[][][][][][][[I]]
Deutſche Geſchichte
im Zeitalter der Reformation.


Erſter Band.

Berlin: , 1839.
Bei Duncker und Humblot.

[[II]][[III]]

Vorrede.


Von den erſten Decennien des funfzehnten Jahr-
hunderts bis zum dreißigjährigen Kriege beruhte die
Verfaſſung und der öffentliche Zuſtand von Deutſch-
land auf den periodiſchen Reichstagen und ihren Be-
ſchlüſſen.


Lange war die Zeit vorüber, wo ein allwalten-
der Wille unſre allgemeinen Angelegenheiten leitete:
noch hatte ſich jedoch das politiſche Leben auch nicht,
wie es ſpäter geſchehen iſt, zum größern Theil in
die einzelnen Landſchaften zurückgezogen; die Reichs-
verſammlungen übten wenn gleich nicht vollkommen
feſt beſtimmte, aber noch überaus tief greifende Rechte
einer höchſten Regierung aus. Krieg und Frieden,
Geſetzgebung, aufſehende und ſelbſt executive Ge-
walt, Beſteuerung waren in ihren Händen. Neben
den Abgeordneten der Städte, den Vertretern der
Grafen und Herrn erſchienen noch Kaiſer und Für-
[IV]Vorrede.
ſten in Perſon; ſie zogen noch in der That die wich-
tigſten vaterländiſchen Angelegenheiten, in ihren ver-
ſchiednen Collegien, oder in den gemeinſchaftlichen
Ausſchüſſen, in Berathung und faßten durch Stim-
menmehrheit Beſchluß darüber. Die Einheit der
Nation fand in dieſen Verſammlungen ihren leben-
digen Ausdruck. In den Grenzen des Reiches konnte
nichts Bedeutendes vorkommen was man nicht hier
in Erwägung genommen, nichts Neues ſich erheben
was ſich nicht hier hätte durchſetzen müſſen.


Bei alle dem hat doch die Geſchichte der Reichs-
tage noch nicht die Beachtung gefunden, deren ſie
werth iſt. Bekannt genug ſind die Reichsabſchiede:
aber wer wollte je eine berathende Verſammlung
nach den letzten Ergebniſſen ihrer Beſprechungen
beurtheilen? an eine Zuſammenſtellung und Bear-
beitung der Verhandlungen iſt zuweilen gedacht, ein
und das andre Mal Hand angelegt worden: jedoch
iſt alles höchſt fragmentariſch und unzureichend ge-
blieben.


Wie nun der Menſch natürlicher Weiſe darnach
trachtet, in ſeinem Leben etwas Nützliches zu leiſten,
ſo trug ich mich ſchon lange mit dem Gedanken, ei-
nem ſo wichtigen Gegenſtand einmal Fleiß und Kräfte
zu widmen. Nicht, als hätte ich mir zugetraut, dem
Bedürfniß durchaus genügen, den Stoff nament-
lich in ſeinen mannichfaltigen juridiſchen Beziehun-
gen erſchöpfen zu können: meine Idee war nur, aus
einer wo möglich ununterbrochenen Reihe von Reichs-
tagsacten den Gang und die Entwickelung der Ver-
faſſung näher zu erforſchen.


[V]Vorrede.

Das Glück wollte mir hiebei ſo wohl, daß ich
im Herbſt 1836 eine Sammlung, eben wie ich ſie
brauchte, in dem Stadtarchiv zu Frankfurt a. M. fand
und mit erwünſchter Bequemlichkeit benutzen durfte.


Die Sammlung beſteht aus 96 Foliobänden,
welche die Acten der Reichstage von 1414 bis
1613 umfaſſen. Anfangs iſt ſie nur ſehr unvoll-
ſtändig; allein Schritt für Schritt, ſo wie die
Reichsverfaſſung ſich ſelbſt weiter entwickelte, ge-
winnt ſie an Bedeutung; mit dem Anfang des
16ten Jahrhunderts, von welcher Zeit an ſich über-
haupt das ſchriftliche Verfahren eingeführt hat, wird
ſie an neuen und wichtigen Actenſtücken ſo reich, daß
ſie die Aufmerkſamkeit in hohem Grade feſſelt. Ne-
ben den Actenſtücken finden ſich die Berichte der
Abgeordneten, der Rathsfreunde, die in der Regel
durch Treuherzigkeit anziehen und oft durch Einſicht
überraſchen. Ich nahm Gelegenheit, mir den In-
halt der erſten 64 dieſer Bände, die bis zum Jahr
1551 reichen, zu eigen zu machen. Eine Samm-
lung kaiſerlicher Schreiben bot mir noch hie und da
willkommene Ergänzungen dar.


Doch durfte ich dabei nicht ſtehen bleiben. Ei-
ner Stadt wurde doch nicht alles bekannt. Es leuch-
tet von ſelbſt ein, daß man die Arbeiten des chur-
fürſtlichen und des fürſtlichen Collegiums nicht in
einer ſtädtiſchen Sammlung ſuchen darf.


Im Anfang des Jahres 1837 erhielt ich die
Erlaubniß, das Königl. Preußiſche Geheime Staats-
archiv zu Berlin, im April deſſelben Jahres, das
Königl. Sächſiſche Hauptſtaatsarchiv zu Dresden für
[VI]Vorrede.
die Reichsangelegenheiten in den Zeiten Maximi-
lians I und Carls V zu benutzen. Das erſte war
mir als eine churfürſtliche, das zweite als eine bis
gegen Ende der Epoche fürſtliche Sammlung von
hohem Werth. Ich ſtieß nun wohl auf viele mir
ſchon in Frankfurt vorgekommenen Actenſtücke: aber
zugleich auf eine große Anzahl neuer, die den Ge-
ſichtskreis nach andern noch dunkeln Seiten hin er-
weiterten. Vollſtändig iſt von dieſen Sammlun-
gen freilich keine: und manche Frage die man ſich
aufwirft, bleibt unerledigt; allein höchſt ergiebig
ſind ſie doch: auf die Thätigkeit ſo einflußreicher
Fürſten, wie Joachim II von Brandenburg beſon-
ders Moritz von Sachſen waren, fällt ein neues
Licht. Man bedaure den nicht, der ſich mit dieſen
anſcheinend trocknen Studien beſchäftigt, und dar-
über den Genuß manches heitern Tages verſäumt.
Es iſt wahr, es ſind todte Papiere, aber ſie ſind
ein Reſiduum des Lebens, deſſen Anſchauung dem
Geiſte nach und nach aus ihnen emporſteigt. Für
mich — in einem Vorwort hat man nun einmal
die Pflicht die man ſonſt vielleicht lieber vermiede
von ſich zu ſprechen — boten ſie noch ein beſondres
Intereſſe dar.


Als ich den erſten Theil meiner Geſchichte der
Päpſte ſchrieb, faßte ich mich über den Urſprung
und Fortgang der Reformation abſichtlich ſo kurz
wie es die Sache nur immer zuließ: ich hegte die
Hofnung dieſem unſern wichtigſten vaterländiſchen
Ereigniß noch einmal tiefer gehende Forſchungen wid-
men zu können.


[VII]Vorrede.

Das war mir nun hier reichlich gewährt. Von
dem Neuen, was ich fand, bezog ſich das Meiſte
entweder unmittelbar oder doch mittelbar auf die
Reformations-Epoche. Über die Zuſtände durch
welche die religiös-politiſche Bewegung jener Zeit
vorbereitet, die Momente unſres nationalen Lebens
durch welche ſie befördert ward, den Urſprung und
die Wirkung des Widerſtandes auf welchen ſie ſtieß,
ergab ſich mir bei jedem Schritte neue Belehrung.
Man kann ſich einer Begebenheit von einem ſo in-
tenſiven geiſtigen Inhalt und einer zugleich äußer-
lich ſo weltbeherrſchenden Bedeutung nicht nähern,
ohne von ihr durch und durch ergriffen, feſtgehalten zu
werden. Ich fühlte wohl, daß wenn ich meine Ar-
beit ausführen ein Buch daraus machen wollte, die
Reformation den Mittelpunct derſelben bilden würde.


Dazu aber war mir noch eine genauere Kunde
der in dem evangeliſchen Theile vorgegangenen Ent-
wickelung beſonders in politiſcher Beziehung nothwen-
dig, als ſie ſich aus gedruckten Nachrichten entnehmen
läßt. Das gemeinſchaftliche Archiv des ſächſiſch-erne-
ſtiniſchen Hauſes zu Weimar welches ich im Auguſt
1837 beſuchte, bot mir dar was ich wünſchte. Es
kann für die bezeichnete Epoche, in der dieſes Haus
eine ſo große Rolle ſpielte, auch kein inhaltreiche-
res Local geben, als das Gewölbe, in welchem das
Archiv deſſelben aufbewahrt wird. Wände und innere
Räume ſind von den Actenconvoluten eingenommen,
welche ſich auf die damaligen Thätigkeiten und Ver-
hältniſſe beziehen. Man hat hier jeden eingegan-
genen Zettel, jeden Entwurf einer Antwort aufbe-
[VIII]Vorrede.
wahrt. Die Correſpondenz zwiſchen Churfürſt Jo-
hann Friedrich und Landgraf Philipp von Heſſen
allein würde eine Reihe von Bänden anfüllen, wenn
man ſie publiciren wollte. Ich ſuchte mich vor al-
lem der beiden Regiſtranden zu bemächtigen, welche
die Angelegenheiten des Reiches und des ſchmalkal-
diſchen Bündniſſes umfaſſen. Auch für jene fand
ich, wie ſich das bei der Natur des Gegenſtandes
nicht anders erwarten läßt, viele höchſt willkommene
Erläuterungen; für dieſe aber ſchöpfte ich hier die
erſte der Wißbegier wie ich wenigſtens hoffe eini-
germaaßen genugthuende Kenntniß.


Für die freiſinnige und oft nicht müheloſe För-
derung, die ich bei allen dieſe Archive beaufſichti-
genden Behörden gefunden, fühle ich mich verpflich-
tet, öffentlich meinen Dank auszuſprechen. Wie um
vieles leichter iſt auch in dieſen Beziehungen Leben
und Studium geworden als ehedem!


Und nun kam mir wohl die Idee, noch eine
weitere Wanderung durch die deutſchen Archive
zu unternehmen. Ich begab mich noch nach dem
Communal-archive des Hauſes Anhalt zu Deſ-
ſau, welches Haus in jener Epoche dem ſächſi-
ſchen mit verwandter Geſinnung und Thätigkeit zur
Seite ſtand; allein gleich hier ſah ich, daß ich
mich leicht mit zu viel localem Stoff beladen könne.
Ich erinnerte mich, wie manches andre Archiv von
dem Fleiße deutſcher Gelehrten eben für dieſe Zeit
bereits durchſucht und benutzt worden iſt. Aus dem
öſtreichiſchen findet ſich in dem Werke von Bucholtz
über Ferdinand I ein überaus ergiebiger Schatz wich-
[IX]Vorrede.
tiger, dort nur zu wenig verarbeiteter Mittheilungen.
Aus dem bairiſchen ſind die unterrichtenden Schrif-
ten von Stumpf und von Winter gefloſſen. Das
wirtenbergiſche Archiv iſt ſchon früher von Sattler,
das heſſiſche neuerdings von Rommel und Neudecker
durchforſcht worden. Für die mehr kirchliche Seite
iſt in den Sammlungen von Walch und den neuern
Ausgaben der Briefe Luthers von de Wette und
beſonders Melanchthons von Bretſchneider ein rei-
cher urkundlicher Stoff vorhanden. Für einzelne
Reichstage hat man die Briefe der ſtraßburgiſchen
oder der nürnbergiſchen Abgeordneten bekannt ge-
macht; wer weiß nicht, wie viel über den Augs-
burger Reichstag von 1530 von jeher gearbeitet, noch
zuletzt von Förſtemann zuſammengebracht worden
iſt. Auch für die auswärtigen Verhältniſſe eröffnen
einige ältere und neuere Publicationen, beſonders von
Italien und England her, die Möglichkeit einer gründ-
lichen und genügenden Erörterung. Ich ſehe die Zeit
kommen, wo wir die neuere Geſchichte nicht mehr
auf die Berichte ſelbſt nicht der gleichzeitigen Hiſto-
riker, außer in ſo weit ihnen eine originale Kennt-
niß beiwohnte, geſchweige denn auf die weiter ab-
geleiteten Bearbeitungen, zu gründen haben, ſondern
aus den Relationen der Augenzeugen und den äch-
teſten unmittelbarſten Urkunden aufbauen werden.
Für die hier behandelte Epoche iſt dieſe Ausſicht ſchon
nicht mehr ferne. Mir ſelbſt kamen noch eine An-
zahl Actenſtücke zu Gute, die ich bei einem frühern
Unternehmen in den Archiven zu Wien, Venedig,
Rom und beſonders Florenz gefunden. Hätte ich
*
[X]Vorrede.
das Detail weiter vermehren wollen, ſo hätte ich
fürchten müſſen, es nicht mehr überſehen, oder auch
in der Länge der Zeit die Einheit des Gedankens
nicht feſthalten zu können, der ſich mir aus den bis-
herigen Studien erhoben hatte.


Und ſo ſchritt ich muthig an die Ausarbeitung
dieſes Werkes: überzeugt, daß wenn man nur mit
ernſtem und wahrheitbefliſſenem Sinne in den äch-
ten Denkmalen einigermaaßen umfaſſende Forſchun-
gen angeſtellt hat, ſpätere Entdeckungen zwar wohl
das Einzelne näher beſtimmen werden, aber die
Grundwahrnehmungen doch zuletzt beſtätigen müſ-
ſen. Denn die Wahrheit kann nur Eine ſeyn.


[[XI]]

Inhalt.


  • Seite
  • Einleitung. Anſicht der fruͤheren deutſchen Ge-
    ſchichte
    1
  • Carolingiſche Zeiten 7
  • Saͤchſiſche und fraͤnkiſche Kaiſer 17
  • Emancipation des Papſtthums 28
  • Verhaͤltniß des Papſtthums zu dem Fuͤrſtenthum 35
  • Beginnende Oppoſition 44
  • Idee des ſpaͤtern Kaiſerthums 50
  • Lage der Dinge um die Mitte des funfzehnten Jahr-
    hunderts 62
  • Erſtes Buch. Verſuche dem Reiche eine beſſere
    Verfaſſung zu geben
    . 1486—1517 79
  • Grundlegung einer neuen Verfaſſung 84
  • Friedrich III 94.
    Reichstag zu Worms 1495 103
  • Schwierigkeiten. Reichstag von Lindau 1496 117
  • Reichstag zu Worms und zu Freiburg 1497. 1498 127
  • Kriegsereigniſſe 136
  • Reichstag zu Augsburg 1500 und deſſen Folgen 140
  • Erhebung Maximilians. Bairiſche Irrungen. Reichs-
    tage zu Coͤlln und zu Coſtnitz 1505 und 1507 153
  • Venezianiſcher Krieg. Reichstag zu Worms 1509 178
  • Reichstage zu Augsburg 1510, zu Trier und Coͤlln
    1512 190
  • Innere Gaͤhrung 200
  • Reichstage zu Worms und zu Mainz 1513.
    1517. 218.
  • Seite
  • Zweites Buch. Anfaͤnge Luthers und Carls des
    Fuͤnften
    . 1517—1521 223
  • Erſtes Capitel. Urſprung der religioͤſen Oppo-
    ſition
    225
  • Religioͤſe Stellung des Papſtthums 233
  • Oppoſition von weltlicher Seite 247
  • Tendenzen der populaͤren Literatur 256
  • Bewegungen in der gelehrten Literatur 261
  • Erasmus 264. Reuchlin 273.
    Bewegungen in der Theologie. Anfaͤnge Luthers 284
  • Zweites Capitel. Uͤbergang des Kaiſerthums
    von Maximilian auf Carl
    V323
  • Reichstag zu Augsburg 1518 323
  • Gegenſeitige Verhaͤltniſſe der deutſchen Fuͤrſten 333
  • Maximilian 351.
    Kaiſerwahl von 1519 359
  • Drittes Capitel. Erſter Abfall vom Pa[p]ſtthum.
    1519, 20 383
  • Cajetan und Miltitz 383
  • Ankunft Melanchthons 391
  • Disputation zu Leipzig 396
  • Fortgang der theologiſchen Oppoſition 409
  • Theilnahme Huttens 415
  • Bulle Leos X423
  • Momente des Abfalls 434
  • Viertes Capitel. Reichstag zu Worms im Jahr
    1521 448
  • Weltliche und innere Verhaͤltniſſe 451
  • Auswaͤrtige Verhaͤltniſſe und die Sache Luthers 465
[[1]]

Einleitung.
Anſicht der früheren deutſchen Geſchichte.


Ranke d. Geſch. I. 1
[[2]][[3]]

In Schule und Literatur mag man kirchliche und politi-
ſche Geſchichte von einander ſondern: in dem lebendigen
Daſeyn ſind ſie jeden Augenblick verbunden und durchdrin-
gen einander.


Wie es überhaupt keine menſchliche Thätigkeit von
wahrhafter, geiſtiger Bedeutung geben wird, die nicht in
einer tieferen mehr oder minder bewußten Beziehung zu
Gott und göttlichen Dingen ihren Urſprung hätte, ſo läßt
ſich eine große, des Namens würdige Nation gar nicht
denken, deren politiſches Leben nicht unaufhörlich von re-
ligiöſen Ideen erhoben und geleitet würde, welche ſie dann
weiter auszubilden, zu einem allgemein gültigen Ausdruck
und einer öffentlichen Darſtellung zu bringen hat.


Nicht zu läugnen iſt es, daß die Nationen hiedurch in
einen gewiſſen Widerſtreit in ſich ſelbſt gerathen. Die Natio-
nalität bewegt ſich innerhalb ihrer natürlichen, ſchon durch
die Selbſtändigkeit der Nachbarn feſtgeſetzten Schranken:
die Religion, ſeit einmal diejenige in der Welt erſchienen
iſt, die den Anſpruch und das Recht dazu hat, ſtrebt ewig
1*
[4]Einleitung.
die allgemeine zu ſeyn. In wie fern der Staat zu grün-
den iſt, macht ſich ein eigenthümliches Prinzip geltend, eben-
falls geiſtiger Natur, das auch ſeine innere Nothwendigkeit
hat, in beſtimmten Formen ſich ausſpricht, beſondere Bil-
dungen hervortreibt; ſobald eine Kirche mit ihren weiter
reichenden, verſchiedne Völker umfaſſenden Formen entſtan-
den iſt, giebt ſie ſich nur allzu leicht dem Beſtreben hin,
den Staat in ſich aufgehen zu laſſen, deſſen Prinzip ſich
zu unterwerfen: ſelten erkennt ſie die urſprüngliche Berech-
tigung deſſelben an. Endlich erſcheint die allgemeine Reli-
gion, nachdem ſie zuerſt in das Bewußtſeyn des menſchli-
chen Geſchlechtes getreten iſt, als eine große von Volk zu
Volk fortſchreitende Überlieferung, mitgetheilt in feſten Lehr-
ſätzen: aber die Nationen können es ſich nicht nehmen laſ-
ſen, die Fähigkeit und den Inhalt des ihnen urſprünglich
eingepflanzten Geiſtes prüfend daran zu verſuchen; in allen
Jahrhunderten ſehen wir deshalb Verſchiedenheiten der Auf-
faſſung entſtehen, die das Staatsleben wieder in vielfachen
Rückwirkungen berühren.


Aus der Natur dieſes Widerſtreites geht nun aber
auch hervor, welch ein großes Moment für alles menſch-
liche Daſeyn darin liegt. Die religiöſe Wahrheit muß eine
lebendige Repräſentation haben, um den Staat in fortwäh-
render Erinnerung an den Urſprung und das Ziel des ir-
diſchen Lebens, an das Recht ſeiner Nachbarn und die
Verwandtſchaft aller Nationen zu erhalten; er würde ſonſt
in Gefahr ſeyn, in Gewaltherrſchaft auszuarten, in einſeiti-
gen Bildungen des Fremdenhaſſes zu erſtarren. Die Freiheit
der nationalen Entwickelung dagegen iſt ſelbſt für die religiöſe
[5]Einleitung.
Doctrin nothwendig; ſie würde ſonſt nicht wahrhaft be-
griffen, innerlich angenommen werden: ohne ein immer wie-
derholtes Bezweifeln und Ueberzeugtwerden, Bej[a]hen, Ver-
neinen, Suchen und Finden würde kein Irrthum zu heben,
kein tieferes Verſtändniß zu erreichen ſeyn. Und ſo kann auch
die Kirche eine unabhängige politiſche Bewegung nicht ent-
behren; ſie bedarf es, an die wechſelnden Bedürfniſſe der Gei-
ſter, die Wandelbarkeit ihrer eigenen Formen erinnert zu
werden, um ſich vor der dumpfen Wiederholung unbegrif-
fener Lehren und Dienſte zu bewahren, welche die Seele
tödten.


Man hat geſagt: der Staat ſey ſchon die Kirche oder
die Kirche hat ſich berechtigt geglaubt, an die Stelle des
Staates zu treten: die Wahrheit iſt, daß das geiſtige Leben
— in ſeiner Tiefe und Energie allerdings ſich ſelber gleich,
ein und daſſelbe — doch in dieſen beiden Prinzipien ſich
äußert, die ſich in den mannichfaltigſten Abwandlungen be-
rühren, einander zu durchdringen, auszuſchließen ſuchen,
und doch niemals zuſammenfallen, niemals eines das andre
zu überwältigen vermögen. Wenigſtens iſt es in unſern
abendländiſchen Nationen nie dahin gekommen. Das Cha-
lifat mag kirchliche und politiſche Gewalt in Einer Hand
vereinigen; das Leben der abendländiſchen Chriſtenheit be-
ruht dagegen auf der unaufhörlichen Wechſelwirkung zwi-
ſchen Kirche und Staat; daraus entſpringt die immer freiere,
umfaſſendere, tiefere Bewegung des Geiſtes, die ihr, im
Ganzen und Großen angeſchaut, zugeſchrieben werden muß;
in dem wechſelſeitigen Verhältniß derſelben iſt die jedesma-
lige Geſtalt des Gemeinweſens gegründet.


[6]Einleitung.

Daher kommt es eben, daß die kirchliche Geſchichte
nicht ohne die politiſche, dieſe nicht ohne jene zu verſtehn
iſt. Erſt die Combination von beiden läßt die eine und
die andre in ihrem wahren Lichte erſcheinen und vermag
vielleicht zur Ahndung des tieferen Lebens zu führen, aus
dem ſie beide hervorgehn.


Iſt das nun bei allen Nationen der Fall, ſo liegt
es doch beſonders bei der deutſchen am Tage, welche ſich
wohl von allen am anhaltendſten und ſelbſtändigſten mit
kirchlichen und religiöſen Dingen beſchäftigt hat. Die Er-
eigniſſe eines Jahrtauſends gehen in den Gegenſätzen zwi-
ſchen Kaiſerthum und Papſtthum, zwiſchen Katholicismus
und Proteſtantismus auf; wir in unſern Tagen ſtehen
mitten in beiden.


Ich habe die Abſicht, die Geſchichte einer Epoche
zu erzählen, in welcher die religiös-politiſche Lebensthätig-
keit der deutſchen Nation in ihren kraftvollſten und pro-
ductivſten Trieben ſtand. Ich verberge mir nicht die ganze
Schwierigkeit dieſes Unternehmens, doch will ich mich
daran wagen, es ſo weit bringen, als Gott mir verleihen
wird. Ich verſuche es zunächſt, mir den Weg durch ei-
nen Rückblick auf die früheren Zeiten zu bahnen.


[7]Carolingiſche Zeiten.

Carolingiſche Zeiten.


Es war einer der größten Momente der Weltgeſchich[te]
als im Anfang des 8ten Jahrhunderts von der Einen Seite
her der Mahumetanismus nach Italien und Gallien, von
der anderen das altſächſiſche und frieſiſche Heidenthum noch
einmal über den Rhein vordrang, in dieſer Gefahr der
chriſtlichen Inſtitutionen aber ſich ein germaniſcher junger
Fürſt, Carl Martell zum Vorkämpfer derſelben erhob, ſie
mit alle der Anſtrengung, zu welcher die Nothwendigkeit
der eignen Vertheidigung aufruft, behauptete, und darnach
aufs neue ausbreitete. Denn da der Inhaber der einzigen
Gewalt die ſich in den romaniſchen Nationen noch be-
hauptete, der Papſt zu Rom, ſich an dieſen Fürſten und
ſeine Nachfolger anſchloß, von ihnen Hülfe empfieng, und
ihnen dagegen Begünſtigungen der geiſtlichen Autorität zu
Theil werden ließ, ſo bildete ſich von dieſem Augenblick
an der kriegeriſch-prieſterliche Staat aus, welcher die Grund-
lage aller europäiſchen Entwickelung iſt. Eroberung und
Chriſtianiſirung giengen ſeitdem Hand in Hand. „Als die
Herrſchaft des ruhmreichen Carl,“ ſagt die Lebensbeſchrei-
bung des Bonifacius, „über die Frieſen befeſtigt war, ſo
erſcholl auch die Drommete des göttlichen Wortes.“ Man
könnte nicht ſagen, ob die fränkiſche Herrſchaft mehr dazu
beitrug, die Heſſen und Thüringer zu bekehren, oder das
Chriſtenthum mehr, dieſe Völker dem fränkiſchen Reiche
einzuverleiben. Der Krieg Carls des Großen wider die
Sachſen war zugleich ein Religionskrieg. Carl eröffnete
[8]Einleitung.
ihn mit einem Angriff auf das altſächſiſche Heiligthum der
Irminſul; die Sachſen antworteten mit der Zerſtörung der
Kirche in Fritzlar. Mit Heiligenreliquien zog Carl in die
Feldſchlacht: Miſſionarien begleiteten die Abtheilungen ſeines
Heeres: ſeine Siege wurden mit Errichtung von Bisthü-
mern gefeiert: die Taufe beſiegelte die Unterwerfung: Rück-
fall in das Heidenthum war zugleich ein Staatsverbrechen.
In der Kaiſerkrönung des alten Siegers liegt eine Vollen-
dung aller dieſer Ereigniſſe. Ein Germane trat im natür-
lichen Laufe der Dinge mit geordneter geſetzmäßiger Ge-
walt an die Stelle der Cäſaren, an die Spitze eines gro-
ßen Theiles der romaniſchen Welt: er nahm dem römi-
ſchen Oberprieſter zur Seite auch für die geiſtlichen Ange-
legenheiten eine erhabene Stellung ein; eine fränkiſche Sy-
node hat ihn als den „Regenten der wahren Religion“ be-
grüßt. Sein ganzer Staat empfieng nun eine durchaus
geiſtlich-weltliche Farbe und Form. Wie Kaiſer und Papſt,
ſo ſollten Biſchof und Graf vereinigt ſeyn. Die Archidia-
conate, in welche die Bisthümer eingetheilt waren, fielen
mit den Gauen wenn nicht allenthalben, doch in der Re-
gel zuſammen. Wie die Grafſchaften in Centen, ſo waren
die Archidiaconate in Decanate eingetheilt; ihre Sitze ſind
verſchieden; in Hinſicht der Sprengel dagegen zeigt ſich eine
auffallende Uebereinſtimmung. 1 Nach der Abſicht des
Meiſters und Herrſchers ſollte nicht allein die weltliche
Gewalt der geiſtlichen ihren Arm leihen, ſondern auch die
geiſtliche mit ihrer Excommunication der weltlichen zu Hülfe
kommen. Das große Reich gemahnt uns wie eine mäch-
[9]Carolingiſche Zeiten.
tige Schonung in der Mitte der kriegerfüllten zerſtörungs-
begierigen Welt, wo ein eiſerner Wille den Kräften die
ſich ſonſt anfeinden und unter einander aufreiben würden,
Ruhe gebietet und die Keime einer gebildeten Zukunft pflegt
und beſchützt; ſo iſt es auch auf allen Seiten umwallt mit
unüberwindlichen Marken.


Nicht immer aber konnte es eine ſo gewaltige, gebie-
tende Perſönlichkeit geben, und für die Entwickelung der
Welt, die Carl der Große gegründet, kam nun alles dar-
auf an, wie die Elemente aus denen ſie zuſammengeſetzt
war, ſich gegen einander verhalten, ſich verſchmelzen oder
abſtoßen, ſich vertragen oder bekämpfen würden. Denn
nur aus der freien Bewegung der inneren Triebe wird das
Leben geboren.


Da konnte es aber wohl nicht anders ſeyn, als daß
der Clerus zuerſt ſeine Kräfte fühlte. Er bildete eine auch
von dem Kaiſer unabhängig geſchloſſene Genoſſenſchaft, ent-
ſprungen und ausgebildet in den romaniſchen Nationen,
ihr eigenthümlichſtes Product in dem letzten Jahrhundert,
nunmehr auch über die germaniſchen ausgebreitet, wo er
durch das Mittel einer gemeinſchaftlichen Sprache, immer
neue Proſelyten machte, immer feſteren Boden gewann.


Schon unter Carl dem Großen finden wir das geiſt-
liche Element ſich mächtig regen. Es iſt eins der merk-
würdigſten unter ſeinen Capitularien, 1 worin er ſeine Ver-
wunderung ausdrückt, daß ſeine geiſtlichen und ſeine welt-
[10]Einleitung.
lichen Beamten einander ſo oft zuwider handeln, ſtatt ſich
zu unterſtützen wie ihre Pflicht wäre. Er verhehlt darin
nicht, daß es hauptſächlich die Geiſtlichen ſind, die ihre
Befugniſſe überſchreiten; er legt ihnen ſchon jene mit Ta-
del und Unwillen durchdrungenen Fragen vor, die ſpäter ſo
oft wiederholt worden ſind, z. B. in wie fern es ihnen
zukomme, ſich in rein-weltliche Angelegenheiten zu miſchen:
ſie ſollen erklären, was es bedeute: die Welt verlaſſen;
ob man dabei doch noch ſich mit zahlreichem Gefolge um-
geben, die Unwiſſenden zur Abtretung ihrer Güter, zur
Enterbung ihrer Kinder bereden dürfe, ob es nicht beſſer
ſey, gute Sitten zu pflegen, als ſchöne Kirchen zu bauen,
und was dem mehr iſt.


Sehr bald aber entwickelte der Clerus noch um vie-
les weiter reichende Tendenzen.


Wir brauchen hier nicht zu unterſuchen, ob die pſeudo-
iſidoriſchen Decretalen noch unter Carl dem Großen 1 oder
etwas ſpäter, in der fränkiſchen Kirche oder in Italien er-
funden worden ſind: auf jeden Fall gehören ſie dieſer
Epoche, einem ſehr weit verbreiteten Beſtreben an, und
bilden einen großen Moment in ihrer Geſchichte. Man
beabſichtigte damit, die bisherige Kirchenverfaſſung, die
noch weſentlich auf der Metropolitangewalt beruhte, zu ſpren-
gen, die geſammte Kirche dem römiſchen Papſt unmittel-
bar zu unterwerfen, eine Einheit der geiſtlichen Gewalt zu
gründen, durch die ſie ſich nothwendig von der weltlichen
[11]Carolingiſche Zeiten.
Macht emancipiren mußte. Damit wagte man gleich da-
mals hervorzutreten. Eine Reihe von Namen alter Päpſte
mußte dienen, um erdichtete Documente daran zu knüpfen,
denen man geſetzliches Anſehen beimaß.


Und was ließ ſich nicht alles in dieſer Zeit tiefer hiſto-
riſcher Unwiſſenheit, in welche die vergangenen Jahrhun-
derte nur in wahnumgebenem Halbdunkel reflectirten, und
unter Fürſten erreichen wie die Nachfolger Carls des Großen
waren, deren Geiſt durch die religiöſen Einflüſſe nicht geho-
ben und gereinigt, ſondern unterdrückt wurde, ſo daß ſie die
ſpirituelle und die weltliche Seite der clericaliſchen Thätig-
keit nicht mehr unterſcheiden konnten.


Man darf es wohl nicht in Abrede ſtellen, daß die
Thronfolgeordnung welche Ludwig der Fromme, ohne auf
die Warnungen ſeiner Getreuen zu hören, im Widerſpruch
mit allen germaniſchen Ideen, im J. 817 feſtſetzte,
hauptſächlich unter dem Einfluß der Geiſtlichen getroffen
ward. 1 Es ſollten, wie Agobardus ſagt, nicht drei Reiche
entſtehen: ein einziges ſollte es bleiben. Die Theilung des
Reiches ſchien die Einheit der Kirche zu gefährden. Wie
es hauptſächlich geiſtliche Motive ſind, welche der Kaiſer
anführt, ſo wurden die getroffenen Anordnungen mit allem
Pomp religiöſer Ceremonie bekräftigt: mit Meſſen, Faſten,
Vertheilung von Almoſen: Jedermann beſchwur ſie: man
hielt dafür Gott habe ſie eingegeben.


Und nun hätte Niemand ſich beikommen laſſen dürfen
davon abzuweichen: ſelbſt der Kaiſer nicht.


Wenigſtens ſchlug es ihm zu großem Unheil aus, als
[12]Einleitung.
er aus Liebe zu einem ſpäter geborenen Sohn das doch ver-
ſuchte. Die aufgebrachte Geiſtlichkeit verband ſich mit ſei-
nen älteren, über die Art und Weiſe der Reichsverwaltung
ohnehin mißvergnügten Söhnen: der Oberprieſter kam in
Perſon von Rom herbei und erklärte ſich zu ihren Gun-
ſten: ein allgemeiner Abfall erfolgte. Ja dieſe erſte Macht-
entwickelung genügte der Geiſtlichkeit noch nicht einmal.
Um ihrer Sache für immer gewiß zu ſeyn, vereinigte ſie
ſich zu dem verwegenen Unternehmen, den geborenen und
geſalbten Kaiſer, dem ſie jetzt nicht mehr traute, ſeiner ge-
heiligten Würde, die er ihr wenigſtens nicht verdankte, zu
entſetzen, und dieſelbe auf den im J. 817 beſtimmten Thron-
folger, den natürlichen Repräſentanten der Einheit des Rei-
ches unmittelbar zu übertragen. Wenn es unläugbar iſt,
daß die geiſtliche Macht im achten Jahrhundert zur Grün-
dung des Gehorſams im Reiche vieles beigetragen hatte,
ſo ſchritt ſie in dem neunten auf das raſcheſte dazu, die
Herrſchaft ſelbſt in die Hände zu nehmen. Schon in der
Capitularienſammlung des Benedictus Levita wird es als
einer der oberſten Grundſätze betrachtet, daß keine Conſti-
tution der Welt gegen die Beſchlüſſe der römiſchen Päpſte
Gültigkeit habe; bei einem und dem anderen Kanon wer-
den die Könige, die dagegen handeln ſollten, mit göttli-
chen Strafen bedroht. 1 Die Monarchie Carls des Gro-
[13]Carolingiſche Zeiten.
ßen ſchien ſich in einen geiſtlichen Staat umwandeln zu
wollen.


Ich fürchte nicht zu irren, wenn ich behaupte, daß
es beſonders die Deutſchen waren, welche dieſer Entwicke-
lung entgegentraten; ja daß ihr nationales Bewußtſeyn eben
an dieſem Widerſtande erwachte.


Denn von einer deutſchen Nation im vollen Sinne
des Wortes kann man in den früheren Epochen eigentlich
nicht reden. In den älteſten Zeiten hatten die verſchiede-
nen Stämme gar nicht einmal einen gemeinſchaftlichen Na-
men, an dem ſie ſich erkannt hätten; in den Zeiten der
Völkerwanderung ſchlagen ſie ſich mit ſo voller Feindſelig-
keit unter einander wie mit Fremden, verbinden ſich mit
denſelben ſo gut wie mit ihren Stammesgenoſſen; unter
den merowingiſchen Königen kam dann die religiöſe Feind-
ſeligkeit hinzu; dem fränkiſchen Chriſtenthum gegenüber hiel-
ten die Sachſen um ſo ſtarrer an ihrer Verfaſſung und an
ihren alten Göttern feſt. Erſt als Carl der Große alle
germaniſchen Stämme, außerhalb Englands und Scandina-
viens, in einen und denſelben geiſtlichen und weltlichen Ge-
horſam vereinigt hatte, fieng die Nation an, ſich zu bilden;
da erſt, im Anfang des neunten Jahrhunderts, erſchien im
Gegenſatz gegen die romaniſchen Beſtandtheile des Reiches
der deutſche Name. 1


Da iſt es nun ewig merkwürdig, daß die erſte Hand-
lung in der die Deutſchen vereinigt erſcheinen, der Wider-
[14]Einleitung.
ſtand gegen jenen Verſuch der Geiſtlichkeit iſt, den Kaiſer
und Herrn abzuſetzen.


Aus ihrer Vergangenheit, dem Stammesleben, worin
ſie ſich früher bewegt, waren ihnen andere Begriffe von
der Rechtmäßigkeit eines Fürſten übrig geblieben, als
daß ſie dieſelbe von einer angeblichen Eingebung Gottes,
d. i. von dem Ausſpruch der geiſtlichen Gewalt abgeleitet
hätten. Ludwig dem Frommen, der ſich namentlich um
die ſächſiſchen Großen beſondere Verdienſte erworben, wa-
ren ſie ohnehin zugethan; leicht war ihr Widerwille gegen
jene Abſetzung anzufachen; auf den Ruf Ludwigs des Deut-
ſchen, der bei ihnen in Baiern Hof hielt, verſammelten
ſich auch die übrigen Stämme, Sachſen, Schwaben und
die Franken dieſſeit der Carbonaria unter ſeine Fahnen:
zum erſten Mal waren ſie in Einer großen Abſicht verei-
nigt. Da ihnen von dem ſüdlichen Frankreich her eine ana-
loge, wiewohl bei weitem ſchwächere Bewegung zu Hülfe
kam, ſo ſahen ſich die Biſchöfe gar bald gezwungen, den
Kaiſer von ſeiner Buße loszuſprechen, ihn wieder als ihren
Herrn anzuerkennen. Die erſte hiſtoriſche Handlung der
vereinigten Nation iſt dieſe Erhebung zu Gunſten des an-
gebornen Fürſten gegen die geiſtliche Macht. Auch war
ſie jetzt nicht mehr geneigt, ſich jene Abweichung von ihrem
Erbrecht, die Thronfolge eines Einzigen über die ganze Mo-
narchie gefallen zu laſſen. Als nach dem Tode Ludwigs
des Frommen Lothar, allem was vorangegangen zum Trotz,
den Verſuch machte das geſammte Reich anzutreten, fand
er in den Deutſchen anfangs zweifelhaften, aber jeden Au-
genblick wachſenden und endlich ſiegreichen Widerſtand.
[15]Carolingiſche Zeiten.
Sie brachten ſeinen Truppen die erſte bedeutende Niederlage
bei, auf dem Rieß, durch welche die Abſonderung Deutſch-
lands von der großen Monarchie begründet ward. 1 Lo-
thar trotzte auf ſeine von der Geiſtlichkeit anerkannten An-
ſprüche; die Deutſchen, mit den Südfranzoſen vereinigt,
forderten ihn auf ſich dem Gottesurtheil einer Feldſchlacht
zu unterwerfen. Da trennte ſich der große Heerbann des
Frankenreiches in zwei feindſelige Maſſen, die eine mit
überwiegend romaniſchen, die andere mit überwiegend ger-
maniſchen Beſtandtheilen. Jene verfocht die Einheit des
Reiches, dieſe forderte nach ihren deutſchen Begriffen die
Trennung. Wir haben ein Lied über die Schlacht von
Fontenay übrig, in welchem ein Mitkämpfer ſeinen Schmerz
über dieſen blutigen Bürger- und Bruderkrieg ausdrückt,
„über dieſe bittere Nacht, in der die Tapfern gefallen, die
Kundigen der Schlachten;“ für die Zukunft des Abendlan-
des war ſie entſcheidend. 2 Das Gottesurtheil trug den
Sieg davon über den Ausſpruch der Geiſtlichkeit: es ka-
men nun wirklich drei Reiche zu Stande ſtatt des einen.


Die weltlich germaniſchen Grundſätze, die ſeit der Völ-
kerwanderung ihre Analogien tief in die romaniſche Welt
erſtreckten, behielten den Platz: auch in den nachfolgenden
Irrungen wurden ſie feſtgehalten.


Als von den drei Linien zuerſt eben die abgieng, auf
welche die Einheit hatte gegründet werden ſollen, kam es
[16]Einleitung.
zwiſchen den beiden andern zu Streitigkeiten, in denen
aufs neue die Differenz zwiſchen dem geiſtlichen und dem
weltlichen Prinzip eine große Rolle ſpielte.


Der König der Franzoſen, Carl der Kahle, hatte ſich
ganz an die Geiſtlichkeit angeſchloſſen; ſeine Heere wurden
von den Biſchöfen angeführt; dem Erzbiſchof Hinkmar von
Rheims überließ er großentheils die Reichsverwaltung. Da-
her fand er, als im J. 869 Lothringen erledigt wurde, bei
den Biſchöfen auch dieſes Landes eifrige Unterſtützung.
„Nachdem ſie,“ wie ſie ſagen, „den Gott der die Reiche
wem er will verleiht, angerufen, ihnen einen König nach
ſeinem Herzen zu bezeichnen, nachdem ſie dann mit Got-
tes Hülfe eingeſehen, daß die Krone Dem gebühre, dem
ſie dieſelbe anvertrauen würden,“ wählten ſie Carl den
Kahlen zu ihrem Herrn. 1 Allein ſo wenig damals wie
früher konnte dieß Staatsrecht die Deutſchen überzeugen.
Der ältere Bruder hielt ſich für nicht minder berechtigt
als der jüngere; mit Gewalt der Waffen nöthigte er den-
ſelben, in die Theilung von Marsna zu willigen, durch die
er zuerſt das überrheiniſche Deutſchland mit dem dieſſeiti-
gen vereinigte. Dieſer Gang der Dinge wiederholte ſich,
als hierauf im J. 875 auch Italien und das Kaiſerthum
erledigt wurden. Anfangs ſetzte ſich Carl d. K., wie dort
von den Biſchöfen, ſo hier von dem Papſte begünſtigt, ohne
Schwierigkeit in Beſitz der Krone. 2 Aber der Sohn
Lud-
[17]Saͤchſiſche und fraͤnkiſche Kaiſer.
Ludwigs des Deutſchen, Carlmann, auf das Vorrecht der
älteren Linie geſtützt und überdieß von dem letzten Kaiſer
zum Erben eingeſetzt, eilte mit Baiern und Oberdeutſchen
nach Italien und brachte ſie im Widerſpruch mit dem
Papſt als ſein unzweifelhaftes Erbtheil an ſich. Wie viel
weniger konnte es Carl dem Kahlen mit Verſuchen gelin-
gen, die er darauf an den deutſchen Grenzen ſelber machte.
Er ward hier wie dort geſchlagen: das Übergewicht der
Deutſchen in den Waffen war ſo entſchieden, daß ſie jetzt
alle lothringiſche Landſchaften ſich zueigneten. Noch unter
den Carolingern zogen ſie die Grenzen des gewaltigen Rei-
ches; die Krone Carls des Großen und zwei Drittheil ſei-
ner Gebiete fielen ihnen anheim; die Autonomie der weltli-
chen Macht hielten ſie auf das gewaltigſte und glänzendſte
aufrecht.


Sächſiſche und fränkiſche Kaiſer.


Wie nun aber dann, wenn das herrſchende Haus ent-
weder abgieng, oder ſich unfähig erwies, die Regierung ei-
nes ſo großen, von allen Seiten angegriffenen, in ſich ſel-
ber gährenden Reiches zu führen?


In den Jahren 879, 887 entſchloſſen ſich nach und
nach die verſchiedenen Nationen von Carl dem Dicken ab-
zuweichen: es iſt ſehr merkwürdig, wie ſie ſich hiebei von
einander unterſchieden.


In dem romaniſchen Europa hatte abermal die Geiſt-
2
Ranke d. Geſch. I. 2
[18]Einleitung.
lichkeit allenthalben den Vortritt. Im transjuraniſchen
Burgund waren es „die heiligen Väter, bei Mantala ver-
ſammelt, die heilige Synode zugleich mit den Vornehm-
ſten,“ die „unter Inſpiration der Gottheit“ den Grafen
Boſo zum König wählten. 1 Aus dem Wahldecret für
Guido von Spoleto ſieht man, daß „die demüthigen Bi-
ſchöfe, von verſchiednen Seiten nach Pavia zuſammenge-
kommen,“ es waren, welche ihn zu ihrem Herrn und König
wählten, 2 vor allem „weil er verſprochen hat, die hei-
lige römiſche Kirche zu erhöhen und die kirchlichen Gerecht-
ſame aufrecht zu erhalten.“ Auch die Zuſagen, zu wel-
chen ſich Odo von Paris bei ſeiner Krönung verſtand,
ſind lediglich zu Gunſten der Geiſtlichkeit: er verſpricht die
Rechte der Kirchen nicht allein zu beſchützen, ſondern nach
ſeinem beſten Wiſſen und Können zu vermehren. 3 Ganz an-
ders gieng die Sache in Deutſchland. Hier waren es vor
allem die weltlichen Großen, Sachſen, Franken und Baiern,
welche ſich unter Leitung eines mißvergnügten kaiſerlichen
Miniſters um Arnulf ſammelten und ihm die Krone über-
trugen. Die Biſchöfe, ſelbſt der Biſchof von Mainz, wa-
ren eher dagegen, und erſt nach einigen Jahren verſtän-
digten ſie ſich durch förmliche Unterhandlung 4 mit dem
[19]Saͤchſiſche und fraͤnkiſche Kaiſer.
neuen Herrſcher: ſie hatten ihn nicht gewählt, ſie unter-
warfen ſich ihm.


Von jenem der Geiſtlichkeit jedes Mal geoffenbarten
Rechte wollten die Deutſchen noch immer nichts wiſſen:
auch jetzt noch hielten ſie ſich der legitimen Succeſſion ſo
nahe wie möglich: auch nach dem völligen Abgang der
Carolinger war der Grad der Verwandtſchaft mit ihnen
eine der bedeutendſten Rückſichten, durch welche die Wahl
erſt auf Conrad, dann auf den Sachſen Heinrich I fiel.


Conrad hatte wohl einmal die Idee, ſich an die al-
lerdings auch in Deutſchland ſehr mächtige Geiſtlichkeit an-
zuſchließen: Heinrich war ihr dagegen von Anfang an op-
ponirt: an ſeiner Wahl hatte ſie keinen Theil: die Sanction
durch das heilige Öl, welche dem alten Pippin und Carl
dem Großen ſo viel werth geweſen, wies er von ſich: wie
die Sachen in Deutſchland ſtanden, konnte ſie ihm nichts
bedeuten. Vielmehr finden wir, daß er, wie er ſelber in
ſeinem Sachſen die Geiſtlichkeit in ſeinem Gehorſam hielt,
ſie auch anderwärts den Herzogen überließ, 1 ſo daß ihre
Abhängigkeit größer wurde als jemals. Für ihn kam es
nur darauf an, daß er mit dieſen großen Gewalthabern,
die ihm an Macht nicht ungleich waren, in gutem Ver-
nehmen ſtand: und daß er dann andere von dem Moment
geforderte weſentliche Pflichten erfüllte. Da ihm dieß ge-
4
2*
[20]Einleitung.
lang, da er entſcheidende Siege über die gefährlichſten
Feinde erfocht, die allenthalben durchbrochenen Marken
wiederherſtellte, ſich auch über dem Rhein nichts entrei-
ßen ließ was den deutſchen Namen bekannte, ſo hielt ſich
auch der Clerus nothgedrungen an ihn: ohne Widerrede
hinterließ er die Herrſchaft ſeinem Hauſe. Es war ein
Einverſtändniß des Hofes und der weltlichen Großen, wo-
durch von den Söhnen Heinrichs Otto auf den Thron
erhoben wurde. Zur Ceremonie der Wahl verſammelten
ſich nur die Herzöge, Fürſten, großen Beamten und Kriegs-
leute; den Gewählten empfieng dann die Verſammlung der
Geiſtlichkeit. 1 Ohne Bedenken konnte Otto die Salbung
annehmen: der Clerus durfte jetzt nicht mehr glauben, ihm
damit ein Recht zu übertragen: Otto wäre König gewe-
ſen auch ohne die Salbung, wie ſein Vater. Und ſo feſt
war dieſe Macht begründet, daß Otto nunmehr die von
ſeinen carolingiſchen Vorfahren erworbenen Anſprüche zu
erneuern und auszuführen vermochte. Die Idee des deut-
ſchen Kaiſerthums, die von dieſen nur gefaßt, nur vorbereitet
worden, brachte er zu voller Erſcheinung. Er beherrſchte
Lothringen und verwaltete Burgund: ein kurzer Feldzug
genügte ihm, um die oberherrlichen Rechte ſeiner carolin-
giſchen Vorfahren über die Lombardei herzuſtellen: wie
Carl den Großen rief auch ihn ein von den Factionen der
Stadt bedrängter Papſt zu Hülfe: wie dieſer empfieng er
[21]Saͤchſiſche und fraͤnkiſche Kaiſer.
dafür, 2 Jan. 962, die Krone des abendländiſchen Rei-
ches. Jenes Prinzip der weltlichen Selbſtherrſchaft, das
ſich den Uſurpationen des geiſtlichen Ehrgeizes von Anfang
an entgegengeworfen, gelangte hiedurch zu der großartigſten
Repräſentation, zu einer vorwaltenden Stellung in Europa.


Auf den erſten Anblick möchte es ſcheinen, als ſey
nun Otto auch in ein ähnliches Verhältniß zu dem Papſt
getreten, wie Carl der Große; näher betrachtet aber zeigt
ſich ein nicht geringer Unterſchied.


Carl der Große ward mit dem römiſchen Stuhle durch
eine von gegenſeitigem Bedürfniß hervorgerufene, die Re-
ſultate langer Epochen, die Entwickelungen verſchiedener Völ-
ker umfaſſende Weltcombination in Verbindung gebracht:
ihr Verſtändniß beruhte auf einer innern Nothwendigkeit,
durch welche auch alle Gegenſätze vermittelt wurden. Die
Herrſchaft Ottos des Großen dagegen beruhte auf einem
dem Umſichgreifen der geiſtlichen Tendenzen urſprünglich
widerſtrebenden Prinzip. Die Verbindung war momen-
tan: die Entzweiung lag in dem Weſen der Dinge.
Wie denn auch ſogleich derſelbe Papſt der ihn gerufen,
Johann XII, ſich an der Spitze einer rebelliſchen Faction
gegen ihn empörte; Otto mußte die förmliche Abſetzung
deſſelben bewirken, die Faction, die ihn unterſtützte, mit
wiederholter Gewalt unterdrücken, ehe er wahrhaften Ge-
horſam fand; den Papſt, mit dem er ſich verſtehen konnte,
mußte er erſt ſetzen. Die Päpſte haben oft behauptet, das
Kaiſerthum auf die Deutſchen übertragen zu haben, und
wenn ſie dabei von den Carolingern reden, ſo haben ſie
ſo unrecht nicht: die Krönung Carls des Großen beruhte
[22]Einleitung.
auf ihrem freien Entſchluß; bezeichnen ſie aber damit die
eigentlich ſo zu nennenden deutſchen Kaiſer, ſo iſt das Ge-
gentheil eben ſo wahr: wie Carlmann, wie Otto der Große,
ſo haben auch deren Nachfolger ſich das Kaiſerthum im-
mer erobern, es mit den Waffen in der Hand behaupten
müſſen.


Man hat wohl geſagt, die Deutſchen würden beſſer
gethan haben, ſich mit dem Kaiſerthum gar nicht zu be-
faſſen, wenigſtens erſt ihre einheimiſche politiſche Ausbildung
zu vollziehen, um alsdann mit gereiftem Geiſt in die allge-
meinen Verhältniſſe einzugreifen. Allein nicht ſo metho-
diſch pflegen ſich die Dinge der Welt zu entwickeln. Das
Innerlich-wachſende wird ſchon in demſelben Augenblick
berufen, ſich nach Außen auszubreiten. Und war es nicht
ſelbſt für das innerliche Wachsthum von hoher Bedeutung,
daß man in ununterbrochner Verbindung mit Italien blieb,
welches in Beſitz aller Reſte der alten Cultur war, von
wo man die Formen des Chriſtenthums empfangen hatte?
An dem antiken und romaniſchen Element hat ſich der
deutſche Geiſt von jeher entwickelt. Eben durch die Ge-
genſätze, welche bei der fortdauernden Verbindung ſo un-
aufhörlich hervortraten, lernte man in Deutſchland Prie-
ſterherrſchaft und Chriſtenthum unterſcheiden.


Denn wie ſehr nun auch das weltliche Prinzip hervor-
gekehrt ward, ſo wich man doch um kein Haarbreit von den
chriſtlich-kirchlichen Ideen ab ſelbſt in den Formen, in de-
nen man ſie empfangen. Hatte ſich doch die Nation über-
haupt in denſelben wieder gefunden, vereinigt: ihr geſammtes
geiſtiges Leben knüpfte ſich daran: auch das deutſche Kaiſer-
[23]Saͤchſiſche und fraͤnkiſche Kaiſer.
thum erneuerte die cultivirenden chriſtianiſirenden Tenden-
zen Carl Martells und Carls des Großen: Otto der Große
gab denſelben dadurch eine neue nationale Bedeutung, daß
er mit der Ausbreitung des Chriſtenthums in ſlawiſchen
Ländern zugleich deutſche Colonien in denſelben pflanzte, die
bezwungenen Völkerſchaften zugleich bekehrte und germani-
ſirte. Die Eroberungen ſeines Vaters an Saale und Elbe
befeſtigte er durch die Errichtung der meißniſch-oſterländi-
ſchen Bisthümer; nachdem er dann ſelber in langen und
gefährlichen Kriegszügen die Stämme jenſeit der Elbe be-
ſiegt hatte, richtete er auch hier drei Bisthümer ein, durch
welche die Bekehrung für den Augenblick außerordentlich
raſche Fortſchritte machte; 1 in der Mitte ſeiner italieni-
ſchen Verwickelungen verlor er doch dieſen großen Geſichts-
punct nie aus den Augen: eben von dort aus hat er das
Erzbisthum Magdeburg gegründet, das alle dieſe Stiftun-
gen umfaßte. Und wo dann an ein eigentliches Germa-
niſiren nicht gedacht werden konnte, ward durch dieſe Wirk-
ſamkeit wenigſtens das Übergewicht des deutſchen Namens
befeſtigt. In Böhmen und Polen entſtanden Bisthümer
unter deutſchen Metropolitanen: von Hamburg aus machte
ſich das Chriſtenthum Bahn in dem Norden: die Paſſauer
Miſſionarien durchzogen Ungern: es iſt nicht unwahrſchein-
lich, daß dieß großartige Bemühen bis nach Rußland wirkte.
Das deutſche Kaiſerthum war der Mittelpunct der fort-
ſchreitenden Religion: es breitete den kriegeriſch-prieſterli-
chen Staat, der zugleich die Kirche war, vor ſich her aus:
in ihm hauptſächlich erſchien die Einheit der abendländiſchen
[24]Einleitung.
Chriſtenheit, und ſchon dazu mußte es des Papſtthums
mächtig ſeyn.


Denn bei dieſem Übergewicht des ſiegreichen weltli-
chen und germaniſchen Prinzipes blieb es nun auch eine
lange Zeit. Otto II hat dem Abt von Clugny die Stelle
eines Papſtes gradezu angeboten, Otto III hat erſt einen
ſeiner Verwandten und dann ſeinen Lehrer Gerbert zum
päpſtlichen Stuhle befördert; alle Factionen, welche dieſes
Recht bedrohten, wurden niedergeſchlagen: unter den Au-
ſpicien Heinrichs III trat ein deutſcher Papſt an die Stelle
der drei römiſchen Competenten. Als der römiſche Stuhl
im J. 1048 erledigt worden, begaben ſich, wie ein gleich-
zeitiger Chroniſt ſagt, Geſandte der Römer nach Sachſen,
fanden daſelbſt den Kaiſer und baten ihn, ihnen einen
Papſt zu geben. Er wählte den Biſchof von Toul, Leo IX,
aus dem Hauſe Egisheim, von dem er mütterlicher Seits
ſelber abſtammte. Was aber an dem Oberhaupt, geſchah
nun nothwendig noch unzweifelhafter an der übrigen Geiſt-
lichkeit. Seitdem es Otto dem Großen gelungen war, in
den Irrungen ſeiner erſten Jahre, den Widerſtand, wel-
chen ihm die Herzogthümer vermöge ihrer ſtammesartigen
Zuſammenſetzung leiſteten, im Allgemeinen zu brechen, ſtand
die Beſetzung der geiſtlichen Stellen ohne Widerrede in der
Hand des Kaiſers.


Welch eine großartige Stellung nahm da die deutſche
Nation ein: repräſentirt in dem mächtigſten europäiſchen
Fürſten, und von ihm zuſammengehalten: an der Spitze
der fortſchreitenden Civiliſation, der abendländiſchen Chri-
ſtenheit: in der Fülle jugendlich aufſtrebender Kräfte.


[25]Saͤchſiſche und fraͤnkiſche Kaiſer.

Bemerken wir jedoch und geſtehen wir ein, daß ſie
ihre Stellung nicht ganz verſtand, ihre Aufgabe nicht voll-
kommen erfüllte.


Vor allem: es gelang ihr nicht, der Idee eines abend-
ländiſchen Reiches die volle Realität zu geben: wie es un-
ter Otto I den Anſchein hatte. An allen Grenzen der
Deutſchen erhoben ſich wiewohl chriſtliche, jedoch unabhän-
gige und häufig feindſelige Gewalten: ſo in Ungern wie in
Polen, in den nördlichen wie in den ſüdlichen Beſitzungen
der Normannen; England und Frankreich waren dem deut-
ſchen Einfluß wieder entriſſen; in Spanien lachte man der
deutſchen Anſprüche auf eine allgemeine Oberherrlichkeit:
die dortigen Könige glaubten ſelber Kaiſer zu ſeyn; ja ſelbſt
die nächſten, die überelbiſchen Unternehmungen wurden eine
Zeitlang rückgängig.


Fragen wir dann, woher dieſe ſchlechten Erfolge rühr-
ten, ſo brauchen wir nur unſre Augen auf das Innere zu
richten, wo wir ein unaufhörlich wogendes Kämpfen al-
ler Gewalten wahrnehmen. Unglücklicherweiſe konnte es
in Deutſchland zu keiner feſten Succeſſion kommen. Der
Sohn und der Enkel Ottos des Großen ſtarben in der
Blüthe der Jahre; die Nation ward in die Nothwendig-
keit geſetzt, ſich ein Oberhaupt zu wählen. Gleich die erſte
Wahl brachte Deutſchland und Italien in eine allgemeine
Aufregung; und darauf folgte alsbald eine zweite, noch
ſtürmiſchere, da man ſogar zu einem neuen Hauſe, dem
fränkiſchen, überzugehen genöthigt war. Wie wäre von den
mächtigen und widerſpenſtigen Großen, aus deren Mitte
durch ihren Willen eben der Kaiſer hervorgegangen, nun
[26]Einleitung.
ein voller Gehorſam gegen ihn zu erwarten geweſen? Wie
hätte ſich ferner der Stamm der Sachſen, der bisher
die Herrſchaft geführt, einem auswärtigen Geſchlechte ſo
geradehin unterwerfen ſollen? Es erfolgte, daß ſich zwei
Factionen, die eine im Gehorſam, die andre in Oppo-
ſition gegen die fränkiſchen Kaiſer, einander gegenüberſetzten
und das Reich mit ihren Streitigkeiten erfüllten. Die
ſtrenge Sinnesweiſe Heinrichs III erweckte ein allgemeines
Murren. 1 Ein Traumgeſicht, das uns von dem Kanz-
ler deſſelben erzählt wird, bezeichnet die Lage der Dinge
nicht übel. Er ſah den Kaiſer auf ſeinem Throne ſitzen,
und ſein Schwerd mit dem Ausruf zucken, er gedenke ſich
noch an allen ſeinen Feinden zu rächen. Wie hätten da die
Kaiſer, ihr Leben lang mit inneren Irrungen beſchäftigt,
an der Spitze der europäiſchen Menſchheit zu irgend einer
großartigen Unternehmung ſich erheben, den Titel der Ober-
herrlichkeit ſich wirklich verdienen können?


Merkwürdiger Weiſe war das Element, auf das ſie
ſich ſtützten, doch hauptſächlich wieder die Geiſtlichkeit.
Schon Otto der Große verdankte der Unterſtützung der
Biſchöfe, z. B. ſeines Bruders Bruno, den er zum Erz-
biſchof von Cölln gemacht, und der ihm dafür Lothringen
in Pflicht hielt, wenigſtens zum Theil ſeine glücklichen Er-
folge in den innern Streitigkeiten: nur mit der Hülfe ſei-
ner Geiſtlichen beſiegte er den Papſt. 2 Die Kaiſer fan-
[27]Saͤchſiſche und fraͤnkiſche Kaiſer.
den es gerathen, mit den Biſchöfen zu regieren, ſie zu
Werkzeugen ihres Willens zu machen. Bei der nicht mehr
zurückzuhaltenden allgemeinen Tendenz aller Beamtung zur
Erblichkeit mußte es ihnen als ein Vortheil erſcheinen, welt-
liche Rechte mit den Bisthümern zu vereinigen über welche
ihnen eine freie Dispoſition zuſtand. Die Biſchöfe waren
zugleich ihre Kanzler und Räthe, die Klöſter kaiſerliche
Meierhöfe. Daher kam es, daß eben in den Zeiten wo
die Unterwürfigkeit der Geiſtlichen unter das Kaiſerthum
am entſchiedenſten war, ihre Macht ſich am meiſten aus-
dehnte und befeſtigte. Schon Otto I begann die Graf-
ſchaften mit den Bisthümern zu verbinden; aus den Re-
geſten Heinrichs II ſehen wir, daß er mancher Kirche zwei,
mancher drei Grafſchaften, der gandersheimiſchen ſogar die
Grafſchaft in ſieben Gauen übertrug. Noch im elften Jahr-
hundert gelang es den Biſchöfen von Würzburg, in ihrer
Diöceſe die weltliche Grafſchaft ganz zu verdrängen, die
geiſtliche und die weltliche Gewalt daſelbſt zu vereinigen:
ein Zuſtand, zu welchem es nun auch die übrigen Biſchöfe
zu bringen wetteiferten.


Es leuchtet ein: die Stellung eines deutſchen Kaiſers
war eben ſo gefährlich wie großartig. Die ihn umgeben-
den Magnaten, Inhaber der weltlichen Macht, von der
er ſelbſt ausgegangen, konnte er nur in ſtetem Kampfe,
nicht ohne Gewaltſamkeit im Zaum halten. Er mußte ſich
auf die andere, die geiſtliche Seite, ſtützen, die doch im
Prinzip von ihm verſchieden war. Die europäiſche Be-
2
[28]Einleitung.
deutung ſeiner Würde konnte er doch nie völlig erfüllen.
Wie contraſtirt mit der Ruhe und Selbſtgenügſamkeit des
Reiches das Carl der Große beherrſchte, dieß ewige Hin
und Wiederfluthen entgegengeſetzter Parteien, dieß ſtete Sich-
aufrichten widerſpenſtiger Gewalten! es gehörte eine Kraft
und Mannhaftigkeit ohne Gleichen dazu, ſich zu behaupten!


Es war ein Weltereigniß, daß in dieſer Lage der
Dinge der Fürſt der dieſe Kraft wohl beſaß, Heinrich III,
in frühen Jahren verſtarb (1056) und ein ſechsjähriger
Knabe, in deſſen Namen aber zunächſt eine ſchwankende
vormundſchaftliche Regierung ſeinen Platz einnahm.


Emancipation des Papſtthums.


Da begannen die Ideen, welche im 9ten Jahrhundert
zurückgedrängt worden, ſich aufs neue zu erheben und zwar,
da die Geiſtlichkeit jetzt nach unten hin um ſo viel mäch-
tiger geworden, mit verdoppelter Kraft.


Überhaupt ſind dieß die Zeiten, in welchen ſich die
geiſtlichen Gewalten in aller Welt auszubilden begannen,
in welchen das menſchliche Geſchlecht in dieſen Formen
des Daſeyns Befriedigung fand. In dem elften Jahrhun-
dert ward der Buddhaismus in Tibet wiederhergeſtellt,
und durch den Lama Dſchu-Adhiſcha die Hierarchie er-
richtet, die noch bis auf den heutigen Tag einen ſo gro-
ßen Theil von Hinteraſien umfaßt. Das Chalifat von Bag-
dad, früher ein weltumfaſſendes Kaiſerthum, bildete ſich
damals zu einer geiſtlichen Autorität um, welcher eben
deshalb eine um ſo unumwundnere freiwillige Anerkennung
[29]Emancipation des Papſtthums.
zu Theil ward. Ueber Africa und Syrien erhob ſich in
demſelben Zeitraum das fatimidiſche Chalifat, auf den Grund
einer Lehre, von welcher ihre Bekenner ſagten, ſie verhalte
ſich zu dem Koran, wie der Kern zur Schale.


In dem Abendland nun war die Idee der Einheit
der Chriſtenheit durch alle die ſeitdem erfolgten Bekehrun-
gen, welche eine und die andre empfänglichere Nation
noch einmal mit jugendlichem Enthuſiasmus erfüllt hatten,
auf das lebendigſte in die Gemüther gedrungen: ſie drückte
ſich in den ſo eben allenthalben beginnenden Angriffen auf
den Mahumetanismus aus; von dem Kaiſerthum, das nur
eine beſchränkte Obedienz genoß, ward ſie ungenügend re-
präſentirt; gewaltig kam ſie jetzt den hierarchiſchen Beſtre-
bungen zu Hülfe. Denn an wen konnte ſie ſich knüpfen,
als an den Biſchof der römiſchen Kirche, auf welchen ſich
die Stiftungen aller andren Kirchen zurück bezogen, dem
die Abendländer eine allgemeine Verehrung widmeten. Bis-
her war er durch die Entwickelung des Kaiſerthums in
Schatten geſtellt worden. Zugleich aus der Gunſt der Um-
ſtände und dem großen Gange der Ereigniſſe entſprang für
das Papſtthum der Antrieb, die Zügel der Herrſchaft zu
ergreifen.


Die Zeiten jener Vormundſchaft wurden entſcheidend.


An dem römiſchen Hofe erlangte der Mann, der vor al-
len Andern die Nothwendigkeit der Reform und unabhängigen
Exiſtenz des kirchlichen Inſtitutes verfocht, der vom Schick-
ſal beſtimmte Mann, der ſeinen Sinn den Jahrhunderten
zum Geſetz machen ſollte, — Hildebrand, Sohn eines Zim-
mermanns im Toscaniſchen — beherrſchenden Einfluß auf
[30]Einleitung.
alle Angelegenheiten. Er rief Beſchlüſſe hervor, nach wel-
chen die Papſtwahlen in Zukunft nicht mehr von den Kai-
ſern, ſondern von dem Clerus der Kirche und den Cardi-
nälen abhängen ſollten; und zögerte keinen Augenblick, ſie
nun auch ins Werk zu ſetzen: ſogleich die nächſte Wahl
leitete er danach.


In Deutſchland dagegen war man zu dieſer Zeit nur
mit dem Kampfe der Factionen des Hofes beſchäftigt: die
über Italien und Deutſchland ausgebreitete Oppoſition, zu
der auch Hildebrand gehörte, gewann endlich an dem Hofe
ſelbſt feſten Boden; die Anhänger der alten ſächſiſchen und
ſaliſchen Grundſätze, z. B. Kanzler Guibert wurden geſtürzt:
es kam ſo weit daß der Hof die gegen ſein eignes näch-
ſtes Intereſſe geſchehene Wahl billigte: einen Gegenpapſt,
der ſich mit vielem Glücke behauptete, in dem ſich die al-
ten Maximen repräſentirten, ließen die deutſchen Machtha-
ber, verloren in die Streitigkeiten des Augenblickes, ſelber
fallen.


Das ward nun wohl anders als der junge Salier,
voll Leb[ens]muth und Geiſt wie er war, perſönlich die Regie-
rung übernahm. Er kannte ſeine Rechte und war entſchloſ-
ſen ſie um jeden Preis zu behaupten.


Aber ſchon waren die Sachen ſo weit gediehen, daß
er von allem Anfang in die gefährlichſte Lage gerieth.


Der Eintritt des jungen zu Selbſtherrſchaft und Ge-
waltſamkeit geneigten, von Leidenſchaften fortgeriſſenen Für-
ſten brachte gar bald die lange gährenden inneren Feind-
ſeligkeiten in Deutſchland zum Ausbruch; auch die deut-
ſchen Großen ſtrebten nach einem Zuſtand von Autonomie,
[31]Emancipation des Papſtthums.
wie ſich ihn die franzöſiſchen eben damals verſchafft hatten;
im Jahr 1073 empörten ſich die ſächſiſchen Fürſten: ganz
Sachſen, ſagt ein Zeitgenoſſe, wich von dem König, wie
Ein Mann. Indeſſen hatte zu Rom das Oberhaupt der
Feinde die päpſtliche Tiare ſelbſt genommen, und ſchritt
nun unverweilt zu dem großen Unternehmen, nicht allein
das Papſtthum, ſondern die Geiſtlichkeit überhaupt von
dem Kaiſerthum zu emancipiren: im Jahr 1074 ließ er
durch ſeine Synode ein Geſetz verkündigen, welches den
Laien d. i. zunächſt dem Kaiſer die Ernennung zu den
geiſtlichen Ämtern überhaupt entreißen ſollte.


Kaum zur Krone gelangt ſah Heinrich IV die beſten
Prärogativen derſelben, die Summe ſeiner Macht ange-
griffen und mit Vernichtung bedroht. Er ſchien ohne
Frage unterliegen zu müſſen. Der Zwiſt zwiſchen Sach-
ſen und Oberdeutſchen, der ihm eine Zeitlang zu Statten
gekommen, ward beigelegt, und man ſah die Schwerter,
noch naß von gegenſeitigem Blut, ſich vereinigt gegen den
Kaiſer richten; man legte ihm die Nothwendigkeit auf den
Papſt der ihn excommunicirt hatte, zu verſöhnen [...] mußte
jene Winterreiſe, jene Buße von Canoſſa vollziehen, durch die
er die Majeſtät des kaiſerlichen Namens ſo tief erniedrigte.


Allein eben von dieſem Momente fieng auch ſein ernſt-
licher Widerſtand an.


Man würde ſich ihn falſch vorſtellen, wenn man glau-
ben wollte, als ſey er in reuiger Zerknirſchung über die
Alpen gegangen, als ſey er von dem Rechte des Papſtes
durchdrungen geweſen. Er wollte ſeinen Gegnern nur den
Anhalt der geiſtlichen Autorität entwinden, den Vorwand
[32]Einleitung.
unter dem ſie ſeine höchſte Würde bedrohten. Da ihm
dieß nicht gelang, da die Abſolution Gregors nicht ſo voll-
ſtändig war um die deutſchen Fürſten von weiteren Schrit-
ten zurückzuhalten, 1 dieſe ſich vielmehr derſelben zum Trotz
einen andern König wählten, ſo warf er ſich in den re-
ſoluteſten Kampf gegen die geiſtlichen ſo wie gegen die welt-
lichen Anmaßungen: jetzt erſt ward er ein Mann. Über die
Alpen, über die er ſo eben ſo demüthig gekommen, eilte er
mit kriegeriſchem Feuer zurück; in Kärnthen ſammelte ſich
eine unüberwindliche Schaar ergebener Anhänger um ihn
her; es iſt ein denkwürdiges Schauſpiel, ihn nun zu be-
gleiten, wie er die geiſtliche Gewalt in Baiern, die ariſto-
kratiſche feindſeliger Geſchlechter in Schwaben übermannt,
wie er ſich dann nach Franken wendet und ſeinen Gegen-
könig vor ſich her treibt, nach Thüringen, nach den meiß-
niſchen Colonien, bis er ihm an der Elſter eine Schlacht
liefert, in der derſelbe umkommt. Es ſind nicht große Siege
die Heinrich erficht: auch an der Elſter behauptet er das
Schlachtfeld nicht einmal; aber immer iſt er im Vorrücken,
immer mächtiger wächſt ſeine Partei an; die Fahne des Kai-
ſerthums hält er gewaltig aufrecht. Nach ein paar Jahren
(1081) konnte er ſich wieder nach Italien wenden. So
lang und ſo enge war das Kaiſerthum mit der biſchöfli-
chen Macht verbündet, daß es ihm auch jetzt an Anhän-
gern unter der hohen Geiſtlichkeit nicht fehlen konnte: auch
für
[33]Emancipation des Papſtthums.
für den Kaiſer wurden Synoden gehalten, in denen man
beſchloß, die alte Ordnung der Dinge zu behaupten; dem
excommunicirenden Papſte antwortete man dadurch, daß
man auch ihn ſeinerſeits excommunicirte; jener ſaliſch ge-
ſinnte Kanzler Guibert ward unter den Auſpicien des Kai-
ſers zum Papſt ernannt, und nach mancherlei Wechſelfäl-
len des Krieges zuletzt doch nach Rom geführt. Wie ſo
viele ſeiner Vorfahren ward auch Heinrich von einem Papſte
ſeiner Wahl gekrönt. Der zweite Gegenkönig den ihm die
Sachſen entgegengeſetzt, konnte es zu keiner weſentlichen
Macht bringen, und hielt es für gerathen, von ſelbſt Ver-
zicht zu leiſten.


Wir ſehen: der Kaiſer hatte erreicht was ſich durch
Krieg und Politik erreichen läßt: fragen wir aber, ob er
nun auch den Sieg davon trug, ſo müſſen wir das vernei-
nen. Denn nicht immer auf den Schlachtfeldern werden
die Siege entſchieden. Die Ideen welche Gregor verfocht,
waren mit den mächtigſten Trieben der univerſalen Ent-
wickelung verbündet; während er aus Rom flüchtete, nahmen
ſie die Welt ein. Schon ſein zweiter Nachfolger, zehn Jahr
nach ſeinem Tode, vermochte, worauf zuletzt alles ankam,
die Initiative in den allgemeinen Angelegenheiten des Abend-
landes zu ergreifen: eine der größten Weltbewegungen, die
Unternehmung der Kreuzzüge wußte er hervorzurufen; ganz
von ſelbſt erſchien er dann als das Oberhaupt des germa-
niſch-romaniſchen, prieſterlich-kriegeriſchen Gemeinweſens
im Abendlande: der Kaiſer hatte nichts dagegen einzuſetzen.


Das Leben Heinrichs wie es ſich nun weiter ent-
wickelte, hat etwas, was an die antike Tragödie erinnert;
Ranke d. Geſch. I. 3
[34]Einleitung.
wo der Held in allem Glanze männlicher Tüchtigkeit und
Lebensfülle den Gewalten des Schickſals erliegt. Denn
was kann einem überwältigenden Schickſal ähnlicher ſeyn,
als die Macht der Meinung, die unbemerkt um ſich greift,
die Gemüther in Beſitz nimmt, und plötzlich mit einer nicht
mehr zu bezwingenden Macht auf dem Kampfplatze erſcheint.
Heinrich ſah die Welt vor ſeinen Augen ſich von dem Kai-
ſerthum abwenden zum Papſtthum. Ein in den dunkeln
Antrieben eines Kreuzzuges zuſammengebrachtes Heer ver-
jagte den von ihm eingeſetzten Papſt aus Rom. Ja in
ſein eigenes Haus drangen die ihm feindſeligen Ideen ein.
Zuerſt ward ſein älterer Sohn von katholiſchem Eifer er-
griffen und zum Abfall von dem Vater gereizt; bei dem
jüngern kam dann der Einfluß der deutſchen Ariſtokratie
hinzu; Der nöthigte, Liſt und Gewalt vereinigend, den ei-
genen Vater zur Abdankung; mit Herzeleid fuhr der alte
Kriegsmann in die Grube.


Ich halte es nun nicht für nothwendig, alle die ver-
ſchiedenen Abwandlungen zu begleiten welche der kirchen-
rechtliche Streit erfuhr.


Selbſt in Rom ſchien es zuweilen unmöglich, den Kai-
ſer zur Abtretung ſeiner Anſprüche zu nöthigen. Papſt Pa-
ſchalis faßte einmal den kühnen Gedanken, alles zurückzu-
geben was die Kaiſer der Kirche jemals verliehen, ſie im
Grunde ganz von dem Staate zu trennen. 1


[35]Verhältniß d. Papſtthums zu dem Fürſtenthum.

Da ſich das unausführbar erwies, ſo kam die kirch-
liche Verwaltung doch wieder eine Zeitlang an den kaiſer-
lichen Hof, unter Heinrich V wie unter Heinrich IV.1


Aber auch dieß ſchien gar bald unerträglich: neuer
Zwiſt erwachte, und nach langem Hader verſtand man ſich
zu dem Wormſer Concordat, durch welches dem Kaiſer in
Deutſchland, dem Papſt in Italien ein vorwaltender Ein-
fluß überlaſſen ward. Eine Abkunft, die jedoch nicht ein-
mal deutlich ausgeſprochen wurde und den Keim zu vielen
neuen Zwiſtigkeiten in ſich trug.


Wie wenig abſchließend demnach auch dieſe Reſultate
für das öffentliche Recht waren, ſo iſt doch der Vortheil,
der dem Papſtthum aus dem Gange der Ereigniſſe allmäh-
lig erwachſen war, unermeßlich. Aus totaler Abhängigkeit
war es zu einer eben ſo vollſtändigen Emancipation, ja
zu einem zwar noch nicht ganz ausgebildeten, aber doch
bereits unzweifelhaften Übergewicht gelangt, das ſich nun
unter begünſtigenden Umſtänden von Moment zu Moment
feſter geſtaltete.


Verhältniß des Papſtthums zu dem Fürſtenthum.


Was dem Papſtthum hiebei am meiſten zu Hülfe kam,
war das natürliche ſich gleichſam von ſelbſt verſtehende
Bündniß, in welchem es mit den deutſchen Fürſten ſtand.


3*
[36]Einleitung.

Die weltlichen Großen von Deutſchland hatten ſich
einſt dem geiſtlichen Prinzip, um ihr Oberhaupt her, am
meiſten entgegengeſetzt: ſie hatten das Kaiſerthum aufge-
richtet und es mit ſeiner Macht bekleidet; aber ihnen ſelbſt
war dieſe Macht zuletzt wieder zu ſchwer geworden: eben
das Gewicht der kaiſerlichen Oberherrſchaft über die Geiſt-
lichkeit, welche dazu benutzt ward ſie zu erdrücken, bekamen
ſie am meiſten zu empfinden; es erfolgte, daß ſie in der
Emancipation des Papſtthums am Ende ihren eigenen Vor-
theil ſahen.


Bemerken wir, daß ſich das deutſche Fürſtenthum und
das Papſtthum in parallelem Stufengange erhoben.


Unter Heinrich III, und während jener Vormundſchaft,
hatten ſie beide den Grund ihrer Unabhängigkeit gelegt: mit
einander begannen ſie ihre Unternehmung. Kaum hatte Gre-
gor VII die erſten Grundſätze ſeines neuen Syſtems aufge-
ſtellt, ſo ſprachen ſie auch den ihren aus, den Grundſatz daß
das Reich in Zukunft nicht mehr erblich ſeyn ſolle. Wenn
Heinrich IV ſich behauptete, ſo geſchah es hauptſächlich
dadurch, weil er ihre Anſprüche, die er im Ganzen beſtritt,
im Einzelnen anerkannte: ſeine Siege konnten ſo wenig die
Fortſchritte ihrer Selbſtändigkeit aufhalten wie die der Hie-
rarchie: ſchon unter Heinrich V kam es ſo weit, daß man
die Einheit des Reiches mehr in ihrer Geſammtheit erblickte
als in der kaiſerlichen Perſon ſelbſt. Denn was will es
anders bedeuten, wenn dieſer Fürſt ſelbſt einmal erklärt,
es liege weniger daran, daß das Oberhaupt verunglimpft
werde, als daß man den Fürſten zu nahe trete? 1 So
[37]Verhältniß d. Papſtthums zu dem Fürſtenthum.
ſahen auch ſie ſelbſt ſich ſchon zuweilen an. In Würz-
burg vereinigten ſie ſich, wenn auch der König von ihren
Beſchlüſſen abweiche, dennoch dabei feſtzuhalten: die Strei-
tigkeiten mit dem Papſt, welche Heinrich nicht mehr been-
digen konnte, nahmen ſie in ihre Hand: von ihnen rührte
das wormſiſche Concordat her.


Bei den weiteren Competenzen des Kaiſerthums und
des Papſtthums kam nun alles darauf an, welche Unter-
ſtützung der Kaiſer jedesmal bei ihnen finden würde.


Ich will hier nicht in eine nähere Erörterung der
Verhältniſſe der welfiſch-hohenſtaufiſchen Zeiten eingehn:
es würde nicht möglich ſeyn, ohne die Einzelnheiten aus-
führlicher zu entwickeln als es für dieſe kurze Überſicht
dienlich iſt: faſſen wir nur die großartigſte Erſcheinung die-
ſer Epoche, Friedrich I ins Auge.


So lange Friedrich I mit ſeinen Fürſten gut ſtand,
konnte er ſogar daran denken, die Rechte des Kaiſerthums
im Sinne der alten Imperatoren und ihrer Rechtsbücher
erneuern zu wollen; er hielt ſich für berechtigt Kirchenver-
ſammlungen zu berufen, wie Juſtinian und Theodoſius;
er erinnerte die Päpſte, daß ihr Beſitz von der Gnade der
Kaiſer herrühre, und mahnte ſie an ihre kirchlichen Pflich-
ten; die Gelegenheit einer ſtreitigen Wahl konnte er be-
nutzen, um auf die Beſetzung des Papſtthums erneuerten
Einfluß zu gewinnen.


Wie ganz anders aber, als er ſich mit ſeinem mäch-
tigen Vaſallen Heinrich dem Löwen wieder entzweit hatte.
1
[38]Einleitung.
Der Anſpruch dieſes Fürſten auf eine kleine norddeutſche
Stadt, auf Goßlar am Harz, den der Kaiſer nicht aner-
kennen wollte, entſchied in den italieniſchen, den allgemei-
nen Verhältniſſen der abendländiſchen Chriſtenheit. Dann
blieb dem Kaiſer die gewohnte Unterſtützung aus: dann
ward er im Felde geſchlagen: dann mußte er einem gelei-
ſteten Eide zum Trotz den Papſt anerkennen, den er ver-
worfen hatte.


Und nun wandte er ſich zwar wider den empöreriſchen
Vaſallen: es gelang ihm, die geſammte Gewalt aufzulöſen
die derſelbe beſaß; allein das war doch hinwiederum vor
allem der Vortheil der Fürſten zweiten Ranges, mit deren
Unterſtützung er das bewirkte, die er dafür aus den Spo-
lien ſeines Nebenbuhlers groß machte; und der Vortheil
den das Papſtthum nun einmal erfochten, war nicht wie-
der auszugleichen. Die venezianiſche Zuſammenkunft Frie-
drichs I und Alexanders III hat meines Erachtens beï wei-
tem mehr zu bedeuten als die Scene von Canoſſa. In Ca-
noſſa ſuchte ein junger leidenſchaftlicher Fürſt die ihm auf-
gelegte Buße nur raſch abzumachen; in Venedig war es ein
gereifter Mann, der Ideen aufgab die er ein Vierteljahr-
hundert mit allen Kräften verfolgt hatte: jetzt aber mußte
er bekennen, in ſeiner Behandlung der Kirche habe er mehr
der Gewalt nachgetrachtet als der Gerechtigkeit. 1 Von
Canoſſa gieng der eigentliche Kampf erſt aus; in Venedig
[39]Verhältniß d. Papſtthums zu dem Fürſtenthum.
ward das Übergewicht der kirchlichen Gewalt vollſtändig
anerkannt.


Denn wie wirkſam auch der indirecte Antheil ſeyn
mochte, den die Deutſchen an dieſem Erfolge hatten, ſo
fiel doch der Glanz und der große Gewinn des Sieges
ganz dem Papſtthum anheim. Nun erſt fieng es an zu
herrſchen.


Man ſah es bei der nächſten Gelegenheit, als noch am
Ende des zwölften Jahrhunderts in Deutſchland ein Zwie-
ſpalt über die Krone ausbrach.


Das Papſtthum, in einem der geiſtvollſten herrſchbe-
gierigſten und kühnſten Prieſter, die je gelebt, der ſich als
das natürliche Oberhaupt der Welt anſah, Innocenz III
repräſentirt, trug kein Bedenken, die Entſcheidung dieſes
Streites in Anſpruch zu nehmen.


Die deutſchen Fürſten waren nicht ſo verblendet, um
die Bedeutung dieſes Anſpruches zu verkennen. Sie erin-
nerten Innoeenz, daß das Reich die Befugniß, auf die
Papſtwahl einzuwirken, zu der es vollkommen berechtigt
geweſen, aus Verehrung für den römiſchen Stuhl habe fal-
len laſſen: wie unerhört ſey es, daß dagegen nun der Papſt,
ohne alles Recht, ſich Einfluß auf die Kaiſerwahl anmaße.
Unglücklicherweiſe aber waren ſie in einer Stellung, in wel-
cher ſie dagegen nichts Ernſtliches thun konnten. Sie hät-
ten wieder einen mächtigen Kaiſer aufſtellen, ſich ihm an-
ſchließen, unter ſeinen Fahnen das Papſtthum bekämpfen
müſſen: dazu waren ſie weder geneigt noch machte es die
Lage der Dinge ausführbar. An und für ſich liebten ſie
das Papſtthum nicht: das geiſtliche Regiment war ihnen
[40]Einleitung.
zuwider; aber ihm die Spitze zu bieten hatten ſie auch den
Muth nicht. Die Entſchloſſenheit Innocenz III trug einen
neuen Sieg davon. In dem Streite der beiden Nebenbuh-
ler, eines Hohenſtaufen und eines Welfen unterſtützte er an-
fangs den Welfen, weil er aus einer kirchlich geſinnten Fa-
milie ſey: als dieſer aber dennoch, ſo wie er zur Macht
gelangt war, und in Italien erſchien, ſich den gewohnten
Antipathien des Kaiſerthums gegen das Papſtthum hingab,
trug er kein Bedenken, ihm doch wieder einen Hohenſtau-
fen entgegenzuſetzen. Mit welfiſchen Kräften hatte er den
Hohenſtaufen bekämpft; jetzt bot er die hohenſtaufiſchen
wider den Welfen auf; es war ein Kampf, in den die Be-
wegungen auch des übrigen Europa eingriffen; die Ereigniſſe
entwickelten ſich hier und dort ſo vortheilhaft daß ſein Can-
didat auch dieß Mal den Platz behielt.


Seitdem hatte nun die päpſtliche Gewalt einen leiten-
den Einfluß auf alle deutſche Wahlen.


Als eben der von dem Papſt beförderte Hohenſtaufe,
Friedrich II, nach einigen Jahrzehnten den Verſuch machte
die Selbſtändigkeit des Reiches wenigſtens in einigen Ver-
hältniſſen wiederherzuſtellen, trug das Papſtthum kein Be-
denken, ihn auch wieder zu entſetzen. Es trat jetzt mit
ſeinem Anſpruch, daß ihm die Zügel ſo gut der weltlichen
wie der geiſtlichen Gewalt anvertraut ſeyen, unverholen
hervor.


„Wir befehlen Euch“, ſchrieb Innocenz IV 1246 an
die deutſchen Fürſten, „da unſer geliebter Sohn, der Land-
graf von Thüringen bereit iſt das Reich zu übernehmen,
daß ihr denſelben ohne allen Verzug einmüthig wählt.“ 1


[41]Verhältniß d. Papſtthums zu dem Fürſtenthum.

Für die Wahl Wilhelms von Holland belobt er Die,
welche daran Theil genommen, in aller Form: er ermahnt
die Städte dem Erwählten getreu zu ſeyn, um ſich die
apoſtoliſche und die königliche Gnade zu verdienen.


Gar bald weiß man das in Deutſchland nicht mehr
anders. Gleich bei dem Empfange der Huldigung muß
Richard von Cornwallis auf den Gehorſam der Städte
Verzicht leiſten, für den Fall, daß es dem Papſt gefalle,
ihm einen andern Bewerber vorzuziehen.


Nach dem Tode Richards fordert Gregor X die deut-
ſchen Fürſten auf, eine neue Wahl vorzunehmen; wo nicht,
ſo werde er mit ſeinen Cardinälen den Kaiſer ſetzen. Nach
vollzogener Wahl iſt es wieder der Papſt, der den Prä-
tendenten, Alfons von Caſtilien dahin bringt, auf ſeine
Anſprüche und die Inſignien des Reiches Verzicht zu lei-
ſten, und dem Gewählten, Rudolf von Habsburg, die all-
gemeine Anerkennung verſchafft. 1


Was kann von der Selbſtändigkeit einer Nation übrig
bleiben, ſobald ſie es ſich gefallen läßt, daß eine auswärtige
Gewalt ihr ein Oberhaupt gebe? Es verſteht ſich, daß der
Einfluß, der die Wahlen beherrſcht, auch in alle andern Ver-
hältniſſe vorwaltend eindringt.


Wohl hatte indeß auch das deutſche Fürſtenthum
Fortſchritte gemacht. Im dreizehnten Jahrhundert, in jenen
Streitigkeiten zwiſchen den verſchiednen Thronbewerbern,
zwiſchen Kaiſerthum und Papſtthum hatte es ſich in Beſitz
faſt aller Prärogative der Landeshoheit geſetzt. Auch ſorgte
man mit bedächtiger Vorausſicht daß die kaiſerliche Macht
nicht wieder zu überwiegender Größe erwachſen konnte. Am
[42]Einleitung,
Ende des dreizehnten, im Anfang des 14ten Jahrhunderts
wählte man dieſe Oberhäupter faſt methodiſch aus ver-
ſchiednen Häuſern. Unbewußt oder bewußt hatte man die
Maxime, jeder eben begonnenen Conſolidation wieder eine
neue Berechtigung auf einer andern Seite entgegenzuſetzen;
wie der ſchon ganz bedeutenden Macht von Böhmen das
habsburgiſche Haus, und dieſem dann wieder bald Naſſau,
bald Luxenburg, oder Baiern: zu mehr als vorübergehen-
der Bedeutung konnte keins gelangen. Allein dabei kam
auch kein andres Geſchlecht zu ſelbſtändiger Haltung: das
geiſtliche Fürſtenthum, welches vorzugsweiſe die allgemei-
nen Geſchäfte führte, bedeutete faſt mehr als das weltliche.


Um ſo mächtiger ward dann das Papſtthum, von
dem die geiſtlichen Fürſten abhiengen: zu dem auch die
weltlichen eine ſehr untergeordnete Stellung annahmen.
Was ſoll man ſagen, wenn ſie im dreizehnten Jahrhun-
dert einmal erklären, die römiſche Kirche habe ſie in Deutſch-
land gepflanzt, und mit ihrer Gnade gepflegt und empor-
gebracht. 1 Der päpſtliche Stuhl hatte den deutſchen Für-
ſten wenigſtens eben ſo viel zu verdanken wie dieſe ihm:
aber er hütete ſich wohl davon zu ſprechen: Niemand mochte
ihn daran erinnern. Seinen Siegen über das Kaiſerthum
waren andre über andre weltliche Gewalten zur Seite ge-
gangen. Es beſaß nun faſt unbeſtritten die oberſte Hoheit
in Europa. Jene Plane, die ſchon im 9ten Jahrhundert
hervorzutreten begonnen, die das elfte wieder aufgenom-
men, waren im dreizehnten zu ihrem Ziele gediehen.


[43]Verhältniß d. Papſtthums zu dem Fürſtenthum.

In langen Perioden hatte ſich eine Entwickelung voll-
zogen, deren Umriſſe ſich, wie mir ſcheint, in wenigen Sätzen
bezeichnen laſſen.


Den unmittelbar aus den Gründungen Carls des Gro-
ßen hervorgehenden Anſprüchen der Geiſtlichkeit, Europa
nach ihren hierarchiſchen Geſichtspuncten zu beherrſchen,
waren die vereinigten Deutſchen, noch durchdrungen von
den nationalen Ideen des alten Germaniens, entgegengetre-
ten und hatten das Kaiſerthum gegründet. Unglücklicher-
weiſe aber vermochte das Kaiſerthum nicht zu vollkommen
ruhigem und feſtem Beſtand zu gelangen; in der Entzweiung,
in welche die zur Gewalt geneigten Herrſcher und die wi-
derſpenſtigen Vaſallen gar bald geriethen, geſchah es doch,
daß ſowohl die Einen als die Andern das geiſtliche Ele-
ment wieder beförderten. Zuerſt ſahen die Kaiſer in einer
ſtarken Geiſtlichkeit das Mittel ihre Großen im Zaum zu
halten, und theilten ihr freigebig Beſitzthümer, Regierungs-
rechte zu. Hierauf aber, als ſich in dem Papſtthum und
der geiſtlichen Corporation überhaupt Ideen der Befreiung
regten, fanden es auch die weltlichen Großen ſo übel nicht,
wenn der Kaiſer dieſes Rückhaltes, dieſes Mittels der Ge-
walt beraubt würde: die Schwächung der kaiſerlichen Macht
kam auch ihnen gar ſehr zu Statten. So geſchah daß
dieſes geiſtliche Element durch ihre entzweiten Gegner be-
fördert zuletzt doch zu einem entſchiedenen Übergewicht ge-
langte.


Allerdings kam nun in dem 12ten, 13ten Jahrhun-
dert etwas ganz anderes zu Stande, als im 9ten geſche-
hen ſeyn würde. Die weltliche Macht konnte herabgewür-
digt, nicht vernichtet werden: ein vollkommenes Prieſter-
[44]Einleitung.
reich, wie es wohl einſt hätte erwartet werden müſſen,
konnte nicht mehr entſtehen. Auch hatte die geſammte na-
tionale Entwickelung viel zu tiefe Wurzeln geſchlagen, um
von dem kirchlichen Element erdrückt zu werden; vielmehr
ward ihr die Einwirkung der kirchlichen Ideen und Stif-
tungen ohne Zweifel ſelbſt ſehr förderlich. Es war eine
Fülle von Leben und Geiſt, von Thätigkeit in den verſchie-
denſten Zweigen, von ſchöpferiſcher Kraft vorhanden, von
denen man nicht ſieht, wie ſie bei einem anderen Gange
der Dinge hätte entſtehen können. Aber bei alle dem
war das doch kein Zuſtand, mit welchem ſich eine große
Nation befriedigen kann. An eine freie politiſche Bewe-
gung war nicht zu denken, ſo lange der vornehmſte An-
trieb zu aller öffentlichen Thätigkeit von einem fremden
Oberhaupt kam. Auch in dem Reiche des Geiſtes waren
ſtrenge Grenzen gezogen. Das unmittelbare Verhältniß,
in dem ſich jedes geiſtige Daſeyn zu dem göttlichen fühlt,
war und blieb der Nation verdunkelt.


Nur langſam und in nicht immer erreichbaren Linien
vollziehen ſich die großen, Generationen umfaſſenden Ent-
wickelungen.


Es traten endlich Verhältniſſe ein, welche auch in der
deutſchen Nation ein Bewußtſeyn ihrer natürlichen Stel-
lung hervorriefen.


Beginnende Oppoſition.


Der erſte Moment lag darin, daß das Papſtthum,
ſeiner hohen Beſtimmung faſt vergeſſend, in den Genüſſen
[45]Beginnende Oppoſition.
von Avignon, alle Eigenſchaften eines verſchwenderiſchen
und geldgierigen, die Gewalt um des Vortheils willen cen-
traliſirenden Hofes entwickelte.


Papſt Johann XXII machte ſeine lucrativen Rechte
auf das gröbſte geltend, erlaubte ſich unerhörte Eingriffe
in die Beſetzung deutſcher Pfründen: über die Rechte der
Churfürſten drückte er ſich ſehr zweifelhaft aus: er dage-
gen nahm die Befugniß, den gewählten Kaiſer zu prüfen
und nach Befinden zurückzuweiſen, ja in dem Falle einer
ſtreitigen Wahl, wie ſie damals vorlag, ſelbſt als Reichs-
verweſer zu fungiren, ſehr ernſtlich in Anſpruch; 1 endlich
leitete er gradezu Unterhandlungen ein, um einen franzö-
ſiſchen Prinzen auf den kaiſerlichen Thron zu befördern.


Da ſahen doch endlich auch die deutſchen Fürſten,
was ſie von einem ſolchen Verfahren zu erwarten hatten.
Dießmal kamen ſie ihrem Kaiſer ernſtlich zu Hülfe. Im
Jahre 1338 vereinten ſie ſich zu der berühmten Satzung,
daß Der, welchen die Mehrheit der Churfürſten dazu wähle,
auch wirklich als Kaiſer betrachtet werden müſſe. Als
Ludwig der Baier, müde von dem langen Kampfe, einen
[46]Einleitung.
Augenblick ſchwankte, hielten ſie ihn feſt; auf dem Reichs-
tag des Jahres 1344 machten ſie ihm einen Vorwurf
daraus, daß er ſich zu erniedrigenden Bedingungen habe
bequemen wollen. Natürlich! jetzt hatte der Papſt nicht
allein den Kaiſer, er hatte auch ihre herkömmlichen Rechte,
die Rechte der ganzen Nation hatte er angegriffen.


Und nicht allein die Fürſten waren dieſer Geſinnung.
In dem vierzehnten Jahrhundert trat wie in Europa über-
haupt ſo auch in Deutſchland den bisher alleinherrſchen-
den ariſtokratiſchen Geſchlechtern ein plebejiſches Element
zur Seite, indem nicht allein die Städte zu den Reichs-
verſammlungen gezogen wurden, ſondern in einem großen
Theile derſelben die Zünfte in das Regiment gedrungen wa-
ren. Noch feuriger als die meiſten Fürſten nahmen dieſe
Plebejer an der Sache ihres Kaiſers Antheil. Wie oft
ſind die Prieſter, welche die Excommunication des Kaiſers
für gültig erklärten, aus den Städten vertrieben worden!
Auch über ſie ward dann der Bann ausgeſprochen: ſie
wollten niemals anerkennen, daß derſelbe gültig ſey: ſie
weigerten ſich wohl die Abſolution anzunehmen ſelbſt wenn
man ſie ihnen anbot. 1


So geſchah es, daß der Papſt mit ſeinem Gegenkönig
Carl von Luxenburg dieß Mal nicht durchdringen konnte;
Hohe und Gemeine hielten mit beinahe allgemeiner Ueber-
einſtimmung an Ludwig von Baiern feſt; erſt nach deſſen
Tode, und auch dann nur nach wiederholter Wahl und
Krönung fand Carl IV allmählige Anerkennung.


Was er denn auch dem Papſt verſprochen haben
[47]Beginnende Oppoſition.
konnte, ſo durfte er doch auch ſeinen Fürſten nichts ver-
geben. Vielmehr ſetzte er die Rechte der Churfürſten, auch
auf jenes angefochtene Vicariat wenigſtens in deutſchen
Landen erſt recht feierlich feſt. Es war ein Kern des Wi-
derſtandes gebildet.


Ihn zu pflegen und zu entwickeln, kamen nun die
Verwirrungen des Schismas, die Tendenzen der Concilien
hinzu.


Da riß ſich die Idee der Kirche zum erſten Mal ent-
ſchieden los von ihrer Erſcheinung: die Nationen traten
als ſelbſtändige Glieder derſelben auf: die Päpſte wurden
gerichtet und abgeſetzt: das ariſtokratiſch-republikaniſche
Weſen, das in den Staaten eine ſo große Rolle ſpielte,
ſuchte auch das Papſtthum, das ſeiner Natur nach höchſt
monarchiſch iſt, zu durchdringen und umzugeſtalten. Die
Kirchenverſammlung von Baſel faßte die Abſicht, zugleich
die Freiheit der Nationen und die Autorität der Concilien
auf immer feſtzuſtellen. Sie fand damit vorzüglich bei den
Deutſchen großen Beifall. Ihre Reformationsdecrete wur-
den von der Reichsverſammlung feierlich angenommen: 1 in
ihren Streitigkeiten mit Eugen IV entſchloſſen ſich die Deut-
ſchen neutral zu bleiben, was ſie dann gleich dahin führte,
daß ſie auf eine Zeitlang von dem römiſchen Hofe eman-
cipirt wurden: 2 ſie nöthigten den Papſt, der es gewagt
[48]Einleitung.
zwei geiſtliche Churfürſten abzuſetzen, durch die Drohung,
ſie würden zu ſeinem Gegner übergehn, dieſe Abſetzung zu-
rückzunehmen.


Hätte man dieſen Gang einmüthig und ſtandhaft ver-
folgt, ſo würde die deutſche katholiſche Kirche, in ſo vie-
len großen Fürſtenthümern und der reichſten Ausſtattung
der Welt auf das großartigſte begründet, eine wahrhaft
ſelbſtändige Stellung gewonnen haben: in der ſie die ſpä-
tern doctrinellen Stürme ſo gut hätte überdauern können
wie die engliſche.


Es trafen verſchiedne Umſtände zuſammen, um dieß
zu verhindern.


Einmal wirkten ſo viel ich ſehe die Irrungen zwiſchen
Frankreich und Burgund auf dieſe Sache zurück. Frank-
reich war für die Ideen des Concils und bildete ſie zu
der pragmatiſchen Sanction aus; Burgund war für den
Papſt. Von den deutſchen Fürſten ſtanden einige mit dem
König, andre mit dem Herzog in engſter Verbindung.


Sodann ward für den Papſt viel geſchickter unter-
handelt. Wenn man den Mann der deutſchen Oppoſition,
Gregor von Heimburg, der ſich ſeines Sieges ſchon ver-
ſichert hielt, und als er nach Rom geſandt war, ſich ſelbſt
an dem Fuß des Vaticans in tauſend Verwünſchungen ge-
gen die Curie ergoß, — man ſah ihn dort mit ganz ver-
nachläßigtem Äußern, offenem Hals, ſeinen kahlen Kopf
entblößt, umhergehn, und der Curie Trotz bieten — wenn
man dieſen mit dem feinen, verſchlagenen, ſtill-ehrgeizigen,
glücklich emporſtrebenden Äneas Sylvius verglich, der gar
manchem Herrn gedient, und immer in eines jeden Ver-
trauen
[49]Beginnende Oppoſition.
trauen gelangt war, ſo konnte man nicht zweifeln, auf wel-
cher Seite das Übergewicht ſeyn würde. Heimburg iſt
im Exil, von fremder Gnade lebend geſtorben: Äneas Syl-
vius hat die dreifache Krone ſelber getragen. Damals
wußte Äneas einzelne Räthe und durch ſie ihre Fürſten
zu gewinnen, und von dem großen Entwurfe abtrünnig
zu machen; mit Vergnügen und Genugthuung hat er es
ſelbſt erzählt; auch das Mittel der Beſtechung hat er da-
bei nicht verſchmäht. 1


Die Hauptſache aber war daß das Oberhaupt des
Reiches, König Friedrich III ſich auf die Seite des Papſtes
hielt. Die Union der Fürſten, welche wie ſie die geiſtli-
chen Eingriffe ausſchloß, ſo auch ihm hätte gefährlich wer-
den können, war ihm ſo gut verhaßt wie dem Papſt.
Äneas Sylvius führte jene Unterhandlungen nicht min-
der in dem Sinne des Kaiſers als des Papſtes; zu ſeinen
Beſtechungen ſtanden ihm ſogar kaiſerliche Vorſchüſſe zu
Gebote.


Daher geſchah es daß die Nation auch dieß Mal
nicht zu ihrem Ziele gelangte.


Im erſten Momente nahm man zwar zu Rom die
Baſeler Decrete an; jedoch unter der Bedingung, daß dem
römiſchen Stuhle eine Entſchädigung für ſeine Verluſte
ausgemittelt werden ſolle; 2 dieſe Entſchädigung aber wollte
Ranke d. Geſch. I. 4
[50]Einleitung.
ſich hierauf nicht finden und Friedrich III, der für das
Reich unterhandelte, gewährte am Ende dem römiſchen
Stuhle alle die alten Gerechtſame aufs neue, die man dem-
ſelben zu entwinden geſucht. Auf dem Reichstag wäre man
wohl damit nicht durchgekommen: man ergriff den Ausweg,
dieſe Vereinbarung von den einzelnen Fürſten ſanctioniren
zu laſſen.


So blieb es denn doch beim Alten. Anordnungen
welche der päpſtliche Stuhl im J. 1335 getroffen, die
dann im Jahre 1418 wiederholt worden, wurden im J.
1448 abermals die Grundlage der deutſchen Concordate.
Natürlich ward die Oppoſition nicht gedämpft. Sie er-
ſchien nicht mehr auf der Oberfläche der Ereigniſſe, aber
in der Tiefe ſetzte ſie ſich um ſo wirkſamer feſt. Man
fühlte in jedem Moment, daß man im Nachtheil ſtehe, daß
man Ungerechtigkeit erleide.


Idee des ſpätern Kaiſerthums.


Da war nur das Merkwürdige, daß man an dem
Kaiſerthum ſelbſt keine Stütze mehr fand. Das Kaiſer-
2
[51]Idee des ſpaͤtern Kaiſerthums.
thum hatte jetzt eine dem Papſtthum analoge, nur in
Macht und Autorität ihm ſehr untergeordnete Stellung
angenommen.


Man darf die Thatſache nicht verkennen, daß ſeitdem
Carl IV ſeinen Sitz in Böhmen aufgeſchlagen, mehr als
ein Jahrhundert lang kein Kaiſer mit eigenthümlicher Kraft
im Reiche auftrat. Von Carls Nachfolger Wenzlaw hat
man es in Deutſchland eine geraume Zeit hindurch gar
nicht erfahren daß ihn die Böhmen gefangen hielten; ein
einfaches Decret der Churfürſten reichte hin, ihn abzuſetzen.
Ruprecht von der Pfalz entgieng wohl nur durch den Tod
einem ähnlichen Schickſal. Als derjenige Fürſt, welcher
nach mancherlei Wahlentzweiungen den Platz behielt, Sieg-
mund von Luxenburg, vier Jahre nach ſeiner Wahl end-
lich im Reiche erſchien, um ſich krönen zu laſſen, fand er
ſo wenig Theilnahme, daß er einen Augenblick im Be-
griff war, unverrichteter Dinge nach Ungern zurückzugehn.
Seine Thätigkeit in den allgemeinen europäiſchen und den
böhmiſchen Angelegenheiten hat ihm einen Namen gemacht,
in dem Reiche aber, für das Reich hat er nichts Weſentliches
gethan. Zwiſchen 1422 und 1430 erſchien er höchſtens in
Wien; vom Herbſt 1431 bis dahin 1433 beſchäftigte ihn
ſeine Krönungsreiſe nach Rom; die drei Jahre von 1434 bis
zu ſeinem Tod iſt er nicht weiter als bis nach Böhmen
und Mähren gekommen. 1 Auch Albrecht II, dem man
ſo freigebig Lobeserhebungen ſpendet, iſt nie perſönlich in
4*
[52]Einleitung.
den Reichslanden geweſen. So weit aber wie Friedrich III
hat es doch kein Andrer kommen laſſen. Sieben und zwanzig
Jahre lang von 1444 bis 1471 iſt er nie in dem Reiche
geſehen worden.


Daher kam es, daß die centrale Action, die Darſtel-
lung der höchſten Gewalt, in wie fern eine ſolche überhaupt
in dem Reiche Statt fand, den Fürſten, hauptſächlich den
Churfürſten anheimfiel. Unter Siegmund ſchreiben ſie die
Reichstage aus, bringen die Heere gegen die Huſſiten ins
Feld: ihnen gradezu werden die Unternehmungen gegen die
Böhmen beigemeſſen. 1


Auch das Kaiſerthum wurde auf dieſe Weiſe, wie das
Papſtthum, eine von ferneher wirkende, hauptſächlich in der
Idee beruhende Macht. Die auf Siege und Kriegsge-
walt gegründete Krone hatte nur noch eine friedliche, er-
haltende Bedeutung. Am leichteſten verfliegen in der Welt
die Vorſtellungen, die man in jedem Moment mit einem
Namen der ſich forterbt, mit einem Titel verknüpft. Und
doch beruht, beſonders in Zeiten wo das ungeſchriebene
Geſetz ſo viel bedeutet, die ganze Wirkſamkeit einer Würde
auf dieſer Vorſtellung. Wenden wir den Ideen die das
funfzehnte Jahrhundert von Kaiſerthum und Papſtthum
hegte, einen Augenblick eine nähere Aufmerkſamkeit zu.


Vor allem betrachtete man den Kaiſer als den ober-
ſten Lehnsherrn, der dem Beſitzthum die Weihe der höchſten
Beſtätigung verleihe: als den oberſten Gerichtsherrn, von
[53]Idee des ſpaͤtern Kaiſerthums.
dem, wie man ſich ausdrückte, alle Gerichtszwänge entſprie-
ßen. Es iſt ſehr eigen, zu beobachten, wie Friedrich dem III,
keineswegs dem mächtigſten Fürſten des Reiches, die Wahl
kund gethan wird, die auf ihn gefallen iſt, und wie darauf
ſogleich das Verhältniß ſich umkehrt, und „Seine König-
liche Großmächtigkeit“ Denen die ihn erhoben, die Be-
ſtätigung in ihre Rechte und Würden zuſagt. 1 Alles
eilt, ſeine Privilegien und Beſitzthümer von ihm anerken-
nen zu laſſen; die Städte huldigen ihm nicht, ehe das ge-
ſchehen iſt. Auf ſeiner höchſten Gewährleiſtung beruht das
Gefühl des geſetzlichen ſichern Beſtehens, deſſen der Menſch,
vor allem der Deutſche, nun einmal bedarf. „Nimm uns
die Rechte des Kaiſers,“ heißt es in einem Geſetzbuch je-
ner Zeit, „und wer kann noch ſagen: dieſes Haus iſt
mein, dieſes Dorf gehört mir an?“ Wahr und tiefſinnig!
Eben darum aber darf der Kaiſer Rechte, als deren Quelle
er betrachtet wird, nun nicht etwa mit freier Willkühr
verwalten. Er mag ſie vergeben: ſelbſt ausüben darf
er ſie nur innerhalb der von dem Herkommen und der
Übermacht ſeiner Unterthanen gezogenen engen Schran-
ken. Obwohl alle weltliche Jurisdiction auf ihn zurück-
geführt wurde, ſo fand doch kein Gericht zweifelhafteren
Gehorſam als eben das ſeine.


Man hatte es beinahe in Vergeſſenheit gerathen laſ-
ſen, daß es eine königliche Gewalt in Deutſchland gebe;
auch dieſer Titel war abgekommen; ſchon Heinrich VII
hielt es für eine Beleidigung, wenn man ihn König von
Deutſchland nannte, und nicht, wie er vor aller Krönung
[54]Einleitung.
genannt zu werden das Recht hatte, König der Römer. 1
Man betrachtete auch in dem funfzehnten Jahrhundert den
Kaiſer vor allen Dingen als den Nachfolger der altrömi-
ſchen Cäſaren, deren Würde und Recht erſt an die Grie-
chen, dann in Carl und Otto den Großen auf die Deut-
ſchen übergegangen, als das eigentliche weltliche Oberhaupt
der Chriſtenheit. Kaiſer Siegmund befahl, ſeine Leiche ei-
nige Tage zu zeigen, damit Jedermann ſehen möge, daß
„all der Welt Herr todt und geſtorben ſey.“ 2 „Wir ha-
ben, ſchreiben die Churfürſten 1440 an Friedrich III, Ew.
Kön. Gnade zu einem Haupt, Schützer und Vogt der ganzen
Chriſtenheit erwählt:“ ſie ſprechen die Hofnung aus, daß
das der römiſchen Kirche, der ganzen Chriſtenheit, dem hei-
ligen Reiche und gemeinen Chriſtenleuten nützlich ſeyn ſolle. 3
Selbſt ein fremder König Wladislaw von Polen, preiſt
den Erwählten glücklich, daß er einſt das Diadem der
Monarchie der Welt empfangen werde. 4 Man war in
Deutſchland unbedenklich der Meinung, daß auch die übri-
gen chriſtlichen Könige, namentlich von England, Spanien
und von Frankreich dem Kaiſerthume von Rechtswegen un-
terworfen ſeyen, und war nur darüber in Streit, ob ihr
Ungehorſam entſchuldigt werden könne, oder als ſündlich
[55]Idee des ſpaͤtern Kaiſerthums.
betrachtet werden müſſe. 1 Die Engländer ſuchten nach-
zuweiſen, daß ſie ſeit Einführung des Chriſtenthums nicht
unter dem Reich geſtanden. 2 Die Deutſchen dagegen tha-
ten nicht allein, was auch die Andern zu thun ſchuldig
geweſen wären: und erkannten das heilige Reich an; ſondern
ſie hatten die Befugniß an ſich gebracht demſelben ſein Ober-
haupt zu geben, und man hegte die ſonderbare Meinung,
die Churfürſten ſeyen in die Rechte des römiſchen Senates
und Volkes getreten. So drückten ſie ſich in dem dreizehn-
ten Jahrhundert ſelbſt einmal aus. „Wir, ſagen ſie, die
wir des römiſchen Senates Stelle einnehmen, die wir als
die Väter und die Leuchten des Reiches gelten.“ 3 In dem
funfzehnten Jahrhundert wiederholte man dieſe Meinung. 4
Wenn die Churfürſten zur Wahl ſchritten, ſo ſchwuren ſie
„nach beſter Vernunft küren zu wollen das weltlich Haupt
chriſtlichem Volk; d. i. einen römiſchen König und künfti-
[56]Einleitung.
gen Kaiſer.“ Dazu ſalbte und krönte den Erwählten der
Churfürſt zu Cölln, dem dieſes Recht dieſſeit der Alpen zu-
ſtand. Selbſt auf dem Stuhl zu Renſe leiſtete der König
dem römiſchen Reiche den Eid. 1


Es leuchtet ein, wie in einem ſo durchaus anderen
Verhältniß die Deutſchen zu dem Kaiſer ſtanden, der aus
ihrer Mitte durch ihre Wahl zu dieſer hohen Würde em-
porſtieg, als auch die mächtigſten Großen in andern Rei-
chen zu ihrem natürlichen, erblichen Herrn und Gebieter.
Die kaiſerliche Würde, aller unmittelbar eingreifenden Macht
entkleidet, hat eigentlich nur für die Ideen Bedeutung. Sie
giebt dem Rechte ſeine lebendige Beſtätigung, dem Gericht
ſeine höchſte Autoriſation, dem deutſchen Fürſtenthum ſeine
Stellung in der Welt. Sie hat etwas für dieſe Zeit Un-
entbehrliches, Heiliges. Offenbar iſt ſie dem Papſtthum gleich-
artig, und hat mit demſelben den innigſten Zuſammenhang.


Denn im Grunde waren beide Gewalten hauptſächlich
dadurch unterſchieden, daß die päpſtliche die allgemeine Aner-
kennung der romaniſch-germaniſchen Welt genoß und die kai-
ſerliche es nicht dazu hatte bringen können. Übrigens waren
die heilige römiſche Kirche und das h. römiſche Reich in der
Idee unauflöslich verbunden; die Deutſchen dachten ſich zu
der Kirche wie zu dem Reiche in ganz beſonders enger Be-
ziehung. Wir finden ein Bündniß rheiniſcher Fürſten, als
deſſen Zweck ſie angeben, ihre Stifter und Fürſtenthümer
[57]Idee des ſpaͤteen Kaiſerthums.
bei dem h. römiſchen Reiche und der heiligen römiſchen Kirche
in Ehre und Würdigkeit zu behaupten. Die Churfürſten
nehmen ſelbſt für die kirchlichen Verhältniſſe eine beſondere
Berechtigung in Anſpruch: im Jahre 1424, noch einmal
im J. 1446 erklären ſie, der Allmächtige habe ſie dazu ge-
ordnet und gewürdigt, daß ſie die Gebrechen, die in der
heil. Kirche und Chriſtenheit und in dem heil. Reiche ent-
ſtehen, mit dem römiſchen Könige, mit Fürſten, Herrn, Rit-
tern und Städten des Reichs und mit allen Chriſtgläubi-
gen abzuſtellen ſuchen ſollen. 1


Und ſo glaubte man denn der päpſtlichen Gewalt ſo
gut wie der kaiſerlichen verpflichtet zu ſeyn; aber da jene
in alle den Jahrhunderte langen Kämpfen immer Siege-
rin geblieben, während dieſe ſo oft unterlegen war, ſo
übten die Päpſte eine bei weitem ſtärkere durchgreifendere
Wirkſamkeit auch in weltlicher Beziehung aus als die Kai-
ſer. Woran kein Kaiſer hätte denken dürfen, einen Chur-
fürſten des Reiches abzuſetzen, das haben die Päpſte ver-
ſchiedene Mal verſucht, und es zuweilen auch wirklich ausge-
führt. Auch ſo entfernte Bisthümer wie Camin verleihen
ſie italieniſchen Prälaten. Durch ihre Annaten, Pallien und
alle die mannichfaltigen Gefälle der Curie bringen ſie ein
bei weitem größeres,-Maximilian I hat geſagt, ein hun-
dert Mal größeres-Einkommen aus dem Reiche auf, als
der Kaiſer: unaufhörlich durchziehen ihre Ablaßverkäufer die
verſchiedenen Provinzen des Reiches. Die enge Verflech-
tung geiſtlicher und weltlicher Fürſtenthümer und Gerecht-
ſame giebt ihnen jeden Augenblick Gelegenheit in die innern
[58]Einleitung.
deutſchen Geſchäfte einzugreifen. Die Soeſter Streitigkeit
zwiſchen Cleve und Cölln, 1 die Gröninger zwiſchen Utrecht
und Oſtfriesland, und wie viele andre zieht der Papſt an
ſeinen Hof: er beſtätigt 1472 einen Zoll im Trieriſchen: 2
er giebt Privilegia de non evocando wie der Kaiſer.


Jene alte Vergleichung, deren ſich ſchon Gregor VII
bedient, des Papſtthums mit der Sonne, des Kaiſerthums
mit dem Mond, war jetzt wahr geworden: die Deutſchen hiel-
ten die päpſtliche Macht in jeder Beziehung für die höhere.
Bei der Stiftung ihrer hohen Schule z. B. zog die Stadt Ba-
ſel in Überlegung ob dafür nach dem gutheißenden Breve
des Papſtes auch noch die Beſtätigung des Kaiſers erfor-
derlich ſey, und entſchied endlich, daß man einer ſolchen
nicht bedürfe; denn die untere Gewalt vermöge die Beſtim-
mungen einer oberen nicht zu bekräftigen; der päpſtliche
Stuhl ſey der oberſte Brunnen der Chriſtenheit. 3 Der
Arrogator der Pfalz, Friedrich der ſiegreiche, deſſen Chur-
würde der Kaiſer nicht anerkennen wollte, hielt es für hin-
reichend ſich von dem Papſt beſtätigen zu laſſen und ward
darauf in der Ausübung ſeiner Berechtigungen in dem
Reiche nicht weiter geſtört.


Hätte es nicht ſcheinen ſollen, als werde das Kaiſer-
thum das Unwürdige dieſer Stellung fühlen und ſich den
Päpſten ſo oft und lebendig als möglich widerſetzen?


So viel Devotion die Fürſten auch im ganzen gegen
den römiſchen Stuhl hatten, ſo waren ihnen doch deſſen
[59]Idee des ſpaͤtern Kaiſerthums.
pecuniäre Rechte drückend und noch mehr als einmal dräng-
ten ſich die Tendenzen der Baſeler Beſchlüſſe zu Tage. Nach
dem Tode Nicolaus V forderten die deutſchen Fürſten den
Kaiſer auf, den Augenblick zu ergreifen, die Freiheit der
Nation zu behaupten, und wenigſtens für die vollſtändige
Ausführung der mit Eugen getroffenen Übereinkunft zu ſor-
gen. Allein Friedrich III war nicht dazu zu bewegen.
Äneas Sylvius überredete ihn, daß er ſich in der Noth-
wendigkeit befinde, mit dem Papſt zuſammenzuhalten: er
ſuchte ein paar Gemeinplätze hervor, von der Unbeſtändig-
keit der Menge und ihrem natürlichen Haſſe gegen die Ober-
herrn: gleich als ſeyen die deutſchen Reichsfürſten eine Art
von Demokratie; der Kaiſer, ſagte er, bedürfe des Papſtes,
der Papſt des Kaiſers, es würde lächerlich ſeyn, denjenigen zu
beleidigen, von dem man Hülfe erwarte. 1 Er ſelbſt wurde
1456 geſendet, um dem neuen Papſt, Calixtus ohne alle Be-
dingung die Obedienz zu leiſten. Und zwar regten ſich gleich
hierauf die alten Gedanken aufs neue. Es ward eine prag-
matiſche Sanction entworfen, in der nicht nur die Abſtellung
aller Beſchwerden gegen den päpſtlichen Stuhl näher aus-
geführt, ſondern auch zugleich beſtimmt wurde, was man
in dem Fall einer abſchläglichen Antwort zu thun, welche
Appellationen man einzuwenden, wie man doch zum Ziel
zu kommen habe. 2 Aber wie wäre etwas auszurichten ge-
weſen, da der Kaiſer ſelber allen dieſen Plänen ſo viel
als möglich entgegenarbeitete. Er betrachtete ſich wirklich
als den natürlichen Verbündeten des Papſtthums.


[60]Einleitung.

Es geſchah wohl nicht ohne Rückwirkung dieſes Ver-
fahrens, daß der Widerwille der Churfürſten, durch die
Unthätigkeit und Entfernung des Kaiſers ohnehin begrün-
det, zuweilen lebhaft gegen ihn aufbrauſte. Schon im
J. 1456 forderten ſie ihn auf, ſich an einem beſtimmten
Tage zu Nürnberg einzufinden, denn dazu ſey er da, um
die Bürde des Reiches löblich zu tragen: würde er aus-
bleiben, ſo würden ſie doch zuſammenkommen, und thun
was ſich gebühre. 1 Da er weder damals noch auch ſpä-
ter erſchien, ſo ließen ſie ihn im Jahr 1460 wiſſen, es
ſtehe ihnen nicht länger an, ohne Haupt zu ſeyn. Sie
wiederholten jene Aufforderung auf Dienſtag nach Pfing-
ſten mit noch ſchärfern Bedrohungen. Ganz ernſtlich gien-
gen ſie damit um, ihm einen römiſchen König an die Seite
zu ſetzen.


Wenn man hört, daß Georg Podiebrad, König von
Böhmen, es war, auf den ſie ihr Auge geworfen, ſo ſieht
man wohl, daß darin eine Verbindung der Oppoſition ge-
gen Kaiſer und Papſt lag. Was hätte es ſchon damals
geben müſſen, wenn ein Utraquiſt an die Spitze des Reichs
getreten wäre.


Um ſo eifriger bemühte ſich nun der Papſt, es war
jetzt jener Äneas Sylvius ſelbſt, Pius II, dem Kaiſer die
bisher geleiſteten Dienſte zu vergelten. Auch ihm war die
Selbſtändigkeit der Churfürſten höchlich verhaßt. Wie es
ſchon immer zu den Anſprüchen des Kaiſers gehörte, daß
kein Churfürſtentag gehalten werden dürfe ohne ſeine Ein-
[61]Idee des ſpaͤtern Kaiſerthums.
willigung, ſo hatte jetzt Pius II den Churfürſten Diether
von Mainz ſogar verpflichten wollen, keine ſolche Verſamm-
lung zu berufen ohne die Einwilligung des päpſtlichen
Stuhles. Es war der Hauptanlaß ſeiner Entzweiung mit
Diether, daß dieſer darauf nicht eingehen wollte. Pius
verhehlte dem Kaiſer nicht, daß auch er ſich durch die Be-
wegungen im Reiche gefährdet ſehe. Seinem Einfluß und
der Tapferkeit des Markgrafen Albrecht Achilles von Bran-
denburg vor allem war es zuzuſchreiben, daß ſie in nichts
zerſtoben.


Seitdem finden wir nun die kaiſerliche und die päpſt-
liche Macht, denen ihr gegenſeitig ſich ergänzendes Ver-
hältniß zum Bewußtſeyn gekommen, inniger als jemals mit
einander vereint.


Die Reichstage werden unter ihrer vereinten Autori-
tät gehalten; ſie heißen königliche und päpſtliche, päpſtliche
und kaiſerliche Tage; wir ſehen die päpſtlichen Legaten bei
den Reichsverſammlungen eintreffen, wie ſchon zu Sieg-
munds, ſo auch zu Friedrichs Zeiten; und ſie ſofort er-
öffnen. Die geiſtlichen Fürſten nehmen ihren Platz zur
Rechten, die weltlichen zur Linken des Legaten; erſt ſpäter
treffen die kaiſerlichen Commiſſarien ein, um ihre Vorſchläge
mit den päpſtlichen zu vereinigen.


Da fragt ſich nun, in wie fern dieſe höchſt eigen-
thümliche Form der Verfaſſung den Bedürfniſſen des Reiches
zu genügen vermochte.


[62]Einleitung.

Lage der Dinge um die Mitte des funfzehnten
Jahrhunderts.


Wir ſehen, welch einen überaus großartigen Einfluß
die deutſchen Fürſten von jeher ausgeübt haben.


Zuerſt war das Kaiſerthum aus ihrer Mitte mit ihrer
Hülfe zu ſeiner Gewalt aufgeſtiegen; dann hatten ſie die
Emancipation des Papſtthums, die zugleich ihre eigene
war, unterſtützt; jetzt ſtanden ſie beiden gegenüber. So
ſehr ſie auch noch an der Idee von Kaiſerthum und Papſt-
thum feſthielten, davon durchdrungen waren, ſo war doch
dabei ihr Sinn, die Eingriffe ſo gut des einen wie des
andern abzuwehren; ihre Macht war bereits ſo ſelbſtändig,
daß ſich Kaiſer und Papſt gegen ſie zu verbünden für nö-
thig hielten.


Fragen wir nun aber, wer ſie waren, dieſe Großen,
worauf ihre Macht beruhte, ſo zeigt ſich, daß, nach lan-
gem Keimen und Wachſen, in dem funfzehnten Jahrhun-
dert das weltliche Erb-Fürſtenthum mächtig emporkam
und wenn wir ſo ſagen dürfen, nachdem es ſeine Wurzeln
lange in die Tiefe geſenkt, jetzt ſeine Wipfel über alle nie-
drigeren Gewächſe frei in die Lüfte zu erheben begann.


Alle die mächtigen Häuſer, die ſeitdem die Gewalt
gehabt, nahmen damals ihre Stellung ein.


In dem öſtlichen Norddeutſchland traten die Hohen-
zollern auf: in einem ganz zerrütteten Lande; aber mit ei-
ner ſo beſonnenen Kraft und entſchloſſenen Umſicht, daß
es ihnen in Kurzem gelang, die Nachbarn in ihre alten
[63]Lage der Dinge um die Mitte des 15 Jahrh.
Grenzen zurückzuweiſen, die Marken zu beruhigen und wie-
derzuvereinigen, die dort ſehr eigenthümlichen Grundlagen
der fürſtlichen Macht wieder zu gewinnen und zu beleben.


Neben ihnen erhob ſich das Haus Wettin durch die
Erwerbung der ſächſiſchen Kurlande in den höchſten Rang
der Reichsfürſten und in den Zenith ſeiner Macht. Es
beſaß wohl das zugleich ausgebreitetſte und blühendſte deut-
ſche Fürſtenthum, ſo lange die Brüder Ernſt und Albrecht
zu Dresden einträchtig Hof hielten und gemeinſchaftlich re-
gierten: auch als ſie theilten, blieben beide Linien noch an-
ſehnlich genug um in den Angelegenheiten von Deutſchland,
ja von Europa eine Rolle zu ſpielen.


In der Pfalz erſchien Friedrich der Siegreiche. Man
muß das lange Verzeichniß der Schlöſſer, Gebiete und
Güter leſen, die er bald durch Eroberung bald durch Kauf
und Vertrag, denen aber ſeine Überlegenheit in den Waf-
fen erſt rechten Nachdruck gab, allen ſeinen Nachbarn ab-
gewann, um zu ſehen, was ein deutſcher Fürſt damals
ausrichten, wie er ſich Raum machen konnte.


Friedlichere Erwerbungen machte Heſſen. Durch den
Anfall von Ziegenhain und Nidda, vor allem von Katzen-
elnbogen, einer ſorgfältig gepflegten blühenden Landſchaft,
von welcher die alten Grafen nie ein Dorf nie ein Gut
weder durch Fehde noch durch Kauf hatten abkommen laſ-
ſen, erlangte es einen Zuwachs, der ſeinem alten Beſtande
beinahe gleich kam.


Und ein ähnlicher Geiſt der Ausbreitung und Zuſam-
menſchmelzung war auch an vielen andern Orten lebendig.
Jülich und Berg vereinigten ſich: Baiernlandshut ward
[64]Einleitung.
durch ſeine Verbindung mit Ingolſtadt mächtig: in Baiern-
münchen behauptete Albrecht der Weiſe nicht ohne Gewalt-
ſamkeit, die aber dießmal wenigſtens in ihren Folgen wohl-
thätig ward, die Einheit des Landes unter den ſchwierig-
ſten Umſtänden. Auch in Würtenberg verſchmolz die Menge
der getrennten Beſitzthümer allmählig in Eine Landſchaft,
in die Geſtalt eines deutſchen Fürſtenthumes.


Noch bildeten ſich neue Territorialgewalten aus. In
Oſtfriesland erſchien endlich ein Häuptling, vor welchem
alle übrigen ſich beugten, Junker Ulrich Cirkſena, mächtig
durch ſeines Bruders, ſeines Vaters und ſeine eigenen Er-
werbungen. Auch die Anhänger des alten Fokko Uken, die
ihm noch entgegen waren, gewann er, indem er ſich mit
deſſen Enkelin Theta vermählte. Hierauf ward er im Jahr
1463 zu Emden feierlich zum Grafen ausgerufen. Haupt-
ſächlich war es Theta, die dann in 28jähriger Alleinregie-
rung die neue Herrſchaft zu befeſtigen wußte: eine ſchöne
Frau, blaß von Geſicht, mit rabenſchwarzem Haar und
feurigen Augen, wie ihr Bildniß ſie zeigt; vor allem aber
von einem zur Herrſchaft geeigneten großen Verſtande, wie
ihr Thun und Laſſen bewieſen hat.


Schon erhoben ſich deutſche Fürſten auf auswärtige
Throne. Im Jahr 1448 unterzeichnete Chriſtian I Graf
von Oldenburg die Handveſte, die ihn zum König von
Dänemark machte; 1450 ward er zu Drontheim mit S.
Olafs Krone gekrönt; 1457 unterwarfen ſich ihm die Schwe-
den; 1460 huldigte ihm Holſtein, das dann für ihn zu ei-
nem deutſchen Herzogthum erhoben wurde. Wohl waren
dieſe Erwerbungen nicht von ſo feſter und zuverläßiger Na-
tur
[65]Lage der Dinge um die Mitte des 15 Jahrh.
tur, wie es anfangs ſcheinen mochte, auf jeden Fall aber
gaben ſie einem deutſchen Fürſtenhauſe eine ganz neue Stel-
lung zu Deutſchland und zu Europa.


Es war, wie man ſieht, nicht allein der ſtille Gang
der Dinge, die geräuſchloſe Fortentwickelung ſtaatsrechtli-
cher Verhältniſſe, wodurch das Fürſtenthum emporkam: es
war hauptſächlich geſchickte Politik, glücklicher Krieg, die
Macht gewaltiger Perſönlichkeiten.


Noch beſaß jedoch das weltliche Fürſtenthum keines-
weges die volle Herrſchaft; noch war es in unaufhörlichem
Wettſtreit mit den andern Reichsgewalten begriffen.


Da waren zuerſt die geiſtlichen Fürſtenthümer — von
ähnlicher Berechtigung und innerer Ausbildung, in der
Hierarchie des Reiches ſogar im Beſitze des höhern Ran-
ges — in welchen die Herrn von hohem oder auch von nie-
derem Adel die Capitel einnahmen, und die obern Stellen
beſetzten. In dem funfzehnten Jahrhundert fieng man zwar
allenthalben an, die biſchöflichen Würden auf die jüngern
Söhne aus den fürſtlichen Häuſern zu übertragen: der rö-
miſche Hof ſelbſt begünſtigte dieß, indem er der Meinung
war, daß nur die Autorität der Macht im Stande ſey
die Capitel in Ordnung zu halten; 1 allein weder war
dieß allgemein geworden, noch gab das geiſtliche Fürſten-
thum darum ſein eigenes Prinzip auf.


Es blühte ferner ein zahlreicher Herrenſtand, der ſeine
Lehen mit der Fahne empfieng wie die Fürſten, mit ihnen
zu Gericht ſitzen konnte; ja es gab noch Geſchlechter, die
Ranke d. Geſch. I. 5
[66]Einleitung.
ſich alle die Zeiten daher außerhalb des allgemeinen Lehen-
verbandes gehalten, welcher die Grundlage des Staates
war, die ihre Güter von Gott und dem heiligen Element
der Sonne zu Lehen nahmen. Sie waren von dem Für-
ſtenthum verdunkelt, aber genoſſen noch ihre volle Selb-
ſtändigkeit.


An dieſe ſchloß ſich eine mächtige Reichsritterſchaft
an, die überall am Rhein, in Schwaben und Franken ihre
Burgen hatte, in ſtolzer Einſamkeit, mitten in den Wild-
niſſen der Natur, in einer unbezwinglichen Umgürtung von
tiefen Gräben und bei vier und zwanzig Schuh dicken
Mauern, wo ſie jeder Gewalt trotzen konnte: eben that
ſie ſich in feſtere Genoſſenſchaften zuſammen. Ein anderer
Theil des Adels, namentlich in den öſtlichen, den coloniſirten
Fürſtenthümern, in Pommern und Meklenburg, Meißen und
den Marken, war dagegen zu unzweifelhafter Unterthänig-
keit gebracht; obgleich auch dieß, wie man aus dem Bei-
ſpiel der Priegnitz ſieht, nicht ohne Mühe und Kampf ge-
ſchehen war. Und noch eine dritte Claſſe gab es, die ſich
der Landſäßigkeit fortwährend erwehrte. Craichgauer und
Mortenauer wollten die pfälziſche, die Bökler und Löwen-
ritter die bairiſche Oberherrlichkeit nicht anerkennen: es fin-
det ſich wohl, daß die Churfürſten von Mainz und von
Trier bei einer Auſträgal-Beſtimmung gleich im Voraus
fürchten, ihr Adel werde ſich weigern derſelben zu folgen, und
für dieſen Fall nichts anders zu beſchließen wiſſen, als
daß auch ſie der Widerſpenſtigen ſich entſchlagen und ihnen
ihren Schirm entziehen wollen. 1 Es ſcheint hie und da, als
ſey die Unterthänigkeit nur noch ein Bundesverhältniß.


[67]Lage der Dinge um die Mitte des 15 Jahrh.

Und noch unabhängiger erhielten ſich dieſem geſamm-
ten Herrenſtande, der für ſie nur ein einziger war, gegen-
über, die auf einem ganz andern Prinzip beruhenden und
unter unaufhörlicher Anfeindung emporgekommenen Städte.
Es iſt ein ſonderbarer Anblick, dieſe alte Feindſeligkeit noch
immer alle deutſchen Provinzen umfaſſen, aber ſich in jeder
auf eine andere Weiſe geſtalten zu ſehen. In Preußen bil-
dete ſich aus der Oppoſition der Städte der große Bund
des Landes gegen die Herrſchaft, welche hier der Orden
in Händen hatte. An den wendiſchen Küſten war dann der
Mittelpunct der Hanſe, vor der die Macht der ſcandinavi-
ſchen Könige, wie viel mehr der umwohnenden deutſchen
Fürſten in Schatten trat und niedergehalten wurde. Aber
der Herzog von Pommern ſelbſt erſchrak als er einſt Hein-
rich dem Ältern von Braunſchweig zu Hülfe kam, und hier
inne wurde, von wie mächtigen enge vereinten Städten ſein
Freund allenthalben umgeben, gefeſſelt war. An dem Rhein
finden wir ein unaufhörliches Ringen um die municipale
Unabhängigkeit, welche die Hauptſtädte in den Stiftern in
Anſpruch nehmen und die Churfürſten ihnen nicht geſtat-
ten wollen. In Franken ſetzte ſich Nürnberg der empor-
ſteigenden Macht von Brandenburg nicht minder gewaltig
um ſich greifend entgegen. Dann folgte in Schwaben und
an der obern Donau der eigentliche Schauplatz reichsſtäd-
tiſcher Kämpfe und Bündniſſe, wider Ritter, Herrn, Prälaten
und Fürſten, die einander hier noch am nächſten ſtanden.
In den obern Landen hatte ſich die wider Öſtreich ge-
1
5*
[68]Einleitung.
ſtiftete Eidgenoſſenſchaft bereits zu einer feſten Landesver-
faſſung und dem Genuſſe einer beinahe vollſtändigen Un-
abhängigkeit erweitert. Überall finden wir andre Verhält-
niſſe, andre Anſprüche und Streitigkeiten, andre Mittel des
Kampfes; aber überall hält man ſich mit einer jeden Augen-
blick in Flammen zu ſetzenden Feindſeligkeit gleichſam um-
faßt, umſpannt, zum Kampfe fertig. Noch immer konnte
die Meinung auftauchen, als werde in dieſen Gegenſätzen
das ſtädtiſche Prinzip am Ende vielleicht doch noch die
Oberhand erlangen, und dem Herrenſtand eben ſo verderb-
lich werden wie dieſer dem Kaiſerthum.


Bei dieſem Gegeneinanderlaufen aller lebendigen Be-
ſtrebungen und Kräfte, bei der Entfernung und Macht-
loſigkeit des Oberhauptes, und da ſich auch unter den
Zuſammengehörenden, Natürlich-verbündeten Entzweiun-
gen nicht vermeiden ließen, mußte ein Zuſtand eintreten,
deſſen Anblick etwas Chaotiſches hat; es waren die Zei-
ten der allgemeinen Fehde. Die Fehde iſt ein Mittelding
zwiſchen Duell und Krieg. Jede Beleidigung und Ver-
letzung führt nach einigen Formalitäten zu der Erklärung
an den Gegner, daß man ſein, ſeiner Helfer und Helfers-
helfer Feind ſeyn wolle. Die Reichsgewalten fühlen ſich ſo
wenig vermögend dem zu ſteuern, daß ſie nur Beſchränkun-
gen feſtzuſetzen ſuchen, und in ihren bedingten Verboten doch
zugleich wieder die Erlaubniß ausſprechen. 1 Das Recht, das
[69]Lage der Dinge um die Mitte des 15 Jahrh.
ſich ſonſt nur die oberherrlichen, unabhängigen Mächte vor-
behalten, zu den Waffen zu greifen, wenn es kein Mittel
des Vergleiches mehr giebt, war in Deutſchland auch in
die untern Kreiſe vorgedrungen, und ward hier von Herrn
und Städten gegen einander, von Unterthanen gegen ihre
Herrſchaften, ja von einzelnen Privatleuten, ſo weit ihre
Verbindungen und Kräfte reichten, in Anſpruch genommen.


In dieß allgemeine Wogen griffen in der Mitte des
funfzehnten Jahrhunderts doch einmal auch großartigere
Verhältniſſe ein, die Gegenſätze der Fürſten gegen Kaiſer
und Papſt; und es kam zu einer Entſcheidung, von welcher
ſich eine Herſtellung der Ordnung hoffen ließ.


Zwei Fürſten traten einander gegenüber, die beiden
Helden der Nation, jeder an der Spitze einer zahlrei-
chen Partei, deren Perſönlichkeit auch ſchon an ſich für
ihre Epoche ſehr bezeichnend iſt, Friedrich von der Pfalz
und Albrecht von Brandenburg, und ergriffen die entgegen-
geſetzten Richtungen. Friedrich der Siegreiche: von Per-
ſon mehr geſchickt und gewandt als groß und kräftig, ver-
dankte ſeinen Ruhm und ſein Glück der Umſicht, mit der
er ſeine Schlachten und Belagerungen vorbereitete; in den
Tagen des Friedens beſchäftigte er ſich mit den Studien
des Alterthums oder den Geheimniſſen der Alchemie; bei
ihm fanden, wie in den Zeiten der blühenden Poeſie, Dich-
ter und Sänger noch immer Zutritt; er hielt Haus mit
ſeiner Sängerin und Freundin, Clara Dettin von Augs-
burg, deren Sanftmuth und Verſtand wie ſie den Fürſten
ſelbſt hingeriſſen, ſo auch ſeine ganze Umgebung erheiterte;
ausdrücklich hatte er auf den Troſt verzichtet, ein eheliches
[70]Einleitung.
Weib, vollbürtige, erbberechtigte Nachkommenſchaft zu ha-
ben: alles was er ausführte und erwarb kam ſeinem Nef-
fen Philipp zu Gute. Dagegen kündigte der erſte Anblick
des Markgrafen Albrecht von Brandenburg, den man Achil-
les nannte, ſein hoher und gewaltiger Körperbau eine gi-
gantiſche Kraft an: in unzähligen Turnieren hatte er den
Sieg davon getragen: von ſeinem Muth und ſeiner Kampf-
fertigkeit waren die wunderbarſten Erzählungen in Umlauf:
wie er bei einer Belagerung zuerſt die Mauer erſtiegen,
und unter die erſchrockenen Vertheidiger hinabgeſprungen;
wie er, fortgeriſſen von dem Vortheil über einen kleinen Vor-
trab ſeiner Feinde, ſich unter ihren Gewalthaufen, 800 Reiter
ſtark, faſt allein geſtürzt, bis zur Fahne vorgedrungen, dieſe er-
griffen und, einen Augenblick doch ſelber verzweifelnd, ſo lange
vertheidigt habe bis ſeine Leute herbeigekommen, durch welche
der Sieg dann vollendet worden ſey. Äneas Sylvius ver-
ſichert, der Markgraf habe ihm dieſe Thatſache einſt ſelbſt
beſtätigt. 1 Und eine gleiche Streitbegier athmen ſeine Briefe.
Selbſt nach einer erlittenen Niederlage meldet er ſeinen Freun-
den mit Vergnügen, wie lange er ſelbfünft noch auf der
Wahlſtatt ausgehalten, wie er dann nur mit großer Ar-
beit und ſtrengem Fechten durchgekommen und nun ent-
ſchloſſen ſey, ſo bald wie möglich wieder im Felde zu er-
ſcheinen. War dann einmal Friede, ſo beſchäftigten ihn
die Reichsangelegenheiten, an denen er lebendigern und er-
folgreichern Antheil nahm als der Kaiſer ſelbſt; bei allen
[71]Lage der Dinge um die Mitte des 15 Jahrh.
Tagleiſtungen finden wir ihn; oder er hielt in ſeinen frän-
kiſchen Fürſtenthümern gaſtfreien prächtigen Hof, oder er
wendete ſeine Aufmerkſamkeit den märkiſchen Beſitzthümern
zu, die durch ſeinen Sohn mit aller Sorgfalt, welche die Rück-
ſicht auf einen ſtrengen und ernſten Vater einflößen kann, re-
giert wurden. Albrecht iſt der würdige Stammvater des krie-
geriſchen brandenburgiſchen Hauſes. Er hat ihm nicht allein,
wie man weiß, ſehr verſtändige Anweiſungen ſondern haupt-
ſächlich ein großes Beiſpiel hinterlaſſen. Dieſe beiden Fürſten
nun ergriffen, wie geſagt, um das Jahr 1461 verſchiedene
Parteien. Friedrich, der noch keine ganz anerkannte Macht
beſaß, und in allen Dingen perſönlichen Antrieben folgte,
ſtellte ſich an die Spitze der Oppoſition: Albrecht, der
immer auf dem gebahnten Wege der beſtehenden Verhält-
niſſe einherſchritt, übernahm die Vertheidigung des Kai-
ſers und des Papſtes; 1 das Glück ſchwankte eine Zeitlang.
[72]Einleitung.
Aber zuletzt hat doch wirklich der Jörſika, wie man Georg
Podiebrad nannte, auf ſeine kühnen Pläne Verzicht gelei-
ſtet; an die Stelle Diethers von Iſenburg iſt ſein Geg-
ner Adolf von Naſſau getreten; auch Friedrich v. d. Pfalz
hat ſich bequemt, ſeine Gefangenen auszuliefern; der Bran-
denburger behielt im Ganzen den Sieg. Die alten Auto-
ritäten des Reiches und der Kirche wurden noch einmal
aufrecht erhalten.


Auch machten hierauf dieſe Autoritäten wirklich einen
Verſuch, eine beſſere Ordnung einzuführen. Der Kai-
ſer ſah ſich durch die ſiegreiche Partei zum erſten Mal
in Stand geſetzt, in dem Reiche einen gewiſſen Einfluß
auszuüben: Papſt Paul II wünſchte ein Unternehmen ge-
gen die Türken zu Stande zu bringen; mit vereinigter
Kraft ſchritten ſie auf dem Reichstag von Nürnberg im
J. 1466 ans Werk. 1


Es war eine Verſammlung, die noch ſehr die Par-
teiung erkennen ließ, durch die ſie möglich geworden; Fried-
rich v. d. Pfalz erſchien weder in Perſon noch durch Ab-
1
[73]Lage der Dinge um die Mitte des 15 Jahrh.
geordnete; die Botſchafter Podiebrads, der in neue Strei-
tigkeiten mit dem päpſtlichen Stuhle gerathen war, wurden
nicht angenommen. Indeſſen ſind doch die Beſchlüſſe die
man hier faßte von hoher Bedeutung. Man kam über-
ein, die nächſten fünf Jahre hindurch jeden Bruch des
Landfriedens als ein Verbrechen der beleidigten Majeſtät
anzuſehen und mit der Acht zu beſtrafen. Man fand, das
geiſtliche Gericht müſſe dem weltlichen Schwert zu Hülfe
kommen und auch der Papſt belegte den Landfriedensbre-
cher mit den ſchwerſten geiſtlichen Pönen. Dieſe Beſchlüſſe
nahm der Kaiſer auf einer Verſammlung zu Neuſtadt im J.
1467 feierlich an, und widerrief zum erſten Mal die Ar-
tikel der goldnen Bulle und der Reformation von 1442,
in welchen die Fehde unter gewiſſen Bedingungen noch zu-
gelaſſen war. 1 Es ward ein Friede verkündigt, wie die
Churfürſten ſich ausdrücken, von unſerm gnädigſten Herrn
dem römiſchen König zu halten geboten und von unſerm
h. Vater dem Papſt beſtätigt.


Einige Zeit darauf zu Regensburg im J. 1471 wag-
ten die verbündeten Gewalten einen zweiten noch wichti-
geren Schritt. Zu Behuf des Türkenkrieges, der nun end-
[74]Einleitung.
lich unternommen werden ſollte, verſuchten ſie dem Reich
eine Vermögensſteuer, den gemeinen Pfennig aufzulegen,
und brachten wirklich einen günſtigen Beſchluß zu Wege.
Gemeinſchaftlich ernannten ſie zur Erhebung derſelben Exe-
cutoren für die biſchöflichen und erzbiſchöflichen Sprengel,
und der päpſtliche Legat bedrohte die Widerſpenſtigen mit
der Summe aller geiſtlichen Strafen, der Ausſchließung
von der kirchlichen Gemeinſchaft. 1


Entwürfe, die in der That das zuſammenfaſſen was
zunächſt für die innern und die auswärtigen Verhältniſſe
nothwendig war.


Allein wie wäre daran zu denken geweſen, daß ſie
nun auch ausgeführt worden wären. So ſtark waren auch
die vereinten Gewalten nicht, um ſo durchgreifende Neue-
rungen ins Werk zu ſetzen. Die Reichstage waren bei
weitem nicht zahlreich genug beſucht geweſen: man glaubte
ſich durch einſeitige Beſchlüſſe nicht gebunden. Die Op-
poſition gegen Kaiſer und Papſt war zwar nicht zu ihrem
Ziel gekommen: aber ſie beſtand nach wie vor: Friedrich
der Siegreiche lebte noch, und ſelbſt auf die Städte, die
ihm ſonſt entgegen waren, hatte er jetzt Einfluß.


Von der Einbringung des gemeinen Pfennigs war
in Kurzem nicht mehr die Rede: man hielt dafür, es ſey
ein Entwurf Papſt Pauls II, dem man nicht geſtatten
dürfe ſo weit um ſich zu greifen.


Auch der Landfriede zeigte ſich höchſt unzureichend.
[75]Lage der Dinge um die Mitte des 15 Jahrh.
Nach einiger Zeit erklärten die Städte, er habe ihnen mehr
Ungemach und Schaden zugezogen als ſie zuvor erlitten. 1
Es war ihnen ſelbſt unerwünſcht, als er im J. 1474 mit
alle den Beſtimmungen die er nun einmal hatte erneuert
wurde. Die Fehde gieng nichts deſto minder fort. Bald
darauf fiel eine der mächtigſten Reichsſtädte, eben dieß
Regensburg wo jetzt der Landfriede verkündigt ward, in die
Hände der Baiern.


Nach und nach verloren die vereinigten Gewalten alle
ihr Anſehn. Im J. 1479 wurden die Anträge des Kai-
ſers und des Papſtes von den Reichsſtänden ſämmtlich zu-
rückgewieſen und mit lauten Beſchwerden erwiedert.


Und doch wäre es ſo unendlich wichtig geweſen daß
etwas Nachdrückliches geſchehen wäre.


Ich will die nachtheiligen Folgen des Fehderechtes
nicht erörtern. So ſchlimm waren ſie vielleicht nicht wie
man gewöhnlich ſagt. Auch in dieſem Jahrhundert finden
ſich Italiener, welchen die deutſchen Zuſtände im Vergleich
mit ihrem Vaterlande, wo überall eine Faction die andre
verjagte, glücklich und ſicher vorkamen. 2 Raub und Verwü-
[76]Einleitung.
ſtung trafen eigentlich nur das platte Land und die Land-
ſtraßen. Aber auch ſo war der Zuſtand für eine große
Nation ſchimpflich und unerträglich. Mit der Idee des
Rechtes und der Religion, auf welche das Reich ſo vor-
zugsweiſe gegründet war, ſtand er in ſchneidendſtem Wi-
derſpruch.


Und überdieß geſchah hiedurch, indem ein Jeder ſich
nur mit ſich ſelbſt beſchäftigen, ſein Augenmerk nur auf
die nächſten Kreiſe heften konnte, daß Niemand des All-
gemeinen wahrnahm, daß man es nicht allein zu kei-
ner großen Unternehmung mehr brachte, ſondern auch
die Grenzen nicht einmal zu vertheidigen wußte. In
dem Oſten entſchied ſich jetzt der alte Kampf der Deut-
ſchen mit den Letten und Slawen zu Gunſten der letztern.
Da der König von Polen in Preußen ſelbſt Verbündete
fand, ward es ihm leicht, den Orden zu beſiegen, und ihn
zu dem Frieden von Thorn im J. 1466 zu nöthigen, in
welchem ihm der größte Theil des Ordenslandes abgetre-
ten und das übrige von ihm zu Lehen genommen wurde:
Kaiſer und Reich regten ſich nicht gegen dieſen unermeß-
lichen Verluſt. In dem Weſten erwachte in den Franzo-
ſen die Idee der Rheingrenze und nur an localem Wider-
ſtand brach ſich der Angriff des Dauphin und der Ar-
magnaken. Was aber der einen Linie der Valois mißlang,
führte die andre, die burgundiſche deſto glänzender aus.
Als die franzöſiſch-engliſchen Kriege allmählig beigelegt
wurden und in jenen Verhältniſſen nichts mehr zu gewin-
nen war, warf ſich dieß Haus mit alle ſeinem Ehrgeiz und
alle ſeinem Glück auf die niederdeutſchen Gebiete. In un-
[77]Lage der Dinge um die Mitte des 15 Jahrh.
mittelbarem Widerſpruch mit der kaiſerlichen Gewalt nahm
es Brabant und Holland an ſich; dann erwarb Philipp
der Gute Luxenburg; er ſetzte ſeinen natürlichen Sohn in
Utrecht, ſeinen Neffen in Lüttich auf den biſchöflichen Stuhl;
hierauf gab eine unglückliche Fehde zwiſchen Vater und
Sohn Carl dem Kühnen Gelegenheit, ſich Gelderns zu be-
mächtigen. Es bildete ſich eine Macht aus wie ſie ſeit
der Zeit der großen Herzogthümer nicht beſtanden, in ei-
ner dem Reiche natürlich entgegengeſetzten Richtung; die
nun der ungeſtüme Carl auf der einen Seite nach Fries-
land, auf der andern den Rhein aufwärts zu erweitern
trachtete. Als er endlich in das Erzſtift Cölln einfiel und
Neuß belagerte, ſetzte man ſich ihm einmal entgegen, aber
nicht in Folge eines gleichmäßigen Anſchlags, einer geord-
neten Rüſtung, ſondern nur in Folge eines Aufgebotes im
Angeſicht der dringenden Gefahr, und ohne daß man den
günſtigen Augenblick benutzt hätte, ihn entſchieden in ſeine
Grenzen zurückzuweiſen. Als er gleich darauf Lothringen
Elſaß und die Schweiz angriff, überließ man dieſen Län-
dern, ſich ſelbſt zu vertheidigen. — Indeſſen hatte ſich Ita-
lien factiſch vollkommen losgemacht; wollte der Kaiſer ge-
krönt ſeyn, ſo mußte er ohne Waffen wie ein Reiſender
anlangen; nur in Begnadigungen durfte ſeine ideale Macht
ſich äußern. Der König von Böhmen, der auch die Lau-
ſitzen und Schleſien und eine ausgebreitete Lehnsherrlich-
keit im Reiche beſaß, wollte doch nur noch von Rechten
die er auszuüben, nicht von Pflichten hören, die er zu er-
füllen habe.


Das Leben der Nation müßte bereits erſtorben ge-
[78]Einleitung.
weſen ſeyn, wenn ſie unter alle dieſer Bedrängniß und im
Anblick weiter drohender Gefahr keine Anſtalt getroffen hätte,
im Innern Ordnung zu ſtiften und ihre Macht nach
außen wiederherzuſtellen: was ſich aber allerdings ohne
Umgeſtaltung ſowohl der geiſtlichen als der weltlichen Zu-
ſtände nicht erreichen ließ.


Bald mehr auf die eine, bald mehr auf die andre
Seite wenden ſich in unſerm Europa die Triebe der Ent-
wickelung und des Fortſchrittes. Zunächſt trat damals die
weltliche Seite hervor und dieſe haben wir fürs Erſte ins
Auge zu faſſen.


[[79]]

Erſtes Buch.
Verſuche dem Reiche eine beſſere Verfaſſung
zu geben.
1486 — 1517.


[[80]][[81]]

Aus verwandten Anfängen und Entwickelungen waren in
allen übrigen Reichen von Europa ähnliche Unordnungen
hervorgegangen. Wir können ſagen: die Geburten und
Hervorbringungen des Mittelalters waren allenthalben mit
einander in einen Kampf gerathen in welchem ſie ſich wech-
ſelſeitig vernichteten.


Denn die Ideen, durch welche menſchliche Zuſtände
begründet werden, enthalten das Göttliche und Ewige, aus
dem ſie quellen, doch niemals vollſtändig in ſich. Eine
Zeitlang ſind ſie wohlthätig, Leben gebend; neue Schöpfun-
gen gehn unter ihrem Odem hervor. Allein auf Erden
kommt nichts zu einem reinen und vollkommenen Daſeyn:
darum iſt auch nichts unſterblich. Wenn die Zeit erfüllt
iſt, erheben ſich aus dem Verfallenden Beſtrebungen von
weiter reichendem geiſtigen Inhalt, die es vollends zerſpren-
gen. Das ſind die Geſchicke Gottes in der Welt.


Waren die Unordnungen allgemein, ſo war es auch
das Beſtreben, denſelben ein Ziel zu ſetzen. Eben aus der
allgemeinen Verwirrung erhoben ſich, durch die Nothwen-
Ranke d. Geſch. I. 6
[82]Erſtes Buch.
digkeit einer Veränderung begünſtigt, aber aus eigenem Le-
bensgrund aufwachſend, ſelbſtändige das Chaos mit ſtar-
ker Hand ordnende Gewalten.


Es iſt dieß das Ereigniß des funfzehnten Jahrhun-
derts. Jedermann kennt die Namen der thatkräftigen Für-
ſten jener Zeit, denen es beſchieden war, in den europäi-
ſchen Nationen zum erſten Mal das volle Gefühl ihres
Selbſt zu erwecken. In Frankreich finden wir Carl VII
und Ludwig XI: das Land ward den alten Feinden, die
es zur Hälfte beſaßen, den Engländern endlich entriſſen
und unter der Standarte der Lilien vereinigt; das König-
thum ward auf Armeen und Finanzen gegründet; dem prak-
tiſchen treffenden Sinn, der ſeine Abſichten erreichte, weil
er nur das wollte was an ſich nothwendig war, kam
die verſchlagene berechnende Klugheit zu Hülfe; alle die
trotzigen Mächte, die ſich dem höchſten Anſehn entgegen-
geſetzt, wurden gebeugt oder geſtürzt; ſchon konnte die neue
Ordnung der Dinge eine lange und ſtürmiſche Minderjäh-
rigkeit überdauern. Über den Trümmern der beiden Factio-
nen der engliſchen Ariſtokratie gründete Heinrich VII die
Macht der Tudors mit unerſchütterlichem Entſchluß, durch-
greifender Hand, ohne daß er darum die alten Freiheiten
der Nation zu vernichten geſucht hätte: die normanniſchen
Zeiten waren vorüber: das neuere England fieng an. Zu
derſelben Zeit bezwang Iſabella von Caſtilien durch ihre
Verbindung mit einem mächtigen Nachbar, durch den An-
theil an der geiſtlichen Gewalt, den ſie ſich zu verſchaffen
wußte, und durch das Übergewicht einer großartigen weib-
lichen Perſönlichkeit, in der ſich ſtrenger Haushalt und rit-
[83]Erſtes Buch.
terlicher Sinn auf das eigenthümlichſte vereinigten, die wi-
derſpenſtigen Vaſallen: es gelang ihr die Mauren vollends
auszuſtoßen, die Halbinſel zu beruhigen. Allmählig bilde-
ten ſich ſelbſt in Italien einige feſtere Gewalten aus, fünf
größere Staaten, die ſich in freiem Bündniß vereinigten
und jeden fremden Einfluß eine Weile fern hielten. Eben-
damals ſtieg dann auch Polen doppelt ſtark durch ſeine
Verbindung mit Litthauen zu der größten Summe von
Macht auf, die es je gehabt hat; in Ungern behauptete
ein eingeborner König den Ruhm und die Einheit ſeiner
Nation mit dem gewaltigen Kriegsheer, das er ſich ge-
ſchaffen.


Wie verſchieden auch Hülfsmittel und Umſtände ſeyn
mochten, ſo war doch überall das Königthum, die centrale
Macht ſtark genug, die widerſtrebenden Unabhängigkeiten zu
beugen, den fremden Einfluß auszuſchließen, durch die na-
tionale Richtung, die es nahm, die Völker um ſich zu ver-
ſammeln, ihnen ein Bewußtſeyn ihrer Einheit zu verſchaffen.


In Deutſchland war das jedoch nicht möglich. Es
gehört in den Kreis dieſer Beſtrebungen, daß die beiden
Gewalten welche das Meiſte vermochten, ſich bemühten,
eine gewiſſe Ordnung einzuführen; wir ſahen wie wenig
ſie ausrichteten. In den Zeiten, in welchen alle Monar-
chien in Europa ſich conſolidirten, ward der Kaiſer aus
ſeinem Erbland verjagt, und zog als ein Flüchtling im
Reiche umher; 1 er nahm ſein Mahl in den Klöſtern und
den Städten des Reiches, wo man ihn umſonſt bewirthete;
6*
[84]Erſtes Buch.
mit den kleinen Gefällen ſeiner Kanzley beſtritt er ſeine
übrigen Bedürfniſſe; zuweilen fuhr er mit einem Geſpann
Ochſen ſeine Straße: niemals, er fühlte es ſelbſt, war die
Hoheit des Reiches in niedrigerer Geſtalt einhergezogen;
der Inhaber einer Gewalt, welche ihrer Idee nach die
Welt beherrſchen ſollte, forderte gleichſam das Mitleiden
heraus.


Wollte man es in Deutſchland zu etwas bringen, ſo
mußte man es anders angreifen, von andern Grundlagen
ausgehen, ein andres Ziel ins Auge faſſen.


Grundlegung einer neuen Verfaſſung.


So viel leuchtet auf den erſten Blick ein, daß hier
die Stände ſelbſt die Initiative zu einer Verbeſſerung er-
greifen mußten. Hatten ſie ſich den beiden coordinirten
höhern Gewalten gegenüber eine ſo ſtarke Stellung gegeben,
ſo mußte ſich nun auch zeigen, in wie fern dieſelbe für die
allgemeinen Angelegenheiten heilbringend werden könne.


Es kam ihnen hiebei ſogar zu Statten, daß der Kai-
ſer in eine ſo mißliche Lage gerathen war.


Nicht als ob ſie ſich derſelben hätten bedienen wol-
len, ihn ganz herabzudrücken oder zu verderben; ſie wa-
ren vielmehr entſchloſſen ihn nicht fallen zu laſſen. Was
ſeit Jahrhunderten nur Einem Kaiſer, und zwar auch dem
nur in der Fülle der Macht, nur in Folge ſehr bedeuten-
der Begünſtigungen gelungen war, ſeinem Sohn die Nach-
folge zu verſchaffen, das erreichte Friedrich III in dem Mo-
mente der tiefſten Erniedrigung und Machtloſigkeit. Die
[85]Grundlegung einer neuen Berfaſſung.
Churfürſten vereinigten ſich im J. 1486 ſeinen Sohn Ma-
ximilian zum römiſchen König zu erwählen. Vor allen iſt
Albrecht Achilles von Brandenburg hiebei thätig geweſen.
Trotz ſeiner hohen Jahre kam er noch einmal in Perſon
nach Frankfurt; auf einem Tragſeſſel ließ er ſich in die
Wahlcapelle bringen; auf demſelben trug er nach vollbrach-
ter Handlung den Scepter vor; noch war er in Ausübung
ſeiner Reichspflichten begriffen als er ſtarb. Es konnte
den Churfürſten nicht entgehen, daß die Anſprüche des
Hauſes Öſtreich auf die Hülfe des Reiches hiedurch gar
ſehr verſtärkt wurden. Maximilian, Eidam Carls des
Kühnen, der die burgundiſchen Rechte in den Niederlan-
den durchzufechten übernommen hatte, erfuhr dort nicht
viel geringere Widerwärtigkeiten als ſein Vater in Öſt-
reich, und konnte ſchlechterdings nicht verlaſſen werden.
Seine Wahl bekam erſt ihre volle Bedeutung wenn man
nun auch jene Länder, die bisher eine feindſelige Stellung
gehabt, dadurch, daß man ſie ihm unterwarf, dem Reiche
wieder zuwendete. Man mußte ſich fertig machen, nach
beiden Seiten Hülfe zu leiſten. Eben dadurch erlangten
nun aber auch die Stände ein verdoppeltes Recht, die in-
nern Angelegenheiten nach ihrem Sinne zur Sprache zu
bringen. Sie hatten ſich neue Verdienſte um das re-
gierende Haus erworben, ohne ihre Unterſtützung konnte
es ſeine Erblande nicht behaupten: man mußte auf ihre
Stimme hören.


Dazu kam, daß der Kaiſer ſich in dieſem Augenblick
auch von dem Papſt entfernte. Es gab eine große Par-
tei in Europa, welcher ſchon damals das Emporkommen
[86]Erſtes Buch.
der öſtreichiſchen Macht zuwider war, die an der Erhebung
Maximilians zum römiſchen König Anſtoß nahm. Zu die-
ſer Partei gehörte in Folge der italieniſchen Verwickelun-
gen auch Papſt Innocenz VIII. Er verſagte dem Kaiſer
Hülfe gegen die Ungern, ja ſelbſt gegen die Türken: deſſen
Botſchafter hatten ihn, wie Friedrich am Reichstage klagt,
„gar ungeſchickt“ befunden und nichts mit ihm ausrichten
können: 1 auch über die Beſetzung des Stiftes Paſſau, ſo
wie über einen neu aufgelegten Zehnten war man in Dif-
ferenz mit dem Papſt. Genug die Einwirkungen des rö-
miſchen Stuhles hörten einen Augenblick auf. Seit lan-
ger Zeit zum erſten Male finden wir zahlreiche Verſamm-
lungen deutſcher Fürſten ohne Anweſenheit eines päpſtli-
chen Geſandten.


Unter dieſen Umſtänden begann man die Berathungen
mit beſſerer Ausſicht auf nützliche Beſchlüſſe.


Man brauchte wie ſich verſteht, nicht von vorn an-
zufangen: man beſaß ſchon alle Elemente eines großen Ge-
meinweſens. Die Reichstage wurden vorlängſt als die
Mittelpuncte der Geſetzgebung und allgemeinen Verwaltung
betrachtet; es war ein Landfriede proclamirt; ein kaiſerli-
ches Gericht war vorhanden; ſchon im Kriege gegen die
Huſſiten hatte man eine Matrikel zur allgemeinen Reichs-
vertheidigung entworfen. Es kam nur darauf an, dieſen
Inſtituten eine durchgreifende Wirkſamkeit zu verſchaffen,
an der es ihnen durchaus mangelte.


Darüber hat man nun in den Jahren 1486 bis 89
unaufhörlich Rath gepflogen. Die das deutſche Vaterland
[87]Grundlegung einer neuen Verfaſſung.
umfaſſenden, auf die Erneuerung ſeiner Einheit und Kraft
zielenden Ideen waren in der lebendigſten Bewegung. Be-
trachten wir die verſchiedenen Momente nicht in ihrem hi-
ſtoriſchen Zuſammenhange unter einander und mit den gleich-
zeitigen Ereigniſſen, ſondern, um ſie beſſer zu überſehen, ein
jedes für ſich.


Das Erſte war der Landfrieden, der wieder auf allen
Seiten gebrochen worden, und jetzt 1486 erneuert, 1487
mit einigen nähern Beſtimmungen erläutert ward. Er un-
terſchied ſich doch noch wenig von den frühern. Die Hand-
habung ward nach wie vor einem tumultuariſchen Aufge-
bot der Nachbarn in einem Umkreis von ſechs bis zehn
Meilen überlaſſen, ja die Declaration von 1487 billigt es
noch ausdrücklich, daß man um ein günſtig ausgefallenes
Urtheil zur Ausführung zu bringen, ſelbſt zu gewaltiger
That ſchreite. 1 Nur darin unterſchied er ſich, daß man
nicht mehr die Beihülfe des Papſtes in Anſpruch nahm.
Von der Sendung päpſtlicher Conſervatoren mit beſon-
derm Gerichtszwang zur Handhabung des Friedens war
nicht mehr die Rede. Dadurch ward es allerdings auch
zweifelhaft ob die Geiſtlichen, welchen Papſt und Kirche
bei weitem näher und furchtbarer vor Augen ſtanden als
Kaiſer und Reich, ſich dem Frieden würden unterwerfen
wollen. Man wußte kein Mittel dagegen, als daß der
Kaiſer erklärte, eben wie dort die Biſchöfe in Bezug auf
[88]Erſtes Buch.
ihre Edelleute, er werde die Ungehorſamen aus ſeiner und
des Reiches Gnade und Schirm ſetzen und auch ſie in
ihren Widerwärtigkeiten nicht vertheidigen.


Man ſieht, welche Verhältniſſe der Gewaltſamkeit und
gegenſeitigen Unabhängigkeit noch obwalteten, ſogar in den
Geſetzen erſchienen, und wie höchſt nothwendig es war in-
nere Ordnungen zu gründen, durch deren Feſtigkeit und
Energie die Eigenmacht in Zaum gehalten, die Eingriffe
einer bei der erſten Vereinigung der Stände als auswär-
tig erſcheinenden Autorität zurückgewieſen werden könnten.


Vor allem kam es dann darauf an, den Reichstagen
regelmäßigere Formen zu geben, größeres Anſehn zu ver-
ſchaffen, namentlich den Widerſpruch der Städte gegen ihre
Beſchlüſſe zu beſeitigen.


Die Städte, die von den übrigen Ständen ſo oft
feindlich behandelt worden, und ein ſo eigenthümliches In-
tereſſe zu verfechten hatten, hielten ſich von jeher in ge-
fliſſentlicher Abſonderung. Während des huſſitiſchen Krie-
ges ward ihnen ſogar noch einmal geſtattet, ein beſonderes
ſtädtiſches Heer unter ihrem eigenen oberſten Hauptmann
ins Feld zu ſtellen. 1 Im Jahr 1460 lehnten ſie es ab,
mit den Fürſten zu Rathe zu gehn, und ſich zu einer ge-
meinſchaftlichen Antwort auf die Anträge des Kaiſers zu
vereinigen. 2 Im Jahr 1474 weigerten ſich die Abgeord-
neten den von Kaiſer und Fürſten beſchloſſenen Landfrie-
den gut zu heißen, und blieben ſtandhaft dabei, 3 nichts dazu
[89]Grundlegung einer neuen Verfaſſung.
ſagen, ihn erſt ihren Freunden mittheilen zu wollen. Als
die Fürſten im J. 1486 dem Kaiſer einige Bewilligungen
gemacht hatten, zu deren Leiſtung man auch die Städte
anhalten wollte, widerſetzten ſich dieſe um ſo lebhafter, da
ſie zu dieſer Verſammlung gar nicht einmal berufen wor-
den waren. Friedrich entgegnete ihnen, man habe das des-
halb nicht gethan, weil ſie ſich doch nur auf Hinterſich-
bringen gelegt haben würden.


Offenbar war dieſes Verhältniß nicht zu behaupten.
Die Reichsſtädte fanden es mit Recht unerträglich, daß
man ſie eigenmächtig anſchlagen und den Anſchlag wie
eine Schuld von ihnen abfordern wolle: aber eben ſo we-
nig war es auch zu dulden, daß ſie jeden definitiven Be-
ſchluß verhindern und über jede Bewilligung immer erſt zu
Hauſe anfragen wollten.


Die Richtung welche dieſe Zeit auf die allgemeinen
Angelegenheiten nahm, war ſo mächtig, daß die Städte
ſich im Jahr 1487 entſchloſſen ihre bisherige Stellung fah-
ren zu laſſen.


Auch für den Reichstag dieſes Jahres hatte der Kai-
ſer nur eine geringe Anzahl von ihnen berufen; ſie be-
ſchloſſen aber, dießmal ſämmtlich ihre Botſchafter zu ſchicken
3
[90]Erſtes Buch.
und zwar ohne Hinterſichbringen. Kaiſer Friedrich em-
pfieng ſie auf dem Schloß zu Nürnberg, an ſeinem Bette
ſitzend, ſchwacher Geſtalt, wie ſie ſich ausdrücken, 1 und
ließ ihnen eröffnen, er ſehe ſie gern und werde in Gnaden
erkennen, daß ſie gekommen. Auch die Fürſten waren ſehr
wohl damit zufrieden und ließen die Städte Antheil an
den Berathungen nehmen. Es wurden Ausſchüſſe gebildet,
— eine Form, die ſpäterhin die vorherrſchende blieb — zu
denen auch die Städte gezogen wurden. In dem erſten
über den Landfrieden ſaßen neben ſechs churfürſtlichen und
zehn fürſtlichen auch drei ſtädtiſche Mitglieder. Von dem
zweiten, über den Anſchlag gegen die Ungern, waren die
Städte anfangs ausgeſchloſſen: aber ſpäter wurden ſie auf
ausdrückliches Verlangen des Kaiſers zugezogen; unſer Be-
richterſtatter, Dr. Paradeis von Frankfurt war ſelbſt in die-
ſem Ausſchuß. Auch erwies ſich die Theilnahme der ſtädti-
ſchen Abgeordneten nicht unnütz: von der allgemeinen Be-
willigung von 100000 G. hatte man ihnen anfangs bei-
nahe die ganze Hälfte, 49390 G. zugeſchlagen: ſie verrin-
gerten dieſen Beitrag doch ziemlich um ein Fünftheil, auf
40000 G. und gaben ſelbſt an, wie viel nun auf jede
Stadt fallen ſollte.


Bei dem nächſten Reichstag, 1489, ſetzten ſich dann
auch die Formen der allgemeinen Berathung feſt. Zum
erſten Mal trennten ſich gleich nach der Propoſition die
[91]Grundlegung einer neuen Verfaſſung.
drei Collegien, das churfürſtliche, das fürſtliche und das
ſtädtiſche; jeder Theil begab ſich in ſein beſonderes Zim-
mer: die Antwort ward zuerſt von dem churfürſtlichen
Collegium entworfen und dann den beiden andern zur An-
nahme vorgelegt. Das iſt denn ſpäter die Regel geblieben.


Es wäre auch in Deutſchland möglich geweſen, wie
es in andern Ländern geſchah, daß die Communen, die ſich
auch bei uns als Leute des Kaiſers, vorzugsweiſe als deſſen
Unterthanen betrachteten, um ihn her ſich zuſammengeſchloſ-
ſen, und im Gegenſatz mit den höhern Ständen einen dritten
Stand, ein Unterhaus gebildet hätten. Noch Sigismund
vereinigte gern ſeine Klagen über die Fürſtenmacht mit den
ihrigen, erinnerte ſie daß das Reich nichts weiter habe
als ſie, indem alles andre an die Fürſten gekommen, liebte
es mit ihnen beſonders zu unterhandeln, lud ſie wohl ein,
zu ihm zu kommen, ihm ihre Beſchwerden vorzutragen. 1
Aber dieſe Sympathien zu entwickeln, eine feſte Vereini-
gung in beſtimmten Formen zu Stande zu bringen, dazu
war die kaiſerliche Gewalt bei weitem zu ſchwach: ſie
konnte den Städten den Schutz nicht gewähren, der in
ihnen ein freies Anſchließen an das Reichsoberhaupt her-
vorgerufen und gerechtfertigt haben würde. Überhaupt nah-
men die deutſchen Stände eine von andern ſehr verſchiedene
Geſtalt an. Anderwärts pflegten geiſtliche und weltliche
Große in verſchiedne Verſammlungen auseinanderzutreten:
[92]Erſtes Buch.
bei uns dagegen hatten die Churfürſten, welche geiſtliche und
weltliche Elemente verbanden, eine ſo ausgebildete Stellung,
ſo beſtimmte gemeinſame Vorrechte, daß ſie ſich nicht tren-
nen ließen. Daher geſchah es, daß auch die Fürſten ein
einziges Collegium aus geiſtlichen und weltlichen Mitglie-
dern bildeten: in den Ausſchüſſen ſaß in der Regel eine
gleiche Anzahl von beiden Theilen. Die Städte traten
den Magnaten in Deutſchland nicht entgegen, ſondern zur
Seite. Zuſammen bildeten dieſe Stände eine compacte
Corporation, gegen welche kein Kaiſer etwas ausrichten
konnte, in welcher die Summe der Reichsgewalt repräſen-
tirt war.


Im Gefühle dieſer ihrer Stärke und der Nothwen-
digkeit der Sache machten ſie nun dem Kaiſer einen Vor-
ſchlag, der ſo gemäßigt er lautete, dennoch die weiteſte
Ausſicht auf eine durchgreifende Abänderung der Verfaſ-
ſung eröffnete.


Es iſt offenbar, daß der Kaiſer, wenn Ordnung und
Friede wirklich eingeführt, und alles ſeine höchſte Gerichts-
barkeit anzuerkennen genöthigt ward, dadurch zu einer un-
gemeinen Macht gelangen mußte. Die Stände waren um
ſo weniger geneigt, ihm eine ſolche zuzugeſtehen, da ſein
Gericht ſo willkührlich verwaltet ward, im Reiche ſo ſchlecht
angeſehen war. Schon im Jahr 1467, in dem Augen-
blicke, in welchem der Landfriede zum erſten Mal ernſtlich
angeordnet wurde, hatte man dem Kaiſer den Antrag ge-
macht, zur Vollziehung deſſelben ein höchſtes Gericht von
andrer Art einzurichten, zu welchem die verſchiednen Stände
24 Urtheiler 1 aus allen deutſchen Landen und der Kaiſer
[93]Grundlegung einer neuen Verfaſſung.
nur einen Richter ernennen ſollte. Darauf nahm nun
aber Friedrich keine Rückſicht. Er beſetzte ſein Gericht
nach wie vor allein, ließ es dem Hofe folgen; nahm wohl
Sachen perſönlich an ſich; machte geſprochene Urtel rück-
gängig und beſtimmte die Sporteln nach ſeinem Gutdün-
ken. Natürlich erweckte er damit ein allgemeines Miß-
vergnügen; man ſah ein, daß wenn aus dem Reiche et-
was werden ſolle, vor allen Dingen das Gericht beſſer
beſtellt werden müſſe. Die Bewilligungen, die man dem
Kaiſer im J. 1486 machte, knüpfte man an dieſe Bedin-
gung. Es kam den Ständen noch nicht ſo viel darauf
an, das Gericht ſelbſt zu beſetzen, als ihm nur fürs erſte
eine gewiſſe Unabhängigkeit zu verſchaffen: dem Richter
und ſeinen Beiſitzern wollten ſie für die entſtehenden Va-
canzen ſogar ein Cooptationsrecht zugeſtehen. Die Haupt-
ſache aber war: der Richter ſollte die Befugniß haben,
über die Landfriedensbrecher jene Strafe auszuſprechen, auf
welcher die zwingende Kraft des Landfriedens überhaupt
beruhte, die Strafe der Acht, ſo gut wie der Kaiſer ſelbſt;
es ſollte ihm ſogar obliegen, die nöthigen Maaßregeln zur
Vollziehung dieſer Strafe zu ergreifen. So unerträglich
ſchienen die perſönlichen Eingriffe des Kaiſers, daß man
alles gewonnen zu haben glaubte, wenn man nur dieſer
ſich zu erwehren vermöge. Das Gericht ſelbſt ſuchte man
dann dadurch einigermaaßen zu beſchränken, daß man es
auf die Statuten der Landſchaften, aus denen jede Sache
1
[94]Erſtes Buch.
ſtamme, anweiſen und eine Taxe ſeiner Sporteln feſtſetzen
wollte. 1


Der alte Kaiſer aber war nicht gemeint, von ſeiner
hergebrachten Gewalt auch nur das Geringſte nachzugeben.
Er entgegnete: die Verkündung der Acht wollte er ſich
vorbehalten, „immaaßen das vor Alters geweſen;“ Ein-
ſetzung von Beiſitzern dürfe auch in Zukunft nur mit ſeinem
Wiſſen und Willen geſchehen; Statuten und Gewohnhei-
ten könne das Gericht nur in ſofern anerkennen, als ſie
dem kaiſerlichen geſchriebenen, d. i. dem römiſchen Rechte
gemäß ſeyen: (man ſieht, wie viel die Idee des Kaiſer-
thums zur Einführung des römiſchen Rechts beitrug) in
Hinſicht der Taxen wolle er unbeſchränkt ſeyn, wie andere
Fürſten mit ihren Gerichten und Canzleien auch. 2 Er
ſah das höchſte Reichsgericht in dem Lichte eines Patri-
monialgerichtes an. Vergeblich machten ihn die Churfür-
ſten aufmerkſam, daß eine Verbeſſerung des Gerichtes die
Bedingung ihrer Bewilligungen ſey: vergeblich ſtellten ſie
wirklich ihre Zahlungen ein und ſchlugen ermäßigte Be-
dingungen vor; der alte Fürſt war um keinen Schritt wei-
ter zu bringen.


Friedrich III hatte ſich in einem langen Leben ge-
wöhnt, die Dinge der Welt mit großer Seelenruhe anzu-
ſehen. Seine Zeitgenoſſen haben ihn abgebildet, bald wie
er Edelſteine auf der Goldwage abwägt, bald wie er den
Himmelsglobus in der Hand ſich mit ein paar Gelehrten
über den Stand der Geſtirne beſpricht. Er miſchte die
[95]Grundlegung einer neuen Verfaſſung.
Metalle, er arbeitete gern an heilenden Arzneien; er hat
wohl ſelbſt aus der Conſtellation in wichtigen Momenten
die Zukunft vorhergeſagt; in dem Angeſicht eines Men-
ſchen, in den Zügen ſeiner Hand las er deſſen Schickſale.
Er glaubte an die verborgenen Kräfte, welche Natur und
Geſchick regieren. Mochte dann auch ſchon in ſeinen jün-
gern Jahren ſeine portugieſiſche Gemahlin mit dem Feuer
und der Weltanſicht einer Südländerin ihn auffordern ſich
zu rächen, denn ein Mann der ſich nicht räche, ſey nicht
werth ſeine Blöße zu decken, ſo antwortete er nur, mit der
Zeit belohne und ſtrafe und räche ſich alles. 1 Es brachte
wenig Eindruck auf ihn hervor, wenn man ihm die Miß-
bräuche bei ſeinen Gerichten vorſtellte; er meinte, es gehe
eben nirgends ganz recht und gleich her. Man machte
ihm einſt von Seiten der Fürſten Vorſtellungen wegen des
Einfluſſes den er ſeinem Rath Prüſchenk geſtatte; er er-
wiederte: ein Jeder von ihnen werde auch ſeinen Prüſchenk
zu Hauſe haben. In allen Verwickelungen der Geſchäfte
begleitete ihn dieſer Gleichmuth. Als die 1449 zum Kriege
gerüſteten Städte und Fürſten ſeine Vermittelung zurück-
wieſen, ließ er es gut ſeyn; er ſagte, er wolle warten, bis
ſie einander ihre Häuſer verbrannt, ihre Saaten vernich-
tet; alsdann würden ſie ſchon von ſelbſt kommen und ihn er-
ſuchen ſie auszuſöhnen; was denn auch in Kurzem geſchah.
Die Gewaltſamkeiten welche König Matthias über ſein
Erbland Öſtreich verhieng, regten nicht etwa ſein Mitlei-
den auf: er knüpfte nur die Betrachtung daran, man habe
[96]Erſtes Buch.
das dort um ihn verdient: ihm habe man nicht gehorchen
wollen: darum müſſe man jetzt den Storch als König dul-
den, wie jene Fröſche in der Fabel. Zu ſeinen eigenen
Angelegenheiten verhielt er ſich faſt wie ein Beobachter;
er ſah in den Dingen die Regel von der ſie abhangen,
das Allgemeine, Beherrſchende, das ſich nach kurzer Abwei-
chung wieder herſtellt. Von Jugend auf war er in Wi-
derwärtigkeiten verwickelt geweſen; hatte er auch weichen
müſſen, ſo hatte er nie etwas aufgegeben; zuletzt hatte er
noch allemal die Oberhand behalten. Die Behauptung
ſeiner Gerechtſame war für ihn um ſo mehr der oberſte
Grundſatz ſeines Thuns und Laſſens, da ſie großentheils
durch den Beſitz der Kaiſerwürde eine ideale Beziehung
empfiengen. Entſchloß er ſich doch nur mit Mühe, ſeinen
Sohn zum römiſchen König wählen zu laſſen; ungetheilt
wollte er die höchſte Würde mit ins Grab nehmen; auf
jeden Fall geſtattete er ihm keinen ſelbſtändigen Antheil an
der Verwaltung der Reichsgeſchäfte; er hielt ihn, auch als
er König war, noch immer als den Sohn vom Hauſe; 1
er räumte ihm nie etwas anders ein, als die Grafſchaft
Cilli, „denn das Übrige werde er ja doch Zeit genug be-
kommen.“ Es iſt in ihm eine Sparſamkeit die an Geiz,
eine Langſamkeit die an Unthätigkeit, eine Zähigkeit die
an die entſchiedenſte Selbſtſucht ſtreift; allein alle dieſes
Weſen iſt doch zugleich durch höhere Beziehungen dem
Gemeinen entriſſen; es liegt ihm ein nüchterner Tiefſinn
zu
[97]Grundlegung einer neuen Verfaſſung.
zu Grunde, eine ernſte Ehrenfeſtigkeit; der alte Fürſt hatte
auch als Verjagter, als Hülfeſuchender eine perſönliche
Haltung, welche die Majeſtät nicht ſinken läßt. In dem-
ſelben Styl waren ſeine Vergnügungen: wie wenn er
einſt in Nürnberg alle Kinder aus der Stadt, auch die
kleinſten, die eben erſt gehen gelernt, in den Stadtgraben
kommen ließ: da weidete er ſeine Augen an dem aufwach-
ſenden Geſchlecht, dem die Zukunft beſchieden war; dann
ließ er Lebkuchen bringen und vertheilen: da dachten die
Kinder Zeit ihres Lebens des alten Herrn, den ſie noch
geſehen. Den vertrautern Fürſten gab er zuweilen ein Ge-
lag auf dem Schloß. So abgemeſſen ſonſt ſeine Mäßig-
keit war, ſo prächtig mußte es dann dabei hergehen; bis
in die tiefe Nacht, wo er überhaupt erſt recht zu leben
begann, behielt er ſeine Gäſte bei ſich; auch ſeine gewohnte
Schweigſamkeit hörte auf; er fieng an, von ſeinen vergange-
nen Jahren zu erzählen: ſeltſame Ereigniſſe, züchtige Scherze
und weiſe Reden führte er ein; unter den Fürſten, die alle
um vieles jünger waren, erſchien er wie ein Patriarch.


Den Ständen leuchtete wohl ein, daß bei dieſer Ge-
ſinnung, dieſem abgeſchloſſenen, unerſchütterlichen Weſen
kein Unterhandeln noch Bedingen etwas erreichen konnte.
Wollten ſie zu ihrem Ziele kommen, ſo mußten ſie ſich an
den jungen König wenden, der zwar für jetzt keine Macht
beſaß, aber doch in Kurzem dazu gelangen mußte. Indem
er von den Niederlanden kam und nach Öſtreich eilte, um
dieß den Ungern abzugewinnen, wozu er denn die Hülfe
des Reiches ſchlechterdings bedurfte, legten ſie ihm ihr Be-
gehren vor und machten es zur Bedingung ihrer Bewilli-
Ranke d. Geſch. I. 7
[98]Erſtes Buch.
gungen. In Maximilian hatten ſich, wie es häufig ge-
ſchieht, eben im Angeſicht der mißlichen Umſtände, in die
ſein Vater gerathen war, entgegengeſetzte Maximen ent-
wickelt; alles lag ihm an den Erfolgen des Augenblicks;
er war ein junger Mann, der noch auf das Glück zählte;
und das Heil des Kaiſerthums nicht grade in dem Feſt-
halten einzelner Gerechtſame ſah. Er begann ſeine Thätig-
keit in den Reichsgeſchäften an dem erſten Reichstag, wo
er erſchien, zu Nürnberg 1489 damit, daß er die Unter-
ſtützung die ihm das Reich zuſagte, mit bereitwilliger Nach-
giebigkeit in Hinſicht des Gerichtes erwiederte. Zwar konnte
er nur verſprechen, bei ſeinem Vater alles zu thun, daß
das Kammergericht ſo bald als möglich nach dem eingegebe-
nen Plane eingerichtet werde: was er, wie ſich vorausſehen
ließ, doch nicht durchſetzte; aber dadurch war er auf jeden
Fall für ſeine eigne Perſon moraliſch gebunden: es war
immer ein erſter Schritt, wiewohl der Erfolg davon noch
in der Ferne lag: die Zuſage ward in den Reichsabſchied
aufgenommen. 1


In dieſem Puncte erſcheint jetzt das wichtigſte In-
tereſſe der Reichsverwaltung. Alle innere Ordnung hieng
von der Autorität des oberſten Gerichtes ab. Es war von
der höchſten Wichtigkeit, daß es der Willkühr der kaiſerli-
chen Macht entzogen, den Ständen weſentliche Theilnahme
an der Einrichtung deſſelben zugeſtanden würde. Dazu
war doch nun wenigſtens eine gegründete Ausſicht vorhan-
den, ein Anfang gemacht.


[99]Grundlegung einer neuen Verfaſſung.

Auch empfieng Maximilian nunmehr die Hülfe, deren
er zur Herſtellung der öſtreichiſchen Macht bedurfte. Wäh-
rend einer der tapferſten Fürſten, genannt der rechte Arm
des Reiches, Albrecht von Sachſen die widerſpenſtigen
Niederlande allmählig wie er ſich ausdrückt „zu Frieden
brachte,“ 1 eilte er ſelbſt nach ſeinen angeſtammten Län-
dern. Da hatte vor kurzem der alte Erzherzog Sigmund
von Tirol ſich bewegen laſſen, die ihm anvertraute Toch-
ter des Kaiſers an Herzog Albrecht von Baiernmünchen
zu vermählen und dieſem ſogar Hofnung gemacht, Tirol
und die Vorlande an ihn zu vererben. Jetzt bei der An-
kunft Maximilians erwachte in dem kinderloſen gutmüthi-
gen Greiſe die natürliche Zärtlichkeit gegen den blühenden
männlichen Stammesvetter; er erinnerte ſich jetzt mit Freu-
den daß dieſem das Land von Rechtswegen zukomme, und
entſchloß ſich, es ihm auf der Stelle zu überlaſſen. In
demſelben Moment ſtarb auch König Matthias von Un-
garn, der noch immer in Beſitz von Öſtreich war. Das
Land athmete auf, als nun der rechtmäßige junge Fürſt
mit der Hülfe des Reiches und ſeinen eignen Söldnern
im Felde erſchien, die Ungern vor ſich hertrieb, Wien von
ihnen befreite, und ſie ſogleich in ihre Heimath verfolgte.
Privatleute verzeichneten dieſe Ereigniſſe unter den glücklich-
ſten ihres Lebens in ihren Tagebüchern; 2 eine verpfändete
7*
[100]Erſtes Buch.
Landſchaft brachte ſelbſt die Pfandſumme auf, um wieder
dem alten Herrn anzugehören.


Von ſo entſchiedenem Einfluß auf die Herſtellung der
öſtreichiſchen Macht war das Einverſtändniß Maximilians
mit den Reichsgewalten. Es hatte aber zugleich eine an-
dre große Wirkung in Bezug auf die Herbeibringung eines
der bedeutendern Fürſten und auf die Conſolidation aller
innern Angelegenheiten.


Die Herzoge von Baiern hielten ſich jener dem Kaiſer
aufgedrungenen Verwandtſchaft zum Trotz zu der Oppoſi-
tion von Öſtreich, zu dem römiſchen Stuhl und König Mat-
thias. 1 Von einer dem Kaiſer gegen den König zu leiſten-
den Hülfe wollten ſie nichts wiſſen, beſuchten die Reichs-
tage nicht, nahmen die Beſchlüſſe derſelben nicht an; viel-
mehr griffen ſie auf ihre eigne Hand gegen ihre Nach-
barn um ſich, erweiterten die Befugniſſe ihrer Landgerichte,
und bedrohten benachbarte Reichsſtädte z. B. Memmingen
[101]Grundlegung einer neuen Verfaſſung.
und Bibrach, wie denn Herzog Albrecht von München
Regensburg bereits an ſich gezogen hatte. 1


Gleich bei der Erneuerung des Landfriedens i. J. 1487
ſah man ein, daß an die Behauptung deſſelben nicht zu den-
ken ſey, wofern man nicht dieſem einſeitigen und gewalt-
ſamen Verfahren ein Ende mache.


Dieß war der nächſte und unmittelbar dringende An-
laß, auf welchen unter Vermittelung des Kaiſers 2 und
einiger vorwaltenden Fürſten der ſchwäbiſche Bund im Fe-
bruar 1488 geſchloſſen ward. Zunächſt vereinigten ſich
die Ritterſchaft, welche das Jahr zuvor ihre alte Verbin-
dung St. Georgenſchilds erneuert hatte, und die Städte.
Sie verſprachen einander ſich gegen Fremde, die ihnen aus-
ländiſche (nicht ſchwäbiſche) Rechte aufdrängen oder ſie
ſonſt beleidigen würden, gemeinſchaftlich zur Wehre zu ſetzen.
Um aber dabei vor eigenen Irrungen ſicher zu ſeyn, und
zugleich den verkündigten Landfrieden zu halten — denn dieſe
allgemeinere Abſicht trat von allem Anfang hinzu, und gab
der ganzen Vereinigung einen rechtlichen Anhalt — beſchloſ-
ſen ſie, ihre innern Zwiſtigkeiten immer durch ſchiedsrichter-
lichen Ausſpruch zu ſchlichten und ſtellten einen aus beiden
Theilen gleichmäßig gewählten Bundesrath auf. Sehr bald
traten benachbarte Fürſten, zunächſt Wirtenberg und Bran-
denburg, zu dieſem Bunde und bildeten, Rittern und Städ-
[102]Erſtes Buch.
ten gegenüber, eine dritte Genoſſenſchaft, welche an dem
Bundesrath gleichmäßig Antheil nahm, ſich dem Ausſpruch
der Schiedsrichter unterwarf und für den Fall eines Krie-
ges ihren Theil an der beſchloſſenen Hülfe ins Feld zu
ſtellen verſprach. Eben hier, wo ſo vorzugsweiſe der Heerd
der alten Entzweiungen geweſen, bildete ſich eine feſtge-
ſchloſſene Vereinigung von Ständen, welche den Ideen des
Landfriedens und des Reiches eine großartige Repräſenta-
tion gab, zunächſt hauptſächlich darum, um dem Um-ſich-
greifen der Baiern Widerſtand zu leiſten. Herzog Albrecht
hielt ſich nichts deſto minder in trotziger Abſonderung, und
auch der Kaiſer, auf den neuen Bund vertrauend, wollte
von keiner Ausſöhnung hören, ehe nicht der Stolz des Her-
zogs gedemüthigt worden. Es kam endlich ſo weit daß
man zu den Waffen griff. Im Frühjahr 1492 ſammelten
ſich die Schaaren des Bundes und des Reiches auf dem
Lechfeld. Friedrich von Brandenburg, dem lange „das
Wamms heiß war wider Baiern“ führte das Reichsban-
ner: Maximilian ſelbſt war zugegen. Albrecht in dieſem
Augenblicke von ſeinen Verwandten verlaſſen, mit ſeiner
Ritterſchaft in Fehde, fühlte daß er eine ſo überlegene Macht
nicht beſtehen konnte; er gab die Oppoſition auf, die er
bisher behauptet, bequemte ſich Regensburg herauszugeben,
und auf alle Anſprüche aus den Verſchreibungen Siegmunds
Verzicht zu leiſten. Nach und nach ward dann auch der
alte Kaiſer begütigt, und hieß ſeinen Eidam, ſeine Enke-
linnen bei ſich willkommen. Albrecht fand es nach einiger
Zeit rathſam ſelbſt in den ſchwäbiſchen Bund zu treten.


Wir ſehen: die Regierung Friedrichs III war mit
[103]Grundlegung einer neuen Verfaſſung.
nichten ſo unbedeutend wie man wohl anzunehmen pflegt.
Namentlich ſeine letzten, ſo bedrängten Jahre waren reich an
großen Erfolgen. Da war einmal die habsburgiſche Macht
durch den Beſitz von Öſtreich und Niederland zu einer
neuen europäiſchen Bedeutung gekommen; auch die An-
ſprüche auf Ungern waren in einem kurzen Feldzug Maxi-
milians zur Anerkennung gebracht worden. 1 Dann wa-
ren die innern deutſchen Feindſeligkeiten im Ganzen beſei-
tigt. Der ſchwäbiſche Bund gewährte dem Hauſe Öſtreich
einen geſetzlichen Einfluß auf Deutſchland, wie es ihn ſeit
Albrechts I Zeiten nicht beſeſſen. Die Reichstage waren
zu geordnetern Formen gelangt; der Landfriede begründet
und ziemlich befeſtigt; zur Ausbildung der geſammten Ver-
faſſung waren lebensvolle Anfänge vorhanden. Wie dieſe
ſich nun entwickeln würden, hieng beſonders von der Hal-
tung Maximilians ab; der jetzt mit dem Tode ſeines Va-
ters (19 Aug. 1493) die Verwaltung des Reiches erſt
wahrhaft in ſeine Hände nahm.


Reichstag zu Worms 1495.


Schon längſt waren Ideen in allgemeinen Umlauf ge-
ſetzt und Vorſchläge gemacht worden, von noch weiter rei-
chenden großartigern Tendenzen.


Einer der merkwürdigſten rührt von Nicolaus von Kus
her, deſſen weltumfaſſender, in den mannichfaltigſten Zwei-
[104]Erſtes Buch.
gen neue und wahre Ausſichten ahnender Geiſt ſich einſt
zur Zeit des Baſeler Conciliums, auch der innern Politik
des Reiches mit Hingebung und Scharfſinn widmete.
Er gieng von der Wahrnehmung aus, daß man die
Kirche nicht verbeſſern könne, wenn man nicht das Reich
reformire: wie man denn dieſe Gewalten niemals, eine
ohne die andre, denken konnte. 1 Da dringt er nun
aber, obwohl ein Geiſtlicher, doch ſehr lebendig auf die
Emancipation der weltlichen Gewalt. Er will nichts wiſ-
ſen von einer Übertragung des Kaiſerthums durch das Papſt-
thum; auch jenem ſchreibt er myſtiſche Beziehungen zu Gott
und Chriſtus, unbedingte Unabhängigkeit, ja das Recht
und die Pflicht zu, auch ſeinerſeits an der Regierung der
Kirche Theil zu nehmen. Zunächſt will er dann die durch
die Competenzen der geiſtlichen und weltlichen Gerichtsbar-
keit entſtehenden Verwirrungen abgeſtellt wiſſen. Er bringt
Obergerichte in Vorſchlag, jedes mit einem adlichen, einem
geiſtlichen und einem bürgerlichen Beiſitzer, zugleich um die
Appellationen von den untern Gerichten zu empfangen 2 und
die Streitigkeiten der Fürſten unter einander in erſter Inſtanz
zu entſcheiden: nur ſeyen dabei die Rechts-Gewohnheiten mit
der natürlichen Gerechtigkeit in beſſern Einklang zu ſetzen.
[105]Reichstag zu Worms 1495.
Vor allem aber erwartet er Wiederbelebung der Autori-
tät, Einheit und Macht des Reiches von der Einrichtung
jährlicher Reichsverſammlungen. Denn das ſieht er wohl,
daß von der kaiſerlichen Gewalt allein Reſultate dieſer Art
nicht mehr erreicht werden konnten. Entweder im Mai
oder im September müſſe eine allgemeine Ständeverſamm-
lung etwa zu Frankfurt Statt finden, um obwaltende Ent-
zweiungen auszugleichen und die allgemeinen Geſetze zu ver-
faſſen: jeder Fürſt müſſe dieſelben unterſchreiben, beſiegeln
und ſich bei ſeiner Ehre verpflichten ſie zu halten. Er iſt
davon erfüllt, daß ſich dem auch kein Geiſtlicher entziehen
dürfe, wolle er anders an den weltlichen Herrſchaften Theil
haben, deren Verwaltung vor allen Dingen zum Beſten
des Gemeinweſens einzurichten ſey. Da hat er nun
aber ferner die Idee: um Friede und Recht ernſtlich
handhaben, die Widerſtrebenden züchtigen zu können, müſſe
man eine ſtehende Truppe halten; denn wozu helfe ein
Geſetz ohne Strafgewalt? Er meint, von dem Ertrage
der ſo vielen Einzelnen verliehenen Zölle möge ein Theil
dem Reiche vorbehalten, ein Schatz daraus geſammelt, in
jener Verſammlung alle Jahr über deſſen Verwendung be-
ſchloſſen werden. Dann werde es keine Gewaltſamkeiten
mehr geben; jeder Biſchof werde ſich den geiſtlichen Pflich-
ten widmen können: Ruhe, und Blüthe und Macht werde
wiederkehren.


2


[106]Erſtes Buch.

Es läßt ſich nicht läugnen, daß er damit Gedanken
anregte, auf deren Ausführung es eben ankam. Die Ideen
welche die Welt in Bewegung ſetzen ſollen, kündigen ſich
immer erſt in einzelnen hervorleuchtenden Geiſtern an. Im
Laufe der Zeiten trat man nun ihrer Ausführung auch von
Seiten der Reichsgewalten näher.


Schon 1486 iſt ein dahin zielender Entwurf vorgekom-
men, den ich jedoch nicht geſehen habe. Dagegen findet ſich
im Dresdner Archiv ein Rathſchlag vom Jahr 1491, in
welchem man, nicht mehr zufrieden mit den Entwürfen zum
Kammergericht, eine gemeinſchaftliche Reichsregierung und
Kriegsverfaſſung, ziemlich übereinſtimmend mit den Ideen
des Nicolaus von Kus in Antrag bringt. Eine jedes Jahr
wiederkehrende Reichsverſammlung ſollte die wichtigſten Ge-
ſchäfte der allgemeinen Regierung beſorgen; eine jeden Au-
genblick zum Schlagen fertige Kriegsmacht ſollte aufgeſtellt
werden, nach ſechs Kreiſen, in die das Reich einzutheilen
wäre, unter zwölf Hauptleuten.


Mit der Thronbeſteigung eines jungen geiſtreichen Für-
ſten nun, durch welche an die Stelle jener unüberwindli-
chen Apathie des alten Kaiſers Beweglichkeit und Neigung
zu Neuerungen in der oberſten Gewalt zur Herrſchaft ka-
men, traten auch Umſtände ein, welche alle Ideen dieſer
Art in dem Oberhaupt und den Ständen beleben, erwei-
tern mußten.


Maximilian ſelbſt hatte ſich ſo eben über einige ſehr per-
ſönliche Beleidigungen des König Carl von Frankreich zu be-
klagen. Dieſer Fürſt hätte ſich in Kraft eines Friedensſchluſ-
ſes mit der Tochter Maximilians vermählen ſollen: und ſie
[107]Reichstag zu Worms 1495.
war, bis ſie zu den Jahren der Reife käme, ſchon franzöſiſcher
Obhut anvertraut worden: er ſchickte ſie jetzt zurück. Da-
gegen hatte ſich Maximilian mit der Prinzeſſin und Er-
bin von Bretagne verlobt: ſchon mancherlei weitausſehende
Plane gründete man in Deutſchland auf dieſe Verbindung:
man dachte auch dieſes Land in die Einrichtungen zu zie-
hen, die man für das Reich beabſichtigte; Carl VIII brachte
die junge Fürſtin in ſeine Gewalt und nöthigte ihr ſeine
eigne Hand auf. 1 Und gleich darauf wurden die Rechte
des Reichs unmittelbar von dieſen Feindſeligkeiten berührt.
Indem Maximilian ſich vorbereitete, zu ſeiner Krönung nach
Rom zu gehen, und ſich mit der Hofnung trug, das kai-
ſerliche Anſehn überhaupt in Italien wiederherzuſtellen, dran-
gen die Franzoſen, ihm zuvorkommend, von der andern
Seite her über die Alpen, durchzogen Italien unaufgehal-
ten von dem Norden nach dem Süden, und eroberten Nea-
pel. Es läßt ſich nicht ſagen, daß Carl VIII nun auch
wirklich nach der kaiſerlichen Krone geſtrebt habe; aber un-
leugbar iſt es doch, daß eine Macht, wie er ſie durch den
Gang und das Gelingen dieſer Unternehmung über ganz
Italien hin erwarb, ſich der Herſtellung einer Autorität
des deutſchen Kaiſerthums dort unmittelbar in den Weg
ſtellen mußte.


Gereizt durch ſo mannichfaltige Unbill, durchdrungen
von der Nothwendigkeit den Franzoſen Widerſtand zu lei-
[108]Erſtes Buch.
ſten — mit dem unläugbaren Rechte, Hülfe zu ſeinem Rom-
zug von den Ständen zu verlangen — von ſeinen italie-
niſchen Verbündeten überdieß angetrieben, erſchien nun Ma-
ximilian zu Worms und eröffnete am 26 März ſeinen er-
ſten Reichstag mit einer Darſtellung der europäiſchen Ver-
hältniſſe. „Sehe man dem Beginnen der Franzoſen län-
ger zu, ſo werde das heil. römiſche Reich der deutſchen Na-
tion entzogen, Niemand bei ſeiner Ehre Würde und ſei-
nen Freiheiten gelaſſen werden.“ Er wünſchte die ganze
Macht des Reiches aufzurufen und in dieſen Kampf fort-
zureißen. Außer einer eilenden Hülfe, um den Widerſtand
in Italien aufrecht zu erhalten, forderte er auch eine be-
harrliche, eine feſte Kriegseinrichtung auf die nächſten zehn
bis zwölf Jahre, um allenthalben ſich vertheidigen zu kön-
nen „wo etwas zum Abbruch des heil. Reiches vorgenom-
men werde.“ Mit ungeſtümem Eifer drang er darauf: er
befand ſich in einer Lage, in der die allgemeinen Intereſſen
zugleich ſeine perſönlichen wurden.


Auch die Stände, die ſich ſo zahlreich wie jemals ver-
ſammelt, waren von der Nothwendigkeit den Franzoſen zu
widerſtehen, durchdrungen. Einmal aber ſahen ſie die Sache
kälter an, und ſodann fanden ſie den Anfang einer neuen
Regierung, die ihnen ſchon verpflichtet, und jetzt einer nach-
drücklichen Hülfleiſtung bedürftig war, ſehr geeignet, um
ihre Verbeſſerungsideen durchzuſetzen, die innern Verhält-
niſſe endlich einmal wirklich in Ordnung zu bringen. Die
kriegeriſchen Forderungen des Königs erwiederten ſie mit
einem der umfaſſendſten Entwürfe, die je für die Verfaſ-
ſung des Reiches gemacht worden ſind.


[109]Reichstag zu Worms 1495.

Auch ſie giengen dabei von der Nothwendigkeit aus,
eine nachhaltige Kriegsverfaſſung zu gründen, aber ſie fan-
den das verfallende Lehusſyſtem nicht mehr dazu tauglich,
ſie hielten für beſſer eine allgemeine Auflage, den gemeinen
Pfennig einzuführen. Nicht nach den verſchiedenen Terri-
torien, ſondern nach der Kopfzahl aller Reichsangehörigen
ſollte dieſe Auflage erhoben werden. Ihre Verwendung
aber ſollte dann nicht dem König anheimfallen, ſondern ei-
nem Reichsrathe überlaſſen bleiben, den man aus ſtändiſchen
Mitgliedern, die Städte eingeſchloſſen, zu errichten dachte.
Überhaupt beſtimmte man dieſem Rathe die größten Be-
fugniſſe. Er ſollte das Recht vollſtrecken, Ungehorſam
und Aufruhr dämpfen, für die Herbeibringung der abge-
kommenen Reichslande ſorgen, den Widerſtand gegen die
Türken und andre Widerſacher des h. Reiches und deut-
ſcher Nation leiten: man ſieht: er ſollte die Summe der
Regierung in ſeiner Hand haben. 1 Und zwar war ihm
dafür ein hoher Grad von Unabhängigkeit zugedacht. Zwar
ſollte er für die wichtigſten Sachen das Gutachten des Kö-
nigs und der Churfürſten einholen, und der Reviſion der
letztern unterworfen ſeyn; übrigens aber ſollten die Mit-
glieder des Eides, mit dem ſie dem König und den Stän-
den verwandt ſeyen, erledigt werden und nur nach der Pflicht
ihres Amtes zu handeln haben. 2


[110]Erſtes Buch.

Ideen, die einen ſehr lebendigen Gemeingeiſt verrathen.
Denn keineswegs der König allein wäre hiedurch beſchränkt
worden. Die allgemein vaterländiſchen Intereſſen hätten
eine Repräſentation empfangen bei welcher keine Abſonde-
rung hätte beſtehn können. Wie ſehr läuft ſchon der Ge-
danke einer allgemeinen Reichsauflage, durch die Pfarrer
zu ſammeln und von dieſen den Biſchöfen zu überantwor-
ten, der Entwickelung der Territorialhoheit entgegen. Wer
von allen wäre ſo mächtig geweſen, ſich einer Reichsge-
walt zu widerſetzen, wie dieſe hätte werden müſſen!


Zunächſt aber wäre doch die Gewalt des Königs,
zwar nicht die welche er in den gewöhnlichen Verwirrun-
gen ausübte, aber die welche er für beſſere Zeiten in An-
ſpruch nahm, beſchränkt worden.


Es kam nun darauf an, was er zu dieſem Entwurfe
ſagen würde. Lange ließ er auf ſeine Antwort warten.
Die Belehnungen die er ertheilte, die ritterlichen Feſtlich-
keiten die von ihm oder für ihn veranſtaltet wurden, die
mancherlei Seſſionsirrungen deutſcher Fürſten die er beizu-
legen hatte, beſchäftigten ihn vollauf. Erſt am 22ſten Juny
trat er mit ſeiner Antwort hervor, die er für eine Verbeſ-
ſerung des Entwurfes ausgab. Betrachtete man ſie aber
näher, ſo hob ſie denſelben vollſtändig auf. Er hatte an-
fangs geſagt, er wolle den Entwurf annehmen vorbehalten
ſeine oberherrlichen Rechte, jetzt zeigte ſich, daß er dieſe
in jedem Artikel verletzt glaubte. Ich will ein Beiſpiel
2
[111]Reichstag zu Worms 1495.
ſeiner Veränderungen anführen. Der Entwurf hatte unter
andern, weil Friedrich und Maximilian unaufhörlich neue
Zölle bewilligten, den Reichsrath angewieſen, darauf zu
ſehen, daß kein neuer Zoll ohne Vorwiſſen der Churfürſten
aufgerichtet werde. Die Abänderung des Artikels enthielt,
der Reichsrath ſelbſt ſolle ſich hüten, einen neuen Zoll auf-
zurichten ohne Vorwiſſen des Königs.


Sonderbar wie man eine ſo entſchieden abſchlägliche
Antwort als Verbeſſerung eines Entwurfes ankündigen
konnte; aber das iſt die Sitte, die Höflichkeit jener Zeit;
der Gegenſatz iſt in den Gemüthern deshalb nicht weniger
lebhaft. Auf dem Reichstag nahm eine ſehr merkliche Ver-
ſtimmung überhand. Der König berief eines Tages die
ihm am genaueſten befreundeten Fürſten Albrecht von Sach-
ſen, Friedrich von Brandenburg, Eberhard von Würtem-
berg, um mit ihnen über die Behauptung ſeiner höchſten
Würde zu Rathe zu gehen. 1


Dergeſtalt ſtellten ſich gleich im Anfang dieſer Regie-
rung die Abſichten des Königs und die Abſichten der Stände
einander ſehr entſchieden gegenüber. So viel ſah wohl am
Ende jeder Theil, daß er auf ſeinem Weg nicht zum Ziel
kommen würde. Maximilian wurde inne, daß er keine Be-
willigung erhalten werde, ohne Zugeſtändniſſe. Die Stände
ſahen, daß ſie wenigſtens für dieß Mal mit ihrem Regi-
ment nicht durchdringen würden. 2 Indem man nun auf
[112]Erſtes Buch.
eine Vermittelung dachte, kam man auf die ſchon unter
Friedrich III begonnenen Verſuche zurück.


Zuerſt ſetzte man den Landfrieden feſt, der dieſen Reichs-
tag ſo berühmt gemacht hat. Betrachten wir ihn genauer,
ſo iſt er zwar in ſeinen nähern Beſtimmungen eher noch
minder friedlich als die ältern, indem er z. B. ein zuletzt
beſchränktes Recht, daß der Beſchädigte ſich eigenmächtig
in den Beſitz eines Pfandes ſetzen dürfe, wiederherſtellt; al-
lein er hat den Vorzug daß er nicht auf eine Anzahl Jahre
ſondern auf immer gelten ſoll. Den geſetzlichen Vorbe-
halt der Möglichkeit einer Rückkehr zu dem alten Fauſtrecht
gab man damit wirklich auf.


Dann nahm man die Sachen des Kammergerichts
vor. Maximilian behandelte das höchſte Gericht bis da-
hin ganz wie ſein Vater; ließ es ſeinem Hofe folgen:
1493 nach Regensburg, 1494 nach Mecheln, Antwerpen,
1495 war es mit ihm in Worms. Allein wir wiſſen,
daß er durch ſeine Zugeſtändniſſe von 1489 bereits gebun-
den war. Als ihm jetzt die Vorſchläge vorgelegt wurden
die einſt ſeinem Vater gemacht worden, fand er ſich bewo-
gen ſie anzunehmen. Mit welchem Grunde hätte er auch eine
Einrichtung von ſich weiſen können, zu deren Begründung
er einſt nach Kräften beizutragen ſo feierlich übernommen
hatte.
2
[113]Reichstag zu Worms 1495.
hatte. Es war das aber eins der größten Ereigniſſe der
Reichsgeſchichte. Maximilian willigte ein, daß das Gericht
auf die ſtatutariſchen Rechte Rückſicht zu nehmen, ſich mit
beſtimmten Sporteln zu begnügen habe; vor allem, er über-
ließ dem Richter das Ausſprechen der Reichsacht in ſei-
nem Namen, ja er verpflichtete ſich, von der einmal er-
gangenen Acht ohne Einwilligung des Beſchädigten nicht
loszuzählen. Wenn man bedenkt, daß die richterliche Ge-
walt wohl das vornehmſte Attribut des Kaiſerthums war,
ſo ſieht man wie viel dieſer Schritt zu bedeuten hat. Und
nicht genug, daß das höchſte Reichsgericht von der Willkühr
befreit ward, von der es bisher ſo viel leiden müſſen: ſon-
dern es ward auch von den Ständen beſetzt. Der König
ernannte nur den Vorſitzenden, den Kammerrichter; die
Beiſitzer wurden von den Ständen präſentirt; auch die
Städte empfiengen zu ihrer großen Freude die Aufforde-
rung einige Perſonen in Vorſchlag zu bringen; es ward
ein Ausſchuß ernannt, um die Präſentationen anzunehmen. 1
Die ſpätern Rechtskundigen haben geſtritten, ob das Ge-
richt ſeinen Gerichtszwang allein von dem Kaiſer empfan-
gen habe, oder zugleich von den Fürſten: ſo viel iſt offen-
bar, daß es ſeinen ganzen Charakter veränderte und aus
einem kaiſerlichen ein vorzugsweiſe ſtändiſches Inſtitut
wurde. Daraus folgte denn auch, daß es nicht mehr
mit dem Hofe wandern, ſondern an Einem Ort im Reich
unabänderlich die feſtgeſetzten Gerichstage halten ſollte.


Dieſes große Zugeſtändniß erwiederten die Stände nun
Ranke d. Geſch. I. 8
[114]Erſtes Buch.
mit einer Bewilligung des gemeinen Pfennigs, auf deſſen
Ertrag ſie dem König, dem für ſeine italieniſchen Verhält-
niſſe darauf unendlich viel anzukommen ſchien, ſogleich eine
Anleihe aufzunehmen geſtatteten. Die Auflage ſelbſt iſt eine
Miſchung von Kopfſteuer und Vermögensſteuer, noch nicht
viel anders, als wie ſie einſt von den Königen von Jeruſa-
lem eingefordert und auch in jenen Zeiten ſchon dann und
wann in Deutſchland, z. B. 1207 von König Philipp in
Antrag gebracht worden war. In dem 15ten Jahrhun-
dert war ihrer ſchon öfter Erwähnung geſchehen, bald um
ſie gegen die Huſſiten, bald um ſie gegen die Türken zu ver-
wenden. Jetzt ward ſie folgendermaaßen beſtimmt. Von
fünfhundert Gulden ſollte ein halber, von 1000 immer ein
ganzer Gulden gezahlt werden; von den minder Beſitzen-
den ſollten immer 24 Perſonen, Niemand ausgenommen,
Männer und Frauen, Prieſter und Laien, Alle die über
funfzehn Jahr alt, einen Gulden aufbringen; die Reichern
ſollten nach ihrem Ermeſſen zahlen. Noch konnte ſich die
Auflage wie früher nicht ganz von dem Begriff des Al-
moſens los machen: die Pfarrer ſollten das Volk auf den
Kanzeln ermahnen, etwas mehr zu geben, als was man
fordere; noch war die ganze Einrichtung höchſt unvollkom-
men. Ihre Bedeutung lag nur darin, daß es eine, wie
der Gang der Verhandlungen bewies, ernſtlich gemeinte
allgemeine Reichsauflage war: zugleich zu friedlichen und
zu kriegeriſchen Zwecken beſtimmt, mit der man das Kam-
mergericht zu erhalten, die italieniſche Hülfe zu beſtreiten und
ein Kriegsheer gegen die Türken aufzuſtellen dachte.


Es entſprach dem Sinn einer Reichsauflage, daß
[115]Reichstag zu Worms 1495.
man Reichsſchatzmeiſter ebenfalls von den Ständen wäh-
len ließ, welche das Geld von den überall aufzuſtellenden
Commiſſarien einziehen ſollten. Maximilian machte ſich an-
heiſchig, in den öſtreichiſchen und den burgundiſchen Land-
ſchaften den gemeinen Pfennig nach denſelben Normen ein-
zufordern: und zwar allen Andern hierin mit ſeinem Bei-
ſpiel voranzugehn.


Noch viel weniger aber, als die Einſammlung konnte
nun die Verwendung des Geldes dem König überlaſſen
werden. Nachdem man den Vorſchlag eines Reichsrathes
hatte fallen laſſen, kam man zu dieſem Zweck auf die Idee
einer jährlich zu wiederholenden Reichsverſammlung zurück,
wie ſie ſchon von Nicolaus von Kus und dann in jenem
Entwurf von 1491 vorgeſchlagen worden. Alle Jahr,
am erſten Februar, ſollte dieſe Verſammlung zuſammentre-
ten: die wichtigſten Berathungen über innere und äußere
Geſchäfte ſollten ihr vorbehalten bleiben. Ihr ſollten die
Reichsſchatzmeiſter das eingegangene Geld überliefern; nur
ſie ſollte entſcheiden wie daſſelbe zu verwenden ſey; weder
der König noch auch deſſen Sohn ſollte einen Krieg be-
ginnen dürfen, ohne ihr Gutachten; jede Eroberung ſollte
dem Reiche verbleiben. 1 Auch für die Handhabung des
Landfriedens ward ihr eine entſcheidende Befugniß zugetheilt.
Die Frage war, wenn nun das unabhängig gewordene
ſtändiſche Gericht die Acht ausgeſprochen habe, wem dann
die Execution deſſelben zuſtehen ſollte. Der römiſche Kö-
nig hatte gewünſcht, daß man ſie ihm überlaſſen möge.
8*
[116]Erſtes Buch.
Die Stände, ihrem Prinzip gemäß, übertrugen ſie dieſer
ihrer Reichsverſammlung.


Man ſieht wohl, wie die Stände, obwohl ſie von
ihrem erſten Plan abſtanden, doch die Idee auf welcher
derſelbe beruhte, immer im Auge behielten. In dem Wider-
ſtreit königlicher und ſtändiſcher Intereſſen neigte ſich das
Übergewicht doch offenbar auf die ſtändiſche Seite. Maxi-
milian hatte ſich zu beklagen, daß man ihm dieß perſön-
lich zu fühlen gegeben, daß man ihn hatte abtreten, vor
der Thüre warten laſſen, bis der Beſchluß gefaßt war.
Auch war er oft geneigt den Reichstag aufzulöſen, und
nur das Bedürfniß einer neuen Bewilligung, die man ihm
denn auch machte, hielt ihn davon zurück. 1 Am 7ten Au-
guſt nahm er die Entwürfe wie ſie zuletzt gefaßt worden an.


Es iſt in ihnen ein großartiger Zuſammenhang. Alle
Deutſche wurden noch einmal ſehr ernſtlich als Reichs-
unterthanen betrachtet; Laſten und Anſtrengungen ſollten
ihnen ſämmtlich gemeinſam ſeyn. Verloren die Stände
hiedurch an ihrer Unabhängigkeit, ſo empfiengen ſie dafür,
nach ihrer alten Gliederung und ihrem Range, geſetzliche
Theilnahme wie an dem höchſten Gericht, ſo auch an der
Regierung. Der König ſelbſt unterwarf ſich dieſen Anord-
[117]Reichstag von Lindau 1496.
nungen, dieſer Gemeinſchaft. Die höchſte Würde, die Prä-
rogativen eines oberſten Lehensherrn verblieben ihm unver-
kürzt; in allen Geſchäften aber ſollte er doch eigentlich
nur als der Vorſitzer des reichsſtändiſchen Collegiums be-
trachtet werden. Es war eine Miſchung von Monarchie
und Bundesgenoſſenſchaft, in der jedoch dieſes zweite Ele-
ment offenbar vorwaltete, eine Einung in der Form der
alten Hierarchie des Reichs.


Für die geſammte Zukunft von Deutſchland war es
nun von hoher Wichtigkeit ob dieſe Entwürfe auch aus-
geführt werden würden.


Beſchlüſſe, zumal von ſo durchgreifender Art, laſſen
ſich doch nur für Abſichten halten; Ideen, denen eine Ver-
ſammlung ihren Beifall gegeben, zu deren Vollziehung aber
noch ein weiter Weg iſt. Es iſt der Grundriß eines Ge-
bäudes, das man aufzurichten Willens iſt, doch fragt ſich
noch erſt, ob man die Kraft und die Mittel dazu ha-
ben wird.


Schwierigkeiten. Reichstag von Lindau 1496.


Für die Ausführung der Beſchlüſſe des Reichstags
lag ein großes Hinderniß ſchon in der Mangelhaftigkeit
ſeiner Zuſammenſetzung. Eine ganze Anzahl mächtiger
Stände war nicht zugegen geweſen, und da die Verbind-
lichkeit von Beſchlüſſen einer Verſammlung an der man
nicht ſelbſt Theil genommen, noch keinesweges entſchieden
war, ſo mußten mit den Abweſenden beſondre Verhand-
lungen eröffnet werden. Unter andern ward der Churfürſt
[118]Erſtes Buch.
von Cölln beauftragt, mit den ihm nächſtgeſeſſenen Biſchö-
fen, von Utrecht Münſter Osnabrück Paderborn und Bre-
men, der Churfürſt von Sachſen mit Lüneburg Gruben-
hagen Dänemark zu unterhandeln, und es war nicht ſo
unbedingt gewiß, was ſie ausrichten würden. Es findet
ſich auch dieß Mal ein Artikel worin man die Möglich-
keit vorausſetzt daß Jemand nicht in dem Landfrieden
ſeyn wolle. 1


Ein noch wichtigerer organiſcher Mangel war, daß
die Ritterſchaft an dem Reichstag keinen Theil nahm. Es
iſt offenbar, daß die großartige Entwickelung zu welcher die
ſtändiſche Verfaſſung in England gediehen iſt, großentheils
auf der Vereinigung des niedern Adels und der Städte
in dem Unterhauſe beruht. In Deutſchland war es das
Herkommen nicht, den Adel zu den Reichstagen zu be-
rufen. Aber daher kam es nun auch, daß er ſich den Be-
ſchlüſſen der Reichstage, vor allem wenn es, wie jetzt, eine
Auflage betraf, nicht fügen mochte. Noch im Dezember
verſammelten ſich die fränkiſchen Ritter in Schweinfurt,
und erklärten, ſie ſeyen freie Franken, des Reiches von Adel,
verpflichtet ihr Blut zu vergießen, auf den Kriegszügen mit
ihrer mannlichen Jugend des Kaiſers Krone und Scepter
zu bewachen, nicht aber Auflagen zu zahlen, was ihrer
Freiheit zuwiderlaufe und eine unerhörte Neuerung ſey.
Sie hatten hierin die Beiſtimmung aller ihrer Standes-
genoſſen. In den verſchiedenen Bezirken ſchloß man Ver-
bindungen in dieſem Sinne. 2


[119]Reichstag von Lindau 1496.

Wir bemerkten, wie vielen Werth man früher auf die
geiſtliche Autoriſation legte. Der Mangel derſelben hatte
jetzt zur Folge, daß die Äbte des Reiches ſich weigerten
die Autorität eines ſo rein weltlichen Gerichts wie das
Kammergericht anzuerkennen.


Andere Stände gab es, an deren Gehorſam ſich über-
haupt zweifeln ließ. Der Herzog von Lothringen erklärte,
daß er außerhalb ſeiner eignen Gerichte vor Niemand
ſonſt zu Rechte ſtehe, außer vor dem König allein. Die
Eidgenoſſen machten zwar dem Reiche ſeine Oberhoheit
und Gerichtsbarkeit damals noch nicht ſtreitig, aber bei
der erſten Anwendung derſelben fühlten ſie ſich beleidigt
und zum Widerſtande gereizt. Der König von Polen er-
klärte, Danzig und Elbing ſeyen polniſche Städte, und
wies alle Anmuthungen zurück, die ihnen von Seiten des
Reiches gemacht wurden. Wie ein energiſches Heilmittel
den Organismus zunächſt in allgemeine Aufregung ſetzt,
ſo kamen indem man das Reich zu organiſiren dachte,
vorerſt die bisher ruhenden Gegenſätze in demſelben zur
Sprache.


War nun aber von Seiten der Stände, zu deren
Gunſten die Beſchlüſſe lauteten, ein ſo ſtarkes widerſtre-
bendes Element vorhanden, was ließ ſich von dem König
erwarten, den ſie beſchränkten, dem ſie aufgedrungen wor-
den? Bei der Ausführung derſelben war alles auf ſeine
Theilnahme berechnet: er ließ unaufhörlich fühlen, daß er
mit Widerſtreben daran gieng.


Allerdings richtete er das Kammergericht nach ſeinen
neuen Formen ein. Am 3ten November hielt es ſeine erſte
[120]Erſtes Buch.
Sitzung auf dem Großbraunfels in Frankfurt am Main. 1
Am 21ſten Februar übte es ſein Recht in die Acht zu
erklären zum erſten Mal aus: der Richter und ſeine Bei-
ſitzer, Doctoren und Edelleute, erſchienen unter freiem Him-
mel; der Achtzettel, durch welchen man den Verurtheilten
„aus dem Frieden in den Unfrieden ſetzte,“ „ſein Leib und
Gut männiglich erlaubte,“ ward öffentlich verleſen und zer-
riſſen. Daran fehlte jedoch viel daß der König dem
Gerichtshofe nun auch ſeinen freien Lauf gelaſſen hätte.
Mehr als einmal gebot er mit den Proceſſen inne zu hal-
ten: er wollte nicht dulden daß ſein Fiscal, wenn er Un-
recht bekam, die gewöhnliche Strafe der Unterliegenden be-
zahlte; er ſchickte einen Beiſitzer aus den Niederlanden,
den die übrigen nicht annehmen wollten, weil er nicht re-
gelmäßig präſentirt war; für die Beſoldung der Beiſitzer
ſorgte er nicht, wie er für den Anfang verpflichtet war;
den Präſidenten, Graf Eitelfriedrich von Zollern, den er
wider den Wunſch der Stände, die einem andern den Vor-
zug gaben, 2 geſetzt hatte, rief er doch gar bald wieder ab,
weil er ihn in andern Geſchäften brauche.


[121]Reichstag von Lindau 1496.

Eben ſo wenig dachte er daran, den gemeinen Pfen-
nig, wie er zugeſagt, zuerſt in ſeinem eignen Lande einſam-
meln zu laſſen. Zu der für den erſten Februar anberaum-
ten Zuſammenkunft erſchien er nicht; ſie kam gar nicht zu
Stande. 1


Man muß ſich wundern daß man den Ruhm, die
Reichsverfaſſung begründet zu haben, ſo lange und ſo all-
gemein dem Könige beigemeſſen hat, dem die Entwürfe zu
derſelben aufgedrungen werden mußten, und der dann deren
Ausführung bei weitem mehr verhinderte als begünſtigte.


Ohne Zweifel wäre alles zu Grunde gegangen, wäre
dem Könige nicht ein Fürſt entgegengetreten, der die vor-
nehmſten Gedanken gefaßt, die Sache hauptſächlich ſo weit
geführt hatte, und nun nicht gemeint war, ſie ſo leicht
fallen zu laſſen; Churfürſt Berthold zu Mainz, geborner
Graf zu Henneberg. 2 Schon unter Friedrich III, in deſ-
ſen Dienſte er ziemlich früh kam, hatte er an allen Ver-
ſuchen, das Reich in beſſere Ordnung zu bringen, thäti-
gen Antheil: im J. 1486 war er Churfürſt von Mainz
geworden und ſeitdem an die Spitze der Stände getreten.
Es giebt Männer, deren Daſeyn in dem was ſie thun,
aufgeht; in ihren Studien und ihren Geſchäften: da müſ-
ſen wir ſie aufſuchen wenn wir ſie kennen lernen wollen:
ihre Perſönlichkeit an ſich zieht die Beobachtung nicht auf
[122]Erſtes Buch.
ſich. Zu dieſen Männern gehörte Berthold von Mainz;
Niemand, daß ich wüßte, hat es der Mühe werth gefun-
den ſeine Perſönlichkeit den Nachkommen zu ſchildern. Aber
ſchon durch die Verwaltung ſeines Stiftes leuchtet er her-
vor. Man fürchtete dort anfangs ſeine Strenge; wie denn
ſeine Rechtspflege rückſichtslos, ſeine Haushaltung genau
war; allein bald ſah doch ein Jeder, daß ſeine ernſte Hal-
tung nicht aus Willkühr oder Gemüthsneigung, ſondern
aus der innern Nothwendigkeit der Dinge hervorgieng; ſie
ward durch ächtes Wohlwollen gemildert: auch dem Ärm-
ſten und Geringſten lieh er ſein Ohr. 1 Vor allem war
er in den Reichsgeſchäften thätig. Er gehört zu den ehr-
würdigen Geiſtern jener Zeit, die mit innerer Anſtrengung
das Alte, dem ſein geiſtiger Urſprung, ſein höherer Zuſam-
menhang verloren gegangen, zu dem Neuen und Nunmehr-
nothwendigen umzubilden ſuchten. Schon die Verhand-
lungen von 1486 hat er geleitet: dann verſchaffte er den
Städten Sitz in den Ausſchüſſen; ihm vor allen war das
Verſprechen Maximilians vom Jahr 1489 zu danken; die
Wormſer Entwürfe waren großentheils ſein Werk. Im-
mer zeigt er denſelben ruhig-männlichen Geiſt, der ſeinen
Zweck feſt im Auge behält, ohne doch in der Art und
Weiſe ihn zu erreichen, in den Nebendingen hartnäckig zu
ſeyn; durch kein Hinderniß iſt er zu ermüden: perſönliche
Abſichten kennt er nicht; wenn irgend ein Andrer ſo trägt
er das Vaterland in ſeinem Herzen.


Im Sommer 1496, auf dem Reichstag von Lindau
gelangte dieſer Fürſt zu einer noch unabhängigern Thätig-
keit, als bisher.


[123]Reichstag von Lindau 1496.

Maximilian hatte in den Verwirrungen jenes Som-
mers den günſtigen Augenblick zu erkennen geglaubt, wo
er ſich nur in Italien zu zeigen brauche, um mit Hülfe
ſeiner Bundesgenoſſen die kaiſerliche Hoheit herzuſtellen.
Indem er die Stände des Reiches nach Lindau beſchied,
wohin ſie ihren gemeinen Pfennig und zugleich ſo viel
Truppen, als man davon beſolden könne, mitbringen, und
von wo ſie ihm dann ſobald wie möglich nachfolgen ſoll-
ten, erklärte er doch zugleich, er könne ihrer nicht warten,
ſondern werde unverzüglich mit der Macht die ihm Gott
gegeben, über die Berge ziehen.


Indem er dieß ausführte, und ſich, jedoch mehr wie
zu einem abenteuerlichen Ritterzug als zu einem ernſtlichen
Unternehmen ausgerüſtet, nach Italien ſtürzte, verſammel-
ten ſich die Stände des Reiches allmählig in Lindau. Sie
kamen ohne Truppen Geld noch Geſchütz; ihre Abſicht
war ganz allein auf die innern Angelegenheiten gerichtet.
Wie ſehr ſie hiebei auf Churfürſt Berthold rechneten, zeigt
unter anderm die Inſtruction der brandenburgiſchen Ge-
ſandten, durch welche dieſelben angewieſen werden, ſich in
allen Dingen an dieſen Fürſten zu halten. 1


Am 31ſten Auguſt 1496 ſtiegen die Fürſten ſo viel
ihrer angelangt, zu Schiff und holten den Sohn des Kö-
[124]Erſtes Buch.
nigs Erzherzog Philipp von Bregenz herüber: am 7ten
September ward die erſte Sitzung gehalten. Der Chur-
fürſt von Mainz nahm ſeinen Platz in der Mitte, zu ſei-
ner Rechten ſaßen die Fürſten, der Erzherzog zum erſten
Mal unter ihnen, zu ſeiner Linken die Botſchafter der nicht
perſönlich erſchienenen, die Abgeordneten der Städte ſtan-
den ihm gegenüber. In der Mitte war eine Bank für die
königlichen Räthe, Conrad Stürzel und Walter von Andlo.


Der Churfürſt leitet die Verhandlungen mit unbeſtrit-
tener Autorität. Sie halten inne, wenn er ſich einmal
entfernt, was jedoch immer nur auf kurze Zeit geſchieht;
kommt er dann wieder, ſo führt er das Wort, wie in der
Verſammlung ſo in dem Ausſchuß; er macht die Vor-
ſchläge, ruft die Bewilligungen hervor, und weiß die Be-
vollmächtigten bei denſelben feſt zu halten. Er verbirgt den
Schmerz nicht, den es ihm erregt das Reich ſo in Ver-
fall zu erblicken. „Noch zu Carls IV und Sigmunds
Zeiten habe man es in Italien anerkannt: was jetzt nicht
mehr geſchehe. Der König von Böhmen ſey ein Chur-
fürſt des Reiches: was thue er dem Reiche dafür? viel-
mehr habe er Mähren und Schleſien auch noch losgeriſ-
ſen. In unaufhörlicher Bedrängniß ſeyen Preußen und
Liefland: Niemand kümmere ſich darum. Ja das Wenige
was vom Reich übrig ſey, werde ihm täglich entzogen
und Dem oder Jenem verſchrieben. Die Ordnungen von
Worms ſeyen gemacht, um des Reiches Fall zu verhüten:
allein es fehle an Einigkeit und wechſelſeitigem Vertrauen,
um ſie aufrecht zu erhalten. Woher komme es, daß die
Eidgenoſſenſchaft ſo in allgemeinem Anſehn ſtehe: daß ſie
[125]Reichstag von Lindau 1496.
von Italienern und Franzoſen, von dem Papſt, ja von
Jedermann gefürchtet werde? Das rühre allein daher,
weil ſie zuſammenhalte und einmüthig ſey. Einem ſolchen
Beiſpiel ſollte man in Deutſchland nachfolgen. Die Worm-
ſer Ordnungen ſollte man wieder vornehmen, aber nicht
um davon zu ſchwatzen, ſondern um ſie wirklich auszu-
führen.“ 1 Glücklich die Beredſamkeit, welche Überzeugun-
gen zum Bewußtſeyn bringt, die aus dem Miterleben der
Dinge nothwendig hervorgehn! Der Ausſchuß beſchloß,
alſo in die Sache zu ſehen, daß das Weſen des Reichs
in eine andre Ordnung komme. Auf den Vorſchlag des
brandenburgiſchen Geſandten unterſuchten die Mitglieder
erſt ihre Vollmachten und befanden ſie dazu hinreichend.


Bei dieſen Geſinnnungen nahmen die Sachen gar bald
einen entſchiednen Gang.


Das Kammergericht, das im Juny ſeine Sitzungen
geſchloſſen hatte, ward im November bewogen, ſie wieder-
zueröffnen. Für die Beſoldung der Beiſitzer ward dadurch
geſorgt, daß man den gemeinen Pfennig in Regensburg
Nürnberg Worms und Frankfurt von den Juden einzu-
ziehen und dazu zu verwenden beſchloß. Der Churfürſt
hielt darauf, daß die Urtel vollzogen wurden, daß Nie-
mand ſeinen Beiſitzer abberufen durfte, daß den Städten
gegen die Fürſten ihr Recht wurde. Man beſchloß das
Gericht nach Worms zu verlegen, auch deshalb, weil man
[126]Erſtes Buch.
von da die vier Univerſitäten Heidelberg und Baſel, Mainz
und Cölln, den Rhein hinauf und hinab, leichter erreichen
und ſich daſelbſt „der Rechte befragen“ könne.


Am 23 Dez. ward dann auch der Beſchluß, den ge-
meinen Pfennig einzubringen, auf das ernſtlichſte erneuert.
Die Ritterſchaft, welche ſich über die Forderung die der
König an ſie mache beſchwert hatte, ward bedeutet nicht
der König fordere dieſe Abgabe ſondern das Reich: es ſey
die gleichmäßigſte und erträglichſte die ſich finden laſſe,
ſie werde der Ritterſchaft ſelbſt zu Gute kommen, wenn
dieſe nur zu Pferde ſteigen, und den Sold den man daraus
erlegen werde ſelber verdienen wolle.


Zu der Verwendung des gemeinen Pfennigs ward eine
neue Reichsverſammlung angeſetzt.


Noch andre Puncte wurden beſprochen: die Nothwen-
digkeit augenblicklicher und feſtbeſtimmter Hülfleiſtung für
die Angegriffenen, neue Ordnung des Gerichtes, der Münze;
vor allem aber beſtärkte man ſich in dem Entſchluß, die
Wormſer Einrichtungen aufrecht zu erhalten. Sollte Je-
mand etwas dawider vornehmen, oder wider die Stände,
die in Lindau geweſen, ſo ſolle die Sache an den Chur-
fürſten von Mainz berichtet werden, der dann die übrigen
zuſammenberufen möge, damit man gemeinſchaftliche Ant-
wort gebe, und die Ordnung gemeinſchaftlich vertheidige. 1


Alles dieß ſetzte der Erzbiſchof ohne viel Mühe durch.
[127]Reichstag zu Worms und zu Freiburg 1497. 98.
Regte ſich auch zuweilen Widerſpruch in fürſtlichen Abge-
ſandten, ſo hielten ſich dagegen die churfürſtlichen und ſtädti-
ſchen immer zu ihm und riſſen jene mit ſich fort. So
brachte man es denn auch in den Abſchied. Das Ver-
fahren war, daß ein Jeder die gefaßten Beſchlüſſe zuerſt
für ſich ſelber aufzeichnete; in der Verſammlung ſtellte man
dann eine Vergleichung an, ſetzte eine beſtimmte Faſſung
feſt, und unterzeichnete ſie.


Am 10 Februar 1497 ward der Reichstag in Lindau
geſchloſſen. Die Stände dankten dem Churfürſten für ſeine
Bemühungen und baten ihn wegen ihrer Nachläßigkeiten
um Verzeihung. Der Churfürſt entſchuldigte ſich dagegen,
wenn er ihnen vielleicht ein wenig ernſtlich zugeredet habe,
und erſuchte ſie, die gefaßten Beſchlüſſe nun auch zu Hauſe
treulich zu fördern, damit dem Reiche geholfen werde.


Reichstag zu Worms und zu Freiburg 1497. 1498.


Es war jedoch hiemit nur erſt die Eine Seite der
Sache erledigt; man hatte die Schwierigkeiten beſeitigt, die
ſich unter den Ständen erhoben; dagegen auf den König,
deſſen Theilnahme und Zwangsgewalt doch nicht zu ent-
behren war, hatte man ſich noch keinerlei Einfluß verſchafft.


Maximilians abenteuerliches Unternehmen hatte den
Ausgang gehabt, der ſich vorausſehen ließ; die Phantaſie,
die ihm mit übertriebenen Hoffnungen ſchmeichelte, hatte
ihn verhindert die wahre Lage der Dinge zu erkennen;
nach kurzem Erfolge hatten ſich die Verbündeten, auf de-
ren Hülfe er allein angewieſen war, entzweit; voll Scham,
[128]Erſtes Buch.
Unmuth und Verdruß war er nach Deutſchland zurück-
geeilt. Hier fand er die Finanzen ſeiner Erblande durch
ſeinen Kriegszug erſchöpft und zerrüttet, das Reich ihm
gegenüber in einer trotzigen Haltung und Abgeſchloſſenheit,
und immer ſchlechtere Nachrichten ſuchten ihn heim. Als
Ludwig XII 1498 den franzöſiſchen Thron beſtieg, hatte
Maximilian gehofft, daß in Frankreich Verwirrungen ent-
ſtehen und ſeine Bundesgenoſſen ihn zu einem neuen An-
griff unterſtützen würden. Es erfolgte aber das Gegen-
theil. Ludwig erwarb ſich in Frankreich durch friedlich-
verſtändige Einrichtungen ein Anſehn, wie es noch nie ein
König beſeſſen; der italieniſche Bund ſuchte ein Abkommen
mit demſelben zu treffen; was aber das Unerwartetſte war,
der eigene Sohn des römiſchen Königs, Erzherzog Philipp,
von ſeinen niederländiſchen Räthen dazu vermocht, gieng
ohne Rückſicht auf ſeinen Vater, einen Vertrag mit Frank-
reich ein, in welchem er gegen die Zurückgabe einiger
Plätze alle ſeine burgundiſchen Anſprüche, ſo lange Lud-
wig XII lebe, ruhen zu laſſen, ſie nur im Wege der Güte
und des Rechtes niemals dem der Gewalt durchzuſetzen ver-
ſprach. Maximilian vernahm dieß, als er ſich ſchon auf-
gemacht, den Krieg zu beginnen; in der heftigſten Stim-
mung, ſuchte er im Juny 1498 die Reichsverſammlung
auf, die er nun nicht mehr entbehren konnte.


Die Verſammlung hatte ihre Sitzungen, wie beſchloſ-
ſen, in Worms eröffnet, 1 aber ſie darnach auf Bitten des
Kö-
[129]Reichstag zu Worms und zu Freiburg 1497. 98.
Königs nach Freiburg verlegt. Obwohl die Sachen in
Folge der Lindauer Vereinigung bei weitem beſſer giengen
als früher, der gemeine Pfennig wirklich anfieng einge-
bracht zu werden, das Kammergericht zu Worms regel-
mäßige Gerichtstage hielt, auch der Reichstag ſelbſt zwi-
ſchen den verſchiednen Ständen in den ſchwierigern Sa-
chen eine unbeſtrittene jurisdictionelle Gewalt ausübte, ſo
fühlte man doch täglich, daß man bei der zweideutigen
und halb feindſeligen Stellung, in der ſich der König hielt,
nicht zum Ziel kommen würde. Vor den Augen der ver-
ſammelten Stände überzog Churfürſt Johann II von Trier,
mit Hülfe ſeiner weltlichen Nachbarn, Baden Pfalz Heſ-
ſen und Jülich, die Stadt Boppard, und nöthigte ſie mit
Gewalt ſich ihm zu unterwerfen, ihm zu huldigen. Die
Schweizer widerſetzten ſich einem von dem Kammergericht
ergangenen Urtel gegen St. Gallen, führten die trotzigſten
Reden, und waren nahe daran, förmliche Fehde zu erhe-
ben. In unaufhörlich wiederholten Schreiben zeigten die
Stände dem König an, daß ohne ſeine Anweſenheit ſich
weder der Friede behaupten, noch das Recht ausführen,
noch die Auflage vollſtändig einbringen laſſe.


Endlich, am 18ten Juny 1498, traf er in Freiburg
1
Ranke d. Geſch. I. 9
[130]Erſtes Buch.
ein, aber weder mit den Abſichten noch in der Stimmung
wie man ihn zu ſehen gewünſcht hätte. Seine Seele war
von alle dem Mißlingen ſeiner Plane verletzt, tief verwundet
von dem Abfall der Niederlande, und von den Gedanken
eines franzöſiſchen Krieges erhitzt und aufgeregt, ich denke,
eben darum um ſo mehr, da er doch auch die Schwierig-
keit und Unausführbarkeit davon fühlte. Gleich in der
erſten Audienz, am 28ſten Juny, ergoß er dieſe Aufwallung
gegen die Fürſten. Er erklärte ihnen, er komme nicht,
ihren Rath zu verlangen, denn er ſey entſchloſſen den
Krieg gegen Frankreich anzufangen, und wiſſe wohl, daß
man ihm denſelben widerrathen würde. Er wünſche nur zu
hören, ob man ihn dazu unterſtützen wolle, wie man ſchuldig
ſey und ihm zu Worms verſprochen habe. Möglich, daß er
nichts Entſcheidendes ausrichte, aber auf jeden Fall werde er
dem König von Frankreich einen Backenſtreich verſetzen, deſſen
man hundert Jahr gedenken ſolle. „Von den Lombarden,“
ſagte er, „bin ich verrathen, von den Deutſchen bin ich
verlaſſen. Aber ich will mich nicht wieder wie zu Worms
an Händen und Füßen binden und an einen Nagel hen-
ken laſſen. Den Krieg muß ich führen und will ich
führen, man ſage mir was man wolle. Eher werde ich
mich von dem Eide dispenſiren, den ich dort hinter dem
Altar zu Frankfurt geſchworen habe. Denn nicht allein
dem Reiche bin ich verpflichtet, ſondern auch dem Hauſe
Öſtreich. Ich ſage das und muß es ſagen, und ſollte
ich darüber auch die Krone zu meinen Füßen ſetzen und
ſie zertreten.“ Die Fürſten hörten ihm voll Erſtaunen zu.
„Ew Maj,“ verſetzte der Churfürſt von Mainz, „belieben
[131]Reichstag zu Worms und zu Freiburg 1497. 98.
in Parabeln mit uns zu ſprechen, wie Chriſtus mit den
Jüngern.“ Sie baten ihn, ſeine Anträge vor die Reichs-
verſammlung zu bringen, die darüber berathen werde. 1


Sonderbare Vereinigung dieſes Königs mit dieſer Ver-
ſammlung! Maximilian lebt vor allem im Intereſſe ſeines
Hauſes, in Anſchauung der großen europäiſchen Verhält-
niſſe, im Gefühl, daß er die höchſte Würde der Chriſten-
heit trägt, die jedoch eben gefährdet iſt; er iſt ehrgeizig,
kriegsluſtig, geldbedürftig. Die Verſammlung hat dagegen
die innern Verhältniſſe im Auge; ſie möchte vor allen
Dingen Ordnung und Recht im Reiche machen; ſie iſt
bedächtig, friedfertig, ſparſam. Sie will den König be-
ſchränken und feſthalten: er will ſie entflammen und fort-
reißen.


Es gehörte die ganze Klugheit, Mäßigung und Über-
legenheit dazu, welche der Erzbiſchof von Mainz beſaß, um
es nicht zu einem Bruch kommen zu laſſen.


Den König gewann er damit, daß er ihm die Aus-
ſicht auf den Ertrag des gemeinen Pfennigs zeigte. Er
ſetzte durch daß die Verſammlung dem König unverzüg-
liche Zahlung der einſt zu Worms zugeſagten Summe ver-
ſprach, vorausgeſetzt daß er durch Vorgang und Beihülfe
zur vollſtändigern Einbringung der Auflage behülflich ſey.
Es kam hierüber zu ausführlichen Erörterungen. Ein Je-
der mußte angeben, wie weit er mit dem gemeinen Pfennig
9*
[132]Erſtes Buch.
gekommen ſey; und es eröffnet uns einen Blick in die Lage
der deutſchen Fürſten, wenn wir uns ihre Erklärungen
vergegenwärtigen.


Churf. Berthold von Mainz hat den gemeinen Pfen-
nig eingebracht und erlegt; doch haben ſich in ſeinem Ge-
biete einige Widerſpenſtige gezeigt; dieſen hat er die Ahn-
dung des Reichs angekündigt, gegen welche er ſie nicht in
Schutz nehmen werde. — Cölln und Trier haben nur ei-
nen Theil ihres Pfennigs eingenommen; ſie ſind auf nicht
wenig Widerſpenſtige geſtoßen, die ſich mit den Zöge-
rungen der Niederländer entſchuldigt haben. — Die Chur-
fürſten von Brandenburg und von Sachſen haben den
größten Theil der Auflage eingezogen und ſind bereit ſie
zu erlegen; doch giebt es in Sachſen einige Herren,
von denen der Churfürſt ſagt, er ſey ihrer nicht mächtig,
er verpflichte ſich für ſie nicht. 1 — Dagegen hat der
Geſandte der Pfalz gar nicht einmal den Auftrag ſich ent-
ſcheidend zu erklären; auch Georg von Landshut gab nur
eine ausweichende Antwort. Geneigter ließ ſich Albrecht
von Baiern vernehmen, doch beklagte er ſich über die große
Anzahl der Widerſpenſtigen auf die er ſtoße. Und man
dürfte dieß nicht für eine Ausflucht halten: die baieriſchen
Landſtände hatten in der That mancherlei Schwierigkeiten
gemacht. Sie hatten ſo viel mit ihren Landesbedürfniſſen
zu thun; es fiel ihnen ſonderbar auf, daß auch das Reich
[133]Reichstag zu Worms und zu Freiburg 1497. 98.
Anſprüche an ſie machen wollte. 1 In Franken war der
Widerſtand nicht minder lebhaft: die Markgrafen von
Brandenburg mußten hie und da zu Auspfändungen ſchrei-
ten. — Da hatten es denn freilich die Städte, die auf Lei-
ſtungen dieſer Art ſchon vorbereitet waren, um vieles leich-
ter: von allen waren nur drei noch im Rückſtand, Cölln
Mühlhauſen und Nordhauſen: die andern hatten ihre Ge-
bühr ſämmtlich erlegt.


Obwohl die Sache, wie wir ſehen, noch lange nicht
zum Ziel gediehen, ſo war ſie doch in guten Zug gebracht,
und Waximilian war von dieſem Erfolg höchlich befrie-
digt. Jetzt bequemte er ſich, auch von ſeinen eignen Erb-
landen Bericht zu erſtatten. In Öſtreich, Steiermark und
Tirol hat er 27000 G. eingenommen; in den Nieder-
landen dagegen war viel Widerſpruch erhoben worden.
Die Einen, berichtet der König, „ſo von wälſcher Art,“
hatten geſagt ſie ſeyen gar nicht unter dem Reiche: die
Andern, „ſo ſich zur deutſchen Nation halten,“ erklärten
dagegen, ſie würden erſt abwarten was ihre Nachbarn am
Rheine thäten.


Leider iſt es aus den Nachrichten, die wir hier fin-
den, nicht möglich, zu ſtatiſtiſchen Reſultaten zu gelangen.
Die Zahlungen waren noch zu ungleichmäßig und die mei-
ſten Berechnungen fehlen.


Für den Augenblick aber war es ſchon ein großer
Erfolg, daß man dem König das Geld, das er zu for-
dern hatte, entweder ſogleich zahlen, oder doch mit Sicher-
heit verſprechen konnte. Dadurch ward er auch ſeinerſeits
[134]Erſtes Buch.
den Sachen des Reiches ſeine Aufmerkſamkeit und Theil-
nahme zu widmen bewogen.


Der Landfrieden ward mit neuen ſtrengen Clauſeln
namentlich gegen die Verbündeten der Landfriedensbrecher
vermehrt. Dem Kammerrichter ward das Recht ertheilt
in beſonders gefährlichen Fällen nach eignem Gutdünken
Fürſten des Reiches zuſammenzurufen, um ſich ihrer Hülfe
zu bedienen. Ein alter Vorſchlag des Kammergerichts,
das Repräſentationsrecht bei dem Erbe einzuführen, ward
trotz des Widerſpruchs, daß ein Drittel der Nation ſich
nach den dawider ſtreitenden Satzungen des Sachſenſpie-
gels halte, endlich durchgeſetzt. 1 Es ward auf eine Cri-
minalordnung Bedacht genommen; beſonders deshalb, weil
man ſo häufig ohne vollkommen begründetes Recht To-
desſtrafen verhänge. Um den Verwirrungen des Münz-
weſens Einhalt zu thun, ward der Beſchluß gefaßt, alle
Gulden in Schnitt und Gehalt den Gulden der rheini-
ſchen Churfürſten gleichmäßig auszuprägen. Genug die-
ſer Reichstag zu Freiburg, der ſich ſo ſtürmiſch angelaſ-
ſen, ward allmählig der vielſeitig thätigſte, der noch vor-
gekommen war.


Da war nur noch die Frage, wie die Stände die
allgemein europäiſchen Angelegenheiten anſehen würden.
[135]Reichstag zu Worms und zu Freiburg 1497. 98.
Die Franzoſen hatten den Vorſchlag gemacht: man möge
ihnen Genua und Neapel überlaſſen, ſo würden ſie Mai-
land nicht beunruhigen und über alles andre einen ewi-
gen Frieden ſchließen. Ein Vorſchlag, der wenn ſie ihn
nur ernſtlich meinten, viel Empfehlendes darbot, und na-
mentlich den deutſchen Fürſten höchlich gefiel. „Genua
ſey ohnehin ſehr unzuverläßig, und ſuche ſich alle Tage
einen andern Herrn; was gehe Neapel und Sicilien dem
Reiche an? Es ſey am Ende ſogar vortheilhafter, wenn
dort ein mächtiger Fürſt regiere, der den Türken Wider-
ſtand leiſten könne.“ Die Oberherrlichkeit in Italien war
ihnen gleichgültig; ſie erklärten ſich im Allgemeinen gegen
jede Verbindung mit den Wälſchen. Das war jedoch nicht
die Meinung der Churfürſten, am wenigſten der geiſtli-
chen. Sie zogen in Betracht, daß Genua noch von Fried-
rich I eine Kammer des Reiches genannt worden, daß Nea-
pel ein Lehen des päpſtlichen Stuhles ſey und von dem
römiſchen König, dem Vogte der Kirche, dabei erhalten
werden müſſe. Aber überhaupt dürfe man den König von
Frankreich nicht allzumächtig werden laſſen, damit er nicht
das Kaiſerthum an ſich reiße. Die Idee des Reiches,
auf welcher allerdings ihre eigne Bedeutung beruhte, woll-
ten ſie in keinem Punct aufgeben. Dieſe Meinung, mit
welcher ſie ganz auf die Seite des Königs traten, behielt
zuletzt die Oberhand; die Unterhandlungen welche Friedrich
von Sachſen mit Ludwig XII begonnen zerſchlugen ſich;
in dem Momente, daß man kaum die Einrichtungen des
Reiches einigermaaßen befeſtigt hatte, mußte man auch
ſchon den Krieg beginnen.


[136]Erſtes Buch.

Es waren immer zwei Tendenzen geweſen, die eine
des Königs, das Reich zu großen Kriegsunternehmungen
fortzureißen, die andre der Stände, den innern Frieden zu
befeſtigen. Jetzt ſchienen ſie beide eine Abkunft, eine Ver-
einigung getroffen zu haben. Der König hatte die Worm-
ſer Einrichtungen, die er an ſich nicht liebte, befeſtigt und
beſtätigt; die Stände billigten nun auch ſein Vorhaben,
die Hoheit des Reiches mit den Waffen zu vertheidigen.


Kriegsereigniſſe.


Hatte man ſich aber auch mit vollkommner Deutlich-
keit überlegt, was man unternahm?


Es mag Verfaſſungen geben, welche durch Kriegs-
bewegungen gefördert werden; niemals aber werden das
ſolche ſeyn, die ein ſtarkes föderatives Element in ſich ſchlie-
ßen, ohne daß doch die Gefahr des Mißlingens Allen ge-
meinſam wäre. Für Deutſchland war nichts n[o]thwendi-
ger als Friede, um das eben erſt in ſeinen Anfängen Ge-
gründete zu ruhiger Entwickelung gedeihen, ein Herkom-
men ſich bilden, den Gehorſam Wurzel ſchlagen zu laſſen.
Die Einforderung und Verwendung des gemeinen Pfen-
nigs hätte vor allem erſt zur Gewohnheit werden müſſen.
Aber unmittelbar von dem Reichstag wo die Beſchlüſſe ge-
faßt waren, ſtürzte man fort in den Krieg.


Und zwar gegen eine Macht, die ſich zuerſt und am
vollkommenſten conſolidirt hatte, wo jetzt ein neuer Fürſt,
der ſchon lange die allgemeine Anerkennung genoß, die Zü-
gel in ſeine Hand genommen und einen vollen friſchen
[137]Kriegsereigniſſe 1498.
Gehorſam um ſich geſammelt hatte. Den griff Maximi-
lian, trotzig auf die Beiträge des Reiches, jetzt ſelber an.
Nachdem er in Hochburgund das Übergewicht ſeiner Trup-
pen wiederhergeſtellt hatte, 1 fiel er mit einem nicht unbe-
deutenden Heer in der Champagne ein. Einen Stillſtand,
den man ihm anbot, ſchlug er ab.


Ich zweifle nicht, daß die vorwaltenden Fürſten das
Gefährliche dieſes Beginnens ſehr wohl einſahen; aber ſie
konnten es nicht hindern. Zu der Übereinkunft in Frei-
burg war es nur dadurch gekommen, daß man dem Kö-
nig ſeinen Kriegszug geſtattete und erleichterte; man mußte
ihn ſein Glück verſuchen laſſen.


Da zeigte ſich nun zuerſt die große Überlegenheit der
politiſchen Stellung, die ſich Ludwig XII gegeben. Die
alten Bundesgenoſſen Maximilians, in Spanien, Italien,
ja den Niederlanden ſelbſt hatte er gewonnen; Mailand
und Neapel, die er anzugreifen entſchloſſen war, behielten
keinen andern Verbündeten, als eben den römiſchen König.


Dieſem aber wußte Ludwig in Deutſchland ſelbſt Feinde
zu erwecken, die ihn beſchäftigen mußten. Die Pfalz ſtand
unaufhörlich in gutem Vernehmen mit Frankreich; mit der
Schweiz und Graubünden wurden eifrige Unterhandlun-
gen gepflogen. Der Herzog Carl von Geldern, von jenem
durch Carl den Kühnen entſetzten Haus Egmont, das aber
ſeine Rechte niemals aufgegeben, erhob zuerſt die Waffen.


[138]Erſtes Buch.

Von der Champagne ward Maximilian durch unauf-
hörliches Regenwetter und anſchwellende Flüſſe zurückge-
trieben. Er wandte ſich gegen Geldern und mit Hülfe be-
ſonders von Jülich und Cleve erfocht er einige Vortheile;
allein ſie waren nicht entſcheidend: dem Herzog Carl hieng
ſeine Landſchaft an, die er durch neue Privilegien an ſich
gefeſſelt hatte. Dadurch geſchah denn, daß Maximilian
die für dieß Mal auf Catharinä zu Abend, 21 Nov., nach
Worms ausgeſchriebene Reichsverſammlung nicht beſuchen
konnte, die doch zur Vollendung der beſchloſſenen Ordnun-
gen durchaus nothwendig war; dieſe Verſammlung, wo
ſonſt vielleicht eingreifende Beſchlüſſe gefaßt worden wä-
ren, löſte ſich auf. 1 Aber überdieß brachen in demſelben
Momente die ſchweizeriſchen Irrungen zu förmlichem Kriege
aus. Das Reich war noch weit entfernt die Eidgenoſſen
aufzugeben; es hatte ſie vor das Kammergericht geladen,
und wenigſtens gegen die Rechtmäßigkeit eines ſolchen Ver-
fahrens war keine Einwendung geſchehen; auch den gemei-
nen Pfennig hatte man von ihnen gefordert, und noch in
Freiburg war der Beſchluß gefaßt worden „die mächtigen
Städte in der Eidgenoſſenſchaft die des Reichs Adler in
ihrem Wappen führen, bei dem Gehorſam des Reiches zu
behaupten“ und ſie wieder zu den Reichsverſammlungen zu
ziehen. Der Natur der Sache nach konnten aber dieſe
Anmuthungen ſich dort nicht Raum verſchaffen, wo man
[139]Kriegsereigniſſe 1499.
des Landfriedens nicht bedurfte, den man ſich ſelbſt gege-
ben, und ſchon ein ziemlich gut geordnetes Staatsweſen
beſaß. Eine dem römiſchen König von jeher feindſelige
Partei, die es rathſamer fand, den Sold der Franzoſen zu
verdienen, als ſich an das Reich zu halten, bekam das
Übergewicht. Die Graubündner, die von Tyrol gefährdet
wurden, eben auch des Landfriedens halber, weil ſie eini-
gen Geächteten des Königs bei ſich Aufnahme gewährten,
fanden bei den Eidgenoſſen in dieſem Zuſtand der Dinge
augenblickliche Hülfe. In Einem Momente ſtand die ganze
Grenze, Tyrol und Graubünden Schwaben und Schweiz
gegen einander in den Waffen.


Sonderbar, daß die Ordnungen des Reiches einen ihrer
Abſicht ſo ganz entgegenlaufenden Erfolg hatten. Die Anfor-
derungen des Reichstags und des Kammergerichts brachten
die Eidgenoſſenſchaft in Gährung: daß Graubünden einen
Geächteten ausliefern ſollte veranlaßte deſſen Abfall. Wenn
auf der andern Seite die Stadt Conſtanz nach langem
Schwanken endlich in den Bund von Schwaben trat, ſo
ſchien das den Schweizern unerträglich, weil die Stadt das
Landgericht über den Thurgau beſaß, eine Landſchaft, welche
ſie vor einigen Jahrzehenden an ſich gebracht hatten. Ohne-
hin herrſchte zwiſchen Schwaben und Schweizern ſeit der
Errichtung des Bundes ein Widerwille, der ſich ſchon
lange in wechſelſeitigen Beleidigungen Luft gemacht, und
jetzt in einen wilden Verwüſtungskrieg ausbrach.


Die Verfaſſung des Reiches war bei weitem nicht
ſtark genug, die Einheit deſſelben lange nicht in dem Grade
in das Bewußtſeyn gedrungen, daß es ſeine volle Kraft
[140]Erſtes Buch.
in dieſen Kampf geworfen hätte; die auf das eiligſte mehr
zuſammengerafften als zuſammengetretenen Stände faßten
unter andern zu Mainz doch auch nur einſeitige und nicht
entſchiedne Beſchlüſſe; im Grunde waren es nur die Mit-
glieder des ſchwäbiſchen Bundes die den König unterſtütz-
ten, und auch dieſe waren nicht geneigt, ihr Leben in ei-
ner Feldſchlacht mit den harten Bauern zu wagen.


Und wie wäre man vollends im Stande geweſen, dem
König Ludwig in jenen italieniſchen Unternehmungen, die
man hatte verhüten wollen, die Spitze zu bieten! Wäh-
rend man am Oberrhein in Fehde lag, giengen die Fran-
zoſen über die Alpen und nahmen Mailand ohne Mühe
ein. Maximilian mußte ſich bequemen, einen ſehr unvor-
theilhaften Frieden mit den Schweizern zu ſchließen, durch
welchen nicht allein jenes Landgericht verloren gieng, ſon-
dern auch ihre Selbſtändigkeit überhaupt unerſchütterlich
Fuß faßte.


Ein glücklicher Krieg würde die Verfaſſung befeſtigt
haben: dieſe Niederlagen mußten ſie entweder zerſtören oder
doch umgeſtalten.


Reichstag zu Augsburg und deſſen Folgen.


Zunächſt war ihre Wirkung, daß die Autorität des
Königs noch mehr beſchränkt wurde als zuvor; das ſtän-
diſche Prinzip trug abermal einen Sieg davon, durch den
es aufs neue und für immer das Übergewicht zu erhal-
ten ſchien.


Auf dem Reichstage, der am 10 April 1500 zu
Augsburg eröffnet ward, geſtand man ſich ein, daß die
[141]Reichstag zu Augsburg 1500.
Mittel die man bisher angewandt hatte eine Kriegsver-
faſſung und eine regelmäßigere Regierung zu gründen, nicht
ausreichen würden. Den gemeinen Pfennig einzubringen,
war allzuweit ausſehend; die Ereigniſſe entwickelten ſich
zu raſch, als daß ſich zu ihrer Erledigung immer erſt die
Stände hätten verſammeln können. An der Idee feſthal-
tend, von der man einmal durchdrungen war, beſchloß man
nun die Sache anders anzugreifen. Man faßte den Plan,
die Kriegsmacht, deren man bedurfte, durch eine Art von
Aushebung zuſammenzubringen. Immer vierhundert Ein-
wohner, nach ihren Pfarren zuſammentretend, ſollten einen
Mann zu Fuß ausrüſten und ins Feld ſtellen: eine Anord-
nung, wie ſie einige Zeit früher ſchon in Frankreich ver-
ſucht worden war; die zu dieſem Fußvolk gehörige Reite-
rei ſollte dann von den Fürſten Grafen und Herrn nach
beſtimmten Anſchlägen aufgebracht werden. Nur von de-
nen, die an dem Kriege nicht unmittelbar Theil nehmen
konnten, den Geiſtlichen, den Juden und den Dienſtboten,
wollte man eine Auflage einziehen, die zu einer Kriegscaſſe
dienen ſollte. Entwürfe welche ſich wie man ſieht an die
früheren unmittelbar anſchließen und eben ſo eine alle Un-
terthanen gleichmäßig umfaſſende Einheit des Reichs vor-
ausſetzen. Freudig nahm ſie Maximilian an: er berech-
nete ſich und ließ dem ſpaniſchen Botſchafter wiſſen, er
werde in Kurzem 30000 M. im Felde haben. Dagegen
gieng auch er auf einen Plan ein, den er vor fünf Jah-
ren zurückgewieſen, und der ihm ſeiner Natur nach wider-
wärtig ſeyn mußte: er fand es jetzt ſelbſt nothwendig, ei-
nen permanenten Reichsrath zu haben, der ihn und die
Stände des unaufhörlichen Ziehens auf die Reichstage
[142]Erſtes Buch.
überheben, und die beſchloſſenen Ordnungen mit Rath und
That aufrecht erhalten könne. 1 Zur erneuten Berathung
dieſes Inſtitutes ward ein Ausſchuß niedergeſetzt, deſſen
Vorſchläge wurden dann in der allgemeinen Verſammlung
der Stände vorgetragen; jedes Mitglied der Stände hatte
das Recht, die Verbeſſerungen ſchriftlich einzureichen die
es wünſchte.


Die Sache ward mit alle dem Ernſt behandelt, den
ſie verdiente. Es kam nun dabei auf zweierlei an, die
Zuſammenſetzung, und die Rechte des einzurichtenden Ra-
thes. Vor allem gab man darin den Churfürſten eine
ihrem hohen Range und ihrer bisherigen Thätigkeit ent-
ſprechende Stellung. Ein jeder ſollte einen Abgeordneten
in dem Rathe haben: einer von ihnen, nach einer beſtimm-
ten Reihenfolge, jederzeit perſönlich anweſend ſeyn. Min-
der günſtig war das ſo viel zahlreichere fürſtliche Colle-
gium bedacht. Man hatte anfangs die Abſicht gehabt, die
geiſtliche Seite nach den Erzbisthümern, die weltliche nach
den ſogenannten Landen, Schwaben Franken Baiern und
Niederland, repräſentiren zu laſſen: 2 jedoch entſprachen
dieſe Eintheilungen weder der Idee eines zu engerer Ein-
heit geſchloſſenen Reiches, noch auch der wirklichen Lage
der Verhältniſſe, und man zog es jetzt vor, geiſtliche und
[143]Reichstag zu Augsburg 1500.
weltliche Fürſten immer in gewiſſen Kreiſen zuſammenzufaſſen.
Man richtete deren ſechs ein, die man anfangs wohl auch
Provinzen deutſcher Nation nannte, Franken Baiern Schwa-
ben Oberrhein Weſtphalen und Niederſachſen, die indeß
noch nicht mit dieſem Namen benannt, ſondern nur durch
die einzelnen darin angeſeſſenen Stände bezeichnet wurden. 1
Die Intereſſen, deren Sonderung ohnehin keinen Sinn ge-
habt hätte, wurden hiedurch näher vereinigt: auch Grafen
und Prälaten, auch die Städte wurden zu dieſen Kreiſen
gerechnet. Außerdem ſollte nun aber auch immer ein geiſt-
licher und ein weltlicher Fürſt, ein Graf und ein Prälat
perſönlich zugegen ſeyn. Von Öſtreich und den Nieder-
landen ſollten zwei Abgeordnete erſcheinen. Der Städte
hatte man anfangs nicht beſonders gedacht; wie man ſie
denn auch der urſprünglichen Abſicht zum Trotz ſpäter doch
nicht zu dem Kammergericht gezogen hatte. Allein ſie fan-
den daß das ihnen höchſt nachtheilig und um ſo unbilli-
ger ſey, da das Aufbringen der Beſoldungen ihnen am
meiſten zur Laſt fallen werde; ſie ſetzten durch, daß ihnen
zugeſtanden wurde, immer zwei Mitglieder in den Reichs-
rath zu ſenden: diejenigen wurden ſogleich benannt, denen
abwechſelnd dieß Vorrecht zuſtehen ſollte; es waren Cölln
und Strasburg von den rheiniſchen, Augsburg und Ulm
von den ſchwäbiſchen, Nürnberg und Frankfurt von den
fränkiſchen, Lübeck und Goßlar von den ſächſiſchen; — denn
das iſt das alte Reichsprinzip, daß jedes Recht ſich ſo-
gleich in einer beſtimmten Geſtalt an eine beſtimmte Stelle
[144]Erſtes Buch.
fixirt; die allgemeine Berechtigung erſcheint als beſondere
Prärogative; — die Abgeordneten ſollten immer von zweien
dieſer Abtheilungen ſeyn. 1


Und ſo traten die drei Collegien, die den Reichstag
bildeten, auch in dem Reichsrath auf, der als ein perma-
nenter Ausſchuß der Stände zu betrachten iſt. Der Kö-
nig hatte dabei kein andres Recht, als demſelben zu prä-
ſidiren oder ihm einen Statthalter zu ernennen. Das Über-
gewicht war ohne Zweifel auf ſtändiſcher Seite, nament-
lich in den Händen der Churfürſten, die ſehr enge zuſammen-
hielten, und eine ſo ſtarke Repräſentation empfangen hatten.


Dieſem ſo entſchieden ſtändiſchen Rathe wurden nun
die wichtigſten Befugniſſe eingeräumt. Alles was Recht,
Friede und deren Handhabung, ſo wie was den Wider-
ſtand angeht, den man den Ungläubigen und andern Wi-
derſachern leiſten will, die auswärtigen ſo wie die innern
Angelegenheiten demnach ſoll er „vor ſich fordern, darüber
rathſchlagen und endlich beſchließen;“ man ſieht: die we-
ſentlichen Geſchäfte der Regierung ſollen auf ihn übergehen:
wie er auch den Titel eines Reichsregimentes annahm. 2


Wie
[145]Reichstag zu Augsburg 1500.

Wie das Gericht, ſchienen nunmehr auch Regierung
und Verwaltung einen durchaus ſtändiſchen Charakter an-
nehmen zu müſſen.


Wenn Maximilian ſich in Augsburg zu ſo großen Con-
ceſſionen bewegen ließ, ſo geſchah das ohne Zweifel nur
deshalb, weil man jene Kriegseinrichtungen daran knüpfte,
weil er nun auch ſeinerſeits von den Ständen des Rei-
ches eine dauernde, freiwillig und herzlich geleiſtete, entſchei-
dende Unterſtützung für ſeine auswärtigen Unternehmun-
gen auszuwirken hoffte. Am 14ten Aug. nachdem alles
beſchloſſen war, forderte er die Stände auf, ſich an ſei-
nem Beiſpiel zu ſpiegeln und eben ſo wohl etwas für das
Reich zu thun wie er. Er erhob ſich gleichſam mit Ab-
ſicht zu der Erwartung, daß das geſchehen werde; er wollte
es glauben; insgeheim aber regte ſich doch auch die Furcht
daß es am Ende nicht geſchehen und er ſich ſeiner Rechte
vergeblich entäußert haben dürfte. Es zeigt die größte Auf-
regung an, ein Gefühl von Bedrohtſeyn und Unrechtlei-
den, wie er ſich ausdrückte. Indem er die Verſammlung
an die Eide und Gelübde erinnerte, womit ein jeder
dem heiligen Reiche verwandt ſey, fügte er hinzu, wenn
man nicht anders dazu thue als bisher, ſo wolle er nicht
warten, bis man ihm die Krone vom Haupt reiße; er
wolle ſie eher ſelbſt vor ſeine Füße werfen. 1


Auch gerieth er unverzüglich in mancherlei Widerſpruch
mit den Ständen.


2


Ranke d. Geſch. I. 10
[146]Erſtes Buch.

Gleich damals konnte er ein Edict wider die Unge-
horſamen nicht mit ſo ſcharfen Bedrohungen, wie er es
für nöthig hielt, durchſetzen.


Es ward ein oberſter Reichshauptmann ernannt, Her-
zog Albrecht von Baiern: Maximilian fühlte ſehr bald,
daß er ſich mit demſelben nie vertragen werde.


Die Rüſtung der beſchloſſenen Hülfe wollte dem neuen
Reichsrath zum Trotz, der noch im J. 1500 zuſammen-
trat, nicht vor ſich gehn. Im April 1501 waren die
Verzeichniſſe der Volkszahl in den Pfarren, auf die jetzt
die ganze Anſtalt begründet werden mußte, noch nicht ein-
geſandt.


Der Reichsrath endlich nahm eine dem König vollends
widerwärtige Haltung an. Mit Ludwig XII von Frank-
reich, den Maximilian mit der Kraft des Reiches zu
überziehen gedachte, wurde eine Unterhandlung angeknüpft,
ein Stillſtand geſchloſſen; der Reichsrath war nicht ab-
geneigt, dem franzöſiſchen König, wie er nachſuchte, Mai-
land als ein Reichslehen zu ertheilen. 1


Da erwachte nun in Maximilian der ganze mit Mühe
zurückgehaltene Widerwille. Er ſah ſich für die innern
Angelegenheiten in Bande geſchlagen und in den auswär-
tigen nicht unterſtützt. Seine Landſtände in Tyrol mach-
ten ihn aufmerkſam, wie wenig er noch im Reiche zu be-
deuten habe.


Einen Augenblick erſchien er beim Regimente in Nürn-
berg, aber nur, um ſich zu beklagen über den Schimpf,
[147]Folgen des Reichstags zu Augsburg. 1501.
der ihm geſchehe, 1 über die Unordnung, die um ſo mehr
einreiße; nur wenige Tage blieb er daſelbſt.


Es war die Anordnung getroffen, daß das Regiment
in dringenden Fällen eine Reichsverſammlung berufen könne.
Die Lage der Dinge ſchien ihm jetzt höchlich dringend,
und es ſäumte nicht ſich ſeines Rechts zu bedienen. Der
König that alles, um das zu Stande kommen derſelben
zu verhindern.


Eine andre Anordnung verpflichtete den König, die
großen Lehen ohne Rückſprache mit den Churfürſten nicht
zu vergaben. Gleich als wolle er die Stände für ihre
Unterhandlung mit Ludwig XII beſtrafen, verlieh er dieſem
ſeinem alten Feinde jetzt ſelber die Lehen von Mailand für
ſich allein. 2


Hatte der König nicht die Kraft, Ordnungen im Reiche
zu erſchaffen, ſo war er doch mächtig genug, die angefan-
genen, noch nicht recht begründeten zu zerſtören. Im An-
10*
[148]Erſtes Buch.
fange des Jahres 1502 war alles zu Augsburg Begon-
nene in voller Auflöſung. Die Räthe des Regiments, und
die Beiſitzer des Kammergerichts, die weder ihren Sold
empfiengen, noch zu einer wahren Wirkſamkeit gelangen
konnten, begaben ſich nach Hauſe. Dem König war es
eher lieb als leid. Er errichtete ein Gericht ganz in der
Weiſe ſeines Vaters, mit willkührlich gewählten Beiſitzern
und präſidirte ihm ſelbſt. Aus einem ſeiner Ausſchreiben
ſieht man, daß er eben ſo ein Regiment auf eigne Hand
einzurichten und durch daſſelbe die in Augsburg beſchloſ-
ſene Kriegsverfaſſung einſeitig ins Werk zu ſetzen gedachte.


Ein Verfahren, das nun nothwendig eine allgemeine
Gährung hervorrief. Ein Venezianiſcher Geſandter, Zacca-
ria Contarini, der im Jahr 1502 in Deutſchland war,
erſtaunte über den allgemeinen Widerwillen, der ſich gegen
den König erhoben, wie ſchlecht man von ihm ſprach, wie
wenig man ihn achtete. 1 Maximilian dagegen ſagte, er
wollte er wäre nur Herzog von Öſtreich, dann würde man
ſich etwas aus ihm machen: als römiſcher König erfahre
er nur Beſchimpfungen.


Noch einmal nahmen die Churfürſten es auf ſich, ihm
die Widerpart zu halten. Am 30ſten Juny 1502, auf
einer feierlichen Zuſammenkunft zu Gelnhauſen verpflichte-
ten ſie ſich gegen einander: in allen wichtigen Angelegen-
heiten zuſammenzuhalten, auf den königlichen Tagen für
[149]Folgen des Reichstags zu Augsburg. 1502.
Einen Mann zu ſtehn und immer das zu verfechten was
dem mehreren Theile belieben werde, ſich keine beſchwerlichen
Mandate, keine Neuerung, keine Schmälerung des Reiches
gefallen zu laſſen, endlich alle Jahr viermal zuſammenzukom-
men um über die Obliegenheiten des Reiches zu rathſchla-
gen. Es findet ſich nicht genau, ob ſie ſich hier wirklich,
wie man ihnen nachſagte, zu dem Entſchluß vereinigt haben,
den König zu entſetzen: aber was ſie thaten, war im
Grunde eben ſo gut. Ohne denſelben zu fragen kündigten
ſie auf nächſten erſten November eine Reichsverſammlung
an: ein jeder theilte ſeinen Nächſtgeſeſſenen die Artikel mit
über die man daſelbſt berathſchlagen wolle. Es waren
eben die Gegenſtände aller bisherigen Reichsberathungen:
Türkenkrieg, Verhältniß zum Papſt, Aufwandsgeſetze, vor
allem aber Friede und Recht, über deren Aufrechterhaltung
man ſogleich einige neue Anordnungen einſchaltete, nach-
dem Kammergericht und Regiment nicht mehr im Weſen
ſeyen. 1


Beſonders der Churfürſt von der Pfalz, der ſich den
frühern Einrichtungen eher widerſetzt hatte, zeigte jetzt, als
es zum Bruch mit dem König gekommen, Theilnahme,
Thätigkeit und Eifer.


Maximilian gerieth in die größte Verlegenheit. In-
dem er klagte, daß man ihm in die Obrigkeit greife, die
ihm als einem gekrönten römiſchen König zuſtehe, und es
[150]Erſtes Buch.
ſogar geltend machen wollte, daß er ja Regiment und Kam-
mergericht bereits ſelber aufgerichtet habe, 1 fühlte er ſich
doch nicht ſtark genug, jene Reichsverſammlung zu verbie-
ten: er ergriff vielmehr den Ausweg, ſie nun auch ſeiner-
ſeits zu verkündigen; da werde auch er erſcheinen, und mit
Fürſten und Churfürſten über eine Unternehmung gegen die
Türken zu Rathe gehn, welche täglich nothwendiger werde.
Eigentlich nicht viel anders, als wie es ſchon König Ru-
precht gemacht, wie wir ſpäter die franzöſiſchen Könige ſich
an die Spitze der Factionen ſtellen ſehen, welche ſie nicht
zu überwältigen vermögen.


Aber nicht einmal ſo weit wollten die deutſchen Chur-
fürſten nachgeben. Schon waren Einige zum Tag von
Gelnhauſen eingetroffen, unter andern ein päpſtlicher Le-
gat: und viele Andere hatten Herberge beſtellt: als ein
Schreiben des Churfürſten von der Pfalz vom 18ten Octo-
ber einlief, in welchem er den Tag abkündigte. 2


Dagegen hielten ſie im Dezember eine beſondere Zu-
ſammenkunft in Würzburg: in welcher ſie ihre Oppoſition
erneuerten und eine größere Reichsverſammlung auf nächſte
Pfingſten ankündigten.


Auch Maximilian, der auf einer Reiſe nach den Nie-
derlanden begriffen war, erließ ein Ausſchreiben, worin er
[151]Folgen des Reichstags zu Augsburg. 1503.
die Stände an ſeinen Hof zu kommen und ſich mit ihm
über Türkenhülfe und Reichsregiment zu beſprechen einlud. 1


Von der königlichen Verſammlung findet ſich keine
Spur; die churfürſtliche aber kam allerdings, im Juny 1503,
zu Mainz zu Stande, nur ſieht man nicht wie zahlreich
ſie war. Von Reichswegen wurde hier Widerſpruch ge-
gen das Verfahren Maximilians erhoben. Da von ſei-
nem Regiment nichts zu fürchten war, denn er ſelber mußte
geſtehn, es ſey ihm nicht gelungen geeignete Mitglieder zu
gewinnen, ſo begnügte ſich die Verſammlung ſein Gericht
anzugreifen. Sie erklärte ihm, daß ſich kein Fürſt des
Reiches dazu verſtehen werde, vor demſelben Rechtfertigung
zu thun oder zu leiden. Sie erinnerte ihn an die Ord-
nungen, zu Worms und Augsburg aufgerichtet, und fo-
derte ihn auf, es dabei bleiben zu laſſen.


Dahin war man mit den Verſuchen das Reich zu
conſtituiren im Jahr 1503 gelangt.


Die Autorität des Reiches war weder in Italien, noch
in der Eidgenoſſenſchaft, noch an den öſtlichen Grenzen,
wo Polen und Ruſſen die deutſchen Ritterſchaften unauf-
hörlich bedrängten, wiederhergeſtellt. In dem Innern war
die alte Unordnung wieder ausgebrochen. Nicht allein war
der Verſuch eine haltbare Verfaſſung für Krieg und Frie-
den zu gründen geſcheitert; es gab auch kein allgemein an-
erkanntes Gericht mehr.


Die oberſten Häupter der Nation, der König und
[152]Erſtes Buch.
ſeine Churfürſten waren in unverſöhnlichen Zwieſpalt ge-
rathen. Namentlich in Churf. Berthold ſah Maximilian
einen gefährlichen entſchloſſenen Feind. Schon zu Augs-
burg hatte man ihm hinterbracht der von Mainz verun-
glimpfe ihn bei den übrigen Fürſten; dienſtfertige Leute hat-
ten ihm ein Verzeichniß von nicht weniger als 22 Puncten
überreicht, die der Churfürſt gegen ihn vorbringe. Maxi-
milian hatte ſich bezwungen und geſchwiegen. Aber um
ſo tiefern Eindruck machte ihm nun jeder Widerſtand
auf den er ſtieß, jede Folge der Augsburger Verfaſſung
die er nicht geahndet; er ſchrieb alles der vorbedachten
Hinterliſt jenes klugen Alten zu. Zwiſchen dem König und
dem Erzkanzler entſpann ſich ein widerwärtiger, bitterer
Briefwechſel. 1 Maximilian ſetzte auch ſeinerſeits eine Ge-
genanklage auf: von 23 Artikeln, noch einem mehr als jene
Mainziſchen, die er noch verborgen hielt, mit deren Inhalt
er aber um ſo mehr ſeinen Widerwillen nährte. 2


Eine für ihn ſelbſt zunächſt höchſt gefährliche Lage
der Dinge.


Die übrigen Churfürſten hielten an Berthold feſt: mit der
Pfalz war derſelbe mitten in dieſen Verwirrungen in ein neues
enges Bündniß getreten: die Städte hiengen ihm nach wie
vor treulich an. Es gieng ein Gefühl durch die Nation,
als drohe dem König das Schickſal Wenzlaws, abgeſetzt
zu werden. Man erzählt, Pfalz habe in dem Churfürſten-
rath förmlich darauf angetragen, hierauf ſey der König
[153]Folgen des Reichstags zu Augsburg 1503.
eines Tages unerwartet bei der Gemahlin des Churfürſten
auf einem ihrer Schlöſſer angelangt, und habe mit ihr
das Morgenmahl genommen: er habe ſich merken laſſen,
daß er jene Abſichten kenne, aber ſich dabei ſo liebenswür-
dig, perſönlich ſo überlegen gezeigt, daß man davon zu-
rückgekommen. 1 Wie dem nun auch ſey, ſo ſtanden die
Sachen ſo ſchlecht wie möglich. Die europäiſche Oppo-
ſition gegen Öſtreich erlangte abermals, wie einſt durch
Baiern, ſo jetzt durch die Pfalz, die mit Frankreich und
Böhmen genaue Verbindung unterhielt, Einfluß auf das
innere Deutſchland.


Jedoch auch Maximilian hatte Kräfte und eben die
Pfalz gab ihm ſehr bald Gelegenheit, ſie um ſich zu ſam-
meln und anzuwenden.


Erhebung Maximilians. Reichstage zu Cölln und
zu Coſtnitz 1505 und 1507.


Einmal ſtand auch ihm eine mächtige europäiſche Ver-
bindung zur Seite. Die Vermählung ſeines Sohnes Phi-
lipp mit der Infantin Johanna von Spanien eröffnete
nicht allein ſeinem Hauſe die glänzendſten Ausſichten für
eine nahe Zukunft, ſondern ſie gab ihm auch unmittelbar
an den Anſprüchen, der Politik und den Waffen der Spa-
nier eine Stütze wider Frankreich. Zwiſchen dieſen Mäch-
ten war ſo eben nach kurzem Einverſtändniß in Neapel
ein Krieg ausgebrochen, deſſen Erfolge ſich zu Gunſten
Spaniens neigten, ſo daß auch in Deutſchland das An-
[154]Erſtes Buch.
ſehn von Frankreich zu ſinken anfieng, und Jedermann zu
dem Glücke von Öſtreich wieder Vertrauen faßte.


Ferner aber, auch Maximilian hatte, worauf nun bei
weitem mehr ankam, in dem Innern, unter den Ständen
eine Partei. Waren ihm die Churfürſten und die mit
Mainz verbündeten Städte entgegen, ſo hatte er allmählig
unter den Fürſten, ſowohl geiſtlichen als weltlichen, deſto
mehr ergebne Freunde und Anhänger erworben.


Denn nicht umſonſt war er römiſcher König. In
den großen und allgemeinen Angelegenheiten mochte ſeine
Macht beſchränkt ſeyn: auf einzelne Häuſer, Landſchaften
oder Städte gaben ihm die Befugniſſe, das geheiligte An-
ſehn eines Reichsoberhauptes noch immer einen nicht un-
bedeutenden Einfluß. Er war ganz der Mann denſelben
geltend zu machen.


Durch fortgeſetzte Aufmerkſamkeit und treffendes Ein-
ſchreiten gelang es ihm nach und nach, eine nicht geringe
Anzahl von Bisthümern nach ſeinem Wunſche beſetzt zu
ſehen. Man nennt uns Salzburg Freiſingen Trient Eich-
ſtädt Augsburg Strasburg Coſtnitz Bamberg; alle dieſe Bi-
ſchöfe hielten ſich nun, ſo weit es ihre Capitel irgend zuließen,
an Maximilian und begünſtigten ſeine Entwürfe. 1 In die-
ſen geiſtlichen Geſchäften kam ihm beſonders ſeine Verbindung
mit dem Papſt zu Statten. Als z. B. im J. 1500 die Dom-
propſtei zu Augsburg erledigt ward, war es der päpſtliche
[155]Anhaͤnger Maximilians.
Legat, denn die Erledigung fiel in einen päpſtlichen Mo-
nat, der ſie an den Kanzler des Königs Matthäus Lang
übertrug. Das Capitel hatte tauſend Einwendungen zu
machen; es wollte keinen Bürgerlichen, am wenigſten ei-
nen Bürgersſohn von Augsburg; aber Maximilian ſagte,
wer zu ſeinem Rath und Kanzler tauge, werde wohl auch
zu einem Augsburger Domherrn gut genug ſeyn; bei ei-
nem feierlichen Hochamt ward Matth. Lang unerwartet
unter die Fürſten geſtellt, und darnach auf den Altar ge-
ſetzt. Die Domherrn gaben ſich zufrieden, als ihnen Lang
endlich verſprach, wenn er die Dompropſtei durch einen
Andern verwalten laſſe, einen ſolchen nur mit Einwilligung
des Capitels zu ernennen.


Und noch unmittelbarer war der Einfluß, den ſich
Maximilian auf die weltlichen Fürſten verſchaffte. Bei
den meiſten war es eine Vereinigung von Kriegsdienſt und
reichsoberhauptlicher Begünſtigung wodurch er ſie feſſelte.
So waren die Söhne jenes Herzog Albrecht von Sach-
ſen, dem für ſeine Dienſte Friesland verliehen worden,
durch dieſen Beſitz unauflöslich an die niederländiſche Po-
litik von Öſtreich gebunden. Auch der Schwiegerſohn Al-
brechts, dadurch zugleich mit Öſtreich verwandt, Erich von
Calenberg, erfocht ſich Ruhm in öſtreichiſchen Kriegen; noch
war das ganze welfiſche Haus öſtreichiſch geſinnt: Hein-
rich der Mittlere von Lüneburg erwarb nicht minder als
ſeine Vettern in Dienſten des Königs neue Rechte und An-
wartſchaften. In demſelben Verhältniß ſtand Heinrich IV
von Meklenburg; 1 Bogislaw X von Pommern nahm zwar
[156]Erſtes Buch.
die ihm bei ſeiner Rückkehr aus dem Morgenland ange-
botenen Dienſte nicht an; auch ohne dieß aber hielt es
Maximilian für gut, ihn durch Bewilligungen z. B. des
Zolles von Wolgaſt zu gewinnen. 1 Überhaupt gehörte
die Verleihung von Zöllen ſo bei Maximilian wie bei ſei-
nem Vater zu den Mitteln der Reichsregierung; Jülich,
Trier, Heſſen, Wirtenberg, Lüneburg, Meklenburg, einmal
auch die Pfalz und wohl noch manche andre haben zu
verſchiednen Zeiten neue Zollgerechtigkeiten empfangen. An-
dre Häuſer übertrugen ihr altes Verhältniß zu Burgund
nunmehr auf Öſtreich. Graf Johann XIV von Olden-
burg brachte ein geheimes Bündniß eines ſeiner Vorfah-
ren mit Carl dem Kühnen in Erinnerung; der König ver-
ſprach ihn dafür in ſeinen Anſprüchen auf Delmenhorſt zu
unterſtützen. 2 Johann II von Cleve, der ſich den kühnen
Carl überhaupt zum Muſter genommen, verfocht nun auch
die Rechte der Nachfolger deſſelben auf Geldern. Graf
Engilbert von Naſſau ſtritt bei Nancy an Carls, bei Gui-
negat an Maximilians Seite; dafür ward er 1501 Statt-
haltergeneral der Niederlande; von dieſer Zeit an ſetzte ſich
die Macht dieſes Hauſes, das bald darauf Oranien er-
warb, in den Niederlanden erſt eigentlich feſt. 3 Heſſen
und Wirtenberg waren durch Maximilian ſelbſt gewonnen.
Er hatte ſich endlich entſchloſſen, den Landgrafen von Heſ-
ſen die von ſeinem Vater noch immer zurückgehaltene Be-
[157]Anhaͤnger Maximilians.
lehnung zu geben; auf dem Reichstag von 1495 erſchie-
nen ſie mit dem großen rothen Banner, auf welchem man
um das heſſiſche Wappen her neben Waldeck nun auch
die Abzeichen von Katzenelnbogen Diez Ziegenhain und
Nidda erblickte, vor dem Königsſtuhl; das Banner war
ſo prächtig, daß man es nicht zerriß, wie die meiſten an-
dern, ſondern es in feierlicher Proceſſion der Jungfrau
Maria widmete; 1 ſo wurden ſie belehnt; auch finden wir
nun Wilhelm den Mittlern an den Feldzügen Maximilians
eifrig Theil nehmen. Und noch enger war Wirtenberg mit
Öſtreich verbunden. Maximilian gab den Jahrhunderte
langen Erwerbungen der Grafen dadurch gewiſſermaaßen
ihre Vollendung, daß er ſie zu einem Herzogthum verei-
nigte; hierauf nahm er an den innern Angelegenheiten die-
ſes Landes mehr als irgend eines andern Theil: im J.
1503 erklärte er den jungen Herzog Ulrich noch vor der
geſetzlichen Zeit in ſeinem 16ten Jahre für volljährig und
erwarb dadurch deſſen ganze Ergebenheit. In den Mark-
grafen von Brandenburg lebte die alte Dienſtbefliſſenheit ihres
Stammvaters fort; wie ſehr beſchweren ſich ſpätere Ge-
ſchichtſchreiber über die koſtſpieligen Reiſen, die häufigen
Kriegszüge Markgraf Friedrichs, wo er immer bei weitem
mehr geleiſtet, als ſein Anſchlag betragen. Auch deſſen
Söhne finden wir ſchon ſeit 1500 mit kleinen Mannſchaf-
ten in öſtreichiſchem Dienſt.


Dieſe Fürſten waren großentheils junge Herrn, die
ihr Leben in Krieg und Waffenſpiel zu genießen wünſch-
[158]Erſtes Buch.
ten, und dabei im Dienſte des Königs etwas zu erwer-
ben, emporzukommen dachten. Der heitere Maximilian,
ewig in Bewegung und mit immer neuen Unternehmun-
gen beſchäftigt, gutmüthig, freigebig, höchſt populär, Mei-
ſter in den Waffen und allen ritterlichen Übungen, ein gu-
ter Soldat, an Geiſt und erfinderiſchem Genius unver-
gleichlich, wußte ſie zu feſſeln, mit ſich fortzureißen.


Welch ein Vortheil das für ihn war, zeigte ſich im
J. 1504, als ſich in Baiern die Landshuter Irrungen
erhoben.


Da hatte nemlich Herzog Georg der Reiche von Lands-
hut, der am 1ſten Dez. 1503 ſtarb, im Widerſpruch mit
den Lehenrechten des Reiches und den Hausverträgen von
Baiern, ein Teſtament gemacht, kraft deſſen ſo gut ſeine
ausgebreiteten blühenden Landſchaften, wie die ſeit langen
Jahren aufgehäuften Schätze ſeines Hauſes nicht an ſeine
nächſten Agnaten, Albrecht und Wolfgang von Baiern-
münchen, ſondern an ſeinen entfernteren Vetter, Schweſter-
ſohn und Eidam, Ruprecht von der Pfalz, zweiten Sohn
des Churfürſten, fallen ſollten; ſchon bei ſeinen Lebzeiten
hatte er dieſem die wichtigſten Schlöſſer eingeräumt.


Hätte das Reichsregiment beſtanden, ſo würde es die-
ſem zugekommen ſeyn, den Streit zwiſchen Pfalz und Baiern,
der hiedurch wieder einmal aufflammte, zu verhüten; wäre
das Kammergericht noch nach den Beſchlüſſen von Worms
und Augsburg gehalten worden, ſo würden auch reichs-
ſtändiſche Mitglieder an der Entſcheidung der Rechtsfrage
Antheil gehabt haben; allein das Regiment war ganz zer-
fallen; das Gericht von dem König allein nach ſeinen
[159]Bairiſche Irrungen 1504.
Geſichtspuncten beſetzt worden; er ſelber ward noch einmal
„als der lebendige Brunnen des Rechts“ betrachtet; 1 al-
les berief ſich auf ſeine Entſcheidung.


Da iſt es nun ſehr bezeichnend für ihn, wie er ver-
fuhr. Er hielt darüber, daß der Friede beobachtet wurde;
er erſchien dann ſelbſt und wohnte langen Tagleiſtungen
bei, um der Güte zu pflegen; er ließ ſich die Mühe nicht
verdrießen, die beiden Parteien, jede bis zu ihrem fünften
Vortrag zu verhören; endlich berief er auch ſeinen Kam-
merrichter und deſſen Beiſitzer zu rechtlicher Entſcheidung
in ſeine Nähe. 2 Aber bei alle dem hatte er doch vorzüg-
lich ſein Intereſſe, er bezeichnete es ſelbſt mit dieſem Na-
men, ins Auge gefaßt.


Er erinnerte daran was er alles ſchon wegen Baierns
verſäumt, z. B. bei jenem Zuge auf das Lechfeld die Ver-
fechtung ſeiner Rechte in Bretagne und in Ungern; er fand
auf der einen Seite, daß Herzog Georg durch ſein unbe-
fugtes Teſtament ſtarke Pönen verwirkt habe, auf der an-
dern, daß doch auch die aus den Hausverträgen hergelei-
teten Rechte Albrechts nicht ſo unbedingt gültig ſeyen, da
dieſelben nie von Kaiſer und Reich beſtätigt worden: hierauf
erhob er ſelbſt Anſpruch auf einen Theil des erledigten
Landes, der gar nicht unbedeutend war.


Herzog Albrecht, der Schwager des Königs, ließ ſich
gleich von Anfang bewegen darauf einzugehen; er ſtellte
endlich einen förmlichen Verzichtbrief für die angeſproche-
[160]Erſtes Buch.
nen Ortſchaften aus. Natürlich: er beſaß ſie noch nicht;
er hoffte, durch dieſe Nachgiebigkeit ſich um ſo größere
Erwerbungen zu verdienen. Dagegen zeigte ſich Pfalz-
graf Ruprecht höchſt unbeugſam. Sey es daß er mit
auf die auswärtigen Verbindungen ſeines Vaters rechnete,
oder daß ihm die feindſelige Haltung des churfürſtlichen
Collegiums gegen den König Muth machte, er wies dieſe
Theilungsvorſchläge von ſich; Maximilian hatte noch eine
nächtliche Zuſammenkunft mit ihm, bei der er ihm ſagte,
ſein Vater werde ſich und ſein Haus unglücklich machen:
aber es war alles vergeblich: gleich darauf wagte Ruprecht
dem König zum Trotz Beſitz zu ergreifen.


Hierauf kannte nun auch Maximilian keine Schonung
weiter. Jetzt wurden die verlaſſenen Lande und Gewähre
Herzog Georgs durch kammergerichtliches Urtel den Her-
zogen von München zugeſprochen; der Fiscal klagte auf
Erkennung der Acht; noch an demſelben Tage (23 April
1504) ſprach ſie der römiſche König in Perſon unter
freiem Himmel aus.


Die Nachbarn der Pfalz, Freunde des Königs, hat-
ten nur auf dieſen Ausſpruch gewartet, um von allen Sei-
ten auf ſie loszubrechen. Es erwachte in ihnen die Er-
innerung an alle die Unbill, die ſie einſt von dem böſen
Fritzen (denn ſo nannten ſie Friedrich den Siegreichen)
erdulden müſſen, und die Begierde, ſich zu rächen, ſich
ihres Schadens zu erholen. In die Rheinpfalz fielen Her-
zog Alexander der Schwarze von Veldenz, Herzog Ulrich
von
1.
[161]Bairiſche Irrungen 1504.
von Wirtenberg, Landgraf Wilhelm von Heſſen, der zu-
gleich meklenburgiſche und braunſchweigiſche Hülfe herbei-
führte, mit verwüſtenden Schaaren ein. 1 In den Ge-
bieten an der Donau ſtießen brandenburgiſche, ſächſiſche,
calenbergiſche Truppen zu dem ſtattlichen Heere, das Al-
brecht von München geſammelt; der ſchwäbiſche Bund,
der ihm einſt ſo gefährlich geweſen, war jetzt am entſchie-
denſten für ihn: Nürnberg, das dann freilich auch für ſich
erobern wollte, ſtellte eine vier Mal größere Hülfe ins
Feld, als ihm urſprünglich aufgelegt worden. 2 Der rö-
miſche König erſchien zuerſt an der Donau. Es machte
ihm nicht geringe Ehre, daß er es war, der ein Heer von
Böhmen, den einzigen Verbündeten welche dem Pfalzgra-
fen Wort gehalten, bei Regensburg hinter ſeiner Wagen-
burg aufſuchte und aus dem Felde ſchlug. Dann wandte
auch er ſich an den Rhein; die Landvogtei Hagenau fiel
ihm ohne Weiteres in die Hand; hier wie dort nahm er
vor allem die Ortſchaften in Beſitz, auf die er ſelber An-
ſprüche hatte. Einem ſo überlegenen, allgemeinen Angriffe
konnten die Pfälziſchen um ſo weniger Widerſtand leiſten,
da der junge kriegeriſche Fürſt, Pfalzgraf Ruprecht, durch
deſſen Abſichten die ganze Bewegung veranlaßt worden
war, mitten in dem Kriegsgetümmel ſtarb. Der alte Chur-
fürſt mußte von ſeinen Söhnen denjenigen, den er am bur-
Ranke d. Geſch. I. 11
[162]Erſtes Buch.
gundiſchen Hof ſeine Schule machen laſſen, dazu brauchen,
um ihn mit Maximilian zu verſöhnen. Eine Reichsverſamm-
lung, von der im Sommer 1504 die Rede geweſen, hatte der
römiſche König damals vermieden. Erſt nachdem das
Übergewicht ſeiner Waffen völlig entſchieden war, im Fe-
bruar 1505, ließ er allgemeinen Stillſtand eintreten, und
berief einen Reichstag nach Cölln, der ſich im Juny die-
ſes Jahres verſammelte, um hier die aufs neue in ſeine
Hand gegebene Schlichtung alle der wichtigen Streitfragen
die aus dieſer Sache entſprangen zu unternehmen. 1


Wie ganz anders erſchien er nun in der Mitte der
Stände als früher; nach einem glücklich geendigten Kriege,
mit erneuertem Ruhm perſönlicher Tapferkeit: von einer
Schaar ergebner Anhänger unterſtützt, welche die Erobe-
rungen, die ſie gemacht, durch ſeine Gunſt zu behalten
hofften, auch von den Beſiegten verehrt, welche ihr Geſchick
in ſeine Hand gegeben. Auch die europäiſchen Angelegen-
[163]Reichstag zu Coͤlln 1505.
heiten ſtanden günſtig; Maximilians Sohn Philipp war
nach dem Tode ſeiner Schwiegermutter König von Caſti-
lien geworden. In manchen guten Deutſchen erwachte
die Hofnung, daß dieß ihr mächtiges Oberhaupt beſtimmt
ſey, die Türken zu verjagen und ſich einmal Kaiſer von
Conſtantinopel zu ſchreiben. Sie meinten, des Reiches
Bund ſey ſo groß, daß ihm weder Böhmen noch Schwei-
zer noch auch die Türken würden widerſtehn können. 1


Vor allem ſchritt man in Cölln zu einer Entſchei-
dung der landshuter Streitſache. Der König konnte einmal
über das Schickſal eines großen deutſchen Landes verfü-
gen. Er kam hiebei auf die Vorſchläge zurück, die er
ſchon vor dem Anfang des Krieges gemacht hatte: für
die Nachkommen Pfalzgraf Ruprechts ſtiftete er die junge
Pfalz jenſeit der Donau: ſie ſollte eine Rente von 24000
G. abwerfen; aus dieſem Geſichtspunct wurden ihre Be-
ſtandtheile zuſammengeſetzt. Wohl gelangte nun Landshut an
die Münchner Linie, jedoch nicht ohne mancherlei Schmä-
lerung. Die Herzoge ſelbſt hatten die Hülfe, die ſie em-
pfiengen, durch Abtretungen vergüten müſſen; der König
behielt ſich vor, was er Andern vor dem Spruch verlie-
hen; ſein Intereſſe zog er nicht nur ein, ſondern er er-
weiterte es noch. Und noch größere Verluſte erlitt die
Pfalz: in dieſem Gebiete waren die Verleihungen, die in
Anſpruch genommenen Abtretungen, das königliche Intereſſe
am bedeutendſten. Es trug wenig aus, daß der alte Chur-
11*
[164]Erſtes Buch.
fürſt es nicht über ſich gewinnen konnte die Vorſchläge
anzunehmen; er blieb dafür noch ferner von der königli-
chen Gnade ausgeſchloſſen: ſein Sohn hat ſich ſpäter doch
fügen müſſen. Betrachtete man die Beſitzthümer der bei-
den wittelsbachiſchen Häuſer als eine Einheit, ſo hatten
ſie hiedurch Verluſte erlitten wie ſeit langer Zeit kein deut-
ſches Haus. Auch blieb in ihnen eine tiefe Verſtimmung
zurück, die für das Reich hätte gefährlich werden können,
wäre ihre alte Zwietracht nicht durch den Krieg aufs neue
entflammt geweſen, ſo daß ſie zu keiner Verſtändigung un-
ter einander gelangen konnten.


Nothwendig gewann aber Maximilian durch dieſen
Gang der Dinge auch in den allgemeinen Reichsangele-
genheiten eine andre Stellung.


Die Union der Churfürſten war zerſprengt. Zu der
Demüthigung der Pfalz kam der Tod des Churfürſten von
Trier ſchon im Jahr 1503, an deſſen Stelle Maximilian,
durch ſeine Verbindung mit dem römiſchen Hof unterſtützt,
einen ſeiner nächſten Verwandten, den jungen Markgrafen
Jacob von Baden zu befördern wußte, 1 und am 21ſten
Dez. 1504 auch der Tod des Oberhauptes der churfürſt-
lichen Oppoſition Berthold von Mainz. Wie ſelten be-
friedigt doch das Leben auch den edlen Ehrgeiz eines Men-
ſchen. Dieſem braven Manne war es beſchieden geweſen,
den Untergang der Inſtitute die er mit ſo großer Mühe
hervorgerufen, und die volle Übermacht desjenigen zu er-
leben, dem er reichsgeſetzliche Schranken zu ſetzen geſucht.


Nunmehr erſt hatte Maximilian freien Raum, ſelbſt
[165]Reichstag zu Coͤlln 1505.
etwas Neues zu unternehmen. Es ſchien ihm möglich,
das Übergewicht, in dem er ſich fühlte, in organiſchen
Einrichtungen geltend zu machen. Indem er die Gründe
ausführte, weshalb die Augsburger Einrichtungen rück-
gängig geworden, wobei er vor allem dem verſtorbenen
Berthold die Schuld beimaß, legte er einen Entwurf vor,
wie ſie doch noch, aber unter gewiſſen Modificationen ins
Werk zu ſetzen ſeyen. 1


Seine Idee war, allerdings ein Regiment mit Statt-
halter, Kanzler und zwölf Räthen aus dem Reiche zu er-
richten. Zur Seite und unter der Aufſicht deſſelben ſoll-
ten vier Marſchälle, jeder mit 25 Rittern am Oberrhein,
am Niederrhein, an der Donau und in den Elbgegenden
aufgeſtellt, die executive Gewalt auszuüben haben. Der
gemeine Pfennig ward ausdrücklich wieder in Anregung
gebracht.


Allein es zeigte ſich doch auf den erſten Blick der
große Unterſchied dieſes Entwurfes von den früheren.


Der König wollte das Recht haben, dieſes Regiment
zu ſeiner Perſon, an ſeinen Hof zu berufen; nur die ge-
ringeren Fälle ſollte es aus eigner Macht entſcheiden kön-
nen, in allen wichtigern an ihn recurriren. Einen Feld-
hauptmann des Reiches wollte er ſelbſt ernennen, wenn er
ſich mit Albrecht von Baiern nicht verſtehe.


Es iſt deutlich: bei den Pflichten und Leiſtungen der
Stände wäre es geblieben, die Macht aber wäre dem Kö-
nige zu Theil geworden.


[166]Erſtes Buch.

So viel bedeutete ſein Übergewicht doch nicht, daß
man dieſe Vorſchläge von ihm hätte annehmen müſſen.


Und war es wohl überhaupt möglich, auf Einrich-
tungen zurückzukommen, die ſich ſo unausführbar erwieſen
hatten? War nicht die Territorialhoheit viel zu weit ent-
wickelt, als daß ſie ſo umfaſſenden und eingreifenden Maaß-
regeln hätte die Hand bieten, oder vor ihnen zurückwei-
chen ſollen?


Es hätte ſich höchſtens alsdann denken laſſen, wenn
zugleich ein Ausſchuß aus der Mitte der Fürſten die Summe
der Gewalt in ſeine Hände bekam; daß ſie aber ihre Stel-
lung aufgeben ſollten zu Gunſten des Königs war nimmer-
mehr zu erwarten.


Der Reichstag von Cölln iſt nun dadurch bemerkens-
werth, daß man aufhörte ſich über die Lage der Dinge
zu täuſchen. Die Gedanken, welche die letzten Jahre Frie-
drichs III und das erſte Jahrzehend Maximilians beherr-
ſchen, die Verſuche, die man macht, es zu einer wahren
und allumfaſſenden Einheit der Nation, zu einer Vereini-
gung ihrer Kräfte, zu einer Allen genügenden, alle Bedürf-
niſſe erfüllenden Regierungsform zu bringen, ſind ewig
denkwürdig; aber es waren Ideale, die ſich nicht mehr
erreichen ließen. Die Stände waren zu einer eigentlichen
Unterwerfung nicht mehr zu bringen; der König war nicht
zufrieden, bloß ein Präſident der Stände zu ſeyn. Jetzt
kam man davon zurück.


In Cölln weigerten ſich die Stände nicht dem König
Hülfe zu leiſten, jedoch weder durch einen gemeinen Pfen-
nig, noch durch einen Anſchlag auf die Pfarren im Reich,
[167]Reichstag zu Coͤlln 1505.
ſondern durch eine Matrikel. Der Unterſchied iſt unermeß-
lich. Jene Entwürfe gründeten ſich auf die Idee der Ein-
heit, der Reichsangehörigkeit ſämmtlicher Unterthanen, die
Matrikel, in welcher die Stände jeder nach ſeiner Macht
angeſchlagen waren, beruhte gleich von vorn herein auf
dem Gedanken der Abſonderung der Territorialmacht der
einzelnen Gewalten.


An einem Reichsregiment Theil zu nehmen, lehnten
ſie ab. Sie ſagten, S. Maj. habe bisher wohl und weiſe
regiert, ſie ſeyen nicht geneigt, ihm darin Maaß zu geben.


Die Ideen nahmen eine bei weitem weniger ideale,
allgemein-vaterländiſche Wünſche befriedigende aber eine
ausführbarere praktiſchere Richtung.


Maximilian verlangte Hülfe zu einem Zuge nach Un-
gern, nicht wider den König, mit dem er vielmehr im be-
ſten Vernehmen ſtand, ſondern wider einen Theil der un-
griſchen Großen. Den letzten Vertrag, durch den ſein
Erbrecht erneuert worden, hatten doch nur Einzelne an-
genommen, auf dem Reichstag war er nicht beſtätigt wor-
den. Jetzt aber erhob ſich in den Ungern der Gedanke,
niemals wieder einen Ausländer auf ihren Thron zu heben:
denn noch ſey keiner von allen dem Reiche nützlich gewe-
ſen; einen Beſchluß dieſes Inhalts, der für ihren König
eben ſo ehrenrührig als für die öſtreichiſchen Rechte ver-
letzend war, nahmen ſie feierlich an und ſandten ihn in
alle Comitate. 1 Dagegen nun wollte ſich Maximilian er-
heben. Er bemerkte, ſeine Rechte ſeyen auch für das hei-
[168]Erſtes Buch.
lige Reich wichtig, für welches Böhmen wieder gewonnen,
dem auch Ungern dadurch verwandt gemacht werde.


In einer Erklärung, in welcher die Beſchlüſſe über
Regiment und gemeinen Pfennig ausdrücklich aufgehoben
wurden, trug Maximilian auf eine Hülfe von vier bis
fünftauſend Mann auf ein Jahr lang an. Er ſprach die
Hofnung aus, daß er damit auch vielleicht ſeinen Rom-
zug werde beſtreiten können.


Ohne Schwierigkeit giengen die Stände hierauf ein.
Sie bewilligten ihm viertauſend Mann, auf ein Jahr:
nach einer Matrikel. Der Anſchlag lautet auf 1058 M.
z. Pf. und 3038 M. z. F. Dabei haben die weltlichen
Fürſten die meiſten Pferde, nemlich 422, die Städte das
meiſte Fußvolk zu ſtellen, nemlich 1106; überhaupt ha-
ben die Churfürſten ungefähr Ein Siebentheil, die Erzbi-
ſchöfe und Biſchöfe ein zweites, Prälaten und Grafen noch
nicht ganz ein drittes zu tragen; von den vier übrigen
Siebentheilen trifft ungefähr die Hälfte die weltlichen Für-
ſten, die andre Hälfte die Städte.


Und das Gute wenigſtens hatten die gemäßigteren An-
ſchläge, daß ſie zur Ausführung gelangten. Das bewil-
ligte Kriegsvolk wurde dem König, wenn auch nicht voll-
ſtändig, was bei der Mangelhaftigkeit der Matrikel nicht
möglich war, doch größtentheils geſtellt; und kam ihm ſehr
wohl zu Statten. Es machte doch nicht geringen Eindruck
in Ungern, als er bewaffnet mit Hülfe des Reiches an
den Grenzen erſchien: einige Magnaten einige Städte wur-
den bezwungen. Da nun zugleich dem König Wladislaw
ein Sohn geboren ward, wodurch die Ausſichten auf eine
[169]Kriegszuͤge 1506.
Veränderung der Dynaſtie wieder in die Ferne traten, ſo
entſchloſſen ſich die ungriſchen Großen zwar nicht ihren
Beſchluß gradezu zurückzunehmen, aber auch nicht, dar-
auf zu beſtehen. Ein Ausſchuß der Stände ſtellte eine
unbeſchränkte Vollmacht zum Abſchluß des Friedens aus,
der dann im Juli 1506 zu Wien zu Stande kam und in
welchem ſich Maximilian ſein Erbrecht aufs neue vorbe-
hielt. Obwohl die Anerkennung welche die ungriſchen
Stände durch die Annahme dieſes Vertrages ausſprachen,
nur indirect iſt, ſo fand doch Maximilian ſeine und der
deutſchen Nation Rechte dadurch hinreichend gewährleiſtet. 1


Und nun wandte er ſeine Aufmerkſamkeit und ſeine
Kräfte auf Italien. Ohne den Beſitz der Krone und des
kaiſerlichen Titels glaubte er noch nicht zu ſeiner vollen
Würde gelangt zu ſeyn.


Da zeigte ſich aber doch daß er mit der kleinen Mann-
ſchaft, die ihm von Ungern folgte, nicht auskommen würde.


Ludwig XII, mit dem er noch vor kurzem die engſte
Verbindung ihrer beiderſeitigen Häuſer verabredet, war durch
ſeine Stände auf andre Ideen gebracht worden. Es ſchien
ihm jetzt nicht mehr gut, den ehrgeizigen, beweglichen, von
einer kriegeriſchen Nation in dieſem Augenblicke unterſtütz-
ten Maximilian in Italien Fuß faſſen zu laſſen. Die Ve-
nezianer ſchloſſen ſich ihm darin an. In dem Augenblick,
daß Maximilian ſich ihren Grenzen näherte, eilten ſie — ein
[170]Erſtes Buch.
Aufruhr der Landsknechte verſchaffte ihnen Zeit dazu — die-
ſelben auf das ſtärkſte zu beſetzen. Maximilian ſah wohl
ein: wollte er die Krone erlangen, ſo mußte er ſie ſich
mit Gewalt der Waffen und ernſtlichem Krieg erobern. Er
ſäumte nicht einen neuen Reichstag zu berufen.


Noch einmal, im Frühjahr 1507, verſammelten ſich
die Stände in voller Ergebenheit gegen den König: noch
waren ſie von den Eindrücken der letzten Ereigniſſe be-
herrſcht; die Fremden erſtaunten, wie einmüthig ſie waren,
wie viel Anſehn der römiſche König bei ihnen genoß. Es
iſt wohl nicht ohne Grund, was die Italiener bemerken,
daß ein Unfall, der den König betroffen, ihm doch für die
innern deutſchen Angelegenheiten zu Statten gekommen
ſey. 1 Jener ſein niederländiſcher Sohn Philipp hatte das
Königreich Caſtilien kaum angetreten, als er im Septem-
ber 1506 unvermuthet ſtarb. Die deutſchen Fürſten hat-
ten die aufkommende Größe dieſes jungen Monarchen im-
mer mit Mißtrauen betrachtet. Sie hatten gefürchtet, ſein
Vater werde ihn zum Churfürſten, wovon ſchon einmal
die Rede geweſen, oder zum Reichsvicarius, oder wenn er
ſelbſt gekrönt ſey zum römiſchen König zu machen ſuchen;
und dieſe erſte Idee einer Verbindung der Reichsgewalt
mit der burgundiſchen und caſtiliſchen Macht hatte ſie nicht
wenig erſchreckt. Der Tod Philipps befreite ſie von die-
ſer Furcht: die Söhne die er hinterlaſſen, waren noch zu
[171]Reichstag zu Coſtnitz 1507.
jung, um auf ſie Rückſicht zu nehmen. Um ſo freudiger konn-
ten ſie ſich an ihren König anſchließen. Die jungen Fürſten
hofften in ſeinem Dienſt neue große Lehen zu erwerben.


Am 27ſten April 1507 1 eröffnete Maximilian den
Reichstag zu Coſtnitz, gleich in der Nähe von Italien.
Niemals war auch er ſelbſt von der Würde ſeiner Stel-
lung überzeugter geweſen, als in dieſem Augenblick. Mit
einer Art von Scham erklärte er, er wolle kein kleiner
Reiter mehr ſeyn, aller geringen Händel wolle er ſich ent-
ſchlagen und ſich nur die großen angelegen ſeyn laſſen.
Er gab zu erkennen, daß er nicht bloß den Durchzug zu
erzwingen, ſondern einen entſcheidenden Kampf um die
Herrſchaft von Italien zu beginnen gedenke. Deutſchland
ſey ſo mächtig daß es ſich nichts bieten laſſen dürfe: es
habe unzählbare Fußvölker und wenigſtens 60000 reiſige
Pferde: man müſſe ſich des Kaiſerthums endlich einmal
auf immer verſichern. Auf das große Geſchütz werde es
ankommen, dort auf der Tiberbrücke werde die rechte Rit-
terſchaft ſich ausweiſen. Er führte das alles mit leben-
diger vertrauensvoller Beredſamkeit aus. „Ich wollte,“
ſchrieb Eitelwolf von Stein dem Churfürſten von Bran-
denburg, „Ew. Gnaden hätten ihm zugehört.“


Die Stände erwiederten, ſie ſeyen entſchloſſen, nach
ihrem Vermögen zur Erlangung der kaiſerlichen Krone bei-
zutragen. 2


[172]Erſtes Buch.

Es blieben zwar hiebei noch einige Differenzen. Wenn
der König zu verſtehen gab, er denke die Franzoſen aus Mai-
land zu verjagen, ſo waren die Stände nicht dieſer Meinung.
Sie waren nur dafür den Durchzug denſelben zum Trotz
zu erzwingen: denn einem eigentlichen Krieg gegen Frank-
reich müßten wohl erſt Unterhandlungen vorhergehn. Auch
bewilligten ſie nicht die ganze Hülfe auf die der König
zuerſt angetragen. Allein die Bewilligung, zu der ſie ſich
auf einen zweiten Antrag deſſelben verſtanden, war doch
ungewöhnlich ſtark. Sie betrug 3000 M. z. Pf., 9000
M. z. F.


Maximilian, der nicht zweifelte damit etwas Entſchei-
dendes auszurichten, verſprach nun dagegen, die Eroberun-
gen die er machen werde nach dem Rathe der Reichs-
ſtände zu verwalten. Er deutete an, daß mit dem Ertrag
ſich in Zukunft vielleicht die Laſten des Reichs beſtreiten
laſſen würden. 1


Die Stände nahmen das beſtens an. Alles was an
2
[173]Reichstag zu Coſtnitz 1507.
Land und Leuten, an Städten und Schlöſſern erobert werde,
ſolle auf ewig bei dem Reiche verbleiben.


Bei dieſem guten Einverſtändniß in Hinſicht der aus-
wärtigen Angelegenheiten kam man nun auch in den
innern einen Schritt weiter. Indem man in Cölln
alle jene Einrichtungen einer ſtrengen Gemeinſchaftlichkeit
aufgab, hatte man doch eine Erneuerung des Kammer-
gerichts für nothwendig gehalten. Noch immer aber war
es dazu nicht gekommen; auch jenes königliche Kammer-
gericht, welches Maximilian auf eigne Hand errichtet, hatte
nun ſchon drei Jahr lang Ferien; den Procuratoren ward
ſelbſt ihr Wartegeld entzogen. 1 Jetzt aber, zu Coſtnitz
vereinigte man ſich das Kammergericht nach den Worm-
ſer Beſchlüſſen wiederherzuſtellen. Mit der Präſentation
der Mitglieder blieb es bei den Vorrechten der Churfür-
ſten: für die übrigen bediente man ſich der in Augsburg
feſtgeſetzten Kreiseintheilung, ſo daß ſie doch nicht ganz
in Vergeſſenheit kam; der Städte ward nicht gedacht. Die
Frage war nun, wie dieß Gericht unterhalten werden ſolle.
Maximilian meinte, man werde am beſten thun jeden Bei-
ſitzer an ſeine Herrſchaft zu verweiſen; er ſelbſt wollte Kam-
merrichter und Canzlei über ſich nehmen. Ohne Zweifel aber
hatten die Stände Recht, wenn ſie das Vorherrſchen der
Particularintereſſen, das hiedurch befördert worden wäre,
vermieden zu ſehen wünſchten; 2 ſie erboten ſich, einen
[174]Erſtes Buch.
kleinen Anſchlag über ſich zu nehmen, um die Beſoldun-
gen aufzubringen. Sie wollten dem Gericht den Cha-
rakter eines vorzugsweiſe ſtändiſchen gemeinſchaftlichen, der
ihm urſprünglich gegeben worden, nicht entreißen laſſen.
In dieſem Sinne beſtimmten ſie, daß alle Jahr 2 Für-
ſten, ein geiſtlicher und ein weltlicher, die Amtsführung deſ-
ſelben unterſuchen und den Ständen Bericht darüber er-
ſtatten ſollten.


Bleiben wir hier einen Augenblick ſtehen und überlegen,
was vorhergegangen was darnach gefolgt iſt, ſo hat doch
dieſer Coſtnitzer Reichstag eine hohe Bedeutung. Der Ma-
tricularanſchlag und das Kammergericht ſind drei Jahr-
hunderte lang die beiden vornehmſten Einrichtungen gewe-
ſen, in denen ſich die Einheit des Reichs ausgeſprochen
hat; ihre definitive Feſtſetzung und Verbindung geſchah an
dieſem Reichstag. Die Ideen, aus denen dieſe beiden In-
ſtitutionen hervorgegangen, gründeten ſich urſprünglich auf
verſchiedne Prinzipien; allein grade dieß empfahl ſie wie-
der: die Selbſtändigkeit der Territorien ward nicht ange-
taſtet, die Ideen der Gemeinſamkeit erhielten eine gewiſſe
Darſtellung.


Und noch eine andre überaus ſchwierige Angelegenheit,
die ſchweizeriſche ward hier zur Entſcheidung gebracht.


Churf. Berthold hatte die Schweizer an die Reichs-
tage ziehen, alle Inſtitutionen die er beabſichtigte auch
auf ſie übertragen wollen. Allein wie war davon ſo ganz
das Gegentheil erfolgt! In einem großen Kriege mit dem
römiſchen König hatten die Eidgenoſſen die Oberhand be-
halten: in den europäiſchen Verwickelungen ſchloſſen ſie
[175]Reichstag zu Coſtnitz 1507.
ſich in der Regel an Frankreich an, noch zogen ſie eine Stadt
nach der andern in ihren Bund. Und dabei behaupteten
ſie fortwährend Glieder, Angehörige des Reiches zu ſeyn.


Ein Zuſtand, der ſich nun beſonders dann unerträg-
lich zeigte wenn man mit Frankreich in Irrungen kam.
Man hatte in jedem franzöſiſch-italieniſchen Krieg, wie es
im J. 1500 geſchehen war, eine Diverſion von der Seite
der Schweiz zu fürchten; was um ſo gefährlicher war, je
unerwarteter ſie eintreten konnte.


In Coſtnitz beſchloß man, vor allem dieſe Sache ins
Klare zu bringen. Eine reichsſtändiſche Geſandtſchaft ward
zu dem Ende in die Schweiz abgeordnet.


Sie war doch ihres Erfolgs noch keineswegs ſicher.
„Gott verleihe uns den heiligen Geiſt,“ ruft ein Mit-
glied aus: „wenn wir nichts ausrichten, werden wir die
Schweizer mit Krieg überziehen, ſie für unſre Türken hal-
ten müſſen.“


Allein ſchon waren die Eidgenoſſen im Laufe ihrer
Dienſte auch mit den Franzoſen zerfallen: ſie zeigten
ſich gefügiger, als man erwartet hatte. Ihre Truppen,
ſo viel deren noch in Italien waren, riefen ſie auf die
erſte Anmahnung von da zurück. Ohne alle Schwierig-
keit verſprachen ſie, ſich zum Reich zu halten. Auch von
ihrer Seite erſchien dann eine Geſandtſchaft in Coſtnitz,
von dem König aufs beſte aufgenommen freigehalten und
beſchenkt; mit der man übereinkam, zu dem nächſten
Kriege 6000 Schweizer unter ihren Standesfahnen in Sold
zu nehmen.


Dagegen gewährte ihnen nun auch Maximilian ein
[176]Erſtes Buch.
überaus wichtiges Zugeſtändniß. Er ſprach ſie von den
Reichsgerichten förmlich los. Weder in peinlichen noch
in bürgerlichen noch in vermiſchten Sachen, erklärte er,
ſolle die Eidgenoſſenſchaft oder ein Mitglied derſelben vor
das Kammergericht oder vor ein andres königliches Ge-
richt geladen werden können. 1


Es iſt das aber für alle folgende Zeiten entſcheidend
geweſen. Eben indem das Reich ſich zu dem Matricular-
anſchlag und dem Kammergericht vereinigte, verzichtete es
darauf, auch die Schweizer anzuſchlagen — es nahm viel-
mehr ihre Truppen in ſeinen Sold — und gab ſeine Ge-
richtsbarkeit über ſie auf. Sie wurden, wie Maximilian
ſich ausdrückt, „gehorſame Verwandte des Reichs,“ denen
man in ihrer Widerwärtigkeit Rückhalt zu verleihen habe.


Liegt nun hierin ohne Zweifel der eigentliche ſtaats-
rechtliche Grund der ſich immer mehr entwickelnden Tren-
nung der Schweiz vom Reiche, ſo war es doch für den
Augenblick die glücklichſte Auskunft. Auch dieſe Zwietracht
war fürs Erſte beſeitigt. Maximilian erſchien mächtiger
glänzender als je. Die Fremden zweifelten nicht, was
man ihnen zu verſtehen gegeben, daß er 30000 Mann im
Felde haben werde; die Kriegsbewegungen, die ihnen in
einigen ſchwäbiſchen Städten begegneten, erfüllten ſie mit der
Idee daß das Reich mit aller ſeiner Kraft ſich rüſte.


Maximilian wiegte ſich in den weitausſehendſten Hof-
nungen. Er erklärte, mit der trefflichen Hülfe die man
ihm gewähre hoffe er in Italien alles zu reformiren, was
das
[177]Annahme des Kaiſertitels 1508.
das heilige Reich nicht bekenne. Doch werde er ſich da-
bei nicht aufhalten. Habe er es in Ordnung gebracht, ſo
werde er es einem Hauptmann anvertrauen um ſelber ohne
Verzug gegen die Ungläubigen zu ziehen. Denn das habe
er dem allmächtigen Gott gelobt.


Der langſame Zuzug der Truppen des Reiches, die
Zögerungen der Schweizer, die wohlbeſetzten venezianiſchen
Päſſe, in der winterlichen Zeit die nun herangekommen
doppelt ſchwer zu überwinden, waren wohl geeignet ihn
von ſo ſchwärmeriſchen Idealen auf das Wirklich-Erreich-
bare aufmerkſam zu machen. Aber er behielt guten Muth.
Am 2ten Februar ließ er bei ſeinem Eintritt in Trient
durch eine religiöſe Ceremonie den Römerzug feiern den er
vorhabe. Ja als ſey die Sache ſchon vollbracht, die er
begann: in denſelben Tagen nahm er den Titel eines er-
wählten römiſchen Kaiſers an. 1 Die Fremden nannten
ihn ſchon immer ſo, und er wußte ſehr gut, daß der Papſt,
in dieſem Augenblick ſein Verbündeter, nichts dagegen haben
werde. Ganz verſchiedne Motive bewogen ihn dazu: auf
der einen Seite der Anblick der mächtigen Oppoſition auf
die er ſtieß, ſo daß er ſchon fürchtete, es werde ihm nicht
gelingen nach Rom zu kommen; auf der andern das Ge-
fühl der Macht und Unabhängigkeit des Reiches, dem er die
Prärogative, der Chriſtenheit das oberſte Haupt zu geben,
auf alle Fälle retten wollte: den Act der Krönung hielt er
nicht für ſo weſentlich. Für Deutſchland war auch dieſer
Entſchluß von der größten Bedeutung. Die Nachfolger Ma-
ximilians haben den kaiſerlichen Titel unmittelbar nach ih-
Ranke d. Geſch. I. 12
[178]Erſtes Buch.
rer Krönung in Aachen angenommen: von allen iſt nur
noch ein einziger von dem Papſt gekrönt worden. Obwohl
Papſt Julius es gern zu ſehen ſchien, ſo liegt doch darin
eine Emancipation der deutſchen Krone von dem Papſt-
thum. Es hängt damit ſehr gut zuſammen, daß Maximi-
lian um die nemliche Zeit auch den Titel eines Königs von
Germanien wieder hervorſuchte, der ſeit Jahrhunderten nicht
gehört worden war. Alle dem liegt die Idee von der Ein-
heit und Selbſtändigkeit der deutſchen Nation zu Grunde,
deren Oberhaupt zugleich auch den höchſten Rang in der
Chriſtenheit einnehme. Der Moment des Übergewichtes
in der Nation, den Maximilian noch feſthielt, ſprach ſich
darin aus; — eines Übergewichtes jedoch, das ſehr raſch
vorübergieng.


Venezianiſcher Krieg. Reichstag zu Worms 1509.


Man hatte in Coſtnitz geſchwankt, ob man ſich zuerſt
gegen die franzöſiſchen oder gegen die venezianiſchen Be-
ſitzungen in Italien wenden ſolle. Welche Eroberung man
auch machen mochte, ſo dachte man ſie nicht wieder durch
Belehnungen zu veräußern, — auch Mailand hätte man den
Sforzen nicht zurückgegeben, — ſondern zu Handen des Rei-
ches zu behalten, um die Bedürfniſſe deſſelben davon zu be-
ſtreiten. Unter den Fürſten waren Einige mehr für die
mailändiſche, Andre, welche Anſprüche gegen Venedig hat-
ten, z. B. die Herzoge von Baiern, mehr für die venezia-
niſche Unternehmung. Unter den kaiſerlichen Räthen ſelbſt
walteten verſchiedne Meinungen ob. Paul von Lichten-
ſtein, der in gutem Verhältniß mit Venedig ſtand, war für
[179]Venezianiſcher Krieg 1508.
einen Angriff auf Mailand: Matthäus Lang und Eitelfritz
von Zollern dagegen hielten es für leichter, den Venezia-
nern etwas abzugewinnen, als den Franzoſen. 1


Endlich bekam die letztere Meinung das Übergewicht.
Die Venezianer waren nicht einmal zu der Erklärung zu
bringen, daß ſie nicht gegen den römiſchen König ſeyn
würden: dagegen machte Frankreich Hofnung, falls man
nur Mailand nicht beunruhige, es geſchehen zu laſſen, daß
das Reich ſeine andern Gerechtſame in Italien geltend
mache. 2 So gut das Gebirg beſetzt war, ſo war doch
Maximilian nicht abzuhalten ſein Glück daran zu verſuchen.
Anfangs gieng die Sache ganz gut. „Die Venezianer,“ ſchreibt
Maximilian am 10ten März an den Churfürſten von Sach-
ſen, „mahlen ihren Löwen mit zwei Füßen in dem Meer,
den dritten auf dem platten Land, den vierten in dem Ge-
birge. Wir haben den Fuß im Gebirg beinahe ganz ge-
wonnen, es fehlt nur noch an einer Klaue, die wir mit
Gottes Hülfe in acht Tagen haben wollen; dann denken
wir den Fuß auf dem platten Land auch zu erobern.“ 3


12*
[180]Erſtes Buch.

Allein er hatte ſich da in eine Unternehmung gewagt,
welche ihn für ſeine allgemeinen und ſeine deutſchen Verhält-
niſſe in die bedrängendſten Verwickelungen bringen ſollte.


Unter den Schweizern regte ſich, trotz aller Verträge,
beſonders durch Luzern aufrecht erhalten die franzöſiſche
Faction doch wieder, ihre Truppen zögerten zu erſcheinen.
Da nun auch die deutſchen Mannſchaften, und zwar haupt-
ſächlich darum, weil man zwei Drittel des Fußvolks aus
den Schweizern nehmen wollen, nur ſehr ſchwach waren, ſo
geſchah, daß die Venezianer den Kräften des Reiches gegen-
über doch gar bald in Vortheil kamen. Sie begnügten ſich
nicht, die Deutſchen von ihrem Gebiet zu entfernen: ſie über-
fielen den römiſchen Kaiſer in ſeiner eignen Landſchaft,
da wo er am wenigſten auf einen Angriff gefaßt war: Görz,
Wippach, Trieſt, 47 mehr oder minder feſte Orte nahmen
ſie in Einem Augenblicke weg.


In Deutſchland war man erſtaunt und beſtürzt. Nach
Bewilligungen die ſo bedeutend geſchienen, nachdem ein
Jeder noch einmal Anſtrengungen für das Reich gemacht,
nach ſo großen Erwartungen erlebte man nichts als Schimpf
und Schande. Mochte der Kaiſer auch ſagen, daß man
ihm die Anſchläge nicht vollſtändig geleiſtet, ſo maß man
ihm auch darin einige Schuld bei. Dem Herzog von Lü-
neburg z. B. war die Berechnung ſeines Anſchlages niemals
zugekommen. Aber überdieß! Anzufangen, ohne ſeiner Sache
einigermaaßen ſicher zu ſeyn: ſein Glück auf den Aus-
ſchlag einer ſchweizeriſchen Tagſatzung zu wagen! Von dem
3
[181]Zuſammenkunft in Worms 1508.
gewöhnlichen Schickſal, durch ein verfehltes Unternehmen
um ſeinen Credit zu kommen, ward Maximilian, an deſſen
Eigenſchaften doch immer viele gezweifelt, doppelt und drei-
fach betroffen.


Genöthigt, ſich auf der Stelle nach Deutſchland zu-
rückzuwenden, rief Maximilian zuerſt die Churfürſten zu-
ſammen. Den pfälziſchen lud er nicht mit ein: der bran-
denburgiſche war ihm zu fern und er begnügte ſich mit ei-
nem Botſchafter deſſelben. Aber die übrigen erſchienen, An-
fang Mai 1508, in Worms. Maximilian ließ ihnen vor-
tragen: zunächſt ſie, auf die das Reich gegrundfeſtet ſey,
rufe er in dieſer großen Gefahr zu Hülfe: er erſuche ſie
um ihren Rath, wie er eine tapfere währende und aus-
trägliche Hülfe erlangen könne, jedoch, fügte er hinzu, ohne
den ſchwäbiſchen Bund dazu anzuſtrengen, deſſen Hülfe er
anderweit brauche, und ohne einen Reichstag. 1


Unter den Verſammelten vermochte jetzt Friedrich von
Sachſen das Meiſte. Auf ſeinen Rath lehnten ſie den An-
trag des Kaiſers, mit ihm in Frankfurt zuſammenzutreffen,
ab; vornehmlich weil es ihnen doch unmöglich ſey, ſich zu ent-
ſchließen ohne ſich mit den andern Ständen des Reichs un-
terredet zu haben. 2 Maximilian erwiederte, er ſey in der
gefährlichſten Lage der Welt: würde die Reichshülfe, der es
an Beſoldung fehle, jetzt abziehen, ſo ſey ſeine Grafſchaft
[182]Erſtes Buch.
Tirol geneigt ſich zu Franzoſen und Venezianern zu ſchla-
gen, aus Unwillen über das Reich, von dem es nicht ge-
ſchützt werde: einen Reichstag könne er auf keinen Fall er-
warten, da werde er zu viel verſäumen; höchſtens möge
man die nächſtgeſeſſenen Fürſten eilig zuſammenrufen. 1 Die
Churfürſten blieben dabei, einen Reichstag zu fordern. Sie
wollten nicht glauben, daß ſich der ſchwäbiſche Bund von
andern Ständen ſondern zu laſſen denke; von ſich ſelbſt, ſag-
ten ſie, hinter dem Rücken der übrigen etwas zu bewilligen,
werde ihnen Unfreundſchaft bringen und dem König uner-
ſprießlich ſeyn. 2 Nur ſo weit brachte ſie das augen-
ſcheinliche dringende Bedürfniß, daß ſie eine Anleihe des
Kaiſers durch Verwendung und Bürgſchaft beförderten.


Einen unermeßlichen Einfluß haben doch immer nicht
minder bei uns als bei andern die Erfolge des Krieges
auf den Gang der innern Angelegenheiten. Wir ſahen
wie alle jene Verſuche das Reich im Sinne der Stände
zu conſtituiren mit dem Bunde zuſammenhiengen, durch
welchen Maximilian zum römiſchen König gewählt, Öſtreich
und Niederland behauptet, Baiern zur Unterwerfung ge-
nöthigt wurde. Bei dem erſten größern Unfall dagegen,
jenem unglücklichen Zuſammentreffen mit der Schweiz, be-
kam dieſe Verfaſſung einen Stoß, von dem ſie ſich nie
wieder erholen konnte. Auch die Stellung, welche der Kö-
[183]Venezianiſcher Krieg 1509.
nig ſelbſt nunmehr angenommen, beruhte auf dem Glücke
ſeiner Waffen in dem bairiſchen Kriege. Kein Wunder, daß
nach den großen Verluſten die er jetzt erfuhr, alles ſchwankte,
und die faſt überwunden ſcheinenden Oppoſitionen ſich aufs
neue erhoben. Das Glück, das Gelingen verbindet: das
Unglück zerſetzt und zerſtreut.


Es veränderte dieſe Stimmung nicht, daß Maximi-
lian durch den Widerwillen, den das Um-ſich-greifen der
Venezianer auch anderwärts hervorgebracht hatte, unterſtützt,
jetzt den Bund von Cambrai abſchloß, in welchem ſich nicht
allein der Papſt und Ferdinand der Katholiſche, ſondern
vor allem auch der König von Frankreich, den er ſo eben
bekämpft, mit ihm wider Venedig verbanden. 1 Dieſes raſche
Aufgeben der ſo laut erklärten Antipathie gegen die Fran-
zoſen, dieſer plötzliche Umſchlag der Politik konnte das Ver-
trauen der Stände nicht wieder herſtellen.


Vielleicht wäre gegenwärtig wirklich der Moment ge-
weſen wo ſich im Verein mit ſo mächtigen Verbündeten
Eroberungen in Italien hätten machen laſſen: jedoch in
Deutſchland verſtand man ſich nicht mehr dazu.


Als der Kaiſer in der Verſammlung der Stände, die nach
langer Verzögerung zuſammengetreten, 2 zu Worms erſchien
[184]Erſtes Buch.
(21ſten April 1509) — ſchon ganz kriegeriſch zog er ein,
in vollem Harniſch, auf gepanzertem Hengſt, mit einem
Gefolge von tauſend Reitern, unter denen auch Stradio-
ten und Albaneſen waren — fand er einen Widerſtand,
wie kaum jemals früher.


Er ſtellte den Ständen die Vortheile vor, welche dem
Reich aus dem eben geſchloſſenen Tractat entſpringen wür-
den, und forderte ſie auf, ihm mit einer ſtattlichen Hülfe
zu Roß und zu Fuß ſobald als möglich und wenigſtens
auf ein Jahr lang zu Hülfe zu kommen: 1 die Stände ant-
worteten ihm mit Beſchwerden über ſeine innere Verwal-
tung. Ein geheimes Mißvergnügen, von dem Maximilian
in ſeinem dahinſtürmenden Weſen nichts zu ahnden ſchien,
hatte die Gemüther ergriffen.


Vor allem beſchwerten ſich die Städte und zwar mit
gutem Grunde.


Unter Churfürſt Berthold hatten ſie eine ſo glänzende
Stellung eingenommen, ſo großen Antheil an der allgemei-
nen Verwaltung gehabt: damit war es nach der Aufhe-
bung des Regimentes vorüber. Auch in das Kammer-
2
[185]Reichstag zu Worms 1509.
gericht fanden keine ſtädtiſchen Aſſeſſoren Eintritt. Dage-
gen mußten ſie nicht allein wie zu jeder andern Anlage,
ſo für das Gericht beiſteuern, ſondern man hatte ſie
auch zu Coſtnitz unverhältnißmäßig hoch angeſchlagen.
Schon zu Cölln waren ſie nicht geſchont worden, wie wir
ſahen; ziemlich zwei Siebentheil der Hülfe fielen ihnen zu.
Zu Coſtnitz aber wurde ihnen von Fußvolk und Geld ein
volles Drittheil der ganzen Summe aufgelegt. 1 Ja als
ſey es daran nicht genug, unmittelbar nach dem Reichs-
tag hatte der Kaiſer die Bevollmächtigten der Städte vor
den Reichsfiscal fordern laſſen, um ſie wegen des Fort-
beſtehens der großen Kaufmannsgeſellſchaften, welche durch
frühere Reichsſchlüſſe verboten waren, zur Rede zu ſtel-
len, und weil ſie ungeſetzliche Handthierung getrieben, eine
Pön von 90000 G. von ihnen gefordert. Die Kaufleute
hatten ſich mit lautem Geſchrei dagegen geſetzt: man wolle
ſie wie Leibeigene behandeln, beſſer werde ihnen ſeyn, aus-
zuwandern, nach Venedig oder nach der Schweiz oder auch
nach Frankreich, wo man ehrlichen Handel und Wandel
nicht beſchränke; zuletzt hatten ſie ſich doch zu einer nahm-
haften Summe verſtehen müſſen. Noch waren die Städte
nicht ſo ſchwach, um ſich das alles ſo gradezu gefallen
zu laſſen: ſie hatten Städtetag gehalten und beſchloſſen,
ſich auf dem nächſten Reichstage zur Wehre zu ſetzen, 2 die
[186]Erſtes Buch.
Mitglieder des ſchwäbiſchen Bundes ſo gut wie die andern.
Am wenigſten konnten ſie Luſt haben ſich gegen eine Re-
publik anzuſtrengen mit der ſie in vortheilhaften Handels-
verbindungen ſtanden, die ſie als ein Muſter und natür-
liches Oberhaupt aller ſtädtiſchen Geweinweſen zu betrach-
ten gewohnt waren.


Auch unter den Fürſten gab es viel böſes Blut. Die
Anforderungen des Kammergerichts, die Unregelmäßigkeiten
der Matrikel, deren wir noch gedenken werden, hatten eben
die mächtigſten verſtimmt. Noch immer war die Pfalz
nicht verſöhnt. Der alte Pfalzgraf war geſtorben: ſeine
Söhne erſchienen zu Worms, doch konnten ſie nicht zu
ihren Lehen gelangen. Der kriegeriſche Eifer, der früher-
hin Manche für den Kaiſer begeiſtert, hatte ſich nach dem
ſchlechten Ausgang des erſten Unternehmens ſehr gelegt.


Was aber noch mehr Eindruck machte als alles dieß,
war das Verfahren Maximilians bei ſeinen letzten Tracta-
ten. 1 In Coſtnitz hatten die Stände auf eine Geſandt-
ſchaft nach Frankreich, auf erneuerte Unterhandlungen mit
dieſer Macht angetragen. Denn die Geſchäfte des Rei-
ches wollten ſie nicht ſo geradehin dem Oberhaupt über-
2
[187]Reichstag zu Worms 1509.
laſſen. Maximilian hatte damals alles von ſich gewieſen
und eine unverſöhnliche Feindſeligkeit gegen die Franzoſen
kund gegeben. Jetzt dagegen hatte er ſelbſt mit Frankreich
abgeſchloſſen, wieder ohne die Stände zu fragen; ja er
fand ſich nicht einmal bewogen den abgeſchloſſenen Tractat
denſelben mitzutheilen. Kein Wunder wenn dieſe mächti-
gen Fürſten, welche ſo eben alle Macht des Reiches in
einer von ihnen conſtituirten Regierung hatten vereinigen
wollen, hierüber mißvergnügt waren, ſich verletzt fühlten.
Sie erinnerten den Kaiſer daran, daß ſie ihm in Coſtnitz ge-
ſagt, er empfange jetzt die letzte Bewilligung, und daß auch
er auf fernere Hülfe Verzicht geleiſtet hatte. Von ſeinen Rä-
then, ſagten ſie, werde ihm eingebildet, das Reich müſſe ihm
helfen ſo oft er es verlange: man dürfe aber dieſe Mei-
nung nicht bei ihm einwurzeln laſſen, ſonſt werde man
immer davon zu leiden haben.


So bildete ſich aus verſchiednen Gründen eine ſehr
ſtarke Oppoſition gegen die Anträge des Königs. Es machte
keinen Eindruck, daß indeß die Franzoſen einen glänzenden
Sieg über die Venezianer davon trugen und dieſe einen
Augenblick die Herrſchaft über ihr feſtes Land behaupten
zu können verzweifelten. Vielmehr bildete ſich der erſte
Widerſtand gegen den Siegeslauf des Bundes von Cam-
brai hier in Deutſchland. In demſelben Augenblick, in der
zweiten Hälfte des Mai, in welchem nach der Schlacht
von Agnadello die venezianiſchen Städte in Apulien, der
Romagna und der Lombardei in die Hände der Verbün-
deten fielen, berieth ein Ausſchuß und beſchloſſen hierauf
die Stände eine Antwort an den Kaiſer, in welcher ſie
[188]Erſtes Buch.
ihm alle Hülfe verſagten. Sie erklärten, ihn für den jetzi-
gen Krieg zu unterſtützen ſeyen ſie weder fähig noch auch
ſchuldig. Das eine nicht: denn ihren Unterthanen ſey
ſchon die vorige Hülfe als die letzte angekündigt worden,
und ohne große Widerwärtigkeit laſſe ſich keine neue for-
dern: aber auch das andre nicht. Habe man ihnen doch
nicht einmal die Verträge mitgetheilt, wie das doch wohl
in Fällen dieſer Art herkömmlich ſey. 1


Die Commiſſarien des Kaiſers, denn er ſelbſt hatte
ſich, um die Rüſtungen an den italieniſchen Grenzen zu be-
treiben, wenige Tage nach ſeiner Ankunft wieder entfernt, 2
waren über eine ſo entſchieden abſchlägliche Antwort höch-
lich betreten. Was werde die Kirche, was werde Frank-
reich ſagen, wenn das h. Reich allein ſeine Rechte nicht
wahrnehme. Die Stände lehnten jede weitere Erörterung
über dieſe Angelegenheit ab: wolle man ihnen dagegen über
[189]Reichstag zu Worms 1509.
Friede und Recht, über das Kammergericht oder die Münze
einen Vorſchlag machen, darauf würden ſie eingehn. Die
Commiſſarien fragten, ob dieß die einhellige Meinung al-
ler Stände ſey: die Stände erwiederten: ſo ſey von ihnen
allen, ganz einhellig beſchloſſen worden. Die Commiſſa-
rien verſetzten: ſo bleibe ihnen nichts übrig, als an den
Kaiſer zu berichten und deſſen Antwort abzuwarten.


Man kann denken, wie Der nun darüber in Feuer
und Flamme gerieth. Von den italieniſchen Grenzen, von
Trient ließ er eine heftige Antwort ausgehn gedruckt obwohl
verſiegelt. Zuerſt rechtfertigte er darin ſein eignes Betra-
gen, beſonders den Abſchluß des letzten Vertrags, wozu
er wohl Fug und Macht gehabt, „als regierender römi-
ſcher Kaiſer, nach Schickung des Allmächtigen, nach ho-
hem Rath und Erwägen;“ dann warf er die Schuld der
bisherigen Unfälle auf die Stände zurück, auf die unvoll-
kommene Leiſtung ihrer Hülfe. Ihr Unvermögen könne er
nicht gelten laſſen. Sie müſſen nicht Schätze ſammeln
wollen, ſondern den Eid bedenken mit dem ſie ihm ge-
ſchworen und verpflichtet ſeyen. Auch ſey das gar nicht
die Urſache ihrer abſchläglichen Antwort, ſondern allein der
Unwille, den Einige gefaßt, weil er ihres Raths nicht ge-
pflogen.


Ehe dieſe Antwort ankam, waren die Stände ſchon
aus einander gegangen. Ein Abſchied war nicht verfaßt
worden.


[190]Erſtes Buch.

Reichstage zu Augsburg 1510, zu Trier und
Cölln 1512.


Ich will, indem ich weiter gehe, das Geſtändniß nicht
zurückhalten, daß meine Theilnahme an der Entwickelung
der Reichsverfaſſung mitten in dem Studium an dieſer
Stelle abzunehmen anfängt.


Daß es in einem ſo wichtigen Augenblick, wo die er-
wünſchteſte Eroberung angeboten ward, deren Beſitz aller
der Laſten, die man höchſt ungern trug, überhoben, und
ein gemeinſchaftliches Intereſſe geſammter Stände conſti-
tuirt hätte, doch zu keiner Vereinbarung kam, zeigt eine
in der Sache liegende Unmöglichkeit an, mit allen dieſen
Beſtrebungen zum Ziel zu gelangen.


Obwohl der Kaiſer an der Gründung nationaler Ein-
richtungen keinesweges den ſelbſtthätigen, ſchöpferiſchen An-
theil nahm, den man ihm wohl zugeſchrieben hat, ſo be-
wies er doch viel Sinn für dieſelben: er hatte einen ho-
hen Begriff von der Einheit und Würde des Reiches: zu
Zeiten unterwarf er ſich Verfaſſungsformen, die ihn be-
ſchränken mußten. Eben ſo gab es wohl niemals Stände,
welche von der Nothwendigkeit zuſammenhaltende Inſtitu-
tionen zu gründen ſo durchdrungen, dazu ſo bereit gewe-
ſen wären, wie die damaligen. Allein dieſe beiden Kräfte
konnten den Punct nicht finden, in welchem ſie überein-
geſtimmt, ihre Tendenzen verſchmolzen hätten.


Die Stände ſahen in ſich ſelber, in ihrer Vereinigung
auch die Einheit des Reiches. Sie hatten ein ſtändiſches Re-
giment im Sinn, wie es wohl ſchon in einzelnen Landſchaften
[191]Verhaͤltniß des Kaiſers und der Staͤnde.
vorkam; bei dem ſie die Würde des Kaiſers zu behaupten,
aber auch ſeiner Willkühr auf immer ein Ziel zu ſetzen,
ſelbſt auf Koſten der Territorialmacht für Krieg, Finan-
zen und Recht haltbare Ordnung einzuführen gedachten.
Aber die Widerwärtigkeiten eines unzeitigen Feldzuges,
die Unzufriedenheit des Kaiſers mit der Stellung die ſie
in den auswärtigen Angelegenheiten annahmen, hatten ihr
Werk zerſtört.


Dann hatte es Maximilian unternommen, das Reich
durch ähnliche Einrichtungen, jedoch mit beſſerer Behaup-
tung des monarchiſchen Prinzipes, zu verjüngen: es war
zu Beſchlüſſen gekommen, von minder tiefgreifender Be-
deutung, jedoch ausführbarerem Inhalt; aber bei der wei-
teren Ausbildung zeigten ſich Mißverſtändniſſe, Abgeneigt-
heiten ohne Zahl; und plötzlich gerieth alles in Stocken.


Die Stände hatten mehr die innern, Maximilian mehr
die auswärtigen Angelegenheiten ins Auge gefaßt; aber
weder wollte ſich dort der König ſeiner Macht ſo weit be-
rauben, noch wollten hier die Stände ſich ihren Einfluß
ſo vollſtändig entziehen laſſen, wie die Abſicht des andern
Theiles war. Die Stände vermochten den Kaiſer nicht
in dem Kreiſe feſtzuhalten, den ſie ihm gezogen. Der Kai-
ſer vermochte ſie auf der Bahn die er einſchlug nicht mit
ſich fortzureißen.


Denn ſo ſind nun einmal die menſchlichen Dinge be-
ſchaffen, daß ſich durch Berathung und Gleichgewicht nicht
viel erreichen läßt; nur eine überwiegende Kraft und ein
feſter Wille vermag haltbare Gründungen zu vollziehen.


Maximilian hat immer behauptet und es iſt nicht
[192]Erſtes Buch.
ohne Wahrſcheinlichkeit, daß die Weigerung des Reiches ihm
beizuſtehen, den Venezianern wieder Muth gemacht habe. 1
Das mächtige Padua, das ſchon beſetzt war, gieng wieder
verloren, und Maximilian belagerte es nur vergebens; um
den Krieg fortſetzen zu können mußte er aufs neue die
Stände berufen.


Am 6ten März 1510 ward eine neue Reichsverſamm-
lung zu Augsburg eröffnet. 2 Maximilian ſtellte die Noth-
wendigkeit vor, noch einmal mit Heereskraft gegen Vene-
dig vorzudringen. Schon habe er das Reich über Bur-
gund und die Niederlande erweitert: ihm ein erbliches
Recht auf Ungern verſchafft: auch dieſe reichen Commu-
nen wolle er nun herbeibringen, auf welche anſtatt der
Deutſchen die Bürde des Reiches fallen ſolle.


Einen gewiſſen Eindruck machte dieſe Ausſicht nun
wohl noch einmal auf die Stände, doch blieben ſie ſehr
friedfertig. Sie wünſchten die Sache durch eine Abkunft
mit den Venezianern zu Ende zu bringen. Schon hatte
die Republik eine Zahlung von 100000 G. auf der Stelle
und eine jährliche Abgabe von 10000 G. verſprochen, und
der Reichstag war ſehr der Meinung, auf dieſe Grund-
lage zu unterhandeln. Man wird das begreiflich fin-
den,
[193]Reichstag zu Augsburg 1510.
den, wenn man ſich erinnert, wie viel Schwierigkeit eine
Bewilligung von ein paar hunderttauſend Gulden machte;
zunächſt wäre man wenigſtens des kleinen Anſchlags für
das Kammergericht, der auch nur ſehr ſchlecht eingieng,
überhoben geweſen. 1


Jedoch dem Kaiſer kamen dieſe Anerbietungen beinahe
ſchimpflich vor. Er berechnete, daß ihm der Krieg eine
Million gekoſtet, daß Venedig von jenen Landen jährlich
500000 G. Nutzung habe; er erklärte, er wolle ſich ſo
nicht abſpeiſen laſſen.


Da war nur wieder das Unglück, daß er doch auch
den Ständen ſeinen kriegeriſchen Eifer nicht einflößen konnte.
Alle Ideen, die an den gemeinen Pfennig oder den vier-
hundertſten Mann erinnerten, wurden bei der erſten Er-
wähnung abgelehnt. Es kam wohl zu einer Bewilligung:
man verſtand ſich eine Hülfe nach der Cöllner Matrikel,
denn die Coſtnitzer wies man von ſich, aufzuſtellen und
ein Halbjahr im Felde zu erhalten: 2 allein wie hätte man
hoffen können, die Venezianer mit einer ſo geringen An-
Ranke d. Geſch. I. 13
[194]Erſtes Buch.
ſtrengung von der Terra ferma auszuſchließen? Der päpſt-
liche Nuntius ſprach darüber mit einzelnen einflußreichen
Fürſten. Sie entgegneten ihm grade heraus, der Kaiſer
werde darum ſo ſchlecht unterſtützt, weil er den Krieg ohne
ihren Rath unternommen habe.


Daraus folgte dann hinwieder, daß Maximilian ſich
zu keiner Rückſicht auf das Reich gebunden erachtete. Als
man ihn zu Augsburg aufforderte, ſeine Eroberungen nicht
willkührlich zu vergaben, erwiederte er, das Reich unter-
ſtütze ihn nicht ſo gut daß dieß ausführbar ſey: er müſſe
nach ſeiner Gelegenheit Verträge ſchließen, Vergabungen
vornehmen dürfen.


So wenig kam es auch dieß Mal zwiſchen Kaiſer
und Ständen zu gutem Vernehmen und Zuſammenwirken.


Selbſt das Allerbilligſte, In-ſich-Nothwendige ſchlug
der Kaiſer ab. Die Stände forderten, er ſolle ſich aller
Eingriffe in den Gang des Kammergerichts enthalten. Da-
von war ſo oft die Rede geweſen und auf dieſer Idee be-
ruhte die ganze Inſtitution. Maximilian trug jedoch kein
Bedenken zu antworten, zuweilen greife das Gericht weiter
als ihm gebühre, er könne ſich die Hand nicht binden laſſen.


Kein Wunder wenn dann auch die Stände auf einen
übrigens ſehr merkwürdigen Plan zur Ausführung der kam-
mergerichtlichen Urtel, den er ihnen vorlegte, nicht eingien-
gen. Maximilian ſchlug vor, einen immerwährenden Reichs-
anſchlag nach dem Muſter des cöllniſchen zu entwerfen,
von 1000 bis 50000 M., ſo daß man in jedem Falle
nur die Summe der Hülfe zu beſtimmen habe. Denn eine
Macht ſey nöthig, um die Widerſpenſtigen zu züchtigen,
welche den Landfrieden brechen, oder den Bann des Kam
[195]Reichstag zu Augsburg 1510.
mergerichts nicht achten, oder ſich ſonſt den Pflichten des
Reiches entziehen. Auch die auswärtigen Feinde werde
ſchon der Ruf einer ſolchen Vereinbarung ſchrecken. An
dem Kammergerichte möge dann ein Ausſchuß ſitzen, der
über die Verwendung dieſer Hülfe im Innern zu beſchlie-
ßen habe. 1 Wie man ſieht, eine folgerechte Ausbildung
des Matricularweſens: Maximilian hatte mit dem tref-
fenden Geiſt der ihm eigen iſt, wieder einmal das Noth-
wendige berührt und hervorgehoben. Die Stände erklär-
ten, dieſer Entwurf ſey aus hoher Vernunft und Betrach-
tung geſchehen, allein darauf einzugehn waren ſie doch
nicht zu bewegen; ſie verpflichteten ſich nur ihn auf dem
nächſten Reichstag in Betracht zu ziehn. Natürlich! Zu-
nächſt würde der Anſchlag doch für Maximilians aus-
wärtige Kriege in Ausführung geſetzt worden ſeyn. Eben
die Räthe des Kaiſers, mit denen man unzufrieden war,
würden daran einen neuen Anhalt für ihre Forderungen
bekommen haben.


Die Sachen giengen, wie es ſich nicht anders erwar-
ten ließ.


Man gerieth in Augsburg nicht in neue Entzweiung;
äußerlich waltete eine ziemliche Eintracht ob; allein we-
ſentlich kam man einander doch nicht näher.


13*
[196]Erſtes Buch.

Maximilian führte hierauf ſeinen venezianiſchen Krieg
noch ein paar Jahr fort; unter mannichfaltigem Glückes-
wechſel, in immer neue Verwickelungen der europäiſchen
Politik verflochten; in dem Gewebe des Weltgeſchickes je-
ner Zeit ſchlug auch er einen Faden ein; alle ſeine Ver-
ſuche aber das Reich zur beſſern Theilnahme herbeizu-
ziehen waren vergebens; weder die Städte, noch auch nur
die Juden in den Städten gaben ſeinen Geldforderungen
Gehör; von ſeinen Aufgeboten mußte er ſelber wieder ent-
laſſen, weil doch die Meiſten nicht Folge leiſteten; ſchon
genug wenn nur die ihm zuletzt in Augsburg bewilligte
Hülfe einkam. Daß man eine Stadt nach der andern auf-
gab, und die Hofnung einiger Erleichterung der Reichs-
laſten verlor, war von alle dem zum Theil der Erfolg,
zum Theil wieder die Urſache.


Im April 1512 verſammelte ſich endlich aufs neue
ein Reichstag: anfangs zu Trier, von wo er ſeine Sitzun-
gen ſpäter nach Cölln verlegte. 1


Der Kaiſer begann damit ſeinen Vorſchlag auf eine
progreſſive Matrikel zu erneuern und um gute Antwort zu
bitten. Die Fürſten entgegneten, bei ihren Landſchaften
und Unterthanen ſey dieſer Vorſchlag nicht durchzubringen:
er möge ihnen andre Mittel und Wege angeben. Maxi-
milian entgegnete, dann möge man wenigſtens auf die Be-
ſchlüſſe des Jahres 1500 zurückkommen, und ihm den vier-
[197]Reichstag zu Trier und Coͤlln 1512.
hundertſten Mann bewilligen, um den Sieg wider die Feinde
zu erlangen, und einen gemeinen Pfennig „um damit den
erlangten Sieg zu behaupten.“ Ganz zurückzuweiſen wag-
ten das die Stände nicht, da ſie ſich durch ihr Verſpre-
chen von Augsburg gebunden fühlten; der Entwurf eines
gemeinen Pfennigs ward jetzt wirklich aufs neue vorge-
nommen, aber ſie gaben demſelben eine Wendung die ihm
ſeine Bedeutung nahm. Sie ſetzten ihn einmal viel ge-
ringer an: früher hatte man von 1000 Gulden Capital
1 G. gefordert; jetzt ſollte 1 G. von 4000 genügen: 1
dann eximirten ſie ſich aber auch ſelber: früher ſollten Für-
ſten und Herrn nach ihrem Vermögen beitragen; jetzt hieß
es, ſie hätten andre Koſten für das Reich aus ihrem
Kammergut zu beſtreiten. Auch den Einwendungen der
Ritterſchaft gab man jetzt von vorn herein nach; ſie ſollte
nur verpflichtet ſeyn, ihre Hinterſaſſen und Unterthanen
in dieſen Anſchlag zu ziehen. Maximilian machte we-
niger hiegegen, als gegen die Geringfügigkeit des Anſchla-
ges überhaupt Einwendungen; aber man entgegnete ihm,
das gemeine Volk ſey ohnehin mit Bürden überladen, es
würde unmöglich ſeyn mehr von ihm auszubringen. Er
forderte nun, man möge ihm dieſe Auflage wenigſtens auf
ſo lange bewilligen bis ſie ihm eine Million Gulden ge-
tragen haben werde. Die Stände bemerkten, die Nahm-
haftmachung einer ſolchen Summe werde das Volk in
Schrecken ſetzen.


[198]Erſtes Buch.

Mit größerem Eifer gieng man auf die andre Seite
der kaiſerlichen Vorſchläge ein, welche die Execution der
kammergerichtlichen Urtel betraf. Man abſtrahirte von den
vier Vierteln, in welche Maximilian wie einſt Albrecht II
das Reich einzutheilen gedacht hatte, und faßte die Idee,
die Eintheilung der Kreiſe, die bisher nur für die Wah-
len zum Regiment und zum Kammergericht in Anwen-
dung gekommen, zu dieſem Zwecke zu benutzen und ſie noch
tauglicher zu machen. Auch die churfürſtlichen und die
kaiſerlichen Erblande ſollten jetzt den Kreiſen beigezählt wer-
den: Sachſen und Brandenburg mit ihren Häuſern ſoll-
ten den ſiebenten, die vier rheiniſchen Churfürſten den ach-
ten, Öſtreich den neunten, Burgund den zehnten Kreis bil-
den. In einem jeden ſollten Hauptleute zur Execution des
Rechtes aufgeſtellt werden.


Aber auch hierüber erhob ſich ſogleich die wichtigſte
Differenz. Der Kaiſer nahm eigenen Antheil an der Er-
nennung dieſer Hauptleute in Anſpruch, ja er forderte über-
dieß einen Oberhauptmann deſſen er ſich in auswärtigen
Kriegen bedienen könne, und einen Rath von 8 Mitglie-
dern, der an ſeinem Hof reſidiren ſolle, — eine Art von Re-
giment, — von deſſen Theilnahme an den Geſchäften er ſich
beſondern Einfluß auf das Reich verſprach. Die Stände
dagegen wollten weder von dieſen Räthen, noch von dem
Oberhauptmann etwas wiſſen; die Hauptleute in ihren
Kreiſen wollten ſie ſelber ernennen.


Hierüber kam es in Cölln, im Auguſt 1512, noch
einmal zu lebhaften Mißhelligkeiten. Der Kaiſer gab eines
Tages den Ständen ihre Antwort gradezu zurück, weil er
[199]Reichstag zu Trier und Coͤlln 1512.
ſie nicht als eine Antwort annehmen könne, ſie nicht in
ſeinen Händen behalten wolle.


Nur durch die eifrige Bemühung des Churfürſten von
Mainz geſchah, daß die acht Räthe endlich genehmigt wur-
den. Sie ſollten hauptſächlich dazu dienen, die entſtehen-
den Händel gütlich beizulegen. Von dem Oberhauptmann
dagegen geſchieht keine Meldung weiter. Ich finde nicht,
daß die Kreiſe in der Ernennung der Unterhauptleute hät-
ten beſchränkt werden ſollen. Der Anſchlag ward auf die
von den Ständen beliebte Art angenommen, und der Kai-
ſer verzichtete auf das Verſprechen der Million.


So kam es wohl noch am Ende zu einem Beſchluß;
der in den Reichsabſchied aufgenommen ward.


Fragen wir aber, ob er nun auch ausgeführt wurde,
ſo iſt davon nichts zu ſpüren. Es gab eine zahlreiche
Partei die in dieſe Beſchlüſſe gleich von Anfang nicht
willigte, ob ſie dieſelben wohl nicht grade hatte hinter-
treiben können, an deren Spitze einer der erfahrenſten, an-
geſehenſten Reichsfürſten, Friedrich Churfürſt von Sach-
ſen ſtand. Der Anſchlag den man entworfen, iſt niemals
auch nur eingefordert, geſchweige denn erlegt worden. Die
acht Räthe hat man nicht aufgeſtellt, die Unterhauptleute
hat man ſo wenig ernannt wie den Oberhauptmann. Die
Eintheilung des Reiches in die zehn Kreiſe iſt erſt ein
Jahrzehend ſpäter zu einer gewiſſen Bedeutung gelangt.


[200]Erſtes Buch.

Innere Gährung.


Wären die Verſuche, der Nation eine Verfaſſung zu
geben, gelungen, ſo würde eine lebhafte innere Bewegung
unvermeidlich geweſen ſeyn, ehe ſich alles der neu entſtan-
denen centralen Gewalt gefügt und untergeordnet hätte;
daß aber die Verſuche unternommen worden und nicht ge-
lungen waren, daß man an dem Beſtehenden gerüttelt, und
eine lebendige Einheit nicht zu Stande gebracht, mußte
eine allgemeine Gährung veranlaſſen.


Die gegenſeitigen Rechte und Pflichten des Oberhaup-
tes und der Stände waren nun erſt recht zweifelhaft ge-
worden. Die Stände hatten Theilnahme an Jurisdiction
und Regierung gefordert: der Kaiſer hatte einiges nach-
gegeben, andres ſuchte er um ſo mehr feſtzuhalten: eine
Grenze war nicht gefunden worden. Es war ein unauf-
hörliches Fordern und Verweigern; abgenöthigtes Bewilli-
gen, unvollſtändiges Leiſten; ohne wahre Anſtrengung, ohne
weſentlichen Erfolg und deshalb auch ohne Genugthuung
auf irgend einer Seite. Früher hatte wenigſtens die Union
der Churfürſten eine gewiſſe Selbſtändigkeit gehabt, die
Einheit des Reiches repräſentirt: ſeit 1504 war auch dieſe
geſprengt; zuletzt war Mainz und Sachſen noch in einen
bittern Streit gerathen, der das Collegium vollends aus
einander warf. Die einzigen Inſtitute welche zu Stande
gekommen, waren das Kammergericht und die Matrikel.
Aber wie ſorglos war dieſe Matrikel verfaßt. Da waren
aus den alten Regiſtern Fürſten aufgeführt die ſich gar
nicht mehr fanden; auf die nach und nach zu Stande ge-
[201]Innere Gaͤhrung.
kommene Mittelbarkeit war keine Rückſicht genommen. Es
erfolgten eine Unzahl von Reclamationen. Der Kaiſer
ſelbſt nannte 13 weltliche und 5 geiſtliche Herren, deren
Hülfe in ſeinen Landesanſchlag, nicht in die Reichsmatri-
kel gehöre: Sachſen nannte 15 weltliche Herrn und ſeine
drei Biſchöfe: 1 Brandenburg zwei Biſchöfe und zwei Gra-
fen: Cölln vier Grafen und Herrn; jeder größere Stand
machte Mittelbarkeiten geltend an die man nicht gedacht
hatte. Auch eine Menge Städte wurden angefochten: Geln-
hauſen von der Pfalz, Göttingen von dem braunſchweigi-
ſchen Hauſe, Duisburg Niederweſel und Soeſt von Jü-
lich, Hamburg von Holſtein. 2 Bei den Reichstagsacten
findet ſich die Eingabe eines däniſch-holſteiniſchen Ge-
ſandten an die Reichsſtände, worin er ihnen vorträgt, er
habe 200 Meilen Weges zu dem Kaiſer gemacht, aber we-
der von ihm noch ſeinen Hofräthen könne er Beſcheid er-
langen, und wende ſich nun an die Stände, um ihnen zu
ſagen, daß eine Stadt, Hamburg genannt, im Lande Hol-
ſtein liege, die als eine Reichsſtadt angeſchlagen worden,
aber von der ſeine gnädigen Herren natürliche Erbherren
[202]Erſtes Buch.
und Landesfürſten ſeyen. 1 Über den Grundſatz war man
nicht ſtreitig. In den Reichsabſchieden ward immer be-
ſtimmt, daß den Ständen alle die Hülfe vorbehalten bleibe,
die ihnen von Alters her gehöre: in jedem Fall aber er-
neuerte ſich doch immer die Frage und der gegenſeitige
Anſpruch. Auch die mächtigſten Fürſten hatten ſich zu be-
klagen, daß der kaiſerliche Fiscal am Kammergericht ihre
Vaſallen mit Pönalmandaten verfolge.


Überhaupt erweckte das Kammergericht Widerſpruch
von allen Seiten. Die Fürſten fanden ſich dadurch be-
ſchränkt, die unteren Stände nicht geſchützt. Sachſen und
Brandenburg brachten in Erinnerung, daß ſie ihre fürſt-
lichen Freiheiten nur unter gewiſſen Bedingungen dem Kam-
mergericht unterworfen: Joachim I von Brandenburg be-
ſchwerte ſich, daß das Kammergericht Appellationen von
ſeinen Landgerichten annehme: was bei ſeines Vaters Zei-
ten nie geſchehen. 2 Die Reichsritterſchaft war dagegen
über den Einfluß unzufrieden, der von den Mächtigen auf
das Gericht ausgeübt werde: wenn ein Fürſt ſehe daß
er unterliegen werde, ſo wiſſe er den Proceß zu verhin-
dern: und wenigſtens Kaiſer Maximilian giebt ihr nicht
unrecht; entweder, ſagt er, könne der Arme von Adel gar
kein Recht bekommen, oder es ſey „ſo ſcharf und ſpitzig“
daß es ihm nichts fruchte. Da blieben auch die Städte
[203]Innere Gaͤhrung.
mit ihren Beſchwerden nicht zurück. Sie fanden es un-
erträglich, daß der Richter die fiscaliſchen Gefälle genieße;
ſie trugen auf Beſtrafung der verdorbenen Leute an, von
denen manche Stadt ohne alles Verſchulden am Gericht
umgetrieben werde; im Jahr 1512 forderten ſie aufs neue
die Aufnahme zwei ſtädtiſcher Beiſitzer: 1 natürlich alles
vergebens.


Da nun die höchſte Gewalt ſich ſo wenig geltend
machen, ſo wenig Billigung und Anerkennung erwerben
konnte, ſo erwachte ein allgemeines Streben nach Selb-
ſtändigkeit auf eigne Hand, eine allgemeine Gewaltſamkeit,
welche dieſe Zeiten höchſt eigenthümlich charakteriſirt. Es
iſt der Mühe werth, daß wir uns einmal die verſchiedenen
Stände aus dieſem Geſichtspunct vergegenwärtigen.


I. In den Fürſtenthümern machte ſich die Landes-
hoheit weitere Bahn. In einzelnen Verordnungen tritt die
Idee einer Landesgeſetzgebung hervor, vor welcher die lo-
calen Einungen, Weisthümer und Bräuche verſchwinden;
einer Landesaufſicht, welche alle Zweige der Verwaltung
umfaßt; unter andern hat Churfürſt Berthold auch hierin
ſehr merkwürdige Anordnungen in ſeinem Erzſtift getrof-
fen. 2 An einigen Orten kam es zu engern Vereinbarun-
gen der Stände mit den Fürſten, z. B. in den märkiſchen
ſowohl wie in den fränkiſchen Beſitzungen von Branden-
denburg; die Stände übernehmen Schulden, bewilligen
[204]Erſtes Buch.
Steuern, um die Schulden der Fürſten zu tilgen. 1 An
andern macht ſich die Verwaltung bemerklich: einzelne Na-
men treten hervor, wie Georg Goſſenbrod in Tirol, der von
Maximilian zum Regimentsherrn gemacht über alle landes-
herrlichen Rechte ſtrenge Buch hielt, — Wallner in Steier-
mark, — jenes Meßners zu Altöttingen Sohn in Baiern,
der den Landshuter Schatz geſammelt, — der Landſchreiber
Prucker in Onolzbach, der über 30 Jahre die geheime Canzley
und die Cameralverwaltung daſelbſt leitete. Noch nahmen
dieſe mächtigen Beamten jedoch ſelten ein gutes Ende: wir
finden ſie häufig vor Gericht gezogen, geſtraft; jenen Wall-
ner ſah man einſt an der Thüre ſeines Hauſes aufgehängt,
in das er früher Fürſten Grafen oder Doctoren zu Gaſte
geladen: von Goſſenbrod wird behauptet, man habe ihn mit
Gift ums Leben gebracht: 2 Wolfgang von Kolberg, zum
Grafen erhoben, ſtarb doch im Gefängniß: Prucker mußte
ſich auf eine Propſtei in Plaſſenburg zurückziehen. 3 Um
den Willkührlichkeiten der verhaßten Räthe ihres Herzogs
ein Ende zu machen, erzwangen ſich die Wirtenberger den
Tübinger Vertrag im J. 1514. Hie und da ſchreiten die
Fürſten zu offenem Krieg, um ihre Landeshoheit auszubrei-
ten. Im Jahr 1511 fallen Braunſchweig Lüneburg Bre-
men Minden und Cleve mit vereinigten Kräften in die
Grafſchaft Hoya ein, die ihnen keinen Widerſtand leiſten
kann. Im Jahr 1514 wenden ſich Braunſchweig Lüne-
burg Calenberg Oldenburg und Herzog Georg von Sach-
[205]Innere Gaͤhrung.
ſen wider die Reſte der freien Frieſen in den Marſchen.
Die Butjadinger ſchwören, ſie wollen eher einmal ſterben,
als ſich von den Braunſchweiger Amtleuten immerdar pla-
gen laſſen, und rüſten ſich hinter ihrer unüberſteiglichen
Landwehre zum Widerſtand: aber ein Verräther weiſt dem
angreifenden Heere einen Weg in ihrem Rücken: ſie wer-
den geſchlagen und ihr Land wird unter die Sieger ge-
theilt; auch die Worſaten und Hadeler mußten Gehorſam
lernen. 1 Zuweilen ſuchten die Fürſten die Abhängigkeit ei-
nes Biſchofs in völlige Unterthanſchaft zu verwandeln;
wie z. B. Herzog Magnus von Lauenburg die ihm von
ſeinen Landſtänden bewilligte Bede auch von dem Bi-
ſchofe von Ratzeburg forderte, vielleicht auch deshalb mit
doppeltem Ungeſtüm, weil dieſer Biſchof einſt in ſeiner
Canzley gedient hatte; aber er fand beherzten Widerſtand,
und es kam zu offenen Thätlichkeiten. 2 Oder es ſuchte
wohl auch ein geiſtlicher Fürſt ſeiner Ritterſchaft unge-
wohnten Gehorſam aufzulegen und dieſe ſchritt dagegen
mit Hülfe eines weltlichen Nachbars zur Empörung: wie
die Herzoge von Braunſchweig die hildesheimiſche Ritter-
ſchaft, die Grafen von Henneberg Capitel und Stiftsadel
von Fulda in Schutz nahmen.


II. Denn vor allem fühlten ſich die Ritterſchaften
[206]Erſtes Buch.
von der zunehmenden Fürſtenmacht eingeengt. In Schwa-
ben conſolidirten ſich die Verbindungen der Reichsritter-
ſchaft unter dem Schirme des Bundes; auch in Franken
hatte man ähnliche Beſtrebungen: zuweilen verſammelten
ſich die ſechs Orte der fränkiſchen Ritterſchaft, z. B. 1511,
1515, hauptſächlich um ihre Streitſachen den fürſtlichen
Hofgerichten zu entreißen; aber ihre Erfolge waren nicht
nachhaltig; hier und am Rhein blieb doch alles ſehr tu-
multuariſch. Noch immer ſehen wir die kriegeriſchen Rei-
tersmänner, mit Pickelhaube und Krebs geharniſcht, die
geſpannte Armbruſt vor ſich her — denn noch führten die
Reiter kein Feuergewehr — die wohlbekannten Raine durch
das Feld entlang reiten, die Haltſtätten wahrnehmen, in
den Wäldern Tag und Nacht lauern, bis der Feind den
ſie ſuchen erſcheint, oder der Waarenzug der Stadt, mit
der ſie in Streit liegen, die Straße daher kommt; nach
einem in der Regel leichten Sieg, da ihr Angriff uner-
wartet geſchieht, kehren ſie dann von Gefangenen umgeben,
mit Beute beladen zurück in die engen Behauſungen ihrer
Burgen, wo ſie nicht eine Stunde weit reiten können
ohne hinwiederum des Feindes gewärtig zu ſeyn, wo ſie
ſich nicht ohne Harniſch auf die Jagd zu gehn getrauen;
unaufhörlich kommen und gehn die Knappen, die heimli-
lichen Freunde und Spießgeſellen, bringen Hülfgeſuche, oder
Warnungen, und erhalten eine ewige Unruhe: die Nacht
über hört man die Wölfe im nahen Forſte heulen. Wäh-
rend das Reich in Trier über eine Executionsordnung rath-
ſchlagte, griffen Berlichingen und Selbitz jenen Nürnber-
ger Zug, der von der Leipziger Meſſe kam im Bambergi-
[207]Innere Gaͤhrung.
ſchen Geleit an, und begannen darauf den offenen Krieg
wider den Biſchof und die Stadt. Die Beſchlüſſe des
Reichstages waren ungenügend: 1 Götz von Berlichingen
glaubt ſich über die Unterhandlungen die man eröffnete
noch beklagen zu müſſen, ſonſt wollte er den Nürnbergern
auch ihren Bürgermeiſter niedergeworfen haben, mit ſeiner
„goldnen Kette am Hals, und ſeinem Streitkolben in der
Hand.“ 2 Zu derſelben Zeit hatte ſich eine andre berüch-
[208]Erſtes Buch.
tigte Rotte bei den Friedingern in Hohenkrähn (im He-
gau) geſammelt: urſprünglich gegen Kaufbeuern, wo ein
Edelmann vergeblich um die ſchöne Tochter eines Bürgers
gebuhlt, dann ſchlechtweg eine Schaar von Räubern, die
das Land unſicher machte: ſo daß der ſchwäbiſche Bund
ſich endlich hiegegen in Bewegung ſetzte, auch der Kaiſer
ſeine beſten Stücke den Weckauf von Öſtreich und den
Burlebaus heranbringen ließ, — von deren Schüſſen, wie
das hiſtoriſche Lied ſchildert, der Berg ſich wägte, der Felſen
zerriß, die Mauern ſich ſpalteten, bis die Ritter entflohen,
ihre Leute ſich ergaben und das Schloß von Grundaus
geſchleift wurde. 1 Aber noch gab es viele Schlöſſer in
Baiern Schwaben und Franken denen man ein ähnliches
Schickſal gegönnt hätte. Die Unſicherheit der Straßen,
der
2
[209]Innere Gaͤhrung.
der offenen Orte ward ärger als jemals: ſelbſt arme fah-
rende Schüler, die ſich mit Betteln durchbringen, finden
wir angeſprengt und um ihre elende Baarſchaft gequält. 1
„Glück zu, liebe Geſellen,“ ruft Götz einmal einer Anzahl
von Wölfen zu, die er in eine Schaafheerde fallen ſieht:
„Glück zu überall:“ er hielt das für ein gutes Wahrzeichen.
Und zuweilen nahm dann wieder dieß gewaltthätige Rei-
terweſen eine großartigere Geſtalt an, und conſtituirte eine
Art von tumultuariſcher Macht im Reiche. Franz von
Sickingen wagte die Gegner des ſo eben von dem Kaiſer
wiedereingeſetzten Rathes in Worms in ſeinen Schutz zu
nehmen: er begann den Krieg gegen dieſe Stadt damit,
daß er ſich eines ihrer Schiffe auf dem Rheine bemäch-
tigte. Hierauf ward er in die Acht erklärt. Seine Ant-
wort war, daß er unmittelbar vor den Mauern dieſer
Stadt erſchien, ſie mit Karthaunen und Schlangen be-
ſchoß, und zugleich das Gefilde verwüſtete, die Weingär-
ten zerſtörte, keine Zufuhr geſtattete. Die Pfingſtmeſſe
konnte weder 1515 noch 1516 gehalten werden. Die
Stände des rheiniſchen Kreiſes kamen zuſammen, aber ſie
wagten es nicht einen Beſchluß dagegen zu faſſen: ſie
meinten, das könne nur auf einem Reichstag geſchehen. 2
Es iſt wohl unläugbar, daß einige Fürſten aus Oppo-
ſition bald gegen den Kaiſer bald gegen den ſchwäbiſchen
Bund dieſe Gewaltthätigkeiten entweder begünſtigten oder
doch zugaben. Eben mit der nicht kaiſerlich noch bündiſch
Ranke d. Geſch. I. 14
[210]Erſtes Buch.
geſinnten Partei unter den Fürſten waren die Ritter ver-
bündet.


III. Von allen Seiten waren da die Städte bedrängt,
von der Reichsgewalt, die ihnen immer ſtärkere Laſten auf-
legte, von dieſen Rittern, von den Fürſten, welche 1512
ſogar die alte Frage über die Pfahlbürger rege machten.
Aber ſie wehrten ſich auf das tapferſte. Wie manchen
räuberiſchen Edelmann hat Lübek von ſeinem Hofe weg-
geholt. Gegen Ende des funfzehnten Jahrhunderts hat
es ein Bündniß mit benachbarten mittelbaren Städten ge-
ſchloſſen ausdrücklich zu dem Zweck, die Landesherrſchaf-
ten ihre bisherigen Befugniſſe nicht überſchreiten zu laſſen.
Dem König Johann von Dänemark half es nichts, daß
Kaiſer Maximilian ſeine Beſtrebungen eine Zeitlang begün-
ſtigte. Im Jahre 1509 griffen ihn die hanſiſchen Städte,
nicht einmal alle, auf ſeinen Inſeln an, eroberten ſeine
Schiffe in Helſingör, führten ſeine Glocken fort, um ſie
in ihren Capellen aufzuhängen, und blieben auf der offnen
See vollkommen Meiſter. Ein lübekiſches Schiff, in der
Schlacht bei Bornholm von drei däniſchen geentert, er-
wehrt ſich zweier von ihnen und bemächtigt ſich des drit-
ten; im Jahr 1511 kehrt die Lübeker Flotte mit einer Beute
von 18 holländiſchen Schiffen nach der Trave zurück. 1


Und einen nicht minder freudigen Widerſtand leiſteten
die oberländiſchen Städte, in ſo fern ſie nicht durch den
ſchwäbiſchen Bund geſchützt waren, ihren Feinden. Wie
trefflich war Nürnberg gerüſtet! Jeden erlittenen Schaden
ſuchte es in dem Gebiete der Gegner zu rächen; nicht ſel-
[211]Innere Gaͤhrung.
ten machten auch die nürnbergiſchen Reiſigen einen glück-
lichen Fang. Weh dem Edelmann, der in ihre Hände ge-
rieth! Keine Fürbitte weder der Verwandten noch benach-
barter Fürſten konnte ihn retten: der Rath hatte immer
die Entſchuldigung, daß die Bürgerſchaft die Beſtrafung
der Übelthäter ſchlechterdings fordere. Vergebens ſah der
Gefangene nach dem Wald, ob nicht ſeine Verbündeten
kommen würden, ihn zu retten: wir finden bei Berlichin-
gen, wie ſehr die fehdeluſtigſten Nachbarn doch die Thürme
von Nürnberg fürchteten. Das edle Blut ſchützte nicht vor
peinlicher Frage noch vor dem Beile des Henkers. 1


Zuweilen traten wohl Handelsbedrängniſſe ein, z. B.
im venezianiſchen Kriege, deren man ſich im Binnenlande
nicht ſo kräftig erwehren konnte, wie die Hanſeaten zur
See: aber man kam auf andre Weiſe darüber hinweg. Im
Grunde hätte nun gar kein Verkehr mit Venedig Statt
finden ſollen, und die Scala, welche die Achtserklärung
ausgebracht, hielten die Güter die dieſe Straße nahmen
oftmals auf; allein nur um ſich die Freigebung derſelben
abkaufen zu laſſen. Ich finde daß man auch dem Kaiſer
einſt für 200 Saumlaſt Waaren 3000 Duc. Tranſito zah-
len mußte: die Tiroler Regierung hatte förmlich einen Com-
miſſarius in Augsburg aufgeſtellt, um für dieſe Sendun-
gen, für welche ſie dann auch Bürgſchaft leiſtete, regelmä-
ßige Gebühren einzuziehen. Die Städte ſchickten ſich in
die Zeit: ſchon genug, daß ſie ihren Handel nicht unter-
gehen ließen. Nach einer andern Seite hin hatte ihnen
indeſſen die durch das Haus Öſtreich vermittelte Verbin-
14*
[212]Erſtes Buch.
dung mit den Niederlanden den großartigſten Weltverkehr
eröffnet. An dem oſtindiſchen Handel, bald auch an den
weſtindiſchen Unternehmungen hatten deutſche Häuſer von
Nürnberg und Augsburg 1 gewinnbringenden Antheil. Ihr
wachſender Reichthum, ihre Unentbehrlichkeit bei jedem Geld-
geſchäft gaben ihnen dann wieder Einfluß auf die Höfe
namentlich auf den Kaiſer. Allen Beſchlüſſen der Reichs-
tage zum Trotz behaupteten ſie doch „ihre freundlichen
Geſellſchaften,“ ihre Aſſociationen, auf denen damals die
kleinſten ſo wie die größten Geſchäfte beruhten; es iſt
wohl nicht ungegründet, daß auch ſie dann durch das
Monopol, das hiedurch in wenige Hände kam, indem
eben Die, welche die Waare brachten, auch den Preis
nach ihrem Gutdünken beſtimmen konnten, zu vielen ge-
rechten Klagen Anlaß gaben. 2 Noch immer behaupteten
ſie auf den Reichsverſammlungen eine ſtarke Stellung. Der
ſchlechte Erfolg, welchen die letzten von 1509 bis 1513
gehabt, rührte großentheils von ihrer Oppoſition her. Jene
Anregung wegen der Pfahlbürger, kraft deren die Güter
nicht mehr zu den Städten, in denen ihre Beſitzer wohn-
ten, ſondern zu den Herrſchaften, unter denen ſie gelegen
waren, ſteuern ſollten, wußten ſie 1512 zur Vertagung
zu bringen. 3


[213]Innere Gaͤhrung.

Wir ſehen: an friedliche Sicherheit, ruhiges Gedeihen,
wie man ſie oft in jenen Zeiten vorausſetzt, war nicht zu
denken. Aber durch Zuſammenhalten, unermüdliche Thä-
tigkeit, ſey es in den Waffen, oder in der Unterhandlung,
behauptete man ſich.


Auch in dem Innern der Städte gährte es gewaltig:
der alte Widerſtreit zwiſchen Räthen und Gemeinen ent-
wickelte ſich beſonders wegen der ſteigenden Geldforderungen,
zu denen ſich jene nicht ſelten entſchließen mußten, hie und
da zu blutiger Gewaltthat. In Erfurt ward der Vier-
herr Heinrich Kellner 1510 hingerichtet, weil er das Amt
Capellendorf in den finanziellen Bedrängniſſen der Stadt
an das Haus Sachſen widerkäuflich überlaſſen habe: alle
die folgenden Jahre waren von wilden Stürmen erfüllt.
In Regensburg ward der alte Biedermann, der Lykircher,
der oftmals Kämmerer, Hansgraf, Friedrichter geweſen,
ohne daß die Veruntreuungen die man ihm Schuld gab,
wirklich hätten nachgewieſen werden können, eben in der
Charwoche 1513 auf eine qualvolle Weiſe gemartert und
kurz darauf hingerichtet. 1 In Worms ward erſt der alte
Rath verjagt, dann mußten die Gegner deſſelben weichen.
In Cölln empörte ſich die Gemeine gegen die neuen
Schatzungen, mit welchen man ſie plage, beſonders wider
eine Genoſſenſchaft, die man das Kränzchen nannte, welcher
die verbrecheriſcheſten Abſichten Schuld gegeben wurden. 2
3
[214]Erſtes Buch.
Ähnliche Bewegungen gab es in Aachen, Andernach, Speier,
Hall in Schwaben, Lübek, Schweinfurt, Nürnberg: 1 al-
lenthalben finden wir Gefangenſetzungen, Verweiſungen, Hin-
richtungen. Häufig trug auch der Verdacht, daß die Ge-
walthaber mit irgend einer benachbarten Macht in Verſtänd-
niß ſeyen, dazu bei. In Cölln nannte man Geldern, in
Worms und Regensburg Öſtreich, in Erfurt Sachſen. Das
Gefühl der Unſicherheit des öffentlichen Zuſtandes brauſte in
den wildeſten Gewaltſamkeiten auf.


IV. Und nicht allein in den Städten war das ge-
meine Volk in Aufregung: über den ganzen Boden des
Reiches hin gährte es in den Bauerſchaften. Die Schwytzer
Bauern im Gebirg hatten ſo eben ihre Reichsunterthänig-
keit vollends in ein ganz freies Verhältniß verwandelt; die
Frieſen in den Marſchen waren dagegen den Landesherr-
ſchaften unterlegen: nur die Ditmarſchen erhielten ſich dort
nach einem glücklichen glorreichen Schlachttag, wie eine
Ruine unter lauter neuen Gebäuden — der Eichelſtein
etwa unter den Feſtungswerken von Mainz, — eine Zeit-
lang. Die Prinzipien, die aus weiter Ferne von den äu-
ßerſten Marken her dieſen Gegenſatz bildeten, berührten
einander überall in dem innern Lande in tauſendfältig ver-
änderter Geſtalt. Die Anſchläge des Reiches, die wach-
ſenden Bedürfniſſe bewirkten, daß alles ſeine Anforderun-
gen an die Bauern ſteigerte, der Landesherr, die geiſtliche
[215]Innere Gaͤhrung.
Gutsherrſchaft, der Edelmann. 1 Dagegen war hie und
da auch der gemeine Mann bewaffnet worden; aus ſeiner
Mitte giengen die Schaaren der Landsknechte hervor, welche
einen Namen unter den europäiſchen Milizen behaupteten;
er ward wieder einmal inne welche Macht ihm beiwohne.
Für Oberdeutſchland war das Beiſpiel der Schweizer ſehr
verführeriſch. Im Elſaß, in der Gegend von Schletſtadt
bildete ſich ſchon im J. 1493 ein in tiefes Geheimniß ge-
hüllter Bund mißvergnügter Bürger und Bauern, welche
auf unwegſamen Pfaden bei Nachtzeit auf abgelegenen
Höhen zuſammen kamen, und ſich verſchworen, in Zukunft
nicht anders als nach eigener freier Bewilligung zu ſteuern,
Zoll und Umgeld abzuſchaffen, die Geiſtlichen zu beſchrän-
ken, die Juden gradezu zu tödten und ihre Güter zu thei-
len. Unter wunderlichen Cerimonien, durch die beſonders
der Verräther entſetzlich bedroht wurde, nahmen ſie neue
Mitglieder auf. Ihre Abſicht war, ſich zunächſt Schlet-
ſtadts zu bemächtigen, hierauf die Fahne mit dem Zeichen
des Bauernſchuhes aufzuwerfen, den Elſaß in Beſitz zu neh-
men und die Schweizer zu Hülfe zu rufen. 2 Aber jenen
furchtbaren Drohungen zum Trotz wurden ſie doch ver-
rathen, aus einander geſprengt, auf das ſchärfſte gezüch-
tigt. Hätten die Schweizer im Jahr 1499 ihren Vortheil
verſtanden und den Widerwillen ihrer Nachbarn nicht durch
die Grauſamkeit ihrer Verwüſtungen gereizt, ſo würden ſie,
[216]Erſtes Buch.
wie die Zeitgenoſſen verſichern, überall an ihren Grenzen
den gemeinen Mann an ſich gezogen haben. Welche Ge-
danken in den Leuten umgiengen, davon zeugte ein Bauer,
der während der Friedensverhandlungen zu Baſel in den
Kleidern des erſchlagenen Grafen von Fürſtenberg erſchien:
„wir ſind die Bauern,“ ſagte er, „welche die Edelleute
ſtrafen.“ Mit jener Unterdrückung war der Bundſchuh
keineswegs vernichtet. Im Jahr 1502 kam man ihm zu
Bruchſal auf die Spur, von wo aus die Verbündeten die
nähern Ortſchaften ſchon an ſich gezogen hatten und ſich
nun in die entferntern ausbreiteten. Sie behaupteten, auf
eine Anfrage bei den Schweizern die Verſicherung bekom-
men zu haben, die Eidgenoſſenſchaft werde der Gerech-
tigkeit helfen und Leib und Leben bei ihnen zuſetzen. Ihre
Ideen hatten zugleich etwas Religiöſes, Schwärmeriſches.
Alle Tage ſollte ein Jeder fünf Vaterunſer und Avemarien
beten: ihr Feldgeſchrei ſollte ſeyn: unſre Frau: ſie wollten
erſt Bruchſal einnehmen, und dann fortziehn, fort und im-
mer fort, und an keinem Ort mehr als 24 Stunden ver-
weilen: der geſammte Bauersmann im Reich werde ihnen
zufallen, daran ſey kein Zweifel, alle Menſchen müſſe man
in das Bündniß bringen und damit die Gerechtigkeit Got-
tes auf Erden einführen. 1 Die ſchon zuſammengetretenen
Bauern wurden aus einander geſprengt, ihre Anführer mit
dem Tode beſtraft.


Schon oft hatten die Reichsgewalten an die Gefahr
dieſer Regungen gedacht. Unter den Artikeln, welche die
Churfürſten auf ihrem Reichstag zu Gelnhauſen vorzuneh-
men gedachten, betraf einer die Nothwendigkeit einer Er-
[217]Innere Gaͤhrung.
leichterung des gemeinen Mannes. 1 Auf den Reichsta-
gen war es immer das entſcheidende Argument gegen Auf-
lagen, wie der gemeine Pfennig, daß man fürchten müſſe
eine Empörung der Unterthanen zu veranlaſſen. Im Jahr
1513 trug man Bedenken, einige ausgetretene Landsknechte
zu beſtrafen, weil man beſorgte ſie möchten ſich mit den
Bauern vereinigen, deren fortdauernde Verbindung gegen
Adel und Geiſtlichkeit man ſo eben aus den Geſtändniſſen
einiger Eingezogenen im Breisgau wahrgenommen hatte.
Im Jahr 1514 erhob ſich in Wirtenberg die volle Em-
pörung unter dem Namen des armen Kunzen: der Tübin-
ger Vertrag genügte den Bauern nicht, ſie mußten mit
den Waffen unterdrückt werden. 2 Unaufhörlich vernimmt
man dieſes dumpfe Brauſen eines unbändigen Elementes
in dem Innern des Bodens auf welchem man ſteht.


Während alle dem war der Kaiſer mit ſeinem vene-
zianiſchen Krieg beſchäftigt. Bald kämpft er mit den Fran-
zoſen gegen den Papſt und die Venezianer, bald mit dem
Papſt und den Engländern gegen die Franzoſen; die Schwei-
zer jetzt mit ihm verbündet erobern Mailand und verlie-
ren es wieder; er ſelbſt macht einmal mit Schweizern und
Landsknechten einen Verſuch es in ſeine Hände zu brin-
gen, doch vergeblich. Wiederholt ſehen wir ihn von Ti-
rol nach den Niederlanden, von den Seeküſten zurück nach
den italieniſchen Alpen reiſen: einem Befehlshaber in einer
belagerten Feſtung nicht ungleich, der immer von Baſtion
[218]Erſtes Buch.
zu Baſtion eilt und zuweilen den Augenblick erſieht einen
Ausfall zu machen. Doch ward damit ſeine ganze Thä-
tigkeit erſchöpft; das innere Deutſchland blieb ſeinem eignen
Treiben überlaſſen.


Noch im Jahr 1513 ſollte ein Reichstag zu Worms
gehalten werden und am 1ſten Juni finden wir in der
That eine Anzahl Stände beiſammen. Es fehlt nur an
dem Kaiſer. Endlich erſcheint er, aber ſeine Geſchäfte ge-
ſtatten ihm nicht zu verweilen: unter dem Vorwand, mit
den ſäumigen Churfürſten von Trier und Cölln ſelbſt verhan-
deln zu wollen, eilt er den Rhein hinunter: dann macht er
den Ständen den Vorſchlag ihm nach Coblenz zu folgen.
Dieſe zogen es vor, ſich völlig aufzulöſen. 1 „Fürwahr,“
ſchreibt der Altbürgermeiſter von Cölln an die Frankfurter,
„ihr habt weislich gethan, daß ihr daheim geblieben; ihr
habt große Koſten geſpart und doch gleichen Dank verdient.“


Erſt nach fünfjähriger Unterbrechung, im J. 1517, als
nicht allein die Fehdſchaften Sickingens Oberdeutſchland be-
unruhigten, ſondern die Unordnungen überhaupt ins Unerträg-
liche ſtiegen, kam es wieder zu einem Reichstag: dießmal zu
Mainz; am 1ſten Juli ward er dort im Capitelhauſe eröffnet.


[219]Reichstag zu Mainz 1517.

Die kaiſerlichen Commiſſarien trugen, um die Empö-
rungen dämpfen zu können, auf eine ſtattliche Hülfe an,
nicht mehr den vierhundertſten, ſondern den funfzigſten
Mann; aber den Ständen ſchien es ſchon nicht mehr rathſam
zu den Waffen zu greifen. Der gemeine Bauersmann, ohne-
hin durch Theurung und Hunger geplagt, möchte dadurch
„in ſeinem wüthenden Gemüthe“ noch mehr gereizt wer-
den: es möchte hervorkommen, was ihm ſchon lange im
Herzen ſtecke: eine allgemeine Meuterei ſey zu beſorgen.
Vielmehr wünſchten ſie die obwaltenden Unruhen in Güte
zu beſeitigen: nach allen Seiten auch mit Sickingen knüpf-
ten ſie Verhandlungen an: hauptſächlich ſetzten ſie einen
Ausſchuß nieder, um den allgemeinen Zuſtand, die Urſachen
der allenthalben hervorbrechenden Unruhe in Berathung zu
ziehen. Die kaiſerlichen Commiſſarien hätten die Verſamm-
lung lieber aufgelöſt, weil ſie doch nichts ausrichten könne,
ohne die Meinung kaiſerlicher Majeſtät zu wiſſen, aber man
ließ ſich dadurch nicht abhalten; die Sitzungen des Ausſchuſ-
ſes, in dem auch die Städte zwei Mitglieder hatten, wur-
den ſehr feierlich mit einer heiligen Geiſtmeſſe eröffnet: am
7ten Aug. 1517 legte derſelbe ſein Gutachten vor.


Da iſt es nun ſehr merkwürdig, daß die Stände ge-
rade in der vornehmſten Inſtitution die man gegründet, in
dem Kammergericht, den Mängeln ſeiner Zuſammenſetzung
und Amtsführung den Hauptgrund des ganzen Übels er-
blicken. Die trefflichſten Glieder, ſagen ſie, ſeyen abgegan-
gen, und Untaugliche an deren Stelle getreten; die Procedur
ziehe ſich Jahre lang hin, auch deshalb weil man ſo viel
Appellationen in geringfügigen Sachen annehme, daß man
[220]Erſtes Buch.
die wichtigen nicht erledigen könne; aber überdieß werde
dem Gerichte ſein freier Lauf nicht gelaſſen, oftmals werde
ihm geboten ſtill zu ſtehn: komme man ja endlich nach
langem Verzug und ſchwerer Mühe zu ſeinem Urtheil, ſo
finde man keine Execution, der Gegner bringe wohl gar
Mandate zur Verhinderung derſelben aus. So geſchehe
es daß die höchſte Strafe, die Acht und Aberacht, Nie-
manden mehr erſchrecke: der Geächtete finde doch Schirm
und Schutz. Und da es nun mit den übrigen Gerichten
nicht beſſer beſtellt ſey: allenthalben Mangel in ihrer Be-
ſetzung, Schonung der Miſſethäter, und Mißbrauch ohne
Ende: ſo ſey nun der allgemeine Unfriede eingeriſſen. We-
der zu Lande noch zu Waſſer ſeyen die Straßen ſicher:
man kümmere ſich um kein Geleite ſo wenig des Hauptes
als der Glieder: weder der Unterthan noch der Schutzver-
wandte werde geſchirmt: der Ackersmann, der alle Stände
nähre, gehe zu Grunde: Witwen und Waiſen ſeyen verlaſ-
ſen: kein Pilgrim, keine Botſchaft, kein Handelsmann könne
die Straße ziehn, um ſein gutes Werk, oder ſeinen Auf-
trag, oder ſein Geſchäft auszurichten. Dazu komme der
überſchwengliche Aufwand in Kleidung und Zehrung: der
Reichthum gehe in fremde Lande, vor allem nach Rom,
wo man täglich neue Laſten erfinde; wie ſchädlich ſey es,
daß man die Kriegsknechte, die zuweilen gegen Kaiſer und
Reich geſtritten, wieder nach Haus gehen laſſe; eben das
bringe die Meuterei in dem gemeinen Bauersmann hervor.


Und indem man dieſe allgemeinen Beſchwerden auf-
ſetzte, ließ ſich eine Unzahl beſonderer Klagen vernehmen.
Die Wormſer klagten über die „unmenſchliche Fehde die
Franciscus von Sickingen, unverwahrt ſeiner Ehren, wider
[221]Reichstag zu Mainz 1517.
ſie erhoben;“ die Abgeordneten von Speier fügten hinzu,
die Sickingenſchen ſeyen des Vorhabens, den Spitalhof
von Speier zu verbrennen; Mühlhauſen beſchwerte ſich zu-
gleich im Namen von Nordhauſen und Goßlar, daß es
Schirmgeld zahle und doch nicht beſchirmt werde; Lübek
zählte alle die Unbill auf, die es von dem König von Dä-
nemark, Edeln und Unedeln erfahre, von dem Reich könne
es keine Hülfe erlangen und ſey doch ſeinerſeits von dem-
ſelben ſo hoch belaſtet, es müſſe ſein Geld zum Kammer-
gericht geben, das immer zu Nachtheil, niemals zu Nutzen
der Stadt urtheile. Andre Städte verſchwiegen ihre Be-
ſchwerden, weil ſie ſahen, daß das doch nichts helfe. In-
deſſen hielten die Ritter Verſammlungen zu Friedberg, Geln-
hauſen, Bingen und Wimpfen, und der Kaiſer ſchickte Ab-
geordnete zu ihnen um ſie zu beruhigen. Auf dem Reichs-
tag ſelbſt erſchien Anna von Braunſchweig, verwitwete
Landgräfin von Heſſen mit den bitterſten Klagen: in Heſ-
ſen könne ſie kein Recht bekommen, vergeblich ziehe ſie
dem Kaiſer und dem Kammergericht nach; ihr Witthum
Melſungen ſey zergangen; mit einer Magd müſſe ſie durch
das Land ziehn, wie eine Zigeunerin, ihre Kleinodien ja
ihre Kleider verſetzen; ſie könne ihre Schulden nicht mehr
bezahlen, ſie werde noch betteln gehn müſſen.


„Summa Summarum,“ ſchreibt der Frankfurter Ge-
ſandte, „hier iſt nichts als Klage und Gebrechen: höchlich
iſt zu beſorgen, daß dafür kein Rath gefunden wird.“ 1


Auf das dringendeſte wendeten ſich die Stände an den
Kaiſer; ſie beſchwuren ihn, um Gottes und der Gerech-
tigkeit, ſeiner ſelber, des heiligen Reiches, der deutſchen
[222]Erſtes Buch.
Nation, ja der ganzen Chriſtenheit willen, dieſe Sachen zu
Herzen zu faſſen, zu bedenken wie viel großmächtige Herr-
ſchaften durch Mangel an Friede gefallen, und was ſich
jetzt in den Gemüthern der Bauern rege; ein Einſehen zu
haben und ſo großen Übelſtänden abzuhelfen.


So ſagte man wohl, doch blieb es bei den Worten.
Ein Mittel, eine Maaßregel, die etwas hätte helfen können,
ward nicht einmal vorgeſchlagen: der Reichstag löſte ſich
auf ohne auch nur zu einem Beſchluß geſchritten zu ſeyn.


Und ſchon faßte der aufgeregte Geiſt der Nation noch
andre Mängel als die der bürgerlichen Zuſtände ins Auge.


Bei der engen Verbindung zwiſchen Rom und Deutſch-
land, kraft der der Papſt noch immer die mächtigſte Reichs-
gewalt bildete, mußten endlich auch die geiſtlichen Verhält-
niſſe wieder ernſtlich zur Sprache kommen. Eine Zeit-
lang waren ſie zurückgetreten, nur zufällig und gelegent-
lich berührt worden; jetzt aber zogen ſie wieder die all-
gemeine Aufmerkſamkeit auf ſich; der gährende gewalt-
ſame, der bisherigen Zuſtände überdrüßige, nach dem Neuen
trachtende Geiſt der Nation ſtürzte ſich auf dieſes Feld;
da man die Sache zugleich auf das gründlichſte vornahm,
und von den äußern Einwirkungen zu einer Unterſuchung
der Berechtigung überhaupt fortſchritt, ſo bekam die begon-
nene Bewegung eine Bedeutung, die weit über die Schran-
ken der innern deutſchen Politik hinausreichte.


1


[[223]]

Zweites Buch.
Anfänge Luthers und Carls des Fünften.
1517 — 1521.


[[224]][[225]]

Erſtes Capitel.
Urſprung der religiöſen Oppoſition.


Jeſaias hat im Geiſte alle Völker der Welt kommen ſe-
hen, um Jehova anzubeten: Paulus hat dem Menſchen-
geſchlecht den allgemeinen Gott verkündigt.


Aber nach dem Verlauf ſo vieler Jahrhunderte war
jene Prophezeiung noch lange nicht erfüllt, die Predigt
des Evangeliums bei weitem nicht durchgedrungen; die
Erde war von den mannichfaltigſten abweichenden Vereh-
rungen eingenommen.


Selbſt in Europa hatte das Heidenthum noch nicht
ausgerottet werden können; — in Litthauen z. B. erhielt ſich
der alte Schlangendienſt noch das funfzehnte und das ſechs-
zehnte Jahrhundert durch, und bekam einmal ſogar wieder
politiſche Bedeutung; 1 — wie viel weniger in andern Erd-
theilen. Allenthalben fuhr man fort, die Naturkräfte zu
ſymboliſiren, ſie durch Zauberei überwinden oder durch
Opfer verſöhnen zu wollen; in weiten Gebieten ward die
Ranke d. Geſch. I. 15
[226]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
Erinnerung an die Abgeſchiednen zum Schrecken der Le-
bendigen, und der religiöſe Ritus war vor allem beſtimmt,
ihre verderbliche Einwirkung abzuwehren; es gehörte ſchon
eine gewiſſe Erhebung der Seele, ein Grad von Cultur
auch des Gemeinweſens dazu, um nur die Geſtirne und
Sonne und Mond anzubeten.


Geiſtig entwickelt, literariſch ausgebildet, in großen
Hierarchien dargeſtellt, ſtanden dem Chriſtenthum vor al-
lem die indiſchen Religionen und der Islam entgegen, und
es iſt merkwürdig, in welch einer lebendigen inneren Bewe-
gung wir ſie in unſrer Epoche begriffen ſehen.


War die Lehre der Braminen urſprünglich von mono-
theiſtiſchen Ideen ausgegangen, ſo hatte ſie dieſelben doch
wieder mit dem vielgeſtaltigſten Götzendienſt verhüllt; Ende
des funfzehnten, Anfang des ſechszehnten Jahrhunderts
bemerken wir in Hindoſtan, von Lahore her die Thätig-
keit eines Reformators: Nanek, der die urſprünglichen Ideen
wiederherzuſtellen unternahm, dem Cerimoniendienſt die Be-
deutung des Moraliſch-guten entgegenſetzte, auf Vernich-
tung des Unterſchiedes der Caſten, ja eine Vereinigung der
Hindus und der Moslimen dachte, — eine der außeror-
dentlichſten Erſcheinungen friedlicher nichtfanatiſcher Reli-
gioſität. 1 Leider drang er nicht durch. Die Vorſtellun-
gen die er bekämpfte waren allzutief gewurzelt. Dem
Manne, der den Götzendienſt zu zerſtören ſuchte, erweiſen
[227]Urſprung der religioͤſen Oppoſition.
Die, welche ſich ſeine Schüler nennen, die Seiks, ſelber
abgöttiſche Verehrung.


Auch in dem anderen Zweige der indiſchen Religionen,
dem Buddhismus, trat während des funfzehnten Jahrhun-
derts eine neue großartige Entwickelung ein. Der erſte re-
generirte Lama erſchien in dem Kloſter Brepung und fand
allmählig in Tibet Anerkennung; der zweiten Incarnation
deſſelben (von 1462 bis 1542) gelang das auch in den
entfernteſten buddhiſtiſchen Ländern; 1 Hunderte von Mil-
lionen verehren ſeitdem in dem Dalailama zu L’Haſſa den
lebendigen Buddha der jedesmaligen Gegenwart, die Ein-
heit der göttlichen Dreiheit, und ſtrömen herbei, ſeinen Se-
gen zu empfangen. Man kann nicht leugnen, daß dieſe
Religion einen günſtigen Einfluß auf die Sitten roher Na-
tionen ausgeübt hat; allein welch eine Feſſel iſt hinwie-
derum eine ſo abenteuerliche Vergötterung des Menſchen-
geiſtes! Man beſitzt dort die Mittel einer populären Lite-
ratur: weit verbreitete Kenntniß der Elemente, die Buch-
druckerkunſt; nur die Literatur ſelbſt, das ſelbſtändige Le-
ben des Geiſtes, das ſich in ihr ausſpricht, kann nie er-
ſcheinen. 2 Auch die Gegenſätze, welche allerdings eintre-
15*
[228]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
ten, hauptſächlich zwiſchen den verheiratheten und den un-
verheiratheten Prieſtern, der gelben und der rothen Pro-
feſſion, die ſich an verſchiedne Oberhäupter halten, können
ſie nicht hervorbringen. Die entgegengeſetzten Lamas wall-
fahrten einer zum andern: erkennen ſich gegenſeitig an.


Wie Brama und Buddha, ſo ſtanden einander inner-
halb des Islam ſeit ſeinem Urſprung die drei alten Cha-
lifen und Ali entgegen; im Anfang des ſechszehnten Jahr-
hunderts erwachte der Streit der beiden Secten, der eine
Zeitlang geruht hatte, mit verdoppelter Stärke. Der Sul-
tan der Osmanen betrachtete ſich als den Nachfolger Ebu-
bekrs und jener erſten Chalifen, als das religiöſe Oberhaupt
aller Sunni in ſeinen eignen, ſo wie in fremden Gebieten,
von Marokko bis Bochara. Dagegen erhob ſich aus ei-
nem Geſchlechte myſtiſcher Scheiche zu Erdebil, das ſich
von Ali herleitete, ein glücklicher Feldherr, Ismail Sophi,
der das neuperſiſche Reich ſtiftete und den Shii aufs neue
eine mächtige Repräſentation, eine weltbedeutende Stellung
verſchaffte. Unglücklicherweiſe ließ ſich weder die eine noch
die andre Partei angelegen ſeyn, die Keime der Cultur zu
pflegen, welche ſeit den beſſeren Zeiten des alten Chalifats
auch dieſer Boden nährte: ſie entwickelten nur die Ten-
denzen despotiſcher Alleinherrſchaft, die der Islam ſo eigen
begünſtigt, und ſteigerten ihre natürliche politiſche Feind-
ſeligkeit durch die Motive des Fanatismus zu einer un-
glaublichen Wuth. Die türkiſchen Geſchichtſchreiber erzäh-
2
[229]Urſprung der religioͤſen Oppoſition.
len, die Feinde, welche in Ismails Hand gefallen, ſeyen
gebraten und verzehrt worden. 1 Der Osmane, Sultan
Selim dagegen eröffnete ſeinen Krieg gegen den Neben-
buhler damit, daß er alle Shii von ſieben bis zu ſiebenzig
Jahren in ſeinen geſammten Landen aufſpüren und auf
einen Tag umbringen ließ, wie Seadeddin ſagt „40000
Köpfe mit niederträchtigen Seelen.“ Man ſieht: dieſe Geg-
ner waren einander werth.


Und auch in dem Chriſtenthum herrſchte eine Spal-
tung zwiſchen der griechiſch-orientaliſchen und der lateini-
ſchen Kirche, die zwar nicht zu ſo wilden Ausbrüchen ge-
waltthätiger Roheit führte, aber doch auch nicht beigelegt
werden konnte. Selbſt die unwiderſtehlich heranfluthende,
das unmittelbare Verderben drohende türkiſche Macht konnte
die Griechen nicht bewegen, die Bedingung, unter der ihnen
der Beiſtand des Abendlandes angeboten ward — Beitritt zu
den unterſcheidenden Formeln des Bekenntniſſes — anders
als für den Augenblick und oſtenſibel einzugehen. Die Ver-
einigung, welche 1439 ſo mühſam zu Florenz zu Stande
gebracht wurde, fand wenig Theilnahme bei den Einen,
bei den Andern den lebhafteſten Widerſpruch; die Patriar-
chen von Alexandrien, Antiochien und Jeruſalem eiferten
laut gegen die Abweichung von der canoniſchen und ſyno-
dalen Tradition die darin liege; ſie bedrohten den griechi-
ſchen Kaiſer wegen ſeiner Nachgiebigkeit gegen die lateiniſche
Heterodoxie ihrerſeits mit einem Schisma. 2


[230]Zweites Buch. Erſtes Capitel.

Fragen wir welche von dieſen Religionen politiſch die
ſtärkſte war, ſo beſaß ohne Zweifel der Islam dieſen Vor-
theil. Durch die Eroberungen der Osmanen breitete er
ſich im funfzehnten Jahrhundert in Gegenden aus, die er
noch nie berührt, tief nach Europa, und zwar in ſolchen
Formen des Staates, welche eine unaufhörlich fortſchrei-
tende Bekehrung einleiten mußten. Er eroberte die Herr-
ſchaft auf dem Mittelmeer wieder, die er ſeit dem elften
Jahrhundert verloren hatte. Und wie hier im Weſten, ſo
breitete er ſich bald darauf auch im Oſten in Indien aufs
neue aus. Sultan Baber begnügte ſich nicht die islami-
tiſchen Fürſten zu ſtürzen, welche dieſes Land bisher be-
herrſcht. Da er fand, wie er ſich ausdrückt, „daß die
Baniere der Heiden in zweihundert Städten der Gläubigen
wehten, Moſcheen zerſtört, Weiber und Kinder der Mos-
limen zu Sklaven gemacht wurden,“ ſo zog er in den hei-
ligen Krieg wider die Hindus aus, wie die Osmanen wi-
der die Chriſten; wir finden wohl, daß er vor einer
Schlacht ſich entſchließt dem Wein zu entſagen, Auflagen
abſchafft die dem Koran nicht gemäß ſind, ſeine Truppen
durch einen Schwur auf dieß ihr heiliges Buch ihren
Muth entflammen läßt; in dieſem Styl des religiöſen En-
thuſiasmus ſind dann auch ſeine Siegesberichte: er ver-
diente ſich den Titel Gazi. 1 Die Entſtehung einer ſo ge-
waltigen, von dieſem Ideenkreiſe erfüllten Macht konnte
nicht anders, als die Verbreitung des Islam über den
ganzen Oſten hin gewaltig befördern.


[231]Urſprung der religioͤſen Oppoſition.

Fragen wir dagegen welchem von dieſen verſchiednen
Syſtemen die meiſte innre Kraft beiwohnte, die meiſte Be-
deutung für die Zukunft des Menſchengeſchlechts, ſo läßt
ſich eben ſo wenig leugnen, auch noch abgeſehen von aller
religiöſen Überzeugung, daß das die lateiniſche Chriſtenheit
war, die romaniſch-germaniſche Welt des Abendlandes.


Die wichtigſte Eigenthümlichkeit derſelben lag darin,
daß hier eine Reihe von Jahrhunderten hindurch ein nicht
unterbrochner, langſamer aber ſicherer Fortſchritt der Cul-
tur Statt gefunden hatte. Während der Orient von gro-
ßen Völkerſtürmen wie der mongoliſche von Grundaus um-
gewälzt worden, hatte es hier zwar wohl immer Kriege
gegeben, in denen die Kräfte ſich regten und übten, aber
weder waren fremde Volksſtämme erobernd eingedrungen
noch waren innere Erſchütterungen vorgekommen, welche
den Grund des in ſeiner Bildung begriffenen Daſeyns ge-
fährdet hätten. Daher hatten ſich hier alle lebensfähigen
Elemente der menſchlichen Cultur vereinigt, durchdrungen;
die Dinge hatten ſich naturgemäß, Schritt für Schritt ent-
wickeln können; aus den unaufhörlich genährten innern
Trieben hatten Wiſſenſchaften und Künſte immer wieder
neuen Schwung und Antrieb empfangen und waren im fröh-
lichſten Gedeihen; die Freiheit des bürgerlichen Lebens war
auf feſter Grundlage begründet; wetteifernd erhoben ſich
conſolidirte Staatenbildungen einander gegenüber, deren
Bedürfniß ſie dahin führte, auch die materiellen Kräfte
zuſammenzunehmen und zu fördern; die Ordnungen, welche
die ewige Vorſicht den menſchlichen Dingen eingepflanzt,
hatten Raum ſich zu vollziehen; das Verkommene ver-
fiel, die Keime des friſchen Lebens wuchſen in jedem Mo-
[232]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
ment empor; hier waren die geiſtreichſten, tapferſten, gebildet-
ſten Völker, noch immer jugendlich, mit einander vereinigt.


Und ſo eben fieng auch dieſe Welt wieder an, ſich
ihrerſeits auszubreiten. Schon vor vier Jahrhunderten
hatte ſie aus religiöſen Beweggründen Eroberungsverſuche
auf den Orient gemacht, die aber nach anfänglichem Ge-
lingen geſcheitert waren; nur wenige Trümmer aus jenen
Erwerbungen waren ihr übrig. Am Ende des funfzehnten
Jahrhunderts dagegen eröffnete ſich ihr ein neuer Schau-
platz für eine unermeßliche Thätigkeit. Es war die Zeit
der Entdeckungen beider Indien. Alle Elemente der euro-
päiſchen Cultur, Studium der halbverwiſchten Erinnerun-
gen aus dem Alterthum, techniſche Fortſchritte, commerciel-
ler und politiſcher Unternehmungsgeiſt, religiöſer Schwung,
wirkten zuſammen, um dahin zu führen und ſie zu benutzen.


Nothwendig aber veränderten ſich damit alle Verhält-
niſſe der Völker; die weſtlichen Nationen bekamen eine neue
überlegene Stellung oder wurden wenigſtens fähig ſie zu
ergreifen.


Vor allem wandelte ſich auch das Verhältniß der
Religionen um. Das Chriſtenthum, und zwar in den For-
men welche es in der lateiniſchen Kirche angenommen, be-
kam einen unerwarteten, neuen Einfluß in die entfernteſten
Gegenden. Es war für die Geſchicke des Menſchenge-
ſchlechtes von einer verdoppelten Wichtigkeit, in welcher Ent-
wickelung die lateiniſche Kirche begriffen war, welche ſie
weiter nehmen würde. Machte doch der römiſche Papſt
auf der Stelle den Anſpruch, dem auch Niemand wider-
ſprach, die Länder die gefunden worden und noch gefun-
[233]Urſprung der religioͤſen Oppoſition.
den werden könnten unter die beiden entdeckenden Staaten
zu vertheilen.


Religiöſe Stellung des Papſtthums.


Es verdiente eine ausführlichere Auseinanderſetzung, zu
welchen Zeiten, unter welchen Umſtänden die unterſcheiden-
den Lehren und Gebräuche der römiſchen Kirche feſtgeſetzt,
herrſchend geworden ſind.


Hier ſey es genug, in Erinnerung zu bringen, daß
dieß doch verhältnißmäßig ſehr ſpät, und zwar eben in
den Jahrhunderten der großen hierarchiſchen Kämpfe ge-
ſchehen iſt.


Jedermann weiß, daß die Feſtſetzung der ſieben Sa-
cramente, deren Umkreis alle bedeutenderen Momente des
menſchlichen Lebens in Beziehung zu der Kirche bringt, ſich
aus dem zwölften Jahrhundert, von Petrus Lombardus
herſchreibt. 1


Fragen wir nach dem wichtigſten derſelben, dem Sa-
crament des Altars, ſo waren die Vorſtellungen darüber
zu Petrus Lombardus Zeiten kirchlich noch keineswegs ſehr
genau beſtimmt. Eine jener Synoden zwar, die unter
Gregor VII ſo viel zur Gründung der Hierarchie beige-
tragen haben, hatte durch die Verdammung Berengars der
Brodverwandlungslehre ein merkliches Übergewicht ver-
[234]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
ſchafft: aber noch Petrus Lombardus wagte ſich nicht da-
für zu entſcheiden; erſt zu ſeinen Zeiten kam das bezeich-
nende Wort Transſubſtantiation in Umlauf; es dauerte
noch bis in den Anfang des dreizehnten Jahrhunderts, ehe
Begriff und Wort die kirchliche Beſtätigung empfiengen;
bekanntlich iſt dieß erſt durch das lateranenſiſche Glaubens-
bekenntniß im J. 1215 geſchehen; erſt ſeitdem verſchwanden
die bis dahin noch immer und zwar auch von Seiten einer
tiefern religiöſen Anſchauung erhobenen Einwendungen.


Es liegt aber am Tage von welch unendlicher Wich-
tigkeit dieſe Doctrin für den Kirchendienſt geworden iſt,
der ſich um das Myſterium in dieſer Auffaſſung gleichſam
cryſtalliſirt hat. Die Ideen der myſtiſch-ſinnlichen Gegen-
wart Chriſti in der Kirche bekamen dadurch eine lebendige
Repräſentation: die Anbetung des Hochwürdigen führte
ſich ein; die Feſte kamen auf, in denen dieß größte aller
Wunder, das ſich unaufhörlich wiederholt, gefeiert ward;
es ſteht damit in nahem Zuſammenhang, daß der Dienſt
der Maria, der leiblichen Mutter Chriſti in dem ſpätern
Mittelalter ein ſo großes Übergewicht erlangte.


Auch die Prärogative des Prieſterſtandes hat darauf
die weſentlichſte Beziehung. Die Lehre von dem Charakter
ward ausgebildet, d. i. von der dem Prieſter durch die
Weihe mitgetheilten Kraft, „den Leib Chriſti,“ wie man
zu ſagen ſich nicht ſcheute, „zu machen, in der Perſon
Chriſti wirkſam zu ſeyn.“ Sie iſt ein Product des drei-
zehnten Jahrhunderts: hauptſächlich von Alex. von Hales
und Thomas von Aquino ſtammt ſie her. 1 Der Sonde-
[235]Religioͤſe Stellung des Papſtthums.
rung der Prieſter von den Laien, die freilich noch andre
tiefere Wurzeln hatte, gab ſie erſt ihre volle Bedeutung.
In dem Prieſter fieng man an, den Vermittler zwiſchen
Gott und Menſch zu erblicken. 1


Die Inſtitute dieſer Sonderung ſelbſt ſind denn auch,
wie man weiß, Erzeugniſſe der nemlichen Epoche. In
dem dreizehnten Jahrhundert ward allem Widerſpruch zum
Trotz der Cölibat der Prieſter zum unverbrüchlichen Geſetz.
Da fieng man auch an den Laien den Kelch zu entziehen.
Man leugnete nicht, daß der Genuß beider Geſtalten das
Vollkommnere ſey; aber das Würdigere wollte man den
Würdigern vorbehalten: Denen, auf deren Thätigkeit es
ja auch allein ankam. „Nicht im Genuß der Gläubi-
gen,“ ſagt St. Thomas, „liegt die Vollendung der Sa-
cramente, ſondern allein in der Conſecration.“ 2


In der That: bei weitem weniger zur Unterweiſung,
zur Predigt des Evangeliums ſchien die Kirche beſtimmt
zu ſeyn, als dazu, das Myſterium hervorzubringen; das
Prieſterthum iſt durch die Sacramente im Beſitze dieſer Fä-
higkeit: durch die Prieſter wird das Heilige der Menge
zu Theil.


Wenn das Prieſterthum ſich auf der Einen Seite
1
[236]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
von den Laien ſcheidet, ſo bekommt es doch hiedurch auf
der andern wieder unermeßlichen Einfluß auf dieſelben.


Es gehört mit zu jener Theorie vom Charakter, daß
der Prieſter ausſchließend die Gewalt hat die Hinderniſſe
hinwegzuräumen, welche ſich der Theilnahme an der ge-
heimnißvollen Gnade entgegenſetzen; hiebei könnte kein Hei-
liger an ſeine Stelle treten. 1 Allein die Abſolution die
er ertheilen darf, iſt an gewiſſe Bedingungen geknüpft.
Vor allem iſt es im Anfang des dreizehnten Jahrhun-
derts jedem Gläubigen zur Pflicht gemacht worden, jähr-
lich wenigſtens einmal einem beſtimmten Prieſter alle ſeine
Sünden zu beichten.


Es bedarf keiner Ausführung, welche tiefgreifende Ein-
wirkung die Ohrenbeichte, die ſpecielle Aufſicht über die
Gewiſſen, der Geiſtlichkeit verleihen mußte: ein ſehr aus-
gebildetes Pönitentiarſyſtem knüpfte ſich daran.


Vor allem aber eine beinahe gottgleiche Stellung
ward dadurch dem Oberprieſter, dem Papſt zu Rom zu
Theil, von dem man vorausſetzte, er nehme in dem my-
ſtiſchen Körper der Kirche, der den Himmel wie die Erde,
Todte und Lebendige umfaſſe, Chriſti Stelle ein. Erſt
in dem dreizehnten Jahrhundert bildete ſich dieſe Vorſtel-
lung vollſtändig aus. Erſt da ward die Lehre von dem
Schatze der Kirche vorgetragen, auf welcher der Ablaß be-
ruht. Innocenz III trug kein Bedenken zu erklären: was
er thue, das thue Gott durch ihn. Gloſſatoren fügten
[237]Religioͤſe Stellung des Papſtthums.
hinzu: der Papſt habe die Willkühr Gottes, ſein Ausſpruch
ſey ſtatt aller Gründe; mit verwegener, ſich ſelbſt überbie-
tender Dialectik werfen ſie die Frage auf, ob man vom
Papſt an Gott appelliren dürfe, und beantworten ſie ver-
neinend, denn Gott habe mit dem Papſt denſelben Ge-
richtshof und man könne von Niemand an ihn ſelber ap-
pelliren. 1


Es iſt unleugbar, daß das Papſtthum den Sieg über
das Kaiſerthum bereits erfochten, von keinem Oberherrn
ja keinem Nebenbuhler etwas zu befürchten haben mußte,
ehe man Meinungen Lehren dieſer Art ausbilden konnte.
In dem Zeitalter der Kämpfe und Siege, mit der Thatſache
der Macht entwickelten ſich auch die Doctrinen der Hierar-
chie. Nie waren Theorie und Praxis enger verbunden.


Und man dürfte nicht glauben, daß in dieſem Fort-
gang der Dinge in dem funfzehnten Jahrhundert eine Un-
terbrechung ein Stillſtand eingetreten wäre. Erſt durch
die Synode von Coſtnitz ward es für Ketzerei erklärt die
Rechtmäßigkeit der Kelchentziehung zu leugnen; erſt von
Eugenius IV findet ſich eine förmliche Anerkennung der
Lehre von den ſieben Sacramenten; die ſonderbare Schul-
meinung von der unbefleckten Empfängniß Mariä ward erſt
in dieſer Zeit von den Concilien gebilligt, von den Päpſten
begünſtigt, von den Univerſitäten anerkannt. 2


Es könnte ſcheinen, als würde die weltliche Tendenz
der damaligen Päpſte, die vor allem das Leben zu genie-
[238]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
ßen, ihre Angehörigen zu befördern, ihr Fürſtenthum zu
erweitern ſuchten, den geiſtlichen Prätenſionen Eintrag ge-
than haben. Aber im Gegentheil: ſie treten ſo ſchroff her-
vor wie jemals. Das Anſehn welches ſich die Concilien
erworben, bewirkte nur, daß die Päpſte es für verdam-
mungswürdig erklärten, wenn Jemand an ein Concilium
appellire. 1 Wie beeifern ſich die curialiſtiſchen Schriftſtel-
ler die Infallibilität des Papſtes nachzuweiſen! Johann
von Torquemada wird nicht müde, Analogien der Schrift,
Sätze der Kirchenväter, Stellen aus den falſchen Decre-
talen zu dieſem Zwecke zuſammenzuhäufen; er geht ſo weit
zu behaupten: gäbe es nicht ein Oberhaupt das alle Streit-
fragen entſcheiden, alle Zweifel heben könne, ſo könnte man
an der h. Schrift ſelber zweifeln, die ihre Autorität nur
von der Kirche habe, die ſich wieder ohne den Papſt nicht
denken laſſe. 2 Im Anfang des ſechszehnten Jahrhunderts
trug der wohlbekannte Dominicaner Thomas von Gaeta
kein Bedenken, die Kirche für eine geborne Sklavin zu er-
klären, die gegen einen ſchlechten Papſt nichts weiter thun
könne als beharrlich gegen ihn beten. 3


[239]Religioͤſe Stellung des Papſtthums.

Auch ward kein Mittel der Gewalt aufgegeben. Die
Dominicaner, welche die ſtrengſten Lehren an den Univer-
ſitäten vortrugen und von den Predigtſtühlen allem Volke
verkündigten, hatten zugleich das Recht ſie mit Feuer und
Schwert zu vertheidigen. Auch nach Johann Huß und
Hieronymus von Prag war der Rechtgläubigkeit noch man-
ches Opfer gefallen. Es bildet einen ſchneidenden Con-
traſt, daß ſo weltlich geſinnte Päpſte wie Alexander VI
und Leo X die Befugniſſe der Inquiſition ſcharf und drin-
gend erneuerten. 1 Unter der Autoriſation gleichgeſinnter
Vorgänger war dieß Inſtitut vor Kurzem in Spanien zu
der furchtbarſten Geſtalt ausgebildet worden, die es je ge-
habt hat. Das Beiſpiel von Deutſchland zeigt uns, daß
ſich auch anderwärts ähnliche Tendenzen regten. Jene
ſeltſame Verrückung der Phantaſie, die einen perſönlichen
Umgang mit dem Satan vorſpiegelte, mußte dazu dienen,
um blutige Executionen vorzunehmen: der Hexenhammer
war das Werk zwei deutſcher Dominicaner. Die ſpaniſche
Inquiſition war von einer Verfolgung der Juden ausge-
gangen; auch in Deutſchland wurden die Juden im An-
fang des 16ten Jahrh. allenthalben verfolgt, und die Cöll-
ner Dominicaner ſchlugen dem Kaiſer vor, ein Inquiſi-
tionsgericht gegen ſie zu errichten. Sie wußten ihm da-
für ſogar eine rechtliche Befugniß ausfindig zu machen.
Sie meinten man müſſe unterſuchen, in wie weit ſie von
dem alten Teſtament abgewichen ſeyen: dazu habe der Kai-
ſer alles Recht, denn die Gewalt römiſch-kaiſerlicher Ma-
jeſtät habe jene Nation einſt vor Pilatus ſtehend förmlich
[240]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
anerkannt. 1 Gewiß, wäre es ihnen gelungen, ſie würden
nicht bei den Juden ſtehn geblieben ſeyn!


Und indeſſen bewegten ſich die geiſtigen Beſtrebungen
überhaupt noch in den von der Kirche angewieſenen Bah-
nen; Deutſchland iſt ein rechtes Beiſpiel, wie die höhere
Thätigkeit eines occidentaliſchen Volksgeiſtes ihre Richtung
ſo überwiegend von den kirchlichen Prinzipien empfieng.


Die großen Werkſtätten der Literatur, die deutſchen
Univerſitäten waren mehr oder minder alle Colonien, lands-
mannſchaftliche Abzweigungen der Pariſer; entweder unmit-
telbar wie die ältern, oder mittelbar wie die ſpätern von
ihr ausgegangen. Ihre Statuten beginnen zuweilen mit
einem Lobſpruch der Alma Mater von Paris. 2 Von da
war nun auch das ganze Syſtem der Scholaſtik, die Strei-
tigkeiten zwiſchen Nominalismus und Realismus, das
Übergewicht der theologiſchen Facultät, „des glänzenden
Geſtirnes, von dem dort alles Licht und Leben empfange,“
auf ſie übertragen worden. In der Theologie hatte dann
wieder der Profeſſor der Sentenzen den Vorzug, der Bac-
ca-
[241]Religioͤſe Stellung des Papſtthums.
calaureus der die Bibel las mußte ſich von ihm die Stunde
ſeiner Vorleſung beſtimmen laſſen. Hie und da durfte nur
ein Cleriker, der wenigſtens die untern Weihen empfangen,
zum Rector gewählt werden. Von den erſten Elementen
ward man in einem und demſelben Geiſte bis zur höch-
ſten Würde geführt. In die Anfangsgründe der Gram-
matik drangen dialectiſche Unterſcheidungen ein; 1 man legte
fortwährend Lehrbücher des elften und zwölften Jahrhun-
derts zu Grund; 2 man hielt auch hier ganz die Straße
ein, die zur Zeit der Gründung der hierarchiſchen Macht
betreten worden.


Und nicht anders war es im Ganzen mit der Kunſt:
ſie ſetzte vor allem ihre bisherigen Beſtrebungen weiter
fort. Überall baute man an den Münſtern und Domen,
in welchen ſich die kirchlichen Vorſtellungen ſo eigenthüm-
lich ſymboliſirten. Im Jahr 1482 wurden die Thürme
zu St. Sebald in Nürnberg zu ihrer jetzigen Höhe ge-
bracht; 1494 erhielt der Strasburger Münſter noch eine
neue kunſtreiche Pforte; im Juli 1500 legte der römiſche
König den Grundſtein zu dem Chor des Reichsgotteshau-
ſes St. Ulrich in Augſpurg, mit ſilberner Kelle, Richt-
ſcheid und Mörtelkübel: aus dem Gebirge ließ er einen
herrlichen Stein herunterſchaffen, um daraus ein Denkmal
„für den lieben Herrn St. Ulrich, ſeinen Verwandten aus
dem Kyburgſchen Hauſe“ zu errichten; darauf ſollte ein
Ranke d. Geſch. I. 16
[242]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
römiſcher König zu ſtehen kommen, das Schwert in der
Hand. 1 Erſt 1513 ward in Freiburg, 1517 in Bern
der Chor des Münſters vollendet; die Halle an der nörd-
lichen Kreuzvorlage zu St. Lorenz in Nürnberg iſt von
1520. Die Brüderſchaften der Steinmetze, die Geheim-
niſſe der deutſchen Bauhütte breiteten ſich in immer wei-
tern Kreiſen aus. An den Werken entwickelte ſich erſt in
den ſpätern Zeiten der Überfluß an Laubverzierungen, der
vegetabiliſche Charakter, der ſie ſo merkwürdig auszeichnet.
Das Innere der Kirchen füllte ſich meiſt damals mit den
zahlloſen Bildwerken an, welche künſtlich in Holz geſchnitzt,
oder in koſtbarem Metall, oder gemahlt in goldnen Rah-
men die Altäre bedeckten, die Hallen ſchmückten, an den
Portalen prangten. Die Künſte ſind nicht dazu beſtimmt,
Ideen hervorzubringen; ſie haben ihnen eine Geſtalt zu
verleihen; alle bildneriſchen Kräfte der Nation widmeten
ſich noch den hergebrachten kirchlichen Vorſtellungen. Die
wunderbaren, heiter-nativen, zierlichen Mutter-Gottes-Bil-
der, durch die ſich in jener Zeit Baldung, Schaffner und
beſonders Martin Schön einen Namen gemacht, ſind nicht
blos Gebilde künſtleriſcher Phantaſie, ſie hängen mit dem
Dienſt der Maria zuſammen, der damals mehr als je über-
hand nahm. Ich möchte ſagen, man kann ſie nicht ver-
ſtehen, ohne den Roſenkranz, der die verſchiednen Freuden
der Maria in Erinnerung zu bringen beſtimmt iſt, bei dem
engliſchen Gruß, bei ihrer Reiſe über das Gebirg, bei
[243]Religioͤſe Stellung des Papſtthums.
ihrer Niederkunft ohne alles Wehe, bei dem Wiederfinden
Jeſu im Tempel, bei ihrer Himmelfahrt, wie die Gebet-
bücher jener Zeit das weiter ausführen.


Sonderbare Denkmale einer naiven und wundergläu-
bigen Hingebung ſind überhaupt dieſe Gebetbücher. Da
giebt es Gebete an welche ein Ablaß von 146 Tagen, von
7, ja von 80000 Jahren geknüpft iſt; einen beſonders
kräftigen Morgenſegen hat ein Papſt einem König von
Cypern zugeſchickt; wer das Gebet des ehrwürdigen Beda
wiederholt, zu deſſen Hülfe wird die Jungfrau Maria 30
Tag vor ſeinem Tode bereit ſeyn, und ihn nicht unbuß-
fertig von hinnen ſcheiden laſſen. In den ausſchweifend-
ſten Ausdrücken wird die Jungfrau geprieſen: „als die
ewige Tochter des ewigen Vaters, das Herz der untheil-
baren Dreifaltigkeit,“ es heißt wohl: „Glorie ſey der Jung-
frau dem Vater und dem Sohne.“ 1 So werden auch
die Heiligen angerufen als verdienſtliche göttliche Diener
die mit ihrem Verdienen das Heil erworben: die dann
ihren Gläubigen beſondern Schutz angedeihen laſſen, wie
St. Sebaldus „der hochwürdige und heilige Hauptherr
Nothhelfer und Beſchirmer der kaiſerlichen Stadt Nürnberg.“


Eifrig ſammelte man Reliquien: Churfürſt Friedrich
von Sachſen brachte deren in ſeiner Stiftskirche zu Wit-
tenberg 5005 Partikeln zuſammen, alle verwahrt in gan-
zen ſtehenden Figuren oder in zierlichen Behältniſſen, die
alle Jahr am Montag nach Miſericordia in acht Gängen
16*
[244]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
dem gläubigen Volke gezeigt wurden. 1 In Gegenwart
der zum Reichstag verſammelten Fürſten ward im J. 1512
der Frohnaltar des Domes zu Trier eröffnet und nach den
alten Sagen „unſers lieben Herrn Jeſu Chriſti ohnzer-
trennter Leibrock“ darin gefunden; mitten in den Reichs-
tagsacten finden ſich die Flugſchriften, in denen das Wun-
der durch Holzſchnitte veranſchaulicht und aller Welt ver-
kündigt wird. 2 Wunderthätige Marienbilder erſchienen,
z. B. in Eichſel in der Coſtnitzer Diöces; in der Iphofer
Markung am Wege eine ſitzende Maria, mit deren Mira-
keln die Birklinger Mönche, die auch ein ähnliches Bild
beſaßen, ſchlecht zufrieden waren; in Regensburg die ſchöne
Maria, für die ſich bald auf den Trümmern einer zerſtör-
ten Synagoge ausgetriebener Juden eine prächtige Kirche
durch die Gaben der Gläubigen erhob. An dem Grabe
des Biſchof Benno von Meißen geſchahen ohne Unterlaß
Wunder: Raſende kamen zu Verſtand, Bucklige wurden
gerade, Peſtbefallene geſund, ja eine Feuersbrunſt zu Mer-
ſeburg erloſch, als der Biſchof Boſe den Namen Bennos
ausrief: wer dagegen an ſeiner Gewalt und Heiligkeit
zweifelte ward von Unfällen heimgeſucht. 3 Als Trithe-
mius dieſen Wunderthäter dem Papſt zur Canoniſation
empfahl, verſäumte er nicht zu bemerken, daß derſelbe einſt
im Leben die Partei der Kirche ſtrenge gehalten und dem
[245]Religioͤſe Stellung des Papſtthums.
Tyrannen Heinrich IV Widerſtand geleiſtet habe. 1 So
genau hängen alle dieſe Ideen zuſammen. Eine Brüder-
ſchaft, in der man ſich zu häufigem Beten des Roſen-
kranzes das iſt doch im Grunde zu jener harmloſen Erin-
nerung an die Freuden Mariä vereinigte, ward von Jacob
Sprenger geſtiftet, dem gewaltſamen Erneuerer der Inqui-
ſition in Deutſchland, dem Verfaſſer des Hexenhammers.


Denn es war alles ein einziges Gebilde, aus den
Keimen, welche die frühern Jahrhunderte gepflanzt, eigen-
thümlich emporgewachſen, wo ſich geiſtliche und weltliche
Macht, Phantaſie und dürre Scholaſtik, zarte Hingebung
und rohe Gewalt, Religion und Aberglaube verſchlangen,
umfaßten, und durch ein geheimes Etwas, das Allen ge-
meinſam war, zuſammengehalten wurden; — mit dem An-
ſpruch der Allgemeingültigkeit für alle Geſchlechter und Zei-
ten, für dieſe und jene Welt und doch zu dem markirteſten
Particularismus ausgebildet, unter alle den Angriffen die
man erfahren und Siegen die man erfochten, unter die-
ſen unaufhörlichen Streitigkeiten, deren Entſcheidungen dann
immer wieder Geſetze geworden waren.


Ich weiß nicht, ob ein vernünftiger, durch keine Phan-
tasmagorie verführter Mann ernſthaft wünſchen kann, daß
dieß Weſen ſich ſo unerſchüttert und unverändert in un-
ſerm Europa verewigt hätte: ob Jemand ſich überredet,
daß der ächte, die volle und unverhüllte Wahrheit ins
Auge faſſende Geiſt dabei emporkommen, die männliche,
der Gründe ihres Glaubens ſich bewußte Religion dabei
hätte gedeihen können. Und könnte Jemand das Heil der
[246]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
Welt vollends darin ſehen, daß dieſe ſo höchſt eigenthümliche,
aus den beſonderſten Zuſtänden des Weſtens hervorgegangene
Entwickelung ſich in den entfernten Weltgegenden hätte Bahn
brechen mögen? Man wußte ſehr wohl, daß ein Hauptgrund
der Abneigung der Griechen gegen eine Religionsvereini-
gung in der Menge von Satzungen lag, welche bei den
Lateinern eingeführt worden, in der drückenden Alleinherr-
ſchaft die der römiſche Stuhl ſich angemaßt hatte. 1 Ja,
war nicht in der lateiniſchen Kirche ſelbſt das Evangelium
tief verborgen? In jenen Zeiten, in denen das ſcholaſtiſche
Dogma ſich feſtgeſetzt, war auch die Bibel den Laien, in
der Mutterſprache ſelbſt den Prieſtern verboten worden.
Ohne ernſtliche Rückſicht auf den Urſprung, von dem man
ausgegangen — kein Menſch kann es leugnen — bilde-
ten ſich Lehrmeinungen und Dienſte nach dem einmal in
ihnen zur Herrſchaft gelangten Prinzip weiter. Man darf
die Tendenzen jener Zeit nicht ſo völlig den Lehren und
Gebräuchen gleich ſtellen, welche darnach in dem tri-
dentiniſchen Concil feſtgeſetzt worden ſind; da hatte auch
die katholiſch gebliebene Seite die Einwirkungen der Re-
formationsepoche erfahren: und man fieng an ſich ſelber
zu reformiren; da war ſchon ein Einhalt geſchehen. 2 Ein
[247]Religioͤſe Stellung des Papſtthums.
ſolcher aber war durchaus nothwendig. Es war nothwen-
dig, den unter der tauſendfältigen Verhüllung zufälliger For-
men verborgenen Kern der Religion wieder einmal rein zu
Tage zu ſchaffen. Sollte das Evangelium aller Welt ver-
kündigt werden, ſo mußte es erſt wieder in ſeiner unge-
trübten Lauterkeit erſcheinen.


Es iſt eine der größten Combinationen der Weltge-
ſchichte, daß in dem Augenblick, in welchem ſich dem Sy-
ſtem der romaniſch-germaniſchen Völker, welche ſich zur
lateiniſchen Kirche bekannten, die Ausſicht eröffnete, ſich
eine vorwaltende Einwirkung auf die andern Erdtheile zu
verſchaffen, ſich zugleich eine religiöſe Entwickelung erhob, die
dahin zielte die Reinheit der Offenbarung wiederherzuſtellen.


Die deutſche Nation, die an der Eroberung fremder
Welttheile wenig oder keinen Antheil hatte, nahm dieſe große
Aufgabe ſich vor. Es kamen verſchiedne Momente zuſammen,
um ihr die Richtung dahin zu geben, eine entſcheidende Op-
poſition gegen den römiſchen Stuhl in ihr hervorzurufen.


Oppoſition von weltlicher Seite.


Vor allem mußte das Beſtreben, der Nation eine
geordnete, in ſich geſchloſſene Verfaſſung zu geben, welches
die letzten Jahrzehnde beſchäftigt hatte, dem Papſtthum in
den Weg treten, dem bisher ein ſo großer Einfluß auf die
Reichsregierung zugeſtanden worden war.


Der Papſt würde es gar bald gefühlt haben, wenn
es wirklich zu der nationalen Staatsgewalt gekommen wäre,
nach der man ſo eifrig ſtrebte.


[248]Zweites Buch. Erſtes Capitel.

Gleich mit den erſten Entwürfen zu einer ſolchen, im
J. 1487, war eine Mahnung an den Papſt verbunden,
einen Zehnten abzuſtellen, den er eigenmächtig in Deutſch-
land aufgelegt hatte und ſchon hie und da einziehen ließ. 1
Als man hierauf 1495 einen Reichsrath zu errichten dachte,
ſprach man auch ſogleich die Abſicht aus, den Präſiden-
ten zu beauftragen, die Beſchwerden der Nation wider
den römiſchen Stuhl in Betracht zu ziehn. 2 Kaum hatten
ſich die Stände 1498 einen Augenblick mit dem König
vereinigt, ſo beſchloſſen ſie, den Papſt aufzufordern die An-
naten, die er ſo reichlich erhebe, ihnen zu einem Türkenkriege
zu überlaſſen. So wie dann 1500 das Reichsregiment zu
Stande gekommen, ſo ließ man auch wirklich eine Ge-
ſandtſchaft an den Papſt abgehen, um ihm dieſe Bitte
ernſtlich vorzutragen und über mancherlei ungeſetzliche Ein-
griffe in die Beſetzung und Benutzung deutſcher Pfründen
Vorſtellungen zu machen. 3 Ein päpſtlicher Legat, der kurz
nachher anlangte, in der Abſicht das Jubeljahr predigen
zu laſſen, ward vor allem bedeutet, nichts zu thun ohne
Rath und Wiſſen der Reichsregierung: 4 man ſorgte dafür,
daß ſeine Indulgenz nicht etwa Übertretern des Landfriedens
zu Gute komme: er hatte denſelben vielmehr ausdrücklich
[249]Oppoſition von weltlicher Seite.
zu beſtätigen: man gab ihm Reichscommiſſarien bei, ohne
die er das eingegangene Geld gar nicht zu Handen bekam.


Und auf ähnlichen Bahnen finden wir dann und wann
auch Kaiſer Maximilian. Im Jahr 1510 ließ er die Be-
ſchwerden der deutſchen Nation ausführlicher als bisher
zuſammenſtellen; ja er erhob ſich zu dem Gedanken die
pragmatiſche Sanction welche ſich in Frankreich ſo nütz-
lich erwies, auch in Deutſchland einzuführen. 1 Im Jahre
1511 nahm er an der Berufung eines Conciliums nach
Piſa lebendigen Antheil; wir haben ein Edict von ihm
vom Januar dieſes Jahres, worin er erklärt, da der rö-
miſche Hof zögere, wolle er nicht zögern; als Kaiſer Vogt
und Beſchützer der Kirche berufe er das Concilium, deſſen
dieſelbe dringend bedürfe; in einem Schreiben vom Juni
ſagt er dann den Verſammelten ſeinen Schutz und ſeine
Gunſt zu, bis zum Schluß ihrer Sitzungen, „durch die
ſie ſich, wie er hoffe, Verdienſt bei Gott und Lob bei den
Menſchen verſchaffen würden.“ 2 Und in der That regte
ſich die alte Hofnung daß von dem Concilium eine Ver-
beſſerung der Kirche ausgehn könne, auch dießmal ſehr
lebhaft. Man verzeichnete wohl die Artikel, in denen man
zunächſt eine Reform erwartete. Z. B. ſollte die Anhäu-
fung von Pfründen namentlich in den Händen der Cardi-
näle verhindert werden: man forderte eine Satzung, kraft
deren ein mit öffentlichen Laſtern befleckter Papſt ohne Wei-
[250]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
ters abgeſetzt werden könne. 1 Allein weder hatte das Con-
cilium Autorität genug um Ideen dieſer Art ins Werk zu
ſetzen, noch war Maximilian der Mann dazu ſie zu ver-
folgen. Er war an und für ſich viel zu ſchwach: der-
ſelbe Wimpheling, der ihm die Beſchwerden zuſammenſtellte,
glaubte ihn auch aufmerkſam machen zu müſſen, wie man-
cher frühere Kaiſer durch einen erzürnten Papſt, im Bunde
mit deutſchen Fürſten abgeſetzt worden: wahrhaftig kein
Motiv zu entſchloſſenem Vorwärtsſchreiten. Und überdieß
gab jede neue Wendung der Politik auch ſeinen geiſtlichen
Abſichten eine andere Richtung. 2 Nachdem er ſich 1513
mit Papſt Julius II verſöhnt, forderte er Hülfe vom Reich,
um das Schisma abzuwenden das man fürchten müſſe.
Wäre es wirklich zu fürchten geweſen, ſo hätte doch er
ſelbſt durch die Begünſtigung des Piſaniſchen Conciliums
große Schuld daran gehabt.


Man ſieht: dieſe Oppoſition gelangte nicht zu eigent-
licher, wahrer Thätigkeit. Der Mangel einer ſelbſtändigen
Reichsgewalt lähmte jeden Verſuch, jede Bewegung gleich
im erſten Beginn. Nichts deſto minder war ſie in den
Gemüthern lebendig; unaufhörlich erhoben ſich laute Klagen.


Hemmerlin, deſſen Bücher in jenen Jahrzehnden ver-
breitet und eifrig geleſen waren, erſchöpft, möchte man ſa-
gen, das Lexicon, um den Betrug und die Räuberei zu
ſchildern, deren der römiſche Hof ſich ſchuldig mache. 3


[251]Oppoſition von weltlicher Seite.

Im Anfang des ſechszehnten Jahrhunderts klagte man
vor allem über die Verderblichkeit der Annaten. Es war
ſchon an ſich wahrſcheinlich die drückendſte Steuer die
in dem Reiche vorkam; zuweilen hat ein Prälat, um
ſie ſeinen Unterthanen zu erſparen, eine Herrſchaft ſeines
Stiftes zu verſetzen geſucht; Diether von Iſenburg iſt
hauptſächlich deshalb abgeſetzt worden, weil er die Ver-
pflichtungen nicht erfüllen konnte, die er wegen ſeines Pal-
liums eingegangen. Unerträglich aber ward der Zuſtand,
ſobald einmal häufigere Vacanzen eintraten. In Paſſau
z. B. geſchah das 1482, 1486, 1490, 1500; der zuletzt
erwählte Biſchof begab ſich nach Rom um eine Erleich-
terung für ſein Stift auszuwirken, aber er richtete dort
nichts aus und der lange Aufenthalt am Hofe vermehrte
nur ſeine Geldnoth. 1. Die Koſten eines Palliums für Mainz
betrugen 20000 G.: die Summe war auf die einzelnen
Theile des Stiftes umgelegt; der Rheingau z. B. hatte
allemal 1000 G. beizuſteuern; 2. im Anfang des ſechszehn-
3
[252]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
ten Jahrhunderts wiederholten ſich nun die Vacanzen drei
Mal raſch hinter einander; 1505, 1508, 1513; Jacob
von Liebenſtein ſagte, er bedaure ſeinen Tod hauptſächlich
deshalb, weil ſein Land nun ſchon wieder jene Gefälle zah-
len müſſe; aber beim päpſtlichen Hofe war alle Verwen-
dung vergeblich; ehe noch die alte Anlage eingegangen war,
wurde ſchon wieder eine neue ausgeſchrieben.


Welchen Eindruck mußte es hervorbringen, wenn man
daran dachte, wie die Reichstäge nach den mühſamſten
Unterhandlungen doch in der Regel nur geringfügige Be-
willigungen machten, wie viel Schwierigkeit es hatte dieſe
aufzubringen, und wenn man nun die Summen dagegen
hielt, die ſo leicht ſo ohne alle Bemühung nach Rom floſſen.
Man berechnete ſie jährlich auf 300000 G., und zwar noch
ohne die Proceßkoſten oder den Ertrag der Pfründen, der
dem römiſchen Hofe zufalle. 1 Und wozu, fragte man dann,
nütze das alles? Die Chriſtenheit habe doch in kurzer Zeit
zwei Kaiſerthümer, vierzehn Königreiche, dreihundert Städte
verloren; gegen die Türken ſey ſie in unaufhörlichem Ver-
luſte; behalte die deutſche Nation jene Summen zu ihren
Handen und verwende ſie ſelber, ſie würde mit ihren ge-
waltigen Kriegsheeren dem Erbfeind anders begegnen!


Überhaupt erregte dieß finanzielle Moment die größte
Aufmerkſamkeit. Den Barfüſſern wollte man nachrechnen,
daß ihnen, denen kein Geld anzurühren erlaubt ſey, doch
[253]Oppoſition von weltlicher Seite.
alle Jahr die Summe von 200000 G. einlaufe, den ge-
ſammten Bettelmönchen eine Million.


Dazu kamen die Competenzen der geiſtlichen und der
weltlichen Gerichtsbarkeit: die allmählig um ſo mehr her-
vortraten, je mehr die Territorien nach einer gewiſſen
Abgeſchloſſenheit trachteten, ſich zu Staaten zu geſtalten
ſtrebten. Da iſt beſonders Sachſen merkwürdig. In den
verſchiednen Beſitzungen beider Linien hatten nicht allein
die drei einheimiſchen Biſchöfe, ſondern auch die Erzbi-
ſchöfe von Mainz und von Prag, die Biſchöfe von Würz-
burg und Bamberg, Halberſtadt, Havelberg, Brandenburg
und Lebus geiſtliche Jurisdiction. Die Verwirrung, die
hiedurch an und für ſich entſtand, wuchs nun noch da-
durch ungemein, daß alle Streitſachen zwiſchen Geiſtlichen
und Weltlichen nur vor geiſtlichen Gerichten verhandelt
wurden, ſo daß Vornehme und Geringe unaufhörlich mit
dem geiſtlichen Bann geängſtigt wurden. Herzog Wilhelm
klagt im Jahr 1454, das Übel komme nicht von ſei-
nen Herrn und Freunden, den Biſchöfen, ſondern von den
Richtern, Offizialen und Procuratoren, von denen dabei
nur ihr eigner Vortheil geſucht werde. Er traf mit Gra-
fen Herrn und Ritterſchaft des Landes einige Anordnun-
gen dagegen; 1 man brachte Privilegien der Päpſte aus;
aber noch 1490 wiederholt ſich die alte Klage: die welt-
lichen Gerichte ſeyen durch die geiſtlichen höchlich beſchwert:
das Volk verarme darüber durch Verſäumniß und Koſten. 2
[254]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
Im Jahr 1518 drangen die Fürſten von beiden Linien,
Georg und Friedrich vereinigt darauf, daß man die geiſt-
lichen Gerichte auf die geiſtlichen Sachen beſchränken, den
weltlichen die weltlichen vorbehalten, der Reichstag entſchei-
den müſſe was weltliche und was geiſtliche Sachen ſeyen.
Herzog Georg war hierin faſt noch eifriger als ſein Vet-
ter. 1 Es waren das aber ganz allgemeine Bedürfniſſe und
Klagen, welche die Verhandlungen der ſpäteren Reichs-
tage erfüllen.


Die Städte fühlten ſich beſonders durch die Exemtio-
nen der Geiſtlichkeit beläſtigt. Was konnte einem wohl-
geordneten Gemeinweſen unangenehmer ſeyn, als eine zahl-
reiche Genoſſenſchaft in ihren Mauern zu haben, welche
weder die Gerichte der Stadt anerkannte noch ihre Auf-
lagen trug noch ihren Anordnungen überhaupt unterwor-
fen zu ſeyn glaubte. Da waren die Kirchen Aſyle für die
Verbrecher, die Klöſter Sammelplätze einer lüderlichen Ju-
gend; es kommen Geiſtliche vor, welche ihre Steuerfreiheit
dazu benutzen, Waaren zum Verkauf kommen zu laſſen,
und wäre es nur um einen Bierſchank anzulegen. Greift
man ſie dann in ihren Vorrechten an, ſo wehren ſie ſich
mit Bann und Interdict. Wir finden die Stadträthe un-
aufhörlich beſchäftigt dieſen Übeln zu ſteuern. In drin-
genden Fällen ſuchen ſie ihre Schuldigen auch in dem Aſyl
auf: und treffen dann Anſtalten um von dem unvermeid-
lichen Interdict durch die höhern Inſtanzen wieder befreit
zu werden: nicht ungern gehn ſie den Biſchof vorbei und
[255]Oppoſition von weltlicher Seite.
wenden ſich an den Papſt; ſie ſuchen Reformationen der
Klöſter durchzuſetzen. Es kam ihnen ſehr bedenklich vor, als
die Pfarrer an der Einſammlung des gemeinen Pfennigs An-
theil nehmen ſollten: höchſtens geſtatteten ſie ihnen Aſſiſtenz
ohne Theilnahme. 1 Wider die Abſicht des Kaiſers, einen
Biſchof zum Kammerrichter zu machen, ſetzen ſich immer
die Städte am eifrigſten.


Und da man nun einmal in ſo wichtigen Puncten
das geiſtliche Inſtitut mißbilligte, ſo kam man auch auf
die übrigen Mißbräuche deſſelben zu reden. Wie lebhaft eifert
Hemmerlin wider das unaufhörliche Anwachſen der geiſt-
lichen Güter, durch welches man Dörfer verſchwinden,
halbe Gauen veröden ſehe; die übermäßige Anzahl der
Feiertage, welche ſchon das Basler Concilium abſtellen wol-
len; den Cölibat, dem die Sitte der morgenländiſchen Kirche
bei weitem vorzuziehen ſey; gegen die unbeſonnene Erthei-
lung der Weihe: wie man z. B. in Conſtanz jedes Jahr
200 Prieſter weihe; wohin wolle das führen. 2


Es war ſo weit gekommen, daß die Verfaſſung des
geiſtlichen Standes die öffentliche Moral beleidigte. Eine
Menge Cerimonien und Rechte leitete man nur von der
Begierde Geld zu machen her; der Zuſtand der in wilder
Ehe lebenden Prieſter, die dann mit unächten Kindern be-
laden waren, und aller erkauften Abſolution zum Trotz ſich
nicht ſelten in ihrem Gewiſſen beſchwert fühlten, indem ſie
das Meßopfer vollzogen eine Todſünde zu begehen fürch-
[256]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
teten, erregte Mitleiden und Verachtung; die Meiſten
welche ſich zum Mönchsſtand bequemten hatten keine andre
Idee, als ſich gute Tage ohne Arbeit zu machen. Man
fand, die Geiſtlichkeit nehme von jedem Stand und Ge-
ſchlecht nur das Angenehme und fliehe das Peinliche. Von
den Rittern nehme der Prälat glänzende Umgebung, gro-
ßes Gefolge, prächtiges Reitzeug, den Falken auf der Fauſt;
mit den Frauen theile er den Schmuck der Gemächer und
die Gartenluſt: aber die Laſt der Harniſche, die Mühe
der Haushaltung wiſſe er zu vermeiden. Wer ſich einmal
gütlich thun will, ſagte ein Sprichwort, der ſchlachte ein
Huhn; wer ein Jahr lang, der nehme eine Frau; wer es
aber alle ſeine Lebtage gut haben will, der werde ein Prieſter.


Unzählige Ausſprüche in dieſem Sinne waren in Um-
lauf; die Flugſchriften jener Zeit ſind voll davon.


Tendenzen der populären Literatur.


Es hatte das aber um ſo mehr zu bedeuten, da der
Geiſt der Nation, der ſich in einer beginnenden populären
Literatur ausſprach, überhaupt eine Richtung nahm, welche
mit dieſer mißbilligenden Verwerfung in ihrem Urſprung,
ihrem innerlichen Grunde zuſammenhieng.


Jedermann wird uns zugeſtehn, daß wenn wir Ro-
ſenblüt und Sebaſtian Brant, den Eulenſpiegel und die
Bearbeitung des Reineke Fuchs vom Jahr 1498 nennen,
wir damit die hervorleuchtendſten Erſcheinungen bezeichnen,
welche die Literatur dieſer Zeit darbietet. Und fragen wir
dann, welchen gemeinſchaftlichen Charakter ſie haben, ſo iſt
es
[257]Tendenzen der populaͤren Literatur.
es der der Oppoſition. Die Faſtnachtsſpiele des Hans Ro-
ſenblüt haben recht eigentlich dieſe Beſtimmung; er läßt ein-
mal den türkiſchen Kaiſer auftreten, um allen Ständen der
Nation die Wahrheit zu ſagen. 1 Was das Glück des Eu-
lenſpiegel machte, war wohl nicht ſo ſehr ſeine tölpiſche
Grobheit und Spaßhaftigkeit, als die Ironie welche über
alle Stände ausgegoſſen wird: an dieſem Bauern, „der ſich
mit Schalksnägeln kraut,“ wird jeder Witz eines Andern zu
Schande. Nur von dieſer Seite faßte der deutſche Bear-
beiter die Fabel vom Fuchs auf; er ſieht darin eine Sym-
boliſirung der Mängel der menſchlichen Geſellſchaft, wie
er denn gar bald die verſchiednen Stände entdeckt hat,
und ſich bemüht die Lehren zu entwickeln, die der Poet
einem jeden ertheile. Auf den erſten Blick tritt dieſer In-
halt in Brant’s Narrenſchiff hervor. Es iſt nicht Spott
über einzelne Thorheiten: auf der einen Seite wird das La-
ſter, ja das Verbrechen; auf der andern auch ein höheres
über das Gemeine hinausgehendes Beſtreben, wenn man
z. B. all ſein Sinnen darauf richte Städte und Länder zu
erkunden, wenn man den Zirkel zur Hand nehme um zu
erforſchen wie breit die Erde, wie fern das Meer ſich ziehe,
unter dem Geſichtspunct der Thorheit betrachtet. 2 Glorie
und Schönheit werden verachtet, weil ſie vergänglich ſind:
„nichts iſt bleiblich als die Lehre.“


Bei dieſer allgemeinen Oppoſition gegen die obwal-
Ranke d. Geſch. I. 17
[258]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
tenden Zuſtände geſchieht nun auch überall der Mängel in
dem geiſtlichen Stande Erwähnung. Sehr lebendig eifert
ſchon der Schnepperer gegen die Pfaffen, „welche hohe
Roſſe reiten, aber nicht mit den Heiden kämpfen wollen;“
im Eulenſpiegel werden die gemeinen Pfaffen mit ihren hüb-
ſchen Kellnerinnen, ſäuberlichen Pferdchen und vollen Kü-
chen faſt am häufigſten verſpottet: ſie erſcheinen dumm und
gierig; auch im Reineke ſpielen die Papemeierſchen, die Haus-
haltungen der Pfaffen, wo ſich kleine Kinder finden, eine
Rolle, und der Erklärer nimmt es damit ſehr ernſtlich, er
handelt dabei von den Sünden der Pfaffen, die durch das
böſe Beiſpiel das ſie geben, immer noch größer ſind als
die der Laien; und ſo ergießt denn auch Doctor Brant
ſeinen Unwillen gegen den allzufrühen Eintritt in die Klö-
ſter, ehe jemand recht zu einem Menſchen geworden, ſo
daß er dann Alles ohne Andacht thue, und führt uns in
die Haushaltungen der unberufenen Prieſter ein, denen es
doch zuletzt an ihrer Nahrung fehlt, während ihre Seele
mit Sünden beſchwert iſt: „denn Gott achtet des Opfers
nicht, das in Sünden mit Sünden geſchicht.“ 1


Indeſſen iſt das doch nicht ausſchließend, ja man
könnte nicht einmal ſagen vorzugsweiſe der Inhalt dieſer
Schriften: ihre Bedeutung iſt um vieles allgemeiner.


Während man in Italien den romantiſchen Stoff des
Mittelalters in glänzenden und großartigen Werken der
Poeſie umſchuf, wendete ihm der deutſche Geiſt keine wahre
Aufmerkſamkeit mehr zu: Titurel und Parcival z. B. wur-
den gedruckt, aber als Antiquität, in einer ſchon damals
unverſtändlichen Sprache.


[259]Tendenzen der populaͤren Literatur.

Während die Oppoſition welche die Inſtitute des
Mittelalters auch dort in der fortſchreitenden Entwickelung
des Geiſtes fanden, ſich ſcherzhaft geſtaltete, ein Element
der Behandlung wurde, ſich den Idealen der Poeſie als
deren Verſpottung an die Seite ſtellte, ſetzte ſie ſich hier
ſelbſtändig feſt, und wandte ſich unmittelbar gegen die Er-
ſcheinungen des Lebens, nicht gegen deren Reproduction
in der Fabel.


Allem Thun und Treiben der verſchiedenen Stände,
Alter, Geſchlechter tritt in der deutſchen Literatur jener Tage
der nüchterne Menſchenverſtand gegenüber, die gemeine Mo-
ral, die nackte Regel des gewöhnlichen Lebens, die aber
eben das zu ſeyn behauptet, „wodurch die Könige ihre
Kronen haben, Fürſten ihre Länder, alle Gewalten ihre
rechtliche Geltung.“


Der allgemeinen Verwirrung und Gährung, die in
den öffentlichen Verhältniſſen ſichtbar iſt, entſpricht es, es
iſt ihr natürlicher Gegenſatz, daß in der Tiefe der Nation
der geſunde Menſchenverſtand zur Beſinnung kommt, und
proſaiſch, bürgerlich, niedrig wie er iſt, aber durch und
durch wahr, ſich zum Richter der Erſcheinungen der Welt
aufwirft.


Es iſt ein bewundernswürdiges Beſtreben, wenn man
in Italien durch die Denkmale des Alterthums an die Be-
deutung der ſchönen Form erinnert, mit ihnen wetteifert,
und Werke zu Stande bringt, an denen der gebildete Geiſt
ein unvergängliches Wohlgefallen hat; aber man kann wohl
ſagen: nicht minder groß und für den Fortgang der Dinge
noch bedeutender iſt es, daß hier der nationale Geiſt nach
17*
[260]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
Jahrhunderte langer innerer Bildung ſich gleichſam ſelber
inne wird, ſich von den Überlieferungen losreißt, und die
Dinge, die Inſtitute der Welt an ſeiner eignen Wahr-
heit prüft.


Auch in Deutſchland verabſäumte man die Forderun-
gen der Form nicht ſo ganz. In dem Reineke läßt ſich
wahrnehmen, wie der Bearbeiter alles entfernt was zur
Manier der romantiſchen Dichtung gehört, leichtere Über-
gänge ſucht, Scenen des gemeinen Lebens zu vollerer An-
ſchaulichkeit ausbildet, überall verſtändlicher, vaterländiſcher
zu werden ſtrebt, z. B. die deutſchen Namen vollends ein-
führt; ſein Bemühen iſt vor allem, ſeinen Stoff zu popu-
lariſiren, ihn der Nation ſo nahe wie möglich zu bringen,
und ſein Werk hat hiebei die Form bekommen, in der es
nun wieder mehr als 3 Jahrhunderte ſeine Leſer ſich ge-
ſammelt hat. Sebaſtian Brant beſitzt für die Sentenz,
das Sprüchwörtliche ein unvergleichliches Talent, für ſeine
einfachen Gedanken weiß er den angemeſſenſten Ausdruck
zu finden: ſeine Reime kommen ihm ungeſucht und treffen
in glücklichem Wohllaut zuſammen: „hier“ ſagt Geiler von
Keiſersperg „iſt das Angenehme und das Nützliche verbun-
den, es ſind Becher reinen Weines, hier bietet man in
kunſtvollen Geſchirren fürſtliche Speiſen dar.“ 1 Aber ſo in
dieſer wie in einer Menge anderer ſie umgebenden Schrif-
ten bleibt der Inhalt die Hauptſache, der Ausdruck der
[261]Bewegungen in der gelehrten Literatur.
Oppoſition der gemeinen Moral und des alltäglichen Ver-
ſtandes wider die Mißbräuche in dem öffentlichen Leben
und das Verderben der Zeit.


So eben nahm auch ein anderer Zweig der Literatur,
die gelehrte, und vielleicht nur noch entſchiedener eine ver-
wandte Richtung.


Bewegungen in der gelehrten Literatur.


Darauf hatte nun Italien den größten Einfluß.


In Italien war die Scholaſtik ſo wenig, wie die ro-
mantiſche Poeſie, oder die gothiſche Baukunſt zu vollſtän-
diger Herrſchaft gelangt; es blieb hier immer Erinnerung
an das Alterthum übrig, die ſich endlich in dem funfzehnten
Jahrhundert auf das großartigſte erhob, alle Geiſter er-
griff, und der Literatur ein neues Leben gab.


Auch auf Deutſchland wirkte dieſe Entwickelung mit
der Zeit zurück, wenn auch zunächſt nur in Hinſicht des
Äußerlichſten, des lateiniſchen Ausdrucks.


Bei dem unausgeſetzten Verkehr mit Italien, den die
kirchlichen Verhältniſſe herbeiführten, empfanden die Deut-
ſchen gar bald die Überlegenheit der Italiener: ſie ſahen
ſich von den Zöglingen der dortigen Grammatiker und Rhe-
toren verachtet, und fiengen ſelbſt an, ſich zu ſchämen, daß
ſie ſo ſchlecht ſprachen ſo elend ſchrieben. Kein Wunder,
wenn ſich jüngere ſtrebende Geiſter endlich auch entſchloſ-
ſen, ihr Latein in Italien zu lernen. Es waren zuerſt ein
paar begüterte Edelleute, ein Dalberg, ein Langen, 1 ein
[262]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
Spiegelberg, die nicht allein ſich ſelbſt bildeten, ſondern ſich
auch das Verdienſt erwarben, Bücher mitzubringen, gram-
matiſche Schriften, beſſere Ausgaben von Claſſikern, und
dieſe ihren Freunden mittheilten. Dann erſchien auch wohl
einmal ein Talent, das ſich die claſſiſche Bildung jener Zeit
vollſtändig aneignete. Rudolf Huesmann von Gröningen,
genannt Agricola, iſt ein ſolches: die Virtuoſität, die er
ſich erwarb, erregte ein allgemeines Aufſehen, wie ein Rö-
mer wie ein Virgil ward er in den Schulen bewundert. 1
Er ſelbſt zwar hatte nur im Sinne, ſich weiter auszubil-
den; die Mühſeligkeiten der Schule waren ihm widerwär-
tig; in die engen Verhältniſſe, die einem deutſchen Gelehr-
ten zugemeſſen ſind, konnte er ſich nicht finden, und an-
dre, in die er eintrat, befriedigten ihn doch nicht, ſo daß
er ſich raſch verzehrte und vor der Zeit ſtarb; aber er hatte
Freunde, denen es nicht ſo ſchwer wurde ſich in die Noth-
wendigkeiten des deutſchen Lebens zu ſchicken, und denen
er mit lebendiger Anweiſung zu Hülfe kam. In einer ſchö-
nen vertraulichen Freundſchaft ſtand Agricola mit Hegius
in Deventer, der ſich ihm mit beſcheidner Lernbegierde an-
ſchloß, ihn um einzelne Belehrungen erſuchte und mit freu-
diger Theilnahme von ihm gefördert ward; einen andern
ſeiner Freunde Dringenberg zog er nach Schletſtadt. 2
Von Deventer aus wurden dann die niederdeutſchen Schu-
len, Münſter, Hervord, Dortmund, Hamm, mit Lehrern
verſehen und reformirt; die Städte des obern Deutſch-
[263]Bewegungen in der gelehrten Literatur.
lands wetteiferten die Schüler Dringenbergs anzuſtel-
len. In Nürnberg, Ulm, Augsburg, Frankfurt, Hagenau,
Memmingen, Pforzheim, finden wir mehr oder minder
nahmhafte Poetenſchulen; 1 Schletſtadt ſelbſt ſtieg einmal
auf 900 Schüler. Man wird nicht glauben, daß dieſe
Literaten, welche hier eine rohe Jugend, die großentheils
von Almoſen leben mußte, keine Bücher beſaß, ſich in ſelt-
ſam disciplinirten Geſellſchaften, Bachanten und Schützen,
von Stadt zu Stadt trieb, 2 in Ordnung zu halten und in
den Anfangsgründen zu unterweiſen hatten, gerade große Ge-
lehrte geweſen wären, oder deren gebildet hätten: auch kam
es darauf nicht an; es war ſchon Verdienſt genug, daß
ſie eine bedeutende Richtung feſthielten, nach Kräften aus-
breiteten, die Bildung eines lebendigen literariſchen Pu-
blicums begründeten. Allmählig wichen die bisherigen Lehr-
bücher: aus den deutſchen Preſſen giengen claſſiſche Auto en
hervor; ſchon am Ende des funfzehnten Jahrhunders macht
ein Geiler von Keiſersberg, der ſonſt dieſer literariſchen
Richtung nicht angehört, den gelehrten Theologen ihr La-
tein zum Vorwurf, das roh und matt und barbariſch ſey,
[264]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
weder deutſch noch lateiniſch, ſondern beides und keins von
beiden. 1


Denn da die Scholaſtik der Univerſitäten, welche bis-
her den Elementarunterricht beherrſcht hatte, bei ihrer ge-
wohnten Ausdrucksweiſe verblieb, ſo mußte zwiſchen der
neu aufkommenden humaniſtiſchen und der alten Methode
eine Reibung entſtehn, die dann nicht verfehlen konnte,
von dem allgemeinen Element der Sprache her auch andere
Gebiete zu ergreifen.


Eben von dieſem Moment gieng ein Autor aus, der
es zum Geſchäft ſeines Lebens machte, die Scholaſtik der
Univerſitäten und Klöſter anzugreifen, der erſte große Au-
tor der Oppoſition in modernem Sinne, ein Niederdeut-
ſcher, Erasmus von Rotterdam.


Überblicken wir die erſten dreißig Lebensjahre des
Erasmus, ſo war er in unaufhörlichem innern Widerſpruch
mit dem Kloſter und Studien-Weſen jener Zeit aufgewach-
ſen und geworden was er war. Man könnte ſagen: er
war gezeugt und geboren in dieſem Gegenſatz: ſein Vater
hatte ſich mit ſeiner Mutter nicht vermählen dürfen, weil
er für das Kloſter beſtimmt war. Ihn ſelbſt hatte man auf
keine Univerſität ziehen laſſen, wie er wünſchte, ſondern in
einer unvollkommenen Kloſteranſtalt feſtgehalten, die ihm ſehr
bald nicht mehr genügte; ja man hatte ihn durch allerlei
Künſte mit der Zeit vermocht, ſelbſt in ein Kloſter zu treten
und die Gelübde abzulegen. Erſt dann aber fühlte er ihren
[265]Erasmus.
ganzen Druck, als er ſie auf ſich genommen; er hielt es
ſchon für eine Befreiung, daß es ihm gelang eine Stelle
in einem Collegium zu Paris zu erhalten: jedoch auch hier
ward ihm nicht wohl: er ſah ſich genöthigt, ſcotiſtiſchen
Vorleſungen und Disputationen beizuwohnen, und dabei
klagt er daß die verdorbene Nahrung, der kanigte Wein,
von denen er dort leben mußte, ſeine Geſundheit vollends
zu Grunde gerichtet habe. Da war er aber auch ſchon
zu dem Gefühle ſeiner ſelbſt gelangt. So wie er noch als
Knabe die erſte Spur einer neuen Methode bekommen, 1 war
er ihr, mit geringen Hülfsmitteln aber mit dem ſichern In-
ſtinct des ächten Talentes nachgegangen; er hatte ſich eine
dem Muſter der Alten nicht in jedem einzelnen Ausdruck,
aber in innerer Richtigkeit und Eleganz entſprechende leicht
dahinfließende Diction zu eigen gemacht, durch die er alles
was es in Paris gab weit übertraf; jetzt riß er ſich von
den Banden die ihn an Kloſter und Scholaſtik feſſelten
los; er wagte es, von der Kunſt zu leben die er verſtand.
Er unterrichtete und kam dadurch in fördernde und ſeine
Zukunft ſichernde Verbindungen; er machte einige Schrif-
ten bekannt, die ihm, wie ſie denn mit eben ſo viel Vor-
ſicht als Virtuoſität abgefaßt waren, Bewunderung und
Gönner verſchafften; allmählig fühlte er was das Publi-
cum bedurfte und liebte, er warf ſich ganz in die Literatur.
Er verfaßte Lehrbücher über Methode und Form; überſetzte
aus dem Griechiſchen, das er dabei erſt lernte; edirte die
[266]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
alten Autoren, ahmte ſie nach, bald Lucian bald Terenz
— er zeigte allenthalben den Geiſt feiner Beobachtung,
welcher zugleich belehrt und ergötzt: was ihm aber haupt-
ſächlich ſein Publicum verſchaffte, war die Tendenz die er
verfolgte. Jene ganze Bitterkeit gegen die Formen der
Frömmigkeit und Theologie jener Zeit, die ihm durch den
Gang und die Begegniſſe ſeines Lebens zu einer habituel-
len Stimmung geworden, ergoß er in ſeine Schriften:
nicht daß er ſie zu dieſem Zwecke von vorn herein ange-
legt hätte, ſondern indirect, da wo man es nicht erwartete,
zuweilen in der Mitte einer gelehrten Discuſſion, mit tref-
fender, unerſchöpflicher Laune. Unter andern bemächtigte
er ſich der durch Brant und Geiler populär gewordenen
Vorſtellung von dem Element der Narrheit, das in alles
menſchliche Thun und Treiben eingedrungen ſey; er führte
ſie ſelbſt redend ein, Moria, Tochter des Plutus, geboren
auf den glückſeligen Inſeln, genährt von Trunkenheit und
Ungezogenheit: Herrſcherin über ein gewaltiges Reich, das
ſie nun ſchildert; zu dem alle Stände der Welt gehören.
Sie geht ſie ſämmtlich durch, bei keinem aber verweilt ſie
länger und gefliſſentlicher, als bei den Geiſtlichen, die ihre
Wohlthaten nicht anerkennen wollen, aber ihr nur deſto
mehr verpflichtet ſind. Sie verſpottet das Labyrinth der
Dialectik, in dem die Theologen ſich gefangen haben, die
Syllogismen, mit denen ſie die Kirche zu ſtützen vermei-
nen, wie Atlas den Himmel, den Verdammungseifer mit
dem ſie jede abweichende Meinung verfolgen; — dann
kommt ſie auf die Unwiſſenheit, den Schmutz, die ſeltſamen
und lächerlichen Beſtrebungen der Mönche, ihre rohen und
[267]Erasmus.
zänkiſchen Predigten; auch die Biſchöfe greift ſie hierauf
an, die ſich jetzt mehr nach Gold umſehen als nach den
Seelen, die ſchon genug zu thun glauben, wenn ſie in
theatraliſchem Aufzug als die verehrungswürdigſten heilig-
ſten ſeligſten Väter ſegnen oder fluchen; kühnlich taſtet ſie
endlich auch den römiſchen Hof und den Papſt ſelber an, 1
er nehme für ſich nur das Vergnügen und für ſein Amt
laſſe er die Apoſtel Peter und Paul ſorgen. Mitten unter
den ſeltſamen Holzſchnitten, mit denen Hans Holbein das
Büchelchen ausgeſtattet, erſcheint auch der Papſt mit ſeiner
dreifachen Krone.


Ein Werkchen, das einen ſchon einige Zeit daher gäng
und gebe gewordnen Stoff geiſtreich und gedrängt zuſam-
menfaßte, ihm eine Form gab, die allen Anſprüchen der
Bildung genügte, und in ſeiner entſchiednen Tendenz der
Stimmung der Epoche zuſagte: eine unbeſchreibliche Wir-
kung brachte es hervor; noch bei Lebzeiten des Erasmus
ſind 27 Auflagen davon erſchienen: in alle Sprachen iſt es
überſetzt worden: es hat weſentlich dazu beigetragen, den
Geiſt des Jahrhunderts in ſeiner anticlericaliſchen Rich-
tung zu befeſtigen.


Dem populären Angriffe ſetzte Erasmus aber auch
einen gelehrten tieferen zur Seite. Das Studium des Grie-
chiſchen war im funfzehnten Jahrhundert in Italien er-
wacht, dem Latein zur Seite in Deutſchland und Frank-
[268]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
reich vorgedrungen, und eröffnete nun allen lebendigen Gei-
ſtern jenſeit der beſchränkten Geſichtskreiſe der abendländi-
ſchen kirchlichen Wiſſenſchaft neue, glänzende Ausſichten.
Erasmus gieng auf die Idee der Italiener ein, daß man
die Wiſſenſchaften aus den Alten lernen müſſe, Erdbeſchrei-
bung aus dem Strabo, Naturgeſchichte aus Plinius, My-
thologie aus Ovid, Medicin aus Hippokrates, Philoſophie
aus Plato, nicht aus den barocken und unzureichenden Lehr-
büchern, deren man ſich jetzt bediene; aber er gieng noch
einen Schritt weiter, er forderte daß die Gottesgelahrtheit
nicht mehr aus Scotus und Thomas, ſondern aus den
griechiſchen Kirchenvätern und vor allem aus dem neuen
Teſtament gelernt würde. Nach dem Vorgang des Lau-
rentius Valla, deſſen Vorbild überhaupt auf Erasmus gro-
ßen Einfluß gehabt hat, zeigte er daß man ſich hiebei nicht
an die Vulgata halten müſſe, der er eine ganze Anzahl
Fehler nachwies; 1 er ſelbſt ſchritt zu dem großen Werke,
den griechiſchen Text, der dem Abendlande noch niemals
gründlich bekannt geworden, herauszugeben. So dachte
er, wie er ſich ausdrückt, dieſe kalte Wortſtreiterin, Theo-
logie auf ihre Quellen zurückzuführen; dem wunderbar auf-
gethürmten Syſtem zeigte er die Einfachheit des Urſprungs,
von der es ausgegangen war, zu der es zurückkehren müſſe.
[269]Erasmus.
In alle dem hatte er nur die Zuſtimmung des großen Pu-
blicums, für das er ſchrieb. Es mochte dazu beitragen,
daß er hinter dem Mißbrauch, den er tadelte, nicht einen
Abgrund erblicken ließ, vor dem man erſchrocken wäre, ſon-
dern eine Verbeſſerung, die er ſogar für leicht erklärte; daß
er ſich wohl hütete, gewiſſe Grundſätze, welche die gläu-
bige Überzeugung feſthielt, ernſtlich zu verletzen. 1 Die
Hauptſache aber machte ſein unvergleichliches literariſches
Talent. Er arbeitete unaufhörlich, in mancherlei Zweigen,
und wußte mit ſeinen Arbeiten bald zu Stande zu kommen;
er hatte nicht die Geduld ſie aufs neue vorzunehmen, um-
zuſchreiben, auszufeilen; die meiſten wurden gedruckt wie
er ſie hinwarf; aber eben dieß verſchaffte ihnen allgemeinen
Eingang; ſie zogen eben dadurch an, weil ſie die ohne al-
len Rückblick ſich fortentwickelnden Gedanken eines reichen,
feinen, witzigen, kühnen und gebildeten Geiſtes mittheilten.
Wer bemerkte gleich die Fehler, deren ihm genug entſchlüpf-
ten? Die Art und Weiſe ſeines Vortrags, die den Leſer
noch heute feſſelt, riß damals noch weit mehr Jeder-
mann mit ſich fort. So ward er allmählig der berühmteſte
Mann in Europa; die öffentliche Meinung, der er Weg
bahnte vor ihr her, ſchmückte ihn mit ihren ſchönſten Krän-
zen; in ſein Haus zu Baſel ſtrömten die Geſchenke; von
allen Seiten beſuchte man ihn; nach allen Weltgegenden
empfieng er Einladungen. 2 Ein kleiner blonder Mann,
[270]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
mit blauen halbgeſchloſſenen Augen voll Feinheit der Be-
obachtung, Laune um den Mund, von etwas furchtſamer
Haltung; jeder Hauch ſchien ihn umzuwerfen; er erzitterte
bei dem Worte Tod.


Zeigte ſich nun an dieſem Einen Beiſpiel wie viel die
excluſive Theologie der Facultäten von der neuen literari-
ſchen Tendenz zu fürchten hatte, ſo lag eine unermeßliche
Gefahr darin, wenn dieſe nun den Verſuch machte, in dieſe
Burgen der anerkannten zunftmäßigen Gelehrſamkeit ſelbſt
einzudringen. Die Univerſitäten wehrten ſich dagegen
ſo gut ſie vermochten. So wie ſich Cölln von allem
Anfang der Einführung neuer Elementarbücher widerſetzt
hatte, 1 ſo ließ es auch die Anhänger der neuen Richtung
nicht bei ſich einheimiſch werden: Rhagius ward durch öf-
fentlichen Anſchlag auf 10 Jahre verbannt; Murmellius
ein Schüler des Hegius mußte ſich entſchließen zu weichen
und an einer Schule zu lehren. So wurde Conrad Cel-
tes von Leipzig faſt mit Gewalt vertrieben: Hermann von
dem Buſch konnte ſich weder auf die Länge in Leipzig
noch auch in Roſtock behaupten, ſeine neue Bearbeitung
des Donat ward faſt wie eine Ketzerei betrachtet. 2 Das
gieng jedoch nicht allenthalben. Nach der Verfaſſung der
2
[271]Bewegungen in der gelehrten Literatur.
Univerſitäten hatte Jeder, wenigſtens wenn er einmal Ma-
giſter geworden, das Recht zu lehren, und nicht Alle boten
Anlaß oder Vorwand dar um ſich ihrer zu entledigen. 1 Auch
hatten ſich hie und da die Fürſten das Recht vorbehalten, die
Lehrer zu ernennen. Bald auf die eine, bald auf die an-
dre Weiſe ſehen wir Lehrer der Grammatik und eines un-
mittelbaren Studiums der Alten ſich feſtſetzen: in Tübingen
Heinrich Bebel, der eine ſehr zahlreiche Schule bildete; in
Ingolſtadt Locher, der ſich nach mancherlei Irrungen doch
behauptete; Conrad Celtes in Wien, wo im J. 1501 ſo-
gar eine poetiſche Facultät entſtand; in Prag Hieronymus
Balbi, ein Italiener, der den Prinzen unterrichtete und auch
an Staatsgeſchäften einen gewiſſen Antheil nahm. In
Freiburg knüpfte ſich das neue Studium an das römiſche
Recht, Ulrich Zaſius verband die beiden Profeſſuren auf
das glänzendſte; in dieſem Sinne war es, daß Peter Tom-
mai von Ravenna und ſein Sohn Vincenz nach Greifs-
wald und ſpäter nach Wittenberg berufen wurden; 2 man
hoffte ſie ſollten durch das vereinigte Studium des Rechts
und des Alterthums dieſe Univerſitäten emporbringen. Auf
Erfurt wirkte Conrad Muth, der ein Canonicat, das er
beſaß, zu Gotha genoß, „in glückſeliger Ruhe,“ wie die Auf-
ſchrift ſeines Hauſes ſagte, ein Gleim jener Zeiten, gaſt-
freier Förderer einer ſtrebenden poetiſch-geſinnten Jugend.
So bildete ſich, nachdem erſt die niedrigern Schulen ein-
[272]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
genommen waren, allmählig an den meiſten Univerſitäten
Vereine von Grammatikern und Poeten, welche mit dem
Geiſte dieſer Anſtalten, wie er ſich von Paris her vererbt,
in natürlichem durchgreifendem Widerſpruche ſtanden. Man
las die Alten und ließ wohl auch etwas von der Petulanz
eines Martial oder Ovid in das Leben übergehen; man
machte lateiniſche Verſe, die man ſo ungelenk ſie auch in
der Regel ausfielen wechſelſeitig bewunderte; man ſchrieb
einander lateiniſch und verſäumte nicht, einiges Griechiſche
einzuflechten; man latiniſirte und gräciſirte ſeine Namen. 1
Wahres Talent, vollendete Ausbildung kamen hiebei nicht
eben häufig zum Vorſchein; aber das Leben und die Kraft
einer Zeitgenoſſenſchaft äußert ſich auch nicht allein in
Virtuoſitäten; an der einen oder der andern iſt es ſchon
genug; für die übrigen iſt die Tendenz die Hauptſache. Gar
bald änderte ſich der Geiſt der Univerſitäten. Man ſah
die Scholaren nicht mehr, ihre Bücher unterm Arm, hin-
ter ihrem Magiſter ſittig dahertreten; die Burſen löſten ſich
auf, die Grade wurden nicht mehr geſucht; namentlich ver-
ſchmähte man das Baccalaureat, das auch in Italien nicht
gewöhnlich war: zuweilen erſchienen die Verfechter der claſ-
ſiſchen Studien als Beförderer ſtudentiſcher Unordnungen; 2
in den Kreiſen der Jugend fand die Verſpottung der dia-
lec-
[273]Reuchlin.
lectiſchen Theologen, der Nominaliſten wie der Realiſten,
freudige Zuſtimmung.


Die Welt und beſonders die gelehrte müßte nicht ſeyn
was ſie iſt, wenn dieß ohne einen heftigen Kampf hätte
abgehen ſollen.


Merkwürdig jedoch wie dieſer ausbrach. Den Anlaß
gab nicht ein gefährlicher Angriff oder nur ein entſchiede-
ner Feind, den man abzuwehren gehabt hätte: von allen
Bekennern der neuen Richtung vielleicht der ruhigſte, der
das Werk ſeines Lebens bereits vollbracht hatte, und eben
damals beinahe abſtruſe Richtungen verfolgte, Johann
Reuchlin mußte dazu dienen.


Es waren doch ſehr perſönliche Gaben, durch welche
Johann Reuchlin, wahrſcheinlich der Sohn eines Bo-
ten zu Pforzheim, auf ſeinem Wege gefördert worden war.
Eine gute Stimme verſchaffte ihm Eingang an dem ba-
denſchen Hof; von ſeiner zierlichen Handſchrift lebte er
eine Zeitlang in Frankreich; daß er ſich im Umgang mit
Fremden eine reinere Ausſprache des Lateins zu eigen ge-
macht, verhalf ihm zur Theilnahme an einer Geſandt-
ſchaft nach Rom, woran ſich dann eine bedeutende Stel-
lung und Wirkſamkeit am Hofe von Wirtenberg, bei dem
ſchwäbiſchen Bunde überhaupt knüpfte. 1 Von Erasmus
war er äußerlich und innerlich ſehr verſchieden. Er war
Ranke d. Geſch. I. 18
[274]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
groß und wohlgeſtaltet, würdig in alle ſeinem Thun und
Laſſen, von einer äußeren Ruhe und Milde, die ſeinem
Talente gleich auf den erſten Blick Vertrauen verſchaffte. 1
Auch war er kein Autor der den Beifall des großen Pu-
blicums der lateiniſchen Welt hätte gewinnen können; ſeine
Diction iſt nur mittelmäßig; Sinn für Eleganz und Form
beweiſt er eigentlich nicht. Dagegen war er voll von ei-
nem Durſt zu lernen, von einem Eifer mitzutheilen, die
ihres Gleichen nicht hatten. Er beſchreibt ſelbſt, wie er
ſeine Wiſſenſchaft ſtückweiſe zuſammengebracht, Broſamen,
die von des Herrn Tiſche fielen, — zu Paris und im Va-
tican, zu Florenz, Mailand, Baſel, am kaiſerlichen Hofe;
wie er dann jenem Vogel des Apollonius gleich den Wei-
zen anderem Geflügel zum Genuß überlaſſen habe. 2 Mit
einem Wörterbuch, das beſonders dazu beitrug die älteren
ſcholaſtiſchen zu verdrängen, kam er den lateiniſchen, mit
einer kleinen Grammatik den griechiſchen Studien zu Hülfe;
er ſparte weder Mühe noch Geld, um die claſſiſchen Au-
toren entweder handſchriftlich oder wie ſie die italieniſchen
Preſſen verließen, über die Alpen herüberzubringen: woran
kein Fürſt und keine von jenen reichen Communen dachte, das
bewirkte der Sohn eines armen Boten; in ſeiner Behauſung
berührte die wundervollſte Hervorbringung der entfernten
Jahrhunderte, die homeriſchen Gedichte, zuerſt in ihrer äch-
ten Geſtalt den deutſchen Geiſt, der ſie einſt der Welt wie-
[275]Reuchlin.
der vollkommener verſtändlich machen ſollte. Noch höher
aber als alles dieß ſchlugen die Zeitgenoſſen ſein Stu-
dium des Hebräiſchen an, dem eben jene ſporadiſchen Be-
mühungen hauptſächlich galten, darin ſah er ſelbſt ſein ei-
genthümlichſtes Verdienſt. „Es iſt vor mir Keiner ge-
weſen,“ ruft er mit wohlbegründetem Selbſtgefühl einem
ſeiner Gegner zu, „der ſich unterſtanden hätte die Regeln
der hebräiſchen Sprache in ein Buch zu bringen, und ſollte
dem Neide ſein Herz zerbrechen, dennoch bin ich der Erſte.
Exegi monumentum aere perennius.“1 Hiebei hatte er
nun das Meiſte jüdiſchen Rabbinen zu danken, die er al-
lenthalben aufſuchte, von denen er keinen vorüberziehen
ließ, ohne etwas von ihm gelernt zu haben, die ihn aber
nicht allein auf das alte Teſtament, ſondern auch auf ihre
übrigen Sachen, vor allem die Cabbala führten. Reuch-
lin war ein Geiſt, dem die grammatiſch lexicaliſchen Stu-
dien an und für ſich nicht völlig genugthaten. Nach
dem Vorgang ſeiner jüdiſchen Lehrer wandte er ſich auf
die Myſtik des Wortes. In den Namen Gottes in der
Schrift, in ihrer elementaren Zuſammenſetzung findet er
zugleich das tiefſte Geheimniß ſeines Weſens. Denn „Gott,
der ſich des Umgangs mit der heiligen Seele freut, will
ſie in ſich verwandeln, in ihr wohnen: Gott iſt Geiſt, das
Wort iſt ein Hauch, der Menſch athmet, Gott iſt das
Wort. Die Namen die er ſich ſelbſt gegeben, ſind ein
Wiederhall der Ewigkeit: da iſt der Abgrund ſeines geheim-
18*
[276]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
nißvollen Webens ausgedrückt; der Gottmenſch hat ſich
ſelbſt das Wort genannt.“ 1 Da faſſen gleich in ihrem
erſten Urſprung die Studien der Sprache in Deutſchland
das letzte Ziel ins Auge, die Erkenntniß des geheimniß-
vollen Zuſammenhanges der Sprache mit dem Göttlichen,
ihrer Identität mit dem Geiſte. Reuchlin iſt wie jene
Entdecker der neuen Welt, ſeine Zeitgenoſſen, welche bald
nach Norden bald nach Süden bald gradeaus nach We-
ſten das Meer durchſchneiden, die Küſten finden und be-
zeichnen, und dabei nicht ſelten indem ſie einen Anfang
machen ſchon am Ziele zu ſeyn glauben. Reuchlin war
überzeugt daß er auf ſeinem Wege der platoniſchen und
ariſtoteliſchen Philoſophie, die bereits wieder gefunden wor-
den, auch die pythagoreiſche hinzufüge, die aus dem He-
braismus entſprungen. Auf den Fußtapfen der Cabbala
glaubte er von Symbol zu Symbol, von Form zu Form
ſich bis zu der letzten reinſten Form zu erheben, die das
Reich des Geiſtes beherrſche, in der ſich die menſchliche
Beweglichkeit dem Unbeweglich-Göttlichen nähere. 2


Indem er aber in dieſen ſo idealen, abſtracten Be-
ſtrebungen lebte, mußte ihm begegnen, daß ſich die Feind-
ſeligkeiten der ſcholaſtiſchen Partei grade gegen ihn wende-
ten; unerwartet ſah er ſich in die Mitte eines widerwär-
tigen Kampfes gezogen.


Wir berührten oben die inquiſitoriſchen Beſtrebungen
der Dominicaner von Cölln, ihre Feindſeligkeiten gegen das
Judenthum. Im J. 1508 war von einem alten Rabbi-
[277]Bewegungen in der gelehrten Literatur.
nen, der noch im funfzigſten Jahr Religion Weib und
Kind verlaſſen und chriſtlicher Prieſter geworden war, eine
Schrift herausgegeben worden, in der er ſeinen frühern
Glaubensgenoſſen die gröbſten Irrthümer z. B. Anbetung
von Sonne und Mond, vor allem aber die unerträglich-
ſten Läſterungen gegen das Chriſtenthum Schuld gab und
aus dem Talmud nachzuweiſen ſuchte. 1 Hauptſächlich auf
den Grund dieſer Anklagen forderten die Cöllner Theolo-
gen den Kaiſer auf, die Auslieferung des Talmud anzu-
befehlen, und gaben ihm auf ſeine weiteren Anfragen je-
nes Gutachten, worin ſie ihm das Recht zuſprachen, ge-
gen die Juden als Ketzer zu verfahren. Die kaiſerlichen
Räthe hielten doch für gut, neben den theologiſchen Fa-
cultäten auch einen andern Kenner der jüdiſchen Literatur,
eben den Erneuerer der cabbaliſtiſchen Philoſophie, unſern
Reuchlin zu Rathe zu ziehn.


Reuchlin gab ſeine Meinung, wie ſich nicht anders er-
warten ließ, zu Gunſten der Bücher ab; ſein Gutachten iſt ein
ſchönes Denkmal reiner Geſinnung und überlegener Einſicht.


Aber eben damit zog er nun auch den ganzen Sturm
auf ſich ſelber.


Die Cöllner, um ſo heftiger gereizt, weil ſie mit ihren
Vorſchlägen nicht durchgedrungen, was ſie wohl nicht mit
Unrecht dem Widerſpruch Reuchlins zuſchrieben, ließen ihn
durch einen ihrer Satelliten angreifen; er antwortete: ſie
verdammten ſeine Antwort: er replicirte: ſie ſetzten ein In-
quiſitionsgericht gegen ihn nieder.


[278]Zweites Buch. Erſtes Capitel.

Da trafen die beiden Parteien zuerſt ernſtlich auf ein-
ander. Die Dominicaner hofften ihr wankendes Anſehn
durch einen großen Schlag der Autorität zu erneuern, die
Feinde, die ihnen gefährlich zu werden drohten, durch die
Schrecken die ihnen zu Gebote ſtanden zurückzuſcheuchen.
Die Neuerer, jene Lehrer und Zöglinge der Poetenſchulen,
fühlten ſehr wohl, daß ſie in Reuchlin alle gefährdet ſeyen;
die natürliche Kraft, mit der ſie emporſtrebten, ward jedoch
noch durch das Bewußtſeyn der Oppoſition gegen die be-
ſtehende Autorität, der zweifelhaften Stellung die ſie über-
haupt einnahmen, gefeſſelt.


Im October 1513 conſtituirte ſich das Inquiſitions-
gericht zu Mainz, aus Doctoren der Univerſität und Beam-
ten des Erzbiſchofs, unter dem Vorſitz des Inquiſitors
ketzeriſcher Bosheit, Jacob Hogſtraten; und es kam nun
darauf an, ob ein Urtel geſprochen werden würde, wie ei-
nige Jahrzehnde früher gegen Johann von Weſalia.


Allein wie ſehr hatten ſich die Zeiten ſeitdem verändert!
In Deutſchland herrſchte die energiſch katholiſche Stimmung,
welche es in Spanien der Inquiſition ſo leicht machte
durchzudringen, mit nichten. Die kaiſerlichen Räthe muß-
ten dem Begehren der Cöllner wohl von vorn herein ab-
geneigt ſeyn, ſonſt würden ſie einen Mann wie Reuchlin
nicht zu Rathe gezogen haben. Schon hatte die literari-
ſche Tendenz allzuweit um ſich gegriffen, eine Art von öf-
fentlicher Meinung gebildet. Eine ganze Anzahl von Mit-
gliedern der hohen Geiſtlichkeit werden uns als Freunde
der literariſchen Neuerung bezeichnet: die Domherrn Groß
und Wrisberg in Augsburg, Nuenar in Cölln, Adelmann
[279]Bewegungen in der gelehrten Literatur.
in Eichſtädt, die Dechanten Andreas Fuchs zu Bamberg,
Lorenz Truchſeß zu Mainz, Wolfgang Tanberg zu Paſſau,
Jacob de Banniſſis zu Trient; der einflußreichſte geheime
Rath des Kaiſers, Cardinal Lang gehörte dieſer Meinung
ſelber an. Auch die höhere Geiſtlichkeit wollte die drohende
Inquiſition nicht wieder zu Kräften kommen laſſen.


Jene Inquiſition gegen Weſalia hatte Churf. Diether
wider ſeinen Willen und nur darum zugegeben, weil er
fürchtete, die mächtigen Dominicaner möchten etwa ihm
eine zweite Abſetzung auswirken: 1 jetzt aber waren ſie ſo
furchtbar nicht mehr; der Dechant Lorenz Truchſeß ver-
anlaßte, daß als das Gericht ſchon ſeine Sitze eingenom-
men hatte um das Urtheil zu ſprechen, der Churfürſt
demſelben Stillſtand gebieten und ſeine Beamten davon
abrufen ließ. 2


Ja im Intereſſe Reuchlins ward darauf ein andres
Gericht vor dem Biſchof zu Speier niedergeſetzt, kraft ei-
ner von Rom ausgebrachten Commiſſion; dieſes ſprach am
24 April 1514 das Urtheil, daß den Anklägern Reuchlins,
die ihn lügneriſch verläumdet, ein ewiges Stillſchweigen
und die Erſtattung der Koſten aufzuerlegen ſey. 3


So weit verbreitet und mächtig war die Antipathie,
[280]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
welche die Dominicaner ſich zugezogen hatten. Eine ſo
lebhafte Theilnahme widmete die gebildete und vornehme
Welt den Beſtrebungen der aufkommenden Literatur. So
kräftig war ſchon die Meinung der Gelehrten: es war ihr
erſter Sieg.


Weder bei dem Kaiſer noch bei der höhern Geiſtlich-
keit in Deutſchland konnte die verfolgende Rechtgläubigkeit
durchdringen. Allein ſie gab darum ihre Sache nicht ver-
loren. In Cölln verdammte man die Bücher Reuchlins
zum Feuer: man verſchaffte ſich übereinſtimmende Urtheil-
ſprüche der Facultäten zu Erfurt Mainz Löwen und Pa-
ris; ſo verſtärkt wandte man ſich an das höchſte Tribu-
nal zu Rom: die rechtgläubige Theologie erſchien vor dem
Papſt und forderte ihn auf, den alten Verfechtern des rö-
miſchen Stuhles mit ſeiner infalliblen Entſcheidung gegen
die Neuerer zu Hülfe zu kommen.


Aber ſelbſt in Rom gerieth man jetzt in Verlegenheit.
Sollte man die öffentliche Meinung beleidigen, die ſich in
ſo einflußreichen Männern repräſentirte? mit dem was man
ſelbſt dachte ſich in Widerſpruch ſetzen? — Auf der andern
Seite, durfte man es wagen, das Urtheil der mächtigen Uni-
verſitäten zu verwerfen, mit dem Orden zu brechen, der die
Prärogativen des römiſchen Stuhles ſo eifrig verfocht, den
Ablaß in aller Welt predigte und vertrieb? 1


In der Commiſſion welche der Papſt zu Rom nieder-
ſetzte, war die Mehrheit für Reuchlin: aber eine nicht unbe-
deutende Minderheit war gegen ihn, und der römiſche Stuhl
[281]Bewegungen in der gelehrten Literatur.
hielt es für gut ſeinen Ausſpruch zu verſchieben. Er er-
ließ ein Mandatum de supersedendo. 1


Und hiemit war nun wohl Reuchlin nicht ganz zu-
frieden, der im Bewußtſeyn einer gerechten Sache und nach
allem was vorausgegangen, eine förmliche Losſprechung
erwartet hatte, allein im Ganzen angeſehen, war doch auch
dieß nicht viel weniger als ein Sieg. Daß die Partei
welche die Religion zu repräſentiren, ja in ihren Lehrſätzen
ausſchließend zu beſitzen glaubte, mit ihrem inquiſitoriſchen
Verfahren nicht durchgedrungen, vielmehr wie die gehei-
men Nachrichten lauteten, nur durch Hülfe von Geld und
Gunſt einer Verdammung entgangen war, 2 darin lag eine
Aufforderung für alle ihre Gegner. Bisher hatten ſich
dieſe nur zu behaupten geſucht: jetzt warfen ſie ſich in den
offenen, directen Angriff. In der Briefſammlung Reuch-
lins, die ausdrücklich dazu angelegt ward, um die Ver-
ehrung und Bewunderung nachzuweiſen deren der Ange-
feindete genieße, finden wir, wie zahlreich und eifrig ſie
ſich um ihn ſammeln; jene geiſtlichen Herrn und kaiſerli-
chen Räthe deren wir gedacht; Patrizier in den bedeutend-
ſten Städten, wie Pirkheimer in Nürnberg der ſich gern
als den Anführer der ganzen Schaar der Reuchliniſten be-
trachtete, Peutinger in Augsburg, Stuß in Cölln; Predi-
ger, wie Capito und Öcolampadius; die öſtreichiſchen Ge-
ſchichtsforſcher Lazius und Cuspinian; Doctoren der Me-
[282]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
dicin, alles was je von der Literatur berührt worden: haupt-
ſächlich aber jene Poeten und Redner auf den Univerſitä-
ten und Schulen, die in der Sache Reuchlins die ihre ſa-
hen, und jetzt in Schaaren auf den eröffneten Kampfplatz
ſtürzten: an ihrer Spitze die Buſch, Jäger, Heß, Hutten,
und wie ſie alle heißen. 1 Das merkwürdige Product, in
dem ſich ihr ganzes Streben zuſammenfaßt, ſind die Epi-
stolae obscurorum virorum
. Jene populäre Satyre, die
ſich ſchon ſo viel in der Nation geregt, aber bisher noch im
allgemeinen gehalten, fand hier einen Gegenſtand, der ihr ſo
recht eigentlich gemäß war. Wir dürfen darin nicht jene
Feinheit der Auffaſſung ſuchen, die ſich nur bei einem ſehr
ausgebildeten geſellſchaftlichen Zuſtand entwickelt, auch nicht
den Ingrimm einer ſich verletzt fühlenden Sittlichkeit wie
bei einigen Alten; es iſt alles Carikatur, nicht einmal vol-
ler Perſönlichkeiten, ſondern ein einziger Typus: ſo ein töl-
piſcher genußſüchtiger von dummer Bewunderung und fa-
natiſchem Haß beſchränkter deutſcher Pfaffe, der die man-
cherlei anſtößigen Situationen in die er geräth, in alberner
Vertraulichkeit enthüllt. Dieſe Briefe ſind nicht das Werk
eines hohen poetiſchen Genius; aber ſie haben Wahrheit,
grobe, ſtarke, treffende Züge, und tüchtige Farben. Wie ſie
aus einer weitverbreiteten großen Tendenz hervorgiengen,
ſo brachten ſie auch eine ungeheure Wirkung hervor; der
römiſche Stuhl hielt für nothwendig, ſie zu verbieten.


[283]Bewegungen in der gelehrten Literatur.

Überhaupt können wir ſagen, daß die Tendenzen der
literariſchen Oppoſition den Sieg davon trugen. Freudig
ſieht Erasmus im J. 1518 um ſich her; allenthalben ſind
ſeine Schüler und Anhänger auf den Univerſitäten einge-
drungen, zuletzt auch in Leipzig, das ſich ſo lange gehalten
hatte: alles Lehrer der alten Literatur. 1


Sollten die großen Alten vergeblich gelebt haben?
Sollten ihre Werke, in der Jugend der Menſchheit ver-
faßt, mit deren Schönheit und innerer Vortrefflichkeit ſich
nichts vergleichen läßt was ſeitdem entſprungen, den ſpä-
tern Jahrhunderten nicht zurückgegeben, in ihrer Urſprüng-
lichkeit zur Anſchauung gebracht werden? Es iſt ein uni-
verſalhiſtoriſches Ereigniß, daß nach ſo viel völkerzerſtören-
den völkergründenden Bewegungen, in denen die alte Welt
vorlängſt zu Grunde gegangen, alle ihre Elemente mit an-
deren Stoffen verſetzt worden, die Reliquien ihres Gei-
ſtes, die jetzt keine andre Wirkung mehr haben konn-
ten als eine formelle, mit einem früher nie gekannten
Wetteifer aufgeſucht, in weiten Kreiſen verbreitet, ſtudirt
und nachgeahmt wurden.


In der deutſchen Nation war dieß Studium gleich
bei der erſten Einführung des Chriſtenthums gepflanzt, in
dem 10ten und 11ten Jahrhundert zu einer nicht geringen
[284]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
Blüthe emporgebracht, aber ſeitdem durch die Alleinherr-
ſchaft der hierarchiſchen und ſcholaſtiſchen Mächte unter-
brochen worden. Die Schulen kehrten jetzt zu ihrem ur-
ſprünglichen Berufe zurück. Da war nun nicht ſogleich
an die Hervorbringung großer Werke literariſcher Kunſt zu
denken. Dazu waren die Zuſtände nicht angethan; dazu
war keine Muße vorhanden. Die nächſte Wirkung lag in
dem Unterricht, in der naturgemäßern, reinern Bildung des
jugendlichen Geiſtes, welche dann die ſpätern Jahrhunderte
daher die Grundlage der germaniſchen Gelehrſamkeit geblie-
ben iſt. Die hierarchiſche Weltanſicht, an der man, ſo
glänzend ſie auch einſt ausgebildet, unmöglich ewig fort-
ſpinnen konnte, ward hiedurch unmittelbar unterbrochen.
In allen Zweigen regte ſich ein neues Leben. „O Jahr-
hundert!“ ruft Hutten aus, „die Studien blühn, die Gei-
ſter erwachen: es iſt eine Luſt zu leben.“ Vorzüglich aber
zeigte es ſich in den theologiſchen Gebieten. Der erſte
Geiſtliche der Nation, Erzbiſchof Albrecht von Mainz, be-
grüßte Erasmus als den Herſteller der Theologie.


Da ſollten ſich nun aber ſogleich noch ganz andre
Bewegungen erheben.


Anfänge Luthers.


Nicht von außen her pflegen den Mächten der Welt,
den vorherrſchenden Meinungen ihre gefährlichſten Gegenſätze
zu kommen: in ihrem Innern brechen in der Regel die
Feindſeligkeiten aus, durch welche ſie zerſprengt werden.


Innerhalb der theologiſch-philoſophiſchen Welt ſelbſt
[285]Bewegung in der Theologie.
entſtanden Irrungen, von denen neue Zeiträume des Le-
bens und Denkens ſich datiren ſollten.


Wir dürfen die Thatſache nicht verkennen, daß die
wiklefitiſchen Lehren, die ſich einſt von Oxford über die
lateiniſche Chriſtenheit verbreitet, und in Böhmen eine ſo
drohende Entwickelung genommen hatten, allen Huſſiten-
kriegen zum Trotz doch auch in Deutſchland nicht hatten
beſeitigt werden können. Noch lange nachher finden wir
weithin ihre Spuren: in Baiern, wo ſich der Böklerbund
huſſitiſcher Meinungen verdächtig macht: in Schwaben
und Franken: hält es doch der Rath von Bamberg ein-
mal für nothwendig allen Männern einen Eid gegen die
Huſſiten abzunehmen: bis nach Preußen, wo ſich die An-
hänger wiklefitiſcher und huſſitiſcher Meinungen endlich un-
terwerfen, aber nur ſcheinbar. 1 Um ſo bedeutender war es,
daß ſich aus alle dem wilden Wogen huſſitiſcher Meinun-
gen und Parteien die Genoſſenſchaft der böhmiſchen Brü-
der emporgearbeitet hatte, welche wieder einmal eine chriſt-
liche Gemeine in der Unſchuld und Einfachheit ihres er-
ſten Urſprungs darſtellte, und dem Grundſatz der Oppo-
ſition, daß Chriſtus ſelbſt der Fels ſey, auf dem die Kirche
gegründet, und nicht Petrus noch deſſen Nachfolger, 2 ein
unerwartetes religiöſes Leben gab. Von ihren Sitzen, wo
ſich germaniſche und ſlawiſche Elemente durchdrangen, zo-
gen ihre Boten unbemerkt durch die weiten Gebiete ihrer
[286]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
Sprachen, um ſich Genoſſen ihrer Geſinnung aufzuſuchen
oder zu werben. Nicolaus Kuß in Roſtock, den ſie ein
paar Mal beſucht, fieng darauf an (im J. 1511) öffent-
lich gegen den Papſt zu predigen. 1


Ferner gab es auch auf den Univerſitäten ſelbſt noch
immer eine Oppoſition wider die Alleinherrſchaft des do-
minicaniſchen Syſtems. Der Nominalismus, gleich in
dem Moment ſeiner Erneuerung durch Occam verbündet
mit den Widerſachern des Papſtthums, hatte in Deutſch-
land viel Anklang gefunden und war noch keineswegs ver-
drängt. Der nahmhafteſte Scholaſtiker jener Zeit, Gabriel
Biel, der Sammler iſt hauptſächlich ein Epitomator Oc-
cams. Dieſe Partei war in der Minorität; und mußte
oft die Verfolgung ihrer Gegner erfahren, welche in Beſitz
der Inquiſitionsgewalt waren: 2 in der Tiefe aber erhielt
ſie ſich vielleicht nur um ſo kräftiger. Luther und Me-
lanchthon ſind vom Nominalismus ausgegangen.


Und vielleicht noch wichtiger war, daß in dem funf-
zehnten Jahrhundert die ſtrengern auguſtinianiſchen Lehren
in einzelnen Theologen wieder erwachten.


Johann de Weſalia lehrte die Gnadenwahl: er ſpricht
von jenem Buch, in welchem die Namen der Erwählten
von Anfang an verzeichnet ſeyen. Seine Richtung wird
unter andern dadurch bezeichnet, daß er der Definition des
[287]Bewegung in der Theologie.
Petrus Lombardus vom Sacrament, die eine erweiterte
auguſtinianiſche iſt, dieſe letzte in ihrer urſprünglichen Rein-
heit entgegenſetzt: ſein Sinn geht überhaupt auf die Ent-
fernung der Zuſätze der ſpätern Zeit zu der alten Kirchen-
lehre. 1 Er beſtreitet die Verbindlichkeit prieſterlicher Satzun-
gen, die Kraft des Ablaſſes; er iſt erfüllt von der Idee
der unſichtbaren Kirche. Überhaupt ein Mann voll von
Geiſt; der es wohl vermochte, auf einer Univerſität wie
Erfurt, einmal die große Rolle zu ſpielen; der erſt all-
mählig zu ſeinen Überzeugungen gelangte, und ſie dann
auch auf dem Predigtſtuhl nicht zurückhielt, den wir ſo-
gar mit böhmiſchen Emiſſären in Verbindung treten ſehen.
Dafür mußte er auch zuletzt, ſchon hoch betagt, an ſei-
nem Stabe daher ſchleichend, vor der Inquiſition erſchei-
nen; in dem Gefängniß derſelben iſt er geſtorben.


Johann Pupper von Goch, der um die Jahre 1460,
70 einen Nonnenconvent nach der Regel Auguſtins bei
Mecheln geſtiftet hat, machte ſich dadurch bemerklich, daß
er die herrſchende Kirchenlehre gradezu der Hinneigung zum
Pelagianismus beſchuldigte. 2 Er nennt Thomas von
Aquino einmal den Fürſten des Irrthums. Von augu-
ſtinianiſchen Grundſätzen aus bekämpft er den Cerimonien-
dienſt, den Phariſaismus der Gelübde.


[288]Zweites Buch. Erſtes Capitel.

Wie oft iſt dieſe Oppoſition der römiſchen Kirche ent-
gegengetreten, von Claudius von Turin im Anfang des
neunten bis zu Biſchof Janſe im 17ten Jahrhundert und
zu deſſen Anhängern im 18ten und 19ten. Tiefere Gei-
ſter haben ſie immer auf die Grundlehren zurückweiſen zu
müſſen geglaubt, auf die ſie doch ſelber urſprünglich ge-
gründet war.


Schon entwickelten ſich die Grundſätze der Oppoſition
zu einem wiſſenſchaftlichen Gebäude. In den Werken Jo-
hann Weſſels von Gröningen ſieht man einen männlichen
und wahrheitliebenden Geiſt ſich losarbeiten von den Ban-
den der alleinherrſchenden aber das religiöſe Bewußtſeyn
nicht mehr befriedigenden Überlieferung. Weſſel ſtellt ſchon
den Satz auf, daß man Prälaten und Doctoren nur in
ſo fern glauben dürfe, als ihre Lehre mit der Schrift über-
einſtimme, der einzigen Glaubensregel, welche erhaben ſey
über Papſt und Kirche; 1 er iſt beinahe ein Theolog im
Sinne der ſpätern Epochen. Sehr erklärlich, daß man ihn
an der Univerſität Heidelberg nicht Fuß faſſen ließ!


Und nicht mehr ſo ganz vereinzelt waren bereits dieſe
Beſtrebungen.


Zur Zeit des Basler Conciliums hatte ſich die deutſche
Provinz der Auguſtiner-Eremiten als eine beſondre Con-
gregation conſtituirt; und ſich ſeitdem vor allem bemüht
die ſtrengern Lehren ihres Ordensheiligen feſtzuhalten. Na-
mentlich war dieß das Beſtreben des Andreas Proles, der
faſt ein halbes Jahrhundert lang, 43 Jahre, das Vicariat
dieſer Provinz verwaltet hat: keine Anfechtung ließ er ſich
darin
[289]Bewegung in der Theologie.
darin irre machen. 1 Zu dieſer Richtung kam aber im An-
fang des ſechszehnten Jahrhunderts noch eine andre, ver-
wandte. Der Alleinherrſchaft der Scholaſtik hatten ſich von
jeher myſtiſche Anſchauungen entgegengeſetzt: auch jetzt fan-
den die Predigten Taulers, die ein paar Mal aus den Preſſen
hervorgiengen, mit ihrem milden Ernſt, ihrem verſtändlichen
Tiefſinn, ihrer das deutſche Gemüth befriedigenden Wahr-
haftigkeit ein weit verbreitetes Publicum. Als einen Aus-
fluß tauleriſcher Lehren dürfen wir das Buch von der deut-
ſchen Theologie betrachten, welches damals erſchien, worin
vor allem die Unfähigkeit der Creatur dargethan wird, durch
ihr Ich und Selbſt das Vollkommene zu begreifen, zu in-
nerer Ruhe zu gelangen, ſich dem ewigen Gute hinzuge-
ben, welches ſich ihm dann ſelber mittheile. Da war es
nun von vielem Einfluß, daß der Nachfolger des Proles
Johann Staupitz dieſe Ideen in ſich aufnahm, an ihrer
Ausbildung und Verbreitung mitarbeitete. 2 Wenn wir
ſeine Auffaſſungsweiſe betrachten, wie er ſich z. B. über
die Liebe ausdrückt, „die man weder durch ſich noch durch
andre, nicht einmal durch die heilige Schrift lerne, ſondern
die allein durch die Einwohnung des h. Geiſtes in den
Menſchen komme,“ ſo läßt ſich nicht verkennen, welch
einen genauen innern Zuſammenhang das mit den ſtren-
gern Begriffen von Gnade, Glauben und freiem Willen
hat; durch eine ſolche Verbindung wurden dieſe dem Zeit-
Ranke d. Geſch. I. 19
[290]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
alter wohl erſt recht verſtändlich. Man dürfte nicht anneh-
men, daß alle Auguſtinerconvente, oder gar ſämmtliche Mit-
glieder derſelben, von gleichen Vorſtellungen ergriffen, durch-
drungen worden ſeyen: aber unleugbar iſt, daß dieſelben
in dieſen Kreiſen Wurzel ſchlugen, ſich ausbreiteten, den Wi-
derſpruch gegen die herrſchenden Schulmeinungen nährten.


Es leuchtet ein, wie ſehr alle dieſe Regungen, obwohl
von einer andern Seite her, Verbündete der literariſchen
Oppoſition gegen die Alleinherrſchaft des dominicaniſchen
Syſtems waren. Von allem Anfang mußte es als ein
für die ganze Nation wichtiges Ereigniß betrachtet werden,
daß die abweichenden Tendenzen endlich einmal auf einer
Univerſität Repräſentation empfiengen.


Im Jahr 1502 ſtiftete Churfürſt Friedrich von Sach-
ſen eine neue Univerſität zu Wittenberg. Er brachte ſie
hauptſächlich dadurch zu Stande, daß er der ſchon an ſich
reich ausgeſtatteten dortigen Schloßkirche mit päpſtlicher
Bewilligung eine Anzahl Pfarren incorporirte, und ſie da-
durch zunächſt in ein Stift verwandelte, deſſen Pfründen
er dann für die neuen Profeſſoren beſtimmte. So hatte
man es auch in Trier in Tübingen gemacht; die Würden
des Stiftes wurden mit den Stellen an der Univerſität
verbunden; Propſt Dechant Scholaſter und Syndicus bil-
deten die juridiſche, Archidiaconus Cantor und Cuſtos die
theologiſche Facultät; an fünf Canonicate wurden die phi-
loſophiſchen Vorleſungen und die Übungen der Artiſten ge-
knüpft; der anſehnliche Auguſtinerconvent, der ſich in der
Stadt befand, ſollte an der Arbeit Theil nehmen. 1


[291]Univerſitaͤt Wittenberg.

Wir müſſen uns erinnern, daß man die Univerſitäten
nicht allein als Unterrichtsanſtalten, ſondern als höchſte
Tribunale wiſſenſchaftlicher Entſcheidung anzuſehen pflegte.
In der Beſtätigung von Wittenberg erklärt Friedrich, 1
ſammt allen umwohnenden Völkern werde er ſich dahin
wenden, als an ein Orakel, „ſo daß wir,“ ſagt er, „wenn
wir voll Zweifels gekommen, nach empfangenem Beſcheid
unſrer Sache gewiß uns wieder entfernen.“


Auf die Stiftung und erſte Einrichtung dieſer Univer-
ſität nun hatten zwei Männer den größten Einfluß, welche
beide ohne Frage der Oppoſition gegen das herrſchende
theologiſch-philoſophiſche Syſtem angehörten.


Der eine war Dr Martin Pollich von Melrichſtadt,
der erſte in die Matrikel eingetragene Name, der erſte
Rector; Leibarzt des Fürſten. Wir wiſſen, daß er ſchon
in Leipzig, wo er bisher geſtanden, die ſeltſamen Übertrei-
bungen bekämpfte, in die ſich die dortige Scholaſtik ver-
lor, ſehr wunderliche Sätze, z. B. daß das am erſten Tage
erſchaffene Licht die Theologie ſey, daß den Engeln discur-
ſive Theologie beiwohne; daß er ſchon auf den Gedanken
gekommen war dieſe Wiſſenſchaft durch das Studium der
allgemeinen Literatur zu begründen. 2


Der andre war derſelbe Johann Staupitz, deſſen au-
guſtinianiſch-myſtiſcher Richtung wir eben gedachten; er
war der erſte Decan der theologiſchen Facultät; die denn
19*
[292]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
ihre Thätigkeit damit begann, daß ſie den Martin Pollich
zum Doctor der Theologie promovirte; 1 die Leitung des
Auguſtinerconvents gab ihm noch beſondern Einfluß. Nicht
ohne Bedeutung war es, daß die Univerſität eben den h.
Auguſtin zu ihrem Patron erklärte. In dem praktiſchen
Verhältniß in welchem wir Staupitz hier antreffen, lernen
wir ihn bei alle ſeiner entſchiedenen Hinneigung zum Tief-
ſinn doch zugleich als einen ſehr brauchbaren Mann ken-
nen, der ſich an dem Hofe zu betragen weiß und mit ſei-
nem ſchlichten Witze ſelbſt dem Fürſten nichts ſchuldig
bleibt; der auch wohl eine Geſandtſchaft übernimmt und
eine Unterhandlung glücklich zu Ende führt; als die tie-
fere Quelle alle ſeines Thuns und Laſſens aber zeigt ſich
immer ein ächter Sinn für wahre und tiefe Religion, ein
umfaſſendes Wohlwollen.


Es läßt ſich denken in welchem Sinn dieſe Männer
an der Univerſität wirkten: allein gar bald gieng ihr noch
ein andres Geſtirn auf. Im Jahr 1508 führte ihr Stau-
pitz den jungen Luther zu.


Es iſt nothwendig daß wir einen Augenblick bei den
Jugendjahren Luthers ſtehen bleiben.


„Ich bin eines Bauern Sohn,“ ſagt er ſelbſt: „mein
Vater, Großvater, Ahn ſind rechte Bauern geweſen; darauf
iſt mein Vater gen Mansfeld gezogen und ein Berghauer
worden: daher bin ich.“ 2 Das Geſchlecht dem Luther
angehört, iſt in Möhra zu Hauſe, einem Dorfe unmittelbar
[293]Anfaͤnge Luthers.
an der Höhe des Thüringer Waldgebirges, unfern den Ge-
genden, an die ſich das Andenken der erſten Verkündigun-
gen des Chriſtenthums durch Bonifacius knüpft; da mö-
gen die Vorfahren Luthers Jahrhunderte lang auf ihrer
Hufe geſeſſen haben, — wie dieſe Thüringer Bauern pfle-
gen, von denen immer Ein Bruder das Gut behält, wäh-
rend die andern ihr Fortkommen auf andre Weiſe ſu-
chen. Von dieſem Loos, ſich irgendwo auf ſeine eigne
Hand Heimath und Heerd erwerben zu müſſen, betroffen
wandte ſich Hans Luther nach dem Bergwerk zu Mans-
feld, wo er im Schweiß ſeines Angeſichts ſein Brod ver-
diente: mit ſeiner Frau Margret, die gar oft das Holz
auf ihrem Rücken hereinholte. Von dieſen Eltern ſtammte
Martin Luther. Er kam in Eisleben auf die Welt, wo-
hin ſeine rüſtige Mutter eben auf den Jahrmarkt gewan-
dert war: er wuchs auf in der Mansfelder Gebirgsluft.


Wie nun Leben und Sitte jener Zeit überhaupt ſtreng
und rauh, ſo war es auch die Erziehung. Luther erzählt,
daß ihn die Mutter einſt um einer armſeligen Nuß willen
blutig geſtäupt: der Vater ihn ſo ſcharf gezüchtigt habe,
daß er ſein Kind nur mit Mühe wieder an ſich gewöh-
nen können; in einer Schule iſt er eines Vormittags funf-
zehn Mal hinter einander mit Schlägen geſtraft worden.
Sein Brod mußte er dann mit Singen vor den Thüren,
mit Neujahrſingen auf den Dörfern verdienen. Sonder-
bar, daß man die Jugend glücklich preiſt und beneidet, in
der doch aus der Dunkelheit der kommenden Jahre nur
die ſtrengen Nothwendigkeiten hereinwirken, das Daſeyn
von fremder Hülfe abhängig iſt, und der Wille eines An-
[294]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
dern mit eiſernem Gebot Tag und Stunde beherrſcht. Für
Luthern war dieſe Zeit ſchreckenvoll.


Von ſeinem funfzehnten Jahre an gieng es ihm etwas
beſſer. In Eiſenach, wo er eine höhere Schule beſuchte,
fand er Aufnahme bei den Verwandten ſeiner Mutter: in
Erfurt, wohin er zur Univerſität gieng, ließ ihm ſein Va-
ter, der indeſſen durch Arbeitſamkeit, Sparſamkeit und Ge-
deihen in beſſere Umſtände gekommen, freigebige Unterſtützung
zufließen; 1 er dachte, ſein Sohn ſolle ein Rechtsgelehrter
werden ſich anſtändig verheirathen und ihm Ehre machen.


Auf die Beſchränkungen der Kindheit aber folgen in
dem mühſeligen Leben der Menſchen bald andre Bedräng-
niſſe. Der Geiſt fühlt ſich frei von den Banden der
Schule; er iſt noch nicht zerſtreut durch die Bedürfniſſe
und Sorgen des täglichen Lebens; muthvoll wendet er ſich
den höchſten Problemen zu, den Fragen über das Ver-
hältniß des Menſchen zu Gott, Gottes zur Welt; indem
er ihre Löſung gewaltſam zu erſtürmen ſucht, ergreifen ihn
leicht die unſeligſten Zweifel. Es ſcheint faſt, als ſey der
ewige Urſprung alles Lebens dem jungen Luther nur als
der ſtrenge Richter und Rächer erſchienen, der die Sünd-
haftigkeit, von der ihm von Natur ein großartig lebendiges
Gefühl beiwohnte, mit der Qual der Höllenſtrafen heim-
ſuche, und den man nur durch Buße, Abtödtung und ſchwe-
ren Dienſt verſöhnen könne. Als er einſt, im Juli 1505,
von dem väterlichen Hauſe zu Mansfeld wieder nach Er-
furt zurückgieng, ereilte ihn auf dem Felde in der Nähe
[295]Anfaͤnge Luthers.
von Stotternheim eines jener furchtbaren Gewitter, wie ſie
ſich nicht ſelten hier am Gebirge lange anſammeln und
endlich plötzlich über den ganzen Horizont hin entladen.
Luther war ſchon ohnedieß durch den unerwarteten Tod
eines vertrauten Freundes erſchüttert. Wer kennt die Mo-
mente nicht, in denen das ſtürmiſche verzagte Herz durch
irgend ein überwältigendes Ereigniß, wäre es auch nur
eben der Natur, vollends zu Boden gedrückt wird. In
dem Ungewitter erblickte Luther, in ſeiner Einſamkeit auf
dem Feldweg, den Gott des Zorns und der Rache; ein
Blitz ſchlug neben ihm ein; in dieſem Schrecken gelobte er
der h. Anna, wenn er gerettet werde, in ein Kloſter zu gehen.


Noch einmal ergötzte er ſich mit ſeinen Freunden ei-
nes Abends bei Wein, Saitenſpiel und Geſang; es war
das letzte Vergnügen das er ſich zugedacht: hierauf eilte
er ſein Gelübde zu vollziehen und that Profeß in dem Au-
guſtinerkloſter zu Erfurt.


Wie hätte er aber hier Ruhe finden ſollen, in alle
der aufſtrebenden Kraft jugendlicher Jahre hinter die enge
Kloſterpforte verwieſen, in eine niedrige Zelle, mit der Aus-
ſicht auf ein paar Fuß Gartenland, zwiſchen Kreuzgängen,
und zunächſt nur zu den niedrigſten Dienſten verwandt.
Anfangs widmete er ſich den Pflichten eines angehenden
Kloſterbruders mit der Hingebung eines entſchloſſenen Wil-
lens. „Iſt je ein Mönch in Himmel gekommen,“ ſagt
er ſelbſt, „durch Möncherei, ſo wollte auch ich hineinge-
kommen ſeyn.“ 1 Aber dem ſchweren Dienſt des Gehor-
[296]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
ſams zum Trotz ward er bald von peinvoller Unruhe er-
griffen. Zuweilen ſtudirte er Tag und Nacht und ver-
ſäumte darüber ſeine canoniſchen Horen; dann holte er
dieſe wieder mit reuigem Eifer nach; ebenfalls ganze Nächte
lang. Zuweilen gieng er, nicht ohne ſein Mittagsbrod
mitzunehmen, auf ein Dorf hinaus, predigte den Hirten
und Bauern und erquickte ſich dafür an ihrer ländlichen
Muſik; dann kam er wieder und ſchloß ſich Tage lang in
ſeine Zelle ein, ohne Jemand ſehen zu wollen. Alle frü-
heren Zweifel und inneren Bedrängniſſe kehrten von Zeit
zu Zeit mit doppelter Stärke zurück.


Wenn er die Schrift ſtudirte, ſo ſtieß er auf Sprüche,
die ihm ein Grauen erregten: z. B. Errette mich in deiner
Gerechtigkeit, deiner Wahrheit: „ich gedachte, ſagt er, Ge-
rechtigkeit wäre der grimmige Zorn Gottes, womit er die
Sünder ſtraft:“ in den Briefen Pauli traten ihm Stellen
entgegen, die ihn Tage lang verfolgten. Wohl blieben ihm
die Lehren von der Gnade nicht unbekannt: allein die Be-
hauptung, daß durch dieſelbe die Sünde auf einmal hin-
weggenommen werde, brachte auf ihn, der ſich ſeiner Sünde
nur allzuwohl bewußt blieb, eher einen abſtoßenden, perſön-
lich niederbeugenden Eindruck hervor. Sie machte ihn, wie er
ſagt, das Herz bluten, ihn an Gott verzweifeln. 1 „O meine
Sünde, Sünde, Sünde!“ ſchrieb er an Staupitz, der ſich
dann nicht wenig wunderte, wenn er kam, dem Mönche
Beichte ſaß und dieſer keine Thatſachen zu bekennen wußte.
Es war die Sehnſucht der Creatur nach der Reinheit ihres
[297]Anfaͤnge Luthers.
Schöpfers, der ſie ſich in der Tiefe verwandt, von der ſie
ſich doch wieder durch eine unermeßliche Kluft entfernt
fühlt; ein Gefühl, das Luther durch unabläßiges einſames
Grübeln nährte, und das ihn um ſo tiefer und ſchmerzhaf-
ter durchdrang, da es durch keine Bußübung beſchwich-
tigt, von keiner Lehre innerlich und wirkſam berührt wurde,
kein Beichtvater darum wiſſen wollte. Es kamen Mo-
mente, wo die angſtvolle Schwermuth ſich aus den gehei-
men Tiefen der Seele gewaltig über ihn erhob, ihre dunkeln
Fittige um ſein Haupt ſchwang, ihn ganz darniederwarf.
Als er ſich einſt wieder ein paar Tage unſichtbar gemacht
hatte, erbrachen einige Freunde ſeine Zelle, und fanden ihn
ohnmächtig, ohne Beſinnung ausgeſtreckt. Sie kannten
ihren Freund: mit ſchonungsvoller Einſicht ſchlugen ſie
das Saitenſpiel an, das ſie mitgebracht: unter der wohl-
bekannten Weiſe ſtellte die mit ſich ſelber hadernde Seele
die Harmonie ihrer innern Triebe wieder her, und erwachte
zu geſundem Bewußtſeyn.


Liegt es aber nicht in den Geſetzen der ewigen Welt-
ordnung, daß ein ſo wahres Bedürfniß der Gott ſuchen-
den Seele dann auch wieder durch die Fülle der Überzeu-
gung befriedigt wird?


Der Erſte, der Luthern in ſeinem verzweiflungsvollen
Zuſtande man kann nicht ſagen Troſt gab, aber einen Licht-
ſtrahl in ſeine Nacht fallen ließ, war ein alter Auguſtiner-
bruder, der ihm in väterlichem Zuſpruch auf die einfachſte
erſte Wahrheit des Chriſtenthums hinwies, auf die Ver-
gebung der Sünden durch den Glauben an den Erlöſer:
auf die Lehre Pauli Römer am dritten daß der Menſch
[298]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
gerecht werde ohne des Geſetzes Werke, allein durch den
Glauben. 1 Lehren, die er wohl auch früher gehört haben
mochte, die er aber in ihrer Verdunkelung durch Schul-
meinungen und Cerimoniendienſt nie recht verſtanden, die
erſt jetzt einen vollen durchgreifenden Eindruck auf ihn mach-
ten. Er ſann hauptſächlich dem Spruche nach: der Ge-
rechte lebet ſeines Glaubens: er las die Erklärung Augu-
ſtins darüber: „da ward ich froh,“ ſagt er, „denn ich
lernte und ſah, daß Gottes Gerechtigkeit iſt ſeine Barm-
herzigkeit, durch welche er uns gerecht achtet und hält: da
reimte ich Gerechtigkeit und Gerechtſeyn zuſammen und
ward meiner Sache gewiß.“ Eben das war die Überzeu-
gung deren ſeine Seele bedurfte: er ward inne, daß die
ewige Gnade ſelbſt, von welcher der Urſprung des Men-
ſchen ſtammt, die irrende Seele erbarmungsvoll wieder an
ſich zieht und ſie mit der Fülle ihres Lichtes verklärt: daß
uns davon in dem hiſtoriſchen Chriſtus Vorbild und un-
widerſprechliche Gewißheit gegeben worden: er ward all-
mählig von dem Begriff der finſtern nur durch Werke rau-
her Buße zu verſöhnenden Gerechtigkeit frei. Er war wie
ein Menſch der nach langem Irren endlich den rechten Pfad
gefunden hat, und bei jedem Schritte ſich mehr davon über-
zeugt; getroſt ſchreitet er weiter.


So ſtand es mit Luther, als er von ſeinem Provinzial
im Jahr 1508 nach Wittenberg gezogen ward. Die phi-
loſophiſchen Vorleſungen, die er übernehmen mußte, ſchärf-
[299]Anfaͤnge Luthers.
ten in ihm die Begierde, in die Geheimniſſe der Theologie
einzudringen, „in den Kern der Nuß,“ wie er ſagt, „in
das Mark des Weizens.“ Die Schriften die er ſtudirte,
waren die Epiſteln Pauli, die Bücher Auguſtins wider die
Pelagianer, endlich die Predigten Taulers: mit viel fremd-
artiger Literatur belud er ſich nicht; es kam ihm nur auf
Befeſtigung, Ausarbeitung der einmal gewonnenen Über-
zeugung an. 1


In der merkwürdigſten Stimmung finden wir ihn auf
einer Reiſe, die er ein paar Jahre darauf in Sachen ſei-
nes Ordens nach Rom machte. Als er die Thürme von
Rom aus der Ferne anſichtig wurde, fiel er auf die Erde,
hob ſeine Hände auf und ſprach: ſey mir gegrüßt, du hei-
liges Rom. Hierauf war keine Übung der Pilgerfrömmig-
keit, die er nicht mit Hingebung, langſam und andächtig
vollzogen hätte; er ließ ſich die Leichtfertigkeiten andrer
Prieſter darin nicht ſtören; er ſagt, er hätte beinahe wün-
[300]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
ſchen mögen, daß ſeine Eltern ſchon geſtorben wären, um
ſie hier durch dieſe bevorrechteten Gottesdienſte ſicher aus
dem Fegefeuer erlöſen zu können; 1 — aber dabei empfand
er doch auch in jedem Augenblick, wie wenig alle das mit
der tröſtlichen Lehre übereinſtimme, die er in dem Briefe
an die Römer und bei Auguſtin gefunden: indem er die
Scala ſanta auf den Knien zurücklegte, um den hohen
Ablaß zu erlangen, der an dieſe mühevolle Andacht geknüpft
war, hörte er eine widerſprechende Stimme unaufhörlich in
ſeinem Innern rufen: „der Gerechte lebet ſeines Glaubens.“ 2


Nach ſeiner Rückkunft ward er 1512 Doctor der h.
Schrift, und von Jahr zu Jahr erweiterte ſich ſeine Thä-
tigkeit. Er las an der Univerſität bald über das neue,
bald über das alte Teſtament: er predigte bei den Augu-
ſtinern und verſah an der Stelle des erkrankten Pfarrers
das Pfarramt in der Stadt: im Jahre 1516 ernannte ihn
auch Staupitz während einer Reiſe zu ſeinem Verweſer im
Orden, und wir finden ihn die Klöſter in der ganzen Pro-
vinz beſuchen, wo er Prioren einſetzt oder abſetzt, Mönche
aufnimmt und verpflanzt, gleichzeitig die ökonomiſchen Klei-
nigkeiten beaufſichtigt und zu tieferer Gottesfurcht anzu-
leiten ſucht; überdieß hat er ſein eigenes mit Brüdern über-
fülltes und dabei ſehr armes Kloſter zu beſorgen. Von
den Jahren 1515 und 1516 haben wir einige Schriften
von ihm übrig, aus denen wir die geiſtige Entwickelung
kennen lernen, in der er begriffen war. Noch hatten My-
[301]Anfaͤnge Luthers.
ſtik und Scholaſtik großen Einfluß auf ihn. In den er-
ſten deutſchen geiſtlichen Worten die wir von ihm haben,
einem Predigtentwurf vom November 1515 wendet er die
Symbolik des hohen Liedes in harten Ausdrücken auf die
Wirkung des heiligen Geiſtes, welcher durch das Fleiſch in
den Geiſt führe, und auf das innere Verſtändniß der h.
Schrift an. In einem andern vom Dezember deſſelben
Jahres ſucht er aus der ariſtoteliſchen Theorie über We-
ſen, Bewegung und Ruhe das Geheimniß der Dreieinigkeit
zu erläutern. 1 Dabei aber nahmen ſeine Ideen ſchon eine
Richtung auf die Verbeſſerung der Kirche im Allgemeinen
und Großen. In einer Rede, welche wie es ſcheint dazu
beſtimmt war, von dem Propſt zu Lietzkau auf dem late-
ranenſiſchen Concilium vorgetragen zu werden, führt er
aus, daß das Verderben der Welt von den Prieſtern her-
rühre, von denen zu viel Menſchenſatzung und Fabel, nicht
das reine Wort Gottes vorgetragen werde. Denn nur das
Wort des Lebens habe die Fähigkeit die innere Wieder-
geburt des Menſchen zu vollziehen. Es iſt ſehr bemerkens-
werth, daß Luther ſchon da das Heil der Welt bei weitem
weniger von einer Verbeſſerung des Lebens erwartet, die
nur erſt einen zweiten Geſichtspunct ausmacht, als von
einer Wiederherſtellung der Lehre. Von keiner andern Lehre
aber zeigt er ſich ſo vollkommen durchdrungen und erfüllt,
wie von der Rechtfertigung durch den Glauben. Er dringt
unaufhörlich darauf, daß man ſich ſelber verleugnen und
unter die Fittige Chriſti fliehen müſſe; er wiederholt bei
jeder Gelegenheit den Spruch Auguſtins, was das Geſetz
[302]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
verlange, das erlange der Glaube. 1 Man ſieht: noch war
Luther nicht ganz mit ſich einig, noch hegte er Meinungen,
die einander im Grunde widerſprachen; allein in alle ſei-
nen Schriften athmet doch zugleich ein gewaltiger Geiſt,
ein noch durch Beſcheidenheit und Ehrfurcht zurückgehal-
tener, aber die Schranken ſchon überall durchbrechender
Jugendmuth, ein auf das Weſentliche dringender, die Feſ-
ſeln des Syſtems zerreißender, auf neuen Pfaden, die er
ſich bahnt, vordringender Genius. Im Jahr 1516 finden
wir Luther lebhaft beſchäftigt ſeine Überzeugung von der
Rechtfertigung nach allen Seiten zu bewähren, und durch-
zuarbeiten. 2 Es beſtärkt ihn nicht wenig, daß er die Un-
ächtheit eines dem Auguſtin zugeſchriebenen Buches ent-
deckt, auf welches die Scholaſtiker viele der ihm widerwärtig-
ſten Lehren gegründet hatten, welches in die Sentenzen des
Lombardus faſt ganz aufgenommen worden war, de vera
et falsa poenitentia;
dann faßt er ſich das Herz, die Lehre
der Scotiſten von der Liebe, des Magiſter ſententiarum
von der Hofnung zu beſtreiten; — ſchon iſt er überzeugt,
daß es keine an und für ſich Gott wohlgefällige Werke
gebe, wie Beten, Faſten, Nachtwachen; denn da es dabei
doch darauf ankomme, ob ſie in der Furcht Gottes geſche-
hen, ſo ſey jede andere Beſchäftigung im Grunde eben ſo gut.


Im Gegenſatz mit einigen Äußerungen deutſcher Theo-
logen, welche ihm pelagianiſch erſcheinen, ergreift er mit
[303]Anfaͤnge Luthers.
entſchloſſener Feſtigkeit auch die härteren Beſtimmungen des
auguſtinianiſchen Begriffs; einer ſeiner Schüler vertheidigt
die Lehre von der Unfreiheit des Willens, von der Unfä-
higkeit des Menſchen, ſich durch ſeine eignen Kräfte zur
Gnade vorzubereiten, geſchweige ſie zu erwerben, in feier-
licher Disputation. 1 Und fragen wir nun, worin er die
Vermittelung zwiſchen göttlicher Vollkommenheit und menſch-
licher Sündlichkeit ſieht, ſo iſt es allein das Geheimniß der
Erlöſung, das geoffenbarte Wort, Erbarmen auf der einen,
Glauben auf der andern Seite. Schon werden ihm von
dieſem Puncte aus mehrere Hauptlehren der Kirche zwei-
felhaft. Den Ablaß leugnet er noch nicht, aber ſchon 1516
iſt es ihm bedenklich, daß der Menſch dadurch die Gnade
empfangen ſolle; die Begierde der Seele werde dadurch
nicht weggenommen, die Liebe nicht eingeflößt, wozu viel-
mehr die Erleuchtung des Geiſtes, die Befeuerung des Wil-
lens, unmittelbare Einwirkung des Ewigen gehöre: denn
nur in der tiefſten Innerlichkeit weiß er die Religion zu
begreifen. 2 Es wird ihm ſchon zweifelhaft, ob man den
Heiligen die mancherlei äußerlichen Hülfsleiſtungen zuſchrei-
ben dürfe, um deren willen man ſie anruft.


Mit dieſen Lehren, dieſer großen Richtung nun, die
ſich unmittelbar an die Überzeugungen anſchloß, welche von
Pollich und Staupitz gepflanzt worden waren, erfüllte Lu-
ther wie die Auguſtiner-Brüder in ſeinem Kloſter, ſeiner
[304]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
Provinz, ſo vor allem die Mitglieder der Univerſität. Eine
Zeitlang hielt Jodocus Trutvetter von Eiſenach die üb-
lichen Vorſtellungen aufrecht; aber nach deſſen Abgang im
Jahr 1513 war Luther der Geiſt der die Schule beherrſchte.
Seine nächſten Collegen, Peter Lupinus und Andreas Carl-
ſtadt, die ihm noch eine Weile Widerſtand geleiſtet, bekann-
ten ſich endlich durch die Ausſprüche Auguſtins und die
Lehren der Schrift, die auf ihn ſelbſt einen ſo großen Ein-
druck gemacht, bezwungen und überzeugt; ſie wurden bei-
nahe eifriger als Luther ſelbſt. Welch eine ganz andre
Richtung empfieng hiedurch dieſe Univerſität, als in der
ſich die übrigen zu bewegen fortfuhren. Die Theologie
ſelbſt, und zwar lediglich in Folge einer innern Entwicke-
lung ſchloß ſich an die Forderungen an, welche von der
allgemeinen Literatur aus gemacht worden. Hier ſetzte man
ſich den Theologen von dem alten und von dem neuen Wege,
den Nominaliſten und den Realiſten, hauptſächlich aber der
herrſchenden thomiſtiſch-dominicaniſchen Lehre entgegen, und
wandte ſich an die Schrift und die Kirchenväter, eben
wie Erasmus forderte, obwohl von einem bei weitem po-
ſitivern Prinzip aus: für Vorleſungen im alten Sinne fan-
den ſich in Kurzem keine Zuhörer mehr.


So ſtand es in Wittenberg, als Verkündiger päpſtli-
cher Indulgenzen in den Elbgegenden erſchienen: mit Be-
fugniſſen, wie ſie nie erhört worden, die aber Papſt Leo X
in der Lage der Dinge in der er ſich befand, zu ertheilen
kein Bedenken getragen.


Denn von keiner Seite her hätte man jetzt zu Rom
eine bedeutende kirchliche Oppoſition befürchtet.


An
[305]Der paͤpſtliche Hof.

An die Stelle jenes Piſaniſchen Conciliums war ein
andres an den Lateran berufen worden; in welchem nichts
als Devotion gegen den römiſchen Stuhl wahrgenommen
ward, die Lehre von der Omnipotenz deſſelben völlig die
Oberhand behielt.


Früher hatte das Cardinalcollegium öfter den Verſuch
gemacht, das Papſtthum einzuſchränken, es zu behandeln
wie deutſche Capitel ihr Bisthum behandelten: man hatte
Leo gewählt, weil man hoffte er werde ſich das gefal-
len laſſen. Aber wie ganz anders kam das! Eben die
Beförderer ſeiner Wahl ließ Leo ſeine Gewalt am ſtreng-
ſten fühlen. Sie geriethen hierüber in eine unglaubliche
Wuth. Cardinal Alfonſo Petrucci iſt ein Paar mal mit
dem Dolch unter dem Purpur in dem Collegium erſchie-
nen: er würde den Papſt getödtet haben, wenn ihn nicht
die Betrachtung zurückgehalten hätte, was die Welt ſagen
würde wenn ein Papſt von einem Cardinal ermordet werde.
Indem er es aus dieſer Standesrückſicht für rathſamer
hielt, einen andern, nicht ſo tumultuariſchen Weg einzu-
ſchlagen, ſich des Papſtes mit Gift zu entledigen, hiezu
aber Freunde brauchte, Einverſtandene unter den Cardinä-
len, Gehülfen im Pallaſt, ſo geſchah ihm daß er verrathen
wurde. 1 Was waren das für ſtürmiſche Conſiſtorien die
auf dieſe Entdeckung folgten! Von außen, ſagt der Ceri-
monienmeiſter, hörte man lautes Geſchrei, des Papſtes ge-
Ranke d. Geſch. I. 20
[306]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
gen einige Cardinäle, der Cardinäle unter einander und auch
gegen den Papſt. Was da aber auch geſagt worden ſeyn
mag, ſo ließ ſich Leo die Gelegenheit nicht entgehn ſeine
Gewalt auf immer zu begründen. Er entledigte ſich nicht
allein der gefährlichen Gegner, ſondern er ſchritt zu einer
großen Creation von Cardinälen, ein und dreißig auf ein-
mal, durch die er nun für alle Fälle die Majorität hatte
und ohne Widerrede herrſchte. 1


Auch in dem Staat war noch einmal ein gewaltiger
Sturm ausgebrochen; der aus Urbino verjagte Herzog Franz
Maria war dahin zurückgekehrt, und hatte einen Krieg an-
gefangen, deſſen Erfolge den Papſt lange Zeit in halb er-
bitterter halb beſchämter Aufregung hielten; allmählig aber
ward man doch auch hier wieder Meiſter; Ströme von
Gold verſchlang dieſer Krieg, 2 aber man fand die Mittel
ſie ſich zu verſchaffen.


Bei der Stellung die der Papſt, Gebieter von Florenz,
Meiſter von Siena, überhaupt genommen, bei den guten Ver-
bindungen in denen er mit den Mächten von Europa ſtand,
den Ausſichten die ſein Haus auf das übrige Italien ge-
faßt, kam ihm alles darauf an, einer verſchwenderiſchen
Verwaltung die ſich nichts verſagte zum Trotz, doch bei
Caſſe zu ſeyn. So oft wie möglich ſuchte er außerordent-
liche Einkünfte von der Kirche zu ziehen.


Das Lateranconcilium ward noch unmittelbar vor ſei-
nem Schluſſe (15 März 1517) bewogen, dem Papſt einen
[307]Paͤpſtliche Geldforderungen.
Zehnten von den Kirchengütern in der geſammten Chriſten-
heit zu bewilligen. In demſelben Momente durchzogen be-
reits drei verſchiedene Ablaßcommiſſionen Deutſchland und
die nördlichen Reiche.


Wohl geſchah das nun unter anderm Vorwand: der
Zehnte, hieß es, ſolle zu einem baldigen Türkenkrieg, der
Ertrag des Ablaſſes zum Bau von St. Peter, wo die
Gebeine der Märtyrer dem Ungeſtüm der Witterung Preis
gegeben ſeyen, verwendet werden. Allein man glaubte die-
ſem Vorgeben nicht mehr.


So ergeben auch das Lateranconcilium dem Papſte
war, ſo machte doch eine überaus ſtarke Minorität — nur
mit zwei oder drei Stimmen gieng der Antrag durch — ge-
gen jenen Zehnten die Einwendung, daß ja fürs Erſte noch
an keinen Türkenkrieg zu denken ſey. 1 Wer konnte eifriger
katholiſch ſeyn als Cardinal Ximenes, der damals Spa-
nien verwaltete? Aber ſchon 1513 hatte er ſich dem Ab-
laß widerſetzt, den man auch in Spanien ausbieten wollte: 2
jetzt betheuerte er dem Papſt ſeine Ergebenheit aufs neue
in den ſtärkſten Ausdrücken: was aber den Zehnten anbe-
traf, ſo fügte er hinzu, man müſſe erſt ſehen, wozu er wirk-
lich verwandt werde. 3


Denn daran zweifelte kein vernünftiger Mann, daß
alle dieſe Forderungen Finanzſpeculationen ſeyen. Es läßt
ſich wohl nicht eigentlich nachweiſen, was man damals
20*
[308]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
behauptet hat, der Ertrag des deutſchen Ablaſſes ſey zum
Theil der Schweſter des Papſtes Magdalena beſtimmt ge-
weſen. Die Sache iſt aber ohnehin klar: Niemand kann
leugnen, daß die kirchlichen Beiſteuern auch der Familie
des Papſtes zu Gute kamen. Es liegt uns eine Quittung
vor, von dem Neffen des Papſtes Lorenzo an den König
von Frankreich, für 100000 Livres, die ihm derſelbe für
ſeine Dienſte geſchenkt habe. Darin heißt es ausdrücklich
daß dieſe Summe dem König von dem Zehnten zu Gute
kommen ſoll, den das Concilium dem Papſt zu dem Tür-
kenzug bewilligt hatte. 1 Das war doch ganz eben ſo gut,
als ob der Papſt das Geld ſeinem Neffen gegeben hätte:
ja vielleicht noch ſchlimmer: er ſchenkte es ihm, ehe es
noch eingekommen war.


Da lag nun das einzige Mittel, ſich dieſen Auflagen
entgegenzuſetzen, in den Staatsgewalten, die ſich ſo eben
conſolidirten: wie wir es an Ximenes in Spanien ſehen;
wie man auch in England nicht ſo bald von dem Be-
ſchluſſe des Conciliums gehört haben konnte, als man die
päpſtlichen Einnehmer ſchwören ließ, weder Geld noch Wech-
ſel nach Rom zu ſchicken. 2


Wer aber wäre im Stande geweſen, die deutſchen In-
tereſſen in Schutz zu nehmen? Ein Regiment gab es nicht
mehr, der Kaiſer war durch ſeine ſchwankenden politiſchen
Verhältniſſe namentlich zu Frankreich genöthigt, ein gutes
[309]Ablaß in Deutſchland.
Vernehmen mit dem Papſt aufrecht zu erhalten. Einer
der angeſehenſten deutſchen Reichsfürſten, der Erzcanzler
von Germanien, Churfürſt Albrecht von Mainz, geborner
Markgraf von Brandenburg, war ſo ſtark in das Intereſſe
gezogen als möglich: ein Theil des Ertrages war für ſei-
nen eignen Vortheil beſtimmt.


Von den drei Commiſſionen nemlich, in welche die
deutſchen Gebiete getheilt waren, umfaßte die eine, welche ein
Mitglied der römiſchen Prälatur Arcimbold verwaltete, den
größten Theil der ober- und niederdeutſchen Diöceſen; die
andre, welche nur Öſtreich und die Schweiz begriff, fiel
den Unterbeamten des Franciscanergenerals Chriſtoph Nu-
mai von Forli anheim; 1 die dritte hatte der Churfürſt von
Mainz ſelbſt übernommen, in ſeinen eignen großen erzbi-
ſchöflichen Provinzen, Mainz und Magdeburg, und zwar
auf folgende Veranlaſſung.


Wir erinnern uns, welche Koſten die ſo oft wieder-
kehrenden Vacanzen dem Erzſtift Mainz verurſacht hatten.
Im Jahr 1513 wählte das Capitel den Markgrafen Albrecht
auch deshalb, weil er dem Stifte mit den Koſten des Pal-
liums nicht beſchwerlich zu werden verſprach. Allein auch
er wäre nicht fähig geweſen ſie aus eignen Mitteln zu be-
ſtreiten. Man traf die Auskunft, daß er zu Befriedigung
des römiſchen Hofes 30000 G. bei dem Hauſe der Fugger
in Augsburg aufnahm, und um dieſe zurückzahlen zu kön-
[310]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
nen, ſich die Hälfte der aufkommenden Ablaßgelder in ſeinen
Provinzen vorbehielt. 1 Dieſes finanzielle Moment wurde
ganz offen zur Schau getragen. Agenten des Handelshau-
ſes zogen mit den Ablaßpredigern umher; Albrecht hatte
ſie ermächtigt, jene Hälfte des Geldes ſofort in Empfang
zu nehmen, „in Bezahlung der Summe die er ihnen ſchul-
dig ſey.“ 2 Die Taxe für die große Indulgenz erinnert
an die Beſtimmungen über die Auflage des gemeinen Pfen-
nigs. Wir haben Tagebücher in denen man die Ausga-
ben für die geiſtlichen Güter neben anderm weltlichen An-
kauf in Rechnung bringt. 3


Und betrachten wir nun welches die Güter waren die
man dergeſtalt erwarb.


Die große Indulgenz für Alle, die zu dem angegebnen
Zwecke der Vollendung der vaticaniſchen Baſilica beiſteuern
würden, war Vergebung der Sünden, ſo daß man die
Gnade Gottes wieder erlange und der im Fegefeuer zu lei-
denden Strafen überhoben werde. Außerdem aber waren
auch noch drei andre Gnaden durch fernere Beiträge zu
erwerben: das Recht ſich einen Beichtvater zu wählen, der
in reſervirten Fällen abſolviren, Gelübde die man gethan
in andre gute Werke verwandeln könne; Theilnahme an
allen Gebeten Faſten Wallfahrten und den übrigen guten
Werken, die in der ſtreitenden Kirche erworben werden;
[311]Ablaßtheorie.
endlich die Erlöſung der Seelen der Verſtorbenen aus dem
Fegefeuer Für die große Indulgenz war es nothwendig
zugleich zu beichten und Reue zu fühlen; die drei übri-
gen konnten dagegen ohne Reue und Beichte bloß durch
Geld erlangt werden. 1 In dieſem Sinn iſt es, daß ſchon
Columbus einmal den Werth des Goldes preiſt: „wer es
beſitzt,“ ſagt er gleichſam in Ernſt, „vermag ſogar die
Seelen ins Paradies zu führen.“


Überhaupt hätte ſich die Vereinigung weltlicher Be-
ſtrebungen und geiſtlicher Omnipotenz wie ſie dieſe Epoche
vorzugsweiſe bezeichnet, nicht ſchlagender darſtellen können.
Nicht ohne phantaſtiſche Großartigkeit iſt jene Vorſtellung,
daß die Kirche eine Himmel und Erde, Lebendige und Todte
umfaſſende Gemeinſchaft bilde, in der alle Verſchuldung
der Einzelnen aufgehoben werde durch das Verdienſt und
die Gnade der Geſammtheit. Welche Idee von der Ge-
walt und Würde eines Menſchen liegt darin, daß man
ſich den Papſt als Denjenigen dachte, der dieſen Schatz
der Verdienſte nach Belieben Einem oder dem Andern zu-
wenden könne. 2 Erſt in den jüngſten Zeiten war die Lehre
durchgedrungen, daß ſich die Gewalt des Papſtes auch auf
den Mittelzuſtand, den man ſich zwiſchen Himmel und Erde
[312]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
dachte, das Fegfeuer erſtrecke. Der Papſt erſcheint als der
große Vermittler aller Beſtrafung und Gnade. Und dieſe
poetiſch-erhabenſte Idee von ſeiner Würde nun zog er in den
Staub um einer elenden Geldzahlung willen, die er zu ei-
nem augenblicklichen Bedürfniß ſeines Staates oder ſeines
Hauſes verwandte. Marktſchreieriſche Commiſſarien, welche
gern berechneten, wie viel Geld ſie ſchon dem päpſtlichen
Stuhle verſchafft, ſich dabei eine bedeutende Quote vorbe-
hielten und gute Tage zu machen wußten, übertrieben ihre
Befugniſſe mit blasphemiſcher Beredſamkeit. Durch die Be-
drohung aller Gegner mit furchtbaren Kirchenſtrafen glaub-
ten ſie ſich gegen jeden Angriff gewappnet.


Dießmal aber fand ſich doch ein Mann, der es wagte
ihnen die Stirn zu bieten.


Indem ſich Luther mit der innerlichſten Heilslehre durch-
drungen, und dieſe wie in dem Kloſter und an der Uni-
verſität, ſo auch an der Pfarrgemeine zu Wittenberg —
ein eifriger Seelſorger — verbreitete, erſchien in ſeiner
Nähe eine ſo ganz entgegengeſetzte Verkündigung, die mit
der äußerlichſten Abfindung zufrieden war, und ſich dabei
auf jene kirchlichen Theorien ſtützte, denen er ſich mit
Collegen Schülern und Freunden ſo ernſtlich opponirte.
In dem nahen Jüterbock ſammelte ſich die Menge um den
Dominicaner Johann Tetzel, der von allen jenen Commiſ-
ſarien wohl die ſchamloſeſte Zunge hatte. Mit Recht hat
man dort an der alterthümlichen Kirche Erinnerungen an
dieſen Handel aufbewahrt. Unter den Ablaßkäufern waren
auch Leute aus Wittenberg; unmittelbar in ſeine Seelſorge
ſah ſich Luther eingegriffen.


Unmöglich konnten ſich ſo entſchiedene Gegenſätze ſo
[313]95 Saͤtze.
nahe berühren, ohne daß es zwiſchen ihnen zum Kampfe
gekommen wäre.


An dem Vorabend des Allerheiligen Tages, an welchem
die Stiftskirche den Schatz des Ablaſſes der an ihre Re-
liquien gebunden war, auszutheilen pflegte, 31 Oct. 1517,
ſchlug Luther an den Thüren derſelben 95 Streitſätze an,
„eine Disputation zur Erklärung der Kraft des Ablaſſes.“


Wir müſſen uns erinnern, daß die Lehre von dem
Schatze der Kirche, auf welche der Ablaß ſich gründete,
gleich von Anfang an als in Widerſpruch ſtehend mit dem
Sacrament der Schlüſſelgewalt betrachtet worden war. Die
Vergebung des Ablaſſes beruhte auf den überſtrömenden
Verdienſten der Kirche; es war dazu nur von der einen
Seite hinreichende Autorität, von der andern ein Zeichen
der Verbindung mit der Kirche, irgend eine Thätigkeit zu
ihrer Ehre oder ihrem Nutzen erforderlich. Das Sacra-
ment der Schlüſſel dagegen gieng ausſchließlich aus dem
Verdienſt Chriſti hervor: dazu war von der einen Seite
prieſterliche Weihe, von der andern Reue und Buße noth-
wendig. Dort ward das Maaß der Gnade in das Belieben
des Vertheilers derſelben geſtellt: hier mußte es ſich nach dem
Verhältniß der Sünde und der Pönitenz richten. In dieſem
Widerſtreit hatte ſich nun Thomas von Aquino für den Schatz
der Kirche und die Gültigkeit der daher fließenden Indulgen-
zen erklärt: er lehrt ausdrücklich, daß kein Prieſter dazu nö-
thig ſey, ein bloßer Legat ſie austheilen könne, und zwar
auch für eine weltliche Leiſtung, wofern dieſelbe nur zu etwas
Geiſtlichem diene. Seine Schule folgte ihm hierin nach. 1


[314]Zweites Buch. Erſtes Capitel.

Von demſelben innern Widerſtreit nun gieng nach dem
Verlauf ſo langer Zeit auch Luther aus: aber er entſchied
ſich für die andre Seite. Nicht daß er den Schatz der
Kirche überhaupt geleugnet hätte, er erklärte jedoch, dieſe
Lehre habe noch nicht hinreichende Klarheit, und, worauf
alles ankam, er beſtritt das Recht des Papſtes ihn zu
vertheilen. Denn nur eine innerliche Wirkung ſchrieb er
dieſer myſteriöſen kirchlichen Gemeinſchaft zu. An den gu-
ten Werken der Kirche habe ein Jeder Antheil auch ohne
Briefe des Papſtes. Auf das Fegfeuer erſtrecke ſich deſſen Ge-
walt nur in ſo ferne die Fürbitte der Kirche in ſeiner Hand
ſey: es frage ſich aber erſt, ob Gott dieſelbe erhören wolle.
Indulgenzen irgend einer Art zu geben, ohne Reue, ſey
gradezu unchriſtlich. Stück für Stück widerlegt er die in
der Inſtruction vorkommenden Berechtigungen der Ablaß-
verkäufer. Dagegen ſieht er den Grund der Indulgenz in dem
Amte der Schlüſſel. 1 In dieſem Amte, welches Chriſtus
dem h. Peter anvertraut habe, liege die entbindende Ge-
walt des römiſchen Papſtes. Auch ſey es für alle Peinen
und Gewiſſensfälle hinreichend. Aber natürlich erſtrecke es
ſich auf keine andern als die Strafen der Genugthuung,
die vermöge deſſelben aufgelegt worden; und dabei komme
noch alles darauf an, ob der Menſch auch Reue em-
pfinde, was er ſelbſt nicht einmal entſcheiden könne, ge-
1
[315]Ablaßſtreitigkeit.
ſchweige ein Andrer Habe er ſie, ſo falle ihm ohnehin
die volle Vergebung zu: habe er ſie nicht, ſo könne kein
Ablaßbrief ihm etwas helfen. Denn nicht an und für ſich
habe der Ablaß des Papſtes Werth, ſondern nur in ſo fern
als er die göttliche Gnade bezeichne.


Ein Angriff, nicht von außen, wie man ſieht, ſondern
aus der Mitte der ſcholaſtiſchen Begriffe, bei welchem die
Grundidee des Papſtthums, von der Stellvertretung Chriſti
durch das Prieſterthum und vor allem durch die Nachfolge
Petri, noch feſtgehalten, aber die Lehre von der Verei-
nigung aller Gewalt der Kirche in der Perſon des Pap-
ſtes eben ſo entſchloſſen bekämpft wird. Wenn man dieſe
Sätze lieſt, ſieht man, welch ein kühner, großartiger und
feſter Geiſt in Luther arbeitet. Die Gedanken ſprühen ihm
hervor, wie unter dem Hammerſchlag die Funken.


Vergeſſen wir aber nicht zu bemerken, daß wie der
Mißbrauch ſelbſt zwei Seiten hatte, eine religiöſe und eine
politiſch-finanzielle, ſo auch dem Widerſtand von der reli-
giöſen Idee aus ſich ein politiſches Moment zugeſellte.


Friedrich von Sachſen war mit dabei geweſen, als
das Reichsregiment dem Cardinal Raimund 1501 für den
Ablaß der damals verkündigt ward, ſehr beſchränkende Be-
dingungen vorſchrieb; er hatte in ſeinem Lande das auf-
gekommene Geld ſelbſt in ſeiner Hand behalten, mit dem
Entſchluß, es nur dann herauszugeben, wenn es zu einer Un-
ternehmung gegen die Ungläubigen komme, die ſchon damals
beabſichtigt ward; vergeblich hatte es ſpäter der Papſt, und
auf des Papſtes Conceſſion der Kaiſer von ihm gefordert; 1
[316]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
er hielt es für das was es war, für eine ſeinen Unter-
thanen abgenommene Auflage; nachdem alle Ausſichten ſich
zerſchlagen, hatte er die Summe endlich für ſeine Univer-
ſität angewendet. Auch jetzt war er nicht gemeint eine
Schatzung dieſer Art zuzugeben. Sein Nachbar Churfürſt
Joachim von Brandenburg ließ es ſich wohl gefallen: er
befahl ſeinen Ständen, weder Tetzeln noch deſſen Unter-
commiſſarien Hinderniſſe in den Weg zu legen; 1 aber of-
fenbar nur darum, weil ſeinem Bruder ein ſo großer
Theil des Ertrags zu Gute kam. Eben deshalb aber wi-
derſetzte ſich Churfürſt Friedrich nur um ſo mehr; er war
ohnehin wegen der Erfurter Streitigkeiten mit dem Chur-
fürſten von Mainz geſpannt: nicht aus dem Beutel der
Sachſen ſollte Albrecht ſein Pallium bezahlen. Der Ab-
laßhandel zu Jüterbock, das Hinzulaufen ſeiner Untertha-
nen war ihm aus finanziellen Rückſichten nicht minder
widerwärtig als Luthern aus geiſtlichen.


Nicht als ob die letzten von den erſten hervorgerufen
worden wären: das könnte Niemand behaupten, der die
Sachen näher angeſehen; die geiſtlichen Tendenzen ſind viel-
mehr urſprünglicher, großartiger, ſelbſtändiger als die weltli-
chen; wiewohl auch dieſe hinwiederum in den deutſchen Ver-
hältniſſen ihre eigenthümliche Wurzel haben. Der Moment,
1
[317]Ablaßſtreitigkeit.
von welchem das große Weltereigniß ausgeht, iſt die Coin-
cidenz von beiden.


Wie geſagt, es war Niemand der die Intereſſen von
Deutſchland hierin vertreten hätte. Den geiſtlichen Mißbrauch
durchſchauten Unzählige, aber es wagte Niemand ihn beim
Namen zu nennen, ihm offen entgegenzutreten. Da ward
der Bund dieſes Mönches mit dieſem Fürſten geſchloſſen.
Es war kein Vertrag abgeredet; ſie hatten einander nie
geſehen; allein ein natürliches Einverſtändniß verband ſie.
Der kühne Mönch griff den Feind an: der Fürſt verſprach
ihm ſeine Hülfe nicht, er munterte ihn nicht auf, er ließ
es nur geſchehen.


Doch muß er ſehr gut gefühlt haben was die Sache
zu bedeuten hatte, wenn es wahr iſt, was man von einem
Traume erzählt, den er auf ſeinem Schloß zu Schweiniz,
wo er ſich damals aufhielt, in der Nacht auf Allerheiligen,
eben nachdem die Sätze angeſchlagen waren, gehabt haben
ſoll; er ſah den Mönch, wie er ihm an der Schloßkapelle
zu Wittenberg einige Sätze anſchrieb, mit ſo ſtarker Schrift,
daß man ſie dort in Schweinitz leſen konnte; die Feder wuchs
und wuchs; ſie reichte bis nach Rom, ſie berührte die drei-
fache Krone des Papſtes und machte ſie wanken; indem er
den Arm ausſtreckte um ſie zu halten erwachte er. 1


Es war aber dieß Unternehmen wie ein gewaltiger
Schlag der Deutſchland aufweckte. Daß doch noch ein
Mann ſich erhob, der den Muth hatte den gefährlichen
Kampf zu unternehmen, war eine allgemeine Genugthuung,
[318]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
befriedigte gleichſam das öffentliche Gewiſſen. 1 Die leben-
digſten Intereſſen knüpften ſich daran: das der tiefern Fröm-
migkeit gegen dieſe äußerlichſte aller Sündenvergebungen;
das der Literatur gegen die Ketzermeiſter, zu denen auch
Tetzel gehörte; der ſich verjüngenden Theologie wider das
ſcholaſtiſche Dogma, welches allen dieſen Mißbräuchen das
Wort redete; der weltlichen Gewalt gegen die geiſtliche, de-
ren Übergriffe ſie zu beſchränken ſuchte; endlich der Nation
gegen die römiſchen Geldforderungen.


Aber alle dieſe Intereſſen hatten auch andre ſich ge-
genüber. Nicht viel minder lebendig als der Beifall mußte
auch der Widerſtand ſeyn. Eine ganze Anzahl natürlicher
Gegner erhob ſich.


Wie Wittenberg, ſo war einige Jahre ſpäter auch die
Univerſität Frankfurt a. d. O. hauptſächlich von Leipzig
ausgegangen, aber von der entgegengeſetzten Partei. Ent-
ſchloſſene Widerſacher aller Neuerung hatten dort Stellen
gefunden. Ein alter Gegner Pollichs, der mit ihm oft
einen literariſchen Strauß beſtanden, Conrad Koch, genannt
Wimpina, hatte ſich dort einen ähnlichen Einfluß verſchafft
wie Pollich in Wittenberg. An Wimpina wandte ſich jetzt
Johann Tetzel: und brachte mit ſeiner Hülfe, denn auch
er wollte Doctor ſeyn wie ſein auguſtinianiſcher Gegner,
zweierlei Theſes zu Stande, die einen um ſich zum Li-
centiaten, die andern um ſich zum Doctor zu disputiren:
[319]Ablaßſtreitigkeit.
beide gegen Luther. In den erſten ſuchte er den Ablaß
durch eine neue Diſtinction zwiſchen genugthuender und
heilender Strafe zu retten: zwar nicht die letzte, aber
die erſte könne der Papſt erlaſſen. 1 In den zweiten er-
hebt er vor allem die Gewalt des Papſtes, welcher die
Auslegung der Schrift feſtzuſetzen und über den Glauben
allein zu entſcheiden habe; zugleich erklärt er Luther, den
er zwar nicht nennt aber deutlich genug bezeichnet, für ei-
nen Ketzer ja für einen hartnäckigen Ketzer. Das hallte
nun von Kanzeln und Kathedern wieder. Donnernd ließ
ſich Hogſtraten vernehmen, daß ein Ketzer wie dieſer den
Tod verdiene; in einer als Handſchrift verbreiteten Wider-
legung ſprach auch ein vermeinter Freund in Ingolſtadt,
Johann Eck von böhmiſchem Gift. 2 Luther blieb Kei-
nem die Antwort ſchuldig, bei jeder Streitſchrift machte
er ſich neue Bahn. Schon ſpielten auch andre Fragen in
den Streit, z. B. über die Legende der h. Anna, deren
Richtigkeit von einem Freunde Luthers zu Zwickau beſtrit-
ten, aber von den Leipziger Theologen hartnäckig feſtgehal-
ten ward: 3 die Wittenberger Anſichten über die ariſtote-
liſche Philoſophie und das Verdienſt der Werke breiteten
ſich weiter aus, Luther ſelbſt verfocht ſie bei einer Zuſam-
menkunft ſeines Ordens in Heidelberg, und wenn ihm die
[320]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
älteren Doctoren Widerſtand leiſteten, ſo fielen ihm dagegen
eine Anzahl junger Leute bei. Die geſammte theologiſche
Welt in Deutſchland gerieth in die lebhafteſte Aufregung.


Schon ließ ſich aber mitten durch den Lärm der deut-
ſchen Bewegung auch eine Stimme von Rom aus verneh-
men. Der Meiſter des heiligen Pallaſtes, ein Dominicaner,
Silveſter Mazolini von Prierio, ein Mann, der über die
Nothwendigkeit der Reue und die Sündhaftigkeit der Lüge
ſehr zweideutige, allzunachſichtige Meinungen vorgetragen
hat, aber dabei mit dem hartnäckigſten Eifer das Lehrſy-
ſtem ſeines Ordens vertheidigte, der in den Streitigkeiten
Reuchlins der Einzige geweſen war, welcher eine Entſchei-
dung zu deſſen Gunſten in der Commiſſion verhindert hatte,
hielt ſich für verpflichtet, gegen den neuen noch viel ge-
fährlichern Gegner die Waffen ſelbſt zu ergreifen. Er ſtand
auf, wie er ſagt, von dem Commentar in Primam secun-
dae
des h. Thomas, in deſſen Abfaſſung er verſenkt war,
und wandte einige Tage darauf, um ſich dem Auguſtiner,
der ſeinen Nacken wider den römiſchen Stuhl erhoben, als
ein Schild entgegenzuwerfen; 1 er hielt denſelben für hin-
reichend widerlegt, als er ihm die Ausſprüche ſeines Mei-
ſters, des heil. Thomas entgegengeſtellt hatte. Es machte
doch einen gewiſſen Eindruck auf Luther, als er ſich von
Rom aus angegriffen ſah; ſo armſelig und leicht zu wi-
derlegen ihm die Schrift Silveſters vorkam, ſo hielt er
doch dießmal an ſich: die Curie unmittelbar wünſchte er
nicht
[321]Ablaßſtreitigkeit.
nicht gegen ſich zu haben. Indem er am 30ſten Mai eine
Erklärung ſeiner Sätze an den Papſt ſelbſt einſchickte, ſuchte
er ihn über ſeine Stellung überhaupt zu verſtändigen. Er
gieng noch nicht ſo weit, ſich rein und ausſchließlich auf
die Schrift zu berufen, er erklärte vielmehr, daß er ſich den
von der Kirche angenommenen Vätern, ja den päpſtlichen
Decreten unterwerfe. Nur an Thomas von Aquino könne
er ſich nicht gebunden achten; wie deſſen Werke ja auch
noch nicht von der Kirche gutgeheißen worden. „Ich kann
irren,“ ruft er aus, „aber ein Ketzer werde ich nicht ſeyn,
wie ſehr auch meine Feinde wüthen und ſchnauben!“


Aber ſchon ließ ſich die Sache dort höchſt gefährlich an.


Der päpſtliche Fiscal, Mario Perusco, 1 derſelbe der
ſich ſo eben durch die Unterſuchung gegen die verſchwor-
nen Cardinäle einen Namen verſchafft, machte eine Klage
gegen Luther anhängig; in dem Gericht welches niederge-
ſetzt wurde, war der nemliche Silveſter der dem Beklagten
auf dem literariſchen Gebiete den Fehdehandſchuh hinge-
worfen, der einzige Theologe; da ließ ſich in der That
nicht viel Gnade erwarten.


Es iſt wohl keine Frage, daß hiebei auch Einwirkun-
gen von Deutſchland her Statt fanden. Churfürſt Albrecht,
der es ſogleich fühlte daß der Wittenbergiſche Angriff auch
gegen ihn gerichtet war, hatte Tetzel an Wimpina gewie-
ſen; in den Tetzelſchen Sätzen war dann Friedrich zwar
indirect aber um ſo bitterer angegriffen worden, als ein
Fürſt, welcher der ketzeriſchen Bosheit widerſtehen könne
und es nicht thue, welcher die Ketzer ihrem rechten Richter
Ranke d. Geſch. I. 21
[322]Zweites Buch. Erſtes Capitel.
vorenthalte. 1 Wenigſtens Tetzel hat verſichert, daß der
Churfürſt auch auf den Proceß Einfluß gehabt habe. 2 Per-
ſönliche und nachbarliche Irrungen wirkten gleich im erſten
Beginn auf den Gang den dieſe Sache nehmen ſollte.


So ſtand es nun mit der geiſtlichen Gewalt in Deutſch-
land. Noch ward an keinen Abfall von dem Papſt gedacht;
noch war er allgemein anerkannt; aber es erhob ſich aus
allen Tiefen der nationalen Kräfte Widerſtand und Unwille
gegen ihn; ſchon hatten ſeine geſchwornen Vertheidiger eine
Niederlage erlitten: ſchon erbebte das dogmatiſche Gebäude,
auf welchem ſeine Macht beruhte, in einigen ſeiner Grund-
feſten: das Bedürfniß der Nation, ſich in ſich ſelber zu ei-
ner gewiſſen Einheit abzuſchließen, nahm eine Richtung ge-
gen das Anſehn des römiſchen Hofes. Eine Oppoſition
war entſtanden, die noch unſcheinbar ausſah, aber an der
Stimmung der Nation und in einem mächtigen Reichs-
fürſten einen ſtarken Rückhalt fand.


[[323]]

Zweites Capitel.
Uebergang des Kaiſerthums von Maximilian auf
Carl V.


Reichstag zu Augsburg 1518.


Hätte es in dieſem Augenblick einen mächtigen Kaiſer
gegeben, ſo würde er ſich dieſer Regungen gewaltig haben
bedienen können. Von der Nation unterſtützt würde er die
alte Oppoſition gegen das Papſtthum wiederaufzunehmen,
und auf den Grundlagen der religiöſen Ideen ihr ein ganz
neues Leben zu verleihen vermocht haben.


An und für ſich wäre auch Maximilian für einen
Plan dieſer Art nicht unempfänglich geweſen: er deutet es
an, wenn er dem Churfürſten Friedrich einmal ſagen läßt,
er möge den Mönch „fleißig bewahren,“ man könne ſich
deſſelben vielleicht einmal bedienen; allein für den Augenblick
war er doch nicht in einer Lage um darauf einzugehn.


Einmal er war nun alt und wünſchte ſeinem Enkel
Carl die Nachfolge im Reich zu verſichern. Er ſah darin
gleichſam den Abſchluß ſeiner Lebensthätigkeit. Sein Leb-
21*
[324]Zweites Buch. Zweites Capitel.
tage, ſagt er ſelbſt, habe er gearbeitet ſein Haus groß zu
machen; alle ſeine Mühe würde jedoch verloren ſeyn, wenn
er nicht auch dieſes letzte Ziel erreiche. 1 Dazu bedurfte
er aber vor allen Dingen der Unterſtützung der geiſt-
lichen Gewalt. Denn ſo weit hatten ſich die Gemüther
noch nicht von den Ideen des Mittelalters losgeriſſen, daß
man nicht außer dem kaiſerlichen Titel den Maximilian
führte, doch auch den Act der Krönung noch immer für
nothwendig gehalten hätte, um in ihm die volle Würde
eines Kaiſers anzuerkennen. Bei dem Vorhaben, ſeinen
Enkel zum römiſchen König zu erheben, ſtieß Maximilian
vor allem auf die Einwendung, daß er ja ſelbſt noch
nicht gekrönt ſey. Er faßte die Idee, ſich wenn nicht
in Rom, doch wenigſtens mit der ächten Krone eines rö-
miſchen Kaiſers krönen, dieſelbe ſich zu dem Ende über die
Alpen zuſenden zu laſſen, und eröffnete hierüber Unterhand-
lungen mit dem römiſchen Hof. Man ſieht, wie ſehr er
hiedurch in die Nothwendigkeit gerieth ihn nicht allein zu
ſchonen, ſondern ſich um ſeine Gunſt zu bemühen.


Auch noch von einer andern Seite her näherten ſich
einander Kaiſer und Papſt. Wir gedachten jener Bewilli-
gung eines Zehnten zu einem Türkenkrieg, welche ſich das
Lateranconcilium noch vor ſeinem Schluſſe abgewinnen laſ-
ſen. Es iſt ſehr bezeichnend, daß während ganz Europa
darüber in Erſtaunen gerieth, ſich dagegenſetzte, Maximi-
lian darauf eingieng. Auch er nemlich wünſchte nichts
mehr, als endlich einmal wieder eine größere Reichsſteuer
auszubringen; wir wiſſen jedoch, welche mächtige Oppo-
[325]Reichstag zu Augsburg 1518.
ſition er dabei fand; — ſchon erlangte Bewilligungen
der Stände waren doch nur vergeblich geweſen; — jetzt
hoffte er, in Verbindung mit dem Papſt eher zum Ziele
zu kommen. Ohne Widerrede hieß er den Plan des rö-
miſchen Hofes gut. Es ſcheint faſt als ſey nicht allein
ſein Intereſſe angeregt, ſondern auch ſeine Phantaſie er-
griffen geweſen. In feurigen Briefen ermahnt er den Papſt,
in eigner Perſon, von ſeinen Cardinälen umgeben, unter
der Fahne des Kreuzes, den Feldzug zu unternehmen; da
werde Jedermann ihm zu Hülfe eilen; er wenigſtens habe
von Jugend an keinen höhern Wunſch gehabt, als die
Türken zu bekämpfen. 1 Die Siege Selims I über die
Mamluken erneuerten in ihm das Gefühl der allgemeinen
Gefahr. Er rief die Reichsſtände zuſammen, um endlich
eine austrägliche Hülfe wider die Türken zu beſchließen,
„denen bereits alles Aſia gehöre, bis auf die Länder des
Prieſter Johann; von denen nun auch Africa eingenom-
men werde; denen man zuletzt gar nicht mehr werde wi-
derſtehen können.“ 2 Was er immer beabſichtigt, eine nach-
haltige Kriegsverfaſſung einzuführen, das hoffte er, ſollte
ihm in dieſem Augenblicke gelingen.


Und ſo erſcheint noch einmal nach langer Unterbre-
chung die alte Vereinigung geiſtlicher und weltlicher Ge-
walt auf dem Reichstag. Statt ſich dem Papſt zu op-
poniren vereinigte ſich der Kaiſer mit demſelben; dagegen
[326]Zweites Buch. Zweites Capitel.
ſchickte der Papſt zur Unterhandlung mit den Reichsſtän-
den dem Kaiſer einen Legaten zu Hülfe.


Es war das der Dominicaner Thomas de Vio, der-
ſelbe, der die Prärogativen des Papſtthums ſo eifrig ver-
theidigt; eben dadurch hatte er ſich den Weg zu den hö-
heren Würden eröffnet, er war bei der letzten großen Crea-
tion Cardinal geworden. Überaus glücklich fühlte er ſich
in dem Glanze der Legatenwürde, die ihm nunmehr über-
tragen ward. Auf das prächtigſte wollte er erſcheinen:
den Anſpruch der Curie, daß ein Legat mehr ſey als ein
König, nahm er beinahe ernſtlich. 1 Bei ſeiner Ernennung
machte er beſonders Bedingungen des Prunkes, z. B. daß
ihm ein weißer Zelter mit Zäumen von Carmoſin-ſammt,
eine Zimmerbekleidung von Carmoſin-atlas zugeſtanden
werde; ſelbſt der alte Cerimonienmeiſter mußte über die
Menge von Forderungen lächeln die er nach und nach vor-
brachte. In Augsburg gefiel er ſich dann vor allem in
glänzenden Cerimonien; z. B. bei jenem Hochamt das er
am 1ſten Auguſt im Dom hielt, vor den weltlichen und
geiſtlichen Fürſten des Reiches, wo er dann dem Erzbi-
ſchof von Mainz, der vor dem Altar die Knie geſenkt, den
Cardinalshut aufſetzte, und dem Kaiſer ſelbſt den geweihe-
ten Hut und Degen — Zeichen der päpſtlichen Huld und
Gnade — überlieferte. In den ausſchweifendſten Ideen
ergieng er ſich hiebei. Indem er den Kaiſer ermahnte,
gegen den Erbfeind, der nach dem Blute der Chriſtenheit
dürſte, auszuziehen, erinnerte er ihn, das ſey der Tag an
[327]Reichstag zu Augsburg 1518.
welchem Auguſtus einſt durch den Sieg bei Actium die
Herrſchaft der Welt an ſich gebracht habe, auch dem h.
Peter ſey er heilig; dem Kaiſer möge er bedeuten, daß er
Conſtantinopel und Jeruſalem erobere und das Reich wie
die Kirche bis ans Ende der Welt ausbreite. 1 In die-
ſem Sinne hielt er auch in der Verſammlung der Stände
eine Rede nach allen Regeln der Rhetorik ausgearbeitet.


Den Kaiſer zu überreden konnte ihm nun keine Mühe
koſten; nach kurzen Berathungen machten ſie jetzt den ge-
meinſchaftlichen Vorſchlag, daß, um ein Heer gegen die
Türken ins Feld zu bringen, immer 50 Hausbeſitzer Einen
Mann ſtellen, und zu deren Erhaltung die Geiſtlichen den
zehnten, die Weltlichen den zwanzigſten Theil ihres Ein-
kommens beiſteuern ſollten.


Deſto ſchwieriger aber war es, damit bei den Stän-
den durchzudringen. Was auch die Meinung des Kaiſers
ſeyn mochte, ſo wollte man doch übrigens in Deutſchland
eben ſo wenig wie anderwärts an den Ernſt eines ſolchen
Vorhabens glauben. Es erſchienen Schriften, in denen man
dem römiſchen Stuhl die Abſicht die Ungläubigen zu be-
kriegen gradezu ableugnete: — es ſeyen alles florentiniſche
Künſte, um den Deutſchen ihr Geld abzuſchwatzen: — ver-
wende man doch nicht einmal den Ertrag des Ablaſſes zu
dem als ſo dringend geſchilderten Bau; nicht St. Peter baue,
ſondern Lorenzo Medici, bei Nacht wandre das Material:
— die Türken die man bekämpfen ſollte ſeyen in Italien. 2
[328]Zweites Buch. Zweites Capitel.
Von dem Kaiſer erinnerte man, er wolle auf dieſem Wege
nur zu einer Reichsſteuer gelangen.


Daher fiel die Antwort der Stände — 27 Aug. —
entſchieden ablehnend aus. Sie bemerkten daß ſich eine
ſo bedeutende Auflage bei dem Zuſtand in den man die
letzten Jahre daher durch Krieg, Theurung und Aufruhr
gerathen, gar nicht werde eintreiben laſſen; aber überdieß
beklage ſich auch ſchon der gemeine Mann über alle das
Geld, das aus Deutſchland ohne Nutzen weggehe; ſchon
oft habe man durch Cruciat und Indulgenz zu einem Tür-
kenkriege beigeſteuert, aber noch niemals erfahren, daß et-
was gegen die Türken geſchehen ſey. In eine Anklage,
wie man ſieht, verwandelt ſich die Ablehnung: die Stände
ergriffen die Gelegenheit einer Anforderung des römiſchen
Stuhles, ihm dagegen eine Menge Beſchwerden vorzuhalten;
— über die Annaten, die man jetzt auch von Abteien, Prop-
ſteien und Pfarren fordere: die immer ſteigenden Koſten
der Beſtätigungen in geiſtlichen Ämtern durch neue Offi-
cia: die gleichſam ewige Beſchwerung, welche durch die
römiſchen Canzleiregeln aufgelegt werde: alle die mancherlei
Eingriffe in das Patronatsrecht: Übertragung geiſtlicher
Lehen im hohen und niedern Deutſchland auf Fremde:
überhaupt eine unaufhörliche Verletzung der Concordate
deutſcher Nation. 1 Dieſen Beſchwerden noch einen neuen
2
[329]Reichstag zu Augsburg 1518.
Nachdruck zu geben, diente beſonders eine Eingabe des Bi-
ſchofs von Lüttich an Kaiſer und Fürſten. Sie enthält
ein ganzes Regiſter von Ungerechtigkeiten, welche die deut-
ſche Kirche von den römiſchen Curtiſanen erfahre; dieſe ſtar-
ken Jäger, Kinder Nimrod gehen täglich auf die Jagd von
Pfründen: Tag und Nacht ſinnen ſie auf nichts, als die
canoniſchen Wahlen zu zerſtören: das deutſche Geld, ſonſt
zu ſchwer für einen Atlas, fliege über die Alpen: 1 eine
ſolche Schrift, meint der Frankfurter Geſandte, ſey niemals
erhört worden, „ſo voll von Durſtigkeit.“


Wie ſehr hatte ſich der Kaiſer getäuſcht, wenn er
glaubte, mit Hülfe der geiſtlichen Gewalt eher zu ſeinem
Zweck zu kommen!


Auch bei den Berathungen über die vor dem Jahr
in Mainz eingegebnen Beſchwerden drangen jetzt Klagen
über den Papſt ein, z. B. ſeine Eingriffe in das Colla-
tionsrecht, über die Geiſtlichkeit überhaupt, namentlich den
geiſtlichen Bann, dem man nicht dieſelbe Gültigkeit zuzuge-
ſtehen Luſt hatte wie dem weltlichen Richterſpruch. Aber
darum ließ man jene Beſchwerden gegen den Kaiſer nicht
fallen. Man forderte aufs neue eine beſſere Beſetzung der
Gerichte, vollſtändigere Execution der kammergerichtlichen
Urtel; eine Commiſſion ward niedergeſetzt, um über die ſchon
früher in Vorſchlag gekommene Criminalordnung zu berathen.


Ja in der vornehmſten Verhandlung über die Türken-
hülfe entwickelte die Oppoſition gegen die Reichsgewalt eine
ganz neue Richtung.


Wohl ſchien man ſich zuletzt nach vielem Hin und
[330]Zweites Buch. Zweites Capitel.
Herreden über die Art und Weiſe einer neuen Auflage zu
einigen; in dem Abſchied ward wirklich feſtgeſetzt, daß drei
Jahr hindurch ein Jeder der zum h. Abendmal gehe, we-
nigſtens einen Zehntel-Gulden erlegen, und die auf dieſe
Weiſe eingehende Summe von den Regierungen bis zum
Anfang eines Türkenkrieges aufbehalten werden ſolle; —
aber ſelbſt eine Bewilligung ſo ſonderbarer und zweideuti-
ger Art war durch eine ihr hinzugefügte Bedingung beinahe
illuſoriſch gemacht. Die Fürſten erklärten, erſt mit ihren
Unterthanen darüber Rückſprache nehmen zu müſſen. Die
Antwort des Kaiſers zeigt, wie ſehr er über dieſe Neue-
rung erſtaunte. Er ſagte: das ſey nicht das Herkommen
im heiligen Reiche: die Fürſten ſeyen nicht an die Bewil-
ligung ihrer Unterthanen gebunden, ſondern dieſen liege die
Pflicht ob, die Beſchlüſſe ihrer Herrn und Obern zu voll-
ziehen: 1 die Fürſten verſetzten: man habe ſchon oftmals
Zuſagen gemacht, ohne die Unterthanen zu fragen; die Folge
ſey geweſen, daß man ſie meiſtentheils nicht habe ausfüh-
ren können: es würde zu Schimpf und Schande gereichen
wenn das ſo fortgehn ſolle. Ju den Reichsabſchied kam
in der That nichts weiter, als daß die Fürſten über die
[331]Reichstag zu Augsburg 1518.
Auflage mit ihren Unterthanen zu unterhandeln und am näch-
ſten Reichstag über ihre Erfolge zu berichten verſprachen.


Es leuchtet ein, daß es bei der Stimmung die ſich
hierin offenbart, auch in den andern Reichsangelegenheiten
zu keiner Vereinbarung kommen konnte.


An dem Kammergericht arbeitete man viel, doch ohne
etwas auszurichten. 1 Die Churfürſten proteſtirten ſämmt-
lich, daß ſie in Kraft ihrer Freiheiten dem Kammergericht
nicht unterworfen ſeyen; über die Vorſchläge zu einer Ver-
beſſerung konnte man ſich nicht vereinigen; gegen die Ma-
trikel zu den Beiträgen erhoben ſich die alten Einwendun-
gen; ſchon bemerkte man ſeine Wirkſamkeit nicht mehr; in
Kurzem ſtand es abermals ſtill. 2.


Aufs neue nahmen die Unordnungen allenthalben über-
hand. Wie ſchon vor dem Jahr in Mainz, ſo lief jetzt
in Augſpurg Beſchwerde auf Beſchwerde ein.


Der Graf von Helfenſtein rief um Hülfe gegen Wir-
tenberg, Ludwig von Boyneburg gegen Heſſen, der Erzbi-
ſchof von Bremen gegen die Worſaten; alles vergeblich.
Die Streitigkeiten zwiſchen der Stadt Worms und ihrem
Biſchof, zwiſchen dem Churfürſten von der Pfalz und einer
Geſellſchaft von Kaufleuten, die unter ſeinem Geleit wa-
[332]Zweites Buch. Zweites Capitel.
ren beraubt worden, wurden nicht zum Austrag gebracht.
Das Betragen des Churfürſten von der Pfalz in dieſer Sache,
der Rückhalt den er zu finden ſchien, erfüllte beſonders die
Städte mit Mißvergnügen. 1 Es gab beinahe keine Land-
ſchaft, wo nicht die Fehde wieder in Schwange gieng, oder
die innere Entzweiung ſich regte, oder ſich ein Angriff der
Nachbarn beſorgen ließ. Wollte man Friede haben, ſo
mußte man ſelber für ſich ſorgen: auf das Reich war nicht
mehr zu zählen.


Davon mußte ſich überhaupt ein Jeder überzeugt ha-
ben, daß es ſo nicht mehr gieng. Es war ſchon lange
her, daß der Kaiſer ſich über keine Maaßregel mehr mit
den Ständen vereinigen konnte; weder für den inneren Frie-
den, noch gegen die auswärtigen Feinde; was er allein
nicht vermocht, hatte er jetzt in Verbindung mit dem Papſte
verſucht; es war ihm entſchiedner mißlungen, als jemals.
Die höchſten Gewalten konnten die vornehmſten Pflichten
einer Regierung nicht mehr erfüllen.


In ſo fern war es von großer Bedeutung, daß die
Reichsſtände jene Neuerung machten, in Hinſicht ihrer
Bewilligungen es auf ihre Landſchaften ankommen zu laſ-
ſen. Das Leben der Nation zeigte die Tendenz, ſich von
ſeinem bisherigen Mittelpunct zurückzuziehen, und in den
einzelnen Landſchaften eine ſich ſelber genügende, autonome
Gewalt zu erſchaffen.


[333]Reichstag zu Augsburg 1518.

Eine Tendenz, die nun in dem Wahlintereſſe, das in
Augsburg ſchon lebendig hervortrat, und gleich darauf alle
Gemüther zu beſchäftigen begann, neue Nahrung empfieng.


In der That können wir keinen Schritt weiter gehn,
wenn wir nicht zuvor dieſe Verhältniſſe der deutſchen Für-
ſtenthümer näher in Betracht gezogen haben.


Gegenſeitige Verhältniſſe der deutſchen Fürſten.


Man könnte noch nicht eigentlich von deutſchen Staa-
ten reden. Dazu war die Einheit ſelbſt der größeren Für-
ſtenthümer noch nicht feſt genug; — man verſuchte hie und
da gemeinſchaftliche Regierungen, was aber ſelten gut gieng,
ſo daß man doch immer wieder auf das Prinzip der Thei-
lungen zurückkam; — dazu waren auch die ſtändiſchen Ver-
hältniſſe noch nicht hinreichend in Ordnung. Wie viele
Selbſtändigkeiten gab es noch, die ſich in keine Staats-
form fügten. Aber in den größeren Territorien ſtrebte man
ſo nach Einheit wie nach Ordnung, in den kleinern tra-
ten landſchaftliche Bündniſſe an die Stelle des Fürſten-
thums: überall wetteiferte die Macht der innern localen
Antriebe mit der Autorität der Reichsgewalten und kam
um ſo kräftiger empor, je weniger dieſe zu Concentration
und eingreifender Wirkſamkeit gelangen konnten.


Von vielem Einfluß hierauf war es ohne Zweifel,
daß auch das Reichsoberhaupt weniger durch die ruhige
Ausübung ſeiner geſetzlichen Macht, als durch perſönliche
und unregelmäßige Einwirkungen auszurichten befliſſen war.
Nur in Augenblicken des Schwunges und der Erhebung
ſah Kaiſer Maximilian ſeine Würde aus nationalem Ge-
[334]Zweites Buch. Zweites Capitel.
ſichtspunct an; ſonſt pflegte er ſie mehr als ein Stück
ſeiner Macht zu betrachten. Grade die Art ſeiner Ver-
waltung rief die mannichfaltigſte Bewegung in dieſer noch
etwas formloſen Welt hervor.


In dem oberen Deutſchland hatte der Kaiſer nach al-
lem was vorgegangen, viel natürliche Oppoſition. Der
Churfürſt von der Pfalz konnte die Verluſte die er im letz-
ten Kriege erlitten, noch immer nicht verſchmerzen; er war
noch unverſöhnt, unbelehnt. Obwohl der Kaiſer damals
die Partei von Baiern genommen, ſo fühlte man doch auch
dort, was das Geſammthaus verloren. In den jungen
Fürſten Wilhelm und Ludwig war davon ein ſo lebhaftes
Bewußtſeyn, daß ſie die Streitigkeiten welche über den An-
theil eines Jeden an der Regierung zwiſchen ihnen ausge-
brochen, auf das raſcheſte beilegten, als ſie zu bemerken
glaubten, der Kaiſer wolle ſie benutzen, um ein neues In-
tereſſe, wie 1504, geltend zu machen. 1 Sie erinnerten ſich
was auch ſonſt von Baiern abgekommen. Die gemein-
ſchaftliche Regierung zu der ſie ſich vereinigten, begannen
ſie damit, daß ſie einander gelobten, das alles wiederzu-
erobern, ſobald der Kaiſer ihr Oheim geſtorben ſeyn werde. 2


Deſto ſicherer ſchien Maximilian auf Herzog Ulrich
von Wirkenberg rechnen zu können, den er vor den Jah-
ren für volljährig erklärt, der ſeinen Kriegen beigewohnt
und darin Eroberungen gemacht, dem er eine Gemahlin
[335]Verhaͤltniſſe deutſcher Fuͤrſten.
gegeben hatte: mit allen Banden der Dankbarkeit ſchien
dieſer Fürſt an den Kaiſer geknüpft zu ſeyn. Grade in
Dem aber entwickelte ſich ſehr bald ein entſchloſſener, von
trotzigem Selbſtgefühl genährter Widerſtand gegen die Ab-
ſichten des Kaiſers. Es mißfiel ihm, daß er in dem ſchwä-
biſchen Bunde ſo wenig bedeutete. Er fand es unerträg-
lich, daß da von den ein und zwanzig Stimmen im Bun-
desrath vierzehn den niedern Ständen, Prälaten Grafen
Rittern und vor allem den Städten angehörten, von de-
nen Krieg und Friede beſchloſſen werde, ſo daß „ſein Wille
und Vermögen in fremden Händen ſtehe.“ 1 Schon im
Jahr 1512, als der Bund erneuert ward, weigerte er ſich
hartnäckig, in denſelben einzutreten. Indem er aber hie-
durch den Bund beleidigte, ihn zu fürchten anfieng und
ſich an die Gegner deſſelben anſchloß, namentlich die Pfalz
und den Biſchof von Würzburg, gerieth er mit dem Kai-
ſer, alle ſeinen andern Nachbarn, ja ſeinen Ständen und
Räthen, welche lieber an Kaiſer und Bund feſtgehalten
hätten, in unzählige Irrungen: in welchen er ſich immer
ſtürmiſcher roher und gewaltthätiger zeigte. Die Bauern
empörten ſich wider ſeine Auflagen; ſeine Landſtände nö-
thigten ihm einen beſchränkenden Vertrag auf, den er nicht
zu halten Luſt hatte; ſeine Räthe dachten daran, ihm eine
Regentſchaft zu ſetzen, was ihn mit Wuth erfüllte; endlich
brach ihm in ſeinem Hauſe das volle Unheil aus. Er
hatte das Unglück, ſich von der Neigung zu der Frau eines
[336]Zweites Buch. Zweites Capitel.
ſeiner Hofleute und guten Gefährten in Feld und Jagd,
Hans von Hutten, hinreißen zu laſſen. Einſtmals nahm
dieſer die Gelegenheit wahr, mit ſeinem Herrn davon zu
ſprechen; der Herzog warf ſich ihm zu Füßen, breitete die
Arme aus und flehte ihn an, zu dulden, daß er ſie ſehe
und liebhabe, er könne ſich nicht bezwingen, er könne es
nicht laſſen. 1 Sehr bald aber ſollten die Rollen ſich än-
dern. Sey es daß Hutten wirklich ein Verhältniß zu der
Herzogin, Sabina angeknüpft hatte, oder daß man das
dem Herzog ohne Grund hinterbrachte, eines Tages glaubte
Ulrich den Trauring, den er ſeiner Gemahlin gegeben, an
dem Finger Huttens zu bemerken, und war nun ſeiner Ei-
ferſucht eben ſo wenig Meiſter wie früher ſeiner Liebe; als
Hutten, obwohl ſchon bittere Worte gefallen, es dennoch
noch einmal wagte, den Herzog auf die Jagd zu begleiten,
nahm ihn dieſer, wie ſie in das Holz bei Böblingen kamen,
allein bei Seite, hielt ihm ſeine Verbrechen vor, rief ihm zu,
er möge ſich ſeiner Haut wehren, übermannte, entleibte ihn,
und nahm ſich noch ſo viel Zeit, den Gürtel von dem ent-
ſeelten Leib zu löſen, und ihn daran an einer nahen Eiche
aufzuknüpfen. 2 Er ſagte, als Freiſchöffe, als Wiſſender
der Fehme habe er dazu Fug und Macht; — ſeiner Ge-
mahlin wies er bei ihrem Bette das blutige Schwerd. Sie
fieng
[337]Verhaͤltniſſe deutſcher Fuͤrſten.
fieng an für ihr Leben zu fürchten und entwich: erſt zu
dem Kaiſer ihrem Oheim, der ſich in der Nähe mit der
Jagd ergötzte, dann zu ihren Brüdern in Baiern. Da war
ſchon ohnehin viel böſes Blut. Jetzt klagte Sabina ihren
Gemahl bei dem Kaiſer an und forderte die Auslieferung
ihrer Feinde; Ulrich dagegen verfolgte um ſo ungeſtümer
ihre Freunde, alle die, welche er für Anhänger des Bun-
des und des Kaiſers hielt; die Sühneverſuche brachten erſt
die innere Feindſeligkeit recht zum Ausbruch; ein Vertrag
ward geſchloſſen, aber ſogleich wieder gebrochen; ehrenrüh-
rige Schriften wurden gewechſelt; nie riß ſich ein Fürſt
von einer Partei, zu der er gehörte, mit der er emporge-
kommen, gewaltſamer los, als Herzog Ulrich. Auf dem
Reichstag von 1518 hörte man, daß er wieder Anhän-
ger des Kaiſers eingezogen habe, mit qualvollen Mar-
tern heimſuche, mit dem Tode bedrohe. Maximilian ließ
ſich dagegen vernehmen, auch er wolle dem Herzog ein
Halsgericht ſetzen und das Urtel vollſtrecken, das es ſpre-
chen werde; 1 zunächſt gab er in einem beſondern Aus-
ſchreiben den Ständen Gewalt, die Gefangenen ihres Herrn
ledig zu machen, und forderte ſie auf dazu. 2 Auch aus
dieſer Rückſicht ſuchte er ſich mit dem Churfürſten von der
Pfalz zu verſöhnen. Wenigſtens ſo weit brachte er es,
daß derſelbe auf dem Reichstag erſchien und ſeine Lehen
Ranke d. Geſch. I. 22
[338]Zweites Buch. Zweites Capitel.
empfieng. Offenbar erlangte die Politik des Kaiſers hie-
durch, ſo wie durch ſeinen Einfluß auf den Bund und auf
Baiern das Übergewicht in Oberdeutſchland; aber ſehr ge-
fährlich ſtanden die Sachen alle Mal, und ſo viel konnte
man vorausſehn, daß die Feindſeligkeiten nicht im Wege
der Güte ausgeglichen werden würden. Ihre Radien er-
ſtreckten ſich durch das ganze Reich.


Eine andre noch bei weitem wichtigere Oppoſition er-
wuchs dem Kaiſer aus den niederdeutſchen, an das Haus
Burgund anknüpfenden Verhältniſſen.


Es war eine ſeiner erſten Regierungshandlungen, noch
im Jahre ſeiner Wahl 1486 geweſen, daß er dem Hauſe
Sachſen die Anwartſchaft auf Jülich und Berg verlieh,
auf den Fall daß dieſe Landſchaften „Mangels halben rech-
ter männlicher Leibs Lehenserben“ erledigt würden; 1 im
Jahr 1495 beſtätigte er das für ſich und alle ſeine Nach-
folger im Reich, „jetzt wie alsdann, alsdann wie jetzt.“
Der Fall ſchien nicht ferne, da Herzog Wilhelm VII von
Jülich nur eine Tochter hatte; dem Hauſe Sachſen ward
dadurch eine um ſo umfaſſendere Ausſicht, wir können ſa-
gen, auf eine europäiſche Stellung eröffnet, da eben da-
mals auch Friesland an die jüngere Linie deſſelben über-
tragen worden war.


Allein gar bald zeigten ſich Schwierigkeiten.


In dem Lande ſelbſt fand man keinen Gefallen an der
Überweiſung an ſo entfernte Herren: man hielt ſich für
beſſer verſorgt, wenn man mit dem benachbarten Cleve ver-
einigt werde. Fürſten und Stände waren hierin eines Sin-
nes. Schon im Jahr 1496 beſchloß man dort, die Toch-
[339]Verhaͤltniſſe deutſcher Fuͤrſten.
ter des Herzogs von Jülich mit dem Erben von Cleve
zu vermählen und beide Länder zu vereinigen. Ein feier-
licher Vertrag ward darüber aufgenommen, welchen Adel
und Städte mit unterzeichneten, der als eine Einigung aller
dieſer Landſchaften betrachtet werden kann; 1 ſie baten den
Kaiſer, denſelben zu beſtätigen, die Prinzeſſin von Jülich als
rechte Erbin der Beſitzungen ihres Vaters anzuerkennen.


Darauf würde nun wohl der Kaiſer wenig Rückſicht
genommen, er würde jene Anwartſchaft feſtgehalten haben,
wären nicht einige politiſche Momente hinzugetreten.


Seitdem der Sohn des einſt von Carl dem Kühnen
entſetzten Herzogs von Geldern, Herzog Carl, in ſein Erb-
land zurückgekommen, und ſich daſelbſt den ungünſtigen Aus-
ſprüchen des Reiches zum Trotz mit Hülfe ſeiner Stände zu
behaupten gewußt, war in jenen Gegenden keinen Augenblick
Ruhe. Er ſtand in enger Verbindung mit Frankreich; alle
Widerſacher von Öſtreich fanden an ihm einen allzeit fer-
tigen Beſchützer. Da war es nun allerdings bedenklich,
ſich dort einen neuen ſtarken Feind zuzuziehen. Der Her-
zog von Cleve drohte im Fall einer Verweigerung ſeiner
Bitte mit dem Herzog von Geldern in Schwägerſchaft und
unauflöslichen Bund zu treten; in den Niederlanden er-
22*
[340]Zweites Buch. Zweites Capitel.
ſchrak man vor der Gefahr die darin lag. 1 Die Statt-
halterin Margret, Tochter des Kaiſers, meinte, man werde
Jülich und Berg dem Herzog von Cleve doch nicht ent-
reißen; man werde nur bewirken, daß er ſich mit Geldern,
Arenberg, Lüttich, alles Feinden des burgundiſchen Hau-
ſes, vereinige; das werde eine Macht geben, ſtark genug
um ſelbſt die Nachkommen des Kaiſers aus den Nieder-
landen zu verjagen.


In Sachſen glaubte man, daß der Kaiſer Betrach-
tungen auch noch andrer Art hieran knüpfe. Churfürſt
Friedrich genoß ein ungemeines Anſehn im Reiche; er hielt
die Geſinnung der alten Churfürſten noch aufrecht, und
ſtieg zu immer größerer Macht auf. Seine geiſtige Über-
legenheit beſeitigte noch die dann und wann hervorbre-
chende Neigung ſeines Vetters Georg ſich ihm zu op-
poniren; das Haus konnte noch als eine vereinte Macht
angeſehen werden. Sein Bruder Ernſt war bis 1513 Erz-
biſchof von Magdeburg, und zwar einer der beſten welche
dieß Stift je gehabt hat; ſein Vetter Friedrich war Hoch-
meiſter in Preußen; ſeine Schweſter Margreta Herzogin von
Lüneburg, Stammmutter des Lüneburgiſchen Hauſes: man
ſieht wie weit ſich dieſer Familien-Einfluß erſtreckte. Im
Jahr 1510 kam hinzu, daß die Stände von Heſſen nach
dem Tode des Landgrafen Wilhelm, am Spieß verſammelt
deſſen Witwe Anna von der Vormundſchaft, die ſie in An-
[341]Verhaͤltniſſe deutſcher Fuͤrſten.
ſpruch nahm, ausſchloſſen, und dieß Amt dem Churfürſten
und dem ganzen Hauſe Sachſen übertrugen, in deſſen Pflich-
ten die Regentſchaft trat, die man einſetzte: der Landhof-
meiſter Boyneburg, der die Geſchäfte leitete, hielt ſich ganz
an Friedrich. 1 Sollte man nun dieſem mächtigen Für-
ſten auch noch Jülich und Berg übertragen, deſſen Erle-
digung nicht mehr fern ſeyn konnte? Der Kaiſer ſchien
zu fürchten, er möchte ihm zu groß werden.


So kam es daß Maximilian das Verſprechen, das er
im Momente ſeiner Wahl, ohne Zweifel nicht ohne Bezug
darauf gegeben hatte, hintanſetzte und in verſchiedenen Ur-
kunden in den Jahren 1508 und 9 die Exſpectanzen wi-
derrief welche auf Jülich und Berg gegeben ſeyn könnten:
er erklärte die Tochter des Herzogs Maria ſey der Nach-
folge würdig und fähig; 2 im Jahre 1511 ſtarb Wilhelm VII:
ſein Eidam Johann von Cleve nahm die Lande ohne
Schwierigkeit in Beſitz; alle Erinnerungen, Einreden, Un-
terhandlungen des Hauſes Sachſen waren vergeblich.


Und dadurch geſchah nun allerdings, daß Cleve die
Verbindung mit Geldern ausſchlug, dem Hauſe Öſtreich
treu zur Seite ſtand. Sachſen dagegen verlor überhaupt
an Bedeutung. Jene geiſtlichen Fürſtenthümer entgien-
gen ihm durch den Tod ihrer Inhaber. In Heſſen er-
hob ſich 1514 gegen die etwas herriſche Regierungsweiſe
Boyneburgs der Widerwille der Stände, beſonders der
Städte; durch eine Art von Revolution ward Anna in
[342]Zweites Buch. Zweites Capitel.
die ihr erſt entriſſene Vormundſchaft eingeſetzt: Churfürſt
Friedrich behielt nur noch den Namen. Es war eine Wei-
terentwickelung dieſer anti-ſächſiſchen Richtung, daß auf
Antrag der Ritterſchaft der junge Landgraf Philipp, erſt
14 Jahr alt, im März 1518 vom Kaiſer für volljährig
erklärt wurde; da werde er ſich beſſer befinden, als unter
irgend einer Vormundſchaft und Pflege. Eben in dieſen
heſſiſchen Händeln trennte ſich Herzog Georg von dem
Churfürſten; er war der Unternehmung Annas ſo abhold
nicht; er verlobte ſeinen Sohn mit ihrer Tochter. Fries-
land hatte er indeſſen ſchon an Öſtreich zurückgegeben.


Auch hier behielt die öſtreichiſche Politik die Ober-
hand. Die gefürchtete Coalition der niederländiſchen Geg-
ner ward vermieden, Sachſen entfernt, herabgedrückt; 1
allein dafür hatte man nun auch die Oppoſition des um-
ſichtigſten und klügſten aller Reichsfürſten zu bekämpfen.
Was das zu bedeuten hatte, zeigte ſich ſchon auf dem
Reichstag zu Cölln 1512: der Widerſtand Friedrichs machte
daß alle Pläne ſcheiterten; ſeiner Oppoſition auf dem Reichs-
tag von Augsburg ſchreibt es wenigſtens ſein Biograph zu,
daß auch da jener Entwurf zu einer neuen Auflage zu-
rückgewieſen ward. Ja dieſe Feindſeligkeit berührte doch
auch wieder die Niederlande. Die Nichte des Churfür-
ſten, Lüneburgiſche Prinzeſſin, vermählte ſich mit jenem
[343]Verhaͤltniſſe deutſcher Fuͤrſten.
Carl von Geldern, der dadurch in zwei großen deutſchen
Fürſtenhäuſern eine Stütze erhielt, wie er noch nie hatte
erlangen können.


Kam nun das Haus Sachſen im Gegenſatz mit Öſt-
reich herab, ſo erhob ſich dagegen Brandenburg durch die
Gunſt deſſelben. Der Kaiſer beförderte es, daß branden-
burgiſche Prinzen den ſächſiſchen ſowohl in dem Hochmei-
ſterthum als in Magdeburg nachfolgten; er begünſtigte
dann weiter die Erhebung dieſes jungen Erzbiſchofs zu
Magdeburg, Biſchofs zu Halberſtadt, zu der Churwürde
Mainz, die einſtmals auch ein Bruder des Churfürſten
Friedrich beſeſſen; wir ſahen ſchon, welche Verhältniſſe
zwiſchen beiden ſich daher ergaben. Auch mit der fränki-
ſchen Linie dieſes Hauſes vereinigte er ſich aufs neue. Er
beſtätigte die Entfernung des alten Markgrafen, den man
für blödſinnig erklärt hatte, von der Regierung, und in-
dem er, noch zu Augsburg, deſſen älteſten Sohn Caſi-
mir mit ſeiner Nichte Suſanna von Baiern vermählte, gab
er ihm den ganzen Rückhalt ſeiner Autorität und ein nicht
geringes Übergewicht über ſeine Brüder. Eben darum aber
gewann er ſie doch nicht vollſtändig. Mit einem von
ihnen, dem Hochmeiſter in Preußen, gerieth er ſogar in
eine weſentliche Differenz. Er hatte ihn anfangs ſelbſt
veranlaßt eine feindſelige Haltung gegen König Siegmund
von Polen anzunehmen. 1 Durch ſeine nahe Verwandtſchaft
[344]Zweites Buch. Zweites Capitel.
mit dem Haus Zapolya ward nemlich dieſer König den An-
ſprüchen Öſtreichs auf Ungern höchſt gefährlich. Maximi-
lian wünſchte ihn damals auf der einen Seite durch den
Großfürſten von Moskau, auf der andern durch den Preu-
ßiſchen Orden in Zaum zu halten. Jetzt aber hatte ſich
die Lage der Dinge ſehr verändert. Im Jahr 1515 war
Siegmund von Polen mit dem Kaiſer in das beſte Ver-
nehmen getreten; er erkannte jetzt das Erbrecht von Öſt-
reich auf Ungern an; er nahm ſelbſt eine Gemahlin aus
der italieniſchen Verwandtſchaft dieſes Hauſes. Dafür ließ
Maximilian die Anſprüche des Reiches fallen; er eximirte,
wie 1507 die Schweiz, ſo 1515 Danzig und Thorn von
dem Kammergericht; was hier um ſo mehr ſagen wollte,
da nun eine polniſche Gerichtsbarkeit an die Stelle der
deutſchen trat; es iſt doch in der That eine Art von Ab-
tretung. Und wie viel weniger konnte er nunmehr geneigt
ſeyn, ernſtlich für den Orden einzuſchreiten! Vielmehr war
ſchon in den Präliminarien der Übereinkunft feſtgeſetzt, daß
der Kaiſer den Frieden von Thorn anerkennen wolle, der
es eben war, wogegen der Hochmeiſter ſich auflehnte,
wodurch er zu einem Vaſallen von Polen gemacht wor-
den war. Hiedurch ward Preußen dem Kaiſer wieder
entfremdet; und das wirkte doch auch auf die andern
1
[345]Verhaͤltniſſe deutſcher Fuͤrſten.
Mitglieder des Hauſes zurück. Churfürſt Joachim wenig-
ſtens wäre nicht abgeneigt geweſen, den Hochmeiſter zu
unterſtützen; wie er ſich denn deſſelben auch in dem Ver-
hältniß zu ſeinen Brüdern in Franken annahm.


Es läßt ſich erachten, daß durch alle dieſe Neigun-
gen und Abneigungen die Stellung auch der übrigen Für-
ſtenhäuſer mannichfaltig beſtimmt ward.


Pommern, von den Anſprüchen Brandenburgs auf
die Oberlehnsherrſchaft bedrängt, wurde durch das gute
Verhältniß deſſelben zu Öſtreich dahin gebracht, ſich auch
von dieſem abzuwenden. Die vommerſchen Geſchicht-
ſchreiber ſchreiben es dem Einfluſſe Joachims I zu, daß
die Vermählung einer pommerſchen Prinzeſſin mit dem
König Chriſtian II von Dänemark nicht zu Stande kam,
dieſer König ſich vielmehr mit einer Enkelin Maximilians
verheirathete. 1 Aber dadurch wurde dann wieder bewirkt,
daß der Vetter und Nebenbuhler Chriſtians, Friedrich von
Holſtein, der in der Erbtheilung der Herzogthümer verkürzt
zu ſeyn und als Königsſohn ſogar an Norwegen Anſprüche
zu haben glaubte, 2 Verwandtſchaft mit dem Hauſe Pom-
mern ſuchte, während das dritte Mitglied dieſes Hauſes,
der Graf von Oldenburg an ſeiner öſtreichiſch-burgundi-
ſchen Freundſchaft feſthielt, und aufs neue ein niederlän-
diſches Jahrgeld empfieng. Alle Verhältniſſe der nordi-
[346]Zweites Buch. Zweites Capitel.
ſchen Staaten berührten durch dieſe Combination unmittel-
bar auch die deutſchen Häuſer.


Man dürfte nicht glauben, daß nun zwiſchen die-
ſen ſelbſt eine offenbare Feindſchaft entſtanden wäre. Es
war ein größerer oder geringerer Einfluß des Hauſes Öſt-
reich, eine mehr oder minder ſichtbare Begünſtigung durch
daſſelbe, Hinneigung zu ihm; allein dabei hielt man doch
gute Nachbarſchaft, kam auf Tagen zuſammen, begieng
häusliche Feſte mit einander: litt was nicht zu ändern
war, und behielt ſeinen Geſichtspunct ſtill im Auge.


Am auffallendſten war die Feindſeligkeit wohl in dem
Hauſe der gewaltſamen ungeſtümen Welfen. Calenberg und
Wolfenbüttel hielten ſich zu der öſtreichiſchen Freundſchaft;
wie denn die Herzöge von Calenberg in kaiſerlichen Dien-
ſten den alten Kriegsruf ihres Hauſes erneuerten; Lüne-
burg hielt ſich zur Oppoſition. Es gab eine Menge alte
Zwiſtigkeiten zwiſchen ihnen: was ſie damals in Bewegung
ſetzte, war beſonders der Verſuch des Biſchofs von Min-
den, eines gebornen Wolfenbüttlers, ſich die Grafſchaft
Diepholz anzueignen, auf welche Lüneburg alte Anwart-
ſchaft beſaß. 1 In dieſe Zwiſtigkeiten ward jetzt auch
Lauenburg gezogen. Während der Abweſenheit des Erzbi-
ſchofs von Bremen, eines andern Wolfenbüttlers, erſchlu-
gen die eben erſt beſiegten Worſaten die Beamten deſſel-
ben; Magnus von Lauenburg, den ſie als den ächten Her-
zog von Niederſachſen anriefen, kam ihnen zu Hülfe und
zerſtörte die von dem Erzbiſchof aufgerichtete Feſte. 2 Als
[347]Verhaͤltniſſe deutſcher Fuͤrſten.
dieſer zurückkam, ließ ſich alles zu offener Fehde an, deren
Ausbruch nur noch von dem in der Mitte dieſer Irrun-
gen ziemlich unparteiiſch daſtehenden, oder vielmehr mit
beiden Seiten verbündeten Meklenburg verhindert wurde.


Schon an dieſem Beiſpiel zeigt ſich, daß es wenig Unter-
ſchied machte, ob man geiſtlicher oder weltlicher Fürſt war.


Denn ſchon lange wurden die höhern geiſtlichen Stel-
len nicht mehr nach geiſtlichem Verdienſt, ſondern nach den
Wünſchen der vorwaltenden Fürſten, vor allem des Kaiſers,
oder nach der Convenienz des benachbarten Adels der in
den Capiteln ſaß vertheilt; ja es war wie wir ſahen ſchon
ſeit dem vorigen Jahrhundert eine Maxime des römiſchen
Hofes, ſeinen Einfluß zur Beförderung der jüngern Söhne
aus fürſtlichen Häuſern zu verwenden. 1 Im Anfang des
ſechszehnten Jahrhunderts war man damit in nicht weni-
gen Stiftern zu Stande gekommen. In Niederdeutſchland
wetteiferten Braunſchweig und Lauenburg vorzüglich auch
in dieſer Beziehung. Das Haus Braunſchweig zu Wol-
fenbüttel und Grubenhagen hatte das Erzbisthum Bremen,
die Bisthümer Minden, Verden, Osnabrück und Pader-
born; das Haus Lauenburg hatte Münſter und Hildesheim
an ſich gebracht. Wir ſahen, wie reichlich Brandenburg be-
dacht war. Lothringiſche Prinzen finden wir als Biſchöfe
in Metz Toul und Verdun: die Pfalz beſaß Freiſingen, Re-
gensburg, Speier, Naumburg, wozu ſpäter noch Utrecht kam;
Baiern erlangte Paſſau. Im Jahre 1516 poſtulirte das
Capitel von Schwerin den Prinzen Magnus von Meklen-
[348]Zweites Buch. Zweites Capitel.
burg, obwohl er noch nicht volle ſieben Jahr alt war, zu
ſeinem Biſchof. 1 Wer wollte alle die Präbenden aufzäh-
len, zu denen entweder Glieder der minder mächtigen Häu-
ſer, oder Begünſtigte des Kaiſers gelangt waren? Mel-
chior Pfinzing, ſeinen Caplan und Secretär, finden wir als
Propſt zu St. Sebald in Nürnberg, zu St. Alban und
St. Victor in Mainz, als Domherrn zugleich in Trient und
in Bamberg. Daher kam es, daß die Intereſſen des Hau-
ſes, aus dem ein geiſtlicher Herr entſprungen war oder
dem er ſeine Erhebung verdankte, auch auf die Ausübung
ſeiner Befugniſſe Einfluß hatten; die geiſtlichen Fürſtenthü-
mer finden wir in alle Verwickelungen der weltlichen Ge-
walthaber verflochten.


Auch auf die übrigen Stände wirkten dieſe Beziehun-
gen zurück, wiewohl man ſich ihrer vielleicht nicht ſo ent-
ſchieden bewußt wurde. Wenn die oberländiſchen Städte,
auf deren Kraft der ſchwäbiſche Bund ſo vorzugsweiſe be-
ruhte, der einen, ſo gehörten dagegen die fränkiſchen Rit-
ter, die in Fehde mit dem Bund lagen, mehr der andern
Partei an.


Denn wie wenig auch dieſe Verhältniſſe befeſtigt wa-
ren, ſo laſſen ſich doch zwei entgegengeſetzte politiſche Rich-
tungen in den deutſchen Ländern unterſcheiden. Für Öſt-
reich waren Baiern, der Bund, Brandenburg größtentheils,
Heſſen, Cleve, der Graf von Oſtfriesland, der erſt vor Kur-
zem ſich angeſchloſſen, Oldenburg, Dänemark, Calenberg,
Wolfenbüttel, das albertiniſche Sachſen. In der Oppo-
[349]Verhaͤltniſſe deutſcher Fuͤrſten.
ſition ſtanden das erneſtiniſche Sachſen, Pommern, Lauen-
burg, Lüneburg, die fränkiſche Ritterſchaft, Wirtenberg und
Geldern. Der Herzog von Geldern war ſogar in offenem
Krieg begriffen: im Jahr 1517 durchſtreiften ſeine Schaa-
ren brandſchatzend und verwüſtend ganz Holland: Alkmar
plünderte er acht Tage lang; im J. 1518 erſchien der frie-
ſiſche Corſar Groote Pier in der Süderſee, die er eine Zeit-
lang vollkommen beherrſchte: der Herzog wandte alle ſeinen
Einfluß an, die Frieſen in fortwährender Empörung zu
halten. Eine minder entſchiedne, vermittelnde Stellung zwi-
ſchen den beiden Hinneigungen nahmen die Pfalz und Mek-
lenburg ein. Sonderbarer Weiſe näherte ſich der Churfürſt
von der Pfalz dem Hauſe Öſtreich auch deshalb weil ſein
Bruder Friedrich, der lange Jahre an dem burgundiſchen
Hofe gedient, dort mit der Prinzeſſin Leonore in ein Lie-
besverhältniß gerathen war; einen ſeiner Briefe hatte man
bei ihr gefunden und dieß ſo ungnädig vermerkt, daß der
arme Fürſt ſich entfernen mußte, und alle die Anſprüche auf
Erkenntlichkeit welche er ſich wohl erworben, verſcherzt zu
haben glaubte, wenn er ſie nicht durch fernere größere
Dienſte erneuere. Allein darum vergaß der Churfürſt doch
nicht, was ihm in dem Erbfolgekriege begegnet war. Der
tapfere Ritter der in ſeinem Dienſt emporgekommen, Franz
von Sickingen nahm eben jetzt Rache deshalb an Heſſen. 1
Während des Reichstags zu Augsburg überzog er mit ei-
nem Heer von 500 M. zu Pf. und 8000 z. F. das feſte
Darmſtadt, und erzwang ſich einen Vertrag, worin ihm
[350]Zweites Buch. Zweites Capitel.
eine Zahlung von 45000 G. und zwar unter den drückend-
ſten Bedingungen zugeſagt ward. Dem Kaiſer machte eine
Reichsdeputation Vorſtellungen wegen dieſes Landfriedens-
bruches; er wagte nichts dagegen zu thun: ſchon hatte er
Sickingen zu ſeinem Rath und Diener angenommen: er
hätte gefürchtet die Pfalz ſich wieder zu entfremden.


In dieſer Lage finden wir Kaiſer Maximilian gegen
das Ende ſeiner Laufbahn.


Die Meinung welche in ihm den ſchöpferiſchen Be-
gründer der ſpäteren Verfaſſung des Reiches erblickt, muß
nun wohl aufgegeben werden. Haben wir früher geſehn,
wie die organiſirenden Ideen, welche in ſeinen erſten Jah-
ren hervortraten, von ihm vielmehr Widerſtand erfuhren
als Förderung, wie er dann mit ſeinen eignen Entwürfen
ſo wenig durchdrang, ſo nehmen wir nunmehr wahr, daß
er auch die Fürſten des Reichs nicht zuſammenzuhalten
vermochte: daß grade um ihn her ſich alles in Parteien
gruppirte. Nothwendigerweiſe hatte man dann nach außen
hin eher Verluſte erlitten als Fortſchritte gemacht. In
Italien war nichts gewonnen: die Schweiz war zu grö-
ßerer Selbſtändigkeit gelangt: Preußen war eher noch mehr
gefährdet als geſichert: die Politik von Frankreich hatte
wieder Einfluß auf das innere Deutſchland gewonnen:
Geldern und jetzt doch auch Wirtenberg hielten ſich offen-
bar zu dieſer Macht.


Wenn Maximilian dennoch, auch bei ſeinen Zeitgenoſ-
ſen ein ſo rühmliches Andenken hinterlaſſen hat, ſo rührt
das nicht von dem Erfolge ſeiner [Unternehmungen], ſondern
von ſeinen perſönlichen Eigenſchaften her.


[351]Maximilian.

Alle gute Gaben der Natur waren ihm in hohem
Grade zu Theil geworden: Geſundheit bis in die ſpätern
Jahre: — wenn ſie etwa erſchüttert war, reichte eine ſtarke
Leibesübung, anhaltendes Waſſertrinken hin, ſie wieder her-
zuſtellen; 1 — zwar nicht Schönheit aber gute Geſtalt Kraft
und Geſchicklichkeit des Leibes, ſo daß er ſeine Umgebung
in jeder ritterlichen Übung in der Regel übertraf, bei jeder
Anſtrengung ermüdete; ein Gedächtniß, dem alles gegen-
wärtig blieb, was er jemals erlebt oder gehört oder in der
Schule gelernt hatte; natürlich richtige ſcharfe Auffaſſung:
er täuſchte ſich nicht in ſeinen Leuten, er bediente ſich ihrer
zu den Dienſtleiſtungen die für ſie ſelbſt eben die angemeſ-
ſenſten waren; eine Erfindungsgabe ohne Gleichen: alles
was er berührte ward neu unter ſeinen Händen; auch in
den Geſchäften, wir bemerkten es ſchon, ein das Noth-
wendige mit ſicherm Gefühle treffender Geiſt: wäre die
Ausführung nur nicht ſo oft an andre Bedingungen ſei-
ner Lage geknüpft geweſen! eine Perſönlichkeit überhaupt,
welche Bewunderung und Hingebung erweckte, welche dem
Volke zu reden gab. Was erzählte man ſich alles von
ſeinen Jagden, — wie er im Land ob der Ens einen ge-
waltigen Bären in freiem Hag allein beſtanden; wie er in
Brabant in holem Weg einen Hirſch, der ſchon einen An-
lauf wider ihn genommen, noch in dem Momente erlegt;
wie er im Brüßler Wald von einem wilden Schwein über-
eilt, ehe er von dem Pferd geſtiegen, es zu ſeinen Füßen
[352]Zweites Buch. Zweites Capitel.
erſtochen habe; beſonders von den Gefährlichkeiten ſeiner
Gemſenjagd in höchſtem Gebirg, wo er zuweilen wohl den
Jäger der ihm beigegeben war, ſelber vor dem Sturze erret-
tet hat: er zeigt in allem behenden Muth, gleichſam eine ela-
ſtiſche Gegenwart des Geiſtes. So erſcheint er dann auch vor
dem Feinde. Im Bereiche feindlicher Geſchütze ſetzt er ans
Land, bildet ſeine Schlachtordnung und gewinnt den Sieg:
im Scharmützel nimmt er es wohl mit vier oder fünfen al-
lein auf: in den Schlachten muß er ſich oft eines grade ge-
gen ihn ausgeſchickten Feindes in zweikampfartigem Zuſam-
mentreffen erwehren; denn immer voran findet man ihn,
immer mitten im Getümmel der Gefahr. 1 Proben von
Tapferkeit, die nicht allein dienten um in müßigen Stun-
den erzählt, im Theuerdank aufgezeichnet zu werden; der
venezianiſche Geſandte weiß nicht auszudrücken, welch ein
Zutrauen er bei den deutſchen Soldaten aller Art eben
deshalb genoß, weil er ſie in Gefahren niemals verließ.
Als einen großen Feldherrn können wir ihn nicht betrach-
ten: allein für die Organiſation einer Truppe, die Ausbildung
der verſchiednen Waffengattungen, die Bildung eines Heeres
überhaupt, wohnte ihm eine treffliche Gabe bei. Die Mi-
liz der Landsknechte, von welcher der Ruf der deutſchen
Fußvölker wieder erneuert worden, verdankt ihm ihre Be-
gründung, ihre erſte Einrichtung. Das Geſchützweſen hat
er auf einen ganz andern Fuß gebracht: eben hier bewährte
ſich
[353]Maximilian.
ſich ſein erfinderiſcher Geiſt am glänzendſten; da übertraf er
die Meiſter ſelbſt; ſeine Biographen ſchreiben ihm eine ganze
Anzahl von glücklichen Verbeſſerungen zu; 1 auch die Spa-
nier die unter ihm dienten, ſagen ſie, habe er zum Gebrauch
des Handgeſchützes angeleitet. Die Widerſetzlichkeit, die
ſich in dieſen Söldnerhaufen bei der Unregelmäßigkeit ſei-
ner Finanzerträge oftmals erhob, wußte er, wo er perſön-
lich zugegen war, noch in der Regel zu beſeitigen: man
erinnert ſich, daß er in hohen Nöthen den Unmuth der
Leute durch die Poſſen eines Narren den er rufen ließ be-
ſchwichtigte. Überhaupt hatte er ein unvergleichliches Ta-
lent die Menſchen zu behandeln. Die Fürſten welche ſeine
Politik verletzte, wußte er doch in perſönlichem Umgang zu
befriedigen: „nie,“ ſagte Churfürſt Friedrich von Sachſen,
„ſey ihm ein höflicherer Mann vorgekommen.“ Die wil-
den Ritter, gegen die er Reich und Bund aufbietet, er-
fahren doch wieder ſolche Äußerungen von ihm, daß es
ihnen, wie Götz von Berlichingen ſagt, eine Freude im
Herzen iſt, und ſie nie etwas gegen Kaiſerliche Majeſtät
oder das Haus Öſtreich gethan hätten. An den Feſtlich-
keiten der Bürger in den Städten, ihren Tänzen, ihren
Schießübungen nimmt er Antheil; nicht ſelten thut er ſel-
Ranke d. Geſch. I. 23
[354]Zweites Buch. Zweites Capitel.
ber den beſten Schuß mit der Armbruſt; er ſetzt ihnen
Preiſe aus, Damaſt für die Büchſenſchützen, einige Ellen
rothen Sammt für die Armbruſtſchützen: gern iſt er unter
ihnen; damit unterbricht er die ſchwierigen und ermüden-
den Geſchäfte des Reichstages. In dem Lager vor Pa-
dua ritt er gradezu auf eine Marketenderin los und ließ
ſich zu eſſen geben: Johann von Landau, der ihn begleitete,
wollte die Speiſe erſt kredenzen; der Kaiſer fragte nur von
wo die Frau ſey; man ſagte ihm: von Augsburg; „ah,“
rief er aus, „dann iſt die Speiſe ſchon kredenzt, denn die
von Augsburg ſind fromme Leute.“ In ſeinen Erblanden
ſaß er noch oft in Perſon zu Gericht: nahm er einen Ver-
ſchämten wahr, der dahinten ſtand, ſo rief er ihn ſelber
herbei. Von dem Glanz der höchſten Würde war er ſel-
ber am wenigſten beſtochen. „Lieber Geſell,“ ſagte er zu
einem bewundernden Poeten, „du kennſt wohl mich und
andre Fürſten nicht recht.“ 1 Alles was wir von ihm le-
ſen, zeigt eine friſche Unmittelbarkeit der geiſtigen Auffaſ-
ſung, Offenheit und Ingenuität des Gemüthes. Er war
ein tapferer Soldat, ein gutmüthiger Menſch; man liebte
und fürchtete ihn.


Und auch in ſeinem öffentlichen Leben würden wir
ihm Unrecht thun, wenn wir nur bei den mißlungnen Ver-
ſuchen das Reich zu conſtituiren ſtehen bleiben wollten.
Den Staatsformen welche zwiſchen Oberhaupt und Stän-
den Competenzen um die höchſte Gewalt hervorrufen, hängt
es als ein faſt unvermeidlicher Mangel an, daß dann auch
[355]Maximilian.
das Oberhaupt ſein perſönliches Intereſſe von dem der
Geſammtheit trennt. Maximilian wenigſtens hatte bei ſei-
nem Thun und Laſſen bei weitem weniger den Vortheil
des Reiches, als die Zukunft ſeines Hauſes im Auge. Als
achtzehnjähriger Jüngling war er nach den Niederlanden
gegangen, und hatte durch die Verbindung von Bur-
gund und Öſtreich eine neue europäiſche Macht begründet.
Es giebt überall, in dem Staate wie in den Wiſſen-
ſchaften vermittelnde Thätigkeiten, die das Neue zwar noch
nicht zu Stande bringen, aber aus allen Kräften vorberei-
ten. Die Macht die ſich bildete, kam unter Maximilian
noch nicht zu voller Erſcheinung. Aber dadurch, daß er
die fürſtlichen Gerechtſame ſo in den Niederlanden wie in
Öſtreich aufrecht erhielt, von dort die Franzoſen, von hier
die Ungern abwehrte, daß er die große ſpaniſche Erbſchaft
herbeiführte, zu der ungriſch-böhmiſchen definitiv den
Grund legte, iſt ſeine Thätigkeit doch von dem größten
Einfluß auf die folgenden Jahrhunderte geweſen. Wie
ganz anders, als damals, da ſein Vater von Öſtreich ver-
jagt, er ſelber in Brügge gefangen war, ſtanden nun
ſeine Enkel! nie hatte ein Geſchlecht großartigere umfaſſen-
dere Ausſichten. Aus dieſem Geſichtspunct ſah er auch
die deutſchen Verhältniſſe an. Bis in die zweite Hälfte
des funfzehnten Jahrhunderts war Öſtreich von Deutſch-
land faſt ausgeſchloſſen: wie griff es dagegen jetzt in die
Verhältniſſe aller Landſchaften ſo gewaltig ein; der welt-
lichen, wie der geiſtlichen; der ſtädtiſchen und der ritter-
ſchaftlichen Territorien: es konnte ſich nichts regen, mochte
man ſich ihm nun anſchließen oder widerſetzen, wovon es
23*
[356]Zweites Buch. Zweites Capitel.
nicht unmittelbar berührt worden wäre. Wenn es unleugbar
iſt, daß das Reich, in ſeiner Totalität betrachtet, Verluſte
erlitten hatte, ſo iſt doch nicht minder wahr, daß grade
die Vereinigung des Hauſes Öſtreich mit der burgundiſchen
Macht dazu gehörte, um die niederländiſchen Provinzen
wieder in eine bewußte Verbindung mit Deutſchland zu
bringen, daß die ferneren Ausſichten welche ſich an die
ungriſche und beſonders an die ſpaniſche Verwandtſchaft
knüpften, auch der Nation neue Kreiſe der Thätigkeit eröff-
neten. In Maximilian lebte ein höchſt lebendiges Vorge-
fühl der kommenden Dinge, von dem ſein Thun und Laſ-
ſen beherrſcht ward, und alle das Scheinbar-Unſtäte, Ge-
heimnißvolle, Perſönlich-einſeitige ſeiner Politik herrührt. Er
hat nichts zu vollbringen, zu ſtiften: er hat nur das Zu-
künftige vorzubereiten: unter den widerſtrebenden Kräften
der Welt hat er nur die Ausſichten und Anſprüche ſeines
Hauſes aufrecht zu erhalten, zu erweitern.


Da war nun jetzt noch der letzte entſcheidende Mo-
ment übrig, und wiewohl er früher nichts davon hören
mögen, ſo iſt doch offenbar, wie viel ihm an der Siche-
rung der Nachfolge ſeines Enkels liegen mußte.


Aus der Lage der Dinge in Deutſchland, die wir be-
trachtet, ergiebt ſich auf welche Unterſtützung er zählen
durfte, welche Hinderniſſe er antreffen mußte. Auf dem
Reichstag von Augsburg kam er doch mit ſeinen Unter-
handlungen ſchon ſehr weit. Sein gutes Verhältniß zu
den Hohenzollern brachte ihm zwei Churſtimmen zu Wege,
die brandenburgiſche ſelbſt und die mainziſche; Hermann
von Cölln, ein geborner Wied, der mit Cleve in genauer
[357]Maximilian.
Verbindung ſtand, und ſchon deshalb geneigt war, wurde
durch Geſchenke die man ihm, Penſionen die man ſeinen
Verwandten und Brüdern verſprach, vollends gewonnen; 1
endlich waren auch die alten Mißverſtändniſſe mit der Pfalz
beſeitigt: der Churfürſt empfieng ſeine Lehen, trat in Erb-
einung mit Öſtreich und billigte die Succeſſion. Nach-
dem einige vorläufige Verabredungen getroffen worden, ka-
men, bereits am 27ſten Aug. 1518, dieſe vier Churfürſten
mit dem Kaiſer, der von ſeinen und ſeines Enkels Räthen
umgeben war, zuſammen und ſetzten ihre Zuſage durch
förmlichen Vertrag feſt. Die Geſandten von Böhmen, das
man jetzt wieder herbeizog, da man ſeit dem Bunde von
1515 ſeiner Stimme ſicher war, ſtimmten bei.


Dagegen war Churfürſt Friedrich von Sachſen, der
ſo vielfach gekränkte, wie ſich denken läßt, nicht zu ge-
winnen. Zu ihm hielt ſich Churf. Richard von Trier,
ein geborner Greifenklau, der ſchon früher dem Prinzen
von Baden opponirt worden, und bei der neuen Vacanz
endlich durchgedrungen war. Ihre Einwendungen waren
hauptſächlich, daß es unerhört ſey, einem nicht gekrönten
Kaiſer einen römiſchen König zur Seite zu ſetzen, und daß
eine päpſtliche Conſtitution die Verbindung des Königreichs
Neapel, welches Carl beſaß, mit der deutſchen Krone verbiete.


[358]Zweites Buch. Zweites Capitel.

Maximilian war unaufhörlich bemüht, dieſe Einwen-
dungen und ihre tiefern Gründe zu beſeitigen. Mit dem
römiſchen Hof ward wie über die Herausſendung der
Krone, 1 ſo über die Zurücknahme jener Conſtitution leb-
haft unterhandelt. Die ſonderbarſten Pläne kamen zum
Vorſchein. Maximilian dachte einmal zu abdiciren, um
das eine, und den Reſt ſeiner Tage in Neapel zuzubrin-
gen, wohl nicht ohne durch die Krone dieſes Landes für
ſeine Verzichtleiſtungen entſchädigt zu werden, um das an-
dre jener Hinderniſſe wegzuräumen. Die Ärzte hatten ihm
ohnehin geſagt, daß er in Neapel wieder geſund werden
könne. Die deutſchen Unterhandlungen dachte er auf einer
Zuſammenkunft die im nächſten März in Frankfurt Statt
finden ſolle, zu beendigen. Auf das dringendſte ließ er
Churf. Friedrich bitten, ja nicht auszubleiben: er ſelbſt ge-
denke ſich bald nach Neujahr zu erheben.


Das war ihm jedoch nicht beſtimmt. Er erkrankte
noch auf der Reiſe in ſeine Erblande, zu Wels. Alle Tage
der Krankheit füllte er noch aus mit Fortſetzung der Un-
terhandlungen über die Succeſſion: die ſchlafloſen Nächte
ließ er ſich dann die Stammgeſchichte ſeiner Altvordern
vorleſen; Vergangenheit und Zukunft ſeines Hauſes beſchäf-
tigten ihn, als er ſtarb: 12 Jan. 1519.


[359]Maximilian.

Durch ſeinen Tod ward nun plötzlich der Ausgang
der begonnenen Unterhandlungen höchſt zweifelhaft. Die
ſchon eingegangenen Verpflichtungen lauteten doch nur auf
die Wahl eines Königs neben dem Kaiſer; die Sache ver-
änderte ſich, da nun von der Wahl eines unmittelbar re-
gierenden Königs und Kaiſers die Rede war. Aber um
ſo wichtiger ward nun auch die Entſcheidung, wie für die
fernere Zukunft, ſo für den vorhandenen, dringenden, gäh-
rungserfüllten Moment.


Noch zeigten ſich doch die mannichfaltigſten Möglich-
keiten.


Kaiſerwahl von 1519.


Hätte eine geordnete Verfaſſung, wie man ſie einſt
beabſichtigte, dem Oberhaupte eine wenn auch beſchränkte
doch zugleich ſichere Wirkſamkeit verliehen, ſo würden die
vorwaltenden Fürſten des Reiches einen aus ihrer Mitte
haben wählen können. Da es aber nicht dazu gekommen,
wer von allen wäre mächtig genug geweſen, um die allent-
halben gährenden Feindſeligkeiten zu beſchwichtigen und das
Anſehn des Reiches unter den Mächten von Europa auf-
recht zu erhalten? Es war ſehr die Frage, ob es ſich
Einer zutrauen würde.


Maximilian hatte, ehe er wiſſen laſſen wollte daß er
auf ſeinen Enkel denke, mancherlei ſonderbare Entwürfe
geäußert: er hatte die Nachfolge im Reich einmal dem Kö-
nig von England angetragen; — in einer der ſeltſamſten
Urkunden die es geben mag, hatte er ein ander Mal den
jungen König Ludwig von Ungern und Böhmen zum Ver-
[360]Zweites Buch. Zweites Capitel.
weſer des Reiches bei ſeinen Lebzeiten, nach ſeinem Tode
zu ſeinem Nachfolger ernannt; und in dieſen beiden Für-
ſten regte ſich jetzt wohl wirklich der Gedanke an die
Krone; — aber der Eine war zu entfernt, der Andre
nicht ſtark, in ſeinen eignen Ländern nicht mächtig genug:
man konnte bei Keinem ernſtlich verweilen.


Indem nun aber Maximilian ſich zuletzt offen für ſeinen
Enkel, Erzherzog Carl, König von Spanien und Neapel,
verwendete, hatte er einen Vorſchlag in Gang gebracht,
der auch an und für ſich viel Empfehlendes darbot. Carl
war von deutſchem Geblüt, Erbherr in Öſtreich und ſo
vielen niederländiſch-deutſchen Provinzen, aus dem bereits
vorzugsweiſe kaiſerlichen Hauſe. Allein an Einwendungen
fehlte es doch auch gegen dieſen jungen Fürſten nicht.
Man bemerkte, er verſtehe nicht einmal deutſch und habe
noch keine Probe perſönlicher Tüchtigkeit gegeben; die Menge
ſeiner Länder werde ihm keine Zeit laſſen, ſich dem Reiche
zu widmen; jene päpſtliche Conſtitution ſchließe ihn aus-
drücklich aus. Ja ſeine Ausſichten fiengen ſogleich an ſich
zu verdunkeln. Die Churfürſten glaubten durch ihre Ver-
ſprechungen, wie berührt, nicht gebunden zu ſeyn; die Toch-
ter Maximilians Margaretha, die jetzt die Unterhandlungen
leitete, hielt es nicht für gut, ihnen die verſiegelten Ver-
träge vorzulegen, wie man ihr gerathen hatte; ſie begnügte
ſich, ſie nur im Allgemeinen an ihren guten Willen zu er-
innern. Es kam hinzu, daß nach Maximilians Tode in
Öſtreich Unruhen von ſehr weitausſehender Natur ausbra-
chen, in denen die Stände ihre eigene Regierung einrichteten, 1
[361]Kaiſerwahl von 1519.
ohne ſich um die jungen entfernten Fürſten zu kümmern:
„arme Knaben, von denen man nicht wiſſe ob man ſie je-
mals in Deutſchland ſehen werde.“ In Tirol regten ſich
ähnliche Bewegungen. 1 König Ludwig von Ungern hielt
für gut, ſeine Schweſter Anna, die ſich ſchon in Öſt-
reich befand, um mit einem der Brüder vermählt zu wer-
den, von da zurückzurufen.


Unter dieſen Umſtänden faßte ein fremder König, ohne-
hin der natürliche Nebenbuhler der öſtreichiſch-burgundiſchen
Macht, Franz I von Frankreich die ernſtliche Abſicht, nach
der erledigten höchſten Würde der Chriſtenheit zu ſtreben. 2


König Franz war noch im Aufgang ſeines Glückes
und Ruhmes. Die Schlacht von Marignano, durch welche
er Mailand wiedererobert, die perſönliche Tapferkeit die er
dort bewieſen, hatte ihm eine Stellung in Europa und einen
großen Namen gemacht. Mit Papſt Leo X ſtand er in ſehr
genauem Verhältniß: wir finden wohl, daß dieſer Papſt Bre-
ven die er an deutſche Fürſten erlaſſen wollte zuvor dem
franzöſiſchen Hofe mittheilte. König Heinrich von England
verſprach ihm nach kurzem Bedenken ſeine Mitwirkung „durch
Wort, Schrift und That.“ Noch wichtiger aber war es,
[362]Zweites Buch. Zweites Capitel.
daß er Einfluß wenigſtens auf einen Theil der deutſchen
Oppoſition gewonnen hatte. Wir ſprachen von den Her-
zögen von Geldern und von Wirtenberg: die Exiſtenz des
einen, alle Hofnungen des andern hiengen von Frankreich
ab; mit der Pfalz gab es alte niemals ganz abgebrochene
Verhältniſſe; jetzt nahm auch Herzog Heinrich der Mittlere
von Lüneburg für den König Partei: „ſein Glück iſt mir lieb,“
ſagt er in einem Briefe, „ſein Unglück iſt mir leid, er liege
oben oder unten, ſo bin ich der ſeine.“ Der König be-
hauptet, von Deutſchland aus aufgefordert worden zu ſeyn,
ſich um die Krone zu bemühen. Seine Anhänger empfah-
len ihn beſonders deshalb, weil er ſo tapfer ſey, weil kein
andrer Fürſt ſich ſo gut eigne den Krieg gegen die Tür-
ken zu führen, den man doch einen oder den andern Tag
unternehmen müſſe.


Es haben früher und ſpäter franzöſiſche Könige ähn-
liche Abſichten gehegt: Philipp von Valois, Ludwig XIV;
Keiner aber hat je ſo viel Aufforderung in der Lage der
Dinge, ſo viel Ausſicht gehabt, wie Franz I.


Das Unternehmen wie es vor ihm lag, hatte zwei
Seiten. Die Churfürſten mußten gewonnen, jene anti-
öſtreichiſche Partei mußte aufrecht erhalten, verſtärkt wer-
den. König Franz war entſchloſſen, für beiderlei Zwecke
alles was in ſeinen Kräften ſtehe, zu thun, beſonders kein
Geld zu ſparen: er ließ ſich vernehmen, er werde drei Mil-
lionen Kronthaler daran wenden, um Kaiſer zu werden.
Reich mit Gold verſehen machte ſein Vertrauter, Admiral
Bonnivet ſich nach dem Rhein auf; in tiefem Geheimniß
wagte er ſich weiter in das innere Land.


[363]Kaiſerwahl von 1519.

Es iſt nicht genau bekannt geworden, wie weit die
Unterhandlungen mit den Churfürſten gediehen ſind; 1 ſo
viel aber ſehen wir, daß ſie keineswegs ohne Erfolg blie-
ben. Mit der Pfalz kam man bis zu dem ausführlichen
Entwurfe eines Vertrages; 2 Cölln mußte von öſtreichiſcher
Seite gewarnt werden, es möge ſich nicht auf unrechte
Wege führen laſſen; Trier galt für entſchieden franzöſiſch.
Der päpſtliche Legat und ſeine Begleiter unterſtützten die
Franzoſen hiebei nach beſten Kräften, ſie ſprachen ſchlecht
von dem jungen Karl; das Hinderniß jener Conſtitution
ſtellten ſie als unüberwindlich dar. 3 Die Verſprechungen
des Königs übertrafen alles was bisher erhört worden.
Man verſicherte in Paris, er biete jedem weltlichen Chur-
fürſten 200000 Kronen als Geſchenk, 100000 Franken
jährliche Penſion, und jedem geiſtlichen die Hälfte hievon
an. Den beiden öſtlichen Churfürſten, Brandenburg und
Sachſen, wurden überdieß glänzende Vermählungen für ihre
Erben mit reichen Ausſteuern in Ausſicht geſtellt. Für die
Ehrbegierde des erſten war es beſonders verführeriſch, daß
der König für den Fall, daß er ſelbſt nicht durchdringen
ſollte, alle ſeine Verbindungen ihm zu Gute kommen zu laſ-
ſen, ihn den Churfürſten zur Krone zu befördern verſprach.


[364]Zweites Buch. Zweites Capitel.

Und indem erhob ſich ſchon jene franzöſiſch geſinnte
Oppoſition, die von dem verſtorbenen Kaiſer niedergehal-
ten war, zu offener Gewaltthat. Unmittelbar von den Ex-
ſequien Maximilians hinwegeilend machte Ulrich von Wir-
tenberg einen Angriff auf Reutlingen, wo ihm einer ſei-
ner Vögte erſchlagen worden, nahm die Stadt ein, und
brachte mit franzöſiſchem Geld 1 ein ſtattliches Heer zu-
ſammen, mit dem er ſich an alle ſeinen Feinden nament-
lich den Herzogen von Baiern zu rächen gedachte; er un-
terhandelte mit den Schweizern und hoffte ſie wider den
ſchwäbiſchen Bund in die Waffen zu bringen. Etwas ſpä-
ter, eben in der Charwoche erhob ſich auch der Biſchof
von Hildesheim, unter Anrufung der Jungfrau Maria,
und verhängte über das Land ſeiner braunſchweigiſchen
Feinde furchtbare Verwüſtung. Der Herzog von Lüne-
burg, der auch von Frankreich Geld empfangen, ſtand ihm
zur Seite, warb allenthalben Freunde, und rüſtete ſich auf
das ſtattlichſte; der Herzog von Geldern hatte ihm Hülfe
zuzuſenden verſprochen.


Auch mit andern Kriegshäuptern unterhandelten die
Franzoſen: in Oberdeutſchland unter andern mit Sickin-
gen, in Niederdeutſchland mit Heinrich von Meklenburg.
Der letztere ſollte ſich verpflichten, mit ſeinen Mannſchaf-
ten nach geſchehener Wahl auf Trierſchem Gebiete in Co-
blenz ſich einzufinden, um die Penſion zu verdienen, die
ihm der König gewährte. 2


[365]Kaiſerwahl von 1519.

Bei ſo mannichfaltigen Unternehmungen und Unter-
handlungen gieng nun, wie man denken kann, nicht alles
nach Wunſch; aber die Erfolge waren doch im Ganzen eine
Zeitlang ſehr günſtig; ſchon hielt man die Sache am franzö-
ſiſchen Hof beinahe für ſicher: man behauptete, die Mutter
des Königs habe ſchon den Schmuck beſtellt, in dem ſie
bei der Krönung erſcheinen wollte. 1 Großartiger war der
Ehrgeiz des Königs. Als ihn der engliſche Geſandte fragte,
ob es ſein Ernſt ſey, wenn er Kaiſer werde, etwas wi-
der die Türken zu unternehmen, legte er die Hand auf die
Bruſt und betheuerte ihm, er werde dann über drei Jahr
entweder nicht mehr leben oder in Conſtantinopel ange-
kommen ſeyn. 2


Allein ſo wenig Wurzel hatte doch die öſtreichiſche
Geſinnung in Deutſchland nicht, daß ſie mit dem Tode
des Kaiſers aller ihrer Kraft beraubt geweſen wäre. Ei-
nige Räthe Maximilians, Matthäus Lang, Villinger, Ren-
ner, und einige Abgeordnete des niederländiſchen Hofes,
unter denen ſich beſonders Maximilian von Zevenberghen
thätig und geſchickt erwies, bildeten in Augsburg eine Com-
miſſion, welche unter der Leitung Margarethas das öſtrei-
chiſche Intereſſe nach allen Seiten hin wahrnahm. Auch
die Öſtreicher ſchonten das Geld nicht. Sie hatten den
eigenthümlichen Vortheil, daß das Wechslerhaus der Fugger,
2
[366]Zweites Buch. Zweites Capitel.
das die großen Geldgeſchäfte in Deutſchland beinahe aus-
ſchließend machte, für ſie Partei nahm und den Franzoſen
ſeine Dienſte verſagte. 1


Aber überdieß: war nicht König Franz ein Frem-
der? — durfte das churfürſtliche Collegium es wagen, die
Krone, von deren Behauptung auf allen Reichstagen die
Rede geweſen war, ſo leichtſinnig von der Nation abkom-
men zu laſſen? Es blieb nicht unbemerkt, daß er ein un-
umſchränkter Herr war, des Gehorſams gewohnt, ſehr mäch-
tig, unter deſſen Scepter die Aufrechthaltung deutſcher Frei-
heiten ſich ſchwerlich erwarten ließ. Die Gewaltthätigkeiten
ſeiner Anhänger waren nicht geeignet, ihm ruhige Patrio-
ten zu Freunden zu machen.


Der öſtreichiſchen Partei kam in der That nichts er-
wünſchter als jene Schilderhebung des unruhigen Wirten-
bergers. Von den kaiſerlichen Räthen dachte wohl der
eine oder der andere die Sache auf gute deutſche Weiſe
friedlich beizulegen; allein die Klügern verhinderten dieß,
ſie wünſchten den Krieg. 2 Man konnte nicht zweifeln,
wer der Überlegne ſeyn, wem der Sieg zufallen würde.
Der ſchwäbiſche Bund, durch die alten und neuen Belei-
digungen gereizt, und jetzt durch eine bedeutende Subſidie
unterſtützt, war bereit ins Feld zu rücken. Franz von
Sickingen nahm endlich ein Jahrgeld vom Hauſe Bur-
gund an, brach alle Unterhandlungen mit Frankreich ab,
und verſprach mit ſeinen Reitern dem Bunde zu Hülfe zu
[367]Kaiſerwahl von 1519.
kommen. Nur mußte es zugleich gelingen, den Kampf in
dieſen Grenzen einzuſchließen, einen allgemeinen Brand zu
verhüten, beſonders die Schweizer von der Theilnahme an
der Wirtenbergiſchen Sache abzuhalten.


Schon hatte Herzog Ulrich 16000 Schweizer gewor-
ben; und es war zu fürchten, die alte Feindſeligkeit zwiſchen
dem eidgenöſſiſchen und dem ſchwäbiſchen Bund möchte
wieder aufwachen, wie vor 20 Jahren. König Franz hätte
es ſo gern geſehn, wie damals ſein Vorweſer Ludwig XII.


Merkwürdig, daß die erſte Entſcheidung über die deut-
ſche Krone von einer ſchweizeriſchen Tagſatzung ausgehn
ſollte. Hier zuerſt verſuchten die öſtreichiſchen Räthe ihre
Kräfte gegen den franzöſiſchen Einfluß. Der Cardinal
von Sitten, alter Anhänger Öſtreichs, wohlbekannt mit
allen geheimen Wegen der Unterhandlung, war ſchon in
Zürich zugegen, doch fürchtete er eine Zeitlang zu un-
terliegen. 1 Endlich kam ihm Zevenberghen zu Hülfe.
Auch hier ließ man es an Geld nicht fehlen. Man er-
weckte die Erinnerung an das in den letzten Kriegen ver-
goſſene Schweizerblut, an ſo viele noch unbefriedigt ge-
bliebene Anſprüche. Vor allem machte die Betrachtung
Eindruck, daß Frankreich durch die Erwerbung der kaiſer-
lichen Krone allzu viel Macht erlangen, und ſich dann um
Niemand, auch um die Schweizer nicht mehr kümmern
werde. 2 Mit einem Worte: die Öſtreicher drangen in
Zürich durch. Die Tagſatzung nahm ſich die Freiheit, Kö-
nig Franz zu erinnern, er möge ſich mit ſeinem Reiche
[368]Zweites Buch. Zweites Capitel.
begnügen: ſie erneuerte die alten Einungen mit Öſtreich. 1
Zugleich aber berief ſie Die von den Ihren, die dem Her-
zog zugezogen waren, aus dem Felde zurück und zwar mit
ſo einhelligem Ernſt, daß dieſe es nicht wagten zu bleiben.


Hiedurch ward der Ruin Herzog Ulrichs entſchieden.
Mit Recht ſetzte Zevenberghen ſeinen Ruhm darein, daß er
dieſen Beſchluß ausgewirkt hatte.


In dem Augenblicke, daß von allen Seiten Fehdebriefe
bei dem Herzog einliefen — ſogar einige ſeiner Lehensleute
ihm abſagten, — und die gewaltigen Heerſchaaren des Bun-
des ſich rüſteten ihm ins Land zu fallen, ward er von
Denen verlaſſen, welche ihn allein vertheidigen konnten.
Seine Wirtenbergiſchen Milizen verſtanden den Krieg nicht;
ſeine Reiterei war der bündiſchen bei weitem nicht gewach-
ſen. Der Bund fand nirgends Widerſtand; am 21ſten
April nahm er auch Tübingen ein, wo ſich die Kinder
des Herzogs aufhielten: dieſer ſelber war genöthigt ſein
Land zu verlaſſen.


Ein ſo vollkommener Sieg, die Eroberung eines be-
deutenden Fürſtenthums entſchied das Übergewicht des öſt-
reichiſchen Intereſſe in ganz Oberdeutſchland.


Und bald darauf erfolgte eine ähnliche Umwandlung
auch in Niederdeutſchland. Gegen Ende Mais hatten die
Herzöge von Calenberg und Wolfenbüttel ihre Rüſtungen
vollendet, und erſchienen mit ihren Hülfstruppen von Heſ-
ſen und Meißen in unbezweifelter Überlegenheit im Felde.
Sie zerſtörten den Waldenſtein, beſtürmten Peine, und fie-
len
[369]Kaiſerwahl von 1519.
len plündernd in das Lüneburgiſche Gebiet. Auf ihrem
Weg ſah man auf einmal funfzig Dörfer brennen, ſie ſchon-
ten keine Kirche: an ihres Vetters Schloß zerſtörten ſie
das eigne welfiſche Wappen: reiche Beute führten ſie mit
ſich fort. „Sie waren von ſtolzem Muthe,“ ſagt ein gleich-
zeitiges Lied, „ſie hatten Silber und rothes Gold: giengen
in Sammt mit goldnen Ketten: ſie führten zweitauſend
Wagen mit ſich.“ Höhniſch forderten ſie den Herzog von
Lüneburg zur Schlacht heraus; der wartete noch immer
auf ihm von Geldern zugeſagte Hülfe.


Hatten die Franzoſen durch die Begünſtigung des in-
nern Krieges ihre Zwecke zu befördern gedacht, ſo ſahen
ſie ſich vollkommen getäuſcht. Dieſe Fehden nahmen, und
zwar in den entſcheidenden Momenten, eine Wendung zu
Gunſten Öſtreichs.


Denn eben unter dieſen Eindrücken erneuerten nun die
Bevollmächtigten ihre Unterhandlungen mit den Churfür-
ſten auf das eifrigſte.


Gegen Ende April war ein ſpaniſcher Geſchäftsträger
eingetroffen, der dem Erzbiſchof von Mainz die Gewährung
aller Forderungen überbrachte, die er aufgeſtellt hatte. Sehr
merkwürdige Zugeſtändniſſe wurden ihm gemacht: volle
Gewalt über die Reichscanzlei; der kaiſerliche Schutz in
den Streitſachen des Stiftes mit Sachſen über Erfurt,
mit Heſſen über einen neuen Zoll; Fürſprache bei dem
Papſt, daß er auch noch ein viertes Bisthum in Deutſch-
land annehmen dürfen, ja ſogar Legat des apoſtoliſchen
Stuhles im Reiche werden ſolle. Überdieß wurden die
ihm zugeſagten Jahrgelder durch beſondre Verſchreibun-
Ranke d. Geſch. I. 24
[370]Zweites Buch. Zweites Capitel.
gen von Mecheln und Antwerpen ſicher geſtellt. 1 Seit-
dem finden wir den Erzbiſchof, der ſchon immer am we-
nigſten geſchwankt hatte, doppelt eifrig für Öſtreich: das
ganze Gewicht das ihm die Würde eines Erzcanzlers in
Germanien gab, warf er in die Waagſchale für König Carl.


Auf ähnliche Weiſe war auch der Churfürſt von der
Pfalz feſtgehalten worden. Er hatte wohl nur darum ge-
ſchwankt, weil ſich die Publication ſeiner neuen Erbeinung
mit Öſtreich verzögerte, der ſchwäbiſche Bund dagegen Miene
machte, ſich jener Geldanſprüche rheiniſcher Kaufleute ge-
gen ihn anzunehmen. Die öſtreichiſchen Bevollmächtigten
eilten jede Irrung beizulegen: jene Kaufleute befriedigten
ſie auf ihre Koſten. Ohnehin verwandte Pfalzgraf Frie-
drich alle ſeinen Einfluß bei ſeinem Bruder zu Gunſten
Öſtreichs; dem einen wie dem andern wurden bedeutende
Geldbewilligungen gemacht. 2 Allmählig ließ auch die Pfalz
jede Hinneigung zu Frankreich fahren.


Mindere Schwierigkeiten hatte es mit Cölln. Der Graf
von Naſſau, der in dieſen Gegenden die Unterhandlung
führte, wußte, wie die rheiniſchen Grafen überhaupt, ſo
auch den Erzbiſchof, der aus ihnen hervorgegangen, zu ge-
winnen. Die Zugeſtändniſſe die ihm zu Augsburg gemacht
worden, erweiterte man ihm noch. Wir haben einen Brief
von ihm vom 6ten Juni, worin er die Sache für abgemacht
hält, wofern es nur gelinge auch Böhmen zu gewinnen. 3


[371]Kaiſerwahl von 1519.

Wohl hatte der König von Böhmen anfangs daran
gedacht, jene Verſchreibungen Maximilians geltend zu ma-
chen, und deshalb ſeine Geſandten nach Italien geſchickt.
Allein er ſah nur zu bald, wie wenig er zu erwarten habe.
Hierauf entſchloß er ſich, das Haus Öſtreich zu begünſti-
gen, mit welchem er in ſo enge verwandtſchaftliche Bande
treten ſollte. Vielleicht trug dazu bei, daß ein Bruder des
Markgrafen Georg von Brandenburg, der an dieſem Hofe
viel vermochte, Johann, mit der Witwe Ferdinands des
Katholiſchen vermählt und zum Vicekönig von Valencia
ernannt ward. 1 So blieben nur noch Trier Brandenburg
und Sachſen übrig, und die öſtreichiſchen Bevollmächtigten
ließen es an Eifer nicht fehlen, auch dieſe herbeizuziehn.


Bei Trier war alles vergeblich; auch Joachim I ließ
ſich nicht viel abgewinnen: er hieng der großen Hofnung
nach, die in ihm erweckt worden war.


Um ſo mehr kam auf Deſſen Stimme an, den Öſt-
reich zuletzt ſo mannichfaltig verletzt, den auch die Räthe
bis jetzt für ihren größten Gegner gehalten hatten, auf
Friedrich von Sachſen. 2 Da man die böhmiſche Stimme
im Reiche nicht hoch anſchlug, wie denn z. B. noch die
letzte Wahl ohne Böhmen vollzogen worden, ſo war die
Stimme von Sachſen ſchon zur Bildung einer allgemein
anerkannten Majorität nothwendig. Die Weigerung des
Churfürſten, an den Verträgen zu Augsburg Theil zu neh-
men, die als ſie bekannt wurden viel Mißbilligung in der
24*
[372]Zweites Buch. Zweites Capitel.
Nation fanden, hatte ſein Anſehn noch vermehrt. Die
moraliſche Autorität, die Beiſtimmung der öffentlichen Mei-
nung hieng von dieſer Stimme ab: man mußte alles ver-
ſuchen, ſie zu gewinnen.


Der Churfürſt ſelbſt war und blieb unzugänglich. Er
wollte von keinen Verſprechungen hören: er verbot ſeinen
Dienern Geſchenke zu nehmen: er verwies nur immer auf
den Wahltag, wo er mit ſeiner Stimme, die er bis dahin
frei haben wolle, hervortreten werde.


Indeſſen es iſt wohl auf Erden keine Stellung die
nicht auf irgend einer Seite zugänglich wäre. Die Ab-
geordneten entſchloſſen ſich einen Schritt zu thun, der wenn
er ausgeführt ward allerdings allen Widerwillen heben
mußte, der ſich zwiſchen Sachſen und Oſtreich angeſam-
melt hatte. Sie boten dem Bruder des Churfürſten, Her-
zog Johann, die Erzherzogin Catharina, Schweſter des Kö-
nigs Carl, für ſeinen Sohn, den Erben der Churwürde,
Johann Friedrich an.


Herzog Johann antwortete auf den Antrag: der Kö-
nig werde ſeine Schweſter höhern Ortes anbringen können.
Die Geſandten erwiederten: der König wünſche nur die
alte Verwandtſchaft beider Häuſer zu erneuen. Auf das
geſchickteſte und ſchmeichelhafteſte widerlegten ſie ſeine Be-
ſcheidenheit, indem ſie daran erinnerten daß die Schwe-
ſter Kaiſer Friedrichs die Großmutter der Herzoge von
Sachſen geweſen ſey. 1


Churfürſt Friedrich nahm an dieſen Verhandlungen
keinen Antheil, aber er ließ ſie geſchehen; die Geſandten
[373]Kaiſerwahl von 1519.
glaubten zu finden, daß von der Vollendung derſelben das
ganze Wahlgeſchäft abhänge; ſie ſchrieben erſt von Lochau,
hierauf gleich noch einmal, 16 Mai, von Rudolſtadt an
den König nach Spanien: wolle er die Sache nicht ver-
geblich unternommen haben, ſo möge er ihnen ſo geſchwind
wie möglich die Vollmacht ſchicken, dieſen Ehevertrag ab-
zuſchließen: darin liege das einzige Mittel zum Ziel zu kom-
men. 1 Auch dem König war dieß ſo einleuchtend daß er
keinen Augenblick zögerte: ſchon am 30ſten Mai unterzeich-
nete er die Vollmacht für ſeine Abgeordneten, über dieſe
Vermählung und alles was mit derſelben zuſammenhänge,
in ſeinem Namen zu unterhandeln und Abkunft zu treffen,
mit derſelben Gültigkeit als thue er es ſelbſt. 2 Auch Her-
zog Johann ſtellte hierauf eine Vollmacht zur Unterhand-
lung an ſeine Räthe aus, worin er ſagt: „indem er die
Würdigkeit der Krone Hiſpanien, Namen und Stammen
des löblichen Hauſes Öſtreich zu Gemüth führe, wünſche
er ſeinen Sohn, der auch ſelbſt dazu hochgeneigt, am lieb-
ſten mit der hochberühmten Fürſtin, Fräulein Catharina
ſich zu freundlicher Heirath bereden zu ſehen.“


Dieſe Dinge waren nun wohl damals nicht bekannt,
allein ſie fühlten ſich durch, und ſchon zweifelte man nicht
mehr an dem Ausgang.


Auch König Heinrich VIII von England hatte einen
Augenblick den Gedanken gehegt, während des Streites der
beiden andern Könige die Krone auf ſein eignes Haupt
zu ſetzen; jedoch hatte ſein Geſandter ſich nur mit größter
[374]Zweites Buch. Zweites Capitel.
Vorſicht ja Zurückhaltung betragen. Er ſah die Sache
von der kaufmänniſchen Seite an. Er fand, dieſe Krone
ſey eine zu theure Waare für ihren Werth und Nutzen. 1
Aus einem ſeiner Schreiben, vom 12ten Juni, entnehmen
wir, daß er damals alle Hofnungen aufgegeben hatte.


Da gaben auch die päpſtlichen Geſandten nach. Auf
ihre erneute Erinnerung wegen der neapolitaniſchen Ver-
pflichtungen König Carls hatten ihnen ſchon früher die
verſammelten rheiniſchen Churfürſten eine ſehr entſchloſſene
Antwort gegeben, und die Anmaaßung des päpſtlichen Stuh-
les, ihnen in Bezug auf die Wahl etwas vorſchreiben be-
fehlen oder verbieten zu wollen, in aller Form zurückge-
wieſen. 2 Seitdem aber hatten ſie fortwährend ſolche Dinge
zu berichten gehabt, daß Leo ausrief, man müſſe mit dem
Kopf nicht wider die Mauer rennen, und am 24ſten Juni
den Churfürſten ſeine Einwilligung zur Wahl des Königs
von Spanien und Neapel erklären ließ.


Bei alle dem wollten die Franzoſen, von einigen ein-
ſeitigen Succeſſen beſtochen, die Lage der Dinge nicht ge-
wahr werden: noch in dieſen Tagen ließen ſie einen Sturm
auf den Erzbiſchof von Cölln wagen und demſelben faſt
unglaubliche Summen anbieten, jedoch vergeblich.


Als nun die Churfürſten in Frankfurt zuſammenka-
men, hatte König Franz bereits keine Ausſicht mehr. Nur
der andre Wunſch tauchte noch einmal auf, einen wahr-
haft einheimiſchen Kaiſer zu haben. Man dachte wirklich
[375]Kaiſerwahl von 1519.
einmal an Churfürſt Joachim; aber ſeine eigenen Ver-
wandten, vor allem ſein Bruder von Mainz waren gegen
ihn: ſie fanden, die Behauptung der kaiſerlichen Würde
mache Anſtrengungen und beſonders Koſten nöthig, welche
die Kraft der Mark und ihrer ganzen Familie aufreiben
würden; Joachim würde niemals die hinreichende Stimmen-
anzahl gehabt haben. Bei weitem wichtiger war es, daß
ſich die Blicke der Verſammelten auf Churfürſt Friedrich
von Sachſen wendeten. Richard von Trier ſuchte ihn
einſt bei Nacht auf, und ſagte wohl, er ſelbſt wolle einen
Theil der Arbeit auf ſich nehmen. Bei der Haltung die
Friedrich in der lutheriſchen Sache angenommen, und der
nationalen Richtung in der ſich dieſe Händel noch beweg-
ten, eine der großartigſten Ausſichten für die Geſchichte der
Nation. Die Churfürſten waren im Ganzen geneigt; es
iſt ihnen ſpäter ſogar zum Vorwurf gemacht worden, hätte
ſich einer unter ihnen gefunden, „fähig, das Reich zu un-
terhalten,“ ſo würde der gewählt worden ſeyn. Hätte nur
Friedrich einen kühnern Ehrgeiz gehabt! Wäre er nicht be-
reits zu alt und von Natur ſo vorſichtig geweſen! Aber
er kannte die Geſchäfte des Reiches zu lange und zu gut,
um nicht zu wiſſen, daß das Übergewicht der Macht dazu
gehöre, um dieſe ſtolzen, kräftigen, zur Unabhängigkeit em-
porſtrebenden Fürſten und Stände in Einheit und Unter-
ordnung zuſammenzuhalten.


Wiewohl er entſchloſſen war, ſo befragte er doch ei-
nes Tages ſeinen Begleiter Philipp von Solms um ſeine
Meinung. Der antwortete ihm er fürchte, ſein Herr werde
die ſtrafende Gewalt nicht gehörig auszuüben vermögen.
[376]Zweites Buch. Zweites Capitel.
Friedrich erwiederte, daß er daſſelbe denke, und lehnte je-
den Antrag ab. 1 Die Zeit war gekommen, wo auch ſonſt
keine Zurückhaltung mehr zu beobachten war: er erklärte
ſich öffentlich für König Carl. Seine Stimme brachte
auch Die zum Entſchluß, die bisher noch ſchwankend ge-
weſen waren.


Am 28ſten Juni ward nach altem Gebrauch die Sturm-
glocke gezogen, und die Churfürſten verſammelten ſich, in
ihren ſcharlachnen Amtskleidern, in jener engen, kleinen,
halbdunkeln Capelle am Chor der Bartholomäuskirche, die
ihnen zum Conclave diente. Schon waren ſie alle einmü-
thig. Mainz fragte wie das Herkommen gebot, zuerſt Trier:
Trier erwählte den Erzherzog Carl von Öſtreich, Prinzen
von Burgund, König von Spanien. So wählten ſie alle:
der König von Frankreich hatte keine Stimme. 2


Jedoch dachten die Churfürſten darauf, einem ſo mäch-
tigen Fürſten wie ſie wählten gegenüber, zugleich auch die
Rechte des Reiches wahrzunehmen. Sie legten dem er-
wählten römiſchen König eine ziemlich ſtrenge Capitulation
vor: nach den Grundſätzen die ſchon während der letzten
Unterhandlungen Maximilians feſtgeſetzt worden. 3 Man
beſtimmte darin, daß die Ämter nur mit Deutſchen be-
ſetzt, die Verhandlungen nur in deutſcher Sprache geführt,
[377]Kaiſerwahl von 1519.
die Verſammlungen des Reiches nur innerhalb der Gren-
zen der deutſchen Nation gehalten werden ſollten. Und
hiebei vergaßen denn die Churfürſten auch ihre eigenen
Rechte nicht. Sie ſollten zum Reichsregiment gezogen,
ohne ihre Einwilligung kein Krieg angefangen, kein Bünd-
niß geſchloſſen, kein Reichstag angekündigt, geſchweige denn
eine Steuer ausgeſchrieben werden; was mit Rath und
Hülfe der Stände im Kriege gewonnen werde, ſollte auch
immer dem Reiche verbleiben. 1


Es eröffnet ſich uns hier noch eine andre Anſicht.
Es iſt wahr: die Fürſten wählten ſich ein mächtiges
Oberhaupt. Aber war nicht auch die Stellung deſſelben,
die ſo häufig ſeine Abweſenheit veranlaſſen mußte, der
Entwickelung ihrer eigenen Macht günſtig? Unter einem
Fürſten wie dieſer, der in ſo vielen Ländern zu gebieten
hatte, dem ſo viele Kriege bevorſtanden, konnten ſie am
erſten zu jener ſtändiſchen Verfaſſung, zu der Theilnahme
an den Reichsgeſchäften gelangen, nach der ſie unter Ma-
ximilian ſchon immer getrachtet hatten.


Sonderbare Miſchung der verſchiedenartigſten Beweg-
gründe, die zu der Wahl Carls V zuſammenwirkten! Es
iſt nicht zu leugnen: Geldzahlungen in reichem Maaße,
wie an die Fürſten, ſo an ihre Angehörigen und Räthe,
an denen ſelbſt Trier und Herzog Hans von Sachſen An-
theil hatten: Erwerbung neuer Gerechtſame: verwandtſchaft-
liche Verbindungen, nähere oder entferntere, die entweder
ſchon beſtanden, oder jetzt geſchloſſen, oder für die Zukunft
[378]Zweites Buch. Zweites Capitel.
verheißen wurden: auch wohl eine gewiſſe Beſorgniß vor
dem ſchwäbiſchen Bundesheer, das im Solde von Öſtreich
noch immer im Felde ſtand; 1 aber dabei auch Abneigung
gegen die Fremden, obwohl ſie am Ende noch mehr Geld
boten: Anhänglichkeit an das Haus das dem Reiche ſchon
mehrere Kaiſer gegeben, und eine gewohnte Verehrung ge-
noß: die Gefahr die mit jeder andern Auskunft zuſam-
menhieng: Erwartung guter Folgen von der welche man
traf; — genug zugleich die perſönlichſten Beziehungen und
die Rückſicht auf das allgemeine Wohl.


Fügen wir aber hinzu, auch das Glück war dabei. An
dem Tage der Wahl, ja in der Stunde derſelben erfolgte in
Niederſachſen eine Entſcheidung, die wenn ſie früher einge-
treten wäre, die Sache leicht noch einmal zweifelhaft ma-
chen, die franzöſiſche Partei hätte beleben können.


Endlich nemlich waren jene geldriſchen Reiter bei Her-
zog Heinrich von Lüneburg eingetroffen, und ohne Verzug
hatte er ſich aufgemacht, das mit Raub beladene Heer ſei-
ner Vettern im Felde zu ſuchen. Unfern von Soltau an
der Haide holte er es ein und begann auf der Stelle den
Angriff ohne ſein Fußvolk zu erwarten. Eben in der Rei-
terei beſtand ſeine Stärke. Dieſe warf ſich zuerſt auf das
feindliche Geſchütz und nahm es, dann ſprengte ſie die be-
ſten Haufen der Fußvölker aus einander, ſo daß auch die
Übrigen, geworbene Knechte, in die Flucht geriethen und
ihre Wehre in den Sand warfen; durch dieß glückliche
[379]Anfang der neuen Regierung.
Gelingen zu verdoppeltem Feuer ermuthigt machte ſie ei-
nen heftigen Anfall auf die calenbergiſchen Reitergeſchwa-
der. Hier fand ſie tapfern Widerſtand: Herzog Erich
von Calenberg, kenntlich an ſeinem weißen Federbuſch, drang
einmal ſogar in ihre Reihen; aber die Lüneburger waren
durch ihre Anzahl überlegen: ſie erfochten einen vollſtän-
digen Sieg: Erich ſelbſt, ſein Bruder Wilhelm und 120 Rit-
ter geriethen in die Gefangenſchaft der Anhänger des Kö-
nigs von Frankreich. 1


Allein, wie geſagt, da an demſelben Tage die Wahl
vollzogen worden, ſo konnte dieſer Sieg nichts mehr hel-
fen. Die Sieger mußten jetzt jede Verbindung mit Frank-
reich vermeiden, dagegen fanden die Geſchlagenen bei den
Commiſſarien Carls V zu Augsburg Gunſt und Hülfe.
Im October griff Heinrich der Jüngere von Wolfenbüt-
tel, wie man damals glaubte von Augsburg her mit Geld
unterſtützt, aufs neue zu den Waffen und richtete im Hil-
desheimiſchen einen Schaden an, den man auf anderthalb-
hunderttauſend Gulden berechnete; nur mit Mühe konnte
er von den benachbarten Fürſten zu Stillſtand und Tag-
leiſtung gebracht werden. Aber ſchon wollte er ſich in
keinen Beſchluß der Vermittler fügen. Von einer Ver-
ſammlung zu Zerbſt, im Mai 1520, entfernte er ſich bei
Nacht, ohne dieſelbe zu begrüßen, nur mit der Bemerkung,
er müſſe die Sache der Entſcheidung königlicher Majeſtät
vorbehalten. Hatten die Lüneburger Frankreich vertheidigt,
ſo kam Öſtreich und ſein Glück jetzt ihren Gegnern um
ſo gewaltiger zu Hülfe.


[380]Zweites Buch. Zweites Capitel.

Eine noch entſchiednere Geſtalt in demſelben Sinne
nahmen in dieſem Augenblick die Verhältniſſe von Ober-
deutſchland an. Wirtenberg gieng ganz in öſtreichiſche
Hände über.


Die Veranlaſſung dazu war, daß Herzog Ulrich in
plötzlichem Überfall im Auguſt die bündiſche Regierung zer-
ſprengt, ſein Land wieder in Beſitz genommen, und nur
durch erneute Anſtrengungen des Bundes hatte vertrieben
werden können. 1 Dem Bund fiel jetzt ſeine eigne Er-
oberung beſchwerlich: die alten Kriegskoſten, deren Erſtat-
tung man dringend wünſchte, wurden ſogar durch neue
vermehrt. Mit Freuden giengen die Mitglieder auf den
Vorſchlag des Kaiſers ein, das Land ſammt den Kindern
des Herzogs „ihm in Bewahr zuzuſtellen,“ wogegen er die
Forderungen der Stände zu erledigen verſprach. 2 Im Fe-
bruar 1520 übernahmen die kaiſerlichen Commiſſarien die
Verwaltung des Landes: indem ſie den Tübinger Vertrag be-
ſtätigten, den Ulrich bei ſeiner Rückkehr unbeſonnen genug
geweſen war zu widerrufen, gewannen ſie auch eine nicht
unbedeutende Partei im Lande.


Ein Regierungsanfang, der doch ſehr gewaltſam aus-
ſah. Denn unerhört war und blieb es, wie die Schwei-
zer es ausdrückten, „daß ein Fürſt des heil. Reiches aus
durchlauchtigem Hauſe über alles Rechtserbieten, ſeines Für-
ſtenthums väterlichen Erbes und Eigens ſo gewaltiglich
beraubt ſeyn ſollte.“ Aber dieſe Commiſſarien betrachteten
[381]Anfang der neuen Regierung.
die Wahl als einen Sieg der öſtreichiſchen Partei und ſuch-
ten ihn zum Vortheil derſelben zu benutzen.


Das war nun nicht die Meinung der Churfürſten ge-
weſen, am wenigſten Friedrichs von Sachſen; ſie hatten
vielmehr ſogleich daran gedacht, eine gleichmäßige vorzugs-
weiſe ſtändiſche Verwaltung einzuführen: einen Reichstag
auszuſchreiben, ein Regiment zu ernennen. Am Hofe in
Spanien ſchien man dieß von ganzem Herzen zu billi-
gen: es lief ein Schreiben ein, worin Churfürſt Friedrich
zum Statthalter des Regiments ernannt ward; er ward
auch außerdem um ſeinen guten Rath in den Geſchäften
erſucht. Allein die Commiſſarien hielten es nicht für gut,
einen Reichstag zu berufen, geſchweige denn ein Regiment
zu ernennen. Sie hüteten ſich wohl, den Churfürſten um
Rath zu fragen: das Diplom jener Ernennung behielten
ſie an ſich. Sie wollten keine ſtändiſchen Einwirkungen,
ſo wenig jetzt wie unter Maximilian, ſie wollten die Summe
der Geſchäfte in ihrer Hand behalten.


Man dürfte ſich darüber nicht verwundern. Sie hiel-
ten die Geſichtspuncte feſt, die unter Maximilian gäng und
gebe geworden: ſie ſahen die neue Regierung als eine Fort-
ſetzung der alten an.


Da mußte man nun doppelt geſpannt ſeyn, wie der
junge Fürſt, wenn er in Deutſchland erſchiene, und deſſen
nähere Umgebung die Sachen auffaſſen und angreifen wür-
den. Nach ſeiner Weltlage ließ ſich wohl eine großarti-
gere Anſicht erwarten: alle ſeine Briefe gaben das zu er-
kennen. Namentlich dem Churfürſten Friedrich ſchrieb er,
er ſolle ſpüren daß er ſeine Stimme dem allerdankbarſten
[382]Zweites Buch. Zweites Capitel.
Fürſten gegeben: in Kurzem werde er in Perſon erſchei-
nen, einen Reichstag halten, und die Sachen des Reiches
mit Sr Liebden Rath und Gutbedünken beſtellen. Denn
„wunderviel,“ ſagt er, „halten wir von den Anſchlägen,
dem Rathe und der Weisheit Deiner Herrſchaft.“ 1


Ehe nun aber Carl eintreffen konnte, hatten die reli-
giöſen Angelegenheiten eine Entwickelung genommen, durch
welche die Frage welche Stellung er annehmen würde eben
ſo bedeutend für die Kirche wurde wie für das Reich.


[[383]]

Drittes Capitel.
Erſter Abfall vom Papſtthum.
1519, 20.


Cajetan und Miltitz.


Es hatte während dieſer Zeit mehr als einmal geſchie-
nen als werde die lutheriſche Sache ſich friedlich beilegen
laſſen: von beiden Seiten war eine Neigung dazu vorhanden.


Während des Reichstages zu Augsburg gewann es
Churfürſt Friedrich über ſich, dem päpſtlichen Legaten einen
Beſuch zu machen und ihn um ſeine Vermittelung in der
Sache zu erſuchen. Ich finde nicht, daß derſelbe ſpeciellen
Auftrag von Rom aus dazu gehabt hätte; aber ſeine allge-
meinen Vollmachten gaben ſeiner Thätigkeit auch für Fälle
dieſer Art einen freien Spielraum. Er verſprach dem Chur-
fürſten, den Mönch wenn er vor ihm erſcheine, mit väterli-
chem Wohlwollen zu hören und wieder von ſich zu laſſen. 1


[384]Zweites Buch. Drittes Capitel.

Die Geſchäfte der Verſammlung waren ſchon been-
digt, als Luther, ſehr zufrieden nicht nach Rom gehn zu
müſſen, ſich aufmachte, um ſich dem gemäß vor dem Car-
dinal zu ſtellen. Wahrhaft in niedriger Geſtalt wanderte
er dahin: in einer geborgten Kutte, von Kloſter zu Klo-
ſter herbergend: durch Anfälle von Unwohlſeyn zuweilen
bis zur Ohnmacht erſchöpft. 1 Er hat ſpäter oft geſagt,
hätte ihn der Cardinal freundlich behandelt, ſo wäre er
leicht zum Schweigen zu bringen geweſen. Als er vor ihn
kam, fiel er vor ihm nieder.


Unglücklicherweiſe war aber dieſer Legat, Thomas de
Vio von Gaeta, (Cajetan) nicht allein ein Repräſentant
der Curie, ſondern zugleich der eifrigſte Thomiſt. Seiner
Mutter, ſagt man, träumte als ſie mit ihm ſchwanger war,
St. Thomas in Perſon unterweiſe ihn und führe ihn darnach
mit ſich gen Himmel. 2 So ungern man es dann in ſeiner
Familie auch ſah, ſo ließ er ſich doch nicht mehr abhalten,
ziemlich früh, in ſeinem 16ten Jahr, in ein Dominicaner-
kloſter zu treten, wo er den Namen ſeines Heiligen an-
nahm (urſprünglich hieß er Jacob) und alle ſeine Kräfte
anſtrengte, ſich mit den Lehren deſſelben zu durchdringen.
Er hielt ihn für den vollkommenſten Theologen der je-
mals gelebt habe. Er unternahm es, die Summa, ſein
Hauptwerk, Schritt für Schritt gegen die Einwendungen
der Scotiſten zu vertheidigen. 3


Da
[385]Cajetan.

Da war ihm nun Luther ſchon als Nominaliſt, als
Widerſacher der theologiſchen Alleinherrſchaft des St. Tho-
mas, Anführer einer thätigen Gegenpartei auf einer eben
aufkommenden Univerſität höchlich verhaßt. Die Demuth
Luthers erwiederte er anfangs mit dem officiellen väterli-
chen Bezeigen eines geiſtlichen Obern. Aber ſehr bald trat
der natürliche Widerſtreit zwiſchen ihnen hervor. Der Car-
dinal war nicht gemeint, ſich mit Stillſchweigen zu begnü-
gen, er wollte es auch zu keiner Disputation kommen laſ-
ſen, wie Luther vorgeſchlagen: er glaubte ihm in wenig
Worten ſeinen Irrthum nachgewieſen zu haben, und for-
derte einen Widerruf. Da erwachte auch in Luther der
Gegenſatz, der keine Unterordnung kennt, weder geiſtliche
noch weltliche, der Wiſſenſchaft, des Syſtemes wieder zu
vollem Bewußtſeyn. Es wollte ihm ſcheinen, als verſtehe
der Cardinal ſeine Meinung, namentlich ſeine Idee vom
Glauben, gar nicht einmal, geſchweige daß er ſie wider-
legen könnte; es kam zu einem Wortwechſel, in welchem
Luther doch mehr Beleſenheit Sicherheit und Tiefe ent-
wickelte, als ihm der Legat zugetraut; Speculationen ſo
außerordentlicher Art waren ihm noch nicht vorgekommen:
dieſe tiefen, glitzernden Augen machten ihm Grauen; er
rief endlich aus, Luther möge entweder widerrufen, oder
er dürfe ſich nicht wieder vor ihm blicken laſſen. 1


Es war das dominicaniſche Syſtem, das hier mit dem
3
Ranke d. Geſch. I. 25
[386]Zweites Buch. Drittes Capitel.
Purpur bekleidet, den Gegner von ſich ſtieß. Luther glaubte,
obwohl er ſich ein kaiſerliches Geleite verſchafft, doch ſelbſt
vor Gewaltthätigkeiten nicht mehr ſicher zu ſeyn; er ver-
faßte noch eine Appellation an den beſſer zu informiren-
den Papſt; dann entfloh er. Sein Gehen entſprach ſei-
nem Kommen. Durch eine geheime Pforte die ihm ſeine
Augsburger Gönner bei Nacht öffnen ließen, auf einem
Pferde das ihm ſein Provincial Staupitz verſchafft hatte,
in ſeiner Kutte, ohne Stiefel noch Beinkleider, ritt er da-
von, von einem wegekundigen Ausreiter begleitet, acht große
Meilen den erſten Tag: als er abſtieg, fiel er todtmüde
neben ſeinem Pferde in die Streu. Doch war er glück-
lich außer dem unmittelbaren Bereiche des Legaten.


Und nun ſuchten ihn zwar gar bald die Anklagen deſ-
ſelben auch in Sachſen auf. Der Legat beſchwur den
Churfürſten, nicht um eines ketzeriſchen Kloſterbruders wil-
len den Ruhm ſeines Hauſes zu beflecken: wolle er denſel-
ben ja nicht nach Rom ſchicken, ſo möge er ihn wenigſtens
aus ſeinem Lande ſchaffen: in Rom werde man dieſe Sache
niemals fallen laſſen. Allein er machte damit keinen Ein-
druck mehr: durch ſein unklug-heftiges Verfahren hatte er
ſein Anſehn bei Friedrich eingebüßt. Die Univerſität ſchrieb
ihrem Fürſten, ſie wiſſe nicht anders, als daß Luther der
Kirche und ſelbſt dem Papſt alle Ehre erweiſe: wäre Bosheit
in dem Manne, ſo würde ſie das zuerſt bemerken. Es ver-
droß die Corporation, daß der Legat eines ihrer Mitglieder
als einen Ketzer behandle, ehe noch ein Urtheil erfolgt war. 1
1
[387]Cajetan.
Hierauf geſtützt erwiederte Friedrich dem Legaten, von ſo
viel Gelehrten in ſeinen und den angrenzenden Ländern habe
noch nicht gezeigt werden können, daß Luther ein Ketzer
ſey, und weigerte ſich ihn zu entfernen. 1


Luther verbarg ſich jedoch nicht, daß das Urtheil in
Rom leicht gegen ihn ausfallen könne: er eilte ſich durch
eine neue Appellation und zwar an ein demnächſt zu be-
rufendes allgemeines Concil ſo viel möglich dagegen ſicher
zu ſtellen.


Allein auch in Rom ſcheint man doch das Verfah-
ren des Cardinals nicht gebilligt zu haben. Man war
nicht gemeint, einen ſo angeſehenen Fürſten wie Friedrich,
der ſo eben für das Wahlgeſchäft doppelt wichtig geworden
war, bei dem es wahrſcheinlich geſtanden hätte, den Kö-
nig von Frankreich, wie der Papſt wünſchte, zum Kaiſer
zu machen, ſich zu entfremden. Auch der Papſt machte
jetzt einen Verſuch, die Sache des Mönchs in Güte bei-
zulegen. Er beſchloß dem Churfürſten ein Zeichen der apo-
ſtoliſchen Gnade, das er immer gewünſcht hatte, die goldene
Roſe zuzuſenden. Um die ſich lockernden Bande wieder
feſtzuknüpfen, fertigte er überdieß einen gebornen ſächſiſchen
Unterthan, Agenten des Churfürſten in Rom, Carl von
Miltitz, als ſeinen Nuntius an ihn ab.


Und dieſer griff nun die Sache, wie gar nicht zu
leugnen iſt, mit großer Geſchicklichkeit an.


Er hütete ſich wohl, ſich bei ſeiner Ankunft in Deutſch-
1
25*
[388]Zweites Buch. Drittes Capitel.
land an den Legaten zu wenden, der ohnehin allen Credit
verloren hatte und jetzt dem Churfürſten grollte, er ſchloß
ſich gleich auf der Reiſe an einen geheimen Rath Friedrichs,
Degenhard Pfeffinger an. Er trug kein Bedenken, bei einem
Glaſe Wein unter Freunden, ſelbſt in den Gaſthöfen in die
Klagen einzuſtimmen, die man in Deutſchland gegen die Cu-
rie, die kirchlichen Mißbräuche erhob, und ſie durch Ge-
ſchichten zu beſtätigen die er ſelbſt erlebt habe. Aber er
verſicherte, er kenne den Papſt, und habe Einfluß bei ihm:
der billige das nicht. Auf das unumwundenſte verwarf
er das Unweſen der Ablaßprediger: er verbreitete einen ſol-
chen Ruf vor ſich her, daß Tetzel es gar nicht wagte, vor
ihm zu erſcheinen. 1


Dagegen faßten der Fürſt, gegen den er das Betra-
gen eines Unterthanen und Dieners beobachtete, und Lu-
ther ſelbſt, den er ſehr glimpflich behandelte, Vertrauen zu
ihm. Es gelang ihm ohne viel Mühe eine Annäherung
zu bewirken, auf die doch fürs Erſte alles ankam.


Am 3ten Jan. 1519 hatte er eine Zuſammenkunft
mit Luther zu Altenburg. Der Nuntius ſtellte dem Mönch
das Unheil vor, das aus ſeiner Heftigkeit entſpringe, den
großen Abbruch den er auf dieſe Weiſe der Kirche zufüge;
er weinte indem er ihm das ans Herz legte. Luther ver-
ſprach, den Schaden den er geſtiftet haben könne durch
eine öffentliche Erklärung wieder gut zu machen. Dagegen
gab auch der Nuntius den Gedanken auf, Luthern zu einem
[389]Miltitz.
Widerruf zu bringen. Sie kamen überein, daß die Sache
einem deutſchen Biſchof übertragen und indeß beiden Thei-
len Stillſchweigen auferlegt werden ſolle. So, meinte Lu-
ther, werde ſie ſich verbluten. 1 Nicht ohne Abſchiedskuß
ſchieden ſie von einander.


Da iſt nun die Erklärung ſehr merkwürdig, welche
Luther in Folge dieſes Geſprächs kurz hierauf ausgehn ließ.
Er berührt darin alle Streitfragen des Augenblicks. Ohne
die freie Haltung aufzugeben, die er angenommen hat, zeigt
er doch, daß er ſich noch innerhalb der Grenzen der rö-
miſchen Kirche befindet. Z. B. will er, daß man die Hei-
ligen mehr um geiſtlicher als leiblicher Güter willen an-
rufe, aber er leugnet nicht, daß Gott bei ihren Gräbern
Wunder thue; Fegfeuer und Ablaß erkennt er in einem
gewiſſen Sinne noch an; er wünſcht eine Milderung der
Kirchen-Gebote, doch meint er, daß nur ein Concilium
ſie anordnen könne; wiewohl er das Heil in der Furcht
Gottes und in der Geſinnung findet, ſo verwirft er doch
die guten Werke noch nicht völlig. Man ſieht er geht in
allem von dem Äußerlichen auf das Innere zurück: aber
ſehr gemäßigt; auch die Äußerlichkeiten ſucht er noch zu
erhalten. In demſelben Sinne ſpricht er ſich auch über
die Kirche aus. Er ſieht ihr Weſen in „der inwendigen
Einigkeit und Liebe;“ aber darum verwirft er doch ihre
Verfaſſung nicht: er erkennt die Hoheit der römiſchen Kirche
an, „wo S. Peter und Paul, ſechs und vierzig Päpſte, Hun-
derttauſende von Märtyrern ihr Blut vergoſſen, Hölle und
[390]Zweites Buch. Drittes Capitel.
Welt überwunden:“ um keiner Sünde willen, die dort ge-
ſchehe, dürfe man ſich von ihr trennen, päpſtlichen Gebo-
ten bei Leibe nicht widerſtreben. 1


Eine Erklärung, bei der die kirchliche Autorität ſich
fürs Erſte beruhigen konnte und ſogar beruhigen mußte.
Selbſt wenn Churfürſt Friedrich es zugelaſſen hätte, wäre
ſchon keine Gewalt mehr gegen Luther anzuwenden gewe-
ſen. So großen Antheil nahm man bereits in der Na-
tion an ſeiner Sache: ſo lebhaft war der Widerwille der
ſich überhaupt der Wirkſamkeit des römiſchen Hofes ent-
gegenſtellte.


In den erſten Monaten des Jahres 1519 wurden
die Forderungen des letzten Reichstags in Bezug auf den
türkiſchen Krieg in allen Ländern an die verſchiedenen
Stände gebracht; jene Zweifel an der Wahrhaftigkeit der
Abſicht die man vorgab, welche den Reichstag beſchäftigt
hatten, wurden in weiten und weiteren Kreiſen wiederholt;
alle die ſo wohl begründeten Beſchwerden, die man dort
lauter als je erhoben hatte, kamen über die ganze Na-
tion hin zur Sprache.


Auch die Theilnahme welche der päpſtliche Legat den
Abſichten Franz I auf die Kaiſerkrone widmete, erregte viel
Mißvergnügen. Es iſt ſehr bemerkenswerth, daß die ganze
öſtreichiſche Partei hiedurch in eine natürliche Abneigung ge-
gen den römiſchen Stuhl gerieth. An dem Hofe des Ober-
hauptes derſelben, des Churfürſten von Mainz erſchienen
Satyren, in welchen man den Pomp und die Armſeligkeit
[391]Melanchthon.
des Legaten, ſeine Perſönlichkeit wie die Gewalt ſeines Am-
tes auf das bitterſte verſpottete. 1 Nur mit Mühe konnte
er im Frühjahr 1519 in Mainz einen Schiffer finden, der ihn
nach Niederweſel, wo die rheiniſchen Churfürſten eine Zuſam-
menkunft hielten, hinabführte; man hat ihm einmal geſagt,
er müſſe von jenem franzöſiſchen Vorhaben abſtehen, wenn
er mit geſunden Gliedmaaßen nach Hauſe kommen wolle. 2


Dieſe allgemeine Ungunſt nöthigte wohl an und für
ſich zu einem bedächtigen Verhalten: das Wahlintereſſe kam
hinzu: ſo geſchah, daß ſich Rom dem Churfürſten Friedrich
noch einmal ſo viel wie möglich zu nähern ſuchte. Außer
Miltitz erſchien noch ein andrer Bevollmächtigter der Curie in
Sachſen. Der Legat, obwohl grollend, ließ ſich doch end-
lich bewegen, die goldne Roſe, die ihm anvertraut wor-
den war, und die er bisher noch zurückgehalten hatte, an
den Fürſten abzuliefern. Die Ausſicht, die Streitſache in
Deutſchland ausmachen zu laſſen, war auch ihm am Ende
bequem und erwünſcht. Der Erzbiſchof von Trier ward
zum Schiedsrichter auserſehn. 3


Ankunft Melanchthons.


Der Zuſtand der hiedurch entſtand, des ſchwebenden
Streites, der vorläufigen Ruhe, kam nun beſonders der
[392]Zweites Buch. Drittes Capitel.
Univerſität Wittenberg zu Gute. Man war da im Ge-
fühl eines glücklich begonnenen, in der Oppoſition fort-
ſchreitenden, aber doch von den kirchlichen Gewalten nicht
zu verdammenden Unternehmens. Man behielt Zeit, die
eigentlichen Studien auf dem betretenen Wege zu fördern.
Noch waren die bedeutendern Lehrer in der Hauptſache der-
ſelben Meinung. Überdieß aber hatten ſie im Sommer
1518 einen jungen Gehülfen bekommen, deſſen Thätigkeit
vom erſten Augenblick an ihrem ganzen Weſen ein neues
Leben gab, Philipp Melanchthon.


Philipp Schwarzerd, genannt Melanchthon, gehörte
mehr und wahrhafter als irgend ein Anderer zur Schule
Reuchlins. Reuchlin war einer ſeiner nächſten Verwandten,
hatte ſeine Erziehung geleitet; mit ſinnvoller Hingebung
und unvergleichlicher Fähigkeit war der junge Menſch den
Anweiſungen des Meiſters, ſeinem Beiſpiel gefolgt; ſchon
im 17ten, 18ten Jahre hatte er es dahin gebracht, in
Tübingen lehren, einige kleine Bücher grammatiſchen In-
halts erſcheinen laſſen zu können. 1


Wie aber der Meiſter, ſo ward auch der Jünger von
dem grammatiſch-philologiſchen Beſtreben nicht befriedigt.
Er hörte Vorleſungen in allen Facultäten; noch waren die
Wiſſenſchaften nicht ſo im Detail, in abgeſchloſſener Me-
thode ausgebildet, daß dieß unthunlich geweſen wäre: ſie
konnten noch eine allſeitige und liberale Wißbegier näh-
ren: beſonders ward ſich Melanchthon einer philoſophiſchen
Tendenz bewußt, gegen die ihm ſein übriges Treiben wie
[393]Melanchthon.
Nichtsthun erſchien. In Tübingen aber herrſchte noch der
ſtarre Sinn der alten Univerſitäten: indem ſeine ganze gei-
ſtige Kraft nach unbekannten Zielen drängte, ſuchte man
ihn vor den Schulbänken feſtzuhalten.


Da war es für ſein inneres und äußeres Leben gleich
entſcheidend, daß Churfürſt Friedrich ſich im Frühjahr 1518
wegen eines Lehrers der griechiſchen Sprache bei ſeiner Uni-
verſität an Reuchlin wandte. Reuchlin trug keinen Augen-
blick Bedenken, dem Churfürſten dieſen „ſeinen geſippten
Freund“ zu empfehlen, den er ſelber unterwieſen. 1 Es
konnte das zugleich für einen Entſchluß Melanchthons gel-
ten. Zwiſchen dem Meiſter und dem Jünger beſtand das
edle Verhältniß einer die Welt erſt in halber Klarheit vor
ſich ſehenden Jugend und der natürlichen Überlegenheit
gereifter Jahre. „Wohin du mich ſchicken willſt,“ ſchreibt
Melanchthon an Reuchlin, „dahin will ich gehn: was du
aus mir machen willſt, das will ich werden.“ „Gehe
aus,“ antwortet ihm Reuchlin, „von deinem Vaterlande
von deiner Freundſchaft.“ Mit der Verheißung welche
dem Abraham geſchah, ſegnet und entläßt er ihn.


So kam Melanchthon im Auguſt 1518 nach Witten-
berg, vor allem entſchloſſen, wie er ſagt, ſich ganz der
Univerſität zu widmen, ihr in den Kreiſen der claſſiſchen
Studien, die hier bisher noch nicht gediehen waren, Ruf
zu verſchaffen. Mit jugendlicher Freudigkeit zählt er die
Arbeiten auf, die er vorhat, und ſchreitet unverweilt an
ihre Ausführung. 2 Schon im September widmete er dem
[394]Zweites Buch. Drittes Capitel.
Churfürſten die Überſetzung einer Schrift von Lucian; im
October ließ er die Epiſtel an Titus und ein kleines Wör-
terbuch drucken; im November ſchrieb er die Vorrede einer
hebräiſchen Grammatik; eine ausführlichere Arbeit, mit der
er ſich zugleich beſchäftigte, war die Rhetorik, welche im
Januar 1519 in drei Büchern erſchien; im Februar folgte
abermals eine Rede; im März und April Ausgaben plu-
tarchiſcher Schriften, neue Vorreden; alles während einer
eben ſo vielſeitigen Lehrthätigkeit; neben dem Griechiſchen
übernahm der junge Ankömmling auch den Unterricht in
dem Hebräiſchen. 1


Doch lag in dieſer unmittelbaren Wirkſamkeit weder
das Ziel noch auch der Erfolg ſeiner Bemühungen.


Von Wichtigkeit war es ſchon an ſich, daß ein
Mann, der vollkommen griechiſch verſtand, in dieſem Au-
genblick an einer Univerſität auftrat, wo eben die Ent-
wickelung der lateiniſchen Theologie dahin führte, auf die
erſten ächten Urkunden des Chriſtenthums in ihrer Urſprüng-
lichkeit zurückzugehn. Erſt nunmehr fieng Luther an, die-
ſes Studium ernſtlich zu treiben. Wie fühlte er ſich zu-
gleich erleichtert und beſtärkt, wenn ihm theologiſche Be-
griffe durch den Sinn eines griechiſchen Ausdruckes erſt
recht klar wurden: wenn er z. B. lernte, daß der Begriff
Reue, Pönitenz, der nach dem Sprachgebrauch der latei-
niſchen Kirche zugleich ein Abbüßen, Genugthun andeu-
tete, im Griechiſchen in der urſprünglichen Auffaſſung des
[395]Melanchthon.
Stifters und der Apoſtel nichts bezeichne, als die Umän-
derung der Geſinnung: 1 mit einem Mal hob es ſich wie
ein Nebel vor ſeinen Augen.


Für Melanchthon aber auch ſelbſt war es unſchätz-
bar, daß er hier ſich mit Gegenſtänden beſchäftigen konnte,
die ſeine Seele ganz erfüllten: und den Inhalt fand für
die mehr formelle Bildung, der er bis dahin obgelegen.
Mit Begeiſterung begrüßte er die theologiſche Haltung Lu-
thers; vor allem durchdrang auch ihn der Tiefſinn ſeiner
Auffaſſung der Rechtfertigungslehre. Doch war er nicht
geſchaffen, um dieſe Anſichten leidend aufzunehmen. Er
war einer von den außerordentlichen, doch zuweilen her-
vortretenden Geiſtern, die in frühen Jahren — er zählte
erſt ein und zwanzig — in den vollen Beſitz und Ge-
brauch ihrer Kräfte gelangen. Mit der Sicherheit welche
gründliche Sprachſtudien zu verleihen pflegen, mit den rein-
lichen Trieben einer angebornen inneren Ökonomie des Gei-
ſtes faßte er das ihm dargebotene theologiſche Element.


Wie war da der nicht ganz günſtige Eindruck, den
die erſte Erſcheinung des Ankommenden, ſeine Jugendlich-
keit und Unſcheinbarkeit gemacht, ſo bald verlöſcht. Der
Eifer der Lehrer ergriff die Schüler. „An der Univerſität
iſt man fleißig,“ ſagt Luther, „wie es die Ameiſen ſind.“
Man dachte darauf, zunächſt die Methode zu reformiren:
mit Beiſtimmung des Hofes ſtellte man Vorleſungen ab,
die nur für das ſcholaſtiſche Syſtem Bedeutung hatten,
und ſuchte andre, auf die claſſiſchen Studien gerichtete da-
für in Gang zu bringen; man ermäßigte die Forderungen
[396]Zweites Buch. Drittes Capitel.
die bisher für die Ertheilung der akademiſchen Grade ge-
macht wurden. Allerdings trat man hiedurch in im-
mer ſtärkeren Gegenſatz gegen die übrigen Univerſitäten:
man gelangte zu neuen Wahrnehmungen und Ideen: in
Luthers Briefen zeigt ſich wie es in ihm gährte; aber zu-
gleich ergiebt ſich doch auch, daß man noch keineswegs das
Bewußtſeyn eines Kampfes gegen die römiſche Kirche über-
haupt hatte. Wir ſahen wie ſorgfältig ſich Luther inner-
halb der kirchlichen Schranken hielt: in einer ſeiner Vorreden
rühmt Melanchthon noch einmal die Verdienſte ſeines Für-
ſten um die Klöſter. 1 Es entſpricht das der Stellung
die Miltitz und auch der Legat zuletzt angenommen: alles
ließ ſich friedlich an.


Eben in dieſem Moment aber, wo wenigſtens die äu-
ßere Ruhe hergeſtellt war, und man zwar bei den inneren
Gegenſätzen der Meinung und Bildung lebhafte Kämpfe vor-
ausſehn mußte, aber vielleicht noch innerhalb der Kreiſe der
Schulgelehrſamkeit, brach eine Streitigkeit aus, welche die
wichtigſten Lehren berührte, auf die Kirche und Staat ge-
gründet waren, und den Krieg hervorrief, der ſeitdem nicht
mehr hat beigelegt werden können. Man muß geſtehn, daß
Luther es nicht war, der ſeinen Ausbruch veranlaßte.


Disputation zu Leipzig.


Während des Reichstags von 1518 war auch Eck
in Augsburg erſchienen: mißvergnügt daß ſeine bisherigen
Streitſchriften ihm weder Belohnungen eingetragen noch
[397]Disputation zu Leipzig.
auch Ehre; 1 er hatte Luther aufgeſucht und war mit
demſelben in aller Freundſchaft übereingekommen, eine alte
Streitigkeit, die er mit Dr Carlſtadt in Wittenberg über
die Lehre von der Gnade und dem freien Willen hatte,
in einer öffentlichen Disputation auszufechten. Luther
hatte gern ſeine Vermittelung angeboten: wie er ſagt um
die Meinung zu Schanden zu machen, als könnten Theo-
logen ſich nicht mit einander vergleichen. Carlſtadt willigte
ein in Erfurt oder in Leipzig mit Eck zu disputiren. Eck
ſäumte nicht, die Disputation durch ein Programm in alle
Welt zu verkündigen.


Wie ſehr aber erſtaunte Luther, als er in dieſer An-
kündigung einige Meinungen als den Gegenſtand des Strei-
tes bezeichnet fand, die bei weitem mehr von ihm als
von Carlſtadt verfochten worden. Er hielt das für eine
Treuloſigkeit, eine Hinterliſt, der er ſich um ſo offener wi-
derſetzen müſſe: ſein ſo eben mit Miltitz aufgerichtetes Ab-
kommen ſchien ihm gebrochen: er war entſchloſſen, den
Handſchuh aufzunehmen. 2


Da war es nun von entſcheidender Wichtigkeit, daß
Eck den dogmatiſchen Streitfragen auch einen Satz über
den Urſprung der Prärogativen des Papſtthums hinzuge-
fügt hatte. In einem Moment, wo in der ganzen Na-
tion eine ſo mächtige anti-päpſtliche Regung überhand ge-
nommen, hatte er, man möchte ſagen die tölpiſche Dienſt-
befliſſenheit eine Frage in Gang zu bringen, deren Beant-
[398]Zweites Buch. Drittes Capitel.
wortung immer ſehr zweifelhaft geweſen, und von der doch
das ganze Syſtem der Kirche und des Staates abhieng,
welche einmal angeregt, nothwendig die allgemeine Auf-
merkſamkeit beſchäftigen mußte: einen Gegner wagte er auf-
zureizen, der keine Zurückhaltung kannte, ſeine Überzeugung
aufs äußerſte zu vertheidigen pflegte, und ſchon die Stimme
der Nation für ſich hatte. In Beziehung auf eine wenig
bemerkte frühere Behauptung Luthers ſtellte Eck den Satz
auf, daß der Primat des römiſchen Papſtes ſich von
Chriſto ſelbſt, und von den Zeiten Petri herſchreibe, nicht
wie der Gegner angedeutet, von den Zeiten Conſtantins
und Silveſters. Es zeigte ſich ſogleich welche Folgen ſich
davon erwarten ließen. Luther, der erſt jetzt die Urkunden
des päpſtlichen Rechtes, das Decret zu ſtudiren angefan-
gen, und ſich dabei oft in ſeinen chriſtlichen Überzeugungen
verletzt gefühlt hatte, antwortete mit einem noch viel küh-
neren Streitſatz, daß nemlich der römiſche Primat erſt durch
die Decrete der ſpätern Päpſte in den vier letzten Jahr-
hunderten (er mochte meinen: ſeit Gregor VII) feſtge-
ſtellt worden ſey, der frühere Gebrauch der Kirche aber
nichts davon wiſſe. 1


Man darf ſich nicht wundern, wenn die kirchlichen
Gewalten in Sachſen, z. B. der Biſchof von Merſeburg,
und ſelbſt die Theologen der Univerſität nicht eben ein gro-
ßes Gefallen daran hatten, daß eine Disputation dieſes
Inhaltes, wie die Parteien endlich übereingekommen wa-
[399]Disputation zu Leipzig.
ren, in Leipzig gehalten werden ſollte. Auch der Herzog
trug einen Augenblick Bedenken, Luthern zuzulaſſen. Da
er aber des Glaubens lebte, daß auf dieſe Art die ver-
borgene Wahrheit am beſten ans Licht komme, ſo entſchloß
er ſich endlich dazu, und beſeitigte jeden entgegenſtehenden
Widerſpruch. Es ward feſtgeſetzt, daß neben ſo viel an-
dern wichtigen Lehrmeinungen über die Geheimniſſe des
Glaubens auch die Frage, ob das Papſtthum von Gott
eingeſetzt, oder ob es eine menſchliche Einrichtung ſey, die
man alſo auch wieder abſchaffen könne, — denn das iſt im
Grunde der Gegenſatz der beiden Lehren, — in öffentlicher
Disputation verhandelt werden ſollte, dort an einer gro-
ßen Univerſität, im Angeſichte von ganz Deutſchland; in
dieſer gährenden, neuerungsbegierigen Zeit eben die Frage, in
der alle politiſchen und religiöſen Intereſſen zuſammentrafen.


Eben als die Churfürſten zur Wahl eines Kaiſers ſich
in Frankfurt vereinigten, (Juni 1519) kamen in Leipzig
die Theologen zuſammen, zu einem Acte der nicht min-
der wichtig werden ſollte.


Zuerſt traf Eck von Ingolſtadt ein. Ohne Zweifel
war Johann Mayr von Eck einer der nahmhafteſten Ge-
lehrten jener Zeit: er hatte keine Mühe geſpart um zu die-
ſem Ruf zu gelangen. An einer ganzen Anzahl von Uni-
verſitäten hatte er die berühmteſten Profeſſoren beſucht, den
Thomiſten Süſtern in Cölln, die Scotiſten Sumenhard und
Scriptoris zu Tübingen; Jura hatte er bei Zaſius in Frei-
burg, Griechiſch bei Reuchlin, Lateiniſch bei Bebel, Cosmo-
graphie bei Reuſch gehört. Schon in ſeinem zwanzigſten
Jahr begann er zu ſchreiben und in Ingolſtadt zu leſen:
[400]Zweites Buch. Drittes Capitel.
über Occam und den Canon von Biel; ariſtoteliſche Dia-
lectik und Phyſik; die ſchwierigſten Lehren der Dogmatik
und die Subtilitäten der nominaliſtiſchen Moral; dann
ſchritt er fort zu den Myſtikern, nachdem er ihre ſeltenſten
Schriften in die Hände bekommen: er machte ſich daran,
wie er ſagt, die orphiſch-platoniſch-ägyptiſch-arabiſche
Philoſophie damit in Verbindung zu bringen und alles in
fünf Theilen abzuhandeln. 1 Er war ein Gelehrter der die
Sachen im Grunde für abgethan hielt, nur mit dem diſtin-
guirenden Verſtand und hauptſächlich dem Gedächtniß arbei-
tete, ſich immer noch ein neues Feld anzueignen trachtete,
um damit Aufſehn zu erregen, weiter zu kommen, ſich ein ge-
nußvolles und vergnügtes Leben zu verſchaffen. Seine Nei-
gung galt vor allem der Disputation. Auf allen jenen
Univerſitäten, auch in Heidelberg Mainz Baſel hatte er da-
durch geglänzt: in Freiburg ſchon früh der Burſa zum
Pfauen vorgeſtanden, wo man ſich vorzugsweiſe mit Dis-
putirübungen beſchäftigte; dann hatte er größere Reiſen
unternommen: nach Wien, nach Bologna, ausdrücklich um
daſelbſt zu disputiren. Man muß leſen, mit welcher Ge-
nugthuung er beſonders von dieſer italieniſchen Reiſe er-
zählt: — wie er von einem päpſtlichen Nuntius dazu aufge-
muntert, noch vor ſeiner Abreiſe von den jungen Mark-
grafen von Brandenburg beſucht, hierauf unterweges ſo in
Italien wie in Deutſchland, von geiſtlichen und weltlichen
Herrn höchſt ehrenvoll aufgenommen, zur Tafel gezogen
wor-
[401]Disputation zu Leipzig.
worden ſey: wie er dann ſchon unterwegs junge Leute,
die ihm etwa bei Tiſch zu widerſprechen wagten, leicht wi-
derlegt und voll ſtaunender Bewunderung zurückgelaſſen,
endlich in Bologna trotz mannichfachen Widerſpruchs die
Gelehrteſten der Gelehrten dahin gebracht habe, ſeine Sätze
zu unterſchreiben. 1 Er betrachtete die Disputationen mit
den Augen eines geübten Fechters: als den Schauplatz
eines unfehlbaren Sieges: er wünſchte ſeine Waffen nur
immer auf neuen Turnieren zu erproben. Mit Freuden
ergriff er die Gelegenheit, ſeinen Ruhm nun auch in Nord-
deutſchland auszubreiten. Jetzt ſah man ihn in der Mitte
der Profeſſoren in Leipzig, die ihn als einen Verbündeten
wider die benachbarten Rivalen freudig bewillkommt, an
der Frohnleichnamsproceſſion Theil nehmen, ſehr devot, in
ſeinem Meßgewand. In ſeinen Briefen leſen wir, daß er
dabei doch auch das ſächſiſche Bier mit dem baieriſchen
verglich, und die ſchönen Sünderinnen in Leipzig nicht
unbemerkt ließ. 2


Am 24ſten Juni zogen auch die Wittenberger ein:
auf einigen offenen Rollwagen die Lehrer, Carlſtadt voran,
dann Luther und Melanchthon zuſammen, einige junge Li-
centiaten und Baccalaureen: mit ihnen Herzog Barnim
von Pommern, der damals in Wittenberg ſtudirte, und die
Würde eines Rectors bekleidete: um ſie her zu Fuß ein
paar hundert eifrige Studenten mit Halbarden, Handbei-
len und Spießen. Man bemerkte daß ſie von den Leip-
Ranke d. Geſch. I. 26
[402]Zweites Buch. Drittes Capitel.
zigern nicht eingeholt worden waren, wie es wohl die Sitte
mit ſich gebracht hätte. 1


Unter der Vermittelung des Herzog Georg wurden nun
zunächſt die Bedingungen des Kampfes feſtgeſetzt; nur un-
gern fügte ſich Eck in die Forderung Rede und Wider-
rede durch Notarien aufzeichnen zu laſſen: dagegen mußte
auch Luther zugeben, daß das Urtheil einigen Univerſitäten
anheimgeſtellt würde: er brachte dazu ſelbſt Paris und
Erfurt in Vorſchlag. Auf dieſe Dinge drang der Herzog
beſonders eifrig: er behandelte die Sache wie einen Pro-
ceß, er wollte die Acten gleichſam an ein paar Spruch-
collegien verſenden. Indeſſen ließ er auf dem Schloß ei-
nen geräumigen Saal zu dem literariſchen Gefecht herrich-
ten: zwei Catheder ſtellte man einander gegenüber auf, mit
Teppichen behangen, auf denen die ſtreitbaren Heiligen,
St. Georg und St. Martin abgebildet waren: es fehlte
nicht an Tiſchen für die Notarien, an Bänken für die
Zuhörer: endlich am 27 Juni ward die Action mit einer
Heiligen-Geiſt-Meſſe eröffnet.


Carlſtadt hatte es ſich nicht nehmen laſſen, zuerſt zu
disputiren; jedoch trug er wenig Ruhm davon. Er brachte
Bücher mit, las daraus vor, ſchlug weiter nach und las
wieder vor; auf die Einwendungen, die ſein Gegner heute
äußerte, antwortete er erſt den andern Morgen. 2 Welch
ein ganz anderer Disputator war da Johann Eck: —
er beſaß ſeine Wiſſenſchaft zu augenblicklichem Gebrauch.
Er ſtudirte nicht lange: unmittelbar von einem Spazierritt
[403]Disputation zu Leipzig.
beſtieg er das Catheder; ein großer Mann von ſtarkem
Gliederbau, lauter, durchdringender Stimme; indem er
ſprach, gieng er hin und her; auf jedes Argument hatte
er eine Einrede in Vorrath; ſein Gedächtniß, ſeine Ge-
wandtheit blendeten die Zuhörer. In der Sache ſelbſt,
den Erörterungen über Gnade und freien Willen kam man
natürlich nicht weiter. Zuweilen näherten ſich die Strei-
tenden einander ſo weit, daß ein Jeder ſich rühmte, den
Andern auf ſeine Seite gebracht zu haben; dann giengen
ſie wieder aus einander. Eine Diſtinction Ecks etwa aus-
genommen ward nichts Neues vorgebracht; 1 die wichtig-
ſten Puncte wurden kaum berührt; die Sache war zuwei-
len ſo langweilig, daß der Saal ſich leerte.


Um ſo lebendiger ward die Theilnahme, als nun end-
lich Luther auftrat: Montag, den 4ten Juli, früh um ſie-
ben Uhr: der Gegner, nach dem Eck vor allem verlangt,
über deſſen aufkommenden Ruhm er auf das glänzendſte
zu triumphiren hoffte. Luther war von mittlerer Geſtalt:
damals noch ſehr hager, Haut und Knochen: er beſaß
nicht jenes donnernde Organ ſeines Widerſachers, noch
ſein in mancherlei Wiſſen fertiges Gedächtniß, noch ſeine
Übung und Gewandtheit in den Kämpfen der Schule.
Aber auch er ſtand in der Blüthe des männlichen Alters,
ſeinem 36ſten Lebensjahre, der Fülle der Kraft: ſeine Stimme
war wohllautend und deutlich: er war in der Bibel voll-
kommen zu Hauſe und die treffendſten Sprüche ſtellten ſich
ihm von ſelber dar; — vor allem, er flößte das Gefühl ein,
26*
[404]Zweites Buch. Drittes Capitel.
daß er die Wahrheit ſuche. Zu Hauſe war er immer hei-
ter, ein vergnügter ſcherzhafter Tiſchgenoſſe: auch auf das
Catheder nahm er wohl einen Blumenſtraus mit; hier
aber entwickelte er den kühnſten, ſelbſtvergeſſenen Ernſt:
aus der Tiefe einer bisher noch nicht vollkommen zum
Bewußtſeyn gediehenen Überzeugung erhob er neue Gedan-
ken und ſtellte ſie im Feuer des Kampfes mit einer Ent-
ſchloſſenheit feſt, die keine Rückſicht mehr kannte; in ſei-
nen Zügen las man die Macht der Stürme welche ſeine
Seele beſtanden, den Muth mit denen ſie andern noch
entgegengieng: ſein ganzes Weſen athmete Tiefſinn, Freu-
digkeit und Zukunft. Der Streit warf ſich nun ſogleich
auf die Frage über die Berechtigungen des Papſtthums,
die zugleich durch ihre Verſtändlichkeit und Bedeutung die
allgemeine Aufmerkſamkeit feſſelte. Zwei deutſche Bauern-
ſöhne — denn auch Eck war der Sohn eines Bauern, Mi-
chael Mayr, der dann lange Zeit Ammann in Eck gewe-
ſen iſt, wie Luthers Vater Rathsherr in Mansfeld — re-
präſentirten zwei Tendenzen der Meinung, die wie damals
ſo noch heute die Welt entzweien; von dem Ausgang ihres
Kampfes, den Erfolgen des Einen im Angriff, des Andern
im Widerſtand, hieng großentheils der künftige Zuſtand
der Kirche und des Staates ab.


Da zeigte ſich nun ſogleich, daß Luther ſeine Behaup-
tung, der Primat des Papſtes ſchreibe ſich erſt von den
letzten vierhundert Jahren her, nicht behaupten konnte: ſehr
bald ſah er ſich durch die ältern Documente in die Enge
getrieben: zumal, da noch keine Critik die falſchen Decre-
talen erſchüttert hatte. Um ſo nachdrücklicher und kraft-
[405]Disputation zu Leipzig.
voller aber beſtritt er die Lehre, daß das Primat des Pap-
ſtes, in dem er übrigens noch immer den ökumeniſchen
Biſchof ſah, in der Schrift gegründet und göttlichen Rech-
tes ſey. Man nahm die Ausſprüche Chriſti vor, die im-
mer dafür angeführt worden ſind: du biſt Petrus: — weide
meine Schafe; die von der curialiſtiſchen abweichende Er-
klärung derſelben, die ſchon oftmals vorgekommen, ſuchte
Luther beſonders durch andere Stellen zu bewähren, in de-
nen von einer gleichen Berechtigung der Apoſtel die Rede
iſt. Eck führte Stellen aus den Kirchenvätern für ſich
an: Luther ſetzte ihm die Lehren anderer entgegen. So
wie man in dieſe entfernteren Regionen kam, war die Über-
legenheit Luthers unleugbar. Eins ſeiner Hauptargumente
war, daß die Griechen den Papſt niemals anerkannt, und
doch nicht für Ketzer erklärt worden: die griechiſche Kirche
habe beſtanden, beſtehe, und werde beſtehn, ohne den Papſt:
ſie gehöre Chriſto an, ſo gut wie die römiſche. Eck trug
kein Bedenken, chriſtliche und römiſche Kirche geradehin
für einerlei zu erklären: Griechen und Orientalen ſeyen wie
von dem Papſt, ſo auch vom chriſtlichen Glauben abge-
fallen, ſie ſeyen ohne Frage Ketzer: im ganzen Umkreis
des türkiſchen Reiches z. B. könne wohl Niemand ſelig
werden, die Wenigen ausgenommen, welche ſich an den
römiſchen Papſt halten. Wie? ſagte Luther, die ganze
griechiſche Kirche wolle er verdammen, welche die beſten
Väter hervorgebracht und ſo viel tauſend Heilige, von de-
nen kein Einziger etwas von dem römiſchen Primat ge-
wußt? Sollen Gregor von Nazianz Baſilius der Große
nicht ſelig geworden ſeyn? Oder wolle der Papſt mit ſei-
[406]Zweites Buch. Drittes Capitel.
nen Schmeichlern ſie aus dem Himmel ſtoßen? Man ſieht,
wie ſehr die Alleingültigkeit der Formen der lateiniſchen
Kirche, die Identität mit der Idee des Chriſtenthums,
die ſie in Anſpruch nahm, durch die Thatſache erſchüttert
ward, daß außer ihren Kreiſen die alte, von ihr ſelber an-
erkannte griechiſche Kirche mit ſo vielen großen Lehrern be-
ſtanden. Eck gerieth nun ſeinerſeits ins Gedränge: er wie-
derholte nur immer, es habe doch in der griechiſchen Kirche
viele Ketzer gegeben: die meine er, nicht die Väter; eine
ärmliche Ausflucht, welche die Stärke des feindlichen Be-
weiſes gar nicht berührte. Auch eilte Eck ſofort wieder
in das Bereich der lateiniſchen Kirche zurück. Er ſtützte
ſich darauf, daß Luthers Meinung, der römiſche Primat
ſey eine menſchliche Einrichtung, nicht von göttlichem Rechte,
ein Irrthum der Armen von Lyon, Wiklefs und Huſſens
ſey, aber von den Päpſten, und beſonders von den allge-
meinen Concilien, denen der Geiſt Gottes beiwohne, zu-
letzt noch von dem Coſtnitzer verdammt. Dieſe neuere
Thatſache war ſo unleugbar, wie jene ältere; Eck ließ ſich
nicht damit befriedigen, daß Luther betheuerte, er habe
nichts mit den Böhmen zu ſchaffen, ja er verdamme ihr
Schisma: auch wolle er nicht aus den Collectaneen der
Ketzermeiſter widerlegt ſeyn, ſondern aus der Schrift. Die
Frage kam in ihren prägnanteſten Augenblick. Erkannte
Luther das unmittelbare Walten des göttlichen Geiſtes in
der lateiniſchen Kirche, die bindende Kraft der Beſchlüſſe
ihrer Concilien noch an oder nicht? Hielt er ſich noch
innerlich zu ihr oder nicht? Wir müſſen uns erinnern,
daß wir hier nicht weit von den böhmiſchen Grenzen
[407]Disputation zu Leipzig.
ſind, in einem Lande das in Folge der Verdammung, die
in Coſtnitz ausgeſprochen worden, alle Schrecken eines lan-
gen verwüſtenden Krieges erfahren, und ſeinen Ruhm in
dem Widerſtand geſehen, den es den Huſſiten geleiſtet: an
einer Univerſität die im Widerſpruch gegen die Richtung
und Lehre des Johann Huß gegründet worden: vor Für-
ſten Herrn und Gemeinen, deren Väter in dieſem Kampfe
erlegen waren: man ſagt, es ſeyen Abgeordnete der Böh-
men, welche die Wendung geahndet die dieſer Streit nehmen
mußte zugegen geweſen. Luther ſah ſich in einer gefähr-
lichen Stellung. Sollte er ſich wirklich von dem herr-
ſchenden Begriff der alleinſeligmachenden römiſchen Kirche
losſagen, einem Concilium widerſprechen, durch welches
Johann Huß zum Feuer verdammt worden, und vielleicht
ein ähnliches Geſchick über ſich herbeiziehn? Oder ſollte
er die höhere umfaſſendere Idee einer chriſtlichen Kirche,
die ihm zu Theil geworden, in der ſeine Seele lebte, ver-
leugnen? Der unerſchütterliche Luther ſchwankte keinen
Augenblick. Er wagte zu ſagen, unter den Artikeln des Jo-
hann Huß, welche das Verdammungsurtheil des Conciliums
zu Coſtnitz verzeichne, ſeyen einige grundchriſtliche und evan-
geliſche. Ein allgemeines Erſtaunen erfolgte. Herzog Georg
der zugegen war, ſtemmte die Hände in die Seite; kopf-
ſchüttelnd rief er ſeinen Fluch aus: „das walt die Sucht.“ 1
Jetzt ſchöpfte Eck neuen Muth. Es ſey kaum glaublich,
ſagte er, daß Luther ein Concilium tadle, da doch Seine
Fürſtliche Gnaden ausdrücklich verboten, Concilien anzu-
[408]Zweites Buch. Drittes Capitel.
fechten. Luther erinnerte, daß das Coſtnitzer Concilium nicht
alle Artikel Huſſens als ketzeriſch bezeichne, und machte einige
nahmhaft, die man auch im h. Auguſtin leſe. Eck verſetzte,
ſie ſeyen doch alle verworfen; der Sinn, in dem ſie ver-
ſtanden worden, ſey für ketzeriſch zu halten; denn ein Con-
cilium könne nicht irren. Luther antwortete: einen neuen
Glaubensartikel könne kein Concilium machen; womit wolle
man denn beweiſen, daß ein Concilium überhaupt dem
Irrthum nicht unterworfen ſey? „Ehrwürdiger Vater,“
ſagte hierauf Eck, „wenn Ihr glaubt, daß ein rechtmäßig
verſammeltes Concilium irren könne, ſo ſeyd Ihr mir wie
ein Heide und Zöllner.“


Dahin führte dieſe Disputation. 1 Man hat ſie noch
eine Weile fortgeſetzt, über Fegfeuer Ablaß Buße mehr oder
minder entgegengeſetzte Meinungen ausgeſprochen: Eck hat
den abgebrochenen Streit mit Carlſtadt noch einmal auf-
genommen: die Acten ſind nach feierlichem Schluß an die
beiden Univerſitäten verſandt worden; aber alles dieß konnte
nun zu weiter nichts führen. Das Ergebniß der Zuſam-
menkunft lag darin, daß Luther die Autoritäten der römi-
ſchen Kirche in Sachen des Glaubens nicht mehr aner-
kannte. Anfangs hatte er nur die Inſtruction für die Ab-
laßprediger, die Satzungen der ſpätern Scholaſtik bekämpft,
aber die Decrete der Päpſte ausdrücklich feſtgehalten; dann
hatte er dieſe zwar verworfen, aber den Ausſpruch ei-
nes Conciliums angerufen; jetzt ſagte er ſich auch von
[409]Fortgang der theologiſchen Oppoſition.
dieſer letzten Autorität los: es blieb ihm nichts übrig als
die Schrift.


Fortgang der theologiſchen Oppoſition.


Und hier gieng ihm ein anderer Begriff von der Kirche
auf, als der bisherige: zugleich umfaſſender und tiefer.
Auch in den orientaliſchen und griechiſchen Chriſten er-
kannte er ächte Mitglieder der allgemeinen Kirche: die
Nothwendigkeit eines ſichtbaren Oberhauptes verſchwand
ihm: nur das unſichtbare erkannte er noch an, den ewig
lebendigen Stifter, den er in myſtiſchem Bezug zu ſeinen
Gläubigen in allem Volk dachte. Es iſt das nicht allein
eine dogmatiſche Abweichung, ſondern zugleich die Aner-
kennung eines ohnehin unleugbaren Factums, der Gültig-
keit des Chriſtenthums auch außerhalb der Schranken
welche die lateiniſche Kirche um ſich gezogen. Hiedurch
erſt fand Luther eine Stellung, in der er die Weltelemente
der Oppoſition gegen das Papſtthum in ſich aufnehmen
konnte. Er machte ſich näher mit den Lehren der grie-
chiſchen Kirche bekannt, und da er z. B. ſah, daß ſie vom
Fegefeuer nichts wiſſe, wovon er auch nichts in der Schrift
fand, hörte er auf es feſtzuhalten, was er noch in Leipzig
gethan. 1 Einen noch viel größern Eindruck machten die
Schriften von Johann Huß auf ihn, die ihm jetzt von
Böhmen aus zugeſtellt wurden: er war ganz erſtannt, daß
er darin die pauliniſch-auguſtiniſchen Lehren fand, die er
ſich unter ſo gewaltigen Kämpfen angeeignet: Huſſens
[410]Zweites Buch. Drittes Capitel.
Lehre, ſagt er im Februar 1520, habe ich ſchon vorge-
tragen ohne ſie zu kennen, eben ſo Staupitz: wir ſind alle
Huſſiten, ohne es zu wiſſen, Paulus und Auguſtin ſind
Huſſiten: ich weiß vor Erſtaunen nicht, was ich denken
ſoll. Er ruft Wehe über die Erde, über die furchtbaren
Gerichte Gottes, daß die evangeliſche Wahrheit ſchon ſeit
100 Jahren bekannt, aber verdammt und verbrannt ſey. 1
Man nimmt wahr, wie er ſich nicht allein von der rö-
miſchen Kirche entfernte, ſondern zugleich einen religiöſen
Widerwillen ja Ingrimm gegen ſie faßte. In demſelben
Monat kam ihm zuerſt die Schrift des Laurentius Valla
über die Schenkung Conſtantins zu Handen. Es war
eine Entdeckung für ihn, daß dieſe Schenkung eine Fiction
ſey: ſeine deutſche Ehrlichkeit erfüllte es mit Entſetzen daß
man, wie er ſich ausdrückt, „ſo ſchamloſe Lügen in die
Decretalen aufgenommen, faſt zu Glaubensartikeln gemacht
habe!“ „Welche Finſterniß, ruft er aus, welche Bosheit.“
Alle Geiſter und Kräfte verſammeln ſich um ihn, die je-
mals dem Papſtthum den Krieg gemacht: die welche ſich
von Anfang an nicht unterworfen, die welche ſich losge-
riſſen und nicht wieder herbeigebracht worden, die Tenden-
zen der innern lateiniſchen Oppoſition, theologiſche und li-
terariſche. Schon bei dem erſten Studium der päpſtlichen
Geſetze hatte er zu bemerken geglaubt, daß ſie der Schrift
widerſprechen: jetzt war er ſchon überzeugt, die Schrift
und das Papſtthum ſeyen in unverſöhnlichem Widerſpruch.
Um nur zu begreifen wie es von der göttlichen Vorſe-
hung zugelaſſen ſey, um die geſtörte Einheit ſeiner religiö-
[411]Fortgang der theologiſchen Oppoſition.
ſen Überzeugung wieder zu finden, gerieth er, und man
kann es ihm glauben, unter quälenden inneren Bedräng-
niſſen, auf die Meinung, daß der Papſt jener Antichriſt
ſey, den die Welt erwarte. 1 Eine allerdings beinahe my-
thiſche Vorſtellung, welche den hiſtoriſchen Geſichtspunct,
den man vielleicht hätte faſſen können, wieder verhüllt, die
aber doch zuletzt keinen weitern Inhalt hat, als daß die
Lehre verderbt ſey, und in ihrer Reinheit wiederhergeſtellt
werden müſſe.


In einem parallelen, aber ſehr eigenthümlichen Fort-
ſchritt der Meinung war indeß Melanchthon begriffen, der
an der Leipziger Disputation den Antheil eines Rathge-
bers und Gehülfen genommen: und ſich nun den theolo-
giſchen Studien mit dem ſtillen Feuer widmete das ihm
eigen war, mit dem Enthuſiasmus den ein glückliches und
ſicheres Daherſchreiten auf einer neuen Bahn hervorruft.
Die Grundſätze auf denen die proteſtantiſche Theologie be-
ruht, rühren wenigſtens nicht minder von ihm her als
[412]Zweites Buch. Drittes Capitel.
von Luther. Einer der erſten den er ausſprach bezog ſich
noch unmittelbar auf die Streitigkeiten in Leipzig. Lehr-
ſätze der Kirchenväter waren von beiden Seiten und wohl
mit gleichem Rechte angerufen worden; um aus dieſen
Widerſprüchen zu entkommen, ſetzte Melanchthon noch in
einer kleinen Schrift vom Auguſt 1519 feſt, man müſſe
nicht die Schrift nach den Kirchenvätern auslegen, ſon-
dern dieſe nach dem Sinne der h. Schrift verſtehen. 1 Er
behauptete, die Auslegungen jener vornehmſten Säulen der
lateiniſchen Kirche, des Ambroſius, Hieronymus, ja des
Auguſtin ſeyen oftmals irrig. Dieſen Grundſatz nun, daß
ein Chriſt, wie er ſich ausdrückt, ein Catholik nicht ver-
pflichtet ſey, etwas anzunehmen, als was in der Schrift
ſtehe, bildete er im September 1519 noch weiter aus.
Was er von den Kirchenvätern geſagt wiederholte er von
den Concilien: daß ihre Autorität dem Anſehn der Schrift
gegenüber nichts bedeute. So wie er einmal an dieſem
Puncte angekommen, mußten ihm gegen das ganze Sy-
ſtem der geltenden Dogmen Zweifel auf Zweifel aufſteigen.
Hatte Luther practiſche, ſo hatte Melanchthon wiſſenſchaft-
liche Entſchloſſenheit. Noch im September 1519 ſtellte
er Streitſätze auf, in welchen er eben die beiden wichtig-
ſten Grundlehren des ganzen Syſtems, von der Trans-
ſubſtantiation und dem Charakter, auf denen das My-
ſterium der erſcheinenden Kirche, ſo wie der das Leben
beherrſchende ſacramentale Ritus beruhte, zu bekämpfen
wagte. 2 Die Kühnheit dieſes Angriffes, die Geſchicklich-
[413]Fortgang der theologiſchen Oppoſition.
keit mit der er ihn führte, ſetzte Jedermann in Erſtaunen.
„Er iſt nun Allen,“ ſagt Luther, „als das Wunder er-
ſchienen, was er iſt. Er iſt der gewaltigſte Feind des
Satans und der Scholaſtiker; er kennt ihre Thorheiten
und kennt den Felſen Chriſti; er hat die Kraft und wird
es vermögen. Amen.“ Um ſo eifriger aber vertiefte ſich
nun Melanchthon in die Schriften des Neuen Teſtamen-
tes. Er war von ihrer einfachen Form entzückt: er fand
in ihnen die reine ächte Philoſophie; die Studirenden ver-
weiſt er darauf, als das einzige Labſal der Seele, die
Traurenden, weil ſie Friede und Freude in das Herz gie-
ßen. Auch auf ſeinem Wege aber glaubte er gewahr
zu werden, daß in den Lehren der bisherigen Theologie
Vieles enthalten ſey, was nicht allein aus der Schrift
nicht hergeleitet werden könne, ſondern ihr widerſpreche,
ſich niemals mit ihrem Sinn vereinigen laſſe. In einer
Rede am 18ten Januar 1520 über die pauliniſche Doctrin
ſprach er das zuerſt ohne Rückhalt aus. Im Februar bemerkt
er, daß ſeine Einwendungen gegen Brodverwandlung und
Charakter ſich auch noch auf viele andre Lehren beziehen;
ſchon ſieht er in den ſieben Sacramenten ein Nachbild jü-
diſcher Cerimonien, in der Lehre von der Unfehlbarkeit des
Papſtes eine Anmaaßung, die gegen Schrift und geſunden
Menſchenverſtand laufe: — höchſt verderbliche Meinungen,
2
[414]Zweites Buch. Drittes Capitel.
ſagt er, die man aus allen Kräften bekämpfen müſſe,
mehr als Ein Hercules ſey dazu nöthig. 1


Man ſieht, Melanchthon langt an demſelben Puncte
an, den Luther erreicht hat: obwohl ruhiger, mehr auf
wiſſenſchaftlichem Wege. Merkwürdig, wie ſie ſich in die-
ſem Moment über die Schrift äußern, in der ſie beide le-
ben. Sie erfüllt die Seele, ſagt Melanchthon, mit wun-
derbarer Wonne: ſie iſt ein himmliſches Ambroſia. 2 Das
Wort Gottes, ruft Luther aus, iſt Schwerd und Krieg
und Verderben: wie die Löwin im Wald begegnet ſie den
Kindern Ephraim. Der Eine faßt ſie in ihrer Beziehung
zu dem Innern des Menſchen, dem ſie verwandt iſt, der
Andre in ihrem Verhältniß zu dem Verderben der Welt,
dem ſie ſich entgegenſetzt; doch ſind ſie Beide einverſtan-
den. Sie hätten nun nicht mehr von einander gelaſſen.
„Dieſes Griechlein,“ ſagt Luther, „übertrifft mich auch in
der Theologie.“ „Er wird Euch,“ ruft er ein ander Mal
aus, „viele Martine erſetzen.“ Er hat nur Sorge, daß
irgend ein Unfall ihn heimſuche, wie er große Geiſter wohl
verfolge. Dagegen iſt nun Melanchthon von dem tiefen
Verſtändniß des Paulus, welches Luthern eigen, ergriffen
und durchdrungen worden; er zieht ihn den Kirchenvätern
vor; er findet ihn bewundernswürdiger ſo oft er ihn wieder-
ſieht; auch im gewöhnlichen Umgang will er den Tadel
nicht auf ihn fallen laſſen, den man etwa von ſeiner Hei-
terkeit, ſeinen Scherzen im Geſpräch hernimmt. Ein wahr-
haft göttliches Geſchick das dieſe Männer in dieſem gro-
[415]Theilnahme Huttens.
ßen Moment vereinigte. Sie betrachten ſich wie zwei Ge-
ſchöpfe Gottes, von verſchiedenen Gaben, jeder des andern
werth: — vereinigt zu demſelben Zwecke, in den gleichen
Überzeugungen: ein rechtes Bild der wahren Freundſchaft.
Melanchthon hütet ſich wohl den Geiſt Luthers zu ſtören: 1
Luther bekennt, daß er von einer Meinung ablaſſe, wenn
ſie Melanchthon nicht billige.


Einen ſo unermeßlichen Einfluß hatte die literariſche
Richtung nun auch auf eine werdende Theologie gewonnen:
noch auf eine andre Weiſe trat ſie jetzt in den Kampf ein.


Theilnahme Huttens.


Man kann wohl ſagen: die Geiſter die in Deutſch-
land an der Bewegung in der gelehrten poetiſch-philologi-
ſchen Literatur Theil genommen, zerfielen in zwei große
Schaaren. Die eine ſuchte in ruhigem und mühevol-
lem Studium, lernbegierig und lebhaft, neue Elemente
der Bildung zu gewinnen und auszubreiten. Ihr gan-
zes Streben, das ja von Anfang an eine Richtung auf
die heilige Schrift genommen, war in Melanchthon reprä-
ſentirt, und hatte in ihm die engſte Verbindung mit den
tieferen theologiſchen Tendenzen geſchloſſen, die in Luther
erſchienen und auf der Univerſität Wittenberg zur Herr-
ſchaft gekommen waren. Wir ſahen ſo eben, was dieſer
Bund bedeuten wollte. Die ſtillen Studien empfiengen
[416]Zweites Buch. Drittes Capitel.
dadurch Inhalt, Tiefe und Schwung: die Theologie wiſ-
ſenſchaftliche Form und gelehrte Begründung. In der Li-
teratur gab es nun aber auch noch eine andre Seite. Ne-
ben den ruhigen Gelehrten tummelten ſich jene fehdeluſti-
gen Poeten: ſchon mit dem Gewonnenen zufrieden, trotzig
in ihrem Selbſtgefühl, empört über den Widerſtand den
man ihnen entgegengeſetzt, erfüllten ſie die Welt mit dem
Lärm ihres Kriegs. Dieſe hatten ſich im Anfange der lu-
theriſchen Streitigkeit, die ſie als einen inneren Handel der
Mönchsorden betrachteten, neutral verhalten. Jetzt aber, da
dieſelbe eine ſo großartige, weitausſehende Natur entwickelte,
und allen ihren Sympathien entſprach, nahmen auch ſie
Partei. Luther erſchien ihnen als ein Nachfolger Reuch-
lins, Johann Eck wie Ortwin Gratius, ein gedungener An-
hänger der Dominicaner, und eben ſo griffen ſie ihn an.
Im März 1520 kam eine Satyre heraus unter dem Titel: der
abgehobelte Eck, welche an phantaſtiſcher Conception, ſchla-
gender und vernichtender Wahrheit, ariſtophaniſchem Witz
die Briefe der dunkeln Männer, an die ſie jedoch erinnert, bei
weitem übertrifft. Ja in dieſem Augenblick trat ein Vor-
dermann dieſer Schaar nicht anonym wie Andre ſondern
mit niedergelaſſenem Viſier auf den Kampfplatz. Es war
Ulrich von Hutten: längſt kannte man ſeine Waffen und
wie er ſie führte.


Auch für Hutten, wie für Erasmus, war es der ſein
ganzes Leben beſtimmende Moment, daß man ihn ſehr früh
dem Kloſter übergab; aber noch viel unerträglicher war
ihm dieſer Zwang: er war der Erſtgeborne aus einem der
nahmhafteſten Rittergeſchlechter auf der Buchen, das noch
auf
[417]Hutten.
auf Reichsfreiheit Anſpruch machte; als man ernſtlicher
davon ſprach ihn einzukleiden, gieng er davon; und ſuchte
ſein Glück wie jener in den Bahnen der aufkommenden
Literatur. 1 Was hat er da nicht alles beſtehen müſſen:
Peſt und Schiffbruch: Verjagung eines Lehrers, dem er
dann folgt: Beraubung durch die welche ihn eben unter-
ſtützt: eine abſcheuliche Krankheit die er ſich im zwanzig-
ſten Jahre zugezogen: die Mißachtung in welche Mangel
und ein ſchlechter Aufzug beſonders in der Fremde zu brin-
gen pflegen: ſeine Familie that nicht, als ob er ihr ange-
höre: ſein Vater betrachtete ihn mit einer gewiſſen Ironie.
Aber immer behielt er den Muth oben, den Geiſt unbe-
nommen und frei: alle ſeinen Feinden bot er Trotz: ſich
zu wehren, literariſch zu ſchlagen, ward ihm Natur. Zu-
weilen waren es mehr perſönliche Angelegenheiten, die er
auf dem Felde der Literatur ausfocht; z. B. die Mißhand-
lung die er von ſeinen Greifswalder Gaſtfreunden erfuhr:
er rief alle ſeine Genoſſen von den Poetenſchulen zur Theil-
nahme an dieſer Unbill auf, die gleichſam allen begegnet
ſey; 2 — oder er hatte die Forderung zu widerlegen, die
ſchon ihm, ſchon damals entgegentrat, daß man etwas ſeyn,
ein Amt bekleiden, einen Titel haben müſſe; — oder jene
unverantwortliche Gewaltthat des Herzogs von Wirtenberg
an einem ſeiner Vettern regte ihn zu ſtürmiſcher Anklage
auf. Allein noch lebendiger inſpirirte ihn ſeine kriegeriſche
Muſe in den allgemeinen, vaterländiſchen Dingen. Das
Ranke d. Geſch. I. 27
[418]Zweites Buch. Drittes Capitel.
Studium der römiſchen Literatur, in der die Deutſchen
eine ſo glorreiche Rolle ſpielen, hat nicht ſelten die Wir-
kung gehabt, unſern Patriotismus zu erwecken. Die ſchlech-
ten Erfolge des Kaiſers in dem venezianiſchen Kriege hiel-
ten Hutten nicht ab, ihn doch zu preiſen; die Venezianer
behandelt er ihm gegenüber nur als emporgekommene Fi-
ſcher; den Treuloſigkeiten des Papſtes, dem Übermuth der
Franzoſen ſetzt er die Thaten der Landsknechte, den Ruhm
des Jacob von Ems entgegen; in langen Gedichten führt
er aus, daß die Deutſchen noch nicht ausgeartet, daß ſie
noch immer die alten ſeyen. Als er aus Italien zurück-
kam, war eben der Kampf der Reuchliniſten gegen die Do-
minicaner ausgebrochen; er ſtellt ſich ſeinen natürlichen
Freunden mit allen Waffen des Zornes und des Scherzes
zur Seite; den Triumph des Meiſters feiert er mit ſeinen
beſten Hexametern, die einen ſinnreichen Holzſchnitt beglei-
ten. Hutten iſt kein großer Gelehrter; ſeine Gedanken grei-
ſen nicht ſehr in die Tiefe; ſein Talent liegt mehr in der
Unerſchöpflichkeit ſeiner Ader, die ſich immer mit gleichem
Feuer, gleicher Friſche, in den mannichfaltigſten Formen
ergießt, lateiniſch und deutſch, in Proſa und in Verſen,
in redneriſcher Invective und in glücklich dialogiſirter Sa-
tyre. Dabei iſt er nicht ohne den Geiſt eigener feiner Beob-
achtung; hie und da, z. B. im Nemo, erhebt er ſich in die
heiteren Regionen ächter Poeſie; ſeine Feindſeligkeiten ſind
nicht von verſtimmend-gehäſſiger Art, ſie ſind immer mit eben
ſo warmer Hingebung nach einer andern Seite verbunden;
er macht den Eindruck der Wahrhaftigkeit, der rückſichts-
loſen Offenheit und Ehrlichkeit; vor allem, er hat immer
[419]Hutten.
große, einfache, die allgemeine Theilnahme fortreißende Be-
ſtrebungen, eine ernſte Geſinnung, er liebt, wie er ſich ein-
mal ausdrückt, „die göttliche Wahrheit, die gemeine Frei-
heit.“ Der Sieg der Reuchliniſten war auch ihm zu Gute
gekommen: er fand Aufnahme an dem Hofe des Chur-
fürſten Albrecht von Mainz: mit dem mächtigen Sickin-
gen trat er in vertrauliches Verhältniß; auch von ſeiner
Krankheit ward er geheilt und er konnte wohl daran den-
ken, ſich zu verheirathen, ſein väterliches Erbe anzutreten:
ein häuslich ruhiges Leben muthete auch ihn an: durch
den Glanz einer ſchon erworbenen Reputation wäre es
doch auf immer gehoben geweſen. Da berührte ihn der
Hauch des Geiſtes, welchen Luther in der Nation erweckt
hatte: eine Ausſicht that ſich auf gegen die alle bishe-
rige Erfolge nur wie ein Kinderſpiel erſchienen: ſeine ganze
Überzeugung, alle Triebe ſeines Geiſtes und ſeiner That-
kraft waren davon ergriffen. Einen Augenblick gieng Hut-
ten mit ſich zu Rathe. Der Feind den man angriff, war
der mächtigſte den es gab, der noch nie unterlegen, der
ſeine Gewalt mit tauſend Armen handhabte: wer es mit
ihm aufnahm, mußte wiſſen, daß er ſein Lebtag niemals
wieder Ruhe finden würde; Hutten verbarg es ſich nicht:
man ſprach darüber in der Familie, die auch ihre Güter
durch dieß Unternehmen bedroht glaubte, „meine fromme
Mutter weinte,“ ſagt er; — aber er riß ſich los, ver-
zichtete auf ſein väterliches Erbe und griff noch einmal zu
den Waffen. 1


27*
[420]Zweites Buch. Drittes Capitel.

Im Anfang des Jahres 1520 verfaßte er einige Dialoge,
die ihm niemals wieder verziehen werden konnten. In
dem einen, die Anſchauenden, wird der päpſtliche Legat nicht
mehr wie früher nur an einigen Äußerlichkeiten geneckt,
ſondern mit alle ſeinen geiſtlichen Facultäten, Anathem und
Excommunication, die er gegen die Sonne anwenden will,
auf das bitterſte verhöhnt. In einem andern, Vadiscus
oder die römiſche Dreifaltigkeit, werden alle Mißbräuche
und Anmaaßungen der Curie in ſchlagende Ternionen zu-
ſammengefaßt: der Meinung der Wittenberger, daß das
Papſtthum nicht mit der Schrift beſtehen könne, kam Hut-
ten hier mit einer Schilderung des römiſchen Hofes wie
er in der Wirklichkeit ſey, zu Hülfe, welche denſelben als
den Abgrund des ſittlichen und religiöſen Verderbens dar-
ſtellte, von dem man ſich um Gottes und des Vaterlan-
des willen losreißen müſſe. 1 Denn ſeine Ideen waren
vor allem national. Durch eine ihm in die Hände gera-
thene alte Apologie Heinrichs IV, die er im März 1520
herausgab, ſuchte er die Erinnerung an die großen Käm-
pfe gegen Gregor VII, die verloſchene Sympathie der Na-
tion mit dem Kaiſerthum, des Kaiſerthums mit der Nation
wieder zu erwecken. 2 Er ſandte ſie an den jungen Erz-
herzog Ferdinand, der eben aus Spanien in den Nieder-
landen angekommen, mit einer Zueignung, in welcher er
ihn auffordert, ſeine Hand zu bieten zur Herſtellung der
alten Unabhängigkeit von Deutſchland, welches den kriegs-
[421]Hutten.
gewaltigen alten Römern widerſtanden habe und jetzt den
weibiſchen neuen Römern Tribut bezahle. 1 Sollte man
nicht auf die beiden Brüder von Öſtreich hoffen dürfen,
deren Erhebung ſich der päpſtliche Hof eben ſo ernſtlich
widerſetzt hatte? Ihre meiſten Freunde waren wirklich in
dieſem Augenblick Gegner des Papſtthums. Wir berührten
ſchon die Stimmung des mainziſchen Hofes. Alles was ſich
in der Schweiz zu den erſten Schriften Luthers bekannte, hielt
ſich zugleich an den Cardinal von Sitten, der die Sache
von Öſtreich nicht ohne die Hülfe dieſer Leute auf der
Tagſatzung ſo glücklich geführt hatte. Sickingen, der zur
Entſcheidung in Wirtenberg ſo viel beigetragen, nahm zu-
gleich für Reuchlin Partei, und wußte die Cöllniſchen Do-
minicaner zu zwingen, obwohl der Proceß in Rom noch
ſchwebte, vorläufig der Sentenz des Biſchofs von Speier
nachzukommen, und die Koſten zu bezahlen, zu denen ſie
da verurtheilt worden. Wer hatte mehr für Carl V ge-
than als Friedrich von Sachſen? Der war es, welcher
durch den Schutz den er Luther und ſeiner Univerſität an-
gedeihen ließ, die ganze Bewegung möglich machte. Vor
allen Dingen wollte er nicht, daß Luther in Rom gerichtet
würde. Auf dem Wahltag hatte der Erzbiſchof von Trier
wirklich das Schiedsrichteramt übernommen; Churfürſt Frie-
drich erklärte nun, es dürfe nichts gegen Luther geſchehen, bis
dieſer geſprochen: bei dem Urtheil das derſelbe fälle, ſolle
es dann ſein Verbleiben haben. 2 Es iſt ein innerer Zu-
ſammenhang in dieſen Tendenzen. Man wollte die Ein-
[422]Zweites Buch. Drittes Capitel.
wirkungen von Rom nicht mehr. Allenthalben predigte
Hutten, Deutſchland müſſe Rom verlaſſen und zu ſeinen
Biſchöfen und Primaten zurückkehren. „Zu deinen Gezel-
ten Iſrael,“ rief er aus, und wir vernehmen, daß er bei
Fürſten und Städten vielen Anklang fand. 1 Er hielt ſich
gleichſam für beſtimmt dieſe Sache durchzuſetzen, und eilte
an den Hof des Erzherzogs, um ihn wo möglich perſön-
lich zu gewinnen, mit ſich fortzureißen. Schon erfüllte
ihn eine kühne Siegeszuverſicht. In einer Schrift, die er
unterwegs verfaßte, weiſſagt er, die Tyrannei von Rom
werde nicht mehr lange dauern, ſchon ſey die Axt an die
Wurzel des Baumes gelegt. Er fordert die Deutſchen auf,
nur Vertrauen zu ihren tapfern Anführern zu haben, nicht
etwa in der Mitte des Streites zu ermatten: denn hin-
durch müſſe man, hindurch, bei dieſer günſtigen Lage der
Umſtände, dieſer guten Sache, dieſen herrlichen Kräften.
„Es lebe die Freiheit. Jacta est alea.“ Das war ſein
Wahlſpruch: der Würfel iſt gefallen, ich habs gewagt. 2


Dieſe Wendung nahm jetzt, und zwar nicht ohne große
Schuld der Vertheidiger des römiſchen Stuhles, die Sache
Luthers. Der Angriff, der nur einer Seite des großen Sy-
ſtemes gegolten, und von da aus allerdings auch dem
Oberhaupt ſehr unbequem geworden wäre, richtete ſich nun
2
[423]Bulle gegen Luther.
unmittelbar und gradezu wider die ganze Stellung deſſel-
ben, wider die Idee die er von ſeiner Berechtigung gel-
tend gemacht. Er gehörte nicht mehr dem Gebiete der
Theologie allein an: zum erſten Mal hatten die Elemente
der Oppoſition, die in der Nation vorhanden waren, das
allgemein literariſche und das politiſche, ſich mit dem
theologiſchen berührt, verſtändigt, wenn noch nicht ganz
vereinigt; ſie nahmen ſämmtlich eine große Richtung wi-
der die Prärogativen des Papſtes zu Rom.


Dieß führte nun auch dahin, daß auf der andern
Seite eine ähnliche Vereinigung geſchah und der römiſche
Stuhl, der in der Sache noch immer an ſich gehalten, end-
lich eine definitive Sentenz zu geben bewogen ward.


Bulle Leos X.


Gehn wir davon aus, daß die Männer alter Schule
ſich nicht begnügten, Luthern mit alle der Autorität, in
deren Beſitz ſie noch waren, entgegenzutreten — wie denn
die dominicaniſchen Univerſitäten Löwen und Cölln ein
feierliches Verdammungsurtheil über ſeine Schriften aus-
ſprachen — ſondern ſich aufs neue als die getreueſten eng-
ſten Verbündeten des römiſchen Stuhles zu bewähren ſuch-
ten. Die Angriffe der Deutſchen waren ihnen ein Anlaß,
die Omnipotenz der päpſtlichen Gewalt rückſichtsloſer zu
erheben als jemals. Jener Meiſter des heiligen Pallaſtes
Silveſtro Mazzolini erſchien mit einer Schrift, 1 in welcher
[424]Zweites Buch. Drittes Capitel.
er, empört daß Luther von ihm als einem Mitrichter an den
Papſt und ſogar an ein Concilium zu appelliren gewagt habe,
demſelben vor allem zu beweiſen ſucht, daß es keinen Richter
über den Papſt geben könne, daß dieſer der infallible Ent-
ſcheider aller Streitfragen, aller Zweifel ſey, und worin er
dann weiter auseinanderſetzt, die päpſtliche Herrſchaft ſey die
einzige wahre Monarchie, die fünfte Monarchie die im Da-
niel vorkomme, der Papſt ſey der Fürſt aller geiſtlichen der
Vater aller weltlichen Fürſten, das Haupt der ganzen Welt,
ja er ſey, dem Weſen nach, die ganze Welt. 1 Früher
hatte er nur geſagt, die geſammte Kirche ſey in dem Papſt:
jetzt beweiſt er, er ſelber ſey die ganze Welt. Denn auch
anderwärts trägt er kein Bedenken, alle fürſtliche Gewalt
für eine Subdelegation der päpſtlichen zu erklären: 2 der
Papſt, ſagt er, ſey erhaben über den Kaiſer, mehr als das
Gold über das Blei; ein Papſt könne den Kaiſer einſetzen
und abſetzen: Churfürſten einſetzen und abſetzen: poſitive
Rechte geben und vernichten: der Kaiſer, ruft er aus, mit
allen Geſetzen, mit allen chriſtlichen Völkern würde gegen
den Willen des Papſtes nicht das Mindeſte zu beſtimmen
[425]Bulle gegen Luther.
vermögen. 1 Die Beweiſe die er für ſeine Meinung vor-
bringt, ſind nun freilich höchſt ſeltſam; auch lag an ihrer
Durchführung nicht ſo viel: ſchon genug, daß ſie von ei-
nem ſo hoch geſtellten Mann von dem päpſtlichen Pallaſt
aus geäußert wurde; unverzüglich kam deutſche Dienſt-
befliſſenheit den römiſchen Anmaaßungen mit etwas beſſe-
rer Begründung entgegen. Im Februar 1520 brachte auch
Eck eine Schrift über den Primat zu Stande, in der er
Luthers Behauptung, „daß derſelbe nicht von göttlichem
Rechte ſey,“ ſtattlich und klar zu widerlegen und dabei
viele andre ſeltene und leſenswürdige Dinge vorzutragen
verſpricht, welche er mit großer Mühe zuſammengebracht,
zum Theil aus Handſchriften, die er mit äußerſter Wach-
ſamkeit verglichen habe: „Merk auf Leſer,“ ſagt er, „und
du ſollſt ſehen, daß ich mein Wort halte.“ 2 Auch iſt
ſein Werk gar nicht ohne Gelehrſamkeit und Talent, eine
Rüſtkammer der mannichfaltigſten Argumente. Aber man
ſieht dabei recht, welche wiſſenſchaftliche Bedeutung dieſem
Streite auch noch außer den theologiſchen Beziehungen bei-
wohnte, in wie tiefem Dunkel alle wahrhafte und critiſche
Geſchichte noch begraben lag. Eck hat kein Arg dabei,
daß ſich Petrus ganzer 25 Jahre in Rom aufgehalten
[426]Zweites Buch. Drittes Capitel.
habe, recht ein Vorbild aller Päpſte, während es der hi-
ſtoriſchen Critik zweifelhaft bleibt, ob er jemals dahin ge-
langt iſt; er findet Cardinäle ſelbſt mit dieſem Namen
ſchon im Jahr 770, ja Hieronymus ſchon nimmt die Stel-
lung eines Cardinals ein. Im zweiten Buche will er die
Zeugniſſe der Kirchenväter für jenes göttliche Recht zu-
ſammenſtellen, und beginnt dabei mit Dionyſius Areopa-
gita, deſſen Werke nur leider untergeſchoben ſind. Eins
ſeiner vornehmſten Beweismittel ſind die Decretalen der
älteſten Päpſte, aus denen ſich freilich gar Vieles er-
giebt, was man ſonſt nicht glauben würde: ein Unglück
nur, daß ſie ſämmtlich untergeſchoben ſind. Beſonders
hält er Luthern vor, daß er von den alten Concilien nicht
das Mindeſte verſtehe: den ſechsten Canon des nicäniſchen
Concils, aus welchem Luther die Gleichheit der alten Pa-
triarchate gefolgert, weiß er ihm auf eine ganz andre Weiſe
auszulegen; allein auch dabei begegnet es ihm, daß er ſich
auf jenen unächten Canon ſtützt, welcher der ſardicenſiſchen
Synode, nicht der nicäniſchen angehört. Und ſo geht das
nun fort. Man verberge ſich die Lage der Dinge nicht.
Zu jenen Anſprüchen einer unbedingten, alle andre umfaſ-
ſenden, irdiſchen Gewalt gehört, wie das Dogma in ſei-
ner ſcholaſtiſch-hierarchiſchen Ausbildung, ſo dieſe giganti-
ſche Fiction, dieſe falſche Geſchichte, auf ſo zahlloſe erdich-
tete Documente geſtützt; welche, wenn ſie nicht durchbro-
chen ward, wie das ſpäter — und zwar großentheils durch
ächtere Gelehrte der katholiſchen Kirche ſelbſt — geſchehn
iſt, das Aufkommen aller wahrhaftigen und gegründeten
Hiſtorie unmöglich gemacht haben würde: der menſchliche
[427]Bulle gegen Luther.
Geiſt würde nie zu unverhüllter Kunde der alten Jahr-
hunderte zu dem Bewußtſeyn ſeiner Vergangenheit gelangt
ſeyn. Der in der deutſchen Nation erwachte Geiſt griff
dieß ganze Syſtem auf einmal an; für alle Richtungen
menſchlicher Thätigkeit, den Staat, den Glauben und die
Wiſſenſchaft war er beſchäftigt eine neue Bahn zu öffnen.
Auf der andern Seite war man eben ſo eifrig bemüht,
das ganze alte Syſtem feſtzuhalten. So wie Eck mit ſei-
nem Buche fertig war, eilte er nach Rom, um es dem Papſt
ſelbſt zu überreichen und die ſtrengſten Maaßregeln der kirch-
lichen Autorität gegen die Widerſacher hervorzurufen.


Man hat damals behauptet, eigentlich ſey Eck von
dem Wechslerhaus der Fugger nach Rom geſchickt wor-
den, welches gefürchtet habe, des aus dem Geldverkehr
zwiſchen Rom und Deutſchland entſpringenden Vortheiles
verluſtig zu gehen. In enger Beziehung wenigſtens ſtand
der Doctor zu dieſen Kaufleuten. Zu ihren Gunſten war
es, daß er in jener Disputation zu Bologna den Wu-
cher vertheidigte. 1


Hauptſächlich aber kamen ihm die Erklärungen von
Cölln und Löwen zu Hülfe. Die mit Deutſchland bekann-
ten Cardinäle Campeggi und Vio thaten ihr Beſtes, um
ihn zu befördern. Sein Buch war ganz geeignet, das
[428]Zweites Buch. Drittes Capitel.
Dringende der Gefahr vor Augen zu ſtellen. Eine Com-
miſſion von ſieben oder acht eifrigen Theologen ward nie-
dergeſetzt, an der Johann Peter Caraffa, Aleander, wahr-
ſcheinlich auch Silveſter Mazzolini und Eck ſelbſt Theil
nahmen; ihr Urtheil war keinen Augenblick zweifelhaft;
ſchon am Anfang des Mai war die Bulle entworfen durch
welche Luther verdammt werden ſollte.


In dem Reuchlinſchen Handel war es zweifelhaft ge-
blieben, in wie fern der römiſche Stuhl noch mit den Domi-
nicanern gemeinſchaftliche Sache mache: jetzt aber drangen ſie
wieder vollkommen durch, und die alte Vereinigung ward
aufs neue geſchloſſen. Jener Proceß ſelbſt ward noch einmal
vorgenommen, und wir hören in Kurzem, daß die Mönche zu
Cölln über ein Urtel triumphirten, das zu ihren Gunſten
ausgefallen ſey, und es dort an den Kirchthüren anſchlagen
ließen. 1 Der Churfürſt von Mainz ward über den Schutz,
deſſen er Ulrich von Hutten würdige, zur Rede geſtellt, und
aufgefordert, ein Zeichen ſeiner Strenge gegen den Urheber
ſo vieler Schmähſchriften zu geben. Die Hauptſache aber
war die Verdammung Luthers. Die Juriſten der Curie
[429]Bulle gegen Luther.
hätten eine Vorladung und neue Vernehmung des Ange-
klagten für nothwendig gehalten: „habe doch Gott ſelbſt
Cain noch einmal vor ſich gerufen;“ aber die Theologen
wollten in keine weitere Verzögerung willigen. Man traf
endlich die Auskunft, die aus Luthers Schriften excerpir-
ten Sätze ohne Säumen zu verurtheilen, ihm ſelbſt aber
noch 60 Tage Zeit zu laſſen, um ſie zu widerrufen. Der
Entwurf der Bulle, den Cardinal Accolti gemacht erfuhr noch
viele Veränderungen. Viermal ward Conſiſtorium gehal-
ten, um jeden einzelnen Satz zu überlegen; Cardinal Vio
litt an einem heftigen Krankheitsanfall, aber um keinen
Preis wäre er ausgebleben; er ließ ſich jedes Mal in die
Verſammlung tragen. Vor dem Papſt ſelbſt, auf ſei-
nem Landſitz zu Malliano trat noch eine engere Confe-
renz zuſammen, an der auch Eck Theil nahm. Endlich
am 16ten Juni kam die Bulle zu Stande. Ein und vier-
zig Sätze aus den lutheriſchen Schriften wurden darin
als falſch verführeriſch anſtößig oder geradezu ketzeriſch
bezeichnet, die verdammenden Decrete der Univerſitäten
Löwen und Cölln dagegen als gelehrt und wahr ja hei-
lig belobt; Chriſtus ward aufgerufen, den Weinberg zu
beſchützen, deſſen Verwaltung er bei ſeiner Auffahrt dem
heiligen Petrus anvertraut; Petrus ſelbſt, die Sache der
römiſchen Kirche, Meiſterin des Glaubens, in ſeine Obhut
zu nehmen; Luther ſoll, wenn er binnen 60 Tagen nicht
widerruft, als ein hartnäckiger Ketzer, ein verdorrter Aſt,
von der Chriſtenheit abgehauen werden; alle chriſtlichen Ge-
walten ſind aufgefordert, ſich der Perſon deſſelben zu be-
mächtigen und ihn in die Hände des Papſtes zu liefern. 1


[430]Zweites Buch. Drittes Capitel.

Es ſcheint man hatte in Rom keinen Zweifel an
dem vollen Succeß dieſer Maaßregeln. Zwei rüſtigen Vor-
kämpfern, deren eigenes Intereſſe es war, Aleander und
Johann Eck ſelbſt übertrug man die Ausführung derſel-
ben. In Deutſchland bedurfte es keines königlichen Pla-
cets: die Commiſſarien hatten völlig freie Hand.


Wie glorreich fühlte ſich Eck, als er nun mit dem
neuen Titel eines päpſtlichen Protonotarius und Nuntius
in Deutſchland erſchien! Er eilte ſogleich auf die Schau-
plätze des Kampfes: noch im September ließ er die Bulle
in Meißen, Merſeburg, Brandenburg anſchlagen. Indeſ-
ſen gieng Aleander den Rhein hinunter, um ſie auch hier
in Vollziehung zu ſetzen.


Man ſagt wohl, und es iſt ganz wahr, daß ſie da-
mit nicht eben überall die beſte Aufnahme gefunden, allein
die Waffe die ſie führten war doch noch immer ſehr furcht-
bar. Eck hatte die unerhörte Erlaubniß erhalten, bei der
Publication der Bulle einige Anhänger Luthers nach ſeinem
Belieben namentlich anzugeben: er hatte ſie, wie man den-
ken kann, nicht unbenutzt gelaſſen. Unter andern hatte er
Adelmann von Adelmannsfelden genannt, ſeinen Mitcano-
nicus in Eichſtädt, mit dem er einſt bei Tiſche über die
Frage des Tages faſt handgemein geworden war: in Folge
der Bulle begann jetzt der Biſchof von Augsburg den Pro-
ceß gegen Adelmann zu inſtruiren, und dieſer mußte ſich
durch Eid und Gelübde von der lutheriſchen Ketzerei rei-
1
[431]Bulle gegen Luther.
nigen. Auch ein paar angeſehene Rathsglieder von Nürn-
berg, Spengler und Pirkheimer hatte er ſich nicht geſcheut
zu nennen; die Verwendung ihrer Stadt, des Biſchofs
von Bamberg, ſelbſt der Herzöge von Baiern half ihnen
nichts: ſie mußten vor Eck ſich beugen, der ſie das ganze
Gewicht eines Beauftragten des römiſchen Stuhles fühlen
ließ. 1 In Ingolſtadt wurden die Bücher Luthers im
October 1520 aus den Buchläden weggenommen und ver-
ſiegelt. 2 So gemäßigt der Churfürſt von Mainz auch
war, ſo mußte er doch Ulrich von Hutten, der auch in den
Niederlanden nur eine ſchlechte Aufnahme gefunden, von
ſeinem Hofe ausſchließen, und den Drucker ſeiner Schrif-
ten ins Gefängniß werfen. Zuerſt in Mainz wurden die
Schriften Luthers verbrannt. Aleander ward ganz über-
müthig durch dieſe Erfolge. Er ließ ſich vernehmen wie
Mazzolini, der römiſche Papſt könne Kaiſer und Könige
abſetzen: er könne zu dem Kaiſer ſagen: du biſt ein Ger-
ber; er werde wohl auch mit ein paar elenden Gramma-
tikern fertig werden: und auch dieſen Herzog Friedrich werde
man zu finden wiſſen. 3


Allein ſo weit dieſer Sturm auch tobte, über den ei-
nen Ort auf den es ankam, über Wittenberg gieng er ohne
Schaden hinweg. Eck hatte wirklich den Auftrag, wenn
Luther ſich nicht unterwerfe, die Drohungen der Bulle mit
[432]Zweites Buch. Drittes Capitel.
Hülfe der umwohnenden Fürſten und Biſchöfe an ihm zu
vollſtrecken. 1 Man hatte ihm das Recht gegeben, den li-
terariſchen Gegner, den er nicht zu beſiegen vermocht, als
Ketzer zu beſtrafen. Eine Vollmacht, gegen die ſich das
natürliche moraliſche Gefühl ſo lebhaft empörte, daß Eck
ſelber darüber mehr als einmal in perſönliche Gefahr ge-
rieth; und die ſich auch ſonſt ganz unausführbar erwies.
Der Biſchof von Brandenburg hatte die Macht nicht,
wenn er auch den Willen gehabt hätte, die Rechte eines
Ordinarius in Wittenberg geltend zu machen; die Univer-
ſität war durch ihre Exemtionen geſchützt: als ihr die
Bulle von Eck zugefertigt ward, beſchloß ſie dieſelbe nicht
zu publiciren. Sie gab als Grund an, ſeine Heiligkeit
werde entweder gar nichts davon wiſſen, oder durch un-
geſtümes Anſuchen Ecks dazu gereizt ſeyn. Daß Eck aus
eigener Macht noch ein paar Mitglieder der Univerſität,
Carlſtadt und Johann Feldkirchen als Anhänger Luthers
nahmhaft gemacht hatte, brachte Jedermann auf. Man
ließ Luther und Carlſtadt an den Sitzungen Theil nehmen,
in denen über die Bulle Beſchluß gefaßt ward. 2 Schon
hatte die Univerſität in dieſen Ländern eine größere Auto-
rität als der Papſt. Ihr Beſchluß diente der churfürſt-
lichen Regierung, ja dem Officialat des Bisthums Naum-
burg-Zeiz zur Norm.


Da war nur die Frage, was Churfürſt Friedrich dazu
ſa-
[433]Bulle gegen Luther.
ſagen würde, der eben dem ankommenden Kaiſer nach dem
Rhein entgegengegangen war. Aleander traf ihn in Cölln
an und ſäumte nicht ihm die Bulle zu überreichen. Allein
er bekam eine ſehr ungnädige Antwort. Der Churfürſt
war ungehalten, daß der Papſt trotz ſeiner Bitten die
Sache in Deutſchland verhören zu laſſen, trotz der Com-
miſſion die dem Erzbiſchof von Trier zu Theil geworden,
doch in Rom das Urtel gefällt hatte, auf Anhalten eines
erklärten, perſönlich gereizten Widerſachers, der dann ſelbſt
gekommen war, um in ſeiner des Fürſten Abweſenheit
eine Bulle bekannt zu machen, die wenn ſie ausge-
führt ward, die Univerſität zerſtören und in dem auf-
geregten Lande die größte Unordnung veranlaſſen mußte.
Aber überdieß war er auch überzeugt, daß man Luthern
Unrecht thue. Noch in Cölln hatte ihm Erasmus geſagt,
Luthers ganzes Verbrechen ſey, daß er die Krone des Pap-
ſtes und die Bäuche der Mönche angegriffen. 1 Das war
eben auch die Meinung des Fürſten: man las in ſeinen
Mienen das Vergnügen das ihm dieſe Worte machten.
Er ſah ſich perſönlich verletzt und zugleich empörte ſich ſein
Rechtsgefühl: er beſchloß, dem Papſte nicht zu weichen.
Er wiederholte ſeine alte Forderung daß Luther vor glei-
chen gelehrten frommen Richtern an einem ungefährlichen
Ort verhört werden müſſe; von der Bulle wollte er nichts
wiſſen. 2 Das war die Meinung ſeines Hofes, ſeines
Ranke d. Geſch. I. 28
[434]Zweites Buch. Drittes Capitel.
Bruders und ſeines Neffen, die ihm einmal nachfolgen ſoll-
ten, ja des ganzen Landes. 1


Denn in der Natur der Sache liegt es, daß das ein-
ſeitige und ſchlecht überlegte Verfahren des römiſchen Stuh-
les alle Antipathien aufregte. Wir dürfen behaupten: die
Bulle erſt brachte die volle Empörung zum Ausbruch.


Momente des Abfalls.


In den erſten Monaten des Jahres 1520 hatte ſich
Luther ziemlich ſtill gehalten, und ſich nur etwa gegen die
Ohrenbeichte oder gegen die Austheilung des Abendmals un-
ter Einer Geſtalt erklärt, ſeine Leipziger Sätze weiter verthei-
digt: — ſo wie man aber von den Erfolgen Ecks zu Rom,
von der bevorſtehenden Verdammung hörte, zuerſt nur
durch ſchwankendes Gerücht, das ſich aber von Tag zu
Tage mehr beſtätigte, erwachte ſein geiſtlicher Kriegseifer:
die indeß in ihm gereiften neuen Überzeugungen brachen
ſich Bahn: „endlich,“ rief er aus, „muß man die My-
ſterien des Antichriſts enthüllen:“ im Laufe des Juni, eben
als man dort die Verdammungsbulle zu Stande brachte,
ſchrieb er ſein Buch an den chriſtlichen Adel deutſcher Na-
tion, wie ſeine Freunde mit Recht bemerkten das Signal
zum entſchiednen Angriff. Den beiden Nuntien mit ihren
Bullen und Inſtructionen kam dieſes Buch, das im Auguſt
2
[435]Abfall Luthers.
ausgegeben ward, 1 von Wittenberg her entgegen. Es ſind
ein paar Bogen von welthiſtoriſchem, zukünftige Entwicke-
lungen zugleich vorbereitendem und vorausſagendem In-
halt. Wie viel hatte man in allen Nationen um dieſe
Zeit über die Mißbräuche der Curie, der Geiſtlichkeit ge-
klagt! Hätte Luther nichts weiter gethan, das würde noch
wenig bedeutet haben: aber er brachte dabei zugleich einen
großen Grundſatz in Anwendung, der ſeit jener Disputa-
tion Melanchthons ſich in ihm befeſtigt hatte: er leugnete
den Charakter indelebilis der Weihe, und erſchütterte da-
mit das ganze Fundament der Abſonderungen und Vor-
rechte des Clerus. Er urtheilte, daß in Hinſicht der geiſt-
lichen Befähigung alle Chriſten einander gleich ſeyen. Das
will ſein etwas ſchroffer Ausdruck ſagen: ſie ſeyen alle
Prieſter. Daraus folgte nun aber zweierlei: einmal, daß
die Prieſterſchaft nichts als eine Amtsführung ſeyn könne,
„von den andern Chriſten,“ ſagt er, „nicht weiter noch wür-
diger geſchieden, denn daß die Geiſtlichen das Wort Got-
tes und das Sacrament ſollen handeln, das iſt ihr Werk
und Amt:“ ſodann aber, daß ſie auch der Obrigkeit un-
terworfen ſeyn müſſe, welcher ein andres Amt obliege,
welche, ſagt er, „das Schwerd und die Ruthen in der
Hand hat, die Böſen damit zu ſtrafen, die Frommen zu
ſchützen.“ 2 Wenige Worte, aber die ſich der ganzen Idee
28*
[436]Zweites Buch. Drittes Capitel.
des Papſtthums im Mittelalter entgegenſetzen, der weltlichen
Gewalt dagegen, der ſie den ſchriftmäßigen Begriff der Obrig-
keit vindiciren, eine neue Grundlage geben, die Summe einer
neuen Weltbewegung, die ſich Jahrhunderte hindurch fort-
ſetzen muß, in ſich ſchließen. Dabei iſt jedoch Luther nicht der
Meinung den Papſt zu ſtürzen. Er ſoll beſtehen, natürlich
weder als Oberherr des Kaiſerthums, noch als Inhaber
aller geiſtlichen Gewalt, ſondern mit beſtimmten beſchränk-
ten Befugniſſen, vor allem, um die Streitigkeiten zwiſchen
Primaten und Erzbiſchöfen zu ſchlichten, und ſie zur Er-
füllung ihres Amtes anzutreiben. Auch Cardinäle mögen
bleiben, aber nur ſo viel wie nöthig, etwa zwölf, und es
ſollen ihnen nicht die beſten Pfründen aus aller Welt zufal-
len. Die Landeskirchen ſollen möglichſt unabhängig ſeyn; und
zunächſt in Deutſchland ſoll man einen Primas haben mit
ſeinem eignen Gericht und ſeinen Canzleien der Gnade und
Gerechtigkeit, vor welchen die Appellationen von den deut-
ſchen Biſchöfen zu bringen ſind. Denn auch die Bisthü-
mer ſollen eine größere Unabhängigkeit behalten: Luther
ſchilt auf die Eingriffe welche der römiſche Stuhl ſich da-
mals in dem Sprengel von Straßburg erlaubt hatte. Die
Biſchöfe ſollen von den ſchweren Eiden befreit werden,
womit ſie der Papſt verpflichtet. Klöſter möge es noch
geben, aber in geringer Anzahl, unter beſtimmten ſtrengen
Beſchränkungen. Den niedern Geiſtlichen ſoll es frei ſtehn,
ſich zu verheirathen. Ich brauche nicht auszuführen, welche
weitere Veränderungen ſich ihm hieran knüpfen: ſein Sinn
iſt offenbar. Man könnte nicht ſagen, er habe die Ein-
heit der lateiniſchen Chriſtenheit ſprengen, die geiſtliche Ver-
[437]Abfall Luthers.
faſſung geradehin auflöſen wollen. Innerhalb der Grenzen
ihres Berufes erkennt er die Unabhängigkeit, ja hinwiederum
die Superiorität der Geiſtlichen an: 1 aber eben auf dieſen
Beruf will er ſie zurückführen, und dabei zugleich, wie das
denn überhaupt ein allgemeiner Wunſch war, nationaliſiren,
von den täglichen Eingriffen Roms unabhängiger machen.


Es war das aber nur die Eine Seite ſeines Angriffes,
erſt das Zeichen zur Schlacht: unmittelbar folgte dieſer
ſelbſt in aller ſeiner Kraft. Im October 1520 erſchien die
Schrift von der bahyloniſchen Gefangenſchaft der Kirche. 2
Denn unter dem Geſichtspunct einer der Kirche zugefüg-
ten Gewalt betrachtete Luther die durch das Zuſammen-
wirken der Scholaſtik und der Hierarchie allmählig geſche-
hene Feſtſetzung der lateiniſchen Dogmen und Gebräuche.
Eben in dem Mittelpunct ihres Daſeyns, in der Lehre von
den Sacramenten, zunächſt dem wichtigſten derſelben, von
der Euchariſtie, griff er ſie an. Man würde ihm Unrecht
thun, wenn man hier eine nach allen Seiten ausgearbei-
tete Theorie davon ſuchen wollte: er hebt zuerſt nur die Ge-
genſätze hervor, in welche die obwaltende Lehre mit der ur-
ſprünglichen Stiftung gerathen ſey. Er verwirft die Kelch-
entziehung, nicht weil nicht auch in dem Brode das ganze
Sacrament wäre, ſondern weil an den urſprünglichen Inſti-
tutionen Chriſti Niemand etwas zu ändern habe. Er will
[438]Zweites Buch. Drittes Capitel.
darum noch nicht, daß man ſich den Kelch mit Gewalt
wiedernehmen ſolle: er beſtreitet nur die Argumente, mit
denen man die Entziehung aus der Schrift hatte herlei-
ten, rechtfertigen wollen: 1 den Spuren des ältern un-
geänderten Gebrauchs geht er eifrig nach. Dann kommt
er auf die Lehre von der Transſubſtantiation. Wir erin-
nern uns, daß Petrus Lombardus noch nicht gewagt hatte,
die Verwandlung der Subſtanz des Brodes zu behaupten.
Spätere trugen kein Bedenken dieß zu thun: ſie lehrten,
nur das Accidens bleibe übrig, und ſtützten ſich dabei un-
ter andern auch auf eine angeblich ariſtoteliſche Beſtim-
mung über Subject und Accidens. 2 Auf dieſer Stelle
nun finden wir Luther. Die Einwendungen des Peter
von Ailly gegen dieſe Anſicht hatten ſchon früher Eindruck
auf ihn gemacht; jetzt aber fand er überdieß, daß es un-
recht ſey, in die Schrift etwas hineinzutragen, was nicht
darin liege, daß man ihre Worte nur in der einfachſten
eigentlichſten Bedeutung zu nehmen habe; für ihn war es
kein Argument mehr, daß die römiſche Kirche jene Vor-
ſtellungsweiſe beſtätigt habe: es war das ja eben jene tho-
miſtiſch-ariſtoteliſche Kirche, mit der er ſich in einem Kampf
auf Leben und Tod befand. War doch Ariſtoteles über-
dieß, wie er beweiſen zu können glaubte, hier von S. Tho-
mas nicht einmal verſtanden worden! 3 Faſt noch wich-
[439]Abfall Luthers.
tiger aber war für Luthers practiſchen Standpunct die
Lehre, daß die Celebration des Sacramentes ein verdienſt-
liches Werk, daß ſie ein Opfer ſey. Sie knüpfte ſich an
jene myſteriöſe Vorſtellung von der Identität Chriſti ſelbſt
und der römiſchen Kirche, die für Luther völlig verſchwun-
den war: er fand davon nichts in der Schrift: hier las
er nur von der Verheißung der Erlöſung, die an das ſinn-
liche Zeichen und den Glauben geknüpft ſey: er konnte es
den Scholaſtikern nicht vergeben, daß ſie nur von dem
Zeichen, nicht aber von der Verheißung und dem Glau-
ben handelten. 1 Wie könne man behaupten, daß es ein
gutes Werk ein Opfer ſey, ſich an eine empfangene Ver-
heißung erinnern? Daß die Vollziehung dieſes Gedächt-
niſſes einem Andern, einem Abweſenden etwas nütze, ſey
eine der falſcheſten und gefährlichſten Meinungen. Indem
er dieſe Lehren beſtreitet, verbirgt er ſich nicht, was daraus
entſtehen, wie die Autorität unzähliger Schriften fallen,
das ganze Syſtem der Cerimonien und Äußerlichkeiten der
Kirche verändert werden müſſe; allein kühn ſieht er dieſer
Nothwendigkeit in die Augen; er betrachtet ſich als den
Anwald der Schrift, welche mehr bedeute, und ſorg-
fältigere Rückſicht verdiene, als alles was Menſchen und
Engel denken. Er ſagt, er verkündige nur das Wort,
um ſeine Seele zu retten, möge dann die Welt zuſehn,
[440]Zweites Buch. Drittes Capitel.
ob ſie es befolgen wolle. Überhaupt konnte er an der
Lehre von den ſieben Sacramenten nun nicht mehr feſt-
halten. Thomas von Aquino führt mit Vorliebe aus,
wie die Ordnung derſelben dem natürlichen und ſocialen
Leben des Menſchen entſpreche: die Taufe der Geburt, die
Firmelung dem Wachsthum, die Euchariſtie der Nahrung,
die Buße der Arznei bei etwa eintretender Krankheit, die
letzte Ölung der völligen Heilung, ferner die Weihe den
öffentlichen Geſchäften, die Ehe heilige die natürliche Fort-
pflanzung: 1 allein das waren keine Vorſtellungen die auf
Luther Eindruck gemacht hätten: er fragte nur, was deut-
lich in der Schrift zu leſen ſey, welche unmittelbare Be-
ziehung ein Ritus auf Glauben und Erlöſung habe: er
verwarf, und zwar faſt mit denſelben Argumenten die ſich
ſchon in der Confeſſion der mähriſchen Brüder finden, die
vier übrigen Sacramente und blieb nur bei Taufe, Abend-
mahl und Buße ſtehen. Nicht einmal von dem römiſchen
Stuhl könne man die andern herleiten: ſie ſeyen nur ein
Product der hohen Schulen, denen freilich der römiſche
Stuhl alles verdanke was er beſitze. 2 Ein großer Un-
terſchied ſey auch deshalb zwiſchen dem alten Papſtthum
vor tauſend Jahren und dem neuen.


Wie erhoben ſich da die feindlichen Weltanſichten ſo
gewaltig gegen einander! Indem der päpſtliche Stuhl alle
Gerechtſame die er ſich bei dem Aufbau ſeines geiſtlich-
weltlichen Staates während der mittleren Jahrhunderte er-
[441]Abfall Luthers.
worben, und die damit zuſammenhängenden Grundſätze der
Lehre in jener Bulle aufs neue proclamirte, ſtellte ſich ihm
von einem kleinen deutſchen Orte her, von einem oder zwei
Univerſitätslehrern aufgefaßt, die Idee einer neuen auf das
geiſtliche Amt zurückgeführten Kirchenverfaſſung und einer
von allen Doctrinen der Scholaſtik abſehenden, auf die
urſprünglichen Prinzipien der älteſten Verkündiger zurück-
gehenden Lehre entgegen. Der Papſt hoffte dieſelbe in
ihrem Beginn zu erſticken. Aber wie ſo lange Epochen
ſollten er und ſie mit ihrem Widerſtreit erfüllen!


Wir ſahen, Wittenberg berührte die Bulle des Pap-
ſtes nicht. Luther konnte es wagen, den Papſt ſelbſt für
einen Unterdrücker des göttlichen Wortes, an deſſen Stelle
er ſeine eignen Meinungen ſetze, ja für einen verſtockten
Ketzer zu erklären. Auch Carlſtadt erhob ſich gegen den
grimmigen florentiniſchen Löwen, der den Deutſchen nie
etwas Gutes gegönnt, der jetzt die wahrſten Lehrſätze ver-
damme, wider göttliches und natürliches Geſetz, ohne die
Vertheidiger derſelben nur vorgeladen zu haben. Die ganze
Univerſität ſchloß ſich eng und enger um ihren Helden an,
der ihr eigentlich ein Daſeyn und eine Bedeutung gege-
ben. Da die Nachricht eintraf, daß man hie und da die
Bulle auszuführen, Luthers Bücher zu verbrennen beginne,
fühlte ſich dieſer ſtark genug dieſe Unbill an den päpſtli-
chen Schriften zu rächen. Durch einen förmlichen Anſchlag
am ſchwarzen Bret dazu eingeladen verſammelte ſich am
10ten Dez. 1520 die damals überaus zahlreiche akademi-
ſche Jugend 1 vor dem Elſterthore von Wittenberg; es
[442]Zweites Buch. Drittes Capitel.
ward ein Holzſtoß zuſammengetragen: ein Magiſter der
Univerſität ſteckte ihn an; in dem vollen Gefühl der Recht-
gläubigkeit ſeines Abfalls trat hierauf der gewaltige Augu-
ſtiner in ſeiner Kutte ans Feuer: er hatte die Bulle und
die Decretalen der Päpſte in Händen: „weil du den Hei-
ligen des Herrn betrübt haſt,“ rief er aus, „ſo verzehre
dich das ewige Feuer,“ und warf ſie in die Flamme. Nie
iſt eine Empörung entſchloſſener angekündigt worden. „Hoch
vonnöthen wäre es,“ ſagte Luther des andern Tages, „daß
der Papſt d. i. der römiſche Stuhl ſammt allen ſeinen Leh-
ren und Greueln verbrannt würde.“


Nothwendig wendete ſich nun die Aufmerkſamkeit
der geſammten Nation auf dieſen Widerſtand. Was Lu-
thern zuerſt die allgemeinere Theilnahme der denkenden
und ernſtgeſinnten Zeitgenoſſen verſchafft hatte, waren
ſeine theologiſchen Schriften geweſen. Durch die Vereini-
gung von Tiefſinn und geſundem Menſchenverſtand der
in ihnen hervorleuchtete, den hohen Ernſt den ſie athme-
ten, ihren tröſtlichen und erhebenden Inhalt hatten ſie eine
allgemeine hinreißende Wirkung hervorgebracht. „Das
weiß ich,“ ſagte Lazarus Spengler in jener Troſtſchrift
die man ihm zum Verbrechen machte, „daß mir mein Le-
benlang keine Lehre oder Predigt ſo ſtark in meine Ver-
nunft gegangen iſt. — Viel treffliche und hochgelehrte Per-
ſonen geiſtlichen und weltlichen Standes ſind Gott dank-
1
[443]Momente des Abfalls.
bar, daß ſie die Stunde erlebt, Dr Luther und ſeine Lehre
zu hören.“ 1 Wie ſo unumwunden und lebhaft bekennt
ſich der berühmte Juriſt Ulrich Zaſius zu den Lehren Lu-
thers über Ablaß, Beichte und Buße, zu ſeinen Schriften
über die zehn Gebote, über den Brief der Galater. 2 Aus
den Briefſammlungen jener Zeit kann man ſehen, mit wel-
cher Theilnahme eben die religiöſen Schriften, z. B. die
Auslegung des Vater Unſers, oder auch die neue Ausgabe
der deutſchen Theologie, ergriffen wurden: wie ſich Kreiſe
von Freunden bildeten, die ſie einander mittheilten, ſie wie-
der drucken, und dann durch Herumträger ausbreiten ließen:
um die Käufer nicht zu zerſtreuen gab man denſelben nur
dieſe und keine andere Schriften mit; man empfahl ſie
von den Kanzeln. 3


Dazu kam nun aber jetzt die Kühnheit dieſes ſich ſo
großartig in ſo unmittelbarer Beziehung zu der tieferen Re-
ligion entwickelnden Angriffes. Wohl billigten nicht Alle
die Wendung die er genommen, unter Andern eben Zaſius
nicht; die Mehrzahl wurde aber grade hiedurch zu Theil-
nahme und Bewunderung fortgeriſſen; alle Kräfte der
Oppoſition mußten ſich um eine Lehre ſammeln, die ihr
eben das gab, was ihr hauptſächlich gebrach, die religiöſe
Rechtfertigung. Schon Aleander bemerkte, daß ein gro-
ßer Theil der Juriſten ſich wider die geiſtlichen Rechte er-
kläre: wie ſehr irrte er aber, wenn er wirklich meinte wie
[444]Zweites Buch. Drittes Capitel.
er ſagt, ſie wünſchten nur der canoniſtiſchen Studien über-
hoben zu werden: da kannte er die deutſchen Gelehrten
ſchlecht: ein ganz andres Motiv war die läſtige Compe-
tenz zwiſchen geiſtlichen und weltlichen Gerichten, über welche
auf ſo viel Landtagen, ſo viel Reichsverſammlungen Klage
geführt worden war. Gleich gegen das letzte Verfahren
des römiſchen Hofes erhob ſich eine ſcharfe Critik aus dem
Geſichtspunct des deutſchen Staatsrechts: ein kaiſerlicher
Rath, Hieronymus von Endorf ſah es als einen Eingriff
der geiſtlichen in die weltliche Gewalt an, daß der Papſt
die Anordnungen ſeiner Bulle einſchärfte „bei dem Makel
des Verbrechens der beleidigten Majeſtät, bei Verluſt der
Erbrechte und Lehen:“ er rief den Kaiſer auf, das nicht
zu dulden. 1 Aleander fand aber nicht allein die Rechts-
gelehrten, ſondern auch den Clerus wanken: namentlich die
niedere Geiſtlichkeit, welche den Druck der hierarchiſchen
Gewalten auch ihrerſeits nicht wenig empfand: er ur-
theilte, in allen deutſchen Ländern gebe ſie den Lehren
Luthers Beifall. 2 Es entgieng ihm nicht, daß auch die
Orden von denſelben ergriffen waren. Bei den Augu-
ſtinern war es die Nachwirkung der letzten Vicarien, die
Vorliebe für ihren Ordensbruder die das bewirkte; bei
andern Oppoſition gegen die Herrſchaft der Dominicaner;
wie hätte es anders ſeyn können, als daß ſich in gar
manchem unfreiwilligen Kloſterbruder unter dieſen Umſtän-
den die Hofnung und der Wunſch regte, ſich ſeiner Feſ-
ſeln zu entledigen. Ganz von ſelbſt gehörten die Schulen
[445]Momente des Abfalls.
der Humaniſten zu dieſer Partei: noch waren keine Spal-
tungen in ihnen ausgebrochen: das literariſche Publicum
ſah in Luthers Sache ſeine eigene. Und ſchon hatte man
begonnen, auch die Ungelehrten zur Theilnahme an der Be-
wegung heran zu ziehen. Hutten wußte ſehr wohl, was
es zu bedeuten hatte, daß er deutſch ſchrieb. „Latein habe
ich früher geſchrieben,“ ſagt er, „was nicht ein Jeder ver-
ſtanden, jetzt rufe ich das Vaterland an.“ Das ganze
Sündenregiſter der römiſchen Curie, das er ſchon öfter zur
Sprache gebracht, führte er jetzt in dem neuen Lichte der
Geſichtspuncte Luthers der Nation in deutſchen Reimen
vor. 1 Er gab ſich der Hofnung hin, daß die Erlöſung
nahe ſey: er verhehlte nicht, daß es im ſchlimmſten Fall
die Schwerder und Hallbarden ſo vieler tapfern Helden
ſeyen, worauf er trotze: mit denen werde man Gottes Rache
vollziehen. Schon tauchen hie und da die merkwürdigſten
Entwürfe auf. Die einen faſſen vor allem das Verhält-
niß der deutſchen Kirche zu Rom ins Auge. Niemand ſoll
künftig eine Würde beſitzen, der nicht dem Volke in deut-
ſcher Sprache predigen könne; die Prärogativen der päpſt-
lichen Monate, Acceſſe, Regreſſe, Reſervationen, und es
verſteht ſich von ſelbſt die Annaten ſollen aufgehoben ſeyn;
kein römiſcher Bann ſoll in Deutſchland etwas gelten; ein
Concilium in Deutſchland ſoll immer erſt beſtimmen, ob ei-
nem Breve zu gehorchen ſey oder nicht; die einheimiſchen
Biſchöfe ſollen allenthalben der päpſtlichen Gewalt entge-
gentreten. 2 Andere verknüpfen hiemit durchgreifende Vor-
[446]Zweites Buch. Drittes Capitel.
ſchläge zu einer ſehr ins Einzelne gehenden Reformation.
Die Feiertage ſollen beſchränkt, die Pfarrer regelmäßig be-
ſoldet, ordentliche Prediger eingeſetzt, die Faſten nur wenige
Tage im Jahr beobachtet, die abſonderlichen Trachten in
den Klöſtern aufgehoben werden; — eine jährliche Zuſam-
menkunft der Biſchöfe ſoll die allgemeinen Angelegenheiten
der deutſchen Kirche beſorgen. Ja die Idee erhebt ſich, durch
Gottes beſondre Veranſtaltung werde ſich jetzt ein chriſtliches
Weſen von der deutſchen Nation nach aller Welt hin aus-
breiten, wie einſt aus Judäa. Dazu ſey in ihr ein Same
alles Guten, ohne bemerkt zu werden, aufgegangen: „ſub-
tile Sinne, ſcharfe Gedanken, meiſterliche Arbeit in allen
Handwerken, Erkenntniß aller Schrift und Sprache, die
nützliche Kunſt der Buchdruckerei, Begierde evangeliſcher
Lehre, Gefallen an Wahrheit und Ehrbarkeit.“ Dazu ſey
auch Deutſchland dem römiſchen Kaiſer gehorſam geblie-
ben. 1 Alle Hofnungen wandten ſich auf Carl V: der
eben den Rhein heraufzog. Auch die, welche ſich der Be-
wegung widerſetzen, wünſchen ihm doch die Weisheit Sa-
2
[447]Momente des Abfalls.
lomonis und Danielis, „die in gleicher Jugend von Gott
erleuchtet worden;“ denn auch ſie finden den Zuſtand der
Dinge ſo arg, daß der jüngſte Tag kommen müſſe, wenn ſie
nicht eine ernſtliche Reformation ändre. 1 Mit den kühnſten
Vorſchlägen aber kamen ihm die Anhänger der Neuerung ent-
gegen. Er ſoll den Graumönch ſeinen Beichtvater entlaſ-
ſen, der ſich rühme, daß er ihn und das Reich beherrſche;
mit dem Rathe der weltlichen Churfürſten und Fürſten ſoll
er regieren: nicht jene Schreiber und Finanzer, ſondern
den Adel, der jetzt ſeine Kinder ſtudiren laſſe, zu den Ge-
ſchäften brauchen; Hutten und Erasmus in ſeinen Rath
ziehn; und den Mißbräuchen des römiſchen Hofes, ſo wie
der Bettelmönche in Deutſchland ein Ende machen. Dann
werde er die Stimme der Nation für ſich haben, Papſt
und Cardinäle nicht mehr brauchen, ihnen vielmehr die
Confirmation geben; „dann werden die ſtarken Deutſchen
auf ſeyn mit Leib und Gut, und mit dir ziehen gen Rom,
und ganz Italien dir unterthänig machen; dann wirſt du
ein gewaltiger König ſeyn. Wirſt du erſt Gottes Handel
ausrichten, ſo wird Gott deinen Handel ausrichten.“ 2


„Tag und Nacht,“ ruft ihm Hutten zu, „will ich dir
dienen ohne Lohn; manchen ſtolzen Helden will ich dir
aufwecken, du ſollſt der Hauptmann ſeyn, Anfänger und
Vollender, es fehlt allein an deinem Gebot.“


[[448]]

Viertes Capitel.
Reichstag zu Worms im Jahr 1521.


Das war nun wirklich für die Entwickelung der Na-
tion die Hauptfrage, wie Carl V Aufforderungen dieſer Art
anſehn, in welches Verhältniß er überhaupt zu den großen
nationalen Bewegungen treten würde.


Wir ſahen: noch ſchwankte Alles. Es war keine
Form für die Regierung gefunden: kein Finanzſyſtem, keine
Kriegseinrichtung zu Stande gebracht worden: es gab kein
höchſtes Gericht: der Landfriede ward nicht beobachtet.
Alle Stände im Reiche waren wider einander, Fürſten und
Adel, Ritter und Städte, Weltliche und Laien, die höhern
Claſſen überhaupt und die Bauern. Und dazu nun dieſe
alle Regionen des Geiſtes umfaſſende religiöſe Bewegung,
in der Tiefe des nationalen Bewußtſeyns entſprungen, jetzt
zu offener Empörung wider das Oberhaupt der Hierarchie
gediehen! Es lebte eine gewaltſame, geiſtreiche, erfinderi-
ſche, ernſte, tiefſinnige Generation. Sie hatte ein Gefühl
davon, daß in ihr eine große Weltveränderung beginne.


Worin liegt das natürliche Bedürfniß der Menſchen,
ei-
[449]Reichstag zu Worms 1521.
einen Fürſten zu haben, als darin, daß die Mannichfal-
tigkeit ihrer Beſtrebungen ſich in einem individuellen Be-
wußtſeyn vereinige und ausgleiche, Ein Wille zugleich der
allgemeine ſey, das vielſtimmige Begehren in Einer Bruſt zu
dem Entſchluß reife, der den Widerſpruch ausſchließt. Darin
beſteht auch das Geheimniß der Macht: ſie wird erſt dann
zum Gebrauch ihrer geſammten Hülfsquellen gelangen, wenn
alle Kräfte dem Gebote freiwillig Folge leiſten.


Darauf kam es nun an, ob Carl den Sinn und das
Bedürfniß ſeiner Nation verſtehen, ihren vollen Gehorſam
zu erwecken vermögen würde.


Im October 1520 zog er von den Niederlanden zu
ſeiner Krönung nach Aachen. Ein junger Menſch von
20 Jahren, noch in ſeiner Entwickelung begriffen, der es
jetzt ſo weit gebracht, daß er gut zu Pferde ſaß und ſeine
Lanze ſo gut brach wie ein Anderer, aber noch von ſchwan-
kender Geſundheit, melancholiſch und blaß: ernſthaft, wie-
wohl mit dem Ausdruck des Wohlwollens: noch gab er
wenig Proben von Geiſt: die Geſchäfte überließ er An-
dern. Die Summe derſelben lag in den Händen des Ober-
kammerherrn, Wilhelm von Croi, Herrn von Chievres: der
beſaß, wie man ſich ausdrückte, eine unbedingte Autorität
über Finanzen, Hof und Staat. Der Miniſter war ſo
gemäßigt wie ſein Herr, der ſich nach ihm gebildet haben
mag: ſeine Art zu hören und zu antworten befriedigte Je-
dermann: er ließ nichts als Gedanken des Friedens und
des Rechtes von ſich vernehmen. 1


Ranke d. Geſch. I. 29
[450]Zweites Buch. Viertes Capitel.

Am 23 Oct. empfieng Carl die Krone: 1 er nahm
den Titel eines erwählten römiſchen Kaiſers an, den ſein
Vorfahr die letzten Jahre geführt; ſchon im Dezember fin-
den wir ihn in Worms, wohin er ſeinen erſten Reichstag
berufen, und nun die deutſchen Fürſten und Stände zu-
ſammenſtrömten. Seine Seele war erfüllt von der Bedeu-
tung der kaiſerlichen Würde. Er eröffnete den Reichstag
am 28 Januar 1521, dem Tage Carls des Großen. Die
Propoſition in der er das that, war von der Idee be-
herrſcht, daß keine Monarchie dem römiſchen Reiche zu
vergleichen ſey, dem einſt beinahe die ganze Welt gehorcht,
welches „Gott ſelbſt geehrt gewürdigt und hinter ſich
verlaſſen habe.“ Leider ſey es jetzt gegen früher kaum der
Schatten mehr: er hoffe es aber mit Hülfe der König-
reiche, großmächtigen Lande und Verbindungen, die ihm
Gott verliehen, wieder zu der alten Glorie zu erheben. 2
1
[451]Reichstag zu Worms 1521.
Das lautete faſt eben ſo wie die Deutſchen es wünſchten:
man mußte nun erwarten, wie er es verſtehen, ins Werk
zu ſetzen verſuchen würde.


Weltliche und innere Verhältniſſe.


An dem Reichstag ſuchte er zunächſt das im Gan-
zen ſehr vortheilhafte Verhältniß zu befeſtigen, in das er
durch die Ereigniſſe, welche die Wahl begleitet, zu den
verſchiedenen deutſchen Fürſten getreten war. Dem Chur-
fürſten von Mainz wurden ſeine erzcanzleriſchen Befug-
niſſe dahin ausgedehnt, daß, ſo oft er ſelbſt am Hofe zu-
gegen ſey, alle Ausfertigungen in Reichsſachen ihm zuſte-
hen, in ſeiner Abweſenheit aber durch einen von ihm er-
nannten Secretär zugleich mit dem Großcanzler beſorgt
werden ſollten. 1 Dem Churfürſten von Sachſen ward die
Vermählung ſeines Neffen mit der Infantin Catharina be-
ſtätigt. Da man es in Sachſen ſchon um der Koſten
willen vermied, die Vermählung durch Procuration voll-
ziehen zu laſſen, ſo machte ſich der Kaiſer anheiſchig, da-
für zu ſorgen, daß die Infantin, ſechs Monat nachdem
er nach Spanien zurückgekommen, in Deutſchland anlange.
Markgraf Caſimir von Brandenburg bekam die Anwart-
ſchaft auf das nächſte bedeutendere Reichslehen das ſich
in Italien eröffnen würde. Pfalzgraf Friedrich, welchem
man die Würde eines Vicekönigs in Neapel zugeſagt hatte,
ward dafür durch die Stelle eines kaiſerlichen Statthal-
ters bei dem Reichsregiment entſchädigt. In der hildes-
29*
[452]Zweites Buch. Viertes Capitel.
heimiſchen Sache wurden die alten ergebnen Freunde von
Calenberg und Wolfenbüttel ohne Rückhalt begünſtigt; miß-
muthig entfernten ſich die Lüneburger von dem Reichstag:
ſie ſahen wohl, ſie würden jetzt jene ihre Hinneigung zu
Frankreich zu büßen haben; nach einiger Zeit erfolgte ein
höchſt ungnädiges Decret. 1 Nicht minder wurden die
Handlungen des ſchwäbiſchen Bundes genehm gehalten.
Dem verjagten Herzog von Wirtenberg, der es verabſäumt
hatte ſich in den Niederlanden einzufinden, was er an-
fangs verſprochen, dagegen aber ſich bereit erklärte, auf
dem Reichstage zu erſcheinen, ward die Antwort gegeben,
Kaiſerlicher Majeſtät ſey es nunmehr auch nicht gelegen,
den Herzog zu hören, und keine Fürſprache vermochte die-
ſen Beſcheid zu ändern. Es ward ein Proceß gegen ihn
eröffnet, der eine eben ſo ungünſtige Wendung nahm wie
der lüneburgiſche. In beiden kam es nach einiger Zeit
zur Achtserklärung. 2 Die wirtenbergiſche Sache hatte um
ſo größere Bedeutung, da das Land zu der Maſſe geſchla-
gen ward, auf die das neue Öſtreich ſich gründete. Der
Bruder des Kaiſers Erzherzog Ferdinand, in Spanien er-
zogen, von hier aber, wo er hätte gefährlich werden kön-
nen, glücklich entfernt, 3 empfieng die fünf öſtreichiſchen
Herzogthümer, die ſchon Maximilian einſt zu ſeinen Gun-
ſten zum Königreich hatte erheben wollen, als die ihm ge-
bührende Erbportion aus den deutſchen Landen. Einer
der denkwürdigſten Tage für die deutſche Geſchichte iſt der,
[453]Reichstag von 1521. Innere Verhaͤltniſſe.
an welchem die Urkunde über dieſe Abkunft ausgefertigt
wurde, der 28 April 1521. 1 Dadurch wurde die deut-
ſche Linie des Hauſes Burgund-Öſtreich gegründet, der
eine ſo große Stellung in Deutſchland und dem ganzen
öſtlichen Europa aufbehalten war. Die alten Pläne Kai-
ſer Maximilians wurden aufgenommen, und die wechſel-
ſeitigen Verbindungen mit dem königlichen Hauſe von Böh-
men und Ungern zu Stande gebracht, die ſo bald darauf
die umfaſſendſten Folgen nach ſich ziehen ſollten. Wirten-
berg und die vordern Erblande dachte der Kaiſer anfangs
ſelbſt zu behalten, und durch eine gemeinſchaftliche Re-
gierung verwalten zu laſſen, doch kam er damit nicht zu
Stande: nach einiger Zeit überließ er mit großartiger Ge-
ſinnung erſt die Verwaltung dann auch den Beſitz dieſer
Lande ſeinem Bruder als ſeinem andern Ich. 2 Ferdinand
ſchien Vielen talentvoller als Carl, auf jeden Fall zeigte
er ſich aufgeweckter, kühner, kriegsluſtiger: nach allen Sei-
ten richtete er ein wachſames Augenmerk.


Man könnte nicht ſagen daß Carl bei dieſen Ge-
ſchäften eben allemal die nationalen Geſichtspuncte feſt-
gehalten habe. Er ließ ſich bewegen, die Afterlehnsherr-
ſchaft über Holſtein dem Biſchof von Lübek, dem ſie zu-
ſtand, zu entreißen, und ſie an den König von Dänemark
und deſſen Erben zu übertragen: „bei ſeiner und des Rei-
ches ſchwerer Ungnade“ gebot er dem Herzog, ſich nicht dage-
gen zu ſperren. Gewiß kein andrer Beweggrund vermochte
ihn dazu, als daß der König ſein Schwager war: darüber ver-
[454]Zweites Buch. Viertes Capitel.
gaß er, daß derſelbe doch ohne Zweifel als ein ausländi-
ſcher Fürſt angeſehen werden mußte. 1 Auch das Verfah-
ren gegen Preußen war wohl nicht von ähnlichen Rück-
ſichten frei. Der Kaiſer vermittelte einen Stillſtand zwi-
ſchen dem Hochmeiſter und dem König von Polen, auf
vier Jahre, binnen deren er mit ſeinem Bruder und dem
König von Ungern den Streit zu ſchlichten verſuchen werde.
Der Hochmeiſter wollte von keiner weitern Pflicht wiſſen,
als die er gegen Kaiſer und Reich habe, und wies jede
andre Anmuthung von ſich; der Kaiſer ließ ſich zu der
Unterſuchung herbei, ob ſein Vaſall einem fremden König
nicht wirklich die Lehnspflicht leiſten ſolle. Zu einem der
Schiedsrichter beſtimmte er den König von Ungern, durch
den Öſtreich in die jagelloniſche Verwandtſchaft getreten
war. Wir wiſſen daß eben dieſe Verwandtſchaft es war,
was den verſtorbenen Kaiſer bewogen hatte, ſeine Politik
in Hinſicht Preußens zu ändern.


Es leuchtet ein, wie ernſtlich Carl V bedacht war,
die Stellung zu behaupten, welche Maximilian vorbereitet,
und ſeine Commiſſarien ſchon vor ſeiner Ankunft einge-
nommen hatten. Die alten Anhänger, die Verwandten
wurden begünſtigt, ſo viel als möglich befördert; die ſpä-
ter gewonnenen Freunde feſtgehalten; die Entſcheidung
ſchwieriger Streitfragen, z. B. zwiſchen Cleve und Sach-
ſen, Brandenburg und Pommern, Heſſen und Naſſau lie-
ber noch aufgeſchoben, und von fernerer Huld abhängig
gemacht; die alte Oppoſition war für den Augenblick zer-
ſprengt und hielt ſich ruhig.


[455]Reichstag von 1521. Regiment.

Unter dieſen Auſpicien nahm man nun auch die Be-
rathungen über die allgemeinen Einrichtungen im Reiche
wieder auf.


Wir wollen nicht erörtern was geſchehen ſeyn, welchen
Gang die Räthe Carls V eingeſchlagen haben würden,
wenn ſie völlig freie Hand gehabt hätten. Genug daß
dieß nicht der Fall war.


In dem dritten Artikel der Wahlcapitulation hatte der
Kaiſer verſprochen, ein Regiment zu errichten, „wie es vor-
mals bedacht worden und auf der Bahn geweſen: aus
frommen, annehmlichen, tapfern, verſtändigen, redlichen Per-
ſonen deutſcher Nation neben etlichen Churfürſten und Für-
ſten.“ Die Abſicht dieſer Beſtimmung war unzweifelhaft.
Die ſtändiſche Regierungsform, die ſchon 1487 in Über-
legung genommen, 1495 entworfen und vorgeſchlagen, 1500
ins Werk geſetzt, aber durch Maximilian wieder beſeitigt
worden, wollte man jetzt auf immer einrichten: die Ge-
danken des Erzbiſchof Berthold lebten noch einmal auf.


In Worms erneuerten die Churfürſten ihre alte Ver-
ein und gaben ſich das Wort, auf die Erfüllung der in
der Capitulation enthaltenen Zuſagen zu dringen. Noch im
März ward dem Kaiſer ein Entwurf zu dem Regiment
vorgelegt. Dieſer Entwurf war nichts anders als eine
Wiederholung der Regimentsordnung des Jahres 1500.
Eben ſo ſollte es zuſammengeſetzt werden: unter einem
Statthalter des Kaiſers aus den Abgeordneten der Chur-
fürſten und der ſechs Kreiſe, denn die Einrichtung der zehn
Kreiſe war noch nicht zu wirklicher Ausführung gedie-
hen, und den wechſelnden Repräſentanten der verſchiednen
[456]Zweites Buch. Viertes Capitel.
Stände. Es ſollte auch dann beſtehen, wenn der Kaiſer
im Reiche anweſend ſey. Es ſollte Gewalt haben, Unter-
handlungen zu pflegen, in dringenden Fällen Bündniſſe ein-
zugehn, auch die Lehensſachen zu erledigen. Genug der
größte Theil der kaiſerlichen Befugniſſe ſollte jetzt wie da-
mals dieſer ſtändiſchen Behörde übertragen werden.


Der Kaiſer konnte nun hiemit der Natur der Sache
nach nicht einverſtanden ſeyn. Dieſelbe Schule deutſcher
Räthe umgab ihn, welche um ſeinen Vorfahren geweſen;
den Ideen Churf. Bertholds traten noch einmal die Ge-
ſichtspuncte Maximilians entgegen. Der Kaiſer erklärte,
ſein Vorfahr am Reich habe gefunden, daß das Regiment
ihm zur Verkleinerung und dem Reiche zum Nachtheil ge-
reiche, und habe es deshalb nicht vollzogen: eine Wieder-
holung dieſer Einrichtung könne man ihm nicht zumuthen:
es würde ſein Anſehen bei fremden Nationen ſchmälern. Er
ließ den Ständen einen Gegenentwurf übergeben, von durch-
aus abweichendem Inhalt. Da ſollte das Regiment vor
allem aus ſechs immer bleibenden kaiſerlichen Räthen be-
ſtehen: die vierzehn ſtändiſchen Räthe die man ihnen zur
Seite ſetzen wollte, ſollten unaufhörlich alterniren. Obwohl
hiedurch das kaiſerliche Intereſſe eine bei weitem ſtärkere
Repräſentation als früher erlangt hätte, ſo ſollte auch
das ſo zuſammengeſetzte Regiment weder Bündniſſe ſchlie-
ßen, noch in wichtigern Lehensſachen entſcheiden, noch auch
überhaupt länger beſtehn, als ſo lange ſich der Kaiſer au-
ßerhalb des Reiches aufhalte. Der Eid ſollte nicht dem
Kaiſer und dem Reich, ſondern nur dem Kaiſer geleiſtet
werden. Die kaiſerlichen Erblande, welche zu den Pflich-
[457]Reichstag von 1521. Regiment.
ten und Laſten des Reiches herbeizuziehen eine der vornehm-
ſten Abſichten der Stände war, wollte ſich Carl zu voll-
kommen freier Verwaltung vorbehalten: in der Begrenzung
der Kreiſe wie er ſie vorſchlug vermißte man ſogar das
Herzogthum Wirtenberg.


Hierüber kam es nun zu einer ſehr lebhaften Entgeg-
nung. Jene Äußerung über Maximilian fanden die Stände
„mehr denn hoch beſchwerlich;“ hätte ſich nur dieſer Kai-
ſer nicht durch falſche Freunde bewegen laſſen, davon zu-
rückzutreten: es würde ihm und dem h. Reich löblich nütz-
lich und prächtig und allen Widerſachern erſchrecklich ge-
weſen ſeyn. Und unerſchütterlich hielten ſie dieß Mal
an ihrem Entwurfe feſt. Der Kaiſer konnte nichts, als
einige Milderung in den Nebendingen erlangen.


Am verdrießlichſten war ihm, daß man von einem
Reichsregiment ſprach, das auch ſogar während ſeiner An-
weſenheit fungiren ſollte. Er hielt das für eine Art von
Vormundſchaft, für einen Makel ſeiner Ehre. Hierin nun
gab man ihm nach: man bewilligte ihm den Titel den
er forderte: Kaiſerlicher Majeſtät Regiment im Reich: man
ſagte ihm zu, daß es fürs Erſte nur für die Zeit ſeiner
Abweſenheit beſtimmt werden ſollte. Man konnte dieß um
ſo leichter, da ſich dieſe Zeit nicht beſtimmen ließ und der
Kaiſer bei ſeiner Zurückkunft über die Fortdauer der Ein-
richtung nach der Lage der Dinge zu entſcheiden verſprach.


Auch in einigen andern Puncten wurde dem Kaiſer
das Eine und das Andre eingeräumt. Die Zuſammen-
ſetzung des Regimentes, auf die das Meiſte ankam, ſollte
zwar durchaus nach dem Vorbild des alten geſchehen; jedoch
[458]Zweites Buch. Viertes Capitel.
ward die Zahl der Beiſitzer von 20 auf 22 erhöht, und
dem Kaiſer verſtattet, die beiden neuen Mitglieder zu er-
nennen. In den wichtigern Lehenſachen und Bündniſſen
mit Auswärtigen ward die Genehmigung des Kaiſers wie
billig vorbehalten, aber die Einleitung der Geſchäfte, die
Unterhandlung ſelbſt ſollte dem Regiment überlaſſen blei-
ben. Wirtenberg ward in dem ſchwäbiſchen Kreis herge-
ſtellt, von Öſtreich und den Niederlanden ſollten jetzt ſo
gut wie früher Abgeordnete erſcheinen. Der Eid ward al-
lerdings zunächſt dem Kaiſer geleiſtet: in der Formel ver-
pflichtete man ſich aber zugleich die Ehre und den Nutzen
des h. Reiches wahrzunehmen. 1


Mit Einem Wort dem Kaiſer gelang es, ſeine Ehre
und Autorität — ein Punct in dem er ſich ſehr empfind-
lich zeigte — aufrecht zu erhalten: aber zugleich ſetzten doch
die Stände ihren alten Gedanken durch und brachten es
zu einem Antheil an der Reichsregierung, den ihnen Ma-
ximilian nach dem erſten Verſuch niemals wieder hatte ge-
ſtatten wollen. Die Churfürſten von Sachſen und von
Trier ließen ſich die Sache beſonders angelegen ſeyn.


In einem ähnlichen Sinne ward nun auch das Kam-
mergericht wieder eingerichtet, das völlig in Verfall gera-
then war. Man hatte anfangs ſehr weitreichende Abſich-
ten. Da man bei 3000 alte unerledigte Proceſſe zählte,
ſo dachte man daran, ſo viel Aſſeſſoren zu ernennen, daß
man ſie in zwei Senate abtheilen könne, von denen der
[459]Reichstag von 1521. Kammergericht.
eine ſich nur mit den alten Sachen zu beſchäftigen habe.
Man machte den Entwurf, den Proceßgang nach dem Mu-
ſter der Rota Romana und des franzöſiſchen Parlaments
zu verbeſſern. Allein es zeigte ſich bald wie wenig ſich
thun laſſen werde. „Ich habe noch keinen Doctor ge-
ſehn,“ ſchreibt der Frankfurter Geſandte nach Hauſe, „der
eine gute Art der Verbeſſerung angegeben hätte. Man
ſagt nur: Perſonen und Audienzen ſollen vermehrt, die Fe-
rien verringert, Cavillationen abgeſchnitten werden: das
hätte auch ein Bauer rathen können.“ „Man ſitzt täg-
lich,“ ſagt er ein ander Mal, „über der Reformation des
Kammergerichts; aber das iſt wie ein wildes Thier: Je-
dermann kennt ſeine Stärke: Niemand weiß wie man es
angreifen ſoll: der Eine räth dahin, der Andere dorthin.“
— Am Ende kamen die Stände, von denen auch hier die
Vorſchläge ausgiengen, zu der Überzeugung, daß ſich nichts
Tauglicheres erfinden laſſe, als die alte Ordnung des Jah-
res 1495, mit den Verbeſſerungen die ſie ſpäter erfahren,
und einigen neuen Zuſätzen. 1 Die Hauptveränderung war,
[460]Zweites Buch. Viertes Capitel.
daß man dem Kaiſer wie bei dem Regiment ſo auch bei
dem Gericht zwei neue Beiſitzer anzuſtellen vergönnte. Übri-
gens fand die Beſetzung auf die zuletzt in Coſtnitz beliebte
Weiſe Statt: man hielt auch hier die ſechs Kreiſe feſt.
Die drei geiſtlichen Churfürſten und die drei erſten Kreiſe,
Franken Schwaben und Baiern, ſollten gelehrte, die drei
weltlichen Churfürſten und die drei letzten Kreiſe, Ober-
rhein Weſtphalen und Sachſen, rittermäßige Beiſitzer ſen-
den. Carl V verſprach als Kaiſer zwei gelehrte, von Sei-
ten ſeiner Erblande zwei rittermäßige Aſſeſſoren. Mit den
Ständen zugleich hatte er dann die Ernennung des Kam-
merrichters und der zwei Beiſitzer aus den Grafen und
Herrn zu vollziehen. Seinem Weſen nach blieb das Ge-
richt wie man ſieht ein ſtändiſches. Dieſer Charakter
ſprach ſich um ſo unzweifelhafter aus, da es mit dem
ebenfalls ſo entſchieden ſtändiſchen Regiment an demſel-
ben Orte gehalten werden, und der Aufſicht deſſelben un-
terworfen ſeyn ſollte.


Daher kam es nun auch — und die Stände hatten
ſich von Anfang an dazu erboten, — daß ſie die Erhal-
tung dieſer Behörden über ſich nahmen. Mancherlei weit-
ausſehende Pläne wurden dazu gemacht, z. B. die Zurück-
behaltung der Annaten und des Ertrags geiſtlicher Lehen,
der nach Rom gehe, oder eine Steuer auf die Juden, oder
die Errichtung eines Reichszolls, wovon am meiſten und
1
[461]Reichstag von 1521. Matrikel.
lebhafteſten die Rede war; zuletzt aber kam man doch wie-
der auf eine Matrikel zurück, nach dem Muſter der Coſt-
nitzer. Nur mußte jetzt die Anlage um vieles bedeuten-
der werden. Die Koſten des Gerichts wurden auf 13410,
die des Regimentes, deſſen Beiſitzer um vieles reichlicher
beſoldet werden mußten, auf 28508 G. angeſchlagen. 1 Da
man aber vorausſah, daß es eine Menge Ausfälle geben
würde, ſo beſchloß man die Anlage auf 50000 G. zu ma-
chen. In dieſem Sinne ward nun der Coſtnitzer Anſchlag
verändert: der Grundſatz war, die damals geforderten Bei-
träge zu verfünffachen, und hiebei blieb man in der Re-
gel ſtehn; jedoch nicht ohne mancherlei Ausnahmen. Von
den Grafen und Herrn, die ohnehin ſehr ſchwierig waren,
wurden manche gradezu bei ihrem alten Anſchlag gelaſſen,
die andern wohl geſteigert, doch höchſtens auf das drei-
fache. Dagegen mußten einige Städte, von denen man an-
nahm, daß Gewerbe und Reichthum in ihnen in großer
Aufnahme ſey, ſich einen mehr als fünffachen Beitrag auf-
legen laſſen. Nürnberg und Ulm wurden von 100 auf
600 G., Danzig von 70 auf 400 G. erhöht. — Auf
dieſe Art wurde die einzige immerwährende Anlage auf
die Reichsſtände, die mit dem Verfall des Gerichtes in
Vergeſſenheit zu gerathen anfieng, wieder erneuert.


Nothwendigerweiſe waren jedoch indeß auch größere
Forderungen, in Bezug auf eine Kriegsverfaſſung, zunächſt
auf den Romzug des neuen Kaiſers zur Sprache gekommen.


[462]Zweites Buch. Viertes Capitel.

Es hätte ſcheinen ſollen, als würden mit dem Regi-
ment auch die Ideen eines gemeinen Pfennigs, oder einer
Rüſtung nach den Pfarren, wieder auftauchen müſſen: die
ſtändiſche Regierung und populare Bewaffnung waren ſonſt
immer verwandte Gedanken geweſen. Daran iſt jedoch dieß
Mal nicht gedacht worden: ſey es weil ſich jene Entwürfe
früher immer unausführbar gezeigt, oder auch weil das
Fürſtenthum ſeitdem einen ſo großen Zuwachs von Kräf-
ten erhalten hatte. Am 21ſten März erſchien Carl V ſelbſt
auf dem Rathhaus in der Verſammlung der Stände, und
ließ durch Dr Lamparter unter mancherlei Umſchweif Hülfe
zu ſeinem Romzug fordern, welche er ſelbſt auf 4000 z. Pf.
und 20000 z. F. auf ein Jahr lang anſchlug. Er ver-
ſprach dann, aus eignen Mitteln 16000 M. z. F., 2000
ſchwere und eine gute Anzahl leichte Reiter dazu ſtoßen
zu laſſen. 1 Churfürſt Joachim von Brandenburg antwor-
tete im Namen der Stände, „ſeiner Brüder, Herrn und gu-
ten Freunde,“ wie er ſich ausdrückte, und bat um Bedenk-
zeit. Gegen die Forderung ſelbſt, die in altem Reichsher-
kommen begründet, auch gegen die beſtimmte Anzahl der
Truppen, die nicht übermäßig war, ließ ſich nichts ein-
wenden. Einmal aber wollte man auch dieß Mal nicht
eher zuſagen als bis man der Errichtung des Gerichtes und
des Regimentes gewiß geworden. Sodann fand man ſich
durch die Pflicht, dieſe zu erhalten, ſchon ungewöhnlich
angeſtrengt. Man bewilligte endlich die geforderte Anzahl,
[463]Reichstag von 1521. Matrikel.
jedoch nur auf ein Halbjahr; auch machte man aus, daß
die Mannſchaft ſelbſt geſtellt, nicht Geld dafür erlegt würde,
man wollte nicht die mancherlei Unordnungen die unter Ma-
ximilian in dieſer Hinſicht obgewaltet, wieder hervorrufen; 1
endlich trug man Sorge, die deutſchen Truppen keiner
ausländiſchen Anführung zu überlaſſen: ſie ſollten ſämmt-
lich unter ihren eignen Hauptleuten anrücken, der Kaiſer
ſollte nur die Oberanführer zu ſetzen haben und auch dieſe
aus deutſcher Nation. Denn ein Jeder wollte ſeine eignen
Waffen im Felde ſehen. Eine Matrikel ward entworfen
— wie die kleinere, auf der Grundlage der Coſtnitzer von
1507. In Hinſicht der Reiterei iſt es faſt ganz dieſelbe:
zu den ſchon damals verzeichneten 3791 M. kamen jetzt
240 von Öſtreich und Burgund, welche zu Coſtnitz nicht
angeſchlagen worden; ſo daß ſämmtliche Churfürſten und
viele andre Stände bei ihrem Anſatz verblieben. Für das
Fußvolk, das damals zu 4722 Mann berechnet worden,
wozu jetzt Öſtreich und Burgund jedes mit 600 M. ka-
men, ward in der Regel die Forderung vervierfacht, jedoch
mit mancherlei Abweichungen, eben wie bei dem Cameral-
anſchlag. 2 So entſtand die Matrikel von 1521, welche
dann die allzeit neueſte geblieben iſt, nach deren Norm das
deutſche Reich ſich Jahrhunderte lang bewaffnet hat.


Und dieß ſind nun die wichtigſten Einrichtungen des
neuen Kaiſers auf ſeinem erſten Reichstag. Man dürfte
zwar nicht ſagen, daß damit den Bedürfniſſen der Nation
[464]Zweites Buch. Viertes Capitel.
vollkommen genügt worden wäre. Die Beſtimmungen die
man traf, gereichten hauptſächlich zum Vortheil des Für-
ſtenthums: die vorläufigen Anordnungen über die Execu-
tion der kammergerichtlichen Urtel z. B., die ihm größten-
theils anheimgeſtellt wurde, waren offenbar zu ſeinen Gun-
ſten: gleich in der Capitulation hatte der Kaiſer vor,
Bündniſſe des Adels und der Unterthanen zu verbieten;
und dieß mochte dienen, compactere locale Gewalten zu
begründen. Dagegen für den gemeinen Mann, der in ſo
großer Gährung war, geſchah eigentlich gar nichts, ſo oft
man auch früher davon geredet; der Adel war und blieb
von aller Theilnahme an den Reichsgeſchäften ausgeſchloſ-
ſen; Grafen, Herrn und Edelleute waren über die rechtli-
chen Austräge gegen Fürſten und Churfürſten, die ſie ſchleu-
niger und gleichmäßiger verlangten, in ſteter Aufregung,
und es wurden hierüber auch an dem Reichstag ziemlich
ſcharfe Schriften gewechſelt. Die Städte hatten vergebens
die Zulaſſung ihrer Abgeordneten bei dem Kammergericht
gefordert: die große Reichshülfe war berathen und beſchloſ-
ſen worden, ohne ſie zuzuziehen; bei den Anſchlägen fühl-
ten ſich Viele von ihnen aufs neue beſchwert, und über-
dieß drohte man ihnen mit einem Reichszoll, von dem ſie
eine allgemeine Störung in ihren Geſchäften fürchteten.
Sie klagten unaufhörlich und nahmen die Entwürfe zuletzt
nur deshalb an, weil ſie wie ſie ſagten nicht die einzigen
ſeyn wollten, welche widerſprächen: ſie wollten nicht, daß
es ihnen zugeſchrieben würde, wenn Friede und Recht nicht
zu Stande kämen. 1


Bei
[465]Reichstag von 1521.

Bei alle dem aber war es doch von großem Werth,
daß den Unordnungen der letzten Jahre Maximilians ein
Ziel geſetzt wurde, daß man die Ideen einer ſtändiſchen
Regierung, die unter ihm nie auszuführen geweſen, mit
ſo vielem Erfolg wieder aufnahm. Die Verfaſſung von
1521 beruht, wie die Coſtnitzer von 1507 auf einer Ver-
einigung von Matricularweſen mit ſtändiſchen Einrichtun-
gen; aber dieſe waren jetzt bei weitem umfaſſender, da
man nicht wie damals bei dem Gericht ſtehn blieb; ſon-
dern nach den Vorſchlägen von 1495 und 1500 ein im Ver-
hältniß zu dem Kaiſer ſehr ſelbſtändiges Regiment begründete.
Jener Verwaltung nach momentanen Intereſſen der Poli-
tik des Hauſes, wie ſie Maximilian ausgeübt, und wie
ſie jetzt wieder um ſich griff, trat ein nationales Inſtitut
entgegen, das wenn es ſich zu befeſtigen und auszubilden
vermochte, die größte Ausſicht für die Zukunft darbot.


Auswärtige Verhältniſſe und die Sache Luthers.


Während man nun dieſe Dinge feſtſetzte, waren auch
die geiſtlichen Intereſſen mannichfaltig zur Sprache gekom-
men: ſie boten der Politik des Kaiſers noch eine neue
Seite dar.


1


Ranke d. Geſch. I. 30
[466]Zweites Buch. Viertes Capitel.

Bei den übrigen Beſtimmungen hatte er Deutſchland,
ſein Verhältniß zu dem Innern des Reiches, das Intereſſe
ſeiner Verwandtſchaft im Auge behalten können: die luthe-
riſche Bewegung war dagegen ſo weitausſehend, daß ſie ſo-
gleich die wichtigſten auswärtigen Verhältniſſe berührte.


Carl V war ein Kind und Zögling jenes burgundi-
ſchen Hofes, der ſich hauptſächlich aus franzöſiſchen Ele-
menten unter Philipp dem Guten und Carl dem Kühnen
zuſammengeſetzt und der Weltſtellung dieſer Fürſten gemäß
ſeine eigene Politik entwickelt hatte. Auch Ferdinand dem
Katholiſchen und dem Kaiſer Maximilian gegenüber hatte
dieſer Hof ſein[e] Geſichtspuncte ſelbſtändig, mit dem erſten
nicht ſelten in offener Feindſeligkeit, feſtgehalten und ver-
folgt. Die Ausſichten die unter Carl dem Kühnen ins
Auge gefaßt, unter Philipp I eröffnet worden, ſchienen ſich
durch die Stellung und die Rechte Carls V vollenden zu
müſſen. Der Hof von Brüſſel, der nicht einmal eigentlich
ſouverän war und über keine bedeutenden Kräfte gebot, ſah
ſich kraft der Erbrechte ſeines Fürſten berufen, die größte
Rolle in Europa zu ſpielen. Es kam ihm wie ſich ver-
ſteht zunächſt alles darauf an ſich in Beſitz zu ſetzen.


In dieſer Abſicht war die niederländiſche Politik durch
die Erzherzogin Margaretha und Herrn von Chievres auf
das umſichtigſte und glücklichſte geleitet worden. Man hatte
die Niederlande durch Friesland erweitert, durch die Be-
ſetzung des Bisthums Utrecht mit einem Verwandten des
Hauſes und die engſten Verhältniſſe zu Lüttich und Cleve
geſichert. Man hatte die Kronen von Caſtilien und Ara-
gon mit allen dazu gehörigen Nebenländern in Beſitz ge-
[467]Reichstag v. 1521. Auswaͤrtige Verhaͤltniſſe.
nommen. Es hatte zwar überall, auch in Neapel und in
Sicilien rebelliſche Bewegungen gegeben, aber ſie waren
überall beſeitigt worden; das durch die Herrſchaft eines
Hofes von Fremdlingen beleidigte Selbſtgefühl der Caſti-
lianer flammte ſo eben in dem Aufruhr der Commune
empor, allein man beſaß dort in der Geiſtlichkeit und in
den Granden [...]matürliche Verbündete, und brauchte ihn nicht
zu fürchten. Jetzt war nun auch die Erbſchaft Maximi-
lians angetreten worden. Die öſtreichiſchen Erbländer mit
allen Rechten und Ausſichten nach dem öſtlichen Europa
hin, welche der alte Kaiſer erworben, überließ man dem
jüngern Sprößling des Hauſes, der docl, ſchon durch das
Bedürfniß der Hülfe worin er war, in ſteter Abhängigkeit
erhalten wurde: das Kaiſerthum nahm man ſelbſt in die
Hand: man gründete den Einfluß des Hauſes in Deutſch-
land wir ſahen eben mit welcher Sorgfalt.


Alles dieß geſchah unter unaufhörlichen Reibungen
und Competenzen mit Frankreich, deren Urſprung in den
Streitigkeiten der alten Herzoge und der alten Könige lag:
allein man leitete zu Brüſſel die Geſchäfte ſo geſchickt, daß
man den Frieden auch unter den ſchwierigſten Umſtänden
immer erhielt. Die Nachfolger Ludwigs XI mußten, wie
ungern auch immer, geſchehen laſſen, daß die Nachkommen
Carls des Kühnen eine Macht conſolidirten, die alles ohne
Vergleich übertraf, was damals hatte erwartet werden können.


Für den burgundiſchen Hof war nun nichts mehr
übrig, als ſich auch in Beſitz der kaiſerlichen Rechte in
Italien zu ſetzen, was um ſo ausführbarer ſchien, da er
auch Neapel und Sicilien beherrſchte, da er einem Rom-
30*
[468]Zweites Buch. Viertes Capitel.
zug über die Alpen mit den Kräften der ſpaniſchen König-
reiche zu Hülfe kommen konnte, wodurch es eben eine Be-
deutung empfieng wie noch niemals. Schon die Propoſition
am Reichstag zeigte daß der junge Kaiſer dazu entſchloſ-
ſen war: während der Verhandlungen war wiederholt von
der Recuperation der abgekommenen Reichslande die Rede:
dazu wurden die Bewilligungen des Reichstags gemacht:
von Worms aus ward mit den Schweizern unterhandelt.


Da konnte nun von der Erhaltung des Friedens mit
Frankreich nicht weiter die Rede ſeyn: das Land, auf das
es vor allem ankam, das Herzogthum Mailand hatte
Franz I in Beſitz, ohne die Lehen jemals empfangen oder
auch nur nachgeſucht zu haben: eben dieſem mußten die
Unternehmungen des Kaiſers zunächſt gelten. Im Hin-
tergrunde der ſich allmählig entwickelnden Gedanken la-
gen noch andre Pläne, z. B. auf das von Ludwig XI
eingezogene Herzogthum Burgund, deſſen Verluſt man in
den Niederlanden noch immer nicht verſchmerzen konnte.


Was ſich lange im Stillen vorbereitet, die Bildung
zwei großer europäiſcher Mächte im Gegenſatz mit einan-
der, das trat in dieſem Moment in volle Erſcheinung.
Das gewaltige Frankreich, durch ſeine innere Einheit und
ſeine mannichfaltigen Verbindungen wie im Anfang des
vierzehnten, ſo nach der Vertreibung der Engländer auch
ſpäter im funfzehnten und anfangenden ſechszehnten Jahr-
hundert ohne Zweifel die größte Macht von Europa, ſah
ſich von dem allmählig emporgekommenen Vaſallen, den
es ſchon erdrückt zu haben glaubte, aber der durch einige
leichte und glückliche Familienverbindungen zu der reichſten
[469]Reichstag v. 1521. Auswaͤrtige Verhaͤltniſſe.
Vereinigung von Kronen und Beſitzthümern die jemals
vorgekommen gelangt war, an allen ſeinen Grenzen umfaßt
und überflügelt. Von dieſem Standpunct aus überſieht
man erſt den innern Grund den es hatte, daß König Franz
ſo lebhaft nach der Kaiſerkrone trachtete: er wollte nicht,
daß ſein alter Vaſall eine höhere Würde erwerben ſollte als
er ſelber beſaß. Daß es dennoch geſchehen, daß der Neben-
buhler nun rechtliche Anſprüche auf eben die Landſchaft er-
heben konnte, in deren Beſitz ſich der König beſonders ge-
fiel, da er ſie mit dem Schwert erobert hatte, erweckte
in ihm Mißbehagen, Bitterkeit und Unruhe. In allen
Negotiationen ließ ſich die wachſende Zwietracht bemer-
ken. 1 Zwiſchen dieſen beiden Mächten mußte es zum
Kampfe kommen.


Es iſt das nun das Verhältniß, an welchem ſich ein
univerſales politiſches Leben in Europa entwickeln ſollte:
die verſchiednen Staaten mußten ſich nach ihrem beſondern
Intereſſe auf die eine oder die andre Seite neigen. Zu-
nächſt aber war es für die Stellung des Reiches und die
Anwendung ſeiner Streitkräfte entſcheidend.


Denn ſo hoch auch Carl V die Würde des Kaiſer-
thums ſchätzte, ſo liegt es doch in der menſchlichen Na-
tur, daß der Mittelpunct ſeiner Politik nicht in den deut-
ſchen Intereſſen ruhen konnte. Nur aus dem Complex
ſeiner Reiche konnte die Einheit ſeines Denkens hervor-
gehn. Er fühlte ſich immer als der burgundiſche Prinz,
[470]Zweites Buch. Viertes Capitel.
der mit ſo viel andern zahlreichen Kronen auch die höchſte
Würde der Chriſtenheit verband. In ſo fern mußte er
dabei ſtehn bleiben, die Rechte des Kaiſerthums als einen
Theil ſeiner Macht zu betrachten, wie ſchon ſein Groß-
vater gethan: noch viel weniger als dieſer konnte er ſich
den innern Bedürfniſſen von Deutſchland mit voller Hin-
gebung widmen.


Von dem Treiben des deutſchen Geiſtes hatte er ohne-
hin keinen Begriff: er verſtand weder unſre Sprache noch
unſre Gedanken.


Ein merkwürdiges Schickſal, daß die Nation ſich in
dem Augenblick ihrer größten, eigenſten innern Bewegung
ein Oberhaupt berufen hatte, das ihrem Weſen fremd war,
in deſſen Politik, die einen bei weitem größern Kreis um-
faßte, die Bedürfniſſe und Beſtrebungen der Deutſchen nur
als ein untergeordnetes Moment erſcheinen konnten.


Nicht als ob die religiöſen Bewegungen dem Kaiſer
gleichgültig geweſen wären; ſie hatten für ihn ein hohes
Intereſſe, aber zunächſt nur deshalb weil ſie den Papſt be-
rührten und bedrohten, und für das Verhältniß zu dem
römiſchen Hof neue Geſichtspuncte, ja man darf wohl ſa-
gen neue Waffen darboten.


Von allen politiſchen Verhältniſſen des Kaiſers war
aber dieſes ohne Zweifel das wichtigſte.


Denn da es nun einmal zum Kampfe mit Frankreich
kommen mußte, einem Kampfe der hauptſächlich in Ita-
lien zu führen war, ſo bildete es für den Kaiſer die oberſte
Frage, ob er den Papſt für ſich haben würde oder nicht.
Schon wetteiferten die beiden Fürſten, ſich die Gunſt deſ-
ſelben zu verſchaffen. Beide machten ihm die größten
[471]Reichstag v. 1521. Auswaͤrtige Verhaͤltniſſe.
Verſprechungen: der König auf den Fall, daß man Nea-
pel erobere, was er anzugreifen entſchloſſen war, der Kai-
ſer in Bezug auf eine Unternehmung gegen Mailand, die er
zu Gunſten des Prätendenten aus dem Hauſe Sforza, und
zur Herſtellung der Rechte des Reiches unternehmen wollte.


Doch war dieß nicht die einzige dringende Bezie-
hung des Kaiſers zu dem römiſchen Stuhle: andre, von
mehr kirchlicher Natur, aber ebenfalls ſehr durchgreifend,
hatte er in ſeinen übrigen Reichen, namentlich in Spanien.


Es iſt eine anerkannte Sache, daß ſich die dortige Re-
gierung wie ſie ſich unter Ferdinand dem Katholiſchen aus-
gebildet, vor allem andern auf die Inquiſition ſtützte. Jetzt
aber war dieſes Inſtitut zu gleicher Zeit in Caſtilien, Aragon
und Catalonien angegriffen worden. Die Cortes von Ara-
gon, ohnehin ſo mächtig, hatten ſich an den Papſt gewendet,
und bei demſelben wirklich einige Breven ausgewirkt, nach
welchen die ganze Verfaſſung der Inquiſition abgeändert
und den Formen des gemeinen Rechts genähert werden
ſollte. 1 Im Frühjahr 1520 ſendete Carl einen Geſandten
nach Rom, um die Zurücknahme dieſer Breven zu bewir-
ken, die auch in den übrigen Reichen Folgen haben, und
ſeine geſammte Regierung gefährden mußten.


Dieſe Unterhandlungen waren nun eben damals im
Gange, als Carl in den Niederlanden eintraf, und eine
laute, ja beinah allgemeine Stimme, in welcher ſich po-
litiſche und religiöſe Oppoſition vereinigten, ihn aufforderte,
eine kühne Stellung gegen den Papſt zu ergreifen.


Der geſchickte und geiſtreiche Geſandte Carls V, der
[472]Zweites Buch. Viertes Capitel.
in den Tagen eintraf, als Eck gerade in Rom war, und die
Sache Luthers ſo viele Berathungen der Theologen und
Sitzungen des Conſiſtoriums veranlaßte, erkannte ſogleich,
welcher Vortheil aus derſelben für ſeinen Herrn hervorgehn
könne. „Ew. Maj.,“ ſchrieb er dem Kaiſer am 12 Mai
1520, „muß nach Deutſchland gehn, und daſelbſt einem
gewiſſen Martin Luther einige Gunſt angedeihen laſſen, der
ſich am Hofe von Sachſen befindet, und durch die Sachen
die er predigt, dem römiſchen Hofe Beſorgniß einflößt.“ 1
Wirklich ergriff man am kaiſerlichen Hofe dieſen Geſichts-
punct. Als der päpſtliche Nuntius mit der Bulle gegen Lu-
ther daſelbſt anlangte, ließ ſich der erſte Miniſter das Wort
entfallen: der Kaiſer werde ſich dem Papſt gefällig zei-
gen, wenn der Papſt ihm gefällig ſey und ſeine Feinde
nicht unterſtütze. 2


Das alſo war es vom erſten Moment, worauf es
ankam: nicht die objective Wahrheit der Meinung, auch
nicht das große Intereſſe der Nation das ſich daran knüpfte,
von welchem der eben anlangende Fürſt kein Bewußtſeyn noch
Mitgefühl haben konnte; ſondern die allgemeine politiſche
Lage, die Unterſtützung welche der Papſt dem Kaiſer über-
haupt angedeihen laſſen, das Verhältniß in das er ſich zu
ihm ſetzen würde.


In Rom wußte man das ſehr gut. Man trug Sorge,
den Beichtvater des Kaiſers, Glapion, einen Franciscaner,
[473]Reichstag v. 1521. Auswaͤrtige Verhaͤltniſſe.
der dem römiſchen Stuhle ſonſt eher abgeneigt war, zu ge-
winnen: man entſchloß ſich, was man lange verweigert,
den Biſchof von Lüttich, Eberhard von der Mark, der von
der franzöſiſchen auf die öſtreichiſche Seite übergetreten,
zum Cardinal zu ernennen, ſo unangenehm dieß auch dem
König von Frankreich ſeyn mußte: 1 eben hierauf war die
Sendung Aleanders berechnet, der ehe er nach Rom kam,
in Dienſten des Biſchofs geſtanden, und jetzt dort, bei dem
Einfluß den der Biſchof von Lüttich auf die niederländi-
ſche Regierung ausübte, als ein natürlicher Vermittler
zwiſchen Rom und dem Kaiſer erſchien. Gar bald er-
folgten auch weſentlichere Begünſtigungen. Am 21ſten
October erklärte der Papſt dem Großinquiſitor in Spa-
nien, daß er die Forderungen der Cortes in Aragon nicht
ferner begünſtigen, jenen Breven keine weitere Folge geben,
in Sachen der Inquiſition ohne Beiſtimmung des Kaiſers
keine Neuerung vornehmen wolle. Der Kaiſer war da-
mit noch nicht zufrieden: er forderte eine völlige Zurück-
nahme jener Breven. Am 12ten December erbot ſich der
Papſt alles was gegen die Inquiſition geſchehen ſey für
null und nichtig zu erklären; am 16ten Januar erlaubte
er endlich wirklich dem Kaiſer die Breven zu unterdrücken,
und ſprach den Wunſch aus daß man ſie ihm nach Rom
zurückſenden möge, worauf er ſie caſſiren werde. 2


Man ſieht, wie wenig die Lage der Dinge den Wün-
ſchen der Deutſchen entgegenkam. Carl V ward durch
ſeine Verhältniſſe nicht zur Oppoſition wider den Papſt,
[474]Zweites Buch. Viertes Capitel.
ſondern zu einer Verbindung mit ihm aufgefordert. Wie
ſehr ſahen die Hutten und Sickingen die Hofnungen ge-
täuſcht, welche ſie auf den jungen Kaiſer geſetzt hatten!
In ſeinen niederdeutſchen Erbſtaaten wurde die päpſtliche
Bulle ohne Bedenken vollzogen; nur die hohen Geiſtlichen
und der Beichtvater ſchienen an dem Hofe etwas zu gel-
ten; im Januar 1521 hielt man den Kaiſer für entſchloſ-
ſen, Luther zu verderben und ſeine Anhänger wo möglich
zu vertilgen. 1 Mit jener letzten Conceſſion wahrſcheinlich
zugleich oder doch bald nachher langte ein päpſtliches Breve
an, worin der Papſt den Kaiſer aufforderte, ſeiner Bulle
durch ein kaiſerliches Edict geſetzliche Kraft zu verſchaffen.
„Jetzt könne er zeigen, daß ihm die Einheit der Kirche
am Herzen liege, wie den alten Kaiſern. Vergeblich würde
er mit dem Schwerte gegürtet ſeyn, wenn er es nicht wie
gegen die Ungläubigen, ſo gegen die Ketzer, die noch viel
ſchlimmer als die Ungläubigen, brauchen wolle.“ 2


Im Februar, eines Tages, als ein Turnier angeſetzt
war, und ſchon das Tuch des Kaiſers dazu aushieng,
wurden die Fürſten, ſtatt deſſen, in die kaiſerliche Herberge
zur Verſammlung beſchieden, wo man ihnen dieß Breve
vorlas, und zugleich ein Edict zur Ausführung der Bulle,
das denn ſehr ſtrenge lautete, vorlegte.


Welch eine ſonderbare, unerwartete Verflechtung! Die
[475]Reichstag von 1521. Berathung uͤber Luther.
lutheriſche Bewegung mußte dazu dienen, daß der Papſt
eine Milderung der Inquiſition in Spanien, die er im
Intereſſe der dortigen Stände ſchon beſchloſſen, zurücknahm.
Dafür ſchickte ſich der Kaiſer an, in Deutſchland den
Mönch zu unterdrücken, der ſo verwegen zur Empörung
gegen den römiſchen Stuhl aufforderte. Die Bewegung
gegen die Gewalt dominicaniſcher Ketzerrichter war hier
wie dort national. Es iſt ſehr begreiflich, wenn von den
Spaniern welche den Hof begleiteten, wenigſtens diejeni-
gen die den mittleren Ständen angehörten, an Luther und
ſeinen Schriften lebendigen Antheil nahmen.


In Deutſchland aber konnte der Kaiſer nichts verfü-
gen ohne das Gutachten des Reiches, und jenen Entwurf
des Mandates hatte er den Ständen mit der Erklärung
vorgelegt, „wenn ſie etwas beſſeres wüßten, das verneh-
men zu wollen.“ Hierauf kam es in dem Reichsrath zu
ſehr lebhaften Verhandlungen. „Der Mönch,“ ſchreibt der
Frankfurter Geſandte, „macht viel Arbeit: ein Theil möchte
ihn aus Kreuz ſchlagen, und ich fürchte er wird ihnen
ſchwerlich entrinnen: nur iſt zu beſorgen, daß er am drit-
ten Tag wieder auferſteht.“ Dieſe Beſorgniß, daß mit
einer einſeitigen Verdammung nichts gethan ſeyn werde,
beherrſchte auch die Stände. Der Kaiſer hatte gemeint,
das Edict ohne weiteres Verhör zu erlaſſen: 1 ſo rieth ihm
[476]Zweites Buch. Viertes Capitel.
Aleander, da ja die Verdammung ſchon hinreichend ſey:
auch Doctor Eck ſandte eine kleine Schrift in dieſem Sinne
voll Schmeicheleien und Ermahnungen ein: 1 es war die-
ſelbe Frage die ſchon in Rom erörtert worden; die deut-
ſchen Stände waren jedoch nicht ſo leicht zur Nachgiebig-
keit zu bringen wie die römiſchen Juriſten. Sie machten
den Kaiſer aufmerkſam was es bei dem gemeinen Manne,
in welchem mancherlei Gedanken, Phantaſien und Wünſche
durch Luthers Predigt erweckt worden, für einen Eindruck
hervorbringen dürfte, wenn man Luther durch ſo ſcharfe
Mandate verurtheile, ohne ihn auch nur vorgefordert zu
haben. Sie drangen darauf, daß man ihn auf ſichres Ge-
leit kommen laſſen und verhören müſſe. Eine neue Frage
aber war, auf welche Grundlage dieß Verhör anzuſtellen
ſey. Die Stände unterſchieden zweierlei Meinungen Lu-
thers: die einen in Bezug auf die kirchliche Verfaſſung: da
ſollte man glimpflich mit ihm verfahren, auch wenn er
nicht widerrufe, — wie ſie denn in derſelben Eingabe dem
Kaiſer die Beſchwerden der Nation wider den Stuhl von
Rom aufs neue ans Herz legten: die andern aber wider
die Lehre und den Glauben, „den ſie, ihre Väter und Vor-
ältern bisher gehalten.“ Sollte er auch auf dieſen beſtehn
und ſich weigern ſie zu widerrufen, ſo erkärten ſie ſich be-
reit in das kaiſerliche Mandat zu willigen, den bisherigen
Glauben ohne weitere Disputation zu handhaben. 2


[477]Reichstag von 1521. Gravamina.

In dieſem Sinne war es, daß Luther nach Worms
berufen wurde. „Wir haben beſchloſſen,“ heißt es in dem
kaiſerlichen Schreiben, „wir und des heil. Röm. Reichs
Stände, der Lehre und Bücher halben, ſo von dir ausge-
gangen, von dir Erkundigung zu empfahen.“ Ein kaiſer-
licher Herold ward geſendet, ihn herbeizuführen.


Was die Oppoſition gegen die weltlichen Eingriffe
des römiſchen Stuhles betraf, darin waren die Stände
mit Luther im Grunde einverſtanden. Wie der Kaiſer
ſchon in ſeiner Capitulation verpflichtet worden, die Con-
cordate und kirchlichen Freiheiten der Nation, wider welche
auf eine unerträgliche Weiſe ohne Unterlaß gehandelt werde,
herzuſtellen und zu behaupten, ſo war jetzt der kleinere
Ausſchuß beſchäftigt, die Beſchwerden der Nation ge-
gen den römiſchen Stuhl in aller Form zuſammen zu
ſtellen. Das Verfahren war, daß die einzelnen Fürſten
die Beſchwerden eingaben, worüber ſie beſonders zu kla-
gen hatten, und alles aufgenommen wurde was mehr als
Einer erinnerte. Schon fürchtete man, die geiſtlichen Für-
ſten würden ſich zurückziehen: aber die Räthe der weltli-
chen waren entſchloſſen, die Sache auch allein zu Ende
zu führen. Es kam eine Schrift zu Stande, welche an
die Schriften Huttens und das Buch an den deutſchen
2
[478]Zweites Buch. Viertes Capitel.
Adel erinnert, ſo lebhaft wird darin das Verfahren des
päpſtlichen Stuhles überhaupt, vor allem aber die Ver-
waltung Papſt Leos X getadelt. 1 Es iſt darin von
nichts als von den überſchwenglichen boshaften Erfindun-
gen, ſchalkhaften Betrügereien die am römiſchen Hofe in
Schwang gekommen, die Rede: die Praxis deſſelben wird
gradezu der Simonie angeklagt. Wenn Luther nichts an-
ders gethan als die Mißbräuche des Hofes angegriffen
hatte, ſo konnte er von den Ständen des Reiches nim-
mermehr verlaſſen werden: die Geſinnung die er in dieſer
Hinſicht ausgeſprochen, war vielmehr die allgemeine, den
Ständen ſelber eigen. Wahrſcheinlich hätte ihr auch der
Kaiſer nicht widerſtehn können. Sein Beichtvater hatte
ihm die Züchtigung des Himmels angekündigt, wenn er
die Kirche nicht reformire.


Man könnte ſich faſt zu dem Wunſche verſucht fühlen,
daß Luther fürs Erſte hiebei ſtehn geblieben ſeyn möchte. Es
würde die Nation in ihrer Einheit befeſtigt, zu einem Be-
wußtſeyn derſelben erſt vollkommen geführt haben, wenn
ſie einen gemeinſchaftlichen Kampf wider die weltliche Herr-
ſchaft von Rom unter ſeiner Anführung beſtanden hätte.
Jedoch die Antwort iſt: die Kraft dieſes Geiſtes würde
[479]Reichstag von 1521. Glapio.
gebrochen geweſen ſeyn, wenn eine Rückſicht ihn gefeſſelt
hätte von einem nicht durchaus religiöſen Inhalt. Nicht
von den Bedürfniſſen der Nation ſondern von religiöſen
Überzeugungen war er ausgegangen, ohne die er nie etwas
gemacht hätte, und die ihn nun freilich weiter geführt hat-
ten, als es zu jenem politiſchen Kampfe nöthig oder auch
nützlich war. Der ewig freie Geiſt bewegt ſich in ſeinen
eigenen Bahnen.


Noch hofften Einige, er werde einen Schritt zurück-
treten: er werde ſich wenigſtens nicht zu ſeinen letzten här-
teſten Äußerungen bekennen, wie ſie in dem Buch von der
babyloniſchen Gefangenſchaft vorkamen. Beſonders war
das die Meinung des kaiſerlichen Beichtvaters. Er hielt
die päpſtliche Verdammungsbulle nicht für ein unüberſteig-
liches Hinderniß gütlicher Beilegung: da Luther noch nicht
gehört worden, ſo bleibe dem Papſt ein Ausweg übrig um
ihn wiederherzuſtellen: wenn er nur dieſes letzte Buch, voll
von den unhaltbarſten Behauptungen, und mit ſeinen übri-
gen Schriften auch ſonſt nicht zu vergleichen, nicht anerken-
nen wolle. Mit dem aber wälze er ſich ſelbſt einen Stein
in Weg: er werde machen, daß die übrige koſtbare Waare,
die er ſonſt in Port bringen werde, verſinke. 1 Zuerſt
ſchlug er dem Churfürſten von Sachſen vor, ihm ein paar
Räthe zu nennen, mit denen er über die Mittel einer Aus-
gleichung unterhandeln könne. Der Churfürſt entgegnete,
er habe nicht gelehrte Räthe genug bei ſich. Glapio fragte
hierauf, ob man ſich erwählten Schiedsmännern unterwer-
fen wolle, deren Ausſpruch ſelbſt der Papſt werde aner-
[480]Zweites Buch. Viertes Capitel.
kennen müſſen. Der Churfürſt hielt es nicht für möglich
den Papſt dazu zu bewegen, beſonders da der Kaiſer
Deutſchland ſo bald zu verlaſſen denke. Glapio ſeufzte
als er dieß vernahm. Dieſem ſtillen Fürſten, der jede äu-
ßerliche Theilnahme von ſich ablehnte, und der doch wohl
in der That der einzige Menſch war der noch über Lu-
ther etwas vermocht hätte, war ſchlechterdings nicht bei-
zukommen: nicht einmal perſönliche Audienz ließ er ſich ab-
gewinnen. Der Beichtvater wendete ſich hierauf an andre
Freunde Luthers. Er begab ſich auf die Ebernburg zu
Sickingen, der ſo eben aufs neue in den Dienſt des Kai-
ſers trat und als einer der vornehmſten Beſchützer Lu-
thers galt, um deſſen Vermittelung in Anſpruch zu neh-
men. Glapio äußerte ſich auch hier auf eine Weiſe, daß
man ihn, in gewiſſen Puncten, als einen Anhänger Luthers
betrachten konnte. Ich möchte nicht glauben, daß dieß
Heimtücke war, wie ſo Viele annahmen. Es liegt am Tage
daß die Oppoſition Luthers gegen den Papſt ein doppelt
gewaltiges Werkzeug der kaiſerlichen Politik zu werden ver-
ſprach, wenn man ſich nicht genöthigt ſah ihn ſeines offenen
Abfalls halber geradezu zu verurtheilen, wenn man viel-
leicht die Sache durch ein Schiedsgericht ſchwebend erhal-
ten konnte. Sickingen ließ Luther im Vorüberreiſen ein-
laden bei ihm einzuſprechen. 1


Denn ſchon kam Luther den Weg von Wittenberg
nach Worms daher gezogen. Er predigte einmal unter-
wegs: des Abends ſchlug er in der Herberge wohl die
Laute
[481]Luther in Worms.
Laute an: alle Politik lag außer ſeinem Geſichtskreis: über
jede perſönliche Rückſicht, ſogar auf ſich ſelbſt, war er er-
haben. Auf dem Wege vor ihm her waren die Decrete
angeſchlagen worden, durch welche ſeine Bücher verdammt
wurden, ſo daß der Herold ihn ſchon zu Weimar fragte,
ob er fortziehen wolle. Er antwortete: er wolle ſich des
kaiſerlichen Geleites halten. Dann kam jene Einladung
Sickingens. Er erwiederte, habe der kaiſerliche Beichtva-
ter mit ihm zu reden, ſo könne er das wohl in Worms
thun. Noch auf der letzten Station ließ ihm ein Rath
ſeines Churfürſten ſagen: er möge doch lieber nicht kom-
men: leicht könne ihn das Schickſal Huſſens treffen. „Huß,“
antwortete Luther, „iſt verbrannt worden, aber nicht die
Wahrheit mit ihm: ich will hinein, und wenn ſo viel Teufel
auf mich zielten als Ziegel auf den Dächern ſind.“ 1 So
langte er in Worms an: 16ten April 1521, eines Dien-
ſtags gegen Mittag, als man eben bei Tiſche war. Wie
der Thürmer vom Dom in die Trompete ſtieß, lief alles
auf die Straße den Mönch zu ſehen. Er ſaß auf dem
offenen Rollwagen, den ihm der Rath zu Wittenberg zur
Reiſe gegeben, in ſeiner Auguſtinerkutte: vor ihm her ritt
der Herold, den Wappenrock mit dem Reichsadler über
den Arm. So zogen ſie durch die verwunderte, mannich-
faltig bewegte, gaffende, theilnehmende Menge. Indem
Luther ſie überſah, verwandelte ſich in ihm der kühne
Ranke d. Geſch. I. 31
[482]Zweites Buch. Viertes Capitel.
Muth in die feſte Zuverſicht; er ſagte: Gott wird mit mir
ſeyn; ſo ſtieg er ab.


Und ſogleich des andern Tages gegen Abend ward
er in die Verſammlung des Reiches geführt. Der junge
Kaiſer, unter den ſechs Churfürſten ſein eigner Herr, ſo
viele andre geiſtliche und weltliche Fürſten, vor denen die
Unterthanen ihre Kniee beugten, zahlreiche durch Thaten
in Krieg und Frieden berühmte Oberhäupter, würdige Ab-
geordnete der Städte, Freunde und Feinde, erwarteten den
Mönch. Der Anblick einer ſo erhabenen, prächtigen Ver-
ſammlung ſchien ihn doch einen Augenblick zu blenden.
Er ſprach mit ziemlich ſchwacher unvernehmlicher Stimme:
Viele glaubten, er ſey erſchrocken. Auf die Frage, ob er
ſeine Bücher, deren Titel verleſen wurden, ſämmtlich wie
ſie ſeyen vertheidigen oder ſich zu einem Widerruf verſtehen
wolle, bat er ſich Bedenkzeit aus: auch er nahm wie wir
ſehen die Förmlichkeiten des Reiches für ſich in Anſpruch.


Den andern Tag erſchien er aufs neue in der Ver-
ſammlung. Es wurde ſpät, eh er vorgelaſſen ward: ſchon
zündete man Fackeln an; die Verſammlung war vielleicht
noch zahlreicher als geſtern, das Gedränge des Volkes ſo
ſtark, daß kaum die Fürſten zu ſitzen kamen, die Aufmerk-
ſamkeit auf den entſcheidenden Augenblick noch geſpann-
ter. Jetzt aber war in Luther keine Spur von Befan-
genheit. Auf die ihm wiederholte frühere Frage antwor-
tete er mit männlich-feſter, ſtarker Stimme, mit dem Aus-
druck freudiger Ruhe. Er theilte ſeine Werke ein in Bü-
cher der chriſtlichen Lehre, Schriften wider die Mißbräuche
des Stuhles zu Rom, und in Streitſchriften. Die erſten
[483]Luther in Worms.
widerrufen zu müſſen, ſagte er, würde unerhört ſeyn, da ſelbſt
die päpſtliche Bulle viel Gutes darin anerkenne: die zweiten,
das würde den Romaniſten ein Anlaß werden, Deutſch-
land vollends zu unterdrücken: das dritte würde ſeinen
Gegnern nur neuen Muth machen, ſich der Wahrheit ent-
gegenzuſetzen. Eine Antwort, die nun mehr der falſch ge-
ſtellten Form der Frage entſprach, als der Abſicht, welche
die Reichsſtände mit dem Verhör verbanden. Der Offi-
cial von Trier kam der Sache näher, indem er ihn erin-
nerte, den Widerruf nicht durchaus und gänzlich abzuleh-
nen: — hätte Arius Einiges zurückgenommen, ſo würden
nicht auch zugleich ſeine guten Bücher vernichtet worden
ſeyn: auch bei ihm werde man Mittel finden, ſeine Bücher
nicht alle zu verbrennen, wenn er nur das widerrufe, was
von dem Concilium zu Coſtnitz verdammt worden ſey, und
was er dieſem Urtheil zum Trotz wieder aufgenommen
habe. Mehr auf die Infallibilität der Concilien als auf
die des Papſtes bezog er ſich.


Aber Luther glaubte jetzt an die eine ſo wenig wie
an die andre; er entgegnete, auch ein Concilium könne
irren: der Official ſtellte das in Abrede: Luther wieder-
holte, er wolle beweiſen daß es geſchehen könne und ge-
ſchehen ſey. Natürlich konnte der Official darauf nicht
in dieſer Umgebung eingehn: er fragte jetzt nochmals de-
finitiv, ob Luther alle ſeine Sachen als rechtgläubig ver-
theidigen, oder ob er etwas davon widerrufen wolle: er
kündigte ihm an, wenn er jeden Widerruf abſchlage, ſo
werde das Reich wiſſen, wie es mit einem Ketzer zu ver-
fahren habe. Aber auch in Luther, der in Worms Dis-
31*
[484]Zweites Buch. Viertes Capitel.
putation oder Widerlegung, irgend eine Art von Beleh-
rung erwartet hatte, ſtatt deſſen aber ſich ohne Weiteres
als Irrlehrer behandelt ſah, hatte ſich in dem Geſpräch
das volle Bewußtſeyn einer von keiner Willkühr abhängen-
den, in Gottes Wort gegründeten, um Concilien und Papſt
unbekümmerten Überzeugung erhoben; Drohungen ſchreck-
ten ihn nicht; die allgemeine Theilnahme, deren Odem er
um ſich wehen fühlte, hatte ihn erſt recht befeſtigt; ſein
Gefühl war, wie er im Hinausgehen ſagte, hätte er tau-
ſend Köpfe, ſo wolle er ſie ſich eher abſchlagen laſſen, ehe
er einen Widerruf leiſte. Er erwiederte nach wie vor,
werde er nicht mit Sprüchen der heiligen Schrift über-
wieſen, daß er irre, ſo könne und wolle er nicht wider-
rufen, weil ſein Gewiſſen in Gottes Wort gefangen ſey.
„Hier ſtehe ich:“ rief er aus: „ich kann nicht anders:
Gott helfe mir: Amen.“ 1


Es iſt auffallend, wie verſchiedenartig die Erſcheinung
Luthers die Anweſenden berührte. Die vornehmeren Spa-
nier, die ſchon immer auf ihn geſcholten, die man wohl
eine Schrift von Hutten oder Luther vor einer Bücher-
bude zerreißen und in den Koth treten geſehen, 2 fanden
den Mönch aberwitzig. Ein übrigens ganz unparteiiſcher
Venezianer bemerkt doch: Luther habe ſich weder ſehr ge-
lehrt gezeigt, noch beſonders klug noch auch tadellos in
[485]Luther in Worms.
ſeinem Leben: er habe der Erwartung nicht entſprochen
die man von ihm gehegt. 1 Man kann denken, wie Alean-
der ihn beurtheilte. Aber auch der Kaiſer hatte einen ähn-
lichen Eindruck bekommen. „Der,“ rief er aus, „ſoll
mich nicht zum Ketzer machen.“ Gleich des nächſten Ta-
ges, am 19ten April, that er den Reichsſtänden in einer
eigenhändigen, franzöſiſch abgefaßten Erklärung ſeinen Ent-
ſchluß kund, den Glauben zu behaupten, den ſeine Vor-
fahren, rechtgläubige Kaiſer und katholiſche Könige gehal-
ten. Dazu rechne er alles was in den Concilien, nament-
lich auch in dem Coſtnitzer feſtgeſetzt worden ſey. Seine
ganze Macht, Leib und Leben, ja die Seele ſelbſt wolle
er dafür verwenden. Nach den Äußerungen der Hart-
näckigkeit, die man geſtern von Luther gehört, fühle er
Reue, daß er ihn bisher geſchont habe, und werde gegen
ihn verfahren wie gegen einen offenbaren Ketzer. Er for-
dert die Fürſten auf, in demſelben Sinne zu handeln, wie
ihre Pflicht ſey und ſie ihm verſprochen.


Seinen deutſchen Landsleuten dagegen hatte Luther
vollkommen Genüge gethan. 2 Die verſuchten Kriegshaupt-
leute hatten ihre Freude an ſeiner Unerſchrockenheit: der
alte Georg von Frundsberg klopfte ihm im Hineingehn
ermuthigend auf die Schulter: der tapfere Erich von Braun-
[486]Zweites Buch. Viertes Capitel.
ſchweig ſchickte ihm in dem Gedränge der Verſammlung
einen Trunk Eimbecker Biers in ſilberner Kanne. Beim
Herausgehn will man eine Stimme gehört haben welche
die Mutter eines ſolchen Mannes ſelig pries. Auch der
vorſichtige und bedachtſame Friedrich war mit ſeinem Pro-
feſſor zufrieden, „o,“ ſagte er zu Spalatin Abends in ſei-
ner Schlafkammer, „o wie gut hat Doctor Martinus vor
Kaiſer und Reich geſprochen.“ Es hatte ihn beſonders
gefreut, daß Luther ſeine deutſche Erklärung ſo geſchickt
lateiniſch zu wiederholen verſtanden. Seitdem ſuchten ihn
die Fürſten wetteifernd in ſeiner Wohnung auf. „Habt
ihr Recht, Herr Doctor,“ ſagte Landgraf Philipp von Heſ-
ſen, nach einigen Scherzworten, über die ihn dieſer lä-
chelnd zurechtgewieſen, „ſo helf Euch Gott.“ Man hatte
Luther wohl früher geſagt: ehe ihn die Gegner verbren-
nen ſollten, müßten ſie alle mitverbrennen. Die entſchiedne
Erklärung des Kaiſers ſo außerhalb aller Form des Rei-
ches, brachte dieſe theilnehmende Geſinnung in Bewegung.
In den kaiſerlichen Gemächern fand man einen Zettel mit
den Worten: weh dem Lande, deſſen König ein Kind
iſt. Ein Anſchlag an dem Rathhaus kündigte den Herrn
Romaniſten und vor allem dem Erzbiſchof von Mainz
die Feindſchaft angeblich von 400 verbundenen Rittern
an, weil man Ehre und göttlich Recht unterdrücke. Sie
ſeyen dagegen verſchworen den gerechten Luther nicht zu
verlaſſen. „Schlecht ſchreib ich,“ ſchließt dieſer An-
ſchlag, „doch einen großen Schaden mein’ ich: mit 8000
Mann Kriegsvolk: Bundſchuh Bundſchuh Bundſchuh!“
— Eine Vereinigung der Ritterſchaft und der Bauern
ſchien man den Gegnern Luthers zu deſſen Schutze anzu-
[487]Luther in Worms.
kündigen. In der That ward zuweilen den Mitgliedern
des Hofes nicht ganz wohl zu Muth, wenn ſie ſich ſo
ohne Rüſtung noch Waffen in der Mitte einer gährenden,
kriegsluſtigen, von feindſeligen Tendenzen ergriffenen Na-
tion erblickten.


Zunächſt war jedoch nichts zu fürchten, da Sickingen
und ſo viele andre Ritter und Kriegsanführer in Carls
Dienſte getreten, unter ſeinen Fahnen in Kurzem Ehre und
Gewinn davon zu tragen hofften.


Ehe die Stände auf die Eröffnung des Kaiſers ein-
giengen, trugen ſie erſt noch auf einen Verſuch an, Lu-
thern von einigen ſeiner ſchroffſten Meinungen zurückzu-
bringen: es werde eine Empörung zu beſorgen ſeyn, wenn
man mit ſo rückſichtsloſer Raſchheit gegen ihn verfahre.
Der Kaiſer geſtattete zu dem Ende eine Friſt von eini-
gen Tagen.


Es ließ ſich aber von vorn herein nicht erwarten,
daß man damit etwas ausrichten werde. Man machte Lu-
thern Vorſtellungen wegen ſeiner Meinung über die Con-
cilien: er blieb dabei, Huß ſey zu Coſtnitz mit Unrecht ver-
dammt worden. Man ſchlug ihm aufs neue vor, den
Kaiſer und die Stände als Richter über ſeine Lehre an-
zuerkennen. Er erklärte, er wolle Menſchen über Gottes
Wort nicht richten laſſen.


Aleander behauptet, es ſey Luthern wirklich einmal
gerathen worden, von einigen ſeiner zuletzt geäußerten Mei-
nungen abzuſtehn und nur die unmittelbar gegen Rom
gerichteten zu verfechten. In deutſchen Schriften findet
ſich hievon keine Andeutung. Es zeigt ſich ſelbſt nicht,
daß ihm die Frage, wie ſie in jener Eingabe der Stände
[488]Zweites Buch. Viertes Capitel.
lag, ſehr präcis geſtellt worden wäre; allein alle ſeine Er-
klärungen waren ſo unumwunden, ſo durchdrungen von
dem religiöſen Element, daß ſich keine Rückſicht von ihm
erwarten ließ: er hatte ſich von den Formen der römi-
ſchen Kirche auf ewig losgeſagt: mit Einem Concilium ver-
warf er die ganze Idee, auf der ſie beruhte; an eine Ver-
mittelung war da nicht zu denken.


Aber indem er abreiſte, ohne ſich zu der mindeſten
Beſchränkung ſeiner Meinungen verſtanden zu haben, kam
nun der ältere Beſchluß der Stände, der zu ſeiner Berufung
Anlaß gegeben, auch für ſeine Verdammung in Kraft.


Eine Reviſion deſſelben, eine neue Berathung zu ver-
anlaſſen, konnte wenigſtens der Kaiſer nicht gemeint ſeyn:
er war ſo eben mit dem römiſchen Stuhle in das genaueſte
Verhältniß getreten.


Von der wenig verhehlten feindſeligen Stimmung, in
welcher Don Juan Manuel den römiſchen Hof im Früh-
jahr 1520 fand, hatte er ihn binnen eines Jahres zu der
engſten Verbindung gebracht. Am 8ten Mai 1521 ward
ein Bund zwiſchen Carl und Leo geſchloſſen, in welchem
ſie einander verſprachen „dieſelben Freunde und ohne Aus-
nahme dieſelben Feinde zu haben: daſſelbe Wollen und
Nichtwollen zum Angriff und zur Vertheidigung.“ Zu-
nächſt gegen Frankreich machten ſie in dieſem Bündniß
gemeinſchaftliche Sache; der Papſt hatte ſich endlich ent-
ſchloſſen, hierin völlig auf die Seite des Kaiſers zu treten
und alle ſeine Kräfte zur Verjagung der Franzoſen aus Mai-
land und Genua anzuſtrengen: jedoch bezog es ſich auch un-
mittelbar auf die geiſtlichen Angelegenheiten in Deutſchland.


In
[489]Wormſer Edict.

In dem 16ten Artikel verſprach der Kaiſer „weil ſich
Einige erhoben, die von dem katholiſchen Glauben abwei-
chen und den apoſtoliſchen Stuhl böslich verläſtern, gegen
dieſe ſeine ganze Macht zu gebrauchen, ſie zu verfolgen und
alles Unrecht das dem apoſtoliſchen Stuhle zugefügt werde,
zu rächen, gleich als geſchehe es ihm ſelber.“ 1


Es läßt ſich zwar nicht behaupten, daß das Verfah-
ren Carls V in Luthers Sache ausſchließend auf politi-
tiſchen Motiven beruht habe: es iſt ſehr wahrſcheinlich
daß ihm eine Ableugnung der Unfehlbarkeit der Concilien,
ein Angriff auf die Sacramente eben ſo widerwärtig war
wie unverſtändlich; allein eben ſo klar iſt doch, daß die
Politik daran den größten Antheil hatte. Was hätte man
alles mit Luther anfangen können, wenn er ſich gemäßigt
hätte, wenn man ihn nicht hätte verdammen müſſen. Da
das nicht zu vermeiden war, ſo machte man es noch zu
einer Bedingung für den großen Krieg, den man zu be-
ginnen im Begriffe ſtand.


Nur hatte es bei der allgemeinen Theilnahme, die Luther
während ſeiner Anweſenheit erweckt hatte, noch immer eine
gewiſſe Schwierigkeit, eine entſcheidende Maaßregel zu er-
greifen. Der Beſchluß, den die Stände gefaßt, war einer
nicht geringen Anzahl derſelben jetzt zuwider. Die Frage
war, ob ſie ſich zu einem auf denſelben gegründeten Edict
ohne Widerrede verſtehen würden.


Um dieß zu bewirken, verfuhr man folgendergeſtalt.


Ranke d. Geſch. II. 32
[490]Zweites Buch. Viertes Capitel.

Eine Zeitlang ward geſchwiegen: ſchon waren Manche
abgereiſt: alle übrigen Geſchäfte waren beendigt.


Indem nun der Kaiſer am 25ſten Mai auf dem Rath-
hauſe erſchien, um die Formalität der Annahme der Be-
ſchlüſſe über Regiment Gericht und Matrikel perſönlich zu
vollziehen, bat er die Stände zugleich, noch drei Tage zu
bleiben, um noch einige „ungeſchiedene“ Sachen zu Ende
zn bringen. 1 Wie es Sitte war, gaben ihm, als er nach
ſeiner Wohnung in den biſchöflichen Pallaſt zurückgieng,
die Anweſenden das Geleite; die Churfürſten von Sach-
ſen und Pfalz waren ſchon abgereiſt: die vier übrigen aber
waren zugegen. Als ſie daſelbſt ankamen, wurden ſie ſchon
vou den päpſtlichen Nuntien erwartet. Es waren Breven
von dem Papſt an die Churfürſten eingelaufen; (Aleander
hatte dieſe Ehrenbezeigung ausdrücklich für nothwendig er-
klärt) die Nuntien überreichten dieſelben. Auch ein Breve
an den Kaiſer war angelangt, mit deſſen Publication man
abſichtlich bis auf dieſen Moment gezögert. Unter den
Eindrücken nun, die dieſe Mittheilungen machten, eröffnete
der Kaiſer, daß er in der lutheriſchen Sache ein Edict
habe abfaſſen laſſen, auf den Grund des alten Beſchluſſes
der Stände. Der eine von den päpſtlichen Nuntien ſelbſt —
ſo vertraulich war jetzt das Vernehmen zwiſchen Kaiſer und
Papſt — hatte es aufgeſetzt: ſie hielten den Moment für gün-
ſtig, um es den Anweſenden mitzutheilen. Dieſe hätten
nicht füglich etwas dagegen thun können, wenn ſie auch ge-
wollt hätten. Der Churfürſt von Brandenburg Joachim I
beſtätigte, daß die Meinung der Stände allerdings dahin
[491]Wormſer Edict.
gegangen ſey. Aleander eilte, hierüber einen urkundlichen
Act aufzunehmen. 1


Man ſieht: das Edict ward den Ständen nicht in
ihrer Verſammlung vorgelegt; keiner neuen Deliberation
ward es unterworfen; unerwartet, in der kaiſerlichen Be-
hauſung bekamen ſie Kunde davon, nachdem man nichts
verſäumt, um ſie günſtig zu ſtimmen: die Billigung deſ-
ſelben, die nicht einmal formell genannt werden kann, ward
ihnen durch eine Art von Überraſchung abgewonnen.


Es war aber ſo ſcharf, ſo entſchieden wie möglich.
Luther wird darin als ein von der Kirche Gottes abge-
hauenes Glied mit allen ſeinen Anhängern, Gönnern und
Freunden in die Acht und Aberacht erklärt. Seine und
ſeiner Anhänger Schriften werden verboten und zum Feuer
verurtheilt. Damit in Zukunft keine ähnlichen erſcheinen,
wird eine Cenſur für alle neuen Drucke angeordnet. 2


Hiemit hatte nun Aleander das lange ins Auge ge-
faßte Ziel ſeiner Unterhandlungen erreicht. Noch im Laufe
des Tages beſorgte er zwei Reinſchriften, die eine deutſch,
die andre lateiniſch; den andern Morgen, eines Sonntags,
eilte er damit zum Kaiſer: er fand ihn mit Ständen und
32*
[492]Zweites Buch. Viertes Capitel.
Hof in der Kirche; das hinderte ihn nicht, es ihm auf
der Stelle vorzulegen: noch in der Kirche ward es von
dem Kaiſer unterzeichnet. Es war am 26ſten Mai: Alean-
der hatte es nützlich gefunden, ſein Edict auf den 8ten,
wo die Verſammlung noch ziemlich vollzählig geweſen war,
zurück zu datiren.


Dergeſtalt ſetzte ſich ſo die weltliche wie die geiſtliche
Gewalt der religiöſen Bewegung die in der Nation er-
wacht war entgegen. Es war der Oppoſition nicht ge-
lungen, den Kaiſer, wie ſie gehofft hatte, in ihre Richtung
gegen das Papſtthum hineinzuziehen; dieſer hatte vielmehr
ſeinen Bund mit dem Papſt geſchloſſen: ſie hatten ſich
vereinigt, die bisherige Verfaſſung der Kirche aufrecht zu
erhalten.


Ob es ihnen damit gelingen würde, war freilich eine
andre Frage.


Appendix A

Gedruckt bei A. W. Schade.


[][][]
Notes
1.
Vgl. Wenck heſſiſche Landesgeſchichte II, 469.
1.
Capitulare interrogationis de iis quae Karolus M. pro
communi omnium utilitate interroganda constituit Aquisgrani 811.
Monum. Germaniae histor. ed. Pertz III, p.
106.
1.
Eine Stelle aus den erdichteten Synodalacten von Pp. Sil-
veſter findet ſich in einem Capitular von 806. Vgl. Eichhorn uͤber
die ſpaniſche Sammlung der Quellen des Kirchenrechts in den Ab-
handll. der Preuß. Akademie d. W. 1834. Philoſ. hiſtor. Klaſſe p. 132.
1.
Fauriel Histoire de la Gaule mérid. IV, 87 fuͤhrt dieß
naͤher aus.
1.
Benedicti Capitularia lib. II, 322. „velut praevaricator
catholicae fidei semper a domino reus existat quicunque regum
canonis hujus censuram permiserit violandam.“ lib. III, 346. „Con-
stitutiones contra decreta praesulum romanorum nullius sunt mo-
menti.“
1.
Ruͤhs: Erlaͤuterung der zehn erſten Capitel von Tacitus
Germania p. 103; Mone Geſchichte des Heidenthums im noͤrdlichen
Europa Th. II, p. 6.
1.
In Retiense. (Annales Ruodolfi Fuldensis. Monumenta
Germaniae hist. I, p. 362.)
Nach Lang Baier. Gauen p. 78 zu
Schwaben gehoͤrig.
2.
Angilbertus: de bella quae fuit Fontaneto.
1.
Caroli secundi coronatio in regno Hlotharii 869. Monum.
III,
512.
2.
Papa invitante Romam perrexit. — Beato Petro multa et
2.
pretiosa munera offerens, in imperatorem unctus est. Annales
Hincmari Remensis 875 et 876. Monum. Germ. I,
498.
1.
„nutu dei, per suffragia sanctorum, ob instantem neces-
sitatem.“ Electio Bosonis. Monum. III,
547.
2.
Nos humiles episcopos ex diversis partibus Papiae con-
venientibus pro ecclesiarum nostrarum ereptione et omnis chri-
stianitatis salvatione etc. Electio Widonis regis. Ibid.
554.
3.
Capitulum Odonis regis. Ibid.
4.
De collegio sacerdotum gnaros direxerunt mediatores ad
praefatum regem etc. Arnulfi concilium Triburiense. Ib.
560.
1.
„Totius Bajoariae pontifices tuae subjiciant potestati“
laͤßt Liutprand den Koͤnig dem Herzog Arnulf zuſagen. Buchner Ge-
ſchichte der Baiern III, 38 zeigt, wie dieſer das benutzte. Vgl.
Waiz: Heinrich I p. 49.
4.
Er ſagt: „Nos, quibus regni cura et solicitudo ecclesiarum com-
missa est.“
1.
Widukindi Annales lib. II. Duces ac praefectorum prin-
cipes cum caetera principum militumque manu — fecerunt eum
regem; dum ea geruntur a ducibus ac caetero magistratu, ponti-
fex maximus cum universo sacerdotali ordine praestolabatur.
1.
Adamus Brem. Histor. ecclestiastica lib. II, c. 17.
1.
Hermannus Contractus ad a. 1053. Regni tam primores
quam inferiores magis magisque mussitantes, regem se ipso de-
teriorem
(ſchlimmer) fore causabantur.
2.
Rescriptum patrum in concilio bei Liutprand lib. VI ent-
2.
haͤlt die merkwuͤrdige Erklaͤrung: Excommunicationem vestram par-
vipendemus, eam potius in vos retorquebimus.
1.
Lambertus Schaffnaburgensis: (Pistor. I, p. 420) His
conditionibus absolutus est ut — — accusationibus responderet
et ad Papae sententiam vel retineret regnum — — vel aequo
animo amitteret.
1.
Heinrici encyclica de controversia sua cum papa. Monum.
IV,
70. Sehr mit Recht fragte der Kaiſer, was aus der kaiſerlichen
Macht werden ſolle, wenn ſie die Inveſtitur verliere, nachdem die
Kaiſer einen ſo großen Theil ihrer Befugniſſe auf die Biſchoͤfe uͤber-
tragen.
1.
Epistola Friderici Coloniensis archiepiscopi: Codex Vdal-
rici Babenbergensis nr. 277. Synodales episcoporum conventus,
annua consilia, omnes denique ecclesiastici ordinis administratio-
nes in regalem curiam translata sunt.
1.
Unius capitis licet summi dejectio reparabile dampnum
1.
est, principum autem conculcatio ruina regni est. Fragmentum
de hoste facienda. Monum. IV. 63.
1.
Dum in facto ecclesiae potius virtutem potentiae quam
rationem justitiae volumus exercere, constat nos in errorem
merito devenisse. Oratio Imperatoris in conventu Veneto. Mo-
num. IV,
154.
1.
Ex Actis Innocentii. Monum. IV, 361.
1.
Gerbert: Introductio ad cod. epist. Rudolfi c. IV, nr. 30.
1.
Tractatus cum Nicolao III Papa 1279. Romana ecclesia
Germaniam decoravit plantans in ea principes tanquam arbores
electas. Monum. IV,
421.
1.
Attendentes quod imperii romani regimen cura et ad-
ministratio
(ein ander Mal ſagt er imperii romani jurisdictio re-
gimen et administratio) tempore quo illud vacare contingit, ad
nos pertineat, sicut dignoscitur pertinere. Literae Joannis
bei
Rainaldus 1319 und Olenſchlager Geſchichte des roͤm. Kaiſerthums
ꝛc. in der erſten Haͤlfte des 14ten Jahrhunderts p. 102. Im J.
1323 erklaͤrt er, er habe Ludwig dem Baiern den Proceß gemacht,
super eo quod electione sua per quosdam qui vocem in
electione hujusmodi habere dicuntur
, per sedem aposto-
licam, ad quam electionis hujusmodi et personae electae exa-
minatio approbatio admissio ac etiam reprobatio et repulsio no-
scitur pertinere, non admissa etc.
Bei Olenſchlager Urk. nr. 36.
1.
z. B. Baſel. Albertus Argentinensis bei Urſtiſius 142.
1.
Johannes de Segovia bei Koch sanctio pragmatica p. 256.
2.
Erklaͤrung bei Muͤller Reichstagstheater unter Friedrich III
p. 31. „In sola ordinaria jurisdictione citra praefatorum tam
papae quam concilii supremam autoritatem ecclescae politiae gu-
bernacula per dioceses et territoria nostra gubernabimus.
1.
Historia Friderici III bei Kollar Analecta II p. 127.
2.
In der zweiten Haͤlfte des vorigen Jahrhunderts machte die
Behauptung vieles Aufſehn, daß allen Baſeler Decreten welche
durch das Concordat nicht ausdruͤcklich abgeaͤndert worden, kraft deſ-
ſelben legale Guͤltigkeit zukomme. Spittler hat hiegegen die Ein-
wendung gemacht, daß es in dem Breve heiße: „donec per lega-
2.
tum concordatum fuerit vel per legatum aliter fuerit ordinatum,
und daraus, daß ein erſtes aliter fehle, geſchloſſen, den Decreten ſey
uͤberhaupt nur bis zum Abſchluß des Concordates Geltung zuge-
ſtanden worden. (Werke VIII, p. 473.) Aber in der Relation des
Aͤneas Sylvius bei Koch: sanetio pragmatica p. 323 ſteht das
von Spittler vermißte aliter ausdruͤcklich auch bei concordatum:
„usque quo cum legato aliter fuerit concordatum.“
(Vgl. Koch
II, § 24.) Der Sinn jener Worte kann daher nicht bezweifelt wer-
den. Denn das darf man doch auf keinen Fall annehmen, daß aliter
in boͤſer Abſicht weggelaſſen worden ſey.
1.
Seine Urkunden ſind von Ofen, Stuhlweißenburg, von Cron-
ſtadt „im ſiebenbuͤrgiſchen Wurzland,“ im Heer vor Schloß Tauben-
burg in der Sirfey (Serbien). Haͤberlin Reichsgeſch. V, 429. 439.
1.
Matthias Doͤring bei Mencken III, p. 4. Eodem anno prin-
cipes electores exercitum grandem habentes contra Bohemos se
transtulerunt ad Bohemiam.
1.
Schreiben der Frankfurter Geſandten 5 Juli 1440. (Fr. A.)
1.
Henrici VII Bannitio Florentiae bei Pertz IV, 520. sup-
primentes,
heißt es da, ipsius veri nominis (Regis Romanorum)
dignitatem in ipsius opprobrium et despectum.
2.
Eberhard Windeck bei Mencken Scriptt. I, 1278.
3.
Schreiben der Churfuͤrſten 2ten Febr. 1440 bei Chmel Ma-
terialien zur oͤſtreichiſchen Geſch. Heft II, p. 70.
4.
Literae Vladislai ap. Kollar Anal. II, p. 830.
1.
Petrus de Andlo de romano imperio; ein Buch das zwar
nicht fuͤr den wirklichen Zuſtand von Deutſchland, aber fuͤr die Ideen
jener Zeit von Bedeutung iſt. Es iſt abgefaßt zwiſchen 1456, wel-
ches Jahr ausdruͤcklich erwaͤhnt wird, und 1459, in welchem Died-
rich von Mainz ſtarb, deſſen hier gedacht wird. Da heißt es II,
c. VIII. Hodie plurimi reges plus de facto quam de jure
imperatorem in superiorem non recognoscunt et suprema jura im-
perii usurpant.
2.
Cuthbert Tunstall to King Henry VIII 1517 12 Febr. bei
Ellis Letters Series I, tom. I, p. 136. Your Grace is not nor
never sithen the Christen faith the Kings of England wer sub-
giet to th’Empire, but the crown of England is an Empire of
hitfelf, mych bettyr than now the Empire of Rome: for which
cause your Grace werith a close crown.
3.
Conradi IV electio 1237, bei Pertz IV, 322.
4.
P. de Andlo II, III. Isti principes electores successe-
runt in locnm senatus populique romani.
1.
Aͤneas Sylvius (Historia Friderici III bei Kollar Anal.
II,
288) ſucht die drei Kronen zu unterſcheiden und ſie den verſchie-
denen Reichen zuzuweiſen: aber wir fragen hier nicht, was wahr iſt,
ſondern welche Meinungen man hegte.. Eben die ſind uns wichtig
die er widerlegt; es waren die allgemeinen.
1.
Muͤller, Rtth. Fr. I, 305.
1.
Schuͤren Chronik von Cleve p. 288.
2.
Hontheim Prodromus historiae Trevirensis p. 320.
3.
Ochs Geſchichte von Baſel IV, p. 60.
1.
Gobellini Commentarii de vita Pii II p. 44.
2.
Aeneae Sylvii Apologia ad Martinum Mayer p. 710.
1.
Frankfurt 10 Sept. 1456, ein noch unbekanntes und ſehr
merkwuͤrdiges Schreiben. (Frankf. Arch.)
1.
Aeneas Silvius: Si episcopum potentem sortiantur, vir-
gam correctionis timent.
1.
1458 12 Jan. Urk. bei Hontheim II, p. 432. „ſo fall der
1.
von uns, des underſaiſſ he iſt, ſiner miſſig gain und ime queine ſchirm,
zulegunge oder handhabunge widder den anderen von uns doin.“
1.
Z. B. verordnet die Reformation Friedrichs III von 1442
„daß nymand dem andern Schaden tun oder zufuͤgen ſoll, er habe
ihn denn zuvor — zu landlaͤufigen Rechten erfordert.“ Es werden nun
die Beſtimmungen der goldnen Bulle de diffidationibus wiederholt.
1.
Historia Friderici III, in dem erſt von Kollar publicirten
Theile (Anal. II, p. 166).
1.
In der Sammlung kaiſerlicher Schreiben im Frankf. Archiv
Bd V findet ſich ein ſehr merkwuͤrdiger Bericht von Johannes Brun
uͤber eine Audienz die er im October 1461 bei Albrecht Achilles
hatte. Er ſollte ihn um Nachlaß der ausgeſchriebenen Huͤlfe bitten.
Mkg. Albrecht weigerte ſich darauf einzugehn. „Auch erzalte er,
was Furnemen gen unßen gn. Herrn den Keyſer geweſt waͤre und
wy ein Gedenken noch dem Ryche ſy, auch der Kunig von Behemen
ganz Meynung habe zu Mittenſommer fuͤr Francfort zu ſin und das
Rych zu erobern, und darnach wie u. g. H. der Keiſer ine, ſine Schwe-
her von Baden und Wirtenberg angerufen und yne des Ryches Ba-
nyer bevolhen habe, uͤber Herzog Ludwig, um der Geſchicht willen
mit dem Biſchof von Eyſtett, den von Werde und Dinkelsboͤl und
umb die Pene, darin er deshalben verfallen ſy; — in den Dingen er
uf niemant gebeitet oder geſehen, ſondern zu Stund mit den ſinen
und des von Wirtenberg mit des Rychs Banyer zu Feld gele-
gen und unſern Herrn den Keyſer gelediget und die Laſt uf ſich
genommen, darin angeſehen ſine Pflicht, und was er habe das er
1.
Handlung auf dem bebeſtlichen und kaiſerlichen Tage des
Tuͤrkenzugs halben zu Nuͤrnberg, in dem 4ten Band der Frankfur-
ter Rtgs Acten, eben wie ſie von Schilter und Muͤller publicirt iſt,
nur mit kleinen Abweichungen.
1.
das vom Ryche habe, und meyne Lip und Gut von u. H. dem Kei-
ſer nit zu ſcheiden.“ — — Uͤber das Geſuch der Staͤdte ſagt er:
„wywol yme das Geld nutzer waͤre und er mer ſchicken wolle mit
den die er in den Sold gewoͤnne denn mit den die im von den Staͤd-
ten zugeſchicket werden, ye doch ſo ſtehe es ime nit zu und habe
nit Macht eynich Geld zu nehmen und des Keiſers Gebote ab-
zuſtellen.“ — Geſinnungen wie ſie einem Reichsfuͤrſten geziemen.
Wer doch einmal das Leben und Thun dieſes merkwuͤrdigen Fuͤrſten
naͤher zu vergegenwaͤrtigen verſtuͤnde.
1.
Die Conſtitution vom 18ten Aug. 1467 bei Muͤller Rth. II,
293. Die Friedensbeſtimmungen jener Geſetze ſollen nicht aufgeho-
ben ſeyn, „dann allain in den Artickel der guͤlden Bull, der do in-
hellt von Widerſagen, und in den erſten Artickel der Reformation,
der da inhellt von Angreifen und Beſchedigen; dieſelben Artickel ſol-
len die obgemeldten funf Jar ruhen, — auf daß zu Vehde Krieg
und Aufrur Anlaß vermitten und der Fride ſtracks gehalten werde.“
Ungluͤcklicherweiſe iſt es dem guten Muͤller an dieſer wichtigen Stelle
begegnet, ſtatt Neuenſtadt Milbenſtadt zu leſen: was hernach in eine
Menge Reichshiſtorien uͤbergegangen.
1.
Der Herzog von Cleve ward fuͤr Bremen, Muͤnſter und
Utrecht, der Herzog Ludwig von Baiern fuͤr Regensburg und Paſſau
zum Executor ernannt.
1.
„daß die erbb. Staͤdte und die Iren in Zeitten ſollichs ge-
mainen Friden und wider des Inhalt und Mainung mer Ungemachs
Beſchaͤdigung verderblicher Koſt Schaden und Unfrid an iren Leu-
ten Leiben und Guten gelitten, dann ſy vorher in vil Jaren und
Zeytten je empfangen.“ Handlung zu Regensburg 1474. Frankfur-
ter AA. Bd. VIII.
2.
Aeneas Sylvius: Dialogi de autoritate concilii: fuͤhrt im
zweiten dieſer Dialoge einen Novareſen ein, der den Deutſchen zu-
ruft: Bona vestra vere vestra sunt: pace omnes fruimini et li-
bertate in communi, magisque ad naturam quam ad opinionem
vivitis. Fugi ego illos Italiae turbines. (Kollar Anal. II, 704.)
1.
Vgl. Unreſt Chronicon Austriacum bei Hahn 660 — 688.
Kurz Oͤſtreich unter Friedrich III. Zweiter Band.
1.
Muͤller Reichstagstheater unter Friedrich III V, 122.
1.
Bei Muͤller Rtth. Fr. VI, 115. Wo aber der, der gewal-
tige Tate fuͤrneme und uͤbe, das thete uf behapte Urtheil, ſo ſolt
daruͤber nyemant dem Bekriegten das mahl Hilf zuzuſchicken ſchul-
dig ſeyn.
1.
Im Jahr 1431. Datt de pace publica 167.
2.
Protocoll bei Muͤller I, p. 782! jedoch mit dem Zuſatz:
„ſie wolten ſolch fruͤndlich Fuͤrbringen ihren Fruͤnden beruͤmen.“
3.
Die Antwort welche ſie bei Muͤller II, p. 626 geben iſt un-
3.
beſtimmt und dunkel. In den Frankfurter AA. (Bd VIII) lautet
ſie: „Als die des Friedens nothurftig und begerlich ſind, ſetzen ſy
(die Staͤdte) in kein Zweifel, E. K. M. (werde) gnediglich darob
und daran ſeyn, daß der veſtiglich gehandhabt und gehalten werde:
dazu ſy aber irenthalb zu reden nit bedacht ſind, auch kein Befel
haben, unterteniglich bittend, das S. K. M. das alſo in Gnaden
und Guten von in verſten, und ſy als ir allergnedigſter Herr beden-
ken wolle.“ — Man ſieht: ihre Annahme iſt nur ganz allgemein,
die naͤhern Beſtimmungen wollen ſie ſich nicht aufdraͤngen laſſen;
der Kaiſer giebt ihnen ihr Hinterſichbringen zuletzt nach.
1.
Dr. Ludwig zum Paradeis an Frankfurt. Montag nach Ju-
dica 2 April 1487. Mit dieſem Reichstage beginnen die ausfuͤhrli-
chen Berichte der Frankfurter Abgeordneten. Die fruͤhern waren mehr
fragmentariſch. (RsA. Bd XII.)
1.
Vgl. Rede Sigmunds an die Rathsfreunde zu Frankfurt.
Abgedruckt bei Aſchbach Geſchichte Kaiſer Sigmunds I, 453. Er
ſagt da, er werde mit den Staͤdten reden, „was ir Breſt (Gebre-
chen) ſy.“
1.
Die Stelle, wie ſie Harpprecht, Archiv I, § 109, mittheilt,
1.
iſt ganz unverſtaͤndlich, weil ſtatt Urtailſprecher gedruckt iſt Urthel
ſprechen, gleich als ſollten die Staͤnde ſelbſt zu Gericht ſitzen. Rich-
tiger und im Zuſammenhang iſt ſie bei König von Koͤnigsthal II,
p.
13.
1.
Aufſatz einer Kammergerichtsordnung bei Muͤller VI, 29.
2.
Monita Caesareanorum bei Muͤller VI, 69.
1.
Grünbeck: historia Friderici et Maximiliani bei Chmel
Oͤſtreichiſcher Geſchichtsforſcher I, p. 69.
1.
Schreiben Maximilians an Albrecht von Sachſen 1492 im
Dresdner A.
1.
Muͤller VI, p. 171. Eine Regiſtratur von dieſem Reichs-
tag in den Frankf. AA. Bd XIII.
1.
Aus einem Schreiben Albrechts an ſeinen Sohn bei Lan-
genn: Herzog Albrecht p. 205.
2.
Diarium Joannis Tichtelii bei Rauch: Scriptt. Rer. Au-
striacarum II,
559. Viermal ſchreibt er den Namen Maximilian
hinter einander: er kann ſich nicht ſatt daran ſchreiben.
1.
In der Faſten 1482 beſchloſſen Albrecht und Georg „mit
ihr beder Landſchaft daß man ohne Gunſt des h. Vaters dem Kaiſer
wider Koͤnig Matthias nit helfen ſollte.“ Anonyme gleichzeitige Chro-
nik in Freiberg Sammlung hiſtoriſcher Schriften und Urkk. I, 159. Alle
dieſe Verhaͤltniſſe verdienten eine genauere Eroͤrterung. Denn nicht
ſo ſpaͤt wie man glaubt, begann ein Syſtem der neuern Staaten. Aus
Hagek Boͤhmiſcher Chronik p. 828 ergiebt ſich, daß die Boͤhmen es
nicht dulden wollten, daß man ſie von der Wahl Maximilians aus-
geſchloſſen hatte. Sie verbuͤndeten ſich mit Matthias und zogen Po-
len in dieſen Bund (Pelzel Geſch. v. Boͤhmen I, 494.) Die Ge-
ſandten des Matthias ſuchten [die] italieniſchen Fuͤrſten in Bewegung
zu ſetzen (Philippus Bergomas Supplementum Chronicorum p. 320).
Frankreich gehoͤrte ebenfalls zu dieſer Partei. Man ſieht was es zu be-
deuten hatte, daß ſich Baiern daran anſchloß. Die Augen der Herzoge
waren unaufhoͤrlich bald nach der Lombardei bald nach den Niederlan-
den gerichtet. Freiberg Geſchichte der baieriſchen Landſtaͤnde I, 655.
1.
Pfiſter Geſchichte von Schwaben V, p. 272.
2.
Gleich in ſeinem erſten Ausſchreiben giebt der Kaiſer als
Zweck des Bundes an, daß die Staͤnde „bei dem heiligen Reiche und
ihren Freiheiten bleiben.“ Datt de pace pub. 272. Wer ſollte glau-
ben, daß wir fuͤr die Geſchichte dieſes wichtigſten aller fruͤheren
Buͤnde noch immer hauptſaͤchlich auf Datt angewieſen ſind?
1.
Der Tractat von Oͤdenburg 1463 29 Juli hatte dem Hauſe
Oͤſtreich ſchon die Erbfolge nach Ausgang der Hunyads zugeſichert.
Der neue Tractat 1491 Montag nach S. Leonh. 7 Nov. erneuerte
dieß Recht fuͤr den Abgang der maͤnnlichen Deſcendenz Wladislaws.
1.
Nicolai Cusani de concordantia catholica libri III. In
Schardius Sylloge de jurisdictione imperiali f. 465.
2.
Lib. III, c. XXXIII: pronunciet et citet quisque judicum
secundum conditionem disceptantium personarum, nobilis inter no-
biles, ecclesiasticus inter ecclesiasticos, popularis inter populares:
nulla tamen definitiva feratur nisi ex communi deliberatione omnium
trium. Si vero unus duobus dissenserit, vincat opinio majo-
ris numeri.
Man duͤrfte nicht glauben, daß nicht auch die deutſchen
Rechtsgewohnheiten viele Klagen veranlaßt haͤtten. Hier heißt es:
2.
Saepe simplices pauperes per cavillationes causidicorum extra cau-
sam ducuntur, et a tota causa cadunt, quoniam qui cadit a syl-
laba, cadit a causa: ut saepe vidi per Treverensem dioecesim
accidere. Tollantur consuetudines quae admittunt juramentum
contra quoscunque et cujuscunque numeri testes. (III, c. 36.)
1.
Der alte Kaiſer ſagt in ſeinem Ausſchreiben 4ten Juny 1492.
Wir — lieber von dieſer Welt ſeligklich ſcheiden, dann einen ſolchen
unkriſtlichen ſnoden Handel ungeſtrafft beleiben und das heil. Reich
und deutſche Nation in dieſen leſterlichen und unwiederpringlichen
Vall bei unſerer Regierung wachſen laſſen wolten.
1.
S. den erſten Entwurf, welchen der Churfuͤrſt v. Mainz
erſt dem Koͤnig dann den Staͤdten mittheilte. Protocoll bei Datt
de pace publica p.
830. Es iſt daſſelbe Protocoll das ſich in den
Frankfurter Acten Bd XV findet.
2.
Das letzte iſt eine Beſtimmung des erweiterten Entwurfs:
p. 838 nr. 17: „Sollen dieſelben Preſident und Perſonen des vor-
2.
gemeldten Rathes aller Geluͤbd und Aide — damit ſie uns oder
inen (denen von welchen ſie geſetzt worden) verbunden oder verſtrickt
waͤren, genntzlich ledig ſeyn. —
1.
Notiz aus dem Berliner Archiv, das jedoch uͤber dieſen
Reichstag nur fragmentariſche Bemerkungen enthaͤlt.
2.
Spaͤtere Erklaͤrung des Churf. Berthold von Mainz bei
Datt p. 871. Daruf waͤre erſt fuͤrgenommen ain Ordnung im Reich
aufzurichten und Sr ko. Mt furgehalten, darab S. M. etwas Be-
2.
ſwaͤrung und Mißfallens gehabt, hetten die Stende davon geſtanden.
Ob Muͤller Rth. unter M. I, 329 mit Recht behauptet, daß noch ein
zweiter Entwurf aͤhnlicher Art eingereicht worden, worauf ſich Maxi-
milian erboten, ſtatt des Reichsraths einen Hofrath zu machen, muß
ich dahin geſtellt ſeyn laſſen. Es wuͤrde am Ende doch nur ein an-
derer evaſiver Vorſchlag geweſen ſeyn.
1.
Notiz aus einem ſpaͤtern Schreiben bei Harpprecht Staats-
Archiv des Reichskammergerichts II, p. 249.
1.
Handhabung Friedens und Rechtens zu Worms aufgericht,
bei Muͤller Rth. Mar. J. p. 454.
1.
Dieſe zweite Bewilligung betrug 150000 G. „Damit S.
Koͤnigl. Gnad unſerm h. Vater Papſt, und Italien, bis der gemein
Pfennig einbracht werde, deſter ſtattlicher Huͤlfe thun moͤchte.“ Um
das Anlehen einzubringen, ſandte der Koͤnig Geſandte an einzelne
Staͤnde; z. B. den Fuͤrſt Magnus von Anhalt und Dr Heinr. Frieſe
an den Abt von Fulda, der 300 G., die beiden Grafen von Hanau,
die 500 G., den Grafen von Eiſenberg, der 300 G., die Stadt Frei-
berg, die 400 G., und die Stadt Frankfurt, die 2100 G. zahlen
ſollte. Inſtruction im Comm. Archiv zu Deſſau.
1.
Abſchied und Bevehle bei Muͤller 459.
2.
Muͤller Rth. 688, 9.
1.
Excerpta ex collectaneis Jobi de Rorbach: bei Harpprecht
II, 216. In den Fr. RA. findet ſich noch ein Schreiben Arnold
Schwartzenbergs an den Rath zu Frankf. Freitag nach Aſſumt. (21
Aug.) „Item uf Samſtag U L F. Abend hat Graf Hug von Wern-
berg nach mir geſchickt, und vorgehalten, das Kammergericht werde
gelegt gen Frankfurt, wo man ein Huß dazu bekommen mocht und
ein Stuben daneben zum Geſpreche.“ Der Preis fuͤr Fleiſch und
Fiſch ſoll beſtimmt, die Buͤrger ſollen ermahnt werden ſich gegen die
Mitglieder zimlich und glimpflich zu verhalten.
2.
Dem Fuͤrſten Magnus von Anhalt: er ſagt in einer ſeiner
Noten ſelbſt: Conventus me elegerunt, sed revocavit rex.
1.
In den Fr. A. finden ſich mehrere Schreiben um Herbergen
z. B. von Juͤlich Coͤlln Mainz; aber auch zugleich ein Schreiben
von Frankf. ſelbſt Samſtag nach Juvocavit, daß noch Niemand er-
ſchienen ſey.
2.
Roͤmhilder Linie, geb. 1442. Diplomatiſche Geſchichte des
Hauſes Henneberg p. 377.
1.
Serarius Res Moguntinae p. 799.
1.
In dem Berliner Archiv findet ſich ein Convolut uͤber die-
ſen Reichstag, welches neben der Inſtruction, 1. die bis zur Ankunft
der Geſandten eingelaufenen Schreiben und die von den fremden
Geſandten gehaltenen Vortraͤge, 2. das Protocoll der Verhandlun-
gen von Freitag nach Dionyſii 14 Oct. enthaͤlt. Dieſes Protocoll
iſt nun deswegen beſonders merkwuͤrdig weil der vornehmſte Bevoll-
maͤchtigte Erasmus Brandenburg Pfarrer zu Cotbus Mitglied des
Ausſchuſſes war und deſſen Verhandlungen berichtet. Es iſt großen-
theils von ſeiner Hand.
1.
Dieſe Worte ſagte der Churf. am 28 Nov. Eine aͤhnliche
Ergießung fuͤhrt der Auszug Scherers an: bei Fels: Erſter Beitrag
zur Reichsgeſch. Vorrede § 7. In dieſen Beitraͤgen findet ſich das
Protocoll von Lindau, welches die Frankfurter AA. Bd XVI enthalten.
1.
Damit das nicht wie Conſpiration herauskomme, hatte man
zuvor beſchloſſen „die Handhabung, zu Worms verſigelt, vorzuneh-
men und aus derſelben ain Grund der Einung und Verſtendniß zu
nehmen und was des zu wenig ſeyn will zu erwe[it]ern.“ Branden-
burg. Protocoll.
1.
Verhandlung der Stennde des heil. Rychs uf dem koͤn. Tage
zu Worms. Tom. XVII der Fr. A. Man ſieht daraus unter an-
1.
dern mit voller Sicherheit daß Maximilian nicht in Worms erſchie-
nen iſt. Wenn Haͤberlin Reichsgeſch. IX, 84 dieß dennoch annimmt,
ſo taͤuſchten ihn einige Urkunden, die aber nur im Namen des Koͤ-
nigs am Reichstag ausgeſtellt worden ſeyn koͤnnen. Zu Freiburg
(Dienſtag nach Viſitationis Mariaͤ 3 Juli) entſchuldigte ſich Maxi-
milian ſelbſt, daß er nicht in Worms erſchienen ſey: er habe in ſei-
nen Erblanden ein loͤblich Regiment aufrichten muͤſſen ꝛc. man habe
es ihm wohl als Thorheit ausgelegt ꝛc. aber jetzt ſey er da. (Brand.
Protocoll.)
1.
Das Brandenburger Protocoll, das auch fuͤr den Reichstag
von Freiburg unſre vornehmſte Quelle iſt, fuͤgt hinzu: der Koͤnig
habe geredet „mit viel wunderlichen Worten und Gebehrden, ganz
dunkel und unverſtaͤndlich.“
1.
In der Inſtruction des Churfuͤrſten von Brandenburg ward
noch geſagt: „der gemeine Pfennig ſey kaum zur Haͤlfte gefallen,
der Sterbung halber; S. Ch. Gn. wolle entweder was bis jetzt ein-
gekommen beſonders oder ſpaͤter alles mit einander uͤberantworten.“
1.
Freiberg Geſchichte der baieriſchen Landſtaͤnde I, 568. 663.
1.
Ein die uͤbrigen ergaͤnzendes ſehr wichtiges Protocoll bei
Harpprecht II p. 341. In den Berliner Acten findet ſich das Docu-
ment, das Muͤller II, 442 mittheilt, unter dem Titel: Ein Leute-
rung des Kammergerichts; jedoch mit einigen Zuſaͤtzen, z. B. „auf
den Artikel der Succeſſion der Toͤchter und Enkel halb, iſt dieſer Ar-
tikel aufgeſchoben worden bis auf koͤn. Majeſtaͤt Zukunft.“ Die An-
weſenheit des Koͤnigs ſelbſt war noͤthig um die Sache zu Ende zu
bringen.
1.
Der handſchriftliche Fugger fuͤhrt aus, daß die Deutſchen
in einem Scharmuͤtzel 22 Sept. 1498 im Vortheil geblieben und
verloren gegangene Schloͤſſer wiedererobert haben. Unglaublich iſt es,
daß Max, wie Zurita will, 25000 M. z. F. und 5000 z. Pf. im
Felde gehabt haben ſoll.
1.
Schreiben Maximilians an Biſchof Heinrich von Bamberg
bei Harpprecht II, 399. Der Koͤnig lud die Verſammlung nach
Coͤlln ein, wo aber Viele nicht erſchienen, weil ihre Inſtructionen
nur auf Worms lauteten.
1.
Protocoll des Reichstags zu Augsb. in den Acten zu Frank-
furt Tom. XIX, leider nicht ſo ausfuͤhrlich wie man wuͤnſcht. Z. B.
werden die Einwendungen welche die Staͤdte gemacht laut dreier
Zettel, hier nicht verzeichnet, weil jeder Staͤdtebote ſie kenne.
2.
Jene ſind Salzburg Magdeburg Bremen und Beſançon;
die Churfuͤrſtenthuͤmer waren natuͤrlich ausgeſchloſſen: die Nieder-
lande an der Maaß ſtatt Sachſens. Datt de pace publica p. 603.
1.
Ordnung des Regiments zu Augsburg aufgericht, in den
Sammlungen der Reichsabſchiede.
1.
Vornehmlich aus dem Schreiben von Johann Reyſſe an
die Stadt Frankfurt 17 Aug. 1500. „So die Fuͤrſten kainen von
Staͤtten zu Reichsraidt verordnet hatten, ſo haben die Stette be-
dacht,“ ꝛc. Er bemerkt noch, daß die Fuͤrſten ſich von jeder Stadt
ſogleich drei Candidaten vorſchlagen ließen, aus denen ſie einen er-
nannten.
2.
Wie man darin eine Art von Abdankung ſah, zeigt der Aus-
druck des venez. Geſandten. Relatione di S. Zaccaria Contarini,
venuto orator del re di Romani 1502:
in der Chronik Sanuto’s
Arch. z. Wien Bd IV. Fo terminato et fo opinion del re rinon-
tiar il suo poter in 16, nominati il senato imperial, quali fos-
1.
Schreiben von Reyſſe. 17 Aug. Fr. A.
2.
sero quelli avesse (i quali avessero) a chiamar le diete e tuor
le imprese.
1.
Muͤller Reichstagsſtaat p. 63.
1.
So unrecht hatte Maximilian darin nicht. Es iſt unglaub-
lich, was ſich der franzoͤſiſche Geſandte herausnahm. Er ſagte gra-
dezu, daß ſich Maximilian Neapels ſo lebhaft annehme, komme da-
her, daß man ihm 30000 Duc. bezahlt habe, obwohl davon die
Unterhaͤndler die eine Haͤlfte genoſſen, und nur die andre Haͤlfte
dem Kaiſer zu Gut gekommen ſey. Er meinte, der Koͤnig von
Frankreich denke nicht daran, das Reich zu verletzen. Wolle man
aber demſelben den Krieg machen, ſo werde er dem Feinde ſo bald in ſein
Haus dringen, als dieſer ihm. Und dieſem Geſandten gab hierauf
der Reichsrath noch ein Zeugniß mit, wenn er die Abſichten des Koͤ-
nigs nicht erreicht habe, ſo liege das nicht an ihm, ſondern an den
Umſtaͤnden. Recreditif 25 Mai 1501 bei Muͤller p. 110.
2.
Contarini fuͤhrt folgendes ſehr beſondre Motiv an. Lo
episcopo di Magonza voleva per il sigillo 80m duc. onde parse
al re di Romani d’acordarsi et aver lui questi danari.
1.
Relatione l. c. von 1502. Il re è assa odiato, a poca obe-
dientia in li tre stadi; questi senatori electi è venuti nimici del
re: adeo il re dice mal di loro e loro del re. Il re a ditto piu
volte vorria esser duca d’Austria, perche saria stimato duca, che
imperator è vituperato.
1.
Ich fand ſie in den Archiven zu Berlin und zu Dresden;
an den Herzog von Sachſen hatten ſie die Churfuͤrſten von Bran-
denburg und Sachſen vereinigt geſchickt. Muͤller hat davon nur ſehr
ungenuͤgende Notiz.
1.
Schreiben von Schwaͤbiſchwerd 2 Nov. Frankfurter RA.
Tom. XX.
2.
Hinsburg an Frankfurt, Donnerſtag nach Galli 20 Oct.
Gelnhauſen ſandte an Frankfurt das Schreiben des Churf. Berthold,
das am 19ten eintraf, worin auch dieſer erklaͤrte, „der Tag zu Geln-
hauſen angeſetzt ſey aus merklichen Urſachen erſtreckt und an eine
andre Malſtadt verruckt.“
1.
Antorf 7 April. Fr. A. „des Reichsregiments wegen der
Perſonen ſo daran geordnet ſeyen wir dann nit ſo pald erlangen
haben muͤgen und dadurch wiederum in Anſtand kommen iſt.“
1.
Bei Gudenus IV, 547. 551.
2.
Koͤnigl Maj Anzeigen, item die Urſach darumb des Reichs
Regiment und Wolfart zu Augſpurg aufgericht ſtocken beliben iſt.
Frankf. AA.
1.
Erzaͤhlung bei Fugger, die ich aber damit nicht verbuͤrgen will.
1.
Pasqualigo Relatione di Germania, (MS der Hofbibl.
z. Wien,) dem ich dieſe Bemerkung verdanke, ſagt von den Biſchoͤ-
fen: „li quali tutti dependono dal re come sue fatture, e se-
guono le voglie sue.“
1.
Luͤtzow Geſchichte von Meklenburg II, p. 458.
1.
Kanzow Pomerania II p. 260. Barthold im Berl. Kal.
1838 p. 41.
2.
Hamelmann Oldenb. Chronik p. 309.
3.
Arnoldi Geſchichte von Oranien II, 202.
1.
Die Reimerei hieruͤber, welche Muͤller Rth. u. Max. I,
538 aufgenommen hat, iſt ſpaͤter: die Sache ſelbſt iſt richtig.
1.
Ausdruck Lamparters in ſeinem Vortrag an die Landshuter
Staͤnde bei Freiberg Geſchichte der baier. Landſtaͤnde II, p. 38.
2.
Harpprecht Archiv des Kammergerichts II, p. 178.
1..
Freiberg a. a. O. II, p. 52.
1.
Dieſe Verwuͤſtungen ſchildern Trithemius, Zayner u. A. aus-
fuͤhrlich. Vgl. m. Geſch. romaniſch-german. Voͤlker p. 231.
2.
Wahre Geſchichtserzaͤhlung der von Nuͤrnberg uſurpirten
Staͤdte ꝛc. 1791 § 15 macht der Stadt dieß noch einmal zum Vor-
wurf.
1.
Eine der wunderlichſten Auffaſſungen dieſer Verhaͤltniſſe fin-
det ſich in dem Viaggio in Alemagna di Francesco Vettori, Paris
1837, p.
95, aus dem Munde eines Goldſchmidts zu Uͤberlin-
gen. Da iſt der Pfalzgraf mit Schweizern und Franzoſen ver-
buͤndet; ſchon der Schweizerkrieg wird von ihm veranlaßt: hier-
auf ſchließt aber Maximilian einen Vertrag mit Frankreich zu Ha-
genau 1502 (er fand bekanntlich 1505 ſtatt); und nun greift er den
Pfalzgrafen an, der die Boͤhmen zu Huͤlfe ruft, aber ſie dann ſel-
ber im Stiche laͤßt, ſo daß ſie geſchlagen werden. Es iſt das wie-
der ein Beiſpiel wie die Geſchichte auf der Stelle zur Mythe wird;
im Einzelnen iſt alles unrichtig, das Ganze nicht voͤllig ohne Wahr-
heit. Vettori findet doch ſelbſt die Erzaͤhlungen des Goldſchmidts
ohne Ordnung und Zuverlaͤßigkeit. Aber gern nimmt er ſie in ſein
Heft auf, das eher dem Decameron aͤhnlich ſieht, als einem Reiſe-
tagebuche.
1.
Der Sinn des geiſtreichen Liedes: die behemſch ſchlacht,
1504, aus einem fliegenden Blatt von Hormayr herausgegeben und
von Soltau wiederholt, p. 198.
1.
Browerus p. 320. Er ſah das Breve, durch welches der
Papſt den Candidaten des roͤmiſchen Koͤnigs empfahl.
1.
Protocoll des Reichstages, wodurch die in Muͤllers Reichs-
tagsſtaat befindlichen Nachrichten ſehr erweitert werden; in den Frank-
furter Acten.
1.
Istuanffy Historia regni Hungarici p. 32.
1.
Maximilian bezeichnet in ſeiner Erklaͤrung an die Staͤnde
den Wiener Vertrag als einen Tractat, „dadurch J. K. Mt und
deutſche Nation, ob Gott will, an ihrer erblichen und andern Gerech-
tigkeit des Koͤnigreichs Ungern, wenn es zu Faͤllen kommt, nicht Man-
gel haben werde.
1.
Somaria di la relatione di Vic. Querini, Doctor, ritor-
nato dal re di Romani 1507 Nov.
Chronik v. Sanuto Wien. A.
Tom. VII. Cr meint der Churfuͤrſt von Sachſen mache ſich Hof-
nung. Il re a gran poder in Alemagna, ſagt auch er, è molto
amato, perche quelli non l’ubediva è morti.
1.
Dienſtag nach Marci. Schreiben von Eitelwolf von Stein
an den Churfuͤrſten von Brandenburg 6 April 1507 im Berl. A. Die
bisherigen Angaben ſind unrichtig.
2.
Antwort der Staͤnde Frankf. AA. Tom. 23. ſie ſyen uf
1.
In der Erklaͤrung in der er die 12000 M. fordert, fuͤgt
er hinzu: „Und wo ſich die Stend des Reichs jetzo dermaaßen da-
pferlich mit der Hilf erzaigen, ſo iſt k. Mt willig jetzo nach irem
Rat zu handeln, was von Geld Gut Land und Luͤten zuſton wird,
wie daſſelb gehandelt und angelegt werden ſoll, wie auch die eroberte
Herrſchaften und Lut by dem Rich zu hanndhaben und zu erhalten
ſyn, dadurch die Buͤrden in ewig Zeiten ab den Deutſchen und der
Billichait nach uf andre Nation gelegt, auch ein jeder romiſch Ko-
nig eehrlich und ſtatlich on ſunder Beſwerung deutſcher Nation er-
halten werden moͤg.“
2.
dieſen Richstag uf irer Mt Erfordern als die Gehorſame erſchie-
nen, ganz Gemuͤts, zu raten und ires Vermoͤgens die Kaiſerliche
Krone helfen zu erlangen und des Koͤnigs von Frankreich Fuͤrne-
men, des er wider das h. Reich in Uͤbung ſteht, Widerſtand zu tun.
1.
Harpprecht II, § 240. § 253.
2.
„es ſy not, das Cammergerichte als ain verſampt Weſen
von ainem Weſen unterhalten und derſelbtige vnderhaltung nit zerteilt
werden.“ Protocoll des Reichstages bei Harpprecht II, p. 443.
1.
Fryheitsbull bei Anshelm III, 321.
1.
Eine naͤhere Eroͤrterung hieruͤber in dem Excurs uͤber Fugger.
1.
Relatione di Vicenzo Quirini. Er machte einige Raͤthe
nahmhaft als nostri „capitali inimici;“ eine Zeitlang habe Max. ge-
ſagt: I Venetiani non mi a fato dispiacer e Franza sì. E su que-
ste pratiche passa il tempo.
2.
Pasqualigo Relatione. Non saria molto difficil cosa che
la (S. M.) dirizzasse la sua impresa contra questo stato, mas-
sime per il dubbio che li è firmato nell’ animo che le Eccze Vo-
stre siano per torre l’arme in mano contra a lei quando la fusse
sul bello di cacciar li Francesi d’Italia, et a questo ancora l’in-
clineria assai li onorati partiti che dal re di Francia li sono con-
tinuamente offerti ogni volta che la voglia lassar la impresa di
Milano e ricuperar le altre jurisditioni imperiali che ha in Italia.
3.
Schreiben von Sterzing 1ſten Maͤrz. Von Hans Renner
3.
liegt ein Schreiben von dem nemlichen Datum bei. Auch er hat die
beſte Hoffnung.
1.
Die Inſtruction fuͤr Matthias Lang Biſchof von Gurk,
Adolf Graf von Naſſau, Erasmus Dopler Propſt zu St. Sebald zu
Nuͤrnberg und Dr. Ulrich von Schellenberg, datirt St. Wendel letz-
ten April 1508. (Weimar. Arch.)
2.
Im Arch. zu Weimar findet ſich der Rathſchlag Friedrichs und
die Antwort. (Montag nach Miſericordia 8 Mai.)
1.
Schreiben Maximilians von Linz 7 Mai und von Sieg-
burg 10 Mai. (Weim. A.)
2.
Antwort Samſtag nach Miſericordia 13 Mai. (Weim. A.)
Gegen ihre Buͤrgſchaft verlangten ſie Verſicherung vom Kaiſer. Die-
ſer erwiederte, „er koͤnne ſich zu nichts weiter verpflichten, als ſie in
Jahresfriſt ihrer Buͤrgſchaft zu entheben, auf ſeinen guten Glauben.“
1.
Matthias von Gurk giebt dem Churf. Friedrich 24 Sept.
Nachricht daß er ſich mit einigen Räthen und der Tochter des Kai-
ſers an einen Ort an der franzoͤſiſchen Grenze begeben werde, um
mit dem Cardinal von Roan, der auch dahin kommen ſolle, uͤber
den Frieden zu unterhandeln. „Frau Margareta handelt und muet
ſich mit allem Vleiß und Ernſt umb ain Frid.“
2.
Durch Ausſchreiben Coͤlln vom 31ſten Mai 1508 nach je-
ner Zuſammenkunft der Churfuͤrſten ward „ein eilender Reichstag“
auf den 16 Juli angekuͤndigt; verſchoben Boppard den 26 Juni
1.
Verhandelung der Stennde des h. Reichs uff dem kaiſerli-
chen Tage zu Worms ao̅ dn̅i̅ 1509. Frankf. AA. Bd 24. Fuͤr-
halten Sr Maj. Sonntag 22 April um Ein Uhr. „Wo S. Hei-
ligkeit nit geweſt, haͤtte Kaiſ. Mt den Verſtand und Practica nit
angenommen.“ Doch bemerkt er, die Sache werde ſich „liederlich
und mit kleinen Koſten ausfuͤhren laſſen.“
2.
„bis wir des Reichs Nothdurft weiter bedenken:“ 16 Juli in
Coͤlln auf Allerheiligen beſtimmt; 12 Sept. zu Bruͤſſel wird dieſer
Termin nochmals feſtgeſetzt; 22 Dez. zu Mecheln erklaͤrt, woran
der neue Verzug gelegen: — nemlich an den Unterhandlungen mit
Frankreich; endlich 15 Maͤrz 1509 erneut der Kaiſer ſein Ausſchrei-
ben und ſetzt den Termin Judica feſt. Fr. AA. Bd 24 u. 25.
1.
Nachrichten des aͤchten Fugger. So viel ich ſehe betrug die
Summe 20000 G. Vgl. Jaͤger Schwaͤbiſches Staͤdteweſen 677.
2.
Die Beſchluͤſſe dieſer Staͤdtetage waͤren wohl noch naͤher
zu ermitteln. Ein Schreiben des ſchwaͤbiſchen Bundes vom 21 Oct.
1508 erinnert, „welchermaaß auf vergangen gemeinem Frei und
Reichsſtett-Tag zu Speier der Beſchwerden halben, ſo den Stett-
1.
In den weimariſchen Acten findet ſich ein Gutachten uͤber
die Nothwendigkeit die Huͤlfe zu verſagen, in welchem man beſon-
ders uͤber Leute klagt „ſo bei S. Kaiſ. Mt ſein und ſich allwege
gefliſſen Kſ. Mt dahin zu bewegen Hilf bei den Stenden des Rei-
ches zu ſuchen zu ſolchem Fuͤrnemen, das doch ohne Rad und Be-
wußt der Stennde des h. Reichs beſchehen iſt.“
2.
boten uf dem Reichstag zu Coſtnitz begegnet ſind, gerathſchlagt und
ſunderlich verlaſſen iſt, ſo die Roͤm. Koͤnigl. Mt wiederum ein Reichs-
tag fuͤrnehmen wird, daß alsdann gemeine Frei und Reichsſtaͤtte gen
Speier beſchrieben werden ſollten.“
1.
Verhandelungen ꝛc. „Dweile die Stende des Reichs davon
kein gruͤndliches Wiſſen tragen, ſo hab J. Kſ. Mt wohl zu ermeſſen,
daß wo ichts darin begriffen oder verleipt das dem h. Reich jetzo
oder in Zukunft zu Nachtheil thaͤte reichen, es were mit Herzogthum
Mailand oder anderm, dem Reich zuſtendig, daß ſie darin nit wil-
ligen koͤnnen.“
2.
Nicht eben aus Unmuth, wie man angenommen. Er er-
klaͤrte gleich am 22ſten April, er koͤnne den Beſchluß nicht erwarten,
und gieng dann 2 Tage darauf weg, ehe die Verſammlung noch
recht beiſammen war; die eigentliche Reichstagspropoſition geſchah
erſt Mittwoch vor Himmelfahrt 16 Mai, durch Caſimir von Bran-
denburg als Statthalter, Adolf von Naſſau und Frauenberg als deſ-
ſen Raͤthe. Frankf. AA. Bd 24. Die Schreiben des Frankf. Raths-
freundes Joh. Froſch wiederholen hauptſaͤchlich den Inhalt der Acten,
mit einigen Zuſaͤtzen. Aus beiden ergiebt ſich, daß es zu einem Ab-
ſchied gar nicht gekommen iſt, obwohl das bei Muͤller und Fels ſo
ſcheinen ſollte.
1.
Rovereyt 8 Nov. 1509. Als uns der Stend Hilf und Bei-
ſtand vorzigen und abgeſchlagen, und den Venedigern das kund, wur-
den ſy mehr geſtaͤrkt, ſuchten erſt all ir Vermoͤgen und bewegten
daneben den gemein Popl in Stetten. (Frkf. A.)
2.
Haͤberlin iſt ungewiß, ob der Reichstag auf den h. 3 Koͤ-
nigtag oder auf den 12 Jan. ausgeſchrieben worden. Das Ausſchrei-
ben lautet auf den achtenden der heil. drei Koͤnigtag d. i. 13 Jan.
1.
Handlung auf gehaltenem Reichstag zu Augsburg 1510. (Fr.
A.) Antwort der Staͤnde Aftermittwoch nach Judica. Sie riethen dazu,
um nicht die Sache kuͤnftig entweder gradezu fallen zu laſſen „oder viel
nachtheiliger und beſchwerlicher Rachtigung annehmen zu muͤſſen, als
jetzt dem heil. Reich zu Ehr und Lob erlangt werden moͤge.“
2.
Der Kaiſer verlangte die eine freie Zuſage „der Huͤlfe von
Coſtnitz, als lang S. Mt der nothduͤrftig ſeyn wird.“ Insgeheim
wolle er dann einen Revers ausſtellen, daß er ſie nur auf Ein Jahr
begehre. Die Staͤnde trugen den Coͤllner Anſchlag an. Der Kai-
ſer: er ſey daruͤber erſchrocken; mancher Stand vermoͤge allein mehr
als das. Es blieb aber dabei und man entſchloß ſich nur, die Huͤlfe
nach dem Coͤllner Anſchlag auf ein halb Jahr zu ſtellen, wie fruͤher
auf ein ganzes.
1.
Commiſſarien zur Handhabung des Rechtes „alſo daß Kaiſ.
Mt Jemand dazu verordnet, desgleichen auch das Reich von jedem
Stand etliche mit voller Gewalt, zu erkennen, ob man Jemand der
ſich beklagt daß ihm Unrecht geſchehen, Huͤlfe ſchuldig ſey und wie
groß.“ In jedem Viertheil des Reiches wuͤrde ein Hauptmann ſeyn,
der die Huͤlfe nach jener Erkenntniß aufbieten duͤrfe. Auch einen
allgemeinen Reichshauptmann muͤſſe es geben.
1.
Die Acten dieſes Reichstags finden ſich in ziemlicher Voll-
ſtaͤndigkeit im 31ſten Bande der Frankfurter Sammlung. Die Schrei-
ben des Frankfurter Abgeordneten, Jacob Heller, vom 4ten Mai bis
29 Juni ſind aus Trier, eines vom 12 Juli aus Coͤlln datirt; im
29ſten Band.
1.
Das iſt das Prinzip. Wer unter 50 G. beſitzt, ſoll 1/60 rh. G.
zahlen; wer zwiſchen 50—100 1/40; wer 100—400 1/20; 400—1000
1/10; 1000—1500 ⅕; 2000—4000 ½; 4000—10000 1 G.
1.
Im Archiv zu Dresden findet ſich eine Inſtruction Herzog
Georgs fuͤr Dr. G. v. Breyttenpach, nach welcher dieſer in Worms
1509 erklaͤren ſoll, „das wir uns nicht anders zu erinnern wiſſen,
denn das alles, ſo wir uf dem Reychstage zu Coſtnitz zu Underhal-
tung des Kammergerichtes zu geben bewilligt, mit Proteſtation be-
ſchehen, alſo das dye Biſchoffe und Stifte desgleichen Graven und
Herrn die uns mit Lehen verwandt und auch in unſern Fuͤrſtenthu-
men ſeßhaftig ſeyn, welche auch an dem Kammergericht nie geſtan-
den, ichtes dabei zu thun nicht ſchuldig, bei ſolcher Freiheit bleiben.“
2.
Ein Handlung das Kammergericht betreffend und wer von
deſſelben Anlage ausgenommen werden will, bei Harpprecht Staats-
archiv III, p. 405.
1.
Man weiß daß er damit nicht durchdrang. Die Entſchei-
dang des Reichstags von 1510 iſt die Hauptgrundlage der Hambur-
giſchen Reichsfreiheit. Luͤnig Reichs A. Pars spec. Cont. IV p. 965.
2.
Schreiben Friedrichs von Sachſen an Renner Mittwoch
nach dem h. Dreikoͤnigtag 1509 (Weim. A.); Joachims I die crps
Christi
1510.
1.
Jacob Heller an die Stadt Frankfurt 11 Juni. „Wir
Stett ſein der Meinung, auch anzubringen zween Aſſeſſores daran
zu ſetzen auch Gebrechen und Mangel der Verſammlung fuͤrzutragen.“
2.
Bodmann Rheingauiſche Alterthuͤmer II, 535.
1.
Buchholz Geſch. der Mark III, 363. Lang I, p. 111.
2.
Nachricht des handſchriftlichen Fugger.
3.
Lang I, p. 147.
1.
Rehtmeier Braunſchweigſche Chronik II p. 861.
2.
Chytraeus Saxonia p. 222. Bei Maſch: Geſchichte von
Ratzeburg p. 421 ſieht man daß es noch viele andre Streitpuncte
gab. 28 Maͤrz 1507 mußten Biſchof und Capitel geloben, „daß
wenn der Fuͤrſt von ſeiner Ritterſchaft eine Landbede erhielte, ſie von
den Stiftsbauern eben ſo wie von den Bauern aller uͤbrigen Herrn
gegeben wuͤrde.“
1.
Kaiſer und Staͤnde ſtritten ſich uͤber den Ausſchuß der nie-
derzuſetzen ſey. Der Kaiſer glaubte man wolle die Sache verzoͤgern,
und erinnerte, was heute Bamberg koͤnne morgen einem andern ge-
ſchehen. Scheine ihnen die angeſonnene Huͤlfe zu ſchwer, ſo wolle
er Bamberg erſuchen, ſich mit hundert geruͤſteten reiſigen Pferden
zu begnuͤgen. Dieſe bewilligten die Staͤnde, jedoch nur unter der
Bedingung, daß die Aͤchter oder Verdachter zuvor in die Acht er-
klaͤrt werden muͤſſen, ehe man ſie gebrauche. (F. A.) — Die allgemeine
Entzweiung warf ſich auch auf dieſe Sache.
2.
Goͤtzens von Berlichingen ritterliche Thaten. Ausg. von Pi-
ſtorius p. 127. Den Verlauf der Sache ſtellt die Chronik von
Muͤllner (MS) nach den Documenten des Archives von Nuͤrnberg
folgendermaaßen dar. Der Uͤberfall geſchah zwiſchen Forchheim und
Neuſeß 18 Mai 1512; von einer Schaar, die 130 Pferde ſtark
war; 31 Perſonen wurden weggefuͤhrt: ihr Schade belief ſich auf
8800 G.; in einem Wald bei Schweinfurt wurde gefuͤttert und die
Beute getheilt. Die Gefangnen wurden bei den Thuͤngen, Eberſtein,
Buchenau verſteckt. Der Rath zu Nuͤrnberg nimmt hierauf 500
Knechte in Sold, und kuͤndigt den Genannten des großen Rathes
ſeinen Entſchluß an, alles zu thun um die Thaͤter zur Strafe zu
bringen: indeß „ſolten ſie ihre Kaufmannſchaft ſo enge es ſeyn
koͤnnte, einziehn, biß die Leufte etwas beſſer wuͤrden.“ Auch bringt
[...]lich am 15ten Juli eine Achtserklaͤrung aus: nur zugleich mit
einer Commiſſíon vor der ſich die Beſchuldigten reinigen koͤnnen.
Einige vollziehen dieſe Reinigung: andre nicht. Unter den letzten
werden genannt: Caspar von Rabenſtein, Balthaſar und Reichart
Steinruͤck, Wilh. von Schaumburg, Dietrich und Georg Fuchs, Con-
rad Schott. Es ſind viele Wuͤrzburgiſche Amtleute darunter und
dieſe werden nun vom Kammergericht ſaͤmmtlich in die Acht erklaͤrt.
1.
Anonymi carmen de obsidione et expugnatione arcis
Hohenkrayen
1512. Fugger; auch der gedruckte. Gassari annales
ad ann.
1512.
2.
Da zugleich eine Anzahl neuer Angriffe geſchehen ſind, auf Vilſeck,
bei Ochſenfurt, Mergentheim, bei denen ſich auch der Ordenscomthur
zu Mergentheim verdaͤchtig gemacht, ſo erhebt ſich endlich der ſchwaͤ-
biſche Bund mit einem Heer, zu welchem die Nuͤrnberger 600 M.
z. F. und einen reiſigen Zeug mit einigen Geſchuͤtzen ſtoßen laſſen.
Gangolf von Geroldseck fuͤhrt die Bundestruppen an; man ruͤckt
zuerſt wider Frauenſtein, Hans von Selbitz gehoͤrig; Schloͤſſer wer-
den erobert, Guͤter eingezogen, und endlich bequemt ſich alles zum
Vertrag. Der Kaiſer thut den Ausſpruch, daß die Ritter 14000 G.
Entſchaͤdigung zahlen ſollen. Muͤllner will wiſſen, daß davon der Bi-
ſchof von Wuͤrzburg 7000, der Pfalzgraf Ludwig 2000, eben ſo viel
der Herzog von Wirtenberg, der Comthur von Mergentheim 1000,
und Goͤtz ſelber auch 2000 gezahlt habe. Er ſchließt daraus, daß
jene Fuͤrſten „dieſer Fehd heimlich verwandt geweſen.“ Dagegen
ruͤhmt er den Biſchof von Bamberg und Mkg. Friedrich von Bran-
denburg. — —
1.
Platers Lebensbeſchreibung: — er ſpricht von der Zeit um
1515, da er gleich nachher der Schlacht von Marignano erwaͤhnt.
2.
Zorn’s Wormſer Chronik in Muͤnchs Sickingen III.
1.
Becker Geſchichte von Luͤbek I, p. 488.
1.
Die Chronik Muͤllners iſt voll von Erzaͤhlungen dieſer Art.
1.
Gassarus Annales bei Mencken I, 1743 nennt Welſer Goſ-
ſenbrot Fugger Hochſtetter Foëlin; die letzten ſind wohl die Vehlin.
Er berechnet die Dividende von der erſten Fahrt nach Calicut auf
175 PC.
2.
Jaͤger ſchwaͤbiſches Staͤdteweſen I, 669. Schon 1495 hatte
man den Plan die großen Geſellſchaften zu beſteuern. Datt p. 844
nr.
16. Das zieht ſich alle die Reichstage ſo fort.
3.
Vorſtellung von Wetzlar und Frankfurt dagegen. „Es wuͤrde
1.
Der Regensburger Chronik Vierter Band, 3tes Heft.
2.
Rhytmi de seditione Coloniensi bei Senkenberg: Selecta
juris et hist. IV, nr.
6.
3.
dem Reich und ihnen ein merklicher Abbruch ſeyn und wider ihre
Privilegien laufen.“ (Fr. A.)
1.
Baselii Auctarium Naucleri p. 1016. Ea pestis pessi-
mae rebellionis adversus senatum in plerisque — civitatibus ir-
repsit.
Trithemius Chronic. Hirsaug. II, p. 689 zählt ſie auf mit
dem Zuſatz: et in aliis quarum vocabula memoriae non occurrunt.
1.
Roſenbluͤt klagt, daß der Edelmann ſich von dem Bauer
naͤhren laſſe und ihm doch keinen Frieden ſchaffe: er treibe ſeine For-
derungen immer hoͤher; dann ſchelte der Bauer, und der Edelmann
werfe ihm ſein Vieh nieder.
2.
Herzog: Edelſaſſer Chronik c. 71, p. 162.
1.
Frankfurter Acten Bd XX. Baselii Auctarium p. 997.
1.
„der mit Fron Dienſten Atzung Steure geiſtlichen Gerich-
ten und andern alſo merklich beſchwert iſt, daß es in die Harre
nicht zu leiden ſeyn wird.“
2.
Wahrhaftig Unterrichtung der Ufrur bei Sattler Herzoge
I, Beil. nr 70.
1.
In den Frankfurter Acten Bd 30 findet ſich ein Schreiben
von Worms an Frankfurt, nach welchem die anweſenden Staͤnde
prima Junii nechſt verruckt einhelliglich entſchloſſen und den kaif.
Commiſſarien fuͤr endlich Antwort geben, daß ſie noch zehn Tag all-
hie bei einander verziehen und bleiben, und wo inen in mitler Zeit
nit weiter Geſchefte oder Befel von Kaiſ. Mt zukommen, wollen ſie
alsdann ſich alle wieder von dannen anheim thun.“ In einem Aus-
ſchreiben vom 20 Aug. kuͤndigt dann Maximilian einen neuen Reichs-
tag an, „die geringe Anzahl der erſchienenen Staͤnde habe ihren Ab-
ſchied genommen, da ſie ſich keiner Handlung verfangen moͤgen.“
1.
Philipp Fuͤrſtenberg 26 Juli. Im 32ſten Band der Frankf.
1.
A., wo ſich uͤberhaupt die Verhandlungen dieſes Reichstags finden.
„Wo Kaiſ. Mt,“ ſagt er am 16 Aug. von den Vorſtellungen, die
man machte, „dieſelbig als billig und wol waͤre verwilligen wuͤrde,
hofft ich alle Dinge ſollten noch gut werden, wo nicht, ſo helf uns
Gott.“
1.
Aeneas Silvius de statu Europae c. 20. Alexander Gua-
gninus
in Resp. Poloniae. Elz. p. 276.
1.
B’hai Guru das B’hale in der Uͤberſetzung Malcolms Sketch
of the Sikhs Asiatic Researches XVI, 271. That holy man made
God the supreme known to all — he restored to virtue her
strength, blended the four castes into one: established one mode
of salutation.
1.
Fr. Georgi Alphabetum Tibetanum p. 326 ſagt von ihr:
Pergit inter Tartaros ad amplificandam religionem Xacaicam in
regno Kokonor cis murum magnum Sinorum: inde in Kang: multa
erigit asceteria: redit in Brepung.
Er heißt So-nam-kiel va-
chiam-tzho, doch iſt es der alte Keval-Kedun, der 1399 ſtarb.
2.
Hodgson Notice sur la langue, la literature et la religion
des Boudhistes. L’ecriture des Tubetains n’est jamais employée
à rien de plus utile que des notes d’affaires ou de plus instructif
que les reves d’une mythologie absurde etc.
Die Einwendungen
Klaproth’s Nouv. journ. asiatique p. 99 bedeuten meines Erachtens
2.
nicht viel, da hier nicht von einer alten vielleicht noch verborgen lie-
genden, ſondern von einer lebendigen Literatur des heutigen Tages
die Rede iſt.
1.
Hammer: Osmaniſche Geſchichte II, 345.
2.
Stellen aus ihrem Abmahnungsſchreiben bei Gieſeler Kir-
chengeſchichte II, 4, p. 545.
1.
Babers eigne Denkwuͤrdigkeiten; engliſch von Leyden und
Erskine, deutſch von Kaiſer 1828 p. 537 und die dort folgenden bei-
den Firmane.
1.
Es wuͤrde wenig austragen, wenn es auch wahr waͤre, was
Schroͤckh Kirchengeſch. XXVIII, p. 45 annimmt, daß ſchon Otto von
Bamberg 1124 dieſe Lehre den Pommern vorgetragen habe: allein
man hat mit Recht bemerkt, daß die Ausarbeitung der Lebensbe-
ſchreibung Ottos worin das vorkommt in ſpaͤtere Zeiten faͤllt.
1.
Vgl. die Unterſuchungen des Thomas von Aquino uͤber die
1.
Sacerdos, ſagt Thomas, constituitur medius inter deum
et populum. Sacerdos novae legis in persona Christi operatur.
Summae pars III, quaestio 22, art. 4 concl.
2.
Perfectio hujus sacramenti non est in usu fidelium sed
in consecratione materiae pars III, qu. 80, a. 12, c. 2m.
1.
Geburt Chriſti, utrum de purissimis sanguinibus virginis formatus
fuerit
u. ſ. w. Summae pars III, qu. 31. Man ſieht welchen Werth
man darauf legte.
1.
Summae Suppl. Qu. 17, a. 2, c. 1m. Character et pote-
stas conficiendi et potestas clavium est unum et idem.
Ich be-
ziehe mich uͤbrigens auf die ganze Quaͤſtion.
1.
Augustini Triumphi Summa bei Gieſeler Kirchengeſchichte
II, III, 95.
2.
Baselii auctarium Naucleri p. 993.
1.
Bulle Pius II vom 18ten Januar 1460 (XV Kal. Febr.
nicht X, wie Rain. hat) Bullar. Cocq. Tom. III, pars III, p. 97.
2.
Johannes de Turrecremata de potestate papali (Rocca-
berti Tom. XIII) c. 112. Credendum est, quod Romanus ponti-
fex in judicio eorum quae fidei sunt, spiritu sancto regatur et
per consequens in illis non erret: alias posset quis eadem faci-
litate dicere, quod erratum sit in electione quatuor evaugelio-
rum et epistolarum canonis.
Er klagt jedoch uͤber die „multa
turba adversariorum et inimicorum Romanae sedis,“
die das nicht
glauben wollen.
3.
De autoritate Papae et concilii. Auszuͤge bei Rainaldus
1512 nr. 18.
1.
Decrete bei Rainaldus 1498 nr. 25, 1516 nr. 34.
1.
Gutachten, im Augenſpiegel Reuchlins: abgedruckt bei v. d.
Hardt Historia liter. reformationis III, 61.
2.
Principium statutorum facultatis theologicae studii Vien-
nensis ap. Kollar Analecta I, 137. p. 240 n.
2. Coͤllner Sta-
tut bei Bianco Coͤllner Studienſtiftungen p. 451 divinae sapientiae
fluvius descendens a patre luminum — ab alveo Parisiens. stu-
dii tanquam cisterna conductu capto per canalia prorumpit Rheni
partes ubertando.
Uͤbrigens iſt die Genealogie folgende. Von Paris
giengen aus Prag Wien Heidelberg und Coͤlln; von Prag: Leipzig
Roſtock Greifswald, großentheils auch Erfurt; von Coͤlln: Loͤwen und
Trier; von Wien Freiburg und den Statuten zufolge Ingolſtadt. In
Baſel und Tuͤbingen hatte man anfangs zugleich Rückſicht auf Bo-
logna genommen: aber auch in Baſel hieß die erſte Burſa die Pariſer
in Tuͤbingen war der erſte Lehrer der Theologie Magiſter von Paris.
1.
Geiler Navicula: in prima parte de subjecto attributio-
nis et de habitibus intellectualibus, quod scire jam est magistro-
rum provectorum.
2.
Johannes de Garlandia, Doctrinale Alexanders. Dufresne
Praefatio ad Glossarium
42, 43.
1.
Nachricht des handſchriftlichen Fugger. — Wir erinnern
uns, daß St. Ulrich der erſte von einem Papſt (Johannes XV 973)
fuͤr die ganze Kirche canoniſirte Heilige war.
1.
Auszuͤge aus den Gebetbüchern: Hortulus anime, salus ani-
mae,
Gilgengart u. a. bei Riederer: Nachrichten zur Buͤchergeſchichte
II, 157. 411.
1.
Zaygung des hochlobwuͤrdigſten Heiligthums 1509. Auszug
in Hellers Luc. Kranach I, p. 350.
2.
Limpurger Chronik bei Hontheim p. 1122. Browerus iſt
dann wieder ſehr feierlich.
3.
Miracula S. Bennonis ex impresso Romae 1521 bei
Mencken Scriptores rer. Germ. II, p. 1887.
1.
Sein Schreiben bei Rainaldus 1506 nr. 42.
1.
Humbertus de Romania (bei Petrus de Alliaco de re-
form. eccles. c. 2) „dicit quod causa dispositiva schismatis Grae-
corum inter alias una fuit propter gravamina Romanae ecclesiae
in exactionibus excommunicationibus et statutis.“
2.
Ich halte es fuͤr den Grundfehler von Moͤhlers Symbolik,
daß er das tridentiniſche Dogma als die Lehre betrachtet von der
die Proteſtanten abgewichen ſeyen, da ſich daſſelbe vielmehr erſt durch
eine Ruͤckwirkung des Proteſtantismus gebildet hat.
1.
Schreiben, von Mainz, Sachſen und Brandenburg verſie-
gelt, 26 Juni 1487, bei Muͤller Rth. Fr. VI, 130.
2.
Bei Datt de pace publ. p. 840.
3.
Inſtruction der Reichsgeſandtſchaft. Muͤller Reichstags-
ſtaat 117.
4.
Articuli tractati et conclusi inter Revmam Dominationem
Dnum Legatum ac senatum et conventum imperii
bei Muͤller Reichs-
tagsſtaat p. 213.
1.
Avisamenta Germanicae nationis bei Freher II, 678. Noch
merkwuͤrdiger iſt die Epitome pragmaticae sanctionis in Goldaſts
Constitutt. Imp. II, 123.
2.
Triburgi XVI mensis Januarii und Muldorf V Junii bei
Goldaſt I, 421. 429.
1.
In dem handſchriftlichen Fugger ſind die Satzungen die man
erwartete verzeichnet.
2.
Baselius 1110. Admonitus prudentium virorum consilio
— quem incaute pedem cum Gallis contra pontificem firmaverat,
citius retraxit.
3.
Felix Malleolus recapitulatio de anno jubileo. Pro nunc
1..
Schreitwein: Episcopi Patavienses bei Rauch Scriptt. II, 527.
2..
Man ſieht das aus den Artikeln der Rheingauer in Schuncks
Beitraͤgen I, p. 183. Auch Jacob von Trier berechnet 1500 „das
Geld, ſo ſich an dem paͤpſtlichen Hofe fuͤr die paͤpſtlichen Bullen und
Briefe, daruͤber Annaten Minuten Servitien und anders demſelben
anhangend zu geben gebuͤret,“ auf 20000 G. Urkunde bei Hont-
heim II, ser. XV.
3.
de praesentis pontificis summi et aliorum statibus comparationis
praeparationem fecimus, et nunc facie ad faciem experientia vi-
demus quod nunquam visus est execrabilioris exorbitationis di-
reptionis deceptionis circumventionis derogationis decerptatio-
nis depraedationis expoliationis exactionis corrosionis et omnis
si audemus dicere simoniacae pravitatis adinventionis novae et
renovationis usus et exercitatio continua quam nunc est tempore
pontificis moderni
(Nicolaus V) et in dies dilatatur.
1.
Das iſt z. B. die Rechnung des Buͤchleins: Ein klaͤgliche
Klag 1521, die ich indeß damit nicht will angenommen haben. Uͤber-
haupt moͤchte es wohl unmoͤglich ſeyn, dem roͤmiſchen Hof nach zu
rechnen. Die Taxe der Annaten in Trier betrug z. B. geſetzlich nur
10000 G. und doch ſtiegen die wirklichen Koſten auf 20000.
1.
Verordnung Wilhelms Gotha Montag nach Exaudi 1454
bei Muͤller Rth. Fr. I, 130.
2.
Worte einer Verordnung Herz. Georgs bei Langenn: Her-
zog Albrecht p. 319.
1.
Artikel der Reichshandlung wie die mein gnaͤdiger Herr hat
uͤberantworten laſſen. 1518. Im Dresdner Archiv.
1.
Jaͤger ſchwaͤbiſches Staͤdteweſen, Muͤllners Nuͤrnberger An-
nalen an vielen Stellen.
2.
Beſonders ſind die Buͤcher de institutione novorum officio-
rum
und de libertate ecclesiastica hiefuͤr merkwuͤrdig.
1.
Auch in der Beſchreibung der Schlacht von Hembach in
Reinharts Beitraͤgen zur Hiſtorie Frankenlandes wird der Adel „als
eine ſcharfe Gerte, die uns um unſrer Suͤnden willen zuͤchtigt,“ be-
zeichnet: ſeine Herzen ſind haͤrter als der Demant.
2.
Doctor Brants Narrenſchiff. 1506. f. 83.
1.
Der 72ſte Nar fol. 94.
1.
Geiler: Navicula fatuorum, fuͤr die Sitten-Geſchichte noch
belehrender als das Original; J, u. Est hic, faͤhrt er fort, in hoc
speculo veritas moralis sub figuris sub vulgari et vernacula lin-
gua nostra teutonica sub verbis similitudinibusque aptis et pul-
chris sub rhitmis quoque concinnis et instar cimbalorum conci-
nentibus
.
1.
Hamelmann gab 1580 eine oratio de Rodolpho Langio heraus,
die einiges Gute enthaͤlt, aber doch auch viele Irrthuͤmer veranlaßt hat.
1.
Erasmi Adagia. Ad de cane et balneo.
2.
Adami Vitae philosophorum p. 12 gedenkt dieſes Brief-
wechſels, „unde tum ardor proficiendi, tum candor in communi-
cando elucet.“
1.
So heißen ſie z. B. in der Regensburger Chronik. Ein
Verzeichniß der Schulen, jedoch ſehr unvollſtaͤndig, giebt Erhard
Geſchichte der Wiederherſtellung der Wiſſenſchaften I, 427. Eberlin
von Guͤnzburg nennt 1521 als fromme Schulmeiſter „deren trewe
Unterweiſung faſt genuͤtzt“ Crato und Sapidus zu Schletſtadt:
Mich. Hilſpach zu Hagenau: Spinler und Gerbellius zu Pforzheim:
Braſſicanus und Henrichmann zu Tuͤbingen: Egid. Krautwaſſer zu
Stuttgart und Horb: Joh. Schmidlin zu Memmingen, auch Cocleus
zu Nuͤrnberg, Niſenus zu Frankfurt.
2.
Die Autobiographie von Plater ſtellt dieß Treiben ſehr an-
ſchaulich dar.
1.
Geiler Introductorium II, c. Quale est illud eorum la-
tinum, quo utuntur etiam dum sederint in sede majestatis suae
in doctoralis cathedra lecturae
! —
1.
Eigentlich als Schuͤler von Hegius kann er doch nicht be-
trachtet werden. „Hegium,“ ſagt er in dem Compendium vitae, „te-
stis diebus audivi.“
Es war die Ausnahme.
1.
Μωϱίας ἐγκώμιον. Opp. Erasmi T. III. Quasi sint ulli
hostes ecclesiae perniciosiores quam impii pontifices, qui et si-
lentio Christum sinunt abolescere et quaestuariis legibus alli-
gant et coactis interpretationihus adulterant et pestilente vita ju-
gulant
.
1.
In der complutenſiſchen Ausgabe dagegen hat man den grie-
chiſchen Text, z. B. I Joh. V, 7 nach der Vulgata veraͤndert.
Schroͤckh KGſch. XXXIV, 83. Uͤberhaupt ward dieſe Feſthaltung der
Vulgata ſpaͤterhin und namentlich als von ſeiner Canoniſation die
Rede war, fuͤr das Hauptverdienſt des Ximenes angeſehn, „ut hoc
modo melius intelligeretur nostra vulgata in suo rigore et puri-
tate.“ — Acta Toletana
bei Rain. 1517. nr. 107.
1.
Sein Verhaͤltniß faßt er einige Jahre ſpaͤter ſelbſt ſo: ad-
nixus sum ut bonae literae, quas scis hactenus apud Italos fere
paganas fuisse, consuescerent de Christo loqui. Epistola ad Cre-
tium 9 Sept. 1526. Opp. III, l. p.
953.
2.
Spaͤter beklagt er ſelbſt den Mangel an Widerſpruch. Longe
1.
Nach Chytraͤus Saxonia p. 90 ward der Biſchof von Muͤn-
ſter Conrad Ritberg von der Unwerſitaͤt Coͤlln vor der Errichtung
einer Schule nach der neuen Methode gewarnt, aber auf ihn, der ſelbſt
in Italien geweſen, wirkten die Empfehlungen, welche ſich Langen
von da mitgebracht hatte, z. B. auch vom Papſt Sixtus, bei weitem
ſtaͤrker.
2.
Hamelmann Oratio de Buschio nr. 49.
2.
plus attulissent utilitatis duo tresve fidi monitores, quam multa
laudantium millia. (Epp. III, 1,
924.)
1.
Erasmi Epistolae I, p. 689. In den Epp. Obsc. Vir. ed.
Münch p.
102 wird uͤber einen Socius aus Maͤhren geklagt, der
in Wien leſen wolle, ohne graduirt zu ſeyn.
2.
Auch Tiraboschi gedenkt ihrer: VI p. 410. Ihre Cataſtrophe
in Coͤlln wird jedoch immer noch nicht vollkommen klar.
1.
Crachenberger bittet unter andern Reuchlin um die Auffin-
dung eines griechiſchen Namens „quo honestius in latinis literis
quam hoc barbaro uti possim.“
Lynz 19 Febr. 1493.
2.
Acta facultatis artium Friburgensis bei Riegger: Vita Za-
sii I, 42. Conclusum, ut dicatur doctori Zasio, quod scholari-
bus adhaereat faciendo eos rebelles in universitatis praejudicium.
1.
Schnurrer Nachrichten von den Lehrern der hebraͤiſchen Li-
teratur p. 11. Eine kleine Schrift von Michael Coccinius de im-
perii a Graecis ad Germanos translatione
1506 iſt dem Reuch-
lin zugleich mit ſeinen beiden Collegen im ſchwaͤbiſchen Bundesgericht
Streber und Winkelhofer (confoederatorum Suevorum judicibus
consistorialibus et triumviris
) gewidmet.
1.
Joannis Hiltebrandi Praefatio in Illustrium Virorum Epi-
stolas ad Reuchlinum
.
2.
Praefatio ad rudimenta linguae hebraicae lib. III. Cf.
Burkhard de fatis linguae latinae p.
152.
1.
Reuchlini Consilium pro libris Judaeorum non abolen-
dis
bei Hardt Historia Ref. p. 49. Uͤbrigens ein ſchoͤnes Denkmal
deutſcher Proſa.
1.
Reuchlin de verbo mirifico II, 6. 15. III, 3. 19.
2.
Reuchlin de arte cabbalistica p. 614. 620. 696.
1.
Anzeige dieſes Judenbuͤchleins in Riederers Nachrichten I, I,
p.
34. Lateiniſch erſchien es 1509, als ein opus aureum ac novum.
1.
Auch damals hatte Diether das Gericht nur zugegeben „co-
gentibus Thomistis quibusdam, veritus ne denuo ab episcopatu
ejiceretur jussu romano pontificis. (Examen Wesaliae Fasc. I,

327.)
2.
Aus Huttens Vorrede zum Livius Opp. III, p. 334 ed.
Muͤnch ergiebt ſich der Antheil von Lorenz Truchſeß „quodam suo
divino consilio.“
3.
Acta judiciorum bei v. d. Hardt Historia lit. Reforma-
tionis
114. Die Hauptquelle fuͤr dieſe Ereigniſſe.
1.
Erasmus ad Vergaram Opp. III, 1, 1015. Quis enim
magis timet monachos quam Romani pontifices?
1.
Reuchlin de arte cabbalistica p. 730. Acta judiciorum
p.
130.
2.
Im Hogstratus ovans 336 heißt es: durch die Verwendung
des Nicolaus von Schomberg.
1.
Schon vor den Briefen an Reuchlin findet man den exer-
citus Reuchlinistarum
verzeichnet. Ein anderes Verzeichniß hat Pirk-
heimer Epistola apologetica bei Hardt p. 136. Spaͤtre Verzeich-
niſſe z. B. bei Meierhof, wuͤrden wohl noch manche Reſtriction er-
leiden muͤſſen.
1.
In der Schrift de ratione conscribendi epistolas, deren
Zuſchrift vom Jahr 1522 iſt, ruft er aus: Ausg. v. 1534 p. 71.
Videmus quantum profectum sit paucis annis. Vbi nunc est Mi-
chael Modista, ubi glossema Jacobi, ubi citatur catholicon bra-
chylogus aut Mammaetrectus, quos olim ceu rarum thesaurum
aureis literis descriptos habebant monachorum bibliothecae
. Man
ſieht wie ſehr ſich die Methode veraͤnderte.
1.
Zſchokke Baier. Geſch. II, 429. Pfiſter Geſch. von Schwa-
ben V, 378. Baczko Geſch. von Preußen I, 256.
2.
Was an ihren Lehren gefaͤhrlich ſchien, zeigen beſonders die
Widerlegungen des Dominicaners Heinrich Inſtitoris, von denen Rai-
naldus 1498 nr. 25 ausfuͤhrliche Auszuͤge mittheilt.
1.
Wolfii Lectiones memorabiles II, 27.
2.
In dem Examen magistrale Dris Joh. de Wesalia ſchil-
dert der Concipient zum Schluß dieſe Entzweiungen: „adeo, ut si
universalia quisquam realia negaverit, existimetur in spiritum
sanctum peccavisse: immo — contra deum contra christianam
religionem — deliquisse.“
1.
Joh. de Wesalia Disputatio adversus indulgentias bei
Walch Monimenta medii aevi Tom. I, fasc. 1, p. 131.
2.
Dialogus de quatuor erroribus circa legem evangelicam
bei Walch Monim. I, iv, p. 181. Haec fuit insania Pelagii hae-
retici, a qua error Thomistarum non solum in hoc loco sed etiam
in multis aliis non multum degenerare videtur.
Welchen Eindruck
dieß machte, ſieht man aus der Schilderung Pantaleons.
1.
Ullmann: Johann Weſſel p. 303.
1.
Joh. Pelz Supplementum aurifodinae 1504 bei Kapp:
Nachleſe IV, p. 460.
2.
Grimm de Joanne Staupitzio ejusque in sacrorum Chri-
stianorum restaurationem meritis
in Illgen Zeitſchrift für die hiſt.
Theologie N. F. I, II, 78.
1.
Das paͤpſtliche Privilegium bei Grohmann Geſchichte der
Univerſitaͤt Wittenberg; vgl. p. 110.
1.
Confirmatio ducis Friderici ib. p. 19.
2.
Auszuͤge aus ſeinen Schriften hat Loͤſcher in den unſchuldi-
gen Nachrichten von 1716 und in den Reformationsacten I, 88 mit-
getheilt. In ſeiner Grabſchrift in der Pfarrkirche zu Wittenberg
heißt er mit Recht: hujus gymnasii primus rector et parens.
1.
Liber decanorum facultatis theologorum Witenbergensis
ed. Foerstemann p.
2.
2.
Tiſchreden p. 581.
1.
Luthers Erklaͤrung der Geneſis c. 49 v. 15. Altenb. Tom. IX,
p.
1525.
1.
Kleine Antwort an Herzog Georg Altenb. T. VI, p. 22. Aus-
legung uͤber das achte Capitel Johannis V, 770.
1.
Er erzaͤhlt das im Sermo die S. Joh. 1516 bei Loͤſcher
Reformationsacta I, p. 258.
1.
Kurzer Bericht Melanchthons vom Leben Lutheri. Werke
Alt. VIII, 876. Vgl. Matheſius: Hiſtorien Dr Luthers. Erſte Pre-
digt p. 12. Bavarus bei Seckendorf Hist. Lutheranismi p. 21.
1.
In der „Hiſtori, ſo zwen Auguſtinerordens gemartert ſeyn
zu Bruxel in Probandt“ findet ſich Bogen B. folgende gute und
authentiſche Stelle uͤber Luthers Studien. „In welchen Verſtand
(daß er die Schrift ſo klar und gnadenreich erklaͤre) er kummen iſt
erſt durch maniche Staupen dye er erlitten hat von Got und mit
vleißigen Bitten tzu Got ſteten Leſen und nemlich Auguſtinus wider
die Pelagianer hat ym groſſe hilff gethan tzur erkenndnuß Pauli yn
ſeyn Epiſteln. Sunderlich ein Predigbuͤchlin der Tawler genanndt
yhm deutſchen das hat er uns oft zu erkauffen ermant unter ſeym
leſen yn der Schul welches yn gefurt hat yn geiſt, als er offt uns
bekannt: auch iſt eyn Buͤchlyn genandt die deutſch Theologey hat Er
allzeyt hochgebrifft (prieſen?) als er den ſchreibtt yn der Vorrede ge-
dachten Buͤchlyns: — Hat auch oft geſagt, das ſeyn Kunſt mer yhm
geben ſey aus erfaren denn leſen und das vyll Buͤcher nitt gelert
machen. Darumb findt man (ſpaͤter, 1523) yhn ſeyner Wonung
nit vyll Buͤcher, den eyn Bibel u. Concordanz der Bybel.“
1.
Auslegung des 117ten Pſalmes an Hans von Sternberg.
Werke Altenb. V, p. 251.
2.
Erzaͤhlung Luthers in den Tiſchreden p. 609.
1.
Sermo Lutheri in nativitate Christi 1515.
1.
Fides impetrat, quae lex imperat.
2.
Aus dem Sermo de propria sapientia ſieht man, daß er
daruͤber ſchon Anfechtungen erfuhr. „Efficitur mihi et errans et
falsum dictum.“
1.
Quaestio de viribus et voluntate hominis sine gratia bei
Loͤſcher I, 328.
2.
Sermo Xma post Trinitatis. Er ſagt noch zuweilen ſelbſt:
Ego non satis intelligo hanc rem: manet dubium etc. Loͤſcher p. 761.
1.
Alle etwanigen Zweifel an der Realitaͤt dieſer Verſchwoͤrung
werden gehoben, wenn man die Rede lieſt, welche Bandinelli bei ſei-
ner Begnadigung hielt, worin er bekennt, qualiter ipse conspira-
rat cum Francisco Maria, — — et cum Alfonso Petrutio machina-
tus erat in mortem sanctitatis vestrae praeparando venena etc. etc.
1.
Paris de Grassis bei Rainaldus 1517. 95. Vgl. Jovius
Vita Leonis IV,
67.
2.
Leoni Vita di Francesco Maria d’ Vrbino p. 205.
1.
Paris de Grassis bei Rainaldus 1517. nr. 16.
2.
Gomez Vita Ximenis in Schott Hispania illustrata I, p.
1065.
3.
Argenſola Anales de Aragon p. 354.
1.
Molini Documenti storici T. I. p. 71.
2.
Eid des Silveſter Darius, paͤpſtlichen Collectors (in curia
cancellaria in aula palatii Westmonasteriensis)
22 April 1517
bei Rymer Foedera VI, 1, p. 133.
1.
Deſſen Unterbevollmaͤchtigter war Samſon, von dem es in
einer Flugſchrift von 1521 heißt: er habe den Bauern „Baßporten
geben in den Hymel durch ein Tollmetſchen, von welchem Kaufmann-
ſchatz hatt er gut ſilberin Platten gefiret gen Mailand.“
1.
Notizen aus einem handſchriftlichen Aufſatz, excerpirt bei
Rathmann Geſchichte von Magdeburg III, p. 302.
2.
Gudenus Diplom. Moguntiac. IV, 587.
3.
Z. B. Johannis Tichtelii Diarium bei Rauch II, 558. Uxor
imposuit pro se duas libras denariorum, pro parentibus dimidiam
l. d., pro domiuo Bartholomaeo dimidiam l. d.
1.
Instructio summaria ad subcommissarios bei Gerdes Hi-
storia Evangelii I App. n. IX. p.
83. — Meiſtens woͤrtlich uͤber-
einſtimmend mit den Adviſamenten Arcimbolds in Kapps Nachleſe.
2.
Summa divi Thomae Suppl. Qu. 25, art. 1 concl. Prae-
dicta merita sunt communia totius ecclesiae, ea autem quae sunt
alicujus multitudinis communia, distribuuntur singulis de multi-
tudine secundum arbitrium ejus qui multitudini praeest.
Ferner:
art. 2. nec divinae justitiae derogatur, quia nihil de poena di-
mittitur, sed unius poena alteri computatur.
1.
Sti Thomae Summa, Supplementum tertiae partis Quae-
stio XXV, art. II
ſetzt dieſe Lehre ſehr deutlich aus einander. Der
1.
Eben ſo wie die Gegner, welche Thomas von A. widerlegt,
behaupteten: „indulgentiae non habent effectum nisi ex vi clavium.“
1.
Hauptgrund dafuͤr bleibt aber immer, daß die Kirche das ſage:
denn „si in praedicatione ecclesiae aliqua falsitas deprehendere-
tur, non essent documenta ecclesiae alicujus autoritatis ad robo-
randam fidem.“
1.
Schreiben der ſaͤchſiſchen Geſandten vom Reichstag von
1.
Mandat Joachims bei Walch Werke Luthers XV, 415.
1.
Augsburg 1510 erklaͤren dem paͤpſtlichen Nuntius, es habe Pp. Hei-
ligkeit leiden moͤgen, das E Gn das Geld ſo in iren Landen gefal-
len zu ſich genommen, mit einer Verpflichtung wann es zum Streit
wider die Unglaͤubigen komme es wyderum darzulegen: aus der Ur-
ſach hab E Gn wyewol mehrmal darum angeſucht von Keyſ Mt
wegen, die auch gerne E Gn gemelte Summe um ihre Schuld ge-
ben hatt, dy Summa noch wy ſy gefallen iſt. (Weim. A.)
1.
Goͤttlicher und ſchriftmaͤßiger Traum aus Caspar Rothen
Gloria Lutheri in Tentzel’s Hiſtor. Bericht p. 239.
1.
Erasmus an Herzog Georg von Sochſen 1524 12 Dez.
Cum Lutherus aggrederetur hanc fabulam, totus mundus illi ma-
gno consensu applausit, — — susceperat enim optimam causam
adversus corruptissimos scholarum et ecclesiae mores, qui eo pro-
gressi fuerant ut res jam nulli bono viro tolerabilis videretur.
1.
Disputatio prima J. Tetzelii Thesis 14. Darauf bezieht
ſich die Stelle in Luthers zweitem Sermon vom Ablaß, wo er eine
ſolche Diſtinction eine Plauderei nennt.
2.
Obelisci Eckii nr. 18 et 22.
3.
Joh. Sylvii Apologia contra calumniatores suos, in qua
Annam nupsisse Cleophae et Salomae evangelicis testimoniis re-
fellitur.
Wieder abgedruckt in Rittershusii Commentarius de gra-
dibus cognationum
1674.
1.
Dialogus revdi patris fratris Sylvestri Prieriatis — — in
praesumptuosas Martini Lutheri conclusiones
bei Loͤſcher II, 12.
1.
Guicciardini (XIII, p. 384) und Jovius erwaͤhnen ihn.
1.
Disputatio secunda J. Tetzelii Thesis 47—48.
2.
Tetzel an Miltitz bei Loͤſcher II, 568 „ſo doch hochbenann-
ter Erzbiſchof inen (Luthern) beſtellt hat zu citiren und nicht ich.“
1.
Schreiben vom 24ſten Mai 1518.
1.
Schreiben Maximilians 28 Februar bei Rainaldus 1517.
2 — 5.
2.
Ausſchreiben vom 9ten Februar in den Frankfurter Acten
Bd 33. Aus einem Schreiben von Fuͤrſtenberg (3 Juli 1518)
ſieht man, daß ſich die Staͤnde Anfang Juli einfanden.
1.
Legati debent esse supra reges quoscunque. Paris de
Graſſis in Hofmanni Scriptores novi p. 408.
1.
Jacobi Manlii Historiola duorum actuum bei Freher II,
p.
709.
2.
Oratio dissuasoria bei Freher II, 701. Der Annahme, daß
1.
Antwort der Staͤnde Freitag nach Bartholomaͤi. Frankfur-
ter AA.
2.
dieſe Rede von Hutten herruͤhre, ſteht ihr Schluß entgegen. Wie
iſt es aber zu erklaͤren, daß der unzweifelhafte Dialog Huttens Pas-
quillus exul
in vielen Stellen eine ſo außerordentliche Aͤhnlichkeit
mit dieſer Rede hat, die unmoͤglich zufaͤllig ſeyn kann? Uͤbrigens
koͤnnte ſie wohl auf die Berathungen Einfluß gehabt haben, da ſie
ſchon am 2ten Sept. in Wittenberg war. Luthers Briefe I, nr. 79.
1.
Erardus de Marca sacramae Caesae Majestati. Kapp Nach-
leſe II, nr. 1.
1.
Erklaͤrung des Kaiſers 9 September. „Item, daß in dem
allen Churfuͤrſten Fuͤrſten und Staͤnde kein Ausred noch Entſchuldi-
gung fuͤrnemen noch ſolch Zuſage thun mit eynicher Weigerung oder
Condicion auf ihre Unterthanen, denn ſollichs in bisher bewilligten
Huͤlfen nie bedacht worden und daruf geſtellt iſt, ſondern Churff.
FF. und Stend haben allezeit frei gehandelt und bewilligt, nachdem
ſy Kaiſr Mt und des Reichs Churf. belehnt ſeyen, auch die Untertha-
nen ſchuldig ſeyn den Willen der Fuͤrſten und Obern und nit die
Fuͤrſten und Obern der Unterthanen Willen zu verfolgen und Ge-
horſam zu beweiſen.“ (Fr. A.)
1.
Der Grund der ſchlechten Beſetzung liegt in der ſchlechten
Beſoldung. Fuͤrſtenberg (Schreiben vom 8ten Sept.) bemerkt daß
man keine beſſere Beſoldung ausmitteln koͤnne. „Daraus folgt, daß
es auch nit mit dem Inkommen, ſo jetzunder geben wird, mit ge-
lehrt fromm und verſtaͤndig Leuten beſetzt mag werden.“
2.
Fuͤrſtenberg 14 Sept. Somma Sommarum aller Hande-
lung die uf dieſem Reichstag gehandelt iſt, daß von Friede und Recht
nichts beſchloſſen wird, daß die Schatzung des Tuͤrkenzugs wie K.
Mt dawider bei den Unterthanen anbracht (wird).
1.
Fuͤrſtenberg zeigt ſich, indem er die gewechſelten Schriften
einſendet, ſehr mißvergnuͤgt. „Hie iſt nit anders: ein jeder ſehe ſich
fuͤr. Die Churf. Fuͤrſten und Andre haben nit alle ob der Hand-
lung Gefallens: es will aber dieß Mal aus Urſachen nit anders ſeyn.
Gott erbarms.“
1.
Aus einem Schreiben Herzog Ludwigs, bei Freiberg Land-
ſtaͤnde II, 149.
2.
Das erſte Actenſtuͤck in dem Urkundenbuch zu Stumpf: Baierns
politiſche Geſchichte I.
1.
Beſwerung ſo wir Herzog Ulrich zu Wirtemperg haben, des
Pundts Swaben Erſtreckung anzunemen, bei Sattler Herzoge I Bei-
lage nr. 56 p. 129.
1.
Deren von Hutten gedrucktes Ausſchreiben bei Sattler a. a.
O. p. 213.
2.
Ausſchreiben Herzog Ulrichs a. a. O. p. 205. Die Ver-
wandten behaupten, Hutten ſey zu dem Ritt ſogar eingeladen, der
Herzog: er ſey gewarnt worden und doch trotzig mitgeritten. Die
ganze Erzaͤhlung des Herzogs finde ich pſychologiſch wahrſcheinlicher.
1.
Fuͤrſtenberg 9ten Sept. nennt es „eine ſcharfe und uͤber-
meßliche Antwort:“ wo er ſich nicht fuͤge, wolle ihm S. M. ein
Halsgericht ſetzen, daß er daſelbſt in Schranken komme, und weß
von anderen und Sr Maj. Intereſſen wegen an ihn erlangt wird,
daß dem auch Vollzug geſchehe.
2.
17 Juli 1518 bei Sattler I, Anh. 263.
1.
Urkunde bei Muͤller Rchstth. Fr. VI, 48.
1.
Heirathsabred und Vergleichung bei Teſchenmacher: Anna-
les Cliviae, Cod. dipl. nr.
98. 99, worin die beiden Fuͤrſten einander
verſprachen, der Herzog von Juͤlich, mit ſeiner Tochter an den Sohn
ſeines Bruders von Cleve ſeine Fuͤrſtenthuͤmer von Juͤlich Berg ſeine
Grafſchaft Ravensberg mit allen ſeinen uͤbrigen Herrſchaften, — der
Herzog von Cleve, mit ſeinem Sohne an ſeines Bruders von Juͤlich
Tochter ſein Fuͤrſtenthum Cleve Grafſchaft Mark und alle ſeine
uͤbrigen Herrſchaften, was er jetzt beſitze oder noch erwerben werde,
bringen zu wollen.
1.
Der Kaiſer ſagt zu Ceſar Pflug: die kleviſch Tochter hindre
J. M. Frau Tochter Margr. Renner zeigt an: Clef laͤßt ſich ver-
nehmen, wolt man die Lehen nit thun, ſo mußte ſich Clef mit den
Herrn verbinden, von denen es Troſt und Huͤlf haben mecht das
Sine zu erhalten. (W. A.)
1.
Vgl. Rommel: Philipp der Großmuͤthige I, p. 26.
2.
Die Urkunde bei Teſchenmacher nr. 100 iſt unvollſtaͤndig;
nr. 101 laͤßt keinen Zweifel uͤbrig.
1.
Die ſaͤchſiſchen Raͤthe fuͤrchteten gleich 1512 weitere Ungunſt:
„darum er (der Kaiſer, nach jener Erklaͤrung fuͤr Cleve) fort und
fort auf Wege trachten mocht, Euer aller Fuͤrſtl. Gnaden zuzuſchie-
ben ſo viel ihm moͤglich, damit Ew. Aller Fuͤrſtl. Gn. in Dempfung
und Abfall kaͤmen.“ Schreiben von Cölln Donnerſtag nach Jacobi
1512. (W. A.)
1.
Der handſchriftliche Fugger: Deswegen die Kaiſ. Maj. nach
ſolchem Wege getrachtet, dieweil S. M. erachtet, daß Koͤnig Sig-
mund ſeinem Schwager Graf Hanſen von Trentſchin Großgrafen
in Ungern Rath und Huͤlfe erzeiget und denſelben nach Abſterben des
1.
Koͤnigs Laßlew zu dem Reich Ungarn — — befoͤrdern moͤcht, daß er dem-
ſelben etliche Koͤnige und Fuͤrſten zu Feinden machen wollt, und ward
durch S. Mt ſo vil gehandlet, daß Markg. Albrecht von Bran-
denburg Hochmeiſter in Preußen den hochernannten Koͤnig Sigmundt
von Polen anfeindet. — Die Verbindung mit Rußland iſt ausdruͤck-
lich zur Wiedereroberung der von Polen abgeriſſenen Ordenslande ge-
ſchloſſen. Es iſt die beruͤhmte Urkunde in welcher Zar durch Kaiſer
uͤberſetzt ward. Karamſin Ruſſ. Geſch. VII, 45, 450.
1.
Kanzow Pomerania II, 313.
2.
Hauptpuncte der Beſchwerden, wie ſie ſich aus den verſchied-
nen Streitſchriften ergeben: Chriſtiani Neuere Geſchichte von Schles-
wig-Holſtein I, p. 318. Dieſe Beſchwerden widerlegen hinreichend
die Vorausſetzung eines guten Vernehmens, an welcher Chriſtiani fruͤ-
her feſthaͤlt.
1.
Delius: Hildesheimiſche Stiftsfehde p. 96.
2.
Chytraͤus Saxoniae Chronicon lib. VII, p. 227.
1.
Vgl. S. 61. Aͤneas Sylvius Epistola ad Martinum Maier
p.
679.
1.
Geb. 4 Juli 1509, gewaͤhlt 21 Juni 1516. Rudloff Mek-
lenburg. Geſch. III, 1, 37.
1.
Daß dieß das Motiv war, ſagt die Flersheimer Chronik
bei Muͤnch III, 210.
1.
Pasqualigo Relatione di 1507: non molto bello di volto,
ma bene proportionato, robustissimo, di complessione sanguinea
e collerica e per l’età sua molto sano, nè altro il molesto che
un poco di catarro che continuamente li discende, per rispetto del
quale ha usato e usa sempre far nelle caccie gran esercitio.
1.
Vgl. Seb. Frank Geſchichtbibel; und beſonders die Clavis
zum Theuerdank; wieder abgedruckt in der Ausgabe des Theuerdank
von Haltaus p. 111.
1.
Gruͤnbeck bei Chmel p. 96: bellicas machinas in minutas
partes resolvere, parvis viribus bigis aptari et quocunque fert
voluntas faciliter deduci primus invenit
. Der handſchriftliche Fug-
ger: durch S. Mt Erfindung ſind [die] Poller und Moͤrſer zu dem
werfen, auch die langen Ror zu dem weitraichen, desgleichen die
weiten kurzen Ror zu dem Haglſchießen in die Streichwehre darin
auch etwa eiſern Ketten und Schrot geladen werden, alsdann auch
die großen Karthaunen von neuen erfunden und zu gebrauchen auf-
bracht worden.
1.
Der handſchr. Fugger. Cuspinian. — Querini ſchildert ihn im
Nov. 1507 als homo virtuoso religioso forte liberal quasi prodego.
Adeo tutti l’ama: ma mancha di prudentia.
(Sanuto Bd VII.)
1.
Argent comptant et pensions pour l’archevesque de Cou-
longne
in Mone’s Anzeiger fuͤr Kunde der teutſchen Vorzeit 1836
p. 409. Die dort aus dem Archiv zu Lille mitgetheilten Actenſtuͤcke
ſind mir uͤberhaupt von großem Nutzen geweſen. Ich benutzte noch
außer dem Gedruckten die Correſpondenz des venezianiſchen Geſandten
in Rom, welcher die dort eingelaufenen Nachrichten nach Hauſe mit-
theilt und die abwechſelnde Stimmung des Hofes ganz gut ſchildert.
1.
Maximilian forderte ſogar, der Papſt ſelbſt ſolle nach Trient
kommen und ihn kroͤnen. Er fuͤhrte an, daß er ja auch zu Franz I
nach Bologna gekommen ſey. Aber der Cerimonienmeiſter hielt eine
Kroͤnung außerhalb Roms uͤberhaupt fuͤr unſtatthaft. Waͤren ſelbſt
Papſt und Kaiſer in Einer Provinz, ſo duͤrfe der Papſt den Kaiſer
daſelbſt nicht kroͤnen, er muͤſſe ihn lieber allein nach Rom ziehen und
dort von einem Cardinal kroͤnen laſſen. Paris de Graſſis bei Hofſ-
mann p. 425.
1.
Narratio de dissensionibus provincialium Austriae: Pez
Scriptt. II,
990.
1.
Zevenberghen an Margaretha 28 Maͤrz bei Mone p. 292.
2.
Il Cl di Bibbiena al Cl de’ Medici: 13 Ott. 1518. Er
berichtet uͤber eine Audienz bei dem Koͤnig in Bezug auf die elet-
tion del catholico
(die Bewilligungen welche in Augsburg fuͤr Carln
geſchehen waren): sopra che in sustanza mi disse, in grandissimo
secreto, sua opinione et volontà essere, che per Nostro Signore

(den Papſt) e per Sua M si faccia ogni opera possibile, ac-
cioche ella non vada innanzi et che si corrompano con danari et
con promesse et con ogni possibil mezzo gli elettori. Lettere
di principi I, p.
47. Der ganze Briefwechſel der in dieſer Samm-
lung gedruckt iſt, muß geleſen werden: er enthuͤllt die Beziehungen
zwiſchen Leo X und Franz I in dieſer Sache vortrefflich.
1.
Die Angaben Flaſſans Histoire de la diplom. Fr. I, 322
ſind nicht von Bedeutung. Er gedenkt aber dort einer „liasse con-
tenant des mémoires lettres et instructions données par François I
à ses envoyés auprès des electeurs“
im Tresor des chartes, die
gewiß noch manches Neue enthalten wird. Die Berichte des jeune
aventureux (Mémoires de Fleuranges Coll. univ. XVI, 227)
ſo le-
ſenswerth ſie ſind, gehen doch nicht tief genug.
2.
Im Auszug bei Stumpf Baierns polit. Geſch. I, p. 24.
3.
Vgl. ihr Schreiben an die Schweizer bei Anshelm V, 381.
1.
Franz hat ſich ſpaͤter beklagt, daß Ulrich die Summe ange-
geben die er empfangen. Vgl. Sattler II, 92. Ein Schreiben bei
Sanuto 27 April 1519. S. M. Xma era quello che dava danari
al duca di Virtenberg, accio tenesse la guerra in Germania.
2.
Rudloff Neuere Geſchichte von Meklenburg I, p. 50. Auch
1.
Le Ferron V, 118.
2.
Sir Thomas Boleyn to King Henry Ellis Letters I, 147.
2.
den Grafen am Harz, dem Adel in Weſtphalen ward durch Vermit-
telung von Geldern franzoͤſiſches Dienſtgeld angeboten; der Graf von
Schwarzburg meldete nach einem Schreiben Naſſau’s vom 20 Maͤrz
bei Mone (p. 136) daß ihm ein Jahrgeld von 600 Livres auf Le-
benszeit angeboten worden, was er nicht angenommen.
1.
Schreiben von Zevenberghen bei Mone p. 36. In den Nie-
derlanden verbot Margarete, franzoͤſiſche Wechſelgeſchaͤfte zu beſor-
gen. (Ibid. p. 293.)
2.
Schreiben von Zevenberghen 28 Maͤrz. Ibid.
1.
Vereor ne tandem succumbamus ſchrieb er noch im April.
2.
Anſhelm Berner Chronik V, 377.
1.
Maroton an Margaretha 10 April, bei Mone 397.
1.
Carolus ad Albertum 12 Martii bei Gudenus IV, 607.
Jean de le Sauch à Marguer.
29 April bei Mone p. 403.
2.
Correſpondenz bei Mone p. 34. Vgl. Hubert Thomas Leo-
dius Vita Friderici Palatini IV, p. 100 sq.
3.
Bei Bucholtz III, 671.
1.
Schreiben Carls an Caſimir hieruͤber 6 Maͤrz 1519 bei
Spieß: Brandenburgiſche Muͤnzbeluſtigungen I, p. 389.
2.
Marnix, an Marg. 16 Maͤrz, leitet die unguͤnſtige Stimmung
von Boͤhmen unter andern auch von Sachſen her: Mone p. 131.
1.
Muͤller Geſchichte der Proteſtation p. 689.
1.
Nassou et Pleine 16 Mai bei Mone p. 406.
2.
Urkunde in Arnoldi’s Denkwuͤrdigkeiten p. 8.
1.
Richard Pace bei Ellis I, 156. Vgl. Herbert Life of
Henry VIII, p.
74.
2.
Schriftwechſel bei Bucholtz III 670. Acta Legationis bei
Goldaſt Politica imper. p. 102.
1.
Auszug aus Lucas Geierberg Leben Philipſen Grafen von
Solms hinter der Vorrede zu Goͤbels Beitraͤgen zur Staatsgeſchichte
von Europa p. XIX.
2.
Revers bei Bucholtz III, 668.
3.
Protocollum electionis in Goldaſts Polit. Reichshaͤndeln
p. 41. Die Reden die bei dieſer Gelegenheit gehalten worden ſeyn
ſollen, ſind erdichtet. Vgl. meine Schrift Zur Kritik neuerer Ge-
ſchichtſchreiber p. 62.
1.
Capitulation unter andern bei Dumont IV, 1. Leider ſind
mir die Verhandlungen nicht naͤher bekannt geworden.
1.
Richard Pace to Cardinal Wolsey I, 157. Suerly they
wold nott have electidde him yff fere of there persons hadde
not dryven them thereunto.
1.
Chytraͤus Saxonia lib. VIII, p. 207. Carmen prolixius
bei Leibnitz Scriptores rer. brunsv. III, 257.
1.
Stumphart Chronica gwaltiger Verjagung Herzog Ulrichs
bei Sattler Herzoge II, Beilagen p. 43.
2.
Gwalt K. Carls V auf ſeine Commiſſarien ibid. p. 79.
1.
Inſtruction an Hieronymus Brunner Barſelona 25 Sept.
1519: in einem Copialbuch im Weimar. Archiv, aus welchem ſich
dieß ganze Verhaͤltniß ergiebt.
1.
Friedrichs Schreiben an Cajetan (Loͤſcher II, 543). Per-
suaseramus nobis, vestram pietatem audito Martino secundum
vestram multiplicem promissionem eum paterne et benevole di-
missuram esse.
Vgl. Luther Wider Hans Worſt Altenb. VII, 462.
Schreiben an Lang bei de Wette I, 141.
1.
L. an Spalatin 10 Oct. 1518 ib. 142.
2.
So erzaͤhlt die Lebensbeſchreibung bei Roccaberti Bibl. Max.
T. XIX p.
443.
3.
Divi Thomae Summa cum commentariis Thomae de Vio
1.
Die Relation Luthers, in den Actis Augustanis, ſeine Briefe,
die Schreiben des Legaten, endlich auch ein Schreiben von Staupitz
bei Grimm (a. a. O. p. 123) geben uͤber den Gang dieſer Ver-
3.
Lugduni 1587. Praefatio: inter theologos quem divo Thomae
Aquinati praeferre ausis, invenies neminem.
1.
Von dem Breve, worin von einem ſchon gefaͤllten Urtel die
1.
handlung hinreichende Auskunft. Schade daß die Relation des Le-
gaten nach Rom nie zum Vorſchein gekommen iſt.
1.
Briefwechſel bei Loͤſcher 537—542.
1.
Rede iſt (bei Loͤſcher II, 438), glaube ich in einem Excurs nachge-
wieſen zu haben, daß es unaͤcht iſt.
1.
Sein Entſchuldigungsſchreiben unterzeichnet: Bruder Tetzel
am letzten Tag Dez. 1519 d. i. 1518 bei Walch XV, p. 860. Dort
findet ſich auch die uͤbrige, zuerſt von Cyprian herausgegebne miltitzi-
ſche Correſpondenz.
1.
„In ir ſelbs vorgehn.“ L. an den Churfuͤrſten bei de Wette
I, p. 218.
1.
D. M. L. Unterricht auf etliche Artikel ſo ihm von ſeinen
Abgoͤnnern aufgelegt worden bei Walch XV, 812.
1.
Huttens Febris prima III, 109 iſt aus dieſer Zeit.
2.
Schreiben an Zuͤrich bei Anshelm Berner Chronik V, 373.
3.
Miltitz an den Churfuͤrſten bei Walch XV, 879; er hatte
den Legaten in Coblenz geſehen. Die Inſtruction an Miltitz l. l.
muß ebenfalls in den Mai fallen, da ſie ſich auf deſſen Reiſe nach
Sachſen bezieht, von welcher er in ſeinem Schreiben Mittw. n. Mi-
ſericordias 11 Mai Meldung thut.
1.
Schnurrer de Phil. Melanchthonis rebus Tubingensibus:
Orationes academ. ed. Paulus p.
52.
1.
Briefwechſel in Bretſchneiders Corpus reformatorum I, p. 28.
2.
An Spalatin. Spt. 1518. C. Ref. I, p. 43.
1.
Luther an Spalatin 25 Jan. bei de W. I, p. 214. Auf dieſe
beiden Briefwechſel gruͤndet ſich, wie ſich von ſelbſt verſteht, meine
ganze Erzaͤhlung.
1.
μετάνοια.
1.
Dedication des Lucian in calumniam C. E. I, 47.
1.
Bartholini Commentarius de comitiis Augustanis p. 645.
2.
Luthers Briefe an Sylvius 3 Febr. Spalatin 7 Febr. Lang
13 April.
1.
Contra novos et veteres errores defendet D. Martinus
Lutherus has sequentes positiones in studio Lipsensi.
Es iſt
der dreizehnte Satz Opp. lat. Jen. I, 221.
1.
Eckii Epistola de ratione studiorum suorum in Strobels
Miscellaneen III, p. 97.
1.
Bei Riederer Nachrichten ꝛc. III, 47.
2.
Eck an Haven und Burkard 1ſten Juli bei Walch XV,
p.
1456. Er hatte in dieſer Hinſicht den ſchlechteſten Ruf.
1.
Peifers Beſchreibung ibid. p. 1435.
2.
Rubeus bei Walch XV, 1491.
1.
Rogatus largireturne totum opus bonum esse a deo re-
spondit: totum quidem, non autem totaliter.
Melanchthon.
1.
„Das habe ich ſelber gehoͤrt und geſehen.“ Froͤſchels Be-
richt bei Walch XV, 1400.
1.
Disputatio excellentissimorum theologorum Johannis Ec-
cii et D. Martini Lutheri Augustiniani quae Lipsiae coepta fuit
IV die Julii aō 1519. Opera Lutheri Jen. I,
231.
1.
Brief an Spalatin 7 Nov.
1.
An Spalatin bei de Wette nr. 208.
1.
An Spalatin 23ſten Februar (nicht 24) 1520 nr. 204.
„Ego sic angor ut prope non dubitem Papam esse proprie An-
tichristum.“
Die Vorſtellung iſt aus den alten chiliaſtiſchen Ideen
hervorgegangen die man im Occidente feſthielt, (vgl die Stelle des
Commodian: venturi sunt sub Antichristo qui vincunt, bei Gie-
ſeler Kirchengeſch. I, 281) und war beſonders in Deutſchland ſehr
beliebt. Einer der älteſten deutſchen Drucke, der erſte deſſen Panzer in
den Annalen d. aͤ. d. Lit. gedenkt, iſt das Buch vom Entkriſt, oder auch:
„Buͤchlin von des Endte Chriſts Leben vnd Regierung durch ver-
hengniß Gottes, wie er die Welt tuth verkeren mit ſeyner falſchen
Lere vnd Rat des Teufels, auch wie darnach die zween Propheten
Enoch vnd Helyas die Chriſtenheit wieder bekeren mit predigen den
Chriſten Glauben.“ 1516 ward dieß Buch zu Erfurt wiedergedruckt.
Man ſieht, wie es kommt, daß Luther von ſeinen Anhaͤngern zu-
weilen Elias genannt wird.
1.
Defensio contra J. Eckium: C. E. I, p. 113. „Patres
judice scriptura recipiantur.“
2.
Ungluͤcklicherweiſe ſind dieſe Saͤtze, die ein Hauptmoment
2.
fuͤr die Bildung des proteſtantiſchen Lehrbegriffs bilden, nicht mehr
aufzufinden. Aus einem Briefe Melanchthons an Johann Heß Fe-
bruar 1520 (C. E. I, 138) lernen wir drei von ihnen kennen, die
doch wohl die wichtigſten ſind. Nach dem Briefe Luthers an Stau-
pitz bei de Wette I, nr. 162 muͤſſen ſie in den September fallen.
Die Saͤtze, welche im C. E. p. 126 vorkommen, ſind, wie Foͤrſtemann
dort bemerkt, ſpaͤteren Urſprungs: wahrſcheinlich vom Juli 1520.
1.
Dedication an Bronner: C. E. p. 138. Brief an Heß.
2.
An Schwebel Dez. 1519. 128.
1.
An Johann Lange Aug. 1520. „Spiritum Martini nolim
temere in hac causa, ad quam destinatus
ὑπὸ πϱονοίας videtur,
interpellare.“ (C. E. I, 221.)
1.
Mohnike: Ulrich Huttens Jugendleben p. XLIII. Hutten
war 1488 geboren; 1499 kam er auf das Kloſter, 1504 entwich er.
2.
Querelarum lib. II, eleg. X. „nostros, communia vul-
nera, casus.“
1.
Entſchuldigung Ulrichs von Hutten bei Meiners Lebensbe-
ſchreibungen beruͤhmter Maͤnner ꝛc. III, 479.
1.
Vadiscus dialogus qui et Trias romana inscribitur. In-
spicientes Dialogus Hutteni. Opera ed. Münch III, 427. 511.
2.
Waltramus de unitate ecclesiae conservanda etc. in Schar-
dius Sylloge das erſte Stuͤck.
1.
Praefatio ad Ferdinandum. Opp. III, 551.
2.
Verhandlungen bei Walch XV, 916. 919. Daß die Sache
1.
Agrippa a Nettesheim Johi Rogerio Brennonio ex Co-
lonia 16 Junii 1520. (Epp. Agrippae lib. II, p. 99.) Relinquat Ro-
manos Germania et revertatur ad primates et episcopos suos.
2.
Ad liberos in Germania omnes. Opp. III, 563.
2.
nicht zu Stande kam, lag hauptſaͤchlich daran, daß Friedrich Luthern
auf jenen Reichstag mitbringen wollte, der noch im Nov. 1519 gehal-
ten werden ſollte, den aber die kaiſerlichen Commiſſarien verhinderten.
1.
De juridica et irrefragabili veritate Romanae ecclesiae
Romanique Pontificis
bei Roccaberti: Bibl. Max. Tom. XIX, p. 264.
1.
c. IV. Etsi ex jam dictis constat Romanum praesulem
esse caput orbis universi, quippe qui primus hierarcha et prin-
ceps sit omnium spiritualium ac pater omnium temporalium prin-
cipum, tamen quia adversarius negat eum esse ecclesiam catho-
licam virtualiter aut etiam esse ecclesiae caput, eapropter osten-
dendum est quod sit caput orbis et consequenter orbis totus
in virtute.
2.
De Papa et ejus potestate: ibid. p. 369. Tertia pote-
stas
(die erſte iſt die des Papſtes, die zweite die der Praͤlaten) est
in ministerium data, ut ea quae est imperatoris et etiam prin-
cipum terrenorum, quae respectu Papae est subdelegata sub-
ordinata.
1.
Papa est imperatore major dignitate plus quam aurum
plumbo. (371) — — Potest eligere imperatorem per se ipsum im-
mediate — — — — ex quo sequitur quod etiam possit eligere
electores imperatoris et mutare ex causa: ejus etiam est electum
confirmare, — et dignum depositione deponere. (372) — — Nec
imperator cum omnibus legibus et omnibus christianis possent
contra ejus voluntatem quicquam statuere.
2.
De primatu Petri. In Eckii Opp. contra Lutherum.
Tom. I, f. III.
1.
Literae cujusdam e Roma. Aus den Pirkheimerſchen Pa-
pieren bei Riederer Nachrichten zur Kirchen Gelehrten und Buͤcher-
geſchichte I, p. 178. Als Brief erregt mir dieß Actenſtuͤck allerdings
einigen Verdacht; auf jeden Fall iſt es gleichzeitig und druͤckt die
Meinung eines gut unterrichteten Zeitgenoſſen aus. Auch Welſer
ſagt (Augſpurgiſche Chroniken ander Theil p. 275) daß jene Dis-
putationen „auf Jacob Fuggers und ſeiner Mitgeſellſchaft Unkoſten“
gehalten worden.
1.
Schreiben Hedios an Zwingli bei Meiners a. a. O. p. 236.
Dieſe Sache verdiente noch naͤhere Aufklaͤrung. Daß ſie in Rom
wirklich eben damals wieder vorgenommen ward, erhellt aus den
Schreiben des Churfuͤrſten von der Pfalz und der zu Frankfurt ver-
ſammelten Dominicaner (bei Friedlaͤnder Beitraͤge zur Reformations-
geſch. p. 113. 116) 10 und 20 Mai 1520. Sollte nicht aber das
Schreiben der Dominicaner nur eine Folge der erzwungenen Ab-
kunft mit Sickingen geweſen ſeyn? Natuͤrlich konnte dieſe fuͤr den
roͤmiſchen Stuhl kein Gewicht haben. — Schon von Leipzig aus hatte
Eck auf die Nothwendigkeit jener Wiedervereinigung aufmerkſam ge-
macht; er tadelte den Papſt uͤber ſeine Neigung zu den Grammati-
kern (Grammaticelli), er ſey nicht auf der via regia einhergegangen:
24 Juli 1519 (nicht 1520): in Luthers Opp. lat. II, p. 469.
1.
In Luthers und Huttens Werken haͤufig abgedruckt. Au-
1.
thentiſch Bull. Cocq. III, 111, p. 487. Mich wundert, daß Rainal-
dus, der ſie mittheilt, ſie aus dem Cochlaͤus nahm. Er iſt hier
uͤberhaupt ungebuͤhrlich duͤrftig. Etwas beſſer iſt Pallavicini. Einige
Notizen finden ſich noch im Parnaſſus Boicus III, p. 205.
1.
Riederers Werkchen Beitrag zu den Reformationsurkunden
iſt dieſen Vorfaͤllen ganz eigentlich gewidmet. Die Befugniß Ecks
ergiebt ſich aus einem von ihm woͤrtlich angefuͤhrten Paragraphen
ſeiner Inſtruction p. 79.
2.
Schreiben Baumgaͤrtners an den Rath zu Nuͤrnberg 17 Oct.
3.
Erasmi Responsio ad Albertum Pium bei Hardt Hist. lit.
ref. I, 169.
Denn kein Andrer als Aleander iſt der διπλωματοφόϱος.
1.
Auszug aus dem Breve apostol. 15 Kal. Aug. bei Win-
ter: Geſchichte der evangel. Lehre in Baiern I, p. 53.
2.
Peter Burcard (Rector) an Spengler. Bei Riederer p. 69.
1.
Spalatin Leben Friedrichs p. 132. Fuͤr die Ideen des Eras-
mus hoͤchſt merkwuͤrdig ſind die Axiomata Erasmi Roterodami pro
causa Lutheri Spalatino tradita 5 Nov. 1520 in Lutheri Opp.
Lat. II, p.
314.
2.
Erzaͤhlung der Handlung von Coͤlln (W. XV, 1919); daß
1.
Veit Warbeck bei Walch XV, 1876.
2.
ſie von Heinrich von Zuͤtphen ſey, iſt wohl ein aus der Unterſchrift
in der aͤltern Ausgabe, die ſich aber nur auf einen angehaͤngten Cor-
reſpondenzartikel bezog, gefloſſener Irrthum.
1.
Wahrſcheinlich doch im Anfang des Auguſt. Am dritten
Aug. ſchreibt Luther an ſeinen Auguſtiner-Mitbruder Voigt: jam edo
librum vulgarem contra Papam de statu ecclesiae emendando.

(de W. I, 475).
2.
An den chriſtlichen Adel deutſcher Nation: von des chriſtli-
chen Standes Beſſerung. Altenb. Ausg. Werke I, 483.
1.
„Es gebuͤrt nicht dem Papſt ſich zu erheben uͤber weltliche
Gewalt denn allein in geiſtlichen Aͤmtern, als da ſind Predigen und
Abſolviren.“ (p. 494.)
2.
De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium M. L.,
ubi praecipue de natura numero et usu sacramentorum agitur.
Opp. ed. Jen. II,
259.
1.
Contra tam patentes potentes scripturas; — contra evi-
dentes dei scripturas p.
262.
2.
Eine Hauptſtelle iſt in der Summa divi Thomae: Pars III,
qu. 75, art. IV, c. 1m. V,
4.
3.
Opiniones in rebus fidei non modo ex Aristotele tra-
dere, sed et super eum, quem non intellexit, conatus est stabi-
lire: infelicissimi fundamenti infelicissima structura. (p.
263.)
1.
Wenn ſpaͤterhin Bellarmin, wie Moͤhler p. 255 anfuͤhrt,
allerdings ex parte suscipientis voluntatem fidem et poeniten-
tiam
fordert, ſo waren es eben Beſtimmungen dieſer Art, welche
Luther in den damals geltenden thomiſtiſchen Schriften vermißte, und
um ihn tadeln zu koͤnnen, muͤßte man erſt nachweiſen, daß dieſe Leh-
ren zu ſeiner Zeit wirklich gelehrt und eingeſchaͤrft worden ſeyen.
Die Wiederaufnahme derſelben in der roͤmiſchen Kirche iſt, wie ge-
ſagt, erſt die Nachwirkung der reformatoriſchen Tendenzen.
1.
Tertia pars qu. LXV, conclusio.
2.
Neque enim staret tyrannis papistica tanta, nisi tantum
accepisset ab universitatibus, cum vix fuerit inter celebres epi-
scopatus alius quispiam qui minus habuerit eruditionem ponti-
ficum.
1.
Nach Sennert Athenae et Inscriptiones Vitebergenses
1.
p. 58 u. 59 betrugen die Inſcriptionen im Jahr 1512 208; 1513
151; 1514 213; 1515 218; 1516 162; 1517 232; im J. 1518 ſtieg
die Zahl der Inſcribirten ſchon auf 273, im J. 1519 auf 458, im
Jahr 1520 auf 578.
1.
Schutzrede bei Riederer p. 202.
2.
Zasii Epp. p. 394. Ich kann dieſen Brief unmoͤglich fuͤr
unaͤcht halten; da dieſelbe Meinung in ſo vielen andern wiederkehrt.
3.
Beatus Rhenanus an Zwingli. Huldrici Zwinglii Opera
Tom: VII, p.
77. 81.
1.
An den Landeshauptmann in Steiermark, Siegm. v. Diet-
richſtein. Walch XV, 1902.
2.
Auszuͤge aus der Relation Aleanders bei Pallavicini.
1.
Klage und Vermanung gegen die ungeiſtlichen Geiſtlichen.
2.
Etlich Artickel Gottes Lob und des heyligen Roͤmiſchen Reichs
und der ganzen deutſchen Nation ere und gemeinen nutz belangend. Am
1.
Ein klaͤgliche klag an den chriſtlichen Roͤm. Kayſer Caro-
lum von wegen Doctor Luthers und Ulrich von Hutten ꝛc. die un-
ter dem Titel der funfzehn Bundesgenoſſen bekannte Schrift. Pan-
zer Annalen der aͤltern d. Literatur II, p. 39 hat nachgewieſen, daß
ſie von Eberlin von Guͤnzburg iſt. — In der Epistola Vdelonis Cym-
bri Cusani de exustione librorum Lutheri
1520 wird der Gegen-
ſatz zwiſchen Roͤmern und Deutſchen folgendermaaßen gefaßt: Nos
Christum, vos chrysum, nos publicum commodum, vos privatum
luxum colitis, vos vestram avaritiam — et extremam libidinem,
nostram nos innocentiam et libertatem tuentes pro suis quisque
bonis animose pugnabimus.
2.
Ende: Gedruckt zu Hagenaw durch Thomam Anshelm in dem Hor-
nung 1521.
1.
Woͤrtlich Hieronym. Emſer wid’ das unchriſtenliche buch
Martini Luters Auguſtiner Bog. IV. Er fuͤgt hinzu, alle Stende ſeyen
gebrechlich „zuvoran die Geiſtlichen von oberſten bis auf den nie-
derſten.“ Auch er wendet den Spruch, von der Ferſe bis zum Schei-
tel ſey nichts geſundes, auf ſie an.
2.
Ein klaͤgliche klag Bog. † † III.
1.
Relatione di Francesco Corner venuto orator di la Cesa e
catolica M 6 Zugno
1521. Chevres: zentilhuomo per esser il se-
1.
Eine Beſchreibung des Locals, wobei noch immer der Zug
Carls des Gr. nach Jeruſalem als ein hiſtoriſches Factum angeſehn
wird, und der Cerimonien von einem Augenzeugen in Paſſero: Gior-
nale Napol. p.
284.
2.
Auf die Propoſition, die das erſte Stuͤck in den Frankf. und
Berliner A. von dieſem Reichstage iſt, folgte Montag nach Oculi
4ten Maͤrz noch ein beſondrer Vortrag, durch den dieſelbe erlaͤutert
wurde; den auch Olenſchlager Erlaͤuterung der goldnen Bulle Urk.
nr. VII p. 15 mitgetheilt hat. Einer der beſten Drucke aus jener
Zeit, doch nicht ganz genau. Der Vortrag Carls erinnert uͤbrigens
ſehr an einige Stellen bei Peter von Andlo.
1.
condogenito non di molta facolta, ma adesso piu non potria es-
sere, per haver al governo suo non solum la persona del re,
ma la caxa li stati li danari e tutto quello è sotto la S. M.
E homo di bon ingegno, parla pocho, perho molto humanamente
ascolta e benignamente risponde: non dimostra esser colerico,
ma piu presto pacifico e quieto, cha desideroso di guerra, et è
molto sobrio nel suo viver, il che si ritrova in pochi Fiaminghi.
1.
Haͤberlin Reichsgeſchichte X, p. 375.
1.
Bei Delius Stiftsfehde p. 175.
2.
Sattler Herzoͤge II, p. 75.
3.
Corner. Credo non si hanno fidato di lassarlo in Spagna
nè al governo di Spagnoli dubitando di qualche novità.
1.
Bucholtz Ferdinand I, p. 155.
2.
Auszuͤge aus den Urkk. ib. 158.
1.
Copien der Urkunden abgedruckt bei Chriſtiani I, p. 541.
1.
Die Actenſtuͤcke die in dieſem Streit gewechſelt worden, ſte-
hen ziemlich vollſtaͤndig bei Harpprecht. In den Frankfurter AA.
findet ſich noch außerdem ein Aufſatz: „ungeverlich Anzeyg, was in
Keyſ. Mt uͤbergebenem Regiment zugeſetzt und umbgangen iſt.“
1.
Die Kammergerichtsordnung von 1521 iſt faſt woͤrtlich die-
ſer ſtaͤndiſche Entwurf. Nur der Anfang iſt verſchieden. „Dienſtag
nach Laͤtare,“ lautet er, „iſt auf Roͤmiſch. Kſ. Mt unſres Allergnaͤ-
digſten Herrn Beger von Churfuͤrſten Fuͤrſten Stennden des heil.
Roͤm. Reychs beratſchlagt, das hievor auf erſtgehalltenem Reychstag
allhie zu Wormbs im XCV J. ain Ordnung deſſelben Kaiſerl. Cam-
mergerichts aufgericht, welches nachmals zu vorgehalten Reychsta-
gen zum Thail weiter declarirt und gebeſſert werde, das dieſelbe alle
notturfdeglich und hochlich ermeſſen und bedacht, auch nachmals im
h. R. zu hallten und zu vollziehen nit wol ſtattlicher zu machen oder
zu ordnen ſeyn mocht dann wie hernach folgt; darum Ir der Stennde
getreuen Rate, das die kaiſ. Mt jetzo ſolich alle yetzo wider allhie
gegen und mit den Stennden des heyl. Reychs und herwiderumb
1.
ſambt hernachgemeldten Enderungen Ratſchlag und Zuſatz genaͤdigk-
lich annem, approbirt und wie bei S. K. Mt Anherrn geſchehen
verpflicht und dieſelben alſo zu halten und zu vollziehen als Roͤmi-
ſcher Keiſer handhabt.“ — Dann geht es wie in dem gedruckten
Exemplar weiter: „dieweil aber ꝛc.“
1.
Harpprecht IV, iii, p. 35 hat zwar nur 27508 G.; es iſt
aber ein Irrthum. In dem Frankfurter Exemplar ſind die Sum-
men ausgeſchrieben und uͤberhaupt richtiger als bei Harpprecht.
1.
Schreiben Fuͤrſtenbergs an Frankfurt 24 Maͤrz. „S. Maj.
ſey auch willens gen Rom zu ziehen und dasjenige ſo dem Reich
entwandt, wieder zu erlangen.“
1.
Fuͤrſtenberg 13 Mai: „damit kein Finantz in den geſucht
werde.“
2.
Neueſte Sammlung der Reichsabſchiede II, p. 211.
1.
Hans Bock und Dr Peutinger, die in dem Ausſchuß geſeſ-
1.
ſen, trugen wenig Lob davon. „Etlich geben,“ ſchreibt Fuͤrſtenberg
am 20ſten Mai, „Hr Hanſen Bock etwa ſpitz Wort, als ob er ſich
und die rheiniſchen Staͤdte erhalten und ſie im Pfeffer habe ſtecken
laſſen. Dazu verdrießt ſie und uns alle, daß ſie die Grafen faſt
gelachert (erleichtert) und die Beſchwerung auf uns getrieben haben.
Dr Peutinger der iſt der aller onluſtigſt, er wolt gern daß man es
beim alten Anſchlag ließ, will nit anſehn, daß Eine Stadt aufgeht
die andre in Abfall kommt.“
1.
Was man ſich gegenſeitig vorwarf, zeigt ſich in der fran-
zoͤſiſchen Apologia Madritae conventionis dissuasoria und der kai-
ſerlichen Refutatio apologiae bei Goldaſt: Politica imperialia p.
864. 863.
1.
Llorente Hist. de l’inquisition I, p. 395, nr. X.
1.
Auszug aus den Depeſchen Manuels bei Llorente I, p. 398.
2.
Aus dem Briefe Aleanders bei Pallavicini I, c. 24, p. 136.
— — Worauf bezieht es ſich, daß der Kaiſer ſpaͤterhin dem roͤ-
miſchen Stuhl den Vorwurf macht, er habe die Kroͤnung in Aachen
aufhalten wollen? Caroli Rescr. Goldast Const. p. 992.
1.
Molini Documenti di storia Italiana I, p. 84.
2.
Auszuͤge bei Llorente I, p. 396 und 405.
1.
Spengler an Pirkheimer 29 Dez. 10 Jan. bei Riederer p.
113. 131.
2.
Deus accinxit te terrenae potestatis supremo gladio,
quem frustra profecto gereres juxta Pauli apostoli sententiam,
nisi eo uterere cum contra infideles tum contra infidelibus multo
deteriores haereticos.
(Fr. A.)
1.
In dem Entwurf heißt es: „Und (weil) dann der gedacht
Martin Luther alles das, ſo muglichen geweſen iſt, offentlichen ge-
bredigt, geſchrieben und ausgebraitet, und yetzt am jungſten etlich
Articul, ſo inn viel Orten in Behem gehalten werden und die von
den hailigen Concilien fuͤr kaͤtzeriſch erkannt und erklaͤrt ſein, ange-
nommen, und ine darum die papſtlich Heyligkeit fuͤr einen offenbaren
Ketzer wie obſtet erclaͤrt und verdammt hat und deßhalben inen wei-
ter zu hoͤren nit rat noch geburlich iſt.“
1.
Ad Carolum V de Ludderi causa: Ingoldstadt 18 Febr.
Saxones sub Carolo magno colla fidei et imperio dedere, absit
ut sub Carolo maximo Ludder Saxo alios fidem veram et uni-
cam deponere faciat.
2.
Der Stennd Antwurt auf keyſerlicher Mt Beger des Man-
2.
dats. Ohne Datum. Ungluͤcklicherweiſe hat auch Fuͤrſtenberg ſeine
Briefe nicht genau datirt. Den namentlich, der ſich auf dieſen Be-
ſchluß bezieht, hat er mit Samſtag nach Martaͤ bezeichnet. Es iſt
wohl Samſtag nach Matthiaͤ gemeint, 2ten Maͤrz. Von dieſem
Tage waͤre dann jener Beſchluß der Staͤnde. Denn daß die Ant-
wort der Staͤnde ſich auf einen Befehl des Kaiſers vom 7ten Maͤrz
bezogen habe, iſt unmoͤglich, da das Citationsſchreiben an Luther ſchon
vom 6ten Maͤrz datirt iſt.
1.
Die Schrift iſt aus dem alten Druck bei Walch XV, p.
2058 wiederholt. Die Copie in den Fr. AA. die mit dem Druck
uͤbereinſtimmt, zeigt deutlicher, daß die Schrift aus 3 Theilen be-
ſteht, dem erſten bis E IIII, worauf eine Zwiſchenrede folgt; dem
zweiten mit einer neuen Uͤberſchrift beſonders uͤber die Anmaaßun-
gen der geiſtlichen Gerichtshoͤfe bis G III; dem dritten, der beſon-
ders die Beſchwerden der Geiſtlichen ſelbſt, der Ordinarien gegen den
roͤmiſchen Stuhl enthaͤlt, welcher am Montag nach Jubilate, am
22ſten April, eben als Luther zugegen war, eingereicht wurde.
1.
Seckendorf Comm. de Lutheranismo I, p. 142.
1.
Vgl. Luthers Erzaͤhlung. Werke Alt. Ausg. T. I, p. 733.
1.
Muͤller Staatscabinet VIII, p. 296. Ich waͤhle die Wen-
dung des Gedankens, die er ſelbſt in einem ſpaͤtern Briefe ausſpricht:
Wenn ich haͤtte gewußt, daß ſo viel Teufel auf mich gehalten haͤt-
ten, als Ziegel auf den Daͤchern ſind, waͤre ich dennoch mitten unter
ſie geſprungen mit Freuden. Briefe II, 139.
1.
Acta revdi patris Martini Lutheri coram Caesa Majestate
etc. Opp. Lutheri lat. II, p.
411. Der Bericht, den Pallavicini
aus den Briefen Aleanders ſchoͤpfte, enthaͤlt noch einiges Weitere; meh-
reres von dem Detail das er mittheilt, ſo wie ein und das andre
Neue, fand ich in den Briefen der Frankfurter Geſandten Fuͤrſten-
berg und Holzhauſen.
2.
Buschius ad Huttenum. Opp. Hutt. IV, p. 237.
1.
Contarenus ad Matthaeum Dandulum Vormatiae 26mo d.
Apr.
1521 in der Chronik des Sanuto Tom. XXX.
2.
Contarenus ad Tiepolum 25mo d. Apr. Habet intentis-
simos inimicos et maximos fautores: res agitur tanta contentione
quantam nemo crederet. Letter of Tonstall from the diet of
Worms
bei Fiddes life of Wolsey p. 242. The Germans every
where are so addicted to Luther, that rather than he shall be
oppressed by the Pope’s authority, a hundred thousand of the
people will sacrifice their lifes.
1.
Tabulae foederis etc. bei Dumont IV, III Supplém. p. 98.
Quoniam sanctissimo domino nostro cura est aliquanto etiam
major rerum spiritualium et pastoralis officii quam tempora-
lium
— —
1.
Schreiben Fuͤrſtenbergs 28 Mai Frankf. A.
1.
Pallavicini lib. I, c. 28. Aus den Briefen Aleanders.
Man merkt es dem Erzaͤhler an, welches Vergnuͤgen ihm das Ge-
lingen eines ſo klugen Verfahrens macht: Era ignoto il misterio
all’ istesso Grancancelliere — crucciava forte i ministri di papa,
veggendo nel discioglimento della dieta rimanerse con le mani
vacue: ma i principi se vogliono adoperare prudentemente, con-
viene etc. etc.
2.
Wormſer Edict bei Walch XV, 2264. Es iſt merkwuͤrdig,
daß die Cenſur in allen uͤbrigen Faͤchern dem Biſchof allein, in dem
theologiſchen aber nur unter Zuziehung „der Facultaͤt in der h. Schrift
der naͤheſt gelegenen Univerſitaͤt“ uͤbertragen wird. § 36.

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TextGrid Repository (2025). Ranke, Leopold von. Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bnpq.0