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Gedichte


Beſorgt durch ſeine Freunde
Friederich Leopold Grafen zu Stolberg
und
Johann Heinrich Voſs.

Hamburg,: bei Carl Ernſt Bohn.
1783.
[[II]][[III]]

Höltys Leben.

Ludewig Heinrich Chriſtoph Hölty ward 1748 den
21 December zu Marienſee im Churfürſtenthum
Hannover geboren, wo ſein Vater Philipp Ernſt Hölty,
ein Sohn Heinrich Wullbrand Höltys, evangeliſchen
Bürgers zu Hildesheim, und Maria Margarethens, ge¬
bornen Hölty, ſeit 1742 Prediger war. Seine Mutter
hieſs Eliſabeth Juliana Göſſel, eine Tochter des Proku¬
rators Göſſel in Celle, mit welcher ſein Vater, nach
dem frühen Tode ſeiner erſten Frau Catharina Charlotta
von Barkhauſen, ſich 1748 im Februar vermählt hatte.
Sie ſtarb 1757, und ſein Vater heiratete im folgenden
Jahre die dritte Frau, Maria Dorothea Johanna Niemann,
welche ſeit dem Frühlinge 1775 Wittwe iſt. Von ſei¬
ner leiblichen Mutter leben noch zwei Töchter, und von
ſeiner Stiefmutter vier Söhne und drei Töchter.


Hölty war, nach dem Zeugniſſe der Wittwe, die
ihn von ſeiner zarteſten Jugend an gekannt hat, zur
Bewunderung ſchön, bis in ſein neuntes Jahr, da ihn
bös¬[IV] bösartige Blattern entſtellten. Schon frühe zeigte er eine
auſſerordentliche Munterkeit und Wiſsbegierde. Sobald
er ſchreiben konnte, ſchrieb er auf, was ihm aus Erzäh¬
lungen und Geſprächen merkwürdig ſchien. Er betrug
ſich liebreich und gefällig gegen jedweden; und die er
für rechtſchaffen hielt, vertheidigte er bei aller Gelegen¬
heit, wenn etwas zu ihrem Nachtheile geſagt wurde.
Auch war er allgemein beliebt, ſowohl wegen ſeiner
ſchönen Geſtalt, als wegen ſeiner drollichten Einfälle
und Anmerkungen.


In eben der Woche, da ſeine Mutter an der
Schwindſucht ſtarb, bekam er die bösartigſten Blattern.
Der Gram und die Krankheit brachten ihn auf lange
Zeit in Gefahr das Geſicht zu verlieren, und raubten
ihm ſeine natürliche Munterkeit. Als er nach zwei
Jahren den Gebrauch ſeiner Augen wieder erlangte, ver¬
doppelte er ſeinen Eifer und Fleiſs im Lernen. Sein
Vater, der in Sprachen und Wiſſenſchaften ſehr geübt,
auch der Dichtkunſt nicht abgeneigt, und ein Mitglied
der deutſchen Geſellſchaft in Göttingen war, unterwies
ihn, auſſer der deutſchen, in der lateiniſchen, franzöſi¬
ſchen, griechiſchen und hebräiſchen Sprache, in der
Geografie, Geſchichte, und was ſonſt auf Schulen ge¬
lehrt wird. Sein Fleiſs ging ſo weit, daſs er nicht
einmal ſein Frühſtück in Ruhe genoſs, daſs er ſich jedes¬
mal zum Mittags- und Abendeſſen rufen lieſs, und des
Nachts[V] Nachts heimlich bis drei Uhr aufblieb. Dies leztere
ward ihm von ſeinem Vater unterſagt; und die Mutter
gab ihm, wenn ſie um elf Uhr zu Bette gingen, nur
wenig Licht mit auf ſeine Schlafkammer. Allein wie
ſorgfältig man auch alles übrige Licht und die Lampen
im Hauſe verſchloſs; ſo wuſste er ſich doch, wie man
nachmals erfahren hat, des Tages mit Oel zu verſorgen,
und höhlte ſich Lampen von Rüben aus. Um auch
wieder früh zu erwachen, und in den Büchern, die er
von allen Enden her zuſammenſchleppte, leſen zu kön¬
nen, band er ſich um den Arm einen Bindfaden, wor¬
an ein Stein befeſtigt war; dieſen legte er auf einen
Stuhl vors Bette, damit, wenn er ſich gegen Morgen
umwendete, der Stein herabfallen, und ihn durch den
Ruck am Arm aufwecken möchte.


Bei dieſem Fleiſſe ward er weder mürriſch, noch
ſtolz, noch ein Bücherwurm, der, Luft und Sonne
ſcheuend, nur in ſeinen dumpfigen Schwarten lebt.
Heiter, ſanft, gefällig und zärtlich, war er die Freude
ſeiner Familie, ehe er noch ihr Stolz ward. Dieſer
ſanfte häusliche Umgang, die heitere Stille des Land¬
lebens, und ſein lebendiges Gefühl für jeden Reiz der
Natur, ſicherten ihn gegen die Erſtarrung der Leſeſucht.
Eigener Geiſt, eigene rege Empfindung, ſtrebte in ſeiner
Seele empor, und zog Nahrung aus Büchern, wie eine
Blume aus eben dem Boden, der ringsumher nur Gras
her¬[VI] hervorbringt, ihre ſchimmernden Farben und ihren Bal¬
ſam zieht.


Auſſer den Schulſtunden ging er gern in ein düſteres
Gehölz, mit Büchern in der Taſche, las für ſich mit
lauter und heftiger Stimme, welches noch in Göttingen
ſeine Gewohnheit bei guten Schriften war, und be¬
trachtete die Schönheiten der Natur. Auch ſein Hang
zum Schauerlichen zeigte ſich früh. Er beſuchte zu jeder
Zeit ohne Furcht den Kirchhof und andre verdächtige
Oerter, und machte ſelbſt Erwachſenen das Grauen
lächerlich; er verkleidete ſich als ein Geſpenſt, und
wankte, bloſs zu ſeinem Vergnügen, ohne die Abſicht
zu ſchrecken, des Abends einſam auf den Gräbern um¬
her. In ſeinem elften Jahre fing er an, Verſe auf den
Tod eines kleinen Hundes, auf das Abc, und was ſonſt
ihm vorkam, zu machen: womit er aber, wie mit ſei¬
nen übrigen Arbeiten und geiſtlichen Reden, die er vor
ſeinen Geſchwiſtern und Kameraden vom Schemel hielt,
gegen ſeinen Vater ſehr geheim war. Selbſt in der
Kirche fielen ihm Reime ein; und wenn er kein Papier
bei ſich hatte, ſo ſchrieb er ſie an die Wand. Sein
erſtes Gedicht, die Grabſchrift ſeines Lieblingshundes,
lautet alſo:


Alhier auf dieſer Stätte

Liegt begraben Nette.

Zu Horſt iſt er geboren,

Zu Marienſee geſtorben,

Dies Grab hat er erworben.
Die[VII]

Die Leidenſchaft ſeinen Geiſt zu beſchäftigen machte
ihn gegen des Körpers Pflege etwas gleichgültig. Sein
nachläſſiger Anzug ward ihm oft von ſeinen Eltern ver¬
wieſen. Er hörte ihre Ermahnung mit freundlichem
Lächeln an, bemühte ſich den Fehler auf einige Zeit
wieder gut zu machen, und erſchmeichelte ſich durch
alle möglichen Dienſte Vergebung und Nachſicht. Noch
in Göttingen koſtete es nicht wenig Ueberredung, wenn
er ſeinen beſtäubten Flauſsrock ablegen, und in dem
braunen Feierkleide mit vergoldeten Knöpfen erſcheinen
ſollte. Doch war er einmal ſo ſehr im Schuſs, daſs er
ſchon ziemlich ernſthaft von den Vorzügen eines Treſſen¬
hutes, der länger gegenhielte, zu reden anfing.


Als Hölty ſechzehn Jahre alt war, wuſste er mehr,
als die meiſten Jünglinge, welche, ein gelehrtes Hand¬
werk zu lernen, die Akademie beziehn. Gleichwohl
ſchickte ſein Vater, überzeugt, daſs ohne die innigſte
Vertraulichkeit mit den Alten keine wahre Gelehrſam¬
keit ſtatt finde, und um ſeinem Sohne für die Akademie
mehr Weltkenntniſs und feinere Sitten zu verſchaffen,
ihn 1765 um Michaelis auf die öffentliche Schule in
Celle, wo ſein Oheim, der Kanzleirath Göſſel,
wohnte. Hier blieb er drei Jahre, und erwarb ſich
die Liebe und Achtung ſeiner Lehrer ſowohl, als aller,
welche ihn kannten. Michaelis 1768 ging er zu ſei¬
nem Vater zurück, und Oſtern 1769 nach Göttingen,
um[VIII] um Theologie zu ſtudiren. Sein Vater beſtimmte ihm
die gewöhnliche Zeit von drei Jahren, und verſorgte
ihn hinlänglich. Auch vergaſs Hölty ſeine Beſtimmung
nicht, ſondern lernte mit groſſer Gewiſſenhaftigkeit
alles, was einem künftigen Prediger nöthig iſt. Indeſs
blieb einem Geiſte, wie der ſeinige war, noch Zeit
genug, ſich mit Leſung der Alten und Neuen, (er las nun
auch Italieniſch,) und mit eigenen Arbeiten zu beſchäf¬
tigen.


Im dritten Jahre ward er mit Bürger und Miller,
und von Oſtern 1772 an allmählich mit mir, Boie, Hahn,
Leiſewiz, Cramer und den Grafen Stolberg bekannt.
Er bat ſeinen Vater, ihn noch in Göttingen zu laſſen;
und ihm ward vorerſt noch ein halbes Jahr bewilligt.
Aber Hölty ruhte nicht, bis er ein Stipendium, welches
von zwei Damen abhing, imgleichen einen Freitiſch,
(wofern nicht etwa jenes Stipendium im Freitiſche be¬
ſtand,) und eine Stelle im philologiſchen Seminarium er¬
hielt. Er meldete dieſes ſeinem Vater, und erbot ſich,
was ihm vielleicht noch fehlen möchte, durch Unter¬
richt zu verdienen. Sein gütiger Vater war mit allem
zufrieden.


Wer Hölty zum erſtenmal ſah, hielt ihn nicht leicht
für das, was er war. Stark von Wuchs, niederge¬
bückt, unbehülflich, von trägem Gange, blaſs wie der
Tod,[IX] Tod, ſtumm und unbekümmert um ſeine Geſellſchaft,
hatte er ſo ſehr die Miene der Einfalt, daſs ein Engel¬
länder, der nicht eben beſonders mit Verſtande geſegnet
war, ihn deshalb vorzüglich lieb gewann, weil er ihn
für ein ſchickliches Ziel ſeines unſchuldigen Wizes hielt.
Nur in ſeinen hellblauen Augen ſchimmerte ein treuher¬
ziges, mit etwas Schalkhaftigkeit vermiſchtes Lächeln,
welches ſich, wenn er mit Wohlgefallen las, durch
eine ſchöne Gegend hin, oder rücklings unter einem
blühenden Baume lag, über ſein ganzes Geſicht ver¬
breitete. Dieſes behagliche Staunen dauerte einige Zeit,
und dann pflegte er manchmal mit voller Herzlichkeit
auszurufen: Das iſt herlich! Aber gewöhnlicher ver¬
ſchloſs er ſeine Empfindungen in ſich ſelbſt; und wenn
er ſie mittheilte, ſo geſchah es faſt immer auf eine be¬
ſondre Art. Er war mit einigen Freunden bei Hahn,
als die Nachricht kam, daſs Klopſtock durch Göttingen
reiſen würde. Er hatte ſich bisher ganz ruhig, mit dem
Butterbrot in der Hand, auf dem Stuhle gewiegt; mit
einmal ſtand er auf, und bewegte ſich langſam und ſtol¬
pernd auf der linken Ferſe herum. Was machſt du da,
Hölty? fragte ihn einer. Ich freue mich! antwortete er
lächelnd. Bei kleinen vertraulichen Schmäuſen, ſonder¬
lich wo Rheinwein blinkte, war er ſehr fröhlich. Er
lagerte ſich auf Roſenblätter, ſalbte wie Anakreon
ſeinen Bart mit Balſam, und machte ſo gewaltige An¬
ſtalten zum Trinken, als ob aus dem Schluſſe ſeines
Rhein¬[X] Rheinweinliedes Ernſt werden ſollte. Aber dabei
blieb es denn auch. Dieſe Anmerkung iſt vielleicht
nicht überflüſſig, da ein rechtſchaffener Geiſtlicher den
Scherz jenes Liedes misverſtanden hat, und der ſcherz¬
hafte Horaz faſt von allen ſeinen Erklärern mehr oder
weniger misverſtanden wird. Wenn uns Fremde be¬
ſuchten, die er achtete, ſo lieſs er gern ſeine Gedichte
vorleſen. Dann ſtellte er ſich nahe vor den Gaſt, ſah
ihm freundlich ins Geſicht, und nahm ſein Lob ſo hin,
als wenns ihm gebührte. Nur zweimal habe ich ihn
weinen geſehn. Er ſagte mir einſt, wie von ungefähr,
daſs er des Morgens Blut aushuſtete. Ich erſchrak, und
trieb ihn, einen Arzt zu befragen. Er lieſs das gut ſein.
Ich und die übrigen Freunde, die noch in Göttingen
waren, wurden dringender; aber Hölty hatte ſeinen
Scherz mit uns. Endlich führte ich ihn mit Gewalt
zu Richter. Der Arzt erkundigte ſich, und tröſtete
ihn zwar, aber ſo, daſs ihn Hölty verſtand. Als wir
zurückgingen, weinte er bitterlich. Daſs zweitemal war,
als er den Tod ſeines Vaters erfuhr. Er kam mit ver¬
ſtörtem Geſicht auf meine Stube; denn wir aſſen zu¬
ſammen. Wie gehts, Hölty? Recht gut, antwortete
er lächelnd; aber mein Vater iſt todt. Und Thränen
ſtürzten ihm von den bleichen Wangen.


Bei Unbekannten ſprach er wenig oder nichts; und
ſelbſt unter ſeinen Freunden, wenn die Geſellſchaft nur
etwas[XI] etwas zahlreich war, muſste das Geſpräch ſehr anzie¬
hend, oder gradezu an ihn gerichtet ſein, eh er ſich
darein miſchte. Dann ſprach er oft lebhaft, ſchnell und
mit erhöhter Stimme, und ſein Geſicht ward weniger
blaſs. Manchmal, wenn er lange wie mit abweſender
Seele geſeſſen hatte, unterbrach er das Geſpräch durch
einen drollichten Einfall, der deſto mehr Lachen erregte,
da er ihn mit ganz trockener Stimme und ehrbarem Ge¬
ſicht vorbrachte. Es geſchah häufig, wenn er mit ſei¬
nen [Freunden] auf der Gaſſe ging, daſs ihn jemand an¬
hielt, und zum Kaffe nöthigte. Hölty fragte nach der
Wohnung, und war plözlich verſchwunden. Aber
bald kam er wieder daher gewankt, ohne ſich merken
zu laſſen, daſs er weggeweſen war. Er ging nur hin,
machte dem Wirt einen Bückling, trank, ohne ein
Wort zu ſprechen, was ihm eingeſchenkt wurde, und
ging wieder weg. So hatte er ſelbſt Leiſewiz ſchon
oft beſucht, bis ſie endlich zu einer Unterredung
kamen.


Mit dieſem Scheine von Gleichgültigkeit verband er
eine brennende Neugier. Man konnte ihn, wie Sokra¬
tes ſcherzend von ſich ſagte, mit einer verſprochenen
Neuigkeit, wie ein Kalb mit vorgehaltenem Graſe,
locken wohin man wollte. Er wuſste zuerſt, was die
Meſſe gutes und böſes gebracht hatte, und durchblätterte
hohe Stapel aus dem Buchladen; ihm entging keine Re¬
zenſion,[XII] zenſion, worin ſeiner ſelbſt, oder eines Bekannten, in
Ehren oder Unehren gedacht wurde: wiewohl ihm Lob
und Tadel, weil beides ſchon dazumal meiſt von Un¬
mündigen und Beſoldeten ertheilet ward, beinahe gleich¬
viel Freude machte. Ganze Tage, und oft den gröſsten
Theil der Nacht, ſaſs er, ſich ſelbſt und die ganze Welt
vergeſſend, über dicke Folianten und Quartanten hin¬
gebückt, mit ſo unermüdeter Geduld, daſs er ſie in we¬
nigen Wochen durchlas. Eigentlich naſchte ſein Geiſt
mehr in den meiſten Büchern, als daſs er ſie zweck¬
mäſſig gewählt, und Vorrath für künftige Bedürfniſſe
eingeſammelt hätte. Mit eben dem eiſernen Fleiſſe
durcharbeitete er ſchlechte Oden der Engelländer und
Italiener, und hatte ſeine herzliche Freude darüber, daſs
ſie ſo ſchlecht waren. Gute Gedichte ſchrieb er ganz
oder ſtellenweiſe ab; auch haben wir unter ſeinen Pa¬
pieren Ueberſezungen aus Taſſo und Arioſt, und kleiner
griechiſcher Gedichte gefunden, die aber nicht für den
Druck beſtimmt ſind. Da er in den lezten Jahren auch
die ſpaniſche Sprache lernte, ſo hatte ſeine Wiſsbegierde
ein groſſes Feld vor ſich, und ſammelte jede Frucht der
Erkenntniſs, und jede Blume des Vergnügens, welche
ſie reizte, unverpflanzt und unverkümmert auf ihrem
heimiſchen Boden.


Nie ſah man ihn mürriſch oder zerſtreut, wenn er,
vom Leſen erhizt, überfallen ward; er klappte ruhig
ſein[XIII] ſein Buch zu, und war mit ganzer Seele Freund. Eine
ſeiner liebſten Unterhaltungen war, bouts rimés, oder
gemeinſchaftliche Parodien, Nachahmungen des damals
herſchenden Bardengebrülls, und andre dergleichen
Schnurren zu machen, wie die petrarkiſche Bettlerode
im Wandsbecker Boten von 1774, und der Geſang des
Barden Hölegaſt im 76ger Muſenalmanach. Wenn nun
ein ſolches Ding unter vielem Lachen zuſammengeflickt
war, ſo mochte es regnen oder ſchneien, Hölty muſste
noch denſelbigen Abend zu den übrigen, und ihnen die
Freude mittheilen. Manchmal übernahm er auch wohl
ein Gelegenheitsgedicht, und ich half ihm dabei. Wir
lieſſen Rheinwein holen, verabredeten Plan, Ton,
Versart, Reime und Gleichniſſe; und dann ging es
Schlag auf Schlag auf das Wohlſein des künftigen Ehe¬
paars. Einmal waren die vorgeſchriebenen Reime:
Abend, labend, Herbſt, verfärbſt; natürlich ward in
der Ausarbeitung die Braut mit einem labenden Früh¬
lingsabend, und mit dem fruchtreichen Herbſte ver¬
glichen, und verfärbte ſich darüber. Das Stück ward
abgeſchickt und vergeſſen. Nach einigen Tagen kam
Hölty zu mir, und konnte vor Lachen kaum heraus¬
bringen, welch ein Unſtern über unſere Arbeit gewaltet
hätte. Der ungenannte Verehrer des jungen Brautpaars
hieſs Herbſt, und verlangte das Gleichniſs weg, oder
ein anderes Karmen.


Dienſt¬[XIV]

Dienſtfertiger und gefälliger kann man nicht ſein,
als Hölty war. Er ſchlug keine Bitte ab, wenn man
ſie gleich unwiſſend auf Koſten ſeiner Ruhe that. Keine
unſerer Zuſammenkünfte, keinen Spaziergang ins Feld,
lehnte er auch nur durch eine bedenkliche Mine ab;
und oft erfuhren wir nachher, daſs er nothwendige
Geſchäfte zurückgeſezt, und die Nacht durch gearbeitet
hatte. Er hätte, wie Miller ſagt, Folianten für ſeine
Freunde excerpirt. Miller lernte von ihm Engliſch,
Hahn Griechiſch, und ich Engliſch und Italieniſch.


Im Herbſte 1773 fing er an, Fremde für Geld zu
unterrichten, und im folgenden Sommer aus dem Eng¬
liſchen zu überſezen, wobei ich anfangs ſein Gehülfe war.
“Um meinem Vater, ſchrieb er im April 1774, eine
Erleichterung zu verſchaffen, fiel ich darauf, mir durch
Unterricht im Griechiſchen und Engliſchen etwas zu
verdienen. Ich gab täglich fünf Stunden. Aber nicht
einmal von der Hälfte bin ich bezahlt; die andern ſind
weggereiſt, oder machen keine Miene zu bezahlen. Ich
bin in Schulden gerathen, und muſs wieder zu meinem
Vater meine Zuflucht nehmen.„ Sein Auszug aus dem
Kenner verdiente mehr geleſen zu werden, als ers unter
einem Volke kann, welches von jeder Meſſe einen ſo
unſeligen Ueberfluſs geiſtloſer Sudeleien verſchlingt, und
ſeine guten Schriften nicht kennt. Dieſem folgten
Hurds Dialogen, und der erſte Theil von Shaftsbury.
Mil¬[XV] Miller irrt, daſs ich die folgenden Theile überſezt habe;
ich habe nur am Anfange des erſten Theiles meine
Kräfte verſucht.


Ich ſeze aus jenem Briefe noch einige Stellen her,
die unſern Freund lebhafter darſtellen, als es eine todte
Beſchreibung vermag. „Noch bin ich hier. Wer weiſs,
wie lange die Trennung dauren wird, wenn ich einmal
von meinen Freunden getrennt bin. Ich will ſo lange
bei ihnen bleiben, als es mir nur immer möglich iſt.
Meine Hauptbeſchäftigung ſoll die Leſung der Griechen
und die Poeſie ſein. Welch ein ſüſſer Gedanke iſt die
Unſterblichkeit! Wer duldete nicht mit Freuden alle
Mühſeligkeiten des Lebens, wenn ſie der Lohn iſt! Es
iſt eine Entzückung, welcher nichts gleicht, auf eine
Reihe künftiger Menſchen hinauszublicken, welche uns
lieben, ſich in unſere Tage zurückwünſchen, von uns
zur Tugend entflammt werden ... Einige Jahre möchte
ich in einer groſſen Stadt zubringen, und in allerlei Ge¬
ſellſchaften kommen, um die Menſchen ſorgfältig zu
ſtudiren. Ich fühle, daſs mir dieſes nothwendig iſt,
wenn ich in der Dichtkunſt mein Glück machen will.
Ich habe meine Jahre unter Büchern zugebracht ...
Wenn ich keine Geſchwiſter hätte, die nach meines
Vaters Tode meiner Unterſtüzung bedürfen, ſo wollte
ich mich ganz und gar um kein Amt bekümmern, ſon¬
dern mich vom Ueberſezen nähren, und bald in der
Stadt[XVI] Stadt, bald auf dem Lande leben. In der Stadt wollte
ich Menſchenkenntniſs ſammeln, auf dem Lande Ge¬
dichte machen. Mein Hang zum Landleben iſt ſo groſs,
daſs ich es ſchwerlich übers Herz bringen würde, alle
meine Tage in der Stadt zu verleben. Wenn ich an
das Land denke, ſo klopft mir das Herz. Eine Hütte,
ein Wald daran, eine Wieſe mit einer Silberquelle, und
ein Weib in meine Hütte, iſt alles, was ich auf dieſem
Erdboden wünſche. Freunde brauche ich nicht mehr
zu wünſchen, dieſe habe ich ſchon. Ihre Freundſchaft
wird meine trüben Stunden aufheitern, meine frohen
noch froher machen. Ich werde ihre Briefe und Werke
an meiner Quelle, in meinem Walde leſen, und mich
der ſeligen Tage erinnern, da ich ihres Umgangs ge¬
noſs ... Ich ſoll mehr Balladen machen? Vielleicht
mache ich einige, es werden aber ſehr wenige ſein.
Mir kommt ein Balladenſänger wie ein Harlekin, oder
ein Menſch mit einem Raritätenkaſten vor. Den gröſs¬
ten Hang habe ich zur ländlichen Poeſie, und zur ſüſſen
melancholiſchen Schmärmerei in Gedichten. An dieſen
nimt mein Herz den meiſten Antheil. Ich will alle
meine Kräfte aufbieten. Ich will kein Dichter ſein,
wenn ich kein groſſer Dichter werden kann. Wenn
ich nichts hervorbringen kann, was die Unſterblichkeit
an der Stirne trägt, was mit den Werken meiner Freun¬
de in gleichem Paare geht, ſo ſoll keine Silbe von mir
gedruckt werden. Ein mittelmäſſiger Dichter iſt ein
Unding!„


Aus[XVII]

Aus einem andern Briefe vom 13 December 1773.
“Eben komme ich aus der Verſammlung unſerer Freunde.
Ich danke dem Himmel, daſs er uns zuſammengeführt
hat, und werde ihm danken, ſo lange Odem in mir
iſt. Heilige Freundſchaft, wie ſehr haſt du mich be¬
ſeligt! Ich kannte keinen, konnte keinem mein Herz
ausſchütten; du führteſt mir edle Seelen zu, die mir ſo
viele ſüſſe Stunden gemacht haben, und mir auch künf¬
tig alle Bitterkeiten des Lebens verſüſſen werden ...
Laura iſt in der Stadt geboren und erzogen. Sie iſt die
ſchönſte Perſon, die ich geſehn habe; ich habe mir kein
Ideal liebenswürdiger bilden können; hat eine majeſtä¬
tiſche Länge, und den vortrefflichſten Wuchs, ein oval¬
rundes Geſicht, blonde Haare, groſſe blaue Augen, ein
blühendes Kolorit, und Grazie und Anmut in allen ihren
Mienen und Stellungen. Nie habe ich ein Frauenzimmer
mit mehr Anſtand tanzen ſehn; und das Herz hat mir
vor Wonne gezittert, wenn ich ſie ein deutſches oder
welſches (ſie verſteht Italieniſch und Franzöſiſch) Lied
ſingen hörte. Sie fand ein groſſes Vergnügen an Kleiſts
und Geſsners Schriften; ob ſie Klopſtock lieſt, weiſs
ich nicht. Als ich ſie kennen lernte, war ſie bei ihrer
Schweſter, die in meinem Geburtsorte verheiratet war,
und im December 1768 ſtarb. Es war ein ſchöner Mai¬
abend, die Nachtigallen begannen zu ſchlagen, und die
Abenddämmerung anzubrechen. Sie ging durch einen
Gang blühender Apfelbäume, und war in die Farbe der
Un¬[XVIII] Unſchuld gekleidet. Rothe Bänder ſpielten an ihrem
ſchönen Buſen, und oft zitterte ein Abendſonnenblick
durch die Blüten, und röthete ihr weiſſes Gewand und
ihren ſchönen Buſen. Was Wunder, daſs ſo viele Reize
einen tiefen Eindruck auf mich machten, den keine Ent¬
fernung auslöſchen konnte. Einen Bogen würde ich
anfüllen müſſen, wenn ich alle verliebten Fantaſien und
Thorheiten erzählen wollte, worauf ich verfiel. Nach
einem Jahre kehrte ſie wieder in die Stadt zurück. Man
kann in einem Jahre manchen Göttertraum haben, man¬
ches Liebesgedicht machen. An beiden fehlte es nicht.
... Zweimal habe ich ſie nach ihrer Verheiratung ge¬
ſehn ... Als ich meine Eltern im vorigen Herbſte
beſuchte, hörte ich, daſs ſie krank ſei, und daſs man
ihr kein langes Leben zutrauete ... Es iſt Sünde, ſie
ferner zu lieben. Meine Liebe iſt auch ſo ziemlich ver¬
loſchen; nur eine ſüſſe Erinnerung, und ein ſüſſes Herz¬
klopfen, wenn mir ihr Bild vor Augen kommt, ſind
davon übrig. Doch habe ich oft noch den brennend¬
ſten Wunſch, ſie einmal wiederzuſehn. Ob ſie Gegen¬
liebe für mich gehabt hat? Ich habe ihr niemals meine
Liebe merken laſſen, noch merken laſſen können. Wie
konnte ein Jüngling, der noch auf keiner Univerſität
geweſen war, um deſſen Kinn noch zweideutige
Wolle hing, Liebeserklärungen thun, und auf Gegen¬
liebe Rechnung machen? Genug von Herzensangele¬
genheiten. Ich ſchäme mich fürwahr, dieſen Brief ge¬
ſchrie¬[XIX] ſchrieben zu haben; doch es ſei, litterae non erube¬
ſeunt
.„


Michaelis 1774 begleitete er Miller nach Leipzig.
Folgendes aus ſeiner Reiſebeſchreibung. „Von Nord¬
heim bis Roſsla, wo ein Graf Stolberg wohnt, fuhren
wir auf offenem Wagen, und hatten einen heitern ge¬
ſtirnten Himmel über uns. Zu Roſsla wurden wir in
die ſogenannte gelbe Kutſche gepackt. Dies iſt eine
mit gelbem Tuche behangene Landkutſche, worin acht
Reiſende ſizen können, zwei vorn, zwei hinten, und
vier auf den beiden Seiten. Ich wählte mir der Aus¬
ſicht wegen eine von den Seitenlogen, und kuckte wie
aus einem Fenſter in die ſchöne groſſe Welt hinaus.
Wir kamen durch Eisleben, wo Luther geboren iſt,
konnten aber, weil es Mitternacht war, weder die
Stadt noch Luthers Geburtshaus beſehn. Hier bekamen
wir an einem Officier einen luſtigen Reiſegefährten.
Wir aſsen zu Mittage mit ihm in Merſeburg, und tran¬
ken gewaltig viel Merſeburger. Klopſtock nennt
es den König unter den Bieren. Es iſt das wahre Ein¬
herium Ol. Ich glaube ſteif und feſt, daſs Wodan mit
ſeinen Leuten in Walhalla Merſeburger trinkt. Wir
tranken des Götterſafts ſo viel, daſs unſre Geſichter ſo
feuerroth wurden, als Uzens, da er zur Gottheit aufflog.
Zwiſchen Merſeburg und Leipzig tranken wir Kaffe
in einer Schenke, vor deren Thüre ein Faeton mit zwei
lieb¬[XX] lieblichen Mädchen hielt. Die eine war vorzüglich
ſchön, und gefiel mir höchlich. Ich ſtellte mich dicht
an die Thüre, als ſie abſtieg und wieder einſtieg, und
verſchlang ihre Reize. Sie kam einmal ſo nahe bei mir
vorbei, daſs mich ihr ſchöner Arm ein wenig berührte.
Betrübt ſah ich ſie wegfahren. Ich freute mich, daſs
mein Herz noch fühlen konnte. Welch ein Himmel
iſt die Liebe! Der iſt ein Engel, der in dieſem Himmel
wohnen kann, der ein Verdammter, der nie einen Plaz
darin bekommt. Troz meiner ſtrupfichten Locken hätte
ſie mich vielleicht angelächelt, wenn ſie gewuſst hätte,
daſs der berühmte Traumbilderdichter vor ihr ſtünde.“


Spät im Herbſte 1774 fing er an, des Morgens Blut
auszuwerfen, welches er für die unſchädliche Folge
eines im erſten akademiſchen Jahre gehabten hartnäcki¬
gen Huſtens, und lange zurückgebliebenen Stiches hielt.
Im Anfange des Mais 1775, wenige Wochen nach dem
Tode ſeines Vaters, ging er von Göttingen über Han¬
nover nach Marienſee zurück, wo er ſeine Kur unter
Zimmermanns Anleitung fortſezte. Den 8 Mai ſchrieb
er mir: „Vielleicht, hat Zimmermann Leiſewizen ge¬
ſagt, könnte ich noch von der Schwindſucht gerettet
werden, wenn ich die verordneten Arzeneien gebrauch¬
te, und die vorgeſchriebene Diät befolgte. Du ſiehſt alſo,
wie gefährlich meine Krankheit iſt, und auf welch ei¬
nem ſchmalen Scheidewege zwiſchen Leben und Tod
ich[XXI] ich wandle. So wenig ich mich auch vor dem Tode
fürchte, ſo gern lebte ich doch noch ein paar Olimpia¬
den, um mit euch Freunden mich des Lebens zu freun,
und um nicht unerhöht mit der groſſen Flut hinunterzu¬
flieſſen. Doch Gottes Wille geſchehe! Sonſt lebe ich
hier ganz angenehm. Marienfee hat eine dichtriſche
angenehme Lage. Ringsum ſind Gehölze und Kornfel¬
der und Wieſen. Aber was hilft mir die ſchöne Ge¬
gend, da ich ſie mit keinem Freunde durchirren kann!
Ich verſichere dich, ich bin herzlich traurig, wenn ich
an die Verſammlungstage 1) in Göttingen denke, und
mich nach Freunden umſehe, und keinen finde. Bis
Michaelis muſs ich hier bleiben. Da iſt keine Errettung.
Ich muſs nun erſt die Kur brauchen, und meiner Geſund¬
heit warten. Es wird ein Glück ſein, wenn ich ſo
viel Geld zuſammenſcharre, daſs ich Michaelis nach
Wandsbeck ziehen kann.2) Vielleicht beſuche ich
dich[XXII] dich gegen Ende des Mais auf einige Tage. Ich habe
ein ſehnliches Verlangen, etwas von dir zu hören. Es
wäre Sünde, wenn du mich lange in meiner Einſiedelei
lieſſeſt, ohne an mich zu ſchreiben. Schreib doch an
mich, Voſs; ſchreib doch an mich, Miller, wenn du
noch da biſt. Sind die Barden in Hamburg auch verru¬
fen? 3)Haſt du hübſche Traumbilder geſehn? Die
Hamburger wallfahrten wohl ſchon ſtark nach Sankt
Wandsbeck! O ihr müſst goldne Tage haben! Bald
hoffe ich dich zu ſehn.„


Im Herbſte 1775 ging er nach Hannover, um dort
unter Zimmermanns Aufſicht eine kleine Nachkur, wie
er mir ſchrieb, zu brauchen, und dann nach Wands¬
beck zu kommen. Seine Hoffnung ſtieg und ſank; aber
er blieb heiter, und ſcherzte über ſich ſelbſt. “Es ſind
hier[XXIII] hier magre unpoetiſche Zeiten: ſchrieb er mit den Ge¬
dichten, die er zum 77ger Almanach einſendete: ſo
mager, wie die magern Kühe des Farao, oder wie ich
jezt ſelber bin. Die Vormittagsſtunden muſs ich dem
Ueberſezen aufopfern; nach Tiſche kriege ich immer
Kopfweh und Hize im Geſicht, und bin bis gegen fünf
Uhr zu nichts aufgelegt. Bald bin ich mit meiner Arbeit
fertig, und kann einige Wochen in aller Ruhe bei dir
bleiben. Ich bin ungemein begierig, dich einmal wie¬
derzuſehn. Der hieſige Aufenthalt iſt mir höchſt unan¬
genehm; ich muſs an einen andern Ort, oder ich ver¬
ſchimmele. Schreib mir bald. Ich ſchreibe dir künftig
gewiſs oft. „Armer Freund, es war dein lezter Brief
an mich. Er ſtarb zu Hannover den 1 September 1776.


Dies war das Leben des Jünglings, deſſen Geiſt unter
der Laſt eines ſiechen Körpers ſo aufſtrebte, daſs er in
jeder gewählten Gattung der Poeſie unter den erſten
Dichtern glänzt; der mit jedem neuen Verſuche höher
zur Vollkommenheit ſtieg, und ſelbſt ſein Vollkommen¬
ſtes nur als Vorübung zu Werken des Mannes betrach¬
tete. Er ſtellte nicht mit kalter Ueberlegung Gedanken
und Bilder zuſammen, worüber man ſich eins gewor¬
den iſt, ſie ſchön zu finden; voll warmer allumfaſſen¬
der Liebe blickte er in der Natur umher, und ſang,
was ſein Herz empfand. Ich habe aus ſeinem Leben
ſolche Züge gewählt, die mir die Art ſeiner Anſchau¬
ung[XXIV] ung und Empfindung zu erläutern ſchienen: wohlwiſ¬
ſend, daſs manche davon den ehrbaren und weltklugen
Leſer nicht ganz befriedigen werden. Vielleicht hat
mich die ſüſſe Erinnerung jener Zeit, da uns die Freund¬
ſchaft, unter harmloſen Freuden der Jugend, zu ſeelen¬
erhebenden Zwecken verband, etwas ſchwazhafter ge¬
macht, als eben nöthig war. Aber wem Hölty ſo,
wie wir ihn kannten, nicht gefällt, der genieſſe ſeiner
Erhabenheit, und überſehe es groſsmüthig, daſs er mir
und meinen Freunden gefallen hat.


Von Höltys Frömmigkeit zu reden, ſchien mir un¬
nöthig. Seine Gedichte beweiſen es, daſs er, wie jeder
gute Menſch, die Religion ehrte. Was unſer Freund
Miller, gewiſs mit feſter Ueberzeugung und redlicher
Abſicht, von Höltys Widerwillen gegen Neuerungen,
die doch nicht alle übel gemeint ſein können, erzählt,
habe ich wenigſtens in dem lezten Jahre zu Göttingen,
da ich ſein ganzes Zutrauen beſaſs, nicht wahrgenommen.
Theils falſch, theils Misdeutungen ausgeſezt, iſt Millers
Vorſtellung von Höltys Glücksumſtänden. Aus Edelmut,
und weil er ſich leicht behelfen konnte, entſagte er
zulezt der Unterſtüzung ſeiner Familie; aber eigentlichen
Mangel hat er nie gelitten. Er genoſs Wohlthaten des
Staats, die Würdigen beſtimmt ſind; niemals Wohltha¬
ten eines Mannes, der ihm aufs höchſte nur Gerechtig¬
keit erwies. Ich hatte es einigen geklagt, daſs Hölty
ſich[XXV] ſich noch in der lezten Krankheit mit Ueberſezungen
quälen müſste, um etwas Geld zu einer kleinen Luſtreiſe
zu ſammeln; worauf eine Freundin von Freunden, die
es wehrt waren Hölty zu beſchenken, funfzig Thaler
zuſammenbrachte, und nach Hannover ſchickte. Aber
Hölty war ſchon todt; und das Geld ward ſeinem älte¬
ſten Bruder geſchenkt. Seine eigenen Angelegenheiten,
die er Boien vor ſeinem Tode entdeckt hatte, wurden
alle mit ſeinem vorräthigen und ausſtehenden Gelde ins
Reine gebracht.


Hölty war in dem lezten Jahre, da er ſein Ende noch
nicht ſo nahe glaubte, ſchon ſelbſt mit der Sammlung
ſeiner Gedichte beſchäftigt. Der Tod übereilte ihn;
und ſeine Papiere wurden Boien anvertraut, der ſie
herauszugeben, und für einen Theil des Ertrags ein
kleines marmornes Denkmal auf das Grab des hannövri¬
ſchen Dichters zu ſezen verſprach. Mancherlei Hin¬
derniſſe verzögerten dieſe Ausgabe, und würden ſie
vielleicht noch lange verzögert haben. Wir übernah¬
men ſie alſo ſelbſt: weil es uns kränkte zu ſehn, daſs
unſerm verſtorbenen Freunde von einem Unbekannten,
der die Kühnheit hatte, ſich öffentlich als Höltys Freund
zu nennen, ein Gemengſel von verworfenen, fremden
und ſinnloſen Gedichten aufgebürdet, und ſeinen recht¬
mäſſigen Erben ihr Eigenthum entzogen ward. Ein
Denkmal kann ihm nun freilich nicht geſezt werden;
aber[XXVI] aber in Hannover, wo auch Leibniz begraben liegt, iſt
es kein Zeichen von Geringſchäzung, daſs man die Stätte
des Begrabenen nicht kennt. Es erforderte oft nicht
weniger Bekanntſchaft mit Höltys Art, als unverdroſſene
Aufmerkſamkeit, aus ſeiner Handſchrift die wahre
Meinung herauszufinden. Viele Aenderungen und Zu¬
ſäze ſtehn durch einander, oft wieder verändert, halb
und ganz vollendet, oder nur angedeutet, auf kleinen
Zetteln, auf Umſchlägen von Briefen, und auf dem Rande
eines Leichengedichts. Unter einigen Gedichten ſteht
das Verdammungsurtheil: Verworfen! unter andern
von gleichem Gehalte fehlt es. Von einigen ſchon ge¬
druckten fanden ſich ältere Abſchriften, mit nicht ver¬
werflichen Lesarten. Auch das Traumbild Seite 42 hat
in einem zu ſpät verglichenen Buche von 1772 noch
folgende Verſe, die aufgenommen zu werden verdienen:

nirgends finden.

Ich wandre, wenn die Sonne ſticht,

Wenns ſtürmet oder regnet,

Und ſchaue jeder ins Geſicht,

Die meinem Blick begegnet.
So irr' ich Armer für und für,

Mit Seufzern und mit Thränen,

Und muſtr' an jeder Kirchenthür'

Am Sonntag' alle Schönen.

Nach jedem Fenſter

Von[XXVII] Von ungedruckten Gedichten fand ſich zum Theil nur
der erſte Aufſaz, wo Strofen und Verſe durch einander,
und, ohne daſs etwas ausgeſtrichen iſt, dieſelben Ge¬
danken mehrmal umgearbeitet vorkommen. Wir haben
mit treuer Sorgfalt gewählt, und was Hölty ſo, wie es
war, ſeiner unwürdig erkannte, nach ſeiner Anweiſung
oder Andeutung geändert: eine Freundſchaftspflicht, die
wir ſtets, ſo lange er unter uns lebte, gegen einander
ausgeübt, und die der Nachlebende dem Verſtorbenen
heilig verſprochen hat. Wir haben ſeinen Nachlaſs ſo
beſorgt, wie unſer redliche Freund, wenn wir früher
geſtorben wären, den unſrigen beſorgt hätte. Eutin,
im Auguſt 1783.


Voſs.


In¬[]

Inhalt.

  • Adelſtan und Röschen, 1771. Seite 1
  • Das Landleben, vermutlich 1775. 8
  • Auf den Tod einer Nachtigall, 1771. 11
  • Mailied, vermutlich 1771. 13
  • Elegie auf ein Landmädchen, im Frühling 1774
    unter einem blühenden Baume gemacht. 15
  • Der arme Wilhelm, vermutlich 1775. 19
  • Mailied, 1773. 22
  • Das Feuer im Walde, 1774. 24
  • Erntelied, 1775. 28
  • Der alte Landmann an ſeinen Sohn, 1775. 30
  • Der Bach, 1774. 35
  • Schnitterlied, 1773. 37
  • Trinklied im Mai, 1775. 39
  • Das Traumbild, vermutlich 1771. 42
  • Todtengräberlied, vermutlich 1775. 44
  • An ein Mädchen, das am Frohnleichnamsfeſt
    ein Marienbild trug, 1773. 46
  • Die künftige Geliebte, vermutlich 1775. 49
  • Das Traumbild, 1774. 52
  • Chriſtel und Hannchen, eine Schnitteridille,
    vermutlich 1775. 54
  • Der Weiberfeind, 1771. 57
  • Die Nonne, 1773. 60
  • Mailied, 1773. 65
  • An die Ruhe, vermutlich 1772. 67
  • Trinklied im Winter, 1775. 70
  • Lied eines Mädchens auf den Tod ihrer
    Geſpielin, 1774. 72
  • Die Liebe, 1773. Seite 74
    An einen Freund, der ſich in ein ſchönes
    Landmädchen verliebte, 1775. 76
  • An den Mond, 1774. 79
  • An Dafnens Kanarienvogel, 1772. 80
  • Der rechte Gebrauch des Lebens, verm. 1775. 82
  • Die Seligkeit der Liebenden, I776. 84
  • An den Mond, 1775. 87
  • Der Tod, 1772. 89
  • Apoll und Dafne, 1770. 91
  • Maigeſang, 1776. 94
  • Laura, 1772. 97
  • Klage, 1773. 100
  • An Voſs, 1773. 101
  • Aufmunterung zur Freude, 1776. 103
  • Der Traum, 1775. 105
  • Leander und Ismene, 1772. 107
  • Die Schale der Vergeſſenheit, vermutl. 1776. 125
  • An Miller, 1773. 126
  • Erinnerung, 1773. 129
  • Der Kuſs, vermutl. 1775. 131
  • Frühlingslied, 1773. 132
  • Das Traumbild, 1772. 133
  • An ein Veilchen, 1772. 136
  • Entzückung, vermutl. 1775. 137
  • Winterlied, 1773. 138
  • Hexenlied, 1775. 140
  • Die frühe Liebe, 1773. 142
  • An die Grille, 1774. 144
  • Siegeslied bei Eroberung des heiligen
    Grabes, 1775. 145
  • Klage eines Mädchens über den Tod ihres
    Geliebten, 1775. 149
  • Blumenlied, 1773. Seite 152
  • Huldigung, 1773. 153
  • Die Geliebte, 1774. 155
  • Mailied, 1773. 156
  • An die Nachtigall, vermutl. 1772. 157
  • Die Beſchäftigungen, 1776. 158
  • Der Anger, 1773. 160
  • Trinklied, 1775. 162
  • Die Laube, vermutlich 1773. 165
  • Die Mainacht, 1774. 167
  • Der befreite Sklave, 1774. 168
  • Die Schiffende, 1774. 170
  • Mailied, vermutlich 1772. 172
  • An Laura, bei dem Sterbebette ihrer
    Schweſter, 1768. 174
  • Lebenspflichten, vermutlich 1776. 176
  • An die Apfelbäume, wo ich Julien er¬
    blickte, 1775. 178
  • Der Liebende, vermutlich 1776. 180
  • An die Fantaſie, 1776. 182
  • Seufzer, 1773. 184
  • Die Liebe, vermutlich 1775. 185
  • Elegie bei dem Grabe meines Vaters, 1775. 188
  • Auftrag, 1776. 189

Ge¬
[]

Gedichte

von
Ludewig Heinrich Chriſtoph
Hölty.


[][1]

Adelſtan und Röschen.

1771.


Der ſchöne Maienmond began,

Und alles wurde froh,

Als Ritter Veit von Adelſtan

Der Königsſtadt entfloh.

Von Geigern und Kaſtraten fern

Und vom Redutentanz,

Vertauſcht' er ſeinen goldnen Stern

Mit einem Schäferkranz.
Der Schooſs der Au, der Wieſenklee

Verlieh ihm ſüſsre Raſt,

Als Himmelbett' und Kanapee

Im fürſtlichen Palaſt.

Er irrte täglich durch den Hain,

Mit einer Bruſt voll Ruh,

Und ſah dem Spiel' und ſah dem Reihn

Der Dörferinnen zu;
ASah[2]
Sah unter niederm Hüttendach

Der Schäferinnen Preis:

Und plözlich ſchlug ſein Herzensſchlag

Wol noch einmal ſo heiſs.

Sie wurden drauf gar bald vertraut;

Was Wunder doch! Er war

Ein Mann von Welt und wohlgebaut,

Und Röschen achzehn Jahr.
Sie gab, durch manchen Thränenguſs

Erweichet, ihm Gehör;

Zuerſt bekam er einen Kuſs

Zulezt noch etwas mehr.

Izt wurde, nach des Hofes Brauch,

Sein Buſen plözlich lau:

Er ſaſs nicht mehr am Schlehenſtrauch

Mit Röschen auf der Au.
Des Dorfes und des Mädchens ſatt,

Warf er ſich auf ſein Roſs,

Flog wieder in die Königsſtadt,

Und in ſein Marmorſchloſs.

Hier[3]
Hier taumelt' er von Ball zu Ball,

Vergaſs der Raſenbank,

Wo beim Getön der Nachtigall

Sein Mädchen ihn umſchlang.
Und Röschen, die auf Wieſengrün

Im Haſelſchatten ſaſs,

Sah Mann und Roſs vorüberfliehn,

Und wurde todtenblaſs.

Mein Adelſtan! ich armes Blut!

Er ſah und hörte nicht,

Und drückte ſich den Reiſehut

Nur tiefer ins Geſicht.
Sie zupft', auf ihren Hirtenſtab

Gelehnt, am Buſenband,

Bis er dem Roſs die Spornen gab,

Und ihrem Aug' entſchwand;

Und ſchluchzt', und warf ſich in das Gras,

Verbarg ſich ins Geſträuch,

Weint ihren ſchönen Buſen naſs,

Und ihre Wangen bleich.
Kein[4]
Kein Tanz, kein Spiel behagt' ihr mehr.

Kein Abendroth, kein Weſt;

Das Dörfchen dünkt ihr freudenleer,

Die Flur ein Otternneſt.

Ein melancholiſch Heimchen zirpt

Vor ihrer Kammerthür;

Das Leichhuhn ſchreit. Ach Gott! ſie ſtirbt,

Des Dorfes beſte Zier.
Die dumpfe Todtenklocke ſchallt

Drauf in das Dorf. Man bringt

Den Sarg daher. Der Küſter wallt

Der Bahre vor, und ſingt.

Der Pfarrer hält ihr den Sermon,

Und wünſcht dem Schatten Ruh,

Der dieſem Jammerthal' entflohn,

Und klagt und weint dazu.
Man pflanzt ein Kreuz, mit Flittergold

Bekränzet, auf ihr Grab;

Und auf den friſchen Hügel rollt

So manche Thrän' hinab.
Es[5]
Es wurde Nacht. Ein düſtrer Flor

Bedeckte Thal und Höhn;

Auch kam der liebe Mond hervor,

Und leuchtete ſo ſchön.
Vernehmt nun, wies dem Ritter ging!

Der Ritter lag auf Pflaum,

Um welchen Gold und Seide hing,

Und hatte manchen Traum.

Er zittert auf. Mit blauem Licht

Wird ſein Gemach erfüllt.

Ein Mädchen trit ihm vors Geſicht,

Ins Leichentuch verhüllt.
Ach! Röschen iſts, das arme Kind,

Das Adelſtan berückt!

Die Roſen ihrer Wangen ſind

Vom Tode weggepflückt.

Sie legt die eine kalte Hand

Dem Ritter auf das Kinn,

Und hält ihr moderndes Gewand

Ihm mit der andern hin;
Blickt[6]
Blickt drauf den ehrvergeſsnen Mann,

Den Schauer überſchleicht,

Dreimal mit hohlen Augen an,

Und wimmert und entweicht.

Sie zeigte, wann es zwölfe ſchlug,

Jezt alle Nächte ſich,

Verhüllet in ein Todtentuch,

Und wimmert' und entwich.
Der Ritter fiel in kurzer Zeit

Drob in Melancholei,

Und ward, verzehrt von Traurigkeit,

Des Todes Konterfei.

Mit einem Dolch bewaffnet floh

Er aus der Stadt, und lief

Zum Gottesacker hin, alwo

Das arme Röschen ſchlief;
Wankt' an die friſche Gruft, den Dolch

Dem Herzen zugekehrt,

Und ſank. Folg! ruft ein Teufel, folg!

Und ſeine Seel' entfährt.

Der[7]
Der Dolch ging mitten durch das Herz,

Entſezlich anzuſchaun!

Die Augen ſtarrten himmelwärts,

Und blickten Furcht und Graun.
Sein Grab ragt an der Kirchhofmaur.

Der Landmann, der es ſieht,

Wenns Abend wird, fühlt kalten Schaur,

Und ſchlägt ein Kreuz, und flieht.

Auch pflegt er, bis die Hahnen krähn,

Den Blutdolch in der Bruſt,

Mit glühnden Augen umzugehn,

Wie männiglich bewuſst.
Das[8]

Das Landleben.

Flumina amem ſilvasque inglorius.
(Virg.)
Wunderſeliger Mann, welcher der Stadt entfloh!

Jedes Säuſeln des Baums, jedes Geräuſch des Bachs,

Jeder blinkende Kieſel

Predigt Tugend und Weisheit ihm.
Jedes Schattengeſträuch iſt ihm ein heiliger

Tempel, wo ihm ſein Gott näher vorüberwallt,

Jeder Raſen ein Altar,

Wo er vor dem Erhabnen kniet.
Seine Nachtigall tönt Schlummer herab auf ihn,

Seine Nachtigall weckt flötend ihn wieder auf,

Wann das liebliche Frühroth

Durch die Bäum' auf ſein Bette ſcheint.
Dann[9]
Dann bewundert er dich, Gott, in der Morgenflur,

In der ſteigenden Pracht deiner Verkünderin,

Deiner herlichen Sonne,

Dich im Wurm und im Knoſpenzweig;
Ruht im wehenden Gras, wann ſich die Kühl' ergieſst,

Oder ſtrömet den Quell über die Blumen aus;

Trinkt den Athem der Blüte,

Trinkt die Milde der Abendluft.
Sein beſtrohetes Dach, wo ſich das Taubenvolk

Sonnt und ſpielet und hüpft, winket ihm ſüſsre Raſt,

Als dem Städter der Goldſaal,

Als der Polſter der Städterin.
Und der ſpielende Trupp ſchwirret zu ihm herab,

Gurrt und ſäuſelt ihn an, flattert ihm auf den Korb,

Picket Krumen und Erbſen,

Picket Körner ihm aus der Hand.
Einſam[10]
Einſam wandelt er oft, Sterbegedanken voll,

Durch die Gräber des Dorfs, ſezet ſich auf ein Grab,

Und beſchauet die Kreuze

Mit dem wehenden Todtenkranz;
Und das ſteinerne Mal unter dem Fliederbuſch.

Wo ein bibliſcher Spruch freudig zu ſterben lehrt,

Wo der Tod mit der Senſe,

Und ein Engel mit Palmen ſteht.
Wunderſeliger Mann, welcher der Stadt entfloh!

Engel ſegneten ihn, als er geboren ward,

Streuten Blumen des Himmels

Auf die Wiege des Knaben aus!
Auf[11]

Auf den Tod einer
Nachtigall.

1771.


Sie iſt dahin, die Maienlieder tönte;

Die Sängerin,

Die durch ihr Lied den ganzen Hain verſchönte,

Sie iſt dahin!

Sie, deren Ton mir in die Seele hallte,

Wenn ich am Bach,

Der durchs Gebüſch im Abendgolde wallte,

Auf Blumen lag!
Sie gurgelte, tief aus der vollen Kehle,

Den Silberſchlag:

Der Wiederhall in ſeiner Felſenhöhle

Schlug leiſ' ihn nach.

Die ländlichen Geſäng' und Feldſchalmeien

Erklangen drein;

Es tanzeten die Jungfraun ihre Reihen

Im Abendſchein.
Auf[12]
Auf Mooſe horcht' ein Jüngling mit Entzücken

Dem holden Laut,

Und ſchmachtend hing an ihres Lieblings Blicken

Die junge Braut:

Sie drückten ſich bei jeder deiner Fugen

Die Hand einmal,

Und hörten nicht, wenn deine Schweſtern ſchlugen,

O Nachtigall.
Sie horchten dir, bis dumpf die Abendklocke

Des Dorfes klang,

Und Heſperus, gleich einer goldnen Flocke,

Aus Wolken drang;

Und gingen dann im Wehn der Maienkühle

Der Hütte zu,

Mit einer Bruſt voll zärtlicher Gefühle,

Voll ſüſſer Ruh.
Mailied.[13]

Mailied.

Tanzt dem ſchönen Mai entgegen,

Der, in ſeiner Herlichkeit

Wiederkehrend, Reiz und Segen

Ueber Thal und Hügel ſtreut!

Seine Macht verjüngt und gattet

Alles, was der grüne Wald,

Was der zarte Halm beſchattet,

Und die laue Wog' umwallt.
Tanz, o Jüngling, tanz, o Schöne,

Die des Maies Hauch verſchönt!

Menget Lieder ins Getöne,

Das die Morgenklocke tönt,

Ins Geſäuſel junger Blätter,

Und der holden Nachtigall

Liebejauchzendes Geſchmetter;

Und erweckt den Wiederhall.
Flieht[14]
Flieht der Stadt umwölkte Zinnen!

Hier, wo Mai und Lieb' euch ruft,

Athmet, ſchöne Städterinnen,

Athmet friſche Maienluft!

Irrt mit eurem Sonnenhütchen,

Auf die Frühlingsflur hinaus,

Singt ein fröhlich Maienliedchen,

Pflücket einen Buſenſtrauſs!
Schmückt mit Kirſchenblütenzweigen

Euch den grünen Sonnenhut,

Schürzt das Röckchen, tanzet Reigen.

Wie die Schäferjugend thut!

Bienen ſumſen um die Blüte,

Und der Weſtwind ſchwärmt ſich matt,

Schwärmt, und haucht auf eure Hüte

Manches weiſſe Blütenblatt.
Elegie[15]

Elegie
auf ein Landmädchen.

Schwermutsvoll und dumpfig hallt Geläute

Vom bemooſten Kirchenthurm herab.

Väter weinen, Kinder, Mütter, Bräute;

Und der Todtengräber gräbt ein Grab.

Angethan mit einem Sterbekleide,

Eine Blumenkron' im blonden Haar,

Schlummert Röschen, ſo der Mutter Freude,

So der Stolz des Dorfes war.
Ihre Lieben, voll des Misgeſchickes,

Denken nicht an Pfänderſpiel und Tanz,

Stehn am Sarge, winden naſſes Blickes

Ihrer Freundin einen Todtenkranz.

Ach! kein Mädchen war der Thränen wehrter,

Als du gutes frommes Mädchen biſt,

Und im Himmel iſt kein Geiſt verklärter,

Als die Seele Röschens iſt.
Wie[16]
Wie ein Engel ſtand im Schäferkleide

Sie vor ihrer kleinen Hüttenthür:

Wieſenblumen waren ihr Geſchmeide,

Und ein Veilchen ihres Buſens Zier,

Ihre Fächer waren Zefirs Flügel,

Und der Morgenhain ihr Puzgemach,

Dieſe Silberquellen ihre Spiegel,

Ihre Schminke dieſer Bach.
Sittſamkeit umfloſs, wie Mondenſchimmer,

Ihre Roſenwangen, ihren Blick;

Nimmer wich der Seraf Unſchuld, nimmer

Von der holden Schäferin zurück.

Jünglingsblicke taumelten voll Feuer

Nach dem Reiz des lieben Mädchens hin;

Aber keiner, als ihr Vielgetreuer,

Rührte jemals ihren Sinn.
Keiner, als ihr Wilhelm! Frühlingsweihe

Rief die Edlen in den Buchenhain:

Unterm Grün, durchſtralt von Himmelsbläue,

Flogen ſie den deutſchen Ringelreihn.

Röschen[17]
Röschen gab ihm Bänder mancher Farbe,

Kam die Ernt', an ſeinen Schnitterhut,

Saſs mit ihm auf einer Weizengarbe,

Lächelt' ihm zur Arbeit Mut;
Band den Weizen, welchen Wilhelm mähte,

Band und äugelt ihrem Liebling nach,

Bis die Kühlung kam, und Abendröthe

Durch die falben Weſtgewölke brach.

Ueber alles war ihm Röschen theuer,

War ſein Taggedanke, war ſein Traum;

Wie ſich Röschen liebten und ihr Treuer,

Lieben ſich die Engel kaum.
Wilhelm! Wilhelm! Sterbeklocken hallen,

Und die Grabgeſänge heben an,

Schwarzbeflorte Trauerleute wallen,

Und die Todtenkrone weht voran.

Wilhelm wankt mit ſeinem Liederbuche,

Naſſes Auges, an das offne Grab,

Trocknet mit dem weiſſen Leichentuche

Sich die hellen Thränen ab.
B Schlummre[18]
Schlummre ſanft, du gute fromme Seele,

Bis auf ewig dieſer Schlummer flieht!

Wein' auf ihrem Hügel, Filomele,

Um die Dämmerung ein Sterbelied!

Weht wie Harfenliſpel, Abendwinde,

Durch die Blumen, die ihr Grab gebar!

Und im Wipfel dieſer Kirchhoflinde

Niſt' ein Turteltaubenpaar!
Der[19]

Der arme Wilhelm.

Wilhelms Braut war geſtorben. Der arme

verlaſſene Wilhelm

Wünſchte den Tod, und beſuchte nicht mehr den

geflügelten Reigen,

Nicht das Oſtergelag und das Feſt der bemaleten

Eier,

Nicht den gaukelnden Tanz um die Oſterflamme des

Hügels.

Einſam war er, und ſtill wie das Grab, und glaubte

mit jedem

Tritt in die Erde zu ſinken. Die Knaben und Mädchen

des Dorfes

Brachen Main, und ſchmückten das Haus und die

ländliche Diele,

Und begrüſsten den heiligen Abend vor Pfingſten

mit Liedern.

Wilhelm floh das Gewühl der beglückten fröhlichen

Leute,

Wandelt'[20]
Wandelt' über den Gottesacker, und ging in die

Kirche,

Nahm den Kranz der geliebten Braut von der Wand,

und kniete

An dem Altar, und barg das Geſicht in die Blumen

des Kranzes,

Flehte weinend zu Gott: O entnim mich der Erde,

mein Vater!

Ruf mich zu meiner Entſchlummerten! Doch dein

Wille geſchehe!

Liſpelnd bebte das Gold und die Flitterblumen des

Kranzes,

Lieblich rauſchten die flatternden Bänder, wie Blät¬

ter im Winde,

Und ein fliegender Lichtglanz flog durch die Fenſter

der Kirche.

Ruhiger wandelte Wilhelm nach Haus. Bald hörten

die Schweſtern

Drauf die Todtenuhr in der Kammer pickern, und

ſahen

Auf der Diele den Sarg, und den Pfarrer im Mantel

daneben;

Und[21]
Und das Leichhuhn ſchlug an die Kammerfenſter,

und heulte.

Wenige Wochen, da ſtarb der verlaſſene traurige

Wilhelm,

Und ſein grünendes Grab ragt hart am Grabe des

Mädchens.
Mailied[22]

Mailied.

Grüner wird die Au,

Und der Himmel blau;

Schwalben kehren wieder,

Und die Erſtlingslieder

Kleiner Vögelein

Zwitſchern durch den Hain.
Aus dem Blütenſtrauch

Weht der Liebe Hauch:

Seit der Lenz erſchienen,

Waltet ſie im Grünen,

Malt die Blumen bunt,

Roth des Mädchens Mund.
Brüder, küſſet ihn!

Denn die Jahre fliehn!

Einen Kuſs in Ehren

Kann euch niemand wehren!

Küſst ihn, Brüder, küſst,

Weil er kuſslich iſt!
Seht,[23]
Seht, der Tauber girrt,

Seht, der Tauber ſchwirrt

Um ſein liebes Täubchen!

Nehmt euch auch ein Weibchen,

Wie der Tauber thut,

Und ſeid wohlgemut!
Das[24]

Das Feuer im Walde.

Zween Knaben liefen durch den Hain

Und laſen Eichenreiſer auf,

Und thürmten ſich ein Hirtenfeur,

Indeſs die Pferd' im fetten Graſ'

Am Wieſenbache weideten.

Sie freuten ſich der ſchönen Glut,

Die, wie ein helles Oſterfeur,

Gen Himmel flog, und ſezten ſich

Auf einen alten Weidenſtumpf.

Sie ſchwazten dies und ſchwazten das,

Vom Feuermann und Ohnekopf,

Vom Amtmann, der im Dorfe ſpukt,

Und mit der Feuerkette klirrt,

Weil er nach Anſehn ſprach und Geld,

Wie's liebe Vieh die Bauren ſchund,

Und niemals in die Kirche kam.

Sie ſchwazten dies und ſchwazten das,

Vom[25]
Vom ſeelgen Pfarrer Habermann,

Der noch den Nuſsbaum pflanzen thät,

Von dem ſie manche ſchöne Nuſs

Herabgeworfen, als ſie noch

Zur Pfarre gingen, manche Nuſs!

Sie ſegneten den guten Mann

In ſeiner kühlen Gruft dafür,

Und knackten jede ſchöne Nuſs

Noch einmal in Gedanken auf.

Da rauſcht das dürre Laub empor,

Und ſieh, ein alter Kriegesknecht

Wankt durch den Eichenwald daher,

Sagt: Guten Abend, wärmet ſich,

Und ſezt ſich auf den Weidenſtumpf.

Wer biſt du, guter alter Mann?

Ich bin ein preuſſiſcher Soldat,

Der in der Schlacht bei Kunnersdorf

Das Bein verlor, und leider Gotts!

Vor fremden Thüren betteln muſs.

Da ging es ſcharf, mein liebes Kind!

Da[26]
Da ſauſeten die Kugeln uns

Wie Donnerwetter um den Kopf!

Dort flog ein Arm, und dort ein Bein!

Wir patſchelten durch lauter Blut,

Im Pulverdampf! Steht, Kinder, ſteht!

Verlaſſet euren König nicht!

Rief Vater Kleiſt; da ſank er hin.

Ich und zwei Burſche trugen flugs

Ihn zu dem Feldſcheer aus der Schlacht.

Laut donnerte die Batterie!

Mit einmal flog mein linkes Bein

Mir unterm Leibe weg! — O Gott!

Sprach Hans, und ſahe Töffeln an,

Und fühlte ſich nach ſeinem Bein:

Mein Seel! ich werde kein Soldat,

Und wandre lieber hinterm Pflug.

Da ſing' ich mir die Arbeit leicht,

Und ſpring' und tanze, wie ein Hirſch,

Und lege, wenn der Abend kommt,

Mich hintern Ofen auf die Bank.

Doch[27]
Doch kommt der Schelmfranzos zurück,

Der uns die beſten Hühner ſtahl,

Und unſer Heu und Korn dazu;

Dann nehm' ich einen rothen Rock,

Und auf den Puckel mein Gewehr!

Dann komm nur her, du Schelmfranzos!

Hans, ſagte Töffel, lang' einmal

Die Kiepe her, die hinter dir

Im Riedgras ſteht, und gieb dem Mann,

Von unſerm Käſ' und Butterbrot.

Ich ſamml' indeſſen dürres Holz;

Denn ſieh, das Feuer ſinket ſchon.
Ernte¬[28]

Erntelied.

Sicheln ſchallen;

Aehren fallen

Unter Sichelſchall;

Auf den Mädchenhüten

Zittern blaue Blüten;

Freud' iſt überall!
Sicheln klingen;

Mädchen ſingen,

Unter Sichelſchall;

Bis, vom Mond beſchimmert,

Rings die Stoppel flimmert,

Tönt der Ernteſang.
Alles ſpringet,

Alles ſinget,

Was nur lallen kann.

Bei dem Erntemahle

Iſst aus einer Schale

Knecht und Bauersmann.
Hans[29]
Hans und Michel,

Schärft die Sichel,

Pfeift ein Lied dazu,

Mähet; dann beginnen

Schnell die Binderinnen,

Binden ſonder Ruh.
Jeder ſcherzet,

Jeder herzet

Dann ſein Liebelein.

Nach geleerten Kannen

Gehen ſie von dannen,

Singen und juchhein!
Der[30]

Der alte
Landmann an ſeinen Sohn.

Ueb' immer Treu und Redlichkeit

Bis an dein kühles Grab,

Und weiche keinen Finger breit

Von Gottes Wegen ab!

Dann wirſt du, wie auf grünen Aun,

Durchs Pilgerleben gehn;

Dann kannſt du ſonder Furcht und Graun

Dem Tod' entgegen ſehn.
Dann wird die Sichel und der Pflug

In deiner Hand ſo leicht;

Dann ſingeſt du beim Waſſerkrug,

Als wär dir Wein gereicht.

Dem[31]
Dem Böſewicht wird alles ſchwer,

Er thue was er thu;

Der Teufel treibt ihn hin und her,

Und läſst ihm keine Ruh.
Der ſchöne Frühling lacht ihm nicht,

Ihm lacht kein Aehrenfeld;

Er iſt auf Lug und Trug erpicht,

Und wünſcht ſich nichts als Geld.

Der Wind im Hain, das Laub am Baum,

Sauſt ihm Entſezen zu;

Er findet, nach des Lebens Raum,

Im Grabe keine Ruh.
Dann muſs er in der Geiſterſtund'

Aus ſeinem Grabe gehn,

Und oft als ſchwarzer Kettenhund

Vor ſeiner Hausthür ſtehn.

Die Spinnerinnen, die, das Rad

Im Arm, nach Hauſe gehn,

Erzittern wie ein Espenblatt,

Wenn ſie ihn liegen ſehn.
Und[32]
Und jede Spinneſtube ſpricht

Von dieſem Abentheur,

Und wünſcht den todten Böſewicht

Ins tiefſte Höllenfeur.

Der alte Kunz war bis ans Grab

Ein rechter Höllenbrand:

Er pflügte ſeinem Nachbar ab,

Und ſtahl ihm vieles Land.
Nun pflügt er, als ein Feuermann,

Auf ſeines Nachbarn Flur,

Und miſst das Feld hinab hinan

Mit einer glühnden Schnur.

Er brennet, wie ein Schober Stroh,

Dem glühnden Pfluge nach,

Und pflügt, und brennet lichterloh

Bis an den hellen Tag.
Der Amtmann, der die Bauern ſchund,

Und hurt', und Hirſche ſchoſs,

Trabt Nachts mit einem ſchwarzen Hund

Im Wald' auf glühndem Roſs.

Oft[33]
Oft geht er auch am Knotenſtock

Als rauher Brummbär um,

Und meckert oft als Ziegenbock

Im ganzen Dorf herum.
Der Pfarrer, der aufs Tanzen ſchalt,

Und Filz und Wuchrer war,

Steht Nachts als ſchwarze Spukgeſtalt

Um zwölf Uhr am Altar;

Paukt dann mit dumpfigem Geſchrei

Die Kanzel, daſs es gellt,

Und zählet in der Sakriſtei

Sein Beicht- und Opfergeld.
Der Junker, der bei Spiel und Ball

Der Wittwen Habe fraſs,

Kutſchiert, umbrauſt von Seufzerhall,

Zum Feſt des Satanas;

Im blauen Schwefelflammenrock

Fährt er zur Burg hinauf,

Ein Teufel auf dem Kutſchenbock,

Zween Teufel hintenauf.
CSohn.[34]
Sohn, übe Treu und Redlichkeit

Bis an dein kühles Grab,

Und weiche keinen Finger breit

Von Gottes Wegen ab!

Dann ſuchen Enkel deine Gruft,

Und weinen Thränen drauf,

Und Sommerblumen, voll von Duft,

Blühn aus den Thränen auf.
Der[35]

Der Bach.

Wie Blanduſiens Quell, rauſche der Enkelin

Deine Liſpel, o Bach; tanze der Horchenden

Silberblinkend vorüber;

Grünt, ihr Erlen des Ufers, ihr!
Dein Gemurmel, das leiſ' über die Kieſel hüpft,

Euer zitterndes Laub, duftende Freundinnen,

Gieſst ein lindes Erbeben

Durch die Saiten der Seele mir.
Hier, auf ſchwellendem Moos, horch' ich der Nachtigall,

Die hier liebender klagt, horch' ich dem Schilfgeräuſch,

Und dem Plätſchern des Aales,

Der im Schatten der Erle ſchwebt.
Und ein magiſcher Hain ſäuſelt um mich empor,

Eine Hütte darin winkt mir, mit Wein umrankt,

Und ein freundliches Mädchen

Hüpft durch Blumen, und lächelt mir.
Von[36]
Von des ſinkenden Tags Golde geröthet, ſäumt

Hinter Roſen ſie her, eilet, und küſst mich ſanft;

Fleucht, und lächelt, und birgt ſich

Wieder hinter den Blütenbuſch.
Weil'! ich fliege dir nach! Warum entfloheſt du?

Plözlich liſpelt der Strauch; Himmel! ſie bebt hervor,

Und es ſchüttelt der Strauch ihr

Einen Regen von Blüten nach.
Schnit¬[37]

Schnitterlied.

Es zirpten Grillen und Heimen;

Von grünen Sträuchen und Bäumen

Floſs Abendkühlung herab,

Als, hinter Garben von Weizen,

Ein wahrer Engel an Reizen

Dies Pfand der Liebe mir gab.
Sie ſprach mit frölichem Mute:

Trag dieſe Blumen am Hute

Und dieſes goldene Band!

Und gab die Blumen und Flittern,

An meinem Hute zu zittern,

Mir in die wartende Hand.
Die Blumen hab' ich getragen,

Seit vierzehn glücklichen Tagen,

Und dieſe ſchwanden ſo ſchnell!

Ihr Bänder, ſah ich euch ſchweben,

Begann das Herz mir zu beben,

Ward meine Seele ſo hell!
Ha![38]
Ha! morgen bringen wir Leute,

Geſchmückt wie Freier und Bräute,

Der Ernte flitternden Kranz:

Dann tönen helle Schalmeien

Durch unſre ländlichen Reihen,

Dann ſchwing' ich Liebchen im Tanz !
Trinklied[39]

Trinklied im Mai.

Bekränzet die Tonnen,

Und zapfet mir Wein;

Der Mai iſt begonnen,

Wir müſſen uns freun!

Die Winde verſtummen,

Und athmen noch kaum;

Die Bienlein umſummen

Den blühenden Baum.
Die Nachtigall flötet

Im grünen Gebüſch;

Das Abendlicht röthet

Uns Gläſer und Tiſch.

Bekränzet die Tonnen,

Und zapfet mir Wein;

Der Mai iſt begonnen,

Wir müſſen uns freun!
Zum[40]
Zum Mahle, zum Mahle,

Die Flaſchen herbei!

Zween volle Pokale

Gebühren dem Mai!

Er träuft auf die Blüten

Sein Roth und ſein Weiſs;

Die Vögelein brüten

Im Schatten des Mais.
Er ſchenket dem Haine

Verliebten Geſang,

Und Gläſern beim Weine

Melodiſchen Klang;

Giebt Mädchen und Knaben

Ein Minnegefühl,

Und herliche Gaben

Zum Kuſs und zum Spiel.
Ihr Jüngling', ihr Schönen,

Gebt Dank ihm und Preis!

Laſst Gläſer ertönen

Zur Ehre des Mais!

Es[41]
Es grüne die Laube,

Die Küſſe verſchlieſst!

Es wachſe die Traube,

Der Nektar entflieſst!
Es blühe der Raſen,

Wo Liebende gehn,

Wo Tanten und Baſen

Die Küſſe nicht ſehn!

Ihr lachenden Lüfte,

Bleibt heiter und hell!

Ihr Blüten voll Düfte,

Verweht nicht ſo ſchnell!
Das[42]

Das Traumbild.

Wo biſt du, Bild, das vor mir ſtand.

Als ich im Garten träumte,

Ins Haar den Rosmarin mir wand,

Der um mein Lager keimte?

Wo biſt du, Bild, das vor mir ſtand,

Mir in die Seele blickte,

Und eine warme Mädchenhand

Mir an die Wangen drückte?
Nun ſuch' ich dich, mit Harm erfüllt,

Bald bei des Dorfes Linden,

Bald in der Stadt, geliebtes Bild,

Und kann dich nirgends finden.

Nach jedem Fenſter blick' ich hin,

Wo nur ein Schleier wehet,

Und habe meine Lieblingin

Noch nirgends ausgeſpähet.
Komm[43]
Komm ſelber, ſüſſes Bild der Nacht,

Komm mit den Engelminen,

Und in der leichten Schäfertracht,

Worin du mir erſchienen!

Bring mit die ſchwanenweiſſe Hand,

Die mir das Herz geſtolen,

Das purpurrothe Buſenband,

Das Sträuſschen von Violen;
Dein groſſes blaues Augenpaar,

Woraus ein Engel blickte;

Die Stirne, die ſo freundlich war,

Und guten Abend nickte;

Den Mund, der Liebe Paradies,

Die kleinen Wangengrübchen,

Wo ſich der Himmel offen wies,

Bring alles mit, mein Liebchen!
Todten¬[44]

Todtengräberlied.

Grabe, Spaden, grabe!

Alles, was ich habe,

Dank' ich, Spaden, dir!

Reich' und arme Leute

Werden meine Beute,

Kommen einſt zu mir!
Weiland groſs und edel,

Nickte dieſer Schädel

Keinem Gruſſe Dank!

Dieſes Beingerippe

Ohne Wang' und Lippe

Hatte Gold und Rang.
Jener Kopf mit Haaren

War vor wenig Jahren

Schön, wie Engel ſind!

Tauſend junge Fentchen

Leckten ihm das Händchen,

Gafften ſich halb blind!
Grabe,[45]
Grabe, Spaden, grabe!

Alles, was ich habe,

Dank' ich, Spaden, dir!

Reich' und arme Leute

Werden meine Beute,

Kommen einſt zu mir!
An[46]

An ein Mädchen,
das am Frohnleichnamsfeſt ein
Marienbild trug.

Denk' ich meiner frohen Knabenzeiten,

Denk' ich, Mädchen, auch an dich;

Und die hellen Sehnſuchtstränen gleiten,

Und die Seele wölket ſich.
Sittſam war dein Aug, voll Mädchenmilde,

Der die Andacht Reize lieh,

Wich vom ſchönen Muttergottesbilde,

Wich vom Chriſtuskinde nie.
Manche Zähre floſs von deinen Wangen,

Wie der Thau von Roſen rinnt,

Blieb izt am Marienbilde hangen,

Rann izt auf das Chriſtuskind.
Eine[47]
Eine junge morgenrothbeſtreute

Silberblum' im Paradies

Warſt du, hehr, wie die Gebenedeite,

Die dein Arm dem Volke wies!
Bange Sehnſucht, banges ſüſſes Klopfen

Schauerte durch meinen Geiſt.

Koſtet' ich des Stromes einen Tropfen,

Der am Stule Gottes fleuſst?
Trunken kniet' ich, wann der Reigen kniete,

Betend, himmelan geführt,

Küſste manche Knoſp' und manche Blüte,

Die dein wallend Kleid berührt.
Lebe, lebe deine Pilgertage,

Gutes Mädchen, flitterlos,

Und dann komm' ein Himmelsbot', und trage

Deine Seel' in Gottes Schooſs!
Und[48]
Und der Heiland lächl' auf ſeinem Throne,

Wann du dich dem Throne nahſt;

Und Maria bringe dir die Krone,

Die du oft in Träumen ſahſt!
Gebe dir ein Lichtgewand! Vom Throne,

Wo der Welten Richter thront,

Weh's herüber: Frommes Mädchen, wohne,

Wo die fromme Laura wohnt!
Die[49]

Die künftige Geliebte.

Entſchwebteſt du dem Seelengefilde ſchon,

Du ſüſſes Mädchen? wehet das Flügelkleid

Dir an der Schulter? bebt der Strauſs dir

Schon an der wallenden ſchönen Bruſt auf?
Ein ſüſſes Zittern zittert durch mein Gebein,

Wann mir dein Bildniſs lächelnd entgegen tanzt,

Wann ichs auf meinem Schooſſe wiege,

Und an den klopfenden Buſen drücke.
Der Garten taumelt; rötheres Abendroth

Durchſtrömt die Blätter, purpert die Maienluft;

Wie Engelflügel niederſäuſeln,

Rauſchet die Laube vom Kuſsgeliſpel.
DAn[50]
An deiner Leinwand flattert vielleicht mein Bild

Dir auch entgegen, ſchmiegt ſich an deine Bruſt,

Und eine Sehnſuchtsthräne träufelt

Ueber die ſeidenen Purpurblumen.
Seid mir geſegnet, Thränen! Ihr floſſet mir!

Bald ſchlägt die Stunde! Ach dann entküſs' ich euch

Dem blauen Aug, der weiſſen Wange;

Trinke den Taumel der Erdenwonne!
An voller Quelle weil' ich, und ſchöpfe mir

Der Freuden jede, Himmel auf Himmel mir,

Sie, deren Seelen mich umſchwebten,

Wann ich im Haine der Zukunft träumte!
Blüh' unterdeſſen ſchöner und ſchöner auf,

Du ſüſſes Mädchen! Leitet, ihr Tugenden,

Wie eine Schaar von Schweſterengeln,

Sie durch die Pfade des Erdenlebens!
Ein[51]
Ein reinrer Aether lache herab auf dich!

Tönt, Nachtigallen, wann ſich der Abend neigt,

Im Apfelbaum vor ihrem Fenſter,

Goldene Träum' um ihr Mädchenbette!
Doch ſüſſre Träume thaue das Morgenroth

Um deine Schläfen, Träume der Serafim,

Wann jener Tag dem Meer' entſchimmert,

Da ich dich unter den Blumen finde!
Das[52]

Das Traumbild.

Im jungen Nachtigallenhain,

Und auf der öden Wildniſs,

Wo Tannenbäume Dämmrung ſtreun,

Umflattert mich das Bildniſs.

Es tanzt aus jedem Buſch hervor,

Wo Maienlämmlein graſen,

Und wallt, verhüllt in leichten Flor,

Auf jedem grünen Raſen.
Wann mich, mit meinem Gram vertraut,

Zur Stunde der Geſpenſter,

Der liebe helle Mond beſchaut,

Bebts durch mein Kammerfenſter,

Und malt ſich an die weiſſe Wand,

Und ſchwebt vor meinen Blicken,

Und winkt mir mit der kleinen Hand,

Und lächelt mir Entzücken.
Mein[53]
Mein guter Engel, ſage mir,

Wo Luna ſie beflimmert,

Und wo, von ihr berührt, von ihr!

Die Blume röther ſchimmert.

Erſchaff' ihr Bild aus Morgenlicht,

Ihr Kleid aus Aetherbläue,

Und zeig' in jedem Nachtgeſicht

Mir meine Vielgetreue.
Wo pflückt ſie, wann der Lenz beginnt,

Die erſten Maienklocken?

Wo ſpielſt du, lieber Abendwind,

Mit ihren blonden Locken?

O eilt, o flattert weg von ihr,

Geliebte Maienwinde,

Und ſagt es mir, und ſagt es mir,

Wo ich das Mädchen finde!
Chriſtel[54]

Chriſtel und Hannchen.

Eine Schnitteridille.


Lindere Luft begann die müden Ernter zu kühlen,

Und das Gold der ſinkenden Sonn' umbebte die Aehren

Und die ragenden Garben, als Schnitter Chriſtel

ſein Hannchen

Rief zum duftenden Buſch, wo tauſend ländliche

Grillen

Liebe zirpten und Ruh. Sie waren beide verlobet,

Harrten beid' entgegen der Stunde der frohen

Vermählung.

Chriſtel hatt' ihr bereits, zum Pfande der bräutlichen

Treue,

Eine Bibel geſchenkt, und ein rothvergoldetes

Pſalmbuch;

Und das liebende Mädchen, zur Gegengabe, dem

Jüngling

Einen prunkenden Hut und ſtatliche Bräutigams¬

hemde.

Von der Abendkühle des dämmernden Strauches

umſäuſelt,

Ruhte[55]
Ruhte das glückliche Paar; indeſs die Schnitter

und Mädchen

Ihre Kleider ſuchten, ſich haſchten, und ſcherzten

und ſangen.

Bald beginnet der Tag des Hochzeitkranzes,

o Hannchen!

Bald, bald nenn' ich dich Weib, und theile die

Sorgen der Wirtſchaft,

Hannchen, Hannchen, mit dir! Bewehn die Winde

die Stoppeln,

Rötheln vom bunten Baume die Aepfel uns heller

entgegen;

Dann beginnet der Tag des Hochzeitkranzes,

o Hannchen!

Jede kommende Nacht umſchwebt mich dein lächelndes

Bildniſs,

Bald im Hochzeitgeſchmuck, von rothen Bändern

umflattert,

Bald im Schnitterhütchen, im blauen Kranze der Ernte.

Dann erwach' ich, und haſche dein Bild, und horche

der Grille,

Und ein Seufzer entfliegt zu deiner einſamen Hütte.

Lieber[56]
Lieber Chriſtel! liſpelte Hannchen, und drückt'

ihm die Hände,

Und verſtummt' ein Weilchen: o mehr, als Vater

und Mutter,

Lieb' ich dich, Chriſtel, und will, ſo lang' ich athme,

dich lieben!

Alles wird mir ſo wehrt, was deine Hände berühren,

Als ein Patengeſchenk. Seit du mir die Bibel

geſchenkt haſt,

Leſ' ich ſo fleiſſig darin, und zeichne die ſchönen

Geſchichten

Von Rebekka, und Rahel, und Judith, mit goldenen

Bildern.

Schon entſtieg der freundliche Mond dem Thau¬

gewölke,

Und die zitternden Weizenwogen ſchwammen in

Silber;

Da ergriffen die Schnitter die Senſen, und ſchäkerten

Chriſteln

Und ſein erröthendes Hannchen aus ihrem trauten

Geſchwäze.
Der[57]

Der Weiberfeind.

1771.


Kein Mädchen kann mein Herz beſtricken!

Kein Augenpaar,

Aus welchem tauſend Engel blicken,

Kein blondes Haar!

Kein Mund, um den das Lächeln ſchwebet,

Und keine Bruſt,

Von dünnem Silberflor umwebet,

Füllt mich mit Luſt!
Ein Wuchs, den Venus ſelber neidet,

Und eine Hand,

Die Perſien in Perlen kleidet,

Iſt Kindertand!

Ich[58]
Ich ſollte mich darein vergaffen?

Ei groſſen Dank!

Ich werde nicht, wie junge Laffen,

Vor Liebe krank!
Mir ward ein Herz von Eis beſchieden,

Ein Felſenſinn!

Drum wandl' ich auch in ſüſſem Frieden

Durchs Leben hin;

Geh immer, in der Bruſt den Himmel,

Geraden Pfad;

Durchtaumle niemals das Gewimmel

Der goldnen Stadt!
Und trink' in meiner Weinblattlaube

Den Götterſaft

Der röthelnden Burgundertraube,

Voll Geiſt und Kraft!

Sollt' ich dafür in Gallaröcken,

Vor Liebe krank,

Der Fräulein gnädge Hände lecken?

Ei groſſen Dank!
Sollt'[59]
Sollt' ich den Roſenkelch verlaſſen?

Die Nachtigall?

Auf eines Mädchens Winke paſſen,

Bei Spiel und Ball?

Ich würde, kämen ganze Gruppen

Von Mädchen, traun!

Nicht aus der Laube gehn, die Puppen

Nur anzuſchaun!
Die[60]

Die Nonne.

Es liebt' in Welſchland irgendwo

Ein ſchöner junger Ritter

Ein Mädchen, das der Welt entfloh,

Troz Kloſterthor und Gitter;

Sprach viel von ſeiner Liebespein,

Und ſchwur auf ſeinen Knieen,

Sie aus dem Kerker zu befrein,

Und ſtets für ſie zu glühen.
Bei dieſem Muttergottesbild,

Bei dieſem Jeſuskinde,

Das ihre Mutterarme füllt,

Schwör' ichs dir, o Belinde!

Dir iſt mein ganzes Herz geweiht,

So lang' ich Odem habe!

Bei meiner Seelen Seligkeit.

Dich lieb' ich bis zum Grabe!
Was[61]
Was glaubt ein armes Mädchen nicht,

Zumal in einer Zelle?

Ach! ſie vergaſs der Nonnenpflicht,

Des Himmels und der Hölle.

Die, von den Engeln angeſchaut,

Sich ihrem Jeſu weihte,

Die reine ſchöne Gottesbraut

Ward eines Frevlers Beute.
Drauf wurde, wie die Männer ſind,

Sein Herz von Stund' an lauer;

Er überlieſs das arme Kind

Auf ewig ihrer Trauer,

Vergaſs der alten Zärtlichkeit

Und aller ſeiner Eide,

Und flog im bunten Gallakleid

Nach neuer Augenweide;
Begann mit andern Weibern Reihn

Im kerzenhellen Saale,

Gab andern Weibern Schmeichelein

Beim lauten Traubenmahle,

Und[62]
Und rühmte ſich des Minneglücks

Bei ſeiner ſchönen Nonne,

Und jedes Kuſſes, jedes Blicks,

Und jeder andern Wonne.
Die Nonne, voll von welſcher Wut,

Entglüht' in ihrem Mute,

Und ſann auf nichts als Dolch und Blut,

Und träumte nur von Blute.

Sie dingte plözlich eine Schaar

Von wilden Meuchelmördern,

Den Mann, der treulos worden war,

Ins Todtenreich zu fördern.
Die boren manches Mörderſchwert

In ſeine ſchwarze Seele:

Sein ſchwarzer falſcher Geiſt entfährt,

Wie Schwefeldampf der Höhle.

Er wimmert durch die Luft, wo ſein

Ein Krallenteufel harret;

Drauf ward ſein blutendes Gebein

In eine Gruft verſcharret.
Die[63]
Die Nonne flog, wie Nacht begann,

Zur kleinen Dorfkapelle,

Und riſs den wunden Rittersmann

Aus ſeiner Ruheſtelle,

Riſs ihm das Bubenherz heraus,

Recht ihren Zorn zu büſſen,

Und trat es, daſs das Gotteshaus

Erſchallte, mit den Füſſen.
Ihr Geiſt ſoll, wie die Sagen gehn,

In dieſer Kirche weilen,

Und, bis im Dorf die Hahnen krähn,

Bald wimmern und bald heulen.

Sobald der Seiger zwölfe ſchlägt,

Rauſcht ſie an Grabſteinwänden

Aus einer Gruft empor, und trägt

Ein blutend Herz in Händen.
Die tiefen hohlen Augen ſprühn

Ein düſterrothes Feuer,

Und glühn, wie Schwefelflammen glühn,

Durch ihren weiſſen Schleier.

Sie[64]
Sie gafft auf das zerriſsne Herz

Mit wilder Rachgeberde,

Und hebt es dreimal himmelwärts,

Und wirft es auf die Erde;
Und rollt die Augen voller Wut,

Die eine Hölle blicken,

Und ſchüttelt aus dem Schleier Blut,

Und ſtampft das Herz in Stücken.

Ein dunkler Todtenflimmer macht

Indeſs die Fenſter helle.

Der Wächter, der das Dorf bewacht,

Sahs oft in der Kapelle.
Mailied.[65]

Mailied.

Der Schnee zerrinnt,

Der Mai beginnt,

Die Blüten keimen

Auf Gartenbäumen,

Und Vogelſchall

Tönt überall.
Pflückt einen Kranz,

Und haltet Tanz

Auf grünen Auen,

Ihr ſchönen Frauen,

Wo junge Main

Uns Kühlung ſtreun.
Wer weiſs, wie bald

Die Klocke ſchallt,

Da wir des Maien

Uns nicht mehr freuen:

Wer weiſs, wie bald

Die Klocke ſchallt!
DrumE[66]
Drum werdet froh!

Gott will es ſo,

Der uns dies Leben

Zur Luſt gegeben!

Genieſst der Zeit,

Die Gott verleiht!
An[67]

An die Ruhe.

Tochter Edens, o Ruh, die du die Finſterniſs

Stiller Haine bewohnſt, unter der Dämmerung

Mondverſilberter Pappeln

Mit verſchlungenen Armen weilſt,
Mit dem Schäfer am Bach flöteſt, der Schäferin

Unter Blumen der Au ſingeſt und Kränze flichſt,

Und dem Schellengeklingel

Ihrer tanzenden Schäfchen horchſt!
Wie der Jüngling die Braut liebet, ſo lieb' ich dich,

Allgefällige Ruh! ſpähte dir immer nach,

Bald auf duftenden Wieſen,

Bald im Buſche der Nachtigall!
Endlich[68]
Endlich bieteſt du mir, Herzenerfreuerin,

Deinen himmliſchen Kranz, ach! und umarmeſt mich,

Wie den flötenden Schäfer,

Wie die ſingende Schäferin!
Jeden Liſpel des Baums, jedes Geräuſch des Bachs,

Jedes ländliche Lied, welches dem Dorf' entweht,

Wandelt, Göttin, dein Oden

Mir in Sfärengeſangeston.
Hingegoſſen auf Thau, blick' ich den Abendſtern,

Deinen Liebling, o Ruh, blick' ich den Mond hinan,

Der ſo freundlich, ſo freundlich

Durch die nickenden Wipfel ſchaut!
Ruhe, lächle mir ſtets, wie du mir lächelteſt,

Als mein Knabengelock, mit der entknoſpeten

Roſenblume bekränzet,

Abendlüftchen zum Spiele flog!
Keiner[69]
Keiner Städterin Reiz, weder ein blaues Aug,

Noch ein kuſslicher Mund, ſoll mich aus deinem Arm

Zu den Hallen des Tanzes

Locken, oder des Opernſpiels!
Hier bei Früchten und Milch unter dem Halmendach

Weil, o Freundin, bei mir, bis du mich, an der Hand

Eines lächelnden Mädchens,

Edens Hütten entgegen führſt.
Trink¬[70]

Trinklied im Winter.

Das Glas gefüllt!

Der Nordwind brüllt;

Die Sonn' iſt niedergeſunken!

Der kalte Bär.

Blinkt Froſt daher!

Getrunken, Brüder, getrunken!
Die Tannen glühn

Hell im Kamin,

Und knatternd fliegen die Funken!

Der edle Rhein

Gab uns den Wein!

Getrunken, Brüder, getrunken!
Der edle Moſt

Verſcheucht den Froſt,

Und zaubert Frühling hernieder:

Der Trinker ſieht

Den Hain entblüht,

Und Büſche wirbeln ihm Lieder!
Er[71]
Er hört Geſang

Und Harfenklang,

Und ſchwankt durch blühende Lauben;

Ein Mädchenchor

Rauſcht ſchnell hervor,

Und bringt ihm goldene Trauben!
Sauſ' immerfort,

O Winternord,

Im ſchneebelaſteten Haine!

Nur ſtreu dein Eis,

O lieber Greis,

In keine Flaſchen mit Weine!
Der ſtolzen Frau

Färb braun und blau

Den Kamm, der adlich ihr ſchwillet!

Nur muſst du fliehn

Den Hermelin,

Der junge Buſen verhüllet!
Lied[72]

Lied eines Mädchens auf den
Tod ihrer Geſpielin.

Vier trübe Monden ſind entflohn,

Seit ich getrauert habe;

Der falbe Wermut grünet ſchon

Auf meiner Freundin Grabe.

Da horch' ich oft im Mondenglanz

Der Grillen Nachtgeſange,

Und lehn' an ihren Todtenkranz

Die bleichgehärmte Wange.
Da ſiz' ich armes armes Kind

Im kalten Abendhauche;

Und manche Sehnſuchtsthräne rinnt

Am falben Wermutſtrauche.

Der Flieder und die Linde wehn

Mir bange Seelenſchauer,

Und hohe düſtre Schatten gehn

Rings an der Kirchhofmauer,
Die[73]
Die Kirchenfenſter regen ſich,

Es regen ſich die Klocken.

Es glänzt! es glänzt! Ach! ſeh' ich dich

Mit deinen hellen Locken?

Der Mond iſts, ſo der Wolk' entrollt,

Ins Kirchenfenſter ſchimmert,

Am rothen Band', am Flittergold

Der Todtenkränze flimmert!
O komm zurück! o komm zurück

Von deines Gottes Throne!

O komm auf einen Augenblick

In deiner Siegerkrone!

In deinem neuen Engelreiz

Erſcheine mir, erſcheine,

Die ich, gelehnt ans ſchwarze Kreuz,

Auf deinem Grabe weine!
Die[74]

Die Liebe.

1773.


Eine Schale des Harms, eine der Freuden wog

Gott dem Menſchengeſchlecht; aber der laſtende

Kummer ſenket die Schale;

Immer hebet die andre ſich.
Irr und trauriges Tritts wanken wir unſern Weg

Durch das Leben hinab, bis ſich die Liebe naht,

Eine Fülle der Freuden

In die ſteigende Schale geuſst.
Wie dem Pilger der Quell ſilbern entgegen rinnt,

Wie der Regen des Mais über die Blüten träuft,

Naht die Liebe: des Jünglings

Seele zittert, und huldigt ihr!
Nähm'[75]
Nähm' er Kronen und Gold, miſste der Liebe? Gold

Iſt ihm fliegende Spreu; Kronen ein Flittertand;

Alle Hoheit der Erde,

Sonder herzliche Liebe, Staub!
Loos der Engel! Kein Sturm trübet die Heiterkeit

Seiner Seele! Der Tag hüllt ſich in lichter Blau;

Kuſs und Flüſtern und Lächeln

Flügelt Stunden an Stunden fort!
Herſcher neideten ihn, koſteten ſie des Glücks,

Das dem Liebenden ward; würfen den Königsſtab

Aus den Händen, und ſuchten

Sich ein friedliches Hüttendach.
Unter Roſengeſträuch liſpelt ein Quell, und miſcht

Zum begegnenden Bach Silber. So ſtrömen flugs

Seel' und Seele zuſammen,

Wenn allmächtige Liebe naht.
An[76]

An einen Freund, der ſich in ein
ſchönes Landmädchen verliebte.

Ne ſit ancillae tibi amor pudori.
(Horat.)

Was ſchämſt du dich, daſs du die Hanne liebeſt,

Die dir dein Genius beſchert?

Sie iſt es wehrt, daſs du ihr Küſſe giebeſt;

Das ſchlanke Mädchen iſt es wehrt!
Sie hat kein Gold, womit das Fräulein pralet,

Und keine lange Ahnenſchaft;

Doch iſt ſie ſchön, wie man die Engel malet,

Beſcheiden, edel, tugendhaft.
Sie iſt nicht ſtolz, wie die nach Standsgebühren

Geehrten Fräulein oder Fraun,

Die auf uns Sünder, die das Von nicht führen,

Mit hoher Naſe niederſchaun;
Ver¬[77]
Verleumdet nicht, und ſpielt nicht die Kokette,

Wird durch kein leer Gewäſch entzückt;

Schläft ruhig ein, und ſpringt aus ihrem Bette,

So bald die Sonn' ins Fenſter blickt.
Sie ſingt, beim Ramen und beim Spinnerocken,

Ein weltlich oder geiſtlich Lied,

Die Morgenhaub' um ihre blonden Locken,

Bis ihre ſtille Traur entflieht.
Die Dame ſelbſt würd' aus dem goldnen Wagen

Nach deiner lieben Hanne ſehn,

Und knirſchend ſich den platten Buſen ſchlagen,

Und ſeufzen: Sie iſt wahrlich ſchön!
Ja, ſie iſt ſchön! Der ganze Mai umſchwebet

Ihr weiſſes lächelndes Geſicht;

Ihr Buſen bebt, wie eine Blume bebet,

Die eben aus der Knoſpe bricht.
Die[78]
Die Sittſamkeit flieht goldne Fürſtenſäle,

Und liebt die niedern Hütten nur.

Ich ſelber, wenn ich mir ein Mädchen wähle,

Ich ſuch' es auf der Schäferflur.
An[79]

An den Mond.

Geuſs, lieber Mond, geuſs deine Silberflimmer

Durch dieſes Buchengrün,

Wo Fantaſein und Traumgeſtalten immer

Vor mir vorüberfliehn!
Enthülle dich, daſs ich die Stätte finde,

Wo oft mein Mädchen ſaſs,

Und oft, im Wehn des Buchbaums und der Linde,

Der goldnen Stadt vergaſs!
Enthülle dich, daſs ich des Strauchs mich freue,

Der Kühlung ihr gerauſcht,

Und einen Kranz auf jeden Anger ſtreue,

Wo ſie den Bach belauſcht!
Dann, lieber Mond, dann nim den Schleier wieder,

Und traur' um deinen Freund,

Und weine durch den Wolkenflor hernieder,

Wie dein Verlaſsner weint!
An[80]

An Dafnens Kanarienvogel.

1772.


Liebes Vögelein, ach! wie ruhig ſchläfſt du,

Dein geſunkenes Köpflein unterm Fittig;

Träumſt Geſänge des Tages, pickſt aus Dafnens

Schönen Händen ein Stücklein Zucker, oder

Was vor herliche Träume dich umgaukeln!

Neidenswehrter, ach! zehnmal neidenswehrter

Iſt, o Vogel, dein Schickſal, als das meine!

Nie umflattert des Schlummers Roſenſittig

Dieſe weinenden Augen! Dafne klopfet

Mir in jeglichem Puls; und fern iſt Dafne!

O verwandelten mich die guten Götter

In dies Vögelein! O wie wollt' ich zwitſchernd

Dafnens wallender Bruſt entgegenflattern,

Auf dem Strauſſe mich wiegen, und vom Kranze

Ihrer Locken ein Minneliedchen flöten!

In[81]
In die Saiten des Flügels wollt' ich girren,

Wann ihr fliegender kleiner Finger ſpielte,

Bis ihr Mündlein mit einem Kuſs mir dankte!

Dann, dann würd' ich mit keinem Sultan tauſchen,

Wenn auch hundert der ſchönſten Landesjungfraun

Um die Ehre des ſeidnen Schnupftuchs buhlten!

Traun, dann würden die Götter ſamt und ſonders

Mich im hohen Olimp ein wenig neiden!
FDer[82]

Der
rechte Gebrauch des Lebens.

Wer hemmt den Flug der Stunden? Sie rauſchen hin

Wie Pfeile Gottes! Jeder Sekundenſchlag

Reiſst uns dem Sterbebette näher,

Näher dem eiſernen Todesſchlafe!
Dir blüht kein Frühling, wann du geſtorben biſt;

Dir weht kein Schatten, tönet kein Becherklang;

Dir lacht kein ſüſſes Mädchenlächeln,

Strömet kein Scherz von des Freundes Lippe!
Noch rauſcht der ſchwarze Flügel des Todes nicht!

Drum haſch die Freuden, eh ſie der Sturm verweht,

Die Gott, wie Sonnenſchein und Regen,

Aus der vergeudenden Urne ſchüttet!
Ein[83]
Ein froher Abend, welchen der heitre Scherz

Der Freundſchaft flügelt, oder das Deckelglas;

Ein Kuſs auf deines Mädchens Wangen,

Oder auf ihren gehobnen Buſen;
Ein Gang im Grünen, wann du, o Nachtigall,

Dein ſüſſes Mailied durch die Geſträuche tönſt,

Wägt jeden Kranz des Nachruhms nieder,

Den ſich der Held und der Weiſe wanden!
Der Kuſs, den mir die blühende Tochter giebt,

Iſt ſüſſer, als die Küſſe der Enkelin,

Die ſie dem kalten Hügel opfert,

Wo ich den eiſernen Schlummer ſchlafe.
Die[84]

Die Seligkeit der Liebenden.
1776.

Beglückt, beglückt, wer die Geliebte findet,

Die ſeinen Jugendtraum begrüſst,

Wenn Arm um Arm, und Geiſt um Geiſt ſich windet,

Und Seel' in Seele ſich ergieſst,
Die Liebe macht zum Goldpalaſt die Hütte,

Streut auf die Wildniſs Tanz und Spiel,

Enthüllet uns der Gottheit leiſe Tritte,

Giebt uns des Himmels Vorgefühl!
Sie macht das Herz der Schwermut frühlingsheiter;

Sie bettet uns auf Roſenaun;

Und hebet uns auf eine Himmelsleiter,

Wo wir den Glanz der Gottheit ſchaun.
Sie[85]
Sie giebt dem Kranz des Morgens hellre Röthe,

Und lichter Grün dem Schattenwald,

Und ſüſſern Klang der ſpäten Abendflöte,

Die aus des Dorfes Büſchen ſchallt.
Die Liebenden ſind ſchon zu beſſern Zonen

Auf Flügeln ihrer Lieb' erhöht,

Empfahen ſchon des Himmels goldne Kronen,

Eh ihr Gewand von Staub verweht.
Sie kümmern ſich um keine Erdengüter,

Sind ſich die ganze weite Welt,

Und ſpotten dein, du ſtolzer Weltgebieter,

Vor dem der Erdkreis niederfällt.
Sanft hingeſchmiegt auf ſeidne Frühlingsraſen,

Auf Blumen eines Quellenrands,

Verlachen ſie die bunten Seiſenblaſen

Des lieben leeren Erdentands.
Ein[86]
Ein Druck der Hand, der durch das Leben ſchüttert,

Und eines Blickes Trunkenheit,

Ein Feuerkuſs, der von der Lippe zittert,

Giebt ihnen Engelſeligkeit.
Ein Blick der Lieb’, aus dem die Seele blicket,

In dem ein Engel ſich verklärt,

Ein ſüſſer Wink, den die Geliebte nicket,

Iſt tauſend dieſer Erden wehrt.
Ein Herzenskuſs, den ſelber Engel neiden,

Küſst ihren Morgenſchlummer wach;

Ein Reihentanz von ewigjungen Freuden

Umſchlingt den lieben langen Tag.
Ein ſüſſer Schlaf ſinkt auf ihr keuſches Bette,

Wie auf die Lauben Edens ſank.

Kein Endlicher miſst ihrer Freuden Kette,

Wer nicht den Kelch der Liebe trank.
An[87]

An den Mond.

Was ſchaueſt du ſo hell und klar

Durch dieſe Apfelbäume,

Wo einſt dein Freund ſo ſelig war,

Und träumte ſüſſe Träume?

Verhülle deinen Silberglanz,

Und ſchimmre, wie du ſchimmerſt,

Wenn du den frühen Todtenkranz

Der jungen Braut beflimmerſt!
Du blikſt umſonſt ſo hell und klar

In dieſe Laube nieder;

Nie findeſt du das frohe Paar

In ihrem Schatten wieder!

Ein ſchwarzes feindliches Geſchick

Entriſs mir meine Schöne!

Kein Seufzer zaubert ſie zurück,

Und keine Sehnſuchtsthräne!
O[88]
O wandelt ſie hinfort einmal

An meiner Ruheſtelle,

Dann mache flugs mit trübem Stral

Des Grabes Blumen helle!

Sie ſeze weinend ſich aufs Grab,

Wo Roſen niederhangen,

Und pflücke ſich ein Blümchen ab,

Und drück' es an die Wangen.
Der[89]

Der Tod.

Stärke mich durch deine Todeswunden,

Gottmenſch, wann die ſeligſte der Stunden,

Welche Kronen auf der Wage hat,

Meinem Sterbebette naht!
Dann beſchatte mich, o Ruh, mit linden

Stillen Flügeln! Geiſter meiner Sünden,

Nahet euch dem Sterbelager nicht,

Wo mein ſchwimmend Auge bricht!
Du mein Engel, komm von Gottes Throne,

Bringe mit die helle Siegerkrone,

Wehe Himmelsluft und Engelsruh

Mir mit deiner Palme zu!
Leite[90]
Leite mich auf tauſend Sonnenwegen

Jenem Engelparadieſ' entgegen,

Wo die Gute, welche mich gebar,

Schon ſo lange glücklich war;
Wo die jungen Geiſter meiner Brüder

Unter Blumen ſpielen, ſüſſe Lieder

In die Lauten ſingen, jung und ſchön

Zwiſchen Engeln um mich ſtehn!
Wohnt' ich doch, von dieſem Erdgewimmel

Schon entfernt, in eurem Freudenhimmel,

Theure Seelen! Kniet' ich, kniet' ich ſchon

An des Gottverſöhners Thron!
Apoll[91]

Apoll und Dafne.

1770.


Apoll, der gern nach Mädchen ſchielte,

Wie Dichter thun,

Sah einſt im Thal, wo Schatten kühlte,

Die Dafne ruhn.
Er nahte ſich mit Stuzertritten,

Mit Ach und O,

Als Dafne ſchnell mit Zefirſchritten

Dem Gott entfloh.
Sie flog voran; Apollo keuchte

Ihr hizig nach,

Bis er die Schöne faſt erreichte

Am Silberbach.
Da[92]
Da rief ſie: Rettet mich, ihr Götter!

Die Thörin die!

Zeus winkt, und ſtarre Lorberblätter

Umfliegen ſie.
Ihr Füſschen, ſonſt ſo niedlich, wurzelt

Im Boden feſt;

Apollo kömmt herangepurzelt,

Und ſchreiet: Peſt!
Dann lehnt er ſeine feuchten Wangen

Ans grüne Holz:

Jüngſt eine Nimfe, ſein Verlangen,

Der Nimfen Stolz!
Er girrt ein Weilchen, ſinnt, und pflücket

Sich einen Kranz‚

Der ſeine blonde Scheitel ſchmücket

Bei Spiel und Tanz.
Du[93]
Du arme Dafne! Tauſend pflücken

Nun Kränze ſich

Von deinen Haaren, ſich zu ſchmücken!

Du daureſt mich!
Die Krieger und die Dichter zauſen

In deinem Haar,

Wie Stürme, die den Wald durchbrauſen!

Die Köche gar!
Ja ja, die braunen Köche ziehen

Dir Locken aus,

Zum lieblichen Gewürz der Brühen

Beim Hochzeitsſchmaus!
Laſst, Mädchen, euch dies Beiſpiel rühren,

Das Warnung ſpricht,

Und flieht, ſo lang' euch Reize zieren,

Uns Dichter nicht!
Mai¬[94]

Maigeſang.

Sweet lovers love the ſpring.
(Shakeſpear.)

Röther färbt ſich der Himmel;

Aus der goldenen Wolke

Thaun der Mai und die Liebe

Segen auf die enteiſte Flur.
Sein allmächtiges Lächeln

Giebt dem Strauche die Blätter,

Giebt dem Baume die Knoſpen,

Und dem Haine den Lenzgeſang.
Seinen Tritten entwimmeln

Grüne duftende Kräuter,

Tauſenfarbige Blumen,

Purpur, Silber und lichtes Gold.
Seine[95]
Seine Tochter, die Liebe,

Baut dem Vogel die Neſter,

Paaret Blumen und Blüten,

ührt dem Manne die Männin zu.
Liebe ſäuſeln die Blätter,

Liebe duften die Blüten,

Liebe rieſelt die Quelle,

Liebe flötet die Nachtigall.
Lauben klingen von Gläſern,

Lauben rauſchen von Küſſen

Und von frohen Geſprächen,

Und vom Lächeln der Liebenden.
Ringsum grünen die Hecken,

Ringsum blühen die Bäume,

Ringsum zwitſchern die Vögel,

Ringsum ſummet das Bienenvolk.
Roth[96]
Roth und Grün iſt die Wieſe,

Blau und golden der Aether,

Hell und ſilbern das Bächlein,

Kühl und ſchattig der Buchenwald.
Heerden klingeln im Thale,

Lämmer blöcken am Bache,

Und die Flöte des Hirten

Weckt den ſchlummernden Abendhain.
Nachtigallen, ihr wirbelt

Auf das Lager des Jünglings,

Welches Maien umduften,

Goldne Träume von Kuſs und Spiel!
Träumend ſpielt er mit Laurens

Weiſſem bebenden Buſen.

Küſst den bebenden Buſen,

Und den roſigen ſüſſen Mund.
Laura.[97]

Laura.

1772.


Kein Blick der Hoffnung heitert mit trübem Licht

Der Seele Dunkel! Nimmer, ach nimmer wird

Dein Auge, Laura, meinem Auge

Wieder begegnen, und Liebe ſprechen!
Dein ehrner Fuſstritt hallte mir oft, o Tod!

In meiner Kindheit tagender Dämmerung,

Und manche Mutterthräne rann mir

Auf die verblühende Knabenwange.
Komm endlich, Tröſter, welcher den Sterblichen

Die Ketten ablöſt, komm und entfeſsle mich,

O Wonnetod! Dann ſchweb' ich Lauren,

Lauren entgegen, und bin ihr Engel!
GDu[98]
Du ſollſt getröſtet werden, du Weinender!

Ruft, Palmen tragend, freundlich um Mitternacht

Der Tod; mir ſchallt der Sterbeklocke

Dumpfes Geläut, und des Grabes Schaufel.
Bald ſchweb' ich ſchüzend, Wonne mir! Wonne mir!

Um meine Laura; ſtröme, wo Laura kniet,

Anbetung über ſie und Andacht,

Wann ſie vom Kelche des Bundes trinket;
Und ſüſsre Schauer, Schauer der Serafim

Am Throne Gottes, wann ſie den Preisgeſang,

Vom Maienfrühroth angelächelt,

Aus dem begeiſterten Herzen tönet!
Im Mondenſchimmer folg' ich der Denkerin

Durch deine Kühlung, duftende Frühlingsnacht;

Und decke, ſinkt ihr Aug' in Schlummer,

Sie mit verbreitetem ſanftem Flügel.
Im[99]
Im Morgenſchimmer weh' ich den frommen Traum

Von ihrer Stirn', und führe zum Garten ſie,

Im Thau durch Blumenbeet' und Blüten,

Froh des Geſanges umher, zu wandeln!
Des ſchönen Buſens Wallung, des blauen Augs

Bethräntes Wonnelächeln bei edler That,

Dankt mir, und unter Himmelspalmen

Künftig ein Kuſs von dem Roſenmunde!
Klage[100]

Klage.

Dein Silber ſchien

Durch Eichengrün,

Das Kühlung gab,

Auf mich herab,

O Mond, und lachte Ruh

Mir frohen Knaben zu.
Wenn izt dein Licht

Durchs Fenſter bricht,

Lachts keine Ruh

Mir Jüngling zu,

Siehts meine Wange blaſs,

Mein Auge thränennaſs.
Bald, lieber Freund,

Ach bald beſcheint

Dein Silberſchein

Den Leichenſtein,

Der meine Aſche birgt,

Des Jünglings Aſche birgt!
An[101]

An Voſs.

1773.


Klimme mutig den Pfad, Beſter, den Dornenpfad

Durch die Wolken hinauf, bis du den Stralenkranz,

Der nur weiſeren Dichtern

Funkelt, dir um die Schläfe ſchlingſt.
Heiſſer liebe durch dich Enkel und Enkelin

Gott und ſeine Natur, herzliche Brudertreu,

Einfalt, Freiheit und Unſchuld,

Deutſche Tugend und Redlichkeit.
Stilles Trittes, o Voſs, wandelt indeſs dein Freund

Durch Gefilde der Ruh, lauſchet der Nachtigall

Und der Stimme des leiſen

Mondbeſchimmerten Wieſenborns;
Singt[102]
Singt den duftenden Hain, welchen das Morgenroth

Ueberflimmert mit Gold', oder den Frühlingsſtrauſs,

Der am Buſen des Mädchens,

Mildgeröthet vom Abend, bebt.
Mir auch weinet, auch mir, Wonne! das Mädchen Dank,

Küſst mein zärtliches Lied, drückt es an ihre Bruſt,

Seufzt: Du redlicher Jüngling,

Warum barg dich die Gruft ſo früh!
Auf¬[103]

Aufmunterung zur Freude.

Wer wollte ſich mit Grillen plagen,

So lang' uns Lenz und Jugend blühn?

Wer wollt' in ſeinen Blütentagen

Die Stirn' in düſtre Falten ziehn?
Die Freude winkt auf allen Wegen,

Die durch dies Pilgerleben gehn;

Sie bringt uns ſelbſt den Kranz entgegen,

Wann wir am Scheidewege ſtehn.
Noch rinnt und rauſcht die Wieſenquelle;

Noch iſt die Laube kühl und grün;

Noch ſcheint der liebe Mond ſo helle,

Wie er durch Adams Bäume ſchien!
Noch[104]
Noch macht der Saft der Purpurtraube

Des Menſcheu krankes Herz geſund;

Noch ſchmecket in der Abendlaube

Der Kuſs auf einen rothen Mund!
Noch tönt der Buſch voll Nachtigallen

Dem Jüngling hohe Wonne zu;

Noch ſtrömt, wenn ihre Lieder ſchallen,

Selbſt in zerriſsne Seelen Ruh!
O wunderſchön iſt Gottes Erde,

Und wehrt darauf vergnügt zu ſein!

Drum will ich, bis ich Aſche werde,

Mich dieſer ſchönen Erde freun!
Ballade.[105]

Der Traum.

Mir träumt', ich war ein Vögelein,

Und flog auf ihren Schooſs,

Und zupft' ihr, um nicht laſs zu ſein,

Die Buſenſchleifen los;

Und flog mit gaukelhaften Flug,

Dann auf die weiſſe Hand,

Dann wieder auf das Buſentuch,

Und pickt' am rothen Band.
Dann ſchwebt' ich auf ihr blondes Haar,

Und zwitſcherte vor Luſt,

Und ruhte, wann ich müde war,

An ihrer weiſſen Bruſt.

Kein Veilchenbett' im Paradies

Geht dieſem Lager vor.

Wie ſchlief ſichs da ſo ſüſs, ſo ſüſs,

An ihres Buſens Flor!
Sie[106]
Sie ſpielte, wie ich tiefer ſank,

Mit leiſem Fingerſchlag,

Der mir durch Leib und Leben drang,

Mich frohen Schlnmmrer wach;

Sah mich ſo wunderfreundlich an,

Und bot den Mund mir dar:

Daſs ich es nicht beſchreiben kann,

Wie froh, wie froh ich war.
Da trippelt' ich auf einem Bein,

Und hatte ſo mein Spiel,

Und ſpielt' ihr mit dem Flügelein

Die rothe Wange kühl.

Doch ach! kein Erdenglück beſteht,

Es ſei Tag oder Nacht!

Schnell war mein ſüſſer Traum verweht,

Und ich war aufgewacht.
Leander[107]

Leander und Ismene.

Erſte Ballade.

Seit Adam in den Apfel biſs,

Glich unter allen Schönen,

Hier unterm Mond, das iſt gewiſs,

Kein Mutterkind Ismenen.

Sie war nur eben achzehn Jahr,

Ein Mädchen zum Entzücken,

Mit runder Bruſt und blondem Haar,

Und Adel in den Blicken.
Ihr Wuchs, voll Reiz und Majeſtät,

War gleich der ſchlanken Maie;

Die Wange junger Roſen Röth',

Ihr Auge Himmelbläue.

Der Mund, ein blühend Paradies,

War ſonder alle Mängel;

Und wann ſie ſang, ſo klangs ſo ſüſs,

Als ſäng' ein heilger Engel.
Die[108]
Die holde Schöne, denkt einmal,

That aber arge Thaten,

Und muſs vielleicht im Pful der Qual

Izt kochen oder braten:

Sie hexte Froſchleich, Ruſs und Haar

Ins Butterfaſs des Küſters,

Und zauberte voll Finnen gar

Die Schweine des Magiſters.
Sie knüpfte manchem Ehepaar

Den Neſtel als ein Meiſter,

Und rief, wanns ihr gefällig war,

Ein Rudel Höllengeiſter;

Ritt, troz den beſten Poſtkurier,

Auf ihrem Beſenſtiele,

Und übergab den Winden ihr

Geringelt Haar zum Spiele.
Sie tanzte ſtets am erſten Mai,

Mit Blumen in den Locken,

Den weiſſen Buſen ſchleierfrei,

Im Reigen auf dem Brocken.

[Dann][109]
Dann pflag der alte Satanas

Den ſüſſen Herrn zu ſpielen,

Und wann ſie ſtand, und wann ſie ſaſs,

Nach ihrer Bruſt zu ſchielen.
Begierig küſst' er ihre Hand,

Als wollt' ers Händchen freſſen,

Und konnt' am ſchwarzen Feuerſtrand

Die Schöne nicht vergeſſen,

Sandt' ihr ſo manches Billet doux

Durch ſeinen Hoflakaien,

Schloſs kaum die Augenwimper zu,

Und träumte ſchon vom Freien.
Allein Ismene lachte nur

Des grämlichen Pedanten,

Und ſuchte ſich, bald auf der Flur,

Bald in der Stadt, Amanten.

Sie ſah einmal am Wieſenbach,

Wo manches Blümchen keimte,

Leandern, der im Schatten lag,

Und ſüſſe Träume träumte.
Er[110]
Er träumte von der Adelheid,

Mit der er ſich verſprochen,

Daneben von der Seligkeit

Der erſten Flitterwochen.

Es ſollte ſchon die Prieſterhand

Ihn am Altar beglücken;

Es ſchwebten Kranz und Brautgewand

Im Traum vor ſeinen Blicken.
Die Jungfraun flochten ſchon am Kranz,

Und übten ſich zum Reigen;

Es tönten ſchon zum Hochzeitstanz

Die Flöten und die Geigen.

Was meint ihr wohl? Die Unholdin

Trat vor den ſchönen Schläfer,

Zupft' ihn am Ohr' und vorn am Kinn,

Und rief: Wach auf, mein Schäfer!
Sie hatte ſeines Mädchens Bild

Und Kleidung angenommen.

Leander ward mit Freud' erfüllt,

Und ſtotterte Willkommen.

Er[111]
Er nannte ſie: Mein lieber Schaz,

Mein Engelchen, mein Kindchen!

Und gab ihr manchen Feuerſchmaz

Aufs kleine rothe Mündchen.
Sie gingen endlich, Hand in Hand,

Der Kühlung zu genieſſen,

Zum Wald'; ein ſchöner Wagen ſtand

Schnell neben ihren Füſſen;

Ein Kutſcher, mit beſeztem Rock

Und grämlicher Geberde,

Saſs majeſtätiſch auf dem Bock,

Und lenkte ſtolz die Pferde.
Der Wagen war von Helfenbein,

Beſezet mit Opalen.

Kein Gallawagen iſt ſo fein;

Die Zaubrin konnts bezahlen!

Sie ſtiegen in den Faeton;

Drauf raſſelten die Schimmel

Stracks über Stock und Stein davon

Mit donnerndem Getümmel.
Bald[112]
Bald flogen ſie gar himmelan,

Ein Wunder anzuſchauen!

Leandern, wie man denken kann,

Begonn darob zu grauen.

Wir wollen, wenn es euch beliebt,

Die Leute fliegen laſſen,

Und morgen, ſo Gott Leben giebt,

Den Reſt in Reime faſſen.
Leander[113]

Leander und Ismene.

Zweite Ballade.

Der Wagen fuhr auf gutes Glück,

Bis daſs der Himmel graute,

Und man beim erſten Sonnenblick

Ein grünes Eiland ſchaute.

Es lag im Süderozean

Seit lieben langen Jahren,

Wo weder Cook noch Magellan

Noch Dampier gefahren.
Sie traten in ein Paradies,

Wo Freud' und Wolluſt lauſchte,

In jedem Frühlingslüftchen blies,

In jeder Quelle rauſchte.

Das war euch traun ein Luftgefild!

Rings lachten bunte Flächen,

Rings zitterte das goldne Bild

Der Sonn' in hundert Bächen.
DieH[114]
Die Weſte flüſterten vertraut

Und raubten jungen Veilchen,

Wie der Geliebte ſeiner Braut,

Auf jeder Wieſe Mäulchen.

Es blühte rings im Zauberglanz

Die Hiazint' und Roſe;

Es trug und blühte Pomeranz'

Und Pfirſch' und Aprikoſe.
Muſik entſtrömte ſonder Raſt

Den kühlen Rebenlauben;

Es herzten ſich auf jedem Aſt

Verliebte Turteltauben.

Es ſprang, poz Stern, da möcht' ich ſein!

Im Schatten grüner Hecken,

Der feurigſte Burgunderwein,

In weite goldne Becken.
Es ragt' ein prächtiger Pallaſt,

Erbauet aus Türkiſen,

Mit Gold' und Perlen eingefaſst,

Auf angenehmen Wieſen.

Die[115]
Die Treppen waren aus Achat;

Die weiten Flügelthüren,

Durch die man in den Pallaſt trat,

Aus blizenden Saffiren.
Das Dach und auch der Wetterhahn,

Wie leichtlich zu erachten,

Von feinem Gold' aus Hindoſtan,

Beſezet mit Smaragden.

Ein wunderbares Feienſchloſs,

Bei welchem ſonder Zweifel,

Der es erbaut, viel Schweiſs vergoſs,

Gott ſey bey uns, der Teufel!
Ein groſſer tapezirter Saal

Ging mitten durchs Gebäude,

Mit Schildereien ohne Zahl:

Die ſchönſte Augenweide!

Von Rafael und Tizian,

Hier eine nackte Lede,

Dort Vater Zeus mit ihr als Schwan

In einer Liebesfehde;
Der[116]
Der Grosſultan, der Perſer Schach,

Im Zirkel ihrer Frauen;

Ein luſtig Karnevalgelag,

Gar lieblich anzuſchauen;

Der Muſelmänner Himmelreich

Voll niedlicher Figuren;

Ein grüner Wald, im Wald' ein Teich

Voll Badepoſituren.
Sie lebten hier als Frau und Mann

Am grünen Meergeſtade,

Und tranken, wenn der Tag begann,

Bald Thee, bald Schokolade;

Und hielten im Gemäldeſaal,

Von dem wir euch erzählten,

Das Frühſtück und das Mittagsmahl,

Dem keine Reize fehlten.
Die Speiſen kamen auf den Wink

Der Unholdin von ſelber:

Es flogen, wann ſie ſchellte, flink

Gebratne Tauben, Kälber,

Kapaun[117]
Kapaun' und Haſen auf den Tiſch,

Lampreten und Forellen,

Und ein poſſierliches Gemiſch

Von Auſtern und Sardellen.
Nicht minder kam [auf] ihr Gebot

Viel Backwerk angeflogen,

Paſteten, Torten, Mandelbrot,

Daſs ſich die Tafeln bogen.

Das groſſe goldne Deckelglas,

Gefüllet mit Tockaier,

Goſs ihre Kehlen weidlich naſs,

Und in die Adern Feuer.
Sie ſpielten alle Nachmittag,

Nach eingenommnem Mahle,

In einer Sommerlaube Schach,

Und aſſen kalte Schale;

Und gingen, wann das Abendroth

Durch ihre Laube blinkte,

Zum Pallaſt, wo das Abendbrot

In goldnen Schüſſeln winkte.
Sie[118]
Sie irrten, wann der Mondenſchein

Den Wald mit Silber deckte,

Vertraulich durch den Mirtenhain,

Wo mancher Vogel heckte,

Und ſezten ſich auf zartes Grün,

Bedeckt von Mirtenäſten,

Durch die der ſchöne Vollmond ſchien,

Umſcherzt von lauen Weſten.
Sie ruhten, Bruſt an Bruſt gedrückt,

Und was ſie weiter thaten —

Der ſchöne Vollmond hats erblickt;

Ich kann es nicht errathen!

Ein ſüſſes klatſchendes Getön

Scholl aus den Mirtenbüſchen;

Die Vögel ſangen wunderſchön

Ein Minnelied dazwiſchen.
Der Weſt, der im Geſträuche war,

Goſs einen Blütenregen

Voll Abendduft, bald um ihr Haar,

Bald ihrer Bruſt entgegen.

Sie[119]
Sie trippelten mit trübem Blick,

Und Gras und Staub in Haaren,

Nach ihrem Zauberſchloſs zurück,

Wo weichre Polſter waren;
Und laſen, wann ſie ſich geſezt,

Zur Zeit des Schlafenlegens,

Roſts ſchöne Nacht zu guter lezt,

Anſtatt des Abendſegens;

Und ſchlüpften, wenn ſie dies vollbracht,

Zum Ruhekabinette.

Wir wünſchen ihnen gute Nacht,

Und gehen auch zu Bette.
Leander[120]

Leander und Ismene.

Dritte Ballade.

So lebten dort auf ihrer Burg,

Wie wir erzählt, die beiden,

Den Mai und Junius hindurch,

In Herlichkeit und Freuden;

Sie ſchwammen hier in Ueppigkeit

Bis über beide Ohren;

Doch endlich floh die Trunkenheit,

Worin ſie ſich verloren.
Er hatte ſich mit Zuckerbrot

Den Magen überladen,

Ward bleich und hager wie der Tod,

Ihm ſchwanden Mut und Waden.

Sein Auge, wie Vergiſsmeinnicht,

Erloſch und wurde dunkel;

Er trug im kupfrigen Geſicht

Rubinen und Karfunkel.
Die[121]
Die Küſſe, Weine, das Konfekt,

Die Zuckerbiſſen alle,

Wonach er ſonſt den Mund geleckt,

Verkehrten ſich in Galle.

Der Vögel buhleriſch Konzert,

Das er, in Luft verloren,

Mit ſolcher Wonne jüngſt gehört,

Mistönte ſeinen Ohren.
Nun floh er, mehr als Tod und Grab,

Den Pallaſt und Ismenen,

Und ging am Ufer auf und ab,

Und weinte ſtille Thränen.

O liebe, liebe Adelheid!

So rief er ſonder Ende:

Der ich mein treues Herz geweiht!

Und rang die welken Hände.
Wie magſt du, gute Seele, wohl

Leanders Angedenken,

Mit lautem Schluchzen, einen Zoll

Getreuer Thränen ſchenken!

O[122]
O könnt' ich dir den Thränenguſs,

Dem Kerker hier entriſſen,

Durch einen reuevollen Kuſs

Von deiner Wange küſſen!
O welcher Unſtern! wehe mir!

Das Maſtvieh war geſchlachtet,

Der Pfarrer hatte die Gebühr,

Wonach er lang geſchmachtet!

Wir waren ſchon, ich armer Mann!

Schon zweimal aufgeboten,

Und dachten wahrlich nicht daran,

Was uns vor Wetter drohten.
Schon ging mit manchem bunten Band

Am Hut der Hochzeitbitter

Im Dorf herum; der Muſikant

Probirte ſchon die Zitter.

Die Speiſen, die wir angeſchafft,

Sind nun ſchon Iängſt verdorben.

Mein Liebchen iſt wohl, hingerafft

Von Schwermut, gar geſtorben.
Den[123]
Den guten Göttern muſste dies

Nun wohl zu Herzen gehen.

Drum flog ein Schiff heran, und lieſs

Die Flagge ſtatlich wehen.

Der Schifpatron nahm ihn an Bord,

Und bracht' in wenig Stunden

Ihn wohlbehalten an den Ort,

Da ihn Ismene funden.
Ismene ſtand verſteinert da,

Als ſie am Horizonte

Die aufgeſchwollnen Segel ſah,

Und es nicht wehren konnte;

Zerriſs die Haare, weinte ſich

Die Wangen bleich und hager,

Und wand die Hände jämmerlich

Auf dem verwaiſten Lager.
Sie ritt mit thränendem Geſicht

Auf ihrem Beſenſtiele

Viel Länder durch, und fand ihn nicht,

Und ritt ſich manche Schwiele,

Und[124]
Und ward, wie männiglich bekannt,

Nach vielen Abentheuern,

Zulezt elendiglich verbrannt

Zu Ingolſtadt in Baiern.
Die[125]

Die Schale der Vergeſſenheit.

Eine Schale des Stroms, welcher Vergeſſenheit

Durch Eliſiums Blumen rollt,

Bring, o Genius, bring deinem Verſchmachtenden!

Dort, wo Faons die Sängerin,

Dort, wo Orfeus vergaſs ſeiner Euridice,

Schöpf den ſilbernen Schlummerquell!

Ha! dann tauch' ich dein Bild, ſpröde Gebieterin,

Und die lächelnden Lippen voll

Lautenklanges, des Haars ſchattige Wallungen,

Und das Beben der weiſſen Bruſt,

Und den ſiegenden Blick, der mir im Marke [g]uckt,

Tauch' ich tief in den Schlummerquell!
An[126]

An Miller.

Miller, denk' ich des Tags, welcher uns ſcheiden wird,

Faſst der Donnergedanke mich;

Dann bewölkt ſich mein Blick, ſtarret zur Erd' hinab,

Schaut nur Bilder der Traurigkeit.

Ernſt, mit finſterer Stirn, wandelt die Stunde her,

Die mich fernet von meinem Freund,

Wandelt ernſter, und ſchnell fliegt der gezuckte Dolch

In mein blutendes Herz hinab.

Eh dem Baume das Laub röthlich und gelb entweht,

Kommt der finſtere Scheidetag,

Stürmt die Freunde hinweg, zucket und ſtürzt den Dolch

In mein blutendes Herz hinab.

Wann nun wieder den Baum ſchattendes Grün umrauſcht,

Irr' ich einſam von Strauch zu Strauch:

Vor des Einſamen Blick ſchlieſſen ſich Blumen zu,

Und die rieſelnde Quelle weint,

Und[127]
Und vom Nachtigallbuſch tönet mir Seufzerlaut.

Ach die Seelen der Abende,

Die uns Freunden entflohn, ſammeln ſich dann um mich,

Schön und lächelnd wie Serafim,

Und die Bilder der Ruh, welche die Frühlingsnacht

Auf uns Glückliche niedergoſs,

Deines trauten Geſprächs werd' ich und Freundesblicks

Dann begehren; und ach umſonſt!

Deines Tugendgeſangs, welcher mich himmelan

Oft geflügelt; und ach umſonſt!

In den Lauben des Mais, funkelt der Abendſtern

Durch die Blüten, der oft belauſcht

Unſrer Herzen Erguſs, werd' ich dich ſpähn, den Arm

Nach dir ſtrecken; und ach umſonſt!

Nicht der flammende Wunſch, nicht der bethränte Blick

Bringt dich wieder in meinen Arm;

Und mein Klagegeſang ruft der Vergangenheit,

Bis mich hüllet die Raſengruft.

Und die hüllet mich bald! Liſpelt das Rebengrün,

Wo du horcheſt der Nachtigall,

Zittert[128]
Zittert eine Geſtalt, dämmernd in mildem Glanz,

Leiſes Fluges vor dir vorbei,

Winkt und lächelt dir zu; Miller, es iſt dein Freund!

Durch die Blumen des Gartenbeets

Weht der Schatten dahin: Ahndung durchbebt dein Herz,

Und du ſchauerſt vom Raſen auf,

Wandelſt näher, und brichſt, freudiger Wehmut voll,

Dir die Blume, die, wankend noch

Von des fliehenden Freunds Schimmergewand', im Thau

Seiner rinnenden Zähre glänzt.
Er-[129]

Erinnerung.

Wie war ich doch ſo wonnereich,

Dem Kaiſer und dem König gleich,

In meinen Minnejahren,

Als Julia, das ſchönſte Kind,

Schön, wie die lieben Engel ſind,

Und ich beiſammen waren!
Ich ſah ſie, wann die Vögelein

Des Morgens trillerten im Hain,

Im leichten Frühlingskleide,

Bald vor dem offnen Fenſter ſtehn,

Bald durch den grünen Anger gehn,

Ach Gott, mit welcher Freude!
Ich ſah ſie, wann der Abend floh,

Der linden Maienkühle froh,

Im kleinen Blumengarten,

Wie Eva vor dem Sündenfall,

Begrüſſet von der Nachtigall,

Der Frühlingsblumen warten.
ISie[130]
Sie gab mir manchen ſüſſen Blick,

Zog niemals ihre Hand zurück,

Wann ich die Hand ihr drückte;

Sah immer aus, wie Milch und Blut,

War immer froh und wohlgemut,

So oft ich ſie erblickte.
Wie war ich doch ſo wonnereich,

Dem Kaiſer und dem König gleich,

In meinen Minnejahren,

Als Julia, das ſchönſte Kind,

Schön, wie die lieben Engel ſind,

Und ich beiſammen waren.
Der[131]

Der Kuſs.

Unter Blüten des Mais ſpielt' ich mit ihrer Hand,

Koſte liebelnd mit ihr, ſchaute mein ſchwebendes

Bild im Auge des Mädchens,

Raubt' ihr bebend den erſten Kuſs.
Zuckend fliegt nun der Kuſs, wie ein verſengend Feur,

Mir durch Mark und Gebein. Du, die Unſterblichkeit

Durch die Lippen mir ſprühte,

Wehe, wehe mir Kühlung zu!
Früh¬[132]

Frühlingslied.

Die Luft iſt blau, das Thal iſt grün,

Die kleinen Maienklocken blühn,

Und Schlüſſelblumen drunter;

Der Wieſengrund

Iſt ſchon ſo bunt,

Und malt ſich täglich bunter.
Drum komme, wem der Mai gefällt,

Und freue ſich der ſchönen Welt

Und Gottes Vatergüte,

Die ſolche Pracht

Hervorgebracht,

Den Baum und ſeine Blüte.
Das[133]

Das Traumbild.

Geliebtes Bild, das mir mit Feurentzücken

Die Seele füllt!

Wann werd' ich dich an meinen Buſen drücken,

Geliebtes Bild?
Wann mich am Bach', im Wehn der Pappelweide,

Der Schlaf umwallt,

Erſcheinſt du mir im weiſſen Abendkleide,

Du Lichtgeſtalt!
Du flatterſt oft in früher Morgenſtunde

Durch mein Gemach,

Und küſſeſt mich mit deinem rothen Munde

Vom Schlummer wach.
Lang[134]
Lang glaub' ich noch den Herzenskuſs zu fühlen,

Der mich entzückt,

Und mit dem Strauſs' an deiner Bruſt zu ſpielen,

Der mir genickt.
Jezt ſeh' ich dich, im Rauſchen grüner Linden,

Ein goldnes Band

Um einen Kranz von Tauſendſchönchen winden

Mit weiſſer Hand;
Und bald darauf im kleinen Blumengarten,

Wie Eva ſchön,

Des Roſenbaums, des Nelkenſtrauchs zu warten,

Am Beete gehn.
Erblick' ich dich, die ich vom Himmel bitte,

Erblick' ich dich,

So komm, ſo komm in meine Halmenhütte,

Und tröſte mich!
Dir[135]
Dir ſoll ein Beet, wo tauſend Blumen wanken,

Entgegenblühn;

Ich will ein Dach von jungen Geisblattranken

Für dich erziehn;
Ins Paradies an deiner Bruſt mich träumen,

Mein ſüſſes Kind;

Und froher ſein, als unter Lebensbäumen

Die Engel ſind!
An[136]

An ein Veilchen.

Nach Zappi.


Birg, o Veilchen, in deinem blauen Kelche,

Birg die Thränen der Wehmut, bis mein Liebchen

Dieſe Quelle beſucht! Entpflückt ſie lächelnd

Dich dem Raſen, die Bruſt mit dir zu ſchmücken;

O dann ſchmiege dich an ihr Herz, und ſag' ihr,

Daſs die Tropfen in deinem blauen Kelche

Aus der Seele des treuſten Jünglings floſſen,

Der ſein Leben verweinet, und den Tod wünſcht!
Ent¬[137]

Entzückung.

Welch ein Himmel! Juliane wallet

Durch den überreiften Lindengang!

Horchet, aus den todten Wipfeln ſchallet

Ueberirdiſcher Geſang!
Alles muſs ſich, wo ſie wandelt, heitern:

Blumen ſproſſen, und der Weſt erwacht,

Blumen wanken unter grünen Kräutern;

Alles freut ſich, alles lacht!
Sie verläſst, mir einen Gruſs zu nicken,

Mich zum Gott zu lächeln, ihren Hain!

Geuſst ein Engel heiliges Entzücken

Durch mein zitterndes Gebein?
Winter¬[138]

Winterlied.

Keine Blumen blühn;

Nur das Wintergrün

Blickt durch Silberhüllen;

Nur das Fenſter füllen

Blümchen, roth und weiſs,

Aufgeblüht aus Eis.
Ach! kein Vogelſang

Tönt mit frohem Klang;

Nur die Winterweiſe

Jener kleinen Meiſe,

Die am Fenſter ſchwirrt,

Und um Futter girrt.
Minne flieht den Hain,

Wo die Vögelein

Sonſt im grünen Schatten

Ihre Neſter hatten;

Minne flieht den Hain,

Kehrt ins Zimmer ein.
Kalter[139]
Kalter Januar,

Hier werd' ich fürwahr

Unter Minneſpielen,

Deinen Froſt nicht fühlen!

Walte immerdar,

Kalter Januar!
Hexen¬[140]

Hexenlied.

Die Schwalbe fliegt,

Der Frühling ſiegt,

Und ſpendet uns Blumen zum Kranze!

Bald huſchen wir

Leiſ' aus der Thür,

Und fliegen zum prächtigen Tanze!
Ein ſchwarzer Bock,

Ein Beſenſtock,

Die Ofengabel, der Wocken,

Reiſst uns geſchwind,

Wie Bliz und Wind,

Durch ſauſende Lüfte zum Brocken!
Um Belzebub

Tanzt unſer Trupp,

Und küſst ihm die krallichten Hände!

Ein Geiſterſchwarm

Faſst uns beim Arm,

Und ſchwinget im Tanzen die Brände!
Und[141]
Und Belzebub

Verheiſst dem Trupp

Der Tanzenden Gaben auf Gaben:

Sie ſollen ſchön

In Seide gehn,

Und Töpfe voll Goldes ſich graben!
Ein Feuerdrach'

Umfliegt das Dach,

Und bringet uns Butter und Eier!

Die Nachbarn ſehn

Die Funken wehn,

Und ſchlagen ein Kreuz vor dem Feuer!
Die Schwalbe fliegt,

Der Frühling ſiegt,

Und Blumen entblühn um die Wette!

Bald huſchen wir

Leiſ' aus der Thür,

Und laſſen die Männer im Bette!
Die[142]

Die frühe Liebe.

Schon im bunten Knabenkleide,

Pflegten hübſche Mägdelein

Meine liebſte Augenweide,

Mehr als Pupp' und Ball, zu ſein.
Ich vergaſs der Vogelneſter,

Warf mein Steckenpferd ins Gras,

Wann am Baum bei meiner Schweſter

Eine ſchöne Dirne ſaſs;
Freute mich der muntern Dirne,

Ihres rothen Wangenpaars,

Ihres Mundes, ihrer Stirne,

Ihres blonden Lockenhaars;
Blickt'[143]
Blickt' auf Buſentuch und Mieder,

Hinterwärts gelehnt am Baum;

Streckte dann ins Gras mich nieder,

Dicht an ihres Kleides Saum.
Was ich weiland that als Knabe,

Werd' ich wahrlich immer thun,

Bis ich werd' im kühlen Grabe

Neben meinen Vätern ruhn.
An[144]

An die Grille.

Wiege dich hier auf dieſen Raſenblumen,

Kleines Grillchen, und zirpe deinem Traurer,

Wie dem Schnittermädchen und Schnitterjüngling,

Schlummer entgegen;
Wenigen linden Schlummer, liebes Grillchen:

Daſs die Marter in meiner Seele raſte,

Und im Traumgeſichte mein ſüſſes Mädchen

Freude mir lächle.
Sieges¬[145]

Siegeslied bei Eroberung des
heiligen Grabes.

Aus den Zeiten der Kreuzzüge.


Im Siegesreigen tanzen wir,

Erlöſer, an dein Grab,

Und tönen hohe Jubel dir,

Und ſchauen froh hinab.
Beſchattet von dem Felsgeſträuch,

Umtanzen wir die Gruft,

Und ſtreuen manchen Palmenzweig

Frohlockend durch die Luft.
Dein Vater ſah von ſeinem Thron

Herab auf unſre Schlacht;

Und alle Sarazenen flohn,

Und fühlten Gottes Macht.
K Der[146]
Der Kiſon rieſelt purpurhell

Vom Sarazenenmord,

Und blutig wallt Siloas Quell

Durch ſeine Binſen fort.
Wohl uns! Die Siegerfahne tanzt

Vom Golgatha herab,

Und rauſcht, auf einen Fels gepflanzt,

Hoch über Jeſus Grab.
Ein Engel trat, in Feur gehüllt,

In unſre Vorderreihn;

Das Schwert, das ſeine Rechte füllt,

Blinkt' auf den Feind hinein;
Und eine Purpurfahne flog,

Wie Gottes Lichtgewand,

Bald niedrig und bald wieder hoch,

In ſeiner linken Hand.
Mit[147]
Mit ſeiner Purpurfahne Wehn

Kam Sieg auf unſer Heer;

Dem Feind, kaum hatt' er ihn geſehn,

Entbebte Schwert und Speer.
Vom todeskalten Gottesſchaur

Ward er hinweggeweht,

Und unſre Fahn' auf deine Maur

Jeruſalem, erhöht.
Von unſern Schultern blinkt das Kreuz,

Von unſern Fahnen blinkts;

Der Chriſtenunterjocher ſcheuts;

Und wo es weht, da ſinkts.
Da iſt, hebt das Gemezel an,

Der Knabe ſelber Held;

Da blizen wir den Muſelmann

Zurück vom Waffenfeld.
Be¬[148]
Beflügle fürder unſre Wehr

Mit deinem Rächerbliz,

Und donnre dieſer Mörder Heer

Aus deinem Lieblingsſiz.
Flieg' immer, helles Kreuzpanier,

Den frommen Chriſten vor,

Und rauſch' in Salem für und für

Jehovas Lob empor.
Klage[149]

Klage eines Mädchens über den Tod
ihres Geliebten.

Aus den Zeiten der Kreuzzüge.


Ein banger Traum erſchreckte mich;

O würd' er nie erfüllt!

Sobald der Schlummer mich beſchlich,

Erſchien mir Wilhelms Bild.

Ein Nachtgeſpenſt, das auf der Gruft

Im Todtenhemde ſizt!

Sein Haar flog blutig in die Luft;

Die Bruſt war aufgeſchlizt.
Blut floſs ihm durch das Grabgewand,

Wie eine Purpurflut;

Er nahm des Blutes in die Hand,

Und zeigte mir das Blut.

Sein[150]
Sein blutend Herz, als ſucht' es mich,

Schlug dreimal hoch empor,

Und dreimal flog es ſichtbarlich

Aus ſeiner Wund' hervor.
Doch plözlich floſs ein Lächeln ihm

Ins traurige Geſicht;

Er ſprach, als ſprächen Serafim:

Geliebte, weine nicht!

Es war kein leeres Nachtgebild,

Was mir im Traum erſchien.

Die Sarazenen, kühn und wild,

Die, die zerfleiſchten ihn!
Wo Jeſus Chriſtus uns verſühnt,

Da modert ſein Gebein.

Rauſch ſanfter, wo ſein Hügel grünt,

Rauſch ſanfter, Palmenhain.

Die Seele ruht in Chriſtus Hand,

In deſſen Dienſt er fiel.

Er ſtarb in des Erlöſers Land,

Und Sterben war ihm Spiel.
Drum[151]
Drum lohne dich der Palmenkranz,

Den Jeſus dir verhieſs;

Drum tanze mit den Engeln Tanz

In ſeinem Paradies.

Bald folget dir in Gottes Ruh

Dein armes Mädchen nach,

Und ſchlummert ſüſſen Schlaf, wie du,

Bis an den jüngſten Tag.
Blumen¬[152]

Blumenlied.

Es iſt ein halbes Himmelreich,

Wenn, Paradieſesblumen gleich,

Aus Klee die Blumen dringen;

Und wenn die Vögel ſilberhell

Im Garten hier, und dort am Quell,

Auf Blütenbäumen ſingen.
Doch holder blüht ein edles Weib,

Von Seele gut, und ſchön von Leib,

In friſcher Jugendblüte.

Wir laſſen alle Blumen ſtehn,

Das liebe Weibchen anzuſehn,

Und freun uns ihrer Güte.
Hul¬[153]

Huldigung.

Euch, ihr Schönen,

Will ich fröhnen

Bis an meinen Tod,

Mit Geſangesweiſen.

Bis an meinen Tod

Eure Tugend preiſen.
Ihr, o Guten,

Wohlgemuten,

Macht das Leben ſüſs,

Macht den Mann zum Engel,

Und zum Paradies

Eine Welt voll Mängel.
Wer die Süſſe

Treuer Küſſe

Nicht gekoſtet hat,

Irret wie verloren

Auf dem Lebenspfad,

Iſt noch ungeboren.
Wer[154]
Wer die Süſſe

Treuer Küſſe

Schon gekoſtet hat,

Glänzt von Himmelsſcheine;

Wo ſein Fuſs ſich naht,

Blühen Roſenhaine.
Die[155]

Die Geliebte.

Würde mein heiſſer Seelenwunſch Erfüllung,

Brächt' ein gütig Geſchick mich ihr entgegen,

Eine flügelſchnelle Minut' in ihrem

Himmel zu athmen;
Seliger wär' ich dann, als Staubbewohner!

O dann würd' ich den Frühling beſſer fühlen,

Beſſer meinen Schöpfer in jeder Blume

Schauen und lieben!
Mai¬[156]

Mailied.

Willkommen, lieber ſchöner Mai,

Der unſre Flur verjüngt,

Das ringsum Laub und Blume neu

Aus vollen Knoſpen dringt.
Dir tönt der Vögel Lobgeſang;

Der ganze Buchenhain

Am Blumenthal iſt Silberklang,

Und Bäche murmeln drein.
Roth ſtehn die Blumen, weiſs und blau,

Und Mädchen pflücken ſie,

Und tanzen auf der grünen Au:

Ahi, Herr Mai, ahi!
Ihr Buſen iſt von Blümchen bunt;

Von ſchöner Melodie

Ertönt, und lacht ihr Roſenmund:

Ahi, Herr Mai, ahi!
An[157]

An die Nachtigall.

Geuſs nicht ſo laut der liebentflammten Lieder

Tonreichen Schall

Vom Blütenaſt des Apfelbaums hernieder,

O Nachtigall.

Du töneſt mir mit deiner ſüſſen Kehle

Die Liebe wach;

Denn ſchon durchbebt die Tiefen meiner Seele

Dein ſchmelzend Ach.
Dann flieht der Schlaf von neuem dieſes Lager,

Ich ſtarre dann,

Mit naſſem Blick, und todtenbleich und hager,

Den Himmel an.

Fleuch, Nachtigall, in grüne Finſterniſſe,

Ins Haingeſträuch,

Und ſpend' im Neſt der treuen Gattin Küſſe;

Entfleuch, entfleuch!
Die[158]

Die Beſchäftigungen.

Vilia miretur vulgus, mihi flavus Apollo
Pocula Caſtalia plena miniſtret aqua.

(Ovid.)
Jener liebet den Hof, liebet das Stadtgeräuſch,

Und franzöſiſchen Modewiz,

Küſst den Damen die Hand, miſchet den Pot pourri,

Kocht Pommaden und ſtrickt Filet;
Zieht die Säle voll Tanz Wieſen des Frühlings vor,

Roms Kaſtraten der Nachtigall;

Lebt vom Lächeln des Herrn, dreht, wie ein Wetterhahn,

Nach dem Winde des Hofes ſich.
Dieſer liebet den Prunk gleiſſender Wiſſenſchaft,

Stapelt Bücher auf Bücher auf,

Und begaffet den Band, und den bemalten Schnitt,

Und den gläſernen Bücherſchrank.
Jener[159]
Jener ſchachert umher, wie ein Beſchnittener,

Stopfet Beutel auf Beutel voll;

Schlieſst ſein Kämmerlein zu, ſchüttelt die Beutel aus,

Und beäugelt den Seelenſchaz.
Mich entzücket der Wald, mich der entblühte Baum,

Mich der tanzende Wieſenquell,

Mich der Morgengeſang oder das Abendlied

Meiner Freundin der Nachtigall.
Dämmert endlich mein Traum heiter zum Leben auf,

Giebt der Himmel das Mädchen mir,

Deſſen lächelndes Bild mir um die Seele ſchwebt;

Dann, dann bin ich ein Erdengott!
Wie ein mächtiger Gott, flieg' ich den Himmel durch,

Reiſſe Sterne, wie Blumen, ab,

Und bekränze mein Haupt, trinke die Quelle leer,

Die durch Roſen der Engel fleuſst!
Der[160]

Der Anger.

Mein Anger, welchen früh und ſpat

Ein allerliebſtes Mädchen trat

Mit ihren weiſſen Füſſen,

Mit Zitterklang

Und mit Geſang

Werd' ich dich oft begrüſſen.
Oft werd' ich in dein friſches Gras,

Wo ſie mit mir am Schleedorn ſaſs,

Im Abendrothe kommen,

Und fingen dann,

So gut ich kann,

Der Reinen und der Frommen.
Mit deinen Blumen, weiſs und roth,

Werd' ich, beglänzt vom Abendroth,

Die blanke Zitter krönen,

Und weinen naſs

Das grüne Gras

Beim Namen meiner Schönen.
Gieb[161]
Gieb doch, o lieber grüner Plan,

Am Ende meiner Lebensbahn,

Bei dieſer Murmelquelle,

Wo Vögelein

Des Mais ſich freun,

Mir meine Ruheſtelle.
LTrink¬[162]

Trinklied.

Ein Leben, wie im Paradies,

Gewährt uns Vater Rhein.

Ich geb' es zu, ein Kuſs iſt ſüſs;

Doch ſüſſer iſt der Wein.

Ich bin ſo fröhlich, wie ein Reh,

Das um die Quelle tanzt,

Wenn ich den lieben Schenktiſch ſeh,

Und Gläſer drauf gepflanzt.
Was kümmert mich die ganze Welt,

Wenns liebe Gläslein winkt,

Und Traubenſaft, der mir gefällt,

An meiner Lippe blinkt ?

Dann[163]
Dann trink' ich, wie ein Götterkind,

Die volle Flaſche leer,

Daſs Glut mir durch die Adern rinnt,

Und tauml', und fodre mehr.
Die Erde wär' ein Jammerthal,

Voll Grillenfang und Gicht,

Wüchſ' uns zur Lindrung unſrer Qual

Der edle Rheinwein nicht.

Der hebt den Bettler auf den Thron,

Schafft Erd' und Himmel um,

Und zaubert jeden Erdenſohn

Stracks in Eliſium.
Er iſt die wahre Panacee,

Verjüngt des Alten Blut,

Verſcheuchet Hirn- und Magenweh,

Und was er weiter thut.

Drum lebe das gelobte Land,

Das uns den Wein erzog!

Der Winzer, der ihn pflanzt' und band,

Der Winzer lebe hoch!
Und[164]
Und jeder ſchönen Winzerin,

Die uns die Trauben las,

Weih' ich als meiner Königin

Ein volles Deckelglas!

Es lebe jeder deutſche Mann,

Der ſeinen Rheinwein trinkt,

So lang' ers Kelchglas halten kann,

Und dann zu Boden ſinkt!
Die[165]

Die Laube.

Nimmer werd' ich, nimmer dein vergeſſen,

Kühle grüne Dunkelheit,

Wo mein liebes Mädchen oft geſeſſen,

Und des Frühlings ſich gefreut.
Schauer wird durch meine Nerven beben,

Werd' ich deine Blüten ſehn,

Und ihr Bildniſs mir entgegen ſchweben,

Ihre Gottheit mich umwehn.
Thränenvoll werd' ich beim Mondenlichte,

In der Geiſterſtunde Graun,

Dir entgegen zittern, und Geſichte

Auf Geſichte werd' ich ſchaun;
Mich[166]
Mich in manchen Göttertraum verirren,

Bis Entzückung mich durchbebt,

Und nach meinem ſüſſen Täubchen girren,

Deſſen Abſchied vor mir ſchwebt.
Wenn ich auf der Bahn der Tugend wanke,

Weltvergnügen mich beſtrickt;

Dann durchglühe mich der Feurgedanke,

Was in dir ich einſt erblickt:
Und, als ſtrömt' aus Gottes offnem Himmel

Tugendkraft auf mich herab,

Werd’ ich fliehen, und vom Erdgewimmel

Fernen meinen Pilgerſtab.
Die[167]

Die Mainacht.

Wann der ſilberne Mond durch die Geſträuche blinkt,

Und ſein ſchlummerndes Licht über den Raſen ſtreut,

Und die Nachtigall flötet,

Wandl' ich traurig von Buſch zu Buſch.
Selig preiſ' ich dich dann, flötende Nachtigall,

Weil dein Weibchen mit dir wohnet in Einem Neſt,

Ihrem ſingenden Gatten

Tauſend trauliche Küſſe giebt.
Ueberhüllet von Laub, girret ein Taubenpaar

Sein [Entzücken] mir vor; aber ich wende mich,

Suche dunklere Schatten,

Und die einſame Thräne rinnt.
Wann, o lächelndes Bild, welches wie Morgenroth

Durch die Seele mir ſtralt, find' ich auf Erden dich?

Und die einſame Thräne

Bebt mir heiſſer die Wang' herab.
Der[168]

Der befreite Sklave.

Gottlob, daſs keine Kette mehr

An dieſem Arme klirrt,

Kein Teufel mit gezückter Wehr

Mich Rudernden umirrt!
Der ganze Himmel ſchwebt um mich,

Die Schöpfung iſt mir neu;

Dich hab' ich, ſüſſe Freiheit, dich!

Gott! frei bin ich, bin frei!
Der Bliz des Chriſten fraſs dein Boot,

Du wütiger Korſar;

Sein Donner brüllte Höll' und Tod

Auf deine Räuberſchaar.
Da[169]
Da wimpelte das Siegspanier,

Da tönte Siegsgeſang,

Die Eiſenkett' entklirrte mir

An meiner Ruderbank.
Nun flieg' ich meinem Rheine zu,

Nach dem ich oft geweint,

Und find' an ſeinen Ufern Ruh,

Ein Weib und einen Freund.
Und trink' aus meinem irdnen Krug,

Mit Weinbeerblüt' umlaubt,

Und trinke jedem Fürſten Fluch,

Der uns die Freiheit raubt;
Und Segen jedem braven Mann,

Deſs Herz für Freiheit ſchlägt,

Der gerne wider dich, Tirann,

Die Freiheitsfahne trägt.
Die[701[170]]

Die Schiffende.

Sie wankt dahin; die Abendwinde ſpielen,

Ihr Apfelblüten zu;

Die Vögelein, ſo ihre Gottheit fühlen,

Erwachen aus der Ruh.
Wie ihr Gewand im Morgenglanze flittert,

Und ihres Buſens Flor!

Sie wankt dahin; der helle Vollmond zittert

Aus jeder Well' hervor.
Da rauſcht der Kahn durch hangende Geſträuche,

Birgt mir das Engelbild,

Schwankt izt hervor, tanzt wieder auf dem Teiche,

Den ihre Gottheit füllt.
Ver¬[171]
Verdeckt mir nicht, ihr hangenden Geſträuche,

Ihr lächelndes Geſicht;

Sie tanzt ſo ſchön auf ihrem Silberteiche:

Ihr Erlen, bergt ſie nicht.
Weht, Winde, weht, o flügelt ſie, ihr Winde,

An dieſe Laub' heran,

Daſs ich mich ihr im Schauer dieſer Linde

Zu Füſſen werfen kann.
Mai¬[172]

Mailied.

Schön im Feierſchmucke lächelt,

Hold und bräutlich, die Natur;

Blumen wehn, vom Weſt gefächelt,

Gelb und roth, auf grüner Flur;

Um die kleinen Neſter hüpfend,

Singt der Vögel Chor im Hain;

Und der kalten Tief' entſchlüpfend,

Spielt der Fiſch im Sonnenſchein.
Blau und golden ſchwebt der Aether

Im bebüſchten Gartenteich;

Bäume, weiſſer hier, dort röther,

Spiegeln ihren Blütenzweig.

Durch die Blüten, durch das grüne

Blumenthal, vom Sonnenſchein

Ueberſtralet, ſummt die Biene,

Sammelt ſüſſen Nektar ein.
Heller[173]
Heller blühn der Liebe Roſen

Um den Mund der Schäferin;

Schäferin und Schäfer koſen

Manche goldne Stunde hin.

Sizend unter grünen Bäumen,

Hören ſie den Waſſerfall

Ueber glatte Kieſel ſchäumen,

Und Geſang der Nachtigall.
Traute Scherz' und Küſſe flüſtern

Durch das Thal, und auf den Höhn,

Wo die Liebenden in düſtern

Buchenlabirinthen gehn.

Küſſe flüſtern aus den Lauben

Um die Abenddämmerung;

Küſſe geben, Küſſe rauben,

Iſt der Welt Beſchäftigung.
An[174]

An Laura.

Bei dem Sterbebette ihrer Schweſter,
im December 1768.


Wanke näher an das Sterbebette,

Wo Lucindens Hülle ſtarrt,

Wo ihr Geiſt von ſeiner Sklavenkette

Losgekettet ward.
Helle deinen Thränenblick. Am Throne,

Wo der Gottverſöhner thront,

Iſt Lucinde mit der Siegeskrone,

Wohl ihr! ſchon belohnt.
Denke dieſer bleichen Todesmiene,

Dieſes Lagers, wo du weinſt,

Wann du wieder auf der Narrenbühne

Deiner Stadt erſcheinſt.
Ihres[175]
Ihres Kampfes denk' und ihres Röchelns,

Erdgedanken zu zerſtreun;

Ihres Glaubens, ihres lezten Lächelns,

Gottes dich zu freun.
Lebens¬[176]

Lebenspflichten.

Roſen auf den Weg geſtreut,

Und des Harms vergeſſen!

Eine kurze Spanne Zeit

Ward uns zugemeſſen.

Heute hüpft im Frühlingstanz

Noch der frohe Knabe;

Morgen weht der Todtenkranz

Schon auf ſeinem Grabe.
Wonne führt die junge Braut

Heute zum Altare;

Eh die Abendwolke thaut,

Ruht ſie auf der Bahre.

Gebt denn Harm und Grillenſang,

Gebet ihn den Winden;

Ruht bei hellem Becherklang

Unter grünen Linden.
Laſſet[177]
Laſſet keine Nachtigall

Unbehorcht verſtummen,

Keine Bien' im Frühlingsthal

Unbelauſcht entſummen.

Schmeckt, ſo lang' es Gott erlaubt,

Kuſs und ſüſſe Trauben,

Bis der Tod, der alles raubt,

Kommt, auch ſie zu rauben.
Unſerm ſchlummernden Gebein,

Von dem Tod' umdüſtert,

Duftet nicht der Roſenhain,

Der am Grabe flüſtert,

Tönet nicht der Wonneklang

Angeſtoſsner Becher,

Noch der frohe Rundgeſang

Weinbelaubter Zecher.
AnM[178]

An die Apfelbäume,
wo ich Julien erblickte.

Ein heilig Säuſeln, und ein Geſangeston

Durchzittre deine Wipfel, o Schattengang,

Wo bang' und wild der erſten Liebe

Selige Taumel mein Herz berauſchten.
Die Abendſonne bebte wie lichtes Gold

Durch Purpurblüten, bebte wie lichtes Gold

Um ihres Buſens Silberſchleier;

Und ich zerfloſs in Entzückungsſchauer.
Nach langer Trennung küſſe mit Engelkuſs

Ein treuer Jüngling hier das geliebte Weib,

Und ſchwör' in dieſem Blütendunkel

Ewige Treue der Auserkornen.
Ein[179]
Ein Blümchen ſproſſe, wann wir geſtorben ſind,

Aus jedem Raſen, welchen ihr Fuſs berührt,

Und trag' auf jedem ſeiner Blätter

Meines verherlichten Mädchens Namen.
Der[180]

Der Liebende.

Beglückt, beglückt,

Wer dich erblickt,

Und deinen Himmel trinket;

Wem dein Geſicht

Voll Engellicht

Den Gruſs des Friedens winket.
Ein ſüſſer Blick,

Ein Wink, ein Nick,

Glänzt mir wie Frühlingsſonnen;

Den ganzen Tag

Sinn' ich ihm nach,

Und ſchweb' in Himmelswonnen.
Dein holdes Bild

Führt mich ſo mild

An ſanfter Blumenkette;

In meinem Arm

Erwacht es warm,

Und geht mit mir zu Bette.
Be¬[181]
Beglückt, beglückt,

Wer dich erblickt,

Und deinen Himmel trinket;

Wen ſüſſer Blick

Und Wink und Nick

Zum ſüſſern Kuſſe winket.
An[182]

An die Fantaſie.

1776.


Komm mit lächelndem Blick, Zauberin Fantaſie,

Aetherblumen um deine Stirn',

Und erhelle der Nacht Schatten, die ſchlummerlos

Um mein einſames Lager hängt.
Dein unſterblicher Fuſs weilet, o Königin,

An den Quellen des Morgenroths;

Du entſchöpfeſt dem Quell liebliches Roſenlicht,

Und beſtraleſt die Erdenwelt.
Eine Grazie hüpft, leicht wie ein Roſenblatt,

Liebelächelnd an deiner Hand,

Schlingt ſich mir um den Arm, wandelt im Abendglanz

Durch die thauigen Blumen hin;
Durch[183]
Durch den ſäuſelnden Hain, durch das Gebüſch von Gold,

Durch das ſchlummernde Mondenlicht;

Und aus Roſengewölk ſchimmert der Abendſtern

Meiner Wallerin ins Geſicht.
Horch, die Nachtigall ſingt! Seze dich hier am Bach!

Schüchtern ſinkt ſie auf meinen Schooſs,

Und ich küſſ' ihr den Schleir von der gehobnen Bruſt,

Schweb' in Träumen Eliſiums.
Seuf¬[184]

Seufzer.

Die Nachtigall

Singt überall

Auf grünen Reiſen

Die beſten Weiſen,

Daſs ringsum Wald

Und Ufer ſchallt.
Manch junges Paar

Geht dort, wo klar

Das Bächlein rauſchet,

Und ſteht, und lauſchet

Mit frohem Sinn

Der Sängerin.
Ich höre bang'

Im düſtern Gang

Der Nachtigallen

Geſänge ſchallen;

Denn ach! allein

Irr' ich im Hain.
Die[185]

Die Liebe.

Dieſe Erd' iſt ſo ſchön, wann ſie der Lenz beblümt,

Und der ſilberne Mond hinter dem Walde ſteht,

Iſt ein irdiſcher Himmel,

Gleicht den Thalen der Seligen.
Schöner lächelt der Hain, ſilberner ſchwebt der Mond,

Und der ganze Olimp fleuſst auf die Erd' herab,

Wann die Liebe den Jüngling

Durch die einſamen Büſche führt.
Wann ihr goldener Stab winket, beflügelt ſich

Jede Seele mit Glut, ſchwingt ſich den Sternen zu,

Schwebt durch Engelgefilde,

Trinkt aus Bächen der Serafim;
Weilt,[186]
Weilt, und trinket, und weilt, ſchwanket im Labirinth;

Eine reinere Luft athmet von Gottes Stul

Ihr entgegen, und weht ſie

Gleich dem Säuſeln Jehovas an.
Selten winket ihr Stab, ſelten enthüllet ſie

Sich den Söhnen des Staubs. Ach! ſie verkennen dich;

Ach! ſie hüllen der Wolluſt

Deinen heiligen Schleier um.
Mir erſchieneſt du, mir, höheres Glanzes voll,

Wie dein Sokrates dich, wie dich dein Plato ſah;

Wie du jenem im Thale

Seiner Quelle begegneteſt.
Erd' und Himmel entflieht ſterbenden Heiligen;

Lebensblütengeruch ſtrömet um ſie herum;

Engelfittige rauſchen,

Und die goldene Krone winkt.
Erd'[187]
Erd' und Himmel entfloh, als ich dich, Dafne, ſah;

Als dein purpurner Mund ſchüchtern mir lächelte,

Als dein athmender Buſen

Meinen Blicken entgegen ſtieg.
Unbekanntes Gefühl bebte zum erſtenmal

Durch mein jugendlich Herz; froh wie Anakreon,

Goſs ich Flammen der Seele

In mein zitterndes Saitenſpiel.
Eine Nachtigall flog, als ich mein erſtes Lied,

Süſſe Liebe, dir ſang, flötend um mich herum;

Und es taumelten Blüten

Auf mein liſpelndes Spiel herab.
Seit ich Dafnen erblickt, raucht kein vergoſſenes

Blut durch meinen Geſang, ſpend' ich den Königen

Keinen ſchmeichelnden Lorber,

Sing' ich Mädchen und Mädchenkuſs.
Elegie[188]

Elegie
bei dem Grabe meines Vaters.

1775.


Selig alle, die im Herrn entſchliefen!

Selig, Vater, ſelig biſt auch du!

Engel brachten dir den Kranz, und riefen;

Und du gingſt in Gottes Ruh;
Wandelſt über Millionen Sternen,

Siehſt die Handvoll Staub, die Erde, nicht;

Schwebſt im Wink durch tauſend Sonnenfernen,

Schaueſt Gottes Angeſicht;
Siehſt das Buch der Welten aufgeſchlagen;

Trinkeſt durſtig aus dem Lebensquell;

Nächte, voll von Labirinthen, tagen,

Und dein Blick wird himmelhell.
Doch[189]
Doch in deiner Ueberwinderkrone

Senkſt du noch den Vaterblick auf mich;

Beteſt für mich an Jehovas Throne,

Und Jehova höret dich.
Schwebe, wann der Tropfen Zeit verrinnet,

Den mir Gott aus ſeiner Urne gab,

Schwebe, wann mein Todeskampf beginnet,

Auf mein Sterbebett' herab:
Daſs mir deine Palme Kühlung wehe,

Kühlung, wie von Lebensbäumen träuft;

Daſs ich ſonder Graun die Thäler ſehe,

Wo die Auferſtehung reift;
Daſs mit dir ich durch die Himmel ſchwebe,

Wonneſtralend und beglückt, wie du;

Und mit dir auf Einem Sterne lebe,

Und in Gottes Schooſſe ruh.
Grün'[190]
Grün' indeſſen, Strauch der Roſenblume,

Deinen Purpur auf ſein Grab zu ſtreun.

Schlummre, wie im ſtillen Heiligthume,

Hingeſäetes Gebein.
Auf¬[191]

Auftrag.

1776.


Ihr Freunde, hänget, wann ich geſtorben bin,

Die kleine Harfe hinter dem Altar auf,

Wo an der Wand die Todtenkränze

Manches verſtorbenen Mädchens ſchimmern.
Der Küſter zeigt dann freundlich dem Reiſenden

Die kleine Harfe, rauſcht mit dem rothen Band,

Das, an der Harfe feſtgeſchlungen,

Unter den goldenen Saiten flattert.
Oft, ſagt er ſtaunend, tönen im Abendroth

Von ſelbſt die Saiten, leiſe wie Bienenton;

Die Kinder, auf dem Kirchhof ſpielend,

Hörtens, und ſahn, wie die Kränze bebten.
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Notes
1).
Wir verſammelten uns alle Sonnabende, gingen mit
einander ins Feld, ſprachen über Wiſſenſchaften und
Empfindungen, und beurtheilten unſere Arbeiten.
2).
Er wollte es ſchon Oſtern, und gab mir einen Theil
ſeiner Bücher mit. Im Julius beſuchte er mich auf
acht Tage, und ſeine Geſundheit ſchien ſich zu beſ¬
ſern. Michaelis muſste ich ihm ſchon eine Stube in
meiner Wohnung mieten. Aber die Vorſehung ver¬
ſagte uns beiden das Glück, wieder vereinigt zu
werden.
3).
In Göttingen ward, weil wir nicht völlig wie andre
Studenten waren, auf einigen Kathedern zwar nur
leiſe, aber in gewiſſen Zuſammenkünften von Profeſ¬
ſoren und andern deſto lauter, von einer Barden¬
geſellſchaft geredet, welchen man mit ſinnreicher
Frohherzigkeit viel abentheurliches, z. E. daſs ſie mit
ihren Bardenſchülern auf einen benachbarten Hexen¬
berg auszögen, ſich in Thierhäute vermummten, um
Mitternacht opferten, und keinen Wein, aber ge¬
waltig viel Bier
tränken, und mehr derglei¬
chen nachſagte.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 2. Gedichte. Gedichte. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bntp.0