beantwortet
von
einem Oſtpreußen.
Bei H. Hoff.
1841.
[[2]][[3]]
Preußens
Provinzialſtänden
gewidmet
vom Verfaſſer.
[[4]]
Schreibt ins Denkbuch, ihr Nachkommen, daß noch nie
ein Fall war, wo freie hiſtoriſche Publicitaͤt geſchadet
habe, und nie noch wieder ein Fall war, wo unter-
druͤckte[Publicitaͤt] auch nur ſcheinbar genuͤtzt haͤtte. —
(Spittler.)
Der Wille freier Menſchen iſt der unerſchuͤtterliche
Pfeiler jedes Throns.
(v. Stein's polit. Teſtament)
Facta loquuntur.
Die Sprache der Ereigniſſe — gleich vernehmlich
fuͤr Jeden — iſt nicht immer und Jedem verſtaͤndlich.
Aus derſelben eindringlich und ſinngetreu in die Sprache
des Volkes zu uͤberſetzen, iſt die Aufgabe des Publiciſten.
Wir werden in dieſen Blaͤttern
die politiſche That des oſtpreußiſchen Huldi-
gungs-Land-Tags
dergeſtalt zu uͤbertragen verſuchen.
Was wünſchten die Stände?
Was berechtigte ſie?
Welcher Beſcheid ward ihnen?
Was bleibt ihnen zu thun übrig?
Jeder Preuße leſe und pruͤfe unſere Antwort. —
I.
Was wünſchten die Stände?
Geſezmaͤßige Theilnahme der ſelbſtaͤndigen Buͤr-
ger an den Angelegenheiten des Staates.
[6]
Die ſtaͤndiſche Denkſchrift, von dem uͤblichen Rede-
ſchmucke entkleidet, lautet:
Wir verzichten auf die „in veralteten Formen ſich
ſchwer bewegende Vertretung einzelner und bevorrechteter
Staͤnde“; wir wuͤnſchen dagegen „eine Vertretung des
geſammten preußiſchen Landes“ und hoffen, daß der
Koͤnig die von ſeinem Vater am 22. Mai 1815 verhei-
ßene Verſammlung der Landes-Repraͤſentanten dem Volke
zuzuſichern nicht anſtehen werde. —
Theilnahme des Volkes — Leidende ſowohl als
mitwirkende — findet in jedem Staate, ſelbſt den des-
potiſchen, ſtatt; gering oft und unſcheinbar im Frieden,
tritt dieſer Einfluß des Volkes (wir haben's erlebt) zur
Zeit der Noth offen und maͤchtig hervor. Nicht dieſe
allgemeine durch Naturnothwendigkeit bedingte Theilnah-
me kommt hier in Betracht, ſondern allein die durch
das Geſez feſtgeſtellte. Der Meinungs-Kampf uͤber
conſtitutionelle und abſolute Regierungsform loͤßt ſich in
die einfache Frage auf:
ſoll die Regierung allein in den Haͤnden abhaͤngiger,
beſoldeter Beamten (Koͤnigl. oder Staatsdiener) ſein;
oder
ſoll geſetzlich auch den ſelbſtſtaͤndigen Buͤrgern wahr-
hafte Einſicht und Theilnahme zuſtehen?
So allgemein gefaßt laͤßt dieſe Frage ſich nicht beant-
worten, weil der zur Entſcheidung erforderliche Maasſtab:
der ſittlich-intellectuelle Standpunkt des Volks in jedem
[7] Lande und zu jeder Zeit ein verſchiedener iſt. Wie nun aber
verhaͤlt es ſich hiermit im preußiſchen Vaterlande?
Welche Cultur-Stufe hat hier das Volk erreicht?
Welchen Antheil an den oͤffentlichen Angelegenheiten
gewaͤhrt ihm das Geſez?
Steht dieſer Antheil mit dem Culturgrade in richti-
gem Verhaͤltniſſe oder nicht? —
Man darf dreiſt behaupten, daß unſer Vaterland
(und wir nehmen hier keine Provinz aus) an ſittlicher
und geiſtiger Bildung ſeiner Bewohner, keinem Lande
Europa's nachſtehe. Selbſt von den eifrigſten Gegnern,
von Franzoſen und Englaͤndern wird Preußen mit ſeinen
ſieben Univerſitaͤten, ſeinen 20,085 Schulen und ſeiner
volksbildenden Militair-Verfaſſung als ein bisher uner-
reichtes Vorbild gruͤndlicher Volkserziehung geprieſen.
Wo hat die deutſche Literatur eine reichere Quelle,
wo einen eintraͤglicheren Markt als in Preußen? Wo
wird jeder wahre Fortſchritt der Zeit mit groͤßerem In-
tereſſe begruͤßt, jedes politiſche Ereigniß vorurtheilsfreier
beurtheilt als in Preußen? welche Nation hat im Un-
gluͤcke ſoviel ſittliche Kraft, im Gluͤcke und mitten unter
allgemeiner Voͤlkergaͤhrung ſoviel Maͤßigung offenbart,
als die preußiſche? doch wozu hier an die Jahre 1807,
1813 und 1830 erinnern. Erſt vor wenigen Tagen
ſprach Friedrich Wilhelm IV. in Koͤnigsberg oͤffentlich zu
ſeinem Volke, und die Art wie er ſprach, die Aufnahme
[8] die ſeine Worte fanden waren eine herrliche Anerkennung,
ein lautes Zeugniß fuͤr die Bildungsſtufe des Volkes.
Und welchen Antheil an der Regierung hat dieſes
an Sitte und Intelligenz ſo hoch ſtehende Volk? Erroͤthend
muͤſſen wir geſtehen: kaum den allergeringſten. Leider
wird es nur zu leicht dieſe Antwort zu begruͤnden.
In zwiefacher Form kann die Theilnahme des Volks
an den oͤffentlichen d. h. ſeinen Angelegenheiten ſich kund
und geltend machen, durch die Preſſe und durch Ver-
tretung. Die ſchlimmſten Feinde beider: Cenſur und
Scheinvertretung walten in Preußen.
„Die Publicitaͤt iſt fuͤr die Regierung und die Un-
terthanen die ſicherſte Buͤrgſchaft gegen die Nachlaͤſſigkeit
und den boͤſen Willen der Beamten, die ohne ſie eine be-
denkliche Eigenmacht erhalten wuͤrden (!); ohne ſie
wuͤrde kein Mittel uͤbrig bleiben, um hinter die Pflicht-
widrigkeiten untergeordneter Behoͤrden zu kommen. Sie
verdient daher auf alle Weiſe gefoͤrdert und geſchuͤtzt zu
werden.“
Vom Koͤnige Friedrich Wilhelm III., der ſicher das
Gute wollte, ruͤhren dieſe Worte her. — Wie das da-
rin ausgeſprochene Princip aber auf die Wirklichkeit an-
gewendet werde, weiß Jeder, der auch nur in die entfernt-
ſte Beruͤhrung mit der preußiſchen Cenſur gekommen iſt.
Bekanntlich darf bei uns weder der kleinſte Zeitungs-Arti-
kel noch Schriften uͤber 20 Druckbogen ohne Cenſur-Pruͤ-
[9] fung erſcheinen; iſt der Gegenſtand ein politiſcher, ſo faͤllt
meiſtens die Pruͤfung einem Polizeiagenten anheim, der
bei den vagen Beſtimmungen des Cenſurreglements (vom
18. October 1819) ſich allein nach den beſonderen In-
ſtructionen des Miniſters zu richten hat. Vom Miniſter
vollkommen abhaͤngig und nur dem Miniſter verantwort-
lich, iſt dieſer Cenſor alles zu ſtreichen gezwungen, was
den individuellen Anſichten und Abſichten ſeines Obern nicht
genehm iſt. Fuͤhrt der Verfaſſer gegen ihn Klage, ſo wird er
in der Regel abſchlaͤgig beſchieden, oder erhaͤlt ſein Recht erſt
nach ſo langer Zeit, daß er keinen Gebrauch mehr davon
machen kann. Wie waͤre es ſonſt auch moͤglich, daß ſeit
jenem im Jahre 1804 ausgeſprochenen Lobe anſtaͤndiger
Publicitaͤt man in keiner preußiſchen Zeitung, in keinem
hier gedruckten Buche auch nur den leiſeſten Tadel uͤber
das Verfahren des untergeordnetſten Beamten findet, daß
jede das oͤffentliche Intereſſe nur entfernt beruͤhrende An-
deutung (die Rubrik Inland der Staats-Zeitung wird
wohl Niemand hierher rechnen), um veroͤffentlicht zu wer-
den ſich erſt außerhalb der preußiſchen Grenzen fluͤchten
muß! Und auch hier ſelbſt iſt ſie nicht ſicher vor jener
bedenklichen Beamten-Eigenmacht, welche mit Recht
Friedrich Wilhelm III. als die nothwendige Folge unter-
druͤckter Publicitaͤt bezeichnete, damit auch durch auslaͤndi-
ſche Zeitungen kein unguͤnſtiges Urtheil uͤber Beamten-
Handlungen, keine irgend freimuͤthige Beleuchtung unſerer
Zuſtaͤnde nach Preußen gelange, werden dergleichen Blaͤt-
ter entweder verboten, oder deren Redactionen durch wohl-
[10] bekannte Mittel fuͤgſam gemacht. Wir uͤbertreiben leider!
nicht. Die franzoͤſiſchen Zeitungen ſind freilich erlaubt,
die meiſten aber duͤrfen nicht unter Kreuzband nach Preu-
ßen kommen, ſo daß Ein ſolches Blatt mehr als 400
Thaler an jaͤhrlichem Poſtporto koſten wuͤrde; nur der
Schein iſt gewahrt, der Sache nach aber eine ſolche Er-
laubniß und ein Verbot ein und daſſelbe. Anders ver-
faͤhrt man mit den deutſchen Zeitungen. Sind deren
Redacteure nicht ſchon in ihrem eigenen wohlverſtande-
nen Intereſſe auf ihrer Hut, nehmen ſie uͤber Preußen oder
preußiſche Beamte einen in Berlin mißfaͤlligen Artikel auf,
ſo werden an ſie von Seiten des preußiſchen Miniſteri-
ums (dem Zweifler ſind wir dies durch Actenſtuͤcke dar-
zuthun bereit) Vorwuͤrfe und Reclamationen gerichtet,
Angabe ihrer Correspondenten drohend verlangt und nur
unter demuͤthigenden Bedingungen der eintraͤgliche preußi-
ſche Markt ihnen fernerhin offen gelaſſen.
Die praͤventive (vorkehrende) Cenſur hat vernuͤnf-
tiger Weiſe nur das zu ſtreichen, was der Richter, wenn's
gedruckt waͤre, beſtrafen wuͤrde. Eine Cenſur aber, die
alſo wie in unſerem Vaterlande gehandhabt wird, hoͤrt
auf eine rein praͤventive zu ſein: ſie wird zu einer anmaßenden
Bevormundung, zu einer wahrhaften Unterdruͤckung der
oͤffentlichen Meinung und fuͤhrt endlich zu einer — hoͤchſt
bedenklichen, dem Volke und dem Koͤnige gleich gefaͤhrli-
chen Eigenmacht der Beamten.
[11]
Wie es in einem Lande, wo man ſo peinlich jede der
Regierung mißliebige Aeußerung bewacht, mit der
Vertretung des Volkes
ſtehe, laͤßt ſich leichtlich errathen. Wenn man die unbe-
dingten (meiſt beamteten) Vertheidiger des Beſtehenden
fragt, jene Schriftſteller, deren Dienſtbefliſſenheit es ſo
trefflich verſteht Muͤcken zu ſeigen und Kameele zu ver-
ſchlucken, ſo hoͤrt man alsbald die Communal-Verfaſſung,
die Kreis- und Provinzial-Staͤnde als repraͤſentirende Or-
gane des Volksbewußtſeins, als genuͤgende Garantien der
Zukunft lobpreiſen. Daß dieſe Einrichtungen aber, ſo
lange ſie nicht in oͤffentlich berathenden Reichsſtaͤnden
ihre nothwendige Ergaͤnzung erhalten, ſchlimmer als gar
keine Vertretung, naͤmlich bloße Scheinvertretung ſind,
wird aus dem Folgenden ſich nur zu augenfaͤllig ergeben.
In Betracht der Communal-Verfaſſung muß
vor allem die Staͤdte-Ordnung von 1808 von der revi-
dirten des Jahres 1831 wohl unterſchieden werden. Er-
ſtere traͤgt den [liberalen] Charakter der damaligen Zeit
und achtet der Buͤrger Selbſtſtaͤndigkeit; die zweite wird
uͤberall von der Jetzt-Regierung beguͤnſtigt und den Staͤd-
ten dringend anempfohlen.
Waͤhrend man 1808 keinem unbeſcholtenen Einwohner
der Stadt das Buͤrgerrecht verſagte (§. 19. d. St.-Ord.),
wird von der revidirten Staͤdte-Ordnung (§. 14. 15.)
ein nicht unbedeutender Cenſus verlangt; waͤhrend 1808
[12] die Wahl der Stadt-Verordneten nach Zuͤnften und Cor-
porationen ausdruͤcklich verboten wurde (§. 73.), ordnet
das neue Geſetz eine derartige Wahl foͤrmlich an (§. 51.
u. 52.). Waͤhrend die aͤltere Staͤdte-Ordnung jeden ſtimm-
berechtigten Buͤrger fuͤr waͤhlbar erklaͤrt (§. 84.), verlangt
die revidirte in kleineren Staͤdten ein Einkommen von
200 Thlr., in groͤßeren von 1200 Thlr. (§. 56. u. f.)
Waͤhrend die Veraͤußerung ſtaͤdtiſcher Grundſtuͤcke fruͤher
von den Stadtverordneten allein abhing (§. 189.), macht
die Staͤdte-Ordnung von 1831 ſelbſt hierzu die Erlaub-
niß der Regierung nothwendig (§. 117.); der Magiſtrat,
nach dem aͤlteren Geſetze eine allein ſtaͤdtiſche Behoͤrde, iſt
nach dem neuen vorwaltend ein von der Regierung durch-
aus abhaͤngiges „Organ der Staatsgewalt“ (§. 84,
104 u. 105); die Regierung d. h. die Miniſter koͤnnen,
durch kein Geſetz beſchraͤnkt, die Wahlen der Buͤrger an-
nulliren und bei „Unangemeſſenheit“ (!) oder „Verzoͤgerung“
der Wahl die Stellen auf Stadt-Koſten commiſſariſch
verwalten laſſen (§. 93.). Die Regierung d. h. die Mi-
niſter koͤnnen die Magiſtrats-Mitglieder wegen „mangel-
hafter Dienſtfuͤhrung“ (!) abſetzen und alsdann die Groͤße
ihrer Penſion beſtimmen (§. 99. 100.); — der Buͤrger-
meiſter, deſſen Stelle im Falle „unangemeſſener“ Wahl
von der Regierung beſetzt wird (§. 93.), iſt befugt die
Beſchluͤſſe des Magiſtrats zu ſuspendiren und daruͤber nur
der Regierung d. h. den Miniſtern Verantwortlichkeit ſchul-
dig (§. 108.); endlich ſteht es gar den Miniſtern (das
Geſetz ſagt: dem Koͤnige) frei die Stadtverordneten-Ver-
[13] ſammlung „bei Parheiungen in derſelben“ (!) aufzuloͤſen,
oder die Schuldigen auszuſchließen (§. 83.), ja ſelbſt un-
ter Umſtaͤnden den Gemeinden die Staͤdte-Ordnung ganz
zu entziehen (§. 139.). Von allem Dieſem enthielt die
aͤltere Staͤdte-Ordnung kein Wort.
Die genannten und viele andere Unterſchiede der bei-
den Geſetze wuͤrden von ſelbſt in die Augen fallen, wenn
man bei der Zuſammenherausgabe beider die einzelnen §§.
dem Inhalte nach, nicht — wie weislich geſchehen —
der Zahl nach gegenuͤber geſtellt haͤtte; eine Vergleichung
beider Ordnungen waͤre dann aber freilich dem Leſer zu leicht
geworden und haͤtte einen zu factiſchen Pruͤfſtein fuͤr die
Beurtheilung der damaligen und jetzigen Richtung darge-
boten. —
Wo die Staͤdte-Ordnung von 1831 gilt (und nur
dieſe darf jetzt neu eingefuͤhrt werden), iſt nach Obigem
der geſetzliche Einfluß des Cabinets ſchon maͤchtig genug;
anders dagegen in Staͤdten, die das Geſetz von 1808
noch nicht mit dem revidirten vertauſcht haben: da hier
das Recht der Regierung großen Theils nur auf die Ein-
ſicht der Rechnungs-Extracte beſchraͤnkt iſt, muß man
freilich der Gleichfoͤrmigkeit wegen auf allmaͤhlige Erwei-
terung der Schranken bedacht ſein. Erwaͤgt man außer-
dem, daß in großen Staͤdten beſondere, nur von dem
Miniſter abhaͤngige Polizeydirectionen angeſtellt ſind, in
kleinern Stadt- und Dorfgemeinden die Ortsbehoͤrden ſich
unter unmittelbarer Aufſicht von der Regierung beſoldeter
[14] und oftmals auch von ihr ernannter Landraͤthe befinden;
erwaͤgt man die den ſtaͤdtiſchen Verhandlungen vollkom-
men entzogene Oeffentlichkeit, die daher ruͤhrende bei Wah-
len wie uͤberall ſich offenbarende Gleichguͤltigkeit der ge-
bildeten Claſſen, endlich die zweimal (im Jahre 1826 und
1833) von den liberalen rheinpreuſſiſchen Staͤnden erfolgte
Ablehnung einer derartigen Gemeindeverfaſſung: — ſo wird
man wohl ſchwerlich geneigt ſein die vielgeruͤhmte preus-
ſiſche Staͤdte-Ordnung als Gegengewicht des ſelbſtſtaͤndi-
gen Volksbewußtſeins gegen Miniſterwillkuͤhr, geſchweige,
als ein Surrogat conſtitutioneller Vertretung gelten zu
laſſen. —
Sehen wir, ob etwa
die Provinzial-Staͤnde
das Vermißte darbieten. Im Sinn des Geſetzes vom 22.
Mai 1815 lag es allerdings, daß dies Inſtitut durch all-
maͤhlige Entwickelung zu einer wahrhaft volksthuͤmlichen
Repraͤſentation heranreifen ſollte. Fuͤnf und zwanzig Frie-
densjahre ſind ſeitdem verfloſſen; die Einrichtung der Land-
tage iſt unveraͤndert dieſelbe geblieben, wie ſie bei der er-
ſten des Jahres 1824 war, und dieſe 16jaͤhrige Dauer
duͤrfte wohl als ein genuͤgender Zeitraum erſcheinen, um
nach den Fruͤchten ihrer Arbeit zu fragen. Die Volks-
ſtimme hat bereits das Urtheil geſprochen; kaum wird
man ein Inſtitut auffinden koͤnnen, das eine geringere Po-
pularitaͤt zu beklagen hat, das von dem geſunden Volks-
[15] verſtande als eine unnuͤtzere Laſt betrachtet wird, als die
Provinzial-Staͤnde. Gern wird man uns der Muͤhe uͤber-
heben, aus den bisherigen Landtagsabſchieden den Nach-
weis zu fuͤhren, daß unter allen dort erledigten Gegen-
ſtaͤnden ſich auch nicht ein einziger von allgemeinem Intereſſe
befindet, daß kein nur einigermaßen erheblicher Mißbrauch
abgeſtellt, keiner Beamten-Willkuͤhr entgegengetreten, daß
die ganze Wirkſamkeit zahlreicher Seſſionen ſich auf Er-
richtung von Zucht- und Correctionshaͤuſern, von Taub-
ſtummen-, Irren- und Feuerverſicherungs-Anſtalten, auf
Geſetze uͤber neue Straßen, Wagengeleiſe, Hundeſteuer u.
dgl. m. beſchraͤnkt habe: — Gegenſtaͤnde, die, großen-
theils von der Regierung ſelbſt proponirt, auch eben ſo
gut mit Zuziehung einiger Sachverſtaͤndigen durch die ge-
woͤhnlichen Provinzialbehoͤrden haͤtten vermittelt werden
koͤnnen.
Nicht fuͤr die wuͤrdigen Mitglieder der Staͤnde-Ver-
ſammlung ſoll dies ein Vorwurf ſein. Duͤrfen ſie doch
geſetzlich nur uͤber die Propoſitionen des Miniſteriums
und uͤber rein locale Angelegenheiten berathen, wird ihnen
doch ſelbſt jede Bitte oder Beſchwerde, die ſich nicht auf
das Sonderintereſſe der Provinz bezieht, jede Mitthei-
lung an die andern Provinzial-Landtage ſtreng unterſagt,
iſt doch endlich, um auch die bloße Aeußerung uͤber Staats-
weſen und Geſetzgebung im Allgemeinen unmoͤglich zu ma-
chen, der vom Miniſterium ernannte Landtagsmarſchall
nach Willkuͤhr jede derartige Berathung zuruͤckzuweiſen
ermaͤchtigt.
[16]
Eine Verſammlung die ſo mißtrauiſch in ihrer Thaͤ-
tigkeit uͤberwacht wird, die alles bei geſchloſſenen Thuͤren
verhandelt und ihre Vortraͤge und Beſchluͤſſe nicht einmal
veroͤffentlichen darf, kann wohl fuͤr Alles eher als fuͤr ein
adaͤquates Organ der Volksbeduͤrfniſſe gehalten werden.
Es waͤre uͤberfluͤſſig von ihrem vornaͤmlich auf Grund-
beſitz geſtuͤtzten Wahlprincipe, von der verhaͤltnißmaͤßig
geringen Beruͤckſichtigung der Land- und Stadt-Gemeinden
und von der voͤlligen Ausſchließung der geiſtlichen Staͤnde
zu ſprechen. Wenn nach allem Dieſem noch irgend ein
Zweifel uͤber die voͤllige Richtigkeit des Inſtituts in Be-
zug auf die allgemeine Wohlfahrt uͤbrig bleibt, dem ſeien
hier zwei Auctoritaͤten angefuͤhrt, wie man ſie gewichtiger
kaum erlangen kann: der Staatskanzler Hardenberg und
die oſtpreußiſchen Staͤnde ſelbſt. Letztere nennen in ihrer
Denkſchrift vom 7. September 1840 die Provinzial-Staͤnde
„eine in hemmenden Schranken veralteter Formen ſich
ſchwer bewegende Vertretung einzelner und bevorrechte-
ter Staͤnde, auf welche ſie zum Wohle gemeinſamen
Rechtes zu verzichten bereit ſind.“
und Hardenberg ſagt in einer Rede an die interemiſtiſchen
Repraͤſentanten:
„Waͤre es moͤglich geweſen die im Edict vom 27. Oc-
tober 1810 zugeſagte Repraͤſentation des Volks ſchnell
genug zu Stande zu bringen, wodurch allein ein Geiſt,
ein Nationalintereſſe, an die Stelle ihrer Natur nach
[17] immer einſeitiger Provinzialanſichten treten kann; —
ſo wuͤrde der Koͤnig gern die Meinung der Repraͤſen-
tanten der Nation uͤber das Steuerſyſtem gehoͤrt haben.
Eine Berathung mit den jetzt beſtehenden Provinzial-
ſtaͤnden wuͤrde aber weder dazu gefuͤhrt haben
die Meinung der Nation zu erfahren, noch
haͤtte ſie ein den Zweck erfuͤllendes Reſultat liefern koͤn-
nen. Dies bedarf wohl keiner Auseinander-
ſetzung.“ —
Nicht minder als die Geſezgebende iſt auch die
richterliche und verwaltende Staats-Thaͤtigkeit
der Einſicht wie der Mitwirkung des Volkes gaͤnzlich ent-
zogen. Das Gerichtsverfahren iſt in Preußen von Anfang
bis zu Ende ein heimliches und einzig und allein in Haͤn-
den beſoldeter, vom Cabinet eingeſetzter Beamten. Die
Unpartheilichkeit wird bei gewoͤhnlichen Faͤllen nicht leicht
fehlen, wo aber irgend die Miniſter, oder was ſie den
Staat nennen betheiligt iſt, duͤrfte dieſe Richtertugend in
eine harte Colliſion mit den perſoͤnlichen Intereſſen gera-
then; denn — abgeſehen von dem ſubordinirten Verhaͤlt-
niſſe — iſt Gehaltserhoͤhung, Befoͤrderung, Verſetzung*),
2
[18] die ganze Zukunft jedes Juſtizdieners von dem Willen des
Miniſters abhaͤngig: Conduitenliſten, von den oberen Be-
amten uͤber die unteren gefuͤhrt, muͤſſen alljaͤhrlich den
Miniſterien eingeſchickt werden, und nur der willenloſe
Gehorſam, das unbedingte Eingehen in Anſichten, Mei-
nungen und Wuͤnſche der Miniſter darf auf Belohnung,
aͤußere Ehre, Foͤrderung rechnen. So weit geht in Preuſ-
ſen die Unterordnung der richterlichen Gewalt unter die
ausuͤbende, daß alle Erkenntniſſe in Unterſuchungen wegen
Hochverraths, Landesverraͤtherei oder beleidigter Ma-
jeſtaͤt und uͤber alle Verbrechen, wenn auf Ehrenverluſt,
Todesſtrafe, oder lebenswieriges (fruͤher ſelbſt auf mehr
als drei Jahre) Gefaͤngniß erkannt worden, — der mi-
niſteriellen Beſtaͤtigung unterliegen und vor derſelben,
„weil ſie bis dahin nur als Gutachten anzuſehen“, zur
Publikation nicht geeignet ſind. Werden die zur Beſtaͤti-
gung [eingehenden][Urteile] nach dem Gutachten eines An-
dern Gerichtshofes abgeaͤndert, ſo fertigt dieſer ein Er-
kenntniß „im Auftrage des Juſtiz-Miniſteriums“
*)
[19] aus, das dem erſten Gerichtshofe zur Publication uͤber-
ſendet wird. (Ergaͤnzung. z. Pr. Cr. R. herausgegeben
v. Graͤff, Koch etc. 1838. I. pag. 155-157.) Die
Cabinets-Ordre v. 25. Januar 1823 befiehlt ferner, daß
— wenn bei Prozeſſen zwiſchen Privatleuten, oder zwi-
ſchen Privaten und dem Staate (!) eine in Staatsver-
traͤgen enthaltene Beſtimmung zur Entſcheidung der Sache
beitraͤgt, die Gerichte „ohne Unterſchied, ob der preu-
ßiſche Staat bei Abfaſſung der Vertraͤge con-
currirt oder nicht,“ „vor Abfaſſung des Er-
kenntniſſes“ die Aeußerung des Miniſters einholen
und bei der Entſcheidung lediglich darnach zu achten ha-
ben (ſiehe Kluͤber Selbſtſtaͤndigkeit des Richteramts etc.) —
Und trotz alledem mißtraut man der richterlichen
Willfaͤhrigkeit; denn nicht ſelten (wie bei ſog. Staats-
vergehen) werden Special-Commiſſionen ernannt oder wohl
gar polizeylich-adminiſtrative Maßregeln beliebt. Hieher
gehoͤrt z. B. das Gebot fuͤr die rheiniſchen Juſtizbehoͤr-
den, ſich in die Verhaftungen von Demagogen nicht eher
zu miſchen, als bis die Adminiſtration die Sache dem
Gerichte uͤbergeben werde. (Cab. Ordr. v. 21 Augſt.
1819, nie foͤrmlich publicirt und erſt im Jahre 1824
durch Lottners Sammlung III. 569, bekannt geworden).
Eine fernere Cab. Ord. v. 15. Januar 1825 ermaͤchtigt
die rheiniſchen Polizeibehoͤrden, nach den Geſezen der
alten Provinzen zu verfahren und mit Gefaͤngniß oder
Zwangsarbeit von 8 Tagen bis 4 Wochen (ohne Con-
curenz der Juſtiz) zu ſtrafen.
2*
[20]
Wenn demungeachtet nicht geleugnet werden kann, daß
der Preuße im Allgemeinen Vertrauen zu ſeiner Juſtiz
hege, ſo iſt daſſelbe wohl mehr auf Glauben als auf
Ueberzeugung, mehr auf Perſonen als Verhaͤltniſſe ge-
gruͤndet. —
So viel von Preußens-Rechtspflege. Ueber die
Adminiſtration des Staats ruht gleichfalls ein dem
Volke undurchſichtbarer Schleier des tiefſten Geheimniſ-
ſes; jede derartige Veroͤffentlichung, ja jede Mittheilung
wird als eine ſtrafbare Amtsuntreue angeſehn und ſo dem
Volke mit der Einſicht zugleich jede Controlle uͤber den
Stand ſeiner eigenen Angelegenheiten unmoͤglich gemacht.
Selbſt die Verausgabung der erhobenen Steuern geſchieht
ohne Rechnungsablage. Zwar beſtimmt eine Cab. Ord.
vom 17 Janu. 1820, daß „der Haupt-Finanzetat von
drei zu drei Jahren zur oͤffentlichen Kenntniß kommen
ſoll,“ allein ſeit 1820 bis jetzt, alſo in 20 Jahren iſt
dies nur dreimal (1821, 1829 und 1832) geſchehen,
und auch da nur in ſolcher Unvollſtaͤndigkeit und Ober-
flaͤchlichkeit, *) daß wohl ſchwerlich daraus, wie es in
jenem Edict heißt, „jeder Buͤrger ſich vollſtaͤndig uͤberzeu-
gen koͤnne, daß nichts mehr als das ſtrengſt Nothwen-
[21] dige zum Staatshaushalte an Abgaben gefordert werde.“
— — Die Miniſter und deren Beamte allein ſind in
das Geheimniß der Verwaltung eingeweiht; ſie ſelber
ſchweigen aber und — wer ſpraͤche ohne ihren Willen?!
wie hier ſo uͤberall iſt Wiſſen und Handeln Monopol
der Miniſter; ihr ergebenes Dienerpaar Cenſur und Poli-
zey wacht daruͤber, daß keine andere Meinung, keine an-
dere Thaͤtigkeit ſich geltend mache, als die ihrige; ihnen
untergeordnet iſt Alles; Geſetzgebung wie Rechtspflege,
Schule wie Kirche, Steuereinnahme wie Steuerverwen-
dung; in ihnen ſammelt, regt und verzehrt ſich das ganze
Leben des Staats. Das Volk — ohne thaͤtigen An-
theil an dieſem Leben, ohne Einſicht und Controlle der
ſein Eigenthum, ſeine Perſon und ſein Wohl betreffende
Verhandlungen muß in der Oeffentlichkeit fremdlaͤndiſcher
Zuſtaͤnde Befriedigung fuͤr ſeinen politiſchen Lebensdrang
ſuchen; die außerbeamtliche Intelligenz — ſtets bevormun-
det und ausgeſchloſſen von jeder Einwirkung auf die Ver-
haͤltniſſe des Vaterlands — wendet ſich mit immer rege-
rer Theilnahme der ſtaatlichen Entwickelung Englands
und Frankreichs zu, und buͤßt ſo nothwendig immer mehr
des nationalen Selbſtgefuͤhls ein. — —
Bedarf es nun noch unſerer Antwort auf die obige
Frage, ob der politiſche Antheil des preußiſchen Volkes
mit ſeinem Culturgrade im richtigen Verhaͤltniſſe ſtehe? —
Das unleugbare Mißverhaͤltniß zu beſchoͤnigen, pflegen
offizielle Apologeten eben dieſe muſterhafte Volksbildung
[22] als ein Verdienſt der jetzigen Regierungsform und daher
die unveraͤnderte Fortdauer derſelben als wuͤnſchenswerth
anzuſprechen; ſie uͤberſehen aber daß ſelbſt die beſte Schule
ihre Zoͤglinge nicht fuͤr immer behalten kann, vielmehr
je reifer ſie ſind deſto eher ſie zur Selbſtſtaͤndigkeit zu
entlaſſen verpflichtet iſt. Und iſt's denn wirklich das
gegenwaͤrtige Staatsregiment, dem wir die hohe Cul-
turſtufe verdanken? Von der in Preußen vorhandenen
politiſchen Bildung wird dieß wohl Niemand behaupten;
und auch die ſonſtige — ſittliche wie geiſtige — Volks-
bildung, iſt ſie nicht vielmehr Folge jener großartigen,
fuͤr Preußen ſo uͤberaus wichtigen Erziehungs- und Ge-
ſezgebungs-Epoche der Jahre 1807 bis 1819? ſind die
damaligen liberalen Principien noch die der jezigen
Regierung? Hat man die volksthuͤmlichen Inſtitutionen
jener Zeit weiter entwickelt, oder war man ſie zuruͤckzuſchrau-
ben bedacht? Iſt ſeit dem die Mitwirkung der ſelbſtſtaͤn-
digen Buͤrger erweitert oder beſchraͤnkt worden? — Wir
haben ſchon oben dieſe Frage durch Facta beantwortet
und wollen zur Bekraͤftigung hier nur noch die Worte
eines Mannes anfuͤhren, der — wenn irgend einer —
die vaterlaͤndiſchen Zuſtaͤnde zu durchſchauen geeignet iſt.
„Wir werden,“ ſo ſchildert der Staatsminiſter v. Stein
Preußens Gegenwart, — „wir werden von beſoldeten
Buchgelehrten, intereſſenloſen ohne Eigenthum
ſeienden Bureauliſten regiert; — das geht ſo lange es
geht. — Dieſe vier Worte enthalten den Geiſt unſerer
und aͤhnlicher geiſtloſen Regierungsmaſchienen. Beſoldet,
[23] alſo Streben nach Erhaltenen und Vermehren der Beſolde-
ten; — buchgelehrt, alſo lebend in der Buchſtaben-
welt und nicht in der wirklichen; — intereſſenlos, denn
ſie ſtehen mit keiner der den Staat ausmachenden Buͤrger-
klaſſe in Verbindung; ſie ſind eine Claſſe fuͤr ſich, die
Schreiberkaſte; — eigenthumslos, alſo alle Bewegun-
gen des Eigenthums treffen ſie nicht? es regne oder ſchei-
ne die Sonne, die Abgaben ſteigen oder fallen, man zer-
ſtoͤre alte hergebrachte Rechte, oder laſſe ſie beſtehen, —
alles das kuͤmmert ſie nicht. Sie erheben ihren Gehalt
aus der Staatskaſſe und ſchreiben, ſchreiben, ſchreiben im
ſtillen mit wohlverſchloſſenen Thuͤren verſehenen Buͤreau
unbekannt, unbemerkt, ungeruͤhmt und ziehen ihre Kinder
wieder zugleich brauchbaren Schreibmaſchienen an.“ —
„Eine Maſchienerie (die militairiſche) ſah ich fallen
1806 den 14. October, vielleicht wird auch die Schreib-
maſchinerie ihren 14. October haben! — —
Das iſt das Gebrechen des theuern Vaterlandes:
Beamtenallgewalt und politiſche Nichtigkeit ſei-
ner ſelbſtſtaͤndigen Buͤrger. Wie uͤber die Krank-
heit, ſo iſt auch uͤber das Heilmittel bei den Vaterlands-
freunden kein Zweifel: Oeffentlichkeit heißt es und
wahreVertretung! —
Und das iſt es eben, was der oſtpreußiſche Poſtu-
laten-Landtag ſeinem Koͤnige offen und maͤnnlich aus-
ſprach. Die Staͤnde entſagen der veralteten Form die
[24] ihnen nur einen Scheinantheil an den oͤffentlichen Angele-
genheiten verſtattet; im Bewußtſein der eigenen Reife
wollen ſie wahrhaft Theil haben am Leben des Staa-
tes — mitwiſſend und mitwirkend. Nicht um eine Ga-
rantie bloß iſt's ihnen zu thun, ſondern um Befriedigung
eines tief gefuͤhlten Beduͤrfniſſes. Dem Koͤnige vertraut
das Volk; denn es weiß, daß er nur das Gute will.
Nicht alſo den Miniſtern. Ob mit oder ohne Grund —
allgemein iſt im Lande die Meinung verbreitet, das ſie
der Oeffentlichkeit und dem politiſchen Fortſchritte feind —
mehr in dem Gehorſame der Beamten als in der Liebe
ſelbſtſtaͤndiger Buͤrger die Stuͤtze des Thrones ſuchen;
man iſt beſorgt wegen ihrer Liebe fuͤr laͤngſt verjaͤhrte
Inſtitutionen, wegen ihrer Neigung zum Pietismus, der
dem geſunden religioͤſen Sinne des Volkes nicht zuſagt;
man fuͤrchtet Bevorzugung einer Provinz vor der andern,
Ueberſchaͤtzung der eigenen Staatsweisheit und Intoleranz
gegen Jeden, der (um die Worte eines preußiſchen Mini-
ſters zu brauchen) „der Maasſtab ſeiner geringen Ein-
ſicht an die Befehle der von Gott eingeſetzten Obrigkeit
anzulegen ſich erdreiſtet.“ Nur freie Publicitaͤt und Ver-
tretung koͤnnen uͤber die Wahrheit oder Unwahrheit jener
patriotiſchen Befuͤrchtungen Aufſchluß geben. Wenn die
Beduͤrfniſſe, Wuͤnſche und Beſchwerden des Volkes durch
ſelbſtſtaͤndige Vertreter unmittelbar zum Throne gelan-
gen, dann erſt iſt Koͤnig und Volk ſicher vor jener Be-
amten Eigenmacht, die Friedrich Wilhelm III. ſo treffend
geſchildert, dann erſt wird Fuͤrſt und Volk Eins, und
[25] Preußen die ſeiner Bildung angemeſſene Stelle im Ge-
ſammtvaterlande erhalten und behaupten. Geſtaͤrkt durch
das Vertrauen des conſtitutionellen Deutſchlands, wird es
jeder feindlichen Macht gegenuͤber feſt und wuͤrdig da-
ſtehen, — eine unbezwingliche Waffe gegen die hereindrin-
gende Barbarei des Nordens, ein Meduſenſchild gegen die
Uebergriffe des Weſtens.
Das iſt es, was die oſtpreußiſchen Staͤnde wollten
und in ihren Denkſchriften — ſo deutlich es einem Koͤ-
nige gegenuͤber ziemte — auszuſprechen den Muth hatten. —
[26]
II.
Was berechtigte die Stände zu
ſolchem Verlangen?
Das Bewußtſein eigener Muͤndigkeit und ihre am
22. Mai 1815 factiſch und geſezlich erfolgte Muͤndig-
ſprechung. —
Die Reife des Volks fuͤr eine Geſammtvertretung
haben wir ſchon oben dargethan. Hier daher nur einige
Worte uͤber die hiſtoriſche Berechtigung.
Es iſt oftmals ausgeſprochen worden, Preußens Be-
ſtimmung ſei die Fruͤchte der franzoͤſiſchen Revolution auf
friedlichem Wege ſich anzueignen. Im gleichen Sinne
und mit groͤßerem Rechte koͤnnte man es Preußens Be-
ſtimmung nennen, dem deutſchen Volke das, was es durch
fruͤhere Umwaͤlzungen verloren hat, wiederzugeben: denn
der Grundgedanke neuerer Repraͤſentativverfaſſung: kein
Geſetz ohne Zuſtimmung der Volksvertreter!
liegt ſchon baar und klar in dem altdeutſchen Rechtsſatze:
„wo wir nicht mitrathen, wollen wir auch nicht
mitthaten“.
[27]
Die Geſchichte lehrt, daß die Preuſſen unter ihren
Kurfuͤrſten und unter Friedrich II. mehr als irgend ein
anderer Stamm zur Aufloͤſung deutſcher Einheit beitrug;
die Zukunft wird lehren, ob ſie fuͤr das Zerſtoͤrte den
deutſchen Bruͤdern einen geiſtigen Erſatz zu bieten be-
ſtimmt ſind. —
Das Jahr 1807 zertruͤmmerte die preuſſiſche Mo-
narchie. Der Gedanke, daß dazu eine einzige Schlacht
— nicht ſo entſcheidend wie die bei Kunersdorf — hin-
reichte, mußte das Gemuͤth jedes Vaterlandsfreundes er-
ſchuͤttern und ſeinen Blick auf die Gebrechen lenken, durch
welche ſo unglaubliche Folgen moͤglich geworden. Da
offenbarte ſich, was bisher dem Lande gefehlt und was
allein es zu retten im Stande war. Mit dem Edelſten,
was ihr verblieb, fluͤchtete die Monarchie zu ihrer Wiege,
um neuverherrlicht wieder zu erſtehen.
In der Stadt, wo Kant die Welt erleuchtete, wo
annoch ſeine Freunde, Maͤnner von Tiefſinn und hoher
Rechtlichkeit weilten, fand der ungluͤckliche Koͤnig jene er-
habene Weltanſicht, welche die fuͤrchterlichſten Bedruͤckun-
gen nur als einen nothwendigen Uebergang betrachten laͤßt,
— fand Stein jene edle Genoſſenſchaft, die ihm in der
Wiedergeburt des Staates thatkraͤftig zur Seite ſtand.
Fuͤrſt und Volk — bisher von einander getrennt durch
ein ſtehendes Soldaten- und Beamtenheer — mußten in
gegenſeitiger Liebe vereint, der unterdruͤckte Nationalgeiſt be-
lebt, die thaͤtigſte Mitwirkung der freien Buͤrger in An-
[28] ſpruch genommen werden. Große Reformen wurden da-
mals mit Bedacht erwogen und mit Schnelligkeit ausge-
fuͤhrt. Durch das Geſetz vom 9. October 1807, betreffend
den erleichterten Beſitz und freien Gebrauch des Grund-
eigenthums wurden nicht nur die zeitherigen Feſſeln der
Erbunterthaͤnigkeit geloͤſt, ſondern auch eine factiſche
Gleichſtellung aller Staͤnde bewirkt. — Die
Staͤdteordnung vom 19. November 1808 hob die jeden
Gemeinſinn ertoͤdtende Bevormundung der Communen auf
und erklaͤrte den Buͤrger fuͤr ſelbſtſtaͤndig und muͤndig. —
Das Geſetz vom 26. December 1808 wegen verbeſſerter
Einrichtung der Provinzial-, Polizey- und Finanz-Be-
hoͤrden ſchaͤrfte den Verwaltungsbeamten das Bewußtſein,
daß „ſie ſelber Buͤrger ſind und bleiben, auch wenn ihnen
Staatsaͤmter vertraut worden; daß auf der Wohlfahrt
ihrer Mitbuͤrger nur die Wohlfahrt des Staats und des
Regenten beruht.“ Auch landſtaͤndiſche Repraͤſentanten
ſollten „mit voller Stimme“ an den Regierungsge-
ſchaͤften Theil nehmen, „um den Geſchaͤftsbetrieb mehr zu
beleben und durch ihre Sach- und Perſonen-Kenntniß zu
vereinfachen. Sie ſollten ſich ſelber von der Rechtlichkeit
und Ordnung der oͤffentlichen Staatsverwaltung naͤher uͤber-
zeugen und dieſe Ueberzeugung in der Nation gleichfalls
erwecken und befeſtigen.“. (ſ. Sammlung preuſſ. Geſ. und
Verordng. v. 1806 bis 1810. Berlin 1822). Iſt gleich
die hier ausgeſprochene Theilnahme landſtaͤndiſcher Repraͤ-
ſentanten nicht in Ausfuͤhrung gekommen, ſo lebt doch
ihre Beſtimmung in dem Bewußtſein der Oſtpreußen fort:
[29] die Regierung kann, was ſie Freiſinniges geweckt, unter-
druͤcken, aber nicht ertoͤdten.
Dieſe drei wichtigen, im Verlauf weniger Monate er-
laſſenen Geſetze waren ganz dazu geeignet, eine tuͤchtige Na-
tionalrepraͤſentation vorzubereiten, — eine Nationalrepraͤ-
ſentation, welche das Band zwiſchen Fuͤrſten und Volk
feſter knuͤpfen und dem zertruͤmmerten Vaterlande ſeine
Bedeutſamkeit im europaͤiſchen Staatenbunde wiedererrin-
gen ſollte. Daß dies Stein's Abſicht geweſen, geht au-
genfaͤllig aus dem Circularſchreiben *) hervor, welches er
kurz vor ſeinem durch Napoleon gebotenen Abgange (Ende
November 1808) an die oberſten Behoͤrden der Preußiſchen
Monarchie erließ. Folgende Stelle dieſes merkwuͤrdigen
Actenſtuͤckes moͤge hier einen Platz finden:
„Eine allgemeine Nationalrepraͤſentation iſt erforder-
lich. Heilig war mir und bleibe das Recht und die Ge-
walt unſeres Koͤnigs. Aber damit dieſes Recht und dieſe
unumſchraͤnkte Gewalt das Gute wirken kann, was in ihr
liegt, ſchien es mir nothwendig, der hoͤchſten Gewalt ein
Mittel zu geben, wodurch ſie die Wuͤnſche des Volks
kennen lernen und ihren Beſtimmungen Leben geben
kann. Wenn dem Volke alle Theilnahme an den Opera-
tionen des Staats entzogen wird, kommt es bald dahin,
[30] die Regierung theils gleichguͤltig, theils in Oppoſition mit
ſich zu betrachten. Daher der Widerſtreit oder wenigſtens
Mangel bei Aufopferung fuͤr die Exiſtenz des Staats.
Wo Repraͤſentation des Volks unter uns bisher ſtattfand,
war ſie hoͤchſt unvollkommen eingerichtet. Mein Plan war
daher:
jeder active Staatsbuͤrger, er beſitze 100 Hufen oder
eine, er treibe Landwirthſchaft oder Fabrikation; er
habe ein buͤrgerliches Gewerbe oder ſei durch geiſtige
Bande an den Staat geknuͤpft, habe ein Recht zur
Repraͤſentation.
Mehre mir eingereichte Plane ſind von mir vorge-
legt. Von der Ausfuͤhrung oder Beſeitigung eines Plans
haͤngt Wohl und Wehe unſeres Staats ab; denn
auf dieſem Wege allein kann der Nationalgeiſt er-
weckt und belebt werden.“ —
Auf demſelben Wege, den Stein gebahnt, ſchritt
Hardenberg wieder entſchieden vor; er uͤbertrug auf
den ganzen Staat, was ſeinem Vorgaͤnger nur fuͤr
Oſtpreußen und Litthauen zu thun verſtattet war. In
ſchneller Folge wurde dem Adel die Steuerfreiheit genom-
men (27. October 1810), die geiſtlichen Guͤter zur Til-
gung der Staatsſchuld eingezogen (30. October 1810),
allgemeine Gewerbfreiheit ſtatt des fruͤheren Zunftzwanges
eingefuͤhrt (2. November 1810) und durch das denkwuͤr-
dige Geſetz vom 14. September 1811 (uͤber Abloͤsbarkeit
[31] der Frohnen) die Bauern zu freien Eigenthuͤmern gemacht.
Daß bei allen dieſen Einrichtungen Hardenberg, ebenſo
wie ſein Vorgaͤnger, ſtets eine kuͤnftige Volksvertre-
tung im Auge hatte, ſpricht das von ihm gegengezeich-
nete Finanz-Edict vom 27. October 1810 klar aus. In
demſelben ſagt der Koͤnig: „Wir behalten uns vor, der
Nation eine zweckmaͤßig eingerichtete Repraͤſentation, ſo-
wohl in den Provinzen als fuͤr das Ganze zu
geben, deren Rath wir gern benutzen und in der wir un-
ſeren Unterthanen die Ueberzeugung fortwaͤhrend geben
werden, daß der Zuſtand des Staats und der
Finanzen ſich beſſere“ u. ſ. w.
Und ſo wurde ſchon im Februar 1811 eine interi-
miſtiſche Volksrepraͤſentation in Berlin verſammelt, un-
ter deren Mitwirkung eine Reihe der freiſinnigſten orga-
niſchen Geſetze zu Stande kam. Hardenberg's am 23.
Februar 1811 im Namen des Koͤnigs gehaltene Eroͤff-
nungsrede*) begann mit den Worten:
„Wie ein guter Vater von ſeinen Kindern, fordert
der Koͤnig von ſeinen treuen Unterthanen nicht bloß Ge-
horſam, er wuͤnſcht Ueberzeugung bei ihnen her-
vor zu bringen, daß ſeine Verfuͤgungen nur ihr wah-
res Wohl bezielen; — er will ſeine Anordnungen
[32] lieber hierauf begruͤndet ſehen, als auf ſeinen
Willen“ u. ſ. w. —
Nach Beendigung der Arbeiten (im September d. J.)
ſprach im Namen ſaͤmmtlicher Deputirten Graf v. Hen-
kel-Donnersmark:
„Je wichtiger die Gegenſtaͤnde ſind, die jetzt entſchie-
den wurden, um ſo dankbarer erkennen wir die Gnade,
mit welcher Se. Majeſtaͤt durchGewährungeiner
Nationalrepraͤſentation uns bewieſen haben“ u.ſ.w.
So wurde Preußen durch ſein Geſchick ſelbſt auf
die Bahn conſtitutioneller Entwickelung gedraͤngt;
der Erfolg ward durch die Geſchichte der naͤchſten Jahre
in ſeiner vollen ſittlichen Kraft dargethan. Als die Stunde
des Schickſals ſchlug, ſtand Oſtpreußen mit ſeinem Tu-
gendbunde, ſeiner Landwehr gewaffnet und geruͤſtet da;
es erhob ſich zuerſt, es erhob ſich in froher Begeiſterung,
das gekraͤnkte Koͤnigshaus zu raͤchen und das Fremdenjoch
vom Vaterlande abzuwaͤlzen. Fuͤrſt und Volk ward wie-
der Eins, wie in jenen gewaltigen Urzeiten, der altger-
maniſche Geiſt erwachte und — die ungerechte Macht fand
ihren Untergang.
Nach der Siegesfreude hoffte vor allem Preußen ei-
ner ſchoͤnen Zukunft entgegen zu gehen. Unter den Fuͤrſten
Deutſchlands hatte Friedrich Wilhelm allein Alles ſeinem
Volke und dieſes wiederum ihm ſeine nationale Selbſt-
ſtaͤndigkeit, die Bedingung jeder weitern Fortbildung, zu
[33] verdanken. Vor allen Staaten Deutſchlands war Preu-
ßen in ſeiner inneren Entwickelung am weiteſten vorge-
ſchritten, vor allen Staaten Deutſchlands ſtellte Preußen
auf dem Wiener Congreſſe die freiſinnigſten Antraͤge und
drang am eifrigſten auf Volksrepraͤſentation. In dem
am 13. September 1814 dem Fuͤrſten Metternich von
Hardenberg mitgetheilten Entwurfe einer deutſchen
Verfaſſung heißt es (Art. 7.) von den Landſtaͤnden: „ihre
Befugniſſe ſollen zugleich ſein ein naͤher zu beſtimmender
Antheil an der Geſetzgebung, Verwilligung der Landes-
abgaben, Vertretung der Verfaſſung bei den Landesherrn
und bei dem Bunde“ (!). —
Und dieſes Wort ward in Preußen zur That.
Friedrich Wilhelm der Gerechte, eingedenk ſeines Verſpre-
chens von 1810, eingedenk der Verſammlung interemiſti-
ſcher Repraͤſentanten von 1811, gab
unterm 22. Mai 1815 die allbekannte Ver-
ordnung uͤber die zu bildende Repraͤſentation
des Volks.
Sie lautet:
- §. 1. Es ſoll eine Repraͤſentation des Volkes gebildet
werden. - §. 2. Zu dieſem Zwecke ſind die Provinzialſtaͤnde u. ſ. w.
- §. 3. Aus den Provinzialſtaͤnden wird die Verſamm-
lung der Landesrepraͤſentanten gewaͤhlt, die in
Berlin ihren Sitz haben ſoll. - §. 4. Die Wirkſamkeit der Landesrepraͤſentanten erſtreckt
ſich auf die Berathung uͤber alle Gegenſtaͤnde der
Geſezgebung — —, mit Einſchluß der Beſteuerung. - §. 5. Es iſt ohne Zeitverluſt eine Comiſſion in Ber-
lin niederzuſetzen, die aus einſichtsvollen Staatsbeam-
ten und Eingeſeſſenen der Provinzen beſtehen ſoll. - §. 6. Dieſe Commiſſion ſoll ſich beſchaͤftigen:
- a) mit der Organiſation der Provinzialſtaͤnde;
- b) mit der Organiſation der Landesrepraͤſen-
tanten; - c) mit der Ausarbeitung einer Verfaſſungsur-
kunde nach den aufgeſtellten Grundſaͤtzen. —
- §. 7. Sie ſoll den 1. September d. Jahres zuſam-
mentreten.
Man beachte es wohl! nicht ein bloßes Verſprechen
liegt uns hier vor, ſondern ein nicht umzudeutentes Koͤ-
nigswort, — ein Geſez. —
Auf den 22. Mai 1815 folgen truͤbe Jahre, uͤber
welche wir ſo ſchnell als moͤglich hinwegeilen. Im Mi-
niſterio entſtand — man ſagt, das Oeſtrereich ſeine Be-
ſorgniß vor zu kraͤftiger Geiſtesbewegung geltend machte
— eine Reactionsparthei; die Deputirten, welche ſich am
1. September in Berlin verſammeln ſollten, wurden nicht
einberufen; das Verfaſſungswerk ruhte trotz der dem
Bundestage uͤbergebenen Note v. 5. Febr. 1818, und die
von Goͤrres uͤberreichte Mahn-Adreſſe der rheiniſchen
Landſchaft (12. Januar 1818) ward bei Hofe ſehr miß-
[35] faͤllig aufgenommen. Durch die Cabinets-Ord. v. 31.
Maͤrz 1817 (Einſetzung des Staatsraths) wurde die Ent-
werfung einer Verfaſſungsurkunde befohlen, dieſelbe aber
— im Widerſtreit mit dem §. 5 des Edicts v. 22.
Mai — nur Staatsbeamten uͤbertragen. Im Juli 1819
vollendet, blieb ſie ununterzeichnet in der Staats-Canz-
lei; ſtatt der allgemeinen erwarteten Bekanntmachung er-
folgten polizeiliche Verhaftungen, Inquiſitionen wegen
demagogiſcher „Umtriebe“ und — die Karlsbader Be-
ſchluͤſſe; Cenſur-Edicte unterdruͤckten die oͤffentliche Stim-
me und das freiere Wort verhallte in Gefaͤngniſſen. —
Erſt 1823 — acht Jahre nach der Verordnung
uͤber die „ohne Zeitverluſt“ zu bildende Volksrepraͤſenta-
tion — erſchien das Geſez uͤber Errichtung der Provinzi-
alſtaͤnde; Reichsſtaͤnde wurden darin als bevorſtehend an-
gekuͤndet. Siebenzehn neue Jahre verfloſſen, — die Pro-
vinzialſtaͤnde warteten vergebens auf ihre geſezliche Er-
gaͤnzung: die Reichsſtaͤnde. Stimmen des Mißbehagens
uͤber buͤreaukratiſche Erſtarrung wurden indeſſen laut, und
der weſtphaͤliſche Landtag erinnerte (i. J. 1830) einſtim-
mig, an das unvollendete Verfaſſungswerk; — die reich-
ſtaͤndiſche Verſammlung unterblieb nach wie vor. Das
Edict v. 17. Januar 1820 hatte die Staatsſchuld wie
jede kuͤnftige Anleihe „unter die Garantie der Reichs-
ſtaͤnde“ geſtellt; — Die garantirenden Reichsſtaͤnde aber
exiſtirten und exiſtiren noch immer — nur allein in der
Geſezſammlung und in der Hoffnung des preußi-
ſchen Volkes.
3*
[36]
Und dieſe Hoffnung des preußiſchen Volkes auszu-
ſprechen, — wer war mehr dazu geeignet als der Koͤ-
nigsberger-Huldigungslandtag?! Von ſeinem Koͤnige auf-
gefordert, nach altherkoͤmmlichem Brauche „die Beſtaͤti-
gung etwa noch beſtehender Privilegien in Antrag zu
bringen,“ beſchloß der Landtag mit 87 Stimmen gegen
5, die Verfaſſungsrechte zu wahren und Sr. Maj. an
die bereits durch das Edict v. 22. Mai 1815 geſezlich
gewaͤhrte, aber factiſch noch immer nicht ins Leben getre-
tene Volksrepraͤſentation zu erinnern. Oſtpreußen arm
und wenig beachtet, noch wund von jenen ungluͤcklichen
Kriegsjahren hat nicht ſeine Leiden geklagt, vielmehr ſeine
Noth anſtaͤndig verhuͤllend die Sache des geſammten
Vaterlandes in freier, maͤnnlich-loyaler Rede gefuͤhrt.
Seit drei Jahrzehnten deuten Preußens Geſchichte und
Preußens-Geſetzgebung gleich unabweisbar auf die Noth-
wendigkeit einer Volksvertretung hin; nur durch ſie kann
der Beamten-Willkuͤr Einhalt geſchehn, nur durch ſie kann
des Volkes Stimme zum Throne gelangen und zwiſchen
Regierung und Regierten das Vertrauen wieder her-
geſtellt werden, welches allein bei kuͤnftigen politiſchen
Stuͤrmen (und ſchon ziehen die Wolken dicht zuſammen)
das Land vor dem Schickſale des Jahres 1807 zu ſchuͤ-
tzen vermag. Nicht bloß berechtigt war der Huldigungs-
landtag zu ſolcher Mahnung, er erfuͤllte dadurch eine
Pflicht gegen das Vaterland und gegen den Koͤnig. —
[37]
III.
Welcher Beſcheid ward den Ständen?
Anerkennung ihrer treuen Geſinnung, Abweiſung der
geſtellten Antraͤge und troͤſtende Hindeutung auf einen
kuͤnftigen unbeſtimmten Erſatz.
Der Landtagsabſchied vom 9. September 1840 be-
ſagt, Friedrich Wilhelm III.
‘habe wegen der Ereigniſſe, die er bald nach Erlaß der
Verordnung vom 22. Mai 1815 in andern Laͤndern
wahrnahm, die Deutung, welche mit ſeinen Worten
verbunden wurde, in reifliche Ueberlegung gezogen. Von
den herrſchenden Begriffen ſogenannter allgemeiner Volks-
vertretung ſich fern haltend, habe er den auf geſchichtlicher
Entwickelung beruhenden, der deutſchen Volksthuͤmlich-
keit entſprechenden Weg eingeſchlagen und ſeinem Lande
die Provinzialverfaſſung verliehen. Dieſes Werk
ſolle auch in Zukunft treu gepflegt und einer erſprieß-
licheren Entwickelung entgegengefuͤhrt werden. —’
1. Inſofern „die bald nach der Verordnung vom
22. Mai 1815 wahrgenommenen Ereigniſſe“ in dem Land-
[38] tagsabſchiede nicht naͤher bezeichnet worden, duͤrfte auch
jedes Urtheil uͤber die Bedeutſamkeit derſelben hier unzu-
laͤſſig erſcheinen. Vorgaͤnge in den deutſchen Kam-
mern koͤnnen wohl ſchwerlich gemeint ſein. Die ſeit dem
erſten Pariſer Frieden zunehmende Unzufriedenheit Deutſch-
lands wollen wir zwar — zur Ehre unſeres Volkscha-
rakters — keineswegs in Abrede ſtellen. Wenn aber auch
in Folge derſelben ſich hie und da Irrungen zwiſchen Fuͤr-
ſten und Staͤnden erhoben, ſo geſchah dies doch weder in
ſo kurzen Zwiſchenraͤumen noch in ſolcher Ausdehnung,
daß man darauf eine Rechtsverweigerung gruͤnden konnte.
„ Wir“, — ſagt Herr v. Gagern — , „wir Edelleute
haben einiges Recht, die deutſchen Repraͤſentativverfaſſungen
anzuklagen, die Fuͤrſten nicht, nicht ohne Undank. In
Muͤnchen, Karlsruhe, Stuttgart iſt man ihnen mit Liebe
nicht nur, ſondern mit Enthuſiasmus entgegengekommen.
Mit dieſem Enthuſiasmus hat man die Civiliſten behan-
delt. So wenig — ein engliſches Parlament nach den Re-
densarten des Lord Cochrane oder Sir Francis Bur-
dett zu beurtheilen iſt, ſo wenig unſere Kammer nach
dieſer oder jener iſolirten Aeußerung. Die ſo urtheilen,
haben nicht den entfernteſten Begriff von unſeren fruͤhern
landſtaͤndiſchen Verhandlungen, ſo oft voll Sinn, Nachdruck
und Vaterlandsliebe.“
Allein die Unterſuchung, welche Ereigniſſe gemeint
ſeien, iſt auch unnoͤthig, da ſie Preußen wieder bis
zum 1. September 1815 (dem Termine der einzuberufen-
[39] den Reichsſtaͤnde) noch ſpaͤter betrafen. Welchen Mißbrauch
auch immerhin „in andern Laͤndern“ das Repraͤſentativ-
ſyſtem erfahren, in Preußen war die Regierung zu weit
vorgeſchritten, um die Stimme freier Diskuſſion zu ſcheuen,
in Preußen war der Koͤnig von der Treue ſeines
Volkes zu feſt uͤberzeugt, um durch irgend welche Befuͤrch-
tung ſich von der Erfuͤllung ſeines Verſprechens abhalten
zu laſſen. —
2. Schwieriger noch iſt die Aufgabe, „die Mißdeu-
tung, welche mit den koͤniglichen Worten verbunden wurde“,
nachzuweiſen. Oeffentliche Mißdeutung durch die Preſſe
iſt uns nicht bekannt, eben ſo wenig eine berichtigende
Erklaͤrung die von Seiten des Staatsoberhaupts gegen
ſolchen Frevel noͤthig geworden. Wo uͤberhaupt mit dem
Worte zugleich die Sache ſo ſcharf und beſtimmt ge-
geben iſt, wie in §. 3 und 4 des genannten Edicts:
— „Aus den Provinzialſtaͤnden wird die Verſammlung
der Landesrepraͤſentanten gewaͤhlt, die in Berlin ihren
Sitz haben ſoll und deren Wirkſamkeit ſich auf die Be-
rathung uͤber alle Gegenſtaͤnde der Geſetzgebung u. ſ. w.
erſtreckt“ — ;
da muß wohl jede Deutung — ſie mag ein Mehr oder
Weniger erzielen — nothwendig fortfallen. Den einzig
moͤglichen Sinn jener Worte findet man wiederholentlich
in dem Finanz-Edict vom 17. Januar 1820, in der
Verordnung uͤber die zu errichtenden Provinzialſtaͤnde (v.
[40] 5. Juni 1823) und in vielen nachfolgenden Geſezen aus-
gedruͤckt; zum deutlichen Beweiſe, daß der gewiſſenhafte
Koͤnig durch Anordnung der Provinzialſtaͤnde ſich keines-
wegs ſeines unter den dringlichſten Umſtaͤnden gegebenen
Verſprechens entbunden glaubte.
„Ein Koͤnig ſagt nicht, wie gemeine Menſchen,
Verlegen zu, daß er den Bittenden
Auf einen Augenblick entferne; noch
Verſpricht er auf den Fall, den er nicht hofft: —
Dann fuͤhlt er erſt die Hoͤhe ſeiner Wuͤrde,
Wenn er den Harrenden begluͤcken kann.“ —
Und in eben demſelben nicht umzudeutenden Sinne
hat der oſtpreußiſche Huldigungslandtag das Edict vom
22. Mai 1815 verſtanden, indem er ſo beſcheiden als
klar darauf antrug, den Provinzialſtaͤnden ihre geſetz-
maͤßige Beſtimmung zu geben, d. i. die Verſammlung
der „Landesrepraͤſentanten“ aus ihnen erwaͤhlen zu laſſen.
3. Unzweifelhaft iſt's, daß das Inſtitut der Pro-
vinzialſtaͤnde ſowohl „auf geſchichtlicher Entwickelung be-
ruht, als auch der deutſchen Volksthuͤmlichkeit entſpricht.“
Die Geſchichte lehrt, daß die fruͤheren Staͤnde ſehr aus-
gedehnte Freiheiten, wie das volle Recht der Steuer-
verwilligung, beſaßen und in Preußen ſogar (kurfuͤrſtliche
Aſſecuration vom 12. Maͤrz 1663) uͤber Krieg und Frie-
den entſchieden. Die fruͤheren deutſchen Landtage, —
lehrt gleichfalls die Geſchichte, — hatten die Aufgabe,
[41]beſondere Rechte und Privilegien geſchloſſener
Staͤnde zu vertheidigen; die daſelbſt zwiſchen Fuͤrſten
und Staͤnden gepflogenen Verhandlungen glichen (wie
Buͤlau es treffend ausdruͤckt) „einem Congreſſe zweier
Maͤchte, die uͤber ihre collidirenden Intereſſen einen Ver-
gleich ſchließen.“ Daß aber jene Staͤnde fuͤr ein allge-
meineres Volksintereſſe, fuͤr die heilige Unantaſtbarkeit des
Vaterlands und eine glorreiche Einheit deſſelben aufgetre-
ten, davon ſind die Beiſpiele zu zaͤhlen. Zur Zeit wird
wohl weder Fuͤrſt noch Volk eine Entwickelung erſprieß-
lich finden, welche den jetzigen Staͤnden die Bedeutung
und Wirkſamkeit ihrer Vorgaͤnger ertheilte. Will man
nun einmal nicht anders als mit ruͤckwaͤrts gewendetem
Blicke vorſchreiten, ſo vergeſſe man doch nicht, daß in
Deutſchland
das Princip „allgemeiner Volksvertretung“
bei weitem aͤlter und volksthuͤmlicher iſt, als das der
Land-Standſchaft.*) — Freiheit der Gemeinde, Verant-
wortlichkeit der von derſelben erkorenen Obrigkeit und eine
auf Gleichheit der Gemeinderechte beruhende (nicht oc-
[42]troyirte) Volksrepraͤſentation findet man bei den Deut-
ſchen und uͤberall wo Deutſche hingekommen, lange vor
der Entſtehung des Feudalweſens. Werden wir auf die
Vergangenheit hingewieſen, ſo wollen wir uns lieber auf
die freie deutſche Eiche ſtuͤtzen, als den hiſtoriſchen Wur-
zeln mittelalterlichen Feudalitaͤt nachgraben. —
4. Der Reichsſtaͤnde erwaͤhnt der Landtagsabſchied
gar nicht, verſpricht aber dafuͤr eine „erſprießlichere Ent-
wickelung der Provinzialverfaſſung.“ — Zu der Weisheit
des neuen Regenten herrſcht gewiß das unbedingteſte
Zutrauen, aber es liegt nicht in der Macht eines Einzi-
gen, Inſtitutionen, die ſich bereits uͤberlebt haben, ihre
zukuͤnftige Entwickelung vorzuſchreiben. Erwaͤgt man die
juͤngſten Standeserhoͤhungen und die darin liegende Sug-
geſtion zu Majoratsſtiftungen, ſo koͤnnte man die Abſicht
einer Pairieſchoͤpfung nach engliſchem Vorbilde ver-
muthen, — eine Schoͤpfung, die gerade in Preußen auf
unuͤberſteigliche Hinderniſſe ſtoßen und ein ganz fremdar-
tiges Element in das unariſtokratiſche Inſtitut der Pro-
vinzial-Landtage bringen wuͤrde. — Preußen, von drei
Großmaͤchten eingeſchloſſen, kann mit ſeinen 14 Millionen
und ſeiner allgemeinen Wahrhaftigkeit uͤberall hin den
Ausſchlag geben, und empfaͤngt nur dieſer Stellung wegen
das Compliment der Ebenmaͤchtigkeit. Wie aber, wenn
es fuͤr ſich allein ſteht? Seine Volkseinheit iſt bis
jetzt mehr mechaniſch als organiſch geweſen; denn nicht
von jeder der acht Provinzen kann mit Gewißheit ausge-
[43] ſagt werden, daß ſie, — durch außerordentliche Ereigniſſe
vom Ganzen getrennt — ſich als ein von ſeinem Koͤrper
losgeriſſenes Glied empfinden wuͤrde; eine ſolche Gliederung
giebt es bei uns von Saarlouis bis Memel nicht. Jede
einſeitige Ausbildung der Provinzial-Verfaſſung ohne
Reichsſtaͤnde waͤre daher eine Gefahr fuͤr die Zukunft;
ſtatt eines organiſch gegliederten Staates wuͤrden wir
nach wie vor ein Aggregat von Provinzen ausmachen,
deren jede nur ihr Sonderintereſſe im Auge haͤtte; an un-
ſerm theuern Vaterlande wuͤrde ſich im Kleinen wieder-
holen, was wir im Großen an Deutſchland erfahren.
Untergang der Einheit, mit ihr Verluſt der buͤrgerlichen
Freiheit und auslaͤndiſche Unterjochung. — — Wir fuͤr
unſer Theil kennen nur Eine erſprießliche und volksthuͤm-
liche Entwickelung der zeitigen Provinzialſtaͤnde, — die
durch Koͤnigswort und Geſez verbuͤrgte Ent-
wickelung zuReichsſtänden. — —
Die Unbeſtimmtheit des koͤniglichen Beſcheides mußte
nothwendig mehrfache Deutung veranlaſſen: einige fanden
darin eine abweiſende „Berichtigung der in der ſtaͤndiſchen
Denkſchrift ausgeſprochenen Anſichten; die meiſten aber,
die geiſt- und gemuͤthvollen Worte des Koͤnigs fuͤr eine
— nur noch nicht deutlich ausgedruͤckte Gewaͤhrung hal-
tend, gaben ſich einem patriotiſchen Enthuſiasmus hin, wie
er, „in der Geſchichte unſerer Landtage nicht nachzuweiſen
iſt.“ Dadurch wurde die erlaͤuternde Cabinets-Ordre
vom 4. October 1840 erforderlich. In Folge eines
[44] Berichtes des Miniſters v. Rochow erklaͤrt ſich darin
der Koͤnig gegen die Mißdeutung, welche ſeinen ſchriftli-
chen und muͤndlichen Aeußerungen eine „Zuſtimmung zu
dem in der Denkſchrift enthaltenen Antrage auf Entwik-
kelung der Landesverfaſſung im Sinne der Verord-
nung vom 22. Mai 1815“ unterlaͤge. — Friedrich
Wilhelm IV. ehrt das freie Wort und achtet auch die
ihm entgegenſtehende Anſicht, wenn ſie in beſcheidener
Weiſe ſich kund giebt. Unumwunden geſtehen wir daher,
daß die an den Miniſter v. Rochow gerichtete Cab.-
Ordre an vielen Orten den traurigſten Eindruck machte,
jenen vorgreifenden Enthuſiasmus daͤmpfte und manche
ſchoͤne buͤrgerliche Hoffnung zerſtoͤrte.
Iſt nun aber — und dieſe Frage muß uns hier be-
ſonders intereſſiren — iſt durch den Landtagsabſchied und
durch den berichtigenden Commentar v. 4. October. 1840.
Das Edict v. 22. Mai 1815 aufgehoben, oder beſteht
es nach wie vor in ſeiner vollen geſezlichen Geltung?
1. Es iſt ſchon dargethan worden, daß das ge-
nannte Edict nicht vereinzelt daſtehe, vielmehr inden
mit dem Staate vorgenommenen Veraͤnderungen wurzelnd
ſich mit vielfachen Zweigen in die ganze nachfolgende
Geſezgebung verbreite. Nicht ohne Zerſtoͤrung dieſer
Wurzeln und Zweige koͤnnte es aufgehoben werden, wenn
anders nicht eine Rechtsungewißheit, wie bereits ein an-
derer deutſcher Staat ſie beklagt, entſtehen ſoll. Um
[45] ſchon mehrmals Geſagtes nicht von neuem zu wiederholen,
gedenken wir hier nur des Staatsſchulden-Edicts vom
17. Januar 1820, in welchem die Staatsſchuld und alle
kuͤnftigen Anleihen unter „Garantie der Reichs-
ſtaͤnde“ geſtellt werden. Wie ſollte zur Zeit gemeinſa-
mer Noth der Staat, ſo lange er der Reichsſtaͤnde ent-
behrt, ohne Umgehung des Geſezes eine neue Anleihe
machen? Wahrlich! Die Staatsglaͤubiger wuͤrden, braͤche
fruͤh oder ſpaͤt ein Krieg aus, deſſen Chancen doch nicht
zu beſtimmen ſind, durch das Edict v. 17. Januar eine
noch geringere Garantie haben, als in den Jahren 180\frac{6}{7}
an den in der Berliner Bank deponirten Wittwen- und
Waiſengeldern. —
2. Was aber bei Entſcheidung der Frage noch von
groͤßerm Gewicht iſt, auch an der erforderlichen Rechts-
form wuͤrde es einer derartigen Aufhebung des Geſezes
v. 22. Mai 1815 gebrechen.
„Alle Menſchen,“ — ſagt Juſtus Moͤſer der rechts-
eifrige advocatus patriae, — „alle Menſchen koͤnnen
irren, der Koͤnig wie der Philoſoph, und letztere vielleicht
am erſten, da ſie beide zu hoch ſtehen und von der Menge
der Sachen, die vor ihren Augen ſchweben, keine einzige
vollkommen ruhig und genau betrachten koͤnnen. Dieſer-
wegen haben es ſich alle Nationen zur Grundfeſte ih-
rer Freiheit und ihres Eigenthums gemacht, daß dasje-
nige was ein Menſch fuͤr Recht oder Wahrheit erkennt,
[46] „nie eher als Recht gelten ſolle, bevor es nicht das
Siegel der Form erhalten“. —
Nun beſtimmt aber das allgemeine preuß. Landrecht
Einleitung.
- §. 59. Geſeze behalten ſo lange ihre Kraft, bis ſie
von dem Geſezgeber ausdruͤcklich wird aufgehoben
werden. - §. 60. So wenig durch Gewohnheiten, Meinungen
der Rechtslehrer oder durch die in einzelnen Faͤllen er-
gangenen Verordnungen neue Geſeze eingefuͤhrt
werden koͤnnen, ebenſowenig koͤnnen ſchon vorhandene
Geſeze auf dergl. Artwieder aufgehoben werden. - §. 61. Statuten und Provinzialgeſeze werden durch
neuere allgemeine Geſeze nicht aufgehoben, wenn nicht
in letzteren die Aufhebung der erſteren deutlich
verordnet iſt. —
Da dieſe zur Aufhebung eines Geſezes erforderlichen Be-
dingungen — das Siegel der Rechtsform — dem Land-
tagsabſchiede, wie der Cab. Ordre v. 4. October abge-
hen; ſo folgt daraus, daß der Koͤnig dadurch keineswegs
das Edict v. 22. Mai 1815 zuruͤckzunehmen gewillt
war. Es beſteht daſſelbe nach wie vor in ſeiner vollen
geſetzlichen Kraft und die Befugniß, ja die Pflicht der
Staͤnde, auf die Vollziehung deſſelben zu beharren, iſt
[47] außer Zweifel geſtellt. Die vierte Frage erledigt ſich
dadurch von ſelbſt. —
IV.
Was bleibt der Ständeverſammlung
zu thun übrig?
Das, was ſie bisher als Gunſt erbeten, nunmehr
als erwieſenes Recht in Anſpruch zu nehmen. —
Der Stamm, welcher Erbe hat an dem Hauſe
Jsais, hat zuerſt geſprochen, — und nicht werden die
uͤbrigen ſich zu ihren Huͤtten heben. —
Koͤnigsberg, am Kroͤnungstage 1841.
ſeinen Willen verſetzt werden. Seitdem aber wird in den Be-
ſtallungs-Patenten nicht mehr wie fruͤher der Ort ihrer kuͤnf-
tigen Wirkſamkeit genannt, ſondern es erfolgt die Anſtellung
nicht mehr gegen willkuͤhrliche Verſetzung geſchuͤtzt. — Die
Dienſtentlaſſung der Juſtizbeamten kann in Preußen frei-
lich nicht ohne richterliches Erkenntniß ſtattfinden, ausgenommen
davon ſind jedoch die, welche als Vertheidiger der Angeklagten
gerade die freiſte und unabhaͤngigſte Stellung einnehmen ſollten,
die Juſtiz-Commiſſarien. Dieſe koͤnnen jetzt auch ohne
vorangegangenen Rechtsſpruch auf bloß adminiſtrativem Wege
(d. h. durch die Miniſter) außer Thaͤtigkeit geſetzt werden.
Auflage. — Das den franzoͤſiſchen Kammern jaͤhrlich vorgelegte
Budget fuͤllt einen ſtarken Octavband; das preußiſche kaum
eine Octavſeite.
Teſtament iſt von der Hand des jetzigen Oberpraͤſidenten
v. Schoͤn.
Unzulaͤnglichkeit der Provinzialſtaͤnde mit blos berathender
Stimme betreffend, haben wir ſchon oben angefuͤhrt. —
Welcker, Mittermaier, Feuerbach u. v. A. — Tamdiu
Germania vincitur! ſo klagt Tacitus uͤber die ſtets erfolg-
loſen Triumpfe der Roͤmer. Tamdiu Germania vincitur!
wie den Roͤmern wird es allen Feinden germaniſcher Freiheit
ergehen. —
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- Zitationsvorschlag für diese Edition
- TextGrid Repository (2025). Jacoby, Johann. Vier Fragen beantwortet von einem Ostpreußen. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bns8.0