im Zeitalter der Reformation.
Bei Duncker und Humblot.
[[II]][[III]]
Inhalt.
- Seite
- Drittes Buch. Verſuche einer nationalen
Durchfuͤhrung der Reform. 1521—1525 1 - Erſtes Capitel. Unruhen in Wittenberg. Octo-
ber 1521 bis Maͤrz 1522 8 - Friedrich der Weiſe 25.
Zweites Capitel. Weltliche und geiſtliche Ten-
denzen des Reichsregimentes 1521—23 37 - Reichstage zu Nuͤrnberg 1522, 1523. 40 ff.
Entwurf eines Grenzzollſyſtemes 44.
Drittes Capitel. Ausbreitung der Lehre. 1522
bis 1524 65 - Viertes Capitel. Oppoſition gegen das Regi-
ment, Reichstag von 1523, 24 100 - Sickingen und ſeine Gegner 101
- Die Staͤdte und der kaiſerliche Hof 124
- Reichstag von 1524 133
- Fuͤnftes Capitel. Urſprung der Spaltung in der
Nation145 - Convent in Regensburg 158.
Sechstes Capitel. Der Bauernkrieg182 - Siebentes Capitel. Anfang entgegengeſetzter
Buͤndniſſe, Reichstag zu Augsburg im
Dez. 1525 225 - Erſte Saͤculariſationsverſuche 233.
- Seite
- Viertes Buch. Auswaͤrtige Verhaͤltniſſe,
Gruͤndung der Landeskirchen. 1521—1528 249 - Erſtes Capitel. Franzoͤſiſch-italieniſche Kriege
bis zur Ligue von Cognac. 1521—1526 251 - Feldzug von 1521, 22 260
- Feldzug von 1523, 24. Angriff auf Frankreich 283
- Schlacht bei Pavia 305
- Mißverſtaͤndniſſe zwiſchen Papſt und Kaiſer 320
- Zweites Capitel. Reichstag zu Speier im Jahr
1526 346 - Drittes Capitel. Eroberung von Rom im Jahr
1527 372 - Viertes Capitel. Beſitznahme von Boͤhmen und
Ungern402 - Fuͤnftes Capitel. Gruͤndung evangeliſcher Ter-
titorien431 - Prinzip des evangeliſchen Kirchenrechts 437.
Viſitation in Sachſen 442. Heſſen 450.
Fraͤnkiſch-brandenburgiſche Fuͤrſtenthuͤmer 452.
Nuͤrnberg 454. Luͤneburg 459. Oſtfriesland
460. Schleswig und Holſtein 461. Schle-
ſien 462. Preußen 466.
Drittes Buch.
Verſuche einer nationalen Durchführung der Reform.
1521 — 1525.
Ranke d. Geſch. II. 1
[[2]][[3]]
Wir haben geſehen, wie aus der einſeitigen Entwickelung
welche das lateiniſche Kirchenweſen genommen, die Noth-
wendigkeit entſprang daſſelbe zu reformiren, die allgemeine
Lage der Weltverhältniſſe das forderte, die nationalen Re-
gungen des deutſchen Geiſtes, die Fortſchritte der Gelehr-
ſamkeit, die Gegenſätze der Theologie dazu vorbereiteten, —
wie endlich die Mißbräuche des Ablaßhandels, die daran ſich
knüpfenden Streitigkeiten, ohne daß Jemand die bewußte
Abſicht gehabt hätte, zu dem gewaltigſten Ausbruche der
Oppoſition führten.
War das nun unvermeidlich, ſo dürfen wir doch nicht
weiter gehn, ohne zu bemerken wie höchſt gefährlich es zu-
gleich werden konnte.
Denn in der Totalität des Beſtehenden, wie es nun
einmal geworden, iſt alles verbunden, unterſtützt ſich alles:
ſind die innern Lebenskräfte einmal in Kampf geſetzt, wer
kann ſagen, wo dem ſiegreichen Angriff wieder Einhalt ge-
ſchehen, ob er nicht alles umſtürzen werde.
Bei welchem Inſtitute auf Erden wäre aber dieſe Ge-
fahr größer geweſen, als bei dem Papſtthum, welches auf
1*
[4]Drittes Buch.
das geſammte Leben der europäiſchen Nationen ſeit Jahr-
hunderten einen ſo mächtigen Einfluß ausgeübt hatte.
Was in Europa beſtand, war doch im Grunde eben
jener kriegeriſch-prieſterliche Staat, der im 8ten, 9ten
Jahrhundert gebildet worden, und allen Veränderungen
welche eingetreten ſeyn mochten zum Trotz, in ſeiner Tiefe,
der Miſchung ſeiner Grundbeſtandtheile immer derſelbe ge-
blieben war. Ja die Veränderungen welche geſchehen
ſelbſt, hatten doch in der Regel das prieſterliche Element
begünſtigt; eben vermöge ſeiner Siege hatte es alle For-
men des öffentlichen und des Privat-Lebens, alle Adern
der geiſtigen Bildung durchdrungen. Wie war es möglich,
es anzugreifen, ohne alles zu erſchüttern, in Frage zu ſetzen,
ohne das ganze gebildete Daſeyn zu gefährden.
Man dürfte nicht glauben, dem Dogma, in dem Fort-
gange ſeiner hierarchiſch-ſcholaſtiſchen Formation, habe eine ſo
unwiderſtehliche Kraft die Gemüther zu überzeugen, ſich zu ei-
gen zu machen, beigewohnt. Dieſe Feſtſetzung ſelbſt hatte viel-
mehr unaufhörlichen Widerſpruch gefunden; in der Regel
wohl nur innerhalb des Kreiſes der einmal angenommenen
Ideen, zuweilen aber auch jenſeit deſſelben in entſchloſſener
Feindſeligkeit. Allein das enge Verhältniß, in dem ſich das
Papſtthum zu allen beſtehenden Gewalten zu erhalten wußte,
hatte immer bewirkt, daß die Oppoſitionen unterlagen.
Wie hätte auch z. B. ein Kaiſer es wagen können, eine
dem herrſchenden Syſtem der Gedanken nicht in einzelnen
Beſtimmungen, worauf wenig ankam, ſondern innerlich und
weſentlich entgegengeſetzte religiöſe Meinung in Schutz zu
nehmen? Selbſt einem Papſte gegenüber, den er bekriegte,
[5]Vorwort.
durfte er es nicht wagen: er hätte fürchten müſſen den gei-
ſtigen Grund zu untergraben auf welchem ſeine eigne Würde
beruhte; übrigens hätte er ja auch erſt ſelbſt den Kreis der
Vorſtellungen zu durchbrechen gehabt, der die Gemüther feſ-
ſelte. Die Staatsgewalten fühlten ſich immer in unauflös-
lichen Beziehungen zur Hierarchie; die Verfolgungen der
Andersgläubigen führten ſie in der Regel ſelber aus.
Dazu kam, daß ſich mit den letzten Angriffen auf das
römiſche Kirchenweſen in der That Unternehmungen der ge-
fährlichſten Art in Verbindung geſetzt hatten.
Es war nun anderthalb Jahrhunderte her, daß John
Wicliffe in England ziemlich mit denſelben Waffen wie Lu-
ther, und durch verwandte nationale Regungen unterſtützt,
den Kampf mit dem Papſtthum unternommen hatte, aber
auf der Stelle hatte ſich ihm eine ſtürmiſche Bewegung
der unterſten Stände zugeſellt, die mit den Verbeſſe-
rungen des Dogma oder der Emancipation von dem rö-
miſchen Stuhle nicht zufrieden, auf die Vertilgung der
geſammten Pfründen beſetzenden Geiſtlichkeit, 1 ja auf die
Gleichmachung des Edelmanns und des Bauern, d. i. auf
eine vollſtändige Umkehr der Kirche und des Staates aus-
gieng. Mochte nun Wicliffe an dieſem Treiben Antheil
haben oder nicht, genug, von der Ungunſt welche es er-
weckte, ward auch er betroffen, und von dem Schauplatz
ſeiner Thätigkeit, von Oxford, von wo er ſich unmittelbar
in der Welt hätte Bahn machen können, auf den engen
Wirkungskreis einer Landpfarre verwieſen.
[6]Drittes Buch.
Die Bewegungen in Böhmen, die in Folge der Leh-
ren und der Verdammung Huſſens ausbrachen, hielten ſich
zwar zunächſt an das geiſtliche Element von dem ſie aus-
gegangen waren; 1 allein der Widerſtand den ſie fanden
erweckte gar bald eine höchſt verderbliche fanatiſche Rich-
tung. Die Taboriten verwarfen nicht allein die Lehren der
Kirchenväter, ſo gut wie die ſpäteſten Satzungen, ſondern ſie
wollten die Bücher, in denen ſie enthalten, vertilgt wiſſen.
Sie erklärten es für eitel und unevangeliſch, ja ſündlich,
Studien zu treiben, Grade auf den Univerſitäten zu em-
pfangen. 2 Sie predigten, daß Gott die Welt verderben
wolle, und nur die gerechten Menſchen in fünf Städten
erretten werde: 3 ihre Prediger hielten ſich für die Racheen-
gel Gottes, geſendet, um ſein Gebot der Vernichtung zu
vollſtrecken. Sie würden die Welt im Namen Gottes in
eine Wüſte verwandelt haben, wenn es in ihrer Macht
geſtanden hätte.
Denn mit einer gelingenden Oppoſition pflegen ſich
zerſtörende Tendenzen zu entwickeln; um ſo heftiger, je ge-
waltiger der Feind noch iſt, mit dem ſie kämpfen muß.
[7]Vorwort.
Und ſollte nun in Deutſchland, wo der Papſt bis-
her einen Theil der Reichsgewalt in Händen gehabt, nicht
auch ein ähnlicher Sturm zu befürchten ſeyn?
Die Nation war von einer allgemeinen Gährung er-
griffen: in der Tiefe hatte ſich, den geordneten Gewalten
gegenüber, ſchon immer die drohende Empörung geregt:
ſollte ſie durch den Angriff auf die höchſte irdiſche Gewalt
die man anerkannte, nicht aufgerufen werden? ſollten ſich
nicht die deſtructiven Kräfte erheben, welche jede Geſellſchaft
birgt, und welche dieſer prieſterlich-kriegeriſche Staat ſchlech-
terdings nicht hatte beſeitigen können?
Für die Zukunft der deutſchen Nation kam nun alles
darauf an, ob ſie dieſe Gefahr beſtehen würde, oder nicht,
ob es ihr gelingen würde, ſich von dem Papſtthum zu
trennen, ohne zugleich den Staat und die allgemeine lang-
ſam gewonnene Cultur zu gefährden, zu welcher Verfaſſung
— denn ohne große politiſche Veränderung konnte es
nicht abgehen — die Nation alsdann ſich entwickeln würde.
Darauf beruhte zugleich die Möglichkeit einer Einwirkung
auf die übrige Welt.
Zunächſt nahm der Gang der Ereigniſſe einen höchſt
gefährlichen Character an.
[[8]]
Erſtes Capitel.
Unruhen in Wittenberg.
October 1521 bis März 1522.
Noch einmal hatte ſich in Deutſchland die höchſte welt-
liche Gewalt mit dem Papſtthum verbündet, und im erſten
Augenblick machte das doch einen großen Eindruck. Das
Wormſer Edict ward allenthalben verkündigt, und hie und
da wurden die Beichtväter von den Biſchöfen inſtruirt, Nie-
manden zu abſolviren, der ſich lutheriſcher Meinungen ſchul-
dig mache. Luthern ſelbſt wußte ſein Fürſt nur dadurch
zu retten, daß er ihn auf der Reiſe im Thüringer Wald
überfallen, zum Schein gefangen nehmen und nach der
Wartburg führen ließ, wo er ihm eine Freiſtatt beſtimmt
hatte. Man breitete aus, er ſey von einem Feinde des
Churfürſten aufgehoben und vielleicht getödtet worden.
Allein ſehr bald zeigte ſich doch, wie wenig damit er-
reicht war.
Wo Carl ſelbſt ſich aufhielt, in ſeinen niederländiſchen
Städten brachte man wohl Luthers Schriften zu Hauf und
verbrannte ſie; man ſah den Kaiſer ironiſch lächeln, wenn
er über einen Marktplatz gehend an ſo einem Feuer vorüber
kam; in dem innern Deutſchland hören wir nichts von
[9]Unruhen in Wittenberg.
dieſen Executionen. Vielmehr machte hier der Ruf der
Ereigniſſe am Reichstag, das erſcheinende Edict Luthern
neue Freunde. Daß er in Worms ſich zu ſeinen Büchern
bekannt, ſich erboten, ſie zu widerrufen, wenn man ihn
widerlege, und ſich doch Niemand an ihn gewagt habe,
erſchien als ein großes Argument für die Wahrheit ſeiner
Lehre. 1 „Je mehr man Luthers Lehre einſchränkt,“ ſagt
Zaſius, „deſto mehr breitet ſie ſich aus.“ 2 Machte man
an der Univerſität Freiburg dieſe Erfahrung, wo die alt-
geſinnte Partei ſo mächtig war, wie viel mehr anderwärts!
Der Churfürſt von Mainz hielt es nicht für gut, den Mi-
noriten die Erlaubniß zu geben, um die ihr Provinzial bat,
in ſeinen Diöceſen gegen Luther zu predigen; er fürchtete
die Bewegung nur zu vermehren. 3 Den Cenſurverord-
nungen des Edictes zum Trotz erſchien Flugſchrift auf
Flugſchrift im Sinne der Neuerung. Die meiſten waren
anonym, Hutten wagte es ſogar, mit ſeines Namens Un-
terſchrift, geradezu den Nuntius des Papſtes, den Ver-
faſſer des Edictes, Aleander anzugreifen. Unter anderm
fragt er ihn, ob er denn glaube mit einem einzigen
Edictchen, das er einem jungen Fürſten liſtig abgepreßt,
Religion und Freiheit zu unterdrücken. Gleich als ver-
[10]Drittes Buch. Erſtes Capitel.
möge ein kaiſerlicher Befehl etwas gegen das unwandelbare
Gottes Wort. Sey nicht vielmehr die Meinung eines Für-
ſten veränderlich? Der Kaiſer, meint er, werde mit der
Zeit ſchon anders denken lernen. 1 Dieſe römiſchen Agen-
ten waren ſelbſt erſtaunt, daß die mit ſo vieler Mühe aus-
gebrachte Verordnung ſo wenig nutzte. Sie ſagten, noch
ſey die Tinte kaum trocken, mit welcher der Kaiſer das
Edict unterzeichnet, ſo werde es ſchon allenthalben gebro-
chen. Sie ſollen ſich damit getröſtet haben, wenn es zu
weiter nichts führe, ſo ſey doch damit der Grund zu einer
unausbleiblichen Entzweiung zwiſchen den Deutſchen ſelbſt
gelegt.
Vor allem war es bedeutend, daß die Univerſität Wit-
tenberg von dem kaiſerlichen Edict ſo wenig berührt wurde,
wie früher von der päpſtlichen Bulle. Hier hatten die
neuen Doctrinen bereits ein von der Perſönlichkeit und un-
mittelbaren Theilnahme Luthers unabhängiges Leben ge-
wonnen, und die Blüthe der deutſchen Jugend ſtrömte her-
bei, ſie in ſich aufzunehmen; es trug fürs Erſte wenig
aus, ob Luther zugegen war oder nicht; die Hörſäle wa-
ren eben ſo voll: 2 ſeine Grundſätze wurden in Vortrag und
Schrift mit dem gleichen Eifer verfochten. Ja die kühnſte
Stellung nahm in dieſem Augenblick die neue kleine Uni-
verſität. Als die Sorbonne ihr Stillſchweigen endlich
[11]Unruhen in Wittenberg.
brach und ſich gegen Luther erklärte, glaubte ſich Melanch-
thon nicht nur verpflichtet für ſeinen abweſenden Freund
das Wort zu nehmen, ihn zu vertheidigen, ſondern er wagte
es, der Univerſität zu Paris, von der alle theologiſchen
Doctrinen ausgegangen, von der die deutſchen Univerſitä-
ten ſelbſt ſich nur abgezweigt, auf deren Entſcheidung die
Welt von jeher gehorcht, der alma mater, die Anklage
zurückzugeben die ſie erhob, ſie ſelbſt des Abfalls von dem
wahren Chriſtenthum zu beſchuldigen. Er trug kein Be-
denken, die ganze auf den Univerſitäten herrſchende Lehre,
die Scholaſtik überhaupt, dem Inhalt der Schrift gegen-
über, für abgewichen für ketzeriſch zu erklären. 1 Die höch-
ſten Gewalten der Chriſtenheit hatten geſprochen; der Papſt
hatte eine verdammende Bulle erlaſſen; die große Mutter-
Univerſität unterſtützte ſeinen Ausſpruch mit dem ihren;
der Kaiſer hatte befohlen ihn zu vollziehen; in dem kleinen,
vor wenig Jahren kaum genannten Wittenberg wagte ein
junger Profeſſor der noch im Anfang der zwanziger Jahre
ſtand, in deſſen unſcheinbarer Geſtalt und beſcheidner Hal-
tung Niemand Heldenmuth oder Kühnheit geſucht hätte,
ſich allen dieſen Gewalten entgegenzuſtellen: die verdamm-
ten Lehren zu vertheidigen, ja den Ruhm chriſtlich zu ſeyn
für ſie allein in Anſpruch zu nehmen.
Das machte wohl auch: man beurtheilte die Sachen
nicht nach dem grandioſen Anſchein den ſie trugen: man
wußte, welche Motive namentlich dominicaniſcher Einwir-
kung den römiſchen Hof beſtimmt hatten, mit welchen Mit-
[12]Drittes Buch. Erſtes Capitel.
teln dann das Edict bei dem Kaiſer ausgebracht, wie es
publicirt worden war: man nannte die drei Männer, von
welchen die Verdammung in Paris herrühre, und bezeich-
nete ſie mit den verächtlichſten Namen. 1 Dagegen war man
ſich hier einer reinen Geſinnung, eines feſten und uner-
ſchütterlichen Grundes bewußt. Die Bedeutung des Für-
ſten, der einen nicht ausgeſprochenen, aber auch nicht zwei-
felhaften Schutz gewährte, ſicherte gegen alle unmittelbare
Gewalt.
Wagte man es aber eine ſo unabhängige großartige
Stellung zu ergreifen, allen anerkannten Gewalten entge-
gengeſetzt und im Grunde nur mit der Meinung verbün-
det, die ihren ganzen Inhalt ſelber noch nicht kannte,
ihre poſitive Geſtaltung erſt noch empfangen ſollte, ſo liegt
auch am Tage, welche Verpflichtung man damit über ſich
nahm. Mit der Durchführung der Grundſätze, die man
bekannte, hatte man einer zahlreichen, empfänglichen, har-
renden Menge theilnehmender Geiſter voranzugehn. Hier
zuerſt, wo doch alle Elemente des prieſterlich-kriegeriſchen
Staates ſo gut vorhanden waren wie anderwärts, mußte
es ſich zeigen, in wie fern es möglich ſey den Abfall von
dem Prieſterthum zu wagen und doch nicht zugleich den
Staat zu gefährden.
Unmöglich aber wäre es geweſen, ſtehen zu bleiben.
Die Aufregung der Gemüther war zu groß, um ſich mit
der Doctrin allein zu begnügen. Auf die Lehren die man
[13]Unruhen in Wittenberg.
erſchüttert, waren Gebräuche gegründet die jeden Augen-
blick des täglichen Lebens beherrſchten; von dieſer thatkräf-
tigen, ſich ſelber fühlenden, durch mächtig erwachende Ideen
vorwärts getriebenen Generation ließ ſich nicht erwarten,
daß ſie ihrer Überzeugung Gewalt anthun, und Ordnungen
befolgen würde, die ſie zu verdammen anfieng.
Das Erſte was geſchah war das Allerperſönlichſte.
Ein paar Pfarrer in der Nähe, die ſich zu der Wit-
tenberger Schule hielten, Jacob Seidler auf der Glashütte
und Bartholomäus Bernhardi von Kemberg ſprachen ſich
ſelbſt von der Pflicht des Cölibates los. Es war das die-
jenige Einrichtung der Hierarchie, die wegen der natürli-
chen Neigung der Deutſchen zu einem traulichen Familien-
leben bei dem deutſchen Clerus von Anfang den meiſten
Widerſpruch gefunden, und in ihren Folgen die Moral der
Nation am tiefſten verletzt hatte. Die beiden Pfarrer ga-
ben als ihren Grund an, daß es keinem Papſt und keiner
Synode freigeſtanden, die Kirche mit einer Satzung zu be-
ſchweren, welche Leib und Seele gefährde. 1 Hierauf wur-
den beide von der geiſtlichen Gewalt in Anſpruch genom-
men. Aber nur Seidler, in dem Gebiete des Herzog Georg
von Sachſen, ward ihr überlaſſen: er iſt da in dem Ge-
fängniß umgekommen. Gegen Bernhardi lieh Churfürſt
Friedrich dem Erzbiſchof von Magdeburg ſeinen Arm nicht;
er wollte ſich, wie Spalatin es ausdrückt, nicht zum Scher-
gen brauchen laſſen. Carlſtadt faßte Muth, das Inſtitut
des Cölibates in einer ausführlichen Schrift anzugreifen.
[14]Drittes Buch. Erſtes Capitel.
Wie der Cölibat die Übertragung eines Mönchsge-
lübdes auf den Prieſterſtand war, ſo ſtand die Auflöſung
deſſelben auch mit den Ideen über das Kloſterweſen in
Verbindung. In der kleinen Auguſtinerkirche in welcher
Luther anfangs aufgetreten, hielt jetzt einer ſeiner geſchick-
teſten Mitbrüder, Gabriel Zwilling, feurige Predigten, in
denen er die Gelübde überhaupt, das ganze Mönchsweſen
angriff, und es nicht allein für erlaubt, ſondern für noth-
wendig erklärte, ſich von denſelben loszuſagen, „denn in
der Kutte könne man nicht ſelig werden.“ Dreizehn Au-
guſtiner auf einmal traten aus, und nahmen ihre Woh-
nung zum Theil unter den Bürgern zum Theil unter den
Studenten; einer von ihnen, der das Tiſchlerhandwerk ver-
ſtand, bat um das Bürgerrecht und gedachte ſich zu ver-
heirathen. 1 Eine allgemeine Aufregung entſtand; die noch
in dem Kloſter verbliebenen Auguſtiner hielten ſich nicht
mehr für ſicher; das Barfüßerkloſter in Wittenberg mußte
des Nachts mit einer ſtarken Wache geſchützt werden.
Aber ſchon hatte derſelbe Bruder Gabriel noch einen
andern weiter führenden Angriff gemacht. Die Grundſätze
Luthers über das Sacrament dehnte er dahin aus, daß
er die Anbetung deſſelben, ja die Celebration der Meſſe
ohne Communicanten in der Idee des Opfers, die ſoge-
nannte Privatmeſſe, für einen Mißbrauch für eine Sünde
erklärte. 2 Zunächſt ſah ſich der Prior in dem Kloſter durch
die allgemeine Bewegung, wie er ſagte um größeres Är-
[15]Unruhen in Wittenberg.
gerniß zu vermeiden, genöthigt die Privatmeſſen in ſeiner
Kirche wirklich einzuſtellen. Das wirkte nun ſogleich in
der Univerſität ſo wie in der Stadt nach. Als am 3ten
Dez. 1521 die Meſſe in der Pfarrkirche geſungen werden
ſollte, erſchienen einige Studenten und jüngere Bürger
mit bloßen Meſſern unter den Röcken, nahmen die Meß-
bücher weg und trieben die Prieſter vom Altar. Als der
Rath die Schuldigen welche vor ſein Forum gehörten
einzog, und zu beſtrafen Miene machte, erhob ſich Lärm
in der Gemeine: ſie legte dem Rathe Artikel vor, in denen
ſie faſt im Tone des Aufruhrs die Loslaſſung der Gefan-
genen forderte. 1
Verſuche, die einen völligen Umſturz des bisherigen
Gottesdienſtes und zwar von unten her, ohne alle Bera-
thung und Ordnung in ſich ſchloſſen. Der Churfürſt, an
den alle dieſe Dinge zur Entſcheidung gebracht wurden,
wünſchte nach ſeiner Weiſe das Urtheil einer oder der an-
dern einigermaaßen conſtituirten Autorität zu vernehmen.
Zuerſt wurde ein Convent der Auguſtiner aus den
[16]Drittes Buch. Erſtes Capitel.
Provinzen Meißen und Thüringen nach Wittenberg beru-
fen. Alle dieſe Auguſtiner waren mehr oder minder von
Luthers Meinung: ſie hielten ſeine Sache für die ihre.
Auch in ſeiner Abweſenheit trafen ſie, wie er ſpäter erklärt
hat, in ihrem Urtheil mit dem ſeinen zuſammen. Sie
giengen nicht ſo weit, wie Frater Gabriel, die Gelübde
für ſündlich zu erklären; aber ſie wollten ſie auch nicht
mehr für verbindlich halten. Ihre Meinung war: alle
Creatur ſey dem Worte Gottes unterworfen, und brauche
ſich nicht mit menſchlichen Satzungen beſchweren zu laſſen:
Jedermann ſtehe frei, das Kloſter zu verlaſſen oder darin zu
bleiben. 1 Wer da gehe, müſſe nur ſeine Freiheit nicht
nach dem Gelüſte des Fleiſches mißbrauchen: wer es vor-
ziehe zu bleiben, möge auch die Kutte behalten und ſeinen
Obern aus Liebe Gehorſam leiſten. Zugleich entſchloſſen
ſie ſich, nicht mehr zu betteln, und jene geſtifteten für
Geld abzuhaltenden Meſſen, die Votivmeſſen abzuſchaffen.
Indeſſen war auch die Univerſität von dem Fürſten
aufgefordert worden, ihr Urtheil über die Meſſe im allgemei-
nen auszuſprechen. Es ward eine Commiſſion niedergeſetzt,
in der auch Melanchthon ſaß, und dieſe entſchied ſich
für die Abſchaffung der Meſſe, nicht allein in Wittenberg
ſondern im ganzen Lande, es möge daraus folgen was da
wolle. 2 Allein als nun die Geſammtheit der Corporation
dieß
[17]Unruhen in Wittenberg.
dieß beſtätigen ſollte, war ſie nicht dahin zu bringen. Ei-
nige der angeſehenſten Mitglieder blieben von der Verſamm-
lung weg, mit der Erklärung: ſie ſeyen zu gering um die
Kirche reformiren zu wollen. 1
Da nun weder der Convent noch auch die Univerſi-
tät ſich geradezu für die Neuerung erklärten, ſo war auch
der Churfürſt nicht weiter zu bringen: er meinte, wenn
man ſich ſchon in Wittenberg nicht vereinigen könne, wie
ungleich würde die Welt über jede Änderung urtheilen!
Man möge von der Sache leſen, disputiren und predigen,
aber indeß bei dem alten Gebrauche bleiben. 2
Schon waren aber die feurigen Gemüther durch An-
ordnungen eines von jeher ſo nachgiebigen Fürſten nicht
mehr in Zaum zu halten: dem Befehl deſſelben zum Trotz
kündigte Dr Carlſtadt an, er werde zum Feſt der Beſchnei-
dung Chriſti die Meſſe nach einem neuen Ritus feiern,
das Abendmahl nach den Worten der Einſetzung austhei-
len. Schon einmal, im October, hatte er etwas Ähnliches
verſucht, jedoch in engerm Kreiſe, ganz nach dem Vorbild
Chriſti, nur mit zwölf Theilnehmern. Da es ſchien, als
werde man ihm jetzt Hinderniſſe in den Weg legen, ſo war-
tete er nicht bis auf den angekündigten Tag. An dem
Chriſttag 1521 predigte er in der Pfarrkirche von der
Nothwendigkeit, von der bisherigen Weiſe abzulaſſen und
beide Geſtalten des Sacraments zu empfangen: nach der
Predigt trat er vor den Altar, ſprach die Meſſe, jedoch
ohne die Worte welche ſich auf die Idee des Opfers be-
Ranke d. Geſch. II. 2
[18]Drittes Buch. Erſtes Capitel.
ziehen, ſo wie ohne die Ceremonie der Elevation, und theilte
hierauf erſt das Brod, dann auch den Wein aus mit den
Worten: das iſt der Kelch meines Blutes des neuen und
ewigen Teſtamentes. Er traf damit den Sinn der Ge-
meine: man wagte ihm nicht zu widerſprechen. Er wieder-
holte ſeinen Ritus am Neujahrstag, den Sonntag darauf,
und ſo weiter: auch des Freitags erſchien er auf dem Pre-
digtſtuhl. 1
Carlſtadt gehörte zu den nicht ſeltenen deutſchen Na-
turen, die mit einer angeborenen Neigung zum Tiefſinn den
Muth verbinden, alles zu verwerfen was man feſtgeſetzt
hat, oder alles zu behaupten was man verwirft, ohne
daß ſie doch das Bedürfniß hätten, ſich zu voller Klarheit
und allgemein gültiger Begründung ihrer Ideen zu erheben.
Carlſtadt hatte ſich früher den Lehrmeinungen der Schola-
ſtiker hingegeben, dann war er von Luther zu dem Stu-
dium der h. Schrift fortgeriſſen worden: doch hatte er nicht
die Geduld gehabt wie dieſer, ſich der Grundſprachen zu be-
mächtigen: er nahm ſich die ſeltſamſten willkührlichſten Er-
klärungen nicht übel: er gieng nur dem Zuge ſeiner Ge-
danken nach. Merkwürdig auf welche Bahnen er gerieth.
Schon als man ſich zur Leipziger Disputation rüſtete,
äußerte er ſich auf eine ſehr beſondre Weiſe über die hei-
lige Schrift, auf deren Geſammtinhalt er anwandte was
man ſonſt nur von dem Geſetz verſtand: ſie diene zu Über-
tretung, Sünde und Tod, und gewähre nicht den wahren
Troſt deſſen die Seele bedürfe. Im Jahr 1520 ward es
[19]Unruhen in Wittenberg.
ihm zweifelhaft, ob Moſe die Bücher geſchrieben die ſeinen
Namen tragen, ob die Evangelien in ihrer ächten Geſtalt
auf uns gekommen: Ideen, welche Kritik und Gelehrſam-
keit ſpäter ſo vielfach beſchäftigt haben: — ſchon ihm ſtiegen
ſie auf. 1 Indeſſen beherrſchte ihn noch damals die Gegen-
wart und Überlegenheit Luthers. Jetzt aber war er von
Niemand mehr zurückgehalten: er hatte einen freien Schau-
platz für ſeinen Ehrgeiz: ein enthuſiasmirtes Publicum um-
gab ihn: er ſelbſt war unter dieſen Umſtänden nicht mehr
der alte; mit der feurigſten Beredtſamkeit entwickelte der
kleine, ſchwarzbraune, ſonnenverbrannte Mann, der ſich
ſonſt nur undeutlich ausdrückte, eine Fülle tiefſinniger, ex-
travaganter, eine neue Welt athmender Ideen, mit denen
er Jedermann hinriß.
Da ereignete ſich nun, daß er, noch gegen Ende des
Jahres 1521, Gehülfen bekam, die von einer andern Seite
her auf gleichartige Bahnen gerathen waren, auf denen ſie
ſogar noch verwegener einhergiengen.
Es iſt eine bekannte Thatſache, daß bei dem Beginn
der huſſitiſchen Bewegungen, als Huß und Hieronymus
entfernt waren, vor allem ein paar Fremde, Niclas und
Peter von Dresden, verjagt von dem Biſchof von Meißen
und in Prag aufgenommen, die geweſen ſind, welche die
Menge auf die Abänderung des Ritus, namentlich im Sa-
crament hinführten, womit ſich gar bald andre fanatiſche
Meinungen vereinigten. 2
2*
[20]Drittes Buch. Erſtes Capitel.
Sey es nun, daß dieſe Meinungen nach den Gegen-
den ihres Urſprunges zurückwirkten, oder daſelbſt eine tie-
fere ältere Wurzel hatten, eben von dort her aus dem Erz-
Gebirge, von Zwickan, wo ſich jener Peter von Dresden
eine Zeitlang aufgehalten, erhob ſich eine verwandte Ten-
denz, welche ſich der wittenbergiſchen Bewegung zu bemäch-
[t]igen ſuchte, wie damals der prager.
Beſonders um einen ſchwärmeriſchen Tuchmacher des
Namens Claus Storch, ſammelte ſich dort eine Secte,
welche ſich zu den weitausſehendſten Meinungen be-
kannte. Luther that dieſen Leuten bei weitem nicht genug:
ſie fanden, es ſeyen noch ganz andre Männer als er, von
höherm Geiſte, nothwendig. Denn was könne es helfen,
ſich ſo enge an die Bibel zu halten? Zu wahrer Unter-
weiſung eines Menſchen ſey ſie doch unkräftig, der Menſch
könne nur durch den Geiſt gelehrt werden. 1 Sie ſteiger-
ten ihren Enthuſiasmus bis zu dem Grade daß ſie ſich
überzeugt hielten, ihnen ſey das beſchieden: Gott ſelbſt rede
mit ihnen, gebe ihnen an, was ſie thun, was ſie predigen
ſollten. 2 Auf den Grund dieſer tiefern unmittelbar inſpi-
2
[21]Unruhen in Wittenberg.
rirten Einſicht drangen auch ſie nun zunächſt auf Abände-
rungen des kirchlichen Ritus. Vor allem verwarfen ſie,
weil das Sacrament ohne den Glauben keinen Sinn habe,
die Taufe der Unmündigen, die ja des Glaubens nicht fä-
hig ſeyen. Aber noch viel weiter giengen ihre Gedanken.
Sie hielten dafür, daß der Welt eine totale Verwüſtung,
vielleicht durch die Türken, bevorſtehe. Kein Prieſter werde
leben bleiben, ſelbſt keiner von denen die ſich jetzt verhei-
rathen, überhaupt kein Unfrommer: aber nach dieſer bluti-
gen Reinigung werde das Reich Gottes eintreten, Eine
Taufe, Ein Glauben ſeyn. 1 Natürlich brachten Lehren die-
ſer Art in Zwickau ähnliche Bewegungen und Unruhen her-
vor, wie die carlſtadtiſchen in Wittenberg; doch nahmen ſie
dort eine andre Wendung. In Zwickau ſtand den Neue-
rern nicht eine leicht aufzuregende akademiſche Jugend zur
Seite: Rath und Pfarrer behielten die Oberhand und die
Neuerer mußten die Stadt verlaſſen. Aber was ihnen zu
Hauſe nicht gelungen, hofften ſie anderwärts um ſo voll-
ſtändiger durchzuſetzen. Die einen begaben ſich nach Prag,
um hier wo möglich die alte taboritiſche Geſinnung wieder
zu beleben: was ihnen denn freilich mißlang. Die andern,
auf die es uns ankommt, erſchienen in Wittenberg, wo ſie
in der allgemeinen Aufregung der Geiſter, die nach einem
Unbekannten Neuen trachteten, in dem Ubergewicht der Ge-
meine und Jugend über den Rath der Stadt und den Se-
nat der Univerſität einen für ihre Saat vortrefflich vor-
bereiteten Boden fanden.
[22]Drittes Buch. Erſtes Capitel.
Auch zeigt ſich, daß nach ihrer Ankunft die Bewegung
in Wittenberg noch einen kühnern Anlauf nahm.
Carlſtadt, mit dem ſie ſogleich in Verbindung traten,
ſchritt von Tag zu Tag zu auffallendern Veränderungen fort.
Das Meßgewand ward abgeſchafft; die Ohrenbeichte nicht
mehr gefordert, ja ohne alle Vorbereitung gieng man zum
Abendmahl, und ſuchte etwas darin, die Hoſtie ſich nicht
mehr von dem Prieſter reichen zu laſſen, ſondern ſie mit
den Händen ſelber zu ergreifen. Man hielt es für ein Zei-
chen beſſerer Chriſtlichkeit, daß man eben an den Faſtta-
gen Eier und Fleiſchſpeiſen genoß. Man begann ſchon,
ſich an den Bildern in den Kirchen zu vergreifen. Carl-
ſtadt nahm keine Rückſicht auf den Unterſchied zwiſchen
Verehrung und Anbetung, den man immer gemacht hatte;
alle Stellen der Schrift wider die Abgötterei wandte er
auf den Bilderdienſt an; er hob hervor, daß man ſich
vor ihnen krümme und beuge, ihnen Lichter anzünde,
Opfer bringe; eben deshalb rieth er, ſie zu ſtürmen und zu
zerſtören, „dieſe Ölgötzen dieſe abgöttiſchen Klötze;“ ſelbſt
das Crucifix wollte er nicht gelten laſſen, das man ſeinen
Herrgott nenne, und das höchſtens an das fleiſchliche Lei-
den Chriſti erinnere; 1 es erhob ſich zum erſten Mal eine
bilderſtürmeriſche Bewegung, wie ſie ſich ſeitdem über ein halb
Jahrhundert hindurch an ſo viel andern Orten erzeugt
hat; man riß die Bilder von den Altären, zerhieb und ver-
brannte ſie. Es leuchtet ein, welch einen überaus gefähr-
[23]Unruhen in Wittenberg.
lichen drohenden Charakter die Bewegung dergeſtalt em-
pfieng. Carlſtadt befand ſich im Widerſpruch nicht allein
mit den geiſtlichen, ſondern auch mit den weltlichen Ge-
walten. Er lehrte ſchon, wenn die Obrigkeit nachläßig
ſey, dürfe die Gemeine die nothwendigen Änderungen voll-
ziehen. Wirklich legte die Wittenberger Gemeine dem Rath
einige Artikel vor, in denen ſie die förmliche Abſchaffung
aller nicht ſchriftmäßigen Cerimonien, aller Meſſen, Vi-
gilien, Begängniſſe, und für ihre Prediger eine unbedingte
Freiheit forderte; der Rath ſah ſich gezwungen, bald in
dem einen bald in dem andern nachzugeben. 1 Und noch
um vieles umfaſſender waren ihre Ideen. Man ſuchte den
Begriff einer ſtreng chriſtlichen Gemeine unverzüglich zu
realiſiren; man forderte den Rath auf, alle Häuſer öffent-
licher Vergnügung, verſteht ſich vor allem der unerlaubten,
aber auch der erlaubten zu ſchließen, und unter andern
keine Bettler mehr zu dulden, deren es in der Chriſtenheit
nicht geben dürfe, ſondern die Güter der ohnedieß verderb-
lichen Brüderſchaften zu deren Nutzen zu verwenden. Ja
mit dieſen Beſtrebungen einer in ihrem einſeitigen Eifer
die Natur der menſchlichen Geſellſchaft mißkennenden Recht-
gläubigkeit verbanden ſich unmittelbar die verderblichſten
Ideen der Taboriten. Ein alter Profeſſor wie Carlſtadt
ließ ſich zu der Meinung fortreißen, man bedürfe keiner
Gelehrten mehr, keines Studiums an den Univerſitäten,
viel weniger ihrer Grade. In den Vorleſungen rieth er ſei-
nen Zuhörern nach Hauſe zu gehn und Ackerbau zu trei-
ben, denn im Schweiß ſeines Angeſichtes ſolle der Menſch
[24]Drittes Buch. Erſtes Capitel.
ſein Brod eſſen. Einer ſeiner entſchloſſenſten Anhänger war
der Rector der Knabenſchule, Georg Mohr, der aus dem
Schulfenſter heraus die verſammelten Bürger aufforderte,
ihre Kinder aus der Schule zu nehmen. Wozu bedurfte
es auch ferner der Gelehrſamkeit? Hier waren die himm-
liſchen Propheten aus Zwickau, Storch, Thomä und Stüb-
ner, welche mit Gott redeten und die Fülle der Gnade und
Wiſſenſchaft beſaßen ohne alles Studium. Leicht war der
gemeine Mann zu überzeugen, daß auch ein Laie, ein Hand-
werker zu dem Amte eines Prieſters und Predigers tauge.
So ließ man die conſervativen Ideen fallen, an die
ſich Luther noch feſtgehalten; der Begriff der weltlichen
Obrigkeit, von welchem aus er die Anmaaßungen des Prie-
ſterthums bekämpfte, ward jetzt ebenfalls verworfen. Luther
hatte die herrſchende Lehre mit den Waffen einer gründli-
chern Gelehrſamkeit angegriffen: eine der roheſten Inſpira-
tionstheorien welche je vorgekommen, wollte ſich jetzt an
deren Stelle ſetzen. Nimmermehr wäre das durchzuführen
geweſen. Gegen ein ſo wildes deſtructives Beginnen muß-
ten ſich alle Kräfte der geordneten Welt erheben, und es
entweder vernichten oder in den engſten Kreiſen beſchließen.
Kam es zur Herrſchaft, ſo war jede Hofnung der Welt
verloren, die ſich an die neue Bewegung knüpfen mochte.
In Wittenberg war Niemand, um dem allgemeinen
Taumel zu widerſtehen. Dazu war Melanchthon zu jung
und unerfahren, wenn er auch ſonſt Standhaftigkeit genug
gehabt hätte; wenn er mit den Zwickauer Propheten ſprach,
ſo fand er doch, daß ſie in den Hauptprinzipien des Glau-
bens mit ihm einig und wohlbefeſtigt ſeyen; ihre Behaup-
[25]Unruhen in Wittenberg.
tungen in Hinſicht der Kindertaufe wußte er nicht zu wi-
derlegen. Er ſah, daß ſie Geiſt hatten: ihn zu prüfen
fühlte er ſich ſelbſt nicht ſtark genug.
Auch der Churfürſt war nicht fähig nachdrücklichen
Widerſtand zu leiſten. Wir kennen dieſen Fürſten ſchon:
ſein Temporiſiren, ſeine Abneigung perſönlich hervorzutre-
ten, einzugreifen, ſeine Gewohnheit die Dinge ſich ſelbſt
entwickeln zu laſſen. Es war die friedfertigſte Natur welche
dieß kriegeriſche fehdeluſtige Zeitalter hervorgebracht hat:
nie griff er zu den Waffen; zuletzt hatte dann immer ſeine
ſtille, beobachtende, kluge und geiſtreiche Politik den Sieg
davon getragen. Sein Vergnügen war, in ſeinem Lande
das er ſo ſchön fand wie irgend ein anderes auf Erden
ſeine Schlöſſer zu bauen, die Lochau, Altenburg, Weimar,
Coburg: ſeine Kirchen mit Gemählden zu ſchmücken, wozu
er den trefflichen Meiſter Lucas Kranach an ſich gezogen:
ſeine Capelle und Singerey, die eine der beſten im Reiche
war, im Stande zu halten: die hohe Schule die er geſtiftet
emporzubringen. Obwohl er nicht ſehr zugänglich war, ſo
liebte er doch das gemeine Volk. Er zahlte einſt den ſchon
eingeſammelten gemeinen Pfennig zurück, da es zu der Un-
ternehmung nicht kam, wozu er beſtimmt war. „Wahr-
lich,“ ſagt er von Einem, „es iſt ein böſer Menſch, denn
er iſt armen Leuten ungütig.“ Auf der Reiſe ließ er die
Kinder beſchenken, die am Wege ſpielten: heut oder mor-
gen werden ſie dann ſagen: es zog ein Herzog von Sach-
ſen vorüber, der gab uns allen. Nunmehr war er zu Jah-
ren gekommen: von den alten deutſchen Fürſten, mit denen
er zu ſeiner Zeit in engerer Vertraulichkeit gelebt, ſeinen gu-
[26]Drittes Buch. Erſtes Capitel.
ten Geſellen und Freunden, wie er ſie nannte, waren die
Meiſten geſtorben, und gar manches Unangenehme mußte
er erfahren. An der Geſinnung des jungen Kaiſers war er
irre geworden: „ſelig der Mann,“ rief er aus, „der nichts
am Hofe zu ſchaffen hätte.“ Sein nächſter Nachbar, ſein
ſtürmiſcher Vetter Georg, trat in immer ſtärkern Gegenſatz
mit ihm. „Ah mein Vetter Georg,“ ſagte er, — „Wahr-
lich ich weiß keinen Freund, als meinen Bruder:“ dem er
denn auch allmählig die Regierung zum großen Theil über-
ließ. Wenn er Luthern beſchützte, ſo war das im Laufe
der Zeit wohl ſehr natürlich ſo gekommen: anfangs nicht
ohne Rückſichten der Politik, dann eine Pflicht der Ge-
rechtigkeit; 1 aber überdieß theilte er die unbedingte Vereh-
rung für die heilige Schrift, welche Luther geltend machte;
er fand, alles andre, ſo ſcharfſinnig es auch laute, laſſe
ſich am Ende widerlegen: nur das göttliche Wort ſey hei-
lig majeſtätiſch und die Wahrheit ſelbſt; er ſagte, dieß
Wort ſolle rein ſeyn wie ein Auge. Ihm entgegenzutre-
ten, zu widerſtehen, hatte er eine tiefe, eine ehrwürdige
Scheu. Es iſt die Grundlage aller Religion, daß man
das Heilige anerkennt, das ſittliche Geheimniß der Schö-
pfung, und es nicht wagt, ihm mit den unreinen Trieben
des Augenblicks zu nah zu treten. Darin beſtand vor al-
lem die Religion unſers Fürſten; dieß hatte ihn abgehalten,
in Luthers Sache ſelbſtthätig und mit eigener Willkühr ein-
[27]Unruhen in Wittenberg.
zugreifen: eben dieß aber bewirkte, daß er auch den Neue-
rungen in Wittenberg, ſo wahrhaft ungern er ſie auch ſah,
ſich doch nicht mit aller Kraft entgegenſtellte. Er wagte
ſie nicht zu verdammen, ſo wenig wie Melanchthon. Als
er einſt in Prettin die Bedenken ſeiner Gelehrten und Räthe
in dieſer Sache vernommen, zeigte er ſich von der Mög-
lichkeit, daß die Leute Recht haben möchten, betroffen und
erſchüttert. Er ſagte, er verſtehe es nicht als ein Laie; ehe
er ſich aber entſchließe gegen Gott zu handeln, wolle er
lieber den Stab in die Hand nehmen und ſein Land ver-
laſſen. 1
Gewiß: es hätte dahin kommen können. Die begon-
nene Bewegung konnte zu nichts führen, als zu offenem
Aufruhr, zur Umkehr auch des Staates in dem Sinne ei-
ner neuen chriſtlichen Republik; allerdings würde alsdann
Gewalt die Gewalt aufgerufen haben, und Gutes und
Böſes wäre mit einander zerſtört worden.
Wie viel kam da noch einmal auf Luther an. Von
der Grundlage ſeiner Ideen giengen auch dieſe Bewegungen
aus, oder ſchloſſen ſich daran an. Wenn er ihnen beiſtimmte,
wer wollte ihnen Schranken ſetzen? Widerſetzte er ſich aber,
ſo fragte ſich, wie er das vermögen, ob er ſich dann ſel-
ber behaupten würde.
Während dieſer ganzen Zeit war er auf der Wartburg.
Anfangs hielt er ſich hier ganz innerhalb der Mauern,
dann finden wir ihn noch zaghaft in die Erdbeeren am
Schloßberg gehn; ſpäter, ſicherer geworden, durchſtreifte er
[28]Drittes Buch. Erſtes Capitel.
als Junker Georg mit einem Reiterbuben die Umgegend;
einmal wagte er ſich ſogar in langem Haar und Bart,
kaum noch wieder zu erkennen, in eiſernem Harniſch nach
Wittenberg. Allein ſein Reiterleben hatte doch zugleich ei-
nen ſehr theologiſchen Inhalt; ſeine Seele war immer in
der Mitte des kirchlichen Kampfes. „Auf der Jagd,“
ſagt er, „theologiſirte ich;“ in den Netzen und Hunden
des Jägers ſah er die Biſchöfe und Anwälte des Antichriſts,
die den armen Seelen nachſtellen. 1 In der Einſamkeit
der Burg kehrten ihm auch andere Anfechtungen des Klo-
ſters zurück. Hauptſächlich beſchäftigte er ſich damit das
Neue Teſtament zu überſetzen: er faßte den Gedanken, der
deutſchen Nation eine richtigere Bibel zu geben, als die
lateiniſche Kirche in der Vulgata beſitze. 2 Indem er hiebei
ſeinen Sinn tiefer und tiefer befeſtigte, und nur den Wunſch
hegte, in Wittenberg zu ſeyn, um mit Hülfe ſeiner Freunde
ein ſo wichtiges Werk zu vollenden, vernahm er von den
dortigen Bewegungen und Unruhen. Er war über ihren
Character keinen Augenblick in Zweifel. Er ſagt, nie in
ſeinem Leben habe ihn etwas tiefer verletzt; was ihm ſonſt
zu Leide gethan worden, ſey nichts dagegen. Auf ihn
machte es keinen Eindruck, was man von den Inſpirationen
der himmliſchen Propheten ſagte, ihren Geſprächen mit
Gott. Auch er kannte die geheimnißvollen Tiefen der gei-
ſtigen Welt; da hatte er andre Erfahrungen gemacht, ſich
mit einem zu erhabenen Begriff von dem Weſen Gottes
durchdrungen um ſich überreden zu laſſen, er erſcheine der
[29]Unruhen in Wittenberg.
Creatur, entzücke ſie, und ſpreche mit ihr. „Willſt du
wiſſen,“ ſchreibt er Melanchthon, 1 „Zeit und Ort und Art
der göttlichen Geſpräche, höre: wie der Löwe hat er meine
Gebeine zerſchmettert, und: ich bin verworfen vor deinen
Augen, meine Seele iſt mit Pein erfüllt, mit Vorgefühl
der Hölle.“ „Darum redet Gott durch die Menſchen,
weil wir es nicht ertragen könnten, wenn er ſelber ſpräche.“
Er wünſchte ſeinem Fürſten Glück zu dem Kreuze das ihm
Gott aufgelegt; wider das Evangelium müſſe nicht allein
Annas und Caiphas toben, ſondern auch Judas müſſe
unter den Apoſteln ſeyn. Er kündigt ihm an, er werde
ſich ſelbſt dahin begeben. Der Churfürſt bat ihn, dieß
noch nicht zu thun: es werde zur Zeit noch nicht zum
Guten gereichen; er möge lieber ſeine Verantwortung für
den nächſten Reichstag vorbereiten, an dem ſeine Sache,
wie ſich hoffen laſſe, noch einmal zu rechtlichem Verhör ge-
langen werde. 2 Jedoch durch Vorſtellungen dieſer Art
war Luther nun nicht mehr zurückzuhalten. Nie war er
feſter überzeugt geweſen, daß er das Evangelium vom Him-
mel habe, daß der Glaube ihn ſchützen werde; was in
Wittenberg vorgefallen, ſchien ihm ein Schimpf, der ihn
und das Evangelium treffe. 3 So brach er auf, ohne Rück-
ſicht auf des Papſtes Bann oder die Acht des Kaiſers,
indem er ſeinen Fürſten ſelbſt aufforderte ſich nicht um ihn
zu kümmern. Er war in der großartigſten Stimmung.
Ein paar junge Schweizer die nach Wittenberg zur Uni-
[30]Drittes Buch. Erſtes Capitel.
verſität reiſten trafen in Jena, in dem Gaſthof zum ſchwar-
zen Bären, auf einen Reitersmann, der am Tiſch ſaß, ſeine
rechte Hand auf dem Knopf des Schwertes, vor ſich den
hebräiſchen Pſalter. Es war, wie ſie ſpäter inne wurden,
Luther, und man muß in den Aufzeichnungen des einen von
ihnen leſen, wie er ſie zu ſich an Tiſch lud, wie mild und
groß er in alle ſeinem Bezeigen war. 1 Freitag am 7ten
März langte er in Wittenberg an. Den Sonnabend fan-
den ihn jene Schweizer im Kreiſe ſeiner Freunde wie er
ſich näher über alles unterrichtete, was in ſeiner Abweſen-
heit geſchehen. Am Sonntag fieng er an zu predigen. Er
mußte verſuchen, ob man ihm anhängen, ob er noch eine
Wirkſamkeit haben, ob es ihm gelingen werde die Bewe-
gung zu beruhigen. Wie enge und unſcheinbar auch der
Schauplatz war, auf den er zurückkehrte, ſo hatte doch ſein
Unternehmen die Bedeutung einer Weltbegebenheit. Es mußte
ſich zeigen, ob die Lehre, die ſich ihm ohne Willkühr, mit
innerer Nothwendigkeit gebildet, und die einen ſo großen Mo-
ment für die künftige Entwickelung des menſchlichen Ge-
ſchlechts in ſich enthielt, auch fähig ſeyn werde die Elemente
der Zerſtörung zu beſiegen, die nicht minder in den Gei-
ſtern arbeiteten, allenthalben den Boden des öffentlichen Le-
bens unterwühlt hatten und erzittern machten, und hier ihren
erſten Ausdruck gefunden. Die Frage war, ob es möglich
ſeyn werde, zu verbeſſern ohne zu zerſtören, einer neuen
Entwickelung des Geiſtes Bahn zu machen ohne die Re-
ſultate aller frühern zu vernichten. Luther faßte die Sache
aus dem Geſichtspunct eines Seelſorgers und Predigers.
[31]Unruhen in Wittenberg.
Er verwarf die Veränderungen, die man gemacht, nicht
an und für ſich, noch die Lehre, aus der ſie gefloſſen;
auch hütete er ſich wohl, die Wortführer der Neuerung
perſönlich zu verletzen, auf ſie zu ſchelten; er urtheilte nur,
man ſey zu raſch verfahren, man habe dadurch Ärgerniß
bei den Schwachen verurſacht und das Gebot der Liebe
nicht gehalten. Er gab zu, daß es Gebräuche gebe, die
man wohl durchaus abſchaffen müſſe, z. B. die Privat-
meſſen, obwohl man auch dabei alle Gewaltſamkeit, alles
Ärgerniß zu vermeiden habe; von den meiſten andern aber
ſey es für einen Chriſten gleichgültig, ob man ſie beobachte
oder nicht. Es komme ſo viel nicht darauf an, ob man
das Abendmahl unter Einer Geſtalt nehme oder unter bei-
den; ob man beſondre oder allgemeine Beichte vorziehe;
in dem Kloſter bleibe oder es verlaſſe; Bilder in den Kir-
chen habe, die Faſten halte oder auch nicht; darüber Ge-
ſetze zu machen, Lärmen zu veranlaſſen, ſchwächern Mit-
brüdern Anſtoß zu geben, ſey eher ſchädlich als heilſam,
und widerſtreite dem Gebote der Liebe. — Die Gefahr der
tumultuariſchen Neuerung lag darin, daß ſie ſich für noth-
wendig, für die unmittelbare Forderung des ächten Chri-
ſtenthums erklärte; beinahe eben ſo, wie man auf der päpſt-
lichen Seite jedes kirchliche Gebot für einen unantaſtbaren
Ausfluß der höchſten Idee ausgab, mit der man auch das
geſammte bürgerliche Leben in engſten Zuſammenhang ge-
ſetzt hatte. Es war ein unendlicher Gewinn, zu zeigen,
daß die Religion ein freies Gebiet anerkenne, welches ſie
nicht unmittelbar zu beherrſchen brauche, wo ſie ſich nicht
um die Leitung jeder Einzelnheit zu bekümmern habe. Luther
[32]Drittes Buch. Erſtes Capitel.
that das mit der Milde und Schonung eines Vaters und
Führers, mit der Überlegenheit eines weiter ſchauenden,
tiefer begründeten Geiſtes. Dieſe Predigten gehören wohl
zu den bedeutendſten von allen die er gehalten hat; es ſind
zugleich Demegorien, wie die des Savonarola, aber nicht
um aufzuregen, um fortzureißen, ſondern um einzuhalten
auf einem verderblichen Wege, die Leidenſchaften zu be-
ſchwichtigen, zu dämpfen. 1 Wie hätte die Gemeinde der
wohlbekannten Stimme, dieſer überzeugten und überzeugen-
den Beredſamkeit widerſtehen können, durch welche ſie zu-
erſt auf die neuen Bahnen des Geiſtes geführt worden.
Was ſonſt wohl einem ähnlichen Beginnen entgegnet wird,
daß man Furcht habe, Rückſichten hege, war hier nicht
vorzubringen. Nie war Luther heldenmüthiger erſchienen.
Dem Banne des Papſtes und der Acht des Kaiſers bot
er Trotz, indem er zu ſeiner Gemeine zurückkehrte; ſein
Fürſt hatte ihm geſagt, daß er ihn nicht ſchützen könne;
er hatte überdieß auf dieſen Schutz ausdrücklich Verzicht
geleiſtet; er ſtürzte ſich in die größte perſönliche Gefahr, und
zwar that er das, nicht, wie wohl auch Andre gethan,
um einer Bewegung voranzugehn, ſondern um ihr entge-
genzutreten; nicht um umzuſtürzen, ſondern um zu erhalten.
Vor ihm verſtummte die Empörung, legte ſich das Ge-
tümmel: die Ruhe ward wiederhergeſtellt; auch einige der
am heftigſten aufgeregten Wortführer wurden überzeugt und
ſchloſ-
[33]Unruhen in Wittenberg.
ſchloſſen ſich an. Carlſtadt, der ſo weit nicht zu bringen
war, wurde zum Schweigen verurtheilt; es ward ihm
hauptſächlich zum Vorwurf gemacht, daß er ſich unberu-
fen in das Pfarramt eingedrängt habe, und er durfte die
Kanzel nicht mehr beſteigen. Die gemäßigtere Meinung
wie ſie Luther verfocht und die von einer drohenden Ge-
fahr befreite Staatsgewalt traten einander noch einen Schritt
näher. Eine Schrift Carlſtadts, in ſeinem bisherigen Sinne
abgefaßt, von der ſchon einige Bogen abgedruckt waren,
wurde von der Univerſität, die dem Churfürſten darüber be-
richtete, unterdrückt. Noch einmal ſtellten ſich die Zwi-
ckauer Luthern dar. Er warnte ſie, ſich nicht von den Vor-
ſpiegelungen des Satans verblenden zu laſſen: ſie antwor-
teten ihm: zum Beweis ihrer göttlichen Miſſion würden
ſie ihm angeben, was er in dieſem Augenblicke denke; da er
es geſtattete, ſagten ſie ihm, er fühle jetzt in ſeiner Seele
eine Hinneigung zu ihnen. Luther fuhr auf: „ſtrafe dich
Gott, Satan;“ er hat ſpäter geſtanden, das ſey in der That
in ihm vorgegangen, aber eben daß ſie es getroffen hielt
er für ein Zeichen ſataniſcher, nicht göttlicher Kräfte: er
entließ ſie indem er gleichſam ihren Geiſt gegen ſeinen Gott
herausforderte. 1 Abſtrahiren wir von der Schroffheit ſei-
nes Ausdrucks, ſo hat dieſer Kampf zwiſchen zwei entge-
gengeſetzten Geiſtern, einem verderblichen und einem ſchützen-
den Genius eine tiefe, grandioſe Wahrheit.
Hierauf ward es ruhiger in Wittenberg. Die Meſſe
ward ſo weit als möglich hergeſtellt; vorhergehende Beichte
und das Empfangen mit dem Munde; mit geweihten Klei-
Ranke d. Geſch. II. 3
[34]Drittes Buch. Erſtes Capitel.
dern, Geſang und allen gewöhnlichen Cerimonien, ſelbſt latei-
niſch ward ſie gehalten; man ließ nichts weg als die Worte
des Canon, die ſich unmittelbar auf die Idee vom Opfer be-
ziehen. 1 Übrigens aber beſtand eine volle Freiheit, eine Un-
beſtimmtheit aller Formen. Luther blieb im Kloſter und trug
die Auguſtinerkutte nach wie vor; doch hatte er nichts dawi-
der daß Andre weltlich wurden. Das Abendmahl ward un-
ter Einer oder auch beiden Geſtalten ausgetheilt. Es war
gleich viel, ob Jemand ſich mit der allgemeinen Abſolution
begnügte, oder nach einer beſondern Verlangen trug. Gar
oft wurden Fragen über die Grenzen des Unbedingt-ver-
werflichen und des Noch-zuläßigen rege; die Maxime Lu-
thers und Melanchthons war, nichts zu verdammen, was
nicht eine unzweifelhafte Stelle der Bibel, wie man ſich aus-
drückte, „ganz klare und gründliche Schrift“ wider ſich
hatte. Man dürfte dieß nicht für Gleichgültigkeit halten.
Vielmehr: die Religion zog ſich in das ihr unmittelbar
eigene Gebiet zurück und vertiefte ſich in ihre reinſten Ten-
denzen. Dadurch wurde es möglich, die Lehre zu ent-
wickeln und auszubreiten, ohne daß man geradezu in
Kampf mit dem Beſtehenden gerathen wäre, ohne daß
man durch raſchen Umſturz die deſtructiven Kräfte erweckt
hätte, deren erſte Regung eben ſo gefährlich geworden war.
Ja die Entwickelung der Lehre ſelbſt konnte nicht ohne
Rückſicht auf dieſe Gegner von der andern Seite geſchehn.
Luther ward ſchon damals inne, daß es gefährlich ſey,
nur immer von der Kraft des Glaubens zu predigen:
[35]Unruhen in Wittenberg.
ſchon drang er darauf, daß der Glaube in guten Sitten,
brüderlicher Liebe, Zucht und Ordnung ſich darſtellen
müſſe. 1 Nach allen Seiten wies die ſich entwickelnde
religiöſe Überzeugung das Ungleichartige von ſich und
bildete ihren Inhalt zugleich individueller und allgemein
gültiger, nach ihrer innern Nothwendigkeit aus. Noch
mitten in den Stürmen, im Dezember 1521, war das
erſte Lehrbuch der Theologie nach den neuen Grundſätzen
erſchienen, Melanchthons loci communes, noch lange kein
vollſtändiges Werk, in ſeinem Urſprung nur eine Zuſam-
menſtellung der Grundſätze des Apoſtels Paulus über Sünde,
Geſetz und Gnade, und zwar durchaus in den ſtrengen
Begriffen, von denen Luthers Erweckung ausgegangen, aber
dabei ſchon darum höchſt merkwürdig, weil es von der
bisherigen Entwickelung der ſcholaſtiſchen Theologie ſo völ-
lig abwich und ſeit ſo vielen Jahrhunderten in der lateini-
ſchen Kirche zum erſten Mal ein Syſtem aus der Schrift
allein zuſammenſtellte; von Luthers Beifall empfohlen machte
es nun ſeinen Weg durch die Welt; in immer neuen Aus-
gaben ward es umgebildet, vervollſtändigt. 2 Und eine noch
3*
[36]Drittes Buch. Erſtes Capitel.
weiter reichende Wirkung, auf das Volk unmittelbar mußte
die Überſetzung des Neuen Teſtamentes haben, die Luther
nach ſeiner Rückkunft mit Melanchthon nochmals durchar-
beitete, und mit der er im September 1522 hervortrat.
Indem man ſich von den Formen los riß, welche Schule
und Hierarchie der Lehre gegeben, bot man dagegen die
erſte Urkunde des Chriſtenthums, in wortgetreuer Übertra-
gung, verſtanden und verſtändlich, der Nation dar. Eben
war ihr Geiſt dazu gereift ihren Inhalt in ſich aufzunehmen;
von dem ächten Ausdruck der unvermittelten Religion ward
er in den wichtigſten Momenten ſeiner Bildung in ſeiner
Tiefe ergriffen und durchdrungen. Von den Wirkungen die-
ſer Thätigkeit ließ ſich alles erwarten. Luther hegte die groß-
artige Zuverſicht, daß die Lehre allein zum Ziele führen,
daß wenn ſie durchdringe, ſchon ganz von ſelbſt eine Umge-
ſtaltung der äußern Verhältniſſe eintreten werde.
Daß er dieſe Meinung hegen, und durch baldigen
Erfolg darin beſtärkt werden konnte, dazu trug vor allem
die Haltung bei, welche die indeß umgebildeten Reichsge-
walten annahmen.
[[37]]
Zweites Capitel.
Weltliche und geiſtliche Tendenzen des Reichs-
regimentes 1521 — 1523.
Es iſt ein großartiges Zuſammentreffen, daß eben in
dem Momente, wo ſich dieſe gewaltigſte nationale Re-
gung erhob, jene ſtändiſche Regierungsform, die das Ziel
ſo anhaltender und mannichfaltiger Beſtrebungen gewe-
ſen, wirklich ins Leben trat. Der mächtige Kaiſer hatte
ſie als Bedingung ſeiner Wahl bewilligen müſſen; in
Worms hatte man ſich über die Einrichtung verſtändigt;
in dem Herbſt 1521 ſchritt man zur Ausführung. Die
Churfürſten und die Kreiſe wählten ihre Abgeordneten, und
wir finden wohl wie dieſelben der beſondern Vaſallenpflich-
ten entlaſſen und nur auf das Beſte des Reiches zu den-
ken angewieſen werden. Die alten Acten des Kammerge-
richts, viele Centner ſchwer, bei vierthalbtauſend ältere noch
nicht ausgemachte Proceſſe und eine große Anzahl neuer
Klagen, auf die noch keine Ladung erkannt war, wurden
nach Nürnberg geſchafft. 1 Nach und nach langten die Ab-
[38]Drittes Buch. Zweites Capitel.
geordneten an: am längſten ließen die kaiſerlichen auf ſich
warten. Im Laufe des November kam man ſo weit, daß
zuerſt das Reichsregiment, dann auch das Kammergericht
eröffnet werden konnte.
Anfangs hatte man nun noch von den Einwirkungen
der kaiſerlichen Hofräthe zu leiden, 1 großentheils derſelben,
mit denen die Stände ſchon unter Maximilian ſo oft ſich
entzweit hatten, die noch immer keins ihrer lucrativen Rechte
fallen laſſen wollten und nach wie vor der Beſtechlichkeit an-
geklagt wurden. Es kamen ſehr ſonderbare Dinge vor. Un-
ter andern hatte der Biſchof von Würzburg einen gewiſſen
Raminger, der mit kaiſerlichem Geleite verſehen war, nie-
derwerfen laſſen und hielt ihn gefangen; billigerweiſe nahm
ſich das Regiment des Überwältigten an. Wie ſehr er-
ſtaunte man aber als ein Erlaß des Kaiſers einlief, worin
er erklärte, er habe jenes Geleit unbedachtſam gegeben; es
könne nicht dafür gehalten werden, daß der Biſchof ein
wahres kaiſerliches Geleite gebrochen habe. Es machte
hierin keinen Unterſchied, ob die Stände dem Regiment zur
Seite ſtanden oder nicht. Im März 1522 waren die
1
[39]Reichsregiment.
Stände zuſammengekommen, und beide vereinigt verwandten
ſich für den Biſchof von Hildesheim, der ſich über die
Acht beklagte, die gegen ihn und ſeine Freunde ergangen
war, ohne daß ſie citirt und verhört worden; aber der
Kaiſer wollte nicht leiden, daß man ihm „in ſeine Ge-
ſchäfte“ greife; er wies die Verwendung mit einer kurzen
nichtsſagenden Antwort zurück.
Ende Mai aber verließ der Kaiſer die Niederlande.
Seine Gegenwart war in Spanien nothwendig, um die
Unruhen der Comunidades vollends beizulegen. Seine Ge-
danken wurden von den Verwickelungen des italieniſchen
Krieges den er unternommen, von den großen Entdeckun-
gen und Eroberungen welche eine Handvoll glücklicher und
geiſtreicher caſtilianiſcher Abenteurer unter ſeinen Fahnen
in einem entfernten Continent vollzogen, vollauf beſchäftigt.
Auch die deutſchen Hofräthe die ihn begleiteten, konnten
unmöglich von Spanien her auf die Einzelnheiten der deut-
ſchen Verwaltung einwirken. Nun erſt kam das Regiment
zu voller Selbſtändigkeit. Der junge Kaiſer hatte kommen
müſſen um es zu autoriſiren, und ließ ihm durch ſeine Ent-
fernung freie Hand.
Wir betrachten zunächſt die weltliche Seite ſeiner Ver-
waltung.
Da waren nun ſchon mancherlei wichtige Geſchäfte in
Gang gekommen. Beſonders ward auf eine Executionsord-
nung gedacht, nach den im J. 1512 gemachten Vorſchlägen,
und man ſetzte feſt, wogegen Maximilian ſich ſo lebhaft ge-
ſträubt hatte, daß die Hauptleute der Kreiſe durch dieſe
ſelbſt gewählt werden ſollten. Die ungriſch-türkiſchen Ver-
[40]Drittes Buch. Zweites Capitel.
hältniſſe nahmen die Aufmerkſamkeit dringend in Anſpruch.
Während die beiden vorwaltenden Fürſten der Chriſtenheit
ihre natürliche Eiferſucht in den italieniſchen Kriegen zu
immer heftigerm Haß entflammten, hatte der Gewaltherr
des osmaniſchen Reiches ſeine durch Chriſtenhaß und Er-
oberungsluſt angefeuerten Kriegsſchaaren daher gewälzt und
das alte Bollwerk der an jenen Grenzen nur wenig geſi-
cherten Chriſtenheit, Belgrad, in ſeine Hände gebracht. Man
war in Deutſchland nicht ſtumpf für dieſe Gefahr; aus-
drücklich deshalb kamen die Stände im Frühjahr 1 und
noch einmal im Herbſt 1522 zuſammen; ein Theil der dem
Kaiſer für ſeinen Romzug bewilligten Hülfe ward mit deſ-
ſen Genehmigung zur Unterſtützung der Ungern beſtimmt:
umfaſſende Entwürfe zu einer vollſtändigern und allzeit be-
reiten Kriegsrüſtung zu dem nemlichen Zwecke wurden ge-
macht und berathen. Worauf aber alles ankam, wovon
alles abhieng, das war die Befeſtigung der Regierungs-
[41]Reichsregiment.
form ſelbſt. Man fühlte jeden Augenblick, wie mißlich es
war, die Beſoldung der Mitglieder des Gerichts und des
Regimentes auf Matricularanſchläge zu gründen, die von
Jahr zu Jahr bewilligt werden mußten, und immer nur
ſchwer beizutreiben waren; auch wollte man es nicht etwa
dem Kaiſer überlaſſen, die Beſoldungen zu zahlen: man
fürchtete mit Recht, dann werde er auch Anſpruch darauf
machen, die Mitglieder zu ernennen. Man gerieth deshalb
auf mancherlei andre Vorſchläge: Innebehaltung der An-
naten, Judenſteuern, oder endlich auch im Zuſammenhang
mit einer beharrlichen Rüſtung eine Erneuerung des ge-
meinen Pfennigs. Allein es zeigte ſich alles gleich unaus-
führbar. Für die Annaten wären erſt Vereinbarungen mit
dem römiſchen Stuhl erforderlich geweſen, die nicht ſo leicht
zu treffen waren; einer Anlage auf die Juden widerſetzten
ſich die Städte, welche von frühern Kaiſern das Recht
ihre Juden ſelbſt zu ſchatzen, erworben, und daſſelbe
neuerdings auch gegen den kaiſerlichen Fiscal behauptet
hatten; über einen neuen gemeinen Pfennig konnte man
es nicht weiter als bis zum Entwurf, nicht einmal bis zu
ernſtlicher Berathung bringen. Unter dieſen Umſtänden
nahm das Regiment einen ſchon früher gehegten Plan auf,
der auch an ſich eine große nationale Bedeutung entwickelt
haben würde, und noch mit andern Abſichten der Reichs-
verwaltung zuſammenhängt, welche unſrer Aufmerkſamkeit
würdig ſind.
Unter den Beſchwerden, welche die verſchiedenen Stände
in jener Zeit gegen einander erhoben, traf eine der allge-
meinſten, lebhafteſten die Kaufmannſchaft.
Die alten Handelswege waren noch immer im Gange;
[42]Drittes Buch. Zweites Capitel.
noch immer genoß die Hanſe den größten Theil ihrer Pri-
vilegien im Ausland: Venedig ſtellte nach dem Frieden ſei-
nen Markt wieder her; allein der Glanz dieſes Betriebes
erbleichte doch verglichen mit dem Aufſchwung welchen ſeit
der Entdeckung beider Indien der überſeeiſche Verkehr nahm.
Große Handelshäuſer von Oberdeutſchland ſetzten ſich mit
Liſſabon in unmittelbare Berührung; oder ſie hatten an
den weſtindiſchen Unternehmungen der Spanier Antheil.
Antwerpen kam hauptſächlich mit dadurch empor, daß es
die Niederlage für dieſen deutſch-überſeeiſchen Handel bildete.
In Deutſchland war jedoch nicht Jedermann hiemit
zufrieden. Die Strenger-geſinnten mißbilligten die Einfüh-
rung neuer Genüſſe und neuer Bedürfniſſe; Andre beklag-
ten, daß man ſo viel Geld aus dem Land gehen laſſe;
faſt Alles war mißvergnügt, daß man die Waaren ſo un-
gebührlich theuer bezahlen müſſe. Beſonders in den Jah-
ren 1516 bis 1522 bemerkte man ein allgemeines Steigen
in den Preiſen derſelben. Das Pfund Zimmet, langer oder
kurzer, war um mehr als einen Gulden; der Centner Zucker
von 12 auf 20 G.: einige oſtindiſche Gewürze waren auf
das Vierfache ihres früheren Preiſes geſtiegen. 1 Es mochte
[43]Reichsregiment.
dazu mancherlei mitwirken: vermehrter Luxus und erhöhte
Nachfrage; die Nachwirkung des venezianiſchen Krieges,
der die alten Gewohnheiten unterbrochen hatte, wohl auch
ein Sinken des Geldwerthes, nachdem die amerikaniſchen
Zuflüſſe eröffnet worden, wiewohl noch nicht in ihrem
ſpätern Reichthume; damals aber ſuchte man vor allem,
und wohl auch dieß nicht ganz mit Unrecht, den Grund
in dem monopoliſtiſchen Weſen, das durch die Geſellſchaf-
ten der großen Handelshäuſer, den oft wiederholten An-
ordnungen der Reichstäge zum Trotz, nur immer mehr um
ſich gegriffen hatte. Schon an ſich, ſagte man, ſeyen ſie
in Beſitz ſo großer Capitalien, ſo manniſchfaltiger und ver-
breiteter Factoreien, daß Niemand neben ihnen aufkom-
men könne. In Portugal ſeyen ſie bereit dem König ſelbſt
noch höhere Preiſe, als er ſonſt fordere, zu zahlen, wenn
er ihnen nur dagegen verſpreche, die Später-kommenden
noch mehr zu ſteigern. Man berechnete, daß man in
Deutſchland jährlich 30000 Centner Pfeffer, 2000 Centner
Ingwer einführe; nun ſey der erſte binnen wenig Jah-
ren das Pf. von 18 auf 32 K., der zweite von 21 Kr.
auf 1 G. 3 Kr. geſtiegen: welch einen ungeheuren Vor-
theil müſſe das geben!
Wie Rom wegen ſeiner Indulgenzen, die Ritterſchaft
wegen ihrer Räubereien, ſo wurden die Kaufleute, die Städte
1
[44]Drittes Buch. Zweites Capitel.
wegen dieſer Übertheuerungen unaufhörlich angegriffen: die
Ungunſt welche ſie ſeit einiger Zeit in Bezug auf ihre reichs-
ſtändiſchen Verhältniſſe erfuhren, leiten wenigſtens die Frank-
furter vor allem von dem Widerwillen gegen die Monopo-
lien her.
Auf dem Reichstag von 1522—23 faßte man den
förmlichen Beſchluß, jede Geſellſchaft zu verbieten welche
über 50000 G. Capital habe: anderthalb Jahre ſollten ihnen
gelaſſen werden, um ſich auseinanderzuſetzen. Man hoffte
damit, den kleinern Häuſern eine Concurrenz mit den grö-
ßern möglich zu machen, die Anſammlung von Waaren
und Geldern in wenigen Händen zu verhüten.
Indem man aber den ungemeinen Vortheil überſchlug,
den der Verkehr mit dem Ausland, er mochte nun geführt
werden wie er wollte, den Kaufleuten verſchaffte, kam man auf
den Gedanken das allgemeine Bedürfniß durch eine Beſteue-
rung des Handels zu decken. Zog nicht auch jeder einzelne
Fürſt ſeine beſten Einkünfte aus den Zöllen, welche frühere
oder ſpätere Kaiſer ihnen verwilligt hatten? Man ſah, daß es
mit keiner directen Steuer Fortgang gewinnen wollte; man
faßte die Idee einer indirecten Beſteuerung, zu Gunſten
des Reiches, in Form eines allgemeinen Grenzzollſyſtems.
Es iſt wohl der Mühe werth, bei dieſem Entwurf
einen Moment zu verweilen. Die Ausführung deſſelben
müßte unberechenbare Folgen entwickelt haben: aber auch
ſchon an ſich iſt es merkwürdig, daß man ihn faſſen konnte.
Bereits im J. 1521 war die Sache zur Sprache gekom-
men: Churfürſt Joachim I von Brandenburg faßte ſie da mit
beſonderer Lebhaftigkeit auf und empfahl ſie unaufhörlich.
[45]Entwurf eines Grenzzollſyſtemes.
Im Frühjahr 1522 beſchloſſen dann die Stände wirk-
lich, auf dieſen Plan einzugehn, vorzüglich deshalb, weil
der gemeine Mann dadurch nicht beſchwert werde, um aber
ihrer Sache ſicher zu ſeyn, vor jedem weitern Schritte den
Kaiſer um ſeiner vorläufige Einwilligung zu erſuchen.
Nachdem dieſe von Spanien eingegangen, nur mit
der Bedingung, daß die nähern Beſtimmungen noch einmal
mitgetheilt werden möchten, ward [auf] dem Reichstag im
Winter 1522—23 auf Veranlaſſung des großen Ausſchuſ-
ſes der Stände eine Commiſſion niedergeſetzt, um einen
ausführlichen Entwurf auszuarbeiten. 1
Man gieng in demſelben von dem Grundſatz aus,
die unentbehrlichen Lebensbedürfniſſe unbeſteuert zu laſſen.
Als ſolche betrachtet man: Getraide, Wein und Bier, Zug-
und Schlachtvieh, auch das Leder. Alle andern Artikel
dagegen ſollten ſowohl bei der Ausfuhr als bei der Ein-
fuhr verzollt werden. Man dachte ſie weder nach dem
Gewicht noch nach einem Tarif, der zu mancherlei Nach-
ſuchung genöthigt haben würde, anzuſchlagen, ſondern nach
dem Einkaufspreis, den ein Jeder angeben müſſe: der Zoll
ſollte 4 Procent deſſelben betragen.
Es ward der Entwurf gemacht, das ganze Gebiet
des römiſchen Reiches deutſcher Nation durch eine Zollli-
nie einzuſchließen. Sie iſt folgende.
Sie ſoll beginnen bei Nikolsburg in Mähren und von
hier gegen Ungarn gewandt über Wien und Gräz nach
[46]Drittes Buch. Zweites Capitel.
Villach oder Tarvis im Canal gehen; von da wird ſie
ſich längs der Alpen hinziehen, gegen Venedig und Mai-
land, und ihre Zollſtätten in Trient, Brunegg, Insbruck,
Feldkirchen aufrichten. Die Schweiz, welche ſich der Auf-
lage die in dem Zoll liegt nicht unterwerfen würde, wird
man durch einige Zölle an ihren Grenzen ausſchließen;
die Grenzlinie wird dann jenſeit des Rheines ihre Rich-
tung nach Strasburg nehmen, und ſich über Metz, Luxen-
burg, Trier nach Aachen ziehen. So gelangt man bis in
die Nähe der Küſte, in das Gebiet des überſeeiſchen Ver-
kehrs. Man betrachtet die Niederlande ohne Bedenken als
einen Theil des Reichsgebietes; als binnenländiſche Zoll-
ſtätten werden Utrecht und Dordrecht ſo gut wie Cölln
und Weſel, für den eigentlichen Seehandel namentlich
mit England und Portugal Antwerpen, Brügge und Ber-
genopzoom in Vorſchlag gebracht. Mit der Küſte nimmt
dann die Linie ihre fernere Richtung nach Norden und
Oſten. Gegen Dänemark — ſtaatsrechtlich noch das
Unionsreich — ſollen die Hanſeſtädte von Hamburg bis
Danzig, dieſes eingeſchloſſen; gegen Polen Königsberg in
der Neumark und Frankfurt a. d. Oder als Reichszollplätze
dienen, an die ſich einige andre in Schleſien und der Lauſitz
anreihen ſollen.
Ein Entwurf der noch nicht zur Reife gediehen, bei
dem noch Vieles unbeſtimmt gelaſſen war; wie man denn
auch ſogleich beſchloß, die Grenzen noch einmal bereiſen zu
laſſen, weil man vielleicht Plätze finden könne, die noch
geeigneter ſeyen den Schleichhandel zu verhindern als die
angegebenen; man zweifelte noch, ob man Böhmen einſchlie-
[47]Entwurf eines Grenzzollſyſtemes.
ßen könne oder nicht, und weder auf Preußen noch auf
Liefland hatte man Rückſicht genommen; aber alles das be-
trifft nur Modalitäten, die erſt bei der Ausführung feſt
angeordnet werden konnten: mit der Hauptſache nahm man
es ſehr ernſtlich, und war darüber entſchieden.
Es liegt in der Natur der Menſchen, daß der geſammte
Handelsſtand dadurch beeinträchtigt zu werden glaubte,
den Entwurf nur von der Ungunſt herleitete, die er über-
haupt erfuhr, und ſich in tauſend mehr oder minder ge-
gründeten Einwendungen vernehmen ließ. Man ſuchte ſie
ihm ausführlich zu widerlegen. Man machte auf das Bei-
ſpiel benachbarter Reiche aufmerkſam, wo die Beſchwerun-
gen bei weitem ſtärker ſeyen und dennoch Handel und
Wandel auf das beſte gedeihe. Man bemerkte, daß die
Steuer ja keineswegs auf die Handelsleute falle, ſondern
auf die Käufer, die Verbrauchenden; dem Handel ſelbſt
werde es zum größten Vortheil gereichen wenn mit Hülfe
dieſer Steuer den Unordnungen im Reiche endlich abgehol-
fen, allgemeine Sicherheit eingeführt werden könne.
Und das iſt wenigſtens nicht zu leugnen, daß dieſer
Entwurf die großartigſten Ausſichten für die Zukunft von
Deutſchland in ſich ſchloß. Es war ſchon überaus nütz-
lich, genau beſtimmte und beaufſichtigte Grenzen zu ha-
ben, deren geſammter Umkreis in enger Beziehung zu ei-
nem lebendigen Mittelpuncte geſtanden hätte: das Bewußt-
ſeyn der Einheit des Reiches mußte dadurch an jeder
Stelle belebt werden. Aber auch das geſammte Staatsweſen
hätte einen andern Charakter bekommen. Das Reichs-
regiment, die wichtigſte vaterländiſche Inſtitution, an der
[48]Drittes Buch. Zweites Capitel.
man ſo lange gearbeitet hatte, würde dadurch zu einer natür-
lichen und ſichern Grundlage gelangt ſeyn, und hinreichende
Kräfte zur Handhabung der Ordnung erhalten haben. Noch
immer war kein Friede im Lande; alle Straßen waren un-
ſicher; bei keinem Urtel, keinem Beſchluß konnte man auf
ſeine Ausführung zählen; jetzt aber würde die beſchloſſene
Executionsordnung Leben gewonnen, das Regiment würde
Mittel erlangt haben, um die Hauptleute und Räthe in
den Kreiſen, von denen ſo oft die Rede geweſen, mit Be-
ſoldung zu verſehen, und einiges Kriegsvolk in ſeinem und
ihrem Gehorſam aufzuſtellen.
Im Frühjahr 1523 ſchien es, als würden dieſe Ab-
ſichten unfehlbar erreicht werden. Der Entwurf gieng nur
noch zur Beſtätigung an den Kaiſer zurück, der durch ſeine
vorläufige Einwilligung bereits gebunden war.
Wir ſehen wohl: das Reichsregiment hatte wirklich
die Idee, eine kräftige centrale Gewalt zu conſtituiren, und
ergriff, mit den Ständen in Verein, allen Einwendungen
zum Trotz die dazu geeigneten Mittel.
Da war es nun von um ſo größerer Bedeutung, in
welches Verhältniß dieſe emporkommende Gewalt zu den
religiöſen Bewegungen treten würde.
Im Anfang des Jahres 1522 war die Stimmung
des Regimentes denſelben ſehr abgeneigt. Herzog Georg
von Sachſen war zugegen, ein Fürſt, in welchem natür-
liche Anhänglichkeit an das Herkömmliche, 1 alle der man-
cher-
[49]Reichsregiment, 1522.
cherlei alte Hader den er gegen ſeine Vettern von der
erneſtiniſchen Linie hegte, und ein perſönliches Mißfallen
das ihm die Verwegenheit des rückſichtsloſen Mönches er-
weckte, zu einem lebhaften und heftigen Widerwillen zu-
ſammenwirkte. Die Wittenberger Unruhen kamen ihm eben
gelegen, um ſeinen Klagen Nachdruck zu verſchaffen. Er
brachte wirklich ein Edict aus, durch welches das Regi-
ment die benachbarten Biſchöfe Naumburg, Meißen und
Merſeburg aufforderte, die Neuerungen nicht einreißen zu
laſſen, die bisher üblichen kirchlichen Gebräuche aufrecht zu
erhalten. 1
Schon in jenem Vierteljahr aber, ſo wie die Nach-
richt von der Beilegung dieſer Bewegung anlangte, änderte
ſich die Stimmung. Es war natürlich von der Rückkehr
Luthers nach Wittenberg die Rede, durch welche einer
kaiſerlichen Achtserklärung ſo gradezu Trotz geboten wurde,
und Herzog Georg hatte wohl den Gedanken, die Inter-
vention des Kaiſers unmittelbar anzurufen; aber er ver-
letzte damit nur das Selbſtgefühl des Regimentes. Der
Geſandte Churfürſt Friedrichs Hans von der Planitz wollte
es nicht tadeln laſſen, daß ſein Herr Luthern in Witten-
1
Ranke d. Geſch. II. 4
[50]Drittes Buch. Zweites Capitel.
berg dulde; er wollte es nicht Wort haben daß der Mönch
Ketzereien lehre. „Daß dort das Abendmahl unter beiden
Geſtalten genommen werde, ein und der andre Prieſter ſich
verheirathe, ein paar Mönche ihr Kloſter verlaſſen, könne
man nicht Ketzereien nennen; das betreffe Anordnungen,
welche von Papſt und Concilien vor nicht gar langer Zeit
gegeben worden, und daher auch am Ende zurückzunehmen
ſeyen. Würde man dagegen Luthern entfernen, ſo würden
ſich Nachahmer erheben, jedoch ohne ſeinen Geiſt; die möch-
ten dann leicht nicht allein gegen Satzungen der Kirche,
ſondern gegen Chriſtenthum und Gott predigen; ein Auf-
ruhr, ja ein vollkommner Mißglaube dürfte ſich erheben.“
Dieſer Geſandte iſt überhaupt ein Mann von Geiſt, eben
ſo entſchloſſen, wie gewandt; er iſt ganz für Luther, we-
niger jedoch aus theologiſcher Überzeugung, obwohl er
ihm auch darin beiſtimmt, als weil er in der Sache deſ-
ſelben zugleich eine Sache ſeines Fürſten, des Regimentes
und des Reiches ſieht.
Im Sommer 1522 traf nun die Reihe, an dem Re-
giment perſönlich anweſend zu ſeyn, den Churfürſten Frie-
drich ſelbſt. Er war noch aus der Schule jener alten Für-
ſten, aus deren Ideen das Inſtitut des Regimentes her-
vorgegangen: auch jetzt hatte er an der Feſtſetzung der Ver-
faſſung perſönlich den lebendigſten Antheil genommen. Schon
war er öfter wegen einzelner Förmlichkeiten zu Rathe ge-
zogen worden. Die beſonnene Ruhe mit der er verfuhr,
die Erfahrung die er beſaß, die allgemeine Hochachtung
welche er ſich durch Redlichkeit und Geſchäftstalent erwor-
ben, brachten ihm eine ungemeine Autorität zu Wege. 1
[51]Reichsregiment, 1522.
Man kann ſagen: er regierte in dieſem Momente das Reich,
in ſo fern es überhaupt regiert werden konnte.
Da läßt ſich nun denken, daß Luther, der die Gnade
dieſes Fürſten in ſo hohem Grade genoß, von dem Regi-
ment nichts zu befürchten hatte. Herzog Georg fuhr fort,
ihn bei dieſer Verſammlung zu verfolgen: er beſchwerte ſich
zu wiederholten Malen über die Heftigkeit des Mönchs,
über die Schmähungen die er gegen Reichsfürſten, Kaiſer
und Papſt ausſtoße. Nichtsſagender aber war wohl nie
eine Antwort, als die, welche ihm einſt das Regiment auf
eine dieſer Klagen zuſtellte. „Wir erſehen,“ ſchreibt es ihm
am 16ten Aug. „daß Ew. Liebden die Schmähungen gegen
päpſtliche Heiligkeit und kaiſerliche Majeſtät mißfallen, ge-
ben darauf E. L. zu erkennen, daß wir Kſr Mt Schmach
und Schaden nicht gern gedulden wollten wo wir ſie er-
führen und ſähen.“ 1 Kein Wunder, wenn ſich der Her-
zog ſpäter einmal bei dem Statthalter, Pfalzgraf Friedrich
über dieſe Antwort beſchwerte: der antwortete, es habe
ſich damals gegen Dinge dieſer Art nichts thun laſſen.
Überhaupt bildete ſich in dem Regiment eine Luthern
geneigte Partei, die zwar in jedem Vierteljahr durch den
Eintritt neuer Mitglieder unſicher ward, aber kraft der na-
türlichen Conſequenz einmal aufgefaßter Grundſätze immer
1
4*
[52]Drittes Buch. Zweites Capitel.
wieder die Oberhand behielt, und in der That die Majo-
rität conſtituirte. Wunderbarer Wechſel! Nachdem der
Kaiſer 1521 Luthern in die Acht erklärt, nahm die Be-
hörde welche die kaiſerliche Gewalt repräſentirte, 1522, 23,
den Geächteten in Schutz und näherte ſich ſeinen Tenden-
zen. Politiſchen Combinationen wie ſie auf den Kaiſer ein-
gewirkt, war ſie natürlich unzugänglich.
Und um ſo mehr hatte das zu bedeuten, da in den
letzten Monaten des einen, den erſten des andern Jahres
die Stände beiſammen waren, und nun, auf Anregung
des neuen Papſtes, Adrian VI, einen Beſchluß in der lu-
theriſchen Sache faſſen ſollten.
Gewiß war Adrian VI ein überaus wohlgeſinnter
Mann. Er war früher Profeſſor in Löwen geweſen und
ſchon damals hatte er gegen den Übermuth der Geiſtlichen,
gegen die Verſchwendung der kirchlichen Güter geeifert; 1
dann war er Lehrer Carls V geworden; man hatte ihn
zur Verwaltung von Spanien gezogen: da hatte er die
Dinge der Welt noch mehr in der Nähe geſehen, und ſich
mit Widerwillen gegen die weltlichen Tendenzen des Papſt-
thums durchdrungen. Eine Reform zu verſuchen war er
daher ſehr geneigt. Er erklärte, er habe ſeinen Nacken nur
darum in das Joch der päpſtlichen Würde gebeugt, um
die verunſtaltete Braut Chriſti in ihrer Reinheit wieder her-
zuſtellen. Aber dabei war er doch auch ein entſchied-
ner Gegner Luthers. Er gehörte mit zu jenen Magiſtri
[53]Reichstag von 1522, 23.
noſtri von Löwen, welche gegen die neuernde Literatur und
Theologie ſo lange in Kampf gelegen: die Erklärungen dieſer
Univerſität hatte er ausdrücklich gebilligt. Die dominica-
niſch-orthodoxe Tendenz, welche ſich 1520 wieder aufs
engſte mit dem römiſchen Hofe vereinigt, kam in ihm be-
reits zu einer momentanen Herrſchaft.
In dem Sinne nun, der ihm natürlich war, inſtruirte
Adrian den Nuntius Chieregati, welchen er an den deut-
ſchen Reichstag ſendete. Er betrachtete das Aufkommen
der lutheriſchen Meinungen als eine Strafe für die Sün-
den der Prälaten. „Wir wiſſen,“ ſagt er, „daß bei
dieſem Sitze einige Jahre daher viele Abſcheulichkeiten vor-
gekommen ſind: alles iſt zum Böſen verkehrt worden, von
dem Haupte hat ſich das Verderben in die Glieder, von
dem Papſt über die Prälaten verbreitet.“ Indem er ſich
nun bereit erklärte, die Übelſtände abzuſtellen, forderte er
die deutſchen Stände zugleich auf, dem Um-ſich-greifen der
lutheriſchen Meinungen ernſtlich Einhalt zu thun; acht
Gründe führte er auf, welche ſie dazu bewegen müßten. 1
Auf dieſe Anträge ſollte nun Antwort gegeben, Be-
ſchluß gefaßt werden; und dem Regiment kam es zu, einen
Entwurf dazu abzufaſſen.
Gleich bei dem erſten Erſcheinen des Nuntius hatten
ſich die beiden Parteien in dieſem Collegium mit einander
gemeſſen. Die altgeſinnte Minorität hatte eine Beſchwerde
[54]Drittes Buch. Zweites Capitel.
des Nuntius über ein paar Prediger hervorgerufen, die zu
ihrem und ſeinem Verdruß unter den Augen des Regimen-
tes lutheriſche Meinungen verkündigten. Erzherzog Ferdi-
nand, der jetzt ſelbſt das Statthalteramt verſah, der Chur-
fürſt von Brandenburg, an den in dieſem Quartal die
Reihe war, erklärten ſich für die Wünſche des Nuntius.
Allein die Majorität leiſtete ihnen unter Anführung des
Planitz entſchloſſenen Widerſtand. Es kam hierüber zu
manchem lebhaften Wortwechſel. Ferdinand rief einmal
aus: „ich bin hier an des Kaiſers Statt.“ „Ja wohl,“ fiel
Planitz ein, „jedoch neben dem Regiment und nach den
Ordnungen des Reiches.“ Die Sache ward nach den
Vorſchlägen dieſes Geſandten an die Stände gewieſen, 1 d. i.
ins Weite geſchoben; und man kann ſich denken, daß die
Prediger nun noch beherzter, ungeſtümer wurden. „Und
wenn der Papſt,“ rief einer zu St. Lorenz aus, „zu ſeinen
drei Kronen noch eine vierte auf dem Kopfe hätte, ſo ſollte
er mich nicht von dem Worte Gottes abwendig machen.“
Vor den Augen ſeines Nuntius ward dem Papſt auf der
Kanzel Trotz geboten.
Unter dieſen Eindrücken wählte das Regiment einen
Ausſchuß, um die den Ständen vorzuſchlagende Antwort
an den Nuntius zu entwerfen. Er ward ebenfalls aus
beiden Parteien zuſammengeſetzt, einigen geiſtlichen und ei-
[55]Reichstag von 1522, 23.
nigen weltlichen Mitgliedern, und die Majorität ließ ſich
einen Augenblick zweifelhaft an: aber gar bald war ſie ent-
ſchieden.
Ohne Frage das einflußreichſte Mitglied deſſelben war
Johann von Schwarzenberg, Hofmeiſter von Bamberg,
ſchon ein Mann von höhern Jahren, den Sechzigen nahe,
der einſt in ſeiner Jugend mitten in der Völlerei damali-
gen Hoflebens, die auch ihn fortzureißen drohte, auf die
Ermahnung ſeines Vaters ernſte ſittliche Entſchlüſſe gefaßt,
und ſich ſeitdem mit unermüdlichem Eifer dem Staatsdienſt
und den Studien gewidmet hatte. Wir haben Überſetzun-
gen ciceronianiſcher Schriften unter ſeinem Namen, in de-
nen er ſich beſonders eines reinen, der gebildetern Redeart
entſprechenden Ausdrucks befleißigte. 1 An der erſten pein-
lichen Halsgerichtsordnung, zu Bamberg, in der man ſich
vor allem dem geſchriebenen, d. i. dem römiſchen Rechte
zu nähern ſuchte, hatte er wenigſtens den größten Antheil,
wenn er ſie nicht gradezu verfaßt hat. Er war, wie wir
ſehen, nach beiden Seiten hin productiv: er wunderte ſich
daß Jemand lange Weile haben könne. Der lutheriſchen
Bewegung, in welcher er die wiſſenſchaftliche und prakti-
ſche Richtung ſeiner eignen Sinnesweiſe wiederfand, und
zwar durch die religiöſe Tendenz ſo großartig erweitert,
hatte er ſich vom erſten Augenblick an mit Freuden ange-
ſchloſſen, mit einem ſeiner Söhne darüber ernſte Schriften
gewechſelt, eine ſeiner Töchter aus dem Kloſter genommen:
[56]Drittes Buch. Zweites Capitel.
er lebte und webte darin. 1 Mit der Überlegenheit einer
vollen und nach allen Seiten begründeten, gegen jede Ein-
wendung gerüſteten Überzeugung nahm er ſich nun an der
ſo überaus wichtigen Stelle in die er gelangt war, derſel-
ben an, und riß ſeine Collegen mit ſich fort, die einen,
weil ſie ohnehin ſich zu derſelben Geſinnung neigten, wie
Sebaſtian von Rotenhan und Dr. Zoch, die andern, weil
ſie wenigſtens in dieſem Augenblick keinen Widerſtand zu
leiſten wußten, wie der Biſchof von Augsburg. Wer dieſe
Geſinnung nicht theilte, blieb lieber von den Verſammlun-
gen weg, z. B. der Geſandte des Herzog Georg, Dr. v.
Werthern, und der Erzbiſchof von Salzburg. Dergeſtalt
kam in dieſem Ausſchuß, der jetzt die centrale Gewalt des
Reiches darſtellte, ohne vielen Widerſpruch ein Gutachten
zu Stande, durchaus im Sinne der Oppoſition gegen das
Papſtthum, und von der größten Wichtigkeit für die ganze
folgende Entwickelung.
Darin gieng man von den Eingeſtändniſſen und Re-
formverſprechungen des Papſtes aus, die man annahm,
aber ohne ſich nun dagegen, wie der Papſt forderte, zu
einer Verfolgung der lutheriſchen Meinungen zu verſte-
hen. Man erklärte vielmehr, daß es eben um der zuge-
ſtandenen Mißbräuche willen unmöglich ſey, die Bulle
Leos X und das Wormſer Edict zu vollziehen. Denn
vor allem von Luther ſey man über die Mißbräuche un-
terrichtet worden. Würde man ernſtlich gegen ihn verfah-
ren, ſo würde Jedermann glauben „man wolle durch Ty-
[57]Gutachten des Ausſchuſſes.
rannei evangeliſche Wahrheit unterdrücken und unchriſtliche
Mißbräuche behaupten, woraus denn nur Widerſtand ge-
gen die Obrigkeit, Empörung und Abfall hervorgehn könne.“
Man erinnerte den Papſt, die Concordate zu halten, die
Beſchwerden der deutſchen Nation abzuſtellen, vor allem
die Annaten fallen zu laſſen, doch war man nicht der Mei-
nung, daß die Irrung jetzt noch hiemit beizulegen ſey.
Das könne auf keine andre Weiſe geſchehen als durch ein
Concilium. Die Forderung eines Conciliums, welche ein
halbes Jahrhundert in Athem halten ſollte, war zuerſt in
einem Geſpräch des Nuntius mit Planitz ernſtlich zur
Sprache gekommen, [...]ekam nun durch den Ausſchuß
des Reichsregimentes [...]liciſtiſch gültige Anregung. Zu-
gleich gab er aber einige Beſtimmungen dafür an: — es
müſſe von päpſtlicher Heiligkeit mit Verwilligung kaiſerli-
cher Majeſtät berufen werden, denn beiden Häuptern ſtehe
das zu: an eine bequeme Malſtadt: unverzüglich: binnen
eines Jahres müſſe es beginnen: und zwar weſentlich un-
ter andern Formen als die frühern. Einmal nemlich müſſe
darin auch den Weltlichen Sitz und Stimme zuſtehen, ſo-
dann müſſe jede Verpflichtung aufgehoben ſeyn, durch die
man abgehalten werde irgend etwas vorzutragen was „zu
göttlichen, evangeliſchen und andern gemeinnützigen Sa-
chen“ nothwendig ſey. Eine Verſammlung welche der lu-
theriſchen Idee über die Kirche bereits entſprochen und al-
lerdings ganz eine andre Geſtalt gehabt haben würde als
ſpäterhin die Tridentiner. Fragte man nun, wie man ſich
bis zu den Entſcheidungen dieſes Conciliums zu verhalten
habe, ſo war die Antwort des Ausſchuſſes: man hoffe,
[58]Drittes Buch. Zweites Capitel.
wenn der Papſt die Vorſchläge genehmige, bei Churfürſt
Friedrich und bei Luther auszuwirken, daß weder von die-
ſem noch von ſeinen Anhängern etwas geſchrieben oder ge-
lehrt werde was zu Ärgerniß und Aufruhr Anlaß geben
könne: nur das heilige Evangelium und bewährte Schrift
nach rechtem chriſtlichen Verſtand ſolle man lehren. Auf
dieſe letzten Beſtimmungen kam es beſonders an. Alles an-
dre lag in der Ferne, dieſe aber enthielten eine Norm für
den Augenblick. Sie waren, wie man leicht wahrnimmt,
durchaus in dem Sinne der zu Wittenberg und an dem
ſächſiſchen Hofe die Oberhand behalten, mit den Intentio-
nen einer freien Entwickelung der Lehre, die dort gefaßt
worden, übereinſtimmend. Der 13te Januar 1523 iſt der
Tag, an welchem dieß auf ewig denkwürdige Gutachten
den Ständen zu weiterer Berathung übergeben ward. Voll
Freuden ſchickte es Hans von der Planitz noch an demſel-
ben Tage ſeinem Herrn zu. 1
In den Ständen war ohnehin eine ſtarke Gährung,
eine lebhafte Reibung zwiſchen geiſtlichen und weltlichen
Mitgliedern zu bemerken. Früher ſchien es wohl, als wür-
den beide Theile gemeinſchaftliche Sache gegen Rom ma-
chen, und noch in Worms hatten die Biſchöfe den allge-
meinen Beſchwerden der deutſchen Nation ihre beſondern
hinzugeſellt; allein eben dort entſprang auch die Entzweiung:
die Geiſtlichen ſahen ſich durch die Beſchwerden welche die
Weltlichen aufgeſetzt ſelbſt angegriffen, und waren entſchloſ-
[59]Debatten in den Staͤnden.
ſen ihre hergebrachten Rechte zu vertheidigen. In der da-
maligen Verſammlung war es ſchon ein paar Mal zu Aus-
brüchen dieſer Feindſeligkeit gekommen. Eine Eingabe der
Städte voll der heftigſten Invectiven war verleſen wor-
den: das Oberhaupt der deutſchen Geiſtlichkeit, der Chur-
fürſt von Mainz hatte ſein Mißfallen darüber ſehr lebhaft
zu erkennen gegeben: er meinte, man wolle die Geiſtlichen
wie Verbrecher behandeln, man wolle unmittelbar Hand
an ſie legen. Aber auch die übrigens katholiſch-eifrigſten
weltlichen Fürſten forderten Reformen. Hatte ein Fürſt
ja keinen Auftrag dazu gegeben, ſo neigten ſeine Räthe
von ſelber dahin. Die Beſchwerden der Nation wurden
aufs neue zuſammengeſtellt, zwar dieß Mal ohne Theil-
nahme der Geiſtlichen, aber übrigens vermehrt und ge-
ſchärft, großentheils gegen die Geiſtlichen ſelber gerichtet.
In den tauſendfältigen Unordnungen, die ſie aufzählen,
drückt ſich das Bedürfniß einer Scheidung beider Gebiete
und Jurisdictionen aus, welches nie dringender geweſen war.
Dieſe Gegenſätze nun weiter zu entwickeln, mit ein-
ander in Kampf zu bringen war nichts geeigneter, als das
Gutachten, das jetzt von dem Ausſchuß des Regimentes
an die Stände gebracht ward.
In der That gelang es den Geiſtlichen, einige Modi-
ficationen in demſelben durchzuſetzen.
Zunächſt wurden die aus dem päpſtlichen Breve wie-
derholten Geſtändniſſe nur in ſo fern geduldet als ſie den
Papſt angiengen: die Worte die ſich auf Prieſter und
Prälaten bezogen, mußten weggelaſſen werden. Ferner wur-
den der Anſprüche der Weltlichen auf Sitz und Stimme
[60]Drittes Buch. Zweites Capitel.
in dem Concilium nicht gedacht. 1 Es kam hiebei oft über
einen einzelnen Ausdruck zu heftigem Wortwechſel. Bei dem
Artikel über die Verpflichtungen z. B. wollten die Geiſtlichen
das Wort evangeliſch nicht aufnehmen. Hierüber fielen von
der weltlichen Seite ſo anzügliche Reden, daß der Churfürſt
von Mainz die Sitzung verließ und nach ſeiner Behauſung
ritt. Die Majorität entſchied jedoch zuletzt für ihn, für die
Weglaſſung des Wortes.
Was nun aber hiedurch im Einzelnen auch geändert
werden mochte, ſo blieb doch die Hauptſache ſtehen: die
Ausführung des Wormſer Edictes ward abgelehnt; 2 es
ward ein Concilium gefordert, wo möglich binnen eines
Jahres zu beginnen, in einer deutſchen Stadt, unter Mit-
wirkung des Kaiſers; ſogar auf die Veränderung der For-
men einer ſolchen Verſammlung ward Bezug genommen;
die Theilnahme weltlicher Stände ward ſtillſchweigend vor-
[61]Debatten in den Staͤnden.
ausgeſetzt; für beide ſollten alle Verpflichtungen aufgeho-
ben ſeyn, durch welche die Freiheit der Meinungsäußerung
beſchränkt werden könnte. Ein ſo entſchiednes Übergewicht
erlangte die nach einer Umbildung der kirchlichen Verhält-
niſſe ſtrebende Tendenz in beiden Ständen des Reichs.
Auch die Geiſtlichen ſahen die Nothwendigkeit einer Än-
derung ein; die Weltlichen drangen darauf. Selbſt von
Herzog Ludwig von Baiern verſichert man, er habe gegen
den Widerſpruch der Geiſtlichen eifrig feſtgehalten. 1
Da waren nur noch jene letzten, und für den Mo-
ment bedeutendſten Beſtimmungen, wie es bis zur Ent-
ſcheidung eines Conciliums gehalten, welche Thätigkeit
Schriftſtellern und Predigern geſtattet werden ſolle, zu be-
rathen übrig.
In Hinſicht der erſten gelang es den Geiſtlichen ei-
nige weitre Beſchränkungen durchzuſetzen. Die Verwendung
bei dem Churfürſten wollten ſie dahin gerichtet wiſſen, daß
von Luther und deſſen Anhängern überhaupt nichts Neues
geſchrieben, gedruckt, oder gethan werde; nicht allein daß
das nicht zu Aufruhr gereiche. Auch ſollte dieſe Verwen-
dung ſofort geſchehen, ohne daß man erſt die Zuſage des
Conciliums von dem Papſt erwarte. Der ſächſiſche Reichs-
tagsgeſandte Philipp von Feilitzſch ſuchte die Vorſchläge
des Regimentes zu behaupten; da es ihm nicht gelang, ſo
proteſtirte er wenigſtens: er erklärte, „ſein Fürſt könne ſich
durch dieſen Beſchluß nicht gebunden achten, er werde ſich
chriſtlich, löblich und unverweislich zu halten wiſſen.“
[62]Drittes Buch. Zweites Capitel.
Es iſt, wie wir ſehen, ein Kampf wo ſich der Sieg
bald auf die eine, bald auf die andre Seite neigt. Bei
dem letzten Punct, der vielleicht noch wichtiger war, bei
den Beſtimmungen über die Predigt, welche die große Maſſe
unmittelbar berührte, nahmen die beiden Parteien ihre
Kräfte noch einmal zuſammen. Die Geiſtlichen wollten
ſich mit der allgemeinen Anweiſung der Prediger auf Evan-
gelium und bewährte Schriften nicht begnügen, ſie forder-
ten eine nähere Bezeichnung der letztern und brachten die
Nahmhaftmachung der vier großen lateiniſchen Kirchenvä-
ter, Hieronymus, Auguſtin, Ambroſius und Gregor, de-
nen man ein canoniſches Anſehen beimaß, in Vorſchlag.
Es iſt das um ſo bezeichnender, wenn man ſich erinnert,
daß hundert Jahr früher auch die entwickeltern huſſitiſchen
Doctrinen zunächſt als eine Abweichung von dieſen vier
Begründern der lateiniſchen Kirche betrachtet worden wa-
ren. Aber ſo tief waren ſchon die Ideen Luthers in die
Nation gedrungen, daß ſie ſich auf die particularen Bil-
dungen des Latinismus nicht mehr verpflichten laſſen wollte.
Der gemeine Menſchenverſtand ſperrte ſich dagegen, daß
St. Paulus weniger gelten ſollte als Ambroſius. Dieß-
mal konnten die Geiſtlichen nicht durchdringen. Nach
mancherlei Hin und Widerreden gerieth man vielmehr auf
eine Faſſung welche die Bedeutung des urſprünglichen Vor-
ſchlags in Wahrheit nur noch ausdrücklicher ſicherte. Man
beſchloß, es ſolle nichts gelehrt werden als das rechte reine
lautere Evangelium, gütig ſanftmüthig und chriſtlich, nach
der Lehre und Auslegung der bewährten und von der chriſt-
lichen Kirche angenommenen Schriften. 1 Vielleicht fühl-
[63]Debatten in den Staͤnden.
ten ſich die Anhänger des Alten dadurch befriedigt, weil
doch zugleich die Auslegung der lateiniſchen Kirchenväter
damit gutgeheißen war; allein wie dieſe Verweiſung all-
gemein gehalten, dunkel und unbeſtimmt, in demſelben Grade
war die Empfehlung der evangeliſchen Doctrin dagegen
unzweifelhaft beſtimmt und dringend; dieſe allein konnte
Eindruck machen.
Und ſo war dieſe Antwort zwar hie und da verän-
dert, aber dem Geiſte nach in der Hauptſache mit dem
urſprünglichen Entwurf durchaus übereinſtimmend, als ſie
an das Regiment zurückkam. Wider Erwarten gab es
hier noch einmal eine ſehr ſtürmiſche Sitzung. Einige
Mitglieder, unter ihnen auch der Biſchof von Augs-
burg, dem ſeine Theilnahme an dem Entwurf wieder leid
geworden war, machten noch einmal einen Verſuch, die
Nahmhaftmachung der vier Kirchenväter feſtzuhalten. Pla-
nitz berichtet, er habe darüber viel hoffärtige böſe Worte
hinnehmen, einen ſtarken Sturm beſtehen müſſen, beſonders
zeigt er ſich über die Abtrünnigkeit des Biſchofs unwillig,
der von Gott aus dem Staube erhoben und zu den Für-
ſten ſeines Volkes geſetzt, dafür das Evangelium verfolge. 1
Aber durch Geduld und Standhaftigkeit, mit Hülfe Schwar-
zenbergs, gelang es ihm die einmal durchgegangene Faſ-
ſung zu behaupten: die Antwort ward, wie ſie aus der
1
[64]Drittes Buch. Zweites Capitel.
Ständeverſammlung zurückgekommen, dem Nuntius über-
geben. 1
Dieſer verbarg ſein Erſtaunen, ſeinen Mißmuth nicht:
weder der Papſt, ſagt er, noch der Kaiſer noch irgend ein
anderer Fürſt habe ſolch einen Beſchluß von ihnen erwartet:
er erneuerte ſeine Anträge auf die Ausführung des Worm-
ſer Edictes, die Einrichtung einer biſchöflichen Cenſur; allein
wie hätte eine Verſammlung, die ſich ſo langſam und
ſchwer bewegte, auf eine Zurücknahme einmal gefaßter Be-
ſchlüſſe denken können? Es war alles vergeblich.
Der Inhalt der Antwort ward als ein kaiſerliches
Edict in das Reich verkündigt. Der Churfürſt von Sach-
ſen, Luther ſelbſt war damit höchlich zufrieden. Luther
fand, daß Bann und Acht, die über ihn ausgeſprochen
worden, dadurch eigentlich zurückgenommen ſeyen.
In der That waren dieſe Beſchlüſſe von Nürnberg
das grade Gegentheil der Wormſiſchen. Was man von
Carl V erwartet hatte, daß er ſich an die Spitze der na-
tionalen Bewegung ſtellen würde, das that das Regiment
nun wirklich. Die politiſche Oppoſition, die ſich ſchon ſo
lange vorbereitet, trat dem Papſt kräftiger als jemals ent-
gegen. Mit ihr verbündet, durch die Repräſentanten der
kaiſerlichen Macht geſchützt konnte nun auch die religiöſe
Bewegung ſich ungehindert entwickeln.
Drit-
[[65]]
Drittes Capitel.
Ausbreitung der Lehre.
1522 — 1524.
Es war keine Anſtalt zu treffen, kein Plan zu verab-
reden: einer Miſſion bedurfte es nicht; wie über das be-
ackerte Gefilde hin bei der erſten Gunſt der Frühlingsſonne
die Saat allenthalben emporſchießt, ſo drangen die neuen
Überzeugungen, durch alles was man erlebt und gehört
hatte, vorbereitet, in dem geſammten Gebiete wo man deutſch
redete, jetzt ganz von ſelbſt oder auf den leichteſten Anlaß
zu Tage.
Eine Ordensverbindung mußte es ſeyn, welche die
erſten Mittelpuncte für die allenthalben entſtehende Oppo-
ſition bildete.
Hatten doch die thüringiſch-meißniſchen Auguſtiner
durch förmlichen Beſchluß die Emancipation begonnen!
Da ſtanden Luthern die alten Freunde zur Seite, die mit
ihm denſelben Gang der Meinungen und Studien gemacht.
Aber auch unter den entferntern Auguſtiner-Conventen mö-
gen wenige geweſen ſeyn, wo ſich nicht verwandte Re-
gungen hervorgewagt hätten; wir finden ſie namentlich
verzeichnet: in Magdeburg, Osnabrück, Lippe, Antwerpen,
Ranke d. Geſch. II. 5
[66]Drittes Buch. Drittes Capitel.
in Regensburg und Dillingen, 1 Nürnberg, Straßburg,
im Heſſiſchen und im Wirtenbergiſchen. Oft waren es äl-
tere Männer, welche die Doctrinen denen ſie ſich ſeit der
Zeit des Johann Proles gewidmet, jetzt mit Freuden zu
voller Entwickelung gelangen, zur Herrſchaft emporſtreben
ſahen: zuweilen aber auch jüngere feurige Gemüther, welche
vor allem von Bewunderung für ihren ſiegreichen Wittenber-
ger Mitbruder durchdrungen waren. Johann Stiefel zu
Eßlingen erblickt in ihm den Engel der Offenbarung, der
mitten durch den Himmel fliegt und ein ewiges Evange-
lium in der Hand hält: er widmete ihm ein myſtiſch-he-
roiſches Lobgedicht. 2 Auch hatten ſie den Ruhm, die erſten
Verfolgungen auf ſich zu ziehen. Ein paar Auguſtiner zu
Antwerpen waren die erſten Märtyrer der neuen Lehre.
Nicht unterſtützt von ihrem Orden, ſondern vielmehr
ſich davon losreißend, aber wie man ſchon daraus ſieht,
um ſo kräftigere Naturen, erhoben ſich eine ganze Anzahl
Franciscaner. Zuweilen Gelehrte, wie Johann Brismann
zu Cottbus, der eine lange Reihe von Jahren den ſchola-
ſtiſchen Studien gewidmet, Doctor der Theologie gewor-
[67]Ausbreitung der Lehre.
den war, ſich aber jetzt nach dem Vorbild Luthers aus
deſſen Schriften mit entgegengeſetzten Ideen durchdrang; 1
oder Geiſter von tieferem religiöſen Bedürfniß, die daſſelbe
im Kloſter nicht befriedigt fanden, wie Friedrich Myconius:
man kennt den Traum den er die Nacht nach ſeiner Ein-
kleidung gehabt haben ſoll: auf beſchwerlichen ermüdenden
Irrwegen war ihm ein heiliger Mann erſchienen, kahlköpfig,
in antikem Gewand, wie St. Paulus gemahlt wird, und
hatte ihn zu einem Brunnen geführt — an dem er ſich labte,
deſſen Waſſer er, wie er um ſich ſchaute, von einem Ge-
kreuzigten herabſtrömen ſah — und dann nach einem unab-
ſehlichen Gefilde voll reichen Getraides, wo die Schnitter
ſich zur Arbeit der Ernte ſammelten: 2 man ſieht ſeine Ge-
müthsrichtung und nimmt den Eindruck ab, welchen nun
die wiedererwachende apoſtoliſche Doctrin und die Aus-
ſicht einer großen Wirkſamkeit auf ihn machen mußte. Oder
es waren Männer die in den mancherlei Beziehungen zu
den niedern Ständen, in welche ſie die Wirkſamkeit eines
Barfüßerkloſters ſetzte, die verderblichen Folgen des Werk-
dienſtes wahrgenommen und ihn nun aus allen Kräf-
ten angriffen, wie Eberlin von Günzburg, Heinrich von
Kettenbach, die beide aus demſelben Kloſter zu Ulm her-
vorgiengen: ein paar außerordentliche Talente populärer
Beredſamkeit; von Eberlin ſagten die Gegner, er könne wohl
eine ganze Provinz verführen: ſo viel Eindruck mache er
bei dem gemeinen Mann. Man fand unter ihnen die ſtand-
5*
[68]Drittes Buch. Drittes Capitel.
hafteſten Streiter, wie Stephan Kempen, durch deſſen
tapfere kampffertige Haltung man an die Bedeutung ſeines
Namens erinnert ward: — faſt überall haben Franciscaner
an den erſten Bewegungen Theil genommen: dieſer hat
die neue Lehre in Hamburg begründet, und drei Jahr lang
ſo gut wie allein gegen alle Feindſeligkeiten vertheidigt.
Es mochte aber auch keinen andern Orden geben,
aus dem nicht Genoſſen der Neuerung, oft eben die nahm-
hafteſten hervorgegangen wären. Martin Butzer war von
den Dominicanern zum Profeſſor der thomiſtiſchen Doc-
trinen beſtimmt: jetzt löſte er ſeine Verbindung mit dieſem
Orden durch eine Art von Proceß auf: an der Begrün-
dung des neuen Lehrſyſtems nahm er von Stund an den
lebendigſten, mithervorbringenden Antheil. Aus der Kar-
thauſe zu Mainz gieng Otto Brunnfels hervor, der ſich
dann unſerm Hutten mit wetteiferndem Feuer zur Seite
ſtellte. In der Benedictinerabtei Alperſpach fühlte ſich der
junge Leſemeiſter, P. Ambroſius Blaurer durch die begin-
nenden Gährungen zu dem Studium der heil. Schrift er-
weckt, und gerieth auf Meinungen die ihm den Aufent-
halt im Kloſter gar bald unmöglich machten. In dem
Brigittenkloſter zu Altomünſter erhob Öcolampadius, der erſt
ſeit kurzem den Habit genommen, ſeine Stimme im Sinne
der Neuerung: er hatte da für die gelehrten Arbeiten, die
er beabſichtigte, ungeſtörte Muße zu finden gehofft: die
Überzeugung die ſich ſeiner gar bald bemächtigte, riß ihn
zur lebendigen Theilnahme an allen Bewegungen der Epoche
mit fort. Zu den Brüdern U. L. Fr. den Carmelitern in
Augsburg, welche den Prior an der Spitze gleich anfangs
[69]Ausbreitung der Lehre.
für Luther Partei genommen, gehörte wenigſtens eine Zeit-
lang 1 Urbanus Regius, einer der vertrauteſten ergebenſten
Schüler Johann Ecks, der ſich aber jetzt von demſelben
losmachte, 2 und anfangs in dem obern, dann beſonders
in dem niedern Deutſchland die großartigſte Wirkſamkeit
entwickelt hat. Später ſtand ihm hier Johann Bugenhagen
zur Seite, der damals lange Zeit in dem Prämonſtra-
tenſer Kloſter zu Belbuck in Pommern eben auch auf
ganz andern Wegen gegangen war. Bugenhagen war
zwar, wie die pommerſche Geſchichte zeigt, welche er be-
reits 1518 verfaßte, von der Nothwendigkeit einer Um-
wandlung des geiſtlichen Standes überzeugt, und befehdete
die Mißbräuche nach Kräften; 3 allein auch von Luther
wollte er nichts wiſſen: als ihm deſſen Buch von der ba-
byloniſchen Gefangenſchaft zu Geſicht kam — einſt bei Tiſch
— rief er aus, einen verderblicheren Ketzer habe es ſeit dem
Leiden Chriſti nicht gegeben. Aber eben dieß Buch machte
ihn andern Sinnes. Er nahm es mit nach Hauſe, las
es, ſtudirte es, und überzeugte ſich, daß die ganze Welt
irre und Luther allein die Wahrheit ſehe. Dieſe Meinung
theilte er ſeinen Collegen an der Kloſterſchule der er vor-
ſtand, ſeinem Abte, allen ſeinen Freunden mit. 4 — So
[70]Drittes Buch. Drittes Capitel.
war es nun in allen Orden. Nicht ſelten wurden die
Obern am lebendigſten ergriffen: wie jene Prioren der Augu-
ſtiner und Carmeliterconvente, ſo unter andern der Propſt
am Johanniskloſter zu Halberſtadt, Eberhard Widenſee, und
durch deſſen Einfluß die Pröpſte zu Neuenwerk, Gottes-
Gnaden, zu St. Moritz zu Halle, der Abt Paulus Lem-
berg zu Sagan, der ſich wohl vernehmen ließ, einen Mönch
der ſich durch ſein Bleiben im Gewiſſen beſchwert fühle,
würde er ſtatt ihn zurückzuhalten, lieber auf ſeinen Schul-
tern aus dem Kloſter tragen. 1
Bei näherer Betrachtung finde ich doch nicht, daß
Weltluſt, unordentliche Begierde ſich dem Kloſterzwange
zu entziehen hier viel gewirkt habe, wenigſtens bei den Be-
deutenderen nicht, deren Motive die Zeitgenoſſen aufbe-
wahrt haben: da iſt es immer eine tiefere Überzeugung, ſey
es daß ſie ſich allmählig entwickelt, oder daß ſie auch plötz-
lich, etwa beim Anblick einer ſchlagenden Bibelſtelle ent-
ſpringt; — Viele giengen nicht von ſelbſt, ſie wurden ver-
jagt; Andern, an und für ſich friedfertigen Gemüthern, ver-
leideten doch die entſtehenden Zwiſtigkeiten den Aufenthalt
in den engen Mauern; die Bettelmönche ekelte ſelbſt vor
ihrem Gewerbe: einen Franciscaner, der mit ſeiner Büchſe
in eine Schmiede zu Nürnberg tritt, fragt der Meiſter,
warum er ſich nicht lieber ſein Brod mit ſeiner Hände
Arbeit verdiene: der ſtarke Menſch wirft den Habit von
ſich und tritt als Schmiedeknecht an, Kutte und Büchſe
ſchickt man an ſein Kloſter.
Wer erinnert ſich nicht der indiſchen Büßer, die in
[71]Ausbreitung der Lehre.
einſamer Waldung leben, in Baumrinde gekleidet, nur von
Waſſer und Luft und Laub ſich nähren, frei von Begierde,
Herrn ihrer Sinne, ſchon ſelig, eine ſichere Zuflucht der Be-
drängten, 1 von denen wohl auch das Mönchthum des
Occidents eine Nachahmung war; aber wie ſo ganz hatte
es ſich hier von ſeiner Idee entfernt! es nahm Antheil
an allen Beſtrebungen, Entzweiungen, Verwirrungen der
Welt; zur Aufrechthaltung einer geiſtlich-weltlichen Herr-
ſchaft durch gleichgeſinnte gleichwirkende Maſſen war es
angelegt; durch unfreie, häufig um eigennütziger Rückſich-
ten willen geleiſtete Gelübde ward es zuſammengehalten,
denen man ſich dann ſo viel irgend möglich entzog: ſo wie
die Gültigkeit dieſer Gelübde, ihr religiöſer Werth für der
Seelen Seligkeit zweifelhaft wurde, fiel alles auseinander;
ja aus dem Inſtitut, auf welches die abendländiſche Kirche
vornehmlich gegründet war, giengen eben die rüſtigſten Be-
kämpfer ihrer hierarchiſchen Entwickelung hervor.
Dieſer allgemeinen Bewegung der Kloſtergeiſtlichkeit
traten nun allenthalben Weltgeiſtliche von hohem und nie-
derem Range zur Seite.
Unter den Biſchöfen gab es wenigſtens Einen, Polenz
von Samland, der ſich offen für Luther erklärte, zuweilen
wohl ſelbſt die Kanzel zu Königsberg beſtieg, hauptſächlich
aber dafür ſorgte, daß an vielen Orten ſeiner Diöces Pre-
diger dieſer Geſinnung aufgeſtellt wurden. Luthern gieng
das Herz auf, indem er das wahrnahm: ſo eine ruhige
geſetzmäßige Umwandlung entſprach ſeinen Wünſchen voll-
kommen. 2
[72]Drittes Buch. Drittes Capitel.
Auch von den übrigen Biſchöfen hielt man einige für
günſtig. Johann Eberlin von Günzburg nennt den Bi-
ſchof von Augsburg, der es nicht verhehle, daß „die Lu-
theraniſchen in ihrem Wandel minder ſträflich ſeyen als die
Gegenpartei;“ den Baſeler, der es gern ſehe wenn man ihm
lutheriſche Bücher bringe, die er fleißig leſe; den Bamber-
ger, welcher die evangeliſche Lehre in ſeiner Stadt nicht
verhindere; auch den Biſchof von Merſeburg, der nach ihm
dem Verfaſſer ſelber geſchickt habe, um ſich über die vor-
zunehmende Reform mit ihm zu beſprechen. Er verſichert
daß noch mancher andre ſeine Chorherrn in Wittenberg
ſtudiren laſſe. Die Namen die wir unter den Gönnern
Reuchlins aufgeführt finden begegnen uns unter den Ge-
noſſen der religiöſen Neuerung großentheils wieder.
An dieſe ſchloſſen ſich dann die patriciſchen Pröpſte
in den großen Städten an, wie ein Wattenwyl in Bern,
ſo die Besler und Bömer in Nürnberg, unter deren Schutze
ſich die evangeliſche Predigt in ihren Kirchen feſtſetzte.
Auch ohne dieſe Unterſtützung erklärte ſich doch eine
große Anzahl bereits angeſtellter Prediger und Prieſter im
niedern und hauptſächlich im obern Deutſchland im Sinne
Luthers. Bekannt iſt Hermann Taſt, einer der vier und zwan-
zig päpſtlichen Vicarien in Schleswig; — zu Huſum auf dem
Kirchhof ſtanden zwei Linden, genannt die Mutter und die
Tochter: unter der größern, der Mutter, pflegte Taſt zu predi-
2
[73]Ausbreitung der Lehre.
gen: ſeine Zuhörer holten ihn bewaffnet aus ſeinem Hauſe ab
und führten ihn bewaffnet dahin zurück. In Oſtfriesland
zu Emden ward Georg von der Dare anfangs, als er
nach Luthers Vorbild zu predigen anfieng, aus der großen
Kirche vertrieben; aber das Volk hörte ihm eine Zeitlang un-
ter freiem Himmel zu und bewirkte dann daß ihm die Kirche
wieder geöffnet ward. In Bamberg eiferte der Cuſtos zu St.
Gangolph Johann Schwanhäuſer in den Ausdrücken eines
Carlſtadt wider die Verehrung der Heiligen. 1 Der Pfarrer
zu Cronach war einer der erſten Prieſter die ſich verheira-
theten. In Mainz war es der Domprediger, Wolfgang
Köpfl, eine Zeitlang der vertrauteſte Rathgeber des Chur-
fürſten, in Frankfurt der Prediger zu St. Catharina, Hart-
mann Ibach, in Straßburg der Pfarrer zu St. Lorenz,
Matthäus Zell, in Memmingen der Prediger zu St. Mar-
tin, Schappeler, welche den neuen Lehren zuerſt Bahn mach-
ten. Im Kreichgau ſammelte ſich unter dem Schutze der
Gemmingen um Erhard Schnepf her eine Verbrüderung
gleichgeſinnter Landpfarrer. In Baſel ſah man wohl den
Pfarrer zu St. Alban Röubli bei der Frohnleichnamspro-
ceſſion ſtatt der Hoſtie eine Bibel in prächtigem Einband
einhertragen, mit der Äußerung, nur er trage das rechte
Heiligthum. Dann folgte am Münſter zu Zürich der große
Leutprieſter Ulrich Zwingli, der eine politiſch und kirchlich
gleich bedeutende kühne Stellung einnahm, in dem der Vi-
car von Conſtanz gar bald einen zweiten Luther zu erken-
nen glaubte. Bis in das hohe Gebirg können wir dieſe
Regungen begleiten. Die Vornehmſten in Schwytz richte-
[74]Drittes Buch. Drittes Capitel.
ten ihren Spazirritt gern ſo ein, daß ſie noch zur Zeit
des Gottesdienſtes in Freienbach anlangten, wo ein Freund
Zwinglis predigte: des Mittags blieben ſie dann bei ihm
zu Tiſch. 1 Es macht keinen Unterſchied, daß dieß zur
Schweiz gehört: in das Nationalgefühl war es dort noch
nicht gedrungen daß ſie ſich von Deutſchland abgeſondert:
in Wallis nannte man das Gebiet der eidgenöſſiſchen Städte
Deutſchland. Dieſelben Doctrinen zogen ſich dann am
Gebirg entlang nach dem Innthal, wo ſie zuerſt Johann
Strauß vor vielen tauſend Gläubigen verkündigte, nach
Salzburg, wo Paul von Spretten ſie im Dom erſchallen
ließ, nach Öſtreich und nach Baiern. In Alten-öttingen,
eben bei einem der beſuchteſten wunderthätigen Bilder, hatte
der Geſellprieſter Wolfgang Ruß den Muth, die Wall-
fahrten anzugreifen.
Es verſteht ſich, daß das alles nicht ohne Widerſtand
und harten Kampf abgieng. Viele mußten weichen: ei-
nige hielten ſich doch, und ſelbſt die Verfolgung ſchadete
nichts. Als der noch eifrig katholiſche Bogislaw X von
Pommern die neugläubige Reunion zu Belbuck zerſtörte,
und die Kloſtergüter einzog — denn von dieſer Seite fieng
man zuerſt an, ſich der Kirchengüter zu bemächtigen, —
gab er nur Gelegenheit, daß mit den jungen Liefländern
die dort ſtudirten, einer ihrer Lehrer nach Riga gieng und
den Samen des Wortes in dieſen entfernteſten deutſchen Län-
dern ausſtreute. 2 Paul von Spretten ward von Salzburg
[75]Ausbreitung der Lehre.
verjagt: wir treffen ihn darauf bei St. Stephan in Wien,
und als er auch von da verwieſen wird, in Iglau in
Mähren; auch da aber gerieth er in nicht geringe Ge-
fahr; endlich findet er eine Freiſtatt in Preußen. Dem
feurigen Amandus genügte ſelbſt dieſer Schauplatz nicht:
er zog von da wieder aus: wir finden ihn zu Stolpe die
Mönche der Stadt zu einer Disputation über die Wahr-
heit der bisherigen oder der neuen Auffaſſung herausfor-
dern: er ſagt, man möge einen Scheiterhaufen errichten
und ihn darauf verbrennen wenn er unterliege; ſiege er
aber, ſo ſolle die Strafe der Gegner ſeyn, ſich bekehren
zu müſſen.
Auf den Ort der Predigt ſah man noch nicht. Für
die Bewegung der kirchlichen Oppoſition iſt es faſt ſym-
boliſch, daß in Bremen eine unter dem Interdict ſte-
hende Kirche es ſeyn muß, in der ein paar aus Antwer-
pen dem Tod im Feuer entflohene Auguſtiner zuerſt eine
Gemeinde um ſich ſammeln. In Goßlar wird die Lehre
zuerſt in einer Kirche der Vorſtadt und als dieſe verſchloſ-
ſen worden, von einem Eingebornen, der in Wittenberg ſtu-
dirt hat, auf dem Lindenplan verkündigt: ihre Anhänger be-
kommen den Namen der Lindenbrüder. 1 In Worms ſtellt
man eine tragbare Kanzel außerhalb der Kirchenmauern auf.
Zu Arnſtadt hält der Auguſtiner Caspar Güttel von Eis-
leben, aufgefordert von den Einwohnern, nach alter Sitte
auf dem Marktplatz ſieben Predigten. Bei Danzig war
2
[76]Drittes Buch. Drittes Capitel.
es ſogar eine Anhöhe vor der Stadt, wo man ſich um
einen von drinnen verjagten Prediger ſammelte.
Und hätten ſich ja keine Geiſtlichen gefunden, ſo hät-
ten Laien das Wort genommen. Unter den Augen des
Doctor Eck zu Ingolſtadt las ein begeiſterter Webergeſell
die Schriften Luthers dem verſammelten Haufen vor. Als
man dort einen jungen Magiſter, des Namens Seehofer,
der nach Melanchthons Heften zu dociren begann, zum
Widerruf nöthigte, erhob ſich eine Dame zu ſeiner Ver-
theidigung, Argula von Staufen, vermählte Grumbach,
die von ihrem Vater auf Luthers Bücher hingewieſen, ſich
ganz nach deren Anweiſung gebildet in die h. Schrift ver-
ſenkt hatte; ſie forderte die geſammte Univerſität zu einer Dis-
putation heraus: in Kenntniß der Schrift glaubte ſie ihr
gewachſen zu ſeyn: vor den Fürſten, in Gegenwart der
Gemeine hoffte ſie es zu bewähren. 1 Darauf trotzten
die Vorfechter der kirchlichen Bewegung. Freudig zählt
Heinrich von Kettenbach Länder und Städte auf — er
nennt Nürnberg, Augsburg, Ulm, die Rheinlande, die
Schweiz und Sachſen, — wo Weiber und Jungfrauen,
Knechte und Handwerker, Ritter und edle Herren mehr
Kenntniß von der Bibel haben als die hohen Schulen. 2
Wunderbarer Anblick: dieſe allgemeine, überall her-
vorbrechende, in ihrem Urſprung wahrhaft religiöſe Über-
zeugung, in Oppoſition gegen die Jahrhunderte lang
verehrten Formen des kirchlich-politiſchen Lebens, in wel-
[77]Ausbreitung der Lehre.
chen man jetzt nur noch den Widerſpruch wahrnahm in
den ſie mit dem ächten urſprünglichen Chriſtenthum gera-
then, nur den Dienſt, der einer drückenden und verhaßten
Gewalt durch ſie geleiſtet werde.
Wie nun aber der Action ſich allenthalben eine Reac-
tion entgegenſetzte, dem Angriff die Verfolgung, ſo war
es von hoher Wichtigkeit, daß es in Deutſchland wenig-
ſtens Einen Punct gab, wo dieſe nicht Statt fand, das
Churfürſtenthum Sachſen.
Noch einmal, im Jahr 1522, hatten auch hier die be-
nachbarten Biſchöfe einen Verſuch gemacht, ihren Einfluß
herzuſtellen, in Folge jenes erſten ihnen günſtigen Erlaſſes
der Reichsregierung, und Churfürſt Friedrich hatte ſie ge-
währen laſſen, ſo lang ſie davon ſprachen daß ſie Predi-
ger ſenden würden, um dem Worte mit dem Worte zu
begegnen; 1 als ſie aber dabei nicht ſtehn blieben, ſondern
auf die Auslieferung der Abtrünnigen antrugen, der Prie-
ſter welche ſich verheirathet, oder das Abendmahl unter
beiderlei Geſtalt auszutheilen gewagt, der ausgetretenen
Mönche, erklärte er ihnen nach kurzem Bedenken, dazu
verpflichte ihn das kaiſerliche Edict nicht. 2 Daß er ihnen
ſeinen Arm entzog, reichte ſchon hin, ihre ganze Wirkſam-
keit zu vernichten.
Daher geſchah nun aber, daß Alle, die anderwärts
[78]Drittes Buch. Drittes Capitel.
flüchtig geworden, ſich hieher zurückzogen, wo ihnen keine
geiſtliche Gewalt zu nahe kommen konnte. Eberlin, Stie-
fel, Strauß, Seehofer, Ibach aus Frankfurt, Bugenha-
gen aus Pommern, Kauxdorf aus Magdeburg, Muſteus
aus Halberſtadt, den man grauſam verſtümmelt hatte, 1 und
wie viele andere aus allen Theilen von Deutſchland ſehen
wir hier ankommen, eine Freiſtatt, vielleicht ſelbſt auf ei-
nige Zeit eine Anſtellung finden, und dann durch den Um-
gang mit Luther und Melanchthon in ihrer Überzeugung
befeſtigt von hier wieder ausgehn. Wittenberg erſchien als
ein Mittelpunct der geſammten Bewegung. Dadurch ward
es erſt möglich, daß in den Tendenzen eine gewiſſe Einheit
obwaltete, ein gemeinſamer Fortſchritt darin zu bemerken iſt;
wir dürfen aber wohl hinzufügen, daß auch für die dor-
tige Entwickelung der Zutritt der fremden Elemente von
großem Werthe war. Namentlich erhielt die Univerſität
den Character einer allgemein vaterländiſchen Vereinigung:
ohne Zweifel der wahre Character einer großen deutſchen
hohen Schule: aus allen deutſchen Landesarten kamen die
Lehrer, die Zuhörer zuſammen, wie ſie von da wieder nach
allen Seiten hin ausgiengen.
Eine eben ſo wichtige Metropole bildete Wittenberg
für die Literatur.
Erſt mit dieſen Bewegungen kam die deutſche popu-
läre Literatur zu allgemeiner Aufnahme und Wirkſamkeit.
[79]Ausbreitung der Lehre.
Bis zum Jahr 1518 waren ihre Productionen nicht
zahlreich; der Kreis, in welchem ſie ſich bewegte, nur
enge. Man zählte, wie in den 80er Jahren des 15ten
Jahrhunderts, einige vierzig, ſo noch 1513 35, 1514 47,
1515 46, 1516 55, 1517 37 deutſche Drucke: haupt-
ſächlich Laienſpiegel, Arzneibüchlein, Kräuterbücher, kleine
Erbauungsſchriften, fliegende Zeitungsnachrichten, amtliche
Bekanntmachungen, Reiſen: was der Faſſungskraft der
Menge ungefähr gemäß iſt; das Eigenthümlichſte waren
immer die Schriften der poetiſchen Oppoſition, der Sa-
tyre und des Tadels, deren wir oben gedachten. Wie ge-
waltig aber ſteigt die Anzahl deutſcher Drucke nachdem Lu-
ther aufgetreten iſt. Im Jahr 1518 finden wir deren 71
verzeichnet: 1519 111, 1520 208, 1521 211, 1522
347, 1523 498. Fragen wir denn woher der Zuwachs
kam, ſo iſt Wittenberg der Ort; der Autor vor allem Lu-
ther ſelbſt. Wir finden unter ſeinem Namen im J. 1518
20, 1519 50, 1520 133, 1521 wo er durch die Reiſe
nach Worms abgehalten und durch eine gezwungene Ver-
borgenheit gefeſſelt war, etwa 40; dagegen 1522 wieder
130, 1523 183 neue Drucke. 1 Selbſtherrſchender, gewal-
tiger iſt wohl nie ein Schriftſteller aufgetreten, in keiner
Nation der Welt. Auch dürfte kein anderer zu nennen
ſeyn, der die vollkommenſte Verſtändlichkeit und Populari-
tät, geſunden treuherzigen Menſchenverſtand mit ſo viel
ächtem Geiſt, Schwung und Genius vereinigt hätte. Er
[80]Drittes Buch. Drittes Capitel.
gab der Literatur den Character den ſie ſeitdem behalten,
der Forſchung, des Tiefſinnes und des Krieges. Er be-
gann das große Geſpräch das die ſeitdem verfloſſenen
Jahrhunderte daher auf dem deutſchen Boden Statt ge-
funden hat, leider nur zu oft unterbrochen durch Gewalt-
thaten und Einwirkungen fremder Politik. Anfangs war
er allein: allmählig aber, beſonders ſeit 1521 erſcheinen
ſeine Jünger, Freunde und Nebenbuhler: im Jahre 1523
gehören außer ſeinen eignen noch 215 Schriften von An-
dern der Neuerung an, mehr als vier Fünftheile der gan-
zen Hervorbringung; entſchieden katholiſche Schriften laſ-
ſen ſich wohl nur 20 zählen. Es war das erſte Mal,
daß der nationale Geiſt, ohne Rückſicht auf fremde Mu-
ſter, nur wie er ſich unter den Einwirkungen der Welt-
ſchickſale gebildet, zu einem allgemeinen Ausdruck gelangte;
und zwar in der wichtigſten Angelegenheit die den Menſchen
überhaupt beſchäftigen kann; er durchdrang ſich in ſeinem
Werden, dem Momente ſeiner Geburt, mit den Ideen der
religiöſen Befreiung.
Ein großes Schickſal war es, daß der Nation in
dieſem Augenblick des vollen geiſtigen Erwachens die hei-
ligen Schriften wie des neuen ſo nun auch des alten
Teſtamentes dargeboten wurden. Man kannte die Bi-
bel: vorlängſt gab es Überſetzungen; man muß ſich aber
einmal die Mühe nehmen ſie anzuſehn, um inne zu wer-
den, wie voller Irrthümer, roh im Ausdruck, und un-
verſtändlich ſie ſind. Luther dagegen ließ ſich keine Mühe
dauern, den Sinn unverfälſcht zu begreifen, und verſtand
es, ſie deutſch reden zu laſſen: mit aller Reinheit und Ge-
walt
[81]Ausbreitung der Lehre.
walt, deren die Sprache fähig iſt. Die unvergänglichen
Denkmale der früheſten Jahrhunderte, in denen der Odem
der jungen Menſchheit weht, die heiligen Urkunden ſpäterer
Zeit, in denen ſich die wahre Religion in aller ihrer kind-
lichen Ingenuität offenbart hat, bekam das deutſche Volk
jetzt in der Sprache des Tages in die Hände, Stück für
Stück; wie eine Flugſchrift, deren Inhalt ſich auf die un-
mittelbarſten Intereſſen der Gegenwart bezieht, und die man
mit Begierde in ſich aufnimmt.
Es giebt eine Production des deutſchen Geiſtes,
die aus eben dieſem Zuſammentreffen unmittelbar hervor-
gieng. Indem Luther die Pſalmen überſetzte, faßte er
den Gedanken ſie für den Geſang der Gemeinde zu be-
arbeiten. 1 Denn eine ganz andere Theilnahme derſelben
an dem Gottesdienſt als die bisherige machte die Idee
der Kirche nothwendig, wie er ſie ausgeſprochen und ins
Leben zu rufen begann. Bei der bloßen Bearbeitung je-
doch, wie es wohl anderwärts geſchehen, konnte man hier
nicht ſtehen bleiben. Das gläubige Gemüth, beruhigt in
der Überzeugung das geoffenbarte Gottes Wort zu beſitzen,
gehoben durch das Gefühl des Kampfes und der Gefahr
in der man ſich befand, angehaucht von dem poetiſchen
Genius des alten Teſtamentes, ergoß ſich in eigenen Her-
vorbringungen religiöſer Lyrik, die zugleich Poeſie und Muſik
waren. Denn das Wort allein hätte nicht vermocht, die
Stimmung der Seele in ihrer ganzen Fülle auszudrücken,
Ranke d. Geſch. II. 6
[82]Drittes Buch. Drittes Capitel.
oder das Gemeingefühl zu entbinden, feſtzuhalten: durch die
Melodie erſt geſchah das, in der ſich die alten Kirchen-
tonarten mit ihrem Ernſt, und die anmuthenden Weiſen
des Volksliedes durchdrangen. So entſtand das evange-
liſche Kirchenlied. In das Jahr 1523 müſſen wir ſeinen
Urſprung ſetzen. 1 Einzelne Lieder, von Spretten oder von
Luther, fanden ſogleich eine allgemeine Verbreitung: in dieſen
früheſten Bewegungen des reformatoriſchen Geiſtes wirkten
ſie mit; aber erſt einige Jahrzehnde ſpäter entfaltete der
deutſche Geiſt ſeinen ganzen Reichthum poetiſcher und be-
ſonders muſikaliſcher Production in dieſer Gattung.
Und auch übrigens widmete ſich die volksthümliche
Poeſie mit dem Geiſte der Lehrhaftigkeit und der Oppoſi-
tion, der ihr überhaupt eigen war, den aufkommenden Ideen.
Schon Hutten hatte ſeine bitterſten Anklagen in Reime ge-
worfen: das Verderben der Geiſtlichkeit hatte Murner in
langen, anſchaulichen Beſchreibungen geſchildert; der Ver-
werfung und dem Tadel geſellte ſich jetzt, wenn nicht bei
Murner, doch bei der Mehrzahl der Andern, die poſitive
Überzeugung, die Bewunderung des Vorkämpfers hinzu.
Da ward der Mann geprieſen, der inmitten der rothen
Barette und Sammetſchauben die gerechte Lehre behauptet.
In Faſtnachtsſpielen erſcheint der Papſt, der ſich freut daß
[83]Ausbreitung der Lehre.
man ſeiner Büberei zum Trotz ihm die Macht zuſchreibe,
über den Himmel zu erheben, oder in die Hölle zu binden:
darum könne er auch manchen Vogel rupfen: ihm falle der
Schweiß des Armen zu, und mit tauſend Pferden könne
er reiten: er heißt Entchriſtelo: neben ihm erſcheinen mit
ähnlichen Expectorationen der Cardinal Hochmuth, der Bi-
ſchof Goldmund Wolfsmagen, der Vicarius Fabeler, der
Kirchherr Meeher, und wie ſie ſonſt ſchon in dieſen Na-
menbildungen dem Spott und der Verachtung Preis gegeben
werden: zuletzt aber tritt auch der Doctor auf, der die reine
Lehre im Tone der Predigt verkündigt. 1 Unter dieſen Ein-
drücken bildete ſich Burkard Waldis, der dann die alte
Thierfabel mit ſo großem Erfolg auf die geiſtlichen Streitig-
keiten angewendet hat. Unmittelbar aber ſtellte ſich das große
poetiſche Talent, das es in der Nation gab, Luthern zur
Seite. Das Gedicht von Hans Sachs: die Wittember-
giſch Nachtigall iſt vom Jahr 1523. Er betrachtet darin
die Lehre die ſeit 400 Jahren geherrſcht habe, wie den
Mondſchein, bei dem man in Wüſteneien irre gegangen,
jetzt aber kündigt die Nachtigall Sonne und Tageslicht an,
und ſteigt über die trüben Wolken auf. Die Geſinnung eines
durch das untrügliche Wort belehrten ſeiner Sache gewiß ge-
wordenen geſunden Menſchenverſtandes iſt dann überhaupt
die Grundlage der mannichfaltigen wohl nicht von dem
Beigeſchmack des Handwerks freien, aber ſinnreichen, hei-
6*
[84]Drittes Buch. Drittes Capitel.
teren und anmuthigen Gedichte, mit denen der ehrenfeſte
Meiſter alle Claſſen der Nation erfreute.
In Deutſchland hatte auch die Kunſt den Zweck, Ideen
zu verſinnbilden, zu lehren, niemals aus den Augen gelaſ-
ſen. Darum war ſie ſo ernſt, und ihrer Symbolik halber
doch ſo phantaſtiſch. Das Glück wollte, daß einer der
großen Meiſter dieſer Epoche, Lucas Kranach zu Witten-
berg Wohnung nahm, und hier in ununterbrochenem ver-
trauten Umgang mit Luther ſich mit den reformatoriſchen
Geſinnungen durchdrang, ſein Talent ihrer Darſtellung wid-
mete. Zuweilen trat er mit kleinen Werken ſelbſt in die
Schlachtreihen, z. B. mit dem Paſſional Chriſti und
Antichriſti, in welchem die Gegenſätze der Niedrigkeit
und Demuth des Stifters und der Pracht ſeines Statt-
halters vor das Auge gebracht werden: man hat dieſe
Holzſchnitte gradezu in Luthers Werke aufgenommen. Es
verſteht ſich, daß ſich ſein keuſcher Pinſel auch übrigens
keinen andern Arbeiten widmete, als ſolchen die mit der
evangeliſchen Überzeugung harmonirten. Die Anmuth und
Lieblichkeit, mit der er früher glückliche Gruppen weiblicher
Heiligen ausgeſtattet, ergoß er nun über die Kinder die
Chriſtus ſegnet. Das Geheimnißvolle, das die alte Kunſt
andeutet, ſprach ſich in den beibehaltenen Sacramenten,
die zuweilen auf derſelben Tafel erſcheinen, in dem My-
ſterium der Erlöſung aus. Die merkwürdigen Männer
die ihn in Staat und Kirche umgaben, boten ſeiner Auffaſ-
ſung Geſtalten und Züge einer ſo bedeutenden Individualität
dar, daß er nicht in Verſuchung kam, über ſie hinaus nach
dem Ideale zu ſtreben. Auch Dürer, der ſeine Ausbildung be-
[85]Ausbreitung der Lehre.
reits vollendet hatte, ward doch von dieſer Bewegung noch ein-
mal gewaltig angeregt. Das vielleicht vollkommenſte von
allen ſeinen Werken, die beiden Evangeliſten Johannes
und Marcus, und beiden Apoſtel, Petrus und Paulus,
entſtand unter dem Einfluß dieſer Jahre: wir haben Stu-
dien dazu, die mit der Jahrzahl 1523 bezeichnet ſind;
ſie ſpiegeln den Begriff ab, den man aus der nunmehr
einer friſchen Auffaſſung zugänglich gewordenen Schrift
von dem Tiefſinn, der Hingebung und der Kraft dieſer äl-
teſten Zeugen der Kirche faßte; Lebendigkeit und Großheit
der Auffaſſung durchdringen ſich darin. 1
Die geſammte Entwickelung des deutſchen Geiſtes
ſtand mit den neuen Ideen im Bunde; wie in den po-
pulären, ſo gieng es in den gelehrten Zweigen der geiſtigen
Thätigkeit.
Wittenberg war keineswegs die einzige Univerſität wo
ſich der Gang der Studien veränderte. Auch in Freiburg,
wo man von Luther nichts wiſſen wollte, hörte man doch auf,
die ariſtoteliſchen Schriften nach der bisherigen Gewohnheit
zu ſtudiren, einzuüben; mit Petrus Hispanus, ſagt Ulrich
Zaſius, iſt es aus: die Bücher der Sentenzen ſchweigen:
von unſern Theologen lieſt der eine Matthäus, der andre
Paulus: auch die erſten Anfänger, die neueſten Ankömm-
linge laufen in dieſe Vorleſungen. 2 Ja Zaſius ſelbſt, ei-
ner der ausgezeichnetſten deutſchen Juriſten jener Zeit, giebt
[86]Drittes Buch. Drittes Capitel.
ein merkwürdiges Zeugniß für die allgemeine Verbreitung
des reformatoriſchen Geiſtes. Er klagt darüber daß ſein
Hörſaal veröde: kaum ſechs Zuhörer zähle er noch und die
ſeyen alle Franzoſen; zugleich aber weiß er doch ſein eignes
wiſſenſchaftliches Bemühen nicht anders zu bezeichnen, als
indem er es mit den Beſtrebungen Luthers vergleicht. Die
Gloſſatoren der ächten Texte, mit denen er es zu thun hat,
kommen ihm nicht anders vor, als die Scholaſtiker welche
Luther bekämpft: er möchte das urſprüngliche römiſche Recht
in ſeiner Reinheit wiederherſtellen, wie Luther die Theolo-
gie der Bibel.
Von allen andern Studien aber, welchen wäre ein
ähnliches Beſtreben nothwendiger geweſen als den hiſto-
riſchen? Da war ein unermeßlicher Stoff aufgeſam-
melt; aber die früheren Epochen verhüllte die noch im-
mer in fortgehender Entwickelung begriffene gelehrte Fabel:
die ſpätern kannte man nur höchſt fragmentariſch, nach
der Darſtellung der jedes Mal ſiegreich gebliebenen Partei:
die große kirchliche Fiction hatte die wichtigſten Theile ab-
ſichtlich verfälſcht. Zu wahrhaft geiſtiger, lebendiger, zu-
ſammenhangender Auffaſſung war nicht zu gelangen: der
Geiſt, den nach ächter Erkenntniß dürſtet, ſchauderte
doch vor dieſen unbezwinglichen Maſſen. Einen Ver-
ſuch ſie zu durchbrechen, machte eben in dieſem Jahre
Johann Aventin, ein Mann, der früher die literariſche
Richtung der Neuerung mittheilnehmend begleitet und ſich
jetzt der religiöſen mit lebendigem Eifer hingab. Er ließ
ſich keine Mühe verdrießen, für ſeine bairiſche Chronik, die
zugleich einen allgemein deutſchen, ja univerſalhiſtoriſchen
[87]Ausbreitung der Lehre.
Inhalt hat, Bibliotheken und Archive zu durchſuchen, um
mit ächten Urkunden wenigſtens hie und da über die ſeichte
und unglaubwürdige Tradition hinauszukommen; vor allem
opponirte er ſich den Vorſtellungen der Unberufenen, „die nie
unter Leuten geweſen, nicht wiſſen wie es in Städten und
Ländern zugeht, menſchlicher und himmliſcher Dinge uner-
fahren ſind, und doch über alles urtheilen;“ er dagegen
ſucht die Hiſtorie in ihrer Wahrheit zu begreifen, „wie
das ſeyn muß.“ Der Geiſt der nationalen Oppoſition
gegen das Papſtthum arbeitet gewaltig in ihm. Wie er
die Einfachheit der chriſtlichen Lehre zu vergegenwärtigen
ſucht, wo er ihres Urſprungs gedenkt, ſo hebt er den Ge-
genſatz der geiſtlichen Macht in ihrer Entſtehung Ent-
wickelung und Wirkſamkeit an jeder Stelle hervor: die Ge-
ſchichte Gregors VII muß man noch heute bei ihm leſen:
von den Wirkungen, welche die Herrſchaft des hierarchi-
ſchen Prinzipes hervorgebracht, hat er einen großartigen
Begriff, den er freilich nicht zu vollkommener Evidenz zu
erheben vermochte. Überhaupt vollendete er nicht. Aber
er begann die Arbeit der gründlichen Erforſchung und le-
bendigen Durchdringung der allgemeinen Geſchichte, in der
wir noch heute begriffen ſind.
Es ſchien wohl einen Augenblick als würde die theo-
logiſche Richtung alle andern verſchlingen. Erasmus klagt,
man wolle nichts mehr leſen und kaufe nichts mehr als
die Schriften für oder wider Luther: er fürchtete ſchon die
kaum gegründeten humaniſtiſchen Studien einer neuen
Scholaſtik unterliegen zu ſehen. In Chroniken hat man
verzeichnet, daß die Mißachtung in welche der Clerus ge-
[88]Drittes Buch. Drittes Capitel.
rieth auf die Studien im Allgemeinen zurückwirkte; das
Sprichwort: die Gelehrten die Verkehrten, nahm überhand,
die Eltern trugen Bedenken ihre Kinder den Studien zu
widmen, die nur eine zweifelhafte Ausſicht darboten. Das
waren jedoch nur momentane Verirrungen. Wie hätte der
erwachte, nach originaler Kenntniß trachtende Geiſt das
Element wieder fallen laſſen können, das zu ſeiner Ent-
ſtehung ſo weſentlich beigetragen? Im Jahr 1524 erließ
Luther ein Sendſchreiben „an die Bürgermeiſter und Raths-
herrn aller Städte deutſchen Landes, daß ſie chriſtliche
Schulen aufrichten ſollen.“ 1 Er meint damit vor allem
Schulen für künftige Geiſtliche, denn nur durch das Stu-
dium der Sprachen laſſe ſich das Evangelium feſthalten,
wie es denn auch dazu ſchriftlich aufgezeichnet worden,
ſonſt würde alles einer wilden, wüſten Unordnung, einem
Gemenge von allerlei Meinungen verfallen; jedoch bleibt
er dabei nicht ſtehen: er tadelt, daß die Schulen ſo ganz
auf den geiſtlichen Stand berechnet werden: ſie von dieſer
engen Beſtimmung loszureißen, einen weltlichen Gelehrten-
ſtand zu gründen, iſt ſeine vornehmſte Abſicht. Er ſtellt
die Erziehung der alten Römer ſeinen Deutſchen zum Mu-
ſter vor; vor allem zur Regierung bedürfe man der Ge-
lehrten, in Geſchichte Erfahrenen; er dringt darauf daß man
Bibliotheken aufrichte, nicht allein für die Ausgaben und
Auslegungen der heiligen Bücher, ſondern auch für Ora-
toren und Poeten, ſie mögen Heiden ſeyn oder nicht, Bü-
[89]Ausbreitung der Lehre.
cher von den freien Künſten, Recht und Arzneibücher,
Chroniken und Hiſtorien, „denn die ſeyen nütze, Gottes
Wunder und Werke zu ſehen.“ Eine Schrift, die für die
Entwickelung der weltlichen Gelehrſamkeit dieſelbe Beden-
tung hat wie das Buch an den deutſchen Adel für den
weltlichen Stand überhaupt. In Luther erhebt ſich ſchon
die Idee eines gelehrten weltlichen Beamtenſtandes, die
für das deutſche Leben eine ſo unendliche Wichtigkeit gewon-
nen hat; die populäre Pflege der Wiſſenſchaften nach ihrem
eignen Prinzip, getrennt von der Kirche, faßt er ins Auge;
die norddeutſche univerſale Gelehrſamkeit ſtrebt er zu grün-
den. Darin ſtand ihm nun der unermüdliche Melanchthon
mit lebendiger Thätigkeit zur Seite. Von ihm ſtammt die
lateiniſche Grammatik, welche die norddeutſchen Schulen
bis in den Anfang des 18ten Jahrhunderts beherrſcht hat; 1
um das Jahr 1524 erwuchs ſie ihm aus einigen für den
Privatunterricht eines jungen Nürnbergers gemachten Auf-
zeichnungen; eben damals bekam auch die griechiſche, die
ſchon früher entworfen war, die Form, in der dieſer
Unterricht Jahrhunderte gegeben worden iſt. Aus der
Diſciplin Melanchthons giengen Lehrer hervor die ſich ganz
nach ſeinem Muſter gebildet, und die deutſche Schulzucht
zu gründen unternahmen. Beſonders iſt Valentin Trotzen-
dorf merkwürdig, der 1523 von Wittenberg nach Gold-
berg in Schleſien berufen ward, von dem man geſagt hat,
er ſey zum Schulrector ſo gut geboren, wie Cäſar zum
[90]Drittes Buch. Drittes Capitel.
Feldherrn, Cicero zum Redner, der Bildner unzähliger an-
derer deutſcher Schullehrer.
Überlegt man das alles, faßt es zuſammen, ſo ſieht
man wohl, daß es hier nicht allein um das Dogma
zu thun iſt: es bildet ſich ein Syſtem von Beſtrebungen
und Gedanken aus, von eigenthümlichem Geiſt und gro-
ßem eine neue Welt in ſich tragenden Inhalt, welches mit der
theologiſchen Oppoſition, in der man ſich befindet, auf das
engſte vereinigt iſt, an ihr und durch ſie ſich entwickelt,
aber ſich weder von ihr herſchreibt, noch jetzt darin auf-
geht. Die Oppoſition iſt ſelber ein Product dieſes Gei-
ſtes, der auch außerhalb derſelben ſeine eigene Zukunft hat.
Fürs Erſte kam freilich alles darauf an, daß er von
der gewaltigen Weltmacht frei würde, welche das gute
Recht zu haben behauptete ihn zu vernichten.
Treten wir dieſem Kampfe, wie er ſich in allen Ge-
genden von Deutſchland eröffnet hatte, noch einmal näher,
ſo würden wir irren, wenn wir ſchon die Gegenſätze des
nachherigen proteſtantiſchen und des weiterhin neu aufge-
richteten katholiſchen Syſtems wahrnehmen wollten. Die
Ideen und geiſtigen Mächte die jetzt wider einander zu
Feld lagen, ſtanden in viel entſchiedenerm, großartigerm,
einleuchtenderm Widerſpruch.
Einer der bedeutendſten Gegenſätze war der zwiſchen
Werken und Glauben. Aber man würde ihn mißkennen,
wenn man hier die tieferen und minderverſtändlichen Streit-
fragen vorausſetzen wollte, welche der Scharfſinn oder die
Hartnäckigkeit der Schulen ſpäterhin entwickelte. Damals,
vor allem im populären Vortrag war die Sache ſehr ein-
[91]Ausbreitung der Lehre.
fach. Unter guten Werken verſtand man auf der einen
Seite wirklich die kirchlichen Handlungen durch die man
ſich Verdienſte für dieſe und jene Welt zu erwerben glaubte:
das Wallfahrten, Faſten, Seelmeſſen-ſtiften, das Sprechen
bevorzugter Gebete, Verehren beſondrer Heiligen, jenes Be-
ſchenken der Kirchen und der Geiſtlichkeit, das in der Fröm-
migkeit des Mittelalters eine ſo große Rolle ſpielt. Die-
ſem Unweſen, das man auf eine unverantwortliche Weiſe
um ſich greifen laſſen, ward nun auf der andern Seite
die Doctrin von der Wirkſamkeit des Glaubens allein
ohne die Werke entgegengeſetzt. Beſonders nach den Be-
wegungen in Wittenberg hütete man ſich in den Predig-
ten, von einem idealen, abſtracten, unthätigen Glauben
zu reden. Wir haben noch eine ganze Anzahl Predigten
aus dieſen Jahren. Man wird ſchwerlich eine finden,
worin nicht Glaube und Liebe in untrennbarer Vereinigung
gedacht würde. Wie dringend und lebhaft ſchärft Cas-
par Güttel ein, daß alles darauf ankomme, wie man ſich
um Gottes willen gegen ſeinen Nächſten verhalte. 1 Viel-
mehr eben das tadelte man, daß ſo Mancher ſein Geld
verſchwende um die Geiſtlichen reich zu machen, ein Hei-
ligenbild auszuſchmücken, oder auf einer fernen Wallfahrt,
und dabei der Armen nicht gedenke.
Eben ſo verhält es ſich mit der Lehre von der Kirche.
Man will dieſſeit vor allem nicht zugeſtehen, daß in
den. Papſt und ſeinen Prälaten und Prieſtern die heilige
[92]Drittes Buch. Drittes Capitel.
alleinſeligmachende chriſtliche Kirche erſcheine: man findet
es anſtößig zu ſagen, die heilige Kirche befehle etwas oder
beſitze etwas: dieſes geiſtliche Inſtitut, das durch die Ver-
werflichkeit ſeines Verhaltens die Idee Lügen ſtraft auf die
es gegründet iſt, unterſcheidet man von dem geheimnißvol-
len Daſeyn der ſeligen Gemeinſchaft, die nicht äußerlich er-
ſcheint, an die man nach den Worten des Symbols nur
glaubt, und die allerdings Himmel und Erde vereinigt,
jedoch ohne den Papſt. 1 „Es ſey ferne,“ ſagte der Paſtor
Schmidt zu Küßnacht in einer Predigt, die vielen Ein-
druck machte, „daß die chriſtliche Kirche ein ſo beflecktes,
ſündenvolles Oberhaupt anerkenne wie der Papſt iſt, und
von Chriſtus ſich abwende, der von dem h. Paulus ſo
oft das Oberhaupt der Kirche genannt wird.“ 2
Damit hängt es zuſammen, daß man dem Zwange,
alle ſeine Sünden zu beichten, jede inſonderheit, der zu ſo
viel Greueln des Beichtſtuhls, zu ſo viel Gewaltſamkeiten
einer ſtarren und herrſchſüchtigen Rechtgläubigkeit Anlaß
gab und Anlaß giebt, die an keine prieſterliche Vermitte-
lung gebundene Verheißung des Nachtmahls entgegenſetzte.
Mit der Gewißheit der realen Gegenwart beſtreitet man die
Willkühr welche die Prieſter bei der Abſolution ausüben;
man widerräth ſogar das lange Durchdenken einzelner Sün-
den, das nur erneuerten Kitzel oder Verzweiflung hervor-
bringe, und fordert nichts als ein getroſtes, fröhliches und
[93]Ausbreitung der Lehre.
gelaſſenes Vertrauen auf den barmherzigen Gott und ſeine
gegenwärtige Gnade. 1
Entſcheidend iſt endlich der Gegenſatz zwiſchen Men-
ſchenlehre und Gotteswort. Auch da iſt aber nicht von
der Tradition die Rede, etwa nach den feineren Auffaſſun-
gen einer ſpäteren Zeit, ſo daß ſie nur der ſich fortpflan-
zende chriſtliche Sinn, das im Herzen der Gläubigen le-
bende Wort wäre: 2 es iſt vielmehr das ganze, im Laufe
der Jahrhunderte, durch die hierarchiſche Gewalt und die
Scholaſtik entwickelte, eine unbedingte Autorität in Anſpruch
nehmende Syſtem der lateiniſchen Kirche, dem man ſich
entgegenſetzt. Man bemerkt, daß die Kirchenväter geirrt,
Hieronymus ſehr häufig, ſogar Auguſtin zuweilen, was
ſie denn auch ſelber ſehr gut gewußt, — dennoch habe
man auf ihre Ausſprüche ein Syſtem gegründet, und mit
Hülfe heidniſcher Philoſophie weiter ausgeſponnen, von
dem keine Abweichung erlaubt ſeyn ſolle. Aber eben damit
habe man ſich dem Menſchenwahn hingegeben: kein Lehrer
führe mehr zu wahrem Verſtand des Evangeliums. Und
dieſer Menſchenlehre nun, die in ſich widerſprechend, untröſt-
lich, mit allen Mißbräuchen verbündet ſey, ſetzt man das
ewige Gottes Wort entgegen, „das ſo edel, rein, herzlich,
feſt und tröſtlich iſt, das man denn auch ungefälſcht und
[94]Drittes Buch. Drittes Capitel.
ungemakelt erhalten ſoll.“ 1 Man ermahnt die Laien, ſelbſt
zu ihrem Heile zu ſehen, ſich das göttliche Wort zu eigen
zu machen, das nach langer Verborgenheit wieder in vol-
lem Glanze hervorgehe, dieß Schwerd in die Hand zu neh-
men und ſich damit gegen die Prediger der ſtreitigen Opi-
nionen zu vertheidigen. 2
In dieſen Gegenſätzen hauptſächlich bewegt ſich der
Kampf der populären Literatur, der Predigt. Auf der ei-
nen Seite gewiſſe äußere kirchliche Beziehungen als ver-
dienſtlich erachtet: die Idee der Kirche gebunden an die
beſtehende Hierarchie: das Geheimniß der individuellen Be-
ziehung zu Gott, das ſich in der Abſolution ausſpricht,
von der Ergebenheit gegen den Clerus abhängig: das ſeine
Gültigkeit mit Feuer und Schwerd verfechtende Lehrſyſtem.
Auf der andern die Forderung von Glaube und Liebe: die
Idee der unſichtbaren, in der Gemeinſchaft der Geiſter be-
ſtehenden kirchlichen Einheit: Vergebung der Sünden durch
den Glauben an die Erlöſung, durch Genuß des Sacra-
mentes ohne Beichtzwang: die Schrift allein die Quelle
des Glaubens und der Lehre. Es iſt hier nicht von den
Modificationen die Rede, welche ein oder der andre Theo-
[95]Ausbreitung der Lehre.
log ſeinen Begriffen geben mochte: ſondern nur von den
Ideen wie wir ſie auf dem weiten Boden des nationalen
Kampfplatzes ſich allenthalben mit einander meſſen ſehen.
Schon im Jahr 1521 erſchien eine kleine Schrift, die
dieſen Widerſtreit verſinnbildete: vom alten und vom neuen
Gott. Auf dem Titel ſieht man als die Repräſentanten
des neuen Gottes den Papſt, einige Kirchenlehrer, Ariſto-
teles, und ganz unten Cajetan, Silveſter, Eck und Faber;
ihnen gegenüber aber den wahren alten Gott in ſeiner Drei-
faltigkeit: die vier Evangeliſten: Paulus mit ſeinem Schwert
und weiterhin Luther. Dem entſpricht nun auch der In-
halt. 1 Den Cerimonien Dienſten und Lehrmeinungen, welche
unter dem Schutze der aufkommenden Hierarchie, ihres blu-
tigen Schwertes erwachſen, bis das Chriſtenthum ein Ju-
denthum geworden, wird der alte Gott entgegengeſetzt, ſein
unverfälſchtes Wort, die einfache Lehre von der Erlöſung,
von Hofnung, Glauben und Liebe. 2
In dieſen harten Ausdrücken zeigt ſich doch, daß man
[96]Drittes Buch. Drittes Capitel.
in der Nation fühlte, womit man beſchäftigt war: der
deutſche Geiſt war ſich bewußt, daß die Zeit ſeiner Reife
gekommen: er widerſetzte ſich der unbedingten Alleingültig-
keit zufälliger Formen, die man ihm auferlegt, wie ſie
denn die ganze Welt beherrſchten, und kehrte zurück zu den
einzigen ächten Quellen religiöſer Belehrung. 1
Bei dieſer großen Bewegung, dieſem ſtarken Gefühl
des Kampfes iſt es doppelt merkwürdig wie ſehr man
doch zugleich an ſich hielt, wie behutſam man in vielen
Stücken zu Werke gieng.
Heinrich von Kettenbach nimmt noch an, daß die
Kirche, in der er ſchon eine unſichtbare Gemeinſchaft ſieht,
den Schatz der Verdienſte Jeſu Chriſti, Mariä und aller
Auserwählten beſitze.
Indem Eberlin von Günzburg von Wittenberg her
ſeine Augsburger Freunde ermahnt, ſich das neue Teſta-
ment anzuſchaffen, ſelbſt wenn ſie ſich den Preis an Klei-
dung oder Nahrung abſparen müßten, erinnert er ſie
doch zugleich, ſich nicht zu raſch zur Verwerfung der her-
kömmlichen Meinungen fortreißen zu laſſen: es ſey vieles
was Gott in ſeinem Geheimniß ſich vorbehalten, wonach
man nicht zu fragen brauche, z. B. das Fegefeuer oder
die Fürbitte der Heiligen. Auch Luther verwerfe nur das,
was einen klaren Spruch der Schrift gegen ſich habe.
Es war von einem jungen böhmiſchen Gelehrten mit
einer ganzen Reihe von Gründen in Zweifel gezogen wor-
den, ob Petrus je in Rom geweſen; und auf der katholi-
ſchen
[97]Ausbreitung der Lehre.
ſchen Seite ſah man ein, daß die Lehre von dem Primat
durch die Verneinung dieſer Frage vollends umgeſtoßen
werde; allein in Wittenberg ließ man ſich von dem glän-
zenden Reſultat dieſer Argumentation nicht fortreißen: 1 man
fand, ſie trage für Glauben und Frömmigkeit nichts aus;
ja in einer Schrift, in welcher man dieſe Sache ausführ-
lich behandelt, und die ſchlechten Folgen des mißverſtan-
denen Primates lebhaft erörtert, wird doch ſogar die Hof-
nung ausgeſprochen, daß der neue Papſt ſelbſt, Adrian VI,
von den bisher gehegten Irrthümern zurückkommen und
ſich ganz an die Schrift halten werde — einige Stellen
aus ſeinen Schriften ſchienen dieſe Hofnung begründen zu
können: — dann werde nicht allein die gegenwärtige Irrung
beigelegt werden, ſondern auch die alte Spaltung ſich heben:
auch von Seiten der Griechen und Böhmen werde man
zur Einheit der Kirche zurückkehren. 2
Ranke d. Geſch. II. 7
[98]Drittes Buch. Drittes Capitel.
Andre, die ſo kühne Hofnungen nicht hegten, waren
doch der Meinung, daß man jede eigenmächtige Verände-
rung vermeiden, die Abſtellung der Mißbräuche der Obrig-
keit überlaſſen müſſe. Wohl lehrten einige, man müſſe ſich
der Geiſtlichkeit entſchlagen, wie die Kinder Iſrael des
Pharao: aber ſelbſt Männer wie der feurige Otto Brun-
fels ſetzten ſich dem entgegen: „das Wort werde ohne Mühe
und Schwerd die Dinge beſſern. Was man unbeſonnen
beginne, gedeihe nie zu einem guten Ende.“ 1
Eben dieß war Luthers Meinung und eine geraume
Zeit folgte man ihr über das ganze Gebiet des Reiches hin.
Noch durfte man alles von der Leitung des Reichs-
regimentes erwarten. Indem das Regiment die Predigt
des lautern Gottes Wortes angeordnet und die Nahm-
haftmachung der Kirchenlehrer, welche als die Grundlage
des modernen Romanismus angeſehen wurden, glücklich
vermieden hatte, war es ſelbſt auf die vornehmſten Ideen
der reformatoriſchen Bewegung eingegangen.
Während des Jahres 1523 nahm es dieſelbe auch
weiter in ſeinen Schutz.
Als der Vicar von Conſtanz, Faber, eine Commiſ-
ſion von Rom empfangen wider Luther zu predigen, und
nun um Geleit und Schutz bei dem Regiment nachſuchte,
bekam er wohl ein dahin lautendes Schreiben, aber in ſol-
chen Ausdrücken, daß er, wie Planitz ſagt, gern ein beſſeres
gehabt hätte.
[99]Ausbreitung der Lehre.
Herzog Georg hatte ſich bei dem Regimente aufs Neue
über die Ausfälle Luthers beſchwert; und ein Theil der Bei-
ſitzer hielt wohl auch dafür, der Churfürſt müſſe erinnert
werden Luthern zu ſtrafen. Allein die Majorität war da-
gegen. Pfalzgraf Friedrich, der Statthalter meinte, man
könne die Briefe des Herzogs dem Churfürſten wenigſtens
zuſchicken. „Herr,“ ſagte Planitz, „das Mehr iſt, daß meinem
gnädigen Herrn nicht geſchrieben werde.“ Dem Herzog ward
geantwortet, er möge ſich nur nochmals ſelbſt an den Chur-
fürſten wenden.
Bei dem Ausſchreiben eines neuen Reichstages ward
darauf Bedacht genommen, daß der Religionsirrungen gar
nicht erwähnt ward. 1
Die Hauptſache endlich war, daß man ſo ganz und
gar nicht daran dachte, das Edict von Worms auszufüh-
ren, ſondern in Ausſicht auf das geforderte Concilium der
Lehre völlig freien Lauf ließ.
Man ſieht, wie viel wie für den Staat ſo für die
Kirche daran lag, ob eine Regierung, in der Geſinnungen
dieſer Art herrſchten, ſich werde aufrecht erhalten können
oder nicht.
7*
[[100]]
Viertes Capitel.
Oppoſition gegen das Regiment, Reichstag
von 1523, 24.
Es waren zwei große Ideen welche den Geiſt der
deutſchen Nation beſchäftigten, die eine einer zugleich na-
tionalen, ſtändiſchen, und ſtarken Regierung, die andre
einer Erneurung und Verjüngung der religiöſen Überzeugun-
gen und Zuſtände: ſie hatten jetzt beide eine gewiſſe Re-
präſentation empfangen, berührten unterſtützten einander,
und ſchienen eine politiſch und geiſtig gleich bedeutende
Zukunft anzukündigen.
Es liegt aber in der Natur der Sache, daß Kräfte
die nach ſo umfaſſenden großartigen Zielen ſtreben, auch
auf mannichfaltigen Widerſtand ſtoßen.
Nicht als wäre ihre Verbindung ſo ſtark geweſen um
gerade einem Jeden einzuleuchten, als wären in den Geg-
nern beide Seiten der Oppoſition zum Bewußtſeyn gekom-
men: jedwede erweckte vielmehr ihre beſonderen Antipa-
thien. Wenn man dem Regiment widerſtrebte, ſo folgte
noch lange nicht, daß man auch der Reformation der Kirche
entgegen geweſen wäre.
Überhaupt verfallen wir bei der Betrachtung der Ver-
[101]Oppoſition gegen das Regiment.
gangenheit nicht ſelten in den Irrthum, einem neu eintre-
tenden Weltelement zu früh einen alles beherrſchenden Ein-
fluß zuzuſchreiben. So mächtig es auch ſeyn mag, ſo
giebt es doch neben ihm noch andere lebendige Kräfte, die
nicht ſogleich geneigt ſind ſich unterzuordnen, ſondern nach
ihren eigenen ſelbſtändigen Trieben ſich weiter entwickeln.
Was nun dem Regiment entgegenſtand waren im
Grunde zwei entgegengeſetzte Dinge. Einmal ließ es die
Ausſicht auf eine ſtarke und nachdrückliche Regierungsweiſe,
mit der doch nicht Jedermann gedient war, in der Ferne
erſcheinen. Sodann aber und zwar für den Augenblick
war es ſehr ſchwach: es fehlte ihm an aller wirkſamen
executiven Gewalt. Die Oppoſition auf die es ſtieß rührte
dann auch zunächſt von Ungehorſam her.
Sickingen und ſeine Gegner.
Man dürfte nicht glauben, der Landfriede Carls V
ſey beſſer gehalten worden als die früheren. Ein paar
kaiſerliche Räthe, die von dem Reichstag zu Worms, wo
ſie ihn hatten beſchließen helfen, nach Augsburg reiſten,
Gregor Lamparter und der Schatzmeiſter Johann Lucas,
wurden eben auf dieſer ihrer erſten Reiſe überfallen und
gefangen genommen. Der Sitz der Regierung und des
Gerichtes, in gewiſſem Sinn in dieſem Augenblick die Haupt-
ſtadt des Reiches, Nürnberg, war auf allen Seiten von
wilder Fehde umgeben. Hans Thomas von Absberg, dop-
pelt gereizt, weil der ſchwäbiſche Bund Beſchlüſſe gegen
ihn faßte, ſammelte im J. 1522 noch einmal die verwe-
genſten Reitersmänner aus allen umliegenden Gebieten um
[102]Drittes Buch. Viertes Capitel.
ſich: immer neue Feindesbriefe trafen in Nürnberg ein:
zuweilen fand man ſie in den nächſten Dörfern in die Mar-
terſäule geſteckt: alle Straßen des Reiches nach Oſten und
Weſten wurden unſicher. Bei Krügelſtein im Bambergi-
ſchen war eine einſame Capelle, wo alle Woche dreimal
Meſſe gehalten wurde. Unter dem Schein ſie zu hören
fanden ſich hier die raubluſtigen Genoſſen und die Kund-
ſchafter zuſammen: wehe dem Kaufmannszug der in ihr
Bereich gerieth. Sie führten nicht allein die Waaren da-
von: ſie hatten jetzt den furchtbaren Gebrauch, den Ge-
fangenen die rechte Hand abzuhauen; vergebens baten wohl
die armen Leute, ihnen wenigſtens nur die linke zu nehmen
und die rechte zu laſſen; Hans Thomas von Absberg hat
einem Krämerknecht die abgehauene Rechte in den Buſen
geſteckt, mit den Worten: komme er nach Nürnberg, ſo
möge er ſie in ſeinem Namen dem Bürgermeiſter bringen. 1
Ein ſehr bezeichnendes Beiſpiel der allgemeinen Un-
ſicherheit bieten die Frankfurter Acten vom Jahr 1522
dar. Philipp Fürſtenberg, den die Stadt Frankfurt an
das Regiment ſchickte, um an der Regierung des Reiches
Theil zu nehmen, fand die Straße von Miltenberg nach
Wertheim, die er kam, ſo unſicher, daß er ſeinen Wagen
[103]Sickingen.
verließ, und mit einigen Schneidergeſellen auf die er ge-
troffen, als wäre er einer von ihnen zu Fuße einen Sei-
tenweg einſchlug. Den Wagen ſprengten einige Reiter mit
aufgeſpannten Armbrüſten an. Um nur nach Wertheim zu
kommen, mußte er ſich noch auf dem Weg eine Bedeckung
von fünf oder ſechs Gefährten nehmen, die mit Büchſen
oder Armbrüſten bewaffnet waren. 1 „Die Reiter ſind zor-
nig“, ſagt er, „was ihnen anliege weiß ich nicht.“
In dieſem Zuſtande nun, als das Regiment ſeine ei-
genen Mitglieder nicht zu ſchützen vermochte, brach eine
Fehde aus, wie zu Maximilians Zeiten keine ſo gewaltig
das Reich in Bewegung geſetzt hatte. Franz von Sickin-
gen wagte es, im Auguſt 1522, mit einem wohlgerüſteten
Heer, Fußvolk Reiterei und Geſchütz, einen Churfürſten
des Reiches, den Erzbiſchof von Trier in ſeinem Land, ſei-
ner wohlbefeſtigten Reſidenz zu überziehen.
In der Hauptſache war das eben auch nur eine Fehde,
wie ſo viele andere: entſprungen aus perſönlichem Mißver-
ſtändniß, — eben dieſer Churfürſt hatte früher einmal be-
ſonders lebhaft die Hülfe des Reiches gegen Sickingens
Gewaltthätigkeiten in Heſſen aufgerufen: — begründet durch
einige zweifelhafte Rechtsanſprüche, namentlich auf ein Lö-
ſegeld von welchem der Erzbiſchof losgeſprochen, und das
dann auf Sickingen übertragen war: berechnet auf Brand-
ſchatzung und wo möglich Eroberung der feſten Plätze.
Man muß den Brief leſen, in welchem ein alter Vertrau-
[104]Drittes Buch. Viertes Capitel.
ter Sickingens denſelben von dieſem Unternehmen abmahnt,
um zu erkennen, welche Möglichkeiten des Gelingens oder
Mißlingens hier erwogen wurden. 1
Dabei kamen nun aber einige andre Beweggründe ins
Spiel, welche dieſem Unternehmen eine univerſale Bedeu-
tung gaben. Bei Sickingen war eine glückliche Feindſelig-
keit nicht mehr das letzte Ziel: er hatte größere Intereſſen
im Auge.
Es waren das vor allem die der Ritterſchaft über-
haupt. Wir wiſſen, wie ſehr die Ritterſchaft über den da-
maligen öffentlichen Zuſtand mißvergnügt war: über den
ſchwäbiſchen Bund, der zugleich Ankläger Richter und Voll-
ſtrecker der Urtel ſeyn wolle, — das Kammergericht, das
nur den Schwachen zu finden wiſſe, aber den Mächtigen
in Ruhe laſſe, — das Umſichgreifen der fürſtlichen
Macht, die fürſtlichen Gerichte, Zölle und Lehensein-
richtungen. Der oberrheiniſche Adel hatte ſich im Früh-
jahr 1522 zu Landau vereinigt, ſeine Lehensſachen nur vor
Lehnrichter und Mannen, wie vor Alters hergebracht,
ſeine Streitigkeiten mit andern Ständen nur vor unpar-
teiiſchen, mit rittermäßigen Leuten beſetzten Gerichten 2 ent-
ſcheiden zu laſſen, und einem Jeden dem dieß verſagt werde
zu Hülfe zu kommen: dazu hatte er Franz von Sickingen
[105]Sickingen.
zu ſeinem allgemeinen Hauptmann ernannt. Eine Schrift
Huttens, ungefähr vom Mai 1522, 1 an die Reichsſtädte
iſt ein Manifeſt der Geſinnungen die man in der Umge-
bung Sickingens hegte. Nie ſind die Fürſten heftiger der
Gewaltthätigkeit und Unrechtlichkeit angeklagt worden: die
Städte werden aufgefordert, die Freundſchaft des Adels
anzunehmen und vor allem das Regiment zu zerſtören, das
ihm als eine Repräſentation der fürſtlichen Gewalt erſchien.
Dazu kam nun aber ferner die religiöſe Neuerung.
Zu einem Unternehmen gegen einen der mächtigſten geiſtli-
chen Fürſten gab ſie noch einen beſondern Antrieb. Im
Grunde iſt es die Ebernburg wo der evangeliſche Gottes-
dienſt zuerſt in ſeinen neuen Formen eingeführt ward. In
Sickingens Umgebung hielt man die Austheilung des Abend-
mahls unter beiderlei Geſtalt nicht allein für erlaubt, wie
damals noch in Wittenberg, ſondern für nothwendig. Jo-
hann Öcolampadius war der erſte welcher die religiöſe
Befriedigung, die das Volk darin findet, alle Tage dem
unverſtandnen Murmeln der Meſſe zuzuhören, der Ceri-
monie der Segenſprechung beizuwohnen, und ſich ohne viel
Aufwand von Aufmerkſamkeit oder Zeit Gott zu befehlen,
geradehin verdammte, und die Meſſe nur noch Sonntags,
mit Weglaſſung der Elevation und nur noch in deutſcher
[106]Drittes Buch. Viertes Capitel.
Sprache hielt. 1 Von Sickingen ſelbſt haben wir einen
Brief, worin er ſich gegen die Bilder ausſpricht, welche
mehr für ſchöne Gemächer als für die Kirchen geeignet
ſeyen, und wider die Anrufung der Heiligen eifert; einem
ſeiner Prediger, Joh. Schwebel, richtete er die Hochzeit
aus. Unter ſeinen Freunden finden wir einen, Hartmuth
von Kronenberg, den man als den erſten im Style einer
ſpätern Zeit frommen vollkommen überzeugten Lutheraner
betrachten kann. 2
Durch die Verbindung mit dieſen mächtigen Elemen-
ten bekamen nun die Unternehmungen Sickingens eine un-
gemeine Wichtigkeit. Ein großer Theil der Ritterſchaft in
dem ganzen Reiche war für ihn, und regte ſich um ihn
zu unterſtützen. Auch die Unterſtützung Luthers, dem er frü-
her oft ſeinen Schutz angeboten, nahm er in Anſpruch.
In der That, es wäre kein ſchlechter Bund geweſen, wenn
der Mönch, den die Nation wie einen Propheten verehrte,
ſeinen Wohnſitz bei dem gewaltigen Rittersmann genom-
men und ihn mit der Macht ſeines Wortes unterſtützt
hätte. Aber Luther hatte den großen Sinn, ſich von allen
politiſchen Verbindungen fern zu halten, keine Gewalt ver-
ſuchen, einzig der Macht der Lehre vertrauen zu wollen.
Von Sachſen bekam Sickingen überhaupt nur Abmahnun-
gen. Wie ſehr er dennoch auf dieſe nationale Hinneigung
zählte, beweiſt fein Manifeſt an die Unterthanen von Trier,
[107]Sickingen.
denen er verſpricht, „ſie von dem ſchweren antichriſtlichen
Geſetz der Pfaffen zu erlöſen und ſie zu evangeliſcher Frei-
heit zu bringen.“ 1 In ſeinem Kopfe durchdrangen ſich die
Gedanken eines fehdeluſtigen, einem mächtigen Fürſten ſich
gewachſen fühlenden Edelmannes, eines Oberhauptes aller
Ritterſchaft, eines Vorfechters der neuen Religionsmeinungen.
Es iſt nicht ohne Bedeutung, wenn Hutten in einem ſeiner
Geſpräche dem Sickingen eine feurige Lobeserhebung Zis-
ka’s in den Mund legt: des unüberwindlichen Helden, der
ſein Vaterland von den Mönchen und unnützen Prieſtern
geſäubert, ihre Güter zum allgemeinen Beſten vertheilt, den
Räubereien der Römer ein Ende gemacht habe. 2
Am 27 Aug. 1522 kündigte Sickingen dem Erzbiſchof
Fehde an, vor allem um der Dinge willen „die er gegen
Gott und Kaiſerl. Maj. gehandelt;“ von dem Churfürſten
von Mainz eher ins geheim unterſtützt als verhindert,
langte er nachdem er St. Wendel genommen, am 7 Sep-
tember vor Trier an: mit 1500 Pf., 5000 M. und nicht
geringem Geſchütz zog er über den Marsberg daher. 3 So
viel wir ſehen, rechnete er darauf, daß hier ſeine Freunde
zu ihm ſtoßen würden, Rennenberg, der in Cleve und Jü-
lich, der Baſtard von Sombreff, der im Erzſtift Cölln,
Franz Voß, der im Limburgiſchen für ihn rüſtete: auch
aus Braunſchweig ſollte Nickel Minkwitz 1500 M. her-
beiführen. In ſeinem Lager ſprach man davon, daß er in
[108]Drittes Buch. Viertes Capitel.
Kurzem Churfürſt ſeyn werde, ja vielleicht noch mehr als
das. Das ganze Reich wendete ſeine Augen dahin: der
Abgeordnete des Herzog Georg von Sachſen ſchrieb an
ſeinen Herrn, in viel hundert Jahren ſey nichts ſo ge-
fährliches wider die Fürſten des Reiches unternommen wor-
den. 1 Es ſey alles dahin gerichtet geweſen, behaupten
Andre, daß man in Kurzem nicht hätte wiſſen ſollen, wer
König oder Kaiſer, Fürſt oder Herr ſey.
So erhob ſich noch einmal das tumultuariſche Ritter-
weſen zu einer das ganze Reich bedrohenden Gewalt.
Man kann es ſich nicht recht ausdenken, was daraus
werden ſollte wenn es ihm gelang.
Konnte wirklich aus der ritterlichen Unabhängigkeit, die
nun zu voller Herrſchaft gelangt wäre, eine einigermaaßen
geordnete Regierung hervorgehn? Würde etwa die verwil-
derte Selbſthülfe des damaligen Ritterthums durch die neue
Predigt ſo leicht zu bezähmen geweſen ſeyn? Öcolampadius
wenigſtens fand auf Sickingens Burg einen harten Boden
für ſeine Saat. Auch waren es an ſich höchſt ungleich-
artige Elemente die hier vereinigt erſchienen, das Ritter-
thum, die eigenthümlichſte Hervorbringung der mittlern Jahr-
hunderte, die auf einer Zerſetzung kräftiger Staatsgewalten
beruhte, und die neue Lehre, welche die Tendenz in ſich
ſchloß, und ſie ſchon ausgeſprochen, eben dieſer Staats-
gewalt eine neue feſte Grundlage zu verſchaffen. Sickin-
gen ſelbſt hatte eine ſehr anomale Stellung. Es wa-
ren keineswegs ritterliche Kräfte die er ins Feld führte.
Er ſtand an der Spitze eines geworbenen Heeres, das nur
[109]Sickingen.
durch Geld zuſammengehalten werden konnte, mit allem
Apparat einer dem Ritterthum weſentlich entgegengeſetzten
Kriegskunſt. Wunderbarer Anblick, wie die beherrſchenden
Kräfte verſchiedener Zeitalter hier einander berühren und
der Gedanke aufkommt, als könnten ſie ſich vereinigen, mit
einander gehn. Wir können heut zu Tag wohl einſehn,
wie unmöglich dieß war. Denn nur in lebendigem und
wahrem Einverſtändniß mit dem Fortgang der Weltent-
wickelung wird ſich etwas Haltbares gründen laſſen. Aber
auch damals ſah man ein, daß wenn das Fürſtenthum
beſiegt, die noch keineswegs feſt begründete Reichsordnung
gewaltſam zertrümmert worden, nichts als ein ausſchlie-
ßendes wildes und doch wieder in ſich ſelbſt widerſprechen-
des Regiment des Adels zu erwarten ſey.
Es kam nun darauf an, wer die Vertheidigung der
gefährdeten Ordnungen übernehmen würde.
Das Regiment that ſo viel es vermochte. Abmahnun-
gen ergiengen an Sickingen: Mandate an alle benachbarte
Fürſten, ſich ſeinem Vorhaben zu widerſetzen. Auf Sickingen
jedoch machten die Mahnungen des Regimentes wenig Ein-
druck. Er entgegnete, er ſelber gedenke eine neue Ord-
nung im Reiche einzuführen. 1 Von einer Entſcheidung
des Kammergerichts wollte er nichts wiſſen: er ſagte, er
[110]Drittes Buch. Viertes Capitel.
habe ein Gericht um ſich, beſetzt mit Reiſigen, wo man
mit Büchſen und Carthaunen diſtinguire. Wohl iſt es nicht
wahrſcheinlich, daß ſein ganzes Heer gedacht habe wie er.
Wenigſtens das Regiment verſichert, durch ſeinen Eifer
ſey Franzens Anhang und Macht vermindert worden: —
allein um ihn zu Paaren zu treiben, waren doch ganz an-
dre Kräfte nöthig, und alles lag daran, welchen Wider-
ſtand Sickingen bei dem Angegriffenen und deſſen Verbün-
deten finden werde.
Richard von Greiffenklau Erzbiſchof von Trier hatte
die beſten Anſtalten getroffen. Das Kloſter S. Maximin,
auf deſſen Vorräthe die Feinde gerechnet, hatte er in Brand
ſtecken laſſen: er ſelbſt war mit der Fackel dazu herbeigeeilt:
in der Stadt hielt ſeine Anweſenheit die Bewegungen nieder,
die ſich allerdings regten. Die Geiſtlichen ſtellten ſich um
den Dom her auf, die Bürger auf dem Markte: auf Mauern
und Thürmen hielten die Söldner: der einheimiſche Adel,
der ſich von dem Stift nicht trennen laſſen, hatte die An-
führung.
Und indem nun Sickingen, der einen raſchen Schlag
auszuführen gedacht, hier auf einen unerwarteten nachhal-
tigen Widerſtand ſtieß, begegnete ihm, daß ſeine Freunde
und Verbündeten, durch deren Zuzug er erſt in den Beſitz
ſeiner vollen Macht gekommen wäre, allenthalben aufge-
halten oder geſchlagen wurden. Der Herzog von Cleve
und der Churfürſt von Cölln geboten den Reitern die in
ihren Gebieten geworben waren, bei Verluſt ihrer Lehen,
ja ihres Lebens, zu Hauſe zu bleiben. Dem jungen Land-
grafen von Heſſen gelang es, die Minkwitziſche Truppe,
[111]Sickingen.
die von Braunſchweig daher zog, zu übermannen, ihren
Anführer mit alle ſeinen Papieren in ſeine Gewalt zu be-
kommen, hierauf dieſe Leute in ſeine eignen Dienſte zu zie-
hen. 1 Da wagten auch die weſtphäliſchen und lünebur-
giſchen Reiſigen ſich nicht ins Feld.
Dagegen rüſteten ſich der Churfürſt von der Pfalz,
der alte Gönner Sickingens, ſo gut wie der Landgraf von
Heſſen, ſein erbitterter Gegner, ihrem Nachbar und Ver-
bündeten von Trier zu Hülfe zu eilen.
Sickingen, im Angeſicht einer tapfer vertheidigten Stadt,
im offenen, durch Verwüſtungen erbitterten Lande, ohne
die erwartete Unterſtützung, wagte es nicht, das Zuſam-
mentreffen ſo übermächtiger Streitkräfte zu erwarten: er
ſelbſt entwickelte auch nicht die Kräfte und eigenen Hülfs-
quellen des Talentes und der Tapferkeit, ohne die man
ſich ſo kühner Wageſtücke nicht ungeſtraft unterfängt: am
14ten September mußte er ſich entſchließen, Trier zu ver-
laſſen. 2
In dieſen acht Tagen liegt eine große Wendung der
deutſchen Geſchicke.
Die drei Fürſten, Repräſentanten der gefährdeten fürſt-
lichen Gewalt, bekamen jetzt die Oberhand über die em-
pörte Ritterſchaft und ihren Anführer. Sie begnügten ſich
nicht, das Erzſtift von dem Feinde zu ſäubern: merkwür-
[112]Drittes Buch. Viertes Capitel.
dig aber, auch Sickingen verfolgten ſie nicht: ſie wandten
ſich zunächſt wider deſſen Verbündete.
Der Churfürſt von Mainz, dem ſie vorwarfen, einer
Anzahl ſickingenſcher Pferde den Übergang über den Rhein
nicht verwehrt zu haben, mußte ſeinen Frieden mit 25000
G. erkaufen. 1
Hartmuth von Kronenberg, an dem der Landgraf vor
allem den Antheil den er einſt an dem Darmſtadter Zuge
Sickingens genommen, beſtrafen wollte, ward in ſeiner
Burg unfern Frankfurt aufgeſucht. Der Landgraf wollte
von Gnade und Unterhandlung nichts hören: er ſelbſt hat
zuweilen das Geſchütz gerichtet. Der Ritter war noch zur
rechten Zeit entwichen: ſeine Burg mußte ſich aber am
16ten October ergeben; die drei Fürſten nahmen die Hul-
digung in Perſon ein und die Stadt iſt hierauf eine geraume
Zeit hindurch als heſſiſche Landſtadt behandelt worden. 2
Dann gieng der Zug gegen Frowen von Hutten
„weil er ſich des Aufruhrs theilhaftig gemacht und erklärte
Ächter bei ſich aufgenommen:“ ſeine Burg Saalmünſter
ward erobert.
Daſſelbe geſchah dem Philipp Waiß zu Haußen in
der Fuldiſchen Mark, dem Rudeken in Rukingen: andre
ſuchten ſich durch Vertrag zu retten.
Und ſchon drohte ein ähnliches Ungewitter den Ver-
bündeten Sickingens auch in entfernten Gegenden. Der
frän-
[113]Sickingen.
fränkiſche Adel hatte ihn zwar nicht eigentlich unterſtützt,
aber in ſeinem Vorhaben beſtärkt, ſich im Ganzen zu ihm
gehalten; der ſchwäbiſche Bund dagegen war mit den Für-
ſten, namentlich mit der Pfalz in Einung getreten, und
forderte jetzt die fränkiſchen Ritter vor ſein Bundesgericht,
um ſie wegen einiger Landfriedensbrüche zu vernehmen; die
Ritter hielten ſich nicht für verpflichtet, einer ſolchen Mah-
nung Folge zu leiſten, und kamen in Schweinfurt zuſam-
men, um Beſchluß dagegen zu faſſen: ſie waren noch ent-
ſchloſſen ſich zu vertheidigen: dem Biſchof von Würzburg,
der zuletzt in den Bund getreten war, kündigten ſeine Un-
terſaſſen darüber entrüſtet im Anfang des Jahres 1523
alle ſeine Ämter auf. Ganz Schwaben und Franken ge-
rieth hierüber in Bewegung. Bei der Übermacht des Bun-
des ließ ſich das Ende des Kampfes leicht vorausſehn,
wofern nicht das Regiment ihn zu verhindern wußte.
Für dieſe höchſte Reichsbehörde bekam überhaupt das
Ereigniß jetzt eine ganz andre Bedeutung.
Früher war ſeine Autorität von Sickingen und deſſen
Freunden verſpottet, bekämpft worden: auch hatte man dafür
Sickingen auf die Anklage des Anwalts von Trier, ohne
ihn den Reichsſatzungen gemäß vorgeladen und verhört zu
haben, bereits am 8ten October in die Acht erklärt; —
allein in eine eben ſo trotzige, dem Regiment gefährliche
Haltung warfen ſich nun die Gegner Sickingens: ſtatt den
Geächteten zu verfolgen, griffen ſie deſſen vermeinte Ver-
bündete an, deren Schuld nicht immer nachgewieſen war,
und nahmen ihre feſten Häuſer ein: — der ſchwäbiſche Bund,
der ſchon ohnehin behauptete, nur mit Vorbehalt ſeiner
Ranke d. Geſch. II. 8
[114]Drittes Buch. Viertes Capitel.
Einung in das Regiment gewilligt zu haben, griff durch
jene Ladungen offenbar in das Gebiet der Reichsgerichte
über, und auf eine Erinnerung, Niemand über den Land-
frieden zu beſchweren, hielt er es nicht für der Mühe
werth, auch nur eine Antwort zu geben.
Denn mit der Macht iſt auch natürlich der Anſpruch
verbunden. Wie die Unternehmungen Sickingens, die Gäh-
rungen des fränkiſchen Adels nicht durch das Regiment
unterdrückt worden waren, ſondern durch die Übermacht
und Kriegsgewalt der Nachbarn, ſo ſetzten dieſe auch den
Kampf nach ihren eignen Intereſſen fort, ohne viel Rück-
ſicht auf die höchſte Gewalt im Reiche. 1
Daher kam es, daß das Regiment gar bald Diejenigen
in Schutz nahm, die es noch eben als ſeine Feinde betrach-
tet hatte. Frowen von Hutten brachte ohne viel Mühe,
nachdem die Meinungen der angeſehenſten Mitglieder des
Kammergerichts vernommen worden, ein Mandat aus,
durch welches die Fürſten aufgefordert wurden, ihm ſeine
Häuſer zurückzugeben; kurz darauf erfolgte ein förmliches
Urtel zu ſeinen Gunſten. Zugleich drang das Regiment in
die Fürſten, Churmainz der ihm ſo gewaltſam auferlegten
Verpflichtungen zu entlaſſen. 2 Dieſe Fürſten hätten ge-
wünſcht, gegen den geächteten Sickingen mit der Hülfe
des Reiches unterſtützt zu werden: aber weder bei dem
Regiment noch bei den Ständen in den erſten Monaten
[115]Sickingen.
des Jahres 1523 konnten ſie dieß auswirken: wäre die
Acht nicht ſchon ausgeſprochen geweſen, ſo wäre ſie jetzt
wohl unterblieben. 1 Einige Mitglieder des ſchwäbiſchen
Bundes trugen auf ein Verbot der ritterſchaftlichen Zu-
ſammenkünfte und Verbindungen an: das Regiment war
jetzt nicht mehr dahin zu bringen: es kündigte vielmehr
den Rittern an, es werde ſie mit Ausnahme deren welche
gegen den Landfrieden gehandelt in ſeinen Schutz nehmen.
Meines Erachtens bekam nun erſt die Sache der Rit-
terſchaft ein wahres Intereſſe für die Reichsentwickelung.
Mit jenem wilden Vorhaben eine unabhängige Macht zu
gründen, war es vorüber. Ihr einziger Rückhalt war das
Regiment: und mit dieſem mußten ſie ſich verbinden. Da-
durch nun daß ſowohl die Ritter als das Regiment ſich
für die evangeliſchen Doctrinen erklärten, bekamen die ge-
trennten Elemente einen engern Zuſammenhang. Auch der
Churfürſt von Sachſen, die Hauptſtütze des Regimentes,
trat jetzt in eine gewiſſe Verbindung mit den Rittern. In
dem zweiten Quartal des Jahres 1523, wo die Pflicht
perſönlicher Anweſenheit auf den Churfürſten von Mainz
traf, vertrat deſſen Vetter, der Hochmeiſter Albrecht von
Preußen ſeine Stelle: der damals noch keine andre Idee
hatte, als die Herrſchaft des Ordens, d. i. der deutſchen
namentlich der fränkiſchen und ſchwäbiſchen Ritterſchaft in
jenem Lande aufrecht zu erhalten, und die Kräfte des Reichs
dafür in Bewegung zu ſetzen.
8*
[116]Drittes Buch. Viertes Capitel.
So wenig man Sickingen vor dem Jahr die Erobe-
rung von Trier hätte wünſchen können, ſo wichtig war es
doch, daß er ſich gegen die Angriffe behauptete, die ſich
im Frühjahr 1523 wider ihn vorbereiteten.
Sonderbares Schickſal! An die Erhaltung des Rit-
ters der ſo oft den Landfrieden gebrochen und Gewaltſam-
keiten ausgeübt, knüpfte ſich jetzt, nachdem er geächtet war,
ein Intereſſe der Reichsordnung.
Auch gab er noch keineswegs ſeine Sache auf. Er
glaubte Hülfe von Niederdeutſchland und vom Oberrhein
erwarten zu dürfen: Zuzug fränkiſcher und böhmiſcher Rit-
ter: Beiſtand der Lutheraner. Von Landſtuhl, wo er ſich
aufhielt, ſah er eines Tages Reiter in den entfernten Ge-
büſchen erſcheinen: er ſchmeichelte ſich, es ſeyen Luthera-
ner, welche ſehen wollten was er mache; 1 aber ſie kamen
nicht näher: ſie banden die Pferde in jenem Buſchwerk an:
es war eben der Vortrab der Feinde, welche anlangten um
ihn zu belagern.
Indeſſen war er unbeſorgt. Er zweifelte nicht, ſich
in der Feſte die er erſt vor kurzem hergeſtellt hatte, we-
nigſtens ein Vierteljahr halten zu können: ſeinen Verbün-
deten werde Zeit bleiben zu kommen und ihn zu entſetzen.
Da aber zeigte ſich doch, daß er die Kriegskräfte,
wie ſie ſich in dem letzten Jahrhundert entwickelt, nicht
richtig berechnete. Er war jetzt darauf angewieſen ſich wie
die alten Ritter zu vertheidigen: es kam darauf an, ob die
Bergſpitze, die felſenfeſten Thurmgewölbe, die dicken Mauern
noch eine Freiſtatt gegen das Geſchütz gewährten. Es
[117]Sickingen.
zeigte ſich ſehr bald, daß die neue Kriegskunſt der alten
Vertheidigung zu mächtig war. Am 30ſten April 1523
fiengen die Fürſten an, die Burg aus ihren Carthaunen,
Nothſchlangen und Scharfmetzen zu beſchießen: ſie waren
ſehr wohl verſehen, ſehr wohl bedient: der junge Landgraf,
der in der Tracht eines Landsknechtes erſchien, zeigte Muth
und Geſchicklichkeit: 1 noch an demſelben Tag brach der
große Thurm, von welchem ihr Lager überſehen und be-
droht wurde, zuſammen. Eben ihrer Neuheit halber leiſte-
ten die Mauern den Kugeln keinen rechten Widerſtand.
Indem Sickingen dieſes unerwartete Unheil bemerkte, nach
einer Schießluke gieng, und an das Sturmgeräth gelehnt,
zu überblicken ſuchte wie es ſtehe, was ſich etwa thun
laſſe, war eine Nothſchlange eben dahin gerichtet worden
und traf nur allzugut: die Werkzeuge der Vertheidigung
wurden auseinandergeworfen, Sickingen ſelbſt gegen einen
ſpitzen Balken geſchleudert und in der Seite tödtlich ver-
wundet.
Das ganze Haus war zerſchoſſen; in dem einzigen
Burggewölbe das ſich gehalten, lag der Hauptmann ohne
Hofnung; Hülfe wollte nicht erſcheinen. Wo ſind nun
meine Herrn und Freunde, ſagte Sickingen, die mir ſo viel
zugeſagt? wo iſt Fürſtenberg? wo bleiben die Schweizer die
Strasburger? Er mußte ſich entſchließen zu capituliren. 2
[118]Drittes Buch. Viertes Capitel.
Die Fürſten wollten ihm keinen freien Abzug zuge-
ſtehn, worauf er der Sitte gemäß angetragen: er ſagte,
ich will nicht lange ihr Gefangner ſeyn. Kaum hatte er
noch Kräfte die Artikel zu unterſchreiben; in ſeinem Burgge-
wölbe lag er im Sterben, als die Fürſten daſelbſt eintraten.
Der Churfürſt von Trier ſagte: was haſt du mich
geziehen Franz, daß du mich und meine armen Leute im
Stift überfallen haſt? Und mich, fügte der Landgraf hinzu,
daß du mein Land in meinen unmündigen Jahren überzo-
geſt? Sickingen erwiederte: ich habe jetzt einem größern
Herrn Rede zu ſtehen.
Sein Caplan Nicolaus fragte ihn, ob er zu beichten
verlange. Er antwortete: ich habe Gott in meinem Her-
zen gebeichtet.
Der Caplan rief ihm Worte des letzten Troſtes zu,
und hob die Hoſtie empor. Die Fürſten entblöſten ihr
Haupt und knieten nieder: in dieſem Augenblick verſchied
Sickingen: die Fürſten beteten ein Vaterunſer für ſeine
Seele. 1
Sickingen wird immer unvergeßlich bleiben: nicht
gerade wegen großer Thaten von nachwirkendem Gehalt
die er ausgeführt, auch nicht wegen einer außerordentlichen
Tapferkeit, moraliſch bedeutender Vorzüge die er entwickelt
hätte, ſondern wegen der neuen und großartigen Stellung
in die er allmählig gelangte. Was ihn zuerſt emporbrachte,
war ſein Verhältniß zu dem Churfürſten von der Pfalz,
der ihn gegen ſeine Feinde brauchte, ihm Raum machte,
[119]Sickingen.
Rückhalt verlieh, ihn insgeheim oder offen unterſtützte.
Da ward er aus einem nicht ſehr bedeutenden Ritter, dem
ein paar Burgen gehörten, in kurzer Zeit ein mächtiger
Condottiere, der ein kleines Kriegsheer auf eigene Hand
ins Feld ſtellen konnte. Je angeſehener er aber wurde,
deſto mehr fühlte er ſich auch verſucht und berechtigt, ſeine
eigne Politik zu befolgen. Zuerſt in dem wirtenbergiſchen
Kriege riß er ſich von dem Churfürſten los, dem dieſe Un-
ternehmung nicht eben ſehr erwünſcht kam. Doch auch
an den ſchwäbiſchen Bund ſchloß er ſich darum nicht an:
ſehr bald trat er vielmehr mit den fränkiſchen Rittern,
die dieſer anfeindete, in das engſte Verſtändniß. Eben
hierin liegt das Großartige ſeiner Haltung. Wir ſahen
wie ſich einige Jahre früher Wirtenberg, die Pfalz, Würz-
burg dem ſchwäbiſchen Bunde entgegenſetzten und dabei
auch die Ritterſchaft auf ihrer Seite hatten. Jetzt hatten
ſich die Fürſten genöthigt geſehen in den Bund zu treten:
Wirtenberg war beſiegt worden: Sickingen und die Ritter-
ſchaft hielten die Oppoſition allein aufrecht. Der Gedanke er-
hob ſich in ihnen noch einmal die alten Grundlagen der Un-
abhängigkeit des Adels zu beleben, ſich der Territorialherr-
ſchaft geiſtlicher und weltlicher Fürſten zu entledigen, der
neuen religiöſen Überzeugung Bahn zu brechen. Es iſt die
eigenſte Combination: mitten in den Gewaltſamkeiten die man
begeht, hat man doch einen lebendig offenen Sinn für groß-
artige Ideen: eben in dieſer Verbindung beſteht das Weſen
des Adels jener Zeit. Indeſſen war man weder geiſtig ſo
kraftvoll, noch politiſch ſo mächtig, um Gedanken dieſer
Art durchzuführen. Wie Sickingen endlich das Fürſten-
[120]Drittes Buch. Viertes Capitel.
thum nun entſchieden angreift, erheben ſich gewaltigere
Mächte wider ihn: die Pfalz läßt ihn nicht allein fallen,
ſondern ſie verbindet ſich ſogar mit ſeinen Gegnern zu ſei-
nem Verderben. 1 Da muß er erfahren, daß er doch nicht
ſo mächtig iſt wie er glaubte, daß die Kräfte die ihn ge-
hoben, nicht ganz die ſeinen ſind, und ſich vielmehr wider
ihn wenden: in dieſem Conflict geht er unter.
Die Eroberung von Landſtein war ein Sieg des Für-
ſtenthums über das Ritterthum, des Geſchützes über die
Burgen, in ſofern der neuen Zeit über die alte, eine Be-
feſtigung der einmal emporgekommenen ſelbſtändigen Ge-
walten im Reiche.
Alle Burgen Sickingens und ſeiner Freunde fielen
nun in die Hände der Fürſten. Mit denen, welche im
Herbſt erobert worden, ſind es im Ganzen 27. Was auf
dem rechten Rheinufer lag, fiel dem Landgrafen zu, was auf
dem linken theilten der Pfalzgraf und der Erzbiſchof. Auf
der Ebernburg, dem einzigen Schloß das ſich eine Zeit-
lang hielt, machte man eine prächtige Beute, herrliche
Kleinodien zu weltlichem und geiſtlichem Gebrauch: vor
allem 36 Stück Geſchütz, das ſchönſte die Nachtigall, vom
Meiſter Stephan in Frankfurt gegoſſen, 13½ Schuh lang,
bei 70 Centner ſchwer, mit dem Bilde des Ritters, ſeiner
Gemahlin, ihrer beiderſeitigen Ahnen, und des Heiligen den
ſie früher vor allem verehrten, des h. Franz. 2 Dieſe er-
[121]Die fraͤnkiſche Ritterſchaft.
hielt bei der Theilung der Landgraf. Die Fürſten verpflich-
teten ſich, was ſie mit einander gewonnen, auch mit ein-
ander zu behaupten. Hierauf ſchieden ſie am 6ten Juni
von einander.
In demſelben Augenblick hielt der ſchwäbiſche Bund
eine Verſammlung zu Nördlingen, wohin er die des Land-
friedensbruches angeklagten fränkiſchen Ritter vorgeladen.
Einigen gelang es wirklich ſich zu reinigen: andere waren
zwar erſchienen, aber ohne mit ihrer Entſchuldigung durch-
zukommen, ſie wurden nicht zum Eid gelaſſen: nicht we-
nige hatten es überhaupt verſchmäht ſich vor den Bundes-
räthen zu ſtellen. 1 Gegen die beiden letzten Claſſen ver-
ſammelte ſich am 15ten Juni zu Dünkelſpiel ein Heer von
1500 zu Pferd, 15000 z. F.: unter dem Feldhauptmann
Georg Truchſeß: die Städte Augsburg, Ulm und Nürn-
berg lieferten das Geſchütz. 2 Einer ſo gewaltigen Kriegs-
macht war nun jene Ritterſchaft nicht gewachſen. Für das
feſteſte Schloß in Franken ward Bocksberg unfern Mer-
gentheim gehalten und dahin wandte ſich auf den Rath
der Nürnberger der Zug zuerſt; die Roſenberge, denen es
gehörte, hatten anfangs ſich zu wehren gedacht, eine Schaar
Landsknechte geworben und Büchſenmeiſter für ihr Geſchütz
angenommen: als ſie dieſe Übermacht ſahen, gaben ſie den
Widerſtand auf: das Schloß ward mit ſeinen ganzen Vor-
räthen ohne weiteres überliefert. Da wagte auch kein an-
[122]Drittes Buch. Viertes Capitel.
deres zu widerſtehn. Der Absberg ward ausgebrannt; in
jenem Krügelſtein war ein feſter Thurm, noch oben im Um-
gang acht Schuh dick, man hob ihn mit Pulver aus dem
Grund; Waldſtein, mitten in ſeiner Wildniß, wohin frü-
her mancher Gefangene hatte wandern müſſen, ward von
dem Hauptmann der Stadt Augsburg, Wolf von Frei-
berg zerſprengt und zerſtört; es werden 26 Schlöſſer ge-
zählt, die in Beſitz genommen wurden, denen großentheils
daſſelbe geſchah. Es waren einige böhmiſche Lehen dabei,
und anfangs hatten die Böhmen Miene gemacht am Ge-
birge zu widerſtehn: allein der Bund befahl ſeinem Haupt-
mann, darauf keine Rückſicht zu nehmen, ſondern nach
ſeinen Inſtructionen zu verfahren: worauf die Böhmen zu-
rückwichen und er ſeinen Auftrag vollſtändig ausführte.
Es war eine allgemeine Niederlage der unabhängigen
Ritterſchaft. Eben indem ſie von religiöſem Feuer ergrif-
fen, ſich eine neue Bahn zu eröffnen gedachte, ward ihre
Macht auf immer gebrochen.
Es ſteht hiemit in innerm Zuſammenhange, daß der
Mann der zuerſt die ritterliche Streitbarkeit mit der gei-
ſtigen Bewegung in Verbindung gebracht, Ulrich von Hut-
ten, nun auch in die Kataſtrophe verwickelt wurde. An
den Unternehmungen Sickingens hatte er den unberechen-
baren Antheil eines rathgebenden, antreibenden Freundes
genommen: nothwendig ward er nun auch von der Nie-
derlage betroffen. Seine Verwandten durfte er nicht mit
ſeiner Anweſenheit gefährden, in Oberdeutſchland duldeten
ihn weder die geiſtlichen noch auch nunmehr die ſiegreichen
weltlichen Gewalten: wie andre nach Sachſen wanderte er
[123]Tod Hutten’s.
nach der Schweiz. Da kehrte ihm der ganze bittere und
rathloſe Zuſtand wieder, den er ſchon in ſeiner Jugend
einmal ausgehalten. Auch hier ward er nicht allenthalben
gern geſehen, wir finden ihn von Ort zu Ort weichen: er
war in der unglücklichen Nothwendigkeit, die Hülfe und
das Geld ſeiner literariſchen Freunde in Anſpruch zu neh-
men: Manchem ſchien ſchon ſeine Nähe verderblich: Eras-
mus, der ſeine vornehmen Verbindungen ſorgfältig auf-
recht erhielt, erſchrak bei dem Gedanken, von ihm einen
Beſuch zu bekommen, vermied ihn, ſtieß ihn zurück;
überdieß hatte ihn ſeine Krankheit noch einmal furcht-
bar überfallen. Noch ließ der alte Streiter den Muth
nicht ſinken. Eben gegen Erasmus, den er als einen Ab-
gefallenen betrachtete, ergoß er noch einmal alle Heftigkeit
ſeiner Rhetorik. Allein ſo gewaltſamen Erfahrungen und
Anſtrengungen war er jetzt nicht mehr gewachſen. Ehe
er noch die Antwort des Erasmus zu Geſichte bekam,
machte die Krankheit ſeinem Leben ein Ende, — zu Ufnau
auf dem Zürcher See, wohin ihn Zwingli an einen in
der Heilkunde erfahrenen Pfarrer empfohlen hatte. 1
Ein Glück für Luther, daß er mit der Ritterſchaft nicht
in engeren Bund getreten war. Die Ungunſt dieſes Geſchickes
würde auch ihn und die Lehre die er verkündete betroffen haben.
Kehren wir dahin zurück wovon wir ausgiengen, ſo
liegt am Tage, daß dieſe ganze Entwickelung nun vor al-
lem dem Reichsregiment unerwünſcht ja gefährlich ſeyn
mußte. Für Sickingen hätte es zwar niemals etwas thun
[124]Drittes Buch. Viertes Capitel.
können, da es ſich durch ſeine Achtserklärung die Hände ge-
bunden hatte: die Ritterſchaft aber hätte es gern in Schutz
genommen; allein was vermochte es gegen zwei ſo gewal-
tige Heere, wie ſie jetzt zu Feld lagen, das des Bundes
und das der Fürſten? Auch nahmen dieſe Gewalten durch
ihren Sieg verſtärkt nunmehr eine doppelt trotzige ja feind-
ſelige Haltung. Die Fürſten erklärten das zu Gunſten des
Frowen von Hutten ausgefallene Urtel für nichtig und un-
rechtmäßig, 1 ſie verwarfen das Verfahren des Regimentes
in dieſer und in allen andern Sachen.
Und indem geſellte ſich dieſer drohenden Feindſeligkeit
noch eine andre von nicht minderer Bedeutung hinzu.
Die Städte und der kaiſerliche Hof.
Eben unter dieſen Umſtänden hätte es nun höchſt ein-
flußreich werden müſſen, wenn jener Zoll, durch welchen
dem Regiment eine bei weitem größere Macht zufallen
mußte, eingerichtet worden wäre. Man hätte nicht daran
zweifeln ſollen: die Stände hatten ihn beſchloſſen, der Kai-
ſer ſchon im Voraus ſeine Zuſtimmung gegeben. Ein Fou-
rier des Statthalters hatte bereits Acten und Abſchied des
Reichstags nach Spanien überbracht.
Allein wir wiſſen, wie ſehr ſich die Städte dadurch
verletzt und gefährdet glaubten: ſie waren entſchloſſen, ſich
in dieſe Einrichtung nicht gutwillig zu ergeben.
Auch noch gar manche andere Beſchwerden hatten ſie.
[125]Oppoſition der Staͤdte.
Schon im Jahre 1521 war der Beſchluß über den
Römerzug gefaßt worden, ohne daß man wie herkömmlich
die Städte zur Mitberathung gezogen hätte. Die Städte
ſäumten nicht ſich zu beſchweren: man gab ihnen noch eine
Erklärung die ſie zufrieden ſtellte.
Seitdem aber war nun durch die Verſuche, die Be-
dürfniſſe des Reiches mit Steuern zu decken, welche den
Städten beſonders zur Laſt gefallen wären, durch den ent-
ſchloſſenen Widerſtand den dieſe dagegen leiſteten, durch
die Angriffe auf die Monopolien auf der einen, das Feſt-
halten derſelben auf der andern Seite der üble Willen zwi-
ſchen den Städten und den höhern Ständen gewachſen:
auf dem Reichstag von 1522, 23 kam er zu völligem
Ausbruch.
Am 11ten Dez. 1522 war eine allgemeine Verſamm-
lung der Stände angeſagt: um die Vorſchläge welche Re-
giment und Ausſchuß über eine den Ungern zu bewilligende
Hülfe gemeinſchaftlich machen wollten zu vernehmen und
zu berathſchlagen. Sonſt war die Sitte, daß nach ge-
ſchehenem Vorſchlag das Regiment abtrat und die drei
Collegien ihn in Berathung zogen. An dieſem Tag aber
trat das Regiment nicht ab: ohne Auseinandertreten ward
der Antrag deſſelben von Churfürſten und Fürſten geneh-
migt: ſo ward er den Städten vorgelegt. Die Städte,
bei Vorſchlägen dieſer Art beſonders ſtark betheiligt und
ſchon immer etwas ſchwierig, baten ſich Bedenkzeit aus,
nur bis Nachmittag. Da empfiengen ſie nun eine Ant-
wort welche ſie nicht erwarteten. Man ſagte ihnen: „der
Gebrauch im Reiche ſey, was Churfürſten Fürſten und
[126]Drittes Buch. Viertes Capitel.
andre Stände beſchloſſen, das laſſe man ſich auch von
Seiten der Städte gefallen.“ Die Städte dagegen mein-
ten: ſollen ſie Lieb und Leid mit andern Ständen tragen,
ſo müſſe man ſie auch zu den Berathſchlagungen ziehen:
ſolle man thaten, müſſe man auch rathen. Beſonders die
Geldhülfe war es, gegen die ſie ſich ſetzten: auch ſie woll-
ten nur Mannſchaft ſtellen. Allein auf eine Eingabe, die
ſie deshalb machten, ward in der Ständeverſammlung keine
Rückſicht genommen: es ward ein Mandat verfaßt, worin
ihnen die Leiſtung einer Hülfe die ſie nicht verwilligt hat-
ten, angemuthet wurde: ſie baten ſich aufs neue Bedenk-
zeit aus: man wiederholte ihnen, das ſey ſo nicht herge-
bracht; — ſie dachten zu antworten: da ſchlug es eilf Uhr
und die Sitzung ward aufgehoben. 1
Die Städte waren hierüber um ſo mehr betreten, da
man ihnen zugleich ſagte, nur aus Gnaden ſey es, daß
man zwei ihrer Abgeordneten in den Ausſchuß nehme, wäh-
rend von den Grafen nur einer zugelaſſen werde: ſie glaub-
ten, es ſey wohl die Abſicht, ſie auch von den Ausſchüſ-
ſen auszuſchließen. Sie hatten im Jahr 1487 ihre alte
Standesoppoſition aufgegeben, weil ihnen durch Vermittelung
Churfürſt Bertholds weſentlicher Antheil an den Berathun-
gen verſchafft wurde: und wir wiſſen, wie eingreifend dieſer
zu Zeiten war: jetzt glaubten ſie, man wolle ihnen alle ihre
Rechte entreißen und nur die Verpflichtungen feſt halten.
Da nun in Hinſicht auf die Monopolien und den
Zoll Beſchlüſſe gefaßt wurden, die ihren Gewerben höchſt
[127]Die Staͤdte und der kaiſerliche Hof.
nachtheilig zu werden drohten, da eine neue Supplication,
in der ſie ihre alten und neuen Beſchwerden zuſammen-
faßten, ſo vergeblich war wie die frühern, ſo beſchloſſen ſie,
ſich aus allen ihren Kräften zur Wehre zu ſetzen.
Sie weigerten ſich ſtandhaft, in die Beſchlüſſe des
Reichstags zu willigen: eine Anleihe die man ihnen an-
muthete, und die von dem Ertrage der Auflage zum Tür-
kenzug wieder erſtattet werden ſollte, lehnten ſie hartnäckig
ab. Hierauf ließen ihnen auch die Fürſten ihren Unwillen
fühlen. „Die Reichsſtädte,“ ſchreibt der Frankfurter Ge-
ſandte, 1 „ſcheiden in großen Ungnaden ab: die Zeit wird
lehren was daraus entſteht: meine Heimfahrt wird mir
ſchwer.“
Da war es nun ein Glück für die Städte, daß die
Beſchlüſſe der Stände nicht ſogleich Geſetzeskraft erlangten,
daß ſie erſt nach Spanien geſchickt und dem Kaiſer zur
Beſtätigung vorgelegt werden mußten. Eine andre Hülfe
gab es nicht für ſie. Im März 1523 kamen die Städte
in Speier zuſammen, und beſchloſſen, wie ihrer übrigen
Beſchwerden ſo beſonders des Zolles wegen, eine eigene
Geſandtſchaft an den Kaiſer nach Spanien zu ſenden.
Glücklicherweiſe haben wir einen Bericht über dieſe
Geſandtſchaft übrig, dem wir wohl einen Augenblick folgen
dürfen, da er uns an einem Beiſpiel vergegenwärtigt wie
die deutſchen Angelegenheiten am kaiſerlichen Hofe in Spa-
nien getrieben wurden.
Die Reiſe war doch ſehr beſchwerlich und langſam.
[128]Drittes Buch. Viertes Capitel.
Am 15ten Juni vereinigten ſich die Geſandten in Lyon:
erſt am 6ten Auguſt langten ſie in Valladolid an. Vor-
nehmlich die drückende Hitze, von der einige Mitglieder ſo-
gar erkrankten, hatte ſie aufgehalten.
Sie begannen damit, außer Markgraf Johann von
Brandenburg und dem Großcanzler vor allem die Räthe
aufzuſuchen, welchen die deutſchen Geſchäfte übertragen wa-
ren, Hr. v. Röſch, Hannart, den Propſt Märklin von
Waldkirchen, Maximilian von Zevenberghen.
Hierauf, am 9ten Auguſt, ertheilte ihnen der Kaiſer
in Gegenwart einer glänzenden Verſammlung von Gran-
den, Biſchöfen und Botſchaftern eine feierliche Audienz.
Sie redeten ihn lateiniſch an: in dieſer Sprache antwor-
tete ihnen in des Kaiſers Namen der Großcanzler.
Die Geſchäfte mit ihnen zu beſprechen, ward dann
einer Commiſſion übertragen, die eben aus den genannten
vier deutſchen Räthen beſtand: am 11ten Aug. begannen
die Verhandlungen.
Die Geſandten hatten ihre Beſchwerden in 6 Artikeln
zuſammengefaßt — über Seſſion, Zoll, Kriegshülfe, Land-
frieden, Monopolien, und einige minder bedeutende Sa-
chen, — die ſie den Commiſſarien zugleich deutſch und latei-
niſch vorlegten und alsdann mit ihnen durchgiengen. Da-
bei hatten ſie Gelegenheit, ihre Wünſche mündlich vorzu-
tragen.
Die Räthe zeigten ſich anfangs abgeneigt. Sie fan-
den es unbillig, daß man die Frage über die Seſſion jetzt
erſt, zu den Zeiten dieſes jungen Kaiſers in Anregung
bringe, beklagten es, daß im Reiche Niemand etwas thun
wolle
[129]Die Staͤdte und der kaiſerliche Hof.
wolle, da ſich doch weder Regiment noch Gericht ohne
Leiſtungen der Stände aufrecht erhalten laſſe; und forder-
ten die Städte auf, ſich noch eine kurze Zeit zu fügen,
ſich auch der Reichshülfe zu Gunſten der Ungern, welche
der Reichstag beſchloſſen, nicht zu entziehen. Wirklich war
bereits auf den Betrieb eines andern kaiſerlichen Rathes,
des Doctor Lamparter eine Beſtätigung der Reichsſchlüſſe
vorläufig entworfen worden. Allein die Geſandten ließen
ſich ſo leicht nicht abweiſen. Die Städte, erklärten ſie,
ſeyen bereit das Ihre zu leiſten, z. B. zwei Beiſitzer bei
dem Kammergericht zu beſolden, oder auch den Coſtnitzer
Anſchlag zu erlegen, aber nicht gemeint, die Unbilligkeiten
zu dulden, die man gegen ſie in Gang bringe. Dieſe Er-
klärung unterſtützten ſie dann mit einigen beſonders ein-
dringlichen Bemerkungen. „Wer könne vorausſagen, wie
es mit den Zolleinkünften gehen werde? Man höre, ſchon
ſey ein Anſchlag der Fürſten gemacht, ſie unter einan-
der zu theilen. Aber wenn auch nicht — man gehe
damit um, einen römiſchen König zu wählen, der vermöge
dieſes Einkommens im Stande ſeyn werde ſich zu behaup-
ten.“ Genug ſie hoben hervor, daß der Zoll dem Kaiſer
ſelber gefährlich werde: ſie machten ihn überdieß aufmerk-
ſam, daß das Regiment nicht zum Beſten des Kaiſers be-
ſetzt ſey; den Räthen perſönlich verſprachen ſie, „ſich we-
gen ihrer Mühe dankbarlich mit ihnen zu vergleichen.“
Hiemit hatten die Städte nun eben die Mittel getrof-
fen, durch die man am kaiſerlichen Hofe etwas ausrichtete.
Bei der nächſten Zuſammenkunft gab ihnen der Propſt
von Waldkirchen nicht undeutlich zu verſtehen, der Kaiſer
Ranke d. Geſch. II. 9
[130]Drittes Buch. Viertes Capitel.
ſey nicht geneigt den Zoll aufzurichten, als eine gehäßige
Sache, auch denke er nicht das Regiment beizubehalten;
aber er frage, wenn S. Mt die Regierung ſelbſt in die
Hand nehme, was dann die Städte für Dieſelbe zu thun
geſonnen ſeyen? Die Geſandten erwiederten, wenn der
Kaiſer ihnen willfahre und hernach ein leidliches Anſinnen
an die Städte mache, ſo werde man ſich dankbar und un-
terthänig beweiſen. Waldkirchen erinnerte, man ſehe aus
den alten Regiſtern, daß den letzten Kaiſern bei ihrer Thron-
beſteigung von den Städten ein Ehrengeſchenk gegeben
worden, warum habe man nur für dieſen jungen Kaiſer
nichts gethan? Der ſetze ſein ganzes Vertrauen auf die
Städte: wären nur die Kriege nicht, ſo würde er mit ihnen
einen graden und königlichen Weg wandern.
Auch noch eine andre Sache kam hiebei zur Sprache.
Der päpſtliche Nuntius hatte ſich beklagt, daß man zu
Augsburg, Strasburg und Nürnberg den Lehren Luthers
anhange und deſſen Bücher drucke. Die Geſandten hier-
über zur Rede geſtellt, leugneten die Thatſache. Sie ver-
ſicherten, daß ſeit mehreren Jahren nicht ein Buchſtabe von
Luther bei ihnen gedruckt worden: durchziehende fremde
Verkäufer dieſer Schriften habe man ſogar beſtraft: ſo ſehr
der gemeine Mann nach dem Evangelium dürfte, die Men-
ſchenlehre verwerfe, ſo ſeyen es doch die Städte nicht, bei
denen Luther Schutz finde: man wiſſe wohl, wer ihn ver-
theidige: die Städte ſeyen geſonnen nach wie vor der chriſt-
lichen Kirche als chriſtliche Glieder anzuhängen.
Hierauf verſtändigte man ſich über die wichtigſten
Puncte. Am 19ten Auguſt ward eine nochmalige Zuſam-
menkunft der geſammten Commiſſion mit den Geſandten
[131]Die Staͤdte und der kaiſerliche Hof.
gehalten, der jetzt auch der Graf von Naſſau beiwohnte.
Nachdem man die Thüren ſorgfältig verſchloſſen, ward den
Geſandten eröffnet, der Kaiſer beabſichtige, die Regierung
in ſeine Hand zu nehmen, einen tapfern Statthalter und
ein ſtattliches Kammergericht zu verordnen: den Zoll aber
nicht zur Ausführung kommen zu laſſen.
Die Bewilligung einer beſtimmten Summe ward den
Geſandten erlaſſen: aber ſie verſprachen, mit Hannart, der
als kaiſerlicher Commiſſar nach Deutſchland kommen werde,
ein Abkommen zu treffen.
Auch wegen der Monopolien hatten die Geſandten,
nicht eigentlich im Auftrag der geſammten Städte, aber
im Namen der großen Geſellſchaften, zu unterhandeln. Die
Allgewalt des Geldes und der Geldbeſitzer führte ſie ſehr
bald zum Ziel. Dem Regiment ſollte aufgegeben werden,
auch in Hinſicht der Monopolien keinen Beſchluß zu faſ-
ſen, ohne nochmals bei S. Mt angefragt zu haben. 1
Hierauf, nach wohl ausgerichtetem Auftrag, verließen
die Geſandten Spanien. In Lyon hatten ſie eine Audienz
bei König Franz I, der ſeinen Unmuth über den Kaiſer
gegen ſie ausſchüttete. Im Dezember langten ſie in Nürn-
berg an, wo ſich eben ein neuer Reichstag verſammelte.
Die Summe iſt: zwiſchen den Städten und dem kai-
ſerlichen Hofe war es zu einer Vereinbarung gegen den
bisherigen Gang der Reichsverwaltung überhaupt, beſonders
aber gegen das Regiment gekommen.
9*
[132]Drittes Buch. Viertes Capitel.
Und war es nicht ſehr natürlich, daß die Hofräthe,
die von Anfang mit dieſer Verwaltung in Competenzen ge-
rathen waren, die in dem Innern ausgebrochenen Mißhel-
ligkeiten benutzten um ſich derſelben zu entledigen?
Auch noch einen ganz beſondern Grund hatten ſie
dazu. Wie die Städte es andeuteten, in Deutſchland war
wirklich der Gedanke rege geworden, einen römiſchen Kö-
nig zu ernennen. Der eigene Bruder des Kaiſers war es,
den man dazu beſtimmte: Ferdinand von Öſtreich. Man
glaubte, ſo viel ich dieſe Sache überſehen kann, 1 er werde
im Einverſtändniß mit dem Regiment, in den Formen der
gegründeten Verfaſſung regieren. Und am Tage liegt, daß
dieſe erſt dadurch, daß man ein nicht ſehr mächtiges, von
ihr abhängiges Oberhaupt in Deutſchland gehabt hätte,
zu ihrer Vollendung gediehen wäre. Kein Wunder aber, daß
man die Anregung einer ſolchen Idee in Spanien ſehr übel
empfand: es hätte faſt eine Abdankung des Kaiſers darin
gelegen.
Auch übrigens war man dort mit Ferdinand ſchlecht
zufrieden. Er machte unaufhörlich Anforderungen; nicht
ſelten liefen Beſchwerden gegen ihn ein; man hielt in Spa-
nien ſeinen vertrauteſten Rathgeber Salamanca für eben
ſo eigennützig als ehrgeizig. Als Hannart nach Deutſch-
land gieng, bekam er den Auftrag, Salamanca wo möglich
zu entfernen und ſich allen jenen hochfliegenden Plänen zu
widerſetzen.
[133]
Reichstag von 1524.
Sahen wir früher welche große Intereſſen des Staates
und der Religion ſich an das Beſtehen des Regimentes
knüpften, ſo ſehen wir nun wie mächtige entſchloſſene Op-
poſitionen ihm entgegentraten.
Drei kriegeriſche, ſiegreiche Fürſten: der ſchwäbiſche
Bund, der über ſo bedeutende Kräfte gebot: die reichen
Städte: endlich, was freilich noch Niemand wußte, die
kaiſerliche Gewalt, die erſt durch den Fall dieſer ſtändiſchen
Behörde wieder zu voller freier Wirkſamkeit zu gelangen
hoffte.
Auch das Regiment hatte jedoch noch ſeine Stützen.
Erzherzog Ferdinand verſprach, es nicht fallen zu laſſen,
und einige ſeiner Räthe waren entſchiedne Anhänger deſ-
ſelben. Knüpften ſich doch für ihn und für ſie ſo große
Ausſichten daran. Der Churfürſt von Sachſen, dem es
hauptſächlich ſein Daſeyn verdankte, kam in Perſon an
den Reichstag um es aufrecht zu erhalten. Der Churfürſt
von Mainz, der durch die drei Fürſten Gewalt erlitten,
und das ganze brandenburgiſche Haus ſtanden auf ſeiner
Seite. An Sympathien in der Ritterſchaft, deren Hof-
nungen allein auf das Regiment ſich gründen konnten,
und in den Männern der religiöſen Neuerung fehlte es
ihm nicht.
Daher trat es denn auch noch immer ſehr ſicher auf.
Aller Veränderung in den Perſonen zum Trotz erhielt ſich
die einmal zu Stande gebrachte Majorität: wer nicht zu
ihr gehörte, wie der Canzler von Trier, Otto Hundt von
[134]Drittes Buch. Viertes Capitel.
Heſſen, entfernte ſich lieber. 1 Der Fiscal leitete den Pro-
ceß gegen die großen Geſellſchaften ein. Es ward an ei-
nem Strafurtel gegen die drei Fürſten gearbeitet. Dem
Reichstag, welcher am 14ten Januar 1524 eröffnet ward,
legte man die wichtigſten Propoſitionen vor, über die Mit-
tel Regierung und Gericht zu erhalten, die Ausführung
der Executionsordnung, die peinliche Gerichtsordnung und
mehrere andre. 2
Allein für jede Gewalt der Welt iſt es ein Unglück,
keine großen Erfolge für ſich zu haben. Das Regiment
war ſchon in Nachtheil. Es hatte den Landfrieden nicht
handhaben, weder Sickingen noch deſſen Gegner in Zaum
halten können: der große Zoll-entwurf, auf den alles gegrün-
det werden ſollte, war geſcheitert. Und jetzt erhob ſich An-
griff auf Angriff.
Am 1ſten Februar erſchien der Anwalt der drei Für-
ſten, Dr Venningen in der allgemeinen Verſammlung der
Stände, und hielt einen langen, bittern und anzüglichen
Vortrag wider das Verfahren des Regimentes.
Ein Befehl des Kaiſers ward vorgelegt, kraft deſſen
der gegen die Kaufmannsgeſellſchaften begonnene Proceß
eingehalten ward: der Hof in Spanien forderte die Acten
in dieſer Sache an ſich.
Schon langte auch Hannart an. Er hielt ſich von
[135]Reichstag von 1524.
Anfang an die Gegner des Regimentes, den Churfürſten
von Trier, in deſſen Begleitung er kam, die Städte, von
denen er ein Geſchenk von 500 G. empfieng; 1 dem Erz-
herzog begegnete er bei der erſten Zuſammenkunft nicht mit
alle der Ehrerbietung die dieſer erwartete; er hatte kein
Hehl daß der Kaiſer die Auflöſung der jetzigen Regierung
wünſche.
Unter dieſen Umſtänden begannen nun die Berathun-
gen in der Ständeverſammlung; bei dem Artikel über die
zur Erhaltung des Regimentes nöthige Bewilligung mußte
die Sache zur Entſcheidung kommen.
Das Regiment war doch der Ausdruck der ſtändiſchen
Macht: war es zu glauben, daß die Stände ſelbſt ihre
Hand dazu bieten würden, es aufzulöſen?
Wir haben wahrgenommen, daß das Regiment ſich in
den frühern Reichsverſammlungen die Majorität verſchaffte,
aber auch wie viel Mühe das machte, wie ſehr ſie ſchwankte.
Jetzt waren nun eine Menge neue Antipathien hinzuge-
kommen: die Intereſſen aller jener Fürſten und Städte,
des Geldes und der Religion. Ungemein iſt doch der Ein-
fluß der großen Geldbeſitzer auch in dieſer Zeit. Die Fug-
ger begünſtigten die Wahl Carls V; wahrſcheinlich trugen
ſie bei, die Bulle Leos X gegen Luther zu provociren; ſie
vermittelten die Verbindung der mißvergnügten Städte mit
dem Hofe; durch ſie hauptſächlich fiel der Entwurf des
Zolles; jetzt waren ſie ſo kühn, die Sache der Monopole,
wo ſo viele Reichsſchlüſſe gegen ſie ergangen, zu einer
Anklage gegen das Regiment zu benutzen: denn, ſagten
ſie, dieſe Behörde habe richterliche Befugniß darin aus-
[136]Drittes Buch. Viertes Capitel.
üben wollen, während das doch allein dem Kammergericht
zuſtehe. 1 Der Biſchof von Würzburg warf dem Regi-
mente unverholen Begünſtigung der neuen Meinungen
vor: ein paar Capitularen, die er vor das geiſtliche Ge-
richt geſtellt, weil ſie ſich verheirathet, habe es freigegeben:
einen Chorherrn, der wegen lutheriſcher Grundſätze verjagt
worden, habe es mit ſicherm Geleite unterſtützt. So vie-
len feindſeligen Einflüſſen gegenüber war doch die bishe-
rige Majorität nicht compact genug. Nach einigen De-
batten einigem Schwanken ſchlug ſie zum Nachtheil des
Regimentes um. So weit gieng man zwar nicht, daß
man gradezu auf die Auflöſung deſſelben angetragen hätte,
man beſchloß aber, am 20ſten Februar, über ſeine Erhal-
tung nicht berathſchlagen zu wollen, wofern es nicht vor
allen Dingen anders beſetzt ſey: in die bisherige Beſetzung
könne man nicht mehr willigen.
Auch damit aber war doch ſchon die Sache entſchie-
den. Es kam darauf an, aus der Mitte der Stände eine
kräftige Regierung hervorgehn zu laſſen: was ließ ſich aber
in Zukunft erwarten, wenn die Mitglieder des bisherigen
Collegiums, welche ihre Pflicht ſehr ernſtlich genommen
und wirklich einmal zu regieren angefangen hatten, abgeſetzt
wurden, ohne daß man ihnen irgend eine der Rede werthe
Verſchuldung hätte nachweiſen können. Welchen Muth,
welche Selbſtändigkeit konnten Deren Nachfolger haben!
[137]Reichstag von 1524.
Es zeigte ſich aufs neue, daß die mächtigen Stände,
welche das Reich ausmachten, von Einem Mittelpunct aus
nicht zu regieren waren.
Friedrich der Weiſe von Sachſen fühlte die ganze Be-
deutung dieſes Beſchluſſes. Die Idee einer ſtändiſchen Re-
gierung, für welche er alle ſeine Lebtage gearbeitet, ſah er
am Ende ſeiner Tage ſcheitern. Er ſagte: einen ſolchen
Reichstag habe er noch nicht erlebt: 1 er verließ ihn am
24ſten Februar: er iſt nie wieder auf einem erſchienen.
Noch weigerte ſich zwar Erzherzog Ferdinand in den
Beſchluß zu willigen: er hat ſogar die Städte noch ein-
mal perſönlich für das Regiment zu gewinnen geſucht; al-
lein nach einiger Zeit bemerkt der ſächſiſche Geſandte, ſeine
Räthe ſeyen über dieſe Sache nicht mehr derſelben Mei-
nungen: es ſcheint als habe Hannart, ſtatt Salamanca
zu ſtürzen, ihn vielmehr auf ſeine Seite gezogen: die Zu-
ſchrift wenigſtens, durch welche der Kaiſer den Churfürſten
von Sachſen aufforderte, zur Entfernung Salamancas mit-
zuwirken, lieferte er demſelben nicht aus: endlich wirkte
das auch auf Ferdinand: „nachdem er neun Wochen feſt-
gehalten,“ ſchreibt der ſächſiſche Geſandte am 1ſten März,
„iſt er jähling abgefallen.“ Er gab zu, daß nicht ein
einziges Mitglied des alten Regimentes in das neue auf-
genommen werden dürfe. 2
[138]Drittes Buch. Viertes Capitel.
Auch das Kammergericht ward einer Reinigung un-
terworfen. Man fragte nicht, ob die Beiſitzer fleißig oder
nachläßig, geſchickt oder ungeſchickt ſeyen, ſondern nur, ob
ſie dem Adel gegen die Fürſten beigeſtanden, ob einer den
Fiscal in Verfolgung der Monopoliſten unterſtützt habe.
Auch ihre religiöſe Haltung ward in Betracht gezogen.
Dr. Kreutner, Aſſeſſor für den fränkiſchen Kreis, ward ſei-
nes Amtes entlaſſen, weil er an einem Faſttage Fleiſch ge-
geſſen, ohne Rückſicht darauf, daß er noch einen Rückſtand
von mehr als 1000 G. zu fordern hatte.
Da kommen wir auf die Hauptfrage, in wie fern
dieſe große Veränderung auf die Behandlung der religiöſen
Angelegenheiten zurückwirkte. Die Sache des Regiments
und der religiöſen Neuerung war, wie wir auch hier bei
jedem Schritte ſehen, verbündet: wiewohl nicht ununter-
ſcheidbar; es fragte ſich nun ob die Stände die das Re-
giment fallen laſſen, auch der religiöſen Neuerung Ungunſt
beweiſen würden.
Nach dem unerwartet frühen Tode Adrians VI war
die ſtrengere Geſinnung, die ſich in ihm zu erheben be-
gann, wieder beſeitigt worden. In Clemens VII hatte
ein Papſt den Thron beſtiegen, der wie ſeine frühern Vor-
gänger vor allem entſchloſſen war, die päpſtlichen Vor-
rechte aufrecht zu erhalten, die weltlichen Kräfte des Kir-
chenſtaats für perſönliche oder allgemeine politiſche Zwecke
zu benutzen, ohne daß er ſich um die Nothwendigkeit einer
Reform ernſtlich gekümmert hätte: einen Mann ſeiner eig-
2
[139]Reichstag von 1524.
nen Geſinnung, Lorenzo Campeggi ſendete derſelbe an den
deutſchen Reichstag.
Campeggi fand Deutſchland, das er vor einigen Jah-
ren noch im Glanze einer unerſchütterten, für heilig gehal-
tenen Autorität durchzogen, in vollem Abfall begriffen. In
Augsburg ward er verſpottet, als er bei ſeinem Einzug,
dem Herkommen gemäß, mit erhobener Hand den Segen
ertheilte. Hierauf rieth man ihm und auch er ſelbſt hielt
für das Beſte, ohne alle Cerimonie in Nürnberg einzuziehen.
Er kam ohne Cardinalshut: er machte kein Zeichen des
Segnens, des Kreuzes: er ritt nicht nach der Sebaldus-
kirche, wo die Cleriſei ſeiner wartete, ſondern ohne ſich
aufzuhalten nach ſeiner Wohnung. 1
Auch war es als ob ſeine Anweſenheit den Eifer der
reformirenden Prediger ſtatt ihn zu dämpfen erſt recht ent-
flammt hätte. Unter den Augen des Legaten bezeichneten
ſie den Papſt als den Antichriſt. Am Palmſonntag wur-
den keine Palmen geſtreut: in der Charwoche ward die
Cerimonie der Niederlegung und Aufrichtung des Kreuzes
unterlaſſen: bei Tauſenden nahm man das Abendmahl un-
ter beiderlei Geſtalt. 2 Nicht allein gemeine Leute thaten
dieß: man bemerkte unter den Communicanten mehrere
Mitglieder des Regimentes; ja die Schweſter des Erzher-
[140]Drittes Buch. Viertes Capitel.
zogs, Iſabella, Königin von Dänemark, auf dem Schloſſe
zu Nürnberg, empfieng es auf dieſelbe Weiſe.
Es iſt wohl ſehr möglich, daß dieſe offenen Bezei-
gungen in Ferdinand, auf den die neuen Doctrinen keinen
Eindruck machten, wie er denn in der Strenge des ſpani-
ſchen Katholicismus erzogen war, den Entſchluß, das Re-
giment fallen zu laſſen, beförderten, und leicht mag es ſeyn,
daß der päpſtliche Legat darauf Einfluß gehabt hat. We-
nigſtens war der Fall des Regimentes, welches die neuen
Meinungen in Schutz genommen, zugleich ein Vortheil für
die Behauptung des Katholicismus.
Und vielleicht gründete der Legat hierauf die Hofnung,
nun auch in den religiöſen Angelegenheiten überhaupt eine
günſtige Entſcheidung der Stände hervorzurufen. Er be-
ſchwerte ſich über die unter ſeinen Augen vorgenommenen
Neuerungen. Er erinnerte die Stände an das zu Worms
erlaſſene Edict: er könne nicht begreifen, wie es im Reiche
zugehe, daß man Anordnungen dieſer Art doch ſo wenig
ausführe. Auch Hannart forderte im Namen des Kaiſers
die Beobachtung des Edictes.
Da zeigte ſich aber, daß bei dem bisherigen Gange
der Dinge die Religion vielleicht bei Einzelnen mitgewirkt,
jedoch die Sache keineswegs entſchieden hatte. Wären die
politiſchen Beweggründe nicht geweſen, ihrer religiöſen Ten-
denz halber würde man die Regimentsräthe niemals ab-
geſetzt haben. Mit jenen Beſchwerden machte der Legat
keinen Eindruck. Ein Theil iſt unwillig, ſchreibt Planitz,
der mehrere Theil lacht. Die Städte, die ſo viel zum
Sturze des Regiments beigetragen, geriethen bei der Er-
innerung an das Edict in Feuer und Flammen. Sie er-
[141]Reichstag von 1524.
klärten: der gemeine Mann ſey voll Begierde nach dem
Worte Gottes, es ihm entreißen zu wollen, würde Auf-
ruhr, Blutvergießen und das allgemeine Verderben veran-
laſſen: bei den Beſchlüſſen des vorigen Jahres müſſe man
ſchlechterdings beharren. Mit einem Worte: in Sachen
der Religion behauptete ſich die alte mit Rom unzufrie-
dene Majorität in den Reichsſtänden. Bald nach ſeiner
Ankunft erinnerte man den Legaten an die hundert Be-
ſchwerden der Nation, welche man ſeinem letzten Vorgän-
ger mitgegeben. Man hatte das in Rom erwartet, man
hatte dem Abgeordneten die Inſtruction ertheilt, ſich an-
zuſtellen als ſey die Beſchwerdeſchrift nicht wirklich im
Namen der Fürſten in Empfang genommen worden. 1
Demgemäß antwortete Campeggi mit ſehr unumwölkter
Stirne, von jenen Beſchwerden ſey gar keine amtliche
Kunde nach Rom gelangt: in drei Exemplaren möge der
Druck nach Rom gekommen ſeyn, auch er habe eins ge-
ſehen, ſich jedoch nicht überreden können, daß eine „ſo
übermäßig ungeſchickte Schrift“ von dem Reichstag aus-
gegangen ſey. Eine Erklärung die ſich denn allerdings nicht
eignete, die weltlichen Stände zu befriedigen, die es mit
den ſo oft berathenen und ſo mühſam zu Stande gebrach-
ten Beſchwerden ſehr ernſtlich gemeint hatten.
Auch das perſönliche Betragen des Legaten, dem man
einen kleinlichen Geiz, empörende Übervortheilungen armer
deutſcher Geiſtlichen Schuld gab, war ſeinen Unterhand-
lungen nicht förderlich. 2
[142]Drittes Buch. Viertes Capitel.
Als es nun zu den entſcheidenden Berathungen über
die religiöſe Angelegenheit kam, ſo bewirkte wohl die Con-
ſequenz des Geſchäftsganges, die Anweſenheit des kaiſerli-
chen Commiſſars ſo viel, daß die Stände nicht in Abrede
ſtellten, zur Ausführung des Wormſer Edictes verpflichtet
zu ſeyn: allein ſie fügten dieſem Eingeſtändniß eine Clau-
ſel hinzu, die doch wieder das Gegentheil enthielt: die Er-
klärung: es ausführen zu wollen, ſo viel als möglich:
eine Modification von ſo weitem Umfang, daß doch einem
Jeden überlaſſen blieb was er thun wolle. Schon hatten
die Städte weitläuftig vorgeſtellt, es ſey nicht möglich!
Zugleich ward die Forderung eines Conciliums erneuert,
welches der Papſt mit kaiſerlicher Bewilligung in deut-
ſcher Nation ausſchreiben ſolle, und der Legat übernahm
das bei S. Heiligkeit treulich zu fördern.
Konnte man ſich jedoch hiebei wirklich beruhigen?
bei der allgemeinen Gährung der Geiſter das Zuſammen-
treten einer in ſo weiter Ferne liegenden Kirchenverſamm-
lung und ihre Beſchlüſſe erwarten? Konnte die deutſche
Nation die Einheit ihrer antirömiſchen Tendenzen, die ſo
tiefe Wurzeln geſchlagen, ſo weit aufgeben, um es auf die
Reſultate einer Verſammlung aus allen Nationen ankom-
men zu laſſen?
Eben in dem Augenblicke, als die Vertreter der re-
formatoriſchen Abſichten, die im Regiment ſaßen, geſtürzt
2
[143]Reichstag von 1524.
wurden, fühlte man die Nothwendigkeit doppelt, ihre Be-
ſtrebungen auf irgend eine andre Weiſe zu erſetzen: die
Vertheidiger der Neuerung nahmen ihre Kräfte um ſo mehr
zuſammen und brachten es zu dem merkwürdigſten Be-
ſchluß.
Noch war die Frage übrig, welche früher ſo wichtig
geworden, wie es mittlerweile, bis zu dem Concilium, in
Deutſchland gehalten werden ſolle. In dieſer Hinſicht
faßte man allem Widerſpruch zum Trotz einen Beſchluß,
der noch außerordentlicher und weitausſehender war, wie
der vorjährige. Man ſetzte feſt, daß noch in dem laufen-
den Jahre im November eine Verſammlung der Stände
zu Speier gehalten werden ſolle, um darüber definitiv zu
berathſchlagen. Zu dem Ende ſollten die Fürſten von ihren
Räthen und Gelehrten die ſtreitigen Puncte verzeichnen
laſſen, über die man dort zu Rathe gehn und Beſtimmung
treffen wolle. Auch die Beſchwerden der Nation und ihre
Abhülfe wollte man da aufs neue in Erwägung ziehen.
Indeſſen ſollte, wie vor dem Jahr beſchloſſen, das heilige
Evangelium und Gottes Wort gepredigt werden. 1
[144]Drittes Buch. Viertes Capitel.
Es iſt wohl wahr: die römiſch geſinnte Partei, durch
den Sturz des Regimentes ermuthigt, hatte an dieſem
Reichstag wieder etwas mehr Einfluß: jedoch noch war
ſie durch eine überlegene Majorität beſchränkt: entſchiedner
als je nahm die Nation, dem Papſt und der Einheit der
lateiniſchen Chriſtenheit gegenüber, in kirchlichen Dingen
die volle Autonomie in Anſpruch.
Fuͤnf-
[[145]]
Fuͤnftes Capitel.
Urſprung der Spaltung in der Nation.
Es iſt ſchon faſt herkömmlich geworden — und wer
hätte nicht einmal eine Anwandlung dazu gefühlt? — die
kirchliche Reform, wie ſehr man ſie auch ſonſt billigen mag,
doch deshalb zu tadeln, weil ſie die Trennung unſrer Na-
tion in zwei niemals ganz einverſtandene und ſo oft feind-
ſelige Hälften veranlaßt habe: den Anhängern der Neue-
rung giebt man Schuld, ſich von der Einheit des Reiches
wie der Kirche abgeſondert zu haben.
So ſcheint es in der That, ſo lange man die Sachen
aus der Ferne anſieht; wenn man ihnen dagegen näher
tritt, und die Ereigniſſe ins Auge faßt welche die Spal-
tung entſchieden haben, ſo ſtellt ſich, wenn ich nicht irre,
ein ganz andres Reſultat heraus.
Welcher Confeſſion man auch heute angehören mag,
kein Menſch kann leugnen, und die katholiſch-eifrigſten Zeit-
genoſſen, z. B. Emſer, haben es bekannt, daß die latei-
niſche Kirche einer Reform bedurfte. Ihre Verweltlichung
überhaupt, der immer ſtarrer und unverſtandner ſich fort-
bildende Particularismus ihrer Dogmen und Dienſte mach-
Ranke d. Geſch. II. 10
[146]Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.
ten dieß zu einem religiöſen, die nicht allein pecuniär be-
ſchwerlichen, den Überſchuß der finanziellen Erträge auf-
zehrenden, ſondern auch übrigens die Einheit der Nation
zerſetzenden, ja jede Bildung einer ſelbſtändigen Macht ver-
hindernden Eingriffe des päpſtlichen Hofes machten es zu
einem nationalen Bedürfniß.
Und dürfte man etwa ſagen, daß dieſe Verbeſſerung
auf eine ungehörige Weiſe verſucht worden ſey?
Weder von der religiöſen noch von der nationalen
Seite würde ſich das nachweiſen laſſen.
Noch abgeſehen von allen nähern Beſtimmungen des
proteſtantiſchen Dogma, die ſich erſt nach und nach Gel-
tung verſchafften, ſo lag die Summe der religiöſen Bewe-
gung darin, daß der in die Tiefe des germaniſchen We-
ſens geſenkte Geiſt des Chriſtenthums nach und nach zu
dem Bewußtſeyn ſeines von allen zufälligen Formen un-
abhängigen Selbſt gereift war, ſich nach ſeinem Urſprung
zurückwandte, zu jenen Urkunden in welchen ſich der ewige
Bund der Gottheit mit dem menſchlichen Geſchlecht un-
vermittelt ausgeſprochen hat, hier ſeiner Wahrheit gewiß
wurde, und ſich zu einer entſchloſſenen Verwerfung unhalt-
barer Theorien und erdrückender Anſprüche ermannte.
Wer hätte ſich verbergen wollen, daß durch die hie-
mit nothwendig gewordene Abweichung von den bisheri-
gen kirchlichen Formen, die in das bürgerliche und öffent-
liche Leben ſo mächtig eingriffen, der geſammte beſtehende
Zuſtand der Nation bedroht wurde? Allein wir ſahen, wie
ſorgfältig man alle deſtructiven Elemente zu beſeitigen ſuchte,
wie man ſich ſelber bezwingend jede gewaltſame Verände-
[147]Urſprung der Spaltung in der Nation.
rung vermied und noch alles von den Beſchlüſſen des Rei-
ches erwartete.
Man werfe nicht ein, daß Zwietracht eingetreten, wie
wir bemerkten, Action und Reaction einander begegnet ſey:
wo könnte es einen bedeutenden Lebensmoment in einer
großen Nation geben, ohne dieß Hin und Wiederfluthen
entgegengeſetzter Meinungen? Es kommt nur darauf an,
daß die Entzweiungen nicht die Oberhand gewinnen, und
über ihnen noch das Prinzip der Einheit anerkannt werde.
Darauf war in Deutſchland im Jahre 1524 noch
alles angelegt.
Die der Neuerung Zugethanen hatten ſich der ver-
faſſungsmäßigen Regierung des Reiches doch immer un-
tergeordnet: unter dem Schutz und Vorgang derſelben hoff-
ten ſie zu einer den Bedürfniſſen der Nation und den For-
derungen des Evangeliums zugleich entſprechenden Umbil-
dung der geiſtlichen Einrichtungen zu gelangen.
Die Majorität des Regiments wirkte wie wir ſahen
in dieſem Sinne auf die Stände. Allen Bemühungen der
Gegner und der mannichfachen anderweiten Verwirrung
in der man war zum Trotz, bildete ſich auch in der Reichs-
verſammlung eine der Neuerung geneigte Mehrheit. Es
kamen zwei Reichsabſchiede in ihrem Sinne zu Stande.
Auch als das Regiment gefallen war, erhielt ſich dieſe
Mehrheit noch, und beſchloß auf einer Nationalverſamm-
lung, auf einen nahen Termin angeſetzt, ſich ausſchließend
mit einer definitiven Berathung über die religiöſen Ange-
legenheiten zu beſchäftigen.
Gewiß gab es für die Einheit der Nation, für die
10*
[148]Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Fortentwickelung der Deutſchen auf dem einmal eingeſchla-
genen Wege niemals eine großartigere Ausſicht.
Will man wiſſen wie ſehr ſie die Gemüther beſchäf-
tigte, ſo braucht man nur Franken ins Auge zu faſſen, wo
noch während des Sommers 1524 ſechs Gutachten alle
im Geiſte der evangeliſchen Entwickelung zum Vorſchein
kamen um auf dieſer Verſammlung vorgelegt zu werden.
Luther fühlte ſich glücklich und befriedigt, als er den Rath-
ſchlag der brandenburgiſchen Gelehrten zu Geſichte bekam:
das ſagte er ſey Münze vom rechten Schlag, mit der er
und ſeine Freunde in Wittenberg ſo lange ſchon umgegan-
gen. Nicht ſo vollkommen übereinſtimmend war das Hen-
neberger: die Lehre Luthers vom freien Willen ward darin
beſtritten; allein übrigens war es gut evangeliſch: es ver-
warf die Anrufung der Heiligen, die ſieben Sacramente,
die Mißbräuche der Meſſe. Die Eingaben von Windsheim
und Wertheim eiferten beſonders gegen die Heiligen, die
nürnberger gegen den Papſt; von den zwei Parteien welche
Rothenburg theilten erſchien wenigſtens die eine mit einem
evangeliſchen Gutachten. 1 Aber nicht minder rüſtete ſich
auch die andere, näher zum Alten haltende Seite. Unter
andern forderte Ferdinand ſeinen Univerſitäten Wien und
Freiburg ausführliche Erklärungen über die ſtreitigen Puncte
ab. In Wien ſchickten ſich die Facultäten bereits an, ihre
Gutachten aufzuſetzen, und die theologiſche ermahnte die übri-
gen, daß keine die andre beleidigen möge. 2 Man ſieht,
[149]Urſprung der Spaltung in der Nation.
in Speier würden einander die mannichfaltigſten Modifi-
cationen der Meinung entgegengetreten ſeyn, ſich gegen
einander verſucht haben. Zu welchen Reſultaten hätte es
führen müſſen, wenn man vermocht hätte, die Abſicht durch-
zuführen die man ausgeſprochen hatte, ſich gemäßigt und
friedlich zu unterreden, das Gute und Böſe von einander
zu ſondern.
Es ließ ſich wohl nichts anders erwarten als aber-
mals eine evangeliſche Majorität, wie denn der Vor-
ſchlag von einer ſolchen herrührte; allein ſo war nun
einmal die Lage der Dinge: wollte die Nation beſtehen,
ſo mußte ſie ſich der römiſchen Eingriffe erwehren: die
religiöſe Bewegung konnte nicht mehr erſtickt, ſie konnte
nur noch geleitet werden. Eben dazu war die National-
verſammlung beſtimmt. Und das wenigſtens läßt ſich nicht
ſagen, daß ſie die Einheit der Nation gefährdet hätte.
Vielmehr: wenn ſie ihren Zweck erreichte, ſo mußte ſie
dieſelbe noch viel feſter begründen.
Fragen wir nun, wer in dieſem entſcheidenden Mo-
mente ſich von der Einheit der Nation losgeriſſen hat,
ſo müſſen wir unterſuchen, wie es geſchah daß die bereits
ſo ernſtlich vorbereitete Verſammlung doch unterblieb.
Es iſt ſehr natürlich, daß ſich ihr der römiſche Stuhl
widerſetzte. So bedeutend und Zukunfterfüllt die Ausſicht
war, welche ſie der deutſchen Nation darbot, eben ſo ge-
fährlich und verderblich mußte ſie in Rom erſcheinen.
Wir haben Nachricht von einer Congregation die un-
ter dieſen Umſtänden vor Papſt Clemens VII gehalten
ward, worin man die Mittel in Berathung zog, die Bulle
[150]Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.
gegen Luther und das Wormſer Edict den beſchränkenden
Reichsabſchieden zum Trotz in Vollziehung zu ſetzen. Gar
mancherlei Vorſchläge ſind da vorgekommen, z. B. den
Herzog Friedrich von Sachſen der Chur zu berauben, wor-
auf Aleander antrug, — oder bei den Königen von
England und von Spanien die Drohung hervorzurufen,
allen Handelsverkehr mit den deutſchen Städten abbrechen
zu wollen, wovon ſich der Papſt Erfolg verſprach; am
Ende aber blieb man hauptſächlich dabei ſtehen, daß man
ſich der Verſammlung in Speier widerſetzen müſſe: ſowohl
bei dem Kaiſer, als bei den deutſchen Ständen, welche der
Legat zu bearbeiten und gegen die Verſammlung zu ſtim-
men beauftragt wurde. 1
Darauf kam es nun zunächſt an, und das iſt auch
unſre Frage, ob ſich Stände in Deuſchland finden wür-
den, die es vorzögen, ſich mit dem Papſte zu vereinigen,
ſtatt die Beſchlüſſe einer allgemeinen Verſammlung zu er-
warten.
Der päpſtliche Stuhl hatte ſchon dafür geſorgt, daß
er auf Verbündete in Deutſchland rechnen durfte: eins der
mächtigſten Fürſtenhäuſer, die Herzoge von Baiern hatte
er gewonnen.
Früher hatte man auch in Baiern von Seiten der
Regierung ſowohl wie von Seiten der Unterthanen die all-
gemeine antirömiſche Stimmung der deutſchen Nation ge-
theilt: man hatte dort weder der Bulle Leos X Folge ge-
geben, noch das Wormſer Edict beobachtet: 2 die Herzöge
[151]Verbindung des Papſtes mit Baiern.
waren über die Eingriffe der geiſtlichen Gerichtsbarkeit in
die weltliche ſo mißvergnügt wie andre Fürſten: bei Ge-
lehrten, Geiſtlichen und Gemeinen griffen Luthers Meinun-
gen eben ſo gut um ſich, wie anderwärts.
Schon gegen Ende des Jahres 1521 aber fiengen
die Herzoge an, ſich dem römiſchen Stuhle zu nähern: und
nahmen ſeitdem von Moment zu Moment immer entſchied-
ner Partei für die alten Meinungen.
Die Zeitgenoſſen leiteten das daher, weil die Kloſter-
Geiſtlichkeit in Baiern ſo mächtig ſey, ſo ausgebreiteten
Beſitz habe; 1 und gewiß hatte das Einfluß, wiewohl auf
eine etwas andre Weiſe als man ſich dachte.
Das erſte Symptom des innern Zuſammenhanges iſt
eine Bulle welche noch Leo X, unter dem 14ten Nov. 1521,
entwerfen ließ; in der er einer Commiſſion von Prälaten,
die von den Herzogen in Vorſchlag gebracht wurden, den
Auftrag ertheilte, die Klöſter zu viſitiren, Zucht und Ord-
nung in denſelben herzuſtellen. 2 Er ſtarb ehe dieſe Bulle
ausgefertigt wurde; allein er zeigte damit der bairiſchen
Regierung was ſie auf dieſem Wege erreichen könne. Eine
von dem Bisthum unabhängige, unter dem Einfluß des
Fürſtenthums ſtehende Commiſſion ward mit den Befug-
niſſen geiſtlicher Aufſicht beauftragt.
Zu dieſer Zeit war die Ingolſtadter Univerſität durch
eine peſtartige Krankheit ſo gut wie aufgelöſt. Als die
[152]Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Krankheit nachgelaſſen, und die Profeſſoren ſich wieder ver-
ſammelten, ſahen ſie doch, daß ſie ihre ſtreng-katholi-
ſche Haltung nicht würden behaupten können, wenn ſie
nicht noch auf eine andre Weiſe als durch die geiſtliche
Jurisdiction unterſtützt würden, wenn ihnen namentlich
nicht ein herzogliches Mandat gegen die Neuerungen zu
Hülfe käme, die ſonſt auch in ihrer Mitte um ſich greifen
würden. Die drei reſoluteſten Kämpfer für das alte Sy-
ſtem, Franz Burkhard, Georg Hauer und Johann Eck,
der im Herbſt aufs neue in Rom geweſen war, 1 drangen
gemeinſchaftlich darauf. Der Canzler Herzog Wilhelms,
einer der thätigſten und einflußreichſten Staatsmänner je-
ner Zeit, Leonhard von Eck ward von der Nothwendig-
keit der Sache überzeugt. 2
Auch die Herzöge wurden dafür gewonnen. Man
darf wohl annehmen, daß das Gerücht von den damals
in Wittenberg ausgebrochenen Unruhen, die Luther doch ſo
bald zu dämpfen wußte, den Wunſch ähnliche Gährungen
in ihrem Lande zu verhüten in ihnen erzeugt habe.
Am Aſchermittwoch, 5 März 1522, erließen die Her-
zoge ein Mandat, 3 worin ſie allen ihren Unterthanen bei
ſchweren Pönen geboten, bei dem Glauben ihrer Voreltern
zu verbleiben. Was für die Univerſität nothwendig er-
achtet worden, ward über das ganze Land ausgedehnt. Die
[153]Verbindung des Papſtes mit Baiern.
herzoglichen Amtleute wurden beauftragt, alle Ungehorſame,
— geiſtliche ſowohl wie weltliche, — einzuziehen und ihnen
Bericht über dieſelben zu erſtatten.
Anfangs hatte das jedoch, trotz aller Strenge die man
anwandte, nicht den erwarteten Erfolg. In Sachſen lieh
die weltliche Gewalt der biſchöflichen Autorität ihren Arm
nicht: in Baiern dagegen kamen die Biſchöfe, die es wohl
ahndeten, welche Gefahr ihrer Autonomie daher drohe, den
Tendenzen der weltlichen Gewalt nicht mit dem gehörigen
Eifer zu Hülfe. Die von den Amtleuten aufgebrachten
Anhänger Luthers ließ das geiſtliche Gericht, dem ſie über-
antwortet werden mußten, nicht ſelten wieder gehen, ohne
ſie zu ſtrafen.
Als nun Dr. Johann Eck, und zwar auf die Einla-
dung Papſt Adrians, 1 ſich im Sommer 1523 aufs neue
nach Rom begab, trugen ihm die Herzoge auf, eine förm-
liche Klage hierüber gegen die Biſchöfe zu erheben, und
auf eine ausgedehntere Befugniß der herzoglichen Gewalt
bei den Unterſuchungen gegen die Irrgläubigen in Vor-
ſchlag zu bringen. 2 Dem orthodoxen Doctor, welcher an
den engſten Berathungen über das Religionsweſen Antheil
nahm, konnte dieß nicht abgeſchlagen werden. Papſt Adrian
[154]Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.
erließ eine Bulle, in welcher einer geiſtlichen Commiſſion
die Befugniß ertheilt ward, auch ohne Mitwirkung der
Biſchöfe ſchuldig befundene Geiſtliche zu degradiren und der
weltlichen Strafgewalt zu überliefern. Adrian fügte nur
die Beſchränkung hinzu, daß die Biſchöfe noch einmal in
einem beſtimmten Termin ihre Pflicht zu erfüllen erinnert
werden ſollten: ſpäter iſt auch dieſe weggefallen.
Man ſieht wohl, nicht die Autonomie des großen
geiſtlichen Inſtitutes iſt es, was die Herzoge in ihren Schutz
nehmen: neben demſelben gründen ſie eine Autorität die
unter ihrem Einfluß ſteht, und in die eigenſten Kreiſe der
geiſtlichen Pflichten und Rechte eingreift.
Doctor Eck iſt nicht allein als ein Gegner Luthers
auf dem theologiſchen Gebiete zu betrachten. Auf Staat
und Kirche von Baiern hatte er einen außerordentlichen
Einfluß. Ihm hauptſächlich iſt die Verbindung zwiſchen
der herzoglichen Gewalt, der Univerſität Ingolſtadt und
der päpſtlichen Autorität zuzuſchreiben, durch welche dort
der nationalen Bewegung Einhalt geſchah.
Und nicht bloß um die geiſtliche Autorität war es
zu thun, ſondern auch die geiſtlichen Güter wurden ſogleich
in Anſpruch genommen.
Papſt Adrian bewilligte den Herzogen den fünften
Theil ſämmtlicher geiſtlichen Einkünfte in ihrem Gebiete:
„denn die Herzöge,“ ſagt er, „haben ſich erboten gegen
die Feinde des rechten Glaubens die Waffen zu ergreifen.“ 1
[155]Verbindung des Papſtes mit Baiern.
Als Papſt Clemens VII zur Tiara gelangte, widerrief er
alle Bewilligungen ähnlicher Art: dieſe aber hielt er doch
für gut auf die drei folgenden Jahre zu beſtätigen: ſie iſt
dann von Zeit zu Zeit erneuert worden und eine Haupt-
grundlage der baieriſchen Finanzwirthſchaft geblieben. 1
Auch die Univerſität ward hiebei nicht vergeſſen. Adrian
bewilligte, daß in jedem bairiſchen Capitel wenigſtens Eine
Domherrnſtelle an einen Profeſſor der Theologie übertra-
gen werden könne: „zur Verbeſſerung dieſer Facultät und
leichtern Ausrottung der Ketzereien, die ſich dort wie in
andern deutſchen Ländern erheben.“ 2
Noch ehe an irgend eine Staatsbildung im evange-
liſchen Sinne zu denken war, tritt uns hier eine entgegen-
geſetzte Organiſation zur Aufrechterhaltung des katholiſchen
Prinzipes entgegen, die für die Geſchicke unſers Vaterlan-
des von der größten Bedeutung geweſen iſt.
Wir ſahen ſchon, daß die Bewegungen der Epoche
weſentlich auch aus den Competenzen der geiſtlichen mit
[156]Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.
der weltlichen Gewalt herrührten: der emporkommenden
weltlichen Territorialhoheit wohnte das natürliche Beſtre-
ben bei, ſich der Eingriffe der geiſtlichen Nachbarn zu er-
wehren. Damit hatte dann die Anſicht Luthers von der
Obrigkeit den genaueſten Zuſammenhang: er ſchied dadurch
die beiden Gewalten auf immer. Die Herzoge von Baiern
fanden jedoch, daß das nicht der einzige Weg ſey, zu dem
erwünſchten Ziele zu gelangen: ſie ſchlugen vielmehr einen
gerade entgegengeſetzten ein, der bei weitem kürzer und
ſicherer war. Was man anderwärts im Kampfe mit dem
Papſt zu erreichen ſuchte, das wußten ſie ſich im Einver-
ſtändniß mit demſelben zu verſchaffen. Auf der Stelle er-
langten ſie einen bedeutenden Antheil an dem Ertrage der
geiſtlichen Güter, ein von dem päpſtlichen Stuhle beſtätig-
tes Übergewicht über die ſie umgebenden Biſchöfe in dem
nunmehr wichtigſten Zweige der geiſtlichen Gewalt ſelbſt,
wie ſich das ſehr bald in der Wirkſamkeit des baieriſchen
Religionsrathes ausſprach. Dinge, an welche die Anhän-
ger der Neuerung zur Zeit noch nicht denken durften.
Nur war dabei der große Unterſchied, daß während
dieſe die nationale Tendenz, ſich von Rom unabhängig
zu machen, verfochten, Baiern dagegen in eine noch viel
engere Unterordnung unter den römiſchen Hof gerieth, von
deſſen Bewilligung die Gerechtſame abhiengen, deren es
ſich erfreute.
Auf jeden Fall mußte nun aber eine ſo entſchiedene
Haltung eines mächtigen deutſchen Hauſes, das Beiſpiel
einer erneuerten vortheilhaften Verbindung mit Rom auf
alle Nachbarn wirken.
[157]Convent in Regensburg.
Von ſehr glaubwürdiger Seite, aus den Verhand-
lungen des Erzbiſchofs von Salzburg mit ſeinen Ständen,
kommt uns die Notiz, daß bereits in dieſer Zeit ein Ver-
ſtändniß zwiſchen Baiern und Öſtreich „wider die lutheri-
ſche Secte“ geſchloſſen worden ſey. 1
Unzweifelhaft iſt, daß Erzherzog Ferdinand auch ſchon
ohnehin in ein engeres Verhältniß zu dem römiſchen Stuhle
getreten war und ſich von demſelben zum Behuf ſeiner Ver-
theidigung gegen die Türken eine überaus ſtarke Bewilli-
gung — eines vollen Drittheils aller geiſtlichen Einkünfte
— verſchafft hatte.
In Rom verſäumte man nicht, neben den weltlichen
auch die einflußreichſten geiſtlichen Fürſten zu bearbeiten.
Dem Erzbiſchof von Salzburg wurde die oft ſtreitig gewe-
ſene Beſetzung der Bisthümer Gurk, Chiemſee, Seckau und
Lavant auch für die ſtreitigen Monate bewilligt.
So gelang es dem päpſtlichen Stuhl, in den Stän-
den wieder eine Partei für ſich zu gewinnen. Daß die
katholiſche Meinung auf dem Reichstag von 1524 ſtärker
auftrat als das Jahr zuvor, hängt ohne Zweifel damit
zuſammen.
Allein auf dem Reichstag konnte ſie wie wir wiſſen
noch nicht durchdringen. Eine Anzahl von Biſchöfen ſelbſt,
durch die von dem päpſtlichen Stuhl unterſtützten Anſprüche
des Fürſtenthums verletzt, leiſtete allen Anmuthungen ent-
ſchloſſenen Widerſtand.
Dem Legaten Campeggi ward es klar, daß auf einer
allgemeinen Verſammlung, wo die lutheriſchen Sympa-
[158]Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.
thien mit ſo großer Stärke auftraten, nichts zu erreichen
ſeyn werde. Er beklagte ſich, daß er ſich hier nicht mit
voller Freiheit äußern dürfe. 1
Dagegen, da er doch auch eine Anzahl von gleichge-
ſinnten Freunden um ſich ſah, ſo faßte er die Hofnung,
deſto mehr auf einer provinciellen Zuſammenkunft, in der
eben dieſe anweſend wären, auszurichten.
Noch in Nürnberg, wo die Nationalverſammlung zu
Speier beſchloſſen worden, brachte er eine andre in Vor-
ſchlag, welche derſelben ſchon in der Idee geradezu entge-
gengeſetzt war. Er verhehlte die Abſicht nicht, der Ge-
fahr zuvorkommen zu wollen, die von einer Verſammlung
zu erwarten ſey, wo man auf die Volksſtimme zu hören
gedenke. 2
Darauf giengen zuerſt Erzherzog Ferdinand und ei-
nige Biſchöfe, dann auch die Herzoge von Baiern ein.
Ende Juni 1524 fand die Zuſammenkunft zu Regensburg
Statt. Die Herzoge, der Erzherzog, der Legat, der Erz-
biſchof von Salzburg und außer dieſen der Biſchof von
Trient, der ohnehin im Gefolge des Erzherzogs war, und
der Adminiſtrator von Regensburg waren perſönlich zuge-
gen: durch Abgeordnete erſchienen die Biſchöfe von Bam-
berg Augsburg Speier Strasburg Conſtanz Baſel Frei-
ſing Paſſau und Brixen. Nicht allein Baiern und Öſtreich,
ſondern auch die oberrheiniſchen Gebiete, ein guter Theil
von Schwaben und Franken waren, wie man ſieht, hiebei
betheiligt.
[159]Convent in Regensburg.
Der Legat eröffnete die Verſammlung mit einem Vor-
trag über die Gefahren der religiöſen Bewegung für beide
Stände: er ermahnte ſie, ihre Irrungen fahren zu laſſen
und gemeinſchaftliche Anſtalten zu treffen, damit „die ketze-
riſche Lehre ausgerottet und der Ordnung der chriſtlichen
Kirche gelebt werde.“ Erzherzog Ferdinand unterſtützte
den Vortrag und legte den Verſammelten beſonders die
ihm gewährten Geldbewilligungen ans Herz.
Die Prälaten traten hierauf in drei Commiſſionen
auseinander, von denen die erſte die Irrungen zwiſchen
Geiſtlichen und Weltlichen, die zweite die zunächſt vorzu-
nehmenden Reformen, die dritte die über die Lehre zu tref-
fenden Anordnungen in Berathung zog. 1
Sechszehn Tag lang dauerten die Conferenzen auf
dem Regensburger Rathhaus, Vormittag und Nachmittag.
Einmal ward der Ernſt der Geſchäfte doch auch durch ei-
nen feſtlichen Nachttanz unterbrochen.
Vor allem ward die Geldbewilligungsſache aufs Reine
gebracht.
Den Biſchöfen leuchtete ein, daß die nach jedem Mo-
ment des Einſchreitens gewaltſamer aufbrauſende populäre
Gährung ihnen doch viel gefährlicher ſey als alle Ober-
hoheit des Fürſtenthums. Unter denen die wir genannt,
gab es wohl nur Wenige die nicht in ihrer Hauptſtadt
mit immer wachſendem Widerſtand zu kämpfen gehabt hät-
ten. Schon vor dem Jahr hatte es z. B. Cardinal Lang
nothwendig gefunden, 6 Fähnlein geübten Kriegsvolks in
[160]Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Salzburg einzuführen: an deren Spitze war er im rothen
zerſchnittenen Wappenrock, unter dem ein blanker Har-
niſch funkelte, in der Rechten ſeinen Regimentsſtab, da-
ſelbſt eingeritten, und hatte die Gemeine zu neuen Ver-
ſchreibungen des Gehorſams genöthigt. War vielleicht auch
noch einer und der andre wie Dieſer mit neuen Conceſſio-
nen des Papſtes begnadigt worden? Unter ihren Abge-
ordneten finden wir einige entſchieden Römiſch-geſinnte,
z. B. Andreas Hanlin von Bamberg, der ſelbſt einmal
Vicerector in Ingolſtadt geweſen war. 1 Eck und Faber
waren anweſend. Genug, die geiſtlichen Herrn fügten
ſich in das Nothwendige. Die bairiſchen bequemten ſich
ſo viel ich finde den fünften, die öſtreichiſchen den vierten
Pfennig ihrer Einkünfte der weltlichen Herrſchaft zu zahlen. 2
Hierauf ſchritt man zu den Anordnungen über Lehre
und Leben.
Die Hauptſache war, daß man jetzt eine Beſtimmung
traf, welche 1523 bei den Reichsſtänden nicht durchzuſetzen
geweſen war: man wies die Prediger für die Erklärung
der ſchwierigern Stellen der Schrift vornehmlich an die la-
tei-
[161]Convent von Regensburg.
teiniſchen Kirchenväter: was damals nicht hatte erreicht
werden können, Ambroſius, Hieronymus, Gregorius und
Auguſtin wurden als die Normen des Glaubens nahmhaft
gemacht. Früherhin hätte das als eine Conceſſion gegen
die literariſche Richtung der Zeitgenoſſen angeſehen werden
können, weil man damit doch des Zwanges der ſcholaſti-
ſchen Syſteme erledigt ward: jetzt lag vor allen Dingen
ein Gegenſatz gegen Luther und die Majorität der Reichs-
ſtände darin; wenigſtens die Grundlagen der ſpätern For-
mationen des Latinismus wollte man fürs Erſte wieder
ſanctioniren. Man beſchloß den Gottesdienſt nach der
Weiſe der Väter ungeändert aufrecht zu erhalten; den Ein-
fluß Luthers ſuchte man für die Zukunft unmöglich zu ma-
chen. Seine Bücher wurden aufs neue verboten. Allen
Unterthanen der vereinigten Fürſten ward die Univerſität
Wittenberg bei ſchweren Strafen, ſogar dem Verluſte des
Erbtheils unterſagt.
Bei alle dem war man doch auch bedacht, die Miß-
bräuche abzuſtellen, welche eine ſo allgemeine Gährung ver-
anlaßt hatten. Alle jene Erpreſſungen des niedern Clerus,
die das gemeine Volk ſo ſchwierig machten, die Nöthigung
zu theuren Begängniſſen, die drückenden Accidenzien, die
Verſagung der Abſolution um einer Schuldforderung wil-
len wurden aufgehoben; die Verhältniſſe der Pfarrer zu
ihren Gemeinen ſollten durch eine geiſtlich-weltliche Com-
miſſion neu geordnet werden. Die reſervirten Fälle wur-
den verringert, die Feſttage bedeutend vermindert, die Sta-
tionirer abgeſchafft. Man verpflichtete ſich, in Zukunft bei
der Anſtellung der Geiſtlichen zu ſorgfältigerer Berückſich-
Ranke d. Geſch. II. 11
[162]Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.
tigung perſönlicher Würdigkeit. Die Prediger wurden zu
größerem Ernſt, zur Vermeidung aller Mährchen und un-
haltbaren Behauptungen, die Prieſter zu ſittlichem unſträf-
lichem Wandel angewieſen. 1
Wir werden nicht irren, wenn wir dieſe Beſchlüſſe
als die erſte Wirkung der Reformationsbewegung auf eine
innere Reſtauration des Katholicismus bezeichnen. Wie
die Verbindung des Fürſtenthums mit dem Papſtthum
dem politiſchen, ſo entſprach dieſer Verſuch, der zunächſt
freilich ſehr unvollſtändig ausfiel, dem religiöſen Bedürf-
niß, aus dem das reformatoriſche Weſen hervorgegangen.
Beſtrebungen, die gewiß wichtiger und einflußreicher ge-
weſen ſind, als man bisher auch auf der katholiſchen Seite
angenommen hat: der moderne Katholicismus beruht zum
Theil darauf; allein kein Menſch dürfte ſie doch in Tiefe
der religiöſen Anſchauung, oder weltumfaſſender, in den Lauf
der Jahrhunderte eingreifender Genialität, in Kraft und
Innerlichkeit des Antriebes mit den Bewegungen verglei-
chen, denen Luther den Namen gab, die um ihn her ihren
Mittelpunct hatten. Man eignete ſich nur die Analogien
der letztern an: damit dachte man ſich ihnen gegenüber zu
halten. Es iſt alles ungefähr wie Doctor Eck auf Cam-
peggi’s Veranlaſſung dem Buche Loci communes von
[163]Urſprung der Spaltung.
Melanchthon ein ähnliches Handbuch, 1 wie Emſer Lu-
thern eine Bibelüberſetzung entgegenſetzte. Die Arbeiten
der Wittenberger Lehrer waren in dem naturgemäßen Laufe
ihrer innern Entwickelung, aus dem Bedürfniß ihres auf
eigner Bahn vorwärts ſchreitenden Geiſtes hervorgegangen,
voll urſprünglicher, die Gemüther hinreißender Kraft: dieſe
katholiſchen Werke verdankten ihre Entſtehung äußern Ver-
anlaſſungen, Berechnungen einer nach allen Mitteln des
Widerſtandes greifenden gefährdeten Exiſtenz.
Eben damit aber riß man ſich von der großen freien
Entwickelung los, in der die deutſche Nation begriffen
war. Worüber in Speier unter dem Geſichtspunct der
nationalen Einheit und ihrer Bedürfniſſe zu Rathe gegan-
gen, Beſchluß hatte gefaßt werden ſollen, darüber ſetzten
hier die vereinigten Gewalten einſeitige Maaßregeln feſt.
Man ſagte wohl, einer einzelnen Nation komme es nicht
zu, über Angelegenheiten der Religion, der Chriſtenheit
überhaupt Beſtimmung zu treffen: — das ließ ſich leicht
behaupten: — aber was war für die Nation zu thun,
da ſie allein von allen durch die Eigenthümlichkeit ihrer
Verfaſſung und Geiſtesentwickelung in dieſe Gährung ge-
rathen war? Anfangs hatte man auf ein unverzüglich zu
berufendes Concilium angetragen: da dieſe Hofnung ſich
in weite Ferne verzog, ſo mußte man wohl Hand anle-
gen, um für ſich ſelber zu ſorgen. Die Anordnungen von
11*
[164]Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Regensburg ſelbſt beweiſen das. Die Sache war nur:
in Speier würden nach aller Wahrſcheinlichkeit Beſchlüſſe
in Oppoſition gegen den römiſchen Papſt zu Tage gekom-
men ſeyn: in Regensburg fand man aus tauſend Rück-
ſichten für gut, ſich aufs neue mit demſelben zu vereini-
gen. Es iſt unleugbar, daß eben darin der Urſprung un-
ſrer Spaltungen liegt. Der nationalen Pflicht, die Ver-
handlungen einer bereits beſchloſſenen großen Verſammlung
zu erwarten, daran Theil zu nehmen, und fügen wir hinzu,
nach beſtem Wiſſen darauf einzuwirken, zog man die Ver-
bindung mit Rom einſeitig vor.
Und ſo war der eine Theil jener Beſchlüſſe der rö-
miſchen Congregation über Erwarten glücklich ausgeführt:
Campeggi machte darauf aufmerkſam wie nothwendig es
nun auch ſey, den andern ins Werk zu ſetzen, den Kaiſer
zu veranlaſſen, daß er ſich dieſer Sache lebhaft annehme. 1
Man verſäumte in Rom keinen Augenblick, um Carl V
auf ſeine Seite zu ziehen. Während man in den officiel-
len Erlaſſen von Regensburg diejenigen Puncte der Reichs-
abſchiede heraushob, welche dem Papſtthum günſtig laute-
teten, und die Miene annahm als ſey in ihnen das Edict
von Worms eben nur beſtätigt, ſtellte man dem Kaiſer in
Spanien vor, wie ſehr ſeine Autorität darunter leide, daß
man in zwei Reichsabſchieden nach einander ſein Edict be-
ſchränkt habe, ja es zurückzunehmen ſuche, was er ſelber
ſich nicht getrauen würde: es ſey offenbar, daß man ſich
[165]Urſprung der Spaltung.
in Deutſchland von allem weltlichen und geiſtlichen Gehor-
ſam loszureißen denke. Welch ein unerträglicher Übermuth
liege darin, daß man dort eine Verſammlung angeſetzt habe,
wo man über Dinge des Glaubens und die Angelegenhei-
ten der allgemeinen Chriſtenheit Beſchlüſſe faſſen wolle.
Gleich als komme es den Deutſchen zu, kaiſerlicher Ma-
jeſtät und der ganzen Welt Geſetze vorzuſchreiben. 1
Mit ähnlichen Gründen beſtürmte man den Verbün-
deten Carls, Heinrich VIII, der ſich in eine literariſche
Fehde mit Luther eingelaſſen; man forderte ihn auf, mit
ſeinem Einfluß bei Carl V die päpſtlichen Ermahnungen
zu unterſtützen.
Überhaupt lagen die politiſchen Verhältniſſe für eine
Einwirkung der päpſtlichen Gewalt auf den Kaiſer ſehr
günſtig. Der Krieg deſſelben gegen Franz I war erſt im
Mai 1524 förmlich ausgerufen worden und in ſeinem hef-
tigſten Feuer. Der Kaiſer griff den König von Italien
her in Frankreich ſelber an. Unmöglich konnte er den Papſt,
[166]Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.
der dieſen Angriff nicht ganz billigte, in ſeinem Rücken
verletzen, oder ihm eine Bitte abſchlagen, die ohnehin der
katholiſchen Unterweiſung entſprach, die er in ſeiner Ju-
gend empfangen.
Carl V zögerte keinen Augenblick. Schon am 27
Juli erließ er ein Ausſchreiben ins Reich, welches ganz
im Sinne des Papſtes und zwar in ungewöhnlich lebhaf-
ten Ausdrücken abgefaßt war. Er beklagte ſich, daß man
ſein Mandat von Worms nicht beobachte, daß man auf
ein allgemeines Concilium angetragen habe, ohne ihn, wie
ſich doch geziemt hätte, auch nur zu befragen. Er er-
klärte, daß er die beſchloſſene Zuſammenkunft weder zuge-
ben könne noch auch möge: die deutſche Nation wolle ſich
einer Sache unterfangen die allen andern ſelbſt mit dem
Papſt nicht erlaubt ſeyn würde, Ordnungen abändern die
ſo lange her unangefochten gehalten worden. Luthers Mei-
nungen erklärte er für unmenſchlich und verglich ihn, wie
einſt ſein Lehrer Adrian, mit Mahomet. Bei Vermeidung
des Verbrechens der beleidigten Majeſtät, Acht und Aber-
acht, verbot er die Verſammlung. 1
Dergeſtalt gelang es dem römiſchen Hof, wie er in
Deutſchland einige mächtige Glieder des Reiches auf ſeine
Seite gebracht, ſo auch deſſen Oberhaupt in Spanien zu
gewinnen, auf dieſem Wege die ihm gefährlichen Beſchlüſſe
der Reichsverſammlung rückgängig zu machen; es war
[167]Urſprung der Spaltung.
ſeine erſte kräftige Einwirkung auf die kirchlichen Angele-
genheiten in Deutſchland.
Dahin führte es, daß der Kaiſer, von Spanien aus,
eine von den innern Trieben des deutſchen Lebens unbe-
rührte, nur nach ſeinen anderweiten Rückſichten berechnete
Politik beobachtete. Überhaupt übte ſeine Regierung in
dieſen erſten Jahren nur einen negativen zerſetzenden Ein-
fluß aus. Ohne etwas Ernſtliches zu thun um die Be-
ſchwerden gegen Rom zu heben, hatte er ſich durch ſeine
politiſche Stellung zu dem Edict von Worms bewegen
laſſen, was dann nicht ausgeführt werden konnte, auf der
einen Seite die Antipathie der Nation erſt recht entflammte,
auf der andern den Anhängern der Curie eine Waffe in
die Hände gab. Die ſich bildende Conſolidation des Re-
gimentes hinderte er durch die Verwerfung des Zolles, zu
dem er doch erſt ſeine Zuſtimmung gegeben, und fand rath-
ſam es darauf ganz zu zerſprengen. Wohl ward ein an-
dres Regiment — zu Eßlingen — eingerichtet, das ſich
aber daran ſpiegelte was an dem vorigen geſchehen, und
weder Autorität genoß, noch Miene machte ſich deren zu
verſchaffen, nur der Schatten einer Regierung. Wir be-
trachteten, welche Ausſichten für die Religion ſo wie die
nationale Einheit ſich an die Verſammlung von Speier
knüpften. Von Spanien aus ward ſie verboten, gleich
als liege ein Verbrechen darin.
Und nicht allein auf Regierungseinrichtungen, Reichs-
tagsbeſchlüſſen, ſondern beſonders auf einem vertraulichern
Verſtändniß der vorherrſchenden Fürſten hat von jeher die
Einheit von Deutſchland beruht. Maximilian hatte in der
[168]Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.
zweiten Hälfte ſeiner Regierung empfunden, was ihm die
Abneigung des Churfürſten von Sachſen bedeute, und nur
durch eine Beſeitigung dieſer Zwiſtigkeit, durch das Ein-
gehn einer engen Verbindung mit dem erneſtiniſchen Sach-
ſen war die Wahl Carls V möglich geworden: auch ſeit-
dem hatte man Churfürſt Friedrich wenigſtens in allen
äußerlichen Beziehungen als einen unzweifelhaften Verbün-
deten mit großer Rückſicht behandelt. Dieſes Verhältniß
löſte der Kaiſer jetzt auf. Er fand es ſeiner Weltſtellung
angemeſſener, vortheilhafter, ſeine Schweſter Catharina mit
dem König von Portugal Johann III zu vermählen, als
mit dem Neffen des Churfürſten von Sachſen, dem er ſie
zugeſagt: er hatte Hannart beauftragt, dieſen Entſchluß dem
ſächſiſchen Hofe anzuzeigen. 1 Wir erinnern uns, wie
ſchmeichelhaft dem Bruder Friedrichs, Herzog Johann, der
Antrag geweſen war: wie er nur Einwendungen der Be-
ſcheidenheit dagegen gemacht, und zuletzt erfreut nachgege-
ben hatte. In demſelben Grade empfindlich war ihm nun
die Eröffnung Hannarts. Der ſächſiche Hof war tief be-
troffen. Die Freunde des Churfürſten in der Umgebung
des Erzherzogs hätten gewünſcht, er möchte ſich dagegen
regen: 2 allein wie er früher keinen perſönlichen Antheil an
[169]Urſprung der Spaltung.
den Verhandlungen genommen, ſo ſagte er auch jetzt kein
Wort: er bezwang ſeine Verſtimmung. Nicht ſo zurück-
haltend war Herzog Johann. Mit beleidigtem Selbſtge-
fühl wies er jede Eröffnung, jedes Anerbieten, das ihm
dagegen geſchah, von ſich: er ließ ſich vernehmen, dieſe
Sache ſey ihm tiefer zu Gemüthe gegangen als jemals
eine andre in ſeinem Leben.
Auch mit den übrigen Fürſten ſtand Oſtreich nur
ſchlecht. Das Haus Brandenburg, das ſich um der main-
ziſchen ſo wie der preußiſchen Verhältniſſe willen an das
alte Regiment geſchloſſen, war durch deſſen Sturz un-
angenehm berührt, ſein Mißvergnügen ſo augenſcheinlich,
daß dem Hochmeiſter Albrecht Anerbietungen von Frank-
reich geſchahen, obwohl er ſie nicht annahm. Die rhei-
niſchen Churfürſten hielten im Auguſt eine Zuſammen-
kunft, von der Erzherzog Ferdinand, wie er ſagt, weder
für ſich noch für ſeinen Bruder etwas Gutes erwartete. 1
Churfürſtliche Räthe verſchwiegen dem kaiſerlichen Com-
miſſarius nicht, daß man unzufrieden mit dem Kaiſer
ſey: man werde die Capitulation deſſelben vor die Hand
nehmen, und da er ſie nicht erfüllt, zu der Einrichtung
einer andern Art von Regierung ſchreiten, entweder unter
einem Statthalter, oder unter den Reichsvicarien, oder un-
ter einem römiſchen König, den man zu wählen gedenke. 2
Auf einem großen Armbruſtſchießen zu Heidelberg, wo ſich
mehrere Fürſten verſammelt, war davon die Rede; beſon-
ders ward innerhalb des pfälziſch-bairiſchen Hauſes man-
[170]Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.
cherlei Verhandlung darüber gepflogen. Nicht ſo enge war
der katholiſche Bund zwiſchen Baiern und Öſtreich, daß
nicht in Herzog Wilhelm von Baiern die Idee aufgeſtiegen
wäre, ſelber zur Krone zu gelangen.
Dergeſtalt löſte die kaum zum Bewußtſeyn ihrer Ten-
denzen gelangte Einheit der Reichsregierung ſich wieder auf:
in einem ſo unendlich wichtigen lebensvollen Momente,
in welchem alle Kräfte der Nation in gewaltiger Reg-
ſamkeit nach unbekannten Regionen drängten, ſich neue
Zuſtände zu erſchaffen trachteten, fehlte es an jeder leiten-
den Gewalt.
Daher kam es daß nunmehr die localen Mächte al-
lenthalben nach den in ihnen zur Herrſchaft gekommenen
Prinzipien verfuhren.
In den durch die Regensburger Beſchlüſſe vereinigten
Gebieten begann die Verfolgung.
In Baiern finden wir Prieſter entſetzt, oder verjagt:
adliche Beſitzer aus ihren Gütern getrieben, ſo lange bis
ſie abſchwören: — das Drückende, die ſchwüle Luft des all-
gemeinen Zuſtandes bezeichnet beſonders, was einem her-
zoglichen Beamten, Bernhard Tichtel von Tutzing begeg-
nete. Er war in Geſchäften des Herzogs auf einer Reiſe
nach Nürnberg begriffen, als ſich einer von jenen altgläu-
bigen Profeſſoren von Ingolſtadt, Franz Burkhard auf der
Landſtraße zu ihm geſellte: ſie kehrten mit einander in Pfaf-
fenhofen ein: nach dem Abendeſſen kamen ſie auf die Re-
ligionsſachen zu ſprechen. Tichtel mochte ſeinen Gefährten
kennen: er erinnerte ihn, daß das neue Edict Geſpräche
dieſer Art verbiete: Burkhard entgegnete, das ſolle zwiſchen
[171]Urſprung der Spaltung. Verfolgungen.
ihnen nichts zu bedeuten haben. Hierauf verhehlte Tichtel
nicht, das Edict werde ſich nicht durchſetzen laſſen und den
Herzogen eher zum Schimpf gereichen: er erklärte ſich ſelbſt
etwas zweideutig über das Fegfeuer, die Faſtengebote:
von blutigen Strafen wollte er nichts hören. In Burkhard,
der den Herzogen bisher die gehäßigſten Rathſchläge gege-
ben, entbrannte hierüber die wilde Wuth eines Verfolgers,
er ſagte grade heraus, Kopfabhauen ſey die gerechte Strafe
der Lutherſchen Böswichter: auch Tichtel nannte er einen
Lutheraner. Obwohl er ſich beim Abſchied verſöhnt ange-
ſtellt, eilte er doch von dem entdeckten Verbrechen Anzeige
zu machen: Tichtel ward verhaftet, in den Falkenthurm
geſperrt, einer Inquiſition unterworfen und zum Widerruf
genöthigt: nur mit großer Mühe und durch gute Fürſprache
entgieng er einer höchſt entehrenden Strafe, die dem Her-
zog bereits vorgeſchlagen worden. 1
Im Salzburgiſchen war ein wegen des Lutherthums
gefangener Prieſter, der nach Mitterſill geführt wurde, wo
er lebenslänglich gefangen ſitzen ſollte, während ſeine Scher-
gen im Wirthhaus zechten, von ein paar Bauerſöhnen be-
freit worden; dafür ließ der Erzbiſchof die armen jungen
Menſchen, ohne daß ſie in offenen Rechten verhört worden
[172]Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.
waren, an ungewohnter Richtſtatt, auf einer Wieſe vor der
Stadt, im Nonnthal, eines Morgens früh heimlich ent-
haupten. Selbſt der Scharfrichter hatte ein Bedenken,
weil die Verurtheilten nicht rechtlich überwunden ſeyen:
der Beamte des Biſchofs ſagte: „Thu was ich dich heiße
und laß es den Fürſten verantworten.“ 1
In Wien war ein Bürgersmann, Caspar Tauber,
der über die Fürbitte der Heiligen, das Fegfeuer, die
Beichte und das Geheimniß des Abendmahls unkatholiſche
Meinungen geäußert, zum Widerruf verurtheilt worden:
an einem hohen Feſttag, Mariä Geburt, wurden zu dem
Ende auf dem Kirchhof bei St. Stephan zwei Kanzeln
errichtet, die eine für den Chormeiſter, die andre für Tau-
ber, dem man die Formel des Widerrufs einhändigte, die
er ableſen ſollte. Aber ſey es nun, daß er das niemals
verſprochen, oder daß ſich jetzt eine entgegengeſetzte ſtärkere
Überzeugung plötzlich in ihm hervordrängte: als er die
Kanzel beſtiegen, und alles Volk den Widerruf erwartete,
erklärte er, daß er ſich für unwiderlegt halte, und appellirte
an das heil. Röm. Reich. Er konnte wohl wiſſen, daß
ihm dieß nichts helfen werde, er iſt kurz darauf enthaup-
tet, ſeine Leiche verbrannt worden; aber ſein Muth, ſeine
Beſtändigkeit hinterließen einen unauslöſchlichen Eindruck. 2
Noch einige andere waren mit Tauber gefangen worden:
durch ſein Beiſpiel geſchreckt leiſteten ſie den Widerruf, den
man ihnen auflegte, und kamen mit Verbannung davon. 3
[173]Urſprung der Spaltung. Verfolgungen.
Auch in den übrigen öſtreichiſchen Ländern ward mit
großer Strenge verfahren. Die drei Regierungen von Ins-
bruck, Stuttgart und Enſisheim ſetzten einen Ausſchuß zu
Engen nieder, der ſich zum Geſchäft machte, die Bewe-
gungen in ihren Gebieten zu unterdrücken. Es half den
Waldshutern nichts, daß ſie ihren Prediger, Balthaſar Hub-
meyer, entlaſſen hatten: man erklärte ihnen zu Engen, man
werde ſie ſtrafen, „man werde ihnen,“ ſo roh drückte man
ſich aus, „das Evangelium um die Ohren bläuen, daß ſie
die Hände über den Kopf zuſammenſchlagen ſollen:“ man
werde das Unkraut mit der Wurzel ausreißen; und ſchon
war den übrigen Städten die Hülfe an Geſchütz und Fuß-
volk aufgelegt, womit man Waldshut überziehen wollte,
als eine Schaar freiwilliger Schweizer beſonders von Zü-
rich der Stadt zu Hülfe kam und den Regierungs-Aus-
ſchuß doch bedenklich machte. 1
Nicht ſo leicht kam Kenzingen weg. Dieſe kleine Stadt
ward wirklich überzogen und beſetzt.
Weit und breit finden wir ähnliche Regungen. Zu-
weilen blieb man bei unblutigen Maaßregeln ſtehen: man
verbot die Bücher Luthers, duldete ſeine Anhänger nicht
auf dem Predigtſtuhl, entfernte ſie aus den fürſtlichen Rä-
then, verjagte ſie aus dem Lande: die Wirtenberger Re-
gierung ſuchte allen Verkehr mit Reutlingen abzubrechen,
weil es evangeliſche Prediger dulde. Dabei fehlte es aber
auch nicht an den grauſamſten Executionen. Wir finden
3
[174]Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Prädicanten, denen die Zunge an den Pranger genagelt
wird, ſo daß ſie, ſich ſelber verſtümmelnd, ſich losreißen
müſſen, wenn ſie wieder frei werden wollen. Der Fana-
tismus beſchränkter Mönche erwachte und ſuchte im nie-
dern wie im obern Deutſchland ſeine Opfer. Welch ein
ſchreckliches Exempel ward an dem armen Heinrich von
Zütphen zu Meldorf in Ditmarſchen ſtatuirt. Auch hier
hatte ſich eine kleine Gemeinde gebildet, die dieſen Augu-
ſtiner von Bremen auf eine Zeitlang zu ſich berief, und
von den Regenten des Landes, den Acht und vierzig, die
Zuſage erlangte, weil man ja doch eine Kirchenverſamm-
lung erwarte, daß indeß das Evangelium lauter und rein
gepredigt werden dürfe. Allein bei weitem ſtärker waren
doch noch die Gegner, der Prior der Dominicaner von
Meldorf, die Minoriten von Lunden: in Verbindung mit
dem Vicarius des biſchöflichen Officials wirkten ſie einen
entgegengeſetzten Beſchluß aus, durch den ihnen der arme
Menſch, weil er gegen die Mutter Gottes predige, über-
laſſen wurde. 1 Ein trunkener Volkshaufen — Mönche
trugen ihm die Fackeln voran — holte hierauf, bei Nacht,
im Januar, den Prädicanten aus dem Pfarrhauſe hervor:
unter greulichen Martern, bei denen ſich Ungeſchick und
Grauſamkeit vereinigten, brachten ſie ihn um.
Dem gegenüber aber ſchritt man nun auch auf der
andern Seite zu entſchiednern Maaßregeln.
[175]Urſprung der Spaltung. Staͤdte und Herren.
Unmittelbar nach jenem Convent von Regensburg,
hielten die Städte, die ſich durch die Unterſtützung bedroht
ſahen, welche ihre Biſchöfe bei den Fürſten zu finden ſchie-
nen, einen großen Städtetag zu Speier, und beſchloſſen,
recht im Gegenſatz mit jener Feſthaltung der lateiniſchen
Kirchenväter, daß von ihren Predigern nichts als das Evan-
gelium, die Prophetiſche und Apoſtoliſche Schrift gepredigt
werden ſolle. 1 Damals erwarteten ſie noch die Verſamm-
lung zu Speier: und ihre Abſicht war, einen gemeinſchaft-
lichen Rathſchlag daſelbſt einzubringen. Nachdem dieſe aber
von dem Kaiſer verboten worden, und es den Anſchein
gewann, als werde man noch einmal den ernſtlichen Ver-
ſuch machen das Wormſer Edict auszuführen, ſo vereinig-
ten ſie ſich gegen Ende des Jahres zu Ulm, gegen alle
dahin zielende Maaßregeln einander zu Hülfe zu kommen.
Weißenburg, Landau und Kaufbeuren, die ſchon Anfechtun-
gen erfuhren, empfiengen Anweiſung für ihr Benehmen
dabei.
Den Städten geſellte ſich auch ein Theil der Herrn
zu. Im Namen der Grafen am Rhein an der Eifel in
Wetterau Weſterwald und Niederland erſchien Graf Bern-
hard von Solms auf der Verſammlung und bat die Städte
um ihr Bedenken, wie über einen Reichsanſchlag gegen
die Türken, den man vorhatte, ſo in der lutheriſchen Sache.
Die Städte urtheilten mit Recht, daß ihnen dieſe Verei-
nigung ſehr nützlich ſeyn werde; nachdem einige Schriften
gewechſelt worden, ſah man ſich einverſtanden, und be-
[176]Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.
ſchloß dort zu Ulm, „ſich in dieſen wichtigen Sachen, ge-
fährlichen Zeitläuften nicht von einander zu ſondern.“ 1
Worauf es nun aber hauptſächlich ankam, auch eine
ganze Anzahl von Fürſten erklärte ſich auf eine dem Re-
gensburger Bündniß entgegengeſetzte Weiſe.
Markgraf Caſimir von Brandenburg, der ſonſt nicht
eben einen großen religiöſen Schwung gezeigt hat, konnte
doch der einmal aufgerufenen und zum Bewußtſeyn ge-
brachten Meinung ſeines Landes nicht widerſtehen: er ver-
warf den Antrag, zu jenem Bündniß zu treten, indem
er ſich auf die Verſammlung zu Speier bezog, welche da-
mals noch erwartet wurde. Als der Kaiſer ſie verbot,
ergriff er das Mittel, nunmehr wenigſtens für ſein Terri-
torium mit ſeinen Ständen übereinzukommen, daß daſelbſt
nur das heilige Evangelium und Gotteswort alten und
neuen Teſtamentes nach rechtem wahren Verſtand lauter
und rein gepredigt werden ſolle. So lautet der Landtags-
abſchied vom 1ſten October 1524. Sein Bruder Georg,
der ſich zu Ofen am Hofe von Ungern aufhielt, war da-
mit noch nicht einmal zufrieden. Er meinte, daß man das
göttliche Wort nicht allein predigen, ſondern auch allen Men-
ſchenſatzungen zum Trotz ſich ſonſt danach halten ſollte. 2
Eine höchſt unerwartete Veränderung zeigte ſich in
Heſſen. Man hatte geglaubt, jene drei Kriegsfürſten, welche
Sickingen beſiegt und das Reichsregiment geſtürzt hatten,
würden nun auch die reformatoriſchen Ideen bekämpfen,
die
[177]Urſprung der Spaltung. Evangel. Fuͤrſten.
die von ihren Gegnern unterſtützt worden waren. Allein
eben in dem kräftigſten von ihnen that ſich ſehr bald eine
ganz entgegengeſetzte Richtung hervor.
Eines Tages, im Mai 1524, begegnete Landgraf Phi-
lipp von Heſſen, indem er zu jenem Armbruſtſchießen nach
Heidelberg ritt, in der Nähe von Frankfurt dem ihm durch
den Ruf wohlbekannten Melanchthon, der eben in ſeiner
Heimath in der Pfalz geweſen, und jetzt mit ein paar gu-
ten Freunden, die ihn dahin begleitet, auf der Rückreiſe
begriffen war. Der Landgraf hielt ihn an, legte ihm, in-
dem er ihn eine Strecke mit ſich reiten ließ, einige Fragen
vor, die ſein großes Intereſſe an den religiöſen Streitig-
keiten bezeigten, und entließ endlich den überraſchten und
verlegenen Profeſſor nur unter der Bedingung, daß er ihm
ſeine Meinung über die wichtigſten angeregten Puncte ſchrift-
lich kund thun möge. 1 Melanchthon that das mit gewohn-
ter Virtuoſität: kurz bündig und überzeugend; er machte
damit einen entſcheidenden Eindruck. Nicht lange nach
ſeiner Rückkunft von dem Feſt erließ der Landgraf eben-
falls in unverkennbarem Gegenſatz mit den Regensburger
Beſchlüſſen, am 18ten Juli, ein Mandat, worin er unter
andern befahl, das Evangelium lauter und rein zu predi-
gen. Von Tag zu Tag vertiefte er ſich mehr in die ei-
genthümlichen Anſichten des neuen Dogmas: ſchon im An-
fang des folgenden Jahres hat er geſagt: er wolle eher Leib
und Leben, Land und Leute laſſen, als von Gottes Wort
weichen.
Ranke d. Geſch. II. 12
[178]Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Es ſcheint wohl, als ſey in Heidelberg überhaupt eine
auf die Religion bezügliche Abrede genommen worden. Phi-
lipp von Heſſen zweifelte anfangs nicht, daß auch der Chur-
fürſt von der Pfalz ihm nachfolgen werde. Und wenigſtens
ließ ſich dieſer letztere zu keiner Verfolgung hinreißen, wenn
es auch in ſeiner Natur nicht lag, ſo entſchieden zu Werke
zu gehn.
Dagegen konnte man den verjagten Herzog von Wir-
tenberg bereits für gewonnen achten. In Mümpelgard
hielten ſich Prädicanten nach der neuen Weiſe bei ihm auf.
Im October 1524 bezeigt Zwingli ſeine Verwunderung
und Freude, daß aus dem Saulus ein Paulus geworden. 1
Eine ähnliche unzweifelhafte Hinneigung bemerkte man
an Herzog Ernſt von Lüneburg, Neffen Friedrichs von Sach-
ſen, der in Wittenberg ſtudirt hatte und durch den Gang
der Hildesheimiſchen Angelegenheit in der Oppoſition ge-
gen Öſtreich feſtgehalten wurde. Die erſten Anfänge der
Reformation in Celle, unter ſeinem Schutze, fallen in das
Jahr 1524. 2
Ihm geſellte ſich Friedrich I zu, König von Däne-
mark, ſeit dem vorigen Jahre alleiniger Herr in Schles-
wig und Holſtein. Sein Sohn Chriſtian und deſſen Hofmei-
ſter Johann Ranzau waren auf dem Reichstag zu Worms
geweſen: voll Bewundrung für Luther, durchdrungen von
ſeiner Lehre, kehrten ſie zurück. Denſelben Mann der Lu-
thern auf jener Reiſe begleitet, Peter Suave, zogen ſie in
[179]Urſprung der Spaltung. Evangel. Fuͤrſten.
das Land. Allmählig ward denn auch der Herzog ſelber
gewonnen. Indem an ſo vielen Orten die blutige Verfol-
gung ſich erhob, erließ Friedrich I am 7ten Aug. 1524
eine Verordnung, in welcher er bei Leib und Lebensſtrafe
verbot, Jemanden der Religion halber ein Leides zuzufü-
gen: ein Jeder, erklärte er vielmehr, möge ſich nur immer
ſo verhalten wie er es gegen Gott den Allmächtigen ver-
antworten könne. 1
Und noch weitere Ausſichten eröffnete es, daß auch
ein mächtiger geiſtlicher Fürſt, der Hochmeiſter Albrecht
von Preußen, ſich von den Doctrinen des Papſtthums ab-
wandte. Während des Reichstags von Nürnberg hatten
beſonders die Predigten Oſianders Eindruck auf ihn ge-
macht: er hatte die Schrift ſelbſt in die Hand genommen,
und hielt ſich überzeugt, daß ſein Stand dem göttlichen
Wort nicht eigentlich entſpreche. 2 Dazu kam nun, daß
ihm mit dem Sturze des Regimentes, den Unfällen des
Adels überhaupt die letzte Hofnung verſchwand, Hülfe vom
Reiche gegen Polen zu erlangen. In welche Gemüthsſtim-
mung mußte er gerathen, da ihm jetzt keine Hofnung übrig
blieb, ſich den alten Feinden gegenüber zu behaupten, und
da er zugleich an ſeinem Berufe irre geworden war! In
Begleitung des ſächſiſchen Regimentsbeiſitzers Planitz, deſ-
ſen Geſinnung wir hinreichend kennen, nahm er nun ſeinen
Rückweg durch Sachſen: hier ſah er Luther. Der entſchloſ-
ſene Luther, der die Dinge in ihrer innern Nothwendigkeit
12*
[180]Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.
anſchaute, gab ihm den Rath, die Ordensregel zu verlaſſen,
ſich zu vermählen und Preußen in ein erbliches Fürſten-
thum zu verwandeln. Der Hochmeiſter hatte fürſtliche Be-
ſonnenheit und Zurückhaltung genug, um dazu nicht aus-
drücklich ſeine Beiſtimmung auszuſprechen: aber in ſeinen
Mienen las man, wie ſehr er dazu hinneigte. 1 Wir wer-
den ſehen, wie bald er, durch die Lage ſeines Landes, durch
den Gang welchen ſeine Verhandlungen nahmen vorwärts
getrieben, zur Ausführung dieſes Gedankens ſchritt.
Dieſe Folgen hatte es daß das angekündigte Natio-
nalconcilium nicht zu Stande kam.
Man könnte nicht ſagen, daß der Gewalt die Gewalt
entgegengetreten ſey, daß man dem entſchloſſenen Feſthalten
des Alten mit einem eben ſo entſchloſſenen Ergreifen des
Neuen geantwortet habe.
Wie wenig das der Fall war, zeigt ſich unter andern
an dem Beiſpiele des Churfürſten von Sachſen, der, wie
ſehr auch Luther dagegen eifern mochte, noch das ganze
Jahr 1524 in ſeinem Allerheiligenſtift die Meſſe aufrecht
erhielt, und den Mitgliedern deſſelben ihre clericaliſchen
Pflichten unaufhörlich einſchärfte.
Die Summe des Ereigniſſes iſt vielmehr: Das Reich
hatte beſchloſſen, in der großen Angelegenheit welche alle
Geiſter der Nation beſchäftigte, mit gemeinſchaftlicher Be-
rathung zu Werke zu gehn: — dem Papſt gelang es, die
Ausführung dieſer Abſicht zu verhindern, einen Theil der
deutſchen Fürſten zu einer einſeitigen Vereinbarung in ſei-
nem Sinne fortzuziehen: — die übrigen aber verfolgten
[181]Urſprung der Spaltung.
die einmal im Einklang mit den Reichsgeſetzen eingeſchla-
gene Bahn. Von der allgemeinen Verſammlung mußten ſie
wohl zurückkommen, da der Kaiſer dieſelbe ſo ernſtlich ver-
bot; aber die alten Beſchlußnahmen des Reiches dachten
ſie ſich darum nicht wieder entreißen zu laſſen. Sie blie-
ben dabei ſtehn, was im Reichsabſchiede von 1523 ver-
ordnet, was dann 1524 einigen Einwendungen und Zu-
ſätzen zum Trotz doch ſeinem weſentlichen Inhalt nach be-
ſtätigt war. Alle die mancherlei Mandate dieſes Jahres
haben im Grunde noch keinen andern Inhalt.
Dieß iſt der Urſprung der Spaltung, die ſeitdem noch
nicht wieder hat beigelegt werden können: immer in Folge
deſſelben auswärtigen Einfluſſes der ſie damals hervorrief.
Höchſt merkwürdig, daß ſich ſchon in jener Zeit alle die Hin-
neigungen offenbarten, die hernach Jahrhunderte lang aus-
gehalten haben: ihre Feſtſetzung ihren Fortgang werden wir
noch weiter zu beobachten haben; — gleich im erſten Mo-
ment aber zeigte ſich die ganze Unermeßlichkeit der Gefahr
die man damit über ſich hereinzog.
[[182]]
Sechstes Capitel.
Der Bauernkrieg.
Die öffentliche Ordnung beruht immer auf zwei Mo-
menten, einmal dem ſichern Beſtehn der herrſchenden Ge-
walten, ſodann der Meinung, die wenn nicht in jeder Ein-
zelnheit, denn das wäre weder zu wünſchen noch auch mög-
lich, doch im Allgemeinen das Beſtehende billigt, damit
übereinſtimmt.
Zu jeder Zeit wird es Streitigkeiten über die Staats-
verwaltung geben: ſo lange dabei die Grundlage der all-
gemeinen Überzeugung unerſchüttert bleibt, haben ſie eine
ſo große Gefahr nicht. Unaufhörlich ſchwanken die Mei-
nungen, bilden ſich weiter: ſo lange ihnen eine ſtarke öf-
fentliche Macht zur Seite ſteht, die ja an der Entwickelung
ſelber Theil nehmen muß, iſt keine gewaltſame Bewegung da-
von zu beſorgen.
Sobald aber in demſelben Augenblicke die conſtituir-
ten Mächte irre werden, ſchwanken, ſich anfeinden, und
Meinungen die Herrſchaft erlangen, die ſich dem Beſtehen-
den in ſeinem Weſen entgegenſetzen, dann treten die gro-
ßen Gefahren ein.
[183]Bauernkrieg.
Der erſte Anblick zeigt, daß Deutſchland jetzt in die-
ſem Falle war.
Die Reichsregierung, die mit ſo vieler Mühe zu Stande
gekommen und im Allgemeinen das Vertrauen der Nation
genoß, war geſprengt: was an deren Stelle getreten, war
nur ein Name ein Schatten. Der Kaiſer war entfernt,
und in den letzten Jahren waren ſeine Einwirkungen nur
negativer Art geweſen: er hatte nur immer das Beſchloſ-
ſene verhindert. Die beiden Hierarchien, an deren Auf-
richtung die vergangenen Jahrhunderte gearbeitet, die geiſt-
liche und die weltliche, waren in einem tiefen allgemeinen
Zwieſpalt. Das Verſtändniß der vorwaltenden Fürſten,
worauf immer die Einheit des Reiches beruht hatte, war
vernichtet. In der wichtigſten Angelegenheit, die jemals
vorgekommen, war die Ausſicht verſchwunden, es zu ge-
meinſchaftlichen Maaßregeln zu bringen.
Das hatte nun auch auf den Gang der Meinungen
eine große Rückwirkung. Bisher hatte eine Art von Ein-
verſtändniß, über das man keine Übereinkunft zu ſchließen
brauchte, das ſich von ſelbſt ergab, zwiſchen den Tendenzen
der Reichsregierung und der gemäßigten Haltung welche
Luther angenommen, beſtanden: eben dadurch hatte man
die deſtructiven Meinungen, die ſich 1522 regten, über-
winden, beſeitigen können: jetzt aber, da ſich nun keine
Veränderung durch einen Reichsſchluß weiter erwarten ließ,
konnte auch Luther ſeine überlegene Stellung nicht mehr be-
haupten, und die niedergekämpften Theorien brachen wieder
hervor. In dem Gebiete ſeines Fürſten ſelbſt, in dem chur-
fürſtlichen Sachſen, hatten ſie ſich Freiſtätten verſchafft.
[184]Drittes Buch. Sechstes Capitel.
In Orlamünde, einer von jenen dem Wittenberger Stift
zu Gunſten der Univerſität incorporirten Pfarren, predigte
Carlſtadt. Er hatte ſich hier nicht eben auf das regelmä-
ßigſte, im Widerſpruch mit den ordentlichen Collatoren,
kraft eines gewiſſen Anſpruchs den er als Mitglied des
Stiftes erhob, doch hauptſächlich durch die Wahl der Ge-
meine in Beſitz geſetzt, und nun die Bilder beſeitigt, den
Gottesdienſt auf ſeine eigne Hand eingerichtet, über die
Lehre von der Kirche, namentlich auch über die Verbind-
lichkeit des moſaiſchen Geſetzes die wunderlichſten Anſichten
verbreitet. Es kommt ein Mann vor, der auf Carlſtadts
Rath zwei Frauen zu nehmen begehrt. 1 So durchaus ver-
miſchte dieſer kühne und verworrene Geiſt das nationale
und das religiöſe Element des alten Teſtaments. Luther
meinte, in Kurzem werde man in Orlamünde die Beſchnei-
dung einführen. Er hielt es für nothwendig ſeinen Fürſten
vor allen Unternehmungen dieſer Art ernſtlich zu warnen.
Schon war auch Johann Strauß zu Eiſenach auf
einen ähnlichen Abweg gerathen. Er eiferte beſonders wi-
der die Sitte, Zinſen von einem Darlehn zu nehmen: in-
dem er meinte, an die heidniſchen Rechte der Juriſten ſey
man nicht gebunden, und dagegen die moſaiſche Einrich-
tung des Jubeljahrs, „in welchem ein jeder wieder zuge-
laſſen werden ſoll zu ſeinen verkauften Erbgütern,“ für ein
noch immer gültiges Gebot Gottes erklärte, ſtellte er den
geſammten bürgerlichen Zuſtand in Frage. 2
[185]Bauernkrieg.
Unfern von da hatte ſich Thomas Münzer eine Kirche
nach den Ideen die einſt in Zwickau und Wittenberg un-
terlegen waren gegründet. Er gieng nach wie vor von
der innerlichen Offenbarung aus, der er allein Werth bei-
legte; aber noch entſchiedner als früher predigte er die ta-
boritiſche Doctrin, man müſſe die Ungläubigen mit dem
Schwerd ausrotten und ein Reich aus lauter Gläubi-
gen aufrichten.
Es konnte ſchon an und für ſich nicht anders ſeyn, als
daß dieſe Lehren in ganz Deutſchland Anklang und Wieder-
holung fanden. Auch im Wirtenbergiſchen predigte man den
Bauern vom iſraelitiſchen Jubeljahr. „O lieber Menſch,“
ſagte Dr Mantel, „o armer frommer Menſch, wenn dieſe
Jubeljahre kämen, das wären die rechten Jahre.“ 1 Otto
Brunfels, der ſich bisher ſehr gemäßigt ausgedrückt, ließ
1524 zu Strasburg eine Anzahl Sätze über den Zehn-
ten erſcheinen, in denen er denſelben für eine Einrichtung
des alten Teſtamentes erklärte, welche durch das neue auf-
gehoben ſey, und den Geiſtlichen alles Recht dazu ab-
ſprach. 2 In Hof treffen wir noch einmal auf Nicolaus
Storch, der auch da mit ſeinen Offenbarungen Glauben
fand, und 12 Apoſtel um ſich ſammelte, die ſeine Lehre
2
[186]Drittes Buch. Sechstes Capitel.
in Deutſchland verbreiten ſollten. 1 Daß Münzer und Carl-
ſtadt, und zwar nicht ohne Zuthun Luthers, endlich aus
Sachſen entfernt wurden, trug zur Ausbreitung und Ver-
ſtärkung dieſer Bewegung ſogar noch bei. 2 Sie nahmen
beide ihren Weg nach dem Oberrhein. Erſt jetzt trat Carl-
ſtadt mit ſeiner Lehre vom Abendmahl unumwunden her-
vor: ſo unhaltbar die Auslegung ſeyn mochte, die er ſel-
ber vortrug, ſo mächtig und von unermeßlicher Wirkſam-
keit war doch die Anregung die er damit gab. Münzer
nahm ſeinen Weg über Nürnberg nach dem Hegau und
Kletgau; wie um jenen die Gelehrten ſo ſammelten ſich
um dieſen die Schwärmer: er predigte aber nicht allein
von der Verwerfung der Kindertaufe, was nun allmählig
das Wahrzeichen der auf einen allgemeinen Umſturz ſin-
nenden Partei wurde, ſondern von der Erlöſung Iſraels
und der Aufrichtung eines himmliſchen Reiches.
So kam zu dem Zerfall der herrſchenden Gewalten
die Oppoſition der Meinung gegen alles Beſtehende: einer
Meinung, welche unabſehbare Möglichkeiten einer neuen Ge-
ſtaltung der Dinge in der Ferne zeigte.
Da geſchah dann das Unvermeidliche.
[187]Bauernkrieg.
Wir haben geſehen, wie es ſeit mehr als dreißig Jah-
ren in den Bauerſchaften des Reiches gährte, wie man-
chen Verſuch der Erhebung ſie machten, welch ein mäch-
tiger Widerwille gegen alle conſtituirten Gewalten ſich in
ihnen regte. Ihre politiſchen Tendenzen waren aber von
jeher, lange ehe man an die Reformationsbewegungen
dachte, von einem religiöſen Element durchdrungen. Es
findet ſich bei jenen Barfüßern in Eichſtädt, dem Hans
Behaim im Würzburgiſchen, den Bauern in Untergrum-
bach. Joß Fritz, der 1513 den Bundſchuh zu Lehen im
Breisgau erneuerte, ward durch den Pfarrer des Ortes in
ſeinem Vorhaben beſtärkt, denn dadurch werde die Gerech-
tigkeit einen Fürgang gewinnen: Gott wolle den Bund-
ſchuh, wie man aus der Schrift beweiſen könne, es ſey
ein göttlich Ding darum. 1 Der arme Kunz in Wirten-
berg im J. 1514 erklärte, „daß er der Gerechtigkeit und
dem göttlichen Rechte einen Beiſtand thun wolle.“
Es leuchtet ein, welche Nahrung Ideen dieſer Art in
den reformatoriſchen Bewegungen, durch welche die Auto-
rität der Geiſtlichkeit ſo tief erſchüttert ward, überhaupt fin-
den mußten: aber nicht minder klar iſt es, wie die Pre-
digt, die an und für ſich andre Geſichtspuncte verfolgte,
von dieſen, ſchon vorher ſo mächtigen Regungen ergriffen
werden konnte; ſie hat dieſelben nicht erzeugt: ſie ließ ſich
vielmehr ſelber von ihnen hinreißen. Denn nicht Alle konn-
ten die Geiſter unterſcheiden, wie Luther. Man lehrte wohl,
weil alle eines Vaters Kinder und alle gleich mit dem
[188]Drittes Buch. Sechstes Capitel.
Blut Chriſti erlöſt ſeyen, müſſe es auch fortan keine Un-
gleichheit geben, weder des Reichthums noch des Stan-
des. 1 Mit den Klagen über die Mißbräuche der Geiſt-
lichkeit vereinigte man die alten Beſchwerden über Fürſten
und Herrn, ihr Kriegführen, die ſtrenge und nicht immer
rechtliche Verwaltung ihrer Beamten, den Druck unter wel-
chem der Arme ſeufze, und behauptete endlich, daß wenn
die geiſtliche Gewalt antichriſtlich ſey, es mit der weltli-
chen nicht beſſer ſtehe: des Heidenthums und der Tyran-
nei klagte man ſie an. „Es wird nicht mehr ſo gehn
wie bisher,“ ſchließt eine dieſer Schriften, „des Spiels
iſt zu viel, Bürger und Bauern ſind deſſelben überdrüßig,
alles ändert ſich. Omnium rerum vicissitudo.“ 2
Die erſte Bewegung trat in den nemlichen Gegenden ein,
wo ſich ſchon die meiſten frühern Regungen gezeigt, dort
wo der Schwarzwald die Donauquellen von dem obern
Rheinthal ſcheidet. Es kamen hier viele Umſtände zuſam-
men: die Nähe der Schweiz, mit der man in den man-
nichfaltigſten Verbindungen ſtand: die beſondre Strenge,
mit der die öſtreichiſche Regierung zu Enſisheim, jene Com-
miſſion zu Engen auch die unbeſcholtenen Prediger der
[189]Bauernkrieg.
neuen Lehre verfolgte: der Antheil den der Graf von Sulz,
oberſter Regent zu Insbruck, Erbhofrichter zu Rothweil,
perſönlich an dieſen Maaßregeln nahm, — wie denn auch
die Grafen von Lupfen und Fürſtenberg als beſondre Feinde
der Lutheriſchen und der Bauern bezeichnet wurden: — die
Anweſenheit Thomas Münzers, den ein richtig treffendes
Gefühl eben dahin gezogen: endlich wohl auch die Folgen
eines Hagelſchlages, der im Sommer 1524 die Hofnun-
gen der Ernte im Kletgau vernichtete. Schon am 24ſten
Auguſt 1524 zog Hans Müller von Bulgenbach mit ei-
ner anſehnlichen Bauernſchaar, unter ſchwarz-roth-weißer
Fahne zur Kirchweih in Waldshut ein: er verheimlichte
die Abſicht nicht, eine evangeliſche Brüderſchaft zu errich-
ten, um die Bauerſchaften im ganzen Reiche frei zu ma-
chen. Ein kleiner Beitrag, den die Mitglieder zahlten,
war dazu beſtimmt, Boten zu beſolden, um die Verbin-
dung über alle deutſche Gebiete zu verbreiten. 1 Die Un-
terthanen der Grafen von Werdenberg, Montfort, Lupfen,
Sulz erhoben ſich bereits. Die Sulziſchen fragten vorher
bei Zürich an, in deſſen Bürgerrechte ihr Herr ſtand, und
dieſe Stadt trug kein Bedenken, die Duldung evangeliſcher
Prediger zur Bedingung des Gehorſams zu machen. 2
Es wäre der Mühe werth, dem Gange dieſer Bewegun-
gen noch genauer nachzuforſchen, als es bisher geſchehen
iſt. 3 Die verſchiednen Momente, welche den Bauernauf-
[190]Drittes Buch. Sechstes Capitel.
ruhr erzeugten, greifen hier am unterſcheidbarſten in einan-
der. Auch wurden hier die erſten allgemeinen Ideen ge-
faßt; wahrſcheinlich ſind hier die zwölf Artikel entſtanden
die dann als das Manifeſt der Bauerſchaften durch das
Reich giengen.
Fürs Erſte war man jedoch noch nicht ſo gut gerü-
ſtet, um den Völkern des Erzherzogs und des ſchwäbiſchen
Bundes zu widerſtehn. Man ward im Herbſt noch ein-
mal genöthigt, die Waffen niederzulegen. Dagegen nahm
das Ereigniß im Anfang des Jahres 1525 einen entſchei-
denden Gang.
Beſonders ſchwierig waren immer die Unterthanen des
Abtes zu Kempten geweſen: ſchon dreißig Jahr früher hatte
ſich in ſeinem Gebiete ein Aufruhr erhoben, der nur mit
großer Mühe gedämpft wurde. Hier war es nun auch,
wo die Bauern im Januar 1525 den erſten Sieg erkämpf-
ten. Ohne Zweifel erhielten ſie beſonders durch die Theil-
nahme der Bürger die Oberhand. Der Abt konnte ſich
auch auf dem Schloß, wohin er geflohen, nicht behaupten,
ward nach der Stadt geführt und mußte hier einen ſehr
nachtheiligen Vertrag unterſchreiben. Die Bauern begnüg-
ten ſich mit der Beute, die ſie im Kloſter machten. 1
Dieſer erſte Vortheil war nun eine Aufmunterung für
alle Gleichgeſinnte.
[191]Bauernkrieg.
Im Februar erhoben ſich die Allgauer wider den Bi-
ſchof von Augsburg: Dietrich Hurlewagen von Lindau
führte ſie an. Auf ihre Aufforderung geſellten ſich ihnen
die Seebauern zu, weit und breit an dem Bodenſee, unter
Eitelhans von Theuringen: wer ſich nicht freiwillig an-
ſchloß, ward mit Gewalt genöthigt; nirgends durfte die
große Glocke zum Gottesdienſt angezogen werden: wenn
man ſie hörte, bedeutete es Sturm, und alles Volk lief
auf den Sammelplatz zu Bermatingen. 1 Anfang März er-
hob ſich ein dritter Haufe, am Ried, dem das Volk an
der Iller zulief, unter Ulrich Schmid von Sulingen. Ihr
Glück war, daß der mächtige ſchwäbiſche Bund, der ſich
auf der Stelle rüſtete, 2 durch einen Einfall des Herzogs
von Wirtenberg in ſein Land beſchäftigt wurde. Was
würde geſchehen ſeyn, wenn die Eidgenoſſenſchaft, auf die
ſich dieſer Fürſt abermals verließ, bei ihm ausgehalten und
wozu ſie ein gewiſſes Intereſſe zu haben ſchien, zugleich
die Partei der Bauern ergriffen hätte. Allein ſie berief
ihre Leute auch dieß Mal ab: der Herzog mußte weichen,
und der Anführer der Bundestruppen Georg von Truch-
ſeß konnte in der zweiten Hälfte des März ſich gegen die
Bauern wenden. Es gelang ihm in der That einige feſte
Plätze zu nehmen, einige abgeſonderte Trupps auseinander
zu ſprengen: die Maſſen aber waren durch den Verzug des
Angriffs ſo ſtark geworden, daß man ihnen im Großen
nichts anhaben konnte. Von dieſen Leuten waren nicht
[192]Drittes Buch. Sechstes Capitel.
Wenige ſelbſt unter den Fahnen der Landsknechte in den
Waffen geweſen; das Gefühl der Wahrhaftigkeit hatte ſie
zur Erhebung gereizt; in den Bundestruppen ſelbſt regte
ſich wohl ein gewiſſes Einverſtändniß mit ihnen. Und in-
deß wurden ſie durch immer neue Haufen verſtärkt. An-
fang April ſammelte ſich alles Volk des Schwarzwaldes
vom Wutachthal bis zum Dreiſamthal um jenen Hans
Müller von Bulgenbach. Glänzend anzuſehen, mit rothem
Mantel und rothem Barett, an der Spitze ſeiner Anhän-
ger zog er von Flecken zu Flecken; auf einem mit Laub
und Bändern geſchmückten Wagen ward die Haupt und
Sturmfahne hinter ihm hergefahren. 1 Ein Zierhold bot
allenthalben die Gemeinden auf und verlas die zwölf Ar-
tikel. Denn nicht zu einer Empörung mit ganz unbeſtimm-
ter Ausſicht forderte er auf: in dieſen zwölf Artikeln wa-
ren ſehr poſitive Forderungen ausgeſprochen: ein Jeder
erfuhr, was er zu erwarten habe, wofür er die Waffen er-
greife. Die zwölf Artikel enthalten dreierlei Anſprüche.
Vor allem wird darin die Freiheit der Jagd, des Fiſch-
fanges, der Holzung, Abſtellung des Wildſchadens gefor-
dert. Wie oft, ſeit der Gründung des feudaliſtiſchen Staats
haben die Bauern in allen Ländern Klagen über ihre Be-
ſchränkungen in dieſer Hinſicht ausgeſprochen; ſchon im
Jahr 997 in der Normandie finden wir ſie. 2 Ferner dran-
gen die Bauern auf die Abſtellung einiger neu aufgelegten
Laſten, neuer Rechte und Strafen, ungewohnter Anmaa-
ßun-
[193]Bauernkrieg.
ßungen der Herrn über die Gemeindegüter. Es wird durch
die glaubwürdigſten Zeugniſſe beſtätigt, daß eben das Wei-
ter-um-ſich-greifen der Herrſchaften den nächſten Anlaß zu
der allgemeinen Aufregung gegeben hatte. Endlich aber
traten auch hier die geiſtlich-reformirenden Beſtrebungen
ein. Die Bauern wollen nicht mehr leibeigen ſeyn, denn
Chriſtus hat auch ſie mit ſeinem koſtbaren Blute erlöſt;
ſie wollen den kleinen Zehent nicht mehr zahlen, ſondern
nur den großen, 1 denn dieſen allein hat Gott im alten
Teſtamente feſtgeſetzt; endlich fordern ſie das Recht, ihre
Prediger ſelbſt zu wählen, um von ihnen in dem wahren
Glauben unterwieſen zu werden, „ohne den ſie nichts ſeyn
würden als Fleiſch und Blut und zu gar nichts nütze.“ 2
Man ſieht, nichts Geringes führten die Bauern im Schilde;
mit wie vieler Vorſicht auch ihre Artikel abgefaßt ſind, ſo
würden ſie doch eine totale Emancipation zur Folge ge-
habt haben. Hans Müller ſprach die Hofnung aus, ſie
ohne Schwerdſchlag ins Werk zu ſetzen. Wer ſich wei-
gere ſie anzunehmen, werde von der chriſtlichen Vereini-
gung in Bann erklärt, aller bürgerlichen und nachbarli-
Ranke d. Geſch. II. 13
[194]Drittes Buch. Sechstes Capitel.
chen Hülfe beraubt werden. Auch die Herrn von den
Schlöſſern, auch die Mitglieder der Klöſter und Stifter
werde man in die Vereinigung aufnehmen, wenn ſie ein-
treten und in Zukunft in gewöhnlichen Häuſern leben wol-
len wie andre Leute; dann werde man ihnen alles verab-
folgen, was ihnen aus göttlichem Rechte gebühre. Jene
erſte noch vage Idee der evangeliſchen Brüderſchaft hatte
nunmehr, wie man ſieht, einen beſtimmten Inhalt. Die
Bauern faßten ihre Anſprüche in einer Formel zuſammen,
zu deren Annahme ſie die Herrn zu zwingen gedachten.
Im Laufe des April 1525 ließ es ſich in der That
an als würde es noch dahin kommen.
Schon gegen Ende März hatte ſich die Bewegung
auch in Franken erhoben. In einem Thale des Odenwal-
des, genannt der Schüpfergrund, verſammelten ſich ein paar
tauſend Bauern, aufgeregt durch die zwölf Artikel, die
ihnen zu Handen gekommen, und wählten den Wirth von
Ballenburg, Georg Metzler, in deſſen Hauſe ſie die erſten
Vorbereitungen getroffen, einen verwegenen Menſchen, der
im Saus und Braus eines vielbeſuchten Wirthshauſes ſeine
2
[195]Bauernkrieg.
Tage zugebracht, zu ihrem oberſten Hauptmann. 1 In
Böckingen, in Mergentheim, an gar manchen andern Or-
ten wurden ähnliche Verſammlungen gehalten. Man be-
gann in der Regel damit die Faſten zu brechen: ein Ge-
lag ward veranſtaltet, bei dem dann der Beredteſte Un-
zufriedenſte das Wort nahm: die zwölf Artikel wurden
hervorgezogen geleſen und gebilligt: ein Anführer ward er-
nannt, die Sturmglocke gezogen; ſo brach der Aufruhr los,
der faſt allenthalben damit anfieng daß man ſich eines
Mehlvorraths, eines Weinkellers bemächtigte, oder einen
herrſchaftlichen Teich ausfiſchte. Einzeln wären dieſe Be-
wegungen leicht zu erſticken geweſen: ihre Wiederholung
an ſo vielen Orten gab ihnen Kraft. Den bedeutendſten
Charakter entwickelten ſie in Rothenburg an der Tauber.
Als ſich die Bauern in der Landwehre regten, fanden ſie
in der Gemeine, die ſchon lange mit ihrem Rathe unzu-
frieden war, vielmehr Beiſtimmung als Widerſtand: ein
Ausſchuß ward gebildet, der den Rath ſtürzte und eine
Verwaltung eben im Sinne der Empörung zu gründen
unternahm. 2
Es muß unerörtert bleiben, wie viel jene Boten aus-
gerichtet haben, von deren Abſendung Hans Müller vor
dem Jahre geſprochen, ob eine wirkliche Verabredung Statt
gefunden hat: ſo viel aber ſehen wir, daß man in Fran-
13*
[196]Drittes Buch. Sechstes Capitel.
ken daſſelbe Verfahren einſchlug, welches Müller auf dem
Schwarzwald angekündigt. Um frei zu werden, beſchloß
man die einzelnen Herrſchaften zu nöthigen, die zwölf Ar-
tikel anzunehmen: jedoch immer unter den localen Modi-
ficationen die man nöthig erachtete und mit dem Vorbe-
halt weiterer Reformen. Unverweilt ſchritt man an dieß
Werk. Zwei Haufen begaben ſich ins Feld, der eine, der
ſich den ſchwarzen nannte, von Rothenburg her, unter
Hans Kolbenſchlag, der andre, der helle, vom Odenwald
unter Georg Metzler. Die fränkiſchen Bauern hatten es
bei weitem leichter als die ſchwäbiſchen: kein Bundesheer
trat ihnen entgegen; der Junker von Roſenberg, der Com-
thur des deutſchen Ordens zu Mergentheim, 1 die Grafen
von Hohenlohe und Löwenſtein wurden genöthigt, die Be-
dingungen zu unterſchreiben die ihnen die Bauern mach-
ten, und ſich der Reform, die ſie einführen würden, im
Voraus zu unterwerfen. Die Grafen Georg und Albrecht
von Hohenlohe bequemten ſich, auf dem Grünbühl vor
dem Heere der Bauern zu erſcheinen: „Bruder Georg und
Bruder Albrecht,“ rief ihnen ein Keßler von Öhringen zu,
„kommt her und gelobt den Bauern, bei ihnen als Brü-
der zu halten, denn auch ihr ſeyd nun nicht mehr Herrn,
ſondern Bauern.“ 2 Wehe denen, die ſich widerſetzten, wie
Graf Helfenſtein in Weinsberg. In den Bauern entzün-
dete ſich bei dem erſten Widerſtand ihre angeborne Roheit
zu dem wildeſten, übermüthigſten Blutdurſt: ſie ſchwuren
[197]Bauernkrieg.
alles zu tödten was Sporen trage; als ſie Helfenſteins
mächtig geworden, war es vergebens, daß ſich ſeine Ge-
mahlin, natürliche Tochter Kaiſer Maximilians, ihren Kna-
ben auf dem Arm vor den Oberhäuptern niederwarf: man
bildete eine Gaſſe, ein pfeifender Bauer ſchritt dem Schlacht-
opfer voran: unter Trommeten und Schalmeienklang ward
Helfenſtein in die Spieße ſeiner Bauern gejagt. Da beugte
ſich Jedermann: der ganze Adel vom Odenwald bis an
die ſchwäbiſche Grenze nahm die Geſetze der Bauern an:
die Winterſtetten, Stettenfels, Zobel, Gemmingen, Frauen-
berg, die Grafen von Wertheim und Rheineck: die Ho-
henlohe gaben den Bauern jetzt auch ihr Geſchütz. 1 Um
der Sache ein Ende zu machen, nahmen beide Haufen
ihren Weg wider den mächtigſten Herrn in Frankenland,
der den Titel des Herzogs daſelbſt führte, wider den Bi-
ſchof von Würzburg. Sie hatten ſich auf dem Zug nicht
allein bereichert und verſtärkt, ſondern auch mit nahmhaf-
ten Hauptleuten aus dem Ritterſtand verſehen. Die An-
führung des Odenwalder Haufens hatte Götz vvn Berli-
chingen übernommen — zum Theil wohl, weil es gefährlich
geweſen wäre, ſich zu widerſetzen, aber zugleich angezogen
durch die kriegeriſche Thätigkeit die ſich ihm hier darbot, in
der er nun einmal lebte und webte, zumal da ſie gegen ſeine
alten Feinde im ſchwäbiſchen Bund gerichtet war: 2 — den
Rothenburger führte Florian Geier. Am 6ten und 7ten
Mai erſchienen ſie von verſchiednen Seiten her vor Würz-
burg, freudig empfangen von den Bürgern der Stadt,
[198]Drittes Buch. Sechstes Capitel.
welche ſich jetzt zu reichsſtädtiſchen Freiheiten zu erheben
gedachten, 1 und ſchwuren einander nicht zu verlaſſen, bis
der Frauenberg erobert ſey, wo die letzte Kraft der Rit-
terſchaft und des Fürſtenthums in Franken, die ſich jetzt
vereinigt hatten, verſammelt war.
Und in dieſem Augenblick, Ende April, Anfang Mai
1525, war bereits in ganz Oberdeutſchland ein ähnlicher
Zuſtand eingetreten. Allenthalben waren Bewegungen aus-
gebrochen und im Grunde auch überall ſiegreich geblieben.
Der Biſchof von Speier hatte die Bedingungen der
Bauern eingehen müſſen: 2 der Churfürſt von der Pfalz
hatte ſich in freiem Felde bei dem Dorfe Horſt vor ihnen
geſtellt und ihnen Erledigung ihrer Beſchwerden auf die
Grundlage der 12 Artikel verſprochen. 3 Im Elſaß war
ſelbſt die Reſidenz des Biſchofs, Zabern in die Hände der
Bauern gefallen: die Einwohner der kleinen Städte erklär-
ten, ſie hätten keine Spieße um die Bauern zu ſtechen:
deren Hauptleute, der Schlemmerhans und der Deckerhans
hatten einen Augenblick die Herrſchaft. Da Markgraf
Ernſt von Baden die Bedingungen der Bauern nicht ein-
gehn wollte, wurden ſeine Schlöſſer eingenommen, und er
mußte flüchtig werden. Die Ritterſchaft des Hegau ward
[199]Bauernkrieg.
in der Stadt Zell am Unterſee von den Bauern eingeſchloſ-
ſen und belagert. Auch der gewaltige Truchſeß an der
Spitze der ſchwäbiſchen Bundesvölker mußte ſich endlich
zum Vertrag mit den Bauern von Allgau, See und Ried
bequemen und ihnen eine Erledigung ihrer Beſchwerden
unter Vermittelung der Städte verſprechen. Ein Glück
wenn ſie ſich nur noch auch auf die Zukunft verweiſen lie-
ßen. In Wirtenberg wollten ſie von keinem Landtag mehr
hören, ſondern alles augenblicklich ihrer chriſtlichen Ver-
einigung unterwerfen, die ſich bereits über den größten
Theil des Landes verbreitete: jeder Ort ſtellte eine beſtimmte
Anzahl Leute ins Feld. Der Biſchof von Bamberg, der
Abt von Hersfeld, der Coadjutor von Fulda hatten ſich
zu geiſtlichen und weltlichen Conceſſionen verſtanden: der
letzte mit beſonders leichtem Sinne: ſchon ließ er ſich als
Fürſt von der Buchen begrüßen; auch ſein Bruder der
alte Graf Wilhelm von Henneberg nahm den Bund der
Bauern an und verſprach alles frei zu laſſen, „was Gott
der Allmächtige gefreiet in Chriſto ſeinem Sohn.“ 1 Viel-
leicht den kühnſten Verſuch einer Umgeſtaltung aller Ver-
hältniſſe machten die Einwohner des Rheingau. Noch ein-
mal verſammelten ſie ſich auf dem Grund und Boden ihrer
uralten Malſtatt, der Lützelaue, zu St. Bartholomä, 2 und
vereinigten ſich, vor allem ihre alte Verfaſſung zurückzufor-
dern, das Haingericht nach dem alten Rechte, die Herſtellung
des Gebickes, welches das Land in eine Art von Feſtung
[200]Drittes Buch. Sechstes Capitel.
verwandelte, überdieß aber eine gleichmäßige Herbeiziehung
der weltlichen und geiſtlichen Herrn zu den Laſten der Ge-
meine, Verwendung der Kloſtergüter zum Nutzen der Land-
ſchaft; gelagert auf dem Wachholder bei Erbach, in offe-
ner Empörung nöthigten ſie Statthalter, Dechant und Ca-
pitel, ihre Forderung in der That zu bewilligen. 1 Auch in
Aſchaffenburg mußte der Statthalter des Erzbiſchofs von
Mainz die Bedingungen der Bauern eingehn.
Dergeſtalt war der ganze ſchwäbiſche und fränkiſche
Stamm der deutſchen Nation in einer Bewegung begrif-
fen, die ſich zu einer vollſtändigen Umkehr aller Verhält-
niſſe anließ; ſchon nahmen neben den Bauerſchaften auch
eine ganze Anzahl von Städten daran Antheil.
Zuerſt geſellten ſich die kleineren Städte zu ihnen: wie
Kempten, ſo Leipheim und Günzburg an der Donau, die
freilich dafür ſehr bald geſtraft wurden, die neun oden-
wäldiſchen Städte im Mainzer Oberſtift, die Städte im
Breisgau, wo wohl hie oder da ein Stadtſchreiber den
Bauern ſelbſt die Thore öffnete; ſie hätten ohnehin nicht
die Kraft gehabt Widerſtand zu leiſten und theilten die mei-
ſten Beſchwerden der Bauern; die bambergiſchen faßten
die kühne Idee, die benachbarten Edelleute zu nöthigen,
in ihre Ringmauern zu ziehen und Bürger zu werden; bei
50 Schlöſſer ſind hier geſtürmt worden. 2 — Dann wur-
den auch einige Reichsſtädte zweiten und dritten Ranges
in Güte oder mit Gewalt herbeigezogen, Heilbronn, Mem-
[201]Bauernkrieg.
mingen, Dünkelſpiel, Wimpfen; Rothenburg trat endlich
in feierlicher Verſammlung in der Pfarrkirche auf hundert
und ein Jahr in den Bund der Bauern. Windsheim
ward nur durch die Abmahnungen von Nürnberg zurück-
gehalten. Aber ſelbſt in den größern Städten regten ſich
ähnliche Tendenzen. Mainz forderte die ihm nach dem
letzten Aufruhr entriſſenen reichsſtädtiſchen Rechte wieder
zurück. Der Rath von Trier drang nicht allein auf
eine Herbeiziehung der Geiſtlichen zu den bürgerlichen La-
ſten, ſondern nahm ſogar einen Antheil an den geiſtli-
chen Gefällen in Anſpruch, die bei den Reliquien im
Dome einkamen; 1 in Frankfurt ſah ſich der Rath ge-
nöthigt, die ihm von der Gemeine vorgelegten Artikel von
Wort zu Wort anzunehmen. 2 Zu ſeiner Entſchuldigung
führt er an daß das auch in gar manchen andern Reichs-
ſtädten geſchehe. Man bemerkte, Strasburg nehme die
Empörer als Bürger auf, Ulm unterſtütze ſie mit Waffen,
Nürnberg mit Proviant. Schon findet ſich ein Gelehrter,
der die Meinung hegt, die Bewegung rühre faſt noch
mehr von den Städten her als von den Bauern, durch
jüdiſche Emiſſäre habe man dieſe erſt aufgereizt: der Sinn
der Städte ſey, ſich der fürſtlichen Gewalt überhaupt zu
entziehen und zu leben wie Venedig oder die alten Repu-
bliken. 3
So wenig das auch Grund hatte, — wir wiſſen ſehr
[202]Drittes Buch. Sechstes Capitel.
wohl, mit welchem Eifer manche Reichsſtadt, z. B. Nürn-
berg, die beginnende Bewegung in ihrem eignen Gebiet
zu unterdrücken bemüht war: wir ſehen allenthalben, wie
die den bäuriſchen entſprechenden ſtädtiſchen Gährungen
nur durch die Gelegenheit hervorgerufen werden, — ſo
ſpringt doch in die Augen, wie ſtark und umfaſſend durch
das Hinzutreten dieſes zweiten Elementes die Empörung,
die allgemeine Gefahr werden mußte.
Da iſt nun überaus merkwürdig, welche Ideen in
dieſem Moment emporſtiegen.
Die Bauern in Franken faßten Pläne zu einer Re-
formation des Reiches.
So tief lag dieſe Beſtrebung, man möchte ſagen, im
Blute der Nation. Was die Fürſten auf ſo vielen Reichs-
tagen vergebens verſucht hatten, was auch Sickingen drei
Jahr früher mit den Rittern auf ſeine Weiſe auszufüh-
ren beabſichtigt, das glaubten jetzt die Bauern durchſetzen
zu können: natürlich in einem Sinne der ihrer Erhebung
überhaupt entſprach.
Man wollte vor allem verſuchen, der in ſich zügel-
loſen Bewegung eine allgemeine Leitung zu geben. In
Heilbronn ſollte eine gemeinſchaftliche Canzlei für alle Hau-
fen, eine Art von Regierung eingerichtet werden. Die
Maſſen ſelbſt ſollten nach Hauſe an ihr Tagewerk gehn,
nur ein Aufgebot ſollte im Felde bleiben, und es ſein Ge-
ſchäft ſeyn laſſen, die noch Unüberwundenen zur Annahme
der zwölf Artikel zu nöthigen.
Indem man dann weiter an eine definitive Einrichtung
dachte, war die vornehmſte Idee, die alles beherrſchte, fol-
[203]Bauernkrieg.
gende. Die Bauern ſollten von allen drückenden Gerecht-
ſamen geiſtlicher und weltlicher Herrſchaften befreit werden.
Zu dem Ende wollte man zu einer allgemeinen Säculariſa-
tion der geiſtlichen Güter ſchreiten. Indem dadurch die
geiſtlichen Herrſchaften weggefallen wären, hätte man auch
die Möglichkeit erhalten, die weltlichen zu entſchädigen: denn
nicht ohne Entſchädigung wollte man die letztern ihrer Rechte
berauben. Die Maſſe der Güter war aber ſo groß, daß
man damit auch noch alle öffentlichen Bedürfniſſe des Rei-
ches zu befriedigen hoffte. Alle Zölle ſollten aufhören,
alle Geleite; nur immer im zehnten Jahr ſollte man eine
Steuer zu bezahlen haben: für den römiſchen Kaiſer, 1 deſ-
ſen Schirm und Schutz in Zukunft allein herrſchen würde,
ohne alle andre Verpflichtung. Die Gerichte ſollten nach
einem umfaſſenden Grundſatz umgeſtaltet und populariſirt
werden. Vier und ſechzig Freigerichte ſollten im Reiche
beſtehen, mit Beiſitzern aus allen Ständen, auch aus den
geringern; ſechzehn Landgerichte, vier Hofgerichte, Ein Kam-
mergericht; alle auf ähnliche Weiſe organiſirt. Das Kam-
mergericht ſollte folgende Mitglieder haben: zwei von Fürſten,
zwei von Grafen und Herrn, zwei von der Ritterſchaft, drei
von den Reichsſtädten, drei von den Fürſtenſtädten, vier von
allen Communen im Reiche. Gedanken, die ſchon öfter ge-
faßt waren, die z. B. ſchon in einer 1523 erſchienenen Schrift:
[204]Drittes Buch. Sechstes Capitel.
Nothdurft deutſcher Nation, ausgeſprochen ſind, jetzt aber
von ein paar geſchickten und kühnen Bauernanführern, Fried-
rich Weigant von Miltenberg, und Wendel Hipler, früher ho-
henlohiſchem Canzler, aufgenommen und ausgebildet wurden. 1
Beſonders die Doctoren des römiſchen Rechtes waren den
Bauern verhaßt: zu keinem Gericht ſollten ſie zugelaſſen
werden: nur an den Univerſitäten wollte man ſie dulden,
um ſich in dringenden Fällen Raths bei ihnen zu erholen.
Auch übrigens ſollten alle Stände auf ihre urſprüngliche
Beſtimmung zurückgeführt werden: die Geiſtlichen nur die
Hüter ihrer Gemeine ſeyn: Fürſten und Ritter ſich den
Schutz der Schwachen angelegen ſeyn laſſen und ſich brü-
derlich halten: alle Communen eine Reformation nach göttli-
chem und natürlichem Recht erfahren: nur Eine Münze ſollte
gelten: man wollte gleiches Maaß und Gewicht einführen.
Ideen einer radicalen Umwälzung, wie ſie erſt in der fran-
zöſiſchen Revolution wieder zum Vorſchein gekommen ſind.
Allein ohne Ausſicht waren ſie nicht. Jeden Moment
[205]Bauernkrieg.
breitete ſich die Bewegung weiter aus. Sie hatte ſchon
Heſſen ergriffen, und ſuchte von hier aus den ſächſiſchen,
von Oberſchwaben den bairiſchen Stamm, von Elſaß her
Lothringen zu erreichen und zu überfluthen. Übereinſtim-
mende Regungen finden wir in Weſtphalen, z. B. in Mün-
ſter, wo die Stadt ihrem Capitel gegenüber die nemlichen
Forderungen aufſtellt wie dort Trier, und der Biſchof ſchon
fürchtet, in Kurzem das ganze Land von dem Sturme
ergriffen zu ſehen; 1 in den öſtreichiſchen Vorlanden, wo
die Widerſtrebenden in der That mit jener Acht der
Bauern heimgeſucht wurden; in allen Alpengegenden; in
Tirol ſah ſich Erzherzog Ferdinand genöthigt, den Aus-
ſchüſſen der zwei Stände von Inn und Wippthal in of-
fenbarem Widerſpruch mit den Regensburger Beſchlüſſen
die Bewilligung zu machen, daß das Evangelium in Zu-
kunft „lauter und klar, wie das der Text vermag, gepredigt
werden ſolle;“ 2 im Stifte Brixen ſtellte ſich der Secretär
des Biſchofs Michael Geißmayr an die Spitze des Auf-
ruhrs; in Salzburg ſammelten ſich auf den Ruf der Sturm-
glocke die Bergknappen bei den Kirchen. Selbſt zwiſchen
[206]Drittes Buch. Sechstes Capitel.
Wien und Neuſtadt ſprachen die Hauerknechte in den Wein-
bergen von einer Verbindung, die es ihnen möglich mache,
binnen wenigen Stunden bei zehntauſend Mann ins Feld
zu ſtellen. 1
Indeſſen war der Aufruhr auch in Thüringen losgebro-
chen, und da in ein neues Stadium ſeiner Entwickelung
getreten.
Es ſollte faſt ſcheinen, als hätten in Thüringen und
am Harz Überlieferungen des flagellantiſchen Spiritualis-
mus, deſſen Spuren wir dort noch bis ans Ende des funf-
zehnten Jahrhunderts begleiten, 2 den Boden für die bäuri-
ſchen Unruhen vorbereitet. Wenigſtens waren hier die Mo-
tive religiöſer Schwärmerei noch ſtärker als die politiſchen.
Jene Meinungen, welche Luther einſt in Wittenberg be-
ſiegt, gegen deren Feſtſetzung in Thüringen er ſeinen Fürſten
gewarnt, fanden jetzt Gehör bei einer großen aufgeregten Po-
pulation. Münzer war nach Thüringen zurückgekehrt: in
Mühlhauſen, wo wie in Rothenburg durch das Einver-
ſtändniß des Landvolkes und der geringeren Bürgerclaſſe
eine Änderung der Verfaſſung und des Rathes herbeige-
führt worden war, hatte er Aufnahme gefunden, und die
Gährung in weiten Kreiſen um ſich her verbreitet. Er ver-
[207]Bauernkrieg.
achtete, wie wir wiſſen, das „gedichtete Evangelium,“ das
Luther predigte, ſeinen „honigſüßen Chriſtus,“ ſeine Lehre
daß der Widerchriſt zerſtört werden müſſe durch das Wort
allein, ohne Gewalt: er behauptete, das Unkraut müſſe
ausgerauft werden zur Zeit der Ernte, ſo habe Joſua die
Völker des gelobten Landes mit der Schärfe des Schwer-
tes getroffen. 1 Auch mit den Verträgen, welche die Bauern
in Schwaben und Franken ſchloſſen, war er unzufrieden.
Viel weiter giengen ſeine Gedanken. Er fand es unmög-
lich den Leuten die Wahrheit zu ſagen, ſo lange ſie von
den Fürſten regiert würden. Er erklärte es für unerträg-
lich, daß alle Creatur zum Eigenthum gemacht worden ſey,
die Fiſche im Waſſer, die Vögel in der Luft, das Gewächs
auf Erden: — auch die Creatur müſſe frei werden, wenn
das reine Wort Gottes aufgehen ſolle. Alle Begriffe, auf
denen der Staat beruht, ſtößt er um: nur die Offenbarung
[208]Drittes Buch. Sechstes Capitel.
erkennt er an. „Aber ein neuer Daniel,“ ſagt er, „muß
ſie auslegen und an der Spitze des Volkes einhergehn wie
Moſe.“ In Mühlhauſen gelangte er zu dem Anſehn eines
Herrn und Propheten. Er ſaß mit zu Rathe: er ſprach
Recht, nach der Offenbarung, unter ſeiner Leitung wurden
die Klöſter eingezogen, Geſchütze gegoſſen, mit gewaltigem
Caliber, kriegeriſche Unternehmungen vollzogen. Erſt wur-
den die Pfarren im Gebiet des Herzog Georg überfallen,
dann wurden mit Hülfe des empörten Volkes die Klöſter
geſtürmt, wie am Harz Michelſtein, Ilſenburg, Walken-
ried, ſo in der güldnen Aue Kelbra, Donndorf, Roßleben,
Memleben, alle andern in der großen Thüringer Ebene bis
hinan in den Wald; in Reinhardsbrunn wurden die Denk-
male der alten Landgrafen verwüſtet, die Bibliothek zer-
ſtört. 1 Hierauf griff man, wie im Eichsfeld, ſo in Thü-
ringen die Schlöſſer und Höfe der Herrn an. Hier hören
wir nicht von Bedingung und Vertrag, von jener Aus-
ſicht auf eine künftige Reformation: es war auf das all-
gemeine erbarmungsloſe Verderben abgeſehen. „Lieben Brü-
der,“ ſchrieb Münzer an die Bergleute zu Mansfeld, „laßt
Euch nicht erbarmen, ob Euch Eſau gute Worte gebe;
ſehet nicht an den Jammer der Gottloſen. Laſſet Euer
Schwerd nicht kalt werden vom Blut: ſchmiedet Pinke-
panke auf den Amboß Nimrod, werft ihm den Thurm zu
Boden, weil ihr Tag habt.“ „Daß du es wiſſeſt,“ ſchrieb
er an Graf Ernſt zu Heldrungen, „der allmächtige ewige
Gott hat es geheißen dich mit der Gewalt die uns gege-
ben,
[209]Bauernkrieg.
ben, vom Stuhl zu ſtoßen. 1 Als das Landvolk von
Schwarzburg ſich gegen den Grafen erhoben, auch hier ein-
verſtanden mit den kleinen Städten, und ſich in einen ſtar-
ken Haufen zu Frankenhauſen geſammelt, fürchtete Münzer
nur den Abſchluß eines Vertrages, Betrug wie er ſich aus-
drückt durch die Gerechtigkeit, und erhob ſich in Perſon aus
dem feſten Mühlhauſen, um das zu verhindern, und das
„Neſt der Adler“ anzugreifen. Aus der Apocalypſe be-
wies er, daß die Gewalt dem gemeinen Volk gegeben wer-
den ſolle. „Macht Euch mit uns an den Reigen,“ ſchrieb
er an ſeine Freunde zu Erfurt: „den wollen wir gar eben
treten: wir wollen es den Gottesläſterern bezahlen, wie ſie
der armen Chriſtenheit mitgeſpielt haben.“ Er unterzeichnet
ſich „Thomas Münzer mit dem Schwerd Gideonis.“
Eine gewaltige Stellung hatte Thomas Münzer doch,
ſo ſehr er auch ein Schwärmer war. Die ſpiritualiſtiſchen
Meinungen früherer Jahrhunderte durchdrangen ſich in ihm
mit den Tendenzen geiſtlicher und weltlicher Reform, welche
jetzt emporgekommen. Er bildete eine Meinung aus, die
ſich an das gemeine Volk wandte, es zur Vernichtung al-
ler beſtehenden Ordnung aufforderte, und die unbedingte
Herrſchaft eines Propheten vorbereitete. Rings umher auf
allen Bergen von Thüringen und Meißen ſammelten ſich
Volkshaufen, 2 erwartungsvoll nach einem erſten entſchied-
nen Erfolg ſeines Unternehmens, dem ſie ſich anzuſchließen
Ranke d. Geſch. II. 14
[210]Drittes Buch. Sechstes Capitel.
geſonnen waren. Über ganz Deutſchland hätten dann die
Fluthen in dieſer Richtung hingewogt.
So kam es endlich zu Tage, was ſich ſchon lange
angekündigt: nachdem die Gewalten, welche den deutſchen
Staat conſtituirten, an einander und unter ſich ſelber irre
geworden, erhoben ſich die elementaren Kräfte, auf denen
er beruhte. Aus dem Boden zuckten die Blitze auf: die
Strömungen des öffentlichen Lebens wichen aus ihrem ge-
wohnten Laufe: das Ungewitter der Tiefe, das man ſo
lange brauſen gehört, entlud ſich gegen die obern Regionen:
es ſchien ſich alles zu einer vollkommenen Umkehr anzu-
laſſen.
Treten wir dieſem größten Naturereigniß des deutſchen
Staates in ſeiner Totalität noch einmal näher, ſo können
wir mehrere Stufen darin unterſcheiden.
Der Urſprung deſſelben lag ohne Zweifel in der grade
in den letzten Jahren angewachſenen Bedrückung des Bauern-
ſtandes, der Auflegung neuer Laſten, und zugleich in der
Verfolgung der evangeliſchen Lehre, die den gemeinen Mann
in Deutſchland mehr als früher oder ſpäter irgend ein gei-
ſtiges Element ergriffen, zu ſelbſtthät[i]ger Theilnahme an-
geregt hatte. Es hätte ſich denken laſſen, daß die Bauern
dabei ſtehn geblieben wären, die willkührlichen Anforderun-
gen zu verweigern, und ſich die Freiheit der Predigt zu ver-
ſchaffen: damit würden ſie noch keineswegs alle Macht der
beſtehenden Ordnung wider ſich aufgerufen, ſie würden ſich
vielleicht eine bedeutende Zukunft geſetzlichen Fortſchrittes
geſichert haben.
Ja ſelbſt noch mehr ließ ſich erreichen. An ſo vielen
[211]Bauernkrieg.
Orten ſehen wir Verträge ſchließen, in welchen die Herr-
ſchaften von ihren früher erworbenen Rechten die drückend-
ſten aufgaben: es ließe ſich denken, daß man dieſelben von
beiden Seiten beobachtet hätte und dadurch in ein rechtlich
beſtimmtes Verhältniß zu einander getreten wäre.
Allein es liegt nun einmal nicht in der Natur des
Menſchen ſich mit einem beſchränkten Gewinn zu begnü-
gen; und die ſiegreiche Menge wird niemals verſtehn inne
zu halten. Es erwachte wohl hie und da eine verworrene
Erinnerung an alte Gerechtſame der Volksgemeinden: oder
man fühlte ſich nicht minder wehrhaft als die Ritter —
wie denn der Aufruhr zugleich als ein Symptom des wie-
der emporkommenden Fußvolkes angeſehen werden muß: —
hauptſächlich aber Haß und Rachſucht die ſich lange ange-
ſammelt fanden endlich Raum ſich zu entladen. Indem ei-
nige Oberhäupter ſich vermaaßen, in dem Reiche eine beſ-
ſere Ordnung zu ſtiften, fluthete die wilde Zerſtörung von
Schloß zu Schloß von Kloſter zu Kloſter, und bedrohte be-
reits die Städte die ſich nicht anſchloſſen: der Bauer meinte
wohl, er dürfe nicht ruhn, bis es in Deutſchland nichts wei-
ter gebe als Bauernhäuſer. 1 Und mit dieſer Wuth traf nun
14*
[212]Drittes Buch. Sechstes Capitel.
der Fanatismus der ſchwärmeriſchen Predigt zuſammen, der
die Zerſtörung rechtfertigte, ſich berufen glaubte, Blut zu ver-
gießen und nach der Eingebung des Momentes, die er für
göttlich erklärte, ein neues himmliſches Reich aufzurichten.
Wäre es gelungen, ſo wäre es mit aller ruhigen Entwicke-
lung nach den dem Geſchlechte der Menſchen nun einmal
vorgeſchriebenen Geſetzen am Ende geweſen. Glücklicherweiſe
konnte es nicht gelingen. Zu ſeinem gigantiſchen Unterneh-
men war Münzer lange nicht Prophet noch Held genug.
Dazu waren auch die beſtehenden Zuſtände doch zu gut
befeſtigt. In der reformatoriſchen Bewegung ſelbſt war
das ſtärkſte und in ſich wahrhaftigſte Element ihm entgegen.
Luther hatte ſich von Sickingen und den Rittern
zu keinem politiſchen Unternehmen fortreißen laſſen: auch
die Bewegung der Bauern konnte ihn nicht anfechten. An-
fangs, als ſie noch unſchuldiger ausſah, redete er zum
Frieden: er hielt den Fürſten und Herrn ihre Gewaltthä-
tigkeiten vor: zugleich aber verdammte er doch den Auf-
ruhr, der wider göttliches und evangeliſches Recht laufe,
den beiden Reichen, dem weltlichen und dem geiſtlichen,
der deutſchen Nation den Untergang drohe. 1 Wie ſich
nun aber dieſe Gefahr ſo raſch entwickelte, ſeine alten
Gegner, „die Mordpropheten und Rottengeiſter,“ in dem
Tumult ſo mächtig hervortraten, wie er wirklich fürchten
mußte, die Bauern möchten obſiegen, was dann nichts als
der Vorbote des jüngſten Tages ſeyn könne, brach ſein
voller Ingrimm los. Bei dem unermeßlichen Anſehen das
1
[213]Bauernkrieg.
er genoß, was hätte es für Folgen haben müſſen wenn
er ſich zu ihnen geſchlagen hätte! Aber er hielt feſt an
der Trennung des Geiſtlichen und Weltlichen, die einen
der erſten Grundbegriffe alles ſeines Denkens ausmacht:
an der Lehre, daß das Evangelium die Seelen frei mache,
nicht Leib und Gut. Man hat in der Predigt den Ur-
ſprung des Aufruhrs ſehen wollen, wir wiſſen, wie es
darum ſtand; vielmehr bedachte ſich Luther wie drei Jahr
früher ſo auch jetzt keinen Augenblick, ſich dem Sturme entge-
gen zu werfen, die allgemeine Zerſtörung, die er mit deutli-
cher Vorausſicht kommen ſah, an ſeinem Theile zu verhüten.
Hundertmal, ſagte er, ſolle ein frommer Chriſt den Tod
leiden, ehe er ein Haar breit in die Sache der Bauern
willige: die Obrigkeit ſolle kein Erbarmen haben, die Zeit
des Zornes und des Schwerdes ſey gekommen, ſie ſolle
drein ſchlagen weil ſie eine Ader regen könne, das ſey die
göttliche Pflicht die ihr obliege. Wer in dieſem Dienſt um-
komme, der ſey ein Märtyrer Chriſti. So kühn er die Eine
Seite der beſtehenden Ordnungen, die geiſtliche angegriffen,
ſo gewaltig hielt er an der andern, der weltlichen feſt. 1
Da ermannten ſich auch ſchon die weltlichen Gewalten
ſelbſt, in dieſer größten Gefahr die ſie je beſtanden.
Zuerſt erhob ſich eben der, der gegen Sickingen das
Beſte gethan, der junge Philipp von Heſſen. Gegen Aus-
[214]Drittes Buch. Sechstes Capitel.
gang April verſammelte er ſeine Ritter und Getreuen von
den Städten in Alsfeld; auf ſeine Frage betheuerten ſie
ihm mit aufgereckten Fingern, bei ihm leben und ſterben zu
wollen. Vor allem ſuchte er nun ſeine eignen Grenzen zu
ſchützen: er beruhigte Hersfeld und Fulda, und zwar nicht
ohne Gewaltthat, obwohl ſie die Sage mythiſch vergrö-
ßert hat; dann ſtieg er über das Gebirg nach Thüringen,
um hier ſeinen ſächſiſchen Vettern, mit denen er in alter
Erbeinigung ſtand, zu Hülfe zu kommen. 1
Hier war in dem Augenblick, als ſich dieſe Stürme
am gewaltigſten erhoben, der Churfürſt Friedrich geſtorben.
Wie contraſtirt mit der ungeſtümen Kampfeswuth, welche
Deutſchland erfüllte, das ſtille Zimmer zu Lochau, wo Frie-
drich, gefaßt in ſeinen peinlichen Schmerzen, den Tod er-
wartete. „Ihr thut Recht,“ ſagte er zu ſeinem Prediger und
Secretär Spalatin, der ſich nach langem Bedenken das
Herz gefaßt hatte, ſich bei ihm melden zu laſſen, „daß ihr
zu mir kommt, denn Kranke ſoll man beſuchen,“ ließ den
niedrigen Seſſel auf dem er ſaß an den Tiſch rollen, legte
ſeine Hand in die Hand dieſes Vertrauten ſeiner letzten
Jahre, und ſprach noch einmal mit ihm von den Dingen
der Welt, von dem Bauernaufruhr, von Dr Luther, und
von ſeinem nahen Heimgang. Er war ſeinen armen Leu-
ten immer ein milder Herr geweſen: auch jetzt ermahnte
er ſeinen Bruder, vorſichtig und nachgiebig zu Werke zu
gehn; 2 vor der Gefahr daß die Bauern Herrn werden möch-
[215]Tod Friedrichs d. W.
ten erſchrak er nicht, ſo ernſtlich er ſie ſich auch vorſtellte:
denn ſey es nicht Gottes Wille, ſo werde es doch nicht
geſchehn. Dieſe Überzeugung, die ihn während der luthe-
riſchen Bewegungen geleitet und muthig erhalten hatte, er-
hob ſich ihm mit doppelter Zuverſicht in ſeinen letzten Mo-
menten. Er hatte keinen Blutsverwandten um ſich: Nie-
mand als ſeine Diener. Bis hieher war der Gegenſatz
nicht gedrungen, der ſonſt allenthalben Herrſchende und
Dienende entzweite. „Lieben Kindlein,“ ſagte der Fürſt, „habe
ich Einen von Euch beleidigt, ſo bitte ich ihn mir es um
Gottes Willen zu vergeben: wir Fürſten thun den armen
Leuten mancherlei das nicht taugt.“ Es war nur von Gott
die Rede, von dem frommen Gott der die Sterbenden trö-
ſtet. Zum letzten Mal ſtrengte Friedrich das erſterbende
Licht ſeiner Augen an, um eine Tröſtung ſeines Spalatin
zu leſen; dann empfieng er von einem Geiſtlichen den er
liebte, das Abendmahl unter beiderlei Geſtalt. In ihm
war die neue Lehre, die unter ſeinem vorſichtigen Schirme
gediehen, ſchon nicht mehr jene Weltmacht die ſich im
Kampfe zu behaupten hat und eine neue Zukunft ankün-
digt: ihm war ſie nur das wahrhaftige Evangelium, chriſt-
liches Bewußtſeyn, Andacht und Troſt der Seele. Der
Menſch überläßt die Welt ſich ſelber und zieht ſich auf ſein
perſönliches Verhältniß zu dem Unendlichen, zu Gott und
der Ewigkeit zurück. So ſtarb er: 5ten Mai 1525. „Er
war ein Kind des Friedens,“ ſagte ſein Arzt, „friedlich
iſt er verſchieden.“ 1
Es war ein ſchwerer Regierungsantritt, der ſeines
[216]Drittes Buch. Sechstes Capitel.
Nachfolgers, des nunmehrigen Churfürſten Johann, mit-
ten in dem gefährlichſten wildeſten Aufruhr. An Nachgie-
bigkeit war nicht mehr zu denken: zwiſchen Friedrich und
Johann iſt ein Verhältniß wie zwiſchen Luthers erſter und
zweiter [Schrift]: von Zweifel und gutem Rath zu entſchied-
ner Feindſeligkeit. Zur guten Stunde kam ihm Philipp
von Heſſen zu Hülfe: auch Herzog Georg und Herzog Hein-
rich erſchienen im Felde; vier Fürſten mit ihren Reiſigen
zogen dem Bauernhaufen entgegen.
Münzer hatte an der Anhöhe über Frankenhauſen eine
Stellung genommen, wo man das lange Thal vor ſich
hin überſieht, gleich als wollte er ihnen predigen; aber zur
Vertheidigung bot ſie ihm keinen Vortheil dar. Münzer
zeigte eine völlige Unfähigkeit. Nicht einmal Pulver für
ſeine mühſam gegoſſenen Stücke hatte er ſich verſchafft:
ſeine Leute waren auf das elendeſte bewaffnet: eine a[nn]ſe-
lige Wagenburg hatten ſie um ſich geſchlagen. Der Pro-
phete, der ſo viel von der Macht der Waffen geredet, der
alle Gottloſen mit der Schärfe des Schwertes vertilgen
wollen, ſah ſich genöthigt, auf ein Wunder zu zählen, deſ-
ſen Ankündigung er in einem um die Mittagsſtunde ſich
zeigenden farbigen Ringe um die Sonne erblickte; als das
feindliche Geſchütz zu ſpielen anfieng, ſtimmten die Bauern
ein geiſtliches Lied an; ſie wurden ganz geſchlagen und zum
größten Theile umgebracht. Hierauf ergriff der Schrecken,
den eine halbvollbrachte Miſſethat begleitet, das ganze Land.
Alle Bauernhaufen liefen auseinander, alle Städte ergaben
ſich; auch Mühlhauſen fiel, ohne eine rechte Vertheidigung
zu wagen. 1 In dem Lager vor Mühlhauſen, wo er eine
[217]Bauernkrieg.
Zeitlang geherrſcht, ward auch Münzer hingerichtet. Es
war, als wäre er bis in die letzte Stunde von einem wil-
den Dämon beherrſcht. Als man ihn an die Unzähligen
erinnerte die er ins Verderben gebracht, in den Qualen
der Tortur ſchlug er ein Gelächter auf und ſagte: ſie ha-
ben es nicht anders haben wollen. Er beſann ſich nicht auf
die Artikel des Glaubens als er zum Tode geführt ward.
In dieſem Momente bewegte ſich der Angriff auch
von allen andern Seiten gegen die Haufen der Bauern
daher.
Herzog Anton von Lothringen kam mit den Garni-
ſonen aus der Champagne und Bourgogne, und einigen
Fähnlein deutſcher Landsknechte und Reiter dem Landvogt
Mörsperg in Elſaß zu Hülfe. Einige zerſtreute Haufen
vernichtete er im freien Felde; dann capitulirten die in Za-
bern Verſammelten; aber man gab ihnen Schuld, noch
nachher ſey ein Verſuch von ihnen gemacht worden, die
Landsknechte zum Übertritt zu bewegen; indem ſie auszo-
gen, am Morgen des 17ten Mai, wurden ſie angefallen
und niedergemetzelt: an Zahl ſiebzehntauſend. 1
Da war auch Wirtenberg wieder in die Hände des Bun-
des gefallen. Der Bundeshauptmann Truchſeß, durch ſeinen
Vertrag mit den Seebauern in ſeinem Rücken einigermaaßen
geſichert, hatte die wirtenbergiſchen Empörer bei Sindelfingen
erreicht, ſie erſt durch ſein Feldgeſchütz außer Faſſung gebracht,
dann mit ſeiner überlegenen wohlgewappneten Reiterei zuſam-
1
[218]Drittes Buch. Sechstes Capitel.
mengehauen; hierauf hatte er Amt für Amt, Stadt für Stadt
beſetzt, und zog nun gegen Franken. Hier kamen ihm die
beiden andern Fürſten die gegen Sickingen gefochten, die
Churfürſten von Trier und Pfalz, von Bruchſal her, das
ſie indeß eingenommen hatten, entgegen. Zwiſchen Helspach
und Neckarſulm auf dem offenen Feld vereinigten ſich die
beiden Heere am 29 Mai. Sie bildeten eine Maſſe von
dritthalbtauſend M. zu Pferd und 8000 z. F., 1 und nah-
men nun vereint ihren Weg nach Franken.
Wie wichtig war es da, daß das Schloß von Würz-
burg jenen beiden gewaltigen Haufen der fränkiſchen Bauern
noch immer Widerſtand leiſtete. Anfangs hätte die Beſatzung
ſich wohl bequemt, die zwölf Artikel anzunehmen, ſchon
war ſie von dem Biſchof dazu ermächtigt: und ein Theil
der Bauern wollte darauf eingehn, er wollte ſeinen be-
drängten Verbündeten von andern Seiten Hülfe leiſten kön-
nen. Aber die Bürger von Würzburg wollten das Schloß,
das ihnen einen Zaum anlege, nicht länger über ſich dulden,
und bewirkten, daß der Beſatzung die unannehmbarſten Be-
dingungen vorgelegt wurden. Hierauf entſchloß ſich dieſe
zu männlichem Widerſtand. Sebaſtian von Rotenhan, der
an dem Reichsregiment dem Fortgang der lutheriſchen Lehre
ſo großen Vorſchub geleiſtet, hatte die Feſtung mit allen
Bedürfniſſen, auch mit Pulvermühlen und Zugmühlen ver-
ſehen, in den Gräben ſtarke Zwerchzäune, um das Schloß
den lichten Zaun aufgerichtet, und die Beſatzung zu dem
Verſprechen bewogen, das auch ſie mit aufgereckten Fingern
[219]Bauernkrieg.
leiſtete, den Sturm redlich zu beſtehn. An dem 15ten
Mai, dem Tag der Frankenhäuſer Schlacht, Abends um
9, liefen die Bauern den Sturm an: unter Trommeten,
Pfeifen und lautem Geſchrei, mit fliegenden Fahnen.
Von dem Schloß antwortete man ihnen mit Pechringen,
Schwefelringen, Pulverblitzen und unaufhörlichem Schie-
ßen aus allen Schießluken der Mauern und Thürme.
Prächtig und ſtolz nahm ſich das einſame Schloß aus,
unter dem Leuchten dieſes mannichfaltigen Feuers, durch
das es den wilden Feind abwehrte, der Frankenland be-
zwungen und Deutſchland gefährdete. Das Geſchütz ent-
ſchied auch hier den Sieg, wie bei Frankenhauſen und bei
Sindelfingen. Zwei Uhr nach Mitternacht wichen die
Bauern zurück. 1
An eine Erneuerung ihres Angriffs war nicht zu den-
ken. Von allen Seiten trafen die Nachrichten von den
Niederlagen ihrer Freunde ein: von Moment zu Moment
wälzte ſich die Gefahr gegen ſie ſelber drohender heran.
Einen Augenblick verſuchten ſie noch durch Unterhand-
lung ſich zu ſchützen. Aufs neue boten ſie jetzt der würz-
burgiſchen Beſatzung die zwölf Artikel an; den heranrücken-
den Bundesoberſten Truchſeß luden ſie ein, Tag und Ort
zu einer vermittelnden Zuſammenkunft zu beſtimmen: durch
ein allgemeines Ausſchreiben an die Stände des Reichs
ſuchten ſie die empfehlenswerthe Seite ihrer Abſichten hervor-
zukehren; die fränkiſchen Stände insbeſondere forderten ſie
auf, Abgeordnete nach Schweinfurt zu ſenden, um gemein-
ſchaftlich „über die Aufrichtung des Wortes Gottes, Friedens
[220]Drittes Buch. Sechstes Capitel.
und Rechtens“ zu berathſchlagen. 1 Allein das war jetzt
alles zu ſpät. Zutrauen hatten ſie nie gehabt, jetzt war
auch das Glück von ihnen gewichen: ſie mußten Herrn
in dem Feld bleiben oder unterliegen.
Ohne Verzug rückte das vereinigte Heer gegen ſie
heran: alle Ortſchaften die es berührte, ergaben ſich ihm
auf Gnade und Ungnade: am 2ten Juni ſtieß es bei Kö-
nigshofen auf den erſten Haufen der Bauern. Es war
der odenwäldiſche, er hatte den Muth gehabt, dem ſiegrei-
chen Feinde entgegenzugehn. Allein er war bei weitem zu
ſchwach, wohl nicht über 4000 M. ſtark 2 und hatte über-
dieß nur die ſchlechteſten Anſtalten getroffen. Die Bauern
verſäumten, die Furten der Tauber zu beſetzen: auf dem
Mühlberg ſchlugen ſie um ihr Gepäck her ihr Lager hinter
einer Wagenburg auf: glücklich wenn ſie den Feind nur
noch hier erwartet hätten! Indem ſie aber erſchreckt durch
die ſich entwickelnde Übermacht deſſelben einen nahen Wald
zu gewinnen ſuchten, luden ſie ihn zu augenblicklichem
Angriff ein: die Reiſigen fielen ihnen in die offne Flanke:
die Fürſten ſelbſt waren bei dem Einhauen: im Nu,
ehe noch die Landsknechte angekommen, war der ganze
Bauernhaufe zerſtreut. 3 Da hatte eine falſche Siegesnach-
richt auch den Rothenburger Haufen vermocht, ſeine Stel-
[221]Bauernkrieg.
lung bei Würzburg zu verlaſſen. Am 4ten Juni fiel auch
er im freien Felde den Reiſigen in die Hände und wurde
völlig aus einander geſprengt. Beide Siege waren mit
gräßlichen Metzeleien verknüpft. Ihrer ſechshundert, die
ſich in einem feſten Hauſe bei Ingolſtadt zur Wehre ge-
ſetzt, wurden alle bis auf ſiebzehn niedergemacht.
Wie die Thüringer, Elſaſſer, Wirtenberger, ſo waren
nun auch die beiden großen fränkiſchen Haufen, die ganz
Deutſchland zu reformiren gedacht, vernichtet; wie jene
Provinzen, ſo ward jetzt auch Franken von den alten Herr-
ſchaften beſetzt und gezüchtigt.
Am 7ten Juni mußte ſich Würzburg auf Gnade und
Ungnade ergeben. Wie war den alten Herrn vom Rathe
zu Muthe, als ſie auf dem Markt verſammelt, ihr graues
Haupt entblößt, die einrückenden Anführer des Bundeshee-
res begrüßten, und ihnen Truchſeß erklärte, ſie ſeyen alle
meineidig und ehrlos geworden, ihr Leben ſey verwirkt.
In Würzburg allein wurden 60 Schuldige aus Stadt und
Land hingerichtet: ſo bewegte ſich das ſchwere Blutgericht
durch das ganze Stift: man zählte 211 in aller Form
Hingerichtete; alle Waffen mußten ausgeliefert, neue Pflich-
ten geleiſtet, Brandſchatzungen gezahlt werden: die alten
Kirchengebräuche ſtellte man her. Indeſſen nahm Mark-
graf Caſimir von Brandenburg das übrige Franken ein:
Bamberg, Schweinfurt, Rothenburg; nirgends war an ei-
gentlichen Widerſtand zu denken; dann ſuchte er die Wi-
derſpenſtigen in ſeinen eignen Landſchaften heim.
Es war nun noch übrig, die Reſte der Empörer, die
ſich am Oberrhein und Mittelrhein hielten, zu erſticken.
[222]Drittes Buch. Sechstes Capitel.
Den Mittelrheiniſchen begegnete das zurückziehende
trieriſch-pfälziſche Heer bei Pfeddersheim; 1 es gieng wie
bisher allenthalben: die Bauern wurden aus einander gejagt
und niedergemacht: der kriegeriſche Erzbiſchof ſoll mehrere
mit eigener Hand erlegt haben; hierauf unterwarfen ſich
die Landſchaften. Auch die Rheingauer mußten ihre Waf-
fen ausliefern und Brandſchatzung zahlen. Mainz mußte
auf die kaum wiedererworbenen Freiheiten Verzicht leiſten: in
Trier war man nur glücklich, daß man ſich nicht ernſtlich
geregt hatte: alle Pläne die man gefaßt, ließ man fallen.
Eine bei weitem ſchwerere Aufgabe hatte das große
Heer des Bundes am Oberrhein. Hier war der Aufruhr
zuerſt entſprungen: und hatte daſelbſt ſeine tiefſten Wur-
zeln: noch war dort nie etwas Entſcheidendes ausgerich-
tet worden. Die Allgauer waren jetzt wieder im Feld er-
ſchienen, eine nicht geringe Anzahl verſuchter Landsknechte
ſtanden in ihren Reihen. Selbſt dem Geſchütz des Truch-
ſeß wußten ſie zu antworten, und dachten noch einmal
daran ſich ſelbſt in Angriff zu werfen. Glücklicherweiſe
kam der in ſo vielen Feldzügen erprobte Georg Frunds-
berg dem Truchſeß noch zur rechten Zeit zu Hülfe. Es
iſt wohl ſehr wahrſcheinlich, 2 daß er auch perſönlich auf
einige Anführer der Bauern, ſeine alten Kriegscameraden
und Untergebnen, Einfluß ausübte. Oder geſchah es des-
wegen, weil es ihnen an Kriegsvorräthen fehlte? Genug ſie
trennten ſich und zogen ſich nach den Gebirgen. Truch-
[223]Bauernkrieg.
ſeß eilte ihnen nach und fieng an ihre Dörfer zu verbren-
nen. Zwar verbot ihm das der Bund, aber er lachte die-
ſer Befehle: er, der Baurenjörg, verſtand ſein Handwerk
beſſer: er wußte, daß dieß das Mittel war, einen jeden
an ſeine Heimath denken zu machen. Er hielt ſeine Trup-
pen zuſammen: ſo wie dann die einzelnen Haufen ſich nä-
herten, ward es ihm leicht ſie zu ſchlagen. Auch hier ward
der gewohnte Gehorſam wiederhergeſtellt.
So ward die große Bewegung gedämpft, welche dem
deutſchen Weſen eine vollſtändige Umkehr drohte. Mit
allen jenen Plänen einer neuen Einrichtung des Reiches von
unten her, oder gar der ſchwärmeriſchen Umbildung der
Welt unter der Leitung eines fanatiſchen Propheten war
es nun auf immer vorbei.
Wo die Waffen entſchieden hatten, galt das Kriegs-
recht. Die grauſamſten Executionen wurden vollzogen:
harte Brandſchatzungen eingefordert: hie und da wohl ſelbſt
noch drückendere Geſetze aufgelegt.
Nur da, wo es nicht ſo weit gekommen war, wo
die Bauern nicht gradezu Niederlagen erlitten hatten, ſind
ihnen, nachdem nun alle jene weitausſehenden Ideen von
ſelbſt beſeitigt waren, einige Erleichterungen gewährt worden.
Der Graf von Sulz kam mit ſeinen Unterthanen über-
ein, einen Austrag ihrer Zwiſtigkeiten durch gemeinſchaft-
liche Bevollmächtigte zu verſuchen: Erzherzog Ferdinand be-
willigte, einen Obmann dazu zu geben. 1
Für den Breisgau verſprach dann Ferdinand in ſei-
[224]Drittes Buch. Sechstes Capitel.
nem eignen Namen, daß von Amtleuten und Obrigkeiten
in Hinſicht der Klagen der Unterthanen gebührende Ein-
ſicht geſchehen ſolle. 1
In Oberöſtreich litten die Stände nicht, daß den Un-
terthanen eine Brandſchatzung aufgelegt würde. 2
In Tirol ſchritt man noch unter der Einwirkung der
Unruhen zur Abfaſſung eines Geſetzbuches, in welchem den
Unterthanen alle Robothen, von denen nicht ein Herkom-
men von wenigſtens 50 Jahren urkundlich nachgewieſen
werde, ſo wie der kleine Feldzehend und gar manche andre
Leiſtungen abgenommen, Fiſcherei und ſelbſt Antheil an der
Jagd verſtattet wurde. Auch religiöſe Conceſſionen machte
hier Erzherzog Ferdinand. Städte und Gerichte ſollten be-
fugt ſeyn, ihre Geiſtlichen zu präſentiren: das Evangelium
ſollte nach dem Buchſtaben gelehrt werden. 3
Salzburg war wohl das einzige Land, wo die Bauern
gegen ein anrückendes geordnetes Heer ſogar das Feld be-
hauptet. Als ſie endlich vor der Macht des ſchwäbiſchen
Bundes ſich beugen mußten, erlangten ſie doch fürs Erſte
ausnehmend günſtige Bedingungen. 4
Alles Ereigniſſe, die zugleich noch einer andern Ent-
wickelung angehören, welche unmittelbar nach der Bewe-
gung eintrat, und die wir nun näher zu betrachten haben.
Sie-
[[225]]
Siebentes Capitel.
Anfang entgegengeſetzter Bündniſſe, Reichstag zu
Augsburg im Dez. 1525.
So war der Kampf mit den elementaren Geiſtern des
deutſchen Weſens vollendet: wie die Ritter, ſo waren nun
auch die empörten Bauerſchaften und der mit ihnen ver-
bündete Theil der ſtädtiſchen Bevölkerung überwältigt; —
die im Laufe der Jahrhunderte allmählig entwickelten lo-
calen Gewalten hatten ſich aufs neue in allen Stürmen
behauptet; — ohne Theilnahme des Kaiſers, oder des Re-
gimentes, mitten im Zerfall aller centralen Autorität wa-
ren ſie doch ſtark genug dazu geweſen.
Darum war aber der Friede nicht hergeſtellt: von den
großen Fragen, die ſchon ſeit ſo langer Zeit die öffentliche
Aufmerkſamkeit beſchäftigten, war keine dadurch erledigt.
Den Aufruhr hatte man ohne Rückſicht auf das re-
ligiöſe Bekenntniß bekämpft: Freunde und Feinde der Neue-
rung hatten mit gleichem Eifer wider die gemeinſchaftli-
chen Gegner die Waffen ergriffen; nachdem dieſelben be-
zwungen waren, traten die alten Antipathien in verdop-
pelter Stärke hervor.
Ranke d. Geſch. II. 15
[226]Drittes Buch. Siebentes Capitel.
Jene Regensburger Verbündeten, welche jetzt in dem
ſchwäbiſchen Bunde den vorwaltenden Einfluß ausübten,
ergriffen die Gelegenheit, um die dort beſchloſſenen Maaß-
regeln mit Gewalt auszuführen. Die Siege des Bundes
waren überall mit religiöſer Verfolgung verbunden. Unter
denen, die in Würzburg enthauptet wurden, nannte man
nicht Wenige, denen nicht der Aufruhr, an dem ſie keinen
Antheil genommen, ſondern das evangeliſche Bekenntniß
zum Verbrechen gemacht ward. Neun der reichſten Bür-
ger wurden in Bamberg hingerichtet: man verſichert, daß
Einige von ihnen grade zu den Ruhigſten gehörten, den
Anfall des Landvolks auf die Reſidenz des Biſchofs eher
verhindert hatten: man ſtrafte an ihnen — und ſagte es
laut — daß ſie ſich zum Evangelium gehalten: 1 unerhör-
ter Weiſe überließ man ihre Güter einigen Privatleuten, un-
ter ihnen einem Secretär des Truchſeß. Alles was ſich
zu der evangeliſchen Lehre bekannte wich fürs Erſte aus
den beiden Bisthümern. Aber auch in allen andern Ge-
bieten wurde den Bauern mit dem weltlichen zugleich der
geiſtliche Gehorſam wieder aufgelegt; unter Denen die von
der Begnadigung ausgeſchloſſen wurden, ſtanden die ſoge-
nannten Lutheraner obenan; am meiſten wurden die Prä-
dicanten verfolgt. Ein Profoß, Namens Aichili, durch-
ſtreifte mit einer Anzahl Reiter Schwaben und Franken,
um die Executionen die man beſchloſſen, ins Werk zu
ſetzen; man rechnet ihm nach daß er in ziemlich engem
Umkreiſe vierzig evangeliſche Prediger aufgehängt habe, die
Landſtraßen entlang, hie und da an den Bäumen. 2 Es
[227]Katholiſche Reaction.
war die erſte gewaltſame Reſtauration des Katholicismus
im obern Deutſchland.
Und auch in dem nördlichen erhoben ſich ähnliche Be-
ſtrebungen.
Nach der Unterwerfung von Mühlhauſen hatten dort
die verbündeten Fürſten gemeinſchaftliche Maaßregeln gegen
die Bauern verabredet. Herzog Georg erzählt, er ſey ei-
nes Morgens als ſein Schwiegerſohn Philipp eben abrei-
ſen wollen noch zu ihm gegangen, und habe ihn gebeten,
ſich der Sache Luthers nicht anhängig zu machen, „in
Betrachtung des Böſen das daraus gefloſſen:“ das habe
er in derſelben Stunde auch dem Churfürſten von Sach-
ſen geſagt: ſowohl der Eine als der Andre habe ſeine War-
nung freundlich aufgenommen. Georg hoffte nach dem
Tode Friedrichs über ſeinen Vetter Johann und vermöge
der natürlichen Stellung eines wohlwollenden Schwieger-
vaters über Landgraf Philipp eine entſcheidende Autorität
ausüben zu können.
Die drei Fürſten waren zu Mühlhauſen übereinge-
kommen, ihre Beſchlüſſe auch ihren Nachbarn mitzutheilen,
und zunächſt hielt Herzog Georg noch im Juli mit den
Churfürſten von Mainz und Brandenburg, ſo wie dem
Herzog von Braunſchweig eine Zuſammenkunft zu Deſ-
ſau. Alle dieſe Fürſten waren noch katholiſch geſinnt, und
ließen ihre Meinung, daß der Aufruhr von der neuen
Predigt hergekommen, auf die Verabredungen einfließen
welche ſie trafen. Wie dieſelben auch gelautet haben mö-
2
15*
[228]Drittes Buch. Siebentes Capitel.
gen, denn noch ſind ſie nicht authentiſch bekannt gewor-
den, ſo viel iſt deutlich, daß ſie der religiöſen Verände-
rung feindſelig ausfielen. Herzog Georg theilte ſie ſeinem
Vetter und ſeinem Eidam mit: er erklärt, er habe bei ihnen
keine lutheriſchen Meinungen mehr vorausgeſetzt. 1 Wenig-
ſtens ließ er ſich keine Rückſicht auf ſie abhalten, in ſeinem
Lande die ſchwerſten Executionen zu verhängen. In Leipzig
wurden zwei Bürger blos deshalb mit dem Schwerte gerich-
tet, weil man lutheriſche Bücher bei ihnen gefunden. 2
Es ſchien faſt, nachdem ſich der lutheriſchen Bewegung
ein Bauernaufruhr zugeſellt hatte, wie der wiklyffitiſchen, als
würde jene wie dieſe nun auch von der Reaction dagegen
betroffen und vielleicht zu Grunde gerichtet werden.
Allein ſie war doch ſchon bei weitem beſſer und feſter ge-
gründet. In dem nördlichen wie in dem ſüdlichen Deutſch-
land beſaß ſie entſchloſſene und mächtige Verfechter.
Landgraf Philipp hatte auch vor Mühlhauſen einen
[229]Widerſtand der Evangeliſchen.
evangeliſchen Prediger mit ſich gehabt und Herzog Georg
war in dem Moment jener Vorhaltung durch den Anblick
deſſelben betroffen worden. Immer mehr vertiefte ſich Phi-
lipp ſeitdem in die evangeliſchen Überzeugungen. Man
muß die Briefe leſen, welche er noch in dieſem Jahre an
Herzog Georg ſchrieb, worin er bald die Lehre vom Ca-
non und der Meſſe, bald die Idee von der Kirche oder
die Verbindlichkeit der Gelübde beſtreitet: man ſieht da,
mit welchem jugendlichen und doch ernſten Eifer er die
neuen Doctrinen ergriff, welche ausgebreitete und lebendige
Kunde der beweiſenden Stellen er ſich ſchon verſchafft hatte. 1
Eben ſo war es in Sachſen. Statt die Bahn ſeines
Vorfahren zu verlaſſen, ſchritt der neue Churfürſt noch viel
entſchloſſener auf derſelben vorwärts. Als er im Auguſt
1525 Weimar verließ, ließ er die Prieſterſchaft dieſes Am-
tes noch einmal zuſammenrufen — es war der 16te die-
ſes Monats — und ihr, nachdem ſie durch zwei Predig-
ten vorbereitet worden, ankündigen, daß ſie in Zukunft das
lautere Wort Gottes ohne allen menſchlichen Zuſatz zu
predigen habe. 2 Es waren einige ältere Prieſter dabei,
welche die Meinung äußerten, es werde ihnen damit doch
nicht verboten, Seelmeſſen zu halten, Salz und Waſſer zu
weihen: ſie wurden bedeutet, was von dem Worte gelte,
ſey auch von den Cerimonien zu verſtehn.
In Folge des Mühlhauſer Abſchiedes hielt der Chur-
[230]Drittes Buch. Siebentes Capitel.
fürſt eine Zuſammenkunft mit Markgraf Caſimir von Bran-
denburg zu Saalfeld. Wie in Deſſau die katholiſchen, tra-
ten hier die evangeliſchen Tendenzen hervor. Zu einem ei-
gentlichen Bunde kam es nicht, aber Markgraf Caſimir er-
klärte, bei dem Worte Gottes wolle er feſthalten. 1
Während die Kriegskräfte des ſchwäbiſchen Bundes
den Fortgang des Evangeliums zu erſticken ſuchten, gaben
ſich doch einige der mächtigſten Mitglieder deſſelben, die
Städte, von denen der Bund urſprünglich ausgegangen,
Augsburg, vor allem Nürnberg — wir werden darauf zu-
rückkommen — eine evangeliſche Organiſation.
Dahin ſprach ſich ſelbſt jene von dem ſchwäbiſchen
Bund eroberte Landſchaft aus, die wirtenbergiſche, von der
es hätte ſcheinen ſollen, als dürfe ſie gar keinen eigenen
Willen mehr haben: die Stände erklärten, die Ruhe des
Landes hange davon ab, daß man dem Volke das lautere
Gotteswort ohne menſchlichen Eigennutz und Vorwitz predige.
Und ſchon begannen die Evangeliſchen, ſich von der
biſchöflichen Autorität förmlich loszuzählen. In Wittenberg
entſchloß man ſich bereits im Mai 1525, auf eigne Hand
zu ordiniren. Melanchthon rechtfertigt es damit, daß von
den Biſchöfen ihre Pflicht verſäumt werde: 2 wie die Bi-
ſchöfe dem Papſt, ſo machen die Prediger den Biſchöfen
gegenüber die Unmittelbarkeit ihres Berufes geltend. Me-
lanchthon meint, man könne den Fürſten nicht zumuthen,
eine Jurisdiction aufrecht zu erhalten, von deren Miß-
[231]Widerſtand der Evangeliſchen.
brauch und Verwerflichkeit ſie überzeugt worden. Auch
in Heſſen und Brandenburg, auch in den Städten be-
gann man ſich der biſchöflichen Jurisdiction zu entziehen.
Wir ſehen: ganz wie die beiden entgegengeſetzten Ten-
denzen in den Kampf mit den Bauern eingetreten, ſo gien-
gen ſie aus demſelben hervor: nur noch mit erhöhter Thä-
tigkeit nach beiden Seiten.
Die päpſtliche Meinung hatte darin einen Vortheil
daß ihr in einem großen Theile des Reiches die Strafge-
walt in die Hände gerieth, die ſie ſo furchtbar ausübte,
aber einen am Ende doch noch größern Gewinn hatten die
Evangeliſchen davon getragen.
Es trat ein noch nie ſo ſtark bemerkter allgemeiner Wi-
derwille gegen die geiſtliche Seite der deutſchen Verfaſſung
hervor. Den Geiſtlichen wurden die härteſten Bedrückun-
gen zugeſchrieben, durch welche der Aufruhr am meiſten
veranlaßt worden: gegen ſie war die Feindſeligkeit des ge-
meinen Volkes vorzugsweiſe gerichtet geweſen; die Allgauer
Bauern z. B., welche wider Füßen lagerten, waren von
dieſer Stadt zurückgewichen, als ſie ſich von ihrem Herrn
dem Biſchof von Augsburg losſagte und die Fahne von
Öſtreich fliegen ließ; zur Dämpfung des Aufruhrs hatten
dagegen die geiſtlichen Fürſten das wenigſte gethan und hand-
habten jetzt den gewonnenen Sieg auf das gewaltſamſte.
Daher kam es, daß die Evangeliſchen ſich ſo leicht
der biſchöflichen Gewalt entziehen konnten, aber merkwür-
diger Weiſe hatte das auch auf der entgegenſetzten, katho-
liſchen Seite ſeine Analogie. Wurde dieſſeit die geiſtliche,
ſo wurde jenſeit ſehr entſchieden die weltliche Jurisdiction
des Bisthums angegriffen.
[232]Drittes Buch. Siebentes Capitel.
Eben hier müſſen wir der Ereigniſſe von Tirol und
Salzburg nochmals gedenken. Die merkwürdigſte Stellung
von der Welt nahm Erzherzog Ferdinand ein.
Auf jenem Tiroler Landtag waren nur Adel, Städte
und Gerichte verſammelt: der geiſtliche Stand war gar
nicht erſchienen. Die anti-geiſtliche Stimmung, die dieß
veranlaßt, trat nun auch um ſo mehr in den Anordnun-
gen hervor die man traf. In dem Landtagsabſchied be-
ſchloß man, die Beſetzung der untern Stellen von den Bi-
ſchöfen unabhängig zu machen: in Zukunft ſollten Städte
und Gerichte präſentiren, der Landesfürſt beſtätigen, Kla-
gen über die Geiſtlichen von jenen an dieſen gehn. 1 Dem
Biſchof von Trient ward die Bitte, in ſeinem Stift die
Aufrührer auch mit fremdem Kriegsvolk ſtrafen zu dürfen,
abgeſchlagen: denn der gemeine Mann, ſagt Ferdinand, ſey
der Meinung, daß den Geiſtlichen keine Adminiſtration im
Weltlichen zuſtehe: gäbe er dem Biſchof eine ſolche Er-
laubniß, ſo würden die Edelleute ſich beklagen, er veran-
laſſe eine neue Empörung, die auch ihnen verderblich werde. 2
Und noch viel weiter gieng man. Als ſich der Biſchof von
Brixen unfähig zeigte, in ſeinem Stifte, wo einer ſeiner
Schreiber und Zolleinnehmer den Aufruhr anführte, die
Ordnung wiederherzuſtellen, beſchloß die Tiroler Landſchaft,
nicht etwa ihm zu Hülfe zu kommen, ſondern das Stift
vorläufig geradezu zu ſäculariſiren. Erzherzog Ferdinand
ließ es zu ſeinen Handen einnehmen, und übertrug die Ver-
[233]Erſte Saͤculariſationsverſuche.
waltung der Weltlichkeit einem ſeiner Räthe, „bis auf ein
künftiges Concilium oder die Reformation des Reiches;“
von allen Unterthanen und Amtleuten empfieng er die Hul-
digung. 1 Nicht eher kam der Hauptmann von Ehren-
berg, das mit Tiroler Volke beſetzt war, der Stadt Füßen
zu Hülfe, als bis die Stadt ſich erblich an das Haus Öſt-
reich ergab und dem Erzherzog huldigte. 2 So wurden
auch die Zillerthaler vermocht ſich von Salzburg zu tren-
nen, ſich an Tirol anzuſchließen, und den Erzherzog, der
ſchon ohnehin die hohe Obrigkeit über ſie habe, als ihren
Herrn und Landesfürſten anzunehmen. 3 Ja ſchon faßte
man ſelbſt in Baiern ähnliche Gedanken. Als der Erz-
biſchof Matthäus von Salzburg auf ſeiner Feſte von den
Bauern belagert ward und ſich in der bedrängteſten Lage
befand, erſchien Doctor Leſch, bairiſcher Canzler, bei dem
Erzherzog, und ſchlug ihm eine gemeinſchaftliche Sequeſtra-
tion des Erzſtiftes vor, ſo daß was an den Grenzen von
Baiern liege, von den Herzogen, was an den öſtreichiſchen
[234]Drittes Buch. Siebentes Capitel.
von dem Erzherzog eingenommen werde, und mit Freuden
gieng dieſer darauf ein: er beauftragte ſeine Commiſſarien
bei den Bauerſchaften, jedoch mit Vorwiſſen des Erzbi-
ſchofs, dahin zu wirken, daß das Stift an Öſtreich und
Baiern überliefert werde. 1 Allein in Baiern war das
wohl nur ein vorübergehender Gedanke; man verfolgte hier
übrigens den Plan einer unbedingten Reſtauration, von
deren Ausführung ſich die Herzoge eine noch größere Au-
torität als die ſchon erworbene über die benachbarten Bis-
thümer verſprechen konnten: nach allen Seiten leiſteten ſie
Hülfe. In Tirol dagegen hatte ſich die Landſchaft mit
dem Fürſten zu Conceſſionen gegen die Empörer verſtan-
den: durch eine reſolute Beſeitigung der geiſtlichen Inter-
eſſen gedachten ſie zugleich den Aufruhr zu ſtillen und ſich
ſelber weiteren Raum zu machen. In Baiern trat man
deshalb von jenem Plane ſehr bald wieder zurück und be-
ſchloß dem bedrängten Erzbiſchof mit der Macht des ſchwä-
biſchen Bundes zu Hülfe zu kommen. Nicht daß die Her-
zoge hiebei ſehr uneigennützig geweſen wären: ſie dachten
bei dieſer Gelegenheit ihrem Bruder Ernſt von Paſſau die
Nachfolge im Erzſtift zuſichern zu laſſen; das war ihnen
lieber, als daß ſie den größern Theil deſſelben an Öſtreich
gebracht und ſich dabei mit ſich ſelber in Widerſpruch ge-
ſetzt hätten. Vergebens machten die Tiroler Stände einen
Verſuch, den ſchwäbiſchen Bund durch Vorſtellung alter
Gerechtſame und Verbindungen mit Salzburg von ſeinem
Kriegszug abzuhalten. 2 In Insbruck hätte man nun wenig-
[235]Baiern und Salzburg.
ſtens gewünſcht, die Nachfolge an Don Georg von Öſt-
reich, natürlichen Sohn Kaiſer Maximilians, zu bringen;
man wäre ſelbſt geneigt geweſen, die Bauerſchaften in
Schutz zu nehmen. 1 Allein ſchon waren die Herzöge in
Vortheil. Herzog Ludwig von Baiern, oberſter Feldhaupt-
mann des ſchwäbiſchen Bundes, führte gegen Ende Auguſt
die Schaaren deſſelben wider Salzburg. Auch er fand es
fürs Erſte gerathen und beſonders drang Georg Frunds-
berg, Feldhauptmann der Grafſchaft Tirol, darauf den
Bauern einen guten Vertrag zu verſchaffen; — ſpäter ſind
ſie hier denn doch ſo ſcharf gezüchtigt worden, wie nur ir-
gendwo — auch dabei ließen ſich alle andern Abſichten er-
reichen. Das Domcapitel verſprach dem bairiſchen Prin-
zen Ernſt die Nachfolge in Salzburg; wie denn der Erz-
biſchof demſelben noch andre Zugeſtändniſſe machte: den
Herzogen wurden für ihre Kriegskoſten die Herrſchaften
Laufen, Geisfelden, Titmanning und Mattſee verpfändet.
Sie erlangten überhaupt einen entſcheidenden Einfluß auf
Salzburg. Nur zaghaft erinnert ſie ſpäter einmal der Erz-
biſchof, nichts von ihm zu verlangen, was wider die Ho-
heit und Gerechtigkeit des Stiftes laufe. 2
Die Tendenzen des Bundes waren wie man ſieht
ſtärker als die der Tiroler Landſchaft. Auch Füßen mußte
der Erzherzog an Augsburg, das Zillerthal an Salzburg
wieder abtreten.
Darum ließ aber Ferdinand von den einmal gefaß-
ten Ideen nicht ab. Als die wirtenbergiſche Landſchaft
[236]Drittes Buch. Siebentes Capitel.
jene Forderungen aufſtellte und dabei ſehr unzweideutig
auf eine Säculariſation der geiſtlichen Güter zu den Lan-
desbedürfniſſen antrug, wies ſie Ferdinand damit keines-
wegs zurück: er erlaubte ihr, Abgeordnete auf den nächſten
Reichstag nach Augsburg zu ſchicken: was da in Hinſicht
einer Reformation der Geiſtlichkeit beſchloſſen werde, ſolle
in Wirtenberg, ſo wie in ſeinen übrigen Ländern gelten. 1
Erzherzog Ferdinand traf aber in dieſen Ideen un-
mittelbar mit den Evangeliſch-geſinnten zuſammen. Ganz
mit Recht erblickten dieſe die nächſte Urſache des letzten
Aufruhrs in der Zurücknahme jener ſpeierſchen Verſamm-
lung. Im Herbſt 1525 kam der Gedanke, die religiöſen
Irrungen auf einer Reichsverſammlung zu beſeitigen und
hier zu einer durchgreifenden Reformation zu ſchreiten, noch
einmal in allgemeine Anregung.
Den Zuſammenkünften in Deſſau und Saalfeld ent-
ſpricht eine dritte welche Landgraf Philipp mit dem Chur-
fürſten von der Pfalz zu Alzey hielt. Sie kamen über-
ein, „den Dingen müſſe ein gleichmäßiges Weſen ge-
macht,“ es müſſe alles gethan werden um die Stände
zu vergleichen. 2
Von Saalfeld ging Markgraf Caſimir nach Auerbach
zu einer Unterredung mit Pfalzgraf Friedrich, der die Ober-
[237]Saͤculariſationsentwurf.
pfalz im Namen ſeiner Neffen regierte. Sie beſchloſſen
hier: einmal die Laſten des gemeinen Mannes ſo viel mög-
lich zu erleichtern, ſodann aber beim Kaiſer nochmals auf
eine Kirchenverſammlung in deutſcher Nation anzutragen,
„um ſich eines gleichen Verſtandes in Auslegung des gött-
lichen Wortes zu entſchließen.“
Im September hielten die Städte eine Verſammlung,
und ſchon glaubte Ferdinand, widerwärtige Beſchlüſſe von
derſelben fürchten zu müſſen; die Abkunft die ſie trafen
war jedoch nur, bei ihm ſelbſt und dem Kaiſer die Noth-
wendigkeit daß in Hinſicht der Cerimonien eine einhellige
Ordnung im Reiche gemacht werde, in erneute Anregung
zu bringen.
Indem man dieſe Dinge allenthalben in Berathung
zog, die mancherlei Möglichkeiten ſich vergegenwärtigte,
kamen Ideen und Pläne der außerordentlichſten Art in
Umlauf.
In einem Entwurfe, der gegen Ende des Jahres
1525 gemacht und auf einer oder ein paar Reichsver-
ſammlungen zur Sprache gebracht worden iſt, geht man
davon aus, daß die geiſtlichen Güter zu nichts mehr nütze
ſeyen, weder für die Religion noch für das Reich: eine
Veränderung mit ihnen vorzunehmen, ſey unerläßlich, je-
doch dürfe man das nicht dem gemeinen Mann überlaſſen,
ſondern von der Obrigkeit, d. i. dem Kaiſer und den welt-
lichen Ständen müſſe Hand angelegt werden.
Man hat keine Scheu, eine völlige Säculariſation al-
ler geiſtlichen Güter in Vorſchlag zu bringen.
Den geiſtlichen Fürſten und Prälaten möge man da-
[238]Drittes Buch. Siebentes Capitel.
von ſo viel anweiſen, als zu einem anſtändigen Leben ge-
höre, den Domherrn für den Augenblick nichts entziehen,
aber dieſe wie jene nach und nach ausſterben laſſen. Von
den Klöſtern könne man wohl nur einige Nonnenconvente
behalten, für junge adliche Fräulein, jedoch mit dem Rechte
wieder auszutreten.
Mit dem nun, was man hiedurch gewinne, müſſe
man vor allem die neuen geiſtlichen Bedürfniſſe decken,
Pfarrer und Prediger verſorgen, in jedem Kreiſe einen from-
men gelehrten Mann mit beſtimmter Beſoldung zum Bi-
ſchof beſtellen, der aber keine weltliche Verwaltung führen,
ſondern nur der Vorſteher der übrigen Kirchendiener ſeyn
dürfe, endlich auch eine hohe Schule in jedem Kreis ein-
richten, um in den Sprachen zu unterweiſen und die h.
Schrift nach ihrem rechten Sinn auszulegen.
Allein man dachte auf dieſe Weiſe auch Kräfte zu
bekommen um der ganzen weltlichen Verfaſſung eine andre
Geſtalt zu geben.
Der Vorſchlag in dieſem Entwurfe iſt, in jedem Kreiſe
ein beſondres Regiment zu errichten: mit 12 Räthen, je
drei von den vier Ständen, Fürſten — Grafen und Herrn
— Adel — und Reichsſtädten: unter einem Hauptmann,
der von den Kreisſtänden zu wählen, aber von dem Kai-
ſer zu beſtätigen ſey: ungefähr mit denſelben Rechten wie
die Hauptleute und Räthe des ſchwäbiſchen Bundes. Dieſe
ſollen jene Einrichtung ausführen, eine höhere Gerichtsbe-
hörde bilden und vor allem den gemeinen Frieden hand-
haben: hiezu aber immer eine ſtehende Truppe zu Pferd
und zu Fuß im Felde halten. Statt der Stifte möge der
[239]Saͤculariſationsentwurf.
junge Adel im Heere dienen. Mit dieſen Leuten laſſe ſich
dann jede von Kaiſer und Reich beſchloſſene Hülfe ins
Werk ſetzen, ohne irgend Jemand damit beſchwerlich zu
fallen. Es werde das eine ſo große beharrliche Hülfe bil-
den, wie ſie kein Kaiſer ſeit Chriſti Geburt gehabt habe. 1
Ein Entwurf bei welchem es nun auch nicht ſo ſehr
auf die einzelnen Beſtimmungen ankommt als auf die Ideen
die ihm im Allgemeinen zu Grunde liegen: Säculariſation
der geiſtlichen Güter, — das Reich allein aus weltlichen
Ständen zuſammengeſetzt, — deſſen Verfaſſung vor allem auf
die Ausbildung der Kreiſe begründet, — ein ſtehendes Heer
vornehmlich zu Gunſten des jüngern Adels: — alles Dinge,
deren Ausführung die folgenden Jahrhunderte beherrſcht,
das ſpätere Deutſchland conſtituirt hat!
Kühnlich faßte man die entfernteſten Reſultate ins
Auge: allein welch einen weiten Weg hatte man noch bis
dahin zurückzulegen!
Noch war das geiſtliche Fürſtenthum bei weitem zu
ſtark; und man kann denken, daß es ſich durch Pläne dieſer
Art, die ihm doch nicht verborgen bleiben konnten, ange-
trieben fühlen mußte alle ſeine Kräfte zuſammenzunehmen.
Die Geiſtlichkeit beſchwerte ſich ohnehin, daß man ihr Vie-
les vorenthielt, deſſen ſie in dem letzten Sturme beraubt
worden, ja daß man fortfuhr, ihr die gewohnte Jurisdiction
zu entziehen: ſie zeigte ſich entſchloſſen, am nächſten Reichs-
[240]Drittes Buch. Siebentes Capitel.
tag den Angriff nicht zu erwarten, vielmehr auf eine voll-
kommene Herſtellung zu dringen. Dazu machte ihr ein
Ausſchreiben des Kaiſers Muth, worin von Abſtellung
alle der Dinge die Rede war, von denen ſich eine Zerrüt-
tung unſers h. Glaubens beſorgen laſſe: in ſo ſtrengen
Ausdrücken, daß es auf eine Wiederherſtellung des geſamm-
ten alten Zuſtandes abgeſehen zu ſeyn ſchien. 1 Das Re-
giment, das noch in Eßlingen ſaß, und von dem wir jetzt
wieder einmal hören, bereitete ſich zu Vorſchlägen in die-
ſem Sinne. 2 Dahin neigte ohnehin die ganze Richtung
welche der ſchwäbiſche Bund genommen. Auf dem Bun-
destag, den derſelbe im November hielt, empfieng er ein
Schreiben des Papſt Clemens, worin er aufgefordert wurde,
das Trefflich-begonnene mit gleichem Eifer weiter zu füh-
ren, die herrlichſte That die ſeit vielen Jahrhunderten ge-
ſchehen nun auch zu vollenden. 3 So waren auch jene öſt-
lichen Fürſten geſinnt. Wir haben die Inſtruction welche
Herzog Georg ſeinem Geſandten an dem Reichstag ertheilte.
An ſehr lebhafte Klagen über den unüberwindlichen Scha-
den, der von dem lutheriſchen Evangelium herrühre, wird
darin die Forderung geknüpft, keinerlei Veränderung in den
hergebrachten Ordnungen zuzugeben, ohne Bewilligung eines
all-
[241]Gefahren.
allgemeinen Conciliums; ſelbſt wenn ein Engel vom Him-
mel käme, ſo würde man ihm nicht folgen dürfen, es ge-
ſchähe denn in einer vollſtändigen chriſtlichen Verſamm-
lung. 1 Auch ein päpſtlicher Nuntius machte ſich auf,
um den Reichstag zu beſuchen.
War die Abſicht eine Veränderung zu treffen eben ſo
weit verbreitet wie umfaſſend, ſo war doch auch die entge-
gengeſetzte Tendenz, die geiſtliche Verfaſſung wie ſie be-
ſtand aufrecht zu erhalten, oder vielmehr in ihrer Integri-
tät wieder herzuſtellen, noch ſehr kräftig. Indem man ſich
auf der Seite der Neuerung zu den weitausſehendſten Plä-
nen erhob, verbarg man ſich doch nicht, daß der Reichs-
tag auch leicht eine widrige Wendung nehmen könne. Es
ſchien Einigen als wolle man da Gutes und Böſes mit
einander ausrotten, die Wahrheit mit der Unwahrheit unter-
drücken: als werde man am Ende eine Ordnung des Glau-
bens und Lebens nach dem alten Geſetz aufrichten, und daran
gehn, Jeden der ſich nicht füge mit Gewalt dazu zu zwingen.
Wie ſich Churfürſt Johann und Landgraf Philipp am
entſchloſſenſten für die Neuerung erklärten, ſo hatten ſie
auch Grund die meiſten Beſorgniſſe zu hegen. Der Land-
graf, weil er ſich ringsher von mächtigen geiſtlichen Gebie-
ten umgeben ſah: — der Churfürſt, weil man ſchon damals
daran dachte, ihm als einem von der römiſchen Kirche
Abgefallenen die Chur zu entziehen: er wurde erinnert,
ſich mit ſeinen Nachbarn — ohne Zweifel hauptſächlich
Ranke d. Geſch. II. 16
[242]Drittes Buch. Siebentes Capitel.
dem Herzog Georg — beſſer zu ſtellen: eben von dieſer
Seite ſey mancherlei Practik wider ihn im Gange.
Es war bei weitem weniger die Abſicht, etwas Neues
durchzuſetzen, als nur zunächſt die Beſorgniß vor eigenen
Gefahren, die Nothwendigkeit ſich in der einmal genom-
menen Stellung zu behaupten, was die beiden Fürſten ver-
anlaßte ſich näher mit einander zu vereinigen.
Den erſten Schritt hiezu that Landgraf Philipp, der
im Anfang October 1525 ſeinen Kammermeiſter, Rudolf
von Waiblingen nach Torgau ſchickte, wo Churfürſt Jo-
hann Hof hielt, und demſelben den Antrag machte, ſich
auf dem nächſten Reichstag gemeinſchaftlich alle dem zu
widerſetzen, was zu Gunſten der Mißbräuche, zu Unter-
drückung der Wahrheit verſucht werden könne, keine An-
ordnung anzunehmen die dem Worte Gottes entgegenlaufe,
ſich zu dem Ende mit allen Gleichgeſinnten zu vereinigen.
Höchlich erfreut war der evangeliſch-überzeugte Churfürſt
über dieſen Antrag, der ſeiner Geſinnung ſo wohl entſprach:
Anfang November gieng ſein Sohn Johann Friedrich um
mit dem Landgrafen perſönlich eine nähere Verabredung
zu treffen. 1
Auf dem feſten Jagdſchloß Friedewalt am Sullinger
Walde geſchah die Zuſammenkunft. Die beiden jungen
Fürſten verſtanden ſich vollkommen. Im Weimariſchen
Archiv findet ſich noch die Aufzeichnung eines Bedenkens
„unſres lieben Vetters und Bruders des Landgrafen“ von
der eignen Hand Johann Friedrichs, welches ohne Zwei-
[243]Zuſammenkunft zu Friedewalt.
fel eben das Reſultat ihrer Unterredung iſt. Der Inhalt
deſſelben lautet noch nicht auf ein eigentliches Bündniß,
man beſchließt nur erſt was die Lage des Augenblicks for-
dert. Die beiderſeitigen Geſandten ſollen ſich in Hinſicht
des Evangeliums näher verſtändigen, von den gleichgeſinn-
ten Fürſten, Grafen und Städten ſo viele als möglich an
ſich ziehen — noch hegte man ſogar die Hofnung den
Churfürſten von Trier zu gewinnen, — und ſich alsdann
gemeinſchaftlich gegen die Ausdrücke des Ausſchreibens er-
klären, welche der alten Gewohnheit günſtig, dem Worte
Gottes nachtheilig ſeyen, in Sachen des Evangeliums über-
haupt für Einen Mann ſtehn. An dem churfürſtlichen
Hofe billigte man dieß nicht allein, man hielt es für gut,
das Verſtändniß auch noch auf andre Sachen zu erſtrecken,
„darin einer vor dem andern Recht leiden könne.“ 1
So kam man von den verſchiednen Seiten im An-
fang December mit ganz entgegengeſetzten Inſtructionen in
Augsburg zuſammen.
Der Zwieſpalt der die Abgeordneten trennte, zeigte
ſich ſelbſt in der kaiſerlichen Commiſſion. Außer Erzherzog
Ferdinand, deſſen Haltung zweifelhaft ſeyn mußte, beſtand
16*
[244]Drittes Buch. Siebentes Capitel.
ſie aus dem Herzog Wilhelm von Baiern, dem Vorfech-
ter der Päpſtlich-geſinnten, und Markgraf Caſimir von
Brandenburg, der ſich ſchon ſo lange zu den Evangeliſch-
geſinnten gehalten. Zwar lehnte Caſimir ab, auf das Ver-
ſtändniß einzugehn das ihm die Geſandten von Heſſen und
Sachſen antrugen, aber er erklärte doch, er werde ſeine Über-
zeugung innerhalb der Commiſſion verfechten, und dadurch
mehr Nutzen ſtiften als durch ein förmliches Bündniß.
Da würde es nun wohl zu einem lebhaften ernſtli-
chen und entſcheidenden Kampfe haben kommen müſſen,
wären die Fürſten perſönlich zugegen geweſen: man würde
ſogleich geſehen haben, wohin die Majorität ſich neige.
Allein noch war doch im Grunde weder die eine noch
die andre Partei dazu ernſtlich entſchloſſen. Jedwede ſah
zu gut was die Entſcheidung zu bedeuten habe, ſie wünſchte
noch erſt, alle ihre Kräfte zu ſammeln, ſich alle mög-
liche Unterſtützung zu verſchaffen. In Friedewalt war es
gleich rathſam gefunden worden, den Reichstag nach Speier
oder nach Worms zu verlegen. Von der andern Seite
zögerte der mainziſche Abgeordnete, ohne den kein Schritt
geſchehen konnte, da er die Canzlei mit ſich führte, unge-
bührlich lange. Kein Fürſt war in Perſon erſchienen:
ſelbſt die Commiſſion ward nicht vollzählig: eine große An-
zahl von Abgeordneten wurde vermißt.
Die erſte vorläufige Verſammlung ward am elften De-
zember gehalten. Erzherzog Ferdinand erſuchte die Erſchie-
nenen noch einige Zeit Geduld zu haben, bis eine grö-
ßere Anzahl angelangt ſey: den guten Willen der Anwe-
ſenden werde er dem Kaiſer rühmen. 1
[245]Reichstag zu Augsburg 1525.
Aber noch einige Wochen ſpäter war man nicht zahl-
reicher beiſammen; auf erneuerte Anregung der Stände hiel-
ten die Commiſſarien am 30 Dez. eine definitive Verſamm-
lung. 1
So viel leuchtete einem Jeden ein, daß bei dieſer Un-
vollzähligkeit der Stände und der Bedeutung der obſchwe-
benden Fragen nichts Nachhaltiges geſchehen könne. Her-
zog Wilhelm trug vor, ob man nicht beſſer thun werde,
den Reichstag zu verſchieben. Die drei Collegien traten
auseinander und waren einhellig dieſer Meinung. Sie ver-
legten den Reichstag nach Speier auf den erſten Mai: da
aber müſſe ein jeder Fürſt in Perſon erſcheinen, da wolle
man „von dem heiligen Glauben, Friede und Recht deſto
ſtattlicher handeln.“
Um jedoch wenigſtens Etwas gethan zu haben, und
aus Rückſicht auf die noch fortdauernde Gährung der Un-
terthanen, ſetzte man einen Ausſchuß nieder um einen Reichs-
abſchied zu verfaſſen.
Bemerkenswerth iſt dabei wohl nur, daß man die
Anordnungen der letzten Reichstage von 1523 und 1524,
daß das Evangelium rein und klar nach Auslegung der
angenommenen Lehrer gepredigt werden ſolle, wiederholte,
ohne der lateiniſchen Kirchenväter namentlich, oder auch
des Wormſer Edictes zu gedenken. Übrigens verſprach
man einander, ſich gerüſtet zu halten, um jeden Empö-
rungsverſuch ſogleich zu unterdrücken, und rehabilitirte die
wegen ihrer Theilnahme an dem Aufruhr für infam erklär-
ten in ſo weit, daß ſie an den Gerichtsſitzungen Theil
[246]Drittes Buch. Siebentes Capitel.
nehmen dürften. 1 Es war ihrer eine ſo große Anzahl,
daß ſonſt die Dorfgerichte in Stocken gerathen ſeyn würden.
Schon war die allgemeine Aufmerkſamkeit, ſo wie
die vorbereitende Thätigkeit, der nächſten Verſammlung, die
dann auch entſcheidend geworden iſt, zugewendet.
Sachſen und Heſſen hatten für das evangeliſche Bünd-
niß das ſie beabſichtigten, doch nicht die erwartete Theil-
nahme gefunden: eigentlich nur die nürnbergiſchen Abge-
ordneten hatten eine ernſtliche Hinneigung dazu blicken laſ-
ſen; allein darum ließen ſie den Gedanken nicht fallen:
die beiderſeitigen Geſandten waren der Meinung, die Sache
müſſe in einer perſönlichen Zuſammenkunft ihrer Herrn,
des Churfürſten ſelbſt und des Landgrafen, mit doppelter
Kraft angegriffen werden.
Indeſſen trat auch die andre Partei enger zuſammen.
Das Domcapitel zu Mainz ſuchte ſeine ſo lange vergeſ-
ſenen Metropolitan-befugniſſe wieder hervor, und berief
die Capitel ſeiner Suffraganen zu einer Verſammlung bei
der Mutterkirche. Hier ward dann die Gefahr in Betracht
gezogen in der ſich der Clerus überhaupt befinde, und der
Beſchluß gefaßt eine Geſandtſchaft an Kaiſer und Papſt ab-
zuordnen, um ihnen zu klagen daß die geiſtliche Jurisdiction
von der weltlichen Gewalt occupirt werde, und die Verdienſte
in Erinnerung zu bringen welche ſich die geiſtlichen Fürſten
von jeher um Kaiſerthum und Kirche erworben: ſo viel und
[247]Verbindung der Katholiſchen.
noch mehr ſeyen ſie auch in Zukunft zu leiſten erbötig, aber
dafür müſſe man ſie auch bei den hergebrachten Gerechtſamen
ſchützen. Sie meinten, es ſey wohl am rathſamſten, einige
nicht abgefallene Fürſten, welche ſie ſogleich nahmhaft mach-
ten, 1 mit dieſem Schutze zu beauftragen.
Dahin ſchienen auch die Wünſche dieſer Fürſten ſelbſt
zu gehn. Bei dem Churfürſten von Mainz, der in Halle
reſidirte, kamen Herzog Georg von Sachſen und Herzog
Heinrich von Braunſchweig zuſammen: in denſelben Tagen
finden wir ſie nochmals zu Leipzig, zugleich mit dem Bi-
ſchof von Straßburg: und auch ſie beſchloſſen, ſich an den
Kaiſer zu wenden. Sie ſtellten ihm vor, bei dem unauf-
hörlichen Fortgange „der verdammten lutheriſchen Lehre“
ſey nichts als eine Wiederholung des Aufruhrs, ja ein off-
ner Krieg zwiſchen den Fürſten und Herrn ſelbſt zu er-
warten: auch ſie ſuche man täglich auf die lutheriſche Seite
zu ziehen: da das in Güte nichts helfe, ſo ſcheine es als wolle
man ſie durch ein Aufwiegeln der Unterthanen mit Gewalt
dazu nöthigen. Hiegegen riefen ſie nun die Unterſtützung
des Kaiſers an. 2 Unmittelbar von der Verſammlung be-
gab ſich Herzog Heinrich von Braunſchweig nach Spanien,
um das Gewicht perſönlicher Anweſenheit in die Wag-
ſchale zu werfen.
So rüſtete ſich alles zu dem entſcheidenden Kampfe.
[248]Drittes Buch. Siebentes Capitel.
Hatten die Anhänger der Neuerung ihre vornehmſte Stütze
in der nationalen Sympathie, in der großen Bewegung
des Geiſtes überhaupt, ſo waren dagegen die Verfechter
des Papſtthums durch die natürliche Kraft des Beſtehenden
und den entſchloſſenen Widerwillen einiger mächtigen Für-
ſten gegen alle Veränderung unterſtützt.
Aber überdieß ſuchten dieſe nun auch die beiden höch-
ſten Gewalten für ſich in Thätigkeit zu ſetzen, deren An-
ſehn mit der geiſtlichen Verfaſſung des Reiches ſo enge zu-
ſammenhieng. Sie zweifelten nicht daß ihnen dieſelben mit
allem ihrem Einfluß zu Hülfe kommen würden.
Damit berührten ſie aber zwei Weltkräfte die noch
in ganz andern Beziehungen zu einander ſtanden als in
den deutſchen; und deren Verhältniß durch die großen Er-
eigniſſe in Italien und den Gang der europäiſchen Poli-
tik jeden Moment anders beſtimmt ward.
Wir würden die Entwickelung der deutſchen Angele-
genheiten nicht ferner verſtehn, wenn wir nicht vor allem
dieſe Ereigniſſe näher betrachten wollten: an denen überdieß
auch noch eine andre Seite des deutſchen Lebens hervortritt.
[[249]]
Viertes Buch.
Auswärtige Verhältniſſe, Gründung der
Landeskirchen.
1521 — 1528.
[[250]][[251]]
Erſtes Capitel.
Franzöſiſch-italieniſche Kriege bis zur Ligue von Cognac.
1521 — 1526.
Im zehnten Jahrhundert, als die abendländiſchen Völker,
noch in den Anfängen ihrer Bildung begriffen, auf allen
Seiten von den Einfällen überlegener feindſeliger Weltele-
mente heimgeſucht wurden, waren es die Deutſchen, welche
die erſten großen Siege erfochten. Indem ſie ſich ſelber
vertheidigten, leiſteten ſie auch allen andern unſchätzbare
Dienſte. Sie verſchafften dem Abendlande wieder eine ſelb-
ſtändige Haltung: mit ihren glücklichen Waffen erneuerten
ſie die Idee eines occidentaliſchen Reiches: zwei Drittheil
des großen carolingiſchen Erbes fielen ihnen anheim.
Im elften und zwölften Jahrhunderte erkannten noch
alle umwohnenden Nationen die Hoheit des Reiches an:
wie im Norden und Oſten, ſo im Süden und Weſten.
Arles und Lyon, ſo gut wie Mailand und Piſa ge-
hörten zu demſelben.
Am Ende des zwölften, in der erſten Hälfte des drei-
zehnten Jahrhunderts finden wir unſre Kaiſer ſich eine
ſtarke Hausmacht in Italien gründen: mehr als einmal er-
[252]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
hebt ſich in ihnen der Gedanke die Herbeibringung des
orientaliſchen Reiches zu unternehmen; indeſſen werden im
Norden und Oſten weite Gebiete mit Pflanzungen bedeckt,
und in der Ferne vor ihnen her die großen Ritter-colonien
gegründet, welche noch in dem folgenden Jahrhundert ohne
Zweifel die beſteingerichtete und kräftigſte Macht in dem
Norden bildeten.
Eine Weile giengen die Eroberungen auch dann noch
fort, als die Reichsregierung ſchon nicht mehr die alte
Energie beſaß; endlich aber mußte die Auflöſung der innern
Ordnung, die Vernichtung eines wahrhaft ſelbſtändigen Kai-
ſerthums auch auf die Grenzen zurückwirken: das Reich
vermochte ſeine Stellung nicht mehr zu behaupten.
Den Anfang der Beraubung hatte der Papſt gemacht,
der Rom, den Kirchenſtaat und Avignon vom Reiche los-
riß: mit ihm verbündet bemächtigte ſich ohne viel Ge-
räuſch, Stück für Stück, die franzöſiſche Krone des are-
latenſiſchen Reiches: bald darauf erfocht die emporkom-
mende polniſch-litthauiſche Macht entſcheidende Siege über
die nicht mehr hinreichend unterſtützte Ritterſchaft: im funf-
zehnten Jahrhundert machte ſich Böhmen unabhängig: die
italieniſchen Staaten rechneten ſich kaum dem Namen nach
zum Reiche: das Prinzip der Trennung wirkte endlich auch
auf die deutſchredenden Stämme in den Alpen und den
Niederlanden zurück. Der Anblick ſo vieler Verluſte er-
weckte jenen Unmuth patriotiſcher Geiſter, deſſen wir zu-
weilen gedachten.
Noch hatte man ſich jedoch zu keiner definitiven Ab-
tretung von Seiten des Reiches verſtanden, ausgenommen
[253]Auswaͤrtige Verhaͤltniſſe.
etwa zu Gunſten des Papſtes, mit dem man gleichwohl über
die Grenzen der beiderſeitigen Befugniſſe auch noch nicht
ſehr feſt übereingekommen war: noch konnte alles herbei-
gebracht werden.
Beſonders war man nie der Meinung geweſen, das
obere Italien aufzugeben. Noch im Anfang des funfzehn-
ten Jahrhunderts machte der römiſche König Ruprecht ei-
nen entſchloſſenen Angriff auf Mailand: in der Mitte deſ-
ſelben regte ſich nach dem Ausſterben der Visconti in Mai-
land ſelbſt eine Partei, welche der Meinung war ſich dem
Kaiſer zu unterwerfen: wir ſahen in welch unaufhörlichen
Verſuchen ſich Maximilian Zeit ſeines Lebens bewegte, die
Lombardei zu erobern. Zwar war es ihm damit nicht geglückt:
nach allem Wechſel der Kriegsereigniſſe hatten die Franzoſen
Mailand und Genua zuletzt doch behauptet; allein die al-
ten Anſprüche waren doch auf das lebendigſte in Erinne-
rung gekommen: und in dem Reiche ſah man Franz I,
der überdieß der Lehen entbehrte, mit nichten als einen le-
gitimen Beſitzer an.
Indem nun Carl V den kaiſerlichen Thron beſtieg,
eröffnete ſich für das Reich noch einmal die großartige
Ausſicht zu alle ſeinen Rechten zu gelangen.
Wir müſſen uns erinnern, daß man gleich bei der
erſten Annäherung zwiſchen Burgund und Öſtreich dieſen
Geſichtspunct ins Auge gefaßt hatte. Als Carl der Kühne
Friedrich dem III ſeinen Bund antrug, ſagte er demſelben, er
wolle ihn furchtbarer machen, als irgend ein Kaiſer ſeit
dreihundert Jahren geweſen: er ſtellte ihm vor, welch eine
unwiderſtehliche Macht aus der Verbindung ihrer Beſitz-
[254]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
thümer und Gerechtſame hervorgehen müſſe. 1 Der junge
Fürſt der jetzt den Thron beſtiegen, war der Urenkel und
Erbe ſowohl des Einen als des Andern: noch viel weiter
als man damals hätte ahnden können erſtreckten ſich ſeine
Fürſtenthümer und Königreiche. Wie hätten Ideen dieſer
Art nicht in ihm erwachen ſollen!
Noch war die deutſche von allen abendländiſchen Na-
tionen ohne Zweifel am beſten bewaffnet. Der Adel riß
ſich zuerſt von dem für die neuere Kriegskunſt nicht mehr
geeigneten Formen des ritterlichen Lanzenweſens los: Herren
und Diener fochten in Einem Glied. 2 Aus den Bauern
gieng das Fußvolk der Landsknechte hervor, das außer in
den Schweizern, die doch auch Deutſche waren, ſeines Glei-
chen nicht hatte. Die Bürger waren die Meiſter des Ge-
ſchützes: mit einer Vereinigung der hanſeatiſchen und der
niederländiſchen Seemacht hätte ſich keine andre Nation
der Welt meſſen können.
Es hatte nur immer daran gefehlt, daß der Kaiſer
zu ſchwach geweſen war, um die Kräfte der Nation zu be-
nutzen. Jetzt aber ſchien das anders werden zu müſſen.
Die Landsknechte feierten es in einem Liede, daß ſie ei-
nen Fürſten bekommen der im Stande ſeyn werde ſie zu
beſolden, im Felde zu halten. Auf dem Reichstag zu Worms
war auf das ernſtlichſte von der Wiedereroberung der ab-
gekommenen Reichslande die Rede.
[255]Ausbruch des Krieges mit Frankreich.
Auch für dieſe Verhältniſſe dürfen wir jedoch keinen
Augenblick vergeſſen, daß es nicht eine eigentlich nationale
Entwickelung war, woraus die Vermehrung der kaiſerlichen
Macht hervorgieng. Die Nation war nicht gemeint Carl
dem V größere Rechte zu gewähren als ſeinen Vorfahren,
ſchloß ſich nicht einmüthiger an ihn an. Der Unterſchied
beruhte auf der Verbindung einer Hausmacht wie ſie noch
niemals vorgekommen war, mit den Rechten des Kaiſer-
thums. Aber ſo fremdartige Beſtandtheile umfaßte dieſelbe,
daß ſie niemals mit der kaiſerlichen Gewalt verſchmelzen
konnten. In der Stellung Carls V lag eine Doppelſeitig-
keit, welche mit der Zeit eigenthümliche Schwierigkeiten
entwickeln mußte, und für die Rechte des Reiches, in wie
fern ſie von denen des jedesmaligen Kaiſers unterſchieden
waren, auch wieder gefährlich [werden] konnte.
Gleich der Urſprung ſeiner Kriege liegt bei weitem mehr
in der Geſammtheit ſeiner Verhältniſſe als in den Intereſ-
ſen des Reiches.
Wir berührten ſchon, wie die alte Feindſeligkeit zwi-
ſchen Frankreich und Burgund wieder erwachte.
Im Anfang des Jahres 1521 ſah man die erklärten
Gegner des Kaiſers an dem franzöſiſchen Hofe auf das
beſte aufgenommen und begünſtigt: Franz I trat mit den
empörten Communen in Caſtilien in Verbindung: auch in
Deutſchland glaubte der Kaiſer noch immer Machinationen
ſeines Gegners wahrzunehmen: Briefe und Entwürfe des
feindſeligſten Inhalts kamen ihm aus Italien zu Geſicht: 1
[256]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
im Mai machte Franz I einen Verſuch, Alibret geradezu
mit den Waffen nach Navarra zurückzuführen: auf die fried-
lichen Erinnerungen der Engländer erklärte er, er könne ſich
in ſeinem Siegeslauf nicht aufhalten laſſen. 1 Er nahm
Robert von der Mark, der um eine Verletzung ſeiner Ge-
richtsbarkeit durch den Canzler von Brabant zu rächen,
im Luxemburgiſchen zu Gewaltthätigkeiten ſchritt, öffentlich
in ſeinen Schutz.
Dagegen ſchloß nun auch der Kaiſer ſein Bündniß
mit Papſt Leo X, dem die Überlegenheit der Franzoſen in
Italien ſchon jetzt höchſt beſchwerlich fiel und jeder neue
Fortſchritt derſelben vollends unerträglich geworden wäre. 2
Der Bund war darauf berechnet, die Rechte des Kaiſer-
thums und des Papſtthums gemeinſchaftlich zu erneuern.
Schon auf die entferntere Zukunft ward darin Bedacht ge-
nommen. Der Kaiſer verſprach die Anſprüche des Pap-
ſtes auf Ferrara, der Papſt, die Rechte des Reiches gegen
Venedig durchführen zu helfen. 3 Zunächſt aber beſchloß
man, die Lombardei mit einander zu erobern. Parma und
Pia-
1
[257]Ausbruch des Krieges mit Frankreich.
Piacenza ſollten dem Papſt anheimfallen, Mailand und
Genua unter einheimiſchen Herrſchern die Hoheit des Kai-
ſers anerkennen. Es iſt darin viel von der Herſtellung
der geſetzlichen Unterordnung aller Fürſten unter den Papſt
und den Kaiſer die Rede, von denen Gott einmal Rechen-
ſchaft über den Zuſtand der chriſtlichen Republik fordern
werde.
In Deutſchland dachte man gutmüthiger Weiſe daran,
noch eine Vermittelung zwiſchen Kaiſer und König zu ver-
ſuchen. Die Churfürſten entwarfen ein Schreiben, um den
König von Frankreich zu friedfertigem Verhalten und einer
Anerkennung der Rechte des Reiches aufzufordern. Aber
der Kaiſer liebte ihre Einmiſchung nicht: er verbot dem
Churfürſten von Mainz, das Schreiben abgehn zu laſſen;
ſein Canzler erklärte dem Churfürſten von Trier, keine Un-
terhandlung werde bei dem König anſchlagen, er werde
nur dann Friede halten, wenn man ihn mit Gewalt dazu
nöthige. 1
Wie wäre auch bei den Abſichten, die in dem Bunde
mit dem Papſte feſtgeſetzt waren, noch ein Austrag mög-
lich geweſen?
Im Auguſt 1521 kamen zwar die Abgeordneten des Kai-
ſers und des Königs mit römiſchen und engliſchen Bevoll-
mächtigten zu dieſem Zwecke noch einmal in Calais zuſam-
men, allein es ließ ſich von vorn herein nicht viel davon
erwarten. Von den Vermittlern ſtand der eine bereits in
Ranke d. Geſch. II. 17
[258]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
Bund mit dem Kaiſer, der andere unterhandelte mit ihm ſchon
lange über eine engere Allianz. Der Kaiſer, durch ſeine
Siege in Spanien, von wo die Franzoſen hatten weichen müſ-
ſen, mit neuem Selbſtgefühl erfüllt, ſtellte ſeine Forderungen
ohne alle weitere Zurückhaltung auf: Räumung der Reichs-
lehen Mailand und Genua: Verzichtleiſtung auf die nea-
politaniſchen Anſprüche und die Oberlehnsherrſchaft der
Krone Frankreich über Flandern und Artois, denn der Kai-
ſer könne nie Vaſall eines andern Fürſten ſeyn: endlich
Herausgabe des Herzogthums Burgund. 1 Forderungen
die denn in der That nichts als den entſchloſſenen Willen
das Kriegsglück zu verſuchen ausſprachen: ohne Niederla-
gen erlitten zu haben konnte ſie Franz I nimmermehr be-
willigen.
Von der Zuſammenkunft zu Calais hatte Carl V den
Vortheil, daß er den König von England für ſich ge-
wann. Heinrich VIII hatte ſich früher verpflichtet, ſich ge-
gen Denjenigen von ſeinen beiden Nachbarn zu erklären,
der den Frieden zuerſt brechen würde. Ein aufgefangenes
Schreiben überzeugte ihn, daß die Schuld an Franz I
liege. 2 Um ſo weniger Bedenken trug er nun, auf die
[259]Ausbruch des Krieges mit Frankreich.
Seite des Kaiſers zu treten, von dem er ſich überdieß we-
gen jedes pecuniären Schadens der ihm aus ſeiner Tren-
nung von Frankreich entſpringen könne ſorgfältig ſicher ſtel-
len ließ. Sein Bevollmächtigter, Cardinal Wolſey gieng
von Calais nach Brügge, wo dann jene engere Verbin-
dung geſchloſſen ward, von der früher die Rede geweſen.
Auch der Kaiſer wünſchte den Krieg nur mit guter
Rechtfertigung zu unternehmen. Da ſich wegen der zwei-
deutig geſtellten Friedensartikel zweifeln ließ, wer in der Sache
von Navarra Recht habe, ſo war es ihm beinahe lieb, als
man ihm von ernſtlichen Demonſtrationen der Franzoſen zu
Gunſten Roberts von der Mark Nachricht brachte. „Gelobt
ſey Gott“ rief er aus „ich bin es nicht, der Krieg an-
fängt: Gott giebt mir Gelegenheit mich zu vertheidigen.“
Deſto entſchloſſener zeigte er ſich, das Unternehmen zu Ende
zu führen. Ich müßte, ſagte er, ein erbärmlicher Kaiſer ſeyn,
oder er ſoll ein kläglicher König von Frankreich werden. 1
So begann der Krieg zwiſchen Carl V und Franz I.
Es lag darin eine unmittelbare Fortſetzung der alten bur-
gundiſch-franzöſiſchen Feindſeligkeiten. Zugleich hatte er aber
für das deutſche Reich eine unermeßliche Bedeutung. Zum
erſten Mal eröffnete ſich wieder die gegründete Ausſicht die
Rechte und die Autorität deſſelben wiederherzuſtellen. Die
2
17*
[260]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
Kriegführung und ihre Erfolge, die Wechſel der Politik muß-
ten dann auf das Innere eine unaufhörliche Rückwirkung
ausüben, wie wir ſchon vorläufig bemerkten, und bald deut-
licher wahrnehmen werden.
Feldzug von 1521, 22.
Anfangs ſchien es, als würde die Entſcheidung auf
den alten Schauplätzen der burgundiſchen Kriege, an den
franzöſiſch-niederländiſchen Grenzen erfolgen.
Von dem ohne viel Mühe bezwungenen Gebiete Ro-
berts von der Mark bewegte ſich ein ſtattliches kaiſerliches
Heer, unter dem Grafen von Naſſau, Sickingen und Frunds-
berg, gegen die franzöſiſchen Grenzen, eroberte Mouzon, be-
lagerte Mezieres, und ſetzte die ganze Champagne in Ge-
fahr; allein indeß ſammelte auch Franz ſeine beſten Streit-
kräfte: er fühlte ſich gar bald ſo überlegen, daß er meinte,
Gott ſelber zeige ſich franzöſiſch-geſinnt: die Kaiſerlichen
mußten jene Belagerung aufheben, und als ſie hierauf den
Franzoſen in der Nähe von Valenciennes begegneten, es
für ein Glück halten, daß ſie ungeſchlagen davon kamen:
Georg Frundsberg hielt dieſen Abzug für eine ſeiner rühm-
lichſten Thaten. Eben dadurch aber daß die Franzoſen dieß
geſchehen ließen, ſtellte ſich ein gewiſſes Gleichgewicht her:
die Franzoſen nahmen einige feſte Plätze von Artois, die
Kaiſerlichen Tournay weg: zu ernſtlichen Anſtrengungen,
nahmhaften Erfolgen kam es an dieſer Stelle nicht. 1
[261]Feldzug von 1521.
Dagegen entwickelten ſich die Ereigniſſe in Italien
unerwartet zur Entſcheidung.
Hier kam es vor allem auf jene zwar noch immer
zu dem Reiche ſich haltende, dazu gezählte, aber doch in
ihrer Politik ſo gut wie unabhängige Genoſſenſchaft der
Schweizer an, von welcher die großen Entſcheidungen in
Oberitalien die letzten Jahrzehnde daher immer hauptſächlich
abgehangen. Noch zuletzt hatten ſie im Jahr 1512 Mai-
land für die Sforza’s zurückerobert; nur durch ihre Ent-
zweiung war es, wiewohl auch dann noch nicht ohne eine
der blutigſten Schlachten, verloren gegangen; im J. 1516
hatte Maximilian mit ihrer Hülfe einen abermaligen Zug
in die Lombardei unternommen und hauptſächlich den Män-
geln ſeiner Führung ſchrieb man es zu, daß er mißglückt
war. Auch jetzt rechneten Papſt und Kaiſer bei ihren Plä-
nen hauptſächlich auf die Hülfe dieſer nahen, kriegsfertigen
und tapfern Mannſchaften. Ihre Abſicht war, 16000
Schweizer über die Gebirge kommen und zu derſelben Zeit
in Mailand vorrücken zu laſſen, wenn eine kaiſerliche Flotte
vor Genua, und ein neapolitaniſch-päpſtliches Heer am
Po erſcheinen würde. 1
Und wie hätten ſie an dem glücklichen Erfolg ihrer
Bemühungen zweifeln ſollen? Die Eidgenoſſenſchaft hatte
bei der Kaiſerwahl Partei für Öſtreich genommen: der rö-
miſche Stuhl war in engem Bunde mit ihr, und ſchon im
Anfang des Jahres waren einige tauſend Schweizer in den
Dienſt Leo’s gezogen, der dann ihre Hauptleute in Rom
mit goldnen Ketten beſchenkt hatte.
[262]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
Auch noch eine andre Partei aber gab es in der Schweiz,
die ſich zu Frankreich hielt: die ſchon 1515 die Entzweiung in
dem ausgezogenen Kriegsheer veranlaßt, hierauf den ewigen
Frieden mit Frankreich durchgeſetzt hatte, zwar nicht eben
darauf drang, den König zum Kaiſer zu erheben, wodurch
er legitime Anſprüche auf ſie erlangt haben würde, aber
von dieſer Beſorgniß frei nun um ſo lebhafter in das engſte
Verhältniß mit dieſer Macht zu treten wünſchte. Die Fran-
zoſen thaten alles, um ſie feſtzuhalten und zu unterſtützen.
Ihr Mittel war einfach und unfehlbar. Sie verſprachen
öffentlich Penſionen und wandten insgeheim Beſtechung
an; Anshelm verſichert, es ſeyen nicht allein die Mitglie-
der der Räthe und Bürgerſchaften, ſondern auch die lau-
teſten Wortführer in den Landgemeinden beſtochen worden:
mancher habe ſich mit 10 G. abfinden laſſen, in manches
Haus dagegen ſeyen 3000 G. gefloſſen. 1 Es fehlte wohl
nicht an Widerſpruch. Man bemerkte wie ein ungleiches
Verhältniß die Verpflichtung begründe, daß jeder Theil
die Beſitzungen des andern vertheidigen ſolle: die Eidgenoſ-
ſenſchaft die weitläuftigen Länder des Königs dieſſeit und
jenſeit des Gebirges: der König das enge ſchweizeriſche Ge-
biet: man ſagte, Franz I werde durch Werbungen und Pen-
ſionen ſo gut Herr in der Eidgenoſſenſchaft; 2 allein da die
Majoritäten weniger durch Argumente als durch Intereſſen
beſtimmt zu werden pflegen, richtete man damit nichts aus:
es ward erwiedert, einen Rückhalt für unvorhergeſehene
[263]Feldzug von 1521.
Fälle bedürfe doch auch die Eidgenoſſenſchaft, und wo
könne es je ein beſſeres Verhältniß geben? man laſſe dem
König die muthwillige Jugend zulaufen, die man ohnehin
nicht zurückzuhalten vermöge, und ziehe dafür von ihm ſo
große Nutzung. Nur in Zürich bildete ſich, und zwar im Zu-
ſammenhang mit einer tieferen religiöſen Überzeugung, ein fe-
ſterer Widerſtand: alle andern Orte aber, zuletzt auch Schwyz
und Glarus, die ſich am längſten gehalten, gaben nach:
am 5ten Mai 1521, eben indem man zu Rom mit der
Feſtſetzung jener Pläne beſchäftigt war, kam zu Lucern das
Bündniß zu Stande, in welchem der König, der Eidgenoſ-
ſenſchaft die ſchon früher bezahlten Penſionen um die Hälfte
zu erhöhen, 1 dieſe dagegen dem König, ſo oft er in ſeinen
Beſitzungen angegriffen werde, zu Hülfe zu kommen, ihm
jedes Mal Werbung von 6000 bis 16000 M. zu geſtat-
ten verſprach. Es iſt das die Grundlage aller ſpäteren
Bündniſſe zwiſchen Frankreich und der Schweiz. Welch
eine große Autorität in Europa hätte der Eidgenoſſenſchaft
die Erneuerung eines Verhältniſſes zu Mailand geben müſ-
ſen, wie es von 1512 bis 1515 beſtanden! Allein ſie ver-
zichtete darauf: ſie machte ihren Arm und ihre Kraft, ihre
ganze kriegeriſche Macht, durch die ſie einen Namen erwor-
ben, um jener Geldzahlungen willen den Zwecken der fran-
zöſiſchen Krone dienſtbar. Sie that einen neuen Schritt
zu ihrer Trennung von dem Reiche, an das ſie durch die
Bande der Nationalität und Geſchichte geknüpft war, an
welches angelehnt ſie eine großartige Haltung unter den
[264]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
Mächten der Welt hätte einnehmen können. Im Juli 1521
erhob ſich eine feierliche Abordnung nach Dijon zu König
Franz I, um ihm das verſiegelte Bundesinſtrument zu über-
bringen: und die Mutter des Königs hatte ihr Vergnügen
daran, welche Ehrerbietung dabei ihrem Sohne bewieſen
ward; unmittelbar hierauf zogen ſchweizeriſche Schaaren
in den Krieg des Königs, ſo wohl in die Picardie als nach
Italien.
Es leuchtet ein, wie ſehr nun hiedurch alle jene Pläne
des Papſtes und des Kaiſers durchkreuzt wurden.
Auch in Italien beſchleunigte ein Angriff der Franzo-
ſen und zwar ein ſehr ſchlecht überlegter auf die Stadt
Reggio, wo ſie mailändiſche Ausgewanderte aufzuheben
gedachten, den Ausbruch der Feindſeligkeiten. Schon im
Juli 1521 brach Prospero Colonna, dem der Oberbefehl
über die päpſtlich-kaiſerlichen Truppen anvertraut war, von
Bologna auf, um Parma anzugreifen: eine Flotte ſetzte
ſich gegen Genua in Bewegung: in Trient ſammelten ſich
um Maximilian Sforza deutſche Fußvölker: auf dem Co-
mer See erſchienen die ausgewanderten Gibellinen, die dort
immer ſchon einen räuberartigen Krieg geführt, mit ein
paar Schiffen. 1
Allein wohin konnte alle das führen, da die Haupt-
macht, von der man einen großen Einbruch im Mailän-
diſchen erwartet, jetzt mit dem Feinde ſogar gemeinſchaft-
liche Sache gemacht, deſſen Selbſtvertrauen dadurch an al-
[265]Feldzug von 1521.
len Puncten erhöht hatte. Die Unternehmungen auf Ge-
nua und Como mißlangen vollſtändig. Ein Glück, daß
wenigſtens die Deutſchen von Trient Mittel fanden, ſich
mit dem Heere vor Parma zu vereinigen; dahin ſammelten
ſich denn nicht minder die zum Angriff [auf] Genua beſtimmt
geweſenen Mannſchaften: allein trotz alle dem fühlte man
ſich auch dort nicht ſtark genug zu einem ernſtlichen letz-
ten Angriff: am 12ten September ward die Belagerung
aufgehoben. 1
Dagegen beſaßen die Franzoſen in dieſen Tagen das
volle Übergewicht. Die Venezianer hatten 500 Hommes
d’Armes und 6000 M. z. F. ins Feld geſtellt: der Her-
zog von Ferrara, dem es nicht entging, in welcher Gefahr er
ſchwebe, fiel in das päpſtliche Gebiet ein. Nach und nach
kamen die Schweizer das Gebirg herab: die Berner voran,
eben von den feurigſten Parteigängern der Franzoſen an-
geführt. Der päpſtliche Commiſſarius bei der Armee, der
Geſchichtſchreiber Guicciardini verſichert, wenn die Fran-
zoſen in dieſem Moment, wo überdieß in dem verbündeten
Heere Zwietracht und Unordnungen ausgebrochen, angegrif-
fen hätten, ſo würden ſie ohne alle Mühe geſiegt haben. 2
Allein in dieſem Augenblicke zeigte ſich von eben dort
wo die Gefahr entſprungen, auch die Hofnung eines beſ-
ſeren Erfolges.
Kaiſerliche und päpſtliche Geſandte waren reich mit
[266]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
Geld und Wechſeln verſehen in die Schweiz gekommen, und
hatten doch auch wieder für ihre Anträge einen ſehr gün-
ſtigen Boden gefunden. Indem ſie auf die ältern Verpflich-
tungen drangen, wie gegen den Kaiſer und Öſtreich, ſo
namentlich gegen den Papſt, brachten ſie erſt zu vollkom-
mener Anſchauung in welche Gefahr man ſich geſtürzt hatte.
Durch alte Bündniſſe war man verpflichtet, einige öſtrei-
chiſche Gebiete, z. B. die freie Grafſchaft, alle Beſitzthümer
der römiſchen Kirche zu beſchirmen: jetzt hatte man dage-
gen einen Bund eingegangen, in welchem eine ausdrück-
liche Clauſel beſagte, man werde auch gegen die Vorbehalte-
nen — hauptſächlich eben Öſtreich und den Papſt — zu Felde
ziehen, wenn ſie den König in ſeinem Gebiete angreifen
würden. Noch dienten eine Anzahl Eidgenoſſen in dem
päpſtlichen Heere, ſie waren bei der Unternehmung auf
Parma, während andre unter Lautrec zu dem Entſatz die-
ſes Platzes mitwirkten. Was ſollte daraus werden, wenn
beide irgendwo auf einander ſtießen. Der franzöſiſche Bund
war das Werk einer Partei: nichts war natürlicher als
daß ſich ihr aller Orten eine andre entgegenſetzte. Auch
die Unordnung des Aufbruches, zur ungelegenſten Zeit,
machte man ihr zum Vorwurf: hie und da waren die Wei-
ber genöthigt geweſen die Ernte einzubringen. Zürich, das
den franzöſiſchen Bund, kraft eines gleichlautenden Beſchluſ-
ſes des Rathes in der Stadt und der Gemeinde auf dem
Lande, zurückgewieſen, war ohnehin entſchloſſen, den päpſt-
lichen aufrecht zu halten. Aller dieſer Regungen bediente
ſich nun der alte Meiſter ſchweizeriſcher Umtriebe, der Car-
dinal von Sitten. In Zürich ward ihm eine große Wer-
[267]Feldzug von 1521.
bung geſtattet, von 2700 Mann, obwohl mit der ausdrück-
lichen Bedingung daß ſie nur zur Vertheidigung der päpſt-
lichen Beſitzungen, keineswegs zum Angriff auf Mailand
gebraucht werden dürfe; dieß war aber nur der Kern, um
den ſich faſt aus allen Orten päpſtlich-kaiſerliche Partei-
gänger ſammelten: der Cardinal bewilligte einen noch reich-
lichern Sold als die franzöſiſchen Bevollmächtigten: wir
finden wohl, daß ein Fähnlein, das für Frankreich gewor-
ben worden, wie es war, nur ohne den Hauptmann, in
päpſtliche Dienſte trat: bei der Muſterung in Chur in der
zweiten Hälfte des September fanden ſich über 6000 Mann,
zu denen ſich dann noch graubündner und walliſer Mann-
ſchaften geſellten. 1
Indem der Papſt über den ſchlechten Erfolg ſeiner
Unternehmung höchlich betreten war, empfieng er dieſe Nach-
richten. Sein Nuncius Ennio verſicherte ihn, die Clauſel
der zürcheriſchen Bewilligung werde die Truppen nicht ab-
halten, Parma, Piacenza, ſelbſt Ferrara anzugreifen, da
das kirchliche Beſitzungen ſeyen, ja er getraue ſich, wenn
er nur bei einigen Hauptleuten Geld anwende, ſie auch zu
jedem andern Unternehmen zu vermögen. 2
Hiedurch erneuerte ſich in den Verbündeten die faſt
ſchon aufgegebene Hofnung. Es lag am Tage, daß das
[268]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
Erſcheinen einer ſo ſtarken ſchweizeriſchen Mannſchaft in
dem päpſtlich-kaiſerlichen Heere, wenn nichts weiter, doch
die ganze Kraft des Feindes, die eben in ſeinen Schwei-
zern beruhte, lähmen müſſe. Es kam nur darauf an, ſich
mit ihr zu vereinigen. Hiezu ſetzte ſich das Heer ſofort
in Bewegung. Cardinal Julius Medici war von Florenz
her bei demſelben angelangt, hatte alle Streitigkeiten der
Heerführer beſeitigt, den guten Willen der Truppen mit
dem florentiniſchen Geld das er mitbrachte wiederhergeſtellt:
13 Saumthiere waren in ſeinem Gefolg: man ſagte ſie
ſeyen alle mit Geld beladen. Prospero Colonna gieng am
1ſten October bei Caſal-maggiore über den Po und nahm
ſeinen Marſch den Oglio aufwärts. Indeſſen kamen von
Chiavenna her über den Morbegno die Schweizer von den
Alpen herab: weder Gebirg noch Gewäſſer, weder die An-
mahnungen der Landsleute, noch die Feindſeligkeiten der
Franzoſen konnten ſie abhalten. Ende October erſchienen
auch ſie am obern Oglio.
Augenſcheinlich lag nun das Heil der Franzoſen darin,
die Vereinigung dieſer beiden Heeresmaſſen zu hindern.
Prospero Colonna hatte ein ſo wenig vortheilhaftes Lager
bei Rebecca bezogen, daß ſich ſelbſt bei den bedächtigen
Venezianern die Meinung regte, man müſſe ihn angreifen:
die Schweizer drangen darauf: ſie wollten ſchlagen, ehe
ihre Eidgenoſſen drüben angekommen: in einem Kriegsrath
der deshalb gehalten ward, waren beinahe alle Stimmen
für den Angriff: nur der Oberbefehlshaber Lautrec war nicht
dazu zu bewegen. 1 Man führt mancherlei Gründe an, die
[269]Feldzug von 1521.
er dafür gehabt haben könne: die Hauptſache war: er hatte
die Entſchloſſenheit nicht: er war kein General für einen
ernſtlichen Krieg. Er zog es vor, die nächſten Feſtungen
beſſer zu beſetzen und eine feſte Stellung hinter der Adda
zu nehmen. Ohne Hinderniß vereinigte ſich bald darauf
Prospero Colonna mit den Schweizern zu Gambara. Wie
es der Nuncius vorhergeſagt, nahm es ſich ein Theil der-
ſelben nicht übel, mit gegen Mailand vorzurücken; die Ge-
wiſſenhaftern, die durch keine Verſprechungen dazu zu brin-
gen waren, zogen dagegen nach Reggio, um von hier
aus die der Kirche zugehörenden Plätze Parma und Pia-
cenza anzugreifen.
Hiedurch nun bekamen die kaiſerlich-päpſtlichen Schaa-
ren das unzweifelhafte Übergewicht. Die franzöſiſchen
Schweizer, mißvergnügt, daß ſie den Schlachtſold nicht
verdient, überdieß unzufrieden mit Lautrec, der ſeiner deut-
ſchen Garde den Vorzug vor ihnen gab, und von heimi-
ſchen Geſandten ermahnt, um Gottes Willen nicht mit ihren
Eidgenoſſen zu ſchlagen, giengen ſchaarenweiſe nach Hauſe.
Hatte die Entzweiung der Schweizer im J. 1515 die Erobe-
rung von Mailand den Franzoſen ſo weſentlich erleichtert, ſo
war die Weiterentwickelung derſelben jetzt auch an ihrem Ver-
luſte Schuld. Die Verbündeten bewirkten, in dieſem Au-
1
[270]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
genblick durch neu ankommende Graubündner unterſtützt,
mit eben ſo viel Glück wie Geſchicklichkeit ihren Übergang
über die Adda: Lautrec ſah ſich ganz auf die feſten Städte
beſchränkt.
Da aber war alles ſchon lange in feindſeliger Gäh-
rung. Die Gibellinen haßten die franzöſiſche Regierung:
auch die Guelfen waren von ihr nicht mit alle der Rück-
ſicht behandelt worden die ſie forderten: ihr vornehmſtes
Oberhaupt, der alte Trivulzi, der eine Zeitlang mehr ver-
mochte als der franzöſiſche Gouverneur, war eben darum
in die Ungnade des Königs gefallen und darin geſtorben;
dazu kamen die Erpreſſungen und Gewaltſamkeiten, welche
die Herrſchaft der Franzoſen in fremden Ländern gewöhn-
lich verhaßt machen: als Lautrec in Mailand anlangte,
fand er eine ſo ſtarke Bewegung daß er eine ſtrenge Execu-
tion für nothwendig hielt; den alten Chriſtoph Pallavicini,
einen nahen Verwandten des Hauſes Medici, eins der
Oberhäupter der gibelliniſchen Faction ließ er in dem Ca-
ſtell enthaupten. 1 Dieſe Grauſamkeit, der Anblick eines
geſchlagenen Heeres, das Gerücht von der Annäherung ei-
nes übermächtigen Feindes, man kann denken wie alle das
wirkte. Schon immer hatten Prospero und Cardinal Ju-
lius ihre Hofnung auf dieſe Stimmung geſetzt. 2 Franz
[271]Feldzug von 1521.
Sforza hatte ſie durch einige Erlaſſe genährt, die nichts
als Schonung und Milde athmeten, das väterliche Regi-
ment eines angeſtammten Fürſten verſprachen, und mit Be-
gierde geleſen wurden. Als die Verbündeten in die Nähe
von Mailand kamen, wurden ſie aufgefordert, nur ohne
Zögern heranzurücken, einen Angriff zu verſuchen: die ganze
Stadt werde ſich für ſie erheben. Es war im November,
Wetter und Weg ſo ſchlecht wie möglich: unter dieſen Um-
ſtänden aber rückte man vorwärts. Abends am 19ten
langte man an: und machte ſich daran ein Lager aufzu-
ſchlagen. Indem meldeten ein paar leichte Reiter, wie ſchlecht
die Verſchanzungen ſeyen, welche Lautrec in der Eile um
die Stadt her aufgeworfen: der Marcheſe Pescara, Be-
fehlshaber der ſpaniſchen Fußvölker, ſagte: wir müſſen das
Nachtlager in den Vorſtädten nehmen: und unverzüglich
machte er ſich an der Spitze von 60 ſpaniſchen Schützen
nach der Porta Romana auf den Weg: ein Haufen
Landsknechte lief hinter ihm her. Wie ein Spiel, wie ein
Scherz begann das Ereigniß, das für die folgenden Jahr-
hunderte von Italien entſcheidend werden ſollte. Wettei-
fernd ſetzte ſich Prospero Colonna mit einer andern Schaar
von Deutſchen und Spaniern nach der Porta Ticineſe in
Marſch. Die Verſchanzungen waren leicht genommen: aber
da faſt die ganze feindliche Armee in der Stadt lag,
und ſich raſch zum Widerſtande ſammelte, ſo war die
Sache doch noch zweifelhaft, und wenigſtens ein Theil der
Angreifenden hielt bereits wieder für rathſam, ſich zurück-
zuziehen. In dieſem Momente griff die Bevölkerung ein.
Das Geſchrei erhob ſich in den Straßen: „der Herzog, das
[272]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
Reich, nieder mit den Franzoſen;“ eine allgemeine Empö-
rung ſchien ſich vorzubereiten; da in dieſem Augenblick erſt
die Maſſe der kaiſerlich-päpſtlichen Armee anrückte, die
Landsknechte, bis an den Gürtel im Waſſer, an verſchiede-
nen Stellen, durch die Gräben giengen und die Verſchan-
zungen erſtiegen, verzweifelte Lautrec ſich zu behaupten, und
verließ die Stadt durch die entgegengeſetzte Porta Coma-
ſina. Die Venezianer waren leicht entwaffnet. Die ſchwei-
zeriſchen Hauptleute wollten ſich von den Franzoſen nicht
trennen laſſen und eilten ihnen nach. Binnen zwei Stun-
den war die Stadt erobert. 1 Alle Straßen waren feſtlich
erleuchtet, als die Kaiſerlichen in die eigentliche Stadt ein-
rückten. Noch an demſelben Abend ward ausgerufen, daß
Kaiſer und Papſt ſich entſchloſſen, den Mailändern ihren
angeſtammten Herzog Franz Sforza zurückzugeben. Deſſen
vertrauter Rath, Hieronymus Morone, der die Verbin-
dung mit den gibelliniſchen Familien unterhalten, überhaupt
zum Gelingen der Unternehmung das Meiſte beigetragen
hatte, übernahm die Verwaltung.
Dem Beiſpiel von Mailand folgten Pavia und Lodi
dieſſeit, Parma und Piacenza jenſeit des Po. Gegen dieſe
beiden Städte leiſteten jene Schweizer, Zuger und Züri-
cher die nicht mit nach Mailand gegangen, hauptſächlich
eine nunmehr auch hier ſehr willkommene Hülfe.
Da-
[273]Feldzug von 1521.
Damit war aber die Sache noch keineswegs beendigt.
Das franzöſiſche Heer ward nicht auseinandergeſprengt,
wie man erwartet hatte: es nahm eine feſte Stellung in
Cremona, von wo es auf der einen Seite Mailand, auf
der andern Parma und Piacenza gefährdete: es hatte noch
eine Anzahl Caſtelle, in Mailand Novara Trezzo Pizzighe-
tone, die feſten Plätze in den Alpenpäſſen, Domo d’Oſſola
und Arona ſammt allen andern am Lago maggiore inne.
Der plötzliche Tod Leos X, den ſein Geſchick abrief, als
er die erſten günſtigen Nachrichten empfangen, nöthigte
die kaiſerlich-päpſtlichen Hauptleute ſparſam zu ſeyn, und
von ihren Truppen ſo viel als irgend entbehrlich zu ent-
laſſen. Für den Augenblick wenigſtens hätten ſie auf keine
weitere Unterſtützung aus dem toscaniſchen oder kirchlichen
Gebiete rechnen dürfen, die in eigene gewaltſame Bewe-
gung geriethen, während die Franzoſen über die Unter-
ſtützung von Genua und Venedig zu gebieten hatten. Was
aber die Hauptſache war: die Schweizer nahmen nach die-
ſem Verluſte, welchen ſie im Grunde allein verſchuldet,
eine einträchtigere Haltung an. Der Kaiſer forderte ſie
auf in ſeinen Bund zu treten: das Reichsregiment erinnerte
ſie an ihre Pflichten als Glieder des Reiches: eine Ge-
ſandtſchaft von Mailand bot ihnen Tribut an; aber es war
alles vergebens: die franzöſiſche Partei, durch die aus Ita-
lien zurückgekehrten mächtigen Kriegsanführer wieder er-
gänzt, machte ihre Überlegenheit geltend: 1 die Gegner
Ranke d. Geſch. II. 18
[274]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
ſelbſt waren von der Gefahr betroffen, in welche die Eid-
genoſſenſchaft durch ihren Widerſpruch gegen die Mehrheit
gerathen war: jetzt rief Zürich ſeine Angehörigen aus Ita-
lien zurück: dagegen bewilligten die zwölf Orte dem König
eine Werbung von 16000 Mann: ſie räumten den Be-
vollmächtigten deſſelben Ausmuſterungen ein, die ſie ſonſt
nie geſtattet; noch am Ende des Januar 1522, während
der Schneefall die kaum gebahnten Wege immer wieder
verwehte, brachen ſie auf über die Alpen.
Hiedurch nahm nun aber das ganze politiſche Ver-
hältniß erſt eine vollkommener entwickelte Geſtalt an.
Die Schweizer ſetzten ſich den Anſprüchen des Kai-
ſers und des Reiches entgegen: nur durch eigentlich deut-
ſche Kräfte konnte man, wenn es überhaupt möglich war,
dieſelben behaupten: keine Erbeinung, keine Unterhandlung
half dem Kaiſer ferner: er war allein auf den Arm und
die Treue der Landsknechte angewieſen.
Schon befand ſich eine nicht geringe Anzahl von Lands-
knechten im Mailändiſchen. Sie waren im vorigen Jahr in
Tirol und Schwaben hauptſächlich mit päpſtlichem Geld ge-
worben worden: es findet ſich, daß damals unter andern die
wirtenbergiſchen Amtleute den Auftrag bekamen, einen Je-
den laufen zu laſſen, von dem es beſſer ſey, er ſey außer
dem Lande: 1 fünf Fähnlein hatte Franz von Caſtelalt
herüber geführt. 2 Jetzt aber ſetzte ſich der nahmhafteſte
deutſche Feldhauptmann, Georg von Frundsberg ſelbſt in
[275]Feldzug von 1522.
Bewegung. Er war mit Franz Sforza perſönlich bekannt,
der hatte ihn wohl einſt auf ſeinem Schloß zu Mindelheim
beſucht: ein anderer italieniſcher Prätendent, Hieronymo
Adorno, der in Genua hergeſtellt zu werden wünſchte, und
ſich gleich um den Abſchluß des Bundes ſehr verdient
gemacht hatte, erſchien mit hinreichenden Geldmitteln in
Deutſchland; hierauf ward in Augsburg die Trommel
gerührt: gar bald ſammelten ſich zwölf Fähnlein Lands-
knechte zu Georg Frundsberg, mit denen er am 12ten Fe-
bruar von Glurns aufbrach. Mit der Ungunſt der Jah-
reszeit hatte er um ſo mehr zu kämpfen, da ihm die Grau-
bündner den Weg über das Valtellin nicht geſtatteten: ei-
nen weit beſchwerlichern, über das Wormſer Joch nach
Lovere und dem Iſeoſee hin mußte er nehmen: er brauchte
200 Bauern, denſelben zu bahnen: aber noch zur rechten
Zeit langte er an, eben als die Schweizer und Franzoſen
von Monza her Mailand bedrohten. 1
Und noch ein drittes deutſches Heer ſammelte ſich um
Maximilian Sforza zu Trient, 6000 M. ſtark; Adorno,
deſſen perſönliche Hofnungen von dem Ausgang dieſes
Feldzuges abhiengen, eilte zurück, um auch dieſes herbeizu-
führen.
Die Franzoſen machten einen Verſuch auf Mailand:
allein Prospero hatte ſich ſowohl gegen das Caſtell nach
innen, als gegen den Feind nach außen auf das beſte in
Vertheidigungsſtand geſetzt. Er gehörte zu der claſſiſchen
Schule des damaligen Italiens, und man behauptet, eine
18*
[276]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
ähnliche Vertheidigung Cäſars vor Aleſia habe ihm zum
Muſter ſeiner Anſtalten gedient. 1
Einige Plätze, wie Novara, Vigevene, nahmen die
Franzoſen und Schweizer: woran aber bei weitem mehr
lag, die Vereinigung Franz Sforzas mit Prospero konn-
ten ſie nicht verhindern: am 4ten April, nach 22jähriger
Abweſenheit zog der neue Herzog in Mailand ein: unter
dem Geläute der Glocken, unaufhörlichem Freudeſchießen,
dem Jubel der Bevölkerung; ſie hatten nun gelernt, was
ein einheimiſcher angeſtammter Fürſt zu bedeuten habe: ein
ſolcher, meinten ſie, werde ſich mehr um ſie kümmern, ſie beſ-
ſer zu ſchätzen wiſſen, als ein fremder König. Franz Sforza
war in der unglücklichen Nothwendigkeit, mit Forderungen
beginnen zu müſſen; Alles wetteiferte jedoch, ſie ihm zu
erfüllen. Vornehme und Geringe brachten Geld und Gel-
deswerth: ein Jeder wünſchte ihm Liebe zu beweiſen, ſeine
Gnade zu verdienen. 2 Ein Auguſtiner, Fra Andrea da
Ferrara erhielt das Volk durch feurige Predigten in dieſer
Stimmung: er ſtellte die Franzoſen als Feinde Gottes dar.
So wurden die Kaiſerlichen fähig, wieder im Felde
zu erſcheinen. Nachdem ſie Pavia entſetzt, nahmen ſie eine
feſte Stellung vor Mailand, bei Bicocca, in der Hofnung,
daß der ungeſtüme Feind ſie hier aufſuchen würde.
In der That ließ dieſer nicht lange auf ſich warten.
Wie es zu geſchehen pflegt, man ſuchte vor allem den zu-
[277]Schlacht bei Bicocca.
letzt begangenen Fehler zu vermeiden. Jedermann war der
Meinung, daß es im vorigen Herbſt bei Rebecca nur ei-
nes entſchloſſenen Angriffes bedurft hätte, um den Sieg
zu erfechten: namentlich die Schweizer waren davon über-
zeugt: ſie wollten ſich die Gelegenheit nicht wieder entgehn
laſſen, und forderten ihren Feldherrn mit Ungeſtüm auf,
ſie an den Feind zu führen. Auch Lautrec war wohl an
ſich ſelbſt irre geworden. Obwohl er das Vorhaben der
Schweizer nicht ganz billigte, ſo wagte er doch auch nicht
ihnen abermals ſo ernſtlich zu widerſtehen: er ließ ſich von
ihnen fortreißen. Am Morgen des 27ſten April ſetzten ſich
Schweizer und Franzoſen gegen Bicocca in Bewegung.
Die Kaiſerlichen hatten ihr Lager in einem durch
Sumpf, Hohlwege, Gräben und Hecken eingeſchloſſenen
Landgut genommen und ſich hier nach den Regeln der Kunſt
wie in einer Feſtung verſchanzt, ihr Geſchütz auf hohen
Bruſtwehren aufgeſtellt. Das Heer beſtand aus jenen deut-
ſchen Fähnlein, die unter Georg Frundsberg und Rudolf
Häl die Front einnahmen, aus ſpaniſchen Fußvölkern,
namentlich Hakenſchützen, die ſeit den frühern Kriegen in
Italien geblieben, und ſchon unter Gonſalvo di Cordova an
der Seite der Deutſchen gekämpft hatten, und italieniſchen
Gibellinen, welche die Macht des Reiches hergeſtellt zu
ſehen wünſchten, um unter deſſen Schutze ihrer Gegner
Herr zu werden. Es war ein Heer, das die ſpaniſch-deut-
ſche, auf der Idee des Reiches beruhende Macht des Kai-
ſers vollkommen repräſentirte. Franz Sforza, deſſen Heil es
hier zunächſt galt, beſetzte noch am Morgen mit mailän-
diſchen Schaaren zu Fuß und zu Pferd eine Brücke, die
[278]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
ſonſt einen Zugang zu dem Lager eröffnet haben würde. Ein
Prediger-mönch von S. Marco war mit ihm: er verkün-
digte, daß der Himmel dem neuen Herzog den Sieg be-
ſtimmt habe: dieſe patriotiſchen Regungen kamen der Idee
des Kaiſerthums wieder einmal zu Hülfe.
Dagegen ſtanden die eidgenoſſiſchen Schaaren dießmal
ungetheilt auf der Seite der Franzoſen So oft dieß früher
der Fall geweſen, hatten ſie immer den Sieg entſchieden:
auch waren ſie wieder von Siegeszuverſicht entflammt.
Ihre Kriegskunſt hatte bisher immer in dem wilden,
ſtracken, graden Anlauf auf das Lager, das Geſchütz des
Feindes beſtanden. So ſetzten ſie ſich auch jetzt in Marſch:
in zwei großen Haufen, dem einen aus den Ländern, un-
ter Arnold Winkelried von Unterwalden, dem andern aus
den Städten, unter Albrecht von Stein. Sie litten keine
Vermiſchung mit den Wälſchen: den Erinnerungen des
Oberbefehlshabers, der ihren Sturm zu mäßigen ſuchte,
begegneten ſie mit Geſchrei und Verwünſchungen: die Län-
der hatten das erſte, die Städte das zweite Treffen bilden
ſollen, aber in faſt parallelen Gliedern kamen ſie an, ſo
daß jene den rechten, dieſe den linken Flügel ausmachten:
auf das Geſchrei der Menge traten die Junker, Penſioner
und Trippelſöldner in das vorderſte Glied: es war in ihnen
ein wilder Kriegsmuth, ohne alle höhere Begeiſterung,
der nur auf ſich ſelber trotzte, jede fremde Einwirkung, jede
Rückſicht von ſich ſtieß: ſie wußten daß ſie Miethlinge wa-
ren, aber ein Jeder ſollte und wollte ſeine Pflicht thun:
den Sturmſold zu verdienen, ihre alten Gegner, die Schwa-
ben, die Landsknechte zu bezwingen war am Ende ihr höch-
ſtes Ziel.
[279]Schlacht bei Bicocca.
Das Lager aber das ſie jetzt angriffen war in beſ-
ſerm Vertheidigungszuſtand als jemals ein anders. Indem
ſie anrückten, wurden ſie in ihrer linken Flanke von
dem wohlaufgeſtellten feindlichen Geſchütz furchtbar empfan-
gen: gleich da ſchwankte ihre Schlachtordnung: die Länder
drängten nach den Städten: da dieſe aber nicht wichen,
ſo ordneten ſich auch jene wieder: dem unaufhörlichen Ku-
gelregen der Hakenſchützen zum Trotz ſtürmten beide Haufen
zugleich gegen die Linie der kaiſerlichen Verſchanzungen
heran.
Als Georg Frundsberg den Feind ſich nähern ſah,
ſtieg er vom Pferd, nahm eine Hallbarte und ſtellte ſich
in die Reihen der Landsknechte. Sie ſanken auf ihre Knie
und beteten. Indem kamen die Schweizer. „Wohlauf,“
rief Frundsberg, „in einer guten Stunde im Namen Got-
tes.“ Die Landsknechte ſprangen auf. Die Schweizer
drangen durch Graben und Hohlweg in tiefen Colonnen ge-
gen die Reihen der Landsknechte vor, und begannen das
Handgemenge. „Ha treff ich dich hier alter Geſell,“ rief Ar-
nold Winkelried aus, als er des Frundsberg anſichtig
wurde, mit dem er wohl einſt unter Maximilian zuſam-
men gedient, „ſo mußt du von meiner Hand ſterben.“
„Wills Gott,“ ſagte Frundsberg, „du von der meinen.“
Frundsberg erhielt einen Stich im Schenkel, Winkelried
fiel von einer Kugel. Weit über die Fronte hin gerieth
man an einander. In Geſchichten und Liedern wird die
Tapferkeit des Rudolf Häl, Caſtelalts, des Fähndrich Bran-
deſſer, der Rotte des Strälin gerühmt. Aber auch die
Schweizer hielten an, was um ſo bewundernswürdiger
war, da ſie noch nicht aus dem Bereich des Geſchützes
[280]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
gekommen: ſie hofften noch immer, den Feind ſeinem Vor-
theil zum Trotz zu übermannen.
Da hatte indeß auch die franzöſiſche Reiterei einen
Angriff auf jene Brücke gemacht und war abgeſchlagen wor-
den: ihre rückgängige Bewegung wirkte auf die im Hinter-
treffen aufgeſtellten Mannſchaften und zog ſie mit ſich fort.
Das Geſchrei erhob ſich: „hinten fliehen ſie.“ Zu der Wir-
kung des Geſchützes, der Uneinnehmbarkeit der Verſchanzun-
gen und dem hartnäckigen Widerſtand des Feindes kam die
Gefahr, verlaſſen zu werden. So ungeſtüm die Schweizer
herangeſtürmt, ſo gewaltſam erhob ſich in ihnen der Ent-
ſchluß zurückzugehn. Ein paar tauſend Todte hatten ſie auf
dem Schlachtfeld verloren: übrigens zogen ſie in ziemlich
geſchloſſener Ordnung von dannen.
Die italieniſche Reiterei, die ſpaniſchen Fußvölker bra-
chen nun hinter ihnen her aus den Verſchanzungen hervor,
jedoch ohne ihnen vielen Schaden zu thun.
Auch Frundsberg ward aufgefordert, ihnen nachzu-
ſetzen. Er war aber ſchon zufrieden, daß man den gewal-
tigen Feind abgeſchlagen: er ſagte: für heute habe er ge-
nug Ehre eingelegt; er fühlte was dieſer Sieg zu bedeuten
hatte und wollte ihn nicht durch die Unordnung des Ver-
folgens gefährden. 1
[281]Einnahme von Genua.
Da die Kriegscaſſe der Franzoſen erſchöpft war, ließen
ſich die Schweizer hierauf nicht länger im Felde halten: ſie
begaben ſich nach Hauſe. Auch die Franzoſen gaben jetzt
den Feldzug verloren. Auf einem oder dem andern Weg
giengen ſie über die Alpen zurück. Das ganze mailändiſche
Gebiet kam bis auf ein paar Caſtelle wieder in die Hände
Sforzas und erkannte den Kaiſer als ſeinen Lehnsherrn an.
Da konnte die franzöſiſch-geſinnte Partei ſich auch in
Genua nicht länger behaupten. Unglücklicherweiſe war ſie
zwar ſo mächtig, um den Abſchluß eines Vertrages zu
verhindern, ſo lang es noch Zeit war, aber zu allem ei-
gentlichen Widerſtand unfähig. Die Stadt ward mit Ge-
walt genommen und geplündert. Die Adorni erreichten
nun wirklich das Ziel das ſie von Anfang an ins Auge
gefaßt, und gelangten zur Regierung.
Bei den italieniſchen Geſchichtſchreibern tritt der An-
theil den die Deutſchen daran nahmen minder hervor.
Deſto ausführlicher ſchildert das hiſtoriſche Lied, 1 „wie man
den Adler aufs neue fliegen läßt, unter dem ſich jetzt mancher
1
[282]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
ſchmiegen muß, der ſonſt die Stirn hochgetragen, und Georg
Frundsberg auf des Kaiſers Befehl das Heer nach der
Seeküſte gegen Genua führt. Gern folgen ihm die Lands-
knechte: die Genueſen fühlen, daß ſie der kaiſerlichen Krone
nicht widerſtehn können, aber die Ankunft franzöſiſcher Hülfe
unter Peter Navarra bringt ſie doch dahin, es zu verſu-
chen: hierauf führt man das Geſchütz herbei, das die
Knechte freudig bedienen: es kommt zu einem Scharmützel
vor den Mauern: Stürmen und Fechten iſt den Deut-
ſchen eben ein Spiel: ſie ſind es welche die Stadt erobern:“
keiner fremden Theilnahme, keines ausländiſchen Anführers
wird dabei gedacht. Gewiß iſt es, daß ſie großen An-
theil ſo an dem Sieg wie an der Plünderung hatten. Sie
maaßen das Tuch mit ihren Spießen: ſie kleideten ſich in
Sammt und Seide: eine Anzahl reicher Familien kaufte
die Plünderung mit Geld ab. Frundsberg war mißver-
gnügt, daß ſo viele Reichthümer, mit denen das Heer lange
Monate hindurch hätte im Feld können erhalten werden,
demſelben ſo unordentlich in die Hände geriethen: für ſich
ſelbſt nahm er aus der Beute vor allem einen ſchönen
Compaß, gleichſam zum Andenken. So groß der Verluſt der
Genueſen auch war, ſo machten ſie doch nicht viel Aufhebens
davon: ſie hätten gefürchtet ihren Credit zu erſchüttern. 1
So wurden dieſe alten Reichskammerländer, Genua
und Mailand nach langer Entfremdung wieder herbeigebracht:
ein ſiegreiches kaiſerliches Heer, wie ſeit Heinrich VI keins
ſo mächtig geweſen, ſetzte ergebene Herrſcher auf legitimem
Wege daſelbſt ein.
[283]Idee einer Unternehmung auf Frankreich.
Der Erfolg war im Grunde noch größer als der Kai-
ſer erwartet, ja ſelbſt als er zu beabſichtigen gewagt hatte.
Man hatte die Schweizer nur zu gewinnen, ja noch im
Anfang des Jahres durch eine jährliche Penſion zu befrie-
digen gedacht, jetzt hatte man ſie überwunden und ausge-
ſchloſſen. Kräfte des innern Deutſchlands, über welche der
Kaiſer bei weitem mehr gebieten konnte, hatten den Sieg
erfochten, die Eroberung vollbracht.
Und in dieſem Momente eröffnete ſich Ausſicht und
Anlaß zu einer noch bei weitem umfaſſendern Unternehmung.
Feldzug von 1523, 24. Angriff auf Frankreich.
Die Rechte des Reiches erſtreckten ſich nicht allein
auf Italien: ſie umfaßten zugleich einen großen Theil des
ſüdlichen Frankreichs und waren auch hier noch keineswegs
vergeſſen. Noch immer führte der Churfürſt von Trier den
Titel eines Erzcanzlers in Arelat: noch im J. 1401 hatte
Ruprecht ſeinen Sohn zum Vicarius dieſes Reiches beſtimmt:
1444 hatte Friedrich den Dauphin zu Hülfe gerufen als
„des heil. Reichs Verwandten und Vicarius.“ Seitdem
war es öfter in Erinnerung gekommen, daß man von fran-
zöſiſcher Seite die Lehen zu erneuern verſäumt hatte.
Und überdieß: Carl V war nicht allein Kaiſer: andre
Rechte, die er niemals aufzugeben gedacht, hatte er als
Prinz von Burgund: unaufhörlich forderte er die ſeinem
Hauſe entriſſenen franzöſiſchen Beſitzungen zurück: es war
noch etwas von dem Blute und den Beſtrebungen eines
altfranzöſiſchen Vaſallen in ihm.
Für dieſe Unternehmungen dieſſeit der Alpen fand
[284]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
nun Carl an König Heinrich VIII von England einen ſo
mächtigen Verbündeten wie für die jenſeitigen am Papſt.
Auch Heinrich VIII hatte die alten Anſprüche ſeiner Vor-
fahren an Frankreich noch nicht vergeſſen: er führte noch
den Titel davon: noch war Calais in engliſchen Händen.
Gleich bei dem Abſchluß des Vertrags in Brügge, in wel-
chem Kaiſer und König einander zuſagten, ihre Anſprüche
mit gemeinſchaftlichen Anſtrengungen zu Land und See
durchzufechten, ſtellte Wolſey ſeinem Herrn ein langes Ver-
zeichniß der Provinzen Städte und Schlöſſer zu, die man
den Franzoſen alle zu entreißen gedenke. 1 In der Correſpon-
denz des Königs mit dem Cardinal iſt ſehr ernſtlich davon
die Rede, daß er in Perſon in Frankreich einfallen werde: 2
deshalb vor allem ſucht man an der ſchottiſchen Grenze
Ruhe zu erhalten. Zuweilen ſcheint es den Engländern
wohl das Beſte, ſich auf die zunächſtgelegenen franzöſiſchen
Gebiete, von Calais bis an die Somme zu beſchränken,
welche dann leichter zu behaupten ſeyn würden als das
entfernte Guyenne; zuweilen aber erhebt ſich auch in Hein-
rich VIII der Gedanke, die Krone von Frankreich ſelber
zu tragen: bei einer Nachricht von der ſchlechten Lage der
Dinge in dieſem Reiche ruft er aus: „man bahne ihm
dort den Weg, wie einſt Richard III in England ſeinem
Vater: er ſelber denke noch einmal Frankreich zu regieren.“ 3
[285]Theilnahme von England 1522.
Ideen, die von Leo X nach Kräften gepflegt wurden. Er ließ
eine Bulle entwerfen, in der er die Unterthanen Franz des I
in aller Form von dem Eid der Treue entband. 1 Dage-
gen verſprach ihm auch der König wie der Kaiſer ſeine Un-
terſtützung gegen die Irrgläubigen. 2 In dem Zuſammen-
hang dieſer Umſtände gehört es, daß Heinrich VIII, gleich-
wie ſein Cardinal ein eifriger Anhänger des Thomas von
Aquino, für dieſen Kirchenlehrer eine Lanze mit Luther brach:
er war glücklich über die gute Aufnahme die ſein Buch
in Rom fand: 3 er erwarb ſich damit den Titel eines Ver-
theidigers des Glaubens.
Im März 1522 ließ Heinrich VIII dem König von
Frankreich durch ſeinen Herold den Krieg erklären. Schon
hatten ſich die engliſchen Kaufleute aus den Häfen, die
engliſchen Studenten von den Univerſitäten in Frankreich
zurückgezogen: nur einige Güter fielen Franz I in die Hand.
Im Juni griff Lord Surrey, zugleich Admiral des Kaiſers
und des Königs, die Küſte von Cherbourg an: im Sep-
tember vereinigte ſich ein niederländiſches und ein engliſches
Heer und fiel in die Picardie ein; doch geſchah weder hier
noch dort etwas Namhaftes: einige Städte wurden ge-
plündert, einige Strecken Landes verwüſtet: dann kam die
ungünſtige Jahreszeit und man zog ſich zurück.
Allein um ſo glänzender waren die Ausſichten die
[286]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
ſich für den Feldzug des nächſten Jahres 1523 eröffneten.
Wie in den frühern Jahrhunderten, geſellte ſich den Fein-
den der franzöſiſchen Krone ein mächtiger Vaſall zu. Der
zweite Mann im Königreich, der Connetable Bourbon bot
dem König und dem Kaiſer ſeine Hülfe an. Ein Ereigniß
von ſo allgemeiner Bedeutung, daß wir auch in einer deut-
ſchen Geſchichte wohl [einen] Augenblick dabei verweilen
dürfen.
Schon Ludwig XI, der ſo viele Gebiete der großen
Vaſallen zu unterwerfen wußte, hatte auch daran gedacht,
den Heimfall der ausgebreiteten Beſitzungen des Hauſes
Bourbon vorzubereiten. Als er ſeine Tochter mit Peter
von Bourbon-Beaujeu vermählte, mußte dieſer verſprechen,
wenn er keine männliche Nachkommenſchaft erhalte, daß
dann, ſo viel es ihn angehe, alle Beſitzthümer ſeines Hau-
ſes an die Krone fallen ſollten. 1 Noch blühte eine jün-
gere Linie des Hauſes in den Grafen von Montpenſier:
des Königs Abſicht war, dieſelbe auszuſchließen.
Nach einiger Zeit trat nun wirklich der vorgeſehene
Fall ein: Herzog Peter hinterließ bei ſeinem Tode nur eine
Tochter, Suſanna.
Allein der nunmehrige König Ludwig XII war nicht
geneigt, die doch immer ſehr einſeitig erworbenen Rechte
der Krone ſtrenge geltend zu machen. Er erkannte die Lehns-
anſprüche des Hauſes Montpenſier an: auch ein gewiſſes
[287]Bourbon.
Erbrecht der nachgelaſſenen Prinzeſſin ſtellte er nicht in Ab-
rede: um keine Irrung zu veranlaſſen, vermittelte er die
Vermählung des jungen Grafen Carl von Montpenſier
mit Suſanna: eine gegenſeitige wohlerwogene Schenkung
vermiſchte alle ihre Rechte.
Eben hiedurch ward nun dieſer Carl, nunmehr Her-
zog von Bourbon, ſo mächtig. Er vereinigte zwei Fürſten-
thümer, zwei Herzogthümer, vier Grafſchaften, zwei Vi-
comteen, ſieben nicht unbedeutende Herrſchaften: man be-
rechnete ſeine Einkünfte davon auf 120000 Ecus: bei
weitem mehr, als damals die reichſten deutſchen Fürſten
bezogen. Er hatte feſte Plätze mit Garniſonen, berief ſeine
Stände, zog Abgaben ein: König Franz erneuerte überdieß
in ihm die Würde eines Connetable. Er war tapfer, frei-
gebig, leutſelig, und ſeit es ihm gelungen den Anfall Kai-
ſer Maximilians auf Mailand im Jahre 1516 zurückzu-
weiſen, genoß er ein allgemeines Anſehen in dem Heer und
in der Nation. Seine Gedanken nahmen ſchon damals
den höchſten Flug. Da der König noch keine geſicherte
Nachkommenſchaft hatte, ſo hoffte er, noch einmal den
Thron zu beſteigen. Zwar beſaßen die Alençon nähere
Rechte, aber er glaubte, durch eine frühere Empörung die-
ſer Linie ſeyen ihre Anſprüche verwirkt worden. Er gieng
ſo weit, die Republik Venedig für dieſen Fall um ihre Un-
terſtützung bitten zu laſſen. 1
[288]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
Einen ganz andern Gang aber nahmen die Ereigniſſe.
Die Succeſſion des Königs befeſtigte ſich: nur ſeine und
ſeiner Mutter Vertraute hatten Antheil an der Regierung:
Bourbon ward von Mailand zurückberufen und in Frank-
reich von den Staatsgeſchäften ausgeſchloſſen: bei dem er-
ſten Feldzug welchen man wieder unternahm, jenem nie-
derländiſchen, wurden ihm die Rechte eines Connetable nicht
mehr zugeſtanden. Er konnte ſchon als das Oberhaupt
der zahlreichen Mißvergnügten gelten, welche ſich die Ver-
waltung Franz I durch ihre Unordnungen zuzog, als im
Jahr 1522 ſeine ganze großartige Stellung gefährdet ward.
Seine Gemahlin Suſanna ſtarb, ohne ihm Kinder
zu hinterlaſſen. Zwar hatte ſie ihm die alte [Schenkung]
nochmals beſtätigt, allein auf der Stelle erhoben ſich die
mächtigſten Prätenſionen auf ihre Verlaſſenſchaft.
Die Mutter des Königs, Louiſe von Savoyen, Nichte
des Herzog Peter, Mitglied demnach der ältern Linie, for-
derte überhaupt in die Gerechtſame Suſannas einzutreten;
kaum war aber ihr Proceß anhängig geworden, ſo trat die
Krone ſelbſt mit noch viel umfaſſendern Anſprüchen hervor:
ſie machte nicht allein jene Zuſage des Herzog Peter, ſon-
dern noch eine Menge andere ganz plauſible Titel geltend:
gar bald drang ſie mit den einleuchtendſten durch, und auch
wegen der übrigen wußte man von Seiten des Parlamen-
tes dem Herzog keinen andern Rath zu geben, als er möge
ſich mit ſeinen Gegnern zu vergleichen ſuchen. 1 Der Con-
ne-
1
[289]Bourbon.
netable ſah ſich in der ernſtlichen Gefahr wieder zu einem
kleinen Grafen von Montpenſier herabzuſinken. Aber er
war entſchloſſen das nicht zu erleben. Er wendete ſich an
dasjenige Haus, das ſich eben anſchickte, die unterdrück-
ten Rechte großer Vaſallen an der franzöſiſchen Krone zu
rächen. Nicht der Kaiſer hat ihn aufgeſucht: die erſten
Anträge hat Bourbon ſelbſt gemacht, und zwar in demſel-
ben Momente, in welchem ſein Proceß anfieng, im Auguſt
1522. Damals ſendete er Adrian von Beaurain an den
niederländiſchen Hof, und Margareta wunderte ſich nur,
daß er ſich einem ſo jungen Menſchen anvertraue. 1 Je
gefährlicher der Rechtshandel für ihn ward, um ſo ernſt-
licher warf er ſich auf dieſe Unterhandlung. Dem Kaiſer,
dem König konnte nichts willkommener ſeyn. Mehr als
einmal machte Beaurain den Weg hin und zurück: ſpäter
hat im Namen Heinrichs VIII Sir John Ruſſel den Con-
netable verkleidet beſucht: 2 man kam überein, daß zu glei-
1
Ranke d. Geſch. II. 19
[290]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
cher Zeit ein deutſches Heer in Bourgogne, ein ſpaniſches
in Languedoc, ein engliſches in die Picardie einfallen, und
Bourbon ſich unabhängig erklären ſolle. Er ſchmeichelte
ſich, 500 Hommes d’Armes und 10000 M. zu Fuß ins
Feld ſtellen zu können. Der Kaiſer verſprach, ihn mit ſei-
ner Schweſter zu vermählen, zum König zu erheben: er
dagegen ſagte zu, den König von England als ſeinen Lehns-
herrn anzuerkennen, in ſo fern der Kaiſer es wünſche.
Eben hatte Franz I den Entſchluß gefaßt, nachdem
ſeine Heerführer ſo unglücklich geweſen waren, noch ein-
mal in Perſon einen Verſuch auf das Herzogthum Mailand
zu machen. Ein ſtattliches Heer war zuſammengebracht wor-
den, und der Admiral Bonnivet, der die Avantgarde be-
fehligte, war ſchon voraus, um die Alpenpäſſe in Beſitz
zu nehmen: der König ſetzte ſich in Bewegung demſelben
zu folgen. Die Verbündeten dachten zur Ausführung ihrer
Pläne zu ſchreiten, ſobald er Frankreich verlaſſen haben
würde.
Allein die Sache war doch ſchon zu Vielen bekannt
geworden, um nicht endlich zu tranſpiriren. Am nieder-
ländiſchen Hofe fürchtete man, ſie möchte von England,
am engliſchen, ſie möchte von den Niederlanden her ver-
lauten: auch in Frankreich hatte man ſie doch einigen nicht
ganz zuverläßigen Perſonen, die man eben gewinnen wollte,
mittheilen müſſen. Genug, der König ſchöpfte Verdacht:
Bourbon hatte von Glück zu ſagen, daß er noch entfliehen
2
[291]Angriff auf Frankreich 1523.
konnte. Hierauf fand ſich der König bewogen, die italieni-
ſche Armee der alleinigen Führung des Admirals zu überlaſ-
ſen, ſelbſt aber zurückzubleiben, um jeder innern oder äußern
Gefahr ſeines Reiches zu begegnen.
Bourbon, der über Beſançon nach der Grafſchaft Pfirt
geflohen war, hatte ſogleich die Abſicht, einen Einfall in
Frankreich zu unternehmen. Ein paar tauſend Landsknechte
unter dem Grafen von Fürſtenberg brachen in die Cham-
pagne ein: und beſetzten einige Plätze in der Nähe von
Chaumont und Langres; 1 Bourbons Idee war ſchon im-
mer geweſen, daß zu gleicher Zeit die Engländer von einer
andern Seite her ſo tief wie möglich in das Innere vordrin-
gen, ſich aber dabei der Plünderung enthalten, nur als Be-
freier von der Tyrannei Franz des I erſcheinen ſollten: dann,
meinte er, würden ihnen alle Städte die Thore eröffnen. 2
Jedoch die Landsknechte wurden gar bald durch Mangel
an Geld und Lebensmitteln zum Abzug genöthigt: das eng-
liſch-niederländiſche Heer drang wohl von der Picardie her
vor, und ſetzte ſelbſt Paris einen Augenblick in Schrecken, aber
es führte ſeinen Krieg auf die einmal herkömmliche Weiſe,
und konnte nirgends feſten Fuß faſſen. Der Kriegseifer
der Spanier entlud ſich vor Fuenterrabia, das die Fran-
zoſen eingenommen. Bourbon ward inne, daß er fürs
19*
[292]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
Erſte dieſſeit der Alpen nichts ausrichten werde, und be-
gab ſich nach Italien.
Dahin zog ſich überhaupt auch dieß Mal die nächſte
Entſcheidung des Krieges.
Als Bonnivet mit dem ſtattlichen Heere, das der Kö-
nig gerüſtet um damit ſeinen Ruhm und ſeine Eroberung
zu erneuern — man rechnete es auf 30000 M. z. F. und
4000 z. Pf., — in der Lombardei erſchien, waren die Kai-
ſerlichen nicht im Stande, ihm den Übergang über den Teſ-
ſino oder überhaupt das freie Feld ſtreitig zu machen.
Prospero Colonna ſah ſich genöthigt, ſich auf die Verthei-
digung der vier wichtigſten Plätze, Como, Cremona, Mai-
land und Pavia einzuſchränken.
Glücklicherweiſe brauchte er jetzt von den ſonſtigen ita-
lieniſchen Verbündeten der Franzoſen nichts zu fürchten.
Unmittelbar vor ihrer Ankunft hatte der Kaiſer einen anti-
franzöſiſchen Bund mit den italieniſchen Mächten zu Stande
gebracht. Es kam ihm hiebei außerordentlich zu Statten,
daß ſein alter Lehrer, Adrian, auf dem päpſtlichen Stuhle
ſaß: ſo wie dieſer von den Eroberungsplänen ſeiner Vor-
fahren, z. B. den Anſchlägen auf Ferrara, nichts mehr hö-
ren wollte, ſo gab auch der Kaiſer alle Abſichten auf Ve-
nedig auf: die Venezianer traten in den Bund des Kai-
ſers, des Papſtes und des Königs von England, 1 und
verſprachen Sforza’n in ſeinem Herzogthum zu ſchützen.
Vor allem kam es dann noch auf die Mailänder an,
[293]Feldzug in Italien 1523.
und man hielt es doch für gut, als die Franzoſen in der
Nähe erſchienen, ihre Geſinnung zu erforſchen. Sie zeig-
ten noch einmal ihre ganze Ergebenheit für den Herzog
und das Reich. Auf den erſten Ruf der Glocken, am
22ſten September, kamen ſie ſo zahlreich wie je auf die
beſtimmten Sammelplätze: ein Jeder in ſeinen Waffen: auch
Viele von denen erſchienen, die ſich nicht hatten bewaffnen
können. 1 Der Herzog ritt zu den verſammelten Haufen.
Er ſagte ihnen, er werde ſie mit der Milde und Groß-
muth ſeiner Vorfahren regieren: ſie zeigten ſich willig, ihn
zu vertheidigen. Der alte Prospero Colonna war wie
geſchaffen dieſe Stimmung zu erhalten. Er erfreute ſich
des Rufes, daß er eben ſo gut das Glück ſeines Vater-
landes, wie die Macht des Reiches vor Augen habe. In
den wilden Kriegsbewegungen war er immer als der Be-
ſchützer der Bürger und Bauern erſchienen. Auch jetzt
war auf das beſte geſorgt. Man hatte noch Zeit ge-
habt, die Vorräthe für den Winter reichlich einzubringen:
man hatte Handmühlen und Windmühlen innerhalb der
Mauern, Wein in Überfluß. So waren auch die Ver-
ſchanzungen trotz des großen Umkreiſes der Stadt vor-
trefflich in Stand geſetzt. Täglich machte man Aus-
fälle, und faſt immer brachte man Gefangene ein. Das
Volk ward ſo muthig, daß es öfter um die Erlaubniß bat,
in Maſſe hinauszugehn die Franzoſen anzugreifen. 2
[294]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
Aber ohnehin ſah ſich Bonnivet durch Froſt und
Schnee genöthigt, die Belagerung aufzuheben; und ſchon
verſammelten ſich ganz andre militäriſche Kräfte.
Nach und nach trafen die italieniſchen Fußvölker ein,
die man geworben: der Vicekönig von Neapel, Lannoy,
führte ſchwere und leichte Reiterei herbei: die Venezianer
erſchienen im Felde: die wichtigſte Verſtärkung aber bil-
deten 7000 Landsknechte, nicht ohne Fürſorge des Erz-
herzog Ferdinand 1 zuſammengebracht, unter Ludwig von
Lodron und Eitelfritz von Zollern. Georg Frundsberg
war dieß Mal zu Hauſe geblieben, doch hatte er ſeinen
Sohn Caspar mitziehen heißen. Einige unternehmende
Hauptleute, wie Schärtlin von Burtenbach, kamen auf
eigne Koſten. Auch der Marques von Pescara, der die
ſpaniſchen Fußvölker mit demſelben angebornen Talent be-
fehligte wie Frundsberg die deutſchen, kam wieder. Er
langte eben in dem rechten Moment an: als Prospero
ſtarb; die Leitung der Unternehmungen fiel dadurch vor-
nehmlich ihm anheim.
War man nun aber wieder im Stande, den Feind
im Felde zu beſtehen, ſo war damit auch kein Augenblick
zu verſäumen: auch er erwartete jeden Moment Verſtär-
kungen, die ihm die alte Überlegenheit wohl zurückgegeben
haben würden. Er hatte einen neuen Vertrag mit den
Graubündnern geſchloſſen: die Berner unterſtützten den Kö-
nig ſogar mit Geld: von beiden Seiten waren nicht un-
bedeutende Schaaren unterwegs.
[295]Feldzug in Italien 1524.
Indeſſen hielten es die Kaiſerlichen und ihre Verbün-
deten auch jetzt noch nicht für rathſam, eine Schlacht zu
wagen; namentlich war der venezianiſche Proveditore da-
gegen. „Ich glaube doch nicht,“ ſagte eines Tages der Feld-
hauptmann der Venezianer, Herzog von Urbino, zu dem
Proveditore, Pier da cha Peſaro, „ich glaube nicht, daß
die Republik ſo viel gepanzerte Pferde, eine ſo große An-
zahl von Fußvolk, alle dieſe um uns leuchtenden Waffen
aus einem andern Grunde im Stande hält, als um im
Felde zu ſchlagen wenn es nöthig iſt.“ „Herr,“ erwie-
derte der Proveditore, „welchen Vortheil hätte die Repu-
blik davon wenn wir ſchlügen? Eine Niederlage brächte
alle ihre Beſitzungen in Gefahr: der Sieg kann uns auch
ohne Schlacht nicht entgehn: wäre der Kaiſer in Perſon
hier, ſo würde er keine Schlacht wollen.“ Dieſe Mei-
nung, die den Feldhauptmann überzeugte, machte ſich darauf
auch in jedem Kriegsrath geltend. Man faßte den Plan
den Feind nicht durch offenen Anfall ſondern ſtrategiſch
zu überwinden.
Während eine Abtheilung des Heeres ſich im Gebiet
von Como und Bergamo aufſtellte, um die Bündner ent-
fernt zu halten, gieng die Hauptmacht, bei der nun auch
Bourbon, mit dem Range eines kaiſerlichen Statthalters
bekleidet, eintraf, in der Nähe von Pavia über den Teſ-
ſino, und nahm in unerwartetem Überfall das feſte Gar-
lasco, das alle dieſe Gegenden beherrſcht. Hiedurch wurde
Bonnivet genöthigt, ebenfalls über den Teſſino zurückzu-
gehen, ſein feſtes Lager von Abbiate-graſſo zu verlaſſen,
um wenigſtens Vigevene und die reichen Ebenen des Lo-
mellino zu behaupten, aus denen er ſeine Lebensmittel be-
[296]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
zog. 1 Gleich darauf aber giengen die Kaiſerlichen auch
über die Gogna und nahmen Sartirana weg. Während
Bonnivet, hiedurch in ſeiner neuen Stellung gefährdet wie
früher in der alten, ſich in Bewegung ſetzte um ſie von
da zu vertreiben, gelang es ihnen vielmehr ſchon auch Ver-
celli durch die Gunſt der dortigen gibelliniſchen Faction
in ihre Hände zu bekommen, wodurch ſie jenſeit der Seſia
Fuß faßten, und den Admiral von der Baſis ſeiner Ope-
rationen abſchnitten. Es blieb ihm nichts übrig, als ſich
nach der obern Seſia zurückzuziehen, nach Gattinara hin,
wo eben die neuen Schweizer von Ivrea her angekommen
waren. Er gab noch immer die Hofnung nicht auf, mit
dieſer Verſtärkung gegen den Feind umkehren, ihm noch ein-
mal eine Schlacht anbieten zu können. Allein ſchon auf
dem Wege fand er kleinere Plätze von den Kaiſerlichen
eingenommen. Als er an der Seſia anlangte, weigerten
ſich die Schweizer zu ihm herüberzukommen, und er ſelbſt
mußte Anſtalt treffen über den Fluß zu gehn. Indem er
dieß that, ward er von Pescara angegriffen. Es entſtand
eine allgemeine Unordnung: die Brücke brach ein: Gatti-
nara gieng in Feuer auf; ſo gering auch die Anzahl der
Kaiſerlichen jenſeit des Fluſſes noch war, etwa tauſend
[297]Feldzug in Italien 1524.
leichte Pferde, tauſend Mann zu Fuß, ſo groß war doch
der Verluſt den die Franzoſen erlitten: es blieb ihnen
nichts übrig, als Italien abermals zu verlaſſen. Über-
haupt zeigte ſich, daß es mit der Kriegsweiſe vorbei war,
durch welche ſie daſelbſt in den letzten dreißig Jahren ge-
glänzt hatten. Einzelne Waffenthaten, momentane Über-
legenheit, ritterliche Bravheit entſchieden nicht mehr. Die
erwachte nationale Antipathie machte eine hartnäckigere re-
gelmäßigere Vertheidigung möglich: im Felde hatten die
Berechnungen der Strategie, der geſchickte Gebrauch der
Hakenbüchſen die Oberhand. Auf dieſem Rückzug fiel un-
ter andern „der gute Ritter,“ „der Ritter ohne Furcht
und Tadel,“ Bayard, der alle rühmlichen Eigenſchaften des
Ritterthums zur Bewunderung der Freunde und Feinde
noch einmal in ſich vereinigte. Er hatte immer die Ha-
kenſchützen von Herzen gehaßt: ungern hatte er einem
das Leben geſchenkt, der in ſeine Hand gefallen war: es
war ihm beſtimmt, jetzt ſelbſt durch eine Kugel umzukom-
men. 1 Es liegt etwas Symboliſches, Allgemein-bedeutendes
in dieſem von ſo viel Geſchichtſchreibern hervorgehobenen
Tode, der Niederlage dieſes ritterlichen Heeres überhaupt,
ſo wie in dem Untergange Sickingens. Der Harniſch
ward von dem Handrohr, wie die Burg von dem Ge-
ſchütze beſiegt.
[298]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
An der Verfolgung nahmen auch die Landsknechte
ſehr thätigen Antheil. Sebaſtian Schärtlin erzählt, drei
Tag und Nacht ſey man ihnen bis an den Fuß des
St. Bernhard nachgeeilt: aus dem Thal von Aoſta brachte
man das eroberte Feldgeſchütz feſtlich bekränzt nach dem
Lager. Hierauf giengen die Plätze, welche die Franzoſen
noch in Italien beſaßen, ſämmtlich über: ihre Niederlage
war ſo vollſtändig wie möglich.
Und ſogleich erhob ſich nun in den Siegern — es
liegt eine Art von Nothwendigkeit darin — der Gedanke,
den Angriff auf Frankreich, der vor dem Jahre mißlungen,
nunmehr beſſer ins Werk zu ſetzen. Bourbon fand das kaiſer-
liche Heer vortrefflich; auch er zeigte ſich tapfer und erweckte
Vertrauen. Die Lage von Italien ſchien es ohnehin nö-
thig zu machen. Entweder mußte man Friede haben, wozu
noch wenig Ausſicht war, 1 oder man mußte dem König
von Frankreich ſonſt zu ſchaffen geben. Lannoy ſchrieb
1
[299]Angriff auf Frankreich 1524.
dem Kaiſer, der Herzog von Mailand werde ihm eine
theure Waare ſeyn, wenn es ihm nicht gelinge den unru-
higen Nachbar klein zu machen. Der Kaiſer zog in Be-
tracht, daß es beſſer ſey, den Feind in ſeinem Lande auf-
zuſuchen, als ihn in Italien zu erwarten, wo man das
Heer doch würde mit vielen Koſten beiſammenhalten müſ-
ſen, und gab ſeine Einwilligung.
Auch dieß Mal ſtieg wohl wieder der Gedanke auf,
Frankreich von vier Seiten anzugreifen: allein nach den
Erfahrungen des vorigen Jahres ließ er ſich nicht ernſt-
lich feſthalten. Niemand hatte Geld dazu. Schon ge-
nug wenn man nur das italieniſche Heer wieder auf ein
paar Monat befriedigen konnte. Bourbon hoffte auch mit
dieſem allein die glänzendſten Thaten auszuführen.
„Ihre Angelegenheiten, Sire,“ ſchrieb er dem Kaiſer,
„werden gut gehn. Wenn wir dem König von Frankreich
eine Schlacht zu liefern vermögen, und ſie gewinnen wie
ich hoffe, werden Sie der größte Mann ſeyn den es je-
mals gab, und der ganzen Welt Geſetze geben.“ 1
Und ſo führte Bourbon im Juli 1524 das kaiſerliche
Heer — 5000 Deutſche unter Zollern und Lodron, 3000
Spanier unter Pescara, und eine Anzahl Italiener — aus
Italien nach Frankreich. König Franz hatte keine Nei-
gung, ſich den kriegeriſchen ſieggewohnten Banden im offe-
nen Feld entgegenzuſtellen. Ungehindert drang Bourbon
vor, beſetzte Antibes, Frejus, Hieres, Toulon, und ließ
ſich huldigen. Er führte den Titel eines Grafen von Pro-
vence, doch hatte er dem König von England den Vaſal-
[300]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
ſalleneid geleiſtet. 1 Am 9ten Auguſt nahm er Aix die
Hauptſtadt des Landes ein, am 19ten langte er vor Mar-
ſeille an: er wußte wohl, daß alles andre verloren ſey, wenn
er dieſen feſten Platz nicht beſitze. Was wäre es dem Kaiſer
werth geweſen, [über] einen Hafen von ſolcher Bedeutung
zwiſchen Barcellona und Genua gebieten zu können. Mar-
ſeille hätte die eigentliche Schutzwehr für Italien und eine
unvergleichliche Grundlage für jede künftige Unternehmung
auf Frankreich ſelbſt gebildet. Beaurain hatte daran ge-
dacht, Toulon für den Kaiſer in Stand zu ſetzen: es fehlte
ihm aber an allen Mitteln. 2 Um ſo eifriger machte man
ſich an die Belagerung von Marſeille.
[301]Angriff auf Frankreich 1524.
Jetzt aber zeigte ſich, wie ſehr ſich auch in Frank-
reich die Zeiten geändert hatten. Italiener welche das
Land kannten, wie der Biſchof von Bayeux Lodovico Ca-
noſſa, hatten es immer vorausgeſagt. 1 Trotz ſo mancher
Unzufriedenheit, zu welcher der König Urſach gab, fanden
ſie doch, im Allgemeinen ſey er angebetet: durch ſeinen
bloßen Abfall habe Bourbon allen Credit verloren. Es
kommt in Betracht daß Bourbons Anſehn, ſo mächtig er
war, doch noch nicht Zeit gehabt hatte, ſich zu befeſtigen.
In den meiſten Beſitzungen die ihm gehörten, war er ein
ſehr neuer Herr. Auch gab es Niemand der von der
Krone ſo unabhängig geweſen wäre, um das Herz zu ha-
ben ſich ihm anzuſchließen. Eben dieſer Augenblick beweiſt
wie weit die ſich im Stillen vollziehende Conſolidation
von Frankreich bereits gediehen war. Es erhob ſich nicht
allein Niemand für Bourbon, ſondern der Angriff ver-
ſchaffte dem König noch unbedingtern Gehorſam. Er
konnte drei überaus ſtarke Tailles, zuſammen von mehr
als 5 Millionen, bald nach einander ausſchreiben: der Cle-
rus bequemte ſich zu Contributionen, die guten Städte ge-
währten freiwillige Unterſtützungen, ſelbſt der Adel mußte
ſich gezwungenen Anleihen unterwerfen. Was wollten ge-
gen ſo reiche Geldkräfte die langſamen und zweifelhaften
Zahlungen ſagen, welche von Spanien oder von England
mühſam aufgebracht wurden. 2 König Franz ſtellte ein
[302]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
Heer ins Feld, ſo ſtattlich wie jemals, bei 2000 H. d’A.,
7000 M. franzöſiſchen Fußvolks hauptſächlich aus den
kriegeriſchen Bauern des Dauphinē, 6000 Schweizer; bei
dem Verfall der deutſchen Regierung war es ihm nicht
ſchwer geworden, auch eine Anzahl Landsknechte um guten
Sold an ſich zu ziehen.
Während dieſe Schaaren in der Gegend von Avignon
ſich ſammelten, ſetzten die Kaiſerlichen ihre Belagerung mit
großer Beharrlichkeit fort; aus den genommenen franzö-
ſiſchen Plätzen ſchafften ſie einiges taugliche Geſchütz her-
bei; unter ungemeinen Schwierigkeiten brachten ſie Lauf-
gräben, endlich eine Batterie zu Stande, mit der ſie wirk-
lich Breſche ſchoſſen; in den Scharmützeln leuchtete vor
allen Pescara hervor, der in ſeiner ſonderbaren Tracht —
er trug rothe Unterkleider, darüber einen kurzen ſchwarzen
Rock ohne Ärmel, einen Hut wie die Landsknechte, aber
mit großen wehenden Federn — wie ein Kriegszeichen an-
zuſehen war; mit ihm wetteiferte ſein Neffe Guaſto. Noch
bis in die zweite Hälfte des Septembers hatte man den
beſten Muth; noch am 24ſten dachte man zu ſtürmen. Pes-
cara trank ſeinen Spaniern zu und machte ſie munter;
Bourbon verſprach königliche Erkenntlichkeit; die Leute be-
reiteten ſich durch die Beichte zu der äußerſten Gefahr vor.
Allein auch die Beſatzung der Stadt, von einem Italie-
ner der orſiniſchen Faction, Renzo da Ceri befehligt, hielt
ſich wacker und hatte ſich auf das beſte in Vertheidigungs-
ſtand geſetzt. Bei den erſten vorläufigen Verſuchen ſah
man, mit wem man es zu thun hatte. Man vernahm
von den Gefangenen, wie hinter der Breſche blinde Grä-
[303]Angriff auf Frankreich 1524.
ben mit Pulver angefüllt, Kanonen an den Straßenecken
aufgeführt, die Truppen an den gefährdeten Orten ſchlag-
fertig aufgeſtellt ſeyen. 1 Plötzlich ward Pescara andern
Sinnes. „Wer ſein Abendbrod in der Hölle eſſen will,“
rief er aus, „der mag ſtürmen.“ Es ward ein Kriegs-
rath berufen, in welchem man nicht allein die Wahrſchein-
lichkeit, hier eine Niederlage zu leiden, ſondern auch die
Gefahr erwog, in die durch längeres Verweilen Italien
gerathe. Man fieng an zu vermuthen, der König möchte,
ohne ſich um Marſeille zu kümmern, ſeinen Weg unmit-
telbar nach Italien nehmen. „Ihr Herrn,“ rief Pescara,
„wer dem Kaiſer Italien erhalten will, der folge mir
nach.“ Nur ungern ließ Bourbon von der Hofnung ab,
in ſeinem Vaterlande wieder Fuß zu faſſen: aber auch die
deutſchen Oberſten, Zollern und Lodron waren für Pescara:
am 28ſten September ward die Belagerung aufgehoben.
Es mag dahingeſtellt bleiben, ob der König wirklich
den vermutheten Plan hatte: wenigſtens ſo viel iſt gewiß,
daß er ſo wie er von dem Abzug Bourbons hörte, dieſen
Gedanken auf das lebhafteſte ergriff und ſich keine Vor-
ſtellung abhalten ließ, die treffliche Armee die er nun wie-
der um ſich ſah, auf der Stelle über die Alpen zu führen.
Er war entſchloſſen, noch einmal alles an die Wiedererobe-
rung von Mailand zu ſetzen. Auf den Ärmeln ſeiner Leibwache
las man die Worte: „noch einmal und nicht wieder.“ 2
[304]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
In wetteifernder Eile giengen nun die beiden Armeen
über die Alpen. Die Kaiſerlichen machten ſich ſo leicht
wie möglich. Nur einen kleinen Theil ihres Geſchützes,
das ſie zerſchlagen, führten ſie auf Maulthieren mit ſich
fort; das übrige ward vergraben oder nach Toulon ge-
ſchafft. In zwei Colonnen bewegten ſie ſich vorwärts,
jedoch auf derſelben Straße, ſo daß immer die erſte das
Quartier verließ wenn die andre ankam. Eines Tages
hatten ſich ein paar Deutſche betrunken und waren nicht
fortzubringen: ohne Erbarmen ließ Pescara das Haus an-
zünden worin ſie lagen, ſo daß ſie daſelbſt verbrannten:
er wollte auch nicht Einen Mann in die Hand der Bauern
gerathen laſſen: er hätte gefürchtet ihre Wuth zu erwecken.
So paſſirten ſie Nizza, Ventimiglia, die Seealpen: in ihrem
Äußern ziemlich heruntergekommen, aber nicht entmuthigt:
hatten ſie doch keinen Verluſt erlitten! in langem Zuge
führten ſie ihr ganzes Gepäck, alle den Kriegserwerb der
früheren Jahre mit ſich.
Indeſſen zog Franz I mit ſeiner friſchen glänzenden
Armee über die Oberalpen, — Briançon Pignerol, — und
unaufhaltſam ſofort nach den lombardiſchen Ebenen. Er
hoffte der kaiſerlichen Armee noch zuvorzukommen.
Eine mailändiſche Chronik verſichert, ſie ſeyen beide
an demſelben Tag über den Teſſino gegangen, die franzö-
ſiſche bei Abbiate-graſſo, die kaiſerliche in der Nähe von
Pavia. 1
Auf jeden Fall waren jedoch die Kaiſerlichen in
gro-
[305]Franz I in Italien.
großem Nachtheil. Sie konnten ſich jetzt nicht einmal auf
Mailand verlaſſen, wo die Peſt ausgebrochen war. Franz
Sforza ſagte: er ſey kein Vogel, um ſich in dieſen Bauer
ſperren zu laſſen. Nur das Caſtell hielten ſie beſetzt. Die
übrigen Truppen vertheilten ſich nach Pavia, Lodi und Cre-
mona. Dieſe gewaltige Kriegsmacht, die noch vor ein paar
Monaten den Kaiſer zum Herrn der Welt machen zu wollen
ſchien, war plötzlich aus dem Felde verſchwunden. Mei-
ſter Pasquin zu Rom ließ ſich nicht unwitzig vernehmen:
es ſey ein kaiſerliches Heer in den Alpen verloren gegan-
gen, der ehrliche Finder werde gebeten, es gegen eine gute
Belohnung abzuliefern. Dagegen hatten die Franzoſen un-
beſtritten das Land inne. Sie machten ſich daran, nun
auch die Feſtungen zu erobern, zunächſt Pavia. Der An-
fall auf Frankreich, der Franz I jenſeit der Alpen feſſeln
ſollte, hatte nur gedient, alle Kräfte ſeines Reiches noch
einmal zu entbinden, und ihm das Übergewicht in Ober-
italien zu verſchaffen.
Schlacht bei Pavia.
Allein noch war auch die Sache des Kaiſers nicht
ſo ganz verloren, wie es ausſah. Wenn jemals ſo kam
es ihm jetzt zu Statten, daß er Deutſche in ſeinen Dien-
ſten hatte und ohne Mühe andre herbeiziehen konnte.
Als Franz I es unternahm von den Feſtungen in der
Lombardei zunächſt Pavia zu belagern, ſoll ihn dazu die
Hofnung vermocht haben, die Deutſchen, welche daſelbſt die
Beſatzung bildeten, zum Abfall zu bewegen. Allein er ſollte
ſie anders kennen lernen. Die beiden Oberſten, Zollern
Ranke d. Geſch. II. 20
[306]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
und Lodron waren dem Haus Öſtreich mannichfaltig ver-
pflichtet; auch die Hauptleute — ihre Namen verdienen wohl
genannt zu werden: es waren Martin Pfaff, Graf Chri-
ſtoph von Lupfen, Michael Alting, Eiteleck von Reiſchach,
Heinrich von Caſtelalt, Conradin Glürns, Michael Mer-
tel, Caspar Schwegler — hatten ſich nun ſchon eine Zeitlang
daher unter den kaiſerlichen Fahnen eingelebt. Ich will
nicht ſagen was ein Jeder gethan haben würde, wenn er
zuerſt Dienſte zu nehmen gehabt hätte: allein die genom-
menen, in denen er ſich Anſprüche erworben, jetzt wieder zu
verlaſſen war gewiß keiner geneigt. 1 Auch wäre das gibelli-
niſche Pavia nicht geeignet geweſen Gedanken dieſer Art zu
erwecken. Hier ſah man vornehme Damen ſelber an der Ar-
beit des Schanzens Theil nehmen: der reichſte Bürger Mat-
teo Beccaria hatte auf ſeine Koſten aus ſeinem Anhang
in der Stadt ein Fähnlein gebildet: er gab wohl den Haupt-
leuten auch dann noch als man übrigens ſchon Mangel
ſpürte, ein prächtiges Gaſtmahl, und den Gemeinen fehlte es
wenigſtens nie an „weißem Brod und kühlem Wein.“ Der kai-
ſerliche Befehlshaber Antonio Leiva rühmt den jungen Cas-
[307]Belagerung von Pavia.
par Frundsberg, der ſich hier zum Hauptmann aufſchwang,
daß er ihn ſelbſt bei gutem Muth erhalten habe. Antonio
Leiva war übrigens ganz für Fälle dieſer Art gemacht: eben
ſo klug wie entſchloſſen: ſelber voll Aufopferung für die
Sache des Kaiſers: er zog ſeine goldne Kette vom Hals
und ließ Ducaten daraus prägen. So hielt man ſich auf
das beſte, und ſchlug alle Stürme ab. Den Deutſchen
kamen zuweilen ihre berginänniſchen Fertigkeiten zu gute; 1
dem König dagegen ſetzte auch der Fluß unüberwindlichen
Widerſtand entgegen: der freilich verwegene Verſuch den
Teſſin abzuleiten, mißlang ihm vollſtändig: im Januar 1525
ſah er ſich darauf beſchränkt, die Stadt umſchloſſen zu hal-
ten und wo möglich auszuhungern. 2 Einige tauſend Mann
ſonderte er unter dem Herzog von Albanien ab, um eine
Diverſion in dem mittlern oder untern Italien zu verſuchen.
Indem aber kamen auch ſchon andre deutſche Schaa-
ren die Berge herab. Bourbon hatte die Juwelen ver-
kauft die er bei ſeiner Flucht gerettet, war dann ſelbſt nach
Insbruck, nach Augsburg gegangen; von Erzherzog Fer-
dinand unterſtützt brachte er jetzt achtzehn Fähnlein Lands-
knechte unter Marx Sittich von Ems herüber: Graf Ni-
colaus von Salm begleitete ſie mit 200 Pferden vom Hofge-
ſinde. Indeſſen ließ der Vicekönig in Neapel alles veräußern,
20*
[308]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
was einen Käufer fand: mit dem Geld ſchickte er dann
einen Abgeordneten unmittelbar an Georg Frundsberg. Dem
lag die italieniſche Macht des Kaiſers, die er mit grün-
den helfen, wie eine eigne Sache am Herzen: ein neuer
Beweggrund war es für ihn, daß er ſeinen Sohn zu ent-
ſetzen hatte. Am 3ten Weihnachtsfeiertag muſterte auch er
11 Fähnlein zu Meran: 25 nahmhafte Hauptleute, viele
Kriegsgefährten aus guten Häuſern umgaben ihn, es wa-
ren die Junker, die kein Bleiben zu Hauſe hatten, und
denen die überzähligen Bauernſöhne folgten. Am 24ſten
Januar 1 vereinigten ſich die beiden Haufen mit dem ita-
lieniſchen Heere in Lodi.
Sie ſahen ſich in der Nothwendigkeit, unmittelbar ins
Feld zu gehn. Trotz aller jener Anſtrengungen war doch
nicht Geld genug vorhanden, um die Truppen lange zu-
frieden zu ſtellen. Die Meiſten hatten nichts weiter als
das Laufgeld empfangen, ſie verſprachen nur auf eine be-
ſtimmte Zeit ohne Sold zu dienen. Auch mußte Pavia
errettet werden. Schon am 4ten Februar langte das Heer
in der Nähe dieſer Stadt an, warf einige Leute mit Mu-
nition hinein, und that alles, um den König zu reizen, aus
ſeinem feſten Lager hervorzukommen.
Dieß waren jedoch vergebliche Anſtrengungen. Der
König wollte die ſtarke Stellung, die er im Park vor Pavia
genommen, nicht verlaſſen; da hatte man ſich auf das beſte
befeſtigt: 2 man lebte bereits ziemlich bequem: man hatte Le-
[309]Annaͤherung der Kaiſerlichen.
bensmittel die Fülle: er hielt es für vortheilhafter, ange-
griffen zu werden, wie ſchon einſt bei Marignano, als an-
zugreifen, was den Seinen vor kurzem bei Bicocca ſo übel
ausgeſchlagen war.
Dazu mußten ſich nun auch endlich die Kaiſerlichen
entſchließen, aus Mangel ſo an Geld wie an Lebensmitteln: 1
ſie urtheilten, es ſey eben ſo ſchlimm wenn man ſich im
Angeſicht des Feinds auflöſe, wie wenn man eine Nie-
derlage erleide. Gott gebe mir, ſagte Pescara, hundert
Jahre Krieg und nicht Einen Schlachttag, aber heute iſt
kein Ausweg. Er begab ſich in die Mitte ſeiner Spanier,
und ſtellte ihnen vor, daß kein Fußbreit Landes ihnen an-
gehöre, kein Stück Brot da ſey, um davon morgen zu le-
ben, „aber vor Euch,“ rief er, „iſt das Lager, wo man
Brot vollauf hat, und Fleiſch und Wein, und Karpfen vom
Gardaſee. Wir müſſen es haben, wir müſſen den Feind
herausjagen. Wir wollen den Tag des h. Matthäus be-
rühmt machen.“ Schon hatte auch Georg Frundsberg auf
ähnliche Weiſe ſeine Deutſchen angeredet. Mit erhobenen
Händen hatten ſie ihm verſprochen, es mit dem prächtigen
Feinde aufzunehmen ihre Brüder in Pavia zu erledigen.
Es war nicht eine jener glänzenden Feldſchlachten zu
erwarten, in denen wohl ſonſt zwei Ritterſchaften um den
Preis der Ehre ſchlugen: eine geldbedürftige, Mangel lei-
[310]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
dende Söldnerſchaar, die ihren Dienſt nur noch auf eine
beſtimmte Anzahl Tage zugeſagt, mußte unverzüglich an
den Feind herangeführt werden, weil ſie ſich ſonſt aufge-
löſt hätte. Sie wollte das reiche Lager des Feindes er-
beuten, ihre Waffenbrüder entſetzen, das ſo oft eroberte Land
endlich einmal ſichern. Daran gieng ſie auch unter den
ungünſtigſten Umſtänden. „Entweder,“ ſchreibt Pescara
dem Kaiſer, „mußte E. M. den erwünſchten Sieg er-
langen, oder wir erfüllten mit unſerm Tode die Pflicht,
Ihnen zu dienen.“
Der Plan Pescaras gieng eigentlich auf einen nächt-
lichen Überfall. Mitten in dem Park lag die Meierei Mi-
rabella, wo der Markt des Lagers gehalten zu werden pflegte,
und ein Theil der Reiterei aufgeſtellt war. Dort wollte
er ſich, wo möglich, mit der Beſatzung von Pavia verei-
nigen. Um Mitternacht fieng man an die Mauer des Par-
kes einzureißen. Zweitauſend Deutſche, aus dem Frunds-
bergiſchen wie dem Emſiſchen Regiment, tauſend Spanier,
weiße Hemden über ihre Panzer, ſollten den Uberfall aus-
führen. Allein die Mauer war feſter als man dachte: es
wurde Tag, ehe eine hinreichende Lücke geriſſen war. Als
jetzt — an dem Morgen des 24ſten Februar — jene Truppen
eindrangen, waren die Franzoſen ſchon in voller Bewe-
gung. 1 So viel war allerdings erreicht worden, daß ſie ihre
feſte Stellung verließen und auf der Haide des Parks in
das freie Feld kamen: allein das kaiſerliche Heer ſelbſt ge-
[311]Schlacht bei Pavia.
rieth dadurch in die größte Gefahr: das bei weitem über-
legene franzöſiſche Geſchütz erreichte die Geſchwader der
Landsknechte, indem ſie heranmarſchirten, und brachte ihnen
nicht geringe Verluſte bei: auch die leichte Reiterei gerieth
in Nachtheil: König Franz, der ſich hier ſelber in das erſte
Handgemenge ſtürzte, und einen tapfern Ritter mit eigner
Hand erlegte, war ſehr glücklich als er ein paar Fähnlein
zerſprengt vor ſich her fliehen ſah: „Heute,“ ſagte er zu
einem ſeiner Begleiter, „nenne ich mich Herr von Mai-
land:“ er hielt inne, um die Pferde ein wenig verſchnau-
fen zu laſſen. 1 Seine Armee rückte in der beſten Ord-
nung vor: unaufhörlich ſpielte ihr Geſchütz.
Allein in dieſem Augenblick ſollte die Schlacht erſt ei-
gentlich beginnen. Pescara hatte jene dreitauſend, die nun
nichts mehr ausrichten konnten, zumal da auch die Freunde
aus Pavia nicht erſchienen, wieder an ſich gezogen: allmäh-
lig kamen auch die beiden großen Schaaren Frundsbergs
und Marx Sittichs von Ems heran: Frundsberg mit ſei-
nen Gefährten, den Grafen von Ortenburg, Hag, Virne-
burg, Herrn von Loſenſtein und Fleckenſtein, und ihm
zur Seite Marx Sittich bildeten jetzt den linken Flügel: 2
denn zur Rechten hielt Pescara mit den Spaniern und
[312]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
jenen zweitauſend Deutſchen. In deſſen Nähe hatte ſich
auch die Reiterei wieder geordnet. Da ſie der franzö-
ſiſchen augenſcheinlich nicht gewachſen war, ſo gaben ihr
Pescara und Frundsberg 1500 Hakenſchützen zur Seite.
Der Vicekönig, der noch immer geglaubt, man könne ſich
dem Feinde gegenüber im Park verſchanzen, ſah jetzt wohl
ein, daß das nicht mehr möglich war. „Es iſt keine Hülfe,
als bei Gott,“ ſagte er, „ihr Herrn, macht es wie ich,“
bezeichnete ſich mit dem Kreuz und gab ſeinem Pferde die
Sporen, zum Angriff.
So eröffnete ſich das Treffen zunächſt auf dem rechten
Flügel: ein Theil der franzöſiſchen Hommes d’Armes, den
König an ihrer Spitze, ſchlug hier mit der ſpaniſch-italieni-
ſchen und der ſalmiſchen Reiterei: in dem Centrum, aber noch
etwas weiter entfernt, rückten andre franzöſiſche Reiter un-
ter Alençon mit 28 ſchweizeriſchen Fähnlein gegen Pescara
und Guaſto mit ihren Spaniern und Deutſchen heran: ge-
gen den linken Flügel der Kaiſerlichen, die beiden großen
Landsknechthaufen, bewegten ſich, vortrefflich mit Geſchütz
verſehen, die ſchwarzen Fähnlein, jene Deutſchen von Gel-
dern und Lothringen, die unter dem König dienten.
Hier kam es zuerſt zur Entſcheidung. Die franzöſi-
ſchen und die kaiſerlichen Deutſchen haßten einander am
entſchiedenſten. Aus den Reihen der erſten trat ein Augs-
burger, Haus Langenmantel hervor und forderte die beiden
deutſchen Oberſten zum Zweikampf heraus. Aber er ward
deſſen, da er den Franzoſen diente, gleichſam nicht mehr
für würdig gehalten: auf der Stelle war er zu Boden ge-
ſtreckt und getödtet: ein Knecht erhob die ihm abgehauene
[313]Schlacht bei Pavia.
Hand mit ihren goldnen Ringen wie ein Siegeszeichen.
Hierauf ward man um ſo ernſtlicher handgemein. Marx Sit-
tich von Ems warf ſich durch eine raſche Wendung den
Schwarzen in die Flanke. 1 Sie wehrten ſich auf das ta-
pferſte, ſie kamen faſt ſämmtlich um. Ihr Geſchütz gerieth
den Kaiſerlichen in die Hände.
Unterdeſſen hatte ſich das Centrum genähert. Schon
brachten die Hakenbüchſen eine furchtbare Wirkung auf die
Hommes d’Armes hervor — kein Harniſch war ſtark genug,
um vor den Kugeln der Handrohre zu ſchützen, — als Pescara
mit ſeinen ſpaniſchen Veteranen die Schweizer angriff. 2
Es kam alles zuſammen: die Wuth dieſes Anfalles: die
Wirkung des Handgeſchützes auf die Reiterei: der Anblick
der Niederlage der ſchwarzen Fähnlein: und das Heran-
dringen der ſiegreichen Geſchwader der kaiſerlichen Deut-
ſchen: das ganze franzöſiſche Centrum gerieth in Unord-
nung; von den Hommes d’Armes warf ſich zuerſt Alençon
in die Flucht: die Schweizer wurden zum Theil mit fort-
geriſſen, zum Theil durchbrochen: in dieſem Augenblick er-
[314]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
ſchien auch die Beſatzung von Pavia im Rücken der Wei-
chenden: eine allgemeine Flucht erfolgte.
Noch immer tummelte der tapfere König, obwohl auch
um ihn her die Hakenſchützen gewaltig wirkten, ſein Streitroß
auf dem rechten Flügel, als er um ſich ſah, und ſeine Leute
in voller Flucht erblickte. „Mein Gott, was iſt das,“ rief
er aus: er dachte wenigſtens die Schweizer zum Stehen
zu bringen und eilte ihnen nach. Allein wie war das bei
der nunmehr entſchiedenen Uberlegenheit des Feindes ſo
ganz unmöglich. Auch er ward vielmehr in die rückgän-
gige Bewegung fortgezogen. Er trug eine Stickerei an ſei-
nem Ärmel, die ihm in guten Tagen in Frankreich, die
Dame die er liebte, gegeben, der er dagegen gelobt hatte,
unter keinen Umſtänden vor dem Feind zurückzuweichen. 1
Ritterlich geſinnt, wie er war, wich er wenigſtens ſo lang-
ſam wie möglich, nicht ohne ſich unaufhörlich noch zur
Wehr zu ſetzen: da erreichten ihn die nacheilenden Deut-
ſchen. Nicolaus von Salm erſtach ihm das Pferd unter
dem Leibe: der König ſtürzte und mußte ſich ergeben. In
dieſem Moment kam der Vicekönig herbei, der ihn erkannte,
ihm ehrfurchtsvoll die Hand reichte, und ihn als Gefan-
genen annahm.
Binnen anderthalb Stunden war das prächtigſte Heer
das man ſehen konnte vernichtet; man rechnet 10,000
die geblieben oder auf der Flucht im Teſſin ertrunken wa-
ren: viele Schweizer darunter, deren alter Ruhm von den
burgundiſchen Kriegen her nunmehr zu Grunde gieng: die
[315]Naͤchſte Folgen des Sieges.
Anführer der Franzoſen, mit wenigen Ausnahmen, waren
getödtet oder gefangen: vor allem den mächtigen König ſel-
ber hatte man in ſeiner Gewalt: nie war ein Sieg voll-
ſtändiger. 1
Die Sieger befriedigten ihre nächſten Bedürfniſſe in
dem Lager an der Beute. Jetzt waren ſie endlich in dem
Staate von Mailand die Herrn und Meiſter, und brauch-
ten keinen neuen Anfall zu fürchten. Die italieniſchen
Mächte, die ſo lange die Dinge ſchwankend ſtanden, eine
ſehr zweifelhafte Stellung angenommen hatten, erinnerten
ſich wieder an ihre alten Verſprechungen, und bequemten
ſich die rückſtändigen Subſidien zu zahlen, ſo daß dem
Heere ſein wohlverdienter Sold allmählig abgetragen wer-
den konnte.
Aller Augen aber, alle Befürchtungen der Einen, alle
Hofnungen der Andern wandten ſich nun auf den jungen
Kaiſer, für den dieſe Siege erfochten worden, während er
ſich in tiefem Frieden in Caſtilien von dem Quartanfieber,
das ihn geplagt, allmählig wiederherſtellte.
Carl V ſtand in einem Zimmer des Schloſſes von
[316]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
Madrid und ſprach mit ſeiner Umgebung von dem Gang
der Dinge in Italien, von der Lage ſeines Heeres, die er
noch für ſehr gefährlich hielt, als ein Courier von dieſem
Heere ankam. Ohne etwas von ſeinem Auftrag zu ſagen
trat er ein: dem Kaiſer zuerſt wollte er die Nachricht ver-
kündigen. „Sire,“ hub er an, „bei Pavia iſt es zur
Schlacht gekommen:“ „Ew. Majeſtät Truppen,“ fuhr er
fort, „haben den Sieg davon getragen: die franzöſiſche
Armee iſt vernichtet: der König ſelbſt iſt gefangen und be-
findet ſich in der Gewalt Ew. Majeſtät.“ Ein entſchei-
dendes nicht gehofftes Glück muß wohl im erſten Moment
eine ähnliche Wirkung hervorbringen wie ein plötzlicher Un-
fall. Indem Carl dieſe Worte vernahm, ſchien das Blut
in ſeinen Adern zu erſtarren und ein paar Augenblicke ſagte
er kein Wort. Dann wiederholte er nur: der König von
Frankreich iſt gefangen und in meiner Gewalt: die Schlacht
iſt für mich gewonnen! Hierauf entfernte er ſich in das
Nebenzimmer, wo ſein Bett ſtand: vor einem Marienbilde
kniete er nieder, um ſeine Gedanken zu Gott und zu der
Größe ſeines Berufes zu erheben. Er ließ Proceſſionen
veranſtalten, und Gott bitten, ihm dereinſt noch andre,
höhere Gnaden zu verleihen, im Kampfe gegen die Ungläu-
bigen. Er ſprach von einer Unternehmung gegen Conſtan-
tinopel und Jeruſalem. 1
Gedanken dieſer Art lagen jedoch in weiter Ferne.
Zunächſt kam es auf eine Benutzung des gegenwärtigen
Momentes an.
[317]Antraͤge von England.
Und da war nun die erſte Idee die ſich darbot, den
großen Sieg zu benutzen, um die Unternehmung auf Frank-
reich die man ſo oft verſucht unter günſtigern Umſtänden
als jemals ins Werk zu ſetzen.
Dazu bereitete ſich der Herzog von Bourbon unver-
züglich: der König von England drang darauf.
Höchſt merkwürdig, und von der weiteſten Ausſicht
iſt die Inſtruction, mit der Heinrich VIII eine Geſandt-
ſchaft verſah, die er in Folge der Schlacht von Pavia an
den Kaiſer abordnete. Er mißbilligt darin, daß man den
König von Frankreich unter irgend einer Bedingung wie-
derherſtelle — es werde doch keine geben, die er halte: —
er fordert, daß derſelbe der franzöſiſchen Krone geradezu
beraubt werde. Und frage man dann, wem dieſelbe zu
übertragen, ſo könne man nicht etwa von Bourbon reden,
der kein Recht dazu habe, und dem Kaiſer keine Sicher-
heit gewähre: dagegen ihm dem König von England ſtehe
das beſte unleugbarſte Recht zu, das der Kaiſer auch ſchon
anerkannt habe. Im nächſten Sommer möge nun Carl in
Perſon Frankreich von Spanien her angreifen, wie er von
England aus zu thun gedenke: er werde ihn mit reichen
Subſidien unterſtützen: großer Widerſtand ſey in gegenwär-
tigem Augenblick nicht zu befürchten: er denke mit Sr. Kai-
ſerlichen Majeſtät in Paris zuſammen zu treffen. Sey er
daſelbſt gekrönt, ſo werde er dann den Kaiſer zu ſeiner
Krönung nach Rom begleiten: alles was von den Fran-
zoſen dem Hauſe Burgund oder dem Reiche entzogen wor-
den, ſolle an ihn zurückfallen: ja zuletzt Frankreich und
England ſelbſt, wenn er ſich nach den Tractaten mit der
[318]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
jungen Maria vermähle. — So viele Schwierigkeiten er
dabei macht, ſo zeigt er ſich doch endlich bereit, ſeine Tochter
dem Kaiſer ſchon im Voraus, bis ſie erwachſen ſeyn werde,
zu übergeben. 1
Von Zeit zu Zeit tauchen in unſerm Europa Pläne
dieſer Art auf, entweder einer univerſalen Herrſchaft ei-
nes Einzigen, oder einer Theilung zwiſchen zwei vorwal-
tenden Mächten: welche der Phantaſie die Möglichkeit ei-
ner allgemeinen Umkehr zeigen, aber doch immer an der
Kraft des Beſtehenden ſcheitern.
So jung der Kaiſer auch war, ſo war er doch viel
zu geſetzt, um ſich von ſo verwegenen Vorſchlägen fortrei-
ßen zu laſſen. Auch hatte ihm England mit nichten einen
Beiſtand geleiſtet, der es zu einem ſolchen Antheil an den
Früchten des Sieges berechtigt hätte. Man kannte in Spa-
nien ſehr gut die Verhandlungen welche der Cardinal mit
Frankreich gepflogen.
Kanzler Gattinara rieth dem Kaiſer zu antworten, es
[319]Entwuͤrfe des kaiſerlichen Hofes.
zieme ſich nicht einen Feind zu bekriegen, der ſich nicht
vertheidigen könne, auch geſtatte das Bedürfniß des Frie-
dens kein ſolches Unternehmen: er meinte, wolle der König
von England ſein Glück verſuchen, ſo werde man ihn am
beſten dadurch hindern, daß man ihm keinerlei Unterſtützung
zukommen laſſe. Eine Vereinigung von Frankreich und Eng-
land fand er höchſt gefährlich. Dagegen war ſeine Idee, die
Krone von Frankreich zwar aufrecht zu erhalten, aber zu-
gleich das Übergewicht von Öſtreich auf immer zu fixiren.
Ein Entwurf von ihm, den wir aus den öſtreichiſchen Ar-
chiven kennen, 1 geht geradezu auf das entſcheidende Ziel
los. Der König ſollte auf ſeine italieniſchen Anſprüche,
die mailändiſchen wie die neapolitaniſchen, Verzicht leiſten:
er ſollte ferner Burgund dem Hauſe zurückgeben dem es
gehöre: endlich, er ſollte die Rechte des Kaiſerthums auf
das ſüdliche Frankreich anerkennen. Auf die Provence machte
man directe Anſprüche, als „eine dem Reiche zugehörige
Sache:“ der Kaiſer wollte es dem Herzog von Bour-
bon verleihen. Auch Dauphinē glaubte man zurückfordern
zu können, weil die Erneuerung der Lehenspflicht ſo lange
verſäumt worden ſey: doch war man geneigt, es dem Thron-
folger von Frankreich zu laſſen, vorausgeſetzt, daß er ſich
mit einer Prinzeſſin des Hauſes Öſtreich vermähle. Wenn
Franz I dieſe Bedingungen annahm, ſo war er allerdings
dergeſtalt heruntergebracht, daß er nie mehr ſchaden konnte,
Das Übergewicht des Kaiſers war dann auf immer feſt-
geſtellt. Er hätte keinen ihm gewachſenen Nebenbuhler
mehr gehabt. Es gieng ein Gefühl durch Europa, als
[320]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
ſey der Kaiſer der vom Schickſal beſtimmte Herrſcher. Eine
neapolitaniſche Beſchreibung der Schlacht ſchließt mit den
Worten: „ſeinen Füßen haſt du die Welt unterworfen.“
„Jetzt,“ ſagte Wolſey einem Geſandten Carls, „wird Euer
Herr Kaiſer ſeyn, nicht mehr dem Titel, ſondern der That
nach.“ „Die Rathſchlüſſe Gottes,“ ruft ein päpſtlicher
Miniſter aus, „ſind ein tiefer Abgrund.“
Nicht einem Jeden aber war eine ſolche Ausſicht will-
kommen. Es hat noch Niemand in Europa eine Stellung
dieſer Art eingenommen, ohne daß ſich alles was ſich ſelb-
ſtändig fühlte, dagegen geregt hätte. Es verſteht ſich, daß
der König von England ſich durch die abſchlägliche Ant-
wort gekränkt fühlte und ſich von Moment zu Moment
mehr von dem Kaiſer entfernte. Aber noch in einem an-
dern Verbündeten des Kaiſers, dem römiſchen Papſt, wachte
der Widerſtand auf. Jener Ausdruck eines päpſtlichen
Miniſters zeigt wahrhaftig mehr den Schrecken eines Be-
drohten, als die Theilnahme eines Bundesgenoſſen. Schon
ſeit einiger Zeit waren Mißverſtändniſſe von ſehr bedenkli-
chem Character zwiſchen Papſt und Kaiſer eingetreten. Sie
beruhten im Grunde auf einer Territorialfrage, bildeten aber
ſehr bald eins der wichtigſten Momente der allgemeinen
Weltangelegenheiten.
Mißverſtändniſſe zwiſchen Papſt und Kaiſer.
Als Leo X ſein Bündniß mit dem Kaiſer ſchloß, war
es wie wir ſahen ſeine Abſicht, dadurch zu alle den Land-
ſchaften zu gelangen, welche der römiſche Stuhl noch in
An-
[321]Irrungen zwiſchen Papſt und Kaiſer.
Anſpruch nahm, beſonders zu Ferrara: der Kaiſer verſprach
ihm dazu ſeine Unterſtützung.
Als Leo ſo plötzlich ſtarb, ließ der Herzog von Fer-
rara eine Münze ſchlagen mit der Umſchrift: „das Lamm
aus dem Rachen des Löwen errettet.“
Er war aber nicht allein errettet, er bekam während
der Sedisvacanz auch Gelegenheit, Reggio und Rubiera
einzunehmen. Auf Adrian VI verſchaffte er ſich ſo viel
Einfluß, daß dieſer ihm deſſenungeachtet die Lehen erneuerte.
Von ganz andrer Geſinnung war jedoch der Nachfol-
ger Adrians, Clemens VII; ſo wie die Franzoſen 1524
aus Italien verjagt waren, forderte er die Kaiſerlichen auf,
ihm auch wider den Herzog Beiſtand zu leiſten, und den-
ſelben zunächſt aus Reggio zu vertreiben.
Dazu hielten ſich jedoch Dieſe nicht mehr verpflichtet.
All ihr Sinnen gieng damals auf jenen Einfall in Frank-
reich und ſie wollten keine Unruhen in ihrem Rücken ver-
anlaſſen. Der Vicekönig antwortete: wenn der Papſt den
Kaiſer liebe, ſo ſolle er dem Herzog, um ihn ganz zufrie-
den zu ſtellen, eher auch noch Modena zurückgeben. 1
Eine Anmuthung, die den Papſt tief beleidigte. Wenn
er auch zuletzt nicht eben viel geleiſtet hatte, ſo lebte ihm
doch in friſcher Erinnerung, welchen Antheil er vor drei
Jahren an der Eroberung von Mailand perſönlich gehabt.
Sollte das nun blos zum Vortheil des Kaiſerthums aus-
Ranke d. Geſch. II. 21
[322]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
ſchlagen? das Papſtthum nicht nur nicht zu der erwünſch-
ten Gebietserweiterung gelangen, ſondern ſogar früher beſeſ-
ſene Städte aufgeben?
So lange die kaiſerlichen Waffen in der Provence
glücklich waren, hielt Clemens an ſich: kaum konnte er
aber die Nachricht von dem Rückzug Bourbons von Mar-
ſeille erhalten haben, ſo ſchickte er einen Geſandten, den
uns wohl bekannten Hieronymus Aleander, an den König
von Frankreich: 1 und ſo wie dann dieſer den italieniſchen
Boden betrat, ſo eilte ihm der vertrauteſte Miniſter des
Papſtes, Giberti, der immer für franzöſiſch geſinnt gegol-
ten, entgegen, um mit ihm, wie ſein Beglaubigungsſchrei-
ben ſagt, „über Dinge und Pläne zu unterhandeln, welche
ſowohl des Papſtes als des Königs Ehre und Nutzen be-
treffen.“ 2 Der Gang und das Reſultat ihrer Unterhand-
lungen iſt nicht genau bekannt geworden: ſo viel aber wiſ-
ſen wir, daß es zu einem Tractat kam, in welchem die
Vorausſetzung vorwaltet, daß der König Mailand behalte.
Für dieſen Fall verſpricht der König, weder Parma noch
Piacenza zurückzufordern, das Salz für Mailand aus den
päpſtlichen Salinen zu ziehen, ein für die apoſtoliſche Kam-
mer ſehr einträgliches Vorrecht, und den Papſt gegen
ſeine rebelliſchen Vaſallen, ohne Zweifel Ferrara, zu unter-
ſtützen. 3 Als Giberti zurückgekommen, bemerkte man, daß
[323]Irrungen zwiſchen Papſt und Kaiſer.
er nie zum Papſt gieng, ohne die unterſcheidende Kopfbe-
deckung der Franzoſen: die Pagen im Pallaſt trugen ſich
franzöſiſch: man geſtattete in Rom Werbungen für Frank-
reich zu Gunſten jenes Herzogs von Albanien, der einen
Zug nach Neapel unternommen: die Deutſchen am Hofe
waren überzeugt, der Papſt habe dem König auch Neapel
und Sicilien verliehen. 1
Das iſt nun wohl ein Irrthum: an der Herrſchaft
der Franzoſen in Neapel konnte dem Papſt nichts gelegen
ſeyn: ſeine Abſicht war ohne Zweifel nur, eine Diverſion zu
begünſtigen, von der ſich die Herſtellung des Gleichgewichts
in Italien erwarten ließ; 2 allein ſchon dieſe Abſicht, ſein
ganzes Betragen, ſeine unleugbare Abtrünnigkeit im Mo-
mente der Gefahr, erweckte die Feindſeligkeit der kaiſerlichen
Feldhauptleute. Mit Verachtung wieſen ſie ſeine Vermit-
telungsvorſchläge von ſich: „wer nicht mit mir iſt“ ſchrieb
ihm der Vicekönig, „der iſt wider mich.“ Einen päpſtli-
chen Agenten jagte Frundsberg mit dem Schwerte von ſich,
und die Beſorgniß vor den Wirkungen der päpſtlichen Um-
3
21*
[324]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
triebe beſchleunigte die Schlacht; dem Papſt allein gaben
ſie Schuld, 1 daß ſich auch die Venezianer ſo ſäumig ge-
zeigt hatten, ihre Verpflichtungen zu erfüllen.
Daher machte die Nachricht von der Niederlage des
Königs in Rom einen ſo peinvollen Eindruck. Frundsberg
hat wirklich gerathen, dem Papſt auf der Stelle zu Leibe
zu gehn. Man fieng im Kirchenſtaat Briefe auch von den
übrigen Generalen auf, die mit Drohungen erfüllt waren,
und unverzüglich beſetzten kaiſerliche Mannſchaften das Ge-
biet von Piacenza. Clemens VII verhehlt es nicht, daß
er ſich nur durch dieſen Zwang bewogen geſehen, den Kai-
ſerlichen 100000 Duc. zu zahlen und einen neuen Bund
mit ihnen abzuſchließen. 2
Unglücklicherweiſe iſt auch dieſer Vertrag nicht authen-
tiſch bekannt geworden, aber aus den Staatsſchriften die
man ſpäter wechſelte ergiebt ſich, daß der Papſt in einigen
beſondern Artikeln dieſelben Bedingungen aufſtellte, welche
ihm der König gewährt hatte: er forderte den Salzverkauf
im Mailändiſchen, die Anerkennung ſeiner Rechte auf Reggio,
ſo wie Beihülfe zu deren Ausführung. Er zweifelte nicht,
daß ihm der Kaiſer das gewähren werde.
Schon war jedoch das Eine nicht mehr möglich. Erz-
herzog Ferdinand, der ſich bei dem letzten Unternehmen ſo
viele Verdienſte erworben, hatte den günſtigen Augenblick be-
nutzt, mit Franz Sforza einen Vertrag zu ſchließen, kraft
deſſen das Salz für Mailand aus Öſtreich genommen wer-
[325]Irrungen zwiſchen Papſt und Kaiſer.
den ſollte. 1 Es war der erſte feſte Vortheil den Öſtreich
aus der Lambardei zog.
Auch zu dem Andern aber wollte ſich der Kaiſer nicht
verſtehen. Er hatte keine Neigung den Herzog von Fer-
rara mit Gewalt anzugreifen. Überdieß kamen hiebei die
Lehnrechte des Reiches mit denen des römiſchen Stuhles
in Competenz. Der Kaiſer wollte jene ſchlechterdings nicht
aufgeben. Er nahm den Bund übrigens an, aber dieſe
abgeſonderten Artikel weigerte er ſich zu ratificiren.
„Da nun unſer Herr ſah,“ heißt es in einer ſpätern
päpſtlichen Inſtruction, „daß er betrogen war, daß ſein
Verhältniß zu dem Kaiſer wider Erwarten immer ſchlim-
mer wurde, ſo gab er der alten Behauptung Gehör, die
Abſicht des Kaiſers ſey Italien ganz und gar zu unter-
jochen: er beſchloß, ſich mit Denen zu verbinden, welche
eine gemeinſchaftliche Sache mit ihm hatten, um ſich vor
der Gewalt ſicher zu ſtellen die ihm drohte.“ 2
Wir ſehen: die eigentliche Streitfrage liegt in den ober-
italieniſchen Verhältniſſen. Der Papſt machte Anſprüche
auf Finanzerträge in Mailand und eine Erweiterung ſei-
ner Macht gegen Ferrara, welche der Kaiſer nicht zuge-
ben wollte.
Bemerken wir zugleich das Verfahren Carls V. Durch
ſeine Verträge von 1521 wäre er wohl zu einer Unterneh-
mung wie gegen Frankreich ſo gegen Ferrara verpflichtet
geweſen. Seine Verbündeten glaubten auch ihrerſeits An-
ſpruch an die Vortheile des Sieges machen zu können.
[326]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
Allein ihre Theilnahme war geringfügig, ihre Haltung in den
letzten Momenten ſelbſt zweideutig geweſen: der Kaiſer glaubte
hiedurch aller jener Verpflichtungen überhoben zu ſeyn.
Seinen Waffen allein war der Sieg zu Theil geworden:
er wollte auch allein den Vortheil haben: was hätte ihn
bewegen können, ſich neuen Gefahren auszuſetzen, um Ver-
bündete ſo zweifelhafter Art groß zu machen?
Das Verhältniß des Papſtes war im Grunde nicht an-
ders, wie das von England; es bezeichnet den Geiſt dieſer
Zeiten, daß der Papſt es war, der zuerſt den Muth hatte
ſich der emporkommenden Weltmacht entgegenzuſtellen. Er
beſorgte, das Kaiſerthum möchte dem römiſchen Stuhle wie-
der zu mächtig werden: die Ideen der Wiederherſtellung
der italieniſchen Unabhängigkeit regten ſich in ihm, wie in
Julius II. Hatten die Päpſte doch bisher immer den Im-
puls zu den großen politiſchen Veränderungen gegeben, und
ihre Abſichten in der Regel durchgeführt. Clemens VII
wagte es, ſich als den Mittelpunct des Widerſtandes gegen
Carl V aufzuſtellen.
Da mußte ihm nun vor allem andern daran liegen, eine
Ausſöhnung zwiſchen England und Frankreich zu Stande zu
bringen. Schon am 8ten März brachte Lodovico Canoſſa
einverſtanden mit Giberti 1 die Sache in Frankreich in An-
regung. Am 16ten März forderte dieſer ſelbſt die päpſtli-
chen Nuntien in England auf, allen ihren Einfluß bei Hein-
rich VIII und Wolſey aufzubieten, um ein gütliches Ab-
kommen mit Frankreich zu vermitteln. 2 Im April kannte
[327]Entwuͤrfe der Italiener.
man die Unterhandlungen ſchon in den Niederlanden. Sie
konnten wenig Schwierigkeiten haben, zumal da der Kai-
ſer ſich von der Verpflichtung ſich mit der Tochter des
Königs zu vermählen immer augenſcheinlicher zurückzog,
Franz I dagegen auf kein Abkommen ohne den guten Rath
des Königs von England eingehn zu wollen erklärte. 1
Bereits am 14ten Juni zeigte ſich Wolſey, wie Giberti
ſagt, nicht ſowohl geneigt zu einer Verſöhnung mit Frank-
reich, als von Verlangen danach entzündet. 2 Die Nun-
tien verſicherten am 30ſten Juni daß alle Zweifel geho-
ben ſeyen.
Ein zweiter Moment war, daß man in Italien wie-
der eine reſpectable Stellung annahm. Zu dem Ende ſuchte
der Papſt das alte Bündniß mit der Schweiz zu erneuern,
um ſobald es nöthig ſey, auf den erſten Wink 8 bis 10000
M. kommen laſſen zu können. Schon hatte er Einver-
ſtändniß mit dem Herzog von Mailand und den Venezia-
nern. Die feſten Plätze welche jener beſaß, das ſtattliche
Heer welches dieſe im Stand hielten, — von 1000 Lanzen,
500 l. Reitern, 16000 M. z. F. — gaben eine treffliche
Grundlage für die Entwürfe mit denen man umgieng. 3
Man bedurfte und wünſchte eine Verbindung mit Frank-
reich: aber die erſte Bedingung des Vertrages ſollte ſeyn,
[328]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
daß dieſe Macht auf alle ihre italieniſchen Anſprüche Ver-
zicht leiſte, auf die mailändiſchen zu Gunſten Sforzas, auf
die neapolitaniſchen zu Gunſten des Papſtes. Dann werde
auch Italien, denn dieſer Name erſcheint jetzt wieder, ein
ſtattliches Kriegsheer zur Befreiung Franz I ins Feld ſtellen.
Wirklich erhob man ſich in der Umgebung des Pap-
ſtes zu der Hofnung, die Franzoſen auf immer entfernt
halten, die Spanier wieder verjagen, Italien in einen Zu-
ſtand wiederherſtellen zu können, wie er vor dem Jahr
1494 geweſen war. Das Gefühl der Nationalität, das
ſich ſchon öfter geregt, und vorzüglich in der literariſch-
künſtleriſchen Cultur, deren man ſich bewußt war, ſeine
Nahrung fand, bemächtigte ſich der Gemüther. Der Papſt
war ſehr geneigt, ſich an die Spitze des Unternehmens zu
ſtellen.
Und in dem zeigte ſich ſchon eine Ausſicht, auf das
raſcheſte zum Ziele zu kommen.
Gleich nach der Schlacht von Pavia waren Mißver-
ſtändniſſe zwiſchen den kaiſerlichen Heerführern ausgebro-
chen: Lannoy, der am Tage ſelbſt das Wenigſte geleiſtet,
empfieng die meiſten Beweiſe perſönlicher Gnade, und nahm
ſich endlich heraus, den gefangenen König, einem Beſchluß
der übrigen gradezu entgegen, 1 auf eigne Hand nach Spa-
nien zu führen. Hierüber war Jedermann mißvergnügt.
Pescara, der ſein Verdienſt überhaupt nicht wie er wünſchte
anerkannt ſah, bat um ſeinen Abſchied, um wie er ſagte
[329]Unterhandlung mit Pescara.
in irgend einem Winkel der Erde, „fern von Verdacht und
von Krieg“ ſein Leben zu beſchließen. 1
Auch den Italienern ward dieß bekannt, und es lag
in der That nicht ferne, darauf einen Entwurf zu grün-
den. Hatte nicht vor Kurzem der erſte Ritter und Feld-
herr von Frankreich das Beiſpiel des Abfalls gegeben?
War es ſo unmöglich, Pescara zu einem ähnlichen Schritte
zu vermögen? Er war doch auch in Italien geboren und
in nächſtem Sinn ein Italiener.
Welch einen unberechenbaren Erfolg aber mußte es
haben, dieſen Mann zu gewinnen! Er war der krieggeüb-
teſte, fähigſte Feldhauptmann des Kaiſers: in allen Feld-
zügen hatte er bisher das Beſte gethan: mit dem ſpaniſchen
Fußvolk machte er was er wollte. Mit dem General
hätte man den beſten Theil der Armee herübergezogen: der
Reſt wäre dann leicht zu vernichten geweſen.
Und einen herrlichen Preis hatte man ihm anzubieten.
Man wollte die Spanier aus Neapel und Sicilien vertrei-
ben: unmöglich konnte es der Papſt ſelbſt verwalten, ver-
theidigen! Man faßte die Idee, den Abfall Pescaras mit
dieſer Krone zu belohnen. Seine That ſelbſt hätte ihn auf
das engſte an die italieniſchen Mächte geknüpft. Mit Ei-
nem Schlag wäre die Einheit und Freiheit Italiens er-
fochten geweſen.
Hieronymus Morone, der vertraute Miniſter des
[330]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
Sforza, der die Wiederherſtellung ſeines Herrn mit ſo viel
Verſtand vorbereitet und mit ſo großer Thätigkeit beför-
dert hatte, der auch jetzt die Fäden der Umtriebe in ſei-
ner Hand vereinigte, faßte ſich eines Tages das Herz, dem
Marcheſe die Eröffnung zu machen. Er ließ ſich im Vor-
aus ſein Ehrenwort geben, ewig geheim halten zu wol-
len was er ihm ſagen werde. Nachdem er dann die po-
litiſche Lage von Europa erörtert, kam er auf die Mög-
lichkeit, die ſich den Italienern, zu denen auch Pescara ge-
höre, darbiete, ſich von dem fremden Joch zu befreien: er
ſprach ihm von dem Zutraun das man zu ihm gefaßt, der
That die man von ihm erwarte: er nannte ihm endlich den
Preis den man ihm dafür zudenke. 1
Gar mancherlei widerſprechende Bewegungen mag die-
ſer Antrag in Pescara angeregt haben. Die Ausſicht die
ſich ihm darbot war glänzend, unermeßlich, — er empfand
doch wirklich Mißvergnügen über den Hof; — dagegen ent-
rüſtete ihn die Treuloſigkeit der Italiener, ſein altſpaniſches
Blut wallte ihm auf; — zugleich leuchtete ihm die Nothwen-
digkeit ein, er fühlte den Trieb, der Sache auf den Grund zu
kommen. Der verſchlagene Kriegsmann, der ſo manchen Feind
im rechten Moment überraſcht und ſich nie in ſeinem Leben
blosgegeben, nahm ſich auch dieß Mal zuſammen. „Es iſt
etwas Großes,“ entgegnete er Morone’n, „was ihr mir da
[331]Unterhandlung mit Pescara.
ſagt: nicht minder groß iſt, daß ihr es mir ſagt.“ Er gab
zu, daß er Urſache zum Mißvergnügen habe: „aber keine
Unzufriedenheit der Welt,“ fuhr er fort, „könnte mich ver-
mögen, wider die Geſetze der Ehre zu handeln. Sollte
ich mich vom Kaiſer losſagen, ſo müßte es auf eine ſolche
Weiſe geſchehen, daß der beſte Ritter ſich nicht beſſer zu
betragen vermöchte. Ich thäte es nur, um dem Kaiſer
zu beweiſen, daß an mir mehr gelegen iſt als an gewiſſen
Leuten die er mir vorzieht.“ 1 Ausdrücke in denen Mo-
rone eine nur wenig verhüllte, gar nicht zu bezwei-
felnde Hinneigung zu erkennen glaubte. Zuſammentreffend
mit den günſtigen Nachrichten von Frankreich und Eng-
land beflügelte dieſe Meinung alle Entwürfe. „Ich ſehe die
Welt ſich umwandeln,“ ruft Giberti aus, „Italien wird
aus dem tiefſten Elend zum höchſten Glück aufſteigen.“ 2
Man ließ Schriften ausarbeiten, um die Scrupel Pesca-
ras vollends zu heben: Couriere brachen auf, um den ver-
bündeten Höfen Mittheilungen zu machen. Man wollte un-
verzüglich an das Werk gehn.
War aber die Sache wohl auch wirklich dazu ange-
than, um zum Ziele zu führen?
Die Unabhängigkeit einer Nation iſt ein ſo großes
Gut, daß ſie, wenn ſie jemals verloren worden, nur durch
eine allgemeine Anſtrengung aller Kräfte des innern und
des äußern Lebens wieder errungen werden kann. Hier
[332]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
war ein Bedürfniß dafür nur erſt in den literariſchen Krei-
ſen erwacht: die Maſſe der Nation war davon noch nicht
ergriffen: ein militäriſches Selbſtgefühl welches beleidigt ge-
weſen wäre, hatte ſie nicht: vom verletzten Rechte war
eben ſo wenig die Rede: das Recht des Kaiſers war ur-
alt und unbeſtreitbar. Daher zählten auch die Führer nicht
auf die eigentliche Nation. Sie dachten ſich vor allem
der günſtigen Lage der Umſtände, fremder Kräfte, des
unerwarteten Abfalls zn bedienen: eine glückliche Combina-
tion der Politik ſollte alles ausrichten.
Gar bald aber zeigte ſich dieß zweifelhaft.
Von den Franzoſen bemerkte Giberti ſchon im Sep-
tember 1525, 1 ihre Abſicht ſey wohl nur, ſich der Verbin-
dung mit Italien zu bedienen, um eine günſtige Abkunft
mit dem Kaiſer zu treffen.
Indem man ferner auf den Abfall des kaiſerlichen
Heerführers zählte, vernahm man daß im Mailändiſchen
an den Feſtungen gearbeitet werde: ein nach Frankreich ab-
gefertigter Courier verſchwand in dieſem Gebiete: ja vom
ſpaniſchen Hofe trafen Erklärungen ein, welche eine Andeu-
tung der Sache durchblicken ließen. Man wußte nicht,
was man denken ſollte. War Morone ein Verräther?
Aber welchen Vortheil konnte er ſich verſprechen, der den
Haß aufgewogen hätte, den er von Italien erwarten mußte?
Oder ſpielte Pescara eine doppelte Rolle? „Ich kann es
nicht glauben,“ ſagt Giberti. „Was er für den Kaiſer ge-
than könnte man ihm mit keinem Königreich vergelten: ſollte
er ſich die Gnade deſſelben bei dieſer Gelegenheit wieder er-
[333]Pescara.
betteln wollen? es wäre eine Sünde, zu denken, daß in
einer ſo edlen Seele ein ſo niedriger Gedanke Platz fin-
den könnte.“ 1
Dennoch war eben dieß der Fall.
Pescara war in Italien geboren, aber er hatte die
Seele eines Spaniers. Alle ſeine Vorältern hatten dafür
gelebt, die aragoneſiſch-ſpaniſche Herrſchaft in Italien zu
begründen. Sein Urgroßvater, Ruy Lopez de Avalos hatte
ſich an Alfons V angeſchloſſen: deſſen Sohn, Inigo war
der Vertraute dieſes Königs geweſen: deſſen Sohn, Alonſo
war bei dem Angriff der Franzoſen durch die Hand eines
Mauren umgekommen; 2 auf der Fortſetzung dieſer Beſtre-
bungen beruhte das Daſeyn auch unſres Pescara. Er
lebte und webte in der Anführung der ſpaniſchen Fußvöl-
ker, die ihm anvertraut war: er kannte ſeine Leute alle
bei Namen: er nahm ihnen nichts übel, ſelbſt nicht die
verbotene Plünderung, und ſchonte ſie, ſo lange es irgend
möglich: genug wenn ſie nur in der entſcheidenden Stunde
tapfer aushielten, wie ſie das thaten: er fühlte ſich glück-
lich und ruhmvoll, wenn er vor ihnen herſchritt, mit brei-
ten Schuhen, wie die Deutſchen, weithinwehenden Federn
auf dem Hut, das bloße Schwerd mit beiden Händen vor
ſich hin haltend. Die Italiener dagegen haßte er: er hielt
ſie für feig und unzuverläßig: es kam wohl vor, daß er
bei der Eroberung einer Stadt alle italieniſchen Soldaten
niedermachen ließ. Warum, fragte man ihn, da es doch
ſeine Landsleute ſeyen. Eben darum, antwortete er, weil
[334]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
ſie es ſind und dem Feinde dienen. Wie er in der Krieg-
führung eine angeborne Kühnheit durch bedächtige Vor-
ſicht in Zaum hielt, ſo war er ehrgeizig, trotzig, hochfah-
rend, aber innerhalb der Schranken der Loyalität. Mehr
als man glaubt, nährt ſich die Seele von Idealen. Ideen,
wie ſie in Italien aus dem Studium des claſſiſchen Al-
terthums hervorgiengen, waren ihm völlig fremd; die Vor-
ſtellungen perſönlicher Hingebung und Treue dagegen, welche
dem Feudalſtaat zu Grunde liegen, und von denen man ſich
in Italien zuerſt losgeriſſen hatte, beherrſchten ſeine Ge-
danken, ſein Gemüth. Im Umgang mit den Helden der
ſpaniſchen Romantik war er aufgewachſen: er mochte ſich
vorkommen wie der Cid, der von ſeinem König beleidigt
und verwieſen, ihm doch unaufhörlich treu bleibt, ohne
ſeine ſtolze Haltung darum einen Augenblick einzubüßen.
Dem italieniſchen Weſen, dem ſein Nationalgefühl aus der
claſſiſchen Bildung entſprang, das aber zugleich die politi-
ſche Moral der Zeiten des Mittelalters aufgegeben hatte,
trat hier das Bewußtſeyn des Ritterthums und der feu-
dalen Ehre entgegen: — gewiß ſie erhob ſich noch einmal,
aber dabei verrieth ſie zugleich daß ſie von der Welt
des Macchiavell berührt worden. Eine ſo hohe ſittliche
Bildung hatte Pescara nicht, um dem Antrag der ihm
geſchah, mit dem Widerwillen zu begegnen den derſelbe ver-
diente. Er dachte wohl indem er ihn vernahm, Morone
ſey werth, zum Fenſter hinausgeworfen zu werden; aber er
beſann ſich ſogleich, daß man den Plan vollſtändig kennen
lernen müſſe, um ihn zu vereiteln. Indem er nun das
Verſtändniß unterhielt, theilte er doch die Sache gleich am
[335]Beſitznahme von Mailand.
erſten Tage dem kaiſerlichen Commiſſar und ſeinen beiden
Mitbefehlshabern, Bourbon und Leiva mit; unverweilt
ſchrieb er nach Insbruck um Hülfe und ſendete einen Cou-
rier mit der Nachricht nach Spanien. Während ſich Gi-
berti in ſeinem Traume von den Gärten der neuen Freiheit
wiegte, war er ſchon verrathen.
Im September gab der Kaiſer dem Marcheſe Voll-
macht, in dem vorliegenden Fall zu verfahren wie er für
nothwendig halte. 1
Da war nun nichts unumgänglicher nothwendig, als
in Mailand ſelbſt feſten Fuß zu faſſen, und von allen
Rechten des Sforza zu abſtrahiren. Die kaiſerlichen Ge-
nerale meinten, ohne das Verſtändniß des Marcheſe wür-
den ſie ſämmtlich verloren geweſen ſeyn. 2
Zuerſt ward Morone feſtgenommen: es geſchah am
14ten October 1525, als er Pescara’n einen vertraulichen
Beſuch gemacht, bei dem Leiva hinter einer Tapete ver-
ſteckt ihr Geſpräch vernommen, und darauf nach Hauſe gehn
wollte. Doch bat Pescara den Kaiſer, ihm die Freiheit
dieſes Mannes zu ſchenken, der noch ſehr nützlich werden
könne, wenn man ſich ſeiner einmal bedienen wolle.
Hierauf forderte Pescara den Herzog auf, die feſten
Plätze des Herzogthums den kaiſerlichen Truppen zu über-
antworten: denn das mache der Dienſt des Kaiſers noth-
wendig. Der Herzog, ſeines Miniſters beraubt, ſeiner
Schuld ſich bewußt, wagte es nicht abzuſchlagen, zumal da
man ihm die feſteſten, Mailand und Cremona noch ließ.
[336]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
Allein nur ſo lange ſchwieg man von dieſen, bis die
erſteren eingenommen waren: wie es ſo weit war, forderte
Pescara auch die Caſtelle von Cremona und Mailand.
Der Herzog machte Einwendungen. Pescara erwiederte,
er wiſſe aus den Briefen des herzoglichen Bevollmächtig-
ten in Rom, Domenico Sauli, daß S. Excellenz dort ihre
Perſon und ihren Staat zum Zweck der Befreiung Ita-
liens von kaiſerlichem Kriegsvolk angetragen: und beſtand
darauf, daß wenigſtens von den Befehlshabern der Caſtelle
dem Kaiſer der Eid der Treue geleiſtet werde. 1 Da Sforza
nicht nachgab, trug Pescara kein Bedenken Gewalt zu brau-
chen. Er nahm Cremona in Beſitz und gegen das Caſtell
von Mailand ſchritt er zur Belagerung. Dreitauſend Deut-
ſche waren dabei beſchäftigt. 2 Zugleich eröffnete er einen
Proceß wegen Felonie gegen den Herzog. Dem Kaiſer
ließ er wiſſen, Gott und die Welt und die geſunde Ver-
nunft verlange daß er Mailand jetzt für ſich behalte. Der
Kaiſer war entſchloſſen, dem Proceſſe ſeinen Fortgang zu
laſſen, und nach dem richterlichen Spruch, der freilich
nicht zweifelhaft ſeyn konnte, zu verfahren. 3
Dahin führte dieſer erſte Verſuch der Italiener, ſich
von dem fremden Kriegsvolk zu befreien. So wie ſie da-
bei vor allem auf den Abfall Pescaras gerechnet, ſo ſchei-
terte
[337]Friedensunterhandlungen.
terte ihr Unternehmen an der Treue, mit der dieſer an dem
Kaiſer hielt. Jetzt konnte der Kaiſer wirklich daran den-
ken, Mailand zu eignen Handen zu behalten.
Doch war die Sache noch nicht entſchieden. Der
allgemeine Widerwille der ſich jetzt dem kaiſerlichen Kriegs-
heer, das auf Koſten der Einwohner lebte, auch in der
Lombardei entgegenſetzte, die Hartnäckigkeit mit der ſich
das Caſtell von Mailand vertheidigte, gaben noch Hof-
nung, was mit Liſt nicht gelungen mit offener Gewalt zu
erreichen. Es kam hinzu, daß der General den man am
meiſten fürchtete und nunmehr mit gutem Grunde am hef-
tigſten haßte, Pescara eben damals ſtarb. Vor allem aber:
die große Streitfrage zwiſchen dem Kaiſer und dem König
von Frankreich ward in Spanien auf eine Weiſe behan-
delt, daß ſich eine neue allgemeine Bewegung mit Beſtimmt-
heit vorausſehen ließ.
Offenbar ſchlug der Kaiſer, wiewohl er auf die engli-
ſchen Pläne nicht eingieng, doch auch den Vortheil der
ihm ſelber aus der Gefangenſchaft des Königs erwachſen
konnte, zu hoch an. Ich will nicht davon reden, daß er
ſich großmüthiger hätte betragen ſollen: obwohl ich dafür
halte, daß es ganz wahr iſt: dieſe Eigenſchaft, ſeinen Fein-
den durch eine freie und herzliche Bewegung der Seele
verzeihen zu können, lag überhaupt nicht in ſeiner Natur;
allein überdem läßt ſich wohl ſagen, daß er die Sache
auch nicht richtig anſah. Mailand und Genua hatte er er-
obert, und die Gefangenſchaft des Königs konnte er viel-
leicht benutzen, um ihn zur Verzichtleiſtung auf ſeine ita-
lieniſchen Anſprüche zu vermögen. Dem Königreich Frank-
Ranke d. Geſch. II. 22
[338]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
reich ſelbſt jedoch hatte er keinerlei Vortheil abgewonnen:
ſein Anfall war vollkommen zurückgeſchlagen worden. Den-
noch forderte er hartnäckig und gebieteriſch die Herausgabe
von Burgund. Weder die Krankheit, in welche der Kö-
nig aus Mißmuth verfiel, noch die Unterhandlung ſeiner
Schweſter, die deshalb nach Spanien gereiſt war, noch
die Deductionen ſeiner Räthe, machten auf Carl den min-
deſten Eindruck. 1 Auf keine Entſchädigung wollte er ſich
einlaſſen, er forderte das Stammgut zurück, wovon er Na-
men und Wappen trage. Dazu aber war doch ſein Sieg
lange nicht vollſtändig genug. Das Prinzip der Einheit
und Nationalität, das ſich in Frankreich mächtig und mäch-
tiger erhob, hatte ſich ſelbſt bei dem Abfall des Conneta-
bel unverletzt erhalten: von dem Verluſt in Italien ward
es wenig berührt. So ſehr die Mutter des Königs die
Rückkunft ihres Sohnes wünſchte, ſo ſagte ſie doch, es
ſey beſſer, er bleibe ewig in Gefangenſchaft, als daß das
Reich zerſtückelt werde.
Ein reiner Begriff von Sittlichkeit und Würde hätte
nun wohl auch den König veranlaſſen ſollen, lieber ſeine
Gefangenſchaft zu erdulden, als auf Bedingungen ein-
zugehn, welche er im Voraus entſchloſſen war nicht zu
halten. Allein das hieß zu viel von ihm fordern: er
fand ſeinen Zuſtand unerträglich und wollte um jeden
Preis frei ſeyn.
Endlich am 14ten Januar unterzeichnete er die ihm
[339]Friede zu Madrid 1526.
von dem Kaiſer vorgelegten Bedingungen: er verſprach auf
alle ſeine italieniſchen Anſprüche, auf die Oberherrlichkeit
über Flandern und Artois, auf ſeine Verbindungen mit
den Gegnern des Kaiſers in Deutſchland, Wirtenberg, Gel-
dern, Robert von der Mark Verzicht zu leiſten, er willigte
ein Burgund herauszugeben: er wies die Idee, als werde
damit aller Hader am Ende ſeyn, nicht von ſich, und ver-
lobte ſich mit der Schweſter des Kaiſers, verwitweten Kö-
nigin von Portugal; — aber an demſelben Tage, in der-
ſelben Stunde, einen Moment vorher, hatte er insgeheim
eine Proteſtation unterzeichnet, in der er erklärte, daß er
den Vertrag nur durch Gewalt gezwungen annehme, daß
alles was darin bedungen werde, null und nichtig ſey und
bleibe, daß er nichts deſto minder alle Rechte ſeiner Krone
zu behaupten gedenke. 1
Seine Religionsbegriffe ließen zu, daß er hierauf doch
bei einem feierlichen Hochamt, die Hand auf das Evan-
gelium, den Eidſchwur leiſtete, den Vertrag nicht brechen
zu wollen keinen Tag ſeines Lebens.
Auf der einen Seite ließ er nun dem päpſtlichen Le-
gaten wiſſen, daß er den Vertrag nicht halten werde: 2
ſchon dort in Spanien trug er ſelbſt der König auf eine
Verbindung mit den italieniſchen Mächten an: zugleich
aber gieng er nach Illescas um ſeine Verlobung mit der
Schweſter des Kaiſers zu feiern, die auf der Vorausſetzung
der Ausführung des Tractates beruhte.
22*
[340]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
Der Kaiſer und der König ſahen ſich hierauf öfter,
ritten mit einander über Feld, ließen ſich in Einer Sänfte
tragen, und nannten ſich Brüder. Als ſie ſich von ein-
ander trennten, bei einem aufgerichteten Crucifix in der
Nähe von Illescas, wo die Wege nach Toledo und Madrid
ſich ſcheiden, ſagte der Kaiſer: „Bruder, denkt daran was
wir einander zugeſagt.“ Der König antwortete: „ich wollte
die Artikel herſagen, ohne in einem Wort zu fehlen.“
„Sagt mir die Wahrheit,“ fuhr Carl fort, „ſeyd ihr Wil-
lens ſie zu halten?“ Franz verſetzte: „nichts in meinem
Reiche ſoll mich daran hindern.“ Der Kaiſer ſagte hier-
auf: „Eins bitte ich Euch: wollt ihr mich in etwas hin-
tergehen, ſo betreffe es nicht meine Schweſter eure Braut,
denn dieſe,“ ſetzte er hinzu, „würde ſich nicht rächen können.“ 1
Man ſieht welche Ungewitter hinter dieſer Vertraulich-
keit ſchlummerten.
Auf einer Barke auf der Bidaſſoa wurde hierauf Kö-
nig Franz gegen ſeine beiden Söhne, den Dauphin und
den nachmaligen König Heinrich II, die als Geiſeln ſei-
ner Zuſage dienen ſollten, ausgewechſelt. „Sire,“ ſagte
Lannoy, „jetzt iſt Eure Hoheit frey: erfülle ſie nun auch
was ſie verſprochen.“ „Es wird alles erfüllt werden,“
ſagte der König, und ſprang in die franzöſiſche Barke. Jetzt
war er wieder bei den Seinen und ſah ſich von der Ver-
ehrung empfangen, die er ſo lang entbehrt; jetzt kam er
wieder zu dem vollſtändigen Gefühle ſeines Selbſt; er ſtieg,
als er an das Land trat, auf ein bereitſtehendes türkiſches
[341]Ligue zu Cognac.
Pferd; er rief aus: ich bin der König der König, und
jagte davon. 1
Dieſen Moment hatten nun die Italiener erwartet.
Als man dem Papſt die Bedingungen des Madrider
Friedens nannte, hatte er erklärt, er billige ſie, vorausge-
ſetzt daß der König ſie nicht beobachte: der einzige Un-
terſchied werde dann ſeyn, daß der Kaiſer ſtatt des Kö-
nigs deſſen Söhne in Gewahrſam habe: was ihm wenig
helfen könne. 2 Jetzt ſprach er den König von ſeinem
Eide frei: 3 er ließ ihm in Gemeinſchaft mit den Venezia-
nern vorſtellen, welch ein treffliches Heer ſchon im Felde
ſtehe, wie es gar nicht ſo ſchwer fallen werde, beſſere Be-
dingungen zu erzwingen: — wenn er nur entſchloſſen ſey,
zur Erledigung ſeiner Söhne und zur Befreiung Italiens
die Waffen zu ergreifen, ſo würden auch ſie Männer ſeyn,
und ſich nicht der Willkühr des Kaiſers überlaſſen.
Einen Augenblick zögerte der König noch, dieſen Bund
einzugehn. Er ließ die Notabeln von Burgund zuſammen-
rufen, und auf ihre Erklärung, dem König von Frankreich
ſtehe kraft der alten Verträge der Provinz mit der Krone
gar nicht das Recht zu, ſie abzutreten, 4 ſich ſtützend machte
[342]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
er dem Kaiſer aufs neue den Vorſchlag, ſich mit einer
Summe Geldes zu begnügen. Er mochte glauben, die Gäh-
rung in Italien werde ihn vermögen darauf einzugehn. 1
Vergegenwärtigen wir uns aber die Lage des Kaiſers.
An ſeinem Hofe, bei ſeinen ergebenſten Dienern hatte der
Tractat vielen Widerſpruch gefunden, nicht ſowohl weil
die Forderung zu weit gehe, als weil die Sicherheit zu ge-
ring ſey: man meinte, es ſeyen Bedingungen, für Kna-
ben beim Spiele gut, aber nicht weiter; er hatte dennoch
abgeſchloſſen, eine geheime Beſorgniß, die ſich auch in ihm
regte, unterdrückt; — er hatte bereits einen Gouverneur von
Burgund ernannt, der auf dem Wege dahin war; ſeine
Schweſter wartete in Vittoria auf die Vollziehung des Ver-
trags um ſogleich als Königin in Frankreich einzuziehn;
— da erhielt er nun dieſen Antrag, denſelben, den er
ſchon früher von ſich gewieſen: er ſah daß man ihn durch
die Furcht vor den italieniſchen Feindſeligkeiten nun doch
zu zwingen gedachte: das Bewußtſeyn die Sache nicht
ganz gut geführt zu haben, der Verdruß betrogen zu ſeyn,
das beleidigte Gefühl ritterlicher Ehre, der Stolz der Macht
erhoben ſich zugleich in ihm. Er antwortete dem König,
wenn er gehindert werde die Bedingungen ſeiner Befreiung
zu erfüllen, ſo möge er in die Gefangenſchaft zurückkehren,
wo man dann eine andre Übereinkunft treffen wolle. 2
Früher war das wohl ein und das andre Mal ge-
ſchehen: jetzt waren ſolche Zeiten vorüber.
[343]Ligue zu Cognac.
Der König trug kein Bedenken, ſeinen Bund mit den
Italienern am 22ſten Mai 1526 zu Cognac abzuſchließen.
Der Kaiſer ſollte die franzöſiſchen Prinzen gegen ein Löſe-
geld herausgeben, Mailand an Franz Sforza überlaſſen,
die italieniſchen Staaten überhaupt in den Zuſtand her-
ſtellen in welchem ſie vor Ausbruch der Feindſeligkeiten
geweſen: ja er ſollte den Zug zu ſeiner Kaiſerkrönung nur
mit ſo viel Truppen unternehmen dürfen als der Papſt
und Venedig geſtatten würden: man wollte ihn wieder be-
handeln wie einſt Maximilian. Man beſchloß ihm dieſe
Bedingungen vorzulegen, mit einem gewaltigen Heere ge-
rüſtet: und weigere er ſich ſie anzunehmen, — woran kein
Zweifel ſeyn konnte, — ihn auch aus Neapel zu vertreiben,
worüber alsdann der Papſt zu verfügen ſich vorbehielt. 1
Es war ein Bund des ganzen weſtlichen Europa ge-
gen die Folgen der Schlacht von Pavia, gegen die Über-
macht die Abſichten und das Glück des Hauſes Burgund.
Auch in England war man damit einverſtanden. König
und Cardinal forderten Franz den I auf, Verpflichtungen
nicht zu erfüllen, die ihn zu einem Knecht von Spanien
machen würden: 2 ſie thaten alles dafür die Ligue zu be-
fördern, 3 obwohl Heinrich VIII es nicht für rathſam hielt,
ſelber einzutreten.
In der Umgebung des Papſtes erwachten die Ideen
[344]Viertes Buch. Erſtes Capitel.
die man vor dem Jahre gehegt, mit verdoppelter Stärke.
Es galt jetzt nicht mehr einen Kampf der beiden Fürſten
um die Oberherrſchaft in Italien: König Franz wollte ſich
mit Aſti und der Lehnsherrlichkeit über Genua begnügen:
man hoffte wirklich Italien in den Zuſtand herzuſtellen,
in welchem es vor 1494 geweſen war. Die Venezianer
zeigten ſich dafür ſo begeiſtert, wie man es in Rom war:
ihr Geſandter Franz Foscari rühmt ſich, er ſey es, der
den Papſt bei ſeinem Entſchluſſe feſtgehalten habe: ſie ver-
ſprachen Wunder zu thun. Über die Florentiner dispo-
nirte der Papſt ohnehin: auch von Piemont hörte man,
der Herzog wünſche ſich der kaiſerlichen Übermacht zu ent-
ledigen. Auf die Hülfe der Franzoſen glaubte man mit
Beſtimmtheit zählen zu können, da der König ſelbſt ein ſo
großes Intereſſe an dem Kriege hatte; man rechnete mehr
als je auf die Schweizer, weil der franzöſiſche und der
päpſtliche Einfluß auf den Tagſatzungen zuſammenwirken
werde; man hoffte, der König von England werde die Pro-
tection des Bundes übernehmen, die man ihm antrug, oder
ſich doch wenigſtens zu Geldzahlungen verſtehn. Sollte
das kaiſerliche Heer ſo vielen Kräften zu widerſtehen ver-
mögen? Noch immer hielt ſich Franz Sforza in dem Ca-
ſtell von Mailand: in dem Volke bereitete ſich alles zum
Aufruhr: man meinte den Kern der kaiſerlichen Truppen
hier zur Stelle vernichten zu können. 1 Alle Briefe des
[345]Ligue zu Cognac.
Datario Giberti, der ſich nun endlich in einer Stellung
ſah wie er ſie immer gewünſcht hatte, athmen die Ent-
ſchloſſenheit die ein großartiges Unternehmen einflößt. Im
Juni 1526 ließ der Kaiſer dem Papſt noch einmal die
glimpflichſten Bedingungen vorſchlagen: 1 Clemens VII wies
ſie, weil er bereits gebunden ſey, völlig von der Hand.
Noch einmal brach der offene Krieg zwiſchen den bei-
den höchſten Gewalten aus.
Dießmal aber, in der Lage der Dinge, in welcher die
Weltentwickelung nunmehr angekommen, ſollte ſich zeigen,
daß dem Kaiſer noch andre Waffen zu Gebote ſtanden als
bisher. Er entſchloß ſich ſie zu brauchen.
[[346]]
Zweites Capitel.
Reichstag zu Speier im Jahr 1526.
Schon an und für ſich mußten die italieniſchen Er-
eigniſſe eine nicht geringe Rückwirkung auf Deutſchland
ausüben.
Der Angriff auf den Kaiſer war zugleich ein Angriff
auf die Rechte des Reiches, und ſehr wohl hob Carl her-
vor, wie in dem Tractat von Cognac des Reiches gar
nicht mehr gedacht, wie es gleichſam als aller ſeiner Rechte
ſchon verluſtig gegangen betrachtet werde. Alle die Jahre
daher waren es die deutſchen Streitkräfte geweſen, welche
ſeine Siege in Italien entſchieden hatten. In dem gefähr-
licher als jemals ausbrechenden Kriege war er nochmals
auf ſie angewieſen. Es konnte der Nation nicht gleich-
gültig ſeyn, ob das Reich in Italien wieder etwas zu be-
deuten haben würde oder nicht.
So wichtig das aber auch iſt, ſo war es doch im
Grunde nur die minder bedeutende Seite.
Das Leben der Nation bewegte ſich ohne Vergleich
mehr in den geiſtlichen Angelegenheiten, in den großen Fragen
[347]Herzog Heinrich in Spanien.
welche die geiſtige Zukunft der Welt in ſich enthielten.
Wir wiſſen, welch mächtigen Einfluß die politiſchen Ver-
hältniſſe vom erſten Anfang an bei dem Kaiſer auf deren
Behandlung ausgeübt hatten: das Edict von Worms, die
Zurücknahme der Verſammlung zu Speier waren eine Frucht
ſeiner Verbindung mit dem Papſt geweſen: dem zu Liebe
hatte er eine ſo ſtrenge altkirchliche Haltung angenommen:
es mußte ſich zeigen ob er dieſelbe nun auch jetzt be-
haupten würde.
Im Frühjahr 1526 ließ ſich noch alles ſo an, als
würde er um kein Haarbeit davon abweichen. Heinrich
von Braunſchweig, der damals in Spanien angelangt war,
brachte Erklärungen des Kaiſers aus, die ſo entſchieden lau-
teten wie jemals.
In der That war er in einem Momente eigetroffen
der für die Anträge welche er in ſeinem und ſeiner Freunde
Namen machte, nicht günſtiger hätte ſeyn können.
Der Friede von Madrid war geſchloſſen, und man
war am Hofe überzeugt, daß die große franzöſiſche Strei-
tigkeit damit auf immer abgethan ſey. 1 Schon faßte man
auf dieſen Grund Abſichten nach der deutſchen Seite hin.
Sehen wir den Frieden näher an, ſo enthält er nicht al-
lein eine Ausgleichung der politiſchen und perſönlichen
Streitigkeiten, ſondern zugleich eine Verabredung zu einer
gemeinſchaftlichen Unternehmung wie gegen die Türken, ſo
auch „gegen die Ketzer, die ſich vom Schooße der heiligen
[348]Viertes Buch. Zweites Capitel.
Kirche losgeriſſen:“ die beiden paciscirenden Fürſten for-
dern den Papſt bereits auf, durch kirchliche Zugeſtändniſſe
dazu mitzuwirken. 1 Der Willkühr des Kaiſers ward es
anheimgeſtellt, mit welcher Unternehmung er den Anfang
machen, wann er dazu ſchreiten wolle. Es war das eigne
freiwillige Anerbieten des König Franz, wenn der Kaiſer
gegen die Ungläubigen oder gegen die Lutheraner Krieg
führen wolle, die Hälfte der Koſten zu tragen, und perſön-
lich mitzugehn. 2
In den Tagen nun, in welchen man am kaiſerlichen
Hof noch an die Vollziehung dieſes Tractates glaubte, der
König in ſein Reich zurückkehrte, Leonora ſich in Vittoria
bereitete ihm nachzureiſen, Oranien, Burgund in Beſitz zu
nehmen, — in Sevilla, wo der Kaiſer ſo eben unter al-
lem Apparat kirchlicher Pracht ſich mit der portugieſiſchen
Prinzeſſin vermählt hatte, ein päpſtlicher Legat fungirte bei
der feierlichen Cerimonie, — ward auch über die Anträge
des Herzog Heinrich am Hofe berathſchlagt. Sie waren
[349]Kaiſerliche Inſtructionen.
höchſt willkommen: er bekam den günſtigſten Beſcheid. Der
Kaiſer erließ am 23ſten März 1526 1 eine Mahnung an
einige Fürſten und Herrn im Reich, bei dem alten Glau-
ben zu beharren, und auch bei ihren Nachbarn dahin zu
wirken, damit es einmal möglich werde, die ketzeriſche Lehre,
welche die Urſache aller Unruhen ſey, wieder zu vertilgen.
Er belobt darin das antilutheriſche Bündniß, das zwiſchen
Herzog Heinrich, Herzog Georg, Churfürſt Albrecht und ei-
nigen andern Fürſten geſchloſſen worden. Er kündigt an,
in kurzem nach Rom gehn, und dann alle Anſtalten tref-
fen zu wollen, um die Ketzerei gründlich auszurotten. An
die Grafen von Naſſau und Königſtein, den Biſchof von
Strasburg, Herzog Erich von Calenberg gelangten Mah-
nungen dieſer Art. Die erſten ſollten mit den Grafen am
Rhein, im Weſterwald und in dem Niederland, der zweite
mit den oberdeutſchen, der dritte mit den niederdeutſchen
Fürſten unterhandeln. 2 Wir ſehen: der Kaiſer gieng voll-
kommen auf die Ideen der altgläubigen Partei in Deutſch-
land ein: auch nahm man, ſo wie Herzog Heinrich an-
langte, ungewohnten Muth bei derſelben wahr. Herzog
Georg ſoll geſagt haben, wenn er wolle, könne er Chur-
fürſt von Sachſen werden. 3 Sein Canzler ließ ſich eines
[350]Viertes Buch. Zweites Capitel.
Tages in Torgau vernehmen, die lutheriſche Sache werde
nicht lange Beſtand haben: man möge wohl zuſehn was
man thue.
Nothwendig aber veranlaßte das nun auch die ent-
gegengeſetzte Partei, alle ihre Kräfte zuſammenzunehmen,
wie ſie denn dazu ſchon einige Fürſorge getroffen. Jener
Bund der am Ende des vorigen Jahres beſprochen wor-
den, war nunmehr wirklich zu Stande gekommen.
Man nennt ihn gewöhnlich den Torgauer Bund; in
Torgau hat man ihn aber nur von ſächſiſcher Seite rati-
ficirt: geſchloſſen ward er gegen Ende Februar 1526 zu
Gotha.
Hier kamen nach der in Augsburg genommenen Ab-
rede der beiderſeitigen Geſandten der Churfürſt von Sach-
ſen und der Landgraf von Heſſen perſönlich zuſammen, und
vereinigten ſich, einander mit allen ihren Kräften beizuſtehn,
im Falle ſie wegen des göttlichen Wortes oder der Ab-
ſchaffung der Mißbräuche angegriffen würden. Dem er-
ſten Entwurf zufolge ſollte die Einung nur ſo lange dauern,
„bis auf nächſtem Reichstag eine chriſtliche Gleichmäßig-
keit angenommen werde:“ dieſe Beſtimmung mochte aber
denn doch zu beſchränkend ſcheinen und man ließ ſie weg.
Dagegen ſetzte man hinzu, man werde einander die nö-
thige Hülfe leiſten, „auf eigne Koſten und Schaden.“ Da
die regierenden Fürſten perſönlich verhandelten, ſo iſt kein
Protocoll über ihre Conferenzen aufgenommen worden; aber
3
[351]Bund zu Gotha.
ſo viel ſehen wir, daß man ſich im Gange der Verhand-
lung immer enger an einander ſchloß. 1
Mit einer Verbindung zwei einzelner Fürſten, wie-
wohl ſie zu den mächtigſten gehörten, war jedoch noch we-
nig geſchehen: man beſchloß zugleich, wie das ſchon frü-
her die Abſicht geweſen war, ſo viel als möglich andre
Reichsſtände dazu zu ziehen. Von den beiden Fürſten gieng
ein Jeder die zunächſt mit ihm Befreundeten und alten Ver-
bündeten deshalb an, Philipp die oberländiſchen, Churfürſt
Johann die niederdeutſchen.
Sie hatten aber hiebei ſehr verſchiednen Erfolg.
In den Oberlanden war die Stimmung einem eigent-
lichen Bündniß noch nicht günſtig. Auf dem letzten Reichs-
tag hatten die Nürnberger ſich geneigt gezeigt; in Gotha
jedoch erklärten ſie, „noch zur Zeit auf Kaiſ. Maj. und den
nächſten Reichstag ihr Aufſehen zu haben.“ Sie fürchteten,
der Kaiſer möchte eine Ungnade auf ſie werfen, und ſie
ihren Feinden überlaſſen. Der Landgraf wendete ſich an
Frankfurt, allein der Rath lehnte den Antrag ab; und
ſich mit der Gemeinde zu verbinden, von der man dem
Landgrafen allerdings verſicherte, ſie werde den Rath zu
nöthigen wiſſen, wäre doch allzu bedenklich geweſen. An
den Churfürſten von Trier war nicht mehr zu denken: er
verließ in dieſem Augenblick die Stellung in der Oppoſi-
tion, die er bisher behauptet, und nahm eine Penſion von
6000 G. von dem Kaiſer und deſſen Bruder an. 2 Da
[352]Viertes Buch. Zweites Capitel.
war auch der Churfürſt von der Pfalz nicht zum Abſchluß
zu bringen: bei einer neuen Zuſammenkunft mit dem Land-
grafen ließ er ſich wohl vernehmen, daß er in der Sache
Leib, Gut und Vermögen wagen wolle; das ihm angetra-
gene Bündniß ging er jedoch nicht ein: erſt auf dem Reichs-
tag gab er Hofnung, dazu zu ſchreiten: auch gegen den Ent-
wurf ſelbſt machte er einige Einwendungen. 1
Dagegen hatten nun die Unterhandlungen des Chur-
fürſten von Sachſen in Niederdeutſchland den beſten Er-
folg. Es gab hier eine ganze Anzahl Fürſten die ſich von
jeher an das Haus Sachſen gehalten, zum Theil die näch-
ſten Verwandten deſſelben. Nach einigen vorbereitenden
Verhandlungen, auf die Aufforderung des Churfürſten, 2
kamen die Herzöge Ernſt von Lüneburg, Philipp von Gru-
benhagen, Heinrich von Meklenburg, Fürſt Wolf von An-
halt, Graf Albrecht von Mansfeld Anfang Juni nach
Magdeburg. An dem beſtimmten Tag, 9ten Juni, traf
dann auch Churfürſt Johann mit ſeinem Sohn und ſei-
nem Vetter zu Lüneburg ein. Alle waren durch jene Mah-
nungen erſchreckt, die der Kaiſer von Sevilla erlaſſen, und
die nun erſt bekannt geworden waren. Am 10ten Juni
eröffnete man die Verhandlungen: Churſachſen führte das
Wort.
[353]Verſammlung zu Magdeburg.
Wort. Die Verſammelten wurden auf die Gefahr auf-
merkſam gemacht, welche aus jener Verbindung zu Mainz
und aus dieſem Erlaſſe hervorgehe, auf die Nothwendig-
keit, am nächſten Reichstag einmüthige Erklärungen abzu-
geben: dann ward ihnen die Übereinkunft zwiſchen Sachſen
und Heſſen vorgelegt, und der Vorſchlag gemacht, derſel-
ben beizutreten. Sie waren alle dazu willig: am 12ten
Juni unterzeichneten ſie das Bündniß, wie es zu Gotha
entworfen, zu Torgau ratificirt worden war, und hiengen
ihre Siegel daran. 1
Beſonders merkwürdig iſt es, daß die Fürſten es nicht
verſchmähten auch eine Stadt in ihren Bund aufzunehmen,
die zwar große Freiheiten genoß, aber doch keineswegs als
reichsunmittelbar gelten konnte, eben Magdeburg ſelbſt, wo
ſie ſich verſammelten. 2 Sie war ihnen als ein Mittel-
punct für alle niederdeutſchen Gebiete wichtig: überdieß
mußten ſie wünſchen, daß ſie ſich gegen den Erzbiſchof
ſelbſtändig behaupten möchte.
So bildete ſich zuerſt eine compacte evangeliſche Par-
Ranke d. Geſch. II. 23
[354]Viertes Buch. Zweites Capitel.
tei: im Angeſicht der durch die Verbindung des Kaiſers
mit ihren Gegnern ihnen drohenden Gefahr vereinigte ſie
ſich, die erkannte Wahrheit zu vertheidigen, vor allem auf
dem nächſten Reichstag jeden widrigen Beſchluß zu verhin-
dern. Es war eine Erweiterung der alten ſächſiſchen Al-
lianz durch religiöſe Motive.
Dergeſtalt hatte man ſich auf beiden Seiten zu einem
entſcheidenden Kampfe gerüſtet, als man im Sommer 1526
in Speier zuſammenkam.
Gleich die Propoſition, die am 25ſten Juni geſchah,
brachte vor allem die geiſtlichen Angelegenheiten zur Sprache. 1
Sie war in Ausdrücken abgefaßt, die nach beiden Sei-
ten hin genügen konnten. Die Stände wurden darin auf-
gefordert, über Mittel und Wege zu berathſchlagen, „da-
mit chriſtlicher Glaube und wohlhergebrachte gute chriſtliche
Übung und Ordnung bis zu einem freien Concilium ge-
handhabt werde;“ man wollte Maaßregeln ergreifen, um
dem kaiſerlichen Edicte und den Beſchlüſſen, die man hier
faſſen werde, Gehorſam zu verſchaffen. Wie ſehr war die
Erwähnung des Wormſer Edicts durch dieſen letzten Bei-
ſatz gemildert. 2
Die Berathungen begannen in dem fürſtlichen Colle-
gium, und auch hier waren die erſten Beſchlüſſe noch in-
different. Man ſetzte feſt, daß man in Sachen des Glau-
bens keine Determination machen, und die wohlhergebrach-
ten guten Gebräuche beobachten wolle: Beſtimmungen, die
[355]Reichstag zu Speier 1526.
dann jede Partei nach ihrem Sinn auslegen konnte. An-
ders aber war es, als man nun auf die Mißbräuche zu
reden kam, die man heben müſſe. Die Geiſtlichen forder-
ten, daß dieß Geſchäft einem Concilium anheimgeſtellt
werde: einem Reichstag könne es nicht zukommen, das Gute
und Böſe von einander zu ſcheiden. Dagegen wollten die
Weltlichen ſich nicht aufs neue ins Weite verweiſen laſſen:
ſie erklärten, der gemeine Mann ſey ſo weit unterrichtet,
daß er ſich mit einfältigem Glauben nicht mehr wolle lei-
ten laſſen. Sie hatten die Dringlichkeit der Umſtände, das
Vernünftige des Vorhabens überhaupt, auch die Worte der
Propoſition, daß die guten Gebräuche gehandhabt werden
ſollten, von denen man dann doch die böſen abſondern mußte,
für ſich. So lebhaft auch die Geiſtlichen, die ſehr zahlreich
erſchienen waren, widerſtrebten, ſo wurde doch am Ende be-
ſchloſſen, über die Abſtellung der Mißbräuche zu verhan-
deln, und was man beſchließen werde, allenthalben beobach-
ten zu laſſen. Die Geiſtlichen mochten ſich damit tröſten,
daß auch ſie auf die nähere Beſtimmung, welches die zu he-
benden Mißbräuche ſeyen, Einfluß haben würden. 1
Aber auf der Stelle zeigte ſich, daß ſie ſchon hiedurch
in bedeutenden Nachtheil geriethen.
Die Städte, denen der Beſchluß der Fürſten am 30ſten
Juni mitgetheilt ward, nahmen ihn mit Freuden an: zu-
23*
[356]Viertes Buch. Zweites Capitel.
gleich aber gaben ſie ihm eine unzweideutige Auslegung.
In ihrer Antwort erklärten ſie, unter guten Gebräuchen
könne man keine andern verſtehen, als die welche dem Glau-
ben an Chriſtum nicht zuwider ſeyen. Nun wiſſe aber je-
dermann, wie viel entgegengeſetzte zu allgemeinem Verder-
ben eingeriſſen. Eine große Freude ſey es ihnen, daß man
dieſelben abſtellen wolle. 1
Zwar widerſetzten ſich die Biſchöfe der Annahme die-
ſer Erklärung, als ſie am 4ten Juli in dem Fürſtenrath
vorkam: ſie behaupteten, nicht von den Mißbräuchen rühre
die Bewegung des Volkes her, ſondern von den aufrühre-
riſchen Schriften und Predigten: in dem Ungeſtüm der De-
batte entfiel Einem der Ausdruck, man ſollte lieber alle
ſeit acht Jahren gedruckten Bücher verbrennen; allein durch
Übertreibungen ſolcher Art ſchadeten ſie ſich nur: man warf
ihnen vor, alle menſchliche Kunſt und Vernunft unterdrücken
zu wollen. Die Antwort der Städte ward angenommen
wie ſie war.
Und hierauf verwandelte ſich nun der ganze Reichs-
tag in verſchiedene Commiſſionen zur Abſtellung der geiſt-
lichen Mißbräuche: eine churfürſtliche eine fürſtliche und
eine ſtädtiſche: eben wie man einſt zu Worms die Beſchwer-
den gegen den päpſtlichen Stuhl zuſammengeſtellt hatte.
Es nahm die dem Clerus ſehr abgeneigte Stim-
mung, welche in der Nation vorherrſchte, auch an dem
Reichstag überhand. „Von den Geiſtlichen,“ klagt der
Frankfurter Geſandte, „werde nichts geſucht als ihr eigner
[357]Reichstag zu Speier 1526.
Nutzen, und das allgemeine Beſte vernachläßigt.“ 1 In
den Briefen des herzoglich ſächſiſchen Geſandten, ſo ſtreng
katholiſch ſein Herr auch war, finden wir doch dieſelben
Klagen. Der größere Theil der Geiſtlichen, ſagt er,
habe nur ſeine Hoffart im Auge: — der Unfug der ein-
geriſſenen Mißbräuche könne von ihnen nicht geleugnet wer-
den und doch wolle ſie Keiner abſtellen laſſen. In den
Laien ſey mehr Sorgfalt für das Beſte der Chriſtenheit
wahrzunehmen als in den Geiſtlichen. 2
Wie ſehr aber mußte dieſe Stimmung wachſen, als
nun erſt die verbündeten evangeliſchen Fürſten anlangten!
Der Churfürſt von Sachſen erſchien als der mächtigſte
Reichsfürſt. Er war mit der größten Anzahl von Pferden
eingeritten, er hatte alle Tage 700 Perſonen zu verſorgen,
und ſeine Begleiter rühmen, wie gut ſie es bei ihm gehabt.
Er zeigte ſich gutmüthig und prächtig. Eines Tages gab
er ein Bankett, wo 26 Fürſten bei ihm ſpeiſten, an vier
Tiſchen, ihr Adel und ihre Räthe an beſondern Tafeln:
einige entfernten ſich bald: andre blieben bis nach zehn Uhr
und ſpielten hoch. Dagegen machte der Landgraf mit ſei-
nem friſchen gelehrten Glaubenseifer viel Eindruck: er zeigte
[358]Viertes Buch. Zweites Capitel.
ſich bewanderter in der Schrift als alle Biſchöfe waren. 1
Beide hatten ihre Leute angewieſen, weil man ſich nach dem
Evangelium nenne, ſich aller Leichtfertigkeiten zu enthalten.
Einen um den andern Tag ließen ſie in ihren Wohnungen
predigen und an den Feiertagen ſah man Tauſende zu der
Predigt ſtrömen. An ihren Wohnhäuſern erblickte man ihre
Wappen mit der Umſchrift, verbum dei manet in aeter-
num, das Wort Gottes bleibet in Ewigkeit.
Unter dieſen Eindrücken wurden nun die Gutachten
jener Ausſchüſſe abgefaßt. Alle die alten Klagen kamen
aufs neue zur Sprache, über die Eingriffe von Rom, das un-
ter andern die Biſchöfe viel zu hoch verpflichte, da ſie doch
Räthe des Reiches ſeyen, über Commenden und Annaten,
das Unweſen der Bettelorden u. ſ. w. Man meinte, noch
nie ſey gegen Papſt und Biſchöfe ſo freimüthig geſprochen
worden. Die Städte drangen beſonders auf eine beſſere
Ausſtattung der Pfarren aus den geiſtlichen Gütern, und
das Recht einer jeden Obrigkeit dieſelben zu beſetzen, —
ſie forderten die Unterwerfung der Geiſtlichkeit unter die
bürgerlichen Laſten und Gerichte. 2
Bei weitem das merkwürdigſte aber war das Gutach-
ten, das aus dem Schooße des fürſtlichen Ausſchuſſes her-
vorgieng. Er beſtand aus den Biſchöfen von Würzburg
Strasburg Freiſingen und Georg Truchſeß für die geiſt-
liche, Heſſen Pfalz Baden und dem Grafen von Solms
für die weltliche Bank. 3 Ich finde nicht verzeichnet, wer
[359]Reichstag zu Speier 1526.
von ihnen den vorwaltenden Einfluß hatte, ob vielleicht
die bekannte gemäßigte Geſinnung des Biſchofs von Frei-
ſingen, oder der feurige Ernſt des jungen Landgrafen den
Ausſchlag gab: genug in den Sitzungen dieſes Ausſchuſſes
behielt man die urſprüngliche Idee, eine für beide Theile
verbindliche gleichmäßige Norm aufzuſtellen, im Auge, und
kam in der That mit einem dahin zielenden Vorſchlag zu
Stande. Noch war, bei allem Widerſtreit zwiſchen den herr-
ſchenden Gewalten, in der Nation ſelbſt kein eigentlicher
Zwieſpalt. Die Stämme ſtanden auf ziemlich gleicher Bil-
dungsſtufe: alle, ohne Ausnahme, wir ſahen es noch zu-
letzt an Tirol, nördliche und ſüdliche, hatten eine Tendenz
zur Reform, wiewohl ihre Ideen hierüber abweichen moch-
ten. Allein eben, da dieſelben noch nicht fixirt waren, konn-
ten ſie ſich noch in mehr als Einer Form ausprägen. Es
ließ ſich denken, daß ein glücklich getroffenes nationales Ver-
ſtändniß die Anfänge der Zwietracht und auseinandergehen-
den Bildung, die in dem Regensburger Bündniß und deſ-
ſen Folgen vorlagen, vielleicht doch wieder beſeitigen würde.
Eben in dieſem vermittelnden Sinne waren jene Vorſchläge
abgefaßt. Vor allem erklärte man darin die Prieſterehe
und den Laienkelch für empfehlenswerth. Man wollte es
frei laſſen, das Abendmahl unter Einer oder beiden Geſtal-
ten zu empfangen: man wollte dem Kaiſer vorſtellen, daß
es für die Prieſter beſſer wäre, in ehelichem Stand zu ſitzen,
als mit übelberüchtigten Perſonen Haus zu halten. 1 Man
3
[360]Viertes Buch. Zweites Capitel.
wollte die Faſten, den Beichtzwang ermäßigen, die Privat-
meſſe abſtellen, bei Taufe und Abendmahl lateiniſche und
deutſche Sprache vereinigen; zwar von den übrigen Sacra-
menten nicht abſtehen, aber ſie umſonſt geben. In Hin-
ſicht der Predigt ward die Formel von 1523 wiederholt,
Gottes Wort ſolle nach rechtem wahren Verſtand, nach
Auslegung der von der chriſtlichen Kirche angenommenen
Lehrer gepredigt werden, jedoch mit dem Zuſatz, der noch
eine ſtärkere Hinneigung zur Reform und dem Sinne Lu-
thers ausſpricht: Schrift müſſe man immer mit Schrift
erklären. 1
Zu dieſem Vorſchlag vereinigte ſich eine aus geiſtli-
chen und weltlichen Mitgliedern gleichmäßig zuſammenge-
ſetzte Commiſſion. Man ſieht, wenn früher das Regiment
eine der Reform günſtige Haltung genommen, ſo war es
nicht Willkühr geweſen: die Nothwendigkeit dieſer Schritte
entſprang aus der Lage der Dinge und dem Inhalt der all-
gemeinen Überzeugung, der ſich kein Menſch entziehen kann.
Nach ſo vielen Fehlgriffen und Erſchütterungen zeigte
ſich der Nation noch einmal die Möglichkeit, in der wich-
tigſten Angelegenheit, welche die menſchliche Seele beſchäf-
tigen kann, ihre Einheit zu bewahren.
Am 1ſten Auguſt ward ein Ausſchuß aus allen Stän-
den niedergeſetzt, um nun dieſen Entwurf in definitive Be-
rathung zu ziehen. Eine Berathung, die von dem größten
1
[361]Reichstag zu Speier 1526.
Intereſſe zu werden verſprach. Ohne Zweifel würde der
Entwurf vielen Widerſpruch erfahren haben, wie ſich denn
die Evangeliſch-geſinnten gegen die vier Sacramente erklär-
ten, von denen nichts in der Schrift ſtehe: 1 ſelbſt die Ka-
tholiken aber waren noch nicht zufrieden geſtellt: — unter
andern bemerkt Herzog Georg, daß die ſchlimmſten Miß-
bräuche noch nicht berührt ſeyen: der Urſprung alles Übels
liege in dem böſen Eingang der Prälaten, mit Hülfe mächti-
ger Verwandten, durch die rechte Thüre oder die unrechte: —
genug, es würde die lebhafteſten Debatten gegeben haben: 2
aber es iſt kein Grund, zu zweifeln, daß ſich eine Majo-
rität gebildet, und definitive, für das ganze Reich verbind-
liche Beſchlüſſe gefaßt haben würde.
Es war wieder ein Moment wie vor zwei Jahren,
als man ſich zu jener Nationalverſammlung vorbereitete.
Man hatte es jetzt ſchwerer als damals, da ſich ſeitdem
zu beiden Seiten autonome Bildungen feſtzuſetzen angefan-
gen hatten, aber um ſo wichtiger war es, denſelben Ein-
halt zu thun, und noch wäre es möglich geweſen.
Abermals kam es nun hiebei auf jene Gewalt an,
welche die Nationalverſammlung verboten und ſchon ſo oft
einen hemmenden Einfluß auf die Reichsbeſchlüſſe aus-
geübt hatte. Der Kaiſer ſchien ſeine alte Politik noch im-
mer nicht verlaſſen zu wollen.
In Sevilla, zugleich mit der erwähnten katholiſchen
[362]Viertes Buch. Zweites Capitel.
Mahnung, hatte er eine Inſtruction an ſeine Commiſſarien
ausgeſtellt, worin er ihnen befahl, an dem Reichstag in
keinen Beſchluß zu willigen, der dem alten Herkommen in
Lehre oder Gebräuchen entgegenlaufe, und das Wormſer
Edict aufs neue einſchärfte. 1 Es liegt ein gewiſſes Dun-
kel über dieſer Sache. Vorlängſt mußte die Inſtruction an-
gelangt ſeyn wie auch Herzog Heinrich längſt zurückgekom-
men war; man ſieht nicht, wodurch die Commiſſarien ſich
ermächtigt gehalten, doch anfangs mit einer andern auf-
zutreten: ob vielleicht durch eine dem Erzherzog ſeitdem zu-
gegangene Weiſung oder wodurch ſonſt. Genug erſt jetzt,
nachdem die Sachen ſo weit gediehen, kam man mit jener
Inſtruction zum Vorſchein: auf Antrieb, wie in Speier
behauptet ward, einiger mächtigen Geiſtlichen, nicht ohne
„Finanz und Hinterliſt:“ und brachte damit einen gewalti-
gen Eindruck hervor. Der große Ausſchuß nahm ſich noch
ziemlich zuſammen: er erklärte, ſich ſo halten zu wollen, wie
er es verantworten könne; allein was ließ ſich ausrichten,
da jeder neuen Anordnung das klare Wort des Kaiſers ent-
gegengehalten werden konnte. Man glaubte überhaupt es
werde nun gar nichts mehr zu erreichen ſeyn: Viele woll-
ten keinen Augenblick länger bleiben: die Evangeliſch-ge-
ſinnten fürchteten doch die Anwendung der Gewalt. Des-
halb hauptſächlich neigten ſich jetzt die Städte dem ſäch-
ſiſch-heſſiſchen Verſtändniß zu, um einen Rückhalt zu ha-
ben wenn man zu Thätlichkeiten gegen ſie ſchreite. 2 Auf
[363]Reichstag zu Speier 1526.
den Antrag der Fürſten gaben Nürnberg, Straßburg, Augs-
burg und Ulm nunmehr eingehende Antworten.
Die Verwickelung war höchſt ſonderbar. Indem der
Papſt den Kaiſer in Italien aus allen Kräften angriff, ihm
einen europäiſchen Krieg erweckte, ſollte die kaiſerliche Macht
noch einmal dienen, die Autorität des päpſtlichen Stuhles
in Deutſchland aufrecht zu erhalten.
In der That aber: ein ſolches Verhältniß widerſtrei-
tet zu ſehr der Natur und dem Gange der menſchlichen
Dinge, als daß es ſich hätte behaupten ſollen.
Schon glaubte man in Deutſchland nicht mehr an
den Ernſt der in der Inſtruction ausgeſprochenen Meinung.
So ſehr man hier auch mit ſeinen innern Angelegenheiten
beſchäftigt war, ſo wußte man doch auch von dem Bunde
zu Cognac, von den Irrungen zwiſchen Papſt und Kaiſer.
Zuerſt die Städte bemerkten wie weit zurück das Datum
der Inſtruction liege. Damals freilich ſeyen Kaiſer und
Papſt noch einverſtanden geweſen, allein jetzt liege das
Kriegsvolk des Papſtes wider den Kaiſer zu Felde. Man
ſage wohl, jede Verbeſſerung müſſe einem allgemeinen
Concilium vorbehalten bleiben: aber wie laſſe ſich unter
den obwaltenden Umſtänden ein ſolches noch abwarten.
Wäre der Kaiſer zugegen, ſo würde er ſelbſt ſehen, daß
man ſein Edict nicht beobachten könnte, wenn man auch
wollte.
Man erzählte ſich, an Frau Margaretha in den Nieder-
landen ſey bereits die Weiſung gelangt, in Sachen des Evan-
geliums „ſäuberlich zu thun.“
In der Überzeugung, mit der eigentlichen Meinung
des Kaiſers zuſammenzutreffen, trugen deshalb die Städte
[364]Viertes Buch. Zweites Capitel.
darauf an, eine Geſandtſchaft an ihn abzuordnen, um ihm
die Lage der Dinge vorzuſtellen, ihn zu bitten, entweder
nun doch ein National-Concilium zu bewilligen oder we-
nigſtens von der Forderung abzuſtehn, daß das Wormſer
Edict ausgeführt werde. Ihr Vorſchlag fand in dem gro-
ßen Ausſchuß geneigtes Gehör. Auf der Stelle hatte ſich
hier eine anti-geiſtliche Mehrheit gebildet. Bei der Bera-
thung über die Beſchwerden der gemeinen Leute hatte man
die Mißbräuche der Geiſtlichen ihnen zum Trotz als die
vornehmſte Urſache der Empörung bezeichnet. Jetzt erin-
nerte man, das kaiſerliche Edict ſey nur in ſo weit ange-
nommen worden, als es möglich ſeyn werde es auszufüh-
ren; allein das zeige ſich eben unmöglich, Niemand werde ſich
finden, der es ausgeführt habe, ja der ſich nicht ein Gewiſſen
daraus mache, es nach dem Wortlaut zu vollſtrecken. 1 Und
wie werde man gegen die Türken Hülfe leiſten wollen, wenn
man ſich indeß zu Hauſe gefährdet ſehe? Der große Aus-
[365]Reichstag zu Speier 1526.
ſchuß nahm den Vorſchlag an, eine Geſandtſchaft nach Spa-
nien abzuordnen, und entwarf ſogleich eine Inſtruction für
dieſelbe, worin er den religiöſen Zwieſpalt vor allem dem Ver-
bot jener Nationalverſammlung beimaß, und den Kaiſer bat,
ſobald als möglich ein Concilium zu berufen, wenigſtens ein
nationales, bis dahin aber die Ausführung des Edictes gnä-
dig in Ruhe zu ſtellen: Einigen ſey ſie unmöglich ihres
Gewiſſens halben: Andern weil ſie eine Empörung ihrer Un-
terthanen beſorgen müßten: dritten aus beiderlei Gründen.
Da iſt nun merkwürdig, daß indem man in Deutſch-
land dieſe Beſchlüſſe faßte, man ihnen von Spanien her
mit entſprechenden Ideen entgegenkam.
Wir wiſſen, aus welchen Geſichtspuncten der kaiſer-
liche Hof die lutheriſchen Bewegungen von Anfang an
betrachtete. Er hatte ſich ihnen opponirt, ſo lange er
mit dem Papſtthum verbündet war: allein ſo weit gieng
ſeine Hingebung nicht, um den Krieg, den ihm Clemens
VII in Italien machte, mit Freundſchaft in Deutſchland
zu erwiedern. Gleich nach der Schlacht von Pavia, als
der Papſt ſich zuerſt ſo unzuverläßig gezeigt hatte, dachte
der Großcanzler Gattinara ein Concilium zu fordern, nicht
darum, wie er ſagte, um es wirklich zu berufen, ſondern
nur um den Papſt zu nachgiebigerer Unterhandlung zu nö-
thigen. 1 Von England her ward Clemens ſchon damals
aufmerkſam gemacht, wie leicht eine Begünſtigung der Fran-
zoſen ihm die Obedienz der noch zur Kirche haltenden Reichs-
ſtände koſten dürfte. 2 Aber um wie viel entſchiedner wa-
[366]Viertes Buch. Zweites Capitel.
ren jetzt die Feindſeligkeiten. In Deutſchland ſelbſt hatte
man ihm vorausgeſagt, daß ſeine Sache am Reichstag
ſchlechter gehen würde als jemals: er erwartete nichts an-
ders. 1 Lange und beinahe zu lange zögerte der Kaiſer
ſich zu erklären. Endlich aber, nachdem die letzten Unter-
handlungen geſcheitert waren, nahm er eine entſchloſſe-
nere Haltung. Nach mancherlei Berathungen in dem
Staatsrath, den er eben damals für die ſpaniſchen und
deutſchen Angelegenheiten eingerichtet, ſchrieb er ſeinem Bru-
der am 27ſten Juli, es ſey in demſelben ein Entwurf, den
er auch ſogleich beilegte, gemacht worden, die Strafbeſtim-
mungen des Wormſer Edictes aufzuheben, und die evan-
geliſche Wahrheit auf einem Concilium zur Entſcheidung
zu bringen. Der Papſt würde ſich darüber nicht zu be-
klagen haben, da man ja nur die weltlichen, nicht auch die
geiſtlichen Strafen aufhebe. Es laſſe ſich hoffen, daß man
dann von den deutſchen Fürſten eine ſtattliche Hülfe an
Reiterei und Fußvolk gegen die Türken oder gegen Italien
zum Beſten der Chriſtenheit erlangen werde. 2
[367]Reichstag zu Speier 1526.
Wer hätte unter dieſen Umſtänden, da der Kaiſer von
ſelbſt auf ein Zugeſtändniß kam, das man in Deutſch-
land dringend forderte, nicht erwarten ſollen, daß es nun
auch gegeben, ausgeſprochen werden würde? Ich finde,
daß Markgraf Caſimir von Brandenburg, einer der kaiſer-
lichen Commiſſarien, dieſe Aufhebung eifrig verfocht. 1 Es
wäre ohne Zweifel nur auf Ferdinand angekommen. Der
aber war doch nicht dafür.
Sein vornehmſter Grund war ohne Zweifel die Rück-
ſicht auf die katholiſch-geſinnten deutſchen Stände. Schon
Carl hatte in jenem Schreiben bemerkt, ein Theil ſeiner
Räthe halte für gut, das Edict noch zu verſchieben, weil
man ſonſt leicht die bisherigen Gegner der Lutheraner ſich
zu Feinden machen könne. 2 Ferdinand wußte ohne Zwei-
fel noch beſſer als ſein Bruder, wie nothwendig es ſey
ſie zu ſchonen. In Rom hatte man in dieſem Augenblick
den Gedanken gefaßt, die Römiſche Königskrone irgend ei-
nem Gegner des Kaiſers anzubieten, 3 und ſchon bewarb
2
[368]Viertes Buch. Zweites Capitel.
ſich Herzog Wilhelm von Baiern bei den einflußreichſten
Churfürſten um dieſe Würde. Den katholiſchen Fürſten
das Edict zu entreißen, auf das ſie ihre Verfolgung der
Evangeliſchen hauptſächlich gegründet, hätte ſie zu der re-
ſoluteſten und gefährlichſten Feindſeligkeit veranlaſſen können.
Auch er hielt für gut, die Aufhebung des Wormſer Edic-
tes noch auszuſetzen. Er meinte, erſt wenn der Kaiſer
in das Reich zurückgekommen und mächtig daſelbſt gewor-
den ſey, werde dieſe Maaßregel mit Vortheil und ohne da-
mit die alte Religion zu ſtürzen, ausgeführt werden können:
dann werde man auch eine gute Summe Geldes für jene
Vergünſtigung erhalten können. 1
Allein eben ſo wenig vermochte er doch oder war er
geneigt auf die allgemeine Execution des Wormſer Edictes
zu dringen. Ein vollkommener Sieg der Anhänger des
Papſtes wäre dem Haus Öſtreich ſogar verderblich geweſen.
Da nun weder die Ausführung noch die Aufhe-
bung des Wormſiſchen Edictes rathſam erſchien, da auch
jene vermittelnden Vorſchläge nicht durchdringen konnten,
ſo machte ſich ein Prinzip geltend, das ſchon eine Zeit
daher in den Ereigniſſen mitgewirkt hatte, aber mehr in
der Tiefe, ohne zu allgemeinem Bewußtſeyn gelangt zu
ſeyn. Das Prinzip der Territorialentwickelung bemäch-
tigte ſich auch der religiöſen Angelegenheit. Ich finde,
daß zuerſt die Städte daſſelbe offen in Anregung brach-
ten.
[369]Reichstag zu Speier 1526.
ten. Sie ſtellten vor, es werde nicht mehr möglich ſeyn,
die kirchlichen Cerimonien wieder zu vereinigen: — an
manchen Orten habe man ſie geändert, an andern alles
beim Alten gelaſſen, jeder glaube, wie er es mache ſo
ſey es recht — unmöglich könne man da mit Gewalt
einſchreiten, und nichts bleibe übrig, als einen Jeden
bei den angenommenen Kirchenbräuchen zu laſſen, „bis
einmal ein freies Concilium vermöge des göttlichen Wor-
tes darin Beſtimmung treffe.“ 1 Ein Vorſchlag, der im
Grunde der Natur eines Reichstags, welcher die Einheit
repräſentirte, und den frühern Reichsſchlüſſen, welche im-
mer allgemein gültige Feſtſetzungen enthalten hatten, wider-
ſprach, aber von der Lage der Dinge empfohlen ward. Es
war gleich unthunlich, den katholiſchen Ständen das Worm-
ſer Edict wieder zu entziehen, und es den evangeliſchen neuer-
dings aufzulegen: — der Gedanke brach ſich Bahn, jeder
Landſchaft, jedem Reichsſtand in Hinſicht der Religion die
Autonomie zu gewähren, die ſie einmal auszuüben begon-
nen hatten. Es war das Leichteſte, Ratürlichſte: Niemand
wußte etwas Beſſeres anzugeben. Die Triebe der religiö-
ſen Sonderung, welche ſeit 1524 hervorgetreten, behiel-
ten über die Verſuche, die Einheit durch Reform zu be-
haupten und feſter zu ſtellen, die Oberhand. Der Aus-
ſchuß beſchloß, „jeder Stand möge ſich ſo verhalten wie
er es gegen Gott und gegen den Kaiſer zu verantworten
gedenke,“ d. i. er möge thun, wie er es ſelber für rathſam
erachte. Dieſen Beſchluß nahm der Ausſchuß in die In-
ſtruction für die Geſandtſchaft an den Kaiſer ſogleich mit auf.
Ranke d. Geſch. II. 24
[370]Viertes Buch. Zweites Capitel.
Es iſt ein Moment in welchem alle allgemeinen und
deutſchen Verhältniſſe zuſammengreifen, in welchem die frü-
here und die ſpätere deutſche Geſchichte ſich von einander
trennen, — obwohl er äußerlich nicht bedeutend erſchien, —
daß Erzherzog Ferdinand das Gutachten des Ausſchuſſes an-
nahm, die Sendung der Botſchaft billigte, die für ſie ent-
worfene Inſtruction guthieß. In dem Reichsabſchied ſetzte
man feſt, bis zu der allgemeinen oder nationalen Kirchen-
verſammlung, um welche man bitte, werde jeder Stand, in
Sachen die das Wormſer Edict betreffe, „ſo leben, regie-
ren und es halten, wie er es gegen Gott und Kaiſerliche
Maj. zu verantworten ſich getraue.“ 1
Man verzeihe die Wiederholung dieſer Worte, weil
ſie ſo unendlich wichtig geworden ſind. Sie enthalten die
geſetzliche Grundlage der Ausbildung der deutſchen Landes-
kirchen; zugleich aber involviren ſie, obwohl ſie noch die
Möglichkeit dereinſtiger Wiedervereinigung offen laſſen, die
Trennung der Nation in religiöſer Hinſicht. Es ſind die
für die deutſchen Geſchicke entſcheidenden Worte. Der Ka-
tholicismus würde ſich nicht haben behaupten laſſen, wenn
das Wormſer Edict förmlich wäre zurückgenommen wor-
[371]Reichstag zu Speier 1526.
den. Die evangeliſche Partei hätte ſich nicht auf legalem
Wege ausbilden können, wenn man auf der Ausführung
deſſelben beſtanden hätte. Die Entwickelung der einen wie
der andern Seite knüpft ſich an dieſen Moment.
Im Ganzen war es die unmittelbare und nothwendige
Folge des Zwieſpaltes zwiſchen Kaiſer und Papſt. Der
Bund des Kaiſers mit dem Papſt hatte das Wormſer Edict
herbeigeführt; da der Bund gebrochen war, nahmen der
Kaiſer und ſein Bruder auch das Edict zurück, in ſo weit
ihre eigenen Intereſſen das zuließen.
24*
[[372]]
Drittes Capitel.
Eroberung von Rom im J. 1527.
Während man in Deutſchland dieſe Berathungen pflog,
ward in Italien bereits geſchlagen.
Noch im Juni waren die Verbündeten in der Lom-
bardei ins Feld gerückt: ohne Zweifel nicht ſo raſch und
entſchloſſen, wie nothwendig geweſen wäre: — die Kaiſer-
lichen behielten Zeit, die Empörung der Mailänder mit Ge-
walt zu dämpfen und eroberten ſogar zuletzt das Caſtell;
— dagegen nahmen aber die Verbündeten Lodi und Cre-
mona ein: die lange vergeblich erwarteten Schweizer er-
ſchienen doch mit der Zeit in beträchtlicher Anzahl: eine
glänzende Schaar franzöſiſcher Hommes d’Armes geſellte ſich
dem Heere zu: die Liga war im September offenbar Mei-
ſterin im Lande: und die Kaiſerlichen, in einer zur Rebel-
lion geneigten Stadt, ſchlecht bezahlt und von dem Lande
faſt abgeſchnitten, befanden ſich in einer ziemlich bedräng-
ten Lage. 1
[373]Uͤberfall der Colonna’s.
Allein auch dem Kaiſer ſtanden, und zwar zunächſt
in Italien ſelbſt, Kräfte des Widerſtandes und der Vergel-
tung zu Gebote.
Als er dem Papſt im Juni noch einmal Frieden an-
bieten ließ, beauftragte er zugleich ſeinen Bevollmächtigten
Ugo Moncada, im Fall er eine abſchlägliche Antwort be-
komme, Mittel zu ergreifen um die Macht des Feindes
von Mailand abzulenken. 1 Nicht ſehr ſchwer war das
auszurichten. Der Staat, die Stadt, ja der Pallaſt war
mit Kaiſerlich-geſinnten erfüllt. Als der kaiſerliche Bot-
ſchafter, Herzog von Seſſa von der letzten vergeblichen Au-
dienz nach Hauſe ritt, nahm er einen Narren hinter ſich
aufs Pferd, der durch tauſend Poſſen dem Volke zu ver-
ſtehen gab, man mache ſich nichts daraus. 2 In den Häu-
ſern der Colonnas unter den Augen des Papſtes hielten
ſeine offenbaren Feinde Zuſammenkünfte. Um dann die Abſicht
des Kaiſers zu vollführen, giengen ſie mit einer ich möchte
ſagen groben Verſchlagenheit zu Werke. Sie fiengen an
den neapolitaniſchen Grenzen im Gebiet der Colonnas Rü-
ſtungen an: auch der Papſt rüſtete. Dann erboten ſie ſich
zu einem Vertrag: Clemens ließ ſich darauf ein, und war
nun ſo unbeſorgt, daß er eine große Zahl ſeiner Truppen in
Rom abdankte. Aber eben dieß war es, was ſie erwar-
teten. Nachdem ſie ihn ſicher gemacht, entſchloſſen ſie ſich
ihn zu überfallen. Der kriegeriſche Cardinal Pompeo Co-
lonna, ein Mann, der einſt ſeine Stola zerriſſen, um eine
Streitſache im Zweikampfe auszumachen, der immer eine
[374]Viertes Buch. Drittes Capitel.
bittere perſönliche Feindſchaft gegen den Papſt zur Schau
getragen, vereinte ſich hiezu mit Don Ugo, wie einſt Sciarra
Colonna mit Nogaret. Am 19ten September erſchienen
die colonneſiſchen Schaaren vor den Mauern von Rom
und drangen ohne Widerſtand ein. Die Stadt war ganz
wehrlos: das Volk rührte ſich nicht: es war neugierig zu
ſehen, ob Colonna, was er zu wollen behauptete, wirklich den
Vatican im Namen des römiſchen Kaiſers beſetzen würde. 1
An der Beſetzung wenigſtens konnte ihn Niemand hindern,
und wollte der Papſt, der nach der Engelsburg geflüchtet,
ſeinen Pallaſt wiederhaben, ſo mußte er ſich zu einem Waf-
fenſtillſtand verſtehen, nicht allein für Neapel und die Co-
lonnas, ſondern zugleich für Mailand und Genua, für alle
ſeine Truppen zu Land und zu See. 2 Nur um dieſen
Preis verließen die Colonneſen die Stadt: ſie hatten über-
dieß eine Beute von 300000 Duc. gemacht.
Wohl hätte nun Clemens die Gebrechlichkeit ſeiner
Macht, die Gefahr erkennen mögen: die Stimme hatte ſich
hören laſſen, die im Schneegefild der Alpen die nahende
Lawine verkündigt. Allein noch einmal behielten Entrüſtung
und Rachſucht in ihm die Oberhand. Wie ſein Bevoll-
mächtigter Guicciardini ihm ſchrieb, die Verpflichtungen
welche man beim Abſchluß der Liga ſo feierlich und öffent-
lich übernommen, ſeyen um vieles heiliger als dieſe auf-
gezwungenen Bedingungen, 3 ſo war auch er nicht der Mei-
[375]Ruͤſtungen in Deutſchland.
nung, den Waffenſtillſtand auch nur eine Stunde länger
als nützlich zu halten; 1 ſo wie er einigermaaßen gerüſtet
war, griff er die Colonnas und das neapolitaniſche Gebiet
an: in Kurzem empfieng er dazu franzöſiſche und engliſche
Gelder; der berühmte Vertheidiger von Marſeille, Renzo
da Ceri unternahm ein päpſtliches Heer in die Abruzzen zu
führen. Indeſſen dienten ſeine übrigen Truppen, nach wie
vor, gegen Mailand und Genua.
In dieſem Momente aber erhob ſich ſchon von einer
andern Seite her eine noch viel größere Gefahr: der Kai-
ſer hatte noch andre Kräfte aufzubieten als die italieniſchen.
In jenem Schreiben, das für den Ausgang des Reichs-
tags ſo entſcheidend wurde, vom 27ſten Juli 1526, hatte
Carl ſeinen Bruder aufgefordert, entweder ſelbſt nach Ita-
lien zu gehn: in welchem Fall er ihm keine Inſtruction,
ſondern nur eine Vollmacht zu geben gedenke, indem er
ſeine Perſon darſtelle, als ſein zweites Selbſt: oder wenig-
ſtens ein ſtarkes Heer auszurüſten und hinüber zu ſchicken. 2
Selber zu gehn, war Ferdinand durch die Angelegen-
heiten von Ungern abgehalten, die ſeine Anweſenheit auf
das dringendſte forderten: aber er wendete ſich an den Mann
der ſchon immer die Landsknechte in Italien zum Siege ge-
führt, George Frundsberg zu Mindelheim, der auch jetzt
bereit war, ſeine alternde Kraft noch einmal ſeinem Kaiſer
3
[376]Viertes Buch. Drittes Capitel.
zu widmen. Eine große Schwierigkeit hatte es, Geld auf-
zubringen. Ferdinand gab ſeinen Bevollmächtigten volle
Gewalt, Land und Leute, Schlöſſer und Städte zu ver-
pfänden: er erklärte ſich bereit, ſeine Kleinodien aufladen
und in Augsburg verſetzen zu laſſen. 1 Frundsberg ver-
ſetzte das Geſchmeide ſeiner Frau: die italieniſchen Be-
fehlshaber, welche ſich nur noch eine kurze Zeit halten zu
können erklärten, wofern ſie keine Hülfe bekämen, ſchickten
einiges baare Geld: endlich brachte man ſo viel zuſammen,
um dem Volke wenigſtens das Laufgeld und einen halben
Monatſold reichen zu können. Hierauf ward in allen ober-
ländiſchen Reichsſtädten die Trommel gerührt: von allen
Seiten kamen die Schaaren zuſammen.
Wir werden uns nicht täuſchen wenn wir behaupten,
daß es dießmal nicht der bloße Kriegseifer war was ſie
verſammelte: ſie kamen herbei, weil man wußte, daß es
gegen den Papſt gieng.
Man hatte das in Rom vorausgeſehen. Giberti be-
merkte ſchon im Julius: leicht werde man in Deutſchland
ſehr zahlreiche Schaaren zuſammenbringen, „in Betracht des
natürlichen Haſſes den ſie gegen uns hegen, und der Hof-
nung auf die Beute.“
Die Anmahnungen des Kaiſers waren in den ver-
fänglichſten Ausdrücken abgefaßt. Sein Bruder, ſagt er,
[377]Ruͤſtungen in Deutſchland.
möge nur vorgeben, daß das Heer das er rüſte gegen
die Türken ziehen ſolle: Jedermann werde wiſſen welche Tür-
ken das ſeyen. In einem Manifeſt, das der Kaiſer im
September 1526 erließ, drückte er ſich auf eine Weiſe aus,
deren ſich kein Anhänger Luthers zu ſchämen gehabt hätte:
er bezeigt ſeine Verwunderung, daß der Papſt um irgend
eines Beſitzthums willen Blutvergießen veranlaſſe: völlig
entgegen ſey das der Lehre des Evangeliums. 1 Im Oc-
tober bittet er die Cardinäle den Papſt zu erinnern, daß
er nicht „um die Waffen zu führen, noch zum Verderben
des chriſtlichen Volkes“ den pontificalen Thron inne habe;
er trägt aufs neue auf ein Concilium an, und fordert die
Cardinäle auf, wenn der Papſt es verweigere, es an ſei-
ner Stelle zu berufen: er wenigſtens wolle unſchuldig ſeyn,
„wenn der chriſtlichen Republik dadurch ein Nachtheil er-
wachſe.“ 2
Und fragen wir nun nach der Geſinnung Frundsbergs,
ſo iſt kein Zweifel, daß er vorlängſt evangeliſche Überzeu-
gungen hegte, 3 und ſich überdieß in dem letzten Krieg mit
dem bitterſten Haß gegen den Papſt erfüllt hatte. Unmit-
telbar nach der Schlacht von Pavia hatte er darauf ange-
tragen, denſelben im Kirchenſtaate heimzuſuchen. In dieſer
[378]Viertes Buch. Drittes Capitel.
Geſinnung beſtärkte ihn vor allem ſein Secretär und Be-
gleiter auf dieſem Zuge, Jacob Ziegler, der ſich lange Zeit
am römiſchen Hof aufgehalten hatte, von dem eine Lebens-
beſchreibung Papſt Clemens VII übrig iſt, aus welcher man
ſieht, was die Deutſchen dort von dem Papſt dachten und
unter einander beſprachen, von ſeiner unächten Geburt, die
ihn ſchon von Anfang an von der Geiſtlichkeit hätte aus-
ſchließen ſollen, ſeiner verſchlagenen Pfiffigkeit, ſeinem räu-
beriſchen Geiz: Giftmiſchereien und die ſchändlichſten Wol-
lüſte gaben ſie ihm Schuld: mit allen Gerüchten des Hofes,
wahren oder falſchen, nährten ſie die nationale Antipathie
von der ſie erfüllt waren. Dieſe Erzählungen, zuſammen-
treffend mit den Feindſeligkeiten gegen den Kaiſer, die man
für durchaus unrechtlich hielt, erweckten in den Deutſchen,
Hauptleuten und Gemeinen, ungefähr denſelben religiös-po-
litiſchen Eifer gegen den Papſt, der in dem Bauernkrieg ſo vie-
len deutſchen Prälaten verderblich geweſen: auch G. Frunds-
berg war davon durchdrungen: 1 er erklärte ſich entſchloſ-
ſen, der Sache ein Ende zu machen, dem Papſt ein Leides
zu thun, wenn er ihn in ſeine Hand bekomme.
Wenn die Politik des Kaiſers die religiöſen Beſtre-
bungen der Deutſchen unterſtützte, ſo förderte die religiöſe
Stimmung hinwieder die Politik des Kaiſers. Bei der er-
ſten Annäherung an die Neigungen der Nation kam ſie
ihm mit aller ihrer Kraft zu Hülfe.
Im November ſammelten ſich bei 11000 Mann auf
[379]Auszug G. Frundsbergs.
den Muſterplätzen zu Meran und Botzen: 1 in Trient ge-
ſellte ſich ihnen die eben aus Cremona abgezogene Beſatzung
unter Conradin von Glürns zu; ſie waren alle willig, dem
ſchlechten Solde zum Trotz den ſie erhielten: noch etwa
4000 nahmen ohne alle Löhnung an dem Zuge Theil, „ein
auserleſener Haufe, wie er bei Menſchen Gedenken nicht
in Italien geſehen worden.“
Die nächſte große Schwierigkeit war nun, nur erſt
dahin zu gelangen, die Alpen zu überſchreiten, und ſich
dann drüben in Berührung mit dem Heere in Mailand
zu ſetzen.
Frundsberg hatte keine Luſt, ſeine Kraft und Zeit an
der wohl beſetzten Clauſe von Verona zu vergeuden: er
ſchlug die viel ſchwierigere Straße über die Sarka-berge
ein, nach den Herrſchaften ſeines Schwagers, des Grafen
von Lodron. Hier boten ſich ihm abermals zwei Wege dar:
der eine zur rechten Hand, noch allenfalls von einem Heere
zu paſſiren, aber durch die Clauſe von Anfo geſchloſſen:
der andre zur Linken, eigentlich nur ein Fußſteig zwiſchen
Untiefen und Abgründen, den ein einziger Bauer hätte un-
brauchbar machen können: den aber die Feinde nicht be-
achtet hatten. Dieſen Pfad ſchlug Frundsberg am 17ten
November ein: ſein Schwager, der hier in der Nähe ſei-
nes Stammſchloſſes Weg und Steg kannte, gab ihm noch
[380]Viertes Buch. Drittes Capitel.
das Geleite, drei Meilen bis zum hohen Gebirg. Nur
wenige Pferde konnte man mitnehmen: von dieſen ſtürzten
dennoch einige die Klüfte hinab: auch von den Leuten ſtürz-
ten einige hinunter: Keiner durfte ſeine Blicke abwärts
wenden. Den Feldhauptmann nahmen einige ſichre Knechte
in die Mitte: mit ihren langen Spießen bildeten ſie an
den gefährlichſten Stellen wie ein Geländer zu ſeiner Seite:
er faßte dann wohl den Vordermann an dem Goller, der
Hintermann ſchob ihn: ſo gelangten ſie des Abends nach
Aa, am 18ten nach Sabbio: Widerſtand fanden ſie nicht:
am 19ten erſchienen ſie an dem Fuß des Gebirges, bei
dem Markt Gavardo im Gebiet von Brescia. Eben gien-
gen ihre Lebensmittel aus: hier aber fanden ſie guten Far-
natzer Wein, 8000 Stück Vieh trieben ſie zuſammen, und
thaten ſich nach langer Entbehrung gütlich. 1
Ihre Abſicht wäre geweſen, ſich nun unmittelbar mit
dem Heere in Mailand zu vereinigen. Aber viel zu ſtark
war der Feind im Felde, als daß er das zugegeben hätte.
Der Oberbefehlshaber der Liga, Herzog von Urbino erſchien
mit ſeinen Halbhacken in ihrer rechten Flanke und hielt ſie
vom Oglio entfernt. Sie konnten nicht daran denken, irgend
eine von den benachbarten Städten anzugreifen: alle waren
in zu gutem Vertheidigungszuſtand, und ſie dagegen ohne
Geſchütz: es blieb ihnen nichts übrig, als der Verſuch,
über den Po zu kommen, wo der Feind nicht ſo ſtark war
und ſich Bourbon mit der Zeit mit ihnen vereinigen konnte. 2
[381]Frundsberg bei Mantua.
Dahin nahm Frundsberg in drei geſchloſſenen Haufen ſei-
nen Weg: die Verbündeten hatten doch nicht den Muth, ihn
ernſtlich anzugreifen: ſie neckten ihn blos bald mit ihrer leich-
ten Reiterei bald mit ihren Schützen, die ſich hinter den Grä-
ben den Hecken verbargen; 1 nur einmal kam er in ernſt-
liche Gefahr. Als er in der Landwehr von Mantua, auf
dem langen ſchmalen Damm einherzog, griffen ihn die
Feinde im Rücken an und machten zugleich eine Bewegung
um die Brücke über den Mincio, den er paſſiren mußte,
bei Governolo zu beſetzen. Er wäre verloren geweſen, hätte
er ſich an dem höchſt ungünſtigen Ort einſchließen laſſen.
Frundsberg war aber bei aller ſeiner handfeſten Tapferkeit
keinesweges ohne eine einfache und ausreichende Taktik.
Jener Brücke hatte er ſich noch im rechten Moment ver-
ſichert: den Anfall im Rücken wieſen die Schützen mit ih-
ren Handrohren ab; als dann doch eine nicht unbedeutende
feindliche Truppe an dem Fluß erſchien und ihm den Übergang
zu erſchweren Miene machte, wollte ihm das Glück ſo wohl,
daß einer der erſten Schüſſe den Capitän derſelben, Johann
Medici, auf welchen die Italiener ihr Vertrauen geſetzt, der
ganz ein Mann war nach ihrem damaligen Sinne, — gebil-
det, klug, allen ſüdlichen Laſtern ergeben, aber zugleich that-
kräftig, verwegen, ein guter Anführer, — tödtlich verwun-
dete. 2 Hierauf gieng Frundsberg bei Oſtiglia über den
[382]Viertes Buch. Drittes Capitel.
Po: das rechte Ufer aufwärts nach der Trebbia: am 28ſten
Dez. langte er in der Gegend von Piacenza an. „Hier
ſind wir,“ ſchrieb er dann an Bourbon: „über die hohen
Gebirge und tiefen Waſſer, mitten durch die Feinde, in
Hunger und Mangel und Armuth ſind wir glücklich ange-
langt. Was ſollen wir thun?“
Bourbon brauchte noch den ganzen Januar, um Mai-
land ſo weit zu beruhigen, daß er es mit einer gewiſſen
Sicherheit einem Theile ſeiner Truppen anvertrauen, und
mit dem andern ſich mit den Deutſchen verbinden konnte.
Am 12ten Februar geſchah die Vereinigung bei Firenzuola. 1
Was ſie thun ſollten konnte ihnen keinen Augenblick zweifel-
haft ſeyn. Die Geſinnung Frundsbergs kennen wir. Auch
von Bourbon kann man ſich nicht wundern wenn er jetzt
vor allen andern Menſchen den Papſt haßte: — daß er
Herzog von Mailand werden ſolle, war die Forderung des
Kaiſers, an der bisher alle Unterhandlungen geſcheitert wa-
ren, die Clemens nie hatte bewilligen wollen. Ihr ein-
ziger Verbündeter in Italien war der Herzog von Ferrara,
der dem Papſt einen nicht geringern Haß widmete: von Cle-
mens wie von Leo war er unaufhörlich ſelbſt in ſeinem an-
geſtammten Erbe bedroht worden: er unterſtützte das Heer
auf dem Marſch, und forderte die Anführer auf, nur kei-
2
[383]Vereinigung der kaiſerlichen Heere.
nen Augenblick zu verlieren und den gemeinſchaftlichen Feind
in Rom aufzuſuchen. 1 Am 22ſten Februar brach dann
das vereinigte Heer, bei 20000 M. ſtark, in ſechs Hau-
fen vertheilt, mit einigem Geſchütz und einiger leichten
Reiterei aus dem Lager von Firenzuola auf und nahm die
große Straße die nach Rom führte. Hauptleute und Ge-
meine waren davon durchdrungen, der Papſt habe den neuen
Krieg angefangen; ſie wußten ſehr wohl, daß wenn es
ihnen der Kaiſer an ihrem Sold fehlen laſſe, dieß nur aus
Mangel geſchehe, und waren entſchloſſen ſich denſelben in
Rom zu holen. Der religiöſe Widerwille und die Be-
gierde den Kaiſer zu rächen, das gerechte Verlangen, zu
ihrem wohlverdienten Solde zu kommen, und der Ruf von
den ſeit einem Jahrhundert aus aller Welt in Rom zu-
ſammengehäuften Schätzen durchdrangen ſich in ihnen, und
bildeten das wunderlichſte Gemiſch von Leidenſchaften, de-
ren Inhalt ſich zuletzt in dem Entſchluß zuſammenfaßte, Rom
zu erobern und zu plündern.
Gleich bei dem erſten Hinderniß das ſich ihnen in Weg
ſtellte, flammte dieſe Stimmung, nun ſchon ſelbſtändig ge-
worden und nicht mehr zu bezähmen, in den heftigſten
Ausbrüchen auf.
Ende Februar und Anfang März hatten die päpſtli-
chen Truppen einige Vortheile im Neapolitaniſchen davon
getragen, und der Vicekönig hatte ſich wirklich entſchloſſen
einen Stillſtand mit dem Papſt einzugehn, in welchem ent-
[384]Viertes Buch Drittes Capitel.
weder gar nicht oder doch nur unzureichend von den Geld-
zahlungen die Rede war, die dem Heere geleiſtet werden
ſollten, dagegen deſſen Rückzug in die Lombardei verabre-
det wurde. 1 Es war nicht ſehr wahrſcheinlich, daß dieſer
Vertrag von dem Kaiſer ratificirt, oder von den Heerfüh-
rern angenommen, ja ſelbſt nicht, daß er von dem päpſt-
lichen Befehlshaber ausgeführt werden würde, indem das
Heer der Liga ſich in dieſem Fall ganz von den päpſtlichen
Truppen zu trennen drohte. 2 Aber das bloße Gerücht da-
von, der Anblick eines Geſandten, der von Rom kam und da-
hin zurückeilte, brachte das Heer in Bewegung. 3 Zuerſt murr-
ten die Spanier. Sie drohten, ſie würden ſich zu einem an-
dern Herrn ſchlagen, der ihre Anſprüche beſſer befriedige: al-
lein wen hätten ſie finden ſollen, da ihnen der Kaiſer 8 Mo-
nate den Sold ſchuldig war! es blieb ihnen nichts übrig, als
ſich an die Perſon ihres Heerführers zu halten. Ein Glück daß
Bourbon noch entfliehen konnte: ſein Zelt ward geplündert,
ſein beſtes Kleid fand man den andern Tag in einem Gra-
ben. Und auf der Stelle theilten ſie ihre Aufregung auch den
Deutſchen mit; ſie riefen nur immer: Lanz Lanz, Geld Geld:
das
[385]Empoͤrung im Lager.
das war alles Deutſch was ſie konnten, es war wie der
Naturlaut dieſes Aufruhrs. Frundsberg glaubte doch noch
nichts fürchten zu müſſen: er traute ſich noch zu, ſeine
Landsknechte in Güte zu beſchwichtigen. Er ließ die Trom-
meln gehn, einen Ring ſchließen, und hatte das Herz, mit
dem Prinzen von Oranien, der dem Heere aus Deutſch-
land nachgekommen, und den vornehmſten Hauptleuten in
deſſen Mitte zu treten: er glaubte noch durch vernünftige
Worte etwas auszurichten. Er ſtellte ihnen vor, wie er
bisher für ſie geſorgt, 1 ſie in guten und böſen Tagen
nicht verlaſſen: ſo wolle er auch künftig bei den from-
men Landsknechten thun: ihr gegenſeitiger Schwur ſey, bei
einander zu geneſen und zu ſterben, bis ſie alle bezahlt
und befriedigt worden; den denke er zu halten: den Feind
des Kaiſers, den Anfänger des Krieges wolle er mit ihnen
überziehen. 2 Allein es liegt etwas Irrationales in der
gewaltſamen Forderung vereinigter Maſſen: ihrem Unge-
ſtüm wird durch keine Gründe Einhalt gethan; der ver-
nünftigen Anrede des Hauptmanns, den ein jeder Ein-
zelne doch verehrte und liebte, antworteten ſie mit dem Ge-
ſchrei Geld Geld, das ſich brüllend durch ihre Glieder
wälzte: ſie ſenkten die Spieße wider die Oberſten in ihrer
Mitte als wollten ſie ſie alle durchbohren. Dem alten
Ranke d. Geſch. II. 25
[386]Viertes Buch. Drittes Capitel.
Frundsberg war es beſchieden, die Landsknechte, als deren
Lehrmeiſter und Vater er ſich betrachten konnte, mit de-
nen er ſo viel gewaltige Feinde beſtanden, und jetzt dem
mächtigſten, den ſie alle haßten, entgegengieng, die Waffen
gegen ſich ſelbſt richten zu ſehen. Man hat behauptet, eben
dieſer verſchlagene, im Geheimen thätige Feind habe durch
ſeine Emiſſäre das Feuer geſchürt. Wenigſtens gegen
Frundsberg bedurfte es keiner andern Waffen. Der alte
Held, der ſonſt wohl den ſtärkſten Gegenmann, ſpielend,
mit einem Finger von ſich geſchoben, den keine Übermacht
des Feindes jemals erſchreckt hatte — er pflegte zu ſagen:
viel Feinde, viel Ehre: — der ſelbſt darüber hinwegkam,
wenn es ihm nach großen Dienſten bei Hofe ſchlecht gieng,
ſeinem Unmuth in ein paar Reimen Luft machte und bei
der nächſten Bedrängniß ſeines Herrn die aufgehenkte Wehr
wieder von der Wand nahm, der konnte doch dieſen An-
blick nicht ertragen: er empfieng davon unmittelbar ſo gut
wie den Tod; in dem Momente verlor er das Bewußt-
ſeyn und die Sprache, auf eine Trommel ſank er nieder:
er war am Ziele ſeiner Heldenlaufbahn. Wunderbare Kata-
ſtrophe. Er kam um im Feld, aber nicht durch die Feinde,
nicht in dem Waffenkampfe, zu dem er ausgezogen: ſein ein-
fach heroiſches Gemüth, das ſich mit alle ſeiner Ehrlichkeit
und ſeinem Ernſt anſtrengte, die emporfluthende Bewegung
der doch ſonſt des Gehorſams gewohnten Truppen zu bemei-
ſtern, als es die Leidenſchaft, den einmal entflammten Trieb
der Empörung unüberwindlich, übermächtig ſah, da erlag es:
bei dem widrigen Anblick, mit Einem Schlag verließ ihn die
Lebenskraft. Hätte aber der Feind dadurch etwas erreicht zu
[387]Empoͤrung im Lager.
haben geglaubt, ſo wäre er doch im Irrthum geweſen. In
demſelben Grade gewaltig war nun auch die Rückwirkung
dieſes Unfalles auf das Heer. Er bewirkte, was keine Zu-
ſprache und Überlegung vermocht hatte. Die Speere wurden
wieder aufgenommen: das wilde Toben legte ſich: die Worte
der Oberſten fanden aufs Neue Gehör: Alles gieng aus
einander. Erſt am 4ten Tag bekam Frundsberg die Sprache
wieder, doch konnte er den Leuten nun nicht weiter vor-
angehn. Er erinnerte nur noch den Herzog von Bourbon,
nicht abzuſtehen: bis hieher habe ſie Gott geleitet; es
könne nicht anders ſeyn, er werde die Sache auch zu
Ende führen. Die Landsknechte ſchrien nun nicht mehr
nach Geld: ſie baten Bourbon ſelbſt, keine Zeit weiter zu
verſäumen: ſie wollten nur fort fort.
Hätte es Bourbon auch beabſichtigt, ſo würde er nicht
mehr im Stande geweſen ſeyn das Heer zurückzuführen. 1
Der Heftigkeit des Haſſes gegen den Papſt entſprach
die kühle Lauheit ſeiner Freunde. Das Heer der Liga
folgte dem kaiſerlichen immer in einiger Ferne und be-
drohte eher den Rückzug als das Vorrücken deſſelben.
Alle großen Städte waren im Kirchenſtaat in ſo gutem
Vertheidigungsſtand wie in der Lombardei: dem Heere
blieb nichts übrig als die Straße die es vor ſich hatte:
nur durch übergetretene Flüſſe und Regenwetter und die
25*
[388]Viertes Buch. Drittes Capitel.
Päſſe im Gebirg ward es gehindert: ein Feind trat ihm
nirgends entgegen. Langſam zog Bourbon vorwärts: erſt
am 5ten April finden wir ihn bei Imola; einige kleinere
Städte wurden erobert und geplündert: dann wandte er
ſich zur Rechten nach den Gebirgen: er nahm den Weg
von Val di Bagno. Die größern Geſchütze ſendete er an
den Herzog von Ferrara, die kleineren wurden die Berge
emporgeſchleift: man hatte zuweilen Mangel an Brod, doch
fehlte es eigentlich niemals an Wein und Fleiſch: ohne
viel Mühe ward die Höhe des Gebirges in den Gegen-
den erſtiegen, wo unfern von einander Sapio, Folia, Me-
tora, mehrere Zuflüſſe des Arno entſpringen, und aus zahl-
reichen Quellen die Anfänge der Tiber zuſammenſtrömen; 1
am 18ten April erſchienen die Kaiſerlichen bei Pieve di
S. Stefano und bedrohten von da zugleich die Thäler des
Arno und der Tiber, Florenz und Rom, ohne daß man
noch wußte, wohin es ſich zunächſt wenden werde. Ein
allgemeiner Schrecken ergriff dieſe Gebiete. 2
Der Papſt ſah nun wohl, daß der Vertrag den er
mit Lannoy geſchloſſen zu günſtig war um ausgeführt zu
werden. Was die Kaiſerlichen ſchon immer von ihm ge-
[389]Empoͤrung im Lager.
fordert, das Geld um das Heer zu befriedigen, konnte er
jetzt nicht mehr verſagen. Er ſah: ſeine eigne Rettung
hieng davon ab. In ſeinem Auftrag begab ſich Lannoy
nach Florenz, um zu ſehen ob es da aufgebracht werden
könne. In der That ſicherte man ihm hier zu, 150000
Scudi in beſtimmten Terminen zu zahlen, und er eilte nach
dem Gebirg, um mit dieſem Verſprechen das Heer wo
möglich zum Rückzug zu bewegen. 1
Am 21 April langte er in dem Lager an, und blieb
drei Tage daſelbſt. Man ſah ihn mit Bourbon eſſen und
trinken: alle ihre alten Mißverſtändniſſe waren beigelegt;
jedoch zeigte ſich, daß das Anerbieten der Florentiner ihnen
nicht genügte: ſie erklärten, daß ſie wenigſtens 240000 Sc.
haben müßten, um das Heer zum Rückzug zu bewegen.
Ob ſie alsdann im Stande geweſen wären, oder auch
nur den ernſtlichen Verſuch gemacht haben würden, es zu-
rückzuführen? Ich möchte es nicht behaupten. Die Tu-
multe jenes Lagers waren in zu friſchem Gedächtniß. Auch
finde ich nicht, daß ſie der Kaiſer dazu aufgefordert hätte.
Höchſt eigenthümlich iſt doch aufs neue das Verhält-
niß des Kaiſers.
Noch öfter wurden zwiſchen ihm und dem Papſt jene
oſtenſiblen Äußerungen väterlichen Wohlwollens und kind-
licher Ergebenheit gewechſelt, die in der katholiſchen Welt
herkömmlich ſind: der Kaiſer ſprach noch zuweilen von der
Entwurzelung der Lutheraner: in Hinſicht Italiens gab er
Verſicherungen von denen der Papſt ſagt, er würde darauf
[390]Viertes Buch. Drittes Capitel.
die ganze Welt und ſeine eigne Seele in die Hände des
Kaiſers gegeben haben. 1 Allein ganz anders lauten die Wei-
ſungen Carls an ſeine Generale. Lannoy ward im Februar
ermahnt, ſich nur durch keinen Vertrag täuſchen zu laſſen:
wenn er auf der einen Seite die Colonneſen unterſtütze,
und dann auf der andern Bourbon mit dem deutſchen
Heere heranrücke, ſo könne man zu vielen großen und gu-
ten Dingen gelangen. „Wir ſehen wohl,“ ſchrieb er, „ſie
werden (in Rom) nicht gut thun, wenn ſie nicht wohl
geſtriegelt werden. Es wird nöthig ſeyn aus fremdem
Leder Riemen zu ſchneiden d. i. Geld zur Bezahlung un-
ſerer Armee aufzubringen: da wo es am nächſten liegt:
man muß dabei Florenz nicht vergeſſen, das auch eine derbe
Züchtigung verdient hat.“ 2 Ungefähr dieſelben Meinun-
gen ſind das, wie die, welche im Heere herrſchten. Nicht
anders lauten die Briefe an Bourbon. Er weiſt ihn
an, alles zu thun um die Kriegsrechnung abzumachen:
„ihr ſeht, das Spiel dauert lang, ihr werdet nichts ver-
ſäumen um es zu endigen.“ 3 Es iſt wahr, er brach die
Unterhandlungen nicht ab, er fertigte ſogar eine Ratifica-
tion des Stillſtandes, eine Vollmacht für den Frieden aus:
allein er befahl zugleich dem Vicekönig, die Ratification nur
in dem Falle auszuantworten, daß indeß das Heer keine Än-
derung bewirkt, keinen beſſern Vertrag möglich gemacht
habe. Seine Inſtructionen konnten bei ſeiner Entfernung
nur ſehr ſpät eintreffen, nur im Allgemeinen wirken. Aber
[391]Empoͤrung im Lager.
es bleibt immer merkwürdig, daß er in denſelben Tagen,
in welchen Bourbon und Lannoy beiſammen waren, am
23ſten April, nachdem er von dem Stillſtand wiſſen mußte,
ſeinen Oberfeldherrn doch auch nicht mit einem Wort er-
innert, denſelben zu beobachten. „Ich ſehe, mein Vetter,
daß Ihr gegen Rom zieht,“ ſagt er; er hütet ſich wohl,
das zu mißbilligen: dort vielmehr meint er könne man
von einem Stillſtand oder auch von einem Frieden han-
deln: er ſende ihm die Vollmacht, obwohl er darin zuerſt
genannt ſey, nicht ſelbſt zu, damit es nicht ſcheine, als
komme er um Frieden zu bitten, ſondern damit man wiſſe,
er werde ſich denſelben mit Gewalt erzwingen. 1 Mit Ei-
nem Worte, der Kaiſer war es ſehr wohl zufrieden, daß
ſein Heer gegen Rom zog, um ſich daſelbſt bezahlt zu ma-
chen und dem Feinde den Frieden vorzuſchreiben.
Und bemerken wir, daß in dieſem Moment auch der
Papſt nicht mehr geneigt war, den Stillſtand, der ihn von
ſeinen Verbündeten trennte, zu halten. Eben in denſelben
Tagen, am 25ſten April, ſey es daß er die neuen For-
derungen der Armee ſchon erfahren hatte und unannehm-
bar fand, oder daß ihn auch die allgemeine Lage der Po-
litik ohnehin dazu bewog, ſchloß er ein neues Bündniß
mit der Liga ab, welches zwar nicht bekannt geworden,
von dem er aber ſelbſt ſagt, es ſey darin Vieles zum Nach-
theil des Kaiſers enthalten geweſen. 2
Genug, ſowohl der Kaiſer als der Papſt waren ent-
ſchloſſen das Kriegsglück wider einander zu verſuchen.
[392]Viertes Buch. Drittes Capitel.
Hätten ſich die Kaiſerlichen durch den frühern Still-
ſtand gebunden gefühlt, ſo hätten ſie nun doch wieder
freie Hände gehabt. Bourbon zögerte keinen Augenblick
dieſen Vortheil zu benutzen. Nach einigen Demonſtratio-
nen gegen Florenz und Arezzo, — von Siena unterſtützt
— ſchlug er am 28ſten April die große Römerſtraße ein,
welche die Kriegsheere und die Pilgerſchaaren aus dem
Norden Jahrhunderte daher ſo oft abwechſelnd gezogen
waren. Die Reiterei der Liga war ihm auf den Ferſen,
vor ſich aber fand er keinen Widerſtand. Am 2ten
Mai war er in Viterbo, wo er von den deutſchen Herren
bewillkommt wurde; am 4ten jagte er die erſten päpſtli-
chen Truppen die ihm begegneten, unter Ranuccio Farneſe,
aus Ronciglione; am 5ten durchzog er die Campagna und
erſchien des Abends von dem Monte Mario her vor den
Mauern des Vatican. 1
So kam das deutſche Heer, wie es von Tirol und
Schwaben ausgezogen, ohne irgendwo Widerſtand gefun-
den zu haben, nachdem alles nach beiden Seiten vor ihm
zurückgewichen war, vor Rom an — durch die hinzugekom-
menen Spanier und Italiener, die auch in Rom Sold
und Rache ſuchten, in ſeinem Ingrimm beſtärkt, von ei-
nem Feldherrn angeführt, der ſchon von den gewohnten
Bahnen des europäiſchen Lebens abgewichen in dem Papſte
den vornehmſten Gegner aller ſeiner Anſprüche und Aus-
ſichten haßte.
Es würde unbegreiflich ſeyn, wie der umſichtige Cle-
[393]Eroberung von Rom.
mens nicht alle Möglichkeiten benutzte um dieß Unwetter
zu beſchwören, hätte er ſich nicht im Grunde immer für
den ſtärkeren gehalten. In Neapel hatte er Fortſchritte
gemacht, in der Lombardei nichts verloren; daß der Feind
ſo ungehindert vorrückte, davon maß er die Schuld ſich
ſelbſt bei, dem Stillſtand den er geſchloſſen, und der ſeine
Verbündeten irre gemacht habe; jetzt nachdem er dieſen
zurückgenommen, die Liga erneuert hatte, zweifelte er nicht,
daß das Heer derſelben, das ſchon in Toscana ſtand, ihm
noch zur rechten Zeit zu Hülfe kommen würde: bis da-
hin meinte er ſollte es auch in Rom keine Gefahr haben:
die Mauern waren mit Kanonen beſetzt, 5000 Hakenſchützen
geworben: dem nemlichen Hauptmann, der vor drei Jahren
den nemlichen Anführer und ein gleiches Heer ſo glück-
lich von Marſeille abgewehrt hatte, war die Vertheidigung
von Rom übertragen.
Das mußte ſich nun eben zeigen. Auch Bourbon
ſah ſehr wohl, daß er ſich von dem wohlangeführten Feinde
der hinter ihm herzog, nicht durfte vor den Mauern tref-
fen laſſen: er hätte noch am Abend angegriffen, hätte man
ihm nicht die Nothwendigkeit vorgeſtellt, ſich doch noch
mit einigen Sturmleitern zu verſehen.
In der Nacht zum 6ten Mai bereitete ſich alles zum
Sturme auf Rom. Man beichtete und machte ſein Teſta-
ment. Auch Bourbon gab ſeinem Beichtvater einige Auf-
träge, die uns ungefähr den Ideenkreis zeigen, in dem er
lebte. Er erinnerte den Kaiſer: erſtens in Zukunft ſeine
Truppen zu befriedigen, vor allem die Deutſchen, ohne
welche er Italien nicht in Zaum halten könne: ſodann ſich
[394]Viertes Buch. Drittes Capitel.
in Rom krönen zu laſſen, was ihm zum Frieden mit dem
Papſt und zur Unterwerfung der Fürſten ſehr nützlich ſeyn
werde; von ſich ſelbſt verſicherte er, ſeine Abſicht ſey nur,
den Papſt zu einem Darlehn für die Beſoldung der Trup-
pen zu nöthigen, und die Krönung des Kaiſers vorzube-
reiten. Man ſieht er fühlte ſich ganz als ein Soldat des
Kaiſers: mit dem ſiegreichen und befriedigten Heer dachte
er Rom beſetzt zu halten, und ſeinem Herrn das Anſehn
eines alten Kaiſers zu verſchaffen.
Merkwürdigerweiſe neigte auch die Meinung eines
Theils der Bevölkerung innerhalb der Mauern dahin. Rom
hatte keine feſte, durch ererbte Rechte zuſammengehaltene
Bürgerſchaft, wie damals vielleicht alle andern Städte in
Europa: die Einwohner waren großentheils erſt in den letz-
ten Jahren eingewandert. Sie lebten von den Geſchäf-
ten am Hofe. Da deſſen Anſehn und Einkommen Schlag
auf Schlag abnahm, ſo hätten ſie es ſo übel nicht gefun-
den, wenn die Regierung der Prieſter durch die Hofhaltung
eines mächtigen Kaiſers verdrängt worden wäre, die ihnen
dieſelben Vortheile gewährt hätte. 1
In der Frühe des 6ten Mai, es war ein nebliger Mor-
gen, ſchritten die Kaiſerlichen zum Angriff wider die Mauern
welche den Vatican umgaben. Sie hatten eine Anzahl von
Sturmleitern aus den Gattern der Gärten, die man mit
Weidenruthen an einander band, zu Stande gebracht. Ober-
halb des Thores Sti. Spirito griffen die Spanier, unter-
[395]Eroberung von Rom.
halb deſſelben die Deutſchen an: unter den Spaniern Bour-
bon ſelbſt. Die Mauern waren nur niedrig, die Ver-
ſchanzungen in der Eile aufgeworfen: das päpſtliche Ge-
ſchütz that keine rechte Wirkung; einen einzigen großen
Verluſt erlitten die Kaiſerlichen: Bourbon ſelbſt fiel im
erſten Anlauf durch den Schuß einer Hakenbüchſe; 1 er war
nur beſtimmt geweſen, das Ereigniß bis auf den Punct
zu führen, wo es ſeinem eignen innern Antrieb über-
laſſen werden konnte; über ihn dahin gieng es nun ſei-
nen Lauf weiter. In Kurzem waren die Verſchanzungen
überwältigt; hierauf wurden die Leitern angelegt; unter den
Erſten erſtieg Claus Seidenſticker, ſein großes Schlacht-
ſchwerd in der Hand, die Mauern; dann ſprang Michael
Hartmann mit einigen Gefährten hinab; ſie hatten ſo we-
nig nachhaltigen Widerſtand gefunden, daß ſie ſelbſt kaum
wußten, wie ſie hinübergekommen: in ihrem evangeliſchen
Eifer meinten ſie, Gott ſey ihnen im Nebel vorangegan-
gen. Leicht war das päpſtliche Geſchütz genommen, das
Thor für den nachdringenden Haufen eröffnet: ein paar
hundert Schweizer, die ſich auch hier den Landsknechten
gegenüber finden ließen, wurden ohne Mühe zurückgewor-
fen: der Borgo war erobert, ehe der Papſt recht wußte
daß der Angriff begonnen: er hatte nur eben noch ſo viel
Zeit, um nach der Engelsburg zu flüchten. 2
[396]Viertes Buch. Drittes Capitel.
Das Heer war gut genug disciplinirt, um auch nach
dem Verluſt des Oberanführers ſich noch aller Plünderung
zu enthalten und dem Papſt noch einmal Vorſchläge zu
machen. 1 Wie Lannoy vor einigen Monaten 200000,
Bourbon vor ein paar Tagen 240000 Sc., ſo forderten
jetzt die Oberſten, unter den Augen des Papſtes, 300000
Sc. und als Sicherheit die Überlieferung der transtiberi-
niſchen Stadt. Der Papſt, der der Hofnung lebte, je-
den Augenblick müſſe das Heer der Liga anlangen — ſchon
wollte man die erſten Reiter deſſelben in der Ferne ent-
deckt haben, — ſo lange werde ſich die eigentliche Stadt
ſchon zu halten vermögen, wies auch in dieſem letzten Mo-
ment alle Vorſchläge zurück.
Nach vierſtündigem Zögern ſetzten ſich die Truppen
aufs neue in Bewegung, um ihr Unternehmen zu Ende zu
führen. Sie nahmen Trastevere ohne Schwerdſchlag ein;
erbrachen das Thor an der Brücke, die nach der eigent-
lichen Stadt führt; auch hier fanden ſie ſo gut wie kei-
nen Widerſtand: ungehindert rückten ſie in den Straßen
vorwärts, Ein Uhr nach Sonnenuntergang war die ganze
Stadt in ihren Händen; doch ſtanden ſie in ihrer Ord-
nung bis Mitternacht; die Maſſe der Spanier hielt auf
2
[397]Eroberung von Rom.
der Piazza Navona, die der Deutſchen auf Campofiore,
in welchen Gegenden damals der meiſte Verkehr war; end-
lich da weder in der Stadt, noch in der Nähe ein
Feind ſich zeigte, ſtürzten ſie fort nach den Häuſern zur
Plünderung.
Was waren in den letzten 70, 80 Jahren alles für
Schätze nach Rom gefloſſen: ſo viel geiſtliche Gefälle aus
allen Ländern der Erde, Geſchenke der Pilger, Erträge von
Jubileen: Einkünfte von den Pfründen, welche den Prä-
laten gehörten: jede geiſtliche Gnade war feil geweſen um
Geld; 1 alle dieſe Reichthümer fielen nun den entblöſten be-
dürftigen beutegierigen Truppen in die Hände, die ſeit ſo
lange auf dieſe Stunde vertröſtet worden.
An 20000 Menſchen zahlten in den nächſten Tagen
die Schatzung; die Kaiſerlich-geſinnten, Gibellinen wurden
ſo wenig geſchont wie die Guelfen, die Kirchen ſo wenig
wie die Privathäuſer: die großen Baſiliken vor den Tho-
ren S. Lorenzo, S. Paolo wurden geplündert: das Grab
des heiligen Peter wurde durchwühlt, der Leiche Julius II
der goldne Ring vom Finger gezogen; — man rechnete,
daß dem Heere bei 10 Millionen Goldes an Werth in die
Hände gefallen ſeyen. 2
[398]Viertes Buch. Drittes Capitel.
Hiebei machten die Spanier die reichſte Beute: ſie
hatten man möchte ſagen Witterung von Geld, ſpürten das
Verborgenſte auf und wußten es herauszupeinigen.
Die Neapolitaner zeigten ſich perſönlich noch gewalt-
ſamer, bösartiger. 1 Ein Glück, daß nach einigen Tagen
Pompeo Colonna eintraf, der ſich Mühe gab, den römi-
ſchen Adel wenigſtens gegen die wildeſten Ausſchweifun-
gen zu ſichern, und eine Art von Aſyl in ſeinem Hauſe
eröffnete.
Die Deutſchen waren zufrieden, daß ſie endlich wie-
der zu eſſen und zu trinken hatten; wenn ſie keinen Wi-
derſtand fanden, erſchienen ſie eher gutmüthig. 2 Sie lie-
ßen die Juden ohne Neid ihren Vortheil machen. In Cam-
pofiore ward viel geſpielt. Die Leute waren plötzlich ſo reich
geworden, daß ſie ein paar hundert Gulden auf Einen
Wurf ſetzten. Man ſah Manchen mit goldnen Gefäßen be-
laden ankommen: und nachdem er alles verſpielt, wieder
leer nach Hauſe gehn. Oder ſie gaben dem Simon Bat-
tiſta zu eſſen, den die päpſtliche Regierung eingeſperrt hatte,
weil er die Plünderung der Stadt geweiſſagt: ſie hatten
ihn befreit, aber auch ihnen verkündigte er kein Glück,
2
[399]Eroberung von Rom.
denn Soldatenreichthum und Pfaffengut gehe alles denſel-
ben Weg. Nehmt nur, rief er aus, raubt nur, ihr
müßt doch alles wieder fahren laſſen. Ihre evangeliſche
Meinung entlud ſich in Scherzen. Knechte, als Cardinäle
verkleidet, einen Doppelſöldner als Papſt mit der dreifa-
chen Krone in der Mitte, ſo ritten ſie in feſtlichem Zug
durch die Stadt, von Trabanten umgeben; vor dem Ca-
ſtell von S. Angelo hielten ſie ſtill: der vermeinte Papſt
gab den Cardinälen, ein großes Baßglas ſchwingend, ſei-
nen Segen: dann hielten ſie Conſiſtorium und gelobten,
ſich in Zukunft beſſer zum römiſchen Reich zu halten: Lu-
ther, dem wollten ſie das Papſtthum ſchenken. 1
Zuweilen brach Zwietracht zwiſchen den Nationen aus:
dann ward ein Ausſchuß von drei ſpaniſchen und drei deut-
ſchen Hauptleuten gemacht, welche Nachts durch die Stra-
ßen ritten und die Ordnung handhabten. 2
Die Anführer lagen in dem Vatican: der Prinz von
Oranien hatte die Zimmer des Papſtes inne. Ein Jeder
hatte ſeine Pferde ſo nah wie möglich bei ſich, damit ſie
ihm nicht geſtohlen würden.
Auch der Vicekönig war nach Rom gekommen, und hatte
die alten Unterhandlungen wieder angeknüpft. Eine Zeitlang
hoffte der Papſt auf Entſatz: der Herzog von Urbino erſchien
[400]Viertes Buch. Drittes Capitel.
in der Nähe, und alle Nacht gab man ihm drei Mal
vom Caſtell das Zeichen, daß man ſich noch halte. Aber
er ſchien zu fürchten, die Deutſchen möchten ſich beſſer
vertheidigen, als ihnen Widerſtand geleiſtet worden. 1 Und
ſollte er wohl für den Papſt etwas zu wagen geneigt ſeyn?
War er nicht vor wenig Jahren von dem Hauſe Medici
auf Leben und Tod bekämpft, aus ſeinem Lande verjagt
worden? Er entfernte ſich wieder, ohne das Mindeſte ge-
than zu haben. Hierauf mußte der Papſt doch endlich
die Bedingungen eingehn, die er ſo oft zurückgewieſen, und
die ihm jetzt, aber noch um Vieles geſteigert, vorgelegt wur-
den. Er verſprach jetzt, in verſchiednen Terminen 400000
Sc. zu zahlen; zum Unterpfand ließ er einige der feſteſten
Plätze die ſich noch hielten, in der Lombardei Modena
Parma und Piacenza, in der Nähe Oſtia und Civitavec-
chia von den Kaiſerlichen beſetzen. Am 5ten Juni ward
dieſer Vertrag geſchloſſen: den Tag darauf zogen Spanier
und Deutſche in dem Caſtell S. Angelo auf die Wache.
Zweihundert der ſchönſten und ſtärkſten Landsknechte wur-
den ausgewählt, um bei dem Papſte den Dienſt zu thun.
Der Kaiſer glaubte nunmehr mit Italien bald am Ziele
zu ſeyn. Er zweifelte nicht daß es ſeiner Armee gelingen
werde, mit den Florentinern, die in dieſen Bewegungen das
Haus Medici verjagt hatten und vom Papſt abgefallen wa-
ren, eine vortheilhafte Convention zu ſchließen: dann ſollte ſie
ſich
[401]Eroberung von Rom.
ſich gegen Venedig wenden und ihr Lager im Gebiet der
Republik aufſchlagen, um auch ſie zum Frieden zu nöthigen,
da werde ihr die Hülfe von Ferrara zu Statten kommen. 1
In Rom ſprach man bereits nicht mehr von der apo-
ſtoliſchen, ſondern von der kaiſerlichen Kammer.
Den Deutſchen war es hier an Ort und Stelle recht
einleuchtend, wie dem Kaiſerthum von den Päpſten mitge-
ſpielt worden; man zeigte ihnen die Ruinen der Kaiſerpal-
läſte, und erklärte ihnen die Kunſtgriffe, durch welche dem
Kaiſer das Land und die Stadt und ſogar ſeine Hofwoh-
nung in der Stadt entwunden worden. Aber ſie tröſteten
ſich damit, daß Der, welcher ſich ſelbſt zum Gott auf Er-
den erhoben, nun durch die Macht des eifrigen Gottes nie-
dergelegt ſey. Sie gaben der Hofnung Raum, daß der
junge theure Kaiſer Carolus durch ſeine milde Tugend nach
dem einigen Wort unſres Seligmachers regieren werde. 2
Ranke d. Geſch. II. 26
[[402]]
Viertes Capitel.
Beſitznahme von Böhmen und Ungern.
In dem Augenblicke dieſer großen Erfolge ergoſſen ſich
die deutſchen Streitkräfte und zwar ebenfalls zu Gunſten des
Hauſes Öſtreich noch nach einer andern Seite nach Un-
gern hin.
Erinnern wir uns, um den Urſprung und die Bedeutung
dieſes Ereigniſſes zu faſſen, vor allem, daß die drei öſtlichen
Königreiche der abendländiſchen Chriſtenheit, Ungern Böh-
men und Polen nicht ohne den mannichfaltigſten deutſchen
Einfluß zu einer feſtern Verfaſſung gelangt, civiliſirt und
chriſtianiſirt worden waren. Am Ende des vierzehnten
Jahrhunderts ſchien es noch einmal, als ſollte dieſe Ver-
bindung ſich unauflöslich erneuern. Das in Deutſchland
vorwaltende Haus, das luxemburgiſche beſaß Böhmen und
Ungern: die Erbin von Polen ward als Verlobte eines
öſtreichiſchen Prinzen erzogen.
Aber in alle dieſen Ländern war auch ein der deut-
ſchen Einwirkung entgegengeſetztes Prinzip. Eben dem ge-
fährlichſten Feinde der Deutſchen, dem Großfürſten Jagjel
von Litthauen gelang es, den Herzog von Öſtreich vom
polniſchen Throne zu verdrängen: ſpäter ſchickte er ſeinen
Neffen Koribut nach Böhmen: ſein Sohn erwarb die Krone
[403]Verfall von Ungern.
von Ungern. Es bildete ſich eine jagelloniſche Conſolida-
tion in dem öſtlichen Europa, die ſich auf der einen Seite
den vordringenden Osmanen opponirte, auf der andern
allen deutſchen Einfluß ausſchloß, und ſich, obwohl nach
mancherlei Wechſel der Weltſchickſale, im Anfang des 16ten
Jahrhunderts doch noch immer erhielt: Sigismund I be-
herrſchte Polen und Litthauen, Wladislaw II Böhmen und
Ungern.
Schon hatte ſie jedoch keine wahrhafte innere Stärke
mehr. Wladislaw II war kein Mann, um den ſtürmiſchen
Adel in Ungern in Zaum zu halten. 1 Er hätte nur zum
einfachſten Privatleben getaugt. Man bemerkte, er ſpreche
von den Dingen des täglichen Lebens mit einer gewiſſen
Einſicht, jedoch nicht mehr, wenn die Rede auf Staats-
ſachen komme; er wollte nicht daran glauben wenn man
ihm von Jemand etwas Böſes ſagte, und war nur ſchwer
dahin zu bringen ein Todesurtheil zu unterſchreiben. 2 So
machte denn ein Jeder was er wollte. Unter König Mat-
thias hatten die Staatseinkünfte über 800000 Duc. be-
tragen: unter Wladislaw fielen ſie allmählig auf 200000;
in dem königlichen Pallaſt konnte man bald nach ſeinem
26*
[404]Viertes Buch. Viertes Capitel.
Tod die Ausgaben der Küche nicht mehr beſtreiten. Alles
gerieth in den tiefſten Verfall. Jedes Reich, heißt es in
den Satzungen von Tolna vom Jahr 1518, bedarf zu ſei-
ner Erhaltung zweierlei Mittel, Waffen und Geſetze: in
unſrem ungriſchen Reich haben wir weder das eine noch
das andre. 1
Unter dieſen Umſtänden fanden es allmählich auch die
Jagellonen rathſam, ſich wieder an die nächſte und mäch-
tigſte deutſche Familie, an das Haus Öſtreich anzuſchlie-
ßen. Dem Kaiſer Maximilian, der wie er ſagt, „ſeine
und der deutſchen Nation Gerechtigkeit“ an Ungern und
Böhmen keinen Augenblick aus dem Geſicht verlor, ward
es endlich im Jahr 1515 ſo wohl, beide Könige Sigis-
mund und Wladislaw bei ſich zu ſehen und den engſten
Erbvertrag mit ihnen zu ſchließen. Wladislaw verlobte
ſeinen Sohn und ſeine Tochter mit einem Enkel und einer
Enkelin des Kaiſers: Sigismund verſprach, ſich mit Bona
Sforza zu vermählen, die ebenfalls zur öſtreichiſchen Ver-
wandtſchaft gehörte. Das Jahr darauf ſtarb Wladislaw:
Ludwig II gelangte nun unter der gemeinſchaftlichen Vor-
mundſchaft Maximilians und Sigismunds auf den Thron.
Allmählig ſetzte ſich am Hofe ein deutſches Element feſt,
beſonders nachdem ſich Ludwig im Jahr 1521 mit jener
Enkelin Maximilians, Maria von Öſtreich wirklich vermählt
hatte. Noch war aber alles in der größten Unordnung. Her-
berſtein kann nicht Worte genug finden, um den wettei-
fernden Übermuth der Großen, der geiſtlichen wie der welt-
[405]Johann Zapolya.
lichen, zu ſchildern, 1 wie die Grenzen ohne Vertheidigung
lagen, während ihre bewaffneten Schaaren die Straßen
der Hauptſtadt enge machten, wie die lauten Trompeten
zum Mittagsmal der Magnaten riefen, während es um
den König einſam war: — alle Stellen wurden nach Gunſt
vertheilt, die Münze ward verſchlechtert. Zuletzt dachte
wohl wenigſtens die geiſtreiche Königinn daran, die Staats-
gewalt zu erneuern; allein ſchon hatte ſich dem Hofe gegen-
über eine Macht gebildet die ihm Widerſtand leiſtete.
Unter König Matthias war beſonders das Haus Za-
polly emporgekommen, ſo genannt von einem ſlawiſchen
Dorfe bei Poſchega, von wo es ſtammte. Dieſem Hauſe
vor allem verdankte König Wladislaw ſeine Thronbeſtei-
gung, aber eben darum nahm es auch einen Antheil an
der Gewalt, eine gewiſſe Ausſicht auf die Krone ſelber in
Anſpruch. Es war wohl das reichſte von allen Magna-
tenhäuſern: man zählt 72 Schlöſſer die ihm eigenthümlich
gehörten: 2 ſeinen vornehmſten Sitz hatte es auf der Burg
Trentſin auf einem ſteilen Bergfelſen an der Waag: da
waren die ſchönſten Gärten angelegt, gefangene Türken hat-
ten einen bei hundert Klaftern tiefen Brunnen gegraben:
alles war durch ſtarke Befeſtigungen geſchützt. Man ſagt,
dem jungen Johann Zapolya ſey ſchon ſehr früh der Be-
ſitz der Krone geweiſſagt worden. Mächtig durch ſein rei-
ches Erbe wie er war, Graf von Zips, Woiwode von
Siebenbirgen, ſammelte er ſehr bald eine ſtarke Partei um
[406]Viertes Buch. Viertes Capitel.
ſich. Durch ihn hauptſächlich geſchah es, daß die Ungern
im Jahr 1505 durch förmlichen Beſchluß alle Ausländer
von ihrem Throne ausſchloſſen, einen Beſchluß, den ſie zwar
nicht ohne Widerſpruch zu behaupten vermochten, aber auch
nicht unzweifelhaft zurückzunehmen genöthigt werden konnten.
Im Jahr 1514 gelang es dem Woiwoden, einen höchſt ge-
fährlichen Bauernaufruhr durch ſeine eigenthümliche Kriegs-
macht zu zerſprengen, was ihm der geringere Adel um ſo
mehr als ein Verdienſt anrechnete, da nun den Bauern
eine deſto härtere Knechtſchaft auferlegt wurde. 1 Er hätte
gewünſcht, bei dem Tode Wladislaws Gubernator des
Reichs zu werden, ſich mit deſſen Tochter Anna zu ver-
mählen und dann der kommenden Dinge zu warten. Al-
lein eben hier trat ihm nun die Politik Kaiſer Maximilians
entgegen. Anna ward mit dem Erzherzog Ferdinand ver-
mählt: Zapolya ward von der Verwaltung des Reichs aus-
geſchloſſen: auch das vacante Palatinat ward ihm verſagt,
und ſeinem alten Gegner Stephan Bathory gegeben. Er
gerieth in eine höchſt gereizte Stimmung: — ſchon 1518
hielt der Kaiſer bei dem Zuſammentreten des Rakoſch ein
paar tauſend Mann in Bereitſchaft um im Fall einer Ge-
waltthätigkeit von Seiten Zapolyas der ungriſchen Regie-
rung zu Hülfe zu kommen. 2 Doch dauerte es bis zum
Jahr 1525, ehe Zapolya auf einem Rakoſch die Oberhand
erhielt. Als der König nichtsdeſtoweniger ſeine Anträge aus-
[407]Innere Unruhen.
ſchlug, beriefen ſeine Anhänger einen außerordentlichen Reichs-
tag nach Hatwan, auf dem ſie den Verſuch machten, alle Frem-
den zu entfernen, die ganze Regierung zu verändern und in
ihre eigne Hände zu nehmen. Den Palatin, Bathory, ſetzten
ſie ab, und erhoben den vertrauteſten Freund des Woiwoden,
Stephan Verböcz, an deſſen Stelle. Von Zapolya ſelbſt
zweifelte ſchon Niemand, daß er nach der Krone trachte.
„Der Woiwode,“ ſagt eine venezianiſche Relation von 1523,
„iſt ein guter Kopf, ſehr geſcheidt, allgemein beliebt: es
würde ihm nicht unangenehm ſeyn, wenn das Reich einen
Unfall erlitte: er würde es mit ſeiner eigenthümlichen Macht
wiedererobern und ſich zum König machen.“ 1 „Er trachtet,“
fügt eine andre im Jahr 1525 hinzu, „mit allen Kräften
ſeines Geiſtes nach der Krone, und bereitet alles vor, um
ſie zu erlangen.“
Es war im Widerſtand gegen dieſe ſo raſch auf das
letzte Ziel losgehende Macht eines Vaſallen, daß deſſen
Gegner, dadurch bedroht, ſich im Frühjahr 1526 enger um
den Hof anſchloſſen, auf einer Reichsverſammlung die Be-
ſchlüſſe von Hatwan für ungültig erklärten, Bathory wie-
der einſetzten, und den König aufforderten, ſeine Autorität
endlich einmal zu brauchen. Die Königin war ſehr bereit
dazu. Sie forderte eine völlige Freiheit der Finanzverwal-
tung, eine unmittelbare Abhängigkeit der Grenztruppen.
Schon warnte ſie der päpſtliche Nuntius, nicht allzuviel
Holz aus Feuer zu legen.
[408]Viertes Buch. Viertes Capitel.
Allein, ehe noch irgend etwas erreicht, als vielmehr durch
Action und Reaction erſt die volle Verwirrung hervorgebracht
war, erſchien ſchon der gewaltige Feind, der Osmanenſul-
tan Soliman: entſchloſſen, dieſem ganzen Weſen ein Ende
zu machen. So lange ſtanden Osmanen und Jagellonen
einander in dem öſtlichen Europa gegenüber: jetzt war der
für ihn günſtige Augenblick gekommen, dieſen alten Wett-
ſtreit wenigſtens in Bezug auf Ungern auszufechten. Schon
vor fünf Jahren hatte er Belgrad erobert: welches, wie
man ſich erzählte, unter andern deshalb nicht unterſtützt
worden war, weil es der Regierung an 50 Gulden fehlte,
um die ſchon bereit liegende Munition von Ofen nach Bel-
grad zu ſchaffen. Seitdem waren auch die Grenzplätze von
Croatien in die Hände der Paſchas gefallen: das weite
Land war zu einem großen Unternehmen eröffnet. Zu ei-
nem ſolchen fühlte ſich nun der Sultan zugleich durch die
innere Lage von Ungern wie durch die allgemeinen euro-
päiſchen Zerwürfniſſe aufgefordert. In ſeiner Gefangen-
ſchaft zu Madrid hatte König Franz das Mittel gefunden,
Soliman um ſeine Hülfe zu erſuchen: denn einem großen
Kaiſer ſtehe es zu, Bedrängte zu unterſtützen: es waren in
Conſtantinopel Pläne gemacht worden, zugleich mit einer
vereinigten Flotte Spanien anzugreifen und mit einem Land-
heer durch Ungern nach Oberitalien vorzudringen. 1 So-
liman war, ohne Bedingungen unterzeichnet zu haben, durch
ſeine Weltſtellung ein Verbündeter der Liga, wie der Kö-
[409]Angriff Solimans.
nig von Ungern ein Verbündeter des Kaiſers. Am 23ſten
April 1526 erhob ſich Soliman, nachdem er die Gräber
ſeiner Vorfahren und der alten moslimiſchen Märtyrer be-
ſucht, mit ſeinem gewaltigen Heere aus Conſtantinopel; —
es mochte 100000 M. betragen, unaufhörlich zogen ihm
Verſtärkungen zu. Er wußte die Mannſchaften in der ſtreng-
ſten Unterordnung zu halten. Sein Tagebuch bemerkt, er
habe Leute köpfen laſſen, weil ſie Pferde der Unterthanen
weggetrieben, oder weil ſie die Saaten eines Dorfes zu
Grund gerichtet hatten. 1 Er ſelber glänzte in ſeiner Ju-
gend durch alle die Eigenſchaften der Thatkraft und Er-
oberungsluſt, welche ſeine Vorfahren groß gemacht hatten.
Und wie wären nun die Ungern in dem Zuſtand worin
ſie ſich befanden fähig geweſen, einem ſolchen Angriff Wi-
derſtand zu leiſten.
Ibrahim-paſcha belagerte ſchon Peterwardein, ehe die
Ungern noch die mindeſte Anſtalt getroffen. Vorlängſt wa-
ren die Mannſchaften einberufen, aber Niemand war er-
ſchienen. Man hatte Contributionen ausgeſchrieben: es
war ſo gut wie nichts eingegangen. Nur mit Mühe hatte
man 50000 G. auf die Neuſohler Bergwerke von Anton
Fugger aufgebracht. Mit einem Gefolge von nicht mehr
als 3000 M. gieng der junge König am 24ſten Juli ins
Feld. 2
Ibrahim hatte Peterwardein erobert und ſeinen Sultan
mit dem Geſchenk von fünfhundert abgeſchnittenen Köpfen
[410]Viertes Buch. Viertes Capitel.
auf dem ungriſchen Gebiet empfangen: das osmaniſche Heer
war nun bei 300000 M. ſtark und wälzte ſich die Do-
nau aufwärts; Soliman ließ in dem Lager ausrufen: ſein
Ziel ſey Ofen. Indeſſen ſammelten ſich dieſſeit um den
König die Truppen einiger Geſpannſchaften, einzelner Ma-
gnaten: einige vom Papſt, einige von Polen beſoldete Fähn-
lein: in Tolna konnten 10 bis 12000 M. um ihn ſeyn. 1
Vor allem wäre nun nothwendig geweſen, die Über-
gänge der Drau zu beſetzen, und dahin eilte der Palatin,
der es wenigſtens an Eifer nicht fehlen ließ. Allein eine
Anzahl Magnaten weigerten ſich, ohne den König vorzu-
rücken. Soliman behielt Zeit, eine bequeme Brücke zu ſchla-
gen, über die ſein Heer fünf Tage lang den Zug hinüber
nahm. König Ludwig ſagte: „ich ſehe, mein Kopf ſoll für
die ihren haften: wohlan! ich will ihn hintragen;“ er be-
gab ſich auf die ſchickſalvolle Ebene von Mohacz: wirklich
entſchloſſen, mit ſeinem geringen Haufen die ohne Vergleich
überlegene Macht des Feindes in offenem Felde zu erwarten.
Noch waren die Truppen des Reiches lange nicht bei-
ſammen, die beiden mächtigſten Vaſallen, der Ban von
Croatien, der Woiwode von Siebenbirgen fehlten noch:
die böhmiſch-mähriſchen Hülfsvölker waren noch nicht ein-
getroffen: mit allen neuen Zuzügen betrug das Heer in
Mohacz 20 bis 24000 M. Es waren wohl nur Wenige
dabei, die je einer Feldſchlacht beigewohnt. Die Anfüh-
rung mußte einem Minoriten, Paul Tomory, Erzbiſchof
von Colocza, der ſich einſt in ein paar Streifzügen
[411]Schlacht von Mohacz.
hervorgethan, anvertraut werden. Trotz alle dem hegten
die Ungern das verwegenſte Selbſtvertrauen. Sie wären
nicht zum Rückzug zu bewegen geweſen: 1 nicht einmal eine
Wagenburg mochten ſie um ſich ſchlagen; ſo wie der Feind
am 29ſten Aug. von den vor ihnen liegenden Hügeln in
die Ebene wo ſie lagerten herabſtieg, zögerten ſie keinen
Augenblick, auf ihn loszugehn. Allein Soliman war eben
ſo vorſichtig wie ſonſt überlegen. Die Ungern dachten die
Schlacht durch ungeſtümen Anfall zu entſcheiden, ſie trotz-
ten auf ihre Harniſche von blauem Stahl: mit Geſchütz
und Fußvolk waren ſie ſchlecht verſehen: ſie führten den
Krieg im Sinne der frühern Jahrhunderte. Dagegen hatte
Soliman die aufkommenden Tendenzen der neuern Kriegs-
kunſt für ſich, ſo ſehr er ſonſt Barbar ſeyn mochte: er
wußte ſich der Erfindungen der letzten Zeiten zu bedienen:
hinter den erwähnten Anhöhen hatte er 300 Feuerſchlünde
aufgeſtellt: ſeine Janitſcharen waren im Gebrauch des Hand-
rohrs ſo gut geübt wie irgend eine Miliz der Welt. Den
Ungern ward es nicht ſchwer, die vorgerückten türkiſchen
Geſchwader zu zerſprengen, die Hügel zu beſetzen, und ſchon
glaubten ſie wohl, geſiegt zu haben: hier aber erblickten ſie
erſt das unermeßliche Lager der Osmanen: indem ſie unauf-
haltſam, unbedacht, als ſey das Unmögliche dennoch mög-
lich, darauf losſtürzten, wurden ſie von dem furchtbaren
Feuer empfangen, der rechte Flügel von dem Geſchütz, das
Mitteltreffen von den Handrohren der Janitſcharen: indeß
[412]Viertes Buch. Viertes Capitel.
nahm ſie die Reiterei der Sipahi in beide Flanken. Da
konnte keine perſönliche Tapferkeit etwas helfen: die Ungern
geriethen auf der Stelle in Unordnung: 1 ihre beſten Leute
fielen, die übrigen warfen ſich in die Flucht. Auch der
junge König mußte fliehen. Es war ihm nicht einmal be-
ſchieden im Schlachtgetümmel zu fallen: noch viel elender
kam er um. Hinter einem Schleſier her, der ihm den Weg
zeigte, war er ſchon durch das ſchwarze Waſſer geſetzt, das
die Ebene durchſchneidet: ſein Pferd klimmte bereits den
Abhang des Ufers hinauf, als es ausgleitete, zurückſtürzte,
und ſich ſammt dem Reiter in Waſſer und Moraſt begrub. 2
Dadurch ward die Niederlage nun vollends entſcheidend.
Die vornehmſten Führer der Nation, der König, und ein
großer Theil der Magnaten waren gefallen. 3 Fürs Erſte
war an keinen fernern Widerſtand zu denken. Weit und
breit wurde das Land wüſte gelegt. Die Schlüſſel von
Ofen wurden dem Sultan entgegengetragen, er hielt den
Beiram daſelbſt.
Soliman hatte einen jener Siege erfochten, welche die
Schickſale der Nationen auf lange Epochen beſtimmen. Die
Weltmacht, an deren Spitze er ſtand, welche die islamiti-
[413]Succeſſionsanſpruͤche.
ſchen Prinzipien, wie ſie unter den tartariſchen Einwirkun-
gen ſich in Aſien feſtgeſetzt, nach den andern Erdtheilen
übertrug, hatte er zu vollem Übergewicht in dem öſtlichen
Europa erhoben. Wer wäre fähig geweſen, es ihr wieder
zu entreißen. — Ohne ſich gerade um die Behauptung der
genommenen Plätze zu kümmern, kehrte er zurück und ſtellte
die Siegeszeichen von Ofen am Hippodrom und in der Mo-
ſchee Aja Sofia auf.
Daß nun aber zugleich zwei Königskronen, deren Suc-
ceſſion nicht über allen Zweifel erhaben war, hiedurch va-
cant geworden, mußte in der chriſtlichen Welt gewaltige
Bewegungen hervorrufen. Es war noch die Frage, ob es
eine europäiſche Macht wie Öſtreich geben würde oder
nicht. Man braucht ſie blos aufzuſtellen, um inne zu wer-
den, welch eine Bedeutung für die Entwickelung der Welt-
ſchickſale und beſonders Deutſchlands darin liegt. Ehe
noch davon die Rede war, wie das Verhältniß zu den Os-
manen ſich nunmehr geſtalten würde, mußte dieſe große
Frage erledigt werden.
Den Anſprüchen Ferdinands auf die beiden Kronen,
ſo unzweifelhaft ſie auch in Bezug auf die Tractate der
regierenden Häuſer ſeyn mochten, ſetzte ſich doch das Wahl-
recht der Nationen und die Autorität angeſehener Mitbewer-
ber entgegen.
In Ungern erſchien, ſo wie ſich die Türken entfernt
hatten, Johann Zapolya mit dem ſtattlichen Heer, das er
außerhalb der Conflicte gehalten: die Niederlage des Kö-
nigs war zugleich die Niederlage ſeiner Gegner: die Faction
welche die Beſchlüſſe zu Hatwan gefaßt, war jetzt die allein
[414]Viertes Buch. Viertes Capitel.
herrſchende; auf einer Verſammlung zu Tokay ward be-
ſchloſſen, da man ohne einen König und Herrn nichts un-
ternehmen könne, zur Wahl eines ſolchen zu ſchreiten, 1
und zu dem Ende ein Reichstag nach Stuhlweißenburg be-
rufen. Schon in Tokay aber ſoll Johann Zapolya als
König begrüßt worden ſeyn.
Indeſſen faßten die Herzoge von Baiern die Abſicht,
den böhmiſchen Thron an ſich zu bringen. Von einem
und dem andern ergebenen Großen dieſes Landes wurden
ſie aufgefordert: noch im September ſendeten ſie ihren Rath
Weiſſenfelder nach Prag, und dieſer fand die Ausſichten ſo
günſtig, daß ſie beſchloſſen eine feierliche Botſchaft deshalb
nach Böhmen abzuordnen.
Und nicht allein in den beiden Reichen ſelbſt hatten
dieſe Prätendenten einen bedeutenden Anhang. Es kam hinzu,
daß ihnen die Lage der europäiſchen Politik überhaupt ei-
nen mächtigen Rückhalt gewährte.
In unmittelbare Verbindung trat vor allem Franz I
mit Zapolya; in kurzem fand man einen päpſtlichen Ab-
geordneten bei ihm: und die Deutſchen in Rom wenigſtens
behaupteten, der Papſt unterſtütze die Faction des Woiwo-
den mit Geldzahlungen: 2 er ſchickte einen Agenten nach
Venedig und forderte gradezu, in die Ligue von Cognac auf-
genommen zu werden.
[415]Plaͤne der Herzoge von Baiern.
Auch in Böhmen hatten die Franzoſen ſeit langer Zeit
ergebne Anhänger. Wir finden, daß ſie im J. 1523 die
Abſicht hegten, Öſtreich von Böhmen her anzugreifen, und
hiezu mit einem Ahnherrn Wallenſteins Verbindungen an-
knüpften. 1 Da es dem König von Polen, der ſich ſeit
einiger Zeit von der öſtreichiſchen Allianz abgewendet hatte
und auch ſeinerſeits Anſprüche an die böhmiſche Krone
machte, damit nicht gelingen wollte, ſo verſprachen ſo der
polniſche wie der franzöſiſche Geſandte ihre Unterſtützung
dem bairiſchen Agenten.
Und noch zu umfaſſendern Plänen fühlte ſich Herzog
Wilhelm von Baiern durch dieſe politiſche Combination an-
getrieben.
Wir wiſſen, daß man in Rom die Nothwendigkeit
empfand, dem Kaiſer Carl einen römiſchen König zur Seite
oder vielmehr entgegen zu ſetzen. Indeſſen hatte Herzog
Wilhelm, einer der ergebenſten Anhänger der Curie, ſchon
ſelbſt den Gedanken in ſich aufkommen laſſen, ſich zu die-
ſer hohen Würde zu erheben, und Schritte dafür gethan.
Auf jenem Reichstag im J. 1524, wo das Regiment
geſtürzt wurde, hatten die Häuſer Baiern und Pfalz, welche
gegen den Adel eine gemeinſchaftliche Sache verfochten, ihre
alten Streitigkeiten beſeitigt, und einen neuen Erbverein
geſchloſſen. Leonhard Eck machte dem Churfürſten von
der Pfalz freundſchaftliche Vorwürfe, daß er bei der letz-
ten Vacanz ſeiner eigenen Anſprüche an die Krone vergeſ-
[416]Viertes Buch. Viertes Capitel.
ſen und ſpäter ſeine Vicariatsrechte dem Regimente abge-
treten habe. 1
Gleich darauf ſahen die Fürſten einander auf dem er-
wähnten Armbruſtſchießen zu Heidelberg. Herzog Wilhelm
verbarg nicht mehr, daß er ſelbſt die römiſche Krone zu
erlangen wünſche.
Auf einer Zuſammenkunft zu Ellwangen, kurz nachher,
beſprachen ſie die Sache weiter. Herzog Wilhelm ſchien
bereit, dem Churfürſten von der Pfalz den Vorrang zu
laſſen: da dieſer aber keine Anſtalt machte, ſo unterhan-
delte er ohne allen Rückhalt für ſich ſelbſt. Im Herbſt
1526 waren ſo gar dem Chu[rfü]rſten von Sachſen Eröff-
nungen geſchehen, wiewohl [o]hne Frucht, da dieſer einer
ſo durchaus andern Meinung angehörte. 2
Welche Folgen aber hätte es haben müſſen, wenn dieß
gelungen wäre! Man kann ſagen: es hätte eine ganz an-
dre Staatengeſchichte gegeben. Baiern hätte das Überge-
wicht in deutſchen und ſlawiſchen Ländern über Öſtreich da-
von getragen: auch Zapolya hätte, hiedurch geſtützt, ſich zu
behaupten vermocht: die Ligue und damit auch die am ſchroff-
ſten ausgeprägte päpſtliche Meinung hätte im öſtlichen Eu-
ropa die Oberhand behalten. Nie gab es ein für die
Machtentwickelung des Hauſes Öſtreich gefährlicheres Un-
ternehmen.
Fer-
[417]Boͤhmiſche Koͤnigswahl.
Ferdinand betrug ſich mit alle der Klugheit und Ener-
gie, welche dieſes Haus in ſchwierigen Augenblicken ſo oft
bewährt hat.
Zunächſt kam ihm alles auf die Krone von Böhmen an.
Sein Verhältniß als Gemahl der böhmiſch-ungriſchen
Prinzeſſin, als Bruder der verwitweten Königin, ſetzte ihn
in vielfache perſönliche Beziehungen zu den mächtigſten Gro-
ßen. Er verſtand es vollkommen, die Geneigtheiten die
ſich hieran knüpften feſtzuhalten und für ſich zu verwenden,
jede keimende Antipathie durch Gnadenerweiſungen zu be-
ſeitigen. Der einflußreiche Oberſtburggraf Löw von Roz-
mital erhielt die Verſicherung, daß man ihm die Rech-
nungslegung, zu der er verpflichtet geweſen wäre, entwe-
der erlaſſen, oder doch ſehr erleichtern werde: auch den
Schwanberg, Schlick, Pflug, dem Herzog von Münſter-
berg geſchahen erhebliche Zugeſtändniſſe: der Canzler
Adam von Neuhaus war im Geleite der öſtreichiſchen
Geſandtſchaft herbeigeeilt, um ſein Anſehen zu Gunſten
Ferdinands geltend zu machen. Indem es hiedurch gar
bald dahin kam, daß ſich eine Anzahl böhmiſcher Großen
vereinigte, keinen andern Herrn anzunehmen als den Erz-
herzog, 1 wurde nichts verſäumt, auch der Menge genug
zu thun. So ſehr Ferdinand überzeugt war, daß ſeiner
Gemahlin und deshalb auch ihm ein unzweifelhaftes Erb-
recht zuſtehe, ſo hütete er ſich doch, den Ehrgeiz, welchen die
Nation darin ſuchte, daß ſie für einen Fall wie dieſer, im Be-
ſitz einer unbedingten Wahlfreiheit ſey, zu beleidigen: er
Ranke d. Geſch. II. 27
[418]Viertes Buch. Viertes Capitel.
ließ geſchehen, daß ſein Recht keineswegs als das Haupt-
motiv ſeiner Bewerbung erſchien. Den anfangs gehegten
Gedanken, den Königstitel auf der Stelle anzunehmen, ließ
er auf den Rath ſeiner Geſandtſchaft fahren. Er unter-
warf ſich der Forderung der Böhmen, einen Theil ihrer
Staatsſchuld zu übernehmen, ſo unbequem ihm das auch
bei dem gedrückten Zuſtand ſeiner Finanzen ſeyn mußte.
Auch verſchmähte er nicht, die Ausſtellungen, von denen
ſeine Geſandten ihm ſchrieben daß man ſie gegen ihn vor-
bringe, mit aller Sorgfalt abzulehnen. 1
Mit einem Worte: alle Maaßregeln wurden ſo gut
genommen, daß an dem Wahltag, obwohl der bairiſche
Agent noch bis auf den letzten Augenblick an dem Suc-
ceß ſeiner Unterhandlung gar nicht zweifelte, eine bei wei-
tem überwiegende Majorität in dem Ausſchuß der drei
Stände den Erzherzog Ferdinand zum Throne von Böh-
men berief. Es war am 23ſten October 1526. Eine
feierliche Geſandtſchaft gieng nach Wien, um denſelben zur
Beſitznahme ſeines neuen Königreichs, eines der ſchönſten
der Welt, welches noch Schleſien und die Lauſitzen um-
faßte, einzuladen.
Eine ſehr wichtige Frage, die eine noch genauere Er-
örterung verdiente, wäre wohl, welchen Einfluß hiebei die
religiöſen Verhältniſſe gehabt haben.
Alle Landſchaften der böhmiſchen Krone waren von
antirömiſchen Elementen erfüllt. In Schleſien und den
Lauſitzen war die evangeliſche Doctrin zu großer Ausbrei-
[419]Einwirkung der religioͤſen Verhaͤltniſſe.
tung gediehen: in Böhmen und Mähren bildeten die Utra-
quiſten eine überaus mächtige Gemeinſchaft. Läßt es ſich
denken daß man bei der Wahl eines Königs nicht auf
dieſe confeſſionellen Verhältniſſe Rückſicht genommen haben
ſollte?
Verglich man aber in dieſer Hinſicht die Bewerber,
wie weit war da Ferdinand einem Herzog von Baiern vorzu-
ziehen. Die Herzöge zeigten ſich als unbedingte Anhänger
des Papſtthums, als ſcharfe Religionsverfolger. Der Erz-
herzog dagegen, ſo katholiſch er ſich hielt, ſo viel Sorge
er auch trug daß er ſo erſchien, — wie es denn in allen
jenen Reichen auch eine noch immer ſehr bedeutende ka-
tholiſche Partei gab, — hatte doch ſeit einiger Zeit in ſei-
nen Erblanden wieder eine gemäßigte Stellung angenom-
men: wir ſahen, wie wenig er die weltlichen Rechte des
Clerus liebte, wie zweideutige Beſchlüſſe der deutſche Reichs-
tag unter ſeiner Vermittelung gefaßt hatte. Überdieß war
er in dieſem Momente in offenem Kriege mit dem Papſte:
die böhmiſche Wahl fällt in die Tage, in denen die Lands-
knechte Frundsbergs geworben wurden.
Wir finden nichts von den Verhandlungen welche
in dieſer Hinſicht gepflogen worden ſeyn mögen; aus den
Receſſen aber ergiebt ſich, daß ſich Ferdinand zu ſehr be-
merkenswerthen Conceſſionen herbeiließ.
Man weiß, daß der römiſche Hof die Compactaten
des Basler Conciliums — wie ſpäterhin ſo viele andre
ihm ungünſtige Verträge — niemals vollſtändig anerkannt,
ihre Beſtätigung ſeit Pius II ausdrücklich verweigert hatte.
Ferdinand gelobte jetzt, die Compactaten zu ihrer vollen
27*
[420]Viertes Buch. Viertes Capitel.
Gültigkeit zu bringen, 1 und hierüber mit dem Papſte un-
ter der Vorausſetzung zu verhandeln, als ob ſie beſtätigt
ſeyen. 2
Eine der größten Beſchwerden der Utraquiſten war,
daß es ihnen ſchon lange Jahre an Biſchöfen fehlte, um
ihre Prieſter zu weihen, und zu mancher ſeltſamen ja ver-
derblichen Auskunft hatten ſie ſich deshalb genöthigt ge-
ſehen. Ferdinand verſprach, ihnen einen Erzbiſchof zu ver-
ſchaffen, welcher die Compactaten in Beziehung auf Geiſt-
liche und Weltliche vollziehe.
Genug: er übernahm die Verpflichtung, die Anſprüche
der Utraquiſten nicht nur zu ſchützen, ſondern zu neuer
Anerkennung zu bringen.
Wohl mochte das dadurch erleichtert werden, daß ſich
in den Utraquiſten jetzt ſelbſt eine den Anhängern Luthers
entgegengeſetzte Partei regte, allein dieſem Gegenſatz zum
Trotz wurden ſie doch immer als Ketzer betrachtet.
Und auch der allgemeinen kirchlichen Irrungen ward
hiebei nicht ganz vergeſſen. Ferdinand verſprach den Böh-
men, auf eine chriſtliche Vereinigung und Reformation Be-
dacht zu nehmen: ein Verſprechen das wohl an ſich nach
beiden Seiten ausgelegt werden kann; aber doch, da darin
nur von der Theilnahme des Kaiſers, nicht des Papſtes,
nur von irgend einer Verſammlung, welche es auch ſey,
nicht von einem allgemeinen Concilium unter Theilnahme
[421]Einwirkung der religioͤſen Verhaͤltniſſe.
aller chriſtlichen Nationen die Rede iſt, 1 ſchwerlich in anderm
Sinne verſtanden wurde, als wie man es an den deutſchen
Reichstagen meinte.
Und noch unzweifelhafter, ohne alle Zweideutigkeit
drückten ſich die Schleſier aus.
Nachdem ſie auf einer Ständeverſammlung zu Leob-
ſchütz 4 Dez. 1526 das Erbrecht Ferdinands, wiewohl
nicht ohne den Schein einer gewiſſen Freiheit, anerkannt,
beauftragten ſie die Abgeordneten welche dieſe Botſchaft
nach Wien zu bringen übernahmen, bei der ein paar ſehr
entſchieden evangeliſche Fürſten waren, Friedrich von Lieg-
nitz und Georg von Brandenburg, bei dem neuen König
und oberſten Herzog die Beilegung der Religionsirrungen
in Anregung zu bringen „dem Evangelio und Worte Got-
tes gemäß.“ 2 So erſuchten denn auch die Abgeordneten
[422]Viertes Buch. Viertes Capitel.
den König, auf die Errichtung einer chriſtlichen Ordnung
eben nach Maaßgabe des Evangeliums Bedacht zu nehmen,
damit Alle in Liebe und Einigkeit unter einander leben.
Ferdinand erwiederte, er werde alles thun, was zu chriſtlicher
Einigkeit und dem Lobe des allmächtigen Gottes gereiche. 1
Der hergebrachten Meinung gegenüber ſieht es paradox
aus, aber im Angeſicht der allgemeinen Combination der
Ereigniſſe dürfen wir es ausſprechen, daß die politiſch-an-
tirömiſche, religiös gemäßigte Haltung, welche das Haus
Öſtreich in dieſem Zeitpunct eingenommen, dazu beitrug,
ihm den Gehorſam in dieſen Ländern zu verſchaffen, die
mit ſo mannichfaltigen Elementen der Oppoſition gegen
Rom erfüllt waren.
Wunderbares Verhängniß, wenn die ſchroff-romani-
ſtiſche Meinung, welche Baiern verfocht, gleich im erſten
Moment dazu mitgewirkt hat, ſeine Pläne nach Außen hin
zu hintertreiben.
Am Geburtstag ſeines Bruders, 24 Februar 1527,
ward Ferdinand in Prag gekrönt, am 11 Mai nahm er
auf dem Markte von Breslau die Huldigung ein: die deut-
ſchen Fürſten eilten herbei, die Lehen der böhmiſchen Krone
von dem neuen Lehnsherrn zu empfangen.
Ein moscowitiſcher Geſandter, der damals am Hofe
eintraf, bezeigte ſein Erſtaunen, daß ein ſo herrliches Reich
ohne Schwerdſchlag in die Hände eines neuen Herrn über-
gegangen war. 2
[423]Beſitznahme von Ungern.
Nicht ſo leicht noch friedlich jedoch entwickelte ſich
die Ungriſche Angelegenheit.
Eine gewiſſe Analogie in religiöſer Hinſicht bot auch
Ungern dar. Königin Maria, um welche ſich die öſtrei-
chiſche Partei ſammelte, galt für eine Freundin der neuen
Meinungen: ſie hielt die Faſten nicht, las lutheriſche Schrif-
ten, hatte Anhänger Luthers an ihrem Hof: im November
1526 widmete ihr Luther vier Pſalmen zum Troſt in ihrem
Unglück. Dagegen nahmen die Zapolyaner eine ſtreng alt-
gläubige Miene an: ſie ſetzten 1525 den Beſchluß durch,
daß alle Lutheraner ausgerottet, wo man ſie nur finde ver-
brannt werden ſollten: ihr Wortführer Verböcz galt bei
den Deutſchen als ein großer Gleißner: von ſeinem Hauſe
hatte er zu ununterbrochener Communication einen hölzer-
nen Gang nach dem nahen Barfüßerkloſter anbringen laſ-
ſen. 1 Von politiſchen Folgen dieſer entgegengeſetzten Stim-
mungen wird man jedoch in Ungern noch nicht viel inne.
Die Hinneigungen zu einer abweichenden Kirchenform wa-
ren noch zu zerſtreut zu geringfügig, um eine irgend merk-
liche Wirkung zu haben. Ferdinand, dem man es früher
zum Vorwurf gemacht, daß er ſeine Gemahlin mit lauter
Deutſchen umgeben, 2 welche alle Lutheraner ſeyen, ſuchte
ſeine katholiſche Reputation ſorgfältig zu behaupten. Den
[424]Viertes Buch. Viertes Capitel.
Charfreitag 1527 bezeichnete er damit, daß er ſeiner Schweſter
Vorſtellungen über ihre religiöſen Hinneigungen machte. 1
Am Frohnleichnamstag 1527 ſah man ihn in Wien in der
Proceſſion einhergehn: in königlichem Schmuck, mit dem
Schwert umgürtet, ſein Gebetbuch in der Hand: er ſah um
ſich her, ob auch jedermann dem Hochwürdigen noch die
gebührende Ehrfurcht beweiſe. Von Zeit zu Zeit ließ er Man-
date zur Aufrechthaltung der alten Gebräuche erſcheinen.
In Ungern kam es zur Zeit noch mehr auf die Über-
macht der Waffen an als auf die religiöſen Verhältniſſe.
Man könnte nicht ſagen, daß ſich die ganze Nation
in zwei entgegengeſetzte Parteien geſpalten hätte; ſondern
es hatten ſich in ihrer Mitte zwei politiſche Tendenzen ge-
bildet, die eine des Hofes und des Palatins, die andre
der Oppoſition und Zapolyas: nach der Niederlage ſtan-
den ſie einander eben ſo gegenüber wie vor derſelben: das
Übergewicht einer jeden hieng dann immer von der mo-
mentanen Beiſtimmung der größern Anzahl ab, die ſich we-
der der einen noch der andern entſchieden zugeſellt hatte.
Anfangs, als Zapolya in dem allgemeinen Ruin be-
waffnet und mächtig hervortrat, hatte er die unbeſtrittene
Oberhand. Die Hauptſtadt des Reiches rief ihn an, ſie
in ſeinen Schutz zu nehmen, dann zog er nach Stuhlwei-
ßenburg, wo ſeine Anhänger alle etwa Widerſtrebenden mit
ſich fortriſſen: 2 er ward gewählt und gekrönt (11 Nov.
[425]Beſitznahme von Ungern.
1526); auch in Croatien ward er auf einem Landtag an-
erkannt; er beſetzte alle die zahlreichen durch den Unfall
von Mohacz erledigten Stellen, geiſtliche und weltliche, mit
ſeinen Freunden. Wir gedachten der Unterhandlungen die
er nach allen Seiten hin anknüpfte. In Venedig und
Rom, in München und Conſtantinopel finden wir ſeine
Agenten. Er lächelte als man ihm einmal ein Schreiben
von Ferdinand zeigte, worin die Ungern zum Abfall von
ihm aufgefordert wurden: er meinte, nicht auf dieſe Weiſe
erobere man Königreiche.
Indeſſen in Kurzem entwickelte Ferdinand auch andre
Mittel.
So viel Haltung hatte die Partei des alten Hofes
doch noch, um auch für ihn, den Gemahl einer Jagello-
nin, für den ſo viel alte Verträge ſprachen, einen Reichs-
tag zu Stande zu bringen — zu Presburg, ebenfalls im
November 1526, wo er zum König gewählt ward. Ste-
phan Bathor, Alexius Thurzo, der Biſchof von Wesprim
machten ſich dabei beſonders verdient: wir haben ein Di-
plom von Ferdinand, worin er ſeine Anhänger nennt, ihnen
ſeinen Dank ausſpricht, und ihnen ſeine Hülfe, für die
Zukunft die beſten Stellen zuſichert. 1 Auch an Geldzah-
lungen ließ er es nicht fehlen: ſo ſchwer ſie ihm wurden,
ſo reichten ſie doch nicht hin, um den Unſtätigkeiten der
Magnaten ein Ende zu machen. Ferdinand ſah wohl ein,
[426]Viertes Buch. Viertes Capitel.
— er hatte Verſtand genug um ſich keine Illuſion darüber
zu machen — daß es vor allem auf die Übermacht in den
Waffen ankomme. Die Erwerbung der böhmiſchen Krone
trug dazu bei, daß er allmählig die nöthigen Kräfte dazu
erlangte. Wenn er zögerte, und die Unterhandlungen nicht
zurückwies, welche der König von Polen zu Olmütz ein-
leitete, ſo geſchah das — wir haben einen Brief übrig,
worin er es ausdrücklich ſagt — nur deshalb, weil er
Zeit gewinnen und ſich rüſten wollte. 1 Endlich war
er ſo weit.
Am 31ſten Juli 1527 langte Ferdinand auf der gro-
ßen Straße von Wien nach Ofen bei dem halbverfallenen
Thurm an, welcher die Mark zwiſchen Öſtreich und Un-
gern bezeichnet: der Palatin und ein paar hundert ungri-
ſche Reiter empfiengen ihn: er ſtieg ab, ſo wie er die un-
griſche Erde berührte, und beſchwur die Privilegien des
Reiches. Er hatte ein ſtattliches Heer ins Feld gebracht.
Die Bewilligungen ſeiner neuen Reiche hatten ihn in Stand
geſetzt ein treffliches Fußvolk zu werben; ſchon war Katzia-
ner voran: er zeichnete ſich dießmal durch die ſtrengſte
Mannszucht aus, zu der er auch die Böhmen anzuhalten
wußte; Rogendorf, der von Spanien wiedergekommen, und
die in Italien vielverſuchten Hauptleute, Marx Sittich
und Eck von Reiſchach hatten die geübteſten Landsknechte
herbeigeführt. Außerdem hatten ſich die neuen Lehnsleute
[427]Beſitznahme von Ungern.
des Königs, Caſimir von Brandenburg, Georg von Sach-
ſen und der alte Kriegsmann Erich von Braunſchweig be-
wegen laſſen, dem König mit einigen Geſchwadern deut-
ſcher Reiter zu Hülfe zu kommen. Caſimir, obwohl er
ſich fortwährend zu einer zwar gemäßigten, aber doch un-
zweifelhaft evangeliſchen Meinung bekannte, ward mit der
Oberanführung beauftragt. Nicolaus von Salm, den wir
in der Schlacht von Pavia, Johann Hilchen, den wir in
der Umgebung Sickingens kennen lernten, finden wir bei
dieſem Heer. Es zählte 8000 M. z. F., 3000 z. Pf.
Dem König rieth man anfangs, ſeine Perſon nicht zu ge-
fährden: damit es ihm nicht etwa gehe, wie ſo eben ſei-
nem Vorgänger; da er aber in dieſem Moment die Nach-
richt erhielt, daß ihm ein Sohn geboren worden, und die
Succeſſion dadurch feſtgeſtellt war, ſo ließ er ſich nicht
abhalten, dem Feldzug beizuwohnen. 1
Auch entwickelte ſich derſelbe nicht ſehr gefährlich. Die
erſten Feſtungen fielen ohne viel Widerſtand: Comorn,
Tata, Gran: das treffliche Geſchütz, die glühenden Kugeln
brachten die Beſatzungen in Verzweiflung. Unaufgehalten
rückten die Deutſchen vor. So wie ſich zeigte, daß Ferdinand
ſiegen dürfte, begann der Abfall unter den Anhängern Za-
polyas. Zuerſt gieng die Donauflotte über, was eben ſo
viel militäriſchen wie moraliſchen Einfluß hatte; dann trat
der Banus Batthyany, der ſeine Partei ſchon ein paar
Mal gewechſelt, zu Ferdinand zurück; Peter Pereny, den
[428]Viertes Buch. Viertes Capitel.
man als den erſten evangeliſchen Magnaten in Ungern an-
ſieht, Valentin Török, von dem man vermuthet, der Wunſch
im Beſitz einiger eingezogenen geiſtlichen Güter zu verblei-
ben, habe ihn dazu vermocht, erſchienen mit ſtattlichem Ge-
folge; 1 dem Beiſpiele der Großen folgten unzählige Ge-
ringere nach; Zapolya ſah, daß ſein Gegner der Stärkere
war: er wagte es nicht, ihm im Felde zu begegnen: er
getraute ſich auch nicht, die Hauptſtadt gegen ihn zu be-
haupten: er zog ſich nach ſeinem eigenthümlichen Gebiete
zurück. Am 20ſten Auguſt, dem Tag des h. Stephan,
hielt Ferdinand ſeinen Einzug in Ofen.
Während ſich die Stände des Reiches dort um ihn
ſammelten, verfolgten die deutſchen Reiter, unter Nicolaus
von Salm (Markgraf Caſimir ſtarb zu Ofen), den König-
Woiwoden die Theis hinauf. Niemals hatten die deut-
ſchen Truppen ſich wackerer gezeigt. 2 Sie hatten oft we-
der Fleiſch noch Brod, und mußten von den Früchten des
Herbſtes in den Gärten ſich ernähren: die Einwohner ſchwank-
[429]Beſitznahme von Ungern.
ten, — unterwarfen ſich und fielen dann wieder ab: die
Truppen Zapolyas, von der Kenntniß des Terrains unterſtützt,
machten ein paar Mal ſehr gefährliche nächtliche Überfälle;
aber die Deutſchen entfalteten in den gefährlichen Momen-
ten die Gewandtheit und Entſchloſſenheit einer altrömiſchen
Legion; auch übrigens zeigten ſie eine herrliche Ausdauer
in den Beſchwerden: ſie ſchlugen Zapolya bei Tokay aufs
Haupt und zwangen ihn Ungern zu verlaſſen. Darauf
hatten ſie auch die Ehre, den deutſchen Erzherzog nach
Stuhlweißenburg zu begleiten, in ihrem glänzenden Har-
niſch, die ſeidnen und zerſchnittenen Wappenröcke darüber.
Am 3ten November 1527 ward Ferdinand in Stuhlwei-
ßenburg gekrönt: von den Magnaten des Reiches hielten
nur noch fünf an Zapolya feſt. Der Sieg konnte voll-
kommen ſcheinen.
Sehr wohl aber fühlte Ferdinand, daß er das mit
nichten war. „Monſeigneur,“ ſchrieb er noch im Novem-
ber an ſeinen Bruder, „ich zweifle nicht, daß Euch die
Natur der Ungern, die Veränderlichkeit ihres Willens be-
kannt iſt. Sie müſſen von nahe bei in Zaum gehalten
werden, wenn man ihrer gewiß ſeyn will.“ 1 Nur mit
großer Bedenklichkeit entſchloß er ſich, Ungern in dieſem
Augenblick wieder zu verlaſſen.
Auch in Böhmen war er noch lange nicht ſicher. Seine
bairiſchen Nachbarn gaben die Hofnung nicht auf, ihn bei
der erſten Wendung der allgemeinen Angelegenheiten vom
Throne zu ſtoßen.
Und indeſſen rüſteten ſich die Osmanen, in der Mei-
[430]Viertes Buch. Viertes Capitel.
nung, jedes Land gehöre ihnen von Rechtswegen, wo das
Haupt ihres Herrn geruht, nach Ungern zurückzukehren,
ſey es um es für ſich ſelbſt zu behalten, oder auch um
es fürs Erſte, wie das immer ihre Sitte geweſen, einem
dortigen Oberhaupte, eben dem Zapolya der die Verbindung
mit ihnen eifrig ſuchte, als ihrem Lehnsmann zu überlaſſen.
Eine Lage der Dinge, bei der die wichtigſten Ver-
hältniſſe noch oft von der Entſcheidung des Schwertes
abhängen ſollten. Sich in der eingenommenen Stellung
zu behaupten hatte das Haus Öſtreich kein Mittel als die
Hülfe des Reiches, die es unaufhörlich in Anſpruch nehmen
mußte. An die Deutſchen kam jetzt die Vertheidigung der
Chriſtenheit gegen die Osmanen.
[[431]]
Fuͤnftes Capitel.
Gründung evangeliſcher Territorien.
So großartig entwickelten ſich in Bezug auf die aus-
wärtigen Verhältniſſe die Momente welche am Reichstag
zu Speier zuſammentrafen.
Zugleich aber entſprangen noch andre Folgen, in Be-
ziehung auf das Innere des Reichs und der Kirche, dar-
aus, welche, wie viel unſcheinbarer ſie auch auftraten, doch
in ſich ſelbſt und für die geſammte Zukunft ohne Zweifel
noch bedeutender waren. Auf den Grund des Reichsab-
ſchiedes unternahmen die evangeliſch-geſinnten Stände eine
neue kirchliche Einrichtung ihrer Landſchaften: ſie ſchritten
dazu, ſich von der weltumfaſſenden Hierarchie der lateini-
ſchen Kirche definitiv abzuſondern.
Wie es aber zu geſchehen pflegt, daß ſich bei dem
Beginne durchgreifender Änderungen zunächſt immer die
dem Beſtehenden am entſchiedenſten entgegengeſetzten Grund-
ſätze hervorheben, ſo ſtellte ſich auch hier das entfernteſte
Ziel dem Auge zuerſt dar: es machten ſich Ideen geltend,
welche der ſtrengen Monarchie des Papſtthums am mei-
ſten widerſprachen.
[432]Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Luther ſelbſt hatte wohl früher dahin gewirkt. Im
Jahr 1523 hatte er den Böhmen, welche in eine uner-
trägliche Verwirrung geriethen, weil ſie an der Nothwen-
digkeit der biſchöflichen Ordination feſthielten, den Rath
gegeben, ihre Pfarrer und Biſchöfe ohne Bedenken ſelbſt
zu wählen. „Mit Gebet möchten ſie ſich vorbereiten,“
ſagte er ihnen, „dann in Gottes Namen zuſammentreten
und zur Wahl ſchreiten. Die Angeſehenſten unter ihnen
möchten dem Erwählten getroſt die Hände auflegen; ſey
das in mehreren Gemeinden geſchehen, ſo ſtehe dann den
Pfarrern das Recht zu, ſich einen Obern zu wählen, der
ſie beſuche wie Petrus die erſten Chriſten-gemeinden.“ 1
Ideen dieſer Art waren in jenen Jahren wie in der
Schweiz ſo in Deutſchland ſehr populär und verbreitet.
Es findet ſich eine Gemeinde, die ſo unbedeutend ſie übri-
gens auch iſt, doch ihrem neu eintretenden Pfarrer erklärt,
er ſey nicht ihr Herr, ſondern ihr Knecht und Diener, ihm
vor allen Dingen verbietet, ſich gegen irgend einen Pfarrver-
wandten an den bisherigen Biſchof zu wenden, und ihn mit
Abſetzung bedroht, wofern er nicht bei dem einigen ewigen
Worte Gottes bleibe. 2 In ſich ſelbſt ſehen die Gemeinen
den
[433]Kirchliche Ideale.
den Urſprung der geiſtlichen Gewalt. Nur auf einer rein
demokratiſchen Grundlage wäre dann der Aufbau einer
neuen Kirche emporgeſtiegen.
In der That machte man jetzt in einem großen deut-
ſchen Fürſtenthum einen Verſuch dazu.
Nichts iſt merkwürdiger als der Beſchluß der Synode,
welche Landgraf Philipp im October 1526 mit den geiſt-
lichen und weltlichen Ständen ſeines Landes zu Homberg
hielt. Die Einwendung des Franciscaner-Guardians von
Marburg, daß auf einer ſo kleinen Verſammlung nicht über
Angelegenheiten entſchieden werden könne, welche vor ein
allgemeines Concilium gehören, war leicht beſeitigt, da
eben auf dem Reichstag die Unmöglichkeit ein ſolches ab-
zuwarten, anerkannt worden war. Dagegen drang Franz
Lambert mit dem entgegengeſetzten Grundſatz durch, daß
alle Chriſten des Prieſterthums theilhaftig ſeyen, die wahre
Kirche nur in ihrer Gemeinſchaft beſtehe, und dieſe Kirche
nach dem Worte Gottes über die Glaubensſachen zu ent-
ſcheiden habe. 1 Man faßte die Idee, eine Kirche zu con-
ſtituiren welche aus lauter Gläubigen beſtehe. Man ſtellte
dazu folgenden Entwurf auf. 2
Ranke d. Geſch. II. 28
[434]Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Nachdem eine Zeitlang gepredigt worden, ſoll eine
Verſammlung gehalten, und Jedermann gefragt werden, ob
er ſich den Geſetzen zu unterwerfen geſonnen ſey oder nicht.
Die welche ſich weigern, gehen hinaus und werden als Hei-
den betrachtet. Die aber welche in der Zahl der Heiligen
ſeyn wollen werden aufgeſchrieben; ſie laſſen es ſich nicht
kümmern, wenn ihrer anfangs nur wenige ſind, denn Gott
wird ſchon ihre Anzahl vermehren, ſie ſind es welche die Ge-
meine ausmachen. In ihren Verſammlungen werden nun
vor allem die geiſtlichen Vorſteher gewählt, die man hier
ſchlechthin Biſchöfe nennt. Man kann dazu tadelloſe und
unterrichtete Bürger von jeder Profeſſion wählen, doch nur
auf ſo lange nimmt man ſie an, als ſie das reine Got-
tes Wort verkündigen. Jede Gemeinde hat einige Mit-
glieder welche den Dienſt der Armen beſorgen, eine ge-
meinſchaftliche Caſſe, zu der Alle beitragen, aus der die
Armen, auch die um des Evangeliums willen Verjagten
unterſtützt werden; beſonders wohnt einer jeden das Recht
der Excommunication bei. Die Verbrechen werden genannt,
welche dieſe Strafe nach ſich ziehen; nur nach eingeſtandner
und bereuter Miſſethat kann die Abſolution erfolgen. Wir
ſehen, mit der Unabhängigkeit der gläubigen Gemeinden
iſt zugleich die ſtrengſte Kirchenzucht verbunden; ein tie-
fer Ernſt heiligt die Anſprüche die man macht. Alle Jahr
ſollen ſich die Kirchen, durch Biſchöfe und Abgeordnete
aus der Gemeinde repräſentirt, zu einer Generalſynode ver-
2
[435]Kirchliche Ideale.
ſammeln, wo alle Klagen zu erledigen, alle Zweifel aus-
zumachen ſind. Es wird ein Ausſchuß von Dreizehn ge-
wählt, der die Sachen vorbereiten und ſie der Verſamm-
lung zur Entſcheidung nach dem Worte Gottes vorlegen ſoll.
Von der Generalſynode, deren Zuſammenkunft man immer
auf den dritten Sonntag nach Oſtern feſtſetzt, werden drei
Viſitatoren gewählt, welche den Zuſtand jeder einzelnen
Kirche zu unterſuchen haben.
Es iſt ſehr bemerkenswerth, daß ein Ausländer es
war, ein Franzoſe, von Avignon, welcher jedoch von Zwingli
bekehrt, in Luthers Schule von der evangeliſchen Lehre
durchdrungen worden, — der dieſe Ideen ſo weit ausbil-
dete. Es ſind dieſelben, auf welche die franzöſiſche, ſchot-
tiſche und amerikaniſche Kirche ſpäterhin gegründet wor-
den: von denen man wohl ſagen kann, daß das Daſeyn,
die Entwickelung von Nordamerika auf ihnen beruht. Sie
haben eine unermeßliche welthiſtoriſche Wichtigkeit. Gleich
bei dem erſten Verſuche traten ſie auf: eine kleine deutſche
Synode nahm ſie an.
Eine andre Frage aber war es, ob ſie in Deutſch-
land und zwar damals auszuführen ſeyn würden.
Wenigſtens Luther war ſchon wieder davon zurückge-
kommen.
Einmal er hätte dabei faſt unüberwindliche Schwie-
rigkeiten gefunden. Bei ſeinem ganzen Unternehmen war
ihm der Wunſch des höhern weltlichen Standes, ſich von
dem Druck der unmittelbaren geiſtlichen Aufſicht zu eman-
cipiren, zu Statten gekommen: die Menſchen wollten ſich
einen gleichen Zwang unter anderer Form nicht wieder
28*
[436]Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.
auflegen laſſen. Ferner fand Luther, er habe keine Leute
zu einer Einrichtung dieſer Art. Er war oft über die un-
gelehrige Hartnäckigkeit der Bauern, welche nicht einmal
dahin zu bringen ſeyen ihre Geiſtlichen zu ernähren, höch-
lich entrüſtet; er meinte, mit den Ordnungen der Kirche
verhalte es ſich noch als wenn ſie unter Türken und Hei-
den auf einem freien Platz ausgeübt werden ſollten: der
größte Theil ſtehe und gaffe, als ſehe er etwas Neues. 1
Endlich die ganze Lage der Dinge war dazu nicht ange-
than. Wenn jene Ideen die wir als kirchlich demokratiſch
bezeichnen können, ſpäter wirklich in andern Ländern zur
Herrſchaft gelangten, ſo geſchah das auch deshalb, weil
die neue Kirche ſich in Widerſpruch mit den Staatsgewal-
ten feſtſetzte: ſie bildete ſich wirklich von unten her, ſie
hatte einen demokratiſchen Urſprung. Durchaus anders aber
war es in Deutſchland. Die neuen Kirchen wurden unter
dem Schutz, dem unmittelbarſten Einfluß der zunächſt re-
gierenden Gewalten gegründet. Es iſt natürlich, daß davon
auch ihre Geſtaltung beſtimmt ward.
Denn nicht in völliger Unbedingtheit treten die Ideen
in der Welt ein. Der Moment ihres Hervortretens be-
herrſcht ihr Daſeyn auf immer: ſo leben ſie fort, wie ſie
zum Leben gelangten.
Es iſt wohl der Mühe werth, an der Stelle wo wir
angekommen, wo wir nun die Gründung der evangeliſchen
Kirche näher zu betrachten haben, die Umſtände zuſammen-
faſſend uns zu vergegenwärtigen unter denen ſie geſchah.
Wir werden die Rechtmäßigkeit des dabei eingeſchlagenen
[437]Prinzip des evangeliſchen Kirchenrechts.
Verfahrens danach näher würdigen: aus der Geſchichte wird
ſich, wenn ich mich nicht irre, das Prinzip des evangeliſchen
Kirchenrechts, auf welches alles gebaut worden iſt, ergeben.
Erwägen wir dann vor allem, daß es innere kirchliche
Irrungen waren, von welchen die Bewegung herkam, daß
der Abfall innerhalb der eigentlich kirchlichen Kreiſe ge-
ſchah. Eine Univerſität mit ihren Zöglingen machte den
Anfang: die niedere Geiſtlichkeit in einem großen Theile
von Deutſchland folgte nach; ſie waren es, welche die
Überzeugungen aller Stände, der geringſten wie der vor-
nehmſten, umwandelten, mit ſich fortriſſen. Der bisherige
Cultus fiel an unzähligen Stellen ganz von ſelbſt.
Es wäre zunächſt die Sache der geiſtlichen Gewalt
geweſen, dieſe Bewegung zu erdrücken: allein ſie vermochte
es nicht. Die Bulle des Papſtes ward nicht ausgeführt.
Den Anordnungen der Biſchöfe lieh man in einem Theile
des Reiches von weltlicher Seite den Arm nicht mehr.
Die neuen Überzeugungen waren in einer Anzahl von
Reichsfürſten ſo ſtark geworden, daß ſie ſich nicht dazu
verpflichtet achteten.
Die kirchliche Gewalt hatte ſich deshalb an die kai-
ſerliche gewendet: ein Edict zu ihren Gunſten war ergan-
gen: allein wie deſſen Urſprung nicht in einem großen Ge-
fühl der allgemeinen Nothwendigkeit, ſondern in einſeitigen
politiſchen Rückſichten lag, ſo hatte man gar bald unmög-
lich gefunden es auszuführen. Nach alle dem Hin und
Widerfluthen der religiöſen Bewegungen hatte man ſich
endlich am Reichstag entſchloſſen, es zwar nicht zu wider-
rufen, aber doch in eines Jeden eignes Ermeſſen zu ſtel-
len, ob er es ausführen wolle oder nicht.
[438]Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Was ſollte nun unter dieſen Umſtänden in den von
den Reformationsideen ergriffenen Gebieten geſchehen? Soll-
ten die Fürſten eine Autorität wiederherſtellen, mit der ſie
unaufhörlich in bittern Zwiſtigkeiten gelegen, die einen all-
gemeinen nationalen Widerwillen gegen ſich erweckt hatte,
und deren Amtsführung ſie ſogar für unchriſtlich hielten?
Der Reichsabſchied befahl ihnen das nicht. Es iſt darin
davon die Rede, daß Niemand ſeiner Güter und ſeines Ein-
kommens zu berauben ſey: der Herſtellung der geiſtlichen
Jurisdiction hatte man abſichtlich nicht gedacht. Oder
ſollten ſie warten, bis einmal ein Concilium zuſammenträte
und Ordnung machte? Es war nicht abzuſehen, wann das
geſchehen würde: der Reichstag ſelbſt hatte es unmöglich
gefunden. Man durfte die Dinge nicht ihren innern Trie-
ben oder dem Zufall überlaſſen. Sollte nicht eine wilde
Anarchie erfolgen, ſo mußten die beſtehenden rechtmäßigen
Gewalten dazu ſchreiten, Ordnungen zu treffen.
Fragen wir was die deutſchen Fürſten dazu berech-
tigte, ſo läßt ſich ihnen wohl nicht eine Art biſchöflicher Ge-
walt zuſchreiben, wenigſtens im Anfang nicht. Eben bei
dieſer Gelegenheit erklärt Luther ausdrücklich, „der weltli-
chen Obrigkeit ſey nicht befohlen geiſtlich zu regieren.“
Eher ließe ſich eine andere Meinung die man aufgeſtellt
hat, vertheidigen, daß nemlich die factiſch bereits beſtehende
Kirche den Landesherrn das Amt der Oberaufſicht aufge-
tragen habe; Luther, der alle dieſe Dinge bei ſich über-
legte und nichts ohne vollkommene Sicherheit thun wollte,
ſprach jedoch nur davon, daß man die Fürſten erſuchte
ſich aus Liebe und um Gottes willen dieſer Sache anzu-
[439]Prinzip des evangeliſchen Kirchenrechts.
nehmen. Die neue Kirche war noch nicht conſtituirt;
daß ſie ein Recht übertragen dürfe, traute ſie ſich ohne
Zweifel ſelbſt nicht zu.
Das eigentliche Recht leitet ſich, wenn ich nicht irre,
aus einem andern Urſprung her.
Sollte wohl Jemand dem Reich die Befugniß ab-
ſprechen, in der Verwirrung in die man gerathen war,
auf einer regelmäßigen Zuſammenkunft, wie die zu Speier
beabſichtigte, Anordnungen auch über die kirchlichen An-
gelegenheiten feſtzuſetzen? Es iſt wahr: man hat ſchon
damals von mehr als Einer Seite allerlei Bedenken dage-
gen vorgebracht: die ſpätere Zeit hat dieſelben jedoch ge-
hoben. Wir müßten ſonſt an der Rechtsbeſtändigkeit des
Religionsfriedens ſo wie des weſtphäliſchen Friedens zwei-
feln, welche doch beide von der päpſtlichen Gewalt niemals
anerkannt worden ſind.
Auch hat man in Deutſchland nie an der Gültigkeit
der Reichsabſchiede von 1523 und 1524 gezweifelt, welche
für die religiöſen Angelegenheiten ſo wichtig waren.
Was hätte daraus hervorgehn müſſen, wenn die Reichs-
verſammlung auf dieſem Wege fortſchreitend ſich ihres Rech-
tes bedient und eine Reform für alle Stände angeordnet
hätte: die großartigſte Umgeſtaltung würde erfolgt ſeyn.
Allein die Reichsverſammlung konnte ſich nicht ſo weit
vereinigen. Sie gab aber darum ihre Befugniß nicht auf:
wie ſie denn ſpäter darauf zurückgekommen iſt. Damals
fand ſie es angemeſſen, — und das iſt der Moment von
dem alles ausgeht, — die Ausübung ihres Rechtes den Ter-
ritorial-gewalten anheim zu ſtellen.
[440]Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Denn was Anders heißt es, wenn ſie es den Für-
ſten überläßt, über die Befolgung oder Nichtbefolgung des
Wormſer Edicts ſich mit ihren Unterthanen zu vereinigen.
Darin lag die Nothwendigkeit durchgreifender und umfaſ-
ſender Maaßregeln. 1 Was die Reichsverſammlung ſelber
auszuführen nicht einmüthig noch entſchloſſen genug war,
das überließ ſie den einzelnen Ständen.
So verſtand es Landgraf Philipp, wenn er ſeine „Un-
terthanen geiſtlichen und weltlichen Standes“ nach Hom-
berg zu kommen einlud, um ſich „mit ihnen in Sachen
den heiligen Glauben belangend zu vergleichen.“ Darauf
gründet ſich Markgraf Caſimir von Brandenburg, wenn er
als ein Gottliebender und kaiſerlicher Maj. gehorſamer Fürſt
wie er ſagt, mit den Abgeordneten ſeiner Landſchaft eine
Einrichtung trifft, die bei aller Zurückhaltung doch einen
unzweifelhaft evangeliſchen Inhalt hat. Wir beſitzen eine
kleine Schrift aus jener Zeit, in der man aus den Wor-
ten des Reichsabſchiedes nicht allein die Befugniß, ſon-
dern die Pflicht der Fürſten herleitet, Anordnungen nach
Maaßgabe des göttlichen Wortes zu treffen, über das ge-
ſammte chriſtliche Leben und Weſen, denn dieß zu umfaſſen
[441]Prinzip des evangeliſchen Kirchenrechts.
ſey doch auch der Sinn des Edictes. 1 Daran ſtreift
auch Luther, indem er an Kaiſer Conſtantin erinnert, der
bei den arianiſchen Irrungen ſich bewogen gefunden, we-
nigſtens durch Berufung eines Conciliums einzuſchreiten,
um weitern Unordnungen vorzubeugen.
Mit Einem Worte: es war das unbeſtreitbare Recht
der höchſten Gewalt, bei dem Überhandnehmen kirchlicher
Entzweiungen eine Auskunft zu treffen, es war das den
einzelnen Ständen anheimgeſtellte Recht des Reiches, kraft
deſſen die evangeliſchen Fürſten dazu ſchritten die Reform
in ihren Gebieten durchzuführen.
Da konnten nun jene demokratiſchen Ideen ſich nicht
geltend machen: dahin führte die Thatſache nicht, die
Kirche conſtituirte ſich nicht von unten her. Jene Gemein-
ſchaft von Wahrhaft-gläubigen, entſprechend der Idee der
unſichtbaren Kirche, der das Recht, ſich ſelbſt Geſetze zu
geben, hätte überlaſſen werden können, war eben nicht
vorhanden. Luther fuhr fort die Kirche als eine göttliche,
von allen weltlichen Mächten feſtzuhaltende Inſtitution zu
betrachten, jedoch nicht mehr wie bisher, um das Myſte-
rium darzuſtellen, ſondern vor allem zur Unterweiſung des
Volkes, „als eine öffentliche Reizung,“ wie er ſich aus-
drückt, „zum Glauben und Chriſtenthume.“ Indem er
Wehe über die Biſchöfe ruft, welche das Volk ſo roh da-
hingehen laſſen, daß es weder das Vater unſer noch die
[442]Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.
zehn Gebote gelernt, von dem chriſtlichen Glauben nichts
erfahren habe, bekämpft er zugleich die Vorſtellungen eini-
ger Evangeliſchen, welche nun wohl glaubten, bei der Leich-
tigkeit literariſcher Belehrung, der Pfarrer ganz entbehren
zu können; die Kirche iſt ihm eine lebendige göttliche In-
ſtitution, zur Befeſtigung und Ausbreitung des Evange-
liums durch Verwaltung der Sacramente und Predigt;
ſein Sinn iſt, die Lehre der Schrift den Menſchen, wie
er ſagt, ins Herz zu treiben, gegenwärtige und künftige
Generationen damit zu erfüllen.
Dieſe Ideen walteten bei den kirchlichen Einrichtun-
gen des ſächſiſchen Gebietes vor.
Der Churfürſt hatte einige Viſitatoren ernannt, um
den Zuſtand der einzelnen Gemeinden in Hinſicht auf Lehre
und Leben zu prüfen. In ihrem Namen ergieng ein Un-
terricht an die Pfarrer, welchen Melanchthon ausgearbei-
tet hat und Luther billigte, ja ſelbſt herausgab, der nun
höchſt merkwürdig iſt.
Darin tritt die Oppoſition gegen das Papſtthum, ſo
lebhaft auch ſonſt der Kampf noch war den man mit
ihm beſtand, ſchon ſehr in den Hintergrund: man beſchied
ſich, daß er auf die Kanzel vor das Volk nicht gehöre:
man ermahnte die Prediger, auf Papſt und Biſchöfe, von
denen keiner ſie vernehme, auch nicht zu ſchelten; man
faßte nur das Bedürfniß der Menge, die Pflanzung der
evangeliſchen Lehre in dem gemeinen Mann ins Auge. Man
gieng hiebei mit der größten Schonung des Herkömmlichen
zu Werke. Man fand es nicht nothwendig, die lateini-
ſchen Meſſen geradehin zu verbieten: man glaubte ſelbſt,
[443]Saͤchſiſche Viſitation.
die Mittheilung des Sacraments unter Einer Geſtalt ge-
ſtatten zu können, wo ſich Jemand aus Gewiſſensſcrupeln
noch nicht von dem alten Ritus losſagen wolle; obgleich
man den Zwang der Ohrenbeichte verwarf, da ſie nicht
in göttlichen Schriften gegründet ſey, erklärte man es doch
für heilſam, daß ein Jeder die Sünden beichte von denen
er ſich beſchwert fühle, worin er Rath zu bedürfen glaube;
man ſchaffte nicht einmal alle Feſte der Heiligen ab, ſchon
genug, wenn man nur dieſelben nicht anrufe, auch nicht
um ihre Fürbitte. Die Idee, die wir ſchon öfter wahr-
genommen, daß man nur die unbedingte religiöſe Bedeu-
tung, die allein ſeligmachende Kraft der in den letzten Jahr-
hunderten entwickelten Formationen verwarf, aber übrigens
keineswegs den geiſtigen Grund und Boden der lateiniſchen
Kirche verließ, ſtellt ſich hier noch einmal ſehr deutlich dar.
Man ſuchte ſich nur des Zwanges der tauſendfältigen Tra-
ditionen, der hierarchiſchen Anmaaßungen zu entledigen, und
den reinen Inhalt der h. Schrift, der Offenbarung wieder-
zugewinnen. 1 Was damit irgend beſtehen konnte behielt
man bei. Man trug Sorge, die Gemüther der gemeinen
Leute nicht mit den ſchwierigen controverſen Lehren, na-
mentlich über die guten Werke und den freien Willen, zu
verwirren. Nicht daß man im Mindeſten von den ein-
mal gewonnenen Überzeugungen abgewichen wäre, von der
[444]Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Grundlehre der Rechtfertigung durch den Glauben, von
der Bekämpfung des Irrthums ſein Heil in der Beobach-
tung menſchlicher Anordnungen, z. B. der Faſten, der
ſieben Gezeiten zu ſuchen: man wiederholte dieſe Sätze viel-
mehr ſo präcis wie möglich: aber man forderte zugleich
Buße Reue und Leid, Vermeidung der Vergehungen, from-
mes Leben. Denn das ſtehe allerdings in des Menſchen
Gewalt, das Böſe zu fliehen, das Gute zu wählen: die
Unkraft des freien Willens ſey nur, daß er das Herz
nicht reinigen, keine göttlichen Gaben hervorbringen könne:
dieſe müſſe man allein bei Gott ſuchen. 1 Man hat ſich
das Ziel geſetzt, die Menſchen zu innerlicher Religion,
Glauben und Liebe, unſchuldigem Wandel, Ehrbarkeit und
Ordnung anzuleiten. Weit gefehlt, daß man von dem äch-
ten Chriſtenthum auf irgend einer Stelle abwiche, ſetzt man
vielmehr ſein Verdienſt darin, die Gemüther tiefer und tie-
fer mit den Prinzipien deſſelben zu durchdringen. Darin
ſucht Luther ſeinen vornehmſten Ruhm, daß er die Grund-
ſätze des Evangeliums auf das gemeine Leben anwendet.
Vor allem hat er ſich angelegen ſeyn laſſen, von dem re-
ligiöſen Standpunct aus die verſchiednen Stände über ihre
Pflicht zu unterweiſen: die weltliche Obrigkeit und ihre Un-
terthanen, die Hausväter und die Glieder der Familie. Er
entwickelt ein unvergleichliches Talent populärer Belehrung.
Er weiſt die Pfarrer an, wie ſie zum Heile des gemeinen
Mannes predigen, die Schullehrer, wie ſie die Jugend in
ihren verſchiednen Stufen unterrichten, Wiſſenſchaft und
[445]Saͤchſiſche Viſitation.
Religion verbinden, nichts übertreiben, die Hausherrn, wie
ſie ihr Geſinde zur Gottesfurcht anhalten ſollen; er ſchreibt
einem jeden Sprüche ſeines Wohlverhaltens vor, den Pfar-
rern und den Gemeinen, Männern und Frauen, Ältern
und Kindern, Knechten und Mägden, Jung und Alt: er
zeigt ihnen eine Formel des Benedicite und des Gratias
bei Tiſche, des Morgen und des Abendſegens an. Er iſt
der Patriarch der häuslichen, mit Andacht durchdrungnen
ſtrengen Zucht und Sitte des norddeutſchen Hausweſens.
Wie unzählige Millionen Male hat ſein herzliches Das
walt Gott den im dumpfen Treiben des Werkeltags da-
hin lebenden Bürger und Bauersmann ſeiner Beziehung zu
dem Ewigen wieder erinnert! Der Katechismus, den er
im Jahr 1529 herausgab, von dem er ſagt, er bete ihn
ſelbſt, ſo ein alter Doctor er auch ſey, iſt eben ſo kindlich
wie tiefſinnig, ſo faßlich wie unergründlich, einfach und
erhaben. Glückſelig wer ſeine Seele damit nährte, wer
daran feſthält! Er beſitzt einen unvergänglichen Troſt in
jedem Momente: nur hinter einer leichten Hülle den Kern
der Wahrheit, der dem Weiſeſten der Weiſen genug thut.
Um aber dieſer Tendenz der populären Unterweiſung,
dem geſammten Predigerweſen, das an die Stelle des Prie-
ſterthums trat, ein feſtes Beſtehen zu ſichern, war zunächſt
eine äußerliche Begründung der Kirchen nothwendig.
Da dürfen wir nun nicht vergeſſen, daß die geiſtli-
chen Güter von allen Seiten gefährdet wurden. Wir ha-
ben berührt, wie man zuerſt von der ſtreng katholiſchen
Seite Klöſter aufzuheben anfieng, welche Anſprüche die öſt-
reichiſche Regierung an die Verwaltung der Weltlichkeit
[446]Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.
biſchöflicher Gebiete machte: täglich traten dieſe Vergewalti-
gungen ſchroffer heraus; Luther meint, die papiſtiſchen Jun-
ker ſeyen in dieſer Hinſicht faſt lutheriſcher als die Luthe-
riſchen ſelbſt: er glaubt ſich über die Maaßregeln des
Churfürſten von Mainz gegen ſeine Klöſter in Halle be-
klagen zu müſſen; 1 auch Landgraf Philipp bemerkt, man
fange an ſich um die Kloſtergüter zu reißen: ein Jeder
ſtrecke ſeine Hand danach aus, wer auch ſonſt nicht evan-
geliſch heißen wolle. 2 Es war das aber nicht allein eine
deutſche, ſondern eine europäiſche Tendenz. In den zwei
Jahren 1524 und 25 hat Cardinal Wolſey in England
mehr als 20 Klöſter und Convente aufgehoben, um das neue
Collegium, durch das er ſeinen Namen in Oxfort unſterb-
lich machte, damit auszuſtatten. 3 Man muß ſich die all-
gemeine Stimmung vergegenwärtigen, die ſich mit dieſen
Beſtrebungen verband, um die Schritte zu beurtheilen, welche
in den evangeliſchen Gebieten geſchahen. In Sachſen hatte
ſich eine große Anzahl von Klöſtern von ſelbſt aufgelöſt:
die Mönche waren auseinandergegangen: ſchon ſtreckten die
benachbarten Edelleute ihre Arme nach den vacanten Gü-
tern und Gebäuden aus. Die Meinung Luthers war nicht
das zuzulaſſen. Er urtheilte, wie die Güter urſprünglich
zum Gottesdienſt beſtimmt worden, ſo müſſe es ihre Ver-
[447]Saͤchſiſche Viſitation.
wendung auch in Zukunft bleiben. Er forderte vor allem,
daß die Pfarren im Lande, die ohnehin ſehr kärglich dotirt
waren, und nach dem Wegfall ſo vieler Accidenzien ſich
gar nicht mehr behaupten konnten, mit den erledigten Pfrün-
den verbeſſert würden. Was dann noch übrig bleibe, möge
den Armen zu Gute kommen, oder zur Landesnothdurft ge-
braucht werden. Nur der höchſten Gewalt, wie er ſich
ausdrückt, „dem oberſten Haupt,“ ſchrieb er das Recht,
zugleich aber auch die Pflicht zu, dieſe Dinge zu ordnen
„nachdem der päpſtliche Zwang im Lande erloſchen.“ Er
drang einſt in die Gemächer ſeines Churfürſten, um ihm
die Pflicht vorzuhalten, die Güter vor dem Um-ſich-greifen
des Adels zu ſchützen. 1
Jene Viſitatoren empfiengen nun den Auftrag, die
neuen Einrichtungen nach dieſen Geſichtspuncten anzuord-
nen. Wir müſſen anerkennen, daß ſie dabei mit großer
Mäßigung verfuhren. Die Stifter, deren Mitglieder evan-
geliſch geworden, z. B. in Eiſenach und Gotha, blieben un-
angetaſtet. In Heusdorf und Weimar duldete man Klo-
ſterfrauen die an den alten Cerimonien feſthielten. Die
Franciscanerconvente in Altenburg und Saalfeld, welche
eine ſehr lebhafte Oppoſition machten, blieben doch beſte-
hen: ſie wurden ermahnt, und wie der urkundliche Bericht
ſich ausdrückt, „Gott befohlen.“ 2 Von eigentlicher Auf-
hebung noch beſtehender Inſtitute iſt hier überhaupt, ſo
viel ich finde, nicht die Rede. Man disponirt nur über
[448]Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.
die Güter der bereits vacant gewordenen Pfründen: mit
dieſen ſtattet man Pfarren und Schulen etwas beſſer aus:
die Stiftungen, welche noch im Weſen ſind, nöthigt man
zu Beiträgen zu demſelben Zwecke. Von den Präla-
ten waren Einige, z. B. der Abt von Boſau, dazu ſehr
willig: Andre mußten ernſtlich angehalten werden. Statt
dieß Verfahren der Gewaltſamkeit anzuklagen, möchte man
wünſchen, daß es ſogleich entſchiedner geweſen, mehr im
Ganzen und Großen angegriffen worden wäre. Bei der
Friſche und Macht des religiöſen Antriebes würde es zu
viel umfaſſendern bedeutendern Inſtituten gekommen ſeyn,
als ſpäter zu Stande gebracht werden konnten. Und um wie
weit großartiger, wie geſagt, hätte alles werden müſſen, wenn
das Reich ſelbſt die Leitung der Umwandlung hätte über-
nehmen wollen! Wie die Sachen jetzt ſtanden, mußte man
ſich begnügen, es nur zu einem leidlichen Zuſtand zu brin-
gen, in welchem die neue Kirche eben beſtehen konnte.
Nichts deſto minder ſchloſſen auch dieſe Feſtſetzungen
einen Keim der großartigſten Entwickelung in ſich ein.
In der Mitte der ſo weſentlich hierarchiſchen lateini-
ſchen Chriſtenheit bildete ſich, ohne daß man zu einem
gewaltſamen Umſturz geſchritten, oder von den tiefern hi-
ſtoriſch gegebnen Grundlagen abgewichen wäre, eine neue
Form des Lebens in Staat und Kirche aus, frei von aller
Hierarchie. Wenn in Baiern ein Bund zwiſchen der Für-
ſtenmacht, der Univerſität und dem Papſtthum geſchloſſen
ward, durch welchen die regelmäßigen hierarchiſchen Ge-
walten beaufſichtigt und beherrſcht wurden, ſo bildete ſich
hier eine Vereinigung zwiſchen dem Fürſten, der Univerſität
und
[449]Saͤchſiſche Viſitation.
und der niedern Geiſtlichkeit, welche die biſchöfliche Juris-
diction gradezu ausſchloß. Die niedere Geiſtlichkeit ge-
langte zu einer großen Selbſtändigkeit. Durch die Super-
intendenten, welche der Fürſt aus ihrer Mitte ernannte,
und denen einige biſchöfliche Befugniſſe übertragen wurden,
regierte ſie ſich gleichſam ſelbſt. Indem ſie dann den Cö-
libat verließ, ward ihr ein neuer Einfluß auf die Fortbil-
dung der Nation zu Theil. Der Stand der verheirathe-
ten Pfarrer wurde eine Pflanzſchule für Gelehrſamkeit
und Staatsbeamte, der Kern für einen gebildeten Mittel-
ſtand; durch die ſorgfältigere Erziehung, welche die Ruhe
des Landlebens möglich macht, und zu der die geiſtliche
Würde noch beſonders auffordert, iſt es geſchehen, daß
die ausgezeichnetſten Männer aus ſeiner Mitte hervorge-
gangen ſind. Daß die Klöſter verfielen und ihre Mitglie-
der dem bürgerlichen Leben zurückgegeben wurden, führte
allmählig zu einem ſehr bemerkbaren Steigen der Bevöl-
kerung. Juſtus Möſer hat im Jahr 1750 berechnet, daß
10 bis 15 Millionen Menſchen in allen Ländern und Erd-
theilen Luthern und ſeinem Beiſpiele das Daſeyn verdan-
ken: „man ſollte ihm eine Statue ſetzen, als dem Erhalter
des menſchlichen Geſchlechtes.“ 1
Deutſchen Zuſtänden nun und den innern Trieben des
Ereigniſſes entſprachen Einrichtungen dieſer Art bei wei-
tem beſſer, als die in Homberg gefaßten für die Lage der
Dinge zu kühnen Ideen. Wie der Unterricht der ſächſiſchen
Viſitatoren gleich im J. 1528 auch in Heſſen angenommen
Ranke d. Geſch. II. 29
[450]Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.
ward, ſo giengen die ſächſiſchen Anordnungen ſehr bald
dahin über: ſchon 1531 ernannte Landgraf Philipp ſechs
Superintendenten. 1 Nur in Hinſicht der geiſtlichen Güter
waren die Maaßregeln die man in Heſſen traf mehr aus
Einem Stücke. Landgraf Philipp war noch in dem erſten
Feuer religiös patriotiſcher Ideen: „ich will den Heſſen hel-
fen“ ruft er einmal begeiſtert aus; doch verbarg er ſich da-
bei die Gefahr nicht, „von dem Fleiſche übermannt, von
der rechten Bahn abgeführt zu werden;“ er faßte die Ab-
ſicht, die Klöſter einer von Fürſt und Ständen zugleich ab-
hängigen Verwaltung zu unterwerfen, ſowohl Die welche darin
bleiben, als Die welche herausgehn würden, zu verſorgen, und
den Überſchuß zu den allgemeinen beſonders den geiſtlichen
Bedürfniſſen zu verwenden: er ſelbſt wollte das Recht nicht
haben, ohne den Willen der Landſchaft zu dieſer Caſſe zu ge-
langen. 2 Die landſchaftlichen Intereſſen traten hier in beſon-
derer Stärke hervor. Als Grund zur Einziehung der Kloſter-
güter gab man an, daß vielleicht nur der vierte Theil der
Mönche und Nonnen Landſaſſen, alle andern Ausländer,
daß deshalb die Güter ohne Nutzen für das Land ſeyen.
Einige Klöſter ließ man beſtehen, weil ſie ſich zum evan-
geliſchen Glauben bekannten; aber bei weitem die meiſten
giengen ein: die einen, weil ſie auf Almoſen geſtiftet wa-
ren, die Niemand mehr zahlen wollte, die andern weil die
Mitglieder heraustraten, entweder aus chriſtlicher Beweg-
[451]Reformation in Heſſen.
niß, wie ſie ſich ausdrücken, aus ehrbarlichem Bedenken,
oder auch weil ihre Gelegenheit ſich ſo zutrage. Sie nah-
men mit Abfindungen in Geld oder in Früchten vorlieb
Von dem Überſchuß ſollte nun nach den Beſtimmungen
eines Landtags, im October 1527, ein Theil dem Adel, 1
ein andrer der Univerſität die man in Marburg zu ſtiften
beſchloſſen, zu Gute kommen, der Reſt aber in eine nur
in Folge gemeinſchaftlichen Beſchluſſes von Fürſten, Ritter-
ſchaft und Städten zu benutzende Caſſe fließen. Es hat ſich
in der allmählig langſamen Ausführung wohl auch hier
vieles anders gemacht. Doch ſind einige größere Inſtitute
wirklich gegründet worden, zwei neue Stifte zum Beſten ad-
licher Fräulein: vier große Landes-hospitäler: hauptſächlich
die Univerſität Marburg mit ihrem Seminarium theologicum.
Denn vor allem eine theologiſche Schule war dieſe erſte neu-
gegründete evangeliſche Univerſität; die übrigen Facultäten
waren nur in geringfügigen Anfängen vorhanden; die Synode
von Homberg hatte beſtimmt, daß da überhaupt nichts
vorkommen ſolle, was den Geſchäften des Reiches Gottes
entgegen ſey; und wenigſtens ſo viel mußte jedes Mitglied
bei ſeinem Eintritt beſchwören, daß es keine Neuerung wi-
der das göttliche Wort vornehmen werde. Von großer Be-
deutung war es, daß der wittenbergiſchen Schule ein neuer
29*
[452]Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Mittelpunct für die evangeliſche Theologie zur Seite trat:
anfangs noch ohne die kaiſerlichen Privilegien, die jedoch
ſpäterhin auch erworben wurden.
Dieſe Vorgänge wirkten nun auch auf die fränkiſch-
brandenburgiſchen Fürſtenthümer, obwohl hier die Sachen
nicht ſo ganz einfach lagen. Von den beiden Fürſten,
welche die Regierung gemeinſchaftlich führten, hielt ſich der
Eine, Markgraf Caſimir, Gemahl einer baieriſchen Prin-
zeſſin, und enge mit dem Haus Öſtreich verbunden, der
altgeſinnten Partei ſo nahe wie möglich, während der An-
dre, Markgraf Georg, der jedoch in Schleſien reſidirte,
eine entſchieden evangeliſche Geſinnung hegte und ausſprach.
Im October 1526 hielt Markgraf Caſimir auf den Grund
des Speieriſchen Reichsabſchiedes einen Landtag zu An-
ſpach, in welchem Beſchlüſſe von doch noch zweideutiger
Natur gefaßt wurden. Man kann zwar an ihrer evange-
liſchen Tendenz nicht zweifeln: gleich in dem erſten Artikel
wird feſtgeſetzt, daß die Prediger im Lande das reine Evan-
gelium und Wort Gottes, und nichts was dawider ſey,
predigen ſollen: auch wird man die Nachgiebigkeiten in
Hinſicht des Ritus nicht zu ſtreng beurtheilen, wenn man
weiß, wie viel da ſelbſt von Luther noch geduldet wurde;
aber Viele mußten allerdings Anſtoß daran nehmen, daß
Markgraf Caſimir die lateiniſche Meſſe befahl: die Haltung
der Faſten zwar nicht gerade gebot, aber darum bat: ſogar die
Abhaltung der geſtifteten Seelmeſſen und Vigilien rathſam
fand. 1 Beſonders war Markgraf Georg damit unzufrieden:
[453]Brandenburg und Nuͤrnberg.
den Brief, mit welchem ihm ſein Bruder die Beſchlüſſe zuſen-
dete, begleitete er mit ſehr bittern Anmerkungen. In dem
Lande ward Jedermann zweifelhaft. Und da nun die benach-
barten Biſchöfe ſich doch auch nicht zufrieden gaben, ihrer
Jurisdiction nicht verluſtig gehen wollten, Verſuche machten
die Pfarren nach wie vor zu beſetzen, die man nicht kräf-
tig genug zurückwies, ſo gerieth alles in Verwirrung. Un-
ter dieſen Umſtänden war es ein entſcheidendes Ereigniß,
daß Caſimir auf jenem ungriſchen Kriegszug ſtarb, und
Markgraf Georg die Regierung der Fürſtenthümer ſelbſt
übernahm. Mit ihm kamen die eifrig evangeliſch geſinnten
Räthe, Hans von Schwarzenberg und Georg Vogler wie-
der in ungehinderte Wirkſamkeit. Auf einem abermaligen
Landtag zu Anſpach, 1ſten März 1528, ward dem frühern
Abſchied eine mit rein evangeliſchen Überzeugungen über-
einſtimmende Erläuterung gegeben; auch in den Cerimonien
ſollte nun ferner nichts geduldet werden, was dem Worte
Gottes entgegen ſey. Nach dem Muſter von Sachſen ward
hierauf auch hier eine Viſitation veranſtaltet, und zwar in
Verbindung mit der Stadt Nürnberg, durch welche beide
Gebiete eine evangeliſche Kirchenverfaſſung empfiengen.
[454]Viertes Buch. Fuͤnſtes Capitel.
Denn indeſſen war die Reform auch in Nürnberg
durchgeführt. Wir gedachten ſchon der großen Hinneigung
welche die Bürger von Anfang an dazu zeigten, der Un-
terſtützung die ſie dann bei ihren beiden Pröpſten, ein paar
Nürnberger Patriciern, fanden, der Anſtellung evangeliſcher
Prediger. Man änderte anfangs auch hier nur das Noth-
wendigſte. Im Jahr 1524 z. B. fieng man an in deutſcher
Sprache zu taufen; obgleich aber ſchon ein Jahr früher
eine Anweiſung dafür von Luther erſchienen war, zog man
es in Nürnberg doch vor, das ganze Formular der Bam-
berger Agende nur ſchlechtweg zu verdeutſchen; dem Täufling
ward nach wie vor Salz in den Mund gelegt, dreimal un-
ter die Augen geblaſen, die Bruſt mit Öl beſtrichen, von
den altherkömmlichen Beſchwörungsformeln ließ man keine
fallen. 1 Zur Bezeichnung des Übergangs verdient an-
geführt zu werden, daß der Rector zu St. Sebald das
alte „Sey gegrüßt, Königin, Mutter der Barmherzigkeit“
in ein „Sey gegrüßt, Jeſu Chriſt, König der Barmher-
zigkeit ꝛc.“ nur eben umſetzte. 2 Die vornehmſte Änderung
beſtand darin daß man das Abendmahl unter beiderlei Geſtalt
reichte, den Canon ausließ, die Vigilien, Seelmeſſen und
Jahrtäge für die Verſtorbenen abſchaffte, die Tagzeiten nicht
mehr betete. Allein es verſteht ſich daß ſchon dieß dem
Ordinarius Biſchof von Bamberg viel zu viel war. Er
[455]Brandenburg und Nuͤrnberg.
ſchloß endlich die beiden Pröpſte von der Gemeinſchaft der
Kirche aus, erklärte ihre Stellen für erledigt, und forderte
die, denen es gebühre, auf, neue Wahlen zu treffen. Allein
wie ſehr hatten ſich die Dinge ſeit dem Jahr 1520 ver-
ändert! Damals war es noch nothwendig geweſen, mit
dem entfernten päpſtlichen Commiſſarius eine Abkunft zu
treffen: jetzt machte die Excommunication des nahen mäch-
tigen Biſchofs keinen Eindruck mehr. Die Pröpſte appel-
lirten von ihm an ein frei, ſicher, chriſtlich und gottſelig
Concilium. 1 Allmählig ergriff ihre Geſinnung die wirk-
ſamſten Mitglieder des Rathes, Hieronymus Ebner, einen
Mann, in welchem ſich Gewiſſenhaftigkeit und Sanftmuth
paart, Caspar Nützel, Chriſtoph Scheurl, Hieron. Baum-
gärtner, den Rathsſchreiber Lazarus Spengler, der mit ei-
ner außerordentlichen Tüchtigkeit in den Geſchäften die le-
bendigſte Theilnahme an den allgemeinen Fragen der Re-
ligion und der Kirche verband. Seit dem Spätjahr 1524
nahm der Rath zu Nürnberg auf allen Verſammlungen
der Städte, der Mitglieder des ſchwäbiſchen Bundes, der
Reichsſtände, dem Kaiſer und deſſen Vertretern gegenüber
eine muthvoll evangeliſche Haltung an. Es iſt wohl an
dem, wie er unaufhörlich verſichert, daß er ſchon der all-
gemeinen Stimmung der Bürger halber nicht anders konnte.
Vergeſſen wir aber nicht, daß er auch einige große po-
litiſche Vortheile damit erwarb. Die kirchliche Reform
war das einzige Mittel, die Unordnungen und Widerſpen-
ſtigkeiten der Geiſtlichkeit, mit der man ſchon ſo lange
[456]Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.
zu kämpfen gehabt, endlich zu beſeitigen. Die Nürnber-
ger benutzten hiezu beſonders die Unruhen des Bauern-
aufruhrs. Sie erinnerten die Geiſtlichen, ihre Nothdurft
zu bedenken, die Gefahr die ihnen von dem Pöbel drohe,
das dringende Bedürfniß des Schutzes, in dem ſie ſeyen,
und brachten ſie in der That dahin, daß ſie ſich ſämmtlich
in Verpflichtung und Gehorſam der bürgerlichen Obrigkeit
begaben. Selbſt der Hauscomthur und Spitalmeiſter des
deutſchen Ordens leiſtete mit Bewilligung des fränkiſchen
Landcomthurs die Loſungspflicht. 1 Hiedurch ward der
Rath erſt Herr innerhalb ſeiner Mauern. Die Klöſter muß-
ten evangeliſche Prediger beſtellen, das Verſprechen geben,
keine neuen Mitglieder aufzunehmen: in Kurzem löſten ſie
ſich auf, oder wurden geſchloſſen. Die Jurisdiction des
Biſchofs fand kein Object mehr. Mochte er ſich beklagen
wie er wollte, der Rath erklärte, daß er nur die Pflich-
ten einer chriſtlichen Obrigkeit, die Anordnungen des Reichs-
abſchiedes vollziehe. Ohne Bedenken vereinigte er ſich mit
dem Markgrafen zu jener Kirchenviſitation: „habe doch der
Biſchof niemals in Gebrauch gehabt die Kirchen zu viſi-
tiren.“
Es liegt am Tage, welchen Fortſchritt die Unabhän-
[457]Brandenburg und Nuͤrnberg.
gigkeit der weltlichen Macht ſowohl der Städte wie der
Fürſten durch dieſen Gang der Dinge machte.
Erinnern wir uns jener älteſten Einrichtung der deut-
ſchen Kirche unter Carl dem Großen, die auf ein Zuſam-
menwirken der Gewalt der Biſchöfe und der Grafen be-
rechnet war.
Wie es vor Jahrhunderten den Biſchöfen gelungen,
in einem Theile ihres geiſtlichen Sprengels auch die welt-
liche Autorität an ſich zu bringen und regierende Herrn
zu werden, ſo gelang es jetzt den weltlichen Gewalten, die,
obwohl in ganz anderer Geſtalt, die gräflichen Gerechtſame
ausübten, die biſchöfliche Einwirkung von ihren Gebieten
auszuſchließen.
Man würde ſich durch den Schein blenden laſſen,
wenn man dieß ſo ſchlechtweg für einen Verluſt des kirch-
lichen Prinzipes halten wollte. Denn das läßt ſich doch
gar nicht leugnen, daß die biſchöfliche Einwirkung bei wei-
tem mehr in der Behauptung von allerlei Exemtionen, Ge-
fällen, Anrechten beſtand, die mit der Religion wenig zu
ſchaffen hatten. In dieſem Augenblick war es z. B. eine
der vornehmſten Streitigkeiten zwiſchen Nürnberg und Bam-
berg, daß die Stadt während der Bauernunruhen den kleinen
Zehent nachgelaſſen hatte, den der Biſchof ſchlechterdings
nicht aufgeben wollte. Den weltlichen Gewalten gelang
es nur dadurch, zu ihrem Ziele zu gelangen, daß ſie die
religiöſen, reiner-kirchlichen Prinzipien zu vertreten unter-
nahmen, z. B. eben die Pfarren beſſer einrichteten. Aus
jeder Pfarre im Brandenburgiſchen und Nürnbergiſchen
wurde auch ein Abgeordneter der Gemeinde berufen, um
[458]Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.
über Leben und Lehre des Pfarrers der Wahrheit gemäß
Auskunft zu geben. Das Unweſen der niedern Geiſtlich-
keit, um das ſich nie ein Biſchof ernſtlich bekümmert, wollte
man nicht mehr dulden. Hatte nicht der höhere Clerus
die Ausbildung der Doctrin den Univerſitäten, das Amt
am Wort wenig beaufſichtigten und ſchlechtbeſoldeten Mieth-
lingen überlaſſen? Man darf ſich nicht wundern, daß
endlich nachdem ſich die hohen Schulen ſo lange als Ver-
fechter der clericaliſchen Anſprüche erwieſen, auf einer von
ihnen auch einmal eine Lehre herrſchend ward die denſel-
ben entgegenlief, daß ſich in Denen die ſich dem eigent-
lichen Kirchendienſt widmeten, Widerwille gegen ein ſo ver-
ächtliches und ſchon verachtetes Verhältniß wie das bishe-
rige, — Gefühl der eigenen Bedeutung, und nun mit der le-
bendig gewordenen Überzeugung von der allein verpflichten-
den Autorität des Evangeliums ein feuriger Eifer erhob, die
Sache beſſer zu machen. Die weltliche Macht that nichts
weiter, als daß ſie, durch den Reichsabſchied dazu berech-
tigt, dieſen doch offenbar geiſtlichen Beſtrebungen den Raum
verſchaffte ſich zu entwickeln. Wollte doch Niemand ſagen,
daß hiedurch die Kirche dem Staat ganz zu eigen gewor-
den! Verſteht man unter Kirche den Einfluß geiſtlicher,
religiöſer Prinzipien, ſo gelangte ſie vielmehr erſt jetzt dazu.
Niemals haben dieſelben mehr bedeutet, als in den Zei-
ten, die nunmehr kamen. Was unter den Evangeliſchen
begann, ſetzte ſich unter den Katholiſchen auf eine analoge
Weiſe fort. Aber zugleich iſt klar, daß die Wirkſamkeit
der evangeliſchen Kirche nicht auf reicher Ausſtattung, ho-
hem Rang, dem Pomp hierarchiſcher Ordnungen beruhte,
[459]Luͤneburg.
ſondern auf innerer Energie, evangeliſchem Eifer, freier gei-
ſtiger Entwickelung. Auf ein anderes Fundament wird ſie
in Deutſchland niemals zu gründen ſeyn. Darin liegt auch
allein ihre Stärke.
Wie in Nürnberg gieng es in vielen andern ober-
ländiſchen Städten, zunächſt in Augsburg und in Ulm —
nicht ſelten wurden zwiſchen dieſen drei Städten Zuſam-
menkünfte gehalten, Verabredungen getroffen: im Jahr 1528
war noch einmal von einem neuen Bunde aller Reichs-
ſtädte die Rede; — ferner in Straßburg; vorzüglich in der
Schweiz: eben im Jahr 1528 entſchloß ſich auch Bern zu der
Veränderung. Wir werden die Ereigniſſe in dieſen Gegen-
den aber erſt im folgenden Buche überſehen können, wenn
wir den Modificationen in der Lehre, welche in der Schweiz
hervortraten, eine nähere Aufmerkſamkeit gewidmet haben.
In dem niedern Deutſchland hielt man ſich dagegen
überall an die in Sachſen unter der Einwirkung Luthers
feſtgeſetzten Formen. Die Unterſcheidungen welche etwa
eintraten, hiengen nur von der Verſchiedenheit der Verfaſ-
ſungen, der in jedem Land vorherrſchenden Macht ab.
In Lüneburg geſchah die Veränderung in Folge einer
Vereinigung des Fürſten und des Adels auf dem Landtage
zu Scharnebeck im J. 1527. Die Prälaten hatten ſich
geweigert, auf frühern Verſammlungen mit zu erſcheinen:
auf ihren Antrieb kam ſo eben der alte Fürſt, welcher ab-
dicirt hatte, und in Frankreich der katholiſchen Lehre treu
geblieben war, in das Land zurück, um ſich den Neuerun-
gen zu widerſetzen. Allein ſchon war es zu ſpät. Auf je-
nem Landtag verſprachen einander Fürſt und Mannſchaften,
das Evangelium rein lauter und klar predigen zu laſſen;
[460]Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.
ſie ſetzten feſt, daß auch die Prälaten in ihren Kirchen und
Klöſtern dazu verpflichtet ſeyn ſollten, wiewohl man ihnen
anheimſtelle, in Hinſicht der Cerimonien ſich zu halten,
wie ſie es bei Gott zu verantworten gedächten. 1 Seit-
dem durchdrang die Reform allmählig das ganze Gebiet.
Der Canzler Klammer machte ſich hier ſo verdient, wie
Brück in Sachſen, Feige in Heſſen, Vogler in Anſpach,
Spengler in Nürnberg.
In Oſtfriesland war die Gewalt des Grafen noch zu
neu, um in ſo ſchwierigen die innerſte Überzeugung her-
ausfordernden Angelegenheiten entſcheiden zu können. Als
Graf Etzard, der anfangs auch von den lutheriſchen Mei-
nungen lebhaft berührt worden, ſpäter zu dem Entſchluß ge-
kommen war, an dem bisherigen Kirchenweſen feſtzuhalten,
übernahm ein Häuptling, Junker Ulrich von Dornum die Lei-
tung der Sache. Auf ſeine Veranlaſſung ward eine feierliche
Disputation zu Olderſum veranſtaltet. Sie begann ſehr cha-
rakteriſtiſch. „Sprechet ein Vaterunſer,“ ſagte der Vor-
kämpfer der Lutheriſchen, Heinrich Arnoldi, „und ein Ave-
maria,“ fügte der Dominicaner, der die katholiſche Sache
verfocht, Prior Laurenz hinzu. Auch der Streit bezog ſich
hauptſächlich auf die Verehrung der Jungfrau Maria. Da
die Lutheraner aber dabei blieben, ſich nur mit Stellen der
Schrift beſtreiten laſſen zu wollen, ſo konnten die Dominica-
ner nichts ausrichten. Vielmehr fieng der Abfall ſogleich in
ihren eigenen Reihen an. Am Neujahrstag 1527 beſtieg ein
[461]Oſtfriesland. Holſtein.
Dominicaner, Reſius, die Kanzel in der Kirche zu Norden,
um einige lutheriſche Sätze zu verfechten, die er ſchon vorher
bekannt gemacht hatte; ein einziger Gegner erhob ſich, der
aber gar bald zum Schweigen gebracht ward: hierauf noch
auf der Kanzel, legte der Dominicaner, zum Zeichen ſeines
Übertritts, die Kutte ab. 1 Im Jahr 1527 gelangte das Lu-
therthum in den Pfarren faſt allenthalben zur Herrſchaft.
Im Jahr 1528 erſchienen dann die oſtfrieſiſchen Kirchen
mit einer ausführlichen Confeſſionsſchrift.
In Schleswig und Holſtein hatte man den Vortheil
daß die Biſchöfe der Diöceſen Schleswig und Lübek der
Reformation keinen ernſtlichen Widerſtand leiſteten. Da-
gegen gewährte ihnen auch die Regierung Schutz und ließ
ihnen ihre Einkünfte zufließen. Der Übergang von dem
einen zu dem andern Bekenntniß war hier beſonders leicht.
Wie es einer der vierundzwanzig päpſtlichen Vicarien ge-
weſen war, Hermann Taſt, der die erſten evangeliſchen
Predigten gehalten hatte, ſo fanden ſich auch ſeine Colle-
gen ohne Schwierigkeit in die Veränderung, vorausgeſetzt
daß ihnen ihr Einkommen auf Lebenszeit verſichert ward.
Von den Landpfarrern bekannten ſich viele ohne Widerrede
zur gereinigten Lehre: leicht nahmen ſie die Artikel an, die
ihnen z. B. in Hadersleben zur Danachachtung vorgelegt wur-
den. In den Städten hatte man faſt eben ſo viel mit den
Wiedertäufern zu kämpfen, wie mit den Anhängern des
Papſtthums. Die unmittelbaren Schüler Luthers, z. B.
Marquard Schuldorf von Kiel, leiſteten nach beiden Seiten
erſprießliche Hülfe. 2 Nach und nach wurden die kirchli-
[462]Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.
chen Einrichtungen auch hier in das Geleiſe der ſächſiſchen
geleitet.
Auch in Schleſien war, wie wir ſchon berührten, die
evangeliſche Lehre ſehr früh und ſehr mächtig vorgedrun-
gen. Zwar unterſchied ſich dieſes Land dadurch von an-
dern deutſchen Gebieten daß es nicht reichsunmittelbar war,
und auf den Reichsabſchied von Speier keine Anſprüche
begründen konnte. Allein die Zuſtände waren doch nahe
verwandt: Hauptſtadt und Fürſten nahmen der Krone von
Böhmen, der ſie angehörten, gegenüber, eine nicht viel
weniger ſelbſtändige Haltung ein, als die Reichsſtände im
Verhältniß zum Kaiſer: jede geiſtige Bewegung des innern
Deutſchlands fand hier ſofort ihre Analogien. So uner-
ſchütterlich ſich Breslau vor noch nicht allzulanger Zeit,
in den podiebradſchen Händeln, auf der Seite des Pap-
ſtes gehalten hatte, ſo gieng es jetzt doch in dem Kampfe
wider denſelben voran. Durch gar manchen Vorgang
hatte die Stimmung des Rathes und der Bürgerſchaft
auch hier eine anti-clericaliſche Richtung empfangen. Man
wollte ein Bernhardinerkloſter nicht mehr, weil man durch
die Verbindungen deſſelben am königlichen Hof beeinträch-
tigt zu werden glaubte. Man war über den Unfug der
mit der Pfarre zu Maria Magdalena getrieben wurde, wo
immer ein Prätendent den andern verjagte, mißvergnügt. 1
Mit den Domherrn in der Stadt gab es tauſendfältigen
2
[463]Schleſien.
Hader. Da fanden nun die lutheriſchen Tendenzen einen
ſehr wohl vorbereiteten Boden. Im Jahr 1523 wagten
es die Breslauer, jene Pfarre auf ihre eigne Hand und
zwar mit einem der vertrauteſten Freunde Luthers und Me-
lanchthons, der jüngſt von Wittenberg gekommen, Dr Jo-
hann Heß zu beſetzen. Hierauf giengen nun die Sachen
hier wie anderwarts. In einer feierlichen Disputation wur-
den die neuen Grundſätze ſiegreich bewährt: das Volk ward
gewonnen: man fieng an die Cerimonien zu ändern: ob-
wohl man ſich dem herkömmlichen Ritus des Breslauer
Bisthums auch in mancherlei Zufälligkeiten ſo nah wie
möglich hielt. Jene Bernhardiner hatten ſich ſchon früher
lieber aus der Stadt entfernt, als daß ſie ſich mit den
Jacobiten wie man ihnen anmuthete vereinigt hätten: jetzt
löſten die Klöſter ſich von ſelbſt auf: der Rath ließ geſche-
hen, daß Mönche und Nonnen austraten und ſich verhei-
ratheten. Doch dürfte man nicht glauben, daß nun die
neue lutheriſch-geſinnte Geiſtlichkeit, die dem Rath aller-
dings ihr Emporkommen verdankte, ihm ſo ganz und gar
zu Willen geweſen wäre. Im April 1525 hörte Dr Heß
plötzlich auf zu predigen. Der Rath ließ ihn fragen wes-
halb. Er antwortete: er ſehe ſeinen lieben Herrn Chriſtus
vor den Kirchthüren liegen, über den könne er nicht hin-
wegſchreiten. Er hatte nemlich ſchon öfter den Rath auf-
gefordert, für die Bettler zu ſorgen, welche die Stadt an-
füllten und ſich zur Zeit des Gottesdienſtes vor den Kirch-
thüren lagerten; aber immer vergebens. Allein dieß ſein
ernſtes Bezeigen machte Eindruck. Man ſchied die wirk-
lich Bedürftigen von den blos Muthwilligen, und brachte
[464]Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.
jene in ſechs verſchiedenen Spitälern unter. Im Jahr 1526
ward dann Hand an ein großes Spital gelegt, zu dem
der Pfarrer ſelbſt den Grundſtein legen half, die wohlha-
bendern Bürger die Materialien lieferten, an dem auch die
Handwerker umſonſt arbeiteten: ſo daß man den Bau in
Jahresfriſt vollbrachte, — ein rechtes Werk des jungen
evangeliſchen Eifers. Dem Pfarrer ſtand beſonders der
Stadtſchreiber, Johann Corvinus zur Seite, ein Mann,
welcher früher der literariſchen Richtung angehört und ſelbſt
an einigen der erſten Poetenſchulen unterrichtet hatte. Über-
haupt wirkte alles zuſammen, alles war einmüthig: der
Rath rühmte bei Hof, nie habe er eine gehorſamere Ge-
meine gehabt. 1 — Geſchah das nun von denen, welche
Podiebrad bekämpft hatten, was ließ ſich von ſeinen An-
hängern erwarten? Noch war ſein Geſchlecht in Schleſien
ſehr mächtig. Der Sohn ſeines Sohnes, Herzog Carl,
beherrſchte Münſterberg, Öls, Frankenſtein; der Sohn ſei-
ner Tochter, Herzog Friedrich II von Liegnitz hatte da-
mit Brieg und Wolau vereinigt. Man kann denken, welche
Geſinnung ſie hegten. Herzog Carl wünſchte das Anden-
ken ſeines Großvaters von Luther rehabilitirt zu ſehen. Her-
zog Friedrich ließ ſich von ſeinem Adel und ſeinen Städ-
ten leicht bewegen, ihnen freiere Religionsübung zuzuge-
ſtehn; allmählig ward er ſelbſt von dem wärmſten Reli-
gions-
[465]Schleſien.
gionseifer ergriffen: 1 er faßte die Abſicht, eine neue evan-
geliſche Univerſität zu errichten, und nur die in ſeinem Ge-
biete eintretenden Irrungen des Schwenkfeldianismus hin-
derten eine großartigere Organiſation. 2 Eben damals hatte
Markgraf Georg von Brandenburg Jägerndorf erworben,
und ließ auch bier, wie ſich verſteht, der Lehre freien Lauf.
Der junge Herzog Wenzel Adam von Teſchen ward gleich
in den neuen Meinungen aufgezogen. Alle dem ſetzte ſich
nun weder die geiſtliche noch die weltliche Gewalt ernſtlich
entgegen. Der Biſchof von Breslau, Jacob von Salza
ſah ſehr wohl, daß das Chriſtenthum nicht in ein paar
Cerimonien mehr oder weniger beſtehe. Am Hofe König
Ludwigs fand die Lehre mächtige Beſchützer. Von König
Ferdinand ſahen wir, daß er die religiöſen Forderungen, die
man ihm bei ſeiner Wahl ſtellte, wenigſtens nicht zurück-
weiſen durfte; und wenn er gleich zuweilen ſehr eifrig lau-
tende Mandate erließ, ſo war er doch nicht im Stande,
ihnen Nachdruck zu verleihen. Die Breslauer ſtellten
ihm einſt die Unmöglichkeit, zu den alten Gebräuchen zurück-
zukehren, ſo lebhaft vor, daß er ſelbſt nicht mehr darauf
zu dringen wußte: „nun wohl,“ ſagte er endlich, „hal-
tet nur Friede und glaubt wie ihrs gegen Gott und den
Kaiſer verantworten könnt.“ 3 Er erſtreckte gleichſam die
Zugeſtändniſſe des Reiches auch auf dieſe ſeine beſondern
Landſaſſen. So bildete ſich zuerſt in Schleſien die Ver-
faſſung aus, die hernach wie anderwärts, ſo beſonders in
Ranke d. Geſch. II. 30
[466]Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.
den öſtreichiſchen Gebieten ein Jahrhundert lang geherrſcht
hat; evangeliſche Stände hielten gleich eifrig an ihren po-
litiſchen und religiöſen Vorrechten feſt; die Regierung war
zu Milde und Duldung verpflichtet.
Bei weitem die merkwürdigſte und durchgreifendſte Ver-
änderung fand nun aber in Preußen Statt.
Schon war ſie daſelbſt mannichfaltig vorbereitet.
Die politiſche Bedeutung, ja im Grunde auch die
ſtaatsrechtliche Stellung des deutſchen Ordens in Preußen
war ſchon vor mehr als einem halben Jahrhundert ver-
nichtet worden. In dem Thorner Frieden vom J. 1466
hatte der Orden ſich dazu verſtehn müſſen, die größere
Hälfte ſeines Gebietes, mit all ſeinen reichſten und mäch-
tigſten Städten an Polen abzutreten, und für die kleinere,
die ihm gelaſſen wurde, den König dieſes Reiches als ſei-
nen Lehnsherrn anzuerkennen.
Fragen wir, wie es dahin kam, ſo lag der Grund
nicht ſowohl in der militäriſchen Übermacht der Polen, die
zwar im Ganzen nicht geleugnet werden kann, aber an und
für ſich nimmermehr fähig geweſen wäre, ſo entſcheidende
Erfolge herbeizuführen, als in den innern Landesverhältniſ-
ſen, dem Mißverſtändniß zwiſchen dem Orden und ſeiner
Landſchaft.
Preußen war eine allmählig zu ſelbſtändigem Da-
ſeyn entwickelte Colonie. Der Orden, der nicht mehr von
den alten Impulſen der Religion Ehre oder Kriegsluſt
angetrieben wurde, und nur um zu regieren und zu ge-
nießen ins Land kam, war den Eingebornen höchſt be-
ſchwerlich. Sie beklagten ſich, daß man ihnen keinen An-
[467]Preußen.
theil an der Verwaltung geſtatte, ſie behandeln wolle wie
Leibeigene, ſich Gewaltthätigkeiten gegen ſie erlaube, ihnen
kein Recht gewähre. Es bildete ſich ein Verhältniß wie
zwiſchen Creolen und Chapetons in Südamerika, zwiſchen
Pullanen und Fils Arnaud im Königreich Jeruſalem, wie
es nach vorgeſchrittener Cultur in jeder Colonie entſtehn
wird. Anfangs ſuchte ſich die Landſchaft durch ihren
großen Bund von 1440 zu ſchützen; als der Kaiſer ſich
gegen denſelben erklärte, wandte ſie ſich an Polen. Die
Landſchaft war es, die dem König von Polen die Waf-
fen gegen den Hochmeiſter in die Hand gab, durch die
derſelbe den Sieg erfocht und zuletzt einen ſo vortheilhaf-
ten Frieden errang wie der Thorner war. Die Stadt
Danzig hat es ſich 700000 Mark koſten laſſen, um zu die-
ſem Reſultat zu gelangen. Der König von Polen gewährte
den Verbündeten dafür die provinzielle Selbſtändigkeit und
wenigſtens für die erſten Zeiten die Wohlthat der Selbſt-
regierung, die ihnen die Ritter nicht zugeſtehn wollten. 1
In dem kleinern Theile des Landes nun, welcher dem
Orden ſeitdem übrig geblieben, wo man an dem Bunde
und dem Kriege ebenfalls Theil genommen, machten ſich
wie man denken kann, auch ferner verwandte Tendenzen gel-
tend. Wir finden, daß die Stände, welche die Steuern
zu bewilligen haben, ſie ein und das andre Mal verſa-
gen. Sie fordern das Recht, im Fall daß ſich der Hoch-
meiſter entfernt, einen Stellvertreter deſſelben zugleich mit ihm
30*
[468]Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.
zu ernennen, und zuweilen finden wir Bürgermeiſter als
Statthalter. In dem Entwurf zu einer Landesvertheidi-
gung vom Jahr 1507 werden funfzehn Hauptleute ernannt:
von dieſen gehören 14 dem einheimiſchen Adel an, nur ein
einziger dem Orden. 1
Ward aber der Orden auf dieſe Weiſe in ſeinen Be-
fugniſſen beſchränkt, ſo ward auch allmählig das ihm ei-
genthümliche republikaniſche Weſen von einem mehr monar-
chiſchen überwältigt. Man fand es rathſam, geborne Für-
ſten zu Hochmeiſtern zu wählen, 1498 Friedrich von Sach-
ſen, 1511 Albrecht von Brandenburg. Um ihnen eine ſtan-
desgemäße Exiſtenz zu verſchaffen, wurden ganze Comthu-
reien eingezogen. Dieſe Fürſten ſelbſt beſorgten die Ge-
ſchäfte durch Canzler, die nicht zu dem Orden gehörten,
durch ihre beſondern Räthe, auf die Weiſe deutſcher Höfe.
Sie nahmen um ſo mehr eine landesfürſtliche Stellung an,
da ſie ihren Untergebenen außerhalb des Landes, ſowohl
dem Meiſter in Liefland als dem Deutſchmeiſter eine große
Selbſtändigkeit zu gewähren, namentlich den erſten aller we-
ſentlichen Pflichten zu entlaſſen genöthigt waren. 2 An die
Stelle allgemeiner Beziehungen traten engere territoriale Ver-
hältniſſe.
Da war nun die einzige Frage, die eine weiterausſe-
hende Bewegung erhielt, ob man ſich den Verpflichtungen
des Friedens von Thorn unterwerfen würde oder nicht. Die
letzten Hochmeiſter weigerten ſich die Huldigung zu leiſten,
[469]Preußen.
wie ihre unmittelbaren Vorgänger gethan: ſie forderten eine
Reviſion der Friedensbedingungen „nach natürlichen und
chriſtlichen Rechten:“ ſie nahmen die Hülfe des Reiches,
namentlich der Ritterſchaft, welcher dieſer preußiſche Beſitz
zu Gute kam, unaufhörlich in Anſpruch; der Hochmeiſter
Markgraf Albrecht von Brandenburg griff endlich im Jahr
1519 noch einmal zu den Waffen. Allein, was ſeinen
Vorfahren verderblich geworden, ſchlug auch ihm zum Nach-
theil aus. Die von dem Orden abgefallenen Städte und
Gebiete durften denſelben nicht wieder zu Kräften kommen
laſſen. Eben den Städten Danzig und Elbingen, dem Ge-
ſchlechte der Bundherrn ſchrieb die öffentliche Meinung je-
ner Zeit den Friedensbruch zu: denn ihr Sinn ſey, den
Orden ganz und gar von Land und Leuten zu bringen; 1
ſie gaben dem Kriege ſeinen vornehmſten Nachdruck. Von
Deutſchland dagegen erſchien dem Orden keine irgend ein-
greifende Hülfe. Der Hochmeiſter mußte aufs neue eilf
Städte mit ihren Gebieten aufgeben und ſich zu einem
Stillſtand auf vier Jahr bequemen, binnen denen unter
Vermittelung des Kaiſers und des Königs von Ungern die
Sache definitiv erledigt werden ſollte.
Albrecht gieng nach Deutſchland, um noch einmal in
Perſon zu verſuchen, was ſich von Ständen und Adel
des Reiches erlangen laſſe. Hätte Sickingen, mit dem
er ſchon ohnehin längſt in Verbindung ſtand, den Sieg
davongetragen, ſo würde auch Preußen auf Hülfe haben
rechnen können. Allein Sickingen unterlag, die Ritterſchaft
[470]Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.
erlitt die größten Verluſte; ſie konnte ihre Selbſtändigkeit im
Innern nicht behaupten, geſchweige an auswärtige Unter-
nehmungen denken. Auch das Regiment ward geſtürzt, an
das ſich noch einige Hofnungen knüpften. Der Kaiſer war
ſo entfernt, Hülfe erwarten zu laſſen, daß er ſich vielmehr
den jagelloniſchen Anſprüchen ſelber zuneigte. Die ver-
ſprochene Vermittelung ward nicht einmal verſucht. Dem
Hochmeiſter blieb nichts übrig, als ſich entweder in die Be-
dingungen des Thorner Friedens zu fügen, die Huldigung
zu leiſten, oder zu abdiciren. Auch von der Entſagung
war in der That ernſtlich die Rede. Sie konnte entweder
im Sinne des Ordens geſchehen: dann kam Herzog Erich
von Braunſchweig in Vorſchlag; oder im Sinne des Landes
und Polens: dann würde ſie zu Gunſten Sigismunds voll-
zogen worden ſeyn: der König ſchickte 1524 einen Geſand-
ten nach Nürnberg um den Hochmeiſter eben hiezu zu be-
ſtimmen. 1
Der Orden und ſeine Herrſchaft in Preußen war ohne
Zweifel das eigenthümlichſte Product des hierarchiſch-ritter-
lichen Geiſtes der letzten Jahrhunderte in der deutſchen Na-
tion; allein wohin war es damals mit ihm gekommen! Der
größte Theil ſeines Gebietes verloren: in dem Reſte deſ-
ſelben mächtig emporſtrebende Stände: die innere Einheit
in der ſeine Stärke lag, gebrochen: ſeine Verbindung mit
dem Mutterland ohne Kraft: — der Nothwendigkeit ſich zu
unterwerfen war nicht mehr auszuweichen: ſeine Zeit war
vorüber. Nur ließ ſich noch nicht abſehen, was man thun
[471]Preußen.
ſollte und durfte: es gab keine Richtſchnur um aus dem
Labyrinth gleich beſchwerlicher Möglichkeiten zu entkommen.
Da trat das Element der neuen Lehre ein. An keinem
Orte der Welt bedurfte man ihrer mehr, war ſie willkom-
mener. Man ſah, daß die als in ſich ſelbſt religiös ver-
ehrte Inſtitution mit der Idee oder dem urſprünglichen In-
halt des Chriſtenthums keineswegs in dem innern Zuſam-
menhang ſtand, den man vorausgeſetzt hatte. Die Stände er-
griffen eine Lehre mit Freuden, die ihrer alten Oppoſition die
höhere Rechtfertigung verlieh. Die Biſchöfe, welche ihr ſonſt
faſt allenthalben entgegentraten, gaben ihr hier freudig
Gehör: unter der Leitung des Biſchofs von Samland wur-
den die Faſten abgeſchafft, die Feſttage verringert, die deut-
ſchen Meſſen eingeführt, die Cerimonien geändert, die Klö-
ſter geräumt. Der allgemeinen Stimmung konnten die Mit-
glieder des Ordens ſelbſt nicht widerſtehen. Man ſah ſie in
den lutheriſchen Predigten: viele legten ihr Kreuz ab: einige
entſchloſſen ſich, ſich zu verheirathen. Es war ihrer über-
haupt keine große Anzahl mehr: es ſollen nur fünf gewe-
ſen ſeyn die bis zuletzt an dem Inſtitute feſthielten. Und indeß
durchdrang ſich nun der Hochmeiſter, in den Predigten Oſ[i]an-
ders, in dem Umgang mit Männern wie Planitz, in jenem
Zwiegeſpräch mit Luther, mit den evangeliſchen Überzeugungen
wie ſie in Sachſen und in Nürnberg die Herrſchaft erlangt
hatten. Auf der einen Seite ward er inne, daß ſein Stand
das Verdienſt nicht in ſich trage das er ihm zugeſchrieben, ja
dem göttlichen Wort nicht entſpreche. Auf der andern ſtellte
man ihm vor, daß er doch auch nicht abdiciren könne,
daß er landesfürſtliche Pflichten habe, denen er ſich nicht
[472]Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.
ſo leichtfertig entziehen dürfe. Die Landſchaft forderte ihn
auf, ihr Verderben und Unvermögen zu beherzigen und ihr
einen ewigen Frieden zu verſchaffen — ihr Prediger des reinen
Gotteswortes zu vergönnen, und alles abzuſtellen was dem-
ſelben entgegen ſey. Höchſt wahrſcheinlich verſtand ſie dar-
unter auch die Gelübde des Ordens: 1 — Albrecht war, ob-
gleich er noch an ſich hielt, in ſeinem Herzen ohne Zweifel
entſchloſſen was er thun wollte, als er neue Unterhandlun-
gen mit Polen anknüpfte.
In Polen hatte der Reichstag von Petricau ſo eben
den Beſchluß gefaßt, daß der Hochmeiſter entweder huldi-
gen oder ſammt ſeinem Orden aus Preußen vertrieben wer-
den müſſe. 2
Da kam es nun dem Markgrafen Albrecht ſehr zu
Statten, daß er in Schleſien, welches ſich in allen bishe-
rigen Irrungen an den König gehalten, ein paar der näch-
ſten Verwandten hatte, ſeinen Bruder Markgraf Georg,
und ſeinen Schwager Friedrich von Liegnitz, beide eben
wie er Neffen des Königs, die es übernahmen, ihn mit
demſelben wieder auszuſöhnen, und ihm günſtige Bedingun-
gen zu verſchaffen.
[473]Preußen.
Der König hatte ſich mit einem Ausſchuß des Reichs-
tags nach Cracau begeben. Hier ſuchten ihn die beiden
Fürſten, wie wir wiſſen, eifrige Vorkämpfer der Evangeli-
ſchen, auf; ſie nahmen die Grundlage an, welche der Reichs-
tag feſtgeſetzt hatte, aber ſie bemerkten zugleich, daß keine
Abkunft mit dem Orden etwas helfen werde, da dieſer im-
mer eine unzuverläßige Vielherrſchaft in ſich ſchließe; ſie
ſchlugen dem König vor, den Hochmeiſter zum erblichen
Herzog in Preußen zu erklären. 1
Der König ſagt, er habe in Betracht gezogen was
ſich thun laſſe und was die Verwandtſchaft von ihm for-
dere. 2 Er gieng mit Freuden darauf ein.
Als die Sache in dem polniſchen Reichsrath vorge-
tragen wurde, erhoben ſich zwar einige Stimmen aus re-
ligiöſen Rückſichten dagegen, allein Andre erwiederten, man
entziehe dem Katholicismus nichts, da der Orden ſchon
zum Lutherthum übergegangen, da nichts bei demſelben ver-
haßter ſey als der Name des Papſtes: 3 man müſſe Gott
danken daß er in ſich ſelbſt zerfalle. Der Reichstag ent-
ſchied ſich für das Vorhaben des Königs.
[474]Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Indeſſen ward auch dieſſeit, in Beuthen, wo ſich mit
dem Markgrafen zugleich Bevollmächtigte des Ordens und
der Stände eingefunden hatten, unterhandelt. Zuerſt er-
klärten ſich die Ordensgeſandten, auf die ohne Zweifel das
Meiſte ankam. Sie billigten den Vorſchlag vollkommen
und brachten nur zugleich einige ihnen von den Polen zu-
zugeſtehenden Vortheile in Antrag. Die Abgeordneten der
Stände hatten eher das Bedenken, daß ſie von den Reſten
des Ordens in Deutſchland und dem Reich angefochten,
von Polen vielleicht nicht hinreichend vertheidigt werden
möchten: ſie forderten zugleich von dem neuen Fürſten das
Verſprechen, ihre Privilegien eher vermehren als vermin-
dern, und keine Fremden anſtellen zu wollen: obwohl er
ihnen das letzte nicht gab, ſo wurden ſie doch übrigens von
ſeinen Erklärungen befriedigt. 1 Auch die Ordensgeſandten
waren zufrieden, als ihnen der König die Rückgabe der im
letzten Kriege eroberten Plätze und zugleich eine kleine Rente
für den neuen Fürſten bewilligte.
So vereinigten ſich alle Theile leicht und freudig zu
[...]en Veränderung. Der König von Polen ſah
[...]heit endlich willig anerkannt, Nachkommen ſei-
[...] innerhalb ſeiner erweiterten Grenzen verſorgt.
[...]ngte zu der Unabhängigkeit von dem frem-
[...] der es ſo lange getrachtet. Der Orden,
[475]Preußen.
der ſich ſelber ſäculariſirt hatte, ward dabei geſchützt; er
geſellte ſich nun den Landeseingeſeſſenen zu, denen er ſonſt
gegenübergeſtanden. Markgraf Albrecht endlich gründete
nicht allein eine erbliche Herrſchaft, er glaubte auch ſeinem
Lande einen Dienſt zu erweiſen, indem er ihm den Frieden
verſchaffte, und dem Evangelium die Bahn frei machte.
Am 10ten April 1525 geſchah die feierliche Belehnung
auf dem Ringe zu Cracau. Der König, in ſeinem prieſter-
lichen Krönungsornate, umgeben von ſeinen Biſchöfen, über-
trug dem neuen Herzog in dem Symbole der Fahne, an der
zugleich Markgraf Georg anfaßte, denn auf die ganze Linie er-
ſtreckte ſich die Belehnung, „das Land in Preußen, welches
der Orden gehalten.“ Albrecht leiſtete den Huldigungseid
mit einer Formel, in welcher der Heiligen nicht gedacht war.
In Königsberg begrüßte ihn ein evangeliſcher Predi-
ger bei ſeinem Einzug mit einer geiſtlichen Rede. Mit alle
den feſtlichen Ehrenbezeugungen, die einem gebornen Fürſten
erwieſen werden, ward er empfangen. Die Glocken läute-
ten, die Häuſer an den Straßen waren mit Teppichen be-
kleidet, die Wege mit Blumen beſtreut.
Wie ſich verſteht, trugen nun die Stände kein Beden-
ken, die Handlungen ihrer Abgeordneten zu genehmigen:
ſie beſtätigten den Cracauer Vertrag und leiſteten die Hul-
digung. Das Original der Urkunde, durch welche Albrecht
gleich dort in Cracau die Gerechtigkeiten Freiheiten und löb-
lichen Herkommen des Landes beſtätigt hatte, ward dem
Altſtädter Magiſtrat in Königsberg übergeben. An die
Stelle der Großgebietiger traten Marſchall, Landhofmeiſter,
Oberburggraf und Canzler; alle dieſe Ämter ſollten in Zu-
[476]Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.
kunft mit Eingebornen beſetzt werden. Mit Beirath des
Adels wurden die Landgerichte neu angeordnet.
Von allen Ordensrittern leiſtete nur ein einziger einen
etwas nachhaltigen Widerſtand, Erich von Braunſchweig
in Memel, zu deſſen Gunſten Albrecht einſt zu reſigniren ge-
dacht: ſpäter ward er durch eine kleine Rente abgefunden.
Die religiöſen Einrichtungen wurden ohne Schwierig-
keit getroffen: die Biſchöfe ſelbſt, wie geſagt, waren dafür.
Gleich in der erſten Verſammlung verzichtete der Biſchof
Polenz von Samland auf die weltlichen Zweige ſeiner Ge-
walt: denn einem Biſchof komme nur der Dienſt am Evan-
gelium, nicht der Genuß weltlicher Ehre zu: und überließ
ſie dem Herzog; der Herzog nahm die Stände zu Zeugen
dieſer freiwilligen Überlieferung. Der Biſchof Erhard Queis
von Pomeſanien that kurz darauf daſſelbe. Um ſo vollſtän-
diger ward ihnen ihre geiſtliche Autorität gelaſſen, die ſie
nach wie vor durch Offiziale verwalteten. 1 Sie führten
eine Agende ein, in der ſie ſich noch immer ſo nah wie
möglich an das Altherkömmliche hielten: die Klöſter wurden
in Spitäler verwandelt: die Tendenz, das Chriſtenthum auch
in den unterſten noch wenig davon ergriffenen Kreiſen zu
verbreiten, fand hier einen neuen Wirkungskreis in den Un-
deutſchen, die noch in großer Zahl das Land bevölkerten: ne-
ben den Pfarrern ſtellte man in den Kirchen die Tolken, d. i.
Dolmetſcher auf, welche jeden Satz der Predigt in altpreu-
ßiſcher Sprache wiederholten. 2 Um die Pfarrer ſelbſt auf
dem
[477]Preußen.
dem rechten Wege zu erhalten, ließ der Markgraf ſich die
Poſtille auf den Winter und den Sommer von Wittenberg
kommen, von jeder 200 Exemplare. Lucas Kranach hatte
überhaupt den Auftrag, ihm alle guten und leſenswürdi-
gen Bücher zuzuſchicken. 1
Es liegt eine Art von Vollendung und Befeſtigung al-
ler dieſer Dinge darin, daß Herzog Albrecht ſich im Jahr
1526 mit der däniſchen Prinzeſſin Dorothea vermählte. Zu
einer von allen Seiten anerkannten fürſtlichen Exiſtenz in
unſerm Europa gehören nun einmal verwandtſchaftliche Ver-
bindungen dieſer Art. Die Herzogin entwickelte allmählig eine
eben ſo ſtarke evangeliſche Überzeugung, „ein feſtes Trauen und
Glauben an unſern einigen Heiland,“ wie ihr Gemahl; ſie
machte ihn überdieß glücklich in ſeinem Hauſe. Er kann ihre
edlen theuren Gaben nicht genug rühmen; überdieß: „wäre
ſie eine arme Dienſtmagd geweſen,“ ſagt er, „ſo würde ſie
ſich nicht demüthiger und getreuer, in unwandelbarer Liebe
gegen ihn Unwürdigen haben verhalten können.“ 2 Indem
ihr Bruder Friedrich, nachmals König von Dänemark, ſich
mit einer lauenburgiſchen Prinzeſſin verheirathete, aus wel-
chem Hauſe ſpäter auch Guſtav Waſa in Schweden ſeine
Gemahlin wählte, traten alle dieſe neuen evangeliſchen Ge-
walten des Nordens in die engſte Verbindung.
Bemerken wir die allgemeine Wendung der nordiſchen
Politik, die ſich in dieſen Ereigniſſen vollzog. Im Jahre
1515 hatte Maximilian alle nordiſchen Gebiete ſlawiſcher
Ranke d. Geſch. II. 31
[478]Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.
und germaniſcher Zunge in einem großen Bunde an ſich
zu knüpfen gedacht. Zuerſt trennte ſich Polen: dann ward
Chriſtiern II aus Dänemark und Schweden verjagt: jetzt
trat Albrecht, der ſich bisher zu Chriſtiern gehalten, mit
den neuen Königen in Bund und Verwandtſchaft: jener
Erich von Braunſchweig mußte auch darum aus Memel
entfernt werden, weil er fortfuhr, Verhältniſſe mit dem
Admiral Chriſtierns, Severin Norby zu unterhalten. 1 Die
Stellung, in welche Albrecht gleich bei ſeinem Eintritt zu
den nordiſchen Mächten gerieth, war überaus günſtig und
ſtark.
Und eine andre Stütze boten ihm nach der deutſchen
Seite hin die evangeliſchen Fürſten dar.
Schon damals als Churfürſt Johann von Sach-
ſen mit ſeinen gleichgeſinnten Nachbarn über die Zuſam-
menkunft zu Magdeburg unterhandelte, ſchickte er auch an
den neuen Herzog in Preußen, um ihm anzubieten, wenn
er in irgend etwas, was das Evangelium angehe beſchwert
werde, mit ihm für Einen Mann zu ſtehen. Höchſt will-
kommen war dieſer Antrag dem Herzog. Er ſendete den
Biſchof von Pomeſanien, der überhaupt ſeine auswärtigen
Geſchäfte leitete, die Verhältniſſe mit Polen und Dänemark
geordnet hatte, im September 1526 nach Breslau, wo von
ſächſiſcher Seite Hans von Minkwitz mit demſelben zuſam-
mentraf. Hier ward eine förmliche Abkunft geſchloſſen. 2
Der Herzog hatte bemerkt, Preußen ſey durch die letzten
[479]Preußen.
Kriege ſo erſchöpft, daß er ſich nur zu einer Hülfe von 100
gerüſteten Reiſigen verſtehen könne. Churfürſt Johann war
damit zufrieden: ſo viel verſprach nun auch er dem Herzog
wenn derſelbe einmal angegriffen werde. Der Hülfe ſendende
Theil ſollte die Beſoldung zahlen und den Schaden tragen:
der Hülfe empfangende für die täglichen Bedürfniſſe ſtehen.
Im Dezember 1526 langte die Ratification in Weimar an.
Der Herzog und ſein Biſchof hatten die Idee, auch die
gleichgeſinnten ſchleſiſchen Stände, den Markgraf Georg für
Jägerndorf, den Herzog von Liegnitz, die Stadt Breslau,
in dieſen Bund zu ziehen. 1 Schon ward über eine ge-
meinſchaftliche nähere Verabredung mit Dänemark verhan-
delt: der Churfürſt zeigte ſich bereit dazu.
Man hat oft geſagt, und es iſt ganz wahr, daß das
Reich durch den Act der Huldigung an Polen einen großen
Verluſt erlitten habe. Allein das ließ ſich nun nicht vermei-
den. Der polniſche Reichstag hatte den Beſchluß gefaßt ſich
auf keinen Mittelweg weiter einzulaſſen, die Sache nöthigen-
falls mit Gewalt auszumachen: das Land war durchaus un-
fähig Widerſtand zu leiſten, von dem Reiche keine Hülfe zu
erwarten. Hätte der Orden ſich nicht gefügt, ſo würde er
aus Königsberg ſo gut verjagt worden ſeyn wie aus Dan-
zig: die Landſchaft wäre eine polniſche Provinz geworden
wie das königliche Preußen. Unter dieſen Umſtänden iſt es
ohne Zweifel als eins der glücklichſten und heilbringendſten
Ereigniſſe für das germaniſche Prinzip in jenen Ländern an-
31*
[480]Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.
zuſehen, daß ein Herzogthum, ein erbliches deutſches Für-
ſtenthum errichtet ward. Vergleichen wir Liefland damit,
ſo war auch da die Reformation eingedrungen: der mäch-
tige Ordensmeiſter Plettenberg, der nun völlig unabhängig
war, beſchützte ſie, und wußte ſogar den Orden noch eine
Zeitlang aufrecht zu erhalten; allein nur eine Zeitlang: ſpäter
ward das Land doch auch ſäculariſirt, gerieth aber zugleich un-
ter fremde Botmäßigkeit und gieng für das Geſammtbewußt-
ſeyn der deutſchen Nation verloren. Eben ſo war das kö-
nigliche Preußen dadurch nicht gefördert, daß es keinen Für-
ſten an ſeiner Spitze hatte: ſpäter hat ſich der polniſche
Einfluß gewaltig geltend gemacht; welche unbeſchreibliche Be-
drängniſſe politiſcher und religiöſer Art hat das Land aushal-
ten müſſen! Die Germaniſirung ward hier wie dort nicht al-
lein in ihrem Lauf aufgehalten, ſondern rückgängig. Dagegen
ward das herzogliche Preußen allmählig völlig deutſch; es
blieb politiſch ſchon durch die verwandtſchaftlichen Verhält-
niſſe des Fürſten mit einem mächtigen deutſchen Hauſe in
unauflöslicher enger Beziehung zu dem großen Vaterlande;
unter alle den Verwirrungen theologiſcher und literariſcher
Kämpfe, welche im Gefolge der Reformation eintraten, bil-
dcte ſich hier doch ein unabhängiger Mittelpunct deutſcher
Cultur an, von dem hinwiederum die großartigſten Ent-
wickelungen unſrer Nationalität ausgegangen ſind.
Wie mächtig erhob ſich überhaupt das deutſche We-
ſen in dieſem Augenblicke.
Man durfte Belgien und die Niederlande, Böhmen
und deſſen Nebenländer wieder zum Reiche zählen. Die
deutſchen Waffen hatten Italien dem franzöſiſchen, ſo wie
[481]Schlußbemerkung.
dem hierin von dem Reiche abgeſonderten ſchweizeriſchen
Einfluß entriſſen: ſie hatten den Namen des Reiches in
Italien und in der alten Metropole zu Rom wiederherge-
ſtellt. Mehr als einmal waren ſie von dem Süden und
Oſten in Frankreich drohend vorgedrungen: auch in dem
Weſten hatten ſie den Spaniern zur Wiedereroberung ver-
lorner Grenzfeſtungen, zur Beſiegung der Mauren von Valen-
cia geholfen. So eben hatten ſie Ungern eingenommen. Mit
Hülfe der deutſchen Seeſtädte hatten ſich die beiden nordi-
ſchen Könige in Beſitz ihrer Kronen geſetzt. Hatte Polen Vor-
theile davon getragen, ſo verdankte es ſie doch ganz allein den
Provocationen und dem Beiſtand der deutſchen Provinzen ſel-
ber, und ſchon daraus ergab ſich wohl, daß es nicht immer
ſo bleiben konnte. In Liefland waren die Angriffe der Ruſ-
ſen durch glückliche Schlachten zurückgewieſen, noch im
Jahr 1522 ſehr vortheilhafte Friedensbedingungen erwor-
ben worden.
Und dieß alles war geſchehen, obgleich es an jeder
kräftigen centralen Regierung fehlte, unter den Stürmen
der heftigſten innern Entzweiungen.
Ja in dieſen ſelber drang eine noch viel weiter reichende
die Welt umfaſſende Tendenz zu Tage. Es war dem
deutſchen Geiſte gelungen, die innere Wahrheit des Chri-
ſtenthums von den Zufälligkeiten der letzten Formationen
in dem Papſtthum zu ſcheiden, und derſelben mit eben ſo
viel Mäßigung wie Entſchloſſenheit in weiten Gebieten
eine legale Geltung zu verſchaffen. In einem Churfürſten-
thum, drei oder vier Herzogthümern, der größten Landgraf-
ſchaft, der größten Grafſchaft des Reiches, einem oder zwei
[482]Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Markgrafthümern, und einer ganzen Anzahl von Städten
war die neue Lehre zur Herrſchaft gelangt, und durchdrang
die Populationen, deren eingeborner Sinn eine natürliche Ver-
wandtſchaft damit hatte. Um ſich die urſprünglichen Geſichts-
puncte poſitiver und negativer Art wieder zu vergegenwär-
tigen, ſollte man einmal die Bekenntnißſchriften zuſammen-
ſtellen, die ſchon jetzt an ſo vielen Orten erſchienen: die Arti-
kel der ſächſiſch-heſſiſchen und beſonders der brandenburgiſch-
nürnbergiſchen Viſitation, die oſtfrieſiſche Confeſſion, die In-
ſtruction der ſchleswig-holſteiniſchen Prediger, die Entſchul-
digungsſchriften der ſchleſiſchen Stände, die Synodalconſti-
tutionen in Preußen. Man wird in allen denſelben Sinn
eines nothgedrungenen Zurückgehens von dem Zufälligen
auf das Weſentliche, einer noch nicht ſymboliſch-feſtgeſtell-
ten, aber ihrer Wahrheit ſich bewußten, mächtig vordringen-
den Überzeugung wahrnehmen. Es liegt in der Natur der
Sache, da die Entwickelung nur innerhalb beſchränkter Ter-
ritorien vorgieng, daß die neu ſich bildende Kirche in Groß-
artigkeit und Glanz ihrer Erſcheinung ſich mit der bisherigen
Hierarchie, in der ſich die Einheit eines Complexes großer
Reiche ausſprach, nicht von ferne meſſen konnte: ihr Werth
und ihr Weſen beſtand in ihrer innern geiſtigen Kraft. Sie
hatte es übernommen, das chriſtliche Prinzip dem Gemüth
und dem gemeinen Volke in unmittelbare Nähe zu bringen,
das Verſtändniß deſſelben frei von aller Verunſtaltung fremd-
artiger Formeln und Dienſte dahin zu entwickeln, daß es das
allgemeine Bewußtſeyn der Nationen der Erde zu erfüllen ver-
möchte. Schon ward die neue Lehre faſt in allen Sprachen ver-
nommen. Wir gedachten jener Dolmetſcher in Preußen: Doc-
[483]Schlußbemerkung.
tor Heß ließ in Breslau das Evangelium ſlawiſch verkündi-
gen: Luthers Schüler predigten es in Dänemark und Schwe-
den: einer der erſten Inſcribirten in Marburg iſt der Gründer
der ſchottiſchen Kirche: im Corpus Chriſt College zu Oxfort
bildete ſich 1527 ein Verein Lutheriſch-geſinnter, der als ein
Seminar der neuen Meinungen angeſehen werden kann. 1 In-
deſſen gieng ſeit 1528 von Bern eine unmittelbare Wirkung
auf Genf und die romaniſche Welt aus. In Italien wan-
derte die Lehre durch die alten literariſchen Verbindungen
ein, in Spanien ward ſie ſehr früh von den Franciscanern
ergriffen, in Frankreich fand ſie an der Königin von Navarra
eine mächtige Beſchützerin. Luther, der von keinem Ehrgeiz
wußte, nicht einmal eigentlichen Bekehrungseifer hatte, 2
alles von der ſtillen eingebornen Macht der Überzeugung
erwartete, bemerkte doch, daß das Evangelium das er wie-
derhergeſtellt auch einſt eine Kirchengeſchichte haben werde.
Jezuweilen erhob er ſich zu noch höhern Hofnungen. „Es
wird die Cedern des Libanon zu ſich bringen“ ſagt er. Er
wendet den Spruch bei Jeſaias darauf an: 3 „Ich ſpreche
zum Mittag, gieb her meine Töchter, und zum Abend,
wehre mirs nicht.“
[]
Appendix A
Gedruckt bei A. W. Schade.
[][][]
1381 bei Wilkins Concilia Magnae Britanniae III, 133.
ſieht, ſtellt der wohlunterrichtete Hemmerlin in ſeinem Tractat de
libertate ecclesiastica heraus und ich will es doch hier mit ſeinen
Worten in Erinnerung bringen. In regno Bohemiae quasi omnes
possessiones et terrarum portiones et portiones portionum quasi
per singulos passus fuerunt occupatae, intricatae et aggravatae
per census, reditus et proventus clero debitos. Vnde populares
nimis exasperati — insultarunt in clerum et religiosos — et ter-
ram prius occupatam penitus liberarunt.
Ludewig Reliquiae MSS Tom. VI, p. 191.
und eim Schulthayß, betreffend allen uͤbel Stand der Geyſtlichen ꝛc.;
ohne Zweifel unmittelbar nach dem Reichstag: wo es heißt „warum
hand ir dan nit Doctor Luther mit Disputiren yez zu Worms
uͤberwunden.“ Dieß iſt das Argument, durch welches der Schulze
den Pfarrer auf ſeine Seite bringt.
I, p. 178.) Er forderte Predigten „citra perturbationem vulgi,
absque tam atrocibus affectibus.“
supra millia ibi tum fuerunt.“ Im Laufe des Winters ward je-
doch die Univerſitaͤt den Braunſchweigiſchen und Brandenburgiſchen
Unterthanen von ihren Fuͤrſten verboten. Mencken Scriptt. II, 611.
Auch nahmen die Inſcriptionen beſonders im Winterſemeſter bedeu-
tend ab. Sennert p. 59.
tum Phil. Melanchthonis pro Luthero apologia. Corp. reforma-
torum I, p. 398.
Beda, Quercus, Christophorus: Belua, Stercus, Christotomus. Epp.
Zw. p. 176. Das Schreiben Glareans p. 156, in welchem der Tod
Leo’s X erwaͤhnt wird, gehoͤrt nicht in das Jahr 1520, ſondern in
das folgende.
norum. Schreiben der Wittenberger Theologen an den Biſchof von
Meißen: Corp. Ref. I, 418.
ber. C. Ev. I, p. 459.
Nov. C. Ev. 483.
C. Ev. 487. Welchen Eindruck dieſe Neuerungen in weiter Ferne
machten davon zeugt beſonders eine Stelle im 32ſten Band der ve-
nezianiſchen Chronik Sanuto’s im Arch. zu Wien: Novita di uno
ordine over uso de la fede christiana comenzada in Vintibergia.
Li frati heremitani di S. Augustino hanno trovato e provato
per le st. scripture che le messe secondo che se usano adesso
si è gran peccato a dirle o a odirle (Man ſieht die ganze Neue-
rung wird wie eine Entdeckung des Auguſtinerordens behandelt.) e
dapoi el zorno di S. Michiel 1521 in qua ogni zorno questo
hanno predichado e ditto e stanno saldi in questa soa oppinione
e questo etiam con le opre observano e da poi la domeniga di
S. Michiel non hanno ditto piu messe nella chiesia del suo mo-
nasterio e per questo è seguito gran scandalo tra el popolo li
cantori e canonici spirituali e temporali — — —
Verſammlung nicht in den October zu ſetzen, ſondern eher in den
Dezember oder Anfang Januar, wie das Seckendorf (Historia Luther.
I.[s] 54 § 129) aus einem gleichzeitigen Briefe anmerkt. Vgl.
Spal. Ann. 610.
In Strobels Miscellaneen V, p. 121.
motuum I, 15.
gangener Bericht, von welchem dieſer der Univerſitaͤt Nachricht giebt,
die Linie ihrer Meinungen. Acta Einsiedelii cum Melanthonio
C. R. p. 536. Die Nachrichten in Enoch Widemann Chronicon
Curiae bei Mencken Scriptt. R. G. III, 744 bezeichnen eine etwas
ſpaͤtere Entwickelung der Storchiſchen Phantaſien. Tobias Schmidts
Cronica Cygnea 1656 iſt fuͤr die Ereigniſſe des dreißigjaͤhrigen Kriegs
nicht ohne Werth: fuͤr die Reformationszeit aber unzureichend.
erklaͤrten gleich im Anfang, „quod papa sit antichristus cum clero
sibi subjecto.“
ſich der goͤttlichen Geſpraͤche noch nicht geruͤhmt hatten.
aus den Widerlegungen kenne — namentlich Emſers — welche ſie
hervorrief, wo denn viele Stellen woͤrtlich angefuͤhrt ſind.
G. hatt ſich Doctor Martinus Sachen bisher nicht anders — an-
genommen, denn allein weil er ſich zu Recht erboten, daß er nicht
bewaͤltigt wuͤrde.“ (C. Ref. 537.)
lungen zur ſaͤchſiſchen Geſch. B. V.
vocavit bis auf den andern Sontag gethan, als er aus ſeiner Path-
mos zu Wittenberg wieder ankommen. Alt. II, p. 99.
tenb. II, p. 126.
Eberlin von Guͤnzburg an: Vermanung an alle frumen Chriſten zu
Augsburg am Lech. Ich hab gehort, ſagt er, von D Martin Luther,
in ainer Predig ain groß war wort, das er ſagt, wie man die ſach
anfacht, ſo felt unrat darauf; predigt man den glauben allein, als
man thon ſol, ſo unterleßt man alle zucht und ordnung, predigt man
zucht und ordnung ſo felt man ſo gantz darauff das man alle ſe-
lickait darein ſetzt und vergißt des glauben; das mittel aber were
gut, das man alſo den glauben yebte das er ausbreche in zucht und
ordnung, und alſo uͤbte ſich in guten ſiten und in briederlicher liebe
das man doch ſelikait allein durch den glauben gewertig were.
der handſchriftlich in viele Haͤnde kam, in Strobel’s Neuen Beitraͤ-
gen V, p. 323 mit der erſten Ausgabe von 1521, abgedruckt in v.
d. Hardts Hist. lit. ref. IV.
nach den Mittheilungen von Adam v. Beichlingen. Die Correſpon-
denz von Planitz in zwei Baͤnden und einem kleinern Hefte des Wei-
Andre ſo itzund allhie vorhanden haben Beiſorge, es werde bei etz-
lichen Kaiſeriſchen gefleißigt, ob ſuͤlch Vornemen des Regiments in
Verhinderung oder Aͤnderung geſtellt werden mecht.“ 14 Mai ge-
denkt er eines gewiſſen Rem, der nach langer Gefangenſchaft eine
kaiſerliche Abſolution ausbringt. „Iſt vermutlich, weil das Regi-
ment die Sach zu ſich forderet und die Sach den Hofretten nicht
geſtatten wollte, hierin zu handeln, das ſie die Abſolution gefuͤrdert,
damit das Regiment auch nichts daran haben ſolt.“ Die Briefe ſind
voll von aͤhnlichen Aͤußerungen.
und Muͤller (Staatscabinet I) berichten nur das Aͤußerlichſte.
Oculi (23 Maͤrz 1522), damit man noch Zeit habe ſich zu ruͤſten;
am 28 Maͤrz war eine Anzahl Staͤnde zugegen und es wurden Pro-
ceſſionen und Gebete angeordnet, „damit S. goͤttlich Barmherzigkeit
den Zorn, ob und wie wir den durch unſre Schuld und Miſſethat
verſchuldet haͤtten, von uns wende.“ Die Propoſition geſchah am 7
April; der Kaiſer ließ darin erklaͤren, daß er ſich der zu ſeinem Romzug
bewilligten Huͤlfe begebe, damit ſie zum Tuͤrkenkrieg angewendet werde.
Die Staͤnde beſchloſſen von derſelben anderthalb Viertel (⅜) ins Feld
zu ſtellen, jedoch nicht in Mannſchaft ſondern in Geld. Es gieng
alles ſehr eilend her, da man eine beſſere Ruͤſtung auf eine Beſpre-
chung mit ungriſchen Commiſſarien gruͤnden wollte. Der Frkf. Ge-
ſandte meint, es werde nicht viel ausgerichtet werden, ſondern „aufs
fuͤrderlichſte wieder zum Thor hinaus.“ Am meiſten hielten die Seſ-
ſionsirrungen auf. „Der Sachen halber bleiben andre Haͤndel un-
ausgerichtet und wir verzehren das Unſre ohne Nutzen.“ Der Ab-
ſchied iſt vom 7 Mai. (Frankf. A.) Am folgenden Reichstag (Dez.
1522) wurden fernere zwei Viertel des Romzugs bewilligt.
nopolien 1523 (Fr. A.) entnehme ich folgende Tabelle. Z. B.
- der beſte Safran, cataloniſcher,
der 1516 3 G. 6 Kr. gekoſtet, koſtet 1522 4 G. 15 Kr. - geringerer 1519 2 G. 21—27 Kr. — — 4 G.
- Negelein 1512 19 Schill. — — 2 G.
- langer Zimmet 1516 1 G. 18 Kr. — 1518 2 G. 3 Ort
- kurzer — 1515 3 Ort. — 1519 1 G. 21 Kr.
- Muscatnuß 1519 27 Kr. — 1522 3 G. 28 Kr.
- Muscatbluͤth 1518 1 G. 6 Kr. — — 4 G. 6 Kr.
- beſter Pfeffer (in der Haut) 1518 18 Kr. — — 32 Kr.
- Ingwer fruͤher 21—24 Kr. 1516 1 G. 3 Kr.
- Galgant — 1 G. 36 Kr. — 1 G. 39 Kr.
- Zucker, der Centner, 1516 11—12 G. 1518 20 G.
- Zuckerkandis — 16—17 G. 1522 20—21 G.
- Venedegiſch Mandeln, der Centner. 1518 8 G. — 12 G.
- — Weinberlein 1518 5 G. — 9 G.
- — Feigen — 3 G. 2 Sch. — 4 G. 1 Ort.
faſt. (Fr. A. Bd 38.) Ein Actenſtuͤck das ich unter den Urkunden
mitzutheilen denke.
S. F. Gn. nicht mit der Tatt und Gewalt dazu thaͤt wuͤrd S. Gn.
2616. Merkwuͤrdig iſt der Zuſatz nr. 10 „bis ſo lang durch Ver-
ſehung der gemeinen Reichsſtaͤnde, chriſtliche Verſammlung oder Con-
cilia ſolcher Sachen halben eine bedaͤchtliche wohlerwogene gegruͤndete
gewiſſe Erklaͤrung — vorgenummen werde;“ woraus man doch zu-
gleich eine andre Tendenz abnimmt, aber noch in ihrer ganzen Un-
beſtimmtheit.
nemen, und sub utraque communiciren: er gedaͤcht es aber mit
Gewalt zu weren. (Schreiben vom 2 Jan. 1522.)
ben — Schreiben Herzog Georgs, Dienſtag nach Nativ. Mariaͤ
(9 Sept.) Otto Packs an den Herzog, Montag vom XIten Virginum
(20 Oct.) Dresdner Arch.
ten, nicht krank werden noch abgehn, denn man hett im Reich E.
Ch. G. nye als wol bedurft als itzund, nachdem E. Ch. G. wußte,
wye es allenthalben im Reiche ſtuͤnde. Planitz 1 Nov. 1521.
in dem Schreiben von Joh. Lanoy an Heinr. Barillon bei Burmann
Vita Adriani p. 360.
tiae apostolicae ac imperialis edicti praefati omnino procedant.
Detur venia iis qui errores suos abjurare voluerint. Instructio
pro Cheregato.
worteten, es ſey eine große Sache die wohl uͤberlegt werden muͤſſe;
ſie bitten ſich Abſchriften des Breves und der Inſtruction aus und
wollen „etzliche daruͤber verordnen, die die Sach mit Fleiß bewegen.“
„In der Stadt iſt groß Murmeln, will nicht rathen, das man einen
gefangen annehme.“
ten verglich deſſen Uͤberſetzung noch einmal mit dem Text, Schwar-
zenberg brachte ſie in „Hoffraͤnkiſch Deutſch.“
nr. 1. Heller: Reformationsgeſch. von Bamberg p. 45.
lutheriſchen Handell betreffen verordnet derhalb gerathſchlagt hat.
Frankf. RAA. Tom 38, f. 99.
woll angezeigt daß ſolches von wegen der Sund beſchee und daß
die Sund des Volks von den Sunden der Prieſter und Praͤlaten
herfließen, und daß darum dieſelben zufoͤrderſt und am erſten als die
endlich Urſach ſolcher Krankheit von der Wurzel geheilt geſtraft und
abgewendet werden ſoll.“ Dieſe Stelle fehlt in der Antwort welche
dem paͤpſtlichen Nuntius wirklich gegeben. Vgl. den Abdruck bei
Walch XV, p. 2551, nr. 8.
in folgenden Ausdruͤcken: Majori namque populi parti jam pridem
persuasum est — — nationi Germanicae a curia Romana per
certos abusus multa et magna gravamina et incommoda illata esse:
ob id, si pro executione apostolicae sedis sententiae vel impe-
ratoriae majestatis edicti quippiam acerbius attemptatum esset,
mox popularis multitudo sibi hanc opinionem animo concepisset
ac si talia facerent pro evertenda evangca veritate et sustinendis
manutenendisque malis abusibus, unde nihil aliud quam gravis-
simi tumultus populares intestinaque bella speranda essent. (Fr. A.)
und Feilitzſch.
tragen. Es haben die Staͤnde obangezeigte Wort (er hat ſie in ſein
Schreiben eingeruͤckt) haben wollen und nit die vier Doctores zu
benennen und ſulchs dem Regiment anzeigen laſſen, dabei es blieben.“
juxta doctrinam et expositionem approbatae et ab ecclesia chri-
stiana receptae scripturae doceant. So lautet der Satz in der dem
paͤpſtlichen Nuntius gegebenen Antwort.
auf die Maß uͤbergeben wie ich E Chf D. zugeſchickt. Der iſt der
nicht zu frieden und hat darauf replicirt. — — Er will den Kayſer
dabei nit haben, ſo gefaͤllt ihm auch nit daß es ſogar frei ſeyn ſoll
wie begehrt.
lehrte Dr Caspar Amon, „ain erwirdig Man,“ zu Dillingen. Es
iſt ohne Zweifel derſelbe, welcher 1523 einen Pſalter herausgab „ge-
teutſcht nach warhaftigem text der hebreiſchen Zungen;“ deſſen Zu-
ſchrift von Lauingen datirt iſt. Panzer II, p. 131.
Martini Luthers.
Er thut ſich worlich fyegen zu Got in rechten Muth,
Gwalt mag ihn auch nit biegen: er geb er drum ſein Blut.
Zu Worms er ſich erzeyget: er trat keck auf den Plan.
Sein Feynd hat er geſchweyget: keiner dorft ihn wenden an.
Vgl. Strobel Neue Beitraͤge I, p. 10.
theranismi I, 272.
Auch in Welſer’s Augsburger Chronik heißt er ein Carmelit.
zeigt ſich heftig und bitter: Regius (Koͤnig) ſetzt die gewohnte Ehr-
erbietung gegen den Lehrer bei aller Feſtigkeit ſeiner Oppoſition doch
nicht aus den Augen.
enthaͤlt nichts beſonderes.
Rer. Siles. I, p. 457.
modo verbum susciperes et crederes, sed pro episcopali auto-
ritate etiam palam et publice confessus doceres docerique per
tuam diocesim curares, liberaliter his qui in verbo laborant pro-
visis. Opp. III, f. 75. Hartknoch Preußiſche Kirchengeſchichte I, p. 273.
reicher Lieder, darin die Summa von der Lehre von der Gerechtig-
p. 869.
Lieflaͤndiſche Geſch. Bch V. p. 193.
wyder der Papiſten Mortgeſchrey, die zehen klagen wyder jn ußbla-
ſiniren ſo wyt die Chriſtenheyt iſt. 1523.
des Wortes Gottes nicht zu hindern;“ er ſetzt voraus, „ſie wuͤrden
die Ehre Gottes und die Liebe des Naͤchſten ſuchen.“
ſpondenz in der Sammlung vermiſchter Nachrichten zur ſaͤchſiſchen
Geſchichte IV, 282.
canonicorum capiunt D. Valentinum Mustaeum (er hatte mit Be-
willigung des Buͤrgermeiſters in der Neuſtadt das Evangelium ge-
predigt) et vinctum manibus pedibusque injecto in ejus os freno
deferunt per trabes in inferiores coenobii partes ibique in cella
cerevisiaria eum castrant. (Hamelmann l. c. p. 880.)
tur 1788. 1802. Daß dieſe Verzeichniſſe, ſo viel Verdienſt ſie auch
haben, doch nicht vollſtaͤndig ſind, iſt ein Fehler den ſie mit den
meiſten ſtatiſtiſchen Arbeiten theilen. Das allgemeine Verhaͤltniß, um
das es uns hier allein zu thun, laͤßt ſich daraus doch abnehmen.
nert an „das Exempel der Propheten und Koͤnige im alten Teſta-
ment, die mit ſingen und klingen mit dichten und allerlei Seiten-
ſpiel Gott gelobet haben.“ Altenb. A. II, p. 751.
Das merkwuͤrdige Schreiben an Spalatin, uͤber eine Bearbeitung
der Pſalmen in deutſchen Verſen, bei de Wette II, p. 490 iſt ohne
Zweifel fruͤher als das vom 14ten Januar 1524 datirte ib. p. 461.
Da ſieht man erſt, was die Musae germanicae, woruͤber de Wette
in Zweifel iſt, ſagen wollen. Aus den Briefen an Hausmann er-
giebt ſich, daß Luther im Nov. und Dez. 1523 mit der Abfaſſung
der Liturgie umgieng.
dem MDXXII Jare von Burgerßſonen offentlich gemacht iſt Darinn
die Warheit in Schimpffswyß vom pabſt und ſiner prieſterſchaft ge-
meldet wuͤrt. Neu gedruckt bei Gruͤneiſen: Nicl. Manuel p. 339.
ten in Gegenwart Melanchthons: Erzaͤhlung Peucers bei Strobel:
Nachricht von Melanchthons Aufenthalt in Nuͤrnberg p. 27.
er in dieſem Sinn empfangen, von Luther, Melanchthon, Jonas,
Draco u. A. 1523 zuſammendrucken: in dem Hefte De non con-
temnendis studiis humanioribus.
matik zaͤhlt die bemerkenswertheſten Ausgaben auf, bis 1737. Neue
Beitraͤge II, III, 43.
Arnſtadt gehaltenen Predigten: abgedruckt hinter Olearii Syntagma
rerum Thuringicarum II, 274; ein Abdruck, den Panzer Annalen
II, 93 nicht verzeichnet.
doch ſey die hailig chriſtlich kirche, davon unſer glaub ſagt: gepredi-
get zu Ulm von Bruder Heinrich von Kettenbach. 1522.
Der Menſch ſol ſich ſelbſt probieren und alßo von dem Brott eſſen
und von dem Kelch trinken: zu Hall in Innthal von D. Jacob
Strauß geprediget. MDXXII. Der Leib Chriſti und ſein Blut wird
genommen als das allerſicherſte Zeichen ſeiner barmherzigen Zu-
ſage uns im Glauben die Suͤnde zu vergeben. Auch in einigen ſpaͤ-
tern Schriften dieſes Autors tritt dieſer Gegenſatz hervor.
Fred erleuchtung und leben in aym rechten chriſten zu erwecken ver-
mag — zugeſtelt dem edlen Ritter — Hern Joͤrgen von Fronsperg;
von Haug Marſchalk der genennt wirt Zoller zu Augsburg 1523.
Er ruͤhmt in der Vorrede den Ritter „daß Eur Geſtreng yetzumal
ſo hoch benennt und gepreiſt wird, daß das edel rain lauter und
unvermiſcht Wort Gottes das heilig Evangelium bey Eur Geſtreng
Statt hat, und in eur ritterlich gemuͤt und herz eingemaurt und be-
feſtiget“ ꝛc.
ſ. w. 1523.
meier Sammlung von Aufſaͤtzen p. 135. Wie ſehr man uͤbrigens
in jenen vornehmſten Tendenzen den Zweck der ganzen Bewegung
ſah, davon zeugt auch folgende Stelle in Eberlin von Guͤnzburg
fraindlicher Vermanung Bog. III. Ich halt, Luther ſey von Gott
geſandt zu ſeubern die Biblia von der lerer auslegung und zwang,
die gewiſſen zu erloͤſen von banden der menſchlichen gebot od’ bapſt-
geſetzen und den gaiſtlichen abziehen den titel chriſti un̄ ſeiner kir-
chen, dz fuͤrohyn nit mer ſollich groß buͤberey — ſtrafflos ſey und’
dem heyligen namen gottes — — auch iſt der Luther geſant dz er
lere das creutz und glauben, welche ſchier durch alle doctores vergeſ-
ſen ſeindt; darzu iſt Luther beruft von got und got gibt im weyß-
hait kunſt vernunft ſterke und herz dazu.
Anglicanum super concertatione ejus cum Vlrico Veleno. Julio
mense 1523. Der Autor beweiſt hauptſaͤchlich, quod gentiliter et
ambitiose pro Petri primatu a multis pugnetur, cum hinc nihil
lucri accedat pietati: — quod impie abusi sint potestate sua Ro-
mani pontifices in statuendis quibusdam articulis seditiosis ma-
gis quam piis. — Die Stelle Adrians in titulo de sacram. baptismi
iſt: Noverit ecclesia se non esse dominam sacramentorum sed
ministram, nec posse magis formam sacramentalem destituere
aut novam instituere quam legem aliquam divinam abolere vel
novum aliquem fidei articulum instituere. — Spero fore, heißt es
dann, si ille perstat in sua sententia, ut tota catholica ecclesia,
quae nunc in sectas videtur divisa, in unam fidei unitatem aggre-
getur, adeo ut et Bohemos et Graecos dexteras daturos confi-
dam bene praesidenti Romano pontifici. — Ich hege die Vermu-
thung, daß Simon Heſſus, der auch ſonſt zuweilen als tapferer Mit-
nis und Judaͤ 1523.
Simshauſen in Heſſen.
1523.
23 enthalten dieß und noch mancherlei anders Detail. Z. B. Ruͤ-
digkheim und Reuſchlein „haben im Junio 2 Waͤgen mit Kupfer be-
laden zwo Meil von Frankfurt angenommen und die Fuhrleut un-
geſcheut benoͤthiget, daß ſie das Kupfer in das Schloß Ruͤcking dem
von Ruͤdigkheim zugehoͤrig fuͤhren muͤſſen.“ Dem Nuͤrnberger Buͤr-
ger dem es gehoͤrt ſchreibt Ruͤdigkheim: wolle er das Kupfer wieder
haben, ſo moͤge er kommen und es ihm abkaufen. Sie waren da-
durch gereizt, daß Nuͤrnberg bei dem Kaiſer wider ſie geklagt hatte.
22. „alſo hab ich meyn gnedigen Herrn gebeten, uns gen Wirtzburg
zu verhelfen: iſt er willig Gott helf uns furter —“
unmittelbar vor dem Ausbruch der Fehde: bei Guͤnther Codex di-
plomaticus Rheno-Mosellanus V, p. 202.
Antwurters Genoß, oder ungefehrlich dem etwas gemeß oder dar-
uͤber, unparteilichs Rechten oder Austrags, vor die, ſo inlendiſch der
Sachen geſeſſen oder gelegen ſeyn.“ Bruͤderlicher Verein bei Muͤnch:
Leben Sickingens Bd II, p. 188.
giebt ſich aus den Worten:
Der (Kaiſer) zeucht nun von uns wider Mher;
ſie wollen nit, daß er widerkheer.
Dieſe Ideen reichen aber auch in das naͤchſte Jahr, wie wir aus
einer Schrift von Kettenbach ſehen: Practica practicirt u. ſ. w. (Pan-
zer II, p. 190) wo die Staͤdte ermahnt werden, ſich nicht in die
Fehde zwiſchen Adel und Fuͤrſten einzulaſſen.
ria Evangelii: Tom. I, Monumenta p. 166.
1522; an die Einwohner von Kronenberg: bei Muͤnch Sickingen II,
p. 145. 153.
p. 317.
die Flersheimer Chronik: in Muͤnchs Sickingen III, p. 215.
ſagt, er wolle ſich eines Thuns unterſtehn, deſſen ſich kein Roͤmiſcher
Kaiſer unterſtanden. 28 Spt. er habe den Boten des Regiments
geſagt: er wißt vorwar, ſein Herr der Kaiſer werde nicht zuͤrnen,
ob er den Pfaffen ein wenig ſtrafet und ihm die Kronen eintraͤnkt,
die er genommen haͤtte. Wirklich fieng man an zu glauben der Kaiſer
moͤge gar mit ihm einverſtanden ſeyn. Der Kaiſer ſagte ſpaͤter, Franz
habe ihm nicht ſo gut gedient um ihm Dinge dieſer Art nachzuſehen.
1522 in Rommels Geſch. von Heſſen Bd V, p. 858.
Annal. Trev. II, 340, der auch Latomus aufgenommen, Gesta Tre-
virorum in Hontheims Prodromus p. 858, Chronicon S. Maximini
ibid. p. 1035.
chen eine, „die andern ſtecken in der Feder.“
Muͤnch III, p. 28.
III, 33.
ſchreibung zuruͤckgeben und Sickingen zu guͤtlichem Verhoͤr kommen
laſſen.
gen nicht in die Acht erklaͤren, „man haͤtte ihn denn citiert, — aber
geſchehn iſt geſchehn.“
gen bei Freher Scriptt. Rer. Germ. III, p. 305.
Mantoa. Il Landgrafio si è portato magnanimamente, essendo
sempre stato de li primi, in zuppone con le calze tagliate et in
corsaletto da Lanzichenech, et è giovane di 18 anni. (Venez.
Chronik von Sanuto Bd 34.)
bei Spalatin Sammlung zur ſaͤchſ. Geſch. V, 148.
nik bei Muͤnch III, 222.
zwiſchen Fuchs und Wolf beweiſt. Wolf: Wie mainſtu hat der Pfalz-
graff gethon, wir wolten gut feiſte Boͤlz erlangt han? — Fuchs: Es
iſt bei Got war, derſelb hat uns allein den Schaden thon des wir
uns nit verſehen.
1523: „der Bund geht teglich zwir in Rath;“ vorzuͤglich Muͤllners
Annalen, welche ein Tagebuch des ganzen Zuges enthalten.
gall, 2 Nothſchlangen, 6 Feldſchlangen, 6 Halbſchlangen, 60 Hacken
auf Boͤcken.
pellectilem nullam praeter calamum.“ Epp. p. 313.
das Regiment nicht lange beſtehen: „denn der dreier Fuͤrſten und
des Bunds Vornehmen will ſich mit unſern gethanen Pflichten gar
nicht leiden.“
A. Bd 36, beſonders f. 110 die Supplik der Staͤdte.
AA., hier meine Hauptquelle.
lung bey Romiſch Kayſerl. Majeſtadt zu Valedolid in Caſtilia. Im
Monat Auguſti anno 1523. In den Frankf. AA. Tom. XXXIX
fol. 39—56.
in welchem ſich eine Anzahl zerſtreuter Schreiben der vornehmſten
Raͤthe des Erzherzogs an Churf. Friedrich finden, von denen ich in
dem Anh. weitern Bericht zu thun gedenke.
Luciaͤ (Dresdn. A.) meint, ſie ſeyen ausgebiſſen. „Darnach wiſ-
ſen E. F. Gn. wer die andern ſeint, welche alle E. F. Gn. Abwe-
ſen wol erdulden koͤnnen.“
in dem die Briefe Holzhauſens von dieſem Reichstag enthalten ſind.
ſich, daß in der Monopolienſache nur Augsburg den Reichsbeſchluͤſ-
ſen Widerſtand leiſtete. Alle uͤbrigen Staͤdte waren fuͤr die Abſchaf-
fung derſelben. Dr Rolinger hatte den die Monopolien betreffenden
Artikel eigenmaͤchtig in die den Geſandten nach Spanien mitgegebene
Inſtruction gebracht.
Campeggi, der nach dem Grunde ſeiner Abweſenheit fragte, mit dieſen
Worten. Schreiben von Wolfſtal 14 Maͤrz. Weimar. Arch. Die Ita-
liener meinten, er ſey gegangen, eben weil der Legat gekommen, „assai
sdegnato“ wie der Venezianer Ziani ſich ausdruͤckt, Disp. 29 Martio.
Derſelbe bemerkt daß Nuͤrnberg ſchon voͤllig vom Katholicismus abge-
fallen: Di qui è totalmente scancellata la sincera fede.
wenn ein Blinder den andern fuͤhrt.
Kreuz zu thun vermeyd, angeſehen wie es deshalb jetzund ſtee.“ Fei-
litzſch an Friedrich von Sachſen 11 Maͤrz.
Erbett, und ſunderlich, daß es des Regiments Perſonen eines Theyls
alſo genommen.“ Er bemerkt daß Ferdinand uͤber das Bezeigen ſei-
ner Schweſter ſehr unwillig ſey. „Nicht weiß ich wie es gehn will.“
fosse ricevulta per nome de’ principi.
bracht, ihm ſeine mathematiſchen Inſtrumente zu verehren, und ihm
dann weder die Pfruͤnde verſchafft, noch die Inſtrumente verguͤtet
habe, bei Strobel: Nachricht vom Aufenthalt Melanchthons in Nuͤrn-
berg p. 18.
1524. Wenn man nach dieſem Abſchied die Schrift Luthers lieſt:
„zwei kaiſerliche uneinige und widerwaͤrtige Gebote“ (Altenb. II, 762),
ſo erſtaunt man daß er ſo wenig damit zufrieden iſt. Das ruͤhrt
aber daher, daß in dem Mandat, welches auf den Abſchied gegruͤn-
det wurde, die Beſtimmung daß das heilige Evangelium gelehrt wer-
den ſolle weggelaſſen, und dafuͤr ein ganz außerordentlicher Nachdruck
auf die Beobachtung des Wormſer Edictes gelegt iſt; die Clauſel ſo
viel moͤglich findet ſich zwar darin, aber ſie verſchwindet faſt unter
dem Schwall der Wiederholungen des Wormſer Edictes. Man ſieht
daraus, welchen Einfluß nach Abſchaffung des alten Regimentes die
Reichscanzlei empfieng. Den Abſchied ſelbſt ſcheint Luther nicht ge-
handlungen.
tionshiſt. p. 41.
mahnung von dem Churfuͤrſten v. d. Pfalz an die Univerſitaͤt Hei-
delberg gedenkt Struve: Pfaͤlziſche Kirchenhiſtorie p. 19.
in und durch Baiern I, p. 62. 76.
„Denn ſobald du fuͤr Muͤnchen herauskompſt auf drey Meyl gegen
Burg, und fragſt wes iſt der Grund, Antwort: iſt meines gnedigen
Herrn von Degernſee, Chiemſee, Saunerſee, alſo daß mer denn der
halb Teyl des Bayrlandes der Geiſtlichen iſt. (Panzer nr. 2462.)
guſt und September finden wir ihn noch in Polling. Leben des be-
ruͤhmten Joh. Eckii im Parnaſſus Boicus I, II, p. 521.
mittiche angeender Vaſſten ibid. p. 310.
naſſus Boicus II, I, p. 206.
tores, quorum caput celebris ille Eckius, Adriano VI Romae ob-
tulerunt anno 1521 ap. Oefele II, 274. Die Jahrzahl iſt jedoch
ohne Zweifel falſch, da Adrian 1521 gar nicht Papſt war. Die
nach den Worten der Supplik ausgefertigte Bulle iſt vom Juni 1523;
erſt 1523 im Dez. reclamiren die bairiſchen Biſchoͤfe dawider, ſo daß
ſich am Jahr 1523 nicht zweifeln laͤßt.
„ad arma contra perfidos orthodoxae fidei hostes sumenda sese
obtulerunt.“ (ib. 279.) Damit ſind jedoch auch die Tuͤrken gemeint.
acad. Ingolstad. IV, 234 findet ſich die Bulle Clemens VII hier-
uͤber, worin den Herzoͤgen vergoͤnnt wird, in den Capiteln zu Augs-
burg Freiſingen Paſſau Regensburg Salzburg immer Einen ihrer
Profeſſoren der Theologie zu Ingolſtadt zu einer Praͤbende vorzu-
ſchlagen: „Sie haben angegeben, quod ecclesie predicte a Duci-
bus Bavarie fundate vel donationibus aucte fuerunt.“ Der Grund
iſt daß ſie Theologen zu haben wuͤnſchen „hoc tempore periculoso,
quo Lutheriana et alie plurime hereses contra sedem apostolicam
— propagantur, qui se murum pro Israel exponant et contra he-
reses predictas legendo predicando docendo et scribendo eas
confutent dejiciant et exterminent.“ Das iſt um ſo wichtiger, da
in dieſen Jahren nach der Peſt die Univerſitaͤt, wie die Statuten der
Juriſtenfacultaͤt ſagen, faſt von neuem conſtituirt ward.
Gemeiners Regensburger Chronik IV, VI, p. 514.
ter I, 156.
worin ſie ihm melden „was eine Schrift enthaͤlt, die ihnen vom Hofe
fuͤrſtlicher Durchleuchtigkeit (Ferdinands) zugekommen iſt.“ 8 Juli
1524. (Weim. A.)
ſten Friedrich, Nuͤrnberg 26ſten Juli: „Die Geiſtlichen in des Erz-
herzogs Landen haben bewilligt, ihm den vierten Pfennig zu geben,
5 Jahr lang, und die Geiſtlichen unter den Herrn von Baiern ge-
ben ihren Fuͤrſten den 5ten Pfennig 5 Jahr, allein daß ſie in iren
Fuͤrſtenthumen die lutheriſche Lehr nicht zulaſſen und veſt uͤber ihnen
halten wollen.“ Ich habe nicht ermitteln koͤnnen, ob Planitz uͤber
die Dauer der Auflagen recht berichtet war. Nach Winter II, p. 322
iſt ſie noch auf ſpaͤtere Jahre ausgedehnt worden. —
Cleri reformandam per revdum Dm ‒ ‒ Laurentium etc. Ratis-
ponae nonis Julii bei Goldaſt Constitutt. Impp. III, 487. Was
Strobel aus einem alten Druck, der auch mir vorliegt, mittheilte
(Misc. II, p. 109 etc.) umfaßt doch keineswegs den ganzen Inhalt
der Conſtitution. Namentlich iſt die Abſchaffung einer großen An-
zahl von Feſttagen im 21ſten Artikel, die bis auf weniges den ſpaͤ-
tern proteſtantiſchen Einrichtungen entſpricht, ſehr bemerkenswerth.
druckt 1525, verfaßt, wie Eck ſich ausdruͤckt, hortatu Cardinalis de
Campegiis, ut simpliciores, quibus cortice natare opus est, sum-
marium haberent credendorum, ne a pseudoprophetis subverte-
rentur.
(della Spagna) il caldo che bisogneria, fa che d’ogni provisione
che si faccia si trahe poco frutto. Giberto Datario agli oratori
Fiorentini in Spagna, Lettere di principi I, f. 133.
nicht ſelbſt: aber eine hinreichende Notiz davon in der Depeſche des
paͤpſtlichen Datars an ben Nuntius in England, Marchionne Lango
Lettere di principi I, 124. N. Sre ha di ciò scritto efficacemente
alla Mtà Ces. accioche la confideri, che facendo quei popoli poco
conto di dio tanto meno ne faranno alla giornata della Mtà S.
e degli altri signori temporali: ‒ ‒ ‒ l’absenza della Mtà Cesarea
ha accresciuta l’audacia loro tanto che ardiscono di ritrattar
quell’editto, cosa che Cesare proprio non faria. Dagegen heißt es
in dem zu Regensburg ergangenen Edict: „Darumb ſo haben wir auf
des hochwuͤrdigſten Herrn Lorenzen ꝛc. Erſuchen uns vergleycht daß
wir und unſer Principal obgemelt kaiſerlich Edict zu Worms, auch die
Abſchied auf beyden Reichstaͤgen zu Nuͤrnberg deshalb beſchloſſen —
vollziehen.“
fuͤrſten von Sachſen an Ebner bei Walch XV, 2711, October 1524,
ergiebt ſich, daß man in dem ihm zugegangenen Schreiben die Aus-
druͤcke „bei Vermeidung criminis lese majestatis, unſer und des
Reichs Acht“ etc. weggelaſſen hatte.
hern Umſtaͤnde mit.
Friedrichs mit den Raͤthen Ferdinands findet ſich ein Zettel, wo ei-
ner derſelben ſchreibt: „S. fuͤrſtl. Durchlaucht begeren ſonderlich, das
der Heirath vollzogen werd, damit S. F. Gn. deſto mer Fug und
Statt hab, S. Chf. Gn. als irn angenommenen Vatern um Rath
teglich anzuſuchen:“ eine Meinung die ſchwerlich von jenem ganzen
Hofe getheilt ward.
hatte nemlich vorgeſchlagen, der Herzog moͤge „den barmherzigen
Weg“ einſchlagen: daher ſolle Tichtel blos auf den Pranger geſtellt,
ſeine Verbrechen dort abgeleſen, nochmals durch ihn dort muͤndlich
bekannt und widerrufen und er darauf zum Zeichen ſeines ketzeriſchen
Abfalls in den beiden Backen gebrannt, dann wieder in den Fal-
kenthurm zuruͤckgefuͤhrt und bis auf weitern herzoglichen Befehl
darin verwahret werden. S. die Auszuͤge aus den Acten bei Win-
ter I, p. 182 — 199.
Wien in Oſterreich fuͤr ein Ketzer und zu dem Todt verurtaylt und
außgefuͤrt worden iſt. 1524. (Die Hinrichtung am 17ten Sept.)
Suͤddeutſchland 1839 p. 67 aus ſchweizeriſchen und oberrheiniſchen
Archiven.
Fortſetzung Beil. nr. V.
des Vogts lautet: Deße Boſewicht hefft geprediget wedder de Mo-
der Gadeß unnd wedder den Chriſten Gloven, uth welkerer Orſake
ick ehn vorordele van wegen mines genedigen Herrn Biſchops van
Bremen thom Vuere.
tract bei Fels Zweiter Beitrag p. 204.
Beitr. IV, 2, p. 88.
I, 163.
Achatius v. Zemen. Beitraͤge zur Kunde Preußens Bd IV.
nr. 572.)
Unter andern prop. 115. Proditores Christi sunt Juda pejores
et sacerdotibus Baal, qui pro missis papisticis et canonicis pre-
culis decimas recipiunt.
des Jubel jars im Text offenbarlich außgedruckt wirt das Gebot, das
die notuͤrfftig bruderlich lieb fordert, muß alle einrede ſtill halten
und allen Chriſten desgleychen zu thun gebotten ungezweyffelt ſeyn.
ſtadt einen Gulden darauf gab, daß er gegen ihn ſchreiben, ſein
Feind ſeyn wolle. Acta Jenensia bei Walch XV, 2422. L. hat
ſich uͤber die Feindſeligkeit dieſer Erzaͤhlung immer beklagt. Daß
ſie in L’s Werke aufgenommen ſind, kann ihre Wahrhaftigkeit nicht
beweiſen, wie Fuͤßli im Leben Carlſtadts p. 65 meint. Luther ge-
rieth dadurch in eine falſche Stellung, daß er angedeutet hatte, auch
Carlſtadts Meinungen ſeyen aufruͤhreriſch, wie die von Muͤnzer, was
ſo eigentlich nicht zu beweiſen war.
Lehen p. 99.
Schlauraffenland, die poeten de inſulis fortunatis, und die Juden von
ihres Meſſias Zeytten dichten, alſo auch zum Tayl die Junger Chriſti
gedachten vom reych Chriſti.“ Eberlin v. Guͤnzburg: Ein getrewe
warnung an die Chriſten in der Burgau.
feyndts zu Karſthannſen. Am Schluß: Gedruckt durch Johann Lo-
cher von Muͤnchen. Panzer gedenkt II, nr. 2777 eines erſten Briefes
des Karſthanſen unter 1525. In dieſem zweiten finde ich noch keine
Andeutung von dem Bauernkrieg; er muß ſpaͤteſtens in die zweite
Haͤlfte des Jahres 1524 fallen.
II, p. 68.
der Grafen von Lupfen und Fuͤrſtenberg, daß ſie „am Fyrtag muͤß-
1791. Bd I, p. 28.
hen gewinnen, und ander dergleichen thun, den Herren und Frouwen
werken bei gutem Wetter, ihnen ſelbs im Ungewetter; das Gejaͤgd
und d’ Hund luͤffent ohne Achtung einigs Schadens;“ die Sache ſey
an das Kammergericht gekommen, man habe aber die Entſcheidung
nicht erwartet.
Geſchichte des Bauernkriegs p. 485.
bald darauf die beiden andern Drittheil, die jedoch Manche, z. B.
Nuͤrnberg, nur in Geld leiſteten. (Muͤllners Nuͤrnb. Annalen.)
Suͤddeutſchland I, p. 235.
nalen: der Rath zu Nuͤrnberg ließ von allen Canzeln ausrufen,
„daß aller lebendige Zehent, als Fuͤllen Kaͤlber Laͤmmer ꝛc., desglei-
chen der kleine Zehent, den man nennt den todten Zehent, als Hei-
del Erbeiß Heu Hopfen ꝛc. ganz todt und abſeyn ſolle, aber den
großen harten Zehenten von hernach benanntem Getreide, ſo man
die fuͤnf Brand nennt, nemlich von Korn Duͤnkel Waitzen Gerſte
Habern ſollte man zu geben ſchuldig ſeyn.“ (Nach dem Herkommen
die 15te, 20ſte oder 30ſte Garbe.)
und Hynderſeſſen; abgedruckt unter andern bei Strobel Beitraͤge II,
p. 9. Unter den Ausgaben fuͤhrt eine bei Panzer nr. 2705 den Zu-
genoſſen, unter andern auch Melanchthons war Chriſtoph Schapp-
ler ihr Verfaſſer; ſelbſt in der florentiniſchen Geſchichte von Nardi
(VIII, 187) wird er genannt: uno scellerato rinnovatore della
setta degli Anabatisti chiamato Scaflere. Schappeler jedoch hat
das immer geleugnet (Bullinger p. 245) und es ſcheint in der That
ein Irrthum. Wenn man ſpaͤter geneigter geweſen iſt, Joh. Heuglin
von Lindau nach ſeinem eignen Bekenntniß (ſ. Strobel a. a. O. p.
76) dafuͤr zu halten, ſo bezieht ſich deſſen Erzaͤhlung doch nur auf
Artikel welche den Bauern von Sernatingen zugeſtanden werden,
damit ſie nicht zu den uͤbrigen Bauern treten: von den zwoͤlf be-
ruͤhmten Artikeln wuͤrde wohl auf eine andre Weiſe die Rede ſeyn.
Laͤtare, 26 Maͤrz.
Walch L. W. XVI, 180. Dr Benſen (hiſtor. Unterſuchungen uͤber
Rotenburg p. 270) hat eine ausfuͤhrliche Arbeit uͤber dieſe merk-
wuͤrdigen Ereigniſſe verſprochen.
in den Urkk. bei Oͤchsle. Vgl. dieſe Schrift ſelbſt p. 135.
nach Palm. bei Oͤchsle 271.
digung in den Materialien p. 156.
Geſchichtſchr. p. 886.
ihnen der 12 Artikel wegen eines Landtags vereinigt, dergeſtalt was
wir uns derſelben mit ihnen vergleichen moͤchten das hat ſeine Wege,
weß wir uns aber nicht vertragen koͤnnen, das ſolt ſtehen zu Kur-
fuͤrſten Fuͤrſten und Staͤnden des Reiches.“ Iſt das Prinzip der
meiſten Abkommen die man traf. (Mel. Epp. I, 743.)
der Wachholder die alte Malſtatt geweſen, wie Vogt annimmt, be-
ruht wohl auf einem Irrthnm.
zer Geſch. I, p. 191.
p. 88.
tenbachs Ausg. der Gesta II, animadv. p. 51.
1525 in Koͤhlers Beitraͤgen I, 270.
als Fuͤrſten zu erkennen, nur vom Kaiſer und von deſſen Statthal-
ter wollten ſie in Zukunft regiert ſeyn. Etwas Aͤhnliches verſtanden
ſie auch wohl unter dem goͤttlichen Recht das ſie dem Herzog von
Wirtenberg bewilligten. Daß ſie den Kaiſer anerkannten, hatte
ſeinen vornehmſten Grund darin daß er in dem N. Teſt. vorkam.
hang. Es iſt ſchon von Eichhorn (Deutſche Staats und Rechtsgeſch.
III, p. 119 Ausg. IV) bemerkt worden, daß durch dieſe Entwuͤrfe ein
neues Licht auf die ſog. Reformation Friedrichs III faͤllt. Zwar traͤgt
Goldaſt die Schuld nicht, die ihm Eichhorn beimißt, — er hat dieß
Werkchen nicht zuerſt fuͤr eine Reformation des Kaiſers ausgegeben; die
alte Schrift, die er citirt, fuͤhrt wirklich den Titel: Teutſcher Nation
Notturft: die Ordnung und Reformation aller Stend im Roͤm Reych,
durch Kayſer Friedrich III Gott zu Lob, der ganzen Chriſtenheyt zu
Nutz und Seligkeit fuͤrgenommen. (Panzer II, p. 226.) Allein das
iſt ohne Zweifel nur eine ſchriftſtelleriſche Fiction: die Schrift athmet
durchaus den Geiſt der erſten Reformationsjahre. — Das Ungluͤck
von Erfurt, deſſen dort unter den Communen gedacht wird, die durch
eigen Nutz zu Grund gegangen, bezieht ſich auch wohl mehr auf die
verderblichen Unruhen von 1510 als auf fruͤhere wenig bemerkte Er-
eigniſſe.
ſolveſt upgericht, und beſonders das Schreiben des Biſchof Frederik
8 Mai bei Nieſert Beitraͤge zu einem muͤnſterſchen Urkundenbuch I,
113. So juw vorgekommen, was grotes Uprores jtzont im hylli-
gen Ryke und daitſcher Nation weder alle chriſtliche Ordenunge Obe-
richeit geiſtlich [und] weltlich vorhanden is — werden wy berichtet, —
das ſulchs allhier in unſerm Geſtichte unſer Obericheit und inſonder-
heit dem geiſtlichen Stande zu gyner geringen Verhonynge Inbrock
und Beſweringe im Deile och vorgenommen und betenget.
der Sprache dieſer Zeit, wenn Bucholtz annimmt, in dieſen Bewil-
ligungen ſey das Verfaͤngliche umgangen.
p. 88.
1521) war dieſe Secte beſonders in Aſchersleben und Sangerhau-
ſen im Gange. Nach einem Document welches Foͤrſtemann in den
Provincialblaͤttern fuͤr Sachſen mittheilt (1838 nr. 232) finden wir
noch eine Inquiſition auf dem Schloſſe Hoym gegen einen Geißler
im J. 1481. Ein Anſchließungspunct moͤchte ſeyn, daß auch jene
ihren Prediger als Propheten behandelten, in ihm den Richter am
juͤngſten Tage zu ſehen meinten. Doch iſt freilich alles metamorphoſirt.
gepredigt aufm Schloß zu Alſtedt vor den tetigen thewren Herzo-
gen und Vorſtehern zu Sachſen durch Thomas Muͤntzer. 1524. Wohl
eine ſeiner merkwuͤrdigſten Schriften. Er windet ſich ſehr, um einen
Unterſchied zwiſchen der aͤchten Offenbarung und den falſchen Geſich-
ten aufzuſtellen, z. B. ſie komme hernieder „in eyner frohen Ver-
wunderung,“ der Menſch muͤſſe „abgeſchieden ſein von allem zeitli-
chen Troſt ſeines Fleiſches,“ das Werk der Geſichte muͤſſe „nit rauſſer
quellen durch menſchliche anſchlege, ſondern einfaltig herfließen nach
Gottes unvorrucklichen Willen;“ aber es leuchtet ein, daß er mit dem
allen noch lange nicht ſo weit kommt wie Ignatius Loyola. Zu-
gleich bekaͤmpft er die gemaͤßigte Theorie Luthers, die er einer „ge-
tichten Guͤte“ zuſchreibt. Er ſagt ganz offen, der Gottloſe habe kein
Recht zu leben. „Ich ſage mit Chriſto ꝛc., das man die gotloſen
regenten, ſunderlich pfaffen und moͤnche toͤdten ſol.“ Die Fuͤrſten ſol-
len die Gottloſen vertilgen, wo nicht ſo wird ihnen Gott ihr Schwerd
nehmen. „Ah lieben Herren, wie hubſch wirt der Herr unter die
alten Topf ſchmeißen mit einer eyſern ſtangen.“
Muͤnzers p. 95.
uͤber eine abſchlaͤgliche Antwort, dem Rath zu Nuͤrnberg: es ſey wohl
moͤglich, daß der Rath eher die Huͤlfe der Bauern beduͤrfe als die
Bauern die Huͤlfe des Rathes: „darauf ſind ſie mit einem ſolchen
Trutz und Hochmuth abgeſcheiden, als wann die Welt ihr eigen waͤre;
haben ſich auch ingeheim gegen etliche vernehmen laſſen, ſie gedenken
kein Hauß im ganzen Land zu gedulden, das beßer ſey denn ein
Bauernhaus.“ In der „Lanndſordnung, ſo Michel Geismair ge-
macht hat, im 1526 Jar“ bei Bucholtz IX, 651 iſt der fuͤnfte
Artikel, daß „alle Rinkmauern an den Stetten, dergl. alle Ge-
ſchloͤſſer und Beveſtigung im Lannd niedergeprochen werden und
in Schwaben. Altenb. III, p. 114.
ſchen (aufhoͤre) — und ain gannze gleichait im Lannd ſei.“
das Schreiben an Ruͤhel II, 886. Uͤbrigens ſtand ihm Melanchthon
auch hier mit uͤberzeugenden, dogmatiſirenden und doch ſehr klaren
Schlußfolgen bei Z. B. an Spalatin 10 April 1525, zunaͤchſt wi-
der die Einfuͤhrung der moſaiſchen Geſetze, aber auch allgemein zu
verſtehn: „Rationi humanae commisit Christus ordinationes politi-
cas: ‒ ‒ debemus uti praesentibus legibus.“ (Corp. Ref. I, 733.)
in Goͤbels Beitraͤgen p. 139. Rommel I, 108.
XVI, p. 140.
niſchen Geſch. Bd IV, p. 49.
thons, die auch in Luthers Werke (Altenb. III, 126) aufgenom-
men iſt.
Freiberg: Urkunden und Schriften IV, S. 367, giebt dieſe Zahlen an.
menkunft war auf den 31ſten Mai beſtimmt.
cretaͤr Spieß, der das Heer begleitete, bei Oͤchsle p. 197, und das
Tagebuch des Pfalzgrafen p. 368 darin uͤbereinſtimmen; andere ha-
ben viel hoͤhere.
Textes zu dem deutſchen, ſo wie des Gnodalius und Leodius zu Haa-
rer denke ich im Anhange das Noͤthige beizubringen.
Bullingers Reformationshiſtorie I, 249.
p. 302.
337.
uf die lutheriſchen Pfaffen, fiengſ’ beroubtſ’ ſchatztſ’ und henktſ’.“
habe ich in einem Schreiben des Herzog Georg in dem Dresdner
Archiv gefunden. Danach war der Beſchluß „ſich bei einander fin-
den zu laſſen, wenn die Lutheriſchen einen von ihnen angreifen wuͤr-
den, um ſolches Aufruhrs vertragen zu bleiben.“ Es laͤßt ſich je-
doch nicht abſehen von wem ſie einen Angriff haͤtten beſorgen ſollen,
wenn ſie Philipp und Churf. Johann wirklich fuͤr wieder bekehrt
hielten, wie Herzog Georg ſagt, „denn ſonſt wuͤrde er ihnen den
Vertrag nicht mitgetheilt haben, er wiſſe wohl, daß man Schweizer
mit Schweizern nicht ſchlage.“ Die Erklaͤrung liegt wohl darin,
daß man bei allen Buͤndniſſen jener Zeit defenſive Formen liebt,
wenngleich man deshalb nicht bei der Defenſion ſtehen zu bleiben
gedenkt. Dem Kaiſer ſagte Herzog Heinrich: er habe mit ſeinen
Freunden ein Buͤndniß geſchloſſen „wider die Lutheriſchen, ob ſie ſich
unterſtuͤnden, ſie mit Liſt oder Gewalt in ihren Unglauben zu bringen.“
ſatzung predigen ſoll, fuͤrſtlicher Befelch zu Weymar beſchehen. Send-
ſchreiben des Pfarrers Kißwetter zu Erfurt an „Herr Hainrichen
Pfarher zu Elxleben a. d. Gera.“ 1525.
ben von Schrauttenbach an Landgraf Philipp 27 Dez. 1525 in Neu-
deckers Urkunden S. 16.
Juli 1525 bei Bucholtz IX, 640.
ner erſamen Landſchaft dieſer unſrer f. G. Tirol, — zu furkumung
nachtail ſchadens und geferlichait, ſo dieſelben unſer Grafſchaft und
dem Stift zu Brichſen, des Vogt Schirm und Schutzherr wir dann
ſein, entſtehen mechten.“ Bucholtz 642.
gen der Bauern Empoͤrung, bei Oͤchsle Beitraͤge p. 478. Das Volk
ſchrie Hei Oͤſtreich damit wir nicht gar verderbt werden, der Haupt-
mann nahm die Erbhuldigung auf ein Hinterſichbringen an. Ab-
geordnete der Stadt giengen nach Insbruck, die daſelbſt „wohl be-
gruͤßt“ wurden. Ferdinand erklaͤrte, er werde bald kommen und die
Huldigung perſoͤnlich einnehmen.
Pfleger zu Kropfsberg, mit der Nachparſchaft im Zillerthal reden
ſollen. Bucholtz IX, 630.
Bucholtz p. 621.
und Raͤthe des Pundts zu Swaben 31 Juli. ib. IX, 624.
zoge, Beilagen zum zweiten Theil nr. 124, und Landtagsabſchied 30
Oct. 1525 nr. 125. (III, 1, 4.)
deckers Actenſtuͤcken I, 16. Aus den Worten: „von E. L. und unſerm
Freund, von ir und uns,“ ſollte man ſchließen daß dort wahrſchein-
lich auch der Churfuͤrſt von Trier zugegen war.
und des Reichs Nutz furnemen und handeln ſoll. Im Weimari-
ſchen Archiv; zwar unter den Acten von 1526, aber da darin des
Reichstags von Augsburg gedacht wird, ohne Zweifel urſpruͤnglich
fuͤr dieſen beſtimmt.
chen dafuͤr, daß von denen die ſich der Aufruhr theilhaftig gemacht,
auch denen die Kirchen und Kloͤſter gewaltiglich zerſtoͤrt, denſelbigen
Guͤter eingenommen und davon wieder geben was ihnen gefaͤllig,
daß wider dieſe auf dem Reichstag gehandelt werden ſoll.
uͤber die Heirath Luthers wird darin geſcholten, der jetzt mit ſeiner
Kaͤthe ſo viel brauche, wie ſonſt der ganze Auguſtinerconvent.
demſelben Datum 5 Oct. im Weim. A. Ebenda Verzeichniß was
— Waiblingen — auf die Werbung ſo er gethan zur Antwort ver-
melden ſoll. Torgau 13 Octob.
ders auf die vertreuliche Unterrede, ſo wir mit S. L. jetzo allhie ge-
habt, ſo vil das h. goͤttl. Wort belangen thut. Friedewalt Mittw.
nach Bernardi d. i. 8 Nov. Die Ausarbeitung, die in Torgau ge-
macht ward, iſt von der eigenhaͤndigen Aufzeichnung des Prinzen
dadurch unterſchieden, daß wenn der Prinz nur geſchrieben hatte,
man wolle ſich vereinigen des Evangeliums wegen, hier hinzugefuͤgt
ward: auch ſunſten in andern Sachen, do eyner vor dem andern
Recht leyden kunt, ausgeſchloſſen gegen den, ſo in der Erbeynung
ſind. Ausfuͤhrlichere Auszuͤge denke ich im Anhang mitzutheilen.
1526.
das gleich damals als einen Sieg der Proteſtanten an. Schreiben
der Nuͤrnberger bei Hortleder I, VIII, 1. Spalatin Annales bei
Mencken II, 652: Concidit spes sperantium, eo conventu totum
Baalem restitutum iri.
pie des Bundes einſandte, an den Churfuͤrſten von Sachſen im Weim.
A. Schreiben von Waldenfels an Vogler bei v. d. Lith p. 160.
Deutſche Geſchichte VIII, 202. Doch weiß ich nicht, ob man eher
in Leipzig oder eher in Halle war.
angeſehen werden muß, theilte Schmidt aus dem kaiſ. Archiv mit,
Buch VII, Cap. 24.
laͤutern.
sollicitat licet frustra sacri imperii electores, — concitat et literis
Paris vom 18 Febr. und 29 Mai bei Raumer: Pariſer Briefe I, p. 237.
ſtellt ſich beſonders in einer Unterredung Heinrichs VIII mit dem
franzoͤſiſchen Geſandten heraus: „fere off extreme subjection.“ State
papers Henry VIII, I, p. 13.
19. Dumont IV, III, 99.
chen Klagen in der Refutatio apologiae dissuasoriae bei Goldaſt
P. Imp. p. 870 ſieht man was den Kaiſer außer den directen An-
griffen noch beſonders verdroß.
gericht, daß er des Friedens begere.“ Aus dem Munde des Chur-
fuͤrſten von Trier Planitz an Friedrich v. Sachſen 1ſten Nov. 1521.
Bethune, die er jedoch nicht naͤher bezeichnet. Es waͤre wohl an der
Zeit, daß in Frankreich etwas Weſentliches fuͤr die authentiſche Er-
laͤuterung dieſer Geſchichte geſchaͤhe, was ſo leicht waͤre. In den
Statepapers fehlt ungluͤcklicher Weiſe das Schreiben Wolſeys, das ſich
hierauf bezogen haben wird.
Counte de Carpye signed with his hande and subscribed by
Robt Tett (Robertet), which I have seen, conteyning the hoole
discourse of his intended enterprise, as well by Robt de la Mar-
Lettere di principi I, 93. Das iſt wohl ohne Zweifel der Sinn je-
ner Rede.
of Naples, wherby the invasion of his partie evidently apperithe.
Wolsey to King Henry. Statepapers I, 27. Aus der Antwort von Pace
p. 35 ergiebt ſich, daß dieſe Angabe dem Koͤnig entſcheidend vorkam.
Pontus Heuterus und Sandoval von der andern Seite ſchildern die-
ſen Krieg. Ich denke im Anhang noch ein unpoetiſches, aber doch
belehrendes hiſtoriſches Lied beizubringen.
an ihre Landſchaft bei Bullinger I, p. 42.
lentiam et affectionem dicti christianissimi regis in eos.“ Du
Mont IV, I, p. 334.
Ital. IV, p. 71 nennt als Anfuͤhrer Johannes a Brinzia, cogno-
mento stultus, doch wohl der Matto da Brinzi, wie er ſonſt heißt.
det man bei Guicciardini, Capella, Jovius (Vita Pesc. II, 300.
Leonis Xmi III, 100). Vgl. auch Nardi Storie fiorentine VI, 170.
trech, gli metteva facilissimamente in fuga.
helm: die zuͤrcheriſchen Angelegenheiten hat Bullinger deutlicher c.
24 — 26. Vgl. Hottinger: Geſchichte der Eidgenoſſen: (Fortſetzung
Muͤllers) I, p. 55, 63.
fes: Demum pecunia facile esse duces corrumpere, qui milites
quo res postularet technis suasionibusque impellerent.
angreifen wollen, ſey aber durch die Venezianer gehindert worden,
iſt doch wohl nur eine Ausflucht. Auch Bellay ſagt: La tardiveté
de nos chefs fut cause de les nous faire perdre (Coll. univ.
Tom. XXVII, p. 180). Das Naͤhere erzaͤhlen dann die glaubwuͤrdigſten
Italiener wie Galeazzo. Aus den Chronicles of Rabbi Josef er-
giebt ſich, welchen Eindruck die Sache machte. Er ſagt dabei von
den Franzoſen: They are a nation voyd of counsel.
(Cf. Sepulvedae Vita et Scripta p. CVII) ſagt von Julius: „non
ignarus, in uno Mediolano cetera oppida expugnari.“ Ganz gut
druͤckt Vettori die Umwandlung des Zuſtandes aus. In Milano in
facto la parte Ghibellina è superiore assai, i popoli sono sempre
desiderosi di mutazioni: chi lascia la campagna e si ritira den-
tro alle mura, perde di riputatione.
dieß Ereigniß enthaͤlt ein Schreiben des Marcheſe von Mantua an
ſeine Mutter vom 21 Nov. 1521, im 32ſten Bande der Chronik des
Sanuto. Ich werde es im Anhang mittheilen, ſo wie ein andres des
Legaten Julius Medici vom 19ten Abends und 20ſten fruͤh.
Galeatio Visconti in Luzern: Queste lige, ſagt er, sono in grosso
dixordine, — ma a tuto spero troverase bono recapito, etiam
che cum faticha et spexa. Molini Doc. I, p. 132.
Am 15ten ergieng der Befehl im Wirtenbergiſchen. Sattler p. 77.
Frundsberg.
das der Thebaner, als ſie die Kadmea belagerten und ſich zugleich
gegen Alexander zu vertheidigen ſuchten (Arrian I, 7), noch mehr
zur Sache paſſen.
teſten einfachſten Quellen: unter den Schweizern Anshelm: unter den
Italienern Galeazzo Capra: unter den Deutſchen das hiſtoriſche Lied,
das ich im Anhang mitzutheilen gedenke, und Reisners Hiſtoria der
Frundsberge. Es iſt mir nicht unbekannt, was namentlich Bullin-
ger gegen einige Zuͤge der letztern eingewendet hat. Die Schweizer
wollten nemlich nicht zugeſtehn, von den Landsknechten beſiegt wor-
den zu ſeyn: den Liedern, worin dieſe ihre Thaten ruͤhmten, ſetzten
Lantzknecht erobert haben. Vgl. Vareſe: Storia di Genova IV, 315.
ein Lied des Nicl. Manuel, das uͤberaus groͤblich ausgefallen iſt.
(Abgedruckt bei Gruͤneiſen p. 400.) Aber auch da wird doch ei-
gentlich nicht geleugnet, wie Bullinger daraus entnimmt, daß es zu
einem Handgemenge gekommen ſey. Sind doch nach den Erkundi-
gungen die den andern Tag ein venezianiſcher Kundſchafter einbrachte,
auch auf der kaiſerlichen Seite bei 1000 M. geblieben. Sehr un-
klar fand ich den Bericht von Ugo Foscolo in der Chronik des Sa-
nuto Bd XXXIII. Non si sa, ſchließt derſelbe, chel causasse,
nostri si misseno a ritirare in gran desordine. Nach ſeiner Dar-
ſtellung bleibt das auch allerdings ganz dunkel.
he trusted in God to be theyre governour hym selfe and that they
shold by thys meanys make a way for hym, as King Richard
did for his father. 21 Sept. 1522. Man wird nicht glauben wol-
len, daß der Gedanke da erſt in ihm entſtanden ſey.
ciscum I ‒ ‒ qua etiam subditos ejus plenissime absolvit ab omni
fidelitatis nexu et juramento. 4 Sept. 1521. Du Mont Supplé-
ment III, p. 70.
grete contentacion and comforte.
les duchez comtez et vicomtez de la maison de Bourbon, adve-
nant qu’il n’eust enfans masles de son mariage, appartinssent
au roi. Auszug aus der Urkunde bei Pasquier Recherches de la
France liv. VI, c. XI.
in der Chronik von Sanuto. Bourbon ſetzte dem Geſandten dieſe
Anſpruͤche auseinander und fuͤgte hinzu: perho in quel caso la serma
Signoria volesse ajutarlo. Uͤbrigens ſchildert ihn Badoer folgender-
ſonſt von einer Leidenſchaft Louiſens fuͤr den Connetable erzaͤhlte,
teme dio, è devoto, piatoso, humano e liberalissimo.
chiv. Jahrg. 1810 nr. 6.
bei Hormayr (p. 27) ward die Sache dem engliſchen Hofe vor dem
1ſten Juni 1523 nicht officiell mitgetheilt; und wenn ich niche irre,
ſo bezieht ſich darauf der undatirte Brief Wolſeys in den Statepa-
pers nr. 78 p. 148. Denn was ſonſt ſollte der mervailous fordell
ſeyn, dem kein gleicher zu erwarten: for the atteynyng of Fraunce?
Die Ligue ward Anfang Auguſt unterzeichnet. (Schreiben von de
Praet vom 9ten Aug. ibid.) Es waͤre zu wuͤnſchen, daß das Bundesin-
ſtrument authentiſch zum Vorſchein kaͤme. Am ausfuͤhrlichſten uͤber
die Abſichten des Momentes verbreiten ſich die Schreiben Wolſeys
uͤber den Proceß ſelbſt in dem Anhang. Doch wird er hierin von
Garnier Bd 24, p. 17 bei weitem uͤbertroffen. Auch bei Sismondi
treten die poſitiven Momente nicht hinreichend hervor.
in Fiddes Collections hinter deſſen Life of Wolsey nr. 70 und 69; —
die eigentlichen Beſtimmungen des Vertrages habe ich jedoch auch
da vergebens geſucht.
790; welcher meint, man habe die deutſchen Hauptleute mit Geld
bearbeitet.
viseth that the Kinges army shall in the marching proclayme li-
bertie sparing the cuntre fro burnyng and spoile. Der Koͤnig meint:
ſie wuͤrden gar bald rufen: Home home, if they shold also for-
bere the profite of the spoile.
land wegen der Handelsverhaͤltniſſe hiebei gar nicht unwirkſam war.
Wolſey ſagt ſeinem Herrn geradezu: der Tractat ſey zu Stande ge-
kommen „by your mediacion and moost for your sake.“ St. P. nr. 66.
a di 22 in der Chronik des Sanuto Bd 35.
Francesi e Sguizari come se fussero tante puttane. Wenn von
Mangel in Mailand die Rede iſt, ſo konnte der nur in den erſten
II, 264.
Capella und Carpeſanus p. 1356.
ſten andern geſchoͤpſt haben. Selbſt Du Bellay hat hier nur eine
Uͤberarbeitung des Capella mit einigen franzoͤſiſchen Zuſaͤtzen. Eini-
ges Schweizeriſche fuͤgt Anshelm hinzu, einiges Spaniſche, wiewohl
ſehr weniges, Sandoval: die ihn ſonſt beide ebenfalls uͤberſetzen.
Schade daß nicht auch Einer ſich die Muͤhe genommen hat, ihn zu
ergaͤnzen, der von den Thaten der Landsknechte Kunde hatte Da-
her kommt es, daß wir von denſelben in dieſem Feldzug faſt nichts
weiter wiſſen, als was in der Lebensbeſchreibung Sebaſtian Schaͤrt-
lins vorkommt.
auch deshalb weil ſie mir in der That zweifelhaft ſind. Die Franzoſen
(Bellay 342) erzaͤhlen, in ſeinen letzten Augenblicken habe ihn Bour-
bon angeſprochen, Bayard habe demſelben noch ſeinen Abfall verwieſen.
Es iſt ſchon bedenklich, daß in dem Leben des Bayard, Coll. univ. XVII,
412, ſich davon nichts findet. Aber in Italien erzaͤhlte man ſogar
hieruͤber nicht taͤuſchen. Die Menge der dort gemachten Vorſchlaͤge
— es ſind ihrer nicht weniger als neun — zeigt ſchon wie unaus-
fuͤhrbar ein jeder war. Sehr gut bemerkte das Peter Martyr Ep.
798 p. 472, Juli 1524: „Temperate hujus tam incompositi psal-
terii chordas. — — Dira ferri acies et humano cruore fluentes
rivi has diriment querelas.“
Unordnungen der franzoͤſiſchen Regierung beklagt; dann ſey er ge-
ſtorben. Carpeſanus p. 1375: questus de injusta in Borbonium
ira, de fortuna et male animatorum hominum factione cuncta in
Gallia permiscente. Sein Gefuͤhl mag wohl zwiſchen dieſen bei-
den Aͤußerungen geſchwankt haben, die beide ihre Wahrheit hatten.
Die Spanier endlich laſſen ihn Gott loben, daß er ſtirbt „en ser-
vicio de su rey y a manos de la mejor nacion del mundo.“ Ba-
talla de Pabia. MS Alb.
mente ricusò di riconoscere il re d’Inghilterra. Es iſt aber nichts
deſto minder gewiß, daß er den Eid leiſtete, wie dieß Herbert an-
giebt (p. 133) und wir aus einem Schreiben de Praet’s bei Hor-
mayr (p. 27) unzweifelhaft entnehmen. Auch war der Koͤnig von
England noch ſehr mit der Unternehmung einverſtanden. Richard
Pace erzaͤhlte dem Venezianer Suriano, daß ihm ſein Koͤnig noch
durch ein Schreiben vom 28ſten Juni ermaͤchtigt, Bourbon in ſeinem
Vorhaben zu beſtaͤrken, ja daß ſich der Cardinal Wolſey noch un-
term 14ten September erboten habe eine Landung verſuchen zu laſ-
ſen, wenn ſie zu etwas helfen koͤnne. Wenn Pace nicht alle Raten
richtig gezahlt hatte, ſo entſchuldigte er ſich damit, daß das auch der
Kaiſer nicht immer gethan habe. Indeſſen wiſſen wir, daß John
Ruſſel 20000 Pf. noch in das Lager vor Marſeille brachte. Daß
Pace hier ſehr aufrichtig zu Werke gieng, laͤßt ſich daraus abneh-
men, daß er doch bei alle dem ſchon einen gewiſſen Verdacht gegen
den guten Willen des Cardinals aͤußert, der ein ſchlechter Menſch
ſey — attenta la pessima natura del ditto Cardenal. — Wie dem
auch ſeyn mag, ſo iſt es offenbar, daß man den Ausgang der Unter-
nehmung in England mit Spannung erwartete. Erkannte doch Bour-
bon keinen andern Koͤnig an als eben Heinrich VIII.
mit 10000 Duc. bewerkſtelligen.
cesi adorano il loro re, e non vi fondate nelle ribellioni altre
volte seguite in Francia, perche non vi sono più di quei tali
principi che le causavano.
liche Wiederholung einer alten Erzaͤhlung unter dem Titel Batalla
de Pabia, aus der Sandoval hie und da corrigirt werden muͤßte:
wie denn ſtatt Pizarmo zu leſen ſeyn wird Pizaño.
geſonnen, und ſey deshalb bei einem Gaſtmahl vergiftet worden.
Auch bei G. Capella findet ſich hievon eine Andeutung, jedoch mit
dem Zuſatz: multi existimavere, was dann auch von Andern mehr
oder minder bedingt wiederholt worden iſt. Nach dem Bericht des
Taͤgius, Phyſicus und Ritter, der waͤhrend der Belagerung in Pa-
via war, (de obsidione urbis Ticinensis ed. Pez p. 9) ſtarb Zol-
lern „post longas vigilias et assiduos labores ex tabida febre
XVI Cal. Febr.“ Man ſagte in Pavia, er ſey ein Verwandter des
kaiſerlichen Hauſes: „aliquali affinitate cum Caesare conjunctus.“
In den Liedern wird er gefeiert, als derjenige Mann der an der
Vertheidigung den thaͤtigſten Antheil nahm.
ingeniosis viris“ zu; — Taͤgius ruͤhmt deshalb beſonders den Gluͤrns,
der dieſelbe „instrumentis ferreis mirabili arte in medio rescindit.“
„che il re Xmo avea deliberato di non voler piu dar battaglia a
Pavia per non far morir gente, ma volea tener quella assediata
et in simil modo averla.“
Frundsberg p. 38. Vgl. G. Bartholds Frundsberg.
l’archiduc Ferdinand par Messire George de Fronsberg. Urkun-
denbuch zu Bucholtz: Ferdinand I, p. 1.
I, 153, und daraus bei Sismondi Hist. de France XVI, 232,
heißt es zwar, zwei Tag vor der Schlacht ſeyen 150000 Sc. aus
Spanien im Lager angekommen: das muß aber eine falſche Nach-
richt ſeyn: in dem Schlachtbericht des Pescara heißt es ausdruͤcklich:
De ninguno canto nostra necessidad tenia rimedio; er habe ein-
geſehen: „que deshazer el exercito a lavio del enemigo era tan
mal como perdillo con batalla.“
de sa prise devant Pavie, bei Lenglet und Goͤbel p. XXX.
Au matin ils feirent leur entrée — —
Et nous aussi estions ja en bataille.
nach einer Erzaͤhlung des Koͤnigs ſelbſt, im Anhang.
et ma bande tirasmes à la main senestre vers le dite Marchsith
contre les dits françois;“ da findet ſich auch die Zahl der Haken-
ſchuͤtzen. Man nimmt gewoͤhnlich 500 an: auch Taͤgius nennt ſo
viel, doch moͤgen das blos die Spanier geweſen ſeyn. Daß auch die
Landsknechte mit Buͤchſen bewaffnet waren, beweiſt unter andern der
Vers des Liedes: Schießt Drein, ſchießt Drein ihr frumme Lands-
knecht. (Bei Soltau p. 250.)
uia geſchehen, zwar nicht ſehr poetiſch, aber deſto richtiger, wie ſich
aus ſeiner Uͤbereinſtimmung mit dem Berichte Frundsbergs ergiebt:
Da das erſachen die Lanntzknecht, bey dem Frantzoſen, merkendt rechtt,
zugendt vnns vnnder augen, Herr Joͤrgen Hauff gryffenn ſie an, vnnd
thaͤtten in nitt fragenn. Da dz erſach herr Marxen hauff, an di-
ſem orth gryffen ſie drauff gar tapfferlich durchtrungen.
Erzaͤhlung des Koͤnigs bei Luzasco. Wenn er ſagt, er habe Guaſto
mit den Deutſchen gegen die Landsknechte des Koͤnigs geſchickt, ſo
laͤßt ſich das nicht anders verſtehn, als daß auch Guaſto an jenem
Anfall Sittichs Theil nahm. Denn daß dieſer ſelbſt und Frundsberg
das Beſte dabei thaten, ſteht aus den deutſchen Nachrichten feſt.
point ne fuir devant mes ennemys. Epitre du roi.
fruͤhern Hiſtoriker, wie Capella, Guicciardini, Jovius, Bellay, hal-
ten zu duͤrfen geglaubt, auch bei Reisner alles vermieden was er aus
Jovius genommen; da wir jetzt authentiſchere Kunde aus den Be-
richten der Befehlshaber ſelbſt ſchoͤpfen koͤnnen: 1) Frundsbergs, bei
Bucholtz, wohl identiſch mit einem alten deutſchen Druck: Wahrli-
cher Bericht ꝛc., den ich jedoch nicht ſah; 2) Pescaras, im Anhang.
3) Franz des Erſten in dem Briefe Luzascos im Anhang, und in
der Epitre. Außerdem exiſtirt noch eine ausfuͤhrliche ſpaniſche Re-
lation die bei Sandoval benutzt iſt und einige bezeichnende Zuͤge hat;
Das angefuͤhrte Lied, das ich im Anhang mittheilen werde, iſt nur
ein Bulletin in Verſen, und deshalb ebenfalls glaubwuͤrdig.
Markgrafen von Mantua 15 Maͤrz 1525 bei Sanuto Bd 38.
cerpirt bei Fiddes: Life of Wolsey 346—352. Herbert p. 168 hat
davon nur ſehr ungenuͤgende Notiz. Robertſon (B. IV), der nur
Herbert, nicht Fiddes kannte, haͤlt ſie daher nur fuͤr eine Art von
Vorwand. Aber man braucht nur das Schreiben Wolſeys an den
Koͤnig vom 12 Februar 1525, State papers p. 158, worin er ſchon
auf den Sieg rechnet, zu leſen, um ſich zu uͤberzeugen, daß man
ſich von demſelben Ehre und Vortheil verſprach: „The matiers suc-
ceding to the avauntage of the Imperiallis the thanke laude and
praise shal comme unto Your Grace.“ Aber eben ſo wenig kann man
auch Fiddes beiſtimmen, welcher leugnen moͤchte, daß doch ſchon ein
Verhaͤltniß zu Frankreich angeknuͤpft geweſen ſey. Der nemliche Brief
ſetzt das ins Licht. Auch fuͤr den Sieg von Frankreich meint Wol-
ſey habe man ſich vorgeſehen „by such communications as be set
furth with France aparte.“
Herzog nach kurzer Naͤherung wieder zuruͤcktrat, ſchrieb man das le-
diglich den Kaiſerlichen zu, „che tal mutatione del duca e deter-
minatione di non rendere è processa del vicere.“ Sanga 21 Nov.
Lettere di principi 21 Nov.
vom 14ten Oct. 1524: „magnis de rebus christianaeque reipubli-
cae hoc tempore non solum salutaribus sed etiam necessariis.“
tentes Gibertum ad regem pro rebus ac consiliis utriusque no-
strum honorem et commodum spectantibus.“
II, p. 372. Ziegler war damals am Hofe zugegen.
ſey nur auf Durchzug gegangen: solo a questo che il Papa la (gente)
lasciasse passare, pagando quello aveva bisogno: et il Papa sti-
mò certo, che chome questa gente del re si metteva in camino,
che gli imperiali si dovessino ritirare verso Napoli, onde segui-
rebbe che Francesco diventerebbe Signore di Milano ‒ ‒ ‒ e cia-
scuno di loro arebbe cura che l’altro non diventassi maggiore
in Italia.
ſer Form hat ſie Spalatin aufbehalten: Annales bei Mencken Scriptt.
II, 641.
principalmente la colpa, che V. Celsitudine fosse andata cosi ri-
tenuta con S. Mà.
88) werden die Forderungen des Kaiſers in Bezug ſowohl auf Frank-
reich als auf Mailand fuͤr ſehr ungemaͤßigt erklaͤrt: ſeine Antraͤge
an England fuͤr „lytel or nothing to your commodite proufit or
benefit.“
244. Uͤbrigens wird in der Refut. apologiae officiell verſichert, die
Uͤberfahrt ſey vorgenommen worden auf des Koͤnigs eignen Vorſchlag,
„inscio atque inconsulto Caesare.“
Sora zu erhalten gewuͤnſcht, waͤre aber mit leeren Worten hinge-
halten worden. Nach Sandoval I, 671 machte man ihm das Recht
ſtreitig, ſich von dem Koͤnig von Navarra, den er in ſeine Gewalt
gebracht hatte, Loͤſegeld zahlen zu laſſen.
Antwort des Kaiſers: Cum audivisset marchio nuncium ad id
per vestram sanctitatem transmissum, eidem sui parte, ut ait,
offerentem sub cujusdam apostolici brevis credentia regni nostri
Neapolitani investituram et possessionem ‒ ‒ ‒ ‒ ut inde Sancti-
tas Vestra nos etiam ab omni imperiali dignitate deponeret.
(Goldaſt Pol. Imp. 997.)
Juli 1525 in Hormayrs Archiv Jahrg. 1810 p. 29, 30.
konnte doch Giovio (Vita Piscar. p. 408) behaupten, Giberti habe
den Papſt gegen dieſe Dinge gewarnt.
ſten p. 29.
Belehnung geſehen, die ſchon fuͤr Bourbon ausgefertigt waren: ja
dieſer habe die Lehen in aller Form empfangen.
Kaiſer verdroß, daß die Herzogin von Alençon eine Ruͤckſicht auf die
Machinationen in Italien, nicht einmal alle das zugeſtehn wollte,
wozu der Koͤnig ſich fruͤher ſelbſt erboten: hauptſaͤchlich, daß ſie ihm
zur Flucht behuͤlflich ſeyn wollte.
f. 31 b.
bei Raumer I, 247.
laxacion del juramento que avia hecho; — wir haben bei Rainal-
dus eine aͤhnliche Entbindung von einem Eide vom 3ten Juli 1526.
XX, 460.
dissuasoriae refutatio p. 884. Satis plane constat, eos duntaxat
vocatos quos rex ipse antea stipendiarios et juratos habebat.
ventu Ratisbon. 1527 bei Goldaſt Polit. imp. p. 902. Conditionem
ultro sibi delatam tantisper accipere sustinuit, dum legatis rur-
sus missis ultimum experiretur.
mont IV, i, 451.
forwardys.“ Clerk an Wolſey 31 Mai St. P. p. 164. In einem
Schreiben vom 9ten Oct. p. 180 ſchreibt Wolſey dem Koͤnig die
Ligue ganz eigentlich zu: „Your Higness, by whois counsaile this
liege had been begon.“
I, 230. Vgl. Provisioni per la guerra che disegnò Pp. Clemente VII
contra l’imperatore. Inform. Politt. Tom. XII, nr. 46. Es ergiebt
ſich daraus, daß man zugleich gegen Mailand, Genua, Neapel und
auch Siena, wo die kaiſerliche Partei im Vortheil war, zu agiren
Huͤlfe der Orſini: keine Zuſammenkuͤnfte der Spanier in der Stadt,
keine Correſpondenz mit Spanien wollte man dulden. Den Antrag
des Herzogs von Savoyen ſolle man annehmen, damit die Sache
um ſo mehr als eine allgemein italieniſche erſcheine.
von Naſſau vom ſpaniſchen Hofe an ſeinen Bruder in Dillenburg,
„hat uns Gott den heiligen Frieden wiedergegeben.“ Tholeden 22
Jan. bei Arnoldi p. 203.
tes emprises et expeditions tant contre les dits Turcs et infide-
les que contre les dits heretiques aliénés du greme de la sainte
eglise. art. 26.
884. Quod inquit (autor apologiae), quocumque proficisceretur
Caesar, illuc etiam maxima cum militum manu regi eundum erat
(franzoͤſiſcher Seits nahm man daher ein Motiv der Verweigerung,
den Tractat auszufuͤhren), hic profecto se proprio gladio percutit,
quum potissime rex ipse id obtulerit, ut si Caesari adversus
hostes fidei eundum esset aut in Lutheranos movendum, is di-
midium impensae sustineret, et si Caesari gratum esset, cum eo
personaliter adesset, quam oblationem Caesar pro Christianae
religionis augmento respuendam non censuit.
Statt gefunden. Am 23ſten konnten etwa die erſten Briefe ange-
langt ſeyn, in denen Franz noch immer verſprach den Tractat zu
halten. Selbſt in Cognac ſagte Franz I dem Vicekoͤnig Lannoy
noch, der Widerſpruch der Burgunder ſolle nichts zu bedeuten ha-
ben. Refutatio apologiae.
geht hervor, daß er die Klage ſo auslegt, als haͤtte er geſagt, die
das Churfuͤrſtenthum verweſen. Es ſcheint faſt, als ſuche er nur
auszuweichen.
geſchah 4ten Maͤrz. Vgl. Hortleder I, viii, 1.
ben des Landgrafen an den Churfuͤrſten Mittw. nach Palmarum
28 Maͤrz. W. A.
tes, damit, ſo der Reichstag Fortgang gewoͤnne, die Sache in chriſt-
lichem Bedenken zuvor berathſchlagt waͤre. Inſtruction fuͤr Caspar
v. Minkwitz, welcher an Georg von Brandenburg geſendet war, der
jedoch nicht erſchien. W. A.
weiſung zu dem Verfahren auf dieſer Verſammlung. „Ferner iſt
bedacht, das Buͤndniß ſo unſ. gn. Herr mit dem Landgrafen zu Go-
tha aufgericht, den Fuͤrſten freundlich und vertraulich zu zeigen, und
wo J. F. Gn. auch darein willigen und ſchließen wollten, als u. gn.
Hr. ſich genzlichen verſehen auch frundlich bitten thaͤte, ſollt alsdann
ſolch Buͤndniß durch eine Verſchreibung immaaßen mit u. gnſten Herrn
vorgemeldt (dem Landgrafen) auch aufgericht und vollzogen werden.“
Churfuͤrſt, haben wir Burgermeiſter Rathmannen und Innungmeiſter
der alten Stadt Magdeburg in dieſe chriſtliche Verſtaͤndniß genom-
men, aus dem, daß wir wiſſen, daß ſie dem goͤttlichen Worte aus
Gottes Gnaden wohlgeneigt.
unterzeichnet Ferdinandus archi. aust. C in Imp Locūt. F. A. Bd 41.
lung ſelbſt giebt Otto von Pack dem Herzog Georg von Sachſen
Nachricht Viſ. Mar. 2 Juli. (Dresdn. A.) Iſt daruf geſtanden,
daß der einig Artikel den Reichstag ſolt zutrennt haben, wenn dy
Geyſtlichen nicht bewilligt das ſy von den Mißbraͤuchen wollten han-
deln laſſen.
XVI, 246.
beiten ſich heftiglich um iren eignen und vergeſſen den gemeinen
Nutzen.“
Chriſtenheit alſo meinten wy dy Laien, ſo blib Gottes Ehr, alle
gute chriſtliche Ordnung, und bliben darzu ſye ſelbſt mit aller irer
Hab Ehr und Gut, denn ich hab bisher keyn Leyen vermerkt der da
wolt ein Buchſtaben von den guten Kirchenordnungen abthun adder
der Geyſtlichen Guͤter um einen Pfennig ſchmaͤlern. Nicht weiß ich
was der Kurfuͤrſt von Sachſen und Heſſen bringen werden.
von Holzhuſens Hand in den Frankf. A. Bd 42.
Archivs, die uͤbrigens bei dieſem Jahre in großer Verwirrung und
wenig ergiebig ſind.
freiem Willen heimgeſetzt wurde, — daß mitlerzeit gegen den eheli-
chen Prieſtern von keyner Uberkeyt geiſtlichs oder weltlichs Standes
etwas Streflichs werd fuͤrgenommen.
den acht Verordneten aufgeſtellten Grundſaͤtze, zum Theil beiſtimmend,
zum Theil beſtreitend.
ner Archivs.
gereichen.“ Schreiben von Holzhuſen 21 Aug. 25 A. haben die
uͤbrigen Staͤdte ſchon Antwort. Vor dem foͤrmlichen Abſchluß ſoll
nur noch abgewartet werden, was die Geſandtſchaft ausrichten wird.
Entwurfe der Inſtruction im Dresdner Archive, worin die Bitte ſo
lautet: „der Kaiſer wolle die Execution der Peen und Straf deſſel-
bigen Edictes bis uf ein kuͤnftig Concilium in Ruw ſtehn laſſen, Ur-
ſach es haben die Stennd das Edict nicht anders angenommen dan
ſo vil In muͤglich, wie die kaiſerliche Inſtruction ſelbs mit ir bringt,
und nachdem Etlichen unmuͤglich geweſen das Edict zu halten, ſo
ſeyen ſie auch nicht in die Peen gefallen, zum andern ſo man die
Buchſtaben beſieht, ſo iſt kain Fuͤrſt oder Biſchof der das Edict ge-
hallten oder der nicht ein Entſetzen hat daſſelbige ad literam zu hal-
ten.“ Dort folgt dann auch die Inſtruction ſelbſt. Die Frankfurter
Geſandten ſagen in einem Schreiben von dieſem Reichstag o. D.
„So wollen wir auch E. F. W. nicht bergen, daß auch das kaiſ.
Edict ſo aō 21 zu Worms ausgangen, allhie auf dieſem Reichstag
von Fuͤrſten Grafen Herrn und Stedten hochlich und faſt als unmoͤg-
lich in allen Puncten zu halten angefochten wird.“
Doc. stor. I, p. 208: „que a cette heure se feroit le tout le pis
que se pourroit contre luy et la st. siege.“ Nach einer Aͤußerung
des Churfuͤrſten von Trier, vom 9ten Juni.
ohne Zweifel verſchrieben und muß heißen before Pavia.) Fiddes Life
of Wolsey 32. Wolſey meinte, daß der von Campeggi eingeſchla-
gene Weg zum Ziele zu fuͤhren verſpreche: allein „that Germany
being now so much infected with the Lutheran heresy, such mem-
bers of it, as still continue in the communion of the church, may
be provoked to withdraw their obedience, should his holiness
appear to act in favour of the French king against the emperor.
372. Schade daß nicht der ganze Brief gedruckt worden iſt.
form. Politt.) wird das als eine wuͤnſchenswerthe Maaßregel geſchildert.
macht, — deſſen Frucht ſeyn ſolle daß man durch Gelindigkeit und
Straferlaß fuͤr Die, welche den Irrthuͤmern Luthers angehangen,
ſie zugleich von dieſen Irrthuͤmern abziehe (ſonderbare Art ſich aus-
zudruͤcken) und ihnen den Weg gebe, auf welchem die Wahrheit
der evangeliſchen Lehre durch ein gutes Concilium ent-
ſchieden werden koͤnne, welches der Papſt jetzt fuͤrchte;
zugleich werden ſie Ferdinand unterſtuͤtzen gegen die Tuͤrken oder ge-
gen Italien „zum allgemeinen Beſten der Chriſtenheit.“
Daß jenes Schreiben vom 27 Juli Mitte Auguſt angekommen, iſt
wohl keine Frage. Briefe von Spanien giengen in der Regel 14 Tage.
Fuͤrſten und Staͤnde des Reichs und derſelben Bottſchafter uns jetzo
allhie auf dieſem Reichstag einmuͤthiglich verglichen und vereiniget,
mittler Zeit des Concilii oder aber Nationalverſammlung nichts deſto
minder (d. i. ohne die Ruͤckkunft der Geſandtſchaft zu erwarten) mit
unſern Unterthanen ein jeglicher in Sachen ſo das Edict, durch Kaiſ.
Mt auf dem Reichstag zu Worms gehalten ausgangen, belangen
moͤchten, fuͤr ſich alſo zu leben, zu regieren und zu halten, wie ein
jeder ſolches gegen Gott und Kaiſ. Mt hoffet und vertrauet zu ver-
antworten. (N. Samml. d. Reichsabſch. II, 274.)
1526 ergiebt ſich daß man daran dachte, einen neuen Verſuch zu
machen, um die Kaiſerlichen aus Mailand zu verjagen.
Schriften p. 563. Negri an Micheli 24 Sett. Lettere di prin-
cipi I, 234. (Das Datum im Druck iſt falſch.)
Molini I, 229.
trag binde ihn nicht, bei Herbert p. 155.
veggo vergogna, non si fugge spesa e si augumenta il pericolo,
perche quanto all’ onore, N. Sre più è obligato ad una lega fatta
con tanta solennità che ad un accordo fatto per forza e con ruina
del mondo.
ſchickt worden, um eine Geldforderung des Herzog Georg einzutrei-
ben, ſehen wir, wie viel Schwierigkeiten das hatte: die Welſer wa-
ren nicht bei Caſſe, die Fugger brauchten das baare Geld das in
ihren Haͤnden war ſelbſt, um ſich nach dem Tode Jacob Fuggers
auseinander zu ſetzen. (Dr. A.)
Vrae non placuit, heißt es (Goldaſt Constit. I, 489 nr. 19), licet
credere non possemus, eum qui Christi vices in terris gerit, vel
unius guttae humani sanguinis jactura quamcunque secularem di-
tionem sibi vendicare velle, cum id ab evangelica doctrina
prorsus alienum videretur.
Goldaſt Pol. Imp. p. 1013.
weiſt aus einem ungedruckten Werke Zieglers nach, „magnanimo he-
roi, in G. Fo in expeditione italica versanti eum fuisse vel a
consiliis vel ab epistolis.“
ſehen wir, daß das Heer aus 10650 M. beſtand, auf den halben
Monat mit ſeinen Amt und Hauptleuten 25900 G., mit dem Lauf
34832 G. brauchte. Die Muſtercommiſſarien liehen dem Frunds-
berg 2000 G., „damit er doch etwas in Haͤnden hatte:“ „mit uͤberlau-
fenen Augen“ nahm er das an.
angeben: Frundsberg war entſchloſſen im Nothfall zu ſchlagen, doch
ſich ſonſt „in keine Gefaͤhrlichkeit zu ſtellen.“ Schreiben bei H. 424.
eben angekommenen Falconets von Ferrara geweſen, nahm Reisner
aus Jovius Vita Alfonsi, und ſie iſt mir deshalb verdaͤchtig, weil
nach dem Tagebuch bei Hormayr p. 429 erſt nachdem man uͤber den
Po gekommen, 2 Falconets und 2 Schlangen, mit 10000 G. vom
Herzog anlangten. „Haͤtt ich,“ ſagt Frundsberg, „4 bis 500 Pferd
aufziehe. Er vermuthet ſchon Verraͤtherei: was man ihm ſagt glaubt
er wie St. Thomas. Schreiben a. a. O. 430.
licher Durchlaucht nicht ein klein Ehr eingelegt haben. Ihr muͤgt
enndlich glauben, daß ich mein Lebtag heftigern Abzug nicht geſehn
habe.“ Den Feinden wurden 500 Pferde erſchoſſen.
then, die Bentivogli in Bologna einzuſetzen: gehe das nicht „den Zug
auf den Papſt vorzunehmen: wenn Bourbon kein Geld ſchaffe, die
Staͤdte und Flecken zu ſchaͤtzen, die Knechte zu unterhalten.“
Guicciardini (XVIII, 5) ſtimmt damit nicht ganz zuſammen: na-
mentlich findet ſich in dem Text nichts von den 60000 Duc. die nach
Guicciardini gezahlt werden ſollten. Ich moͤchte doch glauben, daß
es noch einige geheime Artikel gab, wie in der Ligue von Cognac.
Vettori ſpricht von 65000 Duc.
zweiflung. „Si è sempre consigliato lo accordo, ma s’intendeva
un accordo che fusse fermo e non dubio e intrigato, come que-
sto che si è fatto in Roma e non osservato in Lombardia.“
Knecht ſind vaſt wohl mit im zufrieden: — er ritt auch unter ihnen
um wie ein Held, und iſt allweg der foͤrdriſte beim Haufen.“ Wit-
tenbach 4ten Febr. 27 in Hormayrs Oͤſtreich. Plutarch XIII, 112.
voraus.) Wahrhaftiger und kurzer Bericht bei Buder p. 536 und
bei Goldaſt Politiſche Reichshaͤndel p. 443; es finden ſich einige
kleine Differenzen, die ſich ſchwer werden ausgleichen laſſen.
lettera XIV 29 Marzo meldete Bourbon dem Legaten, „quanto egli
ha desiderato la pace et la fatica ch’ egli ha durata per far con-
tenti quelli soldati a questa tregua, e che in effetto non ha po-
tuto fargli contenti, mostrando che bisogna più danari nè dice
il numero.“
Italia illustr. p. 344.
bon entweder Val di Lamone, oder la via della Marca von Rimini
her, oder Val di Bagno paſſiren konnte. Nur die mittlere, bequemſte
war befeſtigt. Auch die andern haͤtte man mit leichter Muͤhe ver-
theidigen koͤnnen, „si fata deum, si mens non laeva fuisset.“ —
Aus Machiavells Briefen ſieht man, daß als das Heer von S. Gio-
vanni aufbrach, man immer noch glaubte, es moͤchte vielleicht zuruͤck-
gehn, und den Weg nach Lucca nehmen, oder es moͤchte Ravenna
angreifen.
Excerpte bei Bucholtz p. 71 ſtammen wohl aus denſelben Papieren.
molte conditioni che erano in pregiudicio della Mtà Cesarea.“
vor Rom anlangen. Ein Theil muß wohl wirklich ſchon da erſchie-
nen ſeyn. Einen Tag und zwei Naͤchte ſey es dem roͤmiſchen Ge-
ſchuͤtz ausgeſetzt geweſen.
si persuadevano che l’imperatore avessi a pigliare Roma e farvi
la sua residenza, e dovere avere quelle medesime comodità e
utile che avevano dal dominio de’ preti.
Bourbon als der erſte oder der dritte: eine Musketenkugel zerriß ihm
Rippen und Eingeweide, in einer halben Stunde war er todt.
geſtalt. La mattina delli sei appresentò (Borbone) la battaglia
tra il portone del borgo, che è drieto alla casa del Cl Cesis, e
quello di S. Spirito, dove ne’ piu di luoghi non è muro, ma
dieſem Moment gepluͤndert. Der Angriff hatte 200 M. gekoſtet.
bia grande, che causava che l’artigliria non si poteva in modo
indirizzare che nocesse alli inimici i quali dettono la battaglia,
e quelli di drento si difendevano gagliardamente, ma furono tanti
quelli di fuori che con le mani guastavano i ripari, che erano
di terra e deboli, e si ridussono a combattere a piano. Vgl. Se-
pulveda, der ebenfalls zugegen war, VII, 7.
vendevano tutte le loro entrate care et affittavano le loro case
a gran pregj ne pagavano alcuna tassa o gabella. Er gedenkt noch
des Gewinns den ein Jeder gemacht: li artigiani, il popolo minuto,
le meretrici. Niemals ward eine reichere Stadt gepluͤndert.
611. Per decem integros dies ecclesias gynecia monachos mo-
niales et cardinales episcopos praelatos bancarios spoliarunt, de-
ditos ceperunt, libros et registra lacerarunt etc. Vettori La ucci-
macht die hier bezeichnete Unterſcheidung.
zugeſchrieben wird, naͤher detaillirt. Ich habe mich aber dieſer De-
tails doch nicht zu bedienen gewagt, da ich uͤber den Urſprung die-
ſer Schrift nicht ganz gewiß bin.
gliono defendere, ma la preda fu inestimabile di danari contanti,
di gioie, d’oro e d’argento lavorato, di vestiti, d’arazzi, paramenti
di case, mercantie d’ogni sorte e di taglie.
rationen Gruͤnewalds wider den Papſt, der gegen Gottes Wort ge-
handelt, erzaͤhlt Cochlaͤus und wiederholt Rainaldus aus demſelben.
Deutſchen wollten den Spaniern ihre Schandthaten z. B. an 10jaͤh-
rigen Maͤdchen nicht geſtatten; die Spanier verboten den Deutſchen
dagegen die Verſpottung der Prieſter, die ſie fuͤr eine der groͤßten
Gottloſigkeiten erklaͤrten.
genzugehn. Schwegler ſchreibt (bei Hormayr a. a. O. p. 446), im
Lager der Feinde ſey Hunger und Unwille: kommen ſie naͤher, ſo
wollen wir ſie im Feld aufſuchen.
Die Abſicht war, den Herzog von Ferrara zum Generalcapitaͤn zu
ernennen; Mailand wollte Carl Niemanden verſprechen, ſondern erſt
erwarten, wie der Proceß Sforzas entſchieden werde. In einem
Schreiben Angerers vom 1ſten Juli heißt es: ſende man jetzt nur
6000 M. nach Mailand zur Unterſtuͤtzung Leivas, ſo ſey „ganz Ita-
lia gewonnen und erobert.“
Seelen, daruͤber Gott Herr iſt, in unſerm zeitlichen Abſchied zu ewi-
ger Freud aufgenommen werden, darumb der Herr Jeſus vom Him-
mel herab in dieſe Welt kommen iſt und am Kreuz von aller Men-
ſchen wegen geſtorben iſt. Das verleihe uns Gott der Herr.
cii Apostolici von 1480 bei Engel II, 14 ſagt ausdruͤcklich: Li
Baroni cercano di cacciarlo del reame.
garia bei Sanuto IV 1503. Il re è homo grande di persona e
di degnissima genealogia: devoto e religioso, e si dice: nunquam
habuit concubitum cum muliere, e mai si adira, mai dice mal
di niun, e se niun dice mal di qualcuno, dicit rex: forsan non
est verum. — Dice assa oration, alde tre messe al zorno, ma
in reliquis è come una statua. — — Est più presto homo rectus
quam rex.
Hist. crit. Vngariae XIX, p. 89
dem Vater Johanns, Stephan Zapolya, blos zu treuen Handen an-
vertraut geweſen.
nannte ſich in einer ſeiner Proclamationen: regis Hungariae tantum-
modo subditus et non dominorum. Bei Katona 18, 720.
Sammlung ungedruckter Schriften IV, p. 26.
che quel regno si perdesse e poi lui con il favor de Transilvani
ricuperarlo e farsi re.
Lambergs und Juriſchitz’s in Gevay’s Urkunden und Actenſtuͤcken zur
Geſchichte der Verhaͤltniſſe zwiſchen Oͤſterreich Ungern und der Pforte.
1530 p. 42.
Bonfinii ed. Sambucus p. 558. Vgl. Turnſchwamb p. 204.
er nicht genau an.
di un aviso avuto da Constantinopoli in Hammers Wiens erſte auf-
gehobene tuͤrkiſche Belagerung Anh. nr. VIII: eine einfache aber gute
Nachricht.
Feldzuges, erhalten in der osmaniſchen Geſchichte Petſchewi’s: (der
merkwuͤrdige Fall, daß eine recht brauchbare occidentaliſche Erzaͤhlung
uns aus einem orientaliſchen Werke zuruͤckkommt;) mitgetheilt von
Hammer in Hormayrs Archiv Jahrg. 1827 nr. 15.
bei Katona 19, p. 697 uͤber das Auffinden des Leichnams beſtaͤtigt.
pluribus et praesulibus et proceribus una hac dimicatione ex-
stinctis.
verlaͤßige Document die Antwort des Koͤnigs von Polen auf die von
Tokay an ihn ergangene Einladung bei Dogiel und Katona 19, 748.
pecunia (es iſt von Erpreſſungen die Rede) Trentschinii factionem
contra Ferdinandum regem aliquamdiu juvit.
Waldestein, barone e gran capitano di Bohemia, volentieri veni-
ria a servir la Sria nra cum 10, 20, 30m persone. Questo è
quel capitano, che’l re Xmo voleva condurre.
Palatin) in Hoffmanns Sammlung ungedruckter Nachrichten ch. 42.
var Stumpf, „daß der Papſt Clemens VII und der Koͤnig von Frank-
reich den Endzweck des Herzogs zu befoͤrdern ſuchten.“
Baierns pol. Geſch. I, p. 39.
Correſpondenz bei Bucholtz II, 407.
literae 15 Dcb. 1526 ap. Du Mont IV, 1, 469.
Bohemis ac Moravis illa (compactata) cum effectu essent con-
firmata.
II, p. 420.
acten MS Tom I, f. 206. „Und nachdem der allm. Gott aus ſei-
ner goͤttlichen Verordnung geſchickt und verliehen, daß wir S. Koͤn.
Mt zu unſerm Erbkoͤnige eintraͤchtiglich angenommen, welcher einmuͤt-
tigen und troͤſtlichen Meinung wir ſ. Allmaͤchtigkeit billig Lob und
Dank ſagen, ſo befinden wir nun in Notturft unſer Seel und Leibs
gluͤckſeliger Wolfahrt, die jetzige vorfallende Irrung und Zwieſpalt ſo
ſich in dem h. chriſtl. Glauben zugetragen, bei S. K. M. anzure-
gen, damit dieſelb aus ſolchem Irrthum und Zertrennung erhaben,
und nach Verordnung der h. chriſtl. Kirchen dem Evangelio und
Worte Gottes gemaͤß nach S. K. Mt. Außſatz und durch unſer al-
ler einmuͤthig und freundliches Vergleichen in recht chriſtl. Beſtand
und gleichfoͤrmigen Gebrauch gebracht wuͤrde, welches E. L. ihn u.
E. F. Gn. bei S. K. Mt alles in Unterthaͤnigkeit bitten werden, auf
daß S. K. Mt daſſelbe als ein chriſtl. Koͤnig zu Troſt und Heil un-
ſrer Seelen Seligkeit, auch zu Dempfung erfolgenden Unraths nach
dem h. Evangelio gnaͤdiglich zu verordnen und zu verſchaffen geruhe.
nik III, 171. Auch im Anhang zu Bucholtz II, 523.
cus Stis.“ Relatio Actorum bei Engel II, p. 55.
ei Germanos qui omnes fuerunt Lutherani.“ bei Katona XIX,
515 Art. V. Fukkarii ablegentur: oratores Caesareus et Venetus
(der letzte blos wegen des erſten, wie eine venezianiſche Relation aus-
fuͤhrt,) exmittantur: Lutherani etiam omnes de regno extirpen-
tur, — ubicumque reperti fuerint, libere comburantur.
manizky, daß er dem Zapolya die Krone aufgeſetzt habe. Er wuͤrde
in Lebensgefahr gerathen ſeyn, wenn er ſich geweigert haͤtte. — Di-
ploma Ferdinandi bei Katona XIX, 752.
ficia ecclesiastica ac bona et jura hereditaria et officia quae ad
collationem nostram regiam — devolventur, praefatis consiliariis
et his qui nostras partes sequentur, pro suis cuique meritis
ante alios donabimus.
ment en voulenté — riens traiter ny conclure, neanmoins — pour
entretenir les affaires jusques a ce que soie de tout prest pour
me mettre aux champs, je lui (au roi de Pologne) ay bien voulu
accorder cettc journée.
den Vergleichungen bei Katona, der ihn ganz aufgenommen, ſieht
man wie ſehr Iſthuanfi und ſelbſt Zerengh gegen dieſe gleichzeitigen
und ausfuͤhrlichen Aufzeichnungen zuruͤcktreten.
323 findet ſich ein Actenſtuͤck uͤber die Unterwerfung Perenys, das
doch wahrſcheinlich hieher gehoͤrt und hoͤchſt merkwuͤrdig iſt. Pereny
ſtellt als ſeine erſte Forderung folgende auf. Inprimis cupit D. Pe-
trus per S. Mtem assecurari, ne a religione sua unquam prohi-
beatur quandoquidem verum et bonum Christianum se profitea-
tur et scientem fidem champer Christum juxta evange-
lium. Ferdinand antwortet: Concedit M. S. uti se gerat verum
et bonum Chnum ut cujusque erga deum pietas fidesque nostra
vera et catolica dictare et postulare videtur. Ein Zugeſtaͤndniß
das freilich ſehr zweideutig war, bei dem ſich aber Pereny doch be-
ruhigt zu haben ſcheint. Ohne Zweifel glaubte auch er die fides
vera et catholica zu haben.
tientia in bello magis enituit.
natum Pragensem. Opp. Jen. II, p. 554: Convocatis et convenien-
tibus libere quorum corda deus tetigerit, ut vobiscum unum sen-
tiant et sapiant, procedatis in nomine domini et eligite quem et
quos volueritis, qui digni et idonei visi fuerint, tum impositis
super eos manibus illorum qui potiores inter vos fuerint, con-
firmetis et commendetis eos populo et ecclesiae seu universitati
sintque hoc ipso vestri episcopi ministri seu pastores. Amen.
Amptleuten zu Schwobach iren newangeenden Pfarrherrn gethan
p. 68. Tit. VI § 6. Tit. III § 1.
monum dei regulam ordinata in venerabili synodo per clemmum
Buͤchergeſchichte ꝛc. II, 334. Nachdem ainer chriſtlichen Gemain ge-
buͤrt, einhellig in ſich in die Gemaind zu greifen nach einem erbarn
unverleumpten Mann, — — welchen auch dieſelbe Gemaind Macht
hat wieder abzuſchaffen. Der Widerchriſt, der ſie in der babyloniſchen
Gefangenſchaft halte, habe ihnen auch dieſe Freiheit entzogen ꝛc.
celebrata cui ipse princeps interfuit. Schmincke Monumenta Has-
sorum II, p. 588.
innen haͤlt, denn die Sachen unſern h. Glauben und Religion, auch
die Irſallehren und Mißbreuch ſo daraus entſprungen ſeyn, belan-
gend. So denn an denſelben, nemlich wie und was man glauben,
was man lehren predigen und halten, was man auch in ſolchem flie-
hen und vermeiden ſoll, ein ganz chriſtlich Leben und unſer einige
Seligkeit ohne alles Mittel gelegen iſt, — ſo folget gewißlich, daß
der angezeigt Artikel auf ein ordentlich chriſtlich Leben Regiment und
Weſen muß gezogen werden. Die hineingebrachten Wort des Edicts
machen auch den Artikel viel laͤuterer.“ (Worte der gleich anzufuͤh-
renden Schrift.)
liche Perſonen von Obern und Unterthanen halten ſollen, daß ſie
das nach Anzeigung eines ſondern Artikels im Abſchied des juͤngſt-
gehaltnen Reichstags zu Speier — — moͤgen verantworten. Bei
Hortleder Buch I, Cap. II.
tiaten Klingenbeil 1528. Altenb. IV, 456. „Wir haben die Schrift
fuͤr uns, dazu der alten Vaͤter Spruͤche und der vorigen Kirchen Ge-
ſetze, dazu des Papſts ſelbſt eigenen Brauch, da bleiben wir bei: ſie
aber haben etlicher Vaͤter Gegenſpruͤche, newe Canones und ihren
eignen Muthwillen ohn alle Schrifft und Wort Gottes.“
ſtenthums zu Sachſen. Altenb. IV, 389.
Mandat Altenb. III, 895. Man nehme den Kloͤſtern und Stiftern
ihre Barſchaft und Kleinodien, greife den Geiſtlichen in ihre Freiheit,
beſchwere ſie mit Schatzungen, laure auf ihre liegenden Gruͤnde.
V, p. 861: es ſey „viel Rappens um die geiſtlichen Guͤter.“
viel Auguſtinerconvente dabei.
de Wette III, p. 137; an Spalatin 1ſten Jan. 1527. ibid. 147.
Vgl. 153.
quien von Juſtus Moͤſer p. 88.
Verwilligung der Landſchaft, ſonſt ſo verkompt das Gut, und der
Oberkeit oder Landt wurd es nit gepeſſert.“ — Schreiben an Luther:
bei Rommel V, p. 862.
obern, 15 im niedern Fuͤrſtenthumben, mit etlicher Steuwer an Frucht
Korn und Habern Fuͤrſehung thun, damit ſie ſich in Ruͤſtung erhal-
ten und auf Erforderung deſto ſtattlicher dienen moͤgen. Was der
durchlauchtig Fuͤrſt — Hr Philipps — mit den Cloſterperſonen Pfarr-
herrn und abgoͤttiſchen Bildniſſen vorgenommen hat. Hortleder I,
V, II § 11. Es erinnert an die Ideen des Saͤculariſationsentwurfs
von Augsburg 1525.
cisci (Fr. war 1526 ſelbſt ein Mittwoch 4 October) bei Hortleder
ment noch vollends. Nach Lang ſoll es z. B. in dem Edict heißen:
Das h. Sacrament ſoll man keineswegs in beiderlei Geſtalt empfan-
gen, gegen die Verwandlung nichts lehren. In der That aber
li[e]ſt man daſelbſt nr. 5 (Hortl. p. 35): „Woͤllen uns verſehen, daß
ſich ein jeder mit Empfahung des Sacraments alſo halte, wie er
das gegen Gott und Kaiſ. Mt verhoff zu verantworten“ — was doch
eine voͤllige Freiheit involvirt. „Es ſoll auch wider das hochw. Sa-
crament — als ob in dem h. Sacrament der Leib und das Blut
nicht gegenwertig waͤre nit gepredigt werden.“ — Zwiſchen Gegenwart
und Verwandlung aber, welch ein Unterſchied!
Strobel Miscell. IV, 173.
Jesum benedictum fructum ventris tui nobis post hoc exilium
ostende heißt es: o Jesu benedicte faciem patris tui nobis post
hoc exilium ostende.
Priors zu Nuͤremberg bei Strobel: Misc. III, 62.
berg in Muͤllners handſchr. Annalen. „Es ſind aber,“ fuͤgt der Au-
tor hinzu, „die Haußcommenthur mit nachfolgenden Conditionen zu
Buͤrgern aufgenommen worden, 1) daß ſie Buͤrgerpflicht thun und
hinter die Viertelsmeiſter ſchworen ſollten, 2) daß ſie den deutſchen
Hof mit ſeinen zugehoͤrigen Guͤtern dieſſeit des Waſſers gelegen ver-
loſungen ſollten, 3) ſollen von allem Getrank ſo im Hof und Spi-
tal eingelegt wird, das Umgeld zahlen, 4) ſollen ſie mit dem Holze
auf des Reichs Boden ſich beſcheidentlich halten.
des Braunſchweig Luͤneburgiſchen Hauſes II, 347. Vgl. Schlegels
Kirchengeſchichte II, 50.
Stadt Breslau bei Schickfuß: Neuvermehrte Schleſiſche Chronika
III, 58.
tizen.
Bd III, die Jahre 1521—1527. Gegen die glaubwuͤrdige Erzaͤh-
lung dieſes einfachen Chroniſten nehmen ſich die Erzaͤhlungen von Bu-
kiſch, der daraus ſchoͤpfte, oft wie eine ſchlechte Carikatur aus.
Entſchuldigung auf etlicher Verunglimpfen bei Schickfuß S. 65.
tione principum commutatam etiam aut sublatam deprehenderent
oppressionem. Litterae Casimiri Regis bei Dlugoß Historia Pol.
II, 138. Vgl. Voigt Preuß. Geſch. VIII, 378.
er ſich gegen den beiden Meiſtern verſchreiben und obligiren muͤſſen,
damit ſie ſich denn ganz und gar aus dem Gehorſam gezogen.“
Preuſſen. Beitraͤge zur Kunde Preußens Bd II, p. 287.
Beitr. z. Kunde Preußens IV, 83.
Landſchaft zw dieſer Verenderung und Vertrag mit der Kron Polen
kommen.“ (Antwort Albrechts auf das Anbringen des ſaͤchſiſchen
Geſandten Grefendorf. W. A.)
goedia nullum unquam finem habere potuisset, praesertim cum
subditi mei omnes a me exigerent modis omnibus neque ab hoc
instituto dimoveri potuerint in conventu generali regni mei no-
vissimo vel cogendum tandem magistrum Prussiae ad praestan-
dam obedientiam et omagium mihi et regno meo debitum vel il-
lum ac ordinem ex terris illis exturbandum.
nem Antonium Puleonem (ſoll wohl heißen Burgo [...]
A. v. Burgo war damals Nuntius in Ungern) lib. [...]
cium Apostolicum. Principes ingenue e vestigio [...]
ambages id quod attulerant proposuerunt. (Sam [...]
Miechovia sive promtuarium etc. p. 609.)
fieri potuerunt, et quales mutua nostra necessi [...]
nam vero ecclesiam et ejus ritus execrabiles esse [...]
nomine pontificis contemptibilius esse), plerosqu [...]
et sacrificos nubere etc. etc.
[...]erklaͤrte den Staͤndeabgeordneten, die hiezu im
[...]evollmaͤchtigt waren, „er werde ihnen der-
[...]kunden mitgeben, daß ſie bei den Ihren ent-
[...] Das zeigte ſich denn gleich bei der Ruͤck-
[...]
Voigt in den Beitraͤgen zur Kunde Preußens III, 246.
Preußens III, p. 126.
Pr. IV, 395 und eine Abhandlung von Faber VI, p. 539.
„Troſt, es ſoll kein Mangel haben.“ Ich finde doch nicht daß es
zu einem Abſchluß gekommen. Auch ſchien dem Landgrafen von Heſ-
ſen die gegenſeitige Verpflichtung zu geringfuͤgig.
uns nicht hoͤren will, von dem ſind wir leicht und bald geſchieden.“
Buͤchlin der gottſeligen Fuͤrſtin F. Urſulen Herzogin zu Muͤnſterberg:
Altenb. IV, 416.
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 2. Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bnsm.0