[][][][][][][[I]]
Ueber die
phantaſtiſchen
Geſichtserſcheinungen.

Eine phyſiologiſche Unterſuchung

mit einer phyſiologiſchen Urkunde des Ariſtoteles
uͤber den Traum,

den Philoſophen und Aerzten gewidmet


Coblenz,:
beiJacob Hölſcher.
1826.

[[II]]

Zwei Behandlungsarten ſind zur Finſterniß und Verſpätung
die traurigſten Werkzeuge; entweder man nähert und verknüpft
himmelweit verſchiedene Dinge in düſterer Phantaſie und witziger
Myſtik, oder man vereinzelt das Zuſammengehörende durch zer-
ſplitternden Unverſtand, bemüht ſich nahe verwandte Erſcheinun-
gen zu ſondern, jeder ein Geſetz zu unterlegen, woraus ſie zu er-
klären ſeyn ſoll.


(Goethe.)

[[III]]

Vorwort.


Die gegenwaͤrtige Unterſuchung iſt als eine Fortſetzung
der fruͤheren phyſiologiſchen Arbeiten des Verfaſſers
uͤber den Geſichtsſinn (zur vergleichenden Phyſiologie
des Geſichtsſinnes des Menſchen und der Thiere. Leipz.
1826.) zu betrachten. Sie behandelt den Geſichtsſinn
in ſeinen hoͤheren geſelligen Verhaͤltniſſen zu den Or-
ganen, deren Lebensform wir pſychiſch, geiſtig nennen.
Dem Verfaſſer iſt die Seele nur eine beſondere Form
des Lebens unter den mannigfachen Lebensformen,
welche Gegenſtand der phyſiologiſchen Unterſuchung
ſind; er hegt daher die Ueberzeugung, daß die phyſio-
logiſche Unterſuchung in ihren letzten Reſultaten ſelbſt
pſychologiſch ſeyn muͤſſe. Die Lehre von dem Leben
der Seele als einer beſondern Lebensform des Orga-
[IV] nismus iſt daher nur ein Theil von der Phyſiologie
im weitern Sinne des Wortes. Dieſer Theil heißt im
Gegenſatz der Phyſiologie im engern Sinne Pſycho-
logie. Allein, was wir gewoͤhnlich Pſychologie nennen,
verhaͤlt ſich zu der kuͤnftigen Lehre von dem Leben der
Seele wie die gewoͤhnliche Phyſiologie der Verrichtungen
oder Functionen zur wahren phyſiologiſchen Wiſſenſchaft.
Sollte der Verfaſſer in kurzem ſich daruͤber erklaͤ-
ren, was ihm eine wiſſenſchaftliche phyſiologiſche Be-
handlung der Pſychologie ſey, ſo wuͤrde er, wenn-
gleich gegen den Verdacht des Spinozismus ſich wohl
verwahrend, doch keinen Anſtand nehmen die drei
letzten Buͤcher der Ethik des Spinoza, welche von den
Leidenſchaften handeln und deren pſychologiſcher In-
halt von den uͤbrigen Lehren dieſes Mannes als unab-
haͤngig angeſehen werden kann, nahmhaft zu machen.
Denn wenn dieſe Lehren auch nicht die rechten uͤber
das Leben in den Leidenſchaften waͤren, wenn ſie auch
nicht die wahre Erklaͤrung des Lebens in dieſer Form
waͤren, ſo erleidet es doch keinen Zweifel, daß ſie
wenigſtens wirklich Erklaͤrung des Lebens der Methode
und dem Inhalt nach ſind; was man von den meiſten
pſychologiſchen Unterſuchungen nicht ſagen kann. Der
[V] Verfaſſer hat es nun hier zwar nicht eigentlich mit Unter-
ſuchung der Lebensformen, die wir geiſtig nennen, zu
thun; aber die Lebensform der Sinnlichkeit, deren Unter-
ſuchung ihm Aufgabe war, ſteht von allen phyſiolo-
giſchen Functionen in ſo unmittelbarer wechſelwirken-
der Beziehung zum geiſtigen Leben, daß die phyſio-
logiſche Unterſuchung, wenn ſie anders ihre Aufgabe
erfuͤllt, hier nicht ohne pſychologiſche Reſultate ſeyn kann.
Schon in den fruͤheren phyſiologiſchen Arbeiten uͤber
den Geſichtsſinn glaubt der Verfaſſer zu manchen
pſychologiſchen Reſultaten gefuͤhrt zu haben. Noch
deutlicher tritt dieſe Beziehung in der gegenwaͤrti-
gen Schrift hervor, deren Aufgabe es gerade iſt,
den Geſichtsſinn in ſeinem Wechſelwirken mit dem
Geiſtesleben zu unterſuchen. Moͤge dieſe Arbeit nur
etwas dazu beitragen, die pſychologiſche Forſchung von
dem ſterilen Boden der ſogenannten empiriſchen Pſy-
chologie und anderſeits von allzugemaͤchlicher und abſpre-
chender Speculation auf das Leben, auf das Frucht-
bare zuruͤckzufuͤhren.


Da die in dieſer Schrift erlaͤuterten Phaenomene
durch Wechſelwirkung des geiſtigen und des ſinnlichen
Lebens und insbeſondere durch Wirkung des Gedan-
[VI] kens auf den Sinn entſtehen, ſo zerfaͤllt die Unter-
ſuchung nothwendig in drei Theile. Der erſte enthaͤlt,
von der Phyſiologie der Sinne ausgehend, die Theo-
rie der phantaſtiſchen Sinneserſcheinung im Allgemei-
nen und iſt in ſeinem Fortgang durchaus nur in
dem engern Sinne phyſiologiſch. Der zweite
Theil hat in der Lebensgeſchichte der phantaſtiſchen
Geſichtserſcheinungen den Umfang dieſer Phaenomene
zu ermitteln. Hier war es zunaͤchſt Hauptzweck, das
Genetiſche in der Entwickelung und Ausbildung des
Phaenomens von ſeiner erſten, vielleicht jedem Men-
ſchen zugaͤnglichen Form aus darzuſtellen. Die Einthei-
lung der verſchiedenen Zuſtaͤnde ergiebt ſich dann nicht
durch die Staͤrke und den Grad der Erſcheinung, ſon-
dern durch die geſelligen Verhaͤltniſſe zu anderen Gei-
ſteskraͤften. Darum begruͤndet das Hellſehen unter
Umſtaͤnden, wo es als ein bloßer Reichthum des
Sinnes und der Phantaſie von dem Hellſehenden
betrachtet und die Objectivitaͤt der Erſcheinung nicht
anerkannt wird, eine eigenthuͤmliche Stufe, moͤgen
die Phantaſiebilder ſelbſt aus den verſchiedenſten inneren
Gruͤnden, im Fieber, in nervoͤſen Krankheiten oder
bei vollkommener Geſundheit geſehen werden. Da der
[VII] Inhalt dieſes zweiten Theiles nothwendig zum Theil
hiſtoriſch iſt, ſo iſt der Fortſchritt im Unterſchiede des
erſten rein phyſiologiſchen Theiles hier im gewoͤhnlichen
Sinn anthropologiſch. Der letzte Theil unter-
ſucht die Phantasmen, inwiefern ſie durch das Gei-
ſtige beſtimmt ſind. Die Lebensform des Sinnes
war Gegenſtand der phyſiologiſchen Unterſuchung.
Die Lebensform dieſes in den Phantasmen wirken-
den Geiſtigen iſt pſychologiſch. Aber auch hier
bleibt die Unterſuchung im weitern Sinne des Wor-
tes in den Grenzen der Phyſiologie.


Die beigefuͤgte Ariſtoteliſche Urkunde uͤber den
Traum, in naͤherer Beziehung zu unſerem Gegenſtande,
ſchien in manchem Betracht wichtig, um allgemeiner be-
kannt zu werden. Wenn ſie neben manchen dem Zeit-
alter zufallenden Irrthuͤmern nur Andeutungen ent-
haͤlt, ſo iſt die Unterſuchung doch im eigentlichen Sinn
phyſiologiſch und enthaͤlt allerdings die im weſentlichen
richtige Erklaͤrung. Zur Ueberſetzung ſind die Scho-
lien von Michael Epheſius und die Paraphraſe
von Themiſtius, ſo wie die in der Ausgabe von
[VIII]Becker (Aristotelis de somno et vigilia, de in-
somniis et divinatione per somnum. ad codd. et
edd. vett. fid. rec. G. Becker. Lips.
1823) auf-
genommenen Emendationen benutzt worden.


Bonn im September, 1826.


[[IX]]

Inhalt.


  • I. Die Theorie der phantaſtiſchen Geſichtserſchei-
    nungen.
  • Seite
  • I. Einleitung 3
  • II. Die Energieen der Sehſinnſubſtanz 5
  • III. Die Extremität der Sehſinnſubſtanz als Auge 10
  • IV. Die äußere Sinnlichkeit der Sehſinnſubſtanz 12
  • V. Die inneren organiſchen Reize der Sehſinnſubſtanz,
    die innere Sinnlichkeit 14
  • VI. Die phantaſtiſchen Geſichtserſcheinungen 20
  • VII. Der Ort der phantaſtiſchen Erſcheinung 30
  • II. Die Lebensgeſchichte der phantaſtiſchen Geſichts-
    erſcheinungen.
  • I. Das plaſtiſche Einbilden im dunkeln oder lichten
    Sehfeld ohne ſelbſtſtändiges Leuchten des Phantasma 43
  • II. Das plaſtiſche Einbilden im dunkeln oder lichten
    Sehfeld aus unvollkommenen Sinneseindrücken pro-
    ductiv 44
  • III. Das plaſtiſche Einbilden aus ſubjectiven inneren Sin-
    neseindrücken productiv 47
  • IV. Das Einbilden im dunkeln Sehfeld mit Leuchten der
    Phantasmen. Das Hellſehen des Halbwachens 48
  • V. Das Einbilden im Sehfelde mit Leuchten der Phan-
    tasmen im Traume. Das Hellſehen des Traumes 49
  • Seite
  • VI. Das Einbilden leuchtender Phantasmen in das Seh-
    feld im magnetiſchen Hellſehen 53
  • VII. Das Einbilden leuchtender Phantasmen im dunkeln
    oder hellen Sehfelde in der Ekſtaſe und leidenſchaft-
    lichen Zuſtänden überhaupt mit Anerkennung der
    Objectivität der Selbſterſcheinung. Das ekſtatiſche
    Hellſehen 60
  • 1) die religiöſe Viſion
  • 2) die mantiſche und magiſche Viſion 63
  • 3) das Teufelſehen, der Umgang mit dem ſicht-
    baren Teufel 66
  • 4) das populäre Geiſter- und Geſpenſterſehen 68
  • VIII. Leuchtende Phantasmen im dunkeln und hellen Seh-
    felde durch Einwirkung äußerer Mittel. Das narko-
    tiſche Hellſehen 70
  • IX. Leuchtende Phantasmen in den protopathiſchen und
    ſympathiſchen Affectionen des Gehirns und des geſam-
    ten Nervenſyſtems 72
  • X. Die Phantaſiebilder der Irren 74
  • XI. Die Phantaſiebilder am hellen Tage durch Eigenleben
    der Phantaſie ohne Anerkennung ihrer Objectivität 75
  • XII. Das willkührliche Einbilden leuchtender Phantasmen,
    die gegen Willkühr ſich entwickelnd verwandeln 80
  • XIII. Ausſicht auf die Phantasmen der anderen Sinne 84
  • XIV. Nutzanwendung 87
  • III. Das Eigenleben der Phantaſie.
  • I. Das Lebensgeſetz für die Metamorphoſe der Phanta-
    ſiebilder 93
  • II. Das productive Einbilden im dunkeln und lichten
    Sehfelde 99
  • III. Das nach Ideen thätige Einbilden des Künſtlers und
    Naturforſchers 101
  • IV. Ariſtoteles uͤber den Traum.
    Eine phyſiologiſche Urkunde 107
[[1]]

I.
Die Theorie der phantaſtiſchen
Geſichtserſcheinungen
.


1
[[2]]
  • I. Einleitung.
  • II. Die Energieen der Sehſinnſubſtanz.
  • III. Die Extremität der Sehſinnſubſtanz als Auge.
  • IV. Die äußere Sinnlichkeit der Sehſinnſubſtanz.
  • V. Die innere Sinnlichkeit der Sehſinnſubſtanz.
  • VI. Die phantaſtiſchen Geſichtserſcheinungen.
  • VII. Der Ort der phantaſtiſchen Erſcheinung.

[3]

Ueber die phantaſtiſchen Geſichts-
erſcheinungen
.


I.Einleitung.


1.


Wenn jemand den Fortgang der phyſiologiſchen Lehren
in der Geſchichte verfolgt, wird ſich ihm die Erkenntniß
oft wiederhohlen, daß die theoretiſchen Irrthuͤmer in
dieſer Wiſſenſchaft meiſt nur darauf beruhen, daß man die
Erklaͤrungsgruͤnde aus andern Gebieten der Naturwiſſen-
ſchaft uͤbertragend auf den Organismus anwandte. Es
giebt faſt keine große Entdeckung eines allgemein wirkenden
Weſens in der Natur, die nicht ſofort das Princip fuͤr das
Leben der organiſchen Welt fuͤr eine Zeitlang gegeben haͤtte.
Und gleichwohl laͤßt ſich ſchon auf bloßem Erfahrungswege die
Wirkſamkeit der organiſchen Weſen von jeder andern auf
eine ſo ſcharfe Weiſe trennen, daß wer jemals dieſen Un-
terſchied klar gefaßt, fuͤr immer behuͤtet ſeyn wird, Erklaͤ-
rungen aus der Phyſik und Chemie, welche auf das Leben der
Organismen angewandt werden, fuͤr Erkenntniß dieſes
Lebens ſelbſt zu halten.


[4]

2.


Wenn zwei Weſen, gleich oder verſchieden, auf einan-
der wirkend gedacht werden, ſo laͤßt ſich eine dreifache
Art dieſer Wirkſamkeit logiſch einſehen. Jedermann weiß,
daß es in der Natur Veraͤnderungen giebt, in welchen das
Veraͤndernde ſeine eigene Qualitaͤt oder ſeinen eigenen Zu-
ſtand auf das Veraͤnderte uͤbertraͤgt. Das Bewegte, auf
ein Ruhendes ſtoſſend, macht ſeinen eigenen Zuſtand in
dem Ruhenden geltend. Wir koͤnnen dieſe erſte Wirkſam-
keit ſchlechthin die mechaniſche nennen, ohne hier wei-
ter unterſuchen zu wollen, wie eng oder weit die Grenzen
dieſer Wirkſamkeit ſeyn moͤgen und ohne auf dieſe Benen-
nung einen beſondern Werth zu legen.


3.


Es giebt ferner Veraͤnderungen, in welchen das Eine
nicht dem Andern ſeine Qualitaͤt oder ſeinen Zuſtand mit-
theilt, ſondern mit dem Andern und ſeiner Qualitaͤt zu ei-
nem neutralen Producte ſich vereinigt, welches die Qua-
litaͤt des Einen und des Andern verſchweigt, nur als ein
drittes Eigenwirkſames ſich praͤſentirt. Die chemiſch wirkenden
Koͤrper wirken auf einander nur in dieſer Weiſe. Wir koͤn-
nen dieſe Wirkſamkeit ſchlechthin die chemiſche nennen.


4.


Es iſt ſchwieriger, die Weſenheit einer dritten Wirk-
ſamkeit feſtzuhalten, weil wir ſelbſt es ſind, die ſie beur-
kunden. Es giebt Veraͤnderungen in der Natur, in wel-
chen das Urſachliche weder ſeine eigene Wirkſamkeit auf das
Veraͤnderte uͤbertraͤgt, wie in den mechaniſchen Veraͤnde-
rungen, noch mit der Wirkſamkeit des Veraͤnderten zu ei-
nem verſchieden Thaͤtigen vereinigt, wie in den chemi-
ſchen
Veraͤnderungen, ſondern wo das Urſachliche in dem,
auf was es wirkt, immer nur eine Qualitaͤt des letztern
[5] zur Erſcheinung bringt, die dem Weſen nach unabhaͤngig
iſt von der Art der Urſache.


5.


Die Dinge, welche ſich ſo gegen ihre Urſachen als
gegen bloße Reize verhalten, ſind die organiſchen Weſen,
und alle Wirkungen, in welchen das Urſachliche nur in
ſofern Urſache iſt, als es Reiz iſt, kann man organi-
ſche
nennen, wie denn der Begriff des Reizes von einer
Urſache auch nur fuͤr dieſe Wirkſamkeit feſtzuhalten iſt
Es iſt gleichviel, wodurch der Muskel gereizt wird, durch
Galvanismus, durch chemiſche Agentien, durch mechaniſche
Irritation, durch innere organiſche Reize, die ihm ſympa-
thiſch mitgetheilt werden aus ganz verſchiedenen Organen,
auf Alles, was ihn reizt, was ihn afficirt, reagirt er
ſich bewegend, die Bewegung iſt alſo die Affection und
die Energie des Muskels zugleich. Es iſt gleichviel, wo-
durch man das Auge reize, mag es geſtoßen, gezerrt, ge-
druͤckt, galvaniſirt werden, oder die ihm ſympathiſch mit-
getheilten Reize aus andern Organen empfinden, auf
alle dieſe verſchiedenen Urſachen, als gegen gleichguͤltige und
nur ſchlechthin reizende empfindet der Lichtnerve ſeine Affection
als Lichtempfindung, ſich ſelbſt in der Ruhe dunkel anſchau-
end. Die Art des Reizes iſt alſo in Beziehung auf die Licht-
empfindung uͤberhaupt ein durchaus Gleichguͤltiges, ſie kann
nur die Lichtempfindung veraͤndern. Einen andern Zuſtand
als Lichtempfindung und Farbenempfindung in der Affection,
oder Dunkel in der Ruhe giebt es fuͤr die Sehſinnſubſtanz nicht.


6.


So iſt es durchgaͤngig mit allen organiſchen Reactio-
nen. Das chemiſch Wirkſame verbrennt die Haut. Nur
in dem Verbrannten, Todten hat ſich das chemiſch Wirk-
ſame mit dem thieriſchen Stoff chemiſch verbunden, an der
[6] Grenze des Lebenden reagirt das Organiſche gegen das che-
miſche Agens durch organiſche Wirkſamkeit, durch Entzuͤn-
dung. Mit allen Erklaͤrungen der Wirkungsart der Nerven
durch electriſche Stroͤmung iſt daher in der That gar nichts
gewonnen, vielmehr werden hierbei die weſentlichen Ener-
gieen der Organe uͤberſehen. Der Sinnesnerve auf jedwe-
den Reiz, was immer einer Art, reagirend, hat die ihm
immanente Energie; Druck, Friction, Galvanismus und
innere organiſche Reizung, alle dieſe Dinge bewirken in
dem Lichtnerven, was ſein iſt, Lichtempfindung, in dem
Hoͤrnerven, was deſſen iſt, Tonempfindung, Gefuͤhl in
dem Gefuͤhlsnerven. Anderſeits bewirkt Alles, was auf ein
Abſonderungsorgan wirken kann, Veraͤnderung der Abſon-
derung, was auf den Muskel wirken kann, Bewegung.
Der Galvanismus iſt hier um nichts vornehmer als alles An-
dere, was nur, gleichviel welcher Art, afficiren, reizen kann.


II.Die Energieen der Sehſinnſubſtanz.


7.


Wir wollen dieſe Wahrheit hier nur feſthalten, in
wiefern ſie von dem Lichtnerven gillt. Dunkelkeit iſt ſeine
Ruhe, Licht und Farbe ſeine Affection. Auch die Dunkel-
keit iſt etwas Poſitives, und wird nur da empfunden, wo
ein Lichtnerve iſt. Das Auge ſieht Licht und Farben auf
den mechaniſchen Stoß, auf den galvaniſchen Einfluß, es
empfindet die ihm aus andern Organen mitgetheilten Rei-
zungen leuchtend, es ſieht Blitze, wenn das Gehirn ge-
druͤckt wird, wenn das Gehirn mit Blut uͤberfuͤllt wird,
wie bei den Erhenkten, es ſieht Nebel in Affectionen der
Unterleibsorgane, die ihm ſympathiſch mitgetheilt werden;
alle krankhaften Zuſtaͤnde der Sehſinnſubſtanz aͤußern ſich
durch ſubjective Licht- und Farbenerſcheinungen.


[7]

8.


Dem Aeußern kann daher nur der Antheil an der ſpe-
eifiſchen Empfindung geſtattet werden, daß es nach ſeiner
Verſchiedenheit und verſchiedenen Einwirkung verſchiedene
Zuſtaͤnde der Erregung in der Sehſinnſubſtanz ſetze, welche
verſchiedene Zuſtaͤnde aber nur als ſubjective dunklere und
hellere Farben oder als Lichtes erſcheinen. Von verſchie-
denen Reizen wird der eine mehr die Empfindung des Gel-
ben, die des Blauen der andere mehr ſollicitiren, und
zwar nur dadurch, weil ſie verſchiedene Zuſtaͤnde der Er-
regung ſetzen. Eines und daſſelbe, wie die mechaniſche Ir-
ritation durch Druck, bewirkt daher auch bald mehr die eine
oder andere Farbenerſcheinung, bald mehr die Lichterſchei-
nung ſelbſt, alles nach dem Maße ſeiner Einwirkung.
Außer der Empfindung des Dunkeln, der Farben und des
Lichtes giebt es aber nimmer andere Zuſtaͤnde und Lebensaͤu-
ßerungen der Sehſinnſubſtanz des Auges.


9.


Es kann uns daher gar nicht einmal einfallen zu unter-
ſuchen, ob die Netzhaut oder der Sehnerve auch Taſt-
gefuͤhl habe. Das heißt uns gerade ſo viel als fragen, ob
der Tonnerve, der in allen ſeinen Zuſtaͤnden toͤnend ſich
empfindet, auch noch zugleich lichtempfindend ſey. Wenn
daher ein franzoͤſiſcher Phyſiologe ſich ſelbſt zum groͤßten
Erſtaunen durch das Experiment erwieſen hat, daß der
Lichtnerve nur eine ſogenannte ſpecifiſche Empfindlichkeit
fuͤr das aͤußere Licht, aber kein Taſtgefuͤhl fuͤr mechaniſche
Irritation hat, d. h. keinen Widerſtand, nicht Schmerz,
nicht Waͤrme empfindet, ſo wuͤnſchen wir dieſer Phyſiologie
nur den Fortſchritt, daß ihr einſichtlich werde, wie der
Lichtnerve das Aeußere zwar nicht als Widerſtand empfin-
de, aber gegen jedes Aeußere und auch gegen das Meſſer
als gegen einen Reitz leuchiend reagirt. Wenn aber der
[8] Sehnerve gegen jedes Aeußere, gleichviel welches, leuchtet, ſo
bleibt dem Gedanken kein vernuͤnftiger Grund uͤbrig, war-
um er auch noch Schmerz und Luſt empfinden ſoll. Dem
phyſiologiſchen Gedanken erſcheint daher jene ganze Unter-
ſuchung uͤber den Mangel des Schmerzgefuͤhls im Sehner-
ven als eine Myſtification des Unterſuchenden.


10.


Freilich ſind dieſe Grundſaͤtze, die ſich auf die bewaͤhrteſte
Erfahrung gruͤnden, verſchieden von den ſogenannten opti-
ſchen Lehren und von der gewoͤhnlichen Anſicht. Dieſe
Lehren beruhen aber, mit Ausnahme der rein optiſch mathe-
mathiſchen Beſtimmungen uͤber die Bewegung des Elemen-
tariſchen durch die Medien des Auges, auf den offenbarſten
phyſiologiſchen Widerſpruͤchen. Wie ſollte, wenn es ein
aͤußeres ſelbſt Leuchtendes gaͤbe, dieſes objective Licht bis
zum Subjectiven gelangend auch ſubjectiv leuchtend em-
pfunden werden? Dieß iſt in Ewigkeit nicht einzuſehen.
Mag aber das aͤußere Licht leuchtend ſeyn, wenn die
Sehſinnſubſtanz in der Affection nicht ſelbſt leuchtend iſt,
das Aeußere wird das Markgebilde beruͤhren, dieſes wird durch
jenes in Affection ſeyn, aber daß dasjenige, welches uͤberhaupt
nur ſeine Affection, nie ein Aeußeres ſelbſt empfinden kann,
hiedurch Licht ſehen ſoll, hat es durchaus keinen Grund,
Man koͤnnte ebenſogut und mit demſelben Unrecht ſagen,
daß es toͤne, daß es erwaͤrmt ſey, daß es ſchmecke.


11.


Platon fuͤhlte dieſen Widerſpruch, er nahm ein
Selbſtleuchten des Auges an, deſſen Licht dem aͤußern auch
leuchtenden Licht entgegen komme. Wozu aber das? Wenn
das Auge jede Affection von welcher Art immer leuchtend
empfindet, wozu bedarf es eines aͤußern ſchon fertigen Lich-
tes, einer fertigen aͤußeren Empfindung? Das aͤußere ſo-
[9] genannte Licht kann alſo wirken auf was immer eine Art,
wenn es nur reizen kann, werden dieſe Reize dem Auge
leuchtend ſeyn, und die Natur dieſer Reize, die Natur
des Aeußern iſt dem Auge ein voͤllig Gleichguͤltiges. Seine
Lebensaͤuſſerungen ſind nur an die Bewegungen des Aeuße-
ren als an die Bewegungen der reizenden Lebensbedingung
gebunden. Das Licht iſt alſo Sinnesenergie und das aͤu-
ßere Elementariſche koͤnnte dann nur ſelbſt leuchten, wenn
es wie die Sehſinnſubſtanz die ſubjective Affection als
Selbſtleuchten empfaͤnde.


12.


In der neuern Zeit hat die Platoniſche Anſicht
nach den Fortſchritten in der chemiſchen Erkenntniß
einige Veraͤnderungen erlitten. Man hat das Platoniſche
Augenlicht, von dem Platon ſelbſt ſagt, daß es ein mildes
nicht brennendes und nicht verzehrendes Licht ſey, in einen
leuchtenden Phosphor des Auges verwandelt, wodurch die Sa-
che nicht beſſer geworden iſt. Nie entwickelt das Auge aͤußeres
Licht, ſein Licht iſt nur ſubjectiv, und die Berufungen auf
das Leuchten der Thieraugen ſind ganz unſtatthaft. Schon
Gruithuiſen hat (in den Beitraͤgen zur Phyſiognoſie
und Cautognoſie. 1812 S. 199) bewieſen, daß das Licht
der Katzenaugen immer ein reflectirtes iſt, was in unſerm
Auge erſt wie alles Spiegellicht zum Leuchten kommt. Daß
dem ſo ſey, habe ich mich auf das Beſtimmteſte uͤberzeugt.
Auch die todten Katzenaugen leuchten, wenn ſie Licht re-
flectiren, und ebenſo lebhaft als waͤhrend dem Leben, aber
nur unter der Bedingung, daß ein anderes elementariſches
Licht, aus den Augen als durch Spiegel reflectirt, auf un-
ſern Sehſinn verpflanzt als ſubjectives Licht erſcheint.


[10]

III.Die Extremitaͤt der Sehſinnſubſtanz
als Auge
.


13.


Daß die Empfindung des Lichtes als Energie ſich
bloß auf die Netzhaut als die Extremitaͤt der Sehſinnſub-
ſtanz beſchraͤnke, iſt nicht anzunehmen, wenn es einmal ge-
wiß iſt, daß von dieſer Extremitaͤt kein aͤußeres fertiges
Leuchten empfunden wird. Selbſt ein geringer Druck, auf
das bloßgelegte Gehirn und ſofort auf die inneren Fort-
ſetzungen der Sehſinnſubſtanz wirkend, bedingt in dieſer
ſubjective Lichterſcheinungen; und ſelbſt wenn die Sehſinn-
ſubſtanz als Netzhaut fuͤr die aͤußeren Reize gelaͤhmt iſt, in
der Blindheit bohrt ſich der Geblendete noch Licht aus
dem Sehnerven; wie denn bei vollkommener Blindheit
noch ſubjective innere Lichterſcheinungen in den inneren
nicht gelaͤhmten Theilen der Sehſinnſubſtanz ſtatt finden
koͤnnen, wovon ſpaͤter hoͤchſt merkwuͤrdige Beiſpiele aufge-
fuͤhrt werden ſollen. Die Netzhaut iſt alſo nur die aͤußere
Extremitaͤt der Sehſinnſubſtanz fuͤr das aͤußere Sinnes-
leben. Die Sehſinnſubſtanz entſpringt mit lichtempfinden-
den Theilen im Gehirne ſelbſt, ſetzt ſich durch die Sehner-
ven fort und endigt als Netzhaut, welche allein durch das
Elementariſche afficirt werden kann, waͤhrend die inneren
Theile von allen organiſchen Reizen afficirt werden koͤnnen.


14.


In der einfachſten Form des Auges iſt daher die Netz-
haut auch nur eine continuirliche membranoͤſe Fortſetzung
eines membranoͤſen Sehnerven und dieſer des membranoͤſen
lobus opticus im Gehirne. Bei den Fiſchen, ſo lange kein
Chiasma der Sehnerven ſtatt findet, entfalten ſich die lobi op-
tici
als vollkommene Membranen in die Sehnerven. Dieſe be-
ſtehen aus einer Membran, die ſo weit die Sehſinnſubſtanz
[11] Sehnerve iſt, gefaltet zuſammenliegt, am Auge ſelbſt aber
ſich wieder entfaltet und continuirlich membranoͤs Netzhaut
wird, ſo daß ſelbſt die Raͤnder der Membran des Sehnerven
in die Netzhaut ſich fortſetzen, ſo daß ſelbſt die Netzhaut
geſpalten iſt.


15.


Hier lernen [wir] denn die Metamorphoſe des Auges
aus den inneren Theilen der Sehſinnſubſtanz. Alle Thei-
le des Sehnerven wiederhohlen ſich in den Theilen des Au-
ges. Die fibroͤſe Haut des Sehnerven erſcheint im Auge
als fibroͤſe Haut des Auges, Sclerotica. Die pia mater der
Membran des Sehnerven, die in alle Falten deſſelben eingeht
und alſo beiden Seiten der gefalteten Membran des Sehner-
ven zukommt, erſcheint an dem [entfalteten] Sehnerven in der
Netzhaut auch auf beiden Seiten aͤußerlich und innerlich, in-
nerlich als inneres gefaͤßreiches Blatt der Netzhaut, deſſen
Fortſetzung als Pecten bei den Voͤgeln Pigment abſondert,
aͤußerlich als Chorioidea.


[figure]
[12]

α und γ, die pia mater der Sehnervenmembran β, er-
ſcheinen im Auge a als inneres Gefaͤß-Blatt des entfalte-
ten Sehnerven oder der Netzhaut b, und c als aͤußeres Ge-
faͤßblatt der Netzhaut oder Chorioidea. δ fibroͤſes Neurilem
der Sehnerven-Membran im Auge d als ſibroͤſe Sclero-
tica.


16.


Die peripheriſchen Theile des Auges ſind daher bei ſeiner
einfachſten Form unter den Fiſchen nur eine Metamorphoſe
identiſcher Theile des Sehnerven, die da, wo die Extremi-
taͤt der Sehſinnſubſtanz den aͤußeren Reizen zugaͤnglich ſeyn
ſoll, in ihre Mitte, kelchartig ſich entfaltend, die durchſichti-
gen Theile des Auges, welche der Sehnerve nicht hat, auf-
nehmen.


IV.Die aͤußere Sinnlichkeit der Sehſinn-
ſubſtanz
.


17.


So wie nun die Sehſinnſubſtanz raͤumlich iſt, und,
ruhig oder afficirt, in ihrer Raͤumlichkeit ſich entweder als
dunkles oder erhelltes Sehfeld empfindet, ſo bedarf es auch
bloß einer partiellen Affection dieſer raͤumlichen Lichtſinn-
ſubſtanz, daß ein flaͤchenhaftes lichtes oder farbiges Bild in
dem Sehfeld erſcheine. Druͤcken wir mit einem Staͤbchen
die hintere Flaͤche des Auges, ſo wird auch nur ein beſtimm-
ter Theil der Netzhaut, der druͤckenden Flaͤche des aͤuße-
ren Koͤrpers entſprechend, in Affection geſetzt, und das Auge
ſieht ſich auch nur leuchtend in dieſer beſtimmten Raͤum-
lichkeit. Druͤckt das mit Blut uͤberfuͤllte Adergeflecht der
Netzhaut dieſe fuͤr jeden Reiz empfindliche Membran, ſo er-
ſcheinen die afficirten Stellen als Adergeflecht leuchtend.
Ich habe in einem fruͤheren Werke (zur vergleichenden Phy-
[13] ſiologie des Geſichtsſinnes des Menſchen und der Thiere 1826)
aus ſolchen ſubjectiven Geſichtsphaͤnomenen bewieſen, daß
wir in allen Geſichtserſcheinungen, auch in den objectiven,
immer nur die Netzhaut im Zuſtande ihrer Affection als ſo-
genanntes Sehfeld ſehen.


18.


Das Maß alles Maßes, aller ſcheinbaren Groͤßen der
Dinge iſt die ſich gleich bleibende wahre Groͤße des Auges
und ſeiner Netzhaut in der unmittelbaren Anſchauung ihrer
ſelbſt. Die ſcheinbaren Groͤßen der Gegenſtaͤnde erſcheinen
auf der wahren ſubjectiven Groͤße der Netzhaut als Affec-
tionen beſonderer Theile dieſes Markgebildes, und die Sum-
me der ſcheinbaren Groͤßen aller Gegenſtaͤnde, welche in
einem und demſelben Geſichtsfelde vorhanden ſind, iſt ſich
in jeder Geſichtsvorſtellung gleich bei allem Wechſel der
Objecte, ſie iſt identiſch mit der wahren Groͤße des Auges,
der Netzhaut ſelbſt; denn die ſubjectiv erſcheinende Netzhaut
und die Summe der zugleich gebotenen Bilder als Affectio-
nen beſonderer Theile ihrer ſelbſt ſind ein und daſſelbe,
naͤmlich des ſubjective Sehfeld.


19.


So wie die Netzhaut, durch mechaniſche Affection in
aliquoten Theilen ihrer ſelbſt in Thaͤtigkeit verſetzt, Bilder
ſieht, welche die Begrenzung dieſer aliquoten Theile ihrer
ſelbſt haben, ſo wirkt auch das ſogenannte aͤußere Licht,
nach Geſetzen der Refraction mit aliquoten Theilen der
Netzhaut in Beruͤhrung gebracht, Bilder, welche die Begren-
zung dieſer aliquoten Theile ihrer ſelbſt haben. Das aͤu-
ßere Licht oder das Elementariſche iſt auch nur in ſo fern
leuchtend, als es das Auge in Affection ſetzt. Was das
aͤußere ſogenannte Licht ſelbſt iſt, wiſſen wir nicht, wir ken-
nen es bloß aus den Energieen organiſcher Koͤrper, denen es
[14] eigenthuͤmlich iſt, gegen alles Aeußere als gegen Reize nur
in ihren eigenthuͤmlichen Qualitaͤten zu reagiren.


20.


Wir wiſſen alſo nur, daß dasjenige, was den Seh-
ſinn afficirend dieſen in ſubjectiv leuchtende Affection ſetzt,
auf andere Sinne wirkend ein Anderes dieſen immanentes
hervorruft, den Gefuͤhlsſinn erwaͤrmt, Anderes in an-
dern organiſchen Koͤrpern bedingt, das Wachsthum der
Pflanzen ſollicitirt, nur in den chemiſch wirkenden Koͤrpern,
als mit dieſen verbundenes, nach dem Geſetz der chemiſchen
Wirkſamkeit erſcheinend. Daß wir glauben, das aͤußere Ele-
mentariſche leuchte in der That ſelbſt, ruͤhrt daher, weil wir
die Natur dieſes Elementariſchen nicht ſo kennen, wie die Koͤr-
perlichkeit des Holzes, das auf das Auge mechaniſch wirkend
auch Licht und ſelbſt nach Maßgabe der Begrenzung Bilder
hervorbringt. Von dem Holze, wenn es das Auge reizend
Lichtempfindung als Energie des letztern aufruft, wiſſen
wir, daß es Holz iſt, wir ſagen von ihm nicht aus, daß
es leuchte. Das elementariſche ſogenannte Licht wirkt aber
eben ſo gut wie das Holz auf den Gefuͤhlſinn, es wird von
dieſem in einer Energie ſeiner ſelbſt, warm empfunden.
So alſo verwechſeln wir unſre eigenen Energieen, das Licht
unſeres Auges mit dem was Licht hervorruft.


V.Die inneren organiſchen Reize der Seh-
ſinnſubſtanz, die innere Sinnlichkeit
.


21.


Wenn die Sehſinnſubſtanz in jeder Affection ſich
leuchtend empfindet, wenn es gar nicht auf die Natur
des Reizes ankommt, ſondern nur auf das Allgemeine,
daß er reizen kann, um die durch den Reiz geſetzte Affec-
[15] tion als Licht oder Farbe zu ſehen, ſo muͤſſen auch alle
inneren organiſchen Reize, von verſchiedenen Organen aus-
gehend, auf die Sehſinnſubſtanz durch Sympathie ver-
pflanzt, Lichterſcheinungen in dieſer hervorbringen. Je-
der Zuſtand jedes Organes iſt dem Sinnesorgan, auf
dieſes verpflanzt, ein Aeußerliches, was es nur in ſeiner
eigenen Energie empfinden kann. Die Sehſinnſubſtanz
geraͤth durch Sympathie mit erethiſchen oder atoniſchen an-
dern Organen in ſympathiſchen Cerethismus oder Ato-
nie. Atonie und Erethismus aͤußern ſich in ihr nur dun-
kel und licht.


22.


Hyſteriſche, hypochondriſche Perſonen ſehen Nebel, Spinn-
gewebe, Gitterwerk und die durch Purkinje naͤher bekannt
gewordenen ſubjectiven Druckbilder, wenn ihre Verdauung oder
eine andere Function geſtoͤrt iſt. Im hoͤchſten Grade haben dieſe
ſympathiſchen Erregungen der Sehſinnſubſtanz zur Lichtem-
pfindung in den krankhaften Zuſtaͤnden des Gehirns ſtatt.
Der Druck auf das bloßgelegte Gehirn iſt dem Organ als
ſympathiſche Affection genug zur Lichtempfindung. Die
mechaniſche Reizung eines Theiles des Gehirns empfin-
det das Organ leuchtend. Die Photopſie in ſo manchen
Krankheiten des Gehirns beruht nur auf Reizung der Seh-
ſinnſubſtanz durch innere organiſche Reize.


23.


Zur Zeit als ich mich ſehr viel mit der Wiederhohlung
und Erweiterung der Verſuche uͤber die von Purkinje naͤ-
her beſchriebenen ſubjectiven Geſichtserſcheinungen beſchaͤff-
tigte, ſah ich, wenn ich bei geſchloſſenen Augen lange Zeit das
dunkle Sehfeld beobachtet hatte, oft ein ſchwaches Licht von
einem Punkte aus rhythmiſch ſich uͤber das Sehfeld verbreiten
und wieder verſchwinden. Dieſe Lichterſcheinung war mit
[16] dem Ausathmen ſynchroniſch und konnte keinen andern
Grund haben, als daß der waͤhrend dem Ausathmen ſtatt-
findende Blutandrang nach dem Gehirne und die dadurch
bedingte Erhebung und Bewegung des letztern in der Seh-
ſinnſubſtanz leuchtend objectiv wurde.


24.


Wir koͤnnen es demnach als eine Grundwahrheit fuͤr
unſere Unterſuchung betrachten: wenn irgend ein Organ
des Gehirns, ſei es ſeiner ihm ſelbſt zukommenden Energie
nach, ſenſitiv, oder bewegend, oder dem Bildungsproceß
oder je andern thieriſchen Functionen vorſtehend, ſeinen Er-
regungszuſtand innerhalb ſeiner Function auf die Sehſinn-
ſubſtanz durch Sympathie verpflanzt, ſo entſtehen in dieſer
nach Maßgabe der ſympathiſchen Erregung Licht- und
Farbenerſcheinungen, weil die Sehſinnſubſtanz in den Zuſtaͤn-
den ihrer Erregung, ſei ſie ſympathiſch oder unmittelbar affi-
cirt, ſich nur durch Licht, Farbe und Dunkel aͤußern kann.


25.


Die Theorie, welche wir nun von den phantaſtiſchen
Geſichtserſcheinungen mitzutheilen haben, iſt nur ein Con-
ſequenz aus dem Vorhergehenden. Wenn die Zuſtaͤnde der-
jenigen Organe, welche dem Vorſtellen und Einbilden vor-
ſtehen, auf die Sehſinnſubſtanz durch Sympathie verpflanzt
werden koͤnnten, ſo koͤnnten dieſe Affecte eines in ſeiner Af-
fection vorſtellenden oder einbildenden Organes in der Seh-
ſinnſubſtanz uͤberhaupt nur Affecte ihrer Art, naͤmlich Licht-
erſcheinungen hervorrufen. Wenn alſo das Organ, wel-
ches in ſeiner Affection phantaſirt, durch die exceſſive Macht
ſeiner Thaͤtigkeit auf die Sehſinnſubſtanz wirkt, ſo kann
dieß nur unter Lichterſcheinungen geſchehen. Das Phanta-
ſtiſche ſetzt in dem Organ der Licht- und Farbenempfindung
wie jeder Reiz nur Licht und Farbe.


[17]

26.


Umgekehrt wenn das afficirte Auge ſeinen Affect den
Organen des Phantaſtiſchen und des Vorſtellenden oder
andern Organen des Gehirns, deren Lebensform wir gei-
ſtig nennen, mittheilt, ſo kann die Wirkung auf das Phan-
taſtiſche, Vorſtellende, Denkende nur ſeyn Steigerung und
Belebung des Phantaſtiſchen, Vorſtellenden, Denkenden.
Und hier ſind wir denn auf dem theoretiſch empiriſchen Wege
methodiſch zu den Erſcheinungen gelangt, deren Aufklaͤrung
Gegenſtand der gegenwaͤrtigen Unterſuchung iſt.


27.


1. Im Dunkeln iſt man nie beſonders geiſt-
reich
. Auch der Geiſt theilt das Gefuͤhl des Mangels.
Das hat gewiß Jeder ſchon an ſich erprobt, und doch iſt
dieſe Thatſache noch nicht zu allgemeiner Kenntniß gekom-
men und gewuͤrdigt worden, wie ſie es verdiente. Ja wir
ſind gezwungen, den lichten Tag zu ſuchen, wenn wir in leb-
hafter Bewegung des Gemuͤthes oder leidenſchaftlicher Be-
wegung der Gedanken uͤber Etwas ins Klare kommen wol-
len. Sich ſeinen Phantaſieen hinzugeben ſchließt der
Schwaͤrmer die Augen, die tiefſte Meditation liebt aber den
lichten Tag, wenn ſie auch in das Tageslicht hinſtarrend die
Objecte gar nicht wahrnimmt.


28.


Das Elementariſche, was wir Licht nennen, wenn
es das Licht als Energie des Auges reizend aufruft,
wirkt in dem ſeine eigene Ruhe dunkel ſehenden Auge den
lichten Tag. Der Lichtnerve im Zuſtand der Affection wirkt
als ein maͤchtiger Reiz auf die Organe des Gehirnes, deren
Lebensformen wir geiſtig nennen. Das aͤußere Licht,
welches nicht exiſtirt, erhellt hier nicht unſere Vorſtellun-
gen, ſondern das Vorſtellende iſt lebhaft erregt durch
2
[18] die Erregung des Lichtnerven. Dann auch wirkt die Ord-
nung und Geſetzmaͤßigkeit oder das Logiſche in den Geſichts-
objecten, worin das Logiſtiſche (Organ) ſein Beduͤrfniß
erfuͤllt hat, ordnend und beſchraͤnkend fuͤr die Thaͤtigkeit
des Logiſtikon und Phantaſtikon, welche im Dunkeln ſich
ſelbſt uͤberlaſſen behaglich ſchwaͤrmend von einem zum an-
dern uͤberſpringen.


29.


2. In dem in ſeiner Ruhe ſich dunkel anſchauenden
Sehorgan, auf welches alle aͤußere Sollicitation zur Licht-
erſcheinung durch das Elementariſche aufhoͤrt, wirken nun
auch die inneren organiſchen Reize um ſo maͤchtiger ſym-
pathiſche Erregungen. Jede Stoͤrung des Blutumlaufs er-
ſcheint in dieſer ruhenden aber durch ihre Ruhe hoͤchſt reiz-
baren Sehſinnſubſtanz als Lichterſcheinung. Die Strahlen,
die wallenden Nebel, die Lichtflecken, die Feuerkugeln, dieſe
ſich metamorphoſirenden Farbenfelder, wovon unſere dunkles
Sehfeld bei geſchloſſenen Augen nie ganz frei iſt, ſind nichts
anders als die Reflexe von Zuſtaͤnden anderer Organe auf
ein Organ, das in jedem Zuſtand ſich entweder licht, dun-
kel oder farbig empfindet.


30.


Dieſe beweglichen Meteore des dunkeln Sehfeldes ſind
alle ploͤtzlich verſchwunden, wenn wir die Augen oͤffnen,
weil die aͤußeren Reize viel maͤchtiger ſind. Aber in dem
lange geſchloſſenen ausruhenden Auge, das durch nichts mehr
als das Innere erregt wird, ſteigern ſich dieſe inneren Me-
teore oft zu einer wunderbaren Lebhaftigkeit. Die Phanta-
ſie, ſich ſelbſt uͤberlaſſen, knuͤpft dieſe wallenden, ihre Geſtalt
wechſelnden Erſcheinungen im dunkeln Sehfelde an das,
was ſie ſich durch aͤußere Noͤthigung ſchon einmal hat ein-
bilden muͤſſen, und es erſcheinen der Phantaſie dieſe an-
[19] fangs formloſen Lichtphaenomene bald in beſtimmtem For-
men, welche ihre Geſtalten mannigfach wechſeln und ſich
nicht feſſeln laſſen. Hier geſchieht dann bei geſchloſſenen Au-
gen von Seiten der Phantaſie mit den Lichtmeteoren des
dunkeln Sehfeldes, was am Tageslicht haͤufig genug ge-
ſchieht, wenn uns ein undeutlich Geſehenes durch die
Phantaſie in taͤuſchender Lebendigkeit zu einer beſtimmten
Form ergaͤnzt wird.


31.


3. Nicht der Lichtnerve allein im Zuſtande des Affec-
tes wirkt als Reiz auf die Organe der Vorſtellung und Ein-
bildung. Auch das Phantaſtiſche und Vorſtellende im Zu-
ſtand des Affectes wirkt auf den Lichtnerven, wenn dieſer
ruhig von aͤußeren Endruͤcken, in ſeiner Dunkelheit nur die
Erregungen anderer Organe in Licht und Farben wieder-
ſtahlt.


32.


In der Regel begrenzt das Phantaſtiſche ſeine Objecte
nur in dem Sehfelde. Die von der Phantaſie erzeugten For-
men werden nur im Sehfelde begrenzt vorgeſtellt, wo uͤber-
haupt alle Formen uns erſcheinen, im Sehfelde der Sehſinn-
ſubſtanz. Dieſe in der Regel nur im Sehfelde gedachten
und vorgeſtellten Producte der Phantaſie koͤnnen aber durch
die Sympathie des Phantaſticon und des Lichtnerven bei
einem exaltirten Zuſtande des erſtern und einem ruhenden Zu-
ſtande des letztern in der Dunkelheit des Sehfeldes innerhalb
ihrer vorgeſtellten Begrenzung leuchtend werden.


33.


Die Phantaſie, in ihrem Eigenleben ſich ſelbſt uͤberlaſſen,
erzeugt aus fruͤhern Eindruͤcken Formen, welche ſobald ſie
vorgeſtellt werden, im lichten oder dunkeln Sehfeld
vorgeſtellt werden muͤſſen. Dieſe Formen ſind in der Regel
[20] nicht ſinnlich, es ſind nur vorgeſtellte, gedachte Grenzen im
dunkeln oder lichten Sehfelde. Aber wirkt das exaltirte
Phantaſtikon auf die ruhende dunkle Sehſinnſubſtanz, erregt
das erregte Phantaſtikon die letztere, ſo werden die ſonſt
nur ſchlechthin eingebildeten Dinge innerhalb ihrer im Seh-
feld gedachten Grenzen auch leuchtend und farbig. Hier
iſt nun der Ort, die Phaenomene, deren Entſtehung ich
wiſſenſchaftlich begruͤndet habe, genau und treu zuerſt
nach vieljaͤhriger Selbſtbeobachtung zu beſchreiben, um ſo-
fort die in dieſem Gebiete haͤufig durch Auslegung entſtell-
ten Erfahrungen Anderer anzuknuͤpfen.


VI.Die phantaſtiſchen Geſichtserſchei-
nungen
.


34.


Es iſt ſelten, daß ich nicht vor dem Einſchlafen bei
geſchloſſenen Augen in der Dunkelheit des Sehfeldes man-
nichfache leuchtende Bilder ſehe. Von fruͤher Jugend auf
erinnere ich mich dieſer Erſcheinungen, ich wußte ſie immer
wohl von den eigentlichen Traumbildern zu unterſcheiden;
denn ich konnte oft lange Zeit noch vor dem Einſchlafen
uͤber ſie reflectiren. Vielfache Selbſtbeobachtung hat mich
denn auch in den Stand geſetzt, ihre Erſcheinung zu be-
foͤrdern, ſie feſtzuhalten. Schlafloſe Naͤchte wurden mir kuͤr-
zer, wenn ich gleichſam wachend wandeln konnte unter den
eigenen Geſchoͤpfen meines Auges. Wenn ich dieſe leuchtenden
Bilder beobachten will, ſehe ich bei geſchloſſenen vollkom-
men ausruhenden Augen in die Dunkelheit des Sehfeldes; mit
einem Gefuͤhl der Abſpannung und groͤßten Ruhe in den Au-
genmuskeln verſenke ich mich ganz in die ſinnliche Ruhe des
Auges oder in die Dunkelheit des Sehfeldes. Allen Ge-
danken, allem Urtheil wehre ich ab, ich will bei einer voll-
[21] kommenen Ruhe des Auges wie des ganzen Organismus in
Hinſicht der aͤußeren Eindruͤcke nur beobachten, was
in der Dunkelheit des Auges als Reflex von inneren or-
ganiſchen Zuſtaͤnden in anderen Theilen erſcheinen wird.


35.


Wenn nun im Anfang immer noch das dunkle Sehfeld
an einzelnen Lichtflecken, Nebeln, wandelnden und wech-
ſelnden Farben reich iſt, ſo erſcheinen ſtatt dieſer bald be-
grenzte Bilder von mannifachen Gegenſtaͤnden, anfangs
in einem matten Schimmer, bald deutlicher. Daß ſie wirk-
lich leuchtend, und manchmal auch farbig ſind, daran iſt
kein Zweifel. Sie bewegen ſich, verwandeln ſich, entſte-
hen manchmal ganz zu den Seiten des Sehfeldes mit einer
Lebendigkeit und Deutlichkeit des Bildes, wie wir ſonſt nie
ſo deutlich etwas zur Seite des Sehfeldes ſehen. Mit der
leiſeſten Bewegung der Augen ſind ſie gewoͤhnlich verſchwun-
den, auch die Reflexion verſcheucht ſie auf der Stelle. Cs
ſind ſelten bekannte Geſtalten, gewoͤhnlich ſonderbare Fi-
guren, Menſchen, Thiere, die ich nie geſehen, erleuchte-
te Raͤume, in denen ich ich noch nicht geweſen. Es iſt
nicht der geringſte Zuſammenhaug dieſer Erſcheinungen mit
dem, was ich am Tage erlebt, zu erkennen. Ich verfolge
dieſe Erſcheinungen oft halbe Stunden lang, bis ſie endlich
in die Traumbilder des Schlafes uͤbergehen.


36.


Nicht in der Nacht allein, zu jeder Zeit des Tages
bin ich dieſer Erſcheinungen faͤhig. Gar manche Stunde
der Ruhe, vom Schlafe weit entfernt, hab ich mit geſchloſ-
ſenen Augen zu ihrer Beobachtung zugebracht. Ich brauch
mich oft nur hinzuſetzen, die Augen zu ſchlieſſen, von Allem
zu abſtrahiren, ſo erſcheinen unwillkuͤhrlich dieſe ſeit fruͤher
Jugend mir freundlich gewohnten Bilder. Iſt nur der Ort
[22] recht dunkel, bin ich nur geiſtig ganz ruhig, ohne leiden-
ſchaftliche Stimmung, hab ich nur eben nicht gegeſſen oder
geiſtiges Getraͤnk genommen, ſo darf ich, wenn gleich an
Schlaf gar nicht zu denken iſt, der Erſcheinung gewiß ſeyn.


37.


Haͤufig erſcheint das lichte Bild im dunkeln Sehfelde,
haͤufig auch erhellt ſich vor dem Erſcheinen der einzelnen
Bilder nach und nach die Dunkelheit des Sehfeldes zu ei-
ner Art von innerem mattem Tageslicht. Gleich darauf
erſcheinen dann auch die Bilder. Eben ſo merkwuͤrdig als
das Erſcheinen der leuchtenden Bilder war mir, ſeit ich
dieſen Phaenomenen beobachtend folge, das allmaͤhlige
Hellerwerden des Sehfeldes. Denn am Tage bei ge-
ſchloſſenen Augen nach und nach den lichten Tag von in-
nen eintreten ſehen, und in dem Tag des Auges leuchten-
de Geſtalten als Producte des Eigenlebens des Sinnes
wandeln ſehen, und alles dieß im wachenden Zuſtande,
fern von allem Aberglauben, von aller Schwaͤrmerei, bei
nuͤchterner Reflexion, iſt dem Beobachter etwas hoͤchſt Wun-
derbares.


38.


Wie freute ich mich nun, als ich in den Wahlver-
wandtſchaften
wiederfand, wie einer der ſinnlich kraͤf-
tigſten Menſchen aus reicher Selbſtbeobachtung die Lebens-
wahrheit auch dem kunſtreichen Gebilde mitzugeben weiß. Es
heißt naͤmlich dort von Ottilie: »Wenn ſie ſich Abends
zur Ruhe gelegt und im ſuͤßen Gefuͤhl zwiſchen Schlaf und
Wachen lebte, ſchien es ihr, als wenn ſie in einen ganz
hellen, doch mild erleuchteten Raum hinein blickte. In
dieſem ſah ſie Eduard ganz deutlich und zwar nicht geklei-
det, wie ſie ihn ſonſt geſehen, ſondern im kriegeriſchen An-
zug, jedesmal in einer andern Stellung, die aber vollkom-
[23] men natuͤrlich war und nichts Phantaſtiſches hatte, ſtehend,
gehend, liegend, reitend. Die Geſtalt, bis aufs Kleinſte
ausgemalt, bewegte ſich willig vor ihr, ohne daß ſie das
Mindeſte dazu that, ohne daß ſie wollte oder die Einbil-
dungskraft erregte. Manchmal ſah ſie ihn umgeben, beſon-
ders von etwas Beweglichem, das dunkler war, als der
helle Grund; aber ſie unterſchied kaum Schattenbilder, die
ihr zuweilen als Menſchen, als Pferde, als Baͤume, als
Gebirge vorkommen konnten. Gewoͤhnlich ſchlief ſie uͤber
der Erſcheinung ein.«


39.


Ich kann es auf das Beſtimmteſte unterſcheiden, in
welchem Moment des Phantasma leuchtend wird. Ich ſitze
lange da mit geſchloſſenen Augen; Alles, was ich mir ein-
bilden will, iſt bloße Vorſtellung, vorgeſtellte Begrenzung
im dunkeln Sehfeld, es leuchtet nicht, es bewegt ſich nicht
organiſch im Sehfelde, auf einmal tritt der Moment
der Sympathie zwiſchen dem Phantaſtiſchen und dem
Lichtnerven ein, urploͤtzlich ſtehen Geſtalten leuchtend da,
ohne alle Anregung durch die Vorſtellung. Die Erſchei-
nung iſt urploͤtzlich, ſie iſt nie zuerſt eingebildet, vorgeſtellt
und dann leuchtend. Ich ſehe nicht, was ich ſehen moͤchte;
ich kann mir nur gefallen laſſen, was ich ohne alle Anre-
gung leuchtend ſehen muß.


40.


Der kurzſichtige Einwurf, daß dieſe [Erſcheinungen] wie im
Traume nur leuchtend vorgeſtellt oder, wie man ſagt, einge-
bildet werden, faͤllt hier natuͤrlich von ſelbſt weg. Ich kann
ſtundenlang mir einbilden und vorſtellen, wenn die Dispo-
ſition zur leuchtenden Erſcheinung nicht da iſt, nie wird
dieſes zuerſt Vorgeſtellte den Schein der Lebendigkeit erhalten.
[24] Und urploͤtzlich erſcheint ein Lichtes, nicht zuerſt Vorgeſtelltes
gegen meinen Willen, ohne alle erkennbare Aſſociation. Aber
dieſe Erſcheinung, die ich ſelbſt im wachenden Zuſtand leuch-
tend zu ſehen faͤhig bin, leuchtet ſo gewiß, als der Blitz
leuchtet, den ich als ſubjectives Geſichtsphaenomen durch
Druck dem Auge entlocke.


41.


Am leichteſten treten dieſe Phaenomene ein, wenn ich
ganz wohl bin, wenn keine beſondere [Erregung] in irgend
einem Theil des Organismus geiſtig oder phyſiſch obwaltet,
und beſonders, wenn ich gefaſtet habe. Durch Faſten kann
ich dieſe Phaenomene zu einer wunderbaren Lebendigkeit
bringen. Nie habe ich ſie bemerkt, wenn ich Wein vorher
getrunken hatte.


42.


Daß jeder Menſch wenigſtens Spuren dieſer Erſchei-
nungen habe, davon bin ich gewiß. In der That ſind
unſere Traumbilder, die uns ja gewoͤhnlich auch im hellen
Sehraum erſcheinen, nichts anders als die Fortſetzung
dieſer Erſcheinungen vor dem Einſchlafen, und ſo wie dieſe
in die Traumbilder uͤbergehen, ſo bleiben ſie auch oft nach
dem Erwachen eine kurze Zeit im Sehfelde haften, worauf
ſie allmaͤhlig in Licht- und Nebelflecken erloͤſchen, verſcheucht
durch die ſtaͤrkere Anregung der Sehſinnſubſtanz von Auſſen.


Wer am Tage nicht zu dieſen Erſcheinungen diſponirt
iſt, wird wenigſtens vor dem Einſchlafen darauf aufmerk-
ſam ſeyn koͤnnen, wenn er es nicht ſchon geweſen. Wem
ſie vor dem Einſchlafen nicht erſcheinen, dem iſt daſſelbe
Phaenomen doch im Traume gewiß.


43.


Daß dieſe Erſcheinungen aber bei unzaͤhligen Menſchen
[25] mit einer blendenden Lebhaftigkeit und manchmal ſelbſt am
hellen Tage bei offenen Augen vorkommen, beweißt die Ge-
ſchichte ihrer verkehrten Auslegungen als Viſionen, Spec-
tra, magiſche Erſcheinungen, magnetiſches Hellſehen. Dem
Arzte ſind ſie laͤngſt bekannt als ſogenannte Hallucinatio-
nen in Fiebern, in Krankheiten des Gehirns, in der Hy-
ſterie, Hypochondrie, Catalepſie, bei Irren, in der Ekſtaſe
und verwandten Zuſtaͤnden.


44.


Es koͤmmt hier aber vor Allem auf eine vorurtheils-
freie durchaus nuͤchterne Selbſtbeobachtung im ganz geſun-
den Zuſtande an, dieſe war der Zweck der eben mitgetheil-
ten Darſtellung. Moͤgen wir nun auch derjenigen erinnern,
denen dieſe Erſcheinungen in gleichem Grade zugaͤnglich
oder lebendiger noch gewohnt, und die gleichwohl, das ein-
fache Phaenomen weder durch Schwaͤrmerei noch Aberglau-
ben entſtellend, es als einen Reichthum ihres ſinnlichen We-
ſens betrachteten.


45.


Cardanus erzaͤhlt im 18. Buch de subtilitate von ſich
ſelbſt:


Id fuit ab anno quarto ad septimum usque: ab ho-
ra enim diei secunda ad quartam semper, aut si modo
tardius aut surgerem aut expergiscerer, imagines videbam
ab imo lecti, quasi e parvulis annulis areisque con-
stantes, arborum, belluarum, hominum, oppidorum,
instructarum acierum, bellicorum ac musicorum instru-
mentorum, aliorumque huius generis adscendentes, vicis-
simque descendentes, aliis atque aliis succedentibus.
Cumque his maxime puerulus existens oblecta-
rer, obque id intentus inspicerem, Clara mater et
Margaretha amita diligenter aliquando interrogarunt,
[26] num aliquid viderem? At ego, quamquam parvulus non
ignorabam, hoc esse portentum quoddam, obque id
constanter negabam, timens, ne, si revelassem, spcc-
trum me destitueret, aut mali mihi quicquam continge-
ret ob arcanum reseratum.


Cardanus glaubt den innern Grund dieſer Phae-
nomene zu kennen und beruft ſich dabei auf eine Stelle
Averrhoes, welche allerdings auf den wahren Grund
derſelben hindeutet.


46.


Dem Zeugniß des wunderlich merkwuͤrdigen Carda-
nus
ſtellen wir billig ein anderes des nuͤchternſten vor al-
lem Wunderbaren ſcheuen Tiefdenkers Spinoza endigen:


Quum quodam mane, lucescente iam coelo, ex somnio
gravissimo evigilarem, imagines, quae mihi in somnio oc-
currerant, tam vivide ob oculos versabantur, ac si res fuis-
sent verae, et praesertim cuiusdam nigri et scabiosi
Brasiliani, quem nunquam antea videram. Haec imago
partem maximam disparebat, quando oculos in librum
vel aliud quid defigebam; quum primum vero oculos a
tali obiecto rursus avertebam, sine attentione in aliquid ocu-
los defigendo, mihi eadem eiusdem Aethiopis imago eadem
vividitate et per vices apparebat, donec paulatim circa
caput dispareret. B. d. S. Opera posthuma. Epistola
XXX. Viro doctissimo ac prudentissimo Petro Balling
B. d. S.


47.


Auch aus neuerer Zeit werde einer treffenden vorur-
theilsfreien Darſtellung dieſer Phaenomene des Schlafwa-
chens erwaͤhnt, die ein Ungenannter in Moritz und
Pockels Magazin der Erfahrungsſeelenkunde 5. B. 2.
S. 88. gegeben. Nicolai’s Phantasmen am hellen Tage,
[27] die in einem krankhaften Zuſtande Monate lang anhiel-
ten, ſind allgemein bekannt geworden. Bei Nicolai
traten im Zuſtande der Geſundheit die leuchtenden Phan-
taſiebilder nur zwiſchen Schlaf und Wachen ein. Ber-
liniſche Monatsſchrift v. Bieſter, 1799. S. 350. Daß
die Traumbilder Lebensaͤuſſerungen der Sinnesorgane
ſind, hat Gruithuiſen in ſeiner an trefflichen Selbſt-
beobachtungen reichen Schrift: Beitraͤge zur Phyſiognoſie
und Eautognoſie Muͤnchen 1812. S. 236. aus eigenen und
fremden Erfahrungen zu zeigen geſucht. Eine ſehr treffende
mit meiner fruͤher gegebenen Darſtellung im weſentlichen ganz
uͤbereinſtimmende Selbſtbeobachtung uͤber die Phantaſiebilder
vor dem Einſchlafen hat Naſſe in der Zeitſchrift fuͤr Anthro-
pologie 1825. 3. S. 166. gegeben. Daß Purkinje auch
an dieſen ſubjectiven Geſichtserſcheinungen reich ſeyn muͤſ-
ſe, erſchließen wir aus ſeiner Abhandlung uͤber das Nach-
bild als Inhalt des Gedaͤchtniſſes. Beitraͤge zur Kennt-
niß des ſubjectiven Sehens. S. 166.


48.


Hoͤchſt erfreulich iſt es, daß eben dieſe Schrift Goe-
the
veranlaßt hat, aus der eigenen lebendigen Erfahrung
ſeiner Phantaſie mitzutheilen, was ihm zu jenen merkwuͤr-
digen einer kunſtreichen Schoͤpfung verwebten Stellen uͤber
die Phantaſiebilder in den Wahlverwandſchaften, worauf wir
mehrfach zuruͤckkommen werden, vielleicht Anregung geweſen.


»Ich hatte die Gabe, wenn ich die Augen ſchloß und
mit niedergeſenktem Haupte mir in die Mitte des Sehor-
ganes eine Blume dachte, ſo verharrte ſie nicht einen Au-
genblick in ihrer erſten Geſtalt, ſondern ſie legte ſich aus-
einander, und aus ihrem Innern entfalteten ſich wieder
neue Blumen aus farbigen, auch wohl gruͤnen Blaͤttern;
es waren keine natuͤrliche Blumen, ſondern phantaſtiſche,
jedoch regelmaͤßig wie die Roſetten der Bildhauer. Es
[28] war unmoͤglich, die hervorſproſſende Schoͤpfung zu fixiren,
hingegen dauerte ſie ſo lange als mir beliebte, ermattete
nicht und verſtaͤrkte ſich nicht. Daſſelbe konnte ich hervor-
bringen, wenn ich mir den Zierrath einer buntgemalten
Scheibe dachte, welcher dann ebenfalls aus der Mitte
gegen die Peripherie ſich immerfort veraͤnderte, voͤllig
wie die in unſern Tagen erſt erfundenen Kaleidoscope.«
Goethe zur Morphologie und Naturwiſſenſchaft.


49.


Dieſe Freiheit des innern Sinnenlebens mag uns
denn auch als die hoͤchſte Stufe erſcheinen, von welcher
bis zu der einfachſten Form des Phaenomenes, die ich zuerſt
aus eigner Erfahrung beſchrieben, eine große Mannigfal-
tigkeit gegeben iſt, deren Einſicht uns ſicher ſeyn muß, wenn
wir einmal die Grundphaenomene befeſtigt haben. Die Bei-
ſpiele einer willkuͤhrlichen Einbildung in den Sinn ſind
gewiß hoͤchſt ſelten, aber auch die hoͤchſten reinſten Bluͤthen der
Sinnlichkeit und des ſinnlichen Lebens, hoch erhaben uͤber jene
befangenen Viſionen, in welchen die Superſtition als religioͤſe
Schwaͤrmerei oder Aberglaube die Geſchoͤpfe des Eigenlebens
unſerer Sinne entweder verehrt und anbetet oder fuͤrchtet.


50.


Damit jenes letzte Beiſpiel der hoͤchſten Freiheit im
ſinnlichen Leben nicht vereinzelt ſtehe, ſei abermals jenes
ſchon einmal berufenen merkwuͤrdigen Mannes erwaͤhnt.
Cardanus erzaͤhlte von ſich ſelbſt, daß er vor ſeinen Au-
gen habe ſehen koͤnnen, was ihm in den Sinn gekommen,
was er nur gewollt. Wie denn auch im Alterthum hier und
dort ein Beiſpiel einer ſolchen vorurtheilsfreien innern Sinn-
lichkeit erſcheint. Eines ſolchen Mannes gedenkt irgendwo
in den parvis naturalibusAriſtoteles, und von dem
Maler Theon von Samos erzaͤhlt Quintilianus: Con-
[29] cipiendis visionibus, quas pbantasias vocant, Theon Sa-
mius
praestantissimus. Quintil. XII. 10. 6. VI.
2. 29.


51.


Wie groß nun auch der Umfang dieſer Erſcheinun-
gen in der Geſchichte des Lebens ſeyn mag, ſo ſind in dem
bisherigen Bericht doch nur ſolche Zeugniſſe erwaͤhnt wor-
den, in welchen eine verkehrte durch Myſtification entſtandene
Auslegung vermißt wird. Wir wollten nur die Stimme
ſolcher Zeugen hoͤren, welche die Geſchichten ihres Sinnes
ohne Leidenſchaft, ohne Vorurtheil als Lebensaͤußerungen
betrachteten. Dieſe waren weder magnetiſche Hellſeher, noch
entzuͤckte Asceten, noch Daͤmoniſche. Erſt nachdem wir
das Phaenomen nach allen Seiten begrenzt haben, moͤgen
wir die Zuſtaͤnde unterſuchen, in welchen ſeine Erſcheinung
beguͤnſtigt wird.


52.


Es kann nun ſchon jetzt nicht mehr zweifelhaft ſeyn, daß
jene Phantasmen wohl nicht durch Wirkung der Einbildungs-
kraft aus den im Sehorgan haftenden Lichtflecken, Nebeln
und Farben ergaͤnzt werden, in der Art wie wir am hellen
Tage durch Wirkung der Einbildungskraft das Unvollkom-
mene zum Vollkommenen ergaͤnzen. Ich habe zwar oft be-
merkt, wie mir bei geſchloſſenen Augen aus den im Sehfelde
haftenden Lichtflecken und Nebeln beſondere Geſtalten wurden.
Unter dieſen Umſtaͤnden war aber der Lichtflecken, in dem die
Einbildung bald eine Wolke, bald ein Thier ſah, zuletzt
doch haftend. Er verſchwand nicht bei allem Wechſel des
Eingebildeten, er blieb, und ich konnte bei ſeiner Ausdauer
uͤber die Unwahrheit des Eingebildeten reflectiren.


53.


Die Phantasmen entſtehen vielmehr am haͤufigſten
[30] urploͤtzlich, nicht aus Lichtflecken, ſie ſelbſt in ſcharfer Begren-
zung der Geſtalt ſind die Lichtflecken. In dem ganz dun-
keln Sehraume, in den ich voll Erwartung der kommenden
Erſcheinung hineinſtarre, ſtehen ploͤtzlich Gebaͤude, Pflan-
zen da. Dieſe Bilder verſchwinden ebenſo ſchnell mit dem
Eintritt der Reflexion, die leichteſte Bewegung der Augen
hebt ſie auf. So fluͤchtig wie die phantaſtiſchen Vorſtellungen
entſtehen, verſchwinden ſie. Wenn daher auch aus Licht-
flecken Phantasmen entſtehen, ſo verhalten ſich die leuch-
tenden Meteore zu den aus ihnen entſtehenden Phantas-
men doch nur, wie ein Phantasma zum andern, das ſich
aus ihm hervorbildet.


VII.Der Ort der phantaſtiſchen Er-
ſcheinung
.


54.


In der Regel traͤumen die Blinden nicht von ſichtbaren
Gegenſtaͤnden. Man koͤnnte aus dieſer Erfahrung, auf
deren Wichtigkeit Darwin und in neuerer Zeit Gruit-
huiſen
aufmerkſam gemacht, ſchließen, die Sehſinnſubſtanz
des Auges ſelbſt, oder diejenige Extremitaͤt der Sehſinnſub-
ſtanz, welche zur Affection durch das Aeuſſere beſtimmt iſt,
ſei auch das Organ, welchem die leuchtenden inneren Wach-
und Traumbilder eingebildet werden. Dem iſt aber nicht
ſo. Die Erfahrung, daß der Blinde nicht mehr von ſicht-
baren Dingen traͤume, daß alſo, wenn die Extremitaͤt ſeiner
Sehſinnſubſtanz im Auge oder die Netzhant gelaͤhmt iſt, uͤber-
haupt auch die Sehſinnſubſtanz gelaͤhmt ſey, und alle Cinbil-
dung in dieſelbe von innen aufhoͤre, iſt keineswegs ſo allge-
mein, als es Darwin und Gruithuiſen angeben. Hoͤ-
ren wir daruͤber Zeune:


[31]

55.


»Was die Traumbilder der Blinden betrifft, ſo glau-
ben ſie im Schlafe bald zu ſehen, bald ſind ſie ſich ihrer
Blindheit bewußt. Ich ſagte Traumbilder, weil ja auch
Wachbilder nicht bloß bei Blinden, ſondern auch bei Se-
henden ſtatt finden, jenes Verlorenſeyn im Schauen, unab-
haͤngig vom Aeuſſern, jenes Zerſtreutſeyn in Bezug auf die
Auſſenwelt, aber Geſammeltſeyn in Hinſicht auf die In-
nenwelt. Bei zweien meiner Zoͤglinge, jetzt Mitlehrern der
Anſtalt, Engel nnd Grothe ſind dieſe gaukelnden Wach-
bilder abhaͤngig vom Wetter. Bei heiterer Luft haben ſie
angenehme Erſcheinungen, bei truͤbem Wetter aber verwor-
rene Geſtalten. Dieſe Wandelbilder ſind ihre Wetterver-
kuͤndiger.« Beliſar. S. 25.


56.


Ebenſo wichtig iſt der Bericht des blinden Prof. Bacz-
ko
in Koͤnigsberg uͤber ſich ſelbſt. »Er war 22 Jahr alt,
als er erblindete, hatte ſich viel mit Malen, Modelliren
und andern Kunſtarbeiten beſchaͤftigt, und ſeine Phantaſie
war ſehr lebhaft, ſo daß er ſelbſt dadurch die Abweichung
bei ſich erklaͤrt, daß er ſichtbare Bilder zuruͤckbehalten hat,
im Traume ſieht. Baczko erzaͤhlt auch, daß der bekannte
blinde Floͤtenſpieler Dulon, der in den erſten Tagen ſei-
nes Lebens erblindete und daher beinahe einem Blindgebor-
nen gleich zu achten war, ihm erzaͤhlt habe, daß er zuweilen
in ſeinem Traͤumen graͤßliche verzerrte Geſtalten, allein
immer nur dieſelben ſehe.« Aus einem handſchriftlichen
Aufſatze von Prof. Baczko uͤber die Traͤume der Blinden
in Rudolphi’s Phyſiologie 2. B. S. 283, deſſen vollſtaͤn-
dige Bekanntmachung gewiß allgemeiner Wunſch ſeyn muß.


57.


In der Berliner Monatsſchrift von Bieſter. 1800
[32] Oktob. S. 253. wird von einem Arzte folgender Fall auf-
gefuͤhrt:


»In Merkendorf bei Anſpach lebte noch vor wenig Jah-
ren eine alte ſtockblinde Hebamme, die mir klagte, daß
nichts ſie mehr quaͤle, als oͤftere Erſcheinungen, nicht von
Geiſtern, ſondern von Thieren und Menſchen, die ſie leib-
haftig mit grellen Farben vor ſich ſaͤhe, als ob ſie nicht
blind waͤre.«


58.


Wir ſehen aus dieſen hoͤchſt wichtigen Thatſachen, daß
nach vollkommener Laͤhmung der Netzhaut oder des aͤußerſten
fuͤr aͤußere Eindruͤckte beſtimmenten Theiles der Sehſinnſub-
ſtanz, bei der Unmoͤglichkeit, daß das aͤußere Elementariſche
auf dieſe ihre Extremitaͤt wirken kann, noch andere innere
Theile der Sehſinnſubſtanz aus inneren Reizen in Affection
ſeyn koͤnnen; wir wiſſen, daß der Blinde am Tage im
Wachen leuchtende Bilder ſieht, was uns im Traume nur
oder bei geſchloſſenen Augen zuruͤckgezogen von der aͤußern
Geſichtswelt geſchieht, ja daß ein dem Blindgebornen gleich
zu achtender doch Traum-Geſtalten ſieht.


59.


In der That, waͤre bei einem Menſchen die ganze Seh-
ſinnſubſtanz und nicht wie gewoͤhnlich in der Blindheit bloß
die Netzhaut gelaͤhmt, ſo koͤnnte er nicht mehr die ſinnliche
Anſchauung der Ruhe der Sehſinnſubſtanz oder des Dunkeln
haben. In der Dunkelheit des ruhigen Sehfeldes begrenzt
die Einbildung noch ihre Geſtalten. In der Dunkelheit des
inneren Sehraums Geſtalten ſehen, und wenn ſie auch bloß
Begrenzungen der Dunkelheit waͤren, kann dem Blindge-
bornen nicht genommen ſeyn, und iſt ihm in der That, wie
wir eben geſehen, nicht genommen. Welche Fragen koͤnnte
man aber an einen Blindgebornen ſtellen, der, blindgeboren
[33] wegen Undurchſichtigkeit der Medien des Auges, das Ge-
ſicht, durch Operation erlangte? uͤber den Unterſchied ſei-
ner Traͤume waͤhrend und nach ſeiner Blindheit? u. a. Das
waͤre wahrhaftig beſſer, als jene kurzſichtigen Fragen vom
Verkehrt- oder Geradeſehen, durch die wir nichts als unſere
Vorurtheile zu beſtaͤtigen wuͤnſchen!


60.


Hoͤchſt wichtig ſind denn auch die wenigen Beobachtun-
gen, welche von Blinden vorhanden ſind, die im Zuſtand
des Irrſeyns ſubjective Geſichtserſcheinungen hatten. Die
Erfahrungen, welche ich meine, ſind von Esquirol.


Esquirol behandelte einen Geſchaͤfismann, der nach
einem ſehr thaͤtigen Leben im 41. Jahre des Lebens vom
ſchwarzen Staar befallen wurde. Einige Jahre darauf wur-
de er Maniacus, er war ſehr aufgeregt, ſprach laut mit
Perſonen, die er zu hoͤren, zu ſehen glaubte, er ſah die
ſonderbarſten Dinge, oft verſetzten ihn ſeine Geſichte in
das lebhafteſte Entzuͤcken.


61.


In der Salpetriere war im Jahr 1816 eine Juͤdinn von
38 Jahren; ſie war blind und tobſuͤchtig, ſie ſah die fremd-
artigſten Dinge, Perſonen aus ihrer Bekanntſchaft; ſie
ſtarb ploͤtzlich. Esquirol fand die Sehnerven atrophiſch
vom Chiasma bis zum Eintritt derſelben ins Auge.


Dictionaire des Scienccs medicales. Hallucinations.


62.


Dieſe Beobachtungen ſind Goldkoͤrner. Im Wahnſinn
findet noch eine Erregung der innerſten Theile der Sehſinn-
ſubſtanz ſtatt, deren Extremitaͤt fuͤr die Einwirkung ihres
aͤußern Reizes gelaͤhmt iſt. Die Fortſetzungen der Sehner-
ven von Chiasma bis zu ihren Urſprungsſtellen im Gehirn
3
[34] ſind der Lichtempfindung durch innere organiſche Reize noch
faͤhig, wenn ihre Ausbreitung nach außen, beſtimmt das
Elementariſche als lichten Tag zu ſehen, zerſtoͤrt iſt.


63.


Wir koͤnnen kuͤhn behaupten: So lange die Empfin-
dung des Dunkeln nicht aufgehoben iſt, ſo lange der Blinde
noch dunkel ſieht, ſind auch innere Lichtempfindungen
Hallucinationen moͤglich. Von einem Blinden, der
nicht noch dunkel geſehen haͤtte, habe ich noch nicht gehoͤrt.
Und doch iſt das Dunkele etwas Poſitives und wird
nur da empfunden, wo die Sehſinnſubſtanz iſt; denn von
dem Hinter uns iſt uns unmoͤglich, die Empfindung des
Dunkeln zu haben.


Moͤge doch nun ein Unterrichteter auch uͤber das Licht-
ſehen der Blinden in den Delirien der fieberhaften Krankheiten
Beobachtungen mittheilen, zu denen ja an einer Blindenanſtalt
manche Gelegenheit gegeben ſeyn muß.


64.


Wenn die Traumbilder und die Geſichtserſcheinungen
in den Delirien dieſelben Phaenomene ſind, die ich vorher
aus dem wachenden Zuſtande beſchrieben, ſo haben dieſe ins-
geſammt nur in den innerſten Theilen der Sehſinnſubſtanz
ſtatt, und nicht wie die Blendungsbilder in der Netzhaut
ſelbſt. Wenn ein Blendungsbild als eine partielle Affection
der Netzhaut durch aͤußere unmittelbare Reizung ihrer ſelbſt
in ihr haftet, ſo kann es mit der Bewegung der Augen
ſelbſt auch bewegt werden im Verhaͤltniß zu den aͤußern
Objecten. Wenn es auch ſeine Localitaͤt zum ganzen Sehfelde
bei allen Bewegungen der Augen nie veraͤndert, ſo kann es
doch mit dem Sehfelde ſelbſt durch Bewegung der Augen
ſein Verhaͤltniß zum aͤußern Raum oder zu unſerer eignen
Raͤumlichkeit aͤndern. Es wird nach oben, nach den
[35] Seiten erhoben durch die Bewegung der Augen nach oben,
nach den Seiten.


65.


War das Blendungsbild einfach, d. h. entſtand es durch
Affection identiſcher Theile der beiden Netzhaͤute, ſo wird es
auch bei allen Bewegungen der Augen einfach bleiben muͤſſen,
weil das Verhaͤltniß der Indentitaͤt in den Netzhaͤuten oder
ſubjectiven Sehfeldern durch alle relative Bewegung der
Augen nie veraͤndert werden kann. Bei aller Bewegung
der beiden Augen kann ſich nur ein einfaches Sehfeld mit
ſeinem einfachen Blendungsbild, aufwaͤrts, abwaͤrts, ſeit-
waͤrts bewegen. Aber das Blendungsbild kann nur in dem
Theile des Sehſinnſubſtanz ſeinen Sitz haben, welcher bewegt
werden kann, welcher ſeine relative Lage zu dem Aeußern
veraͤndern kann.


66.


Es iſt zum Theil anders mit den phantaſtiſchen Bildern.
Ihr Vorkommen mit der Zerſtoͤrung des Auges beweißt ſchon,
daß ſie in den tiefern unbeweglichen Theilen der Sehſinn-
ſubſtanz ihren Sitz haben. Auch habe ich bei geſchloſſenen
Augen nie bewirken koͤnnen, daß ſie ſich mit den Augen
wie die Blendungsbilder bewegten. Sind phantaſtiſche Bil-
der im Sehfelde bei geoͤffneten Augen, ſo werden ſie frei-
lich mit den objectiven Bildern in ein und daſſelbe Sehfeld fal-
len, und hier muͤſſen allerdings die phantaſtiſchen Bilder in
der Sehachſe oder Mitte des ſubjectiven Sehfeldes mit den
Bildern der aͤußeren Gegenſtaͤnde zuſammenfallen, welche
wechſelnd durch Bewegung der Augen in die Mitte des
Sehfeldes kommen.


67.


In der That diejenigen, welche phantaſtiſche Bil-
der im wachenden Zuſtande mit geoͤffneten Augen geſe-
[36] hen, bezeugen, daß man von ihnen die Augen nicht abwen-
den koͤnne, d. h. daß ſie, wenn ſie etwa in der Mitte des
Sehfeldes ſind, mit allen Gegenſtaͤnden zuſammenfallen,
welche bei abwendender Bewegung der Augen in die Seh-
achſe fallen. Beobachtungen dieſer Art hat Gruithui-
ſen
an dem angefuͤhrten Orte S. 238, 259 aus eigener
und fremder Erfahrung geſammelt.


68.


Im Traume koͤnnen wir auch nie die Augen von un-
ſern Geſichten abwenden, weil ſie in der unbeweglichen
Sehſinnſubſtanz ſelbſt ſind. Das iſt eine Erfahrung, die
ſich in allen Sinneserſcheinungen des Traumes aus dem-
ſelbe Grunde wiederhohlt. Wir koͤnnen nie einem Gefuͤhl,
womit die Vorſtellung einer aͤußern Urſache verknuͤpft iſt, ent-
fliehen, unſere Kraͤfte verlaſſen uns eher als dieſes Traum-
object unſerer Sinne.


69.


Sind die lichten Traumbilder beim Erwachen noch vor-
handen, ſo behalten ſie zwar ihre beſtaͤndige Oertlichkeit
in dem Sehfelde, bedecken aber mit der Bewegung der Au-
gen immer andere Theile der aͤußern ſichtbaren Welt. »Mir
traͤumte ich zeige einer Dame die ſchoͤn violettblaue Farbe
des Flußſpathes auf gluͤhenden Kohlen. Dieß Experiment ge-
lang im Traum ſcheinbar ſo gut, daß mir davon die Au-
gen wie im Sonnenlichte geblendet wurden. Daruͤber er-
weckte ich mich, und ich hatte im Auge einen gelben Fleck.
Dieſer Fleck wurde endlich violettſchwarz, dann oͤffnete ich
die Augen, da ward er gegen das Fenſter gehalten, dunk-
ler als die anderen Stellen des Auges und bewegte ſich
genau wie andere Taͤuſchungen im Wachen mit den Augen
uͤber die Gegenſtaͤnde hin.« Gruithuiſen, a. a. S.
S. 256.


[37]

70.


Dieſe Selbſtbeobachtung ſcheint ſogar wahrſcheinlich zu
machen, daß auch die phantaſtiſchen Bilder wie die Blen-
dungsbilder durch neue Eindruͤcke Veraͤnderung und Um-
kehrung des Hellen, Dunkeln und des Farbigen erfah-
ren.


71.


Gruithuiſen, welcher den Sitz der Traumbilder,
auf die Darwinſche Beobachtung von dem Mangel der
Traumbilder bei den Blinden geſtuͤtzt, in die Netzhaut ſetzt, be-
hauptet, daß auch die Traumbilder nach dem Erwachen ſich
noch bei geſchloſſenen ſich bewegenden Augen mit bewegen. Dem
muß ich durchaus widerſprechen. Ich habe vor dem Ein-
ſchlafen die phantaſtiſchen Bilder nie durch Bewegung der
geſchloſſenen Augen bewegen koͤnnen. Wenn ſie ſich bei
geoͤffneten Augen mit der Bewegung der letzteren uͤber die
aͤußern Dinge zu bewegen ſcheinen, ſo beruht dieſer Schein
nur in dem durch die Bewegung der Augen bedingten wech-
ſelnden Zuſammenfallen anderer Objecte mit gewiſſen Theilen
des Sehfeldes. In der That, wenn, wie fruͤher aus Er-
fahrungen der Blinden gegen Gruithuiſen bewieſen
worden iſt, die phanſtatiſchen Bilder in den innerſten Thei-
len der Sehſinnſubſtanz ihren Sitz haben, wuͤrde Bewe-
gung der phantaſtiſchen Bilder mit der Bewegung der Au-
gen ein offener unaufloͤslicher Widerſpruch ſeyn.


72.


Die Blendungsbilder in der beweglichen Extremitaͤt
der Sehſinnſubſtanz und die phantaſtiſchen Bilder in den
unbeweglichen inneren Theilen derſelben kommen daher dar-
in uͤberein, daß ſie ein beſtaͤndiges Verhaͤltniß zur Raͤum-
lichkeit des Sehfeldes gegen alle wechſelnden Eindruͤcke auf
daſſelbe behaupten; ſie unterſcheiden ſich aber dadurch we-
[38] ſentlich. Die Blendungsbilder in der beweglichen Extre-
mitaͤt der Sehſinnſubſtanz aͤndern mit der Bewegung der
Augen ihr relatives Ortsverhaͤltniß zu unſerer eigenen Koͤrper-
lichkeit; die phantaſtiſchen Bilder behaupten bei aller Bewe-
gung der geſchloſſenen Augen eine beſtaͤndige Stelle im Ver-
haͤltniß zu unſerer eigenen Raͤumlichkeit, wenn ſie ſich nicht
aus innern Gruͤnden ihrer Erſcheinung bewegen.


73.


Aus allem geht zugleich hervor, daß die inneren Theile
der Sehſinnſubſtanz den aͤußeren der Netzhaut in Hinſicht
der Raͤumlichkeit des ſubjectiven Sehfeldes entſprechen, daß
gewiſſe Theile der innern Sehſinnſubſtanz identiſche Fortſe-
tzungen ſind gewiſſer Theile der Netzhaut, und daß Afectio-
nen der einen und anderen in Hinſicht des Ortes im ſubjecti-
ven Sehfeld als identiſch zuſammenfallen, ebenſo wie ſich
in beiden Augen identiſche Theile entſprechen, deren gleich-
zeitige Affection eins iſt in Hinſicht des ſubjectiven Ortes
des Geſehenen.


74.


Wenn daher a b die Retina als aͤußere Extremitaͤt
der Sehſinnſubſtanz zur Aufnahme der aͤußeren Eindruͤcke
und zugleich der durch dieſe erregten Blendungsbilder, c d die
inneren Theile der Sehſinnſubſtanz im Gehirn, in welchen
die Phantaſiebilder aus Erſcheinung kommen, ſo fallen die
Eindruͤcke auf x der Netzhaut oder den Mittelpunct der-
ſelben mit den Eindruͤcken auf y der inneren Theile zuſam-
men in Hinſicht des Ortes im ſubjectiven Sehfelde. Wie
immer ſich nun a, b, oder die aͤußere Extremitaͤt der Seh-
ſinnſubſtanz mit den Bewegungen des Auges bewegen mag,
alles was x, den Mittelpunct der Netzhaut, wechſeld afficirt,
alſo m, n, o bei andern Stellungen des Auges, faͤllt jedes-
mal mit y der inneren unbeweglichen Theile ſammen. Das
[39] Phantaſiebild in y kann nie durch Bewegung des Auges
a b mit bewegt werden, wohl aber koͤnnen die in x der
Netzhaut fixirten Blendungsbilder, ihre Stelle im Sehfeld
behauptend, mit dem Auge a b ihr Ortsverhaͤltniß zur
Raͤumlichkeit des ganzen Organismus veraͤndern.


Dieß iſt das Verhaͤltniß der Blendungsbilder und ob-
jectiven Bilder zu den Phantaſiebildern.


[[40]][[41]]

II.
Die Lebensgeſchichte der phanta-
ſtiſchen Geſichtserſcheinungen
.


[[42]]
  • I. Die Phantasmen im dunkeln und lichten Sehfeld ohne ſelbſt-
    ſtändiges Leuchten.
  • II. Die Phantasmen im dunkeln und lichten Sehfeld aus unvoll-
    kommen äußeren Sinneseindrücken.
  • III. Die Phantasmen im dunkeln und lichten Sehfeld aus inneren
    Sinneseindrücken.
  • IV. Das Hellſehen des Halbwachens.
  • V. Das Hellſehen des Traumes.
  • VI. Das magnetiſche Hellſehen.
  • VII. Das ekſtatiſche Hellſehen.
  • VIII. Das narcotiſche Hellſehen.
  • IX. Das fieberhafte und nervöſe Hellſehen.
  • X. Die Phantaſiebilder der Irren.
  • XI. Die Phantaſiebilder am hellen Tage ohne Anerkennung ihrer
    Objecticität.
  • XII. Die willkührlichen Phantasmen.
  • XIII. Auſſicht auf die Phantasmen der anderen Sinne.
  • XIV. Nutzanwendung.

[43]

75.


Nachdem wir die Entſtehung der Phantaſiebilder als
Lebensaͤußerungen des Sinnes wiſſenſchaftlich begruͤndet ha-
ben, liegt es uns nun ob, in der Lebensgeſchichte dieſer Er-
ſcheinungen ihren Umfang zu ermitteln, alle die mannig-
faltigen Zuſtaͤnde kennen zu lernen, in denen ein und daſ-
ſelbe Phaenomene von ſeiner einfachſten bis zu der hoͤch-
ſten Stufe der willkuͤhrlichen Sollicitation ſich wahr macht.


I.Das plaſtiſche Einbilden im dunkeln oder
lichten Sehfeld ohne ſelbſtſtaͤndiges
Leuchten des Phantasma
.


76.


Die Phantaſie, ſei ſie in der Sinnſubſtanz ſelbſt oder außer
ihr thaͤtig, iſt nicht ohne Wirkung auf den Sinn. Die Phan-
taſie, Sichtbares nur vorſtellend, ſtellt in dem lichten oder dun-
keln Sehfeld der Sehſinnſubſtanz das Sichtbare vor. Das
Dunkle vor den Augen, wie der lichte Tag vor den Augen iſt
immer nur das ſubjective Sehfeld der Sehſinnſubſtanz, in
ihrer Ruhe dort, hier in ihrer Affection. Alles, was in
Formen phantaſirt oder vorgeſtellt wird, deſſen vorgeſtellte
Begrenzung iſt doch immer nur als Begrenzung gedacht im
[44] ſubjectiven dunkeln oder lichten Sehfeld der Sehſinnſub-
ſtanz.


77.


Die Phantaſie plaſtiſch wirkend iſt daher, auch ohne
leuchtendes Hervortreten ihrer Bilder, doch ſchon, in wie
fern ſie Formen begrenzt, in der alleinigen Formentafel,
dem dunkeln oder lichten Sehfeld thaͤtig.


Hoͤchſt bedeutungsvoll heißt es daher in den Wahlver-
wandſchaften Cap. 3. in Ottiliens Tagebuche: »Man mag
ſich denken, wie man will, man denkt ſich immer ſehend.
Es koͤnnte wohl ſeyn, daß das innere Licht einmal aus
uns heraustraͤte, ſo daß wir keines andern beduͤrften.«


II.Das plaſtiſche Einbilden im dunkeln
oder lichten Sehfeld aus unvollkom-
menen Sinneseindruͤcken productiv
.


78.


Selbſt im durchaus dunkeln Raume, d. h. bei abſoluter
Ruhe der Sehſinnſubſtanz ſehen wir die vorgeſtellten For-
men mit einer ſchreckenden Lebendigkeit, ohne daß ſie doch
durch irgend eine Erhellung von dem uͤbrigen Dunkel ſich
auszeichnen. Wenn ſich das Dunkel ſchon in ſich ſelbſt
durch das Einbilden der Phantaſie in die Sehſinnſubſtanz zu
Formen geſtaltet, ſo darf es uns nicht wundern, wenn auch
am lichten Tag bei einiger Lebhaftigkeit der Phantaſie die
unvollkommenſte Begrenzung im ſubjectiven Sehfeld durch
[45] Imagination zu vollkommenen Geſtalten ausgebildet wird.
Es giebt Menſchen von lebhafter Phantaſie, denen nur we-
nige Puncte oder Striche in der Daͤmmerung genuͤgen, daß
ihre geſchaͤftige plaſtiſche Phantaſie dieſe Elemente zu vollkom-
menen ſichtbaren Geſtalten ergaͤnzend verbindet. Kinder ſehen
in den heterogenſten Umriſſen leicht Geſichter, Menſchen u. a.


79.


Mich hat dieſe Plaſticitaͤt der Phantaſie im lichten und
dunkeln Sehfelde in den Jahren der Kindheit oft geneckt. Ei-
nes erinnere ich mich am lebhafteſten. Durch die Fenſter
des Wohnzimmers im elterlichen Hauſe ſah ich auf ein Haus
der Straße von etwas altem Anſehen, an dem der Kalk
an manchen Stellen ſehr verſchwaͤrzt, an andern aber in
vielgeſtaltigen Lappen abgefallen war, um hier eine aͤltere
auch wohl aͤlteſte Farbenbekleidung durchſehen zu laſſen.
Wenn ich nun nicht uͤber die Schwelle durfte und gar man-
che Stunde des Tages am Fenſter mit allerlei beſchaͤftigt
war, und durch das Fenſten ſehend immer nur die ruſſige
verfallene Wand des Nachbarhauſes betrachtete, gelang es mir
in den Umriſſen des abgefallenen und ſtehen gebliebenen
Kalkes gar manche Geſichter zu erkennen, die durch die oft
wiederholte Betrachtung ſogar einen ganz ſprechenden Aus-
druck erhielten. Das Nachbarhaus mit ſeinen Waͤnden war
in vielen Stunden das einzig Specificirte in meinem lichtem
Sehfeld, das in ſeinem Einerlei immer wiederkehrte, kein
Wunder, wenn die Formen ſchaffende Phantaſie eine Art
von Leben zuletzt in dieſe eintoͤnige Landſchaft brachte.


80.


Wenn ich nun die Andern auch aufmerkſame machen
wollte, wie man doch gezwungen ſey, an dem verfallenen
Kalk allerlei Geſichter zu ſehen, wollte freilich Niemand mir
Recht geben, aber ich ſah es doch ganz deutlich. Dieſe we-
[46] nigſtens der Phantaſie verweigerte Anerkennung konnte mich
denn [auch] noch trotzig machen, mein Geſichterſehen wurde
mir etwas Geheimnißvolles, wiewohl ich freilich hierbei
nur die Einbildung im Sinne hatte. In ſpaͤteren Jahren
wollte das nicht mehr gelingen, und wiewohl ich meine
Figuren noch ganz deutlich im Sinne hatte, ſo konnte
ich ſie doch nicht mehr in den Umriſſen wiederfinden, aus
denen ſie mir entſtanden waren.


81.


Im Dunkeln iſt dieß wunderbare plaſtiſche Eigenleben
der Phantaſie im Sehfelde am maͤchtigſten, denn die objec-
tiven Sinneseindruͤcke mit ihrer Beharrlichkeit, Geſetzmaͤ-
ßigkeit vernichten den Widerſpruch des ſpielenden Phanta-
ſielebens, das aber ſogleich hervortritt, ſeine Formen im
dunkeln Formenſchemen der Sehſinnſubſtanz zu begrenzen
und zu verwandeln. Baͤume, Felſen, necken uns mit ihren
gigantiſchen Geſichtern, die ſich aus rohen Formen zu ſchrek-
kender oder wenigſtens wunderbarer Lebendigkeit ergaͤnzen.


Und die Klippen, die ſich bücken,

und die langen Felſennaſen,

wie ſie ſchnarchen, wie ſie blaſen.

Und die Wurzeln, wie die Schlangen,

winden ſich aus Fels und Sande,

ſtrecken wunderliche Bande,

uns zu ſchrecken, uns zu fangen;

aus belebten derben Maſern

ſtrecken ſie Polypenfaſern

nach dem Wandrer.

82.


Hieher gehoͤrt auch eine Abſtraction der ſinnlichen Vor-
ſtellung im Sehfelde, die wohl Jedem gelaͤufig ſeyn moͤchte.
Betrachten wir ſehr zuſammengeſetzte Figuren, die aus einer
[47] Menge einzelner regelmaͤßiger Figuren, welche ſelbſt ſchon
fuͤr ſich ein Ganzes ausmachen, conſtruirt ſind, architecto-
niſche Roſen, viel verſchlungene Verzierungen, ſo koͤnnen wir
bald den einen, bald den andern Theil dieſer Figuren als ein
Ganzes, einem hoͤheren Ganzen Einverleibtes im Sinne feſthal-
ten. Wir erblicken in einer und derſelben zuſammengeſetzten re-
gelmaͤßigen Figur bald den Stern, bald das Sechseck, bald
die Roſe durch alle anderen Formen durchſtrebend. Alle dieſe
einzelnen Figuren nehmen, zu einem architectoniſchen Ganzen
vereinigt, denſelben Raum ein, aber wir halten das einzel-
ne Element deſſelben einbildend lebhaft im Sinne feſt, wo-
bei uns das Uebrige zum gleichguͤltigen Grunde wird.


83.


Indem wir nun bald das Eine bald das Andere im
Sehfelde lebhafter einbilden, ſcheint uns das Object ſelbſt
ſich zu veraͤndern, es iſt, als ob ein Blatt uͤber dem andern
weggezogen wuͤrde, oder ſo wie die Kaleidoscope ſich ver-
aͤndern. Darauf gruͤndet ſich zugleich der wunderbare Reiz,
den ſolche auf einer gewiſſen Geſetzmaͤßigkeit beruhende
vielgliederige architectoniſche Figuren auf den Sinn aus-
uͤben. Sie haben etwas Bewegliches, Veraͤnderliches, Le-
bendiges, oder vielmehr der Sinn traͤgt ſein eigenes Be-
wegtſeyn, ſein eigenes Leben aus dem Sehfelde auf ſie uͤber.


III.Das plaſtiſche Einbilden aus ſubjecti-
ven inneren Sinneseindruͤcken productiv
.


84.


Es iſt fuͤr den Sinn gleich, ob ſeine Affection von
innen oder außen erregt werde, das Auge ſieht in beiden
Faͤllen Licht und Farben. Wenn uns daher auf der zweiten
[48] Stufe aus aͤußeren Eindruͤcken Phantasmen im Sehfelde
ſich ergaͤnzen, ſo wird ein Gleiches ſtatt haben muͤſſen,
wenn die Eindruͤcke auf die Sehſinnſubſtanz innerliche, ſo-
genannte ſubjective Geſichtserſcheinungen ſind. Bei geſchloſ-
ſenen Augen iſt das Sehfeld nie rein von ſolchen Reflexen
innerer organiſcher Reizungen anderer Organe in die Seh-
ſinnſubſtauz, die hier als Lichtflecken, Nebel, Blitze, Strah-
len, Sterne, Farben erſcheinen. Auch dieſe Erſcheinungen
metamorphoſirt die im Sehfelde plaſtiſch wirkende Phanta-
ſie, und zwar um ſo mehr, als dieſe rein ſubjectiven Ge-
ſichtserſcheinungen viel veraͤnderlicher, fluͤchtiger ſind als
die geſetzmaͤßigen aus aͤußerer Anregung entſtandenen.
Dieſe Metamorphoſe iſt daher am lebhafteſten bei geſchloſ-
ſenen Augen vor dem Einſchlafen.


VI.Das Einbilden im dunkeln Sehfeld
mit Leuchten der Phantasmen
.
Das Hellſehen des Halbwachens.


85.


Wie dieſe Stufe von der vorhergehenden in Hinſicht
des Genetiſchen durchaus verſchieden ſey, habe ich fruͤher
gezeigt. Es iſt hier nicht eine ſubjective Geſichtserſcheinung
als Lichtflecken, Nebel, welche zu beſonderen Formen ergaͤnzt
wird. Das Phantasma in beſtimmter Form entſteht ur-
ploͤtzlich leuchtend im dunkeln Sehfeld ohne Abſicht, ohne
Willen, ohne ſcheinbare aͤußere Anregung. Das Gene-
tiſche iſt dieſes. In der erſten Stufe ſchon wirkt die Phan-
taſie im dunkeln und lichten Sehfeld Phantasmen durch
[49] gedachte, vorgeſtellte Begrenzung; Dieſe Phantasmen
ſind aber noch nicht ſelbſtleuchtend, ſie unterſcheiden ſich durch
nichts von der dunkeln Tafel des Sehfeldes als durch die
vorgeſtellte Grenze des Umriſſes im Dunkeln. Auf der ge-
genwaͤrtigen Stufe geſchieht ganz daſſelbe, nur erregt die
im Dunkel des Sehfeldes begrenzende plaſtiſche Phantaſie
bei groͤßerer Reizung das der Sehſinnſubſtanz Immanente,
Licht und Farbe; die im dunkeln Sehfeld begrenzten Formen
ſind leuchtend, farbig.


86.


Die Phaenomene ſelbſt ſind diejenigen, welche ich aus
eigener Selbſtbeobachtung fruͤher beſchrieben. Uebrigens ſind
die Phantaſiebilder auf dieſer Stufe nach meiner Erfahrung,
die mit der Selbſtbeobachtung Anderer uͤbereinſtimmt, ganz
unabhaͤngig von dem, womit man ſich im Tage durch beſchaͤf
tigt hat.


V.Das Einbilden im Sehfelde mit Leuch-
ten der Phantasmen im Traume
.
Das Hellſehen des Traumes.


87.


Die Traumbilder ſind nichts Anderes als die leuchten-
den Phantasmen, welche vor dem Einſchlafen bei geſchloſ-
ſenen Augen in der Sehſinnſubſtanz erſcheinen. In der
Regel beſtehen ſie mit Anerkennung ihrer Objectivitaͤt,
oft auch mit dem Bewußtſeyn, daß nur Traumbilder geſehen
werden. Im letztern Falle ſind die Traumbilder gar nicht
von den Phantaſiebildern vor dem Einſchlafen verſchieden. In
4
[50] den Selbſtbeobachtungen uͤber die Phantaſiebilder vor dem
Einſchlafen habe ich mich haͤufig uͤber dem Anfange des wirkli-
chen Traumes uͤberraſcht. Der wirkliche Traum, mit Einſchlaͤ-
fern der Reflexion und Anerkennung der Objectivitaͤt der Phan-
ſiebilder, tritt am leichteſten und unmittelbarſten dann ein,
wenn an die Stelle der Dunkelheit nach und nach die inne-
re ſubjective Erhellung des Sehfeldes getreten iſt. Du
haſt lange Zeit die einzelnen hellen Phantaſiebilder im dun-
keln Sehfeld beobachtet, nach und nach wird aber das gan-
ze Sehfeld wie von einem Tageslichte innerlich erhellt,
deine Phantaſiebilder ſcheinen am Tageslichte ſelbſt zu wan-
deln. In die Anſchauung dieſes innern Tageslichtes und
deſſen, was darin vorgeht, verſenkt, und befangen haſt du allen
Grund deiner wirklichen Lage zu vergeſſen, die dir ja keine
Sinneseindruͤcke ihrer Wirklichkeit aufdringt. Ruhig in
deinem Bette liegend, weißt du von dieſem nichts mehr,
ſondern nur von dem innern Tageslichte, du biſt hundert
Meilen weit entruͤckt, jenachdem das innere Tageslicht an-
dere Phantaſiebilder, andere Gegenden beſcheint. Wohin du
dich traͤumeſt, dein Bett iſt die unbewußte Trauminſel, von
der du blickeſt ins Tageslicht entlegener Raͤume. Da nun
die Phantaſiebilder wirklich leuchtend ſind, ſo traͤumen wir
auch faſt gar nicht, daß wir im Dunkeln ſind.


88.


Daher iſt das Auge, bei dem Erwachen geoͤffnet, manch-
mal noch voll von phantaſtiſchen Bildern, die ſofort durch
die Macht der aͤußern Eindruͤcke nach und nach in Lichtflecken
erloͤſchen. Dieſe Phantaſiebilder des Traumes koͤnnen
ſich auch mit objectiven Sinneseindruͤcken verbinden.
Die aͤußeren Eindruͤcke verwebt der Traͤumende in ſeine
Traumerſcheinung. In der Mittagszeit ſchlafend traͤumte
mir, als wenn meine Traumobjecte ploͤtzlich von einem wun-
derbaren Lichte erhellt wuͤrden. Dieß war auch der Grund,
[51] daß ich erwachte. Nun ſah ich, daß mich, fruͤher im Schat-
ten gelegen, waͤhrend des Schlafes eben das helle Sonnen-
licht erreicht hatte.


89.


Gruithuiſen hat das Verdienſt die wirkliche Sin-
neserſcheinung der Traumbilder zuerſt bewieſen zu haben.
Nur iſt es nicht richtig, wenn er annimmt, daß dieſe Sin-
neserſcheinung in dem Auge ſelbſt ſtatt findet; auch iſt es un-
richtig, wenn er annimmt, daß man in der Geſchichte keine
einziges Moment finde, woraus man ſchlieſſen koͤnnte, es
habe einer gewußt, die Sinnesorgane ſeien im Traume eben-
ſo ſehr in Affection, als wenn ſie die getraͤumten Gegen-
ſtaͤnde in Wirklichkeit percipirten.


90.


Demokritos muß ſchon ſo etwas vorgeſchwebt haben
in ſeiner Lehre von den Idolen, wenn er annimmt, es be-
ſtehe der Traum aus der Beobachtung vorbeiflieſſender Ab-
bildungen. Denn aus der Auffaſſung der von den Dingen
ausſtroͤmenden Bilder Εἴδωλα beſteht ihm das objective Sehen.
Welcherlei nun ſeine Auslegung der Sinnesthaͤtigkeit des
Geſichtsſinnes ſei, deſſen Thaͤtigkeit im Traume iſt ihm die-
ſelbe wie ihm Wachen.


91.


Das laͤßt ſich auch von der Lehre des Herakleitos ſa-
gen. Die Sinnesthaͤtigkeit entſteht ihm durch das Antheilhaben
an dem περιέχον des Himmelsaͤthers. Der Unterſchied des
Schlafens und Wachens iſt, daß im Wachen die goͤtt-
liche
ἀναϑυμίαοις aus dem πεϱιέχον nicht nur durch
das Athmen allein ſondern auch durch das Ge-
ſicht und den Geruch eingezogen wird, dagegen
im Schlafe die Communication mit dem
πεϱιέχον
[52]nur mehr auf die bloß allgemeinſte Form des
Athemhohlens beſchraͤnkt iſt. Dieſes iſt nun
das freilich ſehr verunreinigte und getruͤbte
Licht, das der Menſch ſich ſelbſt des Nachts
anzuͤndet und in welchem er traͤumend die Din-
ge ſieht; denn nur des Todten Licht iſt ganz
ausgeloͤſcht
. Auch hier liegt alſo wenigſtens die Ueberzeu-
gung zu Grunde, daß auch im Traume die Sinnesorgane
ſelbſt thaͤtig ſind.


92.


Platon laͤßt offenbar im Traume die Sinnesor-
gane thaͤtig ſeyn. Ein Organ des Feuers,
das nicht brennt, ſondern ein mildes Licht
giebt, hatten die Goͤtter bei der Bildung der
Augen zur Abſicht. Wenn das Tageslicht um
den Ausfluß des Geſichtes iſt, und Gleiches zu
Gleichem ausſtroͤmend ſich vereint, ſo entwirft
ſich in der Richtung der Augen ein Koͤrper, wo
immer das aus dem Auge ſtroͤmende Licht mit
dem aͤußern zuſammentrifft. Wenn aber das
verwandte Feuer des Tages in die Nacht
vergeht, ſo iſt auch das innere Licht verhalten.
— Wenn die Augen geſchloſſen ſind, iſt auch
das innere Feuer zuruͤckgehalten, und ſo be-
ſaͤnftigen und ebnen ſich auch alle inneren Be-
wegungen. — Sind aber noch einige hervor-
ſtechende Bewegungen zuruͤckgeblieben, ſo wer-
den, welcherlei Bewegungen und an welchen
Puncten ſie zuruͤckgelaſſen werden, eben
ſolche und ſo vielerlei Bilder der Phantha-
ſie erſcheinen
.


93.


Daß dem Ariſtoteles die Sinnesorgane im Trau-
[53] me thaͤtig waren, beweist die beigefuͤgte Urkunde uͤber den
Traum. Auch Cardanus, indem er von ſeinen Phan-
taſiebildern ſpricht, ahndet ihre Entſtehung und beruft ſich
auf das richtige Verſtaͤndniß Averrhoes. Cum spi-
ritus imaginationi serviens formas imaginando conceperit
soni aut qualitatis cuiusdam, quae odore aut tactu dignos-
catur, aut mortui vel daemonis, illaque transferatur ad
sensum, qui actioni ei correspondet, in odoribus quidem
ad instrumentum olfactus proprium, in auditu ad aures,
in spectris ad oculos, necessario olfaciet, aut audiet,
aut videbit, nullo assistente obiecto. Averrhoë in
Collectaneis.


VI.Das Einbilden leuchtender Phantas-
men in das Sehfeld im magnetiſchen
Schlafwachen
.
Das magnetiſche Hellſehen.


94.


Wer uns in der bisherigen Auseinanderſetzung und
Entwicklung eines und deſſelben Phaenomenes in verſchie-
denen Zuſtaͤnden gefolgt iſt, dem wird es nicht einfallen
zu glauben, daß in dem magnetiſchen Zuſtande, den man
das Hellſehen nennt, mit den Fingerſpitzen oder mit der
Herzgrube geſehen werde. Es iſt in der That nichts laͤcherlicher
als dieſe gelaͤufigen Behauptungen, wofuͤr man auch nicht
eine zuverlaͤſſige Thatſache angefuͤhrt hat, wofuͤr nicht ein-
mal der Beweis aufrichtig geſucht worden iſt, die
nur durch eine immer fortgeſetzte und immer kraͤftigere
Wiederhohlung gleichſam ex usucaptione gangbar geworden.
[54] ſind. Setzt es nicht die groͤßte Unbekanntſchaft mit den op-
tiſchen Geſetzen des Sehens voraus, wenn man behauptet, ein
aͤußeres Leuchtendes koͤnne durch eine thieriſche Flaͤche geſehen
werden, ohne ein Organ, durch welches das von dem Gegen-
ſtand ausgehende, verſchiedene Lichte, das ſonſt die empfindende
Flaͤche in allen Theilen zugleich beleuchtet, auch auf dieſer em-
pfindenden Flaͤche wie im leuchtenden Objecte geſondert wer-
de. Die Herzgrube kann ſehend doch nur das von dem Gegen-
ſtand ausgehende Licht ſehen. Dieſes Licht beleuchtet die Herz-
grube allgemein. Alle Theile des Objectes beleuchten mit ver-
ſchiedenem Licht denſelben Theil der Flaͤche, und dennoch ſoll
dieſe Flaͤche das ſpecificirte Licht, wie im Gegenſtand ge-
ſondert empfinden!


95.


Ohne hier entſcheiden zu wollen, wie weit die
Wahrheit des ſogenannten thieriſchen Magnetismus gehe,
ſehen wir auf unſerm Standpuncte ein, daß in einem dem
natuͤrlichen Somnambulismus aͤhnlichen Zuſtande, der un-
ſerm gewoͤhnlichen hoͤchſt ſeligen Schlafwachen faſt ganz
aͤhnlich, ja wahrſcheinlich mit ihm identiſch iſt, leuchtende
Phantaſiebilder entſtehen.


96.


Wenn es alſo kuͤnſtliche Mittel giebt, in den Zuſtand
zu verſetzen, in den wir jeden Abend vor dem Einſchlafen
verfallen, ſo werden auch die inneren phantaſtiſchen Erre-
gungen der Sehſinnſubſtanz ſtatt finden muͤſſen wie dort.
Der magnetiſch hellſehende gleicht durchaus dem Schlaf-
wachenden oder Halbwachenden, er traͤumt zum Theil ſchon
wie dieſer einzelne Traͤume ſeiner einzelnen Geiſtesvermoͤ-
gen, du kannſt dich mit ihm unterhalten uͤber ſeine Phan-
taſieen, wie du dich mit mir noch unterhalten koͤnnteſt,
[55] wenn meine Phantaſiebilder bei geſchloſſenen Augen lange
vor dem Einſchlafen da ſind.


97.


Der Zuſtand des taͤglichen Schlafwachens hat daher
auch nicht weniger Wunderbares, Seliges, Myſtiſches, als
was man von dem magnetiſchen Schlafwachen erzaͤhlt.
Man erinnere ſich in der folgenden ſehr treffenden Darſtel-
lung des taͤglichen Schlafwachens ſeiner eigenen dunkeln
Erfahrungen.


»In dieſer Zwiſchenzeit zwiſchen Schlaf und Wachen be-
merken wir gemeiniglich jene bizarren, bald laͤcherlichen
und unanſtaͤndigen, bald auch fuͤrchterlichen Bilder, welche
unſere Seele durchkreuzen, und deren Urſprung noch ein
Raͤthſel in der Pſychologie zu ſeyn ſcheint. Bisweilen er-
innern wir uns alsdann auf einmal, ohne eine Ideenaſſo-
ciation in uns wahrzunehmen, aus der man ſich das Erinnern
erklaͤren koͤnnte, Dinge, die wir laͤngſt vergeſſen hatten;
es fallen uns Scenen aus unſerer Jugend ein, die wir
mit einer erſtaunlichen Puͤnctlichkeit gleichſam vor unſern
Augen voruͤbergehen ſehen; oder wir erblicken einen hell
leuchtenden, Gegenſtand, eine abſcheuliche, menſchliche Ge-
ſtalt, eine Leiche, einen Abgrund, ein reizendes Frauen-
zimmer, einen laͤcherlichen Contraſt zwiſchen zwei Gegen-
ſtaͤnden; oder wir hoͤren einen deutlichen Glockenſchall,
ein Wort wird uns ins Ohr gerufen u. ſ. w. Beſonders
merkwuͤrdig ſind in dieſem Mittelzuſtande der menſchlichen
Seele manche Empfindungen unſeres Herzens und Gewiſ-
ſens. Mit einer innern lebhaften Wehmuth erinnern wir
uns dann oft eines Fehlers unſerer Jugend, welcher, waͤh-
rend daß wir wachten, keine ſolche unangenehme Empfin-
dung in uns zu erregen pflegte; wir erroͤthen in der ſtil-
len Einſamkeit der Nacht bei gewiſſen Gedanken vor uns
ſelber, wenn wir gleich den ganzen Tag von dieſem Ge-
[56] uͤhl verſchont wurden. Ein andermal uͤberraſcht uns eine
huͤpfende Freude, ohne das wir wiſſen, woruͤber wir uns
freuen, eine Bangigkeit ohne daß wir wiſſen, woruͤber wir
bange ſind. Wieder ein andermal verlieren wir uns mit unſern
finſtern Gedanken in einem endloſen Himmelsraum, in unend-
lichen Zahlen und Kreiſen.« ꝛc. Moritz und Pockels Ma-
gazin zur Erfahrungsſeelenkunde. 5. B. S. 92.


98.


Das iſt der taͤglich eintretende natuͤrliche Zuſtand,
in welchem einzelne Organe in ihrem Eigenleben ſchon
traͤumen, waͤhrend andere noch wachen, in welchem
wir der Reflexion uͤber dieſen Zuſtand faͤhig ſind, in wel-
chem du dich uͤber deine eigenen Traͤume und Geſichte noch
mit einem Andern unterhalten kannſt. Was bleibt von
den Wundern und der Beſeligung des magnetiſchen
Hellſehens uͤbrig, wenn wir die endloſen Betruͤgereien der
Magnetiſchen, die endloſen Myſtificationen der Magnetiſeurs
abrechnen, die dadurch entſtehen, daß beide nichts wiſſend
von dem, was ſie wollen, nach einem Wunderbaren ſchwaͤr-
mend, ihre gegenſeitigen Traͤume, dort halb wach, hier wa-
chend einander traͤumend auslegen.


99.


Alles Hellſehen im Magnetismus reducirt ſich auf
das freiwillige Hellwerden des dunkeln Sehfeldes und auf
die Phantaſiebilder im Schlafwachen, die ſelbſt bei vollkom-
menem Wachen bei geſchloſſenen Augen eintreten koͤnnen.
Der Gegenſtand des Phantaſiebildes kann hier Alles ſeyn,
womit ſich die Phantaſie reproductiv und productiv be-
ſchaͤfftigt. Es iſt entweder ein reproducirtes Wirkliches oder
producirtes Unwirkliches. Die Beſchreibungen der Hellſehen-
denen, wie ſie ihren eignen Koͤrper ſehen, ihre Organe, ſind
beides reproducirte, und producirte Phantasmen, hoͤchſt
[57] laͤcherlich und nur der Auslegung des Unwiſſenden und
Glaͤubigen verſtaͤndlich.


100.


Jeder Halbwache, der bei geſchloſſenen Augen in ſe-
ligem Gefuͤhl des in ein Eigenleben der einzeln Organe
zerfallenen Geſammtlebens Phantaſiebilder hat, und der
noch nicht ſo tief ſchlaͤft, daß du dich noch abgebrochen
mit ihm unterhalten kannſt, iſt einer magnetiſchen Som-
nambule gleich oder aͤhnlich zu achten. Auf unſerm phyſio-
logiſchen Standpuncte geben wir alſo bloß zu, daß es
Mittel gebe, nervoͤſe Perſonen, die entweder ohnehin
ſchon zum natuͤrlichen Samnambulismus oder Halbwachen,
zum Somnambulismus spontaneus, oder zu verwandten nervoͤ-
ſen Zuſtaͤnden geneigt ſind, die in einem hyſteriſchen oder
hypochondriſchen Anfall ohnehin ſchon leuchtende Phanta-
ſiebilder ſehen, auch kuͤnſtlich in das, wozu ſie geneigt
ſind, in ein natuͤrliches Halbwachen mit unvollkommenen
Traͤumen zu verſetzen ſind. Das Hoͤchſte, was wir zuzuge-
ben berechtigt ſind, iſt, daß in einem ſolchen Zuſtande
im Sehfelde geſehen werde, worauf die Intention gerich-
tet iſt.


101.


Der Schreiber dieſes hat nie magnetiſirt, er hat den
Discuſſionen daruͤber ruhig zugehoͤrt. Eine aͤußere kuͤnſt-
liche Noͤthigung zu Phaenomenen, die wir ohne hin ſchon
kennen und die alle Tage bei Andern ſchwaͤcher, bei Andern
ſtaͤrker, bei ihm ſelbſt ſtark genug eintreten, ſchien ihm unbe-
zweifelbar. Dieſe aͤußere kuͤnſtliche Noͤthigung zu einem
bekannten einfachen durch Luͤgen und aͤrztlichen Aberglauben
entſtellten Phaenomen iſt der ſogenannte thieriſche Magne-
tismus; um die Art dieſer Noͤthigung hat der Schreiber ſich
hier nicht zubekuͤmmern. Die Divination und alles andere
[58] Wunderbare im magnetiſchen Hellſehen ſcheint ihm aber
nicht mehr Glauben zu verdienen als die Divination aus
dem Traume.


102.


Im Traume ſind wir dem Einzelleben der Phantaſie-
hingegeben. Die Phantaſie entwickelt, verwandelt ihre
Geſtalten und bringt ſie nach ihren Geſetzen lebend in
Verhaͤltniſſe und Situationen, die oft den natuͤrlichen
Verhaͤltnißen ihrer Objecte entgegen, widerſprechend ſind, ſie
bringt wohlbekannte Objecte in Verhaͤltniſſe, die im wachen-
den Zuſtand undenkbar, d. h. nicht im bisherigen Begriff
des Objectes liegen, und woran wir vielleicht nie zu denken
wagen. Unter vielerlei Zufaͤlligem koͤmmt auch ein Zufaͤlliges
vor, das einem kuͤnftigen Wirklichen entſpricht. ἐὰν πολλἀ
βάλης, ἄλλοτ̕ ἀλλοῖον βαλεῖς. Wirfſt du Vieles, ſo
wirfſt du Anderes anders. Menſchen, die wir, nachdem, wie
wir ſie kennen, fuͤr manches ganz unfaͤhig halten muͤſſen,
ſehen wir durch eine nach ihren Geſetzen und oft nicht nach der
Geſetzmaͤßigkeit der Objecte wirkende Combination der Phan-
taſie im Traum auch dieſes fruͤher Undenkbare thun. Und
nach dem Traum kann die Moͤglichkeit dieſer Handlung von
dem Menſchen, dem wir ſie fruͤher nie zugetraut, uns
ganz wahrſcheinlich vorkommen.


103.


Denn die Phantaſie den Menſchen als Traumobject in
ganz unerhoͤrte Situationen ſetzend, laͤßt ihn darin handeln
und ſich helfen auf eine Art, wie nur er nach dem Begriff ſei-
ner ganzen Organiſation darin ſich helfen kann. Wenn wir
uns in einem Menſchen geirrt haben, ſo ſagen wir: es muͤße
ihm fruͤher die Gelegenheit, ſo zu erſcheinen, wie er nun
wirklich erſcheint, gefehlt haben. Dieſe Gelegenheit geben
wir dem Menſchen im Traum durch das Unerhoͤrte, Unge-
[59] woͤhnliche in den Combinationen des Traums, die ſich im
Leben ſelbſt erſt ſpaͤt darbieten kann. Wir verſuchen die
Menſchen im Traum und lernen ſie kennen, wie ſie ſind.


104.


Es iſt daher nichts Wunderbares, wenn wir im Traume
Winke zur Beurtheilung von Menſchen erhalten, wenn wir
durch einen Traum Jemand von einer wichtigen Seite
kennen gelernt zu haben ſcheinen. Dem Schreiber dieſes iſt
dieß oft wiederfahren, wenn ihm gleich in ſeinem Leben
noch nichts eigentlich Wunderbares begegnet iſt, d. h. et-
was, von dem man ſagen koͤnnte, es ſei wunderbarer als
die ganze Natur oder wunderbarer als die willkuͤhrliche
Bewegung der Glieder, als das Vermoͤgen, den Arm, wie
man will, zu ſtrecken und zu beugen.


105.


So ſehen wir auch denn im Mittelalter auf den
Grund eines mißverſtandenen einfachen Phaenomens, der
Viſion in der magiſchen Ekſtaſe die Menſchen nach dem
groͤßern Wunderbaren ringen, Jahrhunderte durch ihre
vergebene Arbeit nicht aufgeben und ſich und die Natur
immer tiefer mißverſtehen. Ein Gleiches hat ſich in der
neuern Zeit ganz auf dieſelbe Art mit dem Magnetismus
wiederhohlen wollen. Die mißverſtandene Viſion in der Ek-
ſtaſe war der Grund unzaͤhliger Verirrungen. Die Thatſa-
che der magnetiſchen Einwirkung wird, wie im Mittelalter
die Viſion in der magiſchen Ekſtaſe, durch die geiſtigen Suͤn-
den nach dem Wunderbaren ringender Enthuſiaſten zu einem
unendlichen [Irrfall] der Luͤge, der Traͤumerei, worin uͤberall
das gemeinſame Streben der Unwiſſenheit, Schwaͤrmerei
und der Geiſtesverſchwendung ein Abſurdes, die Natur in
ihren Achſen und Angeln Aufhebendes, der Nothwendigkeit
der Wiſſenſchaft Spottendes geltend zu machen.


[60]

VII.Das Einbilden leuchtender Phantas-
men im dunkeln oder hellen Sehfelde
in der Ekſtaſe und in leidenſchaftlichen
Zuſtaͤnden uͤberhaupt mit Anerkennung
der Objectivitaͤt der Selbſterſcheinung
.
Das ekſtatiſche Hellſehen.


106.


Die Phantasmen der Griechen waren die einer jugend-
lichen kraͤftigen geſunden Phantaſie, Traͤume und kuͤnſtle-
riſche Phantaſiebilder. Schon hier wurde dieſen Selbſter-
ſcheinungen haͤufig Objectivitaͤt beigelegt, beſonders, wenn
das Phantasma religioͤſer Art war. Doch ſind Spuren
ekſtatiſcher Phantasmen ſelten.


Bei den Indiern und in der ganzen chriſtlichen Welt
ſind die ekſtatiſchen und leidenſchaftlichen Phantasmen deſto
haͤufiger. Die Phantaſie ſieht in der Ekſtaſe ihre Objecte
leuchtend. Dieſe Stufe bildet eine neue Grenze. Wir fin-
den das ekſtatiſche und leidenſchaftliche Hellſehen in der
Geſchichte von vierfachem Inhalt.


107.


1) als religioͤſe Viſionen, Erſcheinungen von Heiligen,
Goͤttern. Dieſe Phantasmen waren unzaͤhlig in den Kloͤ-
ſtern, bei einer ſchwaͤrmenden religioͤſen Betrachtung, wo-
bei alles Phantaſieleben, ſonſt in dichtend kuͤnſtleriſchem
Wirken, verkannte Dienerinn wird. Alle Uebungen des
ascetiſchen Lebens, welche das Streben und Thaͤtigſeyn
nach Auſſen beſchraͤnken, beſonders das Faſten waren
Reizmittel dieſer Selbſtviſionen, wie denn das Faſten
auch die Phantaſiebilder vor dem Einſchlafen in hohem
Grunde beguͤnſtigt. In der phantaſiereichen Zeit des Mit-
[61] telalters muß die religioͤſe Viſion unendlich haͤufig gewe-
ſen ſeyn. Und ſelbſt die lebenskraͤftigſten, ſinnlich geſundeſten
Menſchen, die wir noch als koloſſale Formen bewundern,
waren dieſen Selbſterſcheinungen in ihren Sinnesorganen
oft ausgeſetzt. Benvenuto Cellini, in den Kerkern der
Engelsburg ſchmachtend, geraͤth unter religioͤſen Andachts-
uͤbungen in Verzuͤckung und hat religioͤſe Viſionen. Ihn
troͤſten heilige Geſtalten, wie auch im Traume uns das
eigene Phantaſiebild hilft und raͤth und zu rathen auf-
giebt.


108.


Dieſe Erſcheinungen waren ſo haͤufig, daß die Merk-
male objectiver goͤttlicher Erſcheinungen von den truͤgeri-
ſchen und gar daͤmoniſchen von den Theologen angegeben
werden mußten, die man denn darin ſetzte, daß die bei
den daͤmoniſchen Erſcheinungen ſtattfindenden Bewegungen
denen gleichen ſollen, welche im Wahnſinn, in der Raſerei,
in der Epilepſie als Convulſionen, Verzerrungen ſtatt fin-
den. Die naͤheren Beſtimmungen hat der Cardinal Lam-
bertini
, nachmaliger Pabſt BenedictXIV. im 49.
Cap. des 3. B. de servorum Dei beatificatione angegeben.


109.


Aehnlicher Art waren die religioͤſen Phantasmen unter
den neuplatoniſchen Heiden. Das letzte Ziel alles philo-
ſophiſchen Strebens war ihnen das unmittelbare Anſchauen
der Gottheit, die ſich dem innern Seelenauge als durchaus rei-
nes Licht offenbaret. Reinigung der Seele von allem Irr-
diſchem war die Bedingung zur Anſchauung dieſes uͤberſchweng-
lichen Lichtes. Plotinos hatte ſolche ekſtatiſche Viſionen, und
Jamblichos heißt wegen ſeiner haͤufigen Ekſtaſen der Wun-
derthaͤtige und Goͤttliche. Eben dieſer Jamblichos hat in
ſeinem Werke de Mysteriis die goͤttlichen von den daͤmoniſchen
Viſionen zu unterſcheiden ſich viele Muͤhe gegeben. Sein Lehrer
[62]Porphyrios aber, der nach eigenem Bericht auch einmal
in der unmittelbaren Anſchauung Gottes geweſen iſt, weiß
nicht, wie er es mit den Viſionen hat, und fraͤgt in den
verfaͤnglichen Fragen an den aͤgyptiſchen Priſter Anebo:
ob nicht die daͤmoniſchen Erſcheinungen etwa nur Affectio-
nen der Seele ſeien: ὡς ἡ ψυχὴ ταῦτα λεγεί τε καὶ
φαντάζεται, καὶ ἐστὶ ταύτης πάϑη ἐκ μικϱῶν αἰϑυγμάτων
ἑγειρόμενα, ώς νομίζουσι τινες, ob nicht das ganze We-
ſen der Theurgie nur eine religioͤſe Phantaſie ſey, die aus
nichts das Groͤßte ſich einbildet ἀποϱῶ δὲ, εἰ πϱὸς δόξας
ἀνϑρωπίνας ἐν τῇ ϑείᾳ μαντικῇ καὶ ϑεουργίᾳ βλέπειν δεῖ,
καὶ εἰ μὴ ἡ ψυχὴ ἐκ τ [...]ῦ τυχόντος ἀναπλάττει μεγάλα.


110.


Bei den Indiern muͤſſen die religioͤſen Viſionen noch
haͤufiger geweſen ſeyn. Es iſt bekannt, daß die Indier im
Beſitz mancher aͤußerer Mittel und Gebraͤuche waren und
noch ſind, ſie Mittel zu erwecken und zu befoͤrdern.


111.


Die Phyſiologie betrachtet alle Erſcheinungen in der
Form der Viſion, die nur dem Viſionaͤr allein ſichtbar ſind,
als ſubjective Aeußerungen des innern Sinnes. Denn die
objective Viſion, oder die Viſion, welche einen objectiven
Grund hat, faͤllt mit dem gewoͤhnlichen Sehen zuſammen,
und eine Erſcheinung dieſer Art muß jedem, nicht bloß
dem Viſionaͤr ſichtbar ſeyn. Wenn daher eine objective
Viſion etwas Wunderbares hat, ſo liegt das nicht in der
Viſion ſelbſt, ſondern in dem, was die Viſion erregen kann,
dadurch daß es das Sehorgan afficirt. Dieſes in dem
Object liegende Wunderbare geht die Phyſiologie gar
nichts an. Aber die ſubjective Viſion, die nur dem Viſionaͤr
Objectivitaͤt hat, unſichtbar jedem Andern, gehoͤrt nur
vor die Tribune der Phyſiologie. Sie darf behaupten,
[63] daß, wenn ein hoͤheres und niederes Weſen uns in
dieſer Art ſubjectiv erſcheinen ſoll, es zuerſt von uns ge-
dacht, vorgeſtellt und dem Sinne eingebildet werden muß.
Die Erſcheinung hoͤherer oder niederer Art kann ſich hier nicht
durch aͤußeres unmittelbares Einwirken, ſondern durch die
innere Offenbarung unſerer Organe kund geben. Und ſo
offenbart ſich das Goͤttliche Andern auf andere Weiſe, in
der ganzen Schoͤpfung gnadenreich, es offenbart ſich dem
mit reicher, erhabener Phantaſie Begabten durch die Phan-
taſie, dem Frommen durch das Gemuͤth, dem Weiſen durch
die Weisheit, dem Starken durch die Groͤße ſeiner Werke,
wie denn auch das Goͤttliche in allen dieſen Weiſen von
Andern anders verehrt wird.


112.


2) Die zweite Form, in welcher die ekſtatiſche
Viſion erſcheint, phyſiologiſch mit der erſten identiſch,
nur durch das Object verſchieden, iſt das Geiſterſe-
hen in der magiſchen und mantiſchen Ekſtaſe. Da nun
die heidniſche hellſehende Theurgie der Neuplatoniker und
A. mit dem religioͤſen Hellſehen der Chriſten zuſammenfaͤllt,
im chriſtlichen Zeitalter aber als ein von dem religioͤſen
Hellſehen verſchiedenes mantiſches und magiſches Geiſterſehen,
als eine gleichſam ketzeriſche und abgoͤtteriſche Viſion neben der
wahren religioͤſen Viſion ſich erhalten hat, ſo ſind beide
nur in dem Wahn der Menſchen verſchieden.


113.


Alles Zauberweſen reducirt ſich auf eine myſtificiren-
de Verherrlichung der Imagination mit Unterdruͤckung al-
ler anderen Geiſtesvermoͤgen. Alles zielt auf die magiſche
Ekſtaſe hin, worin naͤmlich wie in jeder Ekſtaſe das aͤu-
ßere Sinnesleben aufhoͤrt, das innere plaſtiſch beginnt.


[64]
Es woͤlkt ſich uͤber mir, —

der Mond verbirgt ſein Licht —

die Lampe ſchwindet!

Es dampft: es zucken rothe Strahlen

mir um das Haupt. Es weht

ein Schauer vom Gewoͤlb herab

und faßt mich an!

Ich fuͤhle, du ſchwebſt um mich, erflehter Geiſt,

enthuͤlle dich!

Mit dieſen ſubjectiven Geſichtserſcheinungen allgemei-
ner Art, wie ſie unter vielen andern Umſtaͤnden eintreten,
ſchließt das aͤußere Sinnesleben, worauf der Sinn der
Phantaſie unterthan wird.


114.


Es iſt hoͤchſt merkwuͤrdig und bedeutſam, daß die ma-
giſchen Geſichtserſcheinungen eben nur gewoͤhnlich entwe-
der auch unter anderen Bedingungen auftretende ſubjective
Geſichtserſcheinungen, wie wallende Nebel, Strahlenfiguren
Flammen u. ſ. w. oder doch allgemeine auch ſonſt auftreten-
de Phantaſiebilder waren. In des Petri de Abano
Elementa magica ſind die nach der Citation eintretenden
ſubjectiven Geſichtserſcheinungen folgendermaßen beſchrieben:
Quibus rite peractis apparebunt infinitae visiones et
phantasmata, pulsantia organa et omnis generis instru-
menta musica. Post haec videbis infinitos sagittarios
cum infinita multitudine bestiarum horribilium. Hepta-
meron, seu Elementa magica Petri de Abano philosophi.

Das ſind ja die gewoͤhnlichen Phantaſiebilder der Daͤmme-
rung und des Halbwachens. Oft mag es nur zu dieſen
allgemeinen Geſichtserſcheinungen, die man als unreine
Geiſter mit dem Pentaculum abzutreiben hatte, gekommen
ſeyn.


[65]

115.


Mag nun das, was der Magiker will und ſucht, der
beſondere Geiſt, den ſchon lange immitten ſeiner Opera-
tionen die Phantaſie im dunkeln Sehfeld begrenzt hat, wirklich
auch als leuchtend erſcheinen, oder mag es, was gewiß
die Regel iſt, bei den Phantasmen des Halbwachens blei-
ben, die Viſion als magiſche iſt das letzte, und hier hoͤrt
auch alle Magie auf. Weiter als bis zur leuchtenden Er-
ſcheinung deſſen, was die Einbildungskraft ſchon laͤngſt
im Dunkeln geſucht und begrenzt hat, hat es die Magie
wahrſcheinlich nie gebracht. Um die Wahrheit der Magie
zu erweiſen, kam alles darauf, wirklich Geiſter erſcheinen
zu machen. Ohne die Viſion war der Glaube nicht zu erhal-
ten. Wenn man es nun natuͤrlich nie weiter als bis zur
Viſion und einen an dieſe ſich anſchließenden Traum
bringen konnte, ſo lag der Fehler, wie man meinte, an der
unvollkommenen Vorbereitung, an der Unreinheit, an den Ce-
remonien, am Unterlaß des Faſtens u. a. Aber die Wahrheit
der Magie und die Moͤglichkeit eines kuͤnftigen gluͤcklichern
Verſuchs ſchien durch die Viſion erwieſen. Oft kam es
auch nur auf dieſe Viſion an, wie in der bloßen Citation
und in dem Sehen der Verſtorbenen, second sight bei den
Nordiſchen Voͤlkern, auf den Hebriden, in Lappland.


116.


In Hinſicht der geiſtigen Vorbereitung unterſcheidet
ſich die religioͤſe Viſion von der magiſchen, daß bei der
erſtern in der hoͤchſten Ekſtaſe des religioͤſen Schwaͤrmens
und Hingebens die Viſion unwillkuͤhrlich eintritt, in der
letztern aber der Geiſt oder Daͤmon niederer Art erzwun-
gen wird durch einen abſurden die eigene Selbſterleuchtung
als Viſion bedingenden Willen, der in Drohung und Fluch
ausbrechen kann und dabei alſo weſentlich bannend iſt
5
[66] d. h. ſich ſelbſt zur inneren Sinnesanſchauung des Gewoll-
ten noͤthigend.


Ich fuͤhle ganz mein Herz dir hingegeben,

du mußt, du mußt, und koſtet es mein Leben.

117.


Die Reizmittel zur magiſchen Exſtaſe und Viſion ſind
zum Theil die der phantaſtiſchen Geſichtserſcheinungen uͤber-
haupt, naͤmlich Faſten, zum Theil in Bezug auf die My-
ſtification der phantaſie Religionsuͤbungen aller Art, Cere-
monien. Der Nordiſche Geiſterſeher verſetzt ſich in den
second sight durch abentheuerliche Ceremonien und laͤr-
mende Muſik. Im Allgemeinen gehoͤrt hieher Alles, was
maͤchtig auf die Sinne und auf die Phantaſie zugleich
wirkt. Ein junger Maler H., der zu den phantaſtiſchen Ge-
ſichserſcheinungen ſehr geneigt iſt, der ſie aber recht zu deu-
ten weiß, hat dieſe nicht leichter und lebhafter, als wenn
er eine phantaſiereiche Muſik hoͤrt.


118.


3) Das Teufelſehen, der Umgang mit dem
ſichtbaren Teufel
. Nur durch das Object des
religioͤſen Aberglaubens von den vorhergehenden Formen
verſchieden. Ein Weib niedern Standes, in finſtern
ſinnlich religioͤſen Vorſtellungen erwachſen, zu einer Zeit
lebend, wo der imaginaͤre Umgang mit dem Verſucher,
dem Teufel mit dem Tode beſtraft wird, hat den feſten
Glauben an den teufliſchen Urſprung ihrer Verſuchungen,
ſie haͤlt den wirklichen buhleriſchen Umgang mit dem Teu-
fel fuͤr moͤglich und wirklich, da er ja alle Tage beſtraft wurde.
Ihren ſinnlichen Verſuchungen und ihrer Furcht vor dem
Verſucher, vor dem ſinnlichen Teufel kann ſie nicht entgehen.
In den phantaſiereichen Zuſtaͤnden des Halbwachens und
[67] Traums unterliegt ſie der ſinnlichen Erſcheinung deſſen
was ihre Sinne wuͤnſchen und was die religioͤſe Vorſtellung
fuͤrchtet. Das Phantaſiebild hat fuͤr ſie Objectivitaͤt, ſie
kann die Anklage des Teufelumganges nicht von ſich ab-
lehnen.


119.


In einem mir bekannt gewordenen hieher gehoͤrigen
hoͤchſt intereſſanten Fall ſpielt der Traum eine Hauptrolle.
Die Angeklagte, ein Maͤdchen von 14 Jahren, alſo des
Alters, worin die Kriſe der Pupertaͤtsentwickelung ohne-
hin ſo reich an phantaſtiſchen Vorſtellungen iſt, durch eine
verdaͤchtige Perſon, wie ſich beilaͤufig aus der Procedur er-
ſchließen laͤßt, zum Umgang mit einem verkappten Teufel
verfuͤhrt, ſetzt dieſen bald ſinnlichen, bald ſchreckhaften
Umgang in ihren ſehr lebhaften Traͤumen fort. Die, wel-
che fruͤher mit ihr zuſammengeſchlafen, tritt als Zeuginn
auf uͤber die Traͤume der Angeklagten, in welchen je-
der wirkliche unvollkommene Sinneseindruck immer zu ei-
nem teufliſchen Traumbilde ergaͤnzt wurde. Z. B. der
Druck des zu feſt angelegten Muͤtzenbandes auf den Hals
wird ergaͤnzt zu einer Traumhandlung, in welcher der dro-
hende Teufel die Angeklagte erſticken will. Und daß das Muͤt-
zenband in der That zu feſt angelegt iſt, davon uͤberzeugt
ſich die der Auffahrenden helfende Bettgenoſſinn. Aus ſol-
chen Traumgeſchichten beſtehen zum großen Theil die Ver-
brechen dieſer Ungluͤcklichen.


120.


Was ſich in den Hexenproceſſen durchgaͤngig wiederhohlt
ſind Entwickelungskrankheiten der Jugend oder des Alters
bei Weibern, die uͤber die klimakteriſchen Jahre hinaus ſind,
halb irre Zuſtaͤnde, Nervenkrankheiten, die ſo oft Gegen-
ſtand einer aberglaͤubigen dem Zeitalter angemeſſenen Ausle-
[68] gung waren, und endlich wirkliche Buhlerei und zwar, wie
es ſcheint, oft mit verkappten Perſonen oder mit bekannten
Perſonen, in deren Geſtalt gerade jetzt einmal der Teufel
erſcheint.


53.


4) Das populaͤre Geiſter- und Geſpenſter-
ſehen
, das Selbſtſehen des Doppelgaͤngers u. ſ. w.
Auch hier iſt der Zuſtand, in welchem die phantaſtiſche
Erſcheinung auftritt, entweder der der Leidenſchaft, wie
der Furcht, oder der wirklichen Ekſtaſe.


122.


Allen dieſen Erſcheinungen iſt es gemein, daß das aͤu-
ßere Sinnesleben auf irgend eine Art durch aͤußere Ein-
wirkung oder innere leidenſchaftliche Zuſtaͤnde beſchraͤnkt
wird. Das innere Sinnesleben beginnt dann von ſelbſt
und es erſcheinen die Objecte der Gedanken und Vorſtellun-
gen als religioͤſe, magiſche, daͤmoniſche Geſichte, immer aber
nach der Begriffsweiſe des Sehers verſchieden anthropo-
morphiſirt, anders dem Indiſchen, dem Heidniſchen, dem
Chriſtlichen Schwaͤrmer, Andern andere Daͤmonen.


123.


Eigenthuͤmlich dieſen krankhaften oder leidenſchaftlichen
Zuſtaͤnden iſt es, daß die Objectivitaͤt der Erſcheinungen
zuverlaͤſſig anerkannt wird. Ita enim cum hominibus com-
paratum est, ut quidquid puro intellectu concipiunt,
solo intellectu et ratione, quidquid contra ex animi af-
fectibus opinantur, iisdem etiam defendant.
In dem
Glauben eines ſichtbaren Umganges mit dem Teufel beſteigt
der Angeklagte den Scheiterhaufen, ein Opfer ſeiner eige-
nen Phantaſie. Je nachdem die Viſion die Geſtalt eines
[69] guten oder boͤſen Geiſtes annahm, wurde der Daͤmoniſche
als heilig verehrt oder als Zauberer verbrannt.


124.


Was bei dem Unbefangenen das Eigenleben der Sinn-
lichkeit, das Spiel einer dichtenden Phantaſie, was allen
Menſchen im Traume nicht mehr wunderbar erſcheint, wird
in der Geſchichte verflucht und verehrt nach der Natur ſei-
ner Objecte. Das Geſpenſt und die Daͤmonen aller Zeiten,
die goͤttliche Viſion des Asceten, die Geiſtererſcheinung des
Magikers, das Traumobject und das Phantaſiebild des Fie-
bernden und Irren ſind eine und dieſelbe Erſcheinung. Nur
der Gegenſtand iſt verſchieden nach der Richtung einer excen-
triſchen Phantaſie, eine goͤttliche Viſion dem religioͤſen
Schwaͤrmer, dem furchtſamen ein furchtbares Phantasma, dem
aberglaͤubliſch buhleriſchen Weib der Teufelsſpuck, dem traͤu-
menden Egmont die Erſcheinung der Freiheit, dem Kuͤnſt-
ler ein himmliches Idol, nachdem er laͤngſt gerungen. Der
Zeitgeiſt leiht dieſem plaſtiſchen Einbilden andere Objecte.
Im Mittelalter traͤumt man auch am hellen Tage. In der
neuern Zeit hat Niemand mehr Viſionen; die Wunder der
Religion ſind zu den Wundern des Magnetismus gewor-
den. An die Stelle des Geiſterſehens iſt das magnetiſche
Hellſehen getreten.


125.


In allen dieſen Erſcheinungen ſehen wir die Gebilde
unſerer eigenen Sinne draußen, nicht anders, wie wenn
wir das Adergewebe der Netzhaut im ſubjectiven Verſuch
draußen zu ſehen glauben. So koͤmmt es dahin, daß wir
an unſern Selbſterſcheinungen uns begeiſtern, daß wir ſie
anbeten, daß ein Geiſtesvermoͤgen vor den Producten des
Andern ſich entſetzet.


[70]

VIII.Leuchtende Phantasmen im dunkeln
und hellen Sehfelde durch Einwir-
kung aͤußerer Mittel
.
Das narkotiſche Hellſehen.


126.


Es iſt bekannt, daß die Wirkungen, welche das oxy-
dirte Stickgas auf den menſchlichen Organismus ausuͤbt, die
der vollkommenſten Ekſtaſe ſind. Hier ſtellen ſich dann
wie uͤberhaupt in der Ekſtaſe die leuchtenden Phantaſiebil-
der ein.


Humphry Davy erzaͤhlt (in den chemiſch-phyſio-
logiſchen Unterſuchungen uͤber das oxydirte Stickgas. Lem-
go 1814) außer den Erſcheinungen, welche die ſeligſte Ver-
zuͤckung beurkunden, von ſich ſelbſt: »Waͤhrend der Zeit,
wo ich das Gas haͤufig athmete, ſchlief ich weit weniger
als ſonſt, und vor dem Einſchlafen war meine Einbildungs-
kraft lange mit mancherlei Geſichtsvorſtellungen beſchaͤftigt«
S. 169. »In dem Verhaͤltniß, wie die angenehme Empfin-
dung zunahm, hoͤrte alle Verbindung zwiſchen meinen Vor-
ſtellungen und den aͤußern Dingen auf; Zuͤge von lebhaf-
ten Geſichtsbildern giengen ſchnell vor meinem innern
Sinn voruͤber und hiengen dergeſtalt mit Worten zuſam-
men, daß dadurch in mir ganz neue Vorſtellungen erregt
wurden. S. 193.«


127.


Unzer ſah in den Verſuchen mit dem oxydirten Stick
gas vor den Augen allerlei Lichtgeſtalten, feurige Puncte,
Froͤſche und andere Phantasmen. Ebend. 333. Bei einem
[71] Andern waren unter zunehmender Schwaͤche der aͤußern
Sinneswahrnehmung die Phantasmen dunkel. Ebenſo
haͤufig ſind in den durch das oxydirte Stickgas bewirkten
wolluͤſtigen Ekſtaſen die Phantaſien des Gehoͤrſinnes.
In Vauquelins Verſuch was das Sauſen vor den
Ohren ſo ſtark wie von einer Trommel. S. 313.


128.


Die Asphyxie, welche durch andere Gasarten, wie
durch den Einfluß einer durch brennende Kohlen und gaͤh-
rende Weine veraͤnderten Luft bewirkt, gleicht auch einem
Rauſchzuſtande. Ob auch hier der innere Sinn phantas-
menreich ſich ſelbſt erſcheint, iſt nicht bekannt. Beiſpiele
von phantaſtiſchen Viſionen, die durch das Einathmen
der in der Tiefe der Brunnen angehaͤuften betaͤubenden Gas-
arten und der Ausduͤnſtung in Bergwerken erregt wurden,
hat Richerz in L. A. Muratori uͤber die Einbildungs-
kraft II. Th. Leipz. 1785. S. 123. aufgefuͤhrt.


129.


Von einigen narkotiſchen Subſtanzen, welche in ihren
erſten Wirkungen, das aͤußere Sinnesleben beſchraͤnkend
und doch zugleich das Geiſtesleben aufregend, die Er-
ſcheinungen einer vollkommenen Elſtaſe hervorrufen koͤn-
nen, iſt es bekannt, daß ſie zugleich wunderbar das
innere Sinnesleben der Phantaſie zu ihren Gaukeleien erre-
gen. Dahin gehoͤrt vorzuͤglich das Opium, wahrſcheinlich
auch die Belladonna. Von dem Wein kann ich beſtimmt
ausſagen, daß wenigſtens bei mir ſelbſt geringer Genuß das
Hellſehen vor dem Einſchlafen beſchraͤnkt.


130.


Hier iſt nun der Ort, an die conſtatirte Thatſache
auch das hieher gehoͤrige Geſchichtliche anzureihen. Die
[72] Traumbilder, welche Timarchos nach Plutarchs Er-
zaͤhlung in der Hoͤhle des Trophonios in einem asphycti-
ſchen Zuſtande ſahe, gehoͤren hieher.


Auch der Pythiſchen durch Duͤnſte erregten Mantik, und
der den mantiſchen Viſionen vorausgehenden Raͤucherungen,
Fumigationes, nach Petrus de Abano von Sandalum,
Aloe, Piper, Maſtix, Crocus, Coſtus, Sulphur) und man-
ches Andern waͤre ausfuͤhrlicher zu erwaͤhnen, wenn wir
bei dieſer Auffuͤhrung und Verbindung des Geſchichtlichen
und Entſtellten mit der conſtatirten phyſiologiſchen Thatſache
nicht bloß die Abſicht haͤtten, den Blick uͤber das Allgemeine
der Erſcheinungen zu erweitern.


131.


Vorzuͤglich bemerkenswerth, um die nahe Verwandt-
ſchaft dieſer und der vorhergehenden Stufe, beſonders der
magnetiſchen in der Gewalt der Einbildungskraft zu zeigen,
ſcheint es uns, daß als in den Verſuchen uͤber die Wirkun-
gen des oxydirten Stickgaſes ſtatt des letztern zufaͤllig at-
mosphaͤriſche Luft geathmet wurde, alle ekſtatiſchen Symp-
tome wie im gewoͤhnlichen Fall eintraten.


IX.Leuchtende Phantasmen in den pro-
topathiſchen und ſympathiſchen Affec-
tionen des Gehirns und des geſamm-
ten Nervenſyſtems
.


132.


Die Phantaſiebilder in den krankhaften Zuſtaͤnden
ſind bekannt genug; von dieſen iſt dann nichts weiter zu
ſagen, als daß wir ihre Stelle in der Lebensgeſchichte der
Erſcheinung bezeichnen.


[73]

Das Phantaſticon kann nicht in Affection ſeyn ohne
zu phantaſiren, und die Erregungen des Phantaſticon koͤn-
nen bei der Beſchraͤnkung des aͤußern Sinnenlebens nicht
ſeyn ohne Einbilden der Phantasmen in das ſubjective dunkle
oder lichte Sehfeld der Sehſinnſubſtanz. Wir duͤrfen uns
daher nicht wundern, vielmehr es als eine Beſtaͤtigung des
Wahren anſehen, wenn Phantaſiebilder in allen protopa-
thiſchen und ſympathiſchen Affectionen des Gehirns auf-
treten.


130.


Das Phantaſticon in dem Erethismus, in der Ent-
zuͤndung des Gehirns kann nicht anders als in ſeinen
Affectionen phantaſiren. Die in den Fiebern auf die Cen-
tralorgane verpflanzten Reizungen koͤnnen in dem Phantas-
ticon nur erregen, was des Phantaſticon iſt, ſein Eigen-
leben, deſſen Aeußerungen freie ſelbſtthaͤtige Hallucinationen
ſind. Das Phantaſticon kann an einem allgemeinen Ere-
thismus des Nervenſyſtems in der Hypochondrie und Hy-
ſterie und anderen allgemeinen Affectionen des Nervenſyſtems,
welche naͤchſte, Urſache ſie immer haben, wie in der Epilepſie
und Catalepſie nicht Antheil haben ohne Phantaſieen, die
bei der Beſchraͤnkung und Obnubilation der peripheriſchen
Theile des Nervenſyſtems, leuchtend in den innern Theilen
der Sehſinnſubſtanz hervortreten.


134.


Je thaͤtiger dieſes innere productive Leben, um ſo
mangelhafter iſt, wie in allen verwandten Zuſtaͤnden, das
aͤußere Auffaſſen. Aus mangelhaften unvollkommenen aͤu-
ßeren Eindruͤcken werden die wunderbarſten Geſtalten erzeugt
und verwandelt. Aus einem Ofen wird ein Prieſter, aus
dem Geraͤthe des Zimmers eine Volksverſammlung, ein
bewegter Markt, ein theatraliſcher Aufzug. Das Genetiſche
[74] in dieſem Fortſchritt iſt ganz ſo, wie es bei den einfachen
Formen der II. und III. Stufe entwickelt worden.


XI.Die Phantaſiebilder der Irren.


135.


Hallucinationen ſind eine allgemeine Erſcheinung bei
den Irren. Nach Esquirol haben unter 100 Irren 80
Hallucinationen. Am gewoͤhnlichſten ſind ſie in der Manie,
Monomanie, Melancholie. Sie ſind hier nur ein beſonde-
rer Ausdruck einer allgemeinern Krankheit der Centralor-
gane des Nervenſyſtems, in der Lebensform des Phan-
taſticon.


136.


Hallueinationen allein, auch mit entſchiedener Anerken-
nung ihrer Objectivitaͤt, begruͤnden ſelbſt noch kein Irrn-
ſeyn. Sie koͤnnen mit einer excentriſchen Geiſtesrichtung
verbunden ſeyn, wie in den ekſtatiſchen Viſionen. Die
noch geſunde Pyche ſchwelgt in einzelnen Vermoͤgen mit
Unterdruͤckung der anderen, der einzige Irrthum liegt in
der Anerkennung der Objectivitaͤt der Selbſterſcheinung.
Aber das excentriſche Eigenleben der Phantaſie mit Phan-
tasmen, deren Objectivitaͤt anerkannt wird, kann der erſte
Schritt zum Irrſeyn werden, wie in den bekannten Viſio-
nen des Torquato Taſſo und anderer phantaſiereicher
Menſchen, die ein Opfer des Eigenlebens einzelner Organe
geworden.


137.


Die meiſten Irren haben vor dem Eintritt des voll-
[75] kommenen Irrſeyns Phantasmen; dieſe werden zuerſt fuͤr
Geſichtstaͤuſchungen, dann fuͤr objectiv gehalten. Wenn ſie
einmal die Deutlichkeit der objectiven Geſichtserſcheinungen
erhalten haben, iſt kein Grund mehr, warum ſie nicht mit
ihnen verwechſelt werden ſollen. Oft gelingt es, die Irren von
der Unwahrheit ihrer Geſichte zu uͤberzeugen; das dauert
nicht lange, ſo gehen die phantaſtiſchen und objectiven Er-
regungen der Sehſinnſubſtanz durcheinander.


XI.Die Phantaſiebilder am hellen Tage
durch Eigenleben der Phantaſie ohne
Anerkennung ihrer Objectivitaͤt
.


138.


Wenn das Eigenleben der Phantaſie eine ſolche Macht
auf die inneren Urſpruͤnge der Sehſinnſubſtanz hat,
daß die Phantasmen nicht bloß im lichten und dunkeln
Sehfeld als vorgeſtellte begrenzt, ſondern wirklich in der
Energie der Sehſinnſubſtanz darin leuchtend werden, ſo ge-
hoͤrt ſchon ein ſehr kraͤftiger Verſtand dazu, daß die Geſund-
heit des Geiſtes ſich erhalte, und daß die Objectivitaͤt des
Angeſchauten nicht anerkannt werde.


139.


Dieſe Station iſt aber wohl feſtzuhalten und zu be-
grenzen, ſie entſteht bei einer vollkommenen Geſundheit aller
Geiſtesvermoͤgen und einem vollkommenen harmoniſchen
Wirken aller durch Eigenleben des innern Sinnes, was
aber bei der Geſundheit und Kraͤftigkeit der anderen Gei-
ſtesvermoͤgen nur als ſolches Eigenleben anerkannt wird.
Sie hat aber vor ſich als Abgrund das Unterwerfen des
Verſtandes unter die Phantaſie, das Irrſeyn. In Hin-
[76] ſicht des Genetiſchen iſt die Hallucination am hellen Tage
nur durch die Entſchiedenheit und Energie des Phaeno-
mens von dem phantaſtiſchen Hellſehen vor dem Einſchla-
fen, woruͤber wir auch noch als uͤber Gebilde des innern
Sinnes reflectiren, verſchieden.


Es iſt aus dem Vorhergehenden klar, daß das Phae-
nomen unter dieſen geſelligen Verhaͤltniſſen, von dem Ver-
ſtande trotz ſeiner Lebendigkeit beherrſcht, nur ſehr ſelten iſt
und auch nicht leicht in ſeiner Reinheit in der Sphaͤre der
Geſundheit ſich erhalten kann.


140.


Hieher gehoͤrt das bekannte Beiſpiel, welches Bonnet
erzaͤhlt. Analytiſche Verſuche uͤber die Seelenkraͤfte. Bremen
1780. 2 T. S. 59. Bonnet kannte einen angeſehenen
Mann, der eine vollkommene Geſundheit, Aufrichtigkeit,
Beurtheilungskraft und Gedaͤchtniß beſaß, der mitten im
wachenden Zuſtande ohne den geringſten aͤußerlichen Ein-
druck, von Zeit zu Zeit Figuren von Maͤnnern und Frauen
von Voͤgeln, Waͤgen, Gebaͤuden u. dergl. vor ſich ſah.
Er ſah dieſe Figuren Bewegungen machen, er ſah ſie ſich
naͤhern, entfernen, verſchwinden, groͤßer und kleiner werden,
erſcheinen und wieder erſcheinen. Gebaͤude erhoben ſich vor
ſeinen Augen, und er erblickte alle Theile, die zu ihrer aͤu-
ßerlichen Anlage gehoͤren. Bisweilen veraͤnderten ſich dem
Scheine nach auf einmal die Tapeten in ſeinen Zimmern,
und es war nicht anders, als ob ſie mit Schildereien uͤber-
zogen wuͤrden, welche verſchiedene Landſchaften vorſtellten.
Ein andermal erſchienen ſtatt der Tapeten und Mobilien
nichts als bloße Mauern, welche ihm bloß einen Haufen
roher Materialien darſtellten, wieder ein andermal waren
es Geruͤſte. Alle dieſe Gegenſtaͤnde erſchienen ihm in der
genaueſten Vollkommenheit, ſie machten auf ihn einen
eben ſo lebhaften Eindruck, als wenn die Objecte ſelbſt ge-
[77] genwaͤrtig waͤren. Indeſſen waren es immer bloße Ge-
maͤlde, die Perſonen redeten nicht und er hoͤrte keinen
Schall dabei. Das Merkwuͤrdigſte dabei iſt, daß dieſer
Mann nicht wie die Viſionaͤre ſeine Erſcheinung fuͤr Reali-
taͤten anſah. Er wußte vielmehr alle dieſe Erſcheinungen ſehr
richtig zu beurtheilen und immer ſeine erſten Urtheile zu ver-
beſſern. Dieſe Geſichte waren fuͤr ihn nichts mehr, als was
ſie in der That ſind, ſie gaben fuͤr ſeine Vernunft eine Art von
Beluſtigung ab. Er wußte in der erſten Minute noch nicht
zu ſagen, was in der folgenden ihm vorkommen wuͤrde.


141.


Beſonders merkwuͤrdig wegen der genauen Darſtellung
der Metamorphoſen ſind die Hallucinationen, welche Ni-
colai
von ſich ſelbſt beſchrieben, wenn auch hier ſchon ein
Erethismus des Nervenſyſtems zu Grunde lag.


»Nicolai war in den letztverfloſſenen Monaten durch
verſchiedene unangenehme Vorfaͤlle gekraͤnkt worden, und hatte
eine gewohnte Aderlaß und das Anſetzen der Blutigel uͤber-
gangen. Am 24. Febr. 1791, als eben eine Reihe unangeneh-
mer Dinge ſein ganzes moraliſches Gefuͤhl empoͤrt und ihn
in eine heftige Gemuͤthsbewegung verſetzt hatten, ſtand
ploͤtzlich die Geſtalt eines Verſtorbenen vor ihm. Noch den-
ſelben Tag erſchienen verſchiedene andere wandelnde Phan-
tome. In den folgenden Tagen ſah er die Geſtalt des Ver-
ſtorbenen nicht mehr; hingegen kamen viele andere bekann-
te und unbekannte, aber meiſtens unbekannte Perſonen zum
Vorſchein. Die bekannten waren meiſtentheils lebende aber
entfernte Perſonen. Die Phantasmen erſchienen unwill-
kuͤhrlich, und Nicolai war durch die groͤßte Anſtrengung
nicht im Stande, nach Willkuͤhr dieſe oder jene Perſonen
hervorzubringen. Sie erſchienen bei Tage und bei Nacht,
wenn er allein und in Geſellſchaft war, in fremden Haͤu-
ſern nicht ſo haͤufig, auf der offenen Straße ſelten. Zu-
[78] weilen verſchwanden ſie durch das Verſchlieſſen der Augen
und waren in der nehmlichen Geſtalt wieder da, wenn er
ſie wieder oͤffnete (?!). Zuweilen verſchwanden ſie auch
nicht bei geſchloſſenen Augen. Meiſtens waren es menſch-
liſche Geſtalten beiderlei Geſchlechtes, die zuweilen Ge-
ſchaͤfte mit einander zu haben ſchienen, meiſtens aber ohne
Verkehr wie auf einem Markt durch einander giengen. Ein-
mal ſah er auch eine Perſon zu Pferde, desgleichen Hunde
und Voͤgel. Die Phantasmen erſchienen in Lebensgroͤße
mit den verſchiedenen Carnazionen der unbedeckten Theile
und in Kleidung von allerhand Farben, nur die Farben
blaͤſſer als an wirklichen Objecten. Mit der Zeit kamen
die Erſcheinungen haͤufiger und oͤfterer, nach vier Wochen
fiengen ſie auch an zu reden, ſie ſprachen unter ſich, doch
meiſtens redeten ſie den Kranken an.«


142.


»Am 20. April, Vormittags um 11 Uhr wurden Blut-
igel an den After gelegt, das Zimmer wimmelte von menſch-
lichen Geſtalten aller Art, die ſich unter einander draͤng-
ten. Dieß dauerte ununterbrochen fort, bis ohngefaͤhr um
halb fuͤnf Uhr, um die Zeit der anfangenden Verdauung.
Da bemerkte er, daß die Geſtalten anfiengen ſich langſa-
mer zu bewegen. Kurz darauf begannen ihre Farben nach
und nach blaͤſſer zu werden, ſie nahmen mit jeder Viertel-
ſtunde immer mehr ab, ohne daß die beſtimmte Figur der
Geſtalten waͤre veraͤndert worden. Etwa um halb ſieben
Uhr waren alle Geſtalten ganz weiß und bewegten ſich nur
ſehr wenig; doch waren die Umriſſe noch ſehr beſtimmt; nach
und nach wurden ſie merklich unbeſtimmter, ohne daß ihre
Anzahl abgenommen haͤtte, wie ſonſt oft der Fall geweſen
war. Die Geſtalten giengen nicht weg, ſie verſchwanden
auch nicht, welches ſonſt ſehr oft geſchehen war. Jetzt zer-
floſſen ſie gleichſam in die Luft. Von einigen Figuren waren
[79] eine Zeitlang einzelne Stuͤcke zu ſehen, die nach und nach
auch vergiengen. Ungefaͤhr um 8 Uhr war nichts mehr von
den Geſtalten zu ſehen und ſie erſcheinen nachher nie wie-
der.« Aus der Berliner Monatsſchrift May 1799 in
Reils Fieberlehre IV. B. S. 285.


Nicolai fuͤgt ſeinem Bericht einige andere Faͤlle bei.
»Juſtus Moͤſer glaubte oͤfter Blumen zu ſehen; ein
anderer mir wohlbekannter Mann ſieht ebenſo zuweilen
mathematiſche Figuren, als Zirkellinien, Vierecke u. a. in
verſchiedenen Farben.« Berl. Monatsſchrift. 1799. S. 346.
Vergl. S. 348. 1800. S. 247. Reil. a. a. O.


143.


Aus der Selbſterfahrung eines durchaus vorurtheils-
freien Mannes, deſſen Name fuͤr die Wichtigkeit dieſer Er-
fahrung buͤrgen koͤnnte, theile ich folgenden Fall mit.
Prof. * kam nach einer ſehr lebhaften Unterhaltung uͤber
wiſſenſchaftliche Gegenſtaͤnde nuͤchtern und ſehr hungrig
nach Hauſe. Der Weg fuͤhrte vom Lande uͤber ein baum-
reiche Wieſe nach der Stadt. Ploͤtzlich ſieht er in einiger Ent-
fernung ſich ſelbſt in 12—15 Exemplaren, auf der Wieſe um-
herwandeln. Die Figuren waren aus verſchiedenem Alter
des Beobachters und trugen die ſonſt faſt vergeſſenen Klei-
der verſchiedener Zeiten in mancherlei Farben. Die Ge-
ſtalten einer und derſelben Perſon giengen gleichguͤltig
durcheinander auf der Wieſe. Es bedurfte nur der An-
ſtrengung des Geſichtsſinnes, der Aufmerkſamkeit und der
Erinnerung, daß die Selbſterſcheinung eine Hallucation
ſei, um die ganze Gruppe ſogleich zu verſcheuchen. Licht-
flecke blieben nicht uͤbrig. Das iſt mehr als ein Doppel-
gaͤnger und doch kein ſelbſtbetrogener Wundermann.


144.


Hieher moͤgen denn auch diejenigen Faͤlle von Halluci-
nationen in fieberkraften Krankheiten gehoͤren, wo kein ei-
[80] gentliches Delirium ſtatt findet, und die allein auftretenden
Phantaſiebilder von dem freien unbefangenen Verſtand auch
als ſolche ausgelegt werden. Nicolai litt im Jahr 1778
an einem Wechſelfieber, in welchem ſchon vor dem Froſt
kolorirte Bilder in halber Lebensgroͤße, wie in einen Rah-
men gefaßt, erſchienen. Es waren Landſchaften mit Baͤu-
men, Felſen u. ſ. w. vermiſcht. Hielt er die Augen ge-
ſchloſſen, ſo aͤnderte ſich nach einer Minute immer etwas
in der Vorſtellung, einige Figuren verſchwanden nnd an-
dere erſchienen. Oeffnete er die Augen ſo war Alles weg,
ſchloß er ſie wieder, ſo war eine ganz andere Landſchaft
da. Wurden die Augen in jeder Secunde geoͤffnet und ge-
ſchloſſen, ſo erſchien jedesmal ein anderes Bild voll mannig-
faltiger Gegenſtaͤnde, welche mit denen, die vorher erſchie-
nen waren, gar nichts gemein hatten.


142.


Hier ſchließt ſich nun zunaͤchſt diejenige Stufe an, wo
das Phantaſiebild als objective Erſcheinung erkannt wird.
Ich kenne einen jungen Kuͤnſtler G., dem dieſe Erſcheinungen
leicht bei jeder geiſtigen Aufregung und auch beim Malen
auftreten. Aber er konnte ihnen fruͤher die Kraft des Verſtan-
nicht entgegen ſetzen, er hielt ſie fuͤr objective Erſcheinun-
gen von Geiſtern, die ihn beſchraͤnken wollen, und gegen
die er Staffelei und Meſſer in ſeiner Noth erhoben hat.


[81]

XII.Das willkuͤhrliche Einbilden leuch-
tender Phantasmen, die gegen Will-
kuͤhr ſich entwickelnd verwandeln
.


146.


Die Uebergaͤnge zu dieſer hoͤchſten Stufe des Eigenle-
bens der Phantaſie liegen in der ekſtatiſchen Viſion. Es iſt
hier oft und beſonders in der magiſchen Viſion ein entſchie-
dener Wille vorhanden, etwas Beſtimmtes zu ſehen. Aber
das Eigenleben, worin das Geſuchte endlich leuchtend er-
ſcheint, iſt hier durch den ekſtatiſchen Zuſtand des Nervenſy-
ſtems bedingt und es wird dieſen Erſcheinungen faͤlſchlich Ob-
jectivitaͤt zugeſchrieben. Dasjenige plaſtiſchen Eigenleben der
Phantaſie, welches im harmoniſchen Verhaͤltniß mit den
uͤbrigen Geiſteskraͤften ſteht, ſo daß das Gewollte ohne
ekſtatiſche Exaltation leuchtend in die Sehſinnſubſtanz
eingebildet wird, und wobei ein kraͤftiger dem Leben der
Phantaſie gewachſener Verſtand die Erſcheinung nur als eine
Bluͤthe dieſer letztern erkennt, uͤber dem Irrſeyn, uͤber dem
Aberglauben, uͤber der Schwaͤrmerei hoch erhaben, ein ſchaf-
fender, lebendiger, uͤber ſeine Producte denkender Geiſt,
dieſe hoͤchſte freieſte Erſcheinung des Phaenomens iſt hoͤchſt
ſelten.


147.


So leicht bei mir die Phantaſiebilder unwillkuͤhrlich
eintreten, ſo habe ich doch bei der groͤßten Anſtrengung
faſt nie willkuͤhrlich ein beſtimmtes Phantasma von beſtimm-
ter Beleuchtung und Faͤrbung erzeugen koͤnnen. Ich habe
halbe Tage in dieſer Willensuͤbung im Dunkeln zugebracht.
Die Phantaſiebilder waren immer ein dem Willen trotzendes
Phantaſtiſches, was ich nicht hervorzurufen, nicht feſtzu
6
[82] halten vermochte. So leicht ich ſubjective Farben ſehe,
nie vermochte ich mit Willen ein Roth, ein Blau ins Seh-
feld zu bannen und zu fixiren.


148.


Ein einzigesmal, als ich einen ganzen Abend, ſtill und
ruhig mit geſchloſſen Augen daliegend, unaufhoͤrlich ver-
geblich verſucht hatte, ein lebhaft Roth im Sehfelde zu ſe-
hen, und deshalb, um die plaſtiſche Phantaſie zu unterſtuͤtzen,
Gegenſtaͤnde von lebhaft rother Faͤrbung, Vorhaͤnge, Maͤntel,
bunte Fenſter, rothes Feuer u. ſ. w. auf das lebhafteſte vor-
zuſtellen mich bemuͤht hatte, ſah ich ein einzigmal einen Fal-
tenwurf von einem lebhaft rothen Tuche. Aber auch dieſes
hatte ich nicht erſt in dieſen beſtimmten Umriſſen vorgeſtellt.
Waͤhrend dieſem quaͤlenden Bemuͤhen erſchien das ſpecifi-
cirte Produkt der plaſtiſchen Phantaſie urploͤtzlich und war
auch bald verſchwunden.


149.


Ganz vereinzelt ſtehen daher die merkwuͤrdigen Faͤlle
einer leichten willkuͤhrlichen Einbildung leuchtender Phan-
tasmen in das Sehfeld. Das erſte bietet jener oft erwaͤhn-
te wunderſame Mann, dem auch die unwillkuͤhrlichen Phan-
taſiebilder ſo zugaͤnglich waren, Cardanus. Er erzaͤhlt
von ſich ſelbſt, daß er ſich habe leuchtend einbilden koͤnnen,
was er gewollt. Cardan. de varietate rer. lib. VIII. p.
160. seq. de Subtilitate. XVIII. p. 519. seq.
Hieher
gehoͤrt auch ein von Gruithuiſen Anthrop. §. 449. mit-
getheilter Fall eines Mannes, der in der Jugend ſeinen
Vater ſich leuchtend vorſtellen konnte, was ihm ſpaͤter
minder gut gelang. Auch dem im §. 117 erwaͤhnten Kuͤnſt-
ler H. gelingt es oft, das, was er mit Willen im dun-
keln Sehfelde ſich einbildet, lenchtend und farbig zu ſehen.
[83] Dieſe willkuͤhrlichen Phantasmen entwickeln und verwan-
deln ſich aber ſofort ohne alle Willensbeſtimmung.


150.


Hoͤchſt wichtig iſt aber, was Goethe aus ſeiner rei-
chen innern Sinnesanſchaung von ſich ſelbſt mitgetheilt
hat.


Der eigenhaͤndige Bericht Goethe’s iſt ſchon im §. 48
mitgetheilt worden. Goethe ſah in fruͤhern Jahren die
im dunkeln Sehraum eingebildeten Blumen, Zierrathen
leuchtend und farbig, aber die eingebildeten Phantasmen
behaupteten nicht einen Augenblick ihre Geſtalt, ſie legten
ſich aus einander, entwickelten ſich von der Mitte gegen die
Peripherie, und entfalteten aus ihren Innern wieder neue
Blumen aus ihrem Innern. Nie gelang es, die hervorquel-
lende Schoͤpfung zu fixiren, hingegen dauerte ſie, ſo lange
es beliebte, ermattete nicht und verſtaͤrkte ſich nicht.


151.


Goethe eroͤffnet ſelbſt an dieſer Stelle die hoͤhere
Betrachtung. »Man ſieht deutlicher ein, was es hei-
ßen wolle, daß Dichter und alle eigentlichen Kuͤnſt-
len geboren ſeyn muͤſſen. Es muß naͤmlich ihre innere
productive Kraft jene Nachbilder, die im Organe, in der
Erinnerung, in der Einbildungskraft zuruͤckgebliebenen
Idole freiwillig, ohne Vorſatz und Wollen lebendig hervor-
thun, ſie muͤſſen ſich entfalten, wachſen, ſich ausdehnen,
zuſammenziehen, um aus fluͤchtigen Schemen wahrhaft
gegenſtaͤndliche Bilder zu werden.«


»Wie beſonders die Alten mit dieſen Idolen begabt
geweſen ſeyn muͤßen, laͤßt ſich aus Demokrits Lehre
von den Idolen ſchlieſſen. Er kann nur aus der eignen
[84] lebendigen Erfahrung ſeiner Phantaſie darauf gekommen
ſeyn.


»Je groͤßer das Talent, je entſchiedener bildet ſich
gleich anfangs das zu producirende Bild. Man ſehe Zeich-
nungen von Raphael und Michel Angelo, wo auf
der Stelle ein ſtrenger Umriß das, was dargeſtellt wer-
den ſoll, vom Grunde losloͤſt und koͤrperlich einfaßt. Da-
gegen werden ſpaͤtere, obgleich treffliche Kuͤnſtler auf einer
Art von Taſten ertappt, es iſt oͤfter, als wenn ſie erſt
durch leichte aber gleichguͤltige Zuͤge aufs Papier ein Ele-
ment erſchaffen wollen, woraus nachher Kopf und Haar,
Geſtalt und Gewand und was ſonſt noch wie aus dem Ei
das Huͤhnchen ſich bilden ſolle.« Goethe zur Morpho-
logie II. B. 2. H. 1824. S. 114. Hier moͤgen wir uns
denn jenes alten Kuͤnſtlers erinnern, von dem es heißt:
Concipiendis visionibus, quas phantasias vocant, Theon
Samius
praestantissimus. Quintil. XII.
10. 6.


XIII.Ausſicht auf die Phantasmen der
anderen Sinne
.


152.


Wenn die phantaſtiſchen Geſichtserſcheinungen die haͤu-
figſten ſind, ſo fehlen die Phantasmen doch auch nicht in
den anderen Sinnen und ſie kommen hier unter denſelben
Bedingungen vor; auch gilt es von den Gehoͤrphantasmen,
daß ſie ohne Affection des aͤußern Sinnesorganes ſelbſt be-
ſtehen koͤnnen und nur durch Affection der innerſten Ur-
ſpruͤnge der Hoͤrſinnſubſtanz entſtehen. Denn Esquirol
hat Faͤlle beobachtet, wo bei Tauben noch phantaſtiſche
Gehoͤrempfindungen vorkamen.


[85]

153.


Von den Gehoͤrphantasmen des Traumes muͤßte uns
ein Muſiker erzaͤhlen. Die phantaſtiſchen Tonempfindun-
gen im Delirium, im Irrſeyn ſind bekannt; aber wie die
Geſichtserſcheinungen treten ſie auch unter Umſtaͤnden auf,
wo ihre Objectivitaͤt nicht anerkannt wird. Solche Faͤlle
ſind in der Berliner Monatsſchrift 1799. S. 347. 1800. S.
245. und 352. mitgetheilt. Von einem harthoͤrigen Greiſe,
der an haemorrhoidaliſchen Bewegungen litt, wird erzaͤhlt,
wie er bei Tage [und] Nacht, im Bette [und] am Schreibtiſche
von Zeit zu Zeit bald eine Menge von Glocken laͤuten,
bald die Feuertrommel nah und fern, bald das Brauſen
eines ſtuͤrzenden Waſſers, bald ganze Choͤre von Saͤngern,
die gar vollſtaͤndig beſetzt waren, hoͤrte.


154.


Merkwuͤrdig wegen der phantaſtiſchen Nachempfindung
der objectiven Gehoͤreindruͤcke ſind Mendelſohn’s Phan-
tasmen. Moſes Mendelſohn hatte ſich im J. 1772
durch zu ſtarke Anſtrengungen des Geiſtes eine Krankheit
zugezogen, welche voll ſonderbarer pſychologiſcher Er-
ſcheinungen war. Ueber zwei Jahr lang durfte er gar
nichts thun, gar nichts leſen, uͤber gar nichts nachdenken,
keine laute Toͤne hoͤren. Wenn jemand im geringſten leb-
haft mit ihm redete, oder er ſelbſt nur wenig lebhaft war,
ſo fiel er Abends in eine hoͤchſt beſchwerliche Art von Ca-
talepſie, worin er Alles ſah und hoͤrte, was um ihn vor-
gieng, ohne ein Glied bewegen zu koͤnnen. Hatte er dann
am Tage lebhafte Reden gehoͤrt, ſo rief ihm waͤhrend des
Anfalls eine Stentorſtimme die einzelnen, mit einem ho-
hen Accente ausgeſprochenen oder ſonſt laut geredeten Worte
und Silben wieder einzeln zu, ſo daß ihm auf eine ſehr
[86] unangenehme Art die Ohren davon gellten. Rouſſeau’s
Leiden in den letzten Jahren ſeines Lebens ſcheinen auch
hieher zu gehoͤren. Mehrere Beiſpiele phantaſtiſcher Ge-
hoͤrempfindungen hat C. G. T. Cortum (Beitraͤge zur prac-
tiſchen Arzneiwiſſenſchaft. Goͤtt. 1796. S. 272—280) ge-
ſammelt. Auch aus dem Alterthum ſind einige ſolcher
Beiſpiele uͤberkommen. Aristot. de Mirabilibus. Horat.
epist. II. 2. 128. Aelian. V. H.
4. 25.


155.


Die Gehoͤrphantasmen ſind bald iſolirt, bald mit phan-
taſtiſchen Geſichtserſcheinungen verbunden. So ſah Nico-
lai
z. B. zuerſt nur Geſichtsphantasmen am hellen Tage,
ſpaͤter erſt fiengen dieſe zu reden an, redeten ihn ſelbſt an.
In unſern Traͤumen ſind meiſt beide verbunden.


156.


Phantaſtiſche Gefuͤhlsempfindungen ſind im Traume
haͤufig genug, ſonſt aber ſelten. Aber von jenem haemor-
rhoidaliſchen Greiſe wird erzaͤhlt, daß es ſich zuletzt auch um
und bei ihm zu regen anfieng und es ihm zuweilen vorkam,
als faßte ihn Jemand bei der Schulter u. d. gl. Bei den
Irren ſind ſie ſehr haͤufig.


157.


Geruchsphantasmen kommen dagegen auch haͤufig au-
ßer dem Traume vor, beſonders bei nervoͤſen Subjecten.
Hyſteriſche Subjecte riechen oft die ſonderbarſten Dinge.
Auch in der magiſchen und anderen Ekſtaſen kommen Ge-
ruchsphantasmen vor, wie ſich denn die Daemonen nicht
ſelten durch beſondere Geruͤche ankuͤndigten und Abſchied
nahmen.


[87]

158.


Am ſeltenſten ſind wohl die Geſchmacksphantasmen,
doch iſt es bekannt, daß die Vorſtellung eines fragranten
Geſchmackes haͤufig die Gegenwart der Sinnesenergie als
beſondern wirklichen Geſchmackes hervorzaubert.


XIV.Nutzanwendung.


159.


So ſind wir nun an der letzten Grenze und hoͤchſten
freieſten geiſtigſten Bluͤthe der Erſcheinung angelangt, wo-
mit wir auch dieſe ihre Lebensgeſchichte ſchließen. Von
dem Urphaenomen bis zu dieſer hoͤchſten productiven ver-
nuͤnftigen Steigerung ſehen wir das ſinnliche Weſen nach
Maßgabe ſeiner geſelligen Verhaͤltniſſe zu anderen Vermoͤgen
jene bald krankhaften bald excentriſchen Zuſtaͤnde erzeugen,
die unter allen Voͤlkern, in allen Religionen unabweisbar
geworden. Alle dieſe Verirrungen ſind doch im Grunde nur
Verirrungen des Verſtandes, des Urtheils in der Auslegung
der Aeußerungen des Organes, welches ſein Mitgeſchaffe-
nes, wie ſein Selbſtgeſchaffenes leibhaftig ſieht; und ſo
ſtehen denn die Verrirrungen finſterer, aber reichbegabter
Zeiten, die Suͤnden und Krankheiten des Urtheils in dem
phantaſiereichen, durch ſeine Phantaſie geopferten Einzelnen
als ein großes weltgeſchichtliches Ereigniß mit ſeinen vie-
ren im Weſen immer wiederkehrenden Formen da, Zeugniß
gebend wie von dem Irren des Menſchengeiſtes, ſo zugleich
auch in der Krankheit von der Herrlichkeit und Gewalt
der innern Sinnlichkeit.


[88]

160.


Nur wo die Phantaſie und die Herrſchaft des Verſtandes
gleich geſteigert ſind, bleibt es in harmoniſcher Lebensbe-
wegung beider. Wundern wir uns aber nicht, wenn der ein-
fache phantaſiereiche Menſch den Verſchwendungen dieſes
ſeines Reichthums unterliegt, wenn er der Selbſterſcheinung
aͤußere Objectivitaͤt giebt. Er ſteht hierin doch faſt auf gleicher
Stufe mit dem erwachſenen geſunden Menſchen nach der vol-
lendeten Erziehung der Sinne. Auch wir verwechſeln ja die
Energieen unſeres Sinnes in der ihm zukommenden Lebens-
form des Lichtes, die Affection der Netzhaut, das ſubjective
Sehfeld, mit den aͤußeren Dingen, die nur veranlaſſende
Urſachen zur Verwirklichung innern Lebens ſind.


161.


Der Schmerz und die Luſt, auch Energieen eines Sin-
nes, liegen unſerer Subjectivitaͤt viel naͤher, von ihnen faͤllt
es uns nicht ein, zu ſagen, daß ſie an den Dingen haften,
die ſie erregen, wir laſſen ſie uns ſelbſt nicht nehmen. Alle
anderen Sinnesenergieen, den Inhalt unſeres eigenen Le-
bens theilen wir der Außenwelt zu. Wir wiſſen ſo wenig
von einem lichten und dunkeln ſubjectiven Sehfeld, daß das
Urtheil, die Affectionen des Gefuͤhls und des Geſichtsſinnes
combinirend, uns ſogar verfuͤhrt, das ſubjective Sehfeld, in
welchem die aͤußeren koͤrperlichen Dinge flaͤchenhaft erſchei-
nen, fuͤr die lichte nahe und ferne Koͤrperlichkeit der
Dinge ſelbſt zu halten.


162.


Der Blindgeborne, dem durch die Operation der Ge-
ſichtſinn fuͤr das Aeußere erſchloſſen worden, ſteht ein
Erwachſener allein noch in der vom Urtheil unbefangenen
Jugend des Sinnes. Er erſchrickt vor den Bildern, die
[89] ihm ſo gut wie das Bild ſeines eignen Koͤrpers auf ſeiner
Haut zu liegen ſcheinen. Aber es koͤmmt bald dahin, daß
auch er wie wir gezwungen iſt, die eigenen durch ein Aeußeres
erregten Sinnesaffectionen fuͤr die gegenuͤberſtehende aͤu-
ßere Natur ſelbſt zu halten.


163.


In allem dem ſind wir nicht rein ſinnlich; denn in keiner
Sinnestaͤuſchung irrt die Sinnlichkeit. Der Sinn iſt immer
wahr und nothwendig wirkend, nur der Verſtand irrt. Es
iſt ebenſo im Moraliſchen. Unſere Organe wollen in Affection
ſeyn. Sind ſie es nicht fuͤr das gedachte Gute, biſt du
ſinnlicher Menſch, der du dich freuen ſollſt und freueſt
der ſchoͤnen Gabe der Sinnlichkeit, nicht ſinnlich fuͤr das
gedachte Gute, ſo biſt du es dennoch, du mußt es ſeyn fuͤr
das Boͤſe. Auch in dem letztern iſt nicht die Sinnlichkeit
der Suͤndenbock, die genießt in der Schuld, wie in der
Unſchuld mit gleicher Unbefangenheit der Empfindung. Die
Schuld tritt ein, wo unſere Organe afficirt werden, ohne
daß der freie Wille fuͤr das Gute vorhanden iſt, wo nicht
genoßen werden kann ohne das Schweigen, ohne das Ver-
geben der ſittlichen Freiheit.


[[90]][[91]]

III.
Das Eigenleben der Phantaſie.


[[92]]
  • I. Das Lebensgeſetz für die Metamorphoſe der Phantaſiebilder.
  • II. Das productive Einbilden.
  • III. Das nach Ideen thätige Einbilden des Künſtlers und Na-
    turforſchers.

[93]

I.Das Lebensgeſetz fuͤr die Metamor-
phoſe der Phantaſiebilder
.


164.


Da die Sinnesthaͤtigkeit nie ganz ohne Phantaſie iſt,
wie wir denn in jeder Sinnesanſchauung bald dieſes bald
jenes von dem Objecte lebhafter dem Sinneeinbilden, aus
einer Menge gleichzeitiger harmoniſcher Toͤne, bald dieſe
bald jene Succeſſion vorzugsweiſe verfolgen, und da ander-
ſeits die Phantaſie nie ganz ohne Wirkung auf den Sinn
zu ſeyn ſcheint, indem auch die phantaſtiſche Vorſtellung
als [Begrenzung] und Umriß in dem dunkeln oder lichten Seh-
feld der Sehſinnſubſtanz vorgeſtellt wird, ſo koͤnnte Einer
behaupten, es ſeien eben nur die inneren Urſpruͤnge der
Sinnesſubſtanzen ſelbſt, welche phantaſiren, die Phantaſie
ſei nur in dieſen thaͤtig und habe kein anderes Organon,
die Extremitaͤt der Sehſinnſubſtanz im Auge ſei zwar nur
der leuchtenden Reaction gegen aͤußere Eindruͤcke faͤhig,
aber der innere Urſprung der Sehſinnſubſtanz ſei ſelbſt
thaͤtig, und ſein Leben ſei Formen phantaſirend, die
bei lebhafterer Thaͤtigkeit in demſelben Organe leuchtend
werden.


165.


Wenn aber die Lebensform des Geſichtsſinnes, Licht
und Farbe zu ſehen, des Tonſinnes, Ton zu hoͤren u. ſ.
w., die Phantaſie aber bei ſich und ihrem Weſen bleibt,
auch wenn ihre Gebilde bloß vorſtellte Begrenzung ohne
eigenthuͤmliches Licht und Farbe ſind, da uͤberdieß die
[94] Phantasmen verſchiedener Sinne, wenn ſie verbunden
gleichzeitig vorkommen, in den verſchiedenen Sinnen nicht
verſchiedene Rollen ſpielen, ſondern harmoniſch zuſammen-
wirken, wie im Traume, ſo kann jene Vorſtellung nicht
richtig ſeyn, und wir erſchließen, daß die Phantaſie als
ein Einfaches von dem Mehrfachen, durch beſondere En-
ergieen, Licht, Ton, Waͤrme u. ſ. w. Unterſchiedenen der ein-
zelnen Sinne Verſchiedenes ſey. Denn die Lebensform der
Phantaſie iſt dichtende Vorſtellung, nicht Empfindung des
Sinnlichen, und wie verſchiedenartig die Lebensformen
und Energieen der einzelnen Sinne ſind, die Phantaſie
bleibt, auch alles dieß Verſchiedene vorſtellend, bei ihrer
Lebensform: die dichtende Vorſtellung.


166.


Wenn es daher leuchtende Phantasmen giebt, ſo ſind dieß
Wirkungen des Einen, welches vorſtellt, auf das Andere,
welches leuchtet in ſeinen Affectionen durch ein Anderes,
Wirkungen des Phantaſticon auf den Sinn, wodurch das
in der Lebensform des Phantaſticon Vorgeſtellte Phanta-
ſtiſche in der Lebensform dieſes oder jenes Sinnes, bald
leuchtend, bald toͤnend wird. Die Welt der Vorſtellun-
gen, welche auf die Sinnesſubſtanz wirken kann, verhaͤlt
ſich daher zu dieſer als Mittel der Reizung ſo gut und eben
ſo wie die aͤußere Welt der Objecte. Beide ſind weder
leuchtend, noch toͤnend, noch warm, aber ihre Wirkungen
auf die Sinne ſind es nach der Art der Sinne.


167.


In den Erſcheinungen, die wir bisher in ih-
rem ganzen Umfange dargeſtellt haben, gehoͤrt daher das
Bilden, Bewegen, Verwandeln der Formen nicht dem
Sinn ſondern dem Vorſtellenden an. Da dieſes lebendige
Formenſchaffen und Verwandeln in der Form der Vor-
[95] ſtellung die phyſiologiſche Lebensform der Phantaſie iſt,
die bloß darum pſychiſch heißt, weil ſie eben nur vor-
ſtellend iſt, ſo koͤmmt es uns nun zuletzt zu, dieß leben-
dige Verwandeln des Inhaltes ſelbſt fuͤr ſich der Unter-
ſuchung zu unterwerfen.


168.


Was ſoll man nun nach allem dem dazu ſagen, was
die empiriſche Pſychologie bisher uͤber das Lebendige der Ein-
bildungskraft vorgebracht? Hat ſie nur einigermaßen den
Inhalt eines ſo maͤchtigen Vermoͤgens wahrgenommen, hat
ſie nicht gerade zu das Leben der Phantaſie, ihren nach
eigenen Geſetzen lebendigen Fortſchritt verlaͤugnen muͤſſen,
um ihre klaͤglichen Aſſociationsgeſetze durchfuͤhren zu
koͤnnen, Regeln, die darum ſchon keine Geſetze ſind, weil
ihrer viele uͤber dieſelbe Sache, und weil ſie, in ſich ſelbſt
widerſprechend Willkuͤhr und Zufaͤlligkeit an die Stelle des
lebendigen Fortſchrittes ſetzen? Wenn die Phantaſie das
Aehnliche und zugleich das Entgegengeſetzte aſſociirt, wo iſt
denn das Lebensgeſetz der Phantaſie, durch welches begreif-
lich waͤre, wie ſie beides thun kann, ohne anders als in
ihrem Leben thaͤtig zu ſeyn? In den ſogenannten Aſſo-
ciationsgeſetzen liegt das Geſetzmaͤßige bloß in dem Inhalt
der Vorſtellungen, in den Objecten der Aſſociation, nicht
aber in dem aſſociirenden, in der Phantaſie ſelbſt, und
die empiriſche Pſychologie wiederhohlt hier, was ſie immer
gethan hat, ſie ſtellt Beziehungen zwiſchen den Producten
auf und laͤßt das Leben des producirenden Geiſtes gehen.


169.


Wenn man dieſe Eroͤrterungen uͤber die Aſſociations-
geſetze lieſt, ſo ſollte man glauben, das Leben der Phan-
taſie waͤre nicht ein lebendiges Schaffen, ſondern nur ſelbſt
die nach gewiſſen Geſetzen der Wahlverwandſchaft ſich an-
[96] ziehenden und abſtoßenden Vorſtellungen, gleichſam als
waͤre eine gewiſſe Attractivkraft zwiſchen den fertigen Vor-
ſtellungen das allein Lebendige. Die Phantaſie iſt dieſer
Pſychologie ein Unendliches von Vorſtellungen, die unter
einander in Beziehung ſtehen, und wovon immer nur eine
voruͤbergehend ins Bewußtſeyn faͤllt. Die Beziehung zwi-
ſchen dem Inhalt des Lebens wird hier das Lebendige ſelbſt
genannt. Dieſes Fertige der Vorſtellungen iſt der empiriſchen
Pſychologie in der Lehre von der Phantaſie ein durchaus
Nothwendiges, und deswegen iſt es ihr auch nie gelungen,
der productiven ſchaffenden Einbildungskraft beizukommen,
als durch die Erklaͤrung, daß ſie ebenwieder aus der Ver-
bindung der fertigen Vorſtellungen lebendig ſey. Die Phan-
taſie iſt auf dieſe Art in ihrem Fortſchritt in immerwaͤh-
renden Spruͤngen von fertigen Vorſtellungen begriffen.


170.


Wie man nun von einem Concreten zu einem andern
aͤhnlichen Concreten, welches alſo in anderer Hinſicht ein
Verſchiedenes iſt, ſo ſchlechthin uͤbergehen koͤnne, iſt ganz
unbegreifbar. Der Verſtand begreift nur ein Bewegen im
Gleichen, oder ein Erweitern, Beſchraͤnken, Entwickeln
des Gleichen. Gerade in der Aſſociation des Concreten
liegt hier das uͤberſehene Lebendige, welches ein Bewegen
in dem Gleichem iſt.


171.


Die Phantaſie, in ihrer lebendigen Wirkſamkeit ewig
ihre Objecte in ſchneller Flucht und wie in einem Strome
wechſelnd, iſt in dieſem Wechſel nur nach einem einfachen
Lebensgeſetze thaͤtig.


Sinnliches Vorſtellen iſt ihre Energie, das ſinnlich
Vorgeſtellte immer zu veraͤndern, zu beſchraͤnken, zu erwei-
tern iſt das Lebendige in ihrer Energie. Man kann ein
[97] aͤußeres ſinnliches Object nicht betrachten, ohne in ewiger
Veraͤnderung bald dieſes bald jenes erweiternd, beſchraͤnkend
ſich lebhafter einzubilden, wir koͤnnen eine zuſammengeſetzte
architectoniſche Figur nicht beſchauen, ohne eine immer-
waͤhrende Abſtraction der ſinnlichen Vorſtellung, welche
bald dieſen bald jenen durch den ganzen durchſtrebenden
Elementartheil im Sinne feſthaͤlt. Hier iſt uns nur die
der Phantaſie nothwendige Veraͤnderung ihres Objectes
erkennbar, ihr lebendiger Fortſchritt im Erweitern, Be-
ſchraͤnken des ſinnlich Aufgefaßten.


170.


Iſt der Phantaſie in einem aͤußern ſinnlichen Object
die Schranke ihrer Lebensbewegung gegeben, ſo kann ſie
dieſes ihr Nothwendige nicht anders aͤußern, als daß ſie
in einer immerwaͤhrenden abſtrahiren Einbildung einzelner
Theile der Geſammtanſchauung begriffen iſt. Die Sinnes-
thaͤtigkeit, die ſinnliche Auffaſſung iſt nie ohne das Formen
beſchraͤnkende, erweiternde Leben der Phantaſie.


171.


Auch ohne die Beſchraͤnkung auf ein aͤußeres ſinnliches
Object iſt die Phantaſie auf gleiche Weiſe und noch freier
thaͤtig; denn ihr Leben bleibt hier ſich ſelbſt gleich. Sei das
ſinnliche Object ein bloß Vorgeſtelltes, ſo wirkt die Phantaſie,
in ſofern ſie lebt, beſchraͤnkend, erweiternd in dem Begriff
des ſinnlich Vorgeſtellten, gerade ſo wie ſie im aͤußern
ſinnlichen Objecte thaͤtig iſt. Sie kann das ſinnlich Vor-
geſtellte nicht in dieſer ſeiner allgemeinen Beſchraͤnkung
feſthalten, ſie faßt ein Einzelnes in dem ſinnlich Vor-
geſtellten auf, und da das Ganze uͤberhaupt nicht ſinn-
lich gegenwaͤrtig war und ſich nicht immer fort von außen
aufnoͤthigt, ſo hat die Phantaſie keinen Grund, bei dem
Ganzen ſtehen zu bleiben.


7
[98]

172.


Das Einzelne, fruͤher in dem Ganzen enthalten, iſt ihr
nun wieder ein ſinnlich Vorgeſtelltes, ſie bleibt auch bei
dieſem nicht ſtehen, erweitert vielleicht im naͤchſten Augen-
blick dieſes Concrete zu einem Allgemeinen durch die Vor-
ſtellung des in dem Concreten als Praͤdicat vorhandenen
Allgemeinen. Von dieſem Allgemeinen geht ſie wieder be-
ſchraͤnkend, erweiternd zu den dem Allgemeinen einwoh-
nenden anderen Concreten. Und wenn das neue Concre-
tum ſchon einmal ſinnlich vorgeſtellt worden, ſo erinnert
ſie ſich deſſen, und dann ſagt man, das geſchieht durch
reproductive Einbildungskraft.


173.


Hier iſt kein Springen und Huͤpfen von Aſſociirtem
zu Aſſociirtem, ſondern ein immerwaͤhrend Erweitern und
Beſchraͤnken des Sinnlichvorgeſtellten, in deſſen continuir-
lichen Fortgang die erinnerten Vorſtellungen fallen. Die
Aſſociation beſteht alſo hierin nur in der Subſumtion des
Einzelnen [unter] ein Allgemeines und in dem Bilden des
Allgemeinen zu einem Concreten. Mit Unrecht ſagt man
hier, dem erſten Einzelnen wird das zweite Concrete aſſo-
ciirt. Das zwiſchen beiden liegende Aehnliche oder das All-
gemeine iſt ein nothwendiger Act des Fortſchrittes.


174.


Wir haben demnach die einzelnen Aſſociationsgeſetze
gar nicht noͤthig, denn die Verbindung des Aehnlichen,
die Verbindung des Entgegengeſetzten und des zu-
gleich in Raum und Zeit Vorgeſtellten, was ſich,
wie es hier ausgeſprochen iſt, widerſpricht, geſchieht als
ein Einfaches und nicht Widerſprechendes in dem Erwei-
tern und Beſchraͤnken des Vorgeſtellten, in der Subſum-
[99] tion des Cinzelnen unter das Allgemeine, und der Ver-
wirklichung des Allgemeinen in dem Einzelnen. Mit Recht
ſagen wir daher, die Aſſociationsgeſetze ſind nur Beziehun-
gen zwiſchen dem Vorgeſtellten und ſind dem Eigenleben der
Phantaſie, die auch zwiſchen dem Aſſociirten lebend iſt,
gleichguͤltig. Dieſes Eigenleben der Phantaſie iſt ſchon
in jeder Sinnesaction vorhanden, erweiternd, abſtrahirend,
in dem gegebenen Aeußeren ſinnliche Formen ſchaffend, wie
in der Lebensgeſchichte gezeigt worden iſt. Dieſes Eigen-
leben iſt auch das allein Weſentliche in den Aſſociationen.


II.Das productive Einbilden im dunkeln
und lichten Sehfelde
.


175.


Das productive Einbilden iſt hieraus von ſelbſt
einſichtlich.


Das aus dem Allgemeinen gebildete Concrete, in wel-
chem das Allgemeine verwirklicht iſt, kann ein ſolches ſeyn,
welches ſchon einmal Gegenſtand einer von außen beding-
ten Sinnesvorſtellung war, dann iſt die Einbildungskraft
reproductiv, oder das aus dem Allgemeinen gebildete
Concrete iſt ein neues, durch Beſchraͤnkung des Allgemei-
nen gewordenes, und dann iſt die Phantaſie productiv
dichtend.


176.


Es iſt in der That zu verwundern, wie man ſo viele
Discuſſionen daruͤber hat halten koͤnnen, ob die productive
Phantaſie auch neue einfache Vorſtellungen bilde, die nicht
ein Zuſammengeſetztes aus ehemaligen Theilvorſtellungen
waͤren. Die Phantaſie, im dunkeln Sehfeld Grenzen vorſtel-
[100] lend, kann in dieſem durch die bloße Vorſtellung einer Be-
grenzung im dunkeln Sehfeld Formen erſinnen, die wir nie
geſehen, nie objectiv ſehen werden. Da auch alle aͤußeren ſicht-
baren Formen nur als Begrenzung in dieſem dunkeln Seh-
feld erſcheinen, alle moͤgliche Begrenzung aber im dunkeln
Sehfeld gedacht werden kann, ſo ſind auch alle moͤglichen
Formen der Phantaſie erreichbar, ehe ſie ihre Elemente in
der aͤußern ſinnlichen Welt gefunden hat, wie wir dann
auch von jenem im erſten Jahre des Lebens erblindeten Floͤ-
tenſpieler leſen, daß er graͤßliche und verzerrte Geſtalten
in ſeinen Traͤumen ſah.


177.


Es koͤmmt hier vor allen Dingen darauf an, das Ei-
genleben der Phantaſie unvermiſcht, ungetruͤbt durch andere
Geiſtesfunctionen feſtzuhalten, und ſo erſcheint denn die
Phantaſie ohne anderweitigen Antrieb in dem Zuſtand des
Halbwachens, wo nur ſie allein thaͤtig iſt, als ein im
Sehfeld Geſtaltendes, ſeine Geſtalten immer Veraͤnderndes,
zuſammenziehend, erweitend, das Ganze auf Theile redu-
cirend, den Theil zu einem neuen Ganzen entwickelnd, das
Ganze wieder beſchraͤnkend u. ſ. f., in Allem dem ein raſtlo-
ſer Proteus, zuerſt nur Grenzen ziehend im dunkeln Seh-
feld, dann ſein Geſchaffenes leuchtend in den Energieen deſ-
ſen, dem die Geſtalt eingebildet iſt, hervorhebend. Hier,
wo wir die Phantaſie allein thaͤtig, ihrem eigenen Formen-
ſpiele hingegeben, nackt und bloß und wie im Negligé belau-
ſchen, iſt ſie nach keinem andern Geſetz thaͤtig als nach dem
fruͤher aufgeſtellten allgemeinen der Metamorphoſe.


178.


Dann wird zu erwaͤhnen ſeyn, wie die Energieen an-
derer Organe auf das Eigenleben der Phantaſie Einfluß
haben. Alle Reizungen aus andern Organen werden zwar,
auf das Phantaſticon wirkend, dieſes nur ſollicitiren koͤnnen
[101] zu phantaſiren, aber das plaſtiſche Leben wird in dem Zu-
ſammenwirken mit anderen Vermoͤgen ſchon beſtimmt in
Hinſicht ſeiner Producte. Die Phantaſiebilder ſind heiter in
der Abſpannung oder bei einer harmoniſchen Wirkung, ſtuͤr-
miſch, unruhig in aufgeregten Zuſtaͤnden, wie den Aerzten
wohl bekannt iſt. Die aus den Geſchlechtsorganen kom-
menden ſympathiſchen Reizungen beſtimmen das Phantaſti-
con zu luͤſternen Gebilden, eine verſchraͤnkte Lage im Schlafe
wird Grund zu einer ſichtbaren Traumhandlung, in welcher
das Verſchraͤnktſeyn nur ein Theilbegriff iſt. Das Gefuͤhl
des Einſchlafens eines Gliedes wird zu einer vollkomme-
nen Traumhandlung ergaͤnzt. Das perennirende Gefuͤhl iſt
hier ein beſtaͤndiges Centrum fuͤr die Metamorphoſen der
Phantaſiebilder.


179.


Ebenſo in den leidenſchaftlichen Zuſtaͤnden. Auch hier
wird die Modalitaͤt der phantaſtiſchen Bildung durch den
Modus der Leidenſchaft beſtimmt. Das Phantaſiebild iſt
furchtbar in der Furcht, heiter bei einem freudevollen Selbſt-
gefuͤhl, laͤſtig, druͤckend, ſchwerfaͤllig, bei der Beſchraͤnkung
unſeres Strebens in den deprimirenden Affecten, das Er-
ſehnte dem Sehnſuͤchtigen, dem Entzuͤckten ſeine Befriedi-
gung.


III.Das nach Ideen thaͤtige Einbilden
des Kuͤnſtlers und Naturforſchers
.


180.


Die Phantaſie erſcheint in ihrer hoͤchſten Vollendung,
wenn ſie ihre Formen nach denſelben Geſetzen verwandelt,
als die Natur ſelbſt in der Metamorphoſe der Formen ver-
faͤhrt, in einer unendlichen Mannigfaltigkeit von Formen
[102] ein Weſentliches in anderen Beziehungen darſtellend, als kuͤnſt-
leriſche Phantaſie, als anſchauender Sinn des Naturfor-
ſchers.


181.


Der ſpeculative Geiſt erkennt das Geſetz des Bildens
und Verwandels der Formen; die Phantaſie, durch die
Idee beſtimmt, iſt nach denſelben Geſetzen wie die Natur
thaͤtig, ihre Lebensgeſetz iſt das der Metamorphoſe ſelbſt.
Es iſt die Phantaſie, welche das Lebensgeſetz der Pflan-
zenmetamorphoſe, in der Natur verwirklicht, zum zweiten-
mal in der Natur leibhaft ſieht. Die Phantaſie ſieht in
ihrem plaſtiſchen Leben das einfache Verhaͤltniß des Stiels
zum Blatte zu allen ſucceſſiv entwickelten Theilen der
Pflanze ſich verwandeln, ſie ſieht in der lebendigen Pflanze
ein durch Keimen und Wachsthum entwickeltes Vielfaches,
an welchem ein identiſcher Theil aus identiſchen Theilen
entſpringt, die weſentlich gleichen Theile durch Succeſſion
verſchieden ausgebildet werden, ſo daß ein mannigfaltiges
ſcheinbar verbundenes Ganze identiſcher Glieder vor un-
ſern Augen ſteht.


182.


Die Raupe erſcheint uns als ein gegliederter Wurm,
der aus Theilen und Ringen beſteht, die ſich faſt uͤberall
gleich ſind. Die Metamorphoſe bildet hier das Gleiche zu
ſcheinbar Differentem von innen ans, wenn bei der Pflanze
die gleichen Theile, zu ſcheinbar differenten ausgebildet, nach-
einander und auseinander hervorſproſſen. Die gleichen
Theile des Inſectes ſchnuͤren ſich ein, erweitern, entwickeln
ſich hier und dort, und zuletzt ſteht ein geſondertes Ge-
ſchoͤpf vor uns, in dem nur die durch die erkannte Idee
der lebendigen Verwandlung angeregte und ſelbſt auch nach
dieſer Idee plaſtiſch wirkende Phantaſie den Fortſchritt
des Identiciſchen zu erkennen vermag.


[103]

183.


Sehen wir von dieſem Standspunct auf die hoͤheren
Thiere, ſo erblicken wir die Metamorphoſe in einer noch
hoͤhern Bedeutung, wir ſehen bei den Thieren, welche
keine Verwandlung erleiden, uͤber der Zeit der Entwicke-
lung alle Theile vorhanden und ſich waͤhrend dem ganzen
Leben wenig veraͤndern. Die Pflanze hat keine Organe,
nur verſchieden entwickelte gleiche Theile. Das Thier iſt
in allen ſeinen Organen entſchieden, es wird mit dieſer
Entſchiedenheit ſeiner Bildung geboren. Aber dieſe Organe,
allen Thieren weſentlich zukommend, ſind bei allen Thieren
von verſchiedener Bildung nach dem individuellen Stand-
punct der einzelnen. Die Metamorphoſe der Organe ge-
ſchieht bei den hoͤhern Thieren nicht mehr an dem Indivi-
duum, ſondern wird in einer unendlichen Menge von Thie-
ren verwirklicht, wovon jedes Thier ein Glied in der
Metamorphoſe des Organes einnimmt.


184.


Die Phantaſie bringt, nach denſelben Geſetzen wie die
Natur wirkend, das Gleiche in anderen geſelligen Verhaͤlt-
niſſen ausbildend, entwickelnd dieſe lebendige Metamorphoſe
der Organismen zur ſinnlichen Anſchauung. In der ver-
gleichenden ſinnlichen Anſchauung dieſes Formenwandels
iſt der Geiſt gezwungen zu erkennen, daß die Natur nicht
nicht nach einem uͤppigen Spiele die Formen der lebenden
Weſen abaͤndert, ſondern daß mit der Aenderung irgend
eines Organes in der Thierwelt zugleich nach unwandel-
barem Geſetz der Verwandtſchaft und gegenſeitigen Bedin-
gung alle anderen Organe ſich abaͤndern muͤſſen, und daß
alſo, wie nur ein Organ in ſeinen Beziehungen zur aͤuße-
ren Welt ſich aͤndert, auch immer zugleich ein in allen
Formen verſchiedenes Thier entſtehen muß.


[104]

185.


In Allem dem geht die Phantaſie nicht uͤber das ei-
nige Geſetz ihres Eigenlebens, ihre Gebilde zu beſchraͤn-
ken, zu erweitern hinaus, aber ſie iſt nicht mehr willkuͤhr-
lich und ſpielend, ſondern von der Idee beſtimmt, ſie ver-
aͤndert auch hier dieſelbe Form beſchraͤnkend, erweiternd,
aber nur in der Sphaͤre des von der Idee beigebrachten
Begriffs der Form, aus dem ſie hier nicht heraustreten
kann.


186.


Wer davon ſich einen deutlichen Begriff machen will,
leſe Goethe’s meiſterhafte Schilderung des Nagethiers
und ſeiner geſelligen Beziehungen zu andern Thieren in der
Morphologie. Nichts Aehnliches iſt aufzuweiſen, was dieſer
aus dem Mittelpunct der Organiſation entworfenen Pro-
jection gleich kaͤme. Irre ich nicht, ſo liegt in dieſer An-
deutung die Ahndung eines fernen Ideals der Naturgeſchich-
te. So ſiehſt du den Wirbel auch zum Schaͤdel ſich ausbil-
den, das Blatt zum Blumenblatte werden, das Athem-
organ als Lunge, als Kieme unter den mannigfaltigſten
Formen eine nach außen oder nach innen ſich im kleinſten
Raum vermehrende Flaͤche daſſelbe bleiben. Eingenom-
men von dieſer Idee wagt Peter Camper auf der
ſchwarzen Tafel den Hund in ein Pferd, dieſes in eine Kuh,
das Saͤugethier in einen Vogel zu verwandeln. Wenn
deine Phantaſie nach den Begriffen der Formen thaͤtig iſt,
ſo faͤllt es dir nicht ein, Fluͤgel dem Pferde anzudichten,
die Menſchengeſtalt mit dem Rumpf des vierfuͤßigen Thiers
zu verbinden; das iſt der kuͤnſtleriſchen Phantaſie, die mit
einem ſich Alles aͤndern ſieht, ein Widerſpruch. Bei dem
Muskelbau des Pferdes, des Menſchen kann kein Fluͤgel hin-
zugedacht werden, ohne daß alle Formen ſich nach dem Einen
aͤuderen. Das Gefluͤgelte kann nur ein Vogel ſeyn, der Vogel
[105] iſt eine ſolche durchgaͤngige Veraͤnderung der Form in der
Sphaͤre des Begriffs nach dem Einen. Dergleichen Vorſtel-
lungen einer ſpielenden Phantaſie ſind dem vergleichenden
Betrachter der Naturformen ein Widriges, mit dem Leben
ſeiner Phantaſie nicht mehr Vertraͤgliches.


187.


Iſt aber das Bildungsgeſetz eines Theiles erkannt,
weißt du, wie der Schaͤdel, nach nothwendigen Geſetzen ſich
entwickelnd, ſich nur zur Menſchenform ſteigern kann, ſo
kannſt du, in denſelben Geſetzen dich bewegend, die Schaͤdel-
form uͤber das Natuͤrliche ausbilden und veredlen, bleibt
deine Phantaſie nur in der Sphaͤre des Begriffes. Nach
denſelben Geſetzen veredelt, wie der Menſchenſchaͤdel ſich aus
den Thierformen veredelt, iſt der Kopf der Antike als
bloße Form ſelbſt ſchoͤner als das Natuͤrliche.


Die Griechen haben ſchwerlich dieſe Richtſchnur der
Bildung durch Meſſungen, wie Peter Camper, oder auf
einem wiſſenſchaftlichen Wege gefunden. Aber ihr Handeln
gruͤndete ſich auf eine unbewußte tiefe Anſchauung der Na-
tur und ihrer im Begriff beweglichen Bildung, ſie verfuh-
ren darin keineswegs willkuͤhrlich und auf gutes Gluͤck,
wenn es ihnen gelang, wirklich eine noch ſchoͤnere und ideale
Menſchenform bildend zu erreichen.


34.


Hier zeigt ſich denn, wo das Phantaſieleben des Kuͤnſt-
lers und des vergleichenden Naturforſchers in gemeinſamem
Gebiet ſich beruͤhren, und auch auseinander gehen. In bei-
den bewegt ſich das plaſtiſche Phantaſieleben nur innerhalb
der Sphaͤre des Begriffs. Der Naturforſcher ſpricht das
Geſetz der Formenbildung und Verwandlung aus, er ſieht
es nur in dem Wirklichen und Natuͤrlichen ver-
wirklicht. Die Phantaſie des Kuͤnſtlers iſt auch nur in
[106] dieſem Geſetze thaͤtig, aber ſie verlaͤßt ſeine Verwirkli-
chung im Wirklichen und Natuͤrlichen, und erhebt ſich,
in denſelben Geſetzen ſich bewegend und fortſchreitend,
ohne den Begriff zu verlaſſen, uͤber das Wirkliche
zur idealen Form, die Selbſtzweck und nicht mehr ein
Ausdruck innerer Functionen und als ſolcher immerhin
durch dieſe beſchraͤnkt iſt. Wundern wir uns darum nicht,
wenn einer und derſelbe das Groͤßte in beiden Richtun-
gen erreicht hat. Nur durch eine nach der erkannten Idee
des lebendigen Wechſels wirkende plaſtiſche Imagination
endeckte Goethe die Metamorphoſe der Pflanzen, eben
darauf beruhen ſeine Fortſchritte in der vergleichenden
Anatomie und ſeine hoͤchſt geiſtige ja kuͤnſtleriſche Auffaſ-
ſung dieſer Wiſſenſchaft.


189.


Am Schluſſe dieſer Unterſuchung, wo die Einleitung
in die hoͤhere vergleichende Naturwiſſenſchaft und nament-
lich in die vergleichende Anatomie wie aus dem Mittel-
punct der Sache beginnen koͤnnte, moͤgen wir denn noch
erwaͤgen, wie ohne phantaſiereiche nach hoͤheren phyſiolo-
giſchen Ideen wirkende lebendige Anſchauung die verglei-
chende Anatomie gar nicht ihrem Begriffe nach fortſchrei-
ten koͤnne, wie ſie an ihre Organe durchaus andere in
ganz verſchiedenen Menſchen befriedigte Anſpruͤche als die
menſchliche Anatomie mache, und wie ein der Bearbeitung
der menſchlichen Anatomie aͤhnlicher Anbau ihr durchaus
nicht fruchten vielmehr nur als eine Verirrung vom Be-
griffe betrachtet werden muͤſſe.


[[107]]

Ariſtoteles uͤber den Traum.
Eine phyſiologiſche Urkunde
.


I.Kapitel.


Hierauf iſt nun der Traum zu unterſuchen, zuvoͤr-
derſt, in welchem Theile der Seele er erſcheine, und ob
er eine Affection des denkenden Weſens (νοητικὸν) oder des
Sinnesweſens (αἰσϑητικὸν) ſey. Denn durch dieſe allein
wiſſen wir von dem, was in uns vorgeht. Wenn nun die
Function des Sehſinnes iſt zu ſehen, des Tonſinnes zu
hoͤren, und des Sinnes im Allgemeinen zu empfinden,
wenn ferner das Gemeinſame der Sinnesempfindungen ſind
die Geſtalt, die Bewegung, die Groͤße und anderes der-
gleichen, das Eigenthuͤmliche der einzelnen Sinne aber die
Farbe, der Ton und der Geſchmack, und wenn man end-
lich einmal mit geſchloſſenen Augen und ſchlafend nicht ſe-
hen kann u. ſ. w., ſo koͤnnen wir auch offenbar im Schlafe
durch die aͤußeren Sinne nicht ſinnlich afficirt ſeyn. Nicht
alſo nehmen wir den Traum vermoͤge der aͤußern Sinnes-
empfindung (αἴσϑησις) wahr; aber ebenſo wenig durch die
Vorſtellung (δοξα). Denn wir ſagen von dem uns Begegnen-
den nicht ſchlechthin nur, daß es ein Menſch, ein Pferd, ſondern
auch, daß es weiß, daß es ſchoͤn ſey, welcherlei die Vorſtellung
ohne Sinneswahrnehmung niemals weder wahr noch falſch
[108] ausſagen moͤchte. In der That thut die Seele ſo im
Traum, weil wir eben zu ſehen glauben, daß der Begeg-
nende ein Menſch und daß er weiß ſey.


Zudem werden wir uns auſſer dem Traumbilde auch eines
Andern bewußt, wie auch im wachenden Zuſtande, wenn
wir etwas ſinnlich wahrnehmen. Denn was wir empfin-
den, daruͤber denken wir auch oft nach. So werden wir
auch im Schlafe außer den Traumbildern zuweilen auch
noch anderer Dinge bewußt. Das wird offenbar, wenn
man beim Aufſtehen auf die Traͤume achtet und ſich ihrer
zu erinnern ſucht. In der That haben manche ſolche Traͤu-
me erfahren, wie die, welche nach den Vorſchriften der
Mnemonik das Vorgekommene topiſch zu ordnen glaub-
ten. Denn oft geſchah dieſen, daß ſie außer dem Traum
auch noch ein anderes Phantaſiebild vor den Augen hatten.


Daraus folgt, daß nicht jedes Geſichtsbild im Schlafe
getraͤumt iſt, und daß, was wir uns ſonſt noch bewußt werden,
wir vorſtellend bewußt werden. Auch iſt offenbar aus allem dem,
daß wodurch wir in den Krankheiten wachend uns irren, daſ-
ſelbe auch im Schlafe die Leidenſchaft ausmache. In der That
uns, die wir wachen und zuſehen, ſcheint doch die Sonne
einen Fuß groß zu ſeyn. Uebrigens mag die Einbildungskraft
(φανταστικὸν) und das Sinnesweſen (αἰσϑητικὸν) eines
oder daſſelbe der Seele ſeyn, auf keinen Fall iſt jene ganz
ohne Sehen und Empfinden. Denn falſch hoͤren und falſch
ſehen iſt deſſen Sache, der wirklich etwas hoͤrt und ſieht,
nicht aber das, was er glaubt. Im Schlafe ſoll aber nach
der Vorausſetzung (das Aeußere) weder gehoͤrt, noch ge-
ſehen, noch irgend etwas (Aeußeres) gefuͤhlt werden. Alſo
daß wir nichts (Beſtimmtes Aeußeres) ſehen, waͤre wahr
und doch waͤre unwahr, daß der Sinn (αἴσϑησις) auf kei-
ne Weiſe afficirt ſey; und ſoll vielmehr das Geſicht und
die anderen Sinne afficirt ſeyn koͤnnen? Deun jeder von
dieſen wirkt ſo gut wie Wachen, wenn auch nicht in der
[109] Art wie im Wachen auf Empfindung. Manchmal ſogar
ſagt die Vorſtellung, daß falſch das Geſehene, wie im
Wachen, manchmal aber wird ſie befangen und folgt
dem Phantasma. Dieß iſt nun offenbar, daß das, was
wir Traͤumen nennen, weder Sache der Vorſtellung
noch des Gedankens iſt, nicht einmal ganz des Sinnes,
denn ſonſt waͤre es hoͤren und ſehen ſchlechthin.


Wie es ſich zu dieſem verhaͤlt, iſt nun zu unterſuchen.
Setzen wir alſo, was auch offenbar iſt, daß der Traum
wie der Schlaf eine Affection des Sinnesweſens (αἰσϑητικὸν)
ſey. Denn keinem Thier koͤmmt eines zu, dem einem das
Schlafen, dem andern das Traͤumen, ſondern beides dem-
ſelben. Da nun von der Einbildungskraft in den Buͤchern
uͤber die Seele Rede war, und das Sinnesweſen (αἰσϑητικὸν)
mit dem Organ der Phantaſie (φανταστικὸν) in der Zahl
eins iſt, wenn auch im Weſen verſchieden, wenn ferner die
Einbildung eine durch die Sinnesenergie entſtandene Be-
wegung, der Traum aber ein Phantaſiebild zu ſeyn ſcheint
(denn das Phantaſiebild des Schlafes nennen wir Traum,
entſtehe es einfach oder mittelbar), ſo iſt offenbar, daß das
Traͤumen Sache des Sinnesweſens (αἰσϑητικὸν) iſt, und
inſofern als auch das Organ der Einbildung (φανταστικὸν)
an dem Sinnesweſen (αἰσϑητικὸν) gemein hat.


II.Kapitel.


Was aber der Traum iſt, und wie er entſteht, wer-
den wir am beſten aus dem, was im Traume geſchieht,
ermitteln. Das Empfindbare erregt uns nach jedem Sin-
nesorgan die Empfindung, und die daraus entſtehende
Leidenſchaft iſt nicht allein in den Sinnesorganen, ſo lange
die Empfindung thaͤtig iſt, ſondern auch, wenn ſie aufhoͤrt.
Hier ſcheint es naͤmlich wie mit der Bewegung zu geſche-
[110] hen. Denn es kann etwas bewegt ſeyn, wenn es nicht
mehr in Beruͤhrung iſt mit den Bewegenden. Das Be-
wegende bewegt naͤmlich einen Theil der Luft, und dieſer
bewegt einen andern, und ſo bewegen ſich bis zur Ruhe
Luft und Waſſer. So muß man ſich dieß auch in der Ver-
aͤnderung denken. Denn das Erwaͤrmte erwaͤrmt das
Naͤchſte und das geht ſo durch, ſo lange ein Anfang iſt.
So muß es auch mit dem Organ des Sinnes ſeyn, weil
die Empfindung als Energie eine Veraͤnderung iſt. Des-
halb iſt die Leidenſchaft nicht allein in den thaͤtigen ſondern
auch in den ruhenden Sinnen, ſowohl in der Tiefe als auf
der Oberflaͤche. Das iſt offenbar, wenn wir etwas anhal-
tend empfinden, wenn wir naͤmlich den Sinn abwenden von
Einem zum Andern, wie von der Sonne zum Dunkeln, ſo
begleitet ihn die Leidenſchaft. Denn nichts ſehen wir dann
wegen der in den Augen dauernden Erregung durch das
Licht. Ebenſo, wenn wir eine Farbe weiß oder gruͤn lange
betrachtet haben, ſo erſcheint alles in dieſen Farben, wohin
wir den Blick wenden. Wenn wir aber in die Sonne oder
in ein anderes Blendendes geſehen, und dann die Augén
ſchließen, ſo erſcheint uns das Bild in der Richtung wir
zuerſt geſehen (in der Sehachſe), und zwar zuerſt in der-
ſelben Farbe, dann wirft es ſich ins Gelbe, darauf ins Pur-
purrothe, bis es zum Schwarzen koͤmmt und verſchwindet.
Auch denen, die von dem Bewegten, wie von den Fluͤſſen
beſonders den ſehr ſchnell fließenden den Blick wenden, ſcheint
das Stehende bewegt zu werden. So wird man ſchwer-
hoͤrig von ſtarkem Schall und riecht ſchlecht nach ſcharfen
Geruͤchen, und ſo mit Aehnlichem. Dieß geſchieht offenbar
auf die angegebene Weiſe. Wie ſchnell aber die Sinnes-
organe auch die kleinen Unterſchiede wahrnehmen, zeigt
ſich an den Spiegeln, was ein Aufmerkſamer unterſuchen
und erwaͤgen mag. Daher iſt auch offenbar, daß, wie das
Sehen ein Leiden, ſo auch ein Thaͤtigſeyn iſt. Denn wenn
[111] die Weiber zur Zeit der Katamenien in den Spiegel ſehen,
iſt die Oberflaͤche des noch ſo reinen Spiegels wie mit einem
blutigen Nebel bedeckt. Iſt es ein neuer Spiegel, ſo iſt es
nicht leicht, den Flecken abzuwiſchen, leicht, wenn er alt
iſt. Die Urſache iſt, wie geſagt, daß das Geſicht von der
Luft nicht allein etwas erleidet, ſondern auch thaͤtig iſt
und die Luft wie das Glaͤnzende erregt. Denn das Ge-
ſicht hat es mit dem Glaͤnzenden und Farbetragenden.
Zur Zeit der Katamenien wurden daher die Augen
wie irgend jeder andere Theil aus guten Gruͤnden affi-
cirt, indem ſie von Natur gefaͤßreich ſind. Der zur
Zeit der Katamenien durch die Erregung und Entzuͤn-
dung des Blutes in den Augen entſtehende Unterſchied
iſt uns zwar nicht erkennbar, er iſt aber da (denn Sa-
me und Katamenien haben einerlei Natur). Von ihnen
wird die Luft bewegt und wirkt auf die mit ihm zuſam-
menhaͤngende Luft des Spiegels und theilt ihr die eigene
Leidenſchaft mit, und die giebt dem Spiegel den Anſchein,
wie dann die reinſten Kleider am ſchnellſten beſchmutzt wer-
den; denn das Reine zeigt aufs genaueſte, was es aufge-
nommen, und am meiſten die kleinſten Bewegungen. So nimmt
das Erz durch das Glattſeyn jede Beruͤhrung am meiſten
wahr. Man muß nun wiſſen, daß die Beruͤhrung des
Erzes eine Reibung iſt und gleichſam ein Abwiſchen, und
die iſt, auch noch ſo gering, wegen der Reinheit erkennbar.
Daß die Flecken nicht leicht aus den neuen Spiegeln aus-
gehen, liegt auch an der Reinheit und Glaͤtte; jene ver-
breiten ſich naͤmlich in die Tiefe und ins Ganze, in die Tiefe
wegen der Reinheit, ins Ganze wegen der Glaͤtte. In
den alten Spiegeln bleiben die Flecken nicht, weil ſie nicht
ſo eindringen, ſondern mehr oberflaͤchlich ſind. Daß dem-
nach von kleinen Unterſchieden die Bewegung entſteht und
ſchnell empfunden wird, und daß das Sinnesorgan der
Farben nicht allein leidet ſondern auch gegenthaͤtig iſt, iſt
[112] hieraus offenbar. Das Geſagte verſinnlicht auch was mit
den Weinen und Salben geſchieht. Denn das den Salben
beigefuͤgte Oel ſaugt ſchnell die Geruͤche der naͤchſten Dinge
auf: und das thut auch der Wein, er ſaugt nicht allein
die Geruͤche der ihm beigefuͤgten und zugemiſchten Dinge,
ſondern auch von dem, was in der Naͤhe des Behaͤltniſſes
gelegen oder gewachſen iſt, ein.


Zu der urſpruͤnglichen Unterſuchung werde nun das
eine vorausgeſetzt, was aus dem Geſagten offenbar iſt,
daß wenn das aͤuſſere Empfindbare (αἰσϑητὸν) abgeht,
das Empfundene (αἴσϑημα) verbleibe. Ferner, daß
wir in den Leidenſchaften leicht in den Empfindungen
irren, Andere in anderen, wie der Furchtſame in der
Furcht, der Liebhaber in der Liebe, ſo daß durch eine
geringe Aehnlichkeit der eine Feinde, der andere den
Geliebten zu ſehen glaubt. Und das tritt ein bei ſo
kleinerer Aehnlichkeit, je leidenſchaftlicher einer iſt. So
irrt man im Eifer und in allen Begierden leicht, um ſo
mehr einer in den Leidenſchaften iſt. Deshalb erſcheinen
auch den Fiebernden zuweilen Thiere auf den Waͤnden, we-
gen einer geringen Aehnlichkeit der mit einander verbun-
denen Lineamente. Und dieß faͤllt manchmal ſo mit den
Krankheiten zuſammen, daß, wenn ſie nicht ſehr fiebern,
ſie den Irrthum erkennen, wenn ſie aber aͤrger erkranken,
ſie ſogar nach den Phantaſiebildern bewegt werden. Die
Urſache davon iſt die, daß das Herrſchende, und das, worin
auch die Phantasmen ſich bilden, nicht mit derſelben Kraft
unterſcheiden. Davon iſt ein Beiſpiel, daß, wenn die Sonne
einen Fuß groß erſcheint, oft irgend ein Anderes der Phan-
taſie entgegen iſt. So ſcheint auch bei uͤber einander ge-
ſchlagenen Fingern ein Einfaches doppelt, aber gleichwohl
ſagen wir nicht, daß es doppelt ſey; denn hoͤher als das
Getaſt ſteht das Geſicht. Wenn das Getaſt allein waͤre,
wuͤrden wir wohl das Eine fuͤr doppelt halten. Die Ur-
[113] ſache des Irrthums iſt die, daß nicht nur, wenn das Em-
pfindbare (ασϑητὸν) ſich bewegt, ſondern auch wenn die
Sinnesenergie (αἴσϑησις) erregt wird, jegliches bewegt
erſcheint; wenn dieſe nur ſo erregt wird, wie von dem
Empfindbaren. So ſcheint den Schiffenden das Ufer be-
wegt, wenn das Geſicht von einem Andern bewegt wird.


III.Kapitel.


Aus dieſem erhellt, daß nicht allein im Wachen die Be-
wegungen, die von den aͤußeren und außer dem Koͤrper ge-
legenen Objecten (αἰσϑηματα) entſtehen, ſondern auch
wenn der Zuſtand, den wir Schlaf nennen, eintritt, und
mehr, noch empfunden werden. Denn am Tage erloͤſchen ſie,
wenn die Sinnesenergieen (αἰσϑήσεις) und der Verſtand
(διανοια) zugleich thaͤtig ſind, und ſie verſchwinden wie
ein kleines Feuer vor einem groͤßern und maͤßiger
Schmerz und Luſt vor groͤßeren. In der Ruhe taugt auch
das Kleine auf. Nachts, bei der Unthaͤtigkeit und dem
Unvermoͤgen der einzelnen Sinne (αἱ κατὰ μόρια αἰςϑή-
σεις), da die Waͤrme von den aͤußeren den inneren Theilen
zuſtroͤmt, werden die Bewegungen nach dem Urſprunge
der Sinne verpflanzt, und wenn die Stoͤrung beſchwichtigt
iſt, offenbar. Man muß ſich nicht anders jede ſolche Be-
wegung denken als wie die kleinen Wirbel, die in den Fluͤſ-
ſen verlaufen, oft auf gleiche Weiſe durch den Drang des
Waſſers in anderen Formen ſich aufloͤſen. Deshalb hat
man nach der Mahlzeit und ſo lang man ganz jung iſt
keine Traͤume. Denn viel Bewegung koͤmmt von der
Waͤrme der Nahrung. Wie nun im Fluͤßigen, wenn es
bewegt iſt, dann kein Bild erſcheint, dann zwar erſcheint,
aber ganz verzogen und ein anderes ſcheint als es iſt, bei
der Ruhe aber klar und rein, ſo auch verſchwinden im
8
[114] Schlafe die Phantasmen und die verbliebenen Bewegungen
bald vor der groͤßern genannten Bewegung, bald aber
auch erſcheinen verzerrte Geſichte und unangenehme Traͤu-
me, wie bei den Melancholiſchen, den Fiebernden und Trun-
kenen. Alle dieſe Leidenſchaften, weil ſie geiſtig ſind, be-
wirken viel Bewegung und Stoͤrung. Sobald aber das
Blut in den Gefaͤßen beruhigt wird und ſich vertheilt, er-
haͤlt ſich die von jeder Sinnesenergie (αἴσϑησις) entſtan-
dene Bewegung des Wahrgenommenen (αἴσϑημα) und macht
angenehme Traͤume und laͤßt etwas erſcheinen, ſichtbar
was von dem Geſicht verpflanzt wird, hoͤrbar, was von
dem Gehoͤr und aͤhnliches von den anderen Sinnesorganen.
Denn dadurch, daß die Bewegung bis zum Urſprung der
Empfindung gelangt, muß geſehen, gehoͤrt, empfun-
den werden. Eben wie das Geſicht manchmal erregt
ſcheint, wenn es nicht iſt, und wie eines als zwei erſcheint
dadurch, daß das Getaſte zwei ankuͤndigt. Denn allemal
vernimmt der Urſprung der Empfindung, was von jeder
Sinnesenergie beigebracht wird, wenn nicht eine andere
maͤchtigere Wirkung entgegen iſt. In jedem Fall erſcheint
es, aber nicht Alles, was erſcheint, wird vernommen, vielmehr
nur dann, wenn das Unterſcheidende nicht angehalten wird
und nicht ſeine eigene Bewegung verfolgt. Wie wir nun
ſagen, daß andere durch andere Leidenſchaft leicht hinter-
gangen werden, ſo iſt es der Schlafende durch den Schlaf und
durch die Bewegung der Sinnesorgane und Anderes, was
durch die Sinnesenergieen (αἴσϑησις) vorgeht, ſo daß ihm das
wenig Aehnliche die Sache ſelbſt ſcheint. Denn da im Schla-
fe das meiſte Blut dem Urſprung (des Sinnesweſens) zu-
geht, ſo gehen auch die Bewegungen, welche in dem Blute
enthalten ſind, dorthin, andere der Moͤglichkeit (potentia)
andere der Wirklichkeit (actu). So zwar, daß von ihnen
die eine zuerſt ſich geltend macht und darauf eine andere.
Dieſe folgen denn ſo auf einander, wie die wiederbelebten
[115] Froͤſche, die in dem Waſſer, wenn es aufgethauet
iſt, aufſteigen. Wie dieſe ſind ſie der Moͤglichkeit nach
ſchon da. Wenn das Hinderniß beſiegt iſt, treten ſie
auch wirklich auf. Und indem ſie in dem wenigen Blute,
welches in den Sinnesorganen uͤbrig, ſich aufloͤſen, tragen ſie
den Schein der erregenden Reize, wie das in den Wolken,
was bald den Menſchen bald den Kentauren gleicht, ſchnell
ſich verwandelnd. Jedwedes von dieſem iſt, wie geſagt,
ein Ueberbleibſel der Wirkung des Wahrgenommenen
(αἴσϑημα). Wenn auch das Object in Wahrheit fehlt,
ſagt man doch richtig, es ſey ein der Perſon (Κοριςκος)
Aehnliches, wenn auch nicht die Perſon (Κοριςκος) ſelbſt.
Wenn aber jenes Herrſchende und Unterſcheidende (τὸ κύριον
καὶ τὸ ἐπικρῖνον) empfindet, nennt es das Empfundene
nicht ein Bild, ſondern verſteht darunter jene wirkliche
Perſon (Κοριςκος). Eben dieſes, welches ſeine Empfindung
ſo auslegt, wird alſo, wenn es nicht von dem Blute in
ſeiner Thaͤtigkeit ganz verhalten wird, von den in den Sin-
nesorganen uͤbrigen Bewegungen erregt. Und das Aehnli-
che ſcheint ihm die Sache ſelbſt. Und ſo groß iſt die Ge-
walt des Schlafes, daß er das verborgen laͤßt. Wie wenn
einem, der das Auge mit dem Finger druͤckt und den Finger
nicht bemerkt, eins doppelt erſcheinet und dafuͤr gehalten
wird, wenn er aber auf die Urſache acht hat, erſcheint es
zwar, wird aber nicht fuͤr doppelt gehalten, ebenſo wird im
Schlafe, wenn einer weiß, daß er ſchlaͤft und die Affection,
worin die Empfindung im Schlafe beſteht, kennt, dieſem
wohl etwas erſcheinen, es ſagt aber etwas in ihm, daß
jenes den Schein der Perſon (Κοριςκος) hat, nicht aber
die Perſon ſelbſt iſt. Denn oft ſagt ein Schlafender zu ſich
ſelbſt, daß die Erſcheinung ein Traum iſt. Wenn er
aber nicht weiß, daß er ſchlaͤft, wird nichts ſeiner Phan-
taſie widerſprechen.


Daß wir aber Wahres ſagen, und daß die phantaſti-
[116] ſchen Bewegungen in den Sinnesorganen ſind, iſt offen-
bar, wenn einer nur verſuchen will, ſich zu erinnern, was
wir erleiden, wenn wir eben aus dem Schlafe aufwachen.
Denn oft wird er beim Erwachen die ihm im Schlafe er-
ſchienenen Bilder als Bewegungen in den Sinnesorganen
ertappen. Manchen der Juͤngeren erſcheinen ſelbſt bei offenen
Augen im Finſtern vielerlei bewegliche Bilder, ſo daß ſie
ſich oft aus Furcht verhuͤllen. Aus Allem dem muß man
ſchlieſſen, daß der Traum irgend eine Sinneserſcheinung
im Schlafe ſey; denn die eben erwaͤhnten Bilder ſind keine
Traͤume mehr, ſo wenig als was ſonſt bei erſchloſſenen
Sinnen erſcheint. Auch iſt nicht Alles im Schlafe ein
Phantaſiebild. Zuerſt naͤmlich geſchieht es Manchen, daß
ſie den Schall, das Licht, einen Geſchmack und eine Be-
ruͤhrung fuͤhlen, freilich nur ſchwach und wie aus der Ferne.
Die naͤmlich im Schlafe das Licht der Lampe ſchwach
zu ſehen glauben, erkennen bald erwachend, daß es das
Licht der Lampe ſelbſt war. Auch die der Haͤhne und
Hunde Geſchrei leiſe hoͤrten, erkennen es deutlich wieder
beim Erwachen. Einige ſogar antworten, wenn ſie gefragt
werden. Denn es kann geſchehen, daß Wachſeyn und
Schlafen, eines und das andere unvollkommen vorhanden iſt.
Und das kann man Alles nicht Traum nennen, auch das
nicht, wenn außer den Phantaſiebildern im Schlafe wahre
Gedanken vorkommen. Vielmehr das Phantasma, welches
durch die von dem Wahrgenommenen (Objecte αἴσϑημα) aus-
gegangene Erregung entſteht, iſt dann ein Traum, wenn
es dem Schlafenden als ſolchem vorkommt. Manchen iſt
es ergangen, daß ſie in ihrem Leben kein Traumbild geſe-
hen. Selten zwar iſt ſo etwas, aber es koͤmmt gleichwohl
vor. Bei einigen iſt dieß ganz und gar ſo, Andern koͤmmt
der Traum mit zunehmendem Alter, die fruͤher kein Traum-
bild geſehen. Die Urſache des Nichttraͤumens muß man
[117] aͤhnlich derjenigen halten, warum man nach dem Eſſen
ſchlafend und in der Kindheit nicht traͤumt. Denn deren Na-
tur ſo beſtellt iſt, daß zu den oberen Theilen viel Verdun-
dunſtung ſtatt findet, die ruͤckkehrend vielerlei Bewegung erre-
gen kann, dieſen erſcheint wohl natuͤrlich kein Traum-
bild. Es hat nichts wider ſich, daß dieſen mit zunehmen-
dem Alter der Traum komme. Denn bei einer Umwandlung
durch Alter oder irgend eine Leidenſchaft muß eine Umkehrung
dieſer Dinge ſtatt finden.

Appendix A

Gedruckt bei C. F. Thormann in Bonn.


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Dieses Werk ist gemeinfrei.


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Kolimo+

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TextGrid Repository (2025). Collection 2. Ueber die phantastischen Gesichtserscheinungen. Ueber die phantastischen Gesichtserscheinungen. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bnq3.0