[[1]]
Der
Meſſias.

[figure]

Vierter Band.

Mit Koͤnigl. Preußiſchen und Churf. Saͤchſiſchen allergnaͤdigſten
und gnaͤdigſten Privilegien.

Halle, im Magdeburgiſchen.:
Verlegt von Carl Hermann Hemmerde,
1773.
[[2]][[3]]

Vom
gleichen Verſe.

Aus einer
Abhandlung vom Sylbenmaaße.



Selmer.

Wir unterhielten uns zuletzt von den lyriſchen
Versarten der Alten, und einigen Nachah-
mungen derſelben; ich will Jhnen jetzt neue
vorleſen, die mir zur Unterſuchung ſind mitgetheilt worden.
Von andern ſchon bekannten neuen wollen wir zuletzt reden.
Die Sylbenmaaſſe des aͤhnlichen Verſes nahmen ihren
Hauptton aus Einer Klaſſe der Fuͤſſe; die Sylbenmaaſſe des
gleichen Verſes thun dieß nur ſelten; und wenn es geſchieht,
ſo verbinden ſie mehr Fuͤſſe der angefuͤhrten Art. Es iſt der
Strophe weſentlicher, daß ſie jetzt ſteige, jetzt ſinke, nun
A 2ab-
[4]Vom gleichen Verſe.
abwechsle, dann ſchwebe, oder auch uͤbergehe. Jch
muß mich erklaͤren. Langſamkeit und Schnelligkeit haben
Grade. Wenn die Langſamkeit oder die Schnelligkeit zu-
nimmt, ſo ſteigt die Strophe; und ſinkt, wenn eine von
beyden abnimmt. Wenn dieſe oder jene bald abnimmt, und
bald zunimmt; ſo wechſelt die Strophe ab. Bleiben ſich
die eine oder die andre von ungefaͤhr gleich, ſo ſchwebt ſie;
und gehet endlich von der Langſamkeit zur Schnelligkeit, oder
von dieſer zu jener, uͤber. Vielleicht giebt es noch mehr Ar-
ten Strophen; allein ich zweifle, daß hier Mehrheit und
Schoͤnheit vereinigt werden koͤnnen.


Wir ſprachen neulich von einer Schoͤnheit des Rhythmus,
die keine Beziehung auf Langſamkeit oder Schnelligkeit hatte,
und die in gewiſſen verhaͤltnißmaͤßigen, und dadurch gefallen-
den Sylbenſtellungen beſtand. Dieſe kommt bey meiner Ein-
theilung nicht in Betrachtung; aber dadurch ſage ich gar nicht,
daß ſie den lyriſchen Versarten nicht vorzuͤglich angehoͤre.


Werthing.

Etwas muͤſſen Sie uns doch auch hier da-
von ſagen. Wenn z. E. die Bewegung zunimmt, und dieſe
Schoͤnheit des Rhythmus ſich vermindert?


Selmer.

Jch ziehe die Strophen vor, in denen beyde
zugleich zunehmen.


Minna.

Und wenn nun, bey dem Sinken der Strophe,
der ſchoͤne Rhythmus ſtiege?


Selmer.

So wuͤrde die Strophe dadurch gewinnen.
Denn dieſe Schoͤnheit des Rhythmus darf nur ſelten, etwa
einiges Kontraſtes wegen, vermindert werden; aber das Nach-
laſſen
[5]Aus einer Abhandl. vom Sylbenmaaße.
laſſen der Bewegung iſt zum Ausdrucke gewiſſer Leidenſchaften
nothwendig.


Werthing.

Meynen Sie, daß die Strophe vom Langſa-
men zum Schnellen, oder umgekehrt, auf Einmal uͤbergehe:


Selmer.

Dieß waͤre kein Uebergang mehr; ſondern ein
Sprung; und den duͤrfen nur Dithyramben thun.


Minna.

Wie ſteigt die Strophe am beſten?


Selmer.

Eine der guten Arten des Steigens iſt, wenn
ſie in den beyden erſten Verſen zu ſchweben ſcheint; in dem
dritten etwas, aber in dem vierten noch merklicher, als von
dem zweyten zum dritten, zunimmt.


Minna.

Welche Art der Strophen ziehen Sie vor?


Selmer.

Das wuͤrde uns ſehr weit fuͤhren, wenn wir in
dieſe Unterſuchung hineingehn wollten. Vielleicht werden
Sie ſelbſt, wenn ich geleſen haben werde, nicht ſagen koͤnnen,
welche Art Sie vorziehn.


Minna.

Nun ſo werden Sie mir doch wenigſtens ſagen,
welche Art der Abwechslung Sie vorziehn?


Selmer.

Jch kann mich nun einmal auf das Vorziehn
nicht einlaſſen; aber eine gute Abwechslung iſt es, wenn
ſich der zweyte Vers leiſe, der dritte merklicher ſenket, und
der vierte nicht zu ſtark wieder ſteigt; oder wenn der zweyte
und dritte Vers eben ſo ſteigen, und der vierte auf gleiche
Weiſe ſinkt.


Werthing.

Die ſchwebende Strophe (ich ſtelle mir
ihre Verſe dabey von groͤſſerm Umfange vor, als lyriſche Verſe
A 3gewoͤhn-
[6]Vom gleichen Verſe.
gewoͤhnlich haben) ſcheint mir eines ſehr vollen Ausdrucks faͤ-
hig zu ſeyn.


Selmer.

Eines vollen Ausdrucks; aber nur von einfa-
chen Gegenſtaͤnden. Sobald dieſe zu ihrem Jnhalte gewaͤhlt
werden; ſo iſt die Strophe vortreflich. Doch es kann ja uͤber-
haupt keine Versart ihre Kraft recht zeigen, wenn ſie dem
Jnhalte nicht angemeſſen iſt.


Minna.

Wenn in der ſchwebenden Strophe jeder
Vers durch genug Veraͤnderung der rhythmiſchen Schoͤnheit
(wir ſprachen ja erſt davon) von dem andern unterſchieden iſt;
ſo denk’ ich, muß ich ihr einen kleinen Vorzug geben. Jch
glaube, die muſikaliſche Declamation wuͤrde mich, wenn ich
irrte, allein’ zurechtweiſen koͤnnen.


Werthing.

Die muſikaliſchen Rhythmen zu ſolchen
Strophen, wie uns Selmer vorleſen wird, (ich kenne ſchon
einige davon) ſehlen uns noch. Die Rhythmusſtellung unſrer
Muſik gleicht den Verhaͤltniſſen der Baukunſt noch zu ſehr;
und es iſt vielleicht noch lange hin, eh’ ſie ein groſſer Kompo-
niſt den Gruppen der Malerey aͤhnlich maͤcht.


Selmer.

Wir kaͤmen zu weit ab, wenn wir uns auf die
ſingende Declamation einließen. Jch werde mich bemuͤhn,
Jhnen die Bewegung der Strophen, die ich habe, durch die
redende auszudruͤcken. Unterbrechen Sie mich nicht ourch
Anmerkungen. Sie koͤnnen mir ſie hernach machen. Wenn
ich in Einem fortleſe; ſo uͤberſehen Sie die Mannichfaltigkeit
des lyriſchen Zeitausdrucks, welcher in dieſen Strophen iſt,
deſto leichter. Sie erinnern ſich doch noch, Minna: Alles,
was
[7]Aus einer Abhandl. vom Sylbenmaaße.
was die Sprache ſagen kann, ſagt ſie, durch den Wortſinn,
in ſo fern naͤmlich die Woͤrter, als zu Zeichen gewaͤhlte Toͤne,
einen gewiſſen Jnhalt haben, ohne noch dabey auf den Klang,
und die Bewegung dieſer Toͤne zu ſehen; durch den Zeitaus-
druck,
in ſo fern die Bewegung, und durch den Ton-
ausdruck,
in ſo fern der Wohlklang ausdruͤcken hilft.


Minna.

Ob ich mich erinnre? Jch ſoll keine Anmerkun-
gen machen. Aber ein Paar Fragen werd ich doch wohl thun
duͤrfen.


Selmer.

Kurze denn wenigſtens; wenns nicht anders
ſeyn kann.


Minna.

Laſſen Sie mich mit einſehn.


Selmer.

Damit Sie die uͤbergeſchriebnen Sylbenmaaſſe
recht beurtheilen, muß ich Jhnen ſagen, daß die Komma die
Verſe in ihre Rhythmen abtheilen. Theilt man anders ab;
ſo macht man, ob gleich eben die Reihe Laͤngen und Kuͤrzen
bleibt, eine ganz andre Strophe. Die Bildung derjenigen,
welche der Erfinder im Sinn hatte, wird zerſtoͤrt. Doch duͤr-
fen, der Mannichfaltigkeit wegen, bisweilen einige Veraͤn-
drungen des Rhythmus gemacht werden. Es iſt genug,
wenn die Strophe, bey der Wiederholung, ihren Hauptcha-
rakter nur nicht verliert. Die untergeſetzten veraͤnderten Laͤn-
gen oder Kuͤrzen zeigen an, daß der Dichter ſie manchmal
brauchen duͤrfe; doch unter der Bedingung, daß der Fuß
beynah derſelbe bleibt; und dieß geſchieht, wenn er Wort-
fuß iſt.


A 4Schnelle,
[8]Vom gleichen Verſe.

Schnelle, ſteigende Strophen.


1.
[figure]

Da der Gottmenſch: Werde Welt! rufte, da ward,

Wie der Thau traͤuft, zahllos ihr Heer, die er ſchuf,

Daß ihr Heil ſtets ſich erhoͤbe. Allen rief

Er vom Kreuz hoͤheres Heil, ewiges herab!

2.
[figure]

Er betet, da ſtuͤrzt hoch herab

Ein Gebot vom Thron her, Flammen herab!

Das Opfer verſank ſchnell in der Glut,

Und die Waſſer am Altar brannten in die Hoͤh.

3.
[figure]

Dann heiß’ ichs kommen! Staͤdte von Mauern hoch

Und Huͤgeln, fallen oͤde’ zur Truͤmmer hin!

Schaam, und des Todes Furcht

Senkt zur Erde des Streitenden Arm!

4.
[9]Aus einer Abhandl. vom Sylbenmaaße.
4.
[figure]

Ertoͤnet ſein Lob, Erden, toͤnt’s, Sonnen, Geſtirn!

Jhr Geſtirn’ hier in der Straſſe des Lichts, hallt’s ſeyrend

Des Erloͤſenden Lob, ſiehe des Herrlichen!

Unerreichten von dem Danklied der Natur!

5.
[figure]

Ausſaat, o wie reif ſchimmerſt du her! Laut ruft im Gefild

Die Heerſchaar zu der Erndte! Selige, die, Glanz zu Glanz,

Der Vollender ſammelt, wie nimmt

Des neuen Aeoons Herrlichkeit euch auf!

Schnelle, abwechſelnde Strophen.


1.
[figure]

Zema, du kamſt! toͤne das Lied zu dem Pſalter,

Zema, du kamſt! ſo ergieſſe, durch des Feſtes

Lauben, ſich der Geſang des Bundes,

Zema, du ſtarbſt! und erſtandſt!

A 52.
[10]Vom gleichen Verſe.
2.
[figure]

Labyrinth war, Erben, der Weg an dunkeln

Felſen empor; Grabnacht huͤllt’ ihn euch ein:

Das Blut der Entſuͤndigung rann;

Und Gericht haͤlt, wer erloͤſt ward!

Minna.

Jn welchen Verſen wechſelten dieſe beyden Stro-
phen ab?


Selmer.

Jede in dem dritten. Die erſte ließ in dieſem
Verſe ein wenig an Schnelligkeit nach; die andre nahm auf
gleiche Weiſe zu.


3.
[figure]

Gott ſey und dem Lamm ſey, das erwuͤrgt ward, Anbetung!

Jubelpreis dem erhabnen Sohn! Du entriefſt der Nacht

Der Verwerfung, die der Tod traf! o wir ſind

Entflohn dem Abgrund des Verderbens!

4.
[11]Aus einer Abhandl. vom Sylbenmaaße.
4.
[figure]

Ach zu dem Triumph ſchweben wir empor,

Engel, und ihr, Erben des Lichts, kommen zu des Sohns

Himmelsgang! Du o Tod, du Flug zu dem Genuß!

Graͤber, und ihr Graun, Wonne ſeyd ihr, Himmel und

ſein Heil!

5.
[figure]

Wie die Freude, wie die Wonne, wie des Triumphs

Jnniges, jauchzendes, heiliges Lied

Nachhallen? wie den Preis

Der Vollendeten am Thron?

6.
[figure]

Schwinge dich empor, Seele, die der Sohn zu des Lichts

Erbe ſich erſchuf! ſelige, die verſoͤhnt Jeſus hat!

Sing ins Chor der Vollendeten am Thron!

Stammelten ſie nicht auch Laute, wie du, bebenden Geſang?

Der
[12]Vom gleichen Verſe.

Der Schluß des zweyten und der Anfang des dritten Verſes
machen in dieſer Strophe die Abwechslung aus. Wenn
der zweyte mit einem Daktylus ſchloͤſſe, und der dritte in
Einem fortliefe, ſo naͤmlich:

[figure]

, ſo wuͤrde
die verminderte Schnelligkeit unmerklich ſeyn, und die alsdann
zu ſchnelle Strophe zu den ſteigenden gehoͤren.


7.
[figure]

Donnr’ es, o Geſang, in der Nacht

Schrecken hinab, zu Gehenna’s Empoͤrer hin:

Die am Staub’ einſt Elend, und der Tod traf,

Sie erwachen zu dem Schaun!

8.
[figure]

O Aufgang aus der Hoͤh, o des Herrn Sohn! du o Licht

Von dem Licht, der erloͤſt hat, doch dereinſt auch auf den Thron

Des Gerichts mit der Wagſchaal ſteigt, und es waͤgt

Was gethan hat, wem umſonſt floß Golgatha’s Blut.

Lang-
[13]Aus einer Abhandl. vom Sylbenmaaße.

Langſame, ſteigende Strophe.


[figure]
O der Angſt Stimme, die herrufend vom Abgrunde

Dumpf toͤnet’, aus Staubwolken zu Licht aufklagte!

Und nunmehr ſterbend noch graunvoller ſchwieg, furchtbarer,

Verſtummt, ſchrecket’, als hinſinkend ſie Wehklag’ ausrief!

Langſame, ſinkende Strophe.


[figure]
Meer, du ſtandſt! Gott gebot’s! Tagwolke,

Nachtwolke ſchwebt’ hinten nach dem Heer

Des Geſezvolks. Gott erſchrekt’, und traf

Pharao’s Roß und Mann von der Wolke.

Langſame, abwechſelnde Strophen.


1.
[figure]

Poſaunrufen der Heerlager, die ernſtanbetend

Fortzogen, umſcholl wehdrohend der Palmſtadt Thuͤrme:

Der Todstag kam dunkel, und des Herrn Heer zog

Und es ſank fuͤrchterlich aufdonnernd Jericho!

2.
[14]Vom gleichen Verſe.
2.
[figure]

Seldſtaͤndiger! Hochheiliger! Allſeliger! tief wirft, Gott!

Von dem Thron fern, wo erhoͤht Du der Geſtirn’ Heer ſchufſt,

Sich ein Staub dankend hin, und erſtaunt uͤber ſein Heil,

Daß ihn Gott hoͤrt in des Gebeinthals Nacht.

3.
[figure]

Geh unter, Stadt Gottes, geh unter!

Jn Kriegsſchrein! in Rauchdampf! und Glutſtrom!

Verſink, ach! die des Herrn Arm von ſich wegſtieß,

Sey Truͤmmer, Stadt Gottes!

4.
[figure]

Die Gott raͤcht, in Geſtirnglanz, Gluͤkſelige,

Jn des Heils Kleid, ausduldende Maͤrtyrer,

Zu dem Erb’ in dem Lichtreich, kommt freudig ihr,

Die Gott raͤcht, von dem Nachtthal her!

5.
[15]Aus einer Abhandl. vom Sylbenmaaße.
5.
[figure]

Sie find’s, ach! die wehdroh’nd der Aufruf ſchreckt,

Sie ſtehn auch von dem Tod’ auf! O verſchloͤß Nacht ſtets

Und das Graunthal der Verweſung

Die des Throns Ausſpruch in den Abgrund ſtuͤrzt!

Schnelle, ſchwebende Strophe.


[figure]
Liebe des Sohns, himmliſches Heil, dem Verſtande

Goͤttliches Licht! vom Altar Glut dem Gefuͤhle!

Tag, der erwacht, in das Meer nicht unterzugehn.

Der Erloͤſten ewiger Tag, Liebe des Sohns!

Die Bemerkung des Ohrs muß oft ſehr fein ſeyn, die den
Unterſchied, zwiſchen der abwechſelnden Strophe, und der
Strophe des Uebergangs macht. Jch wuͤrde, wenn ich
nicht in Geſellſchaft ſo genauer Unterſucher waͤre, einige der
letzten Art abwechſelnd nennen. Die Strophen des Ueber-
gangs
[16]Vom gleichen Verſe.
gangs ſind ſich darinn unaͤhnlich, daß der Uebergang, bald
durch einen oder zwey Verſe, bald auch nur durch Einen
Rhythmus; bald aber in jedem Verſe durch veraͤnderte lang-
ſamere oder ſchnellere Rhythmen, gemacht wird. Jch ver-
lange eben nicht, daß Sie, indem ich vorleſe, an dieſes alles
denken ſollen; es iſt mir genug, wenn Sie nur auf den Ein-
druck Acht haben, den die Bewegung der Strophen auf Sie
macht. Gleichwohl will ich die, welche in jedem Verſe
uͤbergehn, zuletzt leſen. Dieſe Strophen ſind, in einer ge-
wiſſen Betrachtung, ſchwebend. Bey den eigentlichen
ſchwebenden Strophen bleibt ſich entweder die Schnelligkeit
oder die Langſamkeit gleich; und bey jenen das Uebergehen-
de.
Doch ſparen Sie dieſe, und alle andre Anmerkungen,
fuͤr die zweyte Leſung auf; und hoͤren jetzt.


Uebergehende Strophen.


1.
[figure]

Fanget bebend an, athmet kaum

Leiſen Laut; denn es iſt Chriſtus Lob,

Was zu ſingen ihr wagt. Die Ewigkeit

Durchſtroͤmt’s, toͤnt von Aevon fort zu Aeoon!

2.
[17]Aus einer Abhandl. vom Sylbenmaaße.
2.
[figure]

Gott ſey, ja dem Sohn ſey, der zu Gott geht, Anbetung!

Werft die Krone, werft, Engel, auch ihr

Jn Triumphgange die Palme,

Daß der Herr ſie euch gab, nieder am Thron!

3.
[figure]

Sie verſinkt, ſie verſinkt Babel! Der Taͤuſcherin

Gefuͤllt iſt mit Gifttrunk, ſchnelltoͤdend ſchaͤumt

Jhr Kelch auf! O es fuͤllt dir, Babel, dafuͤr

Des Gerichts Kelch vollmeſſend, der wiedervergilt!

4.
[figure]

Wo erhoͤht Er in dem Lichtreich, im Glanz thront, dort

Stieg er herab, und den Gerichtsruf donnerte ſein Heer!

Und die Grabnacht gab, die ſie wegnahm, her,

Da des Gerichts Ruf toͤnt’, und das Gebirg einſank.

IVBand. B5.
[18]Vom gleichen Verſe.
5.
[figure]

Todt’, erwacht! Todt’, erwacht! Der Gerichtstag hallt’s,

Der Aufruf der Erndter, das Gefild

Ertoͤnt froh; der Staub hoͤrt’s da, wo er ſanft

Schlummert, hinſchallen; Schutzengel rufen ins Gericht!

6.
[figure]

Jhr lieft nicht die Laufbahn des Erdulders,

Des Pilgers, da hinab nicht, wo der Tod war;

Jhr Unſterblichen, ſahet das Grab

Nicht eroͤfnet, und gefuͤllt mit Gebein!

7.
[figure]

Gerichtsdonner, ach zu furchtbar toͤneſt du

Jn die Grabmale! Laͤngrer, ewiger Schlaf

Jſt ihr Flehn; aber ſie kommen aus der Nacht

Und wehklagen: O falle, Gebirg, deck’ uns!

8.
[19]Aus einer Abhandl. vom Sylbenmaaße.
8.
[figure]

Da ihr Gang Flug, und ihr Ausruf Geſang ward der Entzuͤckung,

Da vom Gefild’ her ſich ihr Triumphzug zum Gerichtsthron

Emporſchwang, nahm zu dem Erb’ auf Er, den am Kreuz

Gott ſah’,

Jn das Lichtreich auf, die des Altars Blutruf vom Gericht losſprach!

9.
[figure]

Wehklagen, und bang Senfzen vom Graunthale des Abgrunds her,

Sturmheulen, und Strombruͤllen, und Felskrachen, das laut

niederſtuͤrzt’,

Und Wutſchreyn, und Rachausrufen erſchell dumpf auf!

Wie der Strahl eilt, ſchwebten wir ſchnell, und in Wehmut fort.

10.
[figure]

Am Thron rollt die Heerſchaar, als goͤß ſie ein Meer weit aus,

Des Gerichts Buͤcher voll Ernſt auf; und die Glanzſchrift er-

ſchreckt fernher!

Eilet empor, Erſtlinge, ſchwebt den Triumphflug, kommt,

Richtet mit dem, welchem ſich die Hoͤh, und das Gebeinthal buͤckt!

B 211.
[20]Vom gleichen Verſe.
11.
[figure]

Begleit’ Jhn zum Thron auf, o Lichtheer,

Mit der Harf’ Jhn, der Poſaun’hall, und dem Chorpſalm,

Jeſus, Gottes Sohn! Menſchlich iſt Er!

Gnaͤdig! das rufeſt du laut, blutiger Altar!

12.
[figure]

Goldpalaſt, und bemooſt Dach ſtuͤrzen ein!

Jm Erdgrab’, und Weltmeer, wer entſchlummert

Schon lang lag, der erwacht; wer lebet, hoͤrt

Graunvolles Erdbeben, ſtirbt! und erwacht!

13.
[figure]

O ſie kommen herauf! Muͤhſam wandelten ſie

Jn des Tods bangem Nachtpfad; gluͤckliche, befreyt,

Entfloͤhn ſind ſie weit weg vom Elend! und Entzuͤckung

Jſt ihr Weinen da herauf, Wehmut himliſcher Ruh!

14.
[21]Aus einer Abhandl. vom Sylbenmaaße.
14.
[figure]

Ernſt iſt er des Gerichts dunkler Tag;

Todesgang und des Sturms Flug eilt des Herrn

Gerichtstag! Prophezeihung gegen ſie,

Bewoͤlkt einſt, Prophezeihung, wie erfuͤllt Gott dich!

15.
[figure]

Das Gewand weiß, bluthell hob zum Thron

Sie ſich empor, ſtand ernſt, anſchaunſelig da,

Schimmerte die Braut! Sanften Ton, feſtliche Melodien,

Freudigeres Gefuͤhl, ſtroͤmtet ihr, Donnerer in dem Gericht!

Von der joniſchen Versart.


Selmer.

Sie kennen den ſchoͤnen Rhythmus des Joni-
kus. Jch habe eine mir mitgetheilte Versart nach ihm ge-
nannt. Ein großer Dichter koͤnnte ihr, durch ein Gedicht
von vielem Jnhalte, ſeinen Namen geben; und ſo wuͤrde ich
gar nichts dawider haben, wenn ſie ihre griechiſche Benen-
nung verloͤre. Jhr Schema iſt:


[figure]

B 3Der
[22]Vom gleichen Verſe.

Der Jonikus iſt der herrſchende Fuß; nach ihm kommen
der Anapaͤſt und der Baccheus von ungefaͤhr gleich oft vor.
Da die beyden erſten ſchon ſo viel Bedeutung haben, ſo durfte
ein Dritter, nur unter der Bedingung einer großen Aehnlich-
keit mit dem herrſchenden, hinzukommen.


Werthing.

Aber warum wurde, eben dieſer Aehnlich-
keit wegen, der Baccheus nicht zum zweyten nach dem herr-
ſchenden gemacht, und der Anapaͤſt merklich ſeltner gebraucht?


Selmer.

Weil die Versart auf dieſe Weiſe Eintoͤnig ge-
worden waͤre. Der Jonikus iſt nicht in der erſten Abtheilung;
weil er ſonſt zu oft vorkommen, und alſo zu ſtark wuͤrde ge-
hoͤret werden. Der vierte iſt ohne den Anapaͤſt, weil der Schluß
des Verſes den Hauptton der Versart haben ſoll. Der Baccheus
darf nur ſelten fuͤr den Jonikus in der vierten Abtheilung ge-
ſetzt werden; es muß aber auch nicht zu ſelten geſchehn, damit
der Schluß des Verſes zwar merklich, aber auch nicht Eintoͤ-
nig ſey. So oft nach der Regel, und nach der Erlaubniß,
aͤhnliche Fuͤſſe mit einander abwechſeln zu laſſen, der Didy-
maͤus fuͤr den Jonikus ſteht (in der vierten Abtheilung ſteht
er niemals) ſo iſt er allezeit ein Wortfuß, damit er dem Verſe
ſeinen Hauptton nicht nehme. Ueberhaupt ſind die Fuͤſſe in
dieſer Versart oft Wortfuͤſſe. Jhr ſchnellſter Vers iſt:


[figure]

O entfleuch zum Gebein, ins Gefild, wo die Schlacht ſchweigt, Erobrer!

der langſamſte:

[figure]

Und ruf dort dir ſelbſt, Wuͤrger, Weh zu, daß des Herrn Zorn

nicht donnernd

und
[23]Aus einer Abhandl. vom Sylbenmaaße.
und vielleicht der ſchoͤnſte:

[figure]

Dir aufſteh, du den Wehruf des Gerichts von dem Thron her

nicht todt hoͤrſt.

Werthing.

Zu dem Schluſſe eines Verſes ſcheinen mir
ſieben Sylben, davon noch dazu viere lang ſind, zu viel zu
ſeyn. Man hoͤret nur den letzten Fuß als Schluß.


Selmer.

Es kommt nur darauf an, daß der Jonikus vor
dem letzten Fuſſe gewoͤhnlich wieder gehoͤrt werde. Ob Sie dieſe
beyden letzten Fuͤſſe den Schluß, oder die letztere kleinere Haͤlfte des
Verſes nennen, entſcheidet in Abſicht auf ſeinen Rhythmus nichts.


Werthing.

Der joniſche Vers ſcheint mir ein wenig zu
lang zu ſeyn.


Selmer.

Jch vermuthe, daß Sie den Hexameter zum
laͤngſten Verſe annehmen, der gemacht werden darf. Wenn
dieß der Entſcheidungsgrund ſeyn ſoll, ſo iſt der jon ſche Vers
zu lang. Der Herameter hat, wie Sie wiſſen, beſtaͤndig
vier und zwanzig Zeiten; der joniſche wechſelt von acht und zwan-
zig bis zu zwey und zwanzig ab. Wenn er Jnhalt hat, und nicht
bloß wegen ſeines ſtarktoͤnenden herrſchenden Fuſſes eine gewiſſe
Fuͤlle der Declamation erfordert; ſo ſcheint er mir nicht zu
lang zu ſeyn.


Werthing.

Man koͤnnte, deucht mich, auch das an ihm
tadeln, daß er nicht beſtaͤndig eben dieſelben Zeiten hat.


Selmer.

Tadeln Sie es an Sophokles Verſe, daß ſeine
Abwechſlungen von ein und zwanzig bis zu achtzehn zuruͤck gehn?
oder an den andern Sylbenmaaßen der Griechen, die wir mit ein-
ander unterſucht haben, daß die Zahl ihrer Zeiten ungleich iſt?


Werthing.

Wenigſtens iſt es ein Vorurtheil gegen die
joniſche Versart, daß die ſchoͤnſte Versart der Griechen, ihre
epiſche, in jedem Verſe gleiche Zeiten hat.


B 4Selmer.
[24]Vom gleichen Verſe.
Selmer.

Jch glaube nicht, daß der Erfinder des Hexa-
meters an die Gleichzeitigkeit ſeiner Fuͤſſe gedacht hat. Sie
wird nur von denen, und zwar nur einigermaßen gehoͤrt, welche
die Anmerkung, daß ſie da iſt, gemacht haben. Was ſagen Sie,
Minna? ſcheinen Jhnen dieſe beyden Verſe, die im Homer
aufeinander folgen, gleichzeitig zu ſeyn:


[figure]
Tlaͤton gar moirai thuͤmon theſan anthroopoiſin.
[figure]

Avtar hog’ Hektora dion epei philon aͤtor apaͤura!


Minna.

Mir ſcheint der erſte viel laͤnger zu dauern, als
der zweyte.


Werthing.

Aber bey Verſen, die nicht ſo ſehr contraſti-
ren, als dieſe, iſt die Gleichzeitigkeit merklicher.


Selmer.

Jch habe Jhnen ſchon zugeſtanden, daß diejeni-
gen, welche die Anmerkung gemacht haben, die gleichen Zeiten
einigermaßen hoͤren koͤnnen. Aber ich frage Sie: denken Sie
daran, wenn Sie den Homer declamiren?


Werthing.

Das thu ich freylich nicht.


Selmer.

Ueberhaupt ſeh ich die Gleichzeitigkeit des Hexa-
meters nur als eine Mannichfaltigkeit weniger an. Jch wuͤrde
ſie ein zu kuͤnſtliches Ebenmaaß nennen, wenn ſie merklicher waͤre.


Werthing.

Nicht jede Mannichfaltigkeit iſt eine Schoͤnheit.


Selmer.

Aber diejenige, nach welcher die Verſe ungleiche
Zeiten haben, iſt es deßwegen, weil ſie etwas dazu beytraͤgt,
daß der poetiſche Periode nicht immer in gleiche Abſaͤtze ge-
theilt wird. Die Regel, daß der Kuͤnſtler die Kunſt verber-
gen muͤſſe, fodert hier die Verbindung der Aehnlichkeit mit
der Gleichheit. Sonſt muß ich von dieſer Versart noch an-
merken, daß ſie durch ihren ſtarken Rhythmus nahe ans Lyri-
ſche graͤnzt.



Der
[[25]]

Der
Meſſias.

Sechzehnter Geſang.


B 5
[[26]]

Jnhalt
des ſechzehnten Geſanges.


Der Meſſias hat die Auferſtandnen und Engel auf Tabor verſam-
melt. Er offenbart ſich ihnen, als den Richter, und als den
Beherrſcher der Welt. Er haͤlt uͤber die Seelen derer, die vor kur-
zem geſtorben ſind, das erſte Gericht. Bald werden ganze Schaa-
ren und bald einzelne Todte gerichtet. Jndem dieß Gericht gehalten
wird, kommt der Schutzengel eines Sterns, der verwandelt werden
ſoll, und bittet, daß er die Verwandlung beſchleunigen duͤrfe. Nach-
dem das Gericht wieder einige Zeit gedauert hat, wird ein Juͤngling
von dem Geſchlechte der unſchuldigen Menſchen, der aber geſuͤndigt hatte,
vor den Meſſias gebracht. Das Gericht waͤhrt fort. Der Meſ-
ſias ſteigt zur Hoͤlle hinunter, und beſtraft die gefallnen Geiſter.


[[27]]
Der Meſſias.
Sechzehnter Geſang.


Der miskennet den ewigen Sohn, den Herrlichen Gottes,

Der es nicht weis, daß durch Jhn, und fuͤr Jhn, der

Vater die Schoͤpfung

Schuf, und daß Er der Schaarenheere, die zaͤhlbar nur Jhm ſind,

Jener, die gluͤckſeligkeitfaͤhig Verſtand und Wahl macht,

Herrſcher iſt, ſo lange bis einſt, aus aller Welten

Labyrinthen, die Wege des Ewigen alle, zu Einem

Großen Ziele, der Seligkeit Aller, heruͤberkommen.

Haͤtt’ am Kreuze nicht Er gerufen: Es iſt vollendet!

O ſo koͤnnte das Heer ohne Zahl der Erſchaffenen, ganz dann

Selig, dereinſt durch die Himmel: Es iſt vollendet! nicht rufen.

Aber, als er zu ſchaffen beſchloß, beſchloß er zu ſterben.

Jeſus
[28]Der Meſſias.
Jeſus Chriſtus, der goͤttliche Sohn des ewigen Vaters,

Und der Menſch, ſtieg wieder hinauf zu der Hoͤhe des Berges,

Welcher, bis er ſich zur Rechte des Vaters erhuͤbe, ſein Thron war,

Sieh, ein Thron auf Erden; und doch des Herrſchers der Welten!

Unter ihm bebt’, und leuchtete Tabor. Die Auferwekten

Standen um ihn, und ferner, als ſie, die Cherubim Gottes.

Offen waren die hoͤhren Kreiſe gegen des Himmels

Allerheiligſtes. Chriſtus ſtand in der Mitten, und lehnte

Sich an einen bemooſten Felſen, der neben ihm ruhte,

Nicht der Leidende mehr! Vor ihm, verloſchen der Vaͤter

Und der Engel Schimmer, in werdende Daͤmmrung; Eloa’s

Lichtausgieſſende Morgenroͤthen, in Sommermondnacht,

Aber ſo oft ſein Auge voll Gottheit blickte, ſo ſaßte

Suͤſſes Gefuͤhl der Endlichkeit Alle! ſo ſtanden ſie Alle

Gern auf ihren Stufen, auf die, in der Reihe der Weſen,

Er ſie geſtellt! ſo fuͤhlten, durch ihn, ſie Alle ſich ſelig!

Siehe, der Cherub verſtand den Wink in gewendetem Antliz

Chriſtus, und ſchwebte dahin. Bald kam er mit Seelenſchaaren

Wieder, ihr Fuͤhrer, der Todten, die, ſeit des goͤttlichen Sohnes

Auferſtehung, waren geſtorben, und deren Leichen

Graͤber izt Weinende gruben, oder dem Staube die Urnen

Mit der Cypreß’ umwanden. Die Blume bluͤhet, mit welcher

Einiger Graͤber Geliebte nun bald beſtreuen, und dennoch

Jſt ſchon reif das Gericht des Todten im blumigen Grabe.

Chriſtus Geſendeter fuͤhrte die Seelen nach Tabor hinuͤber.

Wie der Gewitterregen, im Sonnenſtral hier heller,

Truͤber dort, wo es mehr ſich woͤlkt, von dem Himmel herabfaͤllt;

Oder
[29]Sechzehnter Geſang.
Oder wie, wenn in einer erhabneren feurigen Seele

Leidenſchaft kaͤmpft, und Vernunft, ſie Gedanken zu Schaaren um-

ſchweben,

Wahre Gedanken, und falſche, doch dieſe mit Mienen der Wahrheit

Taͤuſcher, darein von der Leidenſchaft Zauberſtabe verwandelt.

Nahe waren dem erſten Gericht die Seelen gekommen.

Und ſie ſchwebten vor Chriſtus, und riefen ihr ſchnelles Erſtannen

Freudig aus, und bang, als ſie, den Gott in der Mitte,

Und die Goͤtter um ihn erblickten. Der Herrſcher der Welten

Sprach: Wer ſeyd ihr Seelen? und dumpfes vermiſchtes Geſchrey rief.

Wer ſie waͤren; beſcheidenes Urtheil uͤber ſich ſelber,

Stolzes mehr: allein in dem Antliz des ſtralenvollſten

Unter den Goͤttern, ſahen ſie bald, daß Jhm ſie vergebens

Sich verbuͤrgen. Und einige Goͤtter ſonderten Seelen

Aus dem Haufen, und brachten ſie naͤher dem oberſten Gotte.

Und der Richter richtete. Schnelle Worte geboten,

Schnellere Winke den Engeln. Die Engel zeugten, enthuͤllten

Flammenſchrift; bald rollten ſie wieder die Buͤcher zuſammen;

Streuten nur wenig umher des furchtbaren Glanzes. Die Seelen

Redeten, ſchwebten verſtummt. Kurz war das Urtheil des Richters!

Traf gleich Blitzen! umglaͤnzte mit Wonne, wie Stralen des Tages

Den, der blind war, oder ſein Wink gebot auch den Engeln

Nur den Weg, den hinauf die Seelen, oder hinunter

Wandeln ſolten. Es fuͤhren der Wege viele zum Abgrund,

Viele gen Himmel, einige waͤhren Aeonen, und Stunden

Einige. Dort entdecken es ihnen der Welten Bewohner,

Laſſen es hier die Seelen ſelbſt erforſchen, warum ſie

Sich
[30]Der Meſſias.
Sich hinauf zu dem Throne Gottes ſchwingen, warum ſie

Ach! hinab in den Abgrund ſinken. Der naͤheren Seelen

Viele riefen, und ſtuͤrzten in Tabors Staub ſich nieder.

Riefen: Jupiter, Gott des Donners! erbarme dich unſer!

Brama! Tien! Allvater! wir fehlten, ſuͤndigten, irrten,

Zevs Kronion! Goͤtterbeherrſcher, erbarme dich unſer!

Aber dem wartenden Cherubim gab der Erloͤſer Befehle:

Der vom Euphrates ſteigt, von des Libanons aͤuſſerſtem Sterne,

Bis zu der ſiebenden Ceder des Haines hinauf. Geſuͤndigt

Hat er viel; allein ſtark war die Reizung, und heftig

Seine Seele. Wenn er des Phiala Stralen ſich naͤhert,

Soll der Bewohner des Sterns des Verſoͤhners Namen ihn nennen.

Dieſes vom Ganges Seele war truͤb’, und zu weich, er hatte

Keine Gewißheit. Er ſteigt hinauf bey dem Hermon. Den Richter

Nennt ihr ihm nie, und fruͤher als jenem den Suͤndenverſoͤhner,

Bey dem Schimmer Engeddi … Was neigſt du ſo tief in den Staub dich?

Bis zur Unmenſchlichkeit ſtolz war dieſer. Fuͤhrt ihn zur Hoͤlle,

Eh’ ich des Oelbergs Gipfel betrete … Jupiter, hoͤre!

Zuͤrne nicht ſo! Er ſank in ſchneller Betaͤubung nieder.

Haͤtteſt du deinen Freund nicht verrathen; ſo fuͤhrte der Engel

Dich nicht hinab. Zween Winke noch lehrten den fuͤhrenden Engel.

Gebt dem redlichen Manne die Palme fruͤher, ſo bald er

Neben der Quelle Bethlehems ſchwebt. Du glaubteſt, Allvater

Lohne. Groͤſſer iſt Gott, als du ihn, Redlicher, dachteſt.

Wacht’ er zu Schlachten nicht auf? und legt er zu Traͤumen

von Schlachten

Sich nicht nieder?.. Schnell war der Blick des Gebieters, und ſchnell war,

Der
[31]Sechzehnter Geſang.
Der den Blutigen fuͤhrte … Dem ſtillen Verlaͤumder, daß dieſem

Jeder ſchlangenzuͤngige Laͤſtrer der Hoͤll’ entgegen

Ziſche! Stuͤrzet ihn, Engel, hinab in die unterſte Hoͤlle!

Eilend kam ein Cherub herab aus der Ruhſtat Gottes;

Und wie die wehenden Locken ihm flogen, die Wangen ihm gluͤhten,

Sank er, vor Jeſus Chriſtus, dem Weltbeheirſcher, zur Erde.

Mitler, der Stern, deſſen Huͤter ich bin, erhebt zu dem Ziele

Seiner Wandlung ſich bald. Des hohen Sternes Bewohner

Haben ſchon Vorempfindung von ihrem Schwunge zum Urlicht;

Aber ſie halten den Durſt, aus ſeinen Stroͤmen zu ſchoͤpfen,

Kaum noch aus. Zwar iſt ihr Gefuͤhl der Seligen Gottes;

Dennoch iſt es Begnadung, wenn du ſie fruͤher hinauffuͤhrſt!

Darf ich Gethſemane ruͤhren und ſeine Palmen; ſo zittern

Wankender meine Pole, ſo ſinken die Pfeiler der Tiefen

Eh, und mit ihnen hinab die Paradieſe des Sternes.

Ruͤhre Gethſemane, Ch’rub und ſeine Palmen. Der Engel

Eilte dahin, das Geſtirn, daß es fruher ende, zu ruͤhren.

Kermath kam ſein Engel entgegen, und laͤchelt’ ihm Liebe,

Sagte: Du warſt fuͤr die Menſchen, mit denen du lebteſt, zu edel,

Guter Kermath. Das wars, daß ſie dich verkannten, und haßten.

Trockne ſie nun die Zaͤhren, die du, mit innigem Schmerze,

Wegen dieſer Verkennung in deiner Einſamkeit weinteſt.

Komm, den Lohn zu empfahn, den dieſe Guͤte des Herzens,

Dieſe Geduld dir erwarb. Blick auf! (er wies nach dem Sterne)

Dort wirſt du auf der erſten Stufe der Seligkeit ſtehen!

Aber du ſteigſt, die Ewigkeit durch, von Stufe zu Stufe,

Jmmer von Helle zu Licht, von Freude zu Wonne!.. Sie ſchwebten

Mit
[32]Der Meſſias.
Mit einander empor zu der erſten Stufe des Frommen.

Einer von Jndiens Koͤnigen war geſtorben. Die Seele

Wallte, noch ganz nicht wach von dem letzten Schlummer des Todes,

Saͤumete, daͤucht’s ihr, in langen unabſehlichen Gaͤngen.

Jezo erwachte der Todte vom Schlummer, von ſeiner Groͤße

Wahne noch nicht, von ihrem Taumel noch immer ergriffen.

Aber wo ſind denn die Seelen der Sklaven, deren Gebeine

Aus der Aſche der duftenden Staude die Lebenden laſen,

Weineten, daß man ihre Gebeine nicht laͤſe? wo ſind ſie,

Daß ſie den |todten Satrapen, ihr Herrſcher komme! verkuͤnden?

Einſam wallt’ er hervor aus der daͤmmernden Gaͤnge Gewoͤlben

Jn die Freye des Himmels, und ſahe gegen ſich uͤber

Einen Unſterblichen ſtehn, deß Recht’ ihm winkte zu weilen.

Auf den verwunderten ſahe der himmliſche Juͤngling, mit Laͤcheln,

Doch mit beginnendem nur, herunter. Folge von Ferne

(Sagte zum Herrſcher der Engel) dem Schimmer, welchen du ſehn wirſt

Hinter mir ſich verbreiten. Er mußte folgen, und bald ſtand

Er in der Seelen dichteſtem Drang’, und wurde gerichtet!

Ach hier find’ ich gewiß, hier find’ ich Rettung! denn Goͤtter

Seh ich hier; und ihr ſeyd gerecht, ihr ewigen Goͤtter!

Menſchen ſind das nicht! ſind Haſſer, Verfolger der Unſchuld,

Blinde! verkennen, wer redlicher iſt, wer beſſer als ſie iſt!

Rief ein abgeſchiedener Geiſt, und wurde belohnet.

Gelimar lag auf dem Sterbelager, ein feuriger Juͤngling,

Recht in der vollen Morgenroͤthe des Lebens. Sein Freund ſtand

Neben ihm, reicht’ ihm Kuͤhle des Quells in brennendem Durſte.

Gelimar ſprach: Auf ewig! was waͤhneſt du anders? auf ewig

Jſt
[33]Sechzehnter Geſang.
Jſt es, daß wir uns trennen! So ſind die Looſe gefallen

Jenes Baumes, und jener Blume, des ſterbenden Juͤnglings

Hier, den du liebeſt, und deins, und aller, die Sterblichkeit athmen!

Alles iſt aus, voruͤber, wenn wir verwelken, verdorren,

Sterben! alles vergangen, als waͤr’ es niemals geweſen!

Juͤngling! was ſoll der weinende Blick voll Troſtes? Du wilſt doch

Mich nicht etwa troͤſten? Was ſoll mir Troͤſtung? ich ſterbe!

Troͤſte dich, daß du leben moͤgeſt! Jch fuͤrchtet’ es lange,

Aber ich dacht’ es nicht oft, in der Freude der bluͤhenden Jahre;

Ach nun iſt es gekommen, und ich muß wallen, hinunter

Etwa ins Grab? ich walle nirgend hin! Denn ich bin dann

Aufg’loͤſet, ein Nichts! Du wirſt dem verweſenden Leichnam

Doch den Namen des Freundes wohl nicht, der dich liebete, geben?

Ehmals ſchonet’ ich deiner Thraͤnen; itzt kenn’ ich kein Schonen,

Selber deiner Thraͤnen nicht mehr! Mit eiſernem Arme

Faſſet der Tod! und eiſern wird des Sterbenden Seele!

Ha, er iſt entſetzlich der ſchwarze Gewittergedanke,

Daß ich ſterben muß! hinſtuͤrzen muß, und verweſen!

Hoͤre, vernimm, bewahre des Scheidenden Wort, du Geliebter,

Wie ein Krieger, den Schild: Ach, daß ich ſterbe, vergehe!

Klag’ ich die Goͤtter nicht an. Wir Armen ſind zu geringe

Zu der Unſterblichkeit! Eile nun hin, und ſchoͤpfe der Quelle

Ganzen Strudel mir aus, damit ich noch Einmal mich labe,

Oder, wird es mir Tod, gleich ſterbe. Sein Freund gebietet,

Und ſie bringen ihm dar die volle Schaale des Todes.

Bleicher ward er, und ſchwindelt’, und zittert’, und ſtarb. Die getrennte

Seele ſchlummerte fliehenden Schlaf von der letzten Erſchuͤttrung.

IVBand. CAch
[34]Der Meſſias.
Ach ſie ſchwung ſich empor! Schon ſtroͤmte des lauten Erſtaunens

Donnerruf! ſchon floß der freudigen ſuͤßen Verwundrung

Silberſtimme. Jhr Goͤtter, unſterbliche Goͤtter! iſts moͤglich?

Goͤtter der Sonn’ und des Mondes, iſts moͤglich? ich lebe? der todt war,

Lebet? ihr Goͤtter der Erd’, und des Himmels, und aller Sterne!

Ach ich bin! kein letzter Traum des ſierbenden Leibes

Jſt es! ich bin! und dieſer kein Leib, der wie Blumen verwelket.

Heilige, heilige Goͤtter! der Sonne Goͤtter, des Mondes,

Und der Sterne, die dort mir immer herrlicher ſtrahlen!

Ach wo ſeyd ihr? wo ſuch’ ich euch auf? wo ſtuͤrz’ ich mich nieder?

Weine Dank, daß ich bin! und nun auf immer, ihr großen,

Ewigen Goͤtter? Wo klaget mein Freund? Zu weit von der Erde

Schweb’ ich! Wo jammert des Leidenden Herz, er werde vergehen,

Wie, den er liebte, vergieng? Vergehen, du Treuer, du Guter?

Warum ſtarb er nicht auch? Vergehen, meinſt du, du Treuer?

O die erhabenen, heiligen Goͤtter, die Schoͤpfer des Todes

Und des Lebens, die ewigen Goͤtter meynen es anders!

Darf ich hinunter ſteigen, den Hain beſuchen, in dem er

Mir mein Grab aufgraͤbt? mit Einer Labung zum Tod’ ihn

Letzen? und ihn mit mir herauf zur Unſterblichkeit fuͤhren?

Jezo erblicket’ er Weſen, welch’ ihm glichen; ſie ſchwebten

Nieder nach Tabor: auch andre ſah er, welch’ ihm nicht glichen;

Und die daͤuchten ihm Goͤtter zu ſeyn. Er eilet zu dieſen,

Sinkt anbetend nieder, und rufet: Jch bin! ach ich dank’ euch,

Preiſ’ euch, lieb’ euch, bet’ euch an, ihr ewigen Goͤtter,

Daß ich bin!.. Wir ſind Erſchafne … Geſtorben, wie ich? lebt

Nach dem Tode, wie ich? .. Gott iſt nur Einer. Er ſchuf uns,

Aber
[35]Sechzehnter Geſang.
Aber unſterblich. Folg uns jezt. Bald giebt dir Erkenntniß

Er, der Sonnen und Cherubim ſchuf, und Seelen der Menſchen.

Und er kam zum Verſoͤnenden, ruft’ ihm die erſten Jubel,

Folgte dem Fuͤhrer, den Pfad hinauf, den Gott fuͤr ihn auskohr.

Sonnen giengen auf, und Sonnen unter, und immer

Waͤhrte Chriſtus Gericht. Wie wechſelnde Regenſchauer,

Kamen die Seelen, izt dicht aus der Wolke ſtuͤrzend, izt traͤufelnd;

Trokneten weg in duͤrren Gefilden, oder entfloſſen,

Silberquellen, blumigen Huͤgeln. Der Himliſchen Wehmut,

Oder Wonne begleitete ſtets die Seelen, nachdem ſie

Aufſtieg, oder ſank die ſchikſalentſcheidende Wagſchaal.

Eines Koͤniges Burg war eingeſunken. Die Todten

Kamen. Luͤſtlinge waren ſie oder Tyrannen geweſen.

Einer nur hatt’ ein Herz. Der Schwarm umringt’ ihn, verbarg ihn;

Und er ließ ſie’s: nicht lang’, und er ſtand vor den Engeln allein da.

Wie ein redlicher Mann, den Verleumder umwoͤlken, verachtet

Sich zu vertheidigen, ſchweigt; denn bald verzieht das Gewoͤlk ſich.

Ach noch rauchet ſein Blut, noch rollt er das Auge, noch ſtarrt es

Ganz nicht hin, noch zukt ſein Gebein. Nun ſtrekt er dem Grabe

Voͤllig ſich aus, und entſchlaͤft. Er hatt’, in der Wut der Verzweiflung,

Gegen ſein Herz den wankenden Dolch gerichtet, zur Erd’ ihn

Niedergeſchmettert, ihn wieder ergriffen, mit furchtbarer Lache,

Blinken geſehn den Verderber; hatt’ Ahndung gehabt von Blute,

Schwarzem, eigenem Blute, mit Kaͤlte den Dolch auf den Herzſchlag

Angeſetzet, ihn langſam zuruͤckgezogen, mit hohem

Arme gezielt, und geſtoſſen, daß dumpf die eherne Bruſt ihm

War erſchollen, unter des fallenden Laſt erſchollen,

C 2War
[36]Der Meſſias.
War die Erde! Sein Geiſt ſtand jezt vor dem Richter, beſann ſich

Kaum noch, was jene Wolken, von vollem Monde beleuchtet,

Waͤren, was jenes Geſtirn, das die Wolken beleuchtete, waͤre.

Ach, und dieſe Goͤtter! Das wekt’ ihn. Die Himliſchen alle

Schauerten, zweifelten. Aber der Richter laͤchelt’ ihm Gnade!

Allmacht war ſein Laͤcheln, ſchuf um zu Wonne das Elend!

Manches Geſez, weil es leicht ihm ward, und in ſeiner Seele

Keine Neigungen waren, die ſich dawider empoͤrten,

Hatte Zadech erfuͤllt, und ſtolz war dieſer Getaͤuſchte

Auf den kuͤmmerlichen Beſiz, den er hatte, geworden,

Auf den Broſam gruͤnliches Brodt, den hoͤlzernen Becher

Aus der ſtehenden Lache gefuͤllt, die Huͤtte von Leimen,

Welche ſank, und den kupfernen Scherf. Wer den Armen verachtet,

Weh dem! aber auch Weh dem Manne des Elends, der ſtolz iſt

Auf ein wenig leichtere That! und ſelber dem Reichen

An weit ſchwererer, wenn er dabey mit ſtolzer Erwartung

Sich einſchlaͤfert, und Kronen des Lohns, am Ziele des Laufes,

Ohne Demut, ſich traͤumt. Den duͤrftigen Zadech verſenkten

Seine Genoſſen ins Grab; die Seele ſtand vor dem Richter.

Steig hinunter mit ihm … Der Cherub begann ihn zu fuͤhren,

Aber er ſtraͤubte ſich, wandte ſich, wollt’ entfliehen, vermochte

Nicht zu entfliehn, rief, redete, ſchwieg. Mich? der ſo vielen,

Allen Geſetzen gehorchte! der ich Belohnung erwarte!

Mich? Wer biſt du, o der mit den blutigen Stralen, der dieſen

Schreklichen Pfad mich fuͤhret? Verſtandeſt du den Befehl auch,

Der dir ward? Ha wuͤte nicht ſo! ich fuͤhle die Wendung

Deines Schwunges! fuͤhle das Drohn der toͤdtenden Augen.

Unge-
[37]Sechzehnter Geſang.
Ungerechter! du zwingſt mich. O moͤchten dich Naͤchte verſchlingen!

Flammen dich uͤberſtroͤmen, und deine Strahlen vertilgen!

Ha, wer biſt du? weiche von mir! riefs, trieb nach dem Cherub

Dunkles Gewoͤlk! Schnell, leuchtender Nebel, und ſchneller noch

Duft, ſchwand

Vor des Cherubs Glanz das Gewoͤlk. Der Fuͤhrende ſchwebet

Vorwaͤrts; die Seele fuͤhlet die Kraft des Unſterblichen, ſtraͤubt ſich

Gleichwohl, empoͤret ſich nach. Es gelang ihr, in eine der Kluͤfte

Drey Berghoͤhen hinab ſich zu ſtuͤrzen. Nun ſchonte der Cherub

Laͤnger nicht mehr. Sein Ruf war Donner geworden. Die Seele

Kam aus dem Abgrund bebend herauf, und folgte dem Fuͤhrer.

Heere ſchlugen. Die Fuͤhrer der Heere, Eroberer beyde,

Sanken. Umher in verſtummtem Gefilde lagen die Leichen,

Lagen die Wundenvollen geſtreckt. Wie Wolkenbruͤche,

Stroͤmten die Geiſter der Todten herzu, mit ihnen der Fuͤhrer

Geiſter. Der Richter der Welt erhub die Rechte, da ſtuͤrzten,

Schmetterten Donner herab auf die beyden groſſen Verbrecher!

Lange hallt’ es den Hochverraͤthern der Menſchlichkeit nach, dumpf,

Weit hallt’s nach, voll Entſetzens nach in die Kluͤfte Gehenna’s!

Melodieen, der ſuͤßeſten Wonne Geſpielinnen, ſtiegen

Jezt mit dem Lispel empor der Engelharfen. Denn erdlos

Kamen vom Ganges, vom Rheine, vom Niagara, und Nilus,

An den Cedern einher auf Tabor, Seelen der Kinder.

Wie von vielen und großen Heerden geſondert, an Einem

Langen Huͤgel hinab, genaͤhrt vom Fruͤhlinge, Laͤmmer

Weiden, ſo kamen einher an Tabors Haine die Seelen.

C 3Und
[38]Der Meſſias.
Und der Richter richtere nicht. Sie wurden der Wege

Viele gefuͤhrt, von Sterne gefuͤhrt zu Sterne, bevor ſie

Himmliſche Juͤnglinge nun erhabnere Pfade betraten.

Freuderufend erhob ſich die Seele Geltors, und ſchwebte

Mit dem fuͤhrenden Engel. Als ſie der wallenden Monde

Rauſchen nicht mehr vernahmen, nicht mehr der beſchweiften Kometen

Fliegendes Donnergetoͤſ, und die ſtille Heitre des Himmels

Naͤher den unbegleiteten Sonnen, erſchwebten; Geſtalten

Stiegen da auf, um Geltor, nicht ſie des ſinnenden Geiſtes

Bildern, nicht Traumerſcheinungen gleich; er ſah, er ſahe,

Was er Gutes im Leben, das nun gelebt war, und Frommes

Hatte gethan. Er lebt’ es wieder, doch ohne den Anblick

Seiner Fehler, und voll von dem Himmelsgefuͤhle, daß Gott es

Jhm belohne. Mit hochgefalteten Haͤnden des Preiſes,

Sieht er um ſich die Duͤrftigen, welch’ er labte, die Waiſen,

Die er zu taugenden Maͤnnern erzog, die Braͤute, die Freunde,

Schaaren der Freyen, fuͤr die in der Schlacht, ſie zu retten, ſein

Blut floß;

Und er wallt’ in der Heerſchaar fort, mit freudigem Rufen,

Und noch froherem Dank des ſuͤßen Laͤchelns, geſegnet.

Sonnen giengen auf, und Sonnen unter, und immer

Waͤhrte Chriſtus Gericht. Wie wechſelnde Regenſchauer,

Kamen die Seelen, jezt dicht aus der Wolke ſtuͤrzend, jezt traͤufelnd;

Trockneten weg in duͤrren Gefilden, oder entfloſſen,

Silberquellen, blumigen Huͤgeln. Der Himmliſchen Wehmuth,

Oder Wonne begleitete ſtets die Seelen, nachdem ſie

Aufſtieg, oder ſank die ſchickſalentſcheidende Wagſchaal.

Hagid
[39]Sechzehnter Geſang.
Hagid und Syrmion zuckten ihr Schwerdt auͤf einander,

und beyde

Taumelten hin in ihr Blut, und hauchten mit Zorne den Geiſt aus.

Jhnen klirrten aus ſichtbarer Nacht diamantene Ketten

Fuͤrchterlich, dumpf, fernher, ſie mußten ſich nahen, entgegen.

Einem Geiſte der Hoͤlle gebots ein Cherub; der fiel ſie

Wuthvoll an, und kettete ſie an einander. Des Abgrunds

Kluft, in welche ſie ſtuͤrzten, erſcholl von der Rufenden Falle.

Thoa, ein Juͤngling auf jener Erd’ in der Ruhſtat Gottes,

Wo die Suͤnde nicht iſt, der Tod nicht, ſchaute dem Engel,

Der ihn traurend verließ, mit Erſtaunen nach. Doch bald ward

Sein Erſtaunen zu Schrecken. Er hatte wider den Schoͤpfer,

Und den Mittler Klage geklagt, mit Klage begonnen,

Mit Empoͤrung geendet, daß denen Leiden des Todes

Bliebe, die doch aus dem Grabe zur ſeligen Ewigkeit kaͤmen!

Und er ſchaute beſtuͤrzt umher, er erblickt’ in dem Thale

Choͤre Feyrender, welche, mit junger Bluͤthe gekraͤnzet,

Jn den maͤchtigen Stroͤmen der himmliſchen Harmonieen

Fortgeriſſen, von lieblichen Reihen der Wonne befluͤgelt,

Gottes Pfad in dem Labyrinth der Beſeligung ſangen.

Und er wallet’ hinab, von ſeinen Thraͤnen zu reden!

Aber er ſtand bald ſtill. Jhm winket’ ein anderer Engel;

Und er mußte folgen. Verwundernd fuͤhlt’ er ſich ſchweben.

Ach nicht lange, ſo ſah er in weiter Fern’ ſein Geburtsland

Hinter ſich leuchten; er ſah’s, wie andre Sterne der Schoͤpfung;

Sah es, ach wie erſtaunt’ er! bey einer Sonne verſchwinden!

C 4Engel
[40]Der Meſſias.
Engel des Herrn, wo fuͤhrſt du mich’ hin?.. Der Engel des

Herrn ſchwieg.

Engel des Herrn, was hab ich beweint?.. Der Engel des Herrn ſchwieg.

Und des Unſterblichen Feuer verloſch auf der bluͤhenden Wange.

Engel Gottes, ach hilf mir!.. Jch kann nicht helfen … Sie flogen

Wie auf Fluͤgeln des Sturms; und lange verſtummten beyde.

Wer gebot dir, mich wegzufuͤhren?.. Der Richter … Sie ſahen

Jezo die Erde, zwar ferne, doch ſchon auch ihre Graͤber.

Ach das ſind die Huͤgel der Todten!.. Das ſind der Ausſaat

Staͤten … Und jener viel hoͤhere dort mit den blutigen Kreuzen

Bey den Huͤtten?.. Jſt Golgatha!.. Golgatha? Seraph, ich ſehe

Sterbliche dort, allein wo iſt, der den Sterblichen Leben

Gab?.. Du ſteheſt es glaͤnzen. Du kennſt uns... Ach ich erblicke

Jn der Cherubim Mitte den Hocherhab’nen des Himmels!

Ja du ſieheſt den Richter der Welt!.. Und, wehe mir, meinen!

Fuͤhrſt du zu ihm mich?.. Eile!.. Sie kamen herab zu der Erde,

Schwebten nach Tabor hin. Mit Seelenſchaaren erreichte

Thoa den Berg des Gerichts, der zweyten Verkiaͤrung des Mittlers.

Alſo kommt, wenn ein Sturmwind brauſt, mit welken, und friſchen

Bluͤthen, auch eine der ſchon gebildeten Fruͤchte geflogen.

Als er unter den Seelen ſich ſah, und mit ihnen heruͤber

Kam zu dem ſchreckenden Berge, da waͤr’ er gerne geflohen;

Aber ihm hielt verborgne Gewalt! Er ſtand vor dem Richter!

Cherubim traten herzu. So ſchweigt der benachtete Himmel,

Ehe der Donnerſturm ſich erhebt, ſo war die Verſammlung;

Kurzer, geſchleuderter Schlag ſchlaͤgt hochherunter, ſo klagten

Jhn die Cherubim an. Nun hatten die Klaͤger geſprochen;

Und
[41]Sechzehnter Gefang.
Und die Strahlen Eloa’s, der Chriſtus ſchaute, verloſchen

Schnell in Schimmer. Es bebten die Auferſtandnen, die Engel,

Thoa, die Seelen bebten: Auf Einmal ergoß ſich die Blaͤſſe,

Kam die Gebehrde des Todes; und, unter des einſten Erſtaunens

Lautem Ruf, ſank Thoa, und ſtarb! Der Arm der Allmacht

Wandelte bald die Verweſung in Staub, gab bald den getrennten

Staub den verwehenden Winden; und ach der Seele des Todten

Wurde kein Leib aus der Heitre geſchaffen. Sie war allein, war

Ganz von allen Weſen verlaſſen! war nicht in der Schoͤpfung!

Nicht auf der Erde der Sterblichen, nicht auf ihrer! Sie ſahe

Keines Unſterblichen Antlitz! vernahm in der bitteren Wehmuth

Keines Himmliſchen Stimme! Sie dachte, wie ehmals; auch konnte

Sie ſich bewegen, doch blieb, auch bewegt, ſie ſtets in der Orde!

Ach vor ihr war jeder Schauplatz neuer Erkenutniß

Weggeſunken! Sie hatte nur Voriges, und ſich ſelbſt, war

Freundelos, ohn’ Einen Laut Antwort auf die bange

Frage: Wenn ſein Gericht der Richter endigen werde?

Nur, daß ihr aus den alten bisweilen Gedanken entſtanden,

Welche (doch dieſes wußte ſie nicht,) die ihren nicht waren.

Endlich hatt’ Eliſama ſein graues Haupt in die Grube

Niedergelegt, ein duͤrftiger Greis, der wankend am Stabe

Vor der Thuͤre der Reichen ſein Brodt erflehte, ſein Waſſer

Schoͤpft’ aus den Quellen. Er war empfindliches Herzens geweſen,

Aber geduldig. Ein Held, wie wenige, hatt’ er des Lebens

Groͤßte Truͤbſal nicht nur ertragen, er hatte, den Schoͤpfer

Aller Dinge, den Geber der Freud’ und des Schmerzes, geprieſen.

Koͤnige haͤtt’ er ehren koͤnnen; und ward von den letzten

C 5Unter
[42]Der Meſſias.
Unter dem Volke verachtet. Er lag ſchon auf dem Lager

Todt, und noch kam keiner, der ihn begruͤbe; da leckt’ ihm

Einmal ſein Hund noch die kalte Hand, und ſtarb. Eliſama

Stand vor dem Richter. Jhn bracht’ ein freudeſtrahlender Cherub

Eine Krone vom Richter. Jm weiten Kreiſe der Engel

Und der Erſtandnen, walleten leiſere Liſpel, der Freude

Stimmen umher, da der Cherub die Krone dem Duldenden brachte.

Zu der Todten Seelen ward itzt der ſtolzeſten Eine

Unter den Menſchen gefuͤhrt. Der aufgeſchwollne Verbrecher,

Hatte ſeinem Volke, die heiligen Rechte der Freiheit,

Sie, mit Schlangenentwuͤrſen und Klauen des Loͤwen entriſſen.

Da verraucht war das Blut der Unterjochung, und ganz nun

Ueber die Feſſelbeladnen, ihr Haupt die Herrſchſucht aufhub,

Schwelgt’ er, und ziſchete Spott den Verſtummten; kaum waren

ſie Menſchen:

Er ein Gott! Jezt kroch der Wurm zu der Leiche des Gottes.

Als dem Richter ſchon nah, ihr Fuͤhrer, ein himmliſcher Juͤngling,

Folge, noch einmal der Seele gebot, und ſie von des Todes

Schrecken nun ganz ſich ermannte, da hielt ſie im Schweben: Der Seraph

Sahs, und ein wenig Feuer, wie uns der Sirius funkelt,

Schimmert ihm von der Wange. Noch ſaͤumte der Todte. Da wandte

Sich der Juͤngling, und mit der leiſen Bewegung der Urkraft,

Wie in dem Himmel ſie Gott anſchuf, beruͤhrte des Engels

Wehen, indem er ſich wandte, den Todten. Da folgt’ er, als riſſen

Stuͤrme dahin, als wirbelten ihn Orkane wie Meerſchaum.

Und er war, zu beginnen ein Hohngelaͤchter, in Arbeit;

Aber es wurde Geheul. So ſtuͤrzte der fuͤhrende Seraph

Jhn
[43]Sechzehnter Geſang.
Jhn vor des Richtenden Fuß in den Staub. Der goͤttliche ſagte:

Seele, wer biſt du?.. Der Todte hub ſich: Biſt du der Goͤtter

Einer des Himmels; ſo wiſſe, daß ich der Erdegoͤtter

Einer bin! und daß kein Gott dem Gotte gehorchet!

Chriſtus ſah umher in der Schaar, die um ihn herumſtand;

Samed wars, den der Wink des Mittlers erkohr. So gebot er:

Richt’ ihn, Samed. Da gieng in Sameds Angeſicht Freude,

Wie ein Morgen des Fruͤhlinges, auf. Schon wußte des Knabens

Seele, wie kuͤhn der bitten duͤrfte, den, uͤber die Todten

Auszuſprechen Entſcheidung, der Gottverſoͤhner erwaͤhlte.

Und er ſank, und betet’ und ward erhoͤret. Da wandt’ er

Sich zu dem Todten, und ſprach: Des Abgrunds niedrigſten Sklaven

Sollſt du dienen, Empoͤrer! die tief an die unterſten Stufen

Deines Thrones ſich ſtuͤrzten, von dort wegſchlichen, und traten

Auf den Nacken der Unterjochten, der leidenden Guten,

Dieſen! Jhr zweifelnder Wink ſchon ſoll den Fuß dir befluͤgeln!

Dich anklagen der Saͤumniß, die wahnſinntrunkene Fodrung! …

Und der Gerichtete fuͤhlt’ auf Einmal ſich ſchwerer, und ſank, ſo

Ueberlaſtet, hinab, wo der Sklaven Winke ſein harrten.

Zoar hatte, vereint in langer daurender Freundſchaft

Bunde, mit Seba gelebt. Und jezt ward ihnen, was ſelten

Freunden ward. Sie ſtarben zugleich. Mit ſichrer Erwartung

Jener Herrlichkeit, Seba: mit Reu, und Befuͤrchtung, und Demuth,

Zoar. Anders ſinket und ſteigt die Wage des Richters,

Als des Menſchen. Da ſie zum Gericht der Unſterbliche fuͤhrte,

Sprachen ſie unter einander: O Loos des himmliſchen Lebens!

Ach wie iſt uns ſo lieblich das Loos des himmliſchen Lebens,

Zoar,
[44]Der Meſſias.
Zoar, gefallen! .. Auch hier vereint uns beyde die Freundſchaft,

Ewig iſt nun, o Seba, ihr Bund! Der Unſterbliche hoͤrt’ es,

Schwieg. Sie ſtanden vor Tabors Gericht. Dem Unſterblichen ſagten’s

Winke des Richters. Er fuͤhrte. Nicht lange, ſo kam aus den Fernen

Einer Oeb’ ein Todesengel. Er wandelte langſam,

Aber gerad’ auf ſie zu. Des ſchrecklichen Unbekannten

Richtung und Gang ſchien, wuͤnſchte man ihm zu entfliehn, unentfliehbar.

Noch war zwiſchen den Dreyen, und zwiſchen dem Engel des Todes

Weite, wie Meere. Doch Zoar, als er die Eile des Seraphs

Sah, des Geleiters, der ſie aus jener ernſten Verſammlung

Hatte gefuͤhret, weg ſie gefuͤhrt von dem Antlitz des Einen,

Welcher vor allen ihm ſchien ein Hocherhabener, Zoar

Als er des Todesengels Heruͤberſchauen erblickte,

Ueberſtroͤmt’ es, wie Schrecken. Er ſaͤumte. Der Todesengel

Stand vor ihnen, und hielt die hohe Flamme gen Himmel:

Du biſt angenommen! .. und du verworfen! Er wandte

Sich mit dem Donnerworte zu Seba. Als dieſer zu hoͤren

Wieder vermocht’, erſcholl das zweyte Wort des Verderbers:

Scheidet! .. O Himmel, und Erd’, und alles, was heilig iſt,

Menſchen,

Engel, und all’ ihr Weſen der ewigen Dauer! verworfen?

Scheiden! Verworfen! haſt du, haſt, Donnerer, ſcheidet! gerufen;

Macht der Maͤchte, wer biſt du? .. Ach Seba, Seba! Geliebter!

Auserkohrner! vor allen mir auserkohren, ſo lange

Theuer mir, ſo lange mein Freund! .. Mein Zoar! Auf ewig,

Donnerer eines Gerichts, das meiner Erkenntniß zu hoch iſt?

Ob auf ewig? frageſt du mich. (Jndeß war des Fuͤhrers

Schim-
[45]Sechzehnter Geſang.
Schimmer in Daͤmrung verloſchen.) O frage mich nicht! den Seraph,

Der euch fuͤhrte, den frag’, er kommt von dem Richter des Himmels

Und der Erde! .. War der, der alſo vor allen Engeln

Stralte, der Richter der Welt, und hat er dieſe Verwerfung,

Dieſe Scheidung geboten? Ach Engel, welcher uns fuͤhrte,

Meinen Zoar, und mich, du Engel Gottes, auf ewig?

Jn noch truͤbere Daͤmrung gehuͤllt, antwortet der Fuͤhrer:

Er hat alles geboten. Gehorch, und ſcheide! .. Geboten

Er, der auf mich nicht niederſchaute? Der Anderer Schikſal

Zwar entſchied, doch auf mich, mit keinem Blicke nicht ſchaute?

Zoar ſprach: Er bilkt’ auf dich; mich daucht es, mit Ernſte,

Blikt’ er, auf dich … Du zeugeſt wider mich, du Geliebter?

Und in dieſer Stunde des Grauns, an dieſem Abgrund?

Ach ich zeuge wider dich nicht! du weiſt ja, ich konnte

Nie die Wahrheit verheelen. Umarme deinen Getreuen!

Seba, ich zeuge wider dich nicht! .. Der Engel des Todes

Hatte ſich weggewendet, und niedergeſenkt zur Erde

Seine Flamme, gemildert ihr Drohn. Denn Zoar umarmte

Seba; denn Zoar und Seba weinten blutige Thraͤnen.

Aber die Stunde der Sondrung war da, die ſchrekliche, bittre,

Stumme Stunde, war da; der Verderber mußte die Flamme

Wieder erheben, ſie wieder mit ihren Schrecken bewafnen.

Und er flammt’, und ſchaut’ herunter, und rief, und Entſetzen

War die eiſerne Stimme des Rufenden. Scheidet! Sie ſchieden.

Schaaren wurden herzugefuͤhrt; in dem dichten Gewimmel

Rief es: Gott des rollenden Donners, der weit den Olympus

Aus den ſchwarzen Wolken erſchuͤttert, wir brachten dir Farren,

Sie
[46]Der Meſſias.
Sie mit Blumen der Thale geſchmuͤkt! wir brachten dir Widder,

Sie mit Laube! Was thaten wir Sterbliche? Zuͤrne nicht, Vater

Aller Goͤtter! ihr Goͤtter um ihn, ach zuͤrnet auch ihr nicht!

Du mit der furchtbaren Urne! du haſt ſie verſenkt, verborgen

Jrgendwo dort in der Nacht, laß, Minos, nicht fallen, nicht fallen

Deine wuͤtenden Looſe! verbirg auf ewig die Urne!

Brama! wir haben uns ja .. Laß, Minos, die Looſe nicht fallen! ..

Brama, gefeſſelt, verwundet, gedorrt an der Sonne! verſchmachtet

Sind wir, Brama, vor dir! .. Ha Gott der Haine, du zuͤrneſt,

Wodan, doch nicht? Allvater, doch nicht? Dir floß ja, dir floß ja,

Krieger! der Juͤnglinge Blut in der Schlacht … Gefeſſelt, verwundet,

Brama, gedorrt! .. Wir ſind nicht den Tod der Feigen geſtorben!

Sind in der Schlacht … Verbirg, o Minos, die Urne, zerſchmettre

Sie! laß wehen hinab ins Chaos die wuͤtenden Looſe!

Sind in der Schlacht an tiefen, an brennenden Wunden geſtorben!

Sind … Mit kraͤnzenden Blumen geſchmuͤkt, die Widder mit Laube!

Hebe die Rechte nicht, ſammle nicht, Zevs, die erſchuͤtternden Wolken!

Zevs Kronion, erbarme dich unſer! laß ſchlummern die Donner!

Sind fuͤr Freye, fuͤr Freund und Braut in Blute geſtorben!

Riefen die Seelenſchaaren, und wurden mit Gnade gerichtet.

Jeſus wandte ſich, ſprach: Komm, Engel der Erde. Eloa

Folgte. Schon that vor ihnen der Schoͤpfung Weite ſich auf, laut

Scholl’s in dem Unermeßlichen. Lichtglanz ſtroͤmten die Sterne

Aus den Meeren, und von den Gebirgen. Die Pole der Himmel

Schauerten ſanft. Nur leiſe beruͤhrete ſie in dem ſchnellen

Gang der Allmaͤchtige. Weit, da er kommen hoͤrete, ſahe

Jeſus, da ſchwebt’ in der Wonn’ hinaus in die Schoͤpfung, eilte

Abdiel
[47]Sechzehnter Geſang.
Abdiel wieder zur Pforte der Hoͤlle, ruft’ es dem andern

Huͤter, eroͤfnete, wankendes Ungeſtuͤms, daß die Riegel

Klangen hinab, und die Angeln ins ewige Grab. Die Verworfnen

Sahn, wie in Flammen den Seraph, und hoͤrtens noch immer, als rollte,

Schmettert’ ein Donnerwagen auf tauſend Raͤdern herunter.

Jeſus trat in die offene Pforte der Hoͤlle. Die Huͤter

Waren nieder vor ihm auf ihre Stufen geſunken;

Und ſie erhuben ſich, ſahn anbetend dem Richter der Welt nach,

Sahen, wie er hinunter ſtieg in die Tiefe der Tiefen;

Und wie die Satane weit umher zu Felſen erſtarrten!

Stuͤrmendes Fluges, ihm ſtroͤmte zuruͤk ſein Schimmer, des

Schwerdtes

Flamme zuruͤk, ereilte den Mitler der Todesengel

Erſter. Jhn hatte zur Hoͤlle der Vater geſendet. Er ſolte

Jenes Gericht, das er ſehen wuͤrde, den Himmeln erzaͤhlen.

Jeſus ging nach dem Throne des Abgrunds zu, der erhoͤhter

Auf den ſteigenden Tempel des Haſſers Gottes und Satans

Schrekliche Schatten warf. Jn des kommenden Mitlers Gebehrde

War, in dem Antliz des Ueberwinders, mit goͤttlicher Ruhe

Ueberſtrahlt, (Urkraͤfte begannen durch ſie!) war Allmacht.

Unter des wandelnden Fuß ward Eden, hinter ihm wurde

Eden wieder zur Hoͤlle. Schon ſtand auf des todten Meeres

Hohem Geſtade der Furchtbare. Fliehen wollten ſie, fliehn war

Jhnen verſagt! ha ſterben! kein Tod erbarmte ſich ihrer!

Neben dem Mitler ſtand, mit weitumſchauendem Auge,

Voll der ernſten Erwartung, Eloa. Gedanken der Engel

Denken nicht ſchneller. So ſtuͤrzt’ auf Einmal der Thron des Abgrunds

Truͤm-
[48]Der Meſſias.
Truͤmmer hin, Dampf, Flammen entſtiegen der liegenden Truͤmmer,

Schoſſen, wallten empor, und weit umher in Gehenna

Krachten tauſendmal tauſend Wiederhalle. Der Tempel

Stuͤrzet’, und keine Truͤmmer war des geweſenen Zeugin!

Jezo wurd’ Eloa gewahr in dem Antliz des Mitlers

Ein Hinſchaun, daß er nieder bey ihm mit vollem Gefuͤhl ſank

Seiner Endlichkeit. Dumpf bruͤllt’ auf der Satane Rufen,

Dumpf ſcholl’s her mit der Woge des Meers zu dem hohen Geſtade:

Ha! was bin ich geworden? was du geworden? und dennoch

Leb’ ich! Weh mir, ich lebe! lebeſt du auch? .. Was ſaͤumet

Denn ſein Donner noch? .. Wird laͤnger nicht ſaͤumen! nicht ſaͤumen! ..

Niedergeſchleudert, daß mit die Hoͤlle vergeht, daß die Laſten

Jhrer Gebirge, wird bald … Ha rufet, bruͤllt es mir zu: Wer,

O wer ſeyd ihr geworden? Jch lieg’, hier lieg’ ich (Satan

Zittert’ es, ſtammelt’ es) lieg’ an dieſer Verwuͤſtung, und ſtarre

Weit hinunter geſtrekt! .. Wo der Tempel der goldenen Tafel

Hatte geſtanden, auf dieſer geebneten Oede Gefilden

Lag Adramelech, und rief, daß der Andern Stimmengetoͤſe

Niederſank: Hier lieg’ ich, du Weh des Wehes! Gericht du,

Dem ſie ſelber verſtummen die Donner Gottes! hier ſtarr’ ich,

Laſt’ ich die Hoͤll’, ein Todtengeripp! .. Da der Engel der Erde

Jezt die furchtbare Taͤuſchung vernahm, mit der ſie ſich taͤuſchten,

Bebt’ er zuruͤk. Die verworfenen Seelen, mit ihnen die Seelen

Philo’s, Jſchariots Seele mit ihnen, waren, wie Wolken

Aus den Fernen heruͤber zum todten Meere gezogen.

Jezo ſahn ſie den Richter nicht mehr; ſahn uͤber dem ofnen

Schreckengefild weit ausgebreitet Todtengerippe,

Engel-
[49]Sechzehnter Geſang.
Engelgebein! und unter ihnen in ſeiner Geſtalt ſtehn

Abbadona! allein auch er erblikte Gerippe!

Taͤuſchung hatte ſich uͤber die ganze Hoͤlle verbreitet;

Nur der eignen Verwandlung entſezliche hatte der Seelen

Und des Engels geſchont. Der feurige leuchtende Klumpen

Stand in der Mittagsglut jezt uͤber dem Meere des Todes,

Erſt entſtellter, als ſonſt, von ſchwarzen Beulen des Urſtofs

Aufgeſchwollen; allein die oͤfneten ſich, und ergoſſen

Lichteren Brand, aus jedem der furchtbaren Schluͤnd’ ein Glutmeer.

Weiſſer wurde das Schreckengefild bis hin, wo kein Auge

Mehr von einander vermochte die Grabgeſtalten zu ſondern.

Aber auch da, wo die Seelen ſich unterſchieden, erkannten

Sie doch keinen, als nur an ſeiner Stimme Gebruͤlle.

Denn wie ſonſt die Stimmen herauf mit dem Meere brauſten,

Wie von dem Felſen herab ſie ſchmetterten, ſchollen ſie jezt auch;

Jezt nur dumpfer vor Quaal, vor Wut; vor Entſetzen gebrochner!

Satan richtete ſich zuerſt ganz auf, und allein ſtand,

Hoch ſtand Satan unter den Todten, ſchlug, daß es furchtbar

Wiederhallt’ aus den Truͤmmern des Throns, mit der Hand an den Schaͤdel,

Rief! der Klippe, die lang’ aus den Wolken ſchwindelnd heruͤber

Hieng, das Entſetzen des fliehenden Wanderers, und dem Damme

Gleich, der im wiedertoͤnenden Walde den Strom noch zuruͤkzwang,

Doch die auf Einmal izt ſtuͤrzen, ſo brach ſein wuͤtender Schmerz aus.

Ha! ich weiß, was es iſt, daß dieſe Geſtalt euch belaſtet!

Daß ihr Jhn getoͤdtet habet! das iſts! ihr Verruchten!

Das, ihr Geripp! ihr Greuel, wovon die Verweſung, des Nagens

Muͤd’, aufſtand! ihr Ungeheuer, welche der Donner

Gottes zerſtreu’! und wieder vereine das Beben des Abgrunds!

Wieder zuſammen werfe der Sturm, und das Meer in Empoͤrung

Gegen den fliegenden Sturm, wenn es ſeine Stroͤme dahergeußt!

IVBand. DAlſo
[50]Der Meſſias. Sechzehnter Geſang.
Alſo erſcholl ſein Wutausruf. Wehklagend ergoß ſich

Belielels Schmerz in der Jammeroͤde. So rief er:

Habt ihr die Blumen geſehn, die vor ihm (ach, Eden des Himmels,

Dich erblikt’ ich!) vor ihm aufſproßten, hinter ihm ſchleunig

Welkten, dorrten, vergingen? Wir dorren auf ewig, vergehn nicht!

Ach vergehn nicht! Er riefs, und wuͤnſchte, daß unter ihm neue

Tiefen ſich oͤfneten, ihn in ihren Graͤbern zu bergen.

Endlich rafte ſich auch Adramelech auf, ein Entſetzen

Aller Stolzen. Denn ſchnell entſank ihm die Kraft, und er ſtuͤrzte

Nieder, daß laut das Gebein ihm hallt’, und dunkel die Aſche,

Dikgewoͤlkt von dem Fallenden ſtieg! Doch muͤhte ſich Moloch

Aufzuſtehen. Er ſaß auf ſeine Rechte geſtuͤzet,

Sprach zu Magog: Mir ſchwanken vom Wirbelwind die Gerippe!

Und mir heult der Orkan in dem Schaͤdel! aber ich will es!

Aufſtehn will ich! Es lieg’ Adramelech! Er that’s, ſtand, faßte

Magog, und riß ihn auf! Sie ſtanden. Sie giengen und Magog

Rief: Den ſchreklichen Leib, wenn es anders ein Leib iſt, wir wollen

Jhn uns, einer dem andern, zerſtoͤren! Zermalm’ mein Gebein mir!

Jch zermalme dir deins! Das uͤbrige, wenn wir nun ſinken,

Werden die Donnerſtuͤrme zerſtreun! .. Sie faßten einander;

Wollten zermalmen! allein, wie in Felſen Orions gebrochen,

War ihr Gebein! Sie ſtuͤrzten von thuͤrmenden Bergen ſich nieder!

Aber, als waͤrs in den Kluͤften der ſieben Sterne gehaͤrtet,

War der hingeſtuͤrzten Gebein! Sie mußten im Abgrund

Liegen bleiben, wie ſie von der Hoͤh ſich hatten geſtuͤrzet,

Liegen, geſtrekt, unbeweglich, und ſtumm! .. So fuͤhlte, wer der ſey,

Der auf Golgatha ſtarb, die unterſte Hoͤlle. So warnte

Neues Gericht ſie mit ſchreklicher Warnung, nicht aufzuhaͤufen,

Auf Empfoͤrung, Empoͤrung dem lezten Gerichte des Mitlers.


Der
[[51]]

Der
Meſſias.

Siebzehnter Geſang.


D 2
[[52]]

Jnhalt
des ſiebzehnten Geſanges.


Der Meſſias erſcheint Thomas. Er ſteigt mit Gabriel hinunter
zu den Geiſtern derer, die in der Suͤndfluth umgekommen wa-
ren, und entſcheidet ihr Schickſal. Viele Auferſtandne erſcheinen,
bey dem Grabe des Erloͤſers, vielen Frommen auf Einmal. Laza-
rus ladet Freunde, und Pilger, die zum Feſte gekommen waren, zu
einem Mahl in ſeinen Garten ein. Unter den Pilgern ſind Aufer-
ſtandne. Einige davon erſcheinen. Erſcheinungen ſehn: Zwey, die
nicht genennt werden; und Sebida, ein Zweifler. Lazarus redet
von den Leiden des Verſoͤhners, und geht hierauf zu dem Grabe Ma-
ria’s, deren Seele dort iſt. Erſcheinungen ſehen ferner: Cneus;
Bethoron, der reiche Juͤngling, der Chriſtus nicht nachfolgen
wollte; und Berſebon, der dankbare Auſſaͤtzige.


[[53]]
Der Meſſias.
Siebzehnter Geſang.


Didymus hatte ſich lange von ſeinen Bruͤdern geſondert,

Jezo kehrt’ er zuruͤck, und kam zu der Huͤtt’ an dem Tempel.

Aber er ſaͤumet’, und gieng nicht hinein, und wandelt’ am Eingang

Unter den Palmen. Er gieng jezt, lehnte ſich jezt an der Palmen

Eine. Bald hoͤrt’ er ſie ſingen. Da kam er, und blieb an der Pforte

Stehen. Sie ſangen ein Lied der Auſerſtehung, der neuen

Lieder eins, wie am Throne die Seelen der Maͤrtyrer ſingen.

Jeſus Chriſtus erſtand! Er wird die Seinen erwecken!

Seine Kindlein werden nicht ewig im Schooße der Erde

Liegen, entſtellt von der Hand der Verweſung. Die Stimme des

Segens

Wird ertoͤnen, vor ihr verſtummen des Fluches letzter

Laut! Erzengel werden ſich freun, und leuchtender ſtrahlen

D 3Von
[54]Der Meſſias.
Von den ſuͤßen Entzuͤckungen uͤber die Todten, die leben!

Ach daß jezo nicht mehr das Grab iſt, nicht mehr die Verweſung

Herrſcht, noch in Gruͤften zerſtoͤrt der hohen Seele Genoß liegt!

Wehet, Winde, von Morgen, und bringt den Staub der Zerſtoͤrung!

Bringt der Zerſtoͤrung Staub, ihr wehenden Winde, von Abend!

Brauſe, Sturm der Mitternacht, und bringe die Truͤmmern!

Jeſus Chriſtus erſtand! Er wird die Seinen erwecken!

Seine Kindlein werden nicht ewig im Schooſſe der Erde

Liegen, entſtellt von der Hand der Verweſung. Wie Traͤumenden wird es

Dann uns ſeyn, wenn ins Leben der Engel wir wiederkehren.

Wehet, Winde, von Morgen, daß wir in das Leben der Engel

Wiederkehren! O ſaͤuſ’le die Todten Gottes heruͤber,

Mittagswind, zu dem neugeſchaffenen Paradieſe.

Sieh, an der Pforte des ewigen Edens ſchrecket des Cherubs

Schweigen nie, droht nie die hohe Flamme des Schwerdtes!

Denn wir halten das Mahl mit dem Sohn, in der Lebensbaͤume

Kuͤhle, das Mahl, in dem Saͤuſeln um uns der Gegenwart Gottes!

Denn erſtanden iſt er, der bis zu dem Tode die Seinen

Liebte, bis zu dem Tod’ am Kreuz! .. So hatte ſie Thomas

Preiſen gehoͤrt, und war auf die Schwelle geſunken. Er deckte

Mit der Huͤlle ſein Antlitz! ihm floß die Thraͤne, wie Blut dem

Fließt, der am Leben verzweifelnd im Kampfgefilde geſtreckt liegt,

Und, ihr Gefaͤhrt, den Siegsruf hoͤrt der Streiter fuͤr Freyheit.

Noch vermocht er nicht aufzuſtehn. Jn ſein muͤdes Gebein drang

Stroͤmender Duft der Mitternacht. Er fuͤhlt’ ihn nicht, weinte,

Weinte laut, mit Wehmuthſchauer auf Wehmuthſchauer,

Daß ihm die ganze Seele zerfloß. Er riß ſich mit Eil’ auf,

Gieng
[55]Siebzehnter Geſang.
Ging zu den Bruͤdern hinein. Nun ſahen ſie endlich wieder

Thomas, ihren Bruder, und kamen mit ihrer Wonne

Lebenswort ihm entgegen. Er hoͤrt’ es, und lange verſtummt’ er.

Aber es kehrete jezt in die Seel’ ihm wieder des Leidens

Furchtbare Kaͤlte, ſenket’ auf ihn den laſtenden, ſtarken,

Eiſernen Arm; er rufte: Seh ich in ſeinen Haͤnden

Nicht die Maale der Naͤgel, und leg’ ich in dieſe Maale

Meine Finger nicht, und nicht in ſeine Seite

Meine Hand; ſo glaub’ ich es nicht! Der Hoͤrenden Wange

Gluͤhete, wurde bleich. Schon rauſchten der Cherubim Fluͤgel

Unter den Palmen der Huͤtte, ſchon traͤufelt’ ihr Auge von Wonne!

Schon erbarmete ſich des Gottverſoͤhners Erbarmung!

Und der Goͤttliche ſtand vor ſeinen Juͤngern. So ſchoͤpfen

Chriſten, welche dem Graun des Todes erlagen, entſchlafen

Nun, aus den Stroͤmen des Lichts, ſo ſtuͤrzte vor Jeſus Chriſtus

Thomas ſich nieder. Der Goͤttliche ſprach zu den Zeugen mit ſeiner

Liebe: Friede ſey mit euch! Dann ſagt’ er zu Thomas:

Lege deine Finger hierher! Sieh meine Haͤnde!

Leg’ in meine Seite die Hand! und ſey unglaͤubig

Nicht! ſey glaͤubig! Der neue Zeuge des Auferſtandnen

Rufte: Mein Herr! und mein Gott! Da ſprach der ewige Mitler:

Siehe du ſahſt mich, und glaubeteſt. Selig ſind, die nicht ſehn,

Aber dennoch glauben! .. Und jezt war ſeiner Gemeinen

Herr und Gott vor dem Auge der erſten Zeugen verſchwunden.

Thomas betet’ ihm nach, ſtand auf, und ging zu den Juͤngern,

Und den andern Bruͤdern umher, und bat um Erlaſſung

Seiner Schuld. Die Liebenden hatten ihm lange vergeben.

D 4Und
[56]Der Meſſias.
Und der Selige ſprach von dem Maͤrtyrertode! dem Kleinod

An der Laufbahn Ziele! Sie ſprachen mit ihm von des Blutes

Zeugniß! der Krone der Ueberwinder am Ziele der Laufbahn!

Aber izt ward ihr Himmelsgeſpraͤch, wie von ſelber, zum Liede.

Seyd in der Zukunft Ferne gegruͤßt, Gemeinen des Mitlers!

Seyd, o Bruͤder, geſegnet mit ſeines Todes, mit ſeiner

Auferſtehung Segen, o ihr, die im Leben der Pruͤfung

Jhn nicht ſehn, erſt jenſeits der Graͤber den Goͤttlichen ſehen,

Aber dennoch glauben! O wandelt ihn des Himmels

Wandel hin, und legt hier Eine zum Tod’ euch nieder,

Und zum Schaun; legt Eine dort euch nieder zum Tode,

Und zum Schaun. Es werden euer einige wandeln,

Ach in ſchreklichen Zeiten, den Wandel zum Tod’, und zum Schauen!

Kaͤmpft, er kraͤftiget euch, kaͤmpft daurenden Kampf! Uns, Bruͤder,

Hoͤhnten, und toͤdteten ſie! Euch hoͤhnen ſie nur. Und dennoch

Kuͤrzt der eure Zeiten, wie er die unſrigen kuͤrzte,

Der fuͤr uns, und fuͤr euch, von Anbeginne geopfert,

Bis an das Ende der Welt, bey denen wird ſeyn, die er liebet!

Engel waren, ſeit Chriſtus Geburt, hinab zu den Geiſtern

Jn dem Gefaͤngniß geſtiegen, und Seelen derer, die damals,

Da der Waſſer Gericht der Erde nahte, nicht glaubten;

Waren gekommen, und hatten den Geiſtern viel von des Mitlers

Heile verkuͤndet; geweiſſagt hatte Gabriel: Hoͤret,

Geiſter, Bewoner vordem der juͤngeren Erde, des Menſchen

Sohn wird ſelber zu euch, eh er zu dem Himmel zuruͤkkehrt,

Nieder in euer Gefaͤngniß, in ſeiner Herlichkeit, ſteigen.

Wenn,
[57]Siebzehnter Geſang.
Wenn, in der weiten Ferne des Himmels, Gethſemane bebet,

Seine Palmen wanken, alsdann wird der Goͤttliche kommen!

Unter den Geiſterſchaaren der untergehenden Erde

Hatte, ſeit Chriſtus Geburt, der Unſterblichen Bothſchaft, Gedanken

Tauſendfacher Geſtalt hervorgebracht, und vernichtet,

Wandlung auf Wandlung, bis ſie zuletzt Gewißheit erblickten,

Einige nur; denn Unzaͤhlige wallten umher in der Jrre,

Aber ohne des Heiles Verluſt; verfuͤhrte das Herz nicht.

Neuer Anblick des Kuͤnftigen; Licht voll Daͤmm’rung; geglaubtes

Licht, und dennoch Nacht; Verlangen, heiß, wie getrennte

Seelen allein es zu haben vermoͤgen; Wuͤnſche, gen Himmel

Jezt auf Fluͤgeln erhoben, itzt niedergeſtuͤrzet vom Himmel;

Hofnung, ach Hofnung! Zweifel, nicht nur, ob einſt Genuß ſie

Endigen werde? Zweifel auch, an der rechten Erkenntniß

Deß, was die Engel von dem verkuͤndeten, welcher ein Menſch ſey,

Und ein Verſoͤhner Gottes; Empoͤrung von neuem ſich ſtraͤubend

Wider das Schickſal, oder die Vorſicht; Wehmuth, daß ſelber

Dieſe Rettung ſie nicht erretten wuͤrde! truͤbe

Bittere Wehmuth; Stolz, vor den Wiedergerufnen, der Erſten

Pfad zu betreten, vor ihnen die hell’ſte Palme zu tragen!

Wuth, kein Erbe zu haben im Reiche der Freyen, kein Erbe

Dort, wo Nacht nicht mehr und Ungewißheit umwoͤlkte;

Dieß, dieß alles umgab, durchdrang die Langebeſtraften,

Langegepruͤften Geiſter der untergehenden Erde.

Und ſie hatten, empor aus ihren Tiefen, zu Schaaren,

Spaͤher geſandt, die hinuͤberſchaun nach Gethſemane ſollten,

Und den Palmen umher, und kommen dann, und verkuͤnden:

D 5Siehe
[58]Der Meſſias.
Siehe Gethſemane bebt! es wanken des Sternes Geſaͤhrten!

Einige Todte ruften von Kluͤften zu Kluͤften: Die Zeit naht!

Und: Die Zeit naht! ſchollen die Wiederhalle der Tiefe.

Haufen ſonderten ſich, und ſchoͤpften voll, aus dem truͤben

Feuerſtrome, die Schalen, und hielten ſie hoch, und ſuchten

Pfad ſich, und fehlten, und fanden den Ausgang; kehrten zuruͤcke,

Riefen, noch bebe der Stern nicht! Die andern Haufen entdeckten

Nun den Ausgang auch, und kamen nicht wieder. Da ſtroͤmt’ es,

Hoch die Flamme, den Haufen in Schaaren nach. So empoͤrt ſich,

Heben ſich Stuͤrme, das Meer; erſt rauſchen Wellen, wie Huͤgel,

Aber nicht lange, ſo brauſen Wogen, wie Berg’, ans Geſtade.

Etliche kehrten zuruͤck. Denn immer wallten die Sterne

Jhres Weges noch fort. Doch weit hinunter am Strome

Standen, die Flamme zu ſchoͤpfen bereit, unzaͤhlbare Todte,

Daß ſie eilten, und ſchauten, wenn nun der Verheißne des Engels

Kaͤme, wenn nun die Erſcheinung des lebenden Todten erſchiene!

Jeſus ſprach zu Gabriel: Eile voran. Und der Seraph

Schwebte nicht lange, ſo trat er, wie ſie noch niemals ihn ſahen,

Ganz mit Herrlichkeit uͤberkleidet, mit Strahlen des Urlichts,

Jn des Gefaͤngniſſes Thor. Jezt wurde Gethſemane ſtaͤrker,

Nun noch ſtaͤrker erſchuͤttert, ſo ſehr, daß die wartenden Haufen

Endlich ſahn, wie der Stern mit wankendem Pol aus der Bahn wich.

Und ſie eilten hinab, zu verkuͤndigen, ſahen den Seraph

Kaum, der vor ihnen in ſeiner Herrlichkeit ſtand. Der Verſoͤhner

Kam, und Tag gieng auf vor dem Goͤttlichen, leuchtet’ hinunter

Jn des Gefaͤngniſſes tiefes Gekluͤft, auf die Felſenhaͤnge

Voller truͤben Quellen, hinab in die fernſten Gewoͤlbe

Unter
[59]Siebzehnter Geſang.
Unter den Felſenhaͤngen, wo etliche Todte mit dumpfen

Jezo ſchnellem Geklirr diamantne Ketten bewegten.

Erſt erſchuͤttert’ Erſtaunen, alsdann entflammtes Verlangen,

Endlich enthuͤllt ihr Schickſal zu ſehn! die Verſammlung der Todten.

Nur enthuͤllt! ſo duͤrſteten einige, welches neue

Schickſal auch hinter der Nacht, die ſie jezt umgaͤbe, ſich haͤtte

Aus den Tiefen erhoben des unerforſchlichen Richters.

Gabriel blies die Poſaune: Wir haben von ſeiner Geburt an,

Euch den Verſoͤhner verkuͤndigt. Er forſchet Alles, er weiß es,

Wie ihr, ſeitdem bis jezo, von Gott, und von Jhm, gedacht habt!

Nicht, wie ihr nun, da ihr Jhn in ſeiner Herrlichkeit ſehet;

Aber wie ihr, zu der Zeit der Verkuͤndigung, dachtet und wuͤnſchtet,

Wird euch der Allgerechte, und Allbarmherzige richten.

Jezo kamen die Engel, die einſt des Verſoͤhnenden Boten

An die Geiſter waren, herab, und ſtanden vor Chriſtus.

Heller vom Tage, der war vor dem Goͤttlichen aufgegangen,

Standen die Cherubim da, das Entſetzen Vieler, und Vieler

Wonnanblick. Jn furchtbarer Schoͤne begannen die Engel

Aufzuſteigen, zu ſchweben, ſo weit der Tiefe Gefilde

Sich ausbreiteten unter den Todten, und nieder zu ſchauen.

Nahe war die Entſcheidung herzu gekommen; und Graben

Vor dem erſchuͤtternden Donnerſchlage befiel die Verſammlung.

Stiller wurde die Stille; bald aber erſcholl’s, in den weiten

Trauergefilden, hier aus Einem Gedraͤng, aus Einem

Dort, von Rufen, von ſchnellem, gebrochnem, flehendem Rufen,

Um Erloͤſung! .. Der Allbarmherzige, Allgerechte

Hoͤrte, mit dieſem Rufen, was ſonſt kein Unſterblicher |hoͤrte,

Selbſt
[60]Der Meſſias.
Selbſt der Seelen leiſes Gebet, die mit Demuth von Ferne

Standen. Die Engel der Botſchaft ſchwebten hinunter, und giengen

Unter den Schaaren umher, und ſonderten! … Stunde der Jubel,

Und der Thraͤnen, (mehr waren der Jubel!) wo toͤnet die Harfe,

Welche von dir zu ſingen vermag? O ruͤhrt’ ich die Harfe;

Saͤnge ſie auch von den Thraͤnen: und, waͤr ich gelehrt durch den

Engel,

Der mir haͤtte die Harfe gebracht; von dem kuͤnftigen Heil auch

Derer, die weinten, vielmehr, als weinten: belaſtet von Elend,

Wider die Vorſicht murr’ten, und, erblos im Reiche des Lichtes,

Wie ſie waͤhnten, auf ewig nun, und von der Verzweiflung

Strom ergriffen, und Strudel gedreht und Sturm, ſich empoͤrten!

Jezo war die Sond’rung vollendet. Die Schaaren der Freyen

Stiegen verklaͤrt aus der Tief’ empor, und folgten den Engeln,

Die ſie fuͤhrten. Die Fuͤhrenden waren zur weiten Wallfahrt

Durch die Welten umher, mit hellen Guͤrteln, als haͤtte

Sie die Morgenroͤthe gewebt, beguͤrtet, und trugen

Goldene Staͤbe, mit denen ſie oft, wie ſehr auch der Reiſe

Durch die Welten die Pilger ſich ſreuten, gen Himmel wieſen.

Als die letzte Schaar der Freyen die Tiefe verließ, kam

Schnelle Daͤmmerung, gieng noch ſchneller unter der erſte

Jhrer Tage. Gehuͤllt in daurende Nacht, wie vormals,

Blieb, drey Erdewendungen lang, die Verſammlung der Geiſter

Sprachlos ſtehn; an der vierten, erhoben ſich etliche, giengen

Hin zu dem Feuerſirom, und ſchoͤpften mit wankender Schale,

Wenig Schimmers, umher in den Kluͤften ihrer Genoſſen

Staͤte zu ſuchen. Sie fanden der Staͤten viele verlaſſen,

Wen-
[61]Siebzehnter Geſang.
Wendeten aus der Oede ſich weg, und klagten voll Jammers

Jhren Genoſſen, der Bruder dem Bruder, dem Freunde der Freund nach.

Auf der Erde ſchon ſind Freuden, in denen des Grabes

Erbe die kuͤnftige Wonne voraus empfindet; ach fruͤhe

Bluͤthen, welken ſie ſchnell: doch bluͤhete ſo des Lebens

Baum in Eden. Nephthoa befiel, nach einem der frohſten

Seiner Gebete, ſuͤßer Schlummer. So traͤuft auf des Lenzes

Erſtlingsblume der Thau. Bald hoͤrt’ er im Traume die Stimme:

Schlummerſt du noch, und geheſt nicht hin, zu erzaͤhlen den

Frommen,

Daß dir ein Bote Chriſtus erſchien? in Strahlengewande

Einer, den Gott dir ſandte, der Heimath einer des Himmels?

Und er eilte nach Golgatha’s Grabe. Die Seinen, ſo dacht’ er,

Weilen gewiß dort oft. Sie wallen von Salem zum Grabe,

Sehen’s, und ſich, und wandeln zuruͤck, bald wieder zu kehren.

Auf dem Wege des Grabes, und in dem Garten, wo Chriſtus

Todesſtaͤte war, da, neben dem Felſen verſammelt,

Find’ ich ſeine Treuen. Der junge, noch ſterbliche, frohe

Himmelsbote verließ mit dem werdenden Tage die Thore

Salems, und ſchon betrat er den Weg, der nach Golgatha fuͤhrte.

Jhm begegneten Juͤnger des Mittlers, die jezo vom Grabe

Kamen. Verließet ihr Juͤnger im Garten der Auferſtehung?

Kehrt denn wieder zu uns, und bringt der ſeligen Zeugen

Mehr in der Palme Beſchattung. Jch habe der himmliſchen Botſchaft

Viel fuͤr euch, und fuͤr ſie … An dem nahen Gehege des Gartens

Spielten Knaben. Er ſonderte neun der freudigen Knaben;

Fuͤnfe hatte mit ihm einſt unter dem Volke geſegnet

Jeſus,
[62]Der Meſſias.
Jeſus, unſer Erbarmer, der Saͤuglinge Gott und der Kinder.

Jezo erkohr die andern Nephthoa. Jhn leitete Chriſtus

Weisheit. So leitet Engel, indem ſie des Himmels Erben,

Sie zu ſchuͤtzen, ſich waͤhlen, die Weisheit Chriſtus. Die Knaben

Kamen zum offenen Grabe, beſchauten die furchtbare Tiefe,

Und die Felſenlaſt, die weggewaͤlzt vor ihr dalag.

Freudig ſchauerten ſie, doch auch mit Schrecken, indem ſie

Ueber ſich der alternden Baͤume Wipfel erblickten.

Und ſie irrten umher in dem Schatten des dichteren Laubes,

Und des helleren, welches der weiße Lenz mit dem Brautſchmuck

Seiner Bluͤthen durchwebte. Sie fanden, gegen des Grabes

Eingang uͤber, im Schimmer des lieblichen Morgens, auf weichem

Jungen Graſe, beſtroͤmt vom Dufte der Bluͤthengeruͤche,

Heilige Gottes, und ſie in ſanfte, heitere Ruhe

Ausgegoſſen, und ſie mit der Freudenthraͤn’ in dem Blicke,

Eine ſelige Schaar, der Auferſtehung des Mittlers

Einſt Verkuͤndiger, Feyerer jezt. Sie ſahe Nephthoa

Ehrfurchtsvoll; doch auch er war einer der goͤttlichen Boten,

Und an ſie. Viel Heilige kannten den Knaben Nephthoa,

Kannten ſeine Geſpielen. Noch ſaͤumt’ er zu reden; doch alle

Sahen’s an ihm, daß Stimmen des Heils auf den Lippen ihm ſchwebten.

Aber er ſaͤumte nicht lange; denn ſchon begann zu dem Grabe

Jener begegnende Haufen mit neuen Haufen zu kommen.

Da erſcholl, von Benoni’s Erſcheinung! die Stimme Nephthoa’s,

Wie er ihn lockte ſein goldenes Haar, wie Benoni von Chriſtus

Sprach, der Auferweckte vom auferſtandnen Vollender!

Und
[63]Siebzehnter Geſang.
Und die neuen Freuden ergriffen die Hoͤrenden, brachten

Sie noch naͤher dem Himmel. Jn dieſer ſuͤßen Begeiſtrung,

Dieſer Vorempfindung der ewigen Wonn’ an dem Throne,

Stroͤmte das Herz der Heiligen aus, und ſie ſangen dem Sieger,

Der zertrat! Jhm blutete nun nicht mehr von der Schlange

Rache die Ferſe. So wie der Geſang in Stroͤmen dahinfloß,

Tanzten die Knaben den heiligen Reihn zu dem Siegesgeſange.

Siehe, der Himmelsbogen erhob, nach dem furchtbaren Wetter,

Sich in der Wolke! Der Bund iſt ewig, der Auferſtehung

Bund iſt ewig! So wie der Geſang in Stroͤmen dahinfloß,

Tanzten die Knaben den heiligen Reihn zu dem Siegesgeſange.

Und die Muͤtter bekraͤnzten mit Fruͤhlingslaube die Knaben.

Siehe, die Thraͤnen alle, ſie wurden alle getrocknet,

Da das geopferte Lamm verſoͤhnet hatte, nicht Tod mehr

War der Tod! So wie der Geſang in Stroͤmen dahinfloß,

Wandten die Knaben in heiligem Reihn ſich nach Golgatha’s Huͤgel.

Und die Muͤtter brachten den Knaben Sproſſe der Palme.

Ach der Lebende ſprach mit ſeiner Stimme: Maria!

Und ſie lag zu den Fuͤſſen des Gottverſoͤhners, und rufte,

Rufte: Rabbuni! So wie der Geſang in Stroͤmen dahinfloß,

Tanzten die Knaben den heiligen Reihn zu dem Siegesgeſange.

Rief: Mein Herr! und mein Gott! Er hatte die Maale geſehen

Seiner Wunden! hatte die Hand in des Auferſtandnen

Seite gelegt! So wie der Geſang in Stroͤmen dahinfloß,

Tanzten die Knaben den heiligen Reihn zu dem Siegesgeſange.

Ach auch wir erwachen dereinſt von dem Tod’, es erwachen

Alle, bis hin zu dem Ende der Erde, die liegen und ſchlafen

Todte
[64]Der Meſſias.
Todte Gottes! So wie der Geſang in Stroͤmen dahinfloß,

Tanzten die Knaben den heiligen Reihn um eines der Graͤber,

Warfen die Kraͤnze darauf, und tanzten zum Siegesgeſange.

Schnell entſinken ihnen die Palmen. Denn, auf des Felſen

Hoͤhe, des Grabes, das leer jezt war, erſchienen Erſtandne;

Und der Siegesgeſang verſtummet. Drey der Erwachten

Standen in ihrer Herrlichkeit da. Es ſchwebte wie Wolken

Bey den Erſcheinenden. Jezo trat aus dem Silbergewoͤlke

Asnath langſam hervor, und ward zu Glanze. Debora

Hub ihr Antlitz, und hub die gefalteten Haͤnde gen Himmel

Aus der Wolke, bis endlich auch ſie ganz Schimmer daſtand.

Und Jedidath ſchwebte daher, als kaͤm er aus jener

Ferne, wo nieder des Himmels Gewoͤlbe ſich ſenkt; doch auf Einmal

Stand er neben Debora. Und Jſak begleiteten Engel,

Und bewunderten ihn, den ſchoͤnſten der Auferſtanduen.

Rahel wehte die goldene Locke, da ſie aus dem weißen

Dufte Joſeph fuͤhrte, mit einer Liebe, daß alle

Muͤtter die Mutter erkannten. Da kam in der Sterblichen Seele

Sanftere Freude, da fiengen ſie an, dem bangen Erſtaunen,

Sich zu entreiſſen. Nicht lange, ſo traf ſie neues Erſtaunen.

Denn nun ſtand Jeſaias, und Abraham da, und Hiob,

Strahlengeſtalten! Die Sterblichen bebten. Nun kamen des Mittlers

Taͤufer, und Seth, und Abel; nun kam mit Gabriel Adam,

Blitze Gottes! Die Sterblichen ſanken. Der Fels wankt’ ihnen,

Und das Gefild’ umher. Jezt wurde der Sterblichen Seele

Wieder entlaſtet. Denn Eva kam mit milderer Schoͤne,

Trat einher, und fuͤhrte, wie ſie der erfriſchenden Mondnacht

Schim-
[65]Siebzehnter Geſang.
Schimmer umgab, und die Blaͤue des Himmels, den Juͤngling Benoni.

Da erhuben die Zeugen ſich wieder, und ſahen des Himmels

Erben mit Seelenerquickung, mit unausſprechlicher Wonne,

Fuͤhlten es ganz, wie ſelig ſie waren. Schnelles Entſchluſſes,

Naͤherte ſich Nephthoa dem Felſen. Er hatte die Palme

Wieder genommen. Er hielt ſie gegen Benoni, und ſagte:

Ach dich kenn’ ich, allein die hohen Stralengeſtalten,

Deine Gefaͤhrten, die kenn’ ich nicht. Geſendete Gottes!

Siehe, der euch mit dieſem Glanz, der Herlichkeit Lichte,

Segnete, ſegnet’ auch mich. Zwar bin ich noch Erd’, und es muß noch

Dieſer Leib mir verweſen; allein ich bete, wie ihr, den,

Der verſoͤnet hat, an! Auch wart ihr vormals, wie ich bin,

Sterblich, und truget die Laſt des gefuͤrchteten Todes, bis nieder

Euch des kommenden ſtuͤrzte. Vergoͤnnt, vollendete Fromme,

Mir, den Chriſtus ſegnete, daß ich dem furchtbaren Felſen

Naͤher trete, noch naͤher ſchaue der Himliſchen Antliz!

Eva wendete ſich zu Adam: Der ſuͤßen Ahndung,

Adam! nicht lange, ſo bricht die Blume der Tod!.. und ſie ſtand ſchon

Bey dem Knaben, und fuͤhret’ ihn hin zu Benoni. Doch jezo,

Da er mitten im Kreiſe der Himliſchen war, und ihr Laͤcheln

Seinem erhobenen Blicke begegnete, zitterten Schauer

Durch des kuͤhnen Knaben Gebein. Jhm huͤllte Debora

Sich in Daͤmrung, und ſprach mit ihm: Du hoͤrteſt die Zeugen

Chriſtus ſingen; ſing uns ihr Lied … Da begann er mit leiſer

Stimme das Lied der Zeugen; der Seligen Harfen beſeelten’s:

Siehe des Himmelsbogen erhob, nach dem furchtbaren Wetter,

Sich in der Wolke. Der Bund iſt ewig, der Auferſtehung

IVBand. EBund
[66]Der Meſſias.
Bund iſt ewig! So wie ſein Geſang, von den Harfen beſeelet,

Hinfloß, ſchwang er den Palmenzweig, und wies auf des Herrn Grab.

Siehe die Thraͤnen alle, ſie wurden alle getroknet,

Da das geopferte Lamm verſoͤnet hatte, nicht Tod mehr

War der Tod!.. Was ſaͤumet ihr, ſprach mit ſanfterem Lichte

Asnath, dem Knaben der Pſalme den Kranz vom Grabe zu bringen?

Magdale Mirjam kam, und bekraͤnzte den Knaben der Pſalme.

Ach der Lebende ſprach mit ſeiner Stimme: Maria!

Und ſie lag zu den Fuͤſſen des Gottverſoͤners, und rufte,

Rufte: Rabbuni! So wie ſein Geſang, von den Harfen beſeelet,

Toͤnte, traͤufelten ihm aus dem hellen Auge die Thraͤnen.

Rief: Mein Herr! und mein Gott! Er hatte die Maale geſehen

Seiner Wunden! hatte die Hand in des Auferſtandnen

Seite gelegt!.. Da jezt ſein Geſang, von den Harfen beſeelet,

Stroͤmte, hielt ſich nicht mehr die wonnevolle Verſammlung

Neben dem Felſen; ſie ſtiegen hinauf zu den Seligen Gottes!

Und ſie traten hinein in den ſtralenden Kreis, und ſangen:

Ach auch wir erwachen dereinſt von dem Tod’! es erwachen

Alle, bis hin zu dem Ende der Erde, die liegen, und ſchlafen

Todte Gottes! So wie ihr Geſang den Flug des Triumphs flog,

Huben die Harfen den Schwung wie am Throne zum Wonnegeſange.

Jezo ward Ein Chor die Verſammlung der ſterblichen Chriſten,

Und der vollendeten; Alle ſangen dem Sohne; mit Stimmen

Lautes Jauchzens, die Himliſchen; leiſes Stammelns, die Menſchen:

Preis und Ehre dem Ueberwinder! dem Loͤwen aus Judah!

Und dem Lamm auf Sion! der hohen Aehre von Jeſſe

Aber am Golgatha lag ſie geſenkt; hub ſchnell an des Blutes

Huͤgel
[67]Siebzehnter Geſang.
Huͤgel wieder ſich auf, die erſte der Erndte! Den Voͤlkern

Allen ſchattet ſie einſt, und das Labſal des goͤttlichen Schattens

Wird in Ewigkeit laben! Da ruften die Schnitter nicht, ſanken

Aus der Cherubim Hand die Poſaunen, da Jeſus Chriſtus,

Preis und Ehre dem Ueberwinder! da Jeſus Chriſtus

Auferſtand!.. Die Stimme der Seligen Gottes verlor ſich

Jn der Entzuͤckung; ihr Glanz erloſch. Die Todten verſchwanden.

Lazarus Huͤtten und Martha’s lagen in ſchattigen Gaͤrten,

Die ein luftiger Bach durchfloß, und mit einem der Gaͤnge

Leiſe zum Grabe Mirjams kam. Aus eben dem Grabe

Hatte den Bruder herauf der Todtenerwecker gerufen;

Aber die himmliſche Schweſter ſchlief den eiſernen Schlaf fort,

Jezo ohne Klage der Nachgelaßnen, denn Jeſus

War erſtanden! zu ihm die himmliſche gluͤckliche Mirjam

Hingegangen. Aufs Grab der Hingegangenen ſtreute

Martha, mit jeder kommenden Sonne, des naͤhrenden Baches

Hellſte Blumen, wie ſie, von der Zaͤhre der ſuͤßen Hofnung,

Troffen, der Hofnung des Wiederſehens, wenn ſie bey der Schweſter

Bald nun laͤg’ und ſchliefe den eiſernen Schlaf in der Erde,

Blind den Blumen, und taub dem ſanften Falle des Baches;

Aber die Seele bey Mirjams Seele. Sie kam von dem Grabe

Jezo zuruͤck, als Lazarus ihr begegnet’, und ſagte:

Martha, ich ſendet’ und lud der Bruͤder ein, der Verſoͤhnten,

Auch der Pilger vom ſiebenarmigen Strom, und den Jnſeln

Griechenlandes, zum Mahl in Schatten und Weſte, zum Liede

Unſerer lieben Saͤnger im Buſch, und der Harfe Geſange.

Martha eilet’, und war, das Mahl zu bereiten geſchaͤftig.

E 2Lazarus
[68]Der Meſſias.
Lazarus gieng und ſtreuete Blumen, und thaut’ in der Lauben

Kies, aus dem kuͤhlenden Quell, und bog die Zweige, des Schattens

Mehr zu geben, und mehr dem Sonnenſtrahle zu wehren.

Und ob er wohl, bey dem frohen Geſchaͤft, die Lauben zu ſchmuͤcken

Und zu kuͤhlen, am Grabe der himmliſchen Schweſter vorbeykam,

Troff ihm die Thraͤne doch nicht der Todeserinn’rung. Jch ſehe

Bald ſie wieder!.. und brach der Blumen ſelbſt auf dem Grabe.

An dem Bache hatten ſich ſchon, mit der Harf’ und der Gidith,

Seiner Jugend Geſpielen um eine Palme gelagert,

Mit der Aſoor, der Cymbale, dem Horn, und jener Poſaune,

Die den Donner nicht hallt, von hellem Tone nur zittert.

Und ſie fuͤhlten voraus der Lieder Freude, die, kaͤme

Nun der Abendſtern, und der ſilberne Mond mit dem Sterne,

Von der Palme ſich ſollten umher in die Lauben ergießen.

Jezo war nach und nach der Geladnen Verſammlung gekommen,

Und ſie ſaßen umher in den luftigen Lauben, und fuͤhlten

Freude, die nun nicht mehr voll Ungeſtuͤmes die Seele

Ueberwaͤltigte, die, gleich ſanften Baͤchen, das Jnnre

Jhres Lebens durchwallte. Was hatten ſie nicht von des Mittlers

Zeugen gehoͤrt; was ſelber geſehn; was durften zu hoͤren

Sie nicht noch und zu ſehen erwarten, die Soͤhne des Bundes

Ach des neuen, der uͤber ihnen mit Herrlichkeit ſtrahlte,

Der, geſtiftet durch Tod, durch Auferſtehung geſtiftet,

Jhnen zum froͤhlichen Tage das Leben, zum heiteren Abend

Machte (wenige nur ſahn, truͤbe den Blick, in die Zukunft)

Machte zum ſuͤßen Schlummer den Tod! kein Zweifel bewoͤlkte

Jhre Seelen, nicht jene Belaſtung der Ungewißheit,

Die,
[69]Siebzehnter Geſang.
Die, in der Truͤbſal Stunde, ſogar auf Fromme ſich ſtuͤrzet,

Druͤckte ſie nieder; ſie waren beynah ſchon uͤber dem Grabe,

Neideswerth, wenn ein Chriſt dem Bruder es koͤnnte beneiden,

Daß von dem Allbarmherzigen ihm der Begnadigung mehr ward.

Silberfarben wallte der Mond, der Stern, ſein Gefaͤhrt, ſtand,

Funkelt’ am weißlichen Himmel. Die frohe Verſammlung zerſtreute

Sich aus den Lauben umher, und genoß des kuͤhlenden Abends.

Von Geſpraͤch zu Geſpraͤch kam Dimnot, ein Pilger aus Samos,

Endlich dahin, daß er ſagte zu dem, mit dem er, der neuen

Freundſchaft erſtes Gefuͤhl, die Luſt der edleren, theilte:

Ach du meynſt noch, der Tod vernichte! Muß denn das Saatkorn

Nicht aufſchwellen, bevor es zum lebenden Keime ſich hebet?

Muß die Wolke zur Nacht nicht werden, eh ſie in den ſchnellen,

Zuͤckenden Blitz, in den Rufer Gottes, den Donner, ſich wandelt?

Soll die hohe Seele den ſtets im ſterblichen Leibe

Wohnen, des Daſeyns erſte Bahn auf immer betreten?

Dieß nur ſagt’ er, und handelte ſchnell. Mit Strahlen umgeben,

Stand er vor ſeinem Freund auf Einmal da, und erweckt’ ihn,

Maͤchtig erſchuͤtternd, vom aͤngſtlichen Traum der geglaubten Vernichtung.

Von Geſpraͤch zu Geſpraͤch kam Kerdith, ein Pilger vom Nilus,

Endlich dahin, daß er ſagte, zu dem, mit dem er, der neuen

Freundſchaft erſtes Gefuͤhl, die Luſt der edleren, theilte:

Gluͤcklicher! der es nicht weiß, wie ſehr er es iſt, dich ergreift noch

Stets der Gedanken, es ſey auf dieſer Erde des Elends

Mehr, wie der Freude! Bald wird ſich der Schmerz des truͤben

Gedankens

Lindern, vielmehr als lindern, wird dich auf immer verlaſſen,

E 3Gluͤck-
[70]Der Meſſias.
Gluͤcklicher, der es nicht weiß, wie ſehr er es iſt, und wie ſehr ſich

Das ihm nahet, was ihm ſchon in dem Leben am Grabe

Ueber das Grab wird erhoͤhn, des Todes furchtbaren Abruf

Jhm in Himmelsgeſang, das Bild der nahen Verweſung

Jhm wird wandeln in trunknes Gefuͤhl, in Ahndung verklaͤrter

Zukunft voll, es entkeime dereinſt dem geſunknen Gebeine

Auferſtehung!.. Mir iſt, mein Bruder, durch den, der alle

Schuf, und alle verſoͤhnte, ſchon Auferſtehung geworden!

Ach er riefs, mit dem Tone der innigſten Wonne, dem Freunde,

Stammelt’s ihm zu, und ſtrahlte die Morgenroͤthe des Urlichts

Auf den erſtaunenden, ſaͤumt’, und ſaͤumte, ſein leuchtendes Antlitz

Wegzuwenden; blieb lange vor ihm in der Schoͤnheit der Engel

Stehen, that dem bebenden, that dem verſtummenden froher,

Eilender Fragen viel; wich ſeitwaͤrts wie Daͤmm’rung, da dieſer

Hinzuſinken begann in die Blumen um ihn; doch enthuͤllt’ er

Wieder ſein Licht, und kam zu dem Hingeſunkenen wieder.

Endlich ſahe den unverſchwundnen, vom Schrecken der Freude

Uebernachtet, ſein Freund nicht mehr. Sie fanden mit bleicher

Wang’ ihn liegen, und huben ihn auf, und reichten ihm Labſal.

Finſter und ſcharf war Sebida’s Blick. Er ſaß auf dem Moosſtein,

Und ihm gluͤhte von Denken die Stirn: Jch, der der Gewißheit

Lang’ in Dingen des kuͤnftigen Schickſals entſagt hat, dem Zweifel,

Wie er das Herz auch belaſte, ſich lange ſchon unterworfen,

Jch ſoll glauben, der Pilger etliche, die ich vor kurzem

Hier noch ſahe, Sterbliche ſahe, die ſeyn Erſtandne?

Die erſcheinen? und ſoll nicht glauben, der ſehenden Seele

Werd’, indem ſie Gedanken von Auferſtehung entflammen,

Durch
[71]Siebzehnter Geſang.
Durch Vorſtellung getaͤuſcht, der Wirklichkeit mangelt? Erſcheint denn,

Todte, dem forſchenden Unterſucher, der, Weſen vom Bilde,

Sondert, erſcheinet, lebende Todte! denn Wirklichkeit kenn’ ich,

Leben auch! Jch ſchau um mich her, und flehe vergebens!

Japhet, ein Pilger aus Tenedos, kam heran zu dem Zweifler,

Stand, von der Helle des unbewoͤlkten Mondes umgeben,

Nahe vor ihm, und redte mit ihm, von der doppelten Taͤuſchung

Bald der gewaͤhnten Gewißheit, und bald des ergruͤbelten Zweifels,

Alles, nachdem die Seele zur Ueberzeugung ſich neige,

Oder wider dieſelbe ſich ſtraͤube. Der Weiſere koͤhre

Dinge ſich aus, und Beſchaffenheiten der Dinge, die ſichtbar

Vor ihm laͤgen, und die er zu uͤberſehen vermoͤchte;

Boͤten aber ſich ihm, aus weiteren Kreiſen der Kenntniß,

Andere dar; ſo erforſchet’ er ſie, wie die aus den engern,

Saͤhe, wie ſonſt, verdrehte, bey Ueberſchauung des Hoͤhern,

Nicht den Blick, und taͤuſchte ſich nicht durch ergruͤbelte Zweifel.

Ernſtvoll ſagt’ es der Pilger, und kalt; und auf Einmal verſchwand er.

Jſt verſchwunden, verſchwunden! und nicht erſchienen! allein er

Jſt ja erſchienen, nur nicht in ſeiner Herrlichkeit … Sehen

Soll ich, wie ſonſt. Jch ſehe wie ſonſt. Er iſt mir verſchwunden;

Jſt mir alſo erſchienen. Wer ſendet’ ihn? Kam er von ſelber?

Oder ſendet’ ihn Gott? Jſt er auch von ſelber gekommen;

O ſo iſt er immer doch einer, dem es bekannt war,

Daß ich Belehrung bedurft’, und der mich maͤchtig belehrt hat.

Waͤr er nun gar ein Bote von Gott!.. So bin ich dem Meer denn

Dieſer Zweifel, worinn ich verſank, entronnen! Entronnen

Bin ich! ich bin durch einen Sturm ans Geſtade gerettet,

E 4Steh,
[72]Der Meſſias.
Steh, und ſchaue freudig hinab, und hoͤre die Woge

Tod herrauſchen, und fuͤrchte nicht mehr die wuͤtende Woge!

Aber ihm ward der Gnade noch mehr. Der verſchwundene Todte

Kam in ſeiner Herrlichkeit wieder. Es ſah in den Schatten

Einer Palme den Strahlenden Sebida kommen, darauf ihn

Naͤher ſchweben, zuletzt in Glanze gemilderten Lichtes

Gegen ihn uͤber, als wollt’ er daſelbſt der Ruhe genieſſen,

Nieder auf einen Felſen ſich ſetzen. Frey, wie der Heitre

Luͤfte, geloͤſt von allen Banden der Zweifel, von allen

Jhren Buͤrden entlaſtet, befragte jezt die Erſcheinung

Sebida, hoͤrte von ihr die ſuͤße Stimme der Antwort

Ueber vieles von dieſem, und jenem Leben, und beyder

Nahem Verhalt, und wie Gott es Alles mit Herrlichkeit ende!

Endlich rief er: Wer aber biſt du, Erſcheinung vom Himmel?

Ja, Erſcheinung vom hohen Himmel, doch auch aus dem Grabe!

Jch bin Joſeph. Dir lebt dein alter Vater noch. Eile

Und erzaͤhl’s ihm, damit der redliche Greis, auf des Sohnes

Wange, fuͤhle die Freudenthraͤne des Sohns, und ihn ſegne!

Unterdeß ſtand der Verſoͤhner auf Tabors Hoͤhen, und ſahe,

Welche Seligkeit denen ward, die bey Lazarus weilten.

Lazarus redte mit Ernſt, und unwiderſtehlicher Anmuth,

Von den Lehren des Mittlers, wie er jezt tiefere Weisheit,

Nahrung ſie, und Leben des Menſchen, enthuͤllet mit Einfalt,

Jezt von fern nur gezeigt dem Auge des Sterblichen haͤtte.

Sind, ſo ſagt er, die kenntnißbegierigen Wandrer hinuͤber

Ueber das Grab gegangen; ſo wird die Ferne zur Naͤhe,

Und ſie lernen zugleich, warum dieß nicht fruͤher geſchahe.

Viele
[73]Siebzehnter Geſang.
Viele Fragende ſtanden um Lazarus her, und Antwort

Hatt’ er ſchon vielen gegeben. Jtzt ſagt’ er zu einem der Pilger,

Der ein Unſterblicher war, kein Pilger mehr auf der Erde:

Unſers Mittlers Erniedrigung?.. Jſt fuͤr den ſchaͤrfſten

der Blicke

Abgrund, wo am unmerklichſten ſich die groͤßten der Thaten

Zeigen. Dann dort, wo ſie ſind, ſinket am tiefſten die Tiefe.

Laſſet uns menſchlich reden von goͤttlichen Dingen; denn anders

Koͤnnen wir nicht. Ein Menſch, der edler iſt, handelt; verkennet

Wird er, iſt voller Gefuͤhl, empfindet es, daß er verkannt wird,

Leidet! Was iſt er? Ein ſchwacher, ſterblicher Menſch, der ein wenig

Beſſer iſt, als die andern; und dennoch weinet er, haͤlt er

Bittere Thraͤnen zuruͤck, die gerecht ihm ſcheinen. Und Chriſtus

Unſer Mittler? Wir ſtehn an der Tiefe! Vergleichet; vergleichet

Aber auch nicht: ſonſt muß ich ſchweigen. Der Mittler iſt Gottes

Sohn! iſt Gott! Hier ſchwindet zu nichts das Bild vor dem Urbild.

Und er handelt. Auch hier wird es Schatten. Berkennet? Jn Allem

Ganz verkennet! Und jene Thraͤnen, die Chriſtus zuruͤck hielt?

Waͤren gerechtere jemals geweinet worden?.. Doch alles,

Was der Menſch durch ſich ſelbſt ſich erklaͤrt, iſt fern von dem Leiden,

Das der Heilige litt! iſt fern vom Gefuͤhle, mit welchem

Er es litt! Verkennt nur in Allem ganz? Voll ſtaͤrkern

Tiefern Gefuͤhls, als ein Menſch empfunden, empfunden ein Engel,

Wurd’ er, mit Hohne der Hoͤlle, gehoͤhnet! unter lautem

Schlangengeziſch in Purpur gehuͤllt! ein Rohr ihm gegeben

Jn die Rechte zum Zepter! aus Dornen um ſeine Schlaͤfe

Eine Krone gewunden! So wurd’ er gefuͤhrt zu der Schaͤdel

E 5Huͤgel,
[74]Der Meſſias.
Huͤgel, geheftet ans Kreuz! nach Labſal rief er, mit Galle

Wurd’ er gelabt! am Kreuze mit langſamen Tode getoͤdtet!

Lazarus endete ſo, und gieng aus der Laube. Zuletzt war

Er allein zu dem Grabe der frommen Maria gekommen.

Und er ſetzete ſich auf die Ruheſtaͤte der Todten,

Senkt’ in frohen und wehmuthsvollen Gedanken ſein Haupt: Da,

Ach da reift ſie der Auferſtehung! Vom todten Meſſias

Hoͤrteſt du nur, da du ſtarbeſt, und nicht vom erſtandnen; allein du

Weißt es alles, und biſt, mich taͤuſchten ja Engel, waͤrs anders,

Biſt bey ihm! Noch ſegn’ ich dir nach, du Schlummernde Gottes!

Doch die Unſterbliche war bey ihrem Grabe: Was haͤtt’ ich

Jhm zu erzaͤhlen; koͤnnt’ ich mich, wie die Erſtandnen des Mittlers

Sich den Zeugen entdecken, ihm auch entdecken! Allein er

Wird ja vielleicht, wie es ſchon ſein Semida wurde, wie’s Cidli

Wurde, verklaͤrt!.. O Abend, den Gott mich erleben in dieſem

Zweyten Leben laͤßt, gluͤckſeliger Abend, wie machen

Dich mir feſtlich die Pilger des Herrn! wie wuͤrde Maria,

Lebte ſie, deiner ſich freun! wie forſchen, wer wirklich ein Pilger?

Wer ein Unſterblicher ſey, ſchon einer der Heimath des Himmels?

Koͤnnt’ ich dir nur erſcheinen; ich wollte, du Theurer, ſie alle

Dir entdecken, wer noch im Staube wallet, und wer nur

Erdebewohner euch ſcheint. Die Unſterblichen, Lazarus, haben

Eine Hoheit, die ſie nicht ſtets zu verbergen vermoͤgen;

Schauen bisweilen, wie Engel, auf euch! Wer Acht hat, und ſehn kann,

Sieht es. Jch rede ja da, als waͤr’s mit dem Bach und dem Grabe.

Lazarus hoͤret mich nicht; mich hoͤren der Bach und das Grab nicht.

Doch will ich mich, mein Bruder, der ſuͤſſen Taͤuſchung, als koͤnnt’ ich

Mit
[75]Siebzehnter Geſang.
Mit dir reden, noch uͤberlaſſen! Der Greis mit dem ſchoͤnen

Bluͤthenhaar, und dem roͤthlichen Wanderſtab’ an der Ulme

Jſt Huſai. Der Juͤngling, der dort an der Kruͤmme des Baches

Ernſt das Auge gen Himmel erhebt, iſt Jethro, der Schaͤfer

Midians. Siehe, ſie iſt, in einen Schleyer dem Duft gleich,

Eingehuͤllt, und mit Golde geguͤrtet die ſanfte Megiddo,

Jephtha’s Tochter … Es war der itzt ſchweigenden Blick auf des

Mittlers

Auferweckte noch immer gerichtet. Noch immer voll neuer,

Suͤßer Verwunderung uͤber die Welt, in welcher ſie jezt war,

Spaͤhte ſie alles darinn, bis auf die kleinſte Veraͤndrung,

Mit des waͤrmſten Gefuͤhls Theilnehmung. Jezo bemerkt ſie,

Wie, mit leiſer Senkung, die vielbeſaitete Harfe

Korah an einen Oelbaum lehnt; jezt, wie ſein Jedithun

Jhm an die Harfe den Blumenkranz voll friſcheres Dufts haͤngt;

Nun, wie weiter hinauf an der Ulme Rahel den Epheu

Windet; und nun, wie Rahel ſich Hapuch naͤhert, als wollte

Sie ihr helfen, und doch auf Erſcheinungen ſinnt. Da bey Bethlem

Einſt der Hirt Zalmona das Lied der Unſterblichen hoͤrte,

Das ſie ſangen von dem, der geboren war an der Krippe!

Starb er vor Freude. Der war erſtanden. Jhn ſahe Maria

Neben Bethlehems aͤlterem Hirten, dem Sohn Jſai’s.

Beyde trugen Staͤbe der Weide, waren vom Felde

Beyde gekommen, und forſchten der Auferweckung der Frommen,

Jhren Erſcheinungen nach, und lieſſen ſichs alles erzaͤhlen.

Jezo wandte zu Lazarus ſich Maria von neuem:

Sieh, er machet ſich auf, und will dem Juͤngling erſcheinen,

Den
[76]Der Meſſias.
Den bey Hermon die Mutter gebahr; an dem glaͤnzenden Auge

Seh ich’s, Eliphas will dem gluͤcklichen Juͤngling erſcheinen!

Ach wie nahe (wende die Blicke nach ihm!), wie nahe

Kommt er zu uns; er ſetzt auf das Grab ſich neben dir nieder!

Aber nun ſieht ihn das Auge nicht mehr. Wie ſchnell war die Wandlung,

Als er der Menſchen Geſtalt ablegte! Er will ſich nach Tabor

Wieder erheben. Verweil’, o Heman, bey uns, und erſcheine

Meinem Lazarus hier! O laß mich ſein frohes Erſtaunen

Ueber |des Himmliſchen Anblick, laß ſeine Thraͤne mich ſehen!

Jhm erſcheint der Verſoͤhner! und, wenn der Verſoͤhner zu Gott geht;

Wird dein Bruder verklaͤrt!.. Jhr Unſterblichen Gottes! verklaͤrt wird

Lazarus? wallet mit uns hinauf zu den ewigen Huͤtten?

Ach zu dem Erbe des Lichts? den tauſendmaltauſend, der Schoͤpfung

Erſtgebornen? zu alle den Schaaren der Mitanbeter?

Aber du geheſt von mir, mein Bruder. Lazarus wandte

Sich von dem Grabe Maria’s, und kehrte zuruͤck zu den Lauben.

Cneus ſaß allein auf kuͤhlendem Mooſe; ſo dacht er:

O ihr Gluͤcklichen, die das alles ſahen, erſcheinen

Auferſtandene ſahn, ſelbſt Worte der Ueberzeugung

Von der kuͤnftigen Welt durch die Boten Gottes vernahmen!

Aber gluͤcklich auch ich, dem ſie dieß alles erzaͤhlten!

Thorheit waͤr es, noch jezt zu zweifeln, taͤuſchende, blinde

Thorheit! Allein was ſoll ich thun? Dem Eroberer ferner

Dienen? Dem Gott des Olympus, dem Donnerer opfern? Bey Adlern

Schwoͤren, das Blut unſchuldiger Unterjochter, gerechtrer

Menſchen, Blut zu vergieſſen? und iſt es vergoſſen, des Feldherrn

Stolzen Triumph begleiten, und mit den Siegern in Rom dann

Schwel-
[77]Siebzehnter Geſang.
Schwelgen? das? da mir ganz andre Gedanken des Menſchen

Schikſal in dieſer und jener Welt ganz anders erklaͤren!

O gehabet euch allzumal wohl, ihr Triumph’, und Erobrer!

Und ihr Goͤtter! Jch weihe mich dem, deß Wahrheit mich lehret,

Hohe, himliſche Wahrheit, die Schikſal der Menſchen dem Menſchen

Aufſchleußt, Kuͤnftiges uns, und Entwiklung im Kuͤnftigen, zeiget.

Gott der Goͤtter, ſey du mit mir, und leite mich ferner.

Wunderbar wurd’ er erhoͤrt. Und ſah Elihu’s Erſcheinung

Vor ſich ſtehen, und hoͤrte von Gottes Heile ſie reden.

Und Erſtaunen befiel den frommen Cneus, daß Gott ſich

Seiner ſogar mit dieſer ſo großen Erbarmung erbarmte.

Lange, ſie war ſchon verſchwunden, ſchon wieder hinuͤber gegangen

Jn der Geiſter Welt die Erſcheinung, doch blikt’ er noch lange

Nach der Staͤte, wo ſie vor ihm ſtand, und hoͤrte noch immer,

Was die Erſcheinung ſprach, noch immer Worte des Lebens.

Jnnig geruͤhret, geruͤhret in ſeiner ganzen Seele

War Bethoron. Er hatt’ erfahren, ihn liebte der Mitler

Dennoch, obwohl er vordem ſich weigerte, Juͤnger zu werden;

Juͤnger deſſen, der nun war auferſtanden, Erſtandne

Sendete ſeinen Geliebten, die ſie mit Freuden des Himmels

Ueberſchuͤtteten! .. Jch noch jezo geliebt? Das koͤnnt’ ich

Das, das waͤhnen? So blutet ſein Herz. Jn der einſamen Laube

Sahe den troſtbeduͤrftigen Lazarus, konnt’ ihn nicht troͤſten.

Und Bethoron verließ die Laube, und ging, in des Gartens

Gaͤngen, mit Pilgern umher, in des Waͤldchens Gaͤngen, mit dieſen

Unbekannten, die Sterbliche ſeyn, Unſterbliche konnten

Seyn, und erſchienen, erſcheinen wollen, den uͤbrigen Allen;

Aber
[78]Der Meſſias.
Aber ihm nicht! Er ſprach jezt mit Einigen, kehrte ſich wieder

Weinend weg, und hoͤrte nur an, was mit Andern ſie ſprachen.

Jezo ging er mit Gerſon aus Paros, der war Elihu,

Hiobs Freund. Bethoron erzaͤhlte, ſo wollt’ es Elihu,

Von den Thaten des Herrn, da er noch im Leben die Lehren

Gottes lehrte; beſtaͤtigte noch durch Wunder die Lehren

Gottes. Und einmal rief Elihu: O Selige, die er

Sich zu Zeugen erkohr. Bethoron durchdrang es die Seele,

Und er glaubt’ an Gerſon zu ſehen, er waͤre kein Pilger!

Gerſon wendete ſich zu ſeinen Gefaͤhrten. Die Blicke!

Dachte Bethoron bey ſich, und dieſe Stimme, bisweilen

Voller Laute, wie ſonſt ich keine Laute nicht kenne!

Dieſe Worte der Kraft! der Wahrheit!.. Aber was ſinn’ ich

Ueber ihn nach, und quaͤle mein Herz? O ſey nur, du Fremdling,

Sey ein Sterblicher! ſey ach kein Unſterblicher! .. Gerſon,

Kehre wieder! Er kehret nicht wieder. Er will mir Verlaßnen

Nicht erſcheinen! Bethoron war unvermerkt an dem Bache,

Welcher das Grab Maria’s umfloß, hinuntergegangen.

Und dem Einſamen kam ein andrer Fremdling entgegen,

Nahm ihm die Hand, und wurde ſein Freund. Da ergoß ſich Bethorons

Traurende Seele! da ſprach er von Chriſtus Berufe, von ſeiner

Weigerung, ſprach von allem, was ihm ſein Jnnres durchdraͤnge!

Ob der Mitler ihn wohl noch liebte? das nicht! ihm vergaͤbe?

Und, wenn er ihm vergaͤbe … Wer biſt du, o Fremdling? Wofern du

Einer der Himliſchen biſt, der Seligen Gottes einer,

Die den Zeugen des Mitlers erſcheinen; ſo … laß dich erflehen,

Wende nicht weg dieß Auge voll Liebe! ſo habe du Mitleid

Mit
[79]Siebzehnter Geſang.
Mit mir Armen! ich flehe dich nicht um himmliſchen Lohn an;

Aber um Mitleid fleh ich dich an, ſo erbarme dich meiner,

Bote Gottes, erhabener Juͤngling! mein Freund, du ſagteſt

Mir ja ſelber, du waͤreſt mein Freund! kaum wag’ ich, es endlich

Auszuſprechen, warum ich dich fleh, … ſo erſcheine mir, Bote

Deſſen, der auferſtand! und der mich Armen zum Juͤnger

Auserkohr, und dem ich nicht folgte … Jedidoth vermochte

Laͤnger ſich nicht zu halten, und fiel um den Hals ihm, und weinte

Lange mit ihm, bis endlich Bethoron mitten in Strahlen

Niederſank, und Himmel und Erd’ um den Gluͤcklichen ſchwanden.

Unterdeß ſtand der Verſoͤhner auf Tabors Hoͤhen, und ſahe,

Welche Seligkeit denen ward, die bey Lazarus weilten.

Berſebon, einer der Zehne, die Jeſus vom Auſſatz heilte,

Aber der dankbar allein | zuruͤckkam, hoͤrte jezt, naͤher

Jener umlagerten Palme, die Stimme der Gidith, und Harfe,

Und der vereinten Aſoor. Mit trunknem Ohre, mit ſuͤßer

Ueberwallung der Freude, vernahm er der innigen Toͤne

Gang und Verhalt; und ſchnelle, gefluͤgelte Bilder umſchwebten

Jhm die Seele: bald aber erblickt’ er, ſehendes Auges,

Bey der Palme, doch ſie, wie in helle Nebel gehuͤllet,

Leuchtende Menſchengeſtalten, und immer, da er ſie ſahe,

Wurde das Harfengetoͤn ihm lieblicher, himmliſcher immer.

Schrecken der Freude befiel ihn, als eine der edlen Geſtalten

Jhm ſich naͤhert’, und ihm die Hand ergriff, und ihn fuͤhrte

Jn das helle Gewoͤlk. Da er in dem Gewoͤlk iſt, eroͤfnet

Jhm ſich weitres Gefild, und Licht, wie er niemals noch ſahe,

Schwebt auf dem frohen Gefild. Ein Unſterblicher redet’, und ſagte:

Brich
[80]Der Meſſias. Siebzehnter Geſang.
Brich uns jener Palmen … Er gieng, und zittert’, und brachte

Jedem einen wehenden Zweig. Der Unſterblichen Einer

Gab ihm den ſeinigen. Jezo verließ das Schrecken der Freude

Berſebon, und er redet’: Jhr ſeyd vom Himmel gekommen?

Sind aus Graͤbern gekommen! Wir ſind erſtandene Todte.

Hat euch der aus dem Grabe geweckt, der mich von dem nahen

Tode zuruͤckrief? .. Chriſtus hat uns, da er ſtarb, aus der Erde

Zu dem unſterblichen Leben gerufen! .. Verweilt ihr noch lange

Auf der Erde? .. Nicht laͤnger, als der, der vom Tod’ uns erweckte!

Geht ihr mit Chriſtus gen Himmel? .. Wir gehn mit |Chriſtus

gen Himmel …

Wird der Verſoͤhner Gottes nun bald die Erde verlaſſen?

Bald ſich gen Himmel erheben? .. Wir wiſſen es nicht … O verzeiht mir,

Himmliſche, daß ich noch immer mich unterwinde zu fragen!

Sterb’ ich bald? .. Wir wiſſen es nicht … Wie war, da vom Tode

Jhr erwachtet, wie war es euch da? .. Wie es Adam die Stunde

Seiner Schoͤpfung war. Einſt rufet auch dich die Poſaune!

Mit den Worten verſchwand die Todtenerſcheinung, und ſprachlos

Blieb er lange noch ſtehn, und ſahe noch immer ſich weit um

Nach den Todten, und ſah die Palme nicht wehn, wo die Harfe

Scholl, und die Gidith, vernahm der goldnen Saite Geſang nicht.

Alſo feyerten ſie in Lazarus Garten der Freundſchaft

Feſt; Unſterbliche feyrten’s alſo mit ihnen. Sie dachten

Sich zu erheitern; und da ward ihnen Freude des Himmels!

Wenn wir ſterben, empfahen wir ſo. Wir hoffen vom Elend

Auszuruhen; und uns wird Wonne Gottes gegeben!


Der
[[81]]

Der
Meſſias
.
Achtzehnter Geſang.


IVBand. F
[[82]]

Jnhalt
des achtzehnten Geſanges
.


Ein Gebet Adams an den Meſſias, daß er ihm einige Folgen ſei-
ner Verſoͤhnung zeigen wolle, wird dadurch erhoͤrt, daß er in
einem Geſicht etwas von dem Weltgerichte ſieht. Selbſt von dieſem
wenigen kann der Dichter nur etwas ſagen. Adam erzaͤhlt den Auf-
erſtandnen und Engeln, daß er Gericht halten ſah: Ueber die chriſt-
lichen Verfolger; die Veraͤchter der Religion; die Unterdruͤcker der
Rechtſchaffnen; die Stifter des Goͤtzendienſtes, und uͤber die boͤſen
Koͤnige.


[[83]]
Der Meſſias.
Achtzehnter Geſang
.


Adam ſank zu den Fuͤßen des Mittlers nieder, und fleht’ ihm:

Hab’ ich Gnade vor dir gefunden; ſo laß, o Meſſias,

Einige Blicke mich thun in die Folgen deiner Verſoͤhnung.

Adam, im Weltgerichte vollend’ ich es Alles. Entferne

Dich in jene Schatten der Cedern. Du ſollſt von der Tage

Letztem dort der milderen Schimmer einige ſehen.

Adam gieng in die Schatten der Cedern, und Schlummer, wie

ehmals

Jn dem ruhigen Schooße des Paradieſes, befiel ihn,

Und er ſah ein Geſicht. Er kam, von Erſtaunen belaſtet,

Langſamen Schrittes, zuruͤck zu den Auferſtandnen, und Engeln.

Sie umſchwebten den Vater der Menſchen, mit ſanftem Verlangen,

F 2Von
[84]Der Meſſias.
Von dem milderem Schimmer des letzten Tages zu hoͤren.

Adam ſetzte ſich nieder auf einer der Hoͤhen; ſie ſetzten

Sich an dem Fuſſe des Huͤgels vor Chriſtus Begnadigtem nieder.

Einſt am Tage des Herrn, als, auf der kommenden Daͤmm’rung

Fluͤgel, vor mir die einſamen freudigen Stunden vorbeyflohn,

Und ich forſchete; kam die heilige Sionitin

Gegen mich her. So war mir noch nie die Prophetin erſchienen,

So viel Ewigkeit hatte noch niemals ihr Antlitz getragen!

Und ſie ſang mir Adams Geſicht. Sie ſelber verſtummte

Oft, da ſie ſang. Die Wange gluͤht’ ihr, es drang zuſehends

Jn ihr gluͤhendes Angeſicht ſchnelle Blaͤße. Die Lippe

Rufte ſtammelnde Donner, und ernſt her blickt’ ihr das Auge.

Faſt entſank die Harfe der ſtarrenden Hand, und die Krone

Bebt’ um ihr fliegendes Haar. Dann erhub | ſie ſich wieder, dann

kam ihr

Jedes Laͤcheln der ewigen Ruh in ihr Antlitz herunter.

Dann mit hundert Fluͤgeln gefluͤgelt, mit Schwingen des Sturmes,

Stiegen die Erſtgebohrnen der Seele, die wahrſten Gedanken

Auf zu Gott. So ſah ſie mein Aug’, und ſtarrt’ in die Nacht hin.

Mit der Linken beruͤhrt’ ich die Erde, mein Grab; und die Rechte

Hub ich gegen den Himmel empor. Der Erde Bewohner,

Oder des Grabes, was ich vermag, das will ich euch ſingen.

Tauſend Gedanken erflog mein Geiſt nicht; zu tauſenden fehlt mir

Stimm’ und Geſang; und tauſendmal tauſend verbarg ſie dem Hoͤrer.

Adam begann. So ſtroͤmten die Lippen des Erſtgeſchaffnen:

Schnell, der Cherub denket ſo ſchnell, ſo wurd’ ich gefuͤhret

Unter die Schaarenheere der auferſtandenen Todten.

Grenz-
[85]Achtzehnter Geſang.
Grenzlos war das Gefild der Auferſtehung. Sie warens

Alle meine Kinder! O ewiger Vater der Weſen!

Welch ein Anſchaun war es! und welches das Anſchaun deſſen,

Der auf dem Throne ſaß, die Kinder Adams zu richten!

Vaͤter des Mittlers, und ihr, o Engel! wie maͤchtig empfand ich,

Was die Unſterblichkeit ſey! Das Alles erblickt’ ich, und lebte!

Siehe, der Tag wird kommen, dann werdet ihr alle das Heer ſehn,

Das ich ſah! und dann wird die Ewigkeit kommen, und keiner

Unter euch allen wird dann das auszuſprechen vermoͤgen,

Was er ſah. Ach er ſah dann auch auf dem Throne den Richter!

Adam ſenkte zum Wonnegebete ſich nieder zur Erde:

Jeſus Chriſtus, du haft mich erhoͤrt, und ich habe geſehen

Deines entſcheidenden Tages der Strahlen einige leuchten,

Einige Donner deines Gerichts, Sohn Gottes, vernommen!

Und der Vater der Menſchen erhub ſich wieder, und ſagte:

Lange, ſo daͤucht es mich, dauerte ſchon die Zeit der Entſcheidung;

Viele waren ſchon, als ich mich nahte, gerichtet,

Sieh, es war kein Tag der Sonne; ſie war erloſchen,

Oder verhuͤllet. Der Glanz des Thrones uͤberſtrahlte

Schoͤn, und ſchrecklich das weite Gefilde der Auferſtehung.

Chriſten wurden, die Chriſten verfolgten, und wegen der Lehre

Von dem getoͤdteten Menſchenfreunde, von herzlicher Liebe

Zu den Bruͤdern, die Bruͤder erwuͤrgten, (Mein Jnnerſtes zittert

Und mein ſtarrender Blick ſieht wieder am Opferaltare

Abel in ſeinem Blute, den Guten vom Boͤſen getoͤdtet!)

Dieſe wurden gerufen, vor Gott zu kommen. Der Cherub,

Welcher ſie rief, ſtieg nieder vom Thron zu dem offnen Gerichtsplatz,

F 3Stand
[86]Der Meſſias.
Stand auf ſeinen Hoͤhen, und goß zwo ſtroͤmende Schalen

Auf die Erde, die eine voll Thraͤnen, die andre von Blut voll.

Da das Blut in die Thraͤnen herabfloß; wandt’ er ſein Antlitz

Um zu dem Thron, und rufte: Du haſt ſie alle’ gezaͤhlet!

Ruh der blutenden Unſchuld, die dieſe Thraͤnen geweint hat!

Schauer ergriff die Engel, und alle Seelen der Frommen

Schauer, als auch der Richter ſich wandte, mit Blicken der Liebe

Auf die Getoͤdteten ſah, mit Blicken, welche nicht Pſalme,

Nicht der Jubel Gebet ganz auszuſprechen vermoͤgen.

Aber die Schaar der Getoͤdteten ſchwieg, noch immer voll Mitleids,

Wie ſie ſtarben. Allein Mitleid nicht, nun kein Erbarmen

War in dem Blicke des Heiligen, der ſich erhub, der Erwuͤrgten

Aſche zu raͤchen, und, eh es dem Todesſchlafe ſich zuſchloß,

Jhr gen Himmel gerichtetes Auge, das brechend um Gnade

Fuͤr die Moͤrder noch bat, dann ſtill entſchlummerte. Heil ſey,

Rufte der Menſchenfreund, Anſchauen der Ewigkeit allen,

Die an des goͤttlichen Opfers Altar auch Opfer ſich legten,

Nun nach kurzer Jahrhunderte Raſt ins Leben erwacht ſind!

Aber Entſetzen, und Quaal, und aller unnennbare Jammer

Jedem Laͤſterer Gottes, der uͤber den Opfern des Mordes

Schwerdt erhub, und Tod auf die Zeugen des Ewigen zuckte,

Oder ihr ſinkend Gebein zu heiligem Staube verbrannte!

Warum die hohe Fahne des Kreuzes, die Zeugin der Liebe,

Warum wehte ſie da, wo ihr die Bruͤder erwuͤrgtet?

Und ihr wagtet, den feſtlichen Namen, vor welchem die Hoͤhe,

Und die Tiefe ſich buͤckt, deß Namen, der fuͤr die Menſchen,

Seine Bruͤder, Erbarmung vergoß, den da noch zu nennen,

Wo
[87]Achtzehnter Geſang.
Wo mit lautem Rufe der Donner euch niedergeſchmettert,

Oder, euch tief zu begraben, geoͤffnet die Erde ſich haͤtte;

Waͤr euch, auf dieſe Stunde der Angſt, nicht Rache geſammelt!

Schaut nun wieder zuruͤck, zuruͤck durch die Thaͤler des Todes,

Hinter dem Ruͤcken ins Leben, als ihr noch traͤumtet in Unſinn,

Sichrer mit Haͤnden voll Bluts nach des Himmels Krone zu greifen!

Sieh, ihr Antlitz, welches ihr ſaht mit dem Tode ſich faͤrben,

Und das Beben der ſtarken Natur durch der Chriſten Gebeine

Hingegoſſen; (nicht durch den Geiſt, der mit herrſchender Ruhe

Von dem ſinkenden Staube ſich wand, und willig den Winden

Seine Truͤmmer vertraute, doch einſt ſie wieder zu fodern!)

Dann in den Flammen ihr Lied, bis ihnen die Wut der Flammen

Gottes Preiſe verbot, das Alles, welchem ihr zuſaht

Mit unmenſchlicher Ruh, was iſt es jezo geworden?

Dank, Anbetung, und Feyer, und laute Wonne dem Herrſcher

Aller Himmel Himmel, und ſeiner Maͤrtyrer Bruder,

Daß der Tod nicht mehr iſt! ſtatt ſeiner drohenden Schauer,

Suͤße maͤchtige Schauer die Auferſtehenden faßten,

Da die Winde den Staub, die Verweſungen aller der Todten

Brachten, und durch die Natur die neue Schoͤpfung einhergieng!

Da das ſtammelnde Lied, nun Halleluja, heraufſtieg!

Statt des Gebets um Erbarmung, ihr Heilig! Heilig! ertoͤnte,

Und in Jubelgeſange den Unausſprechlichen nannte!

Alſo klagte der maͤchtige Klaͤger. Ein anderer folgt’ ihm,

Trat gefuͤrchtet hervor, und ſprach: Getoͤdtete ſtehn dort,

Sind, wie ihre Moͤrder, verworfen! Jhr Leben, der Endzweck,

Der ſie entflammte, die Hoͤh’n der Religion zu erſteigen,

F 4Hat
[88]Der Meſſias.
Hat ſie gerichtet. Zwar ſenkten ſie tief den Gedanken des

Stolzes

Jn ihr Herz; ſie waren Graͤber mit Marmor geſchmuͤcket!

Dieſes ſahe der Seher von ſeinem Himmel; doch ihr nicht!

Aber auch wenn ihr es ſaht; ſo durftet ihr die doch nicht toͤdten,

Die unedel nur waren, wenn ihr unmenſchlich ſie wuͤrgtet.

Lernet von mir, was ihr thatet! Jm Heiligthume war keiner

Außer dem, der ewig iſt, Richter. Wenn Chriſten die Hoheit

Jhres Glaubens entweihten; wenn Suͤnder in der Gemeine,

Ohne tiefes Gebet, zu ſehr dem Sohne ſich nahten,

Und voll Wahns, in dem dunkeln Wort von Antlitz zu Antlitz

Jhn ſchon anzuſchaun, ganz ihres Staubes vergaſſen;

Dann zuruͤckgeblendet nur noch in Traͤumen ihn ſahen,

Und ſich taͤuſchten, er ſey’s! ein Bild ſeit geſtern geboren

Jn zu heiſſem Gehirn, das Opfer der Schaͤdelſtaͤte:

So war er, der fuͤr uns zu dem Allerheiligſten eingieng,

Seinem Heiligthume zu nah, die Suͤnder zu richten,

Als daß der Augenblicke Beſitzer vom Rande der Graͤber

Kommen durften, als Helfer ihm ſeine Donner zu tragen!

Das erkuͤhntet ihr euch! Anſtatt mit Zittern zu ringen,

Selber ſelig zu werden, erhubſt du die eiſerne Stirne

Unter den Wuͤrmen, kamſt, ſtahlſt ihre Quaalen der Hoͤlle,

Deine Bruͤder zu quaͤlen, und kaltes finſteres Grimms voll

Blutgerichte zu halten. Wer kann ihn nun nennen den Jammer,

Wer den Zorn der Quaalen, die eure Haͤupter itzt treffen?

Mache dich auf! und rufe mit lautanklagender Stimme,

Nenne du ſie, vergoſſenes Blut! Er ſitzt auf dem Throne,

Deine
[89]Achtzehnter Geſang.
Deine Stimme zu hoͤren, und jede Wunde zu raͤchen,

Welcher du entfleſſeſt, mit dir der Unſchuldigen Leben!

Als er geendiget hatte, da trat aus dem leuchtenden Kreiſe,

Welcher nahe den Thron umgab, der Aelteſten Einer

Tiefnachdenkend hervor. Jhr habt den menſchlichen Juͤnger

Unter den Juͤngern geſehn. Sein Namen, eh er zu Gott gieng,

Hieß Lebbaͤus; ſein Name, der neue wird Elim genennet,

Nach dem Namen des Engels, der auf der Erd’ ihn beſchuͤtzte.

Alſo ſprach er: Jch wende mich weg von des Lebens Anblick,

Das ihr lebtet. Es trieft von Blut. Viel Tode der Unſchuld

Zeichnen ſeinen entſetzlichen Pfad. O Stunden der Schoͤpfung,

Die ihr dem Daſeyn Seelen dieſes Gefuͤhles herverrieft,

Truͤbe, dunkle, zu ſchreckliche Stunden, wie ſoll ich euch neunen?

War’t ihr Zeuginnen ſchon des Gerichts geweſen, als Eden

Gottes Fluch vernahm, der erſte Tod dann, das erſte

Laute Geſchrey der Natur den Fluch vollfuͤhrten? und kehrtet

Jhr nur wieder zuruͤck zu der fluchbelaſteten Erde,

Ach Verkuͤndigerinnen des letzten Tages zu werden?

Jhr, die Seelen von Menſchlichkeit leer der Ewigkeit brachtet,

Dieſe Seelen! Doch nicht die Schoͤpfung verſchuf ſich; ſie ſelber

Schufen ſich alſo! Sagt’s nicht am Throne, verſchweigt’s in den

Huͤtten,

Wo die Gluͤcklichen wohnen, daß ſie ſo elend ſich ſchufen!

Und bewein’ ich ſie noch? Sie nicht! die Hoheit des Menſchen,

Die ſie zu weit, ach zu weit vom Zwecke der Schoͤpfung entf ruten,

Dieſe bewein’ ich! Kein Mitleid? und ach ihr ſaht doch den Jammer

Jhrer Seele, vernahmt das tiefe Roͤckeln des Todes!

F 5Selbſt
[90]Der Meſſias.
Selbſt ihr letztes’ Jammergeſchrey vermochte die zarte

Zitternde Nerve bey euch nicht zu ruͤhren, die andern, beym Anblick

Einer bittenden Thraͤne, die ganze Seele bewegte?

Zwar ich fodre von euch nicht, durch ſuͤßen heiligen Schauer,

Bey der Erblickung der leidenden Unſchuld, erſchuͤttert zu werden;

(Litte die Unſchuld noch; ſo waͤr der dieſen Gerechten

Eine Seligkeit mehr!) doch fordr’ ich Spuren der Menſchheit,

Schwache Daͤmmerung doch von einer unſterblichen Seele!

Ach kein Mitleid! Jhr konntet den Wurm auf der Erde nicht anſchaun,

Ohne den Schoͤpfer voll Huld in des Wurmes Freude zu ſehen!

Euer Auge konntet ihr nie gen Himmel erheben,

Ohne den großen Erbarmer zu ſehn! Jhr habt es gen Himmel

Niemals erhoben! Nie habt ihr geweint! Jhr habet euch niemals

Eines Menſchen erbarmet! So hoͤrt denn die Rache, die ſaͤumte;

Und nun eilet: Der Richter der Welt erbarmet ſich auch nicht!

Elim ſprach noch, als ſich auf dem Throne der Richtende wandte:

Sieh, er wandt’ auf Einmal ſein ſchreckentragendes Auge

Gegen einen der Todesengel. Wie kann ich ſein Umſchaun,

Wie ausſprechen den Zorn, der ihm vom Angeſicht ausgieng,

Und die Stimme, mit der er rief! So gebot er dem Seraph:

Steig herunter, und ruͤhre ſie an; geuß traͤumende Schrecken

Ueber ſie aus, daß vor ihrem erſchuͤtterten Geiſte vorbeygeh’

Jhrer nahenden Quaal Anſchaun, und Vergeltung beginne!

Alſo ſprach der Richter Entſetzen. Gleich dem Gedanken

Eilte der Todesengel; goß aus vor der Schaar der Verfolger

Eine Mitternacht; naht’ ihnen; ſein donnernder Ruf war:

Folgt, und ſeht! gieng eilend voran; ſah nach den Verfolgern

Drohend
[91]Achtzehnter Geſang.
Drohend ſich um; trat hin in die Nacht. Die furchtbare Tiefe

That vor dem Seraph ſich auf. Mir wurden die Augen geoͤffnet,

Daß ich ſah, was ſie ſahn. Sie wollten ihr Angeſicht wenden;

Aber ſie hielt des Sohns Allmacht wie ſtarrende Felſen.

Und ſie ſtanden, und ſchauten. Da lagen Todtengebeine!

Und ein Sturmwind brauſt’ in dem langen Jammergefilde!

Der ergriff die Gebein’, und ſie bebten! und jedes Gebein ſprach

Seine Stimme; die Stimme war Fluch! Da hub ich mein Auge

Von dem Gefild’ empor, und betete zu dem Erbarmer

Derer, die ſich erbarmten. Als ich noch betete, kamen

Aus der Schaar der Getoͤdteten hundert in weiſſem Gewande,

Hundert Juͤnglinge, jeder ein Fruͤhling in Eden geboren,

Jeder ein Morgen der Auferſtehung. Jhr freudiger Flug klang,

Da ſie kamen, melodiſch einher. Wie ſuͤß war ihr Anblick,

Da ſie kamen die Bruͤder Abels. Sie legten die Kronen

Nieder am Thron, und ſangen. Sie ſangen dem, der Gericht hielt:

Wer iſt der, der vom Kidron herauf in blutigem Schweiß kommt?

Hoſianna! auf Salems Gebirgen mit Wunden bedeckt wird,

Schoͤn mit Wunden?. Jch bin’s, der fuͤr die Menſchen erwuͤrgt iſt!.

Warum ſinkt dein Gebein von dieſem Tode belaſtet?

Warum trieft dir die Stirne von Blut, wie der Streitenden Stirne?

Warum rufſt du ſo laut?. Jch hab’ allein geſtritten!

Und es iſt keiner mit mir von den Soͤhnen der Erde geweſen!

Amen! Amen! du biſt der Vollender, der Erſt’ und der Letzte!

Hoſianna! Du hubſt mit Eile den Fuß aus dem Grabe;

Stiegſt auf den Thron! Nun ſitzeſt du, Herrſcher, und richteſt die

Todten,

Die
[92]Der Meſſias.
Die aus der Erde du riefeſt. Ja die Todten haſt du gewecket,

Streiter, der von dem Kidron herauf in blutigem Schweiß kam,

Und auf Salems Gebirgen mit ſchoͤnen Wunden bedeckt ward!

Wunden gabſt du auch uns, daß wir deine Maͤrtyrer wuͤrden!

Denn auch wider uns ſtritt Gottes Haſſer. Da ſtarke,

Eiſerne Feſſeln, in der Gefaͤngniſſe Tiefen uns hielten;

Da der Tod mit der Flamme daher, der Tod mit der Schaͤrfe

Jhrer Schwerdter, der Tod aus der Droher wuͤtendem Blick fuhr;

(Fluchet den Moͤrdern! ſo ſprach, wer Menſchlichkeit hatte, und ruh du,

Ruhe, ſtilles Gebein!) da wir den Geiſt der Propheten,

Und den Muth zu ſterben empfiengen; da, jauchzt dem Vollender!

Da wir ſtarben! da war durchlaufen auch unſere Laufbahn!

Kamen wir hin zu dem himmliſchen Ziel! da trugen wir Kronen!

Da war hinter uns, wie Staub vor dem Winde, das Leben,

Wie ein kurzes Geſpraͤch, des Lebens Muͤhe verſchwunden!

Kurzes Leben! du Blick in die Schoͤpfung, doch alſo belohnet

Von dem Tage der Tage! doch dieſer Kronen gewuͤrdigt,

Dieſer Ewigkeiten Genoß! Schall ewig, o Lob, ſchall

Ewig fort! Erhebe den Schwung, fleuch Fluͤge, Begeiſtrung,

Und verkuͤnde, verkuͤnd’ es! Frohlocken werde die Stimme,

Werde Jauchzen, und ſchwebe dahin in die Choͤre des Thrones!

Lob, Anbetung, und Preis, und Ehre dir, du Beherrſcher

Aller Himmel Himmel! und aller Leidenden Troͤſter!

Da der Staub noch nicht war, noch nicht, den Staub zu beleben,

Dieſe Seele, da wareſt du ſchon, und dachteſt Verſoͤhnung!

Hoſianna Bethlehems Kinde! dem Dulder! dem Todten!

Der erniedert, in einer Krippe, den erſten Schlaf ſchlief,

Und
[93]Achtzehnter Geſang.
Und den letzten, am Krevz! dem Wunderbaren! dem Hohen!

Den nicht Namen, den Thraͤnen nicht nennen; dem großen Erwerber

Dieſes jauchzenden ewigen Lebens! der Sterblichen Sohne,

Und Jehova’s! dem Allerheiligſten Hoſianna!

Jezo trat der erſte der Todesengel, als waͤr er

Heerſchaar, tauſend Schritte naͤher zum Thron. Die Poſaune

Klang, da er ſtand; und ſie ſchwieg, und der Seraph redte. So

ſprach er:

Daß die Spoͤtter des Todten, der lebt, dem Throne ſich nahen!

Auf den Gekreuzigten ſchaun, und, wer ſie geweſen ſind, lernen!

Sie erſchienen; vermochten die menſchenfeindliche Seele

Unter des Laͤchelns Truge nicht mehr zu decken. Jhr Herz war

Jn ihr Antlitz hinauf mit jeder Bosheit gezeichnet.

Und ſie ſtanden geſehn von den Richtern. Es ſchauten die Richter

Unter einander, die Reihn der goldnen Wolken hinunter,

Forſchend ſich an: Wer aufſtehn ſollte, die Feinde zu richten?

Tief in den Schaaren der Ueberwinder, mit ſchimmernder Wange,

Und mit morgenroͤthlicher Freude des Lebens gekraͤnzet,

Stand ein Juͤngling. Die Todesblaͤße der ſproſſenden Jahre,

Und die Geduld, in der Bluͤthe ſich langſam ſterben zu ſehen,

War mit anderer Schoͤne belohnt, als jene, die vormals

Den noch Sterblichen ſchmuͤckte, mit Schoͤne der Engel, ſo maͤchtig,

Durch lautredende Zuͤge die ganze Seele zu bilden.

Und der Erſtling der Maͤrtyrer kam von dem Throne des Richters,

Stephanus, dem in der Bluͤthe der Tod auch laͤchelnd den Blick ſchloß,

Zu dem Juͤngling herab. Die Botſchaft enthuͤllte die Demuth

Seines ſinkenden Blicks; er zitterte ſanft, und erhub ſich

Strah-
[94]Der Meſſias.
Strahlenhell, und ſtand mit jedem Frieden der Unſchulb

Und mit allen Reizen des ewigen Lebens umgeben.

Saitengetoͤn erklang von des Juͤnglings Lippe: Die Wehmuth

Soll, wie vordem, mein Leben nicht mehr mit Trauren bewoͤlken!

Ja, ich nenn’ euch, und bebe nicht mehr! o Namen! mein Vater,

Ach mein Vater, mein Bruder iſt auch in jenem Gedraͤnge!

Vater biſt du nicht mehr! Du Bruder nicht mehr! Was that euch?

Rede, was that dir dein Sohn, zwar ſanft, doch unuͤberwindlich?

Was der ſchweigende Mund dir, und jene verbluͤhende Wange

Deines Bruders, daß ihr durch Schluͤße, wie Schlangen, ge-

wunden

Grauſam ſtrebtet, des Sterbenden einzige Ruh mir zu rauben?

Meiner Unſterblichkeit Heil, die letzte, nicht taͤuſchende Hoffnung,

Den am Kreuz? Zwar blutet’ er, aber er blutete Gnade!

Jenes Erwachen des groſſen Morgens? der ringenden Seele

Maͤchtigſten Troſt, da ſie ſinken die Erde ließ, das auch euch nun

Weckte, doch nicht mit Jauchzen, mit keines Lebens Empfindung,

Und zu dem Erſtling vom Tode mit keinem Jubelgeſange.

O ſie war euch zu maͤchtig des Juͤnglings betende Seele!

Sie empfand ſich zu ſehr, ſich von der Unſterblichkeit Haſſern

Jhre Krone rauben zu laſſen. Mit freudiger Hoffnung

Gab zu Staube ſie Staub, und wußte, daß ſie nicht Staub ſey,

Daß ſie mehr ſey, als Himmel und Erde. Schaut nun die Blicke,

Und den Sieg der Unſterblichen an. Jhr ſahet ſie vormals

Brechen im brechenden Aug’, und mit dem Athem verroͤcheln;

Schaut ſie nur an, wenn euch ihr Triumph nicht ewiger Tod iſt!

Alſo
[95]Achtzehnter Geſang.
Alſo ſprach er, und ſichtbar erhub ſich der Schimmer des Juͤnglings

Zu der Schoͤnheit der erſten der Engel. Jhn nannten mit neuen

Namen die Sieger, als er in ſeiner Herrlichkeit daſtand.

Aber ein Weiſer, der aus der Natur labyrinthiſchen Tiefen

Bis zu dem Throne des Sohns ſich erhub; auf ſteigenden Fluͤgeln

Trugen ihn Orionen empor! noch maͤchtiger hub ihn

Tiefe Kentniß vom Thun des Menſchen, zuletzt das Gewiſſen,

Das ſtets ringt, zu entkommen der Erde ſtammelnden Urtheil,

Gerne zum Licht empor, zu der Wage des Richters der Welt ſteigt.

Dieſer Weiſe kam. Wie ein Quell vom Hange ſich hingießt,

Bald ein Strom wird, ſo redt’ er. Er ſprach mit richtendem Blicke:

Langſam in tauſend Kruͤmmen, doch war ich ein redlicher Forſcher!

Gieng zu dem Sohne mein Weg. Gluͤckſeliger waret ihr weitern,

Hoͤheren Seelen, die ihr, da Licht ihr ſaht, zu dem Lichte

Sprachet: Du biſt Licht! und zu des geopferten Blute:

Du biſt heiliges Blut: und als ſein Haupt in die Nacht hieng:

Du biſt ewig! Zu lange verweilt’ ich im Schatten der Schoͤpfung,

Gott zu ſuchen; doch war er mir Schatten voll heiligen Grauens!

Wenn mir etwas, wie Wahrheit begegnete, ſchaut’ ich ihm richtend,

Und langforſchend ins Antlitz, und ſpaͤt erſt wagt’ ich zu ſagen:

Das iſt Wahrheit! Und wenn ich in jener Jrre des Wiſſens

Spuren, wo Gott einſt wandelte, ſah; ſo betet’ ich laut an:

Das iſt heiliges Land! Hier iſt die Pforte des Himmels!

Lange naht’ ich mich nur des Himmels Pforte; doch endlich

That ſie ſich einſt, da ich betete, mir mit goͤttlichem Glanz auf,

Und ich ſahe den Sohn in ſeiner Schoͤnheit! Da gieng ich

Meinen gewandelten Weg zuruͤck. Nun ſah ich der Schoͤpfung

Schatten
[96]Der Meſſias.
Schatten heller, im Bild’ enthuͤlltere Zuͤge des Urbilds;

Fand ihn wieder am Kreuz, den ich im Himmel zuvor ſah,

Sah ihn gern ſo, und wußte, daß, der ſein Haupt jezt neigte,

Da er entſchlief, dem Grabe gebot, ihm Todte zu ſenden!

Habt ihr alſo geforſcht? ſeyd ihr dieſe Wege gewandelt,

Als ihr, die Tochter Gottes, die freye Wahrheit zu ſuchen,

Stolz vorgabt? O nennet den Namen, ihr ſeyd es nicht wuͤrdig,

Jhren feſtlichen Namen nicht mehr, damit ſie nicht eilend

Wecke den h mmliſchen Zorn, und mit Allmachtsblick euch vertilge!

Helden wuͤrgten das Menſchengeſchlecht; und Prieſter der Chriſten

Chriſten bey Altaͤren: allein am Altar, auf dem Schlachtfeld,

Floß aus den Wunden nur Blut! Jhr habt unſterbliche Seelen

Durch geheimes Wuͤrgen vertilgt! Da floß aus den Wunden

Zwar der Tod nicht, welcher zum Leben die Menſchen ins Grab warf;

Aber ewiger Tod! Jhr habt die ſchaͤumenden Becher

Eurer Gifte, die Wolluſt kraͤnzt’ und Lache des Hohnes,

Unter die Leute getragen, noch oͤfter in die Palaͤſte,

Daß von dem Zaubertrunke der goldne Tyrann hintaumelnd

Tod, und Menſchlichkeit leichter vergaß, und uͤber den Graͤbern

Jenes Gericht, das nun ſein tauſendaͤugiges Antlitz

Gegen alle Thraͤnen gewandt, die hangenden Wolken

Alle gen Himmel empor gehoben, und Jeſus enthuͤllt hat!

Jezt ward Still’ in den Himmeln; bald aber traten die Vaͤter

Von dem erwaͤhlten Geſchlecht in glaͤnzende Kreiſe zuſammen,

Auch viel Zeugen aus denen, die noch von dieſem Geſchlechte

Vor dem Abend des Weltgerichts zu dem Sohne ſich wandten.

Und wie Wolkenheere die Flamm’ in dem Schooße, ſo wallten

Furchtbar
[97]Achtzehnter Geſang.
Furchtbar zu ſchaun die Zeugen hervor; und einer erhub ſich,

Alle begleiteten ſeine Gebehrde mit Beyfall, ſprachen

All’ Ein Todesurtheil mit ihm. Der Geſendete ſagte:

Als er das Leben der Menſchen noch lebte, da rief er zu Zeugen

Seiner Gottheit Todte herauf! da beſchloſſen der Spoͤtter

Erſtgebohrne die Zeugen zu toͤdten! Nun ward, daß es zeugte,

Abrahams unausſterbliches Volk von neuem erkohren,

An dem ſchrecklichen Tage des Grimms, da es ſelber des Sohns

Blut

Ueber ſich rief, und vor des Gerichts umnachteten Altar,

Als ein feyrliches Opfer, ſich ſtellte, dort ewig zu bluten.

Alſo geheiliget, wurden wir unter die Voͤlker der Erde

Schaarenweiſe verſandt, von des Richters Blute zu zeugen.

Schaut, hier ſtehn wir! und dort ſtehn unſre gerichteten Bruͤder!

Alle wir lebten einmal. Kann mit allen Sonnen der Himmel

Lauter reden von dem, der ihn ſchuf, und konnt’ es die Erde

Mit des tauſendfarbigen Fruͤhlings unzaͤhlbaren Kindern,

Als dieß Volk ohne Zahl von Gottes Mittler geredt hat?

Waͤren Todte gekommen, ihr haͤttet die Todten verworfen;

Da euch dieſe Zeugen nicht zeugten! So tief herunter

Habt ihr des Menſchen Vernunft, die Gottes Bild war, entweihet!

So viel trautet ihr euch; ſo wenig trautet ihr Gott zu!

Daß die verworfenen Goͤtzenſklaven ihr Angeſicht wenden

Von dem Angeſicht dieſer Chriſten! Das ernſte Gewiſſen

Aus dem Staube, wohin ſie es traten, zur Ewigkeit aufſteh,

Und nun anders zeuge von dem, von welchem wir zeugten!

IVBand. GJezt,
[98]Der Meſſias.
Jezt, wie ſoll ich ihn nennen? ihr ſaht ihn, der die Gemeinen

Erſt verfolgte, darauf ein goldner Pfeiler des Tempels,

Der ganz Allerheiligſtes iſt, gen Himmel hinaufſtieg!

O wie ſoll ich ihn nennen? es iſt ſein Name, der neue,

Der ihn nennt, unausſprechlich! Auch du, du ſtammeſt von mir ab,

Heiliger Mann! Noch ſegn’ ich den Staub, aus dem ich ge-

macht ward!

Alſo ſprach er: Ach ewig, ja ewig richtet mein Auge

Nach dem Leiden ſich hin, die ich jenen Schaaren zu zeigen,

Laut vom Himmel durch den, den auch ich verfolgte, geweckt ward.

Engel, ihr Nam’ iſt: Heil! und Hoſianna die Stimme

Derer, die uͤberwanden! Jch ſchweig’ und huͤlle die Feſte

Unſrer Ewigkeit ein vor jenen Verworfnen. Jhr Nam’ iſt:

Tod! da jezo mein Blut, auf Maͤrtyrer, ſtroͤmte, da weint’ ich

Ueber die Feinde des Kreuzes nicht mehr; da wurd’ ich ihr Richter!

Sah ihr Ende! das iſt nun, es iſt ihr Ende gekommen!

Wie erniedert, wie klein, wie von Schattenweisheit umnachtet,

Wie von Stolze gepeinigt, wie elend waren die Seelen,

Die in dem Antlitz des Sohns die Klarheit des Vaters nicht ſahen!

Hoch verachtet euch meine Seele! Kaum ſeyd ihr wuͤrdig,

Vor der Verſammlung des Menſchengeſchlechts gerichtet zu werden!

Wie erhaben, und ſchoͤn, und welcher Ausſicht an Ausſicht

Jmmer ins Ewige, welch ein ſteigender Tempel, wo Gott war!

Ueber die Sonnen hinauf zum Throne gebaut; doch ruht’ er

Auf der Natur: ſein Opfer war Blut fuͤr alle Gefallnen;

Laute Wonne ſein Lied; ſein Heil der unſterblichen Seele

Ganz, wie ſie denkt und empfindet, die Fuͤlle des ganzen Verlangens!

Dieſes
[99]Achtzehnter Geſang.
Dieſes war die Religion, die ihr Thoren verkanntet,

Ach, nicht kennen wolltet, mit bitterm Spotte verwarfet!

Jhr, die fuͤhllos Sein letztes Rufen am Kreuze vernahmen:

Schon ſind viel Aeonen vorbey, daß ſein Auge ſich aufſchloß,

Und der verſtummende Mund Entſcheidung des Richters der Welt

ſprach!

Meldet’s im Thore des Todes, ſagt’s an in den Pforten der Hoͤlle:

O wie ſind ſie gefallen die Hoͤhn, die gen Himmel drohten!

Bald wird jeder gerichtete Droher dort in dem Abgrund

Jammern, ſein Antlitz erheben, und gegen den andern ſich wenden:

Weine mit mir um unſre Geburt, um die Stunde der Schoͤpfung,

Die uns dieſer Ewigkeit ſchuf! So werden ſie ſagen.

Denn der Getoͤdtete ſitzt auf dem Throne, die Frevler zu richten!

Dieſes ſagt’ er. Jtzt ſprach mit ſtiller Hoheit der Richter:

Nach den Stunden der Erde beſtimmt, iſt am Abend die Stunde,

Welche richtet, gekommen. Jhr hieltet Wahn ſie; ſie aber

Jſt gekommen. So waͤhnte der Wurm, ſeit geſtern Bewohner

Eines Staubs, daß ſich droben im Himmel der Donner nicht ruͤſte.

Alſo kruͤmmtet ihr euch in eurer Enge. Die Stunde

Jſt gekommen, und hat die Haſſer der ernſteren Tugend

Alle gewogen, und ſie zu leicht auf der Wage gefunden.

Du, der ſchlagendes Leben fuͤr Seele, ſie Erbin des Grabs hielt,

Suͤnder, ſie |ſtarb nicht; und der dir am Kreuze zu blutig ver-

ſtummte,

Er iſt ewig. Das war er, eh du, dazu nicht geſchaffen,

Dich erhubſt, den verſoͤhnenden Todten zu ſchmaͤhen. Jehova,

Gnaͤdig, und geduldig, der ſich des Menſchen erbarmte,

G 2Noch,
[100]Der Meſſias.
Noch, wenn er rang mit dem Tod’, und wer er geweſen war,

fuͤhlte,

Tilg, o Vater, aus deinem Bache der Laͤſterer Namen.

Sie ſind meine Bruͤder nicht mehr. Sie haben den Mittler

Deines Bundes, ſein Blut, die Todesangſt, die gebrochnen

Starren Augen am Kreuz, die Auferſtehung, und Auffahrt,

Jede Wonne des Sohns, und jede Thraͤn’ entheiligt.

Ja um meiner Leiden, um meiner Menſchlichkeit willen,

Meines verſtummenden Todes, der Auferſtehung vom Tode,

Meiner Erhebung zum Thron, um meiner Herrlichkeit willen,

Geht von meinem Antlitz, und ſeyd’s, wozu ihr euch ſelbſt ſchuft!

Alſo ſprach er ihr Todesurtheil; das drang in die Tiefe

Jhrer Seelen, und wafnete gegen ſie mit Flammen

Jhr Gewiſſen. Sie wollten zu ihm aufſehen; vermochten’s

Nicht, und ſanken dahin. Denn aus den Wunden des Sohns rann

Blut nicht mehr; der donnernde Thron war nicht Golgatha’s Huͤgel,

Und die Stimme vom Thron nicht Rufen um Gnade! Doch Einer

Riß ſich vom Staub’ empor, und wagt’s, auf den Richter zu ſchauen,

Warf die Arm’ aus einander, und rufte, daß die Gefild’ es

Rings umher, und die Himmel vernahmen: Weil denn die

Erbarmung

Alſo begraͤnzt iſt; ſo ſey’s nicht die Allmacht! Nimm, o du Raͤcher!

Deinen Donner, und toͤdte mich ganz, wenn dein Donner

auch Seelen

Zu vernichten vermag, daß ich flamm’, und Staub ſey, und ſterbe!

Noch mit ſinkender Hand noch Aſche der offenen Wunde

Wuͤtend nehme, gen Himmel ſie ſtreue! daß meine Seele

Jn
[101]Achtzehnter Geſang.
Jn verwehende Truͤmmern gebrochner Gedanken verſinke,

Dann entflieh in die unergruͤndbaren Raͤume des Undings.

Alſo rief er gen Himmel. Wir huben gefaltete Haͤnde

Jn die Wolken empor. Denn wir ſahn die Gerichtspoſaune

Aus den Haͤnden der Todesengel ſinken; Eloa

Schnell ſich verhuͤllen; wir ſahn den Richter ſich wenden. Er ſtreckte

Seinen Arm aus, warf, warf einen flammenden Donner,

Daß die Hoͤhn und die Tiefen bis in die Gewoͤlbe der Hoͤlle

Laut ertoͤnten! von ſeinem Haupte der hohe Gerichtsplatz

Hundert Huͤgel ſtuͤrzte. Der Schutt erzitterte, dampfte,

Krachte, wie im Gebirg’ Erdbeben dumpfes Getoͤſ’ waͤlzt,

Noch, da er lag, von der Donnerflamme. Mit fliegendem Blicke

Sucht’ ich den Laͤſterer in der Zerruͤttung. Jch ſah ihn heraufgehn,

Und er zuckte. Der raͤchende Donner hatt’ ihm das Leben

Zu geſchaͤrfterm Gefuͤhl entzuͤndet, des Herzens Empfindung

Schwerdter gegeben, und tieferes Gruͤbeln dem ſchnellen Gedanken!

Und wir hoͤrten herauf von dem Schreckengefilde die Stimme

Seiner Verzweiflung erſchallen: Laß ab, du Bote, du Raͤcher,

Donner des Richters, laß ab! Dich hoͤr’ ich ewig! ach ewig

Stuͤrzen die dampfenden Huͤgel auf mich! O waͤrt ihr zu Graͤbern,

Laſtende Felſen, geworden, damit ich tiefer ihn hoͤrte

Seinen unſterblichen Rufer! Verflucht ſey der Mund, der ſich

aufthat,

Seinem Gerichte zu flehn, daß es noch entſetzlicher wuͤrde!

Fluch dem Tod’ und dem Leben, und allen, die jemals, dem Schooße

Einer Mutter, dem Schooße des Grabes, ins Leben, entflohn ſind!

G 3Jezo
[102]Der Meſſias.
Jezo ward mein Geſicht zu dunkeln Geſtalten, die ſliehend

Kamen, und fliehend verſchwanden. Nun hoͤrt’ ich Donner,

nun Harfen

Jezt die Stimme der Rufer am Thron; doch der Stimme Gedanken

Konnt’ ich nicht faſſen: denn einzelne Halle nur hoͤrt’ ich ver-

nehmlich,

Und die andern verſanken in rauſchendem Strome der Donner.

Klageſtimmen verſinken alſo, wenn bebend die Erde

Staͤdt’ einſtuͤrzt, und der Staub der geſtuͤrzten gen Himmel em-

porſteigt.

Jmmer noch neue Geſtalten, nie ganz enthuͤllet, Entſtehung

Stets noch, und Untergang! Mir entflog bald ſchnelleres Fluges,

Bald entſchlich mir ſaͤumend die Zeit. Es daͤuchten mir Jahre,

Was mir alſo verſchwand. Ein Auftritt ward mir enthuͤllet.

Kain ſah ich in Rieſengeſtalt; in Rieſengeſtalten

Helden; die hatte Kain mit laſtendem Eiſen gefeſſelt:

Und der Feſſeln dumpfes Geklirr verſtummte die Donner!

Endlich waren vor mir die bewoͤlkten Erſcheinungen alle

Weggeſunken, und ſieh, ich ſahe wieder Geſichte.

Weit umher verſtummten die Todten. Jtzt kam Eloa,

Freute ſich laut, da er gieng, den großen Befehl zu vollfuͤhren.

Koͤnnt’ ein Engel vom Tod erwachen, ſo wuͤrd’ er erwachen!

So in Entzuͤckung verloren, mit dieſem Gange der Wonne,

Dieſer Gebehrde des hohen Triumphs! Er gieng, aus den Schaaren

Heilige zu dem Throne des Gottverſoͤhners zu fuͤhren.

ich die Kommenden ſah, da waren’s die Beſten der Menſchen,

Ehren meines Geſchlechts! Jch ſtand vor ihrem Verdienſt auf,

Da
[103]Achtzehnter Geſang.
Da ſie kamen; und, trunken vor voller wallender Freude,

Rief ich, von ihrer Herlichkeit trunken: O dort will ich Palmen

Streun, wo ihr wandelt, ja Palmen, daß ihr ſo ſtarbt, ſo lebtet,

Werth des Lebens und Todes! Jch rief’s; ſie aber, bewundert

Selbſt von den Seraphim, ſtanden in ihrer Hoheit am Throne.

Nun erklang die Poſaune: Erſcheinet, Schande der Menſchheit!

Ob ihr mooſige Huͤtten, ob Goldpalaͤſte bewohntet,

All’ ihr niedrigen Menſchen, erſcheint, die das ſtumme Verdienſt, ihr,

Welche die Beſten eures Geſchlechts unedel entehrten!

Auf den gebietenden Ruf erſchien Gewimmel. Sie ſtiegen,

Schwer mit ſich ſelber belaſtet, herauf, und wurden gerichtet.

Heman richtete ſie. So ſprach der Heilige Gottes:

Zwar es wurde verdunkelt in uns das Bild der Gottheit,

Und des Schaffenden Spur in der Erde Bewonern unkennbar;

Gleichwohl ſendete Gott noch jedem Jahrhunderte Menſchen,

Deren hoͤhere Seel’ es empfand, wozu ſie gemacht ſey,

Gute Menſchen, heilige Truͤmmern des Paradieſes,

Euch an euch ſelbſt zu erinnern, mit lauter maͤchtiger Stimme,

An die Hoheit der Seele! den Tag der Schoͤpfung in Eden!

An den Menſchen, der Gott nicht zu klein war, ihn ewig zu machen!

Euch an Gottes Gericht, die uͤber Graͤber nicht dachten.

Dieſe Geſendeten Gottes verwarft ihr; ſie aber zu ſtandhaft,

Sich von denen, die ſie verkannten, erſchuͤttern zu laſſen,

Thaten ihr Wunder! Jhr Wunder war: Von dem erſten der Weſen,

Groß zu denken! Beſcheidenheit, ſich mit dem Maaße zu meſſen,

Welches Sterbliche maß! Anbetung! keine Verdienſte

Vor dem Gotte der Goͤtter! nicht halbe Menſchlichkeit, volle

G 4Han-
[104]Der Meſſias.
Handelnde Menſchlichkeit! Ruh, wenn Er, wenn Gott ſie nur ſaͤhe!

Stille geheimere Tugend! Enthaltung, da noch zu ſchweigen,

Wenn ſie auch ſelbſt das Urtheil des Tugendhaften verkennte!

Flammende Freuden, auch unter den ſanfteſten Ruhen des Lebens

Auf das hoͤhre zu ſchaun, und bald dem Tode zu laͤcheln!

Die verwarft ihr! Anſtatt vor ihrem Werth euch zu neigen,

Und von ihnen zu lernen, warum die Freuden der Erde

Viel zu gering fuͤr Unſterbliche waͤren: warum in der Stunde,

Wenn die ganze Seele ſich fuͤhlte, die bebende Seele

Tugend anderer Unſchuld, und beſſere Ruhe verlangte:

Statt euch ihnen zu nahn; ſo wurdet ihr ihre Verfolger!

Haßtet die Beſten der Menſchen, bewarft ihr Thun mit dem Staube

Eurer ſchleichenden dunkeln Verleumdung, und laͤſtertet Engel!

Heilig iſt der, der richtet! Bey ſeinem Namen, er ſchaut’ auch

Auf die Frevler herab, die ſeine Geliebteren quaͤlten,

Aber mit anderen Blicken, mit dieſen, die jezo euch treffen,

Mit allmaͤchtigem Feuer in jene Tiefen euch heften,

Daß ihr niedrig auf ewig dort ſeyd! Er ſchwieg, und ein Juͤngling

Von den Juͤnglingen, die vor dem Tage der Reife verbluͤhten,

Selbſt der Tugend kuͤnftige Maͤrtyrer, waͤren die Menſchen

Anderer Maͤrtyrer wuͤrdig geweſen; er ſprach: Da die Tugend

Litt, und mit unbewunderten Thraͤnen ins Einſame flohe,

Da errieth mein Gewiſſen das kommende Todesurtheil

Ueber die Draͤnger! Jch wandte von ihren Thaten mein Antliz,

Fluchte dem Flucher! entriß mich, vom Feuer der Jugend ergriffen,

Jedem Arme! ſtampft’ auf den Boden, wo Laͤſterer wohnten,

Legte mich nieder, und ſtarb, ihr Todesurtheil zu wiſſen!

Und
[105]Achtzehnter Geſang.
Und nun weis ichs! So lautet’s: Der ſeyn wird, laͤchelte ſegnend,

Da die Unuͤberwindlichen litten! der ſtarb, und lebt, ſah

Jhren Weg voll Palmen, und Elend! Er wird ſie belohnen!

Schnell entſchied der Richter das Schickſal der Unterdruͤcker;

Flammenwort der Entſcheidung erſcholl, und ſie flohn vom Ge-

richtsplatz!

Noch entflohn ſie; da kam ein Cherub mit eilendem Schritte

Durch die Wolten. Die wehten vor ihm, da er gieng mit dem

Schrecken

Seines Zornes der Cherub. Von jedem maͤchtigen Fußtritt

Rauſchet’ ein Sturm; nun ſtand er, und hub den drohenden Arm auf,

Schwieg, hielt eine Schale voll Flammen die Himmel herunter,

Daß die Schatten des drohenden Arms die Todten zu Schaaren

Ueberſchatteten! wendete ſchnell die toͤnende Schal’ um,

Goß die Flammen vom Himmel. Noch klang die Schale,

noch ſtroͤmte

Auf dem Gerichtsplatz Glut herab; da ſchwur der Verderber

Laut durch die Himmel: Bey ſeinem Namen, er heiſſet Jehova!

Raͤcher heiſſet er auch, und Liebe jenen Gerechten!

Er erſchuf die Religion, und gab ſie den Menſchen!

Er nur wußte, wer Gott ſey! Erſcheint zu ſtolze Betruͤger,

Goͤtterſchoͤpfer, erſcheint, die den Hocherhabnen des Himmels,

Die den Liebenswuͤrdigen alſo den Menſchen entſtellten,

Oder Gehuͤlfen ihm gaben, daß Goͤtter ſie neben ihm wuͤrden!

Sie erſchienen. Es richtete ſie der goͤttliche Stifter

Jener Religion, die des Sohnes große Prophetin

Und noch Zeugin von ihm bis zum Abend des Weltgerichts war;

G 5Er
[106]Der Meſſias.
Er als ein ſterblicher Mann ſchon gewohnt, an der Rechte des

Donners,

Dicht am Hall der Poſaune zu ſtehen, er ſprach: Jch ſehe

Alle Gefilde der dampfenden Erde, die ſeh ich mit Bildern

Wunderbarer Erfindung bedeckt! Die waren euch Goͤtter?

Dieſe ſollten ein Bild ſeyn deß, den die Himmel nicht bilden?

Kaum ſind dieſe ſein Schatten! Jhr fuͤhltet’s, ſo bliebt ihr geſchaffen,

Wenn ihr von euren Hoͤhen euch auch am tiefſten herabwarft,

Daß der Wurm auf dem Felde der hohen Wolke nicht rufe!

Noch das Thier in der Flut die Thraͤne des Leidenden trockne!

Daß die ſteigende Sonne nicht Herzen menſchlicher mache,

Und nicht heilig den duͤrſtenden Geiſt nach Ruh, und nach Unſchuld;

Wenn auch auf dem Altar Raͤuchwerk, und feſtliches Feuer

Ewig gluͤh’, und ſtroͤme der Lobgeſang zum Altare.

Ja, ihr fuͤhltet’s! allein ihr waret zu voll von euch ſelber,

Vor dem Erhabenen euch zu neigen, vor welchem ihr Staub war’t;

Machtet euch elend genug, darinn noch Groͤße zu finden,

Stifter des neuen Wahnes zu ſeyn, und Fuͤhrer der Menſchen:

Solltet ihr auch Unſterbliche lehren, das Thier zu vergoͤttern,

Welches kaum Tage kroch! So wißt denn, er hat es vernommen

Eurer Opfer Gepraͤng’, und ihre Getoͤſe der Hoͤrer

Ueber den Himmeln, wenn euch das umtoͤnte Bildniß im Haiñe,

Oder Orion zu taub war, und ſeine Roſſe nicht anhielt.

Jhr, die zum tiefſten Elend herab die Menſchen betrogen,

Und mit Goͤttern ſie taͤuſchten, er hat ihr Elend vernommen,

Hat die Luͤſte des ſchwelgenden Tempels, in welch’ ihr ſie ſtuͤrztet,

Hat vernommen das jammernde Roͤcheln der Knaben im Arme

Eurer
[107]Achtzehnter Geſang.
Eurer gluͤhenden Goͤtzen, den jauchzenden Schall der Drommete,

Der das geheime Geſchrey des Gefuͤhls vergebens betaͤubte!

Siehe dem Hoͤrenden wurd’ es lauter, je mehr es die Muͤtter

Bleich im brechenden Herzen erſtickten, unmenſchlich gezwungen,

Ohne die Gnade des deckenden Schleyers in Blute zu ſtehen,

Und dem Tode der Knaben zu laͤcheln! Nun fodert ers wieder

Jhr hinſtroͤmendes Blut, nun werden die Suͤnden gerochen,

Welch’ ihr mit euren Goͤttern erfandet, und jeder verlorne,

Beſſere That, die ſie haͤtten gethan, wenn ihr ſie zum Unſinn

Nicht verfuͤhret, und unter ſich ſelbſt erniedriget haͤttet!

Als er redete, ward zuſehends ſein Angeſicht heller;

Und es ſahn’s die Todten in ſeiner Herrlichkeit ſtralen,

Ohne Huͤlle. Nach ihm erhub ſich Henoch, und ſiehe

Eine Morgenroͤthe mit ihm. Der Goͤttliche ſagte:

Als ich das kleine Leben noch lebte, da noch die Stunde

Meiner neuen Herrlichkeit ſaͤumte, da ſaß ich oft einſam

Unter der Ceder im Haine; dann rauſchten wallende Luͤfte

Jn der Ceder ihr Leben; es fuͤhlten ſich alle Naturen

Um mich herum, ich aber empfand die unſterbliche Seele!

Damals, o da ſchon ergriff mich in Stunden, welch’ ich noch ſegne,

Oft mit ſo unausſprechlicher Neuheit und Wonne der beſte

Aller Gedanken, der große Gedanke, vom Erſten der Weſen,

Daß die Seele zur tiefſten Bewundrung vor ſeinem Anſchaun

Schauernd hinunter ſank; ſo neu, ſo niemals empfunden

War ſein Gefuͤhl mir; ich rief, der zitternde Mund nicht, der ſtarrte!

Jede Stimme war todt! kaum hauchte der Athem! das Leben

Stuzt’, hielt inne! die Zeit ſtand ſtill! doch laut aus der Tiefe,

Laut
[108]Der Meſſias.
Laut mit allen Empfindungen rief die betende Seele:

O wer biſt du? wer biſt du? du Weſen der Weſen, wer biſt du?

Gott! Unendlich! der Erſte! da war es einſam! du Schoͤnſter!

Weſen ohn’ Urſprung! Ewig war es nicht einſam; du Liebe!

Ach (nun kam mir die Stimme zuruͤck, nun floſſen die Thraͤnen)

Ach mein Schoͤpfer! mein Gott! ich vergeh in den maͤchtigen Freuden!

Dicht, denn dicht um mich her ſtroͤmt deiner Allgegenwart Fuͤlle!

Einſt (o ſey du mir, Tag, mit lautem Jubel genennet)

Gieng ich zu ihm, der mich ſchuf, doch nicht durch des Todes Gefilde,

Hoch bey dem Grabe voruͤber, zu Gott! Er ſendet mich heute,

Euch zu richten, ihr Weiſen voll Wahns, die trotzig aufs Gruͤbeln,

Auf die kleine Seele zu ſtolz (ihr lieſſet ſie Gott nicht,

Sie zu erhoͤhn) unſterblich ſich glaubten, und hoch von ſich hielten,

Wenn ſie, das Weſen der Weſen, nach ihrer Weisheit, enthuͤllten;

Und ins furchtbare Dunkel hinauf, von Traͤumen gefluͤgelt,

Drangen, und den, der ewig iſt, ganz, wie er Gott war, entdeckten,

Seine Vollkommenheit theilten; ſie maßen mit Maaße des

Menſchen;

Gott von Ewigkeit wußten! Jhr haͤttet beſſer in Staube

Seinen Engel, den Tod, euch ins Dunkle zu fuͤhren, erwartet;

Beſſer mit frommer Bewunderung angebetet, der, hoͤher

Als nur ſchwindelnder Geiſt, ſich ganz in dem Schatten verkannte,

Den ihr von ſeinem Weſen erſchuft, und edlere Seelen

Um der Tugend Uebung betrogt, und die große Belohnung!

Alſo redte der Mann, der goͤttlich lebte. Noch ſah ich

Einen in weißem Gewand hervor aus den Wolken am Thron gehn.

Aber itzt ward mein Geſicht zu dunklen Geſtalten, die fliehend

Kamen
[109]Achtzehnter Geſang.
Kamen, und fliehend verſchwanden. Nun hoͤrt’ ich Donner, nun

Harfen,

Nun die Stimme der Rufer am Thron; doch der Stimme Gedanken

Kont’ ich nicht faſſen: denn einzelne Halle nur hoͤrt’ ich vernehmlich,

Und die andern verſanken im rauſchenden Strome der Donner.

Jmmer noch neue Geſtalten, nie ganz enthuͤllet, Entſtehung

Stets noch, und Untergang! Mir entflog bald ſchnelleres Fluges,

Bald entſchlich mir ſaͤumend die Zeit. Es dauchte mir Jahre,

Was mir alſo verſchwand. Ein Auftritt ward mir enthuͤllet:

Leidende ſah ich belohnt! der großen, unſchuldigen, edlen

Leidenden waren’s, die Laſt auf Laſt das Elend ertrugen,

Ganze Leben durch erduldeten, goͤttliche Maͤnner!

Kronen aus Urlicht kroͤneten ſie, ſie geleiteten Engel.

Endlich waren vor mir die bewoͤlkten Erſcheinungen alle

Weggeſunken, und ſieh, ich ſahe wieder Geſichte.

Ach auf Einmal erhub ſich vor mir des ewigen Todes

Fuͤrchterlichſte Geſtalt. So hat kein Gedanke den Umkreis

Eines unſterblichen Geiſtes, und jede geheimere Tiefe

Seiner Empfindung erſchuͤttert, als dieſes Grauen mein Herz traf!

Denn die entehrteſten aller Gefallnen, der kriechenden Menſchheit

Erſte Schande, die tiefſten des Staubs (Gott ſchwur ihm in Zorne,

Daß er Staub ſey!) die boͤſen Koͤnige kamen, das Urtheil

Jhres Todes zu hoͤren. Sie riefen nicht Donner vom Throne

Jn das Gericht, nicht Hall der Poſaune! Roͤchelndes Jammern,

Wie von dem Schlachtfeld her, noch ſterbendes Seufzen der Suͤnder,

Die ſie, ins Elend hinunter geſtuͤrzt, zu ſuͤndigen zwangen!

Rief ſie mit tauſendmaltauſend Stimmen, vor Gott zu erſcheinen!

Und
[110]Der Meſſias.
Und ſie kamen. So woͤlkt ſich die Nacht. Ein Mann, der

im Leben

Elend durch ihrer Einen ward, und dennoch gerecht blieb,

Stand von ſeinem Stuhl auf, ſchwur zu dem Richter: Jch lebte

Jn drey Soͤhne verbreitet, entfloß mir mein niedriges Leben

Dennoch heiter, bis jener unmenſchliche, laͤchelnde Mann kam,

Jn ſein Gold ſich ſetzte, die Guten im Elend verkannte,

Daß ſie wurden wie er! Da ſtarb ich. Du haſt ſie gerichtet!

Richter, verwirf ihn von deinem Antlitz. Er raubte mein Blut mir,

Schuf es nach ſeinem Bild’, und entriß es dem Arme der Unſchuld!

Richt’ ihn, richt’ ihn, du Mann der erſten Unſchuld. Es komme

Ueber ihn aller Verworfnen Quaal, die er elend gemacht hat!

Aber aus ihrer Herrlichkeit ſtanden mit ſchreckenden Wunden

Sieben Maͤrtyrer auf: Wir helßen hundertmal hundert!

Eurem wuͤtenden Auge wars Luſt, uns ſterben zu ſehen;

Und wir ſuͤndigten nichts. Der ſichre Vogel im Walde

Sang dem Schoͤpfer ſein Lied; wir aber durften’s nicht ſingen.

Jn der Gebirge veroͤdete Kluft, zu den Graͤbern der Todten,

Wo mit bethraͤnten Blumen der Bruͤder Gebeine begraben

Lagen, und reiften dem Tage der Tage, verfolgten die Boten

Eurer Wut uns, und ließen nicht ab, mit dem Blute der Chriſten

Jhre Schwerdter zu traͤnken, bis ringsumher der Erſchlagnen

Stumme Lippe, des Todes entſetzliche Stille, noch Blicke

Sanfter gebrochener Augen zuletzt die Unmenſchlichen ſchreckten,

Daß ſie flohen, und ihnen die leiſen Luͤfte der Waͤlder

Stuͤrme wurden, und Mitternacht der ſchwebende Schatten!

Aber ihr zittertet damals noch nicht auf dem blumigen Lager

Eures
[111]Achtzehnter Geſang.
Eures Schwelgens, und dicht vom unmenſchlichen Schmeichler um-

raͤuchert.

Schaut nun empor, und ſeht, die alle habt ihr getoͤdtet!

Schaut auch gegen ihn auf, den Erſtgebohrnen vom Tode,

Wenn ihr vermoͤgt, der Gottheit allmaͤchtiges Schrecken zu ſchauen.

Jeſus heißet ſein Namen! Jhr hoͤrtet vormals den Namen

Auf der Erde; da toͤnt’ es noch nicht mit Stimmen der Donner,

Wenn ihr hoͤrtet den Namen, den alle Himmel itzt nennen!

Alſo ſprachen die Zeugen voll ſchoͤner Wunden. Nach ihnen

Hub ein gerechter Koͤnig ſein ſelig laͤchelndes Aug’ auf,

Blickt’ auf die Frommen umher: Wie kann ich mit Namen ſie nennen

Dieſe Ruhe, die jezo mein Herz mit Seligkeit fuͤllet?

Wie ausſprechen den feſtlichen Lohn, nur, daß ich ein Menſch blieb?

Nie, von dem Glanze der Groͤße geblendet, vergaß, daß ich

Staub war?

Auch dem Tode beſtimmt, wie jene, welch’ ich beherrſchte?

Seyd mir geſegnet, ihr ſanften, und ſuͤßen, ihr ſeligen Stunden,

Da mein Herz bey der Angſt Anblick, die Verlaſſene fuͤhlten,

Gerne menſchlich zerfloß, und dann dem Ende des Kummers

Eilend rufte. Schon war es Belohnung, ihr dankeudes Auge

Voll von der Menſchlichkeit heiligem Schauer vor mir zu ſehen,

War ſchon Kronen genug, das anzublicken! doch giebt mir

Siehe der Herrſchende, welcher unendlich belohnt, wie er ſelbſt iſt,

Seiner Freuden noch mehr, und Ewigkeit zu den Freuden!

Nun erhub der Verworfenen Einer ſein Antlitz vom Staube,

Wo er gerichtet ſtand, und ſtreckte die zeugende Rechte

Nach den Koͤnigen aus; ſo ſprach der Verworfne: Mein Leben

Jſt
[112]Der Meſſias.
Jſt mit Schande bedeckt! ich bin ein gerichteter Suͤnder!

Kenne ſie nicht die Hoheit der Seele, die jene Gerechten

Ueber den Staub der Erd’ erhub; und dennoch empfind’ ich’s,

Daß der Menſchheit Erniedrung, vor allen Gebohrnen der Erde,

Jhr die Unheiligſten ſeyd, ſo lange die Suͤnde geherrſcht hat,

Und ſein Gericht das Gewiſſen nur noch in Stillem gehalten,

Welches an dieſem Tage der Rache nicht mehr betaͤubt wird!

Dieſes ſagt’ er. Es hatte ſich lange mit toͤdtendem Schrecken

Seraph Eloa geruͤſtet. Die Rache gluͤht’ in dem Aug’ ihm!

Sein geoͤfnetes Buch hieng durch die Himmel herunter,

Und er rollt’s aus einander; da rauſcht’ es Rauſchen des Sturmes!

Alſo ſprach er: Es iſt mit keinem Maaße gemeſſen

Euer Elend! nicht Zahlen zaͤhlen’s! ihm fehlen die Namen!

Weh euch, ihr ſeyd geſchaffen! Weh, und Verderben ohn’ Ende

Euren Seelen! Jhr habt der Menſchheit heiligſte Wuͤrde

Tief herunter entweiht. Sie haͤtten Engel mit Jauchzen,

Und mit weinendem Dank, von der Koͤnige Koͤnig empfangen!

O, ihr ſtandet erhaben! um eure Throne verſammelt,

Stand das Menſchengeſchlecht! Weit war der Schauplatz, der

Lohn groß,

Menſchlich und edel zu ſeyn! die Himmel ſahn euch. Es wandten

Alle Himmel ihr Angeſicht weg, wenn ſie ſahn, was ihr thatet!

Wenn ſie ſahen den mordenden Krieg; (des Menſchengeſchlechtes

Brandmaal alle Jahrhunderte durch! der unterſten Hoͤlle

Lauteſtes, ſchrecklichſtes Hohngelaͤchter!) den ewigen Schlummer

Eurer Augen, daß neben euch druͤckte der kriechende Liebling!

Keine Tugend belohnt, und keine Thraͤne getrocknet!

Geh
[113]Achtzehnter Geſang.
Geh nun, du fuͤllteſt dein Ohr mit ſuͤßer Unſterblichkeit Schalle!

Geh, du haſt ſie erlangt; doch die nicht, welche du traͤumteſt!

Ewig iſt euer Name, vom letzten Poͤbel der Seelen

Mit den wildeſten Fluͤchen der Hoͤlle genennet zu werden!

Eure Thaten ſind, in des Abgrunds eherne Berge,

Dort, in langen unendlichen Reihen, mit Feuer gegraben,

Alle zu kennen, an ihrer eignen unſterblichen Schande!

Da, da iſt kein Tempel der Ehre, da ſproſſet kein Lorbeer,

Eures Hauptes Krone zu werden, da toͤnt kein Triumphlied,

Euch, mit Ehrevergeudung, mit hohes Preiſes Erguſſe,

Jedem Zauber des Stolzes, durch Siegesbogen zu ſingen:

Aber Jammergeſchrey, und ſchreckliche Stimmen des Blutes,

Das ihr vergoßt, und Wuthausruf, und Verwuͤnſchung zu neuer

Groͤſſerer Quaal erſchallen vom Ueberhange der Berg’ euch,

Euch aus der ewigen Nacht herdrohenden Felſengewoͤlben!

Daß die Wolk’ am Throne mit ihrem Donner ſich waffne!

Und mit eiſernem Gange die Todesengel herabgehn!

Daß die Gerichteten alle die ſtarren Augen erheben,

Nach dem Thron ſchaun! Denn die Entſcheidung faſſet die Wage;

Bald, bald ſchwebt in die Himmel hinauf die ſteigende Schale!

Alſo rief er. Allgegenwaͤrtige ſchauernde Stille

Hatte ſich uͤber die Himmel, und uͤber die Erde gebreitet.

Heilig, und hehr, und ſchrecklich war des Richtenden Anſehn;

Allmacht ſtrahlt’ er, und Zorn. Er blickt’ auf die Koͤnige nieder,

Wandte ſein Angeſicht, ſchwieg. Als er ſein Angeſicht wandte,

Schauert’, es unter der Koͤnige Fuß in den weiten Gefilden;

Kam ein Sturm von dem Thron, und in den Naͤchten des Sturmes

IV Band. HAlle
[114]Der Meſſias. Achtzehnter Geſang.
Alle Todesengel herab. Die Koͤnige flohen!

Kein Erdbeben erbarmte ſich ihrer, ſie, vor dem Anſchaun,

Und dem kommenden Schweben der Todesengel, zu decken.

Ein Gedanke; ſo ſahen wir die Staͤte verlaſſen

Jhres Gerichts: noch Einer; ſo hoͤrten wir donnern die Hoͤlle,

Die ſich oͤffnete! ſchloß! Schon kamen, am aͤußerſten Himmel

Um den Gerichtsplatz her, die Todesengel. Sie hielten

Schwarze Wetter empor, und ſangen Jubelgeſaͤnge!



[[115]]

Der
Meſſias
.
Neunzehnter Geſang.


H 2
[[116]]

Jnhalt
des Neunzehnten Geſanges
.


Adam ſchweigt von Einem Anblicke des Gerichts. Die geiſtlichſtol-
zen Halbchriſten. Abbadona’s Schickſal wird entſchieden. Die
Seligen erheben ſich gen Himmel. Die Aeußerſten der Heerſchaar
ſind die, welche in der Suͤndflut umgekommen waren. Die Erde
wird verwandelt. Das Geſicht hoͤrt auf. Jeſus erſcheint einigen
Juͤngern am See Tiberias; mehr als Fuͤnfhunderten auf Tabor;
Jakobus allein am Tabor; und den Zwoͤlfen und Siebzigen in einem
Palmenwaͤldchen. Johannes hat eine Offenbarung von der Ausgieſ-
ſung des heiligen Geiſtes. Die Zeit der Himmelfahrt iſt gekommen.
Lebbaͤus Wehmuth uͤber den nahen Abſchied von Jeſus. Thomas fuͤhrt
die Juͤnger nach Gethſemane. Jeſus kommt zu ihnen, und geht mit
ihnen auf den Oelberg. Auf demſelben ſind die Triumphbegleiter,
Seelen, Auferſtandne, und Engel unſichtbar gegenwaͤrtig. Jndem
Jeſus die Juͤnger anredet, verklaͤrt er Lazarus. Dieſer wird von ſei-
nem Engel auf den Oelberg gefuͤhret. Jeſus ſegnet die Juͤnger und
faͤhrt gen Himmel. Eloa, der als Schutzengel der Erde zuruͤck geblie-
ben war, und Salem reden mit den Juͤngern. Dieſe kehren nach Je-
ruſalem um, und erwarten die Ausgießung des heiligen Geiſtes.


[[117]]
Der Meſſias.
Neunzehnter Geſang.


Einen Anblick des ernſten Gerichts verhuͤllte der Menſchen

Vater durch Schweigen. Er ſah, in der Mitte des großen,

gedraͤngten,

Unabſehlichen Heers der auferſtandenen Todten,

Eva auf einem Huͤgel ſtehn, und mit fliegenden Haaren,

Ausgebreiteten Armen, mit gluͤhender Wange, mit vollen

Jnnigen Toͤnen der Mutterſtimme, wie nie noch ein Menſch ſie,

Oder ein Engel vernahm, um Gnade! ſie laͤchelte |weinend,

Flehen fuͤr ihre Kinder, um Gnade! zum Richter, um Gnade!

Aber auf Einmal verſchwand ihm der Schaueranblick; er hoͤrte

Einigemale nur noch ſanft Liſpeln der himmliſchen Harfen.

Mitleid daͤucht es ihm bald, bald daͤucht es ihm Freude, doch jez [...]

H 3Hatt
[118]Der Meſſias.
Hatt’ auch dieß ſich verloren. Er ſahe wieder Geſichte.

Als erwach’ er aus tiefen Gedanken, beginnt er von neuem:

Jezo ſah ich die Schnitter der Erndte die Schaaren hinauf gehn,

Und hinunter. Sie giengen mit ſcharfer Forſchung Gebehrden

Langſam voruͤber, und ſchauten voll Ernſt in die Schaaren und riefen:

Komm!.. Dann fuͤhreten ſie die Gerufnen, wie truͤbe Gedanken

Stumm ſie alle, wie Bilder an Graͤbern, als Graͤber noch waren,

Auf den Gerichtsplatz hin. Da ward ein Seraph geſendet;

Der trat langſam hervor, und brachte den hohen Befehl mit:

Fallt auf das Angeſicht nieder, und hoͤrt euer Urtheil, das vormals

Jn dem Leben der Stunden, allein fuͤr ſich nur der Fromme

Ueber euch ſprach; und zitternd ſich lehrte, ſelbſt| ſelig zu werden!

Und ich ſah ſie erblaſſen, und niederfallen zur Erde!

Und ſie lagen, und hielten zertruͤmmerte Felſen. Der Seraph

Trat ſtillſchweigend zuruͤck. Jm Glanze der reineren Tugend,

Mit der Hoheit der Religion, die er druͤben am Grabe

Schon in ihrer Goͤttlichkeit ſah, erhub ſich der beſte,

Und der liebenswuͤrdigſte Juͤnger, der fromme Johannes.

Und die Aelteſten ſtanden um ihn. Er erhub ſich, die Stolzen,

Welche zur Erde niedergeſunken auf dem Gerichtsplatz

Lagen, die zu enthuͤllen; ihr Thun dem Tage zu zeigen!

Gleich dem Wetter des Maͤchtigen, traf er nicht jede der Tiefen,

Jede Hoͤh nicht; beruͤhrete nur hier Gipfel, dort Abgrund;

Ließ dann ſchweigen die ſchreckende Wolke. So ſprach er: Jhr ſchuft euch

Eigne Tugend, und ſtelltet dem Abgott uͤber den Thron hin,

Wo des Richters Geſetz ſtand, und, neben dem ernſten Geſetze,

Euer
[119]Neunzehnter Geſang.
Euer Gewiſſen. Der Heilige, der das zarte Gefuͤh! ſelbſt

Nach des Ewigen Richtſchnur maß; und doch um Erbarmung

Weinend flehte, war ſich nicht rein, und wußte, wer Gott ſey:

Aber ihr waret euch rein! kaum, daß ihr die große Verſoͤhnung

Auch annahmet. Und dennoch habt ihr die edle Begierde,

Welche zur Ehr’ euch rief, zum Stolz herunter erniedert!

Habt es gewagt, wer beſſer als ihr war, mit Strenge zu richten,

Wer einfaͤltiger, weiſer; und tiefer drang in die Jrre

Schwerer Pflichten, in ſich geſchaͤrfter Gefuͤhl des Guten

Weckte, dieß Feuer naͤhrte; mit Streng’ und Wahne zu richten!

Euch unheilig erkuͤhnt, die Tugend in Staube dem Schalle

Jhres Namens, dem Schimmer von ihr in der Koͤnige Huͤtten,

Oder auf anderer Hoͤh der Schattengroͤße des Menſchen,

Gleich zu halten! Jhr bautet euch ſelbſt Gluͤckſeligkeiten,

Tempel eurer Erfindung, auf ſchmeichelnder Ruhe gegruͤndet,

Aber nicht auf der heiligen Pflicht. Den Namen der Vorſicht

Nanntet ihr zwar; doch trautet ihr mehr dem Wege des Menſchen;

Eurem Wege! Die hoͤhere Seele, die euch die Natur gab,

Habt ihr weit von dem Zwecke verleitet, zu dem ihr gemacht war’t!

Habt der herzlichen, edlen, der frommen Menſchlichkeit ſanfte

Liedestoͤne ſo oft mit rauhem Klange vermiſchet!

So ſchien zwar nicht die That, des Gedankens Misbild; ſo war

Aber das Herz in Verborgnem. Dort war es euch dunkel, der Friede

Kam nicht in euer Herz, dem Feinde ganz zu verzeihen,

Jhn in Stillem zu ſegnen!. O durft’ auf die Krone denn hoffen,

Wer nicht rein war vor Gott? ſo gar vor dem eignen Gefuͤhl nicht

Rein in der Stunde der Angſt; traf’s maͤchtiger ihn, daß er Menſch ſey?

H 4Wer
[120]Der Meſſias.
Wer ſich ſelber nicht mehr entrann; und dennoch um Gnade

Zu dem erhabnen Verſoͤhner nicht rief? und dennoch zum Stolze

Wiederkehrte, zur eigenen Groͤße? ſich ſelber verſoͤhnte?

Arme Ruhige! Suͤnder von Suͤndern! der letzte der Tage

Konnte nur er euch, an euch, mit ſeinem Schrecken, erinnern?

Und es konnt’ euch doch jede der Stunden des fliehenden Lebens

Maͤchtig lehren, daß uͤber den Graͤbern ein Anderer richte,

Als ihr ſelber! Erhebt euch, und ſeht die Ruhigern alle!

Schaut nun, welches Ziel ihr verfehltet! Ein anderer Weg gieng

Nach dem Ziele. Demuth, mehr Menſchlichkeit, heißre Gebete

Haben bis hin zu der Krone den Schritt der Sieger geleitet!

Jhr habt niemals, wie ſie, in Stunden wacherer Naͤchte,

Weinend gerungen in tiefem Gebet! Jhr habet euch niemals

Ganz des Elends erbarmt! Jhr habt die hoͤchſte der Freuden

Unter den Freuden der Menſchen und Engel niemals empfunden,

Jene Freude, den Seher des Himmels allein zum Zeugen

Unſrer Thaten zu haben, nur Jhn! uns froͤmmer zu achten,

Seliger, wenn den Menſchen die That, die wir thaten, verhuͤllt war!

Niemals habt ihr genug des Hocherhabnen, des Erſten,

Gottes Groͤße gekannt! Das iſt es, daß ihr von Ruhe

Laͤchelnd traͤumtet; allein bis zu jenem Frieden nicht kamet,

Der in der Thraͤne des Buͤſſenden rann, die um Gnade nur flehte,

Nur um Gnade, durch Thraͤnen und Blut des Mittlers erworben!

Alſo ſprach er... Die Wag’ erklang. Die leichtere Schale

Stieg nicht voͤllig empor. Der Gerichteten Schickſal ward Daͤmm’rung;

Nacht nicht. Vielleicht, daß dereinſt auch ſruͤher der Tag fuͤr

ſie aufgeht.

Graun-
[121]Neunzehnter Geſang.
Graunvoll ſtand das Heer zu des Richters Linke. Vom Throne

Schwebten die Todesengel herab, Verworfne zu fuͤhren

Jn die Wohnung der ewigen Nacht. Sie trugen die Schrecken

Deß auf dem Thron im richtenden Blick. Zu Tauſenden waͤlzten,

Da ſie ſchwebten, die Donnerwolken des hohen Gerichtſtuhls

Jhrem eilenden Fluge ſich nach. Jn einſamer Stille,

Und mit ſterbendem Blick ſtarr in die Tiefe geſenkt ſtand

Abbadona. Jhm kam der Engel Einer des Todes

Jmmer naͤher, und naͤher. Er ſah den Cherub, und kannt’ ihn,

Und erhub ſich zu ſterben. Er ſchaute mit truͤberem Auge

Auf den Richter, und rief aus allen Tiefen der Seele.

Gegen ihn wandte das ganze Geſchlecht der Menſchen ſein Antlitz,

Und der Richter vom Thron. So ſprach anbetend der Seraph:

Weil nun alles geſchehn iſt, und auf den letzten der Tage

Dieſe Nacht der Ewigkeit folgt: ſo laß nur noch Einmal,

Du, der ſitzt auf dem Throne, mit dieſen Thraͤnen dich anſchaun,

Die, ſeit der Erde Geburt, mein brechendes Auge geweint hat.

Schau vom Thron, wo du ruhſt, du haſt ja ſelber gelitten!

Schau ins Elend herunter, wo wir Gerichteten ſtehen,

Auf den verlaſſenſten aller Erſchaffnen! Jch bitte nicht Gnade;

Aber laß um den Tod, Gottmenſch Erbarmer, dich bitten.

Siehe dieſen Felſen umfaß ich! hier will ich mich halten,

Wenn die Todesengel von Gott die Gerichteten fuͤhren.

Tauſend Donner ſind um dich her, nimm einen der tauſend,

Waffn’ ihn mit Allmacht, toͤdte mich, Sohn, um deiner Liebe,

Deiner Erbarmungen willen, mit denen du heute begnadigſt!

Ach ich ward ja von dir auch mit den Gerechten erſchaffen;

H 5Laß
[122]Der Meſſias.
Laß mich ſterben! Vertilg aus deiner Schoͤpfung den Anblick

Meines Jammers; und Abbadona ſey ewig vergeſſen!

Meine Schoͤpfung ſey aus, und leer die Staͤdte des baͤngſten,

Und des verlaſſenſten aller Erſchaffnen… Dein Donner ſaͤumet,

Und du hoͤreſt mich nicht. Ach muß ich leben; ſo laß mich,

Von den Verworfnen geſondert, auf dieſem dunklen Gerichtsplatz

Einſam bleiben, daß mirs in meinen Quaalen ein Troſt ſey,

Tief nachdenkend mich umzuſchaun: Dort ſaß auf dem Throne

Mit hellglaͤnzenden Wunden der Sohn! da huben die Frommen

Sich auf ſchimmernden Wolken empor! hier wurd ich gerichtet!

Abbadona ſank an den Felſen. Jn eilendem Fluge

Standen die Todesengel, und wandten ihr Antlitz zum Richter.

Feyerlich ſchwieg das Menſchengeſchlecht. Die Donner verſtummten,

Die unaufhoͤrlich vorher vom Throne des Richters erſchollen.

Abbadona erwacht’, und fuͤhlte die Ewigkeit wieder;

Gegen ihn kam durch die wartenden Himmel die Stimme des Richters:

Abbadona, ich ſchuf dich! ich kenne meine Geſchoͤpfe;

Sehe den Wurm, eh er kriecht, den Seraph, eh er empfindet;

Kenn’ in allen Tiefen des Herzens alle Gedanken:

Aber du haſt mich verlaſſen! und jene Gerichteten zeugen

Wider dich auch! du verfuͤhrteſt ſie mit! Sie ſind unſterblich!

Abbadona erhub ſich, und rang die Haͤnde gen Himmel

Alſo ſagt’ er: Ach wenn du mich kennſt, und wenn du den baͤngſten

Aller Engel gewuͤrdiget haſt, ſein Elend zu ſehen;

Wenn dein goͤttliches Auge die Ewigkeiten durchſchaut hat,

Die ich leide: ſo wuͤrdige mich, daß dein Donner mich faſſe,

Und
[123]Neunzehnter Geſang.
Und dein Arm ſich meiner erbarm, vor dir mich zu toͤdten!

Mittler! ich ſinke betaͤubt in des Abgrunds furchtbarſte Tiefe;

Und mein bebender Geiſt entflieht der Ewigkeit Schauplatz,

Stuͤrzt ſich hinab, und rufet dem Tode, ſo oft ich es denke,

Daß du mich ſchufſt! und ich es nicht werth war, geſchaffen zu werden!

Schau, wo du richteſt, herab, und ſieh, du Erbarmer, mein Elend!

Laß mich Einmal nur noch den großen Gedanken denken,

Daß du mich ſchufſt! daß auch ich von dem beſten der Weſen gemacht ward!

Und dann tilg’ auf ewig mich weg vom Antlitz der Schoͤpfung!

Sey mir, Gedanke, gegruͤßt, vor dem nahen Abſchied von allen

Die Gott ſchuf, und dem Unerſchafnen der letzte Gedanke!

Da der vollendete Himmel in ſeinen Kreiſen heraufkam,

Und der erſte Jubelgeſang die Unendlichkeit fuͤllte;

Da mit Einer großen Empfindung, die von dem Schoͤpfer

All’ auf Einmal ergriff, die werdenden Engel ſich fuͤhlten;

Da der Einſame ſich vor tauſendmal tauſend enthuͤllte,

Wie er von Ewigkeit war; und zuerſt der hoͤchſte Gedanke

Nicht allein von Gott mehr gedacht ward: da ſchuf mich mein Richter!

Damals kannt’ ich kein Elend, kein Schmerz entweihte die Hoheit

Meines Geiſtes. Vor allen die ich, ſie zu lieben, mir auskohr;

War mir der Liebenswuͤrdigſte Gott! Mit ſchattendem Fluͤgel

Deckte mich ewiges Heil! Jn jeder Ausſicht ſah ich

Seligkeiten um mich! Mir jauchzt’ ich in meiner Entzuͤckung,

Daß ich geſchaffen war, zu. Jch war, geliebet zu werden

Von dem beſten der Weſen! Jch maß mein daurendes Leben

Nach der Ewigkeit ab, und zaͤhlte die ſeligen Tage

Nach der Zahl der Erbarmungen Gottes!.. Nun muß ich vergehen!

Nicht
[124]Der Meſſias.
Nicht mehr ſeyn! nie wieder mit tiefer Bewunderung Gott ſchaun!

Und am Throne des Sohns kein Halleluja mehr ſingen!

Werde denn, ewiger Geiſt, werd’ aufgeloͤſet! Vollendet

Jſt der Zweck, zu dem du geſchaffen wurdeſt! Hier ſteh ich,

Bete zum letztenmale dich an, o der auf des Schickſals

Naͤchtlichſte furchtbarſte Hoͤhe mich ſtellte, mich dort zum Zeugen

Erſt der Huld; der Rache, der unerbittlichen, dann mich

Auserkohr, daß Aeonen es ſaͤhn, und ihr Antlitz verhuͤllten!

Alſo ſagt er, und ſinkt vor dem Richter aufs Angeſicht nieder,

Und erwartet den Tod. Und tiefe, ſey’rliche Stille

Breitet noch uͤber den Himmel ſich aus, und uͤber die Erde.

Damals erhub ich mein Aug’, und ſah die Himmel herunter,

Und ich ſah auf den goldenen Stuͤhlen die Heiligen beben,

Vor Erwarten der Dinge, die kommen ſollten! Jch ſah auch,

Vor dem Heer der Verworfnen, um Abbadona, erwartend,

Gluͤhender Stirn; es lagen um ſie die naͤchtlichen Wolken

Unbeweglich; ſo ſah ich die Todesengel! ſie wandten

Starr ihr Antlitz von Abbadona zum Throne des Richters.

Hier verſtummte der Vater der Menſchen. Die Heiligen ſahn ihn,

Als wenn er unter ihnen noch Einmal vom Tod’ erwachte,

Da er wieder begann: Zuletzt, wie die Stimme des Vaters

Zu dem Sohn, wie der Jubel Nachhall, ſcholl von dem Throne

Dieſe Stimme: Komm Abbadona zu deinem Erbarmer!

Adam verſtummte von neuem. Da ihm die Sprache zuruͤckkam,

Da er mit feuriggefluͤgelten Worten zu reden vermochte,

Sagt er: Schnell wie Gedanken der himmelſteigenden Andacht,

Wie
[125]Neunzehnter Geſang.
Wie auf Fluͤgeln des Sturms, in dem der Ewige mandelt,

Schwung ſich Abbadona empor, und eilte zum Throne!

Als er daher durch die Himmel ging, erwachte die Schoͤnheit

Seiner heiligen Jugend im betenden Auge, das Gott ſah;

Und die Ruh der Unſterblichen kam in des Seraphs Gebehrde!

So hat keiner von uns an der Auferſtehungen Tage

Ueber dem Staube geſtanden, wie Abbadona daherging,

Abdiel konnte nicht mehr des Kommenden Anblik ertragen,

Schwung ſich durch die Gerechten hervor; mit verbreiteten Armen

Jauchzt’ er laut durch die Himmel. Die Wange gluͤht’ ihm; die Krone

Klang um ſein Haupt; er zittert’ auf Abbadona herunter,

Und umarmt’ ihn! Der Liebende riß ſich aus ſeiner Umarmung,

Und ſank jezt zu den Fuͤſſen des Richters aufs Angeſicht nieder.

Nun erhub ſich in allen Himmeln des lauten Weinens

Stimme; die Stimme der ſanfteren Wonne; der leiſeren Harfen

Jubel entglitt den Stuͤlen der vier und zwanzig Gerechten,

Kam zu dem Stule des Sohns, und ſang von dem Todten, der lebte!

Wie kann ich reden die Worte, die Abbadona geſagt hat,

Da er am Thron’ aufſtand, und zu dem auf dem Throne ſich wandte.

Alſo ſagt’ er, und laͤchelte Wonne des ewigen Lebens:

O mit welchen feſtlichen Namen, mit welchen Gebeten,

Soll ich zuerſt dich nennen, der alſo ſich meiner erbarmt hat?

Kinder des Lichts, die ich liebte, zu euch bin ich wiedergekommen!

Erſtgeborne der Schoͤpfung, und ihr durch die Wunden des Sohnes

Erben des ewigen Lebens, wohin bin ich wiedergekommen?

Sagt mir, o ſagt mir, wer rief mich? weß war die Stimme vom Throne,

Die beym Namen mich nennte? Du biſt die Quelle des Lebens!

Fuͤlle
[126]Der Meſſias.
Fuͤlle der Herlichkeit! ewige Quelle des ewigen Lebens!

Heil iſt dein Name! du biſt der Eingeborne des Vaters!

Licht vom Lichte! des Bundes Mitler! das Lamm, das erwuͤrgt ward!

Koͤnig heißeſt du auch! ich will die Liebe dich nennen!

Gott hat am Abend des Weltgerichts noch Einmal erſchaffen;

Denn ich war Einer der Ewigtodten. Den letzten der Tage

Schuf er mich um, und rief mich, aus meines Todes Umſchattung,

Wieder zum ewigen Heil, das unausſprechlich wie Gott iſt!

Halleluja! feyrendes Halleluja, o Erſter!

Sey dir von mir auf ewig geſungen! Du ſpracheſt zum Elend:

Sey nicht mehr! zu den Thraͤnen: Jch hab’ euch alle gezaͤhlet!

Freudenthraͤnen, und Dank und Anbetung ſey dem auf dem Throne!

Jezo ward mein Geſicht zu dunkeln Geſtalten, die fliehend

Kamen, und ſchwebten, und fliehend am fernen Himmel verſchwanden.

Endlich waren vor mir die dunkeln Erſcheinungen alle

Weggeſunken; Geſicht war wieder, was ich erblickte.

Aber Jahre, ſo daͤucht’ es von neuem mich, waren vergangen

Zwiſchen dem letzten Anblick, und dieſem, der jezt vor mir aufgieng.

Schoͤner leuchtet’ herunter, und ſchrecklich nicht mehr des Thrones

Glanz, und uͤberſtralte der Auferſtehung Gefilde!

Weit, wie niemals mein Auge noch ſah, in unendlicher Ferne,

Sah ich die Schaarenheere der Ueberwinder gen Himmel

Wallen; die Aeußerſten nur erkannt’ ich. Es waren der erſten

Erde Kinder, die einſt zum Meere wurde, da Gottes

Wagſchal auch erklang, und gewogen ward, wer von Adam

Sterblichkeit erbt’, und die Seelen der Todten hinunterſanken

Jn
[127]Neunzehnter Geſang.
Jn ein furchtbar Gefaͤngniß. Die waren jetzt von der Feſſel

Alle befreyt, und wallten hinauf mit den Siegern gen Himmel.

Segnend ſchaut’ ich den Seligen nach. Auf Einmal erhub ſich

Hinter mir Donnergeraͤuſch, und ich ſah verwandelt die Erde

Werden! ihr Engel des Allerheiligſten! und ihr Gebornen!

Sahe weit um mich her die fluchbeladne zum Eden

Werden! Alſo erſtand ich aus Staube; ſo wurd’ die Erde

Eden aus Truͤmmer. Die Schoͤpfung erſcholl umher, und die Sterne

Leuchteten heller. Noch hoͤrt’ ich die Donner der Schoͤpfung, noch ſtralt’ es

Mir vom Himmel, als ich zu euch nach meinem Geſicht kam.

Jeſus war von dem Tabor herabgekommen, und ſtand itzt

An dem Geſtade des Sees Tiberias, neben ihm Engel

Nur geſehen von ihm. Sie brachten Botſchaft aus Welten;

Hoͤrten ſchnelle Befehle, die Weltenſchickſal entſchieden.

Andre traten herzu, und andre wandten ſich, eilten

Mit Befehlen belaſtet, daruͤber ſie ſtaunten, daruͤber

Einſt auch wir, wenn geſunken uns iſt die Huͤlle des erſten

Lebens, der Geiſt der ſchlummernden Todten die Heitre durchwallet,

Staunen werden. Herauf war die Morgendaͤmm’rung geſtiegen;

Und die Stralen des werdenden Tages milderte lichter

Nebel, ein Schleyer aus Glanz und weiſſem Dufte gewebet.

Ruh war auf die Gefild’ umher, ſanftathmende Stille

Ausgegoſſen. Langſam ſichtbar entgiltt ein Nachen

Voll von Freunden dem lieblichen Dufte des werdenden Tages.

Nackt bey dem uͤberhangenden Netz ſtand vorn in dem Nachen

Kephas. Es ſaſſen umher, mit ſilberharigem Haupte

Bartholomaͤus; Lebbaͤus gelehnt auf ein Ruder; mit vollem,

Freude-
[128]Der Meſſias.
Freudeglaͤnzenden Blicke der Zwilling; mit heitrer Gebehrde

Selbſt Nathanael; ſaſſen die Zebedaͤiden, Jakobus

Mit den Gedanken im Himmel; Johannes an Chriſtus auf Erden.

Da ſie naͤher heran zu dem Ufer kommen, erblicken

Sie den Mittler, allein ſie erkennen ihn nicht; doch verehren

Sie den ernſten Fremdling, der dort des Morgens, in heitre

Ruhe verſenkt, und ſeiner Gedanken ſich freut. Von den Pilgern

Allen, die Griechenlandes Goͤtzen, oder die Bilder

Jenes Stromes der ſieben Muͤndungen lieſſen, des Paſſah

Feyer mit uns zu begehn, und des Tempels Pſalme zu hoͤren,

Sah ich keinen ſo voll von Hoheit der Seele! Jakobus

Sagt’ es, und Didymus ſprach: O waͤr, den wir ſehen, der Pilger

Einer der Auferſtehung, und jezt mit dem Morgen gekommen,

Strahlender uns zu erſcheinen, als leuchten Tage der Erde

Koͤnnen, Sonnen es koͤnnen!.. Mit ſcharfem Blicke, Lebbaͤus,

Siehſt du ihn an, mit unabwendbarem Auge des Forſchers.

Ach die Gebehrde des Sterblichen, der ein Himmliſcher iſt, die

Die betracht’ ich, o Thomas, erwarte den Flug, den die Wandlung

Nehmen wird, ſo eilend vielleicht, daß mein Aug’ ihn nicht ſiehet.

Aber der Fremdling redet mit ihnen: Habet ihr Speiſe,

Meine Kinder? Sie hatten die Nacht vergebens gefiſchet,

Hatten keine Speiſe. Da ſagte der Unbekannte:

Werfet das Netz zur Rechte des Schiffs; ſo werdet ihr finden.

Und ſie warfen es aus, und konnten’s nicht ziehn vor der Fiſche

Menge. Mit mehr Erwartungen, richtete jezo Lebbaͤus,

Richtete Thomas den forſchenden Blick auf den Unbekannten.

Aber
[129]Neunzehnter Geſang.
Aber der Zug, der das Netz, da, wo der Fremdling es ſagte,

Und ſo ſchnell belaſtete, zeigte Johannes den Mittler!

Freudig rief er: Es iſt der Herr! Da Kephas hoͤrte,

Daß es der Herr ſey, eilt’ er, und guͤrtete ſich mit dem Hemde,

Warf ſich ins Meer! ſchwamm ſchnell heran zum Geſtade, voll Unruh

Chriſtus naͤher zu ſehen. Er ſah ihn, erkannt’ ihn! Die Andern

Eilten im Nachen, zogen das Netz mit den Fiſchen heruͤber,

Traten aus Land, und erkannten, verſtummt vor Wonne, den Mittler!

Brodt, und Kohlen, und Fiſch’ auf den Kohlen lagen vor ihnen

An dem Ufer. Der Mittler ſprach: Bringt auch von den Fiſchen,

Die ihr fienget. Und ſchnell ſprang Kephas wieder ins Waſſer;

Zog das ſchwere Netz voll großer Fiſche, das dennoch

Nicht zerriß, auf das Land: und Leben wimmelt’ im Netze!

Kommt, und haltet das Mahl. Sie hielten’s. Vertraulich, mit Liebe

Saß er unter den Wonnevollen am Ufer, und reichte

Jhnen Speiſe. Jezt war das zweyte der frohen Mahle,

Nach dem traurigen Mahl vor ſeinem Tode, geendet.

Und ſie wandelten hin am Geſtade. Der Goͤttliche ſagte:

Simon Johanna, haſt du mich lieber, als dieſe mich haben?

Schnell tritt Petrus naͤher zu ihm, antwortet: Du weißt, Herr,

Daß ich dich liebe!.. Mit inniger Huld ſprach Jeſus: So weide

Meine Laͤmmer! und ſchwieg nicht lang’, und fragte noch einmal:

Simon Johanna, haſt du mich lieb? Jm innerſten Herzen

Fuͤhlt es Kephas; noch trauert er nicht, antwortet: Du weißt, Herr,

Daß ich dich liebe!.. Mit inniger Huld ſpricht Jeſus: So weide

Meine Schafe! und ſteht, und fragt den Geruͤhrten noch einmal:

IVBand. JSimon
[130]Der Meſſias.
Simon Johanna, liebeſt du mich? Da kam in des Juͤngers

Seele Traurigkeit, daß ihn der Herr zum drittenmal fragte.

Und mit der Stimme der Wehmuth erwiederte Petrus: Du weißt, Herr,

Alle Dinge, du weißt, daß ich dich liebe! So weide,

Sagt’ ihm der Goͤttliche, meine Schaafe! Du wareſt ein Juͤngling,

Kephas, und guͤrteteſt dich, und wandelteſt hin, wo du wollteſt.

Wenn das Alter dir koͤmmt, wirſt du die Haͤnd’ ausſtrecken,

Andre werden dich guͤrten, dich andre fuͤhren, dich fuͤhren,

Wo du nicht hin willſt: Folge mir nach! Der Juͤnger verſtand es,

Welche Fuͤhrung dieß ſey, und mit welchem Tod’ er ein Zeuge

Deß, der erſtand, Gott preiſen wuͤrde. Jezt wendete Kephas

Sich, und ſahe den Juͤnger auch folgen, den Jeſus liebte,

Der an der Bruſt ihm lag bey dem traurigen Mahle der Scheidung.

Kephas ſprach: Was aber ſoll dieſer? Der Mittler erwiedert:

Wenn ich will, daß er, bis ich komme, bleibe, was geht dieß

Dich an? Folge du mir nach… Jezt ſahe der Juͤnger

Auge den Auferſtandnen nicht mehr. So erhebet das Meer ſich;

Und ſo ſenkt es die Woge nieder, und wird zur Ebne,

Wie vom Erſchienenen unter einander die Einſamen ſprachen.

Ja, ich folg’ ihm nach, rief Simon, ich ſterbe, wie er ſtarb!

Guͤrtet, und fuͤhrt, ich ſterbe, wie er! Du aber, Johannes,

Stirbſt nicht, wie er! Du biſt unſterblich… Du biſt unſterblich!

Rufte Jakobus, und hub ſein Auge gen Himmel vor Wonne

Trunken… Jch unſterblich? das ſagt’ er ja nicht… Bis er komme

Bleiben! was ſagt’ er denn anders? Du biſt, o Juͤnger der Liebe,

Biſt unſterblich! Erkohren hat Er fuͤr deine Treue

Dieſen Lohn, die Krone! Du biſt unſterblich, Johannes!

Freudig
[131]Neunzehnter Geſang.
Freudig ſagt’ es Lebbaͤus, fuhr fort: Das wurde noch keinem!

Heil dir, Seliger Gottes, zu deiner großen Belohnung!

Eins nur iſt mir Zweifel. Wir ſterben, und gehen zum Mittler;

Und du bliebeſt zuruͤck? Doch er iſt ja bey den Seinen

Bis an das Ende der Tage! bey ihnen im Himmel, bey ihnen

Auf der Erde. Du ſtirbſt nicht, Johannes! Sie giengen,

Voll der kuͤnftigen Welt, zuruͤck zu des Lebens Geſchaͤfte,

Ruderten hin und wieder, und theilten aus, in der Freude

Jhres Herzens, das volle Netz, wo etwa ein Nachen

Lag, der auch bis zur Fruͤhe, wie ihrer, vergebens umherglitt.

Sonnen giengen auf, und giengen unter, und immer

Waͤhrte das erſte Gericht des Verſoͤhners. Schnelle Worte,

Schnellere Winke geboten den Engeln; die zeugten, enthuͤllten

Flammenſchrift; bald rollten ſie wieder die Buͤcher zuſammen;

Streuten nur wenig umher des furchtbaren Glanzes. Die Seelen

Redeten, ſchwebten verſtummt. Kurz war das Urtheil des Richters!

Traf, gleich Blitzen! umglaͤnzte, wie Stralen des Tages, mit Wonne!

Lange hatte ſich ſchon, und weit der Ruf von des Mittlers

Auferſtehung verbreitet, und, daß die Juͤnger ihn ſaͤhen!

Und daß himmliſche Zeugen aus jenen Huͤtten des Friedens

Zu den Sterblichen kaͤmen! und er, von welchem die Todten

Zeugten, ſey wieder hinab nach Galilaͤa gegangen,

Sich von neuem zu offenbaren. Geſendete Freunde

Eilten umher, und verkuͤndeten freudig: Auf dem Gebirge

Tabor ſammeln ſie ſich, die der neuen Offenbarung

Herrlichkeit harren. Sie ſtehn im Schatten der Ceder, und laben

J 2Nicht
[132]Der Meſſias.
Nicht am Quell ſich, und brechen kein Brodt!. So riefen die Boten,

Und verließen mit Eile die Huͤtte des Einen, zu kommen

Nach des Anderen Huͤtte: Der Goͤttliche wird ſich noch einmal

Offenbaren. Er hat auch dieſe Gnade verheißen.

Auch ward dieß dankweinenden Frommen von vielen der Todten,

Die erſtanden, verkuͤndet. O eilt nach Tabor, wenn’s anders

Theuer euch iſt, ſchon hier euch, wie Engel Gottes, zu freuen.

Lazarus ſtand auf Tabor in Cederſchatten, und ſagte:

Vielen will er Seligkeit geben; er wuͤrde ſo lange

Sonſt nicht ſaͤumen. Wir ſind nur erſt zweyhundert verſammelt;

Und mehr ſollen es ſeyn, die er mit dem erſten Genuſſe

Seines Erbes erquicken, auf die er von Ferne den Schimmer

Jenes Glanzes am Thron, die Morgenſtralen der Tage

Seiner Ewigkeit, ausſtreun will! So harrt denn, ihr Bruͤder,

Dieſes reicheren Maaßes der himmelvollen Erbarmung;

Harret ſein, wie ſie droben am Thron des Goͤttlichen harren.

Preiſet ſeinen Namen, und ſingt ihm, Pſalme des Tempels

Nun nicht mehr, ſingt Pſalme der Erben dem goͤttlichen Sohne!

Wen das Feuer des Himmels entflammt, der ſinge dem Sohne,

Daß uns preiſend finde, wer kommt, ſein Antlitz zu ſehen,

Daß den Erſcheinenden Jubel der neuen Lieder empfangen.

Und die Mutter des Todten, der lebte, begann: Jch lernte,

Wenn nicht Eva zu ſehr der Sterblichen nahte, des Thrones

Jubeltoͤne! doch auch mit des Menſchen Stimme, dem Laute

Seiner Bruͤder auf Erden, will ich dem Erhabenen ſingen.

Komm, und ſinge mit mir, die in Magdale’s Thale zum Leben

Gott
[133]Neunzehnter Geſang.
Gott ſchuf… Jch, mit der Mutter des Hocherhabnen, ihm Lieder

Singen, die Ungeweihte von Gottes Flamme? dem Sohne

Preis ich ſtammeln? Wohlan, ich folge von ferne der Mutter;

Denn ich lieb’ ihn! Du haſt der Engel Gottes Triumphlied

Ueber der Krippe, du haſt, mit Eva’s Harfe, des Thrones

Jubeltoͤne gehoͤrt, und biſt des Goͤttlichen Mutter;

Aber ich lieb’ ihn auch! Beginn, o Mutter des Todten.

Mirjam ergriff den Pſalter, und hub ihr Auge gen Himmel;

Schon entſtroͤmmte Begeiſtrung der ſanfterſchuͤtterten Saite.

Da die Engel des Throns um die Huͤtte Bethlehems ſangen,

Weint’ er! aber das Halleluja der Preiſenden wurde

Fey’rlicher, als ſie rinnen die Thraͤne des Goͤttlichen ſahen!

Jch, die Suͤnderinn ſank zu ſeinen Fuͤſſen mit ſtiller

Reu, und er erbarmte ſich mein, dem in Bethlem der Thraͤnen

Mitleid floß, der mit Gnade den Preis der Himmliſchen hoͤrte.

Jn Gethſemane floſſen dem Gottverſoͤhner nicht Thraͤnen;

Schweiß und Blut floß! Laut hat auch dieſes um Gnade gerufen!

Als er Jeruſalem ſah, da weint’ er uͤber ihr Elend!

Sammeln wollt’ er die Armen, wie eine Henne die Kuͤchlein

Unter ihre Fluͤgel; allein ſie wollten nicht kommen!

Wollten des Liebenden nicht, und ruften in Gabbatha’s Hallen:

Ueber uns komme ſein Blut, und uͤber unſere Kinder!

Ach es floß, und auch fuͤr ſie, auf dem hohen Altare

Golgatha! Wandte nicht da von ihm das Gericht ſein geſchrecktes

Antlitz weg, und floh? ſcholl da die Hoͤlle nicht dumpf auf,

J 3Voll
[134]Der Meſſias.
Voll des Entſetzens vor ihm? ward da ſein Eid nicht erfuͤllet,

Den er dem Ewigen ſchwur: Jch will die Menſchen erloͤſen!

Hat den Vollender nicht Gott mit Preis und Ehre gekroͤnet,

Seit er am Kreuze ſein Haupt in die Nacht des Todes geneigt hat?

Ach zu ſeiner Herrlichkeit ſchaut mit Wonne mein Blick auf;

Aber dennoch wend’ ich ihn oft zu dem blutigen Altar

Wieder hin, und klag’ um ihn, deß Haupt in die Nacht ſich

Neigte, gekroͤnt mit der Krone der Schmach auf der Schaͤdelſtaͤte!

Komm, wir harren dein, uns laſten der ſuͤßen Erwartung

Freud’ und Unruh, komm, du, den nicht mehr auf dem Huͤgel

Kroͤnet die Krone der Schmach! nicht mehr der Felſen des Grabmals

Huͤllt in dunklere Nacht, als uͤber Golgatha ſchwebte.

Komm, du Toderweckter, du Maͤchtiger, komm, der das Leben

Wiederbrachte, geſegnet mit allen Segen des Vaters,

Komm, wir ſchauen nach dir hinab in die Thale, gen Himmel,

Auf die Gebirg’ umher, mit innigen Blicken der frommen

Suͤſſen Erwartung, o komm zu deiner erſten Gemeine!

Siehe, ſo wartet, die Freud’ in dem Blick, und geſchmuͤckt mit der Unſchuld

Schmucke, die Braut des Braͤutigams, wie der Gemeinen erſte

Deiner wartet, der auferſtand, die Todten zu wecken!

Wallet, Gemeinen der Enkel, mit frohem Tritt zu der erſten

Grabe, ſie wird, euch wird der Herr des Lebens wecken!

Wallet herzu, die Blume der Erndt’ in der Hand, und die Lippe

Seines Preiſes voll, zu eurer Vaͤter Gebeinen.

Magdale unterbrach den Geſang durch Rufe der Freude:

Ach ſein Haͤuflein, die erſte Gemeine, mehret ſich immer!

Seht
[135]Neunzehnter Geſang.
Seht ihr, o Zeugen, kommen die neuen Zeugen auf jedem

Wege, der aus dem Thale, nach Tabors heiliger Hoͤh ſteigt?

Ach wie auf allen Pfaden zur Wonne ſchneller des Pilgers

Stab ſich bewegt, und dunkler der Staub der Fuͤſſe ſich woͤlket!

Ach es eilen der Gluͤklichen viele, viel der Erkohrnen

Chriſtus herauf, ihn wieder von Gott verklaͤret zu ſehen!

Aber Mirjam ließ den Geſang, und die Saiten ertoͤnen:

Ja verklaͤr’ ihn, auch mit dieſer Klarheit, o Vater,

Daß das Antliz des Sohnes Gottes die erſte Gemeine

Sehe mit Himmelswonne, ſie ſeines Lichtes Stroͤme

Trinke, dadurch auf immer gelabt, und nach Troſte nicht duͤrſte,

Dann nach Erquickung nicht lechze, wenn nun das Schwert der Tyrannen

Ueber ſie kommt, und ſie, ihr leztes Zeugniß zu zeugen

Von dem Sohne Gottes, heran zu dem blutigen Tode

Gehen! Laß dann nicht ſaͤumende Quaal die Nahen am Ziele

Ueberlaſten, und bald ihr Blut, o Erbarmender, reden!

Bin auch ich erkohren, das große Zeugniß zu zeugen,

Jch gewuͤrdigt zu gehen den blutigen Weg zu dem Grabe,

Sohn des Vaters; ſo wende, wenn langſam ich ſterbe, nicht ganz dich

Weg von der ſinkenden. Mir genuͤgt Ein Broſam des Troſtes!

Dir genuͤget, nicht ihm, der dein ſo ſehr ſich erbarmt hat,

Broſame nur zu geben. Wenn er zur Zeugin dich rufet;

Siehe, ſo iſt dir keine der Quaalen alle ſo ſehr Quaal,

Daß du nicht wieder hoͤrteſt die Himmelſtimme: Maria!

Und nicht wieder ſaͤnkeſt zu ſeinen Fuͤſſen. Am Grabe

Weilet er dann nicht mehr; er ſizt auf der Herlichkeit Throne,

Herſcht zu des Vaters Rechte, zu deſſen Fuͤſſen du dann ſinkſt!

J 4O du,
[136]Der Meſſias.
O du, der uns geliebt von dem Anbegiune der Welt hat,

Meine Seele verlanget nach dir! Gieb Fuͤlle der Gnade

Dann, und jezt, o erſcheine, Verſoͤner, und ſtaͤrke die Zeugen

Zu dem blutigen Gange nach jenem Ziele, wo Palmen

Wehen, und Kronen des Lohns den Ueberwindenden ſtralen.

Alſo ſangen Maria und Magdale. Viele der Engel

Und der Erſtandenen waren herauf zu den Zeugen gekommen,

Und mit ihnen auch andere Zeugen. Eloa lehnte

Sich auf die goldene Harfe, und hoͤrte die Mutter des Mitlers

Singen; David ſchwebete naͤher, und hoͤrte der Mutter

Freudeweinendes Lied. Da die nahenden Frommen vernahmen,

Daß mit dieſer Wonne ſie ſang, da eilten ſie ſchneller.

Alſo ſprachen ſie unter einander: Jhr hoͤret, wie freudig

Sie den Goͤttlichen preiſt. Vielleicht erblikt ihn ihr Auge

Schon auf einem der Huͤgel Tabors? Vielleicht erhebt er

Dort bey einer der Cedern den Fuß, zu der Mutter zu gehen?

Aber ſie ſahen ihn nicht. Noch folgten Andre, der Siebzig

Viele, mit ihnen ſie alle, die einſt ihn verließen, und weinend

Dieſe, noch viele der Lahmen, und Blinden, und Tauben, die Chriſtus

Hatte geheilt, und Todte, die er in das Leben gerufen;

Beor, und Dilean auch, mit Joel Samma, Elkanan,

Cherubim auch, unſichtbar ſie, und die Maͤrtyrerkrone,

Berſebon, und Bethoron, und Engel mit Maͤrtyrerkronen,

Tabitha, Stephanus, Joſes, und Portia. Neben ihr ſpielte,

Streute Blumen ihr in den Weg der Knabe Nephthoa,

Junge Blumen, und Sproſſe mit halbgebildetem Laube.

Vielmal ſah er ſie an, und laͤchelte vielmal ihr Unſchuld.

Portia,
[173[137]]Neunzehnter Geſang.
Portia, ſo iſt der Weg zu dem Himmel, und ich bin der Engel,

Der dich fuͤhret!.. Jhr ſtuͤrzet’ oft die Zaͤhre der Freude

Ueber die Wange. Sie war nicht Mutter; aber ein Knabe

Nach den ewigen Huͤtten, geleitete ſie zu Chriſtus.

Knabe, der Weg zu dem Himmel iſt ſchoͤn, und ich liebe den Engel,

Der mich fuͤhret… Jch liebe dich auch; doch lieb’ ich noch mehr einſt

Da dich, wo an dem Ende des Blumenweges uns andre

Cedern ſchatten, und Palmen, der Fruͤhling ewig uns ſchimmert.

Nikodemus, und Joſeph erreichten die Beyden, und hoͤrten

Erſt ihr Geſpraͤch; dann gruͤßten ſie ſich mit dem Gruſſe des Friedens,

Chriſtus Gruſſe, ſo oft er den Seinen ſich offenbarte.

Und ſie traten zu Magdale hin, und der Mutter des Mittlers.

Mirjam ſahe die Heidinn, und Freude befiel, und Verwundrung

Sie, daß Chriſtus ſchon itzt gen Himmel Portia rufe.

Und ſie ruͤhrte die Harfe der neuen Jeruſalem wieder.

Sohn des Vaters, noch mehreſt du ſtets der Erben des Lebens

Deiner Seligen Schaar! Viel haſt du heut dir verſammelt,

Daß ſie dein Antlitz ſehn, den Gott vom Tode geweckt hat!

Feſt wird ſie auf den heiligen Bergen gegruͤndet, gegruͤndet

Hoch auf dem Gipfel, der uͤber die Sterne raget, des neuen

Bundes Salem! Ja, eile nur vor, und verlier in die Zukunft

Dich, mein Blick. Wonn’ iſt es, zu ſehen den Auferſtandnen;

Aber Wonn’ iſts auch, hinunter zu ſchauen die Reihen

Jener Zeiten, in welchen die kleine Quelle, das Haͤuflein,

Heerſchaar ſtroͤmt! Du Herrlicher! wie beganneſt du: Einer

Schwachen Sterblichen, die um dich weint’, erſchienſt du zuerſt! dann

J 5Deinen
[138]Der Meſſias.
Deinen hohen Apoſteln, auf welche Geiſſel und Bande

Warten, und Thron’ im Gericht, und mehr als einmal, daß ſtark ſie

Wuͤrden, eh ſie hinaus aus dem Lager giengen, zu tragen

Deine Schmach mit dir! dann dieſer kleinen Gemeine!

Und wie fuhreſt du fort! Der Baum des Erkenntniſſes Gottes

Wuchs, und breitet’ uͤber die Voͤlkerheere der Erde

Lebenſchattend ſich aus! und wie vollendeſt du jezt es,

Sohn des Vaters, geopfert von Anbeginne, der Soͤhnung

Lange zuvor geweiht, eh das Haͤuflein war, und die Heerſchaar.

Engel Gottes, ach ſie zerreißet, die Huͤlle zerreißet

Vor des Himmels Allerheiligſten! Werfet die Kronen

Nieder vor ihm, dem Thaͤter der Gottesthaten, die Palmen

Nieder vor Jeſus Chriſtus, dem großen Vollender, und ſinget,

Singet das Halleluja der tauſendmal tauſend Schaaren!

Und ſie ließ, in Erſtaunen verloren, die Harfe ſinken.

Lazarus, da er ſie jezt mehr als fuͤnf hundert gelagert

Sah vor der Mutter Chriſtus, und ſich, und wußte, ſie waͤren

Erben des Heils, und Erſtlinge Gottes, die naͤher am Thron einſt

Kronen truͤgen, und wallten, im Labyrinthe der Vorſicht,

Wie den gebahnten Weg in der Morgenſonne der Wandrer;

Freut’ er ſich innig, und ward, von ſeiner Wonne Gedanker,

Wie auf Fluͤgeln getragen. Er ſtieg den Huͤgel, an dem er

Ruhet’, hinauf, und uͤberſahe noch einmal der Erben

Betende Schaar, und blickte mit ſtillem Danke gen Himmel;

Aber nun trat er vorwaͤrts, erhub die Hand, und begann ſo:

Chriſtus hat uns verſammelt die Lahmen, die Blinden, die Tauben,

Und die Todten! verſammelt die Armen in Geiſte, die Gottes

Huͤlfe
[139]Neunzehnter Geſang.
Huͤlfe nur kennen, und keines Menſchen Huͤlfe nicht kennen!

Jhr, zukuͤnftige Zeugen des Auferſtandenen, wißt es,

Daß er euch auf den Berg der Verklaͤrung ſandte, damit ihr

Seine Herrlichkeit ſaͤht, und einſt, von der Herrlichkeit zeugtet!

Siehe des Eingebornen des Vaters voll Wahrheit und Gnade,

Chriſtus, welchem von Ewigkeit ſey zu Ewigkeit Ehre

Und Anbetung! Jch hebe mein Haupt mit Freude des Himmels

Ueber euch auf, und flehe vom liebevollen Erbarmer

Jezo keinen Seegen fuͤr euch: euch hat der Verſoͤhner

Schon geſegnet! euch Chriſtus des Bundes Mittler geſegnet

Mit der Verheiſſung, ſich euch auf Tabor zu offenbaren!

Euch dadurch geſegnet (ihr blicket, wie ich, in der Zukunft

Fernen hinaus) mit Schmach um ſeines Namens willen,

Unter Verfolgern, mit Arbeit und Schweiß in der muͤhſamen Laufbahn,

Und mit Maͤrtyrerblute! Denn droben lohnet die Arbeit,

Lohnet die Schmach, und das Blut die Krone des Lebens den Duldern!

Sehr bin ich begnadiget worden, habe der Heile

Gottes viel empfangen, und danke mit Thraͤnen dem Geber;

Aber mein Blut fließt nicht, von Jeſus Chriſtus zu zeugen!

Denn ich gehe fruͤher hinauf, zu umpflanzen der Streiter

Huͤtte mit Kuͤhlung. Geprieſen ſey, der voran mich fuͤhret,

Euch nachſendet, hinauf zu dem ewigen Lohn, durch die enge

Pforte, den ſchmalen blutigen Weg! geprieſen des Mittlers

Heiliger Namen! ach hochgelobet in Ewigkeit Chriſtus

Herrlicher Namen! O duldet die Schmach, und den bitteren Hohn gern

Derer, die Chriſtus Herrlichkeit leugnen, nicht kennen des Himmels

Herrn, und der Erde! Denn ſie, die euer Zeugniß| zu Gott bringt,

Aber
[140]Der Meſſias.
Aber deren Auge den Auferſtandnen nicht ſahe,

Werden auch die Schmach und den Hohn der Chriſtusleugner

Dulden, den Dolch, der von Blute nicht rauchet, und dennoch toͤdtet!

Werden glauben, und ſchauen! Gott gehet unter den Menſchen

Seinen verborgenen Weg mit ſtillem Wandeln; doch endlich,

Wenn er dem Ziele ſich naht, mit dem Donnergang der Entſcheidung!

Alſo ſagt’ er, und blickt’ umher, und ſah, in dem Schatten

Eines Huͤgels, Gefaͤſſe mit Speiſ’ und Tranke, des Halmes

Frucht und der Rebe ſtehn. Schon redete Lazarus wieder:

Sondert Brodt und Wein des Brudermahles, und ſetzet

Vor den Zeugen es nieder, damit es geheiliget werde.

Jhr, die ſeiner Erſcheinung harren, laſſet ſein Mahl uns

Halten, das heilige Mahl zu ſeines Todes Gedaͤchtniß.

Und ſie hoͤrten es freudig ihn ſagen, und ſendeten ſieben

Juͤnglinge, Brodt zu ſondern, und Wein, und lagerten naͤher

Sich an einander, und ſchon begannen viele zu knieen,

Viele die Haͤnde gen Himmel zu falten mit Thraͤnen im Blicke.

Und die Juͤnglinge brachten das Brodt, und den Wein, und ſetzten

Vor der Verſammlung es nieder. Als Lazarus aber hinzutrat,

Stand, und mit denkendem Blicke die feſtgefalteten Haͤnde

Hoch gen Himmel erhub, und zu reden jezo beginnen

Wollte; da drangen von allen Seiten, mit Schauer der Wonne,

Und mit ihren Thraͤnen, die Auferſtandnen und Engel

Zu der Gemeine Chriſtus herzu, und Lazarus ſagte

Feyerlichernſt, und als fleht’ er zugleich dem Geopferten Gottes:

Jeſus Chriſtus unſer Verſoͤhner, in ſeiner Leiden

Schrecklichen Nacht, da er verrathen wurde zum Tode,

Nahm
[141]Neunzehnter Geſang.
Nahm er Brodt, und danket’, und brach’s, und gab es den Juͤngern:

Nehmet, und eſſet. Das iſt mein Leib, den ich fuͤr euch gebe.

Dieſes thut, ſo oft ihr es thut, zu meinem Gedaͤchtniß.

Jeſus Chriſtus unſer Verſoͤhner, in ſeiner Leiden

Schrecklichen Nacht, da ſein Schweiß, und ſein Blut in Gethſemane traͤufte,

Nahm er den Kelch, und danket’, und gab ihn den Juͤngern und ſagte:

Trinket All’ aus dem Kelche des neuen Bundes, geſtift et

Durch mein Blut, das ich fuͤr eure Suͤnde vergieße.

Dieſes thut, ſo oft ihr ihn trinkt, zu meinem Gedaͤchtniß.

Sie empfingen das Mahl des Verſoͤhners mit inniger Demuth,

Und mit feſtem Entſchluß, treu bis an das Ende zu bleiben.

Und, indem ſie ſich naͤherten, oder wieder ſich wandten,

Staͤrkten ſie ſich, und riefen ſich zu: Stets weiter im Wege,

Welcher zu Gott uns leitet!.. Am Ziele der hohen Laufbahn

Jſt das Kleinod erſt!.. Schmach hat er ſelber geduldet,

Hat gelitten, wie keinem von uns zu leiden geſetzt iſt!..

Hochgelobet im Himmel, und hochgelobet auf Erden

Sey der Mittler Gottes!.. Er hat die Verſohnung vollendet,

Sieh, es iſt eingegangen ins Allerheiligſte Chriſtus,

Jeſus Chriſtus, der ewige Hoheprieſter!.. Des Bundes

Kelch erquicke dich noch, wenn das Herz dir durſtet, die Seele

Lechzt in der Maͤrtyrerſtunde!.. Wie dich der Engel, o Mutter,

Gruͤßte, ſo gruͤſſe du mich, die Geſegnete Gottes! Zu ſeinem

Erbe bin ich, ich bin zu dem Sohne, dem Mittler, gekommen!

Was iſt alle Groͤße der Erde mir nun? Und es wartet

Hoͤhere Wonne noch mein! Den goͤttlichen Unbekannten

Soll
[142]Der Meſſias.
Soll ich ſehen, den Unerforſchten, den Wunderbaren!..

Ach zu dem Mahle des Heiles bin ich, und jezo gekommen,

Jch, der ſo elend war, ich ſelber! Wenn ich hinuͤber

Nach den Huͤtten der Ewigkeit gehe; ſo iſt es ein zweytes

Leben der Seligkeit, das ich alsdann beginne!.. Die Rebe

Letzet uns wieder mit ihm in des Vaters Reich! Dann trinken

Wir die Stroͤme des Lebens umſonſt!.. Wenn ſeh ich, wenn ſeh ich

Offen den Himmel, und Jeſus ſtehn zu der Rechte des Vaters?

Ach wenn wandl’ ich den Weg des ſiebenden Juͤnglings? Auch jenen

Kelch des Todes trink ich zu ſeines Todes Gedaͤchtniß!..

Hochgelobet im Himmel, und hochgelobet auf Erden

Sey der Verſoͤhner!.. Je ſchwerer uͤber euch kommen die Leiden

Dieſer Welt, je lauter gen Himmel ſie rufen; je mehr ſey

Euer Leben verborgen mit Chriſtus in Gott!.. Nach der Liebe

Mahle, gieng der Verſoͤhner hinaus in Gethſemane. Blut trof

Da von des Dulders geſenktem Antlitz herab, mit des Dulders

Todesſchweiß, nach dem himmliſchen Mahle!.. Erbarme dich meiner,

Mittler Gottes, den ich verließ, erbarme dich meiner!

Laß getreu bis ans Ende mich ſeyn! Jch ſaͤe mit Thraͤnen,

Laß mit Freuden mich erndten, Verſoͤhner!.. Mir ward es geordnet,

Zweymal zu ſterben. Ach pfleget der Schlummer der lieblichen Daͤmm’rung

Nicht dem Schlafe der Nacht, nach kurzem Wachen, zu folgen?

Dann, dann letzet die Rebe mit ihm mich im Reiche des Vaters!..

Seines Todes Gedaͤchtniß! O die er mir ſandte, Benoni,

Und ihr anderen Engel, wo ſeyd ihr, mit mir euch zu freuen?

Hochgelobet im Himmel, und hochgelobet auf Erden

Sey, der verrathen wurde zum Tod am Kreuze! dem Blut ſchon

Jn
[143]Neunzehnter Geſang.
Jn Gethſemane trof, eh auf dem Huͤgel ſein Haupt ſank!..

Moͤcht ich Stephanus Weg, und den Weg des ſiebenden Juͤnglings

Wallen zu Chriſtus hinauf, zu Benoni hinauf, und zu Samma,

Und zu Simeon du, und Jeſus Chriſtus!.. Die Nacht nimmt

Er dem Auge dann, und trocknet die Thraͤnen dir alle!

Bald ſank mir die Nacht, dem Lebenden, bald wird, Elkanan,

Froͤmmerer Dulder, auch dir die Nacht, dem Sterbenden, ſinken!..

Aber Maria rief mit lauter Stimme gen Himmel:

Hoherprieſter! des Ewigen Sohn, ich gebahr, ich gebahr dich!

Deinen Tod will ich, bis du mir rufeſt, verkuͤnden!

Hochgelobet im Himmel, und hochgelobet auf Erden

Sey der Verſoͤhner Gottes!.. Da ſo ſie ſich ſtaͤrkten, und jezt ſchon,

Wie an den Schwellen der ewigen Huͤtten, Worte des Lebens

Sich zuriefen, ſahen ſie Jeſus an einer der Hoͤhen

Niederkommen, und gegen ſich her den Goͤttlichen wandeln.

Ach ſchon ſtand er nahe vor ihnen. Auf einmal umſchwebte

Aller Augen Entzuͤckung. Wie Fruͤhlingsſaͤuſeln im Walde

Sanft herrauſcht, ſo ertoͤnte der Redenden leiſer Zurnf

Und der Weinenden, als die Ueberzeugung vom Himmel

Jhnen ward, und verwandelt wurd’ ihr Glauben in Schauen!

Wie der Waller im Sonnenſtrale, der duͤrſtet’, und trank, noch

Duͤrſtet, und trinkt; ſo ſahn ſie mit Himmelsbegierde den Herrn an!

Aber er hielt ſich nicht mehr, und begann, und ſagte zu ihnen:

Kindlein, Heil ſey und Friede mit euch. Jn dem Hauſe des Vaters

Sind der Wohnungen viel. Jch geh, und bereite darinn euch

Staͤten, und kehre zu jedem in Tode wieder, und nehm’ ihn

Auf
[144]Der Meſſias.
Auf zu mir, daß er ſey, wo ich bin! Wenn ihr mich liebet;

Haltet ihr, was ich gebot. Jch flehe dem Vater, er ſendet

Euch den Troͤſter, den Geiſt der Wahrheit, welchen die Suͤnder

Nicht zu empfahn vermoͤgen. Sie kennen ihn nicht; ihr aber

Werdet ihn kennen, wenn er mit euch ſich vereinigt, mit ihm ihr

Euch vereiniget. Sieh, ich verlaß’ euch nicht, wie im Tode

Jhre Waiſen die Mutter verlaͤßt. Jch kehre wieder

Euer Fuͤhrer, der euch hinauf zum Erkenntniß des Himmels

Bringt, und zum ewigen Leben! Denn hier ſchon werdet ihr lernen,

Daß mit dem Vater vereint ich bin, und mit mir vereint ihr

Seyd, und ich mit euch. Wer, was ich habe geboten,

Weis, und haͤlt, der liebet mich! und den wird der Vater

Lieben! und ich ihn lieben, und ihm mich offenbaren!

Jezo ſah auf Einmal Elkanan den Goͤttlichen ſtehen

Unter den weinenden Zeugen, und rufend ſank er zur Erde;

Richtete wie vom Tode ſich auf! Noch ſagte der Mittler:

Ja, wir werden ihn lieben der Vater, und ich, und kommen

Und bey ihm wohnen. Jch bin der Weinſtock, und Weingaͤrtner

Jſt der Vater, ihr ſeyd die Reben, jede der Reben,

Die nicht Frucht traͤgt, ſchneidet er ab, und jede, die Frucht traͤgt,

Reiniget er, daß der Fruͤchte noch mehr die herrliche trage.

Jhr erkohrt mich nicht; ich aber hab’ euch erkohren,

Euch Gedeyen gegeben, daß Frucht ihr truͤget, und wuͤchſet

Jn die Ewigkeit! Hoͤrt mein großes Gebot, und ein Labſal

Sey es euch; denn die Welt wird, wie mich ſie gehaßt hat, euch haſſen:

Liebet euch unter einander! Jch laß euch meinen Frieden,

Meinen
[145]Neunzehnter Geſang.
Meinen Frieden geb ich euch. Jhm gleichet der Erde

Friede nicht. Mit Ruh, und Unerſchrockenheit ſtaͤrk’ er

Eure Seelen. Jhr werdet euch freun, wenn ihr mich liebet!

Alſo hoͤrten ſie ihn die lezten Worte der Weihung

Zu dem nahenden Kampf, und zu dem ewigen Leben

Sagen, und ſahn ihn nicht mehr. Als jezt aus ihrer Entzuͤckung

Freud’ und Heiterkeit war, und Ruhe der Seele geworden,

Sahen ſie nicht ferne von da, wo Chriſtus ſich wandte,

Und verſchwand, den Knaben Nephthoa, als ſchlummert’ er, liegen;

Und ſie wolten ihn wecken, allein der gluͤkliche Knabe

War geſtorben. Und Lazarus rief: Auf, gehet, und ſammelt

Blumen, ich mach’ ihm das Grab. Sie gingen, und ſammelten Blumen.

Schon erhub ſich neben Nephthoa, ihn bald nun zu decken,

Jener kleine Huͤgel, zu welchem wir All’ einſt kommen

Muͤſſen, zu Staube Staub. Sie nahmen den laͤchelnden Knaben,

Senkten ihn nieder ins Grab, und dekten ihn leiſe mit Erde

Und mit Blumen, die ſie aus voller Hand auf die Staͤte

Seiner Ausſaat ſtreuten. Sie wendeten ſich, und verlieſſen

Tabor. Viele ſahen noch oft ſich um nach dem friſchen

Blumenhuͤgel; doch truͤbete deren Auge nicht Wehmut,

Denen Sterben Gewinn, und Leben war der Erſtandne.

Die von den Siebzigen waren auf Tabor geweſen, verlieſſen

Jezo den Berg der Verklaͤrung, und ſtiegen herunter, und kamen,

Seitwaͤrts von Stegen gefuͤhrt, in ein Palmenwaͤldchen des Thales.

Und ſie fanden daſelbſt die heiligen Zwoͤlfe verſammelt;

Fanden, wer nicht von ihnen mit war auf Tabor geweſen.

IVBand. KUnd
[146]Der Meſſias.
Und ſie verkuͤndeten alle das Heil, das ſo Vielen vom Herrn ward,

Kurz, mit Flammenworten. Wie konten ſie reden; ſie weinten!

Tiefes Schweigen, und Vorempfindung des Himmels, ach Wonne

Daͤmrung ſie von dem Erbe des Lichts, war in der Verſamlung.

Aber Jakobus entriß ſich der Mitgenoſſen Umarmung.

Juͤnger des Herrn, wo eileſt du hin? der Herr wird, der Herr wird

Seinen Kindlein erſcheinen!.. Jch geh ihm entgegen! nach Tabor

Geh ich zu ihm… Wie wuͤrdeſt du trauren, wenn er nun erſchiene,

Und du waͤreſt nicht hier!.. Er ſiehet Alles, und weis es,

Wie ich duͤrſt’ ihn zu ſehn, und warum ich entgegen ihm gehe.

Laßt mich, ich werde nicht trauren. Er ging. Bald kam er in hoher

Felſen Schatten, und ſtand, und hob die Haͤnde gen Himmel:

Herr, Herr, Gott! noch erhebe dich nicht zu deinem Vater,

Ach erhoͤre mein Flehn! Wir hoffen zwar alle, du werdeſt

Uns noch erſcheinen; allein wie wiſſen wir’s denn? Ach verlaß uns,

Mitler Gottes, noch nicht! Jch habe vor dir, du Erbarmer,

Gnade gefunden! Jch will mich hier in der Hoͤle verbergen,

Niederknieen, dein Heil erwarten. Geh du voruͤber;

Siehe, ſo will ich von fern, Herr, deiner Herlichkeit nachſehn.

Jeſus Chriſtus ergrif ihm die Hand, da er lag, und flehte,

Richtet’ ihn auf, und ſegnet’ ihn ein zu der himliſchen Sendung.

Und der Juͤnger folgte mit Freudausrufen und Beben

Chriſtus, den Weg nach dem Palmenwaͤldchen des Thales hinunter.

Schon an dem fernen Fuſſe des Berges erblikten die Juͤnger

Chriſtus, und neben dem Herrn den gluͤklichen Zebedaͤiden;

Sahn
[147]Neunzehnter Geſang.
Sahn heller ihn leuchten, als ſie, ſeitdem er vom Tode

Auferſtand, ihn geſehn, mehr uͤber die Engel erhaben!

Und ſie wolten entgegen ihm eilen; aber ein Engel

Winket’ ihnen: Sie ſolten den Herrn bey den Palmen erwarten.

Denkſt du daran, dieß war ihr Geſpraͤch, wie wir ihn am Oelberg

Von den Moͤrdern umringt, die Haͤnde gefeſſelt, erblikten?

Wie mit weiſſem Gewand Herodes ihn hoͤhnte? Pilatus

Jhm mit Dornen die Schlaͤfe bewand, und zucken die Geiſſe

Auf die Schulter des Stralenden ließ?.. Ach wird er gen Himmel

Schon ſich erheben? und iſt dieß Wiederſehen das lezte?....

Scheidung von ihm, o du vor allen, die je von einander

Blutende Herzen trenten, die baͤngſte, bitterſte, truͤbſte,

Stummſte, jammervollſte! du biſt ſchon heute gekommen?

Scheidung von Jeſus Chriſtus?.. Mir huͤpfen die Berg’, und die Huͤgel!

Mir frohlocket der Wald! mir ſchmuͤcket mit reinerem Golde

Sich der Tag, mit lichterem Purpur und ſanfterer Blaͤue

Mir der Himmel, ſo iſt von Freude das Herz mir durchdrungen;

Und du weineſt?.. Denkt ihr daran, wie ſein Kreuz er hinauftrug

Nach der Schaͤdelſtaͤte? wie dann er am Kreuze… wie Joſeph

Jhn in das Sterbegewand einhuͤllte?.. So ſprachen die Zeugen

Unter einander, und fielen auf ihre Kniee, da Chriſtus

Naͤher kam; und breiteten aus die Arme nach Chriſtus,

Nach dem Verſoͤner Gottes, der ihnen nun voͤllig ſich nahte.

Und er gruͤſſete ſie mit ſeinem himliſchen Gruſſe:

Friede ſey mit euch! und ſtand vor ihnen, und ſagte:

Wie ein verſtummendes Lamm zum Opferaltare gefuͤhrt wird,

K 2Ging
[148]Der Meſſias.
Ging er geduldig einher, und ſchwieg… Jch werd’, ihr Geliebten,

Bald nicht mehr mit euch des Wiederſehens genieſſen

Auf der Erde; mit euch von Honigſeime nicht eſſen;

Noch was ihr, in der Fruͤhe des Tags, am Geſtade bereitet;

Nicht im Schatten mehr ruhn: allein in den Huͤtten des Friedens,

Wo viel Wonungen ſind, dort werdet ihr euren Meſſias

Wiederſehen, und, nebſt den verſammelten Vaͤtern des Bundes,

Freuden der Freundſchaft empfahn, die Abſchiednehmen nicht trennet!

Und er ſank vor den Zeugen in ſeiner Herlichkeit nieder,

Betete mit erhabener Stimme: Die Zeit war gekommen,

Deinen Eingebornen in ſeiner Schoͤnheit zu zeigen,

Siehe, du haſt ihn gezeigt, und biſt verherlichet worden,

Vater, durch ihn! Jhm haſt du gegeben die Sterblichen alle,

Daß er ſie auferwecke vom Tod’, und ewiges Leben

Jhnen gebe. Das aber iſt ewiges Leben, dich, Vater,

Der du der Ewige biſt, und den du ſandteſt, erkennen,

Jeſus, den Sohn und Koͤnig! Jch ſeh in Geiſte die Fuͤlle

Meiner ganzen, der lezten Vollendung! Jch hab’ auf der Erde

Dich verherlicht! ich habe vollfuͤhret der Gottheit Rathſchluß!

Nun erwarten mich Kronen zu deiner Rechte! Du wirſt mir

Wieder die Herlichkeit geben, die mein war, eh wir erſchufen.

Deinen gefuͤrchteten Namen hab’ ich den Erwaͤhlten verkuͤndigt

Aus den Suͤndern. Du gabeſt ſie mir. Sie haben die Weisheit,

Die ich ſie lehrte, ſelbſt ich bin ihr Zeuge! mit Treue gehalten!

Vater, ich bitte fuͤr ſie! Denn auch durch ſie bin ich herlich!

Jch verlaſſe die Erde nun bald, und kehre gen Himmel,

Vater,
[149]Neunzehnter Geſang.
Vater, zu dir zuruͤk: ſie aber bleiben auf Erden;

Sehen noch lange die Muͤhe der Suͤnder, und fuͤhlen ihr Elend!

Laß ſie, heiliger Vater, der hohen Erkentniß getreu ſeyn,

Die ſie haben werden von dem, der jezo verſoͤnt iſt.

Laß ſie eins ſeyn, wie wir; ein Haus voll Bruͤder! Jch ſorgte

Selber fuͤr ſie, da ich noch gleich ihnen ein Menſch war. Jch wachte

Ueber ihrem unſterblichen Geiſt. Hier ſind ſie, mein Vater!

Keinen hab’ ich verloren! Nur hat der Sohn des Verderbens

Mich verlaſſen, und iſt den Propheten ein Zeuge geworden!

Jezo komm’ ich zu dir! Das ſag’ ich, da ich bey ihnen

Noch auf der Welt bin, daß ſie an meine Herlichkeit denken,

Und ſich freuen, wie ich mich freue. Sie haben die Worte

Deines Lebens gehoͤrt. Der Suͤnder hat ſie gehaſſet,

Wie er mich haßte. Nicht bitt’ ich, daß du der Erde ſie nehmeſt;

Schuͤze ſie nur vor ihrem Verfolger, dem Geiſt des Verderbens!..

Heilige ſie in deiner Wahrheit. Dein Wort iſt die Wahrheit!

Vater, ich ließ mein Leben fuͤr ſie, damit ſie, gereinigt

Von der Suͤnde, vor dir erſcheinen! Doch bitt’ ich, o Vater,

Nicht fuͤr die Juͤnger allein. Der neuen Schoͤpfungen Kinder

Werden einſt, wie aus dem Morgen der Thau, durch ihr Wort mir

geboren;

Auch fuͤr dieſe bitt’ ich, mein Vater, daß alle ſie eins ſeyn,

Wie wir eins ſind! und daß die ganze Erd’ es erkenne,

Daß du mich, Vater, ſandtſt! Jch habe das ewige Leben,

Meine Herlichkeit, denen gegeben, die du mir geſchenkt haſt,

Daß, wie wir, ſie eins ſeyn; Einem goͤttlichen Endzwek

Alle vollendet! und daß es die Suͤnder der Erde vernehmen:

K 3Jeſus
[150]Der Meſſias.
Jeſus ſey vom Himmel geſandt! Gott liebe die Kinder

Selner Verſoͤnung, wie er den Erſtling der Soͤhne geliebt hat.

Vater, es ſolle meine Verſoͤnten zu mir ſich verſammeln,

Daß ſie ſeyn, wo ich bin, und meine Herlichkeit ſehen!

Jene, die du mir, Liebender, gabſt, eh Himmel entſtanden!

Dich verkennet die Welt, gerechter Vater; ich aber

Kenne dich! Den Erwaͤhlten enthuͤllt’ ich das ganze Geheimniß

Meiner Sendung, und deiner Gottheit; und will’s noch enthuͤllen,

Daß die Liebe, mit der du mich liebteſt, ihr Herz ergreife,

Und den unſterblichen Geiſt nur ſein Verſoͤner erfuͤlle.

Alſo betet der Mitler, in Stralen niedergeſunken,

Und er richtet ſich auf, und entweicht der Sterblichen Auge.

Wenn erhabner Tempelgeſang, von der Auferſtehung,

Oder vom ewigen Licht; Erfindung der Toͤne dem Liede

Gleich, und Stimme des Menſchen, und Hauch, und Saite zu Einem

Groſſen Zwecke vereint, mit Schoͤnheit beginnt; jezt ſteigend,

Sinkend jezt fortfaͤhrt mit Schoͤnheit; nun ſteigender immer,

Jnniger, ſanfter, erſchuͤtternder mit Urſchoͤnheit endet;

Wie es dann den Hoͤrenden iſt, ſo war es (Jch rede

Menſchlich von himliſchen Dingen,) den Juͤngern, als ſie den Herrn ſahn,

Als ſie ſtralen ihn ſahn, und beten den Goͤttlichen hoͤrten.

Und ſie machen endlich ſich auf, verlaſſen die Palmen

Galilaͤa’s, und kehren zuruͤck mit Wonne gen Salem.

Engel wallen mit ihnen hinauf, und vertieft in Gedanken,

Ueber den groſſen Beginn des Reiches Gottes, (ſie waren

Jezo nicht zu erſcheinen gekommen) vergeſſen die Engel,

Daß
[151]Neunzehnter Geſang.
Daß die Juͤnger ſie ſehn; und kaum bemerken die Juͤnger,

Daß es Unſterbliche ſind, die ſie geleiten, ſo ſehr iſt

Jhre Seele verſenkt in die Gnade der lezten Erſcheinung.

Selber von denen, mit welchen er ſich der Erloͤſung freute,

Sonderte jezt ſich Johannes. Er wolt’ alleine mit Gott ſeyn!

Und geſunken in tiefe Stille der Seele, geſunken

Ueber des ewigen Heils Fortgang in ernſte Betrachtung,

Wallt’ er einher in der Zukunft Jrre. Voll inniger Demut

Wagt er, mit Tritte des Menſchen, die Wege Gottes; und fehlt ſie.

Doch mit Entzuͤckung umſchwebt ihn der gruͤbelnde Wahn, und giebt ihm

Ach der Freuden des Jrthums viele! nach jenem Rathe

Gottes von unſerem Gluͤk, das auf tauſendmal tauſend Stufen

Steiget; dem Rath fuͤr die denkenden Weſen alle, deß Umfang

Nie ein Endlicher maß, und der fuͤr die Ewigkeit zureicht.

Aber ſo licht der Schein auch war, der des Gluͤklichen Tiefſinn

Taͤuſchte; ſo fuͤhlt’ er doch oft, daß ein Leiter vom Himmel ihm fehlte.

Voll des ſuͤſſeſten Mitleids ſtand bey den Betenden Salem;

Und der Unſterbliche ſah, daß ein Schlummer von Gott auf den Juͤnger

Fiel. Bald hellte des Eingeſchlafenen Antliz der Engel

Laͤcheln. So fand den Erwachenden ſeine Genoſſin am Kreuze,

Und am Throne dereinſt vor des Bundes groſſem Vollender!

Und er rief ihr entgegen des Mitlers Mutter, und ſeiner,

Freudelaut entgegen: O Mutter Chriſtus, ich lernte

Weisheit, und kuͤnftiges Heil in dieſem Schlummer voll Wonne.

Ach es war ein Geſicht! Viel anders war, was ich ſahe,

Als ich mir, in dem Wahne von Gottes Enthuͤllung, es dachte.

K 4Denn
[152]Der Meſſias.
Denn ich hatte gewagt hinauszugehn in die Fernen

Unſers Kuͤnftigen; hatte, was Gott thun wuͤrde, zu forſchen

Mich, der ein Suͤnder noch iſt, und ein Sterblicher, unterwunden!

Ach mich unterwunden, an jener Tiefe zu weilen,

Wo hinunter zu ſchaun umſonſt ſelbſt Engel es luͤſtet.

Siehe, wir waren mit herzlicher Einmut in unſerer Huͤtte

Neben dem Tempel verſammelt. Der kleinen Gemeine Geſpraͤch war

Frey, und keines Meinung beherſchte des Anderen Meinung.

Mutter des Herrn! wenn nur nicht die kuͤnftigen groſſen Gemeinen

Dieſen Pfad der Liebe verlaſſen, und rauhe der harten,

Bittern Herſchſucht waͤhlen!.. Wir ſahen wohl Licht; doch dammert’s

Auch im Lichte. Wir waren zu ſterben entſchloſſen; doch fehlt’ es

Uns an Mute zum ſpaͤteren Tode. Wir waren der eignen

Seligkeit viel zu begierig, um mit Verleugnung zu ſorgen

Fuͤr die Seligkeit Andrer. Wir wolten auf Erden nicht ſaͤumen,

Ach nicht ſaͤumen! ergriffen den Stab des Wanderers, hoften,

Duͤrſteten, bald bey Chriſtus zu ſeyn!.. Auf Einmal erhub ſich

Um die Huͤtt’ ein Brauſen, als eines gewaltigen Windes!

Siehe vom Himmel kam das erſchuͤtternde Brauſen, und fuͤllte

Ganz die Huͤtte, worinn wir ſaſſen. Wir ſahen uns an, ſahn

Flammen wehen auf unſeren Zungen. Noch maͤchtiger ward uns

Ausgegoſſen ins Herz Gefuͤhl, wie wir niemals empfanden!

Flammen, wie lernten wir ihn da lieben! durchſtroͤmten die Seele!

Und die Daͤmmerung ſonderte ſich von unſrer Erkenntniß

Lichte! Wir waren entſchloſſen zum ſpaͤteren Tod’, entſchloſſen

Graues Haar in Maͤrtyrerblut zu ſenken! Wir liebten

Eigne
[153]Neunzehnter Geſang.
Eigne Seligkeit, aber ſie mit Verleugnung, mit heiſſer,

Jnniger Sorge fuͤr’s Heil der gottgewaͤhlten Gemeinen!

Duͤrſteten zwar, bey Chriſtus zu ſeyn; doch gerne, geboͤt’ es

Alſo der Wille des Herrn, nach vieler langſamer Jahre

Saͤumen erſt, erſt dann, wenn vor uns hinuͤber in Schaaren

Bruͤder waͤren gegangen, die wir erwecket, gelehret

Haͤtten, geſtaͤrkt, mit Labſal gelabt im Leben, und Tode!

Fertige Wandrer hinauf zu gehn zur Heimath im Himmel

Waren wir jezo nicht mehr; wir ſtanden geguͤrtet, erhoben

War der Wanderer Stab, umher auf der Erde zu wallen;

Dort mit Arbeit, und Schweiß, und vielen Thraͤnen, zu wachen

Ueber der Seligkeit derer, die unſre Sendung erkenten:

Aber uns auch, wo ſie des ewigen Lebens ſich unwerth

Hielten, zu wenden, und weichend den Staub von den Fuͤſſen zu ſchuͤtteln!

Alſo ſagte Johannes, und fuͤllte, durch die Erzaͤhlung

Seines Geſichts, der Mutter des Herrn mit Wonne die Seele.

Jezo wandte die Leyer mit ihren lichteſten Sternen

Gegen die lichteſten ſich des Altars. Dieß that’s in den Himmeln

Kund, daß der Mitler ſich nun zu der Rechte Gottes erhuͤbe!

Dunkles Gefuͤhl, und was er, bey ſeiner lezten Erſcheinung,

Nicht verbarg, weiſſagten ſchon lange den Juͤngern, es werde

Jeſus nun bald ſie verlaſſen! er hin zur Herlichkeit gehen;

Sie zur Feſſel und Schmach, die aber zur Herlichkeit fuͤhrten.

Dennoch weineten ſie. Lebbaͤus erwehrte ſich lange

Seiner Klagen; es woͤlkte ſich lang’ in des Leidenden Seele,

Eh es herunterſtroͤmte. Ja, bitter iſt doch vom Geliebten

K 5Jam-
[154]Der Meſſias.
Jammervoll iſt die Scheidung, der keine Stunde geſezt ward

Ach zum Wiederſehen, iſt ſeelenerſchuͤtternd, durchdringet

Bis zu dem innerſten Mark und Gebein des bleibenden Leben,

Senket es, ſtuͤrzet es nieder; zu welcher Wonne der Freund auch

Komme: Denn ach weit weg in der Fern’ iſt des Wiederſehens

Stunde, gehuͤllt, verborgen in Nacht! Kein Engel erbarmt ſich,

Und verraͤth nur mit Einem leiſen Laut, wenn mit ihrer

Freude Schrecken ſie kommen werde! Kein Todter erbarmt ſich,

Und verraͤth, von fern nur in Daͤmrung erſcheinend, mit Einem

Laute, wenn kommen werde die theure, die heilige Stunde,

Wie kein Morgen ſie brachte, kein Tag beſtralte, kein Abend

Sie mit Schatten oder umgab mit Schimmer des Mondes.

Und ihr waret doch unſere Bruͤder, ihr Todten Gottes,

Kantet das Schikſal der Menſchen, und weintet unſere Thraͤnen!

Thomas hatte die Zwoͤlfe, und hatte die Siebzig verſammelt,

Nach Gethſemane ſie zu fuͤhren, und dort zu beſuchen

Jene Staͤte, wo Chriſtus am Abend der erſten Scheidung

Niedergeſunken zu tiefem Gebet vor dem Richter der Welt lag.

Thomas Gedanke war’s nicht; es war die Leitung des Mitlers,

Die ihn nach Gethſemane brachte. Auf Einmal wandelt

Jeſus unter ihnen. Er fuͤhrt die Zeugen; ſie folgen;

Gehen langſam voruͤber am Grabe der Bethanaitin,

Segnen die Schlummernde Gottes. Jzt wurden die Pfade des Oelbergs

Steiler, Salem fernte ſich, und die Gipfel des Berges

Ragten groͤſſer empor. Noch ſchweigt der Mitler; ſie aber

Reden mit Wehmut unter einander. Sie glauben an Jeſus

Was
[155]Neunzehnter Geſang.
Was zu ſehen, das ihnen die nahe Scheidung verkuͤnde.

Schweres Herzens ſtanden ſie oft, und ſahen ſich oft um

Nach dem Todeshuͤgel, und nach dem geoͤfneten Grabe;

Laͤnger nach dieſem. Der Liebende war von dort zu den Seinen

Wiedergekommen! Mit dieſem Labſal erquikten die Juͤnger

Jhre Seelen. Die Gipfel des Oelbergs dekt’ ungeſehen

Voll Erwartung die ſelige Schaar, die ſich zu Begleitern

Seiner Auffahrt Chriſtus erkohr, erſtandne Gerechte,

Seelen auch, die Seraphim alle, die ihm auf der Erde

Dienten, von jener Nacht in Bethlehem an, bis zu dieſer

Lezten Verklaͤrung. Wie eine der aͤlteſten Cedern den Wipfel

Hebt auf Libanons Hoͤh, ſtand Gabriel unter der Heerſchaar:

Und ſie blikten hinab, und ſahen den Goͤttlichen wandeln,

Sahen die Juͤnger mit halbgeheitertem Kummer ihm folgen.

Leuchtender ſtralet’ Eloa, als ſonſt. Er war zu der Erde

Erſtem Huͤter erkohren, der fluchentlaſteten Erde

Erſtem Huͤter. Sie hatte Worte des Segens vernommen!

Stumm war auf ihr die Stimme des Fluches geworden, die Stimme

Angekuͤndet in Sturm, in Donner geſprochen! Sie hatte

Jeſus von Golgatha rufen gehoͤret: Es iſt vollendet!

Und mit Himmel umgab den gottgewaͤhlten Eloa

Dieſer groſſe Gedanke. Noch andre ſenkten ihn vorwaͤrts

Von Aeoon zu Aeoon in der Erde Schikſal, bis endlich

Jhm ein himliſcher Juͤngling der Auferſtehungspoſaunen

Eine braͤchte, daß er zum Gericht von den Cherubim wekte.

Jeſus war hinauf zu der lezten Hoͤhe des Oelbergs

Mit den Juͤngern gekommen. Gelindere Luͤfte des ſtillen

Wer-
[156]Der Meſſias.
Werdenden Tages umſaͤuſelten ſanft, und kuͤhlten die armen

Gluͤcklichen, welche ſo ſchwer an der Sterblichkeit Buͤrde noch trugen.

Unter ihnen ſtand der Eingeborne des Vaters,

Schoͤn, und ſchrecklich zu ſchaun! ſo hatten noch niemals den Mitler

Seine Zeugen geſehen, noch nie auf der Erde die Engel!

Stand in einer Hoheit, die keine Saite, keine

Stimm’ ausdruͤkt des Menſchen, kein himmelnaher Gedanke.

Wo, von den aͤuſſerſten Sternen herab, der Erſchaffenen Auge

Reichte, ſo weit aus allen Welten der Schoͤpfung, von allen

Polen des ſchon unermeßlichen Kreiſes umher, am fernſten

Aus den Flammenſtroͤmen der Sonnen, waren die Geiſter

Alle, die Duft, die Feuer, die Heitre, die Staub, wie unſrer,

Umkleidet’, auf den, der vollendet hatte, gerichtet.

Gottes Erwaͤhlter, Eloa erblikte ſie alle, die Chriſtus

Sahn, den unendlichen Kreis umher, und ſank auf ſein Antliz

Vor dem Mitler Gottes, und warf die Krone der Stralen

Feyrend zur Erde nieder vor dem, der vollendet hatte!

Chriſtus ſtand auf der Hoͤhe des Berges; um ihn die Zeugen;

Ungeſehen um ihn die Auferſtandnen und Engel.

Und er breitete gegen die Juͤnger mit Liebe die Arm’ aus:

Weicht von Jeruſalem nicht! Harrt dort der Verheiſſung des Vaters,

Die ihr, als ich erſtand, von mir vernahmet. Johannes

Hat mit Waſſer getaufet; ihr aber ſollet getaufet

Werden mit dem heiligen Geiſte. Nur wenige Tage;

Und die Verheiſſung wird kommen!.. Der Juͤnger etliche fragten:

Richteſt
[157]Neunzehnter Geſang.
Richteſt du wieder auf, o Meſſias, in dieſen Tagen

Jſraels Reich?.. Die Stunde, die ſeiner Macht der Vater

Vorbehalten, gebuͤhrt, ihr Sterblichen, euch nicht zu wiſſen!

Bey den Worten, er hielt nicht inne, blikt der Verſoͤner

Nach Bethania nieder. Verklaͤrt wird Lazarus, eilend

Fuͤhrt ihn ſein Engel herauf, daß er mit zur Herlichkeit gehe.

Aber ihr werdet die Kraft des heiligen Geiſtes empfahen,

Der vom Himmel auf euch herab wird kommen, und werdet

Meine Zeugen ſeyn in Jeruſalem, werdet’s in Juda,

Und in Sama ja ſeyn, und bis an das Ende der Erde!

Chriſtus nahte ſich mehr, erhub die Haͤnd’, und ſchaute

Auf die Zeugen mit inniger Huld: Gott ſegn’, und behuͤt’ euch!

Gott erleuchte ſein Angeſicht uͤber euch! ſey euch gnaͤdig

Gott erhebe ſein Antliz auf euch, und geb’ euch Friede!

Alſo ſegnete ſie der Verſoͤner. Himmel! und Erde!

Und ihr all’, ihr Erloͤſten Gottes! nun hatt’ es der Mitler

Alles, alles auf Erden vollendet!.. Eine Wolke

Kam herunter, und hob ihn empor gen Himmel. Die Zeugen

Sahen lang dem Gekreuzigten nach, dem Erſtandnen vom Tode!

Lange mit freudeweinendem Blick, mit erſchuͤtterter Seele,

Ach mit jenem Gefuͤhl, wie es uns wird werden, wenn Chriſtus

Wiederkehret als Richter der Welt in den Wolken des Himmels!

Und ſie ſahn ihn nicht mehr… Zween Maͤnner in weiſſem Gewande

Standen auf Einmal bey ihnen. Die waren Eloa, und Salem.

Und der Eine mit lichterem Haar, und dem goldenen Stabe

Jn
[158]Der Meſſias. Neunzehnter Geſang.
Jn der Rechten, ſagte zu ihnen, die kaum in der ſuͤſſen

Wonne Betaͤubung ihn hoͤrten: Jhr Maͤnner von Galilaͤa,

Warum ſteht ihr, und ſchauet gen Himmel? Dieſer Jeſus,

Welcher von euch hinauf gen Himmel ſtieg, wird kommen,

Wie ihr ihn ſahet hinauf gen Himmel ſteigen. Sie ſagten’s,

Wendeten ſich, und wurden nicht mehr von den Juͤngern geſehen.

Aber die Juͤnger verlieſſen mit Dank, und Preiſe den Oelberg,

Eilten, und kamen hinab nach Jeruſalem; waren beyſammen

Jn dem Tempel, zu beten; zu beten, in ihrer Huͤtte

An dem Tempel beyſammen: und harrten, alſo geweihet,

Auf die Verheiſſung des Vaters, daß Kraft aus der Hoͤhe, zum Zeugniß

Von dem Verſoͤner, uͤber ſie kaͤme! daß uͤber ſie wuͤrde

Ausgegoſſen die Feuertaufe des heiligen Geiſtes!



[[159]]

Der
Meſſias
.
Zwanzigſter Geſang.


[[160]]

Jnhalt
des zwanzigſten Geſanges
.


Der Meſſias erhebt ſich gen Himmel. Die Engel, die Aufer-
ſtandnen, und die Seelen, welche ihn begleiten, preiſen ihn
in einem Triumphgeſange, daß er ſich von Ewigkeit dem Verſoͤ-
nungstode beſtimt; daß er ſich, als Verſoͤner, den Vaͤtern ſchon |offen-
bart habe; daß durch ihn die Welt ſey geſchaffen worden; daß durch
ihn, ſelbſt die Seligkeit der Ungefallnen, erhoͤht werde; daß er die Won-
ne, und der Troſt der Erloͤſten ſey;.. Seelen vor kurzem verſtorbner
Frommen, miſchen ſich, von Engeln gefuͤhrt, unter das Triumphheer…
daß er nach der Auferſtehung der Todten unzaͤhlige Schaaren zu dem An-
ſchaun Gottes erheben werde; daß er von Abraham an, ſein Volk wun-
derbar geſchuͤzt, und geraͤcht habe; daß er ein ſchrekliches Gericht
uͤber Jeruſalem werde ergehen laſſen; daß er der Beſeliger Aller ſey;..
Ein naher Stern wird verwandelt… daß die Liebe zu ihm, der
geſtorben ſey, und alle Welten beherſche, unausſprechlich gluͤklich
mache… Bewoner eines Sterns miſchen ſich unter das Triumph-
heer. Dieß ſchwebt nahe bey der Erde der unſchuldigen Menſchen
voruͤber. Zuruf derſelben. Loblied zweyer kuͤnftigen Chriſten…
Unterdeß fahren die Triumphbegleiter mit dem Preiſe des Meſſias
fort, daß Babel durch ihn untergehn; daß er die Maͤrtyrer belohnen;
daß er auf Patmus ein erſtes Gericht uͤber ſieben Gemeinen offenba-
ren werde; und daß er die Todten, ſie zu belohnen, oder zu beſtrafen,
auferwecken werde… Seelen vor kurzem Verſtorbner kommen zu
dem Triumphheere, und bleiben auf einem Sterne zuruͤk… Der
Thron Gottes zeigt ſich von ferne. Die lezten Preiſe deß, der Welt-
beherſcher, und Vollender ſey, und den nun bald das Anſchaun des
Vaters beſeligen werde. Der Meſſias erreicht den Himmel, und ſezt
ſich zur Rechte Gottes.


[[161]]
Der Meſſias.
Zwanzigſter Geſang
.


Weit ſchon uͤber den Wolken, erhub ſich der Gottverſoͤner,

Mit den Schaaren um ihn, auf dem lichten Pfade zum

Throne.

Gabriel ſtralte ſchwebend voran; die fliegenden Locken

Saͤuſelten ihm, und er ſang in die Liſpel der goldenen Harfe:

Fanget bebend an, athmet kaum

Leiſen Laut, denn es iſt Chriſtus Lob

Was zu ſingen ihr wagt! die Ewigkeit

Durchſtroͤmt’s! toͤnt von Aeoon fort zu Aeoon!

Jezt erhub ein Chor Erſtandner der zitternden Wonne

Stimme. Die Harfen rauſchten mit ſanftem Getoͤn, und wie fernher

IVBand. LRufte
[162]Der Meſſias.
Rufte der Donnerhall der Poſaune. So rauſcht, am Gebirge

Weit herunter, von Luͤften der Hain und von Silberbaͤchen,

Wenn, in Gekluͤft einher, der waſſeraͤrmere Waldſtrom

Langſam koͤmmt. Das Chor der Erſtandnen ſchaute zum Mitler

Weinend hinauf. So ſang es dem Ueberwinder des Todes:

Ewig her, vom Beginn an, als die Welt

Nicht war, Sohn! eh Tag, Nacht, und Geſtirn ward,

Eh herſtralten in Sternglanz Cherubim,

Gott Mitler! Sohn Gottes! wardſt du erwuͤrgt!

Dulder! Sohn! des Altares Golgatha

Geopfert, erwuͤrgt Lamm! der Gefallnen

Verſoͤnung, o Erbarmer! wardſt du da!

Heißblutend, todt ſahſt du, Heiliger, dich

Ewig her, vom Beginn an, als noch Strom,

Und Meer nicht, nicht Thal war, und Gebirge,

Noch Staub nicht zu des Lichtreichs Herlichkeit

Gott ſchuf! der Erdkreis kein Grab noch nicht war!

Einer der Engel des Weltgerichts ließ jezt die Poſaune

Hin mit der Rechte ſinken, da ſaͤumend ein anderes Chor ſang:

Blutend lag’s! Das Gebein brach der ihm nicht,

Vor den hin das Lamm ſank an dem Paſſah.

Mit Yſop, der vom Blut traͤuft, zeichnet ſchnell

Judah den Eingang der Huͤtten umher.

Weh euch! Weh! die des Lamms Blut dann nicht ſchuͤzt,

Wenn Nacht nun den Erdkreis in ihr Graun huͤllt!

Die
[163]Zwanzigſter Geſang.
Die Nacht kam! Der Verderber ſchwebt’ herab,

Stillſchweigend, ernſt ſchwebt’ er nieder zum Strom.

Dumpfer Laut der Geſunknen klagt’ umher,

Und Ausruf der Wehmut in Aegyptus!

Denn todt lag bey dem Thron die Erſtgeburt!

Todt ſah ſie, todt ſah ſie Mutter, und Mann

Bis hinab ins Gefaͤngniß! Selbſt dem Thier

Entſtuͤrzt ſchnell der Saͤugling. Nur in Ramſes

Erſchallt Preis, und des Weinens ſanfter Dank!

Jhr hattet, blutvolle Huͤtten, geſchuͤzt!

Toͤnender ſchon, mit hellerer Saite, lauterem Donner

Jhrer Poſaunen, ſtroͤmt’ ein Chor in dieſen Geſang aus,

Cherubim warens, die flammten, und freudig ihr Antliz verklaͤrten.

Der Entwurf des ewigen Reichs der Schoͤpfung

Ward, zu Geſtalt Urſtof! Heer’ ohne Zahl

Bewoner, und Welten entflohn

Vor Erſtaunen, daß ſie waren!

Dem Erſchaffungsrufe des Sohns. Lautdonnernd

Scholl er, gebot Kreislauf! Langſam, und ſchnell,

Umſchwebte den Stral ſein Gefaͤhrt;

Mit Entzuͤckung, der Bewoner!

Des Erloͤſers ewiges Reich war! Tiefſinn,

Herlichkeit ſtralt’ aus der Schoͤpfung Entwurf!

Gluͤkſeligkeit Aller! Es fuͤhrt

Da hinauf auch von dem Elend

L 2Ein
[164]Der Meſſias.
Ein bethraͤnter Pfad! O beſingt, Graberben!

Erben des Lichts! Bruͤder deſſen, der ſtarb!

Den Pfad von den Leiden herauf

Zum Gerichtſtul! Denn ihr richtet!

Labyrinth war, Erben! der Weg an dunkeln

Felſen empor! Grabnacht huͤllt’ ihn euch ein.

Das Blut der Entſuͤndigung rann;

Und Gericht haͤlt, wer erloͤſt ward!

Jeddo’s Sproͤßling vordem, da er war von Sterblichen ſterblich,

Aber jezo ein Sohn der Auferſtehung, entſchwebte

Seinem Chor, und nahte mit innigfreudiger Demut

Sich dem Verkuͤndeten, hieß die Harf’ ihm toͤnen, und feyrte

Jenen feſtlichen Tag, da er Zema von fern erblikte.

Trat nicht hinein Joſua dort, wo der Vorhang

Niedergeſenkt das Geheimniß uns verhuͤllte?

Dennoch war er nicht rein, und Satan

Rief vor dem Engel es aus.

Reines Gewand gab ihm der Herr, und entlud ihn,

Suͤnde, von dir! denn es ſolt’ einſt ſein Erkohrner

Kommen! Zema! ſo toͤnt’s, es hoͤrten

Zema! die Engel umher.

Siehe, du kamſt, Mitler, du kamſt! und der Vorhang

Senkt ſich nicht mehr! und enthuͤllt iſt das Geheimniß!

Denn ins Heilige ging er Einmal,

Rein durch ſich ſelber, der Sohn!

Ladet
[165]Zwanzigſter Geſang.
Ladet euch ein, ſeliges Volk, in der Rebe

Schatten, euch ein, o Verſoͤnte, zu dem kuͤhlen

Feigenbaume! des Opferbundes

Pſalter beſeele das Feſt!

Zema, du kamſt! toͤne das Lied zu dem Pſalter,

Zema, du kamſt! ſo ergieſſe durch des Feſtes

Lauben ſich der Geſang des Bundes;

Zema, du ſtarbſt! und erſtandſt!

O wie rauſchten die Harfen, wie wehten die Palmen, wie ſtralte

Jener Seraphim Antliz, die jezo den Herlichen prieſen!

Da Vollendung Jeſus rief, weinten wir laut,

Die des Heils Strom tranken, da nahm Gott den Staub

Zu dem Licht auch und zum Heil auf! Jeſus rief

Jhm vom Kreuz himliſches Heil, ewiges herab!

Da der Gottmenſch: Werde Welt! rufte, da ward,

Wie der Thau traͤuft, zahllos ihr Heer, welch’ er ſchuf,

Daß ihr Heil ſtets ſich erhuͤbe! Allen rief

Er vom Kreuz hoͤheres Heil, ewiges herab.

O du Heerſchaar! weit erſcholl, ſegnend das Wort

Der Vollendung! Harfengeſang toͤnt’ es nach

Mit dem Ausruf der Entzuͤckung! Zahllos wart

Jhr, die Jhm beugten ihr Knie, ſeliger durch Jhn!

Alſo hatten ſie kaum den Pſalm der Wonne vollendet,

Als ein ſchimmerndes Chor Erſtandner, von ſanfter Begeiſtrung

Ueberſtroͤmt, des Triumphes Palmen ſchwung, und mit Wehmut,

Jener himliſchen, welche beſeligt, dem Sohne des Herrn ſang:

L 3Gott
[166]Der Meſſias.
Gott ſey, und dem Lamm ſey, das erwuͤrgt ward, Anbetung!

Hoch hinauf zu dem Sion eilt’s, zu des Himmels Glanz!

O wie trof Golgatha’s Altar von dem Blut!

Preis ſey des Herrn Sohn, der erwuͤrgt ward!

Preis ſey dem Erretter der gefallnen Toderben!

Dank, und Preis dem erhabnen Sohn! Du entriefſt der Nacht

Der Geſtirn’ Heer! ihr entfloß Licht, wie ein Strom,

Und ſchnell gewandt trat’s in den Kreislauf!

Gott ſey, und dem Lamm ſey, das erwuͤrgt ward, Anbetung!

Jubelpreis dem erhabnen Sohn! Du entriefſt der Nacht

Der Verwerfung, die der Tod traf! O ſie ſind

Entflohn dem Abgrund des Verderbens!

Aber ein anderes Chor Erſtandner ſah mit des Mitleids

Frommen, innigem Blik zu der liegenden Erd’ herunter.

Ach! dort waren ſie auch in Huͤtten und Graͤbern geweſen!

Dort erſtanden! Sie ſangen dem Retter der ſterblichen Menſchen:

Gott ſey, und dem Sohn ſey, der zu Gott geht, Anbetung!

Werft die Krone, werft, Engel, auch ihr,

Jn Triumphgange die Palme,

Daß der Herr ſie euch gab, nieder am Thron!

Pilgrim! die erniedert in das Elend herwallen,

Groſſer Truͤbſal voll, weinet ihr noch?

Und ihr werft doch, wie die Engel,

Euch am Throne dereinſt hin in Triumph!

Alſo! und mit dem Dank, und mit dem Preis lohnt Jeſus

Fuͤhrung, Dulder, euch! Dieſen Triumph

Trium-
[167]Zwanzigſter Geſang.
Triumphirt der, der das Elend,

Bis ans Ende getreu, folgſamer trug.

Schweig denn, du o Thraͤne, die in Wehmut Troſt weinet,

Mach ihr Herz nicht weich, troͤſte nicht mehr!

Jſt am Ziel denn nicht Vollendung?

Nicht im Thale des Tods Wonnegeſang?

Als ſie es ſangen, erblikten ſie fern bey der glaͤnzenden Aehre

Seelen, und Cherubim, welche die Seelen herauf zum Verſoͤner

Fuͤhrten. Die Cherubim flogen den Flug der Wonne; die Seelen

Schwebten mit zitternder Freude daher. Es iſt vollendet!

Hatte gerufen am Kreuz ihr Verſoͤner. Froͤmmere Todte,

Die in Graͤbern und Flammen vor kurzem die Sterblichkeit lieſſen,

Seelen aus allen Voͤlkern, aus allen Winden der Erde

Warens. Sie wurden ſeit ſeiner Vollendung, alſo gebot er,

Bis zu der Zeit des Triumphs, in den Hainen der Aehre verſammelt.

Und die bebende Schaar ſchwebt’ immer hoͤher. Sie riefen,

Weinten, riefen den Ruf der Erſtaunung uͤber die Gottheit,

Ach den erſten! Ein Chor Erſtandner empfing mit Jubel

Jhre begnadigten Bruͤder. So ſang es ihnen entgegen:

O ſie kommen herauf! muͤhſam wandelten ſie

Jn des Tods bangem Nachtpfad. Gluͤkliche, befreyt,

Entflohn ſind ſie weit weg vom Elend! und Entzuͤckung

Jſt ihr Weinen da herauf, Wehmut himliſcher Ruh.

O des Wonnegeſchreys! Erbe deß, der Gefaͤhrt

Jn des Tods bangem Pfad war! deſſen, der Gefaͤhrt

L 4Auch
[168]Der Meſſias.
Auch hier iſt, wo Gott lohnt, am Ziel lohnt, mit Vollendung!

Du o ſeliges Gefuͤhl, wer ſpricht voͤllig dich aus?

Wo ertoͤnte ſo ſanft? ach, wo liſpelte ſie,

Die es je ganz ausſprach die Harfe? wo erklang

Sie himliſch? Kryſtallſtrom, wo hoͤrteſt du es herwehn?

Und, o Palme bey dem Strom, Sions Hoͤrerin, wo?

Und die Seelen ergrif des neuen Lebens Entzuͤckung,

Und ſie ſtroͤmten ins Heer des Siegers herein, und ſangen.

Ach, zu dem Triumph ſchweben wir empor,

Engel! und ihr, Erben des Lichts! kommen zu des Sohns

Himmelsgang! Du o Tod, du Flug zu dem Genuß!

Graͤber, und ihr Graun, Wonne ſeyd ihr, Himmel und ſein Heil!

Goͤttlicher! o dich nennet des Geſangs,

Dich des Gefuͤhls Wonne nicht aus! Goͤttlicher! der Welt

Koͤnig! Koͤnig der Welt! nur ſchwach, und in der Fern,

Rufet der Triumph, hallet dir nach Jubel ſein Getoͤn!

Siehe, von der Schaar derer, die dein Tod,

Mitler, verſoͤnt, derer, die du, Herlicher! erhoͤhſt,

Sind auch wir! und geſaͤt ins wartende Gefild,

Wo, in dem Gericht, Herlicher, du erndteſt, und verklaͤrſt.

Himliſche Juͤnglinge, Seraphim, die an dem Fuße der Cedern,

Gabriels und Eloa’s, wie Blumen bluͤhten, vermochten

Jhrer Freude Gefuͤhl bey dieſem feſtlichen Anblik

Nun nicht mehr zu halten. Mit Eile rauſchten die Saiten:

Wie
[169]Zwanzigſter Geſang.
Wie die Freude, wie die Wonne, wie des Triumphs

Jnniges, jauchzendes, heiliges Lied

Nachhallen? wie den Preis

Der Vollendeten am Thron?

Wenn ihr alle nun, ihr Schaaren, zu dem Genuß

Alle zur Herlichkeit euch von des Grabs

Nachtpfade zu dem Schaun

Des Allſeligen erhebt!

Jeſus Chriſtus beherſchte ſein Volk von Abrahams Ruf an,

Bis zu dem Tage, da er in der Huͤtte Bethlehems weinte.

Und die Wunder des Goͤttlichen unter dem Volke der Gnade

Und des Gerichts beſangen die Choͤre des frohen Triumphheers.

Feuriger ſchwung ſich ihr Pſalm. Mit der ſchnellen Wahl der Entzuͤckung

Eilten von Wunder zu Wunder ſie fort. Wie ein ſchimmerndes Chor flog,

Unter dem Silbergetoͤne der Saiten, ſo ſangs zu dem andern

Hellen Chore, das kaum der Begeiſtrung Jubel zuruͤkhielt.

Todesengel erhuben die ernſte Stimme, ſie ſangen:

Meer! du ſtandſt, Gott gebots! Tagwolke,

Nachtwolke ſchwebt’ hinten nach dem Heer

Des Geſezvolks. Gott erſchrekt’ und traf

Pharao’s Roß und Mann von der Wolke!

Schwiegen, allein noch erſcholl die Poſaune. Mirjam vernahm ſie.

Vor dem Reihntanz trat ich einher Amrama’s

Tochter, und pries: Meer ward, Wuͤter, euch Grab!

Jn maͤchtiger Woge verſank,

Jn dem Schilfmeer, wie das Bley ſinkt,

L 5Der
[170]Der Meſſias.
Der geharnſchte Reuter, das Roß, Kriegswagen,

Pharao ſelbſt! Gott ſah zornig herab

Aus Wolken in Flammen, da flohn

Jn des Meers Strom die Geſchrekten!

Mich ergreift ihr Wonnegeſang, mich Mirjams

Harfengetoͤn! doch, o Harfen, verſtummt!

Erſchalle, Poſaune des Chors,

Wie der Kiſon und Kedumim,

Wie der Kiſon rauſchte, da ich Debora,

Siſſera! todt, todt Abinoams Sohn

Dich ſahn, und das dumpfe Getoͤſ’

Um die Kriegsachſ’ und den Harniſch

Nun entflohn war! Sela! Triumph! Debora

Sang’s, und das Heer Judah’s! Sela! Triumph!

Ertoͤnte der blutige Bach

Der Kedumim und der Kiſon!

Engel eilten mit weggewendeten Blicken Abirams

Eilten Kora’s Verwerfung, und Dathans voruͤber; ſie ſangen:

O der Angſt Stimme, die, herrufend vom Abgrunde,

Dumpf toͤnet’, aus Staubwolken zum Licht auf umſonſt klagte!

Und nunmehr ſterbend noch graunvoller ſchwieg, furchtbarer,

Verſtummt, ſchrecket’, als hinſinkend ſie Wehklag’ ausrief!

Einen Blik nur ſenkten die Preiſenden auf die Truͤmmern

Jericho, einmal rauſcht’ es nur die Harfen herunter.

Poſaun-
[171]Zwanzigſter Geſang.
Poſaunrufen der Heerlager, die ernſtanbetend

Fortzogen, umſcholl wehdrohend der Palmſtadt Thuͤrme!

Der Todstag kam dunkel! und des Herrn Heer zog!

Und es ſank fuͤrchterlich aufdonnernd Jericho!

Harfen erklangen jezt, zu den Harfen Stimmen der Engel:

O wie fiel dir, Judah, dein Loos! Bethlehemens

Braͤunlicher Sohn ſpielt’ hin, leicht wie ein Reh!

Da ſank ihm der Stab, und er traf

Den Gathaͤer, der ihm Hohn ſprach!

So erhoͤht’, o Judah, dein Gott den Juͤngling,

Gab ihm ums Haupt Gold, und goldnen Geſang,

Verwerfer des Benjaminits,

Daß ſein Blut trof am Gilboa.

Und es ſahe David den Sohn, den Mitler

Ferne, da flog Pſalmflug! Jubel erſcholl

Jm hoͤheren Chore, das Lob

Des Erſchaffers, und Erbarmers!

Andre Harfen erklangen, und andre Stimmen der Engel:

Er betet, da ſtuͤrzt hoch herab

Ein Gebot vom Thron her Flammen herab!

Das Opfer verſank ſchnell in der Glut!

Und die Waſſer am Altar brannten in die Hoͤh!

Sieben Cherubim ſchwebten aus ihrem Chore zum Seher,

Dem Erhabenheit, dem viel ferues Kuͤnftiges Gott gab.

Und
[172]Der Meſſias.
Und du ſchweigſt, der Cherubim ſah vor Gott ſtehn

Ernſt, unenthuͤllt, Fluͤgel huͤllten uns ein!

Der Tempel erbebte vom Pſalm

Der Erhobnen zu des Herrn Thron!

Jch verſtumte, da ich euch ſah vor Gott ſtehn

Ernſt, unenthuͤllt, Fluͤgel huͤllten euch ein!

Der Tempel erbebte vom Pſalm

Der Erhobnen zu des Herrn Thron!

Und ihr riefet: Heilig iſt Er! ach, heilig,

Heilig iſt Er! Zahllos ſind, die den Herrn

Anbeten! Es ſchallet ſein Ruhm

An des Throns Hoͤh, und im Staube!

Jezo ſchwieg er, vertieft in Gedanken vom Weltbeherſcher.

Aber nicht lange, ſo winkt’ er Poſaunen. Die toͤnten zum Liede:

Die hohe Jungfrau Sion verachtet dich,

Und ſpottet dein! Die Tochter Jeruſalem

Schuͤttelt ihr Haupt dir nach!

Wen, wen hoͤhnteſt, und laͤſterteſt du?

O wider wen kam, Stolzer, dein Laut empor?

Dein Aug’ erhubſt du wider den Heiligen

Jſraels! haſt du nicht

Gott Jehovah gehoͤhnt, und geſagt:

Jch bin geſtiegen uͤber die Berg’ herauf

Mit meiner Wagen Menge! des Libanon

Seiten, des Libanon

Cedern haut’ ich und Tannen herab!

Gekom-
[173]Zwanzigſter Geſang.
Gekommen bin ich bis zu dem aͤuſſerſten

Herberge Carmels, bis in den hohen Wald!

Grub ich, und trank ich nicht

Eure Waſſer? und troknet’ ich nicht,

Mit meinem Fußtritt, Jſraels Seeen aus?

Vernahmſt du niemals, daß ich, was izt geſchieht,

Oftmals vordem auch that?

Weit von ferne bereit’ ich es zu,

Dann heiſſ’ ichs kommen! Staͤdte, von Mauren hoch

Und Hugeln, fallen oͤde zur Truͤmmer hin!

Schaam, und des Todes Furcht

Senkt zur Erde des Streitenden Arm!

Wie Gras des Feldes werden ſie! dorren hin

Wie Kraut auf Daͤchern! Heu vor der Reif’, und welk!

Weis ich es, Stolzer, nicht

Wo du zieheſt? und zieheſt? und wohnſt?

Und kenn’ ich wider mich dieß dein Toben nicht?

Weil wider mich du alſo denn tobſt, dein Stolz

Weil er zu mir herauf

Stieg, und ich es im Himmel vernahm:

So leg’ ich einen Ring an die Naſe dir,

Leg’ ich Gebiß dir, Tobender, dir ins Maul,

Daß du denſelben Weg

Wiederkehreſt, auf welchem du kamſt!

Feurig ſang ers. Von neuem begannen die ſieben Begleiter:

O ent-
[174]Der Meſſias.
O entfleuch denn, Sanherib, eil zu Nisrochs

Opfer! Noch ſcholl Sions Huͤgel herab

Das Drohn des Prophetengeſangs,

Da erhub ſchon die Vollendung

Zum Gericht den donnernden Fuß! Der Tag ſtieg

Roͤthlich herauf, ſtumm lag, leichnamevoll

Das Feld der Aſſyrer! Entflohn

War ihr Koͤnig mit Entſezen!

Und der Seher der Herlichkeit Gottes am Chebar entſchwung ſich,

Nebſt zwoͤlf Juͤnglingen, Engeln und Menſchen, des feyrenden Heerzugs

Lichten Choͤren. Jhr Flug ſchon erklang, da die Harfen noch ſchwiegen.

Und ſie ſchwebten dem goͤttlichen Sohn anbetend voruͤber.

Furchtbar ſchoͤn war ihr ſtralender Schwung, und der Himliſchen

Anſchaun,

Und in dem Blicke die Flamme. Sie ſangen dem Herſcher in Judah:

Raͤcher! wie oft haſt du geraͤcht dein erkohrnes,

Leidendes Volk! wie zerſchmettert die Zerſtoͤrer!

Haſt ſie bluten gemacht! Die Blutgier

Lechzten, entrannen dir nie!

Glich nicht des Nils ſchreckendes Thier dem Aſſyrer?

Libanons Pracht, wie ſie aufſteigt zu beſchatten,

Hatte dieſer! Er ſtand von Laube

Dick, und ſein Wipfel empor!

Waſſer um ihn machten ihn groß! und an Strudeln

Hub er den Wuchs! um den Stamm her des erhobnen,

Rauſch-
[175]Zwanzigſter Geſang.
Rauſchten Stroͤme! den andern Baͤumen

Sendet’ er Baͤch’ ins Gefild!

Darum erhub hoͤher er ſich, wie die andern

Baͤum’ im Gefild! und es ward ihm, zu der Aeſte

Vollem Sproſſ’ und der Zweige, Waſſers,

Sie zu verbreiten, genung!

Niſteten nicht Voͤgel auf ihm, und das Staubthier

Lag’s nicht um ihn, wie unzaͤhlbar? Jn des hohen,

Quellentrunkenen Baumes Schatten

Wohneten Voͤlker umher!

Ceder des Herrn, warſt du wie er? und o Tanne,

Du wie ſein Aſt? und du Ahorn, wie ſein langer

Schoͤner Zweig? Vor der Baͤume Schaaren

Prangt’ er im Haine des Herrn!

Hatt’ ihn nicht Gott alſo geſchmuͤkt, und mit dichtem

Aeſten erhoͤht, daß die Baͤum’ ihn in dem Garten

Gottes neideten? Weil ſein Wipfel

Alſo gen Himmel erwuchs,

Hob ſich ſein Herz ſchwellend empor, daß ſo hoch er

Stuͤnde! Du gabſt ihn dem Staͤrkſten der Tyrannen,

Raͤcher nun, in die Hand, daß ers ihm,

Wie er verdiente, vergalt!

Fremder Gewalt rottet’ ihn aus, und zerſtreut’ ihn!

Auf dem Gebirg’, in den Thalen, an den Baͤchen,

Lagen niedergeſtuͤrzt, zerſchmettert,

Aeſt’ ihm, und Zweig’ ihm umher!

Schatten
[176]Der Meſſias.
Schatten war Er Voͤlkern nicht mehr, und zu Schaaren

Zogen ſie fort! Auf dem Stamme des Geſunknen

Wohnten jezo der Luft, auf ſeinen

Aeſten die Heere der Flur!

Niedergeſchrekt, hebet kein Baum an den Waſſern

So ſich mit Stolz! und es ragt ſo bey den Stroͤmen

Keines Wipfel nicht mehr aus dichten

Zweigen der Kuͤhlung empor!

Denn in das Grab muͤſſen auch ſie, zu der Todten

Gruften, vor die ſich der Erdkreis in den Staub wirft!

Als der Aſſur die Tief’ hinabkam,

Klagte ſie weit um ihn her!

Huͤllte ſich ein Strudel und Strom! und die Waſſer

Floſſen nicht fort! und verdunkelt, wie in Trauer,

Stand ihr Libanon! auch des Thales

Baͤume verdorten um ihn!

Als mit Getoͤſ’ nieder er ſtuͤrzt’, in die Hoͤlle

Nieder mit Sturm, da entſezten ſich die Voͤlker!

Du, edeniſcher Hain im Abgrund,

Du, o ſein Libanonwald

Dort in der Nacht, troͤſtetet ihn! Ja die Herſcher

Alle, ſein Arm, die mit Schatten er bedekte,

Waren nieder mit ihm geſunken

Zu der Getoͤdteten Schaar!

Und
[177]Zwanzigſter Geſang.
Und ſie ſchwiegen. So ſaͤumt mit kurzem Weilen, der Erde

Furchtbares Beben, nun bald gen Himmel wieder zu ſenden

Staub aus Truͤmmern, und Sterbender Jammergeſchrey! Sie ſangen:

Wie den Aſſur ſtuͤrzeteſt du Aegyptus

Koͤnig, o Sohn! Meerdrach ſprang er im Strom;

Es truͤbte die Waſſer ſein Fuß,

Und der Schlamm woͤlkt’ in der Flut ſich!

Da er ausrief: Mein iſt der Strom! ich habe

Mir ihn gemacht! warf Gott uͤber ihn aus

Sein Netz, und es jagte ſein Heer

Jn ſein Garn auf den Empoͤrer!

Wie die Fiſch’ ihm ſchwer, und in Drang die Schuppen

Hingen herab, zog Gott ihn aus dem Strom,

Und warf ins Gefild ihn, und rief

Zu dem Aaſe, was in Hoͤhn fleugt,

Was in Staube kriechet, und raubt. Das Aas lag

An dem Gebirg weit hinunter ins Thal,

Und fuͤllte das Thal! und es ſtieg

Zum Geſtad’ auf, wo er ſonſt ſchwamm,

Des Verworfnen Blut! ja hinan die Berge

Drang’s, und des Stroms Baͤche wurden umher

Vom Blute getruͤbt! Denn hinab

Jn die Gruft ward er geſtoſſen!

Jn der Tief’ empfingen ihn die, die einſt auch,

Helden wie er, wuͤrgten! Alle ſie ſind

IVBand. MHinun-
[178]Der Meſſias.
Hinuntergeſtuͤrzt vor dem Schwert!

Und ſie ruhn jezt bey Erſchlagnen!

Wo ſie ruhn, liegt Aſſur, umher begraben

Alle ſein Volk. Schwert, du warfſt ſie hinab!

Tief iſt in den Kluͤften ihr Grab,

Die den Erdkreis einſt erſchrekten!

Wo ſie ruhn, liegt Elam, bey ihm begraben

Alle ſein Heer! Schwert, du warfſt ſie hinab,

Hinab in die Graͤber voll Schmach,

Die den Erdkreis einſt erſchrekten!

Jm Gefild liegt Meſech! es liegt dort Thubal

Er, und ſein Heer! ſchmachvoll, waffenberaubt,

Nicht unter dem Haupte das Schwert,

Das Gefild iſt vom Gebein weiß

Der Verworfnen, welche die Erd’ einſt ſchrekten!

Pharo, auf dir ſtand des Siegenden Fuß!

Nun ſchlummerſt du mitten im Heer

Der Erſchlagnen, die das Schwert traf!

Die Beherſcher Edoms, der Krieger Fuͤhrer,

Liegen umher tief in Naͤchten der Gruft!

Sie taumelten hin vor dem Schwert,

Zu der Heerſchaar der Erſchlagnen!

Mit hinunter ſanken die Voͤlker Sidons.

Roͤthere Schaam dekt der Fuͤrſten Geſicht,

Daß kuͤhn die ereilende Schlacht

Sie hinabwarf in die Tiefe!

Die
[179]Zwanzigſter Geſang.
Die Erſchlagnen all’ um ſich her verſammelt

Sah in des Abgrunds Nacht Pharao! ihn

Erblikte ſein Volk, und es war

Jhm Erquickung dieß Entſezen!

Denn hinab haſt Pharao du zur Hoͤlle

Jhn, und ſein Heer, Gott Verderber, geſtuͤrzt!

Geſchrecket, geſchrecket auch du,

O der Welt Richter, den Erdkreis!

Sichtbar nur der Unſterblichen Aug’, in des Himmels Abgrund,

Lag auf der wandelnden Erde Jeruſalem. Todesengel

Schauten hinunter, und wandten von ihr zum Thale Gehenna

Jhre Blicke. So ſangen mit ernſtem Trauren des Todes

Engel, indem, wie ferne Donner, ihrer Poſaunen

Ausruf ſcholl, dumpf ſcholl, wie Meer’ an Felſengeſtade.

Geh unter! geh unter, Stadt Gottes!

Jn Kriegsſchrein! in Rauchdampf! und Glutſtrom!

Verſink, ach! die des Herrn Arm von ſich wegſtieß!

Sey Truͤmmer, Stadt Gottes!

Todsworte ſprach Jeſus! Rom thut ſie!

Zum Aaſ’ eilt mit Gierblik der Adler!

Den Feldherrn, die ihr Gott ruft zu verderben,

Flammt’s ernſt vom Rachauge!

Pflugtreiber ſtreun ſchreckend Salzſaaten!

Dir zog Gott| die Meßſchnur, o Schauthal!

Er, er bot zum Triumph auf! Die Drommet’ hallt

Siegswut, wo Gott ausmaß!

M 2Blut-
[180]Der Meſſias.
Blutfodernd riefſt, Judah, den Fluch du

Vom Thron her! Dein Mund ſchrie: Des Sohns Blut!

Die That ſchrie’s noch mit mehr Grimm. Dich erhoͤrt Roms

Heerfuͤhrer. Geh unter!

Wie der freudige Fromme, der izt die Graͤber nicht denket,

Oder, denket er ſie, mit dem Troſte der Auferſtehung,

Jhre Naͤchte durchſtralt, wie der, wenn der Morgen im Fruͤhling

Jhm erwacht, mit Wonn’ in dem Aug’ in die ſchoͤnen Gefilde

Weit umher blikt, laut ſein Gebet dem Schoͤpfer des Fruͤhlings

Hinſtroͤmt, alſo ſchauten umher, ertoͤnten vom Jubel

Choͤre Seraphim, da in der Straſſe des Lichts des Triumphes

Heerſchaar ſchwebt’, und mit ſtralenden Meeren der hellere Himmel

Sie umgab, und die Stern’ in Gedraͤng zu tauſenden wallten.

Dieſer Jubel der Seraphim ſcholl umher in den Sternen:

Ertoͤnet ſein Lob, Erden, toͤnt’s, Sonnen! Geſtirn!

Jhr Geſtirn’ hier in der Straſſe des Lichts, hallt’s feyrend

Des Erloͤſenden Lob! ſiehe, des Herlichen,

Unerreichten von dem Danklied der Natur!

Lobfing, o Natur, dennoch dem, welcher dich ſchuf!

Dein Geſang ſtroͤm’ in den Himmeln einher! hochpreiſend,

Von erbebender Hoͤh, rufe des Strals Geſaͤhrt

Jn Kidrona, und dem Palmthal, ihn herab!

Jhr Waſſer der Mond’, Erdemeer, rauſchet darein!

Wie das ſanftlispelnde Harfengetoͤn, zum Chorpſalm

Der Poſaunen empor, Luͤfte der Palme wehn,

So erhebt euch zu der Sternheere Geſang!

Wie
[181]Zwanzigſter Geſang.
Wie wandelt ihr her, welche Gott zahllos erſchuf!

O du Heerzug der Geſtirne! wie ſtralt, wie laut ruft

Des Erloͤſenden Preis ihr zu der Hoͤh hinauf,

Zu der Glanzſchaar um den Thron Gottes empor!

Du biſt es, o Sohn, dem der Welt Jubel ertoͤnt!

Du ein Quell aller Beſeligung! Herr, Heilgeber!

Unerſchoͤpflicher Quell deſſen, was gluͤklich macht!

Jſt ein Weg wo? iſt ein Flug auch zu dem Licht,

Zum Heile, den er uns nicht fuͤhrt? Alle nicht fuͤhrt?

Labyrinth alle des groſſen, des unnennbaren,

Des belohnenden Heils! Selige fuͤhrt durch dich,

Von Aeoon her zu Aeoon fort, Labyrinth!

Da ſtets weiter empor in der Straſſe des Lichts der Triumph ſtieg,

Ward nicht ferne von ihnen ein Stern, der Sonnenbegleiter

Einer, verwandelt. Erſchuͤtterung ging von Wende zu Wende

Durch die Mitte des Sterns. Er zerſpaltet’ in Lande. Gebirge

Krachten, flamten; und brauſender dampften Meere gen Himmel.

Fuͤrchterlich war’s ſelbſt Engeln zu ſehn, wie in Jrr’ Urkraͤſte

Wankten, es bildeten; Saat aufſchwoll der neuen Erſchaffung!

Aber aus eines Sirius naͤherm Stralen erhuben

Auferſtandne Gerechte die Stimme der Wonne zum Mitler:

Liebe des Sohns, himliſches Heil! dem Verſtande

Goͤttliches Licht! vom Altar Glut dem Gefuͤhle!

Tag, der erwacht, in das Meer nicht unterzugehn,

Der Erloͤſten ewiger Tag, Liebe des Sohns!

M 3Fluͤgel
[182]Der Meſſias.
Fluͤgel hinauf, Fluͤgel zum Thren, o Triumph, nahmſt

Du! und auch uns, den Gewaͤhlten des Erhobnen,

Weheſt du vor mit der Palme, Chriſtus Trlumph,

Zu dem Thron des Vaters empor, Chriſtus Triumph!

Engel, der dort ſtralend einher durch die Himmel

Schwebet, wer iſts? dem das Sternheer in der Laufbahn

Steht, dem es laut auf den Pfaden Gottes ertoͤnt,

Dem die Tiefe ſinket, wer iſts, Engel des Throns?

Er, der am Kreuz duͤrſtet’, und ſtarb! der uns liebte

Bis in den Tod, o der Schmach Tod, des Altares

Golgatha Tod! und verlaſſen rufte von Gott

Jn der Nacht! der iſt es, ja der, Engel des Throns!

Stroͤmet ſie her, Stroͤme des Lichts, und o Luͤfte,

Saͤuſelt ihr ſanft dem Triumphheer ſie heruͤber,

Welche ſich dort, noch unhoͤrbar, tief in der Fern

Uns enthuͤllen, kommen, des Sohns Antliz zu ſehn.

Engel, der Tag ſeines Triumphs die Erhebung

Chriſtus zum Thron ſie erſcholl weit in die Welten

Alle! Wer wohnt in des Lebens Huͤtten, wem Gott

Es vergoͤnnt, der eilet, des Sohns Antliz zu ſehn!

Herſcher iſt Er! Herſcher der Sohn! Ach es fleht ihm

Aller Gebet! Jn den Weltkreis, in die Tiefe,

Fern in die Hoͤh, bis zur lezten, ſendet hinauf

Die Erhoͤrung Er, der allein Seligkeit hat!

Freuden
[183]Zwanzigſter Geſang.
Freuden euch! Licht ſtroͤmet’ euch her, und Geluͤfte

Saͤuſelte ſanft dem Triumphheer euch heruͤber

Weit aus der Fern, ihr Bewoner jenes Geſtirns,

Das auf Erden uͤber des Bliks Graͤnze ſich hob.

Herſcher iſt Er! Herſcher der Sohn! Ah es fleht’ ihm

Euer Gebet! Jn die Tieſen, in die Hoͤhen,

Sendet der Sohn; bis zur lezten, ſandte der Sohn

Die Erhoͤrung Er, der allein Seligkeit hat!

Der Entzuͤckungen! ach! Seht, dort ſtralet der Sohn

Jn dem Chor hoher Thronen! herlich in dem Chor

Des Grabvolks, die Blut ihm verſoͤnt hat, die erwachten,

Vor dem Tage des Gerichts, umgeſchaffen durch ihn!

O du Erſter des Seyns! welchen himliſchen Weg

Hat gefuͤhrt deinen Sohn des Todes Labyrinth!

Vom Grab’ auf erhebt Er den Siegsgang! aus der Nacht her,

Die den Sterbenden umgab, komt des Ewigen Sohn!

Jn der Schoͤpfungen Meer, wo der Woge Gebirg

Zum Geſtab’ hinwallt, wohnet, Herlicher, dein Volk,

Dem Heil auch von dir wird, Meſſias! ob es Blut gleich,

Unentheiligt von der Schuld, nicht zur Soͤhnung bedarf.

Aber es iſt unſere Schuld vor der Zeugen

Auge vertilgt, und verſtummt iſt nun der Suͤnde

Stimm’ an dem Thron, in der Engel Hallen, dem Ohr

Des Gerichts der Klaͤgerin Ruf ewig verſtummt!

M 4Fuͤrch-
[184]Der Meſſias.
Fuͤrchterlich laut rief ſie binauf, und es war doch

Leiſe das Ohr des Gerichts; aber: Vollendet

Jſt es! erſcholl von der Hoͤh die Pſalmmelodie,

Und die Suͤnde hoͤrte des Sohns Donner, und ſchwieg.

An des Ewigen Thron, Chriſten, preiſen auch wir!

Wo es euch, Erben, ſchattet, ſchattet es auch uns!

Wo euch quillt des Heils Quell, das Labſal der Gerechten,

Da verſammeln wir auch uns, quillt uns Leben auch zu!

Bebtet ihr je, Soͤhne der Fern, der Verwerfung

Schrecken? O trof, in der Wehmut, im Entſezen

Vor dem Gericht, im Entfliehn vom Horeb, euch je

Die entflamte Thraͤne den Blik blutig herab?

An dem ſchwindelndem Hang, den Verderben begraͤnzt,

An des Abgrunds Nacht, ſtaunten, ſchauerten wir nicht!

Wo Wagſchaal’ ertoͤnt, nicht! wo Zornkelch ſich ergieſſet;

Und Geretteter Gefuͤhl ward uns, Gluͤkliche, nie!

Chriſtus Triumph erreichte den Stern der unſchuldigen Menſchen,

Und der unſterblichen. Ueber den hohen Gefilden des Sternes

Schwebt’ er einher. Die Unſterblichen ſahn den ſtralenden Heerzug,

Sahn den Verſoͤner, und ach die Auſerſtandnen vom Tode!

Haufen ſchauten; allein bald wurden die Haufen zu Schaaren,

Bald die Schaaren zu Heeren, Die Haͤupter gen Himmel erhoben,

Standen ſie, unter ihnen der Erſtgeſchafne. Vollender!

Rief er, und ſank auf ſein Knie, um ihn die Unſterblichen |alle.

Haine riefen Hainen, und Bergen Berge: Vollender!

Unter
[185]Zwanzigſter Geſang.
Unter ſie hin war Thoa getreten. Jhn hatte der Richter

Wieder hinauf in das Leben gefuͤhrt. Der frohſte der frohen

War er, war ganz Dank, war ganz mit Empfindungen ſeiner

Neuen Unſterblichkeit uͤberſtroͤmet. Jn dieſer Entzuͤckung

Rief er laut mit den Heeren der heiligen Menſchen: Vollender!

Jezt da in ſeinem Triumphe der Sohn des Ewigen Pſalme

Seiner Erhoͤhung vernahm, und mit Wonne der Preiſenden Freude

Ueberſchwenglich belohnt’, entſtieg der Graͤber Gefilden

Zweener Sterblichen Lied. Sie hatten Erſtandne geſehen,

Hatten gelernt. Es wurd’ ihr Lied von dem Ausgeſoͤnten,

Und dem Verſoͤner gehoͤrt. Jndem der Schatten des Baumes,

Jhnen Huͤtte jezt, und Kuͤhlung ſanfterer Luͤfte

Weht’, und der Bach mitſcholl, erhub ſie die Stimme der Andacht

Sie, die den Herrn, und ihres Lebens Gefaͤhrten liebte.

Schwinge dich empor, Seele, die der Sohn zu des Lichts

Erbe ſich erſchuf! ſelige, die verſoͤnt Jeſus hat!

Sing ins Chor der Vollendeten am Thron!

Stammelten ſie nicht auch Laute, wie du, bebenden Geſang?

Als der Schatten des Baums, und Kuͤhlung ſanfterer Luͤfte

Weht’, und der Bach mitſcholl, erhub er die Stimme der Andacht

Er, der den Herrn, und ſeines Lebens Gefaͤhrtin liebte.

Selbſtaͤndiger! Hochheiliger! Allſeliger, tief wirft, Gott!

Von dem Thron fern, wo erhoͤht du der Geſtirn’ Heer ſchufft,

Sich ein Staub dankend hin, und erſtaunt uͤber ſein Heil,

Daß ihn Gott hoͤrt in des Gebeinthals Nacht!

M 5Durch
[186]Der Meſſias.
Durch feyrende, lautpreiſende Pſalmchoͤre des Sternheers bebt

Mein Gebet auf zu dem Thron deß, der im Lichtreich herſcht!

Vom Beginn ſelig macht! Labyrinthweg’ uns empor

Zu dem Thron fuͤhrt, wo unerforſcht Er herſcht!

Hochheiliger! Allſeliger! Unendlicher! Herr! Herr! Gott!

O erhoͤr du mein entzuͤkt Flehn von dem Grabthal her!

Von der Nacht ſtammelts auf zu des Chors Halleluja;

O erhoͤr’s, Gott! und mein verſtummt Flehn auch!

Gott! mache den Toderbenden gluͤkſeliger! Gott! trokn’ ihm

Die Betruͤbniß von der Wang’ ab! doch iſt Elendslaſt

Jn der Nacht hier ſein Theil, ſo begnad’ ihn mit Geduld!

Und o leit’ ihn, daß er am Thron anſchau!

Alſo ſang er, und ſchwieg; bald aber erhub ſich von neuem

Seine Seele, brante von neuem vor inniger Andacht.

Siehe des kuͤnftigen Chriſten Geſang entſchwebte der Erde

Kaum; allein ihn vernahm der Hoͤrer der ewigen Choͤre.

Alſo rauſchet ein Blatt, wenn die Wiederhalle der Felskluft

Donner rufen, Donner der Waldſtrom nieder ins Thal ſtuͤrzt.

Erwach, Harfengetoͤn, und erhebe dich dem Pſalm nach zum Throne!

Dein Flug ſey des Unendlichen Lob, des Herrn Preis dein Feſtlied!

O ihm, dem mit Entzuͤckung Harmonie des Geſtirnheers emporſteigt,

Und Erzengel entflammendes Lob in dem Anſchaun ertoͤnen,

O lispl’ auch, mein Geſang, ſein Lob dem! Von dem Grab’ auch vernehme

Sein Lob Gott! Wie beginn’ ichs? wie vollend’ ichs? O Vorſchmak

des Himmels,

Des
[187]Zwanzigſter Geſang.
Des Herrn Preis, wer ſingt dich, und erliegt nicht? Was ihn ſonſt

hob, verſinkt jezt,

Sein beſeelteres Bild, wie der Schimmer von dem Aufgang Gemaͤld’ ihm

Voll Goldglanz, wird ihm Daͤmrung! Wie ich kann, mit der Nacht

Schein im Bilde,

Mit Nachhall und Laut nur, wenn der Chorpſalm zu dem Thron auf

ſich donnernd

Erhebt, ſing’ ich dem Herrn! Wer gleicht dir? Wer, o Gott, iſt

wie du biſt?

Des Seyns tiefen Entwurf entwarfſt du, eh Gefuͤhl war, Gedanken,

Und Zwek war in der Endlichen Heer! O der Ausſaat, die, Gott, du

Geſaͤt haſt! und Aeoon auf Aeoon, daß ſie reift’, aufgehaͤufet.

O Rathſchluß: Die Aeonen wenn ſie all’ einſt vorbey ſind, wird Erndte

Ohn’ Aufhoͤren am Thron ſeyn! Die Erſchaffung zu des Sohns Heil

haſt dann du

Vollendet!.. O dann fuͤhrt das Gluͤk uns, und das Elend ins Lichtreich!

Was einſt uns, dem Begluͤkten und dem Dulder, Labyrinthweg und

Nacht war,

Das fuͤhrt uns zu dem ewigen Heil hin! Jndeß welkt auf Erden

Der unſterbliche Menſch weg, und empfindet Herannahn des Todes,

Herannahn der Verweſung! und verweint, in Wehklag’ ergoſſen,

Den Beginn des Daſeyns; und weis doch, daß es Gott einſt mit Wonne

Vollbringt! Er, der ihn auch zu dem Heil ſchuf! Ja! ſo, Gott,

vollbringſt du’s!

Ach truͤb’ iſt, und Nacht iſt der Gedanke, daß ins Loblied der Himmel

Der Angſt Stimme ſich miſcht, und mit Thraͤnen ſich die Wehmut

von Graͤbern

Empor-
[188]Der Meſſias.
Emporhebt ins Getoͤn, wo Entzuͤckung der Chorpſalm zum Thron ruft,

Und ſanft Lispeln den Harfen entlokt, wenn in Dank weint die Wonne!

Cherubim und Erſtandene toͤnten vom Untergange

Babylons. Alſo ſang der Erſtandenen Chor dem Vollender:

Ernſt iſt er des Gerichts dunkler Tag!

Todesgang und des Sturms Flug eilt des Herrn

Gerichtstag! Prophezeihung gegen ſie,

Bewoͤlkt einſt, Prophezeihung, wie erfuͤllt Gott dich!

Ach! ſie ſtuͤrzt! Es vernahm Erd’ und Meer

Babels Fall, der Erfuͤllung Donnerſchlag!

Nun thut’s Gott vom Throne! Jezo droht

Am Meerſtrand die Verkuͤndung des Poſaunrufs nicht!

Babel ſtuͤrzt! O begann Gottes Tag

Jener ſchon der Entſcheidung groſſer Tag?

Wie liegt, Weh! ſie zerſtoͤrt da! Weh ihr! Weh!

Welch Graun jezt, die ſo ſtolz war, in dem Abgrund da!

Cherubim und Erſtandene toͤnten vom Untergange

Babylons. Alſo ſang der Cherubim Chor dem Vollender:

Sie verſinkt! ſie verſinkt, Babel! Der Taͤuſcherin

Gefuͤllt iſt mit Gifttrunk, ſchnelltoͤdtend, ſchaͤumt

Jhr Kelch auf! O es fuͤllt dir, Babel, dafuͤr,

Des Gerichts Kelch vollmeſſend, der wieder vergilt!

Du
[189]Zwanzigſter Geſang.
Du Geſtuͤrzte! wie lang ſchaͤumte dein Taumelkeich

Dem Erdkreis Verfuͤhrung, Wahn, Wut und Tod!

Erwacht iſt des Vergelters Rache! dich hat

Von des Zorns Kelch Gott trunken zum Tode gemacht!

Ach! die ſeligen Tage der erſten Auferſtehung

Warens, die ihr, ſchon jezt vollendete Maͤrtyrer, feyrtet.

Die Gott raͤcht, in Geſtirnglanz, Gluͤkſelige!

Jn des Heils Kleid, ausduldende Maͤrtyrer!

Zu dem Erb’ in dem Lichtreich kommt freudig ihr,

Die Gott raͤcht, von dem Nachtthal her!

Die Herſchaft des Vollenders, Mitblutende!

Die Gewalt deß, den Kreuziger toͤdteten,

O empfangt die Belohnung, Heilerbende!

Erſtaunt, bang, und vor Angſt ſtumm, hoͤrts

Der Erdkrels! Die verkannt einſt ſchnell bluteten,

Wenn ſie Satan Raͤuchwerke nicht zuͤndeten,

Sie beherſchen die Welt jezt! ſind Koͤnige!

Vom Thron ſchmuͤkt mit Gewalt Gott euch!

Unbemerkter, nicht eine der Kontginnen des Weltmeers

Ruhte zwiſchen Wogengebirgen die einſame Patmos.

Aber es ſolte dereinſt wie Poſaunen an ihrem Geſtade

Dem erſchallen, den ſich der Offenbarer zum Seher

Auserkohr, und in ihrer Haine Schatten der Gottmenſch

Jhm erſcheinen, umringt von ſieben Leuchtern, gekleidet

Jn
[190]Der Meſſias.
Jn ein lichtes Gewand, mit Golde beguͤrtet, das Haupthaar

Weiß wie Schnee, und Flamme ſein Blik, wie die Sonne ſein Antliz!

Gluͤhend Erz war ſein Fuß, vom Munde ging ihm ein ſcharfes,

Schneidendes Schwert, und er hielt in der Rechte ſieben Sterne;

Eine Stralengeſtalt, vor welcher, wie todt, der Seher

Hinſank! Richter der Welt war der, vor welchem er hinſank.

Aber jezo richtet’ er noch ſein groſſes Gericht nicht;

Sprach nur uͤber ſieben Gemeinen ihr erſtes Urtheil;

Mit dem Ernſte des Richterſpruches ertoͤnte noch Gnade!

Und es hatten, von dieſem Gericht, die Erſten der Engel,

Und die Vaͤter ſie hatten, von dieſer Gnade, wie fern her

Himliſche Stimmen vernommen. Sie ſangen dem ſchonenden Richter,

Daß ihm in den Gemeinen, wie Thau aus der Morgenroͤthe,

Seine Kinder wuͤrden zum ewigen Leben geboren,

Durch die neue Geburt! und daß er ihrer wie Muͤtter

Sich erbarmt’, auch da, wo ſelber die Herzen der Muͤtter

Fuͤhllos wuͤrden, auch da ſich Jeſus Chriſtus erbarmte!

Epheſus, ach, Epheſus! komm zu der erſten

Liebe zuruͤk! O wie tief ſankſt du, Gemeine!

Kehre wieder! es ſtuͤrzt dein Leuchter

Sonſt dir dahin, und verloͤſcht.

Preis dir! du giebſt ewigen Lohn, wer ſich wieder,

Mitler, erhebt! am Kryſtallſtrom, der vom Throne

Flieſſet, ſchatten des Lebens Baͤume!

Tragen dem Siegenden Frucht!

Und
[191]Zwanzigſter Geſang.
Und ein hoͤheres Chor begann, von Wonne begeiſtert,

Durch die goldenen Harfen herunter zu rauſchen; ſie ſangen:

O der Auſſaat, welche du, ewiger Sohn!

Dir in Smyrna ſaͤteſt! o ſie halten aus

Jm Gefaͤngniß, und geſchmaͤht! Sie duldens gern,

Sind getreu bis an den Tod, Kronen zu empfahn!

Wehmutsſtimmen erſchollen. So ſangen Choͤre der Menſchen:

Pergamon, du hielteſt an Jhm in den Tagen

Jenes Triumphs, da Antipas in ſein Blut ſank!

Zeugend ſank er! O ruft Antipas

Namen, Unſterbliche, laut!

Aber du haſt, Pergamon, auch, die wie Balak

Aergern. Es labt, wer geſiegt hat, das verborgne

Manna dieſen allein! nur er hoͤrt

Zeugen die Himmel von ſich!

Wehmutsſtimmen erſchollen. So ſangen Choͤre der Engel:

Siehe, du glaubſt, duldeſt, und liebſt, Thyatira!

Aber du haſt, Thyatira, die Prophetin,

Haſt die Taͤuſcherin auch! Dein Richter

Forſchet hinab in das Herz!

Welchen er rein ſahe der Sohn, den erhebt er,

Sezet ihn hoch, daß den Weltkreis er beherſche!

Giebt den eiſernen Stab der Macht, giebt

Stralen der Stern’ ihm ums Haupt.

Stille
[192]Der Meſſias.
Stille ward in der Schaar des Triumphes, und keins der Choͤre

Sang, und alle Harfen, und alle Poſaunen verſtumten,

Bis zu dem Goͤttlichen wenige Stimmen ſich endlich erhuben.

Ach Sardis! ach Sardis! Weltrichter,

Erbarm dich! des Herrn Sohn, verſchone!

Sie liegt todt, und ihr Wahn waͤhnt, daß ſie lebe!

Gott Mitler! ſchon’ ihrer!

Ach hoͤre! wach, Sardis! wach, Todte!

Vom Schlaf auf! Es ſchrekt ſchon von fern her,

Mit Eil droht, mit Vollendung das Gericht dir!

Hoͤr, hoͤr ſein Drohn, Todte!

Weiſſes Gewand ſtralet um den, der geſiegt hat!

Hell in dem Buch, das vom Heil einſt im Gericht toͤnt,

Steht ſein Namen! ihn nennt, vor Gott ſelbſt,

Und vor den Engeln, der Herr!

Aber ein hoͤheres Chor begann, von Wonne begeiſtert,

Durch die goldenen Harfen herunter zu rauſchen; ſie ſangen:

Wie ſelig iſt ſie! Wenig Kraft gab ihr der Herr;

Und es blieb dennoch im Bunde, bekante dennoch

Philadelphia ſtets! Satans Verfuͤhrter ſoll

Sich ihr bang nahn! in den Staub ſinken vor ihr!

Wie ſelig iſt ſie! Wenig Kraft gab ihr der Herr;

Und es blieb dennoch im Bunde, bekante dennoch

Philadelphia ſtets! Stunde des Jammers, trif

Du den Erdkreis, und vor ihr eile vorbey!

Wie
[193]Zwanzigſter Geſang.
Wie herlich iſt ſie! Treue Schaar, halt, was du haſt,

Und o laß keinen die Krone des Heils dir nehmen!

Der Vollendete ſteht glaͤnzend ein Pfeiler einſt

Jn dem Tempel, wo der Sohn ewig belohnt!

Wehmutsvoll, mit jener Empfindung, die unter den Menſchen

Thraͤnen wird, kam mitten aus einem Chore die Stimme:

O vernaͤhme den Ruf Laodicea noch!

Er ruft ihr vom Tod’ auf! wehklaget ſanft!

Wie blind ach! und wie elend taͤuſchet ſie ſich!

Du des Herrn ſonſt, auf, eile dem Rufenden zu!

Der Gezuͤchtigte geht auch zu dem Abendmahl

Des Sohns ein! Wer feſt ſteht, aushaͤlt, und ſiegt,

Belohnt wird, und gekroͤnt der! ſteiget empor

Zu des Throns Hoͤh, Gottmenſch, wo in Lichte du wohnſt!

Da des Triumphs Heerſchaar ſtets weiter hinauf zu des Himmels

Stralenkreiſe ſtieg, begannen Choͤre der Seher

Und Erzengel dem Auferwecker und Richter zu ſingen.

Alſo ſangen ſie gegen einander. Die Harfen der Seher

Toͤnten feyrlichen Ernſt, und floſſen von groſſen Gedanken

Feuriger uͤber. Jzt ſtroͤmte der Pſalm in der Saite Begeiſtrung:

Wo erhoͤht er in dem Lichtreich, im Glanz thront, dort

Stieg er herab, und den Gerichtsruf donnerte ſein Heer!

Und die Grabnacht gab, die ſie wegnahm, her,

Da des Gerichts Ruf toͤnt’, und das Gebirg’ einſank!

IVBand. NUnd
[194]Der Meſſias.
Und die Heerſchaar, die vom Tod’ Er durch Blut losſprach,

Hub ſich empor, und ihr Gewand goß Stralen um ſie her!

Jhr Triumphlied ſcholl, wie das Weltmeer brauſt!

Und ſein Getoͤn ſtieg hoch mit dem Gerichtsruf auf!

Und ſie erlagen dem Wonnegedanken. Die Saiten nur toͤnten.

Aber nicht lange, ſo ſcholl ihr Geſang von neuem zur Harfe:

Auſſaat, die geſaͤt ruhte, bis Gott ihr rief, das Gefild

Mit Goldglanz zu bedecken! Selige, die Staub zu Staub

Jn ſich einſchloß ſaͤumende Nacht,

Bis floh der Aeoon Sterblicher dahin!

Auſſaat, o wie reif ſchimmerſt du her! Laut ruft im Gefild

Die Heerſchaar zu der Erndte! Selige, die Glanz zu Glanz

Der Vollender ſammelt, wie nimmt

Des neuen Aeoons Herlichkeit euch auf!

Jezo ſangen mit himliſchem Laͤcheln die Erſten der Engel.

Toͤnender ſtroͤmte der Strom der Harfen zum Wonnegeſange:

Todt’, erwacht! Todt’, erwacht! Der Gerichtstag hallts!

Der Aufruf der Erndter des Gefilds

Ertoͤnt froh! Der Staub hoͤrt’s da, wo er ſanft

Schlummert, hinſchallen! Schuzengel rufen ins Gericht!

Eilet, ſchaut auf zum Thron, die mit Huld Gott rief!

Erwacht! eilt! ſteht auf! ſtralt von dem Grab

Empor ihr, die Jeſus frey des Gerichts

Macht! o Miterben, komt, nehmt die Palmen in Triumph!

Schwebt
[195]Zwanzigſter Geſang.
Schwebt herauf, ſezet euch, mit dem Sohn Richter,

Jm Goldſtral auf Throne bey dem Herrn!

Erhebt euch, die Blut dekt! weiſſes Gewand

Dekt! o Weltrichter, komt, nehmt die Kronen in Triumph!

Ach! ſie gehn uͤberſtralt zu dem Thron furchtbar

Herauf, ernſt zur Wagſchaal des Gerichts!

Verſtroͤmt Blut des Altars Golgatha dekt

Hell die Palmtraͤger! Siegskronen glaͤnzen um ihr Haupt!

Und es erhuben im Chore der Seher Debora und Mirjam

Jhre Stimme. Den Harfen entſcholl bald himliſche Wehmut,

Bald der Ton des Triumphs. Sie ſangen gegen die Engel.

So, wenn im Walde der Donnerſturm ſtill ſchweigt, und die Baͤume

Nicht gebogen mehr ſtehn, bebt leiſe von Luͤften der Sproͤßling.

O du einſt uns Elend, wie entzuͤkſt du

Den Geiſt, Tod! Wer im Nachtthal des Entſezens

Nicht verweſete, ſtrebet umſonſt

Zu erreichen des Erwachten Gefuͤhl!

Jhr lieft nicht die Lanfbahn des Erdulders

Des Pilgers da hinab nicht, wo der Tod war!

Jhr Unſterblichen! ſahet das Grab

Nicht eroͤfnet, und gefuͤllt mit Gebein!

Jhr ſaht nicht, daß furchtbar die Entſchlafnen

Es hinnahm, die Geliebtern zur Verweſung!

N 2Der
[196]Der Meſſias.
Der begrabenden Schaufel Getoͤs,

Die mit Erde die Entflohnen bewarf,

Erſcholl euch nie dumpf auf von den Gruͤften,

Und rief euch nie Erinnrung, daß ihr einſt auch,

Mit entſtuͤrzender Erde bedekt,

Bey der Truͤmmer des Verweſenden laͤgt!

Aber wie unter Wolken herab von Felſen ſich Stroͤme

Stuͤrzen, ſo ſang, als riefs zum Gericht, das Chor der Propheten:

Todt’, erwacht! die Poſaun’ hallt! Todt’, erwacht!

Der Nacht Schooß, des Meers Grund, und der Erdkreis

Bebt dumpf auf! Das Gebein hoͤrt Herſcherton

Herrufen! Erzengel rufen ihn laut!

Goldpalaſt, und bemooſt Dach ſtuͤrzen ein!

Jm Erdgrab’ und Weltmeer wer entſchlummert

Schon lang lag, der erwacht! Wet lebet, hoͤrt

Graunvolles Erdbeben! ſtirbt! und erwacht!

Nacht noch wars. Das Entſezen trat einher

Jm Dunkel. Gefild, Hain, des Gebirgs Haupt

Verſank! warf ſich ins Meer hin! Harfe, ſchweig!

Bang ruft, es ruft nun Gebaͤhrerinnangſt!

Donner ruft von des Throns Hoͤhn! Harfe, ſchweig!

Lautdroh’nd toͤnt Gerichtsruf der Poſaunen

Darein! Fuͤrchterlich fliegt, rauſcht Donnerſturm!

Wehklagend ruft drein Gebaͤhrerinnangſt!

Zween
[197]Zwanzigſter Geſang.
Zween Erzengel ſchwebten voran, da ſang der Eine:

Sie ſinds ach! die wehdroh’nd der Aufruf ſchrekt!

Sie ſtehn auch von dem Tod’ auf! O verſchloͤß Nacht ſtets

Jn dem Graunthal der Verweſung,

Die des Throns Ausſpruch in den Abgrund ſtuͤrzt!

Zween Erzengel ſchwebten voran, da ſang der Andre:

Gerichtsdonner, ach, zu furchtbar toͤneſt du

Jn die Grabmale! Laͤngrer, ewiger Schlaf

Jſt ihr Flehn; aber ſie kommen aus der Nacht,

Und wehklagen: O falle, Gebirg, dek uns!

Stille war izt in den Choͤren der Siegsbegleiter. Da flogen

Leicht, wie Bluͤthen die Luft fortathmet, Benoni, und Mirjam,

Lazarus Schweſter, hervor. Wie des Sommers ſanftere Mondnacht

Und wie der roͤthliche Fruͤhlingsmorgen ſchwebten ſie vorwaͤrts.

Und ſie wuͤrdigten Satan, dem liegenden Ueberwundnen

Hoͤren zu laſſen, wie groß der Triumph der Todten des Herrn ſey:

Donnr’ es, o Geſang, in der Nacht

Schrecken hinab, zu Gehenna’s Empoͤrer hin:

Die am Staub einſt Elend und der Tod traf

Sie erwachen zu dem Schaun!

Moͤrder! zu dem Schaun! vom Beginn

Moͤrder! ſie alle, die jemals des Todes Angſt,

Der Verweſung Graun traf, ſie entſchwingen

Sich dem Grabe dahinauf,

N 3Wo,
[198]Der Meſſias.
Wo, zu dem Gericht, du Genoß

Jedes Entſezens, in ſchreckender Herlichkeit,

Sich geſezt hat Jeſus, der Vollender!

Hoſianna! er entſchwung

Sieger des Empoͤrenden ſich

Auch dem umſchattenden Thale, der Todesruh!

Und verwarf dich, Satan! du Verklaͤger,

Der ſie Tage, vor dem Thron,

Naͤchte, vor dem Thron ſie mit Grimm

Schuldigte! Suͤnden nicht nur, des Gebrechs, du Feind!

Und der Fehle Staub nahmſt, und umgabſt du

Vor dem Raͤcher mit Gewoͤlk!

Ziſchender Verklaͤger, dich ſtuͤrzt

Jeſus, der Herſcher, hinab in die tiefe Nacht,

Wo die Qual iſt, Wehklag’, und der Tod iſt!

Kein Erwachen zu dem Schaun!

Einer der Todesengel erhub die furchtbare Stimme,

Alſo ſang er, indem mit der Hand die Poſaun ihm hinſunk:

Wehklagen, und bang Seufzen vom Graunthale des Abgrunds her,

Sturmheulen, und Strombruͤllen, und Felskrachen, das laut niederſtuͤrzt’,

Und Wutſchrein, und Rachausrufen, erſcholl dumpf auf!

Wie der Stral eilt, ſchwebten wir ſchnell und in Wehmut fort.

Gabriel weinet’, und fuͤhlte ſie gern die himliſche Thraͤne;

Alſo floß mit der Thraͤne die Stimme des Schauers der Zukunft:

Das
[199]Zwanzigſter Geſang.
Das Gewand weiß, bluthell hub zum Thron

Sie ſich empor, ſtand ernſt, anſchaunſelig da,

Schimmerte die Braut! Sanften Ton, feſtliche Melodien,

Freudigeres Gefuͤhl ſtroͤmtet ihr, Donnerer in dem Gericht!

Und der Gottmenſch ſah rein neben ſich

Sie an dem Thron voll Unſchuld ſtehn, ſah ſich ihm

Heiligen die Braut! Neu erſcholl, ſeligeren Gefuͤhls

Stroͤmet’ ins Paradies euer Pſalm, Donnerer in dem Gericht!

Hingeriſſen von dieſer Begeiſtrung des Schauers der Zukunft,

Schwebt’ in lichterem Meere der Himmelsheitre die Heerſchaar,

Schwebte mit ſchnellerer Eile dahin; und keine der Harfen

Schwieg in den Choͤren, und aller Poſaunen erſchuͤtternde Stimmen

Redeten ihre Donner, und alle Himlifchen ſangen:

Da ihr Gang Flug, und ihr Ausruf Geſang ward der Entzuͤckung;

Da vom Gefild’ her ſich der Triumphzug zum Gerichtsthron

Emporſchwang: nahm zu dem Erb’ auf Er, den am Kreuz Gott ſah,

Jn das Lichtreich auf, die des Altars Blutruf vom Gericht losſprach!

Aber das Chor Erzengel begann von neuem die Wonne

Seiner Geſaͤnge gegen die Seher hinuͤber zu ſtroͤmen:

O die auch im Erdgrab’ und Weltmeer verweſt einſchloß

Der Gerichtſpruch, den in Eden, da es kuͤhl ward, der Herr ausſprach!

Erſtlinge, ſchwebt ſtralend empor, in Triumphflug, eilt,

Richtet mit dem, welchem ſich die Hoͤh und das Gebeinthal buͤkt!

N 4Die
[200]Der Meſſias.
Die Hand kam hervor einſt, und Schrift ſtand: Dich wog Jova!

Und es fand dich, der den Weltkreis, wie er will, herſcht, zu leicht, Koͤnig!

Daß des Gerichts Tag es vernaͤhme, wie leicht der ſey,

Welcher an Jhm ſuͤndigte! gebot es von des Throns Hoͤh Gott

Gebot ſo: Es zeug einſt, was lebend des Staubs Sohn that

Des Gerichts Buch! Und mit Schrift hell, wie der Blizſtral durch

Nacht herfleugt,

Schrieb in das Buch, Naͤcher, dein Heer, was der Menſch that! grubs

Thraͤnenvoll ein, ſchweigend, was nunmehr in dem Gericht laut toͤnt!

Am Thron rollt die Heerſchaar, als goͤß ſie ein Meer weit aus,

Des Gerichts Buͤcher voll Ernſt auf! Und die Glanzſchrift erſchrekt

fern her!

Eilet empor, Erſtlinge, ſchwebt den Triumphflug, kommt,

Richtet mit dem, welchem ſich die Hoͤh und das Gebeinthal buͤkt!

Jhn ſah Gott herannahn! kein Tag war wie der Tag iſt,

Der dem Rath deß, der geherſcht hat vom Beginn an, die Huͤll’ aufdekt!

Jauchzet, und ſchaut tiefer hinab, denn der Lichttag kam!

Wandelt umher froh im Labyrinthe, die hindurch Gott fuͤhrt!

Noch waͤhrt er, noch waͤhrt er der Grauntag! Ein Jahr floh ſchon,

Und es ſaͤumt noch der Gerichtstag! Noch erſchrekt den des Aus-

ſpruchs Ernſt,

Welchen der Sohn Gottes verwirft! Es entfliehn qualvoll

Koͤnige noch! rufen dem Gebirge: O Gebirg, dek uns!

Allein
[201]Zwanzigſter Geſang.
Allein dekt Gebirg euch? Noch ſaͤumt ſtets des Urtheils Tag!

Noch entſezt ſich wer, o Lamm, dir, das erwuͤrgt ward, wer Hohn dir ſprach!

Stuͤrzet, ihr Berg’ uͤber uns her, denn die Allmacht zuͤrnt!

Der an dem Kreuz blutete! gebeut, von dem Gerichtsthron, Tod!

Noch ſtralt er der Heiltag! Noch theilt Gott des Lichts Erb’ aus!

Noch verklaͤrt ſich Labyrinthweg! Noch enthuͤllt Gott der Vorſicht Pfad!

Stets noch empfaͤht weiſſes Gewand, von des Sohns Blut hell,

Kronen empfaͤht, Palmen, wer dem Sohn, bis in den Tod, treu war!

Thraͤne des Himmels im Blicke der Erſtlinge Gottes, wie glaͤnzteſt

Du dem Geber des Erbes im Licht an dem feſtlichen Tage

Seiner Entſcheidung! Sie wagten es kaum, voll inniger Demut,

Nach dem Vergelter hinauf, der ihnen ſtralte, zu ſchauen.

Saͤumend begann ihr Harfengetoͤn, als aber der Geber

Jmmer belohnender ſtralte, da flog’s, und ſchnell war es Jubel:

O Aufgang aus der Hoͤh! o des Herrn Sohn! du o Licht

Von dem Licht, der erloͤſt hat, doch dereinſt auch, auf den Thren

Des Gerichts, mit der Wagſchaal ſteigt, und es waͤgt,

Was gethan hat, wem umſonſt floß Golgatha’s Blut!

O Preis dir, und Geſang, du des Herrn| Sohn! du o Licht

Von dem Licht! der erloͤſt hat, die dereinſt ach! an dem Thron

Des Gerichts, bey der Wagſchaal ſtehn, und ſein Weh

Mit verkuͤnden, wem umſonſt floß Golgatha’s Blut!

O Urquell! es ergeußt, o des Heils Quell! wie ein Strom,

We ein Meer, ſo gebeutſt du! von dem Lichtthron ſich herab

N 5Der
[202]Der Meſſias.
Der Erſchaffenen Gluͤk! Erzengel, merkt auf,

Wie das Heilmeer durch den Weltkreis weit ſich ergeußt!

Jhr, ihr ſahts von Beginn, da die Nacht uns noch umgab!

Es der Tod noch verbarg! ach! da noch Gott wir, o der Staub!

Aus der Nacht, von dem Grab’ her, richteten! Gott

Mit Erbarmung es vernahm! ſchwieg! Blize nicht warf!

Unterdeſſen da Jeſus den Weg durch die Heitre zum Throne

Gottes ging, entſchied er von ferne das Schikſal der Seelen,

Welche das Leben der Sterblichkeit jezo verlieſſen. Sie muſten

Sinken, oder ſteigen, nachdem in ihnen der Richter

Trieb’ erſchuf, ſich empor zu der Wonne Gefilden zu heben,

Oder hinab ſich zu ſenken, hinab, wo die ewige Nacht herſcht.

Jezt rief einer der hohen Triumphbegleiter: Es ſteigen,

Sieh, aus allen Landen, aus allen Voͤlkern der Erde,

Steigen Seelen herauf! Ein Anderer rief im Frohlocken

Seines Herzens den Auferſtandenen zu: Der Entſchlafnen

Seelen machen ſich auf, und werden Licht! Denn ihr Licht ſtralt

Jhnen entgegen, und uͤber ihnen geht des Verſoͤners

Herlichkeit auf! Der Unſterbliche ſchwieg. Noch war es den Seelen

Unbekant, wer der in der Mitte dieſes Triumphs ſey,

Wer die Schaaren um ihn; bald aber erkanten ſie Menſchen

Unter den Schaaren, und ſuͤſſes Gefuͤhl, daß ſie Menſchen erblikten,

Ueberſtroͤmete ſie. Doch da ſie von Antliz zu Antliz

Jhre Bruͤder ſahen, erſtaunten ſie, zweifelten ſanftes

Schauers voll. Denn die Auferſtandnen, nun Himliſchen waren

Furcht-
[203]Zwanzigſter Geſang.
Furchtbar und ſchoͤn, voll Hoheit, wie keine Hoheit ſie kanten;

Waren vielleicht auch Goͤtter! Allein der Goͤtter einer

Sprach zu ihnen, und lieblich erſcholl des Redenden Stimme:

Menſchen waren wir einſt, wie ihr vor kurzem noch waret;

Aber Er hat uns zu dieſer Vollendung erhoben,

Welchen ihr hier bey den Sternen wandeln ſeht, mit des Urlichts

Glanze bedekt, und mit Wundenmaalen! Lernet! ihr koͤnnt hier

Vieles lernen. Erwaͤhlet ihn euch zum Helfer; erwaͤhlet

Jhn auch nicht. So frey, wie jezt, ſeyd ihr nie noch geweſen!

Dreymal die Zeit, die ein Engel, bevor er von Einem Entſchluſſe

Uebergehet zum Andern, die dann der Unſterbliche zweifelt,

Folgten die Seelen jezo nur nach, und blieben auf einem

Sterne zuruͤk, und warteten dort auf Lehrer, die Jeſus

Jhnen, ſo ſagte Gabriel, ſenden wuͤrde vom Himmel!

Weit in der Ferne ſah des Ewigen Thron die Triumphſchaar,

Und des Allerheiligſten Nacht an des Ewigen Throne.

Schon verhuͤllten ihr Antliz mit ihren Fluͤgeln der Engel

Viele. Das Antliz deß, der geopfert auf Golgathas Altar

Blutete, ward lichtheller. Ein Chor Erſtandener bebte

Freudig, und erſt nach langem Verſtummen begann es von neuem

Seine Pſalme, beganns hinauf nach Sion zu ſingen:

Begleit ihn zum Thron auf, o Lichtheer!

Mit der Harf ihn, der Poſaun’ Hall, und dem Chorpſalm,

Jeſus, Gottes Sohn! Menſchlich iſt Er!

Gnaͤdig! Das rufeſt du laut, blutiger Altar!

Es
[204]Der Meſſias.
Es preiſ’ Jhn der Toderb’, und Seraph!

Es erheb’ Jhn die Verſammlung der Gerechten

Jeſus! Hehr iſt Er! heilig! Es gab

Siehe dem Herlichen! Jehova das Gericht!

Es ſing Jhm der Heilerb’, und Cherub!

O ihr Choͤr’ all’ in dem Lichtheer Hoſianna!

Jeſus! Sohn, du biſt Koͤnig der Welt!

Ewiger Koͤnig der Stadt Gottes in der Hoͤh!

Wie wirſt du am Thron den empfangen,

Der es ganz litt! der es ganz that! den Vollender!

Vater! du den Sohn! Donner des Throns,

Gebt der Unſterblichen Chor Fluͤgel und Triumph!

Und ſie ſchwiegen. Es ſchwebet’ an einer Sonne Gefilden

Langſamer fort ein anderes Chor Erſtandne. Sie ſangen

Jhm, der ſtets lichtheller des Vaters Rechte ſich nahte:

O Vollender! wie wird Er, der ewig iſt, dich

Jn des Throns Hoͤhn empfangen! Ewiger! wie wirſt

Du hingehn! des Herrn Sohn den Herrn ſchaun! der erhabne,

Der unendliche Genoß deß, der ſeyn wird, und war!

Du o Licht von dem Licht! Gottmenſch! groß durch den Tod

An dem Kreuz! Hehr Suͤhnopfer! Herlicherer dem,

Der abfiel, und umkehrt! der Staub ſchlief, und darauf erſt

Ein unſterblicher, wie ſie, Glanz der Engel empfaͤht.

Der
[205]Zwanzigſter Geſang.
Der erloͤſende Sohn, Allerheiligſtes! ging

Jn die Nacht deines Grauns ein! Aber wie hat Jhn

Erhoͤht Gott! Jhr Knie ſinkt dem Aufgang aus der Hoͤhe,

Dem Erniedrigten und Herrn, aller Endlichen Knie!

Und wie ſchallet empor, hoch im Himmel empor,

Und im Staub, ihres Zurufs Wonnemelodie!

Erhoͤht wird des Herrn Sohn! der Gottmenſch! der Geſalbte!

Dem Unendlichen zum Preis, Gott dem Vater zum Preis!

Auch ſie ſchwiegen, und immer wurden der feyrenden Choͤre

Weniger. Sieben Erſtandne, die erſten unter den Menſchen,

Schwungen ſich freudig zitternd hervor, und ſangen dem Sohne:

Mißt nicht mit Maaß Endlichkeit uns? Wir erheben,

Selig dadurch, die Vollendung des Erſtandnen!

Ach! der Wonne Gefuͤhl ſoll ewig

Toͤnen im Strom des Geſangs!

Aber was iſt, gegen den Preis der Erſchafnen,

Vater, dein Blik! du Erhoͤher zu des Throns Glanz,

Dein Anſchauen! Verſtummt, Strom, ſtuͤndſt du,

Winkte nicht Eile dir Gott!

Danke dem Herrn! Preiſe, daß er uns vergoͤnnt hat

Endlichen, Jhn, mit dem Stammeln des Triumphlieds,

Jhn mit feyrendem Pſalm zu ſingen,

Mit der Erſtaunungen Ruf!

Herlich
[206]Der Meſſias.
Herlich iſt Er! ſelig iſt Er! und des Donners

Seiner Gewalt, wenn er handelt! und beſeligt!

Nachhall unſer Geſang. Stroͤmt, Jubel!

Jauchzet den Thaten des Herrn!

Mitler! zu Dem ſteigſt du hinauf! Es erhebt dich

Der zu der Hoͤh, o Meſſias! zu der Hoͤhn Hoͤh,

Seiner Rechte! Begleit’ Jhn, Siegslied,

Bis zu dem Fuſſe des Throns!

Aber hundert Cherubim ſchwebten hervor, und enthuͤllten

Wieder ihr Antliz, und wieſen hoch mit der Palme gen Himmel:

Begleit ihn zum Thron auf, Triumphheer!

Mit der Harf’ ihn, der Poſaun’ Hall, und dem Chorpſalm,

Jeſus, Gottes Sohn! Herſcher iſt Er!

Herſcher! das rufet ihr laut, Donner um den Thron!

Es ruf Jhm der Heilerb’ und Cherub,

O ihr Choͤr’ all’ in dem Lichtheer, Hoſianna!

Jeſus! Gottes Sohn! Dulder! du ſteigſt,

Todter! zur Rechte des Herrn, Ewiger! empor!

Jezo kam der Triumph dem Himmel ſo nah, daß Gottes

Thron ſie ſtralen in ſeiner ganzen Herlichkeit ſahen.

Da den Triumph, den Triumph die naͤheſten Engel erblikten,

Standen ſie alle zuerſt erſtaunt; bald aber erhub ſich

Wonnausruf voll frohen Erſchreckens. Die Stunde, da Chriſtus

Wieder wuͤrde, der Ueberwinder den Himmel betreten,

War
[207]Zwanzigſter Geſang.
War der Himliſchen keinem bekannt, war’s ſelber der Thronen

Erſten nicht. Sie hatten nur fern durch der Welten Getoͤne

Jubel gehoͤrt. Von Gebirge rief zu Gebirge, der Cherub

Rief: Der Meſſias! dem Cherub, aus Hainen riefen in Haine

Seelen, und Seraphim ſich: Der Meſſias! von Strale zu Strale,

Bis hinauf zu den Opferaltaͤren, hinauf zu den hohen

Wolken des Allerheiligſten ſcholl: Der Meſſias! hinaufſcholl

Zu dem Thron: Der Meſſias! daß welt um ſie her der Waͤlder,

Daß der Stroͤme Geraͤuſch unhoͤrbar ward, des Kryſtallmeers

Woge ſelbſt, vor der Stimme der Rufenden! Aber da Jeſus,

Da der groſſe Vollender nunmehr mit einem der lezten

Sonnenſchimmer den Himmel betrat, da ſanken der Engel

Kronen, da ſtreuten mit ſanfterer Freude die Himliſchen alle

Palmen auf den erhabenen Weg, der zum Throne des Herrn fuͤhrt.

Auch die Triumphbegleiter, die Auferſtandnen und Engel,

Streuten Palmen, und gingen einher mit froher Demut.

Aber die Seelen, belaſtet von neuem Himmelsgefuͤhle,

Waͤren in einem der Haine des Weges geblieben; haͤtt’ ihnen

Gabriel nicht mit der goldnen Poſaune zu folgen gerufen.

Jeſus nahte dem Thron. Und ſtiller wurde die Stille:

Und die Poſaune rief den Seelen nicht mehr; die Vaͤter

Standen; noch folgten die Engel, nicht lange, ſo blieben auch ſie ſtehn,

Sanken nieder anzubeten. Gabriel hatte,

Keiner der Endlichen ſonſt, des Thrones unterſte Stufe

Mit dem Meſſias betreten. Dort kniet’ er, beynah unſichtbar

Durch den herunterſtroͤmenden Glanz, und ſchaute zu Gott auf.

Siehe
[208]Der Meſſias. Zwanzigſter Geſang.
Siehe der Hocherhabene war, der Unendliche war, Er,

Den noch Alle kennen, dem Alle danken noch werden,

Aller Freudenthraͤnen noch weinen, Gott, und der Vater

Unſers Mitlers, der Allbarmherzige war in voller

Gottesliebe verklaͤrt!.. Der Sohn des Vaters, des Bundes

Stifter, Er, der erwuͤrgt vom Anbeginne der Welt iſt,

Den noch Alle kennen, dem Alle danken noch werden,

Aller Freudenthraͤnen noch weinen, ſiehe das Opfer

Fuͤr die Suͤnde der Welt, der Getoͤdtete war, der Erſtandne;

Jeſus, der Mitler, der Allbarmherzige war in voller

Gottesliebe verklaͤrt!.. So ſahen den Vater die Himmel

Aller Himmel! So ſahen den Sohn des Vaters aller

Himmel Himmel! Jndem betrat die Hoͤhe des Thrones

Jeſus Chriſtus, und ſezete ſich zu der Rechte des Vaters.

ENDE.



An
[[209]]
An den
Erloͤſer.


Jch hofft’ es zu dir! und ich habe geſungen,

Verſoͤner Gottes, von dir das heilige Lied!

Durchlaufen bin ich die furchtbare Laufbahn;

Und du haſt mir mein Straucheln verziehn!

Beginn den erſten Harfenlaut,

Heiſſer, gefluͤgelter, ewiger Dank!

Beginn, beginn, mir ſtroͤmet das Herz!

Und ich weine vor Wonne!

IVBand. OJch
[[210]]
Jch fleh’ um keinen Lohn; ich bin ſchon belohnt,

Durch Engelfreuden, wenn ich dich ſang!

Der ganzen Seele Bewegung

Bis hin in die Tiefen ihrer erſten Kraft,

Erſchuͤttrung des Jnnerſten, daß Himmel

Und Erde mir ſchwanden!

Und flogen die Fluͤge nicht mehr des Sturms; durch ſanftes Gefuͤhl,

Das, wie des Lenztags Fruͤhe, Leben ſaͤuſelte.

Der kennt nicht meinen ganzen Dank,

Dem es da noch daͤmmert,

Daß, wenn in ihrer vollen Empfindung

Die Seele ſich ergeußt, nur ſtammeln die Sprache kann.

Belohnt bin ich, belohnt! Jch habe geſehen

Die Thraͤne des Chriſten rinnen:

Und darf hinaus in die Zukunft

Nach der himliſchen Thraͤne blicken!

Durch Menſchenfreuden auch. Umſonſt verbuͤrg’ ich vor dir

Mein Herz der Ehrbegierde voll.

Dem Juͤnglinge ſchlug es laut empor; dem Manne

Hat es ſtets, gehaltner nur, geſchlagen.

Jſt
[[211]]
Jſt etwa ein Lob, iſt etwa eine Tugend,

Dem trachtet nach!.. Die Flamm’ erkohr ich zur Leiterin mir!

Hoch weht die heilige Flamme voran, und weiſet

Dem Ehrbegierigen beſſeren Pfad!

Sie war es, ſie that’s, daß die Menſchenfreuden

Mit ihrem Zauber mich nicht einſchlaͤferten;

Sie wekte mich oft der Wiederkehr

Zu den Engelfreuden!

Sie wekten mich auch, mit lautem, durchdringenden Silberton,

Mit trunkner Erinnrung an die Stunden der Weihe,

Sie ſelber, ſie ſelber die Engelfreuden,

Mit Harf’, und Poſaune, mit Donnerruf!

Jch bin an dem Ziel, an dem Ziel! und fuͤhle, wo ich bin,

Es in der ganzen Seele beben! So wird es, (ich rede

Menſchlich von goͤttlichen Dingen) uns einſt, ihr Bruͤder deß,

Der ſtarb! und erſtand! bey der Ankunft im Himmel ſeyn!

Zu dieſem Ziel hinauf haſt du,

Mein Herr! und mein Gott!

Bey mehr als Einem Grabe mich,

Mit maͤchtigem Arme, voruͤbergefuͤhrt!

O 2Gene-
[[212]]
Geneſung gabſt du mir! gabſt Mut und Entſchluß

Jn Gefahren des nahen Todes!

Und ſah ich ſie etwa die ſchreklichen unbekannten,

Die weichen mußten, weil du der Schirmende warſt?

Sie flohen davon! und ich habe geſungen,

Verſoͤner Gottes, von dir das heilige Lied!

Durchlaufen bin ich die furchtbare Laufbahn!

Jch hofft’ es zu dir!

[[213]]

Appendix A Verbeſſerungen.


Seite 10. Zeile 8. von unten ſtatt

[figure]

lies

[figure]

. S. 11. Z. 2. von
oben

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lies

[figure]

. S. 17. Z. 5. in, und 10.

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lies

[figure]

. S. 22, und 24. muß oben ſtehen: Von der joniſchen Versart.
S. 28. Z. 7. v. o. hoͤhren l. hehren. S. 30. Z. 7. v. o. dem l. den,
Z. 12. ihn l. ihm. S. 31. Z. 7. v. o. deſſen l. deß. S. 37. Z. 7. v. o.
nach l. noch. S. 39. Z. 11. v. u. er l. und. S. 40. Z. 5. v. u. ihm l. ihn.
S. 42. Z. 4. v. o. ihn l. ihm. S. 43. Z. 8. v. o. Knabens l. Knaben.
S. 44. Z. 6. v. u. Scheiden? S. 48. Z. 5. v. u. Seelen l. Seele. S.
57. Z. 5. v. u. Langebeſtraften l. langebeſtraften. S. 62. Z. 10. v. u.
Feyerer l. Feyrer Z. 2. v. u. ihn l. ihm. S. 64. Z. 12. v. o. Jedidath
l. Jedidoth. S. 68. Z. 2. v. u. kein l. Kein. S. 69. am Ende der
letzten Zeile ein Punkt. S. 70. Z. 2. v. o. ihm l. ihn Z. 7. Mir l. mir.
S. 83. Z. 2. v. u. Langſamen l. Langſames. S. 87. Z. 9. v. u. aller
l. alle. S. 92. Z. 1. v. o. riefeſt l. riefſt. S. 94. Z. 1. v. u. nur l. nun.
S. 95. Z. 8. v. o. ſtammelnden l. ſtammelndem. S. 98. Z. 8. v. o. dem
l. den Z. 13. da l. Da. S. 107. Z. 8. v. o. jeder l. jede. S. 108. Z. 6.
v. u. nur l. eur. S. 110. Z. 3. v. o. lebte l. lebte; S. 118. Z. 10. v. o.
euer l. eur Z. 2. v. u. dem l. den. S. 122. Z. 3. v. o. Staͤdte l. Staͤte.
S. 123. Z. 1. v. o. erbarm l. erbarme. S. 127. Z. 7. v. o. wurd’ l.
wurde. S. 137. Z. 4. v. o. Nach l. Nah. S. 140. Z. 4. v. o. ſchauen
l. ſchaun. S. 145. Z. 3. v. o. freun l. freuen. S. 147. Z. 1. v. o. Sahn
l. Sahen Z. 8. Geiſſe l. Geiſſel. S. 149. Z. 4. v. u. ſandtſt l. ſandteſt.
S. 155. Z. 3. v. u. von l. vor. S. 156. Z. 13. v. u. Umkleidet, l. Ueber-
kleidet’, S. 171. Z. 6. v. o. Bethlehemens l. Bethlemens. S. 173.
Z. 1. v. o. dem l. der Z. 4. v. u. Gebiß dir l. Gebiſſe. S. 176. Z. 10.
v. o. Gruften l. Gruͤften. S. 181. Z. 12. v. o. naͤhern l. naͤheren.
S. 205. Z. 4. v. u. nach hat ein Comma.


[[214]]

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Klopstock, Friedrich Gottlieb. Der Messias. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bntq.0