entbehrlich werdender Feſtungsgrundſtücke vgl. §. 7 u. 8 deſſelben Geſetzes und
Art. IV Abſ. 1 und V des R.G. vom 30. Mai 1873 (R.G.Bl. S. 124).
(reproduzirt bei v. RönneII, 2 S. 124) über eine finanzielle Bevorzugung
Bayerns beruhen auf Irrthum. Richtig Thudichum in Holtzend. Jahrb.
II S. 113 und Seydel in Hirth’s Annalen 1875 S. 1403.
Reiches“ I S. 175 ff.
Material der ehemaligen deutſchen Bundesfeſtungen Anwendung finden.
hältniſſe.
den Platzmajoren für jedes der beiden Ufer und dem Gouvernements-Adju-
tanten.
Inſpektion Mainz.
S. 13 Ziff. 4.
Bayriſchen jedoch in fünf.
ſich aus folgender Tabelle, welche in den Motiven zum Militairgeſetz S. 32
(Druckſ. des Reichst. 1874. I Seſſ. Nro. 9) enthalten iſt:
Sämmtliche Infanterie-Regimenter haben 3 Bataillone mit alleiniger Aus-
nahme des 2. Großherz. Heſſiſchen Nr. 116, welches nur 2 Bataillone hat.
Vgl. Anl. zu Art. 2 der Heſſ. Militair-Konvent. v. 1871.
korps ſind beſondere Kavallerie-Diviſionen formirt und deshalb beſtehen dieſe
Armeekorps aus drei Diviſionen; ferner iſt das Kontingent des Großherzogth.
Heſſen dem XI. Armeekorps als dritte Diviſion eingefügt. Alle übrigen Korps
haben zwei Diviſionen.
Nro. I bis XI, XIV (Baden) und XV (Elſaß-Lothr.), das Sächſiſche Nro. XII,
das Württemb. Nro. XIII, die Bayeriſchen I u. II Bayr. Korps.
liche Erörterungen gepflogen worden. Stenogr. Berichte S. 822 ff.
nur die Anſätze des Reichsetats zur Richtſchnur zu nehmen. Siehe oben S. 57.
ein (105 und demgemäß noch 18 in Bayern), indem jedes Infanterie-Regiment
13 Hauptmannsſtellen erhielt.
war bereits von dem Preuß. Kriegsminiſter eine „Erläuterung“ beigegeben,
welche die Friedens-Formation eines Armeekorps ganz genau darſtellt; in der-
ſelben wird ein Infanterie-Regiment à 3 Bataillone auf 57 Offiziere und
1613 Mann, ein Jägerbataillon auf 22 Offiziere und 534 Mann, ein Kavallerie-
Regiment à 5 Eskadrons auf 28 Offiziere und 712 Mann u. ſ. w. angegeben.
(Stenogr. Berichte des verfaſſungberathenden Reichstages von 1867 Aktenſtücke
S. 52.) Ebenſo wurde dem Reichstag von 1874 eine Ueberſicht der Truppen-
Formationen und Etatsſtärken vorgelegt, nach welcher z. B. das Preuß. Linien-
Infanterie-Bataillon 566 Mann (incl. Unteroffiziere, Lazarethgehilfen und
Handwerker) ſtark ſein ſoll (Druckſ. 1874 I Seſſ. Beilagen zu Nro. 106). In
dem Militairgeſetz fand aber eine Beſtimmung dieſer Art keine Aufnahme,
ſondern es wird nur dem Militair-Etat alljährlich eine „Ueberſicht der
Etatsſtärke des Deutſchen Heeres“ beigefügt. Genauere Nachweiſungen enthält
das Kapitel „Geldverpflegung der Truppen“ des Militair-Etats.
13. April 1874 (Stenogr. Berichte S. 748) wurde zwar in den Berathungen
der Reichstags-Kommiſſion Seitens der Regierungsvertreter und einiger Kom-
miſſions-Mitglieder geſagt: „Ein Bataillon iſt doch ein Bataillon und keine
Kompagnie. Wer ein Bataillon auf Geſetz baſirt, erkennt damit an, daß das
Bataillon doch wenigſtens eine Minimalfriedenspräſenzſtärke haben muß, und
daß er bei der Aufſtellung des Budgets nicht berechtigt iſt, wenn er loyal ver-
fahren will, thatſächlich ein Bataillon in eine Kompagnie zu verwandeln. Die
Friedenspräſenzſtärke ergiebt ſich aus den Aufgaben, welche den einzelnen For-
mationen militairiſch-techniſch obliegen.“ Dies iſt aber völlig ungenügend, um
einen feſten Anhalt zu gewähren. Derſelbe Truppenkörper, der den Namen
der älteren Preuß. Garde-Infanterie-Regimenter ſind ſtärker als diejenigen der
Linien-Infanterie, und doch paßt auf beide gleichmäßig der Name „Bataillon.“
Ein Bataillon würde noch nicht zur „Kompagnie“ werden, wenn es 20, 30
oder 50 Mann weniger ſtark formirt würde; die Eskadron könnte um 5 Mann
ſchwächer ſein ohne aufzuhören „Eskadron“ zu heißen. Und welchen Einfluß
würde dies dennoch haben einerſeits auf die Verringerung der Kriegsſtärke des
Heeres und andererſeits auf die Etatsanſätze!
Art, daß das Preußiſche Heer nebſt den mit ihm verbundenen Kontingenten
311,423 M., das Sächſiſche Kontingent 24,208 M., das Württemb. 17,784 M.
ſtark iſt.
lichen Schwankungen.
lich die Garde-Infanterie-Regimenter, haben eine höhere Etatsſtärke als die
andern, und auch ſonſt kommen Abweichungen vor, die theils durch die Mili-
tair-Konventionen theils durch lokale Verhältniſſe begründet ſind. — Als im
Jahre 1876 ein zweites Preußiſches Eiſenbahn-Bataillon formirt wurde, mußte
die Etatsſtärke anderer Truppen entſprechend vermindert werden und ſo verlor
jedes Kavallerie-Regiment 2 Mann, ferner die Feld-Artillerie-Abtheilungen und
die nicht verſtärkten reitenden Baterien zuſammen 4 Unteroff., 4 Gefreite, 104
Kanoniere; endlich die Infanterie- und Jäger-Bataillone je 2 Mann, die
Mecklenburgiſchen, welche einen höheren Etat hatten, 5 Unteroff., 4 Gefreite,
39 Gemeine, 2 Handwerker. Dieſe Herabſetzungen boten außerdem das Mittel
zur Verſtärkung der Unteroffizierſchulen um 358 Mann u. ſ. w. Vgl. von
Löbell’s Jahresberichte III S. 4. Aus dieſem Beiſpiele iſt zu entnehmen, daß
die Vertheilung der Geſammt-Kopfſtärke der Armee nicht feſtſteht.
befugt iſt, ergiebt ſich aus §. 6 Abſ. 5 des Wehrgeſetzes vom 9. Nov. 1867.
Vgl. Seydel in Hirth’s Annalen 1875 S. 1417.
Sitzung der Reichstagskommiſſion vom 27. Febr. 1874. Druckſachen I Seſſ.
1874 Nro. 106 Beilage XI.
und andere Herabminderungen der Präſenzſtärke fallen aber nicht der Militair-
Verwaltung zur beliebigen Verfügung zu, ſondern ſind wie andere Minder-
ausgaben zu verrechnen und der Reichskaſſe wieder zuzuführen. Demgemäß
iſt auch bei den Anſätzen des Militairetats in den letzten Jahren auf die vor-
ausſichtlich eintretenden Erſparniſſe durch Beurlaubungen und andere Manque-
ments bereits Rückſicht genommen worden.
eine Erläuterung des §. 1 des Regierungs-Entwurfs, welche er ausdrücklich
als eine authentiſche, von der Regierung ſelbſt abgegebene, bezeichnete. (Stenogr.
Berichte I Seſſ. 1874 S. 751.) Vgl. auch Seydel a. a. O. S. 1409, deſſen
Erörterungen bei v. Rönne II, 2 S. 149 faſt wörtlich abgedruckt ſind.
S. 1410 ff., welche v. RönneII. 1 S. 150 mit einigen Kürzungen wie-
dergiebt. Derſelben Anſicht iſt auch Meyer Staatsrecht S. 517 Note 4. Für
die entgegengeſetzte Anſicht erklären ſich Thudichum in v. Holtzend. Jahrb.
II S. 109 und H. Schulze in Grünhut’s Zeitſchrift für das Privat- und
öffentl. Recht II S. 309, jedoch lediglich aus Erwägungen de lege ferenda,
die bereits in den Verhandlungen des Reichstages von 1867, 1871 und 1874
vielfach geltend gemacht worden ſind.
ſperger (Stenogr. Berichte 1874 I Seſſ. S. 763), und namentlich bei von
RönneII. 1. S. 151 fg.
Verfaſſung gekommen iſt, ſagte im verfaſſungberathenden Reichstage von 1867
(Stenogr. Ber. S. 309): „Man hat gemeint, ſtatt „Einrichtungen“ zu ſagen
„Geſetze.“ Ich glaube aber, daß „Einrichtungen“ ſtehen bleiben müſſe. Denn
es giebt manche Einrichtungen ſowohl im Militairweſen wie ſonſt im Staate,
die nicht ausdrücklich auf Geſetzen beruhen, ſondern thatſächlich beſtehen,
auf welche ſich aber künftige Geſetze wohl beziehen können, und ich meine, die
Krone Preußen muß in der Lage ſein, auch dann ein Veto einzulegen, wenn
es verſucht werden ſollte, durch die Geſetzgebung Aenderungen in ſolchen Ein-
richtungen zu treffen, welche bisher nicht auf ausdrücklichen geſetzlichen Beſtim-
mungen beruhen.“
Nordd. Bundes S. 414 und beſonders in Holtzend. Jahrbuch II S. 110 fg.,
Seydel Commentar S. 220 fg. und in Hirth’s Annalen S. 1413 fg., ferner
Hierſemenzel Verf. des Nordd. Bundes I S. 160; Fricker Zeitſchr.
f. die geſammte Staatswiſſenſch. Bd. 28 S. 174 ff.; Meyer Staatsrecht
S. 517. Note 5. Die entgegengeſetzte Anſicht vertreten Riedel Reichsverf.
S. 142 und v. RönneII. 1. S. 151 ff.
S. 550 anſchließt.
welche über daſſelbe das Wort nahmen. Vgl. Stenogr. Berichte des conſtit.
Reichst. 1867 S. 716 ff. 723 ff. Vgl. ferner die Ausführungen des Abg. v.
Bennigſen bei der Diskuſſion des §. 1 des Milit.-Geſetzes. (Stenogr. Berichte
I Seſſ. 1874 S. 755.)
gelegt worden von Thudichum Verf.Recht des Nordd. Bundes S. 416 ff.
und in v. Holtzend. Jahrb. I S. 41. Vgl. ferner meine Darſtellung des
Reichsſinanzr. in Hirth’s Annalen 1873 S. 551. Die gegen dieſe Ausführung
gerichtete Erörterung v. Rönne’s II, 1 S. 176 fg. zeichnet ſich nicht ſowohl
durch Gründe, als durch das Bemühen aus, die deutlichen Vorſchriften der
R.V. einfach bei Seite zu ſchieben.
in Wegfall gekommen ſei durch das Geſ. v. 9. Dez. 1871 über die Friedens-
präſenzſtärke für 1872—1874, beruht m. E. auf einem Interpretations-Fehler.
Der in Rede ſtehende Abſ. 2 des Art. 62 beſteht aus 2 Sätzen; der erſte ſanc-
tionirt die dauernde Pflicht der Einzelſtaaten zur Zahlung der Militair-
beiträge, der zweite normirt die Berechnungsweiſe; die letztere ändert
ſich, wenn die Friedenspräſenzſtärke geſetzlich abgeändert wird, die Pflicht ſelbſt
nicht. Vgl. auch Fricker a. a. O. S. 176.
S. 549 ff.
halten meiſtens die Zuſicherung, daß die Abgränzung und Abänderung der Aus-
hebungsbezirke nur unter Mitwirkung der landesherrlichen Civilbehörden er-
folgen werde. Heſſen Art. 10. Baden Art. 9. Oldenburg Art. 9.
Thüringen Art. 5. Anhalt Art. 5. Schwarzburg Art. 5. Lippe
Art. 5. Schaumburg Art. 4. Oder es iſt eine beſtimmte Abgränzung
vereinbart; ſo in Lübeck Art. 8, Hamburg §. 11. Bremen §. 18.
Souveränetätsrechte der einzelnen Bundesſtaaten.“
Könige zu erlaſſen, allein „in voller Uebereinſtimmung mit den für das Bundes-
heer beſtehenden Normen.“ Vertr. v. 23. Nov. 1870 III §. 5 Ziff. III Abſ. 2.
„Reglement über die Bekleidung und Ausrüſtung der Armee im Kriege“ vom
8. Februar 1877, insbeſondere die Beilage Nro. 2 zu demſelben: „Nachweiſung
über die Sicherſtellung und Aufbewahrung des Kriegsbedarfs an Bekleidungs-
und Ausrüſtungs-Stücken für ſämmtliche mobile und immobile Formationen.“
(Bei v. Helldorff Dienſtvorſchriften III. Abth. 4. II. S. 39 ff.) Eine über-
ſichtliche und ſehr anſchauliche Darſtellung der Kriegsformation des Deutſchen
Heeres in den Jahresberichten f. Militairweſen I (1874) S. 73 ff.
1868 §. 15 (bei v. Helldorff Dienſtvorſchriften III Abth. 2. II S. 4).
Bedeutung; ſie dienen vorzugsweiſe grade zur Aufnahme und Ausbildung von
Rekruten.
wehr-Dienſtpflicht vgl. unten §. 88 V.
treffend die Organiſation der Landwehrbehörden und die Dienſtverhältniſſe der
Mannſchaften des Beurlaubtenſtandes vom 5. Sept. 1867 aufgehoben worden;
an ihre Stelle iſt die Landwehrordnung getreten.
(18 Bataillone), welche keine provinzielle Zuſammengehörigkeit und territoriale
Erſatzbezirke haben. Ihre Organiſation iſt geregelt durch die Kabinets-
Ordre vom 1. März 1872 (A.V.Bl. S. 82), das dazu ergangene Miniſt.-
Reſcr. vom 16. Juli 1872 (A.V.Bl. S. 256) und die Kab.-Ordre vom 1. Januar
1873 (A.V.Bl. S. 7).
weichungen abgeſehen.
209, auf Sachſen 17, auf Württemberg 17, auf Bayern 32 Landwehr-
Bezirkskommandos.
ſtellt werden und ebenſoviele ausgebildete Soldaten zur Entlaſſung kommen,
ſo macht dies für die fünf Landwehr-Dienſtjahre 950 Mann, wovon 25 %
als Abgang zu ſubtrahiren ſind; es bleiben alſo pro Bataillon circa 700 Mann
oder pro Regiment à 3 Bataillone 2100 M., womit 2 Landwehrbataillone in
der Kriegsſtärke von 1000 Mann formirt werden können. Die „Reſerve-Land-
wehrbataillone“, deren Bezirke die großen Städte ſind, entſprechen in der Regel
je einem Regimente. Es ſind die Landwehr-Bataillone 33—40, 73, 80, 86,
97—99, 108, 127. Ausnahmsweiſe werden in einzelnen Bezirken bereits im
Frieden Landwehr-Regiments-Stäbe formirt.
ſchaften aller Landwehrbezirkskommandos (inclus. Bayern) 4622 Mann.
Heer und die in Preuß. Verwaltung übernommenen Kontingente 883 Land-
wehr-Kompagnieführer mit je 360 M. Dienſtzulage in Anſatz.
amten des Beurlaubtenſtandes heißen Rangliſten; die Liſten über die
Mannſchaften der Reſerve und Landwehr und über die zur Dispoſition der
Truppentheile beurlaubten Mannſchaften heißen Landwehr-Stamm-
rollen; die Liſten über die übrigen zum Beurlaubtenſtande gehörigen Mann-
ſchaften und über die Erſatzreſerviſten erſter Klaſſe heißen Kontrolliſten;
außerdem werden zur Aufrechterhaltung und Ueberſicht und zur Erleichterung
der Einberufung Auszüge aus dieſen 3 Liſten geführt, welche Hülfsliſten
heißen. Die näheren Anordnungen über die Liſtenführung ſind enthalten in
der Landwehr-Ordn. §§. 3 ff.
III. Provinz.-Jäger. IV. Provinz.-Kavallerie. V. Provinz.-Feldartillerie.
VI. Provinz.-Fußartillerie. VII. Provinz.-Pioniere. VIII. Eiſenbahntruppen.
IX. Provinz.-Train. X. Sanitäts-Perſonal. XI. Veterinär-Perſonal. XII. Son-
ſtige Mannſchaften.
mißglückt; wörtlich ſagt der Art. 4: Der Beaufſichtigung Seitens des Reichs
. . . . unterliegen … 14) das Militairweſen des Reichs und die Kriegsmarine.
Das wäre alſo eine Selbſtbeaufſichtigung! Es wäre genügend, wenn Ziff. 14
lautete: das Militairweſen.
ſterium des Reiches exiſtirt nicht. Vgl. Joël in Hirth’s Annalen 1878 S. 786.
ſtehenden Bundesraths-Ausſchuſſe obliegenden Thätigkeiten dargeſtellt worden.
vgl. Schlußprotok. vom 23. Novemb. 1870 §. 4 Abſ. 2.
v. 18. Febr. 1809. In demſelben wird der Geſchäftskreis der Behörde dahin
beſtimmt, daß zu demſelben Alles gehört, was auf das Militair, deſſen Ver-
faſſung, Einrichtung, Erhaltung und den von ihm zu machenden Gebrauch,
Bezug hat. Die Kab.Ordre v. 1. Juni 1867 und v. 16. Sept. 1871 beſtimmt
diejenigen Gegenſtände, zu deren ſelbſtſtändiger Erledigung der Kriegs-
miniſter befugt iſt.
vorſchriften der Kgl. Preuß. Armee Bd. II Abth. 4 zuſammengeſtellten Mate-
rial. — Vgl. auch Frölich Die Verwaltung des Deutſchen Heeres. 4. Aufl.
1875. I S. 21 fg. und das Militair-Wochenblatt pro 1873 Nro. 79.
Abtheilung und wurden als „vollſtändig ſelbſtſtändige“ Abtheil. durch V. v.
29. Nov. 1866 conſtituirt. Die Geſchäftsvertheilung beruht auf dem Reſcr. v.
18. Dezemb. 1871. (A.V.Bl. S. 342.)
eingerichtet worden. Ihr Wirkungskreis iſt normirt durch Verordnung vom
26. Nov. 1874. (Frölich a. a. O. I Ergänzungsheft S. 2.)
gelegenheiten und die Gnadenſachen zum Reſſort des „Militair-Kabinets“,
deſſen Stellung zum Kriegsminiſterium juriſtiſch ſehr unbeſtimmt und ſchwan-
kend iſt.
licher und perſoneller Beziehung, die Unterhaltung der Uebungsplätze, Garniſon-
Kirchen und Begräbnißplätze, ſowie die Flur-Entſchädigungen.
und 24. Sept. 1868. Vgl. Bekanntm. vom 28. Sept. 1868 im A.V.Bl. S. 197
und Kab.Ordre vom 8. Juli 1869 A.V.Bl. S. 150.
Train-Angelegenheiten der Feld-Lazarethe gehören zum Reſſort des Allgem.
Kriegs-Departements unter entſprechender Mitwirkung der Mediz.-Abth.
3. Armeekorps ſowie für die Marine.
ſtellung in v. Löbell’s Jahresberichten f. Militairweſen I S. 78.
durch die Kab.Ordre v. 27. Juni 1861; dann bei den andern 4 Provinzial-
Armeekorps durch Kab.Ordre v. 20. Dez. 1862, endlich bei dem Gardekorps
durch Kab.Ordre v. 16. Nov. 1864 (v. Helldorff S. 42. 43).
S. 6, 7, 202, 240.
1841. Mit den Nachträgen ꝛc. adgedruckt bei v. Helldorff Theil III Abth. 1.
beſteht zur Verwaltung deſſelben eine Bekleidungs-Kommiſſion, welche
aus einem Präſes (Stabsoffizier), einem oder mehreren Offizieren und einem
Zahlmeiſter gebildet wird. Sie iſt ein Organ des Kommandeurs. Alle An-
ſchaffungen, Abnahmen u. dgl. werden gemeinſchaftlich berathen und durch Ma-
joritäts-Beſchlüſſe entſchieden. Tuch und andere Materialien ſowie Monti-
rungsſtücke erhalten die Truppentheile entweder in natura aus den Monti-
rungsdepots oder ſie ſchaffen dieſelben im Wege des öffentlichen Submiſſions-
verfahrens an. Die Anfertigung der Bekleidungsgegenſtände und ſoweit möglich
auch der Ausrüſtungsſtücke erfolgt zunächſt durch die bei den Truppen befind-
lichen Oekonomiehandwerker. Die Einzelheiten ſind geregelt durch das „Regle-
V.Bl. S. 99. Vgl. Bayeriſches Geldverpfl.Regl. v. 27. Januar 1878
Mil.V.Bl. S. 109.
Verwaltung der Garniſon-Anſtalten v. 20. April 1843“ bei v. Helldorff Th. IV
Abth. 2 S. 157 ff.
April 1868. Insbeſondere der vierte Abſchnitt deſſelben (§§. 198 fg.) regelt die
„innere Bekleidungs-Wirthſchaft der Truppen“. Abgedruckt mit Erläuterungen
u. Nachträgen bei von Helldorff. Theil III Abth. 4. I S. 182 ff.
Bayeriſche Dienſtinſtruktion f. d. Feldintendantur v. 3. Febr. 1873 Mil.V.Bl.
S. 37.
Militair-Sanitätsweſens in H. v. Löbell’s Jahresberichten f. Militairweſen I
S. 123 ff. und beſonders Prager Preuß. Mil.-Medizinal-Weſen. 2 Bde.
Zweite Auflage. Berlin 1875.
1868 A.V.Bl. S. 148.
ad §. 2.
in 3 Klaſſen, a) Unter-Lazareth-Gehilfen, welche zu den Gefreiten, b) Lazareth-
Gehilfen, welche zu den Unteroffizieren, und c) Ober-Lazareth-Gehilfen, welche
zu den Sergeanten gerechnet werden. Die näheren Beſtimmungen enthält die
Kab.O. vom 11. Januar 1866 (bei Frölich a. a. O.).
1852 und Kab.Ordre vom 24. Okt. 1872 betreffend die Einführung von Chef-
Aerzten ꝛc. (bei v. Helldorff Dienſtvorſchriften. IV. Th. 3. Abth. Berlin
1877). In Württemberg eingeführt durch Erlaß vom 28. Nov. 1872. (Württemb.
M.V.Bl. S. 393.) In Bayern Regl. für die Friedens-Lazarethe v. 27. Nov.
1877. (Bayr. M.V.Bl. 1878 S. 134.)
anderweitigen dienſtlichen Funktionen ganz oder theilweiſe entbunden werden.
V. vom 24. Okt. 1872 §. 2.
pfl ichten und die Geſchäftsführung dieſer Beamten ſehr eingehende Anordnungen.
Großherz. General-Auditoriats zeitweilig zugeſtanden worden [du]rch die Milit.-
Konv. Art. 13. Schlußprotok. Ziff. 8.
1845, welche auf gänzlich veralteten, mit den Anforderungen einer unparthei’-
ſchen, gerechten und ſachverſtändigen Rechtſprechung durch[a]us unvereinbaren
Prinzipien beruht, iſt Württemberg in Folge der Milit[k]onv. Art. 10 ver-
ſchont geblieben. In Württemberg führt die Juſtiz-Abt[e]ilung des Kriegs-
miniſteriums die Bezeichnung Oberkriegsgericht, während die kriegsrechtlichen
Urtheile an das Militairreviſionsgericht einzuſenden ſind Erl. vom 30. März
1874. Württemb. Mil.V.Bl. S. 51.
Hannover durch Verordn. v. 24. Juni 1867 (A.V.Bl. S. 67), für den Bezirk
des XI. Armeekorps durch V. v. 12. Oktob. 1867 (A.V.Bl. S. 123), für den
Bezirk des IX. Armeekorps durch V. v. 25. Nov. 1868 (A.V.Bl. S. 233).
im Militair-Wochenblatt 1875 S. 1746 detaillirte Auskunft. Vgl. ferner
ſammtleitung aller Abtheilungen, welche das Vermeſſungsweſen betreffen, näm-
lich der Trigonometriſchen, Topographiſchen, Kartographiſchen Abtheil. mit dem
Photogr. Inſtitut und der Druckerei, ſowie die Plankammer mit dem Karten-
debit übertragen; die übrigen Abtheilungen ſtehen direkt unter dem „Chef des
Generalſtabes der Armee.“
vom 19. Juni 1878 A.V.Bl. S. 139 ff. Vgl. Bayeriſches M.V.Bl. 1878
S. 303.
lung der Kriegsakademie unter Vergleichung der ähnlichen Einrichtungen an-
derer Staaten enthält das Werk: L’Académie de guerre de Berlin. Paris
1877. 331 S.
vom 26. Januar 1826 bei v. Helldorff a. a. O. S. 69 ff. Dieſe Beſtimmun-
gen ſind aber abgeändert durch die V. vom 11. Nov. 1875.
Berlin 1875 fg.
1875 S. 2 und S. 36.
ein vollgültiges Zeugniß der Reife zur Univerſität erworben, demnächſt Studien
auf Univerſitäten innerhalb des Deutſchen Reichs mindeſtens ein Jahr hindurch
obgelegen haben und ſich hierüber, ſowie über ihre gute Führung auf der
Univerſität durch glaubhafte Atteſte ausweiſen. V. vom 27. Febr. 1873 §. 13.
und Bildungsweſens (dem früher die Kriegs-Akademie unterſtellt war) vom
22. März 1868 bei v. Helldorff S. 77 ff.
ziniſch-chirurgiſche Pepinière.“
der Inf.-Schulen hat den Rang, die Kompetenzen und die Disciplinarſtraf-
gewalt eines Brigade-Kommandeurs.
S. 222 und v. 3. Dezemb. 1875 A.V.Bl. S. 273.
24. Febr. 1870 A.V.Bl. S. 29. In Bayern iſt eine Militair-Schießſchule
im Jahre 1872 errichtet worden; die Beſtimmungen für dieſelbe ſind am
16. Febr. 1872 ergangen (Verordn.Bl. des Bayr. Kriegs-Miniſt. S. 59).
findet ſich bei v. HelldorffII. Theil 1. Abth. S. 78 ff.
dirung der Offiziere ꝛc. zur Central-Turnanſtalt v. 5. Jan. 1872 (A.V.Bl. S. 5).
für die Errichtung eines Militair-Reit-Inſtituts“ bei v. Helldorff a. a. O. —
In Bayern beſteht eine ähnliche Reitſchule unter dem Namen „Equitations-
Anſtalt.“ Ueber ihre Formation vgl. das Verordn.Bl. des Bayr. Kriegs-Min.
1873 S. 375.
Armee-V.Bl. S. 194.
pfleger und Offizierburſchen. Reſcr. vom 11 Juli 1872 A.V.Bl. S. 222.
S. 75 und die Nachträge dazu bei v. Helldorff Th. II Abth. 1 S. 91 ff.
worden.
nahme-Bedingungen, die ökonomiſchen Verhältniſſe der Anſtalt u. ſ. w. ſind
zuſammengeſtellt bei v. Helldorff Th. I Abth. 3 S. 120 ff.
bei v. Helldorff I Abth. 3 S. 140 ff. Jedoch ſind die wiſſenſchaftl. Anforde-
rungen zum Eintritt in die Schule erhöht worden durch Kab.Ordre v. 8. Aug.
1878 A.V.Bl. S. 197.
24. März 1877. Bayr. Mil.V.Bl. S. 119.
1869 (A.V.Bl. S. 152) feſtgeſtellt. Ueber den Lehrplan vgl. die Kab.O. vom
18. Januar 1877 (A.V.Bl. S. 77).
Ordre v. 30. März 1874 (Württemb. Mil.V.Bl. S. 55) aufgehoben worden.
Kap. 35 Tit. 18 Auskunft.
Erziehungs-Anſtalten untergebracht.
in dem Werke von Bütow Die Kaiſerl. Deutſche Marine. Berlin 1878 fg.,
von welchem bis jetzt 4 Lieferungen erſchienen ſind.
d. D. Reichs II. 2. S. 165 fg. Vgl. ferner M.V.Bl. 1873 S. 1.
excl. Offiziere zuſammen 6474 M.
a. a. O. S. 168 fg.
f. 1878/80 auf 1853 Köpfe excl. Offiziere.
a. a. O. S. 170 fg. Inſtrukt. über die Ausbildung von Schiffsjungen vom
26. Nov. 1875 bei Bütow II. 7. S. 189 fg.
Spielleute, Oekonomiehandwerker, Zahlmeiſter-Applikanten u. ſ. w.).
welcher der Polizeidienſt auf den Werften obliegt, ſoll nach den Erläuterungen
zum Marine-Etat 1879/80 Tit. 17 aufgehoben und durch Schutzleute erſetzt
werden.
abgedruckt bei v. Rönne a. a. O. S. 186 fg.
jenigen Geſchäfte, welche bei der Armee den Diviſionsärzten obliegen.
haven und Yokohama.
Admiralität reſp. vom Kaiſer ſelbſt gehandhabt.
S. 41) und Kab.O. v. 10. Dezember 1878 (M.V.Bl. S. 227).
Marine.
§. 126.
S. 175. Jedoch iſt §. 7 abgeändert durch Kab.Ordre v. 16. Juli 1878
M.V.Bl. S. 145.
zugsweiſe abgedruckt bei v. Rönne a. a. O. S. 176. Vgl. ferner die citirten
„Beſtimmungen“ v. 16. Okt. 1875.
manns-Schule v. 16. Dezember 1877 Beilage zu Nro. 24 des M.V.Bl.
v. 1877. Der Lehrplan dieſer Schulen iſt abgedruckt bei v. Rönne a. a. O.
S. 177 fg. Vgl. auch Bütow a. a. O. S. 38 ff.
Kab.Ordre v. 29. Febr. 1876 M.V.Bl. S. 49 angeordnet worden; die Er-
richtung der beiden Torpedo-Depots beruht auf der Kab.Ordre v. 18. Dezemb.
1877 (M.V.Bl. 1877 S. 191).
und Militairgeſetzes neuredigirt worden in der Deutſchen Wehrordnung,
welche an die Stelle der Militair-Erſatz-Inſtruktion vom 26. März 1868 ge-
treten iſt. Sie hat die Kaiſerl. Genehmigung durch Erl. v. 28. Septemb.
1875 erhalten. Sie zerfällt in zwei Theile, von denen der erſte „Erſatz-
ordnung“, der zweite „Kontrolordnung“ überſchrieben iſt. Eine ord-
nungsmäßige Verkündigung der Wehrordnung von Reichswegen iſt ver-
nachläſſigt worden; ſie iſt abgedruckt im Centralbl. des D. R. 1875 S. 535 ff.
und in den Verordnungsblättern der Einzelſtaaten.
In Bayern iſt eine entſprechende Wehrordnung durch Kgl. Verordn. v.
Nro. 63 ordnungsmäßig verkündigt worden.
Die ſpezifiſch militairiſchen Ergänzungen zur Wehrordnung ſind zuſammen-
geſtellt in der Heerordnung f. das Preußiſche Heer, welche ebenfalls durch
Erl. vom 28. Sept. 1875 genehmigt und in Sachſen und Württemberg über-
einſtimmend eingeführt worden iſt. Auch ſie zerfällt in zwei Theile, die Re-
krutirungsordnung und die Landwehrordnung.
In Bayern iſt eine entſprechende Heerordnung durch Kgl. Verordn. v.
20. Dezember 1875 erlaſſen worden. Wehrordnung und Heerord-
nung für Bayern, nebſt den einſchlägigen Geſetzen und Vollzugsbeſtim-
mungen ſind herausgegeben von J. Zenetti. Nördlingen 1876 und ein Er-
gänzungsband hierzu 1878. Daſelbſt Einl. S. XXII findet ſich eine Zuſam-
menſtellung der Abweichungen der Bayer. W.O. von der Preußiſchen.
Nro. 14).
in den Lazarethen, Handwerksſtätten u. ſ. w. Vgl. die Motive zu dieſem
Geſetz (Druckſ. des Reichst. 1867 Nro. 18).
Anrechnung. Siehe oben S. 51.
und im Offizierrange ſtehende Aerzte des Beurlaubtenſtandes gelten andere
Vorſchriften, da ihr Dienſtverhältniß nicht ausſchließlich auf dem Rechtsgrunde
der allgem. Wehrpflicht beruht. Siehe unten VIII, 5. Ueber die im activen
Dienſt befindlichen Wehrpflichtigen vgl. Reichsgeſ. v. 1. Juni 1870
§. 15 Ziff. 2 u. 3.
wanderung der Militairbehörde Anzeige machen. Milit.Geſ. §. 69 Ziff. 8 und
R.Straf-G.B. §. 360 Ziff. 3.
der Staatsangehörigkeit nach ſich ziehen, und den praktiſch unerheblichen Fällen
der Expatriirung zur Strafe.
kommiſſion haben nach den thatſächlichen Verhältniſſen des einzelnen Falles
darüber zu entſcheiden, ob das zur Entlaſſung erforderliche Zeugniß zu er-
theilen iſt oder nicht. Der Beſchluß der Erſatzkommiſſion iſt endgültig. Wenn
die beiden Mitglieder verſchiedener Meinung ſind, ſo iſt die Entſcheidung der
Ober-Erſatzkommiſſion einzuholen und inzwiſchen von der Ertheilung der Aus-
wanderungs-Erlaubniß Abſtand zu nehmen. a. a. O. Ziff. 2.
Perſonen, welche noch nicht zum Soldatenſtande gehören. Rekruten, die be-
beits ausgehoben, oder Freiwillige, die von einem Truppentheil bereits an-
genommen ſind, verüben, wenn ſie ſich dem Dienſte durch Entfernung aus dem
Bundesgebiet entziehen, das Delict der Fahnenflucht und ſind nach Maß-
gabe des Militair-Strafgeſetzbuchs zu beſtrafen.
aus dem Staatsverbande nachſucht, den Nachweis erbringt, daß er in einem
andern Bundesſtaate die Staatsangehörigkeit erworben hat, da durch
die Ueberwanderung aus einem Bundesſtaate in einen andern die Wehrpflicht
nicht berührt wird. a. a. O. §. 15 Abſ. 1. Vgl. Bd. I. S. 172.
rigkeit. Es ſind hier verſchiedene Fälle zu unterſcheiden. Das Verbrechen
kann nicht länger verübt, d. h. fortgeſetzt werden, als die Dienſtpflicht dauert.
Verliert der Auswanderer alſo die Reichsangehörigkeit, ſo beginnt mit dieſem
Moment die Verjährung; bleibt er aber reichsangehörig, ſo beginnt die Ver-
jährung erſt mit dem Aufhören der Dienſtpflicht. Als dieſer Zeitpunkt
kann aber nicht der 1. Januar des Jahres, in dem der Wehrpflichtige ſein
27. Lebensjahr vollendet, wegen §. 6 des Wehrgeſetzes angenommen werden,
wie dies die herrſchende Anſicht iſt — vgl. v. Martitz in Hirth’s Annalen
1875 S. 1154 und die daſ. Note 3 angeführten Criminaliſten; denn dieſes
Geſetz ſagt nicht, daß die Verpflichtung zum Dienſt im ſtehenden Heere in
allen Fällen mit dieſem Zeitpunkt endet, auch dann, wenn der Wehrpflich-
tige ſich der Erfüllung dieſer Pflicht entzieht. Wer durch ſeine Schuld den
Eintritt in das Heer verzögert, der rückt dadurch auch den Termin hinaus, in
dem die Dienſtverpflichtung endet. Wer alſo durch Entfernung aus dem Reichs-
gebiet ſich dem Dienſt entzieht, deſſen Dienſtpflicht hört erſt auf mit dem Ende
der Militairpflicht (ſiehe unter II). Dadurch erledigt ſich der von
v. Martitz a. a. O. angenommene Widerſpruch zwiſchen dem Strafrecht und
dem Militair-Verwaltungsrecht.
verübten Delicts ausgeſchloſſen werden. Ausdrücklich iſt dies erklärt im Protok.
v. 26. Mai 1868 Ziff. II zum Bayr. Vertrage. Für Norddeutſchland hat der
Bundeskommiſſar im Reichstage (Stenogr. Berichte 1868 S. 43) den Vertrag
in dieſem Sinne interpretirt. Vgl. über dieſen Vertrag die Verhandlungen des
Reichstags vom 16. April 1874 (Stenogr. Ber. S. 844 ff.) und v. Martitz
a. a. O. S. 794 ff.
immer nur ohne Entlaſſung geſchehen, da die Behörden die Entlaſſungs-
urkunde in Widerſpruch mit der Kaiſerl. Anordnung nicht ertheilen dürfen;
die Auswanderung iſt alſo immer nur eine factiſche, die erſt durch 10jährige
Abweſenheit vom Bundesgebiet den Verluſt der Reichsangehörigkeit nach ſich
zieht.
ſie der Erſatzreſerve- und Landſturmpflicht; unter Umſtänden können ſie auch
landwehrpflichtig ſein.
oder von den im Milit.Geſ. §. 56 unter 2—4 bezeichneten Mannſchaften des
Beurlaubtenſtandes verübt, ſo finden die Anordnungen des Milit.Strafgeſetzb.
§. 81 und 82 Anwendung. Vgl. Milit.Geſ. §. 60 Ziff. 3.
die Pflicht, ſich der Aushebung für das ſtehende Heer oder die Flotte zu unter-
werfen.“ Dieſe Definition iſt juriſtiſch nicht correct; denn der Militairpflichtige
iſt nicht verpflichtet „ſich zu unterwerfen,“ ſondern er iſt ohne ſeinen Willen
Zuſtand.
§. 17 Abſ. 1 erforderte die Erfüllung der Militairpflicht am Orte des Wohn-
ſitzes. Die Motive hierzu führen aus, daß dieſe Beſtimmung die noth-
wendige Conſequenz des nach Art. 3 der B.Verf. beſtehenden gemeinſamen In-
digenats in Verbindung mit der allgemeinen Wehrpflicht ſei. Allein eine Folge
des Indigenats iſt das im Freizügigkeitsgeſ. §. 1 anerkannte Recht zum unbe-
ſchränkten Aufenthalt im ganzen Bundesgebiet auch ohne Niederlaſſung
d. h. ohne Begründung eines Wohnſitzes im juriſtiſchen Sinne. Dieſes Recht
würde in vielen Fällen illuſoriſch werden, wenn der Militairpflichtige behufs
Erfüllung der Militairpflicht von dem Ort ſeines dauernden Aufenthaltes an den
pflichtige Lebensalter eines Wehrpflichtigen beginnt, aber nicht ein be-
ſtimmter, für alle Fälle gültiger Zeitpunkt, in welchem es aufhört. Der äußerſte
Termin, bis zu welchem die Militairpflicht fortdauern kann, iſt das vollendete
42. Lebensjahr.
Behörden überſenden unentgeldlich zum 15. Januar jedes Jahres
a) den Vorſtehern der Gemeinden ꝛc. einen Auszug aus dem Geburts-
Regiſter des um 17 Jahre zurückliegenden Kalenderjahres, enthaltend alle Ein-
tragungen der Geburtsfälle von Kindern männlichen Geſchlechts innerhalb der
Gemeinde ꝛc.
b) Den Civilvorſitzenden der Erſatzkomm. des Bezirks einen Auszug aus
dem Sterberegiſter des letztverfloſſenen Kalenderjahres, enthaltend die Eintra-
gung von Todesfällen männlicher Perſonen, welche das 25. Lebensjahr noch
nicht vollendet haben, des Bezirks. W.O. I §. 45 Z. 7. Aus der letztgedachten
Liſte macht der Civilvorſ. der Erſ.Kommiſſ. den Gemeindevorſtänden unmittelbar
oder durch Vermittlung des Civilvorſ. der betreffenden Erſ.Komm. Mittheilung
über die Todesfälle derjenigen Perſonen, welche in der Gemeinde geboren ſind,
damit dieſelben aus den Stammrollen fortgelaſſen oder in denſelben geſtrichen
werden. Ebendaſ. Z. 9. Die Anfertigung des Auszugs unter a) iſt nicht er-
forderlich, wenn die Führung der Civilſtandsregiſter und der Stammrollen für
einen Bezirk durch eine und dieſelbe Behörde erfolgt. a. a. O. Z. 10.
hat im Militairgeſetz von 1874 einen beſſeren und genaueren Ausdruck gefunden.
ſich jedoch einem ihrem Wohnorte näheren Bezirke überweiſen laſſen.
ausnahmsweiſe im Falle der Behinderung des Geſtellungspflichtigen zuläſſig.
hat ein ärztliches Atteſt einzureichen, welches von der Polizeibehörde zu be-
glaubigen iſt, wenn der ausſtellende Arzt nicht amtlich angeſtellt iſt. Die Erſ.-
Komm. darf ſeine außerterminliche Muſterung veranlaſſen und ſie kann Ge-
müthskranke, Blödſinnige, Krüppel ꝛc. auf Grund eines derartigen Atteſtes von
der Geſtellung überhaupt befreien.
Grundliſten nicht aufgeführt iſt, ſo iſt nach W.O. I §. 71 Z. 3 zu verfahren.
geſtattet, ſofern in der regelmäßigen Reihenfolge eine genügende Zahl taug-
licher Rekruten nicht zu finden iſt. Mil.Geſ. §. 13 Abſ. 2. W.O. I §. 72 Z. 5.
rung und Looſung enthält die W.O. I §. 65.
folge der Militairpflichtigen rangirt. W.O. I §. 65 Ziff. 3.
erſtatter (Lasker) im Reichstage: „Wer nicht die Specialverhältniſſe in den
einzelnen Staaten des Deutſchen Reiches kennt, wird dieſen Zuſatz nicht ver-
ſtehen; es iſt uns aber in der Kommiſſ. glaubhaft berichtet worden, daß nach
den Verwaltungsmaximen Mecklenburgs nicht in jedem einzelnen Bezirke ein
ſolcher Beamter zu finden ſein würde, und deswegen mußte eine Spezialbeſtim-
mung für Mecklenburg getroffen werden.“ Stenogr. Ber. 1874. I Seſſ. S. 864.
Inſtanz“ und ihrer Zuſammenſetzung im ganzen Bundesgebiet mit Einſchluß
Bayerns, Sachſens und Württembergs enthält die W.O. I §. 2 Ziff. 3.
W.O. I §. 2 Ziff. 2.
mandeur der Erſatzkommiſſion zutheilt. W.O. I §. 60 Z. 1.
nicht zugleich Mitglied einer Erſatzkommiſſ. ſein. W.O. I §. 2 Ziff. 6 letzt. Abſ.
ſchließungsgründe iſt die Zurückſtellung bis zum fünften Mililtairpflichtjahre
zuläſſig, Mil.Geſ. §. 18; behufs ungeſtörter Ausbildung für den Lebenslauf
in ausnahmsweiſen Verhältniſſen bis zu einer Geſammtdauer von vier Jahren,
Mil.Geſ. §. 20 Ziff. 6, alſo ebenfalls bis zum 5. Militairpflichtjahre; über die
zum einjährig-freiwilligen Dienſt Berechtigten (Mil.Geſ. §. 14) ſiehe unten sub
VIII; Perſonen, die ſich dauernd im Auslande aufhalten, können bis zu dem
in ihrem dritten Militairpflichtjahre ſtattfindenden Aushebungs geſchäft zu-
rückgeſtellt werden. W.O. I §. 31 Ziff. 7.
des Reichskanzlers und Preuß. Kriegsminiſters vom 22. Juli 1874 (Centralbl.
f. d. D. Reich S. 294).
tauglichkeit enthält die Heer-Ordn. I §. 8, vgl. auch W.O. I §. 29, ſowie die
„Dienſtanweiſung zur Beurtheilung der Militair-Dienſtfähigkeit und zur Aus-
ſtellung von Atteſten“ vom 8. April 1877. Auszugsweiſe abgedruckt bei von
HelldorffI. 1. S. 325 ff.
der Heer-Ordn. I §. 5 Ziff. 2 enthalten.
Iſt die Handlung eine ſolche, daß die Verurtheilung zur Zuchthausſtrafe über-
haupt möglich iſt, ſo muß jedenfalls der Ausgang der Unterſuchung abge-
wartet werden; bei andern ſtrafbaren Handlungen dagegen iſt die Einſtellung
nur dann aufzuſchieben, wenn nach Lage des concreten Falles eine Freiheits-
ſtrafe von mehr als 6 Wochen zu erwarten iſt.
Berichte des Reichst. 1874 S. 853.
werden: Handwerksburſchen behufs der Wanderung, den Schifffahrt treibenden
Militairpflichtigen der Landbevölkerung, allen Militairpflichtigen der ſeemänni-
ſchen Bevölkerung. Seeleute, welche eine deutſche Navigations- oder Schiffs-
bauſchule beſuchen, haben für die Dauer des Beſuches dieſer Anſtalten auf
Zurückſtellung Anſpruch. Wehr-Geſetz v. 9. Nov. 1867 §. 13 Ziff. 5.
§. 35 Ziff. 3.
Handwerker-Abtheilung der Werft-Diviſionen. Vgl. W.O. I §. 29 Z. 2.
Fehler und Gebrechen veranlaßt, welche zwar die Geſundheit (!?) nicht beein-
trächtigen, die Leiſtungsfähigkeit jedoch beſchränken“ — ſagt die Heer-Ordn. I
§. 7 Z. 1. Die Anlage 1 hiezu giebt ein Verzeichniß ſolcher Fehler.
ſpäteſtens am 1. Februar des nächſtfolgenden Kalenderjahres; bis dahin können
ſie zu Nacherſatz-Geſtellungen verwendet werden. W.O. I §. 37 Z. 4, §. 72
Z. 7 und §. 76 Z. 1.
Strafgeſetz verletzt wird, ſo iſt dafür der befehlende Vorgeſetzte allein ver-
antwortlich. Ausgenommen iſt jedoch — abgeſehen von einer Ueberſchreitung
des Befehls — der Fall, wenn dem Untergebenen bekannt geweſen iſt, daß
der Befehl des Vorgeſetzten eine Handlung betraf, welche ein bürger-
v. 27. Nov. 1872. Württ. M.V.Bl. S. 368. In Bayern V. v. 12. Dezemb.
1872 Bayer. Mil.V.Bl. S. 493.
Untergebene trotzdem einen ſolchen Befehl aus, ſo trifft ihn die Strafe des
Theilnehmers. Milit.Strafgeſetzb. §. 47. Hieraus ergibt ſich,
daß ein ſolcher Befehl für den Untergebenen nicht rechtsverbindlich iſt.
Reichs-Verf. Art. 53. Ueber Bayern vgl. Mil.Geſ. §. 72 und oben S. 25.
die Marine am 6. März 1873. Armee-Verordnungsblatt 1873 S. 63.
Marine-V.Bl. S. 43. Bayeriſche V. v. 29. Okt. 1875. Mil.V.Bl. S. 575.
vom 6. März 1873 §. 1 Ziff. 2.
geſetzten ſpricht, erwähnt der zweite Abſ. nur den Offizier.
zur Gehorſamspflicht ſind die Unterſuchungen von Ehrenberg Commendation
und Huldigung. Weimar 1877 S. 105 ff. zu vergleichen. Was hier auf
Grund der Quellen fränkiſcher Zeit klar gelegt worden iſt, hat auch für das
heutige Recht ſeine volle Bedeutung.
Flucht ergreift und die Kameraden durch Worte oder Zeichen zur Flucht ver-
leitet, wird mit dem Tode beſtraft.“ §. 84.
lichen Wehrpflicht und dem Werbeſyſtem. Eine Erinnerung an das letztere
hat ſich jedoch darin enthalten, daß die regelmäßige baare Geldzahlung, welche
der Wehrpflichtige während des aktiven Dienſtes bezieht, den techniſchen Namen
„Löhnung“ führt, im Gegenſatz zu dem „Gehalt“ der Offiziere, Aerzte, Be-
amten ꝛc.
mehreren, z. Th. ſehr umfangreichen Reglements enthalten, die durch Königl.
Kabinets-Ordre genehmigt und im Armee-Verordn.Bl. verkündet ſind, die aber
fortwährend durch ſpezielle Kab.Ordres abgeändert oder ergänzt und durch
Miniſterial-Reſcripte erläutert werden. Eine vortreffliche Ausgabe und Bear-
beitung dieſes weitſchichtigen Materials enthält das umfangreiche Werk von
v. Helldorff. Dienſt-Vorſchriften der Königl. Preuß. Armee 4 Bde. 3. Aufl.
1873 ff. (Die älteren Ausgaben ſind völlig antiquirt.) Die wichtigſten dieſer
Reglements ſind:
Das Geldverpflegungs-Regl. für den Frieden v. 24. Mai 1877 (v. Hell-
dorff Th. III Abth. 2 Heft 1); das Geldverpflegungs-Regl. für den Krieg vom
29. Aug. 1868 (ebend. III. 2, 2); Reglem. für die Naturalverpfl. im Frieden
vom 13. Mai 1858 mit zahlreichen Nachträgen (ebenda III. 3, 1); Reglem.
über die Bekleidung und Ausrüſtung im Frieden vom 30. April 1868 (ebenda
III. 4, 1); Reglem. über die Bekleidung und Ausrüſtung im Kriege vom
8. Februar 1877 (ebenda III. 4. 2); V. über Tagegelder, Reiſekoſten u. dgl.
vom 15. Juli 1873 (ebenda III. Abth. 5); Vorſchr. über Einrichtung und Aus-
ſtattung der Kaſernen vom 21. Juli 1874 (ebenda IV. Abth. 2); Reglem. über
die Friedenslazarethe vom 5. Juli 1852 (ebend. IV. Abth. 3).
überlaſſen, ſchon nach vollendetem 17. Lebensjahre, wenn er die nöthige mora-
liſche und körperliche Qualifikation hat, freiwillig in den Militairdienſt einzu-
treten. W.G. §. 10. Wer von dieſem Recht Gebrauch macht, kann den Trup-
pentheil, bei welchem er ſeiner aktiven Dienſtpflicht genügen will, auswählen.
W.G. §. 17 Abf. 2. Die näheren Vorſchriften über den freiwilligen Eintritt
zum dreijährigen aktiven Dienſt enthält die W.O. I §. 83—87.
liche Ausführung des Art. 59 der R.V. d. h. die Einſtellung jedes Wehrpflich-
tigen in das Heer an dem Tage, an welchem er das 20. Lebensjahr vol-
lendet, iſt aus techniſchen Gründen (der Rekruten-Ausbildung) unthunlich; die
Einſtellung des jährlichen Erſatzes muß an einem einheitlichen Termin er-
folgen.
laſſung der Trainſoldaten und Krankenwärter vgl. ebend. §. 13, 3 u. 4.
Heer-Ordn. I §. 15.
Mil.Geſ. §. 53 Abſ. 4.
Armeekorps 12 dazu geeignete Perſonen des Beurlaubtenſtandes zu einer ſechs-
wöchentlichen uebung bei einem größeren Proviant-Amt (ſtatt bei der Truppe)
einberufen werden. Kab.Ordre vom 9. März 1869 und Miniſt.Reſcr. vom
18. März 1869 (v. Helldorff I, 1. S. 285 fg.). Ebenſo finden Uebungen be-
hufs Ausbildung im Speditionsdienſt bei einem Montirungsdepot ſtatt. Kab.-
Ordre vom 21. Nov. 1872 und Miniſt.Reſcr. vom 15. Januar 1873 (v. Hell-
dorff a. a. O. S. 288 fg.); ſowie Uebungen behufs Ausbildung im Sanitäts-
dienſt bei den Friedenslazarethen. Kab.Ordre vom 3. Sept. 1874. Miniſt.-
Reſcr. vom 27. Okt. 1874 (v. Helldorff a. a. O. S. 290 fg.).
aus Mil.Geſ. §. 62 Abſ. 2. Vgl. W.O. II §. 11. Ziff. 4. Siehe unten S. 189.
ſerve und Landwehr dürfen durch die General-Kommando’s im Januar be-
ſondere Schiffer-Kontrolverſamml. anberaumt werden. W.O. II §. 11 Z. 7.
Bezirkskommandeur zu. Vgl. oben Note 2.
Wahlen finden Kontrolverſammlungen nicht ſtatt. W.O. II §. 11.
jedoch in bürgerlicher Kleidung. H.O. II §. 17 Ziff. 5.
§. 17 Ziff. 6.
ſtrafe darf die Dauer von 3 Tagen gelinden oder mittleren Arreſt nicht über-
ſteigen.
des Landwehr-Bezirkskommando’s das reglementsmäßige Reiſegeld und event.
Quartier und Verpflegung den Mannſchaften (nicht den Offizieren) gewährt.
und Ortsvorſtänden ob; desgleichen den Konſulaten und Seemannsämtern; die
Gerichte haben von Amtswegen von der Einleitung von Unterſuchungen und
von Verurtheilungen, welche Perſonen des Beurlaubtenſtandes betreffen, An-
zeige zu erſtatten. W.O. II §. 2, §. 7 Ziff. 12.
einem Landwehr-Kompagniebezirk in einen andern verzieht, hat ſich vor dem
Verziehen bei ſeinem bisherigen Bezirksfeldwebel ab- und bei dem Bezirksfeld-
webel ſeines neuen Aufenthaltsorts innerhalb 14 Tage nach erfolgtem Umzuge
anzumelden. — Reſerve- und Landwehr-Mannſchaften treten beim Verziehen
von einem Staate in den andern zur Reſerve beziehungsw. Landwehr des
letzteren über. Wehrgeſ. §. 17 Abſ. 3.
nung führt; das Reglement für die Landwehr-Bezirksbehörden bildet den
zweiten Theil der Heer-Ordnung unter dem Titel: Landwehr-Ordnung.
ordres, oder durch öffentlichen Aufruf oder auf ſonſtige der Kriegslage ange-
meſſene Weiſe. W.O. II §. 13 Z. 8. H.O. II §. 19. Vgl. auch Mil.Geſ. §. 70.
dem Empfang der Einberufungs-Ordre. Preuß. Militair-Strafgerichts-Ordn.
vom 3. April 1845 §. 7 Ziff. 1.
zur Strafe Mil.Geſ. §. 62 Abſ. 3 und §. 67.
gebunden als die Zurückſtellungsgründe der Militairpflichtigen bei Erfüllung
der aktiven Dienſtpflicht im Frieden.
W.O. II §. 19.
Waffendienſt ſind detaillirte Vorſchriften in der W.O. II §. 23 erlaſſen.
Jahresklaſſe der Landwehr Zurückgeſtellten einzuberufen ſind, beſtimmt das
Kriegsminiſterium. H.O. II §. 19 Ziff. 10.
einen Andern zur Fahnenflucht vorſätzlich verleiten, werden nach §. 78 des
M.St.G.B. beſtraft; auf Anreizung zum Ungehorſam finden die Anordnungen
des M.St.G.B.’s §§. 99 ff. Anwendung.
geſetzes. (Druckſachen 1867 Nro. 96), ſowie den Kommiſſionsbericht zum Land-
ſturmgeſetz. (Druckſachen II Seſſion 1874 Nro. 70 S. 9 fg.)
die Motive zum Entwurf deſſelben (Druckſachen des Reichstages II Seſſ. 1871
Nro. 86).
eingeſtellten Wehrpflichtigen vom vorhergehenden 1. Oktober an.
Entlaſſung aus der Landwehr zu dieſer Herbſt-Kontrolverſammlung zu geſtellen.
(Motive zu §. 55 des Entwurfs des Mil.Geſ.)
den Kabin.-Ordres vom 14. Mai 1868, 1. April 1869, 17. Februar 1870,
5. März 1871.
vorgelegten Berechnung beziffert ſich bei der Mobilmachung der Bedarf an
Mannſchaften für jedes Infanterie-Regiment mit Einſchluß der Erſatz- und
Landwehrbataillone auf 5600 Mann. Auf Grund der durch 12 Jahrgänge
fortgeſetzten Rekruten-Einſtellung ſind nach Abrechnung eines Abgangs von
25 % und nach Hinzurechnung der Unteroffiziere des Friedensſtandes ꝛc. durch-
ſchnittlich circa 5300 Mann vorhanden. Die Differenz muß daher durch Ein-
ziehung von Mannſchaften aus der Erſatzreſerve für das Erſatzbataillon gedeckt
werden. Druckſ. des Reichst. I Seſſ. 1874 Anlage zu Nro. 106 S. 20.
Reichsgebiet ausgenommen in Württemberg und Bayern. Es iſt in Baden
eingeführt durch Reichsgeſ. v. 22. November 1871 (R.G.Bl. S. 399), in El-
ſaß-Lothringen durch Geſ. v. 22. Juni 1872 §. 1 Ziff. 4. (Geſetzbl. f.
Elſ.-L. 1872 S. 446.)
enthält die Heer-Ordn. II §. 8 Ziff. 5.
des Erſatzreſerveſcheins muß ſich der Wehrpflichtige bei dem Bezirksfeldwebel
derjenigen Landwehrkompagnie, in deren Bezirk ſein Aufenthaltsort liegt,
melden und ebenſo von jedem Wechſel des Wohnorts und von Reiſen von
längerer als 14tägiger Dauer Anzeige erſtatten. Mil.Geſ. §. 69 Ziff. 2.
W.O. II §. 15 Ziff. 3 und 4.
beim Bezirksfeldwebel unter Vorlegung ſeines Erſatzreſerveſcheins zu melden;
die Verſetzung wird durch den Landwehr-Bezirkskommandeur verfügt und auf
dem Erſatzreſerveſchein vermerkt; bis dies geſchehen, tritt der Uebergang zur
zweiten Klaſſe nicht ein. W.O. II §. 15 Z. 8.
hebungsbezirke vertheilt; jedoch unter Zuſchlag von 25 Prozent zur Deckung
der eintretenden Abgänge. W.O. I §. 13 Ziff. 5.
mentariſchen Vorſchriften über Anlegung der Stammrollen, ſowie über Muſte-
rung und Aushebung der Erſatzreſerviſten II. ſind enthalten in der W.O. I §. 98.
ſtändigen Erſatzkommiſſion und zwar von den ſtändigen Mitgliedern derſelben
ertheilt. W.O. II §. 16 Z. 3.
(Schema 5 zu §. 40) beigefügt iſt, heißt es, daß der zur Seewehr II. Kl.
überwieſene Wehrpflichtige „zu den Mannſchaften des Beurlaubtenſtandes“
gehört. Früher gehörten auch die Erſatzreſerviſten I. Klaſſe zum Beurlaubten-
ſtande, das Militairgeſetz §. 56 hat dies aber aufgehoben; nun gilt zwar das
Militairgeſetz allerdings für die Marine nicht, nach dem Wehrgeſ. §§. 6—15
iſt aber eine gleichmäßige Normirung der Wehrpflicht in Heer und Flotte
prinzipiell durchgeführt.
Regelung und militairiſche Organiſation der bewaffneten Macht. Es wird
dadurch zwar keineswegs das Recht des Staates ausgeſchloſſen, im Falle
äußerſter Noth und Gefahr alle Kräfte der Nation zur Landesvertheidigung
aufzubieten; ein ſolcher Akt iſt aber nicht durch allgemeine Rechtsſätze geregelt,
ſondern bedarf in jedem einzelnen Falle der Normirung.
ausgebildet ſind; zum Landſturm dagegen gehören neben den Wehrpflichtigen,
welche das militairpflichtige Alter noch nicht erreicht haben und den ehemaligen
Erſatzreſerviſten auch die ehemaligen Landwehr-Mannſchaften und
die letzteren bilden wol den werthvollſten Beſtandtheil deſſelben.
Landſt.Geſ. §. 9.
hülfsbedürftigen Familien.
würde die Folge haben, daß erſt alle Wehrpflichtigen vom 17. bis 20. Lebens-
jahre, alſo lauter nicht militairiſch ausgebildete und zum Theil körperlich noch
nicht taugliche Perſonen einberufen werden müßten, bevor man über den
älteſten Jahrgang der Landwehr und Erſatzreſerve hinausgreifen dürfte. Eine
ſolche Conſequenz iſt durch die Clauſel „ſoweit die militairiſchen Intereſſen
dies geſtatten“ abgewendet.
außerordentlichen Bedarfs vorliegt und ob von der in dieſer Geſetzesſtelle er-
theilten Ermächtigung Gebrauch gemacht werden ſoll, lediglich von dem Er-
meſſen des Kaiſers abhängt, ſo kann im Falle eines Krieges thatſächlich von
Bildung beſonderer Landſturm-Truppenkörper ganz abgeſehen und die land-
ſturmpflichtige Mannſchaft wie eine zweite Serie von Jahrgängen der Land-
wehr reſp. Erſatzreſerve behandelt werden.
Verordnung des Königs von Bayern. Landſt.Geſ. §. 9.
Anlage 5 zur Heerordn. I §. 18.
W.O. I §. 91, 92 und Anlage 2 hierzu.
welchen der einjährige erfolgreiche Beſuch der Sekunda genügt (Gymnaſien,
Lyceen, Realſchulen I. Ordnung), b) ſolche, bei welchen der einjährige erfolg-
reiche Beſuch der Prima genügt (Progymnaſien, Realſchulen II. Ordnung,
höhere Bürgerſchulen), c) ſolche, bei denen das Beſtehen der Entlaſſungs-Prü-
fung gefordert wird (höhere Bürgerſchulen, Realanſtalten, Induſtrie-, Handels-
Landwirthſchaftl. Schulen), d) ſolche, für welche beſondere Bedingungen feſt-
geſtellt worden ſind (Gewerbeſchulen u. a.). Reifezeugniſſe für die Univerſität
und für die derſelben gleichgeſtellten Hochſchulen, ſowie Reifezeugniſſe für die
Prima der Gymnaſien u. ſ. w. machen die Beibringung beſonderer Befähigungs-
zeugniſſe entbehrlich. Auch der einjährige Beſuch der 2. Klaſſe des Kadetten-
korps genügt. Um Gleichmäßigkeit in den Anforderungen für die ſämmtlichen
Bundesſtaaten zu ſichern, beſteht beim Bundesrath eine beſondere Reichs-
Schulkommiſſion. Vgl. über dieſelbe Bd. I S. 324.
Daſſelbe iſt noch nicht ergangen und ſoll erſt nach erfolgter Normirung des
höheren Unterrichtsweſens erlaſſen werden. Vgl. Stenogr. Ber. des Reichstags
I Seſſ. 1874 S. 850 fg. Bis zum Erlaß dieſes Geſetzes ſind die Anordnungen
der Wehr-Ordnung maßgebend.
Präſenzſtärke in Anrechnung. Vgl. oben §. 83 II S. 88 fg.
ordnung des Generalkommando’s die Vertheilung der Freiwilligen auf die
Truppentheile der gewählten Waffengattung durch die denſelben vorgeſetzte
Militairbehörde. W.O. I §. 94 Z. 3 Abſ. 2. Wird der Truppentheil, in
welchem ein Einjährig-Freiwilliger dient, in Friedenszeiten in eine andere
Garniſon verlegt, ſo wird der Freiwillige auf ſeinen Wunſch zu einem in der
Garniſon oder in der Nähe derſelben verbleibenden Truppentheil verſetzt. W.O.
I §. 94 Z. 10.
zurücklegen, können nach ihrer Wahl entweder der Dienſtpflicht ganz mit der
Waffe oder ein halbes Jahr mit der Waffe, ein halbes Jahr als Unterarzt
genügen. Die näheren Vorſchriften darüber enthält die Verordn. über
die Organiſation des Sanitäts-Korps vom 6. Febr. 1873 §. 5 (Armee-
V.Bl. S. 106), deren Beſtimmungen in die Heer-Ordnung I §. 21 überge-
gangen ſind.
die Ausbildung derjenigen als Einjährig-Freiwillige dienenden Seeleute Sorge
zu tragen, welche ihre Beförderung zum Offizier wünſchen und ihrer allge-
meinen Bildung und militairiſchen Qualifikation nach befähigt erſcheinen, brauch-
bare Seeoffiziere zu werden. Verordn. der Admiralit. v. 2. Juni 1874 §. 3.
den hier die in der Prüfung Beſtandenen zum „Bootsmanns-Maat“ ernannt.
V. v. 2. Juli 1874 a. a. O.
Vicefeldwebel oder Vicewachtmeiſter reſp. Vice-Seekadetten ernannt werden,
wer ſich zu ſolcher Beförderung eignet. — Offizier-Aſpiranten, welche nach dem
Ausfall der Uebung das Einverſtändniß des Truppenbefehlshabers nicht er-
langen, dürfen im nächſten Jahre zu einer erneuten Uebung eingezogen werden.
II §. 23. Bemerkenswerth iſt darunter beſonders der Satz: „Gewählt dürfen
nur diejenigen Offizier-Aſpiranten werden, welche bei ehrenhafter Geſinnung
eine geſicherte bürgerliche Exiſtenz und eine dem Anſehen des Offizierſtandes
entſprechende Lebensſtellung beſitzen.“
Offiziere (Aſſiſtenz-Aerzte) des Beurlaubtenſtandes werden wollen. Verordn.
über die Organiſ. des Sanitätskorps v. 6. Febr. 1873 §. 12. Ebenſo ſind
analoge — im Einzelnen jedoch vielfach abweichende — Vorſchriften über die
Ergänzung und Ausbildung der See-Offiziere des Beurlaubtenſtandes
ergangen durch die Verordn. v. 2. Juni 1874.
regelt durch die V. v. 4. Juli 1868, welche in den übrigen Kontingenten zur
Einführung gelangt iſt (in Württemberg durch Erl. v. 5. Dezemb. 1871, in
Bayern durch V. v. 24. Oktob. 1872); dieſelbe iſt aber formell aufgehoben
durch die Heerordnung, in welche ihre Anordnungen größtentheils über-
gegangen ſind. Für die Marine ſind die entſprechenden Vorſchriften ent-
halten in der Verordn. v. 2. Juni 1874. (Beilage zu Nro. 12 des Marine-
V.Bl. 1874.)
des Reichst. II Seſſ. 1874 Nro. 13 S. 6.) Es wird dies damit begründet,
daß die Offiziere des Beurlaubtenſtandes mancherlei beſondere Pflichten zu er-
füllen haben, „denen ſie ſich aber freiwillig unterwerfen, da ſie nur mit
ihrer Zuſtimmung zu Offizieren ernannt werden.“
des Seeoffizier-Korps zu den Offizieren der Seewehr vgl. die cit. Verordn.
v. 2. Juli 1874 §. 7.
ſelbe Grundſatz anerkannt in der V. v. 2. Juli 1874 §. 10.
des Gebietes ihres Kontingentsherrn bei demjenigen Truppentheil, in deſſen
Offizierkorps ſie in Folge ihrer Beförderung eingetreten ſind, ſolange ſie nicht
zu einem andern Truppentheil verſetzt werden.
gleichgeſtellt. Verordn. v. 6. Febr. 1873 §. 24, 27.
Strafgeſetzbuchs zu beſtrafen. Uebereinſtimmend Mil.Geſ. §. 60 Ziff. 2. Hin-
ſichtlich des Verfahrens vgl. Strafproz.Ordn. §. 470 fg.
Bildungsanſtalt auf öffentliche Koſten ihre Ausbildung genoſſen haben und
dafür verpflichtet ſind, außer der geſetzlichen Dienſtzeit eine gewiſſe Zeit im
ſtehenden Heere oder in der Marine zu dienen. Sie übernehmen dieſe Ver-
pflichtung freiwillig bei der Aufnahme in die Bildungs-Anſtalt und ſtellen in
der Regel darüber eine Urkunde aus. Vgl. oben §. 86. VIII.
v. 4. Juli 1868 Anhang Ziff. 9. Kabin.Ordre v. 5. Dezemb. 1872 (abgedruckt
bei v. Helldorff I, 4 S. 165 und II, 1 S. 36 fg.). Seit dem Erlaß der
Heer-Ordnung ſind jedoch von dieſer Regel ausgenommen diejenigen Offiziere,
welche verabſchiedet oder mit ſchlichtem Abſchied entlaſſen oder aus dem Offi-
zierſtande entfernt werden; dieſelben ſind von der ferneren Ableiſtung der
Dienſtpflicht entbunden. H.O. II §. 25.
im Preuß. Allg. Landrecht gefunden, welches im 10. Titel des II. Theiles die
Rechtsregeln über „Militair- und Civilbediente“ zuſammenſtellt.
Kgl. Preuß. Armee I. Th. 2. Abth. S. 2.
(Württ. Mil.V.Bl. 1872 S. 7.); in Bayern durch V. v. 18. Auguſt 1872
(Bayr. M.V.Bl. S. 309).
S. 216). Die näheren Vorſchriften über die Portepeefähnrichs-Prüfungen ſind
enthalten in der V. v. 31. Oktober 1861 §. 4 fg.
23. Aug. 1865 §. 2. (v. Helldorff a. a. O. S. 8.)
normirt in den Beſtimmungen v. 27. Febr. 1873 über die Organſation der
Kriegsſchulen. (Armee-V.Bl. 1873 Beilage Nro. 7.) Die Bedingungen zur
Zulaſſung für Perſonen, die ein Jahr auf einer deutſchen Univerſität ſtudirt
haben, für Landwehr-Offiziere und für Schüler des Berliner Kadet-
tenhauſes beſtimmen ſich nach der V. v. 31. Okt. 1861 §. 11—16.
ſind. Unter den letzteren iſt hervorzuheben, daß die zu Offizieren der Armee
beförderten Aſpiranten der Artillerie und des Ingenieur-Korps
noch eine ſpezielle Berufsprüfung vor einer aus Offizieren beider Waffen ge-
bildeten Kommiſſ. abzulegen haben. Vgl. oben §. 86. VIII. 4.
1866. (v. Helldorff a. a. O. S. 14.)
Vorſchriften über die Eintrittsprüfung enthalten.
die Seekadettenprüfung und über die Rangirung der Seekadetten enthalten.
Rang. Bundes-Geſ.Bl. 1867 S. 284.
B.G.Bl. 1867 S. 284. — Durch den cit. §. 26 iſt die Beſtimmung der Ver-
ordnung v. 16. Juni 1864 §. 28, daß Auszeichnung vor dem Feinde von dem
wiſſenſchaftlichen Theil der Prüfungen und fortgeſetztes ausgezeichnetes Be-
nehmen im Kriege, verbunden mit Beweiſen von ausreichender ſeemänniſcher
Befähigung, auch von den Bedingungen der Dienſt- und Fahrzeit befreit,
aufgehoben.
Kaiſerl. Admiralit. in Vorſchlag gebracht.
10. März 1874 abgeändert hat. Marine-V.Bl. 1877 S. 4.
durch die V. v. 12. Nov. 1878. M.V.Bl. S. 211.
Erl. v. 13. Juni 1873. (M.V.Bl. S. 187.); in Bayern durch V. v. 7. Juli
1873. (Bayr. M.V.Bl. S. 180.)
in einem Kapitulations-Protokoll verpflichten, außer ſeiner allgemeinen ein-
jährigen Dienſtpflicht noch mindeſtens ein Jahr im ſtehenden Heere oder in
der Flotte zu dienen. Nach erfolgter Anſtellung können die Unterärzte überall
verwandt werden, wo der Bedarf an Aerzten ſich geltend macht. Sie haben
Anſpruch auf Gehalt und die übrigen Bezüge ihrer Charge. §. 6 cit.
gemeinſamen Wahlverband.
Verordn. §§. 7—11.
1873 §. 13 fg. (Armee-V.Bl. S. 69 fg.)
S. 228 ff. Gleichzeitig iſt eine Allerh. Kab.Ordre ergangen, welche in ebenſo
beredten wie eindringlichen Worten dem Offizierkorps die ihm obliegenden
Ehrenpflichten einſchärft. Abgedruckt bei v. Helldorff a. a. O. S. 246 ff.
Eine entſprechende Verordnung über die Ehrengerichte der Offi-
ziere in der Kaiſerl. Marine iſt am 2. Nov. 1875 ſanctionirt worden.
Marine-V.Bl. Beilage zu Nro. 21.
urlaubung zur Theilnahme an den Sitzungen des Reichstages oder einer
Landesvertretung haben; der Reichstag ſtrich dieſelbe aber.
die angef. Verordn. §§. 15—21.
welche aus der Verleihung von Staatsämtern und Würden hergeleitet wurden.
Dieſer, aus §§. 7 und 16 des A.L.R. Th. II Tit. 13 deducirte Rechtsſatz war
zweifellos ſanctionirt durch die Kabin.Ordres v. 7. Juli 1830 und 28. Oktob.
1836 (v. Kamptz Jahrb. B. 48 S. 433), ſowie durch viele Urtheile des Ge-
richtshofes zur Entſch. der Kompetenz-Konfl., insbeſondere durch das Erk. vom
28. Dez. 1850 (Juſt.Miniſt.Bl. 1851 S. 78) anerkannt. Das Preuß. Geſetz
v. 24. Mai 1861 ließ den Rechtsweg zwar zu für die vermögensrechtlichen
Anſprüche der Beamten, nicht aber für die der Militairperſonen. Das
Reichsbeamtengeſetz hat die [Militairbeamten] den andern Reichsbeamten gleich-
geſtellt, aber nicht die Perſonen des Soldatenſtandes. Das Reichs-
geſetz v. 27. Juni 1871 §. 113 hat den Rechtsweg nur für die durch dieſes
1873 Nro. 8 S. 65). Vgl. auch Geldverpfl.Regl. §. 99 Ziff. 6.
Dienſtvorſchriften Bd. III Abth. II Heft 1. Hierdurch ſind die älteren Be-
ſtimmungen außer Kraft geſetzt worden.
Reichsmilitairgeſetz endlich hat an dem beſtehenden Recht in dieſer Beziehung
Nichts geändert.
verwaltet, welche nach dem Etat mit dem Gehalt eines Hauptmanns erſter
Klaſſe dotirt iſt, ſo erhält er als Zulage die Differenz zwiſchen dem Gehalt
eines Premier-Lieutenants und dem Gehalt eines Hauptmanns erſter Klaſſe.
Reſcr. des Kriegs-Min. (Mil.Dec.Depart.) v. 28. Aug. 1877 bei v. Helldorff
a. a. O. S. 4. Die vorübergehende Wahrnehmung der höheren Stelle
begründet dieſen Anſpruch jedoch nicht; es iſt eine Königl. Ernennung zur Be-
kleidung oder Wahrnehmung der Dienſtſtelle erforderlich.
Wittwenkaſſe und zur Lebensverſicherungsanſtalt f. Armee und Marine, ſowie
behufs der Schuldentilgung vgl. a. a. O. §§. 40 ff.
zahlung enthält das — an die Stelle der älteren Vorſchriften — getretene
Reglement über die Servis-Kompetenz der Truppen im Frieden
v. 20. Febr. 1868 (v. Helldorff Th. IV Abth. 1 S. 83 ff.); vgl. ferner das R.G.
v. 30. Juni 1873 über die Wohnungsgeld-Zuſchüſſe und dazu die Ausführungs-
Beſtimmungen des Preuß. Kriegsminiſteriums v. 4. Juli 1873. Armee-V.Bl.
S. 200 fg.
Heft 2.
Zur Ausführung dieſer Verordnung ſind auf Grund des §. 16 derſelben vom
Preuß. Kriegsminiſter „Erläuterungen und nähere Feſtſetzungen“ am 24. Aug.
1873 erlaſſen worden. (Arm.V.Bl. S. 230.) Dieſe, ſowie die zahlreichen
Reſcripte des Mil.Oekon.Dep. zur Erledigung von Spezialfragen ſind gedruckt
bei v. Helldorff a. a. O. Th. III Abth. V S. 1—105. — Die V. v. 21. Juni
1875 (ſiehe über dieſelbe oben Bd. I S. 463 fg.) iſt auf Perſonen des Sol-
datenſtandes nicht anwendbar.
verkündigt worden durch Kab.Ordre v. 17. Mai 1859; es iſt dabei ausdrück-
lich der „Stabsoffiziere“ Erwähnung geſchehen.
Einem Tage ernannten Sekonde-Lieutenants der Artillerie beſtimmt ſich die
Reihenfolge der Patente nach dem Ausfalle der Berufsprüfung.
oder dem Patent oder dem Dienſtalter unter ihm ſtehenden Perſonen des
Soldatenſtandes“ verfügen. Mil.Discipl.Straf.Ordn. §. 7 Abſ. 2.
1853 (v. Helldorff a. a. O.).
von Selbſtmord, von Tödtung im Duell, von Deſertion, von Kaſſation, ſelbſt-
verſchuldeter Entlaſſung oder Entfernung aus dem Heere, oder in Folge von
Verſetzungen oder Penſionirungen, die aus eigener Bewegung des Königs ver-
fügt worden ſind. Kabinets-Ordres vom 15. März 1823, 25. Auguſt 1826,
13. März 1832, 12. November 1834. Abgedruckt bei v. Helldorff a. a. O.
S. 14. — Ueber die Fälle, in denen Einrangirungen über den Etat zuläſſig
ſind, vgl. Frölich a. a. O. I S. 250.
ſuchungsfällen. Hierüber beſtimmt die Kabinets-Ordre v. 22. April 1822, daß
jeder Vorgeſetzte, der das Recht hat, einem Offizier Arreſt zu geben, auch be-
fugt iſt, denſelben vom Dienſt zu ſuſpendiren, und nur verpflichtet iſt, die bei
Arreſtfällen vorgeſchriebene Meldung höheren Ortes zu machen. (v. Helldorff
Th. IV Abth. 4 S. 124.)
v. 29. Januar 1857. (v. Helldorff I Abth. 4 S. 165.) Heer-Ordnung II §. 21
Ziff. 2.
Jahres nicht überſteigt, ſo wird ſie bei Berechnung der aktiven Dienſtzeit mit
in Anſatz gebracht. Geſ. v. 27. Juni 1871 §. 19 Ziff. 6) (R.G.Bl. S. 280).
ſelben Geſetzes.
v. 27. Dez. 1860 (Militair-Geſetze des Deutſchen Reiches V S. 148) zur An-
erkennung gebracht worden.
Rechtsverhältniſſe der z. D. geſtellten Offiziere iſt vom Reichskanzler am
28. Mai 1871 dem Reichstag mitgetheilt worden. DruckſachenI Seſſion
1871 Nro. 170. Dieſelbe iſt aber unvollſtändig. Vgl. für Bayern V. v.
19. April 1875. B. Mil.V.Bl. 1875 S. 159 ff. Beilage 7.
11. Juli 1822 (Kamptz Jahrb. Bd. 22 S. 88), welche die Grundlage des
gegenwärtigen Rechts bildet. Vgl. auch Kabinets-Ordre v. 4. Mai 1837 (Preuß.
Geſ.Samml. 1837 S. 98).
tigt, Offiziere z. D. aller Grade — unter Vorbehalt der königl. Genehmigung
— dienſtlich zu verwenden. Kriegsminiſter.Refcr. v. 10. Sept. 1858 (bei v.
Helldorff Th. II Abth. 1 S. 42).
Geſetzes v. 1. Juni 1870 finden auf dieſe Offiziere Anwendung.
S. 219. Ausgenommen ſind Stabsoffiziere z. D., ſie können nur von dem
zuſtändigen Brigade-Kommandeur disciplinariſch beſtraft werden. Kab.Ordre
v. 31. Mai 1877. Armee-V.Bl. S. 108.
ſind die näheren Anordnungen über die Zuſammenſetzung der Kommiſſionen
enthalten. Die Kabinets-Ordre iſt ausgedehnt worden auf Landwehr-
Offiziere, deren Beibehaltung dem dienſtlichen Intereſſe nachtheilig ſein
würde, durch Kab.Ordre v. 20. Okt. 1828 (ebenda S. 39) und auf Militair-
Aerzte im Offiziersrang durch die Verordn. v. 6. Febr. 1873 §. 27 letzter
Abſ. (Armee-V.Bl. 1873 S. 113).
befragt, ob ſie geneigt ſind, für den Fall einer Mobilmachung während des
nächſtfolgenden Jahres in den Dienſt zu treten. Die Aufſtellung und Ein-
reichung von Liſten dieſer Offiziere gehört zu den jährlichen Mobilmachungs-
Arbeiten. Sie haben ihren Wohnſitz bei dem betreffenden Generalkommando
anzumelden. Vgl. v. Helldorff I, 4 S. 248.
1875 S. 53.
ſtrafordn. nach §. 30 derſelben auf verabſchiedete Offiziere nicht an-
wendbar. Sobald ſie aber wieder im Militairdienſte verwendet werden, finden
ſelbſtverſtändlich die Disciplinarvorſchriften auf ſie volle Anwendung und das-
ſelbe iſt nach der ratio legis anzunehmen, wenn ſie in der Militair-
uniform gegen die Vorſchriften im §. 23 Ziffer 2 und 3 der Disciplinar-
ſtrafordn. ſich vergehen.
Dienſtverpflichtung“; ſeit Erlaß der Heerordnung (II §. 25) findet dieſe Form
keine Anwendung mehr, ſondern an ihre Stelle iſt die Verſetzung zur Reſerve
oder Landwehr getreten. Vgl. die oben S. 210 Note 2 citirten Stellen.
ferner R.Strafgeſetzb. §. 31. 33.
Penſionsgeſetzes v. 27. Juni 1871, daß Penſions-Erhöhungen durch rich-
terliches Erkenntniß nicht entzogen werden können. Vgl. jedoch Koppmann
S. 109 ff., der darzulegen ſucht, daß §. 32 cit. ſich nur auf bereits bezogene
oder angewieſene Penſionen beziehe.
Vollſtreckung der Strafe vgl. das Militair-Strafvollſtreckungs-Reglem. vom
2. Juli 1873 §. 23 (v. HelldorffIV Abth. 4 S. 267).
die Penſionserhöhung. Koppmann S. 115.
an ehrliebender Geſinnung nicht zur Vorausſetzung haben. Vgl. Motive zum
Mil.Strafgeſetzb. S. 71.
mann a. a. O. S. 116—119.
zeichen. Auch die Möglichkeit des Wiedereintrittes in den Militair-
dienſt iſt nicht von Rechtswegen ausgeſchloſſen.
gehülfen, ausnahmsweiſe auch wol mit Oekonomiehandwerkern, geſchloſſen.
Beſtimmungen eingeführt worden durch Kabin.Ordre v. 29. Auguſt 1876.
Mar.V.Bl. S. 149 ff. Für Bayern V. v. 14. Juli 1876. Mil.V.Bl.
S. 438.
auch die Kommandanten der Schiffe und Fahrzeuge in außereuropäiſchen Ge-
wäſſern und bei längerer Abweſenheit berechtigt, Mannſchaften deutſcher Ab-
ſtammung als Kapitulanten einzuſtellen. Verf. v. 25. Mai 1873. Marine-
V.Bl. S. 116. Beſtimmungen v. 29. Aug. 1876 Ziff. 1.
vorgeſchriebenen Schema aufgenommen.
„übernommene“ Verpflichtung zum Dienſt hinſichtlich der Strafe der Fahnen-
flucht ganz gleichgeſtellt. Vgl. ferner §. 76. 81—83 ebendaſ.
tulanten und Gemeinen-Kapitulanten. Vgl. Geldverpfleg.-Reglement f. den
Frieden v. 24. Mai 1877 §. 6.
mandeur reſp. den mit der Disciplinargewalt eines ſolchen ausgeſtatteten Be-
fehlshaber.
Miniſterial-Reſcripten u. ſ. w. abgedruckt bei v. Helldorff II Abth. 1 S. 17 fg.
Für Bayern V. v. 5. Nov. 1878. Mil.V.Bl. S. 523.
angehören, werden nach der Anciennetät im Bataillon, Inſtitut ꝛc. befördert.
Uebrigens iſt es den General-Kommando’s freigeſtellt, auch bei der Kavallerie
die Beförderung der Unteroffiziere innerhalb der Schwadron ſtatt innerhalb
des Regiments ſtattfinden zu laſſen.
lanten unter Vorbehalt der jederzeitigen Kündigung auf einen Zeitraum von
höchſtens 3 Monaten annehmen. ebenda §. 12.
offizier-Schule wird dieſe Verpflichtung gelöſt. ebenda Ziff. 6.
Juni 1873 Ausführungs-Beſtimmung litt. f. Vgl. Militair-Geſetze des Deutſchen
Reichs I, 2 S. 293.
Perſonen mit einem beſtimmten Militairrang, Militairbeamte ſind Militair-
Perſonen mit unbeſtimmtem Militairrang. Dieſer Begriff des „unbeſtimmten
Militairrangs“ iſt aber gewiß keine juriſtiſche Zierde unſeres Militairrechts.
worden ſind, ſo wird ihnen formelle Geſetzeskraft dennoch nicht beigelegt, ſon-
dern die Klaſſifikation wird lediglich als eine deklaratoriſche Zuſammenſtellung
nach Maßgabe der damaligen Organiſation des Heeres und der Marine ange-
ſehen, ſo daß ſie mit Veränderungen der Organiſation im Verordnungswege
von ſelbſt veraltet. In der That ſind zahlreiche Veränderungen eingetreten.
Die wichtigſte iſt die, daß die Militairärzte, welche in dem Verzeichniß noch
zu den Militairbeamten gerechnet werden, ſeit der Verordn. v. 20. Febr. 1868
zu den Perſonen des Soldatenſtandes gehören; andere Veränderungen beſtehen
darin, daß Beamte, welche in dem Verzeichniß gar nicht aufgeführt ſind, zur
Zeit zu den Militairbeamten hinzugetreten ſind, und daß andererſeits Beamte,
welche in dem Verzeichniß enthalten ſind, zur Zeit entweder gar nicht mehr
ernannt oder als Civilbeamte der Militairverwaltung betrachtet werden. Eine
Zuſammenſtellung der Militairbeamten findet ſich in den Motiven zum Pen-
ſionsgeſ. Druckſ. I Seſſ. 1871 Nro. 96. Ein dem im Mai 1877 beſtehenden
Zuſtande entſprechendes Verzeichniß enthalten „die Militair-Geſetze des Deutſchen
Reichs“ IV S. 122. Da es von ſehr weitreichenden Rechtsfolgen iſt, ob ein
Beamter zu den Militairbeamten gehört oder nicht, ſo iſt eine feſtere Ab-
gränzung dieſer Beamtenkategorie gegen die Civilbeamten der Militairverwal-
tung wünſchenswerth.
vgl. FrölichI S. 235 ff. Hinſichtlich der richterlichen Militair-Juſtizbeamten
enthält das Mil.Geſ. a. a. O. die ausdrückliche Anordnung, daß dieſelben die
Befähigung zur Bekleidung eines Richteramtes in einem Bundesſtaat erworben
haben müſſen.
hinzu, die im Frieden zu den Civilbeamten der Militairverwaltung gehören.
Geſetzbl. 1867 S. 289).
geſchriebenen Dienſtuniform zu erſcheinen, kann hier erwähnt werden. Aus-
führlich hierüber FrölichI S. 205 ff.
beſtimmungen enthalten“ ſind im Frieden rückſichtlich der Militairbeamten
gegenſtandslos, da auf dieſelben im Frieden die Militairſtrafgeſetze überhaupt
keine Anwendung finden.
33 der Disciplinarſtrafordnung.
Ordn. findet einen ſehr eigenthümlichen Ausdruck in den wechſelſeitigen Ver-
weiſungen. Das Beamten-Geſ. §. 123 verweiſt rückſichtlich der Disciplinar-
beſtrafung der Militairbeamten auf die „beſonderen Beſtimmungen“ d. h. auf
die Disciplinarſtrafordnung; die letztere verweiſt im §. 35 rückſichtlich der Aus-
übung der Disciplinargewalt Seitens der Verwaltungsvorgeſetzten ebenfalls
wieder auf die „beſonderen Beſtimmungen“ d. h. auf die §§. 80 fg. des Be-
amtengeſetzes.
tairbeamten Arreſtſtrafen in demſelben Maße wie gegen Unteroffiziere, welche
das Portepee tragen, von den Militairvorgeſetzten verhängt werden.
Daſelbſt iſt zugleich verkündigt die „Nachweiſung der Stellen, welche zur
Ertheilung von Urlaub an Beamte der Militair-Verwaltung berechtigt ſind,
ſowie der Zeiträume, für welche Urlaub gewährt werden darf.“
Entwurfs).
erkannt werden kann, Mil.Strafgeſ. §. 43.
§. 3 daſ. angeführten Kontraventionen. Vgl. unten S. 253 Note 7.
gewalt, für Ausübung derſelben ſind aber die §§. 80—83 des Reichsbeamten-
Geſetzes maßgebend. Vgl. das Reſcr. des Preuß. Kriegsminiſt. v. 3. Januar
1875 bei v. Helldorff Th. IV Abth. 6 S. 24 fg.
der Krieg bereits ausgebrochen iſt — die Mobilmachung des Heeres allein ge-
nügt nicht — und wenn der Beamte ſich bei dem kriegführenden Heere befindet.
Ueber die entſprechenden Vorausſetzungen bei der Marine vgl. Mil.St.G.B.
§§. 164—166.
Art. 6.
geſetzlichen und des freiwillig übernommenen Militairdienſtes; zu den Perſonen
des Friedensſtandes gehören auch die Freiwilligen und ausgehobenen Rekruten,
während dieſelben ihre aktive Dienſtpflicht erfüllen. Mil.Geſ. §. 38.
v. 6. Nov. 1872. Bayer. Mil.V.Bl. 1872 S. 453.
Nach der Preuß. Mil.Strafger.Ordn. §. 3 ſind jedoch ausgenommen Kontra-
ventionen gegen Finanz- und Polizeigeſetze und gegen Jagd- und Fiſcherei-
Verordnungen in dem Falle, wenn die Kontravention im Geſetz nur mit Geld-
buße oder Konfiskation bedroht iſt. Wenn dagegen auf Freiheitsſtrafe erkannt
werden kann, ſo ſind die Militairgerichte ausſchließlich kompetent. — Vgl.
hierzu die Verf. des General-Auditoriats v. 10. März 1868 bei v. Helldorff
IV. 4. S. 74. Zu den Kontraventionen gegen Finanzgeſetze im Sinne des
§. 3 cit. gehören auch die Poſt- und Portodefraudationen. — Uebereinſtimmend
Bayer. Mil.St.G.O. Art. 2 Abſ. 2.
Verordnungs-Blatt verkündigt worden, obgleich das zuletzt erwähnte Blatt
zahlreiche Veränderungen und Erläuterungen enthält (!). Auszugsweiſe abgedruckt
iſt es bei v. Helldorff a. a. O. S. 249 ff.
hören demnach Zuwiderhandlungen der zum Beurlaubtenſtande gehörenden
Militairperſonen gegen die §§. 68, 69, 101, 113, 126 des Mil.Straf-Geſ.Buchs,
ſowie die im §. 42 Abſ. 2 daſelbſt bezeichneten Fälle. Vgl. Verf. des Gener.-
Auditor. v. 25. Sept. 1872. (v. Helldorff a. a. O. S. 77.)
durch das Mil.Straf-Geſetz-B. nicht aufgehoben. Es wird dies
übereinſtimmend vom General-Auditor. in dem Reſcr. v. 25. Sept. 1872 und
vom Kriegs-Miniſterium im Reſcr. v. 8. Januar 1876 anerkannt, dabei jedoch
Ausſcheiden; ſiehe oben S. 235.
19. Febr. 1875 beſchloſſen, daß die Vollſtreckung der von Militairgerichten er-
kannten Strafen übergeht auf die Behörden des Heimathsſtaates des Ver-
urtheilten, wenn entweder die ſtrafbare Handlung außerhalb des Bundesgebietes
verübt worden, oder der Verurtheilte im Gebiet des Heimathsſtaates ſich auf-
hält, in andern Fällen auf die bürgerlichen Behörden desjenigen Bundesſtaates,
in deſſen Gebiet die ſtrafbare Handlung verübt worden iſt. Armee-V.Bl.
richten die Beſtrafung in ſolchen Fällen zu überweiſen, in denen die zu ver-
hängende Freiheitsſtrafe in einem militairiſchen Arreſtlokale abgebüßt wer-
den kann; da nun nach dem Mil.St.G.B. Freiheitsſtrafen von längerer als
ſechswöchentlicher Dauer in Militair-Arreſtlokalen nicht vollſtreckt werden können,
ſo werden die Unterſuchungen an das Civilgericht in allen Fällen zu über-
weiſen ſein, in denen eine Freiheitsſtrafe von mehr als 6 Wochen zu erwarten
iſt, (nicht von mehr als 3 Monaten). — Beſtätigt wird dies durch die bei
Publikation der Strafger.O. im Bundesgeſetzbl. von 1867 dem §. 9 cit. bei-
gefügte „Anmerkung“ S. 232.
in den Beurlaubtenſtand übergetreten, ſo ſind die Civilgerichte nur dann zu-
ſtändig, wenn das von ihm während des aktiven Dienſtſtandes verübte Delict
zu den nicht militairiſchen gehört und auch mit keinem gerichtlich zu beſtrafen-
den militairiſchen Delict zuſammentrifft. ebendaſ. §. 15.
Mecklenburg, indem hier in denjenigen Fällen, in denen zur Einleitung
eines gerichtlichen Verfahrens oder zur Beſtätigung eines Erkenntniſſes die
Entſchließung des Königs erforderlich iſt, hinſichtlich der Großherzogl. Un-
terthanen das Einverſtändniß des Landesherrn eingeholt werden ſoll; in
Mecklenburg jedoch dann nicht, wenn das Erkenntniß auf Entlaſſung aus dem
Dienſte lautet. Vgl. Heſſiſche Milit.Konv. Art. 14 Abſ. 2. Mecklen-
burg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz Milit.Konv. Art. 6 Abſ.
2 und 4.
Mil.Konv. Art. 5.
zug militairgerichtlich erkannter Freiheitsſtrafen durch die bürgerl. Behörden
erlaſſen. Mil.V.Bl. 1873 S. 53. 1876 S. 44.
Thüringiſche Staaten Art. 8. Anhalt Art. 8. Schwarzb.-Sondersh.
Art. 7. Lippe-Detmold Art. 7. Schaumburg Art. 6. Waldeck
Art. 5. Baden und Oldenburg iſt überdies in den Schlußprotokollen zu
den Konventionen Art. 8 zugeſichert worden, daß das Begnadigungsrecht über
Badiſche reſp. Oldenburgiſche Staatsangehörige in Fällen von Verurtheilungen
wegen nicht militairiſcher Vergehen den Großherzogen überlaſſen werde.
In der Heſſiſchen Milit.Konvent. Art. 14 Abſ. 3 und 4 iſt ausbedungen,
daß in Betreff der Heſſiſchen Unterthanen die Begnadigung wegen aller mili-
tairiſcher Vergehen vom Kaiſer ausſchließlich, wegen der nicht militairiſchen
Vergehen vom Kaiſer in Gemeinſchaft mit dem Großherzog ausgeübt wird.
Ebenſo die Konventionen mit beiden Mecklenburg Art. 6 Abſ. 3.
befähigt iſt, ſelbſtſtändig einen Wohnſitz zu begründen, beſtimmt ſich nach den
Vorſchriften des bürgerlichen Rechts.
Geſetzes aufgehoben. Auch dieſe Beſtimmung bezieht ſich nur auf die berufs-
mäßigen Militairperſonen. Vgl. auch Fitting im Archiv f. die civil. Praxis
Bd. 61 S. 404.
wegen nicht vermögensrechtlicher Anſprüche, insbeſondere für Prozeſſe, welche
die Perſonenſtands-Verhältniſſe betreffen, iſt der Gerichtsſtand des §. 21 über-
haupt nicht begründet und auch für vermögensrechtliche Klagen iſt er nicht der
ausſchließliche, ſondern der Kläger hat die Wahl zwiſchen ihm und dem
allgemeinen Gerichtsſtande des Wohnſitzes und den etwa begründeten ſpeziellen
Gerichtsſtänden. Civilproz.Ordn. §. 35. Vgl. Endemann der Deutſche
Civilprozeß I S. 262.
1873 Entſcheidungen Bd. XI S. 178 fg. In dieſer Beziehung iſt insbeſondere
zu erwähnen, daß für die Oberoffiziere ſowie für die Militairbeamten von
Entſchdg. Bd. XXII S. 330 ff.
lenburg v. 1872 Art. 8. Baden Art. 15 Abſ. 1 u. 2. Oldenburg
Art. 18 Abſ. 1. Waldeck Art. 5 Abſ. 3. Lübeck Art. 5 Abſ. 3 und
Art. 17 Abſ. 2. Hamburg Art. 10. 27 Abſ. 2. Bremen Art. 8. 35
Abſ. 2. — Dagegen enthalten einige andere Konventionen nur die Erklärung,
daß die in den betreffenden Staaten garniſonirenden Militairperſonen „den
dortigen Landesgeſetzen und Rechtsnormen“ unterworfen ſind. So die Konvent.
mit den Thüringiſchen Staaten 14. Anhalt 14. Schwarzburg-
Sondersh. 12. Schaumburg-Lippe 11. Lippe-Detmold 12.
— Auch in den Verhandlungen des Reichstages über das Militair-Geſetz iſt
anerkannt worden, daß die Beurtheilung der Statusverhältniſſe ſich nach dem
Recht der Heimath regelt. Stenogr. Berichte 1874 S. 877 fg.
der ähnlichen Vorſchrift des §. 54 des Anhangs zur Preuß. Allgem. Gerichts-
Ordn. I Tit. 7 §. 19.
züglich aller nach den Geſetzen des Wohnſitzes zu entſcheidenden Rechtsverhält-
niſſen das Bayeriſche Landrecht als geltendes Recht erklärt iſt. Verordn.
v. 16. Juni 1816. Roth Bayr. Civilr. I S. 198.
pflichtet, dem Gläubiger auf Verlangen den Empfang der Anzeige zu be-
ſcheinigen. eod. Abſ. 2.
keine Anwendung. Auch hierin folgt die Civilproz.Ordn. dem früheren Preuß.
Recht. Vgl. Kab.Ordre v. 4. Januar 1833 bei v. Helldorff Th. IV Abth. 5
S. 7 fg.
dieſem Falle Gebühren nicht erhoben. Gerichtskoſten-Geſetz v. 18. Juni 1878
§. 47 Ziff. 13.
rungen der Ehefrau und der ehel. Kinder. a. a. O. §. 749 Abſ. 3.
und Mobilmachungsgelder u. dgl. Vgl. §. 167 des Anhangs zur Preuß. Allgem.
Ger.Ordn. I Tit. 24 (zu §. 108).
des Gerichts keine Koſten erhoben. Gerichtskoſtengeſetz §. 47 Ziff. 13.
1869 §. 2. Vgl. oben Bd. I S. 525. Das Wahlgeſetz erwähnt ausdrücklich
auch die zur Marine gehörenden Perſonen des Soldatenſtandes.
ſonen des Beurlaubtenſtandes nicht erſtreckt, folgt, daß dieſelben wegen einer
Theilnahme an polit. Vereinen und Verſammlungen weder militairgerichtlich
noch disciplinariſch verfolgt werden können; ein ehrengerichtliches Ver-
fahren gegen Offiziere des Beurlaubtenſtandes wegen ihres Verhaltens in poli-
tiſchen Vereinen und Verſammlungen iſt jedoch keineswegs ausgeſchloſſen. Un-
berührt von der Vorſchrift des §. 49 bleiben ferner die Beſtimmungen in
§. 101 und §. 113 des Militair-Strafgeſetzbuchs über die Verſammlungen von
Perſonen des Soldatenſtandes behufs Berathung über militairiſche Angelegen-
heiten, Einrichtungen u. ſ. w.
finden auch auf Offiziere z. D. Anwendung. Die Preuß. V. vom 3. Januar
1849 §. 63 Ziff. 4 befreite vom Geſchworenendienſt „die im aktiven Dienſt
befindlichen Militairperſonen.“ Demgemäß nahm das Kriegsminiſt.-Reſcr.
v. 4. Aug. 1861 (v. Helldorff Th. IV Abth. 5 S. 21) mit Recht an, das die
z. Dispoſ. geſtellten Offiziere, da ſich dieſelben nicht im aktiven Dienſt befinden,
zum Geſchworenendienſt verpflichtet ſind. Das Reichsgeſetz befreit von dem-
ſelben aber alle dem aktiven Heere angehörenden Militairperſonen, und
dieſe Beſtimmung umfaßt die z. Dispoſition geſtellten (alſo nicht verab-
ſchiedeten oder zum Beurlaubtenſtande verſetzten) Offiziere mit. Vgl.
oben S. 232.
anordnet, daß dieſe Genehmigung Seitens derjenigen Generale und Stabs-
offiziere, welche ſich in einer Immediatſtellung befinden, bei dem Könige un-
mittelbar nachgeſucht, dagegen Seitens der übrigen Generale und Stabsoffiziere,
ebenſo wie von allen anderen Militairperſonen bei der zunächſt vorgeſetzten
Militairbehörde beantragt und geeigneten Falls ertheilt werden ſoll. — Die
Geltung dieſer Kab.Ordre iſt auf die Marine ausgedehnt worden durch Verf.
v. 30. September 1876 (Marine-V.Bl. S. 172.)
macht; für die Ausübung der Civilpraxis bedürfen dieſelben daher — dem
Geſetze nach — ebenfalls der Genehmigung ihrer Vorgeſetzten. Das Gleiche
gilt von Militair-Muſikern, welche gewerbemäßig Muſik machen.
führt worden; in Baden, Südheſſen und Württemberg durch die Verfaſſungs-
bündniſſe, in Bayern durch das Reichsgeſ. vom 22. April 1871 §. 2. II, in
Elſ.-Lothringen durch das Reichsgeſetz v. 14. Jan. 1872.
Kommandanten ꝛc., welche die Bundesfürſten ernennen und auf eigene Koſten
oder aus Landesmitteln beſolden. Vgl. Mil.Konv. mit Heſſen Art. 9 Abſ. 1.
Mecklenburg Art. 12 und von 1872 Art. 11. Baden Art. 6 Abſ. 1.
Oldenburg Art. 6 Abſ. 1. Thüring. Staaten von 1867 Art. 11 (1873
Art. 11). Anhalt Art. 11. Schwarzburg-Sondersh. von 1867 Art. 8
(1873 Art. 9). Lippe von 1867 Art. 8 (1873 Art. 9). Schaumburg
Art. 8. Waldeck Art. 6.
dauert, iſt jedoch einer Verſetzung gleich zu achten. Vgl. Reſcr. des Preuß.
Finanz-Miniſters v. 4. März 1877 §. 8. (v. Helldorff IV Abth. 5 S. 40.)
reits durchweg die Beſtimmung, daß das Dienſteinkommen der Militairperſonen
unter Offizierrang überhaupt nicht, weder zu Staats- noch zu Gemeindezwecken
beſteuert werden darf.
der ſteuergeſetzlichen Anordnungen. Eine Zuſammenſtellung einiger der wich-
tigſten Partikulargeſetze hierüber findet ſich in den Motiven zum Mil.Geſetz
S. 44. (Druckſachen des Reichstags I Seſſ. 1874 Nro. 9.)
ſämmtlichen Militair-Konventionen, welche im Jahre 1873 geſchloſſen worden
ſind. Für Preußen vgl. das Geſetz über die Klaſſen- und Einkommenſteuer
v. 25. Mai 1873 Art. I §. 5 und Art. II. (Geſ. S. 213.)
ſuchte zwar die Freiheit der Militairperſonen von den Kommunalſteuern zur
formellen Anerkennung zu bringen, der Reichstag verweigerte aber ſeine Zu-
ſtimmung. Stenogr. Ber. 1874 S. 886 ff. 890 ff.
Berichte 1869 S. 220 ff. 1117 ff.
geſetzlich für das Großherz. Militair Freiheit von Kommunal-Abgaben.) Ol-
denburg Art. 18. Thüringen Art. 13. Anhalt Art. 13. Schwarzb.-
Sondershauſen Art. 11. Lippe-Detmold Art. 11. Schaum-
burg-Lippe Art. 10. Waldeck v. 24. Nov. 1877 Art. 10. Lübeck
Art. 5 Abſ. 4. Hamburg §. 10. Bremen §. 8. In allen dieſen Kon-
ventionen iſt übrigens die Steuerbefreiung nur denjenigen Militairperſonen
zugeſichert, welche nicht Unterthanen des betreffenden Staates
ſind.
daß die Offiziere ꝛc. von Kommunal-Abgaben befreit ſind, ſoweit dieſe nicht
von Grund-, Häuſer-, Gefäll- und Gewerbeſteuerkapitalien entrichtet werden.
die älteren Landestheile auf dem Geſetz v. 11. Juli 1822 (Geſ.Samml. S. 184);
für Frankf. a. M. auf dem Gemeindeverfaſſungs-Geſ. v. 25. März 1867 §. 11
(Geſ.Samml. S. 403); für die übrigen im Jahre 1866 erworbenen Landes-
theile auf der V. v. 23. Septemb. 1867 (Geſ.Samml. S. 1648). Die letztere
iſt abgedruckt mit der V. v. 22. Dez. 1868 im Bundesgeſetzbl. 1868 S. 572.
Die Vorſchriften dieſer Geſetze ſind aufrecht erhalten worden durch die Kreis-
ordnung v. 13. Dezember 1872 §. 6 und §. 18 und durch die Provinzialord-
nung vom 29. Juni 1875 (Geſ.S. S. 335) §. 5. 107. — Ein Erkenntn. des
Badiſchen Verwaltungsgerichtshofes v. 25. Okt. 1879 führt aus, daß in Baden
die penſionirten Offiziere ꝛc. von den Gemeindeſteuern nicht befreit ſind.
v. 13. Juni 1871 Art. 15 Abſ. 3. Badiſche Konv. Art. 15 Abſ. 3.
beamtengeſetz §. 19 Abſ. 2. (R.G.Bl. 1873 S. 64.)
Landwehr-Bezirks-Kommandeur ertheilt. Wehr-Ordn. I §. 79 Ziff. 3 Abſ. 2.
Kab.Ordre v. 26. Aug. 1871. (A.V.Bl. S. 265 und Marine-V.Bl. S. 115.)
die V. v. 6. Febr. 1873 §. 38 fg.
O. S. 286 fg.).
1873. Sämmtlich bei v. Helldorff a. a. O. S. 290 ff. Für Bayern vgl.
die Verordn. v. 14. Dezemb. 1872 §. 1. 12. 13. (Bayer. Mil.V.Bl. S.532 fg.)
ohne erlangte Genehmigung nicht als „Widerſetzung gegen einen rechtmäßigen
Befehl in dienſtlichen Angelegenheiten“ anſehen kann. Die entgegengeſetzte
Anſicht findet ſich in: „Die Militairgeſetze des Deutſchen Reichs“ II. 51.
22. Juni 1852. Vgl. v. Helldorff a. a. O. S. 285 fg.
des Preuß. Privatr. II S. 436.
in das Reichsgeſetz hat der Reichstag abgelehnt. Vgl. Mandry a. a. O. S. 66.
dadurch „eine überlebte Spezialität des Preuß. Militairrechts, Allg. Ldr. II,
10 §§. 27 ff.“, beſeitigt werden; es ſind ferner aufgehoben die Beſtimmungen
des Röm. Rechts, welche ähnliche Beſchränkungen enthalten, ſoferne dieſelben
überhaupt noch partikularrechtlich in Geltung geweſen ſind. Vgl. Mandry
a. a. O. S. 65. 66.
zeß-Ordnung. Siehe oben S. 260 ff.
1875 Sp. 1485. Die zahlreichen Verſchiedenheiten der Deutſchen Partikular-
rechte hinſichtlich des materiellen Teſtaments-Erbrechts ſind ſelbſtverſtänd-
lich unberührt geblieben; nur die Privilegien der Soldaten ſind beſeitigt.
Eine Abhülfe der hieraus möglicher Weiſe entſtehenden Uebelſtände kann erſt
das Reichscivilgeſetzbuch bringen.
tende Unfähigkeit des Teſtators zur Errichtung einer anderweiten letztwilligen
Verordnung. §. 44 cit. Ziff. 5 Abſ. 2.
der Kürze wegen verwieſen wird, findet ſich bei Mandry a. a. S. 418 bis
425. Vgl. auch Roth Bayr. Civilr. III §. 304 S. 278 fg.
vertretung nicht übertragen werden. R.G. v. 6. Febr. 1875 §. 3 Abſ. 3.
beamte, in deſſen Bezirk einer der Verlobten ſeinen bisherigen Wohnſitz oder
ſeinen gewöhnlichen Aufenthaltsort gehabt hat, und wenn ein Wohnſitz oder
gewöhnlicher Aufenthaltsort derſelben im Inlande nicht bekannt iſt, der Stan-
desbeamte, in deſſen Bezirk einer der Verlobten geboren iſt. Verordn. §. 11.
läutert. Berlin 1874. Seydel in Hirth’s Annalen 1875 S. 53 fg. Neu-
mann das Militair-Penſionsgeſetz erläutert. 2. Aufl. Berlin 1878. Vogel
die Penſionsgeſetze für das Reichsheer und die Marine. Bonn 1876.
und konnte deshalb bis zum Erlaß des Reichsgeſetzes durch Allerhöchſte Kabinets-
Ordres verändert werden. Eine überſichtliche Zuſammenſtellung derſelben, ſoweit
ſie noch von praktiſchem Intereſſe ſind, findet ſich in „Militairgeſetze des
Deutſchen Reichs.“ II. Band. Abſchn. V S. 143 ff.
des Preuß. Fiskus geworden, materiell ſind ſie aus der Kaſſe des Nordd.
Bundes reſp. des Deutſchen Reiches erfüllt worden.
Abſ. 2. Baden Art. 17 Abſ. 3. Oldenburg Art. 20 Abſ. 3 Thürin-
gen Art. 15. Anhalt Art. 15. Waldeck Art. 8. Lübeck Art. 16.
Hamburg §. 31. Bremen §. 39.
Abſ. 2 und Schlußprotok. V.Baden Art. 17 Abſ. 1, 2 und Schlußprotok.
Art. 9. Oldenburg Art. 20 und Schlußprot. Art. 1. Thüring. Staa-
ten (v. 1867) Art. 9. Anhalt (1867) Art. 9. Schwarzburg (1867)
Art. 7 Abſ. 3 und 4. Lippe-Detmold (1867) Art. 7. Schaumburg-
Lippe (1867) Art. 7. Lübeck §. 17—19. Hamburg §. 26 ff. Bremen
§. 34 ff.
oberen Militairbeamte. Bundesgeſ. v. 3. März 1870 (B.G.Bl. S. 39) für die
Perſonen der Unterklaſſen. Beide Geſetze ſind zu Reichsgeſetzen erklärt worden
in Baden und Heſſen ſowie in Württemberg durch die Verfaſſungsbündniſſe,
in Bayern durch Reichsgeſ. v. 22. April 1871 §. 2. I. 4 u. 11.
28. Mai 1868 ergangen, welches ſich an die Preuß. Geſetze v. 6. Juli 1865
und 9. Febr. 1867 anſchloß.
ſionsgeſetz citirt.
rath hat zu den beiden Penſionsgeſetzen auf Grund des Art. 7 Ziff. 2 der
R.V. Ausführungsbeſtimmungen beſchloſſen, welche durch Bekanntmachung v.
22. Febr. 1875 im Centralbl. des D. R. 1875 S. 142 ff. veröffentlicht worden
ſind. Die Frage, ob das Bayern zuſtehende Sonderrecht in Militair-Ange-
legenheiten ſich auch auf den Erlaß beſonderer Ausführungsbeſtimmungen zum
Penſionsgeſetz erſtrecke, iſt im Bundesrath verhandelt und durch einen aus-
drücklichen Beſchluß verneinend entſchieden worden. Protokolle des
Bundesrathes 1875 §. 124.
Nov. v. 4. Apr. 1874 §. 17.
im Falle der Bedürftigkeit eine Penſion entweder auf beſtimmte Zeit
oder lebenslänglich bewilligt werden. Penſ.Geſ. §. 5. §. 9 Abſ. 3 u. §. 110.
von der Tendenz ausgegangen iſt, für die Penſionirung der Offiziere im All-
gemeinen dieſelben Grundſätze wie für die Penſionirung der Reichsbeamten
zur Anerkennung zu bringen. Vgl. Motive zum Penſionsgeſ. S. 30. 32.
(Druckſ. des Reichtstages. 1871. I. Seſſ. Nro. 96.)
erforderlich, daß die Beſchädigung durch den Militairdienſt erfolgt iſt; es ge-
nügt, daß ſie im aktiven Dienſt während Ausübung einer dienſtlichen Hand-
lung erlitten worden iſt. Beſchluß des Bundesrathes v. 5. Dez. 1874. Erl.
des Preuß. Kriegsminiſt. v. 20. Januar 1875.
[...]ßeren von der inneren Dienſtbeſchädigung wird durch die Entſtehungs-
[...]ache bedingt, inſofern alle durch von außen kommende mechaniſche Ein-
[...]ungen (Verwundung, Stoß, Schlag, Sturz u. a.) entſtandene Leiden ſelbſt
ſundheit und Erwerbsfähigkeit.“
offiziere, da nur für dieſe der Militairdienſt Erwerbsquelle iſt; das Reichs-
geſetz hat aber in dieſer Hinſicht die Offiziere des Beurlaubtenſtandes denſelben
ganz gleichgeſtellt. In Folge dieſer Beſtimmung kann es vorkommen, daß ein
Reſerve- oder Landwehroffizier, der während der Einberufung zum Dienſt eine
Dienſtbeſchädigung erleidet, die ihn dienſtunfähig macht, ſeine Erwerbsfähigkeit
aber gar nicht beeinträchtigt, einen doppelten Vortheil hat; er wird frei von
der ferneren Erfüllung der Wehrpflicht und er erhält überdies eine lebensläng-
liche Rente, wenn er dagegen z. Z. der Beſchädigung noch Unteroffizier ge-
weſen wäre, ſo würde er keinen Penſionsanſpruch haben. Die Motive zum
Penſ.Geſ. S. 31 ſprechen zwar ganz richtig aus, daß Offiziere des Beurlaubten-
ſtandes nur dann Anſpruch auf Penſion haben, wenn ſie eine Beſchädigung im
Militairdienſt und als Folge derſelben Nachtheile in ihren Erwerbs-
verhältniſſen erleiden; in dem Geſetze aber iſt dieſe Vorausſetzung
des Penſionsanſpruches für Offiziere nicht gefordert.
liche Anſtrengungen, Anſteckung hervorgerufene Uebel zu der letzteren gerechnet
werden.“ Dienſtanweiſ. v. 8. April 1877 §. 20 Ziff. 3.
tairgeſetze des Deutſchen Reichs. Bd. II. Abth. V S. 90 ff. Weder im Armee-
V.Bl. noch im Centralblatt des D. R. iſt dieſes Reglement bekannt gemacht
worden.
dieſe Beſtimmung ebenfalls Anwendung. Vgl. Erl. des Preuß. Kriegsminiſt.
v. 24. April 1872. (Militairgeſetze u. ſ. w. Bd. II. Abth. V S. 6.)
wieder völlig erwerbsfähig, jedoch nicht felddienſtfähig werden, ſo verbleibt
ihnen die einmal zugebilligte Penſion. — Die ſehr unklare Faſſung des Ge-
ſetzes wird mit Recht von Seydel in Hirth’s Annalen 1875 S. 74 getadelt.
ſelbe nur ein Surrogat der Penſion, eine andere Form der Alimentenreichung, iſt.
Recht an.
mungen zur Anwendung wie für die Offiziere. Penſ.Geſ. §. 60.
ſteigender Stellung zur Dispoſition wird mit angerechnet. Bei den Offizieren ꝛc.
des Beurlaubtenſtandes kommt nur die Zeit in Anrechnung, in welcher ſie
aktiven Militairdienſt geleiſtet haben. Die Theilnahme an Kontrolverſamm-
lungen kommt nicht in Anſatz. Penſ.Geſ. §. 18. 19.
den Staates verbrachte Zeit anzurechnen iſt, hängt ebenfalls von der Genehmi-
gung der oberſten Militairverwaltungsbehörde des Kontingentes ab. Penſ.-
Geſ. §. 25.
des Feſtungsarreſtes mit Genehmigung des Kontingentsherrn, die Zeit der
Kriegsgefangenſchaft mit Genehmigung des Kaiſers angerechnet werden. eod.
Abſ. 2. Dieſe Genehmigung iſt hinſichtlich der während des Krieges von
1870/71 in Franzöſ. Kriegsgefangenſchaft gerathenen Militairperſonen ertheilt
worden durch die Kab.Ordre v. 18. Mai 1871 (A.V.Bl. S. 113).
Gründe für dieſe Begünſtigung die Motive zum Penſionsgeſ. S. 42 fg.
zug“ anzuſehen iſt und ob bei größeren Kriegen mehrere Kriegsjahre in An-
rechnung kommen ſollen, wird in jedem einzelnen Falle durch Kaiſerl. Anord-
nung beſtimmt. Für die Vergangenheit ſind die in den einzelnen Bundes-
offiziere und Hauptleute I. Kl. mit geringerem als dem Normalgehalt Penſ.-
Geſ. §. 47 Abſ. 3; ferner für die Zeug- Feuerwerks- und Traindepot-Offiziere
Nov. v. 4. April 1874 §. 6. Vgl. die Motive zur Novelle S. 9. (Druckſ. I
Seſſ. 1874 Nro. 10.)
S. 166.) — Vgl. hierzu die Motive zum Penſ.Geſ. S. 33. (Druckſ. I Geſſ.
1871 Nro. 96.)
(Armee-V.Bl. S. 130) enthält ein Verzeichniß der zu jeder dieſer 4 Chargen
ſammenſtellung der Preußiſchen Erlaſſe über die einzelnen Kriege findet ſich
in den Militairgeſetzen Bd. 2. V, 17.
tem zehnten Dienſtjahre wegen einer Dienſtbeſchädigung erfolgt. Penſ.-
Geſ. §. 9 Abſ. 3.
berechnete Nachweiſung der Penſionsſätze für die einzelnen Chargen der Offi-
ziere nach den Dienſtjahren iſt vom Preuß. Kriegsminiſt. am 7. Dezemb. 1874
veröffentlicht worden. Armee-V.Bl. 1874 S. 252.
Bayr. Mil.V.Bl. 1874 S. 256 fg. 1878 S. 523.
ſion, welche ihnen etwa nach Maßgabe derjenigen Vorſchriften, nach denen ſie
penſionirt worden ſind, zuſteht. Dies kann namentlich bei den nach dem Preuß.
Regl. v. 13. Juni 1825 penſionirten Offizieren der Fall ſein. Vgl. Erl. des
Preuß. Kriegsminiſt. v. 26. Sept. 1871. (Milit.Geſetze Bd. 2 Abth. V S. 15
Ziff. 2.)
beamtengeſetz für die Bayeriſchen Militairbeamten nicht gilt. Siehe Bd. I
S. 399.
macher im §. 89 daſ. ſind durch das Reichsbeamtengeſetz aufgehoben.
ꝛc. ꝛc. über die Invalidenhäuſer und Invalidenkompagnien ſind zuſammenge-
ſtellt bei v. Helldorff Dienſtvorſchriften Th. I Abth. 5 S. 217—230.
„Penſions-Erhöhungen“, rückſichtlich der Perſonen der Unterklaſſen des
Ausdrucks „Penſions-Zulagen.“ Das Reichsgeſetz beruht im Weſentlichen
auf den oben S. 275 angeführten Preußiſchen Geſetzen. Die Abweichungen
ſind zuſammengeſtellt und begründet in den Motiven (Druckſ. I Seſſ. 1871
Nro. 96) S. 34 ff.
weniger jährlich 250 Thlr., bei einer Penſion von 900 Thlr. und mehr jähr-
lich 100 Thlr. Zwiſchen dieſen Gränzen iſt ſie abgeſtuft.
Zuſammenhange mit dem Feldzuge ſtehe. „Dieſer Zuſammenhang iſt dann vor-
handen, wenn entweder das die Dienſtunbrauchbarkeit bedingende Leiden durch
den Krieg erſt hervorgerufen, oder wenn ein vor dem Feldzuge vorhandenes
geringeres Leiden, welches nach ärztlichem Ermeſſen im Friedensdienſte voraus-
ſichtlich in längerer Zeit noch nicht dienſtunbrauchbar gemacht haben würde,
durch den Krieg nachweisbar bis zur Invalidität geſteigert worden iſt.“ Dienſt-
anweiſung zur Beurtheilung der Milit.-Dienſtfähigkeit ꝛc. v. 8. April 1877
§. 25 Abſ. 2.
beſtimmungen in §. 81 ff. des Penſ.Geſ. und §. 13 der Novelle
zur Anwendung. (Siehe unten sub V S. 303 fg.)
gungen, für welche Verſtümmelungszulagen gewährt werden, aufgeführt.
Anwendung, welche für die Unteroffiziere gelten.
oberen, die in §. 93 genannten den unteren Militairbeamten gleich-
geſtellt.
iſt ebendaſ. auf 6 Monate beſtimmt worden. Ueber die rückwirkende Kraft
dieſer Vorſchriften vgl. §. 20 deſſelben Geſetzes. Der Grund dieſer Anordnung
liegt in der großen Zahl von Kriegs-Invaliden, für welche eine genügende
Menge von ihnen zugänglichen Civilſtellen nicht vorhanden geweſen iſt. Vgl.
die Motive S. 11 fg. (Druckſ. des Reichstags I Seſſ. 1874 Bd. I Nro. 10.)
§. 76 des Penſ.Geſetzes abgeändert worden.
lungszulagen bleibt davon unberührt.
übertragen. Sie iſt ergangen in dem Erlaß v. 19. Novemb. 1878 (R.G.Bl.
S. 361). Die Auszeichnung muß in den ſeit 1866 mit Preußen verbundenen
Landestheilen vor deren Vereinigung, in den übrigen Bundesſtaaten vor dem
Kriege v. 1870/71 verliehen worden ſein.
Vgl. hierzu die Kabin.Ordres v. 13. Dezemb. 1835 und v. 21. Sept. 1843
und das Miniſt.Reſcr. v. 27. Juli 1870. (bei v. Helldorff, Dienſtvorſchrif-
ten I. Th. 5. Abth. S. 57 fg.)
1873 (v. Helldorff a. a. O. S. 60).
Es ſind nach dem durch Kabin.Ordre v. 27. Januar 1872 genehmigten Ver-
zeichniß 132. Vgl. den Kommiſſionsbericht des Reichstags v. 13. Mai 1871.
(Druckſachen 1871 I. Seſſ. Nro. 112) S. 13 fg.
tung und dem Kriegsminiſt. vereinbarten und durch Kabin.Ordre v. 13. Mai
1862 genehmigten Reglement. Abgedruckt bei v. Helldorff a. a. O. S. 60 fg.
Vgl. auch die Allgem. Poſt-Dienſt-Anweiſ. Abſchn. X Abth. 1. (Bd. IV) §§. 29 ff.
Siehe oben Bd. II S. 358.
ſchädigung oder nach einer Dienſtzeit von mindeſtens 8 Jahren eingetreten iſt.
Penſ.Geſ. §. 58 Abſ. 1.
der 12jährigen Dienſtzeit eine Doppelrechnung der Kriegsjahre nicht ſtattfindet.
jähriger Dienſtzeit zugleich Halbinvalide, ſo empfängt er neben dem Civilver-
ſorgungsſchein noch die Invalidenpenſion 5. Kl. Die Rechte aus §. 70 des
Penſ.Geſ. und aus §. 10 der Nov. ſtehen in cumulativer Verbindung. Vgl.
den Erlaß des Preuß. Kriegsmin. v. 6. Aug. 1874 (Mil.Geſetze a. a. O. S. 51).
oben S. 292.
ordnung nicht. Regl. v. 20. Juni 1867 §. 11 und dazu Reſcr. des Miniſt.
des Innern v. 7. Juni 1869 (Min. Bl. f. die innere Verw. 1869 S. 193.
Mil.Geſ. a. a. O. S. 205).
daß in dem beſtehenden Konkurrenzverhältniſſe zwiſchen den
Invaliden und den übrigen Militair-Anwärtern durch dieſe Vorſchrift keine
Aenderung eintritt.
M.Bl. S. 228 abgedruckt. Die beſte und überſichtlichſte Ausgabe mit allen
Nachträgen und Erläuterungen, ſowie mit Auszügen und den Motiven findet
ſich in den „Milit.Geſetzen“ a. a. O. S. 183—234. Eine ähnliche Bearbeitung
bei v. Helldorff, Dienſtvorſchriften I, 5 S. 255 ff.
1869 S. 194. Milit.Geſ. a. a. O. S. 234.
dere ergangen im Königr. Sachſen ein Reglem. v. 13. Aug. 1870 (Geſ. u.
V.Bl. f. d. Königr. Sachſen S. 288); im Großh. Baden die Verordn. v.
6. Dezemb. 1872 (Geſ. und Ver.-Bl. S. 393); im Großh. Heſſen die Ver-
ordn. v. 25. April 1873 (RegierungsBl. Nro. 21). Vgl. Milit.Geſ. a. a. O.
S. 181; für Elſaß-Lothringen die Kaiſerl. Verordn. v. 26. Januar
1878 (Armee-V. Bl. S. 61).
trag V. 238. Note).
S. 219.) Es iſt hierdurch jedoch nicht ausgeſchloſſen, daß in jedem Bundes-
ſtaate die eigenen Angehörigen deſſelben oder ſeines Kontingents vorzugsweiſe
berückſichtigt werden. Beſchlüſſe des Bundesrathes v. 1869. I. 4
Abſ. 2. Vgl. die citirte Badiſche Verordn. §. 4 a. E. Verordn. f. Elſ.-
Lothringen §. 1 Abſ. 1.
geführt worden durch eine Kab.Ordre v. 15. Juli 1776. Sie iſt durch den
§. 157 der Städte-Ordn. v. 19. Nov. 1808 unberührt geblieben, was durch
eine Deklaration v. 29. Mai 1820 (Geſetz-Samml. S. 79) ausdrücklich feſtge-
ſtellt worden iſt. Durch die ſpäteren Städteordnungen iſt hieran Nichts ge-
ändert worden. In den neu erworbenen Gebieten iſt durch Allerh. Erlaß v.
22. Sept. 1867 (Geſ.Samml. S. 1667) das in den ältern Provinzen beſtehende
Recht zur Einführung gelangt. Vgl. die ausführlichen Angaben in den „Mil.-
Geſetzen“ a. a. O. S. 202 fg.
Ordn. v. 29. Juni 1875 §. 97.
vom Preuß. Kriegsmin. am 4. April 1878 im Armee-V.Bl. 1878 S. 94 ver-
öffentlicht worden.
migt durch Kab.Ordre v. 22. Dez. 1837 (abgedruckt in Kamptz Annalen Bd.
XXII S. 3 Mil.Geſ. a. a. O. S. 203). Preuß. Reglem. §. 12.
zelnen Reſſorts hierüber ergangenen Anordnungen gibt v. Helldorff Dienſt-
vorſchriften Th. I Abth. 5 S. 291—422.
§. 4 des Preuß. Regl. abgeändert worden. Dieſelben Vorſchriften ſind auch
in andern deutſchen Staaten, z. B. in Sachſen, Heſſen, Elſaß-Lothringen (§. 1
der cit. Verordn.) eingeführt worden.
Regl. §. 27 ff.; über die Fortzahlung des Militaireinkommens der in Reih
und Glied befindlichen und zur Probedienſtleiſtung abkommandirten Militair-
anwärter gelten die Vorſchriften des Geldverpfl. Regl. f. den Frie-
den v. 24. Mai 1877 §. 39.
Zahl der mit Militairanwärtern beſetzten Stellen mitgetheilt. Beſchl. des Bun-
desrathes v. 1869 Ziff. 9 (A.V.Bl. S. 194).
Sie ſind in den meiſten Staaten Norddeutſchlands ebenfalls eingeführt. (Vgl.
die Nachweiſungen in den „Milit.Geſetzen“ a. a. O. S. 213.) Ebenſo im
Großh. Heſſen. Für Elſaß-Lothringen vgl. die oben cit. Verordn. v. 26. Ja-
nuar 1878 §. 4.
die Kaiſerl. Admiralität. Penſ.Geſ. §. 55.
feſtgeſetzte Friſt innegehalten werden. Siehe oben S. 290.
jedem Lebensalter erforderlich. Penſ.Geſ. §. 28 Abſ. 2. Das Geſetz ſagt
fälſchlich: „Dienſtalter.“ Vgl. über die Veranlaſſung dieſes Redactions-Ver-
ſehens Seydel in Hirth’s Annalen 1875 Sp. 65 Note 4.
geſchrieben in den Ausführungsbeſtimmungen des Preuß. Kriegs-
miniſt. v. 18. Aug. 1871 Ziff. 5. (A.V.Bl. 1871 S. 227.)
Preuß. Armeeverwaltung ergangen in der Dienſtanweiſung zur Beur-
ziere. Vgl. Motive S. 48.
zwei Fällen, nämlich beim Tode des Penſionairs und bei einer gerichtlichen
Verurtheilung deſſelben zum Penſionsverluſt. Der erſte dieſer Fälle iſt ſelbſt-
verſtändlich und ſeine Erwähnung im Geſetz überflüſſig, der zweite kann nicht
mehr vorkommen, da die beiden Reichs-Strafgeſetzbücher die Strafe der Ent-
ziehung einer bereits zugebilligten Penſion nicht kennen.
volle Militairpenſion wieder gewährt, d. h. auf den Militairetat übernommen.
Abth. V S. 90 ff.), insbeſondere §§. 40 ff. Für die Offiziere des Beurlaub-
tenſtandes kommt ferner noch in Betracht der Erlaß des Preuß. Kriegsmin.
v. 8. April 1872 (A.V.Bl. S. 138 und Mil.Geſ. a. a. O. S. 21 Note 2).
Garde-Landwehr-Bataillons-Stämmen, oder als Platzmajors, Führer der
Strafabtheilungen, Vorſtände der Handwerksſtätten, Etappeninſpektoren, oder
in der Militair- und Marine-Verwaltung.
Abſ. 1 und 2. In dieſen Fällen iſt es auch nicht erforderlich, daß die Dienſt-
beſchädigung vor der Entlaſſung aus dem aktiven Dienſte durch dienſtliche Er-
hebungen feſtgeſtellt worden iſt Penſ.Geſ. §. 83. Vgl. die Motive zur
Novelle S. 13. 14. (Druckſ. I Seſſ. 1874 Nro. 10.)
anzumelden. Inſtr. v. 26. Juni 1877 §. 24 fg.
§. 6 ff. Der Militairarzt darf die Unterſuchung nicht auf Verlangen des Be-
ſchädigten, ſondern nur auf Befehl ſeines Militair-Vorgeſetzten vornehmen.
26. Juni 1877 §. 35 ff. — Bei den der Flotte angehörenden Perſonen treten
ſelbſtverſtändlich die Marinebehörden an die Stelle der Generalkommando’s
und Kriegsminiſterien.
beigegebenen Militairarzt in Gegenwart des Militairvorſitzenden vollzogen.
Ueber das Verfahren vgl. Inſtrukt. v. 26. Juni 1877 §. 66.
Zahlung angewieſen iſt, ein Penſions-Quittungsbuch, für welches
das Schema vom Bundesrath feſtgeſtellt worden iſt. Das z. Z. geltende
v. 9. Mai 1872 (Milit.Geſetze Bd. II Abth. 5 S. 68 Ziff. 5).
Dienſt erzeugten Körperſchäden hat auf die einmal feſtgeſtellten Penſionsan-
ſprüche keinen Einfluß. Vgl. Nov. v. 1874 §. 13 Abſ. 3.
ſind hierunter nur die in den §§. 71 und 72 aufgeführten Zulagen zu ver-
ſtehen, nicht die Dienſtzulage des §. 74. Siehe oben S. 289 fg.
einflußlos und auch bei der Aufnahme des Invaliden in ein Militair-Kurhaus
kann die Penſion ganz oder theilweiſe zur Erhaltung ſeiner Familie fortge-
zahlt werden.
der Penſion neben dem Civileinkommen innerhalb eines Kalenderjahres den
Geſammtbetrag für 6 Monate nicht überſteigen. ebendaſ. §. 104. 105.
blatt f. das D. R. 1877 S. 252.
invalide, welche an Statt des Civilverſorgungsſcheines die Anſtellungs-Ent-
ſchädigung gewählt haben, dann aber doch eine Stelle im Civildienſt erhalten
haben, beziehen dieſe Entſchädigung fort (Nov. §. 11), denn dieſelbe iſt eine
Entſchädigung für den Verzicht auf das Anſtellungsrecht; Friedensinvalide
dagegen, welche auf Grund des Penſ.Geſ. §. 76 Abſ. 3 und Nov. §. 12 ſtatt
des Verſorgungsſcheins eine Penſionszulage erhalten, weil ſie z. Z. der Pen-
ſionirung zu keinerlei Verwendung im Civildienſt tauglich waren, die ſpäter
aber doch eine Civilanſtellung finden, beziehen dieſe Zulage nicht weiter fort.
Erl. des Preuß. Kriegsm. v. 24. Juli 1876. (Mil.Geſ. II Abth. 5 S. 56.)
Abth. 5 S. 72 Ziff. 5.)
Paragraphen aufheben und durch eine Beſtimmung von erheblich weiterem
Umfange erſetzen. Vgl. über die aus der mißglückten Faſſung des §. 106 her-
vorgehenden Zweifel und Mißſtände die Motive zum Geſetzentw. v. 5. Febr.
1874 S. 17 fg. (Druckſachen des Reichstages I Seſſ. 1874 Nro. 10.) Die
Kommiſſion des Reichstages hielt aber den Abänderungs-Vorſchlag im Inte-
reſſe der Invaliden für bedenklich; vgl. den Kommiſſionsbericht S. 8.
(Druckſachen I Seſſ. 1874 Nro. 88); und der Reichstag verwarf ſowohl den
Antrag der Regierung als auch einen beſchränkteren Antrag der Kommiſſion.
(Stenogr. Berichte S. 632 ff.)
auf 400 Thlr. erhöht worden durch §. 15 Abſ. 2 der Nov. v. 4. April 1874;
dieſe Beſtimmung findet aber nur auf ſolche Perſonen Anwendung, welche nach
dem Inkrafttreten dieſes Geſetzes aus dem aktiven Militairdienſt ausſcheiden.
§. 22 eod.
ziehen hat, ſo wird das Quittungsbuch ihm von ſeiner Dienſtbehörde wieder ab-
gefordert und aufbewahrt.
zu verſtehen. Erk. des oberſt. Gerichtshofes zu München v. 12. Juli 1875
(Hauſers Zeitſchrift f. Reichs- und Landesrecht III S. 302).
der Militairbeamten Anwendung. Penſ.Geſ. §. 56. 94.
währenden Beihülfen feſtgeſetzt. Zu den Anordnungen der §§. 94 ff. ſind vom
Preuß. Kriegs- und Marineminiſter in Gemeinſchaft mit dem Miniſter des
Innern und dem Finanzminiſter Ausführungsbeſtimmungen v.
18. Oktob. 1871 ergangen. Sie ſind gedruckt im A.V.Bl. 1871 S. 292 u. in
den „Militair-Geſetzen“ Bd. II Abth. 5 S. 135.
ſpruch auf die eigentliche Penſion auf Grund des Reichsbeamtengeſetzes und
im aktiven Dienſt ſich befindet, ſo erhalten die Hinterbliebenen das Gna-
dengehalt. Geldverpfl.Regl. §. 22, vgl. oben S. 227 und über Kapi-
tulanten S. 243.
Begriff der endgültigen Adminiſtrativ-Entſcheidung vgl. das Urth. des Reichs-
oberhandelsgerichts v. 21. Febr. 1879. Entſcheidungen Bd. XXIV S. 411 fg.
und Kindererziehungs-Beihülfe auf Grund des Militairpenſionsgeſetzes.
Stelle des Landesfiskus der Preußiſche Fiskus, deſſen Vertretung dem Preuß.
Kriegsminiſterium obliegt. In Elſaß-Lothringen beſtimmt ſich die Paſſivlegiti-
mation und Prozeßvertretung nach dem Kontingent, zu welchem der Truppen-
theil gehört, in dem die Militairdienſte geleiſtet worden ſind, reſp. nach dem
Kontingentsherrn, zu welchem der Offizier, Militairbeamte u. ſ. w. in einem
Militair-Dienſtverhältniß geſtanden hat.
die Perſonalhoheit, bei den Militairlaſten die Territorialhoheit zur Geltung
kömmt, denn die Wehrpflicht beruht auf der Rechtsmacht des Reiches über die
ihm angehörigen Perſonen, die Militairlaſt auf der Rechtsmacht des Reiches
über das im Bundesgebiet befindliche Vermögen. Ein ſolcher Gedanke ſcheint
dem §. 1 des Kriegsleiſtungsgeſetzes zu Grunde zu liegen, welcher die Ver-
pflichtung zu Kriegsleiſtungen als „eine Verpflichtung des Bundes-
gebiets“ erklärt. Der Berichterſtatter des Reichstages ſagte, dieſe Faſſung
ſei gewählt worden, „um klar auszudrücken, daß das Bundesgebiet das
in erſter Linie zu den Kriegsleiſtungen verpflichtete Subjekt ſei.“ Stenogr.
Berichte 1873 S. 573. Das iſt nun freilich ſehr unjuriſtiſch; denn das
Bundesgebiet iſt kein Subjekt und kann nicht „verpflichtet“ ſein.
Es iſt vielmehr ein an ſich richtiger, aber nicht zu bewußter Erkenntniß ge-
kommener Gedanke in den citirten Worten des §. 1 ſehr unklar ausgedrückt
worden.
vorübergehende Gewährung von Naturalquartier an mobile Truppen, kein Er-
ſatz gewährt wird, ſind ausdrücklich als Abweichungen von der Regel aner-
kannt und beſtätigen daher die letztere.
Bd. 52 S. 169 ff.
des Trains. Da dieſelbe bei Rückführung der Armee auf den Friedenszuſtand
nicht beibehalten werden kann, ſo ergiebt ſich die Nothwendigkeit, im Frieden
Vorſpann in Anſpruch zu nehmen. Ferner iſt zu erwähnen, die Benutzung
von Grundſtücken für Truppenübungen.
den Einzelſtaaten, ſondern dem Reiche gewährt wird, theils weil der Kaiſer
das Dislokationsrecht hat, theils weil die Herſtellung von Kaſernen nach Maß-
gabe des Reichsetats, alſo gemäß den Willensentſchlüſſen des Reiches geſchieht.
Nur Bayern nimmt in dieſer Hinſicht eine Sonderſtellung ein.
welcher Fiskus das Subjekt der Entſchädigungspflicht iſt. Im §. 14 wird
nur angeordnet, daß die Leiſtungen „aus Militairfonds“ vergütet werden.
Grund des Art. 61 der Verfaſſung zunächſt die älteren Preuß. Beſtimmungen
durch V. v. 7. November 1867 im ganzen Bundesgebiete eingeführt worden
waren (B.G.Bl. 1867 S. 125), ſind dieſelben beſeitigt reſp. erſetzt worden durch
folgende zwei Geſetze:
1. Geſetz, betreffend die Quartierleiſtung für die be-
waffnete Macht während des Friedenszuſtandes, vom 25. Juni
1868. B.G.Bl. 1868 S. 523. (Entwurf mit Motiven in den Druckſachen
des Reichstages v. 1868 Nr. 34. Kommiſſionsbericht ebendaſ. Nr. 90.
Verhandlungen des Reichstages in den Stenogr. Berichten S. 92. 125. 271 fg.
461 fg. 573.) Dieſes Geſetz wurde eingeführt in Südheſſen auf Grund
der Militair-Konvention v. 7. April 1867 durch ein Landesgeſetz v. 11. Aug.
1869 (Heſſ. Regierungs-Bl. 1869 S. 617). Die Erklärung deſſelben zum
Reichsgeſetz iſt verabſäumt worden. Die Einführung des Quartierleiſtungs-
geſetzes iſt ferner erfolgt: in Baden durch Reichsgeſ. v. 22. Nov. 1871
(R.G.Bl. 1871 S. 400); in Elſaß-Lothringen durch Geſetz v. 14. Juli
1871 (Geſetzbl. f. Elſ.-Lothringen 1871 S. 187. Die Publikation dieſes Ge-
ſetzes im Reichsgeſetzblatt iſt verabſäumt worden. Vgl. hierzu Bd. II S. 136 fg.);
abgeändert durch Geſ. v. 13. Januar 1872 (Geſetzbl. f. E.-L. 1872 S. 60);
in Württemberg durch Reichsgeſ. v. 9. Febr. 1875 (R.G Bl. 1875 S. 48);
in Bayern durch Reichsgeſ. v. 9. Febr. 1875. (R.G.Bl. S. 41.) Alle dieſe
Geſetze ſind hinſichtlich des Servistarifs und der Klaſſen-Eintheilung der Orte
abgeändert worden durch das Reichsgeſetz vom 3. Auguſt 1878 (R.G.Bl.
S. 243 fg.).
Zum Quartierleiſtungsgeſetz iſt auf Grund des §. 20 deſſelben vom Bun-
despräſidium eine Ausführungs-Inſtruktion vom 31. Dez. 1868
(Bundesgeſetzbl. 1869 S. 1) erlaſſen und §. 15 derſelben durch Erl. v. 3. Sept.
1870 (B.G.Bl. 1870 S. 514) abgeändert worden. Dieſe Ausführungs-Inſtruk-
tion iſt in den ſüddeutſchen Staaten reſp. Gebieten gleichzeitig mit dem Quar-
tierleiſtungs-Geſetz in Kraft getreten. In Bayern iſt der Erl. der Ausfüh-
rungs-Beſtimmungen durch §. 3 des Geſ. v. 9. Febr. 1875 dem Könige über-
tragen; dieſe Königl. Bayr. Verordn. iſt am 8. Juli 1875 ergangen und im
Bayer. Geſetz- und Verordnungsbl. S. 513 publizirt worden. Sie wiederholt
bis auf ganz geringfügige Abweichungen die Inſtrukt. v. 31. Dezemb. 1868.
Eine Zuſammenſtellung der Abweichungen findet man in den „Militairgeſetzen ꝛc.“
Bd. II Abth. 3 S. 69. 79.
2. Geſetz über die Naturalleiſtungen für die bewaff-
nete Macht im Frieden, vom 13. Febr. 1875. R. G. Bl. S. 52.
(Entw. mit Motiven Druckſ. des Reichst. II Seſſ. 1874/5 Nro. 23; Kom-
miſſionsbericht ebendaſ. Nro. 141. Verhandlungen Stenogr. Be-
ſatz zu den Chargenpferden der Offiziere und den im Privateigenthum der
Offiziere ſtehenden Pferden. (Stenogr. Berichte 1868 S. 463.)
dieſes Geſetzes ſind Ausführungsbeſtimmungen zu demſelben er-
laſſen worden für das geſammte Bundesgebiet, excl. Bayern’s, durch Kaiſerl.
Verordn. v. 2. September 1875 (R.G.Bl. S. 261) und im Weſentlichen
gleichlautend für Bayern durch Königl. Verordn. v. 28. Septemb. 1875
(Bayr. Geſetz- und Verordn.Bl. S. 579). Eine Abänderung haben dieſelben
erfahren durch die Kaiſerl. Verordn. v. 11. Juli 1878 (R.G.Bl. S. 229)
beziehentl. durch die Bayer. Verordn. v. 28. Aug. 1878 (Geſetz- und Verordn.-
Bl. S. 409.)
Literatur: Seydel in Hirth’s Annalen 1874 S. 1038 ff. und 1875
S. 1082 ff. Siegfried Reichsgeſ. über die Naturalleiſtungen erläutert
Berlin 1875. v. Helldorff, Dienſtvorſchriften IV, 1. S. 1 ff.
Macht die Truppen des Nordd. Bundes und der mit ihm zu Kriegs-
zwecken verbündeten Staaten zu verſtehen ſeien, bezog ſich auf die
Süddeutſchen Staaten, welche mit dem Nordd. Bunde Schutz- und Trutzbünd-
niſſe geſchloſſen hatten. Vgl. Bd. I S. 35. Durch die Errichtung des Deut-
ſchen Reiches iſt dieſe Anordnung unanwendbar geworden.
Bundes-Geſ.Bl. 1868 S. 530 fg.; hat alſo formelle Geſetzeskraft.
ſicht genommen iſt.
und der Ausf.Inſtr. §§. 7 und 8.
ſtruct. beigelegen hat, iſt aufgehoben und durch ein neues Formular erſetzt
worden, welches eine Beilage zur Ausführungs-Inſtr. zum Naturalleiſt.Geſ.
bildet. (R.G.Bl. 1875 S. 273.)
ſundheit nachtheilig anerkannt ſind, im Bau begriffene Häuſer, feuchte Keller-
wohnungen und andere nicht gehörig geſchützte Räumlichkeiten. Regulativ §. 12.
gefallen laſſen, ſofern dieſelbe nur als Beſchränkung erſcheint d. h. ihm die
Bewohnung und den Gewerbebetrieb nicht unmöglich macht.
Koſten des Reiches muß der Quartierträger dulden.
quartiere vgl. das Regulativ §. 13.
glieder der regierenden Familie befinden; ferner die zu den Standesherrſchaften
der vormals reichsſtändiſchen ꝛc. ꝛc. Häuſer gehörenden Gebäude, ſofern ſie
für immer oder zeitweiſe zum Wohnſitze ihrer Eigenthümer beſtimmt ſind; die
Wohnungen der fremden Geſandten und des Geſandtſchaftsperſonals und unter
Vorausſetzung der Gegenſeitigkeit die Wohnungen der Berufskonſuln fremder
Mächte, falls ſie Angehörige des entſendenden Staates ſind und in ihrem
Wohnorte kein Gewerbe betreiben und keine Grundſtücke beſitzen; diejenigen
Gebäude und Gebäudetheile, welche zu einem öffentlichen Dienſt oder Gebrauch
beſtimmt ſind, und Dienſtlokale der Behörden, der Eiſenbahnen, Univerſitäts-
und andere zum öffentlichen Unterricht beſtimmte Gebäude, Bibliotheken und
Muſeen, Kirchen, Kapellen und andere dem öffentlichen Gottesdienſte gewidmete
Gebäude, Armen-, Waiſen- und Krankenhäuſer, Beſſerungs-, Aufbewahrungs-
und Gefängniß-Anſtalten, Gebäude der milden Stiftungen, welche für deren
Zwecke unmittelbar benutzt werden; endlich neuerbaute oder vom Grunde aus
wieder aufgebaute Gebäude, bis zum Ablauf zweier Kalenderjahre nach dem
Kalenderjahre, in welchem ſie bewohnbar oder nutzbar geworden ſind.
hin geltenden Grundſätze über die Vertheilung in Kraft.
bei der Untervertheilung der garniſonmäßigen Quartierleiſtung die in
dem Kataſter für die einzelnen Gebäude verzeichneten Maximalſätze nicht über-
ſchritten werden. Ausf.Inſtr. §. 8 Abſ. 1.
ſtand den Truppentheil noch vor Beginn des dritten Monats unter Angabe
des neuen Quartierbezirks davon in Kenntniß ſetzen, daß eine ſolche Maßregel
beabſichtigt wird.
vier Wochen ſtatthaft.
B.G.Bl. 1869 S. 17.
iſt die Ausfertigung von Quartierbillets nur erforderlich, wenn auch die Hin-
terſaſſen des Gutes zur Quartierleiſtung herangezogen werden. Der Gutsvor-
ſtand oder deſſen Stellvertreter hat in dieſem Falle die Billete auszufertigen.
Ausf.Inſtr. §. 12.
ment über die Servis-Kompetenz der Truppen im Frieden v. 20. Febr. 1868.
Daſſelbe iſt nebſt allen Abänderungen und Ergänzungen herausgegeben von
v. Helldorff Dienſtvorſchriften Th. IV Abth. 1. S. 83 ff.
aber noch mehrere andere Städte (Altona, Bremen, Dresden, Frankfurt a. M.,
Hamburg, Metz, Mühlhauſen, München, Straßburg, Stuttgart), ſo daß die
übrigen Klaſſen mit den Ziffern I bis V bezeichnet werden.
bei Quartierleiſtungen zum Zwecke der Artillerie-Schießübungen und bei Ein-
quartierungen, welche behufs Abwehr der Rinderpeſt nothwendig werden, ſowie
bei vorübergehenden Quartierleiſtungen (Geſ. §. 2 Ziff. 2), inſoweit
dieſelben die Dauer von 30 Tagen überſteigen. Anhang zur Klaſſeneinthei-
lung. R.G.Bl. 1878 S. 288.
nacht zu Mitternacht zu verſtehen; die Entſchädigung iſt alſo für einen Tag
zu zahlen, wenn die Truppen des Abends anlangen und am nächſten Morgen
wieder ausrücken.
ſtellung der Quartierbillets obliegt. Inſtr. §. 15 Abſ. 4.
Der Inſtruct. ſind die erforderlichen Formulare beigefügt.
rung immer nur gegen den Gemeindevorſtand, nicht gegen die Intendantur
oder den Truppentheil geltend machen.
Perſonen, welchen die privil. minorum zuſtehen, ohne Zulaſſung der in integr.
restitutio.
auch auf die Anſprüche der Gemeinden bezieht, findet ſich in den „Militairge-
ſetzen“ III S. 17, ohne Angabe eines Grundes. Richtig iſt nur, daß eine Ge-
meinde, welche verjährte Entſchädigungsforderungen bezahlt hat, hierfür keinen
Erſatz von der Reichskaſſe zu beanſpruchen hat. Inſofern kömmt daher die
Verjährung des §. 17 allerdings der Reichskaſſe zu Gute. Gegen die Gemein-
den bedarf es auch der kurzen Verjährungsfriſt nicht, da dieſelben im Auf-
ſichtswege zur rechtzeitigen Einreichung ihrer Liquidationen bei den Intendan-
turen angehalten werden können.
chungen von Märſchen, welche vorher beſtimmt ſind. In Kantonnements haben
die Truppen entweder ihre Verpflegung ſelbſt zu beſchaffen oder es werden
ihnen die Verpflegungsgegenſtände aus militairiſchen Magazinen geliefert. Vgl.
die Inſtr. v. 2. Sept. 1875 (R.G.Bl. S. 261) §. 2.
der zu liefernden Nahrungsmittel enthält die Ausf.Inſtr. v. 2. Sept. 1875
§. 2. Die Verabreichung von Brod Seitens des Quartiergebers findet nur
ſtatt, wofern die Truppen nicht Brot oder Brotgelt empfangen haben. — Offi-
ziere, Aerzte und Militairbeamte ſind nicht verpflichtet, die Verpflegung von den
Quartiergebern zu nehmen; ſie ſind aber dazu berechtigt und haben die Wahl,
entweder ſich mit der magazinmäßigen Verpflegung gegen gewöhnliche Vergü-
tung zu begnügen oder „angemeſſene Bewirthung“ gegen Gewährung des dop-
pelten Vergütungsſatzes zu beanſpruchen.
die erforderlichen Formulare beigefügt.
hung der Vergütung auf die einzelnen Sätze zu vertheilen iſt.
mee-V.Bl. abgedruckt.
kanzler von dem einmal bekannt gemachten Vergütungsſatz im Lauf des
Jahres nicht abweichen darf.
S. 333 Note 4) auch auf diejenigen Fouragebeſtände, welche zum Unterhalt
der Pferde erforderlich ſind, auf die ſich die Befreiung bezieht. Naturall.-
Geſetz §. 5 Abſ. 3.
in denen die Lieferung von der Gemeinde verlangt werden kann; entweder
wenn der Marſch binnen ſo kurzer Friſt erfolgt, daß die Intendantur keine
Zeit zur Beſchaffung der Fourage hat, oder wenn es ihr angewendeter Be-
mühung ungeachtet nicht gelingt, den Bedarf zu ortsüblichen Preiſen ſicherzu-
ſtellen. In den Requiſitionsſchreiben an die zuſtändigen Civilbehörden wegen
Ausſtellung der Marſchrouten iſt, wenn Fourage-Lieferung verlangt wird, eine
entſprechende Begründung zu geben. Vgl. den Erl. des Preuß. Kriegs-
miniſters v. 8. Sept. 1875 (A.V.Bl. S. 223), durch welchen §. 83 des
Friedens-Verpfl.-Reglem. in dieſem Sinne umgeändert worden iſt.
der Fourage-Beſtände bezieht ſich aber nur auf den Bedarf zur augenblickl.
Ernährung des Viehſtandes, iſt alſo je nach der Gelegenheit zur Wiederer-
gänzung zu beurtheilen. Vgl. Kommiſſionsbericht S. 7 (Druckſachen II Seſſion
1874/5 Nro. 141). Der Gemeindevorſtand hat bei der Liquidation eine Be-
ſcheinigung der vorgeſetzten Verwaltungsbehörde darüber beizubringen, daß der
Fouragebedarf im Gemeindebezirk nicht vorhanden iſt. Ausf.Inſtr. v. 11. Juli
1878 Ziff. 3.
des Durchſchnittspreiſes vgl. Ausf.Inſtr. v. 11. Juli 1878 Ziff. 5.
gelieferten Fourage Seitens der Truppenführer findet nicht ſtatt; die Liqui-
dationen müſſen vielmehr vorerſt von den Intendanturen geprüft werden.
züglich der für ihren Hofhalt beſtimmten Wagen und Pferde; die Geſandten
und das Geſandtſchaftsperſonal fremder Mächte; Staats- und Privatgeſtüte
und die Militairverwaltungen hinſichtlich ihrer Zuchtthiere und Remonten;
Offiziere, Reichs- Staats- und Kommunalbeamte, Seelſorger, Aerzte und Thier-
ärzte hinſichtlich der zur Ausübung ihres Dienſtes oder Berufes nothwendigen
Pferde; endlich die Poſthalter hinſichtl. derjenigen Pferde, welche von ihnen
zur Beförderung der Poſten vertragsmäßig gehalten werden müſſen.
nach §. 5 Abſ. 1 zu unterſcheiden.
wenn Pferdegeſpanne nicht in genügender Anzahl vorhanden ſind, können auch
Ochſen und Kühe geſtellt werden. Ausf.Inſtr. v. 2. Sept. 1875 Ziff. 6.
Fällen, in denen Vorſpann in dem daſelbſt näher angegebenen Maße ge-
fordert werden kann; nämlich Garniſonveränderungen ſonſtige Märſche ge-
ſchloſſener Truppentheile, Kommando’s und Transporte, ferner Anfuhr der
Verpflegungs- und Bivouaksbedürfniſſe, endlich gewiſſe beſondere Verhältniſſe
z. B. Transport von Militairbeamten, Anditeuren, Geiſtlichen, Militairärzten,
Zahlmeiſter, Fourieroffizieren, Kranken u. ſ. w. — Für alle übrigen
Transport-Bedürfniſſe der Truppen haben die Intendanturen im Wege des
Vertrages die Transportmittel zu beſchaffen. Die Ortsbehörden ſind ver-
pflichtet, ihnen hierbei behülflich zu ſein.
Inſtrukt. zu letzterem Ziff. 5.
öffentlichung im Centralbl. des D. R. iſt verabſäumt worden. Nach der Ausf.-
Inſtr. v. 1875 Ziff. 6 liegt die Bekanntmachung den Landesregierungen ob.
der Zeit für Zurücklegung des Rückweges, für Fütterung u. ſ. w. vgl. die
Ausf.Inſtr. v. 11. Juli 1878 Ziff. 4.
ermäßigte Tarif nicht nur zu Gunſten der Militairverwaltung, ſondern auch
zu Gunſten der Marineverwaltung eintritt, was nach dem Wortlaut des
Art. 47 der R.V. in Zweifel gezogen werden könnte.
Material vorräthig zu halten vgl. unten §. 94.
S. 317 fg. und vollſtändiger bei v. Helldorff Dienſtvorſchriften III. Theil
Abth. 6 S. 108 ff. (1876).
bahn-Betriebs-Kommiſſ. in Straßburg (ungedruckt). Ferner für den internen
Verkehr in Württemberg d. Erl. v. 22. Febr. 1872. Württemb. Mil.-
V.Bl. 1872 S. 37.
rung dieſer Verpflichtung; die Kommiſſion des Reichstages ſtrich dieſe Beſtim-
mung aber, „weil es ſich nicht empfehle, den geſammten Grundbeſitz im
Deutſchen Reiche einer derartigen allgemeinen Militair-Servitut zu unter-
werfen.“ Bei den Berathungen im Reichstage wurde der Antrag auf Wieder-
Berichterſtatter der Kommiſſion Dr.Weigel (Stenogr. Berichte S. 890) er-
klärt, daß wegen der im Geſetz anerkannten Ausnahmen „auch der ſchärfſte
Civiliſt nicht zweifelhaft ſein kann, daß eine negatoria auf Anerkennung der
Freiheit der nicht ausdrücklich ausgeſchloſſenen Grundſtücke nicht mehr zu-
läſſig iſt. Denn in dieſen Beſtimmungen iſt ausgeſprochen, daß das Geſetz
in den nicht ausgeſchloſſenen Fällen eine Benutzung von Grundſtücken ſtatuirt.“
Man verwarf alſo den erſten Abſatz, um eine allgemeine „Militair-Servitut“
nicht anzuerkennen und erklärte zugleich, daß dieſelbe im zweiten Abſatz an-
erkannt ſei. Aber auch materiell geht die Erklärung des Berichterſtatters zu
weit. Denn das Reichsgeſetz enthält nicht die mindeſte Andeutung davon, daß
die Befugniß der Truppen zur Benutzung von Privat-Grundſtücken da, wo ſie
bisher nicht beſtand, eingeführt werden ſolle. Der §. 11 des Geſetzes zählt
nur diejenigen Grundſtücke auf, die von der Benutzung der Truppen ausge-
ſchloſſen ſind. Wenn alſo in einem Theil des Bundesgebietes dieſe Befugniß
der Truppen gewohnheitsrechtlich oder geſetzlich überhaupt nicht beſtanden hat,
ſo kann ſie auch auf Grund des §. 11 cit. nicht in Anſpruch genommen wer-
den und man braucht keineswegs „der ſchärfſte Civiliſt“ zu ſein, um die
actio negatoria des Grundbeſitzers für wohlbegründet zu erachten. Eher
kann man der Erklärung des Bundesraths-Kommiſſarius v. Voigt-Rhetz
(Stenogr. Ber. S. 889) zuſtimmen, „daß durch die Faſſung des §. 11 bezüg-
lich der Benutzung des Privatgrundbeſitzes bei Truppenübungen eine Aende-
rung in dem hiſtoriſch begründeten Rechtszuſtande nicht beabſichtigt
werde.“ Allein auch hiergegen kann das Bedenken erhoben werden, daß nach
§. 1 des Geſ. Naturalleiſtungen nur nach Maßgabe der Beſtimmungen dieſes
Geſetzes gefordert werden können, daß alſo allerdings alle Belaſtungen aufge-
hoben ſind, deren Fortdauer nicht in dem Geſetze ſelbſt ſanctionirt iſt. In
keinem Falle iſt die Faſſung des §. 11 eine gelungene zu nennen. Vgl. auch
Seydel in Hirth’s Annalen 1875 S. 1095.
in genügender Anzahl periodiſch im Voraus zu beſtimmen; in denjenigen
Bundesſtaaten, in denen dergleichen Verbandsvertretungen nicht vorhanden
ſind, ernennt die Landesregierung unter Mitwirkung geeigneter anderer Organe
die Sachverſtändigen. Die Sachverſtändigen werden entweder ein für alle
ſammenſetzung der Kommiſſion nach dem Ermeſſen der Militairverwaltung
in der Art vereinfacht werden, daß die letztere bei der Kommiſſion gar nicht
oder nur durch einen Offizier oder einen Militairbeamten vertreten wird.
Abſchätzungsverhandlungen von dem Kommiſſar der Landesregierung bei der
Militair-Intendantur einzureichen, von dieſer zu prüfen und zur Zahlung an-
zuweiſen.
das Preußiſche Geſetz v. 11. Mai 1851 (Preuß. Geſ.Samml. S. 362) im
und Reiſeentſchädigung.
S. 573.
1867 S. 125). Daſſelbe Geſetz wurde eingeführt in Südheſſen durch landesh.
Verordn. v. 29. Mai 1868 (Heſſ. Reg.Bl. S. 780), in Baden durch Landesgeſ.
v. 26. Dez. 1870 (Bad. Geſ. und Verordn.Bl. 1871 S. 5), in Elſaß-Lothringen
durch Kaiſerl. Verordn. v. 22. Juni 1872 (Geſ.Bl. f. Elſ.-Lothr. 1872 S. 445).
In Württemberg blieb zunächſt das Geſ. v. 18. Juni 1864, in Bayern die
Verordn. v. 22. Juli 1819 in Geltung. An die Stelle aller dieſer Geſetze iſt
getreten:
Das Reichsgeſetz über die Kriegsleiſtungen v. 13. Juni 1873
(R.G.Bl. 1873 S. 129), in Elſaß-Lothringen eingeführt durch Geſetz v. 6. Okt.
1873 (G.Bl. f. E.-L. 1873 S. 262. Im Reichsgeſetzbl. nicht verkündigt). Die
Motive zum Kriegsleiſtungsgeſ. in den Druckſachen des Reichstages 1873
Nro. 26. Die Verhandlungen des Reichstages in den Stenogr. Berichten
S. 157 ff. 572—622. 785 ff. und 930 ff.
Zu dieſem Geſetz iſt eine vom Bundesrath beſchloſſene, vom Kaiſer pro-
mulgirte Ausführungs-Verordnung v. 1. April 1876 ergangen und
im R.G.Bl. 1876 S. 137 verkündigt worden. Dieſelbe gilt für das ganze
Reichsgebiet mit Einſchluß Bayerns. (Vgl. Bd. II S. 88 Note 2.)
Literatur. Seydel in Hirth’s Annalen 1874 S. 1050 ff. Thiel
Geſ. über die Kriegsleiſtungen. Roſtock 1877.
giebt ſich ferner die Regel, daß aus den eigenen Mitteln der Armee-Verwal-
tung vor Allem ſolche Bedürfniſſe zu beſtreiten ſind, deren Befriedigung ver-
mittelſt der Kriegsleiſtungen für die Verpflichteten beſonders läſtig ſein würde.
Vgl. Stenogr. Berichte a. a. O. S. 574. Seydel a. a. O. S. 1053.
Unterſchied in Betracht; bei der Verfolgung der Militairbeamten iſt dieſelbe
durch §. 154 des Reichsbeamtengeſetzes ausgeſchloſſen, rückſichtlich der Offiziere
kommen die Vorſchriften des Art. 11 des Einf.Geſ. zum Gerichtsverf.Geſetzes
in Anwendung.
und Pferden §. 20 Abſ. 1. §. 24. 26 Abſ. 3.
den Beſcheinigungen, welche über die gemachten Leiſtungen ertheilt werden.
v. 1. April 1876 §. 11. Die Beilage C enthält das Verzeichniß der in den
einzelnen Bundesſtaaten zuſtändigen Behörden. Die daſelbſt in Col. III auf-
geführten Behörden haben die mit Beweisſtücken verſehenen Anſprüche aus
ihren Verwaltungsbezirken entgegenzunehmen und die Liquidationen aufzuſtellen.
Die letzteren ſind den in Col. IV aufgeführten höheren Behörden zur Prüfung
und Feſtſtellung vorzulegen. Dieſe Behörden haben die Prüfung darauf zu
richten, ob die Liquidationen nach Maßgabe der Vorſchriften des Geſetzes und
der Ausführungsverordnungen aufgeſtellt ſind, und ihre Feſtſtellungen den
etwaigen Erinnerungen des Rechnungshofes gegenüber zu vertreten. Von dem
Ergebniß der Prüfung und Feſtſtellung iſt dem Entſchädigungsberechtigten
Kenntniß zu geben; demſelben ſteht innerhalb einer Präcluſivfriſt von 14 Tagen
der Rekurs an die in Col. V aufgeführte Behörde zu und gegen die Ent-
Leiſtungen kommen dieſe Vorſchriften natürlich nicht zur Anwendung, für die
Vergütungs-Anſprüche der Eiſenbahnen nur in analoger Weiſe, da die Liqui-
dationen derſelben nicht von denjenigen Behörden, denen die Kommunal-Auf-
ſicht obliegt, geprüft und feſtgeſtellt werden.
der weitere Rekurs an den Reichskanzler zuläſſig, jedoch nur inſoweit, als die
Verletzung eines Reichsgeſetzes oder einer Ausführungsbeſtimmung zu einem
ſolchen behauptet wird. Sind die Liquidationen definitiv feſtgeſtellt, ſo fertigen
die in Col. VI aufgeführten Behörden auf Grund derſelben die Anerkenntniſſe
nach dem, der erwähnten Verordn. unter E beiliegenden Schema aus.
v. 1. April 1876 Art. 16 ſind dieſe Anordnungen ergangen; ſie ſtimmen im
Weſentlichen überein mit den Vorſchriften der Ausf.Inſtr. zum Naturall.Geſetz
v. 11. Juli 1878 Ziff. 8 (oben S. 341 fg.), denen ſie zum Vorbild gedient haben.
berufen, müſſen vereidigt werden und dürfen bei der Sache nicht intereſſirt ſein.
laſſenen Geſetze vom 14. Juni 1871 betreffend den Erſatz von Kriegsſchäden
(R.G.Bl. 1871 S. 247 und S. 249), ſowie das Geſ. v. 23. Febr. 1874 wegen
nachträglicher Vergütung für Kriegsleiſtungen der Gemeinden (R.G.Bl. 1874
S. 17). Zu dem letzterwähnten Geſetze hat der Bundesrath Ausführungs-
beſtimmungen am 29. März 1874 beſchloſſen, welche im Centralbl. d. D. R.
1874 S. 131 ff. bekannt gemacht worden ſind.
ſtändigen Gutsbezirke völlig gleichgeſtellt. §. 8 a. a. O.
beſitz haben.
aktiven Offiziere ꝛc. ein bemerkenswerther Unterſchied zwiſchen der Einquar-
tirungslaſt im Frieden und der im Kriege beſteht. Das Quartierl.Geſ. §. 4
hat die Wohnungen der Offiziere und ſervisberechtigten Militairbeamten nicht
eximirt; ſie ſind daher im Frieden der Einquartirung unterworfen (ſiehe
oben S. 322 Note 4); das Kriegsl.Geſetz legt dagegen die Verpflichtung den
Gemeinden ob und da aktive Offiziere und Militairbeamte zu den Gemeinde-
laſten nicht beitragen, vgl. oben S. 265, ſo ſind ſie auch von der Einquarti-
rungslaſt im Kriege eximirt. Vgl. v. Helldorff Dienſtvorſchriften Th. IV
Abth. 1 S. 156.
iſt es aber zweifellos, daß hierdurch nur das Minimum der den Einzelnen
zu zahlenden Vergütung nomirt werden ſollte, daß die Gemeinden daher be-
fugt ſind, durch Statut oder Beſchluß höhere Entſchädigungen feſtzuſetzen und
Vergütungen zur Pflicht zu machen. Stenogr. Berichte 1873 S. 587. 941.
der Feſtungen und befeſtigten Küſtenorte; neuformirte Truppentheile, ſo lange
ſie ſich im Formationsorte befinden, und Truppentheile, welche durch eine aus-
drückliche Erklärung des kommandirenden Generals als zur Beſatzung des Ortes
beſtimmt bezeichnet werden, in welchem ſie ſich befinden oder in welchen ſie ein-
rücken.
des Reichst. 1873 S. 599 ff. u. S. 932. Der Hauptgrund iſt der, daß die
Vergütung eine ſehr erhebliche Belaſtung des Reichsfiskus herbeiführen würde.
§. 4 des Naturall.Geſ. aufſtellt, die Feldmundportion iſt aber in der
Ausf.Verordn. v. 1. April 1876 Art. 3 Ziff. 1 anders beſtimmt wie die Frie-
densverpflegungsportion in der Ausf.Inſtr. v. 2. Sept. 1875.
ein einheitlicher Tagesſatz für die Vergütung der Naturalverpfl. im Frieden.
Deshalb enthält §. 10 Abſ. 1 eine beſondere Vorſchrift über die Vergütung,
welche für Verabreichung einzelner Mahlzeiten zu gewähren iſt. Dieſe Vor-
ſchrift iſt unanwendbar geworden, nachdem das Naturall.Geſ. §. 2 beſondere
Vergütungsſätze für die einzelnen Mahlzeiten aufgeſtellt hat. Vgl. Ausf.-
Verordn. Art. 3 Ziff. 2.
in derſelben Ziffer des Art. 3 zuſammengeſtellt. — Die Größe der Feldrationen
iſt beſtimmt in der Ausf.Verordn. Art. 4.
ſchätzung muß in allen Fällen ohne Ausnahme ſtattfinden, die freie Vereinba-
rung über den Schadenserſatz iſt ausdrücklich ausgeſchloſſen durch die Ausf.-
Verordn. Art. 1 Ziff. 3.
ſetzt werden unter Beobachtung der in der Ausf.V. Art. 1 Ziff. 3 Abſ. 2 ge-
gebenen Vorſchriften. Iſt eine Verſtändigung nicht zu erreichen, ſo tritt das
Abſchätzungsverfahren des §. 33 ein. Vgl. Ausf.V. Art. 6.
Beſchädigung durch eigentliche Kriegshandlungen z. B. durch Beſchießung, ſon-
dern nur durch die Benutzung, welche zu dem in der Requiſition angegebenen
Zwecke erfolgt iſt. Ausf.Verordn. Art. 7 Ziff. 1.
heutigen Geſtaltung der wirthſchaftlichen und Verkehrsverhältniſſe es in der
Regel möglich ſein wird, für den Unterhalt der bewaffneten Macht auf anderem
Wege als durch Landlieferungen zu ſorgen.
iſt der Ausf.Verordn. v. 1. April beigegeben und im R.G.Bl. 1876 S. 154
abgedruckt. Innerhalb des früheren Geltungsgebietes des Geſ. v. 11. Mai
1851 (vgl. oben S. 342 Note *) ſind bis zur anderweitigen Regelung die
Kreiſe und gleichartigen Verbände als Lieferungsverbände beizubehalten.
§. 17 cit. Abſ. 3.
den beiden Mecklenburg, den beiden Lippe, den freien Städten und Schwarz-
burg-Rudolſtadt.
des Geſetzes und im Art. 16 der Ausf.Verordn. gegebenen Vorſchriften An-
wendung.
ſtruktion betreffend das Etappen- und Eiſenbahnweſen im Kriege“. Abgedruckt
bei Frölich Verwaltung des Deutſchen Heeres I S. 113 ff.
mitgeführten Fahrzeuge und Armeegeräthe, welche durch militairiſche Kräfte
nach Anleitung der Eiſenbahn-Behörden auszuladen ſind.
ſchaffung der Ausrüſtungsgegenſtände ſchon in Friedenszeiten zu bewirken und
das Reich iſt auf Grund des Art. 47 der Reichsverf. befugt, darauf zu dringen.
Im Kriegsleiſtungsgeſetz iſt aber ein Redaktionsfehler paſſirt. Denn nach §. 1
beginnt die Pflicht zur Erfüllung aller Kriegsleiſtungen erſt mit Erlaß der
Mobilmachungsordre und §. 28 macht hiervon keine Ausnahme; es ſtellt nur
das Vorräthighalten der Ausrüſtungsgegenſtände als beſondere, ſelbſtſtän-
dige Verpflichtung neben die Transportleiſtungspflicht. Bei ſtrenger Wortaus-
legung würde daher zwar jede Bahnverwaltung, auch wenn ſie zum Trans-
port von Truppen und Kriegsmaterial thatſächlich nicht in Anſpruch genommen
wird, verpflichtet ſein, die Ausrüſtungs-Gegenſtände vorräthig zu halten und
event. dieſelben anzuſchaffen; dieſe Pflicht würde aber erſt mit dem Erlaß der
Mobilmachungs-Ordre ihren Anfang nehmen.
Feſtſtellung durch den Reichsanzeiger und durch das Centralbl. f. d. D. R.
veröffentlicht. Ausf.Verordn. Art. 14 Ziff. 4 Abſ. 1.
§. 22 analoge Anwendung. Siehe oben S. 346.
ländiſchen Eiſenbahnen, welche beſonders ſtark für Militairtransporte in An-
ſpruch genommen werden, genügende Maſſen von Betriebsmaterial ꝛc. zuzu-
führen.
dienſtpflichtigen Perſonals findet bereits im Frieden durch den Chef des Ge-
neralſtabes der Armee im Einverſtändniß mit dem Reichseiſenbahnamt ſtatt.
Die näheren Vorſchriften darüber enthält die Wehr-OrdnungII §§. 22. 23.
pflichtigen Perſonen nach Maßgabe der Militair-Etats noch beſondere Entſchä-
digungen empfangen. Inſtr. v. 20. Juli 1872 §. 57.
men könnte, auf Koſten des Eigenthümers, des Aktienvereines, dem es über-
laſſen bliebe, gegen die Verwaltungsvorſtände Regreß zu nehmen.
fäße verſtanden, alſo Kähne, Prahmen, Fähren u. dgl.
bei Frölich Verwaltung des D. Heeres. Ergänzungsheft I S. 103 ff. Für
Württemberg Erl. v. 27. Nov. 1876 (Mil.V.Bl. 227). Für Bayern
Erlaß v. 14. Sept. 1876 (Verordn.Bl. des Bayer. Kriegsmin. 1876 S. 529).
ſein, ſo wird der Ausfall von dem Oberpräſidenten im Einvernehmen mit dem
kommandirenden General auf die andern Kreiſe der Provinz vertheilt. Regle-
ment §. 36.
ſind von den Beſitzern 3 Wochen lang zur Dispoſition der Militairbehörde
zu halten. §. 27 Abſ. 5.
der Landrath die Abſchätzung zu leiten. Dieſelbe erfolgt in der Art, daß
jeder der 3 Taxatoren ſeine Taxe beſonders angiebt und aus dieſen 3 Taxen
der Durchſchnitt gezogen wird.
die Pferdebeſitzer von dem Civilkommiſſar Anerkenntniſſe über die ihnen zu-
ſtehenden Taxſummen, welche von den Regierungs-Hauptkaſſen oder den zur
Einlöſung bezeichneten Kaſſen vorſchußweiſe ausgezahlt werden. Nach Prüfung
der Liquidationen werden dieſen Kaſſen die Beträge von der General-Kriegs-
kaſſe erſtattet.
kungen des Grundeigenthums in der Umgebung von Feſtun-
vgl. §. 3 des Geſetzes und die Inſtruktion zu §§. 3 bis 7.
ganzen Bundesgebiet einſchließl. Bayerns; in Elſaß-Lothringen iſt es ein-
geführt worden durch Geſ. v. 21. Febr. 1872. (R.G.Bl. 1872 S. 56. Geſetzbl.
f. Elſ.-Lothr. 1872 S. 133.)
Entwurf mit Motiven Druckſ. des Reichstages 1871 II. Seſſion
Nro. 16; Kommiſſionsbericht des Reichstages ebendaſ. Nro. 93 und
Nachtrag dazu Nro. 120; Verhandlungen Stenogr. Berichte 1871 II. Seſſ.
S. 59 ff. 489 und 547 ff.
Inſtruction der Reichs-Rayon-Kommiſſion über die Handhabung dieſes
Geſetzes. Vom 4. Januar 1873. Dieſelbe iſt auf Grund des §. 47 des Ge-
ſetzes erlaſſen, aber nicht publizirt worden und hat lediglich die Bedeutung
einer Verwaltungsvorſchrift. Sie iſt abgedruckt in den „Militairgeſetzen“ Bd. I
Abth. III S. 193 ff.
Literatur: Seydel in Hirth’s Annalen 1874 S. 1066. Dahn
Grundriß des Deutſchen Privatrechts I S. 122 fg.
Städtebefeſtigungen, inneren Feſtungs-Abſchnitten ſind unverändert erhalten
worden.
der Verſtärkungsbau anzuſehen iſt, wird von der Reichs-Rayonkommiſſ. ent-
ſchieden. Inſtruct. zu §. 24.
Rayon abgeſteckt worden iſt vor dem Tage, an welchem das Geſetz in Kraft
getreten iſt, nämlich vor dem 12. Januar 1872; (in Elſaß-Lothringen vor dem
14. März 1872). Vgl. den Erlaß der Reichs-Rayonkommiſſ. v. 13. Septemb.
1875 (in den Militairgeſetzen I Abth. III S. 211).
oder vereideten Feldmeſſer unter Kontrole und auf Koſten der Fortifikation
bewirkt. Vgl. die cit. Inſtruct. zu §. 8.
den Rayonplan (vgl. Inſtruct. zu §. 9) weniger detaillirt; dagegen ſteht die
Anſicht Seydel’s a. a. O. S. 1069, daß das Kataſter ſich auf den dritten
Rayon überhaupt nicht erſtreckt, ſowohl mit dem Geſetz als der Praxis im
Widerſpruch.
planes und Kataſters von allen Behörden, alſo auch von den Gemeinde-
Vermeſſungs- und Bonitirungsregiſter, Taxen, Kataſter u. dgl. unentgeltlich
zur Benutzung zu verſtatten. eod. §. 10. Den Privatperſonen liegt dieſe
Verpflichtung nicht ob. Vgl. Kommiſionsbericht S. 6. (Druckſ. des Reichst.
1871 II. Seſſ. Nro. 93.)
z. B. von Chauſſeen, Deichen, Eiſenbahnen u. ſ. w. werden von einer gemiſch-
ten Kommiſſion erörtert, deren Mitglieder von dem zuſtändigen Kriegsmini-
ſterium im Verein mit den betreffenden höheren Verwaltungsbehörden berufen
und in welcher auch die von der Anlage betroffenen Gemeinden durch Depu-
tirte vertreten werden. Das Protokoll iſt der Reichs-Rayonkommiſſion zu
überſenden behufs Feſtſtellung des Planes in Gemeinſchaft mit der betreffenden
Centralverwaltungsbehörde. §. 30 des Geſetzes.
Arten von Anlagen iſt in der Inſtruction zu §. 13 näher erläutert.
Kommandantur und der betheiligten Verwaltungsbehörden zu vereinbaren und
der Entwurf der R.R.Kommiſſ. zur Genehmigung einzuſenden. Für das Mili-
tair iſt dabei der Geſichtspunkt maßgebend, „daß das bebaute Terrain ſoweit
als thunlich der Einſicht geöffnet bleibt und die nach der Feſtung zuführenden
Straßen von den Werken aus beſtrichen werden können.“ Vgl. Inſtruction
zu §. 14.
Centim. über der Erdoberfläche liegenden Theilen eine größere Stärke haben
als 15 Centim. für Stein, bezügl. 2 Centimeter für Eiſen.“ §. 15 B Ziff. 2
und dazu die Erläuterung in der Inſtruction.
plätzen, Grabhügeln und Denkmälern. §. 17 B Ziff. 1 und 2.
punkte bei Prüfung der Frage, ob die Nothwendigkeit eines an Ort und Stelle
wohnenden Wächters dargethan ſei.
Feſtung beim Eintritt der Armirung zu dienen im Stande ſind.
daſelbſt normirt. Vgl. dazu die Inſtruction.
der Kommandantur erforderlich, die unter der Bedingung zu ertheilen iſt, daß
die im §. 20 Abſ. 3 Ziff. a angegebene Höhe nicht überſchritten wird.
bäudes ein Zeitraum von zwei Jahren verfloſſen, ſo iſt nach Analogie von
§. 28 Abſ. 2 anzunehmen, daß der Bau eines andern Gebäudes an Stelle des
früheren als Neubau zu behandeln und der Genehmigung der Kommandantur
bedürftig iſt.
Kommiſſionsbericht des Reichstages S. 15.
Ziff. 3 und Ziff. 4 Abſ. 2. §. 20 Abſ. 2.
Arbeitern, Knechten u. ſ. w. des Grundbeſitzers.
lagen an die R.Rayonkommiſſion zur Prüfung und Feſtſtellung einzuſenden
ſind. Vgl. §. 14 und §. 30 des Geſ. — Der Ortspolizeibehörde ſteht
eine materielle Entſcheidung über den Antrag in keinem Falle zu. Vgl.
Seydel S. 1076.
tionsfehler, indem die Strafdrohung daſelbſt nur gerichtet iſt gegen Gutsbe-
ſitzer, Bauunternehmer ꝛc., welche ohne die geſetzlich erforderliche
Genehmigung einen Bau ꝛc. ausführen. Die Aufführung von Bauten,
die abſolut unzuläſſig ſind, zu denen die Genehmigung daher geſetzlich gar
nicht ertheilt werden darf, iſt in dem Paragraphen nicht erwähnt. Der Sinn
deſſelben iſt aber unzweifelhaft der, daß die daſelbſt angedrohte Strafe von
jedem verwirkt wird, der gegen die in dem Geſetz anerkannten Eigenthumsbe-
ſchränkungen eigenmächtig verſtößt.
Abſchachtung, Wegräumung u. dgl. zu bewirken, für unzuläſſig erklärt.
Anlagen, ſondern die Fortſetzung ihrer Herſtellung in Frage ſteht, hat
der Rekurs keinen Suſpenſiveffect.
ſondern iſt lediglich die Exekution eines verbindlichen Verwaltungsbefehls.
Daher findet die dreimonatliche Verjährung, welche für die Strafverfolgung
von Uebertretungen gilt, zwar auf Rayonkontraventionen, nicht aber auf die
zwangsweiſe Beſeitigung der Anlagen Anwendung. Vgl. auch die Inſtruktion
zu §. 32.
richt des Reichstages. (Druckſachen 1871 II Seſſ. Nro. 120.)
milderen Rayon in einen ſtrengeren verſetzt und in Folge deſſen den eingrei-
fenderen Beſchränkungen des Reichsgeſetzes unterworfen wird, ſo iſt ebenfalls
der Entſchädigungs-Anſpruch begründet.
gung von der Landesregierung ausdrücklich zugeſichert worden, ſo bleibt der
Anſpruch auf dieſelbe unverändert fortbeſtehen; da aber alle Militair-Ausgaben
vom Reiche zu leiſten ſind, ſo müſſen auch ſolche Entſchädigungsgelder auf den
Reichs-Militair-Etat übernommen werden.
nur die Errichtung von Grabhügeln und Denkmälern iſt beſchränkt.
1872 S. 56. 1873 S. 39. 58. 1876 S. 165.
Landgericht zuſtändig iſt, hängt davon ab, ob die beanſpruchte Entſchädigung
die Summe von 300 Mark überſteigt. Gerichtsverf.Geſetz §. 23 Ziff. 1. §. 70.
willigt hat, vgl. den Kommiſſions-Bericht S. 24.
dafür Sorge zu tragen, daß Beſitzveränderungen der Grundſtücke im Kataſter
nachgetragen werden. Unterläßt ſie dies und wird in Folge deſſen die Rente
an einen Unberechtigten ausgezahlt, ſo iſt ſie dem Rentenberechtigten zur Schad-
loshaltung verpflichtet. Vgl. auch Seydel a. a. O. S. 1080.
Reverſe, durch welche ſich die Unternehmer zur unentgeldlichen Beſeitigung ver-
pflichteten. Kommiſſionsbericht des Reichst. S. 16.)
hatte. Erl. der R.R.Kommiſſ. v. 13. Sept. 1875. (Milit.Geſ. Thl. I Abth. III
S. 221.)
- License
-
CC-BY-4.0
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- TextGrid Repository (2025). Laband, Paul. Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bnxj.0