[][][][][][][[I]]
Deutſche Geſchichte
im Zeitalter der Reformation.


Dritter Band.

Berlin,: 1840.
Bei Duncker und Humblot.

[[II]][[III]]

Vorrede.


Im Fortgange der Arbeit wurde ich inne, daß ich
aus den mir zu Gebote ſtehenden Sammlungen noch
immer nicht zu einer ſichern Anſchauung der allge-
meinen europäiſchen Verhältniſſe in meiner Epoche
gelangen könne.


Und doch zeigte mir jeder Tag aufs neue,
welch einen weitgreifenden Einfluß dieſe Verhältniſſe
ſo damals wie faſt immer auf den Gang unſerer
innern Angelegenheiten ausgeübt haben.


Wie hätte es auch anders ſeyn können, in einer
Zeit, wo ein Kaiſer regierte, dem ſo viele andere
Länder gehorchten, und deſſen Politik bei weitem
mehr von den Geſichtspunkten beſtimmt ward, die
ihm ſeine perſönliche, allgemeine Lage an die Hand
gab, als von deutſchen Intereſſen? Bei der ins
Einzelne gehenden Darſtellung, die ich unternommen,
mußte ich wünſchen, ſeine Beziehungen zu den mäch-
*2
[IV]Vorrede.
tigeren Fürſten von Europa in jedem Moment ſo ge-
nau wie möglich zu kennen.


Um nun dem Mangel, den ich empfand, abzu-
helfen, beſuchte ich im Herbſt 1839 Brüſſel. Hier
in einem Hauptſitz der burgundiſchen Macht durfte
ich hoffen, Denkmale nicht allein ſeiner provinciellen,
ſondern auch ſeiner allgemeinen Staatsverwaltung
zu finden.


Glücklicherweiſe hatte mir ein durch germaniſchen
Eifer ausgezeichneter Beamter des dortigen Archivs
auf das trefflichſte vorgearbeitet. Eine Reihe ver-
geſſener Papiere aus dem ſechszehnten Jahrhundert
war vor kurzem aufgefunden, in Ordnung gebracht,
und unter dem Titel: Documens relatifs à l’hi-
stoire de la réforme religieuse
in 25 prächtigen
Bänden aufgeſtellt worden. Da fanden ſich nun
Correſpondenzen zwiſchen Carl V und ſeinem Bru-
der, zwiſchen den beiden Brüdern und ihrer Schwe-
ſter Maria, Regentin der Niederlande, die auf alle
europäiſchen Angelegenheiten Bezug nahmen; An-
weiſungen an ihre Bevollmächtigten in Deutſchland,
Dänemark, der Schweiz, der Türkei und deren Be-
richte; Aufſätze, zuweilen von Granvella in der Mitte
der Geſchäfte entworfen; eine Fülle von mehr oder
minder wichtigen Literalien über die Beziehun-
gen der niederländiſchen Regierung, wie zu ihren
übrigen Nachbarn, ſo denn auch zu deutſchen Für-
[V]Vorrede.
ſten und Feldhauptleuten. An vielen Stellen, wo
mir noch Zweifel übrig geblieben, ſah ich die Noti-
zen, die wir Bucholz verdanken, oder meine eignen
ältern Sammlungen auf das erwünſchteſte ergänzt.
Wie hätte ich aber vollends hoffen dürfen, die in
Weimar unterbrochene Arbeit in Brüſſel fortſetzen
zu können? — Als Carl V den Churfürſten Johann
Friedrich bei Mühlberg gefangen nahm, fielen auch
deſſen Papiere in ſeine Hände, und er nahm ſie
nach den Niederlanden mit. Sie bilden jetzt den
7ten, 8ten und 9ten Band der bezeichneten Samm-
lung. Ich durchlief die mir wohlbekannten Schrift-
züge der Canzlei Johann Friedrichs mit um ſo grö-
ßerer Genugthuung, da ich unerwartet zwar ſehr
einfachen, aber doch unentbehrlichen Aufſchlüſſen über
die Kataſtrophe des ſchmalkaldiſchen Bundes begegnete.


Neben dem Kaiſer wirkte aber auch deſſen Ne-
benbuhler, der König von Frankreich, der ihm einſt
die Krone ſtreitig gemacht, unaufhörlich auf Deutſch-
land ein. So nahe bei Paris konnte ich unmöglich
verſäumen, mein Glück auch in den dortigen Samm-
lungen zu verſuchen.


Was man in Deutſchland von jeher in die
Archive verſchloſſen, hat man früherhin in Frank-
reich, wie in Italien, nicht ſelten den Bibliotheken
anvertraut.


Die königliche Bibliothek in Paris iſt für die
[VI]Vorrede.
neuere Geſchichte, ſo gut wie für ſo viele andere
Zweige der Literatur und Gelehrſamkeit eine noch
lange nicht erſchöpfte Fundgrube. Nur ſind die Ac-
tenſtücke, die ſich in dem Archiv vielleicht in chrono-
logiſcher Ordnung beieinander finden würden, in
der Bibliothek in verſchiedene Handſchriftenſammlun-
gen, zerſtreut. Die Sammlungen: Dupuis, Be-
thune, Brienne, Melanges de Colbert, Colbert Cinq
Cent mußten für den kleinen Zeitraum, den ich im
Auge hatte, ſämmtlich durchgegangen werden. Die
Ausbeute war in der Regel nur fragmentariſch, aber
immer ſehr willkommen. Dann und wann boten
ſich auch zuſammenhängende Correſpondenzen dar;
z. B. Caſtillon’s von dem engliſchen Hofe, Ma-
rillac’s von dem kaiſerlichen die man mit eben ſo
viel Vergnügen wie Belehrung ſtudirt. Von Ma-
rillac fand ich auch zuletzt noch eine Art Finalrela-
tion, die ich im Anhange mitzutheilen denke.


Bei dieſem Reichthum der Bibliothek können
nun aber die Archive für jene Zeiten nicht ſo er-
giebig ſeyn, wie man ſonſt erwarten dürfte. Der
Vorſteher des Archivs der auswärtigen Angelegen-
heiten verſicherte mich, daß ſich für meinen Zweck
nichts von Belang darin finde. In den dem allge-
meinen Gebrauch zugänglichen Archives du ro-
yaume
war auch wirklich für die deutſch-franzö-
ſiſchen Angelegenheiten nur eine Nachleſe zu hal-
[VII]Vorwort.
ten. Dagegen giebt es dort andere Documente von
unſchätzbarem Werth. Es iſt bekannt, daß ein Theil
des Archives von Simancas einſt nach Frankreich
wandern mußte. Nach dem Frieden iſt das Meiſte
davon zurückgegeben worden; anderes jedoch, na-
mentlich alles was ſich unmittelbar auf Frankreich
bezieht, daſelbſt zurückgeblieben. Das hat nun we-
nigſtens den Vortheil, daß man es leichter benutzen
kann. Ich fand hier zu dem, was aus Wien be-
kannt geworden, und was Brüſſel mir ſelbſt dar-
geboten, gleichſam den dritten Theil: — Eingaben
von Gelehrten und Staatsmännern: Aufzeichnungen
der an dem ſpaniſchen Hof über die Geſchäfte gepflo-
genen Deliberationen: Vorſchläge des geheimen Ra-
thes und kurze Entſcheidungen, mit der großen und
etwas unleſerlichen Handſchrift Carls V an den Rand
gezeichnet. Die Hauptſache iſt aber auch hier der ge-
ſandtſchaftliche Verkehr; und es machte mir nicht ge-
ringes Vergnügen, mit den Briefen der franzöſiſchen
Geſandten vom kaiſerlichen Hofe, die des kaiſerlichen
vom franzöſiſchen Hofe zu vergleichen: St. Mauris ge-
wann mir nicht geringere Theilnahme ab als Marillac.


Wer auch ſonſt nicht eine natürliche Neigung
zur Unparteilichkeit hätte, müßte ſich doch durch dieſe
nahe Zuſammenſtellung des Entgegengeſetzten aufge-
fordert fühlen, einem Jeden ſein Recht angedeihen
zu laſſen.


[VIII]Vorwort.

Indem ich nun den Reichthum dieſer Samm-
lungen preiſe, ſo wie die Bereitwilligkeit, mit der
ſie mir eröffnet wurden, brauche ich wohl kaum hin-
zuzufügen, daß mir doch damit noch lange nicht alle
Schwierigkeiten gehoben, alle Zweifel gelöſt worden
ſind; immer aber fühlte ich mich weſentlich gefördert,
und konnte nun mit um ſo größerer Zuverſicht zu
den deutſchen Studien zurückkehren.


Auch für dieſe fand ich in dem reichen und
wohlgeordneten Archive zu Düſſeldorf, namentlich
für die cleviſch-cölniſchen Sachen, neue und gern
mitgetheilte Ausbeute.


Denn bei aller Einwirkung von außen her,
kommt doch noch bei weitem mehr auf die ſelbſtän-
dige innere Entwickelung der deutſchen Angelegenhei-
ten an: wo ſich eigenthümliche Kräfte in ihren ur-
ſprünglichen Trieben erheben und geltend machen.
Der Zeitraum iſt überhaupt einer von denen, in
welchen der große Impuls, der Europa beherrſchte,
nicht, wie ſonſt öfter, von außen her auch in Deutſch-
land vordrang, ſondern wo er vielmehr von Deutſch-
land ausging, und zwar von der ächten reinen Tiefe
und eingebornen Macht des deutſchen Geiſtes; von
unſerm Vaterland aus ergriff die religiöſe Bewe-
gung Europa.


[[IX]]

Inhalt.


  • Seite
  • Fuͤnftes Buch. Bildung einer katholiſchen
    Majoritaͤt
    . 1527 — 1530 1
  • Erſtes Capitel. Schwankungen der allgemeinen
    politiſchen Verhaͤltniſſe Europa’s
    10
  • Zweites Capitel. Zeiten der Packiſchen Haͤndel
    in Deutſchland
    34
  • Drittes Capitel. Reformation in der Schweiz54
  • Anfaͤnge Zwingli’s 55. Emancipation der
    Stadt Zuͤrich vom Bisthum Conſtanz 65.
  • Abendmahlsſtreitigkeit 77. Siege der Reform
    in der Schweiz 96.
  • Viertes Capitel. Politik des Jahres 1529102
  • Spaniſcher Katholicismus 109. Verbindung
    des Kaiſers mit dem Papſt 119.
  • Fuͤnftes Capitel. Reichstag zu Speier im Jahr
    1529
    142
  • Proteſtation 153.
  • Sechstes Capitel. Spaltungen unter den Pro-
    teſtanten
    161
  • Siebentes Capitel. Die Osmanen vor Wien.
    Carl V in Italien
    187
  • Achtes Capitel. Reichstag von Augsburg im
    Jahr 1530
    226
  • Augsburgiſche Confeſſion 241. Confutation
    249. Bedrohungen 257. Widerſtand 258.
    [Vermittelungsverſuch] 275. Verhandlungen im
    Schooße der Majoritaͤt 291.
  • Seite
  • Sechstes Buch. Emporkommen des ſchmalkal-
    diſchen Bundes
    . 1530—1535 297
  • Erſtes Capitel. Grundlegung des ſchmalkaldi-
    ſchen Bundes
    302
  • Zweites Capitel. Fortſchritte der Reformation
    in der Schweiz
    321
  • Drittes Capitel. Verſuch einer Vermittelung
    zwiſchen den proteſtantiſchen Parteien
    339
  • Viertes Capitel. Kataſtrophe der Reformation
    in der Schweiz
    352
  • Fuͤnftes Capitel. Reform in den niederdeut-
    ſchen Staͤdten, Vollziehung des ſchmal-
    kaldiſchen Buͤndniſſes
    375
  • Magdeburg 377. Braunſchweig 379. Ham-
    burg 381. Bremen 382. Luͤbeck 384. Ver-
    faſſung des Bundes 393.
  • Sechstes Capitel. Angriff der Osmanen. Er-
    ſter Religionsfriede
    399
  • Verhandlungen zu Nuͤrnberg 412. Zugeſtaͤnd-
    niſſe beider Theile 417.
  • Siebentes Capitel. Einwirkung von Frankreich.
    Reſtauration von Wirtemberg
    434
  • Achtes Capitel. Fortſchritte der Kirchenrefor-
    mation in den Jahren
    1532—1534 469
  • Einrichtungen in den evangeliſchen Laͤndern 471.
    Irrungen mit dem Kammergericht 477. Re-
    formation in Wirtemberg 485. Augsburg 487.
    Anhalt 488. Pommern 490. Weſtfaͤliſche
    Staͤdte 492.
  • Neuntes Capitel. Wiedertaͤufer in Muͤnſter505
  • Zehntes Capitel. Der Buͤrgermeiſter Wullen-
    weber in Luͤbeck
    565
[[1]]

Fuͤnftes Buch.
Bildung einer katholiſchen Majorität.
1527 — 1530.


Ranke d. Geſch. III. 1
[[2]][[3]]

In der Einleitung zu dieſer Geſchichte überblickten wir
die früheren Schickſale der deutſchen Nation, beſonders in
Bezug auf den Kampf der geiſtlichen und der weltlichen
Macht. Wir bemerkten wie das Papſtthum nicht allein
den Sieg davon trug, ſondern ſich zu einer wahrhaften
Gewalt im Reiche und zwar zur mächtigſten von allen
erhob; wie aber dann, ſelbſt als es ſich mit dem über-
wundenen Kaiſerthum verſtändigt und verbündet hatte, das
Reich nicht mehr regiert werden konnte[,] im Innern in
Verwirrung und Anarchie gerieth[,] ſein Anſehn nach Außen
von Jahr zu Jahr mehr verlor; bis endlich das National-
Gefühl, das weiter keinen Raum zu wahrer Thätigkeit
fand, ſich nur noch in der allgemeinen Ueberzeugung kund-
gab, daß dieſer Zuſtand unhaltbar und verderblich ſey.


In den letzten Decennien des funfzehnten und den
erſten des ſechszehnten Jahrhunderts machte man die ernſt-
lichſten Verſuche denſelben zu verbeſſern. Wir beobachte-
ten in unſerm erſten Buche, wie man die Sache zunächſt
von der weltlichen Seite angriff. Die Abſicht wurde ge-
faßt, eine zugleich auf kaiſerlichen und ſtändiſchen Berech-
tigungen beruhende, vornehmlich aber auf die Mitwirkung
1*
[4]Fuͤnftes Buch.
der Stände gegründete Reichsgewalt zu erſchaffen: nicht
etwa um eine Centraliſation im Sinne ſpäterer Zeiten her-
vorzubringen, ſondern nur um die dringendſten Bedürfniſſe
zu erledigen, Friede und Recht einzuführen, ſich gegen die
Nachbarn zu vertheidigen. Aber man kam damit nicht
zum Ziele. Einige Formen der Verfaſſung, welche für die
folgenden Zeiten noch von größerer Bedeutung geweſen
ſind als für die damaligen, wurden aufgeſtellt: wir ſahen
jedoch, wie wenig ſie zu Wirkſamkeit gelangten. Der Er-
folg war nur, indem ſo tiefgreifende Umwandlungen ver-
ſucht wurden und mißlangen, daß die Nation in allge-
meine Aufregung gerieth. Da ein Jeder nur die Be-
ſchränkungen fühlte, die man ihm anmuthete, aber von
den Wohlthaten der öffentlichen Ordnung nichts gewahr
wurde, ſo erhob ſich der alte Geiſt der Gewaltſamkeit und
Selbſthülfe noch einmal in aller ſeiner Kraft, nur mit dem
merkwürdigen Unterſchiede, daß er jetzt zugleich mit einem
lebendigen Sinne für das Gemeinweſen, und einem Wi-
derwillen gegen die darin obwaltenden Mißbräuche, der an
Ingrimm ſtreifte, verbunden war.


Und in dieſer Stimmung nun warf ſich der natio-
nale Geiſt, wie wir in unſerm zweiten Buche ſahen, da
es ihm mit einer Umbildung der weltlichen Verhältniſſe
nicht gelungen, auf die kirchlichen Angelegenheiten, die At-
tribute des Papſtthums, das einen ſo großen Theil der
öffentlichen Gewalt im Reiche beſaß. Hier aber traf er
mit noch umfaſſendern Regungen des allgemeinen Lebens
zuſammen. War das Papſtthum noch immer in ſtrengerer
Ausbildung des Particularismus ſeiner Dogmen und Dienſte
[5]Ruͤckblick.
und der gewaltſamſten Handhabung derſelben begriffen, ſo
regten ſich doch auch innerhalb ſeines Kreiſes Tendenzen
der Wiſſenſchaft, die ſich dem herrſchenden Syſtem der
Schulen entgegenſetzten, und Bedürfniſſe des religiöſen Gei-
ſtes, welche in der Werkthätigkeit der gebotenen Dienſte
keine Befriedigung fanden. Das wunderbare Geſchick war,
daß eben als der Mißbrauch am ärgſten geworden, dage-
gen auch die reine Idee des Chriſtenthums, in Folge eines
neuen Studiums der heiligen Bücher in ihrer Urſprache
auf das hellſte hervorleuchtete. Alle dieſe Momente wirkten
zuſammen. Ein Mann trat auf, der zwar nur die Rein-
heit der religiöſen Idee, die ihm zu Theil geworden, auf
die er lebte und ſtarb, zu verfechten unternahm, der aber, da
man ſie ihm zu entreißen ſuchte, auch die andern Elemente
der Oppoſition an ſich zog, wiſſenſchaftliche und nationale,
und ihnen einen Ausdruck gab, der von ſeiner Stelle aus die
ganze Nation ergriff; niemals hat ein anderer Menſch eine
ähnliche Theilnahme bei ihr gefunden. War doch das Papſt-
thum ohnehin nicht durch Verfaſſungsformen zu beſchränken.
Wollte man der Uebergriffe deſſelben ſich entledigen, ſo mußte
man den geiſtigen Grund beſtreiten, aus dem ſie hervorgingen.


Die vornehmſte Frage war dann, welche Stellung die
Reichsgewalten in dieſem Kampfe ergreifen würden. Der
junge Kaiſer blieb dem alten Syſtem treu; da er aber
Deutſchland nach kurzer Anweſenheit verließ, und jene ſtän-
diſche Regierung nun zur Ausführung kam, welche man
früher beabſichtigt, ſo hing zunächſt alles von der Hal-
tung ab, welche dieſe nehmen würde. Wir ſahen in un-
ſerm dritten Buche, wie das Reichsregiment nach kur-
[6]Fuͤnftes Buch.
zem Schwanken ſich doch unzweifelhaft für Luther entſchied.
Als in der Verſammlung der Stände die Rede davon war,
die Prediger wenigſtens auf die Schriften der vier älteſten
canoniſchen Lehrer der lateiniſchen Kirche zu verpflichten,
wußte das Regiment ſelbſt dieß zu verhüten; ſo weit war
man davon entfernt, an eine Feſthaltung der im Laufe der
ſpäteren Jahrhunderte hinzugekommenen Lehrſätze zu den-
ken. Dieſe Regierung faßte überhaupt die großartigſten
Abſichten. Durch den Ertrag einer nicht immer wieder
von den einzelnen Ständen beizutreibenden Reichsauflage
hoffte ſie eigenthümliche Lebenskräfte zu gewinnen. Dann
würde ſie die Verwaltung der allgemeinen Angelegenhei-
ten, der geiſtlichen ſowohl wie der weltlichen, kraftvoll in
die Hand genommen haben. Welch ein Erfolg müßte aus
einem Nationalconcilium, wie ein ſolches bereits angeſetzt
war, unter ihrer Leitung hervorgegangen ſeyn! Allein zu
lange ſchon war man in Deutſchland der Ordnung ent-
wöhnt. Weder die Ritterſchaft, noch die Fürſten, noch
auch die Stände wollten eine regelmäßige Gewalt empor-
kommen laſſen, der ſie hätten gehorchen müſſen. Den Be-
ſchlüſſen der Reichstage zum Trotz vereinigten ſich einige
Fürſten auf das engſte mit dem Papſt; von Spanien her
verbot der Kaiſer jenes Nationalconcilium; die ganze Re-
gierung ward geſprengt. Der Bauernkrieg war das Sym-
ptom der allgemeinen Auflöſung, die hieraus erfolgte. Auch iſt
er nicht durch die Reichsgewalt beſiegt worden, ſondern durch
die angegriffenen Fürſten und Stände in ihren beſondern
Vereinigungen. An kirchlich-nationale Maaßregeln, wie das
Reichsregiment ſie beabſichtigt, war nicht mehr zu denken.


[7]Ruͤckblick.

Ebendarum aber ließ ſich auch eine Einrichtung der-
jenigen Landſchaften, wo die Neuerung durchgedrungen, im
Sinne derſelben nicht länger verhindern. Konnte doch der Kai-
ſer ſelbſt des Beiſtandes dieſer Ideen nicht entbehren. Bei dem
Verſuch die Rechte des Reichs in Italien herzuſtellen, die er
Anfangs im Einverſtändniß mit der päpſtlichen Gewalt un-
ternommen, gerieth er, wie wir in unſerm vierten Buche er-
örterten, allmählig in die bitterſten Irrungen mit derſelben,
in denen er bei der Geringfügigkeit der Mittel, die er an-
wenden konnte, nie etwas ausgerichtet haben würde, wäre
ihm nicht jene populare Entrüſtung wider das Papſtthum,
die von Jahr zu Jahr noch gewachſen, zu Hülfe gekommen.
Um ſie aber zu benutzen, mußte er ihr Zugeſtändniſſe machen.
Es war ein feierlicher Reichstagsſchluß, wodurch den Fürſten
und Ständen in ihren Gebieten eine faſt unbedingte religiöſe
Autonomie gewährt wurde. Hierauf ging alles Hand in Hand.
Während ein deutſches Heer in Italien vordrang, Rom er-
oberte, den Papſt daſelbſt zum Gefangenen machte, richtete
ſich dieſſeit der Alpen eine große Anzahl fürſtlicher und ſtädti-
ſcher Gebiete nach den Grundſätzen Luthers ein; ſie ſagten
ſich auf immer von den römiſchen Satzungen los und grün-
deten ihre eigenen kirchlichen Organiſationen.


Auf dieſe Weiſe geſchah, daß der Kreis jener Hierar-
chien, welche die Welt umfaßten, durchbrochen, in der kraft-
vollſten und entwickeltſten derſelben eine neue Bildung ver-
ſucht ward, deren Sinn es war, die religiöſe Ueberzeugung
aus den reinſten und erſten Quellen zu ſchöpfen und das
bürgerliche Leben von dem Uebergewicht einengender, eine
bevorzugte Frömmigkeit vorgebender geiſtlichen Inſtitute zu
[8]Fuͤnftes Buch.
befreien. Ein Unternehmen, für die Fortentwickelung der
Welt von der größten Bedeutung und Ausſicht.


Aber es leuchtet ein, auf wie mannichfaltige Hinder-
niſſe man dabei nun auch ſtoßen mußte.


Einmal, wie ſollte es möglich ſeyn, auch unter De-
nen, die ſich demſelben anſchloſſen, Verſchiedenheiten der
Auffaſſung, Entzweiungen zu vermeiden?


Durfte man ferner wohl verſtändiger Weiſe voraus-
ſetzen, daß die thatkräftigen Fürſten, welche die Neuerung
vollzogen, ſich in dem neuen Verhältniß ganz ohne Tadel,
ohne Gewaltſamkeiten, die dem Zeitalter ſo natürlich gewor-
den, bewegen würden?


Vor allem aber, wie ließ ſich erwarten, daß der Geiſt
der Alleinherrſchaft, der in der römiſchen Kirche von jeher
vorgewaltet, kraft deſſen ſie noch immer eine höchſte Auto-
rität über die Welt in Anſpruch nahm, ſich in Verluſte ſo
drohender Art finden, nicht alle ſeine Kräfte anſtrengen ſollte,
die Abgewichenen wieder herbei zu bringen?


Der Sinn der Nation wäre geweſen, daß der Kaiſer
ſeine in Italien erworbene Macht behauptet, ihr dagegen
geſtattet hätte, ihre kirchlichen Ideen, womit ſie den Wil-
len und das Geheiß Gottes zu vollziehen überzeugt war,
durchzuführen. Dazu hätte aber gehört, daß der Kaiſer
perſönlich einen lebendigen, und über die Berechnungen der
Politik erhabenen Antheil an ihren Ideen genommen hätte.
War dies nicht der Fall, wie ſich denn davon keine Spur
zeigt, ſo ſtand ſeine eigene Gewalt in viel zu engen und
mannichfaltigen Beziehungen zu dem Papſtthum, als daß
er lange im Kriege mit demſelben hätte verharren können.


[9]Lage der Dinge.

Endlich das Reich war ſehr hierarchiſcher Natur; alle
die Jahrhunderte daher hatte es ſich unter dem vorherrſchen-
den Einfluß des römiſchen Stuhles entwickelt. Da es mit
dem Verſuch, eine Regierung zu gründen, welche die Oppo-
ſition gegen Rom ſelber durchgeführt hätte, nicht gelungen
war, ſo mußten die hierarchiſchen Sympathien ſich noch ein-
mal regen. Schon waren, wie berührt, neue Verbindungen
mit dem Papſt geſchloſſen, die Biſchöfe waren entrüſtet, daß
ſie ihre geiſtliche Gerichtsbarkeit verlieren ſollten.


Es war wohl nicht zu vermeiden, daß Kaiſer und Reich
noch einmal die Sache der Hierarchie ergriffen; dann mußte
die bitterſten und gefährlichſten Kämpfe eintreten.


In der That ſind Zeiten gekommen, wo es der unter-
nommenen evangeliſchen Organiſation nicht anders ergehn
zu können ſchien, als alle den früheren Bildungen, welche
den Verſuch gemacht, ſich von Rom getrennt zu behaup-
ten, aber entweder vernichtet, oder doch auf ſehr enge Gren-
zen beſchränkt worden waren.


Dieſe Zeiten haben wir nunmehr zu betrachten: die
Schwankungen in denen die Dinge ſich bewegten, den An-
griff welcher geſchah, den Widerſtand welcher geleiſtet wor-
den iſt.


Die Gründung haben wir wahrgenommen: ſehen wir
nun, ob ſie fähig ſeyn wird ſich zu behaupten, nachhalti-
gen Einfluß in der Welt zu gewinnen.


Wir gehen aus von den auswärtigen Verhältniſſen, von
denen die allgemeine Stellung des Kaiſers beſtimmt ward,
und die deshalb, ſo wie er ſich den deutſchen Dingen wid-
mete, die größte Rückwirkung auf dieſe ausüben mußten.


[[10]]

Erſtes Capitel.
Schwankungen der allgemeinen politiſchen Verhält-
niſſe Europa’s. 1527, 28.


Das Heer Carls V hatte Rom erobert, und welches
auch das Bezeigen des Kaiſers geweſen ſeyn mag, als er
die Nachricht von dieſem Siege empfing, ſo iſt doch gar
nicht zu läugnen, daß er eine Zeitlang ſehr weit ausſehende
politiſche Entwürfe daran knüpfte.


Vor Kurzem iſt die Inſtruction bekannt geworden,
mit welcher er einen ſeiner Hofleute Pierre de Verey an
den Vicekönig von Neapel ſendete. Der Kaiſer bemerkt
darin, daß er wohl wünſchte, entweder ſelbſt unverzüglich
nach Italien zu gehen oder den Papſt nach Spanien kom-
men zu laſſen, um alle Streitigkeiten perſönlich und münd-
lich auszugleichen. Und noch immer würde ihm das Liebſte
ſeyn, wenn der Vicekönig den Papſt ſicher nach Spanien
zu bringen wüßte, nur ſchreckt ihn die Gefahr, daß er etwa
unterwegs einem feindlichen Geſchwader in die Hände falle.
Unter dieſen Umſtänden erklärt er für das Beſte, den Papſt
in ſeine Freiheit auf ſeinen Stuhl wiederherzuſtellen. Aber
hören wir unter welchen Bedingungen. Dieſe Freiheit, ſagt
[11]Abſicht Carls V auf den Kirchenſtaat.
der Kaiſer ausdrücklich, ſey nur zu verſtehen von der geiſt-
lichen Amtsführung, und auch in dieſer Hinſicht müſſe
man, ehe man ſie ihm gebe, hinreichende Sicherheit haben,
daß man nicht von ihm betrogen werde. 1 Er giebt an,
wodurch er ſich geſichert glauben würde: es iſt die Ueber-
lieferung der Städte Oſtia und Civitavecchia, Parma und
Piacenza, Bologna und Ravenna, endlich auch von Civita-
caſtellana. Er fordert, wie man ſieht, alle wichtigern Plätze
des damaligen Kirchenſtaats. Denn der Grundſatz des Kai-
ſers iſt, daß falls auch der Papſt jemals wieder des Willens
ſeyn ſollte zu ſchaden, er doch das Vermögen dazu nicht
haben dürfe. Die genannten Plätze will er in ſeinen Hän-
den behalten, bis der Papſt ein Concilium beruft, um eine
Reformation der Kirche zu bewirken. Abſichten welche den
Ideen der deutſchen Nation in der That nicht übel ent-
ſprachen[.] Die Kirchenreform die der Kaiſer forderte, war
allerdings nicht die lutheriſche, namentlich nicht doctrineller
[12]Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.
Natur; er wollte nur die Mißbräuche der Verwaltung ab-
geſtellt wiſſen: wie das frühere Könige und Kaiſer ſo oft
verlangt, Glapio noch zuletzt in Worms gerathen: aber au-
genſcheinlich iſt doch, daß die beiden Gedanken ſich gegen-
ſeitig unterſtützen. Ueberdieß aber, welch eine neue Ausſicht
für die weltliche Macht des Kaiſers, wenn er den Kirchen-
ſtaat bis auf ein ſo fernes unbeſtimmtes Ziel in Händen be-
hielt! So hatte Ferdinand vor Kurzem das Bisthum Brixen
bis auf eine künftige Vereinbarung beſetzt und die Meinung
erweckt, er wolle es auf immer behalten. So überließ in
eben dieſem Jahr der Biſchof von Utrecht, durch ſeinen
kriegeriſchen Nachbar von Geldern verjagt, alle Rechte der
weltlichen Herrſchaft über ſein Bisthum gegen eine jähr-
liche Geldzahlung an die niederländiſche Regierung des
Kaiſers. 1 Nicht anders ſchien es jetzt der größten geiſt-
lichen Pfründe dem Kirchenſtaat ſelbſt gehn zu müſſen. Man
glaubte, der Kaiſer werde ſeinen Sitz in Rom nehmen, die
Weltlichkeit des Kirchenſtaats für ſich behalten und den
Papſt abſetzen oder wegführen. Was ſollte man auch
denken, wenn der Kaiſer den Herzog von Ferrara einmal
ohne Rückhalt aufforderte die Herſtellung der verjagten Dy-
naſten im Kirchenſtaat zu unternehmen, der Saſſatelli in
Imola, der Bentivogli in Bologna. Der Vicekönig von
Neapel hat wirklich dem ſpaniſchen Oberſten Alarcon, dem
die Hut des Papſtes in der Engelsburg übertragen war,
den Vorſchlag gemacht, denſelben nach Gaëta zu bringen.
Alarcon ſchlug es jedoch ab, „nicht aus böſem Willen“,
[13]Abſicht Carls V auf den Kirchenſtaat.
bemerkt der Berichterſtatter „ſondern weil er Gewiſſens-
angſt empfand“. „Gott wolle nicht,“ ſagte der tapfere
Oberſt „daß ich den Leib Gottes gefangen führe“. 1


Es iſt nicht eben allemal nöthig, daß die Pläne einer
Macht genau bekannt ſeyen um Widerſtand zu erwecken;
dieſelbe Möglichkeit, welche auf der einen Seite den Gedan-
ken einer Unternehmung hervorbringt, erzeugt auf der andern
auch die Furcht davor, den Entſchluß ſich ihr zu widerſetzen.


Carl V hatte, wie wir uns erinnern, noch mit den
mächtigſten Feinden zu kämpfen. Die Liga lag noch in
voller ungebrochner Macht gegen ihn zu Felde. So eben
hatte der zweifelhafte Freund, welcher ſchon in der letzten
Zeit immer zu ihr geneigt, der König von England, ſich ihr
auf eine entſchiedene Weiſe genähert. Daß Carl ſich weigerte,
denſelben an den Vortheilen des Sieges von Pavia Antheil
nehmen zu laſſen, oder die Vermählung zu vollziehn, welche
zwiſchen ihm und der engliſchen Prinzeſſin Maria verabredet
worden — eine Weigerung die ſogar, wofür Heinrich ſehr
empfindlich war, einen pecuniären Nachtheil einſchloß, denn
eine alte Schuld des Kaiſers hatte als Mitgift angerech-
net werden ſollen — ſchien dem König Grund genug ſich
gänzlich von dem alten Verbündeten zu trennen. Schon
am 30ſten April war ein Bund zwiſchen Heinrich VIII
und Franz I zu Stande gekommen, als deſſen Motiv ſie
die gegenſeitige Zuneigung nennen, welche ihnen die Na-
tur, die ſie an Geiſt und Körper ähnlich geſchaffen, einge-
pflanzt habe und die durch die letzte Unterbrechung guter
Verhältniſſe nur um ſo mehr gewachſen ſey. Sie vereini-
[14]Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.
gen ſich darin den Kaiſer durch gemeinſchaftliche Geſandte
zur Herausgabe der franzöſiſchen Prinzen unter annehm-
baren Bedingungen und zur Befriedigung der engliſchen
Geldanſprüche aufzufordern, und wenn er ihrem Vorſchlage
kein Gehör gebe ihm ohne Verzug den Krieg anzukündi-
gen. 1 Wie viel mehr aber mußte nun ihr Kriegseifer
durch die Eroberung von Rom entflammt werden. Hein-
rich VIII ſagt in der Vollmacht zu neuen Tractaten, die
er dem Cardinal Wolſey ertheilt: die Sache des heiligen
Stuhles ſey eine gemeinſchaftliche aller Fürſten; nie ſey
aber demſelben eine größere Schmach zugefügt worden als
jetzt; und da dieſe nun von keiner Art von Beleidigung
veranlaßt ſey, ſondern lediglich in ungezähmter Herrſchſucht
ihren Grund habe, ſo müſſe man ſolchem ſeiner ſelbſt nicht
mächtigen Ehrgeiz bei Zeiten mit gemeinſchaftlichen Kräf-
ten begegnen. 2 Seine erſte Idee war, daß die noch freien
Cardinäle ſich in Avignon verſammeln möchten, wo auch
Wolſey erſcheinen werde; er rieth gleichſam einen neuen
Mittelpunct für die Kirche zu erſchaffen. Da aber die
Cardinäle nicht darauf eingingen, ſo verſprachen einander
wenigſtens die beiden Könige, in keine Ankündigung eines
Conciliums zu willigen, ſo lange der Papſt nicht frei ſey;
ſich überhaupt jeder im Intereſſe des Kaiſers verſuchten
Anwendung der kirchlichen Gewalt gemeinſchaftlich zu wi-
derſetzen. 3 Jetzt endlich beſeitigten ſie definitiv die alten
[15]Bund zwiſchen England und Frankreich.
Streitigkeiten zwiſchen den beiden Reichen. Wolſey, der
zu Amiens erſchienen war, gab in ſeines Königs Na-
men alle Anſprüche deſſelben auf die franzöſiſche Krone
auf. Als Entſchädigung wurde eine Geldzahlung feſtge-
ſetzt, welche dem König Heinrich und allen Nachfolgern
deſſelben zu leiſten ſey, „ohne Unterlaß, bis zu dem Ab-
lauf der Jahre, welche die göttliche Vorſicht dem menſch-
lichen Geſchlecht geſetzt hat.“ Früher hatten ſie ihren An-
griff vornehmlich gegen die Niederlande zu richten gedacht;
jetzt kamen ſie überein, alle ihre Kräfte nach Italien zu
wenden. Heinrich ließ ſich geneigt finden, Hülfsgelder zu
zahlen; er hoffte durch eine immerwährende Penſion, die
dem Herzogthum Mailand aufzulegen ſey, reichlich dafür
entſchädigt zu werden. Vorſchläge die der Kaiſer in die-
ſem Augenblick machte, ſo billig ſie lauteten, wurden zu-
rückgewieſen. Im Auguſt 1527 erſchien ein neues fran-
zöſiſches Heer unter Lautrec in Italien, nahm Bosco, Aleſ-
ſandria und das feſte Pavia, an dem jetzt der Widerſtand
grauſam gerächt wurde, den es vor dritthalb Jahren ge-
leiſtet: im October 1527 überſchritt Lautrec den Po; er
wollte nur noch einige Verſtärkungen abwarten, um als-
dann in den Kirchenſtaat vorzudringen. 1


Es wäre ſchon an und für ſich dem Kaiſer ſehr un-
angenehm geweſen, wenn der Papſt, mit ihm noch unver-
3
[16]Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.
ſöhnt, durch dieſes Heer aus dem Caſtell befreit worden
wäre; was ſo unmöglich nicht ſchien, da die deutſchen
Truppen in Folge ihrer Unordnungen und durch die Krank-
heiten des italieniſchen Sommers große Verluſte erlitten
hatten und niemals ganz zufrieden waren; — aber noch
beſonders verdrießlich und unbequem wäre ihm dieß durch
einen Gedanken geworden, den König Heinrich gefaßt hatte
und mit Eifer ja mit Heftigkeit verfolgte.


König Heinrich VIII war mit Katharina von Ara-
gonien, die früher die Gemahlin ſeines Bruders Arthur
geweſen, — einer Tante des Kaiſers verheirathet. Nicht
ohne Dispenſation des Papſtes hatte dieß geſchehen kön-
nen. Julius II hatte dieſelbe gegeben, „kraft apoſtoliſcher
Autorität, jener höchſten ihm verliehenen Macht, welche er
verwalte, wie Zeit und Umſtände es erfordern.“ 1 Allein
in der Nation ja in der nächſten Umgebung des Königs
waren wohl nie alle Scrupel verſchwunden. Ein Spruch
im dritten Buch Moſe bedroht Den mit Kinderloſigkeit,
der das Weib ſeines Bruders nehme. 2 Eben an dem Kö-
nig, dem die Söhne welche ihm Katharina brachte alle
bald wieder ſtarben, ſchien ſich dieß zu bewähren. Ob der
Papſt von einem Geſetz der Schrift entbinden könne, war
ſelbſt bei Thomas von Aquino zweifelhaft; wie viel mehr
aber mußten die Reformationsideen, welche auch in Eng-
land eindrangen, und von verwandten Fragen ausgegan-
[17]Eheſcheidung HeinrichsVIII.
gen waren, dieſen Zweifel verſtärken! Der Beichtvater
des Königs ſagte ſchon lange ſeinen Freunden, jene Ehe
des Herrn werde nicht bis aus Ende beſtehen. 1


Da geſchah nun daß Cardinal Wolſey, der Vertraute
des Königs ſich mit dem Kaiſer entzweite. Der Kaiſer
hatte ihm einſt in Windſor angetragen ihn zum Papſtthum
zu befördern und dann, als der Fall eintrat, wenig oder
nichts für ihn gethan. In Spanien hat man immer be-
hauptet, Wolſey habe dem Kaiſer dafür ewige Rache ge-
ſchworen, er habe ſich gerühmt, einen ſolchen Umſchwung
in den Geſchäften hervorzubringen, wie ſeit 100 Jahren
nicht Statt gefunden, — und ſollte das Königreich Eng-
land darüber zu Grunde gehn. 2 So viel iſt gewiß, er
faßte die Idee, ſeinen Herrn, auf den, wie wir ſahen, auch
ſonſt mannichfaltige Beweggründe wirkten, auf immer von
dem Kaiſer zu trennen. Dazu aber war eine Auflöſung
der Ehe, durch welche einſt Ferdinand der Katholiſche
und Heinrich VIII die Verbindung beider Familien zu
verewigen gedacht, vor allem nothwendig. Wir können es
Wolſey glauben, wenn er ſpäter vor Gericht behauptete,
er ſey es nicht, der zuerſt von der Eheſcheidung geredet:
aber eben ſo gewiß iſt, daß er dieſelbe zuerſt ernſtlich in
Vorſchlag gebracht hat, und zwar in der bezeichneten Ab-
ſicht; er ſelbſt hat das dem franzöſiſchen Geſandten, Jean
du Bellai, mit der größten Beſtimmtheit verſichert. 3


Ranke d. Geſch. III. 2
[18]Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.

Die Leidenſchaft, welche der König indeß für ein Hoffräu-
lein ſeiner Gemahlin, Anna Boleyn faßte, kam Wolſey zu Stat-
ten, doch lag ſie nicht in ſeinem Plan. Er hätte lieber eine fran-
zöſiſche Verwandtſchaft an die Stelle der ſpaniſchen geſetzt.
Als er in Amiens war, ſagte er der Mutter des Königs, wenn
ſie noch Ein Jahr lebe, werde ſie eine ewige Verbindung
Englands mit der einen, der franzöſiſchen und eine eben
ſo vollkommene Trennung von der andern Seite erleben.
Er drückte ſich noch geheimnißvoll aus: er bat ſie, ſeine
Worte im Gedächtniß zu behalten, er werde ſie zu ſeiner
Zeit daran erinnern.


In dieſer Stimmung kamen ihm die Entzweiungen
des Papſtes mit dem Kaiſer eben erwünſcht; in dieſer Ab-
ſicht beförderte er die neue Allianz und die italieniſche Un-
ternehmung.


Man kann aber denken, wie ein Plan ein Verfahren
dieſer Art nun auf den Kaiſer zurückwirken mußte und eine
Bemerkung dringt ſich uns auf, die wohl ſehr paradox lautet,
aber wenn wir nicht irren eine einleuchtende Wahrheit hat.


Jedermann weiß und wir werden öfter davon zu hören
3
[19]Eheſcheidung HeinrichsVIII.
haben, wie ſo höchſt verderblich für die Fortdauer des
Papſtthums in England der Gedanke jener Eheſcheidung ge-
worden iſt. Stellen wir uns aber auf einen höheren Stand-
punkt, faſſen wir die allgemeinen Verhältniſſe ins Auge, ſo
können wir uns dagegen auch wieder nicht verhehlen, daß die
die Abſicht Heinrichs VIII in Beziehung auf das übrige Eu-
ropa der päpſtlichen Herrſchaft in dieſem entſcheidenden Au-
genblick ſogar Vortheil gebracht hat. Der Kaiſer, der eine
ſo gebieteriſche, ja gewaltſame Haltung gegen den Papſt an-
genommen, ward nun doch inne, daß derſelbe, auch noch in
ſeinem Gefängniß, etwas zu bedeuten habe und ihm eine em-
pfindliche Beleidigung zufügen könne.


Der Kaiſer hörte gegen Ende Juli 1527 von der Sache.
In der Inſtruction für Verey vom 21ſten dieſes Monats
findet ſich, wenn wir uns auf unſere Auszüge verlaſſen können,
noch keine Spur davon: ſchon vom 31ſten aber haben wir
einen Brief des Kaiſers, der ſich ausdrücklich damit beſchäf-
tigt. Er trägt darin dem Vicekönig auf, mit dem Papſt
von der Sache zu reden, aber vorſichtig, damit ſie dieſer
nicht als „Mittel zu unheilvollem Verſtändniß mit dem
König“ ergreife. Carl hätte gewünſcht, daß der Papſt den
Plan durch ein paar verbietende Breven an den König und
den Cardinal ſofort niedergeſchlagen hätte. 1


Es ſpringt in die Augen, welch ein bedeutendes Ge-
wicht zu Gunſten des Papſtes dadurch in die Wagſchale ge-
worfen wurde, daß der Kaiſer deſſelben in einer ſo wichti-
gen häuslichen Angelegenheit bedurfte.


Dazu kam nun aber auch, daß das Gefangenhalten
2*
[20]Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.
des oberſten Prieſters in Spanien keinen günſtigen Eindruck
machte. Die Großen des Reiches, die ſich am Hofe be-
fanden, ſowohl weltlichen wie geiſtlichen Standes, nahmen
Gelegenheit, mit dem Kaiſer darüber zu ſprechen, ihn an
die Ergebenheit der ſpaniſchen Nation gegen den römiſchen
Stuhl zu erinnern. Der Nuntius durfte den Gedanken
hegen, die kirchlichen Functionen in Spanien einſtellen zu
laſſen; die Prälaten ſollten in Trauer gekleidet vor dem
Kaiſer erſcheinen, um den Vicarius Chriſti von ihm zu
fordern. Es gehörte ein unmittelbares Einſchreiten des
Hofes dazu, um eine Manifeſtation ſo auffallender Art
zu verhindern. 1


Unter dieſen Umſtänden konnte der kaiſerliche Staats-
rath nicht mehr ſo ſchlechtweg bei jenen erſten Inſtructio-
nen ſtehen bleiben. Gattinara meinte, man dürfe den
Papſt nicht gefangen halten, wenn man anders in ihm
den wahren Papſt ſehe. De Praet machte darauf aufmerk-
ſam, daß man die in Rom liegenden Truppen zur Verthei-
digung des Königreichs Neapel brauche, und ſie nur dann
wegführen könne, wenn man den Papſt befreit habe. Er
rieth die Ausführung der Inſtruction durch den vielbedeu-
tenden Zuſatz: ſo viel als thunlich, zu ermäßigen. Der
Staatsrath beſchloß, daß der Papſt auf jeden Fall befreit
werden müſſe. 2


In dieſem Sinne ward nun auch bereits durch den
Franciscaner-General degli Angeli mit dem Papſt verhan-
delt. Unglücklicherweiſe beſitzen wir keine nähere Nachricht
[21]Befreiung des Papſtes.
über den Gang der Unterhandlung. Wir haben nur den
Vertrag, der am 26. November zu Stande kam, kraft deſ-
ſen der Papſt nun nicht allein in ſeine geiſtliche Amtsfüh-
rung, ſondern auch in ſeine weltliche Gewalt wiederherge-
ſtellt werden ſollte. Der Kaiſer begnügte ſich mit der Ueber-
lieferung einiger wenigen feſten Plätze, Oſtia, Civitavecchia,
Civitacaſtellana. Der Papſt verſprach ein Concilium zur
Einigung und Reformirung der Kirche zu berufen und zur
Befriedigung des Kriegsvolkes ſo viel als möglich beizu-
tragen. 1 Die definitive Bezahlung deſſelben ſollte durch
eine große Säculariſation geiſtlicher Güter im Neapolitani-
ſchen bewirkt werden.


Auch noch über einen andern Punct, deſſen die Tractate
nicht gedenken, ſoll hier verhandelt worden ſeyn. Der Papſt
ſoll gleich damals dem Kaiſer verſprochen haben, nicht in
die Eheſcheidung des Königs von England zu willigen.


Hierauf ward Clemens VII wieder frei. Er beſetzte die
Engelsburg mit ſeinem eigenen Volke, ließ alle Glocken
läuten, und ernannte aufs neue die Beamten der Kammer
und der Stadt. Mit jenen weitausſehenden Plänen einer
Beſchränkung des Papſtes auf ſeine geiſtliche Gewalt, einer
Abführung deſſelben nach einer Feſtung war es vorbei; viel-
mehr kam jetzt die Zukunft der eigenen Macht des Kai-
ſers in Italien aufs neue in Frage.


Zunächſt fehlte noch viel, daß der Papſt dem Kaiſer
oder den Beamten deſſelben getraut, daß er ſich im Frie-
[22]Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.
den mit ihnen zu befinden geglaubt hätte. Man war
übereingekommen, daß er ſich nach Orvieto begeben ſolle.
Aber er beſorgte noch immer, Hugo Moncada, der nach
Lannoys Tode Vicekönig von Neapel geworden war, werde
ſich ſeiner Perſon auf dem Wege bemächtigen und ihn nach
irgend einer kaiſerlichen Feſtung abführen. 1 Er entſchloß
ſich, in der Nacht vor dem beſtimmten Tag durch die Pforte
des vaticaniſchen Gartens verkleidet zu entfliehen. So kam
er nach Orvieto 10 Dezember 1527.


Hier gelangte er nun wohl wieder zu dem Gefühl ei-
ner Möglichkeit von Selbſtbeſtimmung, allein ſo wie er
ſeine Augen erhob, fand er ſich doch allenthalben von Ge-
fahr umgeben.


Auf der einen Seite ſah er ſein Land größtentheils in
den Händen des Siegers, der ihn mißhandelt hatte. Wäh-
rend des Winters ward ſeine Hauptſtadt von den kaiſerli-
chen Truppen, die noch immer nicht vollſtändig beſoldet
worden, erſt recht zu Grunde gerichtet.


Auf der andern Seite waren aber auch ſeine Freunde,
welche die Miene angenommen ihn zu beſchützen, ihm wider-
wärtig und verderblich. Florenz, welches das Haus Medici
aufs neue verjagt hatte und eine Republik im Sinne Sa-
vonarolas zu gründen verſuchte, fand Schutz bei Frankreich.
Die Venezianer hatten ſich der Städte Ravenna und Cer-
via bemächtigt, welche Julius II wieder erworben zu ha-
ben, ſich zu ſo hoher Ehre gerechnet.


Clemens fürchtete jetzt die eine wie die andere Partei.
[23]Italieniſcher Krieg im J. 1528.
Es ſchien ihm höchſt gefährlich, daß der Kaiſer zugleich
Mailand und Neapel beſitzen ſolle; 1 dann werde er doch
„Herr aller Dinge“ ſeyn. Jede Begünſtigung der Feinde
des Kaiſers werde ſein Haupt unter das Beil bringen.
Aber faſt noch mehr verſtimmten ihn die Schritte der Liga.
Als ihn die Franzoſen aufforde[r]ten, die Liga wie ſie nunmehr
war zu beſtätigen, ſich zu ihr zu bekennen, entgegnete er,
es ſey ein ſonderbarer Vorſchlag, daß er das billigen, dem
beitreten ſolle, was gegen ihn gethan ſey. In Florenz habe
man ſeine Familie zu Grunde gerichtet, Ferrara befehde ihn
jeden Augenblick, dennoch ſolle er ſich mit ihnen verbünden.


Die Franzoſen ſagten ihm, ſie ſeyen entſchloſſen, dem
Kaiſer nicht allein Mailand ſondern auch Neapel zu ent-
reißen, und die Verfügung über Neapel ganz in des Pap-
ſtes Willen zu ſtellen. Sie fragten ihn, ob er ſich wenig-
ſtens dann erklären wolle, wenn Lautrec in Neapel einge-
drungen ſey und die Feinde von da verjagt habe. Der
Papſt vermied ſich beſtimmt zu äußern, doch ſah man an
ſeinen Gebehrden, daß er es auch dann nur unter gewiſ-
ſen Bedingungen thun werde. 2


Alles kam nun zunächſt auf den Ausgang der fran-
zöſiſchen Unternehmung, auf das Glück der Waffen an.


[24]Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.

Noch im Januar 1528 drang Lautrec ins Königreich
Neapel ein. Das deutſche Heer, das der Prinz von Ora-
nien nicht ohne große Mühe endlich aus Rom weggeführt
hatte, ſtellte ſich ihm bei Troja in den Weg, und wünſchte
es zu einer Feldſchlacht zu bringen. Aber Lautrec erwartete
venezianiſche Verſtärkungen und begnügte ſich indeß, die
Kaiſerlichen das Uebergewicht ſeines Geſchützes fühlen zu
laſſen. Nachdem die Verſtärkungen angekommen, bei der
ſtarken Hinneigung, die ſich im ganzen Reiche zu Gunſten
Frankreichs offenbarte, ſelbſt von Geſchütz entblöst, hielten
es endlich die Kaiſerlichen für nothwendig ſich nach Nea-
pel zurückzuziehen, vor allem dieß zu vertheidigen; denn das
Haupt folge nicht den Gliedern nach, ſondern die Glieder
dem Haupte. Gegen Ende April langte Lautrec vor Nea-
pel an, ſchlug ſein Lager zu beiden Seiten der Heerſtraße
von Capua auf und eröffnete die Belagerung. Es ſchien
faſt unmöglich, daß die volkreiche, für den Mangel an
Nahrungsmitteln mehr als jede andere empfindliche Stadt
ſich einem ſiegreichen Heere gegenüber lange würde halten kön-
nen. Schon war der größte Theil des Reiches in den Hän-
den der Verbündeten. Die Venezianer nahmen die apu-
liſchen Häfen in Beſitz. Filippino Doria brachte den Kai-
ſerlichen in den Gewäſſern von Amalfi eine Niederlage bei.
In England berechnete man bereits die Zeit, wo Neapel ge-
fallen, wo alles beendigt ſeyn würde. Ueberhaupt hegte man
dort die kühnſten Hoffnungen. Wolſey meinte einmal, man
müſſe den Papſt vermögen, den Kaiſer wegen der ſchweren
Beleidigungen, die er von ihm erfahren habe, geradezu ab-
zuſetzen. Er möge nur erklären, daß den Churfürſten wie-
[25]Italieniſcher Krieg im J. 1528.
der das Recht zuſtehe, zu einer Wahl zu ſchreiten, und ſie
ermahnen, Einen aus ihrer Mitte zu wählen. Damit werde
man ſie gewinnen. Zugleich werde dadurch ein ſolcher Zwie-
ſpalt zwiſchen dem Kaiſer und dem Papſt entſtehen, daß
dann niemals mehr an eine Ausſöhnung zwiſchen ihnen zu
denken ſey. 1 Es iſt in der That dem Papſt hierüber eine
Eröffnung gemacht worden. Er hielt es nur für nothwen-
dig, daß beide Könige ſich über den zu Wählenden verei-
nigen möchten, damit nicht wieder ein ähnlicher Irrthum
geſchehe, wie bei der erſten Wahl (Carls V); er meinte
auf vier Churfürſten zählen zu können. 2


Allein auch dieß Mal blieben dem Kaiſer ſeine glück-
lichen Geſtirne getreu.


Vor allem gelang es ihm, eins der mächtigſten Häup-
ter von Italien, den Genueſen Andrea Doria für ſich zu
gewinnen. Schon längſt war darüber unterhandelt wor-
den; ſchon ehe Doria zuletzt in die Dienſte der Liga trat;
aufs neue während einer Anweſenheit des kaiſerlichen Kanz-
lers Gattinara in Oberitalien im Mai 1527; ein Augu-
ſtiner-Eremit, mit einem Diener Doria’s, des Namens
Erasmo einverſtanden, war das eine wie das andere Mal
der geheime Vermittler. 3 Man kann ſich nicht wundern,
[26]Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.
wenn unter dieſen Umſtänden der König von Frankreich
die Wärme und den Eifer in Doria vermißte, die man
wohl ſonſt von ihm hätte erwarten dürfen. Auch Doria
ſeinerſeits führte mancherlei Beſchwerden, über perſönliche
Kränkungen, ſo wie über die Behandlung ſeiner Vaterſtadt,
der man ihre alten Rechte auf Savona ſtreitig machte. In
England, wo damals viele Genueſen lebten und man alle
dieſe Dinge auf das genaueſte kannte, war man außer ſich
darüber. Wolſey meinte, man ſolle dem Doria ſo viel Geld
geben, ſo viel Ehre erweiſen, als er nur irgend verlange, Sa-
vona lieber ſechs Mal fahren laſſen, nur dieſen Mann nicht
aufgeben in einer Zeit, wo man ſeiner am meiſten bedürfe.
Allein die franzöſiſche Politik ward nicht ſo ſtreng aus Ei-
nem herrſchenden Geſichtspunkt geleitet, daß man dieſen
Verluſt in aller ſeiner Bedeutung erwogen hätte. Dage-
gen unterſchrieb der Kaiſer alle Bedingungen, die Doria
vorſchlug; er ſtellte das Schickſal Genua’s, ſo wie das
perſönliche Dorias vollkommen ſicher; von freien Stücken
fügte er noch einige Gnadenerweiſungen z. B. ein nicht
unbedeutendes Landgeſchenk im Neapolitaniſchen hinzu. 1
Er wußte ſehr wohl was er that. Gar bald pflanzte An-
drea Doria die Fahnen, welche Filippino in jener See-
ſchlacht den Kaiſerlichen abgenommen, im Dienſte des Kai-
ſers auf ſeiner Flotte auf. 1 Sein Uebertritt allein reichte
hin um das Uebergewicht in den ſpaniſch-italieniſchen Ge-
3
[27]Italieniſcher Krieg im J. 1528.
wäſſern an den Kaiſer zu bringen. Aber überdieß war es
ein großer Vortheil, daß ſich eine Stadt wieder an den
Kaiſer anſchloß, welche eine unmittelbare Verbindung zwi-
ſchen Spanien und Mailand möglich machte.


In dieſem Moment war nun auch ſchon über Neapel
entſchieden.


Anſteckende Krankheiten, wie ſie immer im Gefolge ver-
wüſtender Kriege entſtehen, brachen in dem franzöſiſchen
Heere vor Neapel aus und griffen auf das verderblichſte
um ſich. „Gott ſchickte unter ſie“, ſagt ein deutſcher Be-
richt, „eine ſolche Peſtilenz, daß von 25000 nicht über
1000 übrig blieben.“ Lautrec ſelbſt erlag: Vaudemont,
dem man die Krone zugedacht, kam vor den Thoren um, in
die er als König einzuziehen gehofft hatte. Dazu kamen dann
die glücklichen Ausfälle der Belagerten. Die kaiſerlichen
Deutſchen ſuchten wie bei Pavia vor allem ihre Landsleute
auf, welche unter dem Grafen von Lupfen den Franzoſen
dienten, und brachten deren Fähnlein als Siegeszeichen in
die Stadt zurück; — endlich ſah der Reſt der franzöſiſchen
Armee ſich genöthigt, auf ſeinen Rückzug Bedacht zu neh-
men; in dieſem Augenblick aber wurde er angegriffen und
vollends zu Grunde gerichtet; 29. Aug. 1528. 1


1


[28]Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.

Die Kaiſerlichen, die ſo eben verloren geſchienen, blieben
vollkommen Sieger und nahmen das Königreich wieder ein.


Wie glücklich war der Papſt, daß er ſich dieß Mal
neutral gehalten! Ohne dieß, ſchrieb ſein Staatsſecre-
tär Sanga, jetzt ſein vornehmſter Miniſter, 1 in welchem
Abgrund von Verderben würden wir ſeyn! Es war in
einer Conferenz zwiſchen Clemens VII und Sanga, am
6. September, daß der Entſchluß gefaßt wurde, ſich nun
ernſtlicher an den Kaiſer anzuſchließen. Schon öfter hatte
man den Papſt erſucht nach Rom zurückzukommen, wo
man ihn nach dem Befehl des Kaiſers gegen Jedermann
vertheidigen werde. 2 Jetzt entſchloß er ſich dazu. Am
6. October finden wir ihn wieder in Rom.


Aber wir dürften nicht glauben, daß er nun ſchon ein
Verbündeter des Kaiſers geweſen ſey. Noch im Novem-
ber 1528 ermunterte er Franz I, die Bewegungen in
Deutſchland, durch welche Carl in ſeiner kaiſerlichen Würde
gefährdet werde, zu unterhalten, den Woiwoden von Sie-
benbürgen zu unterſtützen. 3 Im December 1528 verſichert
der franzöſiſche Geſandte, wie ganz anders die Sache auch
[29]Italieniſcher Krieg im J. 1528.
ſcheinen möge, der Papſt ſey den Franzoſen ſo geneigt,
wie jemals; es mißfalle ihm in ſeinem Herzen, daß die
Sachen ſo ſchlecht gegangen: hätte man ſeinen Rath be-
folgt, ſo wäre es nicht dahin gekommen. Ich wage zu
behaupten, fügt der Geſandte hinzu, daß dabei keine Täu-
ſchung obwaltet. 1 Cardinal Campeggi der nach England
gegangen, um den Proceß über des Königs Eheſcheidung
zu führen, wiederholte dort unaufhörlich, der Kaiſer ſey
voll böſen Willens, entſchloſſen, ſo viel Uebel zu thun als
er könne; man müſſe ihm ernſtlich zu Leibe gehn; das ſey
der wahre Weg, ihn zur Vernunft zu bringen; könnte man
ihm nur in Spanien wehe thun! aber ſehr zu loben ſey
auch eine Unternehmung in Deutſchland wider ihn, möge
ſie nun geführt werden wie ſie wolle. 2


Noch hätte Niemand einen baldigen Frieden weiſſa-
gen können. Zwiſchen dem Kaiſer und dem König kam
es zu einer förmlichen Herausforderung, und es lag in
der That nicht an dem Kaiſer, daß nicht ein wirklicher
Zweikampf erfolgte. 3 In Italien war der König jenem
neapolitaniſchen Verluſte zum Trotz, in den letzten Mona-
ten von 1528 und den erſten von 1529 noch immer ſehr
[30]Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.
ſtark. Die nemlichen Krankheiten, welche bei Neapel das
franzöſiſche Heer zerſtörten, ergriffen auch die deutſchen
Truppen, welche im Sommer 1528 unter Heinrich von
Braunſchweig und Marx Sittich von Ems dem Kaiſer zu
Hülfe über die Alpen ſtiegen und in der Lombardei erſchie-
nen. Herzog Heinrich war ohnehin nicht der Mann, eine
Unternehmung zu Ende zu führen, wobei er mit der Ei-
ferſucht ſeiner Verbündeten, der Abneigung des Landvolks,
dem Klima und den Feinden zugleich zu kämpfen hatte.
Gar bald ſah man ihn mißmuthig über die Alpen zurück-
kehren; ſeine Haufen löſten ſich auf, und traten zum Theil
in venezianiſche Dienſte.


Hierauf erſchien ein neues franzöſiſches Heer unter St.
Pol in Ivrea, dem die Venezianer Geld und Truppen ent-
gegen ſandten: ſo daß man Pavia, das wieder verloren gegan-
gen, aufs neue eroberte und gar bald die größten Hoffnungen
faßte. St. Pols Meinung wäre geweſen, ſogleich nach dem
Neapolitaniſchen vorzudringen, wo noch eine Anzahl feſter
Plätze ſich in den Händen der Franzoſen befanden: er zwei-
felte nicht, das ganze Königreich werde ihm dann zufallen. Die
franzöſiſche Regierung dagegen hielt es für nöthiger, zuerſt
einen Verſuch gegen Genua und Andrea Doria zu machen.
Obwohl es damit nicht gelang, ſo beherrſchte doch das
Heer den größten Theil der Lombardei in der That, und
in England hoffte man noch, daß es in Kurzem Mailand
einnehmen, ja durch die Beſetzung von Parma und Piacenza
ſich wieder Einfluß auf den Papſt verſchaffen werde.


Und in nicht minderer Verwirrung war das öſtliche
Europa.


[31]Unruhen in Ungarn 1528.

So lange Ferdinand ſelbſt in Ungarn anweſend war,
wurde die Ordnung einigermaaßen erhalten. So wie er
ſich aber entfernt hatte, brach die allgemeine Gährung wie-
der hervor. Schon ſeine eigenen Anhänger konnten ſich nicht
unter einander verſtehen. Der Biſchof von Erlau klagte über
Andreas Bathory, der ihn ſchmähe und ihn zerreiße; „kein
Sokrates habe mehr Geduld üben müſſen als er.“ Franz
Batthyan konnte die Schlöſſer nicht erlangen, die Ludwig
Pekry für ihn in Beſitz genommen. Ein allgemeines Ge-
ſchrei erhob ſich gegen die Gewaltthätigkeit des deutſchen
Heeres unter Katzianer, welches ſeinen Sold unmittelbar
von dem Lande eintrieb und dann doch gegen die Johan-
niſten nur ſehr langſamen Schrittes vorrückte; Katzianer
replicirte energiſch und rauh. 1 Schon die Behauptung, wenn
ſie auch nicht wahr ſeyn ſollte, daß man den Deutſchen
mit Kalk gemengtes Brot gebe, um ſie zu vergiften, zeugt
von der ſtarken nationalen Antipathie, welche ſich ausge-
bildet hatte. Wie viel weniger konnten da die Anhänger
Zapolya’s in Zaum gehalten werden! Auf dem Reichstag
von Ofen im Januar 1528 unterſchied man drei Claſſen
derſelben, geheime, welche dem Eid zu Trotz, den ſie dem
König Ferdinand geleiſtet, die Getreuen deſſelben zu ver-
führen trachten; zweifelhafte, welche um ſicheres Geleit
nachgeſucht, um dem Könige zu huldigen und dann nicht
erſchienen ſind; endlich ganz offene, welche Plünderungen
vollziehen und das Land unſicher machen. Es findet ſich
nicht, daß gegen die einen oder die andern etwas Nach-
[32]Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.
drückliches geſchehen ſey. Dagegen verſäumte Johann Za-
polya nichts, um auch von ſeinem Exil zu Tarnow aus
Ungarn in Bewegung zu erhalten. Ein Paulinermönch,
Georg Martinuzzi, der früher im Dienſte der Mutter Za-
polyas geweſen, beſaß Hingebung genug, ſich drei Mal
zu Fuß nach Ungarn zu wagen. Er rühmt die gute Auf-
nahme, die er bei Jacob von Thornaly, Stephan Bathory
von Somlyo, Paul Arthandy gefunden. Er wanderte von
Schloß zu Schloß, belebte die alten Verbindungen, berei-
tete alles zur Aufnahme ſeines Herrn vor. 1 Die Haupt-
ſache war, daß er die Verſicherung osmaniſcher Hülfe
brachte. Schon im Anfang des Jahres 1528 war nemlich
eine Uebereinkunft zwiſchen Zapolya und Suleiman geſchloſ-
ſen worden. Sie war nicht der Erfolg von Geſchenken,
deren der Geſandte Hieronymus Lasko überhaupt keine mit-
gebracht, noch auch des Verſprechens zinsbar zu werden,
wozu er ſich nicht verſtand, ſondern lediglich der Politik.
Zapolya hatte erklärt mit allen Kräften ſeines Reiches, ſei-
nen Erbgütern, ja ſeiner Perſon dem mächtigen Sultan
unaufhörlich dienen zu wollen. Ich dagegen, ſagte Sulei-
man in der feierlichen Abſchiedsaudienz, will deinem Herrn
ein wahrer Freund und Verbündeter ſeyn, ihm mit allen
meinen Kräften gegen ſeine Feinde beiſtehn: bei dem Pro-
pheten, bei dem großen von Gott geliebten Propheten Mu-
hamed, bei meinem Schwerd. 2 Sehr wohl ſah Suleiman,
[33]Italieniſcher Krieg im J. 1528.
was ihm die entſchiedene Verbindung mit einem ſo ange-
ſehenen Häuptling nützen könne. Er betrachtete ſich als den
Mittelpunct der Oppoſition gegen Oeſtreich, als deren Mit-
glieder er Frankreich, Venedig, Polen und den Papſt ſelbſt
nannte, „dieſen armen Prieſter, von welchem der Glaube
der Chriſten ausgeht, und den ſie doch ſo ſchonungslos
mißhandele.“ Er war überzeugt, er müſſe ſich bei Zeiten
der Macht des Kaiſers entgegenſetzen. Denn ſie ſey, ſagt
er, „wie ein aus kleinen Bächen und ſchmelzendem Schnee
zuſammenſtrömendes Gewäſſer, das zuletzt das feſte Haus
in der Bergkluft untergrabe.“ 1 Die öſtreichiſchen Geſand-
ten behaupten, der König von Polen habe den Sultan noch
im October 1528 durch eine eigne Botſchaft auffordern laſ-
ſen, den Krieg gegen den Kaiſer im nächſten Jahr zu un-
ternehmen, da werde auch er ihm zu Hülfe kommen. Su-
leiman war wohl ſchon ohnehin entſchloſſen dazu. Dem
Geſandten Ferdinands, Habordancz, der nach Conſtantino-
pel gekommen war, um die Zurückgabe von 24 altungriſchen
Plätze zu fordern, und dafür nichts als eine Geldentſchä-
digung anzubieten, antwortete er: er werde in eigner Per-
ſon mit aller ſeiner Macht ſich erheben um die Feſtungen
zurückzuſtellen. Man kann denken, welch eine Gährung bei
dieſer Kriegsausſicht in Ungarn entſtand. Schon im Sep-
tember 1528 ſchrieb Andreas Bathory dem König Ferdi-
nand, er ſtehe in Mitte der Rebellen, und habe den Tod
vor Augen. Es war noch in demſelben Jahr, daß der
Hospodar der Moldau, Peter Rareſch, lange Zeit ein Fi-
ſcher, aber jetzt als wahrer Dragoſchide vom Hauſe des
Ranke d. Geſch. III. 3
[34]Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.
großen Stephan anerkannt, in den Szekler Stühlen verwü-
ſtend einbrach. 1 Alles ließ ſich zu einer großen Entſchei-
dung an.


Und war nun dergeſtalt Oſt und Weſt in allgemeiner
Gährung, wie wäre es möglich geweſen, daß nicht auch
das ſtürmiſche Deutſchland davon wäre ergriffen worden?


Betrachten wir näher wie das geſchah.


[[35]]

Zweites Capitel.
Zeiten der Packiſchen Händel in Deutſchland.


Zuerſt geſchah es politiſch.


Die Herzoge von Baiern finden wir nach wie vor in
der engſten Beziehung zu der Oppoſition gegen Oeſtreich,
zu dem Papſt, dem König von Frankreich, 1 dem Woiwoden.


Noch immer hatten ſie das Kaiſerthum nicht aufge-
geben. Sie unterhandelten unaufhörlich mit den leitenden
Churfürſten und machten ihnen die weitausſehendſten Ver-
ſprechungen; auch den König von Frankreich ſuchten ſie
noch einmal dazu in Bewegung zu ſetzen.


Es iſt ein Plan in unſern Händen, den ſie zur Er-
reichung ihres Zweckes dem franzöſiſchen Hofe eingaben. 2
Franzöſiſche Geſandte, von lothringiſchen und engliſchen un-
terſtützt, ſollten an dem nächſten Reichstag erſcheinen, den
Ständen in Erinnerung bringen, wie viele Verluſte erlitten
worden, ſeit das Haus Oeſtreich das Kaiſerthum beſitze; —
da ſey Conſtantinopel, Rhodus, und nunmehr Ungarn der
3*
[36]Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel.
Chriſtenheit, Baſel und Coſtnitz dem Reiche verloren ge-
gangen; die einzige Abſicht der öſtreichiſchen Brüder ſey,
das Reich erblich zu machen, und ſich auf alle Weiſe zu
vergrößern, wie denn Don Ferdinand vor kurzem Salzburg
an ſich zu ziehn geſucht; — hierauf ſollen ſie dieſelben auf-
fordern, zur Wahl eines neuen Kaiſers zu ſchreiten, einen
Mann dazu zu erheben, der Gerechtigkeit handhabe und das
deutſche gemeine Weſen wieder in ſeinen alten Zuſtand brin-
gen könne, der zugleich gut katholiſch geſinnt und fähig ſey,
die Ketzereien zu vertilgen. Mit einem ſolchen Kaiſer ſoll
der König von Frankreich verſprechen, ſich auf das engſte
zu verbinden. 1


Merkwürdig aber, indeſſen hatte ſich auch die entgegen-
geſetzte evangeliſche Partei den Oppoſitionsmächten genähert.


Auch einen Geſandten des Landgrafen von Heſſen Dr.
Walter finden wir in Frankreich. Einen andern ſehen wir
den Weg zu Johann Zapolya einſchlagen. Wir begleiten
ihn — es iſt Doctor Pack — auf ſeiner ganzen Reiſe. In
der Charwoche 1528 finden wir ihn in Senftenberg, wo
er ſich für einen meißniſchen Domherrn ausgiebt; Oſtern
zu Breslau wo er ſich mit einem Diener verſieht, der pol-
niſch ſpricht; 18. April in Cracau. Hier, in der Kirche
St. Barbara hat er ſeine erſte Zuſammenkunft mit einem
Angehörigen des Woiwoden; ſie finden nöthig, daß er die-
ſen ſelbſt beſuche. Wie nun Pack in der Nähe von Tar-
[37]Deutſche Oppoſition gegen Oeſtreich.
now kommt, wo der Woiwode ſich aufhält, ſteigt er von
ſeinem Wagen ab, und geht zu Fuß in die Stadt um nicht
bemerkt zu werden. Dem 26. und 27. April finden wir
ihn dann mit dem Woiwoden in Unterhandlung; es ward
ein förmlicher Vertrag entworfen, dem nur noch die Rati-
fication des Landgrafen fehlte. 1 Der Landgraf hatte Geld
gefordert, um Ferdinand in Deutſchland angreifen zu kön-
nen. Der Woiwode verſprach, 100000 G. von ſeinem
Schwager dem König von Polen aufzubringen. Wenn
wir hören, Polen habe dem Sultan verſprochen, König
Ferdinand mit deutſchen Truppen anzugreifen, ſo mag ſich
das auf dieſe Unterhandlungen beziehen.


Was hätte es für Folgen haben müſſen, wenn dieſe
Dinge weiter geführt worden wären, die eine Partei ſich
wirklich gegen die kaiſerliche Würde Karls V aufgelehnt, die
andere Ferdinand in ſeinen Erblanden angegriffen hätte. 2
Und zwar in jenen Momenten, wo auch alle anderen Ver-
hältniſſe erſchüttert waren.


Indeſſen geſchah das nicht. Die Herzoge von Baiern
[38]Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel.
und der Landgraf von Heſſen wußten nichts davon, daß ſie
Verbündete waren. Die religiöſen Antipathien der verſchie-
denen Fürſten waren vielmehr ſo ſtark, daß eine der ſelt-
ſamſten Verwickelungen, die wohl jemals vorgekommen iſt,
unter ihnen ſelbſt entſtand.


Das iſt ganz richtig, daß jene Emancipationen von
der geiſtlichen Jurisdiction, zu der die evangeliſchen Für-
ſten geſchritten waren, Klagen am kaiſerlichen Hofe veran-
laßt hatten, daß daſelbſt von Beſtrafungen, ſelbſt von der
Acht die Rede war. Schon ſuchte ſich Naſſau, das in al-
ten Territorialſtreitigkeiten mit dem Landgrafen von Heſſen
lag, für dieſen Fall durch Mandate ſicher zu ſtellen. 1


Davon drang nun ein dunkles Gerücht auch nach Deutſch-
land. Der Landgraf ward gewarnt, von einem Manne gro-
ßen Anſehens, wie er ſagt, „den er nicht nennen könne,
der aber gut Wiſſens darum trage, es ſey etwas im Werke
eine merkliche Practica gegen die Lutheriſchen.“


Der Landgraf ſuchte jedoch den Urſprung der Gefahr nicht
ſo in der Ferne; er faßte nur die Feindſeligkeiten ins Auge,
welche in Baiern und ganz Oberdeutſchland gegen die Be-
kenner der Lehre ausgeübt wurden — die heftigen Drohungen,
welche Herzog Georg von Sachſen gegen ſeinen Vetter den
Churfürſten ausſtieß, als mit dem er ſeine Zwiſtigkeiten nicht
austragen wolle, wenn er nicht von Luthers Sekte ablaſſe,
gegen den er nur einen Befehl des Kaiſers erwarte; es war
[39]Packiſche Haͤndel.
ihm verdächtig, daß einige eifrige katholiſche Fürſten im Mai
1527 den König Ferdinand in Breslau beſucht und ihm dann
Hülfe in Ungarn geleiſtet hatten; er glaubte nicht anders als
daß ein Bund ſeiner Nachbarn wider ihn im Werke ſey.


Da geſchah es nun, daß der Canzleiverweſer des Her-
zogs Georg, Otto von Pack, — derſelbe der jene Reiſe nach
Tarnow unternahm — wohl noch im Laufe des Jahres
1527 zu dem Landgrafen nach Caſſel kam, um ihm in der
naſſauiſchen Sache rechtlichen Rath zu ertheilen. Der Land-
graf eröffnete demſelben ſeine Befürchtungen und drang in
ihn, ihm zu ſagen ob er nichts davon wiſſe. Pack ſeufzte und
ſchwieg. Um ſo eifriger redete der Landgraf ihm zu. Pack
erklärte endlich, ja es ſey ein Bündniß wider die Lutheri-
ſchen nicht allein im Werke, ſondern bereits geſchloſſen. Er
verſprach, dem Landgrafen das Original der Urkunde zu
ſchaffen; der ſagte ihm dafür ſeinen Schutz und eine Beloh-
nung von 10000 Gulden zu. Landgraf Philipp war nun
Feuer und Flamme geworden. Im Februar 1528 finden wir
ihn in Dresden; und in der That brachte hier Pack zwar
nicht das Original des Bündniſſes, das der Canzler wegge-
legt habe, aber eine Copie deſſelben zum Vorſchein, die auch
alle äußeren Zeichen der Authentie hatte. Der ſchwarzſei-
denen Schnur, welche die Schrift durchzog, war an beiden
Seiten das ſächſiſche Canzleiſiegel aufgedrückt; unter dem
hing das Siegel des Handringes, den Herzog Georg trug,
und den der Landgraf ſehr wohl kannte, mit ſeinen drei
Schilden, in dem obern den Rautenkranz, in den untern
zwei Löwen. Pack geſtattete, daß der landgräfliche Secre-
tär eine Copie davon nahm und empfing 4000 G. 1


[40]Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel.

In dieſer Urkunde war nun aber das Allergefähr-
lichſte und Feindſeligſte zu leſen. Danach hatten ſich die
Churfürſten von Mainz und Brandenburg, die Herzoge von
Sachſen und Baiern, die Biſchöfe von Salzburg, Würzburg,
und Bamberg mit dem König Ferdinand verbündet, um
zuerſt den Churfürſten von Sachſen, wenn er ſich nach
erneuerter Aufforderung weigere, Luther und deſſen Anhän-
ger auszuliefern, mit vereinigten Kräften zu überziehen und
ſein Land zu theilen: demnächſt auch den Landgrafen anzu-
gehn, und wenn er nicht widerrufe, ihn aus ſeinem Lande
zu verjagen, das dann an Herzog Georg fallen ſolle. Auch
die Stadt Magdeburg ſolle ihrem Erzbiſchof unterwürfig
gemacht werden. Die Art und Weiſe, ſo wie die Stärke
des Angriffs war genau beſtimmt.


Der Landgraf, ſchon längſt erfüllt mit Vermuthungen
dieſer Art, zweifelte keinen Augenbllck an der Authentie des
ihm vorgelegten Actenſtückes; ſtürmiſch eilte er, um auch
dem Churfürſten davon Nachricht zu geben, nach Weimar;
auch hier wirkte das Ueberraſchende, Beſtimmte, Dringende
der Gefahr betäubend und fortreißend; ſchon am 9. März
kam ein Bund zwiſchen den beiden Fürſten zu Stande, worin
ſie einander verſprachen, zu gegenſeitigem Schutz 6000 M. zu
Fuß, 2000 zu Pferd zuſammenzubringen. Man faßte die Ab-
ſicht, den Angriff nicht allein zu erwarten, ſondern ihm zuvor-
zukommen. Der Landgraf ſelbſt reiſte nach Nürnberg, nach
Ansbach. Unter dieſen Umſtänden war es, daß er den Otto
1
[41]Packiſche Haͤndel 1528.
Pack, den er nun näher an ſich gezogen, an den Woiwoden
ſchickte. Unverweilt begannen die Rüſtungen. Die heſſiſchen
Truppen verſammelten ſich bei Herrenbreitungen, die ſäch-
ſiſchen am Thüringer Wald. Ganz Deutſchland gerieth in
Bewegung.


Die Lage der Dinge in dem evangeliſchen Deutſchland
war aber nicht ſo beſchaffen, daß es allein auf den raſchen
Muth eines oder des andern Fürſten angekommen wäre. Auch
die Theologen, vor allen Luther hatten eine Stimme zu füh-
ren; und es fragte ſich erſt, was dieſe dazu ſagen würden.


Luther zweifelte ſo wenig, wie die Fürſten an der Aecht-
heit des Vertrages, den man ihm vorlegte, allein er fand,
man werde dadurch noch nicht berechtigt, ſofort zu den Waf-
fen zu greifen. Dieß ſtürmiſche Zuſchlagen widerſtritt ſeinen
Begriffen von Recht und Sitte. Er meint, man müſſe den
Fürſten ihr Vorhaben vorhalten und ſie bitten, davon ab-
zuſtehn; man müſſe ſie verklagen und ihre Antwort verneh-
men. Sonſt könnte ein Fürſten-Aufruhr entſtehn, der zur
Freude des Satans Deutſchland verwüſte. Luther iſt von
Allen, die ſich jemals an die Spitze einer Weltbewegung
geſtellt haben, vielleicht Derjenige, der am wenigſten von
Gewalt und Krieg hat wiſſen wollen. Er hielt dafür, man
könne ſich vertheidigen, namentlich gegen Fürſten, wie die
genannten, welche als die Gleichen ſeines Herrn nicht deſſen
Obrigkeit ſeyen, aber daß man die Waffen zuerſt in die
Hand nehme, zu einem Angriff ſchreiten ſolle, das war über
ſeine Vorſtellung. 1 Er wandte den Spruch: ſelig ſind die
[42]Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel.
Sanftmüthigen, die Friedfertigen, auch auf die politiſchen
Verhältniſſe an. „Wer das Schwerd nimmt, ſoll durch
das Schwerd umkommen.“ Der Krieg, ſagt er, wagt alles,
gewinnt wenig, und verliert gewiß, aber „Sanftmuth ver-
liert nichts, wagt wenig und gewinnt alles.“


Damit war nun Churfürſt Johann leicht zu überzeu-
gen, der das Evangelium eben ſo verſtand, wie Luther, und
von ganzem Herzen liebte; er war nur durch den heftigen
Verbündeten mit fortgeriſſen worden. Jetzt ſtellte er dem-
ſelben vor, ein Angriff könne dem Evangelium Unehre brin-
den und man müſſe davon abſtehn. Der Landgraf erwie-
derte, das Bündniß der Feinde, von ihnen verſiegelt und
beſchworen, ſey ſo gut wie der Angriff ſelbſt; er machte
auf die Vortheile aufmerkſam, die ein raſches Vorſchreiten
mit ſich bringe; das würde Manchen aufwecken, der jetzt
ſchlafe; auf dieſe Weiſe werde man zu ſicherem Vertrage
gelangen. Der Churfürſt war aber nun nicht mehr zu be-
wegen. Er ſendete ſeinen Sohn, von einem zuverläſſigen
Rath, des Namens Wildenfels, begleitet, nach Caſſel, mit
ſo beſtimmter Anweiſung, daß der Landgraf ſich endlich ent-
ſchließen mußte, Luthers Rath zu befolgen und vor allem
das Bündniß bekannt zu machen, die darin genannten Für-
ſten zur Verantwortung aufzufordern. Zunächſt ſandte er
es ſeinem Schwiegervater zu. 1


1


[43]Packiſche Haͤndel 1528.

Man kann das Erſtaunen nicht ſchildern, das die deut-
ſchen Höfe bei dem Erſcheinen dieſer Anklage dieſes Acten-
ſtückes ergriff.


Auf der Stelle antwortete Herzog Georg, und bezeich-
nete den, der das Original eines ſolchen Bündniſſes geſe-
hen zu haben behaupte, als einen ehrloſen und meineidigen
Böſewicht. Churfürſt Joachim drang wie Herzog Georg
auf die Nennung des verlogenen Mannes, der dieß Bünd-
niß erdichtet, damit man nicht glaube, der Landgraf ſelbſt
habe es erſonnen. So antworteten alle die Andern. Der
Landgraf ſah ſich genöthigt, ſeinen Gewährsmann feſtneh-
men und gerichtlich verhören zu laſſen. 1


Auch wir müſſen hier wohl die Frage erörtern, die
bis auf den heutigen Tag nicht erledigt ſcheint, was an
dieſer Sache, dieſem Bündniß iſt.


Vor allem enthält es in ſich die größten Unwahrſchein-
lichkeiten. Churfürſt Joachim z. B. ſoll Heſſen, auf das er
kraft der Erbeinigung dieſer Häuſer ebenſo viel Anſprüche
hatte, dem Herzog von Sachſen überlaſſen und ſich dagegen
Beeskow und Storkow ausbedungen haben, die doch ſchon ſeit
1
[44]Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel.
einigen Jahren ein Eigenthum des Bisthums Lebus gewor-
den waren. 1 Die Herzoge von Baiern ſollen mit Ferdi-
nand im Bunde ſeyn, um ihm Ungarn zu verſchaffen, was ſie
ihm eben zu entreißen dachten. Auch der Kriegsplan iſt
höchſt wunderlich, und es liegt eine gewiſſe Wahrheit der
Ironie darin, wenn Pack ſpäter, um ſich zu entſchuldigen,
den ganzen Entwurf als „närriſch geſtellt“ bezeichnete. 2


Ferner aber, was für ein Menſch war doch dieſer Pack!
Im Dresdner Archiv finden ſich Acten über ihn, in denen
er höchſt unzuverläſſig, betrügeriſch, ja eigentlich als ein
ſchlechtes Subject erſcheint. Er benutzte ſeine Stellung am
Hofe, um Geld zu erpreſſen. Dem Rath von Tennſtädt
z. B. borgte er unter ſehr glänzenden Vorwänden, haupt-
ſächlich dem, daß er ſeinen Fürſten bei der Auslöſung von
Weißenſee unterſtützen müſſe, ein paar hundert Gulden ab,
deren Wiedererſtattung er dann von Termin zu Termin ver-
ſchob. In dem Verzeichniß ſeiner Gläubiger ſtehen noch
vier andre Landſtädte, Pirna, Meißen, Oſchatz und Chem-
nitz. 3 Aber noch viel mehr fällt ihm folgende Geſchichte
zur Laſt. Als er einſt in Geſchäften ſeines Herrn nach
Nürnberg reiſte — mehr als einmal finden wir ihn als
Reichstagsgeſandten — gab ihm der Biſchof von Merſe-
burg ſeinen Anſchlag für Regiment und Kammergericht mit,
einen Betrag von 103½ Gulden. Der Reichstag war zu Ende,
Pack ſchon lange zurückgekehrt, als der Biſchof wegen eben
[45]Packiſche Haͤndel 1528.
jenes Anſchlages von Reichswegen gemahnt ward. Pack
hierüber angegangen, erklärte ohne Verlegenheit, er habe
das Geld einem Nürnberger Bürger, des Namens Friede-
mann, eingehändigt, der es auch in der That dem Regi-
ment abgeliefert, aber von dieſem keine Quittung bekommen
habe, weil noch alte unbezahlte Reſte da ſeyen. Er legte
hierüber Brief und Siegel Friedemanns bei. Natürlich
ging man nun dieſen ſelber an. Wie ſehr mußte man er-
ſtaunen, als der ehrſame Bürger erklärte, er kenne Doctor
Pack ſo gut wie gar nicht, habe nie mit ihm Geſchäfte ge-
habt, nie von ihm Geld empfangen; auch würde ihm ja
das Regiment eine Quittung für die Summe, die er wirk-
lich erlegt hätte, wenn gleich nicht für die ganze Schuld
gezahlt haben; Handſchrift und Siegel, welche der Doctor
eingeſandt, könne unmöglich den ſeinen gleich ſeyn. Dort
im Archiv finden ſich beide Actenſtücke, und in der That
iſt die Handſchrift, welche Pack beigebracht, von der ächten
des Friedemann gänzlich verſchieden. Genug, Pack war
ſchon in Verfälſchungen geübt, als ſich ihm dieſe neue Ge-
legenheit, grandioſer als jemals, darbot, Geld zu machen.
Er benutzte ſie, wie wir ſahen, auf eine Weiſe, daß Deutſch-
land darüber beinahe in innerlichen Krieg gerathen wäre.
Er ſelbſt hat ſpäter nicht mehr auf der Aechtheit ſeines Mach-
werks beſtanden. Er ließ die Behauptung, daß er ein mit
den Siegeln aller Fürſten bekräftigtes Original in Händen
gehabt, am Ende fahren, und gab nur an, ein böhmiſcher
1
[46]Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel.
Schreiber Wuriſyn habe ihm eine Copie aus Schleſien ge-
bracht. Allein auch dieß zeigte ſich unwahr. Der Schrei-
ber bewies, daß er in der Zeit, welche Pack bezeichnet, gar
nicht nach Dresden gekommen war. Er war damals aus
Furcht vor den Gläubigern, die ihn verfolgten, auf flüch-
tigem Fuß geweſen.


Ein in ſich ſo mit Widerſprüchen angefülltes, von ei-
nem ſo unzuverläſſigen betrügeriſchen Menſchen dargebotenes
Actenſtück muß ohne Zweifel völlig verworfen werden. Ich
finde auch, daß die Meinung Pack habe einen Betrug aus-
geübt, ſich damals ſehr bald auch dieſſeit geltend machte.
Melanchthon war davon ſogleich überzeugt, als er die erſten
Verhöre geleſen hatte. 1 Der Landgraf Philipp hat es
mehr als einmal unumwunden bekannt. Man warf ihm
wohl ſpäter einmal vor, er habe da viel vorgenommen und
wenig ausgerichtet. „Das geſchah, darum,“ ſagt er, „daß
wir fühleten, daß wir betrogen waren.“ 2 „Wir befanden,
daß wir zu milde“ (d. i. falſch) „berichtet waren.“


Und hätte er dieſer Ueberzeugung nur noch früher Raum
gegeben, als er wirklich that!


Allein ehe noch die Nichtigkeit jenes Entwurfes voll-
kommen klar geworden, war er ſchon ins Würzburgiſche
eingefallen, und bedrohte die Gebiete von Bamberg auf der
einen, von Mainz auf der andern Seite. Von denen, welche
durch ihre Drohungen ſeine Rüſtungen veranlaßt, forderte
[47]Packiſche Haͤndel 1528.
er jetzt die Koſten derſelben. Da Niemand gerüſtet war, um
ihm zu Widerſtand zu leiſten, ſo mußten unter Vermittelung
von Pfalz und Trier die Biſchöfe ſich in der That zu Geld-
zahlungen und ungünſtigen Verträgen verſtehn.


So glücklich man in Wittenberg war, daß ein unge-
rechter Krieg vermieden wurde, ſo tief empfand man doch
das Unzuläſſige eines ſo gewaltſamen Verfahrens: die Ueber-
eilung, die in der ganzen Sache geherrſcht hatte. „Es ver-
zehrt mich faſt,“ ſagt Melanchthon, „wenn ich bedenke, mit
welchen Flecken unſre gute Sache dadurch behaftet wird. 1
Nur durch Gebet weiß ich mich aufrecht zu erhalten.“


Auch der Landgraf war wohl ſpäterhin ſelbſt davon
beſchämt. „Wäre es nicht geſchehen, ſagt er einmal, jetzt
würde es nicht geſchehen. Wir wiſſen keinen Handel, den
wir unſer Lebelang begangen, der uns mehr mißfiele.“ 2


Allein damit war die Sache doch nicht wieder gut ge-
macht. Sie zog vielmehr die ernſtlichſten und gefährlichſten
Folgen nach ſich.


Man hatte kühne Pläne einer Theilnahme an den gro-
ßen europäiſchen Verwickelungen gehegt; oder man hatte ge-
[48]Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel.
ſucht, einen Ausſchlag in den innern religiös-politiſchen Ir-
rungen herbeizuführen. Es war nichts als ein grober Land-
friedensbruch erfolgt, der auf alles Beſtreben der religiöſen
Partei ein nachtheiliges Licht warf.


Denn dagegen regte ſich nun natürlich das Gefühl
des Rechtes und des Reiches.


Vor allem war man im ſchwäbiſchen Bunde mißver-
gnügt, zu welchem ſowohl der Landgraf als die Biſchöfe
gehörten. Der Landgraf ſchickte entſchuldigende Schrei-
ben: er erbot ſich, vor Churfürſt Ludwig zu Recht zu ſtehn.
Der Bund antwortete (Nov. 1528): es bedürfe keines
Rechtens: er werde auf dem Buchſtaben der Einigung
verharren. „Ich wollte, daß der jüngſte Tag hereinbräche,“
ruft ein Abgeordneter in ſeinem Eifer aus, „damit man nur
dieſer und anderer Gefahren überhoben würde.“


War in den Oberhäuptern beider Parteien eine gewiſſe
Tendenz, ſich dem Haus Oeſtreich entgegenzuſetzen, der eu-
ropäiſchen Oppoſition wider daſſelbe anzuſchließen, ſo ſehen
wir nun, wie die Bewegungen eine ganz andre Richtung
nahmen, und eigentlich durch einen Irrthum, einen Be-
trug, eine Uebereilung, alle gegenſeitigen Leidenſchaften auf-
geregt wurden.


Freilich hätte das nicht geſchehen können, wenn nicht die
inneren Gegenſätze ſich jeden Augenblick mehr befeſtigt hätten.


Eben wie auf der evangeliſchen Seite Organiſationen
im Sinne der Neuerung unternommen wurden, ſo war man
auf der andern bedacht, die wankenden katholiſchen Ueber-
zeugungen neu zu begründen.


[49]Verfolgungen der Evangeliſchen.

Hie und da brauchte man dieſelben Mittel. In Oeſtreich
finden wir 1527 und 1528 Kirchenviſitationen, wie in Sach-
ſen, aus geiſtlichen und weltlichen Mitgliedern zuſammenge-
ſetzt; nur ganz im entgegengeſetzten Sinne. Man ſuchte da-
durch die Beobachtung des Regensburger Edicts und der dar-
auf gegründeten erzherzoglichen Mandate zunächſt gütlich in
Gang zu bringen; 1 gar bald aber ſah man, daß die neuen Mei-
nungen ſchon ſehr weit vorgedrungen waren und ſchritt zu
Strafen. Am 20. Juli 1528 ward verordnet, daß die Ketzer
nicht nur gemein, ſondern hochmalefiziſch zu ſtrafen ſeyen; 2
am 24. Juli wurden alle Drucker, ja alle Feilhaber ſectireri-
ſcher Bücher bedroht, als Vergifter der Länder mit dem Tod
im Waſſer beſtraft zu werden. Es ergingen Edicte, um die
ſchon ſehr herabgekommene geiſtliche Autorität herzuſtellen. 3


In Tyrol legte man den Reichsſchluß von 1526 zu
Gunſten des Katholicismus aus, und wollte an die das Jahr
zuvor gemachten Zugeſtändniſſe nicht mehr gebunden ſeyn.


In Baiern war die Hauptſache ſchon gethan und man
trug nur Sorge, die verhaßten Richtungen nicht aufs Neue
eindringen zu laſſen. Die Straßen wurden bewacht, um
Diejenigen, welche zu den evangeliſchen Predigten in der
Nachbarſchaft gingen, zu fangen und zu ſtrafen. Anfangs
um Geld; da man aber wohl ſagte, der Herzog thue das
aus Geiz, ſo nahm er kein Geld weiter. Jetzt ließ er in
Landsberg 9 Männer zum Tode im Feuer, in München 29
Männer zum Tode im Waſſer verdammen. Wer kennt nicht
4
Ranke d. Geſch. III. 4
[50]Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel.
den Namen des unglücklichen Bernhard Käſer? Er war nur
darum von Wittenberg in ſeine Heimath nach Schärding ge-
reiſt, um ſeinen todtkranken Vater zu beſuchen; hier aber ward
er gar bald verrathen und ergriffen, auf dem Schrammenplatz
zu Paſſau verurtheilt und bald darauf verbrannt.


So fuhr denn auch der ſchwäbiſche Bund in ſeinen
Executionen fort. Die Bundeshauptleute bekamen im Fe-
bruar 1528 Befehl, Alle, welche der Wiedertaufe verdäch-
tig, aus ihrer ordentlichen Gerichtsbarkeit abzuführen, und
ohne Proceß vom Leben zum Tode zu bringen. Der Rath
in Nürnberg proteſtirte hiegegen; wahrhaftig nicht aus Hin-
neigung zu den Wiedertäufern, ſondern, weil er meinte, man
gebe vor die Wölfe zu jagen und fange die Schaafe, man
werde auf dieſe Weiſe auch die Bekenner und Prediger des
Wortes verfolgen.


Der Biſchof von Coſtnitz brachte ein kaiſerliches Man-
dat aus, durch welches Alle, die in dem Kreiſe dieſes Stif-
tes geſeſſen, angewieſen wurden, demſelben „ſeine geiſtlichen
Jurisdictionen, Bannalen, Präſentationen, erſte Frucht, an-
dere Altherkommen und gute Gewohnheit“ folgen zu laſſen.
Und ſehr ernſtlich verfuhr dieſer Biſchof gegen die Abtrünnigen.
Johann Hüglin von Lindau ward in Mörsburg als „ein
Gegner der heiligen Mutter Kirche,“ den weltlichen Gerichten
und dem Feuer übergeben.


So gieng es den Rhein hinab. Ein Prediger von
Halle, der nach Aſchaffenburg citirt worden, wurde auf dem
Rückweg ermordet; man trug kein Bedenken dieſe Unthat
dem Capitel von Mainz Schuld zu geben.


In Cöln ward Adolf Clarenbach verurtheilt, weil er
[51]Verfolgungen der Evangeliſchen.
nicht glauben wollte, daß der Papſt das Haupt der heili-
gen Kirche ſey, zu zweifeln ſchien, ob nicht in den Con-
cilien zuweilen etwas feſtgeſetzt worden ſey, oder doch feſtgeſetzt
werden könne, was dem göttlichen Worte entgegenlaufe; 1
und was dem mehr iſt. Die Ueberlegenheit, die Einſicht
und der beſonnene Muth, welche der Angeklagte in ſeinem
Verhöre bewies, ſind wahrhaft bewunderungswürdig. Auch
zögerte der Rath zu Cöln lange Zeit, in die Execution zu
willigen. Man behauptet, er ſey nur dadurch zuletzt dazu
vermocht worden, daß die Prieſter die Verwüſtungen, welche
der engliſche Schweiß in Cöln anrichtete, als eine Rache
Gottes über die Stadt, weil ſie die Ketzerei nicht ſtrafe,
bezeichneten. „O Cöln, Cöln,“ rief Clarenbach aus, als
er zum Hochgericht hingeführt ward, „was verfolgſt du
Gottes Wort? Es iſt noch ein Nebel in der Luft, aber
er wird einmal reißen.“ 2


Zu ſo grauſamen Exceſſen prieſterlicher Verfolgung kam
es nun in dem nördlichen Deutſchland wohl nicht mehr,
allein noch immer ließ Herzog Georg die armen Leute, welche
das Abendmahl nicht nahmen, weil ſie es nicht unter bei-
derlei Geſtalt empfangen durften, im ſchimpflichſten Auf-
zug mit Staupenſchlag von Scharfrichter und Büttel aus
dem Lande bringen. In Brandenburg vereinigten ſich auf
dem Landtag Viſitationis Mariä von 1527 noch einmal
Churfürſt und Stände, mit allen ihren Kräften über die
4*
[52]Fuͤnftes Buch Zweites Capitel.
Beobachtung der alten Cerimonien zu halten; keinen Pfarrer
ohne Zulaſſung des Ordinarius anzunehmen, die Geiſtlichen
in ihrem Beſitz zu ſchützen, gegen die Uebertreter nach den
Mandaten päpſtlicher Heiligkeit und kaiſerlicher Majeſtät zu
verfahren. 1 Jedoch war nicht das ganze Land wie Fürſt
und Stände geſinnt. Die erſte nahmhafte Widerſetzlichkeit
erfuhr Joachim II von ſeiner eigenen Gemahlin Eliſabeth.
Sie ſchloß ſich lieber an das erneſtiniſche Haus Sachſen, von
dem ſie ſtammte, an ihren Oheim Churfürſt Johann an
als an ihren Gemahl, gegen den ſie manche andre Klage
hatte; ihr Leibarzt Ratzenberger, Phyſicus zu Brandenburg,
einer der eifrigſten Bekenner der neuen Lehre vermittelte ihre
Verbindung mit Dr. Luther, deſſen Bücher ſie längſt bewun-
derte und verehrte; endlich wagte ſie es, insgeheim, in ihren
Gemächern, auf dem Schloſſe zu Berlin das Abendmahl un-
ter beiderlei Geſtalt zu nehmen; aber die Sache blieb nicht
verborgen: die ganze Heftigkeit ihres Gemahls erwachte; es
ſchien als wollte er die ergangenen Mandate auch an ſeiner
Gemahlin ausführen; er ließ ſie in ihrem Zimmer einſchlie-
ßen und ſoll ſie bedroht haben, ſie einmauern zu laſſen.
Es gelang ihr jedoch zu entkommen. Mit einem Kammer-
diener und einer Jungfer, als Bäuerin, auf einem Bauerwa-
gen langte ſie am 26. März 1528, zu Nacht in Torgau bei
dem Churfürſten von Sachſen an. 2 Sie erklärte ihm, wenn
[53]Verfolgungen der Evangeliſchen.
ſie ihm läſtig falle, oder gar Gefahr zuziehe, wolle ſie weiter
gehen, ſo weit ihre Augen ſie weiſen würden. Churfürſt
Johann behielt ſie jedoch bei ſich und gab ihr Lichtenburg
ein, wo ſie ganz ihrer frommen Ueberzeugung leben konnte.


So ſtand es aber in Deutſchland: was man in einem
Theile beſſelben für die Summe der Frömmigkeit hielt, be-
ſtrafte man in dem andern als das abſcheulichſte Verbre-
chen. Was man dort zu gründen trachtete, ſuchte man hier
unter jeder Bedingung durch jedes Mittel auszurotten.


Die Irrungen, welche Pack veranlaßte, ſind recht be-
zeichnend für die politiſchen Rückwirkungen, die aus dem
geiſtlichen Streite entſprangen.


Allein dieß waren nicht die einzigen Feindſeligkeiten,
welche es in Deutſchland gab. Nicht minder lebhaft waren
die Zerwürfniſſe, der in Folge der Entwickelung der ſchwei-
zeriſchen Kirche bereits unter den Evangeliſchen ſelbſt aus-
gebrochen waren, und nach und nach auch ſchon zu politi-
ſchen Bedeutung heranwuchſen.


Wir können keinen Schritt weiter gehen, ohne ſie nä-
her ins Auge zu faſſen. Es liegt darin einer der wichtig-
ſten Momente für den Fortgang des ganzen Ereigniſſes.


2


[[54]]

Drittes Capitel.
Reformation in der Schweiz.


Obgleich die Schweiz ein eigenthümliches Gemeinweſen
bildete, und eine von dem Reiche unabhängige Politik ver-
folgte, ſo war ſie doch von denſelben geiſtigen Trieben durch-
drungen, welche unter den Deutſchen namentlich den Ober-
deutſchen vorwalteten.


Die anticlericaliſchen Beſtrebungen des Jahrhunderts
hatten auch hier ſchon früh um ſich gegriffen. Man beſtritt
die Exemtionen der Geiſtlichkeit von dem weltlichen Gericht,
wie ſie der Biſchof von Chur, oder von außerordentlichen
Auflagen, wie ſie die im Thurgau poſſeſſionirten Prälaten
und Capitel in Anſpruch nahmen.


Eben ſo hatte das literariſche Treiben der deutſchen Poe-
tenſchulen hier gar bald Eingang gefunden. In Luzern, St.
Gallen, Freiburg, Bern, Chur und Zürich finden wir ähnliche
Anſtalten. Es entſtand auch hier ein ziemlich verbreitetes li-
terariſches Publicum, für welches Erasmus, ſeitdem er ſich in
Baſel niedergelaſſen, den lebendigen Mittelpunct bildete.


Daher kam es nun auch, daß die erſten Schriften Lu-
thers in der Schweiz eine ſo große Theilnahme fanden. In
Baſel hat man ſie zum erſten Mal zuſammengedruckt. Schon
[55]Zwingli.
1520 finden wir „ein kurz Gedicht Luthern zu Lob, und
ſeinen Widerwärtigen zu Spott“ von einem thurgauiſchen
Bauer. Dieſen Geiſt nährten dann die von Wittenberg zu-
rückkehrenden Studirenden. Man hat die Namen Derjeni-
gen aufgezeichnet, die dabei waren als Luther die Bulle ver-
brannte. Von der Ebene und den Städten drang die Pre-
digt ins Gebirg, nach Graubündten, Appenzell, Schwytz.
Der Adminiſtrator von Einſiedeln, ein Geroldseck, wird von
Zwingli als der Vater aller, welche Gott lieben, bezeichnet. 1


Wenn nun dennoch die Bewegung, die in der Schweiz
eintrat, einen andern Character, auch in Bezug auf die re-
ligiöſen Fragen, entwickelte als die deutſche, ſo hing das
vor allem von der Sinnesweiſe und dem Bildungsgange
desjenigen Mannes ab, der daſelbſt den Kampf über ſich
nahm und durchführte, Ulrich Zwingli’s.


Anfänge Zwingli’s.


Zwingli iſt in der Gemeinde Wildenhaus in Toggen-
burg geboren, in deren Markung die Thur entſpringt; in
einer Höhe, wo keine Feldfrüchte noch Obſtbäume mehr fort-
kommen, zwiſchen grünen Alpenwieſen, über welche die kahlen,
kühnen Firſten emporſtreben.


Seine Kindheit (er iſt einige Wochen jünger als Lu-
ther, geboren am Neujahrstag 1484) fiel in Zeiten, in
welchen ſich die Gemeinde von den drückendſten feudalen La-
ſten, zu denen ſie dem Abt von St. Gallen verpflichtet war,
[56]Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
nach und nach freimachte. Hauptſächlich unter der Leitung
ſeines Vaters geſchah dieß, welcher der vornehmſte Mann
im Orte war, Ammann daſelbſt, viele Wieſen und Alpen ei-
genthümlich beſaß, und von einer großen Familie umgeben —
er hatte acht Söhne — patriarchaliſch würdig Haus hielt.


Von ſo vielen Brüdern pflegte ſich aber in jenen Zei-
ten immer Einer oder der Andere dem geiſtlichen Stande zu
widmen: dazu ward unſer Huldreich Zwingli beſtimmt: ſein
Oheim, welcher der erſte Pfarrer geweſen, den die Wilden-
hauſer ſich ſelbſt gewählt, und der jetzt in Weſen ſtand,
übernahm ſeine Vorbereitung.


Unter den Zügen, die uns aus Zwingli’s Jugend über-
liefert worden, iſt wohl der der merkwürdigſte, daß er von
Natur einen beſonders reinen Sinn für die Wahrheit be-
ſaß. Er erzählt einmal, daß ihm — bei dem erſten Er-
wachen des Denkens über öffentliche Dinge — der Gedanke
aufgeſtiegen, ob nicht die Lüge eigentlich härter zu beſtrafen
wäre als der Diebſtahl. Denn Wahrhaftigkeit, fügt er hinzu,
ſey doch die Mutter und Quelle aller Tugenden.


Mit dieſem unverdorbenen Sinn, den er aus der reinen
Luft ſeiner Berge mitbrachte, trat er nun in Literatur, öf-
fentliches Leben und Kirche ein.


Er ſtudirte auf den Schulen zu Baſel und zu Bern,
und den Univerſitäten zu Wien und wieder zu Baſel. 1 Eben
trat die Epoche ein, in welchen die claſſiſchen Studien, im
Gegenſatz mit der Scholaſtik des Mittelalters allenthalben
[57]Zwingli.
in Aufnahme kamen. Zwingli ſchloß ſich wie ſeine Lehrer,
alle ſeine Freunde, dieſer Richtung an; und hielt ſie feſt,
auch als er noch ſehr jung im Jahr 1506 Pfarrer in Gla-
rus wurde. Alle Muße, die ſein Amt ihm ließ, widmete
er den Studien. Zuweilen hat er ſich in ſchriftſtelleriſchen
Productionen im Sinne der Latiniſten jener Zeit verſucht;
doch iſt es ihm nicht gelungen, ſich der Antike mit voller
Freiheit anzuſchließen. 1 Hauptſächlich las und ſtudirte er
die Alten. Mehr noch ihr Inhalt, ihr großer Sinn für
das Einfache und Wahre feſſelte ihn, als ihn ihre Form
zur Nachahmung reizte. Er meinte wohl, der göttliche Geiſt
ſey nicht auf Paläſtina beſchränkt geweſen, auch Plato habe
aus dem göttlichen Born getrunken, Seneca nennt er einen
heiligen Mann: vor allem verehrt er Pindar, der ſo erha-
ben von ſeinen Göttern rede, daß ihm eine Ahnung von
der einen heiligen Gotteskraft beigewohnt haben müſſe, 2
er iſt ihnen allen dankbar, weil er von ihnen allen gelernt,
weil ſie ihn zur Wahrheit geführt. In dieſen Studien be-
griffen nahm er nun auch das griechiſche neue Teſtament,
in der Ausgabe von Erasmus, zur Hand und widmete ihm
den größten Fleiß. Um ſich mit den Epiſteln Pauli vertraut
zu machen, ließ er ſich die Mühe nicht verdrießen, ſie mit
eigner Hand ſauber abzuſchreiben; 3 am Rande merkte er
[58]Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
ſich die Auslegungen der Kirchenväter an. Zuweilen ſtör-
ten ihn noch die theologiſchen Begriffe, die er von den Uni-
verſitäten mitgebracht, aber bald faßte er den Entſchluß,
von allem andern abzuſehn, und die Meinung Gottes aus
deſſen lauterem einfältigem Wort zu lernen. Es ward ihm
heller, wenn er ſich ſo unbedingt dem Texte hingab. Aber
zugleich bildete ſich eine von dem bisherigen Kirchenweſen
abgewandte Geſinnung ganz von ſelbſt in ihm aus. In
Einſiedeln, wohin er im Jahr 1516 gekommen, ſagte er
einſt dem Cardinal Schiner unverholen, das Papſtthum
habe keinen Grund in der Schrift.


Zwingli müßte jedoch kein Schweizer, nicht ein in un-
aufhörlicher Theilnahme an dem bürgerlichen Gemeinweſen
aufgewachſener Republikaner geweſen ſeyn, wenn er ſich da-
mit allein hätte beſchäftigen, dabei hätte ſtehen bleiben ſol-
len. In jenen Jahren brachten die italieniſchen Kriege alle
Lebenskräfte der Eidgenoſſenſchaft in Bewegung, erhoben ſie
zum Range einer großen Macht in Europa. Mehr als ein-
mal hat Zwingli ſeine kriegeriſche Gemeinde ins Feld beglei-
tet; er zog mit nach Marignano. Allein mit dem Kriege
war nun zugleich das Unweſen des Reislaufens und der
Jahrgelder eingeriſſen So ſehr es von dem Geiſte des Vol-
kes mißbilligt wurde, wie die Bewegungen bewieſen, die von
Moment zu Moment in Luzern, Solothurn, Bern, Zürich
ausbrachen; — die gemeinen Leute wollten von Bündniſſen
nichts wiſſen, durch welche ihre Brüder und Söhne in fremde
Länder, in den Tod geführt würden; ſie forderten die Be-
ſtrafung der „Deutſchfranzoſen, der Kronenfreſſer;“ zuwei-
len mußten die großen Räthe wirklich „Miethe und Gaben“
[59]Zwingli.
verſchwören: nicht ſelten die Tagſatzungen ſich dagegen erklä-
ren — ſo knüpften ſich doch zu ſtarke Vortheile der Macht-
haber in den Cantonen daran. Eine kriegsluſtige Jugend fand
ſich immer, um ihren Werbungen Gehör zu geben, und das
Uebel wuchs von Tage zu Tage. Zwingli, der ſich wie der
latiniſtiſchen gelehrten, ſo auch der deutſchen populären Li-
teratur anſchloß, die ſich, wie wir uns entſinnen, überhaupt
in der Oppoſition gegen die obwaltenden Mißbräuche be-
wegte, ſchrieb ſchon im J. 1510 eine ziemlich ausgeſpon-
nene Fabel, worin er der Eidgenoſſenſchaft die Umtriebe vor-
ſtellt, deren Opfer ſie ſey, wie ſie von liſtigen Katzen ver-
führt, von getreuen Hunden vergeblich gewarnt werde, wie
ſie darüber ihre Freiheit verlieren müſſe, die Freiheit, eine
ſo hohe Gnade, daß man ſie mit Spieß und Streitaxt nach
dem Beiſpiel der Alten vertheidigen ſollte, und welche nicht
beſtehen könne, wo man Miethe und Gaben nehme; da gehe
alle Bundesbrüderſchaft zu Grunde. 1 Es war jedoch in dem
wüſten Treiben jener Zeit wohl ſehr ſchwer, ſich nur ſelber
von dieſem Unweſen frei zu halten, und auch Zwingli band
ſich eine Zeitlang durch die Annahme einer päpſtlichen Pen-
ſion. Ueberhaupt dürfte man der Verehrung der Nach-
kommenſchaft, die auch in dem früheren Leben ihres Vor-
kämpfers nichts als Licht ſieht, ſo unbedingt nicht beitreten.
In den Briefen Zwingli’s finden ſich Geſtändniſſe von ſinn-
lichen Vergehungen, die ſogar etwas Widerwärtiges haben. 2
Es iſt ſehr ſein Ernſt und ſehr die Wahrheit, wenn er ſich
ſelbſt öffentlich der Unlauterkeit anklagt. Aber ſchon aus
[60]Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
dieſem Geſtändniß ergiebt ſich, daß er mit keiner Heuchelei
umging, weder in ſich noch gegen andere. Aus ſeinem Brief-
wechſel ſehen wir, daß er an ſich arbeitet, ſich doch ſo viel
wie möglich hütet, die ausdrücklichen Gebote der Schrift zu
verletzen, Vorſätze faßt, und eine Zeitlang hält; am Ende
finden wir ihn ohne Tadel leben. So konnte denn auch
jene Penſion, die er damit entſchuldigte, daß der Papſt die
geiſtliche Obrigkeit der Eidgenoſſenſchaft ſey, ſeine Geſinnung
nicht feſſeln. Etwas ganz anders war es ohnehin, von ei-
nem völlig fremden Fürſten, wie der König von Frankreich
Geld zu nehmen. Im Jahr 1516 widerſetzte ſich Zwingli
der franzöſiſchen Faction, die wie im größten Theile der
Schweiz ſo auch in Glarus das Uebergewicht bekam, aus allen
Kräften. Er unterlag zwar, da der König die mächtigſten
Eingebornen gewonnen; er kann nicht genug klagen, wie viel
er darüber habe aushalten müſſen; er ſah ſich am Ende
ſogar genöthigt, ſeine Pfarre vorläufig zu verlaſſen und
eine untergeordnete Vicarſtelle zu Einſiedeln anzunehmen.
Allein eben das führte ihn um ſo früher und vollſtändiger
zu ſeiner urſprünglichen Geſinnung zurück. Da die franzö-
ſiſche Partei allmählig die herrſchende wurde, ſo entwickelte
ſich der Widerſtand gegen dieſelbe in ihm zu einer Bekäm-
pfung des Penſionsweſens überhaupt. Die Bildung einer
über die ganze Eidgenoſſenſchaft verbreiteten Verbindung von
Familien und Oberhäuptern, in einem doch vorzüglich per-
ſönlichen Intereſſe ſah er mit Recht als eine Neuerung an,
welche die allgemeine Freiheit gefährde. Die öffentliche Mo-
1
[61]Zwingli.
ral, die durch dieß Unweſen beleidigt war, die Meinung
des Volkes fand in ihm ihren beredteſten Sprecher. Das
Studium der Alten und der Schrift, im Gegenſatz gegen die
um ſich greifende ſittliche und religiöſe Verwilderung, das
Bewußtſeyn einer redlichen Vaterlandsliebe im Kampfe mit
erkaufter Dienſtbefliſſenheit gegen fremde Höfe, bildete in
ihm eine Geſinnung aus, in der ſich ſchon der zukünftige
Verſuch, die kirchlichen wie die weltlichen Zuſtände umzuge-
ſtalten, ankündigte: es kam nur darauf an, daß er freien
Raum bekam, an die rechte Stelle gelangte.


Die ward ihm im J. 1519 in Zürich zu Theil.


Zürich war wenn damals noch nicht der einzige, doch
der vornehmſte Ort in der Eidgenoſſenſchaft, der ſich nicht
wieder zur Annahme franzöſiſcher Jahrgelder überreden ließ.
Ein Chorherr am Münſter, Conrad Hofmann, der ein au-
ßerordentliches Anſehen genoß, hielt hier die vaterländiſchen
Grundſätze gegen den Fremdendienſt und die Penſionen auf-
recht; er war ein Redner, welcher der Menge auch bittere
Wahrheiten nicht erſparte. Durch dieſen hauptſächlich ge-
ſchah es, daß Zwingli manchen Einwendungen zum Trotz,
aber eben wegen ſeiner politiſchen Geſinnung zum Leutprie-
ſter am großen Münſter gewählt wurde. 1


Und hier nahm nun Ulrich Zwingli ſogleich nach beiden
Seiten hin die Stellung ein, die er darnach behauptet hat.


Zunächſt bekämpfte er alle jene Partei-Verbindungen
mit den auswärtigen Mächten, ſelbſt mit dem Papſt. Er
ſoll geſagt haben: der Cardinal von Sitten, der für den
[62]Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
Papſt warb, trage nicht mit Unrecht rothen Hut und Man-
tel; man dürfte ſie nur winden, ſo würde man das Blut der
nächſten Verwandten daraus rinnen ſehen. Er ſpottete dar-
über, daß man wider einen Wolf ſtürme, der doch nur Thiere
anfalle, gegen die Wölfe aber ſtill ſitze, durch welche Men-
ſchen zu Grunde gehn.


Dann drangen die Wirkungen der lutheriſchen Bewe-
gung auch in die Schweiz. Niemand war vorbereiteter und
eifriger, daran Theil zu nehmen, als eben Zwingli. Auch
er hatte an ſeiner Stelle mit einem Ablaßverkäufer zu käm-
pfen und wußte ihn entfernt zu halten. Er ſchrieb gegen
das Verfahren, das der römiſche Hof gegen Luther beobach-
tete, [und] gab eine Apologie deſſelben gegen die Bulle heraus.


Eine ungemeine Wirkung hatten ſeine Predigten, zu
denen er eine große natürliche Gabe beſaß. Er griff die
obwaltenden Mißbräuche mit einem Ernſt an, der keine Rück-
ſicht kannte. Er ſchilderte die Verantwortlichkeit der Geiſt-
lichen eines Tages ſo lebhaft, daß junge Leute unter ſeinen
Zuhörern wohl auf der Stelle die Abſicht fahren ließen,
geiſtlich zu werden; ich fühlte mich, ſagt Thomas Plater,
wie an den Haaren emporgezogen. 1 Zuweilen glaubte wohl
Einer und der Andre, der Prediger ziele perſönlich auf ihn
und Zwingli hielt es für nothwendig, ein Wort darüber
zu ſagen: Frommer Mann, rief er aus, nimm dir’s nicht
an; dann fuhr er in ſeinem Eifer weiter fort, ohne der
Gefahren zu achten, die zuweilen ſein Leben bedrohten.


Hauptſächlich aber war doch ſein Bemühen, den Sinn
der Schrift ſeinen Zuhörern näher zu bringen. Mit Er-
[63]Zwingli.
laubniß des Stiftes 1 erklärte er nicht mehr die Perikopen
allein, ſondern die ganzen Bücher der Schrift, wie er ſie
ſtudirt hatte; denn den Zuſammenhang des göttlichen Ge-
dankens ſuchte er zu ergreifen und mitzutheilen. Seine Lehre
war, daß die Religion in Gottvertrauen, Gottesliebe und
Unſchuld beſtehe. 2 Er vermied alles was fremdartig oder
allzugelehrt lautete; es gelang ihm die allgemeine Verſtänd-
lichkeit zu erreichen, nach der er ſtrebte, und in einem wei-
ten Kreiſe von Zuhörern eine Ueberzeugung zu begründen,
die dann in den Tagen des Sturmes aushielt, und ihm
zu allen ſeinen Unternehmungen eine feſte Grundlage gab.


In ſeinem täglichen Leben zeigte er ſich bequem und
heiter. In den republikaniſchen Gemeinden, dem Feldla-
ger, jenem Zuſammenfluß mannichfaltiger Fremden bei Ein-
ſiedeln hatte er mit Menſchen umgehn, ſie behandeln gelernt.
Aufwallungen des Zorns, wie andre Wallungen der Lei-
denſchaft war er bemüht zu beherrſchen; aufſteigende Gril-
len verſcheuchte er durch Muſik; denn auch er war ein gro-
ßer Muſikfreund, und auf gar manchem Inſtrumente Mei-
ſter: in Toggenburg iſt das ſo gewöhnlich wie in Thürin-
gen. 3 Am liebſten lebte er häuslich eingezogen, auf die
Weiſe ſeines Vaterlandes, etwa von Milchſpeiſen, wie dort
herkömmlich; doch ſchlug er darum nie eine Einladung aus:
er ging auf die Zünfte mit den Bürgern, man ſah ihn auf
den Gaſtereien der Bauern, die er mit munterem Geiſt und
[64]Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
vergnügtem Geſpräch erheiterte. 1 So arbeitſam er war,
ſo viel er auch unternahm und zu Stande brachte, ſo wies
er doch Niemand von ſich, er wußte einem Jedem etwas
Zufriedenſtellendes zu ſagen. Ein wohlgeſtalteter, kerngeſun-
der Mann; wohlthätig und gutmüthig; heiter umgänglich
lebensfroh und dabei von den großartigſten Gedanken er-
füllt; ein ächter Republikaner.


Wollen wir ihn mit Luther vergleichen, ſo hatte er
nicht ſo gewaltige Stürme zu beſtehen, wie ſie in Luther
die geheimſten Tiefen des inneren Seelenlebens erſchütterten.
Da er ſich nie ſo unbedingt dem beſtehenden Kirchenweſen
hingegeben, ſo hatte er ſich auch jetzt nicht mit ſo gewalt-
ſamer und ſchmerzlicher Anſtrengung davon loszureißen.
Was ihn zum Reformator machte, war nicht jenes tie-
fere Verſtändniß der Idee des Glaubens und ihres Ver-
hältniſſes zur Erlöſung, von welchem Luther ausgegangen,
ſondern vor allem, daß er bei ſeinem wahrheitſuchenden Stu-
dium der Schrift, Kirche und Leben mit dem allgemeinen
Inhalt derſelben in Widerſpruch begriffen ſah. Auch war
Zwingli kein Univerſitätsgelehrter; die herrſchenden Lehrmei-
nungen hatte er niemals ernſtlich getheilt: eine hohe Schule
umzubilden, feſthaltend an allem was ſich erhalten ließ, und
abweichend nur in den weſentlichſten Puncten, war nicht ſein
Beruf. Die Aufgabe ſeines Lebens ſah er vielmehr darin,
die Republik, die ihn aufgenommen, religiös und ſittlich um-
zubilden, die Eidgenoſſenſchaft zu ihren urſprünglichen Grund-
ſätzen zurückzurufen. Wenn Luther vor allem eine Verbeſ-
ſerung der Lehre beabſichtigte, welcher Leben und Sitte dann
[65]Zwingli.
von ſelbſt nachfolgen müſſe, ſo nahm Zwingli einen unmittel-
baren Anlauf auf die Verbeſſerung des Lebens; er faßte vor-
nehmlich die praktiſche Bedeutung des allgemeinen Inhalts
der Schrift ins Auge; ſeine urſprünglichen Geſichtspunkte
waren moraliſch-politiſcher Natur: wodurch denn auch ſein
religiöſes Beſtreben eine eigenthümliche Färbung empfing.


Und berühren wir hier auch mit einem Worte die
Frage über die Priorität ſeiner Reformbeſtrebungen, ſo läßt
ſich nicht läugnen, daß er ſchon vor dem Jahre 1517 da-
hin zielende Geſinnungen entwickelt Lehren ausgeſprochen
hatte. Indeß theilten auch viele Andre Ueberzeugungen die-
ſer Art. Worauf alles ankommt, das iſt der Kampf mit
der geiſtlichen Gewalt, die Befreiung von derſelben. Die-
ſen Kampf hat Luther allein und zuerſt ausgehalten; er hat
der Lehre zuerſt in einem nahmhaften deutſchen Fürſtenthum
freien Raum gemacht und die Emancipation begonnen. Als
Luther von Rom verdammt wurde, bezog Zwingli noch eine
Penſion von Rom. Luther hatte ſchon vor Kaiſer und Reich
geſtanden, ehe Zwingli eine Anfechtung erfuhr. Der ganze
Kreis, in dem ſich dieſer bewegte, war ein anderer. Wäh-
rend wir dort immer die oberſten Gewalten der Welt in
Thätigkeit erblicken, iſt hier zunächſt von der Losſagung ei-
ner Stadt von ihrem Bisthum die Rede. Dieſe haben
wir nunmehr zu betrachten.


Emancipation der Stadt Zürich von dem Bisthum
Conſtanz.


Wie die übrigen ſchweizeriſchen Städte, behauptete auch
Zürich ſchon längſt dem Bisthum Conſtanz zu dem es ge-
Ranke d. Geſch. III. 5
[66]Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
hörte gegenüber, eine gewiſſe hauptſächlich auf dem Colle-
giatſtift am Münſter ruhende Selbſtändigkeit, deren Gefühl
und Ausübung aber in den letzten Jahren durch beſondere
Umſtände außerordentlich gewachſen war.


Der Ablaßhandel war dem Biſchof in ſeiner Diöceſe
ſo verhaßt, wie er der Stadt nur immer ſeyn konnte. Er
war ganz damit einverſtanden, daß der Rath von Zürich
den Ablaßverkäufer Samſon, der ſchon bis an die Sil,
an ein zürcheriſches Wirthhaus herangekommen, zurückwies.
Zwingli bewahrte ſorgfältig die Briefe auf, in denen er von
Seiten der geiſtlichen Behörde ſelbſt aufgefordert worden, je-
nem Emiſſar der Curie Widerſtand zu leiſten. Es liegt am
Tage wie ſehr hiedurch der Biſchof die Autonomie der Stadt
in kirchlicher Hinſicht beförderte. 1


Indeſſen bewirkten die politiſchen Verhältniſſe, daß Zü-
rich auch von der Curie mit großer Schonung behandelt ward.


Im Jahr 1520 ging Zwingli bereits ſehr weit und
erfreute ſich einer nicht geringen Anzahl entſchiedener An-
hänger. Wirklich hat der Rath ſchon damals den Leutprie-
ſtern und Prädicanten in der Stadt und auf dem Lande
die Erlaubniß gegeben, 2 nach der göttlichen Schrift des
[67]Emancipation der Stadt Zuͤrich 1520.
alten und neuen Teſtamentes zu predigen, zufällige Neue-
rungen und Satzungen fahren zu laſſen: eine Anordnung,
welche ſchon den Abfall von der römiſchen Kirche in ſich
ſchließt. Man könnte nicht ſagen, daß die Sache dem rö-
miſchen Hofe unbekannt geblieben ſey; es waren ein Paar
päpſtliche Nunzien, ein Cardinal der Kirche anweſend, doch
wagten ſie nichts dagegen zu thun. Ihr Verfahren zeigt ſich
recht an dem Beiſpiele Zwingli’s. Sie verſprachen ihm
ſeine Penſion von 50 G. auf 100 G. zu erhöhen, doch ſollte
er nicht mehr gegen den Papſt predigen. Zwingli hätte die-
ſes Zuſchuſſes wohl noch bedurft, aber er lehnte den Vor-
ſchlag ab. Sie boten ihm hierauf das Jahrgeld auch ohne
dieſe Bedingung an; allein auch ſo wollte es Zwingli nicht
mehr annehmen. 1 Den Nunzien lag jedoch mehr an der
Werbung der Mannſchaft, mit der ſie Mailand zu erobern ge-
dachten, als an allen theologiſchen Fragen. Obwohl die
Stadt bereits in vollem Abfall begriffen war, ſo traten ſie
doch mit derſelben in eben dieſem Momente in Bund. „Wir
wurden,“ ſagt Zwingli, „nicht abgefallen abtrünnig geſchol-
ten, ſondern mit hohen Titeln geprieſen.“ 2


Da nun hier das Decret von Worms ſchon an ſich
keine Wirkung hatte, und die Repräſentanten des römiſchen
Stuhles ſtill ſchwiegen, ſo konnte die Lehre ungehindert ge-
predigt werden und in den Gemüthern feſte Wurzel ſchlagen.


Die Sache machte erſt Aufſehen, als endlich auch die
äußerliche Kirchenordnung verletzt ward, als man im März
5*
[68]Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
1522 in Zürich die Faſten brach und ſich erlaubte Eier und
Fleiſch zu genießen. Da erſt regte ſich der Biſchof. Durch
eine beſondere Geſandtſchaft forderte er den Rath auf, die
bisherigen Cerimonien der Kirche aufrecht zu erhalten.


Sollte das aber überhaupt noch möglich ſeyn? Soll-
ten ſich in dieſer Epoche voll feurigen Religionseifers die
von Grund aus umgewandelten Ueberzeugungen einfach dem
Worte eines Biſchofs unterwerfen?


In der Discuſſion vor dem großen Rathe behauptete
Zwingli, viele kirchliche Cerimonien ſeyen eben ſolche, welche
Petrus einſt für unerträglich erklärt habe. Nicht einmal bei
den Geſandten fand er nachhaltigen Widerſpruch hiegegen;
einer von ihnen, der Prädicant des Stiftes zu Coſtnitz, Wan-
ner, war im Herzen der nemlichen Meinung. 1 Der große
Rath, der den Biſchof nur nicht geradezu beleidigen wollte,
faßte den ausweichenden Beſchluß, es ſolle Niemand die Fa-
ſten brechen „ohne merkliche Urſach“ und erſuchte den Bi-
ſchof, bei den kirchlichen Gewalten oder bei den Gelehrten
eine Erläuterung auszubringen, wie man ſich in Hinſicht der
Cerimonien zu verhalten habe, um nicht zugleich gegen die
Satzungen Chriſti zu verſtoßen. 2 Natürlich gab darum der
Biſchof nicht nach. Im Mai ſchärfte er dem Rath aufs
neue die Nothwendigkeit ein, die Ordnungen und guten Ge-
wohnheiten der h. Kirche zu beobachten; das erachte er dem
h. Evangelio gleichförmig. In einem noch feurigern Schrei-
ben an das Chorherrnſtift geſtand er wohl zu, daß ſich ei-
niges eingeſchlichen haben könne, was der heiligen Schrift
[69]Emancipation von Zuͤrich 1522.
nicht ſehr gemäß ſey; aber der gemeinſchaftliche Irrthum
bilde ein Recht; auf keine Weiſe dürfe man Lehren anneh-
men, die von Kaiſer und Papſt verdammt ſeyen; wer ſich
nicht zu den Biſchöfen halten wolle, möge denn auch ganz
von ihnen geſchieden werden. 1


Noch waren einige Klöſter in der Stadt, die von je-
nem erſten Beſchluß des großen Rathes unberührt geblie-
ben; noch hielten ſich gar Manche, Vornehmere oder Ge-
ringere, zu dem bisher Gebräuchlichen; und ſo geſchah, daß
dieſe Anmahnung doch nicht ganz ohne Wirkung blieb. Die
heftigſten Widerſacher der Mönche bekamen die Weiſung,
ſich auf der Kanzel oder bei Disputationen zu mäßigen.


Allein es bedurfte nur eines im Grunde ſehr zufälli-
gen Ereigniſſes, um doch eine ganz entgegengeſetzte Entſchei-
dung herbeizuführen.


In dieſen Tagen erſchien ein Franziscanermönch von
Avignon, derſelbe Franz Lambert, deſſen wir bei der Sy-
node von Homberg gedacht, in der Schweiz. In einem
Kloſter ſtrengerer Obſervanz, in das er in frühen Jahren
getreten war, hatte er ſtatt der Ruhe und Frömmigkeit, die
er ſuchte, nichts als geheime Laſter und Neid gefunden; 2
da waren ihm einige Schriften Luthers zugekommen, und
er hatte ſich entſchloſſen, ſein Kloſter zu verlaſſen, und Lu-
thern ſelbſt in Wittenberg aufzuſuchen. Dieſer Mönch,
noch immer in ſeiner Kutte auf einem Eſel reitend, er-
ſchien jetzt in Zürich. Seine katholiſche Rechtgläubigkeit
[70]Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
war erſchüttert, aber noch nicht völlig gebrochen. Bis jetzt
wollte er weder die Cerimonien fallen laſſen noch die Für-
bitte der Heiligen aufgeben: in dem Chor des Fraumün-
ſters, am Frohnaltar ſitzend, hielt er einige lateiniſche Pre-
digten in dieſem Sinn. Einmal fiel ihm Zwingli ins Wort
mit dem Ausruf, „Bruder du irrſt.“ Die Altgläubigen mein-
ten noch eine Stütze an Lambert zu finden, und da er ſich
gelehrt und ſprachfertig zeigte, ſo veranſtalteten ſie eine Dis-
putation zwiſchen ihm und Zwingli. Am 17. Juli, eines
Donnerſtags, in der Trinkſtube der Chorherrn ging dieſelbe
vor ſich. Sie fiel aber anders aus, als man hoffen mochte.
Dieſer Franciscaner war ein Menſch, der die Wahrheit wirk-
lich liebte und ſuchte. Er ſah ſehr bald ein, daß Zwingli’s
Gründe die ſeinen überwogen: durch die Stellen der Schrift,
die Zwingli ihm vorlegte, ward er vollkommen überzeugt.
Er erhob die Hände, dankte Gott und gelobte, ihn allein
anzurufen, allen Roſenkränzen zu entſagen. 1 Hierauf ver-
ließ er Zürich auf ſeinem Thiere; wir finden ihn nach eini-
ger Zeit in Eiſenach, in Wittenberg, ſpäter wie geſagt in
Homberg und endlich in Marburg wieder. Sein Verſuch,
der Kirchenverfaſſung in Deutſchland eine andre Form zu ge-
ben, als die lutheriſche, wird ihn für alle Zeiten unvergeß-
lich machen.


Dieſe Disputation hatte nun den größten Erfolg in
Zürich. Des Donnerſtags war ſie gehalten worden: Mon-
tags darauf, am 21. Juli, rief der Rath die Leſemeiſter
der Orden, die Chorherrn und die Weltprieſter noch ein-
mal in der Propſtei zuſammen. Zwingli fühlte ſich jetzt
ſtark genug, mit Vorwürfen über die ungegründeten Pre-
[71]Emancipation von Zuͤrich 1522.
digten in den Klöſtern zu beginnen. Der Bürgermeiſter
ſchlug den beiden Theilen aufs neue vor, ihre Streitig-
keiten der Entſcheidung von Propſt und Capitel anheimzu-
ſtellen. Aber Zwingli erklärte, er ſey der Prediger, der Bi-
ſchof der Stadt; er habe die Seelſorge derſelben mit ſeinem
Eid übernommen; er werde nicht dulden, daß in den Klö-
ſtern, wo man ohnedieß keinen rechten Beruf habe, wider
Gottes Wort gepredigt werde, und ſollte er an der Kan-
zel erſcheinen und öffentlich widerſprechen. Schon war Je-
dermann auf ſeiner Seite; der Bürgermeiſter erklärte end-
lich im Namen des Rathes, deſſen Wille ſey, daß das
reine Gottes Wort und nichts anderes in der Stadt gepre-
digt werde.


Früher war die Predigt nach der Schrift nur erlaubt,
den Leutprieſtern anempfohlen worden; jetzt ward ſie gebo-
ten, und zwar auch den Mönchen.


Und fragen wir, worauf Zwingli bei dieſem Verfah-
ren ſich gründete, welches Recht er den Anordnungen des Bi-
ſchofs entgegenſetzte, — ſo entſpringt dieß vor allem aus dem
Begriff von der Gemeinde. Er iſt der Meinung, daß alles,
was die Schrift von der Kirche ſage, eben hauptſächlich auch
von den einzelnen Gemeinden gelte. Er ſcheint angenom-
men zu haben, 1 daß eine ſolche, ſobald ſie nur nichts Neues
aufzubringen ſuche, ſondern ſich damit begnüge, das Wort
Gottes zu hören und danach in ſtreitigen Fällen zu urthei-
[72]Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
len, nicht irren könne. Schrieb er ihr nun ſchon eine ſo
hohe Autorität in Glaubensſtreitigkeiten zu, wie viel mehr
mußte er das in Hinſicht der Verfaſſung thun! Das Recht
der Geſammtheit ſah er aber nicht minder kirchlich als po-
litiſch in dem großen Rathe repräſentirt. Sein Verfahren
war, wie er einmal ausdrücklich erläutert, jede Frage zu-
erſt durch die Predigt ſo lange zu verhandeln, bis Jeder-
mann von der Sache überzeugt worden: alsdann ſie erſt
vor den großen Rath zu bringen; der treffe darnach im Ver-
ſtändniß mit den Dienern der Kirche die Einrichtung, welche
nothwendig ſey. Der Rath, ſagt er, hat die höchſte Ge-
walt anſtatt der Gemeinde. 1


Man ſieht leicht, welch eine ganz andere Grundlage
einer neu zu errichtenden kirchlichen Genoſſenſchaft dieß gab,
als die war, auf die man in Deutſchland baute. Factiſch
iſt der Unterſchied am Ende ſo groß nicht. Dort vereini-
gen ſich die Prediger mit der fürſtlichen Gewalt im Lande,
hier mit der ſtädtiſchen Behörde in einer Stadt; aber daß
man dort auf die Reichsabſchiede angewieſen iſt, hier da-
gegen die Souveränetät ſchon durch die That beſitzt und ſie
auch kirchlich geltend macht, bildet für die Theorie und die
fernere Entwickelung einen ungemeinen Unterſchied.


Es konnte nun nichts mehr helfen, daß der Biſchof
die Meinung, ein Chriſt ſey nicht gehalten nach menſchli-
[73]Emancipation von Zuͤrich 1523.
chen Kirchenſatzungen zu leben, durch ein neues Decret ver-
dammte; an eben dieſer Meinung hielt die freie Gemeinde
feſt, welche ſich von ihm losſagte.


Die einzige wahre Schwierigkeit, welche ſich dieſer auf
ihrem Wege entgegenſtellte, lag in der Hartnäckigkeit ein-
zelner abweichenden Meinungen in ihrem Innern. Noch
immer fanden ſich Leute, welche Zwingli für einen Ketzer
erklärten.


Um dem ein Ende zu machen und auf den Grund ge-
ſtützt, daß die von ihm begehrte Erläuterung niemals ausge-
bracht worden, veranſtaltete der Rath im Februar 1523 eine
Disputation ſeiner Leutprieſter, Seelſorger, Pfarrer und Prä-
dicanten. Ohnehin entſprach das dem Begriffe Zwingli’s.
Er meinte, Gott werde einmal nicht fragen, was der Papſt
mit ſeinen Biſchöfen, was Concilien und Univerſitäten ſta-
tuirt, ſondern was in ſeinem Worte enthalten ſey. Der
Biſchof, der noch nicht alle Hoffnung aufgegeben zu haben
ſcheint, ſendete auch einige Abgeordnete, unter ihnen ſeinen
Generalvicar Faber, zwar nicht um an der Disputation
eigentlich Theil zu nehmen, aber um ihr beizuwohnen und
den Zwiſt der Parteien zu ſchlichten. 1 Die Disputation
fiel jedoch vollkommen zu Gunſten Zwingli’s aus. Was
wollte man auch ſagen, ſo wie man ihm ſeinen Grundſatz
zugab, daß die Schrift „die nicht lüge noch trüge“ die
einige Richtſchnur des Glaubens ſey. Ich wundre mich,
daß ſich der kluge Faber auf dieſen ſchlüpfrigen Boden
wagte. Er rühmte ſich, die Anrufung der Heiligen einem
[74]Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
gefangenen Pfarrer aus der Schrift nachgewieſen zu haben;
es war einer der größten Triumphe Zwingli’s, daß Faber,
von ihm aufgefordert, dieſen Beweis doch noch einmal zu
führen und zwar hier zur Stelle, damit natürlich nicht
zum Ziel kommen konnte. Ueberhaupt geſtanden ſelbſt eifrige
Gegner damals ein, und noch heute kann es Niemand,
der die Verhandlungen lieſt, in Abrede ſtellen, daß Zwingli
vollkommen den Platz behielt. Daraus folgte dann, daß
der Rath ihn ausdrücklich ermächtigte, fortzufahren, wie
bisher, und die Geiſtlichkeit aufs neue anwies, nichts vor-
zunehmen oder zu lehren, was ſie nicht aus dem Worte
Gottes beweiſen könne.


Bemerken wir wohl die Worte vornehmen oder lehren,
ſie ſchließen ſo gut eine Aenderung der Cerimonien wie
der Predigt ein.


Schon war die Umwandlung der Aeußerlichkeiten des
Kirchenweſens in vollem Gange. Die Geiſtlichen verhei-
ratheten ſich: den Kloſterfrauen ward freigeſtellt, auszutre-
ten oder zu bleiben: — „Wiſſet lieber Meiſter Ulrich,“
ſchrieb der Schaffner des Kloſter Cappel an Zwingli, „wir
ſind alle mit dem Abt einhellig geworden, anzunehmen das
heilig Evangelium und göttlich Wort, und dabei zu ſter-
ben.“ 2 Obwohl im Stift am Münſter noch ſehr eifrige
Anhänger des Alten lebten, ſo ward doch am Ende von
den Chorherrn ſelbſt der Beſchluß, daſſelbe zu reformiren,
1
3
[75]Emancipation von Zuͤrich 1523.
gefaßt, und in Verbindung mit einigen Abgeordneten des
Rathes ausgeführt. Die Stolgebühren wurden bei weitem
zum größten Theil erlaſſen; über die Zehnten und übrigen
Renten ward eine ſolche Verfügung getroffen, daß ſich eine
recht bedeutende und einflußreiche Lehranſtalt da entwickeln
konnte. Noch mehr Aufſehn aber als alles Andre machten
die Zweifel über die Verehrung der Bilder und über die
Meſſe, zwei Fragen, die nun von Tage zu Tage ſtärker her-
vortraten. Schon erſchienen Schriften gegen den Meßcanon;
an den Heiligenbildern wurde Gewalt geübt. Der Rath hielt
für nothwendig, dieſe Fragen einer beſondern geiſtlichen Ver-
ſammlung vorzulegen, die im October 1523 Statt fand.


Und ſchärfer konnte nun wohl die Autonomie einer ſich
von dem großen hierarchiſchen Zuſammenhang trennenden
und ſelber conſtituirenden Genoſſenſchaft nicht hervortreten,
als bei dieſer Verſammlung. Der Biſchof von Coſtnitz hü-
tete ſich wohl, abermals Geſandte zu ſchicken. Der alte
Conrad Hofmann, früher Zwingli’s Beförderer, wiederholte
vergeblich, daß die Gemeinde nicht befugt ſey, über Dinge
dieſer Art zu disputiren. 1 Eben das war Zwingli’s Prin-
zip, daß die Kirche nicht in Papſt, Cardinälen, Biſchöfen
und deren Verſammlungen beſtehe, ſondern die Gemeinde,
die Kilchhöri, das ſey die Kirche wie die erſte Kirche zu
Jeruſalem: Actorum XV.2 Jetzt waren es in der That
[76]Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
nur Zürcheriſche Geiſtliche aus der Stadt und vom Lande,
mit wenigen Fremden — wie dort Boten von Antiochien zuge-
gen geweſen — die ſich unter Leitung des Bürgermeiſters Marx
Röuſt auf dem Rathhauſe verſammelten, um über zwei der
wichtigſten Fragen, welche die Chriſtenheit beſchäftigen konn-
ten, zu Rathe zu gehn. Meiſter Leu (Leo Judä) Leutprie-
ſter zu St. Peter und Zwingli ſtellten die Sätze auf, welche
ſie vertheidigen wollten, der eine, daß man keine Bilder
zum Gottesdienſt machen dürfe, der andre, daß die Meſſe
kein Opfer ſey; und luden einen Jeden der eine andre Mei-
nung hege ein, ſie aus der Schrift zu widerlegen. Wohl
erhob ſich Einer und der Andre; doch waren ihre Gründe
leicht beſeitigt. Dann wurden die, welche ſich den Neue-
rungen beſonders eifrig entgegengeſetzt und ſie etwa ketzeriſch
geſcholten, einzeln und bei ihrem Namen aufgerufen, ihre
Rede zu beweiſen. Einige waren nicht erſchienen: Andre
ſchwiegen: noch Andere erklärten ſich zuletzt überzeugt und
entſchuldigten ſich nur, daß ſie den allgemeinen Irrthum
getheilt. Es war ein Abt, jener Abt von Cappel, der zum
Schluß die Herren von Zürich ermahnte, ſich nun auch
unerſchrocken der Sache des Evangeliums anzunehmen. 1
Hierauf ward den Seelſorgern befohlen, nicht wider die
Artikel zu predigen, welche in der Disputation den Sieg
behalten hatten. Zwingli verfaßte eine Anleitung für ſie,
die ihnen unter öffentlicher Autorität bekannt gemacht wurde,
2
[77]Verhaͤltniß zu Luther.
und als das erſte aller ſymboliſchen Bücher der evangeli-
ſchen Kirche betrachtet werden kann.


So riß ſich Zürich von dem Bisthum und damit
von dem ganzen Complex der lateiniſchen Hierarchie los,
und unternahm eine neue Kirchenverfaſſung auf die Idee
der Gemeinde zu gründen.


Wir müſſen zwar anerkennen, daß dieſe Idee nicht
vollkommen nach ihrem theoretiſchen Inhalt realiſirt ward.
Im Grunde trat ſie nur in ſo weit hervor, als ſie politi-
ſche Bedeutung gewonnen. Aber unläugbar iſt doch, daß
Stadt und Land den größten ſelbſtthätigen Antheil an der Um-
wandlung nahmen. Keine Neuerung ward ins Werk geſetzt,
die nicht durch den ausgeſprochenen Beifall der ſtädtiſchen
Gemeinde ihres Erfolges ſicher geweſen wäre: der große
Rath rief die Meinung nicht hervor, er folgte ihr nur nach.
Schon früher hatte die Geiſtlichkeit des Zürcher Capitels die
Beſchlüſſe der Stadt wiederholt. 1 Später ſprachen die ein-
zelnen Gemeinden in eigenen Adhäſionsurkunden ihre Ueber-
einſtimmung mit dem Vorgange der Bürgerſchaft aus. Die
ganze Bevölkerung erfüllte ſich mit dem poſitiven evange-
liſchen Geiſte, der ihr ſeitdem eigen geblieben, und der ſeine
uralte Spontaneität von Zeit zu Zeit auf das merkwürdigſte
kund gegeben hat.


Verhältniß zu Luther. Abendmahlsſtreitigkeit.


Es leuchtet ein, daß hier keine Wiederholung der Wit-
tenberger Doctrinen zum Vorſchein gekommen war. Wie
die perſönliche Entwickelung der beiden Reformatoren, ſo
[78]Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
waren auch die Verhältniſſe der öffentlichen Gewalt, an die
ſie ſich anſchloſſen, und die Gegenſätze, welche ſie zu bekäm-
pfen hatten, ſehr verſchieden. Auch in der Richtung der
Ideen und der Auffaſſung der Lehre zeigten ſich bei aller
Analogie doch ſehr bald weſentliche Abweichungen.


Der vornehmſte Unterſchied iſt, daß Luther an dem
beſtehenden geiſtlichen Inſtitut alles feſthalten wollte, was
nicht durch einen ausdrücklichen Spruch der Schrift wider-
legt werde; Zwingli dagegen alles abzuſchaffen entſchloſſen
war, was ſich nicht durch die Schrift beweiſen laſſe. Lu-
ther blieb auf dem gewonnenen Grund und Boden der la-
teiniſchen Kirche ſtehen; er wollte nur reinigen, die Lehre
außer Widerſpruch mit dem Evangelium ſetzen; Zwingli hielt
dagegen für nothwendig, die erſten einfachſten Zuſtände der
chriſtlichen Kirche ſo viel wie immer möglich herzuſtellen;
er ſchritt zu einer totalen Umwandlung fort.


Wir wiſſen, wie weit Luther entfernt war, auf die
Abſchaffung der Bilder zu dringen; er begnügte ſich den
Aberglauben zu bekämpfen, der ſich daran geknüpft hatte.
Zwingli dagegen betrachtete dieſen Dienſt ſchlechthin als Ab-
götterei und verdammte die Bilder ſelbſt und an ſich. Im
Einverſtändniß mit ihm erklärte der Rath zu Pfingſten 1524,
er wolle die Bilder abſchaffen, er halte dieß für ein gött-
liches Werk. Glücklich vermied man die Unordnungen,
welche ein ähnliches Vorhaben an ſo manchen andern Orten
hervorgebracht hat. Die drei Leutprieſter mit zwölf Raths-
gliedern, einem aus jeder Zunft, begaben ſich nach den
Kirchen, um die Sache unter ihrer Aufſicht ausführen zu
laſſen. Die Kreuze bei den Frohnaltären verſchwanden.
[79]Veraͤnderung der Gebraͤuche 1524, 25.
Die Bilder wurden von den Altären genommen, die Fres-
co’s an den Mauern abgepickt, die Mauern weiß vertüncht.
In den Landgemeinden hat man die köſtlichſten Tafeln hie
und da wohl geradezu verbrannt; „Gott zu Lob und Ehre.“ 1
Auch das Spiel der Orgeln fand keine Gnade, wegen der
Superſtition, die ſich damit verbunden habe. Man wollte
nur den erſten einfachen Dienſt am Worte. In allen Kir-
chengebräuchen ſetzte man ſich nun das nemliche Ziel. Es
ward eine neue Formel der Taufe aufgeſtellt, ohne alle die
Zuſätze „welche in Gottes Wort nicht Grund haben.“ 2
Dann ſchritt man zu einer Veränderung der Meſſe. Lu-
ther hatte ſich mit Weglaſſung der auf die Lehre vom Opfer
bezüglichen Worte, mit der Herſtellung des Kelchs begnügt.
Zwingli richtete — Oſtern 1525 — ein förmliches Liebes-
mahl ein. Die Communicanten ſaßen, in einer beſondern
Abtheilung der Stühle, zwiſchen Chor und Durchgang,
rechts die Männer, links die Frauen; das Brot wurde in
breiten hölzernen Schüſſeln herumgetragen; ein jeder brach
ſich einen Biſſen ab; dann trug man den Wein in hölzer-
nen Bechern umher. 3 So glaubte man ſich der urſprüng-
lichen Einſetzung am meiſten anzunähern.


Und hier kommen wir noch auf eine tiefer liegende
[80]Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
Differenz, die nicht allein die Anwendung, ſondern auch
die Auffaſſung der Schrift eben in Bezug auf dieſe wich-
tigſte aller geiſtlichen Handlungen betraf.


Es iſt bekannt, wie mannichfaltig dies Myſterium auch
in frühern Zeiten aufgefaßt worden iſt, namentlich vom
neunten bis zum eilften Jahrhundert, ehe die Lehre von der
Transſubſtantiation die Alleinherrſchaft errang. Kein Wun-
der, wenn nun, nachdem dieſe erſchüttert worden, auch
neue Verſchiedenheiten der Auffaſſung erſchienen.


Damals waren ſie mehr ſpeculativer, jetzt, der veränder-
ten Richtung der Gelehrſamkeit gemäß, mehr exegetiſcher Art.


Bald nachdem Luther das Wunder der Transſubſtan-
tiation verworfen, regte ſich in mehrern Köpfen zugleich die
Idee, ob nicht überhaupt auch abgeſehen davon ſich den
Einſetzungsworten eine andre Deutung geben laſſe.


Luther ſelbſt bekennt, eine Anwandlung nach dieſer
Seite hin gehabt zu haben; aber, da von jeher in äußern
und innern Kämpfen ſeine allezeit ſiegreiche Waffe der Grund-
text geweſen war, deſſen wörtlicher Verſtand, ſo gab er ſeine
Zweifel auch jetzt unter den Wortlaut gefangen, und blieb
dabei die reale Gegenwart zu behaupten, ohne das Wie
weiter beſtimmen zu wollen.


Nicht Alle aber waren ſo zurückhaltend, dem Wort-
verſtande ſo unterwürfig wie Luther.


Zuerſt wagte ſich Carlſtadt, als er im Jahr 1524 aus
Sachſen flüchten mußte, mit einer neuen Erklärung hervor,
die nun freilich exegetiſch unhaltbar, ja abenteuerlich aus-
fiel, die er auch zuletzt ſelber wieder aufgegeben hat, bei
deren näherer Begründung er aber auch einige Argumente
[81]Abendmahlsſtreitigkeit.
von beſſerm Gehalt vorbrachte, 1 und mit der er überhaupt
der dieſem Punkte ſchon zugewandten Richtung der Geiſter
einen großen Anſtoß gab.


Der beſcheidene Oekolampadius zu Baſel, in deſſen
Kreiſe ſich verwandte Anſichten geregt, fing an ſich zu ſchä-
men, daß er ſeine Zweifel ſo lange unterdrückt, Lehren gepre-
digt, von denen er nicht vollkommen überzeugt geweſen, und
faßte ſich das Herz, den Sinn der geheimnißreichen Einſetzungs-
worte, wie er ihn verſtand, nicht länger zu verläugnen. 2


Von einer andern Seite kam der junge Bullinger an
dieſe Frage. Er ſtudirte die Acten des berengariſchen Strei-
tes, und urtheilte, daß Berengar’n in jenem wichtigen Mo-
mente — wo die ſpätere Lehre ſich feſtſetzte — Unrecht geſche-
hen ſey. Er glaubte Berengar’s Meinung ſchon bei Au-
guſtinus nachweiſen zu können. 3


Die Hauptſache aber war, daß Zwingli das Wort er-
griff. In dem Studium der Schrift, wie er es trieb, mehr
im Ganzen, als ſtellenweiſe, und nicht ohne unaufhörlich
auf das claſſiſche Alterthum zurückzukommen, hatte er die
Ueberzeugung gefaßt, daß das Iſt der Einſetzungsworte
nichts anders heiße, als bedeutet. Schon in einem Briefe
vom Juni 1523 äußert er, der wahre Verſtand der Eu-
chariſtie könne erſt dann begriffen werden, wenn man Brod
und Wein im Nachtmal nicht anders betrachte als das
Ranke d. Geſch. III. 6
[82]Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
Waſſer bei der Taufe. 1 Indem er die Meſſe angriff,
hatte er ſchon die Abſicht gefaßt, darnach auch die Eucha-
riſtie, wie er ſagt, ſich ſelber zurückzugeben. 2 Da nun jetzt
Carlſtadt mit einer ſehr nahe verwandten Meinung hervor-
trat, die er jedoch nicht zu erhärten vermochte, ſo glaubte
Zwingli nicht länger ſchweigen zu können. Zuerſt in einem
gedruckten Schreiben an einen Pfarrer in Reutlingen (No-
vember 1524), dann ausführlich in ſeiner Schrift von der
wahren und falſchen Religion trug er ſeine Erklärungsweiſe
vor. So wenig er die Auslegung Carlſtadts billigte, ſo be-
diente er ſich doch einiger Argumente, die derſelbe gebraucht,
z. B. Chriſti Körper ſey im Himmel und könne unmöglich
auf Erden den Gläubigen ſo ſchlechthin, realiter, ausge-
theilt werden. Hauptſächlich ſtützte er ſich auf das ſechste
Capitel im Evangelium St. Johannis, das ihm erſt hie-
durch volles Licht zu erlangen ſchien.


Welch ein Moment war der im Spätjahr 1524, in
dem ſich auf der einen Seite die Entzweiung zwiſchen einem
katholiſchen und einem evangeliſchen Theile feſtſetzte, und
nun dieſe Meinung hervortrat, welche die Evangeliſchen wie-
der ſo gewaltſam trennen ſollte.


Luther trug kein Bedenken, auch Zwingli für einen
jener Schwärmer zu erklären, mit denen er ſo oft zu käm-
[83]Abendmahlsſtreitigkeit.
pfen gehabt; er nahm keine Rückſicht darauf, daß man
dort die Bilder unter öffentlicher Autorität abgeſchafft und
allerdings einen Punct gefunden hatte, wo die weltliche
Ordnung beſtehn konnte, nur ein paar Schritte weiter als
er; er hatte überhaupt von den ſchweizeriſchen Zuſtänden
nur dunkle Begriffe. Mit großer Heftigkeit begann er den Krieg.


Es würde nun nicht hieher gehören, die Streitſchrif-
ten aufzuführen, welche gewechſelt, die Argumente, welche
von beiden Seiten gebraucht worden; es ſey dem Betrach-
tenden nur erlaubt eine Bemerkung zu machen.


Unläugbar ſcheint mir, daß die Sache durch das le-
diglich exegetiſche Verfahren nicht auszumachen war.


Daß das Iſt einen tropiſchen Sinn haben könne, iſt
an ſich nicht in Abrede zu ſtellen, und ſtellt auch Luther
im Grunde nicht in Abrede. Er giebt es bei Ausdrücken
zu, wie: Chriſtus iſt ein Fels iſt ein Weinſtock: „darum
weil Chriſtus nicht ſeyn kann ein natürlicher Fels.“ Er
läugnet nur, daß das Wort dieſen Sinn im vorliegenden
Falle habe, ihn haben müſſe. 1


Dadurch ſpringt nun weiter ins Auge, daß der Grund
der Streitigkeit in einer allgemeinen Auffaſſung lag.


Zwingli hat gegen die Gültigkeit der wörtlichen Er-
klärung vor allem eingeworfen, daß Chriſtus ja ſelbſt ge-
ſagt habe, „ich werde nicht bei Euch ſeyn alle Tage,“
mithin auch im Abendmahl gar nicht gegenwärtig ſeyn
wolle; daß er ferner dann allenthalben ſeyn müßte, eine
locale Allenthalbenheit ſich aber nicht denken laſſe. Lu-
6*
[84]Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
ther, der eine angeborene Scheu hat, über den einfachen
klaren Wortſinn einer Stelle hinauszugehn, antwortet in
der Regel, daß er ſich an das untrügliche Wort halte, daß
bei Gott kein Ding unmöglich ſey. Es iſt aber wohl nicht
denkbar, daß er dabei ſtehen geblieben wäre, hätte er ſich
nicht durch eine höhere Auffaſſung über jene Einwürfe er-
hoben gefühlt. Indem er weiter gedrängt wird tritt er doch
am Ende auch mit dieſer hervor; es iſt die Lehre von der
Vereinigung der göttlichen und der menſchlichen Natur in
Chriſto. Er findet, dieſe Vereinigung ſey noch viel enger,
als die zwiſchen Leib und Seele; auch durch den Tod habe
ſie nicht aufgelöſt werden können; die Menſchheit Chriſti
ſey durch ihre Vereinigung mit der Gottheit über das Reich
des Natürlichen, außer und über alle Creatur erhoben wor-
den. Wir haben hier einen Fall, der auch ſonſt wohl ein-
tritt, wo Luther, ſelbſt ohne es zu wiſſen, auf die vor der
Entwickelung der hierarchiſchen Alleinherrſchaft und der
Ausbildung ihres Syſtemes in Gang geweſenen Meinun-
gen zurückkommt. Schon Johann Scotus Erigena, im
9ten Jahrhundert, hat die Lehren vom Abendmahl und den
zwei Naturen auf eine wenn nicht völlig gleiche, doch ſehr
ähnliche Weiſe mit einander in Verbindung gebracht. 1 Lu-
thers Lehre iſt nun, daß ſich die Identität der göttlichen
und der menſchlichen Natur in dem Myſterium des Sa-
craments darſtelle. Der Leib Chriſti iſt der ganze Chri-
ſtus, göttlicher Natur, über die Bedingungen der Crea-
[85]Abendmahlsſtreitigkeit.
tur erhaben, und daher auch in dem Brode füglich mit-
theilbar. Die Einwendung, daß Chriſtus geſagt, er werde
nicht immer gegenwärtig ſeyn, hebt er ohne Zweifel mit
Recht durch die Bemerkung, daß Chriſtus dort nur von ſei-
nem irdiſchen Daſeyn rede.


Es iſt deutlich, in wie fern Zwingli’s Beweisführung
nun weiter für Luther nichts Schlagendes hatte. Er konnte
wie er es liebte, bei dem Wortſinn bleiben, der ihm keinen
Widerſpruch darbot. Durch eine Auffaſſung, welche die
höchſten Myſterien der Religion berührt, wiewohl er ſie mit
einer ehrwürdigen Scheu, das Geheimnißvolle in den Streit
des Tages zu ziehen, nur dann und wann hervorhob, war
er ſeiner Sache ſicher.


Ueberhaupt erſcheint uns Luther hier in ſeinem eigen-
ſten Weſen.


Wir haben oft bemerkt, er weicht nur ſo viel von
dem Herkömmlichen ab, als die Worte der Schrift ihn un-
bedingt nöthigen. 1 Etwas Neues aufzubringen oder das
Beſtehende umzuſtürzen, was der Schrift nicht geradezu un-
gemäß, wären Gedanken, die ſeine Seele nicht kennt. Er
würde die ganze Entwickelung der lateiniſchen Kirche be-
haupten, wenn ſie nur nicht durch fremdartige, dem ächten
Sinn des Evangeliums widerſprechende ſpätere Bildungen
verunſtaltet wäre, er würde die Hierarchie ſelbſt anerkennen,
wofern ſie ihm nur das Wort frei ließe. Da das aber
nicht ſeyn kann, ſo hat er das Amt der Reinigung noth-
gedrungen ſelber übernommen. Er hat ſich, denn ſeine Seele
[86]Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
lebt und webt in den kirchlichen Ueberlieferungen, nicht
ohne die heftigſten inneren Stürme von dem Zufälligen,
dem unbegründeten Zuſatz frei gemacht. Aber um ſo uner-
ſchütterlicher hält er nun auch an dem Myſterium feſt, in
ſo fern es mit dem Wortſinn der Schrift übereinſtimmt
und dadurch bewährt wird. Er weiß es mit alle dem Tief-
ſinn aufzufaſſen, der ihm urſprünglich zu Grunde gelegen;
er iſt empfänglich für die großartigſte Myſtik, ja durch-
drungen davon.


Es iſt wahr, Luther fiel von der römiſchen Kirche ab,
oder vielmehr er ward von ihr ausgeſtoßen, und hat ihr
mehr geſchadet als ein andrer Menſch. Allein er verläug-
nete nie ſeinen Urſprung. Wenn wir die welthiſtoriſche Be-
wegung der Meinung und Lehre ins Auge faſſen, ſo iſt
eben Luther das Organ, durch welches ſich das lateiniſche
Kirchenweſen zu einer freieren minder hierarchiſchen, mit
den urſprünglichen Tendenzen des Chriſtenthums wieder au-
ßer Widerſpruch geſetzten Entwickelung umbildete.


Geſtehen wir aber, daß ſeine Auffaſſung beſonders in
dieſem Stück doch immer etwas Individuelles behielt, nicht
einem Jeden einleuchten konnte, wie denn auch ſeine Stel-
lung keineswegs von Allen getheilt wurde. Auch die tie-
fern und bedeutendern Geiſter, die an der Thätigkeit des
Jahrhunderts lebendigen Antheil nahmen, waren mit nich-
ten alle ſo kirchlich geſinnt wie Luther. So wie Zwingli’s
Beweisführung Luther’n nicht überzeugen konnte, ſo ging
die Auffaſſung Luthers an Zwingli vorüber, ohne auf ihn
Eindruck zu machen.


Zwingli lebte, wie berührt, überhaupt nicht ſo tief in
[87]Abendmahlsſtreitigkeit.
dem Gefühl der allgemeinen Kirche, des Zuſammenhanges
mit den Doctrinen der verfloſſenen Jahrhunderte. Wir ſa-
hen ſchon, daß ihn, einen geborenen Republikaner, der Be-
griff der Gemeinde um vieles mehr beſchäftigte: wie er denn
auch jetzt beſchäftigt war, ſeine Zürcheriſche Gemeinde durch
ſtrengere Kirchenzucht zuſammenzuhalten. Er ſuchte die öf-
fentlichen Verbrecher zu entfernen, hob die Aſyle auf, ließ
unzüchtige Dirnen und Ehebrecherinnen aus der Stadt ſchaf-
fen. Mit den Geſichtspuncten, die ihm daher entſprangen,
verband er nun ein freies, von aller hergebrachten Dog-
matik abſehendes Studium der Schrift. Irre ich nicht,
ſo bewieß er in der That für den Zuſammenhang des ur-
ſprünglichen Gedankens derſelben einen feinen und treffenden
Sinn. Wie der Ritus bezeugt, den er einführte, ſah er
das Abendmahl als ein Mahl des Gedächtniſſes und der
Liebe an. Er hielt ſich an das Wort Pauli, daß wir Ein
Leib ſind, weil wir von Einem Brode eſſen. Denn ein Je-
der, ſagt er, bekenne ſich dadurch zu der Gemeinſchaft, die
in Chriſtus ihren Heiland erkenne, in der alle Chriſten Ein
Leib ſeyen; das ſey die Gemeinſchaft des Blutes Chriſti.
Wenigſtens er ſelbſt wollte nicht Wort haben, daß er die
Euchariſtie für bloßes Brod halte. „Wenn Brod und Wein,
„die durch Gottes Gnade geheiligt ſind, ausgetheilt wer-
„den, wird da,“ ſagt er, „nicht der ganze Chriſtus gleich-
„ſam fühlbar den Seinen dargeboten?“ Es gereichte ihm
zu beſonderer Genugthuung, daß er durch dieſe Auffaſſung
unmittelbar zu einer praktiſchen Wirkung gelangte. Denn
wie ſollte es nicht zu chriſtlichem Leben und chriſtlicher Liebe
anleiten, wenn man wiſſe, daß man zu ſeinem Leibe gehöre?
[88]Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
Der Unwürdige werde ſchuldig an Chriſti Leib und Blut.
Er erlebte die Freude zu ſehen, daß ſein Ritus und dieſe
ſeine Anſicht zur Beilegung alter und verhärteter Feindſchaf-
ten beitrugen. 1


Obgleich Zwingli gern das Uebernatürliche hervorhebt,
das ſeine Auffaſſung noch darbot, ſo iſt doch klar, daß dieß
nicht das Myſterium war, welches bisher den Mittelpunkt
des Cultus in der lateiniſchen Kirche gebildet hatte. Man
kann begreifen, welchen Eindruck es auf den gemeinen
Mann machte, daß man ihm die ſinnliche Gegenwart Chriſti
entreißen wollte; es gehörte ein gewiſſer Muth dazu, ſich
dazu zu entſchließen; als das aber einmal geſchehen, ſo
zeigte ſich, wie wenigſtens Oekolampadius ſagt, eine weit
größere Empfänglichkeit dafür, als man hätte vermuthen
ſollen. Auch dieß iſt auf der andern Seite wohl zu erklä-
ren. Da man ſich einmal im Abfall von der römiſchen
Kirche begriffen ſah, ſo gewährte es eine gewiſſe Befriedi-
gung des Selbſtgefühles, welches ſich dabei entwickelte, daß
dieß ſo vollſtändig wie möglich geſchah, daß man in einen
vollkommenen Gegenſatz trat.


Luther war von dem römiſchen Hofe vom erſten Au-
genblicke an mit großer Härte, Zwingli dagegen mit äußer-
ſter Schonung behandelt worden; noch im Jahr 1523 em-
pfing er ein überaus gnädiges Breve Adrians VI, in wel-
chem alle ſeine Neuerungen ignorirt wurden. Deſſenun-
geachtet liegt am Tage, daß Zwingli dem bisherigen Kir-
chenweſen bei weitem ſchärfer und unverſöhnlicher entgegen-
trat als Luther. Auf ihn machten Dienſt und Dogma, wie
[89]Abendmahlsſtreitigkeit.
ſie im Laufe des Jahrhunderts ſich gebildet, ganz und gar
keinen Eindruck mehr; Abwandlungen, die an ſich unſchäd-
lich waren, an die ſich aber der Mißbrauch geknüpft hatte,
verwarf er mit ſo durchgreifender Raſchheit, wie den Miß-
brauch ſelbſt; die älteſten Formen, in denen ſich das chriſtliche
Princip zuerſt ausgeſprochen, ſuchte er herzuſtellen: gewiß
auch Formen, und nicht das Weſen, aber die doch wie die
nächſten, ſo auch die reinſten und angemeſſenſten waren.


Luther war bei alle ſeinem Eifer gegen den Papſt, bei
aller ſeiner Abneigung gegen die weltliche Herrſchaft der
Hierarchie, doch übrigens ſelbſt in Lehre und Ritus ſo viel
als möglich conſervativ, hiſtoriſch geſinnt; er war tiefſin-
nig und von dem Myſterium durchdrungen; Zwingli war
bei weitem durchgreifender im Verwerfen und Umbilden,
den Bedürfniſſen des täglichen Lebens zugewandt, nüchtern,
verſtändig.


Wäre Luther mit ſeinen Schülern allein geblieben, ſo
würde das reformirende Prinzip wohl ſehr bald zur Sta-
bilität gelangt ſeyn, ſeine lebendig fortſchreitende Kraft viel-
leicht bald eingebüßt haben. Daß Zwingli allein geweſen
wäre, kann man ſich ſo eigentlich nicht denken. Wäre aber
eine Anſicht, wie die ſeine, ohne Luther emporgekommen, ſo
würde die Continuation der kirchenhiſtoriſchen Entwickelung
dadurch gewaltſam unterbrochen worden ſeyn.


So war es, wenn wir uns ſo weit erheben dürfen,
von der göttlichen Vorſehung beſtimmt, daß beide Auffaſſun-
gen mit einander ihren Gang zu machen hatten. Sie wa-
ren neben einander jede an ihrer Stelle, jede mit einer ge-
wiſſen innern Nothwendigkeit entſprungen, ſie gehörten zu-
ſammen, ergänzten ſich wechſelsweiſe.


[90]Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.

Aber ſeit den Zeiten der Inquiſitionsgerichte, der feſt-
geſetzten, intoleranten Herrſchaft eines dogmatiſchen Sy-
ſtems, war ein ſo ſtarrer Begriff von Rechtgläubigkeit in
die Welt gekommen, daß ſich beide doch zunächſt, ohne Rück-
ſicht auf ihre gemeinſchaftlichen Gegner, unter einander mit
heftigem Eifer befehdeten.


Wir werden ſpäter der Wechſelfälle gedenken, in de-
nen dieſer Streit ſich bewegt hat; jetzt faſſen wir ins Auge,
wie Zwingli ſich an ſeiner Stelle weiter Raum machte.


Vertheidigung. Ausbreitung.


Obgleich Zwingli um vieles weiter gegangen, als Luther,
ſo erhob ſich doch auch gegen ihn eine ihn überbietende Mei-
nung; auch er hatte mit der Wiedertaufe zu kämpfen.


Man forderte ihn auf, eine Gemeinde von Wahrhaft-
gläubigen abzuſondern, denn nur denen allein gelte die Ver-
heißung. Er entgegnete, man könne ja doch den Himmel
nicht auf Erden einführen, Chriſtus habe gelehrt, das Un-
kraut mit dem Waizen aufwachſen zu laſſen. 1


Man verlangte dann wenigſtens, daß er die ganze Zür-
cheriſche Gemeinde zu den Berathungen herbeiziehn, ſich nicht
mit dem großen Rathe, der nur aus zweihundert Mitglie-
dern beſtand, begnügen ſolle. Aber Zwingli fürchtete den
Einfluß der geiſtvorgebenden leidenſchaftlichen Demagogen
auf eine größere Verſammlung. Er hielt dafür, daß die
Gemeinde in dem großen Rathe kirchlich ſo wie politiſch
hinreichend repräſentirt ſey. Das ſtillſchweigende Einver-
ſtändniß der Gemeinde hielt er für eine ganz genügende
[91]Wiedertaͤufer.
Sanction der Beſchlüſſe des großen Rathes. Dieſer übe die
kirchliche Gewalt aus, aber unter der Bedingung, daß er die
Regel der heiligen Schrift nicht verletze, auch nicht im Minde-
ſten, denn das ſey der Gemeinde von ihren Predigern verhei-
ßen worden. Zwingli ging, wie geſagt, von dem Begriff der
Gemeinde aus, realiſirte ihn aber nicht vollſtändig; wie
man wohl in neuern Zeiten, auf das Prinzip der Natio-
nalſouveränetät ſich ſtützend, es gleichwohl vermeiden hat,
die Nation ſelbſt thätig auftreten zu laſſen.


Um der beſtehenden äußeren Ordnung doch wenigſtens
Einen Vortheil abzugewinnen, forderten die Nichteinver-
ſtandenen hierauf, daß der Zehnte abgeſchafft würde, der
ja keineswegs von göttlichem Rechte ſey. Zwingli bemerkte,
der Zehnte ſey entweder durch bürgerlichen Vertrag ſchon
in die dritte Hand übergegangen, oder die Unterhaltung von
Kirchen und Schulen ſey darauf gegründet. 1 Er wollte die
öffentliche Ordnung ſo wenig erſchüttern laſſen wie Luther.
Er ſtützte ſich nicht ſo gewaltig wie dieſer auf den Begriff
der Obrigkeit; aber auch er war entſchloſſen, die einmal
gebildete politiſche Welt nicht gefährden zu laſſen. Irgendwo
mußte die Bewegung einhalten, wenn nicht alles in Frage
geſtellt werden ſollte. Er war an dieſem Punkt angekom-
men, ließ ſich keinen Schritt weiter bringen und hatte da-
bei den allgemeinen Willen, von der in der Republik alles
abhing, auf ſeiner Seite.


Da nun aber hiedurch alle weiter vordrängenden Be-
ſtrebungen zurückgehalten wurden, ſo machten die Mißver-
gnügten Verſuche, ſich für ſich ſelber zu conſtituiren. Die
[92]Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
Wiedertaufe trat auch in Zürich ſehr ſtark auf. Der Ritus
der Wiedertaufe iſt nur das Wahrzeichen jener Lehre, die
zur Bildung der Gemeinde volle Gleichheit der Geſinnung,
wahrhafte Chriſtlichkeit fordert. Allein da die Gemeinſchaft
der Wiedertäufer zugleich ihr Staat war, ſo geriethen ſie mit
den beſtehenden Gewalten in unmittelbaren Gegenſatz. Wur-
den ſie vor Gericht geſtellt, ſo erklärten ſie wohl, ſie ſeyen der
irdiſchen Macht nicht unterthan: Gott allein ſey ihr Oberer.
Sie behaupteten vielleicht nicht geradezu, daß man keine
Obrigkeit dulden ſolle, aber ſie lehrten, ein Chriſt könne
ſolch ein Amt nicht verwalten, das Schwerd nicht führen;
ſo daß ſie die Chriſtlichkeit der weltlichen Gewalt nicht mehr
anerkannten. Als das Ideal alles irdiſchen Zuſtandes, nach
welchem man trachten müſſe, ſtellten ſie die Gemeinſchaft
der Güter dar. 1 Da nun Ideen dieſer Art eben in dem
Bauernaufruhr ſo furchtbare Wirkungen geäußert, und auch
hier die Wiedertäufer, wie wenigſtens Zwingli genau zu wiſſen
behauptet, mit der Lehre hervortraten, daß man tödten dürfe,
die Pfaffen tödten müſſe, ſo erhob ſich endlich, mit den
Predigern einverſtanden, die ganze Gewalt der beſtehenden
Ordnung der Dinge, um ſich ihrer zu entledigen. Einige
wurden verbannt, andere entflohen; einer und der andere
der Hauptanführer wurde ohne Erbarmen ertränkt. 2 Die
[93]Politiſcher Widerſtand.
neue Kirchenform ſetzte ſich feſt, ohne daß das Beſtehen,
die Einrichtungen der Stadt und des Staates dadurch er-
ſchüttert, gefährdet worden wären.


Mittlerweile hatte ſich aber von einer andern Seite
her, aus politiſchen Motiven noch ein gefährlicherer Wi-
derſpruch geregt.


Zwingli hatte nicht allein religiöſe, ſondern auch pa-
triotiſche Ideen; er bekämpfte, wie wir uns erinnern, mit
großem Erfolge die Unordnungen des Reislaufens und der
Jahrgelder. Schon war er in Zürich damit völlig durch-
gedrungen; die Prieſter mußten einſt alle Penſionen feier-
lich verſchwören; im Jahre 1521 nahm Zürich allein von
allen Cantonen den neuen franzöſiſchen Bund nicht an.
Die Unglücksfälle, welche dieſer Bund nach ſich zog, ſuchte
Zwingli dazu zu benutzen, um auch Andere für ſein Sy-
ſtem zu gewinnen. Man muß die „göttliche Vermahnung“
leſen, die er nach der Schlacht von Bicocca „an die älteſten
ehrenfeſten Eidgenoſſen zu Schwytz“ ergehen ließ, um den
Zuſammenhang zu bemerken, der ſeine religiöſen und poli-
tiſchen Beſtrebungen verband. Seine Ueberzeugung war,
daß durch die heimlichen Gaben aus der Fremde Vernunft
und Frömmigkeit verblendet, nichts als Zwietracht geſtiftet
werde. Er dringt darauf, daß man den Eigennutz verban-
nen müſſe. Und frage Jemand, wie dieß möglich ſey, da
der Eigennutz in eines Jeden Herzen wurzle, ſo ſey die
Antwort, man müſſe dafür ſorgen, daß das göttliche Wort
gelehrt werde, klar und verſtändlich, ohne den Zwang menſch-
licher Weisheit. Denn dadurch nehme Gott die Herzen ein.
„Wo aber Gott in des Menſchen Herzen nicht iſt, da iſt
[94]Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
nichts als der Menſch ſelbſt, und er gedenkt an nichts,
als was ihm zu Nutzen und Wolluſt dient.“ Es iſt ganz
die höhere Moral, die zugleich Myſtik und Religion iſt, und
ſeine Ideen überhaupt belebt, was ihn auch zu ſeiner po-
litiſchen Tendenz führt. In Schwytz, wo er eine Anzahl
perſönlicher Freunde hatte, machte ſein Schreiben ſo viel
Eindruck, daß die Landsgemeinde am 18. Mai 1522 den
franzöſiſchen Bund abkündigte und auch Andere davon ab-
zuſtehn mahnte, „alle die, welche es zu mahnen habe.“
Es war ſehr zu erwarten, daß Schwytz, wo Geroldseck
und Zwingli und Leo Judä ſo lange gewirkt, nun auch in
den eigentlich religiöſen Angelegenheiten dem Beiſpiele von
Zürich folgen werde.


Es liegt jedoch am Tage und kein Menſch konnte
ſich verbergen, daß dieſe politiſche Richtung, ſo vernünftig
ſie auch an ſich war, doch zunächſt dem Fortgange der reli-
giöſen Bewegung wieder hinderlich werden mußte. Allent-
halben hatten ſich aus den Vorſtehern der Gemeinden, welche
die Penſionen empfingen, und den Hauptleuten, welche die
kriegsluſtige Jugend ins Feld führten, Factionen gebildet,
die ihren Vortheil nicht ſo leicht fahren zu laſſen gemeint
waren: — Oligarchien die dann vereinigt die Tagſatzungen be-
herrſchten. Zwingli fand, es ſey ein neuer Adel ſo gefährlich
wie der alte. Und allerdings waren dieſe Machthaber ſtark ge-
nug, um zunächſt die Schwytzer dahin zu bringen, daß ſie ih-
ren wider die fremden Dienſte gefaßten Beſchluß zurücknahmen.
Beſonders der Einfluß des Schultheißen Hans Hug in Lucern,
hielt die bisherige Politik in den Waldcantonen aufrecht. 1 Auf
[95]Politiſcher Widerſtand.
der Tagſatzung von 1523 ward förmlich Klage gegen Zwingli
erhoben; ſo gegen ſeine religiöſen wie ſeine politiſchen Un-
ternehmungen. Im Jahre 1524 forderte die Tagſatzung
die Zürcher auf, von ihren Neuerungen abzuſtehn. Da ſie
eine ausweichende Antwort gaben, drohte man ihnen, in
Zukunft auf Tagen nicht mehr neben ihnen zu ſitzen, ihnen
die Bundesbriefe zurückzugeben. Nicht als ob nun die Tag-
ſatzung entſchioſſen geweſen wäre, alles beim Alten zu laſ-
ſen; vielmehr kam noch 1525 ein ſehr merkwürdiger Be-
ſchluß zu Stande, durch welchen man die geiſtliche Gerichts-
barkeit zu beſchränken gedachte, 1 nach Art und Weiſe der
deutſchen Reichstage. Das zeigt aber nur, daß auch in
der Tagſatzung verſchiedene Meinungen obwalteten. Wer
ſo recht ſtreng an Rom feſt hielt, wollte auch von keiner
Beſchränkung der geiſtlichen Gerichtsbarkeit wiſſen. Vor-
übergehend konnte man einmal nachgeben, allein im Gan-
zen ſetzte ſich die engſte Verbindung jener Oligarchen mit
den Prälaten durch, die eine Zeit daher nicht wenig ge-
fährdet, plötzlich wieder Grund unter ihren Füßen fühlten.
Wir ſtoßen hier auf die merkwürdige Thätigkeit des General-
vicars zu Coſtnitz, Johann Faber, eines Mannes, der frü-
her die literariſche Richtung ſeiner oberdeutſchen Zeitgenoſ-
ſen getheilt, Zwingli ſelbſt zum Widerſtand gegen den Ab-
laß ermuntert hatte, aber im Jahre 1521 ganz umgewan-
delt von Rom zurückgekommen war, und es ſich nun zum
[96]Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
Beruf ſeines Lebens machte, die alte Religion aufrecht zu
erhalten; deſſen Bemühen war es, jene Verbindung zu
Stande zu bringen und wirkſam zu machen. Das Geſpräch
zu Baden, im Mai 1526, bei welchem auch Eck erſchien,
war der Ausdruck des neuen Einverſtändniſſes der Oligar-
chen und der geiſtlichen Gewalt. 1 Trotziger und mit grö-
ßerem Schein als jemals behaupteten die Altgläubigen, daß
der Sieg auf ihrer Seite geblieben ſey.


Aber eben dieſes Geſpräch ſollte ihnen höchſt verderb-
lich werden.


Zwingli war daſelbſt nicht erſchienen: wahrſcheinlich
ſchreckten ihn die Executionen, welche man ſo eben im Coſt-
nitzer Sprengel z. B. an Hans Hüglin vornahm; dage-
gen hatten Bern und Baſel ein paar Vertreter der neuen
Lehre, Berthold Haller und Oekolampadius geſchickt, die
nun aber nicht allein weit davon entfernt waren, ihren Geg-
nern den Sieg zuzugeſtehn, ſondern wie ſie nach Hauſe ka-
men, auch in ihren Mitbürgern ein patriotiſches Mitgefühl
für ihre Sache erregten. 2 Bern und Baſel forderten auch ih-
rerſeits Theilnahme an der Herausgabe der Acten des Ge-
ſprächs, und wollten ſie der katholiſchen Majorität nicht ſo
ohne Weiteres überlaſſen. Schon in der jurisdictionellen
Frage waren jene Städte mit derſelben in Mißverſtändniß
gerathen; jetzt bahnte ſich eine völlige Entzweiung an.


[97]Siege der Reformation.

Sie zum Ausbruch zu bringen trat jetzt ein weiterer
politiſcher Moment hinzu. War der Lehre ihre Verbin-
dung mit der Politik in der Schweiz bisher hinderlich ge-
weſen, ſo kam ſie ihr endlich auch zu Gute.


Jenen Oligarchien ſtand überall in den Städten ein
mächtiges demokratiſches Element in den großen Räthen und
Bürgerſchaften entgegen. Wie ſich die Erſten an die geiſt-
liche Macht anſchloſſen, ſo neigten ſich die Andern zur Re-
form. Die allgemeine Stimmung des Volkes, der Beiſtand der
Prediger waren auf ihrer Seite. Da wurde es nun entſchei-
dend, daß ſich nach langem Schwanken dieſe Tendenz,
hauptſächlich durch die Irrungen über das Badener Ge-
ſpräch begünſtigt, in dem mächtigen Bern durchſetzte. Bei
den neuen Wahlen des Jahres 1527 drang eine nicht ge-
ringe Anzahl von Anhängern der Reform, Gegner der Oli-
garchen, in den großen Rath ein. Die erſte Folge hievon
war, daß der große Rath alle ſeine alten Rechte zurückfor-
derte. Zwanzig Jahre lang hatte er es ſich gefallen laſſen,
daß der kleine Rath von Vennern und Sechzehnern geſetzt
wurde, jetzt nahm er das Recht, das ihm zuſtand, denſel-
den zu wählen, wieder an ſich. 1 Nachdem er dergeſtalt
die Summe der bürgerlichen Gewalt, der Verfaſſung ge-
mäß, in ſich vereinigt, griff er zu den religiöſen Angele-
genheiten. Die Mandate, den alten Glauben feſtzuhalten,
wurden zurückgenommen; eine Disputation veranſtaltet, bei
Ranke d. Geſch. III. 7
[98]Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
der auch Zwingli erſchien, und die nun ganz zu Gunſten
ſeiner Meinung ausfiel; alle Einrichtungen die er in Zürich
geſtattete, eignete man in Bern ſich an. Im Jahre 1528
ward noch vollends aus den beiden Räthen entfernt, was an
dem alten Glauben feſthielt. Die Gemeinde ward in der Kirche
verſammelt; Kopf bei Kopf, Herren, Meiſter und Knechte ge-
lobten Alle den beiden Räthen Gehorſam. 1 Dann griff
man, nach dem zwiefachen Charakter dieſer Reform über-
haupt, die Jahrgelder an, welche in Bern auch unter den
Evangeliſchgeſinnten mächtige Anhänger zählten. Nicht ohne
lebhaften Kampf, und erſt nachdem man aufs neue die Mei-
nung des Volkes in Stadt und Land befragt, wurden die
Jahrgelder aberkannt (24. Aug.) und dem König von Frank-
reich aufgekündigt. 2


Einen Augenblick länger hielt ſich die bisherige Regie-
rung in Baſel; ſie ſchmeichelte ſich noch ein Gleichgewicht
zwiſchen beiden Bekenntniſſen zu behaupten. Allein allmäh-
lig ward die evangeliſche Gemeinde ihre Ueberlegenheit inne:
bei einer Volksverſammlung im Januar 1529 zeigten ſich
nur 800 Katholiſche, dagegen bei 3000 Evangeliſche. Hier-
auf, im folgenden Februar, brach eine aufrühreriſche Bewe-
gung aus. Zuerſt ward die Verfaſſung geändert. Die Zünfte
nahmen ihre frühere Selbſtändigkeit wieder an ſich und beka-
men das Recht, künftig immer 60 der Jhren dem großen Ra-
the beizuordnen; Niemand ſollte in dem kleinen Rathe ſeyn,
[99]Siege der Reformation.
der nicht durch den großen dazu vorgeſchlagen würde; alle
Katholiſch-geſinnten verließen den kleinen Rath. 1 Auf der
Stelle hörte man in den Kirchen deutſche Pſalmen ſingen
und ſchon am 1. April ward eine Anordnung des Gottes-
dienſtes nach dem Muſter von Zürich publicirt, die ganz
den religiöſen Ernſt und die ſittliche Zucht athmet, welche
eins der vornehmſten inneren Motive dieſes Unternehmens
war, und in der man zugleich auf die Abſtellung der muth-
willigen Kriege Bedacht nahm.


Zwiſchen den drei Städten ward nun ein Burgrecht
abgeſchloſſen, eigentlich ein Bündniß zur Vertheidigung der
vorgenommenen Neuerung, in welches man auch alle an-
deren Eidgenoſſen aufzunehmen gedenke, „wenn ſie,“ wie es
hier heißt, „des göttlichen Wortes ſo viel berichtet ſeyen.“


Dazu war in der That viele Ausſicht vorhanden. In
Glarus, Appenzell, Graubündten regten ſich die Anhänger
der Neuerung gewaltig; in Schafhauſen ſchwankte der Rath
unaufhörlich zwiſchen den entgegengeſetzten Richtungen; 2
in St. Gallen war der Sieg ſchon entſchieden. Noch im
Jahre 1528 wurden hier in der Stadt, nach einer Aende-
rung des Rathes, die katholiſchen Cerimonien abgeſtellt, Ar-
tikel einer durchgreifendern Reform verkündigt. 3 Daſſelbe
7*
[100]Fuͤnftes Buch Drittes Capitel.
geſchah in Mühlhauſen, wo einer jener Staatsmänner, welche
an den eidgenöſſiſchen Angelegenheiten ſowohl in dem In-
nern als in den Verhältniſſen zu Kaiſer und Papſt thätigen
Antheil genommen, der Stadtſchreiber Gamshorſt der Be-
wegung mit ſeiner wohlgegründeten Autorität zu Hülfe kam.
In den Jahren 1528 und 1529 wurden St. Gallen, Bern
und Mühlhauſen, das letztere nicht ohne eine gewiſſe Schwie-
rigkeit, und nur auf beſondere Verwendung von Bern in
das chriſtliche Bürgerrecht aufgenommen. 1


In denſelben Zeiten, in welchen ſich in dem öſtlichen
Deutſchland an ſo vielen Stellen evangeliſche Organiſatio-
nen in Luthers Sinne erhoben, traten dieſe nahe verwandten
Bildungen in der Schweiz im Geiſte Zwingli’s ins Leben.


Und ſchon griffen die Ideen der Zürcher Reform in
ganz Oberdeutſchland mächtig um ſich. War doch die Eid-
genoſſenſchaft ſelbſt noch immer ein Glied des Reiches.
Die Reformatoren von Straßburg, Buzer und Capito hat-
ten an dem Geſpräch zu Bern Antheil genommen, und wa-
ren lange Zeit eifrige Anhänger der zwingliſchen Auffaſ-
ſung des Abendmahls. Gar bald ſchloſſen ſich Lindau und
Memmingen an Strasburg an. In demſelben Sinne predig-
ten Somius in Ulm, Cellarius in Augsburg, Blaurer in
Coſtnitz, Hermann in Reutlingen, und wie viele andere in
den meiſten Städten jener Gegenden! Hie und da regte ſich
der Gedanke, ſich an die evangeliſchen Orte der Eidgenoſ-
ſenſchaft auf das engſte und für immer anzuſchließen.


Gewiß es war ein Unglück, daß die beiden Bildungen in
dem öſtlichen und in dem weſtlichen Deutſchland einander wie-
[101]Siege der Reformation.
der entgegengeſetzt waren. Die Streitſchriften der beiden Theile
erfüllten alle Gemüther mit gegenſeitigem Widerwillen.


Jedoch iſt das nicht die einzige Betrachtung, die wir
an das Ereigniß knüpfen. Die Differenz beruhte nicht al-
lein auf der verſchiedenen Auffaſſung eines Dogma, ſondern
ſie war in dem Urſprung der beiderſeitigen Bewegung, in
dem politiſchen und kirchlichen Zuſtand, von dem man ſich
hier und dort losriß, gegeben. Ob man nicht in dem
Dogma eine befriedigende Verſtändigung finden würde, ſtand
noch dahin. Daß aber die Reform in der Schweiz aus
urſprünglichen Trieben hervorgegangen war, ihre eigenthüm-
lichen Wurzeln ſchlug, und dem gemäß ſich in eignen Bil-
dungen verſuchte, war ohne Zweifel ein Glück; es gab dem
Prinzip derſelben eine neue Nachhaltigkeit und innere Kraft.


[[102]]

Viertes Capitel.
Politik des Jahres 1529.


Das war nun die Lage der damaligen Welt.


Das große Weltverhältniß, von welchem im Laufe der
mittleren Jahrhunderte alles abgehangen, zwiſchen Orient
und Occident war noch einmal zweifelhaft geworden. Der
mächtige Fürſt, in welchem ſich die kriegeriſchen Kräfte des
Orients concentrirten, ſtand wieder im Begriff, einen An-
fall auf die Chriſtenheit zu verſuchen, von dem er ſich ei-
nen ſo großen Erfolg verſprechen durfte, wie ihn ſeine letzte
Unternehmung nur immer gehabt; es ließ ſich ſchon gar nicht
erwarten, daß ihn die nur ſehr ſchwachen Vorkehrungen, die
ſeitdem von der deutſchen Seite her in Ungarn getroffen wa-
ren, aufhalten würden. Ein unmittelbares Zuſammentreffen
der germaniſchen Kräfte zu Lande und der romaniſchen zur
See mit den osmaniſchen ſtand nunmehr bevor.


In der Chriſtenheit ſelber aber war alles in Entzweiung.


Noch war der Friede zwiſchen den beiden oberſten Häup-
tern nicht hergeſtellt. Der Kaiſer hatte wohl einmal den
Gedanken gehegt, den Papſt aller weltlichen Herrſchaft zu
berauben; in den Gegnern des Kaiſers war dagegen der
[103]Lage der Welt.
Plan aufgeſtiegen, mit Hülfe des Papſtes ihn den Kaiſer ſel-
ber abzuſetzen. Noch waren dieſe Pläne nicht ganz beſeitigt.


Eben ſo wenig war das militäriſche Uebergewicht der
einen oder der andern von den beiden großen Mächten, die
ſchon ſo lange gegen einander unter den Waffen ſtanden,
entſchieden. Von Jahr zu Jahr immer glücklicher hatte ſich
das Haus Oeſtreich erhoben, noch wollte ſich aber Frank-
reich mit nichten in den Verluſt des vorwaltenden Anſehens
finden, das es bisher beſeſſen, oder ſeinen Beſitz in Ita-
lien aufgeben.


Zu dieſen Kämpfen der Staatsintereſſen kam nun aber,
wenn auch für den Augenblick nicht ſo geräuſchvoll, aber
in ſich ſelber doch noch bedeutender die religiöſe Bewegung.
Die Autorität der römiſchen Kirche, welche ſo viele Jahr-
hunderte daher das Abendland beherrſchte, fand jetzt einen
Widerſtand wie noch niemals. Schon öfter hatten ſich ihr
Feinde erhoben, aber niemals hatten dieſelben eine zugleich ſo
energiſche und ſo gut begründete Religioſität entwickelt; nie-
mals waren ihre Beſtrebungen mit dem allgemeinen Leben
des Geiſtes, dem Gange der europäiſchen Cultur ſo ver-
bündet geweſen; auch hatten ſie noch nie ſo raſch und le-
bendig in allen Nationen um ſich gegriffen.


Da war nun aber auch überdieß noch geſchehen, daß
dieſe Reformationsideen in zwei verſchiedenen einander zu-
widerlaufenden Richtungen emporkamen. Die eine ſchloß
ſich ſo viel wie möglich an die entwickelte Lehre, den be-
ſtehenden Staat an, die andere war von Anfang mit dem
Gedanken einer Umbildung der Staatsverhältniſſe verſchmol-
zen und ſetzte ſich zum Ziel, die urſprünglichen Zuſtände
[104]Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.
der Chriſtenheit wiederherzuſtellen. In der abweichenden Auf-
faſſung des vornehmſten Dogmas traten ſie einander entgegen.


Es waren nicht Irrungen über eine und die andere
Modification, ein oder das andere Beſitzthum, ſondern Strei-
tigkeiten über die wichtigſten Angelegenheiten, über die Summe
der Dinge — die Verhältniſſe des Orients und Occidents,
des Kaiſerthums und des Papſtthums, der beiden vorwal-
tenden Mächte unter einander, die Fortdauer der hierarchi-
ſchen Gewalten oder das Emporkommen neuer kirchlicher
Formen; und auch in dieſer letzten Hinſicht über die Beibe-
haltung des Irgend-haltbaren oder eine totale Veränderung.


Wie nun aber am Tage liegt, daß alle dieſe Gegen-
ſätze, ſo weltumfaſſend ſie auch ſind, doch hauptſächlich die
deutſche Nation berührten, in ihr zuſammentrafen — denn
wir zunächſt hatten den Kampf mit den Osmanen auf dem
Continent auszufechten, das Uebergewicht in Italien zu be-
haupten, den religiöſen Streit zur Entſcheidung oder zum
Austrag zu bringen, — ſo kam nun für den Fortgang der
Dinge alles darauf an, welche Haltung unſer Kaiſer in dem
Getümmel ſo mannichfaltiger Bewegungen annehmen würde.


Bisher war ſeine Politik, nach den Nothwendigkeiten
der verſchiedenen Momente, auf eine nicht immer zuſam-
menſtimmende Weiſe geleitet worden; jetzt aber, da die Ent-
ſcheidung um ſo viel näher gekommen, mußte ein Syſtem
ergriffen und durchgeſetzt werden.


Wie oben bemerkt, der Wunſch der Deutſchen wäre
geweſen, daß der Kaiſer ſich mit dem Widerſtande wider die
Hierarchie verbündet, und von den friſchen Kräften der Na-
tion unterſtützt, die Rechte des Kaiſerthums nach allen Sei-
[105]Stellung des Kaiſers.
ten hin wahrgenommen, den Barbarenſtaat die Donau
hinunter zurückgewieſen hätte. Und mußte nicht der Kai-
ſer in der That hiezu eine gewiſſe Hinneigung empfinden?
Hatte nicht von Anfang an auch er von einer Reformation
der Kirche geredet, und dieß Wort noch zuletzt öfter wie-
derholt? War nicht in denjenigen deutſchen Fürſten, die
auf die Seite der Hierarchie getreten, die gefährlichſte Ei-
ferſucht gegen ſein Haus zu bemerken? Mußte es ihm nicht
einleuchten, welch ein gewaltiges Mittel der Macht für ihn
darin gelegen hätte, ſich mit den populären Tendenzen zu
verbünden, von deren unaufhaltſamen Um-ſich-greifen alle
Briefe redeten, die ihm aus Deutſchland kamen, und die ſich
nichts Beſſeres wünſchten als unter ſeinen Fahnen zu dienen?


Selten jedoch iſt ein Menſch fähig, in dem Kampfe
entgegengeſetzter Weltkräfte ſich mit voller Freiheit für die
eine oder die andre Seite zu entſcheiden; ich glaube nicht,
daß ſich Carl V die Frage, welche Partei er zu ergreifen
habe, nur jemals vorgelegt hat. Der deutſchen Nation war
es nicht beſtimmt, ſich unter der Führung eines gemein-
ſchaftlichen Oberhauptes weiter zu entwickeln. Durch ſeine
perſönliche Lage, und den bisherigen Gang der Politik ſah
ſich Carl V vielmehr zu einem ihren Wünſchen entgegen-
geſetzten Syſteme hingedrängt.


Die Erfahrung hatte ſo eben gezeigt, in welche gar nicht
abzuſehende Verwickelungen es ihn geführt haben würde, den
Papſt ferner zu bekämpfen. Im Angeſicht einer unüber-
windlichen Nothwendigkeit hatte er ſich zu einem nachgie-
bigern Verhalten gegen denſelben, zu einer Verbindung mit
ihm entſchloſſen.


[106]Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.

Es iſt merkwürdig, wie alle auswärtigen Verhältniſſe
zuſammenwirkten, um ihn dabei feſtzuhalten.


Wir berührten ſchon, daß er der Ehre ſeines Hauſes
wegen den Zweifel gar nicht aufkommen laſſen durfte, ob
der Papſt befugt geweſen ſey, Heinrich VIII jenen Ehedis-
pens zu geben, den dieſer jetzt ſelbſt für unſtatthaft erklärte.


In den nordiſchen Reichen offenbarten die Gegner,
welche ſeinen Schwager Chriſtiern von da vertrieben hatten,
eine ſtarke Hinneigung zu den Reformideen der Deutſchen,
die ſogar in Schweden ſchon beinahe zur Herrſchaft gelangt
waren. Wollte der Kaiſer ſeinen Schwager und den Einfluß
des Hauſes Oeſtreich im Norden wiederherſtellen, ſo war
das nur durch eine Verbindung mit den dem Katholicis-
mus zugethan verbliebenen Elementen möglich.


Ferner aber: die Verbindung, in welche die reformir-
ten Städte der Schweiz mit ihren Glaubensgenoſſen in dem
benachbarten Oberdeutſchland traten, veranlaßte die katho-
liſchen Cantone, ſich einen Rückhalt an dem Hauſe Oeſtreich
zu ſuchen; ſie vergaßen die gleichſam ererbte Feindſeligkeit
gegen daſſelbe und ſchloſſen in den erſten Monaten des Jah-
res 1529 mit König Ferdinand einen förmlichen Bund ab.


Auch in dem Streite mit dem Woiwoden und deſſen
Anhängern in Ungarn konnte es dieſem Hauſe nicht anders
als ſehr vortheilhaft ſeyn, wenn die Kirche ſeine Rechte
anerkannte.


Und warf der Kaiſer die Augen auf das deutſche
Reich ſelbſt, ſo konnte er nicht verkennen, daß ſeine Au-
torität das Meiſte von einer Verbindung mit den geiſt-
[107]Stellung des Kaiſers.
lichen Fürſten zu erwarten hatte. Wir erinnern uns, wie
angelegen es ſich ſchon Maximilian ſeyn ließ, die biſchöf-
lichen Stühle mit ergebenen Leuten zu beſetzen, den geiſtli-
chen Stand zu gewinnen. Um wie viel beſſer aber mußte
dieß jetzt gelingen, ſobald die Biſchöfe, von den Ideen des
Jahrhunderts in ihren geiſtlichen Gerechtſamen bedroht, an
der kaiſerlichen Macht einen ſichern Rückhalt fanden. Bei
der Bedeutung, welche dieſer hierarchiſche Beſtandtheil in der
deutſchen Reichsverfaſſung noch behauptete, war es in der
That kein geringer Gewinn denſelben für ſich zu haben. Ich
könnte nicht urkundlich nachweiſen, daß Carl V dieſe Be-
trachtung gemacht habe, allein ſie liegt zu nahe, als daß
ſie ihm entgangen ſeyn ſollte. Wer weiß nicht, daß in ei-
ner ſpätern Epoche mit der Auflöſung der geiſtlichen Für-
ſtenthümer auch das Kaiſerthum zu Grunde gegangen iſt,
Etwas Aehnliches hätte ſich ſchon damals erwarten laſſen.
Das Kaiſerthum hatte nicht Wurzel genug, um ſich unter lau-
ter weltlichen Gewalten, ſelbſt wenn ſie nicht alle erblich ge-
weſen wären, zu behaupten, wenigſtens hätte dazu die größte
Anſtrengung gehört; — unendlich viel leichter war es, die her-
kömmlichen Verhältniſſe zu benutzen. Nicht mit Unrecht
ſagte Zwingli einmal, Kaiſerthum und Papſtthum ſeyen ſo
enge in einander verflochten, daß man letzteres nicht be-
kämpfen könne, ohne auch das erſte anzugreifen.


So geſchah es, daß die Politik des Kaiſers eine durchaus
andere ward, als die deutſche Nation gewünſcht hatte. Er
dachte auf Ausſöhnung mit dem Papſt — Erhebung des Kai-
ſerthums, aber lediglich auf den bisherigen hierarchiſchen
Grundlagen — Widerſtand gegen die Osmanen, aber ganz in
[108]Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.
dem gewohnten Sinne der lateiniſchen Chriſtenheit; zu den
deutſchen Reformationsideen hatte er keine Sympathie; ſie
waren ihm vielmehr widerwärtig und wir werden ſehen,
wie er ſich entſchloß ſie zu beſeitigen.


Dazu wirkte in ihm vor allem, daß er ja nicht allein
deutſcher Kaiſer war, ſondern König von Spanien. Er
hatte die entſcheidenden Jahre männlicher Jugend, in denen
der Menſch ſeine Lebensrichtung definitiv einſchlägt, in Spa-
nien zugebracht und weſentliche Elemente der nationalen Ge-
ſinnung in ſich aufgenommen.


Wäre der Katholicismus allenthalben in ſeiner tiefern
Bedeutung erſtorben geweſen, ſo hätte er dem Sturme die-
ſes Jahrhunderts erliegen müſſen.


Wie aber in einigen andern Theilen des romaniſchen
Europa, ſo hatte er vor allem in Spanien lebendige Wurzel.


In Spanien war der Staat des Mittelalters, in wel-
chem ſich Königthum und Prieſterthum durchdrangen, noch
in vollen kräftigen Trieben.


Jener Kampf mit dem Islam, der ſo weſentlich zur
Entwickelung dieſer Staats- und Kirchenform beigetragen,
dauerte hier noch immer fort; man war noch fortwährend
beſchäftigt, das Land zu chriſtianiſiren: man nahm ſich keine
Gewaltſamkeit dabei übel. Im Jahre 1524 ließ ſich Carl
von dem Eide entbinden, der ihn verpflichtete, die Mau-
risken der Krone Aragon zu ſchonen. 1 Noch beſonders
feuerte ihn der Sieg von Pavia an; er braucht in dieſer
Beziehung einmal den Ausdruck, weil Gott ihm ſeine Feinde
in die Hand gegeben, müſſe er die Feinde Gottes bekeh-
[109]Spaniſcher Katholicismus.
ren; 1 zunächſt ſchritt er in Valencia zum Werke. Hier
lebten noch 26000 mauriſche Familien, — während man
nur 22000 chriſtliche zählte; — es kam zu einer Art von
Krieg; nur dadurch konnten die Mauren auf der Sierra
Espadan endlich beſiegt werden, daß man die Deutſchen an-
rücken ließ, die dem Kaiſer nach Spanien gefolgt waren.
Hierauf wurden die Moſcheen zu Kirchen gemacht; der Zehn-
ten ward zu Gunſten der doppelſeitigen Hierarchie eingeführt.
Von ſo viel Tauſenden, meint Sandoval, waren nicht Sechs,
die ſich mit gutem Willen taufen ließen; aber wehe dem,
der ſich nicht bei dem Anblick des Hochwürdigſten auf der
Stelle niedergeworfen hätte! Die ſtrengſte Inquiſition wachte
über ihr äußeres Bezeigen.


Wohl mochte das auch ſonſt nothwendig ſeyn. Noch
1528 entdeckte man unter den Mauren von Valencia einen
Menſchen, der als der geheime König der Mauren betrach-
tet wurde. 2 Seine Abſicht ſoll geweſen ſeyn, ſich bei der
erſten Entfernung des Kaiſers zu empören. Er ward mit
ſeinem ganzen Stamme umgebracht.


Und in demſelben Sinne ward nun auch Amerika co-
loniſirt. Hatte man nicht den Entdecker ſelbſt, wenn er
nach Sevilla zurückgekommen, im Franciscanerhabit an den
[110]Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.
Proceſſionen Theil nehmen ſehn? Columbus hielt ſich für
beſtimmt in den Ländern des Großchan, die er gefunden
zu haben glaubte, den chriſtlichen Glauben auszubreiten.
Wie oft ſpricht er die Abſicht aus, der Krone die Mittel
zu verſchaffen, um das heilige Grab zu erobern. 1 So iſt
denn auch in allen ſeinen Fortſetzern mit der Begier, reich,
mächtig und berühmt zu werden, ein ſehr beſonderer Eifer,
das römiſche Chriſtenthum auszubreiten, vereinigt. 2 Für
die Krone war das eine Art von Nothwendigkeit: ihr ge-
ſammtes Recht leitete ſie von dem römiſchen Stuhle her; das
war die offizielle Doctrin, die ſie den Indianern verkündigen
ließ. Sie übertrug das ganze lateiniſche Kirchenweſen, nur wo
möglich noch prächtiger und reicher, auf die neue Welt.


Man dürfte das nicht ſo verſtehn, als ob Jedermann
von dieſen Tendenzen durchdrungen geweſen wäre. Unter
andern iſt es von Cortez merkwürdig, daß er die voll-
ſtändige Uebertragung der Hierarchie nicht billigte; er wollte
keine Biſchöfe, ſondern nur eine thätige niedere Geiſtlich-
keit, eifrige Mönche; wobei er wohl ſelbſt an die Mittel
dachte, die biſchöfliche Ordination entbehrlich zu machen. 3
Aber ſo mächtig war die Vorliebe für die Geſammtheit des
Herkömmlichen, daß ſelbſt er, der Eroberer und Geſetzgeber,
nichts dagegen ausrichtete.


Wohl war Spanien nicht ſo abgeſchloſſen von dem
übrigen Europa, daß ſich die Beſtrebungen der neuernden
Literatur gar nicht daſelbſt geregt hätten. Antonio von Le-
[111]Spaniſcher Katholicismus.
brixa verdient es z. B., neben Erasmus und Reuchlin ge-
nannt zu werden. Auch er widmete ſeinen Fleiß den hei-
ligen Urkunden, und gab ein Werk unter dem Titel heraus:
Dreimal funfzig beſſer erklärte Stellen der heiligen Schrift. 1
Allein jene Inquiſition der Dominikaner, die in Deutſch-
land nicht durchdringen konnte, herrſchte in Spanien un-
bedingt. Der Großinquiſitor, Biſchof von Palencia, Diego
Deza, nahm dem gelehrten Autor den größten Theil ſeines
Buches weg, und verhehlte nicht, daß er denſelben damit
von allem weiterem Schreiben über dieſen Gegenſtand ab-
zuhalten gedenke. Dieſer Biſchof, behauptet man, hätte lie-
ber die Urſprache der heiligen Schrift ſelber ausgerottet.
Deza’s Nachfolger, Ximenes, war wie man weiß mit nich-
ten ſo beſchränkt; er hatte Sinn für das Originale, deſſen
durch keine Uebertragung zu erſetzende innere Kraft, und
ging ſelbſt an die Herausgabe des Grundtextes in ſeiner
Polyglotte. Allein der Vulgata, der angenommenen Ueber-
ſetzung der lateiniſchen Kirche, maß doch auch er einen höchſt
übertriebenen Werth bei. Er vergleicht den griechiſchen und
den hebräiſchen Text, in deren Mitte er den lateiniſchen ab-
drucken ließ, mit den beiden Schächern zur Rechten und
Linken des Heilands; 3 es iſt nicht in Abrede zu ſtellen,
2
[112]Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.
daß er die Worte der Septuaginta, ja ſogar den griechi-
ſchen Text des neuen Teſtamentes nach der Vulgata abge-
ändert hat; eine dogmatiſche Hauptbeweisſtelle, die ſich in
keiner Handſchrift finden will, hat er wohl geradezu nur
der Vulgata zu Ehren aufgenommen. 1 Denn an dem re-
cipirten Syſteme der lateiniſchen Kirche hätte man hier auch
nicht die mindeſte Aenderung verſtattet. Es iſt ſehr merk-
würdig, daß die Scholaſtik eben in unſerer Epoche, als ſie
in dem übrigen Europa verfiel, in Spanien erſt emporkam.
Neben einander, zu Salamanca, trugen Alfonſo von Cor-
dova die nominaliſtiſchen, Francisco von Vittoria die rea-
liſtiſchen Doctrinen, als etwas Neues, hier zu Lande erſt
durchzuſetzendes vor; ſie wollten die hohe Schule von Pa-
ris den Spaniern entbehrlich machen. Namentlich hatte
Franz Vittoria den größten Erfolg; den philoſophiſch-prak-
tiſchen, moraliſchen Disciplinen gab er eine neue Ausbildung;
Bellarmin nennt ihn den glücklichen Vater trefflicher Mei-
ſter; die vornehmſten ſpaniſchen Theologen ſind aus ſeiner
Schule hervorgegangen. Es iſt ungefähr, wie ein großer
Theil des allgemeinen Romanzenbuches ſeinen Urſprung erſt
dem ſechszehnten Jahrhundert verdankt In Staat und Li-
2
2
[113]Spaniſcher Katholicismus.
teratur dauerte die Herrſchaft der excluſiven Doctrinen der
lateiniſchen Kirche ununterbrochen fort.


Und nothwendig brachte nun dieſer Zuſtand der herr-
ſchenden Ueberzeugungen auch eine um ſo feindlichere Hal-
tung gegen die Abweichungen der übrigen Welt hervor.
Nicht allein, daß man hier die Verordnungen gegen Luther
in aller Strenge ausführte; ſondern auch Erasmus, der
Gunſt zum Trotz, welche ihm der Hof erwies, fand bei
der mönchiſchen Gelehrſamkeit keine Gnade. Ein in beiden
Sprachen ſehr wohl bewanderter Mann, Diego Lopez Zu-
niga machte es gleichſam zum Zweck ſeines Lebens, die
Neuerungen dieſes Autors zu bekämpfen. 1 In der Faſten
1527 klagten ein paar Dominicaner den Erasmus, oder
vielmehr, denn er ſelber war glücklicherweiſe außer dem Be-
reiche ihrer Angriffe, ſeine Schriften förmlich bei der In-
quiſition der Irrlehre an. Es ward ein Gericht niederge-
ſetzt, und obgleich ſich dieſes nicht ſofort zu einem einmü-
thigen Urtheil vereinigen konnte, ſo hielt ſich doch die In-
quiſition für berechtigt, von jenen Schriften wenigſtens ei-
nige, die Colloquien, das Lob der Narrheit und die Pa-
raphraſe des N. Teſtaments zu verbieten. 2


Es giebt überall eine geiſtige Atmoſphäre, deren Ein-
fluſſe man ſich nicht entziehen kann.


Woher hätte namentlich dem jungen Kaiſer die ener-
giſche Selbſtändigkeit des Geiſtes dazu kommen ſollen?


Ranke d. Geſch. III. 8
[114]Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.

In dem Brüſſeler Archiv findet ſich eine ſpaniſche Dia-
tribe gegen Luther und Oekolampadius, die man dem Kaiſer
eingab, um ihn gegen alle Einwirkung der neuen Meinungen
zu befeſtigen. 1 Darin wird vor allem das gute Recht der
Kirche, bei Strafe einer Todſünde zu verpflichten, erhärtet;
denn ohne dieß würde ein Jeder bloß ſeinem Belieben fol-
gen wollen. Hierauf werden die angegriffenen Glaubens-
artikel in aller ihrer Strenge verfochten, z. B. daß Ehe,
Firmelung, Weihe, letzte Oelung Sacramente ſeyen, von
Chriſtus eingeſetzt. Zum Schluß wird gezeigt, die gerechte
Strafe der Ketzer ſey verbrannt zu werden.


Dieſe Geſinnung mußte ſich natürlich mit mehr oder
minder Schärfe des Kaiſers bemächtigen.


Gleich bei der erſten Inſtruction ſeiner Geſandten an
den gefangenen Papſt iſt von der Nothwendigkeit die Rede,
die irrige Secte Luthers auszurotten. 2 In dem Vertrag vom
26. Nov. 1527 verſpricht demzufolge der Papſt ein Concilium
„damit die Kirche wiederum zu recht gebracht und die lu-
theriſche Ketzerei ausgerottet werde.“ Schon im Frühjahr
1528 erſchien der kaiſerliche Vicekanzler, Propſt von Wald-
kirchen, in Deutſchland, um die katholiſchen Tendenzen wie-
derzubeleben. Er erklärte unter anderm in Augsburg, daß
der Kaiſer eine Ungnade auf die Stadt geworfen, weil ſie
die Religion verändert habe. Indem er von Hof zu Hof
[115]Erſte Wirkung auf Deutſchland.
reiſte, glaubte man nicht anders, als er wolle nun erſt ein
Bündniß wider die Evangeliſchen zu Stande bringen. 1 Al-
lein auch mit dieſen Bezeigungen war der Papſt noch nicht
zufrieden. Wir haben ein Schreiben Sanga’s vom Octo-
ber 1528, worin er den Nuntius am kaiſerlichen Hofe an-
weiſt, den Kaiſer auf das dringendſte aufzufordern, ſich der
Religion mehr als bisher anzunehmen. Schon gehe man
weiter als Luther gegangen, läugne bereits Abendmahl und
Kindertaufe. Was werde die Nachwelt ſagen, wenn ſie
einmal leſe, daß Deutſchland gerade unter dem größten Kai-
ſer, den es ſeit vielen Jahrhunderten gehabt, ſich mit Ketze-
reien erfüllt habe! 2


An dem guten Willen des Kaiſers ließ ſich nicht zwei-
feln. Man brauchte nur die Executionen ins Auge zu faſſen,
die in den Niederlanden, wo er Herr war, verhängt wurden.
Erasmus der ihn kannte, war überzeugt, er werde nicht glau-
ben Kaiſer zu ſeyn, wenn er das Lutherthum nicht dämpfe. 3


Je mehr ſich nun aber dieſe Idee in dem Kaiſer feſt-
ſetzte, — wohlverſtanden jedoch, nicht ohne daß er zugleich
ein Concilium, eine Reinigung der Kirche von ſo viel ein-
geriſſenen Mißbräuchen gefordert hätte, — um ſo dringen-
der ward es für den Frieden zu ſorgen.


Wir ſahen, wie kriegeriſch die Ausſichten noch im An-
fange des Jahres 1529 waren.


8*
[116]Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.

Allein das fortdauernde Glück des Kaiſers machte die
neuen wie die alten Unternehmungen ſeiner Feinde zu Schan-
den und brach ihren Muth.


Noch immer hatten Venezianer und Franzoſen den Ge-
danken, Mailand zu erobern: von beiden Seiten rückten ſie
im Frühjahr 1529 noch einmal gegen die Hauptſtadt heran:
ſie rechneten auf die Erſchöpfung und den Unmuth der Bür-
ger, und die geringe Anzahl der Truppen: ſie waren zu
baldigem Angriff entſchloſſen.


Allein ſo eben zeigte ſich, was es auch für Mailand be-
deute, Genua verloren zu haben. Der Kaiſer gewann dadurch
den Vortheil, nicht ſo ausſchließend auf deutſche Hülfstrup-
pen angewieſen zu ſeyn, wie früher. Er konnte jetzt ein
paar tauſend Mann aus Spanien nach Genua ſchicken,
die doch hernach, — denn dazu beherrſchten die Feinde
das Feld nicht entſchieden genug, — nicht abgehalten wer-
den konnten, nach Mailand vorzudringen. Es waren Leute
von dem ſchlechteſten Ausſehn, ohne Schuhe und auch übri-
gens halbnackt, ſchwarz und verhungert. Für den Kaiſer
aber zeigten ſie ſich unſchätzbar. Seinem Befehlshaber, An-
tonio Leiva, kamen ſie, wie ſie waren, höchſt erwünſcht.
Leiva hatte ſich bisher hauptſächlich mit Deutſchen vertheidigt;
er zählte ihrer im September 1528 bei 5000, Spanier nur
noch 800; 1 man kann denken, wie willkommen ihm eine
Verſtärkung von Landsleuten war, die ſich um ſo tapferer
ſchlagen mußten, je mehr ſie noch ihr Glück zu machen hatten.


Zuerſt ſahen nun die Verbündeten ein, daß ſie unter
dieſen Umſtänden nicht ſtark genug wären, Mailand ernſt-
[117]Italieniſcher Krieg 1529.
lich anzugreifen. Sie entſchloſſen ſich es von ferne einzu-
ſchließen, und ihm vor allem die Zufuhr abzuſchneiden.
St. Pol hegte zugleich die Hoffnung, indem er ſich von
Mailand entfernte, etwas gegen Genua auszurichten.


Eben dieſen Augenblick aber hielt Leiva für gün-
ſtig, um einen Schlag auszuführen, wie er ihm öfter ge-
lungen. Bei Nacht, ohne Trompeten und Trommeln ſetz-
ten ſich ſeine Leute, weiße Hemden über dem Harniſch, in
Bewegung; er ſelbſt, ſo ſehr ihn das Podagra plagte, wollte
nicht fehlen; in voller Rüſtung, an der man einen wallen-
den Helmbuſch nicht vermißte, ließ er ſich auf einer Sänfte
daher tragen; es gelang ihm glücklich, die Franzoſen bei
Landriano zu überraſchen, als ſie noch im Aufbruch begrif-
fen waren, in einem Augenblick, wo St. Pol eben ein Haus
abzubrechen befahl, um mit den Balken des Daches ein Stück
Geſchütz hervorzuarbeiten, das im Schlamm ſtecken geblieben
war. 1 Leiva erfocht einen vollkommenen Sieg; St. Pol
und die vornehmſten Befehlshaber führte er gefangen mit
ſich nach Mailand zurück.


In der Lombardei ward der Kaiſer hierdurch ſo gut
Herr wie in Neapel. Wollte man ihn noch einmal bekäm-
pfen, ſo hätten dazu neue gewaltige Anſtrengungen gehört,
zu denen ſich Niemand mehr fähig oder geneigt fühlte.


Denn ſchon waren auf allen Seiten Friedensunter-
handlungen angeknüpft. Eben in den Tagen der Entſchei-
dung in Mailand kam man mit dem Papſt zum Abſchluß.


[118]Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.

Dem Papſt waren, wie wir wiſſen, die vortheilhaf-
teſten Vorſchläge gemacht worden, wie über die deutſchen,
ſo über die italieniſchen Verhältniſſe: er ſolle darüber zu ver-
fügen haben; der Kaiſer werde in jeder Beziehung ſeinem
Rathe folgen, ihm beſonders die kirchlichen Güter zurück-
geben, unter ſeiner Vermittelung den allgemeinen Frieden
ſchließen, und was dem mehr iſt: allein man dürfte nicht
glauben, daß dieß allein auf denſelben gewirkt habe. Was
ihn beſtimmte war zugleich die Furcht. Noch im April 1529
beſchwerte er ſich gegen den Cardinal Triulzio über den Ei-
fer, mit welchem er von den kaiſerlichen Agenten zum Ver-
trag gedrängt werde; er verſicherte, er würde nimmermehr
darauf eingehn, wenn er nur Kräfte hätte, ihnen zu wi-
derſtehen; aber er ſey von den Anhängern des Kaiſers auf
allen Seiten umgeben, jeden Augenblick könne er einen neuen
Anfall erfahren; er ſey im Grunde noch immer ihr Ge-
fangener: er ſehe da keinen Unterſchied, außer etwa, daß er
früher nicht habe davon gehen können, und dieß jetzt al-
lenfalls auszuführen im Stande wäre; in der That müſſe
er entweder fliehen, und den Kirchenſtaat dem Feinde über-
laſſen, oder ſich mit demſelben auf die am wenigſten nach-
theilige Art verſtändigen. Er drückte ſich ſo lebhaft aus,
daß er den Cardinal vollkommen überzeugte. „Ich weiß
nicht, ſagt Triulzio, was S. Heiligkeit thun wird. Aber
wenn er ja zum Abſchluß ſchreitet, ſo ſehe ich wohl, daß
er es nur thun wird in Folge der Gewalt und bei den
Haaren dazu gezogen.“ 1


[119]Unterhandlungen mit dem Papſt.

Ich möchte zwar nicht behaupten, daß dieß das Ge-
fühl geweſen ſey, was den Papſt während jener Unterhand-
lungen durchaus beherrſcht habe, — er wußte wohl, daß
der Cardinal Triulzio, gegen den er ſo ſprach, ein Anhän-
ger von Frankreich war; — aber ſo ganz ohne Wahrhaftig-
keit war er doch auch nicht, daß er es erheuchelt hätte; in
der Regel unterdrückt mochte es ihn zuweilen übernehmen.


Dazu geſellten ſich aber auch Betrachtungen des eig-
nen perſönlichen Vortheils. Die Verbindung mit dem Kai-
ſer gewährte ihm die einzige Ausſicht, über ſeine Feinde
in ſeiner Vaterſtadt Florenz Herr zu werden.


Eine Zeitlang zwar hatte er die Hoffnung gehegt, zu
dieſem vornehmſten Begehren ſeines Herzens auf friedlichem
Wege durch eine innere Umwandlung der Republik zu ge-
langen: er ſtand wenn nicht unmittelbar doch durch einige
Freunde mit dem Gonfaloniere Capponi in einer gewiſſen
Verbindung. Durch Mäßigung der gegenſeitigen Anſprüche
ließ ſich noch ein friedliches Abkommen zwiſchen der medi-
ceiſchen und der republikaniſchen Partei erwarten.


Aber eben in dieſem Zeitpunkte erfolgte in Florenz eine
entgegengeſetzte Bewegung. Eine exaltirte republikaniſche
Partei, welche ſich unter ſo ganz veränderten Umſtänden
doch die Meinung nicht entreißen ließ, daß ſie ſich jetzt
ſo gut behaupten werde, wie früher, machte dem Gonfalo-
niere eben jene Verbindungen und Abſichten zum Verbre-
chen und bewirkte ſeine Abſetzung (April 1529), obwohl
man ihn zuletzt von aller eigentlichen Schuld freiſprechen
mußte. Seitdem kamen nur noch die entſchiedenſten Geg-
ner der Medici in die Aemter: von dem Papſt redete man
[120]Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.
nur noch mit Haß und Verachtung; an eine Ausſöhnung
mit demſelben war nicht weiter zu denken. Papſt Clemens
VII gerieth in Ingrimm, wenn er daran dachte. Hatte
man doch unter andern die Geſchichte von ſeiner unächten
Geburt wieder hervorgezogen; man ſagte, er habe gar nicht
das Recht gehabt, den päpſtlichen Stuhl zu beſteigen; man
nannte ihn dort nicht mehr Papſt. 1 In ſehr aufgeregter
Stimmung traf ihn einſt der engliſche Geſandte. Clemens
ſagte, er wolle lieber der Caplan, ja der Stallknecht des
Kaiſers ſeyn, als ſich von ſeinen ungehorſamen Untertha-
nen beſchimpfen laſſen. 2 Mit der Unmöglichkeit das Joch ab-
zuwerfen, das man ihm auflegte, verband ſich in ihm Rach-
ſucht und Ehrgeiz, die er auf eine andere Weiſe nicht be-
friedigen konnte.


Am 29. Juni kam der Friede zwiſchen dem Kaiſer und
dem Papſt zu Barcellona zu Stande. Der Papſt fand ſich
in die Herrſchaft des Kaiſers in Italien. Er erneuerte die
Belehnung mit Neapel und hob den dafür herkömmlichen
Zins auf; die Darbringung des Zelters war das einzige
was er ſich vorbehielt. Auch beſtand er nicht mehr gera-
dezu auf die Aufrechthaltung Sforza’s in Mailand. Er
gab zu, daß ein förmliches Gericht über Schuld oder Unſchuld
deſſelben entſcheiden ſolle. Schon genug, daß dann der
Kaiſer bei der neuen Beſetzung des Herzogthums nicht ohne
ſeine Zuſtimmung verfahren zu wollen erklärte. Den kaiſerli-
chen Truppen bewilligte er freien Durchzug von Neapel nach
Toskana oder der Lombardei. Dagegen verſprach der Kai-
[121]Friede von Barcellona.
ſer nun auch den römiſchen Stuhl in den Beſitz der ihm von
Ferrara und Venedig entriſſenen Landſchaften — jedoch mit
ausdrücklichem Vorbehalt der Rechte des Reichs, — und
die mediceiſche Familie in den Beſitz von Florenz wieder-
herzuſtellen. 1 In die engſte Verbindung trat der Kaiſer
mit dieſem Hauſe. Er ſagte ſeine natürliche Tochter dem
jungen Aleſſandro Medici zu, an den die Herrſchaft in Flo-
renz kommen ſollte. Denn ſo ſehr hatten ſich die Dinge
geändert, daß der Kaiſer jetzt ſelbſt den Papſt gegen die
unmittelbaren Wirkungen der Ligue in Schutz nehmen mußte.
Aufs neue vereinte er ſich mit einem Papſt vom Hauſe
Medici, wie im Jahre 1521. Allein welch ein Unterſchied
gegen damals! Leo X hatte hoffen dürfen, in Mailand und
Genua Herr zu werden, Ferrara zu erobern: Clemens VII
mußte ſich begnügen, daß ihm durch fremde Hülfe der
Kirchenſtaat wieder zurückgegeben, ſeine Vaterſtadt wieder-
erobert werden ſollte.


Dieſer Anordnung der italieniſchen Angelegenheiten gin-
gen nun noch andere Verabredungen zur Seite, obwohl ſie
nicht eben alle in den Vertrag aufgenommen worden ſind.


Johann Zapolya, der bis jetzt die Gnade des apoſto-
liſchen Stuhles genoſſen, ward nunmehr verlaſſen, und bald
darauf mit den ſtrengſten kirchlichen Cenſuren heimgeſucht 2
In der engliſchen Sache vereinigte der Geſandte Ferdinands
[122]Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.
ſeine Bitten mit denen des kaiſerlichen. Schon hatte dort
kraft der früheren Commiſſion der Proceß begonnen; aber
der Papſt gab den beiden Brüdern das Wort, daß es zu
keinem Urtheil kommen ſollte. Dagegen ſagten ſie ihm in
der Religionsſache ihre Hülfe auf das unzweifelhafteſte zu.
Der Kaiſer erklärt in dem Vertrage von Barcellona, auch
ihm liege es am Herzen, daß der verpeſtenden Krankheit der
neuen Meinungen ein Ziel geſetzt werde. 1 Sollte es aber
nicht möglich ſeyn, die Gemüther der Irrenden in Güte
herbeizuziehen, ſollten ſie die Stimme des Hirten nicht hö-
ren und hartnäckig bleiben, „ſo werden,“ heißt es daſelbſt
weiter, „ſowohl der Kaiſer als der König von Ungarn
und Böhmen, ihre ganze Macht gegen ſie in Bewegung
ſetzen, und das Unrecht, das Chriſto zugefügt worden, nach
Kräften rächen.“


Einen ſo unerwarteten Umſchwung nahmen dieſe Er-
eigniſſe. Der Kaiſer hatte ſeine Siege vornehmlich dem
Antheil zu verdanken, den die lutheriſche Geſinnung ſeiner
Sache in der deutſchen Nation verſchaffte. Nur durch dieß
Uebergewicht zwang er den Papſt zum Frieden. In dem
Vertrage jedoch, den der Kaiſer nun mit dem Papſte ſchloß,
verſprach er demſelben die Ausrottung eben dieſer lutheri-
ſchen Meinungen.


Indeſſen würde es auch jetzt noch nicht ſo weit ge-
kommen ſeyn, hätte der Papſt nicht die Ausſicht und gleich
darauf die Gewißheit gehabt, daß König Franz ſeinem Bei-
ſpiele folgen und ebenfalls Frieden ſchließen würde.


[123]Unterhandlungen mit Frankreich.

Auch König Franz ging nur mit ſchwerem Herzen daran.


Bei den Unterhandlungen im Jahre 1527 hatte der
Kaiſer ſchon nicht mehr ſo unbedingt wie früher die Zu-
rückgabe ſeines Stammlandes gefordert, ſondern die Nei-
gung gezeigt, ſich ſtatt deſſen mit einer Zahlung von zwei
Millionen Scudi zu begnügen. Alles hatte ſich daran ge-
ſtoßen, daß der König nicht auch Mailand und Genua auf-
geben, ſeine Truppen überhaupt nicht aus Italien zurück-
ziehen wollte. 1 Es ſchien, als betrachte man in Frankreich
die Wiedereroberung von Mailand als eine Pflicht und als
eine Ehrenſache. Der Kanzler Du Prat hat erklärt, er werde
ſich nie an den Schimpf gewöhnen, daß dieſes Land zur
Zeit ſeiner Verwaltung der franzöſiſchen Krone verloren ge-
gangen; habe er es ihr aber wieder verſchafft, ſo ſey er zu-
frieden, in der nächſten Stunde darauf zu ſterben. 2


Trotz alle dem war jetzt die Nothwendigkeit gekom-
men, ſich dieſen Verluſt gefallen zu laſſen.


Einmal bot die Fortſetzung des Kriegs keine Ausſicht
mehr dar. Selbſt die Anhänger des Königs in Italien
brachten in Erinnerung, daß es unmöglich ſeyn werde, ein
Heer ins Feld zu ſtellen, ehe der Kaiſer in Italien erſcheine;
durch ſeine Verbindung mit dem Papſt werde derſelbe Herr
in dem mittlern wie in dem obern und dem untern; Flo-
[124]Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.
renz werde ihm nicht zu widerſtehn vermögen; Venedig ſey
durch den Uebertritt von Mantua ſelbſt gefährdet und könne
auf nichts denken als auf die eigne Vertheidigung: ganz
allein würde man es mit dem Kaiſer zu thun haben, und
der habe nun einmal die tapferſten Truppen und die Gunſt
des Glückes. 1


Sodann aber war es auch dem Reiche und dem Hofe
unerträglich, die Prinzen von Frankreich länger in Spanien
zu laſſen. Zuweilen liefen von ihrer Geſundheit beunruhi-
gende Nachrichten ein.


Indem man ſich noch rüſtete, die Italiener die per-
ſönliche Ankunft des Königs hoffen ließ, einen Einfall in
Deutſchland vorbereitete, mußte man doch zugleich auf Frie-
den denken. 2


In Rom war lange davon die Rede, daß der Papſt
die Vermittelung übernehmen müſſe. Er ſollte an irgend
einem Platze an der ſpaniſch-franzöſiſchen Gränze, etwa in
Perpignan, die Sache perſönlich führen. Auch ſchien er
dazu ſehr geneigt zu ſeyn; noch im März 1529 bezeichnete
man die Galeeren, die ihn hinüberbringen ſollten. Zuletzt
aber unterblieb das doch; die Sache kam in ganz andre Hände.


[125]Unterhandlungen mit Frankreich.

Schon früher nemlich finden wir einen geheimen Agen-
ten Franz I in Spanien, durch den er ſich unmittelbar an
ſeine Verlobte, Königin Leonora wendet, ihr ſeinen Wunſch
erklären läßt, ſobald wie möglich die Hinderniſſe hinweg-
geräumt zu ſehen, die ſich ihrer Vermählung entgegenſtellen,
und ſeine ganze Sache mit dem Kaiſer in ihre Hände legt.
Die Königin iſt wie man denken kann ſehr erfreut über
dieſe Botſchaft; ſie verſichert, ſie habe immer auf den gu-
ten Willen des Königs vertraut und damit ſey ſie über al-
les bisher Geſchehene hinweggekommen. Man fragt den
Agenten, ob er keine Aufträge an den Großkanzler habe.
Er weigert ſich mit demſelben zu unterhandeln, weil der ein
Mann ſey, welcher den Krieg liebe; — wie ihm denn auch
die Entfernung angeſehener Leute vom Hof, die daher ent-
ſpringen, ſehr zu Statten komme — die Königin Leonora
verſichert ihn, es ſey jetzt ihre Sache, Niemand ſolle ſich
einmiſchen: ſie werde allein den Abſchluß herbeiführen. 1


Ich kann nicht genau angeben, in welche Epoche dieſe
Miſſion fiel; bemerken wir nur, daß ſie den Verſuch ent-
hält, die Unterhandlung den gewohnten Wegen, einem re-
gelmäßigen Verfahren zu entziehen.


[126]Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.

So wendete ſich nun auch jetzt Herzogin Luiſe, ohne
Zweifel vornehmlich aus perſönlichen Motiven, denn bei
der Gefangenſchaft ihrer Enkel wäre ihr ein neuer Kriegs-
zug ihres Sohnes, der ſich faſt nicht vermeiden ließ, un-
erträglich geworden, an die „Gouvernante“ der Niederlande,
Margaretha, die Tante des Kaiſers, und ſtellte ihr vor, daß
es ihnen, den beiden nächſten ältern Verwandtinnen der
ſtreitenden Fürſten, vor allen zukomme, deren Ausſöhnung
zu verſuchen. 1 Auch Margaretha fand, die Erbitterung
zwiſchen den beiden Fürſten ſey durch die langen Feindſe-
ligkeiten, die Schriften die man gewechſelt, die ergangenen
Herausforderungen, in einem Grade geſtiegen, daß es wohl
nur ihnen, den Frauen, gelingen werde, eine Uebereinkunft
zu Stande zu bringen. 2 Es ward ihr nicht ganz leicht,
den Kaiſer zu gewinnen: wenigſtens hat ſie ſich ſpäter
ein Verdienſt daraus gemacht. Endlich aber, am 8. April
empfing ſie den vollſtändigſten Auftrag, der ſich denken
läßt. Karl V verſprach bei ſeinem kaiſerlichen Wort, auf
ſeine Ehre, unter Verpfändung ſeiner Güter, alles zu ge-
nehmigen, worüber ſie abſchließen würde. Leichter ward es
wohl Franz I, ſeine Vollmacht zu geben. Unter den Grün-
den, weshalb nicht der König, ſondern ſeine Mutter die
Unterhandlung führen müſſe, war es einer der vornehmſten,
daß ſie nicht gleichſam perſönlich, wie er, Verpflichtungen
3
[127]Friede von Cambrai.
gegen die italieniſchen Mächte, Mailand, Florenz oder Ve-
nedig übernommen habe.


Am 5. Juli zogen die beiden Damen von entgegen-
geſetzten Seiten kommend, in Cambrai ein, und nahmen ihre
Wohnungen in zwei durch einen bedeckten Gang verbunde-
nen Häuſern, ſo daß ſie einander ſehen und ſprechen konn-
ten, ohne bemerkt zu werden.


Die Unterhandlung konnte nicht ſehr ſchwer ſeyn, da
man über die Präliminarien einverſtanden ſeyn mußte, ehe
man ſie anfing. Frankreich verſtand ſich nun wirklich dazu,
jene zwei Millionen zu zahlen, auf alle Rechte und Ver-
bindungen in Italien Verzicht zu leiſten, endlich ſeiner Lehns-
herrſchaft über Flandern und Artois zu entſagen. Dage-
gen ließ auch Carl V einige freilich weit weniger bedeutende
Anſprüche, z. B. auf Peronne und Boulogne fallen, und
gab fürs Erſte die Eroberung von Burgund auf. 1 Das
Prinzip, welches in Europa überhaupt herrſchte, die ver-
ſchiedenen Staaten zu ſondern, einen von dem andern un-
abhängig zu machen, war auch bei dieſem Friedensſchluſſe
zu bemerken. Indem Frankreich ſeine auswärtigen Unter-
nehmungen aufgab, blieb es doch in ſeinem Innern unan-
getaſtet. Burgund und Valois ſetzten ſich nach ſo langen
blutigen Kriegen endlich auseinander. Burgund hatte zwar
nicht alle ſeine Prätenſionen erreicht, aber es war doch in
unermeßlichem Vortheil. Es war ihm gelungen, das Haus
[128]Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.
ſeiner Nebenbuhler, es ringsum einſchließend, auf Frank-
reich allein zu beſchränken.


Wohl dürfte man nicht glauben, es ſey nun damit
alles beendigt geweſen. Franz I hat gegen den Vertrag
von Cambrai, ſo gut wie gegen den Madrider proteſtirt.
Er iſt dabei geblieben, Aſti und Mailand ſeyen ſein und
ſeiner Kinder unveräußerliches Erbtheil, Genua gehöre ihm
an, unmöglich könne ein erſt durch die eigne, dann durch
die Gefangenſchaft ſeiner Kinder ihm abgezwungener Ver-
trag ihn verpflichten. 1 Als die Verification deſſelben im
Parlamente vor ſich gehen ſollte, proteſtirte der General-
procurator Maitre Franz Rogier feierlich dagegen; denn
die Gewaltthätigkeit eines Lehnsmannes gegen ſeinen Lehns-
herrn habe denſelben bewirkt, er ſtreite gegen die Grund-
geſetze des Reiches. 2 Allein in dieſen Proteſtationen liegt
nur der Ausdruck des Gefühls, daß man der Gewalt, und
zwar ſehr ungern weiche; ſie ſind ein Vorbehalt für die
Zukunft, der für den Augenblick nichts bedeutet und ganz
unbemerkt bleibt.


Zunächſt war Jedermann glücklich, daß der Friede
wirklich zu Stande gekommen. In allen Punkten, wo man
nicht eine ausdrückliche Veränderung beliebt hatte, deren
es doch im Ganzen nur vier gab, war der Madrider Ver-
trag beſtätigt worden; ſie wurden jetzt beide mit einander
ausgerufen und in die Staatsregiſter eingetragen. Sehr
bezeichnend iſt der Brief, mit welchem Herzogin Luiſe ihrem
[129]Friede von Cambray.
Sohne den Abſchluß ankündigte: die Sicherheit ſeiner Per-
ſon, ſchreibt ſie ihm, welche aus dem Frieden entſprungen,
den Gott ihnen gegeben, ſey ihr lieber, als ihr eignes Le-
ben; 1 in der perſönlichen Gefahr, in die ſich der König
zu ſtürzen im Begriff geweſen, lag eins der vornehmſten
Motive ihrer Bemühungen. Die Niederländer wußten ſich
viel damit, daß ein ſolcher Act von ihrer Regentin ausge-
gangen; bei einem Mittagsmahl ward der franzöſiſche Ab-
geordnete gefragt, ob man das dieſer Dame wohl zuge-
traut habe, ob man in Frankreich damit zufrieden ſey.
Der Franzoſe hob hervor, daß auch ſeinem Könige einiges
Verdienſt zukomme: auf das bloße Wort der Erzherzogin
habe er 15000 Landsknechte, mit denen er einen entſchei-
denden Schlag hätte führen können, aus ſeinen Dienſten
entlaſſen. 2 Vor allem war der Papſt erfreut; er fand nicht
Worte genug, um die Dienſte zu preiſen, welche Luiſe der
öffentlichen Sache geleiſtet. Zu beſonderer Genugthuung
gereichte ihm, daß die Mitglieder der Ligue, über die er
ſich zu beklagen hatte, bei dem Vertrag nicht berückſichtigt
worden. Allen Beſtimmungen deſſelben zum Trotz, glaubte
er doch an keine lange Dauer der Herrſchaft des Kaiſers.
Zu den franzöſiſchen Proteſtationen paßt es ſehr gut, daß Cle-
mens VII zu verſtehn gab, wenn der König nur erſt ſeine
Söhne wieder habe, ſo werde ſich gegen alle andern Uebel
ein Heilmittel finden laſſen. 3


Ranke d. Geſch. III. 9
[130]Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.

Und noch einen andern Grund der Zufriedenheit hatte
der Papſt. In den Verhandlungen wie in dem Tractat
erſchien der König ſo gut wie der Kaiſer als ein Gegner der
religiöſen Neuerungen. In ſeiner Vollmacht führt Franz I
unter den Gründen ſeiner Friedensliebe an, daß er die Ketze-
reien unterdrücken wolle, die in der Chriſtenheit aufkom-
men, damit die Kirche verehrt werde, wie es ſich zum
Heile der Seelen gebühre. 1 In dem 43ſten Artikel des
Friedens heißt es, daß Kaiſer und König entſchloſſen ſeyen,
den heiligen Stuhl in ſeinem Anſehn und ſeiner Würde zu
erhalten, wie es ihrem kaiſerlichen und königlichen Stande
zukomme. Unter den beſtätigten Artikeln des Madrider Ver-
trags war auch der, in welchem der König dem Kaiſer
ſeine Hülfe wider die Ketzer nicht minder, als gegen die
Türken zuſagte.


So glücklich entging der Papſt bei ſeiner Pacification
mit dem Kaiſer der Gefahr, welche ihm gedroht hatte,
mit Frankreich brechen zu müſſen. Der Kaiſer legte Bei-
den die nemliche Nothwendigkeit auf, unter deren Einfluß
ſie ſich dann wieder begegneten.


3


[131]Friede von Cambray.

Auch mit England ward in Cambray unterhandelt.
Heinrich VIII hatte jedoch zuletzt an dem Kriege ſo wenig
ernſtlichen Antheil genommen, daß ſein Friede nur als ein
Anhang zu dem franzöſiſchen erſchien; in der engliſchen Ge-
ſchichte wird er kaum erwähnt. Es war ſchon genug, daß
Frankreich die Schulden, welche der Kaiſer bei dem König
contrahirt hatte, von jenen zwei ſtipulirten Millionen zu
zahlen übernahm. 1


Nichts deſto minder hatte die Wendung der Dinge
den größten Einfluß auf England, ſie rief eine Cataſtro-
phe hervor, die für den Augenblick und für immer von
unberechenbarer Wirkung geweſen iſt.


Wir wiſſen, unter welcher Conjunctur politiſcher Um-
ſtände der engliſche Hof die Idee der Eheſcheidung des Kö-
nigs gefaßt hatte.


Im Anfang des Jahres 1528 hoffte Wolſey alles
von dem Einfluß des franzöſiſchen Hofes auf den römiſchen
Stuhl und von deſſen Dankbarkeit und Rückſicht für Eng-
land. Der Papſt war im Grunde der Meinung, der Kö-
nig würde am beſten thun, wenn er ohne ſo viel zu fra-
gen eine zweite Frau nähme, und alsdann den apoſtolichen
Stuhl zu richterlicher Entſcheidung auffordere; 2 der Geiſt
9*
[132]Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.
buchſtäblicher Geſetzlichkeit, den England ſchon damals be-
herrſchte, ließ das jedoch nicht zu; der König wünſchte die
Legitimität der aus einer neuen Ehe zu erwartenden Nach-
kommen im Voraus geſichert zu ſehn; von dem, der ge-
bunden hatte, wollte er auch gelöſt ſeyn. Wolſey hoffte,
daß die Fortſchritte der Ligue den Papſt hiezu vermögen
würden. Mehr als einmal forderte er den König von
Frankreich auf, eben ſo viel für die Auflöſung der Ehe zu
thun, wie England für die Herausgabe der Kinder von
Frankreich: er möge nur dem Papſt erklären, daß er die
Sache Heinrichs VIII für gerecht halte, und daß, wenn
man ſie zu Rom abſchlage, er ſo gut wie dieſer ſich für
beleidigt halten und es niemals vergeſſen werde. Wohl
wußte Franz I, wie viel Wolſey ihm in England werth
war. Wolſey erinnerte denſelben, er werde verloren ſeyn,
wenn dieſe Sache nicht durchgehe, allzuſtarke Verſicherungen
habe er dem König darüber gegeben. 1 Und in der That hätte
der Papſt ſelbſt, z. B. bei Lautrecs Annäherung nur [recht] ernſt-
lich angegangen zu werden gewünſcht: er würde ſich dann mit
einer Art von moraliſchem Zwang bei dem Kaiſer haben
entſchuldigen können. Allein es ſcheint nicht, als hätten
die Franzoſen für nützlich gehalten, ſo weit zu gehn. Sie
2
[133]Verhandlungen zwiſchen Rom und England.
hatten den Gedanken noch nicht aufgegeben, die engliſche
Prinzeſſin Maria, die präſumtive Erbin des Reiches, mit
einem ihrer Prinzen zu vermählen. 1


Da man nun weder ohne den Papſt vorſchreiten
wollte, noch auch Anſtalt machte, ihm Zwang anzuthun,
ſo kam es zu diplomatiſchen Verhandlungen, die ihrer Na-
tur nach zweifelhaft ſeyn mußten, ſo lange es die Ereig-
niſſe waren.


Die engliſchen Abgeordneten, die ſich im März und
April 1528 in der Nähe des Papſtes aufhielten, täuſchten
ſich nicht darüber. „Alle Schwierigkeiten, aller Verzug, ſa-
gen ſie, auf die wir in dieſer Sache ſtoßen, kommt ledig-
lich von Furcht her: wir finden bei Jedermann ſo viel
Neigung als möglich die Sache zu fördern, aber man be-
ſorgt, wenn man dem König eine ungewöhnliche Vergün-
ſtigung gewährt, ſo könne dieß zu einer neuen Gefangen-
ſchaft führen, wofern der Kaiſer den Platz behält.“ 2
Die Geſandten machten noch einmal einen Verſuch, Furcht
mit Furcht zu bekämpfen. Eines Tages ſtellten ſie dem
Papſt vor, er werde den einzigen Fürſten verlieren, der
ihm noch wahrhaft zugethan ſey, — wie Wolſey einſt
ſich ausgedrückt, nicht allein den König von England, ſon-
[134]Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.
dern den Vertheidiger des Glaubens; — dann werde das
ſchon gebeugte Papſtthum vollends zuſammenbrechen, zu
allgemeiner Freude. Der Papſt war nicht unempfänglich
für dieſe Gefahr; unter lebhaften Geſticulationen ging er
in dem Zimmer auf und ab, und es dauerte eine Weile,
bis ſeine Bewegung ſich legte. 1 Er trat wirklich den Eng-
ländern einen Schritt näher. Er ernannte den Cardinal
Campeggi, der ohnehin im beſten Vernehmen mit Hein-
rich VIII ſtand und von deſſen Abgeordneten dazu vorge-
ſchlagen war, zum Legaten von England, und gab ihm die
Erlaubniß, zugleich mit Cardinal Wolſey die päpſtliche Dis-
penſation, auf welche ſich die Ehe Heinrichs VIII gründete,
nach Befinden für wirkſam oder für unwirkſam, die Ehe ſelbſt
für gültig oder für ungültig zu erklären. Er that dieß im
Anfang des Juni 1528, als die Sachen der Franzoſen vor
Neapel noch vortrefflich ſtanden. 2 Man hatte ihm ver-
ſprochen, wenn er den Legaten ſende, werde man die Ve-
nezianer bewegen, ihm ſeine Städte herauszugeben. 3


Bald hierauf aber erfolgte die Niederlage Lautrecs vor
Neapel; wir ſahen, welchen Umſchwung die päpſtliche Po-
litik hierauf augenblicklich zu Gunſten des Kaiſers nahm.


[135]Verhandlungen zwiſchen Rom und England.

Schon am 2. September ward Campeggi erinnert,
daß, ſo verpflichtet ſich auch Seine Heiligkeit dem König
von England fühle, ſie doch auch auf den ſiegreichen Kai-
ſer Rückſicht zu nehmen habe, und ihm nicht neuen Anlaß
zum Bruch geben dürfe, was nicht allein den Frieden ver-
hindern, ſondern auch zum äußerſten Ruin des Kirchen-
ſtaats gereichen würde. 1


Im October 1528 kam Campeggi in England an.
So ſtark auch zuweilen die Ausdrücke waren, deren er ſich
gegen den Kaiſer bediente, ſo zeigte ſich doch gar bald, daß
er nichts Ernſtliches wider ihn vornehmen würde. Er er-
mahnte noch zuweilen den König, zuweilen Wolſey, von
ihrem Vorhaben abzuſtehen. Eine Bulle, mit welcher Wol-
ſey dem geheimen Rathe des Königs den guten Willen des
Papſtes zu beweiſen hoffte, weigerte er ſich ſchlechterdings
vorzuzeigen; 2 er hat ſie wahrſcheinlich ſelber verbrannt;
bei jedem Schritte machte er Miene, nach Rom zu recur-
riren. Die Meinung, die ſich allmählig Bahn brach, da
eine Vermählung mit des Bruders Wittwe im alten Teſta-
mente verboten worden, ſo ſey das ein Fall, wo der Papſt
gar nicht dispenſiren könne, verwarf er mit großer Lebhaf-
[136]Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.
tigkeit. Er wollte nicht ſagen hören, daß die Macht des
Papſtes auf irgend eine Weiſe beſchränkt ſey. Es blieb
nur übrig zu beweiſen, daß jene Dispenſation nicht gehö-
rig begründet geweſen. Aber auch dabei fanden ſich un-
überſteigliche Schwierigkeiten, da die Königin — worauf
alles ankam — fortwährend behauptete, ihre Ehe mit dem
Bruder Heinrichs ſey nie vollſtändig vollzogen worden.
Sie hatte ſo viel Würde und Haltung, daß man ihr das
allgemein glaubte. Auch verſäumte ſie nicht das Rechts-
mittel der Proteſtation gegen die beiden Richter, die ſie für
parteiiſch erklärte, zu gebrauchen.


Während dieſer Zögerungen aber ſchloß ſich der Papſt
beſonders ſeit jenen florentiner Ereigniſſen immer enger an
den Kaiſer an, der die Sache ſeiner Tante für ſeine eigne
erklärte. Im Mai 1529 fürchtete der engliſche Abgeord-
nete, die Commiſſion der beiden Cardinäle werde förmlich
widerrufen werden. 1


Wahrſcheinlich war dieß der Grund, weshalb der Kö-
nig, ohne länger zu zögern, die Verhandlungen in aller
Form eröffnen ließ.


Am 31. Mai 1529 fingen ſie an, aber ſchon unter
dem 29ſten ward Campeggio von Rom aus angewieſen, ſo
langſam wie möglich vorzuſchreiten, und auf keine Weiſe
das Urthel ergehen zu laſſen. 2 Er führte dieß wörtlich
aus. Es war zu nichts als zu Vorbereitungen und For-
3
[137]Bruch zwiſchen Rom und England.
malitäten gekommen, als Campeggi am 28ſten Juli die
Sitzungen bis auf den 1ſten October verlegte. Er nahm
die Ferien der Römiſchen Rota auch für ſich in Anſpruch.


Als nun der Papſt ſeinen Frieden mit dem Kaiſer ge-
ſchloſſen, blieb ihm noch immer Zeit, den Proceß aus Eng-
land an die Tribunale der Curie zu avociren.


Am 9ten Juli eröffnete der Papſt den engliſchen Ab-
geordneten, es ſey die allgemeine Meinung der Römiſchen
Rechtsgelehrten, daß die Avocation bei der Lage der Dinge
nicht mehr abgeſchlagen werden könne. Die Geſandten ver-
ſäumten nichts, um ihn davon zurückzubringen. Er erwie-
derte ihnen, er ſey rings von der Macht des Kaiſers um-
geben, der ihn nicht allein nöthigen könne, zu thun was
Rechtens ſey, ſondern in deſſen Händen er ſich befinde. „Ich
ſehe,“ ſagt er, „die Folge ſo gut voraus wie ihr; aber ich
bin zwiſchen Hammer und Amboß. Wenn ich dem Kö-
nig gefällig bin, ziehe ich den verderblichſten Sturm über
mich und die Kirche herbei.“ 1


Am 18. Juli ward der Friede zwiſchen Kaiſer und Papſt
in Rom ausgerufen. Am 19ten meldete der Papſt dem Car-
dinal Wolſey, daß er zu ſeinem großen Schmerze ſich genö-
thigt ſehe, die Sache von England an die Curie zu avociren.


Wolſey hatte Heinrich VIII immer verſichert, ſeine große,
ſeine geheime Angelegenheit ihm in Rom durchſetzen zu kön-
nen: jetzt ſah ſich der König ſelber nach Rom citirt, und
zwar, was ihn noch beſonders verdroß, bei einer nahm-
haften Geldſtrafe; 2 er wollte das ſeine Unterthanen nicht
wiſſen laſſen; er fand ſeine Würde dadurch beleidigt.


[138]Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.

Ueberdieß aber hatte ihm Wolſey auch verſichert, daß
ſich Frankreich niemals von ihm trennen werde. Noch im
Mai 1529 wollte er nicht glauben, daß dieß geſchehe; leb-
haft ergriff er jedes Gerücht einer neuen Entzweiung und
gründete Pläne darauf; allein zuletzt geſchah es denn doch.


Die Politik Wolſeys, die auf eine Vereinigung zwi-
ſchen England, Frankreich und dem Papſt berechnet war,
ſcheiterte vollkommen.


Gewiß wäre es für jeden Miniſter ſchwer geweſen,
nach einem ſo vollſtändigen Mißlingen ſich länger zu hal-
ten; für Wolſey entſprangen aber aus den übrigen Ver-
hältniſſen ſeiner Stellung noch beſondere Gefahren.


Man muß wiſſen, daß alle ſeine anti-öſtreichiſchen
Maaßregeln ſo in dem geheimen Rathe des Königs wie in
der Nation Widerſtand fanden. Jede Feindſeligkeit gegen
die Niederlande war in England unbeliebt; einſt konnten
die über den Friedensbruch mißvergnügten Kaufleute des
eignen Landes nur durch eine Art von Zwang dahin ge-
bracht werden, die Märkte nach wie vor zu beſuchen. Der
König ſelbſt war hauptſächlich dadurch überredet worden,
daß ihm Wolſey einen unmittelbaren pecuniären Vortheil
aus der Allianz nachwies. Der Cardinal ſtellte oft dem
franzöſiſchen Geſandten vor, welch eine große Gewandtheit,
wie er ſich ausdrückte, „ſchreckliche Alchemie“ dazu gehöre,
ſeinen Gegnern Widerſtand zu leiſten. Aber jetzt waren
2
1
[139]Fall Wolſey’s.
alle ſeine Kräfte erſchöpft. Selbſt die allmählig zur herr-
ſchenden Leidenſchaft gewordene Neigung des Königs, von
Anna Boleyn einen Erben zu haben, hatte der Cardinal
zuletzt beleidigt; es iſt wohl nicht zu läugnen, daß er am
Ende, als er ſah die Sache werde nicht durchzuſetzen ſeyn,
dem Könige ſelbſt gerathen hat, davon abzuſtehn. Aber
damit hatte er die ganze Partei, welche Anna ſchon für
ſich gewonnen, ihren Vater, der zum Marquis von Ro-
chefort ernannt worden, erbittert; eben kam Suffolk aus
Frankreich zurück, der ſchon dort ſich ihm wenig günſtig
gezeigt, und nun in offenbaren Zwiſt mit ihm gerathen; 1
Norfolk war nie ſein beſonderer Freund geweſen.


So geſchah es, daß Wolſey fiel. Im November 1529
ward ihm das Siegel genommen: im December ward er
ſchuldig befunden, die Privilegien des Reichs durch unge-
bührliche Legatengewalt verletzt zu haben: weder die wie-
derbeginnende Unterſtützung der Franzoſen, noch wie Nor-
folk ſich ausdrückt, der Rath ſeiner Sternſeher konnten
ihn ſchützen.


Die Bewegung, welche Wolſey veranlaßt, hatte ſchon
eine innere Kraft gewonnen, der er ſelber unterlag.


Wir werden darauf zurückzukommen haben, welch mäch-
tigen Fortgang ſie nahm; denn unaufhörlich ward unſer
Deutſchland davon berührt. Zunächſt war es für den Kai-
ſer ſchon von hoher Bedeutung, daß er des verhaßten Fein-
des entledigt war. Mußte doch dieſer Feind ihn ſelber un-
terſtützen. Wolſey ſoll den Papſt noch aufgefordert haben,
[140]Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.
den König von England zu excommuniciren, weil das Volk
ſich alsdann gegen denſelben empören würde. 1 Aber auch
ohnedieß ward England durch dieſe Sache ſo lebhaft in ſich
ſelbſt beſchäftigt, daß es an den allgemeinen Verwickelun-
gen zunächſt wenig Theil nehmen konnte.


Hatte der Kaiſer Frankreich und den Papſt zum Frie-
den genöthigt, ſo behielt er auch in Bezug auf England
freie Hand. Eben darauf kam es ihm jetzt vor allem an.
Er trug Sorge auch noch eine andre Streitigkeit zu beſei-
tigen, die im entfernten Orient zwiſchen Caſtilien und Por-
tugal ausgebrochen war. Beide Kronen glaubten Anſpruch
auf den Beſitz der Molukken machen zu dürfen, und hat-
ten militäriſche Beſatzungen dahin geſendet. Zwiſchen dieſen
war es dort zu lebhaften und mörderiſchen Feindſeligkeiten
gekommen, die ſchon in den Eingebornen den Gedanken
erweckten, die Einen ſo gut wie die Andern zu verjagen.
Noch kannte man nicht die volle Bedeutung dieſer Inſeln.
Carl V entſchloß ſich ſeine Anſprüche fallen zu laſſen. Die
Portugieſen kauften ihm dieſelben um 350000 Duc. ab,
und machten ſich anheiſchig, ihm dieſe Summe in kurzen
Friſten zu bezahlen. 2


Carl war nunmehr entſchloſſen, wenn wir nicht ſagen
wollen zur Vollführung weiterer Plane, doch gewiß zu
vollſtändigerer Ergreifung ſeiner großen Stellung, ſich nach
[141]Der Kaiſer in Italien.
Italien und Deutſchland zu begeben. In Italien wollte
er die Krone empfangen: nach Deutſchland rief ihn, wie
er ſich in ſeinem Ausſchreiben ausdrückte, die Betrach-
tung, daß ein großer Theil des Reiches in Gefahr ſey,
nicht allein ſich von der Einheit der römiſchen Kirche zu
trennen, ſondern auch von den Türken überzogen und er-
obert zu werden. 1


Am 27. Juli 1529 ſtieg der Kaiſer zu Schiff; am
9. Aug. langte er zu Savona, am 12. zu Genua an.


Ueberaus mächtig, jedoch nicht, wie die alten Kaiſer,
allein durch deutſche Kräfte, ſondern durch eine wunder-
bare Combination des Südens und des Nordens, erſchien
er an den Grenzen des alten Reiches. In ſeinem Gefolge
finden wir alle die berühmten Namen der caſtilianiſchen
Geſchichte: Mendoza, Guzman, Pacheco, Manrique, Zuniga,
Toledo, Cueva, Rojas, Ponce de Leon; jedes große Haus
hatte gleichſam ſeinen Repräſentanten geſchickt; der Glän-
zendſte von allen war Alvarez Oſſorio, Marques von Aſtorga;
Navareſen, Catalanen, Aragoneſen ſchloſſen ſich an. Schon
hatte Antonio de Leiva dafür geſorgt, daß auch Mailand
nicht mehr in deutſchen, ſondern in ſpaniſchen Händen war.
Die Reichsgewalt, die ſich in dem Kaiſer darſtellte, bekam
durch dieſen Einfluß fremder Elemente einen ganz neuen,
romaniſchen, nunmehr ſehr katholiſchen Charakter Sah
man dieſen Hof nur an, ſo konnten ſeine Intentionen nicht
zweifelhaft ſeyn.


Und ſchon hatte ſich in Deutſchland eine Entwickelung
vollzogen, die denſelben begünſtigend entgegenkam.


[[142]]

Fuͤnftes Capitel.
Reichstag zu Speier im J. 1529.


Seitdem der Reichstag im Jahre 1526 ſelbſt daran
verzweifelt hatte, allgemein verbindliche Maaßregeln in re-
ligiöſer Hinſicht durchzuſetzen, hatte es zu keiner nachhal-
tigen und wirkſamen Reichshandlung weiter gebracht wer-
den können.


Die Geſandtſchaft an den Kaiſer, die man damals
beſchloſſen, war unter nichtigen Vorwänden zurückgehalten
worden. Wenigſtens ſächſiſcher Seits behauptete man zu-
verſichtlich, daß dieß lediglich in Folge geheimer Betrei-
bungen der geiſtlichen Stände geſchehen ſey. Bei den da-
mals noch wachſenden Irrungen zwiſchen Kaiſer und Papſt
ſchienen ſie zu fürchten, die kaiſerliche Entſcheidung möchte
zu ihrem Nachtheil ausfallen.


Eine Fürſtenzuſammenkunft zu Eßlingen im Dec. 1526
bezog ſich nur auf die Vertheidigung gegen die Osmanen;
die Beſchlüſſe, welche ſie faßte, waren weder an ſich be-
deutend, noch ward ihnen die mindeſte Folge gegeben.


Im Mai 1527 kam ein Reichstag zu Regensburg zu
[143]Reichshandlungen 1528.
Stande, aber er war ſo ſchlecht beſucht, daß die Verſam-
melten ſich nicht einmal für befugt hielten, Gegenſtände,
welche ausdrücklich an ſie verwieſen worden waren, vorzu-
nehmen, z. B. jene Geſandtſchaft, ſondern den Beſchluß
faßten, „ſich überhaupt keiner Handlung zu unterziehen.“ 1


Auf den März 1528 war ein neuer Reichstag nach
Regensburg ausgeſchrieben: allein noch immer waren die
Anhänger des Papſtes nicht ohne Beſorgniß vor den Be-
ſchlüſſen der verſammelten Stände; zuerſt verſchob König
Ferdinand die Eröffnung der Verſammlung vom März in
den Mai; 2 dann erſchien ein Edict des Kaiſers, welches
ſie, ohne viel Gründe anzugeben, nur, wie die Worte
lauten, „aus merklichen Obligen und Ehaften“ geradezu
verbot. 3 Vom päpſtlichen Hofe aus hören wir, das man
da eine „nicht gute Beſchlußnahme“ gefürchtet habe. 4


Jene packiſchen Unruhen waren eben ein Symptom
dieſer Nichtigkeit der Reichsgewalt.


Jetzt aber hatte ſich die Lage der Dinge geändert.
Die Siege des Kaiſers, ſeine allmählig ſich erneuernde Ver-
bindung mit dem Papſt äußerten, ſo entfernt er auch war,
eine unmittelbare Rückwirkung auf Deutſchland. War nicht
eben die Entzweiung der beiden höchſten Gewalten, das
[144]Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Schwanken der allgemeinen Verhältniſſe für Aufkommen
und Feſtſetzung der religiöſen Reformen von entſcheiden-
dem Einfluß geweſen? Eben ſo gefährlich mußte nun der
Umſchwung der Dinge denſelben werden. Ich berührte
ſchon die Thätigkeit Waldkirchs. In Strasburg hat er
die Adlichen, die im Rathe ſaßen, mit Verluſt ihrer Lehen
bedroht, wenn ſie ſich der Abſchaffung der Meſſe nicht wi-
derſetzen würden. 1 Im October 1528 forderte nun der
Papſt den Kaiſer förmlich auf, ſich der Sachen der Reli-
gion auf einem demnächſt zu haltenden Reichstage kräftiger
anzunehmen, als bisher. Schon verwerfe man, woran auch
nur zu zweifeln ein Verbrechen ſey, Abendmahl und Kin-
dertaufe. Fürs Erſte laſſe ſich wenigſtens dafür ſorgen, daß
das Uebel nicht weiter um ſich greife. Und ſo erging denn auch
noch am letzten Tage des November das Ausſchreiben zu einem
neuen Reichstage auf den 21. Febr. 1529 nach Speier. Die
Stände wurden bedeutet, daß man keine Rückſicht auf die
Ausbleibenden nehmen, mit den Anweſenden nichts deſto
minder zu Berathung und Beſchluß ſchreiten werde. 2 Als
Gegenſtände der Verabredungen machte man die Rüſtung
gegen die Türken, die gewaltigen Handlungen, die wider
[145]Reichstag zu Speier 1529.
den Landfrieden vorgenommen worden und vor allem die
Religionsneuerungen namhaft.


Und dießmal war es nun Ernſt auf allen Seiten. Die
kaiſerlichen Commiſſarien erſchienen zur beſtimmten Zeit: die
Stände trafen ſehr zahlreich ein.


Kaum waren ſie aber beiſammen, ſo ſah man auch,
wie ſehr ſich ihre Meinung und Tendenz verändert hatte.


Die geiſtlichen Fürſten waren in größerer Anzahl zu-
gegen als ſonſt; Die welche nicht perſönlich kamen, hatten
an ihrer Stelle die Eifrigſten von ihren Beamten geſchickt,
z. B. der Biſchof von Coſtnitz denſelben Faber, deſſen au-
ßerordentlich wirkſame politiſch-religiöſe Thätigkeit in den
ſchweizeriſchen Irrungen wir oben wahrnahmen. Es war
wohl nicht ohne Bedeutung, daß der kaiſerliche Commiſſar
Waldkirch zum Coadjutor von Coſtnitz ernannt worden war.
Unterweges hatte Faber bei Erasmus eingeſprochen, und
ſich auf eine Weiſe ausgedrückt, daß dieſer nichts als Krieg
und Gewaltthaten erwartete. 1 Wir wiſſen wie ſo man-
cher weltliche Fürſt den Haß der Geiſtlichen gegen die Neue-
rungen theilte. Der ſchwäbiſche Bund war durch die letz-
ten Gewaltſamkeiten des Landgrafen in ſeinem anti-evange-
liſchen Syſtem noch mehr beſtärkt worden. Er ſchloß ſo
eben den Abgeordneten von Memmingen aus dem Bundes-
rath aus, weil Memmingen die Meſſe abgeſchafft hatte und
ſich zu den Meinungen Zwingli’s bekannte. Auch einige neue
Anhänger hatte das katholiſche Prinzip gewonnen. Herzog
Heinrich von Meklenburg, der bisher für evangeliſch ge-
golten, ſtimmte jetzt mit ſeinem Sohne Magnus, Biſchof
Ranke d. Geſch. III. 10
[146]Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel.
von Schwerin, der ſich den Veränderungen heftig wider-
ſetzte. Der Churfürſt von der Pfalz, ehedem ſo gut wie
einverſtanden, verbot jetzt ſeinen Leuten, die Predigt zu be-
ſuchen. Man glaubte, er werde von ſeinem Bruder, Pfalz-
graf Friedrich, der ſich aufs neue Hoffnung auf eine öſtrei-
chiſche Prinzeſſin machte, dazu beſtimmt. „Pfalz,“ heißt es
in einem Schreiben aus Speier, „kennt kein Sachſen mehr.“


Unter dieſen Umſtänden, von einer ihren Wünſchen ent-
ſprechenden Stimmung umgeben, konnten nun die kaiſerli-
chen Commiſſarien in ihrer Propoſition — 15. März —
mit einem Antrag von entſcheidendem Inhalt hervortreten. 2


Indem ſie ein Concilium mit größerer Beſtimmtheit
als früher, da nun auch der Papſt damit einverſtanden ſey,
ankündigten, und dabei die alte Frage berührten, wie es
bis zu demſelben gehalten werden ſolle, ſchlugen ſie vor,
jenen Artikel des Abſchieds von 1526, kraft deſſen alle bis-
herigen Neuerungen unternommen worden, weil er „zu gro-
ßem Unrath und Mißverſtand“ Anlaß gegeben, förmlich zu
widerrufen und ihn gegen eine andre, geradezu entgegenge-
ſetzte, die geiſtliche Obrigkeit begünſtigende Anordnung zu
vertauſchen.


Es war das wohl ein Gedanke, den die meiſten Alt-
1
[147]Beſchluͤſſe der Majoritaͤt.
gläubigen hegten. Wenigſtens finden wir in der Inſtruc-
tion, die Herzog Georg von Sachſen ſeinem Geſandten an
den Reichstag mitgab, daß auch er in jenem Artikel die
Urſache aller Irrungen ſah. 1 Er fordert, daß denſelben
Maaß geſetzt werde, namentlich, daß ſich Statthalter und
Regiment Kaiſ. Maj. ihrer Gewalt nicht ſo ganz begeben.


Zunächſt ward nun ein Ausſchuß zur Begutachtung
der Propoſition niedergeſetzt.


Darin hatten die Altgläubigen, wie es nicht anders
zu vermuthen war, auf der Stelle die Oberhand. Von den
churfürſtlichen Stimmen war nur die ſächſiſche evangeliſch;
unter den neun fürſtlichen waren fünf geiſtliche, drei welt-
liche entſchieden katholiſch: wie Faber, ſo ſaß auch Leon-
hard von Eck darin, der die Reaction in Baiern geleitet.
Da konnte es denn wenig Zweifel geben. Schon am 24.
März erklärte ſich der Ausſchuß mit dem Vorſchlag ein-
verſtanden, und fügte nur einige nähere Beſtimmungen hinzu.
„Wer bis jetzt das Wormſer Edict gehalten, ſolle dieß
auch ferner thun. In den Landſchaften, wo man davon
abgewichen, ſolle man doch keine weitere Neuerung machen,
und Niemandem verwehren, Meſſe zu halten. Kein geiſt-
licher Stand ſolle ſeiner Obrigkeit, Rente und Gült entſetzt
werden dürfen, bei Acht und Aberacht. Die Secten end-
lich, welche dem Sacramente des wahren Leibes und Blu-
tes widerſprechen, ſolle man ganz und gar nicht dulden,
ſo wenig wie die Wiedertäufer.“ Mit dieſen Erläuterungen
ward das Gutachten an die Stände gebracht.


10*
[148]Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel.

Alles was einſt zu Gunſten der evangeliſchen Lehre
geſchehen war, hatte auf der Hinneigung der Mehrheit
in den Ständen zu derſelben beruht. Wie ganz aber war
jetzt dieſe Mehrheit umgewandelt! Was die frühere be-
ſchloſſen, ſuchte die jetzige aufzuheben. In den Sitzungen
vom 6. und 7. April nahm ſie das Gutachten an, wie es
ihr aus dem Ausſchuß zukam.


Und nun dürfte man ſich nicht von dem Wortlaut
täuſchen laſſen, nach welchem es wohl ſcheinen konnte,
als ſolle nur der Fortſchritt der Bewegung gehemmt wer-
den. Allerdings war dieß die nächſte Abſicht; faßt man aber
die Beſtimmungen, die man feſtſetzte, näher ins Auge, ſo
konnten ſich die Veränderungen, die auf den Grund der
frühern Reichsabſchiede in den einzelnen Landſchaften bereits
getroffen waren, in der That dabei nicht behaupten.


Ein Hauptmotiv des vorigen Abſchiedes hatte in der
Nothwendigkeit gelegen, die inneren Irrungen in den [Land-
ſchaften]
beizulegen; deshalb war es Fürſten und Untertha-
nen überlaſſen worden, ſich mit einander in religiöſer Hin-
ſicht zu vereinigen; jetzt ſollten alle die, welche die lateini-
niſche Meſſe abgeſchafft hatten, ſie doch wieder zulaſſen.
Was ließ ſich davon anders erwarten, als eine völlige Auf-
öſung des eben Gegründeten?


Ferner beruhte das Weſen der getroffenen Verände-
rung in einer ſtillſchweigenden Ausſchließung der biſchöfli-
chen Jurisdiction; die Obrigkeit der Biſchöfe, d. i. auch
die geiſtliche, ward jetzt aufs neue beſtätigt. Man konnte
ſich nicht verbergen, daß damit unter anderem das Recht,
[149]Beſchluͤſſe der Majoritaͤt.
Prediger zu ſetzen oder abzuſetzen, an ſie zurückkam. 1 Wie
hätte man dabei einen Augenblick länger beſtehen können?


Noch waren die Veränderungen in vielen Städten in
beſtem Gange. Einige hatten mit dem letzten Schritte ge-
zögert, weil ſie von dem Reichstage noch irgend ein neues
ausdrückliches Zugeſtändniß, z. B. die Erlaubniß beider
Geſtalt erwartet hatten. Sie waren jetzt verurtheilt, bei
dem Hergebrachten unbedingt und auf immer feſtzuhalten.


Endlich wurden die Anhänger Zwingli’s von dem Frie-
den des Reiches geradezu ausgeſchloſſen.


Genug, wenn die Abgewichenen in dem Reichsab-
ſchiede auch nicht ausdrücklich angewieſen wurden, in den
Schooß der verlaſſenen Kirche zurückzukehren, ſo iſt doch un-
läugbar, daß, wenn ſie ihn annahmen, die noch in den An-
fängen ihrer Bildung begriffene evangeliſche Welt dadurch
in Kurzem wieder zu Grunde gehen mußte.


Da war nun die Frage, ob man ſich dieß gefallen
laſſen müſſe, ob ein Beſchluß der Mehrheit der Reichs-
ſtände auch im gegenwärtigen Falle verbindlich ſey.


Die Frage hat einen ganz allgemeinen Inhalt. Wenn
auf geſetzlichem Wege eine Gründung vollzogen, ein lebendi-
ges Daſeyn gepflanzt worden iſt, darf alsdann die geſetzliche
Gewalt, in einem oder dem andern Momente anders conſti-
[150]Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel.
tuirt, die Befugniß in Anſpruch nehmen, das Gegründete
wieder umzuſtürzen und zu vernichten? Hat nicht vielmehr
das zum Daſeyn Gelangte nun auch das Recht, zu ſeyn,
ſich zu vertheidigen?


Die Reichsgewalt hatte ſich in einem frühern Zeitpunkt
unfähig gefunden, die allgemeine Entzweiung beizulegen;
mit ihrem guten Willen war ihre Befugniß an die einzel-
nen Territorialgewalten übergegangen; war ſie nun wohl
berechtigt, das was in Folge dieſer ihrer Delegation ge-
ſchehen, nachdem ſie zu größerer Energie gelangt, wieder zu
zerſtören? Niemand könnte dieß zugeben; ſonſt würde bei dem
natürlichen Schwanken jeder durch Majorität beſchließenden
Gewalt nach den Einwirkungen des Momentes ſelbſt das Lang-
hergebrachte in Frage geſtellt werden können. Nichts würde
ſeines Daſeyns einen Augenblick ſicher ſeyn. Denn wo-
durch unterſchiede ſich dem Prinzipe nach das neu zu Stande
Gekommene, in den Kreis der Geſetzlichkeit Aufgenommene,
von dem Althergebrachten, Länger-beſtehenden?


Hier war nun noch beſonders bedenklich, daß von ei-
ner der wichtigſten jener Anordnungen — der Erlaubniß
der Meſſe — weder in Propoſition, noch Commiſſion, noch
Ausſchreiben etwas verlautet war. 1 Landgraf Philipp wollte
der Mehrheit der Stände nicht zugeſtehn, über die Ge-
biete der Minderheit ſo tief in ihr Inneres eingreifende Be-
ſchlüſſe faſſen zu dürfen, ohne deren Beiſtimmung.


Wie Heſſen, ſo erklärten ſich Chur-Sachſen, Lüneburg,
Anhalt, der Markgraf Georg von Brandenburg.


Von einer andern Seite faßten die Städte die Sache
[151]Widerſpruch der Evangeliſchen.
auf. Ihre Abgeordneten in dem Ausſchuß bemerkten, wie
Faber beſonders dadurch auf die Fürſten gewirkt, daß er
die gefährlichen Folgen jenes früheren Zugeſtändniſſes her-
vorhob und übertrieb. 1 Dieſem Argumente ſetzten ſie nun
die Bemerkung entgegen, daß es eben dem letzten Abſchiede
zu verdanken ſey, wenn ſeitdem in Deutſchland Ruhe ge-
blieben. Wolle man aber „ſo ernſtliche Satzung in die-
ſen geſchwinden Zeiten“ vornehmen, ſo müſſe Zertrennung
und unbeſchreibliche Beſchwerde daraus erfolgen. 2 Noch
waren ſie alle einmüthig, die, welche katholiſch geblieben, mit
denen, die evangeliſch geworden. Die erwähnte Entgegnung
iſt ihr gemeinſchaftliches Werk. Vergebens hielt Pfalzgraf
Friedrich den Evangeliſchen vor, daß ſie ja dem kaiſerlichen
Edict ungehorſam, ihre Neuerungen mehr zu Unfrieden,
als zu Gottes Ehre dienlich ſeyen; ſie entgegneten: was
ſie gethan, ſey nicht dem Kaiſer zuwider geſchehn, ſondern
nur um den Frieden unter den Ihren zu erhalten und
um des Gewiſſens willen; Empörung könne Niemand we-
niger leiden, als eben ſie. König Ferdinand ſelbſt bat ſie
zwei oder drei Mal, das vorgetragene Gutachten zu billi-
gen, der Kaiſer werde ihnen das zu allen Gnaden geden-
ken; ſie antworteten ihm, ſie würden dem Kaiſer in alle
dem gehorſam ſeyn, was zur Erhaltung des Friedens und
zur Ehre Gottes diene. 3


[152]Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel.

So überwiegend auch die Majorität ſeyn mochte, ſo
ſchien es ihr doch nicht gut, ſich um einen ſo ſtarken Wi-
derſpruch ganz und gar nicht zu kümmern. Beſonders hat-
ten ſich die Städte bei dem Artikel von der geiſtlichen Ge-
walt wider das Wort Obrigkeit geſetzt, das im Abſchied
von 1526 ſorgfältig vermieden worden. Auch der Ma-
jorität ſchien es am Ende beſſer, dieſes Wort wegzulaſ-
ſen, und wie früher nichts als die Entziehung der Renten
Zinſen und Güter zu verbieten. Doch fügte ſie hinzu, daß
Niemand eines andern Standes Verwandte und Untertha-
nen wider denſelben in Schutz nehmen ſolle. 1 Allein auch
dieſe Faſſung ſchien der evangeliſchen Minorität unzuläſſig.
Sie fürchtete, wenn man die Worte genau nehme, werde
ein Biſchof die Prediger als ſeine Untergebenen und Ver-
wandten betrachten dürfen; man werde ſie dem Reichsab-
ſchied zufolge ihm ausliefern müſſen, eine Pflicht, die man
lange vor dieſen Neuerungen verweigert habe; ſchon vor
40 Jahren habe das Frankfurt dem Erzbiſchof Berthold
abgeſchlagen. Ueberdieß war dieß nur ein einziger Punkt,
und ſie hatten ſich über ſo viele andre zu beſchweren.


Da aber die Majorität unerſchütterlich blieb, ſollte nun
wohl die evangeliſche Partei einen Beſchluß zu geſetzlicher Kraft
gelangen laſſen, der ſie mit dem Verderben bedrohte?


Schon am 12. April erklärte der ſächſiſche Geſandte
Minkwitz in voller Reichsverſammlung, daß ſie das nicht
3
[153]Widerſpruch der Evangeliſchen.
thun würde. Er führte hauptſächlich die religiöſen Gründe
auf. In Sachen des Gewiſſens dürfe man überhaupt der
Majorität nicht Statt geben; — wie komme aber vollends
der Reichstag dazu, eine Lehre, die von einem Theile der
Stände für chriſtlich gehalten werde, noch vor allem Con-
cilium, auf das ſo oft provocirt worden, für unchriſtlich zu
erklären? — man werde ſich das auf der andern Seite nicht
gefallen laſſen, man werde z. B. nicht darin willigen, daß
Denen, welche das Edikt von Worms bisher gehalten, ge-
boten werde, dabei zu bleiben: denn damit würde man in
gewiſſem Sinne die eigene Lehre verdammen Die Gleich-
geſinnten waren hocherfreut, daß ſie ihre Sache ſo eifrig
führen ſahen. 1 Minkwitz forderte die Reichsſtände noch auf,
an dem früheren Beſchluſſe feſt zu halten; ſey er gemiß-
braucht worden, was auf der evangeliſchen Seite wahrhaf-
tig nicht geſchehen, ſo könne man dem durch eine Declara-
tion abhelfen. Er verſprach, daß man alsdann auch auf
dieſer Seite den übrigen Beſchlüſſen anhangen werde.


Allein es war alles vergebens.


Am 19. April erſchienen König Ferdinand, Waldkirch
und die übrigen Commiſſarien in der Verſammlung der
Stände, dankten ihr für ihre „chriſtlichen getreuen und em-
ſigen Dienſte“ und erklärten ihre Beſchlüſſe für angenommen,
ſo daß man ſie nur in die Form eines Abſchiedes zu bringen
habe. Den Churfürſten von Sachſen und deſſen Anhän-
ger mit ihren Eingaben und Widerreden verwieſen ſie le-
diglich darauf, daß doch jene Beſchlüſſe „altem löblichen
[154]Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Gebrauch nach durch den mehrern Theil der Churfürſten und
Fürſten gefaßt worden,“ ſo daß auch die übrigen ſich den-
ſelben zu unterwerfen haben würden. 1 Die evangeliſchen
Fürſten, durch eine ſo völlig abſchlägliche Antwort, die wie
eine Zurechtweiſung ausſah, 2 und nun, wie ſie vor allen
Ständen verleſen worden, zu den Acten des Reiches ge-
legt werden ſollte, traten einen Augenblick in ein Nebenzim-
mer, um ſich unverzüglich zu einer Antwort zu vereinigen.
Allein der König und die kaiſerlichen Commiſſarien waren
nicht gemeint, dieſelbe zu erwarten. Auf die Bitte der Für-
ſten, ſich einen kurzen Verzug nicht beſchweren zu laſſen,
antwortete König Ferdinand: er habe einen Befehl von kai-
ſerlicher Majeſtät: den habe er ausgerichtet und dabei müſſe
es ſein Verbleiben haben: die Artikel ſeyen beſchloſſen; 3
hierauf verließ er ſammt den Commiſſarien das Haus.
Durch die Mißachtung ihrer Würde und ihrer Rechte, die
in dieſem Verfahren lag, noch mehr gereizt, beſchloſſen nun
die evangeliſchen Stände, einen Gedanken auszuführen, den
ſie ſchon einige Wochen früher, ſo wie ſie ſahen, welche
Wendung die Geſchäfte am Reichstag nehmen würden, ge-
faßt hatten. Rückgängig machen ließen ſich, wie vor Au-
gen lag, die Beſchlüſſe der Verſammlung nicht; ſich ihnen
unterwerfen, hieß das eigene Daſeyn aufgeben. Sie
beſchloſſen das Rechtsmittel der Appellation zu ergrei-
fen. Noch in derſelben Sitzung erſchienen ſie, zwar nicht
[155]Proteſtation.
mehr vor König und kaiſerlichen Commiſſarien, aber noch
immer vor verſammelten Ständen, und ließen die Prote-
ſtation verleſen, die ihnen den Namen der Proteſtanten ge-
geben hat.


Darin hoben ſie nun beſonders den reichsrechtlichen
Geſichtspunkt hervor. 1 Sie erklärten, daß ſie nicht ver-
pflichtet ſeyen, ohne ihre Mitbewilligung aus dem zunächſt
zu Speier gemachten Abſchied zu ſchreiten, den man mit ſo
ſtarken Clauſeln gegenſeitiger Verſprechungen bekräftigt und
gemeinſchaftlich verſiegelt habe; das Vorhaben der übrigen
Stände, denſelben einſeitig aufzuheben, ſey machtlos, nich-
tig und in Rückſicht auf ſie unverbindlich: ſie würden fort-
fahren, nach dem Inhalt des vorigen Abſchiedes, mit ihren
Unterthanen in Hinſicht der Religion ſich ſo zu verhalten,
wie ſie es gegen Gott und den Kaiſer zu verantworten ge-
dächten. Laſſe man ſich nicht abhalten, den Abſchied nach
den genommenen Beſchlüſſen zu verfaſſen, ſo möge man
auch dieſe ihre Proteſtation demſelben einverleiben.


Eine Erklärung, auch in ihrer Form von einem ſehr
merkwürdigen Charakter, mit aller möglichen äußern Rück-
ſicht abgefaßt. Die Stände werden „lieben Herren Vet-
tern, Oheime, Freunde,“ genannt; ſorgfältig ſondernd titu-
lirt man ſie: Eure Liebden und Ihr Andern; man unter-
ſcheidet freundliche Bitte an die Einen und gnädiges Ge-
ſinnen an die Andern; indem man keinen Augenblick ſeine
fürſtliche Würde aus den Augen ſetzt, bittet man die Geg-
[156]Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel.
ner doch, das Verfahren zu dem man ſich genöthigt ſieht,
nicht falſch zu verſtehen; das wird man um die Einen
freundlich verdienen, und gegen die Andern mit günſtigem
Willen erkennen. Die Actenſtücke dieſes Jahrhunderts ſind
gewiß weit entfernt, ſchön oder claſſiſch genannt werden
zu können, aber ſie ſind den Umſtänden angemeſſen und
haben Charakter; wie die Menſchen ſelbſt, ſo alles was
ſie thun.


Der König, dem dieſe Proteſtation mit einigen Zu-
ſätzen des andern Tages übergeben ward, hielt es nicht
für gut ſie anzunehmen; aber ſie hatte doch den größten
Eindruck gemacht; daß ein Reichstag in ſo offenbarer Ent-
zweiung endige, ſchien wohl gar zu unmittelbarem Unfrie-
den führen zu können; noch am 20ſten erſchienen, im Auf-
trag der Mehrheit Heinrich von Braunſchweig und Philipp
von Baden, um eine Vermittelung zu verſuchen.


Und ſehr merkwürdig ſind die Punkte, über welche ſie
ſich hiebei mit den Evangeliſchen vereinigten.


Sie gaben zu, daß der Artikel über die Gerechtſame
der Geiſtlichkeit auf deren weltliche Verwandte und Unter-
thanen beſchränkt werde.


Die Evangeliſchen dagegen willigten ein, daß bis auf
das Concilium keine weitere Neuerung vorgenommen, be-
ſonders keine Secte zugelaſſen werde, die dem Sacramente
des wahren Fronleichnams und Blutes entgegen ſey.


Die Verſchiedenheiten der Meſſe ſollten beide Theile
an einander dulden; Niemand ſollte in dieſer Hinſicht au-
ßerhalb ſeines weltlichen Gebietes etwas zu ſagen haben. 1


[157]Vermittlungsverſuch.

Dieſe Vorſchläge haben die evangeliſchen Fürſten wirk-
lich genehmigt: auch die zu den Anſichten Zwinglis nei-
genden Städte glaubten dabei beſtehen zu können.


Man ſieht wohl: wäre es blos darauf angekommen,
ſich einen Einhalt in dem Lauf der Neuerung, in ſo fern
er geſetzlich bewirkt werden konnte, gefallen zu laſſen, ſo
würden ſie nachgegeben haben; ihr Standpunkt war ledig-
lich der der Vertheidigung: es war nur der Einfluß der
von dem Reichstag wieder anerkannten geiſtlichen Juris-
diction, gegen den ſie ſich zur Wehre ſtellten.


Allein bei der Zuſammenſetzung der Majorität war
wohl wenig Hoffnung, mit dieſen Vorſchlägen bei ihr durch-
zudringen. Ein paar weltliche Fürſten konnten ſie billigen:
die geiſtlichen, die in der Umwandlung der allgemeinen An-
gelegenheiten ſo eben eine glänzende Ausſicht zur Herſtellung
ihrer Gewalt wahrnahmen, verſchmähten darauf einzugehn.
Waren doch auch die weltlichen Fürſten noch nicht einmal
alle mit den erſten Beſtimmungen des Ausſchuſſes zufrieden.
Herzog Georg von Sachſen forderte eine nähere Feſtſetzung
über die verlaſſenen Klöſter, die beweibten Prieſter, er wollte
alle von dem Herkömmlichen abweichende Deutungen der hei-
ligen Schrift verboten wiſſen. 1 Am wenigſten wäre König
1
[158]Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Ferdinand zu gewinnen geweſen. Es verdroß ihn, daß man
zur Proteſtation geſchritten war, ohne erſt mit ihm zu un-
terhandeln, ihm dieſelbe ſo ohne weiteres zugeſendet, Un-
terhandlungen die er ſelber durch Planitz eröffnet, zurück-
gewieſen hatte. Auch auf die evangeliſchen Städte war er
ſehr unwillig, namentlich auf Strasburg, das noch kurz
vor dem Reichstag die Meſſe abgeſchafft hatte, er ließ ſich
nicht bewegen, dem Abgeordneten dieſer Stadt, Daniel
Mieg, ſeinen Sitz in dem Reichsregiment zuzugeſtehn. So
lehnte er denn auch jetzt jede weitere Annäherung ab, und
verwarf die Vorſchläge der beiden Vermittler. Er verwei-
gerte, die Proteſtation dem Abſchiede einzuverleiben, oder
auch nur derſelben darin Meldung thun zu laſſen.


Da nahmen nun auch die Evangeliſchen auf das Er-
ſuchen Ferdinands, die Proteſtation nicht weiter zu exten-
diren, noch ſie bekannt zu machen, keine weitere Rückſicht.


Es ward ein ausführliches, mit allen Actenſtücken ver-
ſehenes Inſtrument aufgenommen, in welchem die vereinig-
ten Fürſten, Churfürſt Johann von Sachſen, Markgraf
Georg von Brandenburg, die Herzoge Ernſt und Franz
von Braunſchweig-Lüneburg, Landgraf Philipp zu Heſſen
und Fürſt Wolfgang zu Anhalt, von den Beſchwerden, die
ihnen am gegenwärtigen Reichstag begegnet, und allen Be-
ſchlüſſen deſſelben an den Kaiſer, die nächſte gemeine freie
Verſammlung der heiligen Chriſtenheit, oder auch ein Zu-
ſammenkommen der deutſchen Nation appellirten.


Den nächſten Sonntag, 25. April, ward dieſer Ap-
pellation in der Behauſung des Caplan Peter Mutterſtadt
an der Johanniskirche zu Speier, in der Johannisgaſſe
[159]Trennung der Staͤdte.
daſelbſt, in der untern kleinen Stube des Hauſes, die nöthige
gerichtliche Form gegeben. Bald darauf ward ſie öffentlich
bekannt gemacht, denn Jedermann ſolle wiſſen, daß die Für-
ſten in den neuen Abſchied mit nichten gewilligt, ſondern
entſchloſſen ſeyen, an dem früheren feſtzuhalten.


Und dieſe Erklärung bekam nun noch dadurch ein be-
ſonderes Gewicht, daß ihr eine große Anzahl von Reichsſtäd-
ten beitrat.


Anfangs hatte es nicht anders geſchienen, als wür-
den ſie alle noch einmal für Einen Mann ſtehen. Denn
das war ihre alte Regel, wenn Eine von ihnen eine Be-
ſchwerde hatte, ſich alle für dieſelbe zu verwenden, ſich auf
keine Weiſe von einander abzuſondern. Wir bemerkten,
daß in der That die erſte Eingabe der Städte, ſo anti-
clericaliſch auch ihr Inhalt lautete, doch von allen unter-
zeichnet war. Allein die Religionsintereſſen gingen zu tief
in Fleiſch und Blut, als daß die alten Regeln dagegen aus-
gehalten hätten. Die kaiſerlichen Commiſſarien ließen die
Abgeordneten der katholiſch-gebliebenen Städte zu ſich kom-
men, lobten ſie wegen ihrer Treue, ermunterten ſie darin
zu beharren. Auf einige kleinere, wie Rottweil, Ravens-
burg, hatte Joh. Faber viel perſönlichen Einfluß. Von
andern behauptete man, die Hoffnung bei dem Reichsan-
ſchlag erleichtert zu werden, habe ſie nachgiebiger geſtimmt.
Genug in der entſcheidenden Stunde, als der Mainziſche
Canzler fragte, welches nun die Städte ſeyen, die ſich be-
ſchwert fühlten, zögerte man zwar einen Moment, in Er-
innerung an die alten Grundſätze, aber nur einen Moment.
Zuerſt erklärte der Geſandte von Rottweil, es gebe unter
den Städten auch viele mit dem Beſchluſſe Einverſtandene.
[160]Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Andre ſtimmten ihm bei. Es ward ein Verzeichniß ange-
legt, in das die, welche ſich beſchwert glaubten, ihre Na-
men eintrugen. Anfangs ſchrieb ſich ſelbſt Cöln ein, nicht
ſowohl, weil es die neuen Meinungen getheilt hätte, als
weil es in Streitigkeiten mit ſeiner Geiſtlichkeit begriffen
war; doch zog es ſich ſpäter zurück. Auch Frankfurt ſchrieb
ſich anfänglich ein und hier waren denn wirklich die neuen
Meinungen ſchon feſt gewurzelt; ſpäter trat es zurück, weil
es ſich nicht von dem Kaiſer zu ſcheiden gedenke. Aber
die übrigen blieben ſtandhaft. In dem Inſtrument werden
ihrer vierzehn als Theilnehmer der Proteſtation genannt:
Strasburg, Nürnberg, Ulm, Coſtnitz, Lindau, Memmin-
gen, Kempten, Nördlingen, Heilbronn, Reutlingen, Isny,
St. Gallen, das hier noch einmal als Reichsſtadt auftritt,
Weißenburg und Windsheim. Es ſind, wie man ſieht,
auch alle die dabei, welche ſich zu der Zwingliſchen Auf-
faſſung hielten. In dem dringenden Momente hatten die
Fürſten kein Bedenken getragen, ſich mit ihnen zu verbinden.
So bedeutende Fürſten hauptſächlich in dem nördlichen, ſo
anſehnliche und reiche Städte vornehmlich in dem ſüdlichen
und weſtlichen Deutſchland, alle in Einem Sinn vereinigt,
bildeten noch immer eine ſehr reſpectable Macht. Sie wa-
ren entſchloſſen ſich gegen jede Gewaltthat von Seiten der
Majorität mit gemeinſchaftlichen Kräften zu vertheidigen.



[[161]]

Sechstes Capitel.
Spaltungen unter den Proteſtanten.


Fragt man nach dem reinen Reſultate des Reichs-
tags von 1529, ſo iſt es folgendes.


An ein Einverſtändniß des Reiches in religiöſer Hinſicht
war ſchon lange nicht mehr zu denken; zwei Parteien ſetzten
ſich einander immer ſchärfer gegenüber. Die Reichsgewalt
ſelbſt hatte dieß geſtattet; wie ſie ſich 1526 ausgeſprochen,
konnte ſie als neutral angeſehen werden. Jetzt aber, nachdem
der erſte Sturm vorüber gegangen war, der geiſtliche Stand
nach eigenen lebhaften Irrungen ſich zur Handhabung ſei-
ner gemeinſchaftlichen Intereſſen wieder vereinigt, der Kai-
ſer mit dem Papſt wieder freundſchaftliche Verhältniſſe an-
geknüpft hatte, gelang es der katholiſchen Geſinnung ſich der
höchſten Gewalt zu bemächtigen; die Reichsgewalt, in den
Händen der Majorität, nahm eine durchaus katholiſche
Farbe und Haltung an.


Die Evangeliſchen, die noch eben auf das Bewußt-
ſeyn einer anerkannten Legalität getrotzt, und ſich die Hof-
nung gemacht hatten, auf dieſem Wege immer weiter zu
ſchreiten, ſahen ſich plötzlich nicht allein von jedem Antheil
Ranke d. Geſch. III. 11
[162]Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.
an der Reichsverwaltung, die ſie vor einigen Jahren ſogar
geleitet hatten, ausgeſchloſſen, ſondern von derſelben in ih-
rem Daſeyn bedroht.


Es blieb ihnen nur übrig, ſich als Minorität zu con-
ſtituiren, und zwar als eine ſolche, die ſich keine Zurück-
ſetzung gefallen laſſen will und alle ihre Kräfte dagegen zu-
ſammenzunehmen entſchloſſen iſt.


Man darf nie vergeſſen, daß der muthige Gedanke,
dieſe Stellung zu ergreifen, ſich auf dem Boden der Reichs-
geſetze zur Wehre zu ſtellen, von welchem die folgende Ent-
wickelung des Proteſtantismus abhängt, in der Idee einer
Vereinigung des ſächſiſchen und des ſchweizeriſchen Bekennt-
niſſes gefaßt und ausgeführt ward.


Am 21. April wies König Ferdinand die braunſchwei-
giſch-badenſche Vermittelung zurück; am 22ſten ſchloſſen
Sachſen und Heſſen eine, wie es in der Urkunde heißt,
„ſonderlich geheime Verſtändniß“ mit den Städten Nürn-
berg, Ulm und Strasburg. Man war darüber einig, daß
man ſich vertheidigen wolle, wenn man des göttlichen Wor-
tes halber angegriffen werde, möchte das nun durch den
ſchwäbiſchen Bund, oder von Seiten des Kammergerichts,
oder ſelbſt durch die Reichsregierung geſchehen. Geſandte,
die im Juni zu Rotach an dem fränkiſchen Gebirge zu-
ſammenkommen würden, ſollten näher beſtimmen, wie man
einander Hülfe zu leiſten habe. 1


Zwiſchen Nürnberg, welches dem lutheriſchen, und
Strasburg, welches dem ſchweizeriſchen Begriff anhing,
ward hier, wie man ſieht, noch kein Unterſchied gemacht.


[163]Entwurf eines proteſt. Buͤndniſſes.

Auch ſäumte man nach dem Reichstag nicht, den
beſchloſſenen Bund näher in Ueberlegung zu ziehen. Es
ſind zwei Entwürfe dazu in unſern Händen, der eine
von ſtädtiſcher, der andere von fürſtlicher Seite. Jener
geht davon aus, daß ein Bundesrath aus den Geſandten
der verſchiedenen Stände gebildet werden müſſe, der, ſeiner
beſondern Pflichten entledigt nur in Rückſicht auf das all-
gemeine Beſte Beſchluß zu faſſen habe; der angegriffene
Theil ſolle immer den Feldhauptmann ſetzen. In dieſem
dagegen wird eine der Reichsverfaſſung entſprechende An-
ordnung vorgeſchlagen. Ein Fürſt ſoll zum Hauptmann
ernannt werden und einen Kriegsrath von 6 Mitgliedern
zur Seite haben, drei von den Fürſten, einen von den Gra-
fen, zwei von den Städten. Der ſtädtiſche Entwurf ſucht
beſonders zu verhüten, daß man nicht um anderer als re-
ligiöſer Gründe willen zu den Waffen greife; nur dann
dürfe dieß geſchehn, „wenn man des Glaubens wegen ange-
griffen, oder unter dem Scheine geiſtlicher Jurisdiction ver-
hindert werden ſolle, die Kirchen zu viſitiren.“ In dem
fürſtlichen, der von der Hand des Churprinzen iſt, wird
beſonders das Recht hervorgehoben, das man zur Gegen-
wehr habe; des Kaiſers wird darin noch nicht gedacht;
die letzten Beſchlüſſe werden nur als Unternehmungen der
Stände betrachtet, denen man auch dieſſeit in aller Hin-
ſicht ebenbürtig und gleich, denen ſich entgegenzuſtellen man
nicht allein berechtigt, ſondern ſogar verpflichtet ſey. 1


Welcher von beiden nun aber auch beliebt worden
11*
[164]Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.
wäre, ſo würde man alle Mal eine bedeutende Macht ha-
ben aufſtellen können. Der Churprinz berechnete, daß man
10000 M. zu Fuß, 2000 zu Pferde aufbringen müſſe; er
rieth nahe und ferne Freunde dazu einzuladen. Zunächſt
würde man die Schweiz zur Seite gehabt haben. St.
Gallen, eine ſchweizeriſche Stadt, hatte auch die Proteſta-
tion mitunterzeichnet. Die Reichsſtädte Coſtnitz und Straß-
burg traten in Bürgerrecht mit Zürich und Bern. Land-
graf Philipp ſtand in engem Verhältniß zu Zürich und na-
mentlich zu Zwingli. So ganz harmlos und ohne Bezug
auf den Kaiſer würde wohl der Bund nicht lange geblie-
ben ſeyn. Landgraf Philipp und der Rath von Zürich hat-
ten ganz offenbar die Herſtellung Herzog Ulrichs von Wir-
temberg ins Auge gefaßt. Von Zürich aus wendete man
ſich an Venedig, an Frankreich. Bei den Unterhandlungen
mit Frankreich trug Zwingli darauf an, daß auch der Land-
graf von Heſſen in den Bund aufgenommen würde, den
er als großherzig, ſtandhaft und klug ſchilderte. 1 Indem
der Kaiſer in dem ſüdlichen Europa entſchieden die Ober-
hand behielt, ſchien es als würde ſich ihm ſofort in der
Schweiz und in Deutſchland eine religiös-politiſche Partei
entgegenſtellen und den Mittelpunkt für eine neue euro-
päiſche Oppoſition bilden. Auf jeden Fall durfte man
die Zuverſicht hegen, in dieſer Vereinigung dem Kaiſer und
der Majorität der Reichsſtände einen unüberwindlichen Wi-
derſtand entgegenſetzen zu können.


Allein wie bald ſollte doch die neue Partei, und zwar
in Folge ihrer eignen Zuſammenſetzung, dieſe Ausſichten
fahren laſſen!


[165]Theologiſche Bedenklichkeiten.

Indem man ſie faßte, hatte man die Entzweiung aus
den Augen geſetzt, welche zwiſchen den beiden Bekenntniſſen
obwaltete, deren Anhänger man hier zu vereinigen gedachte.
Das war wohl in Speier möglich, beim Anblick einer plötz-
lich aufſteigenden unerwarteten Gefahr: den Feinden gegen-
über fühlte man ſeine Gemeinſchaft und die Nothwendig-
keit ſich politiſch zuſammenzuhalten. Aber ſo wie man
wieder allein war, jener Eindruck wieder verloſch, mußte
auch die alte Stimmung wieder aufſteigen.


Der Charakter des Jahrhunderts iſt eben, daß indem
man ſich von der Herrſchaft der Geiſtlichkeit zu emancipi-
ren ſucht, doch das theologiſche Element, durch deſſen Ener-
gie dieß geſchieht, hinwieder ſich von keiner politiſchen Be-
trachtung beſeitigen läßt.


Man hatte in Speier den Theologen anfangs das
neue Bündniß verborgen gehalten, und als man es ihnen
dann mittheilte, ſie vermocht, es ſich gefallen zu laſſen


Aber ſie waren auch die erſten, in denen nun Scru-
pel aufſtiegen. Melanchthon, ein Menſch, der jede Schwie-
rigkeit, auf die er ſtieß, innerlich durcharbeitete, und ſich da-
bei keine Pein erſparte, kam ſchon ohne die gewohnte Hei-
terkeit nach Hauſe. Er bildete ſich ein, wenn man nur die
Anhänger Zwingli’s hätte fallen laſſen, ſo würde ſich die Ma-
jorität wohl nachgiebiger gezeigt haben; er gab es ſich ſelber
Schuld, daß dieß nicht geſchehen ſey, denn ſeine Pflicht wäre
geweſen darauf zu dringen. Er erſchrak bei dem Gedan-
ken, daß eine Veränderung des Reiches und der Religion
daraus hervorgehn könne. In Wittenberg ſprach er mit
Luther und man kann denken, wie der die Sache aufnahm.
[166]Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.
Melanchthon gerieth in die ſchmerzlichſten innern Beküm-
merniſſe. „Mein Gewiſſen,“ ſchreibt er am 17. Mai, „iſt
durch dieſe Dinge beunruhigt; ich bin halb todt, indem
ich ſie mir überlege.“ Am 11. Juni: „meine Seele iſt
von ſo bitteren Schmerzen ergriffen, daß ich darüber alle
Pflichten der Freundſchaft, meine Studien verſäume.“ Am
14ten: „ich fühle mich in ſolcher Unruhe, daß ich lieber
ſterben, als ſie länger ertragen wollte.“ Gleich, als wollte
er das begangene Unrecht wieder gut machen, erſuchte er
endlich auf ſeine eigne Hand ſeine Freunde in Nürnberg,
den Abſchluß der entworfenen Verbindung lieber zu verhü-
ten. „Denn die gottloſe Meinung Zwingli’s dürfe man
nimmermehr vertheidigen.“


Seinen Herrn, den Churfürſten, konnte er getroſt der
Einwirkung Luthers überlaſſen.


Luther, wie geſagt, hatte keinen Augenblick gezögert,
die Verbindung mit den Anhängern Zwingli’s zu verdam-
men. Auf der Stelle, und unaufgefordert, nur auf die
Erzählung Melanchthons wandte er ſich an Chf. Johann,
um die zu Speier geſchloſſene Abkunft auch jetzt noch rück-
gängig zu machen. Er ſtellte ihm vor, daß alle Bündniſſe
überhaupt gefährlich ſeyen; erinnerte ihn, wie ſchon das
vorige von dem unruhigen jungen Landgrafen mißbraucht
worden. „Wie ſollte man ſich aber vollends mit Leuten
verbinden dürfen, welche wider Gott und das Sacrament
ſtreben? Da gehe man mit Leib und Seele der Verdamm-
niß entgegen.“



[167]Theologiſche Bedenklichkeiten.

Und dürfte man wohl dieſe theologiſchen Bedenklich-
keiten ſo ſchlechthin verwerfen? Es namentlich Luthern zum
Vorwurf machen, daß er ſie hegte?


Wir müſſen bedenken, daß der Grund der ganzen Re-
formbewegung in der religiöſen Ueberzeugung lag, die nicht
mit ſich unterhandeln, ſich keine Bedingung noch Ermäßi-
gung abgewinnen ließ. Der Geiſt einer excluſiven, in For-
meln feſtgeſetzten, den Gegner verdammenden Rechtgläubig-
keit, herrſchte nun einmal in der Welt vor. Ebendarum
war der Streit zwiſchen den beiden Bekenntniſſen, die ſich
doch ſonſt nahe ſtanden, ſo heftig geworden.


Eine Verbindung der Anhänger derſelben war nur ent-
weder dadurch ausführbar, daß man über die Differenz hin-
wegſah oder dadurch daß man ſie beilegte.


In Speier in dem Tumulte des Reichstags, im An-
geſicht der gemeinſchaftlichen Gefahr hatte man das Erſtere
für möglich gehalten. Allein wie ſollte es ſich durchführen
laſſen, da noch immer die heftigſten Streitſchriften zwiſchen
den Oberhäuptern gewechſelt wurden? Bei der Ueberzeu-
gung, die nun einmal beide Parteien hegten und nicht
fahren ließen, hätte darin faſt ein Beweis gelegen, daß das
urſprüngliche religiöſe Motiv nicht ſo ganz rein geweſen ſey.


Luther war weit davon entfernt und es bedurfte nur
ſeiner Anmahnung, um auch den Churfürſten davon zurück
zu bringen.


Churfürſt Johann ſchickte wohl zur beſtimmten Zeit
ſeine Abgeordneten nach Rotach, aber mit dem Auftrage,
nur zu hören und ihm zu berichten; er werde dann mit
den Gelehrten berathſchlagen, ob die Sache ohne Beſchwe-
rung des Gewiſſens auszuführen ſey. Er meinte, vielleicht
[168]Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.
würden auch in den Nürnbergern ähnliche Scrupel erwacht
ſeyn. 1


Wirklich war die Meinung der Nürnberger Theolo-
gen ganz wie die der ſächſiſchen. Auch ſie überzeugten ih-
ren Rath, daß man mit den Sacramentirern nichts zu
ſchaffen haben müſſe. 2


Daher kam es in Rotach zu nichts als zu allgemeinen
Zuſicherungen gegenſeitiger Hülfe, vorläufigen Beſprechun-
gen; nähere Berathung verwies man auf eine andre Zu-
ſammenkunft im Auguſt nach Schwabach, die aber gleich
gar nicht zu Stande kam. Sie war ſchon abgekündigt,
als die oberländiſchen Geſandten anlangten: ſie hatten den
weiten Weg vergeblich gemacht. 3


So mächtig ſetzte ſich das theologiſche Element, wie
jenem Kriegsunternehmen in den Packiſchen Händeln vor
drei Jahren, ſo jetzt einem Bündniß entgegen, das zur Ret-
tung vor der überlegenen Gewalt das einzige Mittel ſchien.
[169]Geſpraͤch zu Marburg.
Wie damals den Angriff, ſo verhinderte es jetzt alle Maaß-
regeln der Vertheidigung.


Kein Wunder, wenn ſich Landgraf Philipp, der jene
Ausſichten ſchon mit ſeinem ganzen Ehrgeiz ergriffen hatte,
darüber betroffen, unglücklich fühlte. Er that alles, um
ſeinen ſächſiſchen Verbündeten bei dem einmal gefaßten Ent-
ſchluß feſtzuhalten. Jedoch es war alles vergebens. 1


Und glauben wir darum nicht, daß Landgraf Philipp
dem Geiſt ſeines Jahrhunderts untreu geworden ſey. Der
Grund ſeiner Nachgiebigkeit lag darin, daß er von der Lu-
therſchen Auffaſſung nicht ſo vollkommen durchdrungen war,
wie die Uebrigen.


War nun aber das Ignoriren der Zwiſtigkeit nicht
möglich, ſo wurde es doppelt dringend noch einen Verſuch
zu machen, ob ſich nicht eine Vereinigung zwiſchen den
ſtreitenden Theologen ſtiften laſſe.


Schon in Speier hatte Landgraf Philipp dieſen Ge-
danken gehabt, und darüber an Zwingli geſchrieben. Jetzt
ſchritt er zu einer definitiven Einladung beider Parteien,
zum Michaelisfeſt 1529 auf ſein Schloß zu Marburg.


Merkwürdig wie verſchieden beide ſeine Einladung auf-
nahmen. Zwingli hätte gefürchtet, von dem großen Rathe
3
[170]Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.
ſeiner Stadt, wenn er ſeine Abſicht kund gethan hätte, zu-
rückgehalten zu werden; man hätte ihn ſchwerlich auf eine
ſo weite Reiſe durch ſo manches zweifelhafte oder feindſe-
lige Gebiet ziehen laſſen; nur im Einverſtändniß mit eini-
gen Mitgliedern des geheimen Raths, ohne daß er auch
nur ſeiner Frau ſeine Abſicht mitgetheilt hätte, ehe er auch
nur einmal ein heſſiſches ſicheres Geleit erhalten, machte
er ſich auf den Weg. Dagegen hätte Melanchthon lieber
geſehen, ſein Fürſt hätte ihnen die Reiſe verboten. Luther
erklärte unaufhörlich, die Zuſammenkunft werde zu nichts
helfen. Als Luther an der Werra angekommen, wäre er
nicht zu bewegen geweſen, weiter zu gehn, ehe er nicht
das ſichere Geleit des Landgrafen in aller Form in Em-
pfang genommen hatte. 1


Die Schweizer waren erfüllt von großen Hoffnungen;
wußten ſie doch, daß der Fürſt, bei dem ſie mit ihren Geg-
nern zuſammentreffen ſollten, politiſch ohne Frage, und bei-
nahe auch religiös auf ihrer Seite war. Die Wittenberger
fühlten wohl, daß ſie ſich im Widerſpruch mit den Wünſchen
Philipps befanden; ſie waren entſchloſſen, nicht zu weichen,
ſondern ihre Stelle um jeden Preis zu behaupten.


So kam man in ſehr entgegengeſetzter Stimmung zu-
ſammen. Denn das iſt nun einmal die Natur des Men-
ſchen, daß er in alle ſeinem Thun unter den Einflüſſen des
Momentes zu Werke geht.


Erhob man ſich aber einmal darüber, ſo hatte die
Verſammlung etwas Erhabenes, Weltbedeutendes.


[171]Geſpraͤch zu Marburg.

Die trefflichen Geiſter, die auf beiden Seiten mit ſo
großer Kraft die Bewegung geleitet, zwiſchen denen aber
Mißverſtändniſſe ausgebrochen, kamen zuſammen, um in
perſönlichem Zwiegeſpräch eine Ausgleichung zu verſuchen,
dem Hader, der dem Fortgang der gemeinſchaftlichen Sache
nicht anders als überaus hinderlich ſeyn konnte, ein Ende
zu machen.


So faßte Euricius Cordus dieſe Sache, wenn er ſie
alle anredet, die Fürſten des Wortes, „den ſcharfſinnigen
Luther, den ſanften Oecolampad, den großherzigen Zwingli,
den braven Melanchthon,“ und die Uebrigen, welche ange-
kommen — Schnepf, Brenz, Hedio, Oſiander, Jonas, Crato,
Menius, Miconius, deren jeden er mit einem entſprechenden
Worte des Lobes ſchmückt — und ſie dann ermahnt, das
neue Schisma zu heben. „Die Kirche fällt Euch weinend zu
Füßen, fleht Euch an und beſchwört Euch bei den Einge-
weiden Chriſti, die Sache mit reinem Ernſt, zum Heile
der Gläubigen zu unternehmen, einen Beſchluß zu Stande
zu bringen, von dem die Welt ſagen könne, er ſey vom
heiligen Geiſte ausgegangen.“ 1 Es war eine Kirchenver-
ſammlung Derer, die vom Katholicismus abgewichen. Wäre
es einmal damit gelungen, ſo würde das Mittel gefunden
geweſen ſeyn, auch fortan in der neuen Partei die kirchliche
Einheit zu erhalten.


Zuerſt wurden einige vorläufige Zweifel beſeitigt. Man
hatte Zwingli’n Irrthümer über die Gottheit Chriſti beige-
meſſen; er ſprach ſich ganz in dem Sinne des Niceniſchen
[172]Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.
Glaubensbekenntniſſes aus. Auch über den Begriff der Erb-
ſünde, auf welchen die geſammte Heilsordnung baſirt iſt,
die Wirkſamkeit des äußerlichen Wortes, die Taufe, welche
nicht ein bloßes Zeichen ſey, erklärte er ſich mit den Wit-
tenbergern einverſtanden. Es iſt wohl unläugbar, daß
Zwingli in allen dieſen Punkten, indem er zu einem unver-
mittelten Verſtändniß der Schrift zu gelangen ſuchte, ſich
von den angenommenen kirchlichen Begriffen ziemlich weit
entfernt hatte. Er kehrte hierin, wie Luther, auf die Baſis
der lateiniſchen Kirche zurück. 1 Nur in dem Einen Punkte,
auf den es vor allem ankam, welcher die allgemeine Auf-
merkſamkeit beſchäftigte, in der Frage über die Euchariſtie,
wich er keinen Schritt breit; da hoffte er vielmehr den Sieg
davon zu tragen. Mit großer Lebhaftigkeit brachte er ſeine
Argumente vor, die figürliche Bedeutung des Iſt in andern
Stellen, die Erläuterung, die Chriſtus im 6ten Capitel Jo-
hannis ſelbſt gebe, — von welcher er ſich wohl vernehmen
ließ, ſie breche Luthern den Hals ab, was dieſer faſt miß-
verſtanden hätte; — die Uebereinſtimmung mehrerer Kirchen-
väter; endlich die Unmöglichkeit, daß ein Leib anders als
an Einem Ort ſey. Allein Luther hatte vor ſich auf die
Tafel die Worte geſchrieben „das iſt mein Leib;“ er blieb
dabei, daß das Gottes Worte ſeyen, an denen man nicht
deuteln müſſe, vor denen der Satan nicht vorüber könne; er
ließ ſich auf die tiefergreifenden Erklärungen, mit denen er
das Argument von der Localität, ohne die ein Körper nicht
[173]Geſpraͤch zu Marburg.
zu denken ſey, wohl ſonſt beſtritten hatte, dieß Mal nicht ein;
das „Bedeutet“ wollte er ſchlechthin nicht dulden, denn das
nehme den Leib hinweg. Der Unterſchied iſt: auch Zwingli’n
iſt die Gegenwart Chriſti an das Brod geknüpft; Luther’n da-
gegen iſt das Brod ſelbſt die Gegenwart, und zwar der gegen-
wärtige Leib; das Sichtbare enthält das Unſichtbare, wie die
Scheide das Schwert. Wohl verſtand auch er das Ge-
nießen ſpirituell, er wollte ſich aber das Myſterium, das
in dem Zeichen liegt, nicht entreißen laſſen. Er meinte,
die Gegner möchten wohl noch nicht in den Fall gekom-
men ſeyn, ihre Erklärung in geiſtigen Anfechtungen zu er-
proben. 2 Er dagegen war ſich bewußt, damit gegen Sa-
tan und Hölle gekämpft, und den Troſt daraus geſchöpft
zu haben, deſſen die Seele in ihren verzweiflungsvollſten
Stürmen bedarf.


Für die Fortentwickelung der religiöſen Ideen wäre
es, dünkt mich, nicht einmal zu wünſchen geweſen, wenn
Zwingli ſeine Auffaſſung, die durch die Zurückführung des
1
[174]Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.
Myſteriums auf die urſprünglichen, hiſtoriſch überlieferten
Momente der Einſetzung eine ſo unermeßliche Bedeutung
für die ganze Auffaſſung des Chriſtenthums außerhalb
der conſtituirten Kirchlichkeit in ſich ſchloß, aufgegeben
hätte. In den übrigen Punkten, wo er nachgab, war
er noch nicht ſo ſicher, ſo feſt geworden; dieſen aber
hatte er nach allen Seiten durchdacht; hier war er ſei-
nes Gegenſtandes Meiſter, er enthielt ſein Prinzip; den
ließ er ſich nicht entreißen.


Eben ſo wenig wäre es aber auch von Luther zu er-
warten, oder gar zu fordern geweſen, daß er der andern
Erklärung beigetreten wäre. Sein Standpunkt iſt überhaupt,
daß er ein Inwohnen des göttlichen Elementes in der chriſt-
lichen Kirche feſthält, wie die Katholiſchen. Er ſieht es nur
nicht in den mancherlei Zufälligkeiten, welche phantaſtiſche
und ſophiſtiſirende Jahrhunderte überliefert hatten. Da dieſe
ihm die Gewißheit nicht gewähren, deren er bedarf, ſo geht
er auf die urſprünglichen Quellen zurück, auf welche auch
ſie ſich beziehen; und nur das nimmt er an, was er da
findet. Von den ſieben Sacramenten hält er nur die zwei
feſt, von denen das neue Teſtament unläugbare Meldung
thut. Aber dieſe will er ſich nun auch um keinen Preis
entwinden, oder in ihrer geheimnißvollen Bedeutung ſchmä-
lern laſſen.


Es ſind, wie geſagt, zwei von verſchiedenen Geſichts-
punkten, aber mit gleicher Nothwendigkeit entſtandene Auf-
faſſungen.


Gewinn genug, wenn man nun aufhörte, ſich ge-
genſeitig zu verketzern. Luther hatte gefunden, daß die
Gegner es nicht ſo böſe meinten, wie er geglaubt. Auch
[175]Geſpraͤch zu Marburg.
die Schweizer gaben jene grobe Vorſtellung auf, die ſie
von der lutheriſchen Auffaſſung bisher gehegt hatten. Lu-
ther meint, die Heftigkeit der Streitſchriften werde ſich nun
legen. 1


Zunächſt wurden alle die wichtigſten Glaubensartikel, in
denen man übereinſtimmte, verzeichnet und von den Theo-
logen beider Parteien unterſchrieben; die Abweichungen von
dem römiſchen Bekenntniß ſowohl, wie von den wiedertäu-
feriſchen Secten ſind darin ſorgfältig bemerkt; es war doch
auch dieß eine erwünſchte Grundlage gemeinſchaftlicher Fort-
entwickelung, und das Marburger Geſpräch iſt durch die
Feſtſtellung derſelben auf immer wichtig. Der funfzehnte
und letzte dieſer Artikel betrifft das Abendmahl. Man
iſt über die Art und Weiſe der Feier, und den Zweck der-
ſelben, ſelbſt darin einſtimmig, daß hier der wahre Leib und
das wahre Blut Chriſti geiſtlich genoſſen werde; nur über
die Eine Frage kann man ſich nicht vereinigen, ob dieſer wahre
Leib nun auch leiblich im Brode ſey. Da trennt ſich eine
freiere Auffaſſung der Schrift von dem in der Kirchengemein-
ſchaft geltend gewordenen Begriff des Myſteriums. Doch
will ein Theil gegen den andern chriſtliche Liebe ausüben.


Nur ſo weit gab Luther nicht nach, daß er auch brü-
derliche Liebe gewährt, d. i., daß er anerkannt hätte, man
bilde nun eine einzige Gemeinſchaft. 2 Dazu war ihm die
[176]Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.
Differenz bei weitem zu tiefgreifend, das Myſterium, der
Mittelpunkt des Glaubens und Dienſtes, viel zu weſentlich.


Für die Zukunft demnach, für das Bewußtſeyn, daß
man der Abweichung zum Trotz im Grunde doch dem
nemlichen Bekenntniſſe angehöre, war durch das Geſpräch
nicht wenig gewonnen; der politiſche Zweck dagegen, den
Landgraf Philipp im Auge gehabt, wie er von dem Mo-
ment geboten wurde, war und blieb verfehlt.


So eben hielten Churfürſt Johann von Sachſen und
Markgraf George von Brandenburg eine Zuſammenkunft
zu Schleiz, um über die Zuläſſigkeit des oberländiſchen
Bündniſſes zu rathſchlagen. Dahin begab ſich auch Luther.
Man ward eins, daß eine vollkommene Einheit des Glau-
bens dazu gehöre, wenn man ſich gegenſeitig vertheidigen
wolle; — beſchloß, die Artikel, worauf jene Einheit be-
ruhe, gegen einander zu bekennen, und Niemand in die
Verbindung aufzunehmen, wer auch nur in dem einem oder
dem andern derſelben abweiche. 1


Und auf der Stelle ging man an dieſes Werk. Als
die oberländiſchen Geſandten zu einem neuen Convent in
Schwabach, im October, eintrafen, ward ihnen vor allen
Dingen ein Bekenntniß zur Unterſchrift vorgelegt. Es ſind
die ſogenannten ſchwabacher Artikel. So wie man dieſel-
ben durchſicht, bemerkt man, daß ſie die größte Aehnlich-
keit mit der marburger Uebereinkunft haben. Die Folge
2
[177]Schwabacher Artikel.
iſt von vorn herein, z. B. in den erſten neun Artikeln
die nemliche; 1 auch die Ausdrücke ſtimmen meiſtentheils
wörtlich zuſammen; nur einige wenige Veränderungen fin-
den ſich, unter denſelben aber die entſcheidende im 10ten
Artikel, die Lehre, „daß der wahre Leib und Blut Chriſti
wahrhaftiglich im Brod und Wein gegenwärtig ſey,“ ſo-
gar mit der polemiſchen Bemerkung, daß der Widertheil
vorgebe, es ſey eben nur Brot und Wein. Die ſchwaba-
cher Artikel ſind eine etwas umgearbeitete Redaction der
marburgiſchen Uebereinkunft, in der jedoch der Begriff Lu-
thers als allein gültig angenommen worden. 2 Natürlich
konnten die Geſandten von Ulm und Strasburg dieß Be-
kenntniß nicht unterſchreiben. Sie bemerkten, es ſtimme
mit der bei ihnen herrſchenden Predigtweiſe nicht überein,
ſie ſeyen auf die Veränderung nicht inſtruirt; ſie könnten
Ranke d. Geſch. III. 12
[178]Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.
erſt auf der nächſten Zuſammenkunft eine Erklärung darüber
beibringen.


Es ließ ſich vorausſehen, daß unter dirſen Bedingun-
gen der entworfene Bund wieder aufgegeben werden mußte.


Und gerade in einem Momente geſchah dieß, in wel-
chem die kaiſerliche Gewalt ſich immer feindſeliger zeigte.


Der Kaiſer hatte noch von Spanien aus ſeine Miß-
billigung der Proteſtation ausgeſprochen; die vereinigten
Stände hatten ſich hierauf entſchloſſen, eine Geſandtſchaft
nach Italien an ihn zu ſchicken, um ihre Schritte zu recht-
fertigen; allein wie war das ſpaniſch-katholiſche Weltele-
ment, auf das die Geſandten in der Umgebung des Kai-
ſers ſtießen, ihren Abſichten ſo ganz entgegengeſetzt. Der
Kaiſer wiederholte nur ſeine früheren Erklärungen. Er
wollte die Proteſtation nicht annehmen, und war ſehr un-
willig, als die Geſandten dieſelbe dem Secretär, der mit
ihnen unterhandelte, auf den Tiſch legten. Den ganzen
Hof entrüſtete es, daß der eine der Geſandten, Michael Ka-
den, eine ihm von dem Landgrafen mitgegebene Schrift pro-
teſtantiſchen Inhalts dem rechtgläubigen Kaiſer, der als das
weltliche Oberhaupt der katholiſchen Chriſtenheit daher zog,
in die Hände brachte. Die Geſandten mußten dem Hofe
eine Zeitlang als Gefangene folgen; nur durch eine Art
von Flucht konnten ſie ſich retten.


Es wäre jedoch ein Irrthum geweſen, wenn man ge-
hofft hätte, daß ſo feindſelige und drohende Begegniſſe die
Proteſtanten wieder vereinigen würden.


Auf eben der Verſammlung, auf welcher über dieſel-
[159]Spaltung.
ben Bericht erſtattet wurde, zu Schmalkalden im Dezbr.
1529, brach unter ihnen erſt der volle Zwieſpalt aus.


Den Oberländern — die ſich hier bei weitem zahlrei-
cher eingefunden hatten, als zu Schwabach — wurden die
ſiebzehn Artikel neuerdings vorgelegt; Ulm und Strasburg,
deren Beiſpiel die übrigen zu folgen pflegten, erklärten de-
finitiv, daß ſie dieſelben nicht unterſchreiben würden. Hier-
auf ward ihnen eben ſo beſtimmt erwiedert, daß man
dann auch nicht mit ihnen in Bund treten könne. So leb-
haft ſie dennoch darum baten, ſo dringend ſich der Land-
graf für ſie verwandte, denn von dem Kaiſer habe man
nichts anderes zu erwarten, als Ungnade und Gewalt, ſo
war doch alles vergeblich. Nicht einmal die Relation der
Geſandten wollte man ihnen mittheilen, wenn ſie ſich nicht
zuvor im Glauben einhellig bekennen würden. 1


Und im Laufe dieſer Verhandlungen war nun auch
noch eine andre Frage von mehr politiſcher Natur zur
Sprache gekommen.


Als Luther ſeinen Herrn von dem Bunde mit den
Oberländern abmahnte, hegte er noch die Hoffnung, daß
ein Verſtändniß mit dem Kaiſer möglich ſey.


Er faßte dabei die reformatoriſche Thätigkeit nur in ihrer
allgemeinſten Bedeutung auf, in wie fern ſie ſich auf eine Be-
freiung des weltlichen Standes von der Hoheit und dem An-
ſpruch eines religiöſen Vorzuges bezog, welchen die Geiſtlich-
keit bisher gemacht hatte. Er ſtellte vor, wie unzählige von
Jedermann gerügte Mißbräuche er gehoben, und doch dabei
12*
[180]Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.
nach der andern Seite hin Wiedertaufe und Bilderſturm rit-
terlich bekämpft; hauptſächlich aber und ganz mit Recht rech-
nete er ſich als ein Verdienſt an, daß er den Begriff von Obrig-
keit und weltlicher Majeſtät wieder erweckt und zu allgemei-
ner Anerkennung gebracht habe. Von dem Kaiſer hatte er
eine ſo hohe Meinung, daß er glaubte, es müſſe ihm ein-
leuchten, wenn man ihm vorſtelle, daß in den evangeliſchen
Ländern die Lehre des Chriſtenthums reiner gepredigt werde,
als ſeit tauſend Jahren. Luther war von dem Begriffe des
Reiches nicht viel minder durchdrungen, als von dem der
Kirche — ich ſage nicht von der momentanen Erſcheinung
deſſelben, ſondern von ſeinem Inhalt und Weſen — und
er fühlte eine ähnliche Pein, ſich von demſelben losreißen
zu ſollen.


In der That ſind hierauf Unterhandlungen zwiſchen
dem Churfürſten und König Ferdinand angeknüpft worden.
Bei Ferdinand gingen ſie, wie er ſeinem Bruder mehr als
einmal ſchreibt, hauptſächlich von der Beſorgniß aus, daß
etwa vor deſſen Ankunft eine Bewegung der Proteſtanten
erfolge, was ihm ſehr verderblich hätte werden können;
bei dem Churfürſten von der natürlichen Scheu, ſich
von dem Oberhaupte des Reiches zu trennen, die Luther
noch beſonders in ihm erweckt hatte. Dem Landgrafen
kam die Sache zuweilen bedenklich vor. Er fragte einſt
ſehr trotzig bei dem Churfürſten an, weſſen er ſich zu ihm
zu verſehen habe, wenn er angegriffen werden ſollte. 1


Aber allmählig mußte ſich doch zeigen, wie wenig ſich
von dieſen Unterhandlungen erwarten ließ. Es war klar,
[181]Reichsrechtliche Streitfrage.
daß man nicht, wie der Churprinz bei jenem Entwurf des
Bundes vorausgeſetzt hatte, blos mit den Ständen zu thun
haben werde. Schon in der Inſtruction des Churfürſten
für ſeine Geſandtſchaft nach Schwabach heißt es: die große
Gefahr werde jetzt an der höchſten Stelle ſeyn.


Da trat nun erſt jene weitere Frage ein, ohne de-
ren Beantwortung auch die im Glauben Gleichförmigen ſich
nur vergeblich verbanden, in wie fern es nemlich überhaupt
erlaubt ſey, dem Kaiſer zu widerſtehn.


Mit Recht bemerkte Sachſen, daß wenn man ſich nicht
vor allen Dingen hierüber verſtehe, jedes Bündniß nur zum
Schein dienen, keine Zuverſicht geben, keine Rettung mög-
lich machen werde.


War aber nicht der Kaiſer die höchſte Obrigkeit?
Mußte man ihm nicht nach den Worten der Schrift, die man
ſelbſt ſo oft aufgerufen, in jedem Falle Gehorſam leiſten?


Keinesweges war dieß etwa vergeſſen. So eben ward
die Frage auf das ſcrupulöſeſte unterſucht.


In Sachſen war man noch zur Zeit der ſchwabacher
Zuſammenkunft für das Recht des Widerſtandes. Die Ju-
riſten ſtützten ſich auf den Grundſatz des Rechtes, daß dem
Bedrängten die Gegenwehr geſtattet ſey. Dann ward die
Frage auch den Theologen vorgelegt, jedoch in Luthers und
Melanchthons Abweſenheit, die ſich eben in Marburg be-
fanden. Bugenhagen, dem nun die Entſcheidung oblag,
kam den Juriſten mit einem theologiſchen Grunde zu Hülfe.
Er urtheilte, wenn eine Gewalt, die allerdings von Gott
ſtamme, ſich wider Gott auflehne, ſo könne ſie nicht mehr
als eine rechte Obrigkeit betrachtet werden.



[182]Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.

Ganz eine andre Meinung aber ſtellte Luther auf, als
er zurückgekehrt. Er fand, daß den Rechtsſprüchen, welche
den Widerſtand gut heißen, andere entgegenſtehen, welche
ihn verbieten; mit dieſen aber ſtimme die Schrift überein.
Wolle man ſich gegen einen Fürſten auflehnen, der wider
Gottes Wort handle, ſo werde man ſich am Ende heraus-
nehmen, nach eignem Ermeſſen alle Obrigkeit zu verwerfen.


In demſelben Sinne erklärten ſich auch die Theologen
von Nürnberg. Johann Brenz gab dem Markgrafen ein
ebendahin zielendes Gutachten.


Es waren im Grunde die beiden Lehren vom leiden-
den Gehorſam und vom Rechte des Widerſtandes, welche
hier einander entgegentraten.


Man weiß, wie viel dieſe Lehren und zwar eben in
ihrer Verbindung mit geiſtlichen Geſichtspunkten zur Ent-
wickelung der politiſchen Theorien in Europa beigetragen ha-
ben; ſehr merkwürdig, daß ſie ſo früh und zunächſt in
Deutſchland zur Sprache kamen.


Doch konnten ſie hier nicht zu ihrer völligen Ausbil-
dung gelangen. Die Frage, von der anderwärts alles aus-
gegangen iſt, betrifft ganz im Allgemeinen das Verhält-
niß von Fürſt und Unterthan. Dieſe konnte hier gar nicht
erhoben werden. Hier bewegte ſich die Differenz in an-
dern Kreiſen; es war ein Streit zwiſchen einer tiefer ge-
ſtellten Regierung und einer höheren, zwiſchen den Reichs-
fürſten und dem Kaiſer.


In Deutſchland hatte die Frage mehr einen reichs-
rechtlichen als einen allgemeinen ſtaatsrechtlichen Inhalt.
Sie lag eigentlich darin, ob die höchſte Gewalt im Reiche
monarchiſcher oder ariſtokratiſcher Natur ſey.


[183]Reichsrechtliche Streitfrage.

Luther, der im Kaiſerthum eine Fortſetzung des alt-
römiſchen ſah, wie es in der Schrift vorkommt, hielt an
dem Begriffe der Monarchie feſt, welcher dort vorwaltet.


Er verglich wohl das Verhältniß ſeines Churfürſten
zum Kaiſer mit dem Verhältniß eines Bürgermeiſters in
Torgau zum Churfürſten ſelbſt. Brenz meinte, die Fürſten
ſeyen ſo wenig berechtigt, gegen den Kaiſer die Waffen zu
ergreifen, wie einſt die Bauern gegen Adel und Prälaten.


Eben bei dieſen Vergleichungen aber ſprang ins Auge,
wie wenig damit das Weſen der Sache bezeichnet wurde.
Von der andern Seite machte man geltend, daß die Für-
ſten auch nicht einmal mit den römiſchen Landpflegern in
der Schrift, geſchweige denn mit Bürgermeiſtern oder gar
Bauern zu vergleichen ſeyen; ſie ſeyen dem Kaiſer mit Be-
dingung ihrer Freiheit und Rechte, mit Maaß und Be-
ſchränkung, nach den ihnen verliehenen Gerechtſamen un-
terworfen. Ueberdieß ſeyen auch ſie Obrigkeit und ihre
Pflicht das Evangelium zu beſchützen. 1


Auf dem Convente zu Nürnberg äußerte der ſächſiſche
Kanzler, aber unter der ausdrücklichen Verwahrung, daß
er damit nur eine perſönliche Meinung ausſpreche, er ſey
allerdings von der Rechtmäßigkeit eines Widerſtandes ge-
gen den Kaiſer überzeugt. Er führte die beiden erwähn-
ten Gründe an: einmal, auch die Gewalt der andern Für-
ſten ſtamme von Gott; und ſodann, wolle der Kaiſer zur
[184]Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.
Wiederannahme des Papſtthums zwingen, ſo ſey er mehr
ein Feind und man dürfe es nicht dulden.


Er fand jedoch damit wenig Beifall. Als er ſich
eines Tages in ſeine Kanzlei verfügte, trat ihn der nürn-
bergiſche Stadtſchreiber Spengler an, den wir doch als
einen in Rechtsgeſchäften ſehr geübten Mann kennen, und
beſchuldigte ihn des Irrthums. Sie geriethen mit einan-
der in lebhaften Wortwechſel, den ſie der Umſtehenden hal-
ber die Beſonnenheit hatten lateiniſch zu führen.


Wie Nürnberg ſo war auch Brandenburg geſinnt.
Kanzler Vogler verſicherte, ſein Herr ſey entſchloſſen, wenn
der Kaiſer ihn überziehe, ſich nicht zu wehren, ſondern al-
les zu dulden was Gott ihm auflege.


Dieſe Meinung behielt damals ſelbſt in Sachſen den
Platz. Luther erklärte, auch wenn der Kaiſer ſeinen Eid
übertrete, ſo bleibe er dennoch Kaiſer, die von Gott ge-
ſetzte Obrigkeit: wolle man ihm nicht mehr gehorchen, ſo
müſſe man ihn abſetzen. Aber wohin könne es führen,
wenn man ihn angreife. Man müßte ihn verjagen und ſel-
ber Kaiſer werden, was denn Niemand dulden werde.


Luther wußte keinen andern Rath, als wenn der Kai-
ſer erſcheine, um Gewaltſamkeiten zu verüben, ſo dürfe ihn
freilich kein Fürſt dabei unterſtützen, denn damit würde er
ſelber gegen den Glauben ſündigen; aber man dürfe ſich auch
nicht weigern, ihm das Land zu öffnen und ihn darin
nach ſeinem Willen verfahren zu laſſen. Er wiederholte,
wenn der Kaiſer ihn und die Andern fordere, ſo würden
ſie erſcheinen; der Churfürſt ſolle ihrethalben keine Sorge
haben. Denn ein Jeder müſſe auf ſeine Gefahr glauben.


[185]Haltung der Proteſtanten.

Dahin kam es in wenig Monaten mit dem Bündniß,
das Europa erſchüttern zu müſſen geſchienen. Es war ganz
aufgelöſt. Selbſt die territoriale Verbindung ſchien gegen
den Kaiſer nicht ſchützen zu können. Wir ſehen, daß die
Einzelnen ihm einzeln noch einmal gegenübertreten zu müſ-
ſen glaubten.


Man mag das tadeln wenn man will, wie es ſo oft
getadelt worden iſt. Politiſch-klug war es nicht.


Allein nie trat wohl die reine Gewiſſenhaftigkeit rück-
ſichtsloſer, großartiger hervor.


Man ſieht den Feind gerüſtet herannahen, man ver-
nimmt ſein Drohen, man täuſcht ſich nicht über ſeine Ab-
ſichten, man iſt faſt überzeugt, daß er das Aeußerſte ver-
ſuchen werde.


Auch hätte man Gelegenheit einen Bund gegen ihn zu
errichten, der Europa erſchüttern, an deſſen Spitze man
dem zur Weltherrſchaft Aufſtrebenden mächtig gegenübertre-
ten, das Glück herausfordern könnte; allein man will das
nicht, man verſchmäht es.


Und zwar nicht etwa aus Furcht, aus Zweifel an der
eignen Tüchtigkeit. Das ſind Rückſichten, welche dieſe See-
len nicht kennen. Man thut es nicht, ganz allein aus Religion.


Einmal, man will die Vertheidigung des Glaubens
nicht mit andern fremdartigen Intereſſen vereinigen; man
will ſich nicht zu Dingen, die man nicht überſehen kann,
fortreißen laſſen.


Ferner aber, man will nur den Glauben, den man
ſelber glaubt, vertheidigen; man würde zu ſündigen fürch-
ten, wenn man ſich mit Denen verbände, welche, wenn
[186]Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.
auch nur in Einem, aber in einem weſentlichen Punkte
abweichen.


Endlich, man zweifelt an dem Rechte, dem Oberherrn
zu widerſtehn, die altherkömmlichen Ordnungen des Reiches
zu verletzen.


So nimmt man mitten in den wider einanderlaufen-
den, getümmelvollen Intereſſen der Welt eine Haltung ein,
die nur mit Gott und dem Gewiſſen berathen wird. So
erwartet man die Gefahr. Denn Gott iſt treu, ſagt Lu-
ther, und wird uns nicht laſſen. Er führt den Spruch
des Jeſaias an, „wenn ihr ſtill bliebet, ſo würde euch ge-
holfen.“


Gewiß, klug iſt das nicht, aber es iſt groß.


[[187]]

Siebentes Capitel.
Die Osmanen vor Wien. Carl V in Italien.


Wie die Beſchlüſſe, ſo waren denn auch die Erfolge
der beiden Reichstage von 1526 und 1529 einander durch-
aus entgegengeſetzt.


Der erſte führte die Evangeliſchen unter Gewährlei-
ſtung des Reichs zu ihren großen Gründungen; der zweite,
der ihnen dieſe Gewähr entzog, zerſetzte ſie zugleich unter-
einander.


Der Zwieſpalt, der ſeit jenen Regensburger Satzun-
gen begonnen, war nun zu vollem Ausbruch gediehen.


Ich denke nicht, daß wir zu weit gehen, wenn wir
auch in Hinſicht der auswärtigen Angelegenheiten einen
ähnlichen Gegenſatz zwiſchen den Folgen der beiden Reichs-
tage zu bemerken glauben.


Denn faſt alle Zeit iſt mit einer entſprechenden, den
Genius einer Nation befriedigenden innern Entwickelung
auch eine glückliche Tendenz nach Außen verbunden.


Das Haus Oeſtreich, das damals den Fortgang der
Evangeliſchen guthieß, war dafür auch mit Hülfe der deut-
ſchen Nation zur Herrſchaft in Italien und in Ungarn er-
[188]Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.
hoben worden. Es ließ ſich nicht erwarten, daß nachdem
dieſes Haus eine ſo ganz andre Richtung eingeſchlagen, die
Neigung der Nation ihm wieder zu Gute kommen würde.


„Ich habe gehört,“ ſchrieb Daniel Mieg, der von
dem Reichsregiment ausgeſchloſſen worden, an den Altam-
meiſter zu Strasburg, „die Königl. Majeſtät habe um
Pulver angeſucht; mein Rath wäre, es ihr nicht zu be-
willigen, da uns ſolch eine Schmach geſchehen iſt. Es
wird gut ſeyn, daß wir unſer Geld und unſer Pulver ſelbſt
behalten, wir werden es ſelber brauchen.“ 1


Schon machte das Verfahren, das Umſichgreifen des
Hauſes Oeſtreich eine allgemeine Beſorgniß rege; und man
hatte keine Luſt, es ernſtlich zu unterſtützen. Ein Beiſitzer
des Reichsregiments, Abgeordneter der ſonſt ſo gut kaiſer-
lich geſinnten Frankfurt, Hammann von Holzhuſen, bemerkt
doch, daß viele Stände, mögen ſie nun lutheriſch ſeyn oder
nicht, nicht wiſſen was ſie von Oeſtreich zu erwarten ha-
ben; ſie beſorgen, die Hülfe welche ſie leiſten, möge am
Ende dem Reiche und der Nation zum Schaden gereichen. 2


[189]Osmaniſche Rechtglaͤubigkeit.

Bald darauf finden wir in Ungarn Briefe umlaufen,
in denen aus den Glaubensſtreitigkeiten, in welche Ferdi-
nand mit den Großen in Deutſchland gerathen, die Un-
möglichkeit hergeleitet wird, daß er Ungarn vertheidige. 1


Und indem nun dieſe Stimmung herrſchend wurde,
erſchien der mächtigſte Feind, den das Reich ſeit vielen
Jahrhunderten gehabt, Repräſentant einer andern, der chriſt-
lichen entgegengeſetzten Welt an den Pforten deſſelben.


Eben in dieſen Jahren trat in Conſtantinopel ein Ge-
ſetzgelehrter, des Namens Katib, mit der Behauptung auf,
dem Propheten Jeſus komme der Vorrang zu vor dem
Propheten Mohammed. Der Divan, vor dem dieſer Neue-
rer angeklagt wurde, verſuchte vergebens ihn zu widerle-
gen. Auch der Mufti, an welchen die Sache alsdann kam,
widerlegte ihn nicht, hörte ihn aber in aller Form ab, und
verurtheilte ihn zum Tode. Das Urtheil ſtimmte ganz mit
der Meinung des Sultans überein.


Ohne zu widerrufen erlitt Katib in Mitte der Mos-
lems den Tod für den Namen Jeſu.


Denn Suleiman, der erſte von den osmaniſchen Sul-
tanen, der ſich um Mecca bekümmert hat; — er ließ dort
das heilige Haus der Kaaba, die Moſchee der Chadidſcha
erneuern, Waſſerleitungen bauen, Collegien einrichten —
ſah ſich vor allen gern als den Stellvertreter des Prophe-
ten an. „Ich, deſſen Macht aufrecht erhalten wird durch
die Gnade des Allmächtigen, durch die Segnungen des
Größten ſeiner Propheten, durch den Schutz der vier erſten
[190]Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.
Begünſtigten deſſelben, ich, Schatten Gottes über beide
Welten.“ So bezeichnete er ſich in einem Schreiben an
den König von Frankreich. Darauf gründete er ſeine An-
ſprüche. „Weißt du nicht,“ ſagte ſein Schwiegerſohn Mu-
ſtapha 1528 zu Lasky, „daß unſer Herr der nächſte iſt nach
Allah, daß wie nur Eine Sonne am Himmel, ſo auch er
der einzige Herr auf Erden iſt?“


Noch zu einer Zeit, wo in Europa kein Friede ge-
ſchloſſen war, wo er erwarten konnte, die ganze Oppo-
ſition gegen Carl V in voller Thätigkeit zu finden, 4. Mai
1529, erhob ſich Suleiman mit einem Heere, das man auf
dritthalbhunderttauſend Mann berechnet hat, zum heiligen
Kriege. Vor ihm her brach der Hospodar der Moldau
in Siebenbürgen ein und trieb die Anhänger Ferdinands
auseinander; dann ſtieg Johann Zapolya mit der kleinen
Truppe, die ſich um ihn geſammelt, von den Karpathen
herunter; er hatte das Glück, auf die Ferdinandeiſchen Un-
garn zu treffen, ehe ſie ſich mit den Deutſchen vereinigt,
und ſie zu ſchlagen; auf dem Schlachtfelde von Mohacz
kam er mit dem Sultan zuſammen. Suleiman fragte ihn,
wodurch er ſich bewogen fühle zu ihm zu kommen, der Ver-
ſchiedenheit ihres Glaubens ungeachtet. „Der Padiſchah,“
antwortete Johann, „iſt die Zuflucht der Welt und ſeine
Diener ſind unzählig, ſowohl Moslems als Ungläubige.“
Von dem Papſt und der Chriſtenheit ausgeſtoßen, floh Za-
polya unter den Schutz des Sultans. Eben dieſes Be-
dürfniß momentanen Schutzes war es von jeher geweſen,
was das osmaniſche Reich groß gemacht hatte.


In Ungarn fand Suleiman dieß Mal ſo gut wie gar
[191]Suleiman in Ungarn.
keinen Widerſtand. Die öſtreichiſche Regierung wagte nicht
die leichte Reiterei aufzubieten; bei der ungünſtigen Stim-
mung des Landes fürchtete ſie einen Aufruhr zu veranlaſ-
ſen. Aber eben ſo wenig hatte ſie auch eigene Kräfte um
das Land zu vertheidigen. Dem Befehlshaber der Flotte,
welcher ſeinen Leuten 40,000 G. zahlen ſollte, konnten nach
langer Mühe nicht mehr als 800 G. überſendet werden.
Man hatte die Mittel nicht, um die Feſtungen ordentlich
zu beſetzen.


Der Weſir Suleimans lachte über die abendländiſchen
Fürſten, welche, wenn ſie einen Krieg zu führen hätten,
das nöthige Geld erſt von armen Bauern erpreſſen müß-
ten; er zeigte auf die ſieben Thürme, wo ſeinem Herrn
Gold und Silber in Fülle liege, während ſein Wort hin-
reiche, ein unermeßliches Heer ins Feld zu ſtellen.


Man darf ſich wohl ſo ſehr nicht verwundern, wenn
unter dieſen Umſtänden die ſtarke Partei, die ſich zu Za-
polya hielt, das volle Uebergewicht bekam. Wetteifernd
eilten die Magnaten, die ungriſchen Begs, wie Solimans
Tagebuch ſie nennt, in deſſen Lager, um ihm die Hand zu
küſſen. Peter Pereny wollte wenigſtens die heilige Krone
für Oeſtreich retten, aber unterwegs überfiel ihn ein Ver-
wandter Zapolya’s, der Biſchof von Fünfkirchen, nahm ihn
mit allen ſeinen Kleinodien gefangen und brachte ſie ins
osmaniſche Lager. 1 Wer kennt nicht die ungemeine Ver-
ehrung, welche die Ungarn ihrer Krone widmen, die ſie ei-
ner unmittelbar göttlichen Sendung zuſchreiben, bei deren
[192]Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.
Anblick einmal wohl die zur Schlacht erhobenen Schwerter
in die Scheide zurückgekehrt waren. Nicht ſtärker, ſagt
Rewa, zieht den Magnet das Eiſen an, als die Krone die
Verehrung der Ungarn; ſie halten für ihre Pflicht, ohne
Rückſicht auf Koſten und Gefahr, ſie allenthalben ſchützend
zu begleiten. 1 Die Türken verſtanden, ſie werde hergelei-
tet von Nuſchirwan dem Gerechten. Und dieß Palladium
nun, in welchem die Ungarn ein göttliches Symbol ihrer
Nationalität und ihres Reiches ſahen, befand ſich jetzt in
dem Lager Solimans, ward auf deſſen Zuge mitgeführt.


Bei dieſem allgemeinen Abfall konnte man in der That
nicht darauf rechnen, daß die deutſchen Beſatzungen, die
es in einigen feſten Plätzen gab, dieſelben zu behaupten ver-
mögen würden. In Ofen ſtanden ungefähr 700 vor kur-
zem angeworbene Landsknechte unter dem Oberſt Beſſerer.
Sie hielten einige Stürme aus; als aber die Stadt ge-
nommen und die Burg vom St. Gerhardsberg her, den
ſie beherrſchte, faſt in Grund geſchoſſen war, verzweifelten
ſie, mit ihren langen Lanzen das Feuer des Feindes be-
ſtehen zu können, und hielten ſich für berechtigt, auf ihre
Rettung zu denken; ſie nöthigten ihren Anführer, zu capi-
tuliren. Sie wußten jedoch nicht, mit wem ſie zu thun
hatten. Ibrahim Paſcha verſprach ihnen auf das feierlichſte
freien Abzug: noch in den Thoren von Ofen wurden ſie
ſämmtlich niedergehauen. 2


[193]Suleiman in Deutſchland.

Und von da wälzte ſich nun ohne weitern Widerſtand
das barbariſche Heer nach den deutſchen Grenzen, nach ei-
nem Lande, ſagen die osmaniſchen Geſchichtſchreiber, das
noch nie von den Hufen moslimiſcher Roſſe geſchlagen
worden.


Da traf die orientaliſche Weltmacht, die über zertrüm-
merten, in den unentwickelten Anfängen oder dem ſchon
wieder halbbarbariſirten Abſterben der Cultur begriffenen Rei-
chen errichtet worden, zuerſt mit den Kernlanden des occiden-
taliſchen Lebens, in denen die ununterbrochene Continua-
tion des Fortſchrittes des allgemeinen Geiſtes ihren Sitz
genommen und in vollen Trieben war, zuſammen.


Die Osmanen empfanden doch einen Unterſchied als
ſie unſer Vaterland berührten.


Sie bezeichnen es auch als ein Land der Kafern, — denn
ihnen gilt alles, was ihren Propheten nicht bekennt, als
derſelbe Unglaube, — als ein waldiges Reich, ſchwer zu durch-
ziehen; aber ſie bemerken doch, daß es von den Fackeln
des Unglaubens ganz beſonders erleuchtet, von einem ſtreit-
baren Volke unter grauſamen Fahnen bewohnt, allenthal-
2
Ranke d. Geſch. III. 13
[194]Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.
ben von Burgen, Städten, ummauerten Kirchen beſchützt
ſey; es macht auf ſie Eindruck, daß ſie, ſo wie ſie die
Grenze überſchritten haben, alles in Ueberfluß finden, deſ-
ſen das tägliche Leben bedarf. 1 Sie nehmen wahr, daß ſie
ein von den Elementen der Cultur durchdrungenes, in ſei-
nen Wohnſitzen gut eingerichtetes, tapferes, religiöſes Volk
vor ſich haben.


Ibrahim erzählte ein Jahr ſpäter öſtreichiſchen Ge-
ſandten, dem Sultan ſey von ihrer Seite angeſagt worden,
er möge nicht vorrücken: ſchon halte ihr Herr, Ferdinand,
das Schwert in der Rechten, um ihn zu empfangen. Dieſe
Drohung aber habe den Sultan erſt recht angefeuert, den-
ſelben zu ſuchen. Er habe ihn in Ofen zu finden gedacht,
wo ein König von Ungarn ſeinen Sitz haben ſollte, jedoch
vergebens. Er ſey weiter gerückt an die öſtreichiſche Grenze,
da, habe er gemeint, werde Ferdinand ſeiner warten; man
habe dem anrückenden Sultan aber vielmehr die Schlüſſel
von Bruck entgegengetragen. So ſey er bis nach Wien
gelangt, aber auch auch da habe er weder Ferdinand noch
ſein Heer getroffen; er habe vernehmen müſſen, derſelbe ſey
nach Linz oder nach Prag geflüchtet. Als er nun Wien ge-
ſehen, — ſo ſchön gelegen zwiſchen Weingärten und Bergen,
und doch in der Mitte einer fruchtbaren Ebene, — habe
er geſagt, hier wolle er ausruhn, das ſey ein Ort, würdig
eines Kaiſers; er habe ſeinen Schoos ausgebreitet, d. i.
ſeine leichten Truppen nach allen Seiten hin ausgehn laſ-
[195]Suleiman in Deutſchland.
ſen, um anzuzeigen, der wahre Kaiſer ſey gekommen in ſei-
ner Macht. 1


So ſtellt auch Suleiman ſelbſt in einem Schreiben an
Venedig das Ereigniß vor. Er erzählt, wie er Ofen ge-
wonnen, Ungarn an ſich gebracht, dieſes Reich dem Kö-
nig Johann gegeben habe, wie die alte Krone in ſeine Hand
gefallen ſey. „Aber mein Vorſatz war nicht, dieſe Dinge
zu ſuchen, ſondern mit König Ferdinand zuſammenzutref-
fen.“ 2 Den erſten deutſchen Gefangenen, die vor ihn ge-
bracht wurden, ſagte er, er werde Ferdinand aufſuchen und
wenn derſelbe mitten in Deutſchland wäre.


Am 26. September langte er vor Wien an und ſchlug
daſelbſt ſein Lager auf. Vom Stephansthurme aus ſah
man ein paar Meilen über Berg und Thal nichts als Zelte,
und auf dem Fluſſe die Segel der türkiſchen Donauflotte.
Man zeigt noch den Platz, bei Sömmering, wo das Haupt-
gezelt Suleimans ſtand, deſſen innere Pracht die goldenen
Knäufe verriethen, mit denen es auswendig geſchmückt war.
Er lagerte wie er gezogen war. Ihn zunächſt umgaben die
Truppen der Pforte; hinter ihm bis nach Schwechat dehnte
ſich das anatoliſche Heer unter ſeinem Beglerbeg aus; vor
ihm hielt der Seraskier Ibrahim mit den europäiſchen Si-
pahi, den Rumelioten und Bosniaken, den Sandſchaks von
Moſtar und Belgrad. Denn wie der Staat nur das Kriegs-
heer iſt, ſo repräſentirt das Lager ſelbſt in ſeiner Anord-
nung das Reich. Schon hatten die Ungarn, welche noch
13*
[196]Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.
immer wetteiferten „ſich mit dem Halsbande der Unterthä-
nigkeit zu ſchmücken,“ in dieſem großen Verein ihre Stelle
gefunden. Es war das weſtliche Aſien und das öſtliche
Europa, wie ſie unter dem Einfluß des erobernden Islam
ſich geſtaltet hatten und geſtalteten; jetzt machten ſie einen er-
ſten Verſuch auf das Herz des chriſtlichen Europa’s. Die
leichten Truppen ſuchten höher an der Donau hinauf die fa-
belhafte Brücke des zweigehörnten Alexander auf, die Gränze
der phantaſtiſchen Welt der orientaliſchen Mythe. Das
Laſtthier der arabiſchen Wüſte ward mit Mundvorrath und
Munition an die Mauern einer deutſchen Stadt herange-
trieben: man zählte in dem Lager bei 22,000 Cameele.
Mit orientaliſchem Pomp feiert man das Andenken der
vor Wien Gefallenen; vom Iskendertſchauſch Farfara heißt
es in der Geſchichte Potſchewi’s, er habe hier bei der An-
kunft den Becher des islamitiſchen Martyrthums getrun-
ken, und der Welt vergeſſen. Denn einen heiligen Krieg
„gegen die ſtaubgleichen Ungläubigen“ glaubte man zu füh-
ren. Im Angeſicht der vornehmſten Burg der letzten deut-
ſchen Kaiſer erſcholl jetzt die Doctrin der hohen Pforte,
daß es nur Einen Herrn auf Erden geben müſſe, wie nur
Ein Gott im Himmel ſey, und Soliman ließ ſich verneh-
men, der Herr wolle er ſeyn; er werde ſein Haupt nicht
zur Ruhe legen, bis er die Chriſtenheit mit ſeinem Säbel
bezwungen. Man erzählte ſich, er rechne auf eine an drei
Jahre lange Abweſenheit von Conſtantinopel, um dieſen
Plan auszuführen.


So ſtumpf war nun wohl Europa nicht, um nicht
die Größe dieſer Gefahr zu fühlen.


[197]Entwuͤrfe des Widerſtandes.

Es erlebte einen ähnlichen Moment, wie damals, als
die Araber das Mittelmeer eingenommen, Spanien erobert
hatten, nach Frankreich vordrangen, oder damals, als
die mongoliſche Weltmacht, nachdem ſie den Nordoſten und
Südoſten von Europa überfluthet, zugleich an der Donau
und an der Oder das chriſtliche Germanien angriff.


In die Augen ſprang, daß Europa jetzt bei weitem ſtär-
ker war; es wußte ſehr gut, daß es die Kraft beſaß, „dieſe
Teufel,“ wie man ſich ausdrückte, „aus Griechenland zu ver-
jagen;“ aber es konnte ſich nicht dazu vereinigen.


Wir haben ein Schreiben des Königs Franz aus die-
ſen Tagen, worin er erklärt, die Abſicht, die er immer ge-
hegt, ſeine Kräfte und ſeine Perſon gegen die Türken zu
verwenden, wolle er jetzt ins Werk ſetzen; er hoffe auch
ſeinen Bruder, den König von England dazu zu bewegen;
er denke dann 60,000 Mann ins Feld zu ſtellen, eine
Macht, die wahrhaftig nicht zu verachten ſey. Er drückt
ſich ſo lebhaft aus, als wäre es ihm wahrer Ernſt damit,
doch fügt er eine Bedingung hinzu, die alles wieder ver-
nichtet. Er meint, der Kaiſer müſſe ihm dafür von den
beiden Millionen, die er ihm kraft des Tractats zu bezah-
len habe, die eine erlaſſen. 1 Wie wäre das jemals zu er-
warten geweſen.


Auch auf der kaiſerlichen Seite, wo man noch drin-
gendern Anlaß dazu hatte, und es unerträglich fand, daß
alles Land dem Sultan zufalle, das er nur durchziehen
[198]Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.
wolle, dachte man auf Mittel, um die geſammte Chriſten-
heit in die Waffen zu bringen. Und ſehr merkwürdig iſt wor-
auf man hier verfiel. Der leitende Miniſter in den Nie-
derlanden, Hoogſtraten, eröffnete ſich einſt darüber dem fran-
zöſiſchen Geſandten. Er meinte, der wahre Weg, den
Türken zu widerſtehn, ſey, daß man den Papſt zu einer
allgemeinen Säculariſation bewege. Ein Drittel der geiſt-
lichen Güter, an den Meiſtbietenden verkauft, werde hinrei-
chen um ein Heer ins Feld zu bringen, das die Türken
zu verjagen und Griechenland wieder zu erobern vermöge. 1


Man braucht nur dieſe Vorſchläge ins Auge zu faſſen,
um einzuſehn, wie unmöglich es war ſie auszuführen, eine
Unternehmung zu bewerkſtelligen, die an Bedingungen ſo
weitausſehender Art geknüpft wurde.


Wollte Deutſchland ſich vertheidigen, ſv war es ohne
Zweifel lediglich auf ſeine eigenen Kräfte angewieſen.


Aber ſtanden die Dinge nicht auch hier ſehr zweifelhaft?
Gab es nicht in der That Leute, welche das Mißvergnügen
mit der beſtehenden Ordnung der Dinge dazu trieb, ſich
eine türkiſche Herrſchaft zu wünſchen? Hatte nicht Luther einſt
ſelbſt geſagt, es ſtehe dem Chriſten nicht zu, ſich den Türken
zu widerſetzen, die er vielmehr als eine Ruthe Gottes anſehn
müſſe? Es iſt das einer jener Sätze, welche die päpſtliche
[199]Meinung Luthers.
Bulle verurtheilt. Der Reichstag von Speier hatte ſo
eben eine Wendung genommen, durch die ſich alle An-
hänger der kirchlichen Umwandlung bedroht und gefährdet
fühlten. Es war ihnen wie berührt ſehr bedenklich, daß ſie
dem Oberhaupt jener Majorität, welche ſie von ſich ſtieß,
dem König Ferdinand, Hülfe leiſten ſollten.


Was nun Luther anbetrifft, ſo iſt ganz wahr, daß er
jene Meinung geäußert hat, allein er redet da nur von
den Chriſten als ſolchen, von dem religiöſen Prinzip an
und für ſich, wie es in einigen Stellen des Evangeliums
erſcheint. Jenes frommthuende Geſchrei, welches um der
chriſtlichen Religion willen zu einem Kriege gegen die Tür-
ken anreizte und dann die Beiträge der Gläubigen zu fremd-
artigen Zwecken verwandte, hatte ſeinen Widerwillen er-
weckt. Er ſagte ſich überhaupt los von dem kriegeriſchen
Chriſtenthum; er wollte die religiöſe Geſinnung nicht ſo un-
mittelbar mit dem Schwerte in Verbindung bringen. War
aber nun von einer wirklichen Gefahr und von den An-
ſtrengungen der weltlichen Gewalt dagegen die Rede, ſo
erklärte er deſto entſchiedener, daß man ſich mit allem Ernſt
den Türken entgegenſtellen müſſe. 1 Dazu ſey das Reich dem
Kaiſer anvertraut, er und die Fürſten würden ſonſt ſchuldig
ſeyn an dem Blute ihrer Unterthanen, das Gott von ihnen
fordern werde. Es kommt ihm ſonderbar vor, daß man
ſich in Speier wieder ſo viel darum bekümmert hat, ob
[200]Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.
Jemand in den Faſten Fleiſch eſſe, ob eine Nonne ſich
verheirathe, und indeß den Türken vorrücken, Länder und
Städte, ſo viel er wolle erobern läßt. Er fordert die Für-
ſten auf, das Panier des Kaiſers nicht mehr für ein blo-
ßes ſeidenes Tuch anzuſehn, ſondern demſelben pflichtgemäß
in das Feld zu folgen. Er nimmt ſich die Mühe, zur Be-
kehrung Derjenigen, welche die Regierung der Türken wün-
ſchen möchten, die Gräuel aufzuzählen, die der Koran
enthalte. Die Uebrigen ermahnt er, in des Kaiſers Na-
men getroſt auszuziehen; wer in dieſem Gehorſam ſterbt,
deſſen Tod werde Gott wohlgefällig ſeyn.


Denn es iſt wohl erlaubt, in dieſer großen Gefahr
der deutſchen Nation auch den Mann reden zu laſſen, wel-
cher damals in derſelben am meiſten gehört ward. Die
Schrift vom Türkenkrieg zeigt wieder einmal den Geiſt, der
die kirchlichen und die weltlichen Elemente zu ſcheiden un-
ternahm, in aller ſeiner durchgreifenden Schärfe.


Und ſo viel wenigſtens bewirkte er, daß die Proteſti-
renden, obwohl ſie die Furcht hegten, von der Majorität
mit Krieg überzogen zu werden und in den Reichsſchluß
nicht gewilligt hatten, doch ſo gut wie die andern ihre
Hülfe ausrüſteten. Auch Churfürſt Johann ſtellte ein paar
tauſend Mann unter der Anführung ſeines Sohnes ins Feld. 1


Von allen Seiten zog die eilende Hülfe dem Feldhaupt-
mann des Reiches, Pfalzgraf Friedrich, zu, der indeß zu Linz
bei König Ferdinand angelangt war. 2


[201]Belagerung von Wien.

Zunächſt kam es jedoch noch darauf an, wie die Be-
ſatzung in Wien ſich halten würde, die ſich ſo plötzlich
von Suleiman eingeſchloſſen geſehn.


Denn daran fehlte viel, daß die deutſchen Mannſchaf-
ten ſo ſtark geweſen wären, namentlich in dem erſten
Schrecken und Getümmel, um einen Entſatz zu verſuchen.


Bleiben wir einen Augenblick bei dieſer Belagerung
ſtehen, welche damals die Aufmerkſamkeit der Welt feſſelte
und der in der That eine hohe Bedeutung beiwohnt. Wenn
Suleiman Wien erobert hätte, würde er es auf eine Weiſe
zu befeſtigen gewußt haben, daß man es ihm nicht ſo leicht
wieder hätte entreißen können. Welch eine Station wäre
das für ihn geworden, um die geſammten Gebiete der mitt-
leren Donau in Athem zu halten.


Man dürfte aber nicht glauben, daß Wien ſehr feſt
geweſen wäre. Es war mit einer runden baufälligen Ring-
mauer umgeben, noch ohne alle alle Vorkehrungen der neue-
ren Befeſtigungskunſt; ſelbſt ohne Baſteien, auf denen man
Geſchütz hätte aufpflanzen können, um ein feindliches Lager
zu beſchießen. Die Gräben waren ohne Waſſer. Die Feld-
hauptmannſchaft von Niederöſtreich hatte anfangs gezwei-
felt, ob ſie „den weitſchichtigen unverbauten Flecken“ werde
behaupten können; ſie hatte einen Augenblick den Gedan-
ken gehegt, den Feind lieber im offenen Felde zu erwarten,
um ſich im Nothfall auf die friſchen Truppen zurückziehen
zu können, welche der Pfalzgraf und der König zuſammen-
zubringen beſchäftigt waren: am Ende aber hatte ſie doch
gefunden, daß ſie ihre alte Hauptſtadt nicht aufgeben dürfe,
und ſich entſchloſſen, die Vorſtädte zu verbrennen, die in-
nere Stadt zu halten.


[202]Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.

Waren aber die Befeſtigungen untüchtig, ſo kam da-
gegen die Liebhaberei Maximilians für das Geſchützweſen
jetzt nach ſeinem Tode ſeiner Hauptſtadt zu Gute. Auf
allen Thürmen an den Thoren, auf den Häuſern an den
Mauern, von denen man die Schindeln abgeriſſen, unter
den Dächern, ja in den Schlafhäuſern der Klöſter, wie
ſich verſteht in der Burg und hinter den Schießlöchern, die
man in die Mauern gebrochen, erwarteten Falkonete, Halb-
ſchlangen, Carthaunen, Mörſer, Singerinnen, den Anlauf
des Feindes.


Die Beſatzung beſtand aus 5 Regimentern: vier deut-
ſchen, von denen zwei auf Koſten des Reiches, zwei von
Ferdinand ſelbſt angeworben waren, und einem böhmiſchen.
Die Reichstruppen, unter dem Pfalzgrafen Philipp, dem
Stellvertreter Friedrichs, beſetzten die Mauer vom rothen
Thurm bis gegen das Kärnthnerthor, von da dehnten
ſich die königlichen Haufen unter Eck von Reiſchach und
Leonhard von Fels gegen das Schottenthor hin aus. Es
waren Leute von allen deutſchen Landesarten, viele nahm-
hafte Oeſtreicher, aber auch Brabanter, Rheinländer, Meiß-
ner, Hamburger, beſonders Franken und Schwaben; wir
finden Hauptleute von Memmingen, Nürnberg, Anſpach,
Bamberg, einen Wachtmeiſter von Gelnhauſen; der Schult-
heiß über den ganzen Haufen war aus dem frundsbergi-
ſchen Mindelheim, der oberſte Profoß von Ingolſtadt. Vom
Schottenthor bis zum rothen Thurm ſtanden die Böhmen.
Auf den Plätzen im Innern war einige Reiterei vertheilt,
unter den trefflichen Hauptleuten, Niclaus von Salm, Wil-
helm von Rogendorf, Hans Katzianer. Es mochten 16
bis 17000 Mann ſeyn.


[203]Belagerung von Wien.

Ob nun aber dieſe Mannſchaft den an Zahl ſo un-
endlich überlegenen Feind zu beſtehen vermögen würde, war
doch ſehr zweifelhaft.


Suleiman ließ der Beſatzung ankündigen, wolle ſie ihm
die Stadt übergeben, ſo verſpreche er weder ſelbſt hinein-
zukommen, noch ſein Volk hineinzulaſſen, ſondern er werde
dann weiter vorrücken und den König ſuchen. Wo aber
nicht, ſo wiſſe er doch, daß er am dritten Tage (am Mi-
chaelisfeſt) ſein Mittagsmahl in Wien halten werde; dann
wolle er das Kind im Mutterleibe nicht verſchonen.


In Liedern und Erzählungen finden wir, die Antwort
der Beſatzung ſey geweſen, er möge nur zum Mahle kom-
men, man werde ihm mit Karthaunen und Hallbarden an-
richten. Doch iſt das nicht ſo ganz wahr. Man hatte
nicht Unbenommenheit des Geiſtes genug, um eine ſo kecke
Antwort zu geben. Die Antwort, ſagt ein authentiſcher Be-
richt der Befehlshaber, iſt uns in der Feder ſtecken geblie-
ben. Man rüſtete ſich alles Ernſtes zur Gegenwehr, aber
keineswegs etwa in der Ueberzeugung, daß man ſiegen
werde; man ſah die ganze Gefahr ein, in der man ſich be-
fand, aber man war entſchloſſen ſie zu beſtehen. 1


Und ſo mußte ſich denn Suleiman anſchicken, die Stadt
mit Gewalt zu erobern.


Zuerſt ſtellten ſich die Janitſcharen mit ihren Halb-
hacken und Handrohren hinter dem Gemäuer der eben zer-
ſtörten Vorſtädte auf: ſie ſchoſſen noch vortrefflich; eine
Anzahl geübter Bogenſchützen geſellte ſich ihnen zu; es hätte
[204]Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.
ſich Niemand an den Zinnen, auf den Mauern dürfen blicken
laſſen. Sie beherrſchten den ganzen Umkreis derſelben; die Gie-
bel der benachbarten Häuſer waren mit Pfeilen wie bepflanzt.


Unter dem Dunſt und Hall dieſes Schießens bereite-
ten nun aber die Osmanen noch einen ganz andern An-
griff vor. — Welches auch die Meiſter geweſen ſeyn mö-
gen, von denen ſie urſprünglich darin unterwieſen wor-
den ſind, Armenier oder andere, eine Hauptſtärke ihrer
damaligen Belagerungskunſt beſtand in dem Untergraben
der Mauern, dem Anlegen von Minen. 1 Die Abend-
länder erſtaunten, wenn ſie dieſelben ſpäter einmal anſich-
tig wurden, mit Eingängen eng wie eine Thür, dann
weiter, nicht eigentlich mit einem Bergwerk zu vergleichen,
glatte, wohlabgemeſſene, weite Höhlungen; zugleich darauf
berechnet, daß das ſtürzende Gemäuer nach innen, nicht
nach außen fallen mußte. Dieſe Kunſt — denn eigent-
liches Belagerungsgeſchütz führten ſie nur wenig bei ſich —
wendeten ſie nun auch bei Wien an. Hier aber trafen ſie
auf ein Volk, das ſich ebenfalls auf unterirdiſche Arbeiten
verſtand. Gar bald bemerkte man in der Stadt das Vor-
haben des Feindes; Waſſerbecken und Trommeln wurden
aufgeſtellt, um die geringſte Erſchütterung des Erdbodens
daran wahrzunehmen; man lauſchte in allen Kellern und
unterirdiſchen Gemächern — es ſind noch abenteuerliche
Sagen davon im Gange — und grub ihnen dann entge-
gen. Es begann gleichſam ein Krieg unter der Erde.
[205]Belagerung von Wien.
Schon am 2. October ward eine halbvollendete Mine des
Feindes gefunden und zerſtört. Bald darauf ward eine an-
dere gerade noch im rechten Moment entdeckt, als man
ſchon anfing ſie mit Pulver zu füllen. Die Minirer ka-
men einander zuweilen ſo nahe, daß eine Partei die andre
arbeiten hörte; dann wichen die Türken in einer andern
Richtung bei Seite. Um den Kärnthner Thurm auf alle
Fälle zu ſichern, hielten die Deutſchen für nothwendig, ihn
mit einem Graben von hinreichender Tiefe zu umgeben.


Natürlich aber war das nicht allenthalben möglich.


Am 9. October gelang es den Türken wirklich, einen
nicht unbedeutenden Theil der Mauer zwiſchen dem Kärnth-
ner Thor und der Burg zu ſprengen; in demſelben Mo-
ment traten ſie unter wildem Schlachtruf den Sturm an.


Allein ſchon war man auch hierauf vorbereitet. Eck
von Reiſchach, der bei der Vertheidigung von Pavia ge-
lernt, wie man ſtürmenden Feinden begegnen müſſe, hatte
die Leute unterwieſen, mit welchem Geſchrei und Anlauf
der Sturm geſchehe, und wie man ihm zu begegnen
habe. Dieſe jungen Landsknechte, von denen uns ein Be-
richt verſichert, daß Reiſchachs Anweiſung ihnen „ein tapfer
männlich Herz“ gemacht, ſtanden in der That vortreff-
lich. Mit einem furchtbaren Her erwiederten ſie das os-
maniſche Schlachtgeſchrei. Hallbarden, Handröhre und
Kanonen unterſtützten einander mit dem glücklichſten Er-
folg. „Die Kugeln der Karthaunen und Flinten,“ ſagt
Dſchelalſade, „flogen wie die Schwärme kleiner Vögel
durch die Luft; es war ein Feſtgelage, bei dem die Genien
des Todes die Gläſer credenzten.“ Die deutſchen Berichte
[206]Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.
rühmen beſonders die Tapferkeit, die der alte Salm, Ver-
walter der niederöſtreichiſchen Feldhauptmannſchaft, in die-
ſer heißen Stunde bewies. 1 Die Osmanen erlitten ſo mör-
deriſche Verluſte, daß ſie ſich zurückziehen mußten. Die
niedergeworfene Mauer ward auf der Stelle ſo gut wie
möglich hergeſtellt.


Was aber hier nicht gelungen, verſuchte der Feind
gleich darauf an der andern Seite des Kärnthnerthurms.
Nach manchem falſchen Lärm ſprengte er am 11. Octo-
ber einen guten Theil der Mauer gegen das Stubenthor
hin, und erneuerte unverzüglich ſeinen Sturm. Dießmal
waren die Colonnen dichter formirt; zu den Aſafen und
Janitſcharen hatten ſich Sipahi von Janina und Awlona,
albaneſiſcher Herkunft geſellt; mit ihren krummen Schwer-
tern und kleinen Schilden drangen ſie, dem Haufen voran,
über die gefallenen Mauern daher. Allein hier ſtellte ſich
ihnen Eck von Reiſchach mit vier Fähnlein muthiger Lands-
knechte ſelber in den Weg. Zur Seite hatte er, wie einſt in
Pavia, geübte ſpaniſche Schützen; 2 auch der Feldmarſchall
Wilhelm von Rogendorf war zugegen. Dieß Mal kam es
zum ernſtlichen Handgemenge. Man ſah die langen Schlacht-
ſchwerter der Deutſchen, die ſie mit beiden Händen führ-
ten, ſich meſſen mit dem Türkenſäbel. Ein türkiſcher Ge-
ſchichtſchreiber redet von ihrer feuerregnenden Wirkung.
Dreimal erneuerten die Osmanen ihren Anlauf. Jovius,
[207]Belagerung von Wien.
der ſo viele Schlachten beſchrieben hat, bemerkt doch, daß
man in dieſem Jahrhundert kaum jemals ernſtlicher an ein-
ander gerathen ſey. 1 Aber alle Anſtrengungen der Osmanen
waren vergebens, ſie erlitten noch bei weitem ſtärkere Ver-
luſte als das erſte Mal.


Und damit war nun eigentlich ihr guter Muth er-
ſchöpft.


Am 12. October ward abermal ein Theil der Mauer
gefällt, aber als ſie dahinter die Deutſchen und Spanier
mit aufgereckten Fähnlein erblickten, wagten ſie ſich nicht
ernſtlich heran.


Schon regte ſich bei den Osmanen die Meinung, in
Gottes des Allmächtigen Rathſchluß ſey für dieß Mal die Er-
oberung von Wien dem Islam nicht beſtimmt. Die Nächte
wurden bereits ungewöhnlich kalt; am Morgen ſah man
die Berge mit Reif bedeckt; 2 mit Beſorgniß dachte Je-
dermann an die Länge und Gefahr des Rückwegs, denn
zu jener dreijährigen Abweſenheit war doch in der That nichts
vorbereitet. Dazu kam, daß ſich Nachrichten von einem
nahen Entſatz vernehmen ließen. Ein erbländiſches Heer
ſammelte ſich in Mähren; in den Bezirken des ſchwäbiſchen
Bundes ward eifrig gerüſtet, wie denn Schärtlin von Bur-
tenbach berichtet, was für treffliche Leute er in Würtem-
berg zuſammengebracht; Pfalzgraf Friedrich, der ganz in
der Nähe geblieben, nahm eine drohendere Haltung an.
[208]Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.
Schon lernten die Bauern den ſtreifenden Reitern Wider-
ſtand leiſten. Suleiman entging es nicht, in welche ge-
fährliche Lage er kommen könne, wenn er hier, mitten im
feindlichen Lande, ohne feſte Plätze, in der ſchlechten Jah-
reszeit von einem Feinde angegriffen würde, deſſen Tapfer-
keit er ſo eben kennen gelernt. Er beſchloß noch einen letz-
ten Verſuch auf Wien zu machen, und wenn derſelbe miß-
linge, ſofort aufzubrechen. Er wählte dazu einen Tag, den
er für glücklich hielt, den Moment, wo die Sonne in das
Zeichen des Scorpions tritt, 14. October. Eben in der Mit-
tagsſtunde verſammelte ſich ein guter Theil des Heeres im An-
geſicht der Mauern; Tſchauſche riefen Belohnungen aus, Mi-
nen ſprangen, Breſchen öffneten ſich, und das Zeichen zum
Sturm ward gegeben. Allein die Leute hatten kein Vertrauen
mehr, ſie mußten faſt mit Gewalt herbeigetrieben werden,
wo ſie dann unter das Feuer des Geſchützes geriethen, und
ganze Haufen erlagen, ehe ſie nur den Feind erblickt hat-
ten. Gegen Abend ſah man eine Schaar aus den Wein-
gärten hervorkommen, aber ſich auf der Stelle wieder zu-
rückziehn. 1


Und hierauf begann nun der volle Abzug. Die Ana-
tolier hatten jetzt die Vorhut; noch in der Nacht brach der
Sultan ſelbſt auf; auch die Janitſcharen zündeten ihr La-
ger in den Vorſtädten an und eilten ihren Herrn zu beglei-
ten. Nach einigen Tagen folgte ihm Ibrahim mit dem Reſt
der europäiſchen Truppen nach.


Es war das erſte Mal, daß dem ſiegreichen Sultan
[209]Ruͤckzug der Osmanen.
ein Unternehmen ſo ganz geſcheitert war. Er konnte inne
werden, daß er nicht ſo geradezu, wie ſeine Dichter rühm-
ten, das Gold im Schachte der Welt, die Seele im Wel-
tenleibe ſey, 1 daß es außer ihm gewaltige und unbezwing-
liche Kräfte gab, die ihm noch zu ſchaffen machen ſollten.


Zunächſt aber konnte er ſich wohl tröſten. Er hatte
Ungarn den Deutſchen entwunden. Aus den Händen os-
maniſcher Beamten empfing Johann Zapolya die heilige
Krone. Obwohl er König hieß, ſo war er doch in der
That nichts anders, als ein Verweſer des Sultans.


Es hätte wohl ſcheinen ſollen, als würde Ferdinand
die Unordnung dieſes Abzugs, und das zum Entſatz von
Wien geſammelte Heer zur Wiedereroberung des Reiches
benutzen können; auch fielen die Grenzplätze, Altenburg,
Trentſchin in ſeine Hände; aber gleich das Schloß Gran
behauptete ſich; Ofen zu erobern, waren die dagegen her-
anrückenden Truppen viel zu ſchwach. 2 Der Grund des
Mißlingens liegt am Tage: es fehlte dem König auch jetzt
an allem Gelde. Er hätte wenigſtens 20,000 Gulden ge-
braucht, um die Truppen in Bewegung zu ſetzen; er konnte
endlich nicht mehr als 1400 Gulden aufbringen, und ſelbſt ſo
viel nur in ſchlechten Münzſorten, wozu er noch für ein paar
Tauſend Gulden Tuch hinzufügte. Alles war mißvergnügt.
Der Tyroliſche Haufe, den man auf das dringendſte er-
ſuchte, an jener Unternehmung Theil zu nehmen, hatte es in
voller Gemeinde abgeſchlagen; die Leute erklärten geradezu,
ſie hätten keine Luſt ferner zu dienen. 3 Als Suleiman
Ranke d. Geſch. III. 14
[210]Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.
von Wien abzog, hatte er die Janitſcharen für ihre An-
ſtrengungen, ſo erfolglos ſie auch geweſen waren, mit ei-
nem reichen Geſchenk belohnt; den Landsknechten dagegen,
welche die Stadt ſo wacker und glücklich vertheidigt, konnte
man den Sturmſold nicht zahlen, auf den ſie wohl ein ge-
wiſſes Recht beſaßen, und es entſtand ein wilder Aufruhr
unter ihnen. Das war überhaupt das Verhältniß. Sehr
bald behielten die Gegner in Ungarn das Uebergewicht. In
den oberen Landſtrichen finden wir ſchon namhafte deutſche
Hauptleute, namentlich jenen Nickel Minkwitz, der dem
Churfürſten von Brandenburg ſo viel zu ſchaffen machte,
in den Dienſten Zapolya’s; von Kesmark aus durchzog er
das Land; es gelang ihm Leutſchau in Brand zu ſtecken. 1
Indeſſen brachen die Türken von Bosnien her in den Gren-
zen ein: auch Croatien war in Gefahr, in ihre Hand zu
fallen. Ja ſelbſt auf die entlegenen Landſchaften dehnte
dieß Mißgeſchick ſeine Rückwirkung aus. In Böhmen gab
es unter den Vornehmſten des Reiches warme Anhänger
Zapolya’s. Als Ferdinand Ende Januar 1530 nach Prag
ging, war er überzeugt, daß er Alle, die an der Regierung
von Böhmen Antheil nahmen, entfernen müſſe, wenn er Herr
im Lande bleiben wolle. 2 In der That, es war für ihn
dringend nothwendig, daß ſein Bruder in Deutſchland er-
3
[211]Carl V in Italien.
ſchien, um ſeiner ſchwankenden erſchütterten Macht einen
neuen Rückhalt zu geben.


Während dieſer ganzen Zeit war Carl V in Italien.
Er hatte ſo viel wir ſehen anfangs gehofft, die dortigen
Geſchäfte raſch beendigen und ſeinen Bruder noch gegen
den Anfall Suleimans vertheidigen zu können; er ſtieß aber
auf Schwierigkeiten, die eine bei weitem längere Zeit ſeine
ganze Thätigkeit beſchäftigen ſollten.


So viele Siege er auch erfochten, ſo wäre man in
Italien, ſelbſt nachdem man von Franz I ſo plötzlich und
wider alle Zuſage verlaſſen war, wohl noch fähig geweſen,
ihm Widerſtand zu leiſten.


Venedig war im Beſitz ſeiner geſammten Terra ferma,
einiger Städte im Kirchenſtaat, mehrerer feſten Plätze im
Neapolitaniſchen, die es ſo eben mit vielem Glück verthei-
digte; es hielt ein ſtattliches Heer im Felde, das wenn es
keine namhaften Siege erfochten, ſich doch auch nicht hatte
ſchlagen laſſen, und an deſſen Spitze einen General, der
es vollkommen verſtand, zugleich dem bedächtigen eiferſüch-
tigen Senate zu genügen und ſeinen Ruhm zu behaup-
ten. Auch ihre Seemacht befand ſich in blühendem Zu-
ſtande; in Corfu war man mit einer Expedition nach den
neapolitaniſchen Küſten, zunächſt gegen Brindiſi beſchäftigt.


Der Herzog von Mailand beſaß nach ſo langem ver-
derblichen Kriege doch noch immer den größten Theil ſei-
nes Landes, und außer einigen andern minder bedeutenden
die ſtärkſten Plätze des damaligen Italiens, Cremona, Lodi
und Aleſſandria.


14*
[212]Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.

Sollte der Herzog von Ferrara, der ein durch Natur
und Kunſt ſehr wohl befeſtigtes Gebiet gegen ſo unzählige
Anfälle beſchützt hatte, ſich nicht auch dieß Mal zu ver-
theidigen wiſſen?


In Florenz herrſchte eine zur Behauptung ihrer Frei-
heit, und ſollte es einen Kampf auf Leben und Tod koſten,
entſchloſſene Partei; Michelangelo Buonarotti, der ſelber zu
ihr gehörte, befeſtigte die Stadt mit einer Erfindungsgabe
und Tüchtigkeit in der Ausführung, die nach anderthalb
Jahrhunderten wohl noch einem Vauban bemerkenswerth
ſchienen; in dem Gebiete war eine Art von Landſturm ein-
gerichtet. Mit Perugia waren die Florentiner bereits ver-
bündet, und ſie hofften wohl, es ganz zu gewinnen. Auch
mit Siena, das ſich ebenfalls von dem Papſt bedrängt ſah,
ſtanden ſie in ziemlich gutem Vernehmen. 2


Der Kirchenſtaat und Neapel waren noch erfüllt von
Unruhe und Gährungen.


Wie oft hatte Italien den kriegeriſchen Kaiſern, die
mit einem bei weitem überlegenen Heere über die Alpen ka-
men, ſelbſt dann, wenn ſich eine Partei im Lande für ſie
erklärte, Widerſtand geleiſtet! Eben wenn ein Kaiſer einmal
feſten Fuß gefaßt hatte, ſo war das für die Einheimiſchen
der Anlaß geweſen, alle ihre Kräfte aufzubieten, um ihn
wieder zu entfernen. Keine Tapferkeit und kein Talent, we-
der Friedrich I noch Friedrich II hatten die Herrſchaft zu
befeſtigen, fortzupflanzen vermocht.



[213]Unterhandlungen in Italien.

Jetzt kam dieſer junge Kaiſer an, der noch keinen recht
ernſtlichen Krieg geſehen, der ſich auch mit ſeinem bleichen
Antlitz, ſeinem wohlgehaltenen und noch geſunden, aber kei-
neswegs kräftigen Körper, mit ſeiner ſchwachen Stimme,
mehr wie ein Hofmann als wie ein Krieger ausnahm;
der von nichts als von Frieden ſprach: der ſetzte es durch.


Er hatte für ſich, daß er durch die florentiniſche Sache
mit dem Papſt auf das engſte vereinigt war. Die Flo-
rentiner ſchickten, ſo wie er nach Genua gekommen, eine
Geſandtſchaft an ihn, aber natürlich mit einer beſchränkten
Vollmacht; ihre jetzige Verfaſſung wollten ſie auf keine
Weiſe gefährden: der Kaiſer antwortete ihnen, ſie möchten
vor allen Dingen die Medici zurückrufen und in den Rang
einſetzen, den dieſelben vor ihrer letzten Verjagung einge-
nommen[.]1 Schon befand ſich der junge Aleſſandro, den
er zu ſeinem Schwiegerſohn und zum Herrn in Florenz be-
ſtimmt hatte, in ſeiner Umgebung. 2 Auch ohnehin konnte
er eine Regierung nicht dulden, die ſich von jeher guelfiſch,
franzöſiſch gezeigt. — So lange nun bis dieſe Sache ge-
ſchlichtet wurde, war der Kaiſer des Papſtes, der die Geg-
ner ſeines Hauſes in Florenz leidenſchaftlich haßte, voll-
kommen ſicher.


[214]Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.

Eine Zeitlang ſtieß ſich alles daran, daß das Vor-
rücken des Großſultans bei den italieniſchen Mächten die
Hoffnung erweckte, in den Türken den Rückhalt gegen das
Haus Oeſtreich zu finden, den ihnen Frankreich nicht mehr
gewährte. Da ſchloſſen ſich Mailand und Venedig noch
einmal enger an einander. Sie ſetzten gegenſeitige Hülfs-
leiſtungen feſt und verſprachen, ein Theil nicht ohne den
andern Frieden zu machen. Der Krieg erneuerte ſich in
der Lombardei; Leiva nahm Pavia weg; ein paar tauſend
Landsknechte unter Graf Felix von Werdenberg drangen
den Gardaſee entlang in das Venezianiſche ein, und plün-
derten das Gebiet von Brescia. 1


Allein nach dem Abzug Suleimans verlor man in
Oberitalien die Luſt, ſich länger und zwar im Grunde doch
um eines geringen Vortheils willen zu ſchlagen. 2


Denn ſchon zeigte ſich der Kaiſer zu den billigſten
Bedingungen bereit.


Von allem Anfang hatte ihm dieß der Papſt wenig-
ſtens in Hinſicht auf Venedig und Mailand gerathen. Er
hatte ihm vorgeſtellt, daß er die feſten Plätze der Venezia-
ner nicht ohne große Anſtrengung und unverhältnißmäßige
Koſten angreifen könne, und ihn erſucht, den Schadener-
ſatz, den er von ihnen fordere, fallen zu laſſen. Er war
auf die Frage eingegangen, ob es gut ſey, Mailand zu
theilen, oder es in ſeiner Integrität an Sforza zurückzugeben,
und hatte ihm bewieſen, daß das letzte das ſicherſte ſey, indem
[215]Unterhandlungen in Italien.
jede andre Combination neue Feindſeligkeiten erwecken dürfte. 1
Es waren hierauf Unterhandlungen hauptſächlich unter päpſt-
licher Vermittelung angeknüpft worden.


Der Herzog von Ferrara, der auf ein ähnliches Für-
wort des Papſtes nicht rechnen durfte, bahnte ſich ſelbſt
ſeinen Weg. Andrea Doria ſoll ihm geſchrieben haben,
er könne den Kaiſer nur dadurch gewinnen, daß er ihm
Vertrauen zeige. Der Herzog ſah den Kaiſer in Modena;
er trug ihm ſelbſt die Schlüſſel der Stadt entgegen; und
in der That fand man von Stund an, daß ſich ihm der
Kaiſer geneigt erweiſe.


So war alles vorbereitet, als der Kaiſer am 5. Novem-
ber 1529 in Bologna einzog, wo der Papſt ſeiner wartete.


Aehnlich, wie die beiden Damen in Cambray, wohnten
jetzt Kaiſer und Papſt in zwei an einanderſtoßenden Häu-
ſern, die durch eine innere Thür verbunden waren, zu der
beide den Schlüſſel hatten. 2


Der Kaiſer bereitete ſich gleichſam vor, ſo oft er mit
dem alten Politiker, dem Papſt, perſönlich verhandeln wollte.
Er erſchien dann mit einem Zettel in der Hand, worauf
er ſich alle Punkte verzeichnet hatte, welche dieß Mal in
Betracht kamen.


Das Erſte, worin er den Rathſchlägen des Papſtes
Gehör gab, war, daß ſein Rebell, Franz Sforza, den er
[216]Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.
einſt ſchon des Herzogthums verluſtig erklärt, vor ihm er-
ſcheinen durfte.


Es ſchadete dem Sforza wohl nicht, daß er ſehr krank
war. Er mußte ſich auf einen Stab ſtützen, wenn er mit
dem Kaiſer redete; der Papſt vermied, ſich den Fuß von
ihm küſſen zu laſſen. Aber übrigens zeigte er ſich geſcheidt
und wohlgeſinnt; er ſprach ſehr gut und verſtand ſein In-
tereſſe hinreichend, um eine völlige Hingebung gegen den
Herrn zu zeigen. 1 Den Großen des Hofes kam er mit
andern Mitteln bei. Allmählig ließ man da den alten Wi-
derwillen gegen ihn fallen.


Indeſſen bemühte ſich auch der venezianiſche Geſandte
die Verſtimmung zu beſeitigen, die der Kaiſer gegen ſeine
Republik fühlen mochte. Er hatte wohl einmal eine zwei
Stunden lange Audienz; er fand doch, daß der Kaiſer die
Lage der Republik einſah, ihre Rechtfertigung begriff.


So ward man denn ſehr bald über die Grundlage
eines Abkommens einig; die Venezianer ſollten herausge-
ben, was ſie vom Kirchenſtaat oder von Neapel beſaßen,
aber übrigens ohne Anfechtung bleiben. Auch Franz Sforza
ſollte mit dem Staat von Mailand belehnt werden.


Die einzige Schwierigkeit machten die Geldforderun-
gen, ſowohl an Venedig als an Mailand. Um der mai-
ländiſchen Zahlungen ſicher zu ſeyn, wünſchte der Kaiſer
für’s Erſte die Caſtelle von Mailand und Como mit ſeinen
Truppen beſetzt zu halten. Am 12. Dez. traf der Courier
ein, welcher die Einwilligung des venezianiſchen Senates
[217]Friedensſchluͤſſe zu Bologna.
ſowohl in die ihm auferlegten Zahlungen, als in die mai-
ländiſchen Verpflichtungen brachte. 1


Hierauf ward am 23. Dez. ein Vertrag abgeſchloſſen,
der zugleich ein Bündniß war. Die Venezianer verſtanden
ſich dazu, die Rückſtände an Hülfsgeldern, welche ſie kraft
der Verträge von 1523 ſchuldig geworden, im Laufe der
nächſten 8 Jahre allmählig abzutragen; überdieß in dem
nächſten Jahre noch andre 100,000 Sc. 2 Bei weitem
ſtärker ward Franz Sforza heimgeſucht. Er ſollte in be-
ſtimmten Terminen nach und nach 900,000 Sc., und da-
von gleich im nächſten Jahre 400,000 Sc. zahlen. Man
ſicht, das war jetzt das Syſtem des Kaiſers; er behandelte
Mailand und Venedig, wie Portugal und Frankreich; die
Anſprüche, die er hätte machen können, ließ er ſich durch
Geld vergüten. Wie der Kaiſer Mailand und Venedig, ſo
verſprachen die Venezianer Neapel und Mailand im Fall
eines Angriffs zu vertheidigen.


Bei weitem minder verſöhnlich als der Kaiſer, zeigte
ſich der Papſt. Nur mit großer Mühe ward er bewogen,
ſeine Streitigkeiten mit Ferrara einer neuen Erörterung durch
den Kaiſer ſelbſt zu überlaſſen. Der Herzog hatte ſich be-
quemt, Modena ſogleich als ein Depoſitum in deſſen Hand
zu ſtellen.


In der florentiſchen Sache wich Clemens aber vollends
keinen Schritt breit. Noch einmal erſchienen Geſandte der
Republik in Bologna; aber ſie hatten nur die Aufwallun-
3
[218]Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.
gen des Papſtes zu vernehmen, der ihnen alle die perſön-
lichen Beleidigungen vorrückte, welche man ſich dort gegen
ihn und ſeine Freunde, die ihn hier umgaben, erlaubt habe.
Der Kaiſer ſagte, er ſey nicht nach Italien gekommen, um
Jemand etwas zu Leide zu thun, ſondern nur, um Frie-
den zu machen, aber er habe dem Papſt nun einmal ſein
Wort verpfändet. 1 Die Sache war in ſeinem geheimen
Rathe öfters erwogen worden. Man hatte geurtheilt, ein-
mal ſey Florenz durch die Rebellion ſeiner Privilegien ver-
fallen, und der Kaiſer völlig in ſeinem Recht, wenn er es
ſtrafen laſſe, ſodann werde die Forderung des Papſtes auch
ohnehin die Gerechtigkeit für ſich haben, da ja der Vica-
rius Chriſti nichts ungerechtes beginnen werde. 2 Schon
längſt waren Perugia, Arezzo, Cortona in den Händen der
Kaiſerlichen; der Prinz von Oranien, obwohl er von der
Rechtmäßigkeit der Anſprüche des Papſtes nicht ſo über-
zeugt war, wie ſein Herr, war demſelben doch gehorſam
und lagerte mit dem Heer im Februar in der Nähe von
Florenz. Während des Carnevals gab es alle Tage Schar-
mützel an den Thoren.


Und nun konnte der Kaiſer keinen Augenblick länger
in Italien verweilen. Er hatte wohl daran gedacht, ſich
[219]Kroͤnung CarlsV.
in Rom ſelbſt krönen zu laſſen, und dann nach Neapel zu
gehn, aber immer dringender wurden die Aufforderungen
ſeines Bruders, die Vorſtellungen deſſelben, daß ſeine An-
weſenheit in Deutſchland für alle religiöſen und politiſchen
Angelegenheiten unbedingt nothwendig ſey. Es ward be-
ſchloſſen, daß die Krönung in Bologna vor ſich gehen ſollte;
ſeinen Geburtstag, den Jahrestag der Schlacht von Pavia,
wollte der Kaiſer mit dieſem Acte bezeichnen.


Feierliche Handlungen dieſer Art haben das Eigene,
daß ſie mit der Bedeutung, die ſie für den Moment ha-
ben, unmittelbare Beziehungen mit den fernſten Jahrhun-
derten verknüpfen.


Dieß Mal hatte die Krönung viel Beſonderes. Sie
geſchah nicht in Rom, wie ſonſt immer, ſondern in Bo-
logna. Die Kirche S. Petronio ſollte die Stelle der Pe-
terskirche vertreten; die Capellen, welche zu den verſchie-
denen Functionen gebraucht wurden, empfingen die Namen
der Capellen von S. Peter. Es ward ein Ort in der Kirche
beſtimmt, der die Confeſſion Petri vorſtellte. 1


Auch der Kaiſer war nicht wie ſeine Vorgänger er-
ſchienen. Er hatte verſäumt die Churfürſten einzuberufen;
ein einziger deutſcher Fürſt war zugegen, der noch zu gu-
tem Glück den Tag vor der Krönung eintraf, Philipp von
der Pfalz, derſelbe, der ſich bei der Vertheidigung von
Wien ſo eben einen gewiſſen Namen erworben, auch dem
aber kam keine amtliche Bedeutung zu. An eine deut-
ſche Ritterſchaft, wie ſie ſonſt ihren Kaiſer an die Tiber-
[220]Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.
brücke zu begleiten pflegte, war nicht zu denken; unten auf
dem Platz hielten 3000 deutſche Landsknechte, wackere Kriegs-
leute, von guter Haltung, aber von einem Spanier befeh-
ligt: es war Antonio de Leiva, der auf ſeinem Tragſeſſel von
ſchwarzbraunem Sammet ſeinen Einzug vor ihnen her ge-
halten hatte. Alles Glänzende, was den Kaiſer umgab,
war von Spanien mitgekommen, oder hatte ſich in Italien
zu ihm geſellt. Den Zug, mit welchem er ſich am 24. Februar
1530 — zwei Tage vorher war ihm unter etwas modificir-
ten Feierlichkeiten die eiſerne Krone aufgeſetzt worden — zur
Kaiſerkrönung nach der Kirche begab, eröffneten ſpaniſche
Edelknaben; dann folgten jene ſpaniſchen Herren, deren wir
gedacht, wetteifernd in Pomp und Glanz; hierauf die He-
rolde, nicht etwa der deutſchen, ſondern vornehmlich der
verſchiedenen ſpaniſchen Provinzen; das Scepter trug der
Markgraf von Montferrat, das Schwert der Herzog von
Urbino, den Reichsapfel jener Pfalzgraf Philipp, endlich
die Krone der Herzog von Savoyen. Die Churfürſten ver-
wunderten ſich, daß man ihre Aemter Andern zu verwal-
ten gegeben, ohne ſie nur zu fragen. Hinter ihnen trat
dann der Kaiſer in der Mitte zweier Cardinäle daher: die
Mitglieder ſeines geheimen Raths folgten ihm nach. Als
wenig Schritte hinter dem Kaiſer der hölzerne Gang, durch
den man den Pallaſt mit S. Petronio verbunden, zuſammen-
brach, deuteten das Viele dahin, daß er wohl der letzte
Kaiſer ſeyn werde, der zu einer römiſchen Krönung gehe,
wie das denn in der That wahr geworden iſt; er ſelbſt ſah
ſich lächelnd um: er meinte ſein Glück zu erkennen, das ihn
auch in dieſem Augenblick vor einem Unfall geſchützt hatte. 1


[221]Kroͤnung CarlsV.

Und nun ward er mit den Sandalen und dem von
Edelſteinen ſtarrenden Kaiſermantel bekleidet, der von dem
byzantiniſchen Hofe herübergenommen worden; er ward mit
dem exorciſirten Oel geſalbt, mit einer Formel, faſt noch
ganz der nemlichen, welche einſt Hinkmar von Rheims ge-
braucht; 1 er empfing die Krone Carls des Großen, die
Inſignien jener alten geheiligten Würde, in der er als das
Oberhaupt der Chriſtenheit erſchien; aber zugleich leiſtete er
auch den Schwur, den einſt in den Zeiten der Siege der
Hierarchie die Päpſte den Kaiſern aufgelegt, daß er den
Papſt und die Römiſche Kirche, alle ihre Beſitzthümer,
Ehren und Rechte vertheidigen wolle; er war ein gewiſſen-
hafter Menſch und wir können nicht zweifeln, daß er den
Eid mit allem Ernſt ſeines Gemüthes ablegte. Jene Ver-
einigung der geiſtlichen und weltlichen Hierarchie, welche
die Idee der lateiniſchen Chriſtenheit fordert, ward noch
einmal vollzogen.


Während der Cerimonie ſtand der franzöſiſche Geſandte,
Biſchof von Tarbes, zwiſchen dem Stuhl des Kaiſers und
dem des Papſtes neben dem Grafen von Naſſau; ſie ſpra-
chen viel von der Freundſchaft, die nun zwiſchen ihren
Fürſten beſtehe, von der nichts zu wünſchen ſey, als
daß ſie lange dauere. Man braucht aber nur den Bericht
1
[222]Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.
zu leſen, den der Biſchof darüber an ſeinen Hof erſtattet,
um ſich zu überzeugen, daß er wenigſtens davon eben das
Gegentheil meinte. Er wollte wahrnehmen, daß der Papſt
ſeufze, wenn er ſich unbemerkt glaube. Er verſichert in
demſelben Briefe, das lange Beiſammenſeyn der beiden
Fürſten habe eher Widerwillen als Freundſchaft zwiſchen
ihnen erzeugt: der Papſt habe ihm geſagt, er ſehe daß
man ihn betrüge, aber er müſſe thun, als bemerke ers nicht.
Genug, er erklärt es für gewiß, daß die Zeit bei dem Papſt
Wirkungen hervorbringen werde, mit denen der König von
Frankreich zufrieden ſeyn könne. 1


Auch aus der Correſpondenz des Kaiſers mit ſeinem
Bruder ſehen wir, daß er ſich des Papſtes mit nichten für
verſichert hielt.


Ueberhaupt dürfte man nicht glauben, daß er als Herr
in Italien hätte handeln können: aber den geeigneten Mo-
ment, wo die Gegner erſchöpft und muthlos waren, er da-
gegen vollkommen ſiegreich, wußte er auf das geſchickteſte
zu benutzen, um ſein Uebergewicht zu befeſtigen, eine künf-
tige Herrſchaft vorzubereiten.


Der Widerſtand, welchen Florenz leiſtete, feſſelte den
Papſt, er mochte ſich in Momenten des Unmuths anſtellen
wie er wollte, doch an den Kaiſer. Als es endlich unter-
worfen war, gab der Kaiſer dem Hauſe Medici eine ſtaats-
rechtlich feſter begründete Macht daſelbſt, als es jemals
gehabt, eine Familienverbindung ward vollzogen, die es zu
Entzweiungen, wie ehedem, ſchwerlich mehr kommen ließ.


[223]Feſtſetzung italieniſcher Verhaͤltniſſe.

Auch Mailands konnte der Kaiſer ſicher ſeyn. Sforza
wußte ſehr wohl, daß Franz I ſeine lombardiſchen Anſprüche
nicht völlig aufgegeben hatte; wie denn auch vornehme Mi-
laneſen ihre Verbindung mit Frankreich ſo bald wie möglich
zu erneuern ſuchten. So mußte ſich Sforza wohl unbe-
dingt an den Kaiſer, der ihn allein ſchützen konnte, an-
ſchließen. In Kurzem trat auch er in öſtreichiſche Ver-
wandtſchaft; ein kaiſerlicher General commandirte fortwäh-
rend die Truppen in der Lombardei.


Bei weitem unabhängiger hielt ſich Venedig. Aber
auch hier hatte im Gegenſatz mit dem Dogen eine Partei
den Frieden bewirkt, die der freundſchaftlichen Verhältniſſe
mit Oeſtreich und Spanien bedurfte, um ſich zu behaupten.
Ueberdieß ward die Republik durch die Osmanen in die
Nothwendigkeit geſetzt, einen Rückhalt in Europa zu ſuchen,
den ihr keine andre Macht gewähren konnte als die ſpa-
niſche. Sie hatte ſich allmählig überzeugt, daß die Zeit
der Eroberung und Ausbreitung für ſie auf immer vorüber
ſey; für Venedig begann eine neue Aera, deren Charakter
durch die Verhältniſſe zu Spanien beſtimmt wurde.


Und nicht minder hatte der Kaiſer Sorge getragen,
die kleineren Fürſten und Republiken an ſich zu feſſeln.


Der Markgraf von Mantua empfing die herzogliche
Würde; dem Herzoge von Ferrara überließ der Kaiſer Carpi;
dem Herzog von Savoyen, ſeinem Schwager, übergab er Aſti,
das Franz I abgetreten hatte, zu deſſen nicht geringem Ver-
druß; dem Herzoge von Urbino, damals dem namhafteſten
italieniſchen Kriegsmanne, hatte er ſeine Dienſte angeboten
und in Bologna perſönlich viele Gnade erwieſen.


[224]Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.

In Siena und Lucca lebte der alte gibelliniſche Geiſt
wieder auf; er ward von dem Kaiſer ſo viel als thunlich be-
günſtigt. Was man auch von der wiederhergeſtellten Frei-
heit von Genua ſagen mochte, ſo war doch der Erfolg der
Veränderungen, daß Andrea Doria alles leitete. 1 Der
Zuname, den man ihm noch gab, Il Figone, der
Gärtner, denn er war von der Riviera, machte gar bald
einem andern Platz: man nannte ihn den Monarchen.
Und dieſer Monarch von Genua war der Admiral des Kai-
ſers. Die großen Geldbeſitzer traten auf eine andere, nicht
minder bindende Weiſe — durch die Anleihen, die der Kai-
ſer bei ihnen machte — mit demſelben in Verhältniß.


Ohne Zweifel: unabhängig konnten ſich dieſe Gewal-
ten noch alle dünken: ſie hätten auch eine andere Politik
ergreifen können; und zuweilen dachten ſie daran. Aber
in ihrer innern oder äußern Lage gab es Beweggründe, die
ſie zu einer Vereinigung mit dem Kaiſer trieben; und dieſe
wurden jetzt theils mit Abſicht gepflegt, theils auch durch
die bloße Natur der Dinge entwickelt, indem Carl ſo mäch-
tig war, daß es eine Sache des Ehrgeizes wie des Nutzens
wurde, mit ihm in Verbindung zu ſtehen.


So ward die Gewalt eines Kaiſers erneuert, doch war
es nicht das alte Kaiſerthum.


Am wenigſten hätte das Reich ſich rühmen dürfen,
daß ihm ſeine Gewalt wiedergegeben worden.


Die Churfürſten beklagten ſich, daß ſie weder zu der
Krönung berufen, noch zu den Verträgen herbeigezogen wor-
[225]Feſtſetzung italieniſcher Verhaͤltniſſe.
den, die der Kaiſer mit den italieniſchen Mächten geſchloſ-
ſen habe. Sie proteſtirten in aller Form, wenn etwas in
jenen Verträgen angenommen ſey, das jetzt oder künftig
dem h. römiſchen Reiche zum Abbruch oder Nachtheil ge-
reichen könne, ſo wollen ſie nicht darin gewilligt haben. 1


Schon früher hatte man bei dem Kaiſer in Erinne-
rung gebracht, daß was in Italien erobert worden nicht
ihm, ſondern dem Reiche gehöre, man hatte ihn aufgefordert,
dem Reiche ſeine Kammern, namentlich Mailand und Ge-
nua zurückzuſtellen; dieß werde dann den Gubernator ſetzen,
und den Ueberſchuß der Verwaltung zur Handhabung von
Frieden und Recht verwenden. Das waren aber nicht
die Gedanken des Kaiſers oder ſeiner ſpaniſchen Haupt-
leute. Der Herzog von Braunſchweig behauptete, mit
Abſicht ſeyen ihm bei ſeinem italieniſchen Zuge im Jahre
1528 von Antonio Leiva Hinderniſſe in den Weg gelegt
worden; der Spanier habe keinen deutſchen Fürſten im
Mailändiſchen dulden wollen. Und dieſer Leiva nun ward
jetzt mit Pavia belehnt, er behielt den Oberbefehl und fürs
Erſte die Waffen in den Händen. An deutſchen Einfluß
war weder damals noch auch ſpäter zu denken.


Man ſieht: auch politiſch erſchien der Kaiſer nicht als
der Repräſentant der nationalen Macht, als er Anfang Mai
1530 über die Tridentiner Alpen nach Deutſchland zurück-
kehrte.



Ranke d. Geſch. III. 15
[[226]]

Achtes Capitel.
Reichstag zu Augsburg im Jahre 1530.


Ankunft, Abſichten des Kaiſers.


In welchem Gegenſatz ſtanden nun der Kaiſer und die
Proteſtanten.


Die Proteſtanten hatten ſich unter einander entzweit,
von einander iſolirt, ſie glaubten nicht einmal das Recht
des Widerſtandes zu haben. Granvella ſagte noch in Ita-
lien, bei dem erſten Sturme würden ſie auseinander flie-
gen, wie Tauben, wenn der Geier unter ſie fährt. 1


Dagegen concentrirte ſich, wenn wir ſo ſagen dürfen,
die Energie der lateiniſchen Chriſtenheit in dem Kaiſer; ſie
ſah in ihm noch einmal ein mächtiges Oberhaupt an ih-
rer Spitze. Unter den großen Mächten war fürs Erſte
Friede, und da man auch von den Osmanen für das nächſte
Jahr keinen neuen Angriff zu beſorgen brauchte, ſo konnte
[227]Reichstag zu Augsburg 1530.
Carl V alle ſeine Aufmerkſamkeit auf die innern Angele-
genheiten von Deutſchland wenden.


Fragen wir nun, welche Abſichten er hegte, indem er
über die Alpen nach Deutſchland zurückkam, ſo kann hier
nicht von weit in die Zukunft reichenden Plänen die Rede
ſeyn, die überhaupt nicht ſo ſehr in ſeiner Natur lagen,
wie man wohl glaubt; er hielt im Grunde nur an eini-
gen Maximen feſt, die durch die Verträge ſchon feſtgeſtellt,
oder ſonſt durch ſeine Lage ihm geboten waren.


Seinem Bruder, der ſich ihm in allen italieniſchen Ver-
wickelungen unerſchütterlich treu, bei ſchwachen Kräften doch
immer zur Hülfe bereit, und überaus nützlich erwieſen, hatte
er dafür verſprochen, ihn zum römiſchen Könige zu erhe-
ben. Den Abſichten, dieſe Würde an ein anderes Haus
zu bringen, die ſich nicht ohne Gefahr immer wieder er-
neuerten, mußte ein Ende gemacht werden. Eben jetzt war
dazu die Zeit, in dieſer Fülle von Macht und Sieg.


Ferner mußte man endlich einmal daran gehn, eine aus-
reichende Maaßregel gegen die Türken ins Werk zu richten.
Die letzten Ereigniſſe hatten den Deutſchen gezeigt, daß es
jetzt nicht mehr Ungarn allein gelte, ſondern ihr eignes
Vaterland; die in die Augen fallende Noth mußte ſie will-
fähriger machen. Für das Beſtehen des Hauſes Oeſtreich
war das eine unerläßliche Bedingung.


Noch dringender aber zeigte ſich die Nothwendigkeit in
den kirchlichen Angelegenheiten irgend eine Ordnung zu treffen.


Und da hatte ſich nun der Kaiſer in Barcellona ver-
pflichtet, zuerſt noch einmal die Herbeiziehung der Abge-
wichenen zu verſuchen, ſollte ihm das aber nicht gelingen,
15*
[228]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.
alsdann alle ſeine Macht anzuwenden, 1 „um die Schmach,
die man Chriſto angethan, zu rächen.“


Ich zweifle nicht, daß dieß wie ſeine Verpflichtung,
ſo in der That ſeine Abſicht war.


Wie anſtößig und gewaltſam auch das Gutachten lau-
tet, das ihm ſein Begleiter der päpſtliche Legat, Campeggi,
überreichte, ſo iſt das doch der Grundgedanke, auf dem
es beruht. Zuerſt giebt Campeggi darin die Mittel an,
durch welche man die Proteſtanten wieder gewinnen könne:
Verſprechungen, Bedrohungen, Verbindung mit den katho-
liſch gebliebenen Ständen: für den Fall aber, daß dieß
nichts fruchte, hebt er auf das ſtärkſte die Nothwendigkeit
hervor, ſie mit Gewalt, wie er ſich ausdrückt, mit Feuer
und Schwert zu züchtigen; er fordert, daß man ihre Gü-
ter einziehe, und die Wachſamkeit einer Inquiſition wie die
ſpaniſche über Deutſchland verhänge. 2


Eben dahin zielt alles, was uns aus der Correſpon-
denz des Kaiſers mit ſeinem Bruder bekannt geworden iſt.


Ferdinand hatte, wie wir wiſſen, ſich in Unterhand-
lungen mit Churfürſt Johann von Sachſen eingelaſſen, aber
er verſichert den Kaiſer, er thue es nur, um die Sache
hinzuhalten. Ihr könntet meinen, fügt er hinzu, es ſey zu
viel was ich gewähre, und Ihr möchtet dadurch gehindert
werden zur Strafe zu ſchreiten. Monſeigneur, ich werde
ſo lange wie möglich unterhandeln und nicht abſchließen;
[229]Reichstag zu Augsburg. Vorbereitungen.
ſollte ich aber auch abgeſchloſſen haben, ſo giebt es viele
andre Anläſſe, ſie zu züchtigen, ſo oft es Euch gefällt,
Rechtsgründe, ohne daß Ihr der Religion zu gedenken
braucht; ſo manchen ſchlimmen Streich haben ſie auch au-
ßerdem ausgeübt, und Ihr werdet Leute finden, die Euch
dazu gern behülflich ſind. 1


Das war alſo die Abſicht, zuerſt in aller Güte einen
Verſuch zu machen, ob man nicht die Proteſtanten zur Ein-
heit der lateiniſchen Chriſtenheit, die nun wieder in Frie-
den geſetzt war, und als ein großes Syſtem erſchien, zu-
rückführen könne; für den Fall aber, daß das nicht gelinge,
ſtellte man ſich ſelbſt die Anwendung von Gewalt in Aus-
ſicht, und behielt ſich das Recht dazu ſorgfältig vor.


Doch wäre es nicht gerathen geweſen, die Antipathien
eines beleidigten Selbſtgefühls durch Bedrohungen zu rei-
zen. Milde iſt nur dann Milde, wenn ſie allein erſcheint.
Zunächſt beſchloß man, nur dieſe Seite hervorzukehren.


In Wahrheit, es kann nichts Friedeathmenderes ge-
ben als das Ausſchreiben des Kaiſers zum Reichstag,
worin er ſeinen Wunſch ankündigt, „die Zwietracht hin-
zulegen, vergangene Irrſal unſerm Heiland zu ergeben, und
ferner eines jeden Gutdünken, Opinion und Meinung in
Liebe zu hören, zu erwägen, zu einer chriſtlichen Wahrheit
zu bringen, alles abzuthun, was zu beiden Seiten nicht
recht ausgelegt worden.“ In dem Pallaſt, wo der Kaiſer
neben dem Papſt wohnte, ward dieſer Erlaß unterzeichnet.
Der Papſt ließ dem Kaiſer freie Hand. Auch er wäre
[230]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.
höchlich zufrieden geweſen, wenn die Maaßregeln der Milde
Erfolg gehabt hätten.


Auch brachte dieſes Ausſchreiben eine ſehr gute Wir-
kung hervor. Die altgläubigen Fürſten hatten von der
Stimmung des kaiſerlichen Hofes, ſeiner Verbindung mit
dem päpſtlichen hinreichende Kenntniß, um bei der Erſchei-
nung Carls die lebhafteſten Hoffnungen zu faſſen, wie er
ſich auch immer ausdrücken mochte. Sie eilten, ihre Be-
ſchwerden zuſammenzuſtellen, die alten Gutachten und Rath-
ſchläge zur Abſtellung der lutheriſchen Bewegung noch ein-
mal zu revidiren. „Es gefällt uns wohl,“ heißt es in
der Inſtruction des Adminiſtrators von Regensburg an ſei-
nen Reichstagsgeſandten, „daß die Neuerung wider die
wohl und lang hergebrachten Gebräuche der Kirche ausgerot-
tet und zum beſten gewandt werde.“ 1 Zunächſt hielt der
Kaiſer in Insbruck Hof, um ſich nach dem Rathe ſeines
Bruders den Erfolg der Reichstagsgeſchäfte durch vorbe-
reitende Verhandlungen zu ſichern. Welcher Art dieſelben
wenigſtens zum Theil geweſen ſind, läßt ſich unter andern
daraus abnehmen, daß der venezianiſche Geſandte eine Rech-
nung ſah, nach welcher der kaiſerliche Hof von ſeiner Ab-
reiſe aus Bologna bis zum 12. Juli 1530 270,000 Schild-
thaler an Geſchenken verausgabt hatte. Zu der Erſcheinung
des Glückes und der Macht, welche durch eine natürliche
Kraft anziehen, kam nun, wie es ſeit Jahrhunderten in
Deutſchland der Gebrauch war, Gnade und Begabung. Al-
les was von dem Hofe Gunſt zu erwarten hatte, ſtrömte da-
[231]Reichstag zu Augsburg. Vorbereitungen.
hin, und man vergaß faſt, daß der Reichstag ſchon längſt
hätte angehn ſollen; ein jeder ſuchte hier ohne Verzug ſeine
Geſchäfte abzumachen.


Schon glaubte man an einem Beiſpiel abnehmen zu
können, welche Wirkung die Erſcheinung des Kaiſers auch
auf die religiöſen Angelegenheiten ausüben werde. Der
Schwager deſſelben, der verjagte König Chriſtiern von Dä-
nemark, der ſich bisher an Luther gehalten, mit dieſem in
Briefwechſel geſtanden, und ſich unumwunden zu deſſen Lehre
bekannt hatte, fühlte ſich in Insbruck bewogen, zu dem
alten Glauben zurückzukehren. Der Papſt war entzückt,
als er es vernahm. „Ich kann nicht ausdrücken,“ ſchreibt
er dem Kaiſer, „mit welcher Rührung mich dieſe Nachricht
erfüllt hat. Der Glanz der Tugenden Ew. Majeſtät be-
ginnt die Nacht zu verſcheuchen, dieß Beiſpiel wird auf
Unzählige wirken.“ 1 Er genehmigte die Abſolution Chri-
ſtierns und legte demſelben eine Buße auf, die er nach der
Herſtellung in ſeinem Reiche zu vollziehen habe. Der Kai-
ſer ſelbſt hoffte, wie es ihm wider ſein eignes Erwarten
gelungen, Italien zu beruhigen, ſo werde es ihm auch in
Deutſchland nicht fehlen. In Rom erwartete man alles
von dem glücklichen Geſtirn, unter dem er zu ſtehen ſchien.


Und ließen ſich nicht die Dinge in der That auch
hiezu ſehr günſtig an?


Auch bei den Proteſtanten hatte das Ausſchreiben des
Kaiſers die beſte Aufnahme gefunden. Von allen Fürſten
2
[232]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.
war der, auf welchen das Meiſte ankam, der Churfürſt
von Sachſen, auch der Erſte der in Augsburg eintraf. Er
verſäumte nicht, dem Kaiſer, der in denſelben Tagen die
Alpen überſtiegen, zu ſeiner Ankunft im Reiche Glück zu
wünſchen, die er „mit unterthäniger Freude“ vernommen;
er werde Sr. Majeſtät, ſeines einigen Obern und Herrn,
zu Augsburg in Unterthänigkeit warten. 1 Er hatte auch
ſeine Bundesgenoſſen aufgefordert, ihm zu folgen; denn der
Reichstag zu Augsburg ſcheine das Nationalconcilium zu
ſeyn, das man ſo lange erwartet, das man ſchon ſo oft
vergebens gefordert habe; wo man nun die Beilegung des
religiöſen Zwieſpaltes hoffen könne. 2


Die Unterhandlungen des Churfürſten mit König Fer-
dinand hatten, wie man ſchon nach obigen Aeußerungen
vermuthen kann, zu keinem Abſchluß geführt, doch waren
ſie eben ſo wenig abgebrochen worden. Auch Churf. Johann
hatte gar manche anderweite Geſchäfte mit dem kaiſerli-
chen Hofe: auch von ihm erſchien ein Geſandter in Ins-
bruck. Sollte es da nicht möglich ſeyn, ihn zu gewin-
nen? Man machte einen Verſuch, ihn ſelber nach Ins-
bruck zu ziehn. Der Kaiſer ließ ihm ſagen, er möge
ſich aller Freundſchaft zu ihm verſehen, ihn auffordern,
[233]Reichstag zu Augsburg. Vorbereitungen.
ſo gut wie viele andre zu ihm an den Hof zu kommen.
„In den Sachen, die durch ſie beide ausgerichtet werden
können, denke er wohl ſich mit ihm zu vereinigen.“


Hier aber zeigte ſich nun auch der erſte Widerſtand.
Es hatte den Churfürſten unangenehm berührt, daß der
Kaiſer durch eine andre Geſandtſchaft in ihn gedrungen,
den Predigern, die er mit ſich gebracht, Stillſchweigen auf-
zuerlegen. Er hielt dieſe Forderung für den Verſuch einer
unbefugten Entſcheidung vor aller Unterſuchung, und glaubte
nicht anders, als daß man dieſen Act der Nachgiebigkeit,
den er in Augsburg zurückgewieſen, in Insbruck von ihm
erzwingen werde, falls er daſelbſt erſcheine. Ferner ſah
er den Hof mit ſeinen perſönlichen Gegnern bereits er-
füllt. Auch ſchien es ihm nicht gut, Reichstagsgeſchäfte
an einem andern Orte vorzunehmen, als der dazu beſtimmt
war. Genug er blieb dabei, er wolle des Kaiſers in Augs-
burg warten.


Ueberhaupt war die Haltung, welche die in Augsburg
angekommenen Proteſtanten annahmen, der Beifall, welche
die Predigten in der Stadt fanden, die allgemeine Gunſt,
welche ſie in Deutſchland genoſſen, dem kaiſerlichen Hofe
unerwartet. Gattinara ſah bald, daß der Kaiſer mehr
Schwierigkeiten finden werde, als er wohl ſelber geglaubt.
Gattinara, ein alter Gegner der päpſtlichen Politik, und
ohne Zweifel der gewandteſte Politiker, den der Kaiſer
beſaß, wäre vielleicht der Mann geweſen, den Abſichten
des Hofes eine Modification zu geben, in der ſie ſich er-
reichen ließen; ſelbſt die Proteſtanten rechneten auf ihn.
Gerade in dieſem Augenblick aber ſtarb er; eben hier, zu
[234]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.
Insbruck. Den Uebrigen machte die Lage der Dinge ſo
viele Bedenklichkeiten nicht. Was zu Insbruck nicht ge-
lungen, hofften ſie auf die eine oder die andre Weiſe in
Augsburg durchzuſetzen.


Am 6. Juni brach der Kaiſer dahin auf. Er nahm
ſeinen Weg über München, wo er prächtig empfangen ward.
Mit den weltlichen und geiſtlichen Fürſten von Oeſtreich
und Baiern, denſelben, die einſt das Regensburger Bünd-
niß geſchloſſen hatten, langte er am 15ten gegen Abend an
der Lechbrücke vor Augsburg an.


Schon ein paar Stunden wartete ſeiner die glänzendſte
Verſammlung von Reichsfürſten, die man ſeit langer Zeit
geſehn; geiſtliche und weltliche, von Ober- und von Nie-
derdeutſchland, beſonders zahlreich auch die jungen Fürſten,
die noch nicht zur Regierung gelangt waren. So wie der
Kaiſer ſich näherte, ſtiegen ſie ſämmtlich vom Pferde und
gingen ihm entgegen; auch der Kaiſer ſtieg ab und reichte
einem jeden freundlich die Hand. Der Churfürſt von Mainz
begrüßte ihn im Namen aller dieſer „verſammelten Glieder
des heiligen römiſchen Reichs.“ Hierauf ſetzte ſich alles
zu dem feierlichen Einzuge in die Reichsſtadt in Bewegung.
Haben wir der dem deutſchen Weſen ſchon faſt entfrem-
deten Kaiſerkrönung unſre Aufmerkſamkeit gewidmet, ſo mö-
1
[235]Reichstag zu Augsburg. Einzug.
gen wir auch bei dieſer noch weſentlich vaterländiſchen Ce-
rimonie des Einzuges einen Augenblick verweilen. 1


Voran zogen zwei Fähnlein Landsknechte, denen der
Kaiſer, der nun als der gekommene Herr dieſer kaiſerlichen
Stadt betrachtet ſeyn wollte, die Wache derſelben anzuver-
trauen gedachte. Sie waren jetzt erſt geworben, und nicht
alle hatten bereits die militäriſche Haltung, die man in
Deutſchland fordert, jedoch fanden ſich viele unter ihnen,
welche die italieniſchen Kriege mitgemacht, einige, die darin
reich geworden waren. Vor allem bemerkte man einen Augs-
burger Bürger, Simon Seitz, der dem Kaiſer als Feld-
ſchreiber gedient, und der jetzt, prächtig in Gold gekleidet
auf brauner Jenete mit koſtbar geſtickter Decke, nicht ohne
glänzenden Troß zurückkehrte.


Hierauf folgten die reiſigen Mannen der ſechs Chur-
fürſten. Die ſächſiſchen führten nach altem Herkommen
den Zug an; ungefähr 160 Pferde, alle mit ihrem Schieß-
zeug, in Leberfarbe gekleidet. Es waren zum Theil das
Hofgeſinde, Fürſten und Grafen, Vierroſſer, Zweiroſſer und
Einroſſer; zum Theil die Grafen, Räthe und Edelleute, die
vom Lande einberufen waren. Man bemerkte bereits den
Churprinzen, der das erſte Bündniß mit Heſſen vermittelt.
Dem ſächſiſchen folgten die pfälziſchen, brandenburgiſchen,
cölniſchen, mainziſchen und trieriſchen Haufen, alle in ihrer
[236]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.
beſondern Farbe und Rüſtung. Nach der Hierarchie des
Reiches hätten die Baiern nicht hieher gehört. Aber ſie
hatten, ehe man ſie verhindern konnte, ihren Platz ſich ſel-
ber genommen; und wenigſtens ſtellten ſie ſich vortrefflich
dar. Sie waren alle in lichtem Harniſch, rothen Leibröcken
gekleidet; je fünfe ritten in einem Gliede; große Federbüſche
kündigten ſie von fern an: es mochten 450 Pferde ſeyn.


Man bemerkte den Unterſchied, als nun nach dieſer
ſo durchaus kriegeriſchen Pracht die Höfe des Kaiſers und
des Königs anlangten; voran die Pagen, in gelbem oder
rothem Sammet gekleidet, dann die ſpaniſchen, böhmiſchen
und deutſchen Herrn, in ſammetnen und ſeidnen Kleidern,
mit großen goldnen Ketten, aber faſt alle ohne Harniſch.
Dagegen ritten ſie die ſchönſten Pferde; türkiſche, ſpaniſche
und polniſche. Die Böhmen verſäumten nicht, ihre Hengſte
wacker zu tummeln.


Dem Geleite folgten nun die Herren ſelbſt.


Ein paar Reihen Trompeter, zum Theil in des Kö-
nigs, zum Theil in des Kaiſers Farben, Heerpauker mit
ihren Trommelſchlägern, Perſevanten und Herolde kündig-
ten ſie an.


Es waren alle die mächtigen Herren, die in ihren wei-
ten Gebieten faſt ohne Widerſpruch herrſchten, deren nach-
barliche Entzweiungen Deutſchland mit Getümmel und Krieg
zu erfüllen pflegten; Ernſt von Lüneburg und Heinrich von
Braunſchweig, die noch wegen der Hildesheimiſchen Fehde
in unausgetragenem Zwiſte lagen; Georg von Sachſen und
ſein Schwiegerſohn Philipp von Heſſen, die aber vor Kur-
zem in den Packiſchen Unruhen ſo hart an einander gera-
[237]Reichstag zu Augsburg. Einzug.
then waren; die Herzoge von Baiern und ihre Vettern, die
Pfalzgrafen, die nach flüchtiger Annäherung ſich wieder von
einander zu entfernen begannen; neben den Brandenburgern
die Herzoge von Pommern, die jenen zum Trotz auf dem
Reichstag zu einer unmittelbaren Belehnung zu gelangen
gedachten. Jetzt erkannten ſie einmal ſämmtlich einen Hö-
heren über ſich an, und erwieſen ihm gemeinſchaftliche Ver-
ehrung. Den Fürſten folgten die Churfürſten, ſowohl welt-
liche wie geiſtliche. Neben einander ritten Johann von
Sachſen und Joachim von Brandenburg, die einander nicht
wenig grollten, und wäre es nur wegen der Irrungen gewe-
ſen, welche die Flucht der Gemahlin des Markgrafen ver-
anlaßt hatte; ſchon war dieſe Sache bei dem Kaiſer zur
Sprache gekommen; noch einmal trug da Churfürſt Hans
ſeinem Kaiſer das bloße Schwert vor. Denn den Chur-
fürſten folgte ihr erkorner und nun gekrönter Kaiſer, un-
ter einem prächtigen dreifarbigen Baldachin, welchen ſechs
Herren vom Augsburger Rathe trugen, auf einem polniſchen
weißen Hengſte. Man bemerkte, daß er allein in dieſer
Umgebung fremd erſchien; vom Kopf bis auf den Fuß war
er ſpaniſch gekleidet. Er hätte ſeinen Bruder auf der einen
und den Legaten auf der andern Seite neben ſich zu haben
gewünſcht; denn dieſem wollte er überhaupt die höchſte Ehre
erweiſen: die geiſtlichen Churfürſten ſollten demſelben den Vor-
rang laſſen. Allein ſie waren dahin nicht zu bringen geweſen.
Es ſchien ihnen ſchon Ehre genug, daß, als der Legat er-
ſchien, der Gelehrteſte aus ihrem Collegium, Churfürſt Joa-
chim, der ſich im Lateiniſchen mit hinreichender Geläufig-
keit ausdrückte, und wenigſtens bei weitem beſſer als die
[238]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.
Geiſtlichen, ihn begrüßte. Außerhalb des Baldachins ritten
nun König Ferdinand und der Legat neben einander. Ihnen
folgten die deutſchen Cardinäle und Biſchöfe, die fremden
Geſandten und Prälaten. Man nahm darunter den ſtolzen
Beichtvater des Kaiſers, den Biſchof von Osma wahr. 1


An den Zug der Fürſten und Herrn ſchloſſen ſich
aufs neue die Reiſigen an, die des Kaiſers alle in Gelb,
die des Königs alle in Roth gekleidet, mit denen hier die
Reiter der geiſtlichen und weltlichen Fürſten wetteiferten;
jede Schaar in ihrer beſondern Farbe, alle entweder mit
Harniſchen und Spießen, oder als Schützen mit Schießzeug
gerüſtet.


Die Augsburger Mannſchaften, die am Morgen aus-
gezogen, den Kaiſer zu empfangen, zu Fuß und zu Pferd,
Söldner und Bürger, machten bei dem Einzug den Beſchluß.


Denn das war überhaupt der Sinn der Cerimonie,
daß das Reich ſeinen Kaiſer einholte. Bei St. Leonhard
empfing ihn die Cleriſey mit dem Geſang: Advenisti de-
siderabilis;
die Fürſten begleiteten ihn noch in den Dom,
wo ein Tedeum geſungen und der Segen über ihn ausge-
ſprochen ward, und verließen ihn erſt, als er in ſeiner Woh-
nung in der Pfalz angekommen war.


Aber gleich hier, nachdem man kaum noch einmal, und
zwar auch in der Kirche, vereinigt geweſen, trat die große
alles zerſetzende Frage, welche die Verſammlung beſchäfti-
gen ſollte, in aller ihrer Schärfe hervor.


Die Proteſtanten hatten den geiſtlichen ſo wie den welt-
lichen Cerimonien beigewohnt, und es mochte dem Kaiſer
[239]Reichstag zu Augsburg. Erſte Irrung.
rathſam ſcheinen, den erſten Moment ſeiner Anweſenheit,
den Eindruck ſeiner Ankunft zu benutzen, um ſie zu einer
weſentlichen Nachgiebigkeit zu vermögen.


Indem die übrigen Fürſten ſich entfernten, ließ der
Kaiſer den Churfürſten von Sachſen, den Markgrafen Georg
von Brandenburg, den Herzog Franz von Lüneburg und
Landgraf Philipp in ein beſonderes Zimmer rufen, und ſie
durch ſeinen Bruder auffordern, die Predigten nunmehr
abzuſtellen. Die älteren Fürſten erſchraken und ſchwiegen.
Der Landgraf ergriff das Wort und ſuchte die Weigerung
darauf zu begründen, daß ja in den Predigten nichts an-
deres vorkomme, als das reine Gotteswort, wie es auch
S. Auguſtinus gefaßt habe. Argumente, die dem Kaiſer
höchſt widerwärtig waren. Das Blut ſtieg ihm darüber
ins Geſicht, und er wiederholte ſeine Forderung um ſo ſtär-
ker. Allein er ſtieß hier auf einen Widerſtand ganz an-
derer Art, als ihm jene italieniſchen Mächte leiſteten, die
nur Intereſſen eines ſchon ſehr zweifelhaft gewordenen Be-
ſitzes verfochten. Herr, ſagte jetzt der alte Markgraf Ge-
org, ehe ich von Gottes Worte abſtünde, wollte ich lieber auf
dieſer Stelle niederknien, und mir den Kopf abhauen laſ-
ſen. Der Kaiſer, der nichts als Worte der Milde von
ſich hören laſſen wollte, und von Natur wohlwollend war,
erſchrak ſelbſt über die Möglichkeit, die ihm hier aus frem-
dem Munde entgegentrat. Lieber Fürſt, erwiederte er dem
Markgrafen in ſeinem gebrochenen Niederdeutſch, nicht
Köpfe ab. 1


[240]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.

Auch an der Frohnleichnamsproceſſion, die des an-
dern Tages gehalten ward, weigerten ſich die Proteſtanten
Theil zu nehmen. Hätte der Kaiſer ihre Begleitung ver-
langt als einen Hofdienſt, ſo würden ſie ihm dieſelbe wahr-
ſcheinlich geleiſtet haben, ſie ſagten ſelbſt, wie Naman in
der Schrift ſeinem König, allein er forderte ſie auf, „dem
allmächtigen Gott zu Ehren.“ Auf einen ſolchen Grund
hin ſich einzuſtellen, würde ihnen als eine Verletzung des
Gewiſſens erſchienen ſeyn. Sie erwiederten, nicht dazu habe
Gott das Sacrament eingeſetzt, daß man es anbete. Die
Proceſſion, der es überhaupt an dem alten Glanze fehlte,
fand ohne ſie Statt.


In Hinſicht der Predigt gaben ſie zwar zuletzt nach,
aber erſt dann, als der Kaiſer verſprochen, auch der ent-
gegengeſetzten Partei Stillſchweigen zu gebieten. Er ſelbſt
ernannte einige Prediger, die aber nur den Text ohne alle
Auslegung verleſen ſollten. Und auch ſo weit würden ſie
nicht zu bringen geweſen ſeyn, wenn man ihnen nicht bemerk-
lich gemacht hätte, daß der Reichsſchluß von 1526, auf
den ſie ſich immer bezogen, den ſie nicht hatten widerrufen
laſſen wollen, dieß rechtfertige. Der Kaiſer ward wenig-
ſtens, ſo lange er anweſend war, als die rechtmäßige Obrig-
keit einer Reichsſtadt betrachtet. 1


Wir ſehen wohl: keinen Schritt breit ließen ſich die
Proteſtanten von ihrer Ueberzeugung, von ihrem guten Recht
1
[241]Augsburgiſche Confeſſion.
verdrängen. Die Forderungen des anweſenden Kaiſers mach-
ten bei ihnen nicht im mindeſten mehr Eindruck, als die
Anmuthungen des noch entfernten gethan. Hatte der Kai-
ſer auf Nachgiebigkeit gerechnet, ſo waren dieß keine Vor-
zeichen, die ihm Hoffnung geben konnten.


Endlich am 20. Juni wurden die Verhandlungen er-
öffnet. In der Propoſition, die an dieſem Tage verleſen
ward, drang der Kaiſer, wie billig, vor allem auf eine dem
Zwecke entſprechende Rüſtung wider die Türken; zugleich er-
klärte er aber ſeine Abſicht, die religiöſen Irrungen in Milde
und Güte beizulegen, und wiederholte die Aufforderung
des Ausſchreibens, daß zu dem Ende ein jeder „ſeine Mei-
nung, Gutbedünken, Opinion“ ihm in Schriften überant-
worten möge.


Da der Reichsrath den Beſchluß faßte, zuvörderſt die
Religionsſache vorzunehmen, ſo mußte nun ſofort der große
Kampf ſich eröffnen.


Augsburgiſche Confeſſion.


Die Proteſtanten eilten zunächſt eine Schrift vollends
fertig zu machen, in der ſie ihre religiöſe Ueberzeugung den
Reichsſtänden zuſammengefaßt darzulegen gedachten.



Ranke d. Geſch. III. 16
[242]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.

Es iſt dieß die Augsburgiſche Confeſſion und ihr Ur-
ſprung folgender.


Unmittelbar nach Empfang des kaiſerlichen Ausſchrei-
bens hatte man in Sachſen für gut gehalten, die Meinung,
„auf welcher man bisher geſtanden und auf welcher man
verharre,“ in der regelmäßigen Form einer Schrift zuſam-
menzuſtellen. 1


So hatte man ſich einſt zu jener Nationalverſammlung
im J. 1524 von allen Seiten vorbereitet; etwas Aehnliches
geſchah auch in dieſem Augenblick wieder auf der entgegen-
geſetzten Seite, z. B. in Ingolſtadt. 2


In Wittenberg legte man nun in Hinſicht der Lehre
jene ſchwabacher Artikel zu Grunde, in denen ſich die Tren-
nung der lutheriſchen von den oberländiſchen Theologen aus-
geſprochen. Es iſt ſehr merkwürdig, daß bei Abfaſſung
der Confeſſion das Gefühl einer Abſonderung von den Na-
heverwandten wenigſtens nicht minder lebhaft war, als das
Bewußtſeyn des urſprünglichen Gegenſatzes, welcher die
große Bewegung hervorgebracht hatte. Die Abſonderung
erſchien um ſo ſtärker, da indeß Zwingli und die Seinen
von einigen Zugeſtändniſſen, die ſie in Marburg gemacht,
und die von der marburger Uebereinkunft in die ſchwaba-
cher Artikel übergegangen, wieder zurückgetreten waren.


Dieſe ſchwabacher Artikel überarbeitete nun Melanch-
thon mit dem Geiſte der Gründlichkeit und Ordnung, der
ihm eigen war, und in der unläugbaren Abſicht möglichſter
Näherung an den katholiſchen Lehrbegriff. Die Erläuterun-
gen über die Lehre vom freien Willen und vom Glauben,
[243]Augsburgiſche Confeſſion.
die er neu hinzufügte, waren höchſt gemäßigt; er bezeich-
nete ausführlicher, welche Irrthümer der Ketzer, die dann
auch immer von der römiſchen Kirche verworfen waren,
man bei den verſchiedenen Artikeln verdamme; er ſuchte
dieſe Artikel nicht allein mit der Schrift, ſondern auch
mit den Lehren der Kirchenväter, namentlich des Auguſti-
nus zu bewähren; das Gedächtniß der Heiligen verwarf er
nicht durchaus, er ſuchte es nur näher zu beſtimmen; die
Würde der weltlichen Obrigkeit hob er auf das nachdrück-
lichſte hervor, und ſchloß endlich mit der Behauptung, daß
dieſe Lehre nicht allein in der Schrift klar gegründet ſey,
ſondern auch der römiſchen Kirche, ſo weit ſich das aus
den Vätern abnehmen laſſe, nicht widerſtreite; unmöglich
könne man darüber mit ihnen uneins ſeyn, oder gar ſie
Ketzer nennen.


Und meines Dafürhaltens kann man gar nicht läug-
nen, daß die Lehre, wie ſie hier erſcheint, noch ein Pro-
dukt des lebendigen Geiſtes der lateiniſchen Kirche iſt, das
ſich ſogar noch innerhalb der Grenzen derſelben hält, von
allen ſeinen Hervorbringungen vielleicht die merkwürdigſte,
innerlich bedeutendſte. Es liegt in der Natur der Sache,
daß ſie die Farbe ihres Urſprunges trägt, daß ihr nament-
lich der Grundbegriff, von dem Luther in dem Artikel von
der Rechtfertigung ausgegangen, etwas Individuelles ver-
leiht; aber ohne dieß entſtehen menſchliche Dinge nun ein-
mal nicht. Derſelbe Grundbegriff war in der lateiniſchen
Kirche mehr als einmal überaus wirkſam hervorgetreten;
Luther hatte ihn nur wieder mit aller Gewalt des religiö-
ſen Bedürfniſſes ergriffen, und in dem Kampfe mit ent-
16*
[244]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.
gegengeſetzten Meinungen ſo wie in der Ueberlieferung an das
Volk bis zur Allgemeingültigkeit ausgebildet; kein Menſch
könnte ſagen, daß ihm, wie er hier erſcheint, etwas Sectireri-
ſches beiwohne. Dabei blieb es, daß man ſich den Ausbildun-
gen des Dogma’s, welche in den letzten Jahrhunderten herr-
ſchend geworden, widerſetzte; man war weit entfernt, auch
nur den Ausſprüchen eines Kirchenvaters maaßgebende, be-
weiſende Autorität zuzuſchreiben; aber man war ſich bewußt,
daß man ſich von ihrer Auffaſſung nicht weſentlich entfernt
habe. Es giebt eine geheime Tradition, die ſich nicht ſo-
wohl in Formeln ausſpricht, als in der urſprünglichen Faſ-
ſung des Begriffes, welcher nicht immer alle die Nothwen-
digkeit hat, die ihm beizuwohnen ſcheint, und doch die in-
nere Thätigkeit des denkenden ſchaffenden Geiſtes beherrſcht.
Man fühlte ſehr wohl, daß man noch auf dem alten Grund
und Boden ſtand, wie er durch Auguſtinus befeſtigt wor-
den. Man hatte den Verſuch gemacht, den Particularis-
mus zu durchbrechen, deſſen Feſſeln die lateiniſche Kirche
in den letzten Jahrhunderten ſich hatte auflegen laſſen, ſein
Joch von ſich zu werfen; man war ganz allein auf die
Schrift zurückgegangen, an deren Buchſtaben man ſich hielt.
Aber war nicht die Schrift lange Zeiträume hindurch auch
in der lateiniſchen Kirche eifrig ſtudirt, als die Norm des
Glaubens betrachtet worden? War nicht vieles, was dieſe
Kirche annahm, wirklich in der Schrift gegründet? Daran
hielt man ſich; das übrige ließ man fallen.


Ich wage nicht zu ſagen, daß die augsburgiſche Con-
feſſion den reinen Inhalt der Schrift dogmatiſch feſtſtelle;
ſie iſt nur eine Zurückführung des in der lateiniſchen Kirche
[245]Augsburgiſche Confeſſion.
entwickelten Syſtems bis zur Uebereinſtimmung mit der
Schrift, oder eine Auffaſſung der Schrift in dem urſprüng-
lichen Geiſt der lateiniſchen Kirche: — der jedoch mehr un-
bewußt wirkte, als daß man ſich an irgend eine ſchon da-
geweſene Manifeſtation deſſelben gebunden hätte; unſer Be-
kenntniß iſt ſelber ſeine reinſte, der Quelle am nächſten kom-
mende, am ächteſten chriſtliche Manifeſtation.


Es braucht kaum hinzugefügt zu werden, daß man
damit nicht gemeint war, eine Norm auf immer anzuge-
ben. Es iſt nur eine Feſtſtellung des Factums; „Unſre
Kirchen lehren;“ „es wird gelehrt; es wird einmüthig ge-
lehrt; man beſchuldigt die Unſren fälſchlich:“ das ſind die
Ausdrücke, deren ſich Melanchthon bedient; er will nur
die bereits entwickelte Ueberzeugung ausſprechen.


Und in demſelben Sinne hat er nun auch den zweiten
Abſchnitt geſchrieben, in welchem er die Mißbräuche erör-
tert, die man abgeſchafft hat.


Welch ein weites Feld bot ſich hier einer gehäſſigen
Polemik dar! Was ließ ſich alles über die Eingriffe der
päpſtlichen Gewalt ſagen, zumal an dem Reichstag, deſſen
Antipathien dagegen man vielleicht hätte erwecken können,
über die Ausartungen eines falſchen Gottesdienſtes, — wie
wir denn in der That unter den Entwürfen der Schrift
ein langes Regiſter derſelben vorfinden — doch hielt man
für beſſer, dieß zu vermeiden. Melanchthon blieb dabei
ſtehen, den kirchlichen Zuſtand zu rechtfertigen, in den man
dieſſeit allmählig gekommen war. Er erörterte, weshalb
man beiderlei Geſtalt und die Prieſterehe zulaſſe, Gelübde
und Privatmeſſen verwerfe, weder Faſten noch Ohrenbeichte
[246]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.
gebiete; er ſuchte überall zu zeigen, wie neu und gefährlich
die entgegenſtehenden Einrichtungen, wie ſie ſelbſt mit den
alten canoniſchen Satzungen in Widerſpruch ſeyen. Mit
gutem Vorbedacht ſchwieg er von dem göttlichen Recht des
Papſtes, oder dem Charakter indelebilis, ſelbſt von der Zahl
der Sacramente; er wollte nicht bekehren, ſondern nur ver-
theidigen. Schon genug, daß er den Unterſchied des geiſt-
lichen Berufes der Biſchöfe von deren weltlicher Gewalt
hervorhob; indem er jene nach dem Inhalt des Evange-
liums beſtimmte, hütete er ſich doch wohl dieſe anzutaſten.
Er behauptete, daß die Evangeliſchen auch hierin von den
ächten Grundſätzen der katholiſchen Kirche nicht abgewichen
ſeyen, daß der Kaiſer die neue Einrichtung der Kirche ſehr
wohl dulden könne. 1


Es ließe ſich fragen, ob die Proteſtanten nicht viel-
leicht beſſer gethan haben würden, wenn ſie ſtatt ſich ſo
entſchieden in der Vertheidigung zu halten, wieder einmal
muthig die Offenſive ergriffen, und alle die ſtarken refor-
matoriſchen Sympathien aufgerufen hätten.


[247]Augsburgiſche Confeſſion.

Bekennen wir aber: — ſeit dem Tage, daß ſie ſich
entſchloſſen hatten, den Anhängern Zwingli’s ihr Bündniß
zu verſagen, war dieß unmöglich. Von der Gunſt, welche
die Zwingliſchen Lehren fanden, ſahen ſie ſich faſt überflü-
gelt, in Schatten geſtellt; in Augsburg hing der größte
Theil der Einwohner denſelben an; man ſprach von einem
Bunde der Oberdeutſchen und der Schweizer zum Umſturz
der ganzen Hierarchie des Reichs. War doch eins ihrer
vornehmſten Oberhäupter, Landgraf Philipp ſelbſt, wenn
man ihn reden hörte, mehr auf der Seite Zwingli’s! 1 Es
gehörte noch eine beſondere Anmahnung Luthers dazu, um
ihn nur zu bewegen, die Confeſſion zu unterſchreiben.


Auch konnten ſie nicht daran denken, die Majorität
der Reichsſtände, die allzu entſchieden Partei genommen,
zu gewinnen, auf ihre Seite zu ziehen.


Sie wünſchten nichts als Friede und Duldung; ſie
meinten gezeigt zu haben, daß man ihre Lehre mit Unrecht
verdamme, ketzeriſch ſchelte. Luther gewann es über ſich,
dieß ſeinem alten Gegner, dem Erzbiſchof von Mainz, der
jetzt milder geſtimmt zu ſeyn ſchien, aus Herz zu legen.
Im Namen der Fürſten wendete ſich Melanchthon an den
Legaten Campeggi, und beſchwur ihn, bei der Mäßigung,
zu verharren, die er noch an demſelben wahrzunehmen
glaubte: jede neue Bewegung könne eine unermeßliche Ver-
wirrung der Kirche hervorbringen. 2


[248]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.

In dieſem Sinne der Annäherung, dem Gefühle des
Nochnichtvollkommengetrenntſeyns, dem Wunſche, eine wie
im tiefern Grunde der Dinge waltende, ſo in einigen Ein-
zelnheiten des Bekenntniſſes ſichtbare Verwandtſchaft geltend
zu machen, war die Confeſſion gedacht und abgefaßt.


Am 25. Juni 1530 Nachmittags ward ſie in der Ver-
ſammlung des Reiches verleſen. Die Fürſten baten den
Kaiſer, dieß in dem größern Locale geſchehen zu laſſen, wo
auch Fremde zugelaſſen wurden, ſo zu ſagen in einer öffentli-
chen Sitzung; der Kaiſer beliebte das kleinere, die Capi-
telſtube des biſchöflichen Hofes, wo er wohnte, und wo
nur die Mitglieder der Reichsverſammlung Zutritt fanden.
Aus einem ähnlichen Grunde hätte er es gern geſehen,
daß die lateiniſche Abfaſſung verleſen worden wäre, aber
da erinnerten ihn die Fürſten, auf deutſcher Erde möge
Seine Majeſtät die deutſche Sprache erlauben. Hierauf
verlas der jüngere ſächſiſche Kanzler, Dr. Chriſtian Baier,
das deutſche Bekenntniß mit einer Vernehmlichkeit der
Stimme, die der Klarheit und Feſtigkeit der darin ausge-
drückten Ueberzeugung entſprach. 1 Die geiſtlichen Fürſten
waren nicht ſehr zahlreich zugegen: ſie hatten gefürchtet,
2
[249]Augsburgiſche Confeſſion.
manchen unbequemen Vorwurf anhören zu müſſen. Die
Einverſtandenen fühlten ſich glücklich, daß es ſo weit ge-
kommen, und hatten ihre Freude ſo am Inhalt wie am
Vortrag des Bekenntniſſes. Andere benutzten wohl die Ge-
legenheit, ſich die Hauptpunkte aufzuzeichnen. Nachdem
man zu Ende gekommen, wurden die beiden Exemplare dem
Kaiſer überreicht: das deutſche gab er dem Reichserzkanz-
ler, das lateiniſche behielt er zu eignen Händen. Beide
waren von dem Churfürſten und dem Churprinzen von
Sachſen, dem Markgrafen Georg von Brandenburg, den
Herzogen Franz und Ernſt von Lüneburg, dem Landgrafen
Philipp, dem Fürſten Wolfgang von Anhalt und den Ab-
geordneten der Städte Nürnberg und Reutlingen unterzeichnet.


Confutation, Bedrohungen.


Die evangeliſchen Fürſten erwarteten, daß auch die
Partei ihrer Gegner mit einer ähnlichen Erklärung hervor-
treten und der Kaiſer ſich alsdann bemühen würde, den
Zwieſpalt zwiſchen beiden Theilen zu vermitteln. So lau-
tete die Propoſition und noch deutlicher als dieſe das Aus-
ſchreiben, in deſſen Folge ſie ſich eingefunden hatten.


Höchſtwahrſcheinlich war das auch die Meinung des
Kaiſers. Er hätte ſogar gewünſcht, daß der katholiſche Theil
mit einer Anklage wider den evangeliſchen hervorgetreten
wäre, er würde dann die Rolle eines Schiedsrichters zwi-
ſchen beiden übernommen haben. In der Verſammlung
der Stände hat Ferdinand einmal einen darauf zielenden
Antrag gemacht.


1


[250]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.

So vollkommen aber waren die beiden Brüder mit
nichten Meiſter der Verſammlung, um dieß durchſetzen zu
können.


Die Majorität, die ſich in Speier gebildet, und ſich
hier noch enger zuſammenſchloß, ſah ſich als rechtmäßige In-
haberin der Reichsgewalt an. Gegen die beiden Brüder,
deren katholiſcher Eifer ihr höchlich erwünſcht war, fand
ſie doch ſonſt gar manches Andre zu erinnern. Namentlich
hatte Ferdinand päpſtliche Bewilligungen geiſtlicher Einkünfte
ausgebracht, wie ſie wohl in Spanien durchgingen, aber
in Deutſchland unerhört waren, und die nun in der ge-
ſammten Geiſtlichkeit Mißvergnügen und Widerſtand her-
vorriefen. Die Majorität lehnte ab, ſich als Partei zu
conſtituiren, und den Kaiſer als Richter zwiſchen ihr und
den Proteſtanten anzuerkennen. Sie meinte, ſie habe nichts
Neues vorzutragen; ſie habe ſich nur an das kaiſerliche
Edict gehalten: brauche der Kaiſer eine Anklage, ſo möge
er ſie von der Uebertretung ſeines Edictes hernehmen. Viel-
mehr, wie es immer das Herkommen geweſen, daß der
Kaiſer den Meinungen der Reichsverſammlung beitrat, ſo
war ſie der Anſicht, daß der Kaiſer auch jetzt ihr Intereſſe
zu dem ſeinigen zu machen habe. Das wollte es ſagen,
wenn ſie ihn erſuchte, in dieſer Sache mit der Churfürſten
Fürſten und Stände Rath aus kaiſerlicher Machtvollkom-
menheit zu procediren. Es kümmerte ſie wenig, daß dieß
den Worten des Ausſchreibens widerſprach. Waren dieſe
doch nicht von ihr ausgegangen. Der Kaiſer konnte in
der That nicht anders als jene Idee einer gleichſam rich-
terlichen Vermittelung fahren [laſſen].


[251]Berathungen der Majoritaͤt.

Man glaubt wohl in der Regel an dem Reichstage
ſelbſtändige Verhandlungen des Kaiſers mit den Proteſtan-
ten wahrzunehmen. In der That aber handelt von dieſem
Augenblick an nur noch die Majorität der Stände. Ueber
die geringſten Dinge, z. B. die Mittheilung eines Acten-
ſtückes, muß der Kaiſer mit der Majorität Rückſprache
nehmen; er verfügt zuletzt nur, wie dieſe für gut gehalten.


Schade, daß wir von den Sitzungen der katholiſchen
Majorität keine Protocolle haben: weiß man doch nicht
einmal, ob deren überhaupt aufgenommen worden ſind.
Auch ausführliche Berichte findet man nicht und hat ſie
ſchwerlich zu erwarten, da die bedeutendſten Fürſten per-
ſönlich zugegen waren, die Geſandten der Städte aber an
den Sitzungen nicht Theil nahmen.


Nur ſo viel wiſſen wir, daß ſich zwei verſchiedene
Meinungen einander entgegenſetzten. Der Sinn der Einen
wäre geweſen, daß der Kaiſer auf der Stelle zu den Waf-
fen gegriffen und ſein altes Edict auf dem Wege der Ge-
walt zur Ausführung gebracht hätte. Der Erzbiſchof von
Salzburg ſagte: Entweder müſſen wir ſie heben oder ſie
heben uns: welches von beiden kommt uns zu? Ein
nicht minder heftiges Mitglied der Verſammlung hörte man
über dieſe Confeſſion ſpotten, die mit ſchwarzer Tinte geſchrie-
ben ſey: „wären wir Kaiſer, wir wollten die rothen Rubri-
ken dazu machen.“ Herr, fiel ihm ein Anderer ins Wort, daß
Euch nur nicht da das Roth ſelber unter die Augen ſprützt.
Denn keineswegs Alle waren von ſo entſchiedner Feindſelig-
keit. Namentlich der Erzbiſchof von Mainz ſtellte die Gefahr
vor, in die ein Anfall de[r] Türken ſtürzen werde, wenn
[252]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.
zugleich dieſe offene Entzweiung ausbreche. Es ward endlich
beſchloſſen, dem Kaiſer zu rathen, die Confeſſion vor allen
Dingen widerlegen zu laſſen: indeſſen wolle man einen Ver-
ſuch machen, die Irrungen zwiſchen geiſtlichen und welt-
lichen Ständen unter einander zu ſchlichten. Der Kaiſer
nahm dieſen Rath an. Er gab ſich der Hoffnung hin,
daß beides vereinigt, zuſammentreffend, — die Beilegung der
Irrungen und die Widerlegung — auf die Proteſtanten ei-
nen Eindruck machen werde, der ſie nachzugeben beſtimme. 1


Wie war hiemit die Lage der Proteſtanten plötzlich ſo
ungünſtig verändert!


Bisher hatten ſie von der höhern Stellung des Kai-
ſers Anerkennung und Vermittlung erwartet: aber gar bald
bemerkten ſie, daß er nicht treibe, ſondern getrieben werde;
die alten erbitterten Gegner, mit denen ſie ſchon ſo lange
geſtritten, als Mehrheit conſtituirt, leiteten jetzt auch alle
Schritte der kaiſerlichen Autorität.


Und auf das eifrigſte ging man nun an die Wider-
legung. An Arbeitern konnte es nicht fehlen. Von allen
Seiten waren auch die Gegner der reformirenden Theolo-
gen mit ihren Fürſten eingetroffen: Faber von Wien, —
er war jetzt Probſt zu Ofen geworden — Eck von Ingol-
ſtadt, Cochläus von Dresden, Wimpina von Frankfurt
[253]Katholiſche Theologen.
a. d. O.; mit den Biſchöfen waren ihre Vicarien oder ge-
lehrten Weihbiſchöfe angelangt: man ſah einige nahmhafte
Mönche, Barfüßer, Carmeliter, beſonders Dominikaner,
den Provincial Paul Haug, den Vicarius Johann Burk-
hard, den Prior Conrad Colli, der einſt wider Luthers Ehe
geſchrieben. 1 Es begreift ſich, wenn ein Mann wie Eras-
mus, den man auch eingeladen, keine Neigung fühlte, ſich
dieſen Namen beizugeſellen. Es waren eben die Repräſen-
tanten des ariſtoteliſch-dominikaniſchen Syſtems, das die
Schulen von Europa ſo lange beherrſcht, das er ſelber be-
kämpft hatte, die hier das Wort führen ſollten. Mit der
literariſchen Fehde, in der ſie ſich bisher bewegt, hatten ſie
wenig ausgerichtet. Ihre ganze Stärke lag in ihrer Ver-
bindung mit der Gewalt. Jetzt waren ſie nicht eigentlich
mehr Privatleute; im Namen des Reiches ſollten ſie ſpre-
chen und ſchreiben.


[254]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.

Allerdings ließ man ihnen nicht völlig freie Hand.
Sie waren viel zu heftig, zu weitläuftig. Ein jeder brachte
ſeine alten Feindſeligkeiten, Widerlegungen lutheriſcher Mei-
nungen, von denen hier gar nicht die Rede war, herbei. 1
Den erſten Entwurf gab ihnen die Reichsverſammlung ge-
radehin zurück, und wies ſie an, ſich nur an die Artikel
der Confeſſion zu halten. Auch einen zweiten kürzern, der
darnach einlief, unterwarf die Verſammlung, Artikel für
Artikel, ausführlicher Berathſchlagung. Es dauerte bis den
dritten Auguſt, ehe man mit der Confutation zu Stande
kam, und ſie nun auch in jenem Saal des biſchöflichen
Hofes verleſen laſſen konnte.


Sie beſteht, wie die Confeſſion aus zwei Theilen, von
denen ſich der eine auf den Glauben, der andere auf die
Gebräuche bezieht.


In dem erſten näherte ſich die Streitfrage bereits den
Standpunkten, auf welchen ſie ſeitdem feſtgehalten worden
iſt. Man behauptete nicht mehr, daß das Sacrament,
das bloße Vollziehen der Handlung, das Opus operatum
Gnade verdiene. Man lehrte nicht mehr, daß ein gutes
Werk ohne Gnade gethan, von derſelben Gattung ſey, wie
eins mit Gnade gethan, daß zwiſchen beiden nur ein gra-
dueller Unterſchied ſey. Das waren die Lehren, gegen die
[255]Confutation.
ſich Luther erhoben. Man ging vielmehr auf die tiefern
Begriffe der Rechtfertigung durch Chriſtum, wie ſie ſeitdem
in aller Welt gäng und gebe geworden, näher ein. Wenn
man zugleich die Nothwendigkeit der guten Werke feſtzuhalten
ſuchte, ſo geſchah das doch in einem andern Sinne als
früher. 1


Dieß iſt aber auch die einzige Modification, zu der
man ſich verſtand.


Denn in allen übrigen Punkten blieb man dem einmal
feſtgeſtellten Syſteme treu. Man forderte die Anerkennung
der Transſubſtantiation, der ſieben Sacramente, die An-
rufung der Heiligen; man blieb bei der Verſagung des
Kelchs und der Nothwendigkeit des Cölibats ſtehn, und
machte ſogar einen Verſuch, der freilich nicht anders
als mißlingen konnte, ſie aus Ausſprüchen der Schrift,
oder dem Gebrauch der älteſten Jahrhunderte, wobei man
ſich denn wieder auf die falſchen Decretalen ſtützte, herzu-
leiten; das Meßopfer ließ man ſich nicht entreißen; vor al-
lem hielt man an dem Begriffe der lateiniſchen Kirche als
der allgemeinen feſt. Den lateiniſchen Ritus in der Meſſe
vertheidigte man damit, daß der fungirende Prieſter bei wei-
tem mehr der ganzen Kirche angehöre, als der Gemeinde
die ihn umgebe.


Genug, wenn man auf der proteſtantiſchen Seite, durch
den Mißverſtand der Lehre, und die eingeriſſenen Mißbräuche
veranlaßt worden war, unmittelbar auf die Schrift zurück-
[256]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.
zugehen, die man zwar in einem Sinne faßte, der den
Grundanſchauungen der alten lateiniſchen Kirche entſprach,
aber bei dem die Ideen und Bildungen der letzten hier-
archiſchen Jahrhunderte nicht beſtehen konnten, ſo bequem-
ten ſich jetzt auch die Gegner, einige der ſchroffſten Aus-
wüchſe der Lehre fallen zu laſſen, auf die Abſchaffung der
Mißbräuche zu denken, welche ohnehin zu ſo vielen Irrun-
gen zwiſchen geiſtlichen und weltlichen Fürſten geführt hat-
ten, aber übrigens blieben ſie dabei, daß das ganze hierar-
chiſche Syſtem von unmittelbar göttlichem Urſprung ſey.
Wir ſehen ſie nach einer Methode ſuchen, denn in der That
hatten ſie eine ſolche noch nicht gefunden, um die Ueberein-
ſtimmung ihres Syſtemes mit der Schrift nachzuweiſen.


Und dieß hätte nun ſo viel nicht zu ſagen gehabt,
wenn es dabei blos auf Vertheidigung abgeſehen geweſen
wäre. Allein mit Nichten. Die Majorität erklärte nicht
allein, ſie finde dieſe Meinung recht und katholiſch, mit
dem Evangelium übereinſtimmend, ſondern ſie forderte nun
auch, daß die proteſtantiſche Minorität die widerlegten Ar-
tikel ihrer Confeſſion fahren laſſen, und mit der allgemei-
nen rechtgläubigen Kirche einförmig glauben ſolle. Auf den
Nachweis der Uebereinſtimmung mit dem Weſentlichen, Al-
ten, Urſprünglichen ward keine Rückſicht genommen, ſo
lange noch die geringſte Differenz, wenn auch nur in dem
Zufälligen, Unweſentlichen zu bemerken war. Alles was
im Laufe der Zeit, entweder in dem unabweislichen Drange
der Ereigniſſe oder auf den Grund legaler Beſtimmungen
einer andern Reichsverſammlung abgeändert worden, ſollte
wieder hergeſtellt werden. Der Kaiſer, dem die Idee als
[257]Bedrohungen.
als Richter zwiſchen den beiden Parteien aufzutreten, ver-
leidet worden, erklärte ſich ganz im Sinne der Majorität.
Am Schluß der Confutation, die in ſeinem Namen publi-
cirt ward, ermahnte er die Evangeliſchen, ſich nun der rö-
miſchen und katholiſchen Kirche wieder gehorſam zu be-
zeigen. Wo nicht, ſo werde er gegen ſie verfahren müſſen,
wie einem römiſchen Kaiſer, Schutzherrn und Vogt der
Kirche zukomme.


Die Zeit der Milde war vorüber, die Zeit der Strenge
ſchien gekommen.


Schon hatte der Papſt geſprochen.


Es war ein Brief Campeggi’s in Rom eingegangen,
in welchem die vornehmſten Forderungen der Proteſtanten
nahmhaft gemacht worden waren. Gleich im Anfang der
Verſammlung nemlich hatte der Kaiſer ſich eine kurze An-
gabe derſelben von Melanchthons Hand verſchafft und
dieſe dem Legaten mitgetheilt. Am 6. Juli kam die Sache
im Conſiſtorium des Papſtes und der Cardinäle zum Vor-
trag. So viel wir wiſſen, forderten die Proteſtanten bei-
derlei Geſtalt, Prieſterehe, Weglaſſung des Canons in der
Meſſe, Ueberlaſſung der eingezogenen geiſtlichen Güter und
Erörterung der übrigen Streitpunkte auf einem Concilium.
In Rom aber hielt man nicht für gut, darauf einzugehn.
Man fand dieſe Artikel im Widerſtreit mit dem Glauben
und der Disciplin, ſo wie mit dem Intereſſe der Kirche.
Man beſchloß ſie zurückzuweiſen und dem Kaiſer einfach
für den bewieſenen Eifer zu danken. 1


Ranke d. Geſch. III. 17
[258]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.

Die Reichsverſammlung ſelbſt hatte den Kaiſer auf-
gefordert, als Vogt der Kirche aufzutreten.


Von beiden Seiten angeregt, durch ſeine Verträge ge-
bunden, und nur von Leuten umgeben, die entweder keinen
Begriff von dem Thun und Laſſen der Proteſtanten hat-
ten, oder vorlängſt ihre Feinde waren, nahm er die ernſt-
lichſte Haltung an. Den allgemeinen Erklärungen fügte er
ungnädiges Bezeigen gegen die Einzelnen hinzu; nament-
lich dem Churfürſten Johann gab er durch eine beſondere
Abordnung ſein Mißfallen zu erkennen, daß er ſich von dem
Kaiſer, der doch Schützer des Glaubens ſey, getrennt,
Neuerungen vorgenommen, Bündniſſe geſucht habe. „Auch
S. Majeſtät habe eine Seele und ein Gewiſſen, und wolle
nichts gegen Gottes Wort thun.“ Werde daher der Chur-
fürſt nicht zu dem Glauben zurückkehren, den man ſeit zwei,
drei Jahrhunderten gehalten, 1 ſo ſey es auch Sr. Maje-
ſtät nicht gelegen, ihn zu belehnen, oder ihm irgend eine
von den andern Gnaden zu gewähren, die er begehre.


Widerſtand.


Es konnte wohl zweifelhaft ſcheinen, ob deutſche Für-
ſten und Herren, in dem ritterlichen Leben der Höfe er-
wachſen, und in ſpätern Jahren durch fremde Unterwei-
ſung zur Lehre gelangt, des guten Verſtändniſſes mit ihren
Nachbarn und in ihren wichtigſten Angelegenheiten der Gnade
des Kaiſers bedürftig, ob dieſe wirklich ſtandhaft genug
ſeyn würden, dem ausgeſprochenen Unwillen des letztern,
und einer immer engeren Vereinigung der ſtändiſchen Ma-
[259]Widerſtand.
jorität gegenüber, ohne durch einen haltbaren Bund auch
nur unter einander geſichert zu ſeyn, ihre Ueberzeugung mit
der nöthigen Feſtigkeit zu behaupten.


Zunächſt kam es hiebei auf den vornehmſten von
ihnen an, auf welchen die Andern blickten, und den auch
der Kaiſer am härteſten anging, den Churfürſten Johann
von Sachſen.


Churfürſt Johann von Sachſen, der letzte von den
vier trefflichen Söhnen des Churfürſten Ernſt, die einſt zu
Grimma mit großer Sorgfalt zu geiſtlichen oder weltlichen
Reichswürden erzogen worden, der Stammvater des noch
heute in mannichfaltigen Zweigen blühenden erneſtiniſchen
Hauſes, beſaß nicht die politiſche Genialität ſeines Bruders
Friedrich, deſſen feinen durchdringenden Geiſt; dagegen zeigte
er ſich von Jugend auf gutmüthig und treuherzig, ohne
alles Falſch — wie Luther ſagt, ohne Galle, aber dabei
erfüllt von dem ſittlichen Ernſt, der einer ſo einfachen
Seele erſt ihren Werth verleiht. Man weiß nicht an-
ders, als daß er bis zu ſeiner Vermählung in ſeinem
32ſten Lebensjahre vollkommen keuſch gelebt hat. 1 Die
rauſchenden ritterlichen Feſtlichkeiten, an denen er zuwei-
len am Hofe Maximilians Theil nahm, obwohl auch er
ſich dabei hervorthat, befriedigten ihn doch nicht; er meinte
ſpäter, von dieſen Tagen ſey doch auch keiner ohne irgend
ein Herzeleid vergangen. 2 Man ſieht, für Vergnügun-
17*
[260]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.
gen und Weltluſt war er nicht geboren; das Unangenehme,
das dabei nicht zu vermeiden iſt, ging ihm allzutief, und
quälte ihn mehr, als ihn der leichte Genuß erfreute. Mit
ſeinem Bruder, deſſen Mitregent er war, hat er ſich nie
entzweit; nie hat Einer einen Diener angenommen, ohne
daß der Andere damit einverſtanden geweſen wäre. Vom
erſten Aufgang Luthers an, widmete er der Lehre deſſelben
die freudigſte Theilnahme; ſein von Natur ernſtes und in
der Tiefe religiöſes Gemüth ward von derſelben allmählig
ganz durchdrungen. Es war ihm Vergnügen und Genug-
thuung, ſich die h. Schrift, die ihm nun erſt bekannt ward,
in den Abendſtunden vorleſen zu laſſen. Er ſchlief darüber
zuweilen ein, denn ſchon war er bejahrt; wenn er auf-
wachte, wiederholte er den letzten Spruch, der ihm im Ge-
dächtniß geblieben. Die Predigten Luthers ſchrieb er zu-
weilen nach: man hat ein von ſeiner Hand geſchriebenes
Exemplar des kleinen Catechismus Lutheri. 1 Früher und
ſpäter hat es Fürſten gegeben, die durch eine Hingebung
dieſer Art in ihrer Thatkraft gelähmt worden; bei ihm war
das nicht der Fall. Bei aller Einfachheit entwickelte ſeine
Seele doch auch Schwung und Willen. Als in dem Bauern-
kriege die Sache der Fürſten ſo ſchwankend ſtand, verbarg
er ſich nicht, daß es zu einem völligen Umſchlag kommen
könne; er war ſogar darauf gefaßt und man hörte ihn ſa-
gen, auch er könne ſich am Ende mit ein paar Pferden be-
gnügen und ein Mann ſeyn wie ein anderer Mann, aber
das hielt ihn nicht ab, ſein gutes Recht doch ſo tapfer
zu vertheidigen wie irgend ein Andrer; nur in dem Siege
[261]Churfuͤrſt Johann von Sachſen.
zeigte er ſich milder. Und wann wäre in den folgenden Jahren
ein Moment eingetreten, wo eine blos beſchauliche Frömmig-
keit auch nur möglich geweſen wäre. Wir kennen keinen Für-
ſten, der ſich um die Feſtſtellung der proteſtantiſchen Kirche
ein größeres Verdienſt erworben hätte. Sein Bruder und
Vorgänger hatte die Lehre nur nicht unterdrücken laſſen,
ſie in ſeinem Lande und ſo viel er vermochte im Reiche in
Schutz genommen. Doch gab es auf jeder Seite noch Klip-
pen, an denen alles ſcheitern konnte, als Johann zur Re-
gierung kam. Nur durch eine Politik, die von einer in je-
dem Augenblicke bewußten höhern Ueberzeugung getragen war,
konnten ſie vermieden werden. Nach dem Bauernkriege
erhoben ſich die Ideen der Reaction auf das gewaltigſte;
ſo ſehr ſie ihm von ſeinem weltklugen und in den Geſchäf-
ten geübten Vetter empfohlen wurden, ſo ließ Johann ſich nicht
von ihnen übermeiſtern. Auf dem nächſten Reichstage nahm
er vielmehr eine Haltung an, durch welche er jenen Ab-
ſchied, auf dem alle weitere geſetzliche Entwickelung beruht
hat, herbeiführen half. Bald darauf ſchien es wohl, als
werde der Ungeſtüm ſeines heſſiſchen Verbündeten auch
ihn ergreifen, und ihn nach der andern Seite hin auf eine
nicht mehr abzuſehende Bahn politiſcher Verwickelungen fort-
reißen, aber noch zur rechten Zeit nahm er beſſern Bedacht,
und kehrte in die defenſive Stellung zurück, die ihm na-
türlich war und die er behaupten konnte. Sein Bemü-
hen ging allein dahin, der Lehre in ſeinem Lande Ausdruck
und ein entſprechendes öffentliches Daſeyn zu geben. Er
führte die erſte evangeliſche Kirchenform in Deutſchland ein,
die allen andern mehr oder minder zum Muſter gedient hat.
[262]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.
Er verſäumte nicht, die Uebergriffe ſeines Adels zu verhin-
dern: ſo mild und gutmüthig er war, ſo ließ er ſich doch
keine ungerechte Begünſtigung abgewinnen; er tadelte an ſei-
nem Sohn, daß derſelbe ſeiner Umgebung wohl mehr als
billig Gehör gebe. In alle dem hatte nun Luther den größ-
ten Einfluß auf ihn: Luther wußte die inneren Motive,
welche dieſe Seele beherrſchten, zur rechten Zeit in Anre-
gung zu bringen, und in friſchem Bewußtſeyn zu erhalten.
So geſchah denn auch unter Johanns Vortritt die Pro-
teſtation, die der ganzen Partei Namen und Weltſtellung
gegeben hat. Denn wo Recht und Religion auf ſeiner
Seite war, da hatte er kein Bedenken. Da führte auch
er wohl das Sprichwort: „gradaus giebt einen guten Ren-
ner.“ — Eine zur Zurückgezogenheit geneigte, friedfertige,
anſpruchloſe Natur, in der aber durch ein großes Vorha-
ben eine Entſchloſſenheit und Thatkraft geweckt waren, die
ſich demſelben vollkommen gewachſen zeigten.


Hier zu Augsburg hatte nun Churfürſt Johann die
Prüfung zu beſtehen, ob dieſe Geſinnung wahres gediegenes
Gold ſey, oder auch mit Schlacken vermiſcht.


Er fühlte eine natürliche reichsfürſtliche Verehrung für
den Kaiſer, nnd anfangs zweifelte er nicht, dieſe mit ſeiner
religiöſen Ueberzeugung ohne Schwierigkeit vereinigen zu
können. Sehr bald aber ſah man ein, daß das unmöglich
ſeyn werde, und um die Gefahr wenigſtens zunächſt von
dem Haupte des Fürſten abzuwenden, kamen einige ſeiner
Gelehrten auf den alten Gedanken zurück, daß er ſich
ihrer nicht annehmen, ſie für ſich ſelbſt ſtehen laſſen
[263]Churfuͤrſt Johann von Sachſen.
ſolle. Sie waren bereit, die Confeſſion blos in ihrem eig-
nen Namen einzugeben. Der Churfürſt erwiederte ihnen:
„ich will meinen Chriſtus auch mit bekennen.“


Seitdem zeigte ſich aber der Kaiſer von Tag zu Tag
abgeneigter. „Wir haben,“ ſagt der Churfürſt in einem
ſeiner Briefe, 1 „S. Kaiſerl. Majeſtät gebeten, uns mit
der Churwürde zu belehnen: das iſt uns abgeſchlagen wor-
den. Wir liegen mit großen Koſten hier, haben eben 12000
Gulden aufnehmen müſſen: Kaiſerl. Majeſtät hat uns noch
mit keinem Worte zugeſprochen. Wir können nicht anders
denken, als daß wir bei Kaiſerlicher Majeſtät ſchwer ver-
unglimpft ſind, und daß uns dieß durch unſere eignen Ver-
wandten geſchehen iſt.“


Wir ſehen, in welche Stimmung man ihn bereits ge-
ſetzt hatte, und darauf folgte nun die Confutation und die
derſelben beigefügte drohende Erklärung.


Daß er dem Kaiſer, der ſo eben den König von Frank-
reich beſiegt, Italien zur Ruhe gebracht hatte, der jetzt mit
der Majorität des Reichs auf das engſte verbündet war
und in ihrem Namen handelte, Widerſtand leiſten könne,
er mit dem ſchmalen Strich Landes an der Elbe und ſei-
nem kleinen Thüringen, ohne zuverläſſige Verbündete, daran
ließ ſich gar nicht denken. Und lähmte ihn nicht über-
dieß der Zweifel, ob er auch nur das Recht habe, ſich
zu widerſetzen? Er neigte ſich zu der Meinung, daß es
ihm nicht zukomme.


Man trug Sorge, ihn ganz deutlich wiſſen zu laſſen,
[264]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.
was ihm bevorſtehe. Ein mit dem Hofe ſehr vertrauter
Fürſt erklärte ihm eines Tages, werde er ſich nicht fü-
gen, ſo werde ihn der Kaiſer mit gewaffneter Hand an-
greifen, ihn von Land und Leuten verjagen, an ſeiner Per-
ſon das äußerſte Recht vollſtrecken. 1


Der Churfürſt zweifelte nicht, daß es dahin kommen
könne. In großer Bewegung kam er nach Hauſe; er zeigte
ſich entſetzt, daß er entweder die erkannte Wahrheit ver-
läugnen müſſe, oder ſich mit den Seinen in ein unvermeid-
liches Verderben ſtürzen werde.


Luther verſichert, hätte er gewankt, ſo würde keiner
ſeiner Räthe feſtgehalten haben.


Allein eben das entſchied ihn, daß er ſich die Frage,
die ihm vorgelegt ward, in ihrer ganzen ſchneidenden Schärfe
vorlegte. Entweder Gott verläugnen oder die Welt, ſagte
er: wer kann zweifeln, was das Beſte ſey? — Gott hat
mich zu einem Churfürſten des Reichs gemacht, was ich
niemals werth geworden bin: er mache ferner aus mir,
was ihm gefällt.


Was in ſeiner Seele vorging, zeigt unter anderm ein
Traum, den er in dieſer Zeit hatte. Es ergriff ihn jene
Beklemmung, in welcher der Menſch unter einer ſeine Bruſt
niederdrückenden Laſt zu vergehen meint. Er glaubte, er
[265]Luther in Coburg.
liege unter einem hohen Berg, auf deſſen Spitze ſein Vet-
ter Georg ſtehe; gegen Morgen ſank der Berg zuſammen,
und der feindliche Blutverwandte fiel neben ihm nieder.


Genug, der alte Fürſt wich und wankte nicht. Große
Ereigniſſe geſchehen überhaupt nicht ohne eine große mo-
raliſche Anſtrengung. Neue Bildungen bedürfen dieſes ge-
heimnißvollen innern Kerns. Churfürſt Johann erklärte
nach wie vor, der Kaiſer ſolle in ihm in allen Stücken
einen getreuen friedlichen Fürſten finden, aber dazu werde
er ihn nie vermögen, die ewige Wahrheit nicht als die
Wahrheit, das unvergängliche Gotteswort nicht als Got-
teswort zu betrachten.


Der Mann, der ihn hiebei am meiſten feſthielt, iſt
ohne Zweifel Luther, obwohl er nicht zugegen war.


Luther war von der Acht, mit der er belegt worden,
noch nicht freigeſprochen; ſo ſicher er demungeachtet auch
ſeitdem geblieben, ſo konnte ihn der Churfürſt doch nicht an
den Reichstag mitbringen; er ließ ihn an den Grenzen ſei-
nes Landes, in Coburg.


Es kam Luthern zu Statten, daß er nicht in das Ge-
dränge der Geſchäfte und Tagesbegebenheiten fortgeriſſen,
die Ereigniſſe von einem höhern Standpunkte aus über-
blicken konnte.


Da nahm ihn vor allem Wunder, daß der Kaiſer ſo
enge verbündet mit dem Papſt, der Franzoſen ſo ſicher
ſchien, daß auch die Reichsſtände die Partei des Papſtes
wieder ergriffen. Er betrachtet dieſe Dinge mit einer ge-
wiſſen Ironie. Der Herr: par ma foi, wie er den Kö-
nig von Frankreich bezeichnet, werde doch des Schimpfs
[266]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.
von Pavia niemals vergeſſen; der Herr: in nomine do-
mini
, der Papſt werde an dem zerſtörten Rom keine Freude
haben; ihre Eintracht mit dem Kaiſer gehöre in das Capitel:
non credimus.1 Er fand die Fürſten unbegreiflich, die es
ſo hinnahmen, daß der Papſt den Kaiſer ſo eben ohne ihr
Beiſeyn gekrönt hatte. 2 Er verglich die Verſammlung mit
dem Lärm der Dohlen vor ſeinem Fenſter: da ſehe er daſ-
ſelbe Zu- und Abreiten, das Schreien und Scherwänzen der
Scharrhanſe, das eintönige Predigen der Sophiſten; 3 „ein
nützliches Volk, alles zu verzehren was auf Erden iſt, und
dafür ihre Beſchlüſſe in die Luft zu rufen für die lange
Weile.“ Es deuchte ihm ſehr beſonders, daß man ſo ganz
vergeſſen haben wollte wie die Sachen ſtanden, als er auf-
trat, und er rief wohl wieder ins Gedächtniß, wie damals
der Ablaß in Schwang gegangen und die Lehre, daß man
durch fromme Werke Gott genug thue; wie damals täglich
neue Dienſte, Wallfahrten, Reliquien, zuletzt noch die Fa-
bel vom Rocke Chriſti aufgekommen; wie man die Meſ-
ſen doch in der That für ein paar Pfennige mehr oder
minder verkauft, und das für ein Gott wohlgefälliges Opfer
gehalten, ohne der tieferen Begriffe auch nur zu gedenken,
die man jetzt wieder hervorſuche. Er brachte in Erinne-
rung, daß von den Proteſtanten, wenigſtens literariſch, das
Beſte gegen den Bauernaufruhr geſchehen ſey, dafür aber
wolle man ſie nun vertilgen. Denn keinen Augenblick war
ihm zweifelhaft, wohin dieſe Sache führen werde. So wie
der Kaiſer die Predigten verboten, hoffte er auf keine Ver-
[267]Stimmung Luthers.
ſöhnung mehr. Er ſah voraus, daß er in ſeine Fürſten
dringen werde, eben ſo gut die ganze Lehre fahren zu laſ-
ſen. Nicht daß er den Kaiſer ſelbſt für gewaltſam gehal-
ten hätte, er ſpricht von dem edlen Blut „Kaiſer Carolus“
nie ohne Ehrerbietung, aber er weiß, in welchen Händen
der Herr iſt; er erblickt in ihm nur die Larve, hinter der
ſich die alten Feinde verbergen. Er bezweifelt nicht, daß
dieſe nur auf Gewalt denken, auf ihre Mehrzahl trotzen.
Er meint, jener Florentiner auf dem päpſtlichen Stuhl werde
wohl noch Gelegenheit finden, den Deutſchen ein Blutbad
anzurichten.


Aber dieſe Abſichten ſchrecken ihn nicht. „Laß ſie
nur machen, ſie ſind noch nicht am Ende.“


Daran könnte er nicht denken, einen Schritt breit wei-
ter nachzugeben: „Tag und Nacht lebe ich in dieſen Din-
gen. Ich durchſuche die Schrift, überlege, disputire: täg-
lich wächſt mir die Gewißheit: ich werde mir nichts mehr
nehmen laſſen, es gehe mir darüber wie Gott will.“ Es
macht ihn lachen, daß ſie auf Reſtitution dringen. „Sie
mögen erſt das Blut des Leonhard Kaiſer herausgeben und
ſo vieler Andern, die ſie unſchuldig ermordet.“


Daß er aber ſo wenig fürchtet, iſt allein die Folge
der Ueberzeugung, daß ſeine Sache Gottes Sache iſt. „Ei-
nige ſind wehmüthig, als habe Gott unſer vergeſſen; da
er doch uns nicht vergeſſen kann, er müßte denn zuvor
ſein ſelbſt vergeſſen: unſre Sache müßte nicht ſeine Sache,
unſre Lehre nicht ſein Werk ſeyn. Wäre aber Chriſtus nicht
mit uns, wo wäre er denn in der Welt? Hätten wir nicht
Gottes Wort, wer hätte es denn. — Er tröſtet ſich des
[268]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.
Spruchs, verlaßt Euch auf mich, ich habe die Welt über-
wunden.“


„Der Herr wohnt im Nebel; im Dunkel hat er ſeine
Zuflucht. Man ſieht nicht wer er iſt, aber er wirds ſeyn,
ſo werden wirs ſehen.“


„Und ſollten wir ja nicht würdig ſeyn, ſo wird es durch
Andre geſchehen. — Haben etwa unſre Vorfahren gemacht,
daß wir ſind, was wir ſind. Gott allein macht es, wel-
cher der Schöpfer ſeyn wird nach uns wie vor uns, wie
er es mit uns iſt. Denn nicht mit uns wird er ſterben,
der Gott, der die Gedanken regiert. Werden die Feinde
mich umbringen, ſo werde ich ſchon beſſer gerächt werden
als ich wünſchte; es wird Einer ſeyn, der da ſpricht: wo
iſt Abel dein Bruder.“


In dieſer Stimmung ſind alle ſeine Briefe in dieſen
Tagen geſchrieben. Nie war ein Menſch von dem Gefühl
der Unmittelbarkeit des göttlichen Weſens lebendiger durch-
drungen. Er kannte die ewigen, ſiegreichen Mächte, in
deren Dienſt er ſtand, er kannte ſie, wie ſie ſich geoffen-
bart und rief ſie bei ihren Namen. Er trotzte auf das
Wort, das ſie in den Pſalmen oder in dem Evangelium
dem menſchlichen Geſchlechte gegeben.


Er ſprach mit Gott, wie mit einem gegenwärtigen
Herrn und Vater. Sein Amanuenſis in Coburg hörte ihn
einſt unbemerkt, als er einſam betete. „Ich weiß daß
du unſer Gott biſt, daß du die Verfolger der Deinen zer-
ſtören wirſt; thäteſt du es nicht, ſo gäbſt du deine eigene
Sache auf; ſie iſt nicht unſer, wir ſind nur gezwungen
dazu getreten; du mußt ſie auch vertheidigen.“ Er betete
[269]Stimmung Luthers.
mit dem männlichen Muthe, der ein gutes Recht zu haben
glaubt auf den Schutz der ewigen Gotteskraft, der er ſich
gewidmet: ſein Gebet iſt ein Verſenken in den Abgrund
der Tiefe der dennoch perſönlichen Gottheit; er läßt nicht
ab, bis er das Gefühl der Erhörung hat, das größte, deſ-
ſen das menſchliche Herz, über alle Täuſchung erhaben, in
ſeinen heiligſten Augenblicken fähig iſt. Ich habe für dich
gebetet, ſchreibt er an Melanchthon, ich habe das Amen
gefühlt in meinem Herzen.


Ein ächter Ausdruck dieſer Stimmung iſt das Lied
„eine feſte Burg iſt unſer Gott,“ deſſen Entſtehung man von
jeher ſehr mit Recht in dieſe Zeiten geſetzt hat. 1 Es kün-
digt ſich als eine Bearbeitung des 16ten Pſalmes an, an
den es jedoch nur erinnert: es iſt ganz das Produkt des
Momentes, wo man im Kampfe mit einer Welt voller
Feinde ſich auf das Bewußtſeyn zurückzieht, daß man eine
göttliche Sache vertheidigt, die nicht untergehen kann. Es
ſcheint, als lege man die Waffen nieder, aber es iſt die
männlichſte Verzichtleiſtung, die es geben kann, nur auf
den momentanen Erfolg; des ewigen iſt man gewiß. Wie
erhebt ſich die Melodie ſo freudig und muthvoll, treuher-
zig in ihrer Sicherheit, gottinnig und weltverachtend! Sie
iſt identiſch mit dem Geſange; in den Stürmen jener Tage
entſtanden ſie mit einander.


[270]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.

Und in dieſer Stimmung ſprach er nun wie ſeinen
nächſten Freunden, ſo auch dem Fürſten und deſſen Räthen
Muth ein.


Er tröſtet den Fürſten damit, daß man ihm ja keine
andere Schuld beimeſſe, als die Vertheidigung des reinen
lebendigen Wortes Gottes. Darin liege aber vielmehr alle
ſeine Ehre. In ſeinem Lande habe er die beſten Prediger; die
zarte Jugend wachſe daher mit Catechismus und Gottes-
wort, daß es eine Freude ſey; das ſey das Paradies, über
welches ihn Gott zum Wächter geſetzt; er ſchütze das Wort
nicht allein, er erhalte und ernähre es auch; dafür komme
es ihm auch wieder zu Hülfe. „O das junge Volk wird
es thun, das mit ſeinem unſchuldigen Zünglein ſo herzlich
gen Himmel ruft.“


Ich habe neulich zwei Wunder geſehen, ſchrieb er an
den Kanzler Brück. Das erſte, da ich zum Fenſter hin-
ausſah, die Sterne am Himmel und das ganze ſchöne Ge-
wölbe Gottes, und ſah doch nirgend einen Pfeiler, darauf
der Meiſter ſolch Gewölb geſetzt hatte, und doch ſteht es
feſt. Das andre, ich ſah große dicke Wolken über uns
ſchweben, und doch keinen Boden, darauf ſie ruhten, keine
Kufen, darin ſie gefaßt waren: noch fielen ſie nicht herab,
ſondern grüßten uns mit einem ſauren Angeſichte und flo-
hen davon. — Denn Gottes Gedanken ſind weit über un-
ſern Gedanken — ſind wir nur deß gewiß, daß unſre Sache
ſeine Sache iſt, ſo iſt auch unſer Gebet ſchon erhört und
die Hülfe ſchon beſchloſſen — gäbe uns der Kaiſer Frie-
den, wie wir wünſchen, ſo würde der Kaiſer die Ehre ha-
[271]Haltung der proteſtantiſchen Fuͤrſten.
ben; aber Gott ſelbſt will uns Frieden ſchaffen, daß er
allein die Ehre habe. 1


In einem entſchloſſenen Willen liegt jedesmal eine die
Gemüther mit ſich fortreißende Gewalt. Wie viel mehr in
einem ſolchen, der ſich ſo gotterfüllt zeigt! Luther übte von
Coburg her vielleicht einen größern Einfluß auf die Seinen
aus, als ihm tägliche perſönliche Gegenwart nur immer
hätte verſchaffen können.


Alle die andern Fürſten wetteiferten mit Churfurſt Jo-
hann in Standhaftigkeit.


Herzog Ernſt von Lüneburg erwarb ſich hier den Na-
men des Bekenners. Statt einen Schritt zurückzuweichen,
ſetzte er ſich mit dem Manne in Verbindung, der dann die
Reformation ſeines Landes vorzüglich geleitet hat, mit Ur-
banus Rhegius. Er nahm ihn mit ſich „als das beſte
Kleinod,“ das er von Augsburg den Seinen habe mit-
bringen können.


Dem Markgrafen Georg von Brandenburg hatten Kai-
ſer und König Begünſtigung in ſeinen Angelegenheiten ver-
ſprochen, wenn er von der Lehre abſtehe; das Haus
Brandenburg hatte ſchon damals Anſprüche auf ſchleſiſche
Beſitzungen; der Markgraf wies jeden Antrag dieſer Art
von ſich. 2 Aber nicht minder lebhaft drang nun ſein an-
geſehener und noch eifrig katholiſcher Vetter, Churfürſt Joa-
chim in ihn: es kam zwiſchen beiden zuweilen zu bitterer
Zwieſprache. Der Markgraf erklärte ſich überzeugt, daß
die Lehre kein Irrthum genannt werden könne, wenn
[272]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.
anders Chriſtus noch Chriſtus ſey: ſie weiſe nur auf Chri-
ſtum: er habe ſie ſelber an ſich erprobt. Ohne hierauf ernſt-
lich einzugehn, hielt ihm der Churfürſt hauptſächlich entge-
gen, daß der Kaiſer alles in den vorigen Stand zu ſetzen ent-
ſchloſſen ſey. Der Markgraf erwiederte, der Kaiſer möge ab-
ſchaffen was er wolle, er müſſe es geſchehen laſſen, doch
werde er nicht dazu helfen. Der Churfürſt fragte, ob der
Markgraf auch bedenke, was ihm auf dem Spiele ſtehe; die-
ſer verſetzte: „man ſagt, ich ſoll aus dem Lande verjagt
werden: ich muß es Gott befehlen.“ 1


Nur von geringer Macht war Fürſt Wolfgang von
Anhalt. Ganz angemeſſen ließ er ſich vernehmen: er habe
für gute Freunde und Herrn gar manchen Ritt gethan;
ſein Herr Chriſtus verdiene wohl auch, daß er etwas für
ihn wage. Herr Doctor, ſagte er zu Eck, denkt ihr auf
Krieg, ſo werdet ihr dieſſeit auch Leute finden. 2


Und wie hätte ſich, zumal bei dieſer Stimmung der Ue-
brigen, der muthvolle Landgraf etwas abgewinnen laſſen ſol-
len? Der heſſiſche Chroniſt Lauze erzählt, nach der Uebergabe
der Confeſſion habe man den Landgrafen auf den hohen Berg
geführt, und ihm die Güter der Welt gezeigt, — d. i. ihn
Begünſtigungen in der Naſſauiſchen und der Würtember-
giſchen Sache hoffen laſſen, aber er habe alles abgelehnt. 3
Eines Tages hörte er, der Kaiſer wolle ihn zur Rede ſtel-
len; allezeit fertig wie er war, ſäumte er nicht ſelbſt nach
Hofe zu gehn, und den Kaiſer zu erſuchen, ihm die Punkte
nahmhaft zu machen, wegen deren er ungehalten ſey. Der
[273]Der Landgraf, die Staͤdte.
Kaiſer nannte einige; der Landgraf gab eine Auskunft, mit
der ſich jener zufrieden zeigte: die Hauptſache war, daß der
Kaiſer ihn aufforderte, in dem Artikel des Glaubens ſich
unterthänigen Gehorſams zu erzeigen: wo nicht, ſo werde
er verfahren, wie ihm als römiſchen Kaiſer gebühre. Noch
weniger aber wirkten Drohungen auf ihn als Verſprechun-
gen. Ueberdieß ward es ihm von Tag zu Tag unbequemer,
bei einer Verſammlung auszuhalten, wo er vermöge der hier-
archiſchen Ordnungen des Reiches keineswegs eine Stellung
einnahm, die ſeiner Macht entſprach. Er erſuchte den Kaiſer
ihn zu entlaſſen, der ſchlug es ihm ab; er ritt nichts deſto
minder eines Abends von dannen. 1 Aus der Ferne verſicherte
er dem Churfürſten von Sachſen, er wolle Leib und Gut,
Land und Leute bei ihm und bei Gottes Wort laſſen. „Sa-
get den Städten,“ ſchrieb er an ſeine Räthe, „daß ſie
nicht Weiber ſeyen, ſondern Männer: es hat keine Noth,
Gott iſt auf unſrer Seite.“


Und in der That, die Städte machten den Fürſten
keine Schande. „Unſres Erachtens,“ ſchreiben die Nürnber-
ger Abgeordneten, „iſt nicht zu weichen, man wollte denn des
Kaiſers Gnade höher anſchlagen, als die Huld Gottes:
Gott wolle nunmehr Beſtändigkeit verleihen.“ Bürgermeiſter
und Rath waren geſinnt, wie ihre Bevollmächtigten.


In weiter Ferne nahmen andere in gleichem Sinne
an dieſen Ereigniſſen Antheil. Ew. Gnaden, ſchreiben die
Rathmannen von Magdeburg dem Churfürſten von Sach-
Ranke d. Geſch. III. 18
[274]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.
ſen, ſtehen in Angelegenheiten der ganzen Chriſtenheit un-
ter dem Heerbanner unſres Heilands in ſchwerem Kampfe:
wir bitten täglich von Gott dem Herrn Geduld und Stärke.


Und hiedurch waren nun die Dinge in Deutſchland
bereits zu einer entſchiedenen Geſtalt entwickelt. Einer alle
Rechte des Reichs in Anſpruch nehmenden, mit dem Kai-
ſer vereinten, mit den Kräften des alten Europa verbün-
deten Majorität gegenüber, ſuchte eine Minorität ſich zu
halten, noch vereinzelt und formlos, aber voll von religiö-
ſer Entſchloſſenheit. Die Majorität, den Kaiſer an der
Spitze, ſchien geſonnen, Gewalt zu brauchen; 1 ſchon ward
über eine Werbung leichter Reiterei in Italien unterhan-
delt. 2 Die Minorität hatte noch keine Abſicht; ſie wußte
nur, daß ſie nicht weichen werde.


War aber nicht jeder Schritt der Gewalt auch für
die Majorität der Stände höchſt gefährlich? Sie war ihrer
eignen Unterthanen nicht ſicher: die Erinnerung des Chur-
fürſten von Mainz an die Gefahr, mit der ein im rechten
Moment eintreffender Angriff der Türken beide Theile be-
drohe, machte einen allgemeinen Eindruck. Wie die fried-
liche Partei gleich anfangs beabſichtigt und den Beſchlüſſen
einverleibt hatte, ſo zog man es doch vor, noch einen Ver-
ſuch der Vermittelung zu machen.


[275]

Vermittelungsverſuch von Seiten der Stände.


Am 16. Auguſt begann eine Conferenz, an der von
jeder Seite zwei Fürſten und fünf Gelehrte, nemlich zwei
Doctoren des canoniſchen Rechtes und drei Theologen Theil
nahmen, und die ſehr bald einen vielverſprechenden Gang
nahm.


Die eigentlich dogmatiſchen Streitpunkte machten dieß
Mal keine unüberwindliche Schwierigkeit. In dem Artikel
von der Erbſünde ſtimmte Eck bei, als ihm Melanchthon
zeigte, daß ein angefochtener Ausdruck ſeiner Definition nur
die populäre Erklärung einer ältern ſcholaſtiſchen enthalte.
Bei dem Artikel von der Rechtfertigung „allein durch den
Glauben“ erklärte Wimpina ausdrücklich, kein Werk ſey
verdienſtlich, wenn es ohne Gnade geſchehe; 1 er forderte
nur die Verbindung der Liebe mit dem Glauben; nur in
ſo fern beſtritt er das Wort „allein.“ In dieſem Sinne
dachten aber auch die Proteſtanten nicht es feſtzuhalten:
ſie ließen ſich gefallen daß es geſtrichen wurde; war doch
ihr Sinn von jeher nur geweſen, daß die Verſöhnung mit
Gott durch eine innerliche Hingebung, nicht durch äußer-
liches Bezeigen geſchehen könne. Dagegen erläuterte dann
auch Eck, daß die Genugthuung, welche man katholiſcher
Seits bei der Buße fordere, nichts anders als die Beſſe-
rung ſey; eine Erklärung, bei der ſich freilich nichts mehr
18*
[276]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.
gegen die Nothwendigkeit der Genugthuung einwenden ließ. 1
Selbſt über den ſchwierigen Punkt des Meßopfers kam man
einander um vieles näher. Eck erklärte das Opfer nur für
ein ſacramentliches Zeichen zur Erinnerung an das, wel-
ches am Kreuzesſtamm vollzogen worden. 2 Ueber die Ge-
genwart Chriſti im Abendmahl ſtritt man ohnehin nicht.
Gern ließen ſich die Proteſtanten beſtimmen, nicht allein
eine wahrhaftige, ſondern auch eine reale Gegenwart zu be-
kennen. Dieſer Zuſatz findet ſich in dem Anſpacher Exem-
plar der Confeſſion bereits eingetragen.


Wahrhaftig die Grundbegriffe des Dogma waren es
nicht, welche den Streit verewigten. Luther hatte nichts
als die Principien wieder erweckt und zum Bewußtſeyn ge-
bracht, die dem alten Lehrbegriff der lateiniſchen Kirche oh-
nehin zu Grunde lagen, und nur durch die hierarchiſchen
Syſteme der ſpätern Zeit und den überhandnehmenden Miß-
brauch verdeckt worden waren. Abweichungen wie dieſe
konnte man an einander dulden, wie ja immer verſchiedene
Meinungen neben einander beſtanden hatten. Der ganze
Zwieſpalt lag vielmehr in der Verfaſſung und den Gebräuchen.


Und da gaben nun die Proteſtanten ihrerſeits ſo viel
nach, als nur irgend möglich war. Sie waren überzeugt,
daß die gute Zucht in Kirchen und Schulen durch die Spal-
[277]Vermittelungsverſuch.
tung erſchwert, daß auch das Kirchenregiment von den Für-
ſten nicht hinreichend gehandhabt werden könne, ihnen ſo-
gar zu viel koſte. Die proteſtantiſchen Theologen und Für-
ſten erklärten ſich bereit, den Biſchöfen ihre Jurisdiction,
geiſtlichen Bann, Auſſicht über die Pfarren zurückzugeben,
vorausgeſetzt, daß man das Evangelium frei verkündigen
dürfe. 1 Sie waren ſelbſt geneigt, nicht weil es ein Got-
tesdienſt ſey, aber der guten Ordnung halber, die Faſten
beobachten und in Hinſicht der Beichte die Leute anweiſen
zu laſſen, alle Fälle zu bekennen, in denen ſie beſondern
Troſtes bedürftig ſeyen.


Vorſchläge, die doch in der That eine Herſtellung der
Aeußerlichkeiten der Kirche einſchloſſen, welche man gar
nicht mehr hätte erwarten ſollen.


Und auch den Vorwurf ſollte man nicht wiederholen,
daß die Herſtellung der eingezogenen Kloſtergüter die Ver-
ſöhnung verhindert habe. Obwohl die Proteſtanten den
Gegnern einwarfen, daß von ihrer Seite noch ſchlimmere
Beraubungen vorgekommen, z. B. die Beſetzung des Bis-
thums Utrecht durch den Kaiſer, was bei weitem mehr
ſagen wolle, als Einziehung von ein paar Klöſtern, da
die Kirche auf die Biſchöfe, nicht auf die Mönche gegrün-
det ſey, ſo erbot ſich am Ende doch der Churfürſt von
Sachſen, alle eingezogenen Klöſter einer Sequeſtration zu
[278]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.
unterwerfen; die Sequeſtrirenden, ehrbare Leute aus dem
Landesadel, ſollten dem Kaiſer verpflichtet ſeyn, nichts von
den Gütern abkommen zu laſſen, bis zu einer Beſtimmung
des Conciliums. 1


So weit näherten ſich die Proteſtanten noch einmal
dem römiſchen Kirchenweſen, der Majorität des Reiches.
Es iſt kaum zu verſtehen, daß man ſie dabei nicht feſthielt.


Trat doch der Ausſchuß der Majorität von einer an-
dern Seite hinwiederum den Proteſtanten ſehr nahe. Er
ſprach die Hoffnung aus, bei dem künftigen Concilium die
Zulaſſung verheiratheter Prieſter ganz im Allgemeinen aus-
zuwirken, wie das in der alten Kirche Statt gefunden. 2
Er ſah kein Bedenken dabei, beide Geſtalten zuzulaſſen.


War man einander ſo nahe gekommen, was lag im
Grunde an ein paar abweichenden Gebräuchen? Mußte
man darum die Einheit des Reichs und der Nation, und
den gegenſeitigen Frieden aufgeben?


Daß man dieß doch am Ende that, kam wohl haupt-
ſächlich daher, weil die Führer der Katholiſchen nicht han-
deln konnten, wie ſie vielleicht gewollt hätten. Wir wiſſen,
daß die Sache am päpſtlichen Hofe bereits in Berathung
gezogen und entſcheiden war. Der päpſtliche Legat, Campeggi,
ſäumte nicht, in dem dringenden Augenblick den Kaiſer zu be-
ſuchen, ſeinen ausſchließend katholiſchen Eifer zu entflammen,
[279]Vermittelungsverſuch.
ihn zu den Geſichtspunkten der Curie zurückzurufen. 1 Nach
ſeiner Lehre waren alle Ordnungen der Kirche vom heili-
gen Geiſt eingegeben. In dieſem Sinne bearbeitete er auch
die Stände. Zuletzt forderten dieſe nun doch, daß auf
der proteſtantiſchen Seite bis zum Ausſpruch des Conci-
liums keine verheiratheten Prieſter mehr angeſtellt werden
ſollten; ſie beſtanden auf dem Beichtzwang; ſie wollten
ſich weder die Auslaſſung des Canons in der Meſſe, noch
die Abſtellung der Privatmeſſen in den proteſtantiſchen
Ländern gefallen laſſen; ſie verlangten endlich, in den Pre-
digten der Proteſtanten ſolle der Genuß des Abendmahls
unter Einer Geſtalt für eben ſo richtig erklärt werden, wie
der unter beiden.


Dieß waren aber alles Dinge, welche die bereits be-
gonnene Bildung proteſtantiſcher Organiſationen ſo gut zer-
ſetzt haben würden, wie die Forderungen vom Jahre 1529.
Die kaum gewonnene Ueberzeugung wäre dadurch wieder in
ihrer Grundlage erſchüttert worden. Die Proteſtanten waren
bereit, den Genuß des Abendmahls unter Einer Geſtalt nicht
zu verdammen; aber ſie konnten ſich unmöglich entſchließen,
ihn für gleich richtig mit dem ihren zu erklären, „da ja
Chriſtus beiderlei Geſtalt eingeſetzt habe.“ Und wie ſollten
ſie vollends die Privatmeſſe wieder einführen, die ſie als
dem Begriffe des Sacraments widerſprechend, mit ſo gro-
[280]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.
ßer Heftigkeit bekämpft hatten? Sie würden ihr eignes
Werk, von dem ſie doch überzeugt waren, daß ſie es mit
gutem Fug begonnen, wieder zerſtört haben.


Auch zeigte ſich bei jedem Schritt der Verhandlungen
eine größere Verſchiedenheit der Grundanſicht, als man ſich
eingeſtand. Die Katholiſchen betrachteten die Anordnungen
der kirchlichen Autorität als die Regel, von der höchſtens
einſtweilige Ausnahmen zu geſtatten ſeyen. Die Proteſtan-
ten ſahen dagegen die Regel des Glaubens und Lebens al-
lein in der Schrift; die Beſonderheiten der römiſchen Kirche
wollten ſie nur bedingungsweiſe, nur in ſo fern es ganz
unvermeidlich ſey, zulaſſen. 1 Jene leiteten alle äußeren
Kirchenordnungen vom göttlichen Rechte her; dieſe ſahen
darin nur menſchliche wiederzurücknehmbare Einrichtungen.
Es war noch nicht viel damit gewonnen, daß die Prote-
ſtanten das Papſtthum als eine irdiſche menſchliche, daher
zu beſchränkende Inſtitution anzuerkennen allenfalls geneigt
waren; dem religiöſen Begriffe der katholiſchen Kirche lag
alles an dem göttlichen Rechte, der Stellvertretung Chriſti.


Und ſelbſt, wenn man ſich einigermaaßen verſtanden,
Bedingungen eines Vergleiches feſtgeſtellt hätte, wie ſchwer
wäre es geworden dieſelben auszuführen. Welche Uneben-
heiten würde allein die Wiedereinführung des Episcopats
veranlaßt haben! Der Charakter der neuen Kirche beruhte
ja eben auf der Selbſtändigkeit des niedern Clerus und deſ-
ſen unmittelbaren Vereinigung mit der territorialen Gewalt.
Schon erhob ſich die Antipathie der Städte dagegen. Die
[281]Vermittelungsverſuch.
Nürnberger äußerten, ſie würden ſich der Herrſchaft eines
Biſchofs niemals wieder unterwerfen. 1


Wohl hat man nun, nachdem die erſten Verhandlun-
gen abgebrochen worden, gegen Ende Auguſt eine noch engere
Verſammlung gebildet, nur von drei Mitgliedern von jeder
Seite; aber es iſt nicht nöthig, ihre Beſprechungen zu be-
gleiten; ſie führten nicht einmal bis zu dem Punkt, der
ſchon früher erreicht war.


Es ſind dann noch einige einzelne Verſuche der An-
näherung gemacht worden. Im Garten eines Augsburger
Bürgers hielt Herzog Heinrich von Braunſchweig eine Zu-
ſammenkunft mit dem Sohne des Churfürſten, Johann Frie-
drich; in der Kirche zu St. Moritz machte der Kanzler von
Baden dem ſächſiſchen, welchen Melanchthon begleitete, Er-
öffnungen, die ſich dann eine Weile fortſpannen, aber zu
keinem Ziele führen konnten.


Der proteſtantiſche Theil hatte ſo weit nachgegeben,
als es die religiöſe Ueberzeugung nur irgend zuließ; er hatte
aber die äußerſte Grenze bereits erreicht, ja ſchon regte ſich
in ſeinem eignen Innern Widerſpruch gegen die gemach-
ten Zugeſtändniſſe; er war nun um kein Haarbreit weiter
zu bringen. Auch bei dieſen Verhandlungen erinnerte Chur-
fürſt Johann die Theologen, nur die Sache im Auge zu
behalten, auf ihn und ſein Land keine Rückſicht zu nehmen.


Eben ſo wenig aber wäre auf der andern durch den
Papſt gefeſſelten Seite irgend eine weitere Conceſſion zu er-
reichen geweſen.


[282]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.

Verhandlungen des Kaiſers.


Unmöglich konnte der Kaiſer geneigt ſeyn, es hiebei bewen-
den, den Reichstag auf dieſe Weiſe auseinandergehn zu laſſen.


Gleich im Anfange der Berathungen hatte die katho-
liſche Majorität die alte Forderung eines Conciliums wie-
derholt und der Kaiſer darüber an den Papſt geſchrieben.
Clemens VII legte die Forderung einer Congregation vor,
die er für die Glaubensſachen niedergeſetzt. Hier ſprachen ſich
jedoch noch Viele dagegen aus und zwar hauptſächlich aus
zwei Gründen: einmal weil Leute, welche die frühern Con-
cilien verworfen, ſich auch einem neuen nicht fügen wür-
den, ſodann weil ein etwaniger Anfall der Türken, wäh-
rend man ſeine ganze Aufmerkſamkeit auf dieſe inneren Sa-
chen wende, um ſo gefährlicher werden müſſe. Allein der
Papſt war durch vorläufigen Zuſagen, die noch von ſei-
ner Gefangenſchaft im Caſtell herrührten, ſo wie durch
mündliche Erörterungen, die zu Bologna vorgekommen, ge-
bunden; er bat zwar den Kaiſer die Sache ja noch einmal
auf allen Seiten zu erwägen: ſollte aber S. Majeſtät, die
am Orte und ſo gut katholiſch ſey, es für unumgänglich
nothwendig erachten, ſo willige auch er ein; jedoch nur
unter der Bedingung, die von Kaiſer und Ständen ſelbſt
angegeben worden, daß die Proteſtanten bis dahin zu dem
Ritus und den Lehren der heil. Mutter Kirche gehorſam
zurückkehren müßten. Als den geeignetſten Ort für die Ver-
ſammlung brachte er Rom in Vorſchlag. 1


[283]Vorſchlag des Conciliums.

Es war in Folge dieſes Briefwechſels, daß der Kai-
ſer am 7. September den Proteſtanten eine Eröffnung zu-
gehn ließ, in der er ihnen das Concilium ankündigte, aber
mit dem Zuſatz, „daß ſie ſich mittler Zeit dem Kaiſer, den
Ständen und der gemeinen chriſtlichen Kirche gleichförmig
würden zu halten haben.“


Glaubte Carl wirklich, nach allem was vorgegangen,
mit einem ſolchen Befehle Gehör zu finden? Es würde
verrathen, daß ihm Stimmung und Geſinnung der Prote-
ſtanten noch immer verſchloſſen und ganz unverſtändlich ge-
blieben waren. Dieſe aber hatten ſchon von dem Vorha-
ben eines ſolchen Antrags gehört und waren vorbereitet.
Sie antworteten: „ſich in dieſe Forderung zu fügen, würde
wider Gott und Gewiſſen laufen, überdieß aber ſeyen ſie
auch rechtlich dazu nicht verpflichtet. In Folge früherer
Reichsſchlüſſe werde jetzt ein Concilium bewilligt; nie ſey
da von einer ähnlichen Bedingung die Rede geweſen. Was
nun auch immer die Majorität zuletzt in Speier in dieſer
Hinſicht beſchloſſen haben möge, ſo könne das ſie, die ſie
dagegen feierlich proteſtirt, nicht binden.“ In dem münd-
lichen Vortrag hatte ſie der Kaiſer als Secte bezeichnen laſ-
ſen, ſie ſäumten nicht, ſich darüber ernſtlich zu beſchweren. 1


Wir haben das Schreiben, das nun der Kaiſer hin-
wieder an den Papſt erließ. Wir ſehen, daß er über die
1
[284]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.
Antwort ſo verwundert wie entrüſtet war. „Sie haben
mir,“ ſchreibt er, „in ihrem hartnäckigen Irrthum geant-
wortet, worüber ich in Gedanken bin.“


Indem ſich ihm ſchon die Ausſicht erhob, daß es zur
Anwendung der Gewalt kommen werde, hielt er doch noch
für möglich, da ja nur die Vermittelung der Stände frucht-
los abgelaufen, etwas auszurichten, wenn er ſelbſt perſön-
lich hervortrete. „Damit alles deſto mehr gerechtfertigt
ſey,“ ſchreibt er dort weiter, „ſcheint es mir gut, daß ich
ſelbſt mit ihnen rede, ſowohl Allen zuſammen, als einem Je-
den allein: was ich auf der Stelle ins Werk zu ſetzen denke.“
Nicht ohne dem römiſchen Hof davon Nachricht gegeben
zu haben, bot er demnach den Proteſtanten ſeine perſön-
liche Bemühung an, um Mittel der Einigkeit bis auf das
Concilium zu finden.


Wie ſehr aber täuſchte er ſich auch jetzt, wenn er mit ei-
ner Schrift, wie er ſie nunmehr an die Proteſtanten erließ, et-
was bei ihnen auszurichten hoffte. Er behauptete darin die
Nichtigkeit der Proteſtation, ohne auf die Gründe für dieſelbe
einzugehn, nur deshalb, weil ein ſo gar geringer Theil dem
größern billig nachfolgen müſſe. Zugleich gab er ſeine Ver-
wunderung zu erkennen, daß die katholiſchen Deputirten noch
ſo weit nachgegeben. Da die Proteſtanten bereits ihr letztes
Wort ausgeſprochen, ſo mußten ſie wohl eine Verhandlung
zurückweiſen, die auf dieſen Vorausſetzungen beruhte. Die
religiöſen Fragen erörterten ſie in ihrer Antwort nicht mehr;
ſie ſuchten dem Kaiſer nur ihren rechtlichen Standpunkt klar
zu machen. Sie entgegneten ihm, ſie ſeyen entſchloſſen auf
den Abſchieden der Reichstage von 1524 und 1526 zu ver-
[285]Kriegsgefahr.
harren, deren ſie keine Majorität entſetzen könne, und ba-
ten übrigens lediglich um den äußern Frieden. 1


So unvermeidlich eine Antwort dieſer Art war, ſo
fühlte ſich doch der Kaiſer dadurch nicht wenig gekränkt.
Er ließ die Proteſtanten wiſſen, er habe dieſelbe „mit merk-
lichem Mißfallen“ vernommen. Er ſagt in einem ſeiner
Briefe, er könne nicht beſchreiben, wie viel Verdruß ihm
dieſe Angelegenheit mache. Er hätte an den Ideen der la-
teiniſchen Chriſtenheit feſthaltend, über alle ſeine Gegner zu
triumphiren gewünſcht; ſein Ehrgeiz war ritterlicher Natur;
ſtatt deſſen ſah er ſich in dieſe ihm weſentlich unverſtänd-
lichen, auf jeden Fall höchſt unerfreulichen Händel verwickelt. 2


In der That glaubte er nunmehr alle Mittel erſchöpft
zu haben und zu den Waffen greifen zu müſſen. Bereits
in dem obenangeführten Schreiben an den Papſt ſagt er:
„Gewalt wäre jetzt, was die meiſte Frucht bringen würde“;
es hielt ihn nur noch zurück, daß man nicht hinreichend
dazu vorbereitet war. Nachdem die neue Antwort der
Proteſtanten eingegangen, eröffnete er der Majorität der
Stände, da er nichts nachgeben könne, was das Weſen
des Glaubens verletze, und da alle gnädige Handlung nichts
geholfen, ſo ſey er bereit, Leib und Gut daran zu ſtrecken
und mit Hülfe und Rath der Stände alles zu thun, was
nothwendig ſey. Auch beim Papſt und bei andern Fürſten
werde er um Hülfe zu dieſem Zwecke anſuchen.


Er ſchien die Proteſtanten behandeln zu wollen, wie
ſeine Mauren in Valencia. Hätte er ſofort Kriegsmittel
[286]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.
bereit gehabt, wäre er nicht an die Beſchlüſſe der Majo-
rität gebunden geweſen, ſo würde er ſich aller ſeiner Milde
zum Trotz durch die Conſequenz ſeiner Verpflichtungen wahr-
ſcheinlich haben bewegen laſſen, an dieß Werk zu ſchreiten.


Es iſt aber wohl ſehr erklärlich, wenn die Majorität
des Reichstags doch einiges Bedenken trug, hierauf einzu-
gehen. Es hatten ſich doch, wie berührt, Intereſſen erge-
ben, in denen die Stände mit dem Kaiſer nicht völlig über-
einſtimmten; 1 ſich ihm zu einem Kriegszug ſo unbedingt
anzuſchließen waren ſie nicht gemeint. So durchaus hat-
ten die alten reichsſtändiſchen Geſinnungen dem religiöſen
Haſſe noch nicht Platz gemacht. Vielmehr erregte ſo eben
der Plan der römiſchen Königswahl, wir werden darauf
zurückkommen, neue Verſtimmung.


Die Stände brachten einen Abſchied in Vorſchlag,
der den Krieg zwar in Ausſicht ſtellte, aber noch ver-
ſchob: den Proteſtanten ſollte bis den nächſten 5. Mai Be-
denkzeit geſtattet werden, um ſich über die unverglichen ge-
bliebenen Artikel zu erklären.


Unglücklicherweiſe war aber auch dieſer Entwurf wie-
der in Ausdrücken abgefaßt, welche das Selbſtgefühl der
Proteſtanten verletzten. Es hieß darin, ſie ſollten Nie-
mand zu ihrer Secte nöthigen; Wort und Sache war ihnen
gleich verhaßt; er enthielt Anordnungen, denen ſie ſich ſchlech-
terdings nicht unterwerfen zu dürfen glaubten, z. B. in Sa-
chen des Glaubens binnen dieſer Zeit nichts Neues drucken
zu laſſen, den Mönchen Beichte und Meſſe zu geſtatten;
[287]Vorſchlag des Abſchieds.
endlich ward darin ausgeſprochen, die Confeſſion ſey mit
gutem Grunde der heiligen Schrift widerlegt worden. Hät-
ten ſie dieſen Abſchied angenommen und unterſchrieben,
ſo hätten ſie ihre eigne Sache verurtheilt. Ohne Beden-
ken wieſen ſie ihn weit von ſich. Indem ſie die übrigen
Gründe ihrer Weigerung ausführlich deducirten, nahmen
ſie von der Behauptung, daß ſie widerlegt worden, zugleich
Gelegenheit, dem Kaiſer eine Apologie ihrer Confeſſion zu
überreichen. Der Hauptſache nach iſt dieſe Schrift der Con-
feſſion gleichartig; irre ich aber nicht, ſo iſt doch die Art
und Weiſe der Abfaſſung in einem ſich von dem Katholi-
cismus wieder mehr entfernenden Sinne ausgefallen.


Darüber hatten ſie denn noch einmal einen Sturm
zu beſtehen. Churfürſt Joachim von Brandenburg kündigte
ihnen an, würden ſie den Abſchied nicht annehmen, ſo ſeyen
Kaiſer und Stände entſchloſſen, Leib und Gut, Land und
Leute daran zu ſetzen, daß dieſer Sache geholfen werde.
Der Kaiſer erklärte, weitere Aenderungen könne er ſich nicht
gefallen laſſen: wolle die proteſtantiſche Partei den Abſchied
annehmen, da ſey er: wo nicht, ſo müſſe er der Kaiſer
ſammt den übrigen Ständen unverzüglich auf die Ausrot-
tung ihrer Secte Bedacht nehmen.


Waren aber die frühern Drohungen fruchtlos gewe-
ſen, ſo konnten auch dieſe keinen Eindruck weiter machen.
Das religiöſe Element, das in Strenge ſeiner Gewiſſenhaf-
tigkeit jedes Bündniß verſchmäht hatte, welches ihm nicht
ganz gleichartig war, erwies ſich nun auch dem Sy-
ſtem, von dem es ausgeſchieden, gegenüber eben ſo uner-
ſchütterlich.


[288]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.

Und ſo war jeder Verſuch der Annäherung mißlun-
gen; die Minorität war entſchloſſen ihren Standpunkt voll-
ſtändig zu behaupten, und es darauf ankommen zu laſſen
was man wider ſie unternehmen würde. So mußte man
auseinandergehn.


Es wäre ſehr falſch zu glauben, dem Churfürſten von
Sachſen habe politiſch daran gelegen, dem Kaiſer Oppo-
ſition machen zu können. Es that ihm von Herzen leid,
ſich von ſeinem Kaiſer und Herrn ſo trennen zu müſſen:
aber es konnte nun nicht anders ſeyn. Endlich war der
Moment gekommen, wo er im Begriffe abzureiſen, an ihn
herantrat, um ſich von ihm zu beurlauben. „Oheim,
Oheim,“ ſagte der Kaiſer, „das hätte ich mich zu Ew.
Liebden nicht verſehen.“ Der Churfürſt erwiederte nichts
darauf: die Augen füllten ſich ihm mit hellen Thränen;
Worte vermochte er nicht zu finden. So verließ er den
Pallaſt und gleich darauf die Stadt. 1


Es war eine vollkommene Trennung zwiſchen den Für-
ſten des Reiches eingetreten. In Speier waren es nur die
Fürſten allein, jetzt war auch der Kaiſer zugegen und
darin verflochten.


Der Zwieſpalt, den bisher die Ausſicht einer Verſöh-
nung noch verhüllt, lag nun ganz offen zu Tage.


Schon hatte die Entzweiung auch die Städte ergriffen.


Wie zuerſt Reutlingen, ſo hatten ſich allmählig auch
Kempten, Heilbronn, Windsheim, Weißenburg im Nord-
gau an Nürnberg angeſchloſſen.


[289]Spaltung der Staͤdte.

Vier andere Städte, Strasburg, Memmingen, Con-
ſtanz und Lindau, die ſich bisher zu der ſchweizeriſchen Auf-
faſſung des Abendmahls gehalten, hatten ihre eigene Con-
feſſion eingegeben, die ſogenannte Tetrapolitana, auf de-
ren für die innere Geſchichte des Proteſtantismus höchſt
merkwürdigen Inhalt wir ſpäter zurückkommen werden;
auch ihnen ließ der Kaiſer eine katholiſche Widerlegung
vorleſen; natürlich ohne alle Frucht. Strasburg zeigte ſo
viel Muth, wie Nürnberg und andere Städte. Wäre
zwiſchen Lutheranern und Katholiken die beabſichtigte Ver-
ſöhnung zu Stande gekommen, ſo würden die vier Städte
wohl in nicht geringe Bedrängniß gerathen ſeyn. Wie
aber die Sachen in Augsburg gegangen waren, hatten ſie
weniger zu fürchten, als im Anfang, und um ſo weniger
gaben ſie einer Einſchüchterung Gehör.


Es waren nur die übrigen Städte, denen der Kaiſer
am 24. September vorſtellen ließ, wie ſo ganz mit Unrecht
Sachſen und ſeine Mitverwandten einen im Grunde zu ih-
ren Gunſten verfaßten Abſchied ausgeſchlagen, ohne Zweifel
hauptſächlich deshalb, weil ſie darin zur Reſtitution der Klo-
ſtergüter angehalten worden: allein er ſey entſchloſſen, dieſe
Sache zu Ende zu bringen. Wie die andern Stände Leib
1
Ranke d. Geſch. III. 19
[290]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.
und Gut dabei zuzuſetzen verſprochen, ſo hoffe er, werde das
auch von ihnen geſchehen. Die Städte baten ſich aus, erſt
bei ihren Oberen anfragen zu dürfen; der Kaiſer drang
auf unverzügliche Antwort.


Hierauf trugen nun diejenigen, die noch katholiſch ge-
blieben, kleinere ſo gut wie größere, Rottweil, Ueberlin-
gen, Cöln, Hagenau, ſelbſt Regensburg kein Bedenken, ſich
dem Kaiſer anzuſchließen.


In nicht geringe Verlegenheit dagegen geriethen die an-
dern, die dem Bekenntniß bisher Raum gegeben, ohne doch,
ſo viel es irgend möglich, mit dem Kaiſer und der Majorität
in Oppoſition zu treten. Jetzt aber zogen ſie in Betracht,
daß ſie durch die Annahme des Abſchieds die Confeſſion
für widerlegt erklären, daß ſie dann gezwungen werden wür-
den, wider ihre eigenen Glaubensgenoſſen zu fechten; nach und
nach erklärten ſich Frankfurt, Ulm, Schwäbiſch-Hall, endlich
auch Augsburg verweigernd. In Augsburg hatte das, wie
ſich denken läßt, bei der Anweſenheit des Kaiſers die meiſte
Schwierigkeit; man hielt für nothwendig, was hier nur ſelten
geſchah, den größern Rath zu berufen, an welchem Mitglieder
aller Zünfte Theil nahmen. Aber ſchon war der proteſtanti-
ſche Geiſt allzutief in die Bürgerſchaft gedrungen, als daß
ſie ihn hätte verläugnen können. Im Angeſichte des Kai-
ſers verweigerte Augsburg ſeinen Abſchied anzunehmen. 1


[291]Verhandlungen im Schooße der Majoritaͤt.

Es waren nunmehr vierzehn Städte, und gerade die
reichſten und blühendſten unter ihnen, Strasburg, Ulm,
Augsburg, Frankfurt, Nürnberg, welche ſich dem Abſchied
widerſetzten. Eine Minorität, doch nicht mehr ſo unbedeu-
tend, wie ſie anfangs ausgeſehen.


Mittlerweile hatte der Kaiſer einige beſondere Geſchäfte
mit der Majorität verhandelt, die ſich wie geſagt nicht ſo
ganz unbedingt an ihn und ſein Haus anſchloß, wie die
Unterſtützung es mit ſich zu bringen ſchien, welche ſie jetzt
von ihm erfuhr.


Jene Bewilligung, die der Papſt dem König Ferdi-
nand von den geiſtlichen Gütern in Deutſchland und Oeſtreich
zugeſtanden, wurde hartnäckig zurückgewieſen. Zuerſt er-
klärten die Geiſtlichen ſich entſchloſſen, ſie nicht zu ge-
1
19*
[292]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.
nehmigen; dann machte die ganze Verſammlung dieſe
Sache zu der ihren. In einer Aufzeichnung mit Rand-
bemerkungen Granvella’s findet ſich, daß ſie keine Türken-
hülfe leiſten zu wollen drohte, wenn man dabei verharre.
Weder im Reiche noch auch in den öſtreichiſchen Erblan-
den könne eine ſolche Neuerung, eine ſolche Anmaßung des
Papſtes geduldet werden. 1 Granvella ſetzte den König da-
von in Kenntniß. Ferdinand mußte ſich wirklich entſchlie-
ßen, die Bulle fallen zu laſſen.


Erſt hierauf ward die Türkenhülfe zugeſtanden. Zwar
auch jetzt noch nicht, wie der Kaiſer gewünſcht hatte, eine
beharrliche; eine ſolche, ſagten die Stände, werde erſt
durch den Beitritt der geſammten Chriſtenheit möglich wer-
den. Dagegen ward ihm eine eilende Hülfe in ganz be-
deutender Anzahl bewilligt; noch einmal ſo ſtark, als zum
Römerzug von 1521, 40,000 M. zu Fuß, 8000 M. zu
Pferde; zwar zunächſt nur auf ſechs Monat, die man aber
nöthigen Falls auch erſtrecken wolle; die Hülfe ſollte nicht
in Geld, ſondern in Mannſchaften, und zwar nach der
Abtheilung der Kreiſe geleiſtet werden.


Auch mit einigen andern innern Geſchäften kam man
zu Stande.


Eine von dem Ausſchreiben angekündigte Hauptabſicht
[293]Verhandlungen der Majoritaͤt.
des Reichstags war, die Irrungen zwiſchen geiſtlichen und
weltlichen Ständen, die in den letzten Jahren ſo viel Lär-
men gemacht, beizulegen. Die geiſtlichen Stände waren
früher ſehr lebhaft angeklagt worden, jetzt gaben auch ſie
ihre Beſchwerden ein. Früher würde das die heftigſten
Streitigkeiten veranlaßt haben: jetzt, da die gegenſeitigen
Animoſitäten einer andern gemeinſchaftlichen Antipathie ge-
wichen waren, ward ein Ausſchuß aus beiden Theilen nie-
dergeſetzt und wirklich ein Vergleich zu Stande gebracht,
den der Kaiſer als Conſtitution in das Reich zu verkün-
digen Willens war. 1


Auch die hundert Gravamina wurden hiebei wieder
in Erinnerung gebracht. Die weltlichen Fürſten, gewohnt
auf ihre Beſchlüſſe zu beſtehn, überreichten ſie aufs neue.
Da der päpſtliche Legat zu keiner Unterhandlung darüber
ermächtigt war, ſo übernahm der Kaiſer ſie durch ſeinen
Geſandten in Rom in Anregung zu bringen. 2


Es ſcheint faſt, als habe man die Abſchaffung der Be-
ſchwerden ſpäter als bewilligt angeſehen, als habe ſelbſt jene
Conſtitution eine gewiſſe Autorität gehabt. 3 Allein wie
ſehr verſchwanden jetzt dieſe Intereſſen vor den bei weitem
mächtigern der Reform.


[294]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.

Die vornehmſte Frage blieb, welche Haltung Kaiſer
und Majorität in ihrem Verhältniß zu den Ständen, die
ihren Abſchied verworfen hatten, nunmehr ergreifen würden.


So viel ich ſehe, war der Kaiſer mehr für einen un-
mittelbaren Angriff, die Majorität mehr für weiteres Ver-
ſchieben der Waffengewalt.


Auf wiederholtes Anfragen gab ſie ihr Gutachten da-
hin ab, daß der Kaiſer ein neues Religionsmandat auf den
Grund des Edictes von Worms ausgehen laſſen möge.
Verweigere Sachſen mit ſeinen Anhängern demſelben ſeinen
Gehorſam, ſo möge der Kaiſer ſie vorladen, die gebühr-
liche Pön gegen ſie erkennen und zur Ausführung derſel-
ben ſchreiten.


In dieſem Sinne iſt nun auch der Reichsabſchied ver-
faßt worden.


Der Kaiſer verkündigt darin den ernſtlichen Entſchluß,
ſein Edict von Worms zu vollziehn; eine Menge Abwei-
chungen von demſelben führt er an, die er alle verwirft,
gleichviel ob ſie lutheriſch, zwingliſch oder wiedertäuferiſch
lauten; er ſchärft die Handhabung der angegriffenen Ge-
bräuche und Lehren einzeln ein, und beſtätigt aufs neue
die Gerechtigkeiten der geiſtlichen Fürſten. Gegen die Un-
gehorſamen ſoll der kaiſerliche Fiscal gerichtlich und zwar
bis zur Strafe der Acht, die nach den Anordnungen des
Landfriedens auszuführen iſt, procediren.


Man verſäumte nicht, und das iſt einer der Haupt-
punkte, auf den wir ſogleich zurückkommen werden, das
Kammergericht neu zu conſtituiren und auf dieſen Abſchied
zu verpflichten.


[295]Briefe Carls an den roͤm. Hof.

Dabei blieb nun aber, wie ſchon hieraus hervorgeht,
ein Angriff mit den Waffen noch immer vorbehalten; mit
dieſem Gedanken ging der Kaiſer unaufhörlich um.


In einem Schreiben an den Papſt vom 4. October
drückte er ſich aufs neue ſehr lebhaft aus. Er meldete ihm,
die Unterhandlungen ſeyen abgebrochen, die Gegner hart-
näckiger als jemals, er aber entſchloſſen, alle ſeine Kraft
zu ihrer Unterdrückung anzuwenden. Der Papſt möge die
übrigen Fürſten der Chriſtenheit ermuntern an dieſer Sache
Theil zu nehmen. 1


Wir haben ein anderes Schreiben Carls vom 25ſten
October an die Cardinäle, in welchem er ſie vor allem um
die Beförderung des Conciliums bittet. Zugleich aber er-
ſucht er ſie zu berathſchlagen, wie man bis dahin mit den Lu-
theriſchen verfahren müſſe, um weitere Gefahren zu verhüten,
und beſonders wie er das ihm obliegende Amt eines Kaiſers
verwalten ſolle. „Wir kündigen Euch an,“ fügt er hinzu,
„daß wir zur Vollendung dieſer Sache weder Königreiche
noch Herrſchaften ſparen, ja daß wir Leib und Seele da-
bei anwenden wollen, die wir dem Dienſt Gottes, des All-
mächtigen vollkommen gewidmet haben.“ 2 Am 30. Oc-
[296]Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.
tober ſendete er ſeinen Mayordomo Pedro de la Cueva
nach Rom, um dem Papſt anzuzeigen, die Meinung der
katholiſchen Fürſten ſey zwar, daß das Jahr zu weit vor-
gerückt ſey, um auf der Stelle etwas gegen die Lutheri-
ſchen zu unternehmen, aber er möge deswegen nicht die
Vorbereitungen zu einem ſolchen Unternehmen unterlaſſen.
Seinerſeits werde er, ſo wünſchenswerth es auch für ihn
wäre, nach Spanien zurückzukehren, doch alles andre hint-
anſetzen, um zunächſt nach dem Rathe des Papſtes das-
jenige auszuführen, was zum Dienſte Gottes und Seiner
Heiligkeit gereiche.


Damit war man in Rom längſt einverſtanden. Cam-
peggi hatte dem Kaiſer vor allem Anfang geſagt, ohne ir-
gend ein muthiges Unternehmen werde er ſchwerlich zu Ende
kommen. Er hatte ihn an Kaiſer Maximilian erinnert, der
erſt Gehorſam gefunden, nachdem er die Waffen gegen das
Haus Pfalz ergriffen und glücklich geführt. 1


Genug: die abendländiſche Chriſtenheit und das deut-
ſche Reich, in Kaiſer und Papſt und Reichsverſammlung
repräſentirt, zeigten ſich entſchloſſen, die Proteſtanten, die
ſich ihnen nicht in Güte fügen wollten, durch rechtliches
Verfahren und Anwendung der Gewalt zu unterdrücken.


Es mußte ſich nun zeigen, ob dieſe Kräfte haben und
es verſtehen würden ſich zu behaupten.


[[297]]

Sechstes Buch.
Emporkommen des ſchmalkaldiſchen Bundes.
1530 — 1535.


[[298]][[299]]

Wie es bei den Deutſchen ſchon in den Zeiten, welche
Tacitus ſchildert, von allen Strafen beinahe die vornehmſte
geweſen, den öffentlichen Verſammlungen und Opfern nicht
beiwohnen zu dürfen, ſo ward es während des Mittelalters
für ein unerträgliches Mißgeſchick gehalten, die Mitgenoſ-
ſenſchaft der Kirche, den Frieden des Reiches zu verlieren.
Dieſe beiden Gemeinſchaften ſchienen alles jenſeitige und
dieſſeitige Heil zu umfaſſen.


Die evangeliſchen Stände ſahen ſich jetzt auf dem Punkt,
ſowohl von der einen als von der andern ausgeſchloſſen
zu werden.


Von der Kirche, die mit Mißbräuchen überladen war,
die ſie zu reformiren gedacht, hatten ſie ſich, da es ihnen
damit nicht gelang, durch eigenen Entſchluß losgeſagt. Sie
hielten in ihrem Herzen nur noch an der Idee der verbeſ-
ſerten Kirche feſt. Die beſtehende Kirche dagegen wollte
bleiben wie ſie war, und wies jede Annäherung ohne voll-
kommene Unterwerfung von ſich.


Deshalb geſchah nun aber jetzt den Evangeliſchen, daß
die Reichsgewalt, auf welche ſie ſich bei ihrem Vorhaben
[300]Sechstes Buch.
anfangs zu ſtützen gedacht, die ſich aber wieder an Rom
angeſchloſſen, ſie nun ebenfalls mit ihrem Unfrieden, und
dadurch mit Krieg und Verderben bedrohte.


Betrachten wir die Evangeliſchen allein, mit ihren ge-
ringfügigen durch innere Entzweiungen noch dazu gelähmten
territorialen Kräften, der bei weitem größern Anzahl der
Stände, dem mächtigen Kaiſer und der vereinigten lateini-
ſchen Chriſtenheit gegenüber, ſo mußten ſie, ſo bald es zu
ernſtlichem Kampfe kam, ohne Rettung verloren ſcheinen.


Eben darin liegt das vornehmſte Ereigniß des Reichs-
tags zu Augsburg, daß ſie im Angeſicht dieſer Gefahr ſich
doch entſchloſſen, den einmal gewonnenen religiöſen Stand-
punkt, deſſen Bedeutung ihre Seele erfüllte, nicht wieder
zu verlaſſen.


Wovon geht überhaupt alles aus, was ächtes Leben
hat, als von der moraliſchen Energie, die ihrer ſelbſt ge-
wiß, entweder die Welt in freier Thätigkeit zu durchdringen
trachtet, oder den feindſeligen Kräften wenigſtens einen un-
überwindlichen Widerſtand entgegenſtellt?


So wie nun aber einmal dieſer Entſchluß gefaßt wor-
den, ſo war auch, wenn man um ſich her ſah, bei aller
Ueberlegenheit der Gegner, die Sache, die man vertheidigte,
doch mit nichten verloren.


Vor allem lag die reformatoriſche Tendenz nun einmal
in der Nothwendigkeit der Dinge, und hatte auch außerhalb
der bereits eingenommenen Gebiete unzählige Anhänger; die
Kraft des Prinzipes, das die Proteſtirenden vertheidigten,
mußte ihnen ohne alles ihr Zuthun zu Hülfe kommen.


Sodann war das geſammte germaniſch-romaniſche
[301]Vorwort.
Abendland eben von dem gewaltigſten Feinde angegriffen,
den es jemals gehabt. Mochte man nun auch ſagen was
man wollte, ſo gehörten auch ſie, obwohl man ſie ver-
warf, zu der gefährdeten, angegriffenen Geſammtheit; eben
in ihnen repräſentirte ſich ein neuer Moment der Cultur,
welche der barbariſche Feind zu vertilgen geſonnen war;
Europa konnte und wollte ihrer Hülfe nicht entbehren.


Endlich aber: die Einheit, in der die katholiſche Chri-
ſtenheit noch einmal erſchien, war nur das Produkt eines
Momentes, glücklicher Siege, und raſcher, treffender Po-
litik. Ließ ſich wohl erwarten, daß dieſer Friede zu ernſt-
lichem Zuſammenwirken führen, oder auch daß er nur lange
dauern würde?


Ich glaube nicht, daß irgend Jemandem von den da-
mals Lebenden dieſe Lage der Dinge zu vollem Bewußt-
ſeyn gekommen iſt. Ein Gefühl davon hatte wohl am er-
ſten noch Landgraf Philipp. Die Uebrigen gingen, ohne
weiter viel um ſich zu ſehen, mit ihrem Gewiſſen zu Rathe.


Sowohl für dieſe aber, als für die allgemeine Ent-
wickelung kam nun zunächſt alles darauf an, daß ſich ein
Kern des Widerſtandes feſtſetzte, um nicht von dem erſten
Sturme überwältigt zu werden, um die Gunſt der Um-
ſtände, die jetzt den Gegnern zu Statten gekommen, für
ein ander Mal auch dieſſeit benutzen zu können.


[[302]]

Erſtes Capitel.
Grundlegung des ſchmalkaldiſchen Bundes.


Die Kirche hatte an und für ſich keine politiſche Macht;
ſie bekam deren nur dann, wenn das Reich ihr ſeinen Arm
lieh. „Der Bann,“ ſagt der Sachſenſpiegel, „ſchadet nur
der Seele; Kränkung an Landrecht und Lehnrecht erfolgt
erſt aus des Königs Acht.“


So feindſelig auch die Stimmung der Majorität auf
dem Reichstage den Proteſtanten war, ſo kam es daſelbſt,
trotz der Abweichung derſelben von der Kirche, doch nicht
zu dieſer Acht. Die Majorität, die den Kaiſer ſchon nicht
hatte wollen Richter ſeyn laſſen, trug Bedenken, ihm die
Waffen in die Hände zu geben.


Sie faßte die Abſicht, während ein kriegeriſches Un-
ternehmen doch immer als nahe bevorſtehend erſchien, den
Streit zunächſt auf ein andres Feld zu verſetzen: ſie wollte
wie man ſich ausdrückte, „nicht fechten ſondern rechten.“
Von jenen großen Reichsinſtituten, welche zur Erhaltung
der nationalen Einheit mit ſo vieler Mühe gegründet wor-
den, das einzige, das ſich in Anſehn erhalten, das Reichs-
[303]Umgeſtaltung des Kammergerichtes.
kammergericht, welches den kaiſerlichen Gerichtszwang aus-
übte, und doch vorzugsweiſe ſtändiſcher Natur war, dachte
ſie zu dieſem Zwecke zu benutzen.


Noch in Augsburg ward das Kammergericht vor allen
Dingen erweitert, zu ſeinen Geſchäften beſſer ausgerüſtet.
Man vermehrte die Anzahl der Beiſitzer von 18 auf 24;
wie ſich verſteht, mit Beibehaltung des Wahlrechts der
Kreiſe; noch außerdem aber hielt man für nothwendig, um
die alten Händel zu erledigen, acht erfahrene Doctores an-
zuſtellen. Ferner beſchloß man das Gericht einer neuen Vi-
ſitation zu unterwerfen. Wir erinnern uns, in welchem
Sinne es ſchon damals, als das alte Regiment fiel, ge-
reinigt worden war. 1 Die nemliche Tendenz herrſchte auch
jetzt vor. Unter den Procuratoren und Advocaten waren
ſieben, die wegen ihrer religiöſen Haltung ernſtlich gewarnt
wurden; ein achter mußte ſich eine Zeitlang entfernen. 2
Und dieſes verſtärkte, von aller Hinneigung zu den neuen
Meinungen gereinigte Gericht, ward nun auf das ernſt-
lichſte angewieſen, den Augsburger Reichsabſchied beſonders
in dem Artikel über den Glauben zu beobachten; wer den-
ſelben übertrete, den ſolle der Kammerrichter nicht allein
die Befugniß, ſondern auch die Pflicht haben abzuſetzen,
bei Vermeidung kaiſerlicher Ungnade. 3


Das Kammergericht ward hiedurch ſo recht zum Aus-
[304]Sechstes Buch. Erſtes Capitel.
druck der in der Majorität der Stände herrſchenden Geſin-
nung gemacht.


Sehr wohl bemerkten dieß die Proteſtanten. In einem
ihnen am Schluſſe des Reichstags über den Frieden mit-
getheilten Entwurf hieß es, es ſolle Niemand den Andern
ohne Recht überziehen. Sie ſchloſſen daraus, daß es auf
einen Spruch des Kammergerichts, der nicht zweifelhaft
ſeyn konnte, allerdings geſchehen dürfe.


Zugleich war nun aber auch wegen der Reichsregie-
rung eine neue Maaßregel genommen worden.


Das Haus Oeſtreich hatte in den letzten Jahren mehr
als einmal die Beſorgniß hegen müſſen, daß man bei der
Nichtigkeit des Reichsregimentes und der Entfernung des
Kaiſers entweder zur Wahl eines neuen Hauptes ſchreiten
oder die Rechte der Reichsvicarien, von denen der eine der
Churfürſt von Sachſen war, hervorziehen und anerken-
nen werde.


Um Plänen dieſer Art auf immer ein Ende zu machen,
ſetzte der Kaiſer alles bei Seite, was ſich wegen der der-
einſtigen Nachfolge dagegen ſagen laſſen mochte, und faßte,
wie wir ſchon berührten, den Entſchluß, ſeinen Bruder zum
römiſchen König erheben zu laſſen.


Da man Maximilian I bei einem ähnlichen Vorha-
ben eingewendet hatte, daß er ſelber ja eigentlich nur rö-
miſcher König, nicht gekrönter Kaiſer ſey, ſo war das ein
Grund mehr, weshalb ſich Carl in Bologna krönen ließ.


Auch machten hierauf die fünf katholiſchen Churfürſten
wenig Schwierigkeit; vorausgeſetzt, daß ihre Beiſtimmung
mit Gnadenerweiſungen erwiedert wurde. Der Pfalz wurde
[305]Vorbereitung der Koͤnigswahl.
eine Entſchädigung für ihre Verluſte im Landshuter Kriege
und überdieß die Summe von 160,000 G. verſprochen.
Dem Churfürſten von Brandenburg ward ein endlicher Ver-
trag über Zoſſen und die böhmiſchen Lehen, ſo wie eine
Verbeſſerung an Züllichau und Croſſen zugeſagt; mit Freu-
den meldete er nach Hauſe, welch einen gnädigen Kaiſer
und König er habe. 1 Für den Churfürſten von Mainz
finden ſich eine ganze Anzahl außerordentlicher, ja beinahe
widerſprechender Vergünſtigungen; z. B. ihm von dem rö-
miſchen Stuhle die Facultäten eines Legatus a Latere für
ſeine Diöceſen zu verſchaffen, und zugleich einzuwilligen,
daß er dieſe ſeine Diöceſen an Coadjutoren überlaſſen und
ſich einen Complex von Gütern zu fortwährendem Genuß vor-
behalten könne. 2 Trier war ſeit einigen Jahren durch ein
Dienſtgeld gewonnen. Am längſten zögerte Cöln, dem die vor
eilf Jahren bei der Wahl Carls V geſchehenen Verſprechun-
gen noch nicht erfüllt waren, mit ſeiner Einwilligung; aber
endlich auf hinreichende Bürgſchaft ſtimmte es bei. Es
fehlte nur noch Sachſen.


Sollte es nicht am gerathenſten ſcheinen, denn auf
keinen Fall ließ ſich Sachſen ohne Conceſſionen gewinnen,
die man ihm nicht gewähren wollte, den Abfall des Chur-
fürſten von der römiſchen Kirche zu benutzen, um ihn ge-
radezu auszuſchließen? Wirklich überſendete der Papſt ein
Breve, nach welchem Churfürſt Johann auf den Grund
Ranke d. Geſch. III. 20
[306]Sechstes Buch. Erſtes Capitel.
der Bulle Leo’s X, welche die Vertheidiger Luthers der
Strafe der Ketzer unterwarf, ſeines Wahlrechts beraubt
werden konnte. 1 Auch iſt darüber förmlich berathſchlagt
worden. Dahin aber war es mit den Churfürſten doch
nicht gekommen, daß ſie ſich ein ſo formloſes Verfahren,
das bei einem jeden von ihnen ein ander Mal wiederholt
werden konnte, hätten gefallen laſſen. So viel wir finden,
ſetzte ſich vor allem die Pfalz dagegen, 2 und Johann von
Sachſen wurde wirklich eingeladen. Auch für dieſen Fall
hatte der beugſame Papſt ein Breve gegeben, worin er er-
klärte, daß die Theilnahme deſſelben, wenn er gleich kraft
der Bulle Leo’s als excommunicirt betrachtet werden könnte,
der Gültigkeit der Wahl nicht nachtheilig ſeyn ſolle.


Dieſe Anmahnung nun und die Bedrohung, welche
in der neuen Weiſung des Kammergerichts lagen, waren
es zunächſt, was dem ſchmalkaldiſchen Bunde ſeinen Ur-
ſprung gab.


Wir wiſſen, wie wenig es die evangeliſchen Fürſten bis
dahin zu nachhaltigen Verbindungen gebracht hatten; auch jetzt
ſchwankten ſie, ſo lange der Kaiſer noch in Augsburg ver-
weilte, und es nicht ganz außer Zweifel war, welche Maaß-
regeln er im Verein mit der Majorität ergreifen würde.
Eine ſchon ausgeſchriebene Zuſammenkunft 3 wurde wieder
aufgegeben, als der Kaiſer ſich einmal friedlich geäußert
hatte. Als nun aber der Abſchied erſchien, der ſo entſchie-
[307]Grundlegung des ſchmalkaldiſchen Bundes.
den feindſelig lautete, als zu gleicher Zeit auch jene Ci-
tation an den ſächſiſchen Hof einlief, konnte man nicht län-
der zögern, zuſammenzutreten.


In einem Schreiben an Georg von Brandenburg giebt
Churfürſt Johann folgende Gründe an. Einmal: auf
eine Anfrage wegen der dem Fiscal des Kammergerichts
gegebenen Weiſungen habe der Kaiſer geantwortet, es ſolle
demſelben unverboten ſeyn, wider diejenigen zu procediren,
die ſich ſeinem Reichsabſchied nicht unterwerfen würden: man
müſſe daher auf eine einhellige Exception gegen ein ſolches
Verfahren Bedacht nehmen. Sodann aber: die Einladung
zur Wahl mache nöthig, daß man ſich unverzüglich darüber
beſpreche und zu gemeinſchaftlichen Gegenſchritten vereinige. 1


Ich weiß nicht, ob ich irre, wenn ich annehme, daß
in dieſer Wendung der Dinge ſchon an und für ſich ein
Vortheil für die Proteſtanten lag.


Eben darauf kam alles an, daß ſie durch die kirchli-
chen Veränderungen nicht auch von dem Frieden des Reichs
ausgeſchloſſen wurden.


Wären die alten Ideen herrſchend geweſen, ſo würde
man einen Kreuzzug gegen ſie begonnen haben.


Indem aber die Majorität ſich entſchloß, ſie mit dem
ſtändiſchen Gericht anzugreifen, auf dem Boden der alten
Reichsgeſetze, indem der Kaiſer ſie zur Wahl ſeines Bru-
ders herbeizuziehen ſuchte, wurde die Rechtmäßigkeit ihrer
Theilnahme an den Reichsgeſchäften ihrer kirchlichen Abwei-
chung zum Trotz noch anerkannt.


20*
[308]Sechstes Buch. Erſtes Capitel.

Der ganze Streit ward aus einem kirchlichen, allge-
meinen, ein politiſcher, reichsrechtlicher; und zunächſt auf
dieſem Boden hatten nun die Proteſtanten ſich zu vereini-
gen und ihren Widerſtand zu organiſiren.


Am 22. Dez. 1530 kamen Johann von Sachſen, Ernſt
von Lüneburg, Philipp von Heſſen, Wolfgang von Anhalt,
die Grafen Gebhard und Albrecht von Mansfeld, von de-
nen der letztere zugleich die Stimme von Grubenhagen führte,
ſo wie Abgeordnete Georgs von Brandenburg und meh-
rerer Städte in Schmalkalden zuſammen. Der Schnee
mochte ſchon die Anhöhen bedecken, welche die Stadt um-
geben. Es war kein Vergnügen, das Weihnachtsfeſt in
dieſem rauhen Bergland, dieſem kleinen Grenzort zuzubringen.


Vor allem beſchloſſen ſie nun hier, ſobald Einer von
ihnen in Sachen des Glaubens, von wem es auch ſeyn
möge, namentlich von dem kaiſerlichen Fiscal rechtlich be-
langt werde, dem Angegriffenen ſämmtlich gemeinſchaftlichen
Beiſtand zu leiſten. 1 Sie ſetzten einige Exceptionen feſt,
die ſie gleichmäßig vorwenden wollten; ein oder zwei Pre-
curatoren am Kammergericht ſollten mit der Sache beauf-
tragt werden.


Dieß iſt der Kern des Bundes; er zeigt am deutlich-
ſten, wie ſich der Religionsſtreit in einen Rechtsſtreit ver-
wandelte. Hiezu vereinigten ſich alle, welche die augsbur-
[309]Grundlegung des ſchmalkaldiſchen Bundes.
giſche Confeſſion unterzeichnet, oder ſich ſeitdem hinzuge-
ſellt hatten.


Auch darin kamen ſie überein, daß man den Kaiſer
um Milderung des Abſchieds erſuchen, vielleicht dagegen
proteſtiren müſſe.


Wäre nur unverzüglich ans Werk gegangen worden,
ſo würde wahrſcheinlich auch in den neuen Kirchen eine
gleichförmig äußere Einrichtung zu Stande gekommen ſeyn.
Die Meiſten waren dafür, daß eine allgemeine Kirchenord-
nung eingeführt würde, hauptſächlich um eine kirchliche Züch-
tigung der öffentlichen Laſter möglich zu machen.


Dagegen konnte man ſich über den zweiten Hauptge-
genſtand der Berathung, die Wahl des Königs nicht ſo
ganz einverſtehen.


Sachſen trug vor, daß man dem Kaiſer nicht ſo weit
Raum laſſen dürfe, um eine Sache dieſer Art einſeitig durch-
zuſetzen; ſonſt würde es bald um die Reichsfreiheiten ge-
than ſeyn. Anders verhalte es ſich mit einer Wahl nach
förmlicher Vacanz; anders wenn einem noch lebenden Kai-
ſer ein römiſcher König zur Seite geſetzt werden ſolle. In
dem letzten Falle müſſe dem Ausſchreiben eines Wahltags
Berathung ſämmtlicher Churfürſten, einſtimmiger Beſchluß
derſelben vorhergehn. Daran ſey aber jetzt nicht gedacht
worden. Selbſt die Citation, die an den Churfürſten gelangt,
beſtimme ihm viel zu kurze Zeit, und ſey ſo nichtig wie
das ganze Verfahren. Am wenigſten endlich dürfe man Fer-
dinand ſich aufdringen laſſen, der ſich als ein Feind des
Evangeliums zeige; ſchon als Statthalter habe er aben-
teuerliche Ränke angeſponnen; als König werde er das
Spiel ſelbſt in die Hand nehmen: Ferdinand, ſo ohne Be-
[310]Sechstes Buch. Erſtes Capitel.
dingung wählen, würde heißen, ſeinen eignen Feinden das
Meſſer reichen. Man müſſe für Einen Mann ſtehn und
ſich gemeinſchaftlich der Obedienz erwehren. Später werde
es an Unterhandlung doch nicht fehlen. Da habe man
dann gute Gelegenheit den König zu verpflichten, daß er
dem Fiscal Stillſtand gebiete, oder den Abſchied gänzlich
aufhebe. 1 Man könne ihm, ſo iſt der Ausdruck, „ein Ge-
biß ins Maul legen.“


Anſichten, welche ſich ſehr gut hören ließen, beſonders
den Meinungen Landgraf Philipps entſprachen, auch den
Beifall bei weitem der meiſten Stände für ſich hatten.


Nur Markgraf Georg und ſeine Nachbarn zu Nürn-
berg wollten ſo weit nicht gehen. Der eine ſtand in zu
mannichfaltigen und eigenthümlichen Verhältniſſen zu Fer-
dinand, als daß er hätte wagen ſollen, ihn perſönlich zu
beleidigen. Die andern liebten, ſich ganz beſonders als Un-
terthanen des Kaiſers anzuſehn. Auf die erſte kaiſerliche
Aufforderung hatten ſie bereits den Krönungsornat, der bei
ihnen verwahrt wurde, verabfolgt, und ihre Geſandten zu
dem Acte ſelber an den kaiſerlichen Hof geſandt.


Und damit ſtand nun noch eine andre Frage in enger
Verbindung.


Wenn gleich die nächſten Angriffe, die man zu beſor-
gen hatte, mehr juridiſcher Natur waren, ſo ließ ſich doch
nicht verkennen, daß der Kaiſer im Nothfall Gewalt zu
brauchen gedenke. Man bemerkte, daß er im Reichsabſchiede
zwar Andern Frieden geboten, aber nicht ſelber zugeſagt
[311]Grundlegung des ſchmalkaldiſchen Bundes.
hatte. 1 Wirklich ſind im Anfange des Jahres 1531 zwi-
ſchen Ferdinand und dem päpſtlichen Hofe Verhandlungen
über die Nothwendigkeit einer Kriegsrüſtung gepflogen wor-
den.[2] Man wollte Heinrich von Braunſchweig haben ſa-
gen hören, er und Eck von Reiſchach würden die Heer-
führung übernehmen.


Vor allen Dingen mußte nun die Frage erwogen wer-
den, ob es erlaubt ſey dem Kaiſer Widerſtand zu leiſten.


Die Meinung der Theologen, welche ihre Begriffe vom
Kaiſerthum aus dem neuen Teſtament nahmen, war, wie
wir wiſſen, dagegen.


Allein in einer Zeit ſo großer Umwandlung, bei dieſer
allgemeinen Emancipation der weltlichen Elemente von der
Hierarchie, mußten nun auch die ſtaatsrechtlichen Begriffe
ſich von der theologiſchen Auffaſſung losreißen.


Die Juriſten führten einige Gründe privatrechtlicher
Natur auf, betreffend den Widerſtand, der einem auf ge-
ſetzmäßige Appellation nicht Rückſicht nehmenden Richter
geleiſtet werden könne; hauptſächlich aber zogen ſie in Frage,
ob dem Kaiſerthum wirklich jene Gewalt von Rechtswegen
zukomme, welche die Theologen vorausſetzten. 3



[312]Sechstes Buch. Erſtes Capitel.

Hatten die Theologen den Fürſten gerathen, den Kai-
ſer in ihren Ländern nach Belieben ſchalten, ſie, die Predi-
ger ſelbſt vorfordern zu laſſen, ſo wandte man ihnen ein,
daß ein ähnliches Verfahren in keiner andern Sache Her-
kommens ſeyn würde, daß der Kaiſer eine ſolche Gewalt
gar nicht beſitze.


Allmählig brachen ſich überhaupt neue Ideen über die
Natur der deutſchen Verfaſſung Bahn. Man bemerkte,
wenn die Fürſten dem Kaiſer gehuldigt, ſo habe auch die-
ſer dagegen ihnen einen Eid geleiſtet, den er halten müſſe:
die Fürſten ſeyen die Erbherrn, der Kaiſer gewählt. Eine
Lehre, die noch lange brauchte um ſich durchzuarbeiten, die
erſt bei dem weſtfäliſchen Frieden in ſtaatsrechtliche Gel-
tung kam, ward gleich damals aufgeſtellt: die Lehre, daß die
Verfaſſung des deutſchen Reiches nicht monarchiſcher, ſon-
dern ariſtokratiſcher Natur ſey. Das Verhältniß der Fürſten
ſey nicht viel anders, als der altrömiſchen Senatoren zu
den Conſuln, oder der venezianiſchen zu ihrem Dogen, oder
eines Capitels zu ſeinem Biſchof. Niemals aber ſeyen die
Domherrn oder jene Senatoren zu eigentlichem Gehorſam
verpflichtet geweſen. „Die Stände regieren mit dem Kai-
ſer, und der Kaiſer iſt kein Monarch.“ 1


Dieſen Behauptungen wußten nun die Theologen nichts
mehr entgegenzuſetzen. Ihren Satz aus der Schrift konn-
ten ſie jetzt feſthalten, und brauchten darum doch den Wi-
derſtand gegen den Kaiſer nicht zu verdammen. „Wir
[313]Grundlegung des ſchmalkaldiſchen Bundes.
haben nicht gewußt,“ ſagten ſie, „daß ſolches der Obrig-
keit Rechte ſelbſt geben.“


Den Ernſt ihrer Bedenklichkeiten bewies es, daß dieſe
ſo lange feſtgehalten wurden und auch ſpäter von Zeit zu
Zeit wieder emporſtiegen.


Auf Luther machte es noch beſondern Eindruck, daß
wie er ſchon immer bemerkt hatte, der Kaiſer gar nicht
ſelbſtändig verfuhr, ſondern nach dem Rathe des Papſtes
und der deutſchen Fürſten. Man urtheilte, er ſey kein Meh-
rer des Reichs, ſondern ein Hauptmann und Geſchworner
des Papſtes. Und ſollte man den alten Feinden, den bö-
ſen Nachbarn, die ſich nun der Autorität des kaiſerli-
chen Namens bedienen wollten, damit Muth machen, daß
man den Widerſtand für unerlaubt erklärte? Sie hoffen,
ſagt Luther, daß man ſich nicht wehren werde: wollen
ſie aber Ritter werden an dem Unſern Blut, ſo ſollen ſie
es mit Gefahr und Sorgen werden. 2


Und auf dieſen Grund nun trug Sachſen bei den ver-
ſammelten Ständen auf ein Bündniß zur Gegenwehr ſelbſt
wider den Kaiſer an. Man habe ihn bei früheren Verei-
nigungen immer ausgenommen, doch könne das nichts hel-
fen, da die Partei der Gegner ſich des kaiſerlichen Na-
mens bediene. 3



[314]Sechstes Buch. Erſtes Capitel.

Auch dieſe Anſicht theilten Nürnberg und Markgraf
Georg keinesweges. Die Gutachten ihrer Theologen und
Juriſten waren bei weitem nicht ſo unzweifelhaft ausgefal-
len. Nürnberg erklärte, auf widerwärtige Rathſchläge wie
dieſe könne es einen ſo wichtigen Beſchluß nicht gründen.
Wir wiſſen daß eine ähnliche Differenz ſchon vor dem Jahr
die beiderſeitigen Gelehrten getrennt hatte. 1


Die übrigen aber, ſchon immer gewohnt ſich an Sach-
ſen zu halten, oder ſogar erfreut, daß es frühere Wider-
ſprüche jetzt ſelber aufgegeben, erklärten ſich vollkommen ein-
verſtanden.


Es ward ſogleich der Entwurf eines Verſtändniſſes
gemacht, worin man ſich zwar ſehr hütete den Kaiſer zu
nennen, die Abſichten, welche gefürchtet wurden, nur un-
beſtimmt andeutete, „es laſſe ſich an, als werde darauf ge-
dacht, die Anhänger des reinen Wortes Gottes zu unter-
drücken,“ allein ihn in Hinſicht der Gegenwehr doch auch
nicht mehr ausnahm. Die Verbündeten verpflichteten ſich,
Demjenigen von ihnen, der um dieſes göttlichen Wortes
willen angegriffen werde, zu Hülfe zu eilen. Ja ſie wol-
len das auch dann thun, wenn der Angriff unter einem
andern Vorwand geſchieht, ſie aber ermeſſen, daß der ei-
gentliche Grund eben dieſes göttliche Wort iſt. Hieß es
[315]Grundlegung des ſchmalkaldiſchen Bundes.
dann weiter, der Bund ſolle nicht wider den Kaiſer noch
ſonſt Jemand gerichtet ſeyn, ſo wollte das nichts anders
ſagen, als daß man Niemand angreifen, ſondern ſich nur
vertheidigen werde.


Dieſes Bündniß nun nahmen Sachſen, Heſſen, Lüne-
burg, Wolfgang von Anhalt, die beiden Grafen von Mans-
feld, die Städte Magdeburg und Bremen unverzüglich an.
Die übrigen Verſammelten verſprachen ſich binnen einiger
Zeit darüber zu erklären. So ſchied man am 31. Decem-
ber 1530 von einander. 1


Neun Tage von der größten Bedeutung für die Welt.
Die geängſtigte, verachtete Minorität, die aber einer reli-
giöſen Idee, auf welcher die Fortentwickelung des menſch-
lichen Geiſtes beruhte, bei ſich Raum gegeben, nahm eine
kraftvolle und ſogar kriegeriſche Haltung an. Sie war ent-
ſchloſſen, wie ſie die Lehre bekannt und ſich von derſelben
nicht hatte treiben laſſen, ſo nun auch den geſammten Zu-
ſtand, in den ſie dadurch gekommen, vor allem rechtlich zu
vertheidigen, ſollte es aber nothwendig werden, auch mit den
Waffen in der Hand. Zu dem Erſten waren alle verbün-
det, zu dem Zweiten, — denn nicht bei allen waren die
Bedenklichkeiten über ihre rechtliche Befugniß dazu gehoben
— wenigſtens die Meiſten; eben um den Urſprung der
Neuerung her bildete ſich eine compacte zur Handhabung
derſelben entſchloſſene Vereinigung, welche zu überwältigen
den Gegnern wahrhaft ſchwer werden ſollte.


Schon zeigte ſich in der Wahlſache, was dieſer Wi-
derſtand zu bedeuten habe.


[316]Sechstes Buch. Erſtes Capitel.

Noch während der Berathungen in Schmalkalden war
der Erbe der Chur, Johann Friedrich von Sachſen, nach
Cöln gereiſt, um daſelbſt im Namen ſeines Vaters zu wi-
derſprechen.


Sein Widerſpruch hinderte, wie man denken kann, die
einmal beſchloſſene Sache mit nichten. Von den fünf übri-
gen Churfürſten ward Ferdinand am 5. Januar 1531 zu
Cöln gewählt; ein paar Tage darauf ward er zu Aachen
gekrönt. 1 In ſeiner Wahlcapitulation ward er ausdrück-
lich auf den augsburgiſchen Reichsabſchied verpflichtet.
Denn dieſer Abſchied, in welchem alle Intereſſen der ka-
tholiſchen Majorität zuſammengefaßt waren, die vornehm-
ſten Waffe in ihren Händen, erſchien jetzt als das wich-
tigſte Reichsgeſetz. Hierauf überließ der Kaiſer die Reichs-
verwaltung zum größten Theil ſeinem Bruder. 2 Er be-
hielt ſich nur vor, in einigen wichtigen Fällen, z. B. bei
Ertheilungen von Fahnenlehen, oder von vornehmen Adelsti-
teln, bei den Beſtimmungen über die Monopolien, — den
bedeutendſten mercantilen Intereſſen der damaligen Zeit, —
und etwa bei ſolchen Achtserklärungen oder Verbindungen, die
in einen förmlichen Krieg verwickeln könnten, conſultirt zu wer-
den. 3 Wie vollſtändig aber auch hiedurch die Wahlhandlung
[317]Grundlegung des ſchmalkaldiſchen Bundes.
zu werden ſchien, ſo blieb doch jener ſächſiſche Widerſpruch
nicht ohne die größte Wirkung. Ohnehin war die öffentliche
Stimme gegen das Verfahren der Churfürſten. Vornehmlich
aber bekamen die alten Nebenbuhler, die Herzöge von Baiern,
die es gar nicht verhehlten, daß auch ſie nach der Krone
getrachtet, denn Mitglieder ihres Stammes ſeyen ſchon Kai-
ſer und Könige geweſen, als die Ahnherrn der Habsbur-
ger noch unter den Grafen geſeſſen, einen geſetzlich gegründe-
ten Anlaß, auch ihrerſeits die Anerkennung abzulehnen. Es
kümmerte ſie wenig, von welchem Motiv der Widerſpruch
Sachſens ausging. Merkwürdig daß in dieſem Punkt die
äußerſten Katholiken mit den Führern der Proteſtanten verei-
nigt waren. Auf einer zweiten Verſammlung, welche die Ver-
bündeten zu Schmalkalden kurz vor Oſtern 1531 (29. März)
hielten, erklärten Grubenhagen, Heſſen und Anhalt, noch
nachdrücklicher als früher, mit Sachſen bei der Verweigerung
der Obedienz gegen Ferdinand verharren zu wollen. Die
Städte waren nicht alle ſo entſchloſſen, jedoch enthielten
auch ſie ſich größtentheils, demſelben den Titel eines rö-
miſchen Königs zu geben.


Sehr bald klagte Ferdinand ſeinem Bruder, er führe
dieſen Titel zwar nun, aber ohne Anerkennung zu finden;
er gelte für nichts mehr als ein anderer Reichsfürſt. 1


Und auch übrigens nahm der Bund von Tag zu Tag
eine bedeutendere Haltung an.


Auf der zweiten Verſammlung ward das Bündniß zur
3
[318]Sechstes Buch. Erſtes Capitel.
Gegenwehr, deſſen Dauer vorläufig auf ſechs Jahr beſtimmt
worden, von Sachſen, Heſſen, Lüneburg und Grubenha-
gen verſiegelt. Für die Ratification in den Städten ward
ein beſtimmtes Verfahren angeordnet, welches darnach auch
ausgeführt worden iſt. Da man ſich noch nicht über eine
förmliche Kriegsverfaſſung vereinigte, und doch die Geg-
ner ſich regten, ſo hielt man vorläufig für nothwendig,
eine Anzahl Reiter in Sold zu nehmen, bis man ſehe,
„wohinaus ſich dieſe geſchwinden und ſeltſamen Läufe er-
ſtrecken würden.“


Auf einer dritten Verſammlung zu Frankfurt a. M.
am 5. Juni, zog man dann vor allem die kammergericht-
lichen Angelegenheiten in Berathung. Man war noch
nicht ganz einig, wem man die Procuration auftragen
wolle; gegen die Vorgeſchlagenen wurden einige Einwen-
dungen gemacht, aber in der Hauptſache hatte man kein
Bedenken; die Procuratoren ſollten ermächtigt werden, „alle
Sachen, den Glauben und die Religion betreffend, welche
der Fiscal wider einen von den Verbündeten vorbringen
dürfte, in ihrer aller Namen zu vertreten, und ausführen
zu helfen.“ 1 Man vereinte ſich zu einer kleinen Anlage,
um die Procuratoren zu beſolden. Sonderbarer Weiſe war
die erſte fortwährende Leiſtung, zu der man ſich verſtand,
im Bunde wie im Reiche jurisdictioneller Beſtimmung.


[319]Grundlegung des ſchmalkaldiſchen Bundes.

So begann der Bund ſich nach ſeinen beiden Rich-
tungen hin, nach der juridiſchen und der militäriſchen, in
den erſten Grundzügen zu entwickeln. Nicht alle Mitglie-
der jedoch gehörten beiden Tendenzen an. Brandenburg
und Nürnberg wollten von eigentlicher Gegenwehr nichts
wiſſen. Die Verfaſſung war, daß deshalb auch ihre Ge-
ſandten zu den Verſammlungen nicht zugelaſſen wurden, in
welchen man von der Gegenwehr handelte. Es wurden
zweierlei Abſchiede gemacht, von denen der eine als der all-
gemeine, „gemeine,“ der andere als der beſondere, „ſunder-
liche“ bezeichnet wird. Jener bezog ſich auf das weitere, le-
diglich friedliche, dieſer auf das engere und zugleich kriegeri-
ſche Verſtändniß. Noch hoffte man aber auch, Branden-
burg und Nürnberg in den engern Verein zu ziehen. Bran-
denburg ward zuerſt von dem ſchwäbiſchen Bunde bedroht;
man hielt dem Markgrafen vor, hätte er ſich auch zur Ge-
genwehr verbündet, ſo würde ihn der ſchwäbiſche Bund
wohl ungeirrt laſſen.


Ueberhaupt war noch alles im Werden.


Wir haben bis jetzt hauptſächlich die Verhältniſſe der
Fürſten ins Auge gefaßt; aber nicht minder merkwürdig
waren die Verhältniſſe der Städte in dem obern und in
dem niedern Deutſchland. Namentlich ziehen ſich durch alle
dieſe Bundestage Verhandlungen mit den oberdeutſchen
1
[320]Sechstes Buch. Erſtes Capitel.
Städten, welche die glücklichſten Reſultate gewähren und
zu den größten Ausſichten berechtigen.


Wir würden dieſelben jedoch nicht richtig zu würdigen
vermögen, wenn wir nicht zuvor den Gang, den die Sache
der Reform indeß in der Schweiz genommen, einen Au-
genblick ins Auge faſſen wollten.


[[321]]

Zweites Capitel.
Fortſchritte der Reformation in der Schweiz.


Die erneuerte Einheit der lateiniſchen Chriſtenheit war,
wie ſich von ſelbſt verſteht, den von derſelben Abgewichenen
in der Schweiz ſo gefährlich, wie Denen in Deutſchland.


Wenn ſich die katholiſche Bewegung zunächſt gegen
Deutſchland wendete, ſo geſchah das, weil das Oberhaupt
der Chriſtenheit, der Kaiſer hier im heil. römiſchen Reiche
eine allgemein anerkannte und verehrte Autorität genoß:
aber von jedem Fortſchritt, den er machte, fühlte man ſich
auch in der Schweiz unmittelbar bedroht.


Allein die Dinge lagen doch in der Schweiz bei wei-
tem anders. Auch da ſtellte ſich der Reformation eine mit
herkömmlichen Vorrechten verſehene Majorität entgegen:
nach und nach hatte ſie aber bereits die größten Verluſte
erlitten.


Wir haben geſehen, wie Zwingli von den acht äl-
tern Orten die beiden mächtigſten, Bern und Zürich, von
den ſpäter hinzugekommenen Baſel, und von den in weite-
Ranke d. Geſch. III. 21
[322]Sechstes Buch. Zweites Capitel.
rem Verbande ſtehenden St. Gallen, Biel und Mühlhau-
ſen, für ſeine Ideen gewann nnd kirchlich umgeſtaltete.


Dagegen aber fand er bei den übrigen Cantonen hart-
näckigen Widerſtand; beſonders zeigten ſich von den alten Or-
ten ihrer fünf, die vier Waldſtätte und Zug entſchieden feind-
ſelig. Wir erinnern uns, welche Partei dort gleich im Jahr
1522 die Oberhand behalten hatte. Sie wollte ſich die
Jahrgelder, das Recht fremder Kriegsdienſte nicht entreißen
laſſen und war entſchloſſen, den alten Glauben in allen
ſeinen Aeußerlichkeiten aufrecht zu erhalten.


Wären die verſchiedenen Cantone vollkommen geſon-
dert geweſen, ſo hätte man allenfalls ohne offene Zwie-
tracht neben einander beſtehen können. Allein es gab Ge-
biete, in welchen die Regierung beiden Theilen angehörte:
die gemeinen Herrſchaften und Vogteien; auf denen muß-
ten nun die entgegengeſetzten Kräfte einander begegnen.
Bedenken wir, daß die Eidgenoſſenſchaft hauptſächlich da-
durch erſtarkt und zuſammengewachſen war, daß ſie ge-
meinſchaftliche Eroberungen gemacht hatte, daß in dieſen
der den Bund zuſammenhaltende Moment lag, ſo leuchtet
auch ein, wie wichtig eine Entzweiung werden mußte, die
hier zum Ausbruch kam. Eben hier hatte die Majorität
von jeher ein vorwaltendes Anſehn; es mußte ſich zeigen,
ob ſie es behaupten würde.


Die fünf alten Orte duldeten die neue Lehre weder in
den Vogteien noch in den freien Aemtern. Die Landvögte
Joſeph am Berg von Schwytz und Jacob Stocker von
Zug ſtraften die Neugläubigen an Geld, warfen ſie in
Thurm, ließen ſie mit Ruthen ſchlagen, des Landes ver-
[823[323]]Fortſchritte der Reformation in der Schweiz.
weiſen. Die Prediger wurden mit aufgeſchlitzter Zunge ver-
jagt, oder gar mit dem Schwert hingerichtet. Flüchtlinge,
die ſich von der deutſchen Seite nach der Schweiz gerettet,
wurden der öſtreichiſchen Regierung der Vorlande ausgelie-
fert, die ſie ohne Weiteres umbringen ließ. 1 Alle Bücher der
neuen Lehre, auch Teſtamente und Bibeln wurden wegge-
nommen. In dem Bade zu Baden wurde den Verſtor-
benen, wenn ſie evangeliſch geweſen, ein ehrliches Begräb-
niß verſagt.


Schon längſt hatten das die Züricher mit Unwillen
wahrgenommen; ſo wie ſie einigermaaßen die Kraft dazu
fühlten, beſchloſſen ſie es nicht mehr zu leiden. Es iſt
einer der vornehmſten Artikel in dem Bunde zwiſchen Zürich
und Bern, daß man in den gemeinen Herrſchaften und Vog-
teien, die auch ihnen an ihrem gebührenden Theile gehören,
fortan die Kirchengemeinden, die durch Stimmenmehrheit
beſchließen ſich zu dem Evangelium zu halten, durch keine
Gewalt daran verhindern laſſen wolle. 2


Hierauf regten ſich allenthalben in Thurgau und Rhein-
thal die unterdrückten evangeliſchen Neigungen. Die fünf
Orte verzweifelten, ſie lediglich mit ihrer landvogtlichen
Gewalt niederzuhalten; am 30. Nov. 1528 verſammelten
ſie alle Gerichtsherrn und Sendboten der Gemeinden von
Thurgau in Frauenfeld, um ſie zu ermahnen, ſich von dem
Mehrtheil der Orte, denen ſie Gehorſam ſchuldig, in Hin-
ſicht des Glaubens nicht zu ſondern, vielmehr dem Land-
vogt zur Beſtrafung der Abtrünnigen beizuſtehn. An die-
21*
[324]Sechstes Buch. Zweites Capitel.
ſem Tage hatten ſich aber, ohne berufen zu ſeyn, auch Zü-
richer und Berner Abgeordnete eingefunden; ſie ließen es
an entgegengeſetzten Anmahnungen und Zuſicherungen nicht
fehlen. Die Landleute baten ſich Bedenkzeit bis Nicolai
aus, wo ſie wieder in Winfelden zuſammenkamen. Hier
zeigte ſich anfangs einiges Schwanken; allmählig aber ſtellte
ſich eine Mehrheit heraus, welche an dem Evangelium hal-
ten zu wollen entſchloſſen war; Zürich und Bern ſagten
derſelben ihre Hülfe offen zu. Auch den Rheinthalern, die
ſich zunächſt an Zürich als den vorderſten Ort der Eidge-
noſſenſchaft gewandt, verſprach dieſe Stadt, ſie von Got-
tes Wort nicht treiben zu laſſen. 1


Es war noch einmal ein Act der Autonomie, den die
Unterthanen ausübten. Da die Regierenden entzweit wa-
ren, kam es auf ihren freien Entſchluß an, welche Partei
ſie ergreifen wollten. Sie wählten die Sache der Reform.


In Thurgau gab es bald nur noch 9 Edelleute, welche
nicht beigetreten, und auch dieſe baten lediglich um Auf-
ſchub; im Rheinthal fand ſich ein einziges Kirchſpiel, wo
die Mehrheit nicht für die Verbrennung der Bilder und die
Abſtellung der Meſſe ſtimmte; für die freien Aemter ward
es entſcheidend, daß in Bremgarten die reformirt geſinnte
Gemeinde mit Hülfe von Zürich über den katholiſch und
fünfortiſch geſinnten Rath den Sieg davontrug; hierauf
folgte die umliegende Landſchaft nach.


So ſtark man nun auch hiebei verſichern mochte, daß
der weltliche Gehorſam, den man den bisherigen Ober-
[352[325]]Fortſchritte der Reformation.
herren ſchuldig ſey, darunter nicht leiden ſolle, ſo iſt doch
offenbar, daß die Grundlage der Macht, d. i. der Einfluß,
dem der Unterthan ſich willig unterwirft, den fünf Orten
hiebei verloren gehen mußte.


Und ſchon war auf einem andern Gebiete eine Irrung
eingetreten, die ihnen nicht minder nachtheilig ward.


Unterwalden hatte es gewagt, dem Berner Oberlande,
wo die Maaßregeln, welche die Stadt zur Einführung der
Reform traf, namentlich die raſche Einziehung des Kloſters
Interlachen, Mißvergnügen und Widerſtand erweckte, zu Hülfe
zu kommen, und in das Gebiet eines ihrer Eidgenoſſen, mit
aufgereckten Fahnen, unabgeſagt einzufallen. 1 Bern ſetzte
ſich zur Wehre, brachte die Unterthanen zum Gehorſam, die
Eingedrungenen zum Rückzug: aber es läßt ſich erachten,
welche Nachwirkungen ein ſo offenbarer Bruch des alten
Bundes haben mußte.


An den vier Orten, mit denen Unterwalden überhaupt
verbündet war, fand es auch dieß Mal Rückhalt. Aber
alle Bürgerſtädte waren der Meinung, daß man Unterwal-
den ſtrafen müſſe. Auch Solothurn und Freiburg verſpra-
chen ihren Verpflichtungen gemäß den Bernern hiezu ihren
Beiſtand.


Dergeſtalt politiſch und kirchlich überflügelt, mit Rache
bedroht, faßten die fünf Orte den Gedanken, bei dem Hauſe
Oeſtreich Hülfe zu ſuchen. War es doch ohnehin ihr Prin-
zip, die Verbindungen mit fremden Mächten nicht aufzugeben.


[326]Sechstes Buch. Zweites Capitel.

An den ſchweizeriſchen Grenzen befanden ſich noch alle
Die im Beſitz der Gewalt, welche den Bauernaufruhr ge-
dämpft und der Predigt in dieſen Gegenden ein Ende gemacht
hatten; Graf Sulz und Graf Fürſtenberg, ſo wie der Vogt
zu Bregenz Marx Sittich von Ems. Die Emſer Verwandt-
ſchaft, die ſich ſo eben durch den Caſtellan von Muſſo ver-
ſtärkt, hielt überhaupt in den Gebirgen die Fahne des Ka-
tholicismus aufrecht. Den Fünforten ward es ohne Zwei-
fel nicht ſchwer, bei dieſen Herrn Eingang zu finden. Man
hielt Zuſammenkünfte in Feldkirch und Waldshut; das
ſchweizeriſche und das öſtreichiſche Wappen waren neben-
einander aufgeſchlagen; man behauptet, die alten Bekäm-
pfer des öſtreichiſchen Zeichens der Pfauenfeder jetzt mit der-
ſelben geſchmückt geſehen zu haben. Es kam ein Bund zu
Stande, in welchem König Ferdinand und die fünf Orte
einander das Wort gaben, bei dem alten Glauben feſtzu-
halten, einen jeden, der denſelben in ihrem Gebiete antaſte,
zu züchtigen, und ſich auf den Fall, daß ſie darüber an-
gegriffen würden, gegenſeitige Hülfe zu leiſten. Alles was
dann innerhalb der Eidgenoſſenſchaft erobert werde, ſolle
den fünf Orten, alles was außerhalb, dem König verbleiben.


Die vornehmſte Bedingung des Bundes iſt wohl, daß
Ferdinand den Fünforten alles das garantirte, „was ihnen
verpflichtet und verwandt ſey,“ — alſo auch die gemein-
ſchaftlichen Vogteien, auch den Thurgau, — die Fünf-
orte dagegen ausdrücklich erklärten, Conſtanz als nicht eid-
genoſſiſch betrachten, es dem König überlaſſen zu wollen. 1


Die Fünforte hatten nicht Unrecht, wenn ſie den Bür-
[327]Bund der fuͤnf Orte mit Oeſtreich.
gerſtädten, die ihnen dieß Bündniß zum Vorwurf machten,
entgegneten, daß ja auch ſie ſelbſt ſich mit Auswärtigen
verbündet; aber ein großer Unterſchied war da doch alle-
mal. Durch das Burgrecht, das Zürich mit Conſtanz ge-
ſchloſſen, ward dieſe Stadt auf das engſte mit der Eidge-
noſſenſchaft verbunden. Es war immer ein Geſichtspunkt
der öſtreichiſchen Politik geweſen, dieß nicht zu geſtatten,
und Maximilian hatte einſt deshalb einen großen Theil der
Gemeinde in ſeine Dienſte genommen; die Fünforte über-
ließen jetzt Conſtanz an Oeſtreich.


Merkwürdig, daß dieß in denſelben Zeiten geſchah, in
den erſten Monaten des Jahres 1529, in welchen auch
die Majorität der Reichsſtände ſich wieder an das Haus
Oeſtreich anſchloß. Aller politiſche Widerwille verſchwand
in dieſem Augenblick vor der religiöſen Gemeinſchaft.


Ferdinand ſuchte die ſchweizeriſche Vereinigung ſo gut
wie möglich zu befeſtigen. In Insbruck, wo ſie beſchloſ-
ſen ward, hatte er auch einen Theil der tyroler Landſaſ-
ſen zu Rathe gezogen; alle vordern Länder, Würtemberg
eingeſchloſſen, ſollten in dieſelbe eintreten. Er hoffte damit
vielleicht die Macht der Eidgenoſſen [auf] immer zu brechen, 1
gewiß aber den weiter vordringenden neuen Meinungen ein
unüberwindliches Bollwerk entgegenzuſetzen.


Konnte jedoch ein Bund dieſer Art den fünf Orten wohl
wirklich Schutz gewähren? Ihre Schritte waren, wenn
[328]Sechstes Buch. Zweites Capitel.
wir ſie vom eidgenöſſiſchen Standpunkt aus betrachten, im
Grunde durchaus falſch; jener erfolgloſe Einfall ins berne-
riſche Gebiet nicht minder, als der Bund mit Ferdinand.
Sie liefen wider das Beſtehen und die Idee der geſamm-
ten Eidgenoſſenſchaft. Zu dem glücklichen Fortgang, in
welchem die Bürgerſtädte vermöge der ſiegreichen Lehre, die
ſie verfochten, begriffen waren, kam noch die Macht des
vaterländiſchen Intereſſes und ein unläugbares Recht.


Auf keinen Fall war nun an weiteren Frieden in der
Eidgenoſſenſchaft zu denken. Die Geſandten der Bürger-
ſtädte, welche ſich in das hohe Land begaben, um die al-
ten Bundesbrüder von dieſer Vereinigung abzumahnen, fan-
den da wohl ihre Wappen an dem Galgen angeſchlagen, ſie
ſahen ſich als Ketzer und Verräther behandelt; ihnen zum
Trotz verhing man gegen die Abgewichenen die furchtbarſten
Strafen. Auch die Reformirten der innern Schweiz haben
ihre Märtyrer; ein Prediger aus dem Züricher Gebiet, Ja-
cob Keyſer, der von Zeit zu Zeit nach Gaſter ging, um auch
da eine evangeliſche Kirche zu verſehen, ward auf dieſem Weg,
auf freier Reichsſtraße, in dem Eſchibacher Holz aufgegrif-
fen und nach Schwytz geſchleppt. Die Schwytzer hatten
damals Gaſter gar nicht zu belandvogten. Wäre dieß auch
der Fall geweſen, ſo hätte die Sache doch vor die Utzna-
cher Gerichte gehört. Nichts deſto minder verdammte die
Landsgemeinde den armen unſchuldigen Mann zum Tode im
Feuer, den er ſtandhaft erlitt. 1


Da hielt nun aber auch Zürich nicht länger an ſich.
Als im Juni 1529 ein neuer Vogt von Unterwalden in
[329]Kriegsgefahr, 1529.
Baden aufreiten ſollte, erklärte es geradezn, dieß nicht dul-
den zu wollen. Es wolle mit den Unterwaldern überhaupt
keine Gemeinſchaft mehr haben; es werde ihnen fortan in
den Herrſchaften, die auch ihnen gemein ſeyen, keine Be-
vogtung mehr geſtatten. 1


Den Schwytzern hatte Zürich längſt angekündigt, ſich
rächen zu wollen, wenn dem Prediger ihrem Hinterſaſſen
Gewalt geſchehe. Seine Hinrichtung war das Zeichen des
Krieges.


Am 5. Juni rückte das erſte zürcheriſche Fähnlein
aus, um die freien Aemter vor einer blutigen Wieder-
herſtellung des alten Glaubens zu ſchützen; bald darauf
ein zweites nach Thurgau und Rheinthal, ein drittes, um
den ſchwytzeriſchen Antheil an Gaſter, der zu dem Tode
des Predigers Anlaß gegeben, zu beſetzen. Da hierauf auch
die Feinde ſich unverweilt zu Bar am Boden ſammelten,
ſo zog am 9. Juni auch das große Banner der Stadt aus,
unter dem Bannerherrn Hans Schweizer, der es ſchon in
den mailändiſchen Kriegen getragen.


So ſtanden, zum erſten Mal in Folge der religiöſen
Unruhen, ein paar ſchlagfertige Heere, nicht von Bauern
und Herren wie früher, ſondern von gleich berechtigten
Gegnern, einander gegenüber. „Sie ſind ſo voll Haß ge-
geneinander,“ ſagt König Ferdinand, „daß man nichts
anders als Thätlichkeiten erwarten darf.“


Ohne Zweifel aber hatten die Evangeliſchen in dieſem
Augenblicke das Uebergewicht.


Das zürcheriſche Heer hatte ſeines Gleichen nicht. Es
[330]Sechstes Buch. Zweites Capitel.
beſtand aus den wackeren Männern, welche die Reform mit
alle dem ſittlichen Ernſt in ſich aufgenommen, mit welchem
Zwingli ſie predigte. Keine gemeine Dirne ward geduldet;
man hörte kein Fluchen noch Schwören; ſelbſt das Würfel-
ſpiel war verbannt; die Erholung beſtand in Leibesübungen,
Springen, Werfen, Steinſtoßen. Streitigkeiten fielen bei-
nahe nicht vor; Niemand hätte verſäumt, vor und nach
Tiſche zu beten. Zwingli ſelbſt war zugegen; man hatte ihn
der Pflicht überhoben, als Prediger mit dem Banner aus-
zuziehn; aber er hatte ſich aus freien Stücken zu Pferd ge-
ſetzt und die Hallbarde über die Achſel genommen. Zwingli
war vor allen andern von dem Gefühl der Uebermacht
durchdrungen, und wie ihn die Nachrichten von allen Sei-
ten darin beſtätigten — denn wenigſtens von Ferdinand,
welcher anderweit beſchäftigt war, und ſich zu wenig ver-
ſprechenden Anforderungen an ſeine Stände genöthigt ſah,
hatten die Fünforte nichts zu erwarten — ſo faßte er die
kühnſten Hoffnungen. Jetzt dachte er zu dem Ziele zu ge-
langen, welches er ſich von Anfang an vor Augen ge-
ſtellt. Er wollte von keinem Frieden wiſſen, es würden
denn die beiden großen Zugeſtändniſſe eingegangen, auf die
er ſchon immer gedrungen hatte. Das Jahrgelderweſen
ſollte auf ewig verſchworen werden; die Predigt des Evan-
geliums in allen Cantonen der Schweiz erlaubt ſeyn. Er
ſtellte den Regierungsmitgliedern vor, daß nur auf dieſe
Weiſe Einheit in der Regierung wie in der Kirche zu be-
wirken ſey; „Steht feſt in Gott,“ ruft er ihnen zu: „jetzt
geben ſie gute Worte, aber laßt Euch nicht irre machen;
gebt nichts auf ihr Flehen, bis das Recht aufgerichtet iſt.
[331]Erſter Friede von Cappel.
Dann werden wir einen Krieg geführt haben, vortheilhaf-
ter als je ein anderer geweſen iſt; Dinge ausgerichtet ha-
ben, die Gottes und der Städte Ehre nach viel hundert
Jahren noch verkündigen werden.“ 1


Wäre es auf Zwingli und auf Zürich allein ange-
kommen, ſo würden ſie alles daran gewagt, und ihren
Vortheil bis zum äußerſten Ziele verfolgt haben.


Allein, Krieg zu beginnen, Blut zu vergießen hat man
natürlich immer eine gerechte Scheu. Indem die Züricher
ſchon im Anzug waren, erſchien der Ammann Ebli von
Glarus bei ihnen, und ſtellte ihnen vor, wie oft ſie Liebes
und Leides mit denen erfahren, denen ſie jetzt abgeſagt. Er
machte um ſo mehr Eindruck, da er als ein braver Mann
bekannt war, der im Grunde dieſelben Anſichten hegte, wie
in Zürich herrſchten. Man bewilligte ihm einen Stillſtand.
Nur Zwingli, der weiter in die Zukunft ſah als die Andern,
war mit einer Nachgiebigkeit nicht zufrieden, die ihm ſehr
unzeitig erſchien. „Gevatter Ammann,“ ſagte er zu Ebli,
„du wirſt Gott müſſen Rechenſchaft geben.“ 2


Und indeſſen ſprach ſich auch Bern aus. Das ge-
waltige Umſichgreifen Zürichs war ihm nicht angenehm.
Bern erklärte, es werde ſeine Hülfe leiſten, aber nur wenn
Zürich angegriffen werde, nicht wenn es angreife.


Auch in der Schweiz machte ſich der Gedanke der
Standesabgeſchloſſenheit geltend, der in Deutſchland herr-
ſchend geworden. Bern hielt die Bedingungen, welche Zwingli
[332]Sechstes Buch. Zweites Capitel.
vorſchlug, nicht für angemeſſen, weil man nicht ſo tief in
die Regierung der einzelnen Orte eingreifen dürfe.


Aus der eignen evangeliſchen Partei gingen die Hin-
derniſſe hervor, die den Reformator abhielten, ſeine Ab-
ſichten mit den Waffen in der Hand durchzuſetzen.


Es kam zu Unterhandlungen, die bei der Kraft, welche
die Gegenpartei noch immer beſaß, und bei der Geſinnung,
die in den Verbündeten noch überwog, 1 nicht zu dem reinen
Reſultat führen konnten, das Zwingli vor Augen hatte.


Es war ſchon genug, daß die Fünforte ſich bequem-
ten das Ferdinandiſche Bündniß auszuliefern, Erſtattung
der Kriegskoſten, Beſtrafung der Schmähreden verſprachen,
und in die Satzung der Bürgerſtädte, daß in den gemeinen
Herrſchaften die Mehrheit in einem Kirchſpiel über den
Glauben zu entſcheiden habe, förmlich einwilligten. Auch
von dem Verbot der Jahrgelder und der Freiheit des Evan-
geliums war die Rede. Aber ſie wurden bei weitem nicht
ſo unumwunden zugeſtanden, wie Zwingli gewünſcht hätte.
Die Abſchaffung der Penſionen erſchien nur als eine Bitte
der Bürgerſtädte an die Fünforte. Statt der Freiheit der
Predigt hieß es nur, kein Theil wolle den Glauben des
andern ſtrafen. 2


Und auch ſo ſchien nun doch nicht wenig erreicht
zu ſeyn.


Die fünf Orte mußten ſich entſchließen, die Urkunde
[333]Weitere Fortſchritte der Reform.
ihres Bundes mit Ferdinand noch in Cappel herauszuge-
ben. Die Vermittler verhinderten, daß ſie verleſen würde;
ſie hätten gefürchtet, der alte Widerwille möchte dadurch
wieder angefacht werden. Ammann Ebli durchſtach den
Bundesbrief als er zum Vorſchein kam mit ſeinem Meſſer
und zerriß ihn; die Umſtehenden griffen nach dem Wachs
der Siegel.


In Folge des unläugbaren Vortheils der Evangeli-
ſchen nahm nun die Reform nach dem Frieden einen noch
viel raſchern Fortgang.


Bei Bullinger kann man ſehen, in wie viel gemein-
ſchaftlichen Orten ſich eine Majorität für dieſelbe bildete,
wie er ſich ausdrückt, „das Gotteswort ermehret ward.“
Noch im Jahre 1529 konnte Zwingli eine Synode im Thur-
gau halten und das Land evangeliſch einrichten. Große
Abteien wie Wettingen und Hitzkirch traten über; in Wet-
tingen waren in allem nur zwei Mönche, die ſich weiger-
ten. Der Abt Georg Müller in Baden ſorgte nur, daß
die Bilder, die er aus der Kirche ſchaffte. nicht wie an
ſo vielen andern Orten vernichtet würden. 1 Endlich ward
von Groß- und Kleinräthen in Schafhauſen beſchloſſen,
daß man die Meſſe und Bilder abſchaffen ſollte. Nicht
ohne verhaltenen Schmerz berichtet Hans Stockar, wie
Freitag nach Michaelis „der groß Gott im Münſter“ von
dannen gethan ward. 2 Die Stadt trat in das Bürger-
recht von Bern, Baſel und Zürich. In Solothurn mußte
den Neugläubigen fürs Erſte wenigſtens eine Kirche bewil-
[334]Sechstes Buch. Zweites Capitel.
ligt werden, und nur ein vermeintes Wunder konnte die
Verehrung von St. Urs noch retten. Unter dem Schutz
von Bern erhoben ſich die Evangeliſchen in Neuenburg;
ſchon griffen auch die Katholiſchen zu den Waffen, und es
ſchien zu Blutvergießen kommen zu wollen, als man den
Beſchluß faßte, die Majorität entſcheiden zu laſſen. 1 Sie
entſchied für die Reform. Oft war die Majorität frei-
lich nur ſchwach. In Neuenburg betrug ſie nur 18, in
Neuenſtadt 24 Stimmen. 2 So war es aber auch auf
der andern Seite, unter entgegengeſetzten Einflüſſen. Ganz
in der Nähe, in Rottweil, übten die 6 katholiſchen Zünfte
gegen die fünf evangeliſchen die größten Gewaltſamkeiten
aus; mehrere Hundert Bürger mußten die Stadt verlaſſen.


Wichtiger als alles andere für den Fortgang der
Ideen Zwingli’s war nun aber, daß auch in einem der
acht alten Orte, der ſich bisher neutral gehalten, in Gla-
rus die evangeliſche Majorität, die jedoch um vieles ausge-
ſprochener war, zur Alleinherrſchaft gelangte. Schon war
die reformirte Lehre ſo weit vorgedrungen, daß nur noch
ein paar Kirchen ihre Heiligenbilder behalten hatten. Ob-
wohl die Genoſſen derſelben um nichts als kurzen Aufſchub ba-
ten, bis etwa Kaiſer und Reich wegen der Mißbräuche Ver-
fügung träfen, ſo beſchloß doch die Landgemeinde im April
1530, daß auch dieſe Kirchen zu reinigen und dem übri-
gen Lande gleichförmig zu machen ſeyen. Es mochte noch
3
[335]Fortſchr. der Reform. Glarus. St. Gallen.
einige Widerſtrebende geben, ſtaatsrechtlich aber ward Gla-
rus hiedurch wirklich evangeliſch.


Zu dem Vortheil, dieſen Ort, von welchem Zwingli
im Anfang ſeines Unternehmens hatte weichen müſſen, ge-
wonnen zu haben, kam noch, daß der Kreis einer geſetz-
mäßigen Einwirkung auf Andere dadurch erweitert ward.


Der Abt Geißberger in St. Gallen hatte in ſeinem
Gebiete — nicht der Stadt, welche bereits übergetreten —
ſondern dem Lande den Lauf der Lehre ſo viel wie möglich
zurückgehalten, doch war ſie daſelbſt ſo mächtig wie an-
derwärts vorgedrungen. Der Abt war Fürſt des heiligen
Reiches, aber Glarus, Lucern, Schwytz und Zürich übten
das Schutzrecht über ihn aus, und maßten ſich deshalb
auch einen nicht geringen Einfluß auf die innern Ange-
legenheiten an. Jetzt ſtarb nun der Abt, und beſonders
für dieſen Fall war es wichtig, daß von den vier ſchützen-
den Orten zwei evangeliſch waren. Zwar wußten die
Conventualen wider deren ausdrücklichen Wunſch eine
Wahl zu bewerkſtelligen, welche die Beſtätigung der höch-
ſten Autoritäten des Kaiſers und des Papſtes und die
Billigung von Schwytz und Lucern fand, aber Zürich und
Glarus weigerten ſich dieſelbe anzuerkennen. Sie fühl-
ten ſich bei weitem mehr mit der Landſchaft, wo nun die
evangeliſchen Regungen die Oberhand bekamen, als mit
den Conventualen verbündet. Zürich ging von dem Grund-
ſatz aus, nicht der Abt ſey das Gotteshaus, ſondern alle
Landleute, Gerichte und Gemeinden, die ſeyen den Schirm-
herren zu ſchirmen befohlen. In Einverſtändniß mit den Ein-
gebornen ward eine Landesordnung gemacht, nach welcher
[336]Sechstes Buch. Zweites Capitel.
immer ein Hauptmann aus den vier Schirmorten und ein
Landrath von zwölf Mitgliedern die Regierung führen ſoll-
ten. Um aber nicht aus Schwytz oder Lucern etwa einen
Feind der neuen Lehre zum Hauptmann zu bekommen, ſetzte
man zugleich die Bedingung feſt, daß der Hauptmann der
evangeliſchen Lehre zugethan ſeyn müſſe; nicht eher ſollte
ihm gehuldigt werden, ehe er nicht geſchworen, die Unter-
thanen des Gotteshauſes bei dem göttlichen Wort bleiben
zu laſſen. Auch auf Toggenburg erſtreckte ſich die neue
Freiheit; es kaufte ſich, womit es während Zwinglis Jugend
begonnen, von den Pflichten gegen das Kloſter nun voll-
kommen los. Zwingli erlebte die Freude, im Anfang des
Jahres 1531 in ſeinem völlig freien Vaterlande erſcheinen
und es nach ſeiner Weiſe kirchlich einrichten zu können.


So umfaſſend nun aber auch dieſe Fortſchritte waren,
ren, ſo erfüllten ſie doch immer noch nicht die Abſicht,
welche er urſprünglich gehegt und an deren Erreichung
alles lag. Die herrſchende Partei in den Fünforten zeigte
ſich unerſchütterlich; noch auf dem Felde zu Cappel ſol-
len die Machthaber einander verſprochen haben, dem er-
ſten Artikel des Landfriedens zum Trotz, den neuen Mei-
nungen nicht Raum zu geben, ja einen Jeden umzu-
bringen, der ihnen davon rede. Gewiß iſt wenigſtens,
daß Niemand ſich in ihrem Gebiete damit hervorwagte, ob-
wohl es gar nicht an Leuten fehlte, denen ſie zuſagten.
An die Abſtellung der Schmähreden war nicht zu denken.
1
2
[337]Grundlegung des ſchmalkaldiſchen Bundes.
Züricher und Berner wurden als ein verrätheriſches ketze-
riſches Krämervolk, ihre Prediger als Kelchdiebe Seelenmör-
der bezeichnet; Zwingli, ſagte man im Gebirg, ſey ein Gott
der Lutheriſchen. Dem Eifer der dortigen Prieſter galten
zwingliſche und lutheriſche Meinung noch gleich viel. War
auch der Bundesbrief mit Oeſtreich herausgegeben, ſo wurden
doch fortwährend neue Unterhandlungen gepflogen. Auf dem
Reichstag von Augsburg erſchienen die Geſandten von Lucern
und Zug. Sie waren auf ihrer Reiſe von den Gleichge-
ſinnten ſehr ehrenvoll empfangen worden; in Augsburg
wohnten ſie auf Befehl des Kaiſers in deſſen Nähe;
man bemerkte, daß ſie ihm Schriften einreichten. An
ihren alten Verbündeten, Marx Sittich, Eck von Rei-
ſchach, Hans Jacob von Landau fanden ſie auch jetzt Rück-
halt, und man trug ſich aufs neue mit weitausſehenden
Plänen, wie Strasburg angegriffen, und den Eidgenoſſen,
die demſelben zu Hülfe kommen würden, der Tod bereitet,
wie dann die reformirte Schweiz zugleich von Savoyen,
dem Rheinland und dem Gebirg angefallen werden ſolle. 1
Dieſe Dinge fanden um ſo mehr Glauben, da der Adel
von Savoyen wirklich zu einem Angriff auf Genf ſchritt,
und zu gleicher Zeit der Caſtellan von Muſſo mit ſei-
nen emſiſchen Verwandten Graubünden anfiel. Die fünf
Orte hüteten ſich wohl den Gefährdeten Hülfe zu leiſten.
Die Walliſer erklärten ohne Rückhalt, daß ihnen das des
Glaubens halber nicht zu thun ſey. Natürlich beachte man
Ranke d. Geſch. III. 22
[338]Sechstes Buch. Zweites Capitel.
in Bern und Zürich alle dieſe Dinge in Verbindung. 1 Auch
auf der andern Seite aber geſchah dies. König Ferdinand
fürchtete, würden die Bürgerſtädte in Graubünden Herrn
bleiben, ſo würden ſie alsdann die fünf Orte angreifen; ſo-
bald ſie aber dieſe bezwungen, ihre Unternehmungen gegen
die Erblande und das Reich richten. Er erſuchte den Kai-
ſer, hauptſächlich aus dieſem Grunde den fünf Orten wenn
es nöthig werde Hülfe zu leiſten. 2


[[339]]

Drittes Capitel.
Verſuch einer Vermittelung zwiſchen den beiden
proteſtantiſchen Parteien.


In ſehr naher Beziehung finden wir nun die Eidge-
noſſenſchaft zu dem Reiche.


Einer aufſtrebenden mit der öffentlichen Meinung ver-
bündeten Minorität ſtand auf den Tagſatzungen, wie auf
dem Reichstag eine altgläubige Mehrheit gegenüber.


Der nächſte Unterſchied lag darin, daß Kaiſer und Reich
zugleich eine kirchliche Autorität beſaßen, welche der Tag-
ſatzung, die ſich hiebei auch nicht auf den Kaiſer berufen
konnte, zu dem ſie als ſolche kein geſetzliches Verhältniß
hatte, mit nichten zukam. Dagegen hatte aber auch die
Minorität in der Schweiz nicht wie die deutſche frühere
allgemeine Beſchlüſſe für ſich. Der Kampf war in der Schweiz
mehr factiſcher, in Deutſchland mehr rechtlicher Natur.


Beide Majoritäten ſuchten ihre vornehmſte Hülfe bei
dem Hauſe Oeſtreich. Sollten da nicht auch die Minori-
täten auf das ernſtlichſte daran denken, die alte Zwietracht,
die ſich zwiſchen ihnen erhoben, fallen zu laſſen?


22*
[340]Sechstes Buch. Drittes Capitel.

Das Unglück war nur, daß Zwingli ſich im Jahr
1530 auf eine Weiſe ausgeſprochen hatte, welche eher
Widerwillen und weitere Entfernung als Annäherung ir-
gend einer Art hervorbringen mußte. Sey es, daß ihn die
ungünſtigen Berichte reizten, welche lutheriſcher Seits über
das marburger Geſpräch verbreitet wurden, oder daß die
Anweſenheit Carlſtadts, der eben damals bei Zwingli an-
gekommen und kurz darauf in der Schweiz wieder zu ei-
nem Amte gelangte, auf ihn wirkte: — genug, kaum war
ihm die augsburgiſche Confeſſion zu Händen gekommen, ſo
ſandte auch er, ohne daß er gerade eine dringende Auffor-
derung dazu gehabt hätte, eine Rechenſchaft über ſeinen
Glauben an den Kaiſer, worin er nicht allein der ka-
tholiſchen Kirche lebhafter entgegentrat, als Melanchthon
es gethan, z. B. die biſchöfliche Verfaſſung ohne weiteres
verwarf, ſondern auch von einigen frühern Zugeſtändniſſen,
namentlich in dem Artikel von der Erbſünde weiter abwich,
ja Luthern faſt ausdrücklich den Vorwurf machte, er ſehne
ſich nach den Fleiſchtöpfen Aegypti zurück, und ihm die
craſſeſte Auffaſſung beimaß. 1


Kein Wunder wenn nun auch die Lutheraner eine ver-
ſtärkte Abneigung gegen die Anhänger Zwingli’s kund gaben.


Das Bedürfniß des Friedens war aber ſo dringend,
daß in eben dieſem Augenblick an einer andern Stelle doch
[341]Vermittelungsverſ. zwiſchen d. prot. Parteien.
die Abſicht gefaßt ward, eine Vermittelung des Streites
zu verſuchen.


Die oberländiſchen Stände, namentlich Strasburg, ge-
hörten im Grunde beiden Theilen an.


Auf der einen Seite waren hier die eigenthümlichen
Verhältniſſe deutſcher Städte, beſonders der Wunſch, die
Geiſtlichen in bürgerliche Pflicht zu nehmen, die Einwirkung
der hohen Stifter auf die Beſetzungen der Pfarren zu be-
ſeitigen, ſo wirkſam geweſen, wie irgend wo ſonſt; und in
allem was man gethan, hatte man ſich auf die Abſchiede
der Reichsverſammlungen bezogen. In Folge des Abſchieds
von 1523 hatte der Rath den Predigern die Weiſung zu-
gehn laſſen, „hinfüro die heilige Schrift lauter und unver-
miſcht mit Menſchenfabeln zu predigen, unerſchrocken, denn
ein ehrſamer Rath wolle ſie dabei handhaben.“ 1 Aus dem
Abſchied des Jahrs 1526 leiteten die Strasburger ferner
das Recht her auch in den Cerimonien Aenderungen zu
treffen, namentlich die Meſſe abzuſtellen, wovon ſie ſich
durch keine Mahnungen König Ferdinands oder des Reichs-
regiments abhalten ließen. 2 Dafür gehörten ſie auch zu
den erſten, welche bei dem Kammergericht verklagt wurden.
In allen dieſen Beziehungen mußten ſie ſich nun ganz wie
andre deutſche Städte zu vertheidigen ſuchen.


Auf der andern Seite aber hatten die dogmatiſchen
Vorſtellungen Zwingli’s den größten Einfluß auf Stras-
[342]Sechstes Buch. Drittes Capitel.
burg, und gewannen daſelbſt nach und nach völlig die
Oberhand; man räumte endlich auch Bilder und Altäre
weg, übertünchte die mit Gemählden geſchmückten innern
Wände der Kirchen mit Steinfarbe; die Prediger machten
einen Beweis dekannt, daß bei den Gottgläubigen kein Bild
geduldet werden dürfe; keine Inſtrumentalmuſik ward wei-
ter zugelaſſen; die Orgel verſtummte. 1 — Auch politiſch
hatte Strasburg in ſo fern dieſelben Intereſſen mit den
Schweizern, als die öſtreichiſche Macht im Elſaß beiden
gefährlich war. Im Januar 1530 trat Strasburg in das
Bürgerrecht der Schweizerſtädte; ſie verſprachen einander
wechſelſeitige Hülfleiſtung; namentlich machte ſich Stras-
burg anheiſchig, den Schweizern Pulver zuzuführen.


Bei dieſer Doppelſeitigkeit der politiſchen und religiö-
ſen Haltung war es nun wohl ſehr natürlich, daß man
nirgends dringender eine Ausſöhnung der ſtreitenden Par-
teien wünſchte, als eben in Strasburg.


Und ſchon war auch der Mann gefunden, der es ſich
zu einer Lebensangelegenheit machte, eine ſolche doctrinell
durchzuführen.


Es war Martin Butzer, der nach dem Fall Sickin-
gens, in deſſen Dienſten er geſtanden, überall verfolgt, mit
einer ſchwangern Frau — er war einer der erſten evan-
geliſchen Prediger, die ſich verheiratheten — und in großer
Armuth in Strasburg angekommen, und hier nicht allein
Aufnahme, ſondern einen großen Schauplatz höherer Thä-
tigkeit gefunden hatte. Man ſagt von ihm, er habe ſich
in der Jugend, bei den ſcholaſtiſchen Disputationen die
[343]Vermittelungsverſ. zwiſchen d. prot. Parteien.
Methode zu eigen gemacht, das Weſentliche und Nothwen-
dige von dem Minder-Weſentlichen und Zufälligen zu un-
terſcheiden. 1 Indem er nun das einfache Weſen zwei ein-
ander entgegenſtehender Behauptungen verglich, fand er wohl
einen dritten Moment, der dieſelben wieder vereinigte. Butzer
ſteht in dem Rufe einer nicht immer ganz zu rechtfertigen-
den Beugſamkeit. Die Meiſten urtheilen, er habe den For-
derungen der Umſtände zuweilen mehr als billig nachgege-
ben. Unläugbar iſt, daß ſeine Vermittelungsverſuche zu-
gleich auf einem ächten Bedürfniß des Friedens und in-
nerlichem Nachdenken beruhen: in ihm ſelber haben ſie alle
mögliche Wahrhaftigkeit. Für feinere Auffaſſung fremder
Ideen und Weiterbildung derſelben, man möchte ſagen, für
ſecundäre Production, beſaß er ein unzweifelhaftes Talent.


Anfangs hatte Butzer in den Ausdrücken Luthers vom
Abendmahl, wie er ſelbſt einmal ſagt, nichts als eine neue
Verbrotung Chriſti geſehn; allein bei einem tiefern Studium,
namentlich des großen Bekenntniſſes vom Abendmahl war
ihm klar geworden, daß ſich das nicht ſo verhalte; ſchon
in einer Schrift vom Jahr 1528 macht er darauf aufmerk-
ſam, wie Luthers Sinn im Grunde weit ein anderer ſey,
als man meine. 2 In dieſer Anſicht beſtärkte ihn das
Geſpräch von Marburg.


[344]Sechstes Buch. Drittes Capitel.

Eben ſo wenig aber wollte auch er nun die Meinung
zugeben, die man lutheriſcher Seits hegte, daß von den
Oberländern nichts als Brod und Wein im Abendmahl
angenommen werde. Auf dem Reichstag von Augsburg
ſahen ſich die vier Städte, wie wir wiſſen, genöthigt, da
man ihre Mitunterzeichnung der ſächſiſchen Confeſſion ab-
ſchlug, ein eignes Bekenntniß einzugeben. Butzer, der an
der Abfaſſung deſſelben den vornehmſten Antheil hatte,
wählte ſolche Ausdrücke, welche jenen Vorwurf ferner un-
möglich machten. In dem 18ten Artikel der „Bekenntniß
der vier Frei- und Reichsſtädte, Strasburg, Conſtanz,
Memmingen und Lindau,“ oder der ſogenannten Tetrapo-
litana, heißt es: „der Herr gebe in dem Sacrament ſeinen
wahren Leib und ſein wahres Blut wahrlich zu eſſen und
zu trinken zur Speiſe der Seelen, zum ewigen Leben.“ 2
Man ſieht, das Wort „wahr“ iſt recht mit Abſicht wie-
derholt, ohne daß man doch darum die geiſtige Bedeutung
des Genuſſes fallen ließe.


Denn eben darauf beruhte die Vermittelungsidee Bu-
tzers, daß auch Luther den Leib nicht räumlich in das Brot
einſchließen wolle, ſondern nur eine ſacramentale Einheit
des Leibes und Blutes Chriſti mit dem Brot und Wein
annehme; und daß hinwieder der geiſtige Genuß die wahr-
hafte Anweſenheit des Leibes Chriſti nicht aufhebe. In ſo
fern als Luther dem Leibe Chriſti eine geiſtigere Weſenheit
1
[345]Vermittelungsverſ. zwiſchen d. prot. Parteien.
zuſchrieb, trat ihm Butzer bei. Er gab zu, der Leib könne
allerdings eine andere, als eine locale Gegenwart haben:
Brot und Wein hören darum nicht auf Zeichen deſſelben zu
ſeyn, aber des anweſenden, nicht des abweſenden; leibliche
Gegenwart das heiße: wahrhafte Gegenwart. 1


Es fragte ſich nun, ob Butzer dieſe Erläuterungen
nach beiden Seiten hin annehmbar machen würde.


In Augsburg legte er ſie zuerſt Melanchthon vor,
dann eilte er zu Luther nach Coburg, dem er die Stellen
ſeiner Schriften, die von dem ſacramentalen, geiſtigen Ge-
nuß am deutlichſten lauteten, vorhielt; er berichtet, daß er
von Beiden Verſicherungen erhalten habe, welche alles Beſte
hoffen ließen.


Leicht machte es jedoch Luther dem Vermittler nicht.
Um nicht getäuſcht zu werden ſtellte er zwei Fragen auf,
die weiter keinem Zweifel Raum ließen: die eine, ob der
Leib wahrhaft bei den Zeichen ſey, die andre, ob er auch
von den Gottloſen empfangen werde. Es iſt merkwürdig,
daß die letzte und ſchwerere dieſer Fragen ſchon im 12ten
Jahrhundert erhoben worden; ſchon Otto von Freiſingen
gedenkt ihrer, doch hält er für beſſer, ſie zu vermeiden, als
ihre Bejahung zu gebieten. 2 Luther meinte, dieſe Bejahung
könne ſo ſchwer nicht ſeyn, da man doch zugeben müſſe, daß
Gottes Wort von den Gottloſen gehört werde, daß Gottes
Sonne auch über die Blinden ſcheine. Und in der That er-
[346]Sechstes Buch. Drittes Capitel.
klärte ſich Butzer in beiderlei Hinſicht genügend. Er bekannte,
Chriſtus ſey im Sacrament auch dem Brot und dem Mund
wahrhaft zugegen; da alle Verheißung Chriſti wahr ſeyn
müſſe, ſo zweifle er nicht, daß Gottloſe, gleich wie Gläubige,
den Leib und das Blut Chriſti genießen. Für ſeine Perſon
bekannte er beides. Wegen ſeiner „Mitdiener am Wort“
aber bemerkte er, daß ſie zwar von dem erſten Punkte über-
zeugt, dagegen in Hinſicht des zweiten nicht von allem Zwei-
fel frei ſeyen. 1 Luther hatte ſchon früher nachgegeben, auf
die letzte Frage zunächſt noch nicht dringen zu wollen, wenn
man ſich nur in Hinſicht der erſten mit einander einver-
ſtehe. So wiederholte er auch jetzt: durch das Bekenntniß
daß das Sacrament bei dem Zeichen ſey, werde demſelben
ſeine gebührende Eigenſchaft gegeben; die Frage, was die
Gottloſen empfangen, wolle man für dieß Mal vertagen.


Wir beſchäftigen uns mit einer Epoche, in welcher
politiſche und kirchliche, ja dogmatiſche Entwickelungen auf
das engſte mit einander verwebt ſind.


Schon die erſte Annäherung Butzers hatte die Folge,
daß die Abgeordneten der oberländiſchen Städte bei der Zuſam-
menkunft in Schmalkalden Dezbr. 1530 zu den Berathun-
gen zugezogen wurden. Nachdem nun aber eine Erklärung
wie die eben berührte eingegangen, blieb kein Bedenken übrig,
[347]Vermittelungsverſ. zwiſchen d. prot. Parteien.
ſie bei der zweiten Zuſammenkunft förmlich in das Bünd-
niß aufzunehmen. 1 Johann Friedrich, der hier die Stelle
ſeines Vaters verſah, ließ es ſein erſtes Geſchäft ſeyn, ſich
mit den Abgeordneten der vier Städte zu beſprechen; er
forderte ſie auf, dieſe Vergleichung nun auch öffentlich pre-
digen, in alle Welt verkündigen zu laſſen. Dieſe verſicher-
ten, da Butzer nicht allein für ſich, ſondern im Auftrag
ſeiner Herren handle, ſo ſey daran kein Zweifel. 2 Zu Stras-
burg, Lindau, Coſtnitz, Memmingen, hatten ſich nicht al-
lein Biberach, Ysni, Reutlingen, ſondern auch das mächtige
Ulm geſellt. Auch Ulm nemlich hatte gegen den Abſchied von
Speier proteſtirt, und den Abſchied von Augsburg allen
Mahnungen des Kaiſers zum Trotz nicht unterſchrieben.
Es leuchtet ein, wie ſtark daſelbſt die reformatoriſche Tendenz
bereits ſeyn mußte, um dieſe entſchiedenen Schritte hervorzu-
bringen. Aber auch die entgegengeſetzte Partei war lange Zeit
nicht ſchwach, und es fehlte nicht an unruhigen Gegenwir-
kungen. Endlich gab die Bürgerſchaft dem Rathe Voll-
macht, die Ordnung herzuſtellen. Gar bald ſehen wir dann
ein Bekenntniß in evangeliſchem Sinne erſcheinen, das ſich
in dem Artikel vom Abendmahl an die Tetrapolitana an-
ſchließt. In Schmalkalden unterſchrieben dieſe Städte nun
ſämmtlich das Bündniß zur Gegenwehr.


[348]Sechstes Buch. Drittes Capitel.

Nach der ſächſiſchen Seite hin war demnach die Be-
mühung Butzers gelungen; und er ging nun daran, ſeine
Anſicht auch in der Schweiz geltend zu machen.


Ohne Mühe gewann er von den beiden vornehmſten
Reformatoren in der Schweiz wenigſtens den Einen. Der
friedfertige Oekolampadius urtheilte, 1 Butzer befleißige ſich
eben ſo ſehr der Wahrheit, wie der Liebe; er empfahl deſ-
ſen Auffaſſung ſeinem zürcheriſchen Collegen Zwingli.


Unmöglich aber konnte auch Zwingli ſo geneigt ſeyn.


Einmal hatte er Luthern allzuhäufig und allzubeſtimmt
jene grobe Vorſtellung Schuld gegeben, als daß er davon
ſo leicht hätte zurückgebracht werden können. Sodann
war auch nicht zu läugnen, daß ſich Butzer bei allem Feſt-
halten des Begriffes vom geiſtlichen Genuß doch der luthe-
riſchen Vorſtellung vom Myſterium auf eine Weiſe näherte,
die Zwingli nicht billigen konnte. Er war ſich zu gut be-
wußt, daß ſeine Anſicht von ganz anderem Urſprung aus-
gegangen. Er verwarf die Formel Butzers nicht geradezu,
aber ſehr anſtößig war ihm die dreimalige Wiederholung
des Wortes wahr; er meinte, man werde darunter nichts
anders verſtehn, als natürlich. Er hatte nichts dagegen, daß
Butzer einen Brief, den er über die Identität beider Leh-
ren verfaßt und den Schweizern mitgetheilt, ausgehn laſſe,
aber er behielt ſich vor darüber eine Erläuterung zu geben,
die ſeinen eigenthümlichen Sinn ausſpreche. Wenn er ſich
zu der Formel bequemte, der Leib Chriſti ſey im Nacht-
mahl gegenwärtig, ſo geſchah das doch immer mit dem
[349]Vermittelungsverſ. zwiſchen d. prot. Parteien.
Beiſatz „nur der gläubigen Seele;“ die Anmuthung, zu be-
kennen, Chriſti Leib werde dem Munde dargereicht, wies
er weit von ſich. 1 In ihm, dem Urheber, erhob ſich die
ganze Energie ſeiner urſprünglichen Idee, und er war um
keinen Schritt weiter zu bringen.


Das hinderte jedoch nicht, daß Baſel, von Oekolam-
padius geleitet, ſich nicht jener Vermittelung zugeneigt hätte.
Schon ſprach man in der Schweiz von einer eigenthüm-
lichen Lehre Oekolampads, die doch auch ziemlich zahlreiche
Anhänger habe. 2


Ueberhaupt war von einem engern Bündniß zwiſchen
beiden reformirten Parteien unaufhörlich auf das ernſt-
lichſte die Rede. — In gewiſſem Sinne beſtand es ſchon
dadurch, daß Strasburg und ſeit dem Juli 1530 auch
Landgraf Philipp in das ſchweizeriſche Bürgerrecht getre-
ten und zugleich Mitglieder des ſchmalkaldiſchen Bundes
waren. Beſonders auffallend finde ich Folgendes. In
dem Geſchichtsbuch Bullingers wird ein Bundesbrief mit-
getheilt, welchen Zürich im Februar 1531 bei einer Zu-
ſammenkunft mit Bern und Baſel vorlegte, mit der Be-
merkung, daß er von einigen Deutſchen ſchon angenommen
worden. Indem ich denſelben näher betrachte, finde ich,
daß er von Wort zu Wort, von Anfang bis Ende nichts
anderes iſt, als die Formel des ſchmalkaldiſchen Bünd-
[350]Sechstes Buch. Drittes Capitel.
niſſes. Wie merkwürdig, daß Zürich ſeinen nächſten Ver-
bündeten den Eintritt in das ſchmalkaldiſche Bündniß, wie
es wenigſtens ſcheint, ſo ernſtlich vorgeſchlagen hat.


Es giebt wohl keinen Zeitpunkt, in welchem die Eid-
genoſſenſchaft wie einer innern Umgeſtaltung in Folge der
fortſchreitenden Kirchenreform, ſo auch ihrer Wiederverei-
nigung mit Deutſchland ſo nahe geweſen wäre wie damals.
Die beiden Factionen, in welche ſie zerfiel, waren von den
entſprechenden Elementem des deutſchen Mutterlandes ge-
waltig angezogen. Zwingli meinte, man müſſe die Sache
in der Schweiz zu Ende bringen, ehe der Kaiſer in Deutſch-
land freie Hand bekomme. Ferdinand fürchtete eine allge-
meine Vereinigung der Evangeliſchen. In dem ungewöhn-
lich lebhaften Widerſtand, den er überall fand, glaubte er
ſchon die Wirkungen des Selbſtvertrauens wahrzunehmen,
das ein ſolcher Bund ihnen einflöße. 1


Allein die religiöſe Differenz verhinderte die Vereini-
gung auch dieß Mal.


Auf der Verſammlung zu Frankfurt a. M. im Juni
1531 kam die Sache noch einmal zur Sprache.


Bern und Zürich hatten aufs neue erklärt, die Butze-
riſche Formel nicht annehmen zu wollen; nicht weil ſie ihnen
unchriſtlich erſcheine, ſondern weil ſie zu dunkel ſey und
leicht zu gefährlichen Mißverſtändniſſen Anlaß geben könne. 2


[351]Vermittelungsverſ. zwiſchen d. prot. Parteien.

Dagegen hatte der Churfürſt von Sachſen ſeine Ge-
ſandten inſtruirt, wenn die Eidgenoſſenſchaft nicht ein dem
augsburgiſchen gleichförmiges Bekenntniß ablege, über eine
Verbindung mit derſelben nicht weiter zu unterhandeln;
nicht einmal anzunehmen, darüber etwas an ihn zu bringen.


Nothwendig hatte das dann auch auf die innern Ver-
handlungen des ſchmalkaldiſchen Bundes ſelber wieder Einfluß.


In Frankfurt ward ein Entwurf zu einer Kriegsver-
faſſung vorgelegt; die Oberländer fanden ihn ſehr verſtän-
dig und angemeſſen; allein ſie weigerten ſich ihn zu unter-
zeichnen, da die Eidgenoſſen nicht aufgenommen worden.
Sie erklärten, ihre Widerwärtigen rings um ſie her ſeyen
zu ſtark; ſo entfernte Verbündete würden ihnen nicht hin-
reichende Hülfe leiſten können.


Ohne Zweifel wollten ſie erſt den Ausgang der Dinge
in der Schweiz abwarten.


Denn ſchon ließ ſich dort alles zu einer Entſcheidung
durch die Waffen an, von der dann auch Action und Re-
aetion in dem obern Deutſchland abhing.


[[352]]

Viertes Capitel.
Kataſtrophe der Reformation in der Schweiz.


Der Angriff Savoyens auf Genf ward noch 1530
zurückgeſchlagen; im Frühjahr 1531 ward auch der Caſtel-
lan von Muſſo aus Graubünden vertrieben. So wenig
die Städte in den ſchmalkaldiſchen Bund getreten, ſo we-
nig war eine wirkliche Verbindung der fünf Orte mit
Oeſtreich geſchloſſen worden. Auf ſich allein beſchränkt,
ſtanden die beiden Theile der Eidgenoſſenſchaft einander ge-
genüber; aber erbitterter als je.


Die fünf Orte klagten, und in der That nicht mit Un-
recht, daß man ihre Mehrheit nicht mehr anerkenne, ſie
ihres Rechtes entſetze. Sie weigerten ſich, in Ordnungen
zu willigen, wie ſie z. B. in St. Gallen getroffen worden.
Der erſte Hauptmann, der nach der neuen Einrichtung da-
ſelbſt antreten ſollte — er war von Lucern — verſchmähte
den Bauern zu ſchwören und ritt davon.


Dagegen waren die evangeliſchen Städte wohl noch
mit augenſcheinlicherm Rechte entrüſtet, daß man ſie in je-
nen gemeineidgenöſſiſchen Sachen nicht unterſtützt hatte;
[353]Idee einer politiſchen Reform.
ſie fanden, dadurch ſeyen die Bünde im Grunde ſchon gebro-
chen; und ſollte man die „groben unmenſchlichen“ Schmäh-
reden ſich noch länger gefallen laſſen? Die Verantwortun-
gen der fünf Orte darüber ſeyen ſelber ein Schimpf. 1


Zwingli’s Meinung wäre geweſen, der Sache ohne
längern Verzug mit Gewalt ein Ende zu machen.


In politiſcher Beziehung waltete wenigſtens ein nicht
minderer Unterſchied zwiſchen Luther und Zwingli ob, als
in der Lehre. Luthers Politik, wenn wir ja davon reden
können, hing ganz vom religiöſen Geſichtspunkte ab, und
war auf die nächſte Vertheidigung beſchränkt. Zwingli da-
gegen verfolgte von Anfang an zugleich poſitiv politiſche
Zwecke; eine Umgeſtaltung der Eidgenoſſenſchaft war der
Mittelpunkt aller ſeiner Ideen; er hatte dazu die weit-
ausſehendſten Pläne gefaßt; er iſt ohne Zweifel in beider-
lei Hinſicht der größte Reformer, den die Schweiz je ge-
habt hat.


Schon öfter war das Mißverhältniß zur Sprache ge-
kommen, welches darin lag, daß die Waldſtädte, die in
den eidgenöſſiſchen Kriegen an Mannſchaft und Geld ſo
viel weniger leiſteten, als die volkreichen Bürgerſtädte, doch
an den Vortheilen des Sieges und der Herrſchaft gleichen
Antheil nahmen. Das war eigentlich der Grund der Irrun-
gen nach den Burgunderkriegen geweſen. Schon damals muß-
ten die Wunder der Religion in Thätigkeit geſetzt werden: der
Bruder Claus mußte erſcheinen, um die Ausſöhnung zu be-
wirken, die in der Verkommniß von Stanz ausgeſprochen iſt.
Ranke d. Geſch. III. 23
[354]Sechstes Buch. Viertes Capitel.
Zwingli fand nun aber, daß das Verhältniß ſeitdem noch
unerträglicher geworden. Dadurch nemlich, daß ſich zu den
vier andern Waldcantonen auch Zug geſellt, hatte ſich eine
Majorität gebildet, die über alle Geſchäfte der Tagſatzungen
entſchied, und gegen die kein geſetzliches Mittel anzuwen-
den war. Zwingli urtheilte, daß dieſer Vortheil, der ſo
ruchlos gemißbraucht werde, auch höchſt ungerecht ſey. Die
Leitung der Eidgenoſſenſchaft gebühre vielmehr den beiden
Städten Zürich und Bern, die doch immer das Beſte ge-
than und die Stärkern geweſen; die müßten die Eidgenoſ-
ſenſchaft führen, wie zwei Zugthiere den Wagen. Man
müſſe den fünf Orten den Bund zurückgeben, und ſie bei
einer neuen Einrichtung entweder aus den gemeinſchaftlichen
Vogteien, wenigſtens dieſſeit des Gebirges, geradezu aus-
ſchließen, eine neue Theilung machen, oder auf jeden Fall
ihre Mehrheit abſtellen. 1


Wir ſehen: Zwingli wollte der Verfaſſung einen ganz
andern Schwerpunkt geben, und ihre Einheit auf das Ueber-
gewicht der factiſchen Macht begründen. In dem geſamm-
ten Gebiete würden dann die nemlichen religiös-politiſchen
Grundſätze herrſchend geworden ſeyn.


Pläne dieſer Art laſſen ſich natürlich nicht ausfüh-
ren, ohne ein energiſches Zuſammenwirken aller Kräfte in
dem günſtigen Augenblick. Es fragte ſich erſt, ob Meiſter
Ulrich Zwingli, ſo mächtig und angeſehn er auch war, dieß
in einem Grade ſeyn würde, um ſeine eigne Partei zu ei-
ner Unternehmung dieſer Art zu vereinigen.


Selbſt in Zürich aber hatte Zwingli noch mit entge-
[355]Gegenwirkung in Zuͤrich.
gengeſetzten Geſinnungen und hartnäckigen Privatintereſſen
zu kämpfen. Im großen Rathe, der doch die kirchlichen
Angelegenheiten leitete, gab es noch gegen Ende des Jah-
res 1528 Leute, welche die alten Gebräuche vorzogen.
Zwingli forderte auf dem Predigtſtuhl die Reinigung des
Rathes von den Gottloſen, denen das Wort Gottes nicht
munden wolle. In der That ſchritt man endlich dazu,
in den Zünften Einen nach dem Andern zu verhören, ob
er ſich zum Tiſch des Herr halten wolle, wie andre Chri-
ſtenmenſchen, und ſchloß diejenigen von dem Rathe aus,
die das verweigerten. 1 Doch war damit noch nicht alles
geſchehn. Unter den adlichen Geſchlechtern gab es noch
gar Manche, welche die frühern Jahrgelder nur ungern
entbehrten, und nicht alle Verhältniſſe zu den Oberhäup-
tern in den fünf Orten abgebrochen hatten. Konnte Zwingli
dieſen Zuſammenhang nicht zerreißen, ſo war er doch ent-
ſchloſſen ihn unſchädlich zu machen. Der Einfluß der Ge-
ſchlechter in Zürich beruhte darauf, daß während von je-
der der übrigen Zünfte nur immer drei Mitglieder in den
kleinen und zwölf in den großen Rath traten, die adliche
Zunft, die Conſtafel das Vorrecht beſaß, aus ihrer Mitte
ſechs in jenen, und achtzehn in dieſen treten zu laſſen. 2
Zwingli war mächtig genug, dieſe Ungleichheit abzuſchaffen;
23*
[356]Sechstes Buch. Viertes Capitel.
er ſetzte durch, daß die Conſtafel den übrigen Zünften gleich
geſtellt wurde.


Nur durch ſo ſtrenge Maaßregeln konnte in Zürich ſelbſt
die politiſch-religiöſe Einheit der öffentlichen Gewalt zu Stande
gebracht werden, deren Zwingli bedurfte. Allein waren da
nicht ſtatt der offenen, geheime Gegenwirkungen unvermeid-
lich? Gar bald ſollte er ſie zu fühlen bekommen.


Und noch bei weitem größere Schwierigkeiten ſetzte ihm
das verbündete Bern entgegen, wo die Neigung zu den
Jahrgeldern an und für ſich tiefer eingewurzelt war, eine
gewiſſe Eiferſucht gegen Zürich ſich immer wieder zeigte, die
bisherige Abſonderung der verſchiedenen Cantone, wenn nicht
eifrige doch zähe Vertheidiger fand.


Ich weiß nicht ob jener Plan, der doch ſo vortheilhaft
für die Berner lautete, ihnen auch nur vorgelegt worden iſt;
in den Verhandlungen der Tagſatzungen wenigſtens finde
ich keine Spur deſſelben.


Da beſchränkten ſich die Forderungen der Bürgerſtädte
nur immer auf folgende drei: erſtlich, daß die Läſterer ge-
ſtraft, zweitens, daß die armen Leute, die um des Glau-
bens willen von Haus und Hof verjagt worden, wieder
aufgenommen, endlich, daß auch in den jenſeitigen Gebie-
ten die Glaubenslehren der dieſſeitigen geduldet würden. 1
Forderungen, die ohne Zweifel in der Natur der Sache lagen.
Denn welche Eidgenoſſenſchaft konnte es geben, wo die Ei-
nen den Eid der Andern nicht anerkannten; welche Rechtsge-
[357]Forderungen der Buͤrgerſtaͤdte.
meinſchaft in den Vogteien, ſobald der eine Theil der Herr-
ſchaften den Glauben verfolgte, in welchem der andere ſein
Heil erblickte? Wie konnten die evangeliſchen Mitglieder des
Bundes überhaupt zuſehen, daß ihre Glaubensgenoſſen ein
paar Meilen von ihnen mit Gefängniß beſtraft wurden? Darin
lag doch im Grunde nichts, als eine Anerkennung der Chriſtlich-
keit des neuen Zuſtandes; nur dieſe nahmen ſie in Anſpruch.


In dieſen Zeiten hatte ſich aber das religiöſe Bekenntniß
viel zu enge mit der Staatsgewalt vereinigt, als daß Zuge-
ſtändniſſe auch nur ſolcher Art anders als auf dem Wege
des Zwanges hätten durchgeſetzt werden können. Die Staats-
gewalt in den fünf Orten beruhte auf der ausſchließenden
Herrſchaft des Katholicismus. Hätten die Machthaber ſich
bequemt, die entgegengeſetzten Meinungen zuzulaſſen, ſo
würde ſich unter ihren Augen ein ihnen feindſeliges Element
in der Bevölkerung gebildet haben, das von den Tendenzen
der Zeit getragen, und von außen her unterſtützt ihnen leicht
ſelbſt hätte gefährlich werden können. Sie wieſen alle jene
Anmuthungen entſchieden von der Hand.


Da trug nun Zwingli kein Bedenken, Krieg zu fordern,
unverzüglichen Angriff, ſo lange man den Vortheil in Hän-
den habe; er bewirkte, daß Zürich, wo jetzt Niemand mehr
ihm offen widerſprach, ſich in ſeinem Sinn erklärte.


In Bern jedoch war ſeine Autorität nicht ſo groß.
Zwangsmaaßregeln hielt auch Bern für nothwendig, aber
es wollte nicht zu den äußerſten Mitteln ſchreiten. Es ſetzte
durch, daß man, wie es auch in dem Landfrieden ſchon vor-
geſehen war, die fünf Orte zuerſt durch Entziehung der Zu-
fuhr zu bekämpfen beſchloß.


Wie hätte das aber Zwingli befriedigen ſollen? Er
[358]Sechstes Buch. Viertes Capitel.
ſah wohl, daß Verzögerung alles verderben werde. Schon
fühlte er aufs neue ſeine einheimiſchen Gegner ſich regen und
zuweilen klagte er auf der Kanzel über den Rückhalt, den Zü-
rich ſelbſt dem Feinde gewähre: alles Ernſtes wollte er ein-
mal abdanken. Da er, wiewohl nur mit Mühe daran ver-
hindert worden, machte er noch einmal den Verſuch, die
Berner von der Nothwendigkeit eines andern Verfahrens zu
überzeugen. In tiefem Geheimniß finden wir ihn zu Brem-
garten eine Zuſammenkunft mit einem paar Berner Abgeord-
neten halten, bei Nacht, im Hauſe des Prädicanten Bullinger;
Bremgartner Rathsherren hielten Wache. Aber viel Hoffnung
kann er auch hier nicht empfangen haben. Ehe der Tag graute,
brachte Bullinger ſeinen Meiſter durch eine Pforte beim Schü-
tzenhaus auf den Weg. Ueber Zwingli lag eine ſchmerzliche
Stimmung. Er weinte als er von Bullinger Abſchied nahm:
„Gott behüte dich Heinrich,“ ſagte er, „und bleib nur treu
am Herrn Chriſto und ſeiner Kirche.“ 1 Im Auguſt war ein
Comet erſchienen: der Abt Georg Müller von Wettingen
fragte eines Tags auf dem Kirchhof zum großen Münſter
Zwingli’n, was der wohl bedeuten möge. „Mein Georg,“
antwortete Zwingli, „mich und manchen Ehrenmann wird
es koſten; die Kirche wird Noth leiden, doch werdet ihr
darum von Chriſto nicht verlaſſen werden.“ 2


[359]Widerſtand der fuͤnf Orte.

Die Dinge gingen, wie Zwingli vorausgeſehn, und
wie ſie gehen mußten. Wenn Bern gehofft hatte, das ge-
meine Volk in den fünf Orten werde den Mangel nicht
aushalten können und ſich wider die Machthaber empören,
ſo geſchah eher das Gegentheil. Auch der gemeine Mann
wurde dort nun erbittert, weil man ihm unter dem Schein
des Chriſtenthums die Früchte entziehe, die Gott frei wach-
ſen laſſe. 1 Die Gewalthaber brauchten jedes Mittel, um
ihr Anſehen aufrecht zu erhalten. Die Züricher hatten ein
Manifeſt zu ihrer Rechtfertigung ausgehn laſſen und es
auch nach Lucern geſchickt: der Rath von Lucern behan-
delte alle Die, die es empfangen und etwa Andern mit-
getheilt, als Verräther, und ſpannte ſie an das Folterſeil.
Auch ſchon an und für ſich mußte durch das Gefühl der fort-
dauernden Beleidigung die feindſelige Stimmung von Tage
zu Tage wachſen. So ſcheiterten denn alle Unterhandlungen.
Die Fünforte blieben dabei, die Städte bei ihrem Bund zu
mahnen, ihnen den Proviant zu eröffnen oder ihnen Recht
zu geſtatten. Die Städte verweigerten auf die Rechtsforde-
rung einzugehn, da ja der Friede ausdrücklich das Abſchla-
2
[360]Sechstes Buch. Viertes Capitel.
gen des Proviants als Strafe für die fortdauernden Schmä-
hungen feſtgeſetzt hatte; eben dieſe Strafe wollten ſie nun
vollziehen. Die Vermittler, bei denen wir auch ſtraßbur-
giſche Abgeordnete finden, machten den Vorſchlag, daß man
die Züchtigung der Schmähreden ihnen überlaſſen möge.
Die Städte gingen das ein, die Länder waren nicht dazu
zu bringen.


Es war kein Mittel zu erdenken: es mußte, und zwar
nunmehr unter ganz andern Auſpicien, als Zwingli ge-
wünſcht, zum Kriege kommen.


Im September hielten die Fünforte eine Tagſatzung
zu Lucern, um darüber zu berathſchlagen. Anfangs waren
Uri, Schwytz, Unterwalden ob dem Wald gegen einen na-
hen Aufbruch: Uri ſchlug ſogar vor, die Beſchlüſſe des
nächſten Reichstags zu erwarten. Aber Unterwalden nied
dem Wald drang darauf, daß man unverzüglich den Krieg
an die Hand nehmen müſſe: und dahin ging zuletzt die all-
gemeine Meinung. „Denn man könne nicht Hungers ver-
derben, man müſſe ſich Leibesnahrung holen, man werde
Leib und Leben daran binden.“ 1


Die Freunde der fünf Orte ſahen ihr Vorhaben nicht
ohne einige Furcht an. König Ferdinand beſorgte, ſie wür-
den unterliegen und alsdann erſt die allgemeine Verwirrung
überhand nehmen.


Und gewiß waren ſie die bei weitem geringere Anzahl:
aber vor allem: ſie hielten zuſammen; die Oberhäupter waren
durch gemeinſchaftliches Intereſſe und gemeinſchaftliche Ge-
fahr auf das engſte verbunden, ihre Gewalt durch die allge-
[361]Ausbruch des Krieges. Octob. 1531.
meine Entrüſtung noch verſtärkt. Dann hatten ſie den Vor-
theil, während in den Städten nichts geſchah, von der
Burg ihrer Alpen her den Angriff plötzlich auf die verwund-
barſte Stelle ausführen zu können. Einige Tage hindurch
hörte man nichts von ihnen; die Päſſe wurden auf das
ſtrengſte bewacht, kein Verdächtiger ward ein- oder auch
nur ausgelaſſen. Es gab auch im hohen Land Freunde
der Züricher, die ihnen Nachricht zu geben verſprochen,
wenn etwas gegen ſie im Werke ſey; durch die ſtrenge Auf-
ſicht ward ihnen das unmöglich. Und nur wenige Tage
reichten ſchon hin, um dort alles zum Aufbruch fertig zu
machen. Plötzlich, am 9. October überſchritt von Lucern
her ein Fähnlein die Grenzen und fiel plündernd in die
freien Aemter ein; am 10 ſah man auf dem Zuger See
Schiffe mit Kriegsleuten daher fahren; der Klang der Hör-
ner kündigte ihre Ankunft in Zug an; an den Grenzen ward
das Luyen des Uriſtiers vernommen. Gleich auf der oben-
berührten Tagleiſtung zu Lucern war beſchloſſen worden,
die Hauptmacht in Zug zu vereinigen; die Kriegsräthe hat-
ten nur den Tag zu beſtimmen und die Dinge dann in
Gang zu bringen. 1


Wären die Städte auf dieſen Anfall vorbereitet gewe-
ſen, ſo würden ſie ihn leicht abgewehrt haben: Zürich dnrfte
nur den Paß über den Albis beſetzen, ſo behielt es Zeit
ſich auf das beſte zu rüſten. Allein man war bisher noch
immer mit den einmal ergriffenen Zwangsmaaßregeln be-
[362]Sechstes Buch. Viertes Capitel.
ſchäftigt geweſen: man hatte ſo eben auf die Mittel gedacht,
die Zufuhr auch aus dem Elſaß her, zu beiden Seiten der
Reuß zu verhindern. Indem man noch zu zwingen gedachte,
ſah man ſich plötzlich ſelber angegriffen. Daß der Angriff
auf verſchiedene Seiten geſchah, brachte eine um ſo größere
Verwirrung hervor, da man nicht wußte, wohin er haupt-
ſächlich gerichtet ſey.


Am 11. October 1531 des Morgens ſchwuren die
Mannſchaften der fünf Orte auf der Zuger Allmende ihre
Ordinanz, und ſetzten ſich, 8000 Mann ſtark, unter ihren
fünf Bannern in Bewegung, um in das Gebiet ihrer vor-
nehmſten Feinde der Züricher vorzudringen.


Vor ihnen bei Cappel hatten ſich bei dem Zürcher
Fähnlein nur ungefähr 1200 Mann geſammelt.


Zwar hatte man an demſelben Morgen in der Stadt
Zürich ſelbſt das große Banner ausgeſteckt und die dazu ge-
hörigen Mannſchaften fingen an ſich zu ſammeln: allein
alles geſchah mit Unordnung und Uebereilung. Noch in
der nemlichen Stunde zog ein Theil der Truppen nach den
freien Aemtern. Jetzt, an dem entſcheidendem Tage zeigte
ſich, daß nicht Alle gleichgeſinnt waren. Eine geheime Ge-
genwirkung hatte jede raſche Maaßregel gelähmt. 1 Da
Botſchaft auf Botſchaft einlief, daß die geſammte Macht
des Feindes das Fähnlein bei Cappel bedrohe, und es ver-
nichten werde, wenn man ihm nicht zu Hülfe komme, ſo
mußte die Mannſchaft bei dem Banner, ſo ſchwach ſie auch
noch war, — man behauptet, ſie habe kaum 700 M. ge-
zählt, — ſich doch entſchließen auf der Stelle ins Feld zu rücken.


[363]Schlacht bei Cappel.

Die einzige Rettung wäre geweſen, Cappel aufzuge-
ben, das Fähnlein zurückzuziehen.


Auch geſchah wohl bei dem Fähnlein der Vorſchlag,
vor der Uebermacht auszuweichen. Es hätte aber den
tapfern Leuten eine Feigheit geſchienen, ſelbſt in dieſem
offenbaren Nachtheil einen Schritt rückwärts zu thun.
Rüdy Gallmann ſtampfte bei dem Vorſchlag mit dem Fuß
auf den Boden. „Gott laſſe mich den Tag nicht erleben,“
rief er aus, „wo ich den Leuten einen Schritt breit weiche
Da muß mein Kirchhof ſeyn.“


Schon näherte ſich der überlegene Feind, und das
Schießen fing an, als der Banner auf dem Albis ankam.
Wie geſagt, noch war er ſehr ſchwach. Der Schützenhaupt-
mann Wilhelm Töning ſah um ſich her und meinte, man
würde am beſten thun eine Weile zu halten, und ſich erſt
mit dem zuſammenlaufenden Volke zu verſtärken, ehe man
weiter rücke. Aber Meiſter Ulrich Zwingli, der auch jetzt
wieder mit dem Banner ausgezogen, dieß Mal jedoch als
Prediger, von ſeines Amts wegen, das man ihm nicht wie-
der abgenommen, entgegnete: es würde ſich ſchlecht ſchicken,
dem Schießen der biderben Leute von der Höhe unthätig
zuzuſehn. „Ich will im Namen Gottes zu ihnen hin, mit
ihnen ſterben oder ſie retten helfen.“ — „Warte Töning
bis du wieder friſch biſt,“ ſagte der Bannerherr. „Ich bin
ſo friſch wie ihr,“ antwortete Töning, „und will mich bei
Euch finden laſſen.“


Das Fähnlein hatte eine von Wald umkränzte Anhöhe
beſetzt, der Schürenberg genannt; 1 da ſtieß nun der Ban-
[364]Sechstes Buch. Viertes Capitel.
ner zu ihm. Wohl war es die Macht von Zürich, die hier
den fünf Orten gegenüberſtand, aber Unbedachtſamkeit frü-
her, Uneinigkeit und Ungeſtüm zuletzt hatten bewirkt, daß
ſie kaum etwa 2000 Mann betrug, während die Stadt
leicht über 10,000 ins Feld ſtellen konnte.


Auf dieſe kleine Schaar nun rückte jetzt der vierfach
größere, wenigſtens nicht minder kriegsfertige, und bei wei-
tem beſſer geführte Haufe der fünf Orte heran. Was iſt
da viel von der Schlacht zu berichten? Sie war durch
die Umſtände entſchieden, ehe ſie begann. Die Züricher
hatten das Wäldchen am Fuß des Hügels unbeſetzt gelaſ-
ſen; durch dieſes drangen die Feinde, wenig bemerkt, hervor,
und machten von zwei Seiten im vollen Gefühl der Ueber-
legenheit ihren Angriff. Die Tapferkeit der Züricher konnte
ſie nicht retten; gleich im erſten Moment ſahen ſie ſich ge-
worfen, übermannt; ein wildes Gemetzel begann. Von
den 2000 Zürchern ſind 500 umgekommen; was aber das
ſchmerzhafteſte, darunter waren eben die namhafteſten Män-
ner, die eifrigſten Evangeliſchen; denn eben dieſe hatten ſich
zuerſt unter die Waffen geſtellt. Da fand denn Rüdy Gall-
mann ſeinen Kirchhof; der Bannerherr Schweizer und Wil-
helm Töning fielen (kaum konnte der Banner ſelbſt geret-
tet werden): der Zunftmeiſter Funk, der wackere Bernhard
Weiß, dem wir ſo manche gute Nachricht verdanken, der
Pfleger Geroldseck, mehrere Prädicanten, 1 in der Mitte ſei-
1
[365]Zwingli’s Tod.
ner Heerde auch Zwingli. Die Feinde durchzogen ſchon
ſiegestrunken und plündernd das Schlachtfeld, als er noch
athmend dalag, unter einem Birnbaum; „die Hände ge-
faltet, die Augen gen Himmel gerichtet.“ Wagen wir zu
viel wenn wir annehmen, daß, als er ſo verblutend da-
lag, ſeine Seele ſich noch einmal einen Gedanken vergegen-
wärtigte, den er zuletzt in trüben Ahnungen ausgeſprochen?
Die Zukunft der Eidgenoſſenſchaft, in dem Sinne, wie er
ſie beabſichtigt, mußte er wohl aufgeben, die Zukunft der
Kirche und des Evangeliums wird er unerſchütterlich feſt-
gehalten haben. So fanden ein paar gemeine Kriegsleute
den Sterbenden, ermahnten ihn, einem Prieſter zu beich-
ten, oder da das ſchon zu ſpät ſchien, wenigſtens die Jung-
frau Maria und die Heiligen in ſein Herz zu faſſen. Er
antwortete nicht mehr, er ſchüttelte nur mit dem Kopfe;
ſie wußten nicht, daß er der Zwingli war; ſie meinten ir-
gend einen namenloſen „verſtockten Ketzer“ vor ſich zu ha-
ben, und gaben ihm den Todesſtoß. Erſt den andern Tag
bemerkte man, daß man unter ſo viel andern namhaften
Männern auch Zwingli getödtet; alles kam herbei ihn zu
ſehen. Einer ſeiner Bekannten aus Zug verſichert, das
Geſicht des Todten habe den Ausdruck gehabt, wie wenn
ihn in der Predigt das Feuer des Gedankens ergriff. Was
hätte aber den Gegnern, den Jahrgeldsbeziehern erwünſch-
ter ſeyn können als dieſer Anblick? Sie beſetzten ein Un-
gericht über Zwingli, viertheilten ſeinen Leib, verbrannten
denſelben und ließen die Aſche vom Winde verwehen.


1


[366]Sechstes Buch. Viertes Capitel.

Damit waren jedoch die fünf Orte noch nicht voll-
kommen Sieger und Herren in der Eidgenoſſenſchaft. Die
Züricher entſchloſſen ſich jetzt, den Paß über den Albis zu
beſetzen, und ſammelten unter dieſem Schutz ihre Kräfte.
Gar bald hatten ſie aus Eingebornen und Bundesgenoſſen
ein Heer von 12000 M. im Feld. Indeß war auch Bern
aufgebrochen. Man berechnet die Schaar von Bern, Ba-
ſel und Biel auf eine gleiche Anzahl. Wie nun dieſe Heere
ſich zu Bremgarten vereinigten, ſahen die fünf Orte wohl,
daß ſie gegen ſo große Maſſen nichts ausrichten würden,
verließen die ausgeplünderten Gebiete und begaben ſich wie-
der nach Zug, wo ſie bei Bar am Boden lagerten.


Und nun ſchien es wohl, als könne von ſtädtiſcher
Seite ein Angriffskrieg geführt werden, wie ihn Zwingli
immer gerathen hatte. Die Städte zogen in der That ihren
Feinden nach. Allein wie ſehr waren nun die Umſtände
verändert.


Die fünf Orte waren durch den erſten Sieg trotziger
geworden, als ſie jemals geweſen; dagegen bemerkte man,
daß es unter den Städten an einem Antrieb fehlte, wie ihn
Zwingli vielleicht gegeben haben würde. Zürich vermißte
überhaupt ſeine beſten Leute; man ſagte da wohl, man
habe aus ſeinem Getreide den Roggen verloren; die Ber-
ner hatten niemals großen Kriegseifer gezeigt. So kam
es, daß man nicht mit dem nöthigen Nachdruck zu Werke
ging. Man verſäumte den Feind in dem günſtigen Mo-
ment anzufallen, als er ſeine Stellung veränderte. Als
man ſich dann entſchloß, das nunmehr ſehr feſte Lager deſ-
ſelben von zwei Seiten zugleich, vom Zuger Berg und vom
[367]Treffen am Zuger Berg.
Thal her, anzugreifen, und zu dem Ende den Berg beſetzte,
that man das doch mit ſo wenig Gewandtheit und Vorſicht,
daß der Feind, den man hatte überraſchen wollen, ſelber
Gelegenheit bekam, einen Ueberfall auf die Heeresabtheilung
am Berg auszuführen 1 und ihr einen nicht geringen Verluſt
beizubringen. Die Städte fühlten trotz ihrer Uebermacht
hierauf nicht mehr den Muth, dem tapfern und ſiegreichen
Feind ernſtlich zu Leibe zu gehn. Sie dachten nur noch
ihn durch ein Winterlager, das ſie um ihn her ziehen
wollten, allmählig zu ermüden.


Wie waren da die kühnen Plane, die Zwingli einſt
gehegt, ſo völlig geſcheitert! Wir ſehen wohl, daß das
politiſch-religiöſe Prinzip, das er repräſentirte und verthei-
digte, doch auch in Zürich nicht ſo ſtark war, wie er ge-
wünſcht hatte, noch viel weniger aber in Bern. Es ver-
mochte die nun einmal vorhandenen Elemente nicht ganz zu
beleben, zu durchdringen. In den entſcheidenden Momenten
wurden falſche Maaßregeln ergriffen, deren Grund immer
der Mangel an Eintracht und großartiger Energie war, die
allein zum Ziele hätten führen können.


Hatte man aber bei dem Beginn dieſer Bewegungen
katholiſcher Seits Unfälle gefürchtet, ſo machte [eine] ſo un-
erwartete glückliche Wendung derſelben auch die größten
Hoffnungen rege.


Mit unverhehltem Jubel gab Ferdinand ſeinem Bru-
der von dem Tode des großen Ketzers Zwingli und der
[368]Sechstes Buch. Viertes Capitel.
Schlacht bei Cappel Nachricht. „Es ſey das Erſte, was
wieder einmal zu Gunſten des Glaubens und der Kirche
geſchehn.“


Als auch aber hierauf die Nachricht von dem zweiten
glücklichen Treffen einlief, fing er an Pläne zu entwerfen.
Er erinnerte ſeinen Bruder, wie gnädig ſich Gott den Ver-
theidigern ſeiner Sache beweiſe. Wäre der Kaiſer nicht ſo
nahe, ſo würde er ſelbſt, ſo ſchwach und arm er auch ſey,
zur Fortſetzung ſo heiliger Unternehmungen ſchreiten. Jetzt
aber könne er wenigſtens nicht unterlaſſen ihn dazu zu er-
mahnen, ihn, das Haupt der Chriſtenheit; nie könne eine
ſchönere Gelegenheit ſich zeigen, Ruhm zu erwerben. Ohne
die Schweiz ſeyen die deutſchen Secten leicht zu bezwin-
gen. Er räth ihm, den katholiſchen Kantonen offen oder
insgeheim zu Hülfe zu kommen. Er geht ſo weit, dem
Kaiſer zu ſagen, das ſey der wahre Weg für ihn, die Glau-
bensſtreitigkeiten zu beendigen und Herr von Deutſchland
zu werden. 1


Und keineswegs unempfänglich war Carl V für Com-
binationen dieſer Art. Er antwortete, der gute Rath ſei-
nes Bruders leuchte ihm immer mehr ein, je länger er
ihn überlege; etwas zu thun verpflichte ihn die Würde die
er bekleide, die Fürſorge für die rechtgläubigen Fürſten, die
Pflicht, die Chriſtenheit und das gemeine Weſen zu verthei-
digen, und die Rückſicht auf ihr Haus Oeſtreich.


[369]Einwirkung des Kaiſers.

Den fünf Orten waren im Lager am Zuger Berg
einige italieniſche Fähnlein zugezogen; wir erfahren aus dem
Briefe, daß dieß mit Vorwiſſen des Kaiſers geſchehn war;
er meint, daß auch jede künftige Hülfe im Namen des
Papſtes geſchehen müſſe. 1


Indeſſen blieb er hiebei nicht ſtehen. Unverzüglich ließ
er den König von Frankreich auffordern, die fünf Orte zu
unterſtützen, und den ungläubigen Cantonen förmlich den
Krieg zu machen.


Bei König Franz aber, der die enge Verbindung der
fünf Orte mit Oeſtreich ſehr ungern geſehen, ein Gegen-
gewicht gegen dieſelben in den übrigen Cantonen zu erhal-
ten wünſchte, mit dieſen ſogar noch kurz vor der Kata-
ſtrophe in Unterhandlung getreten war, fand er wenig An-
klang. Der König rechnete dem Geſandten alle die Zahlun-
gen her, die er in Folge ſeiner Verpflichtungen von Cam-
brai habe machen müſſen. Habe er jetzt von ſeiner Mut-
ter etwas geerbt, ſo wolle er das zur Vertheidigung ſeines
Reiches aufbewahren. Der Kaiſer, fuhr er dann immer
bitterer und gereizter fort, habe ihm die Hände für alle
Dinge gebunden, wo etwas zu gewinnen ſeyn würde;
nur da finde er ihn gut, wo es nichts davon zu tragen
gebe als Schläge und Koſten, gegen die Türken und die
Schweizer. 2


Auch mit dem venezianiſchen Geſandten in Mailand
ward unterhandelt. Der päpſtliche Nuntius, Biſchof von
Ranke d. Geſch. III. 24
[370]Sechstes Buch. Viertes Capitel.
Veroli, bat die Republik um die Erlaubniß, zweitauſend
Spanier durch das Gebiet von Bergamo in die Schweiz
zu ſchicken. Gleich der Geſandte, Johann Baſadonna, ging
jedoch nicht darauf ein. Er wollte die Vollmacht des Nun-
tius ſehen, machte demſelben bemerklich, daß die Spanier
eingreifend in den innern Krieg der Eidgenoſſenſchaft, ſich
leicht zu Herren derſelben aufwerfen könnten, und bewirkte,
daß er ſein Geſuch ſelber wieder fallen ließ. Der Nuntius
begab ſich perſönlich in die Schweiz. Er äußerte die Hoff-
nung, die Abgefallenen durch Freunde und Geld wieder zum
alten Gehorſam gegen den römiſchen Stuhl zu vermögen. 1


Man ſieht: an dem Kaiſer und ſeinem Bruder lag es
nicht, daß ſich an den Sieg der fünf Orte nicht ſogleich ein
allgemeines Unternehmen zur Wiederherſtellung des Katho-
licismus in der Schweiz knüpfte.


Indeſſen hatten aber die Schweizer ſchon ſelbſt auf
eine Beilegung ihrer Streitigkeiten Bedacht genommen.


Das ſtädtiſche Heer war viel zu wenig in Ordnung,
um das Feld zu behaupten, als die ſchlechte Jahreszeit an
dem Gebirg eintrat. Da nun die fünf Orte wieder zum
Angriff ſchritten, mußte erſt Zürich, dann auch Bern ſich
zu dem Frieden bequemen, den dieſelben vorſchrieben.


Er war eben das Widerſpiel des letzten Landfriedens.
Jetzt mußten die Städte die Bündniſſe herausgeben, die
ſie mit Auswärtigen geſchloſſen, und in einer oder der an-
dern Form Kriegskoſten zahlen.


[371]Reſtaurat. des Katholicismus in der Schweiz.

Ihre Religion ward ihnen gelaſſen. So tief waren
ſie nicht heruntergebracht, daß man ihnen ſelbſt die hätte
antaſten dürfen; ſie hatte einige Verluſte erlitten, ihr An-
griff war mißlungen, aber beſiegt, überwältigt waren ſie nicht.


Allein dahin waren ſie doch gebracht, daß ſie in eine
gewaltige Beſchränkung ihres politiſch-religiöſen Einfluſſes
willigten. Die fünf Orte behielten ſich vor, nicht allein die
Landſchaften, welche ihnen näher zugehörten, Rapperſchwyl,
Toggenburg, Gaſter und Weſen, ſondern auch die, wo die
Städte an der Gewalt Antheil gehabt, die freien Aemter
in Aargau, Bremgarten und Mellingen, für ihren Abfall
zu züchtigen. In den übrigen gemeinen Vogteien, ſollte
es denen, welche den neuen Glauben angenommen, zwar
nicht geboten, aber doch geſtattet ſeyn, zu dem „alten wah-
ren chriſtlichen“ Glauben zurückzutreten. Ausdrücke dieſer
Art ließen ſich die Städte in der ganzen Urkunde gefallen. 1


Und ſchon hatte, als Bern dieſen Frieden annahm,
die Reſtauration des Katholicismus allenthalben begonnen.


Gleich nach der Cappeler Schlacht hatte ſich die ka-
tholiſche Minorität in Glarus geregt, die ſchon beſchloſſene
Hülfleiſtung des Cantons rückgängig gemacht, auch die dem-
ſelben Zugehörigen abgemahnt, und ihrerſeits ſo viel wie
möglich die Wendung befördert, welche die Dinge nahmen.
Gar bald mußten ihr wieder eine Anzahl von Kirchen ein-
geräumt werden, und auf die allgemeinen Geſchäfte des Can-
tons übte ſie ſeitdem bei weitem größern Einfluß aus, als die
evangeliſche Partei, die ſich durch die großen Verluſte ihrer
24*
[372]Sechstes Buch. Viertes Capitel.
Glaubensgenoſſen gelähmt fühlte. Daher fand Schwyz kei-
nen Widerſtand mehr, als es ſich Gaſter und Weſen unter-
warf, die alten Freiheiten vernichtete, Altäre, Bilder und Meſſe
wiederherſtellte. Mit Schwyz und Uri bildete Glarus jetzt
die Mehrheit unter den Schirmherrn, welche den Abt von
St. Gallen wieder zurückzuführen unternahm. Sein Klo-
ſter ward ihm zurückgegeben, die Stadt mußte ſich zu ſchwe-
ren Entſchädigungen verſtehen. Die Gotteshausleute wur-
den aufs neue als Unterthanen betrachtet und der Abt behaup-
tete, ſelbſt daran nicht gebunden zu ſeyn, was etwa im
Landfrieden zu ihren Gunſten vorkam, denn er ſey ein freier
Herr und der Schirm der Orte könne ihm für ſeine Regie-
rung kein Maaß geben: ſie ſind allmählig wieder katholiſch
geworden. Glücklicherweiſe hatte ſich Toggenburg noch in
dem letzten Moment, bei ſeinem Abzuge von den Städten,
beſſer geſichert; es ward ſeiner Religion und ſeiner Frei-
heiten nicht vollkommen entſetzt, wie viel es auch daran
verlor. Der Abt bediente ſich aller derer, die in den letz-
ten Unruhen aus dem Lande getrieben worden waren, jetzt
zur Regierung deſſelben.


Indeſſen war auch Rapperſchwyl wieder herbeigebracht
worden. Bei der Nachricht von den Vortheilen ihrer Glau-
bensgenoſſen erhoben ſich die Katholiſchen; durch einen Zu-
ſatz von Schwytz verſtärkt, bekamen ſie völlig die Ober-
hand. Die Häupter der evangeliſchen Partei mußten flie-
hen oder ſie wurden getödtet. Damals lebte dort ein ge-
ſchickter Büchſenſchmidt, Michael Wohlgemuth aus Cöln,
der den Muth hatte, ſich im Styl der alten Zeit zu ver-
theidigen; er verbollwerkte ſein Haus, legte ſeine Büchſen
[373]Reſtaurat. des Katholicismus in der Schweiz.
an die Fenſter und wehrte ſich eine Zeitlang tapfer und
glücklich, bis man endlich große Stücke auf Rädern gegen
ihn auffuhr und ihn gefangennahm. Unter gräulichen Mar-
tern ward er umgebracht. Von den Uebrigen unterwarfen
ſich Einige; Andere wurden in den Thurm gelegt, noch Andere
verjagt. 1 Schon am 19. November hielt man wieder Meſſe.


In Aargau machten die fünf Orte das volle Recht
des Siegers geltend. So wie ihre Fähnlein erſchienen, wi-
chen die Prädicanten, es ward ihnen von den Deutſchen,
beſonders aber von den Wälſchen der Tod gedroht. Brem-
garten und Mellingen mußten ſich ausdrücklich verpflichten,
die bisherigen Gebräuche herzuſtellen. Der alte Schultheiß
Mütſchli, der Bremgarten bisher regiert, lag im Sterben,
als ihm die neueingeſetzte katholiſche Behörde den Befehl
zugehn ließ, Bremgarten zu verlaſſen. Er antwortete, er
wolle ihr nicht mehr lange beſchwerlich ſeyn. Er ſtarb ſehr
bald und iſt in Oberwyl begraben worden.


In Thurgau und Rheinthal ließ der Friede den fünf
Orten nicht ſo freie Hand; ſie mußten ſich begnügen die
Klöſter herzuſtellen, die nun aber ihre alten Gerechtſame
wiedererlangten.


Dagegen bekamen die Katholiſchen zu Solothurn voll-
kommen das Uebergewicht. Bei ſiebzig evangeliſche Fami-
lien mußten die Stadt verlaſſen.


Es war die zweite Reſtauration des Katholicismus,
der wir in unſerer Geſchichte begegnen, nicht ſo blutig wie
die erſte, die in Oberdeutſchland nach dem Bauernkrieg ein-
trat, aber eben ſo durch Kriegsereigniſſe hergeführt, doch auch
gewaltſam, und bei weitem nachhaltiger. Hier an den Alpen
[374]Sechstes Buch. Viertes Capitel.
wurde gleich damals das Verhältniß der beiden Bekenntniſſe
im Ganzen ſo feſtgeſtellt, wie es dann die folgenden Jahr-
hunderte ausgehalten.


Selbſt auf die evangeliſchen Cantone wirkten die Ideen
der Reſtauration zurück. Die Conſtafel in Zürich trat wie-
der in die verlornen Rechte ein. Man war ſchon zufrie-
den, wenn nur der Katholicismus ſich nicht wieder regte.
Der große Rath mußte der [Landſchaft] Verſicherungen ge-
ben, durch die er ſich nicht wenig beſchränkte.


Der Krieg hatte nur anderthalb Monate gedauert, aber
er hatte die Zukunft der Schweiz vollkommen umgewan-
delt. In Bullingers Chronik findet ſich am Schluß eine
kurze Zuſammenſtellung deſſen, was beabſichtigt worden,
und deſſen was wirklich eingetreten war. Gewollt hatte
man die einhellige Einführung des Evangeliums, die Er-
niedrigung der Oligarchen, die Abſchaffung der Mehrheit
der fünf Orte; der Erfolg war, daß die neue Lehre in
vielen Gegenden, wo ſie ſchon herrſchte, ausgerottet, das
Papſtthum dagegen wieder hergeſtellt wurde, daß die fünf
Orte nunmehr erſt zu einem vollen Uebergewicht gelang-
ten, die Oligarchen mehr vermochten als jemals. 1 „Die
Ehrbarkeit iſt zerrüttet, ein muthwillig Regiment iſt ange-
richtet worden,“ ſagt Bullinger: — „des Herrn Rath-
ſchläge ſind wunderbar.“


[[375]]

Fuͤnftes Capitel.
Reformation in den niederdeutſchen Städten.
Vollziehung des ſchmalkaldiſchen Bündniſſes.


Der reformatoriſche Geiſt hatte zwei von einander ſehr
verſchiedene Bildungen entwickelt; die eine, von weitausſe-
hendern poſitiven Tendenzen; wie in der Lehre, ſo in ih-
rer politiſchen Haltung, zu unbedingtem Verwerfen des Her-
kömmlichen geneigt, und zum Angriff fertig; die andere auch
in der Lehre ſo viel wie möglich conſervativ, politiſch nur
mit Mühe zu entſchloſſener Vertheidigung zu bringen.


Von dieſen war nun die eine in ihrem Vorhaben ge-
ſcheitert. Ganz von ſelbſt mußte geſchehen, daß die
Kraft des ſich vollziehenden Ereigniſſes ſich hierauf an die
andre anſchloß. Der ſchmalkaldiſche Bund trat den Wi-
derſachern gegenüber um ſo nachdrücklicher auf, da die al-
ten Nebenbuhler fürs Erſte nicht mehr mit ihm wetteiferten.


Die oberländiſchen Städte hatten ſich ſchon in den
confeſſionellen Bewegungen dem religiöſen Prinzip des ſchmal-
kaldiſchen Bundes ſo viel wie möglich angenähert; — jetzt
war ihnen auch politiſch, da ihre ſchweizeriſchen Verbün-
deten genöthigt worden, das mit ihnen geſchloſſenen Bür-
[376]Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel.
gerrecht aufzulöſen, kein andrer Rückhalt übrig geblieben,
als die Macht der einverſtandenen deutſchen Stände.


Ihre eigne Gefahr war durch das Unglück der Schwei-
zer noch gewachſen. Man kannte die Theilnahme, welche
am Hofe König Ferdinands den eidgenöſſiſchen Angelegen-
heiten gewidmet worden war, man wollte von Rüſtungen
wiſſen, die im Elſaß, Breisgau und Sundgau vorgenom-
men würden.


Jetzt trugen nun die Oberländer kein Bedenken mehr,
auf die definitive Berathung der Kriegsordnung einzugehn.
Es geſchah zunächſt auf einer Verſammlung zu Nordhau-
ſen im November 1531.


Ehe wir aber die Verfaſſung, die der Bund ſich als-
dann gab, betrachten, müſſen wir uns noch die Entwicke-
lung vergegenwärtigen, welche die Sache der Reform mitt-
lerweile in den niederdeutſchen Städten genommen hatte.


Reform in den niederdeutſchen Städten.


Die erſte Stadt, die zu den Fürſten getreten, war,
wie wir wiſſen, Magdeburg. Hier, wo man auf Reichs-
unmittelbarkeit Anſpruch machte, und ſich erſt ſeit Kurzem
mit vielem Verdruß dem Anſchlag des Erzbiſchofs zuge-
wieſen ſah, wo Luther zur Schule gegangen, und ihm von
dieſer Zeit her perſönliche Freunde lebten, die nun auch zu
Aemtern und Anſehn gelangt waren, hatten ſeine Ideen ſehr
früh die ganze Bürgerſchaft ergriffen. Eines Tages ſang
ein alter Tuchmacher dort am Denkmal Otto’s des Gr.
ein lutheriſches Lied, und bot zugleich Exemplare davon
feil. Der Bürgermeiſter Rubin, der aus der Meſſe kom-
[377]Ref. in d. niederdeutſch. Staͤdten. Magdeburg.
mend da vorüberging, ließ ihn feſtnehmen. Aber ſchon be-
durfte es nichts mehr, um das ſchlummernde Feuer zu
wecken. Von den Zuhörern des Alten breitete ſich die Be-
wegung über die ganze Stadt aus. Die Bürger, welche
hier ſchon ſeit 1330 weſentlichen Antheil an den weltlichen
Angelegenheiten nahmen, waren der Meinung, daß ihnen
ein nicht geringerer auch an der Verwaltung der geiſtlichen
zukomme. Zuerſt, noch an demſelben Tage, 6. Mai 1524,
ſchritt die St. Ulrichsgemeine dazu, ſich in den Beſitz die-
ſes Rechtes zu ſetzen. Sie kam auf dem Kirchhof zuſam-
men und beſchloß, acht Männer aus ihrer Mitte zu wäh-
len, die mit ihrer Zuſtimmung in Zukunft das Kirchenre-
giment verſehen und Prediger wählen ſollten. Dieſem Bei-
ſpiele folgten alle andern Gemeinden; der Rath fand ſich
nicht berufen, es zu verhindern. Zur Seite der katholi-
ſchen Pfarrer wurden allenthalben evangeliſche Prediger
gewählt.


Unmöglich aber ließ ſich ein Zuſtand dieſer Art lange
behaupten. Die Pfarrer verwalteten die Meſſe nach altem
Ritus; die Prediger griffen nichts eifriger an als eben die
Meſſe. Es wurde keine Ruhe, bis die Pfarrer entweder
übertraten, wie M. Scultetus bei der Petrigemeinde, oder
ſchwiegen oder entfernt wurden. Die Kirchſpiele St. Jo-
hann und St. Ulrich, eröffneten eine förmliche Verhandlung
mit dem Probſt zu U. L. Fr., und da ſich dieſer weigerte,
ihnen Pfarrer nach ihrem Sinne zu bewilligen, ſo ſagten
ſie ſich feierlich von ihm los, „um ihre Zuflucht zu nehmen
zu dem einigen ewigen, mit dem göttlichen Eide beſtätigten
allerhöchſten Pfarrer, Seelſorger, Biſchof und Papſt, Jeſu
[378]Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Chriſto, bei dem als bei ihrem Hauptmann wollen ſie rit-
terlich fechten.“ 1 Am 17. Juli 1524 ward in allen Kir-
chen der Altſtadt ein Abendmahl nach Luthers Weiſe ge-
halten. Hierauf verſammelten ſich Rathsherrn und Hun-
dertmänner in ihrem Harniſch; die Bürgerſchaft nach ihren
fünf Vierteln mit Büchſen und Hallbarden; ſie ſchwuren
einander, ſich treulich beiſammen finden zu laſſen, wenn
der Stadt durch die Abſchaffung der Meſſe Noth entſtehe.
Man zweifelte nicht, der Erzbiſchof Cardinal Albrecht werde
Ernſt gegen ſie brauchen. Sie eilten einen Canal von der Elbe
nach den Stadtgräben zu ziehen, um dieſe nöthigenfalls mit
Waſſer zu füllen; die Wälle wurden erhöht, die Palliſaden
mit Böcken verſehen, die Arbeiter in den Werkſtätten mit
einer kleinen Beſoldung in Dienſt genommen. Sie waren
entſchloſſen, die in Beſitz genommene geiſtliche Autonomie
mit Leib und Leben zu vertheidigen. Die Zeit ſollte ein
ander Mal eintreten, wo ihr Entſchluß geprüft werden würde;
damals kam es nicht ſo weit. 2


Einen ſehr ähnlichen Gang nahm die Sache ein paar
Jahre ſpäter in Braunſchweig. Man las unter den Bür-
gern die Bücher Luthers, die Bibelüberſetzung; hauptſäch-
lich fühlte man ſich von ſeinen Liedern ergriffen; in allen
Häuſern ſang man ſie, die ganze Schuhſtraße erſcholl da-
[379]Ref. in d. niederdeutſch. Staͤdten. Braunſchw.
von. Nun hatte ſich auch hier eingeführt, daß die Pfar-
rer, welche die Pfründe genoſſen, das Amt der Predigt ge-
mietheten jungen Leuten überließen, die man Heuerpfaffen
nannte. Man darf ſich in der That nicht wundern, wenn
dieſe ſich größtentheils zur Neuerung hielten, an die Bür-
gerſchaft anſchloſſen. Zuweilen ſtimmte wohl einer von
ihnen ſelbſt ſtatt des Hymnus zum Lobe der Maria eins
von jenen neuen deutſchen Liedern an, in welches dann die
Gemeinde feurig einfiel.


Schon wollte dieſe keine Predigten von anderm Inhalt
mehr dulden. Scholaſtiſche Demonſtrationen wurden mit
Tumult unterbrochen; unrichtige Citate aus der Schrift aus
der Gemeinde her mit lautem Eifer berichtigt. Die Kleriſei
berief einen der angeſehenſten altgeſinnten Prediger, den man
in dieſen Gegenden kannte, der in Behandlung dieſer
Streitfragen ſchon geübt war, Dr. Sprengel; hier aber ver-
mochte derſelbe nichts auszurichten; beim Schluß ſeiner Pre-
digt rief ihm ein Bürger zu: „Pfaffe du lügſt“ und ſtimmte
das neue lutheriſche Lied an, „ach Gott vom Himmel ſieh
darein,“ was die Gemeinde freudig nachſang.


Die Pfarrer wußten am Ende kein anderes Mittel,
als daß ſie den Rath erſuchten, ſie ihrer abgefallenen Ver-
weſer wieder zu entledigen.


Aber eben darum ſchloß ſich die Gemeinde nur deſto
enger an dieſe an. Stadt und Vorſtädte vereinigten ſich,
ernannten Verordnete, an deren Spitze einer der Führer
der ganzen Bewegung, Autor Sander trat, ein Mann, der
noch jener ältern literariſchen Richtung der Neuerung an-
gehörte; ſie erſuchten nun ihrerſeits den Rath, die Pfarrer
zu entfernen.


[380]Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel.

Anfangs neigte ſich der Rath mehr zu der beſtehen-
den Ordnung der Dinge; aber am Ende riß auch ihn die
populäre Bewegung mit ſich fort. Es waren die Zeiten,
wo man in Folge des Reichsſchluſſes von 1526 allenthal-
ben reformirte, namentlich auch in dem nahen Lüneburgi-
ſchen: Herzog Heinrich von Braunſchweig-Wolfenbüttel,
der ſich ohne Zweifel widerſetzt haben würde, war gerade
auf ſeinem Kriegszuge in Italien begriffen. Unter dieſen
Umſtänden faßte der Rath 13. März 1528 den Beſchluß,
daß in Zukunft nur das lautere Gotteswort gepredigt wer-
den ſolle, und man das Abendmahl wohl auch unter bei-
derlei Geſtalt austheilen, die Taufe deutſch verwalten möge.
Von Wittenberg kam Dr. Bugenhagen herüber, um der
neuen Ordnung der Dinge eine Form auf immer in Lu-
thers Sinne zu geben. 1 Der Herzog von Lüneburg ver-
ſprach der Stadt ſeinen Schutz. 2


So ging es nun in den meiſten Städten dieſer Lan-
desart. Ueberall erſcheinen einzelne Prediger, dringen die
Lieder ein, nimmt die Gemeinde Antheil. Der Rath ſetzt
anfangs mehr oder minder Widerſtand entgegen, fügt ſich
aber am Ende. In Goßlar wurden funfzig Männer aus
[381]Ref. in d. niederdeutſch. Staͤdten. Hamburg.
den verſchiedenen Pfarren aufgeſtellt, welche die Sache durch-
ſetzten; in Göttingen kam es zu einem Aufruhr, da die
Vorſteher der Gemeinde ihr anfangs ſelbſt Widerpart hiel-
ten; in Eimbeck bequemte ſich der Rath auf Andringen der
Gemeinde eben die Prediger wieder zu berufen, welche er
auf Bitte der Chorherrn vor kurzem entfernt hatte.


Wir erinnern uns der heftigen Bewegungen, welche
1510—16 in allen Städten, auch in den niederdeutſchen
ausgebrochen waren. Jetzt entſtand die Frage, in wie fern
der religiöſe Impuls ſich mit dieſer demokratiſchen Regung
vereinigen, ob nicht alsdann eine vorzugsweiſe politiſche
Tendenz die Oberherrſchaft bekommen werde.


In dieſer Hinſicht finden wir nun einen großen Un-
terſchied unter den Städten.


Es gab ſolche, wo ſich Rath und Gemeinde noch
zur rechten Zeit vereinigten. Da wurden die Städtever-
faſſungen erſt während der Bewegungen wahrhaft ſtark.
Denn nicht allein, daß ſie ſich des Einfluſſes der fremden
Prälaten, der ihnen immer beſchwerlich geweſen, entledigten,
ſondern durch die Verwaltung der Kirchenangelegenheiten
und der Kirchengüter, die ihnen zufiel, bekamen ſie auch
ein gemeinſchaftliches Intereſſe, das ſie noch enger verei-
nigte. In Magdeburg bildeten ſich aus Mitgliedern des
bisherigen Rathes und den neugewählten Vorſtehern der
Gemeinden die Kirchencollegien aus, 1 welche der ohnehin
etwas demokratiſchen Stadtverfaſſung noch eine neue Stärke
verliehen. Ohne Zweifel am merkwürdigſten iſt in dieſer
Hinſicht Hamburg. Man folgte auch hier dem Rathe Lu-
[382]Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel.
thers, welchen Bugenhagen dann theoretiſch in Büchern 1
und praktiſch durch ſeine Einrichtungen in Braunſchweig
weiter ausgebildet, bei jedem Kirchſpiele Gotteskaſten zu
errichten, um aus dem Kirchenvermögen die Bedürfniſſe der
Pfarrer und Schulen zu beſtreiten, und Fürſorge für die
Armen zu tragen, und wählte zu Vorſtehern derſelben zwölf
angeſehene Bürger, die zum Theil ſchon früher das Amt
von Kirchengeſchwornen bekleidet, denen man aber jetzt noch
24 Mitglieder jedes Kirchſpiels an die Seite ſetzte. Aehn-
lich war man auch in den meiſten andern Städten ver-
fahren: Hamburg unterſcheidet es, daß die Einrichtung zu
einer neuen politiſchen Organiſation diente. Die Kirch-
ſpielsvorſteher bildeten das Collegium der Acht und vierzig
und mit ihren Beigegebenen vereinigt das der Hundert
vier und vierzig, zwei Collegien, die als eine wahre Re-
präſentation der erbgeſeſſenen Bürgerſchaft angeſehen wer-
den konnten. Ueberdieß richtete man noch einen fünften
Hauptkaſten ein, bei welchem die Verwaltung des geſamm-
ten Kirchenvermögens ſich vereinigen ſollte, 2 und ernannte
hiezu die drei Oberalten der verſchiedenen Kirchſpielvorſte-
her. Dieß geſchah mit Vollwort eines ehrbaren Rathes,
am Michaelistag 1528. Es leuchtet ein, welche Bedeutung
[383]Ref. in d. niederdeutſch. Staͤdten. Bremen
dieſes Collegium für die Ewickelung der Stadt bekommen
konnte, und man weiß, daß es dieſelbe wirklich gehabt hat.
Nach dreihundert Jahren hat man noch den Tag der erſten
Einrichtung derſelben mit ſtädtiſchen Feſtlichkeiten begangen. 1


Auch in Roſtock ſchloſſen ſich Rath und Bürgerſchaft
im Gegenſatz gegen die meklenburgiſchen Fürſten, welche
ſich im Jahr 1531 einen Augenblick der katholiſchen Geiſt-
lichkeit annahmen, nur um ſo enger an einander. 2


Aber nicht allenthalben kam es zu dieſem friedlichen
Einverſtändniß. In Bremen, wo die Kirchen ſchon 1525
in die Hände lutheriſcher Prediger gerathen, ſchon 1527
die beiden Klöſter der Stadt, das eine in eine Schule, das
andre in ein Spital verwandelt worden waren, hatte ſich
in der Bürgerſchaft, während der unaufhörlichen Streitig-
keiten, in die ſie mit der Geiſtlichkeit am Dome verwickelt
war, ein ſo heftiger Widerwille gegen dieſelbe gebildet, daß
ihr noch nicht genügte, ſie ihres geiſtlichen Einfluſſes auf
die Stadt beraubt zu haben. Sie erhob vielmehr Anſpruch
auf eine ganze Anzahl von Wieſen, Gärten und Kämpe,
welche der Dom der Stadt unrechtmäßig entriſſen habe;
und da der Rath ihr hierin nicht beipflichtete, ſo wählte
ſie ſich einen demokratiſchen Vorſtand von hundert und
vier Männern, der nun nicht allein dieſe Sache durch-
zufechten, ſondern die geſammte Verfaſſung zu ändern
[384]Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel.
ſuchte, ihre bisherigen Grundlagen, Tafel und Buch um-
ſtürzte, überhaupt auf das gewaltſamſte verfuhr und end-
lich nur durch die entſchloſſene Entwickelung einer bewaff-
neten Macht beſeitigt werden konnte. 1


Und noch viel weitausſehender waren die Bewegungen
in Lübek.


Hier hatten ſich die vornehmen Geſchlechter auf das
engſte mit der Geiſtlichkeit vereinigt; Capitel, Rath, Jun-
ker und große Kaufleute bildeten nur Eine Partei. 2 Da-
gegen regte ſich das religiöſe Begehren hier eben ſo gut
wie anderwärts in der Bürgerſchaft; es ward aber mit un-
nachſichtigem Eifer zurückgedrängt; es wurden Familien ge-
ſtraft, wo nur das Geſinde einen deutſchen Pſalm geſun-
gen: Luthers Poſtille ward 1528 auf öffentlichem Markt
verbrannt.


Das Unglück der regierenden Herren war nur, daß
ſie die Finanzen der Stadt in Unordnung hatten gerathen
laſſen, und ſich genöthigt ſahen, die Bürgerſchaft zu ver-
ſammeln und ihre außerordentliche Beihülfe in Anſpruch
zu nehmen.


Wohl ging die Bürgerſchaft hierauf ein; ſie ernannte
1529 einen Ausſchuß, der nach und nach auf 64 Mit-
[385]Ref. in d. niederdeutſch. Staͤdten. Luͤbeck.
glieder anwuchs, um mit dem Rath deſſen Geldvorſchläge
zu überlegen; allein ſie ergriff zugleich dieſe Gelegenheit, um
nicht allein eine größere politiſche Macht, ſondern auch re-
ligiöſe Veränderungen in Anſpruch zu nehmen. Sie for-
derte, daß ihr Ausſchuß auch an Einnahme und Ausgabe
gebührenden Antheil habe, und daß ihr die freie Predigt
geſtattet werde. Gar bald erhob ſich hiefür die allgemeine
Stimme. Man drang auf die Wiederherſtellung der Pre-
diger, die vor einigen Jahren verwieſen worden; auch hier
unterbrach der Pſalm „ach Gott vom Himmel ſieh darein“
den fungirenden Prieſter; man ſang Spottlieder gegen Jo-
hann Rode, Kirchherrn zu unſerer Frauen, als welcher be-
haupte, Chriſtus habe nur die Altväter erlöſt, von Spä-
tergebornen müſſe das Heil ihm abverdient werden: „die
uns ſollen weiden,“ heißt es in einem dieſer Lieder, „das
ſind, die uns verleiten;“ 1 als man einſt in einer großen Ver-
ſammlung von Bürgern diejenigen bei Seite treten hieß,
welche katholiſch bleiben wollten, that das nur ein Einziger.


Von dieſen Manifeſtationen gedrängt und durch ſeine
finanziellen Bedürfniſſe aller nachhaltigen Kraft zum Wi-
derſtand beraubt, mußte der Rath Schritt für Schritt
nachgeben.


Noch im Dec. 1529 rief er die verjagten Prediger
zurück; im April 1530 entfernte er die Katholiken von
allen Kanzeln der Stadt; im Juni dieſes Jahres ſah er
ſich genöthigt, den Kirchen und Klöſtern zur Unterlaſſung
ihrer bisherigen Gebräuche anzuweiſen. Eben indem Carl
der V zu Augsburg den alten Glauben in Deutſchland
Ranke d. Geſch. III. 25
[386]Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel.
wiederherzuſtellen gedachte, ward derſelbe in einer der wich-
tigſten Städte des Nordens abgeſchafft. Wohl blieb das zu
Augsburg nicht unbemerkt. Der Kaiſer befahl durch ein
Pönalmandat den Vier und ſechzig auf das ernſtlichſte, „ih-
res Thuns abzuſtehn,“ und wies den Rath, falls das nicht
geſchehe, auf die Hülfe einiger benachbarten Fürſten an.
Es läßt ſich aber denken, welche Wirkung dieſe Drohun-
gen einer entfernten Gewalt in der gährenden Stadt haben
mußten. Die Bewegung erhob ſich mit doppeltem Ungeſtüm;
ſie wuchs ſo gewaltig an, daß der Rath ſich in der Nothwen-
digkeit ſah, die Vier und ſechszig ſelbſt um Beibehaltung
ihrer Functionen zu erſuchen, ja ihre Verſtärkung durch einen
neuen Zuſatz von 100 Bürgern gutzuheißen. 1 Dann ward
Doctor Johann Bugenhagen auch nach Lübeck berufen, um
mit einer Commiſſion aus Rath und Bürgerſchaft die neue
Kirche einzurichten. Die Klöſter wurden in Schulen und
Krankenhäuſer verwandelt; die Kloſterjungfern zu St. Jo-
hannis, die man beſtehen ließ, zum Unterricht der Jugend
verpflichtet; in allen Kirchſpielkirchen wurden Pfarrer und
Caplane angeſtellt, die ſich zur augsburgiſchen Confeſſion
hielten, und denen ein Superintendent, Hermannus Bou-
nus vorſtand.


Es liegt in der Natur der Sache, daß die Vier und
Sechzig, deren Urſprung politiſch-religiöſer Natur war, ſich
2
[387]Ref. in d. niederdeutſch. Staͤdten. Luͤbeck.
nun mit kirchlichen Conceſſionen nicht begnügten; der Rath
mußte verſprechen, ihnen Rechenſchaft zu legen, ohne ihre
Einwilligung kein Bündniß zu machen, ſie auch in militä-
riſchen Angelegenheiten Mitaufſicht führen zu laſſen, genug
ſeine weſentlichſten Befugniſſe mit ihnen zu theilen. 1 Un-
gern fügten ſich die eines ziemlich unumſchränkten Regimen-
tes gewohnten Herren. Zwar verſöhnten ſich die Bürger-
meiſter noch einmal öffentlich mit den Vorſtehern der Vier
und ſechzig und der Hundert; allein feierliche Handlungen
dieſer Art haben niemals gedient, den einmal eingewurzelten
innern Widerwillen zu beſeitigen; wenige Wochen darauf fan-
den nichtsdeſtominder die beiden worthaltenden Bürgermeiſter,
Claus Brömſe und Herrmann Plönnies, den Zuſtand der
Machtloſigkeit, in den ſie gerathen waren, das Mißrauen das
man ihnen bewies, ſo unerträglich, daß ſie die Stadt verließen.
Es war zu Oſtern 1531. Aber welch ein Sturm trat ein,
als dieſe Entfernung der Bürgermeiſter unter der Bürgerſchaft
ruchtbar wurde. Man ſetzte ein Einverſtändniß derſelben
und des geſammten Rathes mit den benachbarten Fürſten
voraus, und glaubte einen Angriff auf die Stadt erwarten
zu müſſen. Erſt wurden die Vier und ſechzig, dann die
Hundert, dann aufs neue alle Mitglieder der Gemeinde zu-
ſammenberufen, die Thore verſchloſſen, die Rathsglieder
entweder in ihren Häuſern oder auf dem Rathhaus ſelbſt
25*
[388]Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel.
feſtgehalten, bis endlich dieſer beſiegte, beſchränkte, gepei-
nigte, und ſeiner Vorſteher beraubte Rath ſich entſchloß,
das große Inſiegel der Stadt an die Vier und ſechzig zu
überliefern. Die Gemeinde ging nicht ſo weit, ihn abzu-
ſetzen, niemals hätten das die lutheriſchen Prediger gutge-
heißen. Aber indem ſie eine Satzung hervorſuchte, nach
welcher der Rath aus einer größern Anzahl von Mitglie-
dern beſtehen ſollte, als die er wirklich zählte, und ſogleich
zur Ernennung der fehlenden ſchritt, indem ſie auch an die
Stelle der zwei ausgetretenen Bürgermeiſter zwei neue er-
nannte, kam ſie doch dahin, den Rath umzuwandeln, und
der ſiegreichen Meinung einen überwiegenden Einfluß auf
die Beſchlüſſe deſſelben zu verſchaffen. Nur widerſtrebend
gaben die Prediger nach, die ihren Begriff von der hohen
Würde der Obrigkeit auch auf die Stadträthe ausdehnte,
und bei jeder Bewegung auf der Kanzel eifrig davor warn-
ten, daß man ſich an der Obrigkeit vergreife. 1


Herzog Ernſt von Lüneburg war höchlich erfreut, als er
von Augsburg nach Hauſe kam, und rings um ſich her
wahrnahm, wie wenig man ſich aus kaiſerlicher Gnade
oder Ungnade mache, wie vielmehr in allen jenen Städten
die Predigt eben jetzt beſſern Fortgang habe als jemals
vorher. 2 Der Kaiſer hatte ſo eben die Stadt Lüneburg
durch ein beſonderes Schreiben ermahnt, bei dem alten
[389]Reform. in den niederdeutſchen Staͤdten.
Glauben zu verharren; die Folge war, daß ſie den Her-
zog bat, ihr den Reformator, den er aus Augsburg mit-
gebracht, Urbanus Regius, auf eine Zeitlang zu überlaſſen,
um auch ihre Kirche einzurichten; was dieſer dann nach
und nach wirklich ausführte. 1


So gewaltig drang der proteſtantiſche Geiſt in den
niederdeutſchen Gebieten vor. Schon hatte er einen Theil
der Fürſtenthümer inne; ſchon war er in den wendiſchen
Städten zur Herrſchaft gelangt; er griff in Weſtfalen —
wir werden darauf zurückkommen — mächtig um ſich; er
machte den Verſuch, das norddeutſche Weſen ganz zu
durchdringen.


Es ließ ſich jedoch vorherſehen, daß ehe dieß gelingen
konnte, noch manche Stürme zu beſtehen waren.


Dem kirchlichen Beſtreben hatten ſich überaus ſtarke
politiſche Tendenzen beigemiſcht, und es war erſt die Frage,
in wie fern ſich dieſelben in das Geleis der herkömmlichen
Zuſtände lenken, oder umwälzende Kräfte in ſich entwickeln
würden.


Damit hingen auch Abwandlungen der religiöſen Mei-
nung zuſammen, die ſich nicht immer innerhalb der Schran-
ken des lutheriſchen Syſtems hielten, und von denen nicht ab-
zuſehen war, welche Richtung ſie noch einſchlagen konnten.


Wir werden dieſe Entwickelungen, die ſo höchſt merk-
würdig geworden ſind, weiter wahrnehmen; es kam die Zeit,
wo der mächtig aufgeregte Geiſt ſich noch einmal auf ganz
ungewohnten Bahnen verſuchte.


Zunächſt war jedoch davon noch nicht die Rede.


[390]Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel.

Zunächſt bemerkte man nur die Unterſtützung, welche
der ruhig ſich entwickelnde Proteſtantismus in einem Au-
blicke, wo er von dem Kaiſer aufs äußerſte bedroht ward,
in dieſer neuen Erweiterung fand. Vor allem ward der
ſchmalkaldiſche Bund dadurch gefördert, auf den wir jetzt
unſere Augen zurückwenden müſſen.


Vollziehung des ſchmalkaldiſchen Bundes.


Die Magdeburger waren ſchon in den frühern Ver-
ſtändniſſen begriffen geweſen. Im Jahr 1531 von ihrem
Erzbiſchof mit der Anmuthung heimgeſucht, ſich nach dem
Abſchied von Augsburg zu halten, ſahen ſie ihre einzige
Rettung in dem Churfürſten von Sachſen, den ſie anriefen,
„ſie bei dem ewigen Gotteswort zu ſchützen.“ Sie zöger-
ten keinen Augenblick dem Bunde beizutreten. 1


Unaufgefordert erſuchte Bremen den Herzog von Lü-
neburg, ihm den erſten Entwurf des Bundes zukommen zu
laſſen, und erklärte ſich ſehr bereit, die Verſammlung zu
beſchicken, die ihm aufgelegte Hülfe zu tragen. 2


Mit Lübeck dagegen mußte der Herzog die Unterhand-
lung eröffnen. Es geſchah noch in einer Zeit, wo der alte
[391]Vollziehung des ſchmalkaldiſchen Bundes.
Rath einige Macht beſaß; der hatte aber ganz andere Sym-
pathien, und trug natürlicher Weiſe Bedenken darauf ein-
zugehn. Allein die Hundert vier und ſechzig waren deſto
leichter gewonnen. Auf deren Antrieb erſchien ſchon bei
der zweiten Verſammlung zu Schmalkalden im März 1531
ein Abgeordneter der Stadt, der nur noch im Voraus zu
wiſſen wünſchte, welche Unterſtützung ſie ſich in ihren Strei-
tigkeiten mit dem vertriebenen König von Dänemark, wenn
der Kaiſer ihn zurückzuführen ſuche, von den Fürſten ver-
ſprechen könne, und an die Nothwendigkeit erinnerte, die
Stadt dagegen bei der von ihr zu leiſtenden Hülfe nicht
zu ſtark anzuſehn. Und auch dieſen Vorbehalt ließ man
fallen, als indeß jene große Veränderung in Lübeck einge-
treten war. Obgleich der Abgeordnete auf ſeine Fragen
nur ſehr ungenügende Antworten empfing, ſo nahm doch
Lübeck das Verſtändniß unmittelbar hierauf an. Dieſe drei
Städte finden wir gleich in der erſten beſiegelten Bundes-
formel aufgeführt.


In der folgenden Verſammlung, im Juni, traten Göt-
tingen und Braunſchweig bei. Braunſchweig meinte an-
fangs, durch ſeine Verbindung mit dem Herzog von Lüne-
burg dem Bunde ſchon genugſam anzugehören; allein die
Verbündeten urtheilten, daß ſie der Stadt einmal im Noth-
fall mit beſſerem Grunde würden Hülfe leiſten können, wenn
ſie ſelbſt in das Verſtändniß eintrete. Ein Abgeſandter des
Landgrafen beſeitigte dann vollends ihre Bedenklichkeiten.



[392]Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel.

Einige Zeit darauf folgten auch Goslar und Eimbeck
nach.


So mächtig breitete ſich das Verſtändniß der Für-
ſten über beide Theile von Deutſchland aus. Es umfaßte
jetzt ſieben oberländiſche und ſieben niederländiſche Städte.


Länger konnte man nicht verſchieben, dem Bunde nun
auch eine Verfaſſung zu geben. Wir wiſſen, wie ſehr die
ſchweizeriſchen Ereigniſſe dazu aufforderten, 1 wie auch die
Oberländer jetzt dazu bereit waren.


Vorläufig iſt darüber im November 1531 zu Nord-
hauſen, definitiv im December darauf zu Frankfurt am
Main berathſchlagt worden.


Die erſte Frage betraf die Bundeshauptmannſchaft.


Und da lag es nun, wie in der Natur der Sache,
ſo in dem bisherigen Herkommen, daß man nur einen ein-
zigen Bundeshauptmann, der ja auch im Krieg anführen
ſollte, zu ernennen gedachte. Sachſen wünſchte, daß einer
der beiden Welfen, entweder der Lüneburger oder der Gru-
benhagener gewählt würde. Den Landgrafen, den man für
zu raſch, für zu enge mit den Schweizern verbunden hielt,
wünſchte man lieber zu vermeiden.


Allein das war doch nicht recht ausführbar. Viel
zu mächtig und kriegeriſch geſinnt war der Landgraf, als
daß er ſich von der Hauptmannſchaft des Bundes hätte
[393]Verfaſſung des ſchmalkaldiſchen Bundes.
ausſchließen laſſen. Nach der Niederlage der Schweizer
hatte man von einer Hinneigung nach jener Seite nichts
mehr zu fürchten.


Da aber auch der Churfürſt von Sachſen neben
dem Landgrafen nicht in Schatten treten wollte, ſo verei-
nigte man ſich in Nordhauſen, zwei Hauptleute zu ernen-
nen, eben dieſe Fürſten. Jeder von beiden ſoll die Hälfte
der Hülfe aufbringen; einer um den andern ſoll die allge-
meinen Geſchäfte leiten; iſt der Krieg in Sachſen und Weſt-
falen zu führen, ſo ſoll der Churfürſt, iſt er in Heſſen und
in Oberdeutſchland, ſo ſoll der Landgraf den Oberbefehl haben.


Es wäre aber nicht daran zu denken geweſen, daß
man nun den beiden Hauptleuten volle Macht nach ihrem
Gutdünken zu verfahren gegeben hätte; mit nicht minde-
rem Ernſt ward die andere Frage erörtert, wie die Bera-
thungen gehalten, die Stimmen vertheilt werden, in welchem
Verhältniß dieſe zu den Leiſtungen ſtehen ſollten.


Der erſte Vorſchlag von der fürſtlichen Seite war,
fünf Stimmen einzurichten, zwei für Sachſen und Heſſen,
zwei für die Städte, die letzte für die übrigen Fürſten und
Grafen zuſammen. Die einfache Hülfe, zunächſt auf 2000
zu Pferd, 10000 zu Fuß berechnet, ward auf 70000 Gul-
den des Monats angeſchlagen, wovon die Fürſten 30000,
die Städte 40000 zu tragen haben würden.


Auf den erſten Blick ſieht man, was ſich gegen die-
ſen Entwurf einwenden läßt. Den Herren wäre die grö-
ßere Hälfte der Stimmen, und nur die kleinere der Leiſtungen
zugefallen. Die Städte ſäumten nicht einen Gegenentwurf
einzubringen, bei dem es auf volle Gleichheit abgeſehen
[394]Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel.
war. Jeder Theil ſollte 35000 G. übernehmen, und von
acht Stimmen vier haben.


Wie aber dann, wenn dieſe Stimmen ſich bei irgend
einer Frage nach ihrer Gleichzahl trennten? Ein Uebel-
ſtand, den man damals bei allen Deliberationen gefliſ-
ſentlich zu vermeiden ſuchte. Die Städte ſchlugen vor, in
einem ſolchen Falle ſolle dem Churprinzen von Sachſen,
der ohnehin ſonſt nichts werde zu ſagen haben, die Ent-
ſcheidung überlaſſen bleiben. Dazu aber war der Landgraf
nicht zu bringen. Er entgegnete, er wünſche ſeinem Freund
und Bruder alles Wohlergehn der Welt: Johann Friedrich
möge Römiſcher König und Kaiſer werden, in dieſer Sache
aber müſſe man nach der erſten Zuſage auf volle Gleich-
heit halten.


Und ſo kam man doch zuletzt wieder auf einen dem
erſten ſehr ähnlichen Entwurf zurück. Man errichtete neun
Stimmen, von denen vier zwiſchen Sachſen und Heſſen,
vier zwiſchen den Städten getheilt wurden, die neunte
ſollte den übrigen Fürſten und Herren gemeinſchaftlich ſeyn.
Die Städte hatten nur den Vortheil, daß die Beiträge
gleichmäßiger getheilt waren. Von ihren vier Stimmen
bekamen die oberländiſchen zwei, die niederſächſiſchen die
beiden andern, wie ſie denn auch die Beiträge zu gleichen
Theilen über ſich nahmen. Von den beiden niederſächſiſchen
Stimmen führten Magdeburg und Bremen die eine, Lübeck
und die übrigen Städte die andere.


So ordnete man, nachdem der Bund ſich nun erſt
einmal vereinigt, die gemeinſchaftlichen Angelegenheiten deſ-
ſelben. Die Verfaſſung iſt nur der Ausdruck des Ereig-
niſſes und der Verhältniſſe; des einen, in wie fern die-
[395]Verfaſſung des ſchmalkaldiſchen Bundes.
jenigen, auf deren erſter Vereinigung alles beruhte, nun
auch als die Häupter auftreten; der anderen, indem die
Macht und die Summe des Beitrags auch den geſetzlichen
Einfluß auf die Beſchlüſſe beſtimmte.


Wir brauchen nach allem was wir wahrgenommen
nicht weiter zu erörtern, daß ſich nun hier jenes zugleich
erhaltende und defenſive Prinzip der Reform, wie es der
Sinnesweiſe Luthers entſprach, zu der ſtärkſten Repräſen-
tation erhob; irre ich aber nicht, ſo läßt ſich hinzufügen,
daß dieſer Bund, der die beiden ſonſt noch immer vielfach
getrennten großen Provinzen Oberdeutſchland und Nieder-
deutſchland umfaßte, auch für die Einheit der Entwickelung
des deutſchen Geiſtes von hohem Werth war. Neben den
Reichstagen bildete ſich nun ein anderer Mittelpunkt, eine
Einheit, die nicht durch ein Gebot der höchſten Gewalt auf-
erlegt war, ſondern kraft einer innern Nothwendigkeit von
unten her emporſtieg; zugleich politiſch-militäriſcher, haupt-
ſächlich aber doch intellectueller Natur. Luther war der
große Autor, der beiden Theilen verſtändlich, bei beiden
Eingang fand, und eine gleichartige Bildung zu begründen
vorzüglich beitrug. Es war ein Verein, der nach beiden
Seiten bis an die äußerſten Grenzen reichte. Wie das
nahe Magdeburg, wie Strasburg im Elſaß, ſo ſuchten
auch Bürgermeiſter und Rathmannen von Riga, zugleich
im Namen der Evangeliſchen von Dorpat und Reval, ge-
gen die Verſuche ihres Erzbiſchofs, der ſie mit der Aus-
führung des augsburger Abſchieds bedrohte, bei dem Chur-
fürſten von Sachſen, auf dem nach Gott alle ihre Hoff-
nung ſtehe, Hülfe und Schutz. 1


[396]Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel.

Zugleich hatte der Bund eine große politiſche Bedeu-
tung. Alles was von Oeſtreich zu fürchten oder über dieß
Haus zu klagen hatte, näherte ſich den Verbündeten, der
Herzog von Geldern, Jülich, dem man ſo eben Raven-
ſtein entzogen, der König von Dänemark, der täglich ei-
nen neuen Angriff Chriſtiern des II mit öſtreichiſcher Hülfe
fürchtete; — endlich jene Wahl-Oppoſition, welche Bai-
ern leitete. Im Februar 1531 finden wir den baieri-
ſchen Rath Weichſelfelder in Torgau; 1 im Auguſt Leon-
hard Eck bei Landgraf Philipp zu Gießen; im October ward
eine Zuſammenkunft ſämmtlicher antiferdinandiſchen Stände
zu Saalfeld gehalten. Hier verſprachen ſie einander, „bei
ihren churfürſtlichen, fürſtlichen und gräflichen 2 wahren
Worten auf Ehre, Treue und Glauben in die Wahl
und beſonders in die Adminiſtration Ferdinands nicht zu
willigen, und ſich, im Fall ſie hierüber angegriffen würden,
gegenſeitig zu unterſtützen. Einige Monate darauf ward
auch die Form dieſer Hülfe näher verabredet. 3


Es iſt merkwürdig, wie dieſe Dinge in der Ferne er-
ſchienen, wie ſich unter anderm Heinrich VIII in einem
Geſpräch mit dem däniſchen Geſandten, Peter Schwaben
darüber ausdrückte. Der Kaiſer, meinte Heinrich VIII
hätte wohl zu Augsburg in den wenigen Artikeln nachge-
ben ſollen, über die man ſich nicht vereinigen konnte;
1
[397]Verfaſſung des ſchmalkaldiſchen Bundes.
Campeggi möge ihn daran gehindert haben. Der Kai-
ſer iſt einfältig, fuhr er fort, er verſteht kein Latein. Man
hätte mich und den König von Frankreich zu Schieds-
richtern nehmen ſollen; wir würden die gelehrteſten Leute
aus ganz Europa berufen und die Sache bald zur Ent-
ſcheidung gebracht haben. Dann kam er auf die Wahl
zu reden. Warum wählen die Fürſten, ſagte er, nicht
einen Andern zum König, etwa den Herzog von Baiern,
der ganz dazu paſſen würde? Sie mögen ſich nicht von
dem Kaiſer betrügen laſſen, wie dieſer den Papſt betrogen
hat. Herr, ſetzte er hinzu, gleich als ſey er ſelbſt über
dieſe Offenherzigkeit erſchrocken, es darf Niemand erfah-
ren, daß ich dieß geſagt habe, ich bin der Verbündete des
Kaiſers. — In der That, fuhr er nach kurzer Pauſe fort,
es wäre dem Kaiſer ein Schimpf, wenn er Deutſch-
land verlaſſen müßte, ohne dieſe Unruhen beigelegt zu ha-
ben. Ich ſehe, die Zeit iſt da, wo entweder der Kaiſer
ſich berühmt machen wird, oder der Chürfürſt von Sachſen.


Dahin war es gekommen, daß ein benachbarter geiſt-
reicher Fürſt die Ausſicht auf Ruhm und Weltbedeutung,
welche der Churfürſt habe, mit der des Kaiſers vergleichen
konnte.


Wir laſſen uns davon nicht irren: es entgeht uns
nicht, daß der König mit Gedanken dieſer Art ſeinem dem
Kaiſer feindſeligen Herzen ſchmeichelte.


Aber ſo viel iſt doch auch klar, daß die föderative
Stellung, welche der alte Churfürſt jetzt am Ende ſeiner
Tage eingenommen, eine hohe Bedeutung in ſich ſchloß.


Hatte die erobernde Tendenz der ſchweizeriſchen Re-
form bei dem Verſuche, die gegenüberſtehenden Feindſelig-
[398]Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel.
keiten zu brechen, unterliegen müſſen, ſo war ein ähnliches
Unglück bei der durchaus defenſiven Haltung, die der Bund
nahm, nicht zu beſorgen. Selbſt wenn der Kaiſer den ſchwei-
zeriſchen Glückswechſel benutzt und den großen Krieg begon-
nen hätte, ſo wäre es ihm ſo leicht nicht geworden, wie
Ferdinand vielleicht meinte, den Proteſtantismus zu unter-
drücken, Herr in Deutſchland zu werden.


Allein überdieß waren Umſtände eingetreten, die das
auch an ſich ganz unmöglich machten.


[[399]]

Sechstes Capitel.
Angriff der Osmanen. Erſter Religionsfriede.
1531, 32.


Das Schickſal hatte, wenn wir ſo ſagen dürfen, dem
Kaiſer eine Zeitlang freie Hand gelaſſen, um die religiöſe
Irrung auf eine oder die andere Weiſe zu beſeitigen. Er
hatte zwei Jahre lang Friede gehabt.


Ein auffallendes Schauſpiel aber bietet dieſe Zeit dar.
Diejenigen, welche mit Krieg und Verderben gedroht, ſehn
wir auseinandergehn, einen Jeden ſeine beſonderen Ge-
ſchäfte beſorgen.


Die Bedrohten dagegen halten ihre Geſichtspunkte
unerſchütterlich feſt; und es gelingt ihnen eine religiös-po-
litiſche Vereinigung von wahrhafter Energie zu gründen.
Der Nachtheil, den die Reform in der Schweiz erleidet,
muß ihrer Organiſation in Deutſchland zum Vortheil ge-
reichen.


Das iſt nun aber einmal immer ſo, und namentlich
bringt es die Natur deutſcher Verhältniſſe mit ſich, daß
die erkannte Nothwendigkeit gemeinſchaftlicher Vertheidigung
bei weitem beſſer vereinigt, als ein Plan des Angriffs.


[400]Sechstes Buch. Sechstes Capitel.

Hier kam hinzu, daß die alten Irrungen in der ka-
tholiſchen Partei noch nicht ganz beſchwichtigt waren.
Wir wiſſen, daß die Reichsſtände keineswegs vollkommen
mit dem Kaiſer übereinſtimmten; die geſandtſchaftliche Cor-
reſpondenz zeigt, daß auch nach allen andern Seiten hin
Bezeigen und in Anſpruch nehmen von Freundſchaft durch
geheime Feindſeligkeiten unterbrochen ward.


Vornehmlich ward jedes Unternehmen gegen die Pro-
teſtanten durch die Gefahr unmöglich gemacht, welche von
der öſtlichen Welt unaufhörlich drohte.


Endlich erhob ſich nun dieſer mächtigſte und gefähr-
lichſte Feind noch einmal in aller ſeiner Kraft. Sein letz-
ter Verſuch auf Wien hatte ihn eher angereizt als ab-
geſchreckt.


Wir haben zugleich mit dem Kriege auch die Rück-
wirkung, die er auf Deutſchland hat, zu betrachten. War
ſchon die Befürchtung den Proteſtanten förderlich geweſen,
ſo läßt ſich erwarten, daß ihnen der Ausbruch des Krie-
ges noch viel mehr zu Statten kommen mußte.


Aufbruch der Osmanen.


Im Jahre 1530 war die Idee Ferdinands und ſo-
gar des Kaiſers, die ungariſche Sache durch Vertrag mit
der Pforte zu beendigen. Da Johann Zapolya ſich rühmte,
daß er derſelben keinen Tribut zahle, ſo faßte man in
Wien die Hoffnung, ſie durch Erbieten einer Geldſumme
für ſich zu gewinnen. Man ſchmeichelte ſich ſogar, das
ganze Ungarn, wie es König Wladislaw beſeſſen, wieder
zu bekommen. In dieſem Sinn war der Auftrag abge-
[401]Unterhandlungen mit den Osmanen.
faßt, mit dem Ferdinand bereits im Mai 1530 eine Bot-
ſchaft nach Conſtantinopel ſchickte. 1


Von dem Kriege mit dem Woiwoden hoffte er in der
That nichts mehr. Ein neuer Verſuch auf Ofen war
fehlgeſchlagen. Die Ungarn beider Parteien zeigten ſich
der innern Fehde müde: ja ſie hatten ſogar einmal den
Plan zur Wahl eines neuen, dritten Königs zu ſchreiten,
den ſie dann ſämmtlich anerkennen würden. Ferdinand be-
quemte ſich zu einem Stillſtand mit Zapolya. Seine Hoff-
nungen waren nur auf Conſtantinopel gerichtet.


Aber wie ſehr ſah er ſich da getäuſcht!


Man wußte in Conſtantinopel ſehr gut, daß in
Deutſchland, Italien und Spanien unaufhörlich von einer
allgemeinen Unternehmung gegen die Türken die Rede war,
daß der Papſt und das Reich Geld dazu bewilligten, der
Kaiſer den Ruhm ſeines Namens durch einen ſolchen
Feldzug zu verherrlichen dachte. Allein man wußte auch,
daß die bewilligten Gelder entweder nicht eingingen, oder
doch nicht zu ihrem Zweck verwendet werden konnten,
daß die Chriſtenheit, allen Friedensſchlüſſen zum Trotz,
doch voll geheimer oder offener Entzweiungen war, und
ſpottete der Drohung, daß ſie einmal ihre Kräfte gegen
die Osmanen vereinigen werde. „Der König der Spa-
nier habe ſich das Stirnband der kaiſerlichen Krone um-
gelegt; aber was wolle das ſagen? Gehorche man ihm
darum wohl mehr? Kaiſer ſey wer ſein Reich mit dem
Schwert erweitere.“ Als die Geſandten mit jenen Anträ-
Ranke d. Geſch. III. 26
[402]Sechstes Buch. Sechstes Capitel.
gen hervortraten, verfärbte ſich der Großweſir Ibrahim
und widerrieth ihnen, ſie dem Sultan auch nur vorzulegen.
Denn gar nicht dem Januſch Kral, wie er den König-Woi-
woden nannte, gehöre Ungarn, ſondern dem Sultan, der
eben darum auch keinen Tribut ziehe, ſondern vielmehr je-
nem ſeinem Knecht und Verweſer Beihülfe gebe. Der
Sultan habe Ungarn mit dem Schwert, mit ſeinem und ſei-
ner Kriegsleute Schweiß und Blut, zweimal erobert und
es gehöre ihm von Rechtswegen. Ja auch Wien und
alles was Ferdinand in Deutſchland beſitze gehöre ihm,
nachdem er dieſe Länder in Perſon heimgeſucht und ſeine
Jagd daſelbſt gehalten habe. Carl V drohe die Tür-
ken anzugreifen; er ſolle nicht weit zu gehn brauchen,
man bereite ſich vor, ihm entgegenzukommen. 1 „Ich bin
der Sultan“ hieß es unter anderm in dem Schreiben,
das Suleiman den Geſandten mitgab „der große Kaiſer,
der höchſte und vortrefflichſte, ich habe mir die griechiſche
Krone unterworfen, das weiße und das ſchwarze Meer; —
mit Gottes Hülfe und meiner Arbeit, nach der Weiſe mei-
nes Vaters und Großvaters mit meiner Perſon und mei-
nem Schwert habe ich auch das Reich und den König von
Ungarn an mich gebracht.“ Dem öſtreichiſchen Antrag be-
gegnete er mit der viel ernſtlicher gemeinten Forderung,
daß Ferdinand alle die Feſtungen herauszugeben habe, die
er in einem Theil von Ungarn noch beſitze. 2


Suleiman lebte und webte in dem Gedanken, Conſtan-
[403]Unterhandlungen mit den Osmanen.
tinopel noch einmal zur Hauptſtadt der Welt zu machen;
er nannte Carl V nur König von Spanien; den Titel
eines Kaiſers nahm er, den der Orient den Chalifen von
Rum nannte, allein in Anſpruch und war entſchloſſen,
demſelben ſeine ganze Bedeutung zurückzugeben.


Aus einem Schreiben Ferdinands vom 17. März 1531
ſieht man, welch einen gewaltigen Eindruck die wider-
wärtige Antwort, die ſeine Geſandten ihm zurückbrach-
ten, auf ihn machte. Er ſtellt ſeinem Bruder darin
vor, wie es gegen alle Vernunft und Ehre ſtreite, ein
Reich wie Ungarn, ſo groß und edel und fruchtbar, und ſo
viele unſchuldige Seelen, alles Bilder des lebendigen Got-
tes, in die Hände des türkiſchen Tyrannen gelangen zu
laſſen. Aber man öffne demſelben überdies damit zugleich ganz
Europa. Der Sultan werde auf der einen Seite Böhmen und
Mähren, auf der andern Inneröſtreich und Iſtrien in Be-
ſitz nehmen; von Signa habe er nicht weit nach der Mark
Ancona und nach Neapel. 1


In einem folgenden Briefe beſchwört er den Kaiſer,
deshalb, weil das Anrücken der Osmanen noch zweifelhaft
ſey, nicht etwa die Vorbereitung zum Widerſtand gegen ſie
aufzuſchieben. „Denn die Gefahr iſt groß, ſagt er, die Zeit kurz,
und meine Macht geringfügig oder null und nichtig.“ 2


26*
[404]Sechstes Buch. Sechstes Capitel.

So wie man ſah, daß es mit der Abſicht des Sul-
tans Ernſt ſey, daß er wirklich daran denke, entweder ſo-
gleich, oder nach kurzem Verzug den Weg nach der deut-
ſchen Grenze einzuſchlagen, mußte dieß der Geſichtspunkt
werden, welcher die Politik der beiden Brüder beherrſchte.


Es war ein Moment, wie im Anfang des zehnten
Jahrhunderts, als die Ungarn zuerſt ihre Sitze eingenom-
men, und von da plündernd und zerſtörend in das Abend-
land eindrangen. Zwar war das Abendland unendlich vor-
geſchritten, bei weitem beſſer gerüſtet, aber auch der Feind
war ohne Vergleichung mächtiger und gefährlicher.


Ueberlegte man nun aber, wie demſelben zu begeg-
nen ſey, ſo ſtellte ſich die Entzweiung von Deutſch-
land als die vornehmſte Schwierigkeit vor Augen. Die
Hülfe des Reichs, ſagt Ferdinand in ſeinem erſten Schrei-
ben, wird nur langſam erſcheinen. Man muß für gewiß
halten, daß die Anhänger Luthers, ſelbſt wenn ſie die Noth-
wendigkeit der Hülfe einſehn und geneigt ſind, ſie zu lei-
ſten, doch damit an ſich halten, weil ſie fürchten, daß,
wenn man die Türken beſiegt hat, und der Frieden mit
Frankreich, England und Italien fortdauert, man die Waf-
fen gegen ſie richten wird; ſie denken, das Kriegsvolk werde
ſich nach einem glücklichen Schlachttag nicht mit dem ver-
goſſenen Blute begnügen, ſondern noch Andere aufſuchen,
um ſeine Luſt zu büßen.


Wir wiſſen ſchon, wie viel die Rathſchläge Ferdinands
bei Carl V vermochten. Sie entſpringen immer aus dem
Moment: ſie ſind gut begründet und haben das Gepräge
der Entſchloſſenheit und Raſchheit. Jetzt trug Ferdinand
[405]Erſte Annaͤherung an die Proteſtanten.
kein Bedenken, ſeinem Bruder ein friedliche Abkunft mit
den Proteſtanten anzurathen, ſo fern ſolche ohne Verlet-
zung der weſentlichen Punkte des katholiſchen Glaubens
möglich ſey. Man müſſe ihren Eifer austoben laſſen, der
ſich nur um ſo mehr entzünde, je mehr man Waſſer
dazu gieße. Auf einem Reichstag müſſe man ſie zu ge-
winnen ſuchen. Sie werden gerne Hülfe gegen die Tür-
ken leiſten, ſobald ſie ſich in dem geſichert ſehn, was
„ihre eitlen Glaubensmeinungen“ angeht. 1


Schon im Februar 1531 war, wie das in Deutſch-
land zu geſchehen pflegte, ſobald irgend eine Entzweiung
eine drohende Geſtalt annahm, durch Pfalz und Mainz eine
Vermittelung bei dem Kaiſer verſucht worden; da aber die
Proteſtanten als eine Vorbedingung zu allen Verhand-
lungen wenigſtens eine einſtweilige Einſtellung der kammer-
gerichtlichen Proceſſe forderten, ſo war man nicht weiter
gekommen. Der Kaiſer meinte es ſey ihm ſchwer, etwas
aufzuthun, was von den Ständen des Reichs beſchloſſen
worden. 2


Nunmehr aber drang auch Ferdinand darauf. Am
27 April ſandte er dem Kaiſer ein Gutachten der Kriegs-
räthe über die Vertheidigung gegen die Türken. Um aber
indeß die Gefahr zu heben, welche aus den Verbindungen
[406]Sechstes Buch. Sechstes Capitel.
und Practiken der Lutheraner entſpringe, rieth er ihm jenes
Zugeſtändniß nicht länger zu verzögern.


Indem nun der Kaiſer den Reichstag nach Regensburg
ausſchrieb, wies er in der That ſeinen Fiscal an, „mit den
Proceſſen, zu dem ihn der augsburgiſche Abſchied in der Re-
ligionsſache ermächtigt habe, bis auf den nächſten Reichs-
tag inne zu halten.“ 1 Wenigſtens konnte man nun un-
terhandeln, und es war Ausſicht da, die Kräfte des Reichs
im dringenden Fall noch einmal zu vereinigen.


Noch lag ſie jedoch ſehr im Weiten.


Dem Urheber der Annäherung, dem König Ferdinand,
wäre es zuweilen noch lieber geweſen, wenn er eine Abkunft mit
den Türken, auch unter ungünſtigen Bedingungen, hätte treffen
können. In den Tagen, in welchen die ſchweizeriſchen Er-
eigniſſe ſeinen Religionseifer und Ehrgeiz gegen die Neugläu-
bigen ſo lebhaft erweckt hatten, entſchloß er ſich zu den größ-
ten Conceſſionen in Bezug auf Ungarn. In einer In-
ſtruction vom 5 November 1531 wies er die Geſandt-
ſchaft, die er nach Conſtantinopel abordnete, fürs Erſte
allerdings an, jede Abtretung in Ungarn abzulehnen; —
für den Fall aber, daß der Sultan unter dieſer Bedingung
keinen Anſtand bewilligen wolle, ermächtigte er ſie doch
wirklich auch darauf einzugehn. Sie ſollten nur wenig-
ſtens die Schlöſſer retten, die der deutſchen Grenze zu-
nächſt liegen; — oder doch die Summe ſich ausbedingen,
[407]Vergebliche Erbietungen.
welche der Woiwode früher angeboten. Würde aber auch
dies nicht zu erlangen ſeyn, der Sultan Gemüth und Hals
ſtärken, und auf eine freie Ueberlaſſung aller Schlöſſer an
den Woiwoden dringen, ſo ſollten ſie Vollmacht ha-
ben, ſelbſt darin einzuwilligen; nur unter dem Vorbehalt,
daß ſo dieſe Schlöſſer, wie das ganze Königreich, nach
dem Tode des Woiwoden an Ferdinand gelangen ſollen. 1
So weit ließ ſich Ferdinand herbei. Auf eine ſo weit
ausſehende Bedingung hin, wie der Tod des Nebenbuhlers
war, wollte er alles herausgeben, was ihm in Ungarn
noch gehörte. So hoch ſchlug er den türkiſchen Frieden
an. Er wünſchte, daß auch der Papſt und ſein Bruder
in den Stillſtand aufgenommen würden; ſollte ſein Bru-
der ihn brechen, ſo ſolle das eben ſo viel ſeyn, als wenn
er ihn ſelbſt breche. Wirklich erinnerte ihn Carl V nichts
unverſucht zu laſſen, um es zu einem Vertrag mit den
Türken zu bringen.


Allein ſchon waren alle dieſe Erbietungen vergebens.
Ehe noch ein Geſandter an die osmaniſche Grenze ge-
kommen, lief die gewiſſe Nachricht von den großartigſten
Rüſtungen des Sultans zu Land und zur See ein. Am
26. April 1532 erhob ſich Suleiman in der That zu dem
entſcheidenden Feldzug wider den mächtigſten Feind, den er
[408]Sechstes Buch. Sechstes Capitel.
noch auf Erden hatte, den Kaiſer Carl, in dem ſich, ſo weit
dieß noch möglich, die Kraft des Abendlandes darſtellte.


Ein Venezianiſcher Chroniſt hat uns eine Beſchreibung
dieſes Auszugs hinterlaſſen, die noch an den Pomp der
älteſten orientaliſchen Herrſcher erinnert. 1


Hundertundzwanzig Stücke Geſchütz eröffneten ihn;
dann folgten 8000 Janitſcharen, denen man das Vergnügen
anſah, das es ihnen machte, gegen die Deutſchen geführt
zu werden; 2 hinter denen trugen Schaaren von Cameelen
ein unermeßliches Gepäck. Hierauf kamen die Sipahi der
Pforte, 2000 Pferde ſtark; ihnen war die heilige Fahne
anvertraut, der Adler des Propheten, die ſchon bei der
Eroberung von Rhodus geweht, mit Edelſteinen und Per-
len auf das reichſte geſchmückt. An dieſe ſchloſſen ſich
die jungen Knaben an, die eben als ein Tribut der unter-
worfenen chriſtlichen Bevölkerung ausgehoben worden, und
an der Pforte ihre Erziehung bekamen; in Goldſtoff ge-
kleidet, mit langen Locken wie die Frauen, rothe Hüte
mit weißen Federbüſchen auf dem Kopf, alle mit gleichen,
auf die Weiſe von Damascus künſtlich gearbeiteten Lan-
zen. Hinter denen ward die Krone des Sultans getragen,
die vor Kurzem ein Sanuto von S. Canzian zu Venedig
für 120000 Ducaten nach Conſtantinopel gebracht hatte.
Dann erblickte man das unmittelbare Hofgeſinde des Sul-
tans, tauſend Männer, die ſchönſten Leute die man hatte
finden können, von gigantiſcher Geſtalt; die Einen hat-
[409]Aufbruch der Osmanen.
ten Jagdhunde an Leitriemen, die Andern führten Fal-
ken zur Vogelbaize; alle waren mit Bogen bewaffnet. In
deren Mitte nun ritt Suleiman in goldverbrämtem carmo-
ſinen Gewand, mit ſchneeweißem edelſteinbeſetzten Turban;
Dolch und Schwert an ſeiner Seite, auf kaſtanienbraunem
Roß. Dem Sultan folgten die vier Weſire, unter denen man
Ibrahim bemerkte, der ſich oberſten Rathgeber des Sul-
tans nannte, Befehlshaber des ganzen Reichs deſſelben
und aller ſeiner Sklaven und Baronen; und dieſen dann
die übrigen Herren des Hofes mit ihren Dienern. Der An-
blick drückte Zucht und Gehorſam aus; ohne Geräuſch, in
ſtiller Ordnung bewegte der Zug ſich vorwärts.


So erhob ſich die hohe Pforte von ihrem Sitz, um
das Kaiſerthum der Welt an ſich zu bringen. Von allen
Seiten eilten die bewaffneten Schaaren des Reichs ihr
zu. Man berechnete das Heer, als es im Juni die Grenze
von Ungarn überſchritt, auf dritthalbhundertauſend Mann.


Da waren endlich auch jene Geſandten in dem Lager
eingetroffen. Aber wie hätten jetzt noch Unterhandlungen
den daherfluthenden Strom aufhalten können?


Ich finde nicht, daß ſich die Geſandten ſehr genau
an ihre Inſtruction gehalten hätten. Aber ſo weit gin-
gen ſie wirklich, daß ſie ſowohl dem Sultan als dem
Weſir eine jährliche Zahlung für denjenigen Theil von Un-
garn verſprachen, der noch in Ferdinands Händen ſey. Auf
den Weſir machten ſie damit allerdings einigen Eindruck;
der Sultan wies aber auch dies Erbieten von ſich. Denn
wer wolle ihm dafür gut ſagen, daß nicht, während er
mit Ferdinand Frieden habe, der Bruder deſſelben, der Kö-
[410]Sechstes Buch. Sechstes Capitel.
nig von Spanien, ihn angreife. Dieſen aber, der ſich ſeit
drei Jahren großer Dinge wieder rühme, wolle er aufſu-
chen. „Wenn der König von Spanien Muth hat, ſo er-
warte er mich im offenen Felde. Mit Gottes Gnade ziehe
ich wider ihn. Es wird geſchehn, was Gott gefällt!“


Die Geſandten wurden gefragt, wie lang man brauche,
um nach Regensburg zu kommen: ſie antworteten, man
reite einen Monat, wenn man den kürzeſten Weg nehme.
Die Osmanen zeigten ſich entſchloſſen, den weiten Weg zu
machen.


Eben in Regensburg nemlich waren indeſſen die Stände
des Reichs zu dem lange verſchobenen Reichstag zuſam-
mengekommen; am 17. April hatte man die Verhandlun-
gen eröffnet.


Der Kaiſer wünſchte die ihm in Augsburg bewilligte
Hülfe noch zu ſteigern. Es war ein Gutachten der Kriegs-
räthe eingegangen, nach welchem 90000 Mann, wobei
20000 M. leichte Reiterei, erforderlich waren. 1 Der Kai-
ſer wünſchte nun, von dem Reiche 60000 M. zu erhal-
ten; dann verſprach er auf eigne Koſten 30000 M. ins
Feld zu ſtellen. Es wäre aber ganz gegen das Herkom-
men des Reiches geweſen, eine frühere Bewilligung noch
zu erhöhen. Darauf war keine Geſandtſchaft angewieſen.
[411]Reichstag zu Regensburg.
Auch die ſchon bewilligte Hülfe, 40000 M. zu Fuß, 8000
M. zu Pferde war größer als jemals eine andere. Am
28. Mai erklärte ſich der Kaiſer damit zufrieden, und drang
nur darauf, daß die Mannſchaften ſo raſch und vollſtän-
dig wie möglich aufgebracht würden. Zum Sammelplatz
ward nicht, wie Anfangs der Plan geweſen, Regensburg,
ſondern dem Feinde näher, Wien beſtimmt; am 15. Aug.
ſollte alles Volk daſelbſt zuſammentreffen. Zum erſten Mal
trat hierbei die Kreisverfaſſung in einer wahren und be-
merkenswerthen Thätigkeit auf. Noch während des Reichs-
tags wurden Kreistage berufen, Hauptleute ernannt, und
mit Gehalt verſehen; die Rüſtungen allmählig in Gang
gebracht.


Worauf nun aber bei der Ausführung dieſer Be-
ſchlüſſe alles ankam, das waren die Unterhandlungen mit
den Proteſtanten.


Was ihre Weigerung zu bedeuten habe, ſah man ſo-
gleich, als der Kaiſer ſein eigenes Heer ins Feld zu bringen
Anſtalt machte. Es mangelte ihm vor allem an Geſchütz
und Pulver und er mußte ſich entſchließen, die Städte
Straßburg, Augsburg, Ulm, Nürnberg, Coſtnitz, Frankfurt
anzugehn, ihm dabei mit dem ihrigen zu Hülfe zu kommen.
Das waren ſämmtlich Proteſtanten. 1


Aber auch die katholiſchen Stände machten den Kai-
ſer aufmerkſam, daß man des innern Friedens ſicher ſeyn
müſſe, um den äußeren Krieg zu führen.


Ja man darf wohl ſagen, daß die religiöſe Entzweiung
der Deutſchen unter den Beweggründen Suleimans zu ſei-
[412]Sechstes Buch. Sechstes Capitel.
nem Unternehmen nicht der letzte war. Als die Geſandten
in dem türkiſchen Lager viel davon ſprachen, daß der Kai-
ſer ſich des Gehorſams und der Liebe ſeiner Unterthanen
erfreue, fragte man ſie, ob er Friede mit Martin Luther
gemacht habe. Die Geſandten entgegneten, es geſchehe wohl
zuweilen, daß in der Chriſtenheit eine Irrung entſtehe, doch
verhindere dieß nicht die gemeine Wohlfahrt: ſolch ein Friede
werde ſich bald ſchließen laſſen. 2


Das mußte man nun eben ſehen. Wenden auch wir
unſere Aufmerkſamkeit dieſen Unterhandlungen zu, welche für
uns, ſo wichtig und dringend auch der Moment iſt, doch
noch eine andere darüber hinausreichende Bedeutung haben.


Verhandlungen zu Nürnberg.


Als man im Sommer 1531 die Unterhandlungen er-
öffnete, dachte man ſie katholiſcher Seits da wieder aufzu-
nehmen, wo ſie in Augsburg abgebrochen worden waren.


Aber es zeigte ſich ſogleich der ganze Unterſchied der
Verhältniſſe. Die Proteſtanten baten jetzt nicht mehr, ſie
wurden gebeten. Sie erklärten, auf einen Vergleich in der
Religion zu denken, ſcheine ihnen jetzt nicht mehr rathſam;
ſie ſeyen entſchloſſen, an ihrer Proteſtation und Confeſſion
feſtzuhalten; vor einem chriſtlichen Concilium würden ſie
davon weiteren Beſcheid geben.



[413]Differenzpunkte in der prot. Unterhandl.

Auch auf alle andern Anträge hatten ſie eine entſpre-
chende Antwort bereit.


Man muthete ihnen an, die Geiſtlichen „des Ihren“
nicht weiter zu entſetzen. Sie entgegneten, ſollte den Bi-
ſchöfen ihre Jurisdiction verbleiben, — denn dieſe haupt-
ſächlich verſtand man unter dem Ihren, — ſo würden die-
ſelben ein Schwert in der Hand behalten, um damit die
Lehre jederzeit auszurotten.


Ferner erneuerte der Kaiſer die Forderung, daß in
den proteſtantiſchen Ländern die Ausübung des alten Ri-
tus, namentlich der Communion unter Einer Geſtalt ge-
ſtattet werde. Der ſächſiſche Canzler Brück erwiederte, daß
dann auch in dem ganzen Reiche beide Geſtalten erlaubt
ſeyn müßten: erſt das werde ein Frieden zu nennen
ſeyn, wenn man ſich in den beiden wichtigſten Sacramen-
ten in der ganzen Nation gleichförmig halten dürfe.


Endlich gedachte man auch der Wahl: der mainziſche
Canzler Türk äußerte die Anſicht, daß die proteſtantiſche
Partei durch ihre Oppoſition in dieſer Sache wohl nur
die Religionsangelegenheit zu fördern gedenke. Dr. Brück
verſetzte, er müſſe ihm ſagen, man habe dieſſeit der Reli-
gion halber keinerlei Furcht; ſie ſey zu tief in das Volk
gedrungen; Jedermann wiſſe Recht oder Unrecht zu unter-
ſcheiden. Die Meinung der Proteſtanten gehe ernſtlich
dahin, daß der König die Sache entweder zum rechtlichen
Austrag kommen laſſen, oder zufrieden ſeyn möge über die
zu herrſchen, welche ihn gewählt. 1


[414]Sechstes Buch. Sechstes Capitel.

Das ſind die wichtigſten Punkte dieſer Unterhandlun-
gen, welche in mehr als Einem Archiv dicke Actenſtöße
anfüllen. 1 Unaufhörlich correſpondirten der Churfürſt von
der Pfalz mit dem Landgrafen, der Churfürſt von Mainz
mit dem Churfürſten von Sachſen; dieſe beiden unterein-
ander und mit ihren Bundesgenoſſen. Zuweilen trafen
kaiſerliche Bevollmächtigte in Weimar ein; der Churfürſt
von Mainz nahm auf ſeinen Reiſen zwiſchen Halle und
Aſchaffenburg Gelegenheit, mit einem oder dem andern ein-
flußreichen ſächſiſchen Beamten zu ſprechen; dann kamen
die Canzler in Bitterfeld zuſammen, und faßten neue Vor-
ſchläge ab, die ſie nach Brüſſel überbringen ließen. Der
Kaiſer erblaßte, wenn ihm dieſe widerwärtige Sache wie-
der einmal vorgetragen werden mußte, doch entzog er ſich
ihr nicht, holte ſeines Bruders Rath ein, ermäßigte oder
beſtätigte ſeine Anträge.


So lange nun nicht alle Möglichkeit einer Abkunft
mit den Osmanen verſchwunden war, dürfen wir uns
nicht wundern, wenn die Sachen doch nicht fortſchreiten
wollten. In Schweinfurt, wo in den erſten Monaten des
Jahres 1532 die Conferenzen gehalten wurden, kam man
im Grunde keinen Schritt vorwärts; die Vermittler hiel-
ten für das Beſte die Sache der Wahl ganz und gar fal-
len zu laſſen. Auch in Nürnberg, wohin man die Ver-
handlungen verlegte um dem Kaiſer näher zu ſeyn, erneuer-
1
[415]Verhandlungen zu Nuͤrnberg.
ten die Vermittler anfangs nur die alten Vorſchläge, und
zwar noch etwas eingeſchränkt. 1


Erſt als die ſichere Kunde einlief, daß der Sultan
nicht abzuhalten ſey, daß er ſtärker als jemals vorrücke,
begann man ſich einander ernſtlich zu nähern.


Nicht als ob man daran gedacht hätte, zu einer voll-
ſtändigen Ausgleichung zu gelangen. Die Proteſtanten
wünſchten nichts als die Stellung, die ſie eingenommen,
wenigſtens vorläufig von dem Kaiſer anerkannt zu ſehn.
Sie forderten die Verkündigung eines allgemeinen Friedens
[416]Sechstes Buch. Sechstes Capitel.
und die Einhaltung der Proceſſe am Kammergericht, durch
die ſie ſich bedrängt fühlten.


Allein auch ſchon dieß zeigte ſich unendlich ſchwer zu
erreichen.


Die Vermittler hatten aufs neue den Ausdruck ge-
braucht, „Niemand ſolle den Andern des Seinen entſetzen;“
kein Wunder, wenn die Proteſtanten widerſprachen. Es
war abermals nur von dem Frieden unter den Ständen
die Rede; die Proteſtanten forderten, daß der Friede „zwi-
ſchen J. Kaiſ. Maj., auch allen Ständen der deutſchen Na-
tion“ verkündigt würde.


Eine andere Weiterung machte die Bezeichnung des
Conciliums. Die Proteſtanten hatten vorgeſchlagen, ein
Concilium, worin nach dem reinen Wort Gottes determi-
nirt würde. Man fand eine ſolche Bezeichnung verfänglich
und nicht katholiſch. Indem man aber dafür ſchrieb, „ein
gemeines freies Concilium, wie ſolches auf dem Reichstag
von Nürnberg beſchloſſen worden iſt,“ konnten die Prote-
ſtanten ſich leicht zufrieden geben, da ſie immer auf jenen
alten Beſchlüſſen verharrt waren.


Noch viel größer aber war die Schwierigkeit, die nun
in Hinſicht der Proceſſe entſtand.


Der Gedanke, die Proteſtanten rechtlich anzugreifen,
gehörte bei weitem mehr der Majorität an als dem Kai-
ſer. Das Gericht ſelbſt war, wie wir wiſſen, ein ſtändi-
ſches Inſtitut. Wir erinnern uns, wie viel Mühe es ge-
koſtet hatte, den Einfluß des kaiſerlichen Hofes darauf zu
beſchränken. In dem zu Augsburg beſchloſſenen und ſchon
in vollem Gange begriffenen Verfahren des Gerichtes ge-
[417]Zugeſtaͤndniß des Kaiſers.
gen die Proteſtanten, ſah die katholiſche Partei ihre vor-
nehmſte Waffe. Und noch fortwährend beharrte ſie darauf,
ſo ſehr ſie auch zuweilen die Nothwendigkeit des Friedens
hervorhob. In dem Entwurf eines Abſchieds, den ſie dem
Kaiſer am 10. Juli vorlegte, lautet ein Artikel darauf,
daß es in Sachen der Religion nach dem Augsburger Ab-
ſchiede gehalten werden müſſe, wie überhaupt, ſo beſonders
am Kammergericht. 1 Auch der päpſtliche Legat weigerte
ſich zu einer Inhibition des kaiſerlichen Fiscals in Glau-
bensſachen ſeine Beiſtimmung zu geben.


Wir ſehen, in welche Verlegenheit der Kaiſer hiedurch
gerieth. Um den Türken zu widerſtehen, war die Ruhe im
Reich ſchlechterdings nothwendig. Aber die einzige Bedin-
gung, welche die Proteſtanten des Friedens verſichern konnte,
ſchlugen ihm die Katholiſchen ab. 2


Endlich entſchloß man ſich am kaiſerlichen Hofe zu
der Auskunft, in dem öffentlichen Erlaß nur den Frieden
zu verkündigen, über den Stillſtand der Proceſſe aber den
Proteſtanten eine abgeſonderte Verſicherung zu geben. Auch
dieſe fiel nicht ganz ſo vollſtändig aus wie die Proteſtan-
ten wünſchten. Sie hatten die Erklärung gefordert, daß
der Kaiſer weder durch ſeinen Fiscal, noch durch ſein Kam-
mergericht, noch an andern Gerichtsſtühlen, und zwar weder
Ranke d. Geſch. III. 27
[418]Sechstes Buch. Sechstes Capitel.
von Amtswegen, noch auf Jemandes Anſuchen gegen Sach-
ſen und deſſen Mitgewandte procediren laſſen ſolle. Der
Kaiſer war zur Annahme ſo vieler ausdrücklichen Clauſeln
nicht zu bringen. Er verſprach nur, daß er alle Rechtferti-
gungen in Sachen des Glaubens, „durch J. Mt. Fis-
cal und Andre“ 1 wider den Churfürſten von Sachſen und
deſſen Zugewandte bis zum Concilium einſtellen wolle.
Dieſe Zuſage verletzte die Majorität nicht geradezu, ließ ſich
aber doch auch nach dem Sinne der Proteſtanten ausle-
gen, und erfüllte ihre vornehmſte Forderung.


Dagegen hatten nun aber auch dieſe ſich zu einem
großen Schritte der Nachgiebigkeit, der ſchon in jenen
Worten begriffen iſt, entſchloſſen. Ihre urſprüngliche Mei-
nung war geweſen, daß die Verſicherungen, die ihnen ge-
ſchähen, auch allen Denen zu Gute kommen ſollten, die
noch in Zukunft zu ihrer Confeſſion treten würden; ja ſie
hatten die Freiheit der Predigt und des Abendmahls nach
ihrem Ritus auch für die Unterthanen fremder Gebiete ge-
fordert. Das ließ ſich nun aber hinwiederum bei dem Kai-
ſer nicht erreichen. Darin, daß man den Proteſtantismus
durch den Vertrag doch auch wieder beſchränke, lag das
vornehmſte Motiv, durch welches er den Widerſpruch des
Legaten beſeitigen konnte. 2 Und war namentlich die zweite
Forderung nicht im Ganzen dieſelbe, welche die Bürger-
[419]Zugeſtaͤndniß der Proteſtanten.
ſtädte der Schweiz aufgeſtellt, — die dort den Krieg veran-
laßte, der zu einem ſo unglückſeligen Ausgang führte? Luther
ſelbſt ſprach aus, es könne von den Gegnern nicht zuge-
ſtanden werden: oder dürfe man hoffen, daß Herzog Georg
das Evangelium in Leipzig freigebe? — unmöglich; — würde
man doch auch dieſſeit den benachbarten Fürſten keinen
Eingriff in die innern Landes-Angelegenheiten geſtatten!
Luther war, wie man ſieht, mit der Territorialmacht der
Fürſten wahrhaft verbündet. Aber auch ſein Begriff vom
Reiche verhinderte ihn, jene Forderung gutzuheißen. Er
ſagt, es ſey als wolle man ſich dieſſeit das Kaiſerthum
anmaaßen; das heißt wohl, als nehme man einen über
die Vertheidigung hinausgehenden Einfluß auf die Leitung
der öffentlichen Angelegenheiten in Anſpruch. Vielmehr
fühlte er ſich in ſeiner Seele getröſtet, daß „der Kaiſer,
die höchſte von Gott geordnete Obrigkeit ſich ſo gnädiglich
erbiete, und ſo milden freien Befehl gebe, Friede zu ma-
chen.“ „Ich achte es nicht anders, als biete uns Gott
ſeine Hand.“ Daß man damit dem Evangelium ſeinen
weiteren Lauf hemme, machte ihm wenig Sorge: er meinte,
„ein Jeder müſſe auf ſeine Gefahr glauben,“ d. i. ſein Glaube
müſſe ſo ſtark ſeyn, daß er in der Gefahr aushalte. 1 Ganz
dieſer Meinung war nun auch Churfürſt Johann: ſie entſprach
der nur defenſiven Haltung, welche er von Anfang an genom-
men: ſeine Geſinnung war eine vollkommene innere Rechtfer-
tigung Bedürfniß. Durch die glänzende Ausbreitung des
27*
[420]Sechstes Buch. Sechstes Capitel.
Bündniſſes, an deſſen Spitze er ſtand, ließ er ſich doch nicht
hinreißen, über die Grundſätze hinauszugehn, auf denen es ur-
ſprünglich beruhte. Auch er meinte wie Luther, daß man nicht
um der vielleicht künftig einmal Hinzutretenden willen, das ge-
genwärtige Gut, das höchſte irdiſche, den Frieden aufgeben
müſſe. Und ſo ließ er geſchehn, nicht, daß in den Vertrag eine
beſchränkende Clauſel aufgenommen würde, — durch ein
Verſprechen band er ſich nicht für die Zukunft, — ſondern
nur daß ausſchließlich diejenigen Stände in demſelben ein-
begriffen wurden, die zum Bunde gehörten, auch Mark-
graf Georg und Nürnberg, alle die Fürſten und Städte,
die wir bereits kennen, zu denen jetzt noch Nordhauſen
und Hamburg gekommen waren. Der Landgraf von Heſ-
ſen, der die entgegengeſetzte Meinung hegte, war anfangs
nicht zufrieden, doch trat er ſpäter hinzu. 1


Man darf es wohl als eine beſondere Gunſt der Vor-
ſehung betrachten, daß der alte Churfürſt von Sachſen dieſe
Tage des Friedens noch erlebte. Wir ſahen oben, welch
großes Verdienſt ſich dieſer einfache Mann um die Grün-
dung der evangeliſchen Kirche erworben hat. Er genoß
nun eines hohen Anſehens im Reiche. Selbſt ein Mitglied
des kaiſerlichen Hofes, Graf von Nuenar, bezeichnet ihn
als „den einigen Vater des deutſchen Vaterlandes in gött-
lichen und menſchlichen Dingen.“ 2 Doch war ſein reichs-
[421]Tod Johann des Beſtaͤndigen.
fürſtliches Gemüth nicht befriedigt, ſo lange er ſich noch
im Widerſpruch mit ſeinem Kaiſer befand. Es gehörte zur
Vollendung ſeines Schickſals, daß auch der wieder ſein
Freund wurde, daß er auch in Beziehung auf die höchſte
Gewalt im Reiche den Boden der anerkannten Legalität
wieder gewann, von dem man ihn hatte verdrängen wol-
len; für die Fortdauer der religiöſen Stiftung, die von
ihm ausgegangen, war dadurch ein neuer großer Schritt
geſchehn. Im Auguſt erſchienen ſowohl die öffentlichen
Erklärungen als die private Verſicherung des Kaiſers.
Kurz darauf, nachdem der Churfürſt ſich noch einmal mit
ſeinen beiden Töchtern und der geflüchteten Churfürſtin von
Brandenburg auf der Jagd vergnügt — er kam ſehr hei-
ter zurück — überraſchte ihn ein plötzlicher Tod am Schlag-
fluß. „Wer nur auf Gott vertrauen kann,“ ſagt Luther
in ſeiner Grabſchrift, „der bleibt ein unverdorben Mann.“


Indem nun aber der Kaiſer, von der Nothwendigkeit
gedrängt, ſich entſchloß, den Proteſtanten Conceſſionen zu
machen, die von der Majorität nicht ausgegangen waren
noch gebilligt wurden, veränderte ſich ſeine ganze Stellung.
Was er in Augsburg verſucht hatte, mit der Majorität
zu regieren, gab er jetzt auf. Aber auch die Majorität
ſah, daß ſie an ihm den Schutz nicht fand, den ſie erwar-
tete; ſie ſetzte ihm auf dem Reichstag von Regensburg ei-
nen Widerſpruch entgegen, wie er noch nie erfahren. Die
Stände machten dem Kaiſer tadelnde Vorſtellungen über
ſeine ganze Regierungsweiſe, die Verzögerung der Geſchäfte,
die Anſtellung von Fremden, ſelbſt in der Kanzlei, die Rück-
ſtände ſeines Antheils an der Beſoldung des Kammerge-
[422]Sechstes Buch. Sechstes Capitel.
richts, ſein eigenmächtiges Verfahren gegen Würtemberg,
Maaſtricht, das er wirklich wieder von Brabant trennen,
und in ſeine Libertäten herſtellen mußte, ſo wie gegen
Utrecht. 1 Er durfte nicht allein jene Verſicherung zu Gun-
ſten der Proteſtanten nicht publiciren, ſondern in offenem
Widerſpruch mit derſelben war er genöthigt, die Beſchlüſſe
zu beſtätigen, die bei der ſo eben beendigten Viſitation des
Kammergerichts gefaßt worden waren, worin die Ausfüh-
rung des Augsburger Abſchieds neuerdings geboten ward.
Ja ſchon ließ man in der Ferne eine Möglichkeit der Ver-
einigung der beiden Religionsparteien [gegen] ihn erſcheinen.
Wenn man in dem Reichsabſchied lieſt, daß die Stände leb-
haft auf das Concilium gedrungen, ſo macht das einen ſo
großen Eindruck nicht. Erwägt man aber die Worte näher
und kennt man ihren Urſprung, ſo hatte das eine große Be-
deutung. Schon im Sommer 1531 nemlich hatte ſich Baiern
und Heſſen hiezu vereinigt; auf einer Zuſammenkunft, welche
Landgraf Philipp mit Dr. Leonhard von Eck zu Gießen hielt,
war beſchloſſen worden, wenn der Papſt das Concilium noch
länger verzögere den Kaiſer anzugehn, es aus eigner Macht
zu berufen: würde es aber auch der Kaiſer aus einem oder
dem andern Grunde unterlaſſen, ſo ſolle eine Ständever-
ſammlung berufen werden, um ſowohl von der Einigkeit
in der Religion als von der Abſtellung anderer Gebrechen
[423]Reichsabſchied.
zu verhandeln. 1 Es fällt in die Augen, daß die Oppo-
ſition gegen den Kaiſer dazu gehörte, um zwei Oberhäup-
ter der entgegengeſetzten Parteien zu dieſem Beſchluß zu ver-
einigen; aber merkwürdig iſt immer, daß es geſchah. In
der That, es war nicht des Kaiſers guter Wille, daß er
in dem Reichsabſchied zu Regensburg verſprach, wenn das
allgemeine Concilium nicht binnen ſechs Monaten von dem
Papſt ausgeſchrieben, und binnen einem Jahr nicht wirk-
lich gehalten werde, eine Reichsverſammlung zu berufen,
wo über die gemeine Nothdurft deutſcher Nation berath-
ſchlagt und Mittel zu ihrer Abhülfe geſucht werden ſollten.
Er fühlte ſehr wohl, daß dieſer Beſchluß ihm aufgedrun-
gen war und höchſt gefährlich werden konnte. Auch hat
er acht Jahre lang vermieden, wieder einen Reichstag zu
berufen, aus Beſorgniß, daß derſelbe ſich als Nationalver-
ſammlung conſtituiren und im Widerſpruch mit ihm religiöſe
Beſchlüſſe faſſen würde. 2


So ſah es nun in dieſem Augenblick in Deutſchland
aus. Die beiden religiöſen Parteien ſtanden einander nicht nur
feindſelig gegenüber, ſondern in ihrer Mitte ſelbſt waren neue
Entzweiungen ausgebrochen. Die katholiſche Majorität war
mißvergnügt über den Kaiſer: der Landgraf von Heſſen
wechſelte in dieſen Tagen anzügliche, ja beleidigende Briefe
[424]Sechstes Buch. Sechstes Capitel.
mit dem Churprinzen Johann Friedrich von Sachſen, der
nach dem Tode ſeines Vaters nun ſelbſt an deſſen Stelle
trat. 1 Heſſen und Baiern waren dagegen in ein näheres
politiſches Verhältniß getreten; allein wohin konnte dieß
führen, da der Gegenſatz der religiöſen Tendenzen gerade
zwiſchen dieſen Fürſten am ſtärkſten war. Der Kaiſer und
Sachſen hatten eine Abkunft getroffen: es läßt ſich aber
ſchon vorausſehn, welche Schwierigkeiten die Ausführung
derſelben haben mußte.


Der Kaiſer ſelbſt erſchien nicht mehr, wie noch zuletzt
in Augsburg, in der Fülle der Kraft, wie die jugendlichen
Jahre, in denen er noch ſtand, es mit ſich zu bringen ſchie-
nen; den ganzen Sommer über war er leidend. Eine Ver-
letzung am Bein, die er ſich durch einen Sturz auf der
Wolfsjagd zugezogen, nahm eine ſo gefährliche Wendung,
daß man meinte, man werde ihm den Schenkel ablöſen
müſſen, und ihm einſt in der Nacht bereits die Sacramente
gab. Das Uebel hatte ſich ſpäter durch unzeitige Theil-
nahme an einer Proceſſion, vielleicht auch durch Exceſſe
anderer Art wieder erneuert; während des Reichstags ſuchte
er in dem Bade von Abach Heilung und war zuweilen ſelbſt
für ſeinen Bruder unzugänglich. Als die Stände ihn auf-
ſuchten, um ihm die Bewilligung der Türkenhülfe anzukün-
digen, fanden ſie ihn in ſeiner Schlafkammer, auf einer
ungepolſterten Bank ſitzen, ohne allen Schmuck, mit einem
Maienreis in der Hand, womit er ſich die Fliegen ab-
wehrte, „in ſeinem Leibröcklein,“ ſagt der Frankfurter Ge-
[425]Feldzug gegen die Osmanen 1532.
ſandte, „ſo demüthiglich, daß der geringſte Diener nicht ſo
gebaren konnte.“ 1


Feldzug gegen die Osmanen.


Und dieſer körperlich ſo ſchwache Kaiſer, dieß durch
ſo tiefeingreifende Zwiſtigkeiten geſpaltene Reich waren es
nun, die der gewaltige Fürſt der Osmanen an der Spitze
ſeiner unzählbaren Kriegsbande überzog. Wie ganz anders
nahm dieſer ſich aus! Als die Geſandten Ferdinands un-
fern Belgrad bei ihm Audienz haben ſollten, zogen ſie erſt
weit und breit durch das Lager ſo der Fußvölker wie der
Reiſigen, die auf das prächtigſte herausgeputzt waren, dann
durch die Reihen der Janitſcharen, die ihnen ziemlich über-
müthig begegneten, bis ſie, in der Nähe des kaiſerlichen
Gezeltes von Heerpaukern und Trommetern empfangen,
endlich daſelbſt eintraten, und nun den Herrn in ſei-
ner Pracht erblickten, ſitzend auf einem goldnen Thron,
neben ſich eine koſtbare Krone, vor ſich an den Säulen
oder Stollen des Throns zwei prächtige Säbel in perlen-
beſetzten Scheiden, reichgeſchmückte Köcher und Handbogen.
Die Geſandten ſchätzten den Schmuck, den ſie ſahen, auf
1,200,000 Ducaten. Am 20. Juli ging das türkiſche
Heer auf 12 Schiffbrücken in der Gegend von Eſſek über
die Drau. Suleiman zog Ungarn aufwärts, als in ſeinem
eignen Gebiet. Die Schlöſſer, die er vorüberkam, ſchick-
ten ihm ihre Schlüſſel entgegen. Er beſtrafte die Magna-
ten, die etwa von Zapolya abgefallen. Seine Ankunft
[426]Sechstes Buch. Sechstes Capitel.
machte auch auf die Uebrigen großen Eindruck, und Viele
von Denen, die bis jetzt zu Ferdinand gehalten und ſich
verlaſſen ſahen, wurden irre.


Denn erſt jetzt fing man in Deutſchland ernſtlich an
ſich zu rüſten.


Die Erſten, welche im Feld erſchienen, noch ehe man
mit den Unterhandlungen zu Ende gekommen, waren die
Nürnberger. Sie hätten nur ein Fähnlein zu ſtellen ge-
habt; allein „dem Kaiſer zu Ehren und gemeiner Chriſten-
heit zum Beſten,“ hatten ſie deren zwei gerüſtet; zuſammen
800 Mann; bei denen 200 M. mit Handröhren und 50 M.
mit Halbhacken waren. Indeß ließen ſie, mit einigen ihrer
Nachbarn zuſammen, im Braunſchweigiſchen eine Schaar
von 100 Reitern werben, bei denen wir einen Kamp, ei-
nen Bürsberg, zwei Münchhauſen finden, die bei ihrer
Ankunft in der Stadt gaſtlich empfangen, mit Bier und
Wein und Haber verehrt, am 21. Aug. unter Sebaſtian
von Jeſſen und Martin Pfinzing ihren Weg gegen den
Feind nahmen. Ueberdieß gab Nürnberg dem Kaiſer 15
Stück grobes Geſchütz, 175 Centner Pulver, 1000 Fuß-
knechtſpieße, 200 Harniſche für die Trabanten, und einen
großen Vorrath von Mehl. 1 Man ſieht was eine einzige
Stadt leiſtete. Und alle andern wetteiferten mit Nürnberg.
Der kaiſerliche Abgeordnete, welcher der Stadt Ulm die
Aufforderung zur Rüſtung gebracht, war noch nicht wie-
der nach ſeiner Herberge zurück, als er ſchon die Trommel
rühren hörte, um das geforderte Volk zu werben. Augs-
[427]Ruͤſtungen in den Kreiſen.
burg erklärte ſich auf der Stelle bereit, ſein Geſchütz nach
Wien abgehen zu laſſen. Aus einem Schreiben des Frank-
furter Geſandten ſehen wir, daß die feſte Haltung, die der
Kaiſer der Majorität gegenüber genommen, auf die Städte
den größten Eindruck machte. 1 Einen Augenblick warfen
die Proteſtanten die Frage auf, ob es für ſie nicht rathſam
ſey, ſich zuſammenzuhalten und unter Einem Hauptmann zu
ſtehn; allein bald wies man dieſen Gedanken von ſich; es
hätte darin eine neue Trennung gelegen: man unterwarf ſich
der Ordnung der Kreiſe. Allenthalben wurden die Kreistage
gehalten. Es ward ein Hauptmann ernannt, dem jeder
Stand im Kreiſe ein Verzeichniß der Leute überlieferte, die
er ſtellen wollte; der denn darauf ſah, daß ſie vollſtändig
waren. Der Stand wies ſie an, dem ernannten Haupt-
mann gehorſam zu ſeyn. Dieſer hatte das Recht, die Aem-
ter mit den tüchtigſten Leuten des Kreiſes zu beſetzen. Es
ward beſtimmt, von wem er ſeine Beſoldung empfangen,
wie dieſe dann hinwiederum den Zahlenden zu Gute kom-
men ſollte. 2 In dem niederſächſiſchen Kreiſe konnte man
es, ohne Zweifel der täglich überhandnehmenden religiöſen
Irrungen wegen, nicht zur einmüthigen Wahl eines Haupt-
manns bringen; der Kaiſer ernannte, kraft ſeines in die-
ſem Fall eintretenden Rechtes, den jungen Markgrafen Joa-
chim von Brandenburg. Anfang Auguſt war das ganze
Reich in kriegeriſcher Bewegung. Täglich ſehen wir, ſchreibt
[428]Sechstes Buch. Sechstes Capitel.
der Cardinal Campeggi am 8ten, hier in Regensburg die
ſchönſten Compagnien zu Pferd und zu Fuß durchziehen:
ſie gehen mit großem Muth zu ihrer Unternehmung und
zweifeln nicht an dem Siege. Auch der Kaiſer war voll
guten Muthes. Er machte die Bemerkung, daß er bei die-
ſem Krieg nur gewinne, möchte er nun ſiegen oder unter-
liegen. Sollte er unterliegen, ſo werde er doch einen gu-
ten Namen auf der Welt zurücklaſſen und in das Para-
dies eingehen; ſollte er aber ſiegen, ſo werde er nicht al-
lein ein Verdienſt bei Gott erwerben, ſondern vielleicht das
Kaiſerthum bis an ſeine alten Grenzen wieder ausdehnen;
auf Erden glorreich leben, der Nachwelt einen großen Na-
men hinterlaſſen. 1 Er ſchien nichts ſehnlicher zu wünſchen,
als dieſen Gegner perſönlich zu beſtehn.


Indeſſen war es bereits in Ungarn zu einer überaus
ruhmwürdigen, ja faſt wunderbaren Waffenthatgekommen.


Wir kennen ſchon den Namen des Niklas Juriſchitz,
des einen von den beiden Geſandten König Ferdinands an
den Sultan 1530, 31. Als damals alle Unterhandlun-
gen vergeblich waren, ſagten die Geſandten, ſie ſähen wohl,
Ungarn ſolle der Kirchhof der Türken und Chriſten werden.
Juriſchitz ſchien jetzt dieſes Wort ſelbſt bewähren zu wol-
len. Er war eben im Begriff Stadt und Schloß Günz,
wo er die Stelle eines Hauptmanns bekleidete, einem Stell-
vertreter zu überlaſſen, und mit einer kleinen Reiterſchaar,
[429]Juriſchitz in Guͤnz.
zehn ſchweren, zwanzig leichten Pferden, ſeinem König zu-
zuziehen, als die Türken in die Nähe kamen und der Ort
ſich mit Schaaren von Flüchtlingen anfüllte. Da beſchloß
auch er zu bleiben, ſo viele Unglückliche wenigſtens eine Zeit-
lang zu vertheidigen, den großen Zug ein paar Tage auf-
zuhalten. Denn den Feind wirklich abwehren zu können,
traute er ſich nicht zu; ich hatte meine Sache, ſagt er, in ge-
wiſſen Tod geſtellt. Hierauf erſchienen die Türken mit al-
ler ihrer Macht und begannen die Belagerung auf ge-
wohnte Weiſe, pflanzten ihr Geſchütz auf den nächſten An-
höhen auf, gruben Minen, und ſuchten durch die Bre-
ſchen einzudringen. Juriſchitz hatte keine andern Soldaten
als jene 30 Reiter; die übrigen waren alle Einwohner des
Ortes oder zuſammengelaufene Bauern; es mochten ihrer
ſiebenhundert ſeyn. Aber eilfmal ſchlugen ſie den Sturm der
Türken ab, ſie leiſteten den beherzten Widerſtand, welchen
allein der Entſchluß, ſich bis zum Tode zu vertheidigen,
einflößen kann; zuletzt aber war, wie natürlich, doch alles
vergebens. Die Türken hatten zwei große Schütten von
Reiſig bis zur Höhe der Mauer aufgeworfen; auf der ei-
nen pflanzten ſie ihr Hauptgeſchütz auf, das nun die Mauer
beherrſchte, und unter deſſen Schutze von der andern ein
breiter Weg nach der Mauer geführt werden konnte. Den
ſo vorbereiteten Sturm liefen am 28ſten Auguſt Janit-
ſcharen und Reiſige an; wie hätte ihrer Ueberzahl, bei die-
ſem Vortheil, Widerſtand geleiſtet werden können. Bald
waren die Vertheidiger in einen letzten Verhau zurückge-
drängt, wo ſie ſich noch mit ſinkenden Kräften ſchlugen;
ſchon weheten die türkiſchen Banner an acht Stellen auf
[430]Sechstes Buch. Sechstes Capitel.
der Mauer; Juriſchitz erwartete nur den Tod: ich freue
mich, ſagte er, daß mir die Gnade Gottes ein ſo ehren-
volles Ende beſtimmt hat. Wunderbar, was ihn dennoch
rettete. Jene wehrloſen Flüchtlinge, Weiber, Greiſe und
Kinder, ſahen ſich nun doch der Wuth des entſetzlichen
barbariſchen Feindes preisgegeben. Indem er auf ſie ein-
drang, ſtießen ſie ein Geſchrei aus, in dem ſich das Anru-
fen der Gottheit mit dem Tone der Verzweiflung vermiſchte,
jenes durchdringende Geſchrei, wie es die Natur aus dem
lebendigen Geſchöpf bewußtlos hervortreibt, wenn es ſich
von dem unabwendbaren Verderben bedroht ſieht. Kann
man dieß ein Gebet nennen, ſo ward nie ein Gebet un-
mittelbarer erhört. Die ſiegreichen Osmanen erſchraken vor
der Verzweiflung. Längſt war ihnen der Widerſtand, den
ſie hier fanden, wunderbar vorgekommen, jetzt meinten ſie,
aus dem Schloſſe, aus jedem Hauſe friſche Mannſchaften
vordringen zu ſehen, ſie glaubten in den Lüften einen Rit-
ter in ſeinem Harniſch zu erblicken, der ihnen mit gezück-
tem Schwerte drohe. So wichen ſie zurück. „Der allmäch-
tige Gott,“ ruft Juriſchitz aus, „hat uns ſichtbarlich gerettet.“ 1


Ein Ereigniß, welches an die Delphiſchen Götter ge-
mahnen könnte, die ſich dem Einbruch der Gallier in Grie-
chenland entgegenſtellten; an die Erſcheinung, die dem Dru-
ſus mitten in Deutſchland zurief: „Bis hieher und nicht
weiter;“ an andere Wendungen des Geſchicks, welche die
Meinung der Menſchen in dem Moment ihres Geſchehens
mit einer höhern Waltung, wie ſie dieſelbe nun auch auf-
[431]Das Heer des Kaiſers.
faſſen mochte, in Verbindung gebracht hat: — jedoch wir
wollen ſo weit nicht gehn; genug, daß ſelbſtvergeſſene Ta-
pferkeit und vollkommene Hingebung auch hier einen gro-
ßen Erfolg nach ſich zogen.


Suleiman entſchloß ſich, dem wackern Feinde, der ſich
allerdings keine Stunde länger hätte wehren können, eine
Schutzwache zu geben und vorüberzuziehen.


Aber indeſſen hatte nun der Kaiſer Zeit gehabt, ſeine
Streitkräfte zu ſammeln. Er ſelbſt hatte 12000 Lands-
knechte geworben und in der Gegend von Augsburg mu-
ſtern laſſen. Spaniſche Granden waren eingetroffen, um
unter den Augen ihres Königs im Kriege gegen die Un-
gläubigen Ruhm zu erwerben. Der Herzog von Ferrara
hatte 100 italieniſche Huomini d’armi geſendet. Andere
Italiener führte der junge Hippolyt Medici, Neffe Papſt
Clemens VII. Die Erblande König Ferdinands hatten ihr
Beſtes gethan, und kein Mittel war verſäumt worden, Geld
herbeizuſchaffen; ſelbſt an einzelne niederländiſche Große, an
devote, reiche Frauen, denn eine beſſere Anwendung könne
Niemand von ſeinem Reichthum machen, hatte er ſich ge-
wendet. 1 Doch den Kern des Heeres bildeten ihm im-
mer die Mannſchaften des Reiches. Auf dem Tulnerfeld
in der Nähe von Wien geſchah die große Verſammlung.
Die Geſammtzahl der Truppen läßt ſich nicht genau be-
ſtimmen, die glaubwürdigſten Angaben ſchwanken zwiſchen
76000 und 86000 Mann. Darin aber kommen alle über-
ein, daß es das ſchönſte Heer war, das man ſeit Jahr-
hunderten in der Chriſtenheit geſehn hatte. Es vereinigte
die Elemente, welche in Italien die großen Siege davon
[432]Sechstes Buch. Sechstes Capitel.
getragen, deutſche Kraft und Ordnung, italieniſche Beweg-
lichkeit, und die beharrliche Verſchlagenheit der Spanier.
Doch war der deutſche Beſtandtheil bei weitem überwiegend.


Suleiman war in der Erwartung ausgezogen, daß die
Entzweiungen der Chriſtenheit, namentlich die deutſchen,
dem Kaiſer die Hände binden, ihm jeden großartigen Wi-
derſtand unmöglich machen würden. Da er ein ſo zahl-
reiches, trefflich gerüſtetes Heer ſich gegenüber ſah, hatte
er nicht den Muth, wie er ſich ſo oft vermeſſen, es im Felde
aufzuſuchen.


Indem er nun ſeine Akindſchi, an Zahl 15000, — leichte
Truppen unter einem Anführer, auf deſſen Helme man
Geierflügel erblickte, Flüchtigkeit und Raub zu bezeichnen, —
nach Oeſtreich ſchickte, wandte er ſich ſelbſt nach Steier-
mark und erſchien vor Gräz. 1 Aber die Akindſchi wur-
den von einem Haufen der Deutſchen einem andern in die
Hände gejagt, und faſt völlig vernichtet; Gräz leiſtete Wi-
derſtand; und indeſſen mögen auch von der See her, wo
Doria in den ioniſchen Gewäſſern über Zai-begh offenbar
die Oberhand hatte, ungünſtige Nachrichten eingelaufen ſeyn.
Suleiman glaubte die glücklichen Geſtirne ſeines Nebenbuh-
lers zu erkennen, und entſchloß ſich, dem gefährlichen Kam-
pfe durch raſchen Rückzug auszuweichen. 2


Der Kaiſer hätte, wie wir wiſſen, dem Feind zwar
eine Schlacht zu liefern gewünſcht; ein entſchiedener Sieg
[433]Ruͤckzug Suleimans.
hätte ſeinem Bruder Ungarn wieder verſchaffen können.
Aber auch ſchon mit dem geringern Erfolg war er zufrie-
den. Gottes Gnade hat uns, ſchrieb er dem Papſt, die
Ehre und das Glück verliehen, daß wir den gemeinſchaft-
lichen Feind der Chriſtenheit zur Flucht genöthigt, und
das Unglück verhütet haben, was er uns zuzufügen im
Sinne hatte. 1 Auch fühlte er wohl, daß man nicht blos
einen Vortheil für den Augenblick davon getragen. Es
war ein Gewinn auf immer, daß die Furcht vor den
Kriegsrüſtungen der Deutſchen, der Eindruck ihrer Ueberle-
genheit, dem Sultan den Kampf verleidet, ihn zum Rück-
zug bewog.


Und indeſſen hatte auch Doria dem Kaiſer glänzende
Vortheile erfochten. Er hatte das osmaniſche Geſchwader
aus dem ioniſchen Meere verjagt, bis nach Cerigo verfolgt,
und dann raſch hinter einander Coron, Patras und die
Dardanellen von Morea erobert. Gewaltige Kanonen mit
arabiſchen Inſchriften wurden nach Genua gebracht, und
in der Capelle der Doria am Molo aufgeſtellt. 2


Bei weitem minder zufrieden war König Ferdinand.
Seine Hoffnung war wirklich geweſen im Sturm des Sieges
ganz Ungarn wieder einzunehmen, Belgrad nicht ausgeſchloſ-
ſen. Allein die Truppen glaubten ſchon genug gethan zu
haben, daß ſie den Feind von der deutſchen Grenze entfernt
hatten. Die Kriegshauptleute zogen ihre Inſtructionen
hervor, in denen von einer Eroberung Ungarns nicht die
Rede war. Der oberſte Feldhauptmann, Pfalzgraf Fried-
Ranke d. Geſch. III. 28
[434]Sechstes Buch. Sechstes Capitel.
rich, weigerte ſich vorzurücken. Das machte hauptſächlich,
daß Ferdinand durch den Eifer für das Papſtthum, den
er bewies, die Gunſt der Nation wieder verloren hatte:
ſie wollte keine Eroberungen für ihn machen. Sie wollte
ihn lieber ſchwächer als ſtärker ſehn, wie ſich das ſogleich
weiter an den Tag legte.


[[435]]

Siebentes Capitel.
Einwirkung von Frankreich, Reſtauration von
Wirtemberg 1533, 34.


Es hatte geſchienen, als werde die lateiniſche Chri-
ſtenheit, unter Kaiſer und Papſt vereinigt, ſich auf die von
ihr Abgewichenen ſtürzen, um ſie zu vernichten.


Statt deſſen ſah ſich das eine ihrer Oberhäupter ge-
nöthigt, um den Anfall einer entgegengeſetzten Weltmacht,
der doch zunächſt ihm und ſeinem Hauſe galt, abzuweh-
ren, mit den Proteſtanten in Vertrag zu treten, und ihnen
einſtweilige Sicherheit zuzugeſtehen. Die poſitive Conceſ-
ſion war nicht das Einzige, was dieſe hiebei gewannen;
einen nicht mindern Vortheil gewährte es ihnen, daß ſie
ſich der großen nationalen Unternehmung zugeſellt, zu der
glücklichen Vertheidigung des Vaterlandes ſo viel wie ir-
gend Jemand ſonſt beigetragen hatten.


Aber indeſſen waren nun in jener Welt, welche ſie
bedroht, die inneren Feindſeligkeiten, deren Regung wir er-
wähnten, noch einmal ausgebrochen.


König Franz wäre durch die Verträge allerdings ver-
pflichtet geweſen, dem Hauſe Oeſtreich gegen die Türken
28*
[436]Sechstes Buch. Siebentes Capitel.
Hülfe zu leiſten. Aber es widerſtrebte ſeinem Stolze, dieß
auf eine Weiſe zu thun, wie der Kaiſer gewünſcht hätte.
Franz I erbot ſich, die Türken in Egypten anzugreifen.
Aber die Kaiſerlichen meinten, ſein Zweck ſey wohl nur,
ſich unter dieſem Vorwand zu rüſten und dann Genua
und Neapel anzufallen: und alles zerſchlug ſich. 1


Wir wiſſen, wie heftig er jene Anträge auf einen ge-
meinſchaftlichen Krieg gegen die Schweiz zurückwies.


Auch in Hinſicht des Conciliums gab er nur eine
ausweichende Erklärung. Ihm lag bei weitem mehr an
der Gunſt des Papſtes, der es vermeiden wollte, als an
der Freundſchaft des Kaiſers, der es wünſchte. 2


Denn keinen Augenblick war ſeine Meinung, die Ab-
tretungen, zu denen er ſich in Cambray hatte verſtehen
müſſen, namentlich die Verzichtleiſtung auf Genua und
Mailand, als definitiv zu betrachten. Er ſah dieſe Herr-
ſchaften als ſein gutes Eigenthum an, deſſen er ſeine Kin-
der gar nicht einmal habe berauben dürfen. Er fühlte
ſeine Ehre gekränkt, ſo oft er daran dachte, daß er ſie ver-
loren hatte.


Um ſie aber wieder zu erwerben, ſchien ihm eine
neue Verbindung mit dem Papſt das einzige Mittel.


Schon zeigten ſich von Tag zu Tage neue Differen-
zen zwiſchen Papſt und Kaiſer.


[437]Differ. zwiſch. Clemens VII u. Carl V 1531, 32.

In Rom war man unglücklich, daß der Kaiſer ſo
eifrig auf das Concilium drang. Man hat ihm wohl
einmal vorgeſtellt, daß er Geld vom Papſt fordere, und
demſelben doch zugleich die Mittel entreiße, deſſen aufzu-
bringen. Kein Menſch wollte ſich verſtehn auf die kirch-
lichen Einkünfte etwas darzuleihen, deren Reduction man
von dem Concilium erwartete. Ueberdieß fühlte ſich Cle-
mens VII gekränkt, daß man auf ſeine Empfehlungen we-
nig achtete, bei den Verleihungen vacanter Pfründen auf
ſeinen Neffen Hippolyt nicht die Rückſicht nahm, auf die
er gerechnet, daß man in Neapel dem Cardinal Colonna
freie Hand ließ, der ein geſchworener Feind des römiſchen
Hofes war. Was nun aber den alten Widerwillen am
meiſten erweckte, das war der Ausſpruch des Kaiſers in der
Sache von Ferrara. Der Kaiſer ſoll dem Papſt zugeſagt
haben, wenn er ſehe, daß das Recht nicht auf Seiten Sr.
Heiligkeit ſey, einen Ausſpruch überhaupt nicht zu thun.
Nichts deſto minder entſchied er nun zu Gunſten von Fer-
rara. Dieß, ſagt ein Vertrauter des Papſtes, hat das
Herz Sr. Heiligkeit verwundet. „Wollte Gott“, ruft der
Geſchäftsträger des Königs Ferdinand aus, „der Kaiſer hätte
dieſen Spruch nicht gethan;“ er will bemerken, daß ſich
die kaiſerliche Partei bei Hofe und im Collegium deshalb
vermindere. 1


Dagegen ſchlug nun der König von Frankreich dem
Papſt die ehrenvollſte Verbindung vor, die je einem päpſt-
lichen Hauſe angetragen worden. Einen ſeiner Söhne, Hein-
rich Herzog von Orleans, der eine nicht allzu entfernte
Ausſicht auf den franzöſiſchen Thron hatte, wie er ihn
[438]Sechstes Buch. Siebentes Capitel.
denn wirklich beſtiegen hat, bot er der Nichte des Papſtes,
Catharina Medici, zum Gemahl an.


Wie viel das dem Papſt werth war, ſieht man aus
dem Vertrage, der am 9. Juni 1531 hierüber abgeſchloſ-
ſen worden iſt.


Der König hatte nicht wenig gefordert: vor allem
die Bildung eines Fürſtenthums für das künftige Ehe-
paar, beſtehend aus Piſa und Livorno, Reggio, Modena,
Rubiera, Parma und Piacenza; damit ſollte denn auch
Urbino, das dem Vater Catharinas eine Zeitlang ge-
hört hatte, ja ſelbſt Mailand und Genua vereinigt wer-
den. Der Papſt ſollte ſeine Hülfe zur Wiedereroberung
dieſer Landſchaften verſprechen. 1


Der Papſt ging nun hierauf in der That ein. In
Gegenwart der franzöſiſchen Geſandten, Cardinal Gram-
mont und Herzog von Albany, erklärte er ſich bereit, nach-
dem die Vermählung vollzogen worden, Piſa, Livorno,
Modena, Reggio und Rubiera dem jungen Ehepaar zu
übergeben, ſobald als er und der König es thunlich und
nützlich erachten würden, auch Parma und Piacenza, wofür
jedoch der König der Kirche einen Erſatz gewähren müſſe,
über den ihre beiderſeitigen Commiſſare ſich zu einigen hät-
ten; er zeigte ſich ſehr willig, zur Wiedereroberung von
Urbino das Seine beizutragen. Nur über Mailand und
Genua ſprach er ſich nicht beſtimmt aus. Aber er er-
klärte doch, daß er die geheimen Artikel, in denen dieſe
[439]Verbindung zwiſchen Clemens u. FranzI.
Forderung vorkam, überhaupt billig und recht finde, und
ihre Ausführung wünſche, ſobald ſich nur eine gute Ge-
legenheit dazu zeige. 1


Man ſieht, welch ein enges gemeinſchaftliches Inter-
eſſe ſich hiedurch zwiſchen König und Papſt für die Um-
geſtaltung Italiens bildete, wie ſehr dieß aber mit dem
Prinzip und Vortheil des Kaiſers in Widerſpruch ſtand.


Es verſteht ſich, daß der Papſt ſeine Verabredungen
mit Frankreich ſo geheim wie möglich hielt.


Im Auguſt 1531 wagte er einmal den öſtreichi-
ſchen Bevollmächtigten zu ſagen, er halte es für ſchlech-
terdings nothwendig, etwas zur Befriedigung des Königs
von Frankreich zu thun: er ſehe wohl, der Kaiſer werde
dem König Mailand und Genua niemals abtreten, aber
könne man ihm nicht wenigſtens Hoffnung dazu machen,
ohne es ihm wirklich zu geben? 2 Aber der Eindruck,
den ſelbſt ein ſolcher Vorſchlag machte, war wohl ſehr
ungünſtig. Wenigſtens ſagte der Papſt den franzöſiſchen
Geſandten hierauf, er ſehe ſich in der Nothwendigkeit,
ſeine gute Geſinnung noch zu verheimlichen, um Aufſchub
zu bitten. An ſeiner Geſinnung brauchten darum die
Franzoſen keinen Augenblick zu zweifeln. Im Vertrauen
geſtand er zu wiederholten Malen ein, der Kaiſer habe
in dem letzten Tractate ſeinen Vortheil zu weit getrieben,
es ſey zu wünſchen, daß er dem König deſſen Eigenthum
zurückgebe. Der Geſandte hielt ſich im März 1532 über-
[440]Sechstes Buch. Siebentes Capitel.
zeugt, des Papſtes wahrhafter Wunſch ſey, daß der König
in Mailand, der Kaiſer in Neapel herrſche; dann werde
er glauben, in der Mitte von beiden etwas zu vermögen. 1


Man erwartet in dieſen Jahren Pläne gar nicht mehr,
wie die, zu denen den Papſt alle dieß Hin- und Herüber-
legen ſeines Vortheils, dieſe Hinneigung zu Frankreich, die
er doch zu verheimlichen ſuchte, am Ende geführt hat.


Im Mai 1532 ließ er dem König Ferdinand den
Vorſchlag machen, Ungarn, wie er es noch beſitze, dem
Woiwoden zu überlaſſen, und ſich dafür in Italien und zwar
im Venezianiſchen zu entſchädigen. Wie ganz vergeſſen hatte
er doch die Lehre, die Andere aus dem Kriege der Ligue
von Cambray gezogen. Der Woiwode, den er, obwohl
geheim vor dem Richterſtuhl des Gewiſſens, von jenen
Cenſuren befreit hatte, die er einſt, den öſtreichiſchen Brü-
dern zu Gunſten, ausgeſprochen, ſollte ſich jetzt mit denſel-
ben wider Venedig verbinden. Auch der König von Frank-
reich ſollte das thun. Dafür ſollte er den größten Theil
von Mailand und einen Theil von Piemont bekommen.
Franz Sforza ſollte zum Herzog von Cremona gemacht und
mit einem aus Mailändiſchen und Venezianiſchen Beſitz-
thümern gebildeten Gebiete befriedigt werden. In der
That, ganz ein Anſchlag im Sinne ſeiner letzten politiſch
ſo unruhigen Vorfahren. Auf das ſonderbarſte hatte ſich
der Wunſch verhüllt, den König von Frankreich noch ein-
mal in Italien mächtig zu ſehen. 2


[441]Zuſammenkunft in Bologna 1532.

Wirklich hat man darüber unterhandelt; den Bevoll-
mächtigten Ferdinands und wahrſcheinlich auch ihm ſelbſt
kam die Sache nicht ſo ganz unannehmbar vor; aber in-
deß näherte ſich der Anfall der Osmanen; alle Aufmerk-
ſamkeit mußte auf die Abwehr derſelben gewendet werden,
und indeß waren die Umſtände verändert.


Auf der Stelle erſchien auch der Kaiſer ſelber wieder
in Italien.


Es mag wahr ſeyn, was man behauptet, daß Man-
gel an hinreichenden Geldmitteln ihn bewog, das große
Heer wieder aufzulöſen, und ſeinen Bruder nur mit unzu-
reichenden Kräften zurückzulaſſen: ein anderes Motiv lag
aber ohne Zweifel darin, daß perſönliche Unterhandlungen
mit dem Papſt noch einmal ſehr dringend geworden wa-
ren. Am 5. Dezember traf er zu einer neuen Zuſammen-
kunft mit demſelben in Bologna ein.


Vor allem mußte hier die Sache des Conciliums vor-
genommen werden. Der Kaiſer täuſchte ſich darüber nicht,
daß der Papſt es zu vermeiden wünſche. 1 Aber er mochte
hoffen, ſeine perſönliche Gegenwart, erneuerte Vorſtellun-
gen über die Lage der Dinge in Deutſchland, namentlich
die Gefahren einer Nationalverſammlung, würden dem
Papſt doch etwas abgewinnen. Unverzüglich begannen die
Conferenzen; der Papſt bildete eine Congregation dafür,
die aus den Cardinälen Farneſe, Ceſis, Campeggi, und je-
[442]Sechstes Buch. Siebentes Capitel.
nem Erzbiſchof von Brindiſi, Aleander beſtand; Conſiſto-
rien wurden darüber gehalten. Die Frage war, ob man
das Concilium definitiv berufen, oder erſt den Verſuch ma-
chen wolle, die noch obſchwebenden Feindſeligkeiten zwi-
ſchen den chriſtlichen Fürſten beizulegen. Denn mit die-
ſen Zwiſtigkeiten pflegte der Papſt ſeine Verzögerung zu
entſchuldigen. In dem erſten Conſiſtorium erklärten ſich
in der That die Cardinäle für unverzügliche Berufung;
denn zu weit ausſehend ſey der Verſuch jener Verſöhnung.
Der Papſt verſchob die Beſchlußnahme bis auf die nächſte
Sitzung. In dieſer, am 20. Dezember, fiel dann die Ent-
ſcheidung im Sinne des Papſtes aus. Die Stimmenmehr-
heit erklärte, daß vor der Verſöhnung das Concilium nicht
gehalten, ja ſogar keine gemeinſchaftliche Maaßregel ge-
gen die Türken oder gegen die Lutheraner genommen wer-
den könne. 1 Es läßt ſich denken, wie mißvergnügt der
Kaiſer hierüber war. Man ſuchte nur den Schein zu
retten, erließ Erklärungen, daß das Concilium auf jeden
Fall gehalten werden ſolle, ſchickte Abgeordnete, um es
ſcheinbar vorzubereiten, nach Deutſchland; das war aber,
[443]Zuſammenkunft in Bologna 1533.
wenn ich mich dieſes Ausdrucks bedienen darf, alles Spie-
gelfechterei. Ernſtlich beabſichtigte man durch dieſe Miſſio-
nen nichts weiter, als den Deutſchen den Gedanken des
Nationalconciliums auszureden. Darin allein verſtanden
ſich Kaiſer und Papſt. 1


Hierauf kam die Erhaltung des Friedens in Italien
zur Sprache. Der Kaiſer glaubte einen Angriff Franz I
auf Genua erwarten zu müſſen; und ſein Entwurf war,
denſelben durch ein gegenſeitiges Vertheidigungsbündniß
aller italieniſchen Staaten zu verhüten. Allein auch hier-
bei ſah er ſich von dem Papſt nur wenig unterſtützt.
In Gegenwart des Kaiſers ſprach ſich Clemens wohl für
dieſen Bund aus, aber insgeheim ließ er den veneziani-
ſchen Geſandten wiſſen, was er da geäußert, habe er
nur als die Meinung des Kaiſers geſagt, nicht als die
ſeine, er möge davon der Republik vorſichtige Meldung
thun. 2 Die Venezianer erklärten, ihr Verhältniß zu den
Osmanen hindere ſie in ein Bündniß zu treten, das zu
Gunſten Andrea Doria’s geſchloſſen werde. Eine andere
Schwierigkeit machten die Mißverhältniſſe des Papſtes mit
Ferrara. Nur mit großer Mühe konnte Clemens dahin
gebracht werden, dem Herzog auf 18 Monat Sicherheit
zuzuſagen. 3 Endlich ward denn der Bund geſchloſſen; es
[444]Sechstes Buch. Siebentes Capitel.
wurden die Beiträge beſtimmt, die ein jeder beſonders im
Fall des Krieges zu leiſten habe. Aber ſchon die Ver-
handlungen zeigen, wie wenig zuſammenhaltende Kraft dem-
ſelben inwohnen konnte. Franz hatte eher den Vortheil
davon, daß er Gelegenheit bekam, ſich über die Feindſelig-
keit des Kaiſers, die ſich in dieſen Vorkehrungen ausſpreche,
zu beklagen.


Und hätte der Kaiſer gehofft, durch eine Abkunft die-
ſer Art das Verhältniß zwiſchen dem Papſt und dem Kö-
nig aufzulöſen, ſo wäre er in einer ſchweren Täuſchung be-
fangen geweſen. Gegen eine ſo ehrenvolle Familienverbin-
dung, wie die vorgeſchlagene, vermochte keine Einwendung
etwas auszurichten.


Im folgenden Herbſt machte ſich der Papſt per-
ſönlich auf den Weg, um ſeine Nichte nach Frankreich
zu führen. In Marſeille hielt er eine Zuſammenkunft mit
König Franz, die ohne Vergleich wichtiger geworden iſt, als
die letzte mit dem Kaiſer.


Die Natur der Sache bringt es leider mit ſich, da
die Verhandlungen mündlich gepflogen wurden, daß wir
keine Aufzeichnungen finden, die uns darüber eine authen-
tiſche Kunde zu gewähren vermöchten.


Allein wie man den Kaiſer von Rom aus warnte,
denn es ſey nicht anders möglich, als daß der Papſt mit
dem König etwas gegen ihn vorhabe, 1 ſo verſichern uns
die florentiniſchen Vertrauten des Papſtes, und ein ſo ſchar-
fer und guter Beobachter wie der venezianiſche Geſandte,
einſtimmig, daß dieß geſchehen ſey.


[445]Zuſammenkunft in Marſeille 1533.

In Marſeille wurden nicht allein franzöſiſche Cardi-
näle ernannt; bei weitem mehr hatte zu bedeuten, daß der
Papſt ſich entſchloß ſeinen Nuntius in der Schweiz, den
Biſchof von Veroli, welcher für kaiſerlich geſinnt galt, auf
Bitten des Königs zurückzurufen. 1


Bald aber ſtellte ſich noch weiter heraus, was zwi-
ſchen den beiden Fürſten verabredet ſeyn mochte.


Der Herzog von Orleans, Gemahl der Nichte des
Papſtes, machte auf Urbino Anſpruch, welches das Erb-
theil ſeiner Gemahlin ſey, und der päpſtliche Nuntius in
Deutſchland verhehlte nicht, daß der Papſt denſelben un-
terſtützen werde. Allerdings ſey ihm durch die Tractate
verboten, Neuerungen anzufangen, aber unmöglich könne
man es eine Neuerung nennen, wenn Jemand das Seine
zurückfordere. Sey doch Urbino ein Lehen der Kirche; ge-
wiß werde ſich der Kaiſer keines päpſtlichen Vaſallen gegen
dieſelbe annehmen. 2


Das bekam aber eine noch weit höhere Bedeu-
tung, als auch der König ſeine Anſprüche auf Mailand
bald darauf ſtärker als bisher erneuerte. Er forderte, daß
Sforza durch ein Jahrgeld abgefunden und Mailand ihm
auf der Stelle eingeräumt werde. 3


1


[446]Sechstes Buch. Siebentes Capitel.

Bemerken wir nun, daß dieß die Stipulationen des Ehe-
vertrags waren, ſo wird wohl höchſt wahrſcheinlich, daß die
Beſprechungen in Marſeille eben die Vollziehung deſſelben
zur Abſicht hatten. Wie ſollte es nicht auch dem Papſt
erwünſcht ſeyn, ſeine Nichte als mächtige italieniſche Für-
ſtin zu begrüßen?


Den Kaiſer brauchte er wegen ſeiner Annäherung an
Frankreich nicht ſogleich zu fürchten; wir werden ſehen,
wie er demſelben durch Erfüllung ſeiner Wünſche in der
engliſchen Sache doch wieder die Hände band, ja ſeiner
Politik eine andere Richtung zu geben ſuchte.


Es fragte ſich nur, wie man ihn in den italieniſchen
Angelegenheiten zur Nachgebigkeit nöthigen wollte, ob durch
offene Gewalt oder durch indirecte Mittel.


Die Verſicherung des venezianiſchen Geſandten iſt,
daß der Papſt das erſte abgelehnt, aber zu dem letzten
ſeine Zuſtimmung gegeben habe.


Nachdem die politiſche Oppoſition gegen das Haus
Oeſtreich, welches dem katholiſchen Europa zuletzt mit den
Waffen ſeinen Willen aufgenöthigt hatte, einen Augenblick
beſchwichtigt geweſen, erwachte ſie wieder, und nahm die
alten Pläne auf. Der Gedanke des Papſtes und des Kö-
nigs war, ſich zunächſt fremder Feindſeligkeiten zu ihrem
Zwecke zu bedienen.


Der venezianiſche Geſandte urtheilt, daß in Marſeille
auch von einer Bewegung von Seiten der Osmanen die
Rede geweſen ſey, doch will er es nicht behaupten; ohne
allen Zweifel dagegen verſichert er, daß eine Erhebung der
Waffen in Deutſchland hier berathen worden ſey. Auch
[447]Einwirkungen auf Deutſchland.
Guicciardini behauptet, daß der König dem Papſt ſeine
Abſicht, die deutſchen Fürſten gegen den Kaiſer in Bewe-
gung zu ſetzen, mitgetheilt habe. 1


Ich finde nichts, was dieſen Verſicherungen ihre
Glaubwürdigkeit nehmen, ihnen mit Grund entgegengeſetzt
werden könnte.


Denn zunächſt waren die Verbindungen, welche der
König mit den deutſchen Fürſten unterhielt, doch lediglich
politiſcher Natur.


Vor allem unterſtützte er den Widerſpruch gegen die
Wahl König Ferdinands. Als ſich die opponirenden Für-
ſten im Mai 1532 enger vereinigten, und ſogar eine förm-
liche Kriegsverfaſſung verabredeten, machte ſich Franz I
verbindlich, für den Fall des Krieges 100000 Kronen bei
den Herzogen von Baiern niederzulegen. Die kühnſten und
umfaſſendſten Pläne tauchten zuweilen auf; z. B. im Fe-
bruar 1533 eines Anfalls der Franzoſen auf die Beſitz-
thümer Carls, und zugleich der deutſchen Fürſten und Za-
polya’s auf Ferdinand. 2 Unaufhörlich durchzogen könig-
liche Agenten, beſonders Gervaſius Wain, ein geborner
Memminger, und Wilhelm von Bellay, das deutſche Reich,
[448]Sechstes Buch. Siebentes Capitel.
um die Oppoſition in Gang zu erhalten, dieſe Fäden en-
ger zu knüpfen.


Noch wichtiger aber als die Wahl wurde bald die
Wirtembergiſche Angelegenheit.


Seit dem Tage, an welchem der Herzog von Wir-
temberg aus ſeinem Lande getrieben worden, hatten auch
die Verſuche begonnen, ihn wieder herzuſtellen. Unzählige
Verhandlungen und Verabredungen hatte man darüber ge-
pflogen, 1 doch war noch alles an der entſchiedenen Feind-
ſeligkeit des ſchwäbiſchen Bundes geſcheitert. Auf dem
Reichstag von Augsburg war Ferdinand von ſeinem Bru-
der auf das feierlichſte mit Wirtemberg belehnt worden.


Im Jahre 1532 trat nun ein Ereigniß ein, das allen
Anſprüchen des Fürſtenhauſes einen neuen Nachdruck gab.


Nach der Verjagung Herzog Ulrichs war auch deſſen
Sohn Chriſtoph, ein fünfjähriger Knabe, aus Wirtem-
berg weggeführt worden. Man erzählte ſich, bei ſeinem
letzten Nachtlager im Lande, habe er mit einem Lamm ge-
ſpielt, und dieß dann beim Abſchiede dem Wirth dringend
anempfohlen; wenn er wiederkomme, werde er ihm die
Bemühung vergelten. Dieſer kindiſche Traum ſollte jedoch
lange unerfüllt bleiben. Der Knabe wuchs in Insbruck
und Neuſtadt unter der Obhut Ferdinands auf. Man hat
da nicht immer aufs Beſte für ihn Sorge getragen; we-
niger vielleicht aus üblem Willen, als weil die Hofhal-
tung überhaupt nicht ganz in Ordnung war; er hat zu-
[449]Chriſtoph von Wirtemberg.
weilen Mangel gelitten; er ſagt ſelbſt, ſein Zuſtand habe
bei Jedermann Mitleiden erregt; er iſt ſogar einmal in Ge-
fahr gerathen, von den Türken weggeführt zu werden. Aber
frühes Mißgeſchick iſt einem Fürſten oft nützlicher als der
Müßiggang und die Schmeichelei des Hofes; ihm wollte
das Glück in der Hauptſache doch wohl. Er bekam einen
Lehrer, der gute Wiſſenſchaften beſaß und ſich mit voller
Hingebung an ihn anſchloß, Michael Tifernus. Das Schick-
ſal dieſes Mannes vergegenwärtigt uns recht den Zuſtand
jener Zeiten. Als Kind war dieſer Michael von den Tür-
ken weggeführt worden, man wußte nicht von wo, doch
hatten ſie ihn zuletzt wieder liegen laſſen. Man brachte
den armen Findling nach Tybein, Duino, wovon er ſei-
nen Namen führt, unfern von Trieſt; da iſt er von guten
Menſchen auferzogen, darnach in ein Collegium zu Wien ge-
bracht und dort gebildet worden. In jener Stunde der
Gefahr hatte er hauptſächlich ſeinen Zögling gerettet. Un-
ter ſeiner Leitung gedieh derſelbe nun vortrefflich. Und all-
mählig zog man ihn auch an den Hof, denn nicht unfürſt-
lich wollte man ihn halten; er war 1530 mit dem Kaiſer
in Augsburg. Da mußte ſich ihm aber allmählig auch
die Welt aufſchließen; es konnte nicht an Leuten fehlen,
die ihm ſeine Anſprüche in Erinnerung brachten. Wie
mochten ihn bei jener Belehnung Ferdinands die Fahnen
von Wirtemberg und Teck in deſſen Händen anſehn! Das
Gefühl ſeines Rechtes erwuchs in ihm mit der Zunahme
ſeiner männlichen Jahre und Kräfte: doch mußte er es
zurückdrängen, verſchloſſen halten. Und in dieſer geſpann-
ten Stimmung nun geſchah ihm der Vorſchlag, den Kaiſer
Ranke d. Geſch. III. 29
[450]Sechstes Buch. Siebentes Capitel.
auch nach Italien, nach Spanien zu begleiten! Man braucht
nicht anzunehmen, daß das Betragen der Spanier ihm auch
ſonſt Verdacht erweckt habe; er war ohnedieß entſchloſſen,
wie er ſich ausdrückt, „ſeine Gerechtigkeiten in Deutſchland“
nicht zu verlaſſen. Als ſich der kaiſerliche Hof nach dem
Türkenkrieg im Herbſt 1532 durch die Alpen nach Italien
begab, fand er mit ſeinem Hofmeiſter Gelegenheit zu entfliehen.
Unbemerkt verloren ſie ſich aus dem Gefolge und ſchlugen
den Weg nach Salzburg ein. Von wegekundigen Bauern
wurden ſie geführt und waren ſchon weit entfernt, als man
ſie vermißte und ihnen nachſetzte. Sie hatten, wie man
erzählt, das Unglück, daß eins ihrer Pferde erkrankte, und
waren reſolut genug, um durch daſſelbe nicht etwa ver-
rathen zu werden, es in einem See zu erſäufen. Während
der Herzog auf dem andern ſeinen Verfolgern entging, —
denn ſchon waren ihnen dieſe auf der Spur, — verbarg
ſich Tifernus im hohen Rohr eines Weihers. Da man ſie
nicht fand, meinte man wohl, ſie ſeyen im Gebirge er-
ſchlagen. 1 Aber indeß gelangten ſie an einen ſichern Zu-
fluchtsort, wahrſcheinlich unter dem Schutze der Herzoge
von Baiern; und von da erſchollen nun plötzlich die Kla-
gen Chriſtophs, der ſein Erbe zurückforderte in alle Welt. 2


Es war an ſich ein weitausſehendes Ereigniß, daß ein
Fürſt von Wirtemberg wieder erſchien, mit gerechten unver-
[351]Aufloͤſung des ſchwaͤbiſchen Bundes.
jährten Anſprüchen, von dem alten Stamm und Namen, der
die Zuneigung der angebornen Unterthanen beſaß. Für den
Moment bekam es aber erſt dadurch rechten Nachdruck,
daß auch die Herzoge von Baiern, denen der Vater höchſt
widerwärtig geweſen, deren [Vereinigung] mit dem ſchwäbi-
ſchen Bund hauptſächlich die Vertreibung deſſelben bewirkt
hatte, dem Sohne ihre Unterſtützung gewährten.


Ueberhaupt ſtand der ſchwäbiſche Bund bereits auf
dem Punkte ſich aufzulöſen. Ein Motiv dazu war das
alte, daß ſich die Fürſten nicht gewöhnen konnten, dem Bun-
desrath unterworfen zu ſeyn, in welchem Prälaten und Städte
ſo viel wie ſie galten. Heſſen, Trier und Pfalz ſchloſſen
1532 eine beſondere Vereinigung, in der ſie einander ver-
ſprachen, in die Erneuerung des Bundes nicht zu willigen. 1
Aber auch die Städte waren mißvergnügt, namentlich über
die ſtreng katholiſche Haltung des Bundesgerichts: Ulm,
Augsburg und Nürnberg ſehen wir ſich unter einander ſelbſt
zu gemeinſchaftlicher Vertheidigung vereinigen. Die vor-
nehmſte Verſtimmung jedoch bewirkten eben die Verhältniſſe
von Wirtemberg. Im Jahr 1530 war Wirtenberg mit
allen Vorrechten von Oeſtreich begabt, ſogar aus der Kam-
mergerichtsmatrikel weggelaſſen worden; aller Laſten des
Reiches ſollte es überhoben ſeyn. Und indeſſen waren dem
Bunde die Kriegskoſten, die er 1519 bei der Eroberung
aufgewendet, noch immer nicht erſtattet. 2 Der Kaiſer und
29*
[452]Sechstes Buch. Siebentes Capitel.
der König ſahen wohl wie viel ihnen für den Beſitz des
Landes daran liege, den wohlgeordneten, kriegsfertigen
Bund in die Waffen rufen zu können; ihr Bevollmächtigter,
der Biſchof von Augsburg gab ſich im Frühjahr 1533 alle
mögliche Mühe ihn zuſammenzuhalten. 1 Aber da die Be-
ſchwerden wegen Wirtembergs nicht gehoben wurden, wollte
Niemand mehr die Vertheidigung deſſelben übernehmen.
Baiern erklärte, es halte die Sache des Herzogs Chriſtoph
für ſeine eigene.


Im December 1533 ward noch ein Bundestag zu
Augsburg gehalten, um die Sache definitiv zu entſcheiden.


Der arme, beraubte, faſt verſchollene junge Fürſt er-
ſchien jetzt mit einer glänzenden Schaar von Beiſtänden,
Räthen von Churſachſen, Braunſchweig, Lüneburg, Heſſen,
Münſter, Jülich, Meklenburg, Preußen. Die Commiſſa-
rien Ferdinands ſahen ſich ſogleich in der Nothwendigkeit,
mit ihm zu unterhandeln, eine Entſchädigung anzubieten,
Cilli oder Görz oder Nellenburg. Der junge Herzog ging
jedoch nicht mehr darauf ein. Er führte an, der Ver-
trag, auf den ſich dieß Erbieten gründe, ſey niemals er-
füllt und dadurch aufgelöſt. 2 Ueberhaupt betrug er ſich
mit Umſicht und Klugheit. Er hütete ſich wohl, die Ur-
ſachen, weshalb ſein Vater verjagt worden, zu berühren;
er blieb nur dabei ſtehn, daß ſeinem Hauſe, und dann auch
ihm beſonders, dem man nichts von allem gehalten, was
2
[453]Aufloͤſung des ſchwaͤbiſchen Bundes.
für ihn bedungen worden, ein unerhörtes Unrecht geſchehn
ſey. Er gab die Verſicherung, daß er bei alle dem doch
niemals daran denken werde, an den Bundesſtänden zu rä-
chen, was ſie ſeinem Hauſe angethan. Daſſelbe verſicher-
ten die heſſiſchen Geſandten im Namen ſeines Vaters. Un-
ter dieſen Eindrücken konnten die Commiſſarien keinen Schritt
vorwärts kommen. Als die Verſammlung auseinanderging,
ſah Jedermann, daß der große Bund, auf welchem die
Macht von Oeſtreich im obern Deutſchland größtentheils
beruhte, ſich auflöſen würde. 1


Auch ein franzöſiſcher Geſandter war in Augsburg zu-
gegen. Wir haben die pathetiſche Rede übrig, die er dort
zu Gunſten Herzog Chriſtophs gehalten. 2 Wohl noch mehr
als ſeine Beredſamkeit wirkte die einfache Thatſache, daß
der große benachbarte König ſich für den jungen Fürſten
verwandte.


Zu derſelben Zeit geſchah das, als der König und
der Papſt in Marſeille beiſammen waren. So wie der
Papſt ſich entfernte, eilte der König, des Einverſtändniſ-
ſes mit Rom ſicher, die Gunſt der Umſtände zu einer ent-
ſcheidenden Bewegung zu benutzen.


[454]Sechstes Buch. Siebentes Capitel.

Im Januar 1534 ſchloß er in der Sache der Wahl
einen noch engern Bund mit den deutſchen Fürſten. Auf den
Fall, daß es um derſelben willen zum Krieg komme, ver-
pflichtete er ſich, den dritten Theil der Koſten zu überneh-
men. Jetzt erſt zahlte er jene 100,000 Sonnenkronen, die
bei den Herzogen von Baiern niedergelegt wurden.


Und noch unmittelbarer mußte ihn die Förderung der
wirtembergiſchen Sache, auf die er in demſelben Augen-
blick einging, zum Ziele führen.


Schon längſt hatte ſich Landgraf Philipp — dem Her-
zog Ulrich von Würtemberg perſönlich zugethan, und dem
Hauſe Oeſtreich aus mancherlei Gründen noch abgeneigt,
— entſchloſſen, bei der erſten günſtigen Gelegenheit die Re-
ſtauration des verjagten Hauſes zu unternehmen. Es war
ein Hauptgeſichtspunkt ſeiner geſammten Politik alle dieſe
Jahre daher. Jetzt lagen die Umſtände günſtiger als je-
mals. Es fehlte ihm an nichts als an Geld, um den
Schlag ſo viel wie möglich raſch und ohne hemmende Ver-
bindung mit andern deutſchen Fürſten ausführen zu können.


Hauptſächlich durch den Grafen Wilhelm von Für-
ſtenberg, einen jener Kriegsanführer, die ſich bald der einen,
bald der andern Partei anſchloſſen, der, nachdem er dem
Hauſe Oeſtreich nach im Jahr 1528 gedient, ſich jetzt auf
die franzöſiſche Seite geworfen hatte, ward die Verbin-
dung zwiſchen König Franz und Landgraf Philipp vermittelt.


Von Marſeille begab ſich der König nach den öſtli-
chen Gränzen ſeines Reiches; im Geleite des Grafen von
Fürſtenberg 1 erhob ſich dann auch Landgraf Philipp von
[455]Zuſammenkunft in Barleduc.
Caſſel; er nahm ſeinen Weg über Zweibrücken; am 18ten
Januar finden wir ihn in St. Nicolas an der Meurthe.


Unmittelbar hierauf fand die Zuſammenkunft zwiſchen
dem König und dem Landgrafen in Barleduc Statt. Es
iſt hier von allen obſchwebenden Fragen die Rede geweſen,
dem Concilium und der Wahl, den heſſiſch-naſſauiſchen,
den niederländiſch-geldriſchen Intereſſen; — der König äu-
ßerte ſich über jede als ein Freund der deutſchen Unab-
hängigkeit und im Allgemeinen auch der proteſtantiſchen
Fürſten; 1 — hauptſächlich aber wurde, worauf alles an-
kam, über die Unternehmung auf Würtemberg unterhandelt.
Der Landgraf, dem es an Truppen und Kriegsmitteln nicht
gebrach, forderte vor allen Dingen Geld, um dieſelben in
Bewegung zu bringen. Der König, durch den Tractat
von Cambray ausdrücklich verpflichtet, ſich der Gegner des
Kaiſers, unter andern des Herzogs von Würtemberg nicht
anzunehmen, trug doch Bedenken, ſo in offenem Widerſpruch
damit durch förmlichen Vertrag, Subſidien zu deſſen
Gunſten zu bewilligen. Man traf die Auskunft, die Zah-
lung einer Summe von 125,000 Kronenthalern, zu der
ſich Franz I verſtand, durch einen Kaufcontract über Müm-
pelgard zu verſtecken. In einer Nebenverſchreibung erklärte
dann der König, daß er 75000 Kronen dem Herzog ge-
radezu ſchenke. Am 27. Januar ward der Tractat abge-
ſchloſſen; 2 unverweilt machte ſich der Landgraf auf den
[456]Sechstes Buch. Siebentes Capitel.
Rückweg, ſchon am 8. Februar war er wieder in Caſſel.
Und nun ſäumte er keinen Augenblick, alles zu ſeinem Un-
ternehmen vorzubereiten. Er trug, wie ſich verſteht, Be-
denken, ſein Geheimniß dem Papier anzuvertrauen; aber
von ſeinen vertrauten Räthen hatte er zuweilen keinen einzi-
gen zu Hauſe, ſo viel verſchickte er ſie; zu den Churfürſten
von Trier und von der Pfalz begab er ſich perſönlich. 1
Auch er nahm an dem Vertrag über die Wahl Theil, aber
indem er dem König die Ratification deſſelben überſendete,
bemerkte er ihm doch, er werde auf die Herzoge von Baiern
nicht warten. Schon ſey er beſchäftigt, für ſich ans Werk
zu gehn. Der König war glücklich über die Ausſichten,
die ſich ihm eröffneten. Am Oſtermontag 1534 ſagte er
einem Agenten des Woiwoden, der bei ihm war, der ſchwä-
biſche Bund ſey aufgelöſt; er zahle Geld nach Deutſchland
und habe viele Freunde daſelbſt, Bundesgenoſſen, die auch
ſchon in den Waffen ſeyen; bald werde Zapolya einen Frie-
den erlangen können, wie er ihn nur wünſche. 2


Noch Eine Gefahr hatte der Landgraf zu beſeitigen,
ehe er losbrach. Jene Churfürſten, welche Ferdinand ge-
wählt, konnten fürchten, daß ein glücklicher Kriegszug ge-
gen den König auch ihnen ſpäterhin verderblich werden
dürfte; es ſchien ſehr möglich, daß ſie ſich deshalb des
Königs annehmen möchten, wie denn wirklich bereits ein
3
[457]Deutſche Politik.
Churfürſtentag nach Gelnhauſen anberaumt worden. Bei
jener Reiſe war es ohne Zweifel Philipps vornehmſte
Sorge, Trier und Pfalz hierüber zu beruhigen. Statt an
einen Krieg der Wahl halber zu denken, legte man jetzt
vielmehr den Grund zur Beilegung dieſer Sache. Baiern
verſprach, wenn nur Wirtemberg wieder in die Hände
des angeſtammten Hauſes komme, die Wahl nicht weiter
anfechten zu wollen: hierauf verſprachen Brandenburg,
Cöln und Pfalz, dem Landgrafen in ſeinem Unternehmen
nicht entgegen zu ſeyn. Trier verſtand ſich ſogar zu einer
Hülfszahlung. 1


Wie ſah ſich König Ferdinand plötzlich ſo ganz iſolirt!


Der Kaiſer war entfernt, der König von Frankreich
feindſelig, der Papſt, wie ſich bald noch näher auswies,
höchſt zweifelhaft. Die alte Feindſeligkeit, welche den ſchwä-
biſchen Bund zuſammengehalten, war verloſchen; Herzog
Ulrich beſtätigte feierlich die Verſicherungen des Landgrafen,
daß die Städte nichts von ihm zu fürchten haben wür-
den. Weder die Wahlverpflichtungen der Churfürſten noch
die religiöſen Differenzen wollten jetzt zu ſeinen Gunſten
wirken. Die Geiſtlichen waren ſo gut gegen ihn wie die
Weltlichen. 2


Denn daß ein altes deutſches Fürſtenhaus ſeines Erb-
theils ſo ganz und gar verluſtig gehn ſollte, konnte doch
von keinem andern Fürſten gebilligt werden.


Die Wittenberger Theologen, die eignen Unterthanen
[458]Sechstes Buch. Siebentes Capitel.
warnten den Landgrafen: ſie meinten, er werde Heſſenland
in Verderben bringen. Faſt ſcherzend entgegnete er, für
dieß Mal will ich Euch nicht verderben; er überſah die
Lage der Dinge beſſer als ſie, und fühlte ſich ſeiner Sache
ſicher.


Nur mit Ferdinand, und zwar nur mit deſſen wir-
tembergiſchen Kräften hatte er zu thun; denen fühlte er
ſich wohl gewachſen.


Während er ſelbſt hauptſächlich eine ſtattliche Reiterei um
ſich ſammelte, — die Waffe, durch welche Niederdeutſchland
im ſechszehnten Jahrhundert dem übrigen Europa überlegen
war — aus Pommern und Meklenburg, Braunſchweig und
Eichsfeld, den weſtfäliſchen Bisthümern und den cölni-
ſchen Stiftslanden, deren Kern ſeine eignen heſſiſchen Va-
ſallen bildeten, ohne Zweifel die Lehnsmannſchaft, die da-
mals in Deutſchland am häufigſten aufgeboten ward, und
dießmal nicht ſehr gern Folge leiſtete, brachte Graf Wil-
helm von Fürſtenberg, am Oberrhein und im Elſaß, wo
die beſten Landsknechte den Winter über auf den Kriegsruf
gewartet, nicht ohne Hülfe der Stadt Strasburg, 24 Fähn-
lein zu Fuß zuſammen. Die Vereinigung beider Haufen ge-
ſchah zu Pfungſtadt am Odenwald. Dienſtag am 5. Mai
traf Nachricht ein, daß auch der Feind eine ſtattliche Macht
in Stuttgart zuſammengebracht habe, und ſich ohne Zwei-
fel in offenem Felde entgegenſtellen werde. Alles ward freu-
dig und kampfbegierig. Mittwoch den 6ten, gleich nach
Mitternacht, brach man auf. Der Landgraf zu Pferd, ſelbſt
ſeinen Rennſpieß in der Hand, muſterte die Leute. Voran
zogen die Wagen mit Munition und Lebensmitteln, von
[459]Kriegszug Landgraf Philipps 1534.
ſechs tauſend Bauern geführt, alles ſelbſt ſtreitbaren Leuten.
Dann folgte das Rennfähnlein, hierauf das Geſchütz, dar-
nach die große Schwadron der gepanzerten Reiter unter
der Hauptfahne, welche der Erbmarſchall von Heſſen trug;
hierauf die Fußvölker, ſowohl die, welche der Landgraf mit-
gebracht, als die oberländiſchen, zu denen noch der Graf
Georg von Würtemberg eine nicht unbedeutende Verſtärkung
ſtoßen ließ. Es waren ungefähr 20,000 Mann zu Fuß,
4000 zu Pferd, ein Heer, zwar bei weitem nicht das
größte, das man in dieſen Zeiten geſehen, doch für einen
einzelnen Reichsfürſten, der dem Range nach nicht ein-
mal zur erſten Claſſe gehörte, über Erwarten zahlreich, und
dabei trefflich ausgerüſtet, mit allen Kriegsbedürfniſſen auf
das beſte verſehen. Man hatte ſich angelegen ſeyn laſſen, be-
ſonders evangeliſch-geſinnte Rittmeiſter und Hauptleute zu
werben; bei den Gemeinen herrſchte dieſe Geſinnung ohne-
hin vor. Es war das erſte Heer religiös-politiſcher, eu-
ropäiſch-deutſcher Oppoſition gegen das Haus Oeſtreich,
das im Felde erſchien.


Dem gegenüber hatte ſich nun auch die öſtreichiſch-
wirtembergiſche Regierung gerüſtet. Die Manns- und
Frauenklöſter, Stifte, Ruralcapitel hatten Beihülfe geleiſtet,
die Städte eine Kriegsſteuer gezahlt. Die alten Kriegsbe-
fehliger aus den italieniſchen Feldzügen, Curt von Bem-
melberg, Caspar Frundsberg, Marx von Eberſtein, Tha-
mis, 2 genannt Hemſtede, hatten Landsknechte zuſammen-
1
[460]Sechstes Buch. Siebentes Capitel.
gebracht; noch einmal hören wir die Gegner Heſſens aus
dem ſickingenſchen Kriege nennen: Hilch von Lorch, die
Söhne Sickingens, Dietrich Spät. Der König ſelbſt er-
ſchien nicht. Seine Stelle vertrat der Statthalter von Wir-
temberg, der bei der Vertheidigung von Wien einen Namen
erworben, Philipp von der Pfalz. Obwohl ſie an Zahl
dem Landgrafen nicht gewachſen waren, — ſie mochten
10,000 Mann zählen, mit Einſchluß einer Anzahl von Böh-
men — ſo hatten ſie doch Muth genug, ihn auf ſeinem
Weg, bei Laufen am Neckar im offenen Feld zu erwarten.
Nicht einmal den Uebergang über den Fluß trugen ſie Sorge
ihm zu erſchweren.


Auch hielten ſie beim erſten Zuſammentreffen, welches
der Landgraf einer halben Schlacht gleich ſetzte, am 12ten
Mai wacker aus. Aber ſie hatten nicht allein das Un-
glück, daß ihr Anführer, der Pfalzgraf verwundet wurde;
ſondern es entwickelte ſich auch eine ſo entſchiedene Ueber-
legenheit des Landgrafen, daß ſie erkannten, ſie würden
ihn, wie ſie waren, hier am Ort nicht beſtehen können.
Noch in der Nacht brach Dietrich Spät auf, um mehr
Reiterei zu holen. Das Heer ſelbſt ſuchte des andern Ta-
ges am 13ten, früh am Morgen, eine feſtere Stellung zu
gewinnen.


Sollte ihnen aber der feurige Landgraf dieß geſtat-
ten? In dieſem Augenblick war auch er ſchon in Be-
wegung. Keine Widerrede ließ er ſich abhalten, er ſah
wohl, welch ein Vortheil es für ihn war, mit ſeiner
Ueberzahl an Reiterei und ſeinem guten Geſchütz den
Feind ſo im Moment des Aufbruchs anzufallen. So wa-
ren einſt die ſtreitbaren Haufen der Bauern beſiegt wor-
[461]Schlacht bei Laufen.
den. Das öſtreichiſche Heer hatte zwar geübte Landsknechte,
tapfere Anführer, aber der Mangel an Pferden brachte
es in dieſelbe mißliche Lage, die jene Bauern zu beſtehen
gehabt. Durch einen Reiterangriff in der Flanke hielt Land-
graf Philipp die Abziehenden an einem Weingarten ſo lange
auf, bis ſein Geſchütz herangekommen. Er eilte dann zu-
rück, um auch die Fußvölker zum entſcheidenden Anlauf
herbeizuführen. Aber ehe dieſes noch angelangt, hatte Rei-
terei und Geſchütz ſchon ſo gut zuſammengewirkt, daß
der Feind in volle Unordnung gerieth und über die Steige
Bidembach zurückwich. Die wenigen Reiter, die er noch
hatte, nahmen ihren Weg nach dem Asperg; das Fußvolk
ward auseinandergeſprengt; Viele fanden im Neckar ihren
Tod. 1 Der Landgraf wunderte ſich ſelbſt, daß ſo nahm-
hafte Anführer ſo wenig Stand gehalten.


[462]Sechstes Buch. Siebentes Capitel.

Ein Schlachttag iſt in der Regel auch deshalb merk-
würdig, weil da die geſammten Momente der innern Ent-
wickelung zuſammengreifen und ſich gegen einander verſu-
chen. Landgraf Philipp hatte die glücklichſte Combination
der europäiſchen Verhältniſſe, die geheime oder offene Zu-
ſtimmung von ganz Deutſchland, die religiöſen Sympathien
für ſich. Ferdinand war auf ſich allein angewieſen, ver-
focht nur ein zweifelhaftes Recht und unpopuläre Ideen,
er blieb in dem Lande das er beſaß der Schwächere.


Dieſer Schlachttag verdient nun aber auch ſeiner Fol-
gen wegen alle Aufmerkſamkeit. Er entſchied über das
Schickſal eines der wichtigſten deutſchen Fürſtenthümer.
Das Land fiel ohne weiteres den Siegern anheim. Her-
zog Ulrich erſchien nach ſo langer Abweſenheit wieder; nach-
dem er den Tübinger Vertrag beſtätigt hatte, huldigte ihm
die Bürgerſchaft ſeiner Hauptſtadt Stuttgart auf einer Wieſe
an der Straße nach Canſtadt; ihrem Beiſpiel folgten die
übrigen Städte und Aemter. Auch die Schlöſſer hielten
ſich nicht für Ferdinand. Entweder waren die Befehlsha-
ber in ihrem Herzen dem zurückkehrenden Landesfürſten ge-
wogen, oder ſie fürchteten für ihre Güter, die den Siegern
bereits in die Hände gefallen waren, oder ſie wurden mit
Gewalt genöthigt. Auch der Asperg ergab ſich am 8. Juni.


So ward Wirtemberg wieder wirtembergiſch. Her-
zog Ulrich war von ſeinen Gegnern wohl mit dem Spott-
namen der Beſenmacher belegt worden. Man ſcherzte jetzt
von der andern Seite, nun ſey er gekommen, um die Spin-
neweben im Lande auszufegen. Mit Freuden ſah man das
Jägerhorn wieder, nach dem man ſich ſo lange geſehnt,
[463]Bezeigen des Papſtes.
die Lieder preiſen das Glück des Landes, daß ihm ſein
angeborner Fürſt wieder überantwortet ſey. Politiſch war
es ein großer Erfolg, daß ein Fürſt, in welchem die Op-
poſition gegen Oeſtreich durch alles, was vorgegangen,
nun erſt recht geſteigert worden, in der Mitte von Ober-
deutſchland auftrat. Es konnte bei ſeiner bekannten Geſin-
nung wohl von Anfang an keine Frage ſeyn, welche Hal-
tung er auch in religiöſer Hinſicht nehmen würde.


Merkwürdig aber, wie ſich Papſt Clemens VII hie-
bei betrug. Der Geſandte König Ferdinands erſuchte ihn
im Auftrag ſeines Herrn um Beihülfe in einer ſo großen
Gefahr, die auch für die Kirche, ſo wie für Italien überaus
drohend werden könne. Wirklich brachte der Papſt die Ange-
legenheit in dem nächſten Conſiſtorium zur Sprache; er wie-
derholte die Worte des Geſandten, ſteigerte ſelbſt ſeine Aus-
drücke; über die Hülfe aber, die dem König zu leiſten ſey,
machte er nicht einmal einen Vorſchlag. Hierauf lief ein
Schreiben Ferdinands an den Papſt ſelbſt ein; noch ein-
mal ward die Sache im Conſiſtorium vorgenommen. Aber
der Papſt wählte dieſen Augenblick, um zugleich die For-
derungen des Kaiſers in Bezug auf das Concilium, die
der Curie ſo höchlich verhaßt waren, in Anregung zu brin-
gen; die Folge war, daß man die Hülfsgelder aufzählte,
die dem Kaiſer und dem König ſchon gewährt worden, den
neuen Antrag aber einer Congregation überwies. Der Papſt
ſagte, der König liege an einer Krankheit darnieder, in der
ihm keine leichte Arznei, nicht etwa ein Syrup, ſondern
nur ein ſtarkes Heilmittel nützen könne. Demgemäß ent-
ſchied die Congregation, da man nicht im Stande ſey, dem
[464]Sechstes Buch. Siebentes Capitel.
König eine bedeutende Subſidie zu gewähren, ſo ſey es
beſſer ihm gar keine zu bewilligen. Zum Verdruß der Ge-
ſandten war die Nachricht eingelaufen, daß der Landgraf
bei ſeinem Eintritt ins Land nichts gegen die Kirchen thue.
Der Papſt erklärte hierauf, die Sache ſey ein Privatkrieg, auf
den er ſich nicht einlaſſen wolle; ſollten aber die Feinde die
Kirche beleidigen, dann werde er daran denken, Hülfsgel-
der zu zahlen. Der Geſandte bemerkte mit aller Lebhaftig-
keit, die ſeine Ehrerbietung geſtattete, wie viel an der Sache
liege, wie theuer ſie dem römiſchen Stuhle zu ſtehen kom-
men könne, ja ſelbſt der Stadt Rom und ganz Italien.
Aber auch der Papſt ward lebhaft, und beinahe zornig;
er fragte, wo denn der Kaiſer ſey, warum er nicht Für-
ſorge getragen; er der Papſt habe ihn ja längſt ſchon auf
die Bewegung, die von dem Landgrafen zu erwarten ſey,
aufmerkſam gemacht. 1 Genug der Papſt war zu keiner
[465]Franzoͤſiſche Plaͤne.
Theilnahme zu bringen, nicht der geringſten. Er wollte
erſt von dem Ruin der Kirche hören, ehe er etwas dage-
gen thue; zunächſt ſah er die Sache lediglich vom politi-
ſchen Standpunkt an.


Dieſe Lage der Dinge ſchien nun allerdings dem Kö-
nig die großartigſte Ausſicht zu eröffnen.


Am 18. Juni ſtanden die Sieger zu Taugendorf an
der öſtreichiſchen Grenze. Meine Freunde, ſagte Franz I,
haben Würtemberg erobert, nur mehr! weiter! Indeſſen
war auch Barbaroſſa in See erſchienen, hatte die neapo-
litaniſche Küſte weit und breit geplündert, und ſich dann
auf Tunis geſtürzt, das in ſeine Hände fiel. Er nahm,
wie wir weiter berichten werden, eine für Spanien überaus
drohende Stellung daſelbſt an. Franz I meinte, daß der
Kaiſer unter ſo mannichfaltiger Gefahr ſeines Hauſes
ihm nachgeben werde. Er forderte Genua, Montferrat,
und auf der Stelle wenigſtens einen Theil von Mailand. 1
Die Pläne auf Urbino regten ſich.


In Deutſchland ſchien ein Feuer angezündet zu ſeyn,
welches nicht ſo leicht wieder gelöſcht werden könne.


So wie der Kaiſer Nachricht erhielt, ſchickte er auf
der Stelle einen Geſandten mit nicht unbedeutenden Geld-
mitteln ab, um ein Heer ins Feld zu bringen und den
1
Ranke d. Geſch. III. 30
[466]Sechstes Buch. Siebentes Capitel.
Landgrafen zu ſtrafen. 1 Nichts hätte der Abſicht ſeiner
Feinde beſſer entſprechen können.


In Deutſchland aber war man doch weder von der
einen noch von der andern Seite geneigt die Sache ſo
weit kommen zu laſſen.


Die angreifenden Fürſten fühlten ſich nicht im Stande
den Krieg lange hinzuziehn. Am wenigſten wollten ſie
ſich für ein fremdes Intereſſe ſchlagen.


Hatte Franz I die deutſchen Feindſeligkeiten für ſich zu
benutzen gedacht, ſo war es auch ihre Abſicht geweſen, mit
franzöſiſcher Hülfe zum Zweck zu kommen: nichts weiter.


Allerdings war in dem Vertrag wegen der Wahlſache
ausgemacht, daß kein Theil ohne den andern Frieden ſchlie-
ßen dürfe: aber wie Philipp von Heſſen erinnerte, dieſer
Krieg war gar nicht zum Ausbruch gekommen. 2 Noch
ehe er zu den Waffen griff, hatte er dem vorgebaut. Die
Herzoge von Baiern hatten ſich ſtill verhalten: unbenutzt
lag das franzöſiſche Depoſitum in ihren Koffern.


Die ganze Frage war, ob König Ferdinand ſich ent-
ſchließen könne, Wirtemberg aufzugeben.


Aber auch für dieſen war die Lage der Dinge höchſt
bedenklich. Sollte er, um das einmal Verlorene wieder
zu erobern, alles in Gefahr ſetzen, was er mit beſſerm
und unzweifelhaftem Rechte beſaß? Man erinnerte ihn,
wenn er nicht in ein paar Tagen ſchlagfertig ſey, werde
[467]Friede von Kadan.
er alles gefährden. Seine Räthe Rogendorf, Hofmann und
der Biſchof von Trient vereinigten ſich zu dem Gutachten,
daß er ſich entſchließen möge, auf Würtemberg Verzicht
zu leiſten.


Schon war um dieſer und anderer Dinge willen eine
Verſammlung deutſcher Fürſten in Annaberg eröffnet.


Um perſönlich an den Unterhandlungen Theil nehmen zu
können, begab ſich König Ferdinand ſelbſt in die Nähe, nach
Kadan, einem kleinen Ort zwiſchen Saatz und Annaberg.


Dazu zwar verſtand er ſich nicht, Wirtemberg ganz
und gar aufzugeben: denn auf das feierlichſte bei verſam-
meltem Reichstag ſey er damit belehnt worden, ſein Bru-
der habe ſelbſt die Fahne angefaßt: er könne und wolle
ſich dieſe Gerechtigkeit nicht entreißen laſſen. Allein er wil-
ligte ein, daß Herzog Ulrich Wirtemberg als ein Afterlehn
von Oeſtreich, jedoch mit Sitz und Stimme im Reich
beſitzen ſolle. 1 Damit war Landgraf Philipp, am Ende
auch Herzog Ulrich zufrieden.


Dagegen erklärte ſich nun auch der Churfürſt von
Sachſen bereit, Ferdinand als römiſchen König anzuerken-
nen. Er geſtand darum nicht zu, daß er Unrecht gethan
habe, er forderte vielmehr einen Zuſatzartikel zur goldnen
Bulle mit ſolchen Beſtimmungen für künftige Fälle, daß
ſein Verfahren im gegenwärtigen im Grunde gut gehei-
ßen ward. 2 Allein dieſer Vorbehalt hinderte ihn nicht,
30*
[468]Sechstes Buch. Siebentes Capitel.
ſich doch ſchon am 27. Juni nach Kadan zu begeben,
und ſeinem bisherigen Gegner alle einem römiſchen König
zukommende Ehre zu erweiſen. Auch ſeine Anhänger, de-
nen ſein Widerſpruch allein einen legalen Grund zur Ver-
weigerung der Obedienz gegeben, hätten dieſelbe nun nicht
länger verſagen können. Nach und nach fügte ſich alles.


So eben hatte der Geſandte Kaiſer Carls ſeine Un-
terhandlungen wider den Landgrafen am Rhein begonnen,
als dieſe Nachricht einlief und er ſie einſtellen mußte.


Indem König Franz täglich von weitern Feindſe-
ligkeiten in Deutſchland zu hören hoffte, war ſchon der
Friede geſchloſſen. Von dieſer Seite wenigſtens durfte er
weiter nichts für die italieniſchen Verhältniſſe erwarten.


Vielmehr zeigte ſich, daß das Unternehmen des Land-
grafen, zu welchem es nur vermöge einer europäiſchen
Combination gekommen, doch zunächſt keine Rückwirkung
auf die allgemeinen Verhältniſſe haben werde; ſeine Fol-
gen waren auf die deutſchen Gränzen beſchränkt; hier aber
keineswegs, wie man erwartet, lediglich politiſch, ſondern
zugleich von hoher Bedeutung für die Religion. Noch einige
andere Stipulationen wurden in Kadan getroffen, die
für das Beſtehen des Proteſtantismus für immer von der
größten Wichtigkeit geworden ſind, aber zu einem andern
Kreiſe von Ereigniſſen gehören, den wir nunmehr betrachten.


2


[[469]]

Achtes Capitel.
Fortſchritt der Kirchenreformation in den Jahren
1532—34.


Es leuchtet ein, wie ſehr das reformatoriſche Prin-
zip in den Gebieten, wo es in Folge des Reichsſchluſ-
ſes von 1526 die Herrſchaft erlangt hatte, ſchon durch ein
Ereigniß, wie der Nürnberger Friede war, befeſtigt und
entwickelt werden mußte.


Die Proteſtanten hatten ſich daſelbſt die biſchöfliche
Jurisdiction nicht wieder aufdringen laſſen; durch die Zu-
ſage des Kaiſers glaubten ſie gegen die Proceſſe des Kam-
mergerichts und mithin gegen die nächſten Feindſeligkeiten
der in demſelben ausgeſprochenen Mehrheit der Reichsſtände
geſichert zu ſeyn.


Hierauf trug der ſächſiſche Landtag, der gegen Ende
1532 zu Weimar verſammelt worden, kein Bedenken weiter,
die Wiederaufnahme der in den Zeiten wo alles ſchwankte
natürlicher Weiſe unterbrochenen Viſitation der Kirchen zu
genehmigen.


Nun erſt ward die Meſſe, die ſich noch an einigen
Stellen gehalten, vollends überall aufgehoben; die paar
[470]Sechstes Buch. Achtes Capitel.
Klöſter, die noch beſtanden, auf die evangeliſche Lehre
angewieſen; man verbot ihnen, Novizen aufzunehmen.
Obwohl dadurch einige neue Einkünfte vacant wurden, ſo
war es doch ſehr ſchwer, die ganz vernachläſſigten Land-
pfarren ordentlich einzurichten. Hie und da befanden ſich
die Kirchengüter ſchon in fremden Händen: die Bauern
waren froh, durch den Fall des alten Klerus gewiſſer Lei-
ſtungen, waren ſie auch nur freiwillige geweſen, entledigt
zu werden. 1 Indeſſen gelangte man doch zum Ziel.
„Mit großer Sorge, Mühe und Arbeit,“ verſichert My-
conius, ſelbſt einer der Viſitatoren, „ſey doch erreicht wor-
den, daß jede Pfarre ihren Lehrer und ihr gewidmet Ein-
kommen habe; jede Stadt ihre Schulen und was zur
Kirche gehöre.“ 2 Die Viſitation erſtreckte ſich jetzt auch
über die Reuſſiſchen und Schwarzburgiſchen Beſitzungen.
Bei den Geiſtlichen, die man daſelbſt fand, zeigte ſich we-
niger Widerſetzlichkeit als Unwiſſenheit und Sittenloſigkeit;
man konnte ſie nicht behalten, ſo gern ſie geblieben wä-
ren; faſt überall traten Zöglinge der Wittenberger Schule
an ihre Stelle. Dieſe ſelbſt, die Metropole des Proteſtan-
tismus, ward jetzt ein wenig beſſer ausgeſtattet. 3 Die
alte Ordnung der Dinge in ihrem eignen Lande hatte ſie
nunmehr vollkommen geſprengt. Sie ſelbſt ſtand an der
Spitze der neuen Kirche. Sie hatte die Doctrin gefun-
[471]Einrichtungen in d. evangeliſchen Laͤndern.
den und aufgeſtellt, auf die man bereits anfing die Pre-
diger zu verpflichten; 1 von den geiſtlichen Mitgliedern der
Univerſität gingen die Ordinationen aus.


Und dieſes Syſtem ward nun auch faſt unverändert
auf Heſſen übertragen, wo jener erſte Entwurf einer auf
die Idee der Gemeine gegründeten Kirchenverfaſſung längſt
beſeitigt worden. Viſitationen wurden gehalten; die Pfar-
ren, wie der Landgraf rühmt, beſſer in Stand geſetzt, als
ſie jemals geweſen; Superintendenten eingeführt; die got-
tesdienſtlichen Einrichtungen nach der Wittenberger Art
und Weiſe getroffen. Den vornehmſten Unterſchied machte,
daß die Kirche in Heſſen bei weitem reicher ausgeſtattet
war, als in dem churfürſtlichen Thüringen und Sachſen.
Daher konnte es dort zu einigen großen Stiftungen kom-
men. Im Jahre 1532 wurden die Klöſter Wetter und
Kaufungen, mit Einkünften, die man einer kleinen Graf-
ſchaft gleich geſchätzt hat, zur Ausſtattung adlicher Fräu-
lein, im Jahre 1533 die Häuſer Haina und Merxhauſen,
bald darauf auch Hofheim und Gronau zu Landeshospi-
tälern beſtimmt. Der Univerſität Marburg wurden nach
und nach zehn Klöſter aus dem obern und niedern Für-
ſtenthume geradehin einverleibt, und von fünf andern ein
Antheil an den Einkünften gewährt. Ein theologiſches
Seminar ward auf Beiträge des Fürſten und ſämmtlicher
Bürgerſchaften des Landes gegründet. 2


In Lüneburg hatten ſich ſonſt die Jurisdictionen
von Bremen, Verden, Magdeburg und Hildesheim getheilt.
[472]Sechstes Buch. Achtes Capitel.
Die oberſte Superintendentur über alle dieſe Länder war
jetzt, nach Beſeitigung dieſer Jurisdictionen, dem Urba-
nus Rhegius aufgetragen. Er hielt es für ſeine Pflicht
in dieſer mühevollen, und ſelbſt nicht ganz gefahrloſen
Stellung zu verharren, auch als man ihn wieder nach
dem Oberland berief, von wo er ſtammte. Mit großem
Eifer ſtand ihm ſein Fürſt, Herzog Ernſt, zur Seite.
Nicht ſelten ſehen wir ihn in Perſon mit ſeinem Kanzler
und einem oder dem andern Prediger in den Klöſtern er-
ſcheinen und die Sache der Reform empfehlen; größten-
theils traten die Stiftsherren oder auch die Priorinnen mit
ihren Nonnen zur evangeliſchen Lehre über. Zuweilen hat-
ten die Stiftsherren ein gleiches Intereſſe mit dem Her-
zog, z. B. in Bardewik, was der Erzbiſchof von Bremen
mit Verden vereinigen wollte. Allmählig wurden die
Sächſiſchen Formen hier wie in Heſſen vorherrſchend. Alle
Jahr ward eine Kirchenviſitation gehalten. 1


Auch in dem fränkiſchen Brandenburg fuhr man fort
die Klöſter fürſtlicher Verwaltung zu unterwerfen. Noch
gab es jedoch an vielen Orten Mönche; zuweilen hatten
ſie Frauen genommen: hie und da hatte dieß der Abt
ſelbſt gethan. 2 Neue Aebte und Aebtiſſinnen durften je-
doch nicht mehr gewählt werden: höchſtens Verwalterin-
nen finden wir noch eintreten, wie Dorothea von Hirſch-
hard in dem Fräuleinſtift Birkenfeld. Es ward eine Kam-
merordnung entworfen, nach welcher der Ueberſchuß der
[473]Schwierigkeiten in Hinſicht d. Verfaſſung.
Kloſterverwaltung zu einer Geſammtcaſſe, einem Vorrath
aufgeſpart werden ſollte, für irgend einen Fall der Noth,
in welche das ganze Fürſtenthum gerathen dürfte. Alles
aber, was von andern Stiftungen und erledigt werdenden
Pfründen aufkomme, ſollte zum Unterhalt der Pfarren und
Schulen dienen. Im Jahre 1533 ward eine Kirchenord-
nung entworfen, gemeinſchaftlich mit Nürnberg, nach wel-
cher Kirchen und Klöſter ſich richten ſollten. 1


Man ſieht, alles war noch im Werden, noch ziem-
lich formlos; an eine ſtabile Kirchenverfaſſung war noch
nicht zu denken. Nur ſo viel ſehen wir, daß das Prin-
zip des weltlichen Standes überhaupt einen großen Vor-
theil über die geiſtliche Seite davon trug.


Ein Theil der geiſtlichen Einkünfte kam entweder dem
Fürſten, oder dem Adel, oder auch den Städten, oder der
Geſammtheit des Landes zu Gute. Ueberall trat eine
Geiſtlichkeit, die ihre Stellung und Bedeutung den An-
ſtrengungen und dem Eifer der fürſtlichen Gewalt verdankte,
an die Stelle einer andern, deren Recht ſich von der bi-
ſchöflichen Autoriſation herſchrieb.


Wie wenig ſich aber der weltliche Stand auch dieſer neuen
Geiſtlichkeit zu unterwerfen geneigt war, davon zeugt unter
andern jene nürnbergiſch-brandenburgiſche Kirchenordnung.


Die Geiſtlichen wünſchten hier die Wiedereinführung
des Kirchenbannes; die nürnbergiſchen trugen förmlich
darauf an; die brandenburgiſchen waren wenigſtens nicht
dagegen, in ihrem Gutachten führen ſie vielmehr Gründe
für den Nutzen dieſes Inſtitutes auf. Allein ſie konnten
[474]Sechstes Buch. Achtes Capitel.
nicht durchdringen. Die Weltlichen wollten ſich dieſem
Zwang nicht wieder unterwerfen. Bei der Publication
der Kirchenordnung ward der Paragraph weggelaſſen, der
davon handelt. 1


War man doch in Wittenberg ſelbſt nicht dafür! Lu-
ther fand, 2 zu dem öffentlichen Bann werde eine vorherge-
hende Unterſuchung, und hernach allgemeine Meidung
des Gebannten gehören; jenes laſſe ſich nicht wohl ein-
richten, dieſes werde namentlich in großen Städten Ver-
wirrungen veranlaſſen. Er ſah wohl ein, daß die Reli-
gion nicht dazu da iſt durch irgend eine eigene Zwangs-
anſtalt äußere Ordnung zu handhaben, was ja eben in
das Gebiet des Staates gehört. Die Kirche in Witten-
berg begnügte ſich, öffentlichen Frevlern das Sacrament
zu verſagen, doch ohne daß dadurch die bürgerliche Ge-
meinſchaft gehindert wurde. In der Predigt verdammte
man die Laſter und ermahnte die Obrigkeit ſie nicht zu
dulden.


Weiter kam man auch anderwärts nicht. In Stras-
burg ward im Jahre 1533 eine Provincialſynode einge-
richtet, welche aber neben den geiſtlichen auch mehrere
weltliche Elemente in ſich einſchloß, eine Commiſſion des
Rathes die ſogar den Vorſitz führte, die Pfleger der Stadt-
kirchen, die Doctoren der freien Künſte und Lehrer. In
den Artikeln, welche ſie annahm, ward vor allen der Ob-
[475]Emancipation von d. geiſtlichen Element.
rigkeit das Amt zugeſprochen, den Läſterungen und dem
äußern Aergerniß zu wehren. Zur Einführung eigentlicher
Kirchenzucht wollte ſich jedoch der Rath nie verſtehn. In
Sachen des Glaubens laſſe ſich mit Geboten nichts aus-
richten; da man ſie doch nicht zu handhaben im Stande
ſey, ſo ziehe man ſich nur Verluſt des Anſehens zu, wenn
man ſie aufſtelle. Für das einzige ausführbare Mittel hielt
man eine tadelloſe Aufführung der Geiſtlichen, — die man
ſehr ernſtlich, einen jeden perſönlich ermahnte, — gutes
Beiſpiel der Vornehmen, Anmahnungen der Uebrigen durch
die Ammeiſter in den Zünften. 2


Man betrachtete die Kirche als ein Inſtitut zur Ein-
führung der Religion, jedoch nicht ſowohl einer äußern, als
der innerlichen. Man vermied noch alles, was zu nahe an
das Papſtthum ſtreifte. Sich von der Zwangsgewalt des
geiſtlichen Standes loszureißen, die, wenn ſie ausgeübt
wurde, unendlich drückend, und wenn man ſich davon ent-
band für die Moralität verderblich war, darin lag eine der
vornehmſten Tendenzen der geſammten Bewegung. Man
wollte den Einfluß und die geiſtliche Macht der hohen
Prälaten nicht mehr; aber dem von dem hierarchiſchen
Syſtem ausgetretenen niedern Clerus verwandte Rechte zu
übertragen fühlte man auch Bedenken. Der Forderung
einer ſtrengen Kirchenzucht ſetzte ſich ſogleich die Idee ent-
gegen, daß das chriſtliche Prinzip durch angeregte Freiwil-
ligkeit die Herzen durchdringen, nicht durch Gewalt und
Zwang ſie entweder unterjochen oder entfremden ſolle.



[476]Sechstes Buch. Achtes Capitel.

Indem man nun aber mit dieſen Einrichtungen und
Ueberlegungen beſchäftigt war, denn vollkommen geſichert
glaubte man ſich durch die Zugeſtändniſſe von Nürnberg,
ſo zeigte ſich doch, daß das nicht ſo ganz der Fall ſey;
die hohe Geiſtlichkeit der katholiſchen Kirche hatte in der
Reichsverfaſſung eine allzuſtarke Repräſentation, in dem
Reichsrechte einen zu ſtark ausgeſprochenen Rückhalt, um
ihre Sache ſofort aufzugeben.


Allerdings wies der Kaiſer, von Mantua aus, am
6. November 1532 das Kammergericht an, alle Späne
und Irrungen, Sachen der Religion belangend, bis auf
ſeinen weitern Befehl einzuſtellen. 1


Schon war bei demſelben eine ganze Anzahl von
Proceſſen anhängig. Strasburg, Coſtnitz, Reutlingen,
Magdeburg, Bremen, Nürnberg waren ſämmtlich von der
hohen Geiſtlichkeit verklagt; nicht minder einige Fürſten,
wie Ernſt von Lüneburg, Georg von Brandenburg. Mei-
ſtens wurden eingezogene Güter zurückgefordert; zuweilen
wurden aber auch wohl einem Capitel einem ſtädtiſchen
Stifte die ihm gehörenden Zinſen vorenthalten; oder die
verehlichten Prediger ſollten abgeſchafft, in einer proteſtan-
tiſchen Stadt katholiſch-eifrige Prieſter eingeſetzt werden,
was ſich dieſe nicht gefallen laſſen wollte.


Die Proteſtanten glaubten wohl, durch dieſe Weiſung
auf immer geſichert zu ſeyn. Das Kammergericht war
jedoch nicht dieſer Meinung.


[477]Irrungen mit dem Kammergericht.

Es war auf die Beobachtung des Augsburger Ab-
ſchiedes verpflichtet; es wußte ſehr wohl, daß die Majori-
tät ihm die Kriegführung wider die Proteſtanten aufge-
tragen; Niemand auf Erden läßt ſich gern Befugniſſe ent-
reißen, die ihm Macht verleihen. Durfte es aber wohl
auf der andern Seite einer Weiſung des Kaiſers wider-
ſprechen, von dem ſich ſein Gerichtszwang herſchrieb, in
deſſen Namen ſeine Urthel ergingen?


Das Kammergericht ergriff den Ausweg, zu erklären,
die ſchwebenden Proceſſe ſeyen keine Sachen der Religion;
es ſeyen Landfriedenbruchs-, Spolien-Sachen, es ſey von
Uebertretungen des Reichsabſchieds dabei die Rede.


Zunächſt in den Händeln der Stadt Strasburg über
die Renten und Kleinodien des Stiftes Arbogaſt kam dieſe
Unterſcheidung zur Sprache. Der Anwalt der Stadt, Dr.
Herter, hatte die Klage gegen Strasburg für eine Sache
aller Proteſtanten erklärt, die aber außerdem die Religion
anbelange, und daher nach dem neuen kaiſerlichen Erlaß
jetzt nicht erörtert werden könne. Der Anwalt des Biſchofs
entgegnete, ſein gnädiger Herr habe mit der Geſammtheit
der Proteſtirenden nichts zu ſchaffen; die Sache betreffe
auch ganz andere Dinge als die Religion. Die Prote-
ſtanten wandten ein, an einem Frieden wie ihn das Geriche
verſtehen wolle könne ihnen nichts liegen; darum würden
ſie S. Maj. nicht bemüht haben; der Stillſtand ſchließe
zugleich Perſonen, Güter, Condepentien ein. Mit alle
dem erreichten ſie nichts weiter, als daß man beſchloß,
den Kaiſer um eine Erklärung ſeiner Worte zu erſuchen.


Der Kaiſer war noch in Bologna, gleichſam im Hauſe
[478]Sechstes Buch. Achtes Capitel.
des Papſtes, in täglichen Unterhandlungen mit demſelben
begriffen, als ihm dieſe Frage vorgelegt ward. Er durfte den
Papſt, der ohnehin ſchwankte, nicht aufs neue beleidigen;
er durfte auch die Majorität der Stände nicht verletzen.
Und doch konnte er auch ſeinen Stillſtand nicht zurück-
nehmen. Er gab eine Entſcheidung, dunkel wie ein Orakel-
ſpruch. „Die Worte unſerer Abrede,“ ſagt er, „erſtrecken
ſich nur auf Religionsſachen; was aber Religionsſachen
ſind, darüber kann keine beſſere Erläuterung gegeben wer-
den, als wie es die Sachen ſelbſt mitbringen.“ 1 Wahr-
ſcheinlich hat Held, alter Kammergerichtsbeiſitzer, der den
Kaiſer in Bologna begleitete, dieſe Erklärung ausgeſonnen.
So dunkel ſie iſt, ſo läßt ſich doch an ihrer Tendenz
nicht zweifeln. Man wünſchte das Gericht in ſeinem Ver-
fahren zu beſtärken.


Dahin wirkte dann auch, daß eine Commiſſion, die
im Mai 1533 das Gericht viſitirte, die Mitglieder deſ-
ſelben aufs neue anwies, den Abſchied von Augsburg be-
ſonders in Hinſicht auf die Religion zu beobachten. 2


Auf dieſen doppelten Anhalt geſtützt, kannte nun das
Kammergericht keine Rückſicht weiter. Die Klagen wur-
den angenommen und reproducirt; die Einwendung der
Beklagten, daß das Kammergericht in Religionsſachen kein
ordentlicher Richter ſey, machte keinen Eindruck; die Klä-
[479]Irrungen mit dem Kammergericht.
ger brachten die Attentatklage ein; es konnte nicht anders
gehen, die Acht mußte erfolgen.


Hätten ſich die Proteſtanten dieß gefallen laſſen, ſo
wäre ihre ganze Verbindung unnütz geweſen.


Zuerſt wandten ſie ſich — nach Beſchluß ihrer Ver-
ſammlung zu Schmalkalden im Juli 1533 — an die
Churfürſten von Pfalz und Mainz, die den Frieden ver-
mittelt, und doch jetzt durch ihre Räthe an dem Abſchied
der Viſitation Theil genommen. Die Churfürſten verſi-
cherten, daß ihnen derſelbe nicht zur Laſt gelegt werden
könne. Hierauf gingen die Proteſtanten das Gericht ſelbſt
an. Um zu beweiſen, daß die ſchwebenden Proceſſe Reli-
gionsſachen ſeyen, erinnerten ſie an das Herkommen der
römiſchen Kirche, kraft deſſen alles für geiſtlich gelte, was
eine Pfründe betreffe. Ihre Abſicht bei dem Frieden ſey
allein dahin gegangen, ſich der Klagen der Geiſtlichen zu
erwehren, daß ſie bei Aenderung der Lehre einer oder der
andern Nutzung beraubt worden. Ueberdieß aber habe man
ihnen damals die Abſtellung des Strasburger Proceſſes
ausdrücklich verheißen. Sie drangen auf eine lautere Er-
klärung, ob das Kammergericht kaiſerlichem Befehle gemäß
in dem Proceſſe ſtill ſtehen wolle oder nicht. Die direc-
ten Antworten des Gerichts waren dunkel, ausweichend:
deſto deutlicher waren die indirecten, thatſächlichen. Im
November 1533 wurden Meiſter und Rath von Stras-
burg für ſchuldig erklärt, den gerichtlichen Krieg zu befeſti-
gen. Der Anwalt der Stadt wandte aufs neue ein, es ſey
nicht mehr eine Sache von Strasburg, ſondern aller Pro-
teſtanten. Der Anwalt des Biſchofs fragte den Kammer-
[480]Sechstes Buch. Achtes Capitel.
richter Grafen von Beichlingen, ob S. Gnaden ſeinen ohne
Zweifel mit gutem Bedacht gegebenen Beſcheid jetzt ſo un-
billigerweiſe wolle anfechten laſſen. Richter und Gericht
erklärten nach kurzem Verzug, wenn ſich binnen 14 Tage
Niemand von Seiten der Stadt Strasburg einlaſſen wolle,
ſo werde auf das Begehren des biſchöflichen Anwalts er-
gehen, was recht ſey.


In denſelben Tagen wurden dem proteſtantiſchen Pro-
curator Helfmann widerwärtige Schwierigkeiten gemacht,
weil er den Eid für Gefährde nur zu Gott, nicht auch
zu den Heiligen ſchwören wollte.


Die Proteſtanten ſahen, daß das im Vertrag zu Nürn-
berg erworbene Zugeſtändniß ihnen unter dieſen Umſtän-
den nichts mehr helfen werde. Indeſſen waren ſie weit
entfernt, ihren Anſpruch fallen zu laſſen. Am 30. Januar
1534 ſchritten ſie zu einer förmlichen Recuſation des Kam-
mergerichts.


Das Regiment war aufgehoben; der Kaiſer entfernt;
König Ferdinand damals noch nicht zu voller Obedienz ge-
langt; und man weigerte ſich, die Adminiſtration, die ihm
der Kaiſer übertragen, anzuerkennen. Da kam es nun auch
dahin, daß das Gericht, das noch allein die Einheit des
Reichs repräſentirte, von einem großen Theil der Stände
verworfen ward.


Es liegt am Tage, wie ſehr dieſe Irrungen zu der
Verſtimmung beitrugen, welche den raſchen Erfolg des
Landgrafen Philipp in dem Wirtemberger Kriegszug ſo we-
ſentlich beförderte.


So gehörten ſie denn auch zu den wichtigſten Gegen-
ſtänden, über die man in Annaberg und Kadan verhandelte.


[481]Friede von Kadan in religioͤſer Beziehung.

Ein Hauptgrund für den Churfürſten von Sachſen,
in der Wahlangelegenheit nachzugeben, lag darin, daß Kö-
nig Ferdinand, von dem ja ſonſt nichts als widerwärtige
Einwirkungen auf das Gericht zu erwarten geweſen wären,
ſich anheiſchig machte, „nachdem ein Mißverſtand wegen des
nürnbergiſchen Friedens vorgefallen,“ eine wirkliche Einſtel-
lung der bisher wider die in demſelben Begriffenen ein-
geleiteten Proceſſe zu bewirken. Man muß dieſe Worte
wohl erwägen. Das Geſtändniß, daß ein Mißverſtand
vorgefallen, das Verſprechen einer wirklichen Abſtellung,
ſind offenbar beſtimmt, die von dem Kammergericht vor-
gebrachte Einwendung, ſo viel an dem Könige liegt, zu be-
ſeitigen. So verſtand man es auch von Seiten der Pro-
teſtanten. 1 Wir kennen die Weiſung nicht, die der König
hierauf an das Kammergericht erlaſſen haben wird; aber
in der That finden wir auch keine Klagen über ein weite-
res Vorſchreiten dieſes Gerichtshofes.


Dabei blieb es allerdings, daß die Wohlthat des Still-
ſtands nur denen zu Gute kommen ſollte, welche in dem
nürnbergiſchen Frieden namentlich aufgeführt worden: al-
lein zugleich ward doch auch in Kadan eine andere Be-
ſtimmung getroffen, welche eine der weſentlichſten Erweite-
rungen des Proteſtantismus möglich machte.


König Ferdinand hatte den Herzog von Wirtembreg
Ranke d. Geſch. III. 31
[482]Sechstes Buch. Achtes Capitel.
in dem Frieden anfangs nicht allein verpflichten wollen, das
Land von ihm zu Lehen zu empfangen, ſondern auch keine
Veränderung in Hinſicht der Religion vorzunehmen: ein
Artikel war in Vorſchlag gebracht, daß der Herzog in Hin-
ſicht der Religion einen Jeden in dem Weſen laſſen ſolle,
wie er ihn gefunden. 1 Beſtand aber Ferdinand, wie wir
wiſſen, unerſchütterlich auf der erſten Forderung, ſo beharrte
der Churfürſt eben ſo feſt auf der Zurückweiſung der zweiten.
Denn unmöglich könne er zugeben, daß das Wort Gottes
nach ſeines ſeligen Vaters und ſeinem Bekenntniß nicht ge-
predigt werden ſolle; er könne den Lauf des Evangeliums
nicht hindern; er werde es nicht thun, ſelbſt wenn es der
Herzog bewilligen ſollte; eher werde er auch in der Wahl-
ſache zurücktreten. Jener Artikel mußte wirklich geſtrichen
werden. 2 Alsdann ward der Herzog mit Freuden benachrich-
tigt, er ſolle des Glaubens halber unverſtrickt bleiben und Ge-
walt haben, chriſtliche Ordnung mit ſeinen Unterthanen vor-
zunehmen. 3 Nur in Hinſicht derjenigen, welche mit Rega-
lien ausgeſtattet, nicht eigentlich als ſeine Unterthanen zu be-
trachten ſeyen, ward ihm eine gewiſſe Beſchränkung auferlegt.


Eben dieß ſind nun aber die Beſtimmungen, welche
den Frieden von Kadan für die Religion ſo wichtig ma-
chen. Wir ſahen, daß es bei der wirtembergiſche Unterneh-
[483]Reformation in Wirtemberg.
mung nicht darauf abgeſehen war, die proteſtantiſchen Theo-
logen davon nichts hofften, der Papſt nichts fürchtete. Allein,
vollzogen von einem der Oberhäupter der evangeliſchen Par-
tei, zu Gunſten eines Fürſten, der ſich während ſeiner Ver-
bannung mit gleichen Geſinnungen durchdrungen hatte, und
unter Bedingungen zum Ziel gebracht, wie die angeführten,
konnte ſie gar nichts anders als eine vollkommene Verände-
rung des religiöſen Zuſtandes in Wirtemberg nach ſich ziehn.


Auch war durch den Gang des Ereigniſſes gewiſſer-
maaßen ſchon die Form vorgeſchrieben, welche die Refor-
mation hier nehmen mußte.


Wäre die Wiederherſtellung des Herzogs früher, viel-
leicht durch eine jener politiſchen Combinationen, welche
Zwingli beabſichtigte, bewirkt worden, ſo würde wahrſchein-
lich deſſen Auffaſſung auch in dem Fürſtenthum das Ueber-
gewicht gewonnen haben.


Jetzt aber, da der Krieg durch Heſſen geführt, der
Friede durch Sachſen bewirkt worden, nach der Niederlage
der Schweizer und der Annäherung der Oberländer an das
ſächſiſche Bekenntniß war das nicht mehr zu erwarten.
Vielmehr eignete ſich der Herzog jetzt die Ausdrucksweiſe
an, welche ſeit jener Annäherung vorwaltete; er machte
bekannt, er werde Niemand dulden, der etwas anders, als
die wahre Gegenwärtigkeit des wahren Leibes und Blutes
Chriſti in dem Nachtmahl predige. Lautete doch ein Ar-
tikel des Kadanſchen Friedens ausdrücklich wider die Sa-
cramentirer! 1


31*
[484]Sechstes Buch. Achtes Capitel.

Zu gleicher Zeit berief er einen der angeſehenſten ober-
ländiſchen Theologen, Ambroſius Blaurer, vertrauten Freund
Butzers, und den marburger Profeſſor, Erhard Schnepf, ei-
nen entſchiedenen Anhänger Luthers, um die würtembergiſche
Kirche einzurichten. Sie begannen damit, ſich zu einer For-
mel zu vereinigen, die ihnen beiden genugthat. Ihre Ver-
einigung bezeichnet die ſich bildende Einheit der deutſchen
evangeliſchen Kirche. 1


Hierauf übernahm Blaurer die Reformation des Lan-
des oberhalb, Schnepf unterhalb der Staig. 2 Die Prie-
ſter wurden nicht mehr nach den bisherigen Ruralcapiteln,
ſondern nach der weltlichen Abtheilung der Amteien zuſam-
[485]Reformation in Wirtemberg.
menberufen, und nachdem ihnen die Hauptpunkte der evan-
geliſchen Lehre vorgehalten worden, aufgefordert, ſich zu
erklären, was man von ihnen zu erwarten habe. Nachdem
die öſtreichiſche Regierung ſo viel Mühe angewendet, die
Religionsedicte aufrecht zu erhalten, fanden ſich doch ſelbſt
unter den Pfarrern noch immer eine ganze Anzahl, die auf
den erſten Ruf den Evangeliſchen beitraten. Im Tübinger
Amt waren es ſieben; die übrigen zwölf baten ſich Bedenk-
zeit aus. Unter dieſen Umſtänden wurden die Cerimonien
ohne alle Schwierigkeit geändert. Die Meſſe ward an vie-
len Orten von ſelbſt unterlaſſen, an den andern auf Befehl
abgeſchafft. Schnepf ſtellte eine Form des Abendmahls
auf, mit welcher auch die Oberländer zufrieden waren.


Dann griff man zu den Klöſtern. Herzog Ulrich hatte
gar kein Hehl, daß er die Güter „zur Bezahlung der Landes-
ſchulden und Hinlegung obliegender, unträglicher Beſchwer-
den“ zu verwenden gedenke. Da er ſo lange außer Lan-
des geweſen, die Schulden Ferdinands an den ſchwäbiſchen
Bund übernommen, kann man ſich nicht wundern, wenn
er ſich in der größten Geldverlegenheit befand, der er nur
auf dieſe Weiſe abhelfen konnte. 2


Durch die in den Kadanſchen Frieden aufgenommene
Beſchränkung ließ er ſich dabei nicht hindern. Die öſtreichi-
ſche Regierung hatte ihm darin ſelbſt vorgearbeitet; ſie hatte
auch über Stifte zweifelhafter Unterthänigkeit landesherr-
liche Rechte geltend gemacht, und konnte nicht viel einwen-
den, wenn nun ihr Nachfolger daſſelbe that.



[486]Sechstes Buch. Achtes Capitel.

So ward das ganze Land in Kurzem umgebildet. Her-
zog Ulrich erwarb ſich das Verdienſt, der Univerſität be-
ſondere Sorgfalt zu widmen. Unter den Lehrern finden wir
gar bald berühmte Namen; nach dem Muſter von Heſſen
ward das Stipendienweſen eingerichtet, das hier wohl
noch größere Wirkſamkeit entwickelt hat als dort: Tübin-
gen wurde allmählig eine der vornehmſten Pflanzſtätten pro-
teſtantiſcher Gelehrſamkeit.


Wirtemberg war eine Eroberung des Proteſtantismus
auf den Grund des alten Erbrechtes deutſcher Fürſten: —
eine Eroberung von doppeltem Werth, da ſie grade in den-
ſelben Gegenden vollbracht ward, wo bisher der ſchwäbi-
ſche Bund die evangeliſchen Regungen niedergehalten hatte. 1
In allen Oberlanden erhoben ſich dieſelben nun aufs neue;
im Elſaß, wo der Einfluß von Strasburg nicht hingereicht;
in den benachbarten dynaſtiſchen Gebieten — Markgraf
Bernhard von Baden, Graf Philipp IV von Hanau, Lud-
wig von Falkenſtein, und der Mitanführer im Würtember-
giſchen Kriege, Wilhelm von Fürſtenberg, reformirten nach
und nach in ihren Territorien — in kleinen und großen Reichs-
ſtädten. Kaum konnte die Nachricht von der Schlacht bei
Laufen erſchollen ſeyn, ſo ſtellte Michael Kreß, Pfarrer in
Weißenburg im Wasgau, die Meſſe ein (Juni 1534); der
Rath war mit ihm einverſtanden, und zögerte nicht, die
mißvergnügte Dienerſchaft des Stiftes aus der Stadt zu
verweiſen. Den größten Eindruck aber machte es, daß end-
lich auch Augsburg förmlich übertrat. Die reformirte Lehre
[487]Reformation in Augsburg.
war hier längſt in Aufnahme. doch hatten auch die alten
Meinungen noch mächtige Beſchützer, z. B. die Fugger.
Hätte man etwas gegen Biſchof und Capitel unternommen,
ſo würden dieſe bei dem ſchwäbiſchen Bund rechtliche oder
factiſche Hülfe gefunden haben. Es liegt aber am Tage
daß der Zuſtand, der unter dieſen Umſtänden eintrat, wo
die Gemüther täglich durch entgegengeſetzte oder feindſelige
Predigten entzweit wurden, ſich in einer Commune, die
auch etwas im Reiche bedeuten wollte, nicht halten ließ;
eben die Differenzpunkte bildeten jetzt den wichtigſten Theil
der öffentlichen Angelegenheiten. Unter den politiſchen Ein-
flüſſen der damaligen Zeit bekam nun die evangeliſche
Geſinnung, die ſchon lange die Majorität hatte, auch den
Muth, ihre Rechte geltend zu machen. 1 Der Geiſtlichkeit
ward eine Disputation angeboten.. Da ſie ſich darauf ent-
weder gar nicht einlaſſen wollte, oder doch nur unter Be-
dingungen, welche die Stadt hinwieder nicht annehmen
konnte, ſo faßte auch ohne dieß der große und kleine Rath
unter der Leitung des Bürgermeiſters Wolf Rehlinger den
Beſchluß, daß keine papiſtiſche Predigt weiter zugelaſſen,
keine Meſſe, außer in den unmittelbar dem Biſchof zuge-
hörigen Kirchen geduldet werden ſolle. Dieß geſchah am
22. Juli. Hierauf wurden die meiſten Capellen geſchloſ-
ſen; ein Theil der Geiſtlichkeit verließ die Stadt; ein an-
derer ſchloß ſich um ſo enger an Biſchof und Capitel an.


Nahe verwandte Motive des innern ſtädtiſchen Lebens
bewirkten in denſelben Zeiten den förmlichen Uebertritt von
[488]Sechstes Buch. Achtes Capitel.
Frankfurt, obgleich ohne ſo entſchiedenen Einfluß der po-
litiſchen Ereigniſſe. 1


Ueberhaupt bedarf es weiter keiner Erörterung, daß,
wenn die religiöſe Meinung durch den Gang der Politik
begünſtigt wurde, ihr doch auch an und für ſich eine große
Selbſtändigkeit zukam: ſie hatte die Ereigniſſe vorbereitet,
durch welche ſie hinwiederum entbunden ward.


Noch war ſie kräftig genug, ſich zuweilen in geradem
Widerſpruch mit dem, was die politiſche Lage zu fordern
ſchien, geltend zu machen, wie das eben damals in An-
halt geſchah.


Denn was konnte wohl für die Mehrzahl der anhal-
tiſchen Fürſten, für welche der Eine von ihnen, Fürſt Jo-
hann, den Reichsabſchied von Augsburg unterſchrieben, ge-
fährlicher ſeyn, als hievon zurückzutreten, in Widerſpruch
mit den mächtigen Nachbarn, deren Gunſt ſie nicht ent-
behren konnten, dem Herzog Georg von Sachſen, dem Chur-
fürſten Joachim von Brandenburg und dem Erzbiſchof Al-
brecht. Der eine von den Brüdern, Fürſt Georg, war
geiſtlich, bereits Dompropſt in Magdeburg und in Merſe-
burg; ſeine Zukunft ſchien an das Beſtehen der römiſchen
Kirche geknüpft zu ſeyn. Eben Dieſer aber trug zur Ver-
änderung gerade das Meiſte bei. Er verſichert, auch ihm,
ſo nahe er geweſen, habe man doch die lutheriſche Sache
ſo ungünſtig als möglich vorgeſtellt, gleich als ſeyen darin
gute Werke verboten, gute Ordnungen umgeſtoßen, alles un-
chriſtliche Weſen zugelaſſen. Allein gar bald habe er ſich
anders überzeugt. Er habe gefunden, daß bei den Prote-
[489]Reformation in Anhalt.
ſtanten der heiligen Schrift, der alten und ſogar der römi-
ſchen Kirche gemäß gelehrt werde. 1 Nach und nach ward
er mit ſeinen Brüdern ſo eifrig, daß ſie es nicht mehr dul-
den wollten, als am grünen Donnerſtag des Jahres 1532
ein Dominikaner ſich auf ihrer Kanzel in Deſſau in har-
ten Ausdrücken wider den Gebrauch beider Geſtalt verneh-
men ließ. Sie erſetzten ihn durch einen Freund Luthers,
Niclas Hausmann. Herzog Georg verſäumte nicht, ſie an
die Ungnade des Kaiſers zu erinnern, ihnen Ungedeihen zu
weiſſagen; er meinte, Fürſt Georg werde nun nicht mehr
dazu gelangen, wozu er wohl ſonſt Hoffnung gehabt,
aber er machte weder mit Betrachtungen dieſer Art, noch
mit doctrinellen Einwendungen Eindruck bei ihnen. 2 Getroſt
fuhren ſie fort. Und da hatte es nun eine beſondere Bedeutung,
daß hier ein Mitglied des fürſtlichen Hauſes zugleich eine hohe
geiſtliche Stelle in der Diöceſe bekleidete. Als Archidiaconus
und Dompropſt der magdeburgiſchen Kirche glaubte Fürſt
Georg eine regelmäßige geiſtliche Autorität in ſeinem Gebiet
ausüben zu können. Auf den Grund einer dieß Mal vereinig-
ten geiſtlichen und weltlichen Gewalt, wurden die Geiſtli-
chen der anhaltiſchen Länder am 16. März 1534 zuſam-
menberufen, und angewieſen, in Zukunft das Abendmahl
unter beiderlei Geſtalt auszutheilen. 3 Der Erzbiſchof Car-
[490]Sechstes Buch. Achtes Capitel.
dinal war damit, wie ſich denken läßt, nicht zufrieden, aber
Fürſt Georg beſtand darauf, daß die geiſtliche Jurisdiction
zunächſt ihm, dem Archidiaconus zuſtehe, wobei dem Cardi-
nal die erzbiſchofliche Aufſicht vorbehalten bleibe. Er ließ ſich
nicht abhalten, nach und nach die Pfarren dieſſeit der Elbe
mit Schülern Luthers zu beſetzen. Als nun aber die Re-
form auch in dem jenſeitigen Gebiete beginnen ſollte, wo
die Jurisdiction dem Biſchof von Brandenburg zuſtand,
änderte ſich das Verhältniß. Anfangs erſuchte Fürſt Georg
den Biſchof, die Prieſter zu ordiniren, die er ihm zuſenden
wolle. Natürlich weigerte ſich dieſer, verheiratheten Prie-
ſtern die Weihen der katholiſchen Kirche zu geben. Aber
auch Fürſt Georg trug dann kein Bedenken weiter, ſeine Can-
didaten nach Wittenberg zu Luther zu ſchicken, der ſie prüfte,
und wenn er fand, daß ſie der reinen Lehre zugethan, ih-
nen darüber ein Zeugniß ausſtellte und ſie ordinirte.


Ein Glück war es auf jeden Fall, wenn die Sachen
irgendwo ſo in Ruhe ſich entwickelten.


In andern Ländern, wie in Pommern, kam es dage-
gen zu den heftigſten innern Kämpfen. Hier waren die
Gegenſätze ſchon immer überaus heftig geweſen. In den
Bürgerſchaften war es hie und da zu bilderſtürmeriſchen Un-
ruhen gekommen: mit welchem Haſſe ihnen die Anhänger des
Papſtthums dafür begegneten, davon zeugen ihre Schimpf-
lieder, die uns übrig ſind. Adel und Clerus des ganzen
Landes hielten den Städten gegenüber zuſammen. Die bei-
den Fürſten, Georg und Barnim entzweiten ſich. Von
Georg fürchteten die Proteſtanten noch 1531 thätige Theil-
nahme an dem Kriege, der ſie bedrohte. Aber Barnim,
[491]Reformation in Pommern.
derſelbe, der an der Leipziger Disputation Theil nahm, ließ
den Bund wiſſen, wo ſein Bruder aufgebiete, wolle er
niedergebieten. 1 Er hätte auch darum Theilung der Land-
ſchaften und getrennte Regierung gewünſcht, um die reli-
giöſe Neuerung zu unterſtützen. In dieſem Moment aber
ſtarb Herzog Georg; und deſſen Sohn Philipp, — jung,
lernbegierig, und gegen ſeine katholiſche Stiefmutter eher
in Oppoſition, — war nun leichter zu gewinnen. Wahr-
ſcheinlich haben ſich Barnim und Philipp auf einer Zu-
ſammenkunft zu Cammin im Auguſt 1534 vereinigt, was
ſo viele Andere gethan, nun auch in ihren Ländern zu un-
ternehmen. Auf einem Landtag zu Treptow im folgenden
December legten ſie einen Reformations-Entwurf vor, der
eigentlich auf einen Vorſchlag der Städte gegründet iſt,
und bei dieſen, — einige Kleinigkeiten abgerechnet, — die
freudigſte Aufnahme fand Der treffliche Pomeranus, Doc-
tor Bugenhagen, ward herbeigerufen, um eine Kirchenvi-
ſitation im Sinne von Wittenberg zu unternehmen. Aber
um ſo heftigern Widerſpruch erhoben nun Clerus und Adel.
Der Biſchof von Cammin, den man gebeten, die Verände-
rung zu leiten, wies das weit von ſich; der Abt von Al-
tencamp brachte ein Mandat des Kammergerichts aus, das
den Herzogen jede Neuerung unterſagte. Die Ritterſchaft
ward überredet, es ſey auf einen Bund zwiſchen den Für-
ſten und den Städten abgeſehn, der nur zu ihrem Verder-
ben ausſchlagen könne, und ließ ſich nicht die mindeſte
Theilnahme abgewinnen. 2


[492]Sechstes Buch. Achtes Capitel.

Das war überhaupt der Zuſtand eines großen Theils
von Niederdeutſchland. Dem Herzog Heinrich von Mek-
lenburg, der 1534 das Abendmahl unter beiderlei Geſtalt
genommen, ſtand ſein Bruder Albrecht mit dem größten
Theile der Landſchaft entgegen. Welche Oppoſition die
Umwandlung in Holſtein noch immer fand, beweiſt ein
Schreiben Landgraf Philipps an Herzog Chriſtian über die
Mittel, den Adel für dieſelbe zu gewinnen. Faſt überall
finden wir Capitel und Ritterſchaften mit den reformatori-
ſchen Tendenzen der Städte in Widerſtreit. Namentlich in
Weſtfalen war ſo eben der heftigſte Kampf ausgebrochen.


In den weſtfäliſchen Städten ſetzte ſich die Bewegung
fort, wie ſie in den niederſächſiſchen begonnen. Lutheri-
ſche Lieder wurden von den Knaben vor den Thüren, von
Männern und Frauen innerhalb der Häuſer, erſt bei Abend
dann bei Tage geſungen, lutheriſche Prädicanten erſchienen.
Hie und da löſten ſich die Klöſter von ſelbſt auf, wie in
Hervord; Frater und Süſterhaus, welche beſtehen blieben,
nahmen die Reformation an. 1 In Lemgo fand ſich der
Pfarrer Pideritz, lange Zeit ein Anhänger von Johann
Eck, endlich durch die Gegenſchriften überzeugt, reiſte noch
einmal nach Braunſchweig, um die Art und Weiſe der
Veränderung ſich anzuſehn; als er wiederkam, trat er als
evangeliſcher Pfarrer auf und reformirte die Stadt. Der
alte Bürgermeiſter Flörken, der die hierarchiſchen Ordnun-
gen bewunderte und ſie für die einzig zuläſſige Darſtellung
2
[493]Reform. in Weſtfalen. Soeſt.
des Chriſtenthums hielt, mußte endlich den Neuerern wei-
chen, welche die ſcholaſtiſchen Doctrinen aus der Epiſtel
an die Römer widerlegten. 1


Es waren jedoch nur zwei, drei Orte, wo die Bewe-
gung im Ganzen ſo friedlich abging; in andern kam es
darüber zu gewaltſamen Ereigniſſen, z. B. in Soeſt und
in Paderborn.


In Soeſt waren die Bürgermeiſter und Rathsherrn
wider ihren Willen genöthigt worden, die lutheriſche Predigt
zu geſtatten, die augsburgiſche Confeſſion, eine evangeliſche
Kirchenordnung anzunehmen. 2 Da ſie jedoch im Amte
blieben, konnte es an Reibungen zwiſchen ihnen und den
Wortführern der evangeliſchen Partei in der Gemeinde nicht
fehlen. Beſonders war ihnen ein Gerber verhaßt, des Na-
mens Schlachtorp, und um ihr wankendes Anſehen we-
nigſtens in bürgerlichen Dingen wiederherzuſtellen, ergriffen
ſie die Gelegenheit, beim erſten Exceß, den derſelbe mit ein
paar Andern beim Weine beging, — ſie hatten da eigent-
lich nur tapfer geſchimpft — ihn feſtzunehmen, vor Ge-
richt zu ſtellen, und was Niemand erwartete, er ſelbſt am
wenigſten, denn ſonſt hätte er leicht entfliehen können, mit
den Uebrigen zum Tode zu verurtheilen. Da half nun keine
Einrede über die Geringfügigkeit des Vergehens, keine Für-
bitte; der Tag der Hinrichtung ward feſtgeſetzt; um dieſen Act
zu ſchützen, vertraute der Rath den ergebenſten unter den Bür-
[494]Sechstes Buch. Achtes Capitel.
gern, die noch zum Theil katholiſch waren, die Waffen an.
Wir ſind genöthigt, das Schlachtopfer auf das Schaffot
zu begleiten Als er dahin kam, wendete er ſich noch ein-
mal an die Menge der evangeliſch geſinnten Bürger, die
ſich überaus zahlreich aber unbewaffnet verſammelt hatten,
und indem er betheuerte, daß er nur um der Religion wil-
len ſterben müſſe, ſtimmte er das Lied an, „mit Fried und
Freud fahr ich dahin“; die ganze Menge fiel ein. Man
wußte wohl, daß dem armen Manne Gewalt geſchehe, aber
der Rath hatte nun einmal das Recht des Schwerts; man
hielt ſich nicht für befugt, in daſſelbe einzugreifen. Der
Henker fragte, wer von den Verurtheilten zuerſt ſterben
wolle. Schlachtorp forderte dieſe Ehre für ſich, ſaß auf
dem Armenſünderſtuhl nieder, ließ ſein Hemd abſtreifen und
und bot ſeinen Nacken dem Streiche dar. Da wollte nun
das Glück, daß der Henker denſelben nicht richtig führte,
nicht den Hals traf, ſondern den Rücken, ſo daß Schlacht-
orp mit dem Stuhl umſchlug, eine furchtbare Wunde em-
pfangen hatte, aber noch lebte. Der andere Henker kam
herbei, hob ihn auf, und richtete ihm ſchon den Hals zu
dem wiederholten Schlag auf. Indem aber hatte Schlacht-
orp ſein Bewußtſeyn wiederbekommen; er meinte, dem
Rechte ſein Recht gethan zu haben und zu nichts weiter
verpflichtet zu ſeyn; mit raſcher Wendung, obwohl ihm die
Hände gebunden waren, entriß er dem Henker das ſchon
wieder gezückte Richtſchwert, und hielt es mit einer durch
die Todesnoth verdoppelten Kraft feſt, ſo lange bis er den
Strick um ſeine Hände mit den Zähnen zerriſſen hatte, worauf
er die mit eignem Blut gefärbte Waffe ſo gewaltig um ſich
[495]Reform. in Weſtfalen. Paderborn.
ſchwang, daß die beiden Henker ihm nicht ankommen konnten.
Alles das Werk eines Momentes, in welchem zugleich die
mit Mühe zurückgedrängte Sympathie des Volkes zum Aus-
bruch kam. Der Magiſtrat gebot den Henkern abzuſtehn;
die Menge führte den Schlachtorp, der das eroberte Schwert
in den Händen hielt, triumphirend nach Hauſe. Hier ſtarb
er zwar, in Folge des Blutverluſtes, der Wunde und der
Anſtrengung, am andern Tage; aber nie hatte man ein
Leichenbegängniß erlebt, wie das ſeine. Männer und Wei-
ber, Alt und Jung, Evangeliſch- und Päpſtlichgeſinnte wa-
ren in der Begleitung; Jedermann wollte das Richtſchwert
ſehn, das auf dem Sarge lag. Man kann ſich denken,
wie ſehr hiedurch die Gährung der Gemüther, der Wider-
wille gegen den Rath anwachſen mußte; bei jeder Gelegen-
heit ſah derſelbe den Aufruhr drohen, und hielt zuletzt für
das Beſte die Stadt zu verlaſſen (Juli 1533). Dann trat
ein neuer Rath ein, und die evangeliſche Organiſation ward
vollſtändig vollzogen.


Auch die Ereigniſſe von Paderborn führen uns an
ein Hochgericht, obwohl ſie ſich nicht ſo grauenvoll
entwickelten. Auch hier nemlich hatte ſich die Gemeine,
nicht ohne Auflauf, die Freiheit der Predigt ertrotzt, und
ſchon ein paar Kirchen an proteſtantiſche Prädicanten über-
liefert; keine Unterhandlung des Landdroſten, keine Verord-
nung des Landtags hatten ſie davon zurückzubringen ver-
mocht; als endlich der neugewählte Adminiſtrator des Stif-
tes, Hermann von Cöln, mit den Vornehmſten des Lan-
des und bewaffnetem Gefolge daſelbſt einritt, um die Hul-
digung anzunehmen. Hermann war von Natur kein Ei-
[496]Sechstes Buch. Achtes Capitel.
ferer, wir werden ihm noch auf ganz andern Wegen begeg-
nen, aber die Vorſtellungen der Domherren und des Ra-
thes, ſo wie einige Nichtachtung ſeiner Oberherrlichkeit, die
er erfahren, bewogen ihn jetzt zu einem gewaltſamen
Schritte. Noch einmal, und zwar, wie er ſagte, um einen
gnädigen Abſchied zu nehmen, berief er die Bürgerſchaft
nach dem Garten des Abdinkhoviſchen Kloſters: als ſie aber
hier zuſammengekommen, ſah ſie ſich von bewaffneten Mann-
ſchaften umgeben; die Anführer der evangeliſchen Partei
wurden ergriffen und ins Gefängniß geworfen. Man be-
züchtigte ſie des Vorhabens, die Stadt an den Landgrafen
von Heſſen zu überliefern, unterwarf ſie der Tortur, und
ſprach ihnen endlich vor verſammeltem Volk, im Angeſicht
des Schaffotes, das ſchon mit dem Sand beſtreut war,
der ihr Blut trinken ſollte, das Todesurtheil. Allein hier
ging es nicht wie in Soeſt. Der erſte Scharfrichter er-
klärte, die Leute ſeyen unſchuldig, er wolle lieber ſelber ſter-
ben, als ſie hinrichten; aus der Menge hörte man ei-
nen alten Mann, der deshalb an ſeinem Stabe herbeige-
ſchlichen, ausrufen, er ſey ſo ſchuldig wie die Verurtheilten,
er fordere mit ihnen hingerichtet zu werden, und in dem
traten aus einem nahen Hauſe die Frauen und Jungfrauen
der Stadt hervor, jene mit offener Bruſt, dieſe mit zer-
ſtreuten Haaren, und flehten um Gnade für die Gefange-
nen. 1 Dem Churfürſten Hermann, einem geborenen Wied,
der, wie erwähnt, Gewaltſamkeiten dieſer Art nicht liebte,
traten die Thränen in die Augen; da er auch ſeine weltlichen
Großen erſchüttert ſah, ſchenkte er den Verurtheilten das
[497]Reformation in Weſtfalen.
Leben. Nur kam damit die Lehre nicht wieder empor.
Die Evangeliſchgeſinnten wurden unter ſtrenger Aufſicht ge-
halten, nach Befinden mit Geldſtrafe belegt. Ein Receß
ward aufgerichtet, durch welchen die neue Lehre auf das
ſchärfſte verpönt ward. 1


Man ſieht, welche Kräfte hier in Weſtfalen mit einan-
der kämpfen: auf der einen Seite geiſtliche Fürſten, Domca-
pitel, Ritterſchaften, Stadtobrigkeiten eng verbündet: dagegen
lebhaft angeregte, durch eifrige Prädicanten befeuerte Bürger-
ſchaften: die einen ſo gewaltſamer Natur wie die andren.
Jene tragen kein Bedenken ihre jurisdictionellen und ober-
herrlichen Rechte mit äußerſter Härte zur Dämpfung der
Lehre anzuwenden: dieſe dagegen, gehorſam ſo lange es
das ſtrenge Recht gilt, ſind doch augenblicklich zum Aufruhr
fertig, ſo wie daſſelbe im mindeſten verletzt zu ſeyn ſcheint.
Der geiſtliche Staat, der hier die höhern Claſſen durch ge-
meinſchaftliche Intereſſen zuſammenhält, ſieht ſich von den
untern, die ſeine Berechtigung läugnen, mit aller Heftig-
keit eines beginnenden Abfalls angegriffen.


Nirgends aber ſtießen dieſe Gegenſätze gewaltiger
auf einander, als in dem Mittelpunkt der geiſtlichen Or-
ganiſation; dort wo die Bezeichnung des einſt zur Zeit
der Einführung des Chriſtenthums an der Aa geſtifteten
Kloſters die alten Namen des Ortes und des Gaues ver-
Ranke d. Geſch. III. 32
[498]Sechstes Buch. Achtes Capitel.
drängt hatte, und ſelber zum Namen der Stadt und des
Landes geworden war, in Münſter.


Da hatte ſich ein lutheriſcher Prädicant, der ſchon
einmal entfernt worden war, Bernhard Rottmann, doch
wieder zu St. Moritz vor der Stadt feſtgeſetzt, und ſich
einen ſolchen Beifall erworben, daß ihm endlich der Biſchof
auf Antrieb der ſtädtiſchen Geiſtlichkeit das ſichere Geleit
aufkündigte. Die Folge hievon war jedoch nur, daß ihn ſeine
Anhänger in die Stadt ſelbſt aufnahmen, wo ſie ihm an-
fangs eine hölzerne Kanzel auf einem Kirchhof errichteten,
gar bald aber, und zwar wohl mehr durch Androhung von
Gewalt, als durch Anwendung derſelben, die Kirche zu
St. Lamberti eröffneten. 1 Hierauf ward ein Ausſchuß der
Bürgerſchaft ernannt, der die neue Lehre gegen Cleriſey und
Rath vertheidigen ſollte. Es erſchienen noch andere lutheri-
ſche Prädicanten, und man veranſtaltete eine Disputation,
um die Mißbräuche des bisherigen Dienſtes zu widerlegen.
Da ſich Niemand recht zu deſſen Vertheidigung erhob, ſo
bekam die Geſinnung der Gemeinde auch auf den Rath
Einfluß, der hier überhaupt der alten Verfaſſung gemäß einer
populären Einwirkung Raum gab, und gewann zuletzt die
Majorität. Dann ſchritt man ohne zu zögern zu einer de-
finitiven Einrichtung. In feierlicher Verſammlung auf dem
Schauhaus wurden die ſämmtlichen Pfarrkirchen von Rath,
Oldemännern und Gildemeiſtern den neu angekommenen
Predigern überliefert. Die Cleriſey ſammt der Minorität des
Rathes verließ die Stadt. Die religiöſe Umwandlung war,
[499]Reform in Weſtfalen. Muͤnſter.
wie wir ſehen, mit einer bürgerlichen Bewegung verbun-
den, wie ſie in jenen Zeiten ſo häufig vorkamen.


Noch weniger aber in Münſter als anderwärts hätten
die Vertriebenen ihre Sache aufgegeben; ſie fanden an Rit-
terſchaft und Capitel natürliche Verbündete. Auch hier ward
der Eintritt eines neuen Biſchofs, Franz von Waldeck be-
nutzt, um allgemeine Maaßregeln des Landes gegen die
Stadt hervorzurufen. Die Zufuhr ward ihr abgeſchnitten,
ihre Zinſen und Renten wurden zurückgehalten, die Bür-
ger ſelbſt, wo man ſie betraf, gefangen. Die Aufhebung
dieſer Zwangsmaaßregeln knüpfte man an die Bedingung,
daß die alte Religion wiederhergeſtellt würde.


Die Evangeliſchen aber, die in ihrem Rechte zu ſeyn
glaubten, waren nicht der Meinung, zu weichen. Kam es
auf Gewalt an, ſo fühlten auch ſie ſich ſtark genug dazu.
Gar bald zeigte ſich ihnen die beſte Gelegenheit einen küh-
nen Schlag auszuführen, der Alles entſcheiden mußte.


So eben war der Biſchof mit den Landſtänden zu ſei-
ner Huldigung zu Telgte, eine Meile von Münſter, einge-
ritten. Von hier aus kam, den erſten Weihnachtsfeiertag
1532, den Bürgern jene Anmuthung zu, der alten Reli-
gion wieder beizutreten. Sie waren ſogleich entſchloſſen,
was ſie thun ſollten. In der nächſten Nacht machten ſie
ſich, 900 Mann ſtark, zum Theil ſtreitbare Bürger, zum
Theil geworbene Soldaten, mit Handgeſchütz und ein paar
kleinen Kanonen auf vierrädrigen Karren, gegen Telgte hin
auf. Das Glück wollte ihnen ſo wohl, daß die Reiter-
poſten des Biſchofs doch nicht auf ſie ſtießen. In der
Morgendämmerung langten ſie bei Telgte an, ſtießen die
32*
[500]Sechstes Buch. Achtes Capitel.
Thore mit Hebebäumen ein, beſetzten die Straßen, und dran-
gen in die Häuſer, wo ihre Feinde ruhig ſchliefen. Sie
nahmen ſie beinahe alle gefangen; die Räthe des Fürſten,
die vornehmſten Mitglieder des Domcapitels, des Ritter-
ſtandes, ihre eignen ausgetretenen Rathsherrn: der Fürſt
ſelbſt war zu ſeinem Glück ſchon abgereiſt. Die Abgeord-
neten der kleinen Städte ließen ſie gehen; die übrigen aber,
eben alle ihre alten Widerſacher, führten ſie auf ein paar
Wagen nach Münſter zurück. 1 Wie freudig rührte der
Spielmann die Trommel, als der Zug nach wohlausge-
führtem Unternehmen, Mittag um 11 Uhr, die Stadt wie
im Triumph wieder erreichte.


Und hiedurch nun gelangten ſie zunächſt wirklich zu ih-
rem Zweck. Zu einem eigentlichen Angriff konnte der Biſchof
nicht ſchreiten: hätte er auch die Kräfte dazu gehabt, ſo
hätte er doch die Rache der Bürger an ihren Gefangenen
fürchten müſſen. Vielmehr erſuchten ihn die beſorgten Ver-
wandten dieſer Gefangenen, die Feindſeligkeiten einzuſtellen,
die ſie einſt ſelbſt veranlaßt hatten. 2 Unter heſſiſcher Ver-
mittelung kam im Februar 1533 ein Friede zu Stande,
in welchem der Stadt für ihre ſechs Pfarrkirchen, in Hin-
ſicht der Cerimonien ſo gut wie der Predigt die Freiheit
[501]Reform. in Weſtfalen. Muͤnſter.
gewährt wurde, der augsburgiſchen Confeſſion zu folgen,
nur ſollte ſie dagegen auch die Ausgewanderten wieder zu-
rückkommen, und den alten Ritus für Biſchof, Capitel und
Stift beſtehen laſſen. Der Landgraf als Vermittler, Bi-
ſchof und Capitel, die Abgeordneten der Ritterſchaft, unter
ihnen ein Raesfeld, zwei Droſten, ein Büren, die Raths-
herrn der Städte unterzeichneten den Frieden. Damit ſchien
denn alles beigelegt. Der Biſchof erſchien in der Stadt
und nahm die Huldigung ab; eine evangeliſche Kirchenord-
nung ward publicirt, in der man auch für die Armen Sorge
trug; man eröffnete Unterhandlungen über den Eintritt in
den ſchmalkaldiſchen Bund.


Hätten dieſe Dinge Beſtand gehabt, ſagt Kerſenbroik,
ſo würde die münſterſche Cleriſey unter ein nie wieder zu
hebendes Joch gerathen ſeyn. Wir dürfen hinzufügen, in
Stadt und Land würde der Proteſtantismus noch heute
herrſchen. Schon ahmten die benachbarten Gemeinden, Wa-
rendorf, Beckum, Aalen, Coesfeld das Beiſpiel von Mün-
ſter nach. Der Biſchof ſelbſt, der ſo wenig feſt war, wie
Hermann von Cöln, würde zuletzt mit fortgeriſſen worden
ſeyn; Münſter würde über ganz Weſtfalen entſchieden
haben.


Allein eben an dieſer Stelle ſollte ſich wieder zeigen,
welche Gefahren mit der Veränderung altgewohnter Zu-
ſtände nun einmal immer verknüpft ſind.


Ueber ganz Deutſchland hin war das Prinzip der Re-
formation aufs neue in lebendigem Fortſchritt, in Aus-
breitung und Eroberung begriffen; aber ebendeshalb ſetzte
[502]Sechstes Buch. Achtes Capitel.
es ſich auch überall in freie und unberechenbare Beziehung
zu den Beſtrebungen, Bedürfniſſen, Leidenſchaften der Men-
ſchen. Zwar hatte ſich jetzt in den Proteſtanten eine Macht
gebildet, die demſelben einen regelmäßigen Ausdruck gab,
— einen ſolchen, deſſen Legalität und Vereinbarkeit mit den
Zuſtänden des Reichs ſich Anerkennung verſchafft hatte, wenn
auch fürs Erſte eine noch unvollkommene und einſeitige; —
allein auch an dieſe konnten ſich die Neuerungen nicht ſo
geradehin anſchließen. Die Mitglieder des ſchmalkaldiſchen
Bundes, denen der Friede zu Gute kam, waren nament-
lich genannt, und noch wagten ſie nicht, ſich mit Andern
zu vereinigen. Allerwärts mußte ſich die Neuerung le-
diglich mit eignen Kräften durchſetzen; natürlich, daß ſie
dabei auf ungewohnte, von der ſchon gebildeten evangeli-
ſchen Kirche abweichende Wege gerieth.


Auch ſchon früher, in den niederſächſiſchen Städten,
hatte ſich die Bewegung nicht leicht bei den Reſultaten
ihrer erſten Siege, bei der bloßen Freiheit des Gottes-
dienſtes nach neuem Ritus beruhigen wollen. In Mag-
deburg war noch unter dem Einfluß der Bauernunruhen
von der Gemeinſchaft der Güter gepredigt worden; nur
ein ſo entſchloſſener Wille, wie Amsdorfs, der zum Su-
perintendenten der magdeburgiſchen Kirche berufen ward,
konnte die friedfertigen Intentionen Luthers da durchkäm-
pfen und feſthalten. In Braunſchweig that ſich bald
nach Aufſtellung der lutheriſchen Kirchenordnung, unter
den Predigern ſelbſt, welche dieſelbe abfaſſen helfen, eine
Neigung zum Zwinglianismus kund; ſie verwarfen Or-
[503]Reform. in Weſtfalen. Muͤnſter.
gel und Figuralgeſang, vor allem aber gewiſſe Lieder
während der Communion, in welchen der lutheriſche Be-
griff ausgeſprochen war; aber der Rath der Stadt, beſon-
ders der Syndicus Levin von Emden erklärten ſich gegen
jede Neuerung; ſie wollten nicht dulden, daß man im Wi-
derſpruch mit der ſo eben angenommenen Kirchenordnung
wieder etwas Beſonderes anrichte: ſie fürchteten ohne Zwei-
fel, einer neuen Bewegung nicht ſobald wieder Ziel ſetzen
zu können. In Goßlar finden wir dieſelben Erſcheinungen.
Zum Theil waren es die von Braunſchweig verjagten Zwing-
lianer von denen ſie herrührten; aber auch hier wachte Ams-
dorf über die wittenbergiſche Ordnung; die Gegner wurden
auch hier entfernt.


In Münſter nun traten verwandte aber bei weitem ſtär-
kere Regungen ein. In den Predigern, die in dem Kampfe em-
porgekommen, von denen der Eifrigſte Rottmann jetzt die
Aufſicht eines Superintendenten über die andern führen ſollte,
zeigte ſich nicht allein Hinneigung zu der zwingliſchen Auffaſ-
ſung der Abendmahlslehre, ſondern was bei der Verflechtung
der Meinungen in jener Zeit noch viel bedeutender war,
eine ſtarke Abweichung ſelbſt von Zwingli in Beziehung auf
das andere Sacrament; Rottmann verwarf die Kindertaufe.
Alles was in Münſter die Ruhe liebte, und ſich mit dem
bereits Erworbenen zufrieden fühlte, erſchrak hierüber; der
Rath, ſo demokratiſch er auch conſtituirt war, ſetzte ſich
dagegen; es ward eine Disputation veranſtaltet, deren Aus-
fall eine förmliche Erklärung wider Rottmann zur Folge
hatte. Auch die Marburger Univerſität gab ein Gutachten
gegen ihn, und ein paar heſſiſche Theologen erſchienen, den
[504]Sechstes Buch. Achtes Capitel.
Rath wider die Neuerer zu unterſtützen. Mit alle dem war
aber der neue Rath, der noch immer die Tendenzen der ka-
tholiſchen Partei zu bekämpfen hatte, nicht ſtark genug,
energiſche Maaßregeln zu ergreifen. Rottmann und ſeine
Anhänger blieben in der Stadt, und hatten eine um ſo grö-
ßere geheime Wirkſamkeit, je mehr man ihre öffentliche be-
ſchränken wollte. Einer weltlichen Behörde, die doch ihr
Daſeyn der von ihnen geleiteten religiöſen Bewegung ver-
dankte, waren ſie nicht geneigt, ſich zu unterwerfen.


In dieſer Oppoſition geriethen ſie auf den Gedanken,
einem Element der geiſtigen Bewegung, dem ſie ſich bereits
genähert, — wir ſind ihm ſchon öfter begegnet und wiſſen,
wie es von aller geſetzmäßigen Gewalt ausgeſtoßen und ver-
folgt, doch immer fortſchritt und eine unwiderſtehliche Macht
auf die Gemüther ausübte, — dem wiedertäuferiſchen, öf-
fentlich Eingang in Münſter zu geſtatten.


Ein Ereigniß, das zugleich eine allgemeine Bedeu-
tung hat.


Das reformatoriſche Prinzip, wie es ſich bisher geſtal-
tet, ſah aufs neue, wie in den Zeiten des Bauernkrieges
Tendenzen neben ſich aufkommen, von denen es ſelber wie-
der zerſtört worden wäre.


Hatte es ſich auf der einen Seite gegen die Mächte
der alten Kirche unerſchütterlich aufgeſtellt, ſo mußte es nach
dieſer andern hin abermals Gefahren beſtehn, die doch auch
Momente hatten, wo ſie ſich ſehr drohend erhoben.


Die Bahn freier geiſtiger Kämpfe war nun einmal
eröffnet; man ſollte inne werden, daß die Siege in dieſen
Regionen nicht leicht erfochten werden.


[[505]]

Neuntes Capitel.
Wiedertäufer zu Münſter.


Blick auf die Wiedertäufer im Allgemeinen.


Wie hätte ſich in einem Augenblicke, wo das große
kirchliche Inſtitut, welches die Ueberzeugungen ſo viele
Jahrhunderte daher mit mehr oder minder willkührlichen
Satzungen gefeſſelt hatte, erſchüttert, zum Theil geſtürzt,
ſeines Einfluſſes beraubt wurde, überhaupt denken laſſen,
daß die Geiſter ſich doch wieder ſämmtlich zu gleichen po-
ſitiven Meinungen vereinigen würden?


Ich wundere mich weniger, daß es nicht vollſtändig
Statt fand, als darüber, daß es noch in ſo hohem Grade
geſchah, wie es geſchehen iſt.


Jetzt aber ſollten doch noch einmal die Gegenſätze ſich
gewaltig erheben.


Wir ſahen, welchen Widerſpruch ſowohl Zwingli als
Luther in einer dritten Partei fand, welche die Kindertaufe
verwarf. Dort bemerkten wir jedoch zugleich, daß dieſe
Verwerfung keineswegs die ausſchließende Unterſcheidungs-
lehre, ſondern nur das Wahrzeichen einer Partei ausmachte,
[506]Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
die noch in unzähligen andern Dingen abwich und in ſich
ſelbſt die mannichfaltigſten Verſchiedenheiten entwickelte.


Es wäre wohl der Mühe werth, dieſen excentriſchen
Bildungen weiter nachzuforſchen, die ſeltenen Schriften, in
denen ſie ſich ausgeſprochen haben, zuſammenzuſuchen, ih-
rem innern Zuſammenhang nachzuſpüren.


So weit ich die Sache überſehen kann, finde ich in
Hinſicht der Lehre zwei, obwohl von demſelben Punkte aus-
gehende, doch ganz verſchiedene Directionen der Meinung.


Das Dogma von der Rechtfertigung beſchäftigte die
Wiedertäufer ſo gut, wie die andern Zeitgenoſſen; ſie ſchrit-
ten davon weiter fort zu den Fragen über die Naturen in
Chriſtus und die Kräfte der Seele. Sie blieben wohl ſämmt-
lich von der Freiheit des Willens überzeugt, und wider-
ſetzten ſich in dieſer Hinſicht den Lehren Luthers; allein ſie
zogen daraus verſchiedene Schlüſſe.


Die Einen meinten, die Sache ſey überaus einfach.
Der Menſch könne durch gutes Verhalten und eignes Wir-
ken allerdings die Seligkeit verdienen; Chriſtus ſey nicht ſo-
wohl unſer Genugthuer, als unſer Lehrer und Vater. Be
ſonders hat Hans Denk, ein übrigens ausgezeichneter jun-
ger Mann, gelehrt, bieder, auch beſcheiden — er bekannte
wenigſtens, was beinahe kein Anderer aus dieſem Kreiſe
zugeſtehen wollte, daß er auch irren könne, — dieſe Mei-
nung ausgebildet. Er ging davon aus, daß Gott die
Liebe ſey, welche Fleiſch und Blut nicht begreifen würden,
wenn er ſie nicht in einigen Menſchen darſtellte, die man
göttliche Menſchen, Gottes Kinder, nenne. In Einem aber
habe ſich die Liebe am höchſten bewieſen, Jeſu von Naza-
[507]Wiedertaͤufer. Denk, Haͤtzer, Kauz.
reth: der habe in Gottes Weg nie geſtrauchelt; er ſey
nie uneins mit Gott geworden. Er ſey ein Seligmacher
ſeines Volkes; denn er ſey ein Vorgänger aller derer, die
ſelig werden ſollen. Das wolle es ſagen, wenn es heißt,
alle ſollen durch Chriſtum ſelig werden. 1


In enger Verbindung mit Hans Denk ſtand Ludwig
Hätzer: ſie haben mit einander einen Theil der Prophe-
ten ins Deutſche überſetzt. Nur ſchritt Hätzer, wie er in
ſeinem Lebenswandel ausſchweifender war, ſo auch in ſei-
nen Doctrinen bis zu den äußerſten Conſequenzen fort. Er
war der Erſte in dieſer Epoche, der die Gottheit Chriſti
leugnete. Doch können wir nicht ſagen, wie er zu dieſer
Meinung kam, mit welchen Gründen er ſie vertheidigte:
das Buch, das er darüber geſchrieben, iſt nie gedruckt wor-
den; das letzte handſchriftliche Exemplar hat Ambroſius
Blaurer verbrannt.


In einem verwandten Sinne erklärte ſich auch Hans
Kautz von Bockenheim zu Worms. Er meinte, Jeſus Chri-
ſtus von Nazareth erlöſe uns dann, wenn wir ſeinen Fuß-
tapfen nachfolgen; wer anders lehre, mache einen Abgott
aus ihm. 2


Und man ſollte nicht glauben, wie weit dieſe Anſich-
[508]Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
ten ſich verbreitet haben. Wir finden ſie unter andern in
Salzburg, ohne daß wir ſagen könnten, wie ſie dahin ge-
kommen. Eine Gemeinde von armen Leuten hegte ſie,
die ſich von allem Gottesdienſt losſagten, in Einöden
zuſammenkamen, durch gemeine Beiſteuern Brüderſchaften
errichteten: ſie nannten ſich Gärtnerbrüder. Sie meinten,
der Geiſt, Gutes zu thun, ſey allen Menſchen angeboren;
es ſey ſchon genug, wenn man nur das Geſetz erfülle;
denn eben dadurch ziehe uns Gott an ſich, daß man äu-
ßerlich Recht thun müſſe; Chriſtus ſey keineswegs der Er-
füller des Geſetzes, ſondern ein Lehrer chriſtlichen Lebens. 1
Behauptungen von nicht ſehr tiefſinniger, aber wahrhaft un-
ſchädlicher Natur. An dieſen armen Leuten wurden ſie aber
furchtbar geſtraft. Einige von ihnen waren auf einer ihrer
Verſammlungen in dem Hauſe eines Pfarrers entdeckt wor-
den, und hatten kein Bedenken getragen, auch die abweſenden
Mitglieder ihres Bundes zu nennen. Hierauf wurden ſie
ſämmtlich dem Gericht überliefert. Die Glaubensſchwächeren,
die ſich zum Widerruf bewegen ließen, wurden erſt mit dem
Schwerte gerichtet, dann verbrannte man ihre Leiber. Die,
welche nicht widerriefen, wurden auf dem Frohnhof bei le-
bendigem Leibe dem Feuer übergeben. „Die haben lange
gelebt, ſagt eine gleichzeitige Nachricht, und Gott hart an-
gerufen, iſt gar erbärmlich zu hören geweſen.“ Oder man
brachte ſie in das Haus, wo ſie häufig ihre Zuſammen-
[509]Wiedertaͤufer. Salzburger Gaͤrtnerbruͤder.
künfte gehalten und unter einander gepredigt hatten; ſperrte
ſie hier ein und zündete das Haus an. „Die haben,“
fährt jene Nachricht fort, „jämmerlich unter einander ge-
ſchrieen, zuletzt ihr Leben aufgegeben, Gott helfe ihnen und
uns allen.“ Unter Andern hatte ein junges ſchönes Fräu-
lein von 16 Jahren auf keine Weiſe zum Widerruf gebracht
werden können: wie denn in dieſem Alter die Seele der
ſtärkſten und ſchwungvollſten moraliſchen Hingebung fähig
iſt; gewiß war ſie der Dinge, deren man ſie anklagte,
ſchuldig, aber übrigens mit dem Bewußtſeyn und dem
Ausdruck der reinen Unſchuld. Jedermann bat um ihr Le-
ben. Der Nachrichter nahm ſie auf den Arm, trug ſie
an die Roßtränke, tauchte ſie unter das Waſſer, ſo lange
bis ſie ertrunken war, dann zog er den entſeelten Leib wie-
der hervor und übergab ihn dem Feuer. 1


Auf ganz verſchiedene Folgerungen wurden nun aber
Andere von denſelben Fragen über Erlöſung und Rechtfer-
tigung geführt. Sie nahmen eine durchgreifende Trennung
zwiſchen Geiſt und Fleiſch an. Statt zu ſagen, der Menſch
könne durch eigne Kraft das Gute thun, er werde durch
Rechtthun ſelig, das ſey die Lehre Chriſti, behaupteten ſie
vielmehr, nur das Fleiſch ſündige; der Geiſt werde davon
nicht berührt, er ſey bei dem Sündenfall nicht mitgefallen.
Durch die Wiederbringung werde der ganze Menſch ſo frei
wie vor dem Falle, ja noch freier. Indem ſie nun Chriſto
dieſe Wiederbringung zuſchrieben, lehrten ſie doch, daß deſ-
ſen Menſchheit von beſonderer Art geweſen ſey. Er habe
[510]Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
bei der Geburt von ſeiner Mutter nichts angenommen; in
ihm ſey das reine Wort Fleiſch geworden; denn Adams
Fleiſch ſey verflucht. Sehr verbreitet waren auch dieſe An-
ſichten: wir finden wiedertäuferiſche Kirchenlieder, in denen
ſie unumwunden ausgeſprochen ſind. 1 Nicht unwahrſchein-
lich, daß Caspar Schwenkfeld, der ebenfalls die conſti-
tuirte Kirche und die Kindertaufe verwarf, und die Crea-
türlichkeit des Leibes Chriſti leugnete, auf ihre Entwickelung
vielen Einfluß hatte. 2 Wohl nicht ohne Anſtoß von ihm
hat ſich Melchior Hoffmann ſo viel damit zu ſchaffen gemacht.
Hoffmann erklärte ſich anfangs für die unbedingte Gnaden-
wahl; ſpäter behauptete er dagegen, ein Jeder könne der
Gnade theilhaftig werden; verloren ſey nur ohne Erbarmen
Der, wer einmal erleuchtet, alsdann wieder abweiche. Alle
die, an welchen ſich eine Spur der Gnade zeige, dachte
er durch die Wiedertaufe zu Einer Gemeinde zu vereinigen. 3


Noch viel mannichfaltigere Verſchiedenheiten zeigten
ſich nun aber unter den Wiedertäufern in Hinſicht des Le-
bens und der Gebräuche.


Die Einen hielten die Kindertaufe nur für unnütz, die
Andern für einen Gräuel. Die Einen forderten die ſtrengſte
Gütergemeinſchaft, die Andern blieben bei der Pflicht ge-
[511]Verſchiedene Secten der Wiedertaͤufer.
genſeitiger Unterſtützung ſtehen. Die Einen ſonderten ſich
ſo vollkommen wie möglich ab, und hielten es ſelbſt für
unchriſtlich, den Sonntag zu feiern; die Andern erklärten
es für unerlaubt, ſo vielen Beſonderheiten nachzugehn. Bei
Sebaſtian Frank, der ſie ſehr wohl kannte, und ſelbſt zu
ihnen gerechnet ward, findet ſich ein langes Verzeichniß
von Abweichungen, die er unter ihnen wahrgenommen. 1


Da konnte nicht fehlen, daß ſie nicht auf mancher-
lei Weiſe mit dem Staat in Widerſpruch gerathen wären.


Zuerſt fallen uns Diejenigen auf, welche Kriegs-
dienſt und Eid verweigerten. Zu tödten hielten ſie in je-
dem Fall für ein Verbrechen, zu ſchwören für unerlaubt
und ſündlich. Unmöglich konnte man ſich das in den Städ-
ten gefallen laſſen, wo man noch immer auf Vertheidigung
durch die eignen Arme der Bürger angewieſen war, oder
wo ſich wie in Strasburg der ganze Gehorſam an den
Bürgereid knüpfte, welcher an dem jährlichen Schwörtag
geleiſtet werden mußte.


Weiter nehmen wir Andere wahr, die ſich etwa für
berufen hielten, die Ehe zu reformiren, denn nur eine ſolche
ſey gültig, die im Geiſt geſchloſſen worden. Der Kürſch-
ner Claus Frei hatte ſein Eheweib verlaſſen und zog mit
einer andern durch die Welt, welche er „ſeine einzige rechte
geiſtliche Eheſchweſter“ nannte. 2


Alle fanden das Kirchenregiment, welches durch Ma-
giſtrate und Prediger vereinigt aufgerichtet worden, uner-
[512]Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
träglich: einen Jeden ſollte man predigen laſſen, dann
würde keine Spaltung ſeyn. Sie erklärten, die Einrichtun-
gen der Evangeliſchen ſeyn eben nichts anders als ein
neues Papſtthum.


Auch waren ſie überzeugt, daß es damit nicht lange
dauern könne. Eins der weſentlichſten Stücke ihres Glau-
bens iſt die apokalyptiſche Erwartung einer baldigen Um-
kehr der Dinge, eines vollkommenen Sieges, welche ſchon
Münzer und Storch genährt. Nach deren Beiſpiel hat-
ten auch die ſpäteren Oberhäupter die großartigſten Ein-
bildungen ein jeder vor ſich ſelbſt, mit der ſie ſich wenig-
ſtens bei ihrer nächſten Umgebung Eingang verſchafften.


Hubmayr verglich Nikolspurg, wo er bei einem Lich-
tenſtein Aufnahme gefunden, mit Emaus, wohin ſich Chri-
ſtus zurückgezogen, „denn es fange an Nacht zu werden
und die letzte Zeit ſey vor der Thür.“


Jener Melchior Hoffmann, ein wandernder Kürſchner,
den wir nach und nach im Elſaß, in Stockholm, in Liefland,
in Kiel, in Oſtfriesland finden, bald mit mächtigen Für-
ſten in enger Verbindung, bald im Gefängniß ſchmach-
tend, begab ſich endlich wieder nach dem Elſaß, nach Stras-
burg, wo er meinte, daß der Sitz des neuen Jeruſalems
ſeyn ſolle, von wo nach Apocalypſe 14 hunderttauſend
und vier und vierzigtauſend jungfräuliche Apoſtel mit ihm
ausziehen würden, um alle Auserwählten Gottes in den
Schaafſtall zu ſammeln.


Allmählig regte ſich nun aber auch die Idee wieder,
einen Zuſtand dieſer Art mit Gewalt herbeizuführen.


Hans Hut meinte aus Moſes und den Propheten
[513]Secten der Wiedertaͤufer.
beweiſen zu können, daß die Wiedertäufer als Kinder Got-
tes, wie einſt die Iſraeliten, beſtimmt ſeyen, die Gottloſen
auszurotten: Gott ſelbſt werde ſie dazu auffordern. 1


Im Wirtembergiſchen bekannte im Jahre 1528 ein
Gefangener, der Zuberhans aus dem Schorndorfer Amt,
daß er mit andern Gläubigen beſchloſſen, künftige Oſtern
zur That zu ſchreiten; 700 Mann ſtark wollten ſie ſich
dann in Reutlingen vereinigen, zunächſt in Wirtemberg die
Obrigkeit abſchaffen, die Pfaffen tödten, eine allgemeine
Aenderung bewirken. 2


Melchior Hoffmann drohte nicht ſelbſt das Schwert
in die Hand zu nehmen: aber er war überzeugt, daß es
ergriffen werden müſſe. Er hatte eine Zeitlang mit Kö-
nig Friedrich I von Dänemark in perſönlichen Verhältniſ-
ſen geſtanden. Er meinte jetzt, der werde der eine der bei-
den Fürſten ſeyn, durch welche, wenn die Zeit gekommen,
denn noch ſey ſie nicht da, alle Erſtgeburt Aegyptens
erſchlagen werden müſſe, bis daß das wahre Evangelium
die Erde einnehme und die Hochzeit des Lammes erſcheine.
Doch waren nicht alle ſeiner Schüler ſo zurückhaltend wie
er. Einige meinten, die Zeit ſey in der That ſchon ein-
getreten, und ſich ſelber hielten ſie für beſtimmt, das Schwert
zu ergreifen.


So erheben ſich dieſe Meinungen von einem mehr ſon-
derbaren, als gefährlichen Particularismus der Stillen im
Lande gar bald bis zur entſchiedenen Feindſeligkeit enthu-
ſiaſtiſcher Weltverbeſſerer.


Alle deutſche Landſchaften waren aber von dieſen flüch-
Ranke d. Geſch. III. 33
[514]Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
tigen Apoſteln, bald der einen bald der andern Secte,
durchzogen; man wußte nicht von wo ſie kamen, wohin
ſie gingen. Ihr erſter Gruß war der Friede des Herrn,
an welchen ſie die Lehre von der Nothwendigkeit brüderli-
cher Gemeinſchaft in allen Dingen knüpften. Dann ka-
men ſie auf das Verderben der Welt zu reden, die Gott
jedoch nun im Begriff ſey zu züchtigen, wie denn in der
Gewalt, die er den Türken verſtatte, ſchon der Anfang
ſolcher Züchtigung eingetreten. Sie wandten ſich an die
damals ſehr weit verbreitete Erwartung von einer bevorſte-
henden myſtiſchen Umwandlung aller Dinge. Von Oſten
her verkündigte man die unter Zeichen und Wundern von
allerlei Art zu Babylon bereits geſchehene Geburt des An-
tichriſts, der jetzt ſogar ſchon erwachſen ſey und als ein
Gott verehrt werde. 1 In dem Weſten hatte hie und da
das Glück Kaiſer Carls V die ausſchweifendſten Hoffnun-
gen erregt. Er werde Jeruſalem erobern und das Ge-
bot ausgehn laſſen, einen Jeden auf Erden zu tödten, der
das Kreuz nicht anbete; dann werde er von einem Engel
Gottes gekrönt werden, und in den Armen Chriſti ſter-
ben. 2 Hie und da erwartete man allen Ernſtes das
Ende der Welt, wofür man Tag und Stunde feſtſetzte.
An Träume dieſer Art knüpften nun auch die Wieder-
[515]Apokalyptiſche Erwartungen.
täufer ihre Prophezeiungen an. Sie verkündigten, ſchon
ſeyen die Boten Gottes in der Welt, um die Auserwähl-
ten Gottes mit dem Bundeszeichen zu verſiegeln. Sey
die Zeit gekommen, ſo werde die Schaar der Verſiegelten ſich
von den vier Enden der Welt verſammeln, dann werde
Chriſtus ihr König unter ſie treten und ihnen das Schwert
in die Hand geben. Alle Gottloſen werde man vertilgen;
den Auserwählten aber ſey ein neues ſeliges Leben beſchie-
den, ohne Geſetze, noch Obrigkeit, noch Ehe, in der Fülle
des Ueberfluſſes. 1


Wir ſehen wohl: die Wiedertäufer gingen von Grund-
lehren aus, die bald mehr von myſtiſcher, bald mehr von
rationaliſtiſcher Tendenz waren; immer aber trafen ſie in
dem Bedürfniß engſter Vereinigung und dem ſtolzen Ge-
fühl des Auserwähltſeyns zuſammen; was dann ſofort zu
überſchwenglichen ſinnlich meſſianiſchen Hoffnungen führte.
Neu war es nicht, was ſie vorbrachten. Es waren im
Grunde nur dieſelben Verſprechungen, die der Talmud den
gläubigen Juden macht; daß am Ende der Tage alle
Völker vertilgt werden oder den Auserwählten dienen und
dieſe Gerechten nun in ihrer Herrlichkeit Behemoth und
Leviathan ſchmauſen ſollen. Aber die allgemeine Gährung
der Gemüther bewirkte, daß ſie damit doch eine gewiſſe
Wirkung hervorbrachten. Sie wendeten ſich dieß mal nicht
an die Bauern ſondern an die Handwerker. Die mühe-
vollen, aber dem Geiſte doch zu einer gewiſſen Beſchaulich-
keit Raum laſſenden, dunkeln Werkſtätten wurden plötzlich
33*
[516]Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
von dieſen Meteoren einer nahen ſeligen Zukunft erleuchtet.
Unwiderſtehlich griff dieſer Wahn um ſich.


Die deutſchen Regierungen von beiderlei Bekenntniß,
durch Reichsconſtitutionen dazu verpflichtet, unterließen
nicht, ſie mit aller Strenge zu verfolgen.


Bei den Proteſtanten fühlte man ſich zuweilen in
Verlegenheit; auf den ſchmalkaldiſchen Verſammlungen ſind
wohl die Reichsconſtitutionen für zu ſtreng erklärt worden, 1
und man hat den Beſchluß gefaßt, an den Leuten nicht
den Glauben zu ſtrafen, ſondern nur das Verbrechen, die
aufrühreriſche Lehre. Es exiſtirt ein kleiner Wittenberger
Druck, worin dieſe Unterſcheidung näher ausgeführt wird;
dem Berliner Exemplar deſſelben hat ein Wiedertäufer An-
merkungen an den Rand geſchrieben, in denen er dabei
bleibt, daß die Wiedertäufer mit dem Aufruhr nichts zu
ſchaffen haben. 2 Aber die Schwierigkeit lag wohl eigent-
lich nur darin, dieſe in einander verfließenden Tendenzen
gehörig zu ſondern. In Sachſen hielt man daran feſt,
die Lehrſätze eines Jeden zu unterſuchen und ihn dem ge-
mäß zu behandeln. 3 Landgraf Philipp dagegen zog immer
die mildern Maaßregeln vor: Wiedertäufer von offenbar
aufrühreriſchen Grundſätzen begnügte er ſich doch gefangen
zu halten. Darauf geſtützt erklärten auch die oberländiſchen
Regierungen, ihre Hände nicht mit dem Blut der armen
[517]Hinrichtungen der Wiedertaͤufer.
Leute beflecken zu wollen. In Strasburg hat man wohl
die Kinder ſieben Jahre alt werden laſſen, ohne ihre Eltern
anzuhalten, ſie taufen zu laſſen. 1


In den katholiſchen Ländern dagegen, wo man nicht
allein den Aufruhr, ſondern vor allem die Ketzerei ſtrafte,
wurden Executionen in Maſſe verhängt. Die Gärtnerbrü-
der wurden in München ſo ſtrenge behandelt wie in Salz-
burg; „einige an den Gliedern geſtümmelt, andern der
Kopf abgeſchlagen, andere in die Iſar geſtürzt, noch an-
dere auf dem Scheiterhaufen lebendig verbrannt.“ In
Paſſau wurden ähnliche Strafen verhängt. Ihrer dreißig
mußten im Gefängniſſe verſchmachten. 2 In ausführli-
chen Erzählungen iſt zu leſen, wie Georg Wagner zu Mün-
chen, Hätzer zu Conſtanz, Hubmayr zu Wien den Tod im
Feuer erlitten. Was iſt das für ein klägliches Hülfsge-
ſchrei, das Jacob Hutter erhob, als die Wiedertäufer,
welche ſich unter den Schutz mähriſcher Herren geflüch-
tet, nun auch von da wieder verjagt werden ſollten: „Wir
ſind in der Wüſte, auf einer wilden Haide, unter dem lich-
ten Himmel;“ aber auch da wollte man ſie nicht dulden. 3


Mit allen dieſen Verfolgungen jedoch kam man nicht
zum Ziele, und zwar am wenigſten dort, wo ſie am härte-
ſten waren, wie in den Niederlanden. Von Anfang an
hatten hier die lutheriſchen Meinungen in weiten Kreiſen
Beifall gefunden; ſo gewaltſam ſie auch zurückgedrängt
wurden, ſo hören wir doch im Jahre 1531 das Bekennt-
niß, daß alles Volk ihnen beifallen würde, wenn der
[518]Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
Zwang aufhören ſollte. Eben dieſes Zurückdrängen der re-
formatoriſchen Tendenzen bereitete nun aber den Boden
für die Lehren der Wiedertäufer am beſten vor. Ein Schü-
ler Hoffmanns, Jan Matthys, Bäcker zu Leiden, verband
mit den ſchwärmeriſchen Religionsanſichten des Lehrers
zugleich die Meinung, daß die Wiederbringung aller Dinge
in Kurzem bevorſtehe, und mit dem Schwert herbeigeführt
werden müſſe. Er ſelbſt erklärte ſich für den Henoch, der
dieſe Zukunft ankündigen ſolle, richtete ſich ſeine propheti-
ſche Haushaltung ein und ſchickte zwölf Apoſtel nach den
ſechs benachbarten Provinzen aus, die nun überall Proſe-
lyten machten und mit dem Bundeszeichen der Wiedertäu-
fer verſiegelten. Unter andern begleiten wir Jan Bockelſohn
von Leiden nach Briel, Rotterdam, Amſterdam, Enkhuy-
ſen, Alkmar: überall tauft er und ſtiftet kleine Gemeinden
von 10, 12, 15 Gläubigen, die nun dieſe Lehren ausbrei-
teten. In Holland finden wir überhaupt ein ſehr ſtarkes
wiedertäuferiſches Element, was ſich plötzlich allenthalben
regt, und nur für die weitere Entfaltung ſeiner Triebe einen
freien Raum zu gewinnen ſucht.


Da geſchah nun, daß die Dinge in Münſter ſich
auf eine Weiſe entwickelten, daß man ihnen Aufnahme
zu gewähren geneigt wurde. Die Apoſtel des Jan Mat-
thys, die dort erſchienen, fanden nicht allein bei den Hand-
werkern Eingang, ſondern auch bei den Predigern, die ſich
mit dem Mark der evangeliſchen Lehre genährt.


Emporkommen der Wiedertäufer in Münſter.


Es war nicht das erſte Mal, daß eine ähnliche Hin-
neigung ſich zeigte. Unter andern bemerken wir ſie eine
[519]Rottmann in Muͤnſter.
Zeitlang bei Capito in Strasburg, obwohl dieſer ſie durch
reiflicheres Nachdenken überwand.


Daß ſich ihr aber der bisherige Führer der Refor-
mation in Münſter, Bernhard Rottmann, vollkommen er-
gab, hatte, wenn wir einer Nachricht, die von Melanch-
thon ſtammt, glauben, noch folgenden ſehr perſönlichen
Grund.


In Münſter lebte ein Syndicus Wiggers aus Leipzig,
ein braver ehrenwerther Mann, aber mit einer Frau von
zweideutiger Aufführung verheirathet. Von den Schran-
ken, in welche Sitte und Religion die geſchlechtlichen Ver-
hältniſſe einſchließen, ließ ſie ſich nicht feſſeln; und dabei
beſaß ſie jenen unwiderſtehlichen und unerklärlichen Zauber,
der zuweilen auch geiſtig entwickelte Männer ergreift und
feſthält. Sie ſah ſich täglich in ihres Mannes Hauſe und
Garten von leidenſchaftlichen Verehrern umgeben. Unter
denen erſchien nun auch Bernhard Rottmann, und ſehr
bald entſpann ſich zwiſchen beiden ein Verhältniß, das ſie
wie ihn völlig in Beſitz nahm; als ihr Mann in Kurzem
ſtarb, ſagte man geradezu, ſie habe ihn vergiftet. 1 Rott-
mann verheirathete ſich mit ihr. Die Gerüchte, die dar-
über umliefen, brauchen nicht alle gegründet zu ſeyn, um
ſich erklären zu können, daß Männer, welche an Ernſt
und Ehrbarkeit feſthielten, ſich von Rottmann entfernten.
[520]Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
Das hatte aber nur wieder die Folge, daß Rottmann
durch eine auffallend ſtrenge Haltung, ſeinen Ruf wieder-
herzuſtellen ſuchte. Er fing an von dem Verderben der
Welt, der Nothwendigkeit der Werke der Barmherzigkeit
zu reden, und zeigte ſich nicht zufrieden mit dem durch die
lutheriſche Reform hervorgebrachten Zuſtand. Auch in
Hinſicht des Dogmas wich er immer weiter ab; war es
nun Einfluß der heimlich umherziehenden Wiedertäufer,
oder kam er von ſelbſt darauf: nachdem er den Ritus des
Abendmahls verändert, 1 begann er, wie berührt, die Recht-
mäßigkeit der Kindertaufe zu beſtreiten. So wie die Wie-
dertäufer zahlreicher wurden, ſchloß er ſich ihnen offen an.
Rottmann und ſeine Amtsgenoſſen waren ſo eben mit dem
Rath in bittere Streitigkeiten gerathen. Sie hatten für’s
erſte nachgeben, ſich zurückziehen müſſen. Welch beſſere
Verbündete aber konnten ſie finden, als die neuen Pro-
pheten, deren Verheißungen und Doctrinen ſich überall
einen ſo mächtigen Einfluß verſchafften? Das lutheriſche
Syſtem ſprach der weltlichen Gewalt, auch den ſtädtiſchen
Magiſtraten eine große Macht zu. Denn in der Anerken-
nung der Selbſtſtändigkeit des weltlichen Elements lag eben
ſein Weſen. Die wiedertäuferiſche Doctrin dagegen war
demſelben entſchieden feindſelig; ſie ſtrebte ſelbſt nach einer
[521]Wiedertaͤufer in Muͤnſter.
jede anderweite Macht ausſchließenden Alleinherrſchaft. In
dem Kampfe, in welchem die münſteriſchen Prediger wa-
ren, konnte ihnen nichts willkommener ſeyn. Einer von
ihnen giebt in ſeinem Verhör als den Zweck, zu welchem
man den Propheten angenommen habe, an, „damit er ver-
kündige, wie es hier heißt vorwittige, daß Gott der Herr
in Münſter die Stätte reinigen und die Gottloſen daraus
verjagen wolle.“ 1


Darin liegt nun eben das Ereigniß, daß der in Hol-
land emporgekommene Anabaptismus bei ſeiner Berührung
mit Münſter in einen Zeitpunkt traf, wo die politiſch-re-
ligiöſe Bewegung noch kein Ziel gefunden, und eine kaum
zurückgedrängte Partei ſich zu neuen Kämpfen gegen das
Nochbeſtehende rüſtete. Die Führer derſelben ergriffen ihn,
zum Theil aus Ueberzeugung, zum Theil als ein Mittel;
er konnte alle ſeine Kraft in einer zahlreichen Gemeinde
entwickeln.


Am Ende des Jahres 1533 füllte ſich Münſter mit
wiedertäuferiſch Geſinnten. Um den heil. Dreikönigstag
1534 erſchien der Prophet Jan Matthys mit ſeinem feu-
rigſten Apoſtel Jan Bockelſohn von Leiden. Ein angeſeh-
ner Bürger der Stadt, Bernard Knipperdolling, der einſt
aus Münſter verwieſen, in der Fremde, namentlich in
Stockholm mit den Wiedertäufern Verbindung geſchloſſen,
nahm ſie in ſein Haus auf. Die beiden Holländer
nun, in ihrer auffallenden Tracht, ihrer begeiſterten Hal-
[522]Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
tung, ihrem verwegenen und doch die Landesart anmu-
thenden Weſen machten in Münſter einen großen Eindruck.
Noch war die religiöſe Meinung in lebhaften Schwingun-
gen begriffen, ſie ſah noch nach neuen Dingen aus. Es
iſt ſehr begreiflich, daß Frauen, zuerſt Kloſterfrauen, von
Lehren fortgeriſſen wurden, die ein heilig-ſinnliches Leben
in naher Zukunft erwarten ließen. Sieben Nonnen aus
dem Aegidienkloſter ließen ſich auf einmal taufen; die Non-
nen von Overrat folgten ihnen nach; dann ſchlichen ſich
auch bürgerliche Frauen in die Verſammlungen der Täu-
fer, und brachten wohl als das erſte Pfand ihrer Erge-
benheit dem Propheten ihr Geſchmeide mit. Anfangs wa-
ren die Männer entrüſtet, ſpäter wurden ſie ſelber nachge-
zogen. Nachdem die Prediger der Stadt die Taufe zuerſt
empfangen, vollzogen ſie ſie ſelbſt. Beſonders warf ſich
Rottmann mit alle dem Talent, und alle dem Eifer, die
er früher der Reformation gewidmet, in dieſe neuen Doc-
trinen. War es nicht dieſelbe Stimme, die einſt zuerſt
von der römiſchen Kirche abgeführt hatte? Niemand konnte
ihr widerſtehen. Man erzählte ſich, er führe einen Zau-
bertrank bei ſich, mit welchem er einen Jeden, den er taufe,
auf immer dafür feſtbanne.


Und hiedurch ward er nun bald ſo ſtark, dem Ra-
the, der ihn zu beherrſchen, in Schranken zu halten ge-
dacht, Trotz bieten zu können. Frauen ſtellten den Bür-
germeiſter zur Rede, daß er einen heſſiſchen Prediger be-
günſtige, der nicht einmal münſteriſch ſprechen könne; Non-
nen ſchalten auf öffentlichem Markt auf den heſſiſchen
Gott, den man eſſe. Sechszehnjährige Mädchen riefen
[523]Kampf beider Parteien in Muͤnſter.
Wehe über die Laſterhaften. Die Schmiedegeſellen zwan-
gen den Rath, einen der Ihren, den man feſtgenommen,
weil er gepredigt hatte, herauszugeben.


Indeſſen waren ſie noch nicht die Herren.


Am 8. Februar kam es zu einem Auflauf, in wel-
chem die Wiedertäufer den Marktplatz einnahmen, ſey es
nun daß eine wirkliche oder eine eingebildete Gefahr ſie
dazu veranlaßte, der Rath und die Nichtwiedergetauften
dagegen Mauern und Thore beſetzten. Da zeigte ſich doch,
daß die letzteren bei weitem das Uebergewicht der Anzahl
und der Macht hatten. Sie hatten Hülfe von den be-
nachbarten Bauern und dem Biſchof. Sie fuhren Kano-
nen an den Zugängen zum Marktplatz auf; und Viele
meinten, daß man heute ein Ende machen, den Markt-
platz einnehmen, und die Wiedertäufer, von denen ſo
Viele ohnehin Fremde waren, vertreiben müſſe. Schon
waren die Häuſer der Nichtwiedergetauften mit Strohkrän-
zen bezeichnet, um ſie bei der bevorſtehenden Plünderung
ſchonen zu können. In den Wiedergetauften auf dem
Marktplatz dagegen brachten Enthuſiasmus und Befürch-
tung, Muth und Gefahr eine exaltirte Stimmung hervor,
in der ſie die wunderbarſten Geſichte erblickten: — einen
Mann mit goldner Krone, ein Schwert in der einen, eine
Ruthe in der andern Hand; eine andere Mannesgeſtalt, die
Fauſt voll herauströpfelnden Blutes. Oder ſie meinten
die Stadt von ſchwarzbraunem Feuer angefüllt zu ſehen:
darüber den Reiter mit dem Schwert auf weißem Roß
aus der Apokalypſe. 1 Sollte man nun aber ſo aben-
[524]Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
teuerliche Schwärmer mit Kanonen angreifen? Jener heſ-
ſiſche ſo eben verunglimpfte Prediger, des Namens Fa-
bricius, wandte alle ſeinen Einfluß an, dieß zu verhüten;
er ermahnte die zum Kampfe Bereiten des verwandten
Blutes zu ſchonen. Auch in einigen Mitgliedern des Ra-
thes regte ſich Mitleiden, wenn nicht geheime Uebereinſtim-
mung. Man bedachte doch, daß man auch Widerſtand
finden, daß vielleicht in dem allgemeinen Getümmel der
Biſchof ſich zum Herrn der Stadt machen könne. Ge-
nug, ſtatt zum Angriff zu ſchreiten, knüpfte man Unter-
handlungen an. Bevollmächtigte wurden ernannt, Geißeln
gegenſeitig gegeben: endlich ſetzte man feſt, daß ein Jeder
Gläubensfreiheit genießen, jedoch Frieden halten und in
weltlichen Dingen der Obrigkeit Gehorſam leiſten ſolle. 1
Die Wiedergetauften hielten ihre Errettung nicht mit Un-
recht für einen Sieg. In einer ihrer Schriften, der Re-
ſtitution, heißt es: „die Angeſichter der Chriſten,“ — denn
dieſen Namen legten ſie ſich ausſchließlich bei, — „wur-
den ſchön von Farbe.“ Auf dem Markt weiſſagten ſelbſt
die Kinder von ſieben Jahren: „Wir glauben nicht, daß
jemals eine größere Freude auf Erden geweſen iſt.“


Und in Wahrheit war dieß die Stunde, von welcher
an ſie nun Tag für Tag bis zur entſchiedenen Uebermacht
fortſchritten.


1


[525]Siege der Wiedertaͤufer.

Sie waren jetzt in Münſter zum erſten Mal in der
Welt zu einem geſetzlich anerkannten Daſeyn gelangt. Von
allen Seiten ſtrömten die Gleichgeſinnten daſelbſt zuſam-
men; Männer ohne ihre Frauen, Frauen ohne ihre Män-
ner; auch ganze Familien; Rottmann hatte jeden, der
ſich einfinden würde, zehnfältigen Erſatz alles deſſen, was
er verlaſſen, verſprochen.


So raſch war der Umſchwung, daß, als es am 21.
Februar zu einer neuen Rathswahl kam, die Wiedertäufer
die Oberhand gewannen. Schon die Wahlherren wur-
den nicht mehr nach dem Fleiſch, ſondern nach dem Geiſt
gewählt; es waren lauter erleuchtete Handwerker. Dieſe
beſetzten nun, wie ſich verſteht, alle öffentlichen Stellen
mit ihren Glaubensgenoſſen. Knipperdolling ward zum
Bürgermeiſter gewählt. Die ganze ſtädtiſche Gewalt ging
über in die Hände der Wiedertäufer.


Und dieſe waren nun nicht gemeint, ihre Gegner zu
ſchonen, oder auch nur einen Augenblick neben ſich zu dul-
den. Am 27. Februar ward eine große Verſammlung
bewaffneter Wiedertäufer auf dem Rathhaus gehalten.
Eine Zeitlang brachten ſie im Gebete zu; der Prophet
ſchien wie in Schlaf verfallen; plötzlich aber fuhr er auf,
und erklärte, man müſſe die Ungläubigen, wofern ſie ſich
nicht bekehren, ſofort verjagen, das ſey der Wille Gottes.
Er verbarg nicht, worauf es zunächſt abgeſehn war. „Hin-
weg mit den Kindern Eſaus“ rief er, „die Erbſchaft ge-
hört den Kindern Jacobs.“ Mit dem Enthuſiasmus ver-
einigte ſich die Habſucht. Hierauf erſcholl das Geſchrei
„heraus ihr Gottloſen,“ furchtbar durch die Straßen.
[526]Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
Es war ein ſtürmiſcher Tag des ſpäten Winters. Der
Schnee, der noch ſehr hoch lag, fing eben an zu ſchmel-
zen: ein heftiger Wind jagte Regen und Schnee durch
die untere Atmoſphäre. Die Häuſer wurden mit Gewalt
eröffnet, und Alle von ihrem Heerde verjagt, die ihre Taufe
nicht verleugnen wollten. Ein Augenzeuge hat den klägli-
chen Anblick geſchildert, wie die Mütter, ihre halbnackten
Kinder auf den Armen nichts weiter mit ſich nehmen durften
als eben dieſe; wie die kleinen Knaben neben ihren Eltern
in bloßen Füßen durch den Schnee wateten, wie man
den alten Männern, die an ihrem Stabe die Stadt ver-
ließen, unter dem Thor noch den letzten Zehrpfennig ab-
nahm, den elenden Reſt von dem Erwerbe eines langen
arbeitſamen Lebens. 1


So wurden die Wiedertäufer nicht allein die Herren
in der Stadt, ſondern auch ihre alleinigen Inhaber. Was
ihre Gegner an ihnen zu thun ſich geſcheut, vollzogen ſie
nun an dieſen mit fanatiſcher Begier. Sie theilten die
Stadt unter ſich aus. Die verſchiedenen Landsmannſchaf-
ten nahmen die geiſtlichen Gebäude ein. Die fahrende
Habe der Vertriebenen ward auf die Canzlei zuſammenge-
bracht; Matthys bezeichnete ſieben Diaconen, welche die-
ſelben den Gläubigen, einem jeden nach ſeinem Bedürfniß,
nach und nach vertheilen ſollten.


Und nun würden wohl die Wiedertäufer ſofort dazu
geſchritten ſeyn, ihre Herrſchaft auch nach außen auszu-
[527]Ruͤſtungen des Biſchofs u. der Nachbarn.
breiten, hätte ſich nicht der Biſchof, dieß Mal von den be-
nachbarten Fürſten unterſtützt, mit einer ganz ſtattlichen
Macht um ſie her gelagert.


In Cleve und Cöln hatte man anfangs gezweifelt,
ob man blos das eigne Land rein halten, oder den Bi-
ſchof unterſtützen ſolle. Die Betrachtung, daß auch
der Landgraf von Heſſen ihm zu Hülfe kommen, und
daß unter deſſen Einfluß, nach dem Siege, irgend eine
Veränderung mit dem Stift überhaupt verſucht werden
könne, bewog doch die beiden weſtlichen Nachbarn, eben-
falls Antheil zu nehmen. 1 Sie fanden, der Biſchof ſey
gar zu ſchlecht gerüſtet, ſchlecht berathen; ſie ſahen wie ge-
fährlich es werden könne, wenn es den Wiedertäufern etwa
gelingen ſollte, auch die kleinern Städte, die andern Unter-
thanen des Stiftes an ſich zu ziehn; und ſo beſchloſſen ſie,
zuerſt mit Geſchütz und Fußvolk, dann auch mit Reite-
rei Hülfe zu leiſten: immer jedoch unter der Bedingung,
daß das Stift ihnen dereinſt ihren Aufwand vergüte.
Hier ſtrengte der Biſchof alle ſeine Kräfte an. Es wur-
den neue Steuern ausgeſchrieben; ſämmtliche Kleinodien
aus den Kirchen ſollten zum Krieg verwandt werden; die
Vaſallen des Biſchofs erſchienen auf eigne Koſten im
Felde. Im April und May 1534 ward die Stadt auf
allen Seiten eingeſchloſſen. Wenn man, da ſie mit
Kriegsbedürfniſſen ſehr gut verſehn war, ſich nicht ſchmei-
cheln durfte, ſie ſogleich zu erobern, ſo erreichte man doch,
[528]Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
was ſchon kein geringer Vortheil war, daß die Bewegung
in Münſter eingeſchloſſen, fürs erſte auf ſich ſelber be-
ſchränkt ward.


Da iſt nun das nächſte Intereſſe dieſe innere Ent-
wickelung zu betrachten. Es iſt ein religiöſes Element, wie
es in den kirchlichen Bewegungen mehr als Eines Jahr-
hunderts auf eine oder die andere Weiſe hervorgetreten iſt,
das ſich nun hier in engem Kreiſe, aber innerhalb deſſel-
ben in voller Freiheit in den merkwürdigſten Phänome-
nen entlud.


Entwickelungen des münſteriſchen Anabaptismus.


Wir müſſen davon ausgehen, daß die Secte, ſo wie
ſie zur Herrſchaft gekommen, durch den Sieg in ihrer na-
türlichen Beſchränktheit verhärtet, nicht allein nichts um
ſich dulden wollte, was ihr widerſprochen hätte, ſon-
dern auch nichts, was ihr nur nicht ſelber eigen ange-
hörte. Alle Bildwerke am Dom und auf dem Markt wur-
den zertrümmert. Wenn die Denkmale der weſtfäliſchen Ma-
lerſchule, welche ſonſt einen Platz neben der cölniſchen be-
haupten würde, für die Nachwelt beinahe ganz verſchwun-
den ſind, ſo rührt dieß ohne Zweifel von dem ſchnöden
Uebermuth her, mit dem ſie in unſerer Epoche vernichtet
wurden. Rudolf von Langen hatte in Italien eine herr-
liche Sammlung alter Drucke und Handſchriften zuſam-
mengebracht, an die ſich das Andenken der großen litera-
riſchen Umwandlung knüpfte; ſie wurden jetzt feierlich auf
dem Markte verbrannt. Selbſt muſikaliſche Inſtrumente
zu vertilgen hielt man für nöthig. Es ſollte nichts übrig
[529]Republik der Wiedertaͤufer.
bleiben, als höchſtens die Bibel, unterworfen der Ausle-
gung des Propheten. 1


Unter den Wiedergetauften ſelbſt aber ſollte nun alles
gemein ſeyn. Die Maaßregel, die man in Hinſicht der
Güter der Vertriebenen getroffen, ward gar bald auch auf
die Habe der Gläubigen erſtreckt. Bei Strafe des Todes
wurden ſie angehalten ihr Gold und Silber, Schmuck und
Baarſchaften, die ſie beſaßen, zum allgemeinen Gebrauch
auf die Canzlei zu liefern. Wir können ſagen: es war
eine Art von St. Simonismus, was man einrichtete.
Der Begriff des Eigenthums hörte auf; aber gleichwohl
ſolle ein Jeder ſein Geſchäft treiben. Wir haben die Sat-
zungen übrig, in welchen die Schuhknechte, die Schnei-
der namentlich bezeichnet werden: die letztern ſollen zu-
gleich dafür ſorgen, daß keine neue Tracht ſich einſchleiche;
eben ſo die Schmiede, die Schloſſer; jedes Handwerk
ward zugleich als ein Auftrag, als ein Amt betrach-
tet. Von allen Geſchäften das vornehmſte war, wie ſich
verſteht, die Vertheidigung. Auch die Knaben wurden da-
bei angewandt, und im Pfeilſchießen, denn noch immer
war dieß neben dem Feuerrohr in Gebrauch, erwarben
ſie eine außerordentliche Fertigkeit. Diejenigen, welchen
ein beſonderes Amt übertragen war, wurden dafür von
dem Dienſt der Wachten freigeſprochen. Es war alles
eine einzige religiös-kriegeriſche Familie. Für Speiſe und
Trank ward auf gemeinſchaftliche Koſten geſorgt. Bei den
Ranke d. Geſch. III. 34
[530]Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
Gaſtmahlen ſaßen die beiden Geſchlechter — Brüder und
Schweſtern — von einander abgeſondert; ſchweigend aßen
ſie, während ein Capitel der Bibel verleſen wurde. 1


Es liegt am Tage, daß ein ſo höchſt eigenthümliches
Gemeinweſen nicht mit den Formen einer Stadtverwal-
tung, ſelbſt nicht einer ſolchen, bei der Bürgermeiſter und
Rathsherren Erleuchtete waren, beſtehen konnte. Der Pro-
phet Jan Matthys, der die Einrichtungen traf, gelangte
auch ſehr bald in Beſitz einer höchſten Autorität. Die
Zeitgenoſſen ſchildern dieſe als wahrhaft königlich, unbe-
dingt. 2 Aber ſchon gegen Oſtern 1534 kam Matthys um
Bei einem Ausfall, wo er voran war, denn ſein Fanatis-
mus war wenigſtens nicht feige, wurde er getödtet.


Mit ihm war, wie berührt, Jan Bockelſohn, genannt
von Leiden, nach Münſter gekommen, Sohn eines Schul-
zen im Haag 3 und einer leibeigenen Weſtfälin, die dann
von ihrem Mann losgekauft worden. Als Schneidergeſelle
[531]Jan Bockelſohn von Leiden.
war er in Liſſabon, in Leiden und Lübeck auf der Wan-
derſchaft geweſen und hatte ſich endlich zu Leiden nieder-
gelaſſen, nahe am Thor, wo der Weg nach dem Haag
führt. Da hatte er jedoch nicht lange Gefallen an ſei-
nem Handwerk gefunden, vielmehr es vorgezogen mit ſei-
ner Frau eine muntere Herberge zu eröffnen, Bier und
Wein zu ſchenken. Außerdem war ſein Ehrgeiz, in dem
poetiſchen Verein, den Leiden ſo gut wie die meiſten an-
dern niederländiſchen Städte beſaß, der Kammer van Rhe-
toryke, zu glänzen. Seine Refereyne floſſen am leichteſten;
ſeine Schüler lernten am geſchwindeſten; in den Schau-
ſpielen, die er entwarf, ſpielte er wohl ſelbſt eine Rolle;
ſchon da mag er ſich mit dem Geiſt der Oppoſition ge-
gen die Kirche durchdrungen haben, der den rhetoriſchen
Kammern überhaupt eigen war. So traf ihn die Bewe-
gung der Wiedertäufer und riß ihn an ſich. Er erwarb
ſich gar bald eine ziemliche Kunde der heiligen Schrift,
wobei er aber, wie dieſe autodidaktiſchen Handwerksleute
pflegten, nationale und religiöſe Elemente völlig vermiſchte,
und was er mit feuriger Imagination ergriffen, mit allen
zufälligen Nebenbeziehungen auf die gegenwärtige Welt
anwandte. Er beſaß eine glückliche äußere Bildung, na-
türliche Wohlredenheit, Feuer und Jugend; 1 ſchon un-
ter Matthys ſpielte er eine Rolle; als dieſer gefallen (er
behauptete es vorhergeſagt zu haben), trat er an ſeine Stelle.
34*
[532]Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
Und wenigſtens an Kühnheit ſtand er ſeinem Vorgänger
nicht nach. Schon erhob ſich die Meinung, daß man
auch in bürgerlichen Dingen nach keiner Menſchenſatzung,
ſondern blos nach Gottes Wort ſich halten dürfe. Das
zog nun der neue Prophet in Betracht. Nachdem er einige
Tage geſchwiegen, weil Gott ihm den Mund verſchloſſen
habe, erklärte er endlich, daß man in dem neuen Israel
zwölf Aelteſte haben müſſe, wie in dem alten, die er ſo-
gleich bezeichnete. Rottmann verſicherte auch ſeinerſeits der
Gemeinde, daß dieß der Wille Gottes ſey und ſtellte ihr die
Gewählten vor. Der Prediger und der Prophet bezeichneten
jetzt ohne alle Wahl der Stadt ihre Vorſteher. Jedermann
fügte ſich und nahm ſie an. Sechs von ihnen ſollten
immer früh und Nachmittag zu Gericht ſitzen; was ſie
ſprechen würden, das ſollte der Prophet Jan Bockelſon
der ganzen israelitiſchen Gemeinde ankündigen; Knipper-
dolling ſollte ihre Sprüche mit dem Schwert vollziehn.


Man ſieht leicht, daß dieß ein neuer Fortſchritt des
geiſtlichen oder vielmehr des fanatiſch-prophetiſchen Ele-
ments war. Es ward eine Geſetztafel verkündigt, die auf
lauter Stellen der Schrift, beſonders der Bücher Moſe
beruhte.


Und ſogleich ſollte ſich noch weiter zeigen, zu welch
abenteuerlichem Mißbrauch dieſe Anwendung der Schrift
führen könne.


Jan Matthys hatte ſeine ſchon ältere Frau verlaſſen,
ſich mit einem jungen ſchönen Mädchen, genannt Divara,
die er überredete, das ſey der Wille des Himmels, verhei-
rathet und dieſe mit nach Münſter gebracht. Jan Bockel-
[533]Anfang der Vielweiberei.
ſohn trug Verlangen wie nach dem Amte, ſo auch nach
der Frau ſeines Vorgängers; da er aber bereits verheira-
thet war, ſtellte er die Behauptung auf, daß es einem
Manne jetzt ſo gut wie in den Zeiten des alten Bundes
erlaubt ſeyn müſſe mehrere Frauen zu nehmen. Anfangs
war Jedermann aus natürlichem Gefühl dagegen. Wir
erinnern uns, daß auch Luthern einſt ähnliche Wünſche
vorgetragen worden; der hatte aber ſie mit ſeinem Grundſatz,
daß die Ehegeſetze eine Sache der weltlichen Ordnung
ſeyen, der man Gehorſam leiſten müſſe, zurückgewieſen.
In Münſter verachtete man Argumente dieſer Art: man
gedachte durchaus nach den Anweiſungen der Schrift zu
leben. Auch Rottmann predigte die neue Lehre ein paar
Tage lang auf dem Domhof. 1 So weit aber war es noch
nicht gekommen, daß eine ſo ſchreiende Verhöhnung der
Sitte und des ehrbaren Herkommens nicht auch unter den
obwaltenden Umſtänden Widerſpruch gefunden hätte. Um
einen Schmied, des Namens Mollenhök, ſammelte ſich al-
les, was noch von der alten Bürgerſchaft übrig war und
ſich den Neuerungen nicht ganz und gar ergeben hatte.
Noch einmal erſcholl der Ruf des Evangeliums; man
ſprach davon, die Vertriebenen zurückzurufen, die alte Ver-
faſſung wiederherzuſtellen, und fing an, die Propheten und
Prediger gefangen zu nehmen. Jetzt aber waren ſie bereits
jeder Oppoſition zu ſtark geworden. Es befanden ſich zu
viel enthuſiaſtiſche Fremdlinge in der Stadt, die gemeinen
Leute waren durch das Prinzip der Gleichheit gewonnen;
[534]Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
gar bald ſahen ſich die Mollenhökſchen genöthigt, in das
Rathhaus zu flüchten; als man Kanonen davor auffuhr
(zum Theil von Weibern herangezogen), reichten ſie ihre
Hüte zu den Fenſtern hinaus und ergaben ſich. Sie hät-
ten wohl wiſſen können, daß das ihnen das Leben nicht
friſten werde. Unbarmherziger wurden nie Gefangene be-
handelt, als dieſe von denen, die noch ſo eben ihre Brü-
der im Geiſt geweſen. Viele wurden an Bäume gebun-
den und erſchoſſen. „Wer den erſten Schuß thut,“ rief
Jan Bockelſohn aus, „erweiſt Gott einen Dienſt damit“;
die andern enthauptete man. 1


Mit der fanatiſchen Beſchränktheit, mit der man nichts
anerkannte, als die eigene Lehre, hängt es zuſammen, daß
man jede Abweichung mit Tod und Verderben beſtrafte.
Aus der alles andere negirenden Idee erhebt ſich noth-
wendig und allemal der Schrecken. Bei der Bekanntma-
chung jener Geſetztafel war einem Jeden, der dawider ver-
ſtoße, die Ausrottung aus dem Volke Gottes angedroht.
Und wehe dem nun vollends, der die göttliche Berechti-
gung der Machthaber antaſtete. Schon Matthys ließ
einen ehrlichen Schmied, Meiſter Truteling, der ihm ein
geringſchätziges Wort geſagt, dafür mit dem Tode beſtra-
fen. Wir erwähnten des Amtes der Rechtsvollſtreckung,
das Knipperdolling empfing. Er hatte die Gewalt, einen
[535]Ernennung eines Koͤnigs.
Jeden, den er bei einer Uebertretung der neuen Geſetze be-
troffen, auf der Stelle, ohne alles Gericht, umzubringen:
denn das Böſe müſſe ausgerottet werden auf der Erde.
Von vier Trabanten begleitet, das bloße Schwert in der
Hand, Schrecken erregend zog er durch die Straßen.


Wie nun aber alles von der Regel Abweichende doch
immer wieder dem eignen Naturgeſetze folgt, die Triebe
ſeines Entſtehens vollſtändig ans Licht zu bringen ſtrebt, ſo
trat allmählig, nachdem alle innere Oppoſition beſeitigt
worden, auch dieſe Erſcheinung in die letzten Stadien ihrer
Entwickelung ein.


Die geiſtliche Macht, im Kampfe mit der weltlichen,
hatte ſich mit den Propheten verſtärkt, ſich zuerſt zur ge-
waltigen Oppoſition erhoben, dann den Herrſchenden, zu
den Waffen bereit, die Spitze geboten, darnach dieſe durch
ihre Majorität geſtürzt, alle ihre Gegner vertrieben, ver-
tilgt, und ein Regiment aufgerichtet, auf das ſie den größ-
ten Einfluß hatte. Allein noch war ſie damit nicht an
ihrem Ziele. Die Theokratie wird meiſtens monarchiſch
ſeyn; denn ſie ſetzt immer eine perſönliche Bevorzugung,
Begnadigung voraus. Der vornehmſte Prophet konnte
ſich nicht begnügen, blos den Willen der Aelteſten, obwohl
er auf ihre Ernennung den größten Einfluß gehabt, dem
israelitiſchen Volke zu verkündigen; er faßte die Idee Kö-
nig dieſes Volks zu ſeyn.


Ein anderer Prophet, der neben ihm aufgeſtanden,
Duſentſchuer von Warendorf, früher ein Goldſchmied, er-
ſparte ihm die Mühe, dieß ſelbſt erklären zu müſſen. Du-
ſentſchuer verkündigte eines Tages, Gott habe ihm offen-
[536]Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
bart, Johann von Leiden ſolle König ſeyn. Die Prädi-
canten, welche hier immer die extremſten Ideen verfochten,
ſprechen ſich ſofort dafür aus; Johann ſelbſt verſichert, ohne
ihre Hülfe würde er weder die Vielweiberei eingeführt, noch
die Errichtung des Königthums durchgeſetzt haben. Auch
ließ er ſie an ſeiner Gewalt theilnehmen. Nachdem das
Volk ſeine neue Würde gebilligt (Jedermann ließ ſich auf-
ſchreiben), erklärte er, nicht allein könne er in dem Aller-
heiligſten verharren; die Gemeinde möge Gott mit ihm bit-
ten um ein gutes Hausgeſinde. Nachdem alles Volk ge-
betet, erſchien Rottmann und las von einem Zettel die
Namen derer, die durch göttliche Eingebung zu den höhe-
ren Würden beſtimmt worden. Einer der Vornehmſten
war er ſelber. Er war Worthalter, wie jene worthalten-
den Bürgermeiſter in den freien Städten; Knipperdolling,
der ſelbſt oft prophetiſche Entzückungen hatte, wurde Statt-
halter; ſo war auch der geheime Rath des Königs aus
Prädicanten und den namhafteſten Fanatikern zuſammen-
geſetzt; das geiſtlich-fanatiſche Prinzip kam nun erſt in dieſer
monarchiſch-theokratiſchen Regierung zur vollen Herrſchaft.


Da trat nun auch die myſtiſche Weltanſicht, welche
allen dieſem wiedertäuferiſchen Treiben zum Grunde lag,
ausgebildeter hervor. Die Hoffnungen, die ſonſt nebelhaft
in weiter Ferne erſchienen, zeigten ſich jetzt ihrer Verwirk-
lichung näher, ergreifbarer.


Die Wiedertäufer fanden den Sinn der Schrift darin, daß
Gott durch das Wort im Anfang alle Dinge gut geſchaffen;
aber ſie ſeyen nicht gut geblieben; die Ordnung Gottes
fordere ihre Wiederherſtellung durch das Wort. Alles aber
[537]Wiedertaͤuferiſche Ideen.
habe „in dreyen,“ in drei Perioden ſeinen Verlauf. Ne-
ben das Eine trete ein Andres, ſo daß das Vorige von
dem Gegenwärtigen verdunkelt werde, bis zuletzt ein Drit-
tes, nämlich das erſcheine, was nicht weiter möge verän-
dert werden.


Die erſte Lebenszeit der Welt habe mit der Sünd-
fluth geendet. Jetzt ſtehe ſie in ihrer zweiten Epoche. Da
habe Gott mannichfaltige Mittel ergriffen, die Menſchen
zu ſich zu bekehren, Abraham und die Propheten erſchei-
nen laſſen, Wunderthaten bewieſen, ſein Wort ſchriftlich
gegeben, endlich ſeinen einigen Sohn geſendet, aber alles
vergebens; der Menſch wolle die Gerechtigkeit nicht bei
ſich dulden, viel weniger ſie über ſich herrſchen laſſen; da
müſſe dann der Grimm Gottes, eben wie bei den Zeiten
Noä, ausgehen und ſich auf den Kopf der Schuldigen
entladen, um die dritte Zeit und der ganzen Welt Vollendung
hervorzubringen. Dieſer Moment ſey jetzt gekommen. 1


Von einer andern Seite griff Rothmann in ſeiner
Schrift über zeitliche und irdiſche Gewalt die Sache an;
doch läuft es auf daſſelbe hinaus.


Er ſagt, Gottes Wille ſey geweſen, daß alles nur
unter ihm ſtehe, ſich brüderlich vertrage, beſtändig und luſtig
unter ihm lebe. Aber durch den Sündenfall ſey die gött-
liche Ordnung erloſchen und eine irdiſche Gewalt nothwen-
dig geworden. Doch auch dieſe ſey böſe ihrer Natur nach
und werde immer böſer. Vier Monarchien habe Gott
[538]Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
von Anfang an beſtimmt. Die erſte habe Daniel wenig-
ſtens mit einem Thiere verglichen, doch nicht die letzte:
dieſes letzte vierte Ungeheuer habe wegen ſeiner blutdür-
ſtigen Tyrannei ſeines Gleichen nicht auf Erden. Aber
ſchon ſey auch deſſen Zeit gekommen; an ſeinem Erkrachen
höre man bereits wie nahe ſein Fall ſey; alle ſein Reich-
thum ſolle den treuen Hausgenoſſen zur Beute werden. 1


Sie hielten dafür, daß man dieſen Moment ergreifen
müſſe, damit es nicht auch den Chriſten gehe, wie einſt
den Juden, welche die Zeit ihrer Heimſuchung nicht wahr-
genommen.


Die Einwendung, daß Chriſti Reich nicht von dieſer
Welt ſey, wußten ſie auf ihre Weiſe zu beſeitigen. 2 Sie
unterſchieden ein geiſtliches Reich, das in die Zeit des Lei-
dens gehöre, und ein leibliches Reich der Glorie und Herr-
[539]Wiedertaͤuferiſche Ideen.
lichkeit, welches Chriſtus mit den Seinen in dieſer Welt
haben ſolle, tauſend Jahre lang. 1 Sie waren überzeugt,
daß ihr Reich in Münſter bis zum Anbruch dieſes tau-
ſendjährigen Reiches dauern, und es indeß im Bilde dar-
ſtellen ſolle. Die Belagerung, die ſie duldeten, fanden ſie
nothwendig. Denn das Opfer in der Wüſte müſſe voll-
bracht werden, das Weib ihren Streit leiden, der Vor-
hof ſich mit Todten erfüllen. Gott aber werde nicht al-
lein die Gewalt abwehren, ſondern ohne Verzug auch ſei-
nem Volk das Schwert in die Hand geben, zu vertilgen
alles, was Bosheit treibe auf der ganzen Erde. „Schenket
ihr doppelt ein; (Apok. 14), denn die Zeit iſt vorhanden.“


Das war auch der myſtiſche Grund, weshalb ſie
ſich einen König ſetzten. Die Prophezeihungen gedachten
vorzüglich eines Königs, der dann Herr auf Erden wer-
den ſolle. Duſentſchuer rief Jan Bockelſohn zum König
der ganzen Welt aus.


Dieſer junge phantaſtiſche Handwerker glaubte nicht
anders, als daß die Zukunft der Welt auf ihm beruhe.
Er nannte ſich Johann den gerechten Konink, in dem
neuen Tempel; in ſeinen Verordnungen ſagt er, in ihm
ſey das von Chriſtus verkündigte Reich unwiderſprechlich
vorhanden; er ſitze auf dem Stuhle Davids. 2 An einer
[540]Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
goldenen Kette trug er das Zeichen der Herrſchaft am Hals,
eine goldene Weltkugel, durch die ein goldenes und ein
ſilbernes Schwert ging: über deren Handgriffen erſchien
ein Kreuz. Daſſelbe Abzeichen trugen ſeine Diener auf
grünem Aermel; denn grün war ſeine Farbe. Er
liebte als ein Emporkömmling die Pracht. Dreimal in
der Woche erſchien er mit Krone und Kette auf dem
Markt, ſaß nieder auf ſeinem Thron und hielt Gericht;
eine Stufe tiefer ſtand Knipperdolling mit dem Schwert.
Wenn er durch die Stadt ritt, gingen zwei Knaben neben
ihm, der eine mit dem alten Teſtament, der andere mit
dem bloßen Schwert; wer ihm begegnete, fiel auf die
Knie. 1 Es gab wohl Einige, die an ſeinem Pomp, an
der Zahl ſeiner Weiber, deren er immer eine über die an-
dere nahm, Mißfallen äußerten. Pfui über Euch! rief er
aus; aber ich will über Euch herrſchen und über die
ganze Welt Euch zum Trotz! Selbſt Knipperdolling ſah
die Sache nicht ohne Ironie an. Auf dem Marktplatz
ſchwang er ſich einmal über die dichtgeſchaarte Menge em-
por, um einen jeden mit dem Geiſt anzublaſen. Er führte
vor dem König unanſtändige Tänze auf, und ſetzte ſich
2
[541]Abendmahl in Muͤnſter.
auf deſſen Stuhl. Es war ihnen, wie man von den Wahn-
ſinnigen ſagt; ein tieferes Bewußtſeyn von der Unwahr-
heit ihrer Einbildungen konnten ſie nicht übermeiſtern.
Knipperdolling entzweite ſich wohl einmal ernſtlich mit dem
König: dann aber verſöhnten ſie ſich wieder; Knipperdol-
ling that Buße, und alles kehrte in das Geleiſe des gläu-
bigen Gchorſams zurück. Im October 1534 feierte die
ganze Stadt das Abendmahl folgender Geſtalt. Es waren
Tiſche aufgerichtet für alle erwachſene Frauen, deren bei
weitem mehr als der Männer waren, und für die Männer,
welche nicht auf der Mauer Wacht hielten, 4200 Gedecke;
Johann von Leiden und ſeine Gemalin Divara erſchienen
mit ihrem Hofgeſinde und dienten bei Tiſch; ein förmli-
ches Mahl ward gehalten. Hierauf nahmen ſie Weizen-
kuchen, genoſſen zuerſt davon und gaben ihn den andern,
der König das Brod, die Königin den Wein „Bruder,
Schweſter nimm hin: wie die Weizenkörnlein zuſammen-
gebacken, und die Trauben zuſammengedrückt, ſo ſind auch
wir eins.“ Darauf ſangen ſie das Lied „allein Gott in
der Höh ſey Ehr.“ 1 In der That, man könnte dieß re-
ligiös, unſchuldig finden. Aber man höre. Bei dieſem
Abendmahl nahm der König unter den Seinen einen Frem-
den wahr, der „kein hochzeitliches Kleid anhatte.“ Er
bildete ſich ein, das ſey der Judas, ließ ihn hinaus füh-
ren, ging ſelbſt und enthauptete ihn; er glaubte einen Be-
fehl Gottes dazu in ſich empfunden zu haben; um ſo fröh-
licher kam er zu dem Gelage zurück. 2


[542]Sechstes Buch. Neuntes Capitel.

Von allen Erſcheinungen einer ſo ungeheuern Verir-
rung iſt dieſe Vermiſchung von Frömmigkeit, Genußſucht
und Blutdurſt die widerwärtigſte; und wir müſſen, wie
ungern auch immer, ſchon daran gehn, ihrer weiter zu
gedenken. Es war zu Münſter ein Weib, das ſich ge-
rühmt, kein Mann werde ſie bändigen können; eben dieß
hatte den Jan von Leiden gereizt, ſie unter der Zahl ſei-
ner Weiber aufzunehmen; aber nach einiger Zeit war ſie
ſeines Umgangs überdrüſſig und gab ihm ſeine Geſchenke
zurück. Der wiedertäuferiſche König hielt dieß für das
äußerſte aller Verbrechen; führte ſie ſelbſt auf den Markt,
enthauptete ſie da, und ſtieß den Leichnam mit den Füßen
von ſich. Hierauf ſtimmten ſeine übrigen Weiber das Lied
an „Allein Gott in der Höh ſey Ehr.“


Nachdem alles geſtürzt, umgearbeitet, die allgemeine
Gleichheit eingeführt iſt, bleibt nichts übrig, als das Selbſt-
gefühl des Schwärmers, dem Alle eine freiwillige Vereh-
rung widmen. In dem aber bilden geiſtlicher Hochmuth
und fleiſchliche Selbſtſucht, Schwung und Rohheit eine ſelt-
ſame, man möchte ſagen groteske Seelenmiſchung, die ſo
zu ſagen als pſychologiſches Naturproduct merkwürdig iſt.
Denn wo wäre noch an Freiheit zu denken, wo man ſich
Trieben ſo verabſcheuungswürdiger Art überlaſſen hat.


Wie contraſtirt dieſes Weſen ſo entſetzlich mit der
Unſchuld, in der ſich jene Gartenbrüder, die kleine Secte
in Salzburg, darſtellen.


Und dennoch feſſelte es die Menſchen: man kämpfte
dafür mit äußerſter Erbitterung.


Eine Friesländerin von Sneek, Hille Feike, die nach
[543]Vertheidigung.
Münſter gegangen, um, wie ſie ſagte, ihrer Seele Selig-
keit bei dem Worte Gottes zu ſuchen, fühlte ſich durch
die Geſchichte der Judith, die ſie einſt bei Tiſch verleſen
hörte angetrieben, dieſem Beiſpiel nachzufolgen. Sie ging
in der That heraus, ſo gut wie möglich herausgeputzt,
mit Schmuck, den man ihr aus der Canzlei mitgegeben,
und mit einigem Geld verſehn. Aber eben ſchon ihr unge-
wohnter Aufzug erregte Verdacht. Sie ward nicht bis zu
dem Biſchof gelaſſen, den ſie zu tödten im Sinne gehabt. In
dem Verhör bekannte ſie ihr Vorhaben und ſtarb dafür. 1


Am 30. Auguſt 1534 verſuchte der Biſchof die Stadt
zu ſtürmen. Allein er fand ſie auf das beſte vorbereitet, ihn
zu empfangen. Ein Kern von tapfern Mannſchaften ſtand
auf dem Markte, um unter der Führung des Königs immer
derjenigen Stelle die am meiſten bedroht ſeyn würde zur Hülfe
zu kommen. Andere waren hinter den Mauern rings her
in den Baumgärten aufgeſtellt. Die Hauptmacht erwar-
tete unmittelbar auf den Wällen den Feind: zwiſchen den
Männern ſtanden Knaben und Frauen, jene mit Bogen
und Pfeil, dieſe mit großen Keſſeln, um darin, wie ſie
ſagten, das Morgeneſſen für die Feinde zu kochen. Früh
um fünf gab in dem Lager die große heſſiſche Karthaune,
genannt der Teufel, das Zeichen; gegen ſechs verſchiedene
Stellen auf einmal ſetzten ſich die Landsknechte in Bewe-
gung; es gelang ihnen wirklich, über die Gräben und
Zäune zu kommen; dann legten ſie die Leitern an; ſchon
[544]Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
pflanzte ein und der andere Fahnenträger ſein Zeichen auf
den Wällen auf. Man hatte ſie aber eben darum ruhig
kommen laſſen, um ſie in der Nähe deſto ſicherer zu ver-
derben. Jetzt erſt ging das Geſchütz in die dichtgeſchaar-
ten herandringenden Haufen ab. Die Weiber warfen den
Heraufklimmenden brennende Pechkränze um den Hals, 1
oder ſie goſſen den Kalk, den ſie in den Keſſeln gekocht,
glühend über ſie her; der Sturm ward vollſtändig abge-
ſchlagen, ohne daß es der Theilnahme der Weiterzurückauf-
geſtellten bedurft hätte; die Einwohner hatten eine Schlag-
fertigkeit bewieſen, welche den Landsknechten den Muth zu
einer Wiederholung ihres Anfalles benahm.


Der Fürſt mußte ſich begnügen, die Stadt mit eini-
gen Blockhäuſern zu umgeben; nur durch eine neue Steuer
konnte er das Geld aufbringen, deſſen er hierzu bedurfte.


Nothwendig wuchs nun aber durch einen ſo glänzen-
den Sieg der Muth der Wiedertäufer.


Im October nach jenem Abendmahl, wurde einigen
Gläubigen aufgegeben, ſich in die nächſten Städte zu ver-
fügen und die Wunder auszubreiten, die bei ihnen geſche-
[545]Verbreitung der Wiedertaͤufer.
hen ſeyn. In derſelben Stunde, in der ihnen dieſer Be-
fehl angekündigt worden, machten ſie ſich auf, ihn auszu-
führen. Sie fielen, wie ſich denken läßt, ſämmtlich den
biſchöflichen Leuten in die Hände, und büßten ihr Vorha-
ben mit dem Tode.


Aber darum gab Johann von Leiden ſeine weltum-
faſſenden Pläne mit nichten auf.


Wir erinnern uns welche allgemeine Gährung die un-
tern Volksklaſſen, namentlich die Handwerker in den deut-
ſchen Städten ergriffen hatte und wie das wiedertäuferiſche
Treiben gerade in dieſem Stande gewaltig Wurzel ſchlug.
In dieſem Augenblick begegnen wir demſelben faſt in allen
deutſchen Ländern. In Preußen genoſſen die Wiedertäufer
den Schutz eines der mächtigſten Männer im Lande, Frie-
drichs von Heideck, der in hohen Gnaden bei Herzog Al-
brecht ſtand, ein paar Gläubige aus Schleſien mitbrachte,
ihre Bücher verbreitete, ſogar einen Theil des Adels für
ſie gewann. 1 So viel ihrer auch aus Mähren flüchteten,
ſo begegnen ſie uns doch noch immer zu Tauſenden da-
ſelbſt. Die ſächſiſchen Viſitatoren fanden im Jahr 1534
das obere Werrathal von ihnen angefüllt; in Erfurt ward
bekannt, 300 Propheten ſeyen ausgeſendet, um die Welt
zu bekehren. 2 Wir treffen 1534 einzelne Emiſſarien in
Anhalt, im fränkiſchen Brandenburg: hier legte man die
Taufregiſter auch deshalb an, um ſich der Wiedertaufe zu
erwehren. Im Wirtembergiſchen gewährte ihnen der Erb-
marſchall des Herzogs, ein Thumb von Neuburg, Ver-
wandter Schwenkfelds, in ſeinen Beſitzungen im Remsthal,
Ranke d. Geſch. III. 35
[546]Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
eine Zeitlang Zuflucht. 1 In Ulm glaubte man Mei-
nungsabwandlungen, die ſich den wiedertäuferiſchen nur
annäherten, wie Sebaſtian Franks oder Schwenkfelds
fürchten zu müſſen; in der Gegend bei Augsburg tauchte
ein Wiedertäuferkönig auf. In der Schweiz bemerkte man
ſie denn noch immer auch in den proteſtantiſchen Gebieten:
in Bern benutzte der eifrige Haller ihre Erſcheinung, denn
beſonders das böſe Leben der angeblichen Chriſten war es
was ſie tadelten, um eine beſſere Kirchenordnung durchzu-
ſetzen. 2 In Strasburg ließen ſich Viele den Glauben nicht
nehmen, Hoffmann werde von Herrlichkeit umſtrahlt aus ſei-
nem Gefängniß hervorgehn; ſie fügten dieſem ihrem Elias auch
einen vermeinten Henoch hinzu. Den ganzen Rhein hinab
regten ſich dieſe Tendenzen. In Cöln und Cleve ließ man
das Land von einigen Trupps leichter Reiter durchſtreifen,
um wiedertäuferiſche Zuſammenrottungen zu verhüten. 3
Aber bei weitem am ſtärkſten waren ſie doch in den Nie-
derlanden. In Amſterdam, wo vor kurzem ein Emiſſar
von Münſter eine große Anzahl Proſelyten gemacht hatte,
wagten ſie ſich mehr als einmal öffentlich hervor. Als der
geheime Rath der Regentin, Graf Hoogſtraten, im Octo-
ber dahin kam, und einige ſtrengere Maaßregeln zugleich
gegen Lutheraner und Wiedertäufer durchführen wollte, ent-
ſtand ein nächtlicher Auflauf, der leicht die ſchlimmſten
Folgen hätte haben können. 4 Und unaufhörlich war ſeit-
dem von der Abſicht der Wiedertäufer, ſich der Stadt zu
[547]Verbreitung der Wiedertaͤufer.
bemächtigen die Rede. In Leiden glaubte man Brandſtif-
tung und Empörung von ihnen fürchten zu müſſen. 1 Im
Gröningerland fand im Anfang des Jahres 1535 eine Ver-
ſammlung von nahe an tauſend Wiedertäufern Statt, die
der Statthalter mit bewaffneter Macht zerſtreuen mußte. 2
In Oſtfriesland ſprach ein Prophet die Hoffnung aus,
ganz Oberdeutſchland und Niederdeutſchland werde ſich er-
heben, wenn nur erſt der König mit ſeinem gewaltigen
Banner ausziehe. Auch Nichteinverſtandene meinten wohl,
wenn Johann von Leiden nur ein paar glückliche Schläge
vollführe, werde er Anhänger genug finden, und vielleicht
die Welt in Bewegung ſetzen, wie einſt die Longobarden
oder die Franken. 3 Wir wiſſen, Johann von Leiden nahm
die ganze Welt als Beſitzthum in Anſpruch. Er hat allen
Ernſtes einmal 12 Herzöge ernannt, und die Welt, zunächſt
Deutſchland, förmlich unter ſie ausgetheilt. Die benach-
barten Reichsfürſten behandelte er als ſeines Gleichen. In
einem Briefe an Landgraf Philipp von Heſſen redet er ihn
„lieber Lips“ an, wie wohl deſſen vertraute fürſtliche Waf-
fenbrüder zu thun pflegten. 4 Er erſuchte ihn, die Bibel
zur Hand zu nehmen, und beſonders die kleinen Propheten
zu ſtudiren, da werde er finden, „ob wir uns,“ ſagt er,
„ſelbſt zum König aufgeworfen, oder ob dieß von Gott
zu etwas anderm angeordnet iſt.“


35*
[548]Sechstes Buch. Neuntes Capitel.

Ehe es nun aber zu dem Verſuch eines allgemeinen
Unternehmens kommen konnte, hatte doch auch das Reich
endlich Anſtalten getroffen, dem um ſich greifenden Uebel
ernſtlich zu ſteuern.


Rüſtungen gegen Münſter. Eroberung.


Wie dieß geſchah, iſt ein rechtes Beiſpiel von der
Behandlung der Geſchäfte im Reiche überhaupt.


Hätte man nicht glauben ſollen, nachdem eine durch
alle Reichsabſchiede ſo ſtreng verpönte Meinung in einer
bedeutenden Stadt zur Herrſchaft gelangt, und dadurch auch
an ſo viel andern Stellen zu neuem Leben erwacht war,
das geſammte Reich werde ſich in ſeiner Kraft erheben, um
ſich dieſer jeden Stand bedrohenden Gefahr zu erledigen?


Man überließ die Sache nichtsdeſtominder lediglich
dem Biſchof von Münſter und deſſen politiſchen Freunden.


Wir ſahen ſchon, wie vor allem die Eiferſucht auf
Heſſen und dann die eigne Gefahr Cöln und Cleve bewo-
gen, dem Biſchof zu Hülfe zu kommen.


Zuerſt ſendeten ſie jeder einiges Geſchütz, jedoch auf
Verſicherung des Capitels, und ſogar unter der Bedingung,
daß der Schade der daran geſchehe wieder erſtattet werde.


Dann kamen die cölniſchen und cleviſchen Räthe zu-
ſammen, weitere Maaßregeln zu verabreden.


Zu Orſoy am 26. März 1534 beſchloſſen ſie dem Bi-
ſchof mit Leuten zu helfen nicht mit Geld; jeder Fürſt
habe auf ſeine Koſten demſelben 2 Fähnlein Knechte zu
ſchicken. Am 7. Mai zu Neuß fügten ſie hinzu, daß ein
[549]Huͤlfe von Cleve und Coͤln.
jeder überdieß auch 200 gerüſtete Pferde vor Münſter ha-
ben ſolle, um auf den Sturm zu warten. Schon hatte
der Herzog von Cleve ſeinen Landſaſſen befohlen, keine
fremden Dienſte zu nehmen und Niemand deren nehmen
zu laſſen, bis dieſe Sache abgethan ſey.


Indeſſen war dem Biſchof mit Leuten allein nicht ge-
holfen. Da die Kräfte ſeines Landes nicht zureichten, ſo
drang er unaufhörlich auf Darlehn „einer tapferen Summe
Geldes.“ Zuerſt dachte man, ihm 10000 G. durch Bürg-
ſchaft zu verſchaffen. Da ſich dieß aber entweder unthun-
lich oder doch ungenügend erwies, ſo ward auf einer neuen
Zuſammenkunft der münſterſchen Räthe mit den cölniſchen
und cleviſchen zu Neuß am 20. Juni der Beſchluß gefaßt,
daß von jedem Theil 20000, zuſammen 60000 Goldgulden
aufgebracht werden ſollten, — wobei ſich aber der Biſchof
verpflichtete, den beiden andern nach der Eroberung ihr Dar-
lehn wiederzuerſtatten, — um alles vorzubereiten, was zu dem
Sturme nothwendig ſey. 1 Wir wiſſen jedoch, wie ſchlecht
es mit dieſem Sturme ablief. Als die Räthe im Anfang
Septembers in dem Lager eintrafen, hofften ſie die Stadt
erobert zu ſehen, fanden aber nichts als die Folgen der
Niederlage und allgemeine Entmuthigung. Es geſchah auf
[550]Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
gemeinſchaftlichen Beſchluß der drei Fürſten, daß die Block-
häuſer errichtet wurden. Sie vereinigten ſich aufs neue zur
Aufbringung einer Summe von 50000 G. zu dieſem Behufe.


Allein ſo viel ſah man doch auch, daß auf dieſe Weiſe
Münſter niemals werde erobert werden. Man beſchloß,
was ſchon immer in Vorſchlag geweſen, ſich an die nächſt-
geſeſſenen Kreiſe zu wenden, und dieſe herbeizuziehen.


Cöln gehörte zu dem churrheiniſchen, der Herzog von
Cleve war Oberſter des weſtfäliſch-niederrheiniſchen Krei-
ſes Zum erſten Mal im letzten Türkenkriege hatten die
Kreiſe angefangen eine weſentliche Wirkſamkeit auszuüben.
Die Fürſten waren durch die Reichsabſchiede berechtigt,
auch hiefür die Mitwirkung derſelben zu fordern.


Zuerſt in Mainz auf einer Verſammlung des churrheini-
ſchen Kreiſes kam die Sache zur Sprache. Cöln und Cleve
berechneten ihre Koſten und forderten wie eine Entſchädi-
gung dafür, ſo beſonders eine unmittelbare Theilnahme der
übrigen Kreisſtände. Allein der Erfolg war nur, daß man
ſie, ſo ſehr ſie auch widerſprechen mochten, zu fernerer Er-
haltung der Blockhäuſer verpflichtete, übrigens aber die
Sache auf einer allgemeineren Verſammlung näher in Be-
rathung zu ziehen beſchloß. 1


Am 27. October traten dann auch die Stände des
niederrheiniſch - weſtfäliſchen Kreiſes im Predigerkloſter zu
Cöln zuſammen. Da eine allgemeine Zuſammenkunft be-
reits in Ausſicht geſtellt war, ſo erſparten ſie ſich, eine
[551]Huͤlfe der Kreiſe von Sachſen und Heſſen.
beharrliche Hülfe zu beſchließen. Aber um für eine eilende
in jedem Augenblick gerüſtet zu ſeyn, kamen ſie überein, ſich
mit ſo viel Geld zu verſehn, als ein monatlicher Anſchlag
für den letzten Türkenkrieg betragen habe.


Mittlerweile waren auch entferntere Stände wie Sach-
ſen und Heſſen herbeigezogen worden. Sächſiſche Räthe ka-
men Anfangs November mit den cölniſchen und cleviſchen
zu Eſſen, die heſſiſchen bald darauf mit den Räthen von
Pfalz, Mainz, Trier und Würzburg zu Oberweſel zuſammen.
Was ihren Berathungen Nachdruck gab, war die Furcht,
daß der Biſchof etwa das Haus Burgund zur Hülfe rufen,
und dieß bei dieſer Gelegenheit ſich Münſters bemächtigen
möchte; wie denn Maria in den Niederlanden von ihren
Landſtänden ſchon Hülfe für Münſter forderte. Da verpflich-
tete ſich Sachſen doch lieber ſelbſt an den Koſten jener Blo-
kade gleichmäßig Antheil zu nehmen. Ehrgeizige Pläne wa-
ren auch hier im Spiel; doch trieb die gegenſeitige Eifer-
ſucht einen jeden immer wieder in die geſetzlichen Schranken.


Im December kam jene in Mainz beſchloſſene Zu-
ſammenkunft der drei Kreiſe — der beiden ſchon genann-
ten und des oberrheiniſchen — in Coblenz zu Stande.
Sie ließen ſich bereit finden, die Koſten der ferneren Blo-
kade gemeinſchaftlich zu tragen. Es ſollten 3000 Mann
vor Münſter gehalten, und zu dem Ende 15000 G. mo-
natlich aufgebracht werden. Ein Feldhauptmann, Graf
Whirich von Dhaun ward ernannt, vier Kriegsräthe, von
Cöln, Trier, Cleve und Heſſen ſollten ihm zur Seite ſtehn;
das Kriegsvolk ſollte den Kreisſtänden ſchwören. 1


[552]Sechstes Buch. Neuntes Capitel.

Man ſieht jedoch, daß auch dieß mehr eine Verthei-
digungsmaaßregel gegen etwanige Ausfälle der Belagerten
war, als daß ſich die Eroberung der Stadt davon hätte
erwarten laſſen. Dieſe zu bewerkſtelligen, hielten auch die
Kreiſe ſich für nicht mächtig genug; ſie beſchloſſen das ganze
Reich zu Hülfe zu rufen.


Wie angedeutet, der Gang dieſer Sache giebt recht
eigentlich den Charakter des deutſchen Gemeinweſens zu er-
kennen. Nicht das Kaiſerthum ſetzte ſich in Bewegung um eine
in offenbarer Rebellion begriffene Stadt zu bezwingen, ſondern
der Fürſt, dem ſie gehörte, und deſſen nächſte Nachbarn
mußten es lange Zeit allein verſuchen, bis die wachſende
Gefahr immer weitere Bezirke und endlich die Geſammtheit,
wiewohl nicht ohne Widerſpruch, herbeizog.


Es war eins der erſten Reichsgeſchäfte König Ferdi-
nands nach ſeiner Anerkennung, daß er auf die Bitte der
drei Kreiſe einging und auf den 4. April eine allgemeine
Verſammlung nach Worms ausſchrieb.


Zwar erklärte ſich nicht Jedermann damit einverſtan-
den; der Churfürſt von Brandenburg z. B. behauptete, die
drei Kreiſe ſeyen allein im Stande den Wiedertäufern ein
Ende zu machen, und weigerte ſich an allgemeinen Vor-
kehrungen zu dieſem Zweck Theil zu nehmen. Allein
bei weitem die meiſten Stände ſchickten doch ihre Ab-
geordneten. Der Beſchluß ward gefaßt, 1¼ Monat der
letzten Reichshülfe auf alle Stände des Reichs auszuſchrei-
ben. Der Ertrag, der ſich hiervon erwarten ließ, war
wohl nicht ſo anſehnlich, um eine bedeutende Vermehrung
der Streitmacht ins Feld zu ſtellen. Der Vortheil beſtand
[553]Huͤlfe des Reiches.
nur darin, daß man nunmehr ſicher wurde, die Blokade
bis zu einem entſcheidenden Erfolg fortſetzen zu können.
Der zu Coblenz aufgeſtellte Feldoberſt ward von Reichs-
wegen beſtätigt; nur ſollten ihm ſtatt jener vier von jetzt
an ſechs Räthe zur Seite ſtehn; nach der Eroberung der
Stadt ſollte von Kaiſer und Ständen über ihre Einrich-
tung verfügt werden.


Es wäre nun ſehr überflüſſig, die Thaten dieſes klei-
nen Heeres ausführlich zu erörtern. Schon genug, wenn
wir bemerken, daß es demſelben gelang, der Stadt alle
Zufuhr abzuſchneiden und ſie auszuhungern.


Die vornehmſte Hoffnung der Eingeſchloſſenen war
noch, daß ihnen von da Hülfe und Entſatz kommen würde,
wo ihre Lehre am weiteſten um ſich gegriffen, und von
wo ſie großentheils ſelbſt herſtammten. Eifrige Wiedertäu-
fer aus den Niederlanden hatten ſich die Sache in Mün-
ſter angeſehn, waren dann zurückgegangen, und verkündigten
nun dort den nahen Auszug des Königs, den auch ſie aner-
kannten, und den ſie durch die Welt zu begleiten hätten.
Das Geſchrei erneuerte ſich, man müſſe Pfaffen und Herren
todtſchlagen; man fügte hinzu, die einzige rechte Obrigkeit in
der Welt ſey der König von Münſter. 1 Gegen Oſtern 1535
waren ſie alle in Bewegung. Die Weſtfrieſiſchen nahmen
Oldenkloſter unfern Sneek ein; die Gröninger machten ſich
auf den Weg nach dem Kloſter zu Warfum; die Holländer,
[554]Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
mehrere tauſend ſtark, ſetzten nach Overyſſel über; in dem
Bergkloſter in der Gegend von Haſſelt dachten ſie mit an-
dern Gläubigen zuſammenzutreffen. Es iſt als hätten ſie
geglaubt, von den Klöſtern her, von wo einſt das Chri-
ſtenthum ausgebreitet worden, das Land mit der Wieder-
taufe zu erfüllen und alsdann ihren vermeinten König auf-
zuſuchen. Allein die organiſirte bewaffnete Macht war in
dieſen Provinzen ſtärker als dieſe ungeordneten Haufen.
Die Gröninger und Holländer wurden ohne Mühe noch
auf dem Wege zerſtreut. 1 Oldenkloſter, das die Wieder-
täufer bereits eingenommen, leiſtete einigen Widerſtand;
es konnte nicht ohne Verluſt wieder erobert werden.
Noch ſpäter machten ſie einen Verſuch, Amſterdam für
den König Zions einzunehmen und ſetzten ſich wirklich
einſt bei Nacht in Beſitz des Rathhauſes, wiewohl nur
für eben dieſe Nacht. 2 Sie wollten die Bedingungen
nicht bemerken, unter denen es ihren Glaubensgenoſſen in
Münſter gelungen war, zur Gewalt zu gelangen: und ſchrie-
ben ihr dortiges Glück einer wunderbaren Veranſtaltung
[555]Mißverſtaͤndniſſe in Muͤnſter.
Gottes zu, die ſie nun auch anderwärts erwarteten, aber
nothwendigerweiſe vergebens. Unaufhörlich hatte der Pro-
phet das Volk auf die Hülfe ſeiner Landsleute vertröſtet,
welche kein Schwert noch Tod, weder Waſſer noch Feuer
abhalten werde, durchzudringen, um ihren König zu ſehen;
da ſich aber ſeine Prophezeiungen jetzt nicht bewährten,
ſo entſtand doch einiges Gemurre in dem Volke. 1 Allmäh-
lig nahm der Mangel auf unerträgliche Weiſe überhand.
Die Glaubensſchwächern begannen, an dieſer Sache zu ver-
zweifeln, und verließen die Stadt. Das Lager wies ſie
anfangs zurück; wir finden Frauen mit ihren Kindern, die
nicht aufgenommen werden, ſich an dem Graben an das
Stacket ſetzen, wo ihnen dann mitleidige Landsknechte etwas
zu eſſen hinausreichen; unmöglich aber konnte man ganze
Haufen wieder in die Stadt treiben. Sie boten einen An-
blick dar, der die gelehrten Zeitgenoſſen an Sagunt und
Numantia erinnerte. Ueber dem nackten Gebein gerunzelte
Haut; ein Hals der den Kopf kaum tragen konnte, ſpitze
Lippen, dünne, durchſichtige Wangen; alle voll Grauen über
den ausgeſtandenen Hunger; mit Mühe hielten ſie ſich auf-
recht. Allein Viele waren doch auch entſchloſſen, wie der Kö-
nig ſich ausdrückte, „nicht wieder nach Aegyptenland zurück-
zufliehen.“ Die Aufforderungen des Feldhauptmanns wieſen
ſie noch im Anfang des Juni mit einer Art rechtgläubiger
Entrüſtung von ſich. Zwar verhehlten ſie ſich nicht, daß ſie
vielleicht auch noch von den Füßen des letzten danieliſchen
[556]Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
Ungeheuers zerſtampft werden würden; allein ſie hielten an
der Hoffnung feſt, bald werde daſſelbe nichts deſtominder
von dem Eckſtein zertrümmert, und das Reich den Heiligen
des Allerhöchſten übergeben werden. Sie ſollen die Ab-
ſicht gehegt haben, wenn alles verloren ſey, die Stadt an-
zuzünden, und ſich den feindlichen Geſchützen entgegenzu-
ſtürzen.


Und vielleicht wäre es in der That ſo weit gekom-
men, hätte ſich nicht ein Verräther gefunden, der den Be-
lagerern, die noch immer den vorjährigen unglücklichen
Sturm nicht vergeſſen hatten, über die Gräben und Mauern
zu helfen verſprach. Hatte man nur nicht mit Wall und
Geſchütz zu kämpfen, ſo konnte der Erfolg nicht zweifelhaft
ſeyn. 1 Mit Denen in der Stadt konnte es nicht viel beſſer
ſtehen als mit den Ausgetretenen; nur der König und was zu
ſeinem Hof gehörte, Räthe, Freunde, die neuen Herzöge und
Befehlshaber, die Doppelſöldner hatten noch auf kurze Zeit
zu leben. Als der Biſchof den Landsknechten ſeinen Plan
eröffnete, und ihnen verſprach, der Oberſt ſammt Adel und
Hauptleuten werde vorn daran ſeyn, zeigten ſie ſich willig;
denn die Zeit währte ihnen auf ihrem Stroh in den Boll-
werken auch zu lange. Es iſt kein [erfreulicher] Anblick: dieſe
abentheuerlichen gewaltſamen, zu Verbrechen fortgeriſſenen,
jetzt ausgehungerten, zur Verzweiflung gebrachten, noch im-
[557]Eroberung.
mer enthuſiasmirten Phantaſten, und dagegen die mühſam
zuſammengehaltenen, langſam und ohne Energie vorſchrei-
tenden, erſt, als an den Erfolg kein Zweifel ſeyn [kann],
zu der entſcheidenden Unternehmung entſchloſſenen Lands-
knechtshaufen. Zu beſonders ruhmwürdigen Thaten konnte
es da nicht kommen. In der beſtimmten Stunde in der Jo-
hannisnacht 1535 gingen ein paar Hundert Landsknechte
über den Graben, wo er am ſchmalſten, und erſtiegen mit
ihren Leitern die Mauern, wo ſie am niedrigſten waren. Sie
kannten die Loſung der Wiedertäufer, täuſchten damit die
Schildwächter und ſtießen ſie dann nieder; ſo nahmen ſie ein
Bollwerk am Zwinger ein und drangen bis auf den Domhof:
dann ohne erſt lange ihrer Kameraden zu warten, ſchrien ſie
Lerman und rührten die Trommel. Die Wiedertäufer ſpran-
gen aus ihren Betten und ſammelten ſich zur Gegenwehr.
Der Erfolg war einen Augenblick zweifelhaft; jedoch nur
ſo lange bis die Maſſe der Belagerer durch ein von in-
nen geöffnetes Thor eindrang. Die Wiedertäufer ſchlugen
ſich auch dann noch mit Erbitterung, und namentlich
mit ihrem Geſchütz thaten ſie den Angreifenden noch vie-
len Schaden; anderthalb hundert Edelleute und Doppel-
ſöldner, die in den erſten Reihen ſtanden, ſind noch ge-
blieben; allein es war der hoffnungsloſe Kampf der Ver-
zweiflung. Indem der König ſich nach dem feſteſten Boll-
werk zurückzuziehen gedachte, ward er gefangen. Rottmann
ſoll ſich, um dem Hohn der Gefangenſchaft nicht aus-
geſetzt zu werden, in das dichteſte Gewühl geſtürzt und ſo
den Tod gefunden haben. Noch wehrten ſich einige Hun-
[558]Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
dert hinter einer Wagenburg an der St. Michaelskapelle
ſo tapfer, daß man ſich entſchloß, mit ihnen Vertrag zu
ſchließen. So viel ich finde, iſt ihnen der nicht gehalten
worden. Man ſagte ihnen, ſie ſollten nach Hauſe gehn;
wenn dann der Biſchof komme, ſo wolle man weiter in
der Sache handeln. Wohl wahr, daß dieſer ihnen das Le-
ben ſchwerlich geſchenkt haben würde. Aber die durch ihre
Verluſte erbitterten Landsknechte waren nicht dahin zu brin-
gen, dieß zu erwarten; ſie ſtürzten den Abziehenden in die
Häuſer nach; man konnte ihrer Metzelei nur mit Mühe
Einhalt thun, und auch dann ward den Hinrichtungen le-
diglich etwas mehr Form gegeben. 1


[559]Reaction in Muͤnſter.

Denn wie die Sachen nun einmal ſtanden, ſo darf
man ſich nicht wundern, wenn auf eine vollkommene Aus-
rottung des wiedertäuferiſchen Elements gedacht ward. Auch
die Frauen wurden aus der Stadt verjagt: jedermann,
der ſie aufnehme, ward bedroht, als Wiedertäufer behan-
delt zu werden: man weiß nicht, wohin ſie gerathen ſind.
Allmählig kehrten die aus der Stadt Verjagten wieder in
dieſelbe zurück: es war ungefähr ein Drittheil der vorigen
Bevölkerung. Da jedoch auch dieſe nicht ohne Schuld, ſo
mußten ſie dem Biſchof für die Zurückgabe ihrer Beſitzthü-
mer eine kleine Recognition zahlen. Für jeden, der der
Wiedertaufe verdächtig war, mußten, wenn er in die Stadt
wiederaufgenommen werden wollte, 400 Gulden Bürgſchaft
geſtellt werden. Cleve und Cöln ſuchten einen die Reaction
mildernden Einfluß auszuüben; namentlich mißbilligten ſie
den Plan, eine Feſtung in der Stadt anzulegen; 1 wir wer-
den ſpäter ſehen, welche Entwürfe dieſe beiden Fürſten in
Hinſicht der Religion hegten; der Biſchof ſollte ſich im
Voraus ihnen anzuſchließen verſprechen. Auch eine Reichs-
deputation forderte wenigſtens eine Wiederherſtellung der
Stadt in ihre alten Rechte. Allein daran ließ ſich nun
nicht mehr denken. Biſchof, Capitel und Ritterſchaft waren
zwar nur durch die Hülfe ihrer Nachbarn von dem äußer-
ſten Verderben gerettet, und in Kraft eines Reichsſchluſſes
war das Heer zuſammengebracht worden, das ihnen den
[560]Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
Sieg verſchaffte, aber die Verwaltung des Reiches hatte bei
weitem nicht Energie genug, nun auch die Sache ſelbſt in
ihre Hand zu nehmen. Vielmehr benutzten Capitel und
Ritterſchaft die Gelegenheit, die bürgerliche Selbſtändigkeit
der Stadt, die ihnen längſt verhaßt geweſen, nunmehr voll-
ſtändig zu unterdrücken. Trotz jener Einrede ward doch
beſchloſſen, eine Feſtung in Münſter zu errichten und zwar
auf Koſten der Stadt ſelbſt: die Hälfte ihrer Einkünfte
ſollte dazu dienen; der Befehlshaber der Feſte ſollte aus der
einheimiſchen Ritterſchaft genommen, nur mit Einwilligung
von Capitel und Ritterſchaft ernannt werden, auch die-
ſen ſeinen Eid leiſten 1 und den Befehl führen, ſelbſt wenn
der Fürſt zugegen ſey. Auch der Rath der Stadt ſollte
von dem Fürſten in Zukunft mit Beirath des Capitels
und der Ritterſchaft ernannt werden. Hatte ſich die Stadt
einſt der Einwirkung von Adel und Geiſtlichkeit ſchon bei-
nahe entzogen gehabt, ſo geſchah nun in Folge des Auf-
ruhrs, daß ſie derſelben aufs neue unterlag. Capitel
und Ritterſchaft ſetzten ſich bei weitem mehr als der Fürſt
in Beſitz der Gewalt; noch Biſchof Franz ſollte ſpäter
ihre mächtige Oppoſition erfahren. Es verſteht ſich gleich-
ſam von ſelbſt, daß bei dieſem Gange der Dinge auch der
Katholicismus in aller ſeiner Strenge wiederhergeſtellt ward.


Indeſſen war auch über den gefangenen König und
ſeine Räthe, Knipperdolling und Krechting bereits Gericht
[561]Johann v. Leiden im Gefaͤngniß.
gehalten worden. Der König zeigte ſich anfangs ſehr trotzig,
dutzte wohl den Biſchof, ſcherzte mit denen, die ihm ſeine
Vielweiberei vorwarfen, vermaß ſich, daß er die Stadt nie-
mals aufgegeben haben würde und wären alle ſeine Leute
an Hunger geſtorben. Auch in dem erſten Geſpräch, das
ein paar heſſiſche Theologen mit ihm hielten, zeigte er ſich
eher ſtarrſinnig. Aber gar bald ließ er ſelbſt ein zweites
fordern, wo er denn bemerkte, daß ſie alle in Münſter
vom tauſendjährigen Reiche nichts gewiſſes gewußt, erſt
im Gefängniß ſey ihm die Einſicht davon gekommen; er
erklärte nun ſelbſt den Widerſtand, den er der Obrigkeit
geleiſtet, für unrechtmäßig, die Vielweiberei für übereilt,
ja ſelbſt die Kindertaufe für eine Pflicht. 1 Er verſprach,
wenn man ihn zu Gnaden annehme, mit Melchior Hof-
mann und ſeinen Frauen alle Täufer zum Stillſchweigen
und zum Gehorſam zu bewegen. Er blieb in dieſer Stim-
mung, auch als er ſchon wiſſen konnte, daß ſie ihm nichts
helfen werde. Dem Caplan des Biſchofs geſtand er ein,
wenn er den Tod zehnmal leiden könne, ſo habe er ihn
zehnmal verdient. Knipperdolling und Krechting dagegen
zeigten ſich überaus hartnäckig; ſie erſcheinen der theologi-
ſchen Streitfragen lange nicht ſo kundig, wie Johann von
Leiden, von minder durchgebildeter, aber um ſo unbeug-
ſamerer Ueberzeugung; ſie blieben dabei, nur den Weiſun-
gen Gottes gefolgt zu ſeyn. Sie wurden ſämmtlich verur-
Ranke d. Geſch. III. 36
[562]Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
theilt, auf dem Markt von Münſter mit glühenden Zangen
gezwickt und ſo vom Leben zum Tode gebracht zu werden. 1


Proteſtanten und Katholiken ſahen der Execution zu,
welche ihre vereinten Anſtrengungen hervorgebracht. Aber
in welcher Stimmung waren ſie ſchon wieder. Einer je-
ner heſſiſchen Theologen beſchreibt dem ſächſiſchen Hofpre-
diger das Vergnügen, das die Hinrichtung den Meßprie-
ſtern gemacht. Einigen aber, fügt er hinzu, ſchien zur vol-
len Genugthuung nur das zu fehlen, daß die Lutheraner
nicht auch auf ähnliche Weiſe abgethan wurden. 2 Die
Lutheraner verbargen ſich nicht, daß für ihre Lehre nun
hier zunächſt keine Ausſicht weiter ſey.


Auf die Wiedertäufer hatte dieſer Ausgang die Wir-
kung, daß die Prinzipien des Aufruhrs, wiewohl ſie noch
immer Verfechter fanden, doch nach und nach verlaſſen wur-
den und die mildere Auffaſſung den Platz behielt. Es leuch-
tet wohl ein, daß ihnen das nicht ſogleich viel helfen konnte:
ſie wurden nichtsdeſtominder ſehr ſtrenge und blutig verfolgt.


Dieſen ſpätern Zeiten gehören die Lieder an, die aus ih-
ren Geſangbüchern von Zeit zu Zeit bekannt geworden ſind.
Darin leſen wir wohl, wie ſie ſich auf beiden Seiten im Kam-
pfe mit falſchen Schlangen fühlen; der Drache hat ſich aufge-
macht und durchreitet in ſeinem Neide Deutſchland; aber ſie
[563]Spaͤtere Wiedertaͤufer.
ſind entſchloſſen, ſich weder vom Feuer noch Waſſer noch
Schwert ſchrecken zu laſſen; ſie wiſſen, daß Gott ſeine rei-
nen Kinder retten kann, daß er auf jeden Fall die Seele
behütet, ſollte das Fleiſch auch bluten. Ihnen gegenüber
erſcheinen „Tyrannen vom burgundiſchen Hofe,“ nehmen
Männer und Frauen gefangen und legen ihnen Glaubens-
fragen vor. Sie zeigen ein einfach-ſtandhaftes Gemüth,
ſie wollen den nicht verläugnen, der das ewige Gut iſt und
den Glauben an ihn mit ihrem Blute beſiegeln. 1 Und ſo
müſſen ſie dann nach dem Gefängniß wandern. Sie ſind
glücklich, denn ſie ſehen ſich von den himmliſchen Heerſchaa-
ren, den Märtyrern, umgeben, ſie erblicken Gott in der
Gnadenſonne, und wiſſen wohl, daß Niemand ſie von ihrem
Vaterlande bannen wird, welches bei Gott iſt. Sie ziehen
verwandte Ereigniſſe herbei, Wunder der älteſten Märtyrer-
geſchichte, die ſie in ihrem Sinne betrachten. 2 Endlich aber
bereiten ſie ſich, ſich als Schlachtopfer auf den Altar zu
legen, nach der Richtſtätte gebracht zu werden; die klare
Fontaine des göttlichen Wortes tröſtet ſie mit der Hoffnung,
den Engeln gleich zu werden. 3


In Deutſchland konnten ſie es höchſtens in ihren mil-
deſten Formen zu einer Art von Duldung bringen.


In demſelben Augenblick aber, wo ſie in Münſter eine
ſo große Niederlage erlitten, hatten ſich Viele an Deutſch-
36*
[564]Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
land verzweifelnd nach England gewendet. Hier nahm un-
ter den Stürmen des ſiebzehnten Jahrhunderts das bapti-
ſtiſche Weſen nicht allein eine höchſt merkwürdige Form an,
wie denn z. B. in der Lebensweiſe der Quäker ſich gar
vieles von dem wiederholt, was Juſtus Menius an den
deutſchen Wiedertäufern verwarf, ſondern es eröffneten ſich
ihnen auch die nordamerikaniſchen Colonien. Wofür in ei-
ner conſtituirten Geſellſchaft, auf welche ihr Verſuch nur
zerſtörend wirken konnte, kein Platz war, das ließ ſich
dort, in einer ganz von neuem einzurichtenden Welt eher
ausführen. In Providence und Penſylvanien haben die
Ideen der Wiedertäufer, in wie fern ſie von religiös-ſittli-
chem Inhalt waren, erſt ihre Entwickelung gefunden.


[[565]]

Zehntes Capitel.
Der Bürgermeiſter Wullenweber in Lübeck.


Die wiedertäuferiſchen Unruhen waren nicht die ein-
zigen, welche den regelmäßigen Gang der deutſchen Reform
bedrohten. Aus denſelben Quellen entſprangen noch an-
dre Bewegungen, die ſich zwar in ſehr abweichenden Rich-
tungen ergoſſen, aber nicht minder gefährlich werden zu
wollen ſchienen.


Bei der empöreriſchen Stimmung, die ſich in den
Städten ſchon ſeit dem Anfang des Jahrhunderts kund ge-
geben, bei dem großen Antheil ferner, den die Gemeinden
an dem Durchſetzen der Reform nahmen, konnte es, wie
wir ſahen, gar nicht anders ſeyn, als daß ſich demokra-
tiſche Regungen mit den religiöſen vereinigten und durch-
drangen.


Es war jedoch das Prinzip der deutſchen Reform,
das Politiſchbeſtehende zu ſchonen. Bei weitem in den mei-
ſten Städten behielten die geſetzmäßigen Obrigkeiten den
Platz. Von den größern waren es im Grunde nur zwei,
in denen die alten Räthe vollkommen unterlagen, Münſter
und Lübeck.


[566]Sechstes Buch. Zehntes Capitel.

Dahin aber warfen ſich nun auch die vorwärtsdrän-
genden Tendenzen, das Neue ſuchend, mit aller Kraft.


In Münſter, wo die Geiſtlichkeit von jeher vorge-
herrſcht, kam es zu dem theokratiſch-ſocialiſtiſchen Verſuche
den wir eben beobachteten.


Eine geiſtige Bewegung aber, der man ihren Lauf
läßt, wird allemal die eigenthümlichſten Triebe des Orga-
nismus, den ſie ergreift, in Thätigkeit ſetzen. In Lübeck,
im Mittelpunkte der Hanſe, gab es andre Intereſſen, kauf-
männiſch-kriegeriſcher Art; und eben dieſe waren es nun,
welche hier von dem demokratiſch-religiöſen Geiſt auf das
lebendigſte angeregt wurden; es kam in Lübeck zu nicht viel
weniger merkwürdigen Ereigniſſen, als in Münſter, obwohl
ſie von ganz anderer Natur waren.


Um ſie aber zu verſtehn, haben wir uns erſt auf dem
Boden umzuſehen, wo ſie ſich bewegen.


Dann erinnern wir uns zuvörderſt, daß die Macht der
alten Hauſe auf zwei Momenten beruhte, erſtlich der Vereini-
gung der ſämmtlichen deutſchen Küſtenſtädte von Narwa nach
Brügge unter ſich, ſodann dem Verhältniß der Superiorität,
in das ſich die mittlern von ihnen, die ſogenannten wendi-
ſchen Städte, zu den ſkandinaviſchen Reichen geſetzt hatten.


Noch in dieſem Jahrhundert war Skandinavien für
den geſammten Handel von der größten Wichtigkeit. In
gleichzeitigen Verzeichniſſen wird aufgezählt, was die Ge-
birge der großen Halbinſel, die Ebene der Vorlande,
und das Meer, das ſie umgiebt, dem Verkehr liefern,
das Eiſen und Kupfer von Schweden, die Pelterie des
Norder- und die Maſten des Süder-Landes von Norwe-
[567]Verhaͤltniſſe zwiſchen Daͤnemark u. der Hanſe.
gen, die Produkte der Viehzucht und des Landbaues von
Dänemark, der Gewinn, welchen dann vor allem der Fang
des Herings abwirft, mit welchem das ganze nördliche
Deutſchland bis nach Schwaben und Franken verſorgt
wird, endlich der Vortheil, den die Herrſchaft über den
Sund gewährt. 1


Wie nun aber überall Regierungen aufkamen, welche
die natürlichen Hülfsquellen ihrer Länder ſelber zu benutzen
dachten, ſo finden wir ſchon lange die nordiſchen Könige
und Gewalthaber in Widerſtand gegen das Uebergewicht der
Städte.


Das würde jedoch ſo viel noch nicht zu ſagen gehabt
haben, hätte der Bund ſich nicht ſelber entzweit. In der
Fehde, in welche die wendiſchen Städte 1427 mit dem
Unionskönig Erich geriethen, ſonderten ſich die Niederlän-
der von denſelben ab, ließen ſich beſondere Privilegien ge-
ben und verfolgten ein eigenthümliches Intereſſe. Zwar
war Lübeck in dem funfzehnten Jahrhundert noch ſtark ge-
nug, ſie nicht die Oberhand gewinnen zu laſſen, aber es
vermochte doch auch nicht, ihren Einfluß auf den Oſten
völlig zu unterdrücken.


Indem ſich der letzte Unionskönig Chriſtiern II mit
der Schweſter Carls V vermählte, hatte er nicht allein die
Abſicht, ſich politiſch mächtige Verbündete zu verſchaffen,
ſondern auch für ſeine Handelsentwürfe in den Niederlän-
dern einen nachhaltigen Beiſtand zu erwerben.


Es hängt ſehr gut zuſammen, daß Chriſtiern bei ſei-
[568]Sechstes Buch. Zehntes Capitel.
nem Unternehmen auf Schweden von den Niederlanden
her — namentlich durch die Ausſteuer der burgundiſchen
Prinzeſſin — unterſtützt wurde, und gleich darauf, allen
Verträgen zum Trotz, die Privilegien der Hanſe zu ver-
letzen begann. Hanſiſche Kaufleute wurden in Schonen
angehalten, Schiffe die von Riga kamen, aufgebracht, un-
gewöhnliche Zölle aufgelegt. Der Sinn der Königs wäre
geweſen, ſich ganz von Lübeck zu cmancipiren, Kopenha-
gen zum großen Stapelplatz des nordiſchen Handels zu er-
heben. Die Seeſtädte glaubten nicht anders, als „daß der
König gegen Brief und Siegel und alle ſeine Gelübde al-
lein nach dem Verderben der Seeſtädte trachte.“


Es iſt bekannt, wie kühn ſich Lübeck dagegen zur
Wehre ſetzte. Nach Schweden ſendete es dem Unionskö-
nig einen Gegner, vor welchem ſein Geſtirn verbleichen
ſollte, Guſtav Waſa, und unterſtützte ihn mit ſeinen beſten
Kräften. Als Stockholm ſich demſelben unterwarf, wurden die
Schlüſſel der Stadt den beiden Rathsherrn eingehändigt,
welche die lübiſche Flotte führten; dieſe überlieferten ſie
dann dem neuen König, der ihnen dagegen in eben dieſen
Tagen einen herrlichen Freiheitsbrief zugeſtanden hatte. 1


Einen nicht viel geringern Antheil nahm die Stadt
an dem Umſchwunge der Dinge in Dänemark. Als Frie-
drich von Holſtein die ihm von den Großen dieſes Reiches
angebotene Krone angenommen, und ſich nach Kopenha-
gen begab, begleitete ihn ein lübeckiſches Heer zu Lande,
und zur See war ihm eine lübeckiſche Flotte zur Seite.


[569]Verbindung Daͤnemarks mit Luͤbeck.

Severin Norby, der die Flagge Chriſtierns II noch
eine Zeitlang in der Oſtſee wehen ließ, erlag am Ende vor-
nehmlich den Anſtrengungen der Lübecker Marine, welche
ſeine Schiffe an der Küſte von Schonen verbrannte.


Unaufhörlich bedrohte ſeitdem Chriſtiern ſeine verlaſſe-
nen Reiche mit einem Angriff. Er trat mit England in
Bund; brachte mit Hülfe ſeiner Verwandten und Freunde
Mannſchaften in Deutſchland auf; ſchickte von Seeland
und Brabant aus Schiffe wider die Hanſen in See, und
da er im Innern der Länder Verſtändniſſe hatte, in den
Städten ſich auch fortwährend eine kaiſerliche Partei hielt,
ſo ward er immer gefürchtet. Lübeck genoß die erworbenen
Privilegien hauptſächlich auch deshalb ſo ungeſtört, weil
die beiden Könige die Hülfe der Stadt gegen den drohen-
den Feind nicht entbehren konnten.


Und noch enger ward ihre Verbindung, als Chriſtiern
dem evangeliſchen Eifer, den er früher bewieſen, zum Trotz
wieder zum Katholicismus zurückgetreten war, und nun
mit wirkſamer Unterſtützung des Kaiſers auf ſeine Rück-
kehr Bedacht nahm. Es liegt zwar am Tage, daß zwiſchen
beiden Schwägern nicht immer das beſte Vernehmen obwal-
tete. Während Chriſtiern in Friesland rüſtete, ſuchte ein kai-
ſerlicher Geſandter eine Vermittelung zwiſchen ihm, König
Friedrich von Dänemark und den Hanſen zu ſtiften. Kö-
nig Friedrich erklärte, daß er ſich einem ſchiedsrichterlichen
Spruch unterwerfen wolle, wenn auch Chriſtiern ſich dazu
entſchließe, und vor allem wenn er ſeine Feindſeligkeiten
einſtelle: der Geſandte eilte nach Friesland und machte
dem verjagten Könige in der That dieſen Vorſchlag. Chri-
[570]Sechstes Buch. Zehntes Capitel.
ſtiern aber antwortete ihm nur mit heftigen Klagen, wie
viel Jahre er nun ſchon von ſeinem Lande entfernt ſey,
und daß er noch nicht dahin zurückkehren, noch immer
nicht zu ſeinem Rechte gelangen ſolle. 1 Statt ſein Volk auf-
zulöſen, rückte er ohne Weiteres in Holland ein. Was
man ihm nicht in Güte gewährte, das erzwang er ſich mit
Gewalt, Schiffe und Geld. Er wußte, daß der kaiſerliche
Hof, wenn auch nicht im gegenwärtigen Augenblicke, doch
im Ganzen ſein Unternehmen billigte und demſelben Erfolg
wünſchte. Hatte doch der Kaiſer ſich oft genug ſo er-
klärt, als halte er die Sache Chriſtierns für ſeine eigne.
Niederländiſche Kaufleute unterſtützten den König freiwillig:
die Häuſer Frei zu Campen, Schultis zu Enkhuyſen, Bur
zu Amſterdam, Rath zu Alkmar werden als die vornehm-
ſten Beförderer genannt. Chriſtiern gab ihnen dafür glän-
zende und vortheilhafte Freibriefe. So gingen ſie am 15.
October 1531 zu Medenblik in See.


Die Lübecker verſicherten beim ſchmalkaldiſchen Bunde:
es ſey dabei auch zugleich auf eine Zerſtörung des Prote-
ſtantismus abgeſehn, mit allen Biſchöfen ein Einverſtänd-
niß geſchloſſen. König Friedrich verſprach, mit ſeinen Erb-
landen in den ſchmalkaldiſchen Bund zu treten, wenn we-
nigſtens die vornehmſten Mitglieder deſſelben, Sachſen, Heſ-
ſen und Lüneburg eine weltliche Einung auch in Bezug
auf ſein Wahlreich 2 mit ihm ſchließen wollten. Denn
[571]ChriſtiernIIin Norwegen.
ſo gut evangeliſch er ſey, ſo werde er doch durch die Macht
ſeiner Biſchöfe, deren jeder einen großen Anhang in der
Ritterſchaft habe, noch verhindert dieß auszuſprechen.


Wie auf der einen Seite der Katholicismus wirkſam
geweſen, ſo ſuchte man auf der andern den kaum entſtan-
denen antikatholiſchen Bund in dieſe Angelegenheiten zu
verflechten. So weit kam es jedoch noch nicht. Churfürſt
Johann wollte von einer zwiefachen Eigenſchaft eines Mit-
gliedes nichts hören. Auch war es in der That nicht nö-
thig. So wie nur König Friedrich den Lübeckern in Hin-
ſicht des holländiſchen Handels noch einmal genügende
Verſicherungen gegeben, erſchienen vier lübiſche Orlogſchiffe
in See, ehe die Dänen ſelbſt ſich gerüſtet. Allerdings
war Chriſtiern indeß in Norwegen augelangt, und hatte
dieß ganze Reich, bis auf wenig feſte Plätze, ohne Mühe in
ſeine Hand gebracht; aber die Lübecker ſuchten jetzt ſeine
Schiffe an der Küſte auf und verbrannten ſie; verprovian-
tirten Aggerhus, und bildeten den Kern für die größere
Macht, die ſich im Mai 1532 ſammelte, Aggerhus ent-
ſetzte, und Chriſtiern nöthigte, zu unterhandeln, zu capitu-
2
1
[572]Sechstes Buch. Zehntes Capitel.
liren, ſich endlich in die Gewalt ſeines Feindes zu ergeben.
So viel ich finde, war es der Abgeordnete von Lübeck,
welcher den Rath gab, Chriſtiern auf immer feſtzuhalten.


Und wie das nun eine Niederlage zugleich der Hol-
länder war, ſo bekamen dieſe auf der Stelle die Folgen
davon zu empfinden. Im Sommer des Jahres 1532 la-
gen über 400 Kauffahrer in Holland ſtill; 10000 Boots-
leute waren unbeſchäftigt; die Laſt des Getraides ſtieg auf
das Doppelte ihres gewöhnlichen Preiſes. 1 König Frie-
drich hatte ſich, als Chriſtiern noch in Norwegen ſtand,
zu einem glimpflichen Vertrage bewegen laſſen; aber eben
kraft deſſelben machte er nun auf einen Schadenerſatz An-
ſpruch, den er ſehr hoch anſchlug, und den man in den
Niederlanden ſich zu zahlen weigerte. Der König entließ
die Geſandten der Statthalterin mit einem ſchlechten Be-
ſcheide; die Lübecker nahmen die Kirchenſchätze die ſie ein-
gezogen aus ihrer Treſekammer und rüſteten damit ein Ge-
ſchwader aus, welches ſich im Jahr 1533 in den Sund
legte.


Hierauf rüſteten auch die großen Städte in Holland
eine Flotte zur Beſtrafung derer von Lübeck, „Seiner Ma-
jeſtät Aufrührer und Feinde.“


Sie erinnerten an die hohe Würde, die ihr Fürſt be-
kleidete, gleich als erwachſe ihnen daraus eine größere Be-
rechtigung.


Zwiſchen den beiden Theilen der alten Hanſe ſchien
es zu einer Entſcheidung mit den Waffen und auf immer
kommen zu müſſen: zumal da jene demokratiſche Faction
[573]Wullenweber, Buͤrgermeiſter in Luͤbeck.
in Lübeck, deren Emporſtreben während der religiöſen Ir-
rungen wir wahrgenommen, jetzt daſelbſt ans Ruder kam
und ſich mit friſchem Eifer auf dieſe Angelegenheiten warf.


Bei der Gründung von Lübeck, in den erſten einfa-
chen Zeiten, wo man es dort wie in Venedig als eine Laſt
anſah, an der Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten
Theil nehmen, in Rath kommen zu müſſen, war das Sta-
tut gemacht worden, daß es einem Jeden, wenn er zwei
Jahr darin geſeſſen, frei ſtehen ſolle, im dritten herauszu-
bleiben. 1 Seitdem aber hatte man ſich längſt gewöhnt, dieſe
Laſt als eine Ehre zu betrachten, und war eiferſüchtig, ſie mit
Jemand theilen zu müſſen. Nichtsdeſtominder legte die auf-
ſtrebende Faction das Statut dahin aus, daß Niemand länger
als zwei Jahr im Rath ſitzen dürfe, das Collegium demnach
alle Jahre zum dritten Theil erneuert werden müſſe. Beſonders
ward dieſe Auslegung von Georg Wullenweber durchge-
ſetzt, einem der Directoren der Hundert Vier und ſechzig;
er mochte es für das beſte Mittel halten, ſich unter dem An-
ſchein der Geſetzlichkeit der höchſten Gewalt zu bemächtigen;
die aufgeregte Bürgerſchaft gab ihm Beifall. Im Februar
1533 ward der Rath erneuert und Wullenweber befand ſich
unter den Erſten, die in denſelben eintraten; — kaum hatte
er 14 Tage darin geſeſſen, ſo ward er (8. März) zum
Bürgermeiſter ernannt. Hiedurch erſt ward die Umwand-
[574]Sechstes Buch. Zehntes Capitel.
lung der Verfaſſung in Lübeck vollendet. Wullenweber ver-
einigte nun die Macht eines Volksoberhauptes und einer
geſetzmäßigen Obrigkeit. Es ſchien nicht anders, als werde
er den holländiſchen Krieg ſofort mit aller Anſtrengung füh-
ren. Zu dieſem Behuf ließ er die großen Kronleuchter aus
der Marienkirche wegnehmen und Geſchütz daraus gießen.


Ehe er aber dazu ſchritt, traten Veränderungen ein,
welche ſeiner Thätigkeit eine ganz andre Richtung gaben.


Es liegt an und für ſich in der Natur der Dinge,
daß die nordiſchen Regierungen des Feindes entledigt, den
ſie ſo lange gefürchtet, ſich nicht mehr ſo enge an die ſtäd-
tiſche Macht anſchloſſen, welche ſie vor demſelben beſchützt
hatte. Sie fühlten jetzt auf neue den Druck, den dieſe
ſelbſt ausübte: — die Hemmung der eigenen Handelsregſam-
keit: in dem Siege Lübecks über Holland konnten ſie un-
möglich mehr ſo ſchlechtweg den eigenen Vortheil ſehen.
Und war nicht dort jetzt eine demokratiſche Faction zur
Herrſchaft gelangt, gegen welche ſie eine natürliche Antipa-
thie hatten? Konnte dieſe nicht verwandte Regungen in
ihrer eignen Umgebung erwecken?


Dazu kam nun aber, daß König Friedrich im April
1533 zu Gottorp ſtarb und eine ganze Anzahl Prätenden-
ten der däniſchen Krone ſich erhoben. Die Söhne Fried-
richs, von denen der eine, Chriſtian, proteſtantiſch geſinnt,
der andere, Johann, im katholiſchen Glauben erwachſen war,
hatten jeder zahlreiche Anhänger, der letztere beſonders in
der hohen Geiſtlichkeit. Man verſichert, daß auch ein ent-
fernter Verwandter, Churfürſt Joachim von Brandenburg
Anſprüche gemacht und Hoffnungen habe hegen dürfen. An-
[575]Richtung Wullenwebers gegen Daͤnemark.
dere dachten gar an den Churfürſten von Sachſen. Noch
waren die Erinnerungen an Chriſtiern nicht ganz erloſchen;
aber ſchon eilte das Haus Oeſtreich an deſſen Statt einen
neuen Prätendenten aufzuſtellen, den Pfalzgrafen Friedrich,
den der Kaiſer mit der Tochter Chriſtierns vermählte.


In dieſem allgemeinen Schwanken glaubte nun auch
Lübeck ein Wort mitreden zu dürfen, und zugleich ſeine
Intereſſen wahrnehmen zu können. Wullenweber begab ſich
nach Kopenhagen, und wandte ſich zuerſt in den Angele-
genheiten des holländiſchen Krieges an die Reichsräthe,
doch fand er keinen Anklang. Er wandte ſich an den näch-
ſten proteſtantiſchen Prätendenten, Herzog Chriſtian, und
trug ihm ſeine Hülfe zur Erlangung der Krone an. Her-
zog Chriſtian aber hatte ſo viel Umſicht und Zurückhaltung
dieß abzulehnen. Wullenweber ſah wohl, daß es ihm nichts
helfen könne mit Holland zu ſchlagen, wenn er indeſſen
Dänemark verliere. Er faßte den Gedanken, die Verwir-
rung des Moments zu benutzen, und hier zunächſt die
Herrſchaft ſeiner Commune, ſeine eigne Herrſchaft zu grün-
den, und zwar durchgreifender als jemals. Er glaubte hie-
bei auf die Theilnahme einer Partei im Innern und zu-
gleich auf die Unterſtützung einer europäiſchen Macht rech-
nen zu können.


Ein Theil jener lübeckiſchen Flotte nemlich, die gegen
die Holländer in See gegangen, war an die engliſche Küſte
gerathen; ihr Capitän, Marcus Meier, hatte ſich an die
Küſte gewagt, ohne mit einem Geleitsbrief verſehen zu ſeyn,
war aber darüber aufgegriffen und in den Tower gebracht
worden.


[576]Sechstes Buch. Zehntes Capitel.

Es war das zu eben der Zeit, in welcher Heinrich
VIII — wie wir noch ausführlicher zu erörtern haben, —
mit dem römiſchen Stuhl vollends gebrochen und ſich ent-
ſchloſſen hatte, die Gewalt des Papſtes in ſeinem Reiche auf-
zuheben, und ſich auf allen Seiten nach Verbündeten um-
ſah, um ſich gegen denſelben zu vertheidigen. Wir haben
einen Beſchluß ſeines geheimen Rathes, nach welchem zu
dieſem Zweck unter anderm auch eine Geſandtſchaft an die
Hanſeſtädte geſchickt, Verbindung mit ihnen angeknüpft wer-
den ſollte. 1 Bei dem wachſenden Mißverſtändniß mit dem
Kaiſer konnte es den Engländern ohnehin nicht gleichgültig
ſeyn, ob der däniſche Thron im burgundiſchen Intereſſe beſetzt
werde oder in einem entgegengeſetzten. Kein Wunder, wenn
der König den Capitän einer Flotte, welche gegen die Nie-
derländer in See gegangen, ſtatt ihn zu beſtrafen, an ſich
heranzog und mit ihm unterhandelte. So viel wir finden,
verſprach ihm Marcus Meier, im Namen ſeiner Partei
und ſeiner Stadt, daß kein Fürſt den däniſchen Thron be-
ſteigen ſolle, den Heinrich VIII nicht billige; Heinrich zeigte
ſich dagegen bereit, Lübeck in ſeinem Unternehmen zu un-
terſtützen; er dachte auch den König von Frankreich dafür
zu gewinnen.


Ganz erfüllt von dieſem höchſt unerwarteten Erfolg
ſeines Zuges kam der Capitän nach Lübeck zurück.


Marcus Meier hatte früher zu Hamburg das Hand-
werk eines Hufſchmidts getrieben; ſpäter hatte er ſelbſt
Kriegsdienſte genommen. Er diente zuerſt in jenem aben-
[577]Marx Meier.
teuernden Heer, das Chriſtian II in Friesland zuſammen-
brachte, nach Holland und dann nach Norwegen führte.
Hier gerieth er in Gefangenſchaft, allein er benutzte die-
ſelbe ſogleich, um ſich Dienſte bei Lübeck zu verſchaffen.
Der Zuſtand dieſer gährenden Commune war gerade ein
Boden für ihn; er ſchloß ſich an die emporkommenden
Häupter der Bürgerſchaft an; ſchon im Jahr 1532 ward
ihm die Anführung der zu dem Türkenkriege beſtimmten
Mannſchaften anvertraut, und er durchzog auf dem Hin-
und Rückweg das deutſche Reich an der Spitze derſelben;
dann war er, gleich fertig zu beiderlei Krieg, auf die Flotte
gegangen; jetzt kam er, mit einer engliſchen Gnadenkette ge-
ſchmückt, zum Ritter geſchlagen, nach Lübeck zurück. Hier
fing er nun an eine große Rolle zu ſpielen. Er hielt
Pferde und Knechte in Ueberfluß; auf die noch etwas
barbariſche Weiſe dieſes Jahrhunderts trat er immer ſo
koſtbar wie möglich herausgeputzt einher; 1 er war noch
jung, ein ſchöner Mann und tapfer; er gefiel den Augen
der vornehmen jungen Bürgerweiber. Indem er ſich bald
nach ſeiner Rückkunft mit der reichen Wittwe des vor
Kurzem verſtorbenen Bürgermeiſters Lunte vermählte, faßte
er Fuß unter den einheimiſchen Geſchlechtern. An ſeinem
Vermählungstage holte ihn der Hauptmann der Stadt, von
reitenden Dienern umgeben, bei dem Holſteiner Thore ein.


Von jeher war Marx Meier mit Wullenweber in
vertrauter Verbindung geweſen; noch enger ſchloſſen ſie
ſich jetzt an einander. Auf den Hanſetagen erſchienen
ſie an der Spitze eines zahlreichen Gefolges in glän-
Ranke d. Geſch. III. 37
[578]Sechstes Buch. Zehntes Capitel.
zendem Harniſch, blaſende Trompeter vorauf. Daß das
Glück ihnen bisher ſo günſtig geweſen, gab ihnen Ver-
trauen auf die Zukunft.


Und vor allem ſuchten ſie nun in Lübeck ſelbſt Her-
ren zu werden.


Noch immer ſaßen in dem Rath einige ältere Mit-
glieder, und dieſe ſtimmten denn, wie ſich denken läßt, nicht
in alle Vorſchläge der Neuerer ein. Oſtern 1834 wur-
den ſie geradezu abgeſetzt, wie ſehr dies Verfahren auch ge-
gen die Grundſätze laufen mochte, welche Luther predigte.
Der Superintendent Bonnus wollte es nicht länger mit
anſehn, daß man die Obrigkeit antaſte, abſetze, verweiſe; 1
auch er erhielt ſeinen Abſchied.


Ihr nächſtes Ziel mußte hierauf ſeyn in Politik und
Krieg freie Hand zu haben; und ſo entſchloſſen ſie ſich, ob-
wohl nach einigem Zögern, zu einem Stillſtand mit den Hol-
ländern auf vier Jahre, ſelbſt unter der Bedingung der freien
Durchfahrt durch den Sund, die Holland forderte.


Und nun konnten ſich alle ihre Gedanken und Pläne
nach dem Norden richten, wo die Dinge die günſtigſte
Geſtalt für ſie annahmen.


In den däniſchen Städten, ja ſelbſt in der ſchwediſchen
Hauptſtadt, gab es eben ſo gut, wie dieſſeit der Oſtſee,
Bürgerſchaften, die nach Befreiung von einer ſie beſchrän-
kenden Ariſtokratie trachteten.


In Dänemark hatten die Bürger im Laufe der Zeit
erkannt, daß Chriſtiern II nicht ihnen zum Heil vertrieben
worden war. Alle Erleichterungen, die ihnen dieſer Kö-
[579]Gaͤhrung in Daͤnemark.
nig gewährt, wurden nach und nach zurückgenommen. Be-
ſonders waren ſie entrüſtet, daß der Adel, der ſo große
Vorzüge genieße, ſich auch den Vortheil der Kaufmann-
ſchaft anmaaße. 1 Die Bürgermeiſter Jorg Mynter zu
Malmöe und Ambroſius Bogbinder zu Kopenhagen, beide
Deutſche, theilten die demokratiſchen Abſichten Wullenwe-
bers vollkommen. Jorg Mynter hatte unter dem Schirme
Friedrichs die Reformation in Malmöe eingeführt und
wollte ſie nicht wieder unterdrücken laſſen, wie der Reichs-
rath vorzuhaben ſchien. Sie verſprachen den Lübeckern,
ſobald ihre Orlogſchiffe in der Nähe erſcheinen würden, von
dem Reichsrath abzufallen, und ſich offen auf ihre Seite
zu ſchlagen. Es ſcheint als ob die Rede davon geweſen ſey,
daß beide Städte dem Hanſebunde beitreten ſollten, doch
iſt man darüber nicht vollſtändig eins geworden.


Und ſehr ähnliche Abſichten hegte in Stockholm der
Münzmeiſter Andres Handſon. Die ganze deutſche Bür-
gerſchaft und ein Theil der ſchwediſchen ſcheinen mit ihm
einverſtanden geweſen zu ſeyn. König Guſtav hat behaup-
tet, unmittelbar ihm ſelber habe man an das Leben gehen
37*
[580]Sechstes Buch. Zehntes Capitel.
wollen, unter ſeinem Stuhl in der Kirche habe Pulver ge-
legen, im Angeſicht der verſammelten Gemeinde habe er
in die Luft geſprengt werden ſollen.


Erinnern wir uns nun, daß in allen hanſiſchen Städ-
ten, ja in ganz Niederdeutſchland, ähnliche Beſtrebungen ſich
regten, und wo ſie auch fürs erſte zurückgedrängt worden,
doch keineswegs völlig unterdrückt waren, faſſen wir da-
mit zuſammen, welchen Beifall nun nach Weſten hin die
Wiedertaufe fand, die das demokratiſche Prinzip nur reli-
giös umkleidete, ſo ſehen wir wohl, welche gewaltige Re-
gung noch einmal die nordiſch-germaniſche Welt ergriffen
hatte. Es iſt eine Gährung beinah wie die des Bauern-
aufruhrs, der in Niederdeutſchland nicht hatte eindringen
können, ſondern an deſſen Grenzen geſcheitert war. Jetzt
aber, 10 Jahre ſpäter, war Niederdeutſchland in einer nicht
viel geringern Agitation. Damals, an dem Bauernkriege,
hatten ſchon einige Städte Antheil genommen, jetzt waren ſie
die Vorkämpfer. Lübeck, wie Bonnus ſagt, eine Hauptſtadt
der ganzen Sachſenzunge, gab nur den Ton an. Was ließ
ſich erwarten, wenn da die kühnen Demagogen den Platz
behielten, ihre Pläne durchführten! —


Wie aber einſt die Bauern, ſo konnten auch jetzt
die Städte eines ritterlichen Anführers nicht entbehren.
Sie gewannen den Grafen Chriſtoph von Oldenburg, der
zwar Domherr in Cöln, aber nichts deſto minder ſehr
kriegeriſch, nichts deſto minder ein ſehr eifriger Proteſtant
war. Sein Lehrer Schiffhower hatte einſt viel Hiſtorien
mit ihm geleſen; dann hatte er ſich an den Hof Philipps
von Heſſen begeben, mit der kriegeriſch-religiöſen Sinnes-
[581]Chriſtoph v. Oldenb. im Dienſt v. Luͤbeck.
weiſe durchdrungen, die dort herrſchte; er hatte die Bauern
bekämpfen, Wien befreien helfen; er war nicht ohne in-
nern Schwung und ein tapfrer Degen.


Unmöglich aber konnte ein Mitglied des Oldenburgi-
ſchen Hauſes die Fehde einiger Bürgermeiſter ohne guten
Grund, oder wenigſtens ohne einen Vorwand, der ſich
nennen ließ, zu ſeiner eignen machen.


Die Lübecker entſchloſſen ſich zu dem Vorgeben, der
gefangene König Chriſtiern, den früher Niemand heftiger
gehaßt und wirkſamer befehdet als eben ſie, ſolle durch
ſie befreit und auf den Thron geſetzt werden. Eine ge-
wiſſe Wahrheit hatte das wohl auch. Es war zunächſt
nicht von den mercantilen Intereſſen die Rede, in denen
ſich Chriſtiern ihnen entgegengeſetzt, ſondern von den de-
mokratiſchen, oder vielmehr anti-ariſtokratiſchen, die er im-
mer getheilt hatte. 1 Aber für jeden Fall ſah man ſich
doch ſehr gut vor. Graf Chriſtoph verſprach, wenn er
ſiege, den Lübeckern Gothland, Helſingborg und Helſingör
zu überlaſſen. Dadurch würden ſie ihr Uebergewicht in
der Oſtſee und im Sund auf immer befeſtigt haben. Ja
er gab ihnen zugleich die Verſicherung, ihnen König Chri-
ſtiern überantworten zu wollen, ſobald er ihn erledigt
habe. 2 Welche Gewalt über die drei ſkandinaviſchen
Reiche mußte es ihnen verſchaffen, wenn ſie den legitimen
König derſelben in ihre Hände bekamen!


Denn auch Guſtav Waſa wollten ſie nicht in Schwe-
[582]Sechstes Buch. Zehntes Capitel.
den dulden. Sie dachten darauf, ihm zunächſt den jun-
gen Svante Sture entgegenzuſetzen.


Im Mai 1534 erſchien Graf Chriſtoph in Lübeck.
Die Abſicht der Lübecker war zunächſt, ſich der Güter des
Hochſtiftes zu bemächtigen, die ſie nach dem Tode des Bi-
ſchofs völlig einzuziehen gedachten. Chriſtoph nahm ohne
viel Mühe Eutin ein. Daß er dann auch holſteinſche
Schlöſſer angriff, Trittow, welches er eroberte, und Se-
geberg, geſchah wohl nur, um dem Herzog Chriſtian zu
ſchaffen zu machen, und indeß, ungeirrt vor ihm, in Dä-
nemark zum Ziele zu gelangen. 1


Unbekümmert über die Kriegsmacht, welche Herzog
Chriſtian ſofort aufbrachte, und die Vortheile, die er er-
focht, ging Graf Chriſtoph, begierig das größere Werk zu
vollenden, am 19. Juni 1534 mit 21 Orlogſchiffen in Tra-
vemünde in See.


Und nie fand wohl ein einfallendes Heer ein Land
beſſer zu ſeinem Empfange vorbereitet. Der Bürgermei-
ſter Mynter kam der Flotte mit der Nachricht entgegen,
daß er Malmöe in Aufruhr geſetzt, die Citadelle der Stadt,
die er hernach zerſtörte, in ſeine Hand gebracht habe. Hier-
auf ging Chriſtoph einige Meilen von Kopenhagen vor
Anker. So wie er ſich zeigte, brach der Aufſtand in See-
land aus, zu dem alles fertig, und der, wie jener deutſche,
zugleich gegen Geiſtlichkeit und Adel gerichtet war. In Ro-
ſchild plünderte die Menge den biſchöflichen Hof, und über-
lieferte die Stadt. Allerwärts überfiel man die Schlöſſer
[583]Fortſchritte Chriſtophs.
des Adels und ſchleifte ſie. Nur um ihr Leben zu retten,
entſchloſſen ſich die Edelleute zum größten Theil, ihren al-
ten Schwur an Chriſtiern II, und zwar in ungewohnten
Formen, zu erneuern. Am 15. Juli ging dann Kopen-
hagen über; Laaland, Langeland, Falſter zögerten nicht,
dem Beiſpiel von Seeland zu folgen. Es bedurfte nichts
als die Ankunft des Grafen in Malmöe, um ganz Scho-
nen fortzuziehen. In Fünen konnte es einen Augenblick
ſcheinen, als würde der Aufruhr der Bauern, der ſich ſo-
fort erhoben hatte, von Reichsrath und Adel gedämpft
werden; eine mäßige Hülfe des Grafen reichte jedoch hin,
um den Bauern den Sieg zu verſchaffen und den verjag-
ten König anerkennen zu machen. Es war nichts übrig
als Jütland. Ein Seeräuber des Namens Clemint, der
ſich einſt in Malmöe an Graf Chriſtoph angeſchloſſen,
überfiel Aalborg und ſammelte die jütiſchen Bauern um
ſich, mit denen er den Adel und deſſen ſchwere Reiterei
gar bald aus dem Felde ſchlug.


Indem dieſe Nachrichten eintrafen, durchzog der Syn-
dicus von Lübeck, Doctor Oldendorp, eines der wirkſam-
ſten Mitglieder der Partei der Neuerung, ein Mann „von
unſtillem Gemüthe,“ wie der alte Kantzow ſagt, die wen-
diſchen Städte, um ſie zur Theilnahme an dieſem Unterneh-
men einzuladen. Er war an ſich ein Repräſentant der demo-
kratiſchen Intereſſen; und jetzt ſchloß die glänzendſten Aus-
ſichten auf, die man jemals faſſen konnte: man kann denken,
wie er von dem Volk empfangen ward. Hie und da wi-
derſetzten ſich die alten Rathsherren, aber vergeblich. Die
Stralſunder ſetzten ihren Bürgermeiſter Claus Smiterlow
[584]Sechstes Buch. Zehntes Capitel.
gefangen, führten das Waſſergeſchütz in die Orlogſchiffe
und wählten einen neuen Rath. Die Koſten des Krieges
ſollten durch gezwungene Beiträge der Reichſten, ohne Zu-
thun des Volkes, aufgebracht werden. In Roſtock wur-
den die alten Bürgermeiſter mit Gewalt genöthigt, die
Kriegsrüſtung gut zu heißen. Alle Städte der umliegen-
den Länder faßten Muth zu großen Dingen. Auch Re-
val und Riga leiſteten Hülfe. Man hörte von nichts als
von Lübeck. „Wäre es den Städten gelungen, wie ſie
hofften,“ ſagt Kantzow, „es hätte nirgends ein Fürſt
oder Edelmann bleiben können.“ 1


Und indeß verſäumten die Lübecker nicht, ihre Ver-
bindung mit England zu pflegen. Am 30. Mai ſchickten
ſie drei ihrer Rathsherren nach England, um dem König
ihre Meinung in ſeiner Streitſache mit dem Papſt zu er-
öffnen, ihm ihren Bund wider den Römiſchen Stuhl an-
zutragen und ihn zugleich um Beiſtand und Hülfe in ihren
eigenen Angelegenheiten zu erſuchen. 2


[585]Allgemeine Befuͤrchtung.

Wir haben die Abſchrift eines Vertrages in Händen,
vom 2. Auguſt 1534, nach welchem ſie dem König noch
außerdem freie Dispoſition über die Krone von Däne-
mark zugeſtanden, ſollte er ihn nun ſelbſt annehmen wol-
len, oder auch nur einen Andern dazu empfehlen, 1 dieſer
dagegen ihnen alle ihre alten Privilegien beſtätigte, ſogleich
eine Summe Geldes vorſtreckte, und noch weitere Unter-
ſtützung verſprach.


Welchen Eindruck dieſe Ereigniſſe in Europa hervor-
brachten, ſehen wir unter anderm aus einem Schreiben
des Erzbiſchofs von Lund, in welchem er den Kaiſer auf-
merkſam macht, was eine Verbindung der Hanſe mit Eng-
land auf ſich habe, wie leicht dann Holland angefallen,
ein Aufſtand daſelbſt veranlaßt werden könne, und denſelben
zuletzt beſchwört etwas dagegen zu thun. Wenn der Kaiſer
ſelbſt ſich durch ſeine Verträge mit dem Hauſe Oldenburg
gebunden glaube, ſo möge er den Krieg im Namen Fried-
richs von der Pfalz und der jungen Dorothea anfangen.
In Lübeck hielt ſich ein gewiſſer Hopfenſteiner auf, früher
in Dienſten des Erzbiſchofs von Bremen, der die kaiſerli-
chen Miniſter unaufhörlich von der großen Berückſichti-
gung unterhielt, welche das kaiſerliche Intereſſe in den
Hanſeſtädten noch finde, und eine Unternehmung dieſer Art
als ſehr leicht darſtellte. Der Erzbiſchof von Lund erbot ſich
im Nothfall den Krieg in ſeinem eignen Namen zu führen. 2


[586]Sechstes Buch. Zehntes Capitel.

Ehe ſich aber der kaiſerliche Hof oder die niederlän-
diſche Regierung zu einer Maaßregel ſo entſchiedener Art
entſchloß, hatten die Lübecker im Norden ſelbſt einen Wi-
derſtand gefunden, der ſich ihnen immer gefährlicher ent-
wickelte.


Herzog Chriſtian von Holſtein gehörte zu jenen ru-
higen norddeutſchen Naturen, welche ſich nicht leicht re-
gen, aber wenn ſie einmal dazu genöthigt ſind, ihre Sache
mit aller Ausdauer und Umſicht ins Werk ſetzen. Was
er vermöge, hatte er ſchon durch die glückliche Einführung
der Reformation in den Herzogthümern gezeigt. Er war
überhaupt durchdrungen von dem religiöſen und morali-
ſchen Elemente der deutſchen Reform. Die lutheriſchen
Lieder ſang er ſo eifrig wie irgend ein ehrſamer Hand-
werksmeiſter in einer Reichsſtadt. Den Eidbruch belegte
er mit neuen geſchärften Strafen. Die Bibel zu leſen,
Hiſtorien zu hören, bei Tiſch einen Gottesgelehrten und
Staatsmann zu ſprechen, den aſtronomiſchen Entdeckun-
gen zu folgen, war ſein Vergnügen. Seine politiſche und
kriegsmänniſche Thätigkeit war, wie wir ſehen, nicht ohne
guten innerlichen Grund, eine höhere Tendenz. 1


Dieſem Fürſten nun hatten die Lübecker Volksführer,
wie wir berührten, angeboten, ihn zum König zu ma-
chen; er hatte es abgelehnt, weil er ſeine Krone der Ge-
walt nicht verdanken wollte; eben ihn hatten ſie dafür
2
[587]Chriſtian von Holſtein vor Luͤbeck.
zuerſt angegriffen; er aber, nun erſt aufgeregt und wie
von ſeinen Unterthanen, auch den Nordſtrandern, ſo von
ſeinen Nachbarn, z. B. dem Landgrafen von Heſſen ernſt-
lich unterſtützt, erhob ſich endlich mit Macht ins Feld,
um den Lübeckern ihre Feindſeligkeiten zu vergelten. 1 Im
September 1534 erſchien er vor der Stadt, und ſchritt,
um ſie vom Meere abzuſchneiden, ohne langes Zögern zu
dem entſcheidenden Verſuche, die Trave zu ſperren. Marx
Meier vermaß ſich, daß ihm das nun und nimmermehr
gelingen ſolle. Allein die Anordnungen Meiers bewieſen
nur ſeine Untüchtigkeit in einem ernſtlichen Kampfe. Die
Holſteiner nahmen zuerſt die Ufer der Trave bei Trems-
mühle in Beſitz; dann ſetzten ſie ſich auch an dem gegen-
überliegenden auf dem Burgfelde feſt, und nun verbanden
ſie beide durch eine Brücke, welche den Fluß wirklich
ſchloß. Die Lübecker vermochten mit keiner Anſtrengung
weder auf dem Fluß noch zu Lande die Brücke wieder zu
erobern; vor den Augen ihrer Weiber und Kinder wur-
den ſie zu wiederholten Malen geſchlagen, auch noch einige
andere wichtige Punkte mußten ſie aufgeben. Die Stadt,
die den Norden an ſich zu bringen beſchäftigt war, ſah ſich
unmittelbar vor ihren Thoren von der See abgeſchnitten.


Vor allen Dingen nun mußte ſich Lübeck von dieſer
nächſten Feindſeligkeit befreien. Schon zeigten ſich Miß-
verſtändniſſe in der Stadt; die Bürgerſchaft war unzufrie-
den, die Hundertvierundſechszig dankten ab, ſelbſt in dem
Rath fanden die Gewalthaber neuerdings Widerſtand. Sie
mußten zu Unterhandlungen mit Holſtein ſchreiten, wobei
[588]Sechstes Buch. Zehntes Capitel.
ſie ſchon nicht mehr ganz nach ihrem Gutdünken verfah-
ren durften. Wir ſind weder über jene Bewegungen noch
über dieſe Unterhandlungen hinreichend unterrichtet; nur
ergiebt ſich, daß man ſowohl über die däniſchen, wie über
die holſteiniſchen Verhältniſſe verhandelte und ſich ziemlich
nahe kam. Chriſtian ſchien zu einigen Conceſſionen ge-
neigt, und Wullenweber behauptet, er würde auf dieſelben
Frieden geſchloſſen haben, hätte ihn nicht Doctor Oldendorp
daran verhindert. So geſchah, daß man ſich nur über die
holſteiniſchen Angelegenheiten verſtand; die Lübecker gaben
heraus, was ſie noch von Holſtein in Beſitz hatten. Aber
ein ſonderbarerer Friede iſt wohl nie geſchloſſen worden:
indem man ſich über Holſtein vertrug, behielt jeder Theil
ſich vor, den andern in den däniſchen Angelegenheiten mit
aller Kraft zu bekämpfen. 1


Auch für dieſe ward nun die Perſönlichkeit des Her-
zogs Chriſtian entſcheidend.


In den Bedrängniſſen, in welche ſich die däniſchen
Stände durch Angriff von außen und Empörung im Innern
geſetzt ſahen, hatten ſie ſich endlich, obwohl nicht ohne
ſtarken Widerſpruch von der geiſtlichen Seite, entſchloſſen,
den Herzog zu ihrem König zu wählen.


Dadurch geſchah nun einmal, daß alle Befürchtun-
gen der Proteſtanten, die in dem Reiche ſchon ſehr ſtark
waren, gehoben wurden. In ihrem Manifeſte hatten die
Lübecker die Einführung der reinen Religion als den vor-
[589]Koͤnig ChriſtianIIIin Daͤnemark.
nehmſten Zweck ihres Unternehmens bezeichnet. Man ſieht
leicht, daß das keinen Sinn mehr hatte, und alle Sym-
pathie, die ſie aus dieſem Grunde finden konnten, wegfiel.


Aber überdieß trat nun auch ein ſo wackrer Mann
als Vertheidiger der däniſchen Intereſſen auf. Wie er im
Lager vor Lübeck vielleicht einiges nachgegeben hätte, ſo ließ
er ſich auch noch ſpäter zu glimpflichen Bedingungen her-
bei, er hätte den Lübeckern wohl ihre Privilegien aufs neue
erweitert; 1 allein ſie wollten über das Reich, über die
Krone ſelbſt verfügen; nur mit dem Schwert konnte Wider-
ſtand geleiſtet werden. Ohne Zeit zu verlieren, wandte ſich
Chriſtian mit ſeinen ſiegreichen Truppen von Lübeck nach
Jütland. Noch im December 1534 gelang es ihm Aal-
borg wieder zu nehmen, die ganze Provinz in Frieden zu
ſetzen. Seine beiden Schwäger, der König von Schwe-
den und der Herzog von Preußen, rüſteten für ihn, jener
zur See und zu Lande, dieſer wenigſtens zur See. Auch
ſein Schwager, der Herzog von Pommern, ſendete ihm
Hülfsgelder, die eben im rechten Moment anlangten.
Ein paar heſſiſche Fähnlein waren ſchon vor Lübeck bei
ihm geweſen und zogen mit ihm nach Norden. In einem
großen Theil von Norwegen war er bereits anerkannt.


[590]Sechstes Buch. Zehntes Capitel.

Dagegen nahmen auch die Lübecker nochmals alle
ihre Kräfte zuſammen.


Es gelang ihnen, einen benachbarten Fürſten, Herzog
Albrecht von Mecklenburg, für ihre Sache zu gewinnen.


Herzog Albrecht, der die Partei des abgeſetzten und
gefangenen Chriſtiern mit großer Anhänglichkeit gehalten,
hat ſpäter erklärt, er habe keine Beſtallung von Lübeck
dazu angenommen, ſein Beweggrund ſey nur geweſen, daß
er es löblich und gut gefunden, einen chriſtgeſalbten Kö-
nig zu erledigen, der wider Brief und Siegel im Ge-
fängniß gehalten werde. 1 Man hat geſagt, es ſey ihm
dafür die Krone von Dänemark, oder ſogar von Schwe-
den verſprochen worden. So ganz unbedingt war dieß
wohl nicht der Fall. Nach den Ausſagen Wullenwebers
verſprach man ihm nur, ihn dabei zu ſchützen, was er
von König Chriſtiern ſich verſchaffe. 2 Doch mögen wohl
auch beſtimmtere Ausſichten aufgeſtellt worden ſeyn; nach
Hopfenſteiner wäre 3 die Meinung der Lübecker geweſen,
wenn König Chriſtiern befreit werde, ſolle Herzog Al-
brecht gleichwohl Regent in Dänemark bleiben, der König
vielleicht in Lübeck nach ſeinem Range unterhalten werden,
und ſie alle die Vortheile genießen laſſen, die ſie ſchon
[591]Ueberkunft Albrechts von Mecklenburg.
immer in Anſpruch genommen, Helſingör und Helſing-
borg, mit dem Zoll, Gothland, vielleicht ſelbſt Calmar und
ſchwediſche Bergwerke. Herzog Albrecht ging am 9. April
von Warnemünde in See. Es war als wollte er immer
in Dänemark bleiben. Seine Gemahlin, die guter Hoff-
nung war, ſeinen Hof, ja ſelbſt Jäger und Hunde, um
der Jagdluſt in den dichten Wäldern von Dänemark auf
deutſche Weiſe zu genießen, führte er mit ſich. Für die
Lübecker war es ein Gewinn, daß ein nahmhafter Reichs-
fürſt, von nicht unbedeutendem Gebiete ſich ihrer Sache
auch jetzt noch annahm. Dadurch bekamen die däniſchen
Städte wieder Muth und Zutrauen. Auch einige eigne Kräfte
warf er mit in die Wagſchale und ſie mußten nicht alles
allein thun. Wullenweber, der mit dem Herzog gegangen,
bewirkte, daß Graf Chriſtoph, trotz anfänglichen Mißbeha-
gens, ſich doch am Ende mit ihm verſtändigte. Bald
darauf führte ein neues Geſchwader lübiſcher Schiffer fer-
nere Verſtärkung unter den Grafen von Hoya und von
Teklenburg herbei.


Und indeß hatte auch Marx Meier, der nach Scho-
nen geſendet worden, ſich dort wacker geregt. Er führte
da einen ſeiner verwegenſten Streiche aus. Das Unglück,
in Gefangenſchaft zu gerathen, benutzte er, um eben das
Schloß, wo man ihn feſthielt, Warburg in Halland, in
ſeine Hände zu bringen.


Wir ſehen: die beiden Parteien mochten einander
wohl gewachſen ſeyn, vielleicht hatte die ſtädtiſche lübiſche
noch immer die größere Anzahl von Leuten.


Die Frage war nicht mehr, wie vielleicht früher,
[592]Sechstes Buch. Zehntes Capitel.
ob die kirchliche Reform Dänemark ergreifen würde; de-
ren Schickſal war durch die Thronbeſteigung eines prote-
ſtantiſchen Königs hinreichend geſichert. Die Frage war
vielmehr, ob die Durchführung der kirchlichen Reform
mit einer politiſchen Umwälzung verbunden ſey, ob jene
Erhebung des demokratiſchen Prinzips, die von Lübeck
aus ſich über den Norden verbreitet, den Sieg davon tra-
gen würde oder nicht; dieſelbe Frage, die, ſeit ſie in den
karlſtadtiſchen Zeiten zuerſt in Wittenberg ſich geregt, erſt
das obere, und nunmehr auch das niedere Deutſchland in
Gährung geſetzt hatte, die ſo eben auch in Münſter entſchie-
den wurde.


An dieſer entfernten Stelle des Nordens war jetzt
die ganze Kraft des demokratiſchen Prinzips vereinigt.
Hätte es geſiegt, ſo würde es auf Deutſchland noch ein-
mal eine große Rückwirkung ausgeübt haben.


Am 11. Juni 1535, auf Fünen unfern Aſſens bei dem
Oxnebirg, — wo einſt Odin mit Opfern verehrt worden,
Sagen von der Größe des Hauſes Oldenburg, das nur durch
ſeine Zwietracht gelähmt worden, ihren Sitz haben, — kam
es zu dieſer Entſcheidung. Auf beiden Seiten waren Deut-
ſche und Dänen. Die königlichen wurden von Hans Rantzau
angeführt, der ſich noch den Ritterſchlag von Jeruſalem
geholt, ganz Europa durchzogen und wohl noch in höherem
Grade als ſein Herr proteſtantiſchen Eifer, Sinn für Cultur
und Wiſſenſchaft 1 mit Geſchicklichkeit im Rath und Tapferkeit
im Felde vereinigte; die ſtädtiſchen vom Grafen von Hoya.
[593]Siege ChriſtiansIII.
Rantzau ſiegte, wie Landgraf Philipp bei Laufen, wie die
Fürſten im Bauernkrieg, durch die Ueberlegenheit der Reite-
rei und des Geſchützes. Er hatte den Vortheil, daß der
Feind ihn nicht erwartete, ſondern ſelbſt einen Anlauf machte
und dabei in Unordnung gerieth. Die beſten Leute des
ſtädtiſchen Heeres fielen; es erlitt eine vollſtändige Nie-
derlage. 1


In denſelben Tagen waren auch die Flotten bei Born-
holm zuſammengetroffen. Die königliche beſtand zugleich
aus ſchwediſchen und preußiſchen, die lübeckiſche zugleich
aus roſtockiſchen und ſtralſundiſchen Schiffen. Die Frage
war, ob die Fürſten oder die Städte fortan das Meer be-
herrſchen ſollten. Die Schlacht hatte ſchon begonnen, als
ein Sturm ſie auseinander trieb. Offenbar war darauf
die Flotte der Fürſten im Uebergewicht. Der däniſche Ad-
miral Skram, der ſie commandirte, nahm allenthalben an
den Küſten die lübeckiſchen Fahrzeuge weg.


Hierdurch bekam nun Chriſtian III zu Land und zur
See das Uebergewicht. Fünen hatte ſich ihm ſofort un-
terwerfen müſſen; er empfing die Huldigung zu Odenſee.
Mit Hülfe der Flotte, die gerade in dieſem Augenblick an-
langte, ging er dann nach Seeland über; der Adel nahm
ihn mit Freuden auf. Die Schoninger huldigten ihm,
ſo wie er erſchien. Schon war auch Warburg wieder
genommen und zu einem Pfand des Bundes zwiſchen Dä-
nemark und Schweden gemacht worden. Im Anfang des
Auguſt 1535 war die ſtädtiſche Eroberung wieder auf Mal-
möe und Kopenhagen beſchränkt.


Ranke d. Geſch. III. 38
[594]Sechstes Buch. Zehntes Capitel.

Bei alle dem hätte der Beſitz dieſer beiden Punkte wohl
noch immer eine Möglichkeit zur Wiederaufnahme der al-
ten Pläne dargeboten, wäre nicht indeſſen in Lübeck ſelbſt
die bei der erſten Ungunſt des Geſchickes begonnene Ver-
ſtimmung zu einer vollen Umwandlung gereift.


Endlich nämlich griff auch die Reichsgewalt, wie dieß
die kaiſerlichen Geſandten ſchon vor zwei Jahren gefordert
hatten, ernſtlicher in die innern lübeckſchen Angelegenheiten
ein. Ein Mandat des Kammergerichts wies die Stadt
an, die ausgetriebenen Bürgermeiſter und alle Rathsglie-
der, die ſich ſeitdem entfernt hatten, wiedereinzuſetzen. An
und für ſich hätte dieß Mandat wohl noch nichts entſchie-
den. Aber es ſprach eine Forderung aus, die ſich jetzt
auch in faſt allen andern niederdeutſchen Städten geltend
gemacht hatte, und von denſelben unterſtützt wurde. Und
vor allem: die Lübecker fühlten ſich geſchlagen; mit ihren
weltumfaſſenden Plänen waren ſie auf unüberwindlichen
ja ſiegreichen Widerſtand geſtoßen; die Energie der demo-
kratiſchen Tendenzen ward durch ihre eigenen Unfälle ge-
brochen.


Am 14. Auguſt 1535 rief der Rath die Gemeinde zu-
ſammen, und legte ihr das kammergerichtliche Mandat vor.
Wohl nicht ohne Abſicht ward hiezu der Augenblick gewählt,
in welchem Wullenweber auf einer Geſchäftsreiſe nach
Meklenburg begriffen war. Die Gemeinde überzeugte ſich
zuerſt, daß in dem Mandat nicht von der Herſtellung der
alten Kirchenformen die Rede ſey; hierauf erklärte ſie
ſich bereit, demſelben Folge zu leiſten und alle Neuerun-
[595]Umſchwung der Dinge in Luͤbeck.
gen in weltlichen Dingen abzuſtellen. Bei der nächſten
Rathsſitzung, erhob ſich Georg von Hövelen, den man
wider ſeinen Willen zum Bürgermeiſter gemacht hatte,
und ſetzte ſich an ſeine alte Stelle unter den Raths-
herren. Die von der Gemeinde eingeſetzten Rathsher-
ren ſahen ein, daß auch ſie unter dieſen Umſtänden ſich
nicht behaupten würden; ſie verließen den Rathsſtuhl
und verzichteten auf ihre Würde. Wie ſehr erſtaunte
Wullenweber, als er zurückkam und dieſe durchgreifende
Veränderung geſchehn fand! Schon länger beſaß er die
Gunſt der Gemeinde, die ihn früher gehoben, nicht mehr;
kein Verſuch, ſie wieder zu erwerben, hätte ihm Nutzen
ſchaffen können; auch er mußte abdanken. Von den Bür-
gern zurückgerufen, von 150 alten Freunden, und den Ge-
ſandten von Cöln und Bremen, — denn eben war die
die Hanſe beiſammen — eingeholt kehrte Nicolaus Brömſe
zurück. 1 Es ward ein Receß gemacht, kraft deſſen
die Lehre des Evangeliums beibehalten, aber auch der
Rath in ſeine alten Gerechtſame wieder hergeſtellt werden
ſollte. Das lutheriſche Prinzip, das ſich mit einer Umge-
ſtaltung der geiſtlichen Verhältniſſe begnügte, die weltlichen
aber, ſo weit es irgend möglich war, beſtehen ließ, behielt
auf die letzt auch hier den Platz.


Es liegt wohl am Tage, daß ſich nun keine eifrige
Fortſetzung des däniſchen Krieges weiter erwarten ließ.
Der Bergefahrer Gert Korbmacher, der noch einer Unter-
38*
[596]Sechstes Buch. Zehntes Capitel.
nehmung nach dem Sund beiwohnte, berichtet mit Un-
muth, wie wenig Ernſt dabei bewieſen worden.


Wie ſchlecht aber auch immer, ſo ging der Krieg doch
fort; zuweilen knüpften ſich ſogar neue, weitausſehende
Plane daran.


Wenn man das Verhör Wullenwebers lieſt, ſo ſollte
man für unläugbar halten, daß er ſelber noch einmal daran
gedacht habe, ſeine Sache wiederaufzunehmen. Es ſtanden
damals einige Haufen Landsknechte unter dem Oberſten
Uebelacker, im Namen des Grafen von Oldenburg zu-
ſammengebracht, im Lande Hadeln. Zu denen machte
ſich Wullenweber auf den Weg. In ſeinem Verhör hat
er ausgeſagt, ſeine Abſicht ſey geweſen, dieſe Truppen bei
Boitzenburg über die Elbe und unverweilt vor die Mauern
von Lübeck zu führen; ſeine Anhänger würden ihm das
Mohlenthor eröffnet, er würde den Rath geſtürzt, und das
entſchiedenſte demokratiſche Regiment, ja die Wiedertaufe
eingerichtet haben. Schon in dem Verhör erſcheinen je-
doch dieſe Pläne als noch nicht völlig gereifte Gedanken; 1
vor ſeinem Tode hat ſie Wullenweber vollends abgeleug-
net; namentlich hat er alle perſönliche Anſchuldigungen
vor Mitwiſſenſchaft, welche man ihm abgepreßt hatte, zu-
rückgenommen. Es iſt ſchwer, ein Bekenntniß zu verwer-
fen, das doch in ſeinem weſentlichen Theil ohne die Qual
der Tortur abgelegt worden, aber ganz unmöglich iſt es ſich
auf eine Ausſage zu gründen, die der Angeklagte im Mo-
mente ſeines Todes widerrufen hat. Und ſo mögen dieſe
[597]Ausgang Wullenwebers.
Pläne auf immer dahingeſtellt bleiben. Sie konnten keinen
andern Erfolg haben, als den, welchen ſie wirklich hat-
ten. Wullenweber gerieth, wovor er gewarnt worden,
auf der Reiſe in die Gewalt eines ſeiner bitterſten Feinde
des Erzbiſchofs von Bremen, der ihn, weil er als ein
geiſtlicher Herr ſeine Hände nicht mit Blut beſudeln wollte,
ſeinem Bruder, dem Herzog Heinrich von Braunſchweig
überließ. Da eben ward Wullenweber jenem Verhör un-
terworfen, 1 von Dänemark und Lübeck zugleich angeklagt,
und weil er nicht alles ableugnete, was man ihm vor-
warf, in den Formen des alten deutſchen Rechtes zum
Tode veurtheilt. Das ehrliche Land fand das Recht, „daß
er nicht ungeſtraft dürfe gethan haben, was er gethan.“
Er ward enthauptet und dann geviertheilt.


Wullenweber ſtellt recht eigentlich den verwegenen Geiſt
in ſich dar, der ſich in den deutſchen Bürgerſchaften je-
nes Jahrzehends regte. Er hatte angefangen, wie ſo viele
andre Volksführer in andern Städten; das Talent, eine
leicht angeregte Bürgerſchaft nach ſeinem Sinne zu lenken,
[598]Sechstes Buch. Zehntes Capitel.
und die natürliche Kraft des politiſch-religiöſen Intereſſes
trug ihn bis auf eine Stelle empor, wo er ſich vermeſſen
durfte, ſelbſtändig unter die Mächte der Welt einzugreifen.
Er kannte keine Mäßigung; Unfälle hatten ihn nie vorſich-
tig gemacht; noch einmal rief er den Geiſt der alten Hanſe
auf, überredete deutſche Fürſten zu ſeinen Kriegen, trat mit
fremden Königen in Bündniß. Demokratiſche, religiöſe, mer-
cantile und rein-politiſche Motive durchdrangen ſich in ihm;
er faßte die Abſicht, das reformirte Lübeck zum Oberhaupt
des demokratiſirten Nordens zu machen; er ſelbſt wäre an
das Ruder dieſer umgeſtalteten Welt getreten. Damit über-
ſchritt er aber zugleich den Kreis der Ideen, durch welche
die deutſche Reformation gediehen war; die Kräfte die er an-
griff, waren ihm doch zuletzt zu ſtark; die Niederlagen, welche
die Demokratie überall erlitten, wirkten auch auf ſeine
Vaterſtadt ein; ſo verlor er den Boden unter ſeinen Fü-
ßen; er gerieth ſeinen Feinden in die Hände. Da er den
Norden nicht erobern konnte, ſo geſchah ihm, daß er auf
dem Schaffot umkam.


Es iſt überhaupt eine merkwürdige Generation, die
wir hier in Kampf verwickelt finden. Kühne Demagogen,
die ſich ſelber eingeſetzt, und zähe Patricier, die ihre Sache
keinen Augenblick aufgeben: Fürſten und Herren, die den
Krieg im Kriege ſuchen; andere dagegen, welche ein ſehr
beſtimmtes Ziel feſt ins Auge faſſen und mit beharrlichem
Entſchluß verfolgen; alles kräftige gewaltſame, ein allge-
meines Intereſſe mit dem beſondern Vortheil verknüpfende,
hoch ſtrebende Naturen. Zwiſchen ihnen, keinem andern
an Fähigkeiten nachſtehend, der alte König, dem von
[599]Allgemeines Verhaͤltniß
Rechtswegen das Meiſte von dem gehörte, worüber ſie
ſich ſtreiten; deſſen Name noch zuweilen wie ein Schlacht-
ruf im Getümmel erſchallt, der aber die Sünden ſeiner
Jugend in einem ewigen Gefängniß büßt. Der Sieg
warf ſich dahin, wo die meiſte Kraft war. Weder diejeni-
gen konnten ihn davontragen, welche ihre Sache doch nicht
durchaus ſelber verfochten, noch auch die, welche ſich an
Beſtrebungen angeſchloſſen, die ihnen fremd waren; der
Sieg ward dem zum König ernannten Herzog zu Theil,
der mit aller Anſtrengung für ſich ſelber focht, und der durch
ſeine Politik mit dem Beſtehenden und der Vergangenheit,
durch ſeine Religion mit dem Fortſchritt und der Zukunft
verbündet war. Alle Umtriebe auswärtiger Mächte ſchei-
terten. Im Jahre 1536 nahm Chriſtian III — wir wer-
den noch ſehn, unter welchen Combinationen — ſeine Haupt-
ſtadt ein und behielt den Platz.


Abſehend aber von den Perſönlichkeiten darf man auch
wohl ſagen, daß das Unternehmen von Lübeck nicht mehr an
der Zeit war. Jene großen Gemeinſchaften, welche im Mittel-
alter alle Staaten durchdrangen und verbanden, deren Ein-
richtung gerade zu den bezeichnendſten Eigenthümlichkeiten je-
ner Periode gehört, waren jetzt in voller Auflöſung begriffen.
Einem allumfaſſenden Prieſterorden, einem Ritterthum, das
den geſammten abendländiſchen Adel in eine Art von Zunft
verband, zur Seite, konnten auch ſtädtiſche Bünde den An-
ſpruch machen, ihre Handelsmonopolien über nahe und
ferne Reiche auszudehnen. Allein mit jenen mußten auch
dieſe fallen. Das Prinzip der neuern Geſchichte zielt auf
eine gegenſeitige Unabhängigkeit der verſchiedenen Völker
[600]Sechstes Buch. Zehntes Capitel.
und Reiche in allen politiſchen Beziehungen. Es lag ein
welthiſtoriſcher Widerſpruch darin, daß Lübeck, indem es
ſich von der Hierarchie losriß, doch die Oberherrſchaft ſei-
nes Handels behaupten wollte, und zwar nicht durch das
natürliche Uebergewicht der Betriebſamkeit, des Capitals
oder der Waare, ſondern durch erzwungene Staatsverträge.


Man dürfte aber nicht glauben, daß dadurch nun auch
der Einfluß Deutſchlands auf den Norden zerſtört wor-
den ſey. Im Gegentheil ward er, aber nur auf eine freiere
Weiſe, auf dem geiſtigen Gebiete jetzt erſt wahrhaft ſtark.
Wer weiß nicht, welche Verſuche man in frühern Jahrhun-
derten gemacht hat, das Chriſtenthum von Deutſchland aus
im Norden einzuführen? Eine nähere Betrachtung lehrt je-
doch, daß dieß damals bei weitem mehr von England aus
geſchehen iſt. Was nun Anſcharius und deſſen Nachfolger
nicht vermocht, eine eigenthümliche religiöſe Verbindung zwi-
ſchen Germanien und den nordiſchen Reichen zu ſtiften, das
geſchah, wiewohl in einem andern Sinne, jetzt durch die Re-
formation. Die Beſeitigung des Einfluſſes von Lübeck ſcha-
dete dem Proteſtantismus nicht; kaum hatte Chriſtian III
Kopenhagen eingenommen, ſo ſchritt er zur Einführung der
Lehre, wie ſie in Deutſchland gepredigt ward, unter der Leitung
deſſelben wittenberger Theologen, der ſo viele niederdeutſche
Gebiete reformirt hatte, des Doctor Bugenhagen. Dadurch
aber, daß dieſe Lehre hier eben ſo raſch und tief wie
in Deutſchland Wurzel ſchlug, ward der engſte Zuſammen-
hang des geſammten geiſtigen Lebens im Norden mit dem
deutſchen begründet. Seitdem haben hier und dort, wie
das die nahe Verwandtſchaft der Nationen an ſich begün-
[601]Einfuͤhrung der ſymboliſchen Buͤcher.
ſtigt, in der Regel dieſelben Strömungen und Entwickelun-
gen der Ideen Statt gefunden. Auch in dem Norden löſte
ſich das religiöſe und kirchliche Element von den eigentlich
politiſchen Beſtrebungen ab; ſeine Wirkung war nur in
den geiſtigen Regionen.


Wir haben daſſelbe Moment in allen Ereigniſſen die-
ſer letzten Jahre wahrgenommen.


Zwingli, der mit der Reinigung der Lehre zugleich eine
Umbildung des Schweizer-Bundes beabſichtigte, überhaupt
die demokratiſchen Ideen beförderte, war gefallen; ſein po-
litiſches Unternehmen war mißlungen; in ſeinen letzten Ta-
gen, vielleicht Augenblicken konnte er ſich nur noch der Zu-
kunft der Kirche tröſten. Das wiedertäuferiſche Treiben,
das eine ſo vollkommene Umgeſtaltung der Welt in Ausſicht
nahm, war erdrückt, in Deutſchland vernichtet worden.
Auch jene allgemeine Bewegung der mittleren Claſſen in
den handeltreibenden Städten, die ſich an die Unterneh-
mung von Lübeck knüpfte, erreichte ihr Ziel nicht und mußte
ſich nunmehr beruhigen. Es war als könne das religiöſe
Prinzip, das ſich in ſeiner eigenthümlichen Kraft erhoben,
überhaupt keine ſo nahe Verbindung mit der Politik dulden.


Vielmehr war man beſchäftigt, die Lehre vor allen
Auslegungen, die auf dieſe abweichenden Bahnen führen
könnten, ſorgfältig zu bewahren.


Eben hierin liegt der Grund der Einführung der ſym-
boliſchen Bücher bei den Proteſtanten. Um ſich vor der
Fortpflanzung anabaptiſtiſcher Meinungen ſicher zu ſtellen,
erkannten die Wittenberger Lehrer die Beſchlüſſe der alten
Kirchenverſammlungen, in welchen die Dogmen von der
Ranke d. Geſch. III. 39
[602]Sechstes Buch. Zehntes Capitel.
Dreieinigkeit und den beiden Naturen in Chriſto urſprüng-
lich feſtgeſtellt worden, aufs neue feierlich an, wie ſie das
ſchon in der augsburger Confeſſion ausgeſprochen. Sie
hielten für nothwendig, ſowohl bei den theologiſchen Pro-
motionen an der Univerſität, als bei den Anſtellungen in
der Kirche auf dieſe Lehren zu verpflichten. 1


Nicht als hätten ſie namentlich die Confeſſion für
eine auf alle Zeit aufgeſtellte Norm erklären wollen. In
den Unterhandlungen, welche im Jahr 1535 mit England
gepflogen worden, hat man ausdrücklich den Fall für mög-
lich erklärt, daß man in Apologie und Confeſſion nach
Gottes Wort etwas zu verbeſſern finden könnte. 2 Auch
läßt ſich, wenn man das Verhältniß zu den Schweizern
ins Auge faßt, nicht in Abrede ſtellen, daß die Lehre ſelbſt
noch in lebendiger Fortbildung begriffen war. In der Ver-
bindung, in welche die Sachſen mit den Oberländern ge-
treten, ohne daß dieſe, bei aller Annäherung, ſich doch
ganz angeſchloſſen hätten, lag ſchon eine Einwirkung ihres
dogmatiſchen Begriffes auf den ſächſiſchen; bald werden wir
ſehen, wie ernſtlich man nach dem Ziele einer vollſtändigen
Vereinbarung ſtrebte.


[603]Schluß.

Dem Beiſpiele von Sachſen aber folgten gar bald die
niederdeutſchen Städte. Im April 1535 hielten die Pre-
diger von Bremen, Hamburg, Lübeck, Roſtock, Stralſund
und Lüneburg einen Convent, worin ſie beſchloſſen, daß
in Zukunft Niemand zur Predigt zugelaſſen werden ſollte,
der ſich nicht auf die geſunde Lehre verpflichte, welche in
der Confeſſion und der Apologie enthalten ſey. Nur ſo
meinten ſie ſich der Wiedertäufer und anderer Ketzer erweh-
ren zu können, welche ſonſt in Staat und Kirche alles in
Verwirrung ſetzen würden. 1


Und entſprach dieß nicht in der That dem Prinzipe,
von dem die ganze Bewegung ausgegangen?


Man dachte nicht daran, der Welt neue Geſetze vor-
ſchreiben zu wollen; man wollte die Grundlagen des einmal
gebildeten politiſchen und bürgerlichen Lebens nicht erſchüt-
tern; man wollte ſich nur von einer einſeitigen, verwelt-
lichten, und doch eine unbedingte und göttliche Autorität
in Anſpruch nehmenden Hierarchie emancipiren.


In dieſem Unternehmen waren nun die großartigſten
Fortſchritte gemacht worden; jedoch war es noch lange
nicht durchgeführt. Es gab gegenüber noch mächtige Kräfte,
welche ſich jeder Trennung entgegenſetzen mußten; wir wer-
den noch von ernſten Kämpfen und mannichfaltigem Schwan-
ken der Entſcheidung zu berichten haben.


[]

Appendix A

Gedruckt bei A. W. Schade.


[][][]
Notes
1.
Inſtruction an Pierre de Verey, Baron von Mont St.
Vincent excerpirt bei Bucholz Ferdinand III, 97 — 104. Beſonders
p. 101. Haben wir bedacht — falls kein Mittel iſt, daß S. H.
mit Sicherheit hieher kommen koͤnne, gegen S. Heiligkeit ungeachtet
des Vorgefallenen ſo großer Freigebigkeit zu gebrauchen, ihm die
Freiheit zuruͤckzugeben und daß er durch die Hand meines Vicekoͤnigs
als Repraͤſentanten unſerer Perſon auf ſeinen Stuhl zu Rom wie-
derhergeſtellt werde. Aber bevor er in dieſe Freiheit herzuſtellen
waͤre, welche zu verſtehen iſt von der geiſtlichen Amtsfuͤhrung, muͤßte
unſer Vicekoͤnig ſo gut von ihm verſichert ſeyn in allen Dingen,
welche menſchlicher Weiſe und mit weltlicher Macht geſchehen koͤn-
nen, daß wir dabei nicht betrogen wuͤrden, und daß wenn derſelbe
den Willen haben ſollte, er nicht das Vermoͤgen haͤtte uns Uebles
zu thun, damit wir nicht fuͤr ihm Erwieſenes Gute allezeit Nach-
theil und Schaden empfiengen, wie die Erfahrung der Vergangen-
heit es gezeigt hat. Bucholz ſetzt die Inſtruction 3 Wochen nach
dem 30ſten Juni, alſo 21. Juli 1527.
1.
Die Unterhandlungen von Schoonhoven (October 1527)
erhellen aus dem Vortrag in der Verſammlung der hollaͤndiſchen
Staͤnde bei Wagenaar II, 349.
1.
Schreiben Vereys bei Bucholz p. 110, p. 118.
1.
Traité de Westminster 30 April 1527 Du Mont IV, 1, 476.
2.
Ad tractandum super quocumque foedere pro resarcienda
romanae sedis dignitate commissio regis
bei Rymer VI, II, p. 80.
3.
Praesertim cum juris naturalis aequitate pensata non
proprie a summo pontifice factum dici possit, quod ad aliorum
1.
Schreiben von Angerer 5. Nov. in Hormayrs Archiv 1812,
456. „Wir laſſen uns mit Worten aufhalten und die Liga proſe-
quirt ihren Sieg. — — Hab warlich keine Hofnung oder Herz mehr.“
Ein Schreiben Leiva’s vom 23. October zeigt jedoch, daß der das
Herz nicht verloren hatte.
3.
arbitrium facit captivus, etiamsi verbis diversissimum profiteatur.
Traité d’Amiens 18 Août
bei Dumont IV, 1, 494.
1.
Breve bei Burnet: Collection p. 9. es heißt da: cum
matrimonium contraxissetis illudque carnali copula forsan con-
summavissetis.
Es iſt klar, daß die Dispenſation auch auf dieſen
Fall berechnet war.
2.
Leviticus XX, 21. Von Johannes dem Taͤufer dem He-
rodes in Erinnerung gebracht Marci VI, 18.
1.
Polydorus Virgilius Historia Anglica, Henricus VIII p. 82.
Jam pridem conjugium regium velut infirmum labefactatum iri
censebat idque clam suis saepe intimis amicis insusurrabat.
2.
Respuesta del emperador al cartel presentado por Cla-
rençao
bei Sandoval lib. XVI, Tom. I, p. 358.
3.
Depeche de l’evêque de Bayonne, J. du Bellay, 28. Oc-
3.
tobre 1528. Wolſey klagt uͤber einige Maaßregeln der Franzoſen,
aus denen erfolgt ſey: totale alienation de Nre dit St. Père avec
rompture dudit mariage
(der Unterhandlung uͤber die Eheſache).
La quelle rompture encore, que la perte de Nre dit St. père ne
soit pour rien comptée, est de telle importance, ce dit mon dit
Seigneur Legat
(Wolſey), que tout homme en pourra juger, qui
saura, que les premiers termes du divorce ont eté

mis par luy en avant, afin de mettre perpetuelle separation entre
les maisons d’Angleterre et de Bourgogne.
Schon abgedruckt in
Le Grand: Histoire du divorce III, p. 185. Ich habe die Hand-
ſchrift (Depesches de Messire J. du Bellay Koͤnigl. Bibl. zu Pa-
ris Colbert Vc 468) welche Le Grand benutzt neuerdings durchgeſehn
und noch manchen neuen Moment darin gefunden.
1.
Excerpt dieſes Schreibens bei Bucholz III, 94 Note.
1.
Castiglione 10. Dez. 1527, bei Pallavicini lib. II, c. 14.
2.
Notiz bei Bucholz III, p. 119.
1.
Vereinigungsbrief zwiſchen Papſt Clemens und Carl V bei
Reisner p. 155. Die Worte des Eingangs ſind jedoch mehr eine
Formel des Ausdrucks, als eine hiſtoriſche Wahrheit.
1.
Jovius Vita Pompeji Columnae 197 f. Guicciardini lib.
18, p. 469.
1.
Literae Gregorii de Cassellis bei Fiddes Life of Wolsey
p. 467. Et cum ei persuasissem, ut nihil dubitaret, et quod to-
tum se rejiceret in manus regiae majestatis et rev. D. Legati,
dixit se ita velle facere et quod in eorum brachia se et omnia
sua remittat. Et caput jam ponit sub supplicio, nisi a regia Ma-
jestate adjuvetur. Si Caesar permittatur aliquid possidere in Ita-
lia praeterquam in regno Neapolitano, omnium rerum semper erit
dominus, nisi mature confundatur:
man ſieht er war noch der Mei-
nung, daß dem Kaiſer Mailand zum Heile des roͤm. Stuhls entriſ-
ſen werden muͤſſe.
2.
Nicolas Raince au Grandmaitre 28 Janv. 1528 MS. Bethune 8534.
1.
Bellay au Grandmaitre. 2 Janv. 1528 (MS. Colbert Ve).
2.
Gardiner et Cassalis to C. Wolsey, o. D., jedoch vom
April 28, bei Strype Eccles. Memorials 5, 427. It were, ſagt
der Papſt, to be foreseen before sentence of privation, who were
most meet to be chosen.
3.
Die Nachrichten, die wir hieruͤber in Hormayrs Archiv 1810
p. 61, und bei Bucholz finden, fließen ohne Zweifel aus denſelben
Documenten des Wiener Archivs. Die Verpflichtungen Dorias zu
Franz ſollen aufhoͤren 1ſten Julius 1528 und dann die zum Kaiſer
1.
Schreiben an Salviati L. d. principi II, 129. In einer
handſchriftlichen Lebensbeſchreibung Guaſto’s in der Bibliothek Chigi
zu Rom findet ſich auch ein Abſchnitt uͤber das Cambiamento di A.
Doria,
der freilich etwas abenteuerlich lautet. Die Gefangenen Do-
1.
3.
anfangen. Vgl. uͤbrigens Folieta historia Gennensis p. 309. Si-
gonius de rebus gestis Andreae Auriae Opp. Sigonii I, 241.
1.
Sepulveda der damals in Gaeta war, VIII, 34 f. Reisner, p. 173.
1.
rias hoͤren ihn im Schlafe ſich uͤber Koͤnig Franz beklagen: non ba-
sta al rè Francesco, avermi tolti i ricatti guadagnati col rischio
del mio sangue, ma vuol Genova sottoporre a Savona — ma io
cambiarò la bandiera, sarò signore del mare, farò libero non che
soggetta la patria mia;
man ſieht aber auch hier die Motive. Nach
jener Erzaͤhlung bediente ſich ihrer Guaſto im Geſpraͤch mit Doria,
fuͤhrte ihm die Beiſpiele von La Palice und Joh. Jacob Trivulzio an,
die auch von Koͤnig Franz hoͤchſt undankbar behandelt worden und
brachte ihn auf ſeine Seite.
1.
Al Cl Campeggio Lettere di principi II, 127. Se sua San-
tità non faceva cosi, hora si sarebbe nel profondo della total ruina.
2.
Lra di Roma a B. Castiglione L. d. p. II, 140.
3.
Gio Joachim a Montmorency Roma 7 Nov. 1528 bei Mo-
lini II, 122. Mi disse S. Santità, che l’imperatore fosse quasi
costretto, in persona trovarsi ben tosto in Alamagna, per dar
ordine a molte cose, — le quali non ordinate — producevano
gran pregiudizio e non minor movimento, minacciavano a l’impe-
ratore suo stato, titulo e dignità
(er zielt ohne Zweifel auf die
Abſichten des Hauſes Baiern, zum Roͤmiſchen Koͤnigsthron zu gelan-
gen) — Se mo le cose in Germania fussero nel stato che si
dice, a S. Sà parrebbe chel chrmo re per ben degli suoi affari
le mantenesse, augumentasse e fomentasse.
1.
Raince 14 Dec. 1528. qu’il n’y a fiction aucune.
2.
Bellay 1 Janv. 1529. louant fort l’entreprise d’Allemagne
par quel moyen qu’elle se puisse conduire.
3.
Relacion da Borgoña bei Sandoval 888. Er wird von
dem Koͤnig feierlich empfangen: der ihm ſagt: bringſt du mir den
Kampfplatz? Der Herold antwortet: Sire die heil. Maj. des Kai-
ſers. Der Koͤnig faͤllt ein: ich ſage dir, daß du mir von keiner Sache
redeſt, ehe du mir die Sicherheit des Kampfplatzes gebracht. Der
Herold konnte ſeinen Auftrag nicht völlig ausfuͤhren und es geſchah
zuletzt was Wolſey gemeint: 21 July St. P. p. 320. I trust to God
these youg couragious passions shal be finally converted into fume.
1.
Briefwechſel bei Bucholz III, 269—279. Bei Urſinus Ve-
lius de bello Pannonico p. 91 ſieht man, daß die Ungariſchen Gro-
ßen ſtritten „de bonis hostis Joannis jam olim inter se partitis.“
1.
Sein Schreiben an Verantius bei Pray und daraus bei
Katona XX, I, 409. Vgl. Isthuanfi p. 126.
2.
Relation Laskys bei Katona XX, I. In Zapolyas Namen
erklaͤrte Lasky: non solum Ungariae regnum non solum dominia
patrimonii sui, sed et personam suam propriam non suam csse
vult sed vestram p.
319.
1.
Bericht des Habordancz bei Bucholz III, 596.
1.
Engel Geſchichte der Wallachei p. 170.
1.
Lettre de Breton au Grmtre 17. May 1528 (MS. Bethune.)
Le secretaire du duc de Bavière, que vous savez, est depuis
deux (jours?) ici et a eu fort bonne audience du roi.
2.
Forme et manière de conduire et mener l’affaire d’élection
au nom du roi de France MS. Bethune 6593 f.
93. Vgl. die Ver-
handlung mit Mainz bei Stumpf p. 50.
1.
Der Schluß lautet. Au surplus nos princes sont delibe-
rés de n’obmettre rien de leur labeur et vigilance, et d’essayer
tous les moyens, qu’ils verront être necessaires pour la fin de
cette affaire et qu’ils ont esperance, dieu aidant et la bonté du
roi tres chrétien achever l’affaire ainsi qu’ils le desirent.
1.
Das ganze Detail entnehmen wir aus dem Bekenntniß des
Hans Schuoch aus Breslau, deſſelben, welchen Pack zu ſeinem Die-
ner annahm.
2.
Man war der Meinung, die Unruhen in der Mark, die
minkwitziſchen Befehdungen von Lebus ſeyen damit in Zuſammenhang.
Herzog Georg ſchreibt an Hoyer von Mansfeld Maͤrz 1529. „Uns
langt glaublichen an, wye noch gar eyn groß gewerb vorhanden und
wyewol es im Namen etzlicher von Adel angeſtellt, ſo khuͤnen wir
es doch davor nicht achten, dyeweil den Beſtellten viel Geld heraus-
gegeben wird. Man ſagt es ſolle ſolch gewerb dem Wayda zu gut
und wyder das Land zu Laußnitz und den Churfuͤrſten von Branden-
burg vorgenommen ſeyn.“ Der Herzog war eben im Begriff, mit
dem Churfuͤrſten eine Zuſammenkunft zu halten. Er iſt es, der Mink-
witz gefangen genommen.
1.
Heinrich v. Naſſau an Joh. v. Naſſau, Arnoldi Denkwuͤr-
digkeiten p. 200. Das Schreiben iſt vom 13. April, vor den Pa-
ckiſchen Unruhen, von denen man damals uͤberhaupt noch nichts wußte,
am wenigſten in Spanien.
1.
Erzaͤhlung des Landgrafen in einem Schreiben an Herzog
1.
Georg vom 28. Juni, welches Rommel (III, 21) als verloren be-
trachtet, das ſich aber im Archiv zu Dresden findet; ich werde es im
Anhang mittheilen.
1.
Bedenken bei de Wette III, 316, nr. 986, 987; ohne Zwei-
fel aber noch in den Maͤrz zu ſetzen, nicht in den Mai. Sie wer-
1.
Schreiben im Weim. Arch. undatirt, aber von der erſten
1.
den nemlich ſchon in einer Inſtruction in Neudeckers Actenſtuͤcken p.
33 erwaͤhnt; einer Urkunde, die zwar auch undatirt iſt, aber ohne
Zweifel noch in den Maͤrz faͤllt, da der Churfuͤrſt darin ſagt, er habe
einige ſeiner Freunde auf Freitag nach Judica ſchirſtkuͤnftig (3. April)
zu ſich beſchieden.
1.
Die Antworten, wie der angebliche Vertrag ſelbſt, ſtehen
bei Hortleder und Walch. Im Dresdner Archiv findet ſich noch eine
Inſtruction Ferdinands, in welcher er Herzog Georg auffordert, der
Sache auf den Grund zu kommen, wo ſie ihren Anfang und Ur-
ſprung habe.
1.
Haͤlfte Aprils: Antwort auf jene Inſtruction. „Ich verſehe mich ge-
wißlich, daſſelbe (das Original) zu bekommen in der Kurz. Hett aber
F. L. mir u. andern zu Weimar gefolgt und ſich ein klein Koſten
nicht dauern laſſen, ſo wulte ich es uf dieſe Tage haben.“ Man ſieht
daß Pack gleich anfangs Geld gefordert haben muß. Philipp ver-
ſichert in einem ſpaͤtern Briefe an Herzog Georg bei Rommel III,
17, erſt uͤber 3 oder 4 Wochen habe er dem Pack Geld anbieten laſſen.
1.
Wohlbruͤck Geſchichte von Lebus. II, 414.
2.
Abgedruckt in den Acten von Doctor Ottens v. Pack Abhoͤrung
in Caſſel in Hoffmanns Sammlung ungedruckter Nachrichten p. 98.
3.
Miſſive ſo in Dr. Packs Hauſe, als er gefangen angenom-
men, gefunden worden im Dresdner Archiv nr. 7398.
1.
Verhoͤr Wuriſyns in einem Convolut des Dresdner Archivs
betitelt Haͤndel betreffend des Dr. Otto Pack mit Caspar Wuriſyn.
Ich bemerke ausdruͤcklich, daß ich mich in der ganzen Darſtellung auf
nichts ſtuͤtze, was Pack auf der Folter bekannt hat.
1.
An Camerarius Corp. Ref. I, 988. Alter sane odiose ex-
torsit pecuniam nobis valde dissuadentibus:
αἰδὼς δ̕ οὐκ ἀγαϑὴ
κεχϱημένῳ ἀνδϱὶ. Camerarius hatte dieſe Ausdruͤcke ſehr ermaͤßigt;
Hr. Dr. Bretſchneider hat ſie wieder hergeſtellt.
2.
Dritte Verantwortung bei Hortleder IV, 19 nr. 26 p. 567.
1.
13. Spt. a. a. O. p. 998.
2.
Acta Handlungen Legation und Schriften, ſo durch den
durchlauchtigen Herrn Philipſen in der Muͤnſterſchen Sache geſche-
hen: — Caſſel im Mai 1535. „Die Biſchoffe betreffend, iſt uns ein
Handel fuͤrkommen, den haben wir nebſt vielen vor warhaftig gehal-
ten und demnach unſere unterthanen retten wollen, da wir aber be-
funden, das wir zu milde berichtet geweſen, ſeind wir mit unſerm
Fuͤrhaben ſtill geſtanden; — — daß uns aber Geld geworden iſt,
haben uns die Churfuͤrſten mit gutem Willen getaͤdingt und duͤrfet
euch dieſe unſre Handlung zu keinem exempel fuͤrbilden, denn wir
wiſſen keinen Handel, der uns mehr mißfaͤllt, den wir unſer Lebe-
lang begangen, denn eben dieſer, were er nicht geſchehen, er wuͤrde
nunmals nicht geſchehen. —
1.
Bucholz VIII, 139.
2.
Raupach Ev. Oeſtr. II, 49.
3.
Z. B. bei Raupach II, Beil. nr. VIII.
4.
Schelhorn bei Winter I, 258.
1.
Die erſte Frage, die ihm gegeben ward. Montag nach Palm-
ſonntag 1528.
2.
Rabi Martyrerbuch Thl. II, fol. 243, 249. Es iſt auch
hier wie ſonſt eine alte, gleichzeitige, alle Spuren der Glaubwuͤrdig-
keit tragende, ſehr ausfuͤhrliche Erzaͤhlung, was wir bei Rabus finden.
1.
Mandat. Donnerſtag nach V. M. 4. Juli neuerdings bei
Muͤller Geſch. der Reform. in der Mark p. 138.
2.
Nachricht Spalatins bei Menken II, 1116. Die Auszuͤge
Seckendorfs II, 42, add. III, ſind nicht ganz genau. Auch glaube
ich an der Erzaͤhlung zweifeln zu duͤrfen, die ſich dort findet und in ſo
viele Geſchichten der Mark und ihrer Reformation verbreitet hat, daß
die Tochter der Churfuͤrſtin, des Namens Eliſabeth, es geweſen ſey, die
ſie verrathen habe. Ein Maͤdchen von 14 Jahren war ſie wenigſtens
2.
nicht, wie man geſagt hat. Sie war 1510 geboren und bereits im
Jahre 1527 (7. Juli) an Herzog Erich von Kalenberg verheirathet
worden. (Buͤnting Braunſchw. Chronik II, 68b). Sollte ſie im
Maͤrz 1528 in Berlin geweſen ſeyn? Wenigſtens im Auguſt die-
ſes Jahres brachte ſie ihren erſtgeborenen Sohn zu Muͤnden zur
Welt. Ihr Gemahl, 40 Jahr aͤlter als ſie, entzuͤckt daruͤber, daß
er einen Erben hatte, geſtattete ihr eine Bitte. Sie bat um die Be-
freiung eines Pfarrers, den man feſtgenommen, weil er das Abend-
mahl unter beiderlei Geſtalt ausgetheilt hatte. (Vgl. Havemann Her-
zogin Eliſabeth p. 13.) Und dieſe Fuͤrſtin ſoll ein paar Monate vor-
her die eigene Mutter angeklagt haben? Es iſt alles gleich unwahr-
ſcheinlich.
1.
Brief an Myconius 26. Aug. 1522. Zwinglii Opera, cu-
rantibus Melch. Schulero et Jo. Schulthessio Tom. VII. Epp. vol.
I, p.
218.
1.
Sein vornehmſter Lehrer in Baſel war Thomas Wittenbach,
ſelbſt ein Schuͤler des Paul Scriptoris in Tuͤbingen. Gualtherus Prae-
fatio ad priorem partem homiliarum in Ev, Matthaei ad Josuam
Wittenbachium (Misc. Tigur. III, p. 103.)
1.
De gestis inter Helvetios et Gallos ad Ravennam Pa-
piam aliisque locis relatio
bei Freher-Struve III, 171.
2.
Nihil est in omni opere, quod non sit doctum, amoenum,
sanctum. — — Quum aliquando dei munere oculos recipimus eos-
que ad vetustissimos scriptores attollimus, jam videntur lux et
virtus in conspectum venisse.
Siehe die Vorrede und Nachrede,
welche Zwingli unter dem Namen Huldrychus Geminius ber Ausgabe
des Pindar von Ceporin 1526 hinzufuͤgte Tig- III, 207.
3.
Schuler: Huldreich Zwingli: Geſchichte ſeiner Bildung zum
Reformator. Anmerkungen p. 7.
1.
Huldrychen Zwingli, prieſters, fabeliſch gedicht von einem
ochſen und etlichen thieren jez laufender Dinge begriffenlich.
2.
An Heinrich Utinger 4. Dez. 1518 Opp. VII, Epp. I, p. 55.
1.
Epistola ad Joachimum Vadianum: ex Eremo 13 Jun. 1517.
Epp. I, p. 24. Locum mutavimus Gallorum technis. Fuimus pars
rerum gestarum: calamitates multas vel tulimus vel ferre didicimus.
1.
Bullinger: Reformationsgeſchichte p. 11 furnamlich darum
das er vernommen, wie er heftig wider penſionen penſioͤner, der fuͤr-
ſten puͤndtniſſen und kriegen prediget.
1.
Autobiographie Platers Misc. Tig. III, 253.
1.
In der zweiten Zuͤricher Disputation erinnert er daran; — er
begann mit Matthaͤus.
2.
De vera et falsa religione: „Veram pietatem, quae nihil
aliud est quam ex amore timoreque dei servata innocentia“ ed.
Gualth. p.
202.
3.
Bullinger Reformationsgeſchichte p. 31.
1.
Myconius in Staͤudlins und Tzſchirners Archiv I, II: inge-
nio amoenus, ore jocundus.
1.
Antwurt Zwingli’s an Val. Compar Werke, II, i, p. 7;
ferner die Antwort an Faber 30. April 1526.
2.
„Daß ſie alle insgemein frey, wie dieſes auch die paͤpſtlichen
Rechte zugeben, die heiligen Evangelia und Epiſtel der Apoſtel gleich-
foͤrmig nach dem Geiſte Gottes und der rechten goͤttlichen Schrift al-
ten und neuen Teſtamentes predigen und was ſie mit gemeldeter Schrift
erhalten und bewaͤhren moͤgen, verkuͤndigen und von anderen zufaͤlli-
gen Neuerungen und Satzungen ſchweigen ſollen.“ Antworten, die
ein Buͤrgermeiſter, Rath und der große Rath der Stadt Zuͤrich ih-
ren Eidgenoſſen gegeben hat. Fuͤßli Beitraͤge II, p. 237. Vergl.
Bullinger I, p. 20.
1.
Uslegung und Gruͤnde der Schlußreden p. 359.
2.
Gutachten Zwingli’s zur Antwort auf des Papſtes Schrei-
ben. Werke Bd. II, Abth. II, p. 393.
1.
Zwinglii ad Fabricium de actis legationis Opp. I, p. 12.
2.
Bei Fuͤßli: Beitraͤge II, 15.
1.
Sein Grundſatz war: Communis error facit jus. Haec
dogmata non praedicentur, nihil innovetur contra ecclesiae ritum.
2.
Francisci Lamberti rationes propter quas minoritarum con-
versationem traditumque rejecit.
Bei Schelhorn: commentatio de
vita Lamberti Amoenitatt. literariae III, p.
312.
1.
Bernhard Weiß in Fuͤßli’s Beitraͤgen IV, 42.
1.
Zweite Disputation Zw. W. I, p. 470. Hieraus folgt auch,
daß dieſe unſere Zuſammenrufung, die nit zu nachteil einiger Chri-
ſten, ſondern das Wort Gottes zu verhoͤren verſammelt iſt, nit irren
mag: denn ſy nit ſetzen noch entſetzen undernimmt, ſunder allein hoͤren
will, was in gemeldten ſpaͤnen im Worte Gottes erfunden wird.
1.
Ante omnia multitudinem de quaestione probe docere
ita factum est, ut quicquid diacosii
(der gr. Rath) cum verbi
ministris ordinarent, jam dudum in animis fidelium ordinatum
esset. Denique senatum diacosion adivimus; ut ecclesiae totius
nomine, quod usus postularet, fieri juberent. Diacosion senatus
summa est potestas ecclesiae vice. Subsidium de eucharistia
Opp. III,
339.
1.
„nit zu disputiren, ſondern allein uffhoͤren, rath geben und
ſchidluͤt zu ſeyn. Faber Warlich Unterrichtung bei Hottinger I, 437.
2.
Chunrad Hofmanns ſchriftlicher Fuͤrtrag wider Zwingli’s
Reformation: Fuͤßli Beitraͤge III, 93.
1.
Handlung der Verſammlung in der loͤblichen Stadt Zuͤrich
von Hegenwaldt, mit Auszuͤgen aus Fabers warlicher unterrichtung
in Zwingli’s Werken I, p. 105.
3.
Jakob Leu der Schaffner an Zwingli Epp. I, 367.
1.
„Ich bin 10 oder 13 Jahre zu Heidelberg geweſen, — —
ſo bin ich bei einem gelehrten Mann geweſen, derſelbige hieß Doc-
tor Joß: ein guter frommer Mann, mit demſelbigen habe ich geeſſen
und getrunken dick, — — da habe ich alle mein Tag gehoͤret, es
zieme ſich nicht von dieſen Dingen zu disputiren.“
2.
„Ja Hoͤng und Kuͤßnacht iſt eine gewiſſere Kirche, denn alle
zuſammengerottete Biſchoͤfe und Paͤpſte.“ Die Verſammlung ſelbſt
1.
Acta der zweiten Disputation (26, 27, 28 Wynmonats)
Zwingli’s Werke I, 539. Es exiſtirt auch ein Bericht daruͤber von
Johann Salat, Gerichtſchreiber zu Lucern. In Fuͤßli’s Beitraͤgen
III, 1 iſt demſelben ſein Recht geſchehn.
2.
iſt freilich auch keine Kirche, aber ſie vindicirt der Gemeinde das Recht
der Autonomie. Sie iſt der erſte Anſatz zur Presbyterialverfaſſung.
1.
Hottinger Helvetiſche Kirchengeſchichte III, 109.
1.
Bernhard Weiß a. a. O. p. 49. Bullinger Reform. Geſch.
I, p. 102. Leben Leonis Judaͤ Misc. Tigur, III, 33. Anno 24 ſtalt man
ab die Proceſſionen der Moͤnchen und Pfaffen, — ordnet Leut, die
uͤber die Saͤrch (Reliquienkaͤſten) gingend und vergrubind die Ge-
bein oder Heilthum. Man taͤht die Orglen auß den kilchen, das tod-
tenlaͤuten ward abgeſtellt, das wychen des Saltzes Waſſers Palmen;
das verrichten der Krankeen; — hernach that man in der Stadt die
Bilder us den Kilchen und uf dem Land wo es das Mehr werden moͤcht.
2.
Zwingli’s Werke II, ii, p. 230.
3.
Vorrede p. 234 ebenda.
1.
Dialog von dem abgoͤttiſchen Mißbrauch des Sacraments
bei Walch XX, 2878. Von dem widerchriſtlichen Mißbrauch des
Herrn Brot und Kelch Ibid. 138.
2.
Zuſammenſtellung der verſchiedenen Aeußerungen des Oeko-
lampadius in deſſen Leben von Heß p. 102.
3.
Lavater vom Laͤben und Tod Heinrychen Bullingers 1578 p. 8.
1.
An Hans Wyttenbach 15. Juni 1523. Panem et vinum
vere esse puto ac edi etiam, sed frustra, nisi edens firmiter cre-
dat, hunc solum esse animae cibum. Omnia sunt planiora si

τὰ σῦκα σῦκα i. e. ficus ficus appellaverimus, panem dixerimus
panem, vinum vinum (Epp. I, 258).
2.
Deliberavimus usui esse futurum si missa everteretur,
qua eversa speravimus etiam eucharistiam sibi restitui posse. De
vera et falsa religione p.
269.
1.
Große Confeſſion in Walchs Sammlung der Werke Luthers
Thl. XX, p. 1138.
1.
De divisione naturae bei Neander Kirchengeſchichte IV, 472.
Der Unterſchied liegt wohl hauptſaͤchlich darin, daß Scotus noch ent-
ſchiedener eine Verherrlichung der menſchlichen Natur durch die goͤttliche
annimmt. Caro in virtutem transformata nullo loco continetur.
1.
Z. B. fragt Carlſtadt: wo hat Chriſtus geboten, daß man
ſein Abendmahl in die Hoͤhe aufheben und dem Volke zeigen ſolle?
(Walch 2876), Luther antwortet: wo verbietet es Chriſtus? (p. 252).
1.
Expositio fidei Werke II, II, 241.
1.
Elenchus contra Catabaptistas Opp. III, 362.
1.
Fuͤßli’s Beitraͤge I, 235.
1.
Bekenntniſſe und Actenſtuͤcke in Fuͤßli’s Beitraͤgen I. 229,
246, 258. II, 263.
2.
In Rodolphi Gualtheri Epistola ad lectorem, vor dem
zweiten Theile der Werke 1544 wird proteſtirt, daß Zwingli dieß
nicht gewuͤnſcht. Quod homines vaesani, non jam infideles modo,
verum etiam seditiosi, reipublicae turbatores, magistratuum ho-
stes justa senatus sententia damnati sunt, num id Zwinglio fraudi
esse poterit?
1.
Klagen Zwingli’s 19. Febr. 1523 an Steiner. Epp. I, p. 275.
1.
Z. B. ſoll der Geiſtlichkeit zwar vorbehalten bleiben, was
Eheſachen oder Gotteshaͤuſer und Sacramente, oder Irrungen im
Glauben betrifft, aber auch dieß ſoll erſt der weltlichen Obrigkeit
vorgelegt werden, die nur, wenn es ihr nothwendig ſcheint, an den
geiſtlichen Richter verweiſen mag. Artikel bei Bullinger I, 203.
1.
Zwingli an Vadian I, 485. Istud unum caveo, ne optima
plebs Helvetica horum nebulonum Fabri videlicet et Ecciorum stro-
phis committatur, id autem Oligarcharum perfidia 3 Kal. Apr.
1526.
2.
Wie das Lied des Nicolaus Manuel beweiſt: ain Lid in
ſchilers Hofthon; bei Gruͤneiſen p. 409. „Egg zablet mit fuͤßen und
henden, fing an ſchelken und ſchenden: — — er ſprach ich blib by
dem verſtand, den Baͤpſt Cardinaͤl Biſchof hand.“ Es erſcheint in
Baden juſt wie in Leipzig.
1.
Ad viginti annos 4 Pandareti cum 16 e civibus senatum
minorem elegerunt, ea conditione ut per eos delectos civium
turma non haberet abjicere; nunc ablata est illis potestas et
concio universa civium senatum deligit.
Schreiben B. Hallers an
Vadian, in Kirchhofers Berthold Haller p. 89.
1.
Stettler II, 6.
2.
Bullinger II, 13. Haller nennt es pecunia sanguinaria;
Hofmeiſter redet von execrabile foedus Gallicum. Auch Manuel
gehoͤrte zu den Verfechtern der Penſionen. Gruͤneiſen 109. Kirch-
hofer 133.
1.
Vgl. Ochs Geſchichte von Baſel V, p. 626 f. Das dioece-
sium suffragio, cum dioecesiis disponenda
in Oekolampads Be-
richt, womit ſich Ochs V, 653 ſo viel plagt, heißt es ohne Zweifel dia-
cosion suffragio, cum diacosiis,
mit welchem Wort Zwingli und
auch Oekolampad (z. B. in dem Briefe bei Heß p. 506) gewoͤhnlich
den großen Rath bezeichnen.
2.
Dieſe unentſchiedene Geſinnung ſtellt ſich individuell in dem
1839 herausgegebenen Tagebuche des Hans Stockar dar.
3.
Arx Geſchichte von St. Gallen II, 529, in der Hauptſache
fluͤchtig, in den uͤberdieß gehaͤſſigen Nebendingen ausfuͤhrlich.
1.
Bullinger Reformationsgeſchichte II, p. 46.
1.
Breve des Papſtes vom 12. Maͤrz 1524 bei Llorente I, 427.
1.
Bei Sandoval I, 673, uͤberhaupt hier unſerm Gewaͤhrsmann.
2.
Uno que se dize rey encubierto, que es nombre de baxa
suerte, — publican, que eran muchos con el que estaban deter-
minados depassando el emperador de matar a la reyna Germana
y el duque de Calavria su marido e levantarse por rey esto di-
cho rey encubierto. — Han fecho morir ata 50 hombres que se
dezia ser de su lignage y tienen presos mas de ata ciento. Ad-
vertimiento de la corte del empr.
K. Biblioth. zu Paris, Samm-
lung Bethune 8531 f. 110.
1.
Humboldt, III, 260.
2.
Prescott History of Ferdinand and Isabella III, 418 citirt
eine hiefuͤr ſehr bemerkenswerthe Stelle von Gonzalo von Oviedo: who
can doubt, that powder against the infidels, is incense to the Lord?
3.
Bericht des Cortez 15. October 1524. Bei Koppe p. 487.
1.
Quinquagenae tres locorum sacrae scripturae non vulga-
riter enarratorum.
3.
Prologus ad lectorem. Medium autem inter has (den hebraͤi-
ſchen und den griechiſchen Text) latinam beati Hieronymi translationem
2.
Bonus ille praesul in tota quaestione sua nihil magis la-
borabat, quam ut duarum linguarum, ex quibus religio nostra pen-
det, neque ullum vestigium relinqueretur, per quod ad dignoscen-
dam in rebus dubiis certitudinem pervenire possemus. (Apolo-
gia pro se ipso. N. Antonii Bibl. Hisp. Nova I, p. 138.)
1.
Semlers genauere Unterſuchung der ſchlechten Beſchaffenheit
des zu Alcala gedruckten griech. n. Teſtamentes 1766. Bei der Doxo-
logie Matth. 6 ließen ſie weg, was, wie ſie meinten, obwohl es ſchon
Chryſoſtomus geleſen, doch wohl ſchon damals ex corruptis origina-
libus
hinzugekommen p. 117. Jene Stelle iſt bekanntlich 1 Joh. 5, 7.
Sie folgten darin der Kritik des St. Thomas. Noch Salmeron ſagt:
videtur plus fidei tribuendum latinis codicibus quam graecis.
2.
velut inter Synagogam et orientalem ecclesiam posuimus: duos
hinc et inde latrones medium autem Jesum h. e. Romanam sive
latinam ecclesiam collocantes.
2.
Nic. Antonii Bibliotheca Hisp. N. I. s. v. Franciscus.
1.
Auch er hielt an dem Vorzug der Vulgata feſt. Sciendum
est,
ſagt er von 1 Joh. 5, 7, Graecorum codices apertissime esse
corruptos, nostros vero veritatem ipsam continere.
Eben hier je-
doch iſt die Vulgata ſelbſt interpolirt. Vgl. Griesbach App. 12.
2.
Llorente I, 459. Erasmi Epistolae 989. 1032. Er bezeich-
net beſonders Peter von Victoria als ſeinen Gegner.
1.
Siguense los errores de Luther y Colampadio su disci-
pulo con la determinacion de l’iglesia.
— — Die verſchiedenen Ar-
tikel werden nach einander abgehandelt, z. B. Art. 3 wie oben; Art. 6
Santo es y justo commendarnos a los santos y adorar sus ima-
gines. 7. La iglesia puede licitamente tener patrimonio y poseer
bienes temporales. 8. Justa pena es por los hereges, que seen
quemados.
2.
Bei Bucholz III, 99.
1.
Stetten p. 308. Von der Lith p. 217.
2.
Lettere di diversi, 56.
3.
Erasmi Epp. p. 963. „In Hollandia mire fervet carnificina.“
Das klingt doch anders, als was Le Glay Correspondance de Maximi-
lian et Marguerite II, p.
449 zur Entſchuldigung Margaretha’s bemerkt.
1.
Schreiben Leiva’s an den Kaiſer bei Sandoval II, 19.
1.
Fruͤh am 27. Juni; „in sul passar dell’ Ambra. Varchi
p. 214. Nach Leoni ruͤhrte der Verluſt daher, weil S. Pol den Rath
des Herzogs von Urbino, das Geſchuͤtz vorausgehen zu laſſen und
ſeine uͤbrigen Truppen in ein paar Colonnen zu vertheilen, von denen
eine die andere unterſtuͤtzen könne, nicht befolgt habe. Vita di Fran-
cesco Maria
414.
1.
Lettera del Cardinale Triulzio a M. Hieronymo, Roma
9 Avr. 1529. Bibliothèque du roi, MS Bethune.
1.
Varchi Storia Fiorentina 208. Jovius Historiae 27, 45.
2.
Casalis bei Herbert 233.
1.
Tractatus confoederationis inter Carolum V Imperatorem
Romanorum — — et Clementem VII Romanum pontificem con-
clusus
bei Du Mont IV, II, 1.
2.
Bei Katona XX, I, 551 die Klage Zapolya’s uͤber die Bulle,
aus der er ſah, S. Sem — — me et incolas regni per censuras
ecclesiasticas devovisse et a capite nostro Jesu Christo quod in
ea erat resectos declarasse.
1.
Cum Caesareae Mti cordi sit, ut huic pestifero morbo
congruum antidotum praeparari possit.
1.
Ce qui a été dit en la communication tenue à Palencia
bei Du Mont IV, I, 502.
2.
Bellay 13 Juill. 1529. MS. Maitre de Barre ſagt ihm, daß
dieſe Aeußerung, welche Margaretha und alſo auch der Kaiſer wiſſe,
den Frieden verhindere. Sie lautet: puisque le roi avoit perdu Mi-
lan, estant luy en administration des affaires, il aimeroit mieux
la mort que de faillir à le luy faire recouvrer: cela fait il étoit con-
tent de mourir une heure après.
1.
Ottaviano Sforza al vescovo di Lodi. Molini II, 210.
Vgl. Instruzione di Teodoro Triulzio Guido Rangoni et Joachim
a Mess. Mauro da Nova; Venezia 15 Luglio
bei Molini II, 219.
„In effecto quest’ impresa de tanta extrema importantia si deve
extimare, quanta possa essere da l’onore al disonore o per me-
glio dirlo dal vivere al morire de la prima corona, re et regno di
Christianità.
2.
Hieronymus Niger an Sadolet V. Cal. April. 1529 quo-
tidie in ore habet (pontifex) divinum consilium suum, de pro-
fectione ad Caesarem, et de pace publica, quo quidem consilio
si integris rebus usus fuisset, non laboraremus. (Sadoleti Epp.
lib. VIII, p.
323.)
1.
Dechiffrement d’une depesche écrite d’Espagne Bibl. d.
R. MS Bethune 8543 f.
182, ohne Datum, Ort, noch Unterſchrift.
Vielleicht ſogar ſchon von 1527, auf jeden Fall von einer Zeit, in
welcher die franzoͤſiſchen Prinzen in Gefangenſchaft waren. „Elle
me demanda, si vous vouliez mettre en sa main l’affaire d’entre
vous et l’empereur; je luy ai dit que pour cet effet m’aviez de-
pesché vers elle. — — Elle m’a dit, que la fiance quelle avoit
toujours eu en votre bonne voulonté envers elle l’avoit tenue en
bonne esperance et lui avoit fait porter patiemment tout ce qui
avoit passé. Qu’elle vouloit mener cette affaire et que autre ne
se meslat qu’elle, et c’estoit son propre fait.
1.
Teneur du pouvoir, donné a l’archiduchesse: DM. IV, 2, 15.
2.
Ihre Aeußerungen bei Hormayr Archiv 1810 p. 108.
3.
Als Procuratrix généralle et especialle avec plein pou-
voir auctorité et mandement especiall pour et en nom de nous pour
parler — et finallement traiter et conclure bonne ferme sceure
paix amitié ligue et conféderation.
1.
In ſeinem Gegenbericht von 1536 bemerkt der Kaiſer jedoch,
daß er wohl damals „urſach und gewalt gehabt haͤtte, noch groͤßers
und mehrers von ihm (dem Koͤnig) zu begeren und abzunehmen, die-
weil ich damals zu waſſer und zu land ſighaft von Gott und mit
treffenlicher ruͤſtung gefaßt und — vil ſterker denn er geweſen bin.
1.
Protestation du roy François contre les traités de Ma-
drid et de Cambray.
So lautet der Titel der bei Du Mont ab-
gedruckten Urkunde in der Sammlung von Dupuy 179.
2.
Protestation du procureur général DuM. IV: II, 52, nr. 39.
1.
Lettre de Madame au roi après le traité de Cambray.
Bethune
8471. Copie. „La seureté, Monseigneur, en la quelle
je cognois votre personne par la paix que j’estime plus que ma
propre vie.“
2.
De la Pommeraye au connetable 17 Sept. 1529. Beth. 8610.
3.
Lettre de Raince 12 Aôut 1529. Surtout ne pourroit
1.
Pour extirper les heresies qui pullulent en la Chrestienté
et que l’eglise soit reverée et honorée ainsi qu’il appertient pour
le salut de nos ames. DuM. II, IV, p.
16.
3.
etre plus content, qu’il est de ce, qu’il entend qu’on a eu me-
moire de luy et semble qu’il ayt quelque advis que aucuns des
confederes soient aucunement
(einigermaaßen) demeurés en der-
riere; que luy confirme la satisfaction en quoi il est autant ou
plus que nulle autre chose et fait bien compte, s’ils vouloient
aller le chemin qui sera requis, que delivrés et retournés en
France Messrs que à tout se aura bon remède.
1.
Vgl. Commissio ad tractandum de jocalibus recipiendis
bei Rymer VI, II, 19. „cum oratoribus ſagt Franz I — Angliae
regis, pro omnibus obligationibus absque pignore contractis con-
venimus.
2.
Casalis 13 Jan. 1513 bei Fiddes p. 461. Quia nullus do-
ctor in mundo est, qui de hac re melius decernere possit, quam
ipse rex; itaque si in hoc se resolverint, ut pontifex credit, statim
committat causam
(in England), aliam uxorem ducat, litem se-
quatur, mittat pro legato.
1.
Bellay à Montmorency 22 Mai 1528, en la quelle (l’af-
faire du divorce) s’il ne s’employoit tant et si avant, qu’il von-
droit faire pour le recouvremt de Mss les enfans il pourroit étre
sur, d’avoir causé a mon d. Sr le legat une totale ruine, pour les
grandes asseurances qu’il en a toujours baillé à son dit maistre.
2.
D. Knigt bei Herbert 218: The Pope thinketh he might
by good colour say to the emperor, that he was required by
the english ambassadeurs et Mr de Lautrech to proceed in the
business
1.
Bellay erwaͤhnt dieß Motiv in einer Depeſche vom 8. Nov.
Er traͤgt fuͤr ſeine Perſon Bedenken, die Nullitaͤt der Ehe mit Ca-
tharinen zuzugeben, weil man ſich dieſes Bekenntniſſes bedienen koͤnne,
„ou le mariage de Mr. d’Orleans tireroit. Aucuns de deça disent,
que, quoique on fasse, qui espousera la princesse sera aprês roi
d’Angleterre.
2.
Gardiner a. Fox Orviet the last day of March bei Strype
Ecclesiastical Memorials. Tom. V p. 402. „that if there were any
thing doon novum et gratiosum agaynst the emperors purpose,
it should be materia novae captivitatis.
1.
Dieſelben; Monday in Esterwoke ibid. 423. Auch dem
franzoͤſiſchen Geſandten ließ der Papſt 8. April hoffen, qu’entre cy
et demain prendra quelque bonne forme de conclusion, qui pourra
satisfaire au roy l’Angleterre. Raince
bei Le Grand III p. 190.
2.
Commiſſion Viterbii VI Junio (8. Juni) abgedruckt bei Her-
bert p. 233.
3.
Man ſieht das aus dem Briefe von Caſalis bei Burnet:
History of the Reformation Records II, nr. 17. Der Papſt ſagt
den Geſandten: vos scire volo, promissum mihi fuisse, si legatns
hic in Angliam mitteretur, futurum ut mihi civitates a Venetis re-
stituerentur.
1.
Sanga an Campeggi, Viterbo 2. Sptr. 1528. Paͤpſte I, 126.
2.
Pallavicini laͤugnet lib. II, c. XV die Exiſtenz dieſer Bulle,
welche Guicciardini behauptet hatte. Allein man braucht nur den
ſchon erwaͤhnten Bericht von Caſalis uͤber ſeine Verhandlungen mit dem
Papſt im December 1528 zu leſen, um alle Zweifel fahren zu laſſen.
S. D. N. injecta in meum brachium manu, — dixit — bullam
decretalem dedisse, ut tantum regi ostenderetur concremaretur-
que. Burnet. Records II, 17, p
42. Was nun aber dieſe Bulle ent-
hielt, iſt natuͤrlich nicht auszumachen, da ſie Niemand geſehen hat,
als der Koͤnig und Campeggi. Da moͤchte ich denn freilich den Ver-
ſicherungen Guicciardinis auch nicht glauben.
1.
Bellay: 17. Nov. 1528.
2.
Gardiner 4 Mai. Which was confirmed by divers other
letters from our agents. Herbert p.
232.
3.
Sanga al Cl Campeggio 29 Maggio 1529. Sua Beatitu-
dine ricorda, che il procedere sia lento et in modo alcuno non
si venghi al giudicio. Lettere di principi II.
1.
Burnet aus den Depechen des Geſandten p. 76.
2.
The K. Highness supposeth — that it should not
2.
be nedeful any such letters citatorial, conteyning matier pre-
judicial to his persone and royal estate to be showed to his sub-
jects. Gardiner to Wolsey 4 Aug. Statepapers I, p.
336.
1.
Bellay 16. Februar 1528, bei Le Grand, Hist. du divorce,
III, p.
84.
1.
Nach einem Schreiben Bellays vom 29. Mai war der Koͤ-
nig vom Cardinal uͤberredet, qu’il n’a tant avancé le mariage, qu’il
eust fait, s’il eust voulu.
Bei Le Grand p. 313.
1.
Vgl. die Auszuͤge aus dem Schreiben von Chapuis an Carl
in Hormayrs Archiv 1810 p. 131. Der Joncquim, deſſen dort ge-
dacht wird, iſt wohl kein anderer als der Genueſe Johann Joachim,
der auch ſonſt oft vorkommt.
2.
Herrera Historia de las Indias Diec. IIII, lib. V, p. 117.
1.
Sandoval II, p. 25.
1.
Ich bemerke daß der Auszug aus dieſem Abſchied bei Haͤ-
berlin XI, 46 dem Inhalt deſſelben (Reichsabſchiede II, 185) nicht
eben ſehr adaͤquat iſt.
2.
Neudecker Actenſtuͤcke I, 26.
3.
Abkuͤndigung in den frankfurter Acten vom 10. April, die
jedoch in Deutſchland noch immer zur rechten Zeit eintraf.
4.
Sanga a Castiglione: Lettere di diversi autori p. 56. Pru-
dentemente pensò, poter facilmente essere, che ne succedesse
qualche non buona determinatione.
1.
Roͤhrich Geſch. d. Reform. im Elſaß I, 360.
2.
Der Druck des Ausſchreibens ſetzt den 1ſten, die Nachſchrift
den 21ſten feſt. „Und wo yhr in zehen Tagen, den nechſten nach
dem benannten angeſetzten Tag nicht erſcheinet, ſo wird nichts deſt-
minder durch gedacht unſer Potſchafft und Comiſſari mit den anwe-
ſenden Stenden gehandlet und beſchloſſen in allermaſſen als ob ihr
und andre ſo aus geringen Urſachen auspleyben moͤchten, entgegen
(zugegen) geweſt waͤren. Welchs alles wir feſt ſtet und crefftig in-
maſſen als ob alle Stend die an- und abweſenden darin bewilligt haͤt-
ten achten und vollziehen wollen.
1.
Erasmi Epistolae II, 1220.
2.
„Damit aber“ etc. — — heißt es in der Propoſition, „ſo
hebt J. Kaiſ. Maj. angezaigten Artikel, wie der in gedachten Ab-
ſchied begriffen iſt, hiemit auf, caſſirt und vernichtet denſelben, jetzt
als dann, dann als jetzt alles aus Kaiſerlicher Machtvollkommenheit.“
— Muͤller Hiſtorie von der evangeliſchen Staͤnde Proteſtation und
Appellation p. 22.
1.
Beſorg, ſchreibt Jacob Sturm an Peter Buͤtz, Mitte Maͤrz,
wie ich die Perſonen, ſo hie ſind anſehe, es werd nitt vil zu erlan-
gen ſinn. In Summa, Christus est denuo in manibus Caiphae
et Pilati,
bei Jung: Geſch. des Reichstags zu Speier, Beil. nr. 4.
1.
Denn dieweil es ein Jeder ſol machen wie er wil und ge-
gen Gott und kaiſ. Maj. vornimmt zu verantworten, ſo kann kein
Einigkeit ſeyn. Inſtr. im Dresdner Archiv.
1.
Fuͤrſtenberg Mitwoch nach Quaſimodogeniti 7. April: „Es
werden in dem allerlei Woͤrtlin ingeſchlichen, die den Staͤdten als
den man ufſetzig und gefer iſt nit treglich noch leidlich ſeyn; mit Na-
men daß man niemand an ſeiner Oberkeyt und Herkommen vergwel-
tigen ſoll, damit wird den Geiſtlichen, ſo ſolcher Artikel angenom-
men und verwilligt wird, erfolgen, die Praͤdicanten zu ſetzen und zu
entſetzen, alle Mißbrauch wieder zu erheben und andere wieder an-
zurichten. Frankf. Acten.
1.
Auszug aus der Beſchwerungsſchrift bei Muͤller p. 33.
1.
Matthias Pfarrer bei Jung nr. VII. Der Doctor Faber
bildt mit ſolcher Unworheit und Luͤgen in die Fuͤrſten — was uß
der Ler gefolgt hab und noch folgen werd, das do frilich in keines
menſchen gedanken ich geſwige thun file und verbittert die Fuͤrſten
mit ſolchen Reden.
2.
Der erbern Frei und Reichsſtaͤte Geſandten Bedenken (8. April)
bei Jung nr. 26.
3.
Fuͤrſtenberg Montag nach Quaſimodogeniti (7. Apr.) Key-
1.
So iſt es in den Abſchied gekommen § 10. Unterthanen und
Verwandte.
3.
ſerlich Maj. begeren halber wiren ſie urbittig, weß ſie zu der ere
Gottes, auch frieden und ruhe dienlich gehelfen mochten, ſollt man
ſie allerunterthaͤnig gehorſam ſpuͤren.
1.
Fuͤrſtenberg: Er habe ihre Sache „mit hoͤchſtem Ernſt weid-
lich und zum Beſten herausgeſtrichen.“
1.
Vermeinter Beſcheid, ſo koͤnigl. Durchlauchtigkeit etc. haben
vorleſen laſſen in dem Inſtrumentum Appellationis bei Muͤller p. 72.
2.
Sie nennen es „faſt eine angemaßte Weiſung.“
3.
Erzaͤhlung in dem Appellationsinſtrument p. 75 und in dem
Schreiben der Strasburger Geſandten 21. April bei Jung nr. 44.
1.
Ein allgemeiner juridiſcher Grund, den ſie anfuͤhren iſt:
daß „auch in menſchen Handlungen und Sachen das mirer wider
das minder nicht fuͤrdruͤcken moͤcht, da die Sachen nit ir vil in ein
gemein, ſundern ieden ſunderlich belangt. Muͤller p. 114.
1.
„Alſo daß kein Churfuͤrſt noch andre Staͤnde ußerthalb ih-
1.
Schreiben an ſeinen Geſandten 17. April. Er fordert den
Zuſatz, „daß ſich niemands unterſtehe, die h. Schrift weiter zu deu-
ten oder Disputation einzufuͤhren, denn wie dieſelbigen angenomme-
nen Lerer oder der merer Tail unter inen thut anzeigen und beſchließen.“
1.
rer weltlichen Oberkeiten (Gebiete) den andern zu oder von ſinem
alten oder neuen Fuͤrnemen oder Haltung der Meſſen in eynichem
Wege vergweltigen, darzu oder davon dringen ſol. Compoſitionsar-
tikel bei Muͤller p. 42, bei Walch XVI, 422, wo jedoch ſehr falſche
arten vorkommen (z. B. beſſern ſtatt beſten). Jung 45.
1.
Berichte Fuͤrſtenbergs in den frankfurter und des Matthis
Pfarrer in den ſtrasburger Acten. „Auf den Tag iſt die Sonderung un-
ter den Staͤdten vor ſich gegangen, ruft M. aus, das haben die Geiſt-
lichen bisher geſucht.“
1.
Artikel des Bedenkens auf die vertraute Unterrede im W. A.
1.
Bedenken der Eynung des Evangeliums halber; im W. A.,
und erſtgeſtellte Notel des Verſtendnuß, von den von Nuͤrnberg uͤber-
geben, bei Muͤller.
1.
Hottinger, II, 282, 313.
1.
Schreiben Melanchthons an Camerar: 17 Maji redii neu-
tiquam afferens domum illam, quam solebam, hilaritatem.
An
Baumgaͤrtner C. Ref. p. 1070. An Spengler und Juſtus Jonas
1069. 1075, 76.
1.
Inſtruction auf Herr Hanſen Minkwitz Ritter gen Rotach.
Er ſoll aufmerken, ob nicht vielleicht die Nuͤrnbergiſchen Geſandten
von ſelbſt ihm ſagen werden „„daß ſie befunden, beſchwerlich ſeyn,
ſich mit den Ihenen, ſo der Zwingliſchen Meinung des Sacraments
halber (anhangen) in Buͤndniß zu begeben, dergeſtalt wo ſie des
goͤttlichen Worts des Glaubens halben beſchwert wollten werden, als
were dieſer Artikel im goͤttlichen Wort und im Glauben auch gegruͤn-
det, das dann wider die Gewiſſen ſtillſchweigend bekannt muſt wer-
den;““ und ihnen dann ſagen, „daß uns dergleichen Beſchwerung
und Bedenken ſeyther dem naͤchſten Reichstag zu Speier auch zuge-
fallen.“ — — Der Abſchied iſt Dienſtag nach Bonifacii (8. Juni).
2.
Canzler Bruͤck ſagte zu Schmalkalden, es komme alles aus
dem Rathſchlag v. Nuͤrnberg. Strobel Miscellaneen IV, 130.
3.
Schreiben an Nuͤrnberg 23. Aug. Sie wollen die Sache
ihren Freunden daheim melden, obwohl ſie „uns den Geſandten nit
allein unſer Leibs Schwacheit, ſondern auch Ferne des Wegs und der
ſchwebenden ſorglichen Laͤufe halber ganz beſchwerlich iſt“ (W. A.).
1.
Gruͤnde und Gegengruͤnde in den Schreiben des Churfuͤr-
ſten und des Landgrafen bei Muͤller. Geſch. d. Proteſt. p. 256, 261.
3.
Auch eine Verſammlung zu Zerbſt unterblieb: ſie war anberaumt
weil der Churfuͤrſt „fuͤr gut angeſehn, dasjenige was er ſich mit
etzlichen Fuͤrſten und Staͤnden einer freundlichen Verſtaͤndniß halber
unterredet, hinter denen ſo in die Magdeburgiſche Vereinigung gehen
nicht zu ſchließen.“ Ich finde, daß dahin auch Erich, Biſchof von
Paderborn und Osnabruͤck eingeladen war, der ſich ſchon zu Speier
den erſten Proteſtationsſchritten angeſchloſſen hatte.
1.
Nach Bullinger, der fuͤr dieſes Geſpraͤch uͤberhaupt ſehr merk-
wuͤrdig iſt, p. 214 bemerkte der Landgraf ſelbſt dieſen Unterſchied.
1.
Das Gedicht iſt von Melanchthon in das Paralipomenon
zum Chronikon Urſpergenſe aufgenommen (p. 495).
1.
Loͤſcher Hiſtoria Motuum ſetzt p. 103 auseinander, in wie
fern fruͤhere Aeußerungen der Oberlaͤnder mit den damaligen Feſt-
ſetzungen in Widerſpruch ſtanden. Selbſt Planck, ſonſt ein großer
Verfechter der Oberlaͤnder, iſt uͤberzeugt, daß Loͤſcher hier Recht hat.
2.
Erklaͤrung Luthers an Landgraf Philipp bei de W. III, p. 510.
1.
Als eine Hauptſtelle fuͤr die Differenz moͤchte ich folgende
in dem Auszug aus den Acten bei Scultetus anſehen, p. 143. Lu-
therus affirmat
(die Rede iſt vom 6ten Capitel Johannis) non ip-
sam manducationem oralem, sed manducationis modum, crassum
illum, qualis est carnis suillae aut bovinae rejici. Oecolampadius
arrepta inde occasione de duplici verborum Christi intelligentia
disserit, humili sive carnali, et sublimi sive spirituali: humilem
sive carnalem verborum Christi intellectum eum esse, quem Lu-
therus asserat a Christo repudiatum: spiritualem sive sublimem
esse illum, quem Christus jusserit amplecti. Contra Lutherus
fieri non posse nec debere, ut ad spiritualem tantum intellectum
verba coenae referantur, siquidem remissio peccatorum, vita ae-
terna ac regnum coelorum carnalibus istis ac humilibus ut ap-
pareant rebus per verbum dei annexa sint.
1.
Melanchthon ſagt in dem Anhang zum Chron. Urſpergenſe:
Triduo duravit colloquium et durasset diutius spe uberioris tum
concordiae futurae, nisi horrendus ille morbus sudatorius — —
vocatos dispersisset.
Das iſt dann in Bullinger uͤbergegangen. Es
zeigt wenigſtens, welcher Eindruck bei Melanchthon geblieben war.
2.
Luther an Gerbellius 4. Oct.: Denuntiatum est eis, nisi
et hoc articulo resipiscant, charitate quidem nostra posse eos uti
1.
Der Abſchied in Schleiz war wohl nur muͤndlich. Man
erſieht ſeinen Inhalt aus der Inſtruction fuͤr die churf. und mggf.
brandenburgiſchen Raͤthe zu dem ſchwabacher Convent bei Muͤller
p. 281 und bei Walch Bd. 17 p. 669. Erſter Artikel.
2.
sed in fratrum et Christi membrorum numero a nobis censeri
non posse.
1.
Was die ſchwabacher Art. VIII mehr zu haben ſcheinen,
findet ſich in den marburgiſchen unter dem Titel: de usu sacramenti.
Vgl. den Abdruck der 17 Artikel bei Walch Tom. 16, 778 und di-
plomatiſch genau in Webers Kritiſcher Geſchichte der Augsb. Confeſ-
ſion, Bd. I, Anh. 1.
2.
Riederer fand bei dem Autograph einer in das Jahr 1530
fallenden Vorrede Luthers zu den 17 Artikeln folgende Worte von
Veit Diedrichs Hand: Praefatio ad 17 articulos Marburgi scriptos,
und gruͤndete darauf die Behauptung, daß die 17 Artikel ſelbſt zu
Marburg verfaßt worden. Dann wuͤrde ſie Luther ſchon fertig nach
Schleiz mitgebracht haben. In der That, ſehr beſchaͤftigt wuͤrde Lu-
ther geweſen ſeyn. Am 30. Spt. kam man, am 1, 2, 3. October
dibputirte man, am 4ten wurde die Marburgiſche Uebereinkunft un-
terſchrieben, am 5ten reiſte er ab. Mit dem Charakter der 17 Ar-
tikel ſtimmt aber die dortige Abfaſſung nicht uͤbel zuſammen. Nur
muͤſſen ſie ſpaͤter revidirt, hie und da naͤher beſtimmt worden ſeyn,
wenn es wahr iſt, was man in Schmalkalden den Staͤdten ſagte,
„die Artikel ſeyen ſere wolbedaͤchtig und mit tapferm Rath gelerter
und ungelerter Raͤthe geſtellt.“
1.
Protocoll der Verſammlung Sonntag nach Katharinaͤ 1529
bei Strobel IV, 113.
1.
Rommel Urkundenbuch nr. 9.
1.
Inſtruction nach Schwabach bei Muͤller 282.
1.
Einrede auf das geſtellte Bedenken, als ob Kaiſerlicher Ma-
jeſtaͤt nicht moͤg Widerſtand geſchehen. Bei Hortleder II, II, 12.
H. ſetzt es „etwan 1531,“ da es ſich aber auf die Begegnung be-
zieht, welche die juͤngſte der proteſtirenden Rathbotſchaft erfahren, ſo
ſollte ich glauben, es muͤßte Ende 1529 oder Anfang 1530 geſetzt
werden.
1.
Samſtag vor Jubilate 1529. Bei Jung Beil. nr. 37.
2.
Speier 9. Oct. E. W. werden auch fleiſſik bedenken und
ermeſſen die ſchwinnen (geſchwinden) laͤuf und brattig (Practiken) ſo
in etlich Jaren vorhanden geweſt und noch ſint, alſo, das alle Chff.
und Fuͤrſten geiſtlich und weltlich, auch ander Praͤlaten Herrn und
Staͤdt ſie ſeyen lotters (lutheriſch) wie man denn die nennen will
oder nit, nit wol wiſſen moͤgen, wes ſie ſich verſehen ſollen und alſo
das dieſelbig Hilf, ſo gemelt mein gnſt. und gn. Herrn, Chur und
Fuͤrſten, auch andre Stende und Stet thun werden, dem hilligen
Reich und Teutzer Nation und inen ſelber zu großen unuͤberwind-
lichen Schaden und nachtail reichen und kommen moge. — Er traͤgt
auf eine Verſammlung der Staͤdte an: „von der und andern Sachen
rede zu haben und zu beratſchlagen, ſich vorgleichen einer Meinung
und was hierin zu thun ſie und Antwort zu geben were.“
1.
Bei Katona XX, I, p. 634. Rex Ferdinandus propter
dissensionem suam cum imperio et aliis magnatibus Alemanniae
propter fidem, nullum habere potest populum.
1.
Zermegh Historia rerum inter Johannem et Ferdinandum
gestarum
bei Schwandner II, lib. I, § 12.
1.
Rewa de sacra corona regni Hungariae bei Schwandner
II, 456. Vgl. Tuberonis Commentarii ibid. 113, 114.
2.
Die etwas dramatiſch ausgeſchmuͤckten Klagen des Urſinus
Velius, (lib. VI), daß die Landsknechte die alte deutſche Tapferkeit
hier vergeſſen, welche in neuere Geſchichtsbuͤcher uͤbergegangen, ver-
2.
ſchwinden, wenn wir einfachere Berichte jener Zeit zur Hand nehmen,
z. B. den des Pagenhofmeiſters bei Schardius III, 238. „Arx ad
voluptatem magis, quam vim instructa erat etc.“
oder bei Sebaſt.
Frank; (wohl identiſch mit einem der damals herausgekommenen flie-
genden Blaͤtter) p. CCLVI: das Schloß ſey mit vier Faͤhnlein
beſetzt geweſen, „die nitt ſo vil man oder einzelich perſonen vermoch-
„ten, als der Tuͤrk tauſend; noch hat er eilf gewaltiger ſtuͤrm davon
„verloren, daß er meynet es weren eitel Teufel im Schloß. — Wo
„die nit geweſt,“ fuͤgt Peſſel hinzu, „wer vielleicht die Stat Wien
„uͤbereilet worden.“ Achthundert frummer deutſcher Knecht, die hiel-
ten ſich redlich und recht; ſagt das Lied bei Soltau p. 337.
1.
Sſolokſade bei Hammer: Wiens erſte tuͤrkiſche Belagerung
p. 101. Vgl. das Tagebuch Suleimans 22. Septemb, Osm. Geſch.
III, 650.
1.
Lamberg und Juriſchitſch bei Gevay 1830 p. 36. Lateiniſch,
zwar uͤbereinſtimmend aber doch eigenthuͤmlich p. 80.
2.
Copia della lettera del Sultan Solimano. Belgr. 9 Nov.
bei Hammer Belagerung p. 77.
1.
Lettres de Gilles de Pommeraye, MS Bethune 8619. En
cas, que led. empereur pour m’ayder à souldoyer les gens que
je menerois en ma compaignie, me voulut sur lesd. 2 Millions
d’escus en rabattre ung million, je me faisois fort etc. etc.
1.
Que ces deux princes conduississent le pape jusques à
ce point que 1° il se contente de ce, qu’il a 2° qu’il permette
qu’à l’eglise des six mille duc. de rente on preigne les deux uni.
versellement par toute la Chretienté; les quelles seront vendus
au plus offront et avec l’argent que les princes fourniront
(denn
etwas ſollen ſie doch thun) sera suffisant pour deloger ce diable
de la Grèce qui seroit grandement accroistre l’eglise d’y adjoin-
dre un tel pays que celui là. Lettre de Pommeraye 17. Spt.
1.
„Darum ſol man auch das reizen und hetzen laſſen anſtehen,
da man den Kaiſer und Fuͤrſten bisher gereizt hat, zum Streit wi-
der die Tuͤrken, als das Haupt der Chriſtenheit, als den Beſchirmer
der Kirchen, und Beſchuͤtzer des Glaubens, daß er ſol des Tuͤrken
Glauben ausrotten.“ — Vom Kriege wider die Tuͤrken. Erſchienen
gegen Oſtern 1529. Altenb. IV, 525
1.
Spalatin Vita Johannis Electoris bei Menken II, 1117.
2.
Hubert Thomas Leodius de vita Friderici p. 119, woͤrt-
lich abgeſchrieben in Melchior Soiter de Vinda Bellum Pannonicum
lib. I,
bei Schardius III, p. 250.
1.
Tagebuch der Belagerung, bei Hammer p. 66, offenbar ein
officieller Bericht, wie die Nachſchrift und die ganze Faſſung zeigt,
ſchon am 19. October verfaßt.
1.
Spaͤter hat ſich Marſigli viel Muͤhe gegeben, das Verfah-
ren der Tuͤrken hiebei zu erforſchen. Vgl. Stato militare degli Ot-
tomanni II, c. XI, p
37. Das Corps der Lagumdſchi, Minengraͤber,
war belehnt nicht beſoldet und um ſo mehr in Ehren. Hammer
Staatsverfaſſung der Osm. II, 233.
1.
Beſonders in dem Tagebuche bei Anton p. 34, uͤber Rei-
ſchach p. 32 beim 4. October.
2.
S. beſonders den erſten venezianiſchen Bericht bei Hammer
p. 158; er nennt Rogendorf, Erich de Rays et alcuni nobili con
4 bandiere de fanti insieme cum li Spagnoli.
1.
Jovius 28, 69 folgt uͤberhaupt eigenthuͤmliche Relationen.
Die Erwaͤhnung des Grafen von Oettingen beweiſt, daß er vom
11. October redet.
2.
„Pomis uvisque immaturis vescebantur: equi strictis ar-
borum frondibus et vitium pampinis tolerabantur.“ Vrsinus Velius.
1.
Sie haben kurz den Fuxen nicht woͤllen beißen, ſagt der of-
ficielle Bericht bei Hammer p. 68, der uͤberhaupt mit der guten
Laune eines ſiegenden Kriegsmannes abgefaßt iſt.
1.
Baki’s Kaſſide uͤberſ. v. Hammer p. 7.
2.
Vrsinus Velius lib. VIII.
3.
Inſtruction der Kriegscommiſſarien zu Presburg fuͤr Graf
1.
Sperfogel und das Tagebuch des Pfarrers Moller zu Leut-
ſchau, deſſen eigene volle Scheunen angezuͤndet wurden bei Katona
XX, I, p. 540, 546. Minkwitz heißt hier Nicolaus Mynkowitz: er
ging bald darauf von Kesmark nach Ofen.
2.
Schreiben Ferdinands an Carl 21. Januar 1530 bei Ge-
vay p. 68. Entre tant, que ils ont le gouvernement, je ne sa-
roie avoir obeisance ne poroie meintenir la justice
— —
3.
Niclas zu Salm d. juͤngern, kaiſ. Rath und Caͤmmerer an Koͤnig
Ferdinand bei Hormayr Taſchenbuch auf 1840 p. 506.
2.
Relatio n. v. Antonii Suriani de legatione Florentina 1529.
„Et pero cum questo fondamento de inimicitia con il papa, queste
republiche hanno trattato insieme qualche intelligentia.
1.
Vasari Vita di Buonarotti. (Vite d. P. X, 110.)
1.
Nach Jacopo Pitti: Apologia de capucci, einem MS voll
trefflicher Nachrichten hatten die Geſandten die „segreta commis-
sione, di non pregiudicare ne alla libertà ne al dominio; il che
notificato con piu segretezza a Cesare hebbono per ultima rispo-
sta che se volevano levarsi da dosso la guerra, rimettessero i
Medici nello stato che erano avanti si partissero dalla città;
onde li oratori se ne partirono subito.
Vgl. Varchi IX, 234.
2.
Carlo V a Clemente VII 29 d’Agosto. Similmente dico,
ch’io sto molto contento della persona del Duca Alessandro.
Lettere di principi II, p.
185.
1.
Leoni Vita di Francesco Maria 419.
2.
Jacopo Pitti: tutti calarono le bracche per la fuga Tur-
chescha, altrimente l’imperatore haberebbe havuto che fare molto
piu che non si pensasse.
1.
Schreiben von Rom, doch ohne Zweifel von Sanga, an
den ppl. Nuntius, Biſchof von Vaſona, bei dem Kaiſer. Lettere
di principi II,
181—185.
2.
Romiſcher keyſerlicher Majeſtat eynreyten gen Bolonia, auch
wie ſich bebſtliche Heyligkeit gegen ſeyne Keyſerliche Majeſtat gehal-
ten habe 1529. Am Schluß: Und liegen der Keyſer und der Bebſt
alſo nah bei einander, das nit mer dan ein kleyn wand zwyſchen inen
iſt und haben ein Thuͤr zuſamengehn und jeder ein ſchluͤſſel darzu.
1.
Confidarsi in lei (S. M.) ponersi in man sua. Conta-
rini Relatione di Bologna
1530.
1.
Gregorio Casale 13 Dc. Bei Molini II, p. 263.
2.
Tractatus pacis ligae et perpetuae confoederationis bei
Du Mont IV, II, p. 53.
3.
Galeacius Capella lib. VIII, p. 218.
1.
Jacopo Pitti: rispose loro Cesare gratamente dolerli del
male pativa la Citta, perche egli non era venuto in Italia, per
nuocere ad alcuno, ma per metterci pace, non poter gia in que-
sto caso mancare al papa — ne credere che voglia il papa cose
inconvenienti; replicaronli li oratori, che la citta desiderava so-
lamente mantenere il suo governo — — Cesare disse, che forse
il governo parerebbe loro ragionevole, nondimeno haberebbe bi-
sogno di qualche corretione.
2.
Erklaͤrung des kaiſ. Beichtvaters bei Varchi p. 338.
1.
Consurgens electus venit ad confessionem B. Petri — —
et in loco humili et depresso ad instar loci ante ingressunr ca-
pellae S. Petri de urbe procubuit. Rainaldus XX,
568.
1.
Jovius 27ſtes Buch. De duplici coronatione Caroli V
1.
Die Worte der Salbung in dem Ritual: ipse — super
caput tuum infundat benedictionem, eandem usque ad interiora
cordis tui penetrare faciat
(bei Rainaldus p. 569 nr. 23, erinnert
ſehr an Hinkmars Formel von 877) „cujus sacratissima unctio su-
per caput ejus defluat atque ad interiora ejus descendat et in-
tima cordis illius penetret.
Doch iſt die alte Formel durchaus ſchoͤner.
1.
Caesaris ap. Bononiam, historiola, autore H. C. Agrippa bei
Schardius III, 266.
1.
Lettre de Mr. de Gramont Ev. de Tarbes à M. l’Admiral
Boulogne 25 Fevrier
in Le Grand Histoire du divorce tom. III,
p.
386.
1.
Baſadonna: Relatione di Milano 1533. Esso Doria fa il
privato e guberna absolutamente Genoa. Del che si doleno Genoesi.
1.
Proteſtation vom 30. Juli 1530 im Coblenzer Archiv.
2.
Bucholz III, 92 Anmerkung.
1.
Leodius lib. VII p. 139. Vgl. wie ſich Erasmus gegen Sa-
dolet aͤußert: Duae res nonnullam praebent spem, una est genius
Caesaris mire felix, altera, quod isti in dogmatibus mire inter se
dissentiunt.
Ende 1529 oder Anfang 1530. Epp. II, 1258.
1.
Vim potestatis distringent (Carl und Ferdinand).
2.
Instructio data Caesari dal revmo Campeggio con offerte
prima, poi con minaccie ridurli nella via sua cioè del Dio omni-
potente.
Das Gutachten iſt wohl der Rathſchlag zu Bononien be-
ſchloſſen, welchen Eck kannte. Vgl. Luther: Warnung an ſeine lie-
ben Deutſchen. Altenb. V, 534.
1.
Schreiben Ferdinands an den Kaiſer, Budweis 18. Januar
bei Gevay Urkunden von 1531 p. 67. Vgl. das Excerpt aus dem
Schreiben des Kanzlers bei Bucholz III, 427.
1.
Foͤrſtemann Urkundenbuch zur Geſchichte des Reichstags von
Augsburg Bd. I, p. 209.
1.
Relatio viri nobiiis Nic. Theupulo doctoris, 1533: ne in
esso vi erano spese se non di doni fatti a diversi signori
(wohl
auch italieniſche).
2.
Roma 3 Giugno 1530. Lettere di principi II, p. 194.
1.
An Naſſau und Waldkirch, 14. Mai bei Foͤrſtemann I,
162. 164.
2.
13. Maͤrz ibid. p. 24. Vgl. das Gutachten von Bruͤck,
p. 11. In einer Ermanung reymenweiß von Hans Marſchalk 1530,
wird Gott gebeten offenbar zu machen ſein Wort, „damit es komme
an ein Ort in dieſem Reichstag und Concilio.“ Da erſcheinen noch
einmal die Hoffnungen der fruͤhern Jahre. Der Kaiſer wird ermahnt
ſich des göttlichen Wortes anzunehmen, „damit nicht weyter werd ge-
plent das arm volk der Chriſtenheit, welches lang auf ſchmaler weyd
des Glaubens halb irr gangen iſt.“
1.
Raince, Rome 1. Juin. Le s. père est adverti, que le
chancelier se trouvoit aucunement
(einigermaaßen, wie Raince das
Wort oft braucht) deçu de l’oppinion facille, en quoy il en avoit
été et qu’il commençoit à confesser qu’il s’appercevoit les choses
en tout cas y être plus laides, qu’ils ne pensoient. MS Be-
thune
8534.
1.
Wir haben daruͤber vier verſchiedene Berichte, 1) in der
Altenb. Sammlung lutheriſcher Werke, 2) in Cyprians Geſchichte der
augsburgiſchen Confeſſion, und zwei fliegende Blaͤtter, 3) Kaiſerl.
Maj. Einreitung zu Muͤnchen etc., 4) Kaiſ. Maj. Einreiten zum
Reichstag gen Augsburg. Die erſten beiden ſind auch bei Walch,
die beiden andern bei Foͤrſtemann abgedruckt. Einige Momente ent-
nahm ich noch aus den Briefen Fuͤrſtenbergs.
1.
Contarini: di spirito molto alto.
1.
Eine ſehr glaubwuͤrdige Nachricht hieruͤber in dem Schrei-
ben des nuͤrnbergiſchen Geſandten, die der Landgraf in derſelben Nacht
1.
Schrift aus Augsburg. Altenb. V, 26. Walch 16, 873.
(Bei W. unter Spalatins Namen aber nicht vollſtaͤndig.) Brenz
an Iſenmann 19. Juni Corp. Ref. II, 117.
1.
noch hatte wecken und ihnen den Vorgang melden laſſen, 16. Juni
bei Bretſchneider C. Ref. III, 106. Ein wenig abweichend, Heller
bei Foͤrſtemann.
1.
J. Mt. hat „aus angeporner Guͤte und Miltigkeit dieſen Weg
(der Guͤte) nach vermoͤge des Ausſchreibens furgenommen, der ent-
lichen Hofnung, der ſoll bei allen verſtendigen ein billiges anſehn ha-
ben und menniglich dahin bewegen und leitten, daß alle Sachen wie-
der zum Beſten gekehrt und gewendet werden, damit J. Mt. inn
irem gnedigen Fuͤrhaben verharren und pleiben.“ Bei Foͤrſtemann I,
308 ſieht man, wie manche Abweichungen die Copien darbieten. Die
Frankfurter hat deren noch viel mehr z. B. „aus eingeborner Gun-
ſtigkeit, der moͤglichen Hofnung u. ſ. w.“ Doch iſt der Sinn der
nemliche.
1.
So faßte zuerſt Kanzler Bruͤck den Gedanken, wie ſein
„Zeddel“ ausweiſt; bei Foͤrſtemann I, 39.
2.
19. Februar 1530. Auszug bei Winter I, 270.
1.
Es iſt bekannt, daß die beiden von den Fuͤrſten unterzeich-
neten Originale der Augsburgiſchen Confeſſion ſich nirgend mehr vor-
finden. Man glaubte lange das Eine, deutſche in Mainz entdeckt zu
haben, doch hat Weber in der Kritiſchen Geſchichte der Augsburger
Confeſſion mit ſcrupuloͤſem Fleiße gezeigt, daß das ſo gut eine Ab-
ſchrift ohne authentiſchen Werth iſt, wie viele andere. Dieſe Ab-
ſchriften bieten eine Menge Abweichungen dar, ſowohl unter einan-
der, als von der erſten Ausgabe, die Melanchthon noch im Jahre
1530 beſorgte. Gluͤcklicherweiſe ſind die Abweichungen wohl zahlreich
aber nicht wichtig. Die Schreiber jener Zeit erlaubten ſich kleine Ei-
genmaͤchtigkeiten, namentlich in der Rechtſchreibung, die noch ſo we-
nig fixirt war. Fuͤr Sinn und Inhalt traͤgt das beinah nie etwas
aus. Eine ſehr fleißige Collation einiger Handſchriften findet ſich in
Foͤrſtemanns zweitem Bande.
1.
Schreiben des Urban Rhegius an Luther 21. Mai 1530.
Landgraf Philipp fuͤhrt „innumera Sacramentariorum argumenta“
an. „Sentit cum Zwinglio ut ipsi mihi est fassus.“ Doch hat
weder dieß noch auch ein Schreiben Melanchthons Luthern vermocht, ſich
ſelbſt an den Landgrafen zu wenden. Er that dieß ſchon am 20. Mai.
(D W. IV p. 23.)
2.
Philipps Fuͤrſtenberg an Frankfurt, 27 Juni berichtet, daß
1.
Fuͤrſtenberg „hell und klar, daß menniglich, ſo dabei was,
der anders deutſch verſtunde, alle Wort eigentlich, was doch in ſol-
cher Verſammlung ſelten geſchieht, verſtehen mocht.“ Auch den Ka-
tholiken erſchien die Verleſung als eine große und zwar ſehr unver-
diente Ehre. Noch zwei Jahr ſpaͤter ſchmaͤhlt Eck daruͤber. Luthe-
ranismus in arcem dignitatum evectus ita invaluit, ut assertores
2.
daruͤber foͤrmlich unterhandelt worden. Der Churfuͤrſt und ſeine Mit-
verwandten baten: J. Mt. wolt morgen wieder an dem Ort, (im
Pallaſt) erſcheinen und den Umbſtand (die Umſtehenden) ire Verant-
wortung vernehmen zu laſſen geſtatten, denn ſie weren von iren Wid-
derwertigen nit alleyn bei J. M., ſondern auch bei menniglich verun-
glimpft; aber endlich iſt es bei dem Beſcheyd blieben.
1.
erroris non vererentur in publicis comitiis Augustae offerre Cae-
sari novi dogmatis confessionem. Praefatio in homilias V con-
tra Turcam. A. III.
1.
Dieſe Verhandlungen lernen wir beſonders aus den Auszuͤ-
gen bei Bucholz III kennen. Ein merkwuͤrdiges Actenſtuͤck daraus
findet ſich in ſeiner Integritaͤt bei Foͤrſtemann Bd. II p. 9. Es iſt
ohne Datum, doch muß es vom 9ten oder 10ten Juli ſeyn; da der
Kaiſer einer Anfrage an die Proteſtanten gedenkt, ob ſie nemlich
noch mehr Artikel einzubringen geſonnen, die er am 9ten erlaſſen hat,
auf die er doch noch keine Antwort habe. Die Antwort erfolgte un-
ter dem 10ten, mag aber vielleicht erſt den Tag darauf eingelaufen
ſeyn. Vgl. die Nachrichten bei Schmidt VIII, 244. Melanchthon
an Luther 8. Juli C. R. II, 175.
1.
Unter andern brachte Eck eine ſchon in Ingolſtadt gedruckte
Schrift mit, unter folgendem Titel: Sub domini Jhesu et Mariae pa-
trocinio. Articulos 404 partim ad disputationes Lipsicam, Ba-
den. et Bernen. attinentes partim vero ex scriptis pacem ecclesiae
perturbantium extractos coram divo Caesare Carolo V Ro. Imp.
semper Augu. ac proceribus imperii Joan. Eckius minimus eccle-
siae minister offert se disputaturum ut in scheda latius explicatur;
Augustae Vindelicorum die et hora consensu Caesaris posterius
publicandis.
Er fuͤhrt dann erſt zuerſt die vom Papſt verurtheilten
41 Artikel auf: assero, qui bullae contradixerint, schismaticos esse
ac fidei hostes, quos catholicus habet pro ethnicis et publicanis.

Dann bringt er die Artikel vor, die er in Leipzig und Baden ver-
theidigt, ſo wie die, welche er den Berner Schluͤſſen entgegenge-
ſetzt; endlich errores novi et veteres jam ventilati unter gewiſſen Ru-
briken. Er bringt ihrer 404 zuſammen: ex infinitis eorum erro-
ribus hos paucos subitarie excerpsi.
In der Eile hat er da auch
erasmiſche Saͤtze mit aufgerafft. — Man ſetzte ihm Propositiones
de vino venere et balneo
entgegen, die wir auch in den Geſellſchaften
der Katholiken circuliren ſehen, und die ihn dem oͤffentlichen Gelaͤch-
ter Preis gaben.
1.
Cochlaͤus hat in ſeinem Buche: Philippicae quatuor in apo-
logiam Melanchthonis Lipsiae
1534 einige Artikel dieſer Confutation
drucken laſſen. Beim dritten Artikel Bog. D wird darin gefordert:
damnent diras blasphemias — Lutheri errorem — suum Pugen-
hagium — Melanchthonem suum — Antonium Zimerman, hominem
insigniter Lutheranum — studiosum Lutheri discipulum Burgue-
rum.
Von Allen werden die zu verdammenden Stellen angefuͤhrt.
Daher kam eben, wie Cochlaͤus ſagt, quorundam consilium qui ju-
dicabant ejusmodi responsionem fore nimis acrem et prolixam.
1.
Vgl. außer der Confutation De principum protestantium
confessione Joannis Eccii censura archiepiscopo Moguntino et
Georgio D. S. Augustae exhibita
bei Coeleſtin III, 36. Da dieſe
Schrift, an ein paar katholiſche Fuͤrſten gerichtet, ſchon das Weſent-
liche der ſpaͤtern Zugeſtaͤndniſſe enthaͤlt, ſo hebt ſich damit die Ver-
muthung der Heuchelei, die man wohl vorgebracht hat.
1.
Pallavicini aus einem gleichzeitigen Diario III, IV, 280.
Articoli opposti — alla ragion della chiesa.
Eine Art kirchlicher
Staatsraiſon.
1.
Im Abdruck bei Muͤller p. 672 heißt es ſeit 20, 30 Jahren,
was ohne Zweifel ein Schreibfehler iſt.
1.
Spalatin von Herzog Hanſen zu Sachſen Churfuͤrſten in
Struve’s neu eroͤffnetem Archiv III, 16, leider weit unergiebiger, als
deſſelben Verfaſſers Nachricht uͤber Friedrich d. W.
2.
Eine Aeußerung von ihm in Beckmanns Anhaltiſcher Ge-
ſchichte II, V, p. 140.
1.
Cyprian Geſchichte der Augsburgiſchen Confeſſion p. 184.
1.
An Nicol. v. Ende, Amtmann in Georgenthal. 28. Juli.
1.
Muͤller Geſchichte der Proteſtation p. 715. Wie verbreitet
Beſorgniſſe dieſer Art waren, davon zeugt unter andern eine Nach-
richt, welche Zwingli Anfang 1530 aus Venedig bekam, darin die
Abſichten des Kaiſers geſchildert wurden: der Kaiſer wolle Herzog
Joͤrgen von Sachſen an Herzog Hanſen (bringen), „dem er ſeinen
Stand, daß er nicht mehr ein waͤhlender Fuͤrſt ſey, zu nehmen und
Herzog Joͤrgen zu geben, unterſtehen wird.“ Archiv fuͤr ſchweiz.
Geſchichte I, p. 278.
1.
An Teutleben 19. Juni.
2.
An den Churfuͤrſten von Mainz 6. Juli.
3.
An ſeine Tiſchgeſellen 28. April und Spalatin 9. Mai.
1.
Schon Coͤleſtin giebt es an. Olearius hat dagegen erinnert,
daß das Lied ſich bereits in einer Sammlung von 1529 befinde. Er
meinte damit wohl nichts, als die mit der Jahrzahl 1529 bezeichnete
Sammlung lutheriſcher Lieder in der Jen. und Altb. Ausg. luth. Werke,
die aber hier, wie ſo manches andere auf einem Irrthum beruht.
Niemals iſt eine Sammlung von 1529 wieder bekannt geworden,
und es laͤßt ſich an ihrer Exiſtenz zweifeln. Diejenige, welche man
dafuͤr ausgiebt, enthaͤlt auch ſpaͤtere Lieder.
1.
4. Aug. de W. IV.
2.
Schreiben an die Stammesvettern 19. Juli bei Foͤrſtemann
II, 93.
1.
Gleichzeitige Aufzeichnung uͤber dieſe Verhandlungen a. a. O. 630.
2.
Beckmann Anh. Chronik II, V, 142.
3.
Schreiben der nuͤrnbergiſchen Geſandten C. R. II, 167.
1.
6. Aug. Am 30. Juli war er in Buͤrgerrecht mit Zuͤrich
getreten, was hierauf wohl den meiſten Einfluß hatte. Vgl. Eſcher
und Hottinger Archiv fuͤr ſchweiz. Geſch. und Landeskunde I, 426.
1.
Butzer fuͤrchtet eine „laniena sanctorum qualis vix Diocle-
tiani tempore fuit.“
14. Aug. 1530 bei Roͤhrich II, p. 136.
2.
Nicc. Tiepolo Relatione. Essendo in Augusta intesi che
si offersero
(die beiden Herzoge von Baiern) all imperatore vo-
lendo lui muover guerra a Lutheranis e seppi che tentorno col
duca di Mantova d’haver il modo di condur 1000 cavalli leggieri
d’Italia in caso si facesse guerra in Germania.
1.
Auch Eck ſagt in ſeinem Gutachten: de principum pro-
testantium confessione Johannis Eccii censura
(bei Coͤleſtin III,
36): quod opera de sui natura et in se non essent meritoria,
sed solum ex deo ex gratia dei assistente.
1.
Spalatin, der in den erſten Sitzungen das Amt eines No-
tars verſah, bei Foͤrſtemann II, p. 228. So iſt denn auch Ecks ei-
gene Aeußerung zu verſtehen: Coͤleſtin p. 36 nos ponimus satisfa-
ctionem tertiam partem poenitentiae, ipsi vero fatentur, sequi
debere fructus bonorum operum, ubi iterum lis est verbalis non
realis.
2.
Relation bei Coͤleſtin III, 45. Est ergo missa non revera
victima sed mysterialis et repraesentativa.
1.
Unvorgreifliche Antwort bei Foͤrſtemann II, 256. Vgl. mit
dem Bedenken, ebendaſ. p. 245, p. 75. Aus dem letzten ergiebt ſich,
daß ſie doch alle hierarchiſchen Einrichtungen ausdruͤcklich vom menſch-
lichen Rechte herleiten wollten, gleichwie das Papſtthum ſelbſt, das
man aber dann dulden koͤnne. In wie fern Luther hiemit uͤberein-
ſtimmte, zeigt ein von ihm unterzeichnetes Bedenken bei Walch XX, 2178
1.
Saͤchſiſche Apologia bei Muͤller p. 861 und in dem Archiv
von Foͤrſtemann p. 150.
2.
Das die conjugati mochten zu prieſterlichem ſtand genomen
und ordiniret werden, inmaaſſen wie vor allters In der erſten kirchen
etlich hundert jar Im Gebrauch geweſen. Unſchluͤſſige unnd unver-
griffliche chriſtliche Mittel (Vorſchlaͤge des katholiſchen Ausſchuſſes)
bei Foͤrſtemann II, p. 250.
1.
Thom. Leodius Vita Friderici Palatini VII, 151. Ut in-
tellexit, ita rejecit.
Vgl. Melanchthon an Camerar (Corp. Ref.
II,
590.) Dahin ging auch das erſte Gutachten Campeggi’s. I
Santi padri,
ſagt er, con la santità della vita osservantia delli
precetti divini con summa vigilantia e studio si sono sforzati a
partecipare del spirito santo, dal quale senza dubio spinti hanno
cosi santamente ordinate tutte le cose della chiesa.
1.
Brenz ſprach von einem praeceptum dispensabile in casu
necessitatis
. Die Nothwendigkeit iſt ihm der Beſchluß der römiſchen
Kirche, den er aber damit keineswegs als gerechtfertigt betrachtet.
1.
Gutachten Spenglers in Hausdorfs Leben Spenglers p. 65.
1.
All’ imperatore di man propria di Clemente (L. di pr.
II, 197) Pregatala prima che esamini maturamente — dico a V.
1.
Anmerkung zu den Anſpachiſchen Acten in Foͤrſtemanns Ur-
kundenbuch II, 393. Saͤchſiſche Apologia in Foͤrſtemanns Arch. 136.
1.
M. che son contento, che quella in caso giudichi esser cosi ne-
cessario, offerisca e prometta la convocatione del concilio, con
conditione però, che appartandosi da’ loro errori tornino incon-
tinente al viver catholicamente.
1.
Antwort der Proteſtanten, datirt vom 8. Septemb. Foͤrſte-
manns Urkunden II, 411.
2.
Bericht Hellers ibid. 422.
1.
Koͤnigklich wirde zu Hungern etc. Revocation der babſtlichen
bulle ſo auf den vierten Tail d’ geiſtlichen gutter erlangt bei Foͤrſte-
mann Urk. II, 843.
1.
Erzaͤhlung der ſaͤchſiſchen Apologia in Foͤrſtemanns Archiv
p. 206. Granvella erinnerte 1542 an dieſen Zug, als an ein Zeichen
der Gutherzigkeit und Liebe des Churfuͤrſten gegen kaiſ. Majeſtaͤt.
1.
Fuͤrſtenberg 5. Juli meldet noch folgendes: „Es haben die
von Strasburg vergangener Tag uns und etlich mehr von Staͤdten
bei ſich erfordert, und die Bekanntniß irer Lere und Predig ſo ſie
der Keyſ. Mt. zu uͤbergeben willens zuvor anhoren laſſen, ob ſich
jemand villeicht mit inen unterſchreiben wolt. Wie wol nun dieſelbig
faſt wol geſtellt und etwas ſubtiler und zugtiger dan der Furſten ge-
weſt, ſo haben wir doch diweyl bis anher bei uns des Sacraments
halber ire Opinion nit gepredigt, das underſchreyben abgeſchlagen;
dergleichen haben auch andere gethan, uß urſachen von jeglichen in-
ſonderheit furgewandt.“
1.
Kreß und Volkamer an Nuͤrnberg im Corp. Ref. II, 422.
Beſonders merkwuͤrdig iſt der Briefwechſel zwiſchen der Stadt Frank-
furt und ihren Abgeordneten. „Sollte es aber mit ſich bringen, wie
es on Zweyfel thut,“ ſchrieb Fuͤrſtenberg am 3. October, „daß wir
ſtillſchweygend gehellen, daß die Bekenntniß des Churfuͤrſten und ſey-
nes Anhangs mit den heyligen Evangelien und Geſchriften gruͤndlich
abgeleynet worden, welche Ableynung wir doch nie geſehn noch an
1.
Tag kommen iſt, daß iſt unſers Erachtens wider unſer Gewiſſen und
Verſtand und deshalb zu bewilligen ganz beſchwerlich und nit thun-
lich und wan es gleich deßfalls nit zu widerfechten were, khan E. W.
on Zweyffel wol ermeſſen, wo es zur Handlung kommen ſolt, was
E. W. derwegen mit Pulver Buxen Geld und andern zu leihen und
darzuſtrecken zugemut woed werden: wir wollen geſchweygen was
das uf im hab zuzuſagen und zu halten was weiter beſchloſſen wird.“
Der hoͤchſt bedaͤchtige Rath zu Frankfurt entſchließt ſich hierauf den
14. Oct. zu folgender Antwort an den Kaiſer. „Dieweil Kaiſ. Mt.
ein Concilium zu verſchaffen, ſich allergnediglichſt erpotten und ein
erparer Rath kainswegs ſich ye verſehen, daß Kayſ. Mt. dem ewigen
Gottes Wort etwas zuwider werde aufrichten oder handhaben helffen,
ſo wolle ein erbarer Rath in Bedacht hochgedachter Kayſ. Mt. als
eines allergnedigſten guͤtigen milten Kaiſers ſelbß erpieten ſich deſſel-
bigen getroiſten, auch fuͤran, als einem chriſtlichen Magiſtrat wol ge-
ziemt, und ſo viel ſie gegen Gott der Seelen und Gewiſſen halb und
dem Kayſ. Mt. von des Reichs wegen Gehorſam zu leiſten ſchuldig
wie pillig allerunterthaͤnigſt gehorſamen.“ In ſo faltenreiches Dun-
kel huͤllen ſie ihre abſchlaͤgliche Antwort. Im Ganzen ſind ſie mit
ihren Geſandten einverſtanden.
1.
Les deputés ont dit clerement, que la dite hastive ayde
ne sera en manière nulle consentie si premierement le roi (Fer-
dinand) n’abolit entierement la bulle du pape et ce non seule-
ment en l’empire mais aussi a l’encontre des subjects de tous
les états qui sont demourans et habitans en pays d’Autriche, car
ils donnent à entendre que de la sorte ils ne veulent nullement
être en subjection du pape.
(Archiv zu Bruͤſſel.) Granv. macht
die Anmerkung: au roi, que S. M. regarde etc.
1.
Concordata der geiſtlichen und weltlichen Beſchwerung, con-
ſtitutionsweis zuſammengezogen bei Bucholz III, 636.
2.
In Adrians Catalogus codicum bibl. Giessensis wird nr.
296 (p.
93) angefuͤhrt: consultatio et deliberatio consiliariorum
deputatorum super gravaminibus quae nationi Germanicae per se-
dem ap. inferuntur,
die hieher gehoͤren wird.
3.
Spittler Geſchichte der Fundamentalgeſetze der deutſch-ka-
tholiſchen Kirche (Werke VIII, p. 501) verſichert, daß die beiden Ac-
tenſtuͤcke, die Gravamina, die man als wirklich abgeſchloſſen betrach-
tete, und die Concordata auf der Tafel des kaiſerl. Hofraths zum taͤg-
chen Gebrauch gelegen.
1.
Raince 18. October. „Lui (au Pape) escrivoit le dit em-
perereur estre deliberé employer tous ses biens et forces et sa pro-
pre personne à leur faire la guerre, priant S. Stà vouloir admone-
ster et requerir tous les princes chretiens vouloir aider et entrer à
l’expedition de la dite emprise, et sur cela s. d. Sté fait dimanche
congregation de cardinaux.“ MS. Bethune
zu Paris.
2.
Il vous plaira, selon votre prudence et bonté, adviser
comment on se peut gouverner avec Eux — (les Lutheriens) —
— tant pour empescher, qu’il n’advienne plus detriment à la chose
publique, que partiellement pour la satisfaction de charges et of-
fices, esquels par la divine clemence fumes constitués, vous ad-
visans que n’epargnerons ni royaumes ni seigneuries pour la con-
sommation de chose tant necessaire etc. Bethune
8539.
1.
Molto più a V. Mà conviensi in questa impresa santa e
christiana a farsi obedire con tutte le vie e modi che si ponno
trovare, che fece la felice memoria di Maximiliano suo avo, nelle
imprese che contra i Palatini si gloriosam. fini, dipoi la quale sem-
pre fu poi tenuto e riverito e obedito, — — Ricordando sempre
che è impossibile senza qualche gagliarda exeactione et ordine
estirpare le heresie.
1.
Bd. II, p. 138.
2.
Harpprecht, Staatsarchiv des Kammergerichts V, 82.
3.
Reichsabſchied vom 19. Nov. 1530 § 76, § 82, § 91. Alle
Kammergerichtsperſonen ſollen ſich „des Abſchieds dieſes jetzo allhie
gehaltenen Reichstages, ſonderlich in dem Articul des Glaubens und
Religion gemaͤß halten.“
1.
Schreiben vom 18. Aug. 1530. Archiv zu Berlin.
2.
Die letzte in dem Gnadenbrief vom 6. Sept. bei Bucholz
III, 662. Die erſte im Archiv von Bruͤſſel; 7. Sept. Contendemus
obtinere a. D. N. Clemente VII, facultates ad instar legati a la-
tere pro electore antedicto in omnibus suis dioecesibus, nempi
Moguntina, Magdeburgensi et Halberstadiensi.
1.
Auszug bei Bucholz IX, 17.
2.
Taubenheim an Chf. Johann bei Foͤrſtemann II, 821. Wie
ichs vermerke, ſo ſzolle Pfalz die vornehmſte Urſach ſein, damit E.
Ch. G. nicht ausgeſchloſſen werden.
3.
Sie war auf Montag nach Catharinaͤ (28. Novemb. 1530)
anberaumt.
1.
Im Grunde geſchieht es in dem Zettel, der dem Schreiben
Torgau St. Andreaͤ Abend 29. Nov. beiliegt. Der Churfuͤrſt ladet
den Markgrafen ein „ir (S. Gn.) ſelbſt und der ſachen zu gut.“ (W. A.)
1.
Wo der kaiſ. Fiscal, der Bund zu Schwaben oder Jemand
anders J. Chf. und Fuͤrſtlichen Gnaden oder die gemeldten Staͤdte,
eine oder mehre, oder jemand von den Iren in Sachen unſern heil.
Glauben oder was demſelben anhanget (belangend), auf den aus-
gegangenen Abſchied fuͤrnehmen und im Schein des Rechtens oder
andere Wege beklagen wuͤrde — das Ire aller Gn. und Gunſten ein-
ander in ſolche beiſtendig raͤthlich und huͤlflich ſeyn ſollen.
1.
Artikel, ſo auf kuͤnftigen Tag zu Schmalkalden ſeind zu han-
deln (Weim. Arch.).
1.
Schreiben der ſaͤchſiſchen Geſandten bei Foͤrſtemann II, 711.
Die Nuͤrnberger meldeten ſchon am 21. October, alles ſey „dahin
gericht, wie man die thatliche Handlung wider die Anhenger des
Evangeliums zum tapferſten anfange.“
2.
A. de Burgo an Ferdinand 2 Maͤrz 1531. Dixi quod es-
set providendum de viribus et remediis in re Lutherana, quod
solum concilium non futurum esset sufficiens, sed paratae vires
facerent bonum concilium et quod paratis viribus possint illi (ae?)
converti, ubi etc. etc.
3.
Etlicher fuͤrtrefflicher Rechtsgelehrten in Wittenberg Sentenz.
Hortleder Buch II, cp. VI.
1.
Juriſtiſcher Rathſchlag bei Hortleder Thl. II Buch II Cap.
VIII. Am Schluß.
2.
Vgl. Warnung an ſeine lieben Deutſchen Altb. V p. 538.
„Alles iſt ein Getrieb des oberſten Schalks in der Welt.“ Er rieth
nicht, die Waffen zu ergreifen, ſondern wie er an Spengler ſchreibt,
Ego pro mea parte dixi: ego consulo ut theologus sed si juristae
possent docere legibus suis, id licere, ego permitterem eos suis
legibus uti. Ipsi viderint.
3.
„Dieſelbig Widerpartei die Sachen in die kaiſerlich Majeſtaͤt,
als ob ſy diſelbig gar nicht zu thun haͤtte ſchieben wil.“
1.
Bedenken der Theologen ibid. cap. 9.
1.
Muͤllers Annales norici. Eine Streitfrage war, in wie
fern die kaiſerliche Autoritaͤt ſich auf Religionsſachen erſtrecke. Na-
mentlich der Landgraf von Heſſen wollte das leugnen. Das bran-
denburgiſche Gutachten aber beſteht darauf. In jenem Antrag ſagt
nun Sachſen: wo ſich gleichwol J. Mt. Amt in des Glaubens Sa-
chen erſtrecken ſollt, waͤre das doch burch die Appellation, ſo an J.
Maj. und ein Concilium ſaͤmtlich nach rechtlicher Ordnung erſchienen
iſt, ſuspendirt.
1.
Abſchied auf gehaltenen Tag zu Schmalkalden. 1530 letzte
Dec. Weim. Arch.
1.
Spalatin Verzeichniß der Handlung in Coͤln in Struve’s
Archiv I, 62.
2.
Auszug der Urkunden. Bucholz IX, 19. Mir faͤllt die Be-
ſtimmung auf: imperium per Germaniam superiorem regat.
Nahm man das niedere Germanien aus, weil der ſaͤchſiſche Reichs-
vicar nicht eingewilligt? Oder vielmehr nur deshalb, weil der Kai-
ſer keine Einmiſchung der Reichsgewalt in ſeine niederlaͤndiſche Re-
gierung dulden wollte?
3.
Im Bruͤſſeler Archiv findet ſich das Sommaire mémoire
au roi des Romains d’aucuns points esquels il semble à l’em-
1.
Yo no soy mas que un principe de los del ymperio por
agora, no siendo obedecido por rey de Romanos.
(B. A.)
3.
pereur que le dit S. roi doit avoir consideration et regard tou-
chant le gouvernement de l’empire, pour lequel l’empereur luy
envoye ample pouvoir.
1.
Alle und jede Sachen die Religion Cerimonien und was
dem anhangt anlangend, ſo der kſ. Fiscal vielleicht us befel kſ. Me.
oder uf anhalten ſonderer Perſonen oder Parteien wider die ernann-
ten Staͤdte eine oder mehr fuͤrgewendt hette oder noch fuͤrpringen
wuͤrde, in irer aller Namen ſemptlich und ſonderlich zu vertreten
und usfuͤhren zu helfen. Der Entwurf war ſchon zu Schmalkalden
gemacht, ward aber hier angenommen.
1.
Untertheniger Bericht der Sachen ſo ſich in der Handlung
zu Frankfurt Trinitatis 1531 zugetragen und im Abſchiede nit ver-
zeichnet ſind. (W. A.) Man ſieht, es exiſtiren uͤber dieſe Verſamm-
lung drei Actenſtuͤcke, der allgemeine, der ſunderliche Abſchied und
endlich dieſer Bericht.
1.
Ausſchreiben von Zuͤrich 3. Maͤrz 1529. Vgl. Bullinger
II, p. 31.
2.
Urkunde des Burgrechtes bei Bullinger Bd. II, p. 11.
1.
Abſchied zu Frauenfeld, und Inſtruction der Zuͤricher nach
Winfelden bei Bullinger II, 27. Bernh. Weiß p. 93.
1.
Die Unterwaldner und Walliſer hatten dabei freilich das
Meiſte zu verlieren, wenn es wahr iſt, daß ſie fruͤher fleißige Hasle-
rinnen heimfuͤhrten, und ſpaͤter mit Urnerinnen vorlieb nehmen muß-
ten, die nicht ſo gut einſchlugen. Kirchhofer B. Haller p. 142.
1.
Urkunde des Bundes bei Hottinger II, 475.
1.
Werbung an die Wuͤrtemberg, Landſchaft II, Urk. nr. 144.
„das dieſelbig eidgenoſſenſchaft durch bemelte Vereynigung in irer
Macht zertrennt, S. Koͤn. Maj. und die Iren, ſo dem alten chriſt-
lichen Glauben anhangen mit frembder Hilf als obgemeldter fuͤnf Orte
erſtaͤrkt.“
1.
Bullinger Ref. Geſch. II, p. 148. Eidgenoͤſſiſche ſchweize-
riſche Maͤrtyrer. Misc. Tig. II, p. 35 (unbedeutend).
1.
Ecks Repulsio macht ihnen das beſonders zum Vorwurf.
1.
Gutachten und Schreiben im Anhang zu Hottinger: Ge-
ſchichte der Eidgenoſſen II, 482.
2.
Bullinger II, 170.
1.
Hans Stockar von Schafhauſen Tagebuch 199. „Dye von
Zuͤrych mianttend, uns hye och jn zu zychen, das nun wyder unſer
Bunntbryef was und uns nitt zuſtund.“
2.
Landsfried zu Cappel ufgericht: 25. Juni 1529 bei Bullin-
ger II, 185.
1.
Aus N. Manuels Miſſiven bei Gruͤneiſen p. 135.
2.
Tagebuch 201.
1.
Chambrier Histoire de Neuchatel p. 296.
2.
Stettler II, 36.
3.
Tſchudi bei Hottinger p. 287 nota 30. Bullinger p. 289.
Meßaltaͤre und Goͤtzen wurden abgemant: etlich Goͤtzen uf beſſer Gluͤck
entzuͤckt und verborgen.“
1.
Ordnung und Satzung wie hinfuͤro by den Gottshusluͤten
Rat und Gericht zhalten.
2.
Bullinger II, 271, 344.
1.
Chriſtian Friedbold von St. Gallen, Augsburg 16 Juli in
Eſcher und Hottingers ſchweizeriſchem Archiv I, p. 433.
1.
Aus dem Schreiben von Bern an Zuͤrich 16. Octob. 1530
bei Hottinger II, 326. „Das Spiel ſey zu fruͤh angefangen; ein
Savoyer habe ſich merken laſſen, es ſey der Geiſtlichen Anſchlag.
Vgl. Inſtruetion Landgraf Philipps in Eſchers Archiv II, p. 304.
2.
Auszug aus dem Schreiben Ferdinands an Carl bei Bucholz
V, 258.
1.
Ad Carolum Romanum Imperatorem Fidei Huldrychi
Zwinglii Ratio. Quod Christi corpus per essentiam et realiter
h. e. corpus ipsum naturale in coelo aut adsit aut ore dentibus-
que manducetur, quemadmodum Papistae et quidam qui ad ollas
Egyptiacas respectant pernibent, id vero neque tantum negamus
sed — — — Mitratum genus atque pedatum,
ſagt er weiterhin,
credimus νόϑον.
1.
Roͤhrich I, 175, 455. Im erſten Capitel der Tetrapolitana
wird als Motiv der Veraͤnderung angefuͤhrt, daß der große Reichs-
tag von 1523 die Predigten aus der heiligen Schrift zu nehmen und
zu beweiſen befohlen habe.
2.
Relation der Abgeordneten des Reichsregimentes bei Jung:
Actenſtuͤcke p. 66.
1.
Roͤhrich Ref. v. Strasburg II, p. 8.
1.
Adami Vitae theologorum 102.
2.
Fragment eines Schreibens von Butzer an die Bruͤder in
Chur bei Roͤhrich II, 135. Recht bezeichnend iſt auch das Schrei-
ben an Blaurer ibid. p. 275. Dum ipsi (Lutherani) veram prae-
sentiam tueri voluerunt, — iis verbis eam affirmarunt, quae si
ad vim exiges, localem statuunt. Contra nostri dum localem vo-
luerunt negare sic locuti sunt, ut visi sint Christum coena pror-
sus excludere.
2.
Zuerſt gedruckt 1531; mit einer Apologie Bucers, in wel-
cher Hospinian, ein eifriger Zwinglianer, die vera et orthodoxa sen-
tentia de coena domini
findet. Historia sacramentaria II, 221.
1.
Vergleichung Doctor Luthers und ſeines Gegentheyls — Dia-
logus 1528.
1.
Melanchthon de Buceri sententia. Corp. Ref. II, 316.
Vgl. Literae Buceri ad Pontanum 4 Aug. 1530 bei Coͤleſtin II,
302. Schreiben Butzers an Herzog Ernſt von Luͤneburg bei Heß:
Leben Oekolampads p. 317.
2.
Chronicorum liber VIII, prologus: utrum mali veraciter
sacramentis communicent, an exterius tantum ea accipiant.
1.
Wir haben zwar die Schreiben Butzers nicht ſelbſt, aber
die Aeußerungen Luthers, an den ſie gerichtet waren, laſſen keinen
Zweifel uͤber ihren Inhalt uͤbrig. An Wenceslaus Link bei de Wette
IV, 327. Ferner an Menius: Bucerus effecit tantum, ut conce-
dant omnes vere adesse et porrigi corpus domiui, etiam corpo-
rali praesentia; caeteri tantum, fideli animae ac piae; Bueerus vero
consentit et impiorum mann porrigi et ore sumi.
Bei Planck III,
340 ſind dieſe Briefe offenbar uͤberſehen.
1.
Inſtruction uf den angeſetzten Tag gegen Schmalkalden. Tor-
gau 25. Maͤrz. Uns iſt itzo wieder ein Schreiben von Wittenberg
zukommen, ſo der Butzer an Dr. Martin und Phil. Mel. gethan,
daraus die zween wie uns angezeigt iſt worden, nit anders zu ver-
nehmen wiſſen, denn das der Artikel der hinterſtelligen Punkt halber
auch vollend verglichen. (W. A.)
2.
Verzeichniß der Handellung auf gehaltenem Tage zu Schmal-
kalden in der Woche nach Judica. „Haben keinen Zweivel, ſie (ihre
Herrn) werden verſchaffen, daß dergleichen gepredigt gelehrt und ver-
kuͤndigt werde, auch ſolches lautbar zu machen.“
1.
Vtriusque (veritatis et caritatis) Bucerus mea sententia
observantissimus est. Proinde confido non ingratum tibi fore,
quicquid ille in medium attulit. 19. Nov.
1530 bei Hottinger II, 320.
1.
Schreiben bei Heß, Oekolampadius p. 341.
2.
Aus der uͤbrigens ſehr inhaltsleeren Schrift Fabers de ad-
mirabili catholicis — — data victoria,
erſieht man dieß (cap. VI.
Opp. III,
145). In einem Schreiben Landgraf Philipps Freitag
nach Palmarum (W. A.) wird Oekolampadius ganz als einverſtan-
den betrachtet, „weil nun Oekolampadius und die andern in Sachen
des Sacraments mit uns eins Verſtand ſein, und zu hoffen iſt, daß
die andern auch noch zu uns kommen werden.
1.
Es cierto que se haran todos unos y peores que nunca
por las fuerças y ventaja que de dia en dia van cobrando los que
siguen estas sectas Prina
27. Maͤrz 1531.
2.
Briefwechſei zwiſchen Bern, Baſel und Zuͤrich bei Eſcher
und Hottinger Archiv II, p. 290. Baſel beſteht darauf, Butzers Er-
klaͤrung ſey „alſo luter, das ſie mit irem (der Gegner) natuͤrlichen lyb-
lichen ſubſtanzlichen oder weſentlichen Lyb gar keine Gemeinſchaft hat.“
1.
Antwurtten und Meinungen der Radtsbotten der chriſtlichen
Stetten. 24. April 1531. Bei Bullinger II, 362.
1.
Was Zuͤrich und Bern Not zu betrachten ſey in dem fuͤnf-
ortiſchen Handel; bei Hottinger II, 487.
1.
Bernhard Weiß p. 91 gluͤcklicherweiſe umſtaͤndlicher als Bul-
linger. Die Schwierigkeit des Zuſtandes deutet auch folgende Stelle
bei Zwingli ſelbſt an; An non optimi quique acinnocentissimi cum
senatores tum plebei sic me colunt ac tuentur, ut nisi id con-
stantissime facerent, minor esset publica tranquillitas. Respon-
sio ad amici haud vulgaris epistolam. Gualth. II,
323
2.
Vgl. Bluntſchli Staats- und Rechtsgeſchichte von Zuͤrich I,
359. Leider werden die obigen Verhaͤltniſſe in dieſem Buche ſpaͤter
nicht eroͤrtert.
1.
In Bullingers Chronik, welche ſchon fuͤr die fruͤhern Au-
toren faſt immer die Hauptquelle und welche jetzt gedruckt iſt, finden
ſich alle Verhandlungen. Sehr ungern entbehrt man die Fortſetzung
des Zwingliſchen Briefwechſels.
1.
Erzaͤhlung Bullingers III, 49.
2.
In einer Note ſey mir erlaubt an den anmuthigen Bericht
eines Zeitgenoſſen zu erinnern, der im Schw. Muſ. II, 535 abge-
druckt iſt. Er ſchildert da, wie er in dieſen Tagen in St. Gallen
mit dem Freunde Zwingli’s Vadianus, dem Dr. Joachim von Watt
und einigen Andern einſt zu Nacht auf die Bernegh ſtieg und dann
noch weiter hinauf auf die Hoͤhe, wo ſich der Doctor unter ſie ſetzte,
auf den Boden in den Thau, ihnen die Namen der Geſtirne, die
entgegengeſetzte Bewegung des Zodiacus und des uͤbrigen Firmaments
1.
Hallwyl in Kirchhofers Haller 107.
2.
erklaͤrte, die Wunder des Schoͤpfers, den er bald zu ſehen wuͤnſche,
worauf er ſeine Augen auf die Landſchaft richtete, des erſten Anbaues
durch die Roͤmer gedachte, der Gruͤndung und der Schickſale der
Stadt, wie oft ſie verbrannt, woher ein jedes Thor ſeinen Namen
habe, wie ſie den nahen Wald ausgerodet, das eintraͤgliche Leinwand-
gewerb gegruͤndet; — bei dieſem Gedanken wieder ſich zu dem Co-
meten wandte, von dem man nicht anders glaubte, als daß er den
Zorn Gottes andeute. Theophraſtus von Hohenheim, damals zu St.
Gallen und Andere erklaͤrten, er zeige nicht allein Blutvergießen, Aen-
derung des Regiments, ſondern auch beſonders einen Abgang gelehr-
ter Maͤnner an.
1.
Bullinger III, 73. Der erſte Angriff auf Bern war mehr
von Obwalden ausgegangen.
1.
Kurze Beſchreibung der 5 katholiſchen Orte Kriegs wider
ihre Eidgenoſſen der fuͤnf zwingliſchen Orte; die man ſeit Haller dem
Gilg Tſchudi zuſchreibt, waͤhrend ſie handſchriftlich auch unter dem
Namen von Cyſat, und andern erſcheint; in Balthaſar’s Helvetia
II, p. 186.
1.
Verantwortung Rudolf Lavaters bei Eſcher II, 311.
1.
In der kurzen Beſchreibung: Schoͤnenberg; ſoll aber wohl
auch da heißen Schuͤrenberg „iſt ein ziemlich hoher Buͤhel, daruff
1.
Nach Accolti (in Epistolis Sadoleti VII, 273) blieben von
300 Senatoren nur ſieben uͤbrig. Die Wahrheit iſt, daß 7 Mit-
glieder des kleinen und 19 Mitglieder des großen Rathes in der
1.
vor Zyten ettliche huͤſer und ſchuͤren geſtanden ſind, daher mans ge-
nambt hat, wie es noch heißt zu oder uff Schuͤren. Bulling III, 111.
1.
Schlacht geblieben ſind; außerdem 60 gemeine Ehrenbuͤrger und 7 Geiſt-
liche (quam plurimi sacerdotes!). Bullinger zaͤhlt ſie alle auf. Die
uͤbrigen waren von der Landſchaft. Acc. rechnet freilich die Zuͤricher
auf 20,000 M.
1.
„Das was ungfar um die zwei nach Mitternacht Morgens
Zinſtag den 24. Octobris.“ „Maria, die Mutter Gottes war dero
Nacht ihr Kriegszeichen.“ Kurzer Bericht.
1.
1. Nov. Vra Magestad a la qual suplico quiera mirar
lo que ymporta y usar de la occasion y opportunidad del tiempo,
pues es el mas a proposito, que se pudo desear i camino para
remediar las quiebras de nuestra fe y ser Va Md senor de
Alemanna
y hazer una cosa la mas sennalada que in nuestros
tempos se ha hecho.
1.
Bruxelles 2 Nov. 1531. Archiv zu Bruͤſſel.
2.
Lettre du roi a Mr. d’Auxerre21 Nov. MS. Bethune 8477.
Pour la guerre du Turc ou des Suisses, ou il n’y a que coups
et despenses d’argent.
1.
Relatio V. N. Joannis Basadone. Come el mi disse, an-
dava cum proposito di rimover Lutherani dalla loro mala opi-
nione con mezzo di alcuni suoi amici e cum danari.
Archiv zu
Venedig.
1.
Die Urkunde des Landfriedens in Hottingers Anhang zu
Bd. II, neu mit dem Original collationirt.
1.
Bullinger III, 353. Den Zuſtand ſchildert beſonders ein
Aufſatz, den Leo Judaͤ zu ſeiner Rechtfertigung verfaßte. „Es ſind
zwo große Parteien in Zuͤrich, die eine wil Gottes wort ſchirmen und
aller Gerechtigkeit wieder herfuͤr helfen, die andere wil alle unerbar-
keit pflantzen und das Wort Gottes ußruͤthen, das Bapſtthum wie-
der aufrichten, wieder kriegen und penſionen nemen. Da wil nun die
Frommen bedunken, daß die Partei allweg mehr Gunſt und Foͤrde-
rung habe denn ſie.“
1.
Urſach und Handlung in der kaiſ. loͤbl. und chriſtl. Stadt
Magdeburg ein chriſtlich weſen und wandel belangende. Von Wolff
Cycloff den Erznei Dr. 1524. Abgedruckt in Hahn’s Collectio
Monumentorum II,
459.
2.
Sebaſtian Langhans, damaliger Moͤllenvoigt hat eine Ge-
ſchichte des Jahres 1524 hinterlaſſen, deren Abdruck wohl zu wuͤn-
ſchen waͤre. Bis dahin ſind Rathmanns Auszuͤge und ſonſtige Zu-
ſammenſtellungen (III, 346—400) ſehr brauchbar.
1.
Am ausfuͤhrlichſten berichtet hieruͤber Rehtmeiers Kirchenhi-
ſtorie der Stadt Braunſchweig Thl. III, deren Quelle hiebei einen
gleichzeitigen Bericht von Heinrich Lampe, Prediger zu St. Michae-
lis iſt, „was ſich kurz vor und nach Annemung des h. Evangelii all-
hie zu Braunſchweig in Kirchenſachen zugetragen;“ auch Gasmers
Leichenrede auf Lampe, die bei Lenz: Braunſchweigs Kirchenreforma-
tion 1828, zu Grunde liegt, iſt wohl hauptſaͤchlich aus jenem Be-
richt gezogen.
2.
Herzog Ernſt erwaͤhnt in einem Briefe 2. Februar 1531 ei-
ner fruͤhern Verſchreibung mit Braunſchweig, worin ſie einander zu-
geſagt: „in Sachen das goͤttliche Wort betreffend und was dem an-
hengig irs Leibs und Guts Vermoͤgen bei einander aufzuſetzen.“ (W. A.)
1.
Vgl. Rathmann IV, II, 28.
1.
In dem Anhang zu der Schrift vom rechten Glauben, welche
Bugenhagen 1526 hochdeutſch und niederdeutſch herausgab und Buͤr-
germeiſter, Rathsleuten und der ganzen Gemeinde der ehrenreichen
Stadt Hamburg widmete.
2.
Nichtesdeweyniger ſchollen de veer Kiſten in den Carſpel-
karcken, wo ſe nu ſtahn, tho Verſamelinge der Almiszen blyven, ſo
doch, dathme allendt wes bether tho daeinn gegeven, und hyrnamals
tho allen Tyden darinn gegeven werden mag, alles getrouwlik in und
by de Hoͤvetkyſten preſentere und averantwehrde — — Urkunde der
Stiftung der Overalten; Michaelistag 1528.
1.
Lappenberg: Programm zur dritten Saͤcularfeier der buͤrger-
ſchaftlichen Verfaſſung Hamburgs am 29. September 1528, worin
gelehrt und belehrend ausgefuͤhrt wird, was die Reden des Buͤrger-
meiſters Bartels und des Praͤſes der Oberalten Ruͤcker populaͤrer an-
deuten oder entwickeln.
2.
Rudlof N. Geſch. Mklnbg. I, 81.
1.
Roller Geſchichte von Bremen II, p. 380 u. f.
2.
Die Prieſterſchaft war beſonders durch die Stiftung der
Vicarien ſehr zahlreich geworden. In der Mitte des funfzehnten
Jahrhunderts gab es in Luͤbek am Dom 59, an Marien 51, an
Petri 22, an Jacobi 16, an Aegidien 13 und an den Nebenkirchen
noch 8 Vicare. Es waren meiſtens Verwandte Derjenigen, welche
das Capital zur Leſung einiger Seelmeſſen geſtiftet. Vgl. Grautoff
Schriften I, 266. Die Verſchreibung uͤber das Capital blieb in den
Haͤnden der Proviſoren.
1.
Das Lieb in Regkmanns Chronik p. 133.
1.
In der Antwort der verordneten Buͤrger bei Regkmann 139
heißt es, daß dieß vom Rath vorgeſchlagen worden ſey „um vieler
ungeſtuͤmheit willen, muͤh und verdrieß zuvorzukommen.“
2.
Notizen bei Grautoff II, 159. Der bedeutende Einfluß, der
bei G. einer milden Partei im Rath zugeſchrieben wird, muͤßte wohl
noch naͤher bewieſen werden.
1.
Der Gemeinde Articul 13. Oct. 1530 gemacht bewilligt und
confirmirt bei Regkmann 151. Becker Luͤb. Geſch. III, 27 ſagt,
nicht alle Forderungen der Gemeinde ſeyen bewilligt worden, unb dann
fuͤhrt er blos die Punkte an, deren in dem Tagebuche bei Kirchring
und Muͤller p. 166 ausdruͤcklich gedacht wird. Sollte der Titel der
Articul ſo falſch ſeyn?
1.
In der Chronik des Hermannus Bonnus heißt es ſogar,
es gebe kein beſſeres Mittel ein beſtaͤndiges Regiment zu erhalten,
als daß die Wahl des Rathes bei der Obrigkeit ſelbſt ſtehe.
2.
Ernſt an Chf. Johann, Zelle Montag nach Galli (17. Oct.)
Befinde, das wynzig Gottlob in dieſen umliegenden Staͤdten kaiſ. Maj.
Gnaden oder Ungnaden geſcheuet; denn ſye itzunder heftiger als vor
nie, in allen Staͤdten predigen und das Wort Gottes fuͤrdern. (W. A.)
1.
Obiges Schreiben: „haben heud der Rath und die Gemeyne
mir ſemptlich geſchrieben.“
1.
Magdeburg Sonnabend nach Eſtomihi 1531. „Hat ſich
zugetragen, daß unſers gnaͤdigſten Herrn des [Cardinals] Mullin-
voigt, Mitwoch Cineris, vor uns, dem ganzen ſitzenden Rathe er-
ſchienen und eyn Miſſiven nach Vermeldung eyngelegter Copeyen von
hochgedachten unſern gnaͤdigſten Herren uͤberantwort, und darbeneben
angezeygt, daß er einen Truck haͤtte, wollte denſelbigen uns auch
uͤberantworten; und als er ſich zuvor gegen unſern Buͤrgermeiſter
und Rathsverwandte verlauten laſſen, das ſolchem Druck der Abſchied
des gehaltenen Tags zu Augspurg auch das man an den alten Ge-
brauch halten ſollte, inſerirt waͤre, haben wir ſolchen Truck nicht an-
nemen wollen.“
2.
Schreiben des Herzogs Ernſt, Dienſtag nach Clement.
1.
Schreiben der Stadt an Ernſt von Luͤneburg 22. Maͤrz 1531.
„Dieweil wir mit E. F. Gn. uͤber unſre natuͤrliche untertaͤnige Ver-
wandniß und ſonderlich aufgerichtete Vertraͤge der chriſtlichen ange-
fangen Sachen halber im Namen Gottes zuſammengeſetzt haben.“
1.
Melanchthon an Camerarius 30 Dec. Scis ejus periculi
partem ad nos pertinere.
Ein Schreiben von Ulm (Samſtag nach
Simon und Judaͤ) meldete, daß am Hofe Ferdinands daruͤber die
groͤßte Freude herrſche; im Sundgau, Breisgau, Elſaß habe man
das Volk ermahnt, ſich geruͤſtet zu halten; in des Abt von Kempten
Land ſey befohlen, wenn der Sturm angehe, des naͤchſten aufzuſein,
und zuzuziehn.
1.
Schreiben des Rathes, Mittwoch vor Palmarum, ſo wie
1.
Man erwartete die baieriſchen Raͤthe auf der zweiten Zu-
ſammenkunft zu Schmalkalden, wie ein Schreiben Philipps an Dr.
Leonh. Eck (undatirt aber ohne Zweifel vom Jan. 31) ausweiſt.
2.
Neudeckers Urkunden p. 60. Man muß aber nicht brieflichen
leſen; es ſind die Grafen von Mansfeld gemeint.
3.
Mai 1532. Urkunde bei Stumpf nr. V, p. 20.
1.
des Syndicus Lehnmuͤller, Mittw. nach Palm. 29. Maͤrz, 5. April
1531 im Weim. Arch.
1.
Inſtruction an Lamberg und Juriſchitz bei Gevay, Urkun-
den und Actenſtuͤcke Heft I.
1.
Bericht der beiden Geſandten, und die Briefe Suleimans
und Ibrahims bei Gevay ibid.
2.
Aus dem Schreiben Suleimans ib. p. 91. Schade daß das
mehr ein Auszug iſt, ſo wie auch Nr. VII, als eine Ueberſetzung.
1.
Bei Gevay I, p. 99. Umgearbeitet erſcheint daſſelbe Gut-
achten noch einmal im zweiten Heft.
2.
27 Maͤrz. Vea V. Md si es razon ni cordura, de estar
assi desapercebidos y desunidos, alla defensa necessaria debaxo
desta sombra de operation dudosa, cerca de lo qual suplico a
V. Mo quiera mirar y tener proveydo lo que convenga, porque
el peligro es muy grande y el tiempo breve, y mi pusanza muy
poca o ninguna.
(Br. A.)
1.
Assentandose esto avria mas disposition y menos ym-
pedimento para resistir al Turco assi in los principes como en
las otras personas; a lo qual ajudaran de mejor gana, estando as-
securados dello que toca a sus vanas creencias. (Prima 27 Marzo.)
2.
Inſtruction was wir beide Ludwig Graf zu Stolberg und
Wolf von Affenſtein, Ritter, bei Kſ. Mt. handeln ſollen. Dienſtag
nach Eſtomihi (23. Fbr.) — Ferner: Summariſche Aufzeichnung, was
wir beide bei Kſ. Mt. gehandelt haben — (Weim. A.)
1.
„Aus trefflichen redlichen Urſachen gebieten wir dir mit Ernſt,
daß du mit ſolchem Procediren, ſo du laut unſeres augsburgiſchen
Abſchiedes des Artikels der Religion halb Gewalt haſt, zwiſchen hier
und dem naͤchſtkommenden Reichstag gaͤnzlich ſtillſteheſt.“ Copie bei
einem Schreiben des Churfuͤrſten von Mainz 25. Juli.
1.
Instructio de iis, quae — Leonardus Comes de Nogaro-
lis et Josephus a Lamberg — apud sermum Turcarum imperatorem
nomine nostro agere debent
bei Gevay II (1531). Sicubi vero de
hac quoque conditione fuerit desperatum, videlicet quod Turcus
gratuito et sine pecunia castra illa omnia Waywodae reddi vo-
luerit, tum demum sic fortuna volente fiat per eosdem oratores
nostros de iis omnibus promissio.
1.
Avviso venuto di Ragusi di un nuovo esercito messo
da Solimano per ritornar una secunda volta alla citta di Vienna
l’anno nuovo
1532 in der Chronica Ven. welche Guazzo benutzt, aber
doch ſehr frei.
2.
marchiando con gran solazzo verso Vienna.
1.
Zu Fuß forderten ſie 32000 M. mit langen Spießen, 10000
mit kurzer Wehr, 8000 gute Schuͤtzen, 500 Halbhaken und ein paar
tauſend Mann, um das Feldgeſchuͤtz zu bedienen. Dieß berechneten
ſie auf 118 Stuͤck. 34 Falconen, 32 Falconet, 12 Schlangen, 8
Rothſchlangen, 8 Singerin, 8 Carthaunen, 8 Scharfwetzen, 8 Moͤr-
ſer. Gutachten der Kriegsraͤthe. Ueber die erſten Verhandlungen des
Reichstags enthaͤlt das Berliner Archiv die Briefe von Barfuß, wo
wir ſehn, daß die Eroͤffnung deſſelben ſchon am 17. April geſchah.
1.
Fuͤrſtenberg an Frankfurt 7. Juni.
2.
Bericht der Geſandten p. 31.
1.
Denken Chf. FF. und Staͤnde, wo der eußerlich Krieg ſtat-
lichen ſol volnbracht werden, daß zuvor die hohe Notdurft erfordern
wolle, anheym den Frieden zu halten, damit ein yder wiſſ, wie er
neben dem andern ſitz. — — — daß auch in allen andern Artikeln
vermoͤg E. K. M. Ausſchreybens daneben furgeſchritten, gehandelt, —
einer mit dem andern beſchloſſen werde.
1.
Dr. Brucken Bericht, was er mit Dr. Tuͤrken in Bitterfeld
1.
In Weimar, Caſſel, Magdeburg, Wien. (Vergl. Bucholz
Bd. IX. Erhard Ueberlieferungen Bd. I.)
1.
gehandelt. Mittwoch in den Weihnachtsfeiertagen; 27. Dzr. 1531.
Eine zweite Zuſammenkunft war Donnerſtag nach Purificationis; 5.
Fbr., woruͤber ſich im Weim. Arch. ein aͤhnlicher Bericht findet.
1.
Endliche Mittel und Fuͤrſchlaͤg, worauf Kaiſ. Mt. uf d’
Schweinfurtiſchen Handlung empfangenen Bericht — — zu handeln
befohlen. Montag nach Bonifacii 10. Juni. Es iſt ein Irrthum in
den meiſten Ausgaben lutheriſcher Werke, (z. B. Walch XVII, p.
2202) daß ſie zu Schweinfurt eingegeben ſeyn. Darauf antworteten
nun die Proteſtanten am 12. Juni. — Art. 1 vermißten ſie die Worte,
„die ſo ſich kuͤnftiger Zeit in der Lehre ihrer gethanen Confeſſion und
Apologia einlaſſen, deren ſie ſich aus chriſtlicher Pflicht anzunehmen
ſchuldig erkennen.“ Art. 2 fehlen beim Concilium die Worte: „daß
es allein nach Gottes reinem Wort determiniren ſolle“; ſo geht das fort;
und man ſieht, daß ſie keineswegs nachgaben. Am 18. Juni baten
ſie vielmehr, „daß in den aͤußerlichen Sachen, ſo Gottes Wort und die
Gewiſſen nit belangen, uf einen gemeinen beſtaͤndigen Landfrieden ge-
handelt, und derſelbe ufgericht mocht werden.“ Dieſe Wendung der
Dinge wird noch ausdruͤcklich durch ein Schreiben Johann Friedrichs
an den Grafen von Nuenar, Sonntag nach Jacobi 30. Juli 32 be-
ſtaͤtigt, worin er ſich beklagt, daß er nun ſchon in die achte Woche
zu Nuͤrnberg liege; und dann die Verhandlungen berichtet. „Iſt
von den zwei Churfuͤrſten Kſ. Mt. Gemuͤt ſo weytleuftigk eingebracht,
das nichts Nutzliches darauf hat gehandelt mugen werden, dan wyr
an unſern Teyl ſo vil Beſchwerungen darynnen vermerket, das wir
myt Got und gutem Gewiſſen dyſelbigen Artikel nicht haben handeln
koͤnnen. Deßhalben man letzlichen von den Artikeln, die zur Eynigkeit
dynſtlyck ſyn ſolten, da man ſich dergeſtalt vergleychen ſollte, ganz
abgeſtanden, und davon geredet, wie eyn gemeyner Fried im Reych
aufgericht ſolt werden.“ (Weim. Arch.)
1.
Schreiben von Planitz an Taubenheim; am 11. Juli.
2.
Erklaͤrung des Kaiſers mitgetheilt von Planitz nach Sach-
ſen, Donnerſtag nach Joannis Baptiſtaͤ (27. Juni). „Und nachdem
die gemelten Staͤnde fuͤr gut anſehen, zu unterlaſſen alle weitere
Mittel und Handlung des Friedens und verharren auf dem Abſchiede
von Augsburg, begert J. Mt. mit ſonderem Fleiß an die gemelten
Staͤnde, ſie wollen bedenken, was hernach des Glaubens halber ge-
folgt ſey.“
1.
Nur den Zuſatz „Und Andere“ ließ er ſich abgewinnen.
In dem urſpruͤnglichen Entwurfe war nur von J. Mt. Fiscal die
Rede. Die Unterhandlung ſchwankte bis auf den Tag des Abſchluſ-
ſes, Dienſtag nach Mariaͤ Magdalenaͤ.
2.
Granvella hob hervor das inconvenient irremediable, sans
quelque traité pour (?) infecter le reste de la chretienté; comme
l’experience l’a evidemment demontré.
Bucholz IX, p. 32.
1.
Bedenken von Luther und Juſtus Jonas. De Wette IV,
339. In einem etwas ſpaͤtern Bedenken fuͤhrt er ſeinen Fuͤrſten im
Verhaͤltniß zu ihren Nachbarn den Grundſatz zu Gemuͤthe: quod
tibi non vis fieri, alteri ne feceris.
1.
Gutachten ſeiner Theologen bei Neudecker Urkk. 199.
2.
Wilh. von Nuenar an Johann Friedrich 11. Juni. (W. A.)
„Dann wir haben leyder keynen mynſchen, den wir fuͤr ein vater
des duytſchen vaterlandes in gotlichen und menſchlichen Sachen ach-
ten mogen, denn alleyn U. F. G. Herr Vater und U. F. G. wir wol-
len widder mit gotlicher Huͤlfe um U. F. G. ſtan. etc.
1.
Schreiben von Fuͤrſtenberg 8. Juli. Auf einen Vorwurf
dieſer Art antwortete der Kaiſer, die Erinnerung ſey ganz „onzeitig
und onbeſonnen, und wie J. Mt. achten moͤge nit mit Fuͤrwiſſen al-
ler Stende beſchehen, alles mit ſpitzigen und ſcharpfen Worten.“
Fuͤrſtenberg findet die Vorwuͤrfe ſehr wahr, doch hat er kein Gefal-
len daran, weil man den Kaiſer leicht erzuͤrnen koͤnne, der doch Weib
und Kind verlaſſen habe, um die Reichsgeſchaͤfte zu verwalten.
1.
Correſpondenz im Weim. Arch. Auszuͤge daraus im Arti-
kel der Uebereinkunft von Gießen und Anhang.
2.
Erklaͤrung des Kaiſers an den Papſt im J. 1539. Rai-
naldus XXI, 104, rempesse periculi plenam, alia indicere comitia,
perpensa maxime sanctione ordinum imperii, — ut Op. Clemens
de convocando concilio rogaretur; quo non convocato Caesar illud
convocaret, — ac si huic muneri is deesset ut concilium natio-
nale cogerent.
1.
Ein ganzes Convolut dieſer Briefe findet ſich copirt im W. A.
1.
Fuͤrſtenberg, Dienſtag nach Pfingſten und in andern Brie-
fen. Ferdinand an Maria 3. April 1532. Gevay II, 74.
1.
Muͤllners Annales: „dieß alles iſt zu Beſetzung und Ver-
proviantirung der Stadt Wien angeſehn worden.“
1.
Es erwindet fuͤrwahr nicht an Kſ. Mt. und wird J. Mt.
gnedig Gemuͤth und Herz auch von den Staͤdten dermaaßen geſpuͤrt,
daß ſie J. Mt. mehr als ihre gebuͤhrliche Huͤlfe ſenden.
2.
Verhandlungen des oberrheiniſchen Kreistags, wo Philipp
von Ohun ernannt ward, in den frankfurter Acten.
1.
Niccolo Tiepolo Relatione di 1533: il che diceva sem-
pre, che si vedeva non solamente pronto a questa impresa ma
quasi arder di desiderio che li venisse occasione di sorte che
potesse honestamente esponere la persona sua a tal fortuna.
1.
Schreiben von Juriſchitz in Goͤbels Beitraͤgen p. 303. Fer-
ner was Jovius aus ſeinem Munde hoͤrte lib. XXX, p. 105. Se-
pulveda X,
17—23.
1.
Schreiben Ferdinands an Maria. Gevay II, 83.
1.
Wahrhaftige Beſchreibung des andern Zuges in Oeſtreich.
Aus einem alten Nuͤrnberger Druck von 1539 in Goͤbels Beitraͤgen
p. 309. Die Schrift iſt aus dem Briefwechſel des Pfalzgrafen ge-
zogen.
2.
Schaͤrtlins Lebensbeſchreibung p. 35. Hammer III, p. 118.
1.
Bei Sandoval II.
2.
Jovius lib. XXXI. Historia del Guazzo, p. 124.
1.
Schreiben des A. de Burgo an Ferdinand. Rom 2. Maͤrz
1531 bei Bucholz IX, p. 90.
2.
Gregorio Casali au Grand Maistre bei Le Grand Histoire
è divorce III, 542. 5. Maggio 1531. Questa corte fin adesso è
stata in gran timore del concilio, hora sono alquanto assecurati,
si per le ultime lettere del’ imperatore, che sono state meno fu-
riose delle altre, si anche per quello si spera in voi altri.
1.
A. de Burgo 8. Juni 1531. a. a. O. p. 99.
1.
Articles secrets zu dem Heirathsvertrag, unterzeichnet wie
dieſer am 24. April. Unter andern ward gefordert Ayde et se-
cours audit futur epoux pour lui ayder à recouvrer l’etat et du-
ché de Milan et la seigneurie de Gennes, qui luy appartiennent.
1.
Nre St. père ayant veu les articles secrets les a trou-
vés et trouve très raisonnable.
— Artikel und Erklaͤrung fand ich
in der K. Bibl. z. Paris. MS. Bethune 8541. f. 36.
2.
Burgo 11. Auguſt. a. a. O. 101.
1.
Depesches de l’eveque d’Auxerre Ambassadeur pour le
r. François I près le Pape Clement 11. Spt., 28. Octbr., 4. Jan.,
20. März. Bibl. Royale. MS. Dupuis nr.
260.
2.
Andreas de Burgo an den Cl. v. Trient 23. Mai 1532,
ſehr ausfuͤhrlich; vgl. die Schreiben vom 29. Aug. u. 14. Septbr.
1.
Schon am 29. Juli 1531 ſchrieb er dieß ſeinem Bruder.
Plus va l’on avant, plus l’on appercoit que le pape n’y (fuͤr das
Concil) a voulenté et que le roy de France luy ne veult de-
plaire, pensant par ce moyen le tenir gaigné.
(A. z. Bruͤſſel.)
1.
Dieſe Nachrichten finden ſich freilich nicht bei Pallavicini,
allein ſie ſind authentiſch. Ich entnahm ſie aus dem Schreiben des
franzoͤſiſchen Geſandten, Biſchof von Auxerre, 24. Dez. 1532. Sire,
au premier consistoire, on partie des Cardinaux opina, qu’il fal-
loit pourvoir de faire ung concille tant pour obvier aux Luthe-
riens que au Turc, disans que la chose seroit trop longue de
vouloir à cette heure appoincter les princes chretiens, fut par
notre st. père la chose remise a correcture jusqu’au pronchain
consistoire qui fut vendredi dernier, auquel fut conclu par sez
S et à la pluralité des voix que sans accorder lad. princes
chretiens ne se pouvoit faire ny concille ny pourvoir au Turc
ny auxd. Lutheriens.
1.
Auszug aus der Inſtruction fuͤr den Nuntius Ugo Rangoni
bei Pallavicini lib. III, c. XIII (V. I, p. 327).
2.
que ce qu’il avoit dict present l’empereur, il l’avoit dict
comme opinion de l’empereur, mais non pas comme la sienne
et qu’il le fist entendre saigement à la Srie. L’eveque d’Auxerre
1. Janv.
1533.
3.
Vergl. Guicciardini (damals Vicelegat in Bologna und zu
den Conferenzen zugezogen) lib. XX, p. 109.
1.
Schreiben bei Sandoval XX, § 20: que no se descuy-
1.
Sanchez bei Bucholz IX, 122.
2.
Schreiben des Erzbiſchofs von Lunden an Granvella, 15.
Febr. 1534. Der Nuntius hatte geſagt: scire se, ob id bellum
futurum in Italia et pontificem auxilia daturum duci Aurelianensi
contra quoscunque pro recuperatione dicti ducatus.
3.
Excerpte bei Raumer; Briefe aus Paris I, 262.
1.
asse porque no era possible se no que el papa y el rey avian
tratado algun negocio contra el.
1.
Relatione di Francia di M. Marino Giustiniani, 1535.
Giudico, che l’intelligentia coi Turchi fusse medesimam delibe-
rata in Marsiglia con Clemente Pontifice, come fu ancora quella
di Germania. Guicciardini XX, 111. havendogli (al papa) com-
municato il re di Francia molte di suoi consigli, e specialmente il
disegno che haveva di conciliare contro Cesare alcuni di principi di
Germania, massimam il Landgravio d’Hassia.
Vgl. Sandoval lib.
XX,
§ 20. Mai. Sie trennten ſich hierauf in vollkommner Satis-
faction von einander.
2.
Stumpf, Baierns politiſche Geſchichte I, 94.
1.
Z. B. die Verhandlungen zwiſchen Landgraf Philipp und
Heinrich Herzog von Braunſchweig im Jahre 1530; die ſpaͤter in den
Streitſchriften ausfuͤhrlich eroͤrtert worden ſind.
1.
Die Grundlage dieſer Erzaͤhlung iſt Gabelkofer, excerpirt
bei Sattler und Pfiſter: Herzog Chriſtoph. Nur muß man es nicht
glauben, wenn bei Pfiſter p. 80 geſagt wird, Carl ſei in Wien auf
Chriſtoph aufmerkſam geworden, habe ihn dann nach Bononien zu
einer Zuſammenkunft mit Hadrian VI mitgenommen.
2.
Das erſte Schreiben von 17. Nov. Sattler II, 229.
1.
Freitag nach Bernhardi. Die Einigung im Trieriſchen Ar-
chiv zu Coblenz.
2.
Ferdinand an Carl 27. Apr. V. Md. sabe la d[i]cha liga no
quire mas servir en esto hasta ser pagados dello que por ello
1.
Im Bruͤſſeler Archiv ſind Inſtruction und Relation. Siehe
den Anhang.
2.
Vgl. Gegruͤndete Widerlegung der Vertraͤge; letzter Tag
Juli 1533. Hortleder I, III, VII.
2.
les fue prometido y esto al presente por mi parte tengolo por
impossible.
1.
Auszuͤge aus Gabelkofer bei Pfiſter, Herzog Chriſtoph I,
102—116.
2.
Der Prinz werde auswandern; in der Fremde werde man
dann mit Fingern auf ihn weiſen, und ſagen: das iſt der, welcher
einſtmals — welcher jetzt — welcher ohne ſeine Schuld — er vollen-
dete dieſe Saͤtze nicht, denn er leſe, ſagte er, in den Blicken der
Verſammlung, daß ſie ihren Inhalt fuͤhle. Discours de Mr. de
Langey.
Im Anhang zu den Memoires von Bellay. Coll. univ.
Tom. XVIII p.
396. Er hatte uͤbrigens den Auftrag (p. 274) d’es-
sayer tous moyens possibles à faire, que cette ligue de Suabe
ne se renovast, mais que de tous points elle se dissolut.
1.
Schreiben Philipps an Fuͤrſtenberg bei Muͤnch. Fuͤrſten-
berg II, p. 37.
1.
Schreiben des Landgrafen an den Churfuͤrſten, bei Rommel
III, p. 54; welches merkwuͤrdig iſt durch das, was es ſagt, ſo wie
wegen deſſen, was es verſchweigt. Der Koͤnig habe ſich nur erbo-
ten, zwiſchen Herzog Ulrich und Ferdinand zu unterhandeln.
2.
Notizen hieruͤber bei Rommel II, S. 298; es waͤre wohl
zu wuͤnſchen, daß der Vertrag ſelbſt abgedruckt wuͤrde.
1.
Tellement, que luy meme en personne a été contrainct,
d’aller devers l’archeveque de Treves et le conte Palatin. Let-
tre du chancelier du Landgrave à Langey MS. Bethune 8616 f.
55.
2.
Sommes dejà après de conduire le tout en effet. Cas-
sel 9. Mars. MS. Bethune
8493.
3.
Aus dem Verhoͤre Caſali’s und Corſini’s, die man 1535 in
Ungarn feſtgenommen und inquirirte. Im Bruͤſſeler Archiv.
1.
Schreiben Philipps bei Stumpf Anh. nr. 14. Vgl. ein
anderes ſeiner Schreiben an Dr. Eck, deſſen Stumpf im Text p. 153
gedenkt.
2.
Wolfgang Brandner hatte ſchon im Juli 1533 die Sache
dem Koͤnig ziemlich richtig dargeſtellt. Bucholz IX, 76.
2.
Iſt ohne Zweifel der von Thoͤnis in dem Lied bei Heid:
Schlacht von Laufen. S. 88.
1.
Spaniſcher Bericht im Anhang.
1.
Neue Zeitung von des Landgrafen zu Heſſen Kriegshand-
lung bei Hortleder I, Bd. III, c. 12, iſt doch weder anſchaulich noch
auch zuverlaͤſſig, beſonders in der Zeitrechnung. Die ſicherſte Aus-
kunft gewaͤhrt das Schreiben Philipps an ſeine Raͤthe bei Rommel
II, 319. Noch unbrauchbarer als die neue Zeitung ſind aber die
andern Berichte. Jovius laͤßt den Pfalzgrafen am Tage der Schlacht
ſelbſt verwundet werden; wahrſcheinlich blos des Effectes wegen
(lib. 32, p. 128). Nicolaus Asclepius Barbatus legt Gewicht
darauf, daß der Landgraf von Heſſen angegriffen, „ea manu, quae
hostium numero vix responderet;“
natuͤrlich konnte er nicht mit
allen ſeinen Truppen zugleich angreifen, doch war ſeine Uebermacht
entſchieden. Tehtinger macht eine ganz ungefaͤhre Beſchreibung: von
equitus fremitus, armorum crepitus strepitusque, was zu gar
nichts fuͤhrt. In der fleißigen Monographie von Heyd: die Schlacht
von Laufen, Stuttgart 1834 findet ſich noch das Fragment eines
andern Schreibens von Philipp, das mit dem erſten uͤbereinſtimmt,
und eine recht gute Stelle Gabelkofers (Beil. III, V), die das
Obige beſtaͤtigen; nebſt einigen friſchen Landsknechtsliedern, die ſehr
willkommen ſind.
1.
Bericht des koͤn. Geſandten Sanchez an Ferdinand 15. Juni
1534 (Juli iſt wohl ein Schreibfehler) bei Bucholz IX 247. Wo-
bei mir nur auffallend iſt, daß Bucholz damit meine Annahme, der
Papſt habe um die Waffenerhebung des Landgrafen im Voraus ge-
wußt, zu widerlegen meint. Er hat alles, was der Papſt dem Nun-
tius zu ſeiner Beruhigung Freundliches ſagte, unterſtrichen, gleich als
ob das Mindeſte darauf ankomme, und nicht vielmehr der Hiſtoriker
nur nach dem Verfahren zu urtheilen habe. Jener Sanchez war
aber in der That nicht ſo devot, wie unſer Bucholz. Er erzaͤhlt ſei-
nem Herrn den Verlauf der Dinge, ut melius Ms Vra istorum men-
tes et cogitationes intelligat, quibus technis parent isti rem lon-
gius differre.
Er hat Verdacht: Suborta mihi fuit suspectio,
Stem S. non satis efficaci fervore procedere;
er geraͤth uͤber
die Ausfluͤchte, die man macht in Zorn: dolore et indignatione ac-
census replicui, cum tamen reverentia debita
und uͤberzeugt ſich
am Ende, daß nichts geſchehen werde opinor Papam daturum no-
bis bona verba.
Wenn ich uͤbrigens hiebei noch eine Vermuthung
wagen darf, ſo waͤre es die, daß Koͤnig Franz wirklich dem Papſt das
Wort gegeben haͤtte, daß die Unternehmung des Landgrafen keine kirch-
1.
Man ſieht das aus der Inſtruction des Kaiſers fuͤr den
Prinzen von Naſſau 12 Aug. 1534, welche v. Raumer (Briefe aus
Paris I, 262) excerpirt hat.
1.
liche Folgen nach ſich ziehen ſollte; wie das in den Zeiten des dreißig-
jaͤhrigen Krieges immer die Bedingung der Koͤnige von Frankreich bei
der Unterſtuͤtzung der Proteſtanten war. Daß eine ſolche Verſiche-
rung nicht gehalten werden konnte, lag jedoch beſonders bei dem
Eifer jener erſten Zeiten auch am Tage.
1.
Wir haben hieruͤber einen ausfuͤhrlichen Bericht des Biſchofs
von Lunden, der an den rheiniſchen Hoͤfen hin- und herzog, um dieſe
Sache ins Werk zu ſetzen, vom 1. Aug. 1534 im Br. Archiv.
2.
„Alldiweil man der wale ſachen halben nicht krieget.“ In-
ſtruction Philipps fuͤr ſeine Geſandten an den Koͤnig bei Rommel
III, 65.
1.
Schreiben Joͤrgen von Carlowitz bei Sattler III, Urk. p. 104.
2.
„Das kuͤnftiglich wann bei leben ains Roͤm. Kaiſers oder
Koͤnigs ain Roͤm. Koͤnig ſoll erwelt, alle Churfuͤrſten zuvor ſamen
beſchaiden werden davon zu reden, ob urſachen genugſam vorhanden
und dem Reich furderlich ſey, ainen Roͤm. Koͤnig — zu erwehlen
nnd wann ſie ſich da verainigt, das alsdann und nicht eher der Chur-
2.
fuͤrſt zur koͤniglichen wahl erfordert werde.“ Mainziſch-ſaͤchſiſches
Bedenken ibid. p. 101.
1.
Auszuͤge aus den Viſitationsacten bei Seckendorf III, §. 25
Add. III.
Die Inſtruction iſt vom 19. Dez. 1532.
2.
Bei Lommatzſch Narratio de Myconio. S. 55.
3.
Die geſammten Einkuͤnfte betrugen 2811 Gulden 11 Gro-
ſchen; ſie wurden mit 1900 G. vermehrt. Luther hatte bis dahin
200 G. Beſoldung gehabt; er bekam nunmehr 300 G.
1.
Knapp, narratio de Iusto Jona p. 17.
2.
Excerpte aus den Acten bei Rommel I, p. 191 und der Note.
1.
Schreiben des Urbanus Rhegius an die Augspurger 14.
Juli 1535 bei Walch XVII, 2507; vgl. Schlegel II, 51. 95. 211.
2.
Bericht des Cornelius Ettenius p. 498.
1.
Lang II, 42.
1.
Bedenken der markgraͤfiſchen Theologen uͤber die Kirchenord-
nung bei Strobcl Miscellaneen II, p. 148. Noch 1741 wagte es der
gute Hausmann nicht, uͤber dieſe Sache zu ſagen was er doch wußte.
Hausmann bei Spengler p. 55, 297.
2.
Bedenken bei D. W. IV, p. 389.
2.
Erklaͤrung des Rathes v. 1534. Ebendaſ. II, p. 41.
1.
Die Sechszehn Artikel der Synode von 1533 bei Roͤhrich II,
263, beſonders Art. 15.
1.
Harprecht V, 295. Eine ſaͤchſiſche Geſandtſchaft war dort
angelangt, um die Sache zu treiben. Schreiben von Planitz, Man-
tua 7. Dez. Dieſe bekam durch Held die Antwort, „und ſo weit
die Forderungen am Kammergericht und zu Rothweil belangen thut,
wuͤßte ſich J. Mt. wohl zu erinnern des Vertrags“ ꝛc.
1.
26. Jan. 1533. Harpprecht V, 300.
2.
„Dem Abſchied von Augsburg, ſonderlich der chriſtlichen Re-
ligion und Glaubens halber nachzukommen und ſtracks zu geleben.“
Es folgen noch andere Verfuͤgungen uͤber die Praͤſentation der Bei-
ſitzer, wenn die Kreiſe ſaͤumig ſind; uͤber die Abkuͤrzung der langen
muͤndlichen Vortraͤge. Harpprecht kannte dieſen Abſchied nicht. Ich
ſah ihn im Weim. A.
1.
Saͤchſiſches Bedenken zur Zuſammenkunft in Wien 1535.
Die Fuͤrwendung des Kammergerichts, als nehme es keine Religions-
ſachen vor, ſey durch den Vertrag abgeſchnitten, „indem das ſich K.
Mt. verpflichtet hat obwol uf beruͤrten nuͤrnbergiſchen Frieden etwas
Mißverſtand, — welcher Mißverſtand eben des Kammergerichts Ge-
genfuͤrwendung geweſt, — fuͤrgefallen, ſoll er doch aufgehoben ſeyn.“
1.
Das iſt ohne Zweifel der Sinn der etwas dunkeln Worte:
„das Hzg. Ulrich einen jedern in dem Fuͤrſtenthumb Wirtemberg der
Religionsſachen halber, in dem Weſen wie ſie bis uf ſein Einneh-
men (geweſen) verfolgen, und zugeſtellt werden.“
2.
Wir kennen dieſe Unterhandlungen aus einem Schreiben des
Chnrfuͤrſten von Sachſen an den Koͤnig bei Sattler III, p. 129.
An den Rand jenes Artikels ward geſchrieben: „Sol auſſen pleiben.“
3.
Durch Hans v. Doͤlzk Schreiben Ulrichs ibid. 124.
1.
Schreiben an Blaurer 22. Dezbr. 1534. Der Zuſatz „wie
Euch denn ſelber alles wohl wiſſen iſt“ beweiſt, daß Ulrich ſich von An-
fang nicht anders ausgedruͤckt hatte.
1.
Sie bekannten beide: Corpus et sanguinem Christi vere,
i. e. substantialiter et essentialiter non autem quantitative aut
qualitative vel localiter praesentia esse et exhiberi in coena.

Eine Formel, deren ſcholaſtiſche Faſſung vielen Evangeliſchen noch an-
ſtoͤßig war.
2.
In Schnurrers Erlaͤuteruugen der W. K. und Rf. Geſch.
lieſt man p. 127 als ein Factum, mancher, den Schnepf als zwei-
felhaft zuruͤckgewieſen, ſey ein paar Meilen weiter gewandert und von
Blaurer angenommen worden. Schnurrer beruft ſich dabei auf Fuͤß-
li’s Epistolae Reformatorum p. 99. Da findet ſich nun ein Schrei-
ben Hallers an Bullinger, worin jener nach Berichten Thomas Blau-
rers, ſchon im Auguſt 1534, alſo beim erſten Anfang von der Zwie-
tracht beider Parteien erzaͤhlt: quam male conveniat Wirtenbergen-
sibus ministris,
da die Schnepfianer ſehr auf die Schwaͤrmer ſchel-
ten, et dum de quibusdam de Schnepfio periculum sit, cum ad
ministerium apti sint, quum prima prope sit interrogatio de eu-
charistiae causa, si Lutheranus fuerit, quantumvis alioquin do-
ctus admittatur, sin minus rejiciatur et ab Ambrosio recipiatur.

Man ſieht, Thomas Blaurer ſprach davon nur als von einer Ge-
fahr, einer Moͤglichkeit. Eben ſo meinte wohl auch Jac. Sturm:
Schnepf ſchuͤhe die unſern, werde die in Anſtellung der Kirche mei-
den. Daß aber Faͤlle, wie ſie Schnurrer vorausſetzt, wirklich vorge-
kommen, waͤre noch erſt zu beweiſen.
2.
Schnurrer Erlaͤuterungen S. 149 nr. 1.
1.
Bericht Ambroſii Blaurers was er mit den Pfaffen Tuͤbin-
ger Amts ausgerichtet; bei Sattler III, Beil. nr. 16.
1.
Gaſſarus bei Menken I, p. 1798, ſie ſey geſchehen: non
sine totius Sueviae pfafforum monachorumque consternatione.
1.
Gaſſarus a. a. O. Stetten, 335. Zapf: Leben Stadions S. 82.
1.
Kirchner Geſchichte von Frankfurt II, 84; auf beide Staͤdte
komme ich zuruͤck.
1.
Schreiben Georgs an den Kaiſer in Fuͤrſt Georgs Schrif-
ten und Predigten p. 368.
2.
Schreiben des Fuͤrſten Joachim an Georg ibid. 384. Lu-
ther freut ſich dieſes Anfangs etiamsi id factum non sit sine gravi
periculo, magnis principibus contrarium suadentibus insuper etiam
minantibus.
Schreiben an die drei Bruͤder Johann, Joachim und
Georg, in Lindners Mittheilungen aus der Anhaltiſchen Geſchichte,
Heft II, wo ſich einige Briefe finden, die bei D. W. fehlen.
3.
Inſtruction fuͤr die Geſandten Johanns und Joachims von
Anhalt an den Erzbiſchof; — (Archiv zu Deſſau).
1.
Verhandlung zu Schmalkalden. Judica 1531. Er lehnte
den Beitritt zum ſchmalkaldiſchen Bund ab, „weil er noch mit ſeinen
Bruͤdern in ungetheilten Guͤtern ſitze.“
2.
Schreiben des Abt Johann Huls, (8. Juni) und der pom-
1.
Wolte, ſagt Luther, daß die Kloͤſter alle ſo ernſtlich Gottes
Wort wolten beten und halten.
2.
merſchen Ritterſchaft (25. October 1535) bei Medem Geſch. d. Einf.
der ev. Lehre in Pommern 197, 231.
1.
Der andre damals ausgetretene Buͤrgermeiſter war Andreas
Kleinſorg, Großvater des Gerhard von Kleinſorgen, der eine weſt-
faͤliſche Kirchengeſchichte im katholiſchen Sinne verfaßt hat.
2.
Den katholiſchen Geiſtlichen ward vorgeſchrieben „ut ho-
neste viverent — — abolita superstitione tantum;“
ſie wichen
groͤßtentheils aus der Stadt.
1.
Hamelmann hist. renov. evangelii 1328, hier m. Hauptquelle.
1.
„Wollen, daß nun und hinfuͤro kein fremder Mann, Frau,
Knecht oder Magd, welche aus ſolchen Staͤdten und Flecken herkom-
men, die der neuen Lehre anhaͤngig oder deshalb beruͤchtigt ſind, zu
Dienſtboten in unſrer Stadt Paderborn angenommen werden, 1532
18. October. Bei Kleinſorgen Bd. II, p. 364.
1.
So erzaͤhlt der aͤlteſte einfachſte Bericht: Dorpius wahrhaf-
tige Hiſtorie, wie das Evangelium zu Muͤnſter angegangen: „ſo ward
die Kirche, daß nicht zu Lerman gerieth, geoͤffnet.“
1.
Inſtruction und Berichtung des muͤnſterſchen Marſchalls
Thanne von Hardt in den Kleviſchen Acten des Duͤſſeldorfer Archivs
erzaͤhlt. Unterhandlungen und Angriff wie bekannt: „alsdann etlich
unſer gewaltigen Herren von Muͤnſter, desgleichen rede verordnete
eins Domcapitels u. der Ritterſchap, ok ſomige ander des Adels, ok
ſomige von den Stedten gefenglich genummen, — —
2.
Schreiben des Confirmirten Franz 17. Jan. 33. „ſind wir
durch etzliche Grafen auch ein trefflichen Adel u. Verwandte, ſunder-
lich den von Buern und Mengersheim umb Erloͤſung derſelben die
alſo in unſerm Dienſt niedergelacht, ſehr heftig angeſoicht.“
1.
Stellen aus ſeinem Buch von der Liebe bei Arnold I, 1305.
In ſeinen Meinungen blieb er ſich wohl nicht gleich. Oekolampa-
dius (Epp. Zw. et Oec. p. 169) behauptet, er habe kurz vor ſeinem
Tode widerrufen, — „etiamsi nec illa purgatissima erant.“ Vgl.
Vadian an Zwick bei Fuͤßli Beitraͤge V, 397.
2.
Roͤhrich Geſch. der Ref. im Elſaß I, 338. Auf ihn bezieht
ſich wohl Zwingli in den Elenchus contra Catabaptistas, wenn er
ſagt: apud Vangiones Denckii et Hetzeri cum Cutiis nescio qui-
bus nihil obscure plenam perlitationem per Christum negant, quod
nihil aliud est, quam novum testamentum conculcare.
1.
Newe Zeyttung von den widderteufern und yhrer Sect 1528.
Angehaͤngt ſind 13 Artikel „welche ſie fuͤr warhaftig halten.“ Z. B.
„Es ſey ein inniges ziehen des Vaters damit er uns zu yhm ziehe,
das ſey wenn man lere recht thun von auſſen.“ — — „Sie moͤgen
Guts thun von yhnen ſelbſt wie ſie erſchaffen.“
1.
Newe Zeyttung. In Zauners Salzburger Chronik, V, 119,
finden ſich, obwohl ihm jene Nachricht unbekannt geblieben iſt, doch
ſonſt einige ergaͤnzende Notizen uͤber jenen Pfarrer u. ſ. w.
1.
Das Lied z. B., das in den muͤnſterſchen Geſchichten und
Sagen p. 291 mitgetheilt iſt. Der Gefangene wird da gefragt, ob
Chriſtus von Mariaͤ Fleiſch und Blut ſey.
„Das hab ich nie geleſen, hab ich vor ihnen bekannt,
„Wie ſoll der von Erde weſen, den Gott uns hat geſandt.“
2.
Bullinger an Vadian: ſagt von Schwenkfeld: Hoffmanni
dogma de carne Christi coelitus delata primus invenit etsi jam
dissimulat.
Butzer giebt ihm die ganze Wiedertaͤuferei Schuld Epp.
Ref. p.
112.
3.
Auszug aus ſeiner Auslegung des 12. Capitels Danielis bei
Krohn: Geſchichte der Wiedertaͤufer (nur Melch. Hoffmanns) p. 90.
1.
Die dritt Chronika Von den Paͤpſten und geiſtlichen Haͤn-
deln p. 165.
2.
Roͤhrich II, 93, 101.
1.
Sebaſt. Frank. p. 169.
2.
Sattler Herzoͤge II, p. 174.
1.
Ein von den Rhodiſern im Jahr 1532 verbreiteter Brief
in Corrodi Geſchichte des Chiliasmus III, p. 20. Seine Mutter
hieß Rachuma (die Erbarmerin). Als er geboren ward (5. Maͤrz)
erſchien die Sonne bei Nacht — verſchwand darauf am folgenden
Tage. Es regnete Perlen, was das Volk bedeutet, das ſich eidlich
verpflichtet ihm zu folgen.
2.
Antonius Pontus, Hariadenus Barbarossa bei Matthaei Ana-
lecta veteris aevi I, p.
1. nennt es „ut vulgatissimum ita anti-
quissimum verbum divinum.“
1.
Der Widertaͤuffer lere und geheimniß aus h. Schrift wi-
derlegt, durch Juſtum Menium; in Luthers Werken Wittenb. Aus-
gabe II, 262.
1.
„Zu geſchwinde.“ Abſchied der Verſammlung zu Frank-
furt Trinitatis 1531.
2.
Das weltliche Oberkeit der Wiedertaͤuffern mit leiblicher
Strafe zu wehren ſchuldig ſey, Etlicher Bedenken zu Witenberg 1536.
In den Anmerkungen wird beſonders den Maulchriſten der Krieg ge-
macht, die evangeliſche Lehre wird nicht getadelt.
3.
Melanchthon in den Briefen Luthers von Lindner p. 24.
1.
Sattler III, Bd. 44. Roͤhrich.
2.
Winter Geſchichte der baierſchen Wiedertaͤufer p. 35.
3.
Sendbrief Jacob Hutters an den Landeshauptmann zu Maͤh-
ren: Annales Anabaptistici p. 75.
1.
Locorum communium collectanea a Johanne Manlio Ex-
cerpta p. 483. „habebat conjugem mirabilem quae coepit insanire
amore Rotmanni, quapropter et virum veneno interemit.
Bei
Keſſenbroik iſt das nicht ſo unbedingt gewiß. Dagegen findet ſich
in der Postilla Melanchthoniana eine ſogar noch haͤrtere Verſion
der nemlichen Geſchichte. Excerpirt bei Strobel von den Verdienſten
Melanchthons um die heil. Schrift 1773. p. 89.
1.
Dorpius wahrhafftige Hiſtorie wie das Evangelium zu Muͤn-
ſter angefangen, Bog. C. Brach ſemel in ein große breite ſchuͤſſel,
gos wein darauff und nachdem er die Wort des Herrn vom nachtmal
dazu geſprochen hatt, hies er die ſo des Sacraments begerten zu-
greiffen und eſſen: davon iſt er Stuten Bernhard genannt worden,
denn ſemel heißt auf ire ſprach ſtuten.
1.
Bekenntniß des gefangenen Wiedertaͤuferpraͤdicanten Diony-
ſius von Dieſt genannt Vynne in Nieſerts Muͤnſteriſcher Urkunden-
ſammlung I, p. 48.
1.
Reſtitutie des rechten und warrachtigen verſtandes foͤrniger ar-
1.
Dorpius D. III. das ein jeder ſolt frei ſein bei ſeinem Glau-
ben zu bleiben, ſolten alle widder heim ein jeder in ſein haus zie-
hen, frieden haben und halten.
1.
ticule, eine in Muͤnſter gedruckte Schrift, aus der Arnold (Kirchen-
und Ketzerhiſtorie) die Beſluytreden hat abdrucken laſſen. Vergl. das
Bekenntniß von Jacob Hufſchmidt bei Nieſert p. 155.
1.
Kersenbroik Historia anabaptistica MS. denn es bleibt
immer nothwendig mit der deutſchen Ueberſetzung dieſes Werkes 1771
das Original zu vergleichen. Der Abdruck bei Mencken umfaßt kaum
ein Drittheil des Originals, und zwar fehlen eben die Hauptſachen.
1.
Protocoll einer cleveſchen Rathsſitzung zu Berg (Duͤſſeld.
A.). Nachdem zu beſorgen, das Heſſen mit underlouffen und viel-
leicht eine verennderung der ſtifte geſcheen mochte.
1.
Kerſenbroik. In campum dominicum cum incredibilis li-
brorum multitudo perlata esset, qui etiam ultra viginti millibus
florenorum valebant, — incomparabilem urbis thesaurum flamma
subita absumit.
1.
Kersenbroik fol. 218: Ordinatio politici regiminis a 12
senioribus recens introducta. § 9. ut in cibis administrandis le-
gitimus servetur ordo, praefecti ejus rei officii sui memores ejus-
dem generis fercula uti hactenus fieri consuevit singulis diebus
fratribus sororibusque in disjunctis et disparatis mensis modeste
et cum verecundia sedentibus apponent.
Es ſcheint wohl, als ob
ſich dieß vorzugsweiſe auf die bei der Vertheidigung Beſchaͤftigten
bezogen habe.
2.
Hortensius p. 301. Joannes Matthias hanc autoritatem
sibi pararat, ut unus jam inde supra leges esset, unus scisceret,
juberetque quae viderentur, antiquaret, abrogaret leges, aliasque
pro libidine conderet.
3.
Bekenntniſſe Jan Bockelſon’s: „ſyn Vater genannt Bockel
und iſt ein Schulte geweſen bynnen Sevenhagen. Soll wohl hei-
ßen: Grevenhagen, wie ihn denn auch Kerſenbroik Praͤtor in Gre-
venhagen nennt; die Mutter war eine Leibeigne der Schedelich, aus
Zolke im Amte Dodorf im Muͤnſterſchen.
1.
„Doch find ich von jenem im Truck ausgangen, daß er von
Angeſicht, Perſon, Geſtalt, Vernunft ein redſprech, rahtweiß anſchle-
gig, an Behendigkeit unerſchrockenem ſtolzen Gemuͤt von kuͤnen Ta-
ten und Anſchlegen ein edel wohlgeſchickt und wunderbarlich Mann
ſey geweſen.“ Sebaſtian Frank die andere Chronik 266.
1.
In einer gleichzeitigen Notiz in Spalatin Annales Refor-
mationis p.
302. findet ſich, daß auch Rottmann 4 Eheweiber nahm.
1.
Ne ex crebris bombardarum tonitruis hostes oppidanos
inter se dissidere suspicentur neque tantam pulveris jacturam
faciant decretum est reliquos sexaginta lex gladio ferire, quae
poenae executio Knipperdollingo committitur, qui singulis diebus
aliquot pro arbitrio suo productos et tandem ad unum omnes
capite plectit, nisi quod propheta interim animi et exercitii causa
in nonnullos animadverterit
(Kerſenbroik).
1.
Von der Verborgenheit des Rykes Chriſti ende von den
Dagen des Herrn Cap. V. bei Arnold Kirchen- und Ketzergeſchichte
I, 994. Schade daß die letzten ſieben Capitel, um ein paar Blaͤt-
ter zu ſparen, weggelaſſen worden.
1.
Rothmann von tydliker und irdiſcher Gewalt: handſchrift-
lich in Muͤnſter; excerpirt in Jochmus Geſchichte der Wiedertaͤufer,
p. 188. Es iſt uͤbrigens merkwuͤrdig, welch eine auffallende Aehn-
lichkeit dieſe Gedanken mit den Ideen habe, welche Robespierre pro-
clamirte, nachdem er den Atheismus niedergekaͤmpft zu haben glaubte.
Man vergl. ſeine Rede am Feſt des hoͤchſten Weſens 8. Juni 1794.
„L’auteur de la nature avait lié les mortels par une chaine im-
mense d’amour et de felicité; perissent les tyrans, qui ont osé
la briser. Français republicains c’est à vous de purifier la terre
qu’ils ont souillée et d’y appeller la justice, qu’ils en ont
banni. Buchez et Roux histoire parlementaire XXXIII, p.
179.
Der Unterſchied liegt nur in den uͤberkommenen Religionsbegriffen;
die Intention, einen urſpruͤnglichen Gluͤckszuſtand herzuſtellen, iſt
ganz dieſelbe.
2.
Eine Probe ihrer Exegeſe gewaͤhrt das Bekenntniß des ehe-
maligen Pfarrers Dieſt: Chriſtus ſpreckt, myn rike iſt nicht van die-
ſer werlt, heft duſen Verſtand: Chriſtus rick iſt ein rick der Gerech-
ticheit und der Wairheit, dat rike avers duſer werlt iſt ein rieke der
bosheit und ungerechtigkeit.
1.
Vergl. das Geſpraͤch des Johann v. Leiden mit Corvinus.
2.
Eines ſeiner Geſetze, von Kerſenbroik und etwas abweichend
von Herrsbach lateiniſch mitgetheilt, findet ſich in dem Archiv zu
Duͤſſeldorf deutſch. Es faͤngt ſehr charakteriſtiſch an: Kundlich und
openbar ſy allen Liefhebberen und Toſtendern der Wahrheit, und
gotlicher Gerechtigkeit, ſowol der Unvorſtendigen, als in der Verbor-
genheit Gottes Verſtaͤndigen. So und in wetmaten de Chriſten
und ere Toſtendere ſick unter dem Panier der Gerechtigkeit als ware
1.
Ant. Corvinus de miserabili Monasteriensium anabaptista-
rum obsidione ad G. Spalatinum ap. Schardium II, 315. aulam
praefecturis ac officiis ita instituerat, ut si natus rex fuisset, pru-
dentius non potuerit; erat enim in excogitandis iis, quae rega-
lem pompam decebant, mirus artifex.
2.
Iſraeliten in dem nyen Tempel in jegenwerdicheit des Richs vorlanges
verſeen durch den munth der Propheten belovet, vermitz (vermittelſt)
Chriſtum und ſeiner Apoſteln in Kraft des Geiſtes angefangen, und
geopenbaret, und nu an Johann den Gerechten in dem Stule Da-
vids gelofflichen und in wederſprechlichen vorhanden, ſchicker wandern
und haben ſollen — —
1.
Neuſte Zeitung von den Wiedertaͤuffern zu Muͤnſter 1535.
2.
Dorpius „und gefiel im ſelbs ſo wol uͤber dieſen mord, das
er ſein noch lachet.“
1.
Bekanntniſſe Hyllen Feyken aen pyn am Freydag nach Na-
tivitatis Joh. Baptiſtaͤ — pynlig Bekanntniſſe H. F. am Saterdag
na J. B. Bei Nieſert I, 40, 44.
1.
Noch ein Beiſpiel von Kerſenbroiks Schilderung. Piceas
coronas adhibita face incendunt, atque ita fragrantes furculis qui-
busdam ferreis in ascendentium colla injiciunt, qui horrendis flam-
mis ipsa arma penetrantibus miseris modis excruciati sorsum deur-
sumque cursitant majorique motu flammas exsuscitant et frustra
chirotecis e crassioribus femorum pellibus ad hoc comparatis ar-
dentia serta eximere tentant, ita enim fragranti pice et resina
contrahuntur, ut manus inde retrahere nequeant: tandem quidam
eorum proni concidunt, seseque in terra algenti prae intolerabili
cruciatu ita volvunt ut herbae circumquaque flammas emarces-
cerent: hinc magno clamore animam evomunt; alii vero conceptas
flammas restincturi in fossas proruunt et pondere armorum de-
pressi subsidunt.
1.
Baczko IV, 219.
2.
Seckendorf Hist. Luth. III, § 25, p. 71.
1.
Lang II, 33. Sattler III, p. 104.
2.
Haller und Frecht bei Ottius p. 69, 81.
3.
Rathsprotocoll vom Maͤrz 1534.
4.
Lambertus Hortenſius tumultus Anabaptistarum ap Schard.
II, p.
306. Dieſe niederlaͤndiſche Nachrichten ſind bei Hort. das
Wichtigſte.
1.
Brandt Histoire de la reformation I, p. 50.
2.
Schreiben des Statthalters von Friesland an den Biſchof
von Muͤnſter. Lewarden 25. Januar (Duͤſſ. A.).
3.
Sebaſtian Frank: andre Chronik p. 267.
4.
14. Jan. 1535, gedruckt in der kleinen Schrift: Acta Hand-
lungen Legation und Schriften, ſo durch Landgraf Philippſen in der
Muͤnſterſchen Sache geſchehen 1536 Bog. II.
1.
Das ein jeder Fuͤrſt, Coͤlln Cleve und Muͤnſter 4000 Solde
zu Underhaltung der Knecht ſo itzo vor Muͤnſter liegen und 1000
Graͤber ein Monat lang darſtrecken und beſolden (was eine Summe
von 12000 Kn. und 3000 Schanzgraͤbern giebt) und daneben ſemmt-
lich 10000 Embder Gulden zu Beſtellung Pulvers zum allerfuͤrder-
lichſten erlegen ſullen, welchs zu jedes Knechts und Graͤbers Sold
auf 4 Embder G. gerechnet ſamt den itzigen 10000 E. G. ſich zu-
ſammen in der Summa 70000 E. G. die dann 60000 Goldg. machen
ertregt; alſo ein jeder Chf und Fuͤrſt 20000 G. darzuſtrecken ange-
nommen.
1.
Auszug aus dem Abſchied zu Mainz im Duͤſſ. Arch. „ach-
ten die churfuͤrſtl. Rethe fuͤr den nuͤtzeſten und fuͤrtreglichſten weg,
das ander Fuͤrſten und Stende des Reichs als nemlich neben ihrem
der Churfuͤrſten Kreis des rheiniſch (Oberrh.) niederlendiſchen und
weſtfeliſchen Kreis zu dieſem Handel gezogen werden.“
1.
Der Coblenzer Abſchied findet ſich nur bei Kerſenbroik. In
Coblenz und in Duͤſſeldorf ſuchte ich ihn vergebens.
1.
„Slan doot alle Monniken und Papen u. alle Overicheit,
de in der werlt ſint, went allenne unſe Konink is de rechte Overicheit.“
Beninga Hiſtorie van Ooſtfriesland bei Matthaͤus: Analecta vet.
aevi IV, p.
680; wo ſich auch uͤberhaupt einige charakteriſtiſche Nach-
richten finden.
1.
Extraict de ce, que Maistre Everard Nicolai conseiller
au grand conseil ordonné à Malines escript à son frère Mr. Ni-
colas Nicolai. Les Anabaptistes par instigation et messaiges se
sont esmeus et rassemblés en nombre de plusieurs mille sur la
côte de la mer d’Hollande pour dela neviger au pays d’Overys-
sel où ils devaient à certain jour préfix tenir communication de
leurs affaires dedans un monastère qui s’appelle Bergklooster au-
près de la ville de Hasselt; etc.
Nicolai war ausdruͤcklich dahin
gegangen, um ſie zu bekehren. Nach ihm waren es 20 Fahrzeuge und
3000 Menſchen geweſen. Er fand jedoch nur noch 5 Maͤnner und
13 Weiber, die er denn bald von ihrem Irrthum uͤberzeugte.
2.
Hortensius tumultuum Anabaptistarum liber unus bei
Schardius Scriptt. R. Germ. II, 310.
1.
Nie Tydongen an den Erzbiſchof tho Coͤllen. Nieſert p. 198.
Nach einem Schreiben des Feldhauptmanns vom 7. Mai erzaͤhlt ein
ausgefallener Knecht, es ſey große Armuth, die Gemeine murmurire,
der Koͤnig mit ſeinem Anhang ſuche nur den Aufruhr zu vermeiden.
1.
Corvinus ad Spalatinum: vidi ipse multos ibi libros,
quorum detracta coria victum miseris suppeditarunt — immo scio
pueros quoque comesos ibi esse, id quod ab iis auditum mihi
est, qui in reliquias quasdam capta urbe ejus rei testes incide-
runt.
1.
Ich folge hier wie bei der Erzaͤhlung der Eroberung uͤber-
haupt einer Flugſchrift: Warhafftiger bericht der wunderbarlichen
Handlung der Dueffer zu Muͤnſter in Weſtvalen, wie ſich alle ſachen
nach eroberung der ſtat und in der eroberung zugetragen, die noch
vor der Execution des Jan von Leiden geſchrieben worden; ſie hat
ſein Bildniß in Holz. Anders erzaͤhlt jedoch Kerſenbroik. „Donan-
tur vita et positis armis urbe protinus praeeuntibus quibusdam
militiae ducibus exire jubentur. Cum vero liberum exeundi com-
meatum impetrassent multi eorum ad aedes suorum necessariorum
forte aliquid inde allaturi sese subducunt atque iter ab aliis ad
exeundum paratis sponte sua divelluntur, ubi cum longiorem mo-
ram fecissent, jam tuto egressos eodem certe commeatu confisi
fine ducibus subsequi contendunt, qui a militibus intercepti mac-
tantur.
Ich laſſe Jedem ſein Urtheil, doch ſieht das faſt wie eine
Beſchoͤnigung und Entſchuldigung aus. Jener aͤlteſte Bericht ſagt:
ward auf beiden partheien ſo vil gehandlet das ein yetlicher ſolt wi-
der heim in ſein haus ziehen, bis auf die Zukunft des biſchofs des
gnaͤdigen herrn, dann ſolt weiter in den ſachen gehandlet werden.
Darauff ward jenen glauben zugeſagt und zoch ein yetlicher wieder
heim in ſein haus. Als aber die landsknecht großen merklichen ſcha-
den empfangen — fielen ſie mit grimmigem zorn in die heuſer und
wo ſie der einen funden, riſſen ſies mit den koͤpfen aus den heuſern
auf die ſtraßen howens zu ſtucken ſtechns all zu todt. Kurz demnach
ward umbgeſchlagen daz man kein mer todtſchlagen ſolt etc.
1.
Handlung auf dem Tag zu Nuyß, 1535 15. Juli. Sie
wandten ein, dazu gehoͤre die Einwilligung von Kaiſer und Reich;
es laufe wider die Privilegien der Stadt, man ſolle lieber den Wall
ſchleifen und die Graͤben fuͤllen.
1.
Bei Kerſenbroik finden ſich articuli de propugnaculo
die in der deutſchen Ruͤckuͤberſetzung nicht ganz richtig lauten. Z. B.
§. 4 „neque hic sine capituli et nobilitatis consensu inauctora-
bitur neque exauctorabitur;“
die Ueberſetzung: er ſolle ohne Einwil-
ligung des Capitels weder ein noch abgeſetzt werden.
1.
Geſprech oder Disputation Antonii Corvini und Johannis
Kymei mit Johann v. Leiden. Gleichzeitiger Wittenberger Druck.
Im Bogen G findet ſich ein Bekenntniß von Johann v. Leiden
„mit miner eighene hand ondertekent.“
1.
Des muͤnſteriſchen Koͤnigreichs an und abgang, Bluthandel
und End; Samſtag nach Sebaſtiani Anno 1536. Vorn ſieht man
den Lambertithum, mit eiſernen Koͤrben, in denen die entſeelten Lei-
ber aufgeſtellt wurden, der Koͤnig etwas hoͤher als die beiden an-
dern. Das Schriftchen iſt nichts als eine Geſchichte der Execution.
2.
Corvinus ad Spalatinum l. 1. 318. Tanto Anabaptistis
iniquior sum, quanto certius comperi illorum malitia factum esse,
ut vix mutire nunc audeant, qui antea veritati erant addictissimi.
1.
Vgl. das Lied des gefangenen Wiedertaͤufers, die zwei Jung-
frauen von Beckum: O lieber Vater und Herzog mild, in den Muͤn-
ſterſchen Geſchichten und Sagen p. 277 f.
2.
Vgl. Pura, im Wunderhorn I, 146, und Algerius ebenda
p. 353.
3.
Abſchied vom Leben M. Geſch. u. S. 284.
1.
Summarium von allem was die drei Reiche Denemark,
Schweden und Norwegen an whare und anderm vermuͤgen, im Ar-
chiv zu Bruͤſſel.
1.
Regkmann luͤbiſche Chronik, ſonſt nur eine Wiederholung
des Bonnus, hat hier einen eigenthuͤmlichen beſtaͤtigenden Zuſatz.
1.
Literae Banneri ad Caesarem de gestis apud Vandalicas
civitates s. a.
Archiv zu Bruͤſſel.
2.
Denn ſo iſt die bisherige Annahme zu modificiren. „Fuͤ-
gen E. L. ganz freundlich zu wiſſen,“ ſagt Koͤnig Friedrich in einem
Schreiben am Tage J. Joannis 1531 an Landgraf Philipp, „das
2.
wir ernſtlichen wol geneigt, uns mit Ir und unſern lieben Oheimen,
dem Churf. v. Sachſen ſamt dem Herzog v. Luͤneburg von unſerer
Reich und auch Erblande wegen ſunderlich und allein in eine Einung
und Verbuͤndniß weltlicher Sachen Hendel und Thuns halber zu be-
geben.“ Wenn dieß Buͤndniß vollzogen, „ſein wir folgend darnach
auch nit ungemeint, ſondern wol Gemuͤts und alsdann mit allen an-
dern Chf. FF. Graven und Stenden, dem Evangelium anhengig un-
ſer Erblande halben allein Einung Verſtand und Verbuͤndniß anzu-
nehmen.“ Der Landgraf hoffte, daß dann auch Hamburg, Roſtock,
Wismar Stade eintreten wuͤrden.
1.
Bonnus und Regkmann: mit der Vertroͤſtung, ſie wollen
widerumb der Stadt Luͤbeck Beiſtand thun gegen die Hollaͤnder und
ihnen hernach nicht vergunnen, mit ſo viel Schiffen durch den Sund
zu laufen.
1.
Wagenaar niederlaͤndiſche Geſchichte II, 423.
1.
Des driden Jaers ſol he freye ſin des Rads, men he moͤghe
id dann mit Bedde von eme hebben, dat he ſoeke den Rad. Becker
II, p. 54. Ich kenne die Gruͤnde nicht, worauf ſich Barthold ſtuͤtzt,
wenn er in ſeinem Aufſatz uͤber Wullenweber in Raumers Taſchen-
buch 1835 p. 37 das Statut folgendergeſtalt auslegt: es ſolle Nie-
mand laͤnger als 2 Jahre im Rathe ſitzen, falls nicht die Buͤrger
aus beſondern Gruͤnden auf eine Erſtreckung der Wuͤrde antragen.
1.
Propositions for the Kings council bei Strype: Memo-
rials ecclesiastical I, 238. Statepapers I,
411.
1.
Saſtrow I, 115.
1.
Hermanni Bonni Schrift an den unordentlichen Rath, 4.
Mai 1536. Bei Starke luͤbeckiſche Kirchenhiſtorie I, Beilage Nr. V.
1.
Schreiben der Gemeinde von Kopenhagen an Koͤnigin Maira
5. Mai 1535 (A. zu Bruͤſſel) fuͤhrt die Gruͤnde aus, weshalb man ſich
empoͤrt „darum das dieſes Richs Raidt und der Adel uͤber das ſie un-
ſern rechten Koͤnig — — entſetzt, bisher mit manichfaltiger unredlicher,
unleidlicher Beſwerung nicht weniger uns denn alle andere Stette
und gemeinen Mann im ganzen reich fon unſern chriſtlichen Freihei-
ten und Gerechtigkeiten gezwungen, die Kaufmannſchap hinwegge-
nommen“ u. ſ. w. Das letzte Moment fuͤhrt auch Rerum danica-
rum chronologia,
bei Ludewig Reliquiae MSS. H. p. 70 auf. No-
bilitatis osores gravissimi ob negotiationes quas exercebant di-
tiores.
1.
Vergl. Hvitfeld G, II Pontanus ap. Westphalen 1144.
2.
Ausſage Wullenwebers in ſeinem Interrogatorium, beſtaͤ-
tigt von Gebhardi II, 135.
1.
Wullenweber verſichert, die Abſicht ſey nur auf Daͤnemark
gerichtet.
1.
Kantzows Chronik von Pommern in der ſorgfaͤltigen Aus-
gabe von Boͤhmer p. 211.
2.
Oratores missi de villa de Lubicke bei Rymer Foedera
VI, II,
214. Von einer Fortſetzung der State-papers laͤßt ſich wei-
terer Aufſchluß uͤber dieſe Angelegenheit erwarten. Zunaͤchſt iſt
merkwuͤrdig, daß der Koͤnig ſich auch mit Hamburg verbinden
wollte for the redressing a. amending of the injuries doon to
his majestie by the bishop of Rome;
es werden ihnen Artikel
vergelegt, die ſie annehmen ſollen: z. B. against Goddes prohibi-
tions the dispensation of the bishop of Rome or of ans other
man is utterlie nought a. of no value;
dieſelben die auch den Luͤ-
beckern vorgelegt wurden, und außerdem noch einige andere auf das
biſchoͤfliche Regiment bezuͤgliche; ſie ſollen dem Koͤnig mit 12 Schif-
fen zu Huͤlfe kommen, und ihm fuͤr ſeine Koſten 10000 Mann ver-
ſchaffen 3000 M. z. Pf. und 7000 z. F. Abgedruckt in der Report
of the Rec. commission app. C.
1.
Wuͤrde er keines von beiden wollen, denn noch hatte er ſich
nicht entſchloſſen, ſo verpflichteten ſie ſich, ihm ſeine Anleihe zuruͤck
zu zahlen. „Alle und itlik Geld, ſo S. K. M. der Stadt thom
beſten vorſtrecket.“ Worte des Vertrages, den mir Herr Dr. Smidt
aus dem Bremer Archiv freundlichſt mitgetheilt hat.
2.
Literae Archiepiscopi ad Caesarem, et Dm de Granvella
1.
Cragius Historia Christiani III, p. 395. Hemming ora-
tio funebris ad calcem historiae Cragianae.
2.
in dem dritten Bande der Reichsdoc. zu Bruͤſſel. Beſonders merk-
wuͤrdig das Schreiben vom 1. Aug. 1534, das ich im Anhang mit-
zutheilen denke.
1.
Chytraeus Hist. Sax. p. 408.
1.
Mit dem Interrogatorium Wullenwebers ſtimmt die Chro-
nik Regkmanns, wenn man ſie nur genau anſieht, p. 176, ſehr gut
uͤberein. Nur finden ſich bei Regkmann noch einige Vermuthungen,
z. B. von den Feinden Wullenwebers ſey ihm nicht gegoͤnnt wor-
den, daß Luͤbeck durch ihn groͤßer werden ſollte.
1.
Nach einem Schreiben von Hopfenſteiner 20. Jan. 1535
verſprach der Koͤnig 1) gute Unterhaltung des gefangenen Chriſtiern
2) Zufriedenſtellung des Grafen Chriſtoph; 3) Erſtattung von dem
was Luͤbeck „bei ſeines Herrn Vaters Zeiten“ auf das Koͤnigreich
Daͤnemark verwandt hat. 4) In den Koͤnigreichen Daͤnemark und
Norwegen ſo wie dem Fuͤrſtenthum viel mehr Freiheit und Gerech-
tigkeit, als ſie bisher gehabt, und ſogar einige Staͤdte zum Unter-
pfand, „jedoch ſie daran nicht gewullt.“
1.
Erklaͤrung Albrechts Montag nach Reminiscere 1537 (A.
z. Br.).
2.
Interrogat.
3.
Hopfenſteiner 26. Nov. 1534, wo die Unterhandlungen ſchon
im Gange waren. Die Ausſicht, Mecklenburg zu gewinnen, trug
wohl das meiſte dazu bei, daß man die Erbietungen Chriſtians von
ſich wies. Wullenweber verſichert, daß er weder jenen Frieden ge-
hindert, noch auch Herzog Albrecht geworben, ſondern daß dieß durch
Andere geſchehen ſey, ſo haͤngt es ſehr gut zuſammen.
1.
Chytraeus: oculus nobilitatis eruditae in his terris ful-
gentissimus.
Vergl. Chriſtiani N. Geſch. von Schleswig und Hol-
ſtein I, 479 II, 54.
1.
Cragius Historia Friderici III, p. 95.
1.
Becker Geſchichte von Luͤbeck, aus Reimar Kock und Lam-
bert von Dalen. II, 91 — 95.
1.
Artikel 31 ſagt er: ſie haben die Handlung des Widdertaufs
nit genzlich beſchloſſen, ſonder eins wuͤrde das andre wol gebracht
haben.
1.
In Regkmanns Chronik iſt eine Nachricht uͤber ſeine letzte
Anklage und Hinrichtung, mit ein paar Briefen aus ſeinem Gefaͤng-
niß abgedruckt. Sonderbarer Weiſe iſt dergeſtalt die Entſchuldigung
aber nicht die Anklage bekannt geworden. Dieſe, die in dem Ver-
hoͤr enthalten iſt, gedenke ich im Anhang mitzutheilen. Dieſes Verhoͤr
das ich im Weimar. Arch. unter den Wolfenbuͤttelſchen Papieren fand,
iſt mir im Ganzen doch ſehr erwuͤnſcht und nuͤtzlich geweſen. Nur
einige wenige Puncte und eben die zweifelhafteſten hat Wullenweber
unter der Pein der Tortur bekannt. Dagegen iſt vieles andere ohne
unmittelbaren Bezug [auf] die peinliche Anklage, mehr hiſtoriſcher Na-
tur, und es wird hie und da durch weniger gewuͤrdigte Stellen der
Chroniſten oder vergeſſene Documente auffallend beſtaͤtigt. Es ver-
ſteht ſich von ſelbſt, daß ich nichts angenommen, was Wullenweber
vor ſeinem Tode wieder gelaͤugnet hat.
1.
Statuta collegii facultatis theologicae bei Foͤrſtemann lib.
decanorum p. 152. Volumus purum evangelii doctrinam, consen-
taneam confessioni quam Augustae — exhibuimus — pie pro-
poni; — severissime etiam prohibemus spargi haereses, damna-
tas in synodis nicaena, Constantinopolitana, Ephesina et Chal-
cedonensi, nam harum synodorum decretis de explicatione doc-
trinae, de deo patre filio et spiritu sancto et de duabus natu-
ris in Christo, nato ex virgine Maria assentimur eaque judicamus
in scriptis apostolicis certo tradita esse.
2.
Petitio illustrissimorum principum, data legatis sermae re-
giae dignitatis 25. Dec.
1535. Der Koͤnig ſoll verſprechen, ſich
nach Confeſſion und Apologia zu richten; nisi forte quaedam — ex
verbo dei merito corrigenda aut mutanda videbuntur
1.
Bericht von etlicher großen Gemeinen Prediger Unterredung
in Schroͤders Evangeliſchem Meklenburg I, 301. „qui velut obliti
humani nominis omnia sursum ac deorsum miscent tam in repu-
blica quam in causa christianae religionis — — ne dissimula-
tione malum irrepat atque magistratus auctoritas labefactetur.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


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Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 2. Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bns7.0