Der Meſſias.
Neunzehnter Geſang.Einen Anblick des ernſten Gerichts verhuͤllte der Menſchen
Vater durch Schweigen. Er ſah, in der Mitte des großen,
gedraͤngten,
Unabſehlichen Heers der auferſtandenen Todten,
Eva auf einem Huͤgel ſtehn, und mit fliegenden Haaren,
Ausgebreiteten Armen, mit gluͤhender Wange, mit vollen
Jnnigen Toͤnen der Mutterſtimme, wie nie noch ein Menſch ſie,
Oder ein Engel vernahm, um Gnade! ſie laͤchelte |weinend,
Flehen fuͤr ihre Kinder, um Gnade! zum Richter, um Gnade!
Aber auf Einmal verſchwand ihm der Schaueranblick; er hoͤrte
Einigemale nur noch ſanft Liſpeln der himmliſchen Harfen.
Mitleid daͤucht es ihm bald, bald daͤucht es ihm Freude, doch jez [...]
H 3Hatt
[118]Der Meſſias.Hatt’ auch dieß ſich verloren. Er ſahe wieder Geſichte.
Als erwach’ er aus tiefen Gedanken, beginnt er von neuem:
Jezo ſah ich die Schnitter der Erndte die Schaaren hinauf gehn,
Und hinunter. Sie giengen mit ſcharfer Forſchung Gebehrden
Langſam voruͤber, und ſchauten voll Ernſt in die Schaaren und riefen:
Komm!.. Dann fuͤhreten ſie die Gerufnen, wie truͤbe Gedanken
Stumm ſie alle, wie Bilder an Graͤbern, als Graͤber noch waren,
Auf den Gerichtsplatz hin. Da ward ein Seraph geſendet;
Der trat langſam hervor, und brachte den hohen Befehl mit:
Fallt auf das Angeſicht nieder, und hoͤrt euer Urtheil, das vormals
Jn dem Leben der Stunden, allein fuͤr ſich nur der Fromme
Ueber euch ſprach; und zitternd ſich lehrte, ſelbſt| ſelig zu werden!
Und ich ſah ſie erblaſſen, und niederfallen zur Erde!
Und ſie lagen, und hielten zertruͤmmerte Felſen. Der Seraph
Trat ſtillſchweigend zuruͤck. Jm Glanze der reineren Tugend,
Mit der Hoheit der Religion, die er druͤben am Grabe
Schon in ihrer Goͤttlichkeit ſah, erhub ſich der beſte,
Und der liebenswuͤrdigſte Juͤnger, der fromme Johannes.
Und die Aelteſten ſtanden um ihn. Er erhub ſich, die Stolzen,
Welche zur Erde niedergeſunken auf dem Gerichtsplatz
Lagen, die zu enthuͤllen; ihr Thun dem Tage zu zeigen!
Gleich dem Wetter des Maͤchtigen, traf er nicht jede der Tiefen,
Jede Hoͤh nicht; beruͤhrete nur hier Gipfel, dort Abgrund;
Ließ dann ſchweigen die ſchreckende Wolke. So ſprach er: Jhr ſchuft euch
Eigne Tugend, und ſtelltet dem Abgott uͤber den Thron hin,
Wo des Richters Geſetz ſtand, und, neben dem ernſten Geſetze,
Euer
[119]Neunzehnter Geſang.Euer Gewiſſen. Der Heilige, der das zarte Gefuͤh! ſelbſt
Nach des Ewigen Richtſchnur maß; und doch um Erbarmung
Weinend flehte, war ſich nicht rein, und wußte, wer Gott ſey:
Aber ihr waret euch rein! kaum, daß ihr die große Verſoͤhnung
Auch annahmet. Und dennoch habt ihr die edle Begierde,
Welche zur Ehr’ euch rief, zum Stolz herunter erniedert!
Habt es gewagt, wer beſſer als ihr war, mit Strenge zu richten,
Wer einfaͤltiger, weiſer; und tiefer drang in die Jrre
Schwerer Pflichten, in ſich geſchaͤrfter Gefuͤhl des Guten
Weckte, dieß Feuer naͤhrte; mit Streng’ und Wahne zu richten!
Euch unheilig erkuͤhnt, die Tugend in Staube dem Schalle
Jhres Namens, dem Schimmer von ihr in der Koͤnige Huͤtten,
Oder auf anderer Hoͤh der Schattengroͤße des Menſchen,
Gleich zu halten! Jhr bautet euch ſelbſt Gluͤckſeligkeiten,
Tempel eurer Erfindung, auf ſchmeichelnder Ruhe gegruͤndet,
Aber nicht auf der heiligen Pflicht. Den Namen der Vorſicht
Nanntet ihr zwar; doch trautet ihr mehr dem Wege des Menſchen;
Eurem Wege! Die hoͤhere Seele, die euch die Natur gab,
Habt ihr weit von dem Zwecke verleitet, zu dem ihr gemacht war’t!
Habt der herzlichen, edlen, der frommen Menſchlichkeit ſanfte
Liedestoͤne ſo oft mit rauhem Klange vermiſchet!
So ſchien zwar nicht die That, des Gedankens Misbild; ſo war
Aber das Herz in Verborgnem. Dort war es euch dunkel, der Friede
Kam nicht in euer Herz, dem Feinde ganz zu verzeihen,
Jhn in Stillem zu ſegnen!. O durft’ auf die Krone denn hoffen,
Wer nicht rein war vor Gott? ſo gar vor dem eignen Gefuͤhl nicht
Rein in der Stunde der Angſt; traf’s maͤchtiger ihn, daß er Menſch ſey?
H 4Wer
[120]Der Meſſias.Wer ſich ſelber nicht mehr entrann; und dennoch um Gnade
Zu dem erhabnen Verſoͤhner nicht rief? und dennoch zum Stolze
Wiederkehrte, zur eigenen Groͤße? ſich ſelber verſoͤhnte?
Arme Ruhige! Suͤnder von Suͤndern! der letzte der Tage
Konnte nur er euch, an euch, mit ſeinem Schrecken, erinnern?
Und es konnt’ euch doch jede der Stunden des fliehenden Lebens
Maͤchtig lehren, daß uͤber den Graͤbern ein Anderer richte,
Als ihr ſelber! Erhebt euch, und ſeht die Ruhigern alle!
Schaut nun, welches Ziel ihr verfehltet! Ein anderer Weg gieng
Nach dem Ziele. Demuth, mehr Menſchlichkeit, heißre Gebete
Haben bis hin zu der Krone den Schritt der Sieger geleitet!
Jhr habt niemals, wie ſie, in Stunden wacherer Naͤchte,
Weinend gerungen in tiefem Gebet! Jhr habet euch niemals
Ganz des Elends erbarmt! Jhr habt die hoͤchſte der Freuden
Unter den Freuden der Menſchen und Engel niemals empfunden,
Jene Freude, den Seher des Himmels allein zum Zeugen
Unſrer Thaten zu haben, nur Jhn! uns froͤmmer zu achten,
Seliger, wenn den Menſchen die That, die wir thaten, verhuͤllt war!
Niemals habt ihr genug des Hocherhabnen, des Erſten,
Gottes Groͤße gekannt! Das iſt es, daß ihr von Ruhe
Laͤchelnd traͤumtet; allein bis zu jenem Frieden nicht kamet,
Der in der Thraͤne des Buͤſſenden rann, die um Gnade nur flehte,
Nur um Gnade, durch Thraͤnen und Blut des Mittlers erworben!
Alſo ſprach er... Die Wag’ erklang. Die leichtere Schale
Stieg nicht voͤllig empor. Der Gerichteten Schickſal ward Daͤmm’rung;
Nacht nicht. Vielleicht, daß dereinſt auch ſruͤher der Tag fuͤr
ſie aufgeht.
Graun-
[121]Neunzehnter Geſang.Graunvoll ſtand das Heer zu des Richters Linke. Vom Throne
Schwebten die Todesengel herab, Verworfne zu fuͤhren
Jn die Wohnung der ewigen Nacht. Sie trugen die Schrecken
Deß auf dem Thron im richtenden Blick. Zu Tauſenden waͤlzten,
Da ſie ſchwebten, die Donnerwolken des hohen Gerichtſtuhls
Jhrem eilenden Fluge ſich nach. Jn einſamer Stille,
Und mit ſterbendem Blick ſtarr in die Tiefe geſenkt ſtand
Abbadona. Jhm kam der Engel Einer des Todes
Jmmer naͤher, und naͤher. Er ſah den Cherub, und kannt’ ihn,
Und erhub ſich zu ſterben. Er ſchaute mit truͤberem Auge
Auf den Richter, und rief aus allen Tiefen der Seele.
Gegen ihn wandte das ganze Geſchlecht der Menſchen ſein Antlitz,
Und der Richter vom Thron. So ſprach anbetend der Seraph:
Weil nun alles geſchehn iſt, und auf den letzten der Tage
Dieſe Nacht der Ewigkeit folgt: ſo laß nur noch Einmal,
Du, der ſitzt auf dem Throne, mit dieſen Thraͤnen dich anſchaun,
Die, ſeit der Erde Geburt, mein brechendes Auge geweint hat.
Schau vom Thron, wo du ruhſt, du haſt ja ſelber gelitten!
Schau ins Elend herunter, wo wir Gerichteten ſtehen,
Auf den verlaſſenſten aller Erſchaffnen! Jch bitte nicht Gnade;
Aber laß um den Tod, Gottmenſch Erbarmer, dich bitten.
Siehe dieſen Felſen umfaß ich! hier will ich mich halten,
Wenn die Todesengel von Gott die Gerichteten fuͤhren.
Tauſend Donner ſind um dich her, nimm einen der tauſend,
Waffn’ ihn mit Allmacht, toͤdte mich, Sohn, um deiner Liebe,
Deiner Erbarmungen willen, mit denen du heute begnadigſt!
Ach ich ward ja von dir auch mit den Gerechten erſchaffen;
H 5Laß
[122]Der Meſſias.Laß mich ſterben! Vertilg aus deiner Schoͤpfung den Anblick
Meines Jammers; und Abbadona ſey ewig vergeſſen!
Meine Schoͤpfung ſey aus, und leer die Staͤdte des baͤngſten,
Und des verlaſſenſten aller Erſchaffnen… Dein Donner ſaͤumet,
Und du hoͤreſt mich nicht. Ach muß ich leben; ſo laß mich,
Von den Verworfnen geſondert, auf dieſem dunklen Gerichtsplatz
Einſam bleiben, daß mirs in meinen Quaalen ein Troſt ſey,
Tief nachdenkend mich umzuſchaun: Dort ſaß auf dem Throne
Mit hellglaͤnzenden Wunden der Sohn! da huben die Frommen
Sich auf ſchimmernden Wolken empor! hier wurd ich gerichtet!
Abbadona ſank an den Felſen. Jn eilendem Fluge
Standen die Todesengel, und wandten ihr Antlitz zum Richter.
Feyerlich ſchwieg das Menſchengeſchlecht. Die Donner verſtummten,
Die unaufhoͤrlich vorher vom Throne des Richters erſchollen.
Abbadona erwacht’, und fuͤhlte die Ewigkeit wieder;
Gegen ihn kam durch die wartenden Himmel die Stimme des Richters:
Abbadona, ich ſchuf dich! ich kenne meine Geſchoͤpfe;
Sehe den Wurm, eh er kriecht, den Seraph, eh er empfindet;
Kenn’ in allen Tiefen des Herzens alle Gedanken:
Aber du haſt mich verlaſſen! und jene Gerichteten zeugen
Wider dich auch! du verfuͤhrteſt ſie mit! Sie ſind unſterblich!
Abbadona erhub ſich, und rang die Haͤnde gen Himmel
Alſo ſagt’ er: Ach wenn du mich kennſt, und wenn du den baͤngſten
Aller Engel gewuͤrdiget haſt, ſein Elend zu ſehen;
Wenn dein goͤttliches Auge die Ewigkeiten durchſchaut hat,
Die ich leide: ſo wuͤrdige mich, daß dein Donner mich faſſe,
Und
[123]Neunzehnter Geſang.Und dein Arm ſich meiner erbarm, vor dir mich zu toͤdten!
Mittler! ich ſinke betaͤubt in des Abgrunds furchtbarſte Tiefe;
Und mein bebender Geiſt entflieht der Ewigkeit Schauplatz,
Stuͤrzt ſich hinab, und rufet dem Tode, ſo oft ich es denke,
Daß du mich ſchufſt! und ich es nicht werth war, geſchaffen zu werden!
Schau, wo du richteſt, herab, und ſieh, du Erbarmer, mein Elend!
Laß mich Einmal nur noch den großen Gedanken denken,
Daß du mich ſchufſt! daß auch ich von dem beſten der Weſen gemacht ward!
Und dann tilg’ auf ewig mich weg vom Antlitz der Schoͤpfung!
Sey mir, Gedanke, gegruͤßt, vor dem nahen Abſchied von allen
Die Gott ſchuf, und dem Unerſchafnen der letzte Gedanke!
Da der vollendete Himmel in ſeinen Kreiſen heraufkam,
Und der erſte Jubelgeſang die Unendlichkeit fuͤllte;
Da mit Einer großen Empfindung, die von dem Schoͤpfer
All’ auf Einmal ergriff, die werdenden Engel ſich fuͤhlten;
Da der Einſame ſich vor tauſendmal tauſend enthuͤllte,
Wie er von Ewigkeit war; und zuerſt der hoͤchſte Gedanke
Nicht allein von Gott mehr gedacht ward: da ſchuf mich mein Richter!
Damals kannt’ ich kein Elend, kein Schmerz entweihte die Hoheit
Meines Geiſtes. Vor allen die ich, ſie zu lieben, mir auskohr;
War mir der Liebenswuͤrdigſte Gott! Mit ſchattendem Fluͤgel
Deckte mich ewiges Heil! Jn jeder Ausſicht ſah ich
Seligkeiten um mich! Mir jauchzt’ ich in meiner Entzuͤckung,
Daß ich geſchaffen war, zu. Jch war, geliebet zu werden
Von dem beſten der Weſen! Jch maß mein daurendes Leben
Nach der Ewigkeit ab, und zaͤhlte die ſeligen Tage
Nach der Zahl der Erbarmungen Gottes!.. Nun muß ich vergehen!
Nicht
[124]Der Meſſias.Nicht mehr ſeyn! nie wieder mit tiefer Bewunderung Gott ſchaun!
Und am Throne des Sohns kein Halleluja mehr ſingen!
Werde denn, ewiger Geiſt, werd’ aufgeloͤſet! Vollendet
Jſt der Zweck, zu dem du geſchaffen wurdeſt! Hier ſteh ich,
Bete zum letztenmale dich an, o der auf des Schickſals
Naͤchtlichſte furchtbarſte Hoͤhe mich ſtellte, mich dort zum Zeugen
Erſt der Huld; der Rache, der unerbittlichen, dann mich
Auserkohr, daß Aeonen es ſaͤhn, und ihr Antlitz verhuͤllten!
Alſo ſagt er, und ſinkt vor dem Richter aufs Angeſicht nieder,
Und erwartet den Tod. Und tiefe, ſey’rliche Stille
Breitet noch uͤber den Himmel ſich aus, und uͤber die Erde.
Damals erhub ich mein Aug’, und ſah die Himmel herunter,
Und ich ſah auf den goldenen Stuͤhlen die Heiligen beben,
Vor Erwarten der Dinge, die kommen ſollten! Jch ſah auch,
Vor dem Heer der Verworfnen, um Abbadona, erwartend,
Gluͤhender Stirn; es lagen um ſie die naͤchtlichen Wolken
Unbeweglich; ſo ſah ich die Todesengel! ſie wandten
Starr ihr Antlitz von Abbadona zum Throne des Richters.
Hier verſtummte der Vater der Menſchen. Die Heiligen ſahn ihn,
Als wenn er unter ihnen noch Einmal vom Tod’ erwachte,
Da er wieder begann: Zuletzt, wie die Stimme des Vaters
Zu dem Sohn, wie der Jubel Nachhall, ſcholl von dem Throne
Dieſe Stimme: Komm Abbadona zu deinem Erbarmer!
Adam verſtummte von neuem. Da ihm die Sprache zuruͤckkam,
Da er mit feuriggefluͤgelten Worten zu reden vermochte,
Sagt er: Schnell wie Gedanken der himmelſteigenden Andacht,
Wie
[125]Neunzehnter Geſang.Wie auf Fluͤgeln des Sturms, in dem der Ewige mandelt,
Schwung ſich Abbadona empor, und eilte zum Throne!
Als er daher durch die Himmel ging, erwachte die Schoͤnheit
Seiner heiligen Jugend im betenden Auge, das Gott ſah;
Und die Ruh der Unſterblichen kam in des Seraphs Gebehrde!
So hat keiner von uns an der Auferſtehungen Tage
Ueber dem Staube geſtanden, wie Abbadona daherging,
Abdiel konnte nicht mehr des Kommenden Anblik ertragen,
Schwung ſich durch die Gerechten hervor; mit verbreiteten Armen
Jauchzt’ er laut durch die Himmel. Die Wange gluͤht’ ihm; die Krone
Klang um ſein Haupt; er zittert’ auf Abbadona herunter,
Und umarmt’ ihn! Der Liebende riß ſich aus ſeiner Umarmung,
Und ſank jezt zu den Fuͤſſen des Richters aufs Angeſicht nieder.
Nun erhub ſich in allen Himmeln des lauten Weinens
Stimme; die Stimme der ſanfteren Wonne; der leiſeren Harfen
Jubel entglitt den Stuͤlen der vier und zwanzig Gerechten,
Kam zu dem Stule des Sohns, und ſang von dem Todten, der lebte!
Wie kann ich reden die Worte, die Abbadona geſagt hat,
Da er am Thron’ aufſtand, und zu dem auf dem Throne ſich wandte.
Alſo ſagt’ er, und laͤchelte Wonne des ewigen Lebens:
O mit welchen feſtlichen Namen, mit welchen Gebeten,
Soll ich zuerſt dich nennen, der alſo ſich meiner erbarmt hat?
Kinder des Lichts, die ich liebte, zu euch bin ich wiedergekommen!
Erſtgeborne der Schoͤpfung, und ihr durch die Wunden des Sohnes
Erben des ewigen Lebens, wohin bin ich wiedergekommen?
Sagt mir, o ſagt mir, wer rief mich? weß war die Stimme vom Throne,
Die beym Namen mich nennte? Du biſt die Quelle des Lebens!
Fuͤlle
[126]Der Meſſias.Fuͤlle der Herlichkeit! ewige Quelle des ewigen Lebens!
Heil iſt dein Name! du biſt der Eingeborne des Vaters!
Licht vom Lichte! des Bundes Mitler! das Lamm, das erwuͤrgt ward!
Koͤnig heißeſt du auch! ich will die Liebe dich nennen!
Gott hat am Abend des Weltgerichts noch Einmal erſchaffen;
Denn ich war Einer der Ewigtodten. Den letzten der Tage
Schuf er mich um, und rief mich, aus meines Todes Umſchattung,
Wieder zum ewigen Heil, das unausſprechlich wie Gott iſt!
Halleluja! feyrendes Halleluja, o Erſter!
Sey dir von mir auf ewig geſungen! Du ſpracheſt zum Elend:
Sey nicht mehr! zu den Thraͤnen: Jch hab’ euch alle gezaͤhlet!
Freudenthraͤnen, und Dank und Anbetung ſey dem auf dem Throne!
Jezo ward mein Geſicht zu dunkeln Geſtalten, die fliehend
Kamen, und ſchwebten, und fliehend am fernen Himmel verſchwanden.
Endlich waren vor mir die dunkeln Erſcheinungen alle
Weggeſunken; Geſicht war wieder, was ich erblickte.
Aber Jahre, ſo daͤucht’ es von neuem mich, waren vergangen
Zwiſchen dem letzten Anblick, und dieſem, der jezt vor mir aufgieng.
Schoͤner leuchtet’ herunter, und ſchrecklich nicht mehr des Thrones
Glanz, und uͤberſtralte der Auferſtehung Gefilde!
Weit, wie niemals mein Auge noch ſah, in unendlicher Ferne,
Sah ich die Schaarenheere der Ueberwinder gen Himmel
Wallen; die Aeußerſten nur erkannt’ ich. Es waren der erſten
Erde Kinder, die einſt zum Meere wurde, da Gottes
Wagſchal auch erklang, und gewogen ward, wer von Adam
Sterblichkeit erbt’, und die Seelen der Todten hinunterſanken
Jn
[127]Neunzehnter Geſang.Jn ein furchtbar Gefaͤngniß. Die waren jetzt von der Feſſel
Alle befreyt, und wallten hinauf mit den Siegern gen Himmel.
Segnend ſchaut’ ich den Seligen nach. Auf Einmal erhub ſich
Hinter mir Donnergeraͤuſch, und ich ſah verwandelt die Erde
Werden! ihr Engel des Allerheiligſten! und ihr Gebornen!
Sahe weit um mich her die fluchbeladne zum Eden
Werden! Alſo erſtand ich aus Staube; ſo wurd’ die Erde
Eden aus Truͤmmer. Die Schoͤpfung erſcholl umher, und die Sterne
Leuchteten heller. Noch hoͤrt’ ich die Donner der Schoͤpfung, noch ſtralt’ es
Mir vom Himmel, als ich zu euch nach meinem Geſicht kam.
Jeſus war von dem Tabor herabgekommen, und ſtand itzt
An dem Geſtade des Sees Tiberias, neben ihm Engel
Nur geſehen von ihm. Sie brachten Botſchaft aus Welten;
Hoͤrten ſchnelle Befehle, die Weltenſchickſal entſchieden.
Andre traten herzu, und andre wandten ſich, eilten
Mit Befehlen belaſtet, daruͤber ſie ſtaunten, daruͤber
Einſt auch wir, wenn geſunken uns iſt die Huͤlle des erſten
Lebens, der Geiſt der ſchlummernden Todten die Heitre durchwallet,
Staunen werden. Herauf war die Morgendaͤmm’rung geſtiegen;
Und die Stralen des werdenden Tages milderte lichter
Nebel, ein Schleyer aus Glanz und weiſſem Dufte gewebet.
Ruh war auf die Gefild’ umher, ſanftathmende Stille
Ausgegoſſen. Langſam ſichtbar entgiltt ein Nachen
Voll von Freunden dem lieblichen Dufte des werdenden Tages.
Nackt bey dem uͤberhangenden Netz ſtand vorn in dem Nachen
Kephas. Es ſaſſen umher, mit ſilberharigem Haupte
Bartholomaͤus; Lebbaͤus gelehnt auf ein Ruder; mit vollem,
Freude-
[128]Der Meſſias.Freudeglaͤnzenden Blicke der Zwilling; mit heitrer Gebehrde
Selbſt Nathanael; ſaſſen die Zebedaͤiden, Jakobus
Mit den Gedanken im Himmel; Johannes an Chriſtus auf Erden.
Da ſie naͤher heran zu dem Ufer kommen, erblicken
Sie den Mittler, allein ſie erkennen ihn nicht; doch verehren
Sie den ernſten Fremdling, der dort des Morgens, in heitre
Ruhe verſenkt, und ſeiner Gedanken ſich freut. Von den Pilgern
Allen, die Griechenlandes Goͤtzen, oder die Bilder
Jenes Stromes der ſieben Muͤndungen lieſſen, des Paſſah
Feyer mit uns zu begehn, und des Tempels Pſalme zu hoͤren,
Sah ich keinen ſo voll von Hoheit der Seele! Jakobus
Sagt’ es, und Didymus ſprach: O waͤr, den wir ſehen, der Pilger
Einer der Auferſtehung, und jezt mit dem Morgen gekommen,
Strahlender uns zu erſcheinen, als leuchten Tage der Erde
Koͤnnen, Sonnen es koͤnnen!.. Mit ſcharfem Blicke, Lebbaͤus,
Siehſt du ihn an, mit unabwendbarem Auge des Forſchers.
Ach die Gebehrde des Sterblichen, der ein Himmliſcher iſt, die
Die betracht’ ich, o Thomas, erwarte den Flug, den die Wandlung
Nehmen wird, ſo eilend vielleicht, daß mein Aug’ ihn nicht ſiehet.
Aber der Fremdling redet mit ihnen: Habet ihr Speiſe,
Meine Kinder? Sie hatten die Nacht vergebens gefiſchet,
Hatten keine Speiſe. Da ſagte der Unbekannte:
Werfet das Netz zur Rechte des Schiffs; ſo werdet ihr finden.
Und ſie warfen es aus, und konnten’s nicht ziehn vor der Fiſche
Menge. Mit mehr Erwartungen, richtete jezo Lebbaͤus,
Richtete Thomas den forſchenden Blick auf den Unbekannten.
Aber
[129]Neunzehnter Geſang.Aber der Zug, der das Netz, da, wo der Fremdling es ſagte,
Und ſo ſchnell belaſtete, zeigte Johannes den Mittler!
Freudig rief er: Es iſt der Herr! Da Kephas hoͤrte,
Daß es der Herr ſey, eilt’ er, und guͤrtete ſich mit dem Hemde,
Warf ſich ins Meer! ſchwamm ſchnell heran zum Geſtade, voll Unruh
Chriſtus naͤher zu ſehen. Er ſah ihn, erkannt’ ihn! Die Andern
Eilten im Nachen, zogen das Netz mit den Fiſchen heruͤber,
Traten aus Land, und erkannten, verſtummt vor Wonne, den Mittler!
Brodt, und Kohlen, und Fiſch’ auf den Kohlen lagen vor ihnen
An dem Ufer. Der Mittler ſprach: Bringt auch von den Fiſchen,
Die ihr fienget. Und ſchnell ſprang Kephas wieder ins Waſſer;
Zog das ſchwere Netz voll großer Fiſche, das dennoch
Nicht zerriß, auf das Land: und Leben wimmelt’ im Netze!
Kommt, und haltet das Mahl. Sie hielten’s. Vertraulich, mit Liebe
Saß er unter den Wonnevollen am Ufer, und reichte
Jhnen Speiſe. Jezt war das zweyte der frohen Mahle,
Nach dem traurigen Mahl vor ſeinem Tode, geendet.
Und ſie wandelten hin am Geſtade. Der Goͤttliche ſagte:
Simon Johanna, haſt du mich lieber, als dieſe mich haben?
Schnell tritt Petrus naͤher zu ihm, antwortet: Du weißt, Herr,
Daß ich dich liebe!.. Mit inniger Huld ſprach Jeſus: So weide
Meine Laͤmmer! und ſchwieg nicht lang’, und fragte noch einmal:
Simon Johanna, haſt du mich lieb? Jm innerſten Herzen
Fuͤhlt es Kephas; noch trauert er nicht, antwortet: Du weißt, Herr,
Daß ich dich liebe!.. Mit inniger Huld ſpricht Jeſus: So weide
Meine Schafe! und ſteht, und fragt den Geruͤhrten noch einmal:
IVBand. JSimon
[130]Der Meſſias.Simon Johanna, liebeſt du mich? Da kam in des Juͤngers
Seele Traurigkeit, daß ihn der Herr zum drittenmal fragte.
Und mit der Stimme der Wehmuth erwiederte Petrus: Du weißt, Herr,
Alle Dinge, du weißt, daß ich dich liebe! So weide,
Sagt’ ihm der Goͤttliche, meine Schaafe! Du wareſt ein Juͤngling,
Kephas, und guͤrteteſt dich, und wandelteſt hin, wo du wollteſt.
Wenn das Alter dir koͤmmt, wirſt du die Haͤnd’ ausſtrecken,
Andre werden dich guͤrten, dich andre fuͤhren, dich fuͤhren,
Wo du nicht hin willſt: Folge mir nach! Der Juͤnger verſtand es,
Welche Fuͤhrung dieß ſey, und mit welchem Tod’ er ein Zeuge
Deß, der erſtand, Gott preiſen wuͤrde. Jezt wendete Kephas
Sich, und ſahe den Juͤnger auch folgen, den Jeſus liebte,
Der an der Bruſt ihm lag bey dem traurigen Mahle der Scheidung.
Kephas ſprach: Was aber ſoll dieſer? Der Mittler erwiedert:
Wenn ich will, daß er, bis ich komme, bleibe, was geht dieß
Dich an? Folge du mir nach… Jezt ſahe der Juͤnger
Auge den Auferſtandnen nicht mehr. So erhebet das Meer ſich;
Und ſo ſenkt es die Woge nieder, und wird zur Ebne,
Wie vom Erſchienenen unter einander die Einſamen ſprachen.
Ja, ich folg’ ihm nach, rief Simon, ich ſterbe, wie er ſtarb!
Guͤrtet, und fuͤhrt, ich ſterbe, wie er! Du aber, Johannes,
Stirbſt nicht, wie er! Du biſt unſterblich… Du biſt unſterblich!
Rufte Jakobus, und hub ſein Auge gen Himmel vor Wonne
Trunken… Jch unſterblich? das ſagt’ er ja nicht… Bis er komme
Bleiben! was ſagt’ er denn anders? Du biſt, o Juͤnger der Liebe,
Biſt unſterblich! Erkohren hat Er fuͤr deine Treue
Dieſen Lohn, die Krone! Du biſt unſterblich, Johannes!
Freudig
[131]Neunzehnter Geſang.Freudig ſagt’ es Lebbaͤus, fuhr fort: Das wurde noch keinem!
Heil dir, Seliger Gottes, zu deiner großen Belohnung!
Eins nur iſt mir Zweifel. Wir ſterben, und gehen zum Mittler;
Und du bliebeſt zuruͤck? Doch er iſt ja bey den Seinen
Bis an das Ende der Tage! bey ihnen im Himmel, bey ihnen
Auf der Erde. Du ſtirbſt nicht, Johannes! Sie giengen,
Voll der kuͤnftigen Welt, zuruͤck zu des Lebens Geſchaͤfte,
Ruderten hin und wieder, und theilten aus, in der Freude
Jhres Herzens, das volle Netz, wo etwa ein Nachen
Lag, der auch bis zur Fruͤhe, wie ihrer, vergebens umherglitt.
Sonnen giengen auf, und giengen unter, und immer
Waͤhrte das erſte Gericht des Verſoͤhners. Schnelle Worte,
Schnellere Winke geboten den Engeln; die zeugten, enthuͤllten
Flammenſchrift; bald rollten ſie wieder die Buͤcher zuſammen;
Streuten nur wenig umher des furchtbaren Glanzes. Die Seelen
Redeten, ſchwebten verſtummt. Kurz war das Urtheil des Richters!
Traf, gleich Blitzen! umglaͤnzte, wie Stralen des Tages, mit Wonne!
Lange hatte ſich ſchon, und weit der Ruf von des Mittlers
Auferſtehung verbreitet, und, daß die Juͤnger ihn ſaͤhen!
Und daß himmliſche Zeugen aus jenen Huͤtten des Friedens
Zu den Sterblichen kaͤmen! und er, von welchem die Todten
Zeugten, ſey wieder hinab nach Galilaͤa gegangen,
Sich von neuem zu offenbaren. Geſendete Freunde
Eilten umher, und verkuͤndeten freudig: Auf dem Gebirge
Tabor ſammeln ſie ſich, die der neuen Offenbarung
Herrlichkeit harren. Sie ſtehn im Schatten der Ceder, und laben
J 2Nicht
[132]Der Meſſias.Nicht am Quell ſich, und brechen kein Brodt!. So riefen die Boten,
Und verließen mit Eile die Huͤtte des Einen, zu kommen
Nach des Anderen Huͤtte: Der Goͤttliche wird ſich noch einmal
Offenbaren. Er hat auch dieſe Gnade verheißen.
Auch ward dieß dankweinenden Frommen von vielen der Todten,
Die erſtanden, verkuͤndet. O eilt nach Tabor, wenn’s anders
Theuer euch iſt, ſchon hier euch, wie Engel Gottes, zu freuen.
Lazarus ſtand auf Tabor in Cederſchatten, und ſagte:
Vielen will er Seligkeit geben; er wuͤrde ſo lange
Sonſt nicht ſaͤumen. Wir ſind nur erſt zweyhundert verſammelt;
Und mehr ſollen es ſeyn, die er mit dem erſten Genuſſe
Seines Erbes erquicken, auf die er von Ferne den Schimmer
Jenes Glanzes am Thron, die Morgenſtralen der Tage
Seiner Ewigkeit, ausſtreun will! So harrt denn, ihr Bruͤder,
Dieſes reicheren Maaßes der himmelvollen Erbarmung;
Harret ſein, wie ſie droben am Thron des Goͤttlichen harren.
Preiſet ſeinen Namen, und ſingt ihm, Pſalme des Tempels
Nun nicht mehr, ſingt Pſalme der Erben dem goͤttlichen Sohne!
Wen das Feuer des Himmels entflammt, der ſinge dem Sohne,
Daß uns preiſend finde, wer kommt, ſein Antlitz zu ſehen,
Daß den Erſcheinenden Jubel der neuen Lieder empfangen.
Und die Mutter des Todten, der lebte, begann: Jch lernte,
Wenn nicht Eva zu ſehr der Sterblichen nahte, des Thrones
Jubeltoͤne! doch auch mit des Menſchen Stimme, dem Laute
Seiner Bruͤder auf Erden, will ich dem Erhabenen ſingen.
Komm, und ſinge mit mir, die in Magdale’s Thale zum Leben
Gott
[133]Neunzehnter Geſang.Gott ſchuf… Jch, mit der Mutter des Hocherhabnen, ihm Lieder
Singen, die Ungeweihte von Gottes Flamme? dem Sohne
Preis ich ſtammeln? Wohlan, ich folge von ferne der Mutter;
Denn ich lieb’ ihn! Du haſt der Engel Gottes Triumphlied
Ueber der Krippe, du haſt, mit Eva’s Harfe, des Thrones
Jubeltoͤne gehoͤrt, und biſt des Goͤttlichen Mutter;
Aber ich lieb’ ihn auch! Beginn, o Mutter des Todten.
Mirjam ergriff den Pſalter, und hub ihr Auge gen Himmel;
Schon entſtroͤmmte Begeiſtrung der ſanfterſchuͤtterten Saite.
Da die Engel des Throns um die Huͤtte Bethlehems ſangen,
Weint’ er! aber das Halleluja der Preiſenden wurde
Fey’rlicher, als ſie rinnen die Thraͤne des Goͤttlichen ſahen!
Jch, die Suͤnderinn ſank zu ſeinen Fuͤſſen mit ſtiller
Reu, und er erbarmte ſich mein, dem in Bethlem der Thraͤnen
Mitleid floß, der mit Gnade den Preis der Himmliſchen hoͤrte.
Jn Gethſemane floſſen dem Gottverſoͤhner nicht Thraͤnen;
Schweiß und Blut floß! Laut hat auch dieſes um Gnade gerufen!
Als er Jeruſalem ſah, da weint’ er uͤber ihr Elend!
Sammeln wollt’ er die Armen, wie eine Henne die Kuͤchlein
Unter ihre Fluͤgel; allein ſie wollten nicht kommen!
Wollten des Liebenden nicht, und ruften in Gabbatha’s Hallen:
Ueber uns komme ſein Blut, und uͤber unſere Kinder!
Ach es floß, und auch fuͤr ſie, auf dem hohen Altare
Golgatha! Wandte nicht da von ihm das Gericht ſein geſchrecktes
Antlitz weg, und floh? ſcholl da die Hoͤlle nicht dumpf auf,
J 3Voll
[134]Der Meſſias.Voll des Entſetzens vor ihm? ward da ſein Eid nicht erfuͤllet,
Den er dem Ewigen ſchwur: Jch will die Menſchen erloͤſen!
Hat den Vollender nicht Gott mit Preis und Ehre gekroͤnet,
Seit er am Kreuze ſein Haupt in die Nacht des Todes geneigt hat?
Ach zu ſeiner Herrlichkeit ſchaut mit Wonne mein Blick auf;
Aber dennoch wend’ ich ihn oft zu dem blutigen Altar
Wieder hin, und klag’ um ihn, deß Haupt in die Nacht ſich
Neigte, gekroͤnt mit der Krone der Schmach auf der Schaͤdelſtaͤte!
Komm, wir harren dein, uns laſten der ſuͤßen Erwartung
Freud’ und Unruh, komm, du, den nicht mehr auf dem Huͤgel
Kroͤnet die Krone der Schmach! nicht mehr der Felſen des Grabmals
Huͤllt in dunklere Nacht, als uͤber Golgatha ſchwebte.
Komm, du Toderweckter, du Maͤchtiger, komm, der das Leben
Wiederbrachte, geſegnet mit allen Segen des Vaters,
Komm, wir ſchauen nach dir hinab in die Thale, gen Himmel,
Auf die Gebirg’ umher, mit innigen Blicken der frommen
Suͤſſen Erwartung, o komm zu deiner erſten Gemeine!
Siehe, ſo wartet, die Freud’ in dem Blick, und geſchmuͤckt mit der Unſchuld
Schmucke, die Braut des Braͤutigams, wie der Gemeinen erſte
Deiner wartet, der auferſtand, die Todten zu wecken!
Wallet, Gemeinen der Enkel, mit frohem Tritt zu der erſten
Grabe, ſie wird, euch wird der Herr des Lebens wecken!
Wallet herzu, die Blume der Erndt’ in der Hand, und die Lippe
Seines Preiſes voll, zu eurer Vaͤter Gebeinen.
Magdale unterbrach den Geſang durch Rufe der Freude:
Ach ſein Haͤuflein, die erſte Gemeine, mehret ſich immer!
Seht
[135]Neunzehnter Geſang.Seht ihr, o Zeugen, kommen die neuen Zeugen auf jedem
Wege, der aus dem Thale, nach Tabors heiliger Hoͤh ſteigt?
Ach wie auf allen Pfaden zur Wonne ſchneller des Pilgers
Stab ſich bewegt, und dunkler der Staub der Fuͤſſe ſich woͤlket!
Ach es eilen der Gluͤklichen viele, viel der Erkohrnen
Chriſtus herauf, ihn wieder von Gott verklaͤret zu ſehen!
Aber Mirjam ließ den Geſang, und die Saiten ertoͤnen:
Ja verklaͤr’ ihn, auch mit dieſer Klarheit, o Vater,
Daß das Antliz des Sohnes Gottes die erſte Gemeine
Sehe mit Himmelswonne, ſie ſeines Lichtes Stroͤme
Trinke, dadurch auf immer gelabt, und nach Troſte nicht duͤrſte,
Dann nach Erquickung nicht lechze, wenn nun das Schwert der Tyrannen
Ueber ſie kommt, und ſie, ihr leztes Zeugniß zu zeugen
Von dem Sohne Gottes, heran zu dem blutigen Tode
Gehen! Laß dann nicht ſaͤumende Quaal die Nahen am Ziele
Ueberlaſten, und bald ihr Blut, o Erbarmender, reden!
Bin auch ich erkohren, das große Zeugniß zu zeugen,
Jch gewuͤrdigt zu gehen den blutigen Weg zu dem Grabe,
Sohn des Vaters; ſo wende, wenn langſam ich ſterbe, nicht ganz dich
Weg von der ſinkenden. Mir genuͤgt Ein Broſam des Troſtes!
Dir genuͤget, nicht ihm, der dein ſo ſehr ſich erbarmt hat,
Broſame nur zu geben. Wenn er zur Zeugin dich rufet;
Siehe, ſo iſt dir keine der Quaalen alle ſo ſehr Quaal,
Daß du nicht wieder hoͤrteſt die Himmelſtimme: Maria!
Und nicht wieder ſaͤnkeſt zu ſeinen Fuͤſſen. Am Grabe
Weilet er dann nicht mehr; er ſizt auf der Herlichkeit Throne,
Herſcht zu des Vaters Rechte, zu deſſen Fuͤſſen du dann ſinkſt!
J 4O du,
[136]Der Meſſias.O du, der uns geliebt von dem Anbegiune der Welt hat,
Meine Seele verlanget nach dir! Gieb Fuͤlle der Gnade
Dann, und jezt, o erſcheine, Verſoͤner, und ſtaͤrke die Zeugen
Zu dem blutigen Gange nach jenem Ziele, wo Palmen
Wehen, und Kronen des Lohns den Ueberwindenden ſtralen.
Alſo ſangen Maria und Magdale. Viele der Engel
Und der Erſtandenen waren herauf zu den Zeugen gekommen,
Und mit ihnen auch andere Zeugen. Eloa lehnte
Sich auf die goldene Harfe, und hoͤrte die Mutter des Mitlers
Singen; David ſchwebete naͤher, und hoͤrte der Mutter
Freudeweinendes Lied. Da die nahenden Frommen vernahmen,
Daß mit dieſer Wonne ſie ſang, da eilten ſie ſchneller.
Alſo ſprachen ſie unter einander: Jhr hoͤret, wie freudig
Sie den Goͤttlichen preiſt. Vielleicht erblikt ihn ihr Auge
Schon auf einem der Huͤgel Tabors? Vielleicht erhebt er
Dort bey einer der Cedern den Fuß, zu der Mutter zu gehen?
Aber ſie ſahen ihn nicht. Noch folgten Andre, der Siebzig
Viele, mit ihnen ſie alle, die einſt ihn verließen, und weinend
Dieſe, noch viele der Lahmen, und Blinden, und Tauben, die Chriſtus
Hatte geheilt, und Todte, die er in das Leben gerufen;
Beor, und Dilean auch, mit Joel Samma, Elkanan,
Cherubim auch, unſichtbar ſie, und die Maͤrtyrerkrone,
Berſebon, und Bethoron, und Engel mit Maͤrtyrerkronen,
Tabitha, Stephanus, Joſes, und Portia. Neben ihr ſpielte,
Streute Blumen ihr in den Weg der Knabe Nephthoa,
Junge Blumen, und Sproſſe mit halbgebildetem Laube.
Vielmal ſah er ſie an, und laͤchelte vielmal ihr Unſchuld.
Portia,
[173[137]]Neunzehnter Geſang.Portia, ſo iſt der Weg zu dem Himmel, und ich bin der Engel,
Der dich fuͤhret!.. Jhr ſtuͤrzet’ oft die Zaͤhre der Freude
Ueber die Wange. Sie war nicht Mutter; aber ein Knabe
Nach den ewigen Huͤtten, geleitete ſie zu Chriſtus.
Knabe, der Weg zu dem Himmel iſt ſchoͤn, und ich liebe den Engel,
Der mich fuͤhret… Jch liebe dich auch; doch lieb’ ich noch mehr einſt
Da dich, wo an dem Ende des Blumenweges uns andre
Cedern ſchatten, und Palmen, der Fruͤhling ewig uns ſchimmert.
Nikodemus, und Joſeph erreichten die Beyden, und hoͤrten
Erſt ihr Geſpraͤch; dann gruͤßten ſie ſich mit dem Gruſſe des Friedens,
Chriſtus Gruſſe, ſo oft er den Seinen ſich offenbarte.
Und ſie traten zu Magdale hin, und der Mutter des Mittlers.
Mirjam ſahe die Heidinn, und Freude befiel, und Verwundrung
Sie, daß Chriſtus ſchon itzt gen Himmel Portia rufe.
Und ſie ruͤhrte die Harfe der neuen Jeruſalem wieder.
Sohn des Vaters, noch mehreſt du ſtets der Erben des Lebens
Deiner Seligen Schaar! Viel haſt du heut dir verſammelt,
Daß ſie dein Antlitz ſehn, den Gott vom Tode geweckt hat!
Feſt wird ſie auf den heiligen Bergen gegruͤndet, gegruͤndet
Hoch auf dem Gipfel, der uͤber die Sterne raget, des neuen
Bundes Salem! Ja, eile nur vor, und verlier in die Zukunft
Dich, mein Blick. Wonn’ iſt es, zu ſehen den Auferſtandnen;
Aber Wonn’ iſts auch, hinunter zu ſchauen die Reihen
Jener Zeiten, in welchen die kleine Quelle, das Haͤuflein,
Heerſchaar ſtroͤmt! Du Herrlicher! wie beganneſt du: Einer
Schwachen Sterblichen, die um dich weint’, erſchienſt du zuerſt! dann
J 5Deinen
[138]Der Meſſias.Deinen hohen Apoſteln, auf welche Geiſſel und Bande
Warten, und Thron’ im Gericht, und mehr als einmal, daß ſtark ſie
Wuͤrden, eh ſie hinaus aus dem Lager giengen, zu tragen
Deine Schmach mit dir! dann dieſer kleinen Gemeine!
Und wie fuhreſt du fort! Der Baum des Erkenntniſſes Gottes
Wuchs, und breitet’ uͤber die Voͤlkerheere der Erde
Lebenſchattend ſich aus! und wie vollendeſt du jezt es,
Sohn des Vaters, geopfert von Anbeginne, der Soͤhnung
Lange zuvor geweiht, eh das Haͤuflein war, und die Heerſchaar.
Engel Gottes, ach ſie zerreißet, die Huͤlle zerreißet
Vor des Himmels Allerheiligſten! Werfet die Kronen
Nieder vor ihm, dem Thaͤter der Gottesthaten, die Palmen
Nieder vor Jeſus Chriſtus, dem großen Vollender, und ſinget,
Singet das Halleluja der tauſendmal tauſend Schaaren!
Und ſie ließ, in Erſtaunen verloren, die Harfe ſinken.
Lazarus, da er ſie jezt mehr als fuͤnf hundert gelagert
Sah vor der Mutter Chriſtus, und ſich, und wußte, ſie waͤren
Erben des Heils, und Erſtlinge Gottes, die naͤher am Thron einſt
Kronen truͤgen, und wallten, im Labyrinthe der Vorſicht,
Wie den gebahnten Weg in der Morgenſonne der Wandrer;
Freut’ er ſich innig, und ward, von ſeiner Wonne Gedanker,
Wie auf Fluͤgeln getragen. Er ſtieg den Huͤgel, an dem er
Ruhet’, hinauf, und uͤberſahe noch einmal der Erben
Betende Schaar, und blickte mit ſtillem Danke gen Himmel;
Aber nun trat er vorwaͤrts, erhub die Hand, und begann ſo:
Chriſtus hat uns verſammelt die Lahmen, die Blinden, die Tauben,
Und die Todten! verſammelt die Armen in Geiſte, die Gottes
Huͤlfe
[139]Neunzehnter Geſang.Huͤlfe nur kennen, und keines Menſchen Huͤlfe nicht kennen!
Jhr, zukuͤnftige Zeugen des Auferſtandenen, wißt es,
Daß er euch auf den Berg der Verklaͤrung ſandte, damit ihr
Seine Herrlichkeit ſaͤht, und einſt, von der Herrlichkeit zeugtet!
Siehe des Eingebornen des Vaters voll Wahrheit und Gnade,
Chriſtus, welchem von Ewigkeit ſey zu Ewigkeit Ehre
Und Anbetung! Jch hebe mein Haupt mit Freude des Himmels
Ueber euch auf, und flehe vom liebevollen Erbarmer
Jezo keinen Seegen fuͤr euch: euch hat der Verſoͤhner
Schon geſegnet! euch Chriſtus des Bundes Mittler geſegnet
Mit der Verheiſſung, ſich euch auf Tabor zu offenbaren!
Euch dadurch geſegnet (ihr blicket, wie ich, in der Zukunft
Fernen hinaus) mit Schmach um ſeines Namens willen,
Unter Verfolgern, mit Arbeit und Schweiß in der muͤhſamen Laufbahn,
Und mit Maͤrtyrerblute! Denn droben lohnet die Arbeit,
Lohnet die Schmach, und das Blut die Krone des Lebens den Duldern!
Sehr bin ich begnadiget worden, habe der Heile
Gottes viel empfangen, und danke mit Thraͤnen dem Geber;
Aber mein Blut fließt nicht, von Jeſus Chriſtus zu zeugen!
Denn ich gehe fruͤher hinauf, zu umpflanzen der Streiter
Huͤtte mit Kuͤhlung. Geprieſen ſey, der voran mich fuͤhret,
Euch nachſendet, hinauf zu dem ewigen Lohn, durch die enge
Pforte, den ſchmalen blutigen Weg! geprieſen des Mittlers
Heiliger Namen! ach hochgelobet in Ewigkeit Chriſtus
Herrlicher Namen! O duldet die Schmach, und den bitteren Hohn gern
Derer, die Chriſtus Herrlichkeit leugnen, nicht kennen des Himmels
Herrn, und der Erde! Denn ſie, die euer Zeugniß| zu Gott bringt,
Aber
[140]Der Meſſias.Aber deren Auge den Auferſtandnen nicht ſahe,
Werden auch die Schmach und den Hohn der Chriſtusleugner
Dulden, den Dolch, der von Blute nicht rauchet, und dennoch toͤdtet!
Werden glauben, und ſchauen! Gott gehet unter den Menſchen
Seinen verborgenen Weg mit ſtillem Wandeln; doch endlich,
Wenn er dem Ziele ſich naht, mit dem Donnergang der Entſcheidung!
Alſo ſagt’ er, und blickt’ umher, und ſah, in dem Schatten
Eines Huͤgels, Gefaͤſſe mit Speiſ’ und Tranke, des Halmes
Frucht und der Rebe ſtehn. Schon redete Lazarus wieder:
Sondert Brodt und Wein des Brudermahles, und ſetzet
Vor den Zeugen es nieder, damit es geheiliget werde.
Jhr, die ſeiner Erſcheinung harren, laſſet ſein Mahl uns
Halten, das heilige Mahl zu ſeines Todes Gedaͤchtniß.
Und ſie hoͤrten es freudig ihn ſagen, und ſendeten ſieben
Juͤnglinge, Brodt zu ſondern, und Wein, und lagerten naͤher
Sich an einander, und ſchon begannen viele zu knieen,
Viele die Haͤnde gen Himmel zu falten mit Thraͤnen im Blicke.
Und die Juͤnglinge brachten das Brodt, und den Wein, und ſetzten
Vor der Verſammlung es nieder. Als Lazarus aber hinzutrat,
Stand, und mit denkendem Blicke die feſtgefalteten Haͤnde
Hoch gen Himmel erhub, und zu reden jezo beginnen
Wollte; da drangen von allen Seiten, mit Schauer der Wonne,
Und mit ihren Thraͤnen, die Auferſtandnen und Engel
Zu der Gemeine Chriſtus herzu, und Lazarus ſagte
Feyerlichernſt, und als fleht’ er zugleich dem Geopferten Gottes:
Jeſus Chriſtus unſer Verſoͤhner, in ſeiner Leiden
Schrecklichen Nacht, da er verrathen wurde zum Tode,
Nahm
[141]Neunzehnter Geſang.Nahm er Brodt, und danket’, und brach’s, und gab es den Juͤngern:
Nehmet, und eſſet. Das iſt mein Leib, den ich fuͤr euch gebe.
Dieſes thut, ſo oft ihr es thut, zu meinem Gedaͤchtniß.
Jeſus Chriſtus unſer Verſoͤhner, in ſeiner Leiden
Schrecklichen Nacht, da ſein Schweiß, und ſein Blut in Gethſemane traͤufte,
Nahm er den Kelch, und danket’, und gab ihn den Juͤngern und ſagte:
Trinket All’ aus dem Kelche des neuen Bundes, geſtift et
Durch mein Blut, das ich fuͤr eure Suͤnde vergieße.
Dieſes thut, ſo oft ihr ihn trinkt, zu meinem Gedaͤchtniß.
Sie empfingen das Mahl des Verſoͤhners mit inniger Demuth,
Und mit feſtem Entſchluß, treu bis an das Ende zu bleiben.
Und, indem ſie ſich naͤherten, oder wieder ſich wandten,
Staͤrkten ſie ſich, und riefen ſich zu: Stets weiter im Wege,
Welcher zu Gott uns leitet!.. Am Ziele der hohen Laufbahn
Jſt das Kleinod erſt!.. Schmach hat er ſelber geduldet,
Hat gelitten, wie keinem von uns zu leiden geſetzt iſt!..
Hochgelobet im Himmel, und hochgelobet auf Erden
Sey der Mittler Gottes!.. Er hat die Verſohnung vollendet,
Sieh, es iſt eingegangen ins Allerheiligſte Chriſtus,
Jeſus Chriſtus, der ewige Hoheprieſter!.. Des Bundes
Kelch erquicke dich noch, wenn das Herz dir durſtet, die Seele
Lechzt in der Maͤrtyrerſtunde!.. Wie dich der Engel, o Mutter,
Gruͤßte, ſo gruͤſſe du mich, die Geſegnete Gottes! Zu ſeinem
Erbe bin ich, ich bin zu dem Sohne, dem Mittler, gekommen!
Was iſt alle Groͤße der Erde mir nun? Und es wartet
Hoͤhere Wonne noch mein! Den goͤttlichen Unbekannten
Soll
[142]Der Meſſias.Soll ich ſehen, den Unerforſchten, den Wunderbaren!..
Ach zu dem Mahle des Heiles bin ich, und jezo gekommen,
Jch, der ſo elend war, ich ſelber! Wenn ich hinuͤber
Nach den Huͤtten der Ewigkeit gehe; ſo iſt es ein zweytes
Leben der Seligkeit, das ich alsdann beginne!.. Die Rebe
Letzet uns wieder mit ihm in des Vaters Reich! Dann trinken
Wir die Stroͤme des Lebens umſonſt!.. Wenn ſeh ich, wenn ſeh ich
Offen den Himmel, und Jeſus ſtehn zu der Rechte des Vaters?
Ach wenn wandl’ ich den Weg des ſiebenden Juͤnglings? Auch jenen
Kelch des Todes trink ich zu ſeines Todes Gedaͤchtniß!..
Hochgelobet im Himmel, und hochgelobet auf Erden
Sey der Verſoͤhner!.. Je ſchwerer uͤber euch kommen die Leiden
Dieſer Welt, je lauter gen Himmel ſie rufen; je mehr ſey
Euer Leben verborgen mit Chriſtus in Gott!.. Nach der Liebe
Mahle, gieng der Verſoͤhner hinaus in Gethſemane. Blut trof
Da von des Dulders geſenktem Antlitz herab, mit des Dulders
Todesſchweiß, nach dem himmliſchen Mahle!.. Erbarme dich meiner,
Mittler Gottes, den ich verließ, erbarme dich meiner!
Laß getreu bis ans Ende mich ſeyn! Jch ſaͤe mit Thraͤnen,
Laß mit Freuden mich erndten, Verſoͤhner!.. Mir ward es geordnet,
Zweymal zu ſterben. Ach pfleget der Schlummer der lieblichen Daͤmm’rung
Nicht dem Schlafe der Nacht, nach kurzem Wachen, zu folgen?
Dann, dann letzet die Rebe mit ihm mich im Reiche des Vaters!..
Seines Todes Gedaͤchtniß! O die er mir ſandte, Benoni,
Und ihr anderen Engel, wo ſeyd ihr, mit mir euch zu freuen?
Hochgelobet im Himmel, und hochgelobet auf Erden
Sey, der verrathen wurde zum Tod am Kreuze! dem Blut ſchon
Jn
[143]Neunzehnter Geſang.Jn Gethſemane trof, eh auf dem Huͤgel ſein Haupt ſank!..
Moͤcht ich Stephanus Weg, und den Weg des ſiebenden Juͤnglings
Wallen zu Chriſtus hinauf, zu Benoni hinauf, und zu Samma,
Und zu Simeon du, und Jeſus Chriſtus!.. Die Nacht nimmt
Er dem Auge dann, und trocknet die Thraͤnen dir alle!
Bald ſank mir die Nacht, dem Lebenden, bald wird, Elkanan,
Froͤmmerer Dulder, auch dir die Nacht, dem Sterbenden, ſinken!..
Aber Maria rief mit lauter Stimme gen Himmel:
Hoherprieſter! des Ewigen Sohn, ich gebahr, ich gebahr dich!
Deinen Tod will ich, bis du mir rufeſt, verkuͤnden!
Hochgelobet im Himmel, und hochgelobet auf Erden
Sey der Verſoͤhner Gottes!.. Da ſo ſie ſich ſtaͤrkten, und jezt ſchon,
Wie an den Schwellen der ewigen Huͤtten, Worte des Lebens
Sich zuriefen, ſahen ſie Jeſus an einer der Hoͤhen
Niederkommen, und gegen ſich her den Goͤttlichen wandeln.
Ach ſchon ſtand er nahe vor ihnen. Auf einmal umſchwebte
Aller Augen Entzuͤckung. Wie Fruͤhlingsſaͤuſeln im Walde
Sanft herrauſcht, ſo ertoͤnte der Redenden leiſer Zurnf
Und der Weinenden, als die Ueberzeugung vom Himmel
Jhnen ward, und verwandelt wurd’ ihr Glauben in Schauen!
Wie der Waller im Sonnenſtrale, der duͤrſtet’, und trank, noch
Duͤrſtet, und trinkt; ſo ſahn ſie mit Himmelsbegierde den Herrn an!
Aber er hielt ſich nicht mehr, und begann, und ſagte zu ihnen:
Kindlein, Heil ſey und Friede mit euch. Jn dem Hauſe des Vaters
Sind der Wohnungen viel. Jch geh, und bereite darinn euch
Staͤten, und kehre zu jedem in Tode wieder, und nehm’ ihn
Auf
[144]Der Meſſias.Auf zu mir, daß er ſey, wo ich bin! Wenn ihr mich liebet;
Haltet ihr, was ich gebot. Jch flehe dem Vater, er ſendet
Euch den Troͤſter, den Geiſt der Wahrheit, welchen die Suͤnder
Nicht zu empfahn vermoͤgen. Sie kennen ihn nicht; ihr aber
Werdet ihn kennen, wenn er mit euch ſich vereinigt, mit ihm ihr
Euch vereiniget. Sieh, ich verlaß’ euch nicht, wie im Tode
Jhre Waiſen die Mutter verlaͤßt. Jch kehre wieder
Euer Fuͤhrer, der euch hinauf zum Erkenntniß des Himmels
Bringt, und zum ewigen Leben! Denn hier ſchon werdet ihr lernen,
Daß mit dem Vater vereint ich bin, und mit mir vereint ihr
Seyd, und ich mit euch. Wer, was ich habe geboten,
Weis, und haͤlt, der liebet mich! und den wird der Vater
Lieben! und ich ihn lieben, und ihm mich offenbaren!
Jezo ſah auf Einmal Elkanan den Goͤttlichen ſtehen
Unter den weinenden Zeugen, und rufend ſank er zur Erde;
Richtete wie vom Tode ſich auf! Noch ſagte der Mittler:
Ja, wir werden ihn lieben der Vater, und ich, und kommen
Und bey ihm wohnen. Jch bin der Weinſtock, und Weingaͤrtner
Jſt der Vater, ihr ſeyd die Reben, jede der Reben,
Die nicht Frucht traͤgt, ſchneidet er ab, und jede, die Frucht traͤgt,
Reiniget er, daß der Fruͤchte noch mehr die herrliche trage.
Jhr erkohrt mich nicht; ich aber hab’ euch erkohren,
Euch Gedeyen gegeben, daß Frucht ihr truͤget, und wuͤchſet
Jn die Ewigkeit! Hoͤrt mein großes Gebot, und ein Labſal
Sey es euch; denn die Welt wird, wie mich ſie gehaßt hat, euch haſſen:
Liebet euch unter einander! Jch laß euch meinen Frieden,
Meinen
[145]Neunzehnter Geſang.Meinen Frieden geb ich euch. Jhm gleichet der Erde
Friede nicht. Mit Ruh, und Unerſchrockenheit ſtaͤrk’ er
Eure Seelen. Jhr werdet euch freun, wenn ihr mich liebet!
Alſo hoͤrten ſie ihn die lezten Worte der Weihung
Zu dem nahenden Kampf, und zu dem ewigen Leben
Sagen, und ſahn ihn nicht mehr. Als jezt aus ihrer Entzuͤckung
Freud’ und Heiterkeit war, und Ruhe der Seele geworden,
Sahen ſie nicht ferne von da, wo Chriſtus ſich wandte,
Und verſchwand, den Knaben Nephthoa, als ſchlummert’ er, liegen;
Und ſie wolten ihn wecken, allein der gluͤkliche Knabe
War geſtorben. Und Lazarus rief: Auf, gehet, und ſammelt
Blumen, ich mach’ ihm das Grab. Sie gingen, und ſammelten Blumen.
Schon erhub ſich neben Nephthoa, ihn bald nun zu decken,
Jener kleine Huͤgel, zu welchem wir All’ einſt kommen
Muͤſſen, zu Staube Staub. Sie nahmen den laͤchelnden Knaben,
Senkten ihn nieder ins Grab, und dekten ihn leiſe mit Erde
Und mit Blumen, die ſie aus voller Hand auf die Staͤte
Seiner Ausſaat ſtreuten. Sie wendeten ſich, und verlieſſen
Tabor. Viele ſahen noch oft ſich um nach dem friſchen
Blumenhuͤgel; doch truͤbete deren Auge nicht Wehmut,
Denen Sterben Gewinn, und Leben war der Erſtandne.
Die von den Siebzigen waren auf Tabor geweſen, verlieſſen
Jezo den Berg der Verklaͤrung, und ſtiegen herunter, und kamen,
Seitwaͤrts von Stegen gefuͤhrt, in ein Palmenwaͤldchen des Thales.
Und ſie fanden daſelbſt die heiligen Zwoͤlfe verſammelt;
Fanden, wer nicht von ihnen mit war auf Tabor geweſen.
IVBand. KUnd
[146]Der Meſſias.Und ſie verkuͤndeten alle das Heil, das ſo Vielen vom Herrn ward,
Kurz, mit Flammenworten. Wie konten ſie reden; ſie weinten!
Tiefes Schweigen, und Vorempfindung des Himmels, ach Wonne
Daͤmrung ſie von dem Erbe des Lichts, war in der Verſamlung.
Aber Jakobus entriß ſich der Mitgenoſſen Umarmung.
Juͤnger des Herrn, wo eileſt du hin? der Herr wird, der Herr wird
Seinen Kindlein erſcheinen!.. Jch geh ihm entgegen! nach Tabor
Geh ich zu ihm… Wie wuͤrdeſt du trauren, wenn er nun erſchiene,
Und du waͤreſt nicht hier!.. Er ſiehet Alles, und weis es,
Wie ich duͤrſt’ ihn zu ſehn, und warum ich entgegen ihm gehe.
Laßt mich, ich werde nicht trauren. Er ging. Bald kam er in hoher
Felſen Schatten, und ſtand, und hob die Haͤnde gen Himmel:
Herr, Herr, Gott! noch erhebe dich nicht zu deinem Vater,
Ach erhoͤre mein Flehn! Wir hoffen zwar alle, du werdeſt
Uns noch erſcheinen; allein wie wiſſen wir’s denn? Ach verlaß uns,
Mitler Gottes, noch nicht! Jch habe vor dir, du Erbarmer,
Gnade gefunden! Jch will mich hier in der Hoͤle verbergen,
Niederknieen, dein Heil erwarten. Geh du voruͤber;
Siehe, ſo will ich von fern, Herr, deiner Herlichkeit nachſehn.
Jeſus Chriſtus ergrif ihm die Hand, da er lag, und flehte,
Richtet’ ihn auf, und ſegnet’ ihn ein zu der himliſchen Sendung.
Und der Juͤnger folgte mit Freudausrufen und Beben
Chriſtus, den Weg nach dem Palmenwaͤldchen des Thales hinunter.
Schon an dem fernen Fuſſe des Berges erblikten die Juͤnger
Chriſtus, und neben dem Herrn den gluͤklichen Zebedaͤiden;
Sahn
[147]Neunzehnter Geſang.Sahn heller ihn leuchten, als ſie, ſeitdem er vom Tode
Auferſtand, ihn geſehn, mehr uͤber die Engel erhaben!
Und ſie wolten entgegen ihm eilen; aber ein Engel
Winket’ ihnen: Sie ſolten den Herrn bey den Palmen erwarten.
Denkſt du daran, dieß war ihr Geſpraͤch, wie wir ihn am Oelberg
Von den Moͤrdern umringt, die Haͤnde gefeſſelt, erblikten?
Wie mit weiſſem Gewand Herodes ihn hoͤhnte? Pilatus
Jhm mit Dornen die Schlaͤfe bewand, und zucken die Geiſſe
Auf die Schulter des Stralenden ließ?.. Ach wird er gen Himmel
Schon ſich erheben? und iſt dieß Wiederſehen das lezte?....
Scheidung von ihm, o du vor allen, die je von einander
Blutende Herzen trenten, die baͤngſte, bitterſte, truͤbſte,
Stummſte, jammervollſte! du biſt ſchon heute gekommen?
Scheidung von Jeſus Chriſtus?.. Mir huͤpfen die Berg’, und die Huͤgel!
Mir frohlocket der Wald! mir ſchmuͤcket mit reinerem Golde
Sich der Tag, mit lichterem Purpur und ſanfterer Blaͤue
Mir der Himmel, ſo iſt von Freude das Herz mir durchdrungen;
Und du weineſt?.. Denkt ihr daran, wie ſein Kreuz er hinauftrug
Nach der Schaͤdelſtaͤte? wie dann er am Kreuze… wie Joſeph
Jhn in das Sterbegewand einhuͤllte?.. So ſprachen die Zeugen
Unter einander, und fielen auf ihre Kniee, da Chriſtus
Naͤher kam; und breiteten aus die Arme nach Chriſtus,
Nach dem Verſoͤner Gottes, der ihnen nun voͤllig ſich nahte.
Und er gruͤſſete ſie mit ſeinem himliſchen Gruſſe:
Friede ſey mit euch! und ſtand vor ihnen, und ſagte:
Wie ein verſtummendes Lamm zum Opferaltare gefuͤhrt wird,
K 2Ging
[148]Der Meſſias.Ging er geduldig einher, und ſchwieg… Jch werd’, ihr Geliebten,
Bald nicht mehr mit euch des Wiederſehens genieſſen
Auf der Erde; mit euch von Honigſeime nicht eſſen;
Noch was ihr, in der Fruͤhe des Tags, am Geſtade bereitet;
Nicht im Schatten mehr ruhn: allein in den Huͤtten des Friedens,
Wo viel Wonungen ſind, dort werdet ihr euren Meſſias
Wiederſehen, und, nebſt den verſammelten Vaͤtern des Bundes,
Freuden der Freundſchaft empfahn, die Abſchiednehmen nicht trennet!
Und er ſank vor den Zeugen in ſeiner Herlichkeit nieder,
Betete mit erhabener Stimme: Die Zeit war gekommen,
Deinen Eingebornen in ſeiner Schoͤnheit zu zeigen,
Siehe, du haſt ihn gezeigt, und biſt verherlichet worden,
Vater, durch ihn! Jhm haſt du gegeben die Sterblichen alle,
Daß er ſie auferwecke vom Tod’, und ewiges Leben
Jhnen gebe. Das aber iſt ewiges Leben, dich, Vater,
Der du der Ewige biſt, und den du ſandteſt, erkennen,
Jeſus, den Sohn und Koͤnig! Jch ſeh in Geiſte die Fuͤlle
Meiner ganzen, der lezten Vollendung! Jch hab’ auf der Erde
Dich verherlicht! ich habe vollfuͤhret der Gottheit Rathſchluß!
Nun erwarten mich Kronen zu deiner Rechte! Du wirſt mir
Wieder die Herlichkeit geben, die mein war, eh wir erſchufen.
Deinen gefuͤrchteten Namen hab’ ich den Erwaͤhlten verkuͤndigt
Aus den Suͤndern. Du gabeſt ſie mir. Sie haben die Weisheit,
Die ich ſie lehrte, ſelbſt ich bin ihr Zeuge! mit Treue gehalten!
Vater, ich bitte fuͤr ſie! Denn auch durch ſie bin ich herlich!
Jch verlaſſe die Erde nun bald, und kehre gen Himmel,
Vater,
[149]Neunzehnter Geſang.Vater, zu dir zuruͤk: ſie aber bleiben auf Erden;
Sehen noch lange die Muͤhe der Suͤnder, und fuͤhlen ihr Elend!
Laß ſie, heiliger Vater, der hohen Erkentniß getreu ſeyn,
Die ſie haben werden von dem, der jezo verſoͤnt iſt.
Laß ſie eins ſeyn, wie wir; ein Haus voll Bruͤder! Jch ſorgte
Selber fuͤr ſie, da ich noch gleich ihnen ein Menſch war. Jch wachte
Ueber ihrem unſterblichen Geiſt. Hier ſind ſie, mein Vater!
Keinen hab’ ich verloren! Nur hat der Sohn des Verderbens
Mich verlaſſen, und iſt den Propheten ein Zeuge geworden!
Jezo komm’ ich zu dir! Das ſag’ ich, da ich bey ihnen
Noch auf der Welt bin, daß ſie an meine Herlichkeit denken,
Und ſich freuen, wie ich mich freue. Sie haben die Worte
Deines Lebens gehoͤrt. Der Suͤnder hat ſie gehaſſet,
Wie er mich haßte. Nicht bitt’ ich, daß du der Erde ſie nehmeſt;
Schuͤze ſie nur vor ihrem Verfolger, dem Geiſt des Verderbens!..
Heilige ſie in deiner Wahrheit. Dein Wort iſt die Wahrheit!
Vater, ich ließ mein Leben fuͤr ſie, damit ſie, gereinigt
Von der Suͤnde, vor dir erſcheinen! Doch bitt’ ich, o Vater,
Nicht fuͤr die Juͤnger allein. Der neuen Schoͤpfungen Kinder
Werden einſt, wie aus dem Morgen der Thau, durch ihr Wort mir
geboren;
Auch fuͤr dieſe bitt’ ich, mein Vater, daß alle ſie eins ſeyn,
Wie wir eins ſind! und daß die ganze Erd’ es erkenne,
Daß du mich, Vater, ſandtſt! Jch habe das ewige Leben,
Meine Herlichkeit, denen gegeben, die du mir geſchenkt haſt,
Daß, wie wir, ſie eins ſeyn; Einem goͤttlichen Endzwek
Alle vollendet! und daß es die Suͤnder der Erde vernehmen:
K 3Jeſus
[150]Der Meſſias.Jeſus ſey vom Himmel geſandt! Gott liebe die Kinder
Selner Verſoͤnung, wie er den Erſtling der Soͤhne geliebt hat.
Vater, es ſolle meine Verſoͤnten zu mir ſich verſammeln,
Daß ſie ſeyn, wo ich bin, und meine Herlichkeit ſehen!
Jene, die du mir, Liebender, gabſt, eh Himmel entſtanden!
Dich verkennet die Welt, gerechter Vater; ich aber
Kenne dich! Den Erwaͤhlten enthuͤllt’ ich das ganze Geheimniß
Meiner Sendung, und deiner Gottheit; und will’s noch enthuͤllen,
Daß die Liebe, mit der du mich liebteſt, ihr Herz ergreife,
Und den unſterblichen Geiſt nur ſein Verſoͤner erfuͤlle.
Alſo betet der Mitler, in Stralen niedergeſunken,
Und er richtet ſich auf, und entweicht der Sterblichen Auge.
Wenn erhabner Tempelgeſang, von der Auferſtehung,
Oder vom ewigen Licht; Erfindung der Toͤne dem Liede
Gleich, und Stimme des Menſchen, und Hauch, und Saite zu Einem
Groſſen Zwecke vereint, mit Schoͤnheit beginnt; jezt ſteigend,
Sinkend jezt fortfaͤhrt mit Schoͤnheit; nun ſteigender immer,
Jnniger, ſanfter, erſchuͤtternder mit Urſchoͤnheit endet;
Wie es dann den Hoͤrenden iſt, ſo war es (Jch rede
Menſchlich von himliſchen Dingen,) den Juͤngern, als ſie den Herrn ſahn,
Als ſie ſtralen ihn ſahn, und beten den Goͤttlichen hoͤrten.
Und ſie machen endlich ſich auf, verlaſſen die Palmen
Galilaͤa’s, und kehren zuruͤck mit Wonne gen Salem.
Engel wallen mit ihnen hinauf, und vertieft in Gedanken,
Ueber den groſſen Beginn des Reiches Gottes, (ſie waren
Jezo nicht zu erſcheinen gekommen) vergeſſen die Engel,
Daß
[151]Neunzehnter Geſang.Daß die Juͤnger ſie ſehn; und kaum bemerken die Juͤnger,
Daß es Unſterbliche ſind, die ſie geleiten, ſo ſehr iſt
Jhre Seele verſenkt in die Gnade der lezten Erſcheinung.
Selber von denen, mit welchen er ſich der Erloͤſung freute,
Sonderte jezt ſich Johannes. Er wolt’ alleine mit Gott ſeyn!
Und geſunken in tiefe Stille der Seele, geſunken
Ueber des ewigen Heils Fortgang in ernſte Betrachtung,
Wallt’ er einher in der Zukunft Jrre. Voll inniger Demut
Wagt er, mit Tritte des Menſchen, die Wege Gottes; und fehlt ſie.
Doch mit Entzuͤckung umſchwebt ihn der gruͤbelnde Wahn, und giebt ihm
Ach der Freuden des Jrthums viele! nach jenem Rathe
Gottes von unſerem Gluͤk, das auf tauſendmal tauſend Stufen
Steiget; dem Rath fuͤr die denkenden Weſen alle, deß Umfang
Nie ein Endlicher maß, und der fuͤr die Ewigkeit zureicht.
Aber ſo licht der Schein auch war, der des Gluͤklichen Tiefſinn
Taͤuſchte; ſo fuͤhlt’ er doch oft, daß ein Leiter vom Himmel ihm fehlte.
Voll des ſuͤſſeſten Mitleids ſtand bey den Betenden Salem;
Und der Unſterbliche ſah, daß ein Schlummer von Gott auf den Juͤnger
Fiel. Bald hellte des Eingeſchlafenen Antliz der Engel
Laͤcheln. So fand den Erwachenden ſeine Genoſſin am Kreuze,
Und am Throne dereinſt vor des Bundes groſſem Vollender!
Und er rief ihr entgegen des Mitlers Mutter, und ſeiner,
Freudelaut entgegen: O Mutter Chriſtus, ich lernte
Weisheit, und kuͤnftiges Heil in dieſem Schlummer voll Wonne.
Ach es war ein Geſicht! Viel anders war, was ich ſahe,
Als ich mir, in dem Wahne von Gottes Enthuͤllung, es dachte.
K 4Denn
[152]Der Meſſias.Denn ich hatte gewagt hinauszugehn in die Fernen
Unſers Kuͤnftigen; hatte, was Gott thun wuͤrde, zu forſchen
Mich, der ein Suͤnder noch iſt, und ein Sterblicher, unterwunden!
Ach mich unterwunden, an jener Tiefe zu weilen,
Wo hinunter zu ſchaun umſonſt ſelbſt Engel es luͤſtet.
Siehe, wir waren mit herzlicher Einmut in unſerer Huͤtte
Neben dem Tempel verſammelt. Der kleinen Gemeine Geſpraͤch war
Frey, und keines Meinung beherſchte des Anderen Meinung.
Mutter des Herrn! wenn nur nicht die kuͤnftigen groſſen Gemeinen
Dieſen Pfad der Liebe verlaſſen, und rauhe der harten,
Bittern Herſchſucht waͤhlen!.. Wir ſahen wohl Licht; doch dammert’s
Auch im Lichte. Wir waren zu ſterben entſchloſſen; doch fehlt’ es
Uns an Mute zum ſpaͤteren Tode. Wir waren der eignen
Seligkeit viel zu begierig, um mit Verleugnung zu ſorgen
Fuͤr die Seligkeit Andrer. Wir wolten auf Erden nicht ſaͤumen,
Ach nicht ſaͤumen! ergriffen den Stab des Wanderers, hoften,
Duͤrſteten, bald bey Chriſtus zu ſeyn!.. Auf Einmal erhub ſich
Um die Huͤtt’ ein Brauſen, als eines gewaltigen Windes!
Siehe vom Himmel kam das erſchuͤtternde Brauſen, und fuͤllte
Ganz die Huͤtte, worinn wir ſaſſen. Wir ſahen uns an, ſahn
Flammen wehen auf unſeren Zungen. Noch maͤchtiger ward uns
Ausgegoſſen ins Herz Gefuͤhl, wie wir niemals empfanden!
Flammen, wie lernten wir ihn da lieben! durchſtroͤmten die Seele!
Und die Daͤmmerung ſonderte ſich von unſrer Erkenntniß
Lichte! Wir waren entſchloſſen zum ſpaͤteren Tod’, entſchloſſen
Graues Haar in Maͤrtyrerblut zu ſenken! Wir liebten
Eigne
[153]Neunzehnter Geſang.Eigne Seligkeit, aber ſie mit Verleugnung, mit heiſſer,
Jnniger Sorge fuͤr’s Heil der gottgewaͤhlten Gemeinen!
Duͤrſteten zwar, bey Chriſtus zu ſeyn; doch gerne, geboͤt’ es
Alſo der Wille des Herrn, nach vieler langſamer Jahre
Saͤumen erſt, erſt dann, wenn vor uns hinuͤber in Schaaren
Bruͤder waͤren gegangen, die wir erwecket, gelehret
Haͤtten, geſtaͤrkt, mit Labſal gelabt im Leben, und Tode!
Fertige Wandrer hinauf zu gehn zur Heimath im Himmel
Waren wir jezo nicht mehr; wir ſtanden geguͤrtet, erhoben
War der Wanderer Stab, umher auf der Erde zu wallen;
Dort mit Arbeit, und Schweiß, und vielen Thraͤnen, zu wachen
Ueber der Seligkeit derer, die unſre Sendung erkenten:
Aber uns auch, wo ſie des ewigen Lebens ſich unwerth
Hielten, zu wenden, und weichend den Staub von den Fuͤſſen zu ſchuͤtteln!
Alſo ſagte Johannes, und fuͤllte, durch die Erzaͤhlung
Seines Geſichts, der Mutter des Herrn mit Wonne die Seele.
Jezo wandte die Leyer mit ihren lichteſten Sternen
Gegen die lichteſten ſich des Altars. Dieß that’s in den Himmeln
Kund, daß der Mitler ſich nun zu der Rechte Gottes erhuͤbe!
Dunkles Gefuͤhl, und was er, bey ſeiner lezten Erſcheinung,
Nicht verbarg, weiſſagten ſchon lange den Juͤngern, es werde
Jeſus nun bald ſie verlaſſen! er hin zur Herlichkeit gehen;
Sie zur Feſſel und Schmach, die aber zur Herlichkeit fuͤhrten.
Dennoch weineten ſie. Lebbaͤus erwehrte ſich lange
Seiner Klagen; es woͤlkte ſich lang’ in des Leidenden Seele,
Eh es herunterſtroͤmte. Ja, bitter iſt doch vom Geliebten
K 5Jam-
[154]Der Meſſias.Jammervoll iſt die Scheidung, der keine Stunde geſezt ward
Ach zum Wiederſehen, iſt ſeelenerſchuͤtternd, durchdringet
Bis zu dem innerſten Mark und Gebein des bleibenden Leben,
Senket es, ſtuͤrzet es nieder; zu welcher Wonne der Freund auch
Komme: Denn ach weit weg in der Fern’ iſt des Wiederſehens
Stunde, gehuͤllt, verborgen in Nacht! Kein Engel erbarmt ſich,
Und verraͤth nur mit Einem leiſen Laut, wenn mit ihrer
Freude Schrecken ſie kommen werde! Kein Todter erbarmt ſich,
Und verraͤth, von fern nur in Daͤmrung erſcheinend, mit Einem
Laute, wenn kommen werde die theure, die heilige Stunde,
Wie kein Morgen ſie brachte, kein Tag beſtralte, kein Abend
Sie mit Schatten oder umgab mit Schimmer des Mondes.
Und ihr waret doch unſere Bruͤder, ihr Todten Gottes,
Kantet das Schikſal der Menſchen, und weintet unſere Thraͤnen!
Thomas hatte die Zwoͤlfe, und hatte die Siebzig verſammelt,
Nach Gethſemane ſie zu fuͤhren, und dort zu beſuchen
Jene Staͤte, wo Chriſtus am Abend der erſten Scheidung
Niedergeſunken zu tiefem Gebet vor dem Richter der Welt lag.
Thomas Gedanke war’s nicht; es war die Leitung des Mitlers,
Die ihn nach Gethſemane brachte. Auf Einmal wandelt
Jeſus unter ihnen. Er fuͤhrt die Zeugen; ſie folgen;
Gehen langſam voruͤber am Grabe der Bethanaitin,
Segnen die Schlummernde Gottes. Jzt wurden die Pfade des Oelbergs
Steiler, Salem fernte ſich, und die Gipfel des Berges
Ragten groͤſſer empor. Noch ſchweigt der Mitler; ſie aber
Reden mit Wehmut unter einander. Sie glauben an Jeſus
Was
[155]Neunzehnter Geſang.Was zu ſehen, das ihnen die nahe Scheidung verkuͤnde.
Schweres Herzens ſtanden ſie oft, und ſahen ſich oft um
Nach dem Todeshuͤgel, und nach dem geoͤfneten Grabe;
Laͤnger nach dieſem. Der Liebende war von dort zu den Seinen
Wiedergekommen! Mit dieſem Labſal erquikten die Juͤnger
Jhre Seelen. Die Gipfel des Oelbergs dekt’ ungeſehen
Voll Erwartung die ſelige Schaar, die ſich zu Begleitern
Seiner Auffahrt Chriſtus erkohr, erſtandne Gerechte,
Seelen auch, die Seraphim alle, die ihm auf der Erde
Dienten, von jener Nacht in Bethlehem an, bis zu dieſer
Lezten Verklaͤrung. Wie eine der aͤlteſten Cedern den Wipfel
Hebt auf Libanons Hoͤh, ſtand Gabriel unter der Heerſchaar:
Und ſie blikten hinab, und ſahen den Goͤttlichen wandeln,
Sahen die Juͤnger mit halbgeheitertem Kummer ihm folgen.
Leuchtender ſtralet’ Eloa, als ſonſt. Er war zu der Erde
Erſtem Huͤter erkohren, der fluchentlaſteten Erde
Erſtem Huͤter. Sie hatte Worte des Segens vernommen!
Stumm war auf ihr die Stimme des Fluches geworden, die Stimme
Angekuͤndet in Sturm, in Donner geſprochen! Sie hatte
Jeſus von Golgatha rufen gehoͤret: Es iſt vollendet!
Und mit Himmel umgab den gottgewaͤhlten Eloa
Dieſer groſſe Gedanke. Noch andre ſenkten ihn vorwaͤrts
Von Aeoon zu Aeoon in der Erde Schikſal, bis endlich
Jhm ein himliſcher Juͤngling der Auferſtehungspoſaunen
Eine braͤchte, daß er zum Gericht von den Cherubim wekte.
Jeſus war hinauf zu der lezten Hoͤhe des Oelbergs
Mit den Juͤngern gekommen. Gelindere Luͤfte des ſtillen
Wer-
[156]Der Meſſias.Werdenden Tages umſaͤuſelten ſanft, und kuͤhlten die armen
Gluͤcklichen, welche ſo ſchwer an der Sterblichkeit Buͤrde noch trugen.
Unter ihnen ſtand der Eingeborne des Vaters,
Schoͤn, und ſchrecklich zu ſchaun! ſo hatten noch niemals den Mitler
Seine Zeugen geſehen, noch nie auf der Erde die Engel!
Stand in einer Hoheit, die keine Saite, keine
Stimm’ ausdruͤkt des Menſchen, kein himmelnaher Gedanke.
Wo, von den aͤuſſerſten Sternen herab, der Erſchaffenen Auge
Reichte, ſo weit aus allen Welten der Schoͤpfung, von allen
Polen des ſchon unermeßlichen Kreiſes umher, am fernſten
Aus den Flammenſtroͤmen der Sonnen, waren die Geiſter
Alle, die Duft, die Feuer, die Heitre, die Staub, wie unſrer,
Umkleidet’, auf den, der vollendet hatte, gerichtet.
Gottes Erwaͤhlter, Eloa erblikte ſie alle, die Chriſtus
Sahn, den unendlichen Kreis umher, und ſank auf ſein Antliz
Vor dem Mitler Gottes, und warf die Krone der Stralen
Feyrend zur Erde nieder vor dem, der vollendet hatte!
Chriſtus ſtand auf der Hoͤhe des Berges; um ihn die Zeugen;
Ungeſehen um ihn die Auferſtandnen und Engel.
Und er breitete gegen die Juͤnger mit Liebe die Arm’ aus:
Weicht von Jeruſalem nicht! Harrt dort der Verheiſſung des Vaters,
Die ihr, als ich erſtand, von mir vernahmet. Johannes
Hat mit Waſſer getaufet; ihr aber ſollet getaufet
Werden mit dem heiligen Geiſte. Nur wenige Tage;
Und die Verheiſſung wird kommen!.. Der Juͤnger etliche fragten:
Richteſt
[157]Neunzehnter Geſang.Richteſt du wieder auf, o Meſſias, in dieſen Tagen
Jſraels Reich?.. Die Stunde, die ſeiner Macht der Vater
Vorbehalten, gebuͤhrt, ihr Sterblichen, euch nicht zu wiſſen!
Bey den Worten, er hielt nicht inne, blikt der Verſoͤner
Nach Bethania nieder. Verklaͤrt wird Lazarus, eilend
Fuͤhrt ihn ſein Engel herauf, daß er mit zur Herlichkeit gehe.
Aber ihr werdet die Kraft des heiligen Geiſtes empfahen,
Der vom Himmel auf euch herab wird kommen, und werdet
Meine Zeugen ſeyn in Jeruſalem, werdet’s in Juda,
Und in Sama ja ſeyn, und bis an das Ende der Erde!
Chriſtus nahte ſich mehr, erhub die Haͤnd’, und ſchaute
Auf die Zeugen mit inniger Huld: Gott ſegn’, und behuͤt’ euch!
Gott erleuchte ſein Angeſicht uͤber euch! ſey euch gnaͤdig
Gott erhebe ſein Antliz auf euch, und geb’ euch Friede!
Alſo ſegnete ſie der Verſoͤner. Himmel! und Erde!
Und ihr all’, ihr Erloͤſten Gottes! nun hatt’ es der Mitler
Alles, alles auf Erden vollendet!.. Eine Wolke
Kam herunter, und hob ihn empor gen Himmel. Die Zeugen
Sahen lang dem Gekreuzigten nach, dem Erſtandnen vom Tode!
Lange mit freudeweinendem Blick, mit erſchuͤtterter Seele,
Ach mit jenem Gefuͤhl, wie es uns wird werden, wenn Chriſtus
Wiederkehret als Richter der Welt in den Wolken des Himmels!
Und ſie ſahn ihn nicht mehr… Zween Maͤnner in weiſſem Gewande
Standen auf Einmal bey ihnen. Die waren Eloa, und Salem.
Und der Eine mit lichterem Haar, und dem goldenen Stabe
Jn
[158]Der Meſſias. Neunzehnter Geſang.Jn der Rechten, ſagte zu ihnen, die kaum in der ſuͤſſen
Wonne Betaͤubung ihn hoͤrten: Jhr Maͤnner von Galilaͤa,
Warum ſteht ihr, und ſchauet gen Himmel? Dieſer Jeſus,
Welcher von euch hinauf gen Himmel ſtieg, wird kommen,
Wie ihr ihn ſahet hinauf gen Himmel ſteigen. Sie ſagten’s,
Wendeten ſich, und wurden nicht mehr von den Juͤngern geſehen.
Aber die Juͤnger verlieſſen mit Dank, und Preiſe den Oelberg,
Eilten, und kamen hinab nach Jeruſalem; waren beyſammen
Jn dem Tempel, zu beten; zu beten, in ihrer Huͤtte
An dem Tempel beyſammen: und harrten, alſo geweihet,
Auf die Verheiſſung des Vaters, daß Kraft aus der Hoͤhe, zum Zeugniß
Von dem Verſoͤner, uͤber ſie kaͤme! daß uͤber ſie wuͤrde
Ausgegoſſen die Feuertaufe des heiligen Geiſtes!