[[2]]
Von Arthur Schnitzler erſchienen in dem-
ſelben Verlage:
Anatol. geh. M. 2.50.
Das Märchen. Schauſpiel, geh. M. 1.50.
Sterben. Novelle, geh. M. 2.—.
[[3]]
S. Fiſcher, Verlag
1896.
[[4]][[5]]
Den Bühnen und Vereinen gegenüber als Manuſkript gedruckt.
Sowohl Aufführungs- als Nachdrucks- und Ueberſetzungsrecht
vorbehalten.
Für ſämtliche Bühnen im ausſchließlichen Debit von A. Entſch
in Berlin, von welchem allein das Recht der Aufführung zu er-
werben iſt.
Für Öſterreich-Ungarn iſt das Aufführungsrecht nur durch
Dr. O. F. Eirich in Wien VII Neuſtift-Gaſſe 5 zu erwerben.
[[6]][[7]]
- Hans Weiring, Violinſpieler am Joſefſtädter Theater.
- Chriſtine, ſeine Tochter.
- Mizi Schlager, Modiſtin.
- Katharina Binder, Frau eines Strumpfwirkers.
- Lina, ihre neunjährige Tochter.
- Fritz Lobheimer,
- Theodor Kaiſer,
- Ein Herr.
Perſonen.
junge Leute.
Ort: Wien. Zeit: Gegenwart.
Erſter Akt.
- Fritz. Theodor.
(Theodor tritt zuerſt ein, er hat den Ueberzieher auf
dem Arm, nimmt den Hut erſt nach dem Eintritt ab, hat
auch den Stock noch in der Hand.)
Alſo es war Niemand da?
Nein, gnädiger Herr.
Den Wagen könnten wir eigentlich
wegſchicken?
Natürlich. Ich dachte, Du hätteſt es ſchon
gethan.
Schicken Sie den
Wagen fort. Ja … Sie können übrigens jetzt
auch weg gehen, ich brauche Sie heute nicht mehr.
[10]
Was legſt Du denn
nicht ab?
Da ſind ein paar Briefe.
den Spazierſtock in der Hand).
Ah! ..
Na, na! .. Du erſchrickſt ja förmlich.
Von Papa ..
von Lensky ..
Laß Dich nicht ſtören.
Was ſchreibt denn der Papa?
Nichts beſonderes .. Zu Pfingſten ſoll ich auf
acht Tage auf’s Gut.
Wär ſehr vernünftig. Ich möchte Dich auf ein
halbes Jahr hinſchicken.
[11]
Gewiß! — reiten, kutſchiren, friſche Luft, Senne-
rinnen —
Du, Sennhütten giebt’s auf Kukuruzfeldern keine!
Na ja alſo, Du weißt ſchon, was ich meine ..
Willſt Du mit mir hinkommen?
Kann ja nicht!
Warum denn?
Menſch, ich hab ja Rigoroſum zu machen! Wenn
ich mit Dir hinginge, wär es nur, um Dich dort-
zuhalten.
Geh, mach Dir um mich keine Sorgen!
Du brauchſt nämlich — das iſt meine Ueber-
zeugung — nichts anderes als friſche Luft! — Ich
[12] hab’s heut geſehn. Da draußen, wo der echte grüne
Frühling iſt, biſt Du wieder ein ſehr lieber und an-
genehmer Menſch geweſen.
Danke.
Und jetzt — jetzt knickſt Du natürlich zuſammen.
Wir ſind dem gefährlichen Dunſtkreis wieder zu nah.
Du weißt nämlich gar nicht, wie fidel Du da
draußen geweſen biſt — Du warſt geradezu bei
Verſtand — es war wie in den guten alten Tagen ..
— Auch neulich, wie wir mit den zwei herzigen
Mäderln zuſammen waren, biſt Du ja ſehr nett ge-
weſen, aber jetzt — iſt es natürlich wieder aus, und
Du findeſt es dringend notwendig
— an jenes Weib zu denken.
Du kennſt mich nicht, mein Lieber. Ich habe
nicht die Abſicht, das länger zu dulden.
Herrgott, biſt Du energiſch! …
[13]
Ich verlang’ ja nicht von Dir, daß Du
jenes Weib vergiß’t … ich möchte nur,
mein lieber Fritz, daß Dir dieſe unglückſelige Ge-
ſchichte, in der man ja immer für Dich zittern muß,
nicht mehr bedeutet, als ein gewöhnliches Abenteuer
.... Schau, Fritz, wenn Du eines Tages „jenes
Weib“ nicht mehr anbeteſt, da wirſt Du Dich wundern,
wie ſympathiſch ſie Dir ſein wird. Da wirſt Du
erſt drauf kommen, daß ſie garnichts dämoniſches
an ſich hat, ſondern daß ſie ein ſehr liebes Frauerl
iſt, mit dem man ſich ſehr gut amüſiren kann, wie
mit allen Weibern, die jung und hübſch ſind und
ein bischen Temperament haben. ..
Warum ſagſt Du „für mich zittern“?
Du weißt es. … Ich kann Dir nicht verhehlen,
daß ich eine ewige Angſt habe, Du gehſt eines
ſchönen Tages mit ihr auf und davon.
Das meinteſt Du? …
Es iſt nicht die einzige
Gefahr.
[14]
Du haſt Recht, Theodor — es giebt auch andere.
Man macht eben keine Dummheiten.
Es giebt andere …
Was haſt Du? .... Du denkſt an was ganz
beſtimmtes.
Ach nein, ich denke nicht an beſtimmtes ..
Sie hat ſich ja ſchon
einmal getäuſcht.
Wieſo? … was? … ich verſteh’ Dich nicht.
Ach nichts.
Was iſt das? So red’ doch vernünftig.
Sie ängſtigt ſich in der letzten Zeit … zuweilen.
Warum? — Das muß doch einen Grund haben?
[15]
Durchaus nicht. Nervoſität —
ſchlechtes
Gewiſſen, wenn Du willſt.
Du ſagſt, ſie hat ſich ſchon einmal getäuſcht —
Nun ja — und heute wohl wieder.
Heute — Ja, was heißt denn das alles —?
Sie glaubt, .... man
paßt uns auf.
Wie?
Sie hat Schreckbilder, wahrhaftig, förmliche
Hallucinationen.
Sie ſieht hier durch
den Ritz des Vorhangs irgend einen Menſchen, der
dort an der Straßenecke ſteht, und glaubt —
bricht ſich).
Iſt es überhaupt möglich, ein Geſicht
auf dieſe Entfernung hin zu erkennen?
Kaum.
Das ſag’ ich ja auch. Aber das iſt dann ſchrecklich.
[16] Da traut ſie ſich nicht fort, da bekommt ſie alle
möglichen Zuſtände, da hat ſie Weinkrämpfe, da
möchte ſie mit mir ſterben —
Natürlich.
Heute mußte ich hinunter, nach-
ſehen. So gemüthlich, als wenn ich eben allein
von Hauſe wegginge; — Es war natürlich weit
und breit kein bekanntes Geſicht zu ſeh’n ....
Das iſt doch vollkommen beruhigend, nicht wahr?
Man verſinkt ja nicht plötzlich in die Erde, was? …
So antwort’ mir doch!
Was willſt Du denn darauf für eine Anwort?
Natürlich verſinkt man nicht in die Erde. Aber in
Hausthore verſteckt man ſich zuweilen.
Ich hab’ in jedes hineingeſehen.
Da mußt Du einen ſehr harmloſen Eindruck
gemacht haben.
[17]
Niemand war da. Ich ſag’s ja, Hallucinationen.
Gewiß. Aber es ſollte Dich lehren, vorſichtiger ſein.
Ich hätt’ es ja auch merken müſſen, wenn er
einen Verdacht hätte. Geſtern habe ich ja nach dem
Theater mit ihnen ſoupirt — mit ihm und ihr —
und es war ſo gemüthlich, ſag’ ich Dir! ....
lächerlich!
Ich bitt’ Dich, Fritz — thu’ mir den Gefallen,
ſei vernünftig. Gieb dieſe ganze verdammte Geſchichte
auf — ſchon meinetwegen. Ich hab’ ja auch
Nerven … Ich weiß ja, Du biſt nicht der Menſch,
Dich aus einem Abenteuer in’s Freie zu retten, d’rum
hab’ ich Dir’s ja ſo bequem gemacht, und Dir Ge-
legenheit gegeben, Dich in ein anderes hinein zu
retten …
Du? …
Nun, hab’ ich Dich nicht vor ein paar Wochen
zu meinem Rendezvous mit Fräulein Mizi mit-
genommen? Und hab’ ich nicht Fräulein Mizi ge-
beten, ihre ſchönſte Freundin mitzubringen? Und
2
[18] kannſt Du es leugnen, daß Dir die Kleine ſehr gut
gefällt? …
Gewiß iſt die lieb! … So lieb! Und Du
haſt ja gar keine Ahnung, wie ich mich nach ſo einer
Zärtlichkeit ohne Pathos geſehnt habe, nach ſo was
Süßem, Stillem, das mich umſchmeichelt, an dem
ich mich von den ewigen Aufregungen und Martern
erholen kann.
Das iſt es, ganz richtig! Erholen! Das iſt der
tiefere Sinn. Zum Erholen ſind ſie da. D’rum
bin ich auch immer gegen die ſogenannten inter-
eſſanten Weiber. Die Weiber haben nicht intereſſant
zu ſein, ſondern angenehm. Du mußt Dein Glück
ſuchen, wo ich es bisher geſucht und gefunden habe,
dort, wo es keine großen Scenen, keine Gefahren,
keine tragiſchen Verwicklungen giebt, wo der Beginn
keine beſonderen Schwierigkeiten und das Ende keine
Qualen hat, wo man lächelnd den erſten Kuß em-
pfängt und mit ſehr ſanfter Rührung ſcheidet.
Ja, das iſt es.
Die Weiber ſind ja ſo glücklich in ihrer geſunden
Menſchlichkeit — was zwingt uns denn, ſie um
jeden Preis zu Dämonen oder zu Engeln zu machen?
[19]
Sie iſt wirklich ein Schatz. So anhänglich, ſo
lieb. Manchmal ſcheint mir faſt, zu lieb für mich.
Du biſt unverbeſſerlich; ſcheint es. Wenn Du
die Abſicht haſt, auch die Sache wieder ernſt zu
nehmen —
Aber ich denke nicht daran. Wir ſind ja einig:
Erholung.
Ich würde auch meine Hände von Dir abziehen.
Ich hab’ Deine Liebestragödien ſatt. Du langweilſt
mich damit. Und wenn Du Luſt haſt, mir mit
dem berühmten Gewiſſen zu kommen, ſo will ich
Dir mein einfaches Prinzip für ſolche Fälle ver-
rathen: Beſſer ich als ein Anderer. Denn der An-
dere iſt unausbleiblich wie das Schickſal.
Was iſt denn das? …
Sieh nur nach. — Du biſt ja ſchon wieder blaß!
Alſo beruhige Dich ſofort. Es ſind die zwei ſüßen
Mäderln.
2*
[20]
Was? …
Ich hab mir die Freiheit genommen, ſie für heute
zu Dir einzuladen.
Geh’ — warum haſt Du mir’s
denn nicht geſagt! Jetzt hab’ ich den Diener weg-
geſchickt.
Um ſo gemüthlicher —
Grüß Sie Gott, Mizi! —
(tritt ein, ſie trägt ein Packet in der Hand.)
Und wo iſt denn die Chriſtin’? —
Kommt bald nach. Grüß Dich Gott, Dori.
Sie müſſen ſchon entſchuldigen, Herr Fritz; aber
der Theodor hat uns einmal eingeladen —
[21]
Aber das iſt ja eine famoſe Idee geweſen. Nur
hat er eines vergeſſen, der Theodor —
Nichts hat er vergeſſen, der Theodor!
Mizi das Packet aus der Hand.)
Haſt Du alles mit-
gebracht, was ich Dir aufgeſchrieben habe? —
Freilich!
Wo darf ich’s denn hin-
legen?
Geben Sie mir’s nur, Mizi, wir legen’s indeſſen
da auf die Kredenz.
Ich hab’ noch extra was gekauft, was Du nicht
aufgeſchrieben haſt, Dori.
Geben Sie mir Ihren Hut, Mizi, ſo —
auf’s Klavier, ebenſo ihre Boa.)
Was denn?
Eine Moccacrêmetorte.
[22]
Naſchkatz’!
Ja, aber ſagen Sie, warum iſt denn die Chriſtin’
nicht gleich mitgekommen? —
Die Chriſtin, begleitet ihren Vater zum Theater,
hin. Sie fährt dann mit der Tramway her.
Das iſt eine zärtliche Tochter …
Na, und gar in der letzten Zeit, ſeit der Trauer.
Wer iſt ihnen denn eigentlich geſtorben?
Die Schweſter vom alten Herrn.
Ah, die Frau Tant!
Nein, das war eine alte Fräul’n, die ſchon
immer bei ihnen gewohnt hat — Na, und da fühlt
er ſich halt ſo vereinſamt.
[23]
Nicht wahr, der Vater von der Chriſtin’, das
iſt ſo ein kleiner Herr mit kurzem grauen Haar —
Nein, er hat ja lange Haar’.
Woher kennſt Du ihn denn?
Neulich war ich mit dem Lensky in der Joſef-
ſtadt, und da hab ich mir die Leut’ mit den Baß-
geigen angeſchaut.
Er ſpielt ja nicht Baßgeigen, Violin ſpielt er.
Ach ſo — ich hab gemeint, er ſpielt Baßgeige.
Das iſt ja nicht komiſch; das
kann ich ja nicht wiſſen, Du Kind.
Schön haben Sie’s, Herr Fritz — wunderſchön!
Wohin haben Sie denn die Ausſicht?
Das Fenſter da geht in die Strohgaſſe, und im
Zimmer daneben —
[24]
Sagt mir nur, warum ſeid Ihr denn ſo geſpreizt
mit einander? Ihr könntet Euch wirklich Du ſagen.
Beim Nachtmahl trinken wir Bruderſchaft.
Solide Grundſätze! Immerhin beruhigend. —
— Wie geht’s denn der Frau Mutter?
Denk’
Dir, ſie hat —
Zahnweh — ich weiß, ich weiß. Deine Mutter
hat immer Zahnweh. Sie ſoll endlich einmal zu
einem Zahnarzt gehen.
Aber, der Doktor ſagt, es iſt nur rheumatiſch.
Ja, wenn’s nur rheumatiſch iſt —
Lauter ſo ſchöne Sachen
haben Sie da! …
Wer iſt denn
das? .. Das ſind ja Sie, Herr Fritz … In
Uniform!? Sie ſind bei Militär?
[25]
Ja.
Dragoner! — Sind ſie bei den gelben oder bei
den ſchwarzen!
Bei den gelben.
Bei den gelben.
Da wird ſie ganz träumeriſch! Mizi, wach
auf!
Aber jetzt ſind Sie Lieutenant in der Reſerve?
Allerdings.
Sehr gut müſſen Sie ausſchau’n mit dem Pelz.
Umfaſſend iſt dieſes Wiſſen! — Du, Mizi, ich
bin nemlich auch bei Militär.
Biſt Du auch bei den Dragonern?
[26]
Ja. —
Ja, warum ſagt Ihr einem denn das nicht? …
Ich will um meiner ſelbſt willen geliebt werden.
Geh, Dori, da mußt Du Dir nächſtens, wenn
wir zuſammen wohin gehn, die Uniform anziehn.
Im Auguſt hab’ ich ſowieſo Waffenübung.
Gott, bis zum Auguſt —
Ja, richtig — ſo lange währt die ewige Liebe
nicht.
Wer wird denn im Mai an den Auguſt denken.
Iſt’s nicht wahr, Herr Fritz? — Sie, Herr Fritz,
warum ſind denn Sie uns geſtern durchgegangen?
Wieſo ....
Na ja — nach dem Theater.
[27]
Hat mich denn der Theodor nicht bei Euch ent-
ſchuldigt?
Freilich hab ich Dich entſchuldigt.
Was hab denn ich — oder vielmehr die Chriſtin’
von Ihrer Entſchuldigung! Wenn man was ver-
ſpricht, ſo halt’ man’s.
Ich wär’ wahrhaftig lieber mit Euch geweſen …
Is’ wahr? ..
Aber, ich konnt’ nicht. Sie haben ja geſehen,
ich war mit Bekannten in der Loge, und da hab’
ich mich nachher nicht losmachen können.
Ja, von den ſchönen Damen haben Sie ſich nicht
losmachen können. Glauben Sie, wir haben Sie
nicht geſehn von der Gallerie aus?
Ich hab’ Euch ja auch geſehn …
[28]
Sie ſind rückwärts in der Loge geſeſſen. —
Nicht immer.
Aber meiſtens. Hinter einer Dame mit einem
ſchwarzen Sammtkleid ſind Sie geſeſſen und haben
immer
ſo hervorgeguckt.
Sie haben mich aber genau beobachtet.
Mich geht’s ja nichts an! Aber wenn ich die
Chriſtin wär’ … Warum hat denn der Theodor
nach dem Theater Zeit? Warum muß der nicht
mit Bekannten ſoupiren gehn? …
Warum muß ich nicht mit Bekannten ſoupiren
gehn? …
Das iſt die Chriſtin’.
Mizi, Du könnteſt mir einen Gefallen thun.
[29]
Vergiß — auf einige Zeit wenigſtens — Deine
militäriſchen Erinnerungen.
Ich hab ja gar keine.
Na Du, aus dem Schematismus haſt Du die
Sachen nicht gelernt, das merkt man.
in der Hand).
Guten Abend.
Freut’s Dich, daß wir ge-
kommen ſind? — Biſt nicht bös?
Aber — Kind! Manchmal iſt ja der Theodor
geſcheidter als ich. —
Na, geigt er ſchon, der Herr Papa?
Freilich; ich hab ihn zum Theater hinbegleitet.
[30]
Die Mizi hat’s uns erzählt. —
Und die Kathrin’ hat mich noch auf-
gehalten.
O jeh, die falſche Perſon.
Oh, die iſt gewiß nicht falſch, die iſt ſehr gut
zu mir.
Du glaubſt auch einer jeden.
Warum ſoll die denn gegen mich falſch ſein?
Wer iſt denn die Kathrin?
Die Frau von einem Strumpfwirker und ärgert
ſich alleweil, wenn wer jünger iſt wie ſie.
Sie iſt ja ſelbſt noch eine junge Perſon.
Laſſen wir die Kathrin. — Was haſt Du
denn da?
[31]
Ein paar Blumen hab ich Dir mitgebracht.
Du biſt ein
Engerl. Wart, die wollen wir da in die Vaſe …
Oh nein! Du haſt gar kein Talent zum Feſt-
arrangeur. Die Blumen werden zwanglos auf den
Tiſch geſtreut … Nachher übrigens, wenn auf-
gedeckt iſt. Eigentlich ſollte man das ſo arrangiren,
daß ſie von der Decke herunterfallen. Das wird
aber wieder nicht gehen.
Kaum.
Unterdeſſen wollen wir ſie doch da hinein ſtecken.
Kinder, dunkel wird’s!
auch ihren Hut abgelegt, er gibt die Dinge auf einen
Stuhl im Hintergrund).
Gleich wollen wir die Lampe
anzünden.
[32]
Lampe! Keine Idee! Lichter werden wir an-
zünden. Das macht ſich viel hübſcher. Komm,
Mizi, kannſt mir helfen.
Lichter an; die Kerzen in den zwei Armleuchtern auf dem
Trumeau, eine Kerze auf dem Schreibtiſch, dann zwei Kerzen
auf der Kredenz.)
Wie geht’s Dir denn, mein Schatz?
Jetzt geht’s mir gut. —
Na, und ſonſt?
Ich hab mich ſo nach Dir geſehnt.
Wir haben uns ja geſtern erſt geſehen.
Geſehn … von weitem …
Du,
das war nicht ſchön, daß Du ....
Ja, ich weiß ſchon; die Mizi hat’s mir ſchon
geſagt. Aber Du biſt ein Kind wie gewöhnlich.
[33] Ich hab nicht los können. So was mußt Du ja
begreifen.
Ja … Du, Fritz, … wer waren denn die
Leute in der Loge?
Bekannte — das iſt doch ganz gleichgültig, wie
ſie heißen.
Wer war denn die Dame im ſchwarzen Sammt-
kleid?
Kind, ich hab’ gar kein Gedächtnis für Toiletten.
Na!
Das heißt, .. ich hab’ dafür auch ſchon ein
Gedächtnis — in gewiſſen Fällen. Zum Beiſpiel
an die dunkelgraue Blouſe erinner’ ich mich ſehr gut,
die Du angehabt haſt, wie wir uns das erſte Mal
geſehen haben. Und die weiß-ſchwarze Taille, geſtern
… im Theater.
Die hab’ ich ja heut auch an!
Richtig … von weitem ſieht die nämlich ganz
3
[34] anders aus — im Ernſt! Oh, und das Medaillon,
das kenn’ ich auch!
Wann hab’ ich’s umgehabt?
Vor — na, damals, wie wir in dem Garten
bei der Linie ſpazieren gegangen ſind, wo die vielen
Kinder geſpielt haben … nicht wahr …?
Ja … Du denkſt doch manchmal an mich.
Ziemlich häufig, mein Kind …
Nicht ſo oft wie ich an Dich. Ich denke immer
an Dich … den ganzen Tag … und froh kann
ich doch nur ſein, wenn ich Dich ſeh’!
Sehn wir uns denn nicht oft genug? —
Oft…
Freilich. Im Sommer werden wir uns weniger
ſehn… Denk’ Dir, wenn ich zum Beiſpiel einmal
[35] auf ein paar Wochen verreiſte, was möchteſt Du da
ſagen?
Wie? Du willſt verreiſen?
Nein… Immerhin wär’ es aber möglich, daß
ich einmal die Laune hätte, acht Tage ganz allein
zu ſein…
Ja, warum denn?
Ich ſpreche ja nur von der Möglichkeit. Ich
kenne mich, ich hab’ ſolche Launen. Und Du könnteſt
ja auch einmal Luſt haben, mich ein paar Tage nicht
zu ſehn … das werd’ ich immer verſtehn.
Die Laune werd’ ich nie haben, Fritz.
Das kann man nie wiſſen.
Ich weiß es … ich hab’ Dich lieb.
Ich hab’ Dich ja auch ſehr lieb.
3*
[36]
Du biſt aber mein Alles, Fritz, für Dich könnt
ich …
Nein, ich kann mir nicht
denken, daß je eine Stunde kommt, wo ich Dich nicht
ſehen wollte. So lang ich leb’, Fritz — —
Kind, ich bitt’ Dich … ſo was ſag’
lieber nicht .. die großen Worte, die hab’ ich nicht
gern. Von der Ewigkeit reden wir nicht…
Hab’ keine Angſt, Fritz … ich
weiß ja, daß es nicht für immer iſt …
Du verſtehſt mich falſch, Kind. Es iſt ja möglich,
daß wir einmal überhaupt nicht ohne ein-
ander leben können, aber wiſſen können wir’s ja nicht,
nicht wahr? Wir ſind ja nur Menſchen …
Bitte ſich das gefälligſt an-
zuſehn… Sieht das nicht anders aus, als wenn
da eine dumme Lampe ſtünde?
Du biſt wirklich der geborene Feſtarrangeur.
[37]
Kinder, wie wär’s übrigens, wenn wir an das
Souper dächten? ..
Ja! … Komm’ Chriſtin’! ..
Wartet, ich will Euch zeigen, wo Ihr alles noth-
wendige findet.
Vor allem brauchen wir ein Tiſchtuch.
„Eine Tiſchentuch.“
Was? ..
Erinnerſt Dich nicht an den Clown im Orpheum?
„Das iſt eine Tiſchentuch“ … „Das iſt eine Blech“.
„Das iſt eine kleine piccolo.“
Du, Dori, wann gehſt denn mit mir in’s Orpheum?
Neulich haſt Du mir’s ja verſprochen. Da kommt
die Chriſtin’ aber auch mit, und der Herr Fritz auch.
[38] dieſer aus der Kredenz genommen).
Da ſind aber dann
wir die Bekannten in der Loge …
Ja, ja …
Da kann dann die Dame mit dem ſchwarzen
Sammtkleid allein nach Haus gehn.
Was Ihr immer mit der Dame in Schwarz habt,
das iſt wirklich zu dumm.
Oh, wir haben nichts mit ihr … So …
Und das Eßzeug? ..
öffneten Kredenz).
Ja … Und die Teller? .. Ja,
danke … So, jetzt machen wir’s ſchon allein....
Gehn Sie, gehn Sie, jetzt ſtören Sie uns nur.
gelegt; wie Fritz zu ihm nach vorne kommt:)
Du ent-
ſchuldigſt …
Haſt ſchon das Bild vom Fritz in der Uniform
geſehn?
[39]
Nein.
Das mußt Du Dir anſchau’n. Feſch! ..
reden weiter).
Siehſt Du, Fritz, ſolche Abende
ſind meine Schwärmerei.
Sind auch nett.
Da fühl’ ich mich behaglich … Du nicht? …
Oh, ich wollte, es wär’ mir immer ſo wohl.
Sagen Sie, Herr Fritz, iſt Kaffee in der Maſchin’
drin?
Ja … Ihr könnt auch gleich den Spiritus an-
zünden — auf der Maſchin’ dauert’s ſowieſo eine
Stund’, bis der Kaffee fertig iſt …
Für ſo ein ſüßes Mäderl geb’ ich zehn
dämoniſche Weiber her.
[40]
Das kann man nicht vergleichen.
Wir haſſen nämlich die Frauen, die wir lieben —
und lieben nur die Frauen, die uns gleichgiltig ſind.
Was iſt denn? Wir möchten auch was hören!
Nichts für Euch, Kinder. Wir philoſophieren.
Wenn wir heut mit denen das letzte Mal
zuſammen wären, wir wären doch nicht weniger fidel,
was?
Das letzte Mal … Na, darin liegt jedenfalls
etwas melancholiſches. Ein Abſchied ſchmerzt immer,
auch wenn man ſich ſchon lang darauf freut!
Du, Fritz, wo iſt denn das kleine Eßzeug?
Da iſt es, mein Schatz.
(iſt nach vorn gekommen, fährt dem Theodor, der auf dem
Divan liegt, durch die Haare).
[41]
Du Katz, Du!
Großartig …
Wie Du alles hübſch in Ordnung haſt!
Ja …
Sardinenbüchſe, kaltes Fleiſch, Butter, Käſe).
Fritz … willſt Du mir’s nicht ſagen?
Was denn?
Wer die Dame war?
Nein, ärger’ mich nicht.
Schau, das
haben wir ja ſo ausdrücklich mit einander ausgemacht:
Gefragt wird nichts. Das iſt ja gerade das ſchöne.
Wenn ich mit Dir zuſammen bin, verſinkt die Welt
— punktum. Ich frag’ Dich auch um nichts.
Mich kannſt Du um alles fragen.
[42]
Aber ich thu’s nicht. Ich will ja nichts wiſſen.
Herrgott, machen Sie da eine
Unordnung —
Teller).
So …
Du, Fritz, ſag’, haſt Du denn irgend was zum
Trinken zu Hauſe?
Oh ja, es wird ſich ſchon was finden.
ins Vorzimmer).
Gut. —
So, ich denke, es fehlt nichts mehr! …
So, hier wäre auch
was zum trinken.
Wo ſind denn die Roſen, die von der Decke
herunterfallen?
Ja richtig, die Roſen haben wir vergeſſen!
nimmt die Roſen aus der Vaſe, ſteigt auf einen Stuhl
und läßt die Roſen auf den Tiſch fallen).
So!
[43]
Gott, iſt das Mädel ausgelaſſen!
Na, nicht in die Teller ....
Wo willſt Du ſitzen, Chriſtin’?
Wo iſt denn ein Stoppelzieher?
Hier iſt einer.
Aber geben Sie das doch mir.
Laßt das mich machen ....
und Stoppelzieher aus der Hand).
Du könnteſt unter-
deſſen ein bischen …
Ja ja, das iſt feſch! …
öffnet es, nachdem ſie die Sachen, die darauf liegen, auf
einen Stuhl gelegt hat.)
Soll ich?
[44]
Ich bitt’ Dich, ja, ſo lang ſchon hab’ ich mich
danach geſehnt.
Du kannſt ja auch ein biſſel ſpielen?
Oh Gott.
Schön kann ſie ſpielen, die Chriſtin’, … ſie
kann auch ſingen.
Wirklich, das haſt Du mir ja nie geſagt? ..
Haſt Du mich denn je gefragt? —
Wo haſt Du denn ſingen gelernt?
Gelernt hab’ ich’s eigentlich nicht. Der Vater
hat mich ein biſſel unterrichtet — aber ich hab’ nicht
viel Stimme. Und weißt Du, ſeit die Tant’ ge-
ſtorben iſt, die immer bei uns gewohnt hat, da iſt
es noch ſtiller bei uns wie es früher war.
Was machſt Du eigentlich ſo den ganzen Tag?
[45]
Oh Gott, ich hab’ ſchon zu thun! —
So im Haus — wie? —
Ja. Und dann ſchreib’ ich Noten ab, ziemlich
viel. —
Muſiknoten? —
Freilich.
Das muß ja horrend bezahlt werden.
anderen lachen.)
Na, ich würde das horrend bezahlen.
Ich glaube, Noten ſchreiben muß eine fürchterliche
Arbeit ſein! —
Es iſt auch ein Unſinn, daß ſie ſich ſo plagt.
Wenn ich ſo viel Stimme hätte, wie
Du, wär’ ich längſt beim Theater.
Du brauchteſt nicht einmal Stimme … Du
thuſt natürlich den ganzen Tag gar nichts! was?
Na, ſei ſo gut! Ich hab’ ja zwei kleine Brüder,
[46] die in die Schul’ gehn, die zieh’ ich an in der früh;
und dann mach’ ich die Aufgaben mit ihnen —
Da iſt doch kein Wort wahr.
Na, wennſt mir nicht glaubſt! — Und bis zum
vorigen Herbſt bin ich ſogar in einem Geſchäft ge-
weſen von acht in der früh bis acht am Abend —
Wo denn?
In einem Modiſtengeſchäft. Die Mutter will,
daß ich wieder eintrete.
Warum biſt Du denn ausgetreten?
Du mußt uns dann was vorſingen!
Kinder, eſſen wir jetzt lieber, und Du ſpielſt
dann, ja? . . . .
Komm’, Schatz!
Tiſch hin.)
[47]
Der Kaffee! Jetzt geht der Kaffee über und wir
haben noch nichts gegeſſen!
Jetzt iſt’s ſchon alles eins! —
Aber er geht ja über!
Was willſt Du haben, Mizi? Das ſag’ ich Dir
gleich: die Torte kommt zuletzt! … Zuerſt mußt
Du lauter ganz ſauere Sachen eſſen.
Nicht ſo: das macht man jetzt ganz anders.
Kennſt Du nicht die neueſte Mode?
tirt Grandezza, die Flaſche in der Hand, zu Chriſtine.)
Vöslauer Ausſtich achtzehnhundert . . . .
nächſten Zahlen unverſtändlich. Schenkt ein, zu Mizi.)
Vöslauer Ausſtich achtzehnhundert . . . .
Schenkt ein, zu Fritz.)
Vöslauer Ausſtich achtzehn-
hundert . . . .
Vöslauer Ausſtich …
Alleweil macht er Dummheiten.
[48]
Proſit.
Sollſt leben, Theodor! . . . .
Meine Damen und Herren …
Na, nicht gleich!
Ich kann ja warten.
Das hab’ ich ſo gern, wenn bei Tiſch Reden
gehalten werden. Alſo ich hab’ einen Couſin, der
redet immer in Reimen.
Bei was für einem Regiment iſt er? …
Geh, hör’ auf … Auswendig redt er und mit
Reimen, aber großartig, ſag’ ich Dir, Chriſtin’. Und
iſt eigentlich ſchon ein älterer Herr.
[49]
O, das kommt vor, daß ältere Herren noch in
Reimen reden.
Aber, Ihr trinkt ja garnicht. Chriſtin’!
mit ihr an.)
Auf die alten Herren, die in
Reimen reden.
Auf die jungen Herren, auch wenn ſie gar-
nichts reden … zum Beiſpiel auf den Herrn Fritz
… Sie, Herr Fritz, jetzt trinken wir Bruderſchaft,
wenn Sie wollen — und die Chriſtin’ muß auch mit
dem Theodor Bruderſchaft trinken.
Aber nicht mit dem Wein, das iſt kein Bruder-
ſchaftswein.
gleiches Spiel wie früher.)
Xeres de la Frontera
mille huit cent cinquante — Xeres de la Frontera
— Xeres de la Frontera — Xeres de la Frontera.
Ah —
Kannſt Du nicht warten, bis wir alle trinken
… Alſo Kinder … bevor wir uns ſo feierlich
4
[50] verbrüdern, wollen wir auf den glücklichen Zufall
trinken, der, der … und ſo weiter …
Ja, iſt ſchon gut!
in der Hand, wie man Bruderſchaft zu trinken pflegt.)
Muß das ſein?
Unbedingt, ſonſt gilt’s nichts …
So, und jetzt à place! …
Aber ſchauerlich heiß wird’s in dem Zimmer.
Das iſt von den vielen Lichtern, die der Theodor
angezündet hat.
Und von dem Wein.
zurück.)
Komm’ nur daher, jetzt kriegſt Du ja erſt das
[51] Beſte.
ſteckt’s ihr in den Mund.)
Da, Du Katz — gut? —
Sehr! …
Geh’, Fritz, jetzt iſt der Moment! Jetzt könnteſt
Du was ſpielen!
Willſt Du, Chriſtin’?
Bitte! —
Aber was Feſches!
Kann nicht mehr.
Der Wein iſt ſo ſchwer.
Fritz!
4*
[52]
Herr Fritz, ſpielen’s den Doppeladler.
Den Doppeladler — Wie geht der?
Dori, kannſt Du nicht den Doppeladler ſpielen?
Ich kann überhaupt nicht Klavier ſpielen.
Ich kenne ihn ja; er fällt mir nur nicht ein.
Ich werd’ ihn Ihnen vorſingen … La …
la … lalalala … la …
Aha, ich weiß ſchon.
Nein, ſo …
mit einem Finger.)
Ja, ja …
[53]
Das ſind wieder ſüße Erinnerungen, was? …
Es geht nicht.
Ich hab’ gar kein Gehör.
Das iſt nichts!
Schimpfen Sie nicht, das iſt von mir! —
Aber zum tanzen iſt es nicht.
Probiren Sie nur einmal …
Komm’, verſuchen wir’s.
die Taille, ſie tanzen.)
tanzen weiter).
Was iſt denn das? — Na!
[54]
Er hat eben geklingelt …
Haſt
Du denn noch jemanden eingeladen? . .
Keine Idee — Du brauchſt ja nicht zu öffnen.
Was haſt Du denn?
Nichts …
Du biſt einfach nicht zu Hauſe.
Man hört ja das Klavierſpielen bis auf den
Gang … Man ſieht auch von der Straße her,
daß es beleuchtet iſt.
Was ſind denn das für Lächerlichkeiten? Du biſt
eben nicht zu Haus.
Es macht mich aber nervös.
[55]
Na, was wird’s denn ſein? Ein Brief! —
Oder ein Telegramm — Du wirſt ja um
Uhr ſehend)
um neun keinen Beſuch bekommen.
Ach was, ich muß doch nachſeh’n —
Aber Ihr ſeid auch gar nicht feſch —
ein paar Taſten auf dem Klavier an).
Geh, hör’ jetzt auf! —
Was
haben Sie denn? Macht Sie das Klingeln auch
nervös? —
Theodor und Chriſtine zugleich.
Na, wer war’s? — Wer war’s?
Ihr müßt ſo gut ſein, mich
einen Moment zu entſchuldigen. Geht unterdeſſen
da hinein.
Was giebt’s denn?
[56]
Wer iſt’s?
Nichts, Kind, ich habe nur zwei Worte mit
einem Herrn zu ſprechen …
chen hinein, Theodor iſt der letzte, ſieht Fritz fragend an,)
Er! . .
Ah! . .
Geh hinein, geh hinein. —
Ich bitt Dich, mach keine Dummheiten, es kann
eine Falle ſein …
Geh … geh … —
die Bühne einige Augenblicke leer bleibt. Dann tritt er
wieder auf, indem er einen elegant gekleideten Herrn von
etwa fünfunddreißig Jahren voraus eintreten läßt. —
Der Herr iſt in gelbem Ueberzieher, trägt Handſchuhe,
hält den Hut in der Hand.)
[57]
Pardon, daß ich Sie warten
ließ … ich bitte …
Oh, das thut nichts. Ich
bedaure ſehr, Sie geſtört zu haben.
Gewiß nicht. Bitte wollen Sie nicht —
ihm einen Stuhl an).
Ich ſehe ja, daß ich Sie geſtört habe. Kleine
Unterhaltung, wie?
Ein paar Freunde.
Maskenſcherz wahr-
ſcheinlich?
Wieſo?
Nun, Ihre Freunde haben Damenhüte und
Mantillen.
[58]
Nun ja …
Es mögen ja Freundinnen
auch dabei ſein …
Das Leben iſt zuweilen ganz luſtig … ja …
Ich darf mir wohl die Frage erlauben, was mir
die Ehre Ihres Beſuches verſchafft.
Gewiß …
Meine Frau hat nämlich
ihren Schleier bei Ihnen vergeſſen.
Ihre Frau Gemahlin, bei mir? .. ihren …
Der Scherz iſt ein bischen ſonderbar …
mit der einen Hand auf die Stuhllehne ſtützt.)
Sie hat
ihn vergeſſen.
laſſen; — in Wuth und Ekel).
Oh …!
[59]
Hier ſind Ihre Briefe.
wirft ein Packet, das er aus der Taſche des Ueberziehers
nimmt, auf den Schreibtiſch.)
Ich bitte um die, welche
Sie erhalten haben …
Ich will nicht, daß man ſie —
ſpäter bei Ihnen findet.
Man wird ſie nicht finden.
Was wünſchen Sie noch von mir? …
Was ich noch wünſche —?
Ich ſtehe zu Ihrer Verfügung …
Gut. —
Zimmer umhergehen; wie er wieder den gedeckten Tiſch,
[60] die Damenhüte ꝛc. ſieht, geht eine lebhafte Bewegung über
ſein Geſicht, als wollte es zu einem neuen Ausbruch ſeiner
Wuth kommen).
Ich bin ganz zu Ihrer
Verfügung. — Ich werde morgen bis zwölf Uhr
zuhauſe ſein.
er weg iſt, geht Fritz zum Schreibtiſch, bleibt eine Weile
ſtehen. Dann eilt er zum Fenſter, ſieht durch eine Spalte,
die die Rouleaux gelaſſen, hinaus, und man merkt, wie er
den auf dem Trittoir gehenden Herrn mit den Blicken ver-
folgt. Dann entfernt er ſich von dem Fenſter, bleibt, eine
Sekunde lang zur Erde ſchauend, ſtehen; dann geht er
zur Thür des Nebenzimmers, öffnet ſie zur Hälfte und ruft).
Theodor, … auf einen Moment.
Nun …
Er weiß es.
Nichts weiß er. Du biſt ihm ſicher hinein-
gefallen. Haſt am Ende geſtanden. Du biſt ein
Narr, ſag’ ich Dir, … Du biſt —
[61]
Er hat mir meine Briefe
zurückgebracht.
Oh …
Ich ſag’ es
immer, man ſoll nicht Briefe ſchreiben.
Er iſt es geweſen, heute Nachmittag, da unten …
Alſo was hat’s denn gegeben? — ſo ſprich doch —
Du mußt mir nun einen großen Dienſt erweiſen,
Theodor.
Ich werde die Sache ſchon in Ordnung bringen.
Davon iſt hier nicht mehr die Rede.
Alſo …
Es wird für alle Fälle gut ſein …
brechend)
— aber wir können doch die armen Mädeln
nicht ſo lange warten laſſen.
[62]
Die können ſchon warten. Was wollteſt Du
ſagen?
Es wird gut ſein, wenn Du heute noch Lensky
aufſuchſt.
Gleich, wenn Du willſt.
Du triffſt ihn jetzt nicht … aber zwiſchen elf
und zwölf kommt er ja ſicher in’s Kaffeehaus …
vielleicht kommt Ihr dann beide noch zu mir …
Geh’, ſo mach’ doch kein ſolches Geſicht … in
neunundneunzig Fällen von hundert geht die Sache
gut aus …
Es wird dafür geſorgt ſein, daß dieſe Sache
nicht gut ausgeht.
Aber ich bitt’ Dich, erinnere Dich, im vorigen
Jahr, die Affaire zwiſchen dem Doktor Billinger und
dem Herz, — das war doch genau dasſelbe.
Laß das, Du weißt es ſelbſt, — er hätte mich
[63] einfach hier in dem Zimmer niederſchießen ſollen, —
es wär’ auf’s gleiche herausgekommen.
Ah, das iſt famos! Das iſt eine groß-
artige Auffaſſung … Und wir, der Lensky und ich,
wir ſind nichts? Du meinſt, wir werden es zu-
geben — —
Bitt’ Dich, laß das! … Ihr werdet einfach
annehmen, was man proponiren wird.
Ah! —
Wozu das alles, Theodor. Als wenn Du’s
nicht wüßteſt.
Unſinn. Ueberhaupt, das ganze iſt Glücksſache
… Ebenſo gut kannſt Du ihn …
Sie hat es geahnt. Wir
beide haben es geahnt. Wir haben es gewußt …
Geh, Fritz …
Was ſie in
dieſem Augenblick nur macht. Ob er ſie … Theodor
[64] . . das mußt Du morgen in Erfahrung bringen, was
dort geſchehen iſt.
Ich werd’ es verſuchen …
… Sieh’ auch, daß kein überflüſſiger Aufſchub …
Vor übermorgen früh wird’s ja doch kaum ſein
können.
Theodor!
Alſo … Kopf hoch. — Nicht wahr, auf innere
Ueberzeugungen iſt doch auch etwas zu geben — und
ich hab’ die feſte Ueberzeugung, daß alles … gut
ausgeht.
Ich weiß ſelbſt
nicht warum, aber ich hab’ einmal die Ueberzeugung!
Was biſt Du für ein guter Kerl! — Aber
was ſagen wir nur den Mädeln?
Das iſt wohl ſehr gleichgiltig. Schicken wir ſie
einfach weg.
[65]
Oh nein. Wir wollen ſogar möglichſt luſtig ſein.
Chriſtine darf garnichts ahnen. Ich will mich wieder
zum Klavier ſetzen; ruf’ Du ſie indeſſen herein.
Und was wirſt Du ihnen ſagen?
Daß ſie das gar nichts angeht.
Nein, nein —
Daß es ſich um einen Freund handelt — das
wird ſich ſchon finden.
Bitte, meine Damen.
Na endlich! Iſt der ſchon fort?
Wer war bei Dir, Fritz?
5
[66]
Iſt ſchon wieder neu-
gierig!
Ich bitt’ Dich, Fritz, ſag’s mir.
Schatz, ich kann’s Dir nicht ſagen, es handelt
ſich wirklich um Leute, [die] Du gar nicht kennſt.
Geh’, Fritz, ſag’ mir die Wahrheit!
Sie läßt Dich natürlich nicht in Ruh … Daß
Du ihr nichts ſagſt! Du haſt’s ihm verſprochen!
Geh’, ſei doch nicht ſo [fad], Chriſtin’, laß ihnen
die Freud’! Sie machen ſich eh’ nur wichtig!
Ich muß den Walzer mit Fräulein Mizi zu Ende
tanzen.
Bitte, Herr
Kapellmeiſter — eine kleine Muſik.
Ich kann nicht!
[67]
ſieht ſie an).
Warum ſpielſt Du nicht weiter?
Genug für heut’ …
Siehſt Du, ſo möcht’ ich ſpielen können …
Spielſt Du viel? …
Ich komme nicht viel dazu; im Haus iſt immer
was zu thun. Und dann, weißt, wir haben ein ſo
ſchlechtes Pianino.
Ich möcht’s wohl einmal verſuchen. Ich möcht’
überhaupt gern Dein Zimmer einmal ſeh’n.
’s iſt nicht ſo ſchön, wie bei Dir! . .
Und noch eins möcht’ ich: daß Du mir einmal
5*
[68] viel von Dir erzählſt … recht viel … ich weiß
eigentlich ſo wenig von Dir.
Iſt wenig zu erzählen. — Ich hab’ auch keine
Geheimniſſe, — wie wer anderer …
Du haſt noch keinen lieb gehabt?
Und werd’ auch nie wen andern lieb haben …
Sag’ das nicht …
ſag’s nicht … was weißt Du denn? .. Hat Dich
Dein Vater ſehr gern, Chriſtin’? —
Oh Gott! . . Es war auch eine Zeit, wo ich
ihm alles erzählt hab’. —
Na, Kind, mach’ Dir nur keine Vorwürfe …
Ab und zu hat man halt Geheimniſſe — das iſt
der Lauf der Welt.
[69]
… Wenn ich nur wüßte, daß Du mich gern
haſt — da wär ja alles ganz gut.
Weißt Du’s denn nicht?
Wenn Du immer in dem Ton zu mir reden
möchteſt, ja dann …
Chriſtin’! Du ſitzt aber recht unbequem.
Ach laß mich nur — es iſt da ganz gut!
Oh, das iſt gut.
Wo ſind denn die Cigarren, Fritz? —
geſucht hat).
[70]
Und der ſchwarze Kaffee!
Kinder, wollt Ihr nicht auch ſchwarzen Kaffee
haben?
Mizi, ſoll ich Dir eine Taſſe …
Laſſen wir ſie ſchlafen … — Du trink’ übrigens
keinen Kaffee heut. Du ſollteſt Dich möglichſt bald
zu Bette legen und ſchauen, daß Du ordentlich ſchläfſt.
Na ja, jetzt ſtehn die Dinge nun einmal ſo wie
ſie ſtehn … und es handelt ſich jetzt nicht darum,
ſo großartig oder ſo tiefſinnig, ſondern ſo vernünftig
zu ſein als möglich … darauf kommt es an …
in ſolchen Fällen.
Du kommſt noch heute Nacht mit Lensky zu
mir ja? …
Das iſt ein Unſinn. Morgen früh iſt Zeit genug.
[71]
Ich bitt’ Dich drum.
Alſo ſchön …
Begleiteſt Du die Mädeln nach Hauſe?
Ja, und zwar ſofort … Mizi! … Erhebe
Dich! —
Ihr trinkt da ſchwarzen Kaffee —! Gebt’s mir
auch einen! —
Da haſt Du, Kind …
Biſt müd, mein Schatz? …
Wie lieb das iſt, wenn Du ſo ſprichſt.
Sehr müd’? —
— Der Wein. — Ich hab auch ein biſſel
Kopfweh …
[72]
Na, in der Luft wird Dir das ſchon vergehn!
Gehn wir ſchon? — Begleiteſt Du uns?
Nein, Kind. Ich bleib jetzt ſchon zu Haus …
Ich hab noch einiges zu thun.
Jetzt … Was
haſt Du denn jetzt zu thun? —
Du, Chriſtin’, das mußt Du Dir
abgewöhnen! —
Ich bin nämlich wie zer-
ſchlagen … wir ſind heut, der Theodor und ich,
draußen auf dem Land zwei Stunden herumgelaufen —
Ah, das war entzückend. Nächſtens fahren wir
alle zuſammen hinaus auf’s Land.
Ja, das iſt feſch! Und Ihr zieht Euch die
Uniform dazu an.
Das iſt doch wenigſtens Naturſinn!
[73]
Wann ſehen wir uns denn wieder?
Ich ſchreib’s Dir ſchon.
Leb’ wohl
Morgen ſehn wir uns,
Chriſtin’!
Ja?
In dem Garten … dort bei der Linie wie
neulich … um — ſagen wir, um ſechs Uhr …
ja? Iſt’s Dir recht?
Gehſt mit uns, Fritz?
Die hat ein Talent zum Duſagen —!
Nein, ich bleib’ ſchon zu Haus.
[74]
Der hat’s gut! Was wir noch für einen Rieſen-
weg nach Haus haben …
Aber, Mizi, Du haſt ja beinah’ die ganze gute
Torte ſtehn laſſen. Wart’, ich pack’ ſie Dir ein —
ja? —
Schickt ſich das?
Die iſt wie ein kleines Kind …
Wart’, dafür helf’ ich Dir die Lichter
auslöſchen.
Licht auf dem Schreibtiſch bleibt).
Soll ich Dir nicht das Fenſter aufmachen? —
es iſt ſo ſchwül.
gegenüberliegende Haus.)
So Kinder. Jetzt leucht’ ich Euch.
Iſt denn ſchon ausgelöſcht auf der Stiege? …
[75]
Na, ſelbſtverſtändlich.
Ah, dieLuft iſt gut, die da hereinkommt! …
Mailüfterl …
in der Hand.)
Alſo, wir danken für die freundliche
Aufnahme! —
Geh, geh, geh, geh …
hört die Perſonen draußen reden. Man hört die Wohnungs-
thür aufſchließen.)
Alſo pah! —
Gieb acht, da ſind Stufen.
Danke ſchön für die Torte …
Pſt, Du weckſt ja die Leute auf! —
Gute Nacht!
[76]
Gute Nacht!
ſperrt. — Während er hereintritt und das Licht auf den
Schreibtiſch ſtellt, hört man das Hausthor unten öffnen
und ſchließen.)
Gute Nacht!
Gute Nacht, Du mein herziges
Kind …
Du, Mizi …
Theodor pfeift die Melodie des „Doppeladler“, die am
ſpäteſten verklingt. Fritz ſieht noch ein paar Sekunden
hinaus, dann ſinkt er auf den Fauteuil neben dem Fenſter).
[[77]]
Zweiter Akt.
- Chriſtine
(kleidet ſich eben zum weggehen an).
- Katha-
rina(tritt auf, nachdem ſie draußen angeklopft hat).
Guten Abend, Fräulein Chriſtin’.
Guten
Abend.
Sie wollen grad weggehn?
Ich hab’s nicht ſo eilig.
Ich komm’ nemlich von meinem Mann, ob Sie
mit uns nachtmahlen gehn wollen in’ Lehnergarten,
weil heut dort Muſik iſt.
[78]
Danke ſehr, Frau Binder . . . . ich kann heut
nicht … ein anders Mal, ja? — Aber Sie ſind
nicht bös?
Keine Spur … warum denn? Sie werden ſich
ſchon beſſer unterhalten können als mit uns.
Der Vater iſt ſchon im Theater? …
O nein; er kommt noch früher nach Haus. Jetzt
fangts ja erſt um halb acht an!
Richtig, das vergeſſ’ ich alleweil. Da werd’ ich
gleich auf ihn warten, weil ich ihn ſchon lang bitten
möcht wegen Freikarten zu dem neuen Stück …
Jetzt wird man’s doch ſchon kriegen? …
Freilich … es geht ja jetzt keiner mehr hinein,
wenn einmal die Abende ſo ſchön werden.
Unſereins kommt ja ſonſt gar nicht dazu …
wenn man nicht zufällig Bekannte bei einem Theater
[79] hat … Aber halten Sie ſich meinetwegen nicht
auf, Fräulein Chriſtin’, wenn Sie weg müſſen.
Meinem Mann wird’s freilich ſehr leid ſein . . . .
und noch wem andern vielleicht auch . . . .
Wem?
Der Couſin von Binder iſt mit, natürlich …
Wiſſen Sie, Fräulein Chriſtin, daß er jetzt fix an-
geſtellt iſt?
Ah. —
Und mit einem ganz ſchönen Gehalt. Und ein
ſo honetter junger Menſch. Und eine Verehrung
hat er für Sie —
Alſo — auf Wiederſehn, Frau Binder!
Dem könnt’ man von Ihnen erzählen, was man
will — der möcht kein Wort glauben . . . .
Es gibt ſchon ſolche Männer . . . .
[80]
Adieu, Frau Binder.
Adieu . . . .
Daß Sie
nur zum Rendezvous nicht zu ſpät kommen, Fräul’n
Chriſtin’!
Was wollen Sie eigentlich von mir? —
Aber nichts, Sie haben ja recht! Man iſt ja
nur einmal jung.
Adieu.
Aber einen Rath, Fräulein Chriſtin’, möcht’ ich
Ihnen doch geben: ein biſſel vorſichtiger ſollten
Sie ſein!
Ja, was heißt denn das?
Schau’n Sie, — Wien iſt ja eine ſo große
Stadt. … Müſſen Sie ſich Ihre Rendezvous
g’rad hundert Schritt weit vom Haus geben?
Das geht wohl niemanden was an.
[81]
Ich hab’s gar nicht glauben wollen, wie mir’s
der Binder erzählt hat. Der hat Sie nämlich geſehn …
Geh’, hab’ ich ihm geſagt, Du wirſt Dich verſchaut
haben. Das Fräulein Chriſtin’, die iſt keine Perſon,
die mit eleganten jungen Herren am Abend ſpazieren
geht, und wenn ſchon, ſo wird’s doch ſo geſcheidt
ſein, und nicht g’rad in unſerer Gaſſen! Na, ſagt
er, kannſt ſie ja ſelber fragen! Und, ſagt er, ein
Wunder iſt’s ja nicht — zu uns kommt ſie gar
nimmermehr — aber dafür lauft ſie in einer Tour
mit der Schlager Mizi herum, iſt das eine Geſellſchaft
für ein anſtändiges junges Mädel? — Die Männer
ſind ja ſo ordinär, Fräul’n Chriſtin’. Und dem
Franz hat er’s natürlich auch gleich erzählen müſſen,
aber der iſt ſchön bös worden, — und für die
Fräul’n Chriſtin’ legt er die Hand in’s Feuer, und
wer was über ſie ſagt, der hat’s mit ihm zu thun.
Und wie Sie ſo für’s Häusliche ſind, und wie lieb
Sie alleweil mit der alten Fräul’n Tant’ geweſen
ſind — Gott ſchenk’ ihr die ewige Ruh’ — und
wie beſcheiden und wie eingezogen als Sie leben
und ſo weiter …
Vielleicht kommen S’
doch mit zur Muſik?
Nein …
6
[82]
Er hat einen Fliederzweig in der Hand.)
Guten Abend. … Ah, die Frau Binder.
Wie geht’s Ihnen denn?
Dank’ ſchön.
Und das Linerl? — Und der Herr Gemahl? . .
Alles geſund, Gott ſei Dank.
Na, das iſt ſchön. —
Du biſt
noch zu Haus bei dem ſchönen Wetter —?
G’rad hab’ ich fortgeh’n wollen.
Das iſt geſcheidt! — eine Luft iſt heut’ draußen,
was, Frau Binder, das iſt was Wunderbar’s. Ich
bin jetzt durch den Garten bei der Linie gegangen
— da blüht der Flieder — es iſt eine Pracht! Ich
hab’ mich auch einer Uebertretung ſchuldig gemacht!
[83]
Dank’ Dir, Vater.
Sein S’ froh, daß Sie der Wachter nicht
erwiſcht hat.
Geh’n S’ einmal hin, Frau Binder — es riecht
noch genau ſo gut dort, als wenn ich das Zweigerl
nicht abgepflückt hätt’.
Wenn ſich das aber alle dächten —
Das wär’ freilich g’fehlt —!
Adieu, Vater!
Wenn Du ein paar Minuten warten möchteſt,
ſo könnteſt Du mich zum Theater hinbegleiten.
Ich … ich hab’ der Mizi verſprochen, daß ich
ſie abhol’ …
Ah ſo. — Iſt auch geſcheidter. Jugend gehört
zur Jugend. Adieu, Chriſtin’ …
6*
[84]
Adieu Frau Binder! —
ſieht ihr zärtlich nach).
Das iſt ja jetzt eine ſehr intime Freundſchaft mit
der Fräul’n Mizi.
Ja. — Ich bin wirklich froh, daß die Tini eine
Anſprach’ hat und nicht in einem fort zu Hauſe
ſitzt. Was hat denn das Mädel eigentlich von
ihrem Leben! …
Ja freilich.
Ich kann Ihnen gar nicht ſagen, Frau Binder,
wie weh’ mir’s manchmal thut, wenn ich ſo nach
Haus komm’, von der Prob’ — und ſie ſitzt da,
und näht — und Nachmittag, kaum ſteh’n wir vom
Tiſch auf, ſo ſetzt ſie ſich ſchon wieder hin und
ſchreibt ihre Noten …
Na ja, die Millionäre haben’s freilich beſſer
[85] wie unſereins. Aber was iſt denn eigentlich mit
ihrem Singen? —
Das heißt nicht viel. Für’s Zimmer reicht die
Stimme ja aus, und für ihren Vater ſingt ſie ſchön
genug — aber leben kann man davon nicht.
Das iſt aber ſchad’.
Ich bin froh, daß ſie’s ſelber einſieht. Werden
ihr wenigſtens die Enttäuſchungen erſpart bleiben. —
Zum Chor von unſerm Theater könnt’ ich ſie natür-
lich bringen —
Freilich, mit der Figur!
Aber da ſind ja gar keine Ausſichten.
Man hat wirklich Sorgen mit einem Mädel!
Wenn ich denk’, daß meine Linerl in fünf, ſechs
Jahren auch eine große Fräul’n iſt. —
Aber was ſetzen Sie ſich denn nicht, Frau Binder?
[86]
Oh, ich dank ſchön, mein Mann holt mich gleich
ab — ich bin ja nur heraufgekommen, die Chriſtin’
einladen! . .
Einladen —?
Ja, zur Muſik im Lehnergarten. Ich hab’ mir
auch gedacht, daß ſie das ein Biſſel aufheitern wird
— ſie braucht’s ja wirklich.
Könnt’ ihr wahrhaftig nicht ſchaden — beſonders
nach dem traurigen Winter. Warum geht ſie denn
nicht mit Ihnen —?
Ich weiß nicht. . . Vielleicht weil der Couſin
vom Binder mit iſt.
Ah, ſchon möglich. Den kann’s nämlich nicht
ausſtehn. Das hat ſie mir ſelber erzählt.
Ja warum denn nicht? Der Franz iſt ein ſehr
anſtändiger Menſch — jetzt iſt er ſogar fix angeſtellt,
das iſt doch heutzutag ein Glück für ein …
[87]
Für ein … armes Mädel —
Für ein jedes Mädel iſt das ein Glück.
Ja, ſagen Sie mir, Frau Binder, iſt denn ſo
ein blühendes Geſchöpf wirklich zu nichts anderem
da, als für ſo einen anſtändigen Menſchen, der zu-
fällig eine fixe Anſtellung hat?
Iſt doch das geſcheidteſte! Auf einen Grafen
kann man ja doch nicht warten, und wenn einmal
einer kommt, ſo empfiehlt es ſich dann gewöhnlich,
ohne daß er einen geheirathet hat. . .
Fenſter. Pauſe.)
Na ja. . . Deswegen ſag’ ich auch
immer; man kann bei einem jungen Mädel nicht
vorſichtig genug ſein — beſonders mit dem Umgang —
Ob’s nur dafür ſteht, ſeine jungen Jahre ſo
einfach zum Fenſter hinauszuwerfen? — Und was
hat denn ſo ein armes Geſchöpf ſchließlich von ihrer
ganzen Bravheit, wenn ſchon — nach jahrelangem
Warten — richtig der Strumpfwirker kommt!
Herr Weiring, wenn mein Mann auch ein
[88] Strumpfwirker iſt, er iſt ein honetter und ein braver
Mann, über den ich mich nie zu beklagen gehabt hab’ …
Aber, Frau Binder — geht denn das
auf Sie! .. Sie haben ja auch Ihre Jugend nicht
zum Fenſter hinausgeworfen.
Ich weiß von der Zeit nichts mehr.
Sagen S’ das nicht — Sie können mir jetzt
erzählen, was Sie wollen — die Erinnerungen ſind
doch das beſte, was Sie von Ihrem Leben haben.
Ich hab’ gar keine Erinnerungen.
Na, na …
Und was bleibt denn übrig, wenn eine ſchon
ſolche Erinnerungen hat, wie Sie meinen? .. Die Reu’.
Na, und was bleibt denn übrig — wenn ſie
— nicht einmal was zum Erinnern hat —? Wenn
[89] das ganze Leben nur ſo vorbei gegangen iſt,
einfach, nicht pathetiſch)
ein Tag wie der andere, ohne
Glück und ohne Liebe — dann iſt’s vielleicht beſſer?
Aber Herr Weiring, denken Sie doch nur an das
alte Fräul’n — an Ihre Schweſter! … Aber es
thut Ihnen noch weh, wenn man von ihr redt, Herr
Weiring …
Es thut mir noch weh, ja …
Freilich … wenn zwei Leut’ ſo an einander
gehängt haben … ich hab’s immer geſagt, ſo einen
Bruder wie Sie find’t man nicht bald.
Es iſt ja wahr. Sie haben ihr doch als ein
ganz junger Menſch Vater und Mutter erſetzen
müſſen.
Ja, ja —
Das muß ja doch wieder eine Art Troſt ſein.
Wenn man ſo weiß, daß man immer der Wohl-
thäter und Beſchützer von ſo einem armen Geſchöpf
geweſen iſt —
[90]
Ja, das hab ich mir früher auch eingebildet, —
wie ſie noch ein ſchönes junges Mädel war, — und
bin mir ſelber weiß Gott wie geſcheidt und edel
vorgekommen. Aber dann, ſpäter, wie ſo langſam
die grauen Haar’ gekommen ſind und die Runzeln,
und es iſt ein Tag um den andern hingegangen
— und die ganze Jugend — und das junge Mädel
iſt ſo allmälig — man merkt ja ſowas kaum —
das alte Fräulein geworden, — da hab ich erſt zu
ſpüren angefangen, was ich eigentlich gethan hab’!
Aber Herr Weiring —
Ich ſeh’ ſie ja noch vor mir, wie ſie mir oft
gegenübergeſeſſen iſt am Abend, bei der Lampe, in
dem Zimmer da, und hat mich ſo angeſchaut mit
ihrem ſtillen Lächeln, mit dem gewiſſen gottergebenen,
— als wollt’ ſie mir noch für was danken; — und
ich — ich hätt’ mich ja am liebſten vor ihr auf die
Kniee hingeworfen, ſie um Verzeihung bitten, daß
ich ſie ſo gut behütet hab’ vor allen Gefahren —
und vor allem Glück!
Und es wär doch manche froh, wenn ſie immer
[91] ſo einen Bruder an der Seite gehabt hätt’ …
und nichts zu bereuen …
Guten Abend! … Da iſt aber ſchon ganz
dunkel … man ſieht ja gar nichts mehr. — Ah,
die Frau Binder. Ihr Mann iſt unten, Frau Binder,
und wart’ auf Sie … Iſt die Chriſtin’ nicht zu
Haus? …
Sie iſt vor einer Viertelſtunde weggegangen.
Haben Sie ſie denn nicht getroffen? Sie hat
ja mit Ihnen ein Rendezvous gehabt?
Nein … wir haben uns jedenfalls verfehlt …
Sie gehn mit Ihrem Mann zur Muſik, hat er mir
geſagt —?
Ja, er ſchwärmt ſo viel dafür. Aber hören Sie,
Fräulein Mizi, Sie haben ein reizendes Hüterl auf.
Neu, was?
Aber keine Spur. — Kennen Sie denn die Form
[92] nimmer? Vom vorigen Frühjahr; nur aufgeputzt
iſt er neu.
Selber haben Sie ſich ihn neu aufgeputzt?
Na, freilich.
So geſchickt!
Natürlich — ich vergeß’ immer, daß Sie ein
Jahr lang in einem Modiſtengeſchäft waren.
Ich werd’ wahrſcheinlich wieder in eins gehn.
Die Mutter will’s haben — da kann man nichts
machen.
Wie geht’s denn der Mutter?
Na gut — ein biſſel Zahnweh hat’s — aber
der Doktor ſagt, es iſt nur rheumatiſch. …
Ja, jetzt iſt es aber für mich die höchſte Zeit ..
Ich geh’ gleich mit Ihnen hinunter, Herr
Weiring …
[93]
Ich geh’ auch mit … Aber nehmen Sie ſich
doch den Ueberzieher, Herr Weiring, es wird ſpäter
noch recht kühl.
Glauben Sie?
Freilich … Wie kann man denn ſo unvor-
ſichtig ſein.
Da iſt ſie ja …
Schon zurück vom Spaziergang?
Ja. Grüß Dich Gott, Mizi. … Ich hab’ ſo
Kopfweh …
Wie? ..
Das iſt wahrſcheinlich von der Luft …
Geh’, was haſt denn, Chriſtin’! .. Bitt’ Sie,
Fräulein Mizi, zünden S’ die Lampe an.
[94]
Aber das kann ich ja ſelber.
Ich möcht’ Dein Geſicht ſehn, Chriſtin’! ..
Aber Vater, es iſt ja gar nichts, es iſt gewiß
von der Luft draußen.
Manche Leut’ können grad’ das Frühjahr nicht
vertragen.
Nicht wahr, Fräulein Mizi, Sie bleiben noch
bei der Chriſtin’?
Freilich bleib’ ich da …
Aber es iſt ja gar nichts, Vater.
Meine Mutter macht nicht ſo viel Geſchichten
mit mir, wenn ich Kopfweh hab’ ..
Biſt Du ſo müd’? ..
[95]
Ich ſteh’ ſchon wieder auf.
So — jetzt ſchauſt Du ſchon wieder ganz anders
aus. —
Ganz anders ſchaut ſie aus,
wenn ſie lacht, was ..? Alſo Adieu, Chriſtin’ …
Und daß das Kopferl nimmer weh thut,
wenn ich nach Haus komm’! ..
Habt’s Ihr Euch gezankt? …
Frau Binder …!
Adieu! ..
Weißt, woher die Kopfweh kommen? Von dem
ſüßen Wein geſtern. Ich wunder’ mich ſo, daß ich
gar nichts davon geſpürt hab … Aber luſtig iſt’s
geweſen, was ..?
[96]
Sind ſehr feſche Leut’, beide; — kann man gar
nichts ſagen, was? — Und ſchön eingerichtet iſt der
Fritz, wirklich prachtvoll! Beim Dori …
bricht ſich).
Ah nichts .. — Geh’, haſt noch immer
ſo ſtarke Kopfſchmerzen? Warum redſt denn nichts?
.. Was haſt denn? ..
Denk Dir, — er iſt nicht gekommen. —
Er hat Dich aufſitzen laſſen? Das geſchieht Dir
recht!
Ja, was heißt das? Was hab’ ich denn gethan? —
Verwöhnen thuſt Du ihn, zu gut biſt Du zu
ihm. Da muß ja ein Mann arrogant werden.
Aber Du weißt ja nicht, was Du ſprichſt.
Ich weiß ganz gut, was ich red’. — Schon die
ganze Zeit ärger’ ich mich über Dich. Er kommt
zu ſpät zu den Rendezvous, er begleit’ Dich nicht
nach Haus, er ſetzt ſich zu fremden Leuten in die
[97] Log’ hinein, er laßt Dich einfach aufſitzen — das
laßt Du Dir alles ruhig gefallen und ſchauſt ihn
noch dazu
mit ſo verliebten Augen
an. —
Geh’, ſprich nicht ſo, ſtell’ Dich doch nicht ſchlechter,
als Du biſt. Du haſt ja den Theodor auch gern.
Gern — freilich hab’ ich ihn gern. Aber das
erlebt der Dori nicht, und das erlebt überhaupt kein
Mann mehr, daß ich mich um ihn kränken thät —
das ſind ſie alle zuſamm’ nicht werth, die Männer.
Nie hab’ ich Dich ſo reden gehört, nie! —
Ja, Tinerl — früher haben wir doch überhaupt
nicht ſo mit einander gered’t. — Ich hab’ mich ja
garnicht getraut. Was glaubſt denn, was ich für
einen Reſpekt vor Dir gehabt hab’! … Aber
ſiehſt, das hab’ ich mir immer gedacht: wenn’s
einmal über Dich kommt, wird’s Dich ordentlich
haben. Das erſte Mal beutelt’s einen ſchon zu-
[ſammen]! — Aber dafür kannſt Du auch froh ſein,
daß Du bei Deiner erſten Liebe gleich eine ſo gute
Freundin zum Beiſtand haſt.
7
[98]
Mizi!
Glaubſt mir’s nicht, daß ich Dir eine gute
Freundin bin? Wenn ich nicht da bin und Dir ſag’:
Kind, er iſt ein Mann wie die anderen und alle
zuſammen ſind’s nicht eine böſe Stund’ werth, ſo
ſetzt Du Dir weiß Gott was für Sachen in den
Kopf. Ich ſag’s aber immer: Den Männern ſoll
man überhaupt kein Wort glauben.
Was redſt Du denn — die Männer, die
Männer — was gehn mich denn die Männer an!
— Ich frag ja nicht nach den anderen. — In
meinem ganzen Leben werd ich nach keinem andern
fragen — —
… Ja, was glaubſt Du denn eigentlich …
hat er Dir denn ..? freilich! — es iſt ſchon alles
vorgekommen; aber da hätteſt Du die Geſchichte
anders anfangen müſſen …
Schweig endlich!
Na, was willſt denn von mir? Ich kann ja
nichts dafür, — das muß man ſich früher überlegen.
[99] Da muß man halt warten, bis einer kommt, dem
man die ernſten Abſichten gleich am Geſicht an-
kennt …
Mizi, ich kann ſolche Worte heute nicht vertragen,
ſie thun mir weh. —
Na, geh —
Laß mich lieber … ſei nicht bös … laß mich
lieber allein!
Warum ſoll ich denn bös ſein? Ich geh’ ſchon.
Ich hab Dich nicht kränken wollen, Chriſtin’, wirklich …
Ah, der Herr Fritz.
Guten Abend!
Fritz, Fritz!
bin ich überflüſſig).
7*
[100]
Aber —
Alle ſagen, daß Du mich verlaſſen wirſt! Nicht
wahr, Du thuſt es nicht — jetzt noch nicht — jetzt
noch nicht …
Wer ſagt denn das? … Was haſt Du denn …
Aber Schatz! … Ich hab’ mir
eigentlich gedacht, daß Du recht erſchrecken wirſt,
wenn ich plötzlich da herein komme. —
Oh — daß Du nur da biſt!
Geh’, ſo beruhig’ Dich doch — haſt Du lang
auf mich gewartet?
Warum biſt Du denn nicht gekommen?
Ich bin aufgehalten worden, hab’ mich verſpätet.
Jetzt bin ich im Garten geweſen, und hab’ Dich nicht
gefunden — und hab’ wieder nach Haus gehen
wollen. Aber plötzlich hat mich eine ſolche Sehn-
ſucht gepackt, ein ſolche Sehnſucht nach dieſem lieben
ſüßen Geſichtel …
[101]
Is’ wahr?
Und dann hab ich auch plötzlich eine ſo unbe-
ſchreibliche Luſt bekommen, zu ſehen, wo Du
eigentlich wohnſt — ja im Ernſt — ich hab das
einmal ſehen müſſen — und da hab ich’s nicht aus-
gehalten und bin da herauf … es iſt Dir alſo
nicht unangenehm?
O Gott!
Es hat mich niemand geſehn — und daß Dein
Vater im Theater iſt, hab ich ja gewußt.
Was liegt mir an den Leuten!
Alſo da —?
Das alſo
iſt Dein Zimmer? Sehr hübſch …
Du ſiehſt ja gar nichts.
der Lampe nehmen).
Nein, laß nur, das blendet mich, Iſt beſſer ſo …
[102] Alſo da? Das iſt das Fenſter, von dem Du mir
erzählt haſt, an dem Du immer arbeiteſt, was? —
Und die ſchöne Ausſicht!
Ueber wieviel
Dächer man da ſieht … Und da drüben — ja, was
iſt denn das, das ſchwarze, das man da drüben ſieht?
Das iſt der Kahlenberg!
Richtig! Du haſt’s eigentlich ſchöner als ich.
Oh!
Ich möchte gern ſo hoch wohnen, über alle Dächer
ſehn, ich finde das ſehr ſchön. Und auch ſtill muß
es in der Gaſſe ſein?
Ach, bei Tag iſt Lärm genug.
Fährt denn da je ein Wagen vorbei?
Selten, aber gleich im Haus drüben iſt eine
Schloſſerei.
Oh, das iſt ſehr unangenehm.
[103]
Das gewöhnt man! Man hört’s gar nicht mehr.
Bin ich wirklich zum erſten
Mal da —? Es kommt mir alles ſo bekannt vor! …
Genau ſo hab’ ich mir’s eigentlich vorgeſtellt.
er Miene macht, ſich näher im Zimmer umzuſehen.)
Nein, anſchaun darfſt Du Dir da nichts. —
Was ſind denn das für Bilder? …
Geh! …
Ah, die möcht ich mir anſehn.
Lampe und beleuchtet die Bilder).
… Abſchied — und Heimkehr.
Richtig — Abſchied und Heimkehr!
Ich weiß ſchon, daß die Bilder nicht ſchön ſind.
— Beim Vater drin hängt eins, das iſt viel beſſer.
[104]
Was iſt das für ein Bild?
Das iſt ein Mädel, die ſchaut zum Fenſter hinaus,
und draußen, weißt, iſt der Winter — und das
heißt „Verlaſſen“. —
So …
Ah, und da iſt
Deine Bibliothek
Die ſchau’ Dir lieber nicht an —
Warum denn? Ah! — Schiller … Hauff …
Das Converſationslexicon … Donnerwetter! —
Geht nur bis G …
Ach ſo … Das Buch für Alle …
Da ſchauſt Du Dir die Bilder drin an, was?
Natürlich hab ich mir die Bilder angeſchaut.
— Wer iſt denn der Herr da auf dem
Ofen?
[105]
Das iſt doch der Schubert.
Richtig —
Weil ihn der Vater ſo gern hat. Der Vater
hat früher auch einmal Lieder componirt, ſehr ſchöne.
Jetzt nimmer?
Jetzt nimmer.
So gemüthlich iſt es da! —
Gefällt’s Dir wirklich?
Sehr … Was iſt denn das?
mit Kunſtblumen, die auf dem Tiſch ſteht).
Er hat ſchon wieder was gefunden! …
Nein, Kind, das gehört nicht da herein … das
ſieht verſtaubt aus.
[106]
Die ſind aber gewiß nicht verſtaubt.
Künſtliche Blumen ſehen immer verſtaubt auſ ..
In Deinem Zimmer müſſen wirkliche Blumen ſtehn,
die duften und friſch ſind. Von jetzt an werde ich
Dir …
wegung zu verbergen).
Was denn? … Was wollteſt Du denn ſagen?
Nichts, nichts …
Was? —
Daß ich Dir morgen friſche Blumen ſchicken
werde, hab’ ich ſagen wollen …
Na, und reut’s Dich ſchon? — Natürlich!
Morgen denkſt Du ja nicht mehr an mich.
Gewiß! Wenn Du mich nicht ſiehſt, denkſt Du
nicht an mich.
[107]
Aber was redſt Du denn?
Oh ja, ich weiß es. Ich ſpür’s ja.
Wie kannſt Du Dir denn das nur einbilden
Du ſelbſt biſt Schuld daran. Weil Du immer
Geheimniſſe vor mir haſt! … Weil Du mir gar
nichts von Dir erzählſt. — Was thuſt Du ſo den
ganzen Tag?
Aber Schatz, das iſt ja ſehr einfach. Ich geh’
in Vorleſungen — zuweilen — dann geh’ ich in’s
Kaffehaus … dann leſ’ ich … zuweilen ſpiel’ ich
auch Klavier — dann plauder’ ich mit dem oder
jenem — dann mach’ ich Beſuche … das iſt doch
alles ganz belanglos. Es iſt ja langweilig davon
zu reden. — Jetzt muß ich übrigens gehn, Kind …
Jetzt ſchon —
Dein Vater wird ja bald da ſein.
[108]
Noch lang nicht, Fritz. — Bleib’ noch — eine
Minute — bleib’ noch —
Und dann hab’ ich … der Theodor erwartet
mich … Ich hab mit ihm noch was zu ſprechen.
Heut?
Gewiß heut.
Wirſt ihn morgen auch ſehn!
Ich bin morgen vielleicht garnicht in Wien!
Nicht in Wien? —
Nun
ja, das kommt ja vor? Ich fahr übern Tag weg
— oder auch über zwei, Du Kind. —
Wohin?
Wohin! … Irgendwohin — Ach Gott, ſo mach
[109] doch kein ſolches Geſicht … Auf’s Gut fahr’ ich
zu meinen Eltern … na, … iſt das auch un-
heimlich?
Auch von denen, ſchau, erzählſt Du mir nie!
Nein, was Du für ein Kind biſt … Du ver-
ſtehſt gar nicht, wie ſchön das iſt, daß wir ſo voll-
kommen mit uns allein ſind. Sag, ſpürſt Du denn
das nicht?
Nein, es iſt gar nicht ſchön, daß Du mir nie
was von Dir erzählſt … Schau, mich intereſſirt
ja alles, was Dich angeht, ach ja … alles, —
ich möcht mehr von Dir haben als die eine Stunde
am Abend, die wir manchmal beiſammen ſind. Dann
biſt Du ja wieder fort, und ich weiß gar nichts …
Da geht dann die ganze Nacht vorüber und ein
ganzer Tag mit den vielen Stunden — und nichts
weiß ich. Darüber bin ich oft ſo traurig.
Warum biſt Du denn da traurig?
Ja, weil ich dann ſo eine Sehnſucht nach Dir
hab’, als wenn Du gar nicht in derſelben Stadt,
[110] als wenn Du ganz wo anders wärſt! Wie ver-
ſchwunden biſt Du da für mich, ſo weit weg …
Aber …
Na ſchau’, es iſt ja wahr! …
Komm’ daher, zu mir
Du weißt
ja doch nur eins, wie ich — daß Du mich in dieſem
Augenblicke liebſt …
Sprich
nicht von Ewigkeit.
Es giebt ja
vielleicht Augenblicke, die einen Duft von Ewigkeit
um ſich ſprühen. — … Das iſt die einzige, die
wir verſtehen können, die einzige, die uns gehört …
Oh, wie ſchön iſt es bei Dir, wie ſchön! …
beim Fenſter).
So weltfern iſt man da, mitten unter
den vielen Häuſern … ſo einſam komm’ ich mir
vor, ſo mit Dir allein …
ſo geborgen …
Wenn Du immer ſo ſprächſt … da könnt’ ich
faſt glauben …
Was denn, Kind?
[111]
Daß Du mich ſo lieb haſt, wie ich’s mir geträumt
hab’ — an den Tag, wo Du mir den erſten Kuß
gegeben haſt … erinnerſt Du Dich daran? —
Ich hab’ Dich lieb! —
ſie; reißt ſich los).
Aber jetzt laß mich fort —
Reut’s Dich denn ſchon wieder, daß Du mir’s
geſagt haſt? Du biſt ja frei, Du biſt ja frei —
Du kannſt mich ja ſitzen laſſen, wann Du willſt, …
Du haſt mir nichts verſprochen — und ich hab nichts
von Dir verlangt … Was dann aus mir wird
— es iſt ja ganz einerlei — ich bin doch einmal
glücklich geweſen, mehr will ich ja vom Leben nicht.
Ich möchte nur, daß Du das weißt, und mir glaubſt:
daß ich keinen lieb gehabt vor Dir, und daß ich
keinen lieb haben werde — wenn Du mich einmal
nimmer willſt —
Sag’s nicht, ſag’s nicht — es klingt
… zu ſchön …
Es wird Theodor ſein …
[112]
Er weiß, daß Du bei mir biſt —?
Guten Abend. — Unverſchämt, was?
Haben Sie ſo wichtige Dinge mit ihm zu be-
ſprechen? —
Gewiß — und hab’ ihn ſchon überall geſucht.
Warum haſt Du nicht unten gewartet?
Was flüſterſt Du ihm zu?
Warum ich nicht unten gewartet
habe? … Ja, wenn ich beſtimmt gewußt hätte,
daß Du da biſt … Aber da ich das nicht habe
riskiren können, unten zwei Stunden auf und ab zu
ſpazieren …
Alſo … Du fährſt morgen mit
mir?
[113]
Stimmt! …
Das iſt geſcheidt …
Ich bin aber ſo gerannt, daß ich um die Er-
laubniß bitten muß, mich auf zehn Sekunden nieder-
zuſetzen.
Bitte ſehr —
Giebt’s was Neues? — Haſt Du etwas über
ſie erfahren?
Nein. Ich hol’ Dich nur da herunter,
weil Du leichtſinnig biſt. Wozu noch dieſe über-
flüſſigen Aufregungen? Schlafen ſollſt Du dich
legen … Ruhe brauchſt Du! …
bei ihnen).
Sag’, findeſt Du das Zimmer nicht wunderlieb?
Ja, es iſt ſehr nett …
Stecken
Sie den ganzen Tag da zu Haus? — Es iſt
übrigens wirklich ſehr wohnlich. Ein Bischen hoch
für meinen Geſchmack.
8
[114]
Das find’ ich grad’ ſo hübſch.
Aber jetzt entführ’ ich Ihnen den Fritz, wir müſſen
morgen früh aufſtehn.
Alſo Du fährſt wirklich weg?
Er kommt wieder, Fräulein Chriſtin’!
Wirſt Du mir ſchreiben?
Aber wenn er morgen wieder zurück iſt —
Ach, ich weiß, er fährt auf länger fort …
Muß man denn da gleich ſchreiben?
Ich hätte Sie gar nicht für ſo ſentimental ge-
halten … Dich will ich ſagen — wir ſind ja
per Du … Alſo … gebt Euch nur den Ab-
ſchiedskuß, da Ihr auf ſo lang …
Na, ich bin nicht da.
[115]
in den Mund, ſucht in ſeiner Ueberziehertaſche nach einem
Streichholz. Wie er keines findet.)
Sagen Sie, liebe
Chriſtine, haben Sie kein Zündholz?
O ja, da ſind welche!
Kommode deutend).
Da iſt keins mehr. —
Ich bring Ihnen eins.
zimmer).
O Gott, wie lügen
ſolche Stunden!
Na, was für Stunden denn!
Jetzt bin ich nahe dran zu glauben, daß hier
mein Glück wäre, daß dieſes ſüße Mädel —
bricht ſich)
aber dieſe Stunde iſt eine große Lügne-
rin …
8*
[116]
Abgeſchmacktes Zeug … Wie wirſt Du da-
rüber lachen. —
Dazu werd’ ich wohl keine Zeit mehr haben.
Hier haben Sie!
Danke ſehr … Alſo adieu. —
Na,
was willſt Du denn noch? —
alles in ſich aufnehmen).
Da kann man ſich kaum
trennen.
Geh, mach Dich nur luſtig.
Komm’. — Adieu, Chriſtine.
Leb wohl …
Auf Wiederſehn! —
[117]
offen ſteht; halblaut).
Fritz! …
Leb wohl! …
[[118]]
Dritter Akt.
ſtunde.
- Chriſtine
allein. Sie ſitzt am Fenſter; — näht; legt
die Arbeit wieder hin. — - Lina,
die neunjährige Tochter
Katharinens, tritt ein.
Guten Tag, Fräul’n Chriſtin!
Grüß Dich Gott, mein Kind, was
willſt denn?
Die Mutter ſchickt mich, ob ich die Karten für’s
Theater gleich mitnehmen darf. —
Der Vater iſt noch nicht zu Haus, Kind; willſt
warten?
Nein, Fräul’n Chriſtin’, da komm’ ich nach dem
Eſſen wieder her.
[119]
Schön. —
Und die Mutter
laßt das Fraulein Chriſtin’ ſchön grüßen, und ob’s
noch Kopfweh hat?
Nein, mein Kind —
Adien, Fräul’n Chriſtin’!
Adieu! —
Guten Tag, Fräul’n Mizi.
Servus, kleiner Fratz!
Alſo ſind ſie
zurück?
[120]
Woher ſoll ich denn das wiſſen?
Und Du haſt keinen Brief, nichts —?
Nein.
Auch Du haſt keinen Brief?
Was ſollen wir uns denn ſchreiben? …
Seit vorgeſtern ſind ſie fort!
Na ja, das iſt ja nicht ſo lang! Deswegen
muß man ja nicht ſolche Geſchichten machen. Ich
verſteh’ Dich gar nicht … Wie Du nur ausſiehſt.
Du biſt ja ganz verweint. Dein Vater muß Dir
ja was anmerken, wenn er nach Haus kommt.
Mein Vater weiß alles. —
Was? —
[121]
Ich hab’ es ihm geſagt.
Das iſt wieder einmal geſcheidt geweſen. Aber
natürlich, Dir ſieht man ja auch gleich alles am Ge-
ſicht an. — Weiß er am End’ auch, wer’s iſt?
Ja.
Und hat er ſehr geſchimpft?
Alſo was hat er denn geſagt? —
Nichts … Er iſt ganz ſtill weggegangen, wie
gewöhnlich. —
Und doch war’s dumm, daß Du was erzählt
haſt. Wirſt ſchon ſeh’n … Weißt, warum Dein
Vater nichts drüber geredet hat —? Weil er ſich
denkt, daß der Fritz Dich heirathen wird.
Warum ſprichſt Du denn davon! —
[122]
Weißt Du, was ich glaub’?
Was denn?
Daß die ganze Geſchicht’ mit der Reiſe ein
Schwindel iſt.
Was?
Sie ſind vielleicht gar nicht fort.
Sie ſind fort — ich weiß es. — Geſtern Abend
bin ich an ſeinem Haus vorbei, die Jalouſieen ſind
heruntergelaſſen; er iſt nicht da. —
Das glaub’ ich ſchon. Weg werden ſie ja ſein.
— Aber zurückkommen werden ſie halt nicht — zu
uns wenigſtens nicht. —
Du —
Na, es iſt doch möglich! —
Das ſagſt Du ſo ruhig —
[123]
Na ja, — ob heut oder morgen — oder in
einem halben Jahr, das kommt doch ſchon auf eins
heraus.
Du weißt ja nicht, was Du ſprichſt .... Du
kennſt den Fritz nicht — er iſt ja nicht ſo, wie Du
Dir denkſt, — neulich hab’ ich’s ja geſehn, wie er
hier war, in dem Zimmer. Er ſtellt ſich nur manch-
mal gleichgiltig — aber er hat mich lieb …
— ja, ja —
nicht für immer, ich weiß ja — aber auf einmal
hört ja das nicht auf —!
Ich kenn’ ja den Fritz nicht ſo genau.
Er kommt zurück, der Theodor kommt auch zurück,
gewiß!
Mizi … Thu’ mir was zu lieb’.
Sei doch nicht gar ſo aufgeregt — alſo was
willſt denn?
Geh’ Du zum Theodor, es iſt ja ganz nah’,
[124] ſchauſt halt vorüber .... Du fragſt bei ihm im
Haus, ob er ſchon da iſt, und wenn er nicht da iſt,
wird man im Haus vielleicht wiſſen, wann er kommt.
Ich werd’ doch einem Mann nicht nachlaufen.
Er braucht’s ja gar nicht zu erfahren. Vielleicht
triffſt ihn zufällig. Jetzt iſt bald ein Uhr; — jetzt
geht er grad zum Speiſen —
Warum gehſt denn Du nicht, Dich im Haus
vom Fritz erkundigen?
Ich trau’ mich nicht — Er kann das ſo nicht
leiden .... Und er iſt ja ſicher noch nicht da.
Aber der Theodor iſt vielleicht ſchon da und weiß,
wann der Fritz kommt. Ich bitt’ Dich, Mizi!
Du biſt manchmal ſo kindiſch —
Thu’s mir zu lieb! Geh hin! Es iſt ja doch
nichts dabei. —
Na, wenn Dir ſo viel daran liegt, ſo geh’ ich
[125] ja hin. Aber nützen wird’s nicht viel. Sie ſind
ſicher noch nicht da.
Und Du kommſt gleich zurück . . . . ja? …
Na ja, ſoll die Mutter halt mit dem Eſſen ein
biſſel warten.
Ich dank’ Dir, Mizi, Du biſt ſo gut . . . .
Freilich bin ich gut; — jetzt ſei aber Du ver-
nünftig … ja? . . . . alſo grüß Dich Gott —
Ich dank’ Dir! —
Nähzeug zuſammen u. ſ. w. Dann geht ſie zum Fenſter
und ſieht hinaus. Nach einer Minute kommt Weiring
herein, den ſie anfangs nicht ſieht. Er iſt in tiefer Er-
regung, betrachtet angſtvoll ſeine Tochter, die am Fenſter
ſteht.)
[126]
Sie weiß noch nichts, ſie weiß noch nichts …
weiter zu machen).
Na, Chriſtin’ . . . .
Alſo . . . . was glaubſt Du,
Chriſtin’? Wir
wir werden’s
halt vergeſſen was? —
Na ja . . . . ich — und Du!
Vater, haſt Du mich denn heut früh nicht ver-
ſtanden? …
Ja, was willſt denn, Chriſtin’? . . . . Ich muß
Dir doch ſagen, was ich drüber denk! Nicht wahr?
Na alſo . . . .
[127]
Vater, was ſoll das bedeuten?
Komm’ her, mein Kind . . . . hör’ mir ruhig
zu. Schau, ich hab’ Dir ja auch ruhig zugehört,
wie Du mir’s erzählt haſt. — Wir müſſen ja —
Ich bitt Dich — ſprich nicht ſo zu mir, Vater . .
wenn Du jetzt drüber nachgedacht haſt und einſiehſt,
daß Du mir nicht verzeihen kannſt, ſo jag’ mich
davon — aber ſprich nicht ſo . . . .
Hör’ mich nur ruhig an, Chriſtin’! Du kannſt
ja dann noch immer thun, was Du willſt . . . .
Schau, Du biſt ja ſo jung, Chriſtin’. — Haſt
denn noch nicht gedacht . . . .
daß
das Ganze ein Irrthum ſein könnt’. —
Warum ſagſt Du mir das, Vater? — Ich weiß
ja, was ich gethan hab — und ich verlang ja auch
nichts — von Dir und von keinem Menſchen auf
der Welt, wenn’s ein Irrthum geweſen iſt … Ich
hab Dir ja geſagt — jag’ mich davon, aber …
Wie kannſt denn ſo reden …
[128] Wenn’s auch ein Irrthum war, iſt denn da gleich
eine Urſach’ zum verzweifelt ſein für ſo ein junges
Geſchöpf, wie Du eins biſt? — Denk’ doch nur, wie
ſchön, wie wunderſchön das Leben iſt. Denk’ nur,
an wie vielen Dingen man ſich freuen kann, wie viel
Jugend, wie viel Glück noch vor Dir liegt …
Schau, ich hab doch nicht mehr viel von der ganzen
Welt, und ſogar für mich iſt das Leben noch ſchön
— und auf ſo viel Sachen kann ich mich noch freuen.
Wie Du und ich zuſammen ſein werden — wie wir
uns das Leben einrichten wollen — Du und ich …
wie Du wieder — jetzt, wenn die ſchöne Zeit kommt,
anfangen wirſt zu ſingen, und wie wir dann, wenn
die Ferien da ſind, auf’s Land hinausgehn werden
in’s Grüne, gleich auf den ganzen Tag — ja — oh,
ſo viel ſchöne Sachen giebt’s … ſo viel. — Es
iſt ja unſinnig, gleich Alles aufzugeben, weil man
ſein erſtes Glück hingeben muß oder irgend was, das
man dafür gehalten hat —
Warum … muß ich’s denn hingeben …?
War’s denn eins? Glaubſt denn wirklich, Chriſtin’,
daß Du’s Deinem Vater erſt heut haſt ſagen müſſen?
Ich hab’s längſt gewußt! — und auch daß Du mir’s
ſagen wirſt, hab’ ich gewußt. Nein, nie war’s ein
[129] Glück für Dich! … Kenn ich denn die Augen
nicht? Da wären nicht ſo oft Thränen drin geweſen,
und die Wangen da wären nicht ſo blaß geworden,
wenn Du einen lieb gehabt hätteſt, der’s verdient.
Wie kannſt Du das … Was weißt Du …
Was haſt Du erfahren?
Nichts, gar nichts … aber Du haſt mir ja
ſelbſt erzählt, was er iſt … So ein junger Menſch,
— was weiß denn der? — Hat denn der nur eine
Ahnung von dem, was ihm ſo in den Schoß fällt —
weiß denn der den Unterſchied von echt und unecht
— und von Deiner ganzen unſinnigen Lieb’ — hat
er denn von der was verſtanden?
Du haſt ihn … — Du warſt
bei ihm?
Aber was fallt Dir denn ein! Er iſt ja wegge-
fahren, nicht? Aber Chriſtin’, ich hab’ doch noch meinen
Verſtand, ich hab’ ja meine Augen im Kopf! Schau,
Kind, vergiß drauf! vergiß drauf! Deine Zukunft liegt
ja ganz wo anders! Du kannſt, Du wirſt noch ſo
glücklich werden, als Du verdienſt. Du wirſt auch
9
[130] einmal einen Menſchen finden, der weiß, was er an
Dir hat —
Was willſt Du denn? —
Laß mich, ich will fort …
Wohin willſt Du?
Zu ihm … zu ihm …
Aber was fällt Dir denn ein …
Du verſchweigſt mir irgend was — laß
mich hin —
So komm’ doch zur Beſinnung,
Kind. Er iſt ja gar nicht da … Er iſt ja viel-
leicht auf ſehr lange fortgereiſt … Bleib doch bei
mir, was willſt Du dort … Morgen oder am
[131] Abend ſchon geh’ ich mit Dir hin. So kannſt Du
ja nicht auf die Straße … weißt Du denn, wie
Du ausſchauſt …
Du willſt — mit mir hingehn —?
Ich verſprech’ Dir’s. — Nur jetzt bleib ſchön da,
ſetz’ Dich nieder, und komm’ wieder zu Dir. Man
muß ja beinah’ lachen, wenn man Dich ſo anſchaut, . .
für nichts und wieder nichts. — Hältſt Du’s denn
bei Deinem Vater gar nimmer aus?
Was weißt Du?
Was ſoll ich denn wiſſen … ich
weiß, daß ich Dich lieb hab’, daß Du mein einziges
Kind biſt, daß Du bei mir bleiben ſollſt, — daß Du
immer bei mir hätteſt bleiben ſollen. —
Genug — — — laß mich —
ihm los, macht die Thür auf, in der Mizi erſcheint).
- Weiring.
- Chriſtine.
- Mizi.
- Theodor.
(Dann)
Was
erſchreckſt mich denn ſo …
9*
[132]
Was … was iſt denn …
Antwort; ſie ſieht Theodor in’s Geſicht, der ihren Blick
vermeiden will.)
Wo iſt er, wo iſt er? …
Angſt — ſie erhält keine Antwort, ſieht die verlegenen und
traurigen Geſichter.)
Wo iſt er?
So
ſprechen Sie doch!
der Mienen und ſtößt, nachdem in ihrem Geſicht ſich das
allmälige Verſtehen der Wahrheit kundgegeben, einen furcht-
baren Schrei aus)
… Theodor! … Er iſt …
auf Theodor zu, nimmt ihn beim Arm — wie wahn-
ſinnig).
… Er iſt … todt …? …
ſie ſich ſelbſt.)
Mein Kind —
[133]
So ſprechen Sie doch, Theodor!
Sie wiſſen alles.
Ich weiß nichts … Ich weiß nicht, was ge-
ſchehen iſt … glauben Sie … ich kann jetzt nicht
alles hören … Wie iſt das gekommen … Vater …
Theodor …
Du weißt’s auch …
Ein unglücklicher Zufall. —
Was, was?
Er iſt gefallen.
Was heißt das: Er iſt …
Er iſt im Duell gefallen.
Ah! …
hält ſie auf, giebt dem Theodor ein Zeichen, er möge jetzt
gehen.)
Bleiben Sie … Alles
[134] muß ich wiſſen. Meinen Sie, Sie dürfen mir jetzt
noch etwas verſchweigen …
Was wollen Sie weiter wiſſen? …
Warum — warum hat er ſich duellirt?
Ich kenne den Grund nicht.
Mit wem, mit wem —? Wer ihn umgebracht
hat, das werden Sie ja doch wohl wiſſen … Nun,
nun —.
Niemand, den Sie kennen …
Wer, wer?
Chriſtin’!
Wer? Sag Du mir’s
… Du,
Vater …
hält ſie zurück.)
Ich werde doch erfahren dürfen, wer
ihn umgebracht hat, und wofür —!
Es war … ein nichtiger Grund …
[135]
Sie ſagen nicht die Wahrheit … Warum,
warum …
Liebe Chriſtine …
anfangs nicht, ſieht ihn an und ſchreit dann plötzlich).
Wegen einer Frau?
Nein —
Ja — für eine Frau …
für dieſe Frau — Für dieſe Frau, die er geliebt
hat — Und ihr Mann — ja, ja, ihr Mann hat
ihn umgebracht … Und ich … was bin denn
ich? was bin denn ich ihm geweſen …? Theodor . .
haben Sie denn gar nichts für mich … hat er
nichts niedergeſchrieben …? Hat er Ihnen kein
Wort für mich geſagt … haben Sie nichts ge-
funden … einen Brief … einen Zettel —
Und an dem Abend … wo er da war, wo
Sie ihn da abgeholt haben … da hat er’s ſchon
[136] gewußt, da hat er gewußt, das er mich vielleicht nie
mehr … Und er iſt von da weggegangen, um ſich
für eine andere umbringen zu laſſen — Nein, nein
— es iſt ja nicht möglich … hat er denn nicht
gewußt, was er für mich iſt … hat er …
Er hat es gewußt. — Am letzten Morgen, wie
wir hinausgefahren ſind … hat er auch von Ihnen
geſprochen.
Auch von mir hat er geſprochen! Auch von
mir! Und von was denn noch? Von wie viel
andern Leuten, von wie viel anderen Sachen, die
ihm grad ſo viel geweſen ſind wie ich? — Von
mir auch! Oh Gott! . . Und von ſeinem Vater
und von ſeiner Mutter und von ſeinen Freunden
und von ſeinem Zimmer und vom Frühling und
von der Stadt und von allem, von allem, was ſo
mit dazu gehört hat zu ſeinem Leben und was er
grad ſo hat verlaſſen müſſen wie mich; . . von allem
hat er mit Ihnen geſprochen … und auch von
mir. . . .
Er hat Sie gewiß lieb gehabt.
Lieb! — Er? — Ich bin ihm nichts geweſen
[137] als ein Zeitvertreib — und für eine andere iſt er
geſtorben —! Und ich — hab’ ihn angebetet! —
Hat er denn das nicht gewußt? . . Daß ich ihm
alles gegeben hab, was ich ihm hab’ geben können,
daß ich für ihn geſtorben wär’ — daß er mein
Herrgott geweſen iſt und meine Seligkeit — hat er
das garnicht bemerkt? Er hat von mir fortgehn
können, mit einem Lächeln, fortgehn aus dem Zimmer
und ſich für eine andere niederſchießen laſſen…
Vater, Vater, — verſtehſt Du das?
Chriſtin’!
Schau Kind, das hätteſt Du mir erſparen
können …
Ich hab genug Aufregungen gehabt … dieſe
letzten Tage …
Theodor, führen Sie mich
hin … ich will ihn ſehn — noch einmal will ich
ihn ſehn — das Geſicht — Theodor führen Sie
mich hin.
[138]
Nein …
Warum denn nein? — Das können Sie mir
doch nicht verweigern? — Seh’n werd’ ich ihn doch
noch einmal dürfen —?
Es iſt zu ſpät.
Zu ſpät? — Seine Leiche zu ſehn … iſt es
zu ſpät? Ja … ja —
Heut früh hat man ihn begraben.
Begraben…
Und ich hab’s nicht gewußt? Erſchoſſen haben ſie
ihn … und in den Sarg haben ſie ihn gelegt und
hinausgetragen haben ſie ihn und in die Erde haben
ſie ihn eingegraben — und ich hab ihn nicht noch
einmal ſehen dürfen? — Zwei Tage lang iſt er todt
— und Sie ſind nicht gekommen und haben mir’s
geſagt —?
Ich hab’ in dieſen zwei Tagen …
Sie können nicht ahnen, was alles in dieſen zwei
[139] Tagen … Bedenken Sie, daß ich auch die Ver-
pflichtung hatte, ſeine Eltern zu benachrichtigen — ich
mußte an ſehr viel denken — und dazu noch meine
Gemüthsſtimmung …
Ihre …
Auch hat das … es hat in aller Stille ſtatt-
gefunden … Nur die allernächſten Verwandten
und Freunde …
Nur die nächſten —! Und ich —? … Was
bin denn ich? …
Das hätten die dort auch gefragt.
Was bin denn ich —? Weniger als alle
Andern —? Weniger als ſeine Verwandte, weniger
als … Sie?
Mein Kind, mein Kind. Zu mir komm’, zu
mir …
Gehen Sie …
laſſen Sie mich mit ihr allein!
Ich bin ſehr …
Ich hab das nicht geahnt …
[140]
Was nicht geahnt? — Das ich ihn geliebt
habe? —
ſich hin. Mizi ſteht bei Chriſtine).
Führen Sie mich zu
ſeinem Grab …
Nein, nein —
Geh’ nicht hin, Chriſtin’ —
Chriſtine … ſpäter … morgen … bis Sie
ruhiger geworden [ſind] —
Morgen? — Wenn ich ruhiger ſein werde?! —
Und in einem Monat ganz getröſtet, wie? — Und
in einem halben Jahr kann ich wieder lachen,
was —?
Und wann kommt denn der
nächſte Liebhaber? . .
Chriſtin’ …
[141]
Bleiben Sie nur … ich find’ den Weg auch
allein …
Geh’ nicht.
Geh’ nicht.
Es iſt ſogar beſſer … wenn ich … Laßt
mich, laßt mich.
Chriſtin, bleib …
Geh’ nicht hin! — Vielleicht findeſt Du grad
die Andere dort — beten.
Ich will dort nicht beten ..
nein …
ſprachlos.)
Eilen Sie ihr nach.
Ich kann nicht, ich kann nicht …
[142] mühſam von der Thür bis zum Fenſter).
Was will
ſie … was will ſie …
ins leere).
Sie kommt nicht wieder — ſie kommt
nicht wieder! —
Ende.
[]
Appendix A
Druck von Max Schmerſow vorm. Zahn \& Baendel, Kirchhain N.-L.
- Holder of rights
- Kolimo+
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- TextGrid Repository (2025). Collection 2. Liebelei. Liebelei. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bnv6.0