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Wollt' edler ſich, als ſeine Treiber fuͤhlen!’
(„Der Hirſch“ von Schleifer.)
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Lenau's Gedichte. 15[[226]][[227]]I.
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Lenau's Gedichte. 18[266]IX.
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[270]X.
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[][][]
Gedichte
Stuttgart und Tuͤbingen,:
Verlag der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung.
1832.
Verlag der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung.
1832.
Dem
Dichter Gustav Schwab,
meinem
Freunde.
Inhalt.
- Bilder aus dem Leben.
- Seite
- Der Gefangene 3
- Fragmente 9
- Der Juͤngling –
- Der falſche Freund 10
- Die ſchlimme Jagd –
- Der feile Dichter 11
- Der geldgierige Pfaffe –
- Auf einen Profeſſor 12
- Abſchied von Galizien 13
- In der Schenke 17
- Abendheimkehr 19
- Vanitas 20
- Die Werbung 22
- Der Schifferknecht 27
- Marie und Wilhelm 29
- Begraͤbniß einer alten Bettlerin 34
- Lieder der Sehnſucht.
An meine Roſe 39 - Reiſe-Empfindung 41
- Nach Suͤden 44
- Frage 46
- Seite
- In der Wuͤſte 47
- Meine Braut 49
- Dein Bild 51
- Ghaſel 53
- Das Mondlicht 54
- Naͤchtliche Wanderung 56
- Das Poſthorn 58
- Bitte 61
- An die Erſehnte 62
- Herbſtklage 64
- Schilflieder 1 – 5 65
- Winternacht 12 70
- Lieder der Vergangenheit.
Leichte Truͤbung 75 - Das todte Gluͤck 76
- Truͤber Gang 78
- Unmuth 80
- Zu ſpaͤt! 81
- Vergangenheit 82
- An Kleyle 83
- Einſt und Jezt 86
- Die Jugendtraͤume 88
- Erinnerung 89
- Die Felſenplatte 91
- Herbſtgefuͤhl 94
- Nebel 95
- An meine Guitarre 96
- Vermiſchte Gedichte.
Die Thraͤnen 101 - In der Krankheit 1 2 104
- Seite
- An die Melancholie 106
- Einem Freunde in's Stammbuch 107
- Vergaͤnglichkeit 108
- Trias harmonica 110
- Zoͤgerung 111
- An eine Dame in Trauer 112
- An Mathilde 113
- Einem Knaben 115
- Abſchied 117
- Am Grabe eines Miniſters 119
- Der Lenz 121
- Im Fruͤhling 123
- Der Indifferentiſt 124
- An die Hoffnung 125
- In das Stammbuch einer Kuͤnſtlerin 128
- Unmoͤgliches 129
- Einem Ehrſuͤchtigen 130
- Mein Stern 131
- Das Herz 133
- Reiterlied 135
- An I. Klemm 137
- Zuflucht 138
- Der Greis 139
- Wanderung im Gebirge 1 – 10 142
- Unbeſtaͤndigkeit 153
- Die Wurmlinger Kapelle 155
- Der Maskenball 158
- Fantaſieen.
Die Zweifler 167 - Glauben. Wiſſen. Handeln 172
- Die Waldkapelle 1 – 5 179
- Der Raubſchuͤtz 185
- Seite
- Heidebilder.
Himmelstrauer 191 - Robert und der Invalide 192
- An die Wolke 197
- Die Heideſchenke 199
- Oden.
Abendbilder 1 – 3 209 - Zuruf an meinen Geiſt 212
- Sehnſucht nach Vergeſſen 213
- An einen Tyrannen 214
- Am Bette eines Kindes 216
- Koͤnig und Dichter 217
- An der Bahre der Geliebten 218
- An Seneca 220
- Am Grabe Hoͤlty's 222
- In der Nacht 223
- Klara Hebert. Ein Romanzenkranz.
Ciſteron 227 - Der naͤchtliche Gang 231
- Der ſelige Abend 235
- Blumengruß 241
- Die Gewitternacht 245
- Der alte Marko 253
- Die Botſchaft 257
- Die Heimkehr 261
- Die Sehnſucht 266
- Der Ring 270
Bilder aus dem Leben.
Lenau's Gedichte. 1[[2]][[3]]Der Gefangene.
‘Was trug er auch ſein Haupt ſo frey, ſo ſtolz!Wollt' edler ſich, als ſeine Treiber fuͤhlen!’
(„Der Hirſch“ von Schleifer.)
Der Fruͤhling iſt zu Berg und Thal gekommen,
Sein Freudenruf iſt durch die Luft erklungen;
Kaum hat die Erd' im Schlafe ihn vernommen,
Iſt ſie vom Wintertraum emporgeſprungen,
Der ihren Buſen deckte bang und kalt.
In alle Fernen iſt der Ruf gedrungen
Mit freundlicher, ſuͤßlockender Gewalt,
Daß ihres Neſt's die Schwalbe nun gedenket,
Weit uͤber's Meer zur trauten Huͤtte wallt,
Daß ſeinen Flug der Storch nun heimwaͤrts lenket,
Verlaſſend ſchnell das Schilf im fernen Suͤden.
Die Blume bluͤht, der bunte Falter ſenket
Auf ſie die Fluͤgel hin, die wonnemuͤden.
Mit Bluͤthen haben ſich geſchmuͤckt die Baͤume,
Daß ſie zu Lieb' und Sang die Saͤnger luͤden.
[4]
Schon ſingt und bringt uns Paradieſestraͤume
Im Bluͤthenſtrauche dort die Nachtigall;
Melodiſch zieht der Bach durch Waldesraͤume.
Der Hirte floͤtet und der Wiederhall;
Zur gruͤnen Alpe kehrt die Herde wieder,
Weithin ertoͤnt der frohe Glockenſchall.
Der Wildbach ſtuͤrzt vom Klippenhange nieder,
Ein Freudenthraͤnenſtrom, dem Lenz entgegen;
Es ſonnen ſich der Alpe Felſenglieder
Im warmen Schein, der Fruͤhling klimmt verwegen
Zum Schneeberg auf und ruft ihn jubelnd wach:
Der ſchuͤttelt ſich den Winter ab, den traͤgen,
Und ſchleudert ihm Lawinendonner nach;
Voll Sehnſucht harrt er ſchon der Alpenroſe,
Der holden Freundin, die der Lenz verſprach,
Die jaͤhrlich ihn beſchleicht auf weichem Mooſe. —
So zieht der Lenz herum in allen Gauen,
Verſchwendet rings die ſchoͤnen Freudenlooſe;
Doch Einen weiß ich, der ihn darf nicht ſchauen,
Und nicht, was Gott durch ihn geſandt, genießen,
Weil oͤde Kerkerwaͤnde ihn umgrauen,
Schmachvolle Feſſeln ehern ihn umſchließen.
Nicht hoͤrt er Vogelſang im Walde toͤnen,
Nicht ſieht er, wie ſo ſchoͤn die Blumen ſprießen.
[5]
Er hoͤrt nur ſeinen eignen Jammer ſtoͤhnen,
Fuͤr Nachtigallenſang und Taubengirren
Hoͤrt er die Wand ſein Klagen wiederhoͤhnen,
Und, regt er ſich, die Eiſenkette klirren.
Kein Strahl des Fruͤhlings konnte mit Erbarmen,
Ein ſuͤßer Troͤſter, ſich zu ihm verirren;
Er darf an Gottes Sonne nicht erwarmen,
Nur Nacht, nur Nacht, das ſchwarze Ungeheuer,
Hat man mit eingeſperrt zu dieſem Armen.
In ſeinem Herzen brennt ein wildes Feuer
Von Rache, Schmerz, von unverdienter Schande,
Von Sehnſucht nach ſo Manchem, das ihm theuer.
Oft ſpringt er auf, gejagt vom innern Brande,
Er flucht, er ſucht ſein Schwert, er will hinaus:
Doch Hohngelaͤchter raſſeln ſeine Bande,
Und felſenfeſt verſchloſſen bleibt das Haus.
Ermattet ſinkt er auf das faule Stroh,
Und bittrer Wehmuth weicht des Zornes Braus;
Dumpfſchweigend ſitzt er da, und ſtarret ſo
Das ſchwarze Ungeheuer an, die Nacht.
Ob Stunde, Mond und Jahr voruͤberfloh,
Er konnte deſſen haben keine Acht;
Ihm wird in ſeiner dunkeln Haft die Zeit,
Die Gluͤcklichen enteilt mit Sturmesmacht,
[6]
Zur gliederloſen, ſtarren Ewigkeit.
Soll zaͤhlen er ſie wohl nach ſeinen Thraͤnen?
Und meſſen, wie ſie noch vom Grabe weit,
Nach dem Unendlichen, nach ſeinem Sehnen? —
Er wird ſein hart Geſchick nicht uͤberdauern,
Und hofft er dies, es iſt ein eitles Waͤhnen;
Denn „ſterben ſoll er in den Kerkermauern!“
So klangen ſeines Richters finſtre Worte,
Des Mannes ohne Mitleid und Bedauern.
Sein Flehen ſchlaͤgt vergebens an die Pforte:
„Gib mir, o Gott, bevor das Herz mir bricht,
„Nur einen Schritt aus dieſem Qualenorte,
„Nur noch ein Auge voll von deinem Licht!
„Dann laß mich ſterben immerhin zur Stelle,
„Ich klage meiner Todesſtunde nicht!
„Mag dann mein Leichnam auf der Kerkerſchwelle,
„O Herr, an deinem Lichte noch ſich ſonnen!
„So wie der muͤde Wandrer an der Quelle
„Schlaf' ich an deinem ſuͤßen Strahlenbronnen,
„Und traͤume, was ich ſterbend noch empfunden,
„O Freiheit! Freiheit! alle deine Wonnen!“ — —
Warum hat der ein ſolches Loos gefunden? —
Er fleht umſonſt, er hat zu viel verbrochen,
Hat ſich des Allzukuͤhnen unterwunden,
[7]
Die Wahrheit dem Tyrannen laut geſprochen,
Und ihm erzaͤhlt der Menſchen bangen Fluch;
Er hat geruͤttelt an den blut'gen Jochen.
Darauf verhaͤnget der Geſetze Buch
Den Tod, — der Zwingherr hat es ſelbſt geſchrieben —
Ein jedes Blatt der Freiheit Leichentuch!
Und daß der Kuͤhne lebend noch geblieben,
Dankt er allein des Herrſchers milder Gnade;
Sie will zu ſchonen manchmal auch belieben,
Sie toͤdtet ihn nicht ploͤtzlich und gerade. —
Der Thor! er wollte Menſchenliebe wagen,
Und wußte doch, daß ſie den Donner lade,
Der in die Nacht ſein Haupt nun hingeſchlagen. —
Unheimlich wird dem Moͤrder dann zu Muthe,
Bringt ihm ein Mahner aus vergangnen Tagen
Das Kleid des Todten mit der Spur vom Blute,
Und haͤlt ihm vor das bleiche Angeſicht,
Was manches Jahr im Grabesdunkel ruhte:
Alſo behagt' es dem Tyrannen nicht,
Daß es gewagt der edle, kuͤhne Thor,
Mit ihm zu gehen zuͤrnend ins Gericht,
Die blut'ge Wahrheit ihm gehalten vor,
Das Kleid, ſo einſt die ſchoͤne Freiheit trug,
Als ſie gefuͤhrt den vollen Freudenchor,
[8]
Eh' des Tyrannen Fauſt ſie frech erſchlug. — —
Da weckt mich einer Quelle nahes Rauſchen
Zuruͤck vom naͤchtlichen Gedankenflug.
Ich ſeh' das ſchlanke Reh im Dickicht lauſchen,
Nun ſchrickt es auf, und fort iſt ſeine Spur.
Suͤß mahnt mich, meinen Schmerz um Luſt zu tauſchen
Mit Bluͤthen und Geſaͤngen die Natur;
Doch kann ich's meiner Seele nimmer wehren,
Daß ſie verfolge Trauerſcenen nur,
Und ſich fuͤr Blumen ſammle bittre Zaͤhren;
Und in den Kerker dort zu Jenem wandre,
Dem Dulder, bis der Tod, ſein heiß Begehren,
Aus einer Nacht ihn ſenket in die andre.
Fragmente.
Der Juͤngling.
Der Juͤngling ſtoßt vom Strand im leichten Kahne,
Die Sehnſucht hat die Segel ihm gebreitet;
Wie raſch im Fantaſieenoceane,
Von Weſten fortgekost, dahin er gleitet!
Schon weht auf neuen Welten ſeine Fahne,
Wo ſelig er durch Paradieſe ſchreitet,
Und Blumen pfluͤckt, wie nimmer ſie geboren
Im reichſten Lenz die heimatlichen Horen.
„Willkommen Juͤngling, von der fernen Reiſe!“
Begruͤßt ihn tuͤckiſch wieder nun das Leben,
Und koſend naht ein Weib, unmerklich leiſe
Der Liebe Gaukelmacht um ihn zu weben.
Sie haͤlt ihn feſtgebannt in ihrem Kreiſe
Mit Seufzerformeln, heuchelndem Ergeben.
Froh ſchmuͤckt er ihr mit ſeinen Traumes-Bluͤthen
Die Bruſt, um welche Todes-Luͤfte bruͤten.
Der falſche Freund.
„O ſey mein Freund!“ ſo ſchallt's vom Heuchelmunde
Dem Falſchen, der mit heimlichem Behagen
Den Vortheil uͤberzaͤhlt von ſolchem Bunde.
Du trauſt ihm, und — ſchon haſt du eingeſchlagen,
Ein edler Thor! naht einſt die Wetterſtunde,
So ſiehſt den Schurken du mit bleichem Zagen
In ſeines Ichs bequeme Huͤtte ſpringen,
Hinausgeſperrt magſt mit dem Sturm du ringen.
Die ſchlimme Jagd.
Das edle Wild der Freiheit ſcharf zu hetzen,
Durchſtoͤbert eine finſtre Jaͤgerbande
Mit Blutgewehren, ſtillen Meuchelnetzen
Der Waͤlder Heiligthum im deutſchen Lande.
Das Wild mag uͤber Stroͤm' und Kluͤfte ſetzen,
Und klettern mag's am ſteilen Klippenrande:
Der Waidruf ſchallt durch Felſen, Stroͤm' und Kluͤfte,
Empoͤrt verſchleudern ihn die deutſchen Luͤfte.
Der feile Dichter.
Die Muſe muß zur Metze ſich erniedern‚
Der Dichter ſendet ſie zum Maͤcenaten,
Und, frechgeſchuͤrzt, mit ſchaugeſtellten Gliedern,
Der Goͤttlichkeit vergeſſend, tief entrathen‚
Umtanzt ſie ihn mit ſchnoͤden Schmeichelliedern,
Liebaͤugelnd mit den blinkenden Ducaten.
Sie muß den Gott in ihm zum Schlaf bethoͤren,
Das Thier zur wilden Gluth und Flamm' empoͤren.
Der geldgierige Pfaffe.
Der Pfaffe weiß mit Dampf‚ Geſang und Glocken‚
Mit Mummerei, Geberd' und ſchlauem Segen
Den Poͤbel zum Guckkaſten hinzulocken,
Worin ſich Hoͤll' und Himmel bunt bewegen.
Derweil, entzuͤckt, der Poͤbel, und erſchrocken
Ans Wunderloch nun thut das Auge legen,
Umſchleichet ihn der Pfaffe, aus den Taſchen
Die ſchweißgetraͤnkten Kreuzer ihm zu haſchen.
Auf einen Profeſſor.
Seht ihr den Mann mit ſtaͤubender Peruͤcke?
Wie ſprudelt ihm die hochgelahrte Kehle!
Seht, an der morſchen Syllogismen-Kruͤcke
Hinkt Gott in ſeine Welt; die Menſchenſeele
Iſt ewig, denn ſie iſt aus einem Stuͤcke;
Und daß der Argumente keines fehle,
Hat er ein weiſes ergo noch geſprochen:
Der Menſch iſt frei, die Feſſeln ſind gebrochen!
Abschied von Galizien.
Nach dem Polniſchen des N. Boloz von Antonievicz.
Lebt wohl, lebt wohl, ihr trauten Lindenbaͤume,
Die ihr an's ſtille Vaterhaus euch ſchmiegt!
Ihr ſeyd die Zeugen meiner Jugendtraͤume,
In die mich euer Fluͤſtern oft gewiegt.
Nahm auch dem Knaben einſt auf Augenblicke
Ein eingebildet Ungluͤck ſeine Ruh',
Und kam er troſtlos dann zu euch zuruͤcke,
So rauſchtet ihr ihm Troſt und Freude zu.
Von meinen frohen Spielen ſeyd ihr Zeugen,
Von meinem raſchen, leichten Jugendſinn,
Nun ſaͤuſelt Wehmuth mir aus euren Zweigen,
Die Tage meiner Jugend ſind dahin!
Sie ſind dahin! — Ein Knabe noch vor Jahren,
Nehm' Abſchied heute ich als Mann von euch;
Ich ziehe fort zu Thaten und Gefahren,
Es gilt der Tyrannei den Todesſtreich.
So lebet wohl! — Du Werkzeug meiner Spiele,
Das einſt ich trug, du kleines Schwert von Holz!
Sey nun ein Blitz in der Gewitterſchwuͤle,
Du Ritterſchwert, ſey des Sarmaten Stolz!
Lebt wohl, Geſchwiſter! moͤg' euch Gott bewahren!
Ich bin ein Pole bis zum letzten Hauch!
Hurrah! ihr vaterlaͤnd'ſchen Heldenſchaaren!
Leb' wohl, du mein geliebtes Maͤdchen auch! —
Schmach, Juͤngling, dir! haͤlt dich der Glanz von Thraͤnen
Zuruͤck vom ewig hellen Waffenglanz!
Dir, Jungfrau, Schmach! die du, bei Polens Sehnen
Nach Freiheit, nun empfaͤngſt den Myrtenkranz!
Das Herz des Polenmaͤdchens darf nur ſchlagen
Dem Edlen, dem vor Schlachten nimmer graut,
Der gerne will die Todeswunde tragen,
Wenn nur ſein Schwert das Sklavenjoch zerhaut!
Schmach, Mutter, dir! den du zur Schmach geboren,
Umklammre deinen Sohn! entlaſſ' ihn nicht!
Der Freiheit Ruf ſchlug nicht an ſeine Ohren,
Er fuͤhlt fuͤr Polen keine Kindespflicht!
Dem Vater Schmach! — — doch dort, mit Silberhaaren,
Wer iſt der ſchwache Greis in Kriegertracht?
Du Alter, laͤßt du Weib und Kinder fahren?
Kehrſt du vom Grabe um, und wankſt zur Schlacht?
„Ich habe Weib und Kinder Gott befohlen!
„Mein Haupt iſt weiß, es zittert meine Hand;
„Doch kaͤmpf' ich mit den heil'gen Kampf der Polen;
„Wohl mir! ich folge meinem Vaterland!“
„Und moͤge nicht mein Vaterland verſchmaͤhen
„Des ſchwachen Greiſes aͤrmlichen Tribut:
„Dies treue Herz, das bald wird ſtille ſtehen,
„Und, der es noch erwaͤrmt, den Tropfen Blut.“
So opfre ihn! komm, komm zu jenem Huͤgel,
Den unſre Schaaren decken, eilen wir!
Der weiße Adler luͤftet ſeine Fluͤgel,
Bald wird ſein Auge flammen fuͤr und fuͤr!
Lebt wohl, Geſchwiſter! moͤg' euch Gott bewahren!
Mir nach! wer Pole bis zum letzten Hauch!
Hurrah! ihr vaterlaͤnd'ſchen Heldenſchaaren!
Leb' wohl, du mein geliebtes Maͤdchen auch!
O weine nicht, bin ich dir nun entſchwunden,
Und theile mit der Freiheit du mein Herz;
Sie ſey Geſpielin dir in bangen Stunden,
Und ſterb' ich, mag ſie troͤſten deinen Schmerz!
Mein Liebchen, ich empfehle dich dem Himmel!
Hurrah! Sieg oder Tod im heil'gen Streit!
Kanonendonner pocht im Schlachtgetuͤmmel
Wild an die Pforten ſchon der Ewigkeit! —
In der Schenke.
Am Jahrestag der ungluͤcklichen Polenrevolution.
Unſre Glaͤſer klingen hell,
Freudig ſingen unſre Lieder;
Draußen ſchlaͤgt der Nachtgeſell
Sturm ſein brauſendes Gefieder,
Draußen hat die rauhe Zeit
Unſrer Schenke Thuͤr verſchneit.
Haut die Glaͤſer an den Tiſch!
Bruͤder, mit den rauhen Sohlen
Tanzt nun auch der Winter friſch
Auf den Graͤbern edler Polen,
Wo verſcharrt in Eis und Froſt
Liegt der Menſchheit letzter Troſt.
Um die Heldenleichen dort
Rauft der Schnee ſich mit den Raben,
Will vom Tageslichte fort
Tief die Schmach der Welt begraben.
Wohl die Leichen huͤllt der Schnee,
Nicht das ungeheure Weh.
Wenn die Lerche wieder ſingt
Im verwaisten Trauerthale,
Wenn der Roſe Knospe ſpringt
Aufgekuͤßt vom Sonnenſtrahle,
Reißt der Lenz das Leichentuch
Auch vom eingeſcharrten Fluch.
Raſch aus Schnee und Eis hervor
Werden dann die Graͤber tauchen,
Aus den Graͤbern wird empor
Himmelwaͤrts die Schande rauchen,
Und dem ſchwarzen Rauch der Schmach
Spruͤht der Rache Flamme nach.
Aber kommt die Rache nicht,
Mag der Vogel mit dem Halme,
Was da lebt im weiten Licht
Sterben in des Fluches Qualme,
Und die Sonn' erſticke drin,
Daß die Erde ſcheide hin! —
Abendheimkehr.
Sein Buͤndel Holz am Ruͤcken bringt
Der Arme heimgetragen;
Der frohe Knecht die Geißel ſchwingt
Am erndtevollen Wagen.
Die milchbeladne Heerde wiegt
Sich in die trauten Staͤlle;
Mit Scherz und Kuß zur Dirne fliegt
Der luſtige Geſelle.
Von Feld und Walde pfeift nach Haus
Der Jaͤger dort, der raſche,
Und Haſ' und Wachtel guckt heraus,
Zu prahlen, aus der Taſche.
Den Dichter ſieht man aus der Nacht
Der Eichen ſelig ſchwanken;
Er taumelt heim mit ſeiner Tracht
Unſterblicher Gedanken.
Vanitas.
Eitles Trachten, eitles Ringen
Frißt dein bischen Leben auf,
Bis die Abendglocken klingen,
Still dann ſteht der tolle Lauf.
Gaſtlich bot dir auf der Reiſe
Die Natur ihr Heiligthum;
Doch du ſtaͤubteſt fort im Gleiſe,
Sahſt nach ihr dich gar nicht um.
Bluͤthenduft und Nachtigallen,
Maͤdchenkuß und Freundeswort
Riefen dich in ihre Hallen;
Doch du jagteſt fort und fort.
Eine Thoͤrin dir zur Seite
Trieb mit dir ein arges Spiel,
Wies dir ſtets ins graue Weite:
„Siehſt du, Freund, dort glaͤnzt das Ziel!“
War es Gold, war's Macht und Ehre,
Was ſie ſchmeichelnd dir verhieß:
Kunſtgriff war's nur der Hetaͤre,
Eitel Tand iſt das und dieß.
Sieh! noch winkt ſie dir ins Weite,
Und du wardſt ein alter Knab!
Nun entſchluͤpft dir dein Geleite,
Und du ſtehſt allein — am Grab.
Kannſt nicht trocknen mehr die Stirne,
Da du mit dem Tode ringſt;
Hoͤrſt nur ferne noch der Dirne
Hohngelaͤchter — und verſinkſt!
Die Werbung.
Rings im Kreiſe lauſcht die Menge
Baͤrtiger Magyaren froh;
Aus dem Kreiſe rauſchen Klaͤnge,
Was ergreifen die mich ſo? —
Tiefgebraͤunt vom Sonnenbrande,
Rothgegluͤht von Weinesgluth,
Spielt da die Zigeunerbande,
Und empoͤrt das Heldenblut.
„Laß die Geige wilder ſingen!
„Wilder ſchlag' das Zimbal du!“
Ruft der Werber, und es klingen
Seine Sporne hell dazu.
Der Zigeuner hoͤrts, und voller
Woͤlkt ſein Mund der Pfeife Dampf;
Lauter immer, immer toller
Braust der Inſtrumente Kampf,
Braust die alte Heldenweiſe,
Die vor Zeiten wohl mit Macht
Friſche Knaben, welke Greiſe
Hinzog in die Tuͤrkenſchlacht.
[23]
Wie des Werbers Augen gluͤh'n!
Und wie all' die Saͤbelnarben,
Ehrenroͤslein, purpurfarben,
Ihm auf Wang' und Stirne bluͤh'n!
Klirrend glaͤnzt das Schwert in Funken,
Das ſich oft im Blute wuſch;
Auf dem Cſako, freudetrunken,
Taumelt ihm der Federbuſch. —
Aus der bunten Menge ragen
Einen Juͤngling, ſtark und hoch,
Sieht der Werber mit Behagen;
„Waͤreſt du ein Reiter doch!“
Ruft er aus mit lichtren Augen;
„Solcher Wuchs und ſolche Kraft
„Wuͤrden dem Huſaren taugen;
„Komm und trinke Bruͤderſchaft!“
Und es ſchwingt der freudigraſche
Jenem zu die volle Flaſche.
Doch der Juͤngling hoͤrt es ſchweigend,
In die Schatten der Gedanken,
Die ihn bang und ſuͤß umranken,
Still ſein ſchoͤnes Antlitz neigend.
Ihn bewegt das edle Sehnen,
Wie der Ahn ein Held zu ſeyn;
[24]
Doch berieſeln warme Thraͤnen
Seiner Wangen Roſenſchein.
Auſſer denen, die da rauſchen
In Muſik, in Werberswort,
Scheint er Klaͤngen noch zu lauſchen,
Hergeweht aus fernem Ort:
„Komm zuruͤck in meine Arme!“
Fleht ſein Muͤtterlein ſo bang;
Und die Braut in ihrem Harme
Fleht: „O ſaͤume nimmer lang!“
Und er ſieht das Huͤttchen trauern,
Das ihn hegte mit den Seinen;
Hoͤrt davor die Linde ſchauern,
Und den Bach voruͤberweinen. —
Pochſt du lauter nach den Bahnen
Kuͤhner Thaten, junges Herz?
Oder zieht das ſuͤße Mahnen
Dich der Liebe heimatwaͤrts?
Alſo ſteht er unentſchloſſen,
Waͤhrend dort Rekruten ſchon
Zieh'n in's Feld auf flinken Roſſen,
Luſtig mit Drommetenton.
„Komm in unſre Reiterſchaaren!“
Faͤllt der Werber jubelnd ein, —
[25]
„Schoͤnes Leben des Huſaren!
„Das iſt Leben, das allein!“ —
Juͤnglings Augen flammen heller,
Seine Pulſe jagen ſchneller. — —
Ploͤtzlich zeigt ſich mir im Kreiſe
Eine finſtere Geſtalt,
Tiefen Ernſtes, ſchreitet leiſe,
Und beim Werber macht ſie halt.
Und ſie fluͤſtert ihm ſo dringend
Ein geheimes Wort ins Ohr,
Daß er, hoch den Saͤbel ſchwingend,
Wie begeiſtert loht empor.
Und der Daͤmon ſchwebt zur Bande,
Facht den Eifer der Muſik
Maͤchtig an zum ſtaͤrkſten Brande
Mit Geraun' und Geiſterblick.
Aus des Baſſes Sturmgewittern
Mit unendlich ſuͤßem Sehnen,
Mit der Stimmen weichem Zittern,
Singen Geigen, Grabſirenen.
Und der Finſt're ſchwebt enteilend
Durch der Lauſcher dichte Reihe,
Nur am Juͤngling noch verweilend,
Wie mit einem Blick der Weihe. —
[26]
Bald im ungeſtuͤmen Werben
Wird der Liebe Klagelaut,
Wird das Bild der Heimat ſterben!
Arme Mutter! arme Braut! —
In des Juͤnglings letztes Wanken
Bricht des Werbers rauhes Zanken,
Lacht des Werbers bittrer Hohn:
„Biſt wohl auch kein Heldenſohn!
„Biſt kein echter Ungarjunge!
„Feiges Herz! ſo fahre hin!“
Seht, er ſtuͤrzt mit raſchem Sprunge —
Zorn und Scham der Wange Gluͤhn —
Hin zum Werber, von der Rechten
Schallt der Handſchlag in den Luͤften,
Und er guͤrtet, kuͤhn zum Fechten,
Schnell das Schwert ſich um die Huͤften. —
Wie beim Sonnenuntergange
Hier und dort vom Saatgefild
Still waldeinwaͤrts ſchleicht das Wild:
Alſo von der Ungarn Wange
Fluͤchtet in den Bart herab
Still die ſcheue Maͤnnerzaͤhre.
Ahnen ſie des Juͤnglings Ehre?
Ahnen ſie ſein fruͤhes Grab?
Der Schifferknecht.
Am Boden auf dem Rohrgeflecht,
Vom harten Gluͤck verſtoſſen,
Da ruht der arme Schifferknecht
Mit ſeinen muͤden Roſſen.
Er haust bei Tag und Nacht am Strand,
Der Herd- und Huͤttenloſe,
Und ihm gedeiht im Uferſand
Wohl keine Freudenroſe.
Die Nacht iſt kuͤhl, es braust der Wind,
Still blickt der Mond hernieder;
Die Donau murmelt ihrem Kind
Gewohnte Schlummerlieder.
Sein Schlaf iſt ſuͤß, er ſchluͤrft ihn ein
In ſtarken, tiefen Zuͤgen,
Berauſchet ihn, ihr Fantaſei'n,
Aus euren Zauberkruͤgen.
Laßt wandeln ihn am Wieſenhang
Im goldnen Morgenſcheine,
Und ihm ertoͤne Vogelſang
Im aufgebluͤhten Haine.
Gebt ihm ein Haͤuschen ſtill und traut,
Umrankt von gruͤnen Baͤumen,
Und eine ſchoͤne junge Braut,
Gebt ihm in ſeinen Traͤumen!
Beim Huͤttchen auf der Abendbank
Da ſitzen ſelig beide,
Heimkehrt mit frohem Glockenklang
Die Heerde von der Weide.
Nun hoͤrt er nicht der Pferde Huf,
Und nicht die Geißel knallen,
Hoͤrt nicht der Schiffer langen Ruf
Im fernen Wald verhallen.
Er ſieht nicht, wie vom Strand hinab
Den armen Kameraden
Sammt ſeinem Roß in's Wellengrab
Fortreißt der arge Faden. *)
Marie und Wilhelm.
Im Abendſchein am Fenſter ſaß
Allein mit ihrem Harme
Marie, das Antlitz welk und blaß
Geſenkt auf ihre Arme.
So ſaß das Maͤdchen ſtill und ſann,
Sann nach den alten Zeiten,
Und manche heiße Thraͤne rann
Den ſchoͤnen alten Zeiten:
Als ſie im trauten Huͤttlein noch
Bei lieben Eltern wohnte,
Und ſuͤßer Gottesfriede noch
Der reinen Seele lohnte;
Als ſie ſo fromm zur Kirche ging,
Und ihre Wange gluͤhte,
Wenn jedes Aug' im Dorfe hing
An ihrer Jugendbluͤthe.
Als ſie am lauten Erlenbach
Dem Wilhelm, freudetrunken,
Das erſte Wort der Liebe ſprach,
Und ihm ans Herz geſunken;
Und er ſie nannte „ſuͤße Braut!“ —
„Das Alles iſt voruͤber!“
So dachte ſie, und ſchluchzte laut,
Ihr Herz ward immer truͤber.
„Es kam der Feind im Sturmeslauf
„Mit grimmen Todesſtreichen;
„Das Huͤttlein ſank ein Aſchenhauf,
„Die Eltern — wunde Leichen.
„Die Eltern todt! Er in die Welt!
„Die Thraͤne rann vergebens!
„Ich in die Nacht hinausgeſtellt
„Des unbekannten Lebens! —
„Da glaͤnzt' ein milder Strahl daher
„Im hoffnungloſen Dunkel,
„Ein boͤſes Irrlicht, lockend ſehr
„Mit lieblichem Gefunkel:“
„„Laß ab zu klagen, Kind, laß ab!
„„Komm, folge deinem Sterne!
„„Die Eltern kuͤhlt und heilt das Grab,
„„Den Braͤutigam die Ferne!““
„„Bald ſollſt du als begluͤckte Frau
„„Geneſen aller Leiden;
„„Komm, folge mir zur Liebesau
„„Voll ewig gruͤner Freuden!““
„Ich wiſchte mit treuloſer Hand
„Die Thraͤnen von der Wange,
„Und ging — und ging — das Irrlicht ſchwand
„Am furchtbar ſteilen Hange!
„Nun iſt mein Herz ſo grabesdumpf,
„Verlaſſen wie die Wuͤſte,
„Seit in den bodenloſen Sumpf
„Geſunken ich der Luͤſte!“ —
Marie blickt in die Nacht hinein
Aus ihrem ſtillen Zimmer;
Schon iſt am Himmel Sternenſchein
Und ſanfter Mondenſchimmer.
Im Garten ruft die Nachtigall,
Sie ſcheint in bangen Weiſen
Zu klagen um des Maͤdchens Fall,
Die Unſchuld ſuͤß zu preiſen.
Und leiſe kommt der Abendwind,
Der ihren Locken ſchmeichelt,
Als wollt' er troͤſten, ihr gelind
Die bleiche Wange ſtreichelt.
Geh fort, o Weſt, vom Maͤdchen, geh!
Laß ruhn den welken Flieder!
Du thuſt ihr mit den Bluͤthen weh,
Die du auf ſie ſtreuſt nieder! — —
Da oͤffnet ſich das Kaͤmmerlein:
Es ruft ein Mann: „Maria!“
Die Freude ſtoßt ihn wild herein:
„O meine Braut Maria!“
„Ich habe nun mein Gluͤck erjagt,
„Mich durch die Welt getrieben;
„Hab' viel gelitten, viel gewagt,
„Und bin dir treu geblieben!“
„Wenn ſchier mein Herz vor Leide brach
„An lieblos fremdem Orte,
„So dacht' ich an den Erlenbach,
„Ich dacht' an deine Worte!“ —
Er preßt ſie ſelig an das Herz;
Sie aber muß ſich wenden,
Sie huͤllt, zerknickt von ihrem Schmerz,
Das Antlitz mit den Haͤnden.
Und leichenblaß und zitternd bricht,
Sie hin zu ſeinen Fuͤßen;
Er weint, er deckt ihr Angeſicht
Mit feurig bangen Kuͤſſen.
„Mir nicht den Kuß! bin ſein nicht werth;
„Tief ſank ich ins Verderben!
„Bin treulos, Wilhelm, und entehrt!
„Zieh fort, und laß mich ſterben!“ —
Wie alſo ſie zu Wilhelm ſprach,
Da ſchied er, ſchwer beklommen,
Ging ſtill hinaus zum Erlenbach,
Der ihn mit fort genommen.
Begräbniss einer alten Bettlerin.
Vier Maͤnner dort, in ſchwarzem Kleid,
Die tragen auf der Bahre,
Laſttraͤger, ohne Luſt und Leid,
Des Todes kalte Waare.
Sie eilen mit dem todten Leib
Hinaus zum Ort der Ruhe.
Schlaf wohl, du armes Bettelweib,
In deiner morſchen Truhe.
Dir folgt kein Menſch zum Glockenklang
Mit weinenden Geberden;
Die Noth nur blieb dir treu, ſo lang
Von dir noch was auf Erden.
Dir gab der Menſchen ſchnoͤder Geiz
Ein Leichentuch, zerfetzet,
Hat ein verſtuͤmmelt Chriſtuskreuz
Dir auf den Sarg geſetzet;
Doch kraͤnkt dich nicht der bittre Spott
In deinem tiefen Frieden,
Daß man ſelbſt einen ſchlechtern Gott
Dir auf den Weg beſchieden.
Einſt bluͤhteſt du im Jugendglanz,
Vom ganzen Dorf geprieſen
Die ſchoͤnſte Maid am Erntetanz
Dort unten auf der Wieſen.
Folgt keiner dir der Burſche nach,
Die dort mit dir geſprungen?
Wohl laͤngſt die muntre Fidel brach,
Die dort ſo hell geklungen!
Lieder der Sehnſucht.
[[38]][[39]]An meine Rose.
Frohlocke, ſchoͤne junge Roſe,
Dein Bild wird nicht verſchwinden,
Wenn auch die Gluth, die dauerloſe,
Verweht in Abendwinden.
So ſuͤßer Duft, ſo helle Flamme
Kann nicht fuͤr irdiſch gelten,
Du prangſt am ſtolzen Roſenſtamme,
Verpflanzt aus andern Welten;
Aus Buͤſchen, wo die Goͤtter gerne
Sich in die Schatten ſenken,
Wenn ſie in heilig ſtiller Ferne
Der Menſchen Gluͤck bedenken.
Darum mich ein Hinuͤberſehnen
Stets inniger umſchmieget,
Je laͤnger ſich in meinen Thraͤnen
Dein holdes Antlitz wieget.
O weilten wir in jenen Luͤften,
Wo keine Schranke wehrte,
Daß ich mit deinen Zauberduͤften
Die Ewigkeiten naͤhrte! —
Hier nah'n die Augenblicke, — ſchwinden
An dir voruͤber immer,
Ein jeder eilt dich noch zu finden
In deinem Jugendſchimmer;
Und ich, wie ſie, muß immer eilen
Mit allem meinem Lieben
An dir vorbei, darf nie verweilen,
Von Stuͤrmen fortgetrieben.
Doch hat, du holde Wunderblume,
Mein Herz voll ſuͤßen Bebens
Dich mir gemalt zum Eigenthume
Ins Tiefſte meines Lebens,
Wohin der Tod, der Ruhebringer,
Sich ſcheuen wird zu greifen,
Wenn endlich ſeine ſanften Finger
Mein Welkes niederſtreifen.
Reise-Empfindung.
Ich ſah in bleicher Silbertracht
Die Birkenſtaͤmme prangen,
Als waͤre d'ran aus heller Nacht
Das Mondlicht blieben hangen;
Und in dem zarten Birkenhain
Sah ich ein Haͤuschen blinken,
Das hob gleich an, zu ſich hinein
Holdfreundlich mich zu winken.
Wie da im rothen Morgenſtrahl
Die Fenſterlein erglaͤnzten;
Und wie ſo freudig Berg und Thal
Mit Roſen ſich bekraͤnzten!
Die Rebe auf zum Fenſter klomm
Mit ihren goldnen Trauben;
Die Unſchuld ſaß am Dache fromm
In ſtillen weißen Tauben.
Die Lerche ſang und ſchwand dahin
Auf morgenfrohen Schwingen,
So daß der blaue Himmel ſchien
Ins Thal herabzuſingen. —
Da meint' ich ſchon, das Fenſter ſoll
Sich freundlich mir erſchließen,
Und aus dem Rahmen liebevoll
Die Theure mich begruͤßen.
Du ſeligſte der Fantaſei'n!
Ach, waͤr' es mir beſchieden,
Mit ihr zu leben hier allein
Im ſuͤßen Waldesfrieden!
Mit ihr im linden Fruͤhlingshauch
Durch dieſen Hain zu wallen,
Zu lauſchen hier im Bluͤthenſtrauch
Dem Lied der Nachtigallen.
Mit ihr zu ſchau'n im Herbſteswehn
Die welken Blaͤtter fliegen,
Umrauſcht vom ſchmerzlichen Vergehn,
Mich feſt an ſie zu ſchmiegen.
Wenn dann in rauher Winterzeit
Ein Lied mein Liebchen ſaͤnge,
Und aller Himmel Seligkeit
Mir in die Stube draͤnge! —
Ich wagt' es mich zu regen kaum
In meinem ſtillen Sinnen,
Beſorgt, das Haͤuschen moͤcht', ein Traum,
Vor meinem Blick zerrinnen.
Doch, ſieh, da oͤffnet ſich die Thuͤr,
Der Zauber war geſchwunden,
Es trat ein Jaͤgersmann herfuͤr
Mit nachgeſprengten Hunden.
Er gruͤßte mich mit raſchem Blick
Und ſtreift' waldein gar heiter,
Ich gab ihm ſeinen Gruß zuruͤck,
Und traurig ging ich weiter.
Nach Süden.
Dort nach Suͤden zieht der Regen,
Winde brauſen ſuͤdenwaͤrts,
Nach des Donners fernen Schlaͤgen,
Dort nach Suͤden will mein Herz.
Dort im fernen Ungerlande
Freundlich ſchmuck ein Doͤrfchen ſteht,
Rings umrauſcht von Waldesrande,
Mild von Segen rings umweht.
An des Doͤrfchens ſtillem Saume
Iſt ein Huͤttlein hingeſtellt,
Das in ſeinem engen Raume
Wahret meine Herzenswelt.
Baͤume halten es umſchlungen
Mit den Zweigen inniglich,
Baͤume, die dem Wald entſprungen,
Sehnend nach dem Huͤttlein ſich.
Aus dem Fenſter blickt nun ſchweigend
Lilla nach dem Wald hinaus,
Ihr Geſichtchen traurig neigend
Blickt ſie nach dem Laubgebraus.
Und ſie ſieht's mit ſtillem Sinnen,
Und ſie ſieht es bang geruͤhrt,
Wie die Waſſer niederrinnen,
Wie der Wind das Laub entfuͤhrt.
Lauter wogt der Bach und truͤber,
Lauter wird der Luͤfte Streit,
Hoͤrbar rauſcht die Zeit voruͤber
An des Maͤdchens Einſamkeit.
Frage.
Mir hat noch deine Stimme nicht geklungen,
Ich ſah nur erſt dein holdes Angeſicht;
Doch hat der Strom der Schoͤnheit mich bezwungen,
Der hell von dir in meine Seele bricht.
In's Tiefſte iſt er maͤchtig mir gedrungen,
Was dort bis nun gelebt, nun lebt es nicht,
Suͤß ſterbend ward es von der Fluth verſchlungen.
Das iſt der Liebe himmliſches Gericht!
O daß mein kuͤhnes Hoffen, banges Zagen,
Ein milder Spruch aus deinem Munde gruͤßte!
Die Wellen, die ſo laut mein Herz durchſchlagen,
Wohin doch werden ſie die Seele tragen?
An der Erhoͤrung Paradieſeskuͤſte? —
In der Verſtoßung trauervolle Wuͤſte? —
In der Wüste.
Iſt's nicht eitel und vergebens,
Lieben Freunde, ſaget an!
Durch den Wuͤſtenſand des Lebens
Sich zu wuͤhlen eine Bahn?
Streut auch unſer Fuß im Staube
Spuren aus von ſeinem Lauf,
Gleich, wie Geier nach dem Raube,
Kommt ein Sturm und frißt ſie auf.
Einſam und in Karavanen
Treibt es nach dem Land der Ruh',
Und es flattern tauſend Fahnen
Hier und dort der Ferne zu.
Wir auch wandern vielverbuͤndet
Nach der Raͤthſelferne aus;
Doch der Strahl der Wuͤſte zuͤndet
Sehnſucht nach dem kuͤhlen Haus;
Zuͤndet heißer ſtets das Sehnen
In die Gruft aus dieſem Land,
Wo, nie ſatt, nach unſern Thraͤnen
Lechzt empor der duͤrre Sand.
Meine Braut.
An der duftverlornen Graͤnze
Jener Berge tanzen hold
Abendwolken ihre Taͤnze,
Leichtgeſchuͤrzt im Strahlengold.
Wenn ich nach den lichten Raͤumen
Jener Berg' hinuͤberſeh',
Ueberſchleicht mich's wie ein Traͤumen,
Faßt mein Herz ein dunkles Weh.
Und mir iſt, als wohne druͤben
Meine Braut und harre bang,
Daß ich komme, ſie zu lieben,
Eh' verbluͤht iſt Herz und Wang'.
Ploͤtzlich treibt ein wildes Sehnen
Nach den Bergen mich, zu ihr,
Fluchtverſtreute Wonnethraͤnen
Stuͤrzen aus dem Auge mir.
Doch die Berge ſich verdunkeln,
Und die Wolken werden Nacht;
Nicht ein Sternlein ſeh' ich funkeln,
Und der Sturm iſt aufgewacht;
Scheltend ruft er mir entgegen:
Heißer Narr, wohin? verzeuch!
Deine Braut heißt Qual, — den Segen
Spricht das Ungluͤck uͤber euch!
Dein Bild.
Die Sonne ſinkt, die Berge gluͤh'n,
Und aus des Abends Roſen
Seh' ich ſo ſchoͤn dein Bild mir bluͤh'n,
So fern dem Hoffnungloſen.
Strahlt Hesperus dann hell und mild
Am blauen Himmelsbogen,
So hat mit ihm dein ſuͤßes Bild
Die Sternenflur bezogen.
Im mondbeglaͤnzten Laube ſpielt
Der Abendwinde Saͤuſeln;
Wie freudig um dein zitternd Bild
Des Baches Wellen kraͤuſeln! —
Es brauſt der Wald, am Himmel zieh'n
Des Sturmes Donnerfluͤge,
Da mal' ich in die Wetter hin,
O Maͤdchen, deine Zuͤge.
Ich ſeh' die Blitze trunkenhaft
Um deine Zuͤge ſchwanken,
Wie meiner tiefen Leidenſchaft
Aufflammende Gedanken.
Vom Felſen ſtuͤrzt die Gemſe dort,
Enteilet mit den Winden,
So ſprang von mir die Freude fort,
Und iſt nicht mehr zu finden.
Da bin ich, weiß nicht ſelber wie,
An einen Abgrund kommen,
Der noch das Kind der Sonne nie
In ſeinen Schoos genommen.
Ich aber ſeh' aus ſeiner Nacht
Dein Bild ſo hold mir blinken,
Wie mir dein Antlitz nie gelacht; —
Will's mich hinunter winken? —
Ghasel.
Du, ſchoͤne Stunde, warſt mir hold, ſo hold, wie keine noch,
Ich ſeh' dein Angeſicht ergluͤh'n im Roſenſcheine noch;
So ſah den Engel Gottes einſt mit Wangen freudenroth
Im Paradieſe laͤchelnd nah'n der Menſch, der reine noch.
Du kamſt mit ihr und flohſt mit ihr, und ſeit ich euch verlor,
Verſehnt' ich manchen truͤben Tag in jenem Haine noch,
Und fragte weinend mein Geſchick: „bewahrſt in deinem Schatz
So holde Stunde du fuͤr mich nicht eine, eine noch?“
Dort mocht' ich lauſchen ſpaͤt und fruͤh: wohl fluͤſterts im
Gezweig',
Doch immer ſchweigt noch mein Geſchick — ich lauſch' und
weine noch.
Das Mondlicht.
Dein gedenkend irr' ich einſam
Dieſen Strom entlang;
Koͤnnten lauſchen wir gemeinſam
Seinem Wellenklang!
Koͤnnten wir zuſammenſchauen
In den Mond empor,
Der da druͤben aus den Auen
Leiſe taucht hervor.
Freundlich ſtreut er meinem Blicke
Aus dem Silberſchein
Stromhinuͤber eine Bruͤcke
Bis zum ſtillen Hain. —
Wo des Stromes frohe Wellen
Durch den Schimmer zieh'n,
Seh' ich, wie hinab die ſchnellen
Unaufhaltſam flieh'n.
Aber wo im ſchimmerloſen
Dunkel geht die Fluth,
Iſt ſie nur ein dumpfes Toſen,
Das dem Auge ruht. —
Daß doch mein Geſchick mir braͤchte
Einen Blick von dir!
Suͤßes Mondlicht meiner Naͤchte,
Maͤdchen, biſt du mir!
Wenn nach dir ich oft vergebens
In die Nacht geſeh'n,
Scheint der dunkle Strom des Lebens
Traurend ſtill zu ſteh'n;
Wenn du uͤber ſeinen Wogen
Strahleſt zauberhell,
Seh ich ſie dahingezogen,
Ach, nur allzuſchnell!
Nächtliche Wanderung.
Die Nacht iſt finſter, ſchwuͤl und bang,
Der Wind im Walde tost;
Ich wandre fort die Nacht entlang,
Und finde keinen Troſt.
Und mir zur Seite, engelmild,
Und, ach, ſo ſchmerzlich traut,
Zieht mein Geleite hin, das Bild
Von meiner todten Braut.
Ihr bleiches Antlitz bittet mich,
Was mich ihr ſuͤßer Mund
So zaͤrtlich bat und feierlich
In ihrer Sterbeſtund':
„Bezwinge fromm die Todesluſt,
„Die dir im Auge ſtarrt,
„Wenn man mich bald von deiner Bruſt
„Fortreiſſet und verſcharrt!“
Da unten brauſt der wilde Bach,
Fuͤhrt reichen, friſchen Tod,
Die Wogen rufen laut mir nach:
„Komm, komm, und trinke Tod!“
Das klingt ſo lieblich wie Muſik.
Wird wo ein Paar getraut;
Doch zieht vom Sprunge mich zuruͤck
Das Wort der todten Braut.
Stets finſtrer wird der Wolkendrang.
Der Sturm im Walde bruͤllt,
Und ferne hebt ſich Donnerklang,
Der immer ſtaͤrker ſchwillt.
O ſchlaͤngle dich, du Wetterſtrahl,
Herab, ein Faden mir,
Der aus dem Labyrinth der Qual
Hinaus mich fuͤhrt zu ihr!
Das Posthorn.
Still iſt ſchon das ganze Dorf,
Alles ſchlafen gangen,
Auch die Voͤglein im Gezweig,
Die ſo lieblich ſangen.
Dort in ſeiner Einſamkeit
Kommt der Mond nun wieder,
Und er laͤchelt ſtill und bleich
Seinen Gruß hernieder;
Nur der Bach, der nimmer ruht,
Hat ihn gleich vernommen,
Laͤchelt ihm den Gruß zuruͤck,
Fluͤſtert ihm: „Willkommen!“
Mich auch findeſt du noch wach,
Lieber Mond, wie dieſen,
Denn auf immer hat die Ruh'
Mich auch fortgewieſen.
Mich umſchlingt kein holder Traum
Mit den Zauberfaͤden,
Hab' mit meinem Schmerze noch
Manches Wort zu reden.
Ferne, leiſe hoͤr' ich dort
Eines Poſthorns Klaͤnge,
Ploͤtzlich wird mir um das Herz
Nun noch eins ſo enge.
Toͤne, Wandermelodei,
Durch die oͤden Straßen,
Wie ſo leicht einander doch
Menſchen ſich verlaſſen!
Luſtig rollt der Wagen fort
Ueber Stein' und Bruͤcken,
Stand nicht wer an ſeinem Schlag
Mit verweinten Blicken?
Mag er ſtehn! die Thraͤne kann
Nicht die Roſſe halten;
Mag der rauhe Geißelſchlag
Ihm die Seele ſpalten!
Schon verhallt des Hornes Klang
Ferne meinem Lauſchen,
Und ich hoͤre wieder nur
Hier das Baͤchlein rauſchen.
Ich gedenke bang und ſchwer
Aller meiner Lieben,
Die in ferner Heimat mir
Sind zuruͤckgeblieben;
Dieſe ſchoͤne Sommernacht
Muß voruͤbergehen,
Und mein Leben ohne ſie
Einſamkeit verwehen.
Mahnend ruft die Mitternacht
Mir herab vom Thurme;
Ferne! denket mein! die Zeit
Eilt dahin im Sturme!
Unſre Graͤber, denket mein!
Sind ſchon ungeduldig! —
Daß wir nicht beiſammen ſind,
Bin ich ſelber ſchuldig.
Bitte.
Weil' auf mir, du dunkles Auge,
Uebe deine ganze Macht,
Ernſte, milde, traͤumeriſche,
Unergruͤndlich ſuͤße Nacht!
Nimm mit deinem Zauberdunkel
Dieſe Welt von hinnen mir,
Daß du uͤber meinem Leben
Einſam ſchwebeſt fuͤr und fuͤr.
An die Ersehnte.
Umſonſt! du biſt auf immer mir verloren!
Laut rufend in den dunkeln Wald des Lebens,
Hat ohne Raſt die Sehnſucht dich beſchworen;
Ihr Ruf durchklang die Einſamkeit vergebens.
Tief iſt mein Herz erkrankt an einer Ahnung,
Von der ich nimmer wohl geneſen werde,
Es fluͤſtert mir mein Herz die truͤbe Mahnung;
„Noch iſt ſie nicht geboren dieſer Erde!“
„Die Stunden, die mit frohen Wanderſaͤngen
„Das Maͤdchen einſt durchs Erdenthal geleiten,
„Sie ſchlummern in der Zukunft Schattengaͤngen
„Bei ihrer Buͤrde noch von Seligkeiten,
„Von Seligkeiten, die mit leichten Haͤnden
„Die wachen einſt entgegenſtreuen Allen,
„An welche ſie die ſchoͤne Gunſt verſchwenden,
„Mit ihrer Koͤnigin vorbeizuwallen.
„Die eine aber von den Schlaͤferinnen
„Wird locken ſie zur Kuͤhle von Cypreſſen,
„Und fuͤhren ſie, verſenkt in ſtilles Sinnen,
„An deinen Huͤgel, mooſig und vergeſſen;
„Dann irrt dein Geiſt um deine Aſche bange,
„Dann zittern Geiſt und Staub ſich zu vereinen;
„Das Maͤdchen aber wird am Grabeshange,
„Geheim ergriffen, ſtille ſtehn — und weinen.“
Herbstklage.
Holder Lenz, du biſt dahin!
Nirgends, nirgends darfſt du bleiben!
Wo ich ſah dein frohes Bluͤh'n,
Rauſcht des Herbſtes banges Treiben.
Wie der Wind ſo traurig fuhr
Durch den Strauch, als ob er weine;
Sterbeſeufzer der Natur
Schauern durch die welken Haine.
Wieder iſt, wie bald! wie bald!
Mir ein Jahr dahingeſchwunden!
Fragend rauſcht es aus dem Wald:
Haſt du ſie noch nicht gefunden? —
Schilflieder.
1.
Druͤben geht die Sonne ſcheiden,
Und der muͤde Tag entſchlief;
Niederhangen hier die Weiden
In den Teich, ſo ſtill, ſo tief.
Und ich muß mein Liebſtes meiden!
Quill, o Thraͤne, quill hervor!
Traurig ſaͤuſeln hier die Weiden,
Und im Winde bebt das Rohr.
In mein ſtilles, tiefes Leiden
Strahlſt du, Ferne! hell und mild,
Wie durch Binſen hier und Weiden
Strahlt des Abendſternes Bild.
2.
Truͤbe wird's, die Wolken jagen,
Und der Regen niederbricht,
Und die lauten Winde klagen:
„Teich, wo iſt dein Sternenlicht?“
Suchen den erloſchnen Schimmer
Tief im aufgewuͤhlten See.
Deine Liebe laͤchelt nimmer
Nieder in mein tiefes Weh!
3.
Auf geheimem Waldespfade
Schleich' ich gern im Abendſchein
An das oͤde Schilfgeſtade,
Maͤdchen, und gedenke dein!
Wenn ſich dann der Buſch verduͤſtert,
Rauſcht das Rohr geheimnißvoll,
Und es klaget und es fluͤſtert,
Daß ich weinen, weinen ſoll.
Und ich mein', ich hoͤre wehen
Leiſe deiner Stimme Klang,
Und im Weiher untergehen
Deinen lieblichen Geſang.
4.
Sonnenuntergang;
Schwarze Wolken zieh'n,
O wie ſchwuͤl und bang
Alle Winde flieh'n!
Durch den Himmel wild
Jagen Blitze, bleich;
Ihr vergaͤnglich Bild
Wandelt durch den Teich.
Wie gewitterklar
Mein' ich dich zu ſeh'n,
Und dein langes Haar
Frei im Sturme weh'n!
5.
Auf dem Teich, dem regungsloſen,
Weilt des Mondes holder Glanz,
Flechtend ſeine bleichen Roſen
In des Schilfes gruͤnen Kranz.
Hirſche wandeln dort am Huͤgel,
Blicken in die Nacht empor;
Manchmal regt ſich das Gefluͤgel
Traͤumeriſch im tiefen Rohr.
Weinend muß mein Blick ſich ſenken;
Durch die tiefſte Seele geht
Mir ein ſuͤßes Deingedenken,
Wie ein ſtilles Nachtgebet!
Winternacht.
1.
Vor Kaͤlte iſt die Luft erſtarrt‚
Es kracht der Schnee von meinen Tritten,
Es dampft mein Hauch, es klirrt mein Bart;
Nur fort, nur immer fort geſchritten!
Wie feierlich die Gegend ſchweigt!
Der Mond beſcheint die alten Fichten,
Die, ſehnſuchtsvoll zum Tod geneigt‚
Den Zweig zuruͤck zur Erde richten.
Froſt! friere mir in's Herz hinein!
Tief in das heißbewegte, wilde!
Daß einmal Ruh mag drinnen ſeyn‚
Wie hier im naͤchtlichen Gefilde!
2.
Dort heult im tiefen Waldesraum
Ein Wolf; — wie's Kind aufweckt die Mutter,
Schreit er die Nacht aus ihrem Traum,
Und heiſcht von ihr ſein blutig Futter.
Nun brauſen uͤber Schnee und Eis
Die Winde fort mit tollem Jagen,
Als wollten ſie ſich rennen heiß:
Wach auf, o Herz, zu wildem Klagen!
Laß deine Todten auferſtehn,
Und deiner Qualen dunkle Horden!
Und laß ſie mit den Stuͤrmen gehn,
Die friſcher immer wehn vom Norden!
Lieder der Vergangenheit.
[[74]][[75]]Leichte Trübung.
Woher dies ploͤtzliche Verſtummen?
Und dieſe Wolken, kummerſchwer,
Die mir dein Angeſicht vermummen,
Das erſt ſo froh geſtrahlt, woher?
„Siehſt du den blauen Berg dort ragen,
Der Felſen in die Luͤfte hebt,
An welchen ſelbſt die Gemſen zagen,
Und der erſchrockne Jaͤger bebt? —
Von ſeinem Gipfel ſchleudre du
Ein Steinchen ſpielend in die Tiefen:
Du ſtoͤrſt der Luͤfte ſchwanke Ruh,
Und Nebel ſteigen, die dort ſchliefen.
So warfſt du, ſeine Kraft nicht ahnend,
Ein Woͤrtchen mir in meine Bruſt,
Ein Woͤrtchen, leiſe, aber mahnend,
Und ſieh, nun ſtieg der truͤbe Wuſt
Von Nebelbildern alter Kraͤnkung
Aus ihrer ſtillen Nachtverſenkung.“
Das todte Glück.
Leiſ' umrauſcht von Himmelsquellen,
Suͤße Sehnſucht in der Bruſt
Saß ich einſt die mondeshellen
Naͤchte da in ſtiller Luſt.
Jene Zeit wird nimmer kommen,
Himmelsquellen ſind verſiegt,
All mein Sehnen iſt verglommen,
Und mein Gluͤck im Grabe liegt.
Weib, du riefſt in boͤſer Stunde
Mit dem zauberiſchen Blick,
Mit dem wonnevollen Munde
Schmeichelnd hin zu dir mein Gluͤck.
Und es kam ein Kind und ſchmiegte,
Flehend ſich in deinen Arm,
Der es mild umſchlang und wiegte,
Als ein weicher Mutterarm.
Nun das Kind in Traumeswonnen
Hingeſchlummert, ſich verlor;
Nahmſt du ſtill und kaltbeſonnen
Deinen Todesdolch hervor.
Scharf geſchliffen am Geſteine
Deines Herzens war der Stahl,
Und das Kind, um das ich weine,
Athmete zum leztenmal.
Und du ſtießeſt leicht und munter
Wie ein Steinchen in den Bach,
In das Grab mein Gluͤck hinunter,
Sahſt ihm ruhig, laͤchelnd nach.
Trüber Gang.
Am Strand des Lebens irr' ich, ſtarre duͤſter
Ins Todesmeer, umhuͤllt von Nebelflor;
Und immer wird der Strand des Lebens wuͤſter,
Und hoͤher ſchlaͤgt die Fluth an ihm empor. —
O ſtroͤmt, ihr Thraͤnen, ſtroͤmt! — im Weiterirren
Seh' ich die laͤngſtverlornen Minneſtunden,
Ein neckend Schattenvolk, voruͤberſchwirren,
Und neuer Schmerz durchgluͤht die alten Wunden.
Die Aſche meiner Hoffnungen, die Kraͤnze
Geliebter Todten flattern mir voruͤber,
Geriſſen in des Sturmes wilde Taͤnze,
Und immer wird's in meiner Seele truͤber. —
Das Chriſtuskreuz, vor dem in ſchoͤnen Tagen
Ein Kind ich, ſelig weinend, oft gekniet,
Es haͤngt hinab vom Strande nun, zerſchlagen,
Daruͤber hin die Todeswelle zieht. —
Seltſame Stimmen mein' ich nun zu hoͤren:
Ein wirres Plaudern bald kommt's meinem Lauſchen
Meeruͤber her, bald toͤnt's in leiſen Choͤren,
Dann wieder ſchweigt's, und nur die Wellen rauſchen. —
[79]
Ein ernſter Freund, mein einziges Geleite
Weiſt ſtumm hinunter in die dunkle Fluth;
Stets enger draͤngt er ſich an meine Seite:
Umarme mich, du ſtiller Todesmuth!
Anmuth.
Die Hoffnung, eine arge Dirne,
Verbuhlte mir den Augenblick,
Beſtahl mit frecher Luͤgenſtirne
Mein junges Leben um ſein Gluͤck.
Nun iſt's voruͤber; in den Tagen,
Als ihr Betrug ins Herz mir ſchnitt,
Hab' ich das ſuͤße Kind erſchlagen,
Und mit dem Leben bin ich quitt.
Nicht mehr zum Luſtſchloß umgelogen,
Scheint mir die Erde, was ſie iſt:
Ein ſchwankes Zelt, das wir bezogen
— Gott habe Dank! — auf kurze Friſt.
Zu lange doch duͤnkt mir das Bruͤten
Hier unter dieſem ſchwanken Zelt;
Ergreif' es, Sturm, in deinem Wuͤthen,
Und ſtreu die Lappen in die Welt!
Zu spät!
Schon hat der Lenz verbluͤht und ausgeſungen,
Die holden Traͤume, ſeligen Gefuͤhle
Erſtarben in der bangen Sommerſchwuͤle,
Mit der das Thatenleben angedrungen.
„Das Roß geſpornt! die Wehre friſch geſchwungen!“
So heißt es nun im heißen Kampfgewuͤhle,
Bis mir der Sabbath faͤchelt ſeine Kuͤhle,
Wann muͤden mich des Todes Arm umſchlungen. —
Mir war's verſagt, in jenen Bluͤthentagen,
O Maͤdchen meiner Sehnſucht, dich zu finden‚
Es ſuchten dich vergebens meine Klagen! —
Noch taucht mir hier und dort aus Kampfeswogen
Dein Bild herauf, doch muß es wieder ſchwinden‚
Bald hat die Brandung es hinabgezogen.
Vergangenheit.
Hesperus, der blaſſe Funken,
Winkt uns melancholiſch zu.
Wieder iſt ein Tag geſunken
In die ſtille Todesruh;
Leichte Abendwoͤlkchen ſchweben
Hin im ſanften Mondenglanz,
Und aus bleichen Roſen weben
Sie dem Todten einen Kranz.
Friedhof der entſchlafnen Tage,
Schweigende Vergangenheit!
Du begraͤbſt des Herzens Klage,
Ach, und ſeine Seligkeit.
An Kleyle.
Vergib, vergib, Geliebter, dem Geſange,
Der deines Schmerzes leiſen Schlummer ſtoͤrt,
Der dir Erinnerungen, ſuͤß und bange,
Herauf aus ihrer ſtillen Gruft beſchwoͤrt!
Gedenkſt du noch des Abends, den die Goͤtter
Auf uns herabgeſtreut aus milder Hand,
So bluͤhend, leicht, wie junge Roſenblaͤtter,
Denkſt du des Abends noch am Leithaſtrand?
Im Haine ſprang von Baum zu Baum die Roͤthe,
Sie wiegte ſich auf Wipfeln, miſchte froh
Sich in den Wellentanz, der zum Gefloͤte
Der Nachtigallen raſch voruͤberfloh.
Wir aber ſchritten traulich durch die Schatten,
Und, ſuͤß geſchwaͤtzig, uns zur Seite ging
Die Hoffnung, ſprach vom Himmel treuer Gatten,
Wies dir von Lottchens Hand den guͤldnen Ring.
Schon ſah mein Blick, der in die Zukunft ſpaͤhte,
In langen Reihen Wonnetage zieh'n;
Schon baut' ich kuͤhn mit leichtem Traumgeraͤthe
Mein fruͤh zerfallnes Gluͤck an deines hin. —
Sanft ſenkten ſich in feierliches Schweigen
Die Zuͤge der Natur, kein Luͤftchen ſprach,
Sie ſchien ihr goͤttlich Angeſicht zu neigen,
Als ſaͤnne ſtill ſie einer Freude nach.
Die Sterne tauchten aus dem Aethermeere,
Der Weſte Hauch erwachte nun im Hain,
Die Blume trank des Himmels leiſe Zaͤhre,
Und ſelig irrten wir im Mondenſchein. — —
Doch kommt ein Sturm jezt uͤber meine Saiten,
Reißt wild mir von der Leier jenen Tag,
Den ſchoͤnen Tag mit allen Seligkeiten, —
Pocht mir an's Herz mit rauhem Fluͤgelſchlag.
Herein! herein! du finſterer Geſelle!
Du biſt in meiner Bruſt kein neuer Gaſt;
Ich oͤffne dir die truͤmmervolle Zelle,
In welcher dein Geſchlecht ſchon oft gerast!
Des Abends, Freund, gedenk' ich, jenes andern!
Ich ſeh' im winterlichen Daͤmmerlicht
Zur Kirche hin den langen Brautzug wandern,
Wo die Geliebte Treu' und Herz dir bricht.
Der Prieſter ſprach den Segen ob dem Paare,
Mir ſchien ein Mordgewoͤlb das Heiligthum,
Ich ſah die Hoffnung fallen am Altare,
Wie ward die ſuͤße Schwaͤtzerinn ſo ſtumm! —
Befluͤgle dich, mein Lied! denn immer truͤber‚
Und thraͤnenvoller ſtets wird deine Bahn;
O fuͤhre ſchnell den Freund mir da voruͤber‚
Wo ihn der Schauer naͤchtlichſte umfah'n!
Voruͤber, Lied, am bretternen Geſchirre,
Darein der Tod gepflanzt die Roſe bleich;
Fort von der Stimmen klaͤglichem Gewirre,
Da dumpf vernagelnd droͤhnt der Hammerſtreich! —
Wir ſind vorbei. Der Sturm lenkt ſein Gefieder
Zum dunkeln Horſte der Vergangenheit,
Und Wehmuth ſinkt an meinen Buſen wieder,
Die ſtille Freundin meiner Einſamkeit.
Einst und Jezt.
„Moͤchte wieder in die Gegend,
„Wo ich einſt ſo ſelig war,
„Wo ich lebte, wo ich traͤumte
„Meiner Jugend ſchoͤnſtes Jahr!“
Alſo ſehnt' ich in der Ferne
Nach der Heimat mich zuruͤck,
Waͤhnend, in der alten Gegend
Faͤnde ſich das alte Gluͤck.
Endlich war mir nun beſchieden
Wiederkehr ins traute Thal;
Doch es iſt dem Heimgekehrten
Nicht zu Muth wie dazumal.
Wie man gruͤßet alte Freunde,
Gruͤß' ich manchen lieben Ort;
Doch im Herzen wird ſo ſchwer mir,
Denn mein Liebſtes iſt ja fort.
Immer ſchleicht ſich noch der Pfad hin
Durch das dunkle Waldrevier:
Doch er fuͤhrt die Mutter Abends
Nimmermehr entgegen mir.
Moͤgen deine Gruͤße rauſchen
Vom Geſtein, du trauter Bach;
Doch der Freund iſt mir verloren,
Der in dein Gemurmel ſprach.
Baum, wo ſind die Nachtigallen,
Die hier ſangen einſt ſo ſuͤß?
Und wo, Wieſe, deine Blumen,
Die mir Roſa ſinnend wies? —
Blumen fort und Nachtigallen,
Und das gute Maͤdchen auch!
Meine Jugend fort mit ihnen,
Alles wie ein Fruͤhlingshauch!
Die Jugendträume.
Der Juͤngling weilt in einem Bluͤthengarten,
Und ſchaut mit Luſt des Lebens Morgenroth;
Auf ſeinem Antlitz ruht ein ſchoͤn Erwarten,
Die Welt iſt Himmel ihm, der Menſch ein Gott.
Ein Morgenluͤftchen ſtreut ihm duft'ge Roſen
Mit leiſem Finger in das Lockenhaar;
Sein Haupt umflattert mit vertrautem Koſen
Ein bunt Gevoͤgel ſingend wunderbar.
Seyd ſtille, ſtille, daß die fluͤcht'gen Gaͤſte
Ihr nicht dem Juͤnglinge verſcheucht; denn wißt:
Die Jugendtraͤume ſind es, wohl das Beſte,
Was ihm fuͤr dieſe Welt beſchieden iſt.
Doch, weh! nun naht mit eiſern ſchwerem Gange
Die Wirklichkeit, und fort auf ewig flieh'n
Die Voͤgel, und dem Juͤngling wird ſo bange,
Da er ſie weiter ſieht, und weiter zieh'n.
Erinnerung.
Erinn'rungsvoller Baum, du ſtehſt in Trauer;
Dein Laub iſt welk, mein Leben iſt es auch.
Mein Herz durchziehen bange Wehmuthſchauer,
Wie dein Gezweig des Herbſtes kuͤhler Hauch.
Hier ſaßen wir in abendlicher Stille,
Sanft bebte uͤber uns dein fluͤſternd Gruͤn,
Auf jenen Hoͤh'n, die nun in Nebelhuͤlle,
Verweilte noch der Sonne leztes Gluͤh'n.
Wie ſelig hielt das Maͤdchen ich umfangen,
Und horchte ihrem leiſen Liebesſchwur;
Und holder lachten uns die Bluͤthenwangen
Der auferwachten goͤttlichen Natur.
Doch hatte kaum der Lenz die ſanfte Seele
Verhaucht, und ſeine Bluͤthen hingeſtreut,
Kaum war verſtummt im Hain die ſuͤße Kehle:
War auch dahin der Liebe Seligkeit.
O traure, Herz, voruͤber ſind die Tage,
Da liebend dir ein Herz entgegenſchlug,
Die andern ſchleichen hin in ſtiller Klage,
Der todten Liebe finſtrer Leichenzug.
Die Felsenplatte.
Dort am ſteilen Klippenhange,
Wo der Wildbach niederſchaͤumt,
Lehnt beim Sonnenuntergange
Einſam ſtill ein Mann — und traͤumt.
Hingeſenkt das gramesmatte
Angeſicht, ſo fruͤh verbluͤht,
Starrt er auf die Felſenplatte,
Die vom Abendrothe gluͤht.
Wie er alſo unabwendig
Starret auf den hellen Stein,
Werden ploͤtzlich d'rauf lebendig
Seine lieben Fantaſei'n.
Seiner Kindheit Spielgenoſſen
Tanzen luſtig druͤber hin
Mit der Unſchuld ſuͤßen Poſſen,
Laden ein zu Spielen ihn.
Auch ſein Muͤtterlein, die gute,
Wandelt laͤchelnd auf dem Stein,
Die ſo manches Jahr ſchon ruhte
In dem oͤden Todtenſchrein.
Und nun ſieht er unter ihnen
Klar ſein eignes Jugendbild,
Mit den frohen Fremdlingsmienen
Auf der Erde Schmerzgefild.
Und er hoͤrt das laute Klopfen
In des Juͤnglings heißer Bruſt,
Sieht vom Aug' ihm niedertropfen
Thraͤnen, ſelig, unbewußt;
Moͤchte mit dem Juͤngling greinen,
Daß er traut der holden Maͤhr;
Und auch wieder bitter weinen,
Daß er nicht der Juͤngling mehr. —
Im Gebirge wird es dunkel,
Im Gebirge wird es Nacht,
Doch des Steines hell Gefunkel
Hat ſich heller angefacht.
Aus dem Felſengrunde ſprießen
Blumen auf mit ſuͤßem Hauch,
Und, die Stelle einzuſchließen,
Saͤuſelt rings ein Bluͤthenſtrauch;
Aus dem ſchwanken Bluͤthengitter
Strahlt ein Maͤdchenangeſicht,
Wie der Mond aus dem Gezitter
Leiſer Silberwellen bricht.
Mit jungfraͤulichem Erroͤthen
Fluͤſtert ſie: „bin ewig dein!“
Und von allen Zweigen floͤten
Nachtigallen Lieder drein. —
Doch die Blumen jezt verblaſſen,
Traurig ſchweigt der duͤrre Strauch,
Und der Juͤngling ſteht verlaſſen,
Und der Juͤngling welket auch. — —
Donner hallen in den Luͤften,
Und im hellen Wetterſtrahl
Zu den Fuͤßen des Vertieften
Zuckt der Stein jezt, bleich und kahl.
Herbstgefühl.
Muͤrriſch braust der Eichenwald,
Aller Himmel iſt umzogen,
Und dem Wandrer, rauh und kalt,
Kommt der Herbſtwind nachgeflogen.
Wie der Wind in Herbſtes Zeit
Mordend hinſaust in den Waͤldern,
Weht mir die Vergangenheit
Von des Gluͤckes Stoppelfeldern.
An den Baͤumen, welk und matt,
Schwebt des Laubes lezte Neige,
Niedertaumelt Blatt fuͤr Blatt,
Und verhuͤllt die Waldesſteige;
Immer dichter faͤllt es, will
Mir den Reiſepfad verderben,
Daß ich lieber halte ſtill,
Gleich am Orte hier zu ſterben.
Nebel.
Du truͤber Nebel, huͤlleſt mir
Das Thal mit ſeinem Fluß,
Den Berg mit ſeinem Waldrevier,
Und jeden Sonnengruß.
Nimm fort in deine graue Nacht
Die Erde weit und breit!
Nimm fort, was mich ſo traurig macht,
Auch die Vergangenheit!
An meine Guitarre.
Guitarre, wie du haͤngſt ſo traurig!
Die Saiten toͤnen nimmermehr,
Die laͤngſt zerriſſnen wanken ſchaurig
Im Abendwinde hin und her.
Auch deine Saiten ſind zerriſſen,
Es ſchweigt dein ſuͤßer Liederklang,
Seit in des Buſens Finſterniſſen
Mir jede frohe Saite ſprang.
Mir ſank der Freund voll Jugendbluͤthe
Hinunter in die Todesfluth;
Die meiner Lieb' entgegengluͤhte,
Nun bei den kalten Todten ruht.
Doch will ich euch nun friſch beſaiten,
Dich, meine Leier, dich, mein Herz!
Ruͤckbannen die entflohnen Zeiten,
Die alte Luſt, den alten Schmerz!
Hinaus in's Dunkel jener Eichen!
Dort findet ſich der alte Lauf;
Dort ſtoͤren wir die Liederleichen
Aus ihren ſtillen Graͤbern auf!
Wenn erſt die Lieder nur erwachen,
Dann ruft, dann zieht ihr lauter Chor
Die Lieben all' in meinen Nachen
Aus dunkler Todesfluth empor.
Es klingt! — doch flieh'n im ſcheuen Fluge
Die Toͤne auf von meiner Hand;
So eilt, verſpaͤtet, nach dem Zuge
Das Voͤglein uͤber's Heideland.
Nun bin ich meines Herzens Meiſter!
Nun rauſcht wie einſt der Sturmakkord,
Nun ſpringen die verſunknen Geiſter
Herauf, herauf an meinen Bord!
O du mein Freund, ſo treu und bieder!
Wohl mir, du biſt mir wieder nah!
Dein ſuͤßes Wort auch hoͤr' ich wieder!
Mein holdes Maͤdchen, biſt du da? —
Doch nein! mich hoͤhnten finſtre Maͤchte!
Wo iſt der Freund? das blonde Kind?
Der Nebel reicht mir keine Rechte;
Durch blonde Diſteln ſaust der Wind!
Vermiſchte Gedichte.
[[100]][[101]]Die Thränen.
Thraͤnen, euch, ihr trauten, lieben,
Bring' ich dieſen Dankgeſang!
Seyd ja auch nicht ausgeblieben,
Wenn mein Herz im Liede klang;
Schlichet die bekannten Gleiſe
Still herab, als wolltet ihr
Meinen Schmerz behorchen leiſe,
Und das Lied quoll ſanfter mir.
Wenn der Dolch im Buſen wuͤhlte,
Tief vom Ungluͤck eingebohrt,
Kam der Troſt von euch, und ſpuͤlte
Linde die Verzweiflung fort.
O flieht keinen Wildumdrohten
Von Orkan und Wetterſchein!
Naht ihm, naht ihm, Friedensboten,
Laßt den Armen nicht allein!
Iſt die Nacht vorbei, ſo fehle
Ihm doch eure Treue nicht,
Und die Traufe ſeiner Seele,
Netze mild ſein Angeſicht
Mit der Wehmuth ſuͤßen Tropfen,
Daß ſein Herz, war's auch gequaͤlt,
Nie verlerne doch zu klopfen
Dieſer ſchoͤnen Gotteswelt.
Nicht nur, wo der Herzensnager
Schmerz wuͤhlt, habt ihr euern Lauf,
Auch wo Luſt ihr Reiſelager
Schlaͤgt in einem Buſen auf:
Ha, wie wogt das Feſtgetuͤmmel
In dem engen Kaͤmmerlein,
Wenn der ganze reiche Himmel
Ueberfuͤllend will hinein!
Und die Thraͤnen ſeh' ich blinken
Auf der Wang' im Freudenglaſt,
Und ſie zittern und ſie winken
Alle Welt herein zu Gaſt. —
Als ich einſt am Sterbebette
Eines lieben Freundes ſtand,
Und der Tod die Roſenkette
Kalt uns aus den Haͤnden wand;
Weint' ich ihm die lezte Oehlung,
Und — ſchon lag er ſtill und blaß,
Und in ſeines Auges Hoͤhlung
Mild noch eine Thraͤne ſaß,
War ſo heilig anzuſchauen,
Wies die Sehnſucht himmelan,
Wie der Engel, den die Frauen
Einſt am Grabe Jeſu ſahn.
In der Krankheit.
1.
Nacht umſchweigt mein Krankenlager,
An der morſchen Diele nur
Reget ſich der kleine Nager,
Und es pickt die Pendeluhr,
Die eintoͤnig mir bedeutet,
Daß das Leben weiter ſchreitet.
Ueber truͤbe, heitre Stellen
Schreitet's unaufhaltſam hin,
Wie des Stromes raſche Wellen
Blum' und Dorn voruͤberzieh'n.
Immer ſenkt die Bahn ſich jaͤher,
Kommt der Schritt dem Orkus naͤher.
Mir auch ſenkt ſie ſich, und ſchaurig
Weht es aus der Niederung;
Und, noch Juͤngling, hoͤr' ich traurig,
Wie aus banger Daͤmmerung
Meines Herzens matten Schlaͤgen
Der Cocytus rauſcht entgegen.
2.
Einſamkeit! mein ſtilles Weinen
Rinnt ſo heiß in deinen Schoos;
Doch du ſchweigſt, und haſt nicht einen
Seufzer fuͤr mein truͤbes Loos!
Legen ſchon die Jugendjahre
Abgebluͤht mich auf die Bahre,
Wird kein Auge feuchten ſich?
Wenn ſie mich zu Grabe tragen,
Wird kein Buſen baͤnger ſchlagen?
Liebt kein Herz auf Erden mich? —
Heißer ſtroͤmt es von der Wange:
Keines, keines! fuͤhl' ich bange.
An die Melancholie.
Du geleiteſt mich durch's Leben,
Sinnende Melancholie!
Mag mein Stern ſich ſtrahlend heben,
Mag er ſinken — weicheſt nie!
Fuͤhrſt mich oft in Felſenkluͤfte,
Wo der Adler einſam haust,
Tannen ragen in die Luͤfte,
Und der Waldſtrom donnernd braust.
Meiner Todten dann gedenk' ich,
Wild hervor die Thraͤne bricht,
Und an deinen Buſen ſenk' ich
Mein umnachtet Angeſicht.
Einem Freunde in's Stammbuch.
Ruͤſtig wandelſt du fort die Alpenpfade der Edlen,
Wo die reinere Luft Buſen und Stirne bekuͤhlt,
Pfluͤckeſt vom Felſengeklipp', vom ſchmalen Rande des
Abgrunds
Duftende Blumen und ſchlingſt ſie zum harmoniſchen
Kranz,
Ihn zu tragen, ein Opfer, zum Hochaltare der Menſchheit,
Ach, um welchen es ſtets ſtiller und einſamer wird;
Traurig fluͤſtern auf ihm die Kraͤnze der wenigen Edlen,
Todtenkraͤnze nunmehr ſchoͤner, verblichener Zeit.
Aber du wandle hinan getroſt, und waͤre dein Leben
Auch nur Feier des Tod's ſchoͤner, verblichener Zeit.
Kommt auf deinen Pfaden dir einſt der Donner entgegen,
Draͤuend im naͤchtlichen Flug, fahren Orkane dich an:
Freund, dann flattre dies Blatt vor deinen Blicken im
Sturme,
Und es rauſche dir zu: „denke des liebenden Freunds!“
Vergänglichkeit.
Vom Berge ſchaut hinaus ins tiefe Schweigen
Der mondbeſeelten, ſchoͤnen Sommernacht
Die Burgruine; und in Tannenzweigen
Verſeufzt ein Luͤftchen, das allein bewacht
Die truͤmmervolle Einſamkeit,
Den bangen Laut: „Vergaͤnglichkeit!“
„Vergaͤnglichkeit!“ mahnt mich im ſtillen Thale
Die ernſte Schaar bekreuzter Huͤgel dort,
Wo dauernder der Schmerz in Todtenmahle,
Als in verlaſſne Herzen ſich gebohrt;
Bei Sterbetages Wiederkehr
Befeuchtet ſich kein Auge mehr.
Der wechſelnden Gefuͤhle Traumgeſtalten
Durchrauſchen aͤffend unſer Herz, es ſucht
Vergebens ſeinen Himmel feſtzuhalten,
Und fortgeriſſen in die raſche Flucht
Wird ſelbſt der Jammer, und der Hauch
Der ſanften Wehmuth ſchwindet auch.
Horch' ich hinab in meines Buſens Tiefen,
„Vergaͤnglichkeit!“ klagt's hier auch meinem Ohr,
Wo laͤngſt der Kindheit Freudenklaͤng' entſchliefen,
Der Liebe Zauberlied ſich ſtill verlor;
Wo bald in jenen Seufzer bang
Hinſtirbt der lezte frohe Klang.
Vergaͤnglichkeit! dein Hauch, als Sturmeswuͤthen,
Wirft hingeſchmettert Eichen in den Staub;
Dein Hauch, als linder Weſt, entfuͤhrt die Bluͤthen
Dem Roſenſtrauch in ſchmeichleriſchem Raub.
Wie Bluͤthen hier, ſo faͤchelt dort
Dein Hauch die welken Sterne fort!
Trias harmonica.
Drei Seelen hab' ich offenbar‚
Denn eine kann drei Dinge nicht
Zugleich vollbringen, wie ſogar
Der weiſe Pſychologe ſpricht.
Die eine haͤngt voll Liebesgluth
An ſchoͤnen Munds Korallenrand;
Die andre ſchwimmt auf Weinesfluth
Hinuͤber an den Goͤtterſtrand;
Die dritt' in freudigem Tumult
Braust ihre Dithyramben laut,
Und ſchleudert ihren Katapult
Ans kalte Herz, metallverbaut.
So geht's, bis an den Bettelſtab
Sie ihren Wirth, den Leib, gezehrt;
Bis jubilirend dann hinab
Die tolle Drei zur Hoͤlle faͤhrt.
Zögerung.
Beſchritten ſchon von ſeinem Reiter
Rafft auf der Weide noch das Roß
Die lezten Halme, will nicht weiter,
Bis ihm der Sporen ſcharfer Stoß
Gewaltig in die Seiten dringt,
Und es im Sturm von dannen zwingt.
Und fuͤhlt der Menſch mit bleichem Beben
Den Tod ihm ſitzen am Genick,
So klammert ſich ſein Fuß an's Leben,
Er bettelt um den Augenblick,
Bis wild der Tod die Geißel ſchwingt,
Und ihn mit Macht von dannen zwingt.
An eine Dame in Trauer.
Vom Grabe deines treuen Mannes
Iſt noch die Schaufel feucht;
O Weib, o nichts von einem Weibe!
Dein Aug' iſt nicht mehr feucht?
Hinab! zuchtloſes Blut der Wangen!
Ins Herz, du Schandeborn!
Kann dich des Gatten Tod nicht jagen,
So jage dich mein Zorn!
Das Thraͤnenſchild, den Flor herunter!
Mit dem du dich behaͤngt;
In dieſer Kneipe wird die Thraͤne,
Die Edle, nicht geſchenkt.
An Mathilde.
Schon verrauſcht der Tag, und des Abends ſanftere Seele
Fließt wie ſuͤße Muſik ſaͤnftigend uns in die Bruſt.
Horch, Mathilde, wie leiſe der Weſt durch Bluͤthen da¬
hinſeufzt,
Leiſer noch weht ſein Hauch, kost er um deine Geſtalt.
Sieh, die Biene, ſie wandelt von Blume zu Blume geſchaͤftig,
Suͤße Bereicherung lockt weiter die Summende ſtets;
Alſo wandelt die Seele dereinſt von Blume zu Blume,
Welche zum ſtrahlenden Kranz ſich der Unendliche wand,
Wandelt die Seele dereinſt von Welten weiter zu Welten,
Naͤher dem liebenden Gott, liebender, goͤttlicher ſtets.
Aber die Wechſelgeſtalten des Lebens, ſie theilen nicht alle
Gleich der Unſterblichkeit Loos, wenn uns der Ewige winkt;
Nur das Schoͤnſte des Lebens, worin der Himmel uns
kund wird,
Nimmt die Seele mit fort, ſchwingt ſie den Sternen
ſich zu.
Doch die truͤben Geſtalten verhuͤllt Nacht, ewige Nacht
dann.
Lenau's Gedichte. 8[114]
Heil der Stunde, die ſelbſt dann noch uns wonnig
umſtrahlt!
O Mathilde, dein Auge voll himmliſcher, tiefer Bedeutung,
Blickt mir ins Auge ſo ernſt, und ſo entzuͤckend zugleich,
Daß die Seele mir bebt, o Geliebte! ahnet dir etwa,
Daß auch dieſen Moment huͤllen nicht werde die Nacht?
Einem Knaben.
Was trauerſt du, mein ſchoͤner Junge?
Du Armer, ſprich, was weinſt du ſo?
Daß treulos dir im raſchen Schwunge
Dein liebes Voͤgelein entfloh?
Du blickeſt bald in deiner Trauer
Hinuͤber dort nach jenem Baum,
Bald wieder nach dem leeren Bauer
Blickſt du in deinem Kindestraum.
Du legſt ſo ſchlaff die kleinen Haͤnde
An deines Lieblings oͤdes Haus;
Und pruͤfeſt rings die Sproſſenwaͤnde,
Und fragſt: „wie kam er nur hinaus?“
An jenem Baume hoͤrſt du ſingen
Den Fernen, den dein Herz verlor,
Und unaufhaltſam eilig dringen
Die heißen Thraͤnen dir hervor.
Gib acht, gib acht, o lieber Knabe,
Daß du nicht daſtehſt traurend einſt,
Und um die beſte, ſchoͤnſte Habe
Des Menſchenlebens bitter weinſt!
Daß du die Hand, die ſturmerprobte,
Nicht legſt, ein Mann an deine Bruſt,
Darin ſo mancher Schmerz dir tobte,
Dir ſaͤuſelte ſo manche Luſt;
Daß du die Hand in wildem Krampfe
Nicht druͤckſt in deinen Buſen ein,
Aus dem die Unſchuld dir im Kampfe
Entflohn, das ſcheue Voͤgelein.
Dann hoͤrſt du fluͤſtern ihre leiſen
Geſaͤnge aus der Ferne her;
Neigſt hin dich nach den ſuͤßen Weiſen;
Das Voͤglein aber kehrt nicht mehr! —
Abschied.
Lied eines auswandernden Portugieſen.
Sey mir zum leztenmal gegruͤßt,
Mein Vaterland, das feige dumm,
Die Ferſe dem Deſpoten kuͤßt,
Und ſeinem Wink gehorchet ſtumm.
Wohl ſchlief das Kind in deinem Arm,
Du gabſt, was Knaben freuen kann,
Der Juͤngling fand ein Liebchen warm;
Doch keine Freiheit fand der Mann.
Im Hochland ſtreckt der Jaͤger ſich
Zu Boden ſchnell, wenn Wildesſchaar
Heran ſich ſtuͤrzet fuͤrchterlich,
Dann ſchnaubt voruͤber die Gefahr:
Mein Vaterland, ſo ſinkſt du hin,
Rauſcht deines Herrſchers Tritt heran,
Und laͤſſeſt ihn voruͤberzieh'n,
Und haͤltſt den bangen Athem an. —
Fleug, Schiff, wie Wolken durch die Luft,
Hin, wo die Goͤtterflamme brennt!
Spuͤl' mir hinweg, o Meer, die Kluft,
Die von der Freiheit noch mich trennt!
Du neue Welt, du freie Welt,
An deren bluͤthenreichem Strand
Die Fluth der Tyrannei zerſchellt,
Ich gruͤße dich, mein Vaterland!
Am Grabe eines Ministers.
Du fuhrſt im goldnen Gluͤckeswagen
Dahin den raſchen Trott,
Von keuchenden Luͤſten fortgetragen,
Und duͤnkteſt dir ein Gott!
Wie flogen des Poͤbels Rabenſchwaͤrme
Dir aus dem Weg' ſo bang,
Da ſie hoͤrten der Geißel wild Gelaͤrme,
Der Raͤder Donnerklang!
Ein weinender Bettler, ſtand am Wege
Das arme Vaterland,
Und flehte dich an um milde Pflege
Mit aufgehobner Hand;
Doch wie auch klagte die bittre Klage,
Wie auch die Thraͤne rann:
Du triebſt mit gellendem Geißelſchlage
Voruͤber dein Geſpann! —
„Halt!“ ſchlug nun eine grauſe Stimme
An dein entſeztes Ohr,
Es ſtuͤrzt', ein Raͤuber, mit Hohn und Grimme
Der Tod vom Wald hervor;
Und hieb die Straͤnge mit ſcharfem Schwerde
Vom Wagen, rieß mit Macht
Dich fort, trotz Flehen und Angſtgeberde,
In ſeine finſtre Nacht. —
Das Vaterland mit Lachen und Singen
Haͤlt Wacht an deinem Grab;
Scheucht Thraͤnen und Seufzer und Haͤnderingen
Fort mit dem Bettelſtab!
Der Lenz.
Da kommt der Lenz, der ſchoͤne Junge,
Den Alles lieben muß,
Herein mit einem Freudenſprunge,
Und laͤchelt ſeinen Gruß;
Und ſchickt ſich gleich mit frohem Necken
Zu all' den Streichen an,
Die er auch ſonſt dem alten Recken,
Dem Winter, angethan.
Er gibt ſie frei die Baͤchlein alle,
Wie auch der Alte ſchilt,
Die der in ſeiner Eiſesfalle
So ſtreng gefangen hielt.
Schon zieh'n die Wellen flink von dannen
Mit Taͤnzen und Geſchwaͤtz,
Und ſpoͤtteln uͤber des Tyrannen
Zerronnenes Geſetz.
Den Juͤngling freut es, wie die raſchen
Hinlaͤrmen durchs Gefild,
Und ſich aus leichten Fingern haſchen
Sein aufgebluͤhtes Bild.
Froh laͤchelt ſeine Mutter Erde
Nach ihrem langen Harm;
Sie ſchlingt mit jubelnder Geberde
Das Soͤhnlein in den Arm.
In ihren Buſen greift der Loſe
Und zieht ihr ſchmeichelnd keck
Das ſanfte Veilchen und die Roſe
Hervor aus dem Verſteck.
Und ſein geſchmeidiges Geſinde
Schickt er zu Berg und Thal:
„Sagt, daß ich da bin, meine Winde,
Den Freunden allzumal!“
Er zieht das Herz an Liebesketten
Raſch uͤber manche Kluft,
Und ſchleudert ſeine Singraketen,
Die Lerchen, in die Luft.
Im Frühling.
An ihren bunten Liedern klettert
Die Lerche ſelig in die Luft;
Ein Jubelchor von Saͤngern ſchmettert
Im Walde, voller Bluͤth' und Duft.
Da ſind, ſo weit die Blicke gleiten
Altaͤre feſtlich aufgebaut,
Und all' die tauſend Herzen laͤuten
Zur Liebesfeier dringend laut.
Der Lenz hat Roſen angezuͤndet
An Leuchtern von Smaragd im Dom,
Und jede Seele ſchwillt und muͤndet
Hinuͤber in den Opferſtrom.
Der Indifferentist.
Ob du, ein Sokrates, den Schirlingsbecher
Auf's Wohl des Vaterlandes laͤchelnd trinkſt;
Ob du, ein ſchnoͤder, teufliſcher Verbrecher,
Vom Henkerbeil getroffen, fluchend ſinkſt;
Ob dein Genie ſein Werk den raſchen Zeiten
Geſchleudert, ein Gebirg, in ihre Bahn,
Daß ſie an ſeinem Fuß voruͤberſchreiten,
Und grauend ſeine Gipfel ſtarren an;
Ob nichts dein langes Leben war hienieden,
Als fuͤr's Gewuͤrm des Grabes eine Maſt;
Ob du, der Menſchheit Feſſeln anzuſchmieden,
Ein toller Held die bange Welt durchrast:
Iſt juſt ſo wichtig, als: ob nur im Kreiſe
Einfoͤrmig ſtets das Aufgußthierchen ſchwimmt,
Ob es vielleicht nach rechts die große Reiſe,
Vielleicht nach links im Tropfen unternimmt.
An die Hoffnung.
Hoffnung! laß allein mich wallen,
Gaukle nicht um meine Bahn!
Deine Sterne ſind gefallen,
Und mich taͤuſcht kein holder Wahn!
Dieſer ſtreckt nach einer Krone
Seine Hand verwegen aus;
Doch ihn ſtoßt der Tod mit Hohne
In ſein enges, kuͤhles Haus.
Und ein Andrer hat errungen,
Was der Erſte nur gewollt;
Hat die hoͤchſte Hoͤh' erſchwungen:
Throne wanken, wenn er grollt.
Hoffnung! o warum entzuͤndeſt
Du ſein Herz zum ſtolzen Plan,
Da du ſchmeichelnd ihm verkuͤndeſt
Einen Welttheil unterthan?!
Ueber Voͤlkern klirrt die Kette,
Da ſein Schritt nach Oſten ſtuͤrmt;
Bang ruft eins dem andern: rette!
Von der Schreckensmacht umthuͤrmt.
Nun ergreift ihn ſein Verhaͤngniß,
Reißt ihm Kron' und Purpur ab,
Schleudert ihn ins Meergefaͤngniß,
Bald verſchlingt ihn dort ſein Grab. —
In der Naͤchte ſtiller Feier
Hebt der heiligen Natur
Kuͤhn ein Forſcher ihre Schleier,
Und verfolget Gottes Spur.
Denn du laͤſſeſt ſchoͤn erglaͤnzen
Ihm ein Mahl der Ewigkeit,
Enkel ſeine Gruft bekraͤnzen; —
Und ihn lohnt — Vergeſſenheit!
Nach der Liebe treuem Gluͤcke
Das er nirgends finden ſoll,
Kehrt ein Andrer ſeine Blicke,
Dir vertrauend, ſehnſuchtsvoll.
Ach, ſie liebt ihn, der Entgluͤhte
Haͤlt ſie wonnevoll umſtrickt;
Doch der Liebe zarte Bluͤthe
Wird im Rauſche bald zerknickt! —
All' dein Wort iſt Windesfaͤcheln;
Hoffnung! dann nur trau' ich dir,
Weiſeſt du mit Troſteslaͤcheln
Mir des Todes Nachtrevier!
In das Stammbuch einer Künstlerinn.
Erinnerung an einen Spaziergang.
Nach langem Wege durch die Sommerſchwuͤle
Rauſcht' uns ein Wald entgegen ſeinen Gruß;
Uns uͤbergoß die Luft mit ſuͤßer Kuͤhle,
Die Blaͤtternacht mit ihrem Labekuß.
Und wie wir aus den heißen, hellen Triften,
Wo muͤhend ſich der Menſch dem Leben weiht,
In's Waldgeheimniß weiter uns vertieften,
Und in den Schatten Gottes: Einſamkeit; —
So flohen deine heiteren Geſpraͤche
Fort von des Lebens wuͤſtem, ſteilem Hang
Waldein, und wanden ſich als klare Baͤche
Durch's Labyrinth der Kunſt mit leiſem Klang;
Auf ihren Wellen bebten die Geſtalten
Von all' den Blumen, die ihr Lauf beruͤhrt;
Ich aber ſah, nachhaͤngend ihrem Walten,
Die froherſtaunte Seele mir entfuͤhrt.
Unmögliches.
Bevor mein Blick den Zauber noch getrunken,
Der, wie die Farbenpracht am Demant gluͤht,
Dich tauſendfach, doch immer neu, umbluͤht;
Horcht' ich dem Freund, in Ahnungen verſunken.
Wir ſeh'n des Berges Haupt in Purpur prangen,
Wenn ſchon die Sonne ſank und Daͤmmerung
Den Hain umflort: ſo ſtrahlt' Erinnerung
An dich, Geliebte, von des Freundes Wangen;
Begeiſtert taucht' er in des Buſens Tiefen
Den Pinſel, und er malte warm und mild
Dem ſel'gen Horcher dein entzuͤckend Bild,
Gefuͤhle weckend, die ſeit lange ſchliefen.
Doch wie's dem Dichter nimmer will gelingen,
Des Buſens Drang ins enge Wort zu zwingen,
Hinuͤber uns in ſeine Welt zu ſingen:
So hat der Freund vergebens dich gemalt,
Sie nicht erreicht, die goͤttliche Geſtalt,
Und deiner Seele ſtille Allgewalt.
Einem Ehrsüchtigen.
Laß das Ringen nach der Ehre;
Lieber all' dein heißes Streben
In den eignen Buſen kehre,
Und du lebſt ein ſchoͤn'res Leben.
Mein Stern.
Um meine wunde Bruſt geſchlagen
Den Mantel der Melancholei,
Flog ich, vom Lebensſturm getragen,
An dir, du Herrliche, vorbei.
Vom Himmel deiner Augen ſtiegen
Wie Engel Thraͤnen niederwaͤrts
An deinen holdgeruͤhrten Zuͤgen,
Und prieſen mir dein gutes Herz.
Und alle Welten um mich ſchwanden,
Mein Leben ſtarrt' in ſeinem Lauf,
Im ſuͤßempoͤrten Buſen ſtanden
Die alten Goͤtter wieder auf.
Da riß der Sturm von dir mich wieder
Hinaus in ſeine wuͤſte Nacht,
Doch ſtrahlt nun Frieden auf mich nieder
Ein Stern mit ewig heller Pracht.
Denn wie, vom Tode ſchon umfangen,
Der Juͤngling nach der holden Braut
Die Arme ſtreckt mit Glutverlangen,
Und ſterbend ihr ins Auge ſchaut:
So griff nach deinem holden Bilde
Die Seele, ſchaut es ewig an,
Sieht nichts vom truͤben Erdgefilde,
Fuͤhlt nicht die Dornen ihrer Bahn.
Entriſſ' auch einſt der Tod mir ſtrenge,
Was mir das Leben Liebes gab;
Er nehm' es hin! doch Eines raͤnge —
Ich raͤnge kuͤhn dein Bild ihm ab.
Das Herz.
Scheitert unſre Bruſt an Klippen,
Hingeſchellt von Sturmeswuth,
Trinkt mit aufgeriſſnen Lippen
Unſre Wunde Schmerzensfluth;
Schoͤpft das Herz dann haſtig bange
Aus der Bruſt den Thraͤnenguß,
Weil es ſonſt vom Wellendrange
Ueberfluthet ſterben muß;
Dann wird auch der Sturm beſchworen,
Helle wird die Finſterniß,
Es vertuͤnchen milde Horen
An der Bruſt den Wundenriß.
Aber iſt das Herz ein zages,
Wenn die Bruſt die Woge trinkt;
Starrt es ob des Klippenſchlages
Stoͤrriſch, muͤßig — und verſinkt.
Iſt's ein wildes ungezaͤumtes,
Wird es im Tumulte ſcheu,
Todestrunken gluͤht und ſchaͤumt es,
Und zertruͤmmert ſein Gebaͤu.
Wenn dann auch der Himmel heiter
Und mit lindem Hauche weht,
Und der Strom ſanft wiegt die Scheiter;
Fuͤr die Todten iſt's zu ſpaͤt.
Doch ihr Schifflein, hoͤrt, ihr andern!
Seyd ihr auch dem Sturm entwiſcht,
Ruhig moͤgt ihr weiter wandern,
Aber nicht gehoͤhnt, geziſcht:
„Wie der Nachen ward zertruͤmmert!
„Wie das Herz im Strom erſoff!
„Warſt wohl auch zu leicht gezimmert!
„Warſt wohl auch aus ſchlechtem Stoff!“
Huͤtet euch, ihr andern, huͤtet!
Denkt an eurer Fahrten Reſt;
Denn der Zukunft Nacht bebruͤtet
Manchen Sturm im dunkeln Neſt.
Reiterlied.
Wir ſtreifen durchs Leben im ſchnellen Zug,
Ohne Raſt wie die ſtuͤrmiſche Welle,
Wir haſchen die Frucht im Voruͤberflug,
Und ſchlummern nicht ein an der Quelle;
Wir pfluͤcken die Roſe, wir ſaugen den Duft,
Und ſtreuen ſie dann in die flatternde Luft.
Der Friedliche ſitzet und lauert bang,
Bis das Gluͤck ihm poch' an die Thuͤre,
Noch ſpaͤht er beim Sterbegloͤckleinklang,
Ob das Gluͤck an der Klinke nicht ruͤhre;
Wohl ruͤhrt ſich die Klink', und es tritt herein,
Erſchrick nicht, du Armer, — es iſt Freund Hein!
Der Reiter verfolgt das entlaufende Gluͤck,
Er faßt's an den fliegenden Locken,
Und zwingt es zu ſich auf den Sattel zuruͤck,
Und umſchlingt es mit wildem Frohlocken:
„Mußt reiten mit mir durch Nacht und Graus,
„Durch Strom und Gekluͤft zum blutigen Strauß!“
Wir reiten hinein in die laute Schlacht,
Es tanzen die wiehernden Roſſe
Dahin, wo der Donner am ſtaͤrkſten kracht,
Weit voran dem trippelnden Troſſe;
Dem Reiter kredenzt auf ſein ſtuͤrmiſch Gebot
Den erſten, den feurigſten Trunk der Tod!
An D. Klemm.
O ſaͤume nicht, mit Wein, Geſang und Koſen
Dein Herz zu friſchen! ſieh, die Jugend flicht
In deinen Strauß ſchon ihre lezten Roſen,
Bald wendet ſie das holde Angeſicht,
Und flieht und ſchwindet tief und tiefer immer
Im Hain Vergangenheit — und kehret nimmer.
Dann gilt's, empor zur Lebenshoͤh' zu dringen,
Dann hoͤrſt du hinter dir im Bluͤthenthal
Das: „gaudeamus igitur!“ verklingen,
Und deine Bahn wird gluͤhend, ſchroff und kahl:
Am Strauße, den die Jugend dir gewunden,
Iſt bald ſo Duft wie Farbenpracht verſchwunden.
Und wallſt du einſt zur Abendherberg nieder,
Traͤnkt kuͤhler Thau den welken Blumenſtrauß,
Dann bluͤht er neu mit Duft und Farbe wieder;
Du ſetzeſt muͤde dich vor's ſtille Haus,
Spielſt mit dem Strauß, dem Kinde ſchoͤner Zeiten,
Und ſchlummerſt ein, — die Blumen dir entgleiten.
Zuflucht.
Thut man Kindern was zu Leide,
Flieh'n zur Mutter ſie voll Schrecken,
Sich in ihrem Faltenkleide
Vor dem Quaͤler zu verſtecken.
Weiche Herzen bleiben Kinder
All' ihr Leben lang, d'rum falle
Ihnen auch das Loos gelinder,
Als den Herzen von Metalle.
Jagt ſie Ungluͤck, wie zum Fluche,
Flieh'n ſie bang und immer baͤnger,
Bis ſie hinter'm Leichentuche
Sich verbergen ihrem Draͤnger.
Der Greis.
Durch Bluͤthen winket der Abendſtern,
Ein Luͤftchen ſpielt im Gezweige;
Der Greis genießt im Garten ſo gern
Des Tages ſuͤße Neige.
Dort ſeine Enkel, ſie jagen friſch
Im Graſe hin und wieder;
Die Voͤglein ſingen im Gebuͤſch
Nun ihre Schlummerlieder.
Es lieben Kinder und Voͤgelein,
— Die Gluͤcklichſten auf Erden! —
Bevor ſie Abends ſchlafen ein,
Noch einmal laut zu werden.
Da ſchlaͤngelt der ſchnelle Kinderkreis
Sich bluͤhend durch bluͤhende Baͤume,
Sie gaukeln um den ſtillen Greis
Wie ſelige Jugendtraͤume.
Sein Auge folgt am Wieſenplan
Der Unſchuld froͤhlichen Streichen;
Da jauchzt ein Knabe zu ihm heran,
Ihm eine Blume zu reichen.
Der Alte nimmt ſie laͤchelnd hin,
Und ſtreichelt den ſchoͤnen Jungen,
Und will liebkoſend ihn naͤher ziehn;
Der aber iſt wieder entſprungen.
Und wie der Greis nun die Blume haͤlt,
Und anſieht immer genauer,
Ein ernſtes Sinnen ihn uͤberfaͤllt,
Halb Freud', und milde Trauer.
Er haͤlt die Blume ſo inniglich,
Die ihm das Kind erkoren,
Als haͤtte ſeine Seele ſich
Ganz in die Blume verloren.
Als fuͤhlt' er ſich gar nah verwandt
Der Blume, erdentſproſſen,
Als haͤtte die Blum' ihn leiſe genannt
Ihren lieben, trauten Genoſſen.
Schon ſpuͤrt er im Innern keimen wohl
Das ſtille Pflanzenleben,
Das bald aus ſeinem Huͤgel ſoll
In Blumen ſich erheben.
Wanderung im Gebirge.
1.
Du warſt mir ein gar trauter, lieber
Geſelle; komm, du ſchoͤner Tag,
Zieh noch einmal an mir voruͤber,
Daß ich mich dein erfreuen mag!
2.
Des Himmels frohes Antlitz brannte
Schon von des Tages erſtem Kuß,
Und durch das Morgenſternlein ſandte
Die Nacht mir ihren Scheidegruß:
Da griff ich nach dem Wanderſtabe,
Sprach meinem Wirthe: „Gott vergelt'
Die Ruheſtatt, die milde Labe!“
Zog luſtig weiter in die Welt.
3.
Froh ſummte nach der ſuͤßen Beute
Die Biene hin am Wieſenſteg;
Die Lerche aus den Luͤften ſtreute
Mir ihre Lieder auf den Weg.
4.
Ich trat in einen heilig duͤſtern
Eichwald, da hoͤrt' ich leiſ' und lind
Ein Baͤchlein unter Blumen fluͤſtern,
Wie das Gebet von einem Kind;
Und mich ergriff ein ſuͤßes Grauen,
Es rauſcht' der Wald geheimnißvoll,
Als moͤcht' er mir was anvertrauen,
Das noch mein Herz nicht wiſſen ſoll;
Als moͤcht' er heimlich mir entdecken,
Was Gottes Liebe ſinnt, und will;
Doch ſchien er ploͤtzlich zu erſchrecken
Vor Gottes Naͤh' — und wurde ſtill.
5.
Schon zog vom Wald' ich ferne wieder
Auf einer ſteilen Alpenwand;
Doch blickt' ich oft zu ihm hinnieder,
Bis mir ſein lezter Wipfel ſchwand. —
Da irrten Kuͤh' am Wieſenhange;
Der Hirte unterm Kieferdach
Hing ſtill bei ihrem Glockenklange
Dem Bilde ſeines Liebchens nach.
6.
Schon ſeh' ich Hirt' und Herde nimmer
Die Zirbel nur iſt mein Geleit;
Der ſteile Pfad wird ſteiler immer,
Es waͤchſt die wilde Einſamkeit.
Dort ſtuͤrzt aus dunkler Felſenpforte
Der Quell mit einem bangen Schrei,
Enteilt dem grauenvollen Orte,
Hinab zum freundlich gruͤnen Mai.
Verſchwunden iſt das lezte Leben,
Hier gruͤnt kein Blatt, kein Vogel ruft,
Und ſelbſt der Pfad ſcheint hier zu beben,
So zwiſchen Wand und Todeskluft.
Komm, Gotteslaͤugner, Gott zu fuͤhlen,
Dein Frevel wird auf dieſem Rand
Den Todesabgrund tiefer wuͤhlen,
Dir ſteiler thuͤrmen dieſe Wand! —
7.
Des Berges Gipfel war erſchwungen,
Der trotzig in die Tiefe ſchaut.
Natur, von deinem Reiz durchdrungen,
Wie ſchlug mein Herz ſo frei, ſo laut!
Behaglich ſtreckte dort das Land ſich
In Ebnen aus, weit, endlos weit,
Mit Thuͤrmen, Wald und Flur, und wand ſich
Der Stroͤme Zier ums bunte Kleid;
Hier ſtieg es ploͤtzlich und entſchloſſen
Empor, ſtets kuͤhner himmelan,
Mit Eis und Schnee das Haupt umgoſſen,
Vertrat den Wolken ihre Bahn.
Bald hing mein Auge freudetrunken
Hier an den Felſen, ſchroff und wild;
Bald war die Seele ſtill verſunken
Dort in der Ferne Raͤthſelbild.
Die dunkle Ferne ſandte leiſe
Die Sehnſucht, ihre Schweſter, mir,
Und raſch verfolgt' ich meine Reiſe
Den Berg hinab, zu ihr, zu ihr:
„Wie manchen Zauber mag es geben,
„Den die Natur auch dort erſann;
„Wie mancher Biedre mag dort leben,
„Dem ich die Hand noch druͤcken kann!“
8.
Noch immer lag ein tiefes Schweigen
Rings auf den Hoͤh'n; doch ploͤtzlich fuhr
Der Wind nun auf zum wilden Reigen,
Die ſauſende Gewitterſpur.
Am Himmel eilt mit dumpfem Klange
Herauf der finſtre Wolkenzug:
So nimmt der Zorn im heißen Drange
Den naͤchtlichen Gedankenflug. —
Der Himmel donnert ſeinen Hader;
Auf ſeiner dunklen Stirne gluͤht
Der Blitz hervor, die Zornesader,
Die Schrecken auf die Erde ſpruͤht.
Der Regen ſtuͤrzt in lauten Guͤſſen;
Mit Baͤumen, die der Sturm zerbrach,
Erbraust der Strom zu meinen Fuͤßen; —
Doch ſchweigt der Donner allgemach.
Der Sturm laͤßt ſeine Fluͤgel ſinken,
Der Regen ſaͤuſelt milde Ruh:
Da ſah ich froh ein Huͤttlein winken,
Und eilte ſeiner Pforte zu.
9.
Ein Greis trat laͤchelnd mir entgegen,
Bot mir die Hand gedankenvoll,
Und hob ſie dann empor zum Segen,
Der ſanft vom Himmel niederquoll;
Und ich empfand es tief im Herzen,
Daß Zorn der Donner Gottes nicht;
Daß aus der Weſte leichten Scherzen,
Wie aus Gewittern Liebe ſpricht.
Und einen Labebecher trank ich,
Und ſchlich, wohin die Ruh' mich rief,
Hinaus zur Scheune, muͤde ſank ich
Hier in des Heues Duft — und ſchlief.
Was mich erfreut auf meinen Wegen,
Das traͤumt' ich nun im Schlafe nach,
Und traͤumend hoͤrt' ich, wie der Regen
Sanft niedertraͤufelt' auf das Dach.
Suͤß traͤumt es ſich in einer Scheune,
Wenn drauf der Regen leiſe klopft;
So mag ſich's ruh'n im Todtenſchreine,
Auf den die Freundeszaͤhre tropft.
10.
Die Wolken waren fortgezogen,
Die Sonne ſtrahlt' im Untergang,
Und am Gebirg der Regenbogen,
Als ich von meinem Lager ſprang.
Da griff ich nach dem Wanderſtabe,
Sprach meinem Wirth' ein herzlich Wort
Fuͤr Ruheſtatt und milde Labe,
Und zog in ſtiller Daͤmm'rung fort.
Unbeständigkeit.
Daß ich dies und das beginne,
Heute g'rad und morgen quer,
Gegen das, was heut' ich minne,
Morgen richte Spieß und Speer:
Sollte das ſo ſehr dich wundern,
Du mein conſequenter Mann?!
Keiner von den Erdenplundern
Lange mich behalten kann!
Heute bin ich zum Exempel
Ganz ein Metaphyſikus;
Morgen ſchallt in Themis Tempel
Mein unſteter Menſchenfuß.
Heute ſteh' ich Nachts am Giebel,
Suche Jungfrau, Stier und Baͤr;
Morgen leſ' ich in der Bibel,
Uebermorgen im Homer.
Blickt mein Geiſt im Wiſſensdrange
Durch ein Fenſter in die Welt;
O dann paßt er auch nicht lange,
Sieht er drinnen nichts erhellt;
Und er guckt zu einem andern
In die finſtre Welt hinein;
Muß von hier auch weiter wandern,
Nirgends auch nur Lampenſchein!
Freilich, wenn du unabwendig
Starreſt in daſſelbe Loch,
Wird's vor deinem Blick lebendig,
Dein Ausharren lohnt ſich doch;
Denn die Augen dir erlahmen,
Und Geſpenſter malen ſich
In des Fenſters leeren Rahmen:
Und man nennt den Weiſen dich!
Die Wurmlinger Kapelle.*)
Luftig, wie ein leichter Kahn,
Auf des Huͤgels gruͤner Welle,
Schwebt ſie laͤchelnd himmelan,
Dort die friedliche Kapelle.
Einſt bei Sonnenuntergang
Schritt ich durch die oͤden Raͤume,
Prieſterwort und Feſtgeſang
Saͤuſelten um mich wie Traͤume.
Und Maria's ſchoͤnes Bild
Schien vom Altar ſich zu ſenken,
Schien in Trauer, heilig mild,
Alter Tage zu gedenken.
Roͤthlich kommt der Morgenſchein,
Und es kehrt der Abendſchimmer
Treulich bei dem Bilde ein;
Doch die Menſchen kommen nimmer.
Leiſe werd' ich hier umweht
Von geheimen, frohen Schauern,
Gleich als haͤtt' ein fromm Gebet
Sich verſpaͤtet in den Mauern.
Scheidend gruͤßet hell und klar
Noch die Sonn' in die Kapelle,
Und der Graͤber ſtille Schaar
Liegt ſo traulich vor der Schwelle.
Freundlich ſchmiegt des Herbſtes Ruh
Sich an die verlaſſnen Gruͤfte;
Dort, dem fernen Suͤden zu,
Wandern Voͤgel durch die Luͤfte.
Alles ſchlummert, Alles ſchweigt,
Mancher Huͤgel iſt verſunken,
Und die Kreuze ſtehn geneigt
Auf den Graͤbern — ſchlafestrunken.
Und der Baum im Abendwind
Laͤßt ſein Laub zu Boden wallen,
Wie ein ſchlafergriffnes Kind
Laͤßt ſein buntes Spielzeug fallen. —
Hier iſt all' mein Erdenleid
Wie ein truͤber Duft zerfloſſen;
Suͤße Todesmuͤdigkeit
Haͤlt die Seele hier umſchloſſen.
Der Maskenball.
Wirres Durcheinanderwallen
In den lichten Saͤulenhallen.
Der Drommeten hell Gedroͤhne,
Und der Geigen tolle Lieder
Stuͤrzen vom Geruͤſte nieder,
Als ein Wildbach froher Toͤne;
Von dem Strome leicht bezwungen
Wird der Gaͤſte bunte Menge,
Wird vom ſeligen Gedraͤnge
Raſcher Taͤnze ſchnell verſchlungen.
Blumen und Orangenbaͤume
Bluͤhen, duften rings im Saale,
Mahnen, holde Fruͤhlingstraͤume,
Mich an ferne Bluͤthenthale,
Wecken mit dem ſtillen Gruß
Mir ein banges Hinverlangen,
Hauchen ihren leiſen Kuß
Schoͤnen Maͤdchen an die Wangen;
Doch den Frohen, Ruheloſen,
Weht nicht Sehnſucht in dem Hauche,
[159]
Sind ja ſelber junge Roſen,
Die entflogen ihrem Strauche;
Flatternd in geliebten Taͤnzen,
Dem Gewinde bald entbunden,
Bald zu anmuthvollen Kraͤnzen
Von der Freude friſch gewunden;
Koͤnnen ſinnend nicht verweilen,
Muͤſſen im Vergnuͤgen eilen,
Denn des Welkens Klage naht.
Nie zu ſuͤhnender Verrath
An der Bluͤthe Augenblicken
Waͤre jede truͤbe Saͤumniß.
Seht, da ſchwebt mit trautem Nicken,
Ein ſuͤß neckendes Geheimniß,
Eine holde Maske her.
Ach, wer biſt du? ſage, wer? —
Lind und weich von heller Seide
Iſt dein ſchlanker Leib umfangen,
Und vom amarantnen Kleide
Leicht und luftig uͤberhangen,
Und du ſtrahlſt im Glanz des Goldes,
Polenmaͤdchen! wunderholdes!
Schalkhaft kuͤhn dein Kaͤppchen ſizt,
Trotzend auf ſo ſchoͤne Stelle;
[160]
Wie der Demantſtern dir blizt
Aus der Nacht der Lockenwelle!
Wie die Perlen dich umſchmiegen,
Die dir froh am Halſe liegen!
Deine Reize ſtill zu ehren,
Haben ſie ſich dort vereinet.
Hat ein Gott dir Freudezaͤhren
An den ſchoͤnen Hals geweinet? —
Doch betracht' ich dich genauer,
Weiß ich nicht, wie mir geſchieht,
Ruͤhrſt du mir das Herz zur Trauer,
Und die heitre Deutung flieht.
Maͤdchen, willſt du in Symbolen:
Weißem Nacken, Perlenſchnuͤren,
Uns das Trauerloos der Polen
Mahnend vor die Seele fuͤhren?
Zeigen uns im ſchoͤnen Bilde
Thraͤnenvolle Schneegefilde?
Ja, du kamſt in dieſes Haus,
Leiſe ſtrafend uns zu tragen
In den ſchmerzvergeſſnen Braus
Polens Gluͤck aus alten Tagen,
Daß wir ſeinen Fall bedenken,
Und in Wehmuth uns verſenken. —
[161]
Abgewendet nun mit Schweigen,
Schwindeſt du im dichten Reigen,
Wie Polonia's Herrlichkeit
Schwand im wilden Tanz der Zeit. —
Masken kommen, immer neue:
Hier ein Ritter mit der Dame,
Spricht von ſeinem Liebesgrame,
Und gelobt ihr ſeine Treue.
Dort im haͤrenen Gewande,
Mit Sandal' und Muſchelhut,
Wie entruͤckt in ferne Lande,
Ueber Berg' und Meeresfluth —
Steht ein Pilger; ſeine Traͤume
Saͤuſeln ihm wie Palmenbaͤume,
Zaubern ihn zum heil'gen Grabe,
Seines Glaubens liebſter Habe. —
Seyd willkommen mir, Matroſen!
Nehmt mich auf in eurem Schiffe!
Friſch hinaus ins Meerestoſen,
Durch die fluthbeſchaͤumten Riffe!
Ha! ſchon ſeh' ich Moͤwen ziehn,
Wetterwolken ſeh' ich jagen,
Und die Stuͤrme hoͤr' ich ſchlagen.
Suͤße Heimat, fahre hin!
Lenau's Gedichte. 11[162]
Nach der Freiheit Paradieſen
Nehmen wir den raſchen Zug,
Wo in heil'gen Waldverlieſen
Kein Tyrann ſich Throne ſchlug.
Weihend mich mit ſtillem Beten,
Will den Urwald ich betreten,
Wandeln will ich durch die Hallen,
Wo die Schauer Gottes wallen;
Wo in wunderbarer Pracht
Himmelwaͤrts die Baͤume dringen,
Brauſend um die keuſche Nacht
Ihre Rieſenarme ſchlingen.
Wo Leuchtkaͤfer, Miriaden,
Um die Schlingeblumen fliegen,
Die ſich an die Baͤume ſchmiegen,
Auf des Bluͤhens dunklen Pfaden
Leuchten ſie den Duftgewinden,
Lehren ſie den Wipfel finden. —
Dort will ich fuͤr meinen Kummer
Finden den erſehnten Schlummer,
Will vom Schickſal Kunde werben,
Daß es mir mag anvertrauen
In der Waͤlder tiefem Grauen,
Warum Polen mußte ſterben.
[163]
Und der Antwort will ich lauſchen
In der Voͤgel Melodeien,
In des Raubthiers wildem Schreien,
Und im Niagararauſchen.
Fantaſieen.
[[166]][[167]]Die Zweifler.
Zwei Freunde traten ſchweigend ein
In einen bluͤthenvollen Hain.
Die Sonne ließ den Strahl im Neigen
Erzittern auf den Erlenzweigen;
Und Leben, Lieben uͤberall
Schien ſchwellend ſich hervorzudraͤngen;
Aus Buͤſchen ruft die Nachtigall
Hervor in ſchmerzlich ſuͤßen Klaͤngen,
Als ob die Saͤngerin aus Eden
Den Tod ſanft moͤchte uͤberreden
Mit ihrem Liede zaubervoll,
Daß er den Lenz nicht rauben ſoll.
Die Freunde ſchwiegen, nur der Bach
In das Gefloͤte murmelnd ſprach;
Viel Blumen ſtanden bunt herum
Und wiegten ihre Haͤupter ſtumm,
[168]
In das geſchwaͤtzig muntre Rauſchen
Des Baches froh hinabzulauſchen,
Wie Kinder lauſchen, frohgeſpannt,
Dem Wandrer, der von fernem Land,
Von ſchoͤnen Wundern viel erzaͤhlt
Auf ſeiner Irrfahrt durch die Welt. —
O Nachtigall! du rufſt vergebens
Um Dauer dieſes Wonnelebens!
Bald gluͤht dein leztes Abendroth,
In ſeinem Durſte wird der Tod
Hinweg die ſuͤßen Lieder trinken,
Du wirſt vom ſtillen Aſte ſinken!
Ihr lieben Bluͤmlein! trauet nicht
Dem Maͤhrchen, das der Wandrer ſpricht;
Seht, ſeht, ſchon ſchwillt er brauſend an,
Im Walde ſchon die Stuͤrme nah'n;
Der Donner kommt, und voller ſchwillt
Der Bach, der immer lauter bruͤllt;
Er faßt euch an, er reißt euch los
Aus eurer Mutter gruͤnem Schoos!
Wie dort die Roſenſtaude bebt!
Nun ſich zu ihr der Wilde hebt;
Sie ſchwankt in ihrem Bluͤthenkleid,
Da ſie der Strom frohlockend wiegt;
[169]
So wiegt der Burſche ſeine Maid',
Bevor mit ihr zum Tanz er fliegt.—
Der eine von den Freunden ſann
Hinunter in den Wogendrang,
Und ſeine Stimme nun begann
Zu toͤnen, ernſt, wie Grabgeſang:
Vergaͤnglichkeit! wie rauſchen deine Wellen
Durch's weite Labyrinth des Lebens fort!
In deine Wirbel fluͤchten alle Quellen,
Dir baut kein Damm entgegen ſich, kein Hort!
Es waͤchſt dein Strom mit jeglicher Minute,
Stets lauter klagt der dumpfe Wellenſchlag;
Doch wie die Fluth auch unaufhaltſam fluthe,
Iſt Mancher doch, der ſie nicht hoͤren mag.
Wenn auch die Wellen ihre Ufer freſſen,
Und du zum Meer hinwucherſt, unermeſſen;
Doch ſteh'n an deinem Ufer frohe Thoren,
In ihren Traum „Unſterblichkeit“ verloren.
Am Ufer? — nein! es iſt von deinem Bronnen
Tiefinnerſt jede Creatur durchronnen;
Es brauſt in meines Herzens wildem Takt,
Vergaͤnglichkeit, dein lauter Katarakt!
Wenn ich dem Strome zu entfliehen meine,
Aufblickend zu der Sterne hellem Scheine,
[170]
Aufſehnend mich mit zitterndem Verlangen,
Daß rettend meinen Geiſt ſie einſt empfangen:
Ich habe mich getaͤuſcht! ich ſeh' erbleichen
Die Sterne ſelbſt, und zitternd ruͤckwaͤrts weichen;
Sie hoͤren, wie die Woge braust, ſie ahnen,
Daß ſie nicht ſicher ſind auf ihren Bahnen;
Sie ſehen, wie es waͤchst, das grauſe Meer,
Und ahnen wohl: — mir ſagt's ihr banges Blinken —
Einſt wird vom raſchen Flug ihr ſtrahlend Heer
Ein muͤdes Schwalbenvolk herunterſinken.
Dann bruͤtet auf dem Ocean die Nacht,
Dann iſt des Todes großes Werk vollbracht;
Dann ſtockt und ſtarrt zu Eis die grauſe Fluth,
Worin der Wunſch des finſtern Gottes ruht;
Er wandelt auf der Flaͤche und ermißt,
Wie alles nun ſo ſtill, ſo dunkel iſt;
Er laͤchelt dann voll ſelbſtzufriedner Freude
In ſeine Welt, in ſeine Nacht hinein,
Und es erglaͤnzt des Eiſes ſtille Haide
Nur noch von ſeines Laͤchelns Wiederſchein! —
Der Andre ſprach: mir gilt es gleich,
Ob Leben, — Tod — im Schattenreich!
Strahlt jenſeits auch ein mildes Licht,
So fehlt gewiß der Donner nicht,
[171]
Der, was das Licht in Liebe hegt,
Mit ſeinem Zorne niederſchlaͤgt;
Denn glauben kann ich nimmermehr,
Es habe ſich das ganze Heer
Von Qualen, die gebar Natur,
Gelagert auf die Erde nur;
Daß ſie von dieſer Welt nicht wandern
Mit uns hinuͤber in die andern,
Da ſie in unſrer Bruſt voll Wunden
So traute Herberg ſtets gefunden. —
So lang dies Herz auf Erden ſchlug!
Hab' ich erlebt, genug, genug,
Um ein Vergehen, ein Verſchwinden,
Ein Loos der Sehnſucht werth zu finden.
Und ſchlaf' ich einſt im Grab ſo tief,
Und tiefer, denn als Kind ich ſchlief,
So mag der Tod ſich immerhin
Davor als Waͤchter ſtellen hin,
Er ſteht am ſtillen Grabverlies,
Ein Engel vor dem Paradies. —
Doch iſt es anders mir beſchloſſen,
Wird druͤben neu mein Leben ſproſſen;
Werd' ich gelaſſen, ohne Zagen,
Auch meine Ewigkeit ertragen.
Glauben. Wissen. Handeln.
Ein allegoriſcher Traum.
Schon iſt der Berge Purpurgluth verglommen,
Und zitternd flieht des Tages lezter Strahl
Der Nacht ſchon aus dem Wege. Sey willkommen,
O Dunkelheit, im ernſten Eichenthal! —
Hier zuͤnd' ich Nachts mein Herz zum hellen Feuer
Des Schmerzes an, und ſtarre ſtumm hinein;
Und ſchwillt die Flamme, wird ſie ungeheuer,
Ich ſteh' dabei, und ſtarre ſtumm hinein;
Gelockt vom Scheine, ſchwirren dann in Schaaren,
Wie Muͤcken auf der Luͤfte lauer Fluth,
Erinnerungen her aus fernen Jahren,
Und werfen duͤrre Reiſer in die Glut.
Sie ſingen mir, um's Feuer dicht gekauert,
Viel laͤngſt verklungne Melodieen vor,
Wie einſt gejubelt ich, und wie getrauert,
Und wie der Seele Frieden ich verlor.
Sie ſingen mir von meinen Jugendtraͤumen,
Wie mir das Leben einſt ſo hold, ſo traut,
[173]
Umſaͤuſelt von Heſperiens Bluͤthenbaͤumen,
Entgegentrat als eine ſchoͤne Braut:
Ein Schleier hielt das Liebchen mir umſchlungen,
Der geizig zwar mit meinen Blicken rang;
Doch mancher Reiz, der leichten Haft entſprungen,
Flog mir an's Herz, das ihm entgegendrang.
Die ſchoͤne Braut gab mir die Hand zur Reiſe,
Und ſelig ſchritten wir und raſch dahin.
Wir ſahn am Himmel goldne Woͤlkchen zieh'n,
Voreilend trat die Freude uns die Gleiſe.
Wir wallten durch des Glaubens Paradieſe,
Wo jedes Luͤftchen uns von Gott erzaͤhlt,
Wo uns von ihm jed' Bluͤmchen auf der Wieſe
Ein Liebeszeichen froh entgegenhaͤlt;
Wo die beſchwingte Sehnſucht: Filomele
Laut ruft und innig in die Mondennacht,
Daß ihre Schweſter, die verwandte Seele,
Von ihrem Ruf in unſrer Bruſt erwacht,
Erwacht und Gottes ſuͤßen Namen ſingt,
Und aus der Bruſt zu ihm hinuͤberdringt.
Wo der Sturm, ein trunkener Saͤnger Gottes, dahinbrauſt,
Mit fliegender Locke, mit rauſchendem Nachtgewand,
Die Harfe ſchlagend im feurigen Fluge dahinbrauſt
Durch Thal und Gebirg', durch Meer und Wuͤſtenſand.
[174]
Wie zwingt er die Donnerakkorde hervor aus den Saiten!
Wie ſucht ſein ſtrahlender Blick nach Gott durch die Weiten!
Ihn hoͤren die Wogen des Meeres, berauſcht, und ſpringen
Vom ſchaukelnden Schooße des Schlummers zu Gott empor,
Und taumeln entzuͤckt in die Arme ſich, und ſingen:
„Allmaͤchtiger Gott!“ im tauſendſtimmigen Chor;
Ihn hoͤren die Berg', und ſeine gewaltigen Lieder,
Sie toͤnen von ihrem erſchuͤtterten Buſen wieder;
Tief ſeufzen die Waͤlder und neigen ihr Angeſicht,
Die Ufer faſſen den Jubel der Stroͤme nicht,
Sehnſuchtergriffen, ſtuͤrzen vom Fels ſich herab
Die Tannen und ſuchen im Wonnetumult ihr Grab.
Des Sturmes Geſang durchtoͤnt die gluͤhende Wuͤſte,
Der grimmige Loͤwe, vom heiligen Klang umweht,
Laͤßt fahren die Beut', es ſchweigt ſein blutig Geluͤſte,
Er flieht zur Hoͤhl', und zittert ſein Gebet.
Dem Menſchen entſtuͤrzt der Thraͤnen ſeliger Schwall,
Und lauter ruft im Buſen die Nachtigall. —
Doch zogen wir fort aus dem Paradieſe,
Wo jedes Luͤftchen uns von Gott erzaͤhlt,
Wo uns von ihm jed' Bluͤmchen auf der Wieſe
Ein Liebeszeichen froh entgegenhaͤlt;
Wo eine Blum', aus allen Blumen ragend,
Prangt, holdumſtrahlt vom ew'gen Morgenlicht,
[175]
Die ſchoͤnſte Liebesbluͤthe Gottes tragend,
Des todten Heilands laͤchelnd Angeſicht.
Und in der Forſchung Waͤlder trat, ein Thor, ich
Aus jenem gottbeſeelten Paradies,
Und all' des Herzens fromme Luſt verlor ich,
Seit ich des Glaubens treue Spur verließ.
Im Labyrinthe floß in leiſen Tropfen
Durchs Laubgewoͤlb' das Licht, Staubregen kaum;
Mich aber trieb mein Herz mit ſtarkem Klopfen,
Zu ſuchen der Erkenntniß hohen Baum.
Scheu floh der Pfad die ungeweihten Tritte,
Entſchluͤpfend in des Dickichts wirre Nacht,
Doch haſcht' ich ihn, bis in des Waldes Mitte
Vor mir aufragt' in wunderbarer Pracht
Der Baum, nach dem mein lautes Herz ſich ſehnte,
Deß Gliederbau ſich rings im ſtolzen Drang
Unuͤberſehbar in die Luͤfte dehnte; —
Ich ſtand, entzuͤckt, und lauſcht', erwartungbang:
Da hoͤrt' ich leiſe raͤthſelhaftes Fluͤſtern
Im dunkeln Laub, raſch flog von Aſt zu Aſt
Mein Blick empor und fragte jeden luͤſtern:
Traͤgſt du vielleicht der Fruͤchte ſuͤße Laſt?
Nun ſah ich ſie an hohen Zweigen blinken,
Und meine Seele ſeufzte heiß empor,
[176]
Der goldnen Frucht erquickend Suͤß zu trinken;
Da ſprach es aus der Blaͤtternacht hervor:
„Wohl ſiehſt du hier die goldnen Fruͤchte ragen,
„Doch zarte, ſchwanke Zweige halten ſie,
„Die deines Leibes Schwere nicht ertragen,
„D'rum klimme nicht, du pfluͤckſt die Fruͤchte nie!“
Und trauernd wandt' ich meinen Schritt von dannen,
Nun fiel mein Blick auf meine liebe Braut,
Und meines Schmerzes erſte Thraͤnen rannen,
Als ich in's bleiche Antlitz ihr geſchaut;
Am Fußgeſtraͤuch des Baumes blieb er hangen
Der Schleier, der ſo lieblich ſie umfangen,
Und ihr entſanken alle Reize, todt,
Wie, froſtverhaucht, der Roſ' ihr welkes Roth.
„Zuruͤck, zuruͤck, mein Liebchen, laß uns fliehen,“
— So rief ich, — „wo die Wunderblume bluͤht,
„Wir wollen fromm vor ihr im Staube knieen,
„Vielleicht, daß dort dein Auge wieder gluͤht,
„Daß, auferweckt von ihrem Wunderhauche,
„Die Schoͤnheit friſch auf deiner Wange keimt,
„Die du verlorſt am unheilvollen Strauche!“
Doch all' der Troſt war leider nur getraͤumt;
Denn wie wir auch im Labyrinthe ſuchten,
Wir fanden nimmermehr den Weg zuruͤck. — —
[177]
Als wir entronnen endlich jenen Schluchten,
Hob ſich ein ſtolzer Bau vor unſerm Blick.
Wir traten ein in eine weite Halle,
Da trieb in lautem Wirbel ohne Raſt
Ein Menſchenſchwarm herum, Wettkaͤmpfer alle,
Bewaffnet bunt, umflirrt von eitlem Glaſt.
Da ſaß erhoͤht in einer Niſche, ſchweigend,
Ein Weib ehrwuͤrdiger Geſtalt, und ſchien,
Ihr Haupt herab zur lauten Buͤhne neigend,
Zu lauſchen dem entbrannten Kampfesmuͤhn.
Nun lief durch's wirre Volk ein Jubelklang,
Und, ſieh! ein Mann der Schlachten trat hervor,
Vom Leichendunſt hoch aufgeblaͤht, und ſchwang,
Zur Niſche ſeinen Eichenkranz empor:
„Fuͤr dich, o Mutter, hab' ich ihn gebrochen,
„Und blutig biſt, Germania, du gerochen!“
Doch hoͤrte man die Frau kein Woͤrtchen ſagen,
Als naͤhm' ſie's hin mit ruhigem Behagen.
Dann trat begeiſtert auf und feierlich
Ein Saͤngerchor und ſang zum Harfenſpiele
„Wie lieben wir, erhabne Mutter, dich!“
Doch dieſe ſchwieg, ob ſolches ihr gefiele.
Zur Niſche ſtreckten Viele noch die Arme,
Frohlockend: „Heil der großen Mutter, Heil!“
Lenau's Gedichte. 12[178]
Und Zepter taucht', und Juful aus dem Schwarme,
Und klirrend tauchten Ketten auf und Beil.
Noch immer ſaß das Weib ein ſtummer Spaͤher,
Da trat ich forſchend ihrem Sitze naͤher:
Todt war ſie, todt! — In ihrer Zuͤge Schatten
Stand noch des Grames ſtille Siedelei,
Fort war die Seele zu den dunkeln Matten
Der Vorzeit, wo der Seelen heil'ge Drei
Nun irrt: die hohe Roma, ſtumm und duͤſter,
Die ſchoͤne Hellas, bang, mit Klaggefluͤſter,
Und, ihren Schweſtern traulich ſich vereinend,
Germania, die gute, leiſe weinend. — —
Das Schickſal ging nun finſter mir voruͤber,
Mit Majeſtaͤt und Schrecken angethan,
Und winkte mir, zu wandern meine Bahn
Durch Heideland, verlaſſ'ner ſtets und truͤber.
Und dir, mein Leben, warf zur ſtillen Feier
Den Gram das Schickſal um dein Angeſicht,
Von ihm gewoben dir zum zweiten Schleier,
Der feſter ſich um deine Zuͤge flicht:
Erſt wenn wir uns zu ſeligem Vergeſſen
Hinlegen in das traute, liebe Grab,
Loͤst er von deinem Angeſicht ſich ab,
Und haͤngt ſich an die ſaͤuſelnden Cypreſſen.
Die Waldkapelle.
1.
Der dunkle Wald umrauſcht den Wieſengrund,
Gar duͤſter liegt der graue Berg dahinter,
Das duͤrre Laub, der Windhauch gibt es kund,
Geſchritten kommt allmaͤhlig ſchon der Winter.
Die Sonne ging, umhuͤllt von Wolken dicht,
Unfreundlich, ohne Scheideblick von hinnen,
Und die Natur verſtummt, im Daͤmmerlicht
Schwermuͤthig ihrem Tode nachzuſinnen.
Dort, wo die Eiche rauſcht am Bergesfuß,
Wo bang voruͤberklagt des Baches Welle,
Dort winket, wie aus alter Zeit ein Gruß,
Die laͤngſt verlaſſne, ſtille Waldkapelle.
Wo ſind ſie, deren Lied aus deinem Schooß,
O Kirchlein, einſt zu Gott emporgeflogen,
Vergeſſend all' ihr truͤbes Erdenloos? —
Wo ſind ſie? — ihrem Liede nachgezogen!
2.
Horch! ploͤtzlich ſtoͤrt ein Ruf die Einſamkeit:
Klang's nicht aus der Kapelle oͤden Mauern?
Wer iſt es, der ſo wunderlich dort ſchreit,
Daß mich's unheimlich faßt mit kaltem Schauern?!
„Herr Gott! wir loben dich — ha, ha, ha, ha!“
Nun ſchweigt er ſtill, der grauſe Gottveraͤchter;
Und donnernd ruft er nun: „Alleluiah!“
Und uͤberdonnernd folgt ſein Hohngelaͤchter.
Da ſtuͤrzt er ſich vorbei voll ſcheuer Haſt,
Das wirre Haar von bleicher Wange ſtreifend,
Die Augen wild bewegt und ohne Raſt,
Irrlichter, in der Nacht des Wahnſinns ſchweifend.
Er eilt waldein, von ſeinem Tritte rauſcht
Das duͤrre Laub im dunkeln Eichenhaine;
Wie ſinnend bleibt er ploͤtzlich ſtehn und lauſcht,
Und leiſe hoͤr' ich's nun, als ob er weine.
Mitleidig rauſcht ihr ihm, — o rauſchet nur! —
Den Troſt: „Vergaͤnglichkeit!“ ihr welken Blaͤtter!
O locket ſeine Seele auf die Spur
Des milden Todes, nennt ihm ſeinen Retter! —
Zur ſanften Wehmuth lichtet ſich das Thal,
Dort kommt der Mond zum ſtillen Abſchiedsfeſte,
Es will ſein Silberſchimmer noch einmal
Sich ſchmiegen an des Sommers karge Reſte.
Wie ſchwach iſt ſchon der Eiche fahles Laub!
Den leichten Mondſtrahl kann es nicht mehr tragen;
Es bricht und zittert unter ihm in Staub,
Und laͤßt die kahlen Aeſte traurig ragen. —
Da ſteht der Irre, bleich und ſtumm, den Blick,
Das bittre Laͤcheln auf den Mond gerichtet,
Es prallt das Mondlicht ſcheu von ihm zuruͤck,
Und ſcheu der Wind an ihm voruͤberfluͤchtet.
Starrt ſo des Wahnſinns Auge wild hinauf
Zum ſtillen, klaren, ewiggleichen Frieden,
Mit dem die Sterne wandeln ihren Lauf:
Ein Anblick iſt's der traurigſten hienieden. —
Was hat, o Schickſal, dieſer Menſch gethan,
Daß mit des Wahnſinns bangen Finſterniſſen
Du ihm verſchuͤttet haſt die Lebensbahn,
Aus ſeiner Seele ſeinen Gott geriſſen?
3.
Er hat geliebt! — vor langer, truͤber Zeit,
Da ging er einſt, ein froͤhlicher Geſelle,
Mit ſeinem Lieb durch dieſe Einſamkeit,
Und kam mit ihr zur ſtillen Waldkapelle.
Sie traten ein, ſie knieten hin; da glomm
Durch's Fenſter hell herein die Abendroͤthe,
Er betete mit ihr ſo ſelig fromm,
Und draußen ſang des Hirten weiche Floͤte.
Da hob die Hand ſie ſchnell und feierlich,
Und ſprach, ſo ſchien's, mit tiefbewegter Stimme:
„Lieb ich nicht warm, und treu, und ewig dich,
„So ſtrafe mich der Herr mit ſeinem Grimme!“
Und hoͤher glomm der helle Abendſtrahl,
So wie ſein Herz, ſich ewig ihr zu weihen,
Und draußen klang im ſtillen Waldesthal
Des Hirten Lied wie Himmelsmelodeien. —
Wie bald, wie bald, daß ihn ihr Herz vergißt!
Daß ihr ein Andrer ſchon des falſchen Eides
Das lezte Wort von falſcher Lippe kuͤßt,
Sie mit dem Glanze ſchmuͤckt des Brautgeſchmeides!
Und all' ihr Leben, Freudentaumel nur,
Den noch kein fluͤchtig Leid ihr jemals ſtoͤrte,
Zieht, unverfolgt von ihrem falſchen Schwur,
Und frech am Gott voruͤber, der ihn hoͤrte. —
Das war's, o Schickſal, was der Menſch gethan,
Daß mit des Wahnſinns bangen Finſterniſſen
Du ihm verſchuͤttet haſt die Lebensbahn,
Aus ſeiner Seele ſeinen Gott geriſſen!
D'rum flucht er nun empor mit wildem Spott,
Gequaͤlt von ſeinem Schmerz, an jener Stelle,
Wo er ſo ſelig einſt gekniet vor Gott;
D'rum irrt er, wie gebannt, um die Kapelle.
Der Raubschütz.
Nach einer Sage.
Der alte Muͤller Jakob ſizt
Allein beim Glaſe Wein;
Schwarzmitternacht, nur manchmal blizt
Ein Wetterſtrahl herein;
Das Muͤhlrad ſauſt, es brauſt der Wind;
Doch ſchlafen ruhig Weib und Kind.
Der Alte thut manch raſchen Zug,
Er denkt an Zeit und Tod.
Wie draußen jagt des Sturmes Flug,
So jagen Luſt und Noth,
Die laͤngſt begrabnen, neuerwacht,
Ihm durch die Bruſt in dieſer Nacht.
Die Thuͤr geht auf, er faͤhrt empor:
Wer kommt zu ſolcher Stund?
Ein Weidmann mit dem Feuerrohr,
Mit ſeinem Stoͤberhund,
Hahnfeder, Gemsbart auf dem Hut,
Das gruͤne Wamms befleckt mit Blut.
Der Muͤller ſtarrt, zuruͤckgebeugt,
Dem Jaͤger in's Geſicht,
Sein Haar entſezt zu Berge fleugt,
Sein Blut zum Herzen kriecht:
Der Raubſchuͤtz iſt's, der wilde Kurd,
Der juͤngſt im Wald erſchoſſen wurd.
Der finſtre Jaͤger an die Wand,
Auf Jakobs Buͤchſe winkt;
Der preßt ſein Glas in zager Hand,
Daß es in Scherben ſpringt;
Gehorchend nimmt er ſein Gewehr,
Und ſchleicht dem Grauſen hinterher.
Sie ſtreifen in den Wald hinaus,
Nach ſuͤßem Wildesraub;
Stets lauter wird der Winde Braus,
Der Pfade duͤrres Laub.
Der Jaͤger ruft voll heißer Gier:
„Komm, Bruder, jagen, jagen wir!“
Sie zieh'n fort, fort im finſtern Wald
Durch Strupp und Strom gar friſch,
Das Wild ſchrickt auf, die Buͤchſe knallt,
Der Stoͤbrer im Gebuͤſch
[187]
Rauſcht mit arbeitendem Geruch,
Der Jaͤger ruft: ſuch, Hundel, ſuch!
Doch an des Walds geheimſtem Ort‚
Auf ſeinem liebſten Stand‚
Wo juͤngſt die Kugel ihn durchbohrt‚
Aus meuchleriſcher Hand,
Da bleibt er ſtehn, und donnert: „ſchau!
Hier ſchoß er mich wie eine Sau!“
Es aͤchzt der Wald im Sturm, verzagt‚
Vom Monde jezt erhellt;
Der kuͤhn gewordne Muͤller fragt:
Was iſt's in jener Welt?
Da murmelt truͤben Angeſichts
Der Jaͤgersmann: „es iſt halt nichts!“
Heidebilder.
[[190]][[191]]Himmelstrauer.
Am Himmelsantlitz wandelt ein Gedanke,
Die duͤſtre Wolke dort, ſo bang, ſo ſchwer;
Wie auf dem Lager ſich der Seelenkranke,
Wirft ſich der Strauch im Winde hin und her.
Vom Himmel toͤnt ein ſchwermuthmattes Grollen,
Die dunkle Wimper blinzet manches Mal,
— So blinzen Augen, wenn ſie weinen wollen, —
Und aus der Wimper zuckt ein ſchwacher Strahl. —
Nun ſchleichen aus dem Moore kuͤhle Schauer,
Und leiſe Nebel uͤber's Heideland;
Der Himmel ließ, nachſinnend ſeiner Trauer,
Die Sonne laͤßig fallen aus der Hand.
Robert und der Invalide.
Robert.
Siehſt unſer Huͤttlein du im Abend ſchimmern? —
Es lacht hinaus in's oͤde Heideland,
Als wohnt' in ihm das Gluͤck, das uns entſchwand,
Und nicht ein finſtres Paar von Menſchentruͤmmern.
Aus einer andern Zeit, der guten, alten,
Als noch das Gluͤck geruht in Huͤttleins Schooß,
Und reicher Segen das Gefild umfloß,
Hat es die heitre Miene ſich erhalten.
Hier ſah man einſt in ſchoͤnen Sommertagen
Die frohen Laͤmmer auf der Weide ſpringen,
Hier hoͤrte man die Hirtenfloͤte klingen
Und im Getreide hell die Wachtel ſchlagen.
Hier zog der Pfad durch friſche Wieſengruͤnde,
Daß Abends er dem froͤhlichen Geſellen
Den ſchnellſten Weg zu ſeinem Liebchen kuͤnde;
Nun wiegt kein Saatfeld ſeine goldnen Wellen,
Und Alles ſchlaͤft in tiefer Heideruh.
Der Pfad, der nichts der Liebe mehr zu kuͤnden,
[193]
Schloß trauernd ſeine gruͤnen Lippen zu;
Und rings umher Vergeſſen und Verſchwinden.
Das Huͤttlein nur mit ſeinem Lindenbaume
Iſt nicht erwacht aus ſeinem holden Traume.
— Ihm gleicht die Erde jenſeits unſ'rer Heide,
Ob laͤngſt das Gluͤck aus ihren Armen floh,
Die Erde thut, wie einſt, noch immer froh,
Und ſchmuͤckt ſich gerne mit dem Bluͤthenkleide;
Getreu der alten, ſchon gedankenloſen
Gewohnheit, traͤgt ſie jaͤhrlich ihre Roſen. —
Hab' meine Luſt, im Huͤttlein dort zu hauſen,
Es iſt ſo leicht gezimmert, leicht bedacht,
Da hoͤren recht wir's, wenn die Winde brauſen,
Und unſer Schaͤtzel kommt, die Wetternacht.
Bin gerne dort in heitern Abendſtunden,
Wenn ſchon der lezte Sonnenſtrahl geſchwunden,
Wenn hell zu Sternen Sterne ſich geſellen,
Und unſre Hunde auf zum Monde bellen,
Wenn ſich der ſtille, blaſſe ſchleicht heran,
Als wollt' er diebiſch unſrer Huͤtte nah'n,
Und uns mit ſeinen leiſen Silberhaͤnden
Den leichten Schlaf durch's Fenſterlein entwenden. —
Freund! hoͤre doch! wo wandert deine Seele,
Derweil ich hier von Huͤtt' und Mond erzaͤhle?
Der Invalide.
Es bellen — ſagteſt du — zum Mondenſchein
Die Hunde; — ja — den Hunden haͤtt' ich ſollen,
Als einſt der laute Ruf zur Schlacht erſchollen,
Zum Futter werfen lieber vor mein Bein,
Als daß ich's im berauſchten Sturmesflug
Zum blutgetraͤnkten Opferherde trug.
Zum Opferherde trug ich's? — Herd der Kuͤche
War jenes Leipzigfeld voll Flamm' und Rauch!
Zerriſſne Glieder, Leichen, Donnerfluͤche,
Gebrochne Waiſen-, Mutterherzen auch,
Das Schlachtgefluͤgel auch, — vom boͤſen Wetter
Napoleon gejagt aus Frankreichs Auen: —
Das Alles ward vom Chor der Freiheitsretter
In ein Gericht zuſammen dort gehauen,
Woran das Gluͤck nun der Ariſtokraten
Sich ſchwelgend maͤſtet, da zu ihrer Schmach
Im Lande zieh'n verſtuͤmmelte Soldaten,
Und betteln muͤſſen um ein mildes Dach.
Man hat ein Glied vom Leibe mir geriſſen,
Den ſchlechten Reſt dem Hunger vorgeſchmiſſen.
Das ſind die Menſchen ohne Dank nicht werth,
Daß ich fuͤr ſie gezogen einſt mein Schwert,
Daß ich ein Bettelkruͤppel auf der Heide,
[195]
Umhinke, deinen Biſſen trag' im Magen,
Und decke meinen Leib mit deinem Kleide,
Bis dieſe dumpfe Trommel ausgeſchlagen
Den Trauermarſch: das Herz da ſtille ſteht,
Und den vergeſſnen Staub der Wind verweht! —
Robert.
Dich troͤſten wollen mag ein bittrer Spoͤtter!
Was einmal tief und wahrhaft dich gekraͤnkt,
Das bleibt auf ewig dir ins Mark geſenkt:
Hier ſteht das Ungluͤck hoͤher als die Goͤtter!
Der Himmel mag vor deinen Gram ſich lagern,
All' ſeine Goͤtterkraͤfte laß ergluͤh'n,
Daß er die Seele dir von ihren Nagern
Rein ſchaffe und ſie wieder mache bluͤh'n:
Wird er den Seelenwurm hinausbeſchwoͤren,
Will er nicht Seel' und Wurm zugleich zerſtoͤren?! —
Daß einen treuen Freund an mir du haſt,
Bis ſie mir einſt im Dorfe druͤben laͤuten,
Wenn ſie mich tragen zur erſehnten Raſt,
Das iſt wohl wahr, doch hier kann's nichts bedeuten. —
Die Sonn' iſt unter; — wie die Nebel flattern,
Vom Herbſtwind aufgejagt, aus dunklem Moor! —
So war der Abend, als mir Laura ſchwor! —
[196]
Hoͤrſt du die Wildgans in den Luͤften ſchnattern?
Das kuͤndet Froſt, mein Freund, und truͤbe Zeit! —
Schon wieder gaukelt da die boͤſe Sippe
Von Nachtgeſtalten der Vergangenheit;
Nun mag ich flieh'n durch Graͤſer und Geſtruͤppe,
Sie folgt mir ſtets, ſie ſpottet ſtets mir nach:
„Du Thor, mit deinem fabelhaften Sehnen!
„Haſt du's noch nicht erſaͤuft in deinen Thraͤnen?“
Und alle meine Wunden werden wach.
Wie Buben einen Narren durch die Straßen
Nicht ungeneckt hingeh'n und traͤumen laſſen,
So folgt es hoͤhnend mir durch dieſe Heide,
Und laͤßt nicht raſten mich von meinem Leide.
An die Wolke.
Zieh nicht ſo ſchnell voruͤber
An dieſer ſtillen Heide;
Zieh nicht ſo ſcheu voruͤber
An meinem tiefen Leide;
Du Wolke in der Hoͤh',
Steh ſtill bei meinem Weh!
Und nimm auf deine Reiſe
Mit fort zu ihr die Kunde:
Mein Herz, die arme Waiſe,
Verblutet an der Wunde,
Die mir durch ihren Trug
Die Ungetreue ſchlug.
Und kommſt auf deinen Wegen
Du an vor ihrem Hauſe,
So ſtuͤrze dich als Regen
Herunter mit Gebrauſe,
Daß ſie bei dunkler Nacht
Aus ihrem Traum erwacht.
Schlag' an die Fenſterſcheibe,
Und ſchlag' an ihre Thuͤre,
Und ſey dem falſchen Weibe
Ein Mahner an die Schwuͤre,
Die ſie mir weinend ſprach,
Und die ſie laͤchelnd brach.
Und will ſie das nicht hoͤren
So magſt von deinem Sitze
Du, Donner, dich empoͤren,
Dann ruͤttelt all' ihr Blitze,
Wenn ihr voruͤberzieht,
An ihrem Augenlied!
Die Heideschenke.
Ich zog durch's weite Ungerland;
Mein Herz fand ſeine Freude,
Als Dorf und Buſch und Baum verſchwand
Auf einer ſtillen Heide.
Die Heide war ſo ſtill, ſo leer,
Am Abendhimmel zogen
Die Wolken hin, gewitterſchwer,
Und leiſe Blitze flogen.
Da hoͤrt' ich in der Ferne was,
In dunkler, meilenweiter;
Ich legte's Ohr an's knappe Gras,
Mir war als kaͤmen Reiter.
Und als ſie kamen naͤherwaͤrts,
Begann der Grund zu zittern,
Stets baͤnger, wie ein zages Herz
Bei nahenden Gewittern.
Hertobte nun ein Pferdehauf,
Von Hirten angetrieben
Zu raſtlos wildem Sturmeslauf
Mit lauten Geißelhieben.
Der Rappe peiſcht den Grund geſchwind
Zuruͤck mit ſtarken Hufen,
Wirft aus dem Wege ſich den Wind,
Hoͤrt nicht ſein ſcheltend Rufen.
Gezwungen iſt in ſtrenge Haft
Des Wildfangs tolles Jagen,
Denn klammernd herrſcht des Reiters Kraft,
Um ſeinen Bauch geſchlagen.
Sie flogen hin, woher mit Macht
Das Wetter kam gedrungen;
Verſchwanden — ob die Wolkennacht
Mit einmal ſie verſchlungen.
Doch meint' ich nun und immer noch
Zu hoͤren und zu ſehen
Der Hufe donnerndes Gepoch,
Der Maͤhnen ſchwarzes Wehen.
Die Wolken ſchienen Roſſe mir,
Die eilend ſich vermengten,
Des Himmels hallendes Revier
Im Donnerlauf durchſprengten.
Der Sturm ein wackrer Roſſeknecht,
Sein muntres Liedel ſingend,
Daß ſich die Heerde tummle recht,
Des Blitzes Geißel ſchwingend.
Schon rannten ſich die Roſſe heiß,
Matt ward der Hufe Klopfen,
Und auf die Heide ſank ihr Schweiß
In ſchweren Regentropfen.
Die Daͤmmerung brach nun herein,
Mir winkt' von fernen Huͤgeln
Heruͤber weißer Waͤnde Schein,
Die Schritte zu befluͤgeln.
Es ſchwieg der Sturm, das Wetter ſchwand;
Froh, daß es fortgezogen,
Sprang uͤber's ganze Heideland
Der junge Regenbogen.
Die Huͤgel nahten allgemach;
Die Sonne wies im Sinken
Mir noch von Rohr das braune Dach,
Ließ hell die Fenſter blinken.
Am Giebel tanzte, wie berauſcht,
Des Weines gruͤner Zeiger,
Und als ich freudig hingelauſcht,
Hoͤrt' ich Geſang und Geiger.
Bald kehrt' ich ein, und ſezte mich
Allein mit meinem Kruge;
An mir voruͤber drehte ſich
Der Tanz in raſchem Fluge.
Die Dirnen waren friſch und jung,
Und hatten ſchlanke Leiber,
Gar flink im Drehen, leicht im Sprung,
Die Burſche — waren Raͤuber.
Die Haͤnde klatſchten und im Takt
Hell klirrt des Spornes Eiſen;
Das Lied frohlocket und es klagt
Schwermuͤthig kuͤhne Weiſen.
Ein Raͤuber ſingt: „Wir ſind ſo frey,
„So ſelig, meine Bruͤder!“
Am Jubeln ſeines Munds vorbei
Schleicht eine Thraͤne nieder.
Der Hauptmann ſizt, auf ſeinen Arm
Das braune Antlitz ſenkend,
Er ſcheint entruͤckt dem lauten Schwarm,
Wie an ſein Schickſal denkend.
Das Feuer ſeiner Augen bricht
Hindurch die finſtern Brauen,
Wie Nachts im Wald der Flamme Licht
Durch Buͤſche iſt zu ſchauen.
Waͤchſt aber Sang und Sporngeklirr
Nun kuͤhner den Genoſſen,
Seh' ich das leere Weingeſchirr
Ihn kraͤftig niederſtoßen.
Ein Maͤdel ſizt an ſeiner Seit',
Scheint ihn als Kind zu ehren,
Und gerne hier der Froͤhlichkeit
Des Tanzes zu entbehren.
Auf ihren Reizen ruht ſein Blick
Mit innigem Behagen,
Zugleich auf ſeines Kind's Geſchick
Mit heimlichem Beklagen. —
Stets wilder in die Seelen geigt
Nun die Zigeunerbande,
Der Freude ſuͤßes Raſen ſteigt
Laut auf zum hoͤchſten Brande.
Und ſelbſt des Hauptmanns Angeſicht
Hat Freude uͤberkommen; —
Da dacht' ich an das Hochgericht,
Und ging hinaus, beklommen.
Die Heide war ſo ſtill, ſo leer,
Am Himmel nur war Leben,
Ich ſah der Sterne ſtrahlend Heer,
Des Mondes Voͤlle ſchweben.
Der Hauptmann auch entſchlich dem Haus;
Mit wachſamer Geberde
Rings horcht' er in die Nacht hinaus,
Dann horcht' er in die Erde,
Ob er nicht hoͤre ſchon den Tritt
Ereilender Gefahren,
Ob leiſe nicht der Grund verrieth'
Anſprengende Huſaren:
Er hoͤrte nichts, da blieb er ſteh'n,
Um in die hellen Sterne,
Um in den hellen Mond zu ſeh'n,
Als moͤcht' er ſagen gerne:
„O Mond im weißen Unſchuldskleid!
„Ihr Sterne dort, unzaͤhlig!
„In eurer ſtillen Sicherheit,
„Wie wandert ihr ſo ſelig!“
Er lauſchte wieder — und er ſprang
Und rief hinein zum Hauſe,
Und ſeiner Stimme Macht verſchlang
Urploͤtzlich das Gebrauſe.
Und eh' das Herz mir dreimal ſchlug
So ſaßen ſie zu Pferde,
Und auf und davon im ſchnellen Flug,
Daß rings erbebte die Erde.
Doch die Zigeuner blieben hier,
Die feurigen Geſellen,
Und ſpielten alte Lieder mir
Rakoczy's, des Rebellen.
Oden.
[[208]][[209]]Abendbilder.
1.
Friedlicher Abend ſenkt ſich auf's Gefilde,
Sanft entſchlummert Natur, um ihre Zuͤge
Schwebt der Daͤmm'rung zarte Verhuͤllung, und ſie
Laͤchelt, die holde,
Laͤchelt, ein ſchlummernd Kind in Vaters Armen,
Der voll Liebe zu ihr ſich neigt, ſein goͤttlich
Auge weilt auf ihr, und es weht ſein Odem
Ueber ihr Antlitz.
2.
Schon zerfließt das ferne Gebirg mit Wolken
In ein Meer; den Wogen entſteigt der Mond, er
Gruͤßt die Flur, entgegen ihm gruͤßt das ſchoͤnſte
Lied Filomelens
Aus dem Bluͤthenſtrauche, der um das Plaͤtzchen
Zarter Liebe heimlichend ſich verſchlinget,
Mirzi horcht am Buſen des Juͤnglings ihrem
Zaubergefloͤte.
Dort am Huͤgel weiden die Schafe Beider
Traulichen Gemenges in einer Heerde,
Ihre Gloͤcklein ſtimmen ſo lieblich ein zu
Frohen Akkorden.
3.
Stille wird's im Walde, die lieben, kleinen
Saͤnger pruͤfen ſchaukelnd den Aſt, der durch die
Nacht dem neuen Fluge ſie traͤgt, den neuen
Liedern entgegen.
Bald verſinkt die Sonne; des Waldes Rieſen
Heben hoͤher ſich in die Luͤfte, um noch
Mit des Abends fluͤchtigen Roſen ſich ihr
Haupt zu bekraͤnzen.
Schon verſtummt die Matte, den ſatten Rindern
Selten nur enthallt das Geglock am Halſe,
Und es pfluͤckt der waͤhlende Zahn nur laͤßig
Dunklere Graͤſer.
Und dort blickt der ſchuldloſe Hirt der Sonne
Sinnend nach, dem Sinnenden jezt entfallen
Floͤt' und Stab, es falten die Haͤnde ſich zum
Stillen Gebete.
Zuruf an meinen Geist.
Auf ſchwingt der Aar ſich uͤber dem Schlachtgefild,
Senkt bald herab ſein Aug' auf die Leichen, bald,
Zerreiſſend kuͤhn den Wolkenvorhang,
Blickt er hinauf in die goldne Sonne;
So ſchwing' empor dich Geiſt, und verweile jezt
Beim Tode, jezt durchdringe die Wolke, die
Den Sonnenſtrahl der Auferſtehung
Fallen nicht laͤßt in die offnen Graͤber!
Sehnsucht nach Vergessen.
Lethe! brich die Feſſeln des Ufers, gieße
Aus der Schattenwelt mir heruͤber deine
Welle, daß den Wunden der bangen Seel' ich
Trinke Geneſung.
Fruͤhling kommt mit Duft und Geſang und Liebe,
Will wie ſonſt mir ſinken ans Herz, doch ſchlaͤgt ihm
Nicht das Herz entgegen wie ſonſt; — o Lethe!
Sende die Welle!
An einen Tyrannen.
Tyrann! des Blutes, welches in Schlachten du
Vergoſſen kalt, das rauchte vom Henkerbeil,
Das, deinen Qualen zu entrinnen,
Stroͤmte dein Sklave mit eigner Hand hin:
Des Blutes ſoll ein jeglicher Tropfen einſt
Vor deinem Aug' in ſtrafender Ewigkeit
Aufſchaͤumen, ſchwellen zum Vulkane,
Der von den Seligen ſtreng dich ſcheidet!
Erwacht dann Sehnſucht heiß in der Seele dir
Hinuͤber in die Thaͤler Elyſiums,
Willſt uͤberklimmen du die Hoͤh'n, dann
Schleudren ſie dich in die Tiefe donnernd!
Entgegen gleiße deinem entſezten Blick
Ein Schneegebirg von Menſchengebeinen, hoch;
Daruͤber bleich und unbeweglich
Starre des Mondes bekuͤmmert Antlitz.
Dann ſtocke, ſchweige jenes Gebirg des Bluts,
Heruͤberklinge deinem verlaſſ'nen Ohr
Das Wonnelied der Auserwaͤhlten,
Saͤuſelnd, unendliche Sehnſucht weckend.
Doch ploͤtzlich ſtoͤre Kettengeraſſel dich,
Und Sterbgewinſel, das durch die Luͤfte klagt,
Und heulend rolle dir die Windsbraut
Schaͤdellawinen vor deine Fuͤße!
Am Bette eines Kindes.
Wiege ſie ſanft, o Schlaf, die holde Kleine!
Durch die zarte Verhuͤllung deines Schleiers
Laͤchelt ſie; ſo laͤchelt die Roſe ſtill durch
Abendgeduͤfte.
Wiege ſie ſanft, und lege deinem Bruder
Sie, dem ernſteren, leiſe in die Arme,
Ihm, durch deſſen dichteren Schleier uns kein
Laͤcheln mehr ſchimmert!
Denn mit gezuͤcktem Dolche harrt der Kummer
An der ſeligen Kindheit Pforte meines
Lieblings, wo der Friede ſie ſcheidend kuͤßt, und
Schwindet auf immer.
König und Dichter.
Stolz flammt ein Koͤnig dort auf erhabnem Thron,
Befehl den Voͤlkern winkt in die Fernen er,
Denn ſcheu vor ihm zuruͤck ſtets weiter
Weichen die Graͤnzen des Reichs, und weiter.
Zum nahen Flug jezt luͤftet der ſchnelle Tod
Den Fittig, und — was flammte, das glimmt nur mehr;
Er rauſcht heran — ſein ſtarker Fluͤgel
Faͤchelt vom Throne herab die Aſche. —
Dort ſingt ein Saͤnger hohe Begeiſterung:
Die Welle horcht, Wald, Thaͤler und Berge, ſelbſt
Die Goͤtter horchen, ſeliger, und
Sehnen vom hohen Olymp herab ſich; —
Du winkſt, o Tod; — er ſchweigt; der erſtarrten Hand
Entſinkt die Leier; doch im Triumfe fuͤhrt
Die Ewigkeit ſein Lied davon, das
Zuͤrnend die Staͤrkere dir entriſſen.
An der Bahre der Geliebten.
Blaß und auf immer ſtumm, auf immer! liegſt du
Hingeſtreckt, o Geliebte, auf der Bahre!
Deine Reize lockten den Tod, er kam, er
Haͤlt dich umarmet!
Einſt in der Kuͤhlung leiſer Abendwinde
Saßen wir am Gemurmel eines Baches,
Und ich ſprach aus zitternder Seele dir: „ich
„Liebe dich ewig!“
Aber du neigteſt ſinnend nach den Wellen,
Nach den fluͤchtigen, tief dein ſchoͤnes Antlitz,
Wie ergriffen von dem Gefluͤſter dunkler
Stimmen der Zukunft.
Schmerzlich beruͤhrt von deinem Schweigen, frug ich,
Ob vernommen das Wort du meiner Seele,
Und du nickteſt hold; doch es duͤnkte mir dein
Nicken zu wenig. —
Gluͤhende Thraͤnen ſtuͤrzen mir vom Auge,
Und ſie pochen an deine kalte Stirne,
Ach, von der geflohen dahin das ſtille
Sinnen der Liebe.
Meine gebrochne Stimme ruft dir bange.
Nach: „ich liebe dich ewig!“ o wie ſelig
Waͤr' ich nun, antwortete meinem Schmerz dein
Leiſeſtes Nicken!
An Seneca.
Durch's enge Thal Nachts irret ein Wanderer,
Dumpf brauſt der Waldſtrom, draͤngt an die Klippenwand
Den Pfad, der muͤhſam durch Geſtraͤuch und
Bodenentragende Wurzeln fortkriecht.
Der laute Sturmwind kaͤmpft mit dem Foͤhrenwald;
Der Felſenſohn trozt ſeiner Gewalt; nun ſtuͤrzt
Zornſchnaubend ſich der Ruͤckgeworfne
In das Getuͤmmel des Wogenkampfes.
Erſtorben ſind am Himmel die Lichter rings,
Der Sturm entfacht auf ſeltne Momente nur
Der Aſche des Gewoͤlkes einen
Funken, der ſpaͤrlich herunterdaͤmmert.
Die Nacht iſt wild, mit wachſender Macht empoͤrt
Sturm ſich und Strom; der Wanderer bebt, und weilt,
Und zaget vorwaͤrts, zu verſchlingen
Droht ihn der ſchwellenden Wogen Andrang.
Wie ſehnt in's Heimatland ſich die Seele dir!
Wie ſucht dein Aug', o Wandrer, den lieben Mond!
Er bricht hervor dort und beleuchtet
Freundlich dir, eile! des Thales Ausgang!
So leuchte mir, wenn Stuͤrme den Lebenspfad
Begraben einſt in finſtere Nacht, dein Strahl,
O Seneca, geleite freundlich
Mich in's elyſiſche Feld hinuͤber!
Am Grabe Hölty's.
Hoͤlty! dein Freund, der Fruͤhling iſt gekommen!
Klagend irrt er im Haine, dich zu finden;
Doch umſonſt! ſein klagender Ruf verhallt in
Einſamen Schatten!
Nimmer entgegen toͤnen ihm die Lieder
Deiner zaͤrtlichen, ſchoͤnen Seele, nimmer
Freuſt des erſten Veilchens du dich, des erſten
Taubengegirres!
Ach, an den Huͤgel ſinkt er deines Grabes,
Und umarmet ihn ſehnſuchtsvoll: „mein Saͤnger
Todt!“ So klagt ſein fluͤſternder Hauch dahin durch
Saͤuſelnde Blumen.
In der Nacht.
Alles ſchlaͤft, und uͤber's Gefild der Ruhe
Wandelt leiſen Schrittes dahin des Lebens
Genius; ſanft ſchimmert vom Weltendom die
Lampe des Mondes.
Sieh! den ernſten Zuͤgen des Gott's entringet
Holdes Laͤcheln ſich, denn er ſieht die Lieben
In des Schlafes ſuͤßer Umarmung ihrer
Qualen vergeſſen.
Huͤll' in deine Schatten mich tief, geliebte
Linde, daß die kummergebleichte Wange,
Und die bange Thraͤne ſein holdes Laͤcheln
Nimmer verſcheuche!
Ach, ſchon dreimal ſank dir die Bluͤth', o Linde,
Seit der Stunde, wo das Geſpraͤch der Freunde
Von Unſterblichkeit du behorchteſt, und ein
Sanftes Geſaͤuſel
Durch dein mondverſilbertes Laub uns Hoffnung
In die Seele goß, daß wir einſt uns wieder
Finden; — dreimal welkte der Halm am Grabe
Meines Geliebten!
Klara Hebert,
ein Romanzenkranz.
Lenau's Gedichte. 15[[226]][[227]]I.
Cisteron.
Welche Freude fuͤhlt der Wandrer,
Zieht er ſo im Fruͤhlingsſtrahle
Durch die ſchoͤnen, liedervollen,
Wonnigen Provencerthale!
Heißer gluͤht der Kuß der Sonne
Auf den blumenreichen Matten;
Suͤß're Labung rauſcht die Quelle,
Kuͤhler ſaͤuſeln hier die Schatten.
Voller toͤnt des Donners Stimme,
Und die Sterne blinken heller,
Raſcher bluͤht die Frucht und reifet,
Und die Liebe zuͤndet ſchneller.
Unbeſiegbar und unendlich
Iſt der Liebe banges Sehnen,
Und es nagen in die Herzen
Tiefer ihre Spur die Thraͤnen.
Aber fuͤhrt der Weg den Wandrer
An den Ort, den ich beſinge,
Kann er nicht dem Schauder wehren,
Daß er ihm das Herz durchdringe.
Am Geſtade der Durance
Sieht er eines Staͤdtchens Mauern,
Grauberaͤuchert, hin und wieder
Seine ſtillen Haͤuſer trauern.
Grauſenhafte Felſenſchluͤnde
Sieht der Wandrer dicht daneben,
Selten auf granitnem Blocke
Einen Strauch im Winde beben.
In dem naͤchtlichen Reviere
Scheint der Tod ſich zu ergehen,
Und den Leben nachzuſinnen,
Die ſein Odem wird verwehen.
Von den Klippen, wie verzweifelnd,
Stuͤrzt der Wildbach in die Tiefe,
Und er brauſet in den Schluchten,
Ob er bang nach Huͤlfe riefe.
Furchtſam ruht am Fuß des Berges
Staͤdtchen Ciſteron geſchmieget,
Wie zu des Gebieters Fuͤßen
Weinend eine Sklavin lieget.
Auf dem Berge ragt Gemaͤuer,
Und in laͤngſtverblichnem Glanze
Herrſchten hier von ihrem Schloſſe
Einſt die Grafen der Provence.
Wie ſo traurig da dem Wandrer
Die verfallnen Thuͤrme winken:
Alles Edle hier auf Erden,
Alles muß am Ende ſinken!
An den Thuͤrmen, ſteil und ploͤtzlich,
Hebt ſich eine Felſenmaſſe,
Eine Herberg fuͤr die Wolken,
Auszuruh'n auf ihrer Straße.
Und zuhoͤchſt am Felſenhaupte
Steht ein Haͤuschen, einſam, wuͤſte,
Wo der Heide mit dem Opfer
Seine Goͤtter einſt begruͤßte.
Doch in unſern ſchlimmen Tagen
Ward der Tempel zum Gefaͤngniß,
Wo die Tyrannei ihr Opfer
Quaͤlt in heimlicher Bedraͤngniß.
Ludewig, du boͤſer Koͤnig!
Richelieu, du arger Prieſter!
Wagt der Koͤnig nicht den Frevel,
Schon vollbringt ihn der Miniſter.
Zu beklagen iſt die Menſchheit,
Will ein Prieſter ihr gebieten,
Statt den Himmel ihr zu geben,
Raubt er ihr die Erdenbluͤthen.
II.
Der nächtliche Gang.
Tiefe Nacht; — der ſtille Vollmond
Hebt ſich jenſeits von den Auen,
Und die Wellen der Durance
Sind ein Silberſtrom zu ſchauen:
Fluͤchtig eilen ſie voruͤber
An den mondbeglaͤnzten Riffen,
Und von raͤthſelhafter Wehmuth
Fuͤhlt der Wandrer ſich ergriffen;
Denn er hoͤrt im ruheloſen,
Immergleichen Wellenſchlage
Ewig an die Sterne toͤnen
Seines Herzens bange Frage:
Ein Verrauſchen, ein Verſchwinden
Alles Leben! — doch von wannen? —
Doch wohin? — die Sterne ſchweigen,
Und die Welle rauſcht von dannen.
Ciſteron, das Staͤdtchen, ſchlummert;
Nur im Schloße laſſen Worte
Dumpf und eilig ſich vernehmen,
Und es droͤhnt die Eiſenpforte.
Maͤnner ſchreiten ſtill und langſam
Dort hinauf zum Felſenhauſe:
Waffenknechte ſind es, fuͤhren
Den Gefangnen in die Klauſe.
Johann Kaſimir von Polen!
Heiß durchrollt von Koͤnigsblute,
Edler Sproß vom Stamme Waſa,
Ach, wie mag dir ſeyn zu Muthe!
Heldenjuͤngling, der du kaͤmpfteſt,
Ruhmbekraͤnzt in manchen Schlachten,
In verraͤtheriſcher Fremde
Mußt du als Gefangner ſchmachten!
Spricht man ſo im feinen Frankreich
Hohn des Gaſtes heil'gem Rechte,
Daß den freundgeſinnten Fuͤrſten
Zwingen die Tyrannenknechte?!
In des Mondes hellem Scheine
Glaͤnzen ihre Mordgewehre;
Aber nicht des Polenfuͤrſten
Stolz und ſchnell verwiſchte Zaͤhre.
Auf dem ſteilen Stufenpfade,
Eingehauen dem Granite,
Heben ſich in ſcheuer Windung
Nach dem Gipfel ihre Schritte.
Wagt es wer im ſchwanken Mondlicht
Da den Pfad hinaufzuwallen,
Bebend ſieht er ſeinen Schatten
In den grauſen Abgrund fallen.
Sinnend bleibt Johannes ſtehen,
Und er hoͤrt im Niederlauſchen
Immer leiſer dort die Schluchten,
Leiſer die Durance rauſchen.
Horch! ein Luͤftchen aus den Auen,
Wo die Nachtigallen ſingen,
Kommt dem Armen nachgeflogen,
Ihm noch einen Laut zu bringen.
Weither kam das gute Luͤftchen,
Wie ein Kind, das frohbehende
Einem Bettler, wenn er ſcheidet,
Nacheilt mit der milden Spende.
Und ſie klimmen immer hoͤher‚
Nur noch ihre Tritte ſchallen‚
Still iſt nun der Waſſer Rauſchen,
Still das Lied der Nachtigallen.
Todesruhe deckt die Hoͤhen,
Die verlaſſnen Felſenklippen,
Kein Geſtraͤuch und keine Blume
Auf des Abgrunds bleichen Lippen.
III.
Der selige Abend.
Schnell verſammelt um die Felſen
Haben Wolken ſich und Winde,
Um den neuen Gaſt zu gruͤßen,
Seines Kummers Spielgeſinde;
Ausgeloſchen iſt das Mondlicht
Und der Sterne helles Flimmern,
Durch die enge Fenſterſpalte
Hoͤrt der Prinz die Luͤfte wimmern.
Traurig ſinnend blickt Johannes
In die dunkle Ferne nieder,
Und es flattern ſeine Locken
Windgeſchaukelt hin und wieder,
Flattern um die blaſſe Stirne,
Wie das Laub der Trauerweiden
Um die bleiche Marmortafel
Ueber den begrabnen Freuden.
Er gedenket eines Abends,
Eines ſeligen vor allen,
Als in Martigues er gelandet
Mit den Freunden und Vaſallen.
Ruhig lag die ſturmerprobte
Genueſiſche Galeere,
Luſtig flogen ihre Wimpel,
Und der Tag verſank im Meere;
Scheidend warf er ſeine Strahlen
In der Wellen bunt Gedraͤnge,
Wie ein Koͤnig, goldverſtreuend,
Scheidet von der frohen Menge.
Nach dem Sturme lag die See nun
Schoͤn in ihrer ſtillen Groͤße,
Nur noch manchmal an das Ufer
Toͤnten bange Wellenſtoͤße:
Iſt auch ſchon das Auge heiter,
Und verſtummt des Mundes Klage;
Doch es zuckt nach ſtarkem Weinen
Noch das Herz im bangen Schlage.
Lieblich war der Luͤfte Saͤuſeln
Nach dem rauhen Sturmestoſen,
Auf der Meeresruhe ſchwebten
Die Geſaͤnge der Matroſen. — —
Dicht am Strande, ſchmuck und wirthlich,
Winkt der Gaſthof mit dem Schilde
Dreier Lilien, einzukehren
Zu dem ſchoͤnen Engelbilde:
Klara Hebert, weit geprieſen
Rings im Lande ob der Bluͤthe
Ihrer Schoͤnheit, weit im Lande
Ob des Herzens Wunderguͤte.
Laut mit ungeſtuͤmer Freude
Tritt der Seemann in das Zimmer,
Dringend heiſcht er nach dem Becher;
Doch ſein Muth wird ſtiller immer:
Ihm kredenzt der Wirthin Tochter
Freundlich mit den zarten Haͤnden,
Und er laͤßt den Becher ſtehen,
Kann ſein Auge nimmer wenden;
Nun ſie ſeinem Blick entſchwunden,
Trinkt er aus mit raſchem Zuge,
Daß ſie ihn noch einmal fuͤlle,
Klopft er ſachte mit dem Kruge.
Seine Seele wird ergriffen
Schmerzlich von der Liebe Ahnen,
Die fuͤr immer er verloren
Auf den ſturmbewegten Bahnen.
Und er eilt hinaus zum Strande,
Fort treibt ihn ſein wild Verlangen,
Daß die Stuͤrme ihm entſchlagen
Dieſes ungewohnte Bangen. —
Mit dem glaͤnzenden Gefolge
War der Prinz nun angekommen.
Ihn empfing die Wirthin rauſchend,
Ihre Tochter ſtill beklommen.
Schuͤchtern vor dem fremden Fuͤrſten
Steht ſie, harrend der Befehle,
Kaum zu ihm hinanzublicken
Wagt ihr Auge, voller Seele.
Tiefen Ernſt und ſuͤße Schwermuth
Sprechen ſeine ſchoͤnen Zuͤge,
Und des Auges Blitz verkuͤndet
Hell des Muthes hohe Fluͤge.
Froh erſchrecken ihre Blicke,
Und ſie koͤnnen nicht verweilen,
Muͤſſen mit dem lieben Bilde
Schnell zuruͤck zum Herzen eilen. —
Ueberwaͤltigt von der Liebe
Selig dringendem Erwarten,
Treten beide unwillkuͤhrlich,
Stumm und bebend, in den Garten.
Alſo wandeln ſie noch lange
Mit verſchwiegenem Gefuͤhle;
Gaſtlich bieten hier die Baͤume
Suͤße Frucht und Schattentkuͤhle.
Nachtigallen, immer lauter,
Singen auf den gruͤnen Zweigen,
Gleich als wollten ſie verrathen,
Was die beiden ſich verſchweigen.
Freudig gruͤßen ſchon die Sterne
Sie auf ihrem ſchoͤnſten Gange;
Endlich wird die Liebe Sprache,
Und ſie fluͤſtern viel und lange.
Klaͤrchen hoͤrt die Zauberworte,
Daß ſie ihm auf weiter Erde
Die alleinzige Geliebte
Sey und ewig bleiben werde.
In der Jungfrau Buſen ploͤtzlich
Iſt der Himmel aufgegangen,
Seines Lenzes Purpurbluͤthen
Treibt das Herz ihr auf die Wangen.
IV.
Blumengruss.
Jener Abend war entſchwunden;
Doch mit jedem Morgenlichte
Fand Johannes im Gefaͤngniß
Friſche Blumen, ſuͤße Fruͤchte.
Sind es Fruͤchte nicht von Baͤumen,
Die er ſah auf ſeinen Wegen?
Hauchten dieſe Blumen nie noch
Ihre Duͤfte ihm entgegen? —
Gleich als haͤtte heimlich jemand
Abgeſchmeichelt jeder Stelle
Eine freundlichere Miene,
Heitert ſich die Kerkerzelle.
Dieſes ewig wache Sorgen,
Ob ein Geiſt es heimlich uͤbe,
Allgewaͤrtig, ungeſehen,
Kann es jemand als die Liebe? —
Juͤngling, mit den edlen Freunden,
Die getreu dir auch im Leide,
Iſt noch eine treue Seele
Dir gefolgt in fremdem Kleide.
Ihre Sehnſucht will die Jungfrau
Deinem Blick verborgen halten,
In die Pflicht des Pagen huͤllen
Ihrer Liebe ſtilles Walten.
Und es deckt die Roſenwangen
Gelbe, angetuͤnchte Farbe,
Und es fluͤchtet ihre Stirne
Unter die gemalte Narbe. —
Kaum erwacht der Tag im Oſten,
Und der Schwalbe fruͤhes Rufen,
Eilt auch ſchon das gute Klaͤrchen
Nieder die granitnen Stufen.
Ueber Felſen, Thal und Wieſen
Wandert ſie wohl eine Meile
Nach dem Garten ihrer Mutter
Fort in raſtlos froher Eile.
Was an ſchoͤnen, friſchen Blumen
In den Beeten iſt zu finden,
Pfluͤcket ſie, mit klugem Finger
Ihm den Morgengruß zu winden.
Und ſie blicket, Fruͤchte ſuchend
Nach den Baͤumen in der Runde,
Sinnend haͤlt ſie manchmal inne,
Eingedenk der ſuͤßen Stunde.
Und die Wonne jener Stunde,
Und das mitleidvolle Bangen
Um den Theuren mengen ihre
Thraͤnen auf des Maͤdchens Wangen. —
Nun erwacht der Prinz vom Traume,
Der ihn ließ ſein Klaͤrchen ſchauen,
Der ihn wandeln, frei und ſelig,
Ließ in heimatlichen Auen.
Des Erwachten Blicke ſchweifen
Finſter an den Kerkerwaͤnden;
Doch ſie werden ploͤtzlich heiter,
Treffen ſie die Morgenſpenden.
Still und ſchuͤchtern in der Ferne
Steht der Page, wills kaum wagen,
Daß ſie nicht Verraͤther wuͤrden,
Seine Augen aufzuſchlagen.
Klara ſieht es freudebebend,
Wie der Liebe ſtumme Gaben
Ihm das Angeſicht erheitern,
Und die kranke Seele laben.
V.
Die Gewitternacht.
Mit dem Grafen Konopacki,
Seinem Freunde, treubewaͤhret,
Spricht Johannes angelegen,
Als der Abend wiederkehret.
Eben hat der Graf des Troſtes
Mildberedtes Wort geendet,
Und des Prinzen duͤſtre Seele
Froher Hoffnung zugewendet;
Leiſe laͤchelt dem die Freude
Auf den kummerbleichen Wangen,
Und er haͤlt die Hand des Freundes
Mit des Dankes Druck umfangen. —
Drauſſen ſind die Waffenknechte
Rundgelagert in der Halle,
Und es droͤhnt der Marmorboden
Vom Pokal und Wuͤrfelfalle.
Weiche Provencalenlieder
Toͤnen aus den rauhen Kehlen,
Und ſie ſchweben durch die Runde
Schwankend, wie verirrte Seelen.
Doch den Einen von den Wachen
Seine Kameraden ſchelten,
Denn er ſchweigt bei ihrem Jubel,
Hebt auch ſeinen Becher ſelten.
Klaͤrchens Vetter Heinrich iſt es,
Den des Maͤdchens Flehn bewogen,
Daß der Krieger auf des Kerkers
Prevotalwacht iſt gezogen. —
Schweigend blicken nun die Freunde
Durch des Kerkers Fenſtergitter,
Naͤchtlich kommt heraufgezogen
Dort vom Weſten ein Gewitter.
Und die freien Wetterwolken
Ziehen raſch vorbei und ſchneiden
Finſtre, hoͤhniſche Geſichter
In den Kerker auf die beiden.
Brauſend fliegt des Todes Jagdhund
Sturm bergan in wilder Eile,
Seinen Herrn zu ſuchen, irrt er
Durch die Felſen mit Geheule.
Immer wird der Himmel dunkler‚
Und ſchon iſt die Nacht vollkommen‚
Wie von einer finſtern Ahnung
Wird der Freunde Herz beklommen.
Donnernd hallt des Todes Waidruf
Ringsum in Gebirg und Thalen,
Ploͤtzlich zuͤndet er die Nacht an
Mit den hingeſchoſſnen Strahlen.
Immer lauter ſchreit der Donner
Durch die grauſen Finſterniſſe,
Aus gebrochnen Wolken ſtuͤrzen
Rauſchend ſich die Regenguͤſſe.
Hart am Kerker Blitze zucken
Sehn die beiden mit Entſetzen,
An den Felſen ſcheint der Tod hier
Seinen Flammenpfeil zu wetzen. —
Doch wer ſind die zwei Geſtalten,
Die, umraſet von den Wettern,
Es in ſolcher Stunde wagen,
Zum Gefaͤngniß aufzuklettern?
Richelieu's geheimes, ſichres
Werkzeug in verruchten Thaten:
Chantereine, der Hauptmann iſt es
Von des Schloſſes Wachſoldaten.
Dieſer weiß zu des Gebieters
Schlau verderblichem Befehle
Immer noch ein Gift zu fuͤgen
Aus der eignen boͤſen Seele.
Und mit ihm der Knechte kuͤhnſter,
Dem er alles mag vertrauen,
Der ihm durch die Nacht der Suͤnde
Folgt wie durch Gewittergrauen. —
Raſtend halten ſie nun inne
Auf bequemer Felſenflaͤche,
Daß des Graͤuels nahen Ausgang
Noch das finſtre Paar beſpreche.
Wildfrohlockend ruft der Hauptmann:
„Heute muß das Werk vollbracht ſeyn,
„Und zur Freude des Miniſters
„Dies des Polen lezte Nacht ſeyn!
„Reich an Haſſe iſt der Prieſter,
„Deſſen mag manch Grab ihn loben;
„Doch des Haſſes herbſte Fuͤlle
„Kocht ſein Herz fuͤr den da oben.
„Denn der hat ſich kuͤhn vermeſſen,
„Einſt in hoher Fuͤrſten Kreiſe
„Dem Gefuͤrchteten zu nahen
„Auf veraͤchtlich kalte Weiſe.
„Und er waͤre laͤngſt verblichen;
„Doch der Koͤnig ſelbſt, der ſchwache,
„Hat Gewalt verboten, fuͤrchtend
„Oeſterreichs und Polens Rache.
„Heute will mit eigner Fauſt ich
„Nach der rechten Stunde haſchen,
„Und mit dem, was wir vollbringen,
„Selbſt den Teufel uͤberraſchen.
„Doch daß unſrer That Geheimniß
„Kein Verraͤtherohr belauſche,
„Liegt der Wache ganze Rotte
„Eingezecht im tiefſten Rauſche.
„Hurtig ſchleudern in den Kerker
„Wir die lohen Schwefelbraͤnde,
„Daß der Fuͤrſt im ſchweren Qualme
„Sein erlauchtes Leben ende!
„Und ſein guter, treuer Landsmann,
„Der da ſchlaͤft an ſeiner Seiten,
„Wird den Freund wohl mit Vergnuͤgen
„In die andre Welt begleiten!
„Luſtig vorwaͤrts, Kamerade!
„Vorwaͤrts, Bruder, ohne Zagen!
„Morgen heißt es: in den Kerker
„Hat der Donner eingeſchlagen.
„Ja dem Himmel aufgebuͤrdet
„Sey die Mordthat unſrer Haͤnde,
„Und der wuͤthet heut' ſo naͤrriſch,
„Daß er's ſelber glaubt am Ende!“
Haſtig ſchreiten ſie nun aufwaͤrts,
Kommen zu den Kerkerthoren;
Doch es ging von dem Geſpraͤche
Nicht ein Woͤrtchen auch verloren.
Denn des Prinzen treuer Page,
Dem ein Unheil mochte ahnen,
Folgte ihnen Schritt fuͤr Schritte
Nach auf ihren dunklen Bahnen.
Sachte ſind ſie nun getreten
In das Haus, die Schwefelbraͤnde
Aus dem Dunkel ſtill zu holen,
Und entzuͤnden ſie behende.
Klaͤrchen weckt den Vetter ſchleunig,
Der in leichtem Schlummer nicket,
Haͤlt die Hand ihm, daß er ſchweige,
Zitternd auf den Mund gedruͤcket.
Chantereine iſt ſchnell und leiſe
Schon zum Fenſter angeklommen,
Hat nun aus der Hand des Knechtes
Schon den Brand hinaufgenommen:
Ploͤtzlich mit dem Feuerrohre
Bricht der Page vor, entſchloſſen,
In den bodenloſen Abgrund
Stuͤrzt der Boͤſewicht, erſchoſſen.
Wuͤthend mit gezuͤcktem Dolche
Faßt den Pagen nun der Scherge;
Doch, von Heinrichs Schwert getroffen,
Taumelt er hinab vom Berge.
VI.
Der alte Marko.
„Klara lebſt du?“ ruft Johannes
Bang mit lautem Herzenspochen;
Klara liegt am Kerkerlager,
Eine Lilje, ſturmgebrochen.
Stumm, mit troſtberaubter Miene
Steht des Fuͤrſten Arzt daneben,
Ohne Raſt mit Blick und Haͤnden
Spuͤrend nach dem theuren Leben.
Abgewaſchen ihrem Antlitz
Iſt die jungfraͤuliche Luͤge,
Und in bleicher Todesſchoͤnheit
Zeigen ſich die holden Zuͤge.
Loſe ſind die wirren Haare,
Blutig ſind die zarten Haͤnde,
Die im Sturme ſich geklammert
An die rauhen Felſenwaͤnde.
In die weiche Bruſt gedrungen
Iſt der Dolch des Mordgeſellen,
Und der treue, warme Purpur
Quillt hervor in raſchen Wellen.
Und ein ſtilles, ſtarres Laͤcheln
Ruht ſo hold auf ihrem Munde,
Gleich als fuͤhlte ſie mit Wonne
Bluten ihre tiefe Wunde. —
Wer die Liebe hat im Herzen
Mit dem vollen Goͤttertriebe,
Fuͤhlt wohl auch die ſuͤße Sehnſucht,
Hinzuſterben fuͤr die Liebe,
Hinzuſchuͤtten alles Leben
Mit dem einen ſuͤßen Worte,
Ha, wie ſtuͤrzt das Blut ſo ſelig
Durch die aufgeriſſne Pforte! —
Doch der alte, treue Marko
Waltet ohne Raſt noch immer;
Sieht vielleicht ſein ſcharfes Auge
Noch wo daͤmmern einen Schimmer?
Kraͤuter, die der fernſte Suͤden,
Die der hoͤchſte Nord geboren,
Seiner Kunſt geheimſte Kraͤfte
Werden jezt von ihm beſchworen.
Wonnebebend, und verzweifelnd
Reicht Johannes ihr die Labe;
Seine Seele zittert zwiſchen
Klara's Lieb' und ihrem Grabe. —
Endlich hebt ſich ihre Wimper:
O du Seligſter von allen!
Freudeſchluchzend zum Gebete
Mußt du auf die Kniee fallen!
Und der alte, treue Marko
Blickt empor zu Gott, und betet:
„Meine Kunſt iſt deine Liebe,
„Die vom Tode ſie gerettet!“
Klara hebt die matten Augen
Auf zu dem in Freudezaͤhren,
Dem zu Liebe bald auf ewig
Sie geſchloſſen blieben waͤren.
Und lebendig wird das Laͤcheln,
Das vom Tode war befangen,
Und jungfraͤuliches Erroͤthen
Daͤmmert auf den bleichen Wangen.
VII.
Die Botschaft.
Nach Saint-Germain zum Verkaufe
Traͤgt ein Haͤuflein Bauersleute,
Was der Herbſt mit vollen Haͤnden
Ihm auf Flur und Garten ſtreute.
Neben ſchwer beladnem Wagen
Laͤßt der Mann die Geißel knallen,
In der Baͤurin feinem Korbe
Wird das ſchmucke Obſt gefallen.
Mit Geſchichten, frohen Poſſen,
Und nun wieder mit Geſaͤngen
Suchen ſie ſich wegzuſtehlen
Ueber ihres Weges Laͤngen.
Hinter ihnen Pferdgetrappel:
Und ſie ſtehen, und ſie ſchweigen,
Und neugierig nach den Reitern
Aug' und Ohr ſie ruͤckwaͤrts neigen.
In noch nie geſehner Eile,
Brauſend gleich empoͤrten Wogen,
In noch nie geſehnen Trachten
Kommt die Schaar herangeflogen.
Wer? wohin? woher des Weges?
Rufen die erſtaunten Bauern;
Doch mit Staub die Roſſeshufe
Ihnen ſchnell den Mund vermauern. —
Es iſt Chriſtoph Gonſiewski
Von Smolensk der Wojewode,
Der mit ſeinen Weggefaͤhrten
Manches Roß gejagt zu Tode.
Nimmer laͤnger ſoll Johannes
Schmachten in den Kerkermauern;
Wladyslaw, ſein treuer Bruder,
Fuͤhlt herzinniges Bedauern.
Wladyslaw, der Polenkoͤnig,
Koͤnig auch im Schwedenlande,
Iſt empoͤrt in tiefſter Seele
Ueber Frankreichs freche Schande.
Und er ließ zu ſeinen Boten
Zuͤrnend ſeine Stimme toſen,
Und das Wort das er geſendet
An den Koͤnig der Franzoſen,
Iſt ein Blitz in ſie gefahren,
Der ſie nun fortreißt geſchwinde,
Unaufhaltſam nach dem Orte,
Wo er, freigelaſſen, zuͤnde. —
In dem Schloſſe zu Saint-Germain
Schnauben ſchon die muͤden Renner,
Vor den argbetroffnen Koͤnig
Treten die ſarmat'ſchen Maͤnner.
Schweiß entrollt den kuͤhnen Stirnen,
Und ihr Auge gluͤht im Zorne,
Drohend klirren ihre Saͤbel,
Ihre blutgetraͤnkten Sporne.
Und zum Koͤnig nun beginnet
Gonſiewski ſo zu reden:
„Wladyslaw hat uns geſendet,
Herr der Polen und der Schweden:
Habt Ihr nicht noch dieſe Stunde
Seinen Bruder freigeſprochen,
Soll an Euch und Eurem Lande
Blutig ſeyn die Schmach gerochen!
Daß der Prinz das Land durchſpaͤhte,
Euch an Spanien zu verrathen,
Iſt nur eine ſchnoͤde Luͤge
Eures tuͤckiſchen Praͤlaten,
Eine Luͤge, ausgebruͤtet,
Von der Kirche grimmſtem Geier;
Und in Eurer faulen Krone
Niſtet dieſes Ungeheuer! —
Oeſtreich, Spanien und Italien
Werden ſich an Polen halten,
Eure Macht und Johanns Kerker
Schnell mit einem Hiebe ſpalten!“
Zornesbleich und furchtergriffen,
Tiefbeſchaͤmet, ſtarrt zur Erde
Koͤnig Ludwig, — und gebietet,
Daß der Prinz befreiet werde.
VIII.
Die Heimkehr.
Zu Paris am Koͤnigsſchloſſe,
Das der Prinz nunmehr bezogen,
Harrt der Wagen lange Reihe,
Draͤngen ſich des Volkes Wogen.
Auf der kunſtgeſchmuͤckten Treppe
Stehn die koͤniglichen Garden,
Dem Andrang des Volks zu wehren
Mit dem Stoß der Hellebarden.
Johann Kaſimir, gebleichet
Von des Kummers langem Drucke,
Stieg herab, ſeit lange wieder
In dem vollen Fuͤrſtenſchmucke.
Auf dem Haupt die ſammtne Muͤtze,
Um den Buſch des Reihers brannten,
In vielfache Schnur gewunden,
Große helle Diamanten.
An dem ſammtnen Oberkleide
Weite Aermel niederhangen,
Drauf das goldne Fell des Widders,
Und die Demantkette prangen.
Der koſtbare Perſerguͤrtel
Traͤgt des Saͤbels Eiſenbogen
Mit rubinbeſeztem Griffe,
Den der Juͤngling oft gezogen. —
Ihn umrauſchen die Begleiter:
Sully, Angouleme, nebſt andern,
Sagen ihm viel ſuͤße Worte,
Wuͤnſchen ihm ein gluͤcklich Wandern.
Doch der Zug, die Treppe nieder,
Muß auf jeder Stufe ſtocken,
Unaufhaltſam ſtroͤmt das Volk zu,
Mit gutmuͤthigem Frohlocken.
In der Treppe tiefſter Ecke,
Hinter des Hartſchirers Ruͤcken,
Hat ein Maͤdchen ſich geſchmieget,
Auf den Zug hervorzublicken.
Eingebettelt in die Stelle
Hat ſie ſich mit bangem Flehen,
Daß ſie duͤrfe nur noch einmal
Unbemerkt den Prinzen ſehen.
Alſo hat in ſcheuer Demuth
Klara Hebert ſich verborgen,
Nimmer braucht ja ihre Liebe
Fuͤr den Theuren mehr zu ſorgen.
Nicht gewahrt der rauhe Wachmann
Ihres Herzens lautes Pochen,
Und wie manche heiße Thraͤne
Aus den Augen ihr gebrochen.
Ploͤtzlich haͤlt Johannes inne,
Forſchend blickt er ins Gedraͤnge;
Doch nicht ſieht er, die er ſuchet
In des Volkes bunter Menge.
Und der Liebe bange Zweifel
Ihm die Seele jezt erfaſſen:
„Klara!“ ruft er laut und ſchmerzlich,
„Klara! willſt du mich verlaſſen?“ —
Wie ſie ſo ihn hoͤret rufen,
Stuͤrzt ſie hin mit lautem Weinen,
Und ohnmaͤchtig liegt das Maͤdchen
Auf der Treppe Marmorſteinen.
Feſtgedruͤckt an ſeinen Buſen,
Haͤlt Johannes ſie umfangen,
Mit unendlich ſuͤßer Wehmuth
Kuͤßt er ihre bleichen Wangen.
Lange noch auf ihrem Antlitz
Ruht ſein ſeliges Betrachten,
Und es zittert ſeine Stimme:
„Lebewohl!“ der Auferwachten.
Zu Graf Angouleme nun ſpricht er:
„Eurem Schutz ſey ſie befohlen;
„Ehret ſie, wie es der Freundin
„Ziemen mag Johanns von Polen!
„Meines Lebens kuͤhne Rettung
„Dank' ich dieſen zarten Haͤnden;
„Und daß ich zur lieben Heimat
„Wieder kann die Schritte wenden!“
Raſch beſteigt er ſeinen Wagen‚
Und den Prinzen ſegnet Jeder.
Jezt verliert ſich in der Ferne
Schon das Rollen auch der Raͤder.
IX.
Die Sehnsucht.
Haben wir auch ſchoͤn getraͤumet
Von des Gluͤckes Zauberlanden,
Wo ſich ew'ge Freudenkraͤnze
Um die trunknen Schlaͤfe wanden,
Und wir wachen auf am Morgen,
Kehren zu des Lebens Muͤhen
Ohne Klagen wir zuruͤcke;
Traͤume muͤſſen ja verbluͤhen.
Alſo waltet in dem Gaſthof
Klara nach der alten Weiſe,
Nur ein ſeliges Erinnern
An den Traum umſchwebt ſie leiſe.
Mit gewohnter holder Miene
Gruͤßet ſie die frohen Zecher;
Doch am freundlichſten vor allen,
Fuͤllet Einem ſie den Becher.
Oft auch ſah man, wie die Jungfrau
Und der Krieger lange ſprachen;
Heinrich iſt es, der geſtanden
Bei des Prinzen Kerkerwachen;
Und er weiß gar viel zu ruͤhmen,
Von dem ſchoͤnen Fuͤrſtenjungen,
Wie dem Stolzen nie das Ungluͤck
Einen Klagelaut erzwungen.
Eines aber hoch zu preiſen,
Seine Worte nie vergaßen,
Wie der Prinz den boͤſen Hauptmann
Chantereine einſt angelaſſen.
Dieſer trat mit plumpem Trotze
Vor den Stillen, ſcheinbar Zahmen,
Ihm den Saͤbel abzufordern
Frech in Koͤnig Ludwigs Namen.
Doch wie donnerte der Juͤngling:
„Ich bin Johann Prinz von Polen!
„Luͤſtet ihn nach meinem Schwerte,
„Mags dein Koͤnig ſelber holen!“
Feig verzagend vor dem Kuͤhnen
Sucht der Hauptmann ſeine Rotte
Zur Gewaltthat aufzuſtacheln
Mit Befehl und ſcharfem Spotte.
Ha! wie hat der Polenjuͤngling
Jezt ſein tapfres Schwert geſchwungen!
Ha! wie iſt er auf den Hauptmann,
Auf die Knechte eingedrungen!
Und die Rotte feiler Schergen
Taumelte zuruͤck, erſchrocken,
Wie der Sturmwind auseinander
Jagt der Spreu geringe Flocken. —
Schwellend hat bei ſolchen Reden
Klara's Buſen ſich erhoben,
Suͤßer Klang iſt's fuͤr die Jungfrau,
Hoͤrt ſie den Geliebten loben. — —
War nun Klara gegen jeden
Froh und freundlich tagesuͤber,
Wenn ſie endlich kann allein ſeyn,
Iſt ſie Abends um ſo truͤber.
Iſt ihr auch das Gluͤck der Liebe
Wie ein Traum voruͤbergangen,
Werden doch in ſtiller Sehnſucht
Taͤglich blaͤſſer ihre Wangen.
Oft in heitern, ſchoͤnen Naͤchten,
Wenn der Mond, die Sterne ſcheinen,
Wandelt Klara, ſein gedenkend,
An dem Strand mit leiſem Weinen;
Horchet in die Meeresweiten,
In die ſtummen, regungsloſen:
Keine fernen Ruderſchlaͤge? —
Keine Lieder der Matroſen? —
Wirft das Meer in truͤben Naͤchten
Seine Wellen an's Geſtade,
Wandelt Klara ſtill und einſam
Ihres Grams geheime Pfade.
Aber nicht vom ſtillen Meere,
Nicht vom Meere, ſturmgeſchlagen,
Harret ſie auch manche Jahre,
Wird der Theure hergetragen.
X.
Der Ring.
Jubelnd iſt der Tag erſchienen,
Schwingt den Goldpokal der Sonne,
Gießt auf Berg und Thal berauſchend
Nieder ſeine Strahlenwonne.
In den Luͤften aufzutauchen
Darf kein Woͤlkchen ſich getrauen,
Auf das Gluͤck der treuen Liebe
Will der ganze Himmel ſchauen.
Nur die Lerchen, Freude ſingend,
Steigen auf im Morgenglanze,
Trunken von den Strahlenguͤſſen,
Jauchzt die Welle der Duranze. —
In dem Garten, wo vor Jahren
Gingen in der Schattenkuͤhle
Klara Hebert und Johannes
Mit verſchwiegenem Gefuͤhle,
Wo die lauten Nachtigallen
Suͤß verraͤtheriſche Lieder
Sangen auf den gruͤnen Zweigen: —
Wandeln ſie auch heute wieder.
Und in ſeliger Verſchlingung
Kehren ſie zum trauten Orte,
Wo vor Jahren ihre Liebe
Fand die erſten, leiſen Worte.
Klara bluͤht in neuer Schoͤne,
Roſen, Fremdlinge ſeit lange,
Kehren ſchuͤchtern heute wieder
Auf die freudenhelle Wange. —
Nach dem hohen Felſenhauſe,
Das nun wieder wuͤſt und einſam,
Wandeln Klara, ihre Mutter,
Und Johannes froh gemeinſam.
Selbſt die rauhen, oͤden Klippen
Haͤlt die Freude jezt umſchlungen;
Nur wie leichte Nebel ſchleichen
Durch's Geſtein Erinnerungen.
Als ſie treten in das duͤſtre,
Und verhaͤngnißvolle Zimmer,
Sehen die erſtaunten Frauen
Krucifix und Kerzenſchimmer.
Und dem Prieſter, der ſie gruͤßet,
Harrt am Munde ſchon der Segen,
Auch der alte treue Marko
Eilt der Jungfrau froh entgegen. —
Klara trug das goldne Ringlein,
Auf der ſtillen Herzenswunde,
Das ihr ſcheidend einſt gegeben
Johann in der bangen Stunde.
Den Smaragd am Ringe damals
Sah das Volk gar hell erglaͤnzen,
Mit profetiſchem Gemahnen
An das Gruͤn von Myrtenkraͤnzen.
Appendix A
Druck der J. G. Cotta'ſchen Offizin in Stuttgart.
[][][]
Notes
*)
Faden, das Hauptſeil, an dem die Donauſchiffe gezogen
werden.
werden.
*)
In Wuͤrtemberg bei Tuͤbingen.
- Holder of rights
- Kolimo+
- Citation Suggestion for this Object
- TextGrid Repository (2025). Collection 2. Gedichte. Gedichte. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bnvx.0