Leben, Thaten
und
Höllenfahrt
in fünf Büchern.
bey Johann Friedrich Kriele.
1791.
[][]
Fauſt’s
Leben, Thaten
und
Hoͤllenfahrt.
In fuͤnf Buͤchern.
‘All this with indignation have I hurl’d
At the pretending Part of the proud
World;
Who, ſwol’n with ſelfiſh vanity, deviſe
Falſe Freedoms, holy Cheats, and formal
Lies,
Over their Fellow-Slaves to tyrannize.’
Der Verfaſſer dieſes Buchs hat von al-
lem, was bisher uͤber Fauſten gedichtet
und geſchrieben worden, nichts genutzt, noch
nutzen wollen. Dieſes hier iſt ſein eignes
Werk, es ſey wie es wolle. Davon we-
nigſtens wird ſich jeder Leſer leicht aus der
Darſtellungsart, der Charakteriſtik und
dem Zweck uͤberzeugen. 1791.
[][[1]]
Erſtes Buch.
Fauſts Leben.
[[2]][[3]]
Erſtes Buch.
1.
Lange hatte ſich Fauſt, mit den Seifen-
blaſen der Metaphyſik, den Irrwiſchen der
Moral, und den Schatten der Theologie
herumgeſchlagen, ohne eine feſte, haltbare
Geſtalt, fuͤr ſeinen Sinn herauszukaͤmpfen.
Ergrimmt warf er ſich in die dunklen Ge-
filde der Magie, und hoffte nun der Natur
gewaltſam abzuzwingen, was ſie uns ſo ei-
genſinnig verbirgt. Sein erſter Gewinn
war die merkwuͤrdige Erfindung der Buch-
druckerey, *) der zweite war ſchaudervoller.
Er entdeckte durch Forſchen und Zufall, die
furchtbare Formel, den Teufel aus der Hoͤl-
A 2le
[4] le zu rufen, und ihn dem Willen des Men-
ſchen unterthaͤnig zu machen. Bis jezt
konnte er ſich noch nicht, aus Vorliebe zu
ſeiner unſterblichen Seele, fuͤr die jeder
Chriſt wacht, ohne ſie weiter zu kennen, zu
dieſem gefaͤhrlichen Schritt entſchließen. In
dieſem Augenblick war er ein Mann in ſeiner
vollen Bluͤthe. Die Natur hatte ihn, wie
einen ihrer Guͤnſtlinge behandelt, ihm ei-
nen ſchoͤnen, feſten Koͤrper, und eine be-
deutende, edle Geſichtsbildung verliehen.
Genug um Gluͤck in der Welt zu machen;
aber da ſie die gefaͤhrlichen Gaben, ſtreben-
de, ſtolze Kraft des Geiſtes, hohes, feuri-
ges Gefuͤhl des Herzens, und eine gluͤhende
Einbildungskraft hinzufuͤgte, die das Ge-
genwaͤrtige nie befriedigte, die das Leere,
Unzulaͤngliche des Erhaſchten, in dem Au-
genblick des Genuſſes aufſpuͤhrte, und alle
ſeine uͤbrigen Faͤhigkeiten beherrſchte, ſo ver-
lohr er bald den Pfad des Gluͤcks, auf den
nur Beſchraͤnktheit den Sterblichen zu fuͤh-
ren ſcheint, und auf welchem ihn nur Be-
ſchei-
[5] ſcheidenheit erhaͤlt. Fruͤh fand er die Gren-
zen der Menſchheit zu enge, und ſtieß mit
wilder Kraft dagegen an, um ſie uͤber die
Wuͤrklichkeit hinuͤber zu ruͤcken. Durch
das was er in fruͤhern Jahren begriffen
und gefuͤhlt zu haben glaubte, faßte er eine
hohe Meinung, von den Faͤhigkeiten, dem
moraliſchen Werth des Menſchen, und in
der Vergleichung mit andern, legte er na-
tuͤrlich ſeinem eignen Selbſt, (welches der
groͤßte Geiſt mit dem flachſten Schafskopf
gemein hat,) den groͤßten Theil der Haupt-
ſumme bey. Zunder genug zu Groͤße und
Ruhm; da aber wahre Groͤße und wahrer
Ruhm, gleich dem Gluͤcke, den am meiſten
zu fliehen ſcheinen, der ſie dann ſchon erha-
ſchen will, bevor er ihre feinen, reinen Ge-
ſtalten, von dem Dunſt und Nebel abſon-
dert, den der Wahn um ſie gezogen, ſo um-
armte er nur zu oft eine Wolke, fuͤr die Ge-
mahlin des Donnerers. In ſeiner Lage
ſchien ihm der kuͤrzeſte und bequemſte Weg,
zum Gluͤck und Ruhm, die Wiſſenſchaften zu
A 3ſeyn;
[6] ſeyn; doch kaum hatte er ihren Zauber ge-
koſtet, als der heftigſte Durſt nach Wahr-
heit in ſeiner Seele entbrannte. Jeder der
dieſe Syrenen kennt, und ihnen ihren betruͤg-
riſchen Geſang abgelernt hat, fuͤhlt, (wenn
er die Wiſſenſchaften nicht als Handwerk
treibt,) ohne mein Erinnern, daß ihm ſein
Zweck, dieſen brennenden Durſt zu ſtillen,
entwiſchen mußte. Nachdem er lange in
dieſem Labyrinth herumgetaumelt hatte, wa-
ren ſeine Erndte: Zweifel, Unwille uͤber die
Kurzſichtigkeit des Menſchen, Mißmuth und
Murren gegen den, der ihn geſchaffen, das
Licht zu ahnden, ohne die dicke Finſterniß
durchbrechen zu koͤnnen. Noch waͤre er
gluͤcklich geweſen, haͤtte er mit dieſen Em-
pfindungen allein zu kaͤmpfen gehabt; da
aber das Leſen der Weiſen und Dichter, tau-
ſend neue Beduͤrfniſſe in ſeiner Seele erweck-
ten, und ſeine nun befluͤgelte und zugekuͤn-
ſtelte Einbildungskraft, die reizenden Ge-
genſtaͤnde des Genußes, die Anſehen und
Gold allein verſchaffen koͤnnen, unablaͤßig
vor
[7] vor ſeine Augen zauberte, ſo rann ſein Blut
wie Feuer in ſeinen Adern, und ſeine uͤbri-
gen Faͤhigkeiten wurden bald von dieſem
Gefuͤhl allein verſchlungen. Durch die
merkwuͤrdige Erfindung der Buchdruckerey,
glaubte er ſich endlich, die Thore zum Reich-
thum, Ruhm und Genuß aufgeſprengt zu
haben. Er hatte ſein ganzes Vermoͤgen
darauf gewandt, ſie zur Vollkommenheit zu
bringen, und trat nun vor die Menſchen
mit ſeiner Entdeckung; aber ihre Laulichkeit
und Kaͤlte uͤberzeugten ihn bald, daß er,
der groͤßte Erfinder ſeines Jahrhunderts,
mit ſeinem jungen Weibe und ſeinen Kin-
dern, Hungers ſterben koͤnnte, wenn er
nichts anders zu treiben wuͤßte. Von die-
ſer ſtolzen Hoffnung ſo tief herabgeſunken,
gedruͤckt von einer ſchweren Schuldenlaſt,
die er ſich durch leichtſinnige Lebensart,
uͤbertriebene Freygebigkeit, unvorſichtige
Buͤrgſchaften und Unterſtuͤtzung falſcher
Freunde, auf den Hals gezogen, warf er
einen Blick auf die Menſchen, ſein Groll
A 4faͤrbte
[8] faͤrbte ihn ſchwarz, ſein haͤusliches Band,
da er ſeine Familie nicht mehr zu erhalten
wußte, ward ihm zur Laſt, und er fieng
fuͤr immer an zu glauben, daß die Gerech-
tigkeit, nicht den Vorſitz, bey der Austhei-
lung des Gluͤcks der Menſchen habe. Er
nagte an dem Gedanken: wie und woher es
kaͤme, daß der faͤhige Kopf und der edle
Mann, uͤberall unterdruͤckt, vernachlaͤßigt
ſey, im Elende ſchmachte, waͤhrend der
Schelm und der Dummkopf, reich, gluͤck-
lich und angeſehen waͤren. So leicht nun
Weiſen und Prediger dieſen Zweifel zu he-
ben wiſſen, ſo erbittert er gleichwohl, da ſie
nur zu dem Verſtande reden, und das Ge-
fuͤhl durch die taͤgliche Erfahrung verwun-
det wird, das Herz des Stolzen, und ſchlaͤgt
den Sanftern nieder.
2.
In dieſer duͤſtern Stimmung, wanderte
Fauſt von Mainz nach Frankfurth, dem
Hochweiſen Magiſtrat, eine von ihm ge-
druckte
[9] druckte lateiniſche Bibel zu verkaufen, um
ſeine hungrige Kinder von dem geloͤſten Gelde
zu ſaͤttigen. In ſeiner Vaterſtadt hatte er
nichts ausrichten koͤnnen, weil damals der
Erzbiſchof mit ſeinem Kapitul, in einen großen
Krieg verwickelt war, und ſich ganz Mainz in
der groͤßten Verwirrung befand. Die Urſache
davon war folgende: Es hatte einem Domi-
nikanermoͤnch getraͤumt, er ſchliefe mit ſeinem
Beichtkinde, der ſchoͤnen Klara, einer weiſ-
ſen Nonne und Nichte des Erzbiſchofs.
Morgens ſollte er die heilige Meſſe leſen,
er las ſie, und empfieng ohngeachtet der
ſuͤndlichen Nacht, den Leib des Herrn.
Abends erzaͤhlt er, in der Begeiſterung des
Rheinweins, einem jungen Novizen ſeinen
Traum. Der Traum kitzelte die Einbil-
dungskraft des Novizen, er erzaͤhlte ihn mit
einigen Zuſaͤtzen einem Moͤnche, und ſo
lief er durch das ganze Kloſter, verbraͤmt
mit Greuel und luͤſternen Bildern, bis er zu
den Ohren des ſtrengen Priors kam. Der
heilige Mann, der den Pater Gebhardt, we-
A 5gen
[10] gen ſeinem Anſehen in vornehmen Haͤuſern,
haßte, erſchrack vor dieſer Aergerniß, und
da er’s als eine Entweihung des heiligen
Sakraments anſah, ſo wagte er nicht uͤber
den wichtigen Fall zu entſcheiden, und mel-
dete ihn dem Erzbiſchof. Der Erzbiſchof,
vermoͤge des richtigen Schlußes, was der
ſuͤndige Menſch bey Tage denkt und wuͤnſcht,
davon traͤumt er des Nachts, ſprach den
Kirchenbann uͤber den Moͤnch aus. Das
Domkapitul, deſſen Haß immer mehr zu-
nimmt, je laͤnger ein Erzbiſchof lebt, und
gern jede Gelegenheit, ihn zu quaͤlen, er-
greift, nahm den Pater Gebhardt in Schutz,
und widerſetzte ſich dem Banne aus dem
Grunde: „Es ſey weltbekannt, daß der Teu-
„fel den heiligen Antonius, mit den uͤppig-
„ſten Vorſtellungen und luͤſternſten Lockun-
„gen, in Verſuchung gefuͤhrt habe, und
„wenn dies der Teufel mit einem Heiligen
„getrieben haͤtte, ſo koͤnnte ihm auch wohl
„einmal einfallen, ſein Gauckelſpiel mit ei-
„nem Dominikaner zu treiben. Man muͤße
„den
[11] „den Moͤnch vermahnen, dem Beyſpiel
„des heiligen Antonius zu folgen, und
„gleich ihm gegen die Verſuchungen des
„Teufels, mit den Waffen des Gebeths und
„des Faſtens zu kaͤmpfen. Uebrigens be-
„dauerte man ſehr, daß der Satan nicht
„mehr Achtung vor dem Erzbiſchof haͤtte,
„und ſo unverſchaͤmt waͤre, ſeine hoͤlliſche
„Vorſpieglungen, nach den Geſtalten ſeiner
„hohen Familie zu bilden.“ Das Dom-
kapitul fuͤhrte ſich hierbey ganz ſo auf, wie
die Erbprinzen, denen ihre Vaͤter zu lange
regieren. Was aber den Fall gaͤnzlich ver-
wirrte, war ein Bericht aus dem Nonnen-
Kloſter. Die Nonnen waren alle im Re-
fectorio verſammelt, eine Mutter Gottes,
zum naͤchſten Feſt aufzuputzen, um es durch
ihren Pracht den ſchwarzen Nonnen zuvor-
zuthun, als die alte Pfoͤrtnerin hereintrat,
die hoͤlliſche Geſchichte erzaͤhlte, und hinzu-
ſetzte: „der Dominikaner wuͤrde gewiß le-
„bendig verbrannt werden, denn eben ſey das
„Domkapitul verſammelt, ſein Urtheil
„zu
[12] „zu ſprechen.“ Waͤhrend die Pfoͤrtnerin
die Geſchichte mit allen Umſtaͤnden erzaͤhlte,
faͤrbten ſich die Wangen der jungen Non-
nen hochroth, und die Suͤnde, die keine
Gelegenheit entwiſchen laͤßt, unſchuldige
Herzen zu vergiften, ſchoß in ihr Blut, und
dramatiſirte in fluͤchtiger Eile ihrer Einbil-
dungskraft, alle die gefaͤhrlichen Scenen
vor. Wuth und Zorn zogen indeſſen ihre
grimmigen Larven uͤber die Geſichter der Al-
ten. Die Aebtiſſinn zitterte an ihrem Sta-
be, die Brille fiel von ihrer Naſe, die Mut-
ter Gottes ſtund indeſſen nackend in der
Mitte, und ſchien den erſtaunten und er-
zuͤrnten Nonnen zuzurufen, ihre Bloͤße zu
decken. Da aber die Pfoͤrtnerin hinzu ſetzte,
es ſey die Schweſter Klara, die der Teufel
dem Dominikaner zugefuͤhrt haͤtte, ſo erfuͤll-
te ein wilder Schrey den ganzen Saal.
Nur Klara allein blieb gelaſſen, und nach-
dem eine kleine Pauſe, auf das Zetergeſchrey
erfolgte, ſo ſagte ſie laͤchelnd: „Liebe
„Schweſtern, warum ſchreit ihr ſo fuͤrchter-
„lich?
[13] „lich? Traͤumte mir doch auch, ich ſchliefe
„mit dem Pater Gebhardt, meinem Beicht-
„vater, und wenn es der boͤſe Feind ge-
„than hat,“ (hier machte ſie und die uͤbri-
gen alle ein Kreuz) „ſo moͤgen ſie ihm die
„Diſciplin geben. Ich fuͤr meinen Theil,
„habe nie eine kurzweiligere Nacht gehabt,
„ſie komme, woher ſie wolle.“ „Der Pater
„Gebhardt?“ ſchrie die Pfoͤrtnerin. „Nun
„alle ihr Engel und Schutzheiligen! das
„iſt er eben, dem von euch getraͤumt hat,
„dem euch vielmehr der Teufel zugefuͤhrt
„hat, und den ſie nun darum verbrennen
„wollen.“ So gieng die Pfoͤrtnerin noch
einen Schritt weiter, verkoͤrperte den Traum,
und in dieſer Geſtalt flog er in die Stadt.
Man ließ die Mutter Gottes ſo nackend ſte-
hen wie ſie war, bekuͤmmerte ſich nichts
mehr darum, ob es die weiſſen Nonnen den
ſchwarzen zuvor thun wuͤrden. Die Aeb-
tißin machte ſich auf den Weg, um die hoͤl-
liſche Geſchichte auszubreiten, ihr folgte
die Schaffnerin; die Pfoͤrtnerin hielt eine
Ver-
[14] Verſammlung an ihrem Pfoͤrtchen, und
Klaͤrchen beantwortete naiv, die noch naive-
ren Fragen der Schweſtern. Die Trompe-
ten des juͤngſten Gerichts koͤnnen einſt in
Mainz nicht mehr Schrecken und Verwir-
rung verbreiten, als dieſe Geſchichte.
Da der Prior der Dominikaner dieſen
Vorfall erfuhr, rannte er nach dem ver-
ſammelten Kapitul, und gab durch dieſen
Bericht auf einmal der Sache eine neue
Wendung. Der Erzbiſchof haͤtte nun gern
den ganzen Handel unterdruͤckt; aber
jezt lag dem Kapitul dran, ihn auszubrei-
ten, und alle Domherrn ſtimmten einmuͤthig
darauf, die bedenkliche Sache muͤßte dem
heiligen Vater in Rom vorgelegt werden.
Man ſchrie, raſte, tobte, drohte, und nun
die Mittagsglocke konnte die Streitenden
auseinander bringen. Die offne Feyde ver-
wandelte ſich bald in eine feinere. Von
Hofe aus fing man an zu beſtechen, im Ka-
pitul zu intriguiren, und ganz Mainz,
Moͤnch und Laie, zerfiel auf einige Jahre
in
[15] in zwey Theile, ſo daß ſie nichts ſahen, hoͤr-
ten, von nichts ſprachen und traͤumten, als
dem Teufel, der weiſſen Nonne und dem
Pater Gebhardt. Auf den Kathedern jeder
Fakultaͤt ward daruͤber diſputirt; die Ka-
ſuiſten, nachdem ſie die Nonne und den Pa-
ter ad protocollum genommen und gegen
einander geſtellt hatten, ſchrieben Foliobaͤn-
de uͤber alle die moͤglichen ſuͤndigen und
nicht ſuͤndigen Faͤlle der Traͤume. War
dies eine Zeit fuͤr Fauſten und ſeine Er-
findung?
3.
In Frankfurth nun, dem ſtillen Sitz
der Muſen, dem Schutzort der Wiſſenſchaf-
ten, hoffte Fauſt beßres Gluͤck. Er both
dem erlauchten Rath ſeine Bibel, fuͤr zwey-
hundert Goldgulden an; da man aber vor
einigen Wochen fuͤnf Stuͤck Faͤßer Rhein-
wein in den Rathskeller gekauft hatte, ſo
fand ſein Geſuch ſo leicht nicht ſtatt. Er
hofirte den Schoͤppen, dem Schultheiß, den
Sena-
[16] Senatoren, vom ſtolzen Patrizier, bis zu
dem noch ſtolzern Rathsherrn der Schuh-
macherzunft. Man verſprach ihm uͤberall
Huld, Schutz und Gnade. Zulezt hielt er
ſich vorzuͤglich an den regierenden Buͤrger-
meiſter, wobey er aber bisher weiter nichts
gewann, als daß die Frau Buͤrgermeiſterin
eine gewaltige Flamme in ſeinem leichtfan-
genden Buſen anzuͤndete. Eines Abends
verſicherte ihn der Buͤrgermeiſter, daß man
erſten Tags einen Rathsſchluß faſſen wuͤrde,
vermoͤge welchem die geſammte Judenſchaft
gehalten ſeyn ſollte, Mann fuͤr Mann, die
Summe fuͤr die Bibel herzuſchießen. Da
Fauſt bemerkt hatte, daß ſeine Kinder Hun-
gers ſterben koͤnnten, bevor eine ſo aufge-
klaͤrte Verſammlung einſtimmig wuͤrde, ſo
gieng er ohne Hoffnung, voller Liebe und
Grimm, auf ſeine einſame Stube. In die-
ſem Mißmuth nahm er ſeine Zauberformeln
vor. Der Gedanke etwas kuͤhnes zu wa-
gen, und Unabhaͤngigkeit von den Menſchen,
durch die Verbindung mit dem Teufel zu ſu-
chen,
[17] chen, ſchoß lebhafter als je durch ſein Ge-
hirn. Noch erſchuͤtterte ihn die Vorſtel-
lung davon. Mit heftigen Schritten, wuͤ-
thenden Gebehrden, unter fuͤrchterlichen
Ausrufungen, gieng er in ſeinem Zimmer
auf und ab, und kaͤmpfte mit ſeinen innern,
aufruͤhreriſchen Kraͤften. Kuͤhn ſtrebten die-
ſe, das Dunkel zu durchbrechen, das uns
umhuͤllt, noch ſchaudert ſein Geiſt vor dem
Entſchluß; aber nun waͤgt der Luͤſterne die
Befriedigung der unerſaͤttlichen Begierden
ſeines Herzens, die laͤngſt gewuͤnſchte Ge-
nuͤße der ganzen Natur, gegen die Vor-
urtheile der Jugend, die Armuth und die
Verachtung der Menſchen. Schon ſchwankt
die Zunge der Wage. Die Glocke ſchlaͤgt
elf auf dem nahen Thurme. Schwarze
Nacht liegt auf der Erde. Der Sturm
heult aus Norden, die Wolken verhuͤllen
den vollen Mond, die Natur iſt im Auf-
ruhr. Eine herrliche Nacht, die empoͤrte
Einbildungskraft zu verwildern. Noch
ſchwankt die Zunge der Wage. In dieſer
Fauſts Leben. BScha-
[18] Schale tanzen leicht Religion und ihre Stuͤ-
tze, die Furcht vor der Zukunft. Die Ge-
genſchale ſchlaͤgt ſie hinauf; Durſt nach Un-
abhaͤngigkeit und Wiſſen, Stolz, Wolluſt,
Groll und Bitterkeit fuͤllen ſie. Ewigkeit
und Verdammniß ſchallen nur dumpf in
ſeiner Seele. So ſtrauchelt die Jungfrau
welche die gluͤhenden Kuͤſſe des Geliebten
auf dem Buſen fuͤhlt, zwiſchen den Lehren
der Mutter und dem Zug der Natur. So
ſchwankt der Philoſoph zwiſchen zwey Saͤ-
tzen, dieſer iſt wahr, jener glaͤnzend und
fuͤhrt zu dem Ruhme; welchen wird er
waͤhlen?
Nun zog Fauſt, nach der Vorſchrift der
Magie, den fuͤrchterlichen Kreiß, der ihn
auf ewig der Ob- und Vorſicht des Hoͤch-
ſten, und den ſuͤßen Banden der Menſchheit
entreißen ſollte. Seine Augen gluͤhten, ſein
Herz ſchlug, ſeine Haare ſtiegen auf ſeinem
Haupt empor. In dieſem Augenblick glaub-
te er ſeinen alten Vater, ſein junges Weib
und ſeine Kinder zu ſehen, die in Verzweif-
lung
[19] lung die Haͤnde rangen. Dann ſah er ſie
auf die Knie fallen, und fuͤr ihn zu dem be-
ten, dem er eben entſagen wollte. „Es iſt
„der Mangel, es iſt mein Elend, das ſie in
„Verzweiflung ſtuͤrzt;“ ſchrie er wild, und
ſtampfte mit dem Fuße auf den Boden.
Sein ſtolzer Geiſt zuͤrnte der Schwaͤche ſei-
nes Herzens. Er drang abermals nach
dem Kreiße, der Sturm raſſelte an ſeinen
Fenſtern, die Grundfeſte des Hauſes zitterte.
Eine edle Geſtalt trat vor ihn, und rief
ihm zu:
„Fauſt! Fauſt!“
Fauſt. Wer biſt du, der du mein kuͤh-
nes Werk unterbrichſt?
Geſtalt. Ich bin der Genius der Menſch-
heit, und will dich retten, wenn du zu ret-
ten biſt.
Fauſt. Was kannſt du mir geben, mei-
nen Durſt nach Wiſſen, meinen Drang nach
Genuß und Freyheit zu ſtillen?
Geſtalt. Demuth, Unterwerfung im
Leiden, Gnuͤgſamkeit und hohes Gefuͤhl dei-
B 2nes
[20] nes Selbſts; ſanften Tod und Licht nach
dieſem Leben.
Fauſt. Verſchwinde, Traumbild meiner
erhitzten Phantaſie, ich erkenne dich an der
Liſt, womit du die Elenden taͤuſcheſt, die du
der Gewalt unterworfen haſt. Gaukele vor
der Stirne des Bettlers, des zertretnen
Sclaven, des Moͤnchs, und aller derer, die
ihr Herz durch unnatuͤrliche Bande gefeſſelt
haben, und ihren Sinn durch Kunſt hin-
aufſchrauben, um der Klaue der Verzweif-
lung zu entwiſchen. Die Kraͤfte meines
Herzens wollen Raum, und der verantwor-
te fuͤr ihr Wuͤrken, der mir ſie gegeben hat.
„Du wirſt mich wieder ſehen,“ ſeufzte
der Genius, und verſchwand.
Fauſt rief: „Necken mich die Maͤhr-
„chen der Amme noch am Rande der Hoͤl-
„le? Sie ſollen mich nicht abhalten, das
„Dunkel zu durchbrechen. Ich will wiſ-
„ſen, was der duͤſtre Vorhang verbirgt,
„den eine tyranniſche Hand vor unſre Au-
„gen gezogen hat. Hab ich mich ſo ge-
„bildet,
[21] „bildet, daß das Loos der Beſchraͤnktheit
„meine Kraft empoͤrt? Hab’ ich die Flam-
„me der Leidenſchaft in meinem Buſen an-
„geblaſen? Hab’ ich den Trieb, immer zu
„wachſen, und nie ſtille zu ſtehen, in mein
„Herz gelegt? Hab’ ich meinen Geiſt ſo ge-
„ſtimmt, daß er ſich nicht unterwerfen,
„und die Verachtung nicht ertragen kann?
„Wie ich, der Topf, von fremder Hand ge-
„bildet, ſoll darum einſt gewaltſam zerſchla-
„gen werden, weil er dem Werkmeiſter nicht
„nach ſeinem Sinn gelang, weil er dem
„niedrigen Gebrauch nicht entſpricht, zu
„dem er ihn geformt zu haben ſcheint? Und
„immer nur Gefaͤß, immer nur Werkzeug,
„immer nur Unterwerfung; wozu denn
„dies widerſprechende lautſchreyende Ge-
„fuͤhl, von Freyheit und eigner Kraft dem
„Sclaven? Ewigkeit! Dauer! Schallt ein
„Sinn heraus? Was der Menſch fuͤhlt,
„genießt und faßt, nur das iſt ſein, alles
„uͤbrige iſt Erſcheinung, die er nicht erklaͤ-
„ren kann. Der Stier nutzt die Kraft ſei-
B 3„ner
[22] „ner Hoͤrner und trozt auf ſie, der Hirſch
„ſeine Leichtigkeit, dem Jaͤger zu entflie-
„hen; iſt das was den Menſchen unterſchei-
„det, weniger ſein? Ich hab’ es lange ge-
„nug, mit den Menſchen, und allem dem,
„was ſie erſonnen, verſucht, ſie haben mich
„in Staub getreten, Schatten habe ich fuͤr
„Wahrheit ergriffen, laß mich’s nun mit
„dem Teufel verſuchen!“
Hier ſprang er wild begeiſtert in den
Kreiß hinein, und Klagegetoͤn ſeines Wei-
bes, ſeiner Kinder, ſeines Vaters erſchol-
len in der Ferne: „Ach verlohren! ewig
verlohren!“
4.
Satan, der Herrſcher der Hoͤlle, hatte
durch ſchrecklichen Hoͤrner-Schall, der an
der gluͤhenden Scheibe der Sonne wieder-
toͤnte, allen gefallnen Geiſtern, auf der
Ober- und in der Unterwelt, kund thun laſ-
ſen, daß er heute ein großes Freudenfeſt ge-
ben wuͤrde. Die hoͤlliſchen Geiſter verſam-
melten
[23] melten ſich auf den maͤchtigen Ruf. Selbſt
ſeine Abgeſandten beym paͤbſtlichen Stuhl
und den Herrſchern Europas, verließen ih-
re Poſten, denn die Einladung ließ etwas gro-
ßes und wichtiges vermuthen. Schon ertoͤnte
das ungeheure Gewoͤlbe der Hoͤlle, von dem
wilden Geſchrey des Poͤbels der Geiſter. My-
riaden lagerten ſich, auf den verbrannten,
unfruchtbaren Boden. Nun traten die
Fuͤrſten hervor, und gebothen Schweigen der
Menge, damit Satan die Berichte ſeiner
Abgeſandten der Oberwelt, vernehmen koͤnn-
te. Die Teufel gehorchten, und eine ſchau-
dervolle Stille herrſchte durch die dicke,
duͤſtre Finſterniß, die nur das Gewinſel der
Verdammten unterbrach. Die Sclaven der
Teufel, Schatten, die weder der Seeligkeit
noch der Verdammniß werth ſind, bereite-
ten die unzaͤhlichen Tiſche zum Schmauß,
und ſie verdienen dies Loos der ſchaͤndlich-
ſten Knechtſchaft. Als ſie noch in Fleiſch
und Bein, die Fruͤchte der Erde aßen, wa-
ren ſie von jener zweydeutigen Art, die al-
B 4ler
[24] ler Menſchen Freund ſind, ohne es von ei-
nem zu ſeyn. Deren Zungen von den herr-
lichen Lehren der Tugend plappern, ohne
daß ihr Herz ſie fuͤhlt. Die das Boͤſe nur
darum unterlaſſen, weil es Gefahr mit ſich
fuͤhrt, und das Gute, weil es Muth und
Verleugnung erfordert. Die mit der Reli-
gion wuchern, und ſie wie der filzigte Ju-
de ſein Kapital, auf Zinſen legen, in der
Meinung, ihren elenden Seelen ein gutes
Behaͤltniß zu ſichern. Die Gott aus Furcht
anbethen, und vor ihm wie Sclaven zittern.
Die Teufel, die wahrlich keine beßre Herren
ſind, als die pohlniſchen, ungariſchen und
lieflaͤndiſchen Edelleute, reiten ſie dafuͤr in
der Hoͤlle wacker herum. Indeſſen ſchwitz-
ten ihre Bruͤder in den hoͤlliſchen Kuͤchen,
das Mahl fuͤr ihre ſtrengen Herren zuzuruͤ-
ſten; ein ſchreckliches Geſchaͤft fuͤr eine See-
le, die einſt einen menſchlichen Koͤrper, durch
Fraß, Soff und Ueppigkeit aufgerieben
hat. Denn obgleich die Teufel weder eſſen
noch trinken, ſo haben ſie den Menſchen
doch
[25] doch den Gebrauch abgelernt, jede Feierlichkeit
durch Freſſen und Saufen merkwuͤrdig zu
machen, und bey ſolchen Gelegenheiten hal-
ten ſie ein Seelenmahl. Der Anfuͤhrer je-
der Legion (denn die Hoͤlle iſt auf militaͤri-
ſchen Fuß eingerichtet, und gleicht darin je-
dem deſpotiſchen Reiche; oder vielmehr je-
des deſpotiſche Reich, gleicht darin der Hoͤl-
le) waͤhlt eine gefaͤllige Anzahl verdammter
Seelen, zum Schmauße fuͤr ſeine Unterge-
benen. Dieſe uͤbergeben ſie den Sclaven,
die ſie ſieden, braten und mit hoͤlliſcher
Bruͤhe begießen. Oft trift es ſich, daß ei-
ner dieſer Elenden ſeinen Vater, ſein Weib,
Sohn, Tochter oder Bruder, an den Spieß
ſtecken, und das peinliche Feuer unter ihm
unterhalten muß — eine ſchreckliche, wahr-
haft tragiſche Lage, noch tragiſcher, da ih-
re Aufſeher, muthwillige Teufel, wie alle
Diener großer Herren, mit der Geißel hin-
ter ihnen ſtehen, das Werk zu befoͤrdern.
Ich empfehle dieſe Situation den Tragikern
Teutſchlands. Heute wurden fuͤr den
B 5Gaumen
[26] Gaumen des Großherrn, ſeiner Viziere und
Guͤnſtlinge, zwey Paͤbſte, ein Eroberer, ein
beruͤhmter Philoſoph, und ein neu gepraͤgter
Heiliger zugerichtet. Fuͤr den Poͤbel der
Hoͤlle, waren ganz friſche Victualien ange-
kommen. Der Pabſt hatte vor kurzem zwey
Heere Franzoſen, Teutſcher, Italiener und
Spanier gegen einander getrieben, um eini-
ge Herrſchaften in dem Tumult zu fiſchen,
die Verlaſſenſchaft des heiligen Peters zu
ruͤnden. Sie ſchlugen ſich wie Helden, und
fuhren zu tauſenden zur Hoͤlle. Welch ein
Gluͤck waͤre es fuͤr die zu der Tafel der Teu-
fel beſtimmten Seelen, wenn ſie dadurch
das Ende ihrer Qual faͤnden; da ſie dieſe
aber ſtuͤckweiſe in die Suͤmpfe der Hoͤlle aus-
ſchuͤtten, ſo wachſen ſie wieder zuſammen,
und ſtehen zu neuen Martern auf.
Waͤhrend dieſe an den Bratſpießen win-
ſelten, beſetzten die Kellermeiſter und Schen-
ken, alle Schatten gemeldeter Art, die Kre-
denztiſche. Die Flaſchen waren gefuͤllt mit
Thraͤnen der Heuchler, falſcher Wittwen,
der
[27] der Scheinheiligen, der Empfindſamen, und
der aus Schwaͤche Reuigen. Mit Thraͤ-
nen, die der Neid, bey dem Gluͤck eines an-
dern auspreßt, mit Thraͤnen der Egoiſten,
die ſie bey dem Ungluͤck eines andern aus
Freude weinen, daß es ſie nicht getroffen.
Mit Thraͤnen luſtiger Erben, und mit Thraͤ-
nen der Soͤhne, die ſie bey dem Sarge der
geizigen, harten Vaͤter weinen. Die Flaſchen
zu dem Nachtiſche waren gefuͤllt mit Thraͤ-
nen der Prieſter, die die Rolle des Komoͤdi-
anten auf den Kanzeln ſpielen, ihre Zuhoͤrer
zu ruͤhren; und um das Getraͤnk ſchaͤrfer zu
machen, miſchte man Thraͤnen der H — n
darunter, die aus Hunger ſo lange weinen,
bis ein Kunde kommt, die Suͤnde fuͤr Geld
mit ihnen zu treiben. Zu dieſen goß man
noch Thraͤnen der Kuppler, Kupplerinnen,
der Aerzte und ſchelmiſchen Advokaten, die
ſie uͤber ſchlechte Zeiten weinen. Fuͤr den
Satan und die Fuͤrſten ſtunden, auf beſon-
dern Kredenztiſchen, Flaſchen des edelſten
Getraͤnks. Es war berauſchend, ſchaͤumend
und
[28] und ſprudelnd, ein Gemiſch von Thraͤnen
der Herrſcher der Welt, die ſie uͤber das Un-
gluͤck ihrer Unterthanen weinen, waͤhrend
ſie Befehle ertheilen, die es auf Jahrhun-
derte befoͤrdern. Von Thraͤnen der Jung-
frauen, die den Verluſt ihrer Keuſchheit be-
weinen, und ſich mit noch naſſen Augen pro-
ſtituiren. Zu dieſen hatte man Thraͤnen
beguͤnſtigter Großen gegoſſen, die in Ungna-
de gefallen ſind, und nun weinen, daß ſie
unter dem Schutz ihres Herrn nicht mehr
rauben und unterdruͤcken koͤnnen.
5.
Als nun dieſe Elenden die Tiſche beſorgt
hatten, und ſo demuͤthig hinter den Sitzen
ihrer Gebieter ſtunden, als ein Teutſcher
vor einem Fuͤrſten, ſo traten die Großen der
Hoͤlle, aus den Gemaͤchern des Satans.
Die Furien giengen voraus. Ihnen folgten
Trabanten, dieſen die Kammerherren. Nun
die Pagen mit brennenden Fackeln, die aus
Seelen der Moͤnche geflochten waren, die
den
[29] den Weibern die Kinder machen, und den
Ehemann auf dem Todtbette draͤngen, ſein
Vermoͤgen der Kirche zu vermachen, ohne
Ruͤckſicht, daß ihre eigne ehebrecheriſche
Brut im Lande herumbetteln muß. Dann
trat der maͤchtige Satan heraus, und ihm
folgten die uͤbrigen Großen ſeines Hofs, nach
Gunſt und Rang. Die Teufel beugten ſich
ehrfurchtsvoll nieder, die Pagen ſtellten die
Fackeln auf den Tiſch des Großherrn, und
nun ſtieg er mit ſtolzer und ſiegreicher Mie-
ne auf ſeinen erhabenen Thron, und hielt
folgende Rede:
„Fuͤrſten, Maͤchtige, unſterbliche Gei-
„ſter, ſeyd mir alle willkommen! Wolluſt
„durchgluͤht mich, wenn ich uͤber Euch zahl-
„loſe Helden hinblicke! Noch ſind wir, was
„wir damals waren, da wir zum erſtenmal
„in dieſem Pfuhl aufwachten, zum erſten-
„mal uns ſammelten. Nur hier herrſcht Ein
„Gefuͤhl, nur in der Hoͤlle herrſcht Einig-
„keit, nur hier arbeitet jeder auf einen Zweck.
„Wer uͤber euch gebietet, kann leicht den
„ein-
[30] „einfoͤrmigen Glanz des Himmels vergeſſen.
„Ich geſtehe, wir haben viel gelitten, und
„leiden noch, da die Ausuͤbung unſrer Kraͤf-
„te von dem beſchraͤnkt iſt, der uns mehr
„zu fuͤrchten ſcheint, als wir ihn; aber in
„dem Gefuͤhl der Rache, die wir an den
„Soͤhnen des Staubs, ſeinen ſchwachen
„Guͤnſtlingen nehmen, in der Betrachtung
„ihres Wahnſinns und ihrer Laſter, wodurch
„ſie unaufhoͤrlich ſeine Zwecke zerruͤtten,
„liegt Erſatz fuͤr dieſes Leiden. Heil euch
„allen, die dieſer Gedanke hoch entflammt!
„Vernehmt nun die Veranlaſſung zu dem
„Feſte, das ich heute mit euch feyren will.
„Fauſt, ein kuͤhner Sterblicher, der gleich
„uns mit dem Ewigen hadert, und durch
„die Kraft ſeines Geiſtes wuͤrdig werden
„kann, die Hoͤlle einſt mit uns zu bewohnen,
„hat die Kunſt erfunden, die Buͤcher, das
„gefaͤhrliche Spielzeug der Menſchen, die
„Fortpflanzer des Wahnſinns, der Irr-
„thuͤmer, der Luͤgen und Greuel, die Quelle
„des Stolzes, und die Mutter peinlicher
„Zwei-
[31] „Zweifel, auf eine leichte Art, tauſend und
„tauſendmal zu vervielfaͤltigen. Bisher
„waren ſie zu koſtbar, und nur in den Haͤn-
„den der Reichen, blaͤhten nur dieſe mit
„Wahn auf, und zogen ſie von der Ein-
„falt und Demuth ab, die der Ewige zu ih-
„rem Gluͤck in ihr Herz gelegt hat, und die
„er von ihnen fordert. Triumph! bald
„wird ſich das gefaͤhrliche Gift des Wiſſens
„und Forſchens allen Staͤnden mittheilen!
„Wahnwitz, Zweifel, Unruhe und neue Be-
„duͤrfniſſe werden ſich ausbreiten, und ich
„zweifle, ob mein ungeheures Reich ſie alle
„faſſen moͤge, die ſich durch dieſes reizende
„Gift hinrichten werden. Doch dieſes waͤ-
„re nur ein kleiner Sieg, mein Blick dringt
„tiefer in die ferne Zeit, die fuͤr uns der
„Umlauf des Zeigers iſt. Die Zeit iſt nah,
„wo die Gedanken und Meinungen kuͤhner
„Erneurer und Beeckler des Alten, durch
„Fauſts Erfindung, um ſich greifen wer-
„den, wie die Peſt. Sogenannte Refor-
„matoren des Himmels und der Erde wer-
„den
[32] „den aufſtehen, und ihre Lehren werden,
„durch die Leichtigkeit der Mittheilung,
„bis in die Huͤtte des Bettlers dringen.
„Sie werden waͤhnen Gutes zu ſtif-
„ten, und den Gegenſtand ihres Heils
„und ihrer Hoffnung, vom falſchen Zuſatze
„zu reinigen; aber wenn gelingt dem Men-
„ſchen das Gute, und wie lange iſt er deſ-
„ſen maͤchtig? die Suͤnde iſt ihnen nicht naͤ-
„her, als boͤſe Folgen und Mißbrauch ih-
„ren edelſten Bemuͤhungen. Das vielge-
„liebte Volk des Maͤchtigen, das er durch
„ein uns furchtbares Wunder, der Hoͤlle
„auf immer entreißen wollte, wird uͤber
„Meinungen, die keiner begreift, in bluti-
„gen Krieg zerfallen, und ſich zerreißen wie
„die wilden Thiere des Waldes. Greuel
„werden Europa verwuͤſten, die allen Wahn-
„ſinn uͤbertreffen, den die Menſchen von
„ihrem Beginnen geraſt haben. Mei-
„ne Hoffnungen ſcheinen euch zu kuͤhn, ich
„ſehe es an euren zweifelnden Blicken, ſo
„hoͤrt denn; Religionskrieg heißt dieſe neue
„Wuth
[33] „Wuth, wovon die Geſchichte der Frevel
„und Raſereyen der Menſchen bisher noch
„kein Beyſpiel hat. Nun erſt wird der Fa-
„natismus, der wilde Sohn des Haßes
„und des Aberglaubens, alle Bande der
„Natur und der Menſchheit gaͤnzlich aufloͤ-
„ſen. Dem Furchtbaren zu gefallen, wird
„der Vater den Sohn, der Sohn den Va-
„ter ermorden. Koͤnige werden frohlockend
„ihre Haͤnde in das Blut ihrer Unterthanen
„tauchen, den Schwaͤrmern das Schwerdt
„uͤberliefern, ihre Bruͤder zu tauſenden zu
„ermorden, weil ſie andrer Meinung wie ſie
„ſind. Dann wird ſich das Waſſer der
„Stroͤme in Blut verwandeln, und das
„Geſchrey der Ermordeten wird ſelbſt die
„Hoͤlle erſchuͤttern. Wir werden Verbre-
„cher mit Laſtern beſudelt, herunterfahren
„ſehen, wofuͤr wir bis jezo weder Nahmen
„noch Strafe haben. Schon ſeh’ ich ſie den
„paͤbſtlichen Stuhl anfallen, der das lockre
„Gebaͤude durch Liſt und Betrug zuſammen-
„haͤlt, waͤhrend er ſich durch Laſter und
Fauſts Leben. C„Uep-
[34] „Ueppigkeit ſelbſt untergraͤbt. Die Stuͤ-
„tzen der uns fuͤrchterlichen Religion ſtuͤr-
„zen zuſammen, und wenn der Ewige dem
„ſinkenden Gebaͤude nicht durch neue Wun-
„der zu Huͤlfe eilt, ſo wird ſie von der Er-
„de verſchwinden, und wir werden noch-
„mals in den Tempeln als angebetete Goͤt-
„ter glaͤnzen. Wo bleibt der Geiſt des
„Menſchen ſtehen, wenn er angefangen hat
„das zu beleuchten, was er als Heiligthum
„verehrt hat? Er tanzt auf dem Grabe des
„Tyrannen, vor dem er noch geſtern gezit-
„tert, zerſchlaͤgt gaͤnzlich den Altar, auf
„dem er geopfert hat, wenn er einmal un-
„ternimmt, dem Weg zum Himmel auf ſeine
„Weiſe nachzuſpaͤhen. Wer mag ihren
„raſtloſen Geiſt auf Jahrtauſende feſſeln?
„Vermag der, der ſie geſchaffen, nur einen
„ſich ſo zuzueignen, daß er nicht millionen-
„mal unſerm Reiche naͤher als dem ſeinen
„ſey? Alles mißbraucht der Menſch, die
„Kraft ſeiner Seele und ſeines Leibes; Al-
„les was er ſieht, hoͤrt, betaſtet, fuͤhlt und
„denkt,
[35] „denkt, womit er ſpielt und womit er ſich
„ernſthaft beſchaͤftigt. Nicht zufrieden,
„das zu zertruͤmmern und zu verunſtalten,
„was er mit den Haͤnden faſſen kann,
„ſchwingt er ſich auf den Fluͤgeln der Ein-
„bildungskraft in ihm unbekannte Welten,
„und verunſtaltet ſie wenigſtens in der Vor-
„ſtellung. Selbſt die Freyheit, ihr hoͤch-
„ſtes Gut, wenn ſie auch Stroͤme Bluts
„dafuͤr vergoſſen, verkaufen ſie fuͤr Gold,
„Luſt und Wahn, wenn ſie dieſelbe kaum
„gekoſtet haben. Des Guten unfaͤhig, zit-
„tern ſie vor dem Boͤſen, haͤufen Greuel
„auf Greuel ihm zu entfliehen, und zerſchla-
„gen dann ihrer Haͤnde Werk.
„Nach den blutigen Kriegen werden ſie,
„vom Morden ermuͤdet, einen Augenblick
„raſten, und der giftige Haß wird ſich nur
„in heimlichen Tuͤcken zeigen. Einige wer-
„den dieſen Haß unter dem Schatten der
„Gerechtigkeit, zum Raͤcher des Glaubens
„machen, Scheiterhaufen errichten, und die
„lebendig verbrennen, die nicht ihrer Mei-
C 2„nung
[36] „nung ſind. Andere werden anfangen, die
„unerklaͤrbaren Verhaͤltniſſe und dunkle
„Raͤthſel zu benagen, und die zur Finſter-
„niß Gebohrnen werden verwegen u[m] Licht
„kaͤmpfen. Ihre Einbildungskraft wird
„ſich entflammen, und tauſend neue Be-
„duͤrfniſſe erſchaffen. Wahrheit, Einfalt
„und Religion werden ſie mit Fuͤßen [t]reten,
„um ein Buch zu ſchreiben, das einen Nah-
„men mache und Gold einbringe. Das
„Buͤcherſchreiben wird ein allgemeines Hand-
„werk werden, wodurch Genies und Stuͤm-
„per Ruhm und Fortkommen ſuchen, unbe-
„kuͤmmert, ob ſie die Koͤpfe ihrer Mitbruͤ-
„der verwirren, und die Flamme an das
„Herz der Unſchuldigen legen. Den Himmel,
„die Erde, den Furchtbaren ſelbſt, die ver-
„borgene Kraͤfte der Natur, die dunklen
„Urſachen ihrer Erſcheinungen, die Macht,
„die die Geſtirne waͤlzt, und die Kometen
„durch den Raum ſchleudert, die unfaß-
„liche Zeit, alles Sichtbare und Unſichtbare
„werden ſie betaſten, meſſen und begreifen
„wollen,
[37] „wollen, fuͤr alles unfaßliche, Worte und
„Zahlen erfinden, Syſteme auf Syſteme
„haͤufen, bis ſie die Finſterniß auf Erden
„gezogen haben, wodurch nur die Zweifel
„wie Irrwiſche, die den Wandrer in Sumpf
„locken, blitzen. Nur dann werden ſie hel-
„le zu ſehen glauben, und da erwarte ich
„ſie! Wenn ſie die Religion weggeraͤumt
„haben, wie alten Schutt, und gezwungen
„ſind, aus dem ſtinkenden Ueberbleibſel ein
„neues ungeheures Gemiſche von Menſchen-
„weisheit und Aberglauben zuſammenzugie-
„ßen, dann erwarte ich ſie! Und dann ma-
„chet weit die Thore der Hoͤlle, daß das
„Menſchengeſchlecht einziehe! Der erſte
„Schritt iſt geſchehen, der zweite iſt nah.
„Noch eine ſchreckliche Revolution auf dem
„Erdboden ſteht bevor. Ich beruͤhre ſie
„nur mit fluͤchtiger Eile. Bald werden
„die Bewohner der alten Welt ausziehen,
„um neue, ihnen bisher unbekannte Erd-
„ſtriche zu entdecken. Dort werden ſie Milli-
„onen in religioͤſer Wuth erwuͤrgen, um ſich
C 3„des
[38] „des Goldes zu bemaͤchtigen, das dieſe Un-
„ſchuldigen nicht achten. Dieſe neuen
„Welten werden ſie mit allen ihren Laſtern
„erfuͤllen, und Stoff zu ſcheußlichern der
„Alten zuruͤckfuͤhren. So werden Voͤlker
„unſre Beute werden, die bisher Unſchuld
„und Unwiſſenheit vor unſrer Rache geſi-
„chert hat. Jahrhunderte werden ſie im
„Namen des Furchtbaren, den Erdboden
„mit Blute netzen, und ſo ſieget die Hoͤlle,
„durch die Guͤnſtlinge des Himmels uͤber
„den, der uns hierher geſchleudert hat!
„Dies iſt es, Ihr Maͤchtigen, was ich
„Euch verkuͤnden wollte, und nun freut euch
„mit mir des feſtlichen herrlichen Tags, ge-
„nießet im Voraus der Siege, die ich euch
„verſpreche, weil ich die Menſchen kenne.
„Es lebe Fauſt!“
Erſchreckliches Getoͤſe, daß die Axe der
Erde zitterte, die Gebeine der Todten in
den Graͤbern zuſammenraſſelten, erſcholl:
„Es lebe Fauſt! Es lebe der Vergifter der
„Soͤhne des Staubs!“
Hier-
[39]
Hierauf wurde der vornehmſte Adel des
dunklen Reichs zur Anbetung, dem Kniebeu-
gen, Handkuſſe, das heißt zum Gluͤckwunſch
zugelaſſen, und ich habe bisher noch nicht
entdecken koͤnnen, ob der Satan dieſe huͤn-
diſche Gebraͤuche der Hofhaltung der [Fuͤr]ſten der Erde; oder ob ſie dieſelben der ſei-
nen nachgeaͤfft haben.
6.
Nun warfen ſich die frohlockenden Teu-
fel an die Tiſche, und fielen uͤber das zuge-
richtete Mahl her. Die Becher erklangen,
die Seelen knarrten unter ihren ſcharfen
Zaͤhnen, und man trank des Satans, Fauſt’s,
der Kleriſey, der Tyrannen der Erde, kuͤnf-
tiger und lebender Autoren Geſundheit, un-
ter dem Knall der hoͤlliſchen Artillerie. Um
das Feſt recht glaͤnzend zu machen, fuhren
die Aufſeher der Ergoͤtzungen des Satans,
nach den Suͤmpfen der Verdammten, trie-
ben die brennenden Seelen heraus, und jag-
ten ſie uͤber die Tafeln, die duͤſtre Scene zu
C 4erleuch-
[40] erleuchten. Sie ritten mit giftigen Peit-
ſchen hinter ihnen her, und zwangen ſie,
ſich [grimmig] zu balgen, und die Funken
knaſterten und leuchteten am ſchwarzen Ge-
woͤlbe, wie wenn in dunkler Nacht der Blitz
die Garben des Feldes anzuͤndet. Um die
Ohren der Teufel beym [Schmauſe] mit Ta-
felmuſik zu kitzeln, eilten andre nach den
Pfuͤhlen, goſſen gluͤhendes Metall in die
Flamme, daß die Verdammten in graͤßli-
cher Verzweiflung heulten und fluchten.
Koͤnnt ich ſtatt euren kalten und fruchtlo-
ſen Bußpredigten, dieſes ſcheußliche Gewin-
ſel auf die Erde ziehen! wahrlich die Suͤn-
der wuͤrden ihr Ohr dem wolluͤſtigen Geſang
der Kaſtraten, und dem uͤppigen Gefluͤſter
der Floͤten verſchließen, und reuig Pſalmen
anſtimmen. Umſonſt, weit entfernt iſt die
Hoͤlle, und nah das Vergnuͤgen! Hierauf
wurden auf einem großen Theater Schau-
ſpiele aufgefuͤhrt, die die Heldenthaten des
Satans darſtellten; (denn da der Teufel
Dichter an ſeinem Hofe haͤlt, ſo hat er auch
Schmeich-
[41] Schmeichler) zum Beyſpiel: die Verfuͤh-
rung Evas, Judas Iſcharioth ꝛc.
Dann verwandelte ſich das Theater zur
Vorſtellung eines allegoriſchen Ballets.
Die Scene ſtellte eine wilde Gegend vor.
In einer dunklen Hoͤhle ſaß die Metaphyſik,
eine hagre, lange Geſtalt, die ihre Augen
auf fuͤnf ſchimmernde Worte heftete, die
ſich beſtaͤndig hin und her bewegten, und
bey jeder Veraͤnderung einen andern Sinn
vorſtellten. Der Hagre ließ nicht nach, ih-
nen mit ſeinen ſtarren Augen zu folgen.
In einem Winkel ſtund ein kleiner ſchelmi-
ſcher Teufel, der ihm zu Zeiten Blaſen mit
Wind gefuͤllt an die Stirne warf. Der
Stolz, des Hagern Amanuenſis, las ſie auf,
druͤckte den Wind heraus, und knetete ihn
zu Hypotheſen. Der Hagre war in ein
egyptiſches Unterkleid gehuͤllt, das mit my-
ſtiſchen Figuren beſaͤet war. Ueber dieſem
trug er einen griechiſchen Mantel, der dieſe
myſtiſche Zeichen bedecken ſollte, wozu er
aber viel zu kurz und zu eng war. Seine
C 5Bein-
[42] Beinkleider waren weite Pumphoſen, ſie deck-
ten aber ſeine Bloͤße nicht. Ein großer
Doktorhut deckte ſein kahles Haupt, auf dem
man nur die Ritze ſah, die er mit ſeinen
langen Naͤgeln, bey ſcharfem Nachdenken
hineingeriſſen. Seine Schuhe waren nach
europaͤiſchem Zuſchnitte gemacht, und mit
dem feinſten Staub der Univerſitaͤten und
Gymnaſien beſtreut. Nachdem er lange
auf die ſchwankenden Worte geblickt hatte,
ohne einen Sinn zu faſſen, winkte der Stolz
dem Wahn, der auf des Hagren Linke ſtund.
Dieſer ergriff eine hoͤlzerne Pfennigstrom-
pete, und blies einen Tanz. Da das hag-
re Gerippe das Geplaͤrre hoͤrte, faßte er den
Stolz an der Hand, und tanzte mit ihm in
taktloſen Spruͤngen herum. Seine muͤrbe
duͤnne Beine konnten es nicht lange aus-
halten, und er ſank bald athemlos in ſeine
vorige Stellung.
Ihm folgte die Moral, eine ſehr feine
Geſtalt, in einen Schleier gehuͤllt, der, wie
der Chamaͤleon, alle Farben ſpielte. Sie
hielt
[43] hielt die Tugend und das Laſter an den
Haͤnden, und tanzte ein Trio mit ihnen.
Ein nackender Wilde blies dazu auf einem
Haberrohr, ein europaͤiſcher Philoſoph ſtrich
die Geige, ein Aſiate ſchlug die Trommel,
und obgleich dieſe widrige Toͤne ein harmo-
niſches Ohr zerriſſen haͤtten, ſo kamen doch
die Tanzenden nicht aus dem Takt, ſo gut
hatten ſie ihre Schule gelernt. Gab die
feine Dirne dem Laſter die Hand, ſo gau-
kelte ſie wie eine Buhlſchweſter, floh lockend
vor ihm her, gab alsdann der Tugend die
Hand, und bewegte ſich in den ſittſamen
Schritten der Matrone. Nach dem Tanze
ruhte ſie auf einer duͤnnen, durchſichtigen
und ſchoͤngemahlten Wolke aus, die ihre
Verehrer aus vielen Fetzen zuſammengeflickt
hatten.
Nach ihr erſchien die Poeſie, in der Ge-
ſtalt eines unbekleideten wolluͤſtigen Weibes.
Sie tanzte mit der Sinnlichkeit einen uͤppi-
gen ſehr figuͤrlichen und darſtellenden Tanz,
wozu
[44] wozu die Einbildungskraft die Floͤte d’amour
blies.
Hierauf trat die Geſchichte auf. Vor
ihr her gieng die Fama, mit einer langen
ehernen Trompete. Sie ſelbſt war behan-
gen mit Erzaͤhlungen von Mordthaten, Ver-
giftungen, Verſchwoͤrungen, Betruͤgereyen
und andern Greueln. Hinter ihr keuchte ein
ſtarker, nervigter, teutſchgekleideter Mann,
unter einer ungeheuren Buͤrde von Kroni-
cken, Diplomen und Documenten. Sie
tanzte unter dem Geraſſel der Erzaͤhlungen,
womit ſie behangen war, mit der Sclave-
rey; die Luͤge nahm der Fama die Trompe-
te von dem Mund weg, ſtimmte den Tanz
an, und die Schmeicheley zeichnete ihr die
Figuren vor.
Dann fuhren mit lautem Gelaͤchter auf
die Scene, die Medicin und Charlatanerie,
tanzten eine Menuet, wozu der Tod mit ei-
nem Beutel voll Gold die Muſik klimperte.
Hierauf erſchienen die Aſtrologie, die Ka-
bala, Theoſophie und Myſtik, ſie hatten
ſich
[45] ſich an den Haͤnden gefaßt, und trieben ſich
wild in dunklen Figuren herum, wozu der
Aberglaube, Wahnſinn und Betrug, auf
Dudelſaͤcken blieſen.
Dieſen folgte die Jurisprudenz, eine fei-
ſte, gut genaͤhrte Geſtalt, mit Sporteln ge-
fuͤttert, und mit Gloſſen behangen. Sie
keuchte ein muͤhſames Solo, und die Chi-
cane ſtrich den Baß dazu.
Zulezt fuhr die Politik in einem Sieges-
wagen herein, den zwey Maͤhren zogen,
Schwaͤche und Betrug. Zu ihrer Rechten
ſaß die Theologie, in einer Hand einen
ſcharfen Dolch haltend, in der andern eine
brennende Fackel. Sie ſelbſt trug eine gold-
ne Krone auf dem Haupt, und einen Zepter
in der Rechten. Sie ſtieg aus dem Wagen,
und tanzte mit der Theologie ein Pas des
deux, wozu Liſt, Herrſchſucht und Tyran-
ney, auf ganz leiſen und ſanften Inſtru-
menten ſpielten. Nachdem ſie das Pas des
deux geendet hatte, gab ſie den uͤbrigen
Geſtalten ein Zeichen, einen allgemeinen
Tanz
[46] Tanz zu beginnen. Sie folgten dem Wink,
und ſprangen in wilder Verwirrung herum.
Alle obengemeldete ſpielten ihre Inſtrumente
dazu, ein Geheul, das die Tafelmuſik des
Satans nur an Getoͤſe uͤbertraf. Doch
bald miſchte ſich die Zwietracht unter di[e]
vertraulich Tanzenden. Sie griffen nach
den Waffen, von Wuth und Eiferſucht ent-
flammt. Da die Theologie wahrnahm,
daß ſie alle die wolluͤſtige Poeſie umarmten,
und der Moral den Schleier abreißen woll-
ten, ſich damit zu bedecken, gab ſie dieſer
einen Dolchſtich von hinten, und verbrann-
te der geliebkoſten Dichtkunſt mit der bren-
nenden Fackel den Steiß. Dieſe beyden
erhuben ein fuͤrchterliches Geheul, die Poli-
tik verwieß die Entflammten zur Ruhe, und
die Charlatanerie nahte, um die Wunde der
Moral zu verbinden, indeſſen ſchnitt die
Medicin einen Fetzen von ihrem Talar zur
Bezahlung ab. Der Tod ſtreckte unter dem
Mantel der diebiſchen Medicin die Klaue her-
vor, um die Moral zu ergreifen, die Poli-
tik
[47] tik aber ſchlug ihn ſo heftig darauf, daß er
laut heulte, und fuͤrchterlich grinſte. Die
Poeſie ließen ſie mit verbranntem Steiße her-
umhuͤpfen, weil ſie nackend, und ihr
nichts abzuſchneiden war. Endlich erbarm-
te ſich ihrer die Geſchichte, und legte ihr
ein naſſes Blatt aus einem empfindſamen
Roman drauf. Die Politik ſpannte ſie
alsdann alle zuſammen vor ihren Wagen,
und fuhr im Triumphe davon.
Die ganze Hoͤlle ſchlug Beyfall in die
Haͤnde bey der lezten Vorſtellung, und Sa-
tan umarmte den Teufel Leviathan, der die-
ſes Schauſpiel veranſtaltet, und ihm ſo ſuͤß
geſchmeichelt hatte; denn es war eine ſeiner
ſtolzen Grillen, von den Teufeln fuͤr den
Erfinder der Wiſſenſchaften gehalten zu wer-
den. Oft ſagte er in ſeinem Uebermuth:
„er habe ſie einſt mit den [Toͤchtern] der Erde
„im Ehebruch gezeugt, um die Menſchen
„von dem graden, einfachen und edlen Ge-
„fuͤhl ihres Herzens abzulenken, ihnen den
„Schleier ihres Gluͤcks vor den Augen weg-
„zureißen,
[48] „zureißen, ſie mit ihrer Beſchraͤnktheit und
„Schwaͤche bekannt zu machen, und ihnen
„peinigende Zweifel uͤber ihre Beſtimmung
„einzuimpfen. Er habe ſie dadurch gelehrt,
„uͤber den Ewigen und die Tugend zu ver-
„nuͤnfteln, damit ſie vergeſſen moͤchten, die-
„ſen anzubeten, und jene auszuuͤben. Wir,“
ſetzte er dann hinzu, „haben mit offnen und
„kuͤhnen Waffen den Himmel bekriegt, ihnen
„hab ich wenigſtens die Mittel an die Hand
„gegeben, unaufhoͤrlich mit dem Ewigen zu
„ſcharmuziren.“ Elende Prahlerey! wer-
den ſich die Menſchen das nehmen laſſen,
worauf ſie nie ſtolzer ſind, als wenn ſie es
mißbrauchen?
Man bewundre doch hier einen Augen-
blick mit mir, wie ſich darinnen alle Hoͤfe
gleichen, daß meiſtens die Großen durch das
Verdienſt, die Arbeit, den Schweiß der Klei-
nen, die Gunſt des Fuͤrſten gewinnen, und
die Belohnung davon tragen. Leviathan
giebt ſich geradezu fuͤr den Erfinder dieſes
allegoriſchen Ballets aus, laͤßt ſich dafuͤr
lieb-
[49] liebkoſen und danken, gleichwohl iſt der Au-
tor davon der bayeriſche Hofpoet, der erſt
kuͤrzlich Hungers, folglich in Verzweif-
lung, geſtorben und ſo zur Hoͤlle gefahren
war. Er verfertigte dieſes Ballet auf des
Fuͤrſten Leviathans Befehl, der den Sinn
hatte, Talente auszuſpaͤhen, nach dem neu-
ſten Geſchmack ſeines Hofes, und legte ver-
muthlich die giftige Anſpielung auf die Wiſ-
ſenſchaften darum hinein, weil ſie ihn ſo
ſchlecht genaͤhrt hatten. Vielleicht auch,
daß Leviathan, der ſo gut wußte, was dem
Satan gefiel, ihm den Wink dazu gegeben
hat. Es ſey wie ihm wolle, dieſer erndtete
den Lohn ein, und der duͤnne Schatten des
bayeriſchen Hofpoets ſaß kauernd hinter ei-
nem Felſen des Theaters, und ſah mit
tiefem Schmerz, wie der Satan den Levia-
than fuͤr ſeine Arbeit liebkoſte.
7.
Die frohen, berauſchten Teufel laͤrmten
hierauf, daß ſie das Geheul der Verdamm-
Fauſts Leben. Dten
[50] ten ſelbſt uͤberbruͤllten. Auf einmal erſcho[ll]
Fauſts maͤchtige Stimme von der Oberwelt
durch die Hoͤlle. Es war ihm gelungen,
durch ſeinen Zauber bis in den Abgrund zu
dringen, und einen der erſten Fuͤrſten des
ſchwarzen Reichs aufzufordern. Seiner Ge-
walt war nicht zu widerſtehen. Frohlo-
ckend fuhr Satan auf: „Es iſt Fauſt der
„da ruft; nur dem Kuͤhnen konnte es gelin-
„gen, nur der Verwegne konnte es wagen,
„ſo gewaltſam an die ehernen Pforten der
„Hoͤlle zu ſchlagen. Auf! ein Mann wie
„er, iſt mehr werth als tauſend der elenden
„Schufte, die wie Bettler ſuͤndigen, und
„auf eine alltaͤgliche Art zur Hoͤlle fahren.“
Er wandte ſich zu dem Teufel Leviathan ſei-
nen Liebling:
„Dich, den geſchmeidigſten Verfuͤhrer,
„den grimmigſten Haſſer des Menſchenge-
„ſchlechts, fordre ich auf, hinaufzufahren,
„und mir die Seele dieſes Kuͤhnen, durch
„deine gefaͤhrliche Dienſte zu erkaufen. Nur
„du kannſt das gierige Herz, den ſtolzen,
„raſt-
[51] „raſtloſen Geiſt dieſes Verwegnen feſſeln,
„ſaͤt[t]igen, und dann zur Verzweiflung trei-
„ben. Fahre hinauf, verjage den Dunſt
„der Schulweisheit, aus ſeinem Gehirne.
„Senge durch das uͤppige Feuer der Wolluſt
„die edlen Gefuͤhle ſeiner Jugend aus ſeinem
„Herzen. Oeffne ihm die Schaͤtze der Na-
„tur, treibe ihn haſtig ins Leben, daß er
„ſich ſchnell uͤberlade. Er ſehe Boͤſes aus
„Gutem entſpringen, das Laſter gekroͤnt,
„Gerechtigkeit und Unſchuld mit Fuͤſſen ge-
„treten, wie es der Menſchen Art iſt. Fuͤh-
„re ihn durch die wilden, ſcheußlichen Sce-
„nen des menſchlichen Lebens, er verkenne
„den Zweck, verliere unter den Greueln
„den Faden der Leitung und Langmuth des
„Ewigen. Und wenn er dann abgeriſſen
„ſteht, von allen natuͤrlichen und himmli-
„ſchen Verhaͤltniſſen, zweifelnd an der ed-
„len Beſtimmung ſeines Geſchlechts, der
„Sinn der Wolluſt und des Genußes in ihm
„verdampft iſt, er ſich an nichts mehr hal-
„ten kann, und der innre Wurm erwacht,
D 2„ſo
[52] „ſo zergliedere ihm mit hoͤlliſcher Bitterkeit
„die Folgen ſeiner Thaten, Handlungen und
„ſeines Wahnſinns, und entfalte ihm die
„ganze Verkettung derſelben, bis auf kuͤnf-
„tige Geſchlechter. Ergreift ihn dann die
„Verzweiflung, ſo ſchleudere ihn herunter,
„und kehre ſiegreich in die Hoͤlle zuruͤck.“
Leviathan. Satan, warum wendeſt du
dich abermals an mich? Du weißt es, mir
iſt das ganze Menſchengeſchlecht und die
Erde, ihr Tummelplatz, laͤngſt zum Ekel
geworden. Was iſt aus den Kerls zu ma-
chen, die weder Kraft zum Guten noch Boͤ-
ſen haben? Den, der eine zeitlang mit dem
Fantom Tugend buhlt, machen bald Gold,
Ehrgeiz oder Wolluſt zum Schurken, und
tritt auch einer oder der andre kuͤhn in die
Bahn des Laſters, ſo faͤhrt er auf halbem
Wege vor den Geſpenſtern ſeiner ſchwaͤchli-
chen Einbildungskraft zuruͤck. Ja, wenn
es noch ein heißer, ſtolzer Spanier, ein rach-
ſuͤchtiger, ſpitzbuͤbiſcher Italiener; oder ein
luſtiger, verbuhlter Franzoſe waͤre! aber ein
Teut-
[53] Teutſcher? traͤge Kloͤtze, die ſich vor Anſe-
hen und Reichthum, vor allen unnatuͤrli-
chen Unterſcheidungen der Menſchen ſcla-
viſch beugen, von ihren Fuͤrſten und Großen
glauben, ſie ſeyen von edlerem Stoffe ge-
macht als ſie, und ganze Kerle zu ſeyn glau-
ben, wenn ſie ſich fuͤr ſie todtſchlagen, oder
zum Todtſchlagen an andre Fuͤrſten verkau-
fen laſſen. Vernimmſt du ſeit Jahrhunder-
ten ein Wort von Empoͤren gegen Tyran-
ney? von Kampf und Blutvergießen um
Freyheit und die Rechte der Menſchheit.
Sie glauben ſich frey, weil es ihre Fuͤrſten
und Biſchoͤffe ſind, die ſie ſchinden koͤnnen,
wie es ihnen gefaͤllt. Noch iſt keiner von ihnen
auf eine ſtattliche Art zur Hoͤlle gefahren, ein
Beweis, daß dies Volk keine ſich auszeich-
nende Koͤpfe hat. Ich meine von jenen,
die keck alle Verhaͤltniſſe benagen, den dia-
mantnen Schild Eigenheit erkaͤmpfen, an
dem ſich alle himmliſche und irrdiſche Vor-
urtheile zerſchlagen. Zeige mir einen ſol-
chen Mann, der auf die Gefahr ſeiner See-
D 3le
[54] le, groß ſeyn und bleiben will, und ich fah-
re hinauf.
Satan. [Leviathan], ſollen Teufel ſich von
Vorurtheilen blenden laſſen, wie die Soͤhne
des Staubs? Der Mann nach unſerm Sinn
wird unter jedem Himmelsſtrich gebohren;
dies wird er dir beweiſen. Er iſt einer von
denen, die die Natur zum Großen geſchaf-
fen, mit allen heißen Leidenſchaften ausſtaf-
firt hat, und die ſich gegen die alten Ver-
traͤge der Menſchen empoͤren. Wenn ein
ſolcher Geiſt durch dieſes Spinnengewebe
reißt, ſo gleicht er einer Flamme, die durch
ihre Heftigkeit den Stoff ihres Glanzes nur
ſchneller aufzehrt. Er iſt einer der Philoſo-
phen auf bel éſprit gepfropft, die durch die
Einbildungskraft faßen wollen, was dem
kalten Verſtand verſagt iſt, und die, wenn
es ihnen mißlingt, alles Wiſſen verlachen,
und den Genuß und die Wolluſt zu ihrem
Gott machen. Fahr hinauf, Leviathan,
bald wird ein Feuer in Teutſchland ausbre-
chen, das ganz Europa umfaſſen wird.
Schon
[55] Schon ſchießt der Keim des Wahnſinns
auf Jahrhunderte auf, und das was der
Teutſche einmal gefaßt hat, davon laͤßt er
nicht ab.
Zum zweitenmal ertoͤnte Fauſts gebiete-
riſcher Ruf. Satan fuhr fort:
Du hoͤrſt an ſeinem Ruf, daß er keiner
der Schwaͤchlinge iſt. So wuͤthend hat
noch keiner an die Pforte der Hoͤlle geſchla-
gen, wahrlich der Kerl iſt ein Genie. Fah-
re ſchnell hinauf, denn wenn du zoͤgerſt, ſo
moͤchte er an der Kraft ſeines Zaubers zwei-
feln, und die Hoͤlle verloͤhre die Fruͤchte ſei-
nes Frevels. Wiſſe, ein Mann wie er, iſt
mehr Gewinn fuͤr uns, als tauſende der
Schufte die taͤglich herunterfahren.
Zornig erwiederte der Teufel Leviathan:
„Ich ſchwoͤre bey dem gluͤhenden, ſtin-
„kenden Pfuhl der Verdammten, der Ver-
„wegne ſoll dieſe und die Stunde ſeiner Ge-
„burt verfluchen, und den Ewigen einſt
„laͤſtern!“
D 4Er
[56]
Er fuhr in Dampf gehuͤllt hinaus, und
die frohlockende Hoͤlle jauchzte ihm nach.
8.
Fauſt ſtund in ſeinem Zauberkreiße wild
begeiſtert. Zum drittenmal rief er mit don-
nernder Stimme, die furchtbare Formel.
Die Thuͤre fuhr ploͤtzlich auf, ein dicker
Dampf ſchwebte an dem Rande des Kreißes,
er ſchlug mit ſeinem Zauberſtab hinein, und
rief gebietend:
„Enthuͤlle dich, dunkles Gebilde!“
Der Dampf floß hinweg, und Fauſt ſah
eine lange Geſtalt vor ſich, die ſich unter ei-
nem rothen Mantel verbarg.
Fauſt. Langweilige Mummerey fuͤr einen,
der dich zu ſehen wuͤnſcht! Entdecke dich
dem, der dich nicht fuͤrchtet, in welcher Ge-
ſtalt du auch erſcheineſt!
Der Teufel ſchlug den Mantel zuruͤck,
und ſtund in erhabner, ſtattlicher, kuͤhner
und kraftvoller Geſtalt vor dem Kreiße. Feu-
rige, gebietriſche Augen leuchteten unter
zwo
[57] zwoſchwarzen Braunen hervor, zwiſchen wel-
chen Bitterkeit, Haß, Groll, Schmerz und
Hohn, dicke Falten zuſammengerollt hatten.
Dieſe Furchen verlohren ſich in einer glatten,
hellen, hochgewoͤlbten Stirne, die mit dem
Merkzeichen der Hoͤlle, zwiſchen den Augen,
ſehr abſtach. Eine feingebildete Adlernaſe
zog ſich gegen einen Mund, der nur zu dem
Genuß der Unſterblichen gebildet zu ſeyn
ſchien. Er hatte die Miene der gefallnen
Engel, deren Angeſichter einſt von der Gott-
heit beleuchtet wurden, und die nun ein duͤ-
ſtrer Schleier deckt.
Fauſt. erſtaunt. Iſt der Menſch denn
uͤberall zu Hauſe? — Wer biſt du?
Teufel. Ich bin ein Fuͤrſt der Hoͤlle, und
komme, weil dein maͤchtiger Ruf mich
zwingt.
Fauſt. Ein Fuͤrſt der Hoͤlle unter dieſer
Maske? unter der Geſtalt des Menſchen?
Ich wollte einen Teufel haben, und keinen
meines Geſchlechts.
D 5Teu-
[58]
Teufel. Fauſt, vielleicht ſind wir es dann
ganz, wenn wir euch gleichen; wenigſtens
kleidet uns keine Maske beſſer. Iſt es nicht
eure Weiſe, das zu verbergen, was ihr ſeyd,
und das vorzugaukeln, was ihr nicht ſeyd?
Fauſt. Bitter genug, und wahrer noch
als bitter, denn ſaͤhen wir von außen ſo
aus, wie wir in unſerm Innern ſind, ſo
glichen wir dem, was wir uns unter euch
denken; doch dachte ich dich fuͤrchterlich,
und hoffte meinen Muth bey deiner Erſchei-
nung zu pruͤfen.
Teufel. So denkt ihr euch alle Dinge
anders als ſie ſind. Vermuthlich haſt du
den Teufel mit den Hoͤrnern und den Bocks-
fuͤßen erwartet, wie ihn euer furchtſames
Zeitalter ſchildert. Seitdem ihr aufgehoͤrt
habt die Kraͤfte der Natur anzubeten,
haben ſie euch verlaſſen, und ihr koͤnnt
nichts Großes mehr denken. Wenn ich dir
erſchiene wie ich bin, die Augen drohende
Kometen, einherſchwebend wie eine dunkle
Wolke, die Blitze aus ihrem Bauche ſchleu-
dert
[59] dert — das Schwerdt in der Hand, das
ich einſt gegen den Raͤcher zog, den unge-
heuren Schild am Arm, den ſein Donner
durchloͤchert hat, du wuͤrdeſt in deinem Krei-
ße zu Aſche werden.
Fauſt. Nun ſo haͤtte ich doch einmal et-
was Großes geſehen.
Teufel. Dein Muth wuͤrde mir gefallen;
aber nie ſeyd ihr laͤcherlicher, als wenn ihr
erhaben zu fuͤhlen glaubt, indem ihr das
Kleine, das ihr umfaſſen koͤnnt, mit dem
[Ungeheuren] und Großen, das ihr nicht
uͤberſehen koͤnnt, zuſammenſtellt. So mag
der Wurm den voruͤbergehenden Elephanten
dann auch ausmeſſen, und im Augenblicke ſei-
ne Schwere berechnen, wenn er unter ſei-
nem gewaltigen Fuß hinſtirbt.
Fauſt. Spoͤtter! und was iſt der Geiſt
in mir, der, wenn er einmal den Fuß auf
die Leiter geſezt hat, von Sproße zu Spro-
ße, bis ins Unendliche ſteigt? Wo iſt ſeine
Graͤnze?
Teu-
[60]
Teufel. Vor deiner Naſe, wenn du auf-
richtiger ſeyn willſt, als ihr’s gewohnt ſeyd;
doch wenn du mich um dieſes Schnick-
ſchnacks aus der Hoͤlle gerufen haſt, ſo laß
mich immer wieder abziehen. Ich kenne
ſchon lange eure Kunſt uͤber das zu ſchwa-
tzen, was ihr nicht verſteht.
Fauſt. Deine Bitterkeit gefaͤllt mir, ſie
ſtimmt zu meiner Lage, und ich muß dich
naͤher kennen lernen. Wie heißeſt du?
Teufel. Leviathan, das iſt Alles, denn
ich vermag Alles.
Fauſt. O des Großſprechers! Prahlen
die Teufel auch?
Teufel. Der Geſtalt Ehre zu machen, in
welcher du mich ſiehſt. Setze mich auf die
Probe. Was verlangſt du?
Fauſt. Verlangen? o des lang gedehnten
Worts fuͤr einen Teufel. Wenn du biſt,
was du ſcheinen willſt, ſo fuͤhre meine
Begierden in ihrem Keimen aus, und
befriedige ſie, bevor ſie Willen geworden
ſind.
Teufel.
[61]
Teufel. Ich will deinem Sinne naͤher ruͤ-
cken. Das edle Roß beißt in die Stange,
ſo der Menſch, der ſich Fluͤgel fuͤhlt, im
Licht zu ſchweben, und den eine tyranniſche
Hand in dunklen Abgrund druͤckt. Fauſt,
viel ahndet dein feuriger Geiſt, aber das
was du umfaſſen moͤchteſt, verſchwindet,
und das Erhaſchte iſt immer nur Schatten-
bild deiner eignen Geſtalt.
Fauſt. Raſcher!
Teufel. Noch ſchlage ich leiſe an deiner
Seele an, wenn ich einſt deine Sinne be-
ruͤhre, wirſt du noch heißer auflodern. Ja,
du biſt einer der Geiſter, die die alltaͤglichen
Verhaͤltniſſe des Menſchen verbrennen, de-
nen das nicht gnuͤgt, was der Karge ihnen
aufgetiſcht hat. Maͤchtig iſt deine Kraft,
ausgedehnt deine Seele, kuͤhn dein Wille;
aber der Fluch der Beſchraͤnktheit liegt auf
dir, wie auf allen — Fauſt, du biſt ſo
groß als der Menſch ſeyn kann.
Fauſt.
[62]
Fauſt. Maske des Menſchen, fahr’ in die
Hoͤlle zuruͤck, wenn du uns auch im Schmei-
cheln nachaͤffeſt!
Teufel. Fauſt, ich bin ein Geiſt aus
flammendem Lichte geſchaffen, ſah die unge-
heuren Welten aus Nichts hervortreten, du
biſt aus Koth geſchaffen, und von geſtern
her — werd’ ich dir [ſchmeicheln]?
Fauſt. Und doch mußt du mir dienen,
wenn mirs gefaͤllt.
Teufel. Dafuͤr erwarte ich Lohn und den
Beyfall der Hoͤlle; der Menſch und der
Teufel thun beyde nichts umſonſt.
Fauſt. Welchen Lohn erwarteſt du?
Teufel. Ein Ding aus dir gemacht zu
haben, das mir gleicht, wenn du die Kraft
dazu haſt.
Fauſt. Da waͤr ich was rechts! doch du
kennſt den Menſchen ſchlecht, fuͤr einen ſo
gewandten Teufel, wenn du an der Kraft
desjenigen zweifelſt, der es einmal gewagt
hat aus den Banden zu ſpringen, die die
Natur ſo feſt um unſer Herz gelegt hat.
Wie
[63] Wie ſanft ſchienen ſie mir einſt, da meine
Jugend, die Welt und Menſchen in den
ſchimmernden Glanz der Morgenroͤthe klei-
dete. Es iſt vorbey, ſchwarz iſt nun mein
Horizont, ich ſtehe im halben Lauf des Le-
bens an dem Rande der dunklen Ewigkeit,
und habe die Regeln zerrißen, die das Men-
ſchengeſchlecht in Harmonie zuſammen haͤlt.
Teufel. Was ſchwaͤrmſt du, Fauſt? Har-
monie! iſt ſie es die den verworrnen Tanz
des Lebens leitet?
Fauſt. Schweig! ich fuͤhle es vielleicht
zum leztenmal, blicke vielleicht zum lezten-
mal in die bunten, wonnevollen Gefilde der
Jugend zuruͤck. Daß der Menſch aus die-
ſem ſeeligen Traum erwachen muß! daß die
Pflanze aufſchießen muß, um als Baum zu
verdorren; oder gefaͤllt zu werden! Laͤchle,
Teufel, ich war einſt gluͤcklich. Verſchwin-
de was nicht mehr zu erhaſchen iſt. Ja,
nur dann haben wir Kraft, wenn wir dem
Boͤſen nachjagen! Und worin bin ich groß?
Waͤr’ ichs, wuͤrd ich deiner beduͤrfen? Geh,
tuͤcki-
[64] tuͤckiſcher Schmeichler, du willſt mir nur zu
fuͤhlen geben, wie klein ich bin.
Teufel. Derjenige der zu fuͤhlen faͤhig iſt,
worinn er ſchwarz iſt, und den Muth hat
das zu zertruͤmmern, wodurch er’s iſt, iſt
wenigſtens darinnen groß. Mehr wollt ich
nicht ſagen, und weh dir, wenn ich dich
durch Worte aufreizen ſoll.
Fauſt. Sieh mich an, und ſage mir, was
dich mein Geiſt fragt, das was ich nicht zu
ſagen wage!
Bey dieſen Worten deutete Fauſt
auf ſich, dann gegen den Himmel,
und machte eine Bewegung mit
ſeiner Zauberruthe gegen Auf-
und Niedergang der Sonne. Er
fuhr fort:
Du hoͤrſt den Sturm wuͤthen — warſt,
da noch nichts war —
Hier deutete er auf ſeine Bruſt
und Stirne:
Hier iſt Nacht, laß mich Licht ſe-
hen!
Teufel.
[65]
Teufel. Verwegner, ich verſtehe deinen
Willen, und ſchaudere vor deiner Kuͤhnheit,
ich ein Teufel.
Fauſt. Elender Geiſt, du windeſt dich
mit dieſer Ausflucht nicht los. In meinem
gluͤhenden Durſt wuͤrd ich unternehmen,
das ungeheure Meer auszutrinken, wenn
ich in ſeinem Abgrund das zu finden hoffte,
was ich ſuchte. Ich bin dein; oder deſ-
ſen — noch ſteh ich da, wohin kein Teufel
dringen kann, noch iſt Fauſt ſein Herr!
Teufel. Das warſt du vor einem Augen-
blick noch. Dein Loos iſt geworfen, war
geworfen, da du dieſen Kreiß betratſt. Wer
in mein Angeſicht geblickt hat, kehrt um-
ſonſt zuruͤck, und ſo verlaß ich dich.
Fauſt. Reden ſollſt du, und die dunkle
Decke wegreißen, die mir die Geiſterwelt
verbirgt. Was ſeh ich in dir? ein Ding,
wie ich es bin. Ich will des Menſchen
Beſtimmung erfahren, die Urſach des mo-
raliſchen Uebels in der Welt. Ich will wiſ-
ſen, warum der Gerechte leidet, und der
Fauſts Leben. ELaſter-
[66] Laſterhafte gluͤcklich iſt. Ich will wiſſen,
warum wir einen augenblicklichen Genuß
durch Jahre voll Schmerzen und Leiden er-
kaufen muͤſſen. Du ſollſt mir den Grund
der Dinge, die geheime Springfeder der
Erſcheinungen der phyſiſchen und morali-
ſchen Welt eroͤffnen. Faßlich ſollſt du mir
den machen, der alles geordnet hat, und
wenn der flammende Blitz, der dieſen Au-
genblick durch jene ſchwarze Wolke reißt,
mein Haupt ſengte, und mich leblos in die-
ſen Zirkel der Verdammniß hinſtreckte.
Glaubſt du, ich habe dich um Gold und Wol-
luſt allein heraufgerufen? Jeder Elende
mag ſeinen Bauch fuͤllen, und die Wolluſt
des Fleiſches ſtillen. — Du bebſt? Hab
ich mehr Muth als du? Welche zitternde
Teufel ſpeyt die Hoͤlle aus? Und du nennſt
dich Leviathan, der alles kann? — Weg
mit dir, du biſt kein Teufel, du biſt ein
elendes Ding, wie ich.
Teufel. Kuͤhner! du haſt die Rache des
Raͤchers noch nicht gefuͤhlt, wie ich. Die
Ahn-
[67] Ahndung davon wuͤrde dich in Staub ver-
wandeln, und wenn du die Kraft des Men-
ſchengeſchlechts, vom erſten bis zum letzten
Suͤnder in deiner Bruſt truͤgeſt. Dringe
weiter nicht in mich.
Fauſt. Ich will und bin beſtimmt.
Teufel. Du floͤßeſt mir Ehrfurcht und
Mitleid ein.
Fauſt. Ich fordere nur Gehorſam.
Teufel. So hadere mit dem, der eine Fa-
ckel in dir angezuͤndet hat, die dich aufbren-
nen muß, wenn ſie die Furcht nicht aus-
blaͤſt.
Fauſt. Ich habe es gethan, und umſonſt.
Gehorche!
Teufel. Unzubefriedigender! Nun ſo wiſ-
ſe, daß auch der Teufel ſeine Graͤnzen hat.
Seitdem wir gefallen ſind, haben wir die
Vorbildung der erhabenen Geheimniſſe, bis
auf die Sprache, ſie zu bezeichnen, verloh-
ren. Nur die unbefleckten Geiſter jener
Welt vermoͤgen ſie zu denken und zu be-
ſingen.
E 2Fauſt.
[68]
Fauſt. Glaubſt du mich durch eine liſti-
ge Wendung in dem zu taͤuſchen, wornach
mein Gaumen ſo luͤſtern iſt?
Teufel. Thor, um mich an dir zu raͤchen,
wuͤnſcht ich dir mit den glaͤnzenden Far-
ben des Himmels das zu ſchildern, was du
verlohren haſt, und dich dann der Verzweif-
lung uͤberlaſſen. Wuͤßt ich auch mehr, als
ich weiß, kann die Zunge aus Fleiſch gebil-
det, dem Ohr’ aus Fleiſch gebildet, faßlich
machen, was außer den Graͤnzen der Sin-
ne liegt, und der koͤrperloſe Geiſt nur be-
greift?
Fauſt. So ſey Geiſt und rede! Schuͤttle
dieſe Geſtalt ab!
Teufel. Wirſt du mich dann vernehmen?
Fauſt. Schuͤttle dieſe Geſtalt ab, ich will
dich als Geiſt ſehen.
Teufel. Du ſprichſt Unſinn — nun’ ſo
ſieh mich — ich werde ſeyn, und dir nicht
ſeyn; ich werde reden, und du wirſt mich
nicht verſtehen.
Nach
[69]
Nach dieſen Worten zerfloß der
Teufel Leviathan in helle Flam-
me, und verſchwand.
Fauſt. Rede, und enthuͤlle die Raͤthſel.
Wie der ſanfte Weſt uͤber die
bebluͤmte Wieſe hinſtreicht, und
die ſanften Bluͤthen leiſe kuͤßt, ſo
ſaͤuſelte es an der Stirne und
den Ohren Fauſts. Dann ver-
wandelte ſich das Saͤuſeln in ein
ſteigendes, anhaltendes, rauſchen-
des Raſſeln, das dem rollenden
Donner, dem Zerſchlagen der Wo-
gen an der Brandung, dem Ge-
heule und Geſauſe in den Felſen-
kluͤften glich. Fauſt ſank in ſei-
nem Zauberkreiß zuſammen, und
erholte ſich muͤhſam.
Fauſt. Ha, iſt dies die Sprache der Gei-
ſter, ſo verſchwindet mein Traum, und ich
bin getaͤuſcht, und muß knirſchen in der
Finſterniß. So haͤtt’ ich nun meine Seele
um die Suͤnde der H — y verkauft, denn
E 3dies
[70] dies waͤre alles, was mir dieſer kuppleriſche
Geiſt noch leiſten koͤnnte. Eben das, wa-
rum ich die Ewigkeit aufs Spiel ſetzte! Er-
leuchtet, wie nie einer es war, gedacht ich
unter die Menſchen zu treten, und ſie mit
meinem Glanze zu blenden, wie die jung
aufgehende Sonne. Der ſtolze Gedanke,
ewig als der Groͤßte in den Herzen der Men-
ſchen zu leben, iſt hin, und ich bin elender
als ich war. — Wo biſt du, Gaukler, daß
ich meine Wuth an dir auslaſſe?
Teufel. (in ſeiner vorigen Ge-
ſtalt.)
Hier bin ich. Ich ſprach, und du ver-
nahmſt den Sinn meiner Worte nicht. Fuͤh-
le nun, was du biſt, zur Dunkelheit geboh-
ren, ein Spiel der Zweifel. Dir kann
nicht werden, was dir nicht werden ſoll.
Ziehe deinen Geiſt von dem Unmoͤglichen ab,
und halte dich an das Faßliche. Du woll-
teſt die Sprache der Geiſter vernehmen, haſt
ſie vernommen, und ſankſt betaͤubt hin un-
ter ihrem Schall.
Fauſt.
[71]
Fauſt. Reize nur meinen Zorn, und ich
will dich mit meiner Zauberruthe bis zu
Thraͤnen geißeln, dich an den Rand meines
Kreißes feſſeln, und meinen Fuß auf deinen
Nacken ſetzen; ich weiß, daß ich es kann.
Teufel. Thu es, und die Hoͤlle wird dei-
nes Zorns lachen. Fuͤr jede Thraͤne ſoll einſt
die Verzweiflung die Tropfen deines Bluts
aus deiner verwegnen Stirne druͤcken, und
die Rache ſoll die Wage halten, ſie abzu-
waͤgen.
Fauſt. Pfuy des Wahnſinns, daß ein ed-
les Geſchoͤpf ſich mit einem von Ewigkeit
Verworfnen abgiebt, der nur Sinn zum Boͤ-
ſen hat, nur im Boͤſen beyſtehen kann!
Teufel. Pfuy des Ekels, einen Menſchen
anhoͤren zu muͤſſen, der dem Teufel vorwirft,
daß er Teufel iſt, und nicht mit der Schat-
tengeſtalt Tugend prahlt, wie einer von
euch!
Fauſt. Prahlt? Taſte nur noch den mo-
raliſchen Werth des Menſchen an, wodurch
E 4er
[72] er ſich den Unſterblichen naͤhert, und der
Unſterblichkeit wuͤrdig macht.
Teufel. Ich will dir zeigen, was daran iſt.
Fauſt. Ich denke wohl, daß du es kannſt.
Kann es doch jeder von uns, der ſeine
Schlechtigkeit zum allgemeinen Maßſtab der
Menſchen macht, und Tugenden verdaͤchtig
macht, die er nie in ſeiner Bruſt gefuͤhlt hat.
Wir haben Philoſophen gehabt, die hier-
innen laͤngſt dem Teufel vorgegriffen haben.
Teufel. Beſſer waͤre es fuͤr dich geweſen,
du haͤtteſt nie einen geleſen, dein Kopf wuͤr-
de gerader, und dein Herz geſuͤnder ſeyn.
Fauſt. Verdammt, daß der Teufel im-
mer Recht hat!
Teufel. Ich will dir anſchaulich machen,
wovon deine Philoſophen ſchwatzen, und die
Wolken vor deinen Augen wegblaſen, die
Stolz, Eitelkeit und Selbſtliebe zuſammen-
getrieben, und ſo ſchoͤn gefaͤrbt haben.
Fauſt. Wie das?
Teufel. Ich will dich auf die Buͤhne der
Welt fuͤhren, und dir die Menſchen nackend
zeigen.
[73] zeigen. Laß uns reiſen, zu Waſſer, zu Land,
zu Fuß, zu Pferde, auf dem ſchnellen Win-
de, und das Menſchengeſchlecht muſtern.
Vielleicht daß wir die Prinzeßin entzaubern,
um welche ſchon ſo viele tauſend Abentheu-
rer die Haͤlſe gebrochen haben.
Fauſt. Topp! Ziehen wir durch die Welt;
ich muß mich durch Genuß und Veraͤnde-
rung betaͤuben, und lange hab’ ich mir ei-
nen weitern Kreiß zum Bemerken gewuͤnſcht,
als mein eignes tolles Herz. Laß uns her-
umziehen, und ich will dich Teufel zwingen,
an die Tugend der Menſchen zu glauben.
Du ſollſt mir geſtehen, daß der Menſch der
Augapfel deſſen iſt, den ich nun nicht mehr
nennen darf.
Teufel. Dann will ich als Luͤgner zur
Hoͤlle fahren, und dir den Bundbrief zu-
ruͤckgeben, den du heute mit deinem Blute
unterzeichnen wirſt.
Fauſt. Daß ich dem Teufel doch traute,
der mir ſein hoͤlliſches Gepfuſch fuͤr Mach-
E 5werk
[74] werk der Menſchen verkaufen moͤchte. Wie,
laͤchelt der Spoͤtter?
Teufel. Den Moͤnchsgedanken haͤtte ich
hinter dem Manne nicht geſucht, der ſo lan-
ge mit der Philoſophie gebuhlt hat; doch
darinne gleicht ihr euch alle, die Weiſen und
die Thoren, was der Sinn nicht faſſen kann,
loͤſen Stolz und Eigenliebe zu ihrem Vor-
theil auf. Sieh da zwey Worte, boͤs und
gut, die ihr zu Begriffen ſtempeln moͤchtet,
denn wenn ihr die Worte einmal habt, ſo
glaubt ihr auch ſchon den leeren Schall zum
Gedanken gepraͤgt zu haben. Da ihr nun
damit nicht fertig zu werden wißt, ſo haut
ihr, um der Plackerey los zu werden, nach eu-
rer Weiſe hindurch, und natuͤrlich iſt das
Gute euer eignes Machwerk, und das Boͤ-
ſe das Gepfuſch des Teufels. So muͤſſen
wir arme Teufel nun Tag und Nacht her-
umreiten, um das Herz und die Einbildungs-
kraft dieſes oder jenes Schuftes zu einem ſo
genannten Schurkenſtreich zu reizen, der oh-
ne dies wohl ein ganzer Kerl geblieben waͤre
Fauſt!
[75] Fauſt! Fauſt! tauſend Dinge ſucht der
Menſch in den Wolken und außer ſich, die
in ſeinem Buſen und vor ſeiner Naſe liegen.
Nein, ich will auf unſern Zuͤgen nichts hin-
zu thun, es ſey denn, daß du es von mir
forderſt. Alles was du ſehen wirſt ſey
Menſchenwerk. Du wirſt bald einſehen,
daß die des Teufels nicht brauchen, die ſo
ſchnell eilen, ihre elende Schatten zu ihm
zu foͤrdern.
Fauſt. Und dies waͤre nun alles was du
mir leiſten koͤnnteſt?
Teufel. Ich will dich von Stufe zu Stu-
fe fuͤhren; haben wir dieſe Bahn durchlau-
fen, ſo wird ſich ſchon eine andre Scene
oͤffnen. Lerne erſt kennen, was ſo nah mit
dir verwandt iſt, dann ſteige aufwaͤrts. —
Die Schaͤtze der Erde ſind dein, — du gebie-
teſt meiner Macht — du traͤumſt — du
wuͤnſcheſt.
Fauſt. Das iſt etwas.
Teufel. Nur etwas, Unerſaͤttlicher? die
ſollſt mich, den Teufel, zu Befoͤrderung der
Abſich-
[76] Abſichten zwingen koͤnnen, die ihr gut und
edel nennt, die Folgen davon ſollen deine
Erndte, und der Lohn deines Herzens Ge-
winn ſeyn.
Fauſt. Das waͤre mehr, wenn es kein
Teufel ſagte.
Teufel. Wer kann ſich ruͤhmen, den Teu-
fel zu guten Werken gezwungen zu haben.
Laß dieſen Gedanken nur immer dein Herz
aufſchwellen. — Fauſt, tritt aus deinem
Kreiße!
Fauſt. Noch iſt es nicht Zeit.
Teufel. Fuͤrchteſt du mich? Ich ſage dir,
du ſollſt das Stundenglas deiner Zeit nach
Gefallen zerſchlagen! Fauſt, ich fuͤlle den
Becher des Genußes fuͤr dich, voll und rau-
ſchend — ſo ward er noch keinem Sterbli-
chen gefuͤllt. Deine Nerven ſollen ablau-
fen, bevor du den Rand beleckt haſt. Zaͤh-
le den Sand am Meere, dann magſt du die
Zahl der Freuden zaͤhlen, die ich hier auf
den Boden vor dich ſchuͤtte.
Hierauf ſtellt er ein [...] Kaſten
voll Gold vor den Kreiß. Als-
dann geht die Geſtalt der Buͤrger-
meiſterin und ein Zug bluͤhender
Schoͤnen voruͤber.
Fauſt.
[77]
Fauſt. Teufel, wer hat dir den Weg zu
meinem Herzen gezeigt?
Teufel. Ich heiße Leviathan, habe dich
und deine Kraft gewogen. Achteſt du
dieſes?
Er ſchuͤttet aus einem Sacke Or-
densbaͤnder, Biſchofsmuͤtzen, Fuͤr-
ſtenhuͤte und Adelsdiplome auf
den Boden.
Kenn’ ich doch Fauſten beſſer! Genuß
und Wiſſen ſind ſeine Goͤtter, werdet was
ihr ſeyd!
ſie wurden Staub und Koth.
Iſt dies nicht der Weg zu dem Herzen
aller Menſchen? Nur um der Dinge willen,
die ich dir hier zeigte, um des Bauches, der
Luſt und des Emporſteigens, arbeitet ihr
mit Haͤnden und dem Verſtand. Laß die
Thoren im Schweiß ihres Angeſichts, un-
ter der Erſchoͤpfung ihrer Geiſteskraͤfte, da-
rum arbeiten, und genieße ohne Muͤhe und
Sorge, was ich dir auftiſche. Morgen
fuͤhre ich dir die Buͤrgemeiſterin zu, wenn
dir es ſo gefaͤllt.
Fauſt. Wie wirſt du es machen?
Teufel. Mein Probſtuͤck. Nimm hin,
und ich will dir mehr ſagen. Tritt aus
dem Kreiße! Biſt du doch wie betrunken!
Fauſt.
[78]
Fauſt. Ich moͤchte mich vernichten, um
eines Gedanken willen.
Teufel. Der heißt?
Fauſt. Daß ich mich nur darum mit dir
verbinden ſoll.
Teufel. Daß doch der Menſch immer
ſpringen will! Lerne mich erſt kennen, und
wenn ich dich nicht ſaͤttigen kann, ſo kehre
zur Armuth, zur Verachtung, und deiner
nuͤchternen Philoſophie zuruͤck. Tritt aus
dem Kreiße!
Fauſt. Die Wuth des Loͤwen bruͤllt aus
mir, und wenn ſich unter meinem Fuß die
Hoͤlle oͤffnete — ich ſpringe uͤber die Graͤn-
zen der Menſchheit. Er ſprang aus
dem Kreiße. Ich bin dein Herr.
Teufel. So lange deine Zeit rollt. Ich
faße einen großen Mann an der Hand, und
bin ſtolz darauf ſein Die[n]er zu ſeyn.
Zwey-
[[79]]
Zweytes Buch.
[[80]][[81]]
Zweytes Buch.
1.
Den folgenden Morgen kam der Teufel
Leviathan in dem Gepraͤnge und mit dem
Gefolge eines großen Herren, der incogni-
to reiſet, vor Fauſts Gaſthof. Er ſtieg von
ſeinem praͤchtig gezierten Pferde, und frag-
te den Wirth, ob der große Mann Fauſt
bey ihm wohnte. Der Wirth beantwortete
die Frage mit einer tiefen Verbeugung, und
fuͤhrte ihn ein. Der Teufel trat zu Fauſt,
und ſagte zu ihm in Gegenwart des Wirths:
„Sein Ruhm, ſein großer Verſtand,
„und ſeine herrliche Erfindung haͤtten ihn
„bewogen, einen weiten Umweg auf ſeiner
„Reiſe zu machen, um einen ſo merkwuͤrdi-
„gen Mann, den die Menſchen, vermoͤge ih-
Fauſts Leben. F„res
[82] „res Bloͤdſinns verkennten, genau kennen
„zu lernen, und ſich, wenn es ihm gefiele,
„ſeine Begleitung auf einer vorhabenden
„großen Reiſe durch Europa, auszubitten.
„Er mache ihn uͤbrigens ganz zum Herrn
„der Bedingungen, denn er koͤnnte ſeine Ge-
„ſellſchaft nicht zu theuer erkaufen.“
Fauſt ſpielte ſeine Rolle in dem Sinne
des Teufels, und der Wirth eilte hinaus,
den Vorfall dem ganzen Hauſe bekannt zu
machen. Das Geruͤcht davon breitete ſich
in ganz Frankfurth aus. Schon war die
Meldung von der Ankunft des vornehmen
Fremden von der Hauptwache an den regie-
renden Buͤrgermeiſter eingelaufen, und ſetzte
den ganzen Hochedlen und Hochweiſen Ma-
giſtrat in Bewegung. Alle liefen, als trie-
be ſie der Satan, nach dem Roͤmer, *) lie-
ßen alle wichtige Staatsſachen liegen, und
rathſchlagten uͤber die Erſcheinung. Der
aͤlteſte Schoͤppe, ein Patrizier, hatte ſich vor-
zuͤglich auf die Deutung der Erſcheinungen
am
[83] am politiſchen Horizont gelegt, und ſich da-
durch ein gewaltiges Uebergewicht in dem
Senat erworben. Er druͤckte ſein fettes
Kinn in Falten, ſeine enge Stirne in Runzeln,
zog Beſorgniß in ſeine kleinen Augen, und
verſicherte die wohlweiſen Beyſitzer:
„Dieſer vornehme Fremde ſey niemand
„anders, als ein heimlicher Abgeſandte Sei-
„ner Kaiſerlichen Majeſtaͤt, (ein fuͤrchterli-
„cher Name fuͤr jeden Reichsſtand) den man
„nach Teutſchland geſchickt haͤtte, die Lage,
„Verhaͤltniſſe, Uneinigkeit und Verbindung
„der Fuͤrſten und Reichsſtaͤdte zu beobach-
„ten, damit ſein hoher Hof, bey Eroͤfnung
„des vorſtehenden Reichstags wiſſen moͤch-
„te, wie er ſich benehmen muͤßte, ſeine Ab-
„ſichten durchzuſetzen. Da nun der Kaiſer-
„liche Hof auf ihre Republik immer ein ſehr
„wachſames Auge haͤtte, ſo muͤßte man ſtre-
„ben, dieſen vornehmen Gaſt von dem feuri-
„gen Eifer den man fuͤr das hohe Kaiſer-
„liche Haus empfaͤnde, zu uͤberzeugen, und
„ihn ja nicht abziehen laſſen, ohne ihn dem
F 2„Staat
[84] „Staat zu gewinnen. Man muͤßte hierinn
„den klugen Senat von Venedig zum Vor-
„bilde nehmen, der keine Gelegenheit verab-
„ſaͤumte, denen am meiſten Freundſchaft
„und Ehre zu bezeugen, die er zu betruͤgen ge-
„ſonnen ſey.“
Die untergeordneten Geiſter des Raths
verſicherten, der Schoͤppe habe wie der Do-
ge von Venedig ſelbſt geſprochen; aber der
Buͤrgermeiſter, der ein heimlicher Feind des
Schoͤppen war, (denn dieſer, weil er die de-
mocratiſche Regierungsform als ein wah-
rer Patrizier eben ſo ſehr haßte, wie ein
Fuͤrſt die Republiken, pflegte bey jedem
widrigen Vorfall laut zu ſagen: ſo geht es,
wenn man Kraͤmer zu Staatsleuten macht)
warf ihm ſchnell eine Tonne hin:
„Wahr, ruͤhmlich und treflich, wohl-
„weiſe Herren, ſcheint mir alles, was unſer
„ſtaatskluger Schoͤppe, ſo eben vorgebracht
„hat, wuͤrde auch eben ſo gewiß zum Zweck
„fuͤhren, als im Vorbeygehen geſagt, der
„Handel einen Staat bluͤhender und reicher
„macht,
[85] „macht, wie ein fauler, ſtolzer Adel, wenn
„wir nur nicht alles durch einen einzigen
„Umſtand verdorben haͤtten. Ich ruͤhme
„mich nun freylich nicht des tiefen politi-
„ſchen Blicks des Schoͤppen, der jeden
„Sturm von weitem ausſpaͤht; aber doch
„haͤtt ich dieſen, es ſey nun aus Zufall oder
„Ueberlegung, gluͤcklich beſchworen. Ihr
„werdet euch alle erinnern, daß ich euch bey
„jeder Rathsſitzung zuſetzte, dieſen Fauſt
„nicht ſo ſchnoͤde zu behandeln, und ihm
„ſeine lateiniſche Bibel fuͤr die kleine Sum-
„me abzunehmen. Ja ſogar meine Frau
„die doch nur ein Weib iſt, wie es andre
„Weiber ſind, hielt es fuͤr rathſam; denn
„ob wir gleich dieſe lateiniſche Bibel weder
„brauchen noch verſtehen, ſo haͤtte man ſie
„doch, wegen der ſchoͤngemahlten Anfangs-
„buchſtaben, und der ſonderbaren Erfin-
„dung, als ein Kleinod, nach der goldnen
„Bulle zeigen, und die Fremden damit her-
„beylocken koͤnnen. Auch ziemte es ſich,
„daß ein freyer und reicher Staat die Kuͤnſte
F 3„beſchuͤtzt,
[86] „beſchuͤzt, und ihnen forthilft; aber ich
„weiß wohl, was euch im Sinne gelegen,
„die Eiferſucht und der Neid, ihr konntet
„es nicht ertragen, daß mein Nahme da-
„durch unſterblich wuͤrde. Es riß euch al-
„len in den Baͤuchen, daß die Nachkom-
„menſchaft einſtens in der Kronik leſen ſoll-
„te, ſub Conſulatu *** hat man Fauſten
„von Mainz eine lateiniſche Bibel fuͤr zwey
„hundert Goldgulden abgekauft. Nun
„moͤgt ihr auch austrinken, was ihr einge-
„goſſen habt, und man ſagt nicht umſonſt,
„wie man bettet ſo liegt man, wie man
„ſchmiert, ſo faͤhrt man. Der Fauſt iſt
„teufelmaͤßig wild, und ſcheint mir tuͤcki-
„ſcher Gemuͤthsart, ich ſah es ihm geſtern
„Abend ab. Nun iſt der Kaiſerliche Ge-
„ſandte blos ſeinetwillen hierher gereiſt, gar
„bey ihm abgeſtiegen, findet in dem einen
„großen Mann, den wir als einen Schuh-
„putzer herumgehudelt haben — der wird’s
„euch nun einbrocken beym Kaiſerlichen Ge-
„ſandten — ja, ja, er wird ihm ſchon den
„Floh
[87] „Floh in’s Ohr ſetzen, und all unſer Hofi-
„ren und Grimaſſiren wird zu weiter nichts
„nuͤtzen, als uns vor den Buͤrgern zu Nar-
„ren zu machen. Wer den Karren in
„Dreck geſchoben, mag ihn auch wieder her-
„aus ziehen, ich waſche meine Haͤnde, wie
„Pilatus, und bin unſchuldig an Iſraels
„Verderben und Blindheit.“
Es erfolgte ein tiefes Schweigen. Die
blutige Schlacht bey Kanna, die Rom den
Untergang drohte, hatte den roͤmiſchen Se-
nat nicht ſo erſchreckt, als dieſe kritiſche La-
ge den edlen Magiſtrat von Frankfurth.
Schon ſiegte der Buͤrgermeiſter in ſtolzem
Geiſt, ſchon glaubte er den Schoͤppen voͤl-
lig aus dem Sattel gehoben zu haben, als
dieſer ſeine politiſche Weisheit und Helden-
kraft ſammelte, dem ſinkenden Staat zu
Huͤlfe eilte, mit ſtarker Stimme ad majora
rief, und trotzig vorſchlug:
„Sogleich eine Geſandtſchaft aus dem
„Rath, nach der Herberge zu ſchicken,
„den vornehmen Gaſt zu bewillkommen,
F 4„und
[88]„und Fauſten vierhundert Goldgulden
„fuͤr ſeine lateiniſche Bibel zu uͤberbrin-
„gen, um ihn dem Staate guͤnſtig zu
„machen.“
Der Buͤrgermeiſter ſpottete daruͤber, daß
man nun vierhundert Goldgulden fuͤr ein
Ding gaͤbe, das man geſtern vielleicht fuͤr
hundert haͤtte haben koͤnnen; ſeine Spoͤtte-
rey diente zu nichts, der Vortheil des Va-
terlands ſchlug ſie nieder. „Salus populi,
ſuprema lex!“ ſchrie der Schoͤppe, und trug
dem Buͤrgermeiſter, mit Bewilligung des
Raths auf, den Geſandten und Fauſten,
auf Koſten des Staats, koͤſtlich zu be-
wirthen.
Dieſer Umſtand beruhigte den Buͤrger-
meiſter, der gern ſeinen Pracht und Reich-
thum zeigte, ein wenig uͤber ſeinen Fehl-
ſchuß auf den Schoͤppen, und der Zuſatz,
auf Koſten des Staats, verſetzte ihn in
die beſte Laune.
2.
[89]
2.
Die juͤngſten Rathsherren, mit einem
der vier Syndiken, machten ſich auf den
Weg, und der Buͤrgermeiſter ſchickte nach
Hauſe, Anſtalten zum Schmauße zu ma-
chen. Der Teufel Leviathan war eben mit
Fauſten in einem tiefen Geſpraͤche verwickelt,
als ihnen die Geſandtſchaft angemeldet ward.
Man ließ ſie ein. Sie bewillkommten im
Nahmen des Senats in aller Demuth den
vornehmen Gaſt, und gaben ihm durch ei-
ne feine Wendung zu verſtehen, daß ihnen
ſowohl ſeine hohe Perſon, als ſeine wichtigen
Auftraͤge, bekannt waͤren, und verſicherten
ihn mit zierlichen Worten von ihrem Eifer
fuͤr das Kaiſerliche hohe Haus. Der Teu-
fel verzerrte das Geſicht, wandte ſich zu
Fauſten, faßte ihn an der Hand, und ver-
ſicherte die Redner, daß ihn nichts in ihre
Mauern gefuͤhrt haͤtte, als ihnen die-
ſen großen Mann zu entwenden, den ſie,
wie er nicht zweifle, zu ſchaͤtzen wuͤßten.
Die Abgeſandten wurden etwas verwirrt,
F 5faßten
[90] faßten ſich aber bald wieder, und fuhren
fort:
„Es freue ſie hoͤchlich, daß ſie ihm auf
„der Stelle einen Beweis von der Achtung
„des Magiſtrats fuͤr einen ſo großen Mann
„geben koͤnnten. Sie haͤtten den angeneh-
„men Auftrag, Fauſten vierhundert Gold-
„gulden fuͤr ſeine lateiniſche Bibel auszu-
„zahlen, baͤten ihn, ſie gefaͤlligſt anzuneh-
„men, und ihnen dieſelbe als ein Kleinod
„zu uͤbergeben. Auch wuͤrde ſich der hoch-
„weiſe Magiſtrat fuͤr gluͤcklich halten, ihn,
„wenn es ihm gefiele, unter ihre Buͤrger
„zaͤhlen zu koͤnnen, und ihm dadurch den
„Weg zum Ruhm und der Ehre zu oͤfnen.“
Dieſen letzten Umſtand ſetzten ſie, aus
eigner politiſchen Weisheit hinzu, ein Be-
weis, daß ſie ſich als geſchickte Unterhaͤnd-
ler der Umſtaͤnde, die man nicht vorſieht,
zu bedienen wußten.
Fauſt fuhr zornig auf, ſtampfte auf den
Boden, und ſchrie:
„Luͤg-
[91]
„Luͤgneriſches Gepack, hab ich euch nicht
„lange genug gefuchsſchwaͤnzt, vom ſtolzen
„Patrizier bis zu dem Schuhmacher und
„Pfefferkraͤmer, denen ihr den Rathsherrn-
„kragen um die Haͤlſe haͤngt, wie dem Eſel
„die Halfter, und ihr habt mich an eurer
„Schwelle ſtehen laſſen, und kaum eines
„Blicks gewuͤrdigt. Nun ihr hoͤrt, daß der
„gnaͤdige Herr hier, mich fuͤr den Mann haͤlt,
„den ihr nicht in mir ſehen konntet, ſo
„kommt ihr, mir den Fuchsſchwanz zu ſtrei-
„chen. Seht, hier iſt Gold, wofuͤr ihr
„gern das heilige roͤmiſche Reich verkaufen
„wuͤrdet, wenn ihr nur einen Narren fin-
„den koͤnntet, der den ungeheuren Rumpf
„ohne Kopf, Sinn und Verbindung kau-
„fen moͤchte.“
Den Teufel freute Fauſts Zorn und die
Schaam der jungen Senatoren hoͤchlich; ſie
aber, die die Geſchichte der Roͤmer nie gele-
ſen hatten, waren nicht ſo hohen und feuri-
gen Sinns, um gleich eine Kriegserklaͤrung
aus ihrem zuſammengefaltnen Rathsherrn-
mantel
[92] mantel gegen Fauſten hin zu ſchuͤtten, ſie
brachten im Gegentheil die Einladung zu
dem Schmauße bey dem Buͤrgermeiſter mit
einem ſo muntern Tone vor, als wenn gar
nichts geſchehen waͤre. Ein neuer Beweis
von ihrer Geſchicklichkeit im Unterhandeln;
haͤtten ſie zum Beyſpiel den Schimpf beant-
wortet, ſo wuͤrden ſie dadurch eingeſtanden
haben, ſie verdienten ihn, da ſie ihn aber
ganz platt auf die Erde fallen ließen, mir
nichts, dir nichts, ſo ward er kraftlos, und
erhielt die Farbe eines unbilligen Vorwurfs.
Nur Genies ſind faͤhig, ſo etwas im gelten-
den Augenblick aufzufaſſen, zu unterſcheiden
und auszufuͤhren.
Bey dem Worte Buͤrgermeiſter, ſpitzte
Fauſt die Ohren, und der Teufel gab ihm
einen bedeutenden Seitenblick. Fauſt nahm
hierauf die Bibel aus ſeinem Kaſten, uͤber-
gab ſie den Senatoren, und ſagte gefaͤllig:
„Da er nun ſaͤhe, daß ſie zu leben wuͤß-
„ten, ob man ſie gleich dazu zwingen muͤßte,
„ſo mache er der Stadt mit ſeiner Bibel ein
„Geſchenk,
[93] „Geſchenk, ſie moͤchten ſie fleißig leſen, und
„den Spruch, den er hier unterſtreiche, und
„deutſch auf den Rand ſchreibe, dem ver-
„ſammelten Rath zeigen, und ihn zu ſeinem
„Andenken mit goldnen Buchſtaben an die
„Wand der Rathsſtube ſchreiben.“
Die Senatoren giengen ſo vergnuͤgt nach
dem Roͤmer zuruͤck, als Geſandten, die nach
einem ſchlechten Krieg einen guten Frieden
nach Hauſe bringen. Sie wurden mit gro-
ßer Freude empfangen, man ſchlug die be-
merkte Stelle auf, und las:
Und ſiehe, es ſaßen die Narren im Rath,
und die Thoren rathſchlagten im Gerichte.
Man verſchluckte die bittre Pille, weil
der vermeinte Schatten der Kaiſerlichen
Majeſtaͤt, in der Geſtalt des Teufels, ihnen
allen die Maͤuler band, troͤſtete ſich mit den
erſparten vierhundert Goldgulden, und
wuͤnſchte ſich wechſelsweis viel Gluͤck, ſo
gut aus einem ſo ſchlimmen Handel gekom-
men zu ſeyn. Den Abgeſandten wurde oͤf-
fentlich gedankt, und Schade iſt’s, daß ihre
Namen
[94] Namen nicht auf die Nachwelt gekommen
ſind. Da ſie endlich von dem reichen Geld-
kaſten Fauſts ſprachen, ſo fuhr der Glanz
des Goldes wie ein Wetterſtrahl durch alle
Seelen, und jeder entwarf im Stillen einen
Plan, wie es anzufangen, ſich den Mann
zum Freund zu machen. Der Schoͤppe
ſchrie: Man muͤßte ihn zum Buͤrger ma-
chen, ihm Sitz und Stimme im Rath ge-
ben, die Politik erfordere, daß man Her-
kommen und Geſetz uͤbertrete, wenn es der
Vortheil des Vaterlands waͤre ꝛc.
Fauſt machte indeſſen einen Spaziergang
mit dem Teufel; aber ſie fanden die Leute
des Orts ſo flach und albern, nach einem
ſo engen Leiſten zugeſchnitten, ſahen ſo un-
bedeutende, nichts verſprechende Geſichter,
als ſie nur immer die Nuͤrnberger, als Da-
men und Herren aufgeputzt, fuͤr den Chriſt-
markt ſchnitzeln koͤnnen. Den einzigen Trieb,
den ſie ihnen ablauerten, war Neugierde,
Geld- und Gewinnſucht, ein beſchraͤnkter
Kaufmannsgeiſt, der es nicht wagt, ſich
ins
[95] ins Große auszudehnen. Der Teufel ſag-
te gaͤhnend zu Fauſt:
„Aengſtlich, Fauſt, fuͤhlt der Reichsſtaͤd-
„ter, und aͤngſtlich faͤhrt er zur Hoͤlle, hier
„iſt keine Erndte fuͤr den Mann von Geiſt,
„laß uns abfahren, wenn du die Buͤrger-
„meiſterin dahin gebracht haſt, wo du ſie
„haben willſt.“ *)
3.
Die Glocke ſchlug zur Mahlzeit. Der
Teufel und Fauſt ſetzten ſich auf praͤchtig
geputzte Pferde, und ritten, von einem gro-
ßen Gefolge begleitet, an das ſich ein lan-
ger
[96] ger Zug gaffenden Poͤbels hieng, zu dem
regierenden Buͤrgermeiſter. Sie traten in
den Verſammlungsſaal. Der ganze Magi-
ſtrat erwartete ſie, und beugte ſich vor ih-
nen bis auf die Erde. Der regierende Buͤr-
germeiſter bewillkommte ſie mit einer Rede,
ſtellte ihnen die Rathsglieder, und die Wei-
ber der Vornehmſten vor, die ihre geiſtlo-
ſen Geſtalten ſo praͤchtig herausgeputzt hat-
ten, daß ihre Steifheit und Ungewandtheit
nur um ſo auffallender wurde. Sie ſtarr-
ten alle, wie eine Heerde Gaͤnſe, und konn-
ten ſich an Leviathans Putze nicht ſatt ſe-
hen. Die Buͤrgermeiſterin, eine Sachſin,
ragte allein unter ihnen hervor, wie eine
Oreade. Ihr war der Blick Fauſts ſo we-
nig entgangen, als ſeine vermoͤgende Ge-
ſtalt, und ſein geiſtvolles Geſicht. Sie er-
roͤthete, da er ſie bewillkommte, und fand
keine andre Antwort auf ſeine Anrede, als
einen Blick voller Verwirrung, den Fauſts
Herz, wie die ſuͤßte Harmonie, verſchlang.
Die Senatoren ſpannten ihren Witz an, den
Gaͤſten
[97] Gaͤſten zu hofieren, und man ſetzte ſich zur
wohlbedienten Tafel. Nach Tiſche nahm
der Teufel den Buͤrgermeiſter in ein beſon-
dres Kabinet, ein Umſtand, der dieſem au-
ßerordentlich ſchmeichelte, und allen uͤbri-
gen, beſonders dem Schoͤppen, ein Dolch-
ſtich war.
Der Buͤrgermeiſter, vom Weine erhitzt,
von der Ehre, die ihm der vermeinte Kai-
ſerliche Geſandte erwies, berauſcht, erwar-
tete in gebeugter Stellung, und mit her-
vorragenden ſtarren Augen ſeinen Antrag.
Der Teufel bezeugte ihm, in ſanftem Tone,
wie ſchmeichelhaft ihm die gute Aufnahme
des Buͤrgermeiſters ſey, und wie ſehr er
wuͤnſchte, ſich ihm dankbar zu erweiſen,
ſezte hinzu: „er fuͤhre eine Anzahl Adels-
„briefe bey ſich, mit Kaiſerlicher Unter-
„ſchrift bekraͤftigt, verdienſtvolle Maͤnner
„zu belohnen, und e[r] wollte ihm gern den
„erſten ertheilen, wenn —“
Freude, Entzuͤcken, Erſtaunen, ſchoßen
durch des Buͤrgermeiſters Geiſt, er ſtund
Fauſts Leben. Gvor
[98] vor dem Teufel mit weit aufgeſperrtem
Munde, ſtammelte endlich: Wenn? Was?
Wie? Oh — Und der Teufel raunte ihm
ganz leiſe in’s Ohr:
„ſein Freund Fauſt ſey ganz unſinnig in
„die ſchoͤne Buͤrgermeiſterin verliebt, um
„ſeinetwillen wuͤrde er alles thun, und
„wenn die Buͤrgermeiſterin ſich auf einige
„Augenblicke mit Fauſten entfernen wollte,
„das bey dem Geraͤuſche eines Schmaußes ſo
„leicht waͤre, ſo ſollte er ihr den Adelsbrief
„zuſtellen.“
Hiermit verließ ihn der Teufel, gieng zu
Fauſten, unterrichtete ihn, und ſtellte ihm
den Adelsbrief zu, ſeiner Sache gewiß.
Fauſt zweifelte, und der Teufel lachte ſei-
ner Zweifel.
Der Buͤrgermeiſter ſtund in ſeinem Kabi-
net wie verſteinert. Der ploͤtzliche Glanz
eines unerwarteten Gluͤcks hatte ſich durch
die haͤßliche Bedingung ſo verfinſtert, daß
der Reiz deſſelben ſchon verſchwinden woll-
te
[99] te, als auf einmal der Stolz in ſeine Seel[e]
blies:
„Ho! ho!“ ſagte dieſer: „auf eine
„ſo auszeichnende Art zum Edelmann ge-
„praͤgt zu werden! dadurch deinen ſtolzen
„Feinden gleich zu werden, und deine Stim-
„me im Rath zu erheben, wie eine Poſaune
„unter ſie zu treten, wie ein Mann, den
„ſeine Kaiſerliche Majeſtaͤt, ſeiner Verdien-
„ſte wegen, uͤber alle und vor allen erheben
„will!“
Ein andres Gefuͤhl liſpelte leiſe:
„Hu! hu! mit Willen und Wiſſen ein
„Hahnrey zu werden — aber wer weiß es?
„antwortete der Verſtand. Und
„was iſt nun an dem ganzen Ding, ich er-
„halte ein wirkliches Gut, und leihe dafuͤr
„eins, das laͤngſt keinen Reiz mehr fuͤr mich
„hat. Das Uebel ſitzt nur in der Meinung,
„und es wird ein Geheimniß zwiſchen mir
„und meiner Frau bleiben. Und wenn es
„gar ſeine Kaiſerliche Majeſtaͤt erfuͤhre,
„daß ich dieſe hohe Ehre ausgeſchlagen —
G 2„Im
[100] „Im Grund, kann ich wohlfeiler zum Edel-
„mann kommen? Wird es nicht ein Nagel
„am Sarge des Schoͤppen werden? Und
„was werden die Buͤrger nicht ſagen, wenn
„ſie ſehen, daß ſeine Kaiſerliche Majeſtaͤt mich
„ſo zu ſchaͤtzen weiß? Werde ich mich nicht
„der ganzen Regierung bemaͤchtigen, und
„es allen denen vergelten, die mich beleidigt
„haben? Ho! ho! Buͤrgermeiſter, ſey kein
„Narr! die Gelegenheit hat nur an der
„Stirne Haare, hinten iſt ſie kahl. Greife
„zu! Der Mann iſt nur das, was er in
„den Augen der Welt ſcheint. Wer ſieht es
„dem Edelmann an, wie er’s geworden iſt —
„aber meine Frau, die wird ſich dagegen ſetzen,
„ich kenne ſchon die ſaͤchſiſche Ziererey“ —
In dieſem Augenblick trat ſie herein, um
zu erfahren, was der vornehme Herr ihm
allein vertraut haͤtte. Er ſah ſie ſchalk-
haft, doch etwas verlegen an:
„Wie, Maͤuschen, wenn ich dich heute
„noch zur Edelfrau machte?
Sie.
[101]
Sie. Schaͤtzchen, ſo wuͤrden alle Weiber
der buͤrgerlichen Rathsherren aus Neid ver-
gehen, und die Frau des Schoͤppen wuͤrde
an ihrem trocknen Huſten zur Stunde fuͤr
Aergerniß ſterben.
Er. Das wuͤrde ſie gewiß, und ich
koͤnnte ihren ſtolzen Mann unter mich brin-
gen; aber Maͤuschen, du ſollſt dich ſelbſt
dazu machen, und mich obendrein.
Sie. Seit wenn machen die Weiber ihre
Maͤnner zu Edelleuten, mein Schatz?
Er. Wer weiß, mein Kind, wie viele es
ſo geworden ſind — erſchrecke nur nicht —
Da iſt der verwuͤnſchte Fauſt, dem haſt du
es angethan.
Die Buͤrgermeiſterin erroͤthete, er fuhr
fort:
Nur um ſeinetwillen will mich der Ge-
ſandte zum Edelmann machen, und er ſoll
dir den Adelsbrief unter vier Augen uͤber-
geben. Du verſtehſt mich ſchon. Hm,
was denkſt du davon?
G 3Sie.
[102]
Sie. Stille, ſtille, mein Schatz, ich den-
ke, daß uns, wenn der Kaiſerliche Geſand-
te einem andern aus dem Rath die Bedin-
gung vertraute, die Gelegenheit entwiſchen
wird.
Er. Verzweifelt, Maͤuschen, laß uns
eilen, daß uns keiner zuvorkomme.
Die Geſellſchaft hatte ſich indeſſen in dem
Garten zerſtreut, der Buͤrgermeiſter ſchlich
hinter dem Fauſt her, und ſagte ihm
leiſe in’s Ohr: „es wuͤrde ſeiner Frau eine
„Ehre ſeyn, den Adelsbrief aus ſeinen Haͤn-
„den zu empfangen, nur moͤchte er ſich ohne
„Aufſehen auf der Hintertreppe, die er ihm
„zeigen wollte, zu ihr begeben, er denke uͤbri-
„gens, es ſey nur eine Grille von ihm, und
„er fuͤrchte nichts von einem Manne, der
„ſo viel Ehrgefuͤhl und Gewiſſen zeigte.“
Er fuͤhrte ihn hierauf zur Hintertreppe,
Fauſt ſchlich hinauf, trat in das Schlaf-
zimmer, und fand die Buͤrgermeiſterin in
der wolluͤſtigſten Verwirrung. Er raſte an
ihrem ſchwellenden Buſen ſeine Gluth aus,
und
[103] und ſchlug den Buͤrgermeiſter zum Ritter
des heiligen roͤmiſchen Reichs. Sie von
ihrer Seite glaubte ſich nicht dankbar ge-
nug bezeigen zu koͤnnen, und fragte am En-
de, ob in Zukunft mehr dergleichen Forma-
litaͤten noͤthig waͤren? Hierauf uͤberbrachte
ſie ihrem Gemahl heimlich den Adelsbrief,
und ſie verabredeten, ihn bey dem Abend-
eſſen in einer verguldeten und verdeckten
Schuͤſſel auftragen zu laſſen, um den Gaͤſten
durch die unerwartete Entdeckung einen de-
ſto peinlichern Schlag beyzubringen. Der
Teufel, dem der Buͤrgermeiſter ſeinen Plan
mittheilte, fand ihn vortreflich; Fauſt aber
raunte ihm in’s Ohr: „ich befehle dir, dem
„Schufte, der ſein Weib um des Wahns
„proſtituirt hat, und dem ganzen hochwei-
„ſen Magiſtrat, einen recht tuͤckiſchen Streich
„zu ſpielen, um mich an allen den Schafs-
„koͤpfen auf einmal zu raͤchen, die mich ſo
„niedertraͤchtig herumgezerrt haben!“
G 44.
[104]
4.
Man ſaß beym Abendeſſen, die Becher
giengen wacker herum, als auf einmal der
Teufel befahl, die verdeckte Schuͤſſel, die
die Neugierde der Anweſenden ſo lange ge-
foltert hatte, zu oͤffnen. Dann nahm er
den Adelsbrief von der Schuͤſſel, uͤberreich-
te ihn dem Buͤrgermeiſter, mit den Worten:
„Wuͤrdiger Herr, Seine Majeſtaͤt der Kai-
„ſer, mein Herr, geruhet, Euch durch die-
„ſen Adelsbrief um Eurer Treue und Ver-
„dienſte willen, zum Ritter des heiligen
„Roͤmiſchen Reichs zu ſchlagen. Ich forde-
„re Euch auf, aus Dankbarkeit und Pflicht,
„nie in dem Eifer fuͤr das hohe Kaiſerliche
„Haus zu erkalten, und bringe Euch, Herr
„Ritter, die erſte Geſundheit zu!“
Dieſe Worte rollten wie der Donner in den
Ohren der Gaͤſte. Der Betrunkne ward nuͤch-
tern, der Nuͤchterne betrunken, den Weibern
zitterten die von Zorn blauen Lippen beym
Gluͤckwunſch, der Schlag traf den Schoͤppen,
er ſaß ohne Bewegung auf dem Stuhl, und
ſein
[105] ſein Weib war nah, an ihrem trocknen Huſten
zu erſticken. Die Furcht zwang indeſſen die
Uebrigen, vergnuͤgte Geſichter zu zeigen, und
man trank, unter lautem Vivat, des neuen
Ritters Geſundheit. Waͤhrend dem Ge-
raͤuſche fuͤllte auf einmal ein duͤnner Nebel
den Saal. Die Glaͤſer fiengen an auf dem
Tiſche herum zu tanzen. Die gebratnen
Gaͤnſe, die Endten, Huͤhner, Spanferkel,
Kaͤlber-Schafs- und Ochſenbraten, ſchnat-
terten, kraͤhten, grunzten, bloͤckten, bruͤll-
ten, flogen uͤber dem Tiſche, und liefen
auf dem Tiſche. Der Wein trieb in blauen
Feuer Flammen aus den Flaſchen. Der Adels-
brief brannte loh zwiſchen den Fingern des
bebenden Buͤrgermeiſters, und ward zu
Aſche. Die ganze Geſellſchaft ſaß da, ver-
wandelt in poßierliche Masken einer tollen
Faſchingsnacht. Der Buͤrgermeiſter trug
einen Hirſchkopf zwiſchen den Schultern,
alle die uͤbrigen, Weiber und Maͤnner,
waren mit Larven aus dem launigen Rei-
che der grotesken und bizarren Fantaſie ge-
G 5ziert,
[106] ziert, und jeder ſprach, ſchnatterte, kraͤhte,
bloͤckte, wieherte oder brummte in dem To-
ne der Maske, die ihm zu Theil geworden.
Dieſes machte ein ſo tolles Konzert, daß
Fauſt dem Teufel geſtund, das Stuͤckchen
mache ſeiner Laune Ehre. Der Schoͤppe
allein, unter der Maske eines Pantalons,
ſaß leblos da, und ſeine Frau wollte unter
der Geſtalt einer Truthenne erſticken. Nach-
dem ſich Fauſt lange genug an dem Spuck
ergoͤtzt hatte, gab er dem Teufel einen Wink,
und ſie fuhren zum Fenſter hinaus, nach-
dem der leztere fuͤr diesmal den gewoͤhnli-
chen Geſtank der Hoͤlle hinterlaſſen hatte.
Nach und nach verſchwand der Spuck,
und als die weiſen Herren morgens in der
Rathsſtube erſchienen, war nichts mehr
davon uͤbrig, als obiger Spruch, der in
gluͤhenden Buchſtaben an der Wand brann-
te, und den man nothgedrungen, mit einer
eiſernen Thuͤre bedeckte, und nur jedem neu-
en Rathsglied, unter dem Siegel der Ver-
ſchwiegenheit, als ein Staatsgeheimniß
zeigte.
[107] zeigte. Von allen dieſem ſagt nun die Ge-
ſchichte, oder welches in Teutſchland einer-
ley iſt, die Kronik nicht ein Wort, und nun
glaube ihr einer.
Der Buͤrgermeiſter gewann wenigſtens ſo
viel bey dem Handel, daß der Schoͤppe ge-
laͤhmt blieb, und weiter nicht mehr im Rath
erſchien.
Zu merken: In dem Augenblick, da die
Stadt Frankfurth der Reformation bey-
trat, vertilgte der Teufel dieſe gluͤhende In-
ſchrift, und es iſt keine Spur mehr davon
zu ſehen. Die Urſach davon liegt in der
Rede des Satans. Man bemerkt dieſen
Umſtand neugieriger Reiſenden wegen, und
giebt ihnen den Wink, in Frankfurth nur
nach der goldnen Bulle zu fragen.
5.
Der Teufel Leviathan und Fauſt fuhren
uͤber die Stadtmauern weg, und als ſie ſich
auf dem flachen Felde befanden, ſandte er-
ſterer einen Geiſt nach dem Wirthshauſe,
die
[108] die Rechnung zu berichtigen, und Fauſts
Sachen zu bringen. Darauf wandte er
ſich zu Fauſt, und fragte ihn: wie er mit
ſeinem Probſtuͤck zufrieden ſey?
Fauſt. Hm, will der Teufel gelobt ſeyn?
ſo! ſo! Es freut mich uͤbrigens, daß du
ihnen etwas angehaͤngt haſt; aber nie haͤt-
te ich’s hinter dem ernſthaften Schuft ge-
ſucht, daß er ſein Weib um des Wahns
willen proſtituiren wuͤrde.
Teufel. Nur weiter, Fauſt, bald wirſt
du dich uͤberzeugen, daß dieſes die Gottheit
iſt, die ihr anbetet, und die ihr unter aller-
ley glaͤnzenden Geſtalten ausgeputzt habt,
ihre Bloͤße zu verſtecken. Man hoͤrt dir
noch immer an, daß du dich mit den Buͤ-
chern abgegeben, und auf leerem Stroh ge-
droſchen haſt; freylich nicht der Weg zu
dem Herzen der Menſchen. Die Schuppen
werden dir ſchon nach und nach von den Au-
gen fallen. In deinem Vaterland iſt uͤbrigens
nicht viel zu thun. Moͤncherey, Schola-
ſtik, Pruͤgelleyen der Edelleute, Menſchen-
handel
[109] handel der Fuͤrſten mit ihren Unterthanen,
Bauernſchinderey, das iſt euer Getreibs.
Ich muß dich auf eine Buͤhne fuͤhren, wo
die Leidenſchaften etwas freyer wuͤrken,
und wo man zu großen Zwecken große Kraͤf-
te anwendet.
Fauſt. Und ich will dich zwingen, an
den moraliſchen Werth des Menſchen zu
glauben, bevor wir mein Vaterland verlaſ-
ſen, wenn wir ſagen koͤnnen, daß wir eins
haben. Nicht ferne lebt ein Fuͤrſt, den
ganz Teutſchland als ein Muſter der Tu-
gend und Gerechtigkeit preißt, dieſen wol-
len wir beſuchen und belauſchen.
Topp, ſagte der Teufel, ein ſolcher Mann
koͤnnte auch mir um der Seltenheit gefallen.
Der Geiſt kam mit Fauſts Geraͤthſchaf-
ten an, ſie ſchickten ihn nach Mainz voraus,
um in einer Herberge Quartier zu beſtellen.
Fauſt wollte aus geheimen Abſichten, die
der Teufel roch, bey einem Eremiten an der
Homburger Hoͤhe uͤbernachten, der weit
und breit im Geruch beſondrer Heiligkeit
ſtund.
[110] ſtund. Sie erreichten um Mitternacht die
Einſiedeley, und klopften an. Der Eremit
oͤfnete ihnen, und Fauſt, der die reichen
Kleider des Teufels umgeworfen hatte, ent-
ſchuldigte die Dreiſtigkeit, die Ruhe eines
ſo heiligen Mannes unterbrochen zu haben,
mit dem Vorwand, ſie haͤtten ſich auf der
Jagd verſpaͤtet, und ihr Gefolg, außer ei-
nem Diener verlohren. Der Eremit ſah zur
Erde, und ſagte ſeufzend:
„Derjenige, der dem Himmel lebt, darf
„der gefaͤhrlichen Ruhe nicht pflegen. Ihr
„habt mich nicht geſtoͤhrt, und wollt ihr
„ausruhen bis zum Aufgang der Sonne,
„ſo laßt es Euch gefallen, wie ihr es fin-
„det. Waſſer, Brod, und Stroh zum La-
„ger, iſt alles, womit ich euch dienen kann.“
Fauſt. Bruder Eremit, wir haben das
Noͤthige bey uns, und ich bitte dich nur
um einen Trunk Waſſer.
Der Eremit nahm ſeinen Krug und gieng
nach der Quelle.
Fauſt.
[111]
Fauſt. Ich denke, in ſeinem Herzen wohn[t]
Ruhe, wie auf ſeiner Stirne, und preiſe
ihn gluͤcklich, daß er das nicht kennt, was
mich dir verbunden hat. Ihm iſt Glau-
ben und Hoffnung Erſatz fuͤr alles das, um
deßwillen ich der Verdammniß zueile; ſo
ſcheint es wenigſtens.
Teufel. Und ſcheint auch nur; wie wenn
ich dir bewieſe, daß dein Herz rein wie Gold
gegen das ſeinige iſt.
Fauſt. Teufel!
Teufel. Fauſt, du warſt arm, verkannt,
verachtet, und ſahſt dich mit deinen großen
Faͤhigkeiten im Staub: du biſt der Verach-
tung als ein kraftvoller Mann, auf Gefahr
deines eigenen Selbſts entſprungen, und
warſt nicht faͤhig, deine Noth mit dem
Mord eines andern zu enden, wie dieſer
Heilige es thun wuͤrde, wenn ich ihn in Ver-
ſuchung fuͤhrte.
Fauſt. Merke ich doch den liſtigen Teu-
fel! Ich darf dir nur befehlen, deine Kunſt-
ſtuͤcke auszuuͤben, und du wirſt die Sinne
dieſes
[112] dieſes Gerechten ſo verwirren, daß er Tha-
ten unternimmt, die ſeinem Herzen fremd
ſind.
Teufel. Iſt denn eure Tugend und Froͤm-
migkeit ein ſo zerbrechliches Ding, daß kei-
ner daran ſchlagen darf, ohne ſie zu zer-
truͤmmern? Seyd ihr nicht ſtolz auf
euren freyen Willen, und ſchreibt durch ihn
eure Thaten, eurem eignen Herzen zu? Ihr
ſeyd alle Heilige, wenn euch nichts in Ver-
ſuchung fuͤhrt. Nein, Fauſt, ich will nichts
hinzuſetzen, und ſeinen Sinnen nur den Koͤ-
der zeigen, um ſein Herz zu pruͤfen. Braucht
der Teufel in euch hinein zu kriechen, da
ihr von außen geſtimmt werdet?
Fauſt. Und wenn dir’s nicht gelingt,
glaubſt du, ich wuͤrde deine Pfuſcherey un-
geſtraft laſſen.
Teufel. Nun ſo ſollſt du mir zur Strafe
einen ganzen Tag von der Tugend der Men-
ſchen vorprahlen. Laß ſehen, ob ihn die-
ſes reizt.
Eine
[113]
Eine mit leckern Speiſen und mir feurigen
Weinen beſetzte Tafel, erſchien in der Mitte
der Einſiedeley.
Der Eremit trat herein, und ſtellte leiſe
das Waſſer vor Fauſt, entfernte ſich in ei-
nen Winkel, ohne der uͤppigen Tafel zu
achten.
Fauſt. Nun, Bruder Eremit, wir haben
aufgetiſcht, laßt es euch nicht zweymal ſa-
gen, und greift zu. Unbeſchadet eures hei-
ligen Rufs, moͤgt ihr mitſchmauſen, denn
auf eurer Stirne leſe ich, daß es eurem Her-
zen geluͤſtet. Kommt, einen Becher zu Eh-
ren eures Schutzheiligen. Wie heißt er?
Eremit. Der heilige Georg.
Fauſt. Er ſoll leben!
Teufel. Ho, ho, Bruder Eremit, der hei-
lige Georg von Kappadozien, das war mir ein
ganzer Kerl, und wenn ihr den zum Muſter
nehmt, ſo werdet ihr gut dabey fahren. Ich
kenne ſeine Geſchichte recht gut, und will ſie
euch, zu eurer Erbauung, mit kurzen Wor-
ten erzaͤhlen. Er war der Sohn ſehr ar-
Fauſts Leben. Hmer
[114] mer Leute, und in einer elenden Huͤtte Cili-
ciens gebohren. Als er heranwuchs, fuͤhlte
er fruͤh ſeine Gaben, und oͤfnete ſich durch
Schmeicheley und Niedertraͤchtigkeit und
Kuppeley die Haͤuſer der Großen und Rei-
chen. Dieſe verſchaften dem dienſtfertigen
Manne, aus Dankbarkeit, eine Lieferung fuͤr
die Armee des griechiſchen Kaiſers. Er
ſtahl aber dabey auf eine ſo grobe Art, daß
er bald fluͤchtig werden mußte, um nicht ge-
henkt zu werden. Hierauf ſchlug er ſich zu
der Sekte der Arianer, und machte ſich als
ein ofner Kopf bald zum Meiſter des dunk-
len, unverſtaͤndlichen Wirrwars der Theo-
logie und Metaphyſik. Um dieſe Zeit ver-
trieb der arianiſche Kaiſer Conſtantius den
gut katholiſchen und heiligen Athanaſius vom
biſchoͤflichen Sitze Alexandriens, und der
Kappadozier ward von einem arianiſchen
Synod auf den biſchoͤflichen Stuhl geſetzt.
Hier war euer Georg nun in ſeinem Elemen-
te, er ſchwelgte, und ließ ſich gut ſeyn; da
er aber durch Ungerechtigkeit und Grauſam-
keit
[115] keit die Gemuͤther ſeiner Untergebenen
bis zur Verzweiflung trieb, ſchlugen ſie
ihn endlich todt, und fuͤhrten ſeine Leiche
auf einem Kameel im Triumph durch die
Straßen Alexandriens. Seht, ſo ward er
ein Maͤrtyrer, euer und Engellands Schutz-
heiliger.
Eremit. Die Legende ſagt nichts davon.
Fauſt. Ich glaub es wohl, Bruder, denn
um der Wahrheit willen muͤßte ſie eigent-
lich der Teufel ſchreiben.
Der Eremit ſegnete ſich.
Fauſt. Iſt Eſſen und Trinken eine Suͤnde?
Eremit. Es kann dazu reizen.
Teufel. Dann muͤßt ihr ſchwach ſeyn,
und ſchlecht mit dem Himmel ſtehen. Kampf
und Verſuchung iſt der Triumph des Hei-
ligen.
Eremit. Der Herr hat recht; aber nicht
alle ſind Heilige.
Fauſt. Seyd ihr gluͤcklich, Bruder?
Eremit. Ruhe macht gluͤcklich, und ein
gutes Gewiſſen ſeelig.
H 2Teufel.
[116]
Teufel. Auch Ruhe reizt zur Suͤnde, und
mehr als Speis und Trank; woher nehmt
ihr das?
Eremit. Die Bauern bringen mir des
kuͤmmerlichen Lebens Unterhalt.
Fauſt. Und was thut ihr fuͤr ſie?
Eremit. Ich bete fuͤr ſie.
Fauſt. Gedeiht es ihnen?
Eremit. Ich hoffe, und ſie glauben es.
Teufel. Bruder, ihr ſeyd ein Schelm.
Eremit. Beleidigungen der ſuͤndigen
Welt ſind dem Gerechten noͤthige Zuͤchtigung.
Teufel. Warum ſeht ihr nicht aufwaͤrts?
Warum erroͤthet ihr? Nun denkt einmal,
ich verſtuͤnde die Kunſt, auf des Menſchen
Angeſicht zu leſen, was in ſeinem Herzen
ſpuckt.
Eremit. Deſto ſchlimmer fuͤr euch, ihr
werdet euch ſelten in Geſellſchaft freuen.
Teufel. Ho! ho! wißt ihr doch das?
er ſah nach Fauſt.
Eremit. Es iſt eine ſuͤndige Welt, in der
wir leben, und weh ihr, wenn tauſende
nicht
[117] nicht in die Einſamkeit eilten, ihr Leben dem
Gebeth weihten, um die Rache des erzuͤrn-
ten Himmels von dem Haupt der Suͤnder ab-
zuwenden.
Fauſt. Guter Bruder, ihr ſchlagt euer
Gebeth ziemlich hoch an, und glaubt mir
nur, es iſt noch immer leichter zu beten als
zu arbeiten.
Teufel. Hoͤrt doch, ihr habt da einen
Zug um den Mund, der euch zum Heuchler
ſtempelt, und eure Augen, die in einem ſo
engen Kreiße herumlaufen, und immer ge-
gen den Boden gekehrt ſind, ſagen mir, daß
ſie uͤberzeugt ſind, ſie wuͤrden zu Verraͤthern
eures Herzens, wenn ſie aufblickten.
Der Eremit hub die Augen gen Himmel,
betete mit gefaltnen Haͤnden, und ſprach:
„So antwortet der Gerechte dem Spoͤtter.“
Fauſt. Genug! kommt, Bruder, und
laßt es euch gut mit uns ſeyn.
Der Eremit war nicht zu bewegen, Fauſt
ſah den Teufel hoͤhniſch an, der es noch hoͤh-
niſcher erwiederte. Auf ein[mal][oͤ]fnete ſich
H 3ſchnell
[118] ſchnell die Thuͤre, und eine junge Pilgerinn
fuhr athemlos herein. Als ſie ſich von
ihrer Furcht und ihrem Schrecken erholt
hatte, erzaͤhlte ſie, wie ſie ein Ritter verfolgt
haͤtte, dem ſie ſo gluͤcklich geweſen zu entwi-
ſchen, und ſich bey dem frommen Eremiten
zu retten. Man bewillkommte ſie freund-
lich, und entdeckte eine bluͤhende, wolluͤſtig
gebildete Schoͤnheit in ihr, die dem heiligen
Antonius ſelbſt den Sieg uͤber das Fleiſch
wuͤrde ſchwer gemacht haben. Sie ſetzte
ſich zu dem Teufel, nahm beſcheiden Theil
an dem Mahl, und der Teufel nahm ſich
Freyheiten mit ihr heraus, die anfangs
den Eremiten empoͤrten, endlich verwirrten,
und da der Teufel in einem Augenblick ihren
milchweißen, vollen, ſchimmernden und he-
benden Buſen aufdeckte, ihre ſchwarze Haare
daruͤber rollten, ſo fuͤhlte er das gluͤhende
Feuer der Luſt, von dieſem Buſen ſo
heiß in den ſeinen hinuͤber fließen, daß er
beynahe vergaß, dagegen zu kaͤmpfen. Die
Pilgerin riß ſich beſchaͤmt und zornig aus
den
[119] den Armen des Teufels um Schutz, bey dem
Eremiten zu ſuchen, den er ihr, vermoͤge
ſeines Rocks, nicht verſagen konnte.
Der Teufel und Fauſt ſtellten ſich trun-
ken, und zum Schlafe geneigt; ehe ſie ſich
niederwarfen, ſteckte der Teufel, vor des
Eremiten Augen, einen ſchweren Beutel voll
Gold unter die Streu, legte ſeine und Fauſts
reiche Ringe in eine Schachtel, die Fauſt
zu ſich nahm. Auf den Tiſch legten ſie ih-
re Schwerdter und Dolche, warfen ſich nie-
der und ſchnarchten.
Die Pilgerin nahte leiſe dem Tiſche,
goß mit ihrer niedlichen und ſchneeweißen
Hand einen Becher voll ſchaͤumenden Weins.
Sie koſtete den Rand mit ihrem reizenden
friſchen Munde, und reichte ihn dem Ere-
miten dar. Er ſtund da wie betaͤubt, und
in der Verwirrung leerte er dieſen und eini-
ge folgende aus, und verſchluckte gierig die
Leckerbiſſen, die ihm die Zauberin, einen
nach dem andern, in den Mund ſteckte.
Hierauf zog ſie ihn hinaus, bat ihn unter
H 4Thraͤ-
[120] Thraͤnen um Vergebung, daß ſie gezwun-
gen ſeine heilige Augen beleidigt haͤtte;
that dabey ſo wehmuͤthig und untroͤſtlich,
faßte ſeine Haͤnde ſo warm, ließ ſich end-
lich vor ihm auf die Knie nieder, und da in
dieſem Augenblick ihre Bruſt ſich oͤfnete,
und der ſilberne Mond ihren ſchimmernden
Buſen erleuchtete, der leiſe Wind ihre ſchwar-
zen Locken darauf hin und her bewegte, ſo
erwachte das Gefuͤhl der unterdruͤckten Na-
tur ſo ſtuͤrmend in dem Eremiten, daß er
an dieſen blendenden Buſen ſank, ohne zu
wiſſen, wie ihm geſchah. Die Pilgerin
fuͤhrte ihn unmerklich von einer Stufe
der Luſt zu der andern, und da er eben hoff-
te, ſich ſeinem Wunſche zu nahen, ſo liſpel-
te ſie ihm leiſe in’s Ohr: „Sie wuͤrde ewig
„die ſeinige ſeyn, wenn er ſie zuvor an die-
„ſen Frechen raͤchen, und ſich ihres Scha-
„tzes bemaͤchtigen wollte, durch deſſen Be-
„ſitz ſie beyde ein ſeeliges, wolluͤſtiges Le-
„ben, bis an ihr Ende fuͤhren koͤnnten.“
Der
[121]
Der Eremit erwachte ein wenig aus ſei-
nem Taumel, und fragte ſie zitternd: „wie
„ſie das verſtaͤnde, und was ſie an ihn for-
derte?“
Unter uͤppigen Kuͤſſen, wolluͤſtigen Seuf-
zern, liſpelte ſie ihm noch leiſer in’s Ohr,
indem ſie ihren heißen Buſen gegen ſein
ſchlagendes Herz druͤckte: „Ihre Dolche lie-
„gen auf dem Tiſche, du ermordeſt den ei-
„nen, ich den andern, kleideſt dich in ihr
„Gewand, bemaͤchtigeſt dich ihres Schatzes,
„wir ſtecken die Einſiedeley an, und fliehen
„nach Frankreich.“
Der fuͤrchterliche Gedanke des Mords
ſchauderte durch die Sinne des Eremiten,
die Wolluſt raſte in ſeinem Herzen, er ſtrau-
chelte, wankte, blickte auf die Reize der Zau-
berin, fuͤhlte ſich in ihrem Beſitz, ſah, daß er
ſie und den Schatz ohne Gefahr erhalten koͤnn-
te, alle vorige Empfindungen verſchwanden,
und er vergaß den Himmel und ſeinen Be-
ruf. Die Pilgerinn ſtieß den Taumelnden
in die Zelle, er faßte einen Dolch, ſie den
H 5andern,
[122] andern, wollte den Streich gegen Fauſten
fuͤhren, der Teufel erhub ein Hohnlachen
der Hoͤlle, und Fauſt ſah den Eremiten mit
gezuͤcktem Dolche an ſeiner Seite knien.
Fauſt. Verdammter, der du unter der
Larve der Froͤmmigkeit deine Gaͤſte ermorden
willſt!
Der Eremit ſank bebend zur Erde. Die
Pilgerin, eine Gaukeley der Hoͤlle, zeigte
ſich ihm in fuͤrchterlicher Geſtalt, und ver-
ſchwand.
Fauſt befahl dem Teufel, die Huͤtte an-
zuſtecken, und ſie mit dem Heuchler zu ver-
brennen. Der Teufel gehorchte frohlockend,
und die Einſiedeley brannte auf. Den fol-
genden Morgen wehklagten die Bauern uͤber
den Tod des Gerechten, ſammelten ſeine
Knochen, und verehrten ſie als Reliquien
des frommen Eremiten.
6.
Fauſt und der Teufel kamen Morgens in
Mainz an, und ſtiegen bey Fauſt’s Woh-
nung
[123] nung ab. Sein junges Weib fiel ihm mit
einem hellen Freudenſchrey um den Hals,
herzte ihn, und brach dann in wehmuͤthige
Thraͤnen aus. Die Kinder hiengen ſich laͤr-
mend an ſeine Knie, durchſuchten begierig
ſeine Taſchen, ob er ihnen etwas mitge-
bracht. Der alte graue Vater nahte ſich
mit zitternden Knien, und reichte dem Sohn
traurig die Hand. Fauſt’s Herz bewegte
ſich, er fuͤhlte ſeine [Augen] naß, er bebte,
und ſah zornig nach dem Teufel. Als er
ſeine Frau fragte, warum ſie weinte, ant-
wortete ſie ſchluchzend: „Ach ſieh doch,
„Fauſt, wie die Hungrigen in deinen Ta-
„ſchen nach Brod ſuchen, wie kann ich dies
„ohne Thraͤnen anſehen! ſie haben lange
„nichts gegeſſen, wir waren ſo ungluͤcklich,
„alle deine Freunde haben uns verlaſſen,
„aber nun ich dich wieder ſehe, iſt mir als
„erblickte ich das Angeſicht eines Engels.
„Ich und dein Vater haben noch mehr um
„dein als um unſertwillen gelitten. Wir
„hatten ſo fuͤrchterliche Traͤume und Er-
„ſcheinun-
[124] „ſcheinungen; wenn ſich meine von Thraͤnen
„muͤden Augen ſchloſſen, ſah ich dich ge-
„waltſam von uns geriſſen, und alles war
„ſo finſter und ſchreckend“ —
Fauſt. Dein Traum, Liebe, geht eines
Theils in Erfuͤllung. Sieh, dieſer Herr
will die Verdienſte deines Mannes belohnen,
den ſein hartes Vaterland mißkannte und
verſtieß. Ich habe mich ihm verbunden,
eine lange und weite Reiſe mit ihm zu
machen.
Der alte Fauſt. Mein Sohn, bleibe im
Lande und naͤhre dich redlich, ſagt die
Schrift.
Fauſt. Und ſterbe Hungers, ohne daß
man ſich deiner erbarmt, ſagt die Erfahrung.
Die Mutter jammerte noch klaͤglicher,
die Kleinen ſchrien um Brod. Fauſt wink-
te dem Teufel, der einen Diener herauf rief,
welcher bald darauf einen ſchweren Kaſten
herein ſchleppte. Fauſt oͤfnete den Kaſten,
und warf einen ſchweren Sack voll Gold
auf den Tiſch. Da er den Sack aufmach-
te,
[125] te, und das Gold ſchimmerte, verbreitete
ſich Heiterkeit auf die traurigen Geſichter.
Hierauf zog er ſchoͤne Kleider und Kleinodi-
en aus dem Kaſten, und uͤbergab ſie ſeinem
Weibe. Die Thraͤnen verſchwanden, die
Eitelkeit leckte ſie weg, wie die Sonnenhitze
den Thau, und Munterkeit goß ſich uͤber
das Angeſicht des jungen Weibs. Der Teu-
fel laͤchelte, und Fauſt murrte in ſeinen
Bart: „O Zauber des Golds! Magie der
„Eitelkeit! ich kann nun wegreiſen, ohne
„daß es andre Thraͤnen, als Thraͤnen der
„Verſtellung koſten wird.“ — „Nun, Weib,
„ſieh, dies ſind die Fruͤchte meiner Reiſe,
„ſag, iſt es nun beſſer, daß ich im Lande
„mit euch allen darbe?“
Die junge Frau hoͤrte nichts, ſie ſtund
mit den ſchoͤnen Kleidern und Kleinodien
vor dem Spiegel, und verſuchte alle die
Herrlichkeiten. Die kleinen Maͤdchen huͤpf-
ten um ſie herum, bewunderten ſie, nah-
men die Putzſtuͤcke, die ſie weglegte, und
ahmten die Mutter nach. Indeſſen brach-
te
[126] te ein Diener ein dolles Fruͤhſtuͤck, d[ie] Klei-
nen fielen daruͤber her, ſchrien und [ja]uchz-
ten. Die Mutter hatte den Hunger ve[rg]eſſen.
Fauſts Vater ſagte ſeinem Sohn leiſe:
„Haſt du dies alles auf eine redliche Art er-
„worben, ſo laß uns Gott danken, mein
„So[h]n, und des Beſcheerten genießen Ich
„habe ſeit einigen Naͤchten ſchreckliche Ge-
„ſichter und Ahndungen gehabt, doch ich
„hoffe, ſie kommen von unſerm Kummerher.“
Dieſe Anmerkung des Alten, wollte tief
in Fauſts Seele ſinken; aber die Freude,
ſeine Kinder ſo gierig und vergnuͤgt eſſen zu
ſehen, zu bemerken, wie freundlich und dank-
bar ſein aͤlteſter Sohn und Liebling nach
ihm blickte, der Gedanke, ihrem Elend ab-
geholfen zu haben, der Mißmuth uͤber das
Vergangene, der innere Zug nach Genuß,
daͤmpften die Aufwallung. Der Teufel leg-
te noch eine Summe zu dem Golde, beſchenk-
te die junge Frau mit einem edlen Hals-
ſchmuck, gab jedem der Kinder etwas, und
ver-
[127] verſicherte die Familie, er wuͤrde Fauſten
reich, geſund und gluͤcklich zuruͤckbringen.
7.
Fauſt gieng hierauf mit dem Teufel zu
einem Freund, den er in großer Betruͤbniß
antraf. Er fragte ihn um die Urſache ſei-
ner Traurigkeit, und er antwortete ihm
„daß dieſen Mittag der ihm bekannte Pro-
„ceß abgeurtheilt wuͤrde, und er waͤre ge-
„wiß, ihn zu verlieren, ſo ſehr auch das
„Recht auf ſeiner Seite ſey. Meiſter Fauſt,
„ſezte er hinzu, mir bleibt nichts uͤbrig,
„als zu betteln; oder mich in den Rhein zu
„ſtuͤrzen, wo er am tiefſten iſt.“
Fauſt. Wie koͤnnt ihr gewiß ſeyn, daß
ihr den Prozeß verliert, da das Geſetz fuͤr
euch iſt?
Freund. Aber die fuͤnfhundert Goldgul-
den meines Widerſachers ſind gegen mich,
und da ich ihn nicht uͤberbieten kann, ſo
muß ich zu Grund gehen.
Fauſt.
[128]
Fauſt. Liegt’s nur an dem? kommt, und
fuͤhrt mich zu eurem Richter. Ich habe
hier einen Freund, der ſolchen Noͤthen gern
abhilft.
Sie fanden in dem Richter einen aufge-
blaſnen ſtolzen Mann, der einen armen
Klienten kaum eines Blicks wuͤrdigte. Fauſt
kannte ihn laͤngſt fuͤr das, was er war.
Der Richter fuhr Fauſts Freund verdrieß-
lich an: „Was quaͤlt ihr mich, wißt ihr
„doch, daß Thraͤnen die Gerechtigkeit nie
„beſtechen?“
Der gebeugte Freund ſah demuͤthig zur
Erde.
Fauſt. Geſtrenger Herr, da habt ihr
Recht, Thraͤnen ſind auch nur Waſſer, und
beißen nur das Auge deſſen der ſie weint;
aber doch wißt ihr, daß mein Freund das
Recht fuͤr ſich hat.
Richter. Meiſter Fauſt, ihr ſeyd mir als
ein Mann bekannt, der Haab und Fahrt
verpraßt, und eine loſe Zunge hat. Was
kuͤmmern ſeine Thraͤnen die Gerechtigkeit?
Recht
[129] Recht und Geſetz ſind zweyerley; hat euer
Freund das erſte fuͤr ſich, ſo hat er darum
noch nicht das zweite.
Fauſt. Ihr ſagt, Recht und Geſetz ſind
zweierley, ungefaͤhr wie Richter und Ge-
rechtigkeit, meint ihr doch?
Richter. Meiſter Fauſt, ich ſagte euch,
ihr ſeyd mir bekannt —
Fauſt. Wir betruͤgen uns vielleicht einer
in dem andern, wohlweiſer Herr; aber
lohnts doch der Muͤhe nicht, den Mohren
weiß waſchen zu wollen. Er machte die
Thuͤre auf, der Teufel trat ein.
Hier iſt ein Freund, der euch ein Document
vorlegen wird, das, wie ich hoffe, der Sa-
che meines Freundes eine beßre Wendung
geben ſoll.
Als der Richter den reich gekleideten Teu-
fel ſah, nahm er eine freundlichere Miene
an, und bat ſie alle nieder zu ſetzen.
Fauſt. Wir koͤnnen es im Stehen ab-
thun. zu dem Teufel. Zeigt doch das
Document vor, das wir ausgefunden haben.
Fauſts Leben. JDer
[130]
Der Teufel zaͤhlte bis zu fuͤnf[h]u[n]dert
Goldgulden, dann hielt er innen.
Richter. Das Document iſt nicht uͤbel,
meine Herren; doch die Gegenpar[t]ey hat
laͤngſt eins von gleichem Gewicht eingegeben.
Fauſt. So muͤſſen wir die Gruͤnde fuͤr
uns ſchwerer machen.
Der Teufel zaͤhlte bis tauſend, dann
hielt er innen.
Richter. In der That, dieſen Umſtand
hatt ich ganz uͤberſehen, und ſolchen Be-
weiſen iſt nicht zu widerſtehen.
Er rafte das Gold zuſammen und ver-
ſchloß es in ſeinen Schrank.
Fauſt. Ich hoffe doch, Recht und Ge-
ſetz ſind nun einverſtanden.
Richter. Ihr verſteht die Kunſt, Mei-
ſter Fauſt, die aͤrgſten Feinde auszuſoͤhnen.
Fauſt, den die Schlechtigkeit des Richters
eben ſo ſehr beleidigte, wie ſeine Grobheit,
liſpelte dem Teufel beym Weggehen in’s
Ohr: „Raͤche die Gerechtigkeit an dieſem
„Boͤſewicht!“
Hier-
[131]
Hierauf trennte er ſich von ſeinem Freun-
de, ohne ſeinen Dank abzuwarten, gieng
weiter mit dem Teufel, ſeine Schulden zu be-
zahlen. Beſuchte dann ſeine uͤbrigen Freun-
de, gab uͤberall mit vollen Haͤnden, ſelbſt
denen, die ihn im Ungluͤck verlaſſen hatten,
und fuͤhlte ſich gluͤcklich, ſeiner angebohr-
nen Großmuth und Freygebigkeit, ohne
Maaß und Einſchraͤnkung, den Zuͤgel ſchie-
ßen laſſen zu koͤnnen. Der Teufel der wei-
ter ſah, und bemerkte, wie er ohne alle Ue-
berlegung wegwarf, freute ſich der Folgen.
8.
Sie kamen nach dem Gaſthofe. Fauſt,
dem nun das Betragen ſeiner Frau wieder
einfiel, war muͤrriſch und betroffen, er konn-
te es ihr nicht vergeben, daß ihr weiter kei-
ne Klagen uͤber ſeine Entfernung entfahren
ſeyen, nachdem ſie das Gold und die Klei-
nodien geſehen hatte. Er glaubte ſich bis-
her mehr von ihr geliebt, als alle Schaͤtze
der Erde, und dachte ſie wuͤrde dieſelben
J 2um
[132] um ſeinetwillen fahren laſſen. Dieſe Be-
merkung uͤber eine ihm ſo nahe Perſon,
machte einen widrigen Eindruck auf ſein
Herz. So ſtrenge richtet und ſchließet nur
der, den ſein eignes Herz verurtheilt, als
Fauſt dieſen Augenblick in ſeinem Innern
that. Der Teufel merkte, wo es ihn druͤck-
te, ließ ihn gern an dieſen duͤſtern Gedan-
ken zerren, damit er das ſuͤße Band, worin
ihn die Natur noch leiſe gefeſſelt hielt, ganz
zerreißen moͤchte. Er ſah mit innigem Ge-
nuße die ſchreckliche Quaal, die einſt daraus
entſpringen wuͤrde, wenn die Zukunft alle
die Ungeheuer enthuͤllen ſollte, womit der
verwegne Fauſt ſie zu fuͤllen auf dem We-
ge war.
Mittags ſpeißten ſie mit einigen Aebten
und Profeßoren an der Wirthstafel, die
zur Ergoͤtzung des Teufels bald in einen
heftigen Streit uͤber die Nonne Klara gerie-
then. Noch war das Kriegsfeuer in aller
Staͤrke, der Parteygeiſt raſte in allen Haͤu-
ſern, und die Streiter am Tiſche gebehrde-
ten
[133] ten ſich ſo wuͤthend, ſagten uͤber den be-
kannten Fall ſo tolle Sachen, daß Fauſt al-
le uͤbele Laune vergaß. Als aber ein Dok-
tor der Theologie behauptete, es ſey moͤg-
lich daß der Teufel ſein Spiel ſo weit ge-
trieben haͤtte, die Nonne durch den Traum
in gewiſſe Umſtaͤnde zu verſetzen, brach der
Teufel in ein bruͤllendes Lachen aus, und
Fauſten fuhr der Gedanke durch den luͤſter-
nen Sinn, ſich auf eine ſchreyende Art an
dem Erzbiſchof zu raͤchen, der ſeiner Erfin-
dung ſo wenig geachtet. Er hofte dadurch
den Gegenſtand des theologiſchen und poli-
tiſchen Haders und Zweykampfs in Mainz
ſo zu verwirren, daß kein menſchlicher Geiſt
dieſes Chaos mehr auseinander wickeln ſoll-
te. Er bedachte nicht, daß er ihm dadurch
ein Ende machte. Nach Tiſche befahl er
dem Teufel, ein Mittel auszuſinnen, daß er
dieſe Nacht, unter der Geſtalt des Domini-
kaners, bey der Nonne Klara liegen koͤnnte.
Der Teufel erwiederte, es ſey ein leichtes,
und wenn es ihm gefiele, ſo ſollte ihn die
J 3Aeb-
[134] Aebtiſſin ſelbſt in die Zelle der Nonne fuͤh-
ren. Fauſt ſpottete des Teufels, denn die
Aebtiſſin war ihm als eine fromme, ſtrenge
und gewiſſenhafte Frau bekannt.
Teufel. Fauſt, dein Weib erhub ein Ze-
tergeſchrey, als du ihr deine Reiſe ankuͤn-
digteſt; aber da der Schimmer des Goldes
und des Putzes in ihre Augen ſtrahlte, lach-
te das Herz des Kummers. Ich ſage dir,
die Aebtiſſin ſoll dich in die Zelle der Non-
ne fuͤhren, und ich will keine uͤbernatuͤrliche
Mittel gebrauchen. Du ſelbſt ſollſt Zeuge
ſeyn, wie die alte Vettel in die Angel bei-
ßen wird. Komm, wir wollen ihr unter
der frommen Geſtalt zweyer Nonnen einen
Beſuch machen. Ich kenne die Lage der
Kloͤſter, die Geſinnungen der Nonnen und
Moͤnche in Teutſchland genau, um ſie vor-
ſtellen zu koͤnnen. Ich will die Aebtiſſin
der ſchwarzen Nonnen vorſtellen, und du
ihre Freundin, die Schweſter Agathe.
In dieſem Augenblick kam Fauſts Freund
voller Freude, ihm die Nachricht von dem
gluͤck-
[135] gluͤcklichen Ausgang ſeines Proceſſes zu uͤber-
bringen. Er wollte Fauſten und dem Teu-
fel danken, Fauſt aber ſagte: „Ich entlaſ-
„ſe euch alles Danks, und empfehle euch
„meine Familie in meiner Abweſenheit.“
Der Teufel laͤchelte uͤber ſein Zutrauen.
Fauſt raunte dieſem in’s Ohr: „es iſt Zeit;
„denke des Richters!“
9.
Der Richter wollte Nachmittags ſeinem
geliebten Weibe die tauſend Goldgulden des
Teufels vorzaͤhlen, zog ſehr haſtig die
Schublade heraus, und fuhr bey ihrem An-
blick bebend zuruͤck. Die Goldſtuͤcke hat-
ten ſich in Maͤuſe und große Ratten ver-
wandelt, die alle herausfuhren, und wuͤ-
thend nach ſeinem Geſicht und ſeinen Haͤn-
den ſprangen. Der Richter, der von Na-
tur einen großen Abſcheu gegen dieſe Thiere
hatte, floh aus der Stube, ſie ihm nach,
und hiengen ſich an ſeine Ferſe. Er ſtuͤrz-
te zu dem Hauſe hinaus, lief durch die
J 4Stra-
[136] Straßen, das Ungeziefer verfolgte ihn. Er
rannte aufs Feld, ſie ließen nicht ab. So
trieben ſie den Angſtvollen bis in den ſtei-
nernen Mauththurm im Rhein. Hier dach-
te er das Ende ihrer Verfolgung gefunden
zu haben; aber Ratten und Maͤuſe aus der
Hoͤlle ſcheuen das Waſſer nicht. Sie
ſchwammen hindurch, fielen uͤber ihn her,
und fraßen ihn lebendig auf. Von dieſer
Zeit an nennte man dieſen Thurm den Maͤu-
ſethurm. Seine Frau erzaͤhlte in der Be-
ſtuͤrzung die Geſchichte der Verwandlung
der Goldſtuͤcke, wodurch ſich ihr ungluͤckli-
cher Mann haͤtte verblenden laſſen, und
ſeit dieſem Vorfall hat man im ganzen Erz-
ſtift Mainz kein Beyſpiel erlebt, daß ſich
ein Richter oder Advocat haͤtte beſtechen laſ-
ſen. Der Teufel muß dieſes nicht bedacht
haben, ſonſt haͤtte er gewiß den Spuck blei-
ben laſſen.
10.
Der Teufel und Fauſt ſtunden verwan-
delt und vermummt in dem Kreuzgang des
Non-
[137] Nonnenkloſters. Die Pfoͤrtnerin lief vor-
aus was ſie konnte, der Aebtiſſin den vor-
nehmen Beſuch anzukuͤndigen. Die Aebtiſ-
ſin empfieng ſie mit allen den froͤmmelnden
Kloſterbegruͤßungen, die der Teufel in glei-
chem Tone beantwortete. Man trug Zu-
ckergebacknes und feine Getraͤnke auf, ſchnat-
terte von Kloſtergeſchichten, von der argen
Welt, und der Teufel lenkte ſeufzend die
Unterredung auf Klaras Geſchichte. Klaͤr-
chen, die vermoͤge ihrer Verwandſchaft das
Schoßkind des Kloſters war, ſtund neben
der Aebtiſſin, und laͤchelte unter ihrem
Schleier. Fauſt bemerkte das Laͤcheln, ver-
ſchlang ſie mit den Augen, und freute ſich
des bevorſtehenden Abentheuers, denn nie
duͤnkte ihn, einen reizendern Schalk unter
dem heiligen Schleier geſehen zu haben.
Der Teufel gab dem Geſpraͤche eine ernſte
Wendung, und ließ die Aebtiſſin merken,
er haͤtte ihr wichtige Sachen zu vertrauen.
Aebtiſſin. zu Klara. Laͤmmchen, ihr
koͤnnt nun zu den Nonnen in Garten gehen,
J 5und
[138] und euch ergoͤtzen. Ich will euch, des vor-
nehmen Beſuches der Aebtiſſin zu Ehren,
Zuckergebacknes ſchicken, daß ihr den Tag
ihres Beſuchs feyern moͤgt.
Klaͤrchen ſprang weg. Nach einigen
Worten, wobey der Teufel ſehr bedenklich
und aͤngſtlich that, um die Aebtiſſin zu rei-
zen, in ihn zu ſetzen, fieng er an, ſeinem
Zwecke naͤher zu kommen.
Teufel. Ach liebe Schweſter, wie ſehr
bedaure ich euch! Es iſt wahr, und das
kann euch troͤſten, die ganze Stadt, und das
ganze Land ſind von eurer Heiligkeit, eurer
Froͤmmigkeit und Strenge uͤberzeugt. Ihr
ſeyd ein lebendiges Muſter der Braͤute des
Himmels; aber leider! Welt iſt Welt, und
oft floͤßt der boͤſe Feind den Weltmenſchen
boͤſe Gedanken ein, um die durch ſie zu ſtuͤr-
zen, die ihm ein Dorn in den Augen ſind.
Er kann es nicht leiden, der haͤßliche Sa-
tan, daß ihr eure Schaͤfchen in aller Rein-
heit weidet. Wie geſagt, ich bedaure euch
herzlich, und noch mehr die armen Schaͤf-
chen.
[139] chen, die euch anvertraut ſind; was wird
aus ihnen werden, wenn ſie euch ver-
liehren?
Aebtiſſin. Liebe Schweſter, ſeyd darum un-
beſorgt; ob ich gleich alt bin, ſo bin ich doch,
dem Himmel ſey Dank, geſund und friſch,
und die kleinen Ungemaͤchlichkeiten, ach!
eine Folge der Enthaltſamkeit, des ſtrengen
Lebens und der Buße, ſichern eher mein hin-
faͤlliges Leben, als daß ſie es bedrohen.
Wenigſtens ſagt mir dies immer der Arzt
des Kloſters, wenn ich mich beklage.
Der Teufel ſah ſie bedeu-
tend an:
Habt ihr denn gar keine Ahndung von
dem, was euch bevorſteht? Kein warnen-
des Traumgeſicht? Hat ſich ſeit einiger
Zeit gar nichts im Kloſter zugetragen, das
euch aufmerkſam auf die Zukunft macht?
Es pflegt doch gewoͤhnlich zu geſchehen, daß
fromme Seelen durch gewiſſe Zeichen von
dem unterrichtet werden, was ihnen bevor-
ſteht.
Aebtiſ-
[140]
Aebtiſſin. Ihr erſchreckt mich, daß ich
am ganzen Leibe zittre. Laßt mich doch
nachſinnen — ja, ja, nun erinnre ich
mich — ich ſchlafe ſehr unruhig — traͤu-
me von Kirchhof und Leichen — und vor
einigen Tagen — o gewiß iſt dies ein Zei-
chen und Warnung. Vor einigen Tagen,
liebe Schweſter, gieng ich mit dem Huͤnd-
chen, das dort ſchlaͤft, und das ein gar
ſittſames Thier iſt, ſpazieren. Ich war ganz
allein, und die Nonnen erzaͤhlten ſich unter
den Linden Maͤhrchen. Auf einmal ſprang
der große Hund des Gaͤrtners nach meiner
Pietas, ſo heißt das Huͤndchen, und wollte
das Werk des Teufels mit ihr treiben. Ich
bebte an allen Gliedern, ſchlug ein Kreuz
nach dem andern vor die Bruſt, es wollte
alles nichts helfen. Endlich ſchlug ich mit
meinem Stabe auf den großen Hund, ſchlug
aus Leibeskraͤften auf das haͤßliche Thier,
das das Kloſter entweihte, und ſchlug,
ſchlug bis der Stab, den mir der hochſee-
lige Erzbiſchof bey meiner Einweihung als
Aebtiſ-
[141] Aebtiſſin verehrte, mitten entzwey brach.
Sollte dies nicht ein Vorzeichen von Be-
deutung ſeyn?
Der Teufel und Fauſt thaten
erſchrocken:
Ach das ſchlimmſte von der Welt!
Teufel. Nun iſt alles klar und wahr-
haftig. Hab ich’s Euch nicht geſagt,
Schweſter Agathe?
Fauſt beugte ſich demuͤthig.
Aebtiſſin. So redet doch, ich bebe am
ganzen Leibe.
Teufel. Faßt euch, liebe Schweſter, noch
iſt Rettung da, vielleicht, daß ich ſie euch
bringe. Bedenkt wohl, daß es der Stab
war, den euch der Erzbiſchof bey eurer Ein-
weihung als Aebtiſſin verehrte, und hoͤrt
mir dann aufmerkſam zu. Ihr kennt doch
meinen Bruder den Domherrn? Nun, er
vertraute mir eine ganz erſchreckliche Sache,
und eben darum bin ich zu Euch gekommen.
Er nahm zwar eine Verpflichtung von mir,
es euch nicht zu ſagen; aber weiß ich doch,
daß
[142] daß es beſſer iſt, eine kleine Suͤnde zu be-
gehen, wenn man einer groͤßern zuvor-
kommt, und die Abſichten des Teufels
ſtoͤhrt.
Aebtiſſin. Da habt ihr recht, und die
Kirchenvaͤter ſelbſt lehren uns das, wie
mein Beichtvater ſagt.
Teufel. So wißt denn, der Erzbiſchof
hat endlich das Kapitul ſo weit gebracht,
daß ſein Vorſchlag durchgegangen iſt, euch
nach Verlauf einiger Monate abzuſetzen,
und ſeine Nichte Klara, als Aebtiſſin ein-
zuweihen.
Jeſus Maria! rief die Aebtiſſin, rang
die Haͤnde, und fiel in Ohnmacht. Der
Teufel machte ein ſaures Geſicht bey ihrer
Ausrufung, und Fauſt rieb ihr lachend die
runzlichten Schlaͤfe. Nachdem ſie ſich er-
holt hatte, brach ſie in eine Thraͤnenfluth,
und in die bitterſten Verwuͤnſchungen
uͤber die Bosheit der Welt aus.
Teufel.
[143]
Teufel. Verzweifelt nicht, liebe Schwe-
ſter, fuͤr ein Uebel das noch nicht geſche-
hen iſt, kann man immer Mittel finden.
Aebtiſſin. Und was rathet ihr mir Un-
gluͤcklichen? Ach, der Himmel erbarme ſich,
was ſoll aus mir, was ſoll aus den Non-
nen werden?
Teufel. Ich ſagte euch ſchon, daß es
oft beſſer ſey, eine kleine Suͤnde zu begehen,
um einer groͤßern vorzukommen, und ihr
ſelbſt bewießt es aus den Kirchenvaͤtern, und
ſetztet hinzu, daß man dadurch den Abſichten
des Teufels, und derer er ſich bedient, ent-
gegen arbeitet; aber liebe Schweſter, dazu
gehoͤrt Muth und Verſtand, es ſo einzufaͤ-
deln, daß ein Dritter die Hauptſuͤnde davon
trage, und man ohne Gefahr fuͤr ſich und
ſeine Seele ſeinen Zweck erhalte.
Aebtiſſin. Ach, liebe Schweſter, und wie
iſt das anzufangen?
Teufel. Ich bin einmal in unſerm Klo-
ſter in gleichem Fall geweſen, die fromme
Schweſter Agathe hier, iſt mein Zeuge, ſie
hat
[144] hat alles angeſehen, dazu geholfen, und ihr
habt ſie nicht zu fuͤrchten.
Fauſt verbeugte ſich demuͤthig.
Teufel. Eine Nonne, die durch ſuͤndlichen
Verſtand, und noch ſuͤndlichere Schoͤnheit,
bey den Großen Schutz gefunden hatte,
ſollte durch ihre Huͤlfe uͤber mich hinaus-
ſteigen. Ach, ihr fuͤhlt nun, wie das thut,
wenn man auf einmal gehorchen ſoll, nach-
dem man ſo lange unumſchraͤnkt geherrſcht
hat! Ich gieng in Gegenwart der Schwe-
ſter Agathe mit einem meiner Anverwandten
zu Rath, er war in Gewiſſens- und Suͤn-
denfaͤllen ſehr bewandert, und wußte auf
ein Haar, was verdammlich und nicht ver-
dammlich ſey. Dieſer kluge Mann nun gab
mir einen Rath, der mir aus der Noth
half, und wofuͤr ich noch heute ſeine Aſche
ſeegne. Anfangs ſchien er mir freylich
ſuͤndlich, aber er verſicherte mich, und be-
wies mir’s aus den Kaſuiſten, daß Faſten
und ein wenig Diſciplin, ihm das Arge und
Verdammliche benehmen wuͤrden.
Aebtiſ-
[145]
Aebtiſſin. Und der Rath? der Rath?
Teufel. Ich ſchaͤme mich, es euch laut
zu ſagen.
Aebtiſſin. So liſpelt mir’s in das Ohr.
Was die Aebtiſſin der ſchwarzen Nonnen,
ohne Gefahr ihrer Seeligkeit thun konnte,
mag auch die Aebtiſſin der weiſſen thun.
Teufel. ihr leiſe in’s Ohr: Er
rieth mir, es zu veranſtalten; oder geſche-
hen zu laſſen, daß die mir gefaͤhrliche Non-
ne, die Suͤnde des Fleiſches begienge.
Aebtiſſin. ſich kreuzigend. Heilige
Urſula! dies iſt ja Teufelswerk, und fuͤhrt
grade zur Hoͤlle.
Teufel. Den der ſie begeht, liebe Schwe-
ſter, und das rathe ich euch ja nicht. Be-
denkt doch, wenn ihr um der heimlichen
Suͤnden eurer Nonnen verdammt wuͤrdet,
wie ſollte es euch ergehen?
Aebtiſſin. Aber um aller Heiligen willen,
wie konntet ihr eine ſo gefaͤhrliche Sache
ausfuͤhren, ohne daß es entdeckt wurde?
Fauſts Leben. KTeufel.
[146]
Teufel. O mein Fall war viel ſchwerer,
wie der eurige, denn euch beguͤnſtigt ſchon
das Geruͤcht von dem Traume, der die gan-
ze Stadt erfuͤllt hat. Wenn ihr nun einen
Mann, unter der Geſtalt des Dominika-
ners, in Klaras Zelle ſchleichen laßt, und
die Zeichen der ſuͤndigen That darauf er-
ſcheinen, wird nicht die ganze Welt ſagen,
es ſey ein Spiel des Erbfeinds der Men-
ſchen? Laßt dem Satan den ſchlechten Ruf,
und bleibt auf eurem Stuhl, mit der Herr-
ſchaft geſchmuͤckt, ſitzen, die dem Himmel
gefaͤllt. Dieſes rathe ich euch zu eurem
Beſten, aus Freundſchaft fuͤr euch, und
ihr moͤgt es nun machen wie ihr wollt.“
Die Aebtiſſin ſaß ſtumm da, und betete
in der Verwirrung leiſe ihren Roſenkranz
herunter. — „Die Suͤnde des Fleiſches ſoll
„retten — Ave Maria! — es iſt Einge-
„bung des Satans — Heilige Urſula, er-
„leuchte mich!“ — ſie ſah nach dem
Bilde der Heiligen. — „Die Schan-
„de und Aergerniß fuͤr das Kloſter werden
„groß
[147] „groß ſeyn — Ave Maria! — es wird
„auf die Rechnung des Teufels geſchrieben
„werden — aber ich kann verdammt da-
„durch werden! — pater noſter — ſoll
„ich nun eine Magd im Kloſter werden,
„und in meinen alten Tagen mich von Hoͤ-
„hern quaͤlen laſſen, nachdem ich ſo lan-
„ge die Nonnen gequaͤlt habe? — wir wuͤr-
„den ihrer los, das ſuͤndliche Geſchoͤpf hat-
„te ohnedies der ganzen Stadt Aergerniß
„gegeben. — Hm, ich ſoll nicht mehr die
„Noͤnnchen auskeifen; und wie wuͤrde ſich
„dieſe und jene an mir raͤchen? Ave Ma-
„ria! — ich will meine uͤbrigen Tage als
„Aebtiſſin ausleben, dem Kloſter zum Be-
„ſten, es koſte was es wolle!“
Der Teufel feuerte zu, und der Anſchlag
ward gefaßt. Beym Weggehen ſagte der
Teufel zu Fauſt:
Was hab ich nun anders gethan, als
daß ich den Stolz dieſer alten Vettel frag-
te: ob es beſſer ſey, die gefuͤrchtete Ver-
dammniß zu wagen, oder die tyranniſche
K 2Gewalt
[148] Gewalt uͤber die armen Nonnen aufzuge-
ben, die ſie nur noch eine kurze Zeit auszu-
uͤben hat?
So wohl Fauſten der Spaß gefiel, ſo
ſehr mißfiel es ihm, daß der Teufel immer
Recht behielt. Abends fuͤhrte ihn die Aeb-
tiſſin, unter der Vermummung des Domi-
nikaners, ſelbſt in Klaras Zelle, waͤhrend
die Nonnen in der Veſper waren. Klaͤr-
chen erſchien, und nachdem ſie ſich der hei-
ligen Urſula empfohlen, legte ſie ſich nieder.
Ihre Einbildungskraft, die einmal auf ge-
wiſſe Dinge geſpitzt war, wiederholte oft
in Traͤumen die vorige Erſcheinung, ſie lag
eben in einer ſolchen Entzuͤckung, als Fauſt
zu ihr ſchlich, die Erſcheinung zu verkoͤr-
pern. Klaͤrchen hielt wachend das Spiel
fuͤr Traum, genoß ſeiner, und fuͤhlte die
Suͤnde der Luſt in all ihrem Reiz. Die
Aebtiſſin gab ſich indeſſen in ihrer Zelle die
Diſciplin, und gelobte, jede Woche, um ih-
rer Seele willen, einmal zu faſten. Der
Erfolg dieſer Nacht endigte auf einmal
den
[149] den Krieg in Mainz; aber fuͤr das arme
Klaͤrchen war er ſchrecklich.
Fauſt nahm nun Abſchied von ſeiner Fa-
milie. Es wurden wenig Thraͤnen vergoſ-
ſen, und ſein Vater gab ihm traurig heil-
ſame Lehren.
11.
Als er mit dem Teufel uͤber die Rhein-
bruͤcke ritt, ſich an der naͤchtlichen Scene
ergoͤtzte, und Gloſſen uͤber die Aebtiſſin
machte, ſahe er ferne einen Menſchen im
Waſſer, der dem Erſaufen nahe war, und
nur noch matt mit dem nahen Tod kaͤmpf-
te. Er befahl dem Teufel, den Menſchen
zu retten. Dieſer antwortete ihm mit be-
deutendem Blicke:
„Fauſt, bedenke was du forderſt, es iſt
ein Juͤngling, und vielleicht iſt es beſſer
fuͤr ihn und dich, daß er hier ſein Leben
endet.“
Fauſt. Teufel, nur zum Boͤſen bereit,
willſt du mich dahin bringen, dem Ruf
K 3der
[150] der Natur zu widerſtehen? Eile und ret-
te ihn.
Teufel. Du kannſt wohl nicht ſchwim-
men — gut! Die Folgen ſeyen dein Ge-
winn; du wirſt es bereuen. Er eilte hin,
und rettete den Juͤngling. Fauſt troͤſtete
ſich, durch eine gute Handlung die ſuͤndige
Nacht verſuͤhnt zu haben, und der Teufel
lachte des Troſts.
Drit-
[[151]]
Drittes Buch.
[[152]][[153]]
Drittes Buch.
1.
Der Teufel hatte Fauſten durch einige
Abentheuer gefuͤhrt, die nebſt den vorherge-
henden, ſeinem Herzen bloß zur Vorberei-
tung auf die Stuͤrme des Lebens, die er, ver-
moͤge ſeiner Menſchenkenntniß, vorſah, die-
nen ſollten. Das was Fauſt bisher geſe-
hen hatte, erfuͤllte ſeinen Buſen hoͤchſtens
mit Hohn und Bitterkeit; aber die Scenen
die ſich nun eroͤffnen, riſſen nach und nach
ſolche tiefe Wunden hinein, daß ſein Ver-
ſtand ſie nicht mehr zu tragen und zu hei-
len faͤhig war. Und nur ein Großer der
Erde, oder welches meiſtens einerley iſt,
ein Schoͤpfer und Mitwuͤrker des menſchli-
chen Elends, kann ſie gelaſſen anſehen.
K 5Der
[154]
Der Teufel und Fauſt ritten unter Ge-
ſpraͤchen an der Fulda hin, als ſie unter
einem Eichbaum, nahe bey einem Dorfe,
ein Bauerweib mit ihren Kindern ſitzen ſa-
hen, die lebloſe Bilder des Schmerzes und
der ſtumpfen Verzweiflung zu ſeyn ſchienen.
Fauſt, den die Thraͤnen eben ſo gut wie die
Freude anzogen, nahte ſich haſtig, und
fragte die Elenden um die Urſach ihrer
Noth. Das Weib ſah ihn lange ſtarr an.
Nur nach und nach thaute ſein freundlicher
Blick ihr Herz ſo weit auf, daß ſie ihm un-
ter Thraͤnen und Schluchzen folgendes mit-
theilen konnte:
„In der ganzen Welt iſt niemand ungluͤck-
„licher als ich und dieſe arme Kinder.
„Mein Mann war dem Fuͤrſt Biſchof ſeit
„drey Jahren die Gebuͤhren ſchuldig. Das
„erſte Jahr konnte er ſie wegen Mißwachs
„nicht bezahlen; das zweyte fraßen die wil-
„den Schweine des Biſchofs die Saat auf,
„und das dritte gieng ſeine Jagd uͤber unſre
„Felder, und verwuͤſtete die Erndte. Da
der
[155] „der Amtmann meinen Mann beſtaͤndig mit
„Pfaͤndung bedrohte, ſo wollte er heute ein
„gemaͤſtetes Kalb mit dem lezten Paar Och-
„ſen nach Frankfurth fuͤhren, ſie zu verkau-
„fen, um die Gebuͤhren zu bezahlen. Als
„er aus dem Hofe fuhr, kam der Haushof-
„meiſter des Biſchofs, und verlangte das
„Kalb fuͤr die fuͤrſtliche Tafel. Mein Mann
„ſtellte ihm ſeine Noth vor, bat ihn, die
„Ungerechtigkeit zu bedenken, daß er das
„Kalb fuͤr nichts hingeben ſollte, das man
„ihm in Frankfurth theuer bezahlen wuͤrde.
„Der Haushofmeiſter ſagte: er wiſſe doch
„wohl, daß kein Bauer etwas uͤber die
„Graͤnze fuͤhren duͤrfte, was ihm anſtuͤnde.
„Der Amtmann kam mit den Schergen da-
„zu, anſtatt meinem Manne beyzuſtehen,
„ließ er die Ochſen ausſpannen, der Haus-
„hofmeiſter nahm darauf das Kalb, mich
„trieben die Schergen mit den Kindern von
„Haus und Hof, und mein Mann ſchnitt
„ſich in der Scheune aus Verzweiflung der
„Hals ab, waͤhrend ſie unſer Haab und
„Guth
[156] „Guth wegfuͤhrten. Da ſeht den Ungluͤck-
„lichen unter dieſem Tuche! Wir ſitzen hier
„ſeinen Leichnam zu bewachen, damit ihn
„die wilden Thiere nicht freſſen, denn der
„Pfarrer will ihn nicht begraben.“
Sie riß das weiſſe Tuch von der Leiche
weg, und ſank zu Boden. Fauſt fuhr bey
dem ſchrecklichen Anblick zuruͤck. Dicke
Thraͤnen draͤngten ſich aus ſeinen Augen,
er rief: „Menſchheit! Menſchheit! iſt dies
„dein Loos?“ zum Himmel. „Ließeſt
„du dieſen Ungluͤcklichen darum gebohren
„werden, daß ihn ein Diener deiner Reli-
„gion durch Verzweiflung zum Selbſtmord
„treibe?“ Er deckte den Ungluͤcklichen zu,
warf der Frau Gold hin, und ſagte: „Ich
„gehe zum Biſchof, ich will ihm eure un-
„gluͤckliche Geſchichte erzaͤhlen, er muß eu-
„ren Mann begraben, euch das Eurige zu-
„ruͤckgeben, und die Boͤſewichter be-
„ſtrafen.“
Dieſe Geſchichte machte einen ſo ſtarken
Eindruck auf ihn, daß ſie ſchon an dem bi-
ſchoͤf-
[157] ſchoͤflichen Schloße waren, bevor er ſeiner
Empfindung Luft machen konnte. Man
nahm ſie ſehr gut auf, und lud ſie zur Ta-
fel. Der Fuͤrſt Biſchof war ein Mann in
ſeinen beſten Jahren, und ſo ungeheuer dick,
daß das Fett ſeine Nerven, ſein Herz und
ſeine Seele ganz uͤberzogen zu haben ſchien.
Er fuͤhlte nirgends als bey Tiſche, hatte nur
Sinn auf der Zunge, und kannte kein an-
dres Ungluͤck, als wenn eine von ihm ange-
ordnete Schuͤſſel nicht gerieth. Seine Ta-
fel war ſo gut beſetzt, daß Fauſt, dem der
Teufel durch dienſtbare Geiſter einigemal
hatte auftiſchen laſſen, geſtehen mußte, ein
Biſchof uͤbertraͤfe ſelbſt dieſen Tauſendkuͤnſt-
ler an feinem Geſchmack. Auf der Mitte
des Tiſches ſtund unter andern ein großer
fetter Kalbskopf, ein Lieblingsgericht des
Biſchofs. Er, der mit Leib und Seele bey
Tiſche war, hatte noch nicht geſprochen.
Auf einmal erhub Fauſt ſeine Stimme:
„Gnaͤdiger Herr, nehmt mir nicht uͤbel,
„wenn ich euch die Eßluſt verderben muß;
„aber
[158] „aber es iſt mir gar nicht moͤglich, dieſen
„Kalbskopf da anzuſehen, ohne euch eine
„ſchreckliche Geſchichte zu erzaͤhlen, die ſich
„heute ganz nahe bey eurem Hoflager zuge-
„tragen hat. Auch hoffe ich von Eurer
„Gerechtigkeit und chriſtlichen Milde, daß
„ihr den Beleidigten Genugthuung ver-
„ſchaffen, und in Zukunft dafuͤr ſorgen
„werdet, daß eure Angehoͤrigen die Menſch-
„heit nicht mehr auf eine ſo unerhoͤrte Art
„verletzen.“
Der Biſchof ſah verwundernd auf, blick-
te Fauſten an, und leerte ſeinen Becher aus.
Fauſt erzaͤhlte mit Waͤrme und Nach-
druck die obige Geſchichte, keiner der Anwe-
ſenden ſchien darauf zu horchen; der Bi-
ſchof aß fort.
Fauſt. Mich duͤnkt doch, ich rede hier zu
einem Biſchof, einem Hirten ſeiner Heerde,
und ſitze mit Lehrern und Predigern der Re-
ligion und chriſtlichen Liebe zu Tiſche. Herr
Biſchof ſeyd Ihr es oder nicht?
Der
[159]
Der Biſchof ſah ihn verdrießlich an, ließ
den Haushofmeiſter rufen, und fragte ihn:
„He, was iſt denn das mit dem Bauern da,
„der ſich wie ein Narr den Hals abge-
„ſchnitten hat?“
Der Haushofmeiſter laͤchelte, erzaͤhlte die
Geſchichte wie Fauſt, und ſezte hinzu: „Ich
„habe ihm darum das fette Kalb genom-
„men, weil es eine Zierde eurer Tafel, und
„fuͤr die Frankfurther, denen er’s verkau-
„fen wollte, zu gut iſt. Der Amtmann
„hat ihn gepfaͤndet, weil er immer ein ſchlech-
„ter Wirth war, und ſeit drey Jahren ſei-
„ne Gebuͤhren nicht bezahlt hat. So ver-
„haͤlt ſich’s gnaͤdiger Herr, und wahrlich
„kein Bauer ſoll mir etwas Gutes aus dem
„Lande fuͤhren!“
Biſchof. Da haſt du recht. — zu
Fauſt. Was wollt ihr nun? Ihr ſeht doch,
daß er wohlgethan hat, dem Bauer das
Kalb zu nehmen; oder meint ihr, die Frank-
further Buͤrger ſollten die fetten Kaͤlber
meines Landes freſſen, und ich die magern?
Fauſt
[160]
Fauſt wollte reden.
Biſchof. Hoͤrt Ihr eßt, trinkt undſchweigt.
Ihr ſeyd der erſte, der an meiner Tafel von
Bauern und ſolchem Geſindel ſpricht, und
wenn euch euer Rock nicht zum Edelmann
machte, ſo muͤßt ich denken, ihr ſtammt
von Bettlern her, weil ihr ihnen ſo laut
das Wort redet. Wißt, ein Bauer der ſei-
ne Gebuͤhren nicht bezahlen kann, thut eben
ſo wohl, daß er ſich den Hals abſchneidet,
als gewiſſe Leute thun wuͤrden zu ſchwei-
gen, wenn ſie einem die Eßluſt mit unnuͤ-
tzem Gerede verderben. — Haushofmeiſter,
dies iſt ein vortreflicher Kalbskopf —
Haushofmeiſter. Es iſt eben der von
Hans Ruprechts Kalbe.
Biſchof. So! So! Gieb ihn her, und
reiche mir die Wuͤrze. Ich will ihm ein
Ohr herunter ſchneiden — er wird auch
dem Schreyer dort ſchmecken.
Der Haushofmeiſter ſtellte die Schuͤſſel
vor den Biſchof. Fauſt raunte dem Teufel
etwas in’s Ohr, und in dem Augenblick,
da
[161] da der Biſchof das Meſſer an den Kalbs-
kopf ſetzte, verwandelte ihn der Teufel in
den Kopf Ruprechts, der wild, graͤßlich
und blutig dem Biſchof in die Augen ſtarr-
te. Der Biſchof ließ das Meſſer fallen,
ſank ruͤcklings in Ohnmacht, und die ganze
Geſellſchaft ſaß da in lebloſer Laͤhmung des
Schreckens.
Fauſt. Herr Biſchof, und ihr geiſtliche
Herren, laßt euch nun dieſen da chriſtliche
Milde vorpredigen!
Er brach mit dem Teufel auf.
2.
Die Unempfindlichkeit des Fuͤrſt Biſchofs
und ſeiner Tiſchgenoſſen, die Fauſt bey der
Erzaͤhlung dieſer traurigen Geſchichte wahr-
nahm, die Art, wie dieſer uͤber das Schick-
ſal dieſes Ungluͤcklichen entſchied, legte den
erſten Saamen zum finſtern Groll in ſein
Herz. Er lief in ſeinem Geiſte ſeine vori-
ge Erfahrung, und das was er, ſeitdem er
mit dem Teufel herumzog, geſehen, durch,
Fauſts Leben. Lund
[162] und entdeckte, wohin er ſich wandte, nichts
als Haͤrte, Betrug, Gewaltthaͤtigkeit, und
Bereitwilligkeit zu Laſtern und Verbrechen,
um des Golds, des Emporſteigens und der
Wolluſt willen. Noch wollte er die Urſa-
che dazu in dem Menſchen ſelbſt ſuchen; aber
ſein unruhiger, zu Zweifeln geneigter Geiſt,
ſeine Einbildungskraft die ſo gern uͤber die
naͤhern Verhaͤltniſſe wegflog, ſein erbitter-
tes, heftig theilnehmendes Herz, fiengen ſchon
jezt an, in dunklen Gefuͤhlen den Schoͤpfer
der Menſchen, wo nicht zum Urheber, doch
wenigſtens durch ſeine Duldung zum M[i]t-
ſchuldigen alles deſſen zu machen, was ihm
empoͤrendes aufſtieß. Dieſe dunkle Empfin-
dungen brauchten nur einen ſtaͤrkern Stoß,
um ſeinen Verſtand zu verwirren, und der
Teufel freute ſich darauf, die Veranlaſſung
darzu in der Ferne wahrzunehmen. Fauſt
hoffte ſich bald an dem Hof des beruͤhmten
Fuͤrſten von dieſem Mißmuth zu heilen, und
in dieſem Wahn ließ ihn ſein Gefaͤhrte ſehr
gerne.
Sie
[163]
Sie kamen gegen Abend in eine Stadt
wo ſie bey dem Einritt eine Menge Volks
um einen Thurm verſammelt fanden, in
welchem man die zum Tod Verurtheilten,
die lezte Nacht ihres Lebens zu bewachen
pflegte. Fauſt merkte, daß einige wild,
andre geruͤhrt hinauf ſahen, und erkundigte
ſich um den Grund dieſer Aeußerungen. Das
Volk ſchrie untereinander:
„Unſer Vater, der Freund der Freiheit,
„der Beſchuͤtzer des Volks, der Raͤcher der
„Unterdruͤckung, der Doktor Robertus ſizt
„da oben! der harte, tyranniſche Miniſter,
„ſein Freund, hat ihn zum Tod verdammt,
„und Morgen ſoll er hingerichtet werden,
„weil er uns gegen ihn ſo kuͤhn verthei-
„digt hat.“
Dieſe Worte fielen in die Seele Fauſts.
Er faßte eine hohe Meinung von dem Man-
ne, der ſich auf Gefahr ſeines Lebens, zum
Raͤcher der Menſchen aufgeworfen; und da
er ſo eben ein Augenzeuge der Folgen tyran-
niſcher Gewaltthaͤtigkeit geweſen war, ſo
L 2for-
[164] forderte er den Teufel ſchnell auf, ihn zu
dieſem Doktor zu bringen. De[r] Teufel
fuͤhrte ihn ſeitwaͤrts, ſchwang ſich mit ihm
auf den Thurm, und trat mit ihn in das
Gefaͤngniß des Raͤchers der Freihei[t]. Fauſt
ſah da einen Mann vor ſich, deſſen ſtolze,
kuͤhne, duͤſtre Geſichtsbildung jeden andern
als ihn, zuruͤckgeſtoßen haͤtte; aber es that
eine ganz andre Wuͤrkung auf ihn, und da
er ihn in dieſem entſcheidenden Augenblick
ruhig und gelaſſen fand, ſo ſezte ſeine ra-
ſche Einbildungskraft aus dem was er ge-
hoͤrt hatte, und was er vor ſich ſah, beym
erſten Blick das Bild eines großen Mannes
zuſammen. Der Doktor ſchien uͤber ihre
ploͤtzliche Erſcheinung gar nicht betroffen.
Fauſt nahte ſich ihm und ſagte:
„Doktor Robertus, ich komme eure Ge-
„ſchichte aus eurem eignen Munde zu hoͤ-
„ren, nicht als wenn ich daran zweifelte,
„denn euer Anblick beſtaͤtigt das, was ich
„vernommen habe. Ich bin nun g[e]wiß,
„daß ihr als ein Opfer der Gewalt fallt, die
„das
[165] „das Menſchengeſchlecht unterjocht, und
„die mich ſo wie euch empoͤrt. Ich komme
„euch meine Dienſte anzubieten, die euch
„gegen allen Schein, aus dieſer traurigen
„Lage retten koͤnnen.“
Der Doktor ſah ihn kalt an, ließ ſein
Haupt in ſeine Hand fallen, und antwortete:
„Wohl falle ich als ein Opfer der Ge-
„walt und Tyranney, und was mir das
„empfindlichſte iſt, durch die Hand eines
„falſchen Freundes, der mich mehr ſei-
„ner Furcht, ſeinem Neide, als ſeinen de-
„ſpotiſchen Grundſaͤtzen aufopfert. Ich
„weiß nicht, wer ihr ſeyd, und ob ihr mich
„retten koͤnnt; aber es liegt mir daran,
„daß Maͤnner von eurem Anſehen den Dok-
„tor Robertus kennen lernen, der Morgen
„fuͤr die Freiheit blutet. Von fruͤhſter Ju-
„gend lebte der Geiſt edler Unabhaͤngigkeit,
„dem der Menſch allein das Große, deſſen
„er faͤhig iſt, zu danken hat, in meiner
„Bruſt. Fruͤh empoͤrten meine Seele die
„Gewalt und Unterdruͤckung, wovon ich
L 3„Be-
[166] „Beweiſe ſah, und in der Geſchichte las;
„ja bis zur Wuth entflammten ſie mich,
„und oft vergoß ich gluͤhende Thraͤnen, daß
„ich mich unvermoͤgend fuͤhlte, die Leiden
„der Menſchheit zu raͤchen; zu meiner
„Quaal erfuhr ich aus der Geſchichte der
„edlen Griechen und Roͤmer, welche große
„Anſpruͤche der Menſch auf Wuͤrde und Ach-
„tung hat, wenn ihn die Tyrannen das
„ſeyn laſſen, wozu ihn die Natur gemacht
„hat. Glaubt darum nicht, ich ſey einer
„der Thoren, welche die Freiheit dahinein
„ſetzen, daß jeder thun kann was ihm ge-
„faͤllt. Wohl weiß ich, daß die Kraͤfte des
„Menſchen verſchieden ſind, und ihre Lage
„im buͤrgerlichen Leben beſtimmen muͤſſen;
„aber da ich mich nach Geſetzen umſah, die
„einem jeden dieſe Lage, ſein Gut und ſeine
„Perſon ſicherten, ſo fand ich nichts als
„ein wildes Chaos, das tyranniſche Ge-
„walt gefliſſentlich zuſammengemiſcht hat,
„um ſich zum eigenmaͤchtigen Herrn des
„Gluͤcks und des Daſeyns der Unterthanen
„zu
[167] „zu machen. Nach dieſer Entdeckung ſchien
„mir das ganze Menſchengeſchlecht eine
„Heerde zu ſeyn, gegen die ſich eine Bande
„Raͤuber verſchworen hat, ſie nach von
„ihnen, nur zu ihrem eignen Vortheil ent-
„worfnen Geſetzen zu pluͤndern und zu wuͤr-
„gen, ohne daß ſie ſelbſt eins erkennen.
„Denn wo iſt das Geſetz das die Herrſcher
„der Erde feſſelt? Iſt es nicht Unſinn, daß
„eben diejenigen, die ihre Macht dem Miß-
„brauch der Leidenſchaften und des Ueber-
„muths am meiſten ausſetzt, keinem Geſetz
„unterworfen ſind, und keinen Richterſtuhl
„anerkennen, der ſie zur Verantwortung
„ziehen koͤnnte? Wollt ihr den Himmel da-
„fuͤr annehmen, meinetwegen, ſie ſtehen ſich
„gut dabey, er ſcheint taub gegen das
„Winſeln der Elenden, der Jammer iſt nah,
„die verſprochne Rache ferne, und dies reimt
„ſich ſchlecht mit dem Gefuͤhl und der Na-
„tur des Menſchen.“
Fauſt faßte dieſes ſtark auf, blickte
duͤſter, und ſtrich uͤber ſeine Stirne.
L 4Den
[168] Den Teufel ergoͤzte der Redner, er fuhr
fort:
„Der wilde Ungeſtuͤm, den ich nach die-
„ſer Entdeckung aͤußerte, macht meinem Her-
„zen Ehre, und ich kuͤmmre mich wenig da-
„rum, daß meine Feinde meine Klugheit an-
„taſten. Denn was anders heißt den Men-
„ſchen Klugheit, als blinde Unterwerfung,
„Niedertraͤchtigkeit, Schmeicheley, Gleich-
„guͤltigkeit daruͤber, wie man einen Poſten
„erſchleicht, wenn man nur dahingelangt,
„mit zu unterdruͤcken und mit zu pluͤndern?
„Nur dieſes nennen ſie klug ſeyn, aber ein
„Mann wie ich, ſucht das Gluͤck auf rei-
„nern Wegen. Mein Ungluͤck war, daß
„ich mit dem jezigen Miniſter von der Schu-
„le an aufs innigſte verbunden war. Er
„beſizt den Geiſt, der dazu gehoͤrt, empor
„zu kommen, von fruͤhſter Jugend ſuchte er
„durch mir entgegengeſetzte Grundſaͤtze Auf-
„ſehn zu machen, und vertheidigte in eben
„dem Maaße die tyranniſche Regierungs-
„formen, als ich ſie antaſtete. Wir ſtrit-
„ten
[169] „ten uͤber dieſen kitzlichen Punkt geheim und
„oͤffentlich, ich ſchlug ihn mit meiner Bered-
„ſamkeit uͤberall nieder, aber wenn es na-
„tuͤrlich war, daß ich den unterdruͤckten
„Theil der Menſchheit auf meine Seite zog,
„ſo war es noch natuͤrlicher, daß es ihm ge-
„lingen mußte, alle die zu gewinnen, deren
„Vortheil die Unterjochung der Menſchen
„iſt. Da es nun eben dieſe ſind, die ihren
„Mitverſchwornen die Thuͤre zum Gluͤck und
„den Ehrenſtellen oͤffnen, ſo ward er bald
„hervorgezogen, ſtieg von Stufe zu Stufe
„bis zur Stelle des Erſten im Lande, waͤh-
„rend ich vernachlaͤßigt, verkannt und ver-
„achtet ſitzen blieb. Der Stolze wandte
„alle Mittel an, mich an ſich zu ziehen,
„trug mir bald dieſe, bald jene Stelle an;
„aber ich merkte wohl, daß er mir dadurch
„nur ſeine Groͤße fuͤhlbarer machen wollte,
„und daß ſeinem Triumph nun weiter nichts
„mehr abgienge, als daß ein Mann von
„meinen Grundſaͤtzen ihn als Beſchuͤtzer er-
„kennte, und oͤffentlich ſeine harte Regie-
L 5„rung
[170] „rung durch ſeinen Beytritt heiligte. Ue-
„berdem wollte mich der Liſtige dem Volk,
„das an mir hieng, immer verdaͤchtiger ma-
„chen. Ich aber, meinen Grundſaͤtzen ge-
„treu, griff ſeine Fehler bey jeder Stufe,
„die er ſtieg, um ſo heftiger an. Ihr
„ſeht wohl, daß ihm, wenn er faͤhig waͤre
„groß zu fuͤhlen, dieſer edle Kampf Bewun-
„drung fuͤr den haͤtte einfloͤßen muͤſſen, der
„ihn mit ſo vieler Gefahr fuͤr ſich unter-
„nahm. Auf ihn that es eine andre Wuͤr-
„kung. Sein Haß gegen mich nahm bey
„jeder meiner Aeußerungen zu, und da ich
„ihn in einer Schrift vergangnen Monat
„ſehr heftig angriff, worauf ſich das Volk
„vor ſeinem Hauſe verſammelte, ihm droh-
„te, und meinen Namen laut ausrief, ſo
„legte er dieſe Schrift vor den Fuͤrſten, der
„ein Gericht niederſezte, das mich zum Tod
„verdammt hat. So verurtheilt das Ge-
„ſetz der Tyrannen; aber das Recht der
„Menſchheit ſpricht mich los. Dieſes iſt
„meine Geſchichte, und weiter ſollt ihr nichts
„von
[171] „von mir hoͤren. Ich ſterbe ohne Klage,
„und bedaure nichts, als daß ich die Kette
„nicht zerbrechen kann, woran das Men-
„ſchengeſchlecht gefeſſelt iſt. Koͤnnt ihr hel-
„fen, gut; doch wißt, aus meines Feindes
„Hand iſt mir der Tod willkommner, als
„Gnade. Laßt mich nun ruhig, kehrt in
„die Sklaverey zuruͤck, ich ſchwinge mich
„zur Freyheit auf!“
Fauſt war ganz durchdrungen von der
Groͤße des Doktors, und machte ſich ſchnell
auf den Weg, dieſen Miniſter zu ſprechen,
ihm ſeine Ungerechtigkeit vorzuwerfen, und
ihn zu beſchaͤmen. Der Teufel, der tiefer
ſah, merkte wohl, daß der Freiheitsſinn des
Doktors aus einem ganz andern Gefuͤhl ent-
ſtanden war. Der Miniſter ließ ſie gleich
vor. Fauſt ſprach warm, kuͤhn und frey
uͤber die Lage und Denkart des Doktors.
Stellte ihm vor, „wie nachtheilig es ſeinem
„Ruhme ſey, einen Mann, den er einſt ſei-
„nen Freund genannt, dem Deſpotiſmus zu
„opfern.“ Gab ihm zu verſtehen, „daß je-
„dermann
[172] „dermann glauben muͤßte, es reizten ihn
„Privatrache und Furcht, ſich von einem ſo
„hellſehenden Beobachter ſeiner Thaten zu
„befreyen. Iſt euer Thun gerecht,“ ſetzte er
hinzu, „ſo habt ihr ihn nicht zu fuͤrchten;
„ſeyd ihr der Mann, wofuͤr er euch aus-
„giebt, ſo beſtaͤrkt ihr durch ſeine Hinrich-
„tung ſeine Meinung, und jeder wird in
„euch nichts ſehen, als einen falſchen eifer-
„ſuͤchtigen Freund, und den Unterdruͤcker
„ſeiner Mitbuͤrger.“
Miniſter. Ich kenne euch nicht, und fra-
ge auch nicht wer ihr ſeyd. Wie ich denke,
mag euch die Art beweiſen, mit welcher
ich eure Zudringlichkeit, eure Vorwuͤrfe
und Beſchuldigungen aufnehme. Fuͤhlt
ſelbſt, ob ihr ein Recht dazu habt, da
ihr mir ſie auf bloßes Hoͤrenſagen macht,
und von der Lage dieſes Landes nicht un-
terrichtet ſeyd. Ich will denken, nur Mit-
leid ſpricht aus euch, und darum euch ant-
worten. Ich war und bin ein Freund des
Doktor Robertus, und bedaure es, daß ich
in
[173] in ihm einen Mann der Gerechtigkeit uͤber-
liefern muß, der durch ſeine Eigenſchaften
ſeinem Vaterlande haͤtte nuͤtzlich ſeyn koͤnnen,
wenn es ihm nicht gefallen haͤtte, ſie zu deſ-
ſen Untergang anzuwenden. Ich will nach
dem Grund zu dieſer Verirrung nicht in
ſeinen Buſen greifen, und es ſeinem eignen
Gewiſſen uͤberlaſſen. Lange hatte ich Ge-
duld mit ſeinem gefaͤhrlichen Wahnſinn; da
er aber das Volk aufwiegelte, fuͤr deſſen
Beſtes ich zu ſorgen habe, und ſich zum
Haupt einer Empoͤrung aufwarf, ſo muß
er ſterben, wie es mein einziger Sohn muͤßte,
wenn er ein gleiches unternehmen ſollte.
Das Geſetz hat ihn verurtheilt, nicht ich,
er kennt dieſes Geſetz, und weiß welche Fol-
gen Empoͤrung nach ſich zieht. Das Ur-
theil der Welt nehme ich auf mich, und ha-
be nichts dagegen zu ſetzen, als die Ruhe
und das Gluͤck dieſes Volks, das es ſpaͤter
erkennen wird, daß nur ich ſein Vater bin.
Wenn es euch nicht genug iſt, dem erſten
Eindruck zu folgen, ſo verweilet hier, und
wenn
[174] wenn ihr mir dann mit mehrerer Beſcheiden-
heit etwas zu ſagen wißt, das dieſem Volke
und mir nutzen kann, ſo ſteht euch mein
Ohr immer offen.“
Nach dieſen Worten, die er mit feſtem
und unverſtelltem Tone ausſprach, zog er
ſich zuruͤck, und ließ Fauſten, der keine Ant-
wort ſogleich finden konnte, ſtehen. Die-
ſer ſagte beym Weggehen zu dem Teufel:
„Welchem von beyden ſoll ich nun glauben?“
Der Teufel zuckte die Schultern, denn da,
wo es ihm fuͤr die Hoͤlle nuͤtzlich, nachthei-
lig fuͤr Fauſten und die Menſchen ſchien,
wollte er nichts zu wiſſen ſcheinen.
Fauſt. Daß ich doch dich frage! Ich will
dem Rufe meines Herzens folgen; ein ſolcher
Mann, der mir ſo nah durch ſeine Denkart
verwandt iſt, ſoll nicht ſterben!
Haͤtte Fauſt unſre junge Freiheitsſchrei-
er gekannt, er wuͤrde ſich in dem Doktor
Robertus nicht geirrt haben; aber ihm war
die Erſcheinung neuer als uns.
Mor-
[175]
Morgens da die Hinrichtung vor ſich ge-
hen ſollte, begab ſich Fauſt mit dem Teufel
nach dem Markte, und unterrichtete ihn im
Gehen von ſeinem Willen. In dem Augen-
blick, als der Henker dem Doktor, der mit
wilder Miene niederkniete, das Haupt ab-
ſchlagen wollte, verſchwand dieſer. Der
Teufel fuͤhrte ihn durch die Luft uͤber die
Graͤnze, ſtellte ihm auf Fauſts Befehl eine
große Summe Gelds zu, und uͤberließ ihn
freudig ſeinem Geſchicke, denn er ſah vor-
aus, wozu er dieſes und ſeine Freiheit an-
wenden wuͤrde. Das Volk erhub ein Freu-
dengeſchrey bey dem Verſchwinden des Dok-
tors, glaubte, Gott ſelbſt beſchuͤtze ſeinen
Liebling, Fauſt ſchrie mit, und freute ſich
der ſchoͤnen That.
3.
Fauſt und der Teufel ritten nun nach
dem Hofe des Fuͤrſten von ***. Nicht aus
Furcht verſchweige ich die Namen der teut-
ſchen Fuͤrſten und Großen, die in dieſem
Werk
[176] Werk auftreten, *) ſondern weil die gehei-
men, von mir entdeckten Triebfedern ihrer
Handlungen, zu oft mit ihren luͤgneriſchen,
ſchmeichleriſchen und unwiſſenden Geſchicht-
ſchreibern, im Widerſpruch ſtehen, und die
Menſchen, die ſich ſo gerne betruͤgen laſſen,
an der Aechtheit meiner geheimen Entdeckun-
gen zweifeln moͤchten. Welcher Hercules
kann den Schutt ausraͤumen, den die Ge-
ſchichtſchreiber zuſammengetragen haben?
Sie erreichten bald den Hof dieſes Fuͤr-
ſten, der als ein Muſter eines klugen, tu-
gendhaften, gerechten Regenten, als ein
Vater ſeiner Unterthanen in ganz Teutſch-
land ausgeſchrien war. Seine Untertha-
nen ſelbſt wollten freylich nicht immer in
dieſen Ton mit einſtimmen; aber der Fuͤrſt
ſoll noch gebohren werden, der es allen recht
macht.
[177] macht. Ein Gemeinſpruch der Politik, der,
wie alle Gemeinſpruͤche, oͤfterer dazu dient,
den ſchlechten Fuͤrſten ſchlechter zu machen,
als dem Guten ſein ſchweres Amt im rechten
Geſichtspunkt zu zeigen.
Fauſt und der Teufel fanden durch ihren
Aufwand und ihr Betragen bald Eingang am
Hofe. Fauſt ſah den Fuͤrſten mit den Au-
gen eines Mannes an, deſſen Herz durch
das Vorurtheil ſchon geſtimmt war; dieſes
Vorurtheil nun bis zur Ueberzeugung zu
treiben, erforderte es vielleicht weniger, als
das edle Aeußere des Fuͤrſten. Er ſchien
oder war grad und offen. Suchte zu ge-
fallen, und die Herzen zu gewinnen, ohne
es merklich zu machen, war vertraulich, oh-
ne ſich etwas zu vergeben, und beſaß jene
kluge Kaͤlte, die Ehrfurcht einfloͤßt, ohne
daß man ſich die Urſache davon deutlich an-
zugeben weiß, und ohne daß man einen ſtar-
ken Trieb fuͤhlt, ihr nachzuſpuͤren. Die-
ſes alles war mit ſo viel Wuͤrde, Feinheit
und Anſtand umhuͤllt, daß es dem geuͤbte-
Fauſts Leben. Mſten
[178] ſten Auge ſchwer fiel, das Erlernte, Erkuͤn-
ſtelte und Erworbene, von dem Natuͤrlichen
zu unterſcheiden. Fauſt, der noch wenige
Weltleute geſehen hatte, die ihren natuͤrli-
chen Charakter an der politiſchen Klugheit
abgerieben haben, ſezte ſich aus obigem ein
Ideal zuſammen, und nachdem er einige
Zeit den Hof beſucht, und die Hauptperſo-
nen deſſelben, alle gefaßt zu haben glaubte,
ſo fiel eines Abends zwiſchen ihm und dem
Teufel folgendes Geſpraͤch vor:
Fauſt. Ich habe dir dieſe Tage vorſetz-
lich nichts von dieſem Fuͤrſten ſagen wollen;
aber nun, da ich mir ſchmeichle, ihn gefaßt
zu haben, wage ich es, mit Zuverſicht zu
behaupten, daß das Geruͤcht kein Luͤgner iſt,
und ich hoffe dir das Geſtaͤndniß abzuzwin-
gen, er ſey, was wir ſuchen.
Teufel. Fauſt, ich merke ſchon, wo du
hinaus willſt, und du giebſt dem Teufel ei-
ne ſonderbare Beſtimmung; doch hiervon
ein andermal. Dein Fuͤrſt da, iſt nun frey-
lich ein ganzer Mann; ich werde dir auch
nichts
[179] nichts von meinen Bemerkungen uͤber ihn
ſagen, denn wie ich dieſen Abend bey dem
Miniſter ausgeſpaͤht habe, ſo iſt etwas auf
dem Wege, das dich anſchaulich von ſeinem
Werthe uͤberzeugen wird; bis dahin halte
das Ideal von ihm warm in deinem Buſen,
und ſage mir, was haͤltſt du von dem Grafen
C ***, ſeinem Guͤnſtling?
Fauſt. Verwuͤnſcht! dies iſt der einzige
Umſtand, mit dem ich nicht fertig werden
kann. Er iſt ſein Buſenfreund, und doch
ſo glatt wie ein Aal, der dir immer ent-
wiſcht, und ſo geſchmeidig wie ein Weib
gegen ihren Mann, wenn ſie auf Ehebruch
ſinnt. Indeſſen gehoͤrt dies vielleicht zu
ſeiner Lage, ſein Inneres ſo zu verdecken
und zu uͤbertuͤnchen, daß keiner von denen,
die ſich ſo gern an beguͤnſtigte Große haͤn-
gen, an etwas faſſen ſoll.
Teufel. Sein Inneres? Glaubſt du,
Fauſt, der Mann, der ſo muͤhſam arbeitet,
ſich zu verbergen, habe ein Inneres, das
das Licht vertraͤgt? Traue dem Menſchen
M 2nicht,
[180] nicht, in dem Kunſt, Verſtand, und Inte-
reſſe, das Thieriſche ſeiner Natur ſo unter-
jocht und verduͤnſtet haben, daß ſo gar die
Zeichen ſeines Inſtinkts und ſeiner Sinn-
lichkeit verloſchen ſind. Wenn das, was
in euch kocht und arbeitet, ſich nicht mehr
auf eurer Stirne, in euren Augen und Be-
wegungen zeigt, ſo ſeyd ihr eurer Natur
entſprungen, und werdet die gefaͤhrlichſten
Thiere der Erde; Mißgeburten, die die
uͤberfeine Kultur des Verſtandes mit der lez-
ten Aufwallung der Wolluſt zeugt.
Fauſt. Wie, ſo waͤre es nicht einmal Ver-
ſtellung?
Teufel. Da haͤtteſt du noch etwas vor
dir; denn auch eine Maske hat Bedeutung,
und man entraͤthſelt den Vermummten an
Gang, Stimme, Athemholen und Gewohn-
heiten. Nein, Fauſt, dieſer da iſt ſo ganz
was er iſt.
Fauſt. Und was iſt er denn im Namen
der Hoͤlle?
Teufel.
[181]
Teufel. Ein Mann der viel gereiſt und
die Welt geſehen hat. Der an den Hoͤfen
Europas herumgezogen iſt, den rohen Men-
ſchen abgeglaͤttet, und die Gefuͤhle des Her-
zens an dem kalten Lichte des Verſtandes
verſengt hat; kurz einer der ausgebildeten
Koͤpfe, die alle Verbindung zwiſchen Geiſt
und Herz zertruͤmmern, eurer eingebildeten
Tugend lachen, und mit den Menſchen um-
gehen wie der Toͤpfer, der das Werk ſeiner
Haͤnde zu den Scherben wirft, wenn es ſei-
ner Laune nicht entſpricht. Er iſt einer
von denen, die ſich durch ihre Erfahrung
berechtigt glauben, die Menſchen ſammt und
ſonders als ein Pack Raubgeſindel zu be-
trachten, die den auffreſſen, der ihnen edlen
Inſtinkt zutraut. Nichts freut ihn, als
ein fein entworfner, gluͤcklich ausgefuͤhrter
Hofſtreich, und er genießt eines Maͤdchens
wie einer Roſe, die er vom Stock abbricht,
beriecht, und dann gleichguͤltig mit Fuͤßen
tritt.
M 3Fauſt.
[182]
Fauſt. Haͤmiſcher Teufel, und der Mann
den du da mahlſt, koͤnnte der Buſenfreund
des Fuͤrſten von *** ſeyn?
Teufel. Es wird ſich ſchon zeigen, was
er ihm iſt; ich ſage dir, es iſt etwas auf
dem Wege. Haſt du dieſen Abend den Mi-
niſter bemerkt?
Fauſt. Er ſcheint beklommen und duͤſter.
Teufel. Dies iſt nun einer von den Men-
ſchen, die ihr wackre Maͤnner nennt. Groß-
muͤthig, arbeitſam und gerecht; aber ſo wie
es euch immer geht, ein einziger Gran falſchen
Zuſatzes ſchnellt ſchon die Wage hinauf.
Dieſer iſt bey ihm der Sinn der Zaͤrtlichkeit
fuͤr das andre Geſchlecht, und da er aus
Grundſaͤtzen die Einſeegnung des Prieſters
zu ſeinem Vergnuͤgen braucht, ſo vernarrte
er ſich nach dem Tod ſeiner erſten Gemahlin
in das Weib, das du geſehen haſt. Durch
ſie gab er ſeinen erwachſnen Kindern eine
Stiefmutter, ſeinen Sinnen einen kurzen
Genuß, und zertruͤmmerte das Gebaͤude
ſeines Gluͤcks. Sie nuzte ſeine Verblen-
dung,
[183] dung, verpraßte durch Ueppigkeit, Putz und
Spiel, ihr, ſein und ſeiner Kinder Vermoͤ-
gen, und verwickelte ihn noch obendrein in
ungeheure Schulden. Es iſt wahr, ſie
nahm in dem Baron H ***, den du geſe-
hen haſt, und der eigentlich Herr im Hauſe
iſt, einen arbeitſamen Gehuͤlfen dazu. Da
man ſich nun ganz auf der Neige fuͤhlte, die
Fantaſie immer mehr wuchs, und neue Be-
duͤrfniſſe erſann, je ſchwerer es war die Mit-
tel dazu zu finden, ſo ließ ſich’s endlich die
Mutter gefallen, einem Plan beyzutreten,
den ihr Buhler entwarf: Die Tugend ihrer
Tochter unter einer zweydeutigen Verſiche-
rung auf Vermaͤhlung, ſo theuer an den
Guͤnſtling zu verkaufen, als er ſie kaufen
wollte. Von allem dieſem merkt der Mi-
niſter nichts, fuͤhlt nur die Luͤcke in ſeinem
Vermoͤgen, die Laſt der Schulden, das vol-
le Maas ſeiner Thorheit, und zittert vor der
augenblicklichen Ankunft ſeines Sohns, den
die Mutter aus dem Hauſe trieb, um unge-
ſtoͤhrter ſein Vermoͤgen zu verpraſſen. Er
M 4hat
[184] hat ſich indeſſen in dem Tuͤrkenkriege einen
hoͤlzernen Arm geholt. Auch iſt’s wohl
moͤglich, daß der Guͤnſtling, da der Mi-
niſter viel bey dem Fuͤrſten gilt, anfangs
ernſthafte Abſichten hatte; aber jezt hat ſich
ſeit einigen Tagen die Scene gaͤnzlich geaͤn-
dert. Der Fuͤrſt ſchlug ihm eine Vermaͤh-
lung mit der reichſten Erbin des Landes vor,
und nun bruͤtete er daruͤber, durch einen
kuͤhnen und geheimen Schlag den Miniſter
und ſein ganzes Haus ſo zu zerſchmettern,
daß keiner es wage um Rache zu ſchreyen;
oder ihn anzuklagen. Verſtummen ſollen
ſie, als ſeyen ſie nie geweſen, und der Mi-
niſter ſoll unter ſeiner Sohle hinſterben, wie
der Wurm, deſſen Aechzen euer hartes Ohr
nicht hoͤrt.
Fauſt. Und dieſe That ſollte der Fuͤrſt
nicht raͤchen?
Teufel. Du ſollſt die Entwicklung mit
eignen Augen ſehen.
Fauſt. Ich gebiete dir bey meinem Zorn,
hier keinen deiner Streiche zu ſpielen.
Teufel.
[185]
Teufel. Brauchen die des Teufels, die ihn
durch ihr Thun beſchaͤmen? Fauſt, wir
fangen nur an, die Decke vor dem menſch-
lichen Herzen aufzuheben; es iſt mir aber
doch lieb zu bemerken, daß auch ihr Teutſchen
der Ausbildung faͤhig ſeyd. Freylich borgt
ihr ſie von andern Voͤlkern, und verliert
dadurch den Ruhm der Eigenheit; aber in
der Hoͤlle iſt man daruͤber weg, und haͤlt
ſich an den guten Willen.
4.
Fauſt vertrieb ſich die Zeit mit den Wei-
bern, verfuͤhrte die Hoffraͤuleins und Zofen,
indeſſen das Drama des Guͤnſtlings ſich der
Entwicklung naͤherte. Er ſaß mit dem Ba-
ron H *** zuſammen, und theilte ihm den
fein geſponnenen Entwurf mit. Dieſer ſoll-
te das Werkzeug dazu ſeyn, und da der
Glanz des Goldes den Kitzel der langen
Buhlerey mit der Frau des Miniſters nicht
mehr ſchaͤrfen konnte, uͤberdem die Thraͤnen
der ungluͤcklichen Tochter, der Kummer des
M 5Vaters,
[186] Vaters, die nahe Ankunft des Kruͤpels
von Sohn, ſeinem zarten Gewiſſe[n] anfien-
gen beſchwerlich zu werden, ſo wa[r] er ſehr
geneigt, ſich dieſer Buͤrde auf eine oder die
andre Art zu entledigen. Die B[e]l[o]hnung
gieng, wie unter Leuten die ſich ke[nn]en, na-
tuͤrlich voraus, und beſtund darin, daß der
Graf uͤber ſich nahm, bey dem Fuͤrſten aus-
zuwuͤrken, den Baron in einer wichtigen
Angelegenheit an den Kaiſerlichen Hof zu
ſchicken. Dafuͤr verband ſich der Baron,
die Frau des Miniſters, durch eine Summe
Gelds, die der Graf herſchoß, dahin zu
ſtimmen, ein gewiſſes Papier, das eins der
wichtigſten Documente des fuͤrſtlichen Hau-
ſes enthielt, und deſſen man ſo eben, wegen
einer Streitigkeit mit einem andern fuͤrſtli-
chen Hauſe benoͤthigt war, aus dem Kabi-
net des Miniſters, dem es uͤbergeben war,
daruͤber zu arbeiten, auf eine unmerkliche
Art zu entwenden. Der Graf hofte dann
die Sache ſo zu drehen, daß aller Schein
gegen den Miniſter ſey, als habe er dieſes
Docu-
[187] Document aus Noth, der Gegenparthey
ausliefern wollen, und daß nur ſeine eigne
Wachſamkeit das fuͤrſtliche Haus aus dieſer
Gefahr gerettet haͤtte. Die Gemahlin des
Miniſters glaubte, daß ein Mann, der zu
ihren Thorheiten kein Gold mehr auftrei-
ben koͤnnte, keine Schonung verdiente, und
da ſie ſich immer ſchmeichelte, den Guͤnſt-
ling mehr zu gewinnen, je gefaͤlliger ſie ſich
ihm erzeigte, ſo uͤberlieferte ſie ohne Bedenken
das Papier.
5.
Der Miniſter gieng ſeufzend und einſam
in ſeinem Zimmer auf und ab. Das Ge-
fuͤhl der bevorſtehenden Schande, der Druck
peinlichen Kummers, die Gewißheit betrog-
ner Liebe, hatte auch ſeine Tochter, einſt
ſein einziger Troſt, von ihm entfernt. Sie
weinte verſchloſſen, und zehrte an einem
Herzen, das eines beſſern Schickſals wuͤr-
dig war, ſo dorrt die Lilie im einſamen Tha-
le hin, die eine muthwillige Hand am zar-
ten
[188] ten Stengel gedruͤckt hat. Seine Gemah-
lin unterbrach ſeine duͤſtre Einſamkeit, um
ihm ſein Elend noch fuͤhlbarer zu machen.
Bald darauf trat der Baron herein, und
forderte kalt die Inſtruktion an den Kaiſer-
lichen Hof. Da der Fuͤrſt Befehl dazu er-
theilt hatte, ſo gieng der Miniſter in ſein
Kabinet, um ſie zu holen. Indeſſen hatte
ſeine Gemahlin Zeit, eine Scene der Ver-
zweiflung mit ihrem Buhlen zu raſen. In
dem Augenblick da der Miniſter dem Baron
die Inſtruktion uͤbergab, kam ein Bothe
des Fuͤrſten, mit einem Handbillet, worin
er ihm bedeutete, das Document und ſeine
Ausarbeitung an Hof zu bringen, weil
man beydes dem Abgeſandten der Gegen-
partey vorlegen wollte. Der Miniſter ſuch-
te in ſeinem Kabinet, leerte alle Schraͤnke
aus, kalter Todesſchweiß rann uͤber ſein
Geſicht; er forſchte alle Secretairs und
Schreiber aus, ſein Weib, ſeine Tochter,
umſonſt, er mußte ſich entſchließen, ſich dem
fuͤrchterlichen Sturm, in der Unſchuld ſei-
nes
[189] nes Herzens auszuſetzen. Er trat vor den
Fuͤrſten, der mit dem Grafen allein war, und
kuͤndigte ihm ſein Ungluͤck an, betheuerte ſeine
Unſchuld, und unterwarf ſich ſeinem Schick-
ſal. Der Graf ließ die erſte Empfindung
bey dem Fuͤrſten wuͤrken, trat dann kalt
naͤher, zog das Dokument aus der Taſche,
uͤbergab es dem Fuͤrſten mit einer tiefen
Verbeugung, ließ darauf hart in ſich drin-
gen, wie er dazu gekommen, ließ ſich ſogar
mit Ungnade bedrohen, und geſtund end-
lich mit dem aͤußerſten Widerwillen den Vor-
gang der Sache, nach ſeinem entworfnen
Plane. Der Miniſter verſtummte, der ſpre-
chende Beweis von Schuld verwirrte ihn ſo,
daß ſelbſt das Gefuͤhl ſeiner Unſchuld nicht
durch die Finſterniß dringen konnte, die die-
ſe unerwartete Wendung vor ſeine Sinne
zog. Der Fuͤrſt ſah ihn wuͤthend an, und
ſagte: „Lange konnt ich von Euch erwar-
„ten, daß Ihr endlich die Thorheit Eurer
„Auffuͤhrung durch Verraͤtherey an mir, hei-
„len wuͤrdet.“ Dieſer Vorwurf zog die De-
cke
[190] cke von den Augen des Verſtummten weg;
das Gefuͤhl ſeiner Redlichkeit wollte ſeine
ſtarre Zunge beleben, der Fuͤrſt befahl ihm
zu ſchweigen, ſeine Stelle nieder zu legen,
nach Hauſe zu gehen, und ſich nicht zu ent-
fernen, bis ein Gericht uͤber ihn geſprochen.
Der Ungluͤckliche gieng, dicke Thraͤnen
rollten in ſeinen Bart. Die Verzweiflung
entriß ſeiner Tochter das Geheimniß ihrer
Schande, und der Mutter das Geſtaͤndniß
ihres Verbrechens. Die Kraft ſeines Gei-
ſtes zerſprang, ſeine Sinne verwirrten ſich,
und nur das ſchrecklichſte Schickſal, das
den Menſchen treffen kann, Stumpfheit
und Wahnſinn zogen einen duͤſtern Schleier
vor das Erinnern des Vergangnen, und
heilten durch eine gaͤnzliche Zerſtoͤrung ſein
Herz von den grauſamen Wunden, die ihm
ſeine Naͤchſten geſchlagen.
In dieſem Augenblick fuͤhrte der Teufel
Fauſten in das Zimmer des Miniſters, er
hatte ihn vorher von der ganzen Geſchichte
unterrichtet. Noch hatte die Zerſtoͤhrung
nicht
[191] nicht alle Vorſtellungskraft verdunkelt, alle
Fibern des Gefuͤhls geloͤſt, noch ſtammelte
die Zunge die lezten Empfindungen uͤber das
erlittene Weh, noch traͤufelte der lezte Thau
aus den Augen des Ungluͤcklichen, auf die
elende Tochter, die ſeine Knie umfaßte; die
Verzweiflung und den Tod auf dem Geſich-
te. Er laͤchelte noch einmal — ſpielte
mit ihren heruntergefallnen Haaren, laͤchel-
te noch einmal — ſein Sohn trat herein,
und wollte freudig auf ihn zuſtuͤrzen. Er
ſah ihn ſtarr an, ein wilder Ton der Raſe-
rey, der die Nerven durchbebt, das Herz
durchſchaudert, draͤngte ſich aus ſeiner Bruſt
hervor, und der ſanfte Dulder ward fuͤr
immer ein Gegenſtand des Schreckens und
des peinlichſten Mitleids.
6.
Fauſt wuͤthete und ſtieß fuͤrchterliche Fluͤ-
che aus. Er faßte den Entſchluß, dem
Fuͤrſten den ganzen Vorgang zu entdecken,
und den Betruͤger zu entlarven. Der Teu-
fel
[192] fel laͤchelte, und rieth ihm leiſe zu Werke zu
gehen, wenn es ihm darum zu thun waͤre,
dieſen Fuͤrſten, den er ihm als ein Muſter
menſchlicher Tugend angeprieſen haͤtte, ge-
nau kennen zu lernen. Fauſt eilte ſo ge-
ſtimmt nach Hofe, und ſicher, durch dieſe
Entdeckung den Fall des Guͤnſtlings zu be-
wuͤrken, enthuͤllte er dem Fuͤrſten alles in
kaltem, geſetztem Tone. Als er auf die Ur-
ſache kam, die den Grafen zu dieſer ſcheuß-
lichen That verleitet haͤtte, nehmlich ſich von
der Verbindung mir der Tochter des Mi-
niſters zu befreyen, heiterte ſich das Geſicht
des Fuͤrſten auf, er ließ den Grafen rufen,
umarmte ihn bey dem Eintritt, und ſagte:
„Gluͤcklich iſt der Fuͤrſt, der einen Freund
„findet, der aus Gehorſam, und Furcht
„ihm zu mißfallen, auch wohl einen Streich
„wagt, der die gewoͤhnlichen Regeln der
„Moral ver[l]ezt. Der Miniſter hat immer
„als ein Thor gehandelt, es iſt mir lieb,
„daß ich ſeiner los bin, und du wirſt ſeine
„Stelle kluͤger verſehen.“
Fauſt
[193]
Fauſt ſtund einen Augenblick wie verſtei-
nert, endlich durchgluͤhte edle Waͤrme ſein
Herz. Er mahlte mit ſchrecklichen Farben
die Lage des Miniſters, brach dann in Wuth
und Vorwuͤrfe aus, vergaß ſelbſt der fuͤrch-
terlichen Macht, der er geboth, entbrannte
ganz im Gefuͤhl eines Raͤchers der unter-
druͤckten Menſchheit, der einem kalten Ty-
rannen die Larve abreißt, ſeines Schickſals
unbekuͤmmert. Man entließ ihn als einen
Wahnſinnigen. Der Teufel empfieng ihn
frohlockend, er blieb ſtumm, knirſchte in
ſeinem Innerſten, und freute ſich im giftigen
Mißmuth von den Menſchen geriſſen zu
haben.
7.
Um Mitternacht ließ der Graf den Teu-
fel und Fauſten aufheben, und ſie in ein en-
ges, ſchreckliches Gefaͤngniß werfen. Fauſt
befahl dem Teufel der Gewalt nachzugeben,
weil er erfahren wollte, wie weit dieſe Heuch-
ler ihre Bosheit treiben wuͤrden. Er nag-
Fauſts Leben. Nte
[194] te an den peinvollen Zweifeln ſeiner Seele
in dem dunklen Kerker. Die ſchreckliche
Scene des Tags mahlte ſich immer duͤſtrer
vor ſeinen Augen, und es entſprangen graͤß-
liche Gedanken gegen den, der das Schickſal
der Menſchen leitet, aus dieſen ſchwarzen
Betrachtungen. Sein Inneres war in Auf-
ruhr, endlich rief er hohnlachend aus:
„Wo iſt hier der Finger der Gottheit? Wo
„das Auge der Vorſehung, das uͤber die
„Wege des Gerechten waltet? Wahnſinnig
„ſeh’ ich den Redlichen, den belohnt, der
„ihn zerſchlagen! Dem Tyrannen, der die
„Tugend heuchelt, entdeckt ich die Bosheit
„ſeines Guͤnſtlings, und er findet ihn ſei-
„ner Freundſchaft, der Belohnung nur wuͤr-
„diger! Und es waͤre Zweck, Ordnung und
„Zuſammenhang in der moraliſchen Welt?
„Nun ſo ſind ſie auch in dem Gehirn dieſes
„armen Zerruͤtteten, den ſein Schoͤpfer oh-
„ne Schutz und Rache fallen ließ! — Er
fuhr fort, und der Teufel horch-
te laͤchelnd. „Iſt der Menſch durch die
Kette
[195] „Kette der Nothwendigkeit gezwungen zu
„handeln, ſo muß man ſeine Handlungen
„und Thaten dem hoͤchſten Weſen ſelbſt zu-
„ſchreiben, und ſie hoͤren dadurch auf ſtraf-
„bar zu ſeyn. Kann von einem vollkomm-
„nen Weſen etwas anders als Gutes und
„Vollkommnes fließen? Nun ſo ſind es un-
„ſre Handlungen, ſo ſcheußlich ſie uns auch
„vorkommen moͤgen, und wir ſind ihr Opfer,
„ohne abzuſehen warum. Sind ſie ſtraͤf-
„lich, und das was ſie uns ſcheinen, ſo iſt
„dieſes Weſen ungerecht gegen uns, denn
„es ſtraft Greuel an uns, deren Quelle es
„ſelbſt iſt. Teufel, loͤſe mir dieſe Raͤthſel
„auf, ich will wiſſen, warum der Gerechte
„leidet, und der Ruchloſe belohnt wird?“
Teufel. Fauſt, du haſt zwey Faͤlle geſezt,
wie, wenn es noch einen dritten gaͤbe? Nehm-
lich, daß ihr auf die Erde geworfen waͤrt, wie
Staub und das Gewuͤrme, ohne Vorſicht
und Unterſchied. Einem dunklen Wirrwarr
uͤberlaſſen, den man euch, wie einen ver-
worrnen Knaͤul uͤbergeben haͤtte, ihn aus-
N 2einander
[196] einander zu zerren, und wenn euch das un-
moͤgliche Werk nicht gelaͤnge, Euch euer
ſtrenger Herr und Richter doch zur Rechen-
ſchaft dafuͤr aufforderte? Wenn er nun,
gleich einem Deſpoten, Eurem Herzen da-
rum ſolche zweydeutige Geſetze, und wider-
ſprechende Neigungen eingedruͤckt haͤtte, um
ſich die Erklaͤrung des dunklen Sin[n]s der-
ſelben vorzubehalten, und nach Gefallen zu
ſtrafen und zu belohnen?
Fauſt. Bey welchem Philoſophen biſt du
in die Schule gegangen, daß du mir ein
Wenn nach dem andern auftiſcheſt? Ha, ich
fuͤhle es, der Menſch ſoll und muß in der
Finſterniß tappen, ſein Herz durch die Er-
ſcheinungen zerreiſſen laſſen, und wenn er’s
auch mit dem Teufel verſucht, Licht und
Klarheit zu erringen.
Teufel. Schuͤttle dieſe Zweifel ab, kei-
nem in Fleiſch gehuͤllt iſt es gegeben, dieſen
Knoten zu loͤſen, und tauſende werden ſich
daran erwuͤrgen. Vergiß den Zweck nicht,
den wir uns bey unſrer erſtern Zuſammen-
kunft
[197] kunft vorgeſezt haben. Ich verſprach dir
den Menſchen nackend zu zeigen, um dich
von den Vorurtheilen deiner Jugend und
deiner Buͤcher zu heilen, damit ſie dich im
Genuß des Lebens nicht ſtoͤhren moͤgten;
und wenn du wirſt eingeſehen haben, daß
die ſogenannte Leitung des Ewigen, dem du
um meinetwillen entſagt haſt, und vor deſ-
ſen Angeſicht ihr ungehindert die ſcheuß-
lichſten Greuel begeht, nur Wahn eures
Stolzes iſt, und dir dann noch Kraft im
Herzen uͤbrig bleibt, ſo will ich dir die ſchau-
dervollen Geheimniſſe eroͤfnen, die dich nun
umhuͤllen.
Fauſt. mit bittrem Gelaͤchter.
Nun bey dem Dunkel der Hoͤlle, das
uns bey unſrer Geburt bis zum Grabe
umdampft, ſo waͤr’ ich noch der Geſcheiteſte
von allen, daß ich dem Wirrwarr entgan-
gen bin, und dadurch, daß ich mich dir er-
gab, mein Schickſal willkuͤhrlich beſtimm-
te, es entſchied, wie es einem freyen Weſen
zuſteht.
N 3Teufel.
[198]
Teufel. Glaube mir, Spoͤtter, beſaͤßen
die Menſchen die Zauberkraft, die du dem
Dunkel entriſſen haſt, ſie wuͤrden bald die
Hoͤlle entvoͤlkern, und du wuͤrdeſt mehr Teu-
fel auf der Erde herumfahren ſehen, als
Schutzheilige im Kalender ſtehen, oder als
eure Tyrannen Soldaten im Solde halten,
um euch zu unterjochen. Hey ho! welch
ein trauriges Loos fuͤr einen Teufel, die
tollen Begierden eines guten Kopfs auszu-
fuͤhren, was wuͤrde dann aus uns werden,
wenn es jedem Schuft gelaͤnge, uns aus
der Hoͤlle zu rufen?
Dieſe Bemerkung des Teufels wollte ſo
eben der Laune Fauſts eine andre Richtung
geben, als auf einmal eine neue Erſchei-
nung ihrer Unterredung ein Ende machte.
Es traten ſechs Bewaffnete mit einer Blend-
laterne herein, denen zwey Henker mit gro-
ßen leeren Saͤcken folgten. Fauſt fragte,
was ſie wollten, und der Anfuͤhrer ant-
wortete: „ſie moͤchten ſich bequemen in die-
„ſe Saͤcke zu kriechen, denn ſie haͤtten den
„Auf-
[199] „Auftrag, die gnaͤdigen Herren hineinzuſte-
„cken, die Saͤcke zuzubinden, und in den
„nahen Fluß zu tragen.“ Der Teufel er-
hub ein lautes Gelaͤchter, und ſagte:
„Sieh doch, Fauſt, der Fuͤrſt von *** will
„dich von dem Enthuſiasmus der Tugend
„abkuͤhlen, den du ihm heute ſo warm ge-
„zeigt haſt.“ Fauſt ſah ihn ergrimmt an,
gab ihm einen Wink; ein hoͤlliſches Geſau-
ſe erfuͤllte den gewoͤlbten Kerker, die Scher-
gen ſtuͤrzten zitternd zu Boden, und die Ge-
fangnen fuhren hinaus.
Nun erſt erwachte das Gefuͤhl der Rache
in dem Herzen Fauſts, und kleidete ſich in
den Schmuck eines großen edlen Berufs.
Der Gedanke fuhr durch ſeine Seele: die
Menſchheit an ihren Unterdruͤckern zu raͤ-
chen. Ein ſtolzes Gefuͤhl durchgluͤhte ſei-
nen Buſen, die Macht des Teufels, dem er
ſich auf Gefahr ſeines Selbſts ergeben, zu
nutzen, um Gerechtigkeit an den Heuchlern
und Boͤſewichtern auszuuͤben. Er rief dem
Teufel zu:
N 4„Fahre
[200]
„Fahre in den Pallaſt, und erwuͤrge mir
„den, der mit der Tugend ein Spiel treibt!
„Vernichte den, der Verraͤther belohnt, und
„den Gerechten wiſſend zertritt! Raͤche in
„meinem Namen die Menſchheit an ihm.“
Teufel. Fauſt du greifſt der Rache des
Raͤchers vor!
Fauſt. Seine Rache ſchlaͤft, und der Ge-
rechte leidet; ich will den vertilgt ſehen, der
die Maske der Tugend traͤgt.
Teufel. So gebiete mir die Peſt uͤber die
Erde zu hauchen, daß das ganze Menſchen-
geſchlecht hinſterbe. Was ſoll aus ihnen
werden, wenn dein Wahnſinn dauert. Du
wirſt nur die Hoͤlle bevoͤlkern, und alles
wird ſeinen Gang gehen wie vor.
Fauſt. Haͤmiſcher Teufel, du moͤchteſt
ihn retten, daß er der Greuel noch mehr
begehen kann; freylich, Fuͤrſten ſeines Glei-
chen verdienen den Schutz der Hoͤlle, denn
ſie machen auf Erden die Tugend verdaͤch-
tig, da ſie das Laſter belohnen. Er ſoll
ſterben,
[201] ſterben, beladen mit ſeiner lezten That, ſoll
er bebend zur Verdammniß fahren.
Teufel. Thor, der Teufel freut ſich des
Mords des Suͤnders, was ich ſage, geſchicht
blos darum, mich gegen deine Vorwuͤrfe in
Zukunft zu ſichern, damit dir keine Ent-
ſchuldigung uͤbrig bleibe. Die Folgen der
That ſind dein.
Fauſt. Sie ſeyen mein, ich lege ſie ge-
gen meine Suͤnden in die Wage. Eile und
morde. Sey der Pfeil meiner Rache! Faſ-
ſe den Guͤnſtling, und ſchleudere ihn in den
gluͤhenden unfruchtbaren Sand des heiſſen
Lybiens, daß er langſam hinſchmachte!
Teufel. Fauſt, ich gehorche, doch beden-
ke, Kuͤhner, daß dir das Richteramt nicht
gegeben iſt.
Fauſt. Ich bin der Elendeſte der Erde;
aber nicht in dieſem Augenblick.
Teufel. Es iſt Selbſtrache, Verdruß,
dich in ihm betrogen zu haben, die dich
treiben.
N 5Fauſt.
[202]
Fauſt. Geſchwaͤtziger Teufel, es iſt der
Reſt des Unſinns meiner Jugend, der mich
bey ſchlechten Thaten oft zu Mordgedanken
reizte. Haͤtte ich das Unrecht der Men-
ſchen ſehen und dulden koͤnnen, wuͤrde ich
dich aus der Hoͤlle gerufen haben. Eile
und vollziehe!
Der Teufel erwuͤrgte den Fuͤrſten auf ſei-
nem weichen Lager, faßte den bebenden
Guͤnſtling, und ſchleuderte ihn in den gluͤ-
henden Sand Lybiens, fuhr zu Fauſt zu-
ruͤck: Die That iſt vollbracht! Sie ſezten
ſich beyde auf den ſchnellen Wind, und ſee-
gelten dem Lande hinaus.
Wie gluͤcklich ſind nun unſre Fuͤrſten, daß
es keinem mehr ſo leicht gelingt, den Teu-
fel aus der Hoͤlle zu rufen, und ihn zum
Werkzeug der Rache der Unterdruͤckten und
Zertretnen zu machen. Wehe den Nabobs
der Erde, wenn es einem gelaͤnge!
8.
[203]
8.
Fauſt ſaß duͤſter auf ſeinem Pferde; (denn
da ſie uͤber die Graͤnzen waren, hatten ſie
auf des Teufels Vermittlung das Fuhrwerk
veraͤndert). Die lezte Geſchichte nagte noch
immer an ſeinem Herzen; es verdroß ihn,
dem Teufel in Anſehung der Menſchen ge-
wiſſe Dinge zugeſtehen zu muͤſſen, und ſeine
Laune ward um ſo bittrer, da er ſelbſt an-
fieng ſie in einem andern Lichte zu betrach-
ten. Doch troͤſtete ihn der Gedanke in ſei-
nem Mißmuth, den ungluͤcklichen Miniſter
an den Heuchlern geraͤcht zu haben. Der
Stolz ſchwellte nach und nach ſein Herz ſo
auf, daß er beynahe anfieng, ſeine Verbin-
dung mit dem Teufel als das Wagſtuͤck ei-
nes Mannes anzuſehen, der ſeine Seele fuͤr
das Beſte der Menſchen opfert, und da-
durch alle Helden des Alterthums, die nur
ihr zeitliches Daſeyn dranſezten, uͤbertrifft.
Noch mehr, da dieſe um des Ruhms wil-
len ſich opferten, und alſo aus Eigennutz
handelten, auf den er, vermoͤge ſeiner Ver-
bindung,
[204] bindung, keinen Anſpruch machen konnte,
ſo fiel vor ſeinen verblendeten Augen alle
Vergleichung zwiſchen ihnen und ih[m] weg.
Setze den Menſchen in welche Lage du willſt,
ſey unbeſorgt, und laß nur ſeine Eigenliebe
wuͤrken; du ſiehſt, ſie weiß Fauſten ſelbſt
die Ausſicht in die Hoͤlle zu vergulden. Er
vergaß in dieſem ſtolzen Gefuͤhl die Beweg-
gruͤnde ſeiner Verbindung mit dem Teufel,
ſeinen Hang zur Wolluſt und Genuß, und
ſchwaͤrmte ſich auf ſeinem Roße, in geſpann-
ter Phantaſie zum Ritter der Tugend, zum
Raͤcher der Unſchuld. Ja, dieſer Selbſtbe-
trug ward ſogar ein Balſam fuͤr ſeinen ge-
kraͤnkten Geiſt, und er ſah gleichguͤltiger auf
den peinlichen Gedanken, das nicht durch
den Teufel entdeckt zu haben, was er ſo
ſehnlich zu wiſſen gewuͤnſcht hatte. Sein
Herz ſchlief hierbey ſo ruhig an dem Abgrund
der Hoͤlle ein, als der Fromme in die Arme
des Todes ſinkt, der ihn in die ſeeligen Ge-
filde hinuͤbertraͤgt. Der Teufel ritt neben
ihm her, und ließ ihn ruhig ſeine Gloſſen
machen.
[205] machen. Er nur ſah in jedem dieſer ver-
meinten edlen Gefuͤhle einen neuen Stoff zur
kuͤnftigen Marter und Verzweiflung, und ſein
Haß nahm in dem Maaße gegen Fauſten
zu, als ſich deſſen Ausſicht aufheiterte und
erweiterte. Er genoß der Stunde voraus,
worin alle dieſe glaͤnzende Lufterſcheinungen
zuſammenſtuͤrzen, alle dieſe bunten Bilder
der Phantaſie ſich in die Farbe der Hoͤlle
huͤllen, und des Kuͤhnen Herz ſo zerreiſſen
wuͤrden, wie nie eines Sterblichen Herz zer-
riſſen ward. Nach langem Schweigen er-
hub endlich Fauſt die Stimme:
„Sage mir, wie iſt es nun mit dem fal-
„ſchen Guͤnſtling?“
Teufel. Er ſchmachtet auf dem gluͤhen-
den Sande, ſtreckt ſeine verdorrte Zunge
aus dem brennenden Rachen, daß die Luft
und der Thau ſie erfriſchen und befeuchten
moͤgen; aber dort weht kein kuͤhlender Wind,
und in Jahrtauſenden faͤllt kein erfriſchen-
der Tropfen vom Himmel. Sein Blut
kocht wie gluͤhendes Metall in den Adern,
die
[206] die Strahlen der Sonne fallen ſenkr[e]cht auf
ſein nacktes Haupt. Schon rollt der Fluch
gegen den Ewigen in ſeinem entflammten
Gehirne, ſeine duͤrre Zunge vermag nicht
ihn auszuſprechen, er arbeitet in dem heiſ-
ſen Sande wie ein Maulwurf, um die feuch-
te Erde zu lecken, und oͤffnet ſich nur ein
Grab. Iſt deine Rache befriedigt?
Fauſt. Rache? Warum nennſt du Aus-
uͤbung der Gerechtigkeit Rache? Sieh, kal-
ter Schauder uͤberlief meine Haut bey dei-
nen Worten; aber ich ſah ihn kalt laͤcheln,
da ich ihm die Marter des Edlen und der
Verfuͤhrten ſchilderte.
Teufel. Die Zeit, die nur langſam den
Schleier hebt, mag es entwickeln. Der
Bauer, Fauſt, ſaͤet den Hanf, arbeitet ihn
zum Stricke, ohne zu ahnden, daß ſein ſtren-
ger Herr ihn einſt damit wird geiſſeln laſſen,
wenn er die Gebuͤhren und Frohndienſte
nicht abtraͤgt. Was wird aus dir werden,
wenn du den Menſchen in groͤßerm Wir-
kungskreiße ſehen wirſt? Wir haben dem
Unge-
[207] Ungeheuer nur die erſte Haut abgezogen,
was wird es dann ſeyn, wenn wir ihm die
Bruſt aufreiſſen? Schnell wuͤrde der, wel-
cher die Rache ſich vorbehalten hat, das
Zeughaus des Donners ausleeren, wenn er
alle die vernichten wollte, die nach deiner
Meinung nicht zu leben verdienen.
Fauſt wollte eben antworten, als ſie in
der Ferne ein Dorf in hellen Flammen ſa-
hen. Da ihn nun alles ſcharf reizte, ſporn-
te er ſein Pferd, und der Teufel zog hinter
ihm drein. Es begegnete ihnen bald ein
Haufe fliehender Ritter und Knechte, die
eben ein andrer Haufe geſchlagen hatte.
Als ſie dem Dorfe naͤher kamen, fanden ſie
das Feld mit Leichen der Reiſigen und Pfer-
den bedeckt. Sie ſahen unter den Todten
einen Knappen, der mit beyden Haͤnden ar-
beitete, ſeine herausgeſtuͤrzte Eingeweide in
den Bauch zuruͤck zu druͤcken; er heulte und
fluchte fuͤrchterlich unter dem ſchmerzlichen
Werke. Fauſt fragte ihn hoͤflich um die
Urſache des Zwiſts, der Knappe ſchrie:
„ſchert
[208] „ſchert Euch zu allen Teufeln, Her Naſe-
„weiß! wenn Ihr eure Kaldaune in fri-
„ſcher Luft ſaͤhet, wie ich, die Neugierde
„wuͤrde euch vergehen. Weiß ich, warum
„ſie mir den Bauch aufgeriſſen haben? Fragt
„dort den gnaͤdigen Herrn, meinen Junker,
„den ſie auch verſtuͤmmelt haben, und dem
„ich dies Fruͤhſtuͤck zu verdanken h[a]be.“
Sie nahten einem Ritter, der eine Wun-
de an dem Schenkel hatte, und Fa[u]ſt that
dieſelbe Frage an ihn. Der Ritter antwor-
tete: „Ein Bauer aus dem bre[nn]enden
„Dorfe hat vor einiger Zeit dem maͤchtigen
„Rauhgrafen einen Hirſch erlegt. Darauf
„hat der Rauhgraf den Thaͤter von mei-
„nem Herrn gefordert, um ihn nach teut-
„ſchem Herkommen auf einen Hirſch zu
„ſchmieden, und zu todt rennen zu laſſen.
„Mein Herr hat den Bauern nicht heraus-
„geben wollen, und die Pfaͤndung an Haab
„und Gut zu ſeinem eignen Beſten fuͤr hin-
„reichende Strafe erklaͤrt. Der Rauhgraf
„hat hierauf dem Edelmann im Namen
„Gottes
[209] „Gottes und unter dem Schutze des Kai-
„ſers, einen Fehdbrief zugeſchickt. Die
„Fehde iſt ungluͤcklich fuͤr uns ausgefallen,
„der Rauhgraf hat das Dorf angezuͤndet,
„es mit ſeinen Reiſigen umgeben, daß kei-
„ner der Bauern heraus kann, und wird
„nun dem Eide Gnuͤge thun, den er bey
„dem heiligen Sakrament geſchworen, alle
„die Bauern wie Martinsgaͤnſe fuͤr ſeine
„Hunde und wilden Schweine zu braten.“
Fauſt. ergrimmt. Wo liegt ſein
Schloß?
Ritter. Auf jener Hoͤhe, es iſt das feſte-
ſte und praͤchtigſte im Lande.
Fauſt ritt auf eine Anhoͤhe, und ſah im
Thale das brennende Dorf vor ſich liegen.
Die Muͤtter mit ihren Kindern, Maͤnner
und Greiſe, Juͤnglinge und Jungfrauen
ſtuͤrzten heraus, warfen ſich den Reiſigen
zu Fuͤßen, flehten verzweifelnd um Rettung.
Der Rauhgraf ſchrie, daß es im Thal er-
ſchallte: „Treibt die Hunde zuruͤck! In den
„Flammen ſollen ſie alle ſterben!“ Die
Fauſts Leben. OBauern
[210] Bauern ſchrien, daß es den Himmel und
die Felſen zerreißen muͤßte: „Wir ſind un-
„ſchuldig, der euch beleidigt hat iſt entflo-
„hen! Was haben wir und unſre Kinder
„verbrochen? Ach rettet nur ſie!“ Die Rei-
ſigen peitſchten ſie von der Erde auf, trie-
ben ſie nach den Flammen, die Muͤtter war-
fen die Kinder nieder, in der Hoffnung, ſie
wuͤrden ſich ihrer erbarmen, der Huf der
Roſſe zerſchmetterte ſie —
Fauſt rief wahnſinnig: Teufel, fliege
und kehre nicht zuruͤck, bis du des Wuͤthe-
richs Schloß mit allem was es in ſich faßt,
aufgebrannt haſt. Er kehre heim und fin-
de Wiedervergeltung.
Der Teufel laͤchelte, ſchuͤttelte den Kopf
und flog davon. Fauſt warf ſich unter ei-
nen Baum und blickte ungeduldig nach dem
Schloße. Als er es in Flammen ſah, waͤhn-
te der Verwegne, die Ordnung der Dinge
hergeſtellt zu haben, und empfieng den zu-
ruͤckkehrenden Teufel mit Zufriedenheit.
Dieſer fuhr ſiegend einher, verkuͤndigte ihm
den
[211] den Jammer den er angerichtet, und mit
welcher Eile der Rauhgraf mit ſeinen Rei-
ſigen nach dem Schloße zujage; aber, Fauſt,
ſezte er hinzu: „Der Dampf des hoͤlliſchen
„Pfuhls wird ihm einſt nicht ſo entgegen-
„ſtinken, als dieſe deine That. Sein jun-
„ges, vielgeliebtes Weib, iſt vor einigen
„Tagen mit dem Erſtgebohrnen niederge-
„kommen“ —
Fauſt. Rette ſie und den Neugebohrnen.
Teufel. Es iſt zu ſpaͤt; die ſchwache Mut-
ter druͤckte ihn in ihre Arme, und er brann-
te auf ihrem Herzen zu Aſche.
Dieſe Poſt durchſchauderte die Seele
Fauſts, er ſagte grimmig: „Ha, wie ſchnell
„der Teufel im Zerſtoͤhren iſt!“
Teufel. Fauſt, nicht ſo ſchnell, als der
verwegne Menſch im Urtheil und Richten.
Haͤttet ihr unſre Macht, laͤngſt wuͤrdet ihr
die Welt zertruͤmmert und zum Chaos ge-
macht haben. Beweiſeſt du es nicht, da
du deine Herrſchaft uͤber mich ſo unſinnig
mißbrauchſt? Fahre nur zu! der Menſch
O 2der
[212] der ſich den Zuͤgel laͤßt, gleicht dem Rad,
das vom Berge rollt, wer kann es aufhal-
ten? es ſpringt von Klippe zu Klippe, bis
es zerſchmettert. Fauſt, gern haͤtte ich den
Unmuͤndigen der Suͤnde reifen laſſen, nun
iſt er der Hoͤlle entgangen ſammt der Mut-
ter, er brannte auf ihrem Herzen zu Aſche,
und ſie wehrte der ihn aufzehrenden Flam-
me, mit den Knochen, von denen ſchon das
Feuer das Fleiſch abgefreſſen hatte.
Fauſt. Du legſt es an mein Herz. Er
huͤllte ſein Geſicht in ſeinen Mantel, und
nezte ihn mit ſeinen Thraͤnen.
9.
Das Gefuͤhl, die Tugend an den Laſter-
haften raͤchen zu wollen, kuͤhlte ſich in Fau-
ſten etwas ab; endlich labte er ſeinen durch
die lezte Geſchichte gepeinigten Geiſt mit
dem Gedanken, den ihm der Teufel vorſetz-
lich hinwarf, der Saͤugling und die Mutter
ſeyen der Hoͤlle entgangen. Auch erlaubten
die Sinnlichkeit, das leichte Blut, das
Stre-
[213] Streben nach Genuß, der Zug nach Veraͤn-
derung, die Zweifel, keiner Empfindung
einen dauernden Eindruck in ſeinem Herzen.
Da er alles mit lebhaftem Gefuͤhl umfaßte,
ſo brannten ſeine Empfindungen wie Licht-
kugeln auf, die einen Augenblick die Fin-
ſterniß erleuchten, und dann zerplatzen.
Die gute Mahlzeit und die herrlichen Wei-
ne in der Stadt, wo ſie nun angekommen
waren, ſchlugen bald alle truͤbe Geiſter voͤl-
lig nieder. Da eben in derſelben Jahr-
markt war, ſo gieng Fauſt mit dem Teufel
nach Tiſche auf den Platz, um das Gewim-
mel zu ſehen.
Es war ein ſonderbares Land, worin ſie
ſich nun befanden. In einem Kloſter der
Stadt lebte ein junger Moͤnch, dem es ohne
viele Muͤhe gelungen war, einige wenige Fun-
ken von Verſtand durch das Feuer ſeiner
Einbildungskraft gaͤnzlich aufzubrennen,
und ſich ſo maͤchtig von der Kraft des reli-
gioͤſen Glaubens zu uͤberzeugen, daß er hoff-
te, wenn einſt ſeine Seele den wahren
O 3Schwung
[214] Schwung erhielte, und der Geiſt Gottes
ihn voͤllig durchſauſte, es ihm ein Leichtes
ſeyn wuͤrde, Berge zu verſetzen, und ſich
als ein neuer Apoſtel in Wundern und Tha-
ten zu zeigen. Ueberdem ſog er, gleich ei-
nem trocknen Schwamme, die Thorheiten
und Charlatanerien ein, die andre ausheck-
ten, ein Umſtand, wodurch ſich die Schwaͤr-
mer von den Philoſophen gaͤnzlich unter-
ſcheiden, denn dieſe haſſen und verachten die
Hypotheſen eines andern, da jene allen Un-
rath des menſchlichen Geiſtes annehmen,
und ſich zu eigen machen. Da dieſer junge
Moͤnch, wie jeder Schwaͤrmer, der von ſei-
nem Gegenſtand durchdrungen iſt, ein feuri-
ger Redner war, ſo zog er bald die Seelen
der Maͤnnlein, und vorzuͤglich der Weiber
(die alles Leidenſchaftliche ſo gern aufneh-
men) an ſich. Seine Einbildungskraft ver-
ſchafte ihm bald einen neuen Za[u]berſtab;
denn da er, vermoͤge ſeiner innigen Ver-
bindung mit dem hoͤchſten Weſen, eine hohe
Meinung von den Menſchen hatte, ſo faßte
er
[215] er in einer ſeiner gluͤhenden Stunden den
Entſchluß, dieſes Meiſterwerk der Vorſe-
hung, dieſen Liebling des Himmels, fuͤr den
alles uͤbrige gemacht iſt, phyſiognomiſch zu
zergliedern, und ſein Inneres durch ſein
Aeußeres zu beſtimmen. Leute von ſeinem
Schlage betruͤgen ſich ſo oft ſelbſt, daß man
nicht mit Gewißheit ſagen kann, ob ihm et-
wa ein verborgner Funken des Verſtandes
zugeliſpelt hat, dieſe Schwaͤrmerey wuͤrde
der alten einen neuen Firniß geben, und die
frommen Seelen, uͤber deren Geſicht ſich
ſo viel herrliche Dinge ſagen ließen, noch
mehr an ihn ziehen. Da er nur die vier
Waͤnde ſeiner Zelle, und Leute ſeiner Art ge-
ſehen hatte, uͤbrigens, in Anſehung der Men-
ſchen, der Welt und wahrer Wiſſenſchaften,
ſo unwiſſend war, als es Leute von heißer
Einbildungskraft gewoͤhnlich ſind, die oben-
drein alle aufſtoßende Zweifel mit dem zer-
ſchmetternden Hammer des Glaubens zer-
ſchlagen, ſo laͤßt ſich leicht ſchließen, daß
auch nur die Fantaſie allein bey ſeinem Wer-
O 4ke
[216] ke die Feder fuͤhrte. Aber eben darum that
es eine erſtaunende Wuͤrkung auf die Gei-
ſter aller derer, die lieber verworren fuͤhlen,
als klar denken. Dies iſt der Fall des
groͤßten Theils der Menſchen, und da die
Tage des Lebens unter dem angenehmen Ki-
tzel des geliebten Selbſts ſo ſanft dahinflie-
ßen, ſo konnte es ihm nicht an Anbetern feh-
len. Es thut ſo wohl, ſich als ein vielge-
liebtes, vorzuͤglich beſorgtes Schoßkind der
Gottheit anzuſehen, und uͤber die uͤbrigen
rohen Soͤhne der Natur mit Verachtung
und Mitleiden hinzuſehen! Unſer Moͤnch
blieb aber nicht bey dem Menſchen allein
ſtehen, er ſtieg auch zu den andern unedlen
Thieren der Erde herunter, beſtimmte ihre
Eigenſchaften aus ihren Geſichtern, ihrem
Baue, und glaubte große Entdeckungen ge-
macht zu haben, wenn er aus den Klauen,
den Zaͤhnen, dem Blick des Loͤwen, und
dem ſchwaͤchlichen, leichten Baue des Haſens
bewies, warum der Loͤwe kein Haſe, und
der Haſe kein Loͤwe ſey. Es wunderte ihn
gewal-
[217] gewaltig, daß es ihm gelungen, die be-
ſtimmten und unveraͤnderlichen Merkzeichen
der thieriſchen Natur ſo klar beweiſen, und
auf den Menſchen anwenden zu koͤnnen, ob
gleich die Geſellſchaft das Geſicht des lez-
tern zur Maske geſchliffen hat, und er nie
einen in ſeinem urſpruͤnglichen Zuſtand ſah.
Hierauf drang er ſelbſt in das Reich der
Todten, zog die Schaͤdel aus den Graͤbern,
die Gebeine der Thiere aus den Gruben,
und zeigte den Lebenden, wie und warum
die Todten ſo waren, und wie ſie, vermoͤge
dieſer Knochen, ſo und nicht anders ſeyn
konnten. Zu was fuͤr gefaͤhrlichen Schluͤſ-
ſen koͤnnten dieſe Vorausſetzungen einen
Sophiſten, oder einen Menſchen, der gern
ſeine Schlechtigkeit von ſich waͤlzen moͤchte,
verleiten? Soll, kann der Menſch durch
Kunſt erſetzen, was durch natuͤrliche Anla-
gen in ihm verhunzt iſt?
Dem Teufel war dieſer Spuck bekannt,
und er merkte wohl, da ſie im Wirthshauſe
bey Tiſche ſaßen, daß einige Anweſende, und
O 5ſelbſt
[218] ſelbſt der Wirth, ihn und Fauſten mit be-
ſondrer Aufmerkſamkeit betrachteten, und
ſich leiſe ihre Beobachtungen mittheilten,
waͤhrend ſie verſtohlen ihre Profile zeichne-
ten. Auch zu Fauſt war der Ruf dieſes
Wundermanns gedrungen, hatte ihn aber
bisher ſo wenig intereſſirt, daß er auf die-
ſes Gefluͤſter nicht aufmerkſam wurde, Da
ſie nun auf den Platz kamen, uͤberraſchte ſie
ein ganz neues Schauſpiel. Dieſes Ge-
wimmel von Menſchen war die aͤchte Schu-
le der Geſichtsſpaͤher. Jeder konnte da ſei-
nen Mann faſſen, und ſein Geſicht auf die
Wage legen, die Kraͤfte ſeiner Seele abzuwaͤ-
gen. Einige ſtunden vor Muͤllereſeln, Pfer-
den, Ziegen, Schweinen, Hunden und
Schafen, andre hielten Spinnen, Kaͤfer,
Ameiſen und andre Inſekten zwiſchen den
Fingern, forſchten mit ſcharfem Blick nach
ihrem innern Charakter, und ſuchten zu ent-
wickeln, wie ſich ihr Inſtinkt aus dem Aeu-
ßern beſtimmen ließe. Einige maßen Schaͤ-
del von Menſchen und Thieren aus, beur-
theilten
[219] theilten das Gewicht und die Schaͤrfe ihrer
Kinnladen und Zaͤhne, und riethen, wel-
chem Thier ſie zugehoͤrten. Da aber Fauſt
und der Teufel unter ſie traten, hoͤrte man
ſie ausrufen: „Welch eine Naſe! Welche
„Augen! Welch ein forſchender Blick!
„Welch eine liebliche ſanfte Rundung des
„Kinns! Welche Kraft ohne Schwaͤche!
„Welche Intuition! Welche Durchdringlich-
„keit! Welche Helle und Beſtimmtheit im
„Umriß! Welch ein kraftvoller, bedeutender
„Gang! Welches Rollen der Augen! Welch
„ein Wurf der Glieder! Wie einverſtanden
„und harmoniſch! Ich gaͤbe, ich weis nicht
„was darum, wenn ich die Handſchrift der
„Herren haͤtte,“ ſagte ein Weber, „um
„den ſchnellen und leichten Gang ihrer Denk-
„kraft aus ihren Federzuͤgen zu ſehen.“
Sie zogen alle ihr Reißbley aus den Ta-
ſchen, und nahmen ihre Profile. Der Teu-
fel verzerrte bey Anhoͤrung dieſer Fratzen
das Geſicht, und einer der Spaͤher ſchrie:
„Der innre Loͤwe Kraft, hat ſich gegen eine
„aͤußre
[220] „aͤußre Verſuchung oder einen ſchwaͤchli-
„chen Gedanken geſchuͤttelt!“
Fauſt belaͤchelte die Narrheit, als auf
einmal ein engliſches Geſicht aus einem na-
hen Fenſter auf ihn blickte, und in ſuͤßer
Verwundrung rief: „Heilige Katherine!
„welch ein herrlicher Kopf! welch eine
„himmliſche, liebevolle, ſanfte Schwaͤrme-
„rey! Welche Gefuͤhl und Anhaͤnglichkeit
„athmende Phyſiognomie!“
Dieſe Toͤne erklangen melodiſch in dem
Herzen Fauſts. Er ſtarrte nach dem Fen-
ſter, ſie ſah noch einen Augenblick auf ihn,
zog ſich zuruͤck, und Fauſt ſagte zu dem
[Teufel]:
„Ich verlaſſe dieſen Ort nicht, bis ich
„mit dieſer Dirne gelegen habe. Die Wol-
„luſt ſchimmert unter einem ſo frommen
„Glanze aus ihren Augen, als ſollte er der
„Sinnlichkeit die wahre Wuͤrze mittheilen.“
Sie wandten ſich kaum nach einer Sei-
tenſtraße, als einer der Spaͤher zu ihnen
trat, und ſie keck um die Phyſiognomie ih-
rer
[221] rer Handſchrift bat, um, wie er ſie verſi-
cherte: „die Traͤgheit oder Fertigkeit ihrer
„hervorbringenden Kraft, die Gradheit,
„Standhaftigkeit, Reinheit oder Schief-
„heit ihres Charakters daraus zu entziffern.“
Er ſezte hinzu: „Es habe ihm bisher kein
„Fremder dieſe Gefaͤlligkeit abgeſchlagen,
„und er hofte von ihnen ein Gleiches.“
Hierauf zog er ein Taſchenbuch, Feder
und Dinte hervor, und ſpitzte die Ohren
voller Erwartung.
Fauſt. Nicht ſo raſch, guter Freund,
Dienſt um Dienſt: ſagt mir vorerſt, wer
iſt die Jungfrau in jenem Hauſe, die ich
eben am Fenſter ſah, und deren Aeußeres ſo
engliſch ſchoͤn iſt?
Spaͤher. O ſie iſt ein Engel in allem
Verſtand. Unſer großer Seher verſichert
von ihr, ihre Augen ſeyen Spiegel der Rein-
heit und Keuſchheit. Ihr holder Mund
ſey nur geſchaffen, die hohe Begeiſtrung ei-
nes von himmliſchen Dingen erfuͤllten Her-
zens, auszudruͤcken. Ihre Stirne ſey ein
gaͤn-
[222] glaͤnzender Schild der Tugend, an wem ſich
alle Verſuchungen, alle irrdiſche und ſinnli-
che Gefuͤhle zerſchluͤgen. Ihre Naſe wittere
die Gefilde der Unſterblichen. Sie ſey das
Ideal der Schoͤnheit, und aller der Tugen-
den die dieſe begleiten, wenn die Gottheit
eine vollkommen ſchoͤne Seele dem Auge des
Fleiſches ſichtbar machen wollte.
Fauſt. Ihr mahlt warlich nicht mit Far-
ben der Erde; aber ſagt mir nun auch etwas
von ihren irrdiſchen Verhaͤltniſſen.
Spaͤher. Dieſe ſind freylich nicht ſo glaͤn-
zend wie die erſtern, aber doch hinreichend
ihre Ausuͤbung nicht zu ſtoͤhren.
Fauſt. Und ſie heißt?
Spaͤher. Angelika.
Sie ſchrieben Worte ohne Sinn auf ein
Blatt, und der Spaͤher verſchwand ver-
gnuͤgt mit ſeinem Schatz.
Fauſt. Teufel, wie meinſt du daß dem
frommen Kinde beyzukommen ſey? Ich bin
nun recht in der Laune, das Ideal dieſes
Sehers zu verpfuſchen.
Teufel.
[223]
Teufel. Auf der graden Heerſtraße zu
dem menſchlichen Herzen, Fauſt, darauf
wird ſie dir gewiß begegnen; denn fruͤh oder
ſpaͤt muß jeder dahin einlenken, ſeine Phan-
taſie mag ihn noch ſo weit davon entfernt
haben.
Fauſt. Es muß ein reizender Genuß ſeyn,
eine ſolche zugeſpitzte Einbildungskraft mit
Bildern der Wolluſt zu fuͤllen.
Teufel. Der Moͤnch hat dir ſchon vorge-
arbeitet, und ihre Sinnlichkeit ſo geſchaͤrft,
ihr Seelchen mit ſo viel Eitelkeit und Selbſt-
vertrauen angefuͤllt, ihre Froͤmmigkeit ſo
ſinnlich gemacht, daß es weiter nichts er-
fordert, als gehoͤrig an dem Herzen anzuklo-
pfen, um ſich als wuͤrklichern Gegenſtand
der Schwaͤrmerey hineinzuniſten. Laß mich
eine Probe machen, zu was Schwaͤrmerey
die Weiber endlich fuͤhrt.
Fauſt. Und ſchnell! Ich habe bey Non-
nen gelegen, und ſie wie andre Weiber ge-
funden, laß mich nun ſehen, wie ſich eine
Schwaͤrmerin dabey gebehrdet.
10.
[224]
10.
Dem Teufel war darum zu thun, eine
ſolche Seele dem Himmel zu ſtehlen, Fauſt’s
Suͤndenmaß ſchneller zu fuͤllen, und ſtund
in einem Augenblick unter der Geſtalt eines
alten Mannes, mit einem Guckkaſten vor
Fauſt, gab ihm einen Wink, und ſchlich
nach dem Markte. Hier ſchlug er ſeine
Bude auf, und rief den Poͤbel zuſammen,
ſeine ſchoͤne Raritaͤten zu ſchauen. Das
Volk drang hinzu, Maͤgde und Knechte,
Jungfrauen und Wittwen, Kinder und
Greiſe. Der Teufel gaukelte ihnen allerley
Hiſtoͤrchen vor, die er mit frommen Erlaͤu-
terungen und moraliſchen Spruͤchen beglei-
tete. Jedermann trat vergnuͤgt von dem
Gukkaſten zuruͤck, und reizte die Zuſchauer
mit Erzaͤhlung der geſehnen Wunder. Die
engliſche Angelika ſah aus dem Fenſter, und
da ſie den Teufel mit einem ſo frommen
Tone die Vorſpieglung ſeiner Hiſtoͤrchen ab-
leyern hoͤrte, fuͤhlte ſie eine unwiderſtehli-
che Verſuchung, die Wunder des Kaſtens
zu
[225] zu ſehen, und dem frommen Greiſe ein Al-
moſen zufließen zu laſſen. Der Teufel ward
gerufen. Er fuͤhlte ſich ſelbſt betroffen, von ih-
rer wunderbaren Schoͤnheit, ihrer Sanft-
muth und Guͤte, und ward um ſo begieri-
ger ihre Sinne zu verwirren. Nun legte
ſie ihr ſchwaͤrmeriſches Auge an die Oefnung
des Kaſtens, der Teufel leyerte ſeine All-
tagsſpruͤche herunter, und gaukelte ihr ſtu-
fenweis die Scenen der Liebe bis zu den aus-
ſchweifendſten Vorſpieglungen der Wolluſt
und des ſinnlichen Genuſſes vor. Fuͤhrte
ihre Fantaſie ſo raſch und unmerklich vom
Geiſtigen zum Sinnlichen hinuͤber, daß ſie
die Schattirung kaum gewahr werden konn-
te. Wenn ſie das Auge zuruͤckziehen woll-
te, ſo verwandelte ſich der anſtoͤßige Gegen-
ſtand in ein erhabenes Bild, das den wi-
drigen Eindruck ausloͤſchte, und das Herz
fuͤr das folgende zuͤndbarer machte. Ihre
Wangen gluͤhten, ſie glaubte vor einer be-
zauberten, unbekannten Welt zu ſtehen. In
allen dieſen Scenen ließ der Tauſendkuͤnſt-
Fauſts Leben. Pler
[226] ler Fauſts Geſtalt erſcheinen, und verſezte
ſie immer in die anziehendſten Lagen. Sie
ſah ihn einen Schatten verfolgen der ihr
glich, und um ihret willen die groͤßten Tha-
ten unternahm, ſich den ſchrecklichſten Ge-
fahren unterwarf, und nachdem er ihre Auf-
merkſamkeit gaͤnzlich gefeſſelt hatte, und
wahrnahm, daß die Neugierde, die Ver-
wicklung, worin Fauſts Geſtalt mit ihr ver-
flochten war, aufzuloͤſen wuͤnſchte, ſo ver-
wandelte er die Scene, und ließ in ſchnellem
Wirrwarr die ſchluͤpfrigſten und uͤppigſten
Erſcheinungen der thieriſchen Liebe, mit den
reizendſten Farben bekleidet, vor den Augen
der unſchuldigen Lauſcherin gaukeln. Der
Blitz erleuchtet nicht ſo ſchnell das Dunkel,
der Wunſch nach Ehebruch entſteht nicht
ſo ſchnell in dem Herzen des Wolluͤſtlings,
als dieſe Erſcheinungen voruͤberflogen. Eine
Sekunde iſt Dauer dagegen. Kaum hatte
die Unſchuldige das Auge an den Kaſten ge-
legt, als das Gift ſchon in ihr Herz gefloſ-
ſen war. Sie ſah, bevor ſie fliehen konnte.
Nun
[227] Nun deckte ſie mit beiden Haͤnden ihre Au-
gen, floh nach ihrem Schlafzimmer, und
ſank Fauſten in die Arme. Der Verwegne
nuzte den Augenblick der gaͤnzlichen Abwe-
ſenheit ihres Bewußtſeyns, fand in ihrem
Straͤuben, ihren Thraͤnen, ihrem Seufzen,
neuen Reiz zur Suͤnde, und nie iſt eine un-
ſchuldigere Seele, nie ein ſchoͤnrer, unbe-
fleckterer Koͤrper, von der frechen Hand der
Verfuͤhrung beſudelt worden. Als ſie ih-
ren Fall wahrnahm, verhuͤllte ſie ihr Haupt,
ſtieß den Frechen zuruͤck. Er legte koſtbare
Geſchmeide zu ihren Fuͤßen, ſie zertrat ſie,
und rief: „Wehe dir, die Hand des Raͤ-
„chers wird einſt ſchwer auf dir liegen fuͤr
„dieſe Stunde!“
Der Wahnſinnige freute ſich ſeines Siegs,
gieng ohne Reue zu dem Teufel, der die
Scene belachte, und ſich der ſchaudervollen
Folgen der That freute.
P 211.
[228]
11.
Fauſt befand ſich hier in ſeinem Elemen-
te, die geiſtige Schwaͤrmerey hatte den Zun-
der der Luſt ſo nahe an die Herzen gelegt,
daß er nur anzublaſen brauchte, um ſie in
Flammen zu ſetzen. Er flog von Sieg zu
Sieg, nuzte hierbey die Macht des Teufels
wenig, deſtomehr aber ſein Gold und Ju-
welen, die auch die Frommen zu brauchen
wiſſen. Angelika ward unſichtbar, und al-
les Bemuͤhen Fauſts war vergebens, ihr
noch einmal zu nahen, er vergaß ſie auch
bald in den neuen Berauſchungen. Er las
in der Zwiſchenzeit mit dem Teufel die Hand-
ſchrift der Phyſiognomik, die ihm einer der
Spaͤher fuͤr eine große Summe verkauft hat-
te, und aͤrgerte ſich grimmig an der Zuver-
laͤßigkeit, der Unwiſſenheit und dem dichte-
riſchen Schwulſt des Verfaſſers. Der Teu-
fel gluͤhte vor Zorn, da er ſogar ſein eignes
Portrait in der Handſchrift fand, das der
junge Moͤnch mit der nur ihm eignen Verwe-
genheit beurtheilt hatte. Es verdroß ihn ſo
heftig,
[229] heftig, daß er mit ſeiner hohen Perſon ſein
Spiel getrieben, daß er dem Hang ſich zu
raͤchen nicht widerſtehen konnte, und da
Fauſt in keiner beſſern Laune gegen den
Moͤnch war, ſo machten ſie ſich auf ihm ei-
nen Streich zu ſpielen. Sie giengen nach
dem Kloſter, und da ſie beyde ſtattlich ge-
kleidet waren, und Leute von Rang und Be-
deutung zu ſeyn ſchienen, ſo wurden ſie von
dem jungen Moͤnch ſehr freundlich und herz-
lich empfangen. Aber kaum ſah er den
Teufel ſchaͤrfer an, als er von ſeinem Ange-
ſichte ſo begeiſtert wurde, daß er alle Worte
des Grußes vergaß, ihm ſtark die Hand
ſchuͤttelte, ſich dann von ihm entfernte,
und ihn bald en face, bald en profil an-
ſtarrte. Hierauf rief er hochbegeiſtert:
„Ha! wer biſt du, Uebergroßer?
„Ja, man kann, was man will.
„Man will, was man kann! dies ſagt
„mir dein Geſicht, und ich brauche dich
„nicht zu kennen, und dies zu ſagen. Nie
„hab’ ich die Gewißheit meiner Wiſſen-
P 3„ſchaft
[230] „ſchaft mehr gefuͤhlt, als in dieſem Au-
„genblick!
„Wer kann ein ſolches menſchliches Ge-
„ſicht ohne Gefuͤhl, ohne Hingeriſſenheit,
„ohne Intereſſe anſehen — da nicht in die-
„ſer Naſe innre, tiefe, ungelernte Groͤße,
„und Urfeſtigkeit ahnden! Ein Geſicht voll
„Blick, voll Drang und Kraft.“ er befuͤhl-
te ſeine Stirne, und fuhr fort.
„Erlaube mir mit meinem Stirnmeſſer die
„Woͤlbung deiner Stirne auszumeſſen. —
„Ja eherner Muth iſt ſo gewiß in der Stir-
„ne, als in den Lippen wahre Freundſchaft,
„Treue, Liebe zu Gott und den Menſchen.
„In den Lippen, welch eine vorſtrebende
„entgegenſchmachtende Empfindung! Welch
„ein Adel im Ganzen.
„Ja dein Geſicht iſt die Phyſiognomie
„eines außerordentlichen Mannes, der ſchnell
„und tief ſieht, feſt haͤlt, zuruͤckſtoͤßt,
„wuͤrkt, fliegt — darſtellt, wenig Men-
„ſchen findet, auf denen er ruhen kann, aber
„ſehr viele, die auf ihm ruhen wollen.
„Ach
[231]
„Ach wenn ein gemeiner Menſch ſo eine
„Stirne, ſo eine Naſe, ſo einen Mund, ja
„nur ſolch ein Haar haben kann, ſo ſtehts
„ſchlecht mit der Phyſiognomik.
„Es iſt vielleicht kein Menſch, den dein
„Anblick nicht wechſelsweiſe anziehe und zu-
„ruͤckſtoße — o der kindlichen Einfalt und
„der Laſt von Heldengroͤße! So gekannt,
„und ſo mißkannt werden wenige Sterbliche
„ſeyn koͤnnen.
„Adler! Loͤwe! Zerbrecher! Reformator
„der Menſchen! Steure zu, und rufe die
„Sterblichen von ihrer Blindheit zuruͤck,
„theile ihnen deine Kraft mit, die Natur
„hat dich zu allen dem geſtempelt, was ich
„dir verkuͤndige.“
Fauſt biß wild die Zaͤhne zuſammen,
waͤhrend der Moͤnch alle die herrlichen und
erhabnen Sachen uͤber das Angeſicht des
Teufels, begeiſtert herausſtieß. Der Teu-
fel wandte ſich kalt zu dem Seher:
„Und was haͤltſt du von dieſem hier?
P 4Moͤnch.
[232]
Moͤnch. Groß, kuͤhn, maͤchtig, kraftvoll,
ſanft, mild; doch das Groͤßre iſt groͤßer,
das Kuͤhnre kuͤhner, das Maͤchtigere maͤchti-
ger, das Kraftvollere kraftvoller, das Sanf-
tere ſanfter, das Mildere milder! Gro-
ßer, edler Schuͤler eines Groͤßern, wenn
dein Geiſt und Herz ihn ganz faſſen wird,
ſo wird ſein Licht auch durch dich leuch-
ten! — Ich bitte euch, ſezt euch, daß ich
euren Schatten nehme!
Fauſt, der noch mehr ergrimmte, daß
ihn der Moͤnch ſo tief unter den Teufel ſez-
te, brach los:
„Schatten! ja Schatten, die ſind es, die
„du geſehen haſt. Wer biſt du, der du
„dich ſo frech erkuͤhnſt, das Menſchenge-
„ſchlecht, nach den Zuckungen deiner erhiz-
„ten und verworrnen Einbildungskraft, zu
„richten und zu meſſen? Haſt du den Men-
„ſchen geſehen? Wo, wie und wann? Im
„Schatten haſt du ihn geſehen, und dieſen,
„ausſtafirt mit den Floskeln deiner Fanta-
„ſie, fuͤr ſeine wirkliche Geſtalt gegeben!
„Sage,
[233] „Sage, was fuͤr Menſchen haſt du geſehen?
„Sektirer, Fanatiker, Schwaͤrmer, die
„Schlacken der menſchlichen Natur. Eitle
„Betſchweſtern, junge Weiber, die kraftlo-
„ſe Maͤnner, Wittwen die ſchlafloſe Naͤchte
„haben. Maͤdchen, die der Kitzel des Bluts
„quaͤlet, dieſe haͤngen ſich an Leute deines
„gleichen, weil ſie an nichts kraͤftigerm haͤn-
„gen koͤnnen, und mit dem Geiſte buhlen
„muͤſſen, weil ihre Leiber nicht bepfluͤgt
„werden. — Autoren haſt du geſehen, de-
„nen es wohlgefiel, wenn du die flachen
„Zuͤge ihres Geſichts zu Merkzeichen des
„Genies ſtempelteſt. Große, deren glaͤn-
„zender Stand und Name, ihre Geſichter vor
„deinen Augen verherrlichten. Du ſiehſt ich
„kenne deinen Umgang, und habe dein Buch
„geleſen.“
Teufel. Bravo, Fauſt, laß mich nun
auch das Wort nehmen, und ihm mit Wahr-
heit lohnen. Bruder Moͤnch! in deiner ein-
ſamen Zelle haſt du dir ein ſchaales Ideal
von Vollkommenheit zuſammengeſezt, es
P 5den
[234] den Koͤpfen der Menſchen einzupraͤgen ge-
ſucht, das nun an den Kraͤften ihres Gei-
ſtes zehrt, wie der Krebs am angeſteckten
Fleiſche; oder iſt es ein Zug neuer Charla-
tanerie, den Menſchen durch den Koͤder der
Eitelkeit an dich zu ziehen, und deine ſonſti-
ge Schwaͤrmerey mehr auszubreiten? Es
hat einſt auch Menſchen gegeben, die es
wagten, von dem Aeußeren des Menſchen
auf ſein Innres zu ſchließen, (das im Vor-
beygehen geſagt tiefer liegt, als der Mittel-
punkt der Erde) aber es waren andere Ker-
le wie du. Sie hatten doch wohl einen
Theil des Erdbodens durchlaufen, waren
unter Erfahrungen grau geworden, hatten
mit Menſchen gehandelt und gewandelt, mit
mehr als einem Weibe geſchlafen, die
Schlupfwinkel des Laſters und der Ueppig-
keit durchkrochen. Stiegen aus dem Pallaſt
in die Huͤtte, krochen in die Hoͤhlen der Wil-
den, und wußten, was ohngefaͤhr zu einem
wackren Kerl gehoͤrt, was er leiſten kann,
und was man ſeiner Natur nach, an ihn
fordern
[235] fordern muß. Du ſtarrſt vor deinen Vor-
urtheilen zuruͤck, und zitterſt vor der ra-
ſchen Thaͤtigkeit des Menſchen! Haſt dir ein
Geſpenſt von Moͤnchs- und Weibertugenden
zuſammengeſezt, mit Engelreinheit und
Keuſchheit behaͤngt, womit man keinen Hund
aus dem Ofen locken kann.
Der Moͤnch ſtund zwiſchen ihnen, wie
zwiſchen zwey Feuerſpeyenden Bergen, hielt
demuͤthig die Haͤnde vor die Bruſt, und
ſchrie: Erbarmt euch!
Fauſt. Hoͤre weiter! Du ſiehſt auf dem
Ruͤcken der Naſe eines Burſchen eine kleine
Woͤlbung, die du einmal zum Zeichen fleiſch-
licher Sinnlichkeit gepraͤgt haſt, und er
muß dir ein Wolluͤſtling ſeyn, ob er gleich
Hoden hat wie Erbſen, und Geſaͤße, ſo flach
wie deine Backen. Da, wo du es nicht
ahndeſt, wohin du nicht greifen darfſt, wo-
von du keinen Schatten nehmen, und in
Holz ſchneiden kannſt, da ſizt es dem Mann
und dem Weibe, da iſt nur zu oft die Wage
ihrer Tugend. Du haͤltſt das Aufſteigen der
uͤppigen,
[236] uͤppigen, heißhungrigen Gebaͤhrm[ut]ter fuͤr
himmliſche Begeiſtrung, ſiehſt ſeelige Gefuͤh-
le in den Augen der Matrone, waͤhrend ih-
re Fantaſie mit Bildern der Wolluſt buhlt.
Drang nach edler Thaͤtigkeit auf der Stir-
ne des Juͤnglings, waͤhrend der Loͤwe Tem-
perament in ihm bruͤllt. Wie willſt du
die Kraft des Menſchen abwaͤgen, da du
den gefaͤhrlichen, wilden Kampf, den ſie im
Innern erregt, nie gefuͤhlt haſt? wie be-
ſtimmen, welcher Verſuchung er unterliegen
muß, da du dich bloß mit Schatten ge-
naͤhrt haſt? Was meinſt du, wenn einer die
Floskeln, womit du deine Unerfahrenheit
und Unwiſſenheit deckſt, in ſchlichten Men-
ſchenſinn aufloͤſte? Was wuͤrde uͤbrig blei-
ben als Seifenblaſen?
Der Teufelnahm das Wort: Und
wie, wenn dir alle die Schatten, womit du
dein dickes Buch ausgepuzt haſt, in ihrer
wahren Geſtalt erſchienen, wie ich dir nun
erſcheinen will? Ich habe geſehen, daß du
auch den Teufel portraitirt und gemuſtert haſt,
es
[237] es iſt hohe Zeit, daß er dir erſcheine. Sieh
mich an! ich will nun mein Inneres auf
mein Aeußeres ziehen, und du ſollſt in Staub
vor dem Ideal hinſinken, das deine Fanta-
ſie in mir geſehen hat. Davon ſahſt du
nichts, daß dieſer hier in deinen Schafſtall
gebrochen iſt, und deine geiſtige Laͤmmer er-
wuͤrgt hat. Sieh, er dampft vom Genuß
der Wolluſt — und nun blick’ auf, und
ſage dann, du habeſt einmal ein Ding in
ſeiner wahren Geſtalt geſehen.
Hier zog der Teufel ſein Inneres in der
fuͤrchterlichſten Maske der Hoͤlle hervor, ſtell-
te ſich vor Fauſten, daß er ihn nicht beob-
achten konnte. Der Moͤnch ſank zuſam-
men, und der Teufel wandte ſich zu Fauſt
in ſeiner vorigen Geſtalt.
Teufel. Nun ſage, du haͤtteſt den Teu-
fel geſehen, und mahle ihn, wenn du die
Kraft dazu haſt. Oft wuͤrdeſt du ſo zu-
ſammenſinken, wenn du das wahre Innere
derer ſaͤheſt, die du als Engel gemahlt
haſt.
Fauſt.
[238]
Fauſt. Sey ein Thor, und zeuge Thoren;
mache dich und die Religion durch deine
Schwaͤrmerey den Verſtaͤndigen zum Ekel,
du kannſt nicht kraͤftiger fuͤr den Teufel ar-
beiten. Gehab dich wohl.
Der Moͤnch ward vor Schrecken wahn-
ſinnig, ſchrieb aber in ſeinem Wahnſinn im-
mer fort, und die Leſer merkten die Veraͤn-
derung ſeines Zuſtandes nicht einmal, ſo
ſehr glichen ſeine neuen Buͤcher den alten.
Fauſt freute ſich der Scene herzlich, und
da er des Orts muͤde war, ſo machte er
ſich mit dem Teufel auf den Weg nach dem
lachenden Frankreich.
Viertes
[[239]]
Viertes Buch.
[[240]][[241]]
Viertes Buch.
1.
Frankreich war nun freylich in dieſem Au-
genblick ſo lachend nicht, als es ſpaͤter ge-
worden iſt, denn noch hatte die Gewohn-
heit, ſich von Tyrannen beherrſchen zu laſ-
ſen, nicht ſo tief in ihrem Herzen Wurzel
gefaßt, daß ſie die Grauſamkeiten ihrer Re-
genten und deren Vizirs, wie ihre Thorhei-
ten in Gaſſenliedern beſangen, und dieſes
fuͤr gnuͤgende Rache hielten. Als Fauſt
und der Teufel den reichen Boden dieſes Lan-
des betraten, ſeufzte es unter dem Druck
des feigſten und grauſamſten Wuͤtherichs,
Ludwigs des Elften, der ſich zum erſten-
mal den Allerchriſtlichſten Koͤnig nannte.
Fauſts Leben. QDer
[242] Der Teufel huͤtete ſich ſehr, Fauſten etwas
von ihm vorher zu ſagen, ihm war darum
zu thun, ſein Herz durch ſcheußliche Erfah-
rung, Schlag auf Schlag zu zerknirſchen,
und ihm den Himmel bey jedem Schritt im
Leben immer verdaͤchtiger zu machen, um
ihm alsdann den fuͤrchterlichſten Streich bey-
zubringen, der je einen Menſchen getroffen,
der uͤbermuͤthig gegen die Graͤnzen ſeiner
Natur angeſtoßen, die eine maͤchtige Hand
vor ſeinen Horizont geſtellt hat. Leider
fand er in den Thaten der Menſchen Stoff
genug dazu, und weiſere Leute als Fauſt
haben, ohne Geſellſchaft des Teufels, an
dieſer gefaͤhrlichen Klippe geſtrandet, wenn
ſie einmal vergaßen, daß Ergebung in ſein
Schickſal, die erſte Forderung der Natur
an den Menſchen ſey, und wenn Guͤte und
Nachſicht nicht den Grundſtoff ihres We-
ſens ausmachten, deren milder Schimmer
allein die ſchwarzen Gemaͤhlde der Welter-
fahrung aufheitern kann. Fauſt wußte von
Frankreichs Koͤnig nichts, als daß er ſich
den
[243] den Allerchriſtlichen nennen ließ, der erſte
ſey, der die Vaſallen ſeines Reichs gede-
muͤthigt, und die Rechte der Krone gegen
ſie behauptet haͤtte, uͤbrigens von allen an-
dern Hoͤfen gefuͤrchtet wuͤrde, weil ihm je-
des Mittel zu ſeinem Zwecke gleich ſey, und
man kein Beyſpiel habe, daß er ſein Wort
gehalten haͤtte, wenn nichts dabey zu ge-
winnen war. Er ſollte nun Zeuge der Mit-
tel werden, die er zu ſeinen Zwecken anwen-
dete.
Der Teufel hatte, durch ſeine ausgeſand-
ten Kundſchafter erfahren, daß der Aller-
chriſtlichſte Koͤnig ſo eben einen Staatsſtreich
auszufuͤhren gedaͤchte, ſich ſeines Bruders,
des Herzogs von Berry zu entledigen, um
die ihm abgetretne Provinz der Krone ein-
zuverleiben. Er verſaͤumte nicht, Fauſten
zum Zuſchauer dieſer Scene zu machen. Sie
ritten an einem Luſtwald voruͤber, der an
ein Schloß ſtieß, und ſahen in demſelben
einen Benediktinermoͤnch, der ſein Brevier
zu bethen ſchien. Der Teufel freute ſich in-
Q 2nig
[244] nig des Anblicks, denn er las auf der
Stirne des Moͤnchs, daß er ſo eben die Mut-
ter Gottes anflehte, ihm bey dem großen
Unternehmen, das ihm ſein Abt aufgetra-
gen, beyzuſtehen, und ihn nach gluͤcklichem
Erfolge aus der Gefahr zu erretten. Die-
ſer Moͤnch war der Bruder Faver Veſois,
Beichtvater des Bruders des Koͤnigs. Der
Teufel uͤberließ ihn ſeinen frommen Be-
trachtungen, und ritt mit Fauſten nach dem
Schloſſe, wo ſie als Fremde von Stand, die
gekommen waren, dem Prinzen ihre Achtung
zu bezeugen, guͤtig aufgenommen wurden.
Der Prinz lebte auf dieſem Schloſſe mit ſei-
ner geliebten Montſorau in Ruhe und Ver-
gnuͤgen, dachte kein Arges, und erwartete
kein Arges. Fauſt wurde von ſeinem an-
genehmen Betragen ſehr eingenommen, und
freute ſich, einen koͤniglichen Prinzen zu ſe-
hen, der als Menſch that und redete, da er
bey den teutſchen Fuͤrſten gewohnt war,
nichts zu ſehen, als ſteifen Stolz und hoͤl-
zernes Ceremoniel, das um ſo unertraͤgli-
cher
[245] cher iſt, da es jedem Verſtaͤndigen ihre Klein-
heit und Schwaͤche nur merklicher macht.
Einige Tage verſtrichen unter Jagd- und an-
dern Ergoͤtzlichkeiten, und der freundliche
Prinz zog Fauſten immer mehr an ſich. Das
Einzige was ihm mißfiel, war die Neigung
des Prinzen zu ſeinem Beichtvater, dem
Benediktiner. Er uͤberhaͤufte dieſen mit ſo
vieler Zaͤrtlichkeit und Freundſchaft, ließ
ſeinen Willen ſo gefaͤllig von ihm lenken,
und der Moͤnch beantwortete alles mit ſo
einer froͤmmelnden Miene, daß Fauſt nicht be-
greifen konnte, wie ein Mann von ſo off-
nem Betragen eine ſolche heuchleriſche Mas-
ke liebkoſen koͤnnte. Der Teufel enthuͤllte
ihm bald das Raͤthſel, durch das Verhaͤltniß
des Prinzen mit der Dame Montſerau. Der
Prinz hatte eben ſo viel Liebe fuͤr ſie, als
Furcht vor der Hoͤlle, und weil ihr Gemahl
noch lebte, ſo machte es ſeine Lage mit ihr be-
denklich. Da er ihr alſo nicht entſagen,
und doch der Hoͤlle gern entgehen wollte,
ſo bediente er ſich des bekannten Seiten-
Q 3wegs,
[246] wegs, den die Moͤnche neben der Religion
her gegraben haben, um ihre Macht auf
das Gewiſſen der Menſchen zu gruͤnden, und
ließ ſich durch Abſolution ſeiner Suͤnden
die Zukunft ſichern, wenn die Furcht vor
der Hoͤlle ihn zu ſtark uͤberfiel. Mußte er
ſich nicht dankbar gegen einen Menſchen be-
zeigen, der ihn des Gegenwaͤrtigen genießen
ließ, und ihn uͤber die Zukunft beruhigte.
„Du ſiehſt, Fauſt,“ ſagte der Teufel, „was
„die Menſchen aus der Religion gemacht
„haben, und merke nur, daß ſie bey jedem
„großen Verbrechen, bey jedem ſcheußlichen
„Greuel, entweder die Hauptrolle ſpielt,
„oder doch die Spielenden uͤber ihre Thaten
„troͤſtet und beruhigt.“
Dieſer Umſtand empfahl nun freylich den
Verſtand des Prinzen bey Fauſten nicht, der
mit ſeinem Gewiſſen ſo raſch geendigt hatte;
die lezte Bemerkung des Teufels fiel tiefer
in ſeine Seele, indeſſen ließ er noch alles
gehen, und genoß, was er der fluͤchtigen
Zeit nur entreißen konnte.
Man
[247]
Man ſaß eines Abends ſehr munter be[y]
Tiſche, der Teufel ergoͤzte die Geſellſchaft
mit luſtigen Schwaͤnken, Fauſt warf ſein
Netz auf die kuͤnftige Nacht nach einer mun-
tern Franzoͤſin, ſie beantwortete ſein Spiel
nach ſeinem Wunſche, alles war heiter, als
auf einmal der fuͤrchterliche Tod der Freu-
de ein Ende machte. Der Benediktiner hatte
eine Schuͤſſel der ſchoͤnſten und groͤßten
Pfirſichen zum Geſchenk erhalten, die er zum
Nachtiſch auftragen ließ, und dem Prinzen
die koͤſtlichſte mit einer laͤchelnden und from-
men Miene hinreichte. Der Prinz theilte
ſie mit ſeiner Geliebten, und ſie aßen beyde
die Pfirſiche ohne Verdacht. Man ſtund
auf. Der Moͤnch ſprach das gratias tibi,
mit Salbung und verſchwand. Der Teu-
fel wollte eben anfangen, eine neue Fratze
zu erzaͤhlen, als die Dame Montſerau einen
Schrey des heftigſten Schmerzes ausſtieß.
Ihr ſchoͤnes Geſicht verzerrte ſich ploͤtzlich.
Ihre Lippen wurden blau, und die Blaͤſſe
des Todes deckte ihre bluͤhenden Wangen.
Q 4Der
[248] Der Prinz wollte ihr zu Huͤlfe eilen, das
fuͤrchterliche Gift wuͤrkte in demſelben Au-
genblick in ſeinen Eingeweiden, er ſank bey
ihr nieder, und rief zum Himmel: „Hoͤre
„es! es iſt die Hand meines Bruders, die
„mich durch dieſen Verfluchten toͤdtet! Er,
„der unſern Vater zwang, den Hungertod
„zu ſterben, um nicht von ihm vergiftet zu
„werden, er hat dieſen Moͤnch erkauft!“
Fauſt ſtuͤrzte hinaus, um ſich des Beicht-
[v]aters zu bemaͤchtigen, er war entflohen,
ein Haufen Reiter hatte ihn am Luſtwald
empfangen, und ihn auf ſeiner Flucht be-
gleitet. Fauſt kehrte zuruͤck. Schon hatte
der Tod ſeine Opfer verſchlungen, und lag
auf ihnen in ſchaudervoller Geſtalt. Fauſt
und der Teufel uͤberließen ihm ſeine Beute,
und zogen weiter.
Teufel. Nun, Fauſt, braucht ihr des
ſchwarzen Teufels, wie ihr ihn nennt, da
er in Moͤnchskutten auf der Erde herum-
ſpukt? Wie gefaͤllt dir der Streich dieſes
Benediktiners, den er im Namen des al-
ler-
[249] lerchriſtlichſten Koͤnigs hier ausgefuͤhrt
hat?
Fauſt. Ha, bald ſollt’ ich glauben, unſre
Leiber werden von den gefallnen Geiſtern der
Hoͤlle beſeelt, und wir ſind nur ihre Werk-
zeuge.
Teufel. Pfuy des ekelhaften Looſes fuͤr
einen unſterblichen Geiſt, ein ſo zweydeuti-
ges, mißgeſchaffnes Ding zu beſeelen! Glau-
be mir, ob ich gleich ein ſtolzer Teufel bin,
ſo wuͤrde ich doch lieber in ein Schwein fah-
ren, das ſich im Kothe beſudelt, als in ei-
nen von euch, die ſich in Laſtern herum-
waͤlzen, und ſtolz das Ebenbild des Hoͤch-
ſten nennen.
Fauſt. Verfluchter! der du den Men-
ſchen herabwuͤrdigeſt —
Teufel. He, werde nicht zornig, Menſch!
ſage, wuͤrden wir nicht an eurem morali-
ſchen Werth erſticken? Kann der Teufel das
Licht eurer Tugend vertragen? Iſt dieſer
Moͤnch nicht ein frommer Mann? Sein
Abt nicht ein frommer Mann, der ihm die-
Q 5ſe
[250] ſe That aufgetragen hat? Iſt der Koͤnig
nicht der allerchriſtlichſte Monarch und ein
ſehr guter Bruder, der dem Abt dem Wink
dazu gegeben hat? Wie ſollte der Teufel in
ſolchen frommen Leuten ſeine Herberge auf-
ſchlagen koͤnnen?
Fauſt Was konnte den Elenden reizen,
den Spruch der Verdammniß auf ſich zu
ziehen?
Teufel Die Verdammniß iſt weit ent-
fernt, die Abſolution nahe, und noch naͤher
die großen Guͤter, der Lohn der That, die
das Kloſter des Abts zum maͤchtigſten und
reichſten in der Provinz machen. Haben
Moͤnche dieſem Reiz je widerſtanden, ſeit-
dem ſie die, uns furchtbare Religion ſo ver-
pfuſcht haben, daß die Hoͤlle nun ſiegt, die
einmal vor dem Ende ihrer Herrſchaft
bebte?
Dieſer Gedanke fuhr gleich einer Vip[er]
in den Buſen Fauſts. Er ſchwieg, und
verlohr ſich immer tiefer in ſeinen finſtern Be-
trachtungen uͤber den Menſchen, ſeine Be-
ſtim-
[251] ſtimmung, den moraliſchen Gang der Welt,
deſſen Widerſpruͤche er nicht ausgleichen
konnte. Die ihm taͤglich aufſtoßenden Be-
gebenheiten reizten ſeine Galle, legten den
Keim zu noch peinlichern Zweifeln, zu Men-
ſchenhaß und Menſchenverachtung an ſein
Herz, die gleich dem Polypen nur langſam
wachſen, und dann nur toͤdten, wenn ſie
das Herz ſo umſponnen haben, daß ihm der
Raum ſich auszudehnen fehlt. Sie zogen
im Lande weit und breit herum, hatten der
Abentheuer viel, und Fauſt ließ ſich noch
nicht von ſeinen finſtern Betrachtungen im
Genuß des Lebens ſtoͤhren. Ueberall fan-
den ſie Merkmahle der Klaue des feigen Ty-
rannen, und Fauſt nuzte oft die Schaͤtze
des Teufels, die blutigen Wunden zu
ſtillen.
2.
So kamen ſie von Abentheuer zu Aben-
theuer nach Paris. Bey ihrem Eintritt
war die ganze Stadt in Bewegung. Das
Volk
[252] Volk ſtuͤrzte nur einen Weg, ſie folgten dem
Zug, und kamen zu den Hallen, wo ſie ein
ſchwarzbedektes Geruͤſte aufgeſchlagen fan-
den, das durch eine Thuͤre mit einem nahen
Gebaͤude verbunden war. Fauſt fragte,
was dieſes bedeutete? und man antwortete
ihm, daß ſo eben der reiche Herzog von
Nemours hingerichtet wuͤrde. „Und die
„Urſache?“ — „Der Koͤnig hat es befohlen.
„Man ſagt, er habe aus feindlichen Geſin-
„nungen gegen das koͤnigliche Haus, den
„Dauphin umbringen wollen. Da ihn aber
„vom Koͤnige beorderte Richter geheim in
„ſeinem Keficht verhoͤrt haben, ſo weiß man
„nichts als das Geruͤcht.
„Sagt vielmehr, es ſeyen ſeine Guͤter,
„die ihm den Hals koſten; denn um ein
„maͤchtiger Koͤnig zu werden, und uns zu
„einer großen und beruͤhmten Nation zu
„machen, ermordet er unſre Großen, und
„uns obendrein, wenn wir es nicht fuͤr gut
„halten;“ rief einer der Anweſenden.
Der
[253]
Der Teufel ließ die Pferde nach einem
nahen Wirthshaus fuͤhren, und leitete Fau-
ſten durch den Haufen. Sie ſahen den ed-
len Herzog, von ſeinen unmuͤndigen Kin-
dern begleitet, nach einem ſchwarz ausge-
ſchlagnen Zimmer fuͤhren. Hier erwartete
ihn ein Moͤnch, der ſeine lezte Beichte hoͤren
ſollte. Der Blick des Vaters hieng an ſei-
nen Soͤhnen, und konnte ſich nicht von ih-
nen zu dem Himmel wenden. Nach der
Beichte druͤckte er ſie wider ſeine Bruſt, ſah
dann gen Himmel, legte ſeine bebenden Haͤn-
de auf die Haͤupter der Schluchzenden, und
ſagte: „Laß den Seegen eines ungluͤckli-
„chen Vaters, den Haabſucht und Tyran-
„ney ermorden, dieſen Unſchuldigen gedei-
„hen! doch“ — hier hielter ſeufzend
inne — „ſie ſind die Erben eines Un-
„gluͤcklichen, ihre Anſpruͤche verdammen ſie
„zu langſamer Marter, ſie ſind dem Weh
„gebohren, und in dieſem Gefuͤhl muß ich
„ſterben.“ Er wollte weiter reden, man
zwang ihn zu ſchweigen, und fuͤhrte
ihn
[254] ihn durch die Thuͤre auf das Blut-
geruͤſte.
Nach dem Befehl des Koͤnigs, der dieſe
Hinrichtung mit der kalten Bedachtſamkeit
eingerichtet hatte, wie man ein Schauſpiel
zum Vergnuͤgen anordnet, wurden die Soͤh-
ne von ihm geriſſen, unter das Geruͤſt ge-
fuͤhrt, daß das Blut ihres hingerichteten
Vaters auf ihre weiſſe Gewaͤnder traͤufle.
Der Schrey, den der Vater in dieſem Au-
genblick ausſtieß, ſchauderte durch die Her-
zen aller Anweſenden, nur Triſtan der Hen-
ker und Buſenfreund des Koͤnigs, der ſchon
ſo viele Tauſende ſeiner Wuth geopfert, be-
fuͤhlte dabey laͤchelnd die Schaͤrfe des
Schwerdts. Fauſt glaubte, dieſer Ton
muͤſſe die Feſte des Himmels durchdringen,
und ihn zum Raͤcher der verlezten Menſch-
heit machen. Er ſah grimmig aufwaͤrts,
und ſein vermeßner Blick machte den Hoͤch-
ſten zum Mitſchuldigen der ſchaudervollen
That. Er war einen Augenblick in Verſu-
chung, ihn mit ſeinen Kindern durch den
Teufel
[255] Teufel den Haͤnden des Henkers entfuͤhren
zu laſſen, aber ſein nun finſtres Herz hohn-
te des Entſchluſſes, er ſah nochmals gen
Himmel, und ſagte in ſeinem Inneren:
„Iſt mir doch die Sorge fuͤr ihn nicht an-
„vertraut; vermuthlich gehoͤrt es zu deiner
„Ordnung auf Erden, daß dieſer blute, da-
„mit der Koͤnig muthiger in Verbrechen
„werde!“ Der Herzog kniete nieder, e[r]
hoͤrte das Winſeln und Klagen der Soͤhne
unter dem Geruͤſte hervor, das ihn in das
andre Leben begleiten ſollte; ſein eigner
ſchmaͤhlicher Tod verſchwand vor ſeinen Au-
gen, er fuͤhlte zum leztenmal, und fuͤhlte
nur fuͤr die Ungluͤcklichen — ſtarre Thraͤ-
nen hiengen an ſeinen Augen — ſeine Lip-
pen zitterten — Der Henker fuͤhrte den
Streich, und das warme Blut des Vaters
rann uͤber die bebenden Soͤhne hin. So
befleckt, fuͤhrte man ſie auf die Buͤhne zu-
ruͤck, zeigte ihnen den Leichnam, das davon
getrennte Haupt des Vaters, trieb ſie in
das Gefaͤngniß zuruͤck, wo ſie in Koͤrbe ge-
feſſelt
[256] feſſelt wurden, die oben weit und unten e[n]-
ge waren, um ſie in dieſer peinlichen Lage
langſam hinſterben zu laſſen. Ihre Mar-
ter zu vermehren, riß man ihnen zu Zeiten
die Zaͤhne aus.
Fauſt wankte betaͤubt von dieſer ſchreck-
lichen Scene nach dem Wirthshaus, und
forderte den Teufel zur Rache an dem auf,
den der Himmel unbeſtraft ſolche Greuel be-
gehen ließ.
Teufel. Fauſt, ich erwuͤrge ihn nicht, es
iſt gegen die Polizey der Hoͤlle, und warum
ſoll der Teufel Grauſamkeiten ein Ende ma-
chen, da ſie der geduldig anſieht, den die
Menſchen ihren Vater und Erhalter nennen?
Vermuthlich gehoͤrt dies zu der Ordnung
der moraliſchen Welt, daß die Koͤnige, die
ſich die Geſalbten des Himmels nennen,
und von ihm ihre Einſetzung erhalten zu
haben vorgeben, ſo mit den Menſchen, de-
nen er ſie vorgeſezt, umſpringen muͤſſen.
Folgte ich deinem blinden Zorn, wer von
denen,
[257] denen, die wir noch ſehen werden, wuͤrde
deiner Rache entgehen?
Fauſt. Und waͤre es nicht ein verdienſtli-
ches Werk, wenn ich gleich einem zweyten
Herkules herumzoͤge, und Europas ſtolze
Throne von dieſen Ungeheuern reinigte?
Teufel. Kurzſichtiger, beweiſt nicht eure
verdorbene Natur daß ihr ſie braucht, und
wuͤrden nicht neue Ungeheuer aus ihrer
Aſche aufleben? des Mordens wuͤrde kein
Ende werden, die Voͤlker ſich trennen, und
ſich durch buͤrgerliche Kriege aufreiben. Du
ſiehſt Millionen hier, die dieſen Wuͤtherich,
wie ſie ihn nennen, in Geduld ertragen,
ſich ſchinden laſſen, ohne von Rache ent-
flammt zu werden. Sahen ſie nicht dieſen
edlen Herzog hinrichten, wie ein Schaf,
und genoſſen mit aͤngſtlichem und peinvollen
Vergnuͤgen des tragiſchen Schauſpiels? Be-
weiſt dieſes nicht, daß ſie ihr Schickſal ver-
dienen, und keines beſſern werth ſind; daß
ſie als Sclaven des Himmels und ihrer Na-
tur, das Joch ertragen muͤſſen, wie man es
Fauſts Leben. Rihnen
[258] ihnen auflegt? Wenn dein Sinn durch die
Wolluſt noch nicht ganz verraucht iſt, ſo
reime dieſes mit den Schulbegriffen deiner
Moral zuſammen, ich bin kein Lehrer des
Lichts, in der Finſterniß, die euch umgiebt.
Ich kann meine Hand nicht an den Geſalb-
ten legen, der ſo wacker fuͤr die Hoͤlle ar-
beitet, kann den Faden nicht zerreißen, an
welchem ein Maͤchtigerer wie ich, durch ihn
dieſes Volk leitet.
Fauſt. Wie gewiſſenhaft auf einmal mein
Teufel geworden iſt! Wie ſchnell warſt du
fertig, da ich dir auftrug, den teutſchen
Fuͤrſten zu erwuͤrgen, iſt dir der Franzoſe
mehr werth?
Teufel. Er war zu Verbrechen nicht ge-
ſalbt wie dieſer hier, und wenn ich deinen
Wink erfuͤllte, ſo ſah ich aus der That Nu-
tzen fuͤr die Hoͤlle; einſt wird es dir klar wer-
den! Warum willſt du, daß ich gegen meine
eigne Eingeweide wuͤthen ſoll? Iſt er es
nicht, der den Grundſtein zu dem Deſpotis-
mus legt, der durch Jahrhunderte wachſen,
bis
[259] bisher unerhoͤrte Greuel veranlaſſen, und
unzaͤhlige Opfer der Verzweiflung zur Hoͤlle
ſchicken wird. Werden nicht alle die tyran-
niſchen Koͤnige, ihre Miniſters und die uͤbri-
gen Blutſauger des Volks, in den Pfuhl
der Verdammniß fahren? Und ich ſollte den
zerſtoͤhren, der ein ſolches Werk gruͤndet?
Fauſt, wenn der maͤchtige Satan in Frank-
reich Koͤnig waͤre, ſo koͤnnte er nicht mit
fruchtbarerer Hand den Saamen zu dem
kuͤnftigen Boͤſen ausſaͤen, wie dieſer es thut.
Gedulde dich, du ſollſt dieſen Koͤnig ſehen,
dich an ſeinen Martern ergoͤtzen, und dann
wirſt du ihm langes Leben wuͤnſchen, ſie zu
verlaͤngern.
3.
Fauſt machte einige Zeit hierauf mit ei-
nem ſehr verſtaͤndigen und rechtſchaffnen
Edelmann Bekanntſchaft, und er nebſt dem
Teufel gefielen ihm ſo wohl, daß er ſie auf
ſein Landguth, nahe bey der Stadt, ein-
lud, wo er mit ſeiner Familie lebte, die
R 2aus
[260] aus ſeiner Gemahlin, und ſeiner ſehr ſchoͤ-
nen ſechzehnjaͤhrigen Tochter beſtund. Fauſt
wurde von dem erſten Blick des reizenden,
unſchuldigen Maͤdchens bezaubert, und fuͤhl-
te zum erſtenmal etwas von den ſuͤßen Qua-
len einer feinern Liebe. Er vertraute dem
Teufel ſeine Pein, und dieſer, der das Boͤ-
ſe ſo gern befoͤrderte, als Fauſt es that,
bot ihm ſeine Huͤlfe an, und ſpottete ſeiner
Ziererey. Fauſt aber, der auf einmal edel
zu fuͤhlen glaubte, geſtund ihm, es gienge
ihm nah, dem Edelmann ſeine Gaſtfreund-
ſchaft ſo ſchlecht zu vergelten. Der Teufel
ſpottete ſeiner Bedenklichkeit noch mehr,
und antwortete: „Nun Fauſt, wenn du die
„Einwilligung des Edelmanns zu dem Spa-
„ße brauchſt, ſo iſt mir’s um ſo lieber, denn
„ich fange auf einen Zug zwey Voͤgel, und
„ſtehe dir fuͤr die Einwilligung. Fuͤr was
„haͤltſt du ihn?“
Fauſt. Fuͤr einen Biedermann.
Teufel. Es iſt doch Schade, Fauſt, daß
du bey dem teutſchen fanatiſchen Moͤnch
nicht
[261] nicht ein wenig in die Schule gegangen biſt.
Du haͤltſt alſo dieſen Edelmann fuͤr einen
biedern Geſellen, freylich ganz Paris denkt
ſo von ihm, und leider muß ich nun wieder
in meiner ganzen Teufeley erſcheinen —
Was glaubſt du, daß er vorzuͤglich liebt?
Fauſt. Seine Tochter.
Teufel. Ich kenne etwas, das er noch
mehr liebt.
Fauſt. Das waͤre?
Teufel. Gold, davon du freylich ſchon
Beweiſe haben koͤnnteſt, da dir aber die
Schaͤtze der Erde durch mich offen ſtehen,
ſo gleichſt du einem Strome, der ſich ergießt,
unbekuͤmmert, woher die Gewaͤſſer ihm zu-
fließen, und wohin er ſie ausſtoͤßt. Wie
viel haſt du ſchon an den Edelmann ver-
ſpielt?
Fauſt. Das berechne der, der den Quark
fuͤr mehr haͤlt, als ich.
Teufel. Er der dich betrogen hat, zaͤhlt
es ſorgfaͤltiger als ich.
Fauſt. Betrogen?
R 3Teufel.
[262]
Teufel. Wie anders? Wuͤrde er, der nie
geſpielt hat, ſonſt mit dir ſpielen? Er ſah,
was dir das Geld iſt, und machte ſeinen
ſichern Plan darauf. Glaubſt du, die Ta-
fel wuͤrde ſo gut beſtellt ſeyn, die Weine ſo
wacker fließen, und die Gaͤſte, ſeine Gehuͤl-
fen dich zu rupfen, ſo zahlreich um den
Tiſch dieſes Geizigen ſitzen, wenn dein Gold
nicht dieſe Wunder wuͤrkte? Fauſt, in die-
ſem Hauſe aß man ſich vor unſerm Hierſeyn
nie ſatt. — Ich ſehe an deiner Verwunde-
rung, daß du dein Lebenlang ein Verſchwen-
der warſt, und von dieſem Durſt nach Gold,
der alle Wuͤnſche des Herzens, ſelbſt die
noͤthigen Beduͤrfniſſe der Natur beſiegt, kei-
ne Ahndung haſt. Folge mir leiſe!
Sie giengen die Treppe hinunter, durch-
ſchlichen einige unterirdiſche Gaͤnge, und
kamen endlich an eine eiſerne Thuͤre, wo der
Teufel zu Fauſten ſagte: „Sieh durch das
„Schluͤſſelloch!“ In dieſem Gewoͤlbe, das
der ſchwache Schein einer Lampe erleuchte-
te, entdeckte Fauſt den Edelmann vor einem
eiſernen
[263] eiſernen Kaſten, in welchem viele Saͤcke mit
Geld lagen, die dieſer mit zaͤrtlichen Augen
anſah, und hierauf in einen leeren, das
Gold Stuͤck fuͤr Stuͤck zaͤhlte, das er Fau-
ſten abgewonnen hatte. Vorher aber be-
ſah er jedes Stuͤck, wog es in der Hand,
kuͤßte es, rechnete zuſammen, uͤberzaͤhlte
mit vielem Genuß den ganzen Schatz, ſeufz-
te am Ende beklommen uͤber das was ihm
noch mangelte, die Zahl rund zu machen.
Der Teufel liſpelte Fauſten in’s Ohr:
„Um das Fehlende verkauft er dir die
Tochter.“
Fauſt wollte es nicht glauben, dieſes ver-
droß den Teufel, und er ſagte ungeduldig:
„Nun, wenn ich dir zeigte, daß das
„Gold eine ſo unwiderſtehliche Macht uͤber
„das Herz des Menſchen hat, daß in die-
„ſem Augenblick einige Vaͤter und Muͤtter
„aus der Stadt, in dem ganz nahen Ge-
„hoͤlze, mit einigen Abgeſandten des Koͤnigs
„in Unterhandlung ſind, ihnen ihre Saͤug-
„linge zu verkaufen, ob ſie gleich wiſſen,
R 4„daß
[264] „daß ſie ermordet werden, und der kraͤn-
„kelnde Koͤnig ihr Blut trinkt, ein Wahn,
„ſein ſcharfes und veraltetes Gebluͤt,
„durch ihr ſuͤßes und geſundes zu ver-
„juͤngen.“
Fauſt. ſchaudernd. So iſt die Welt
die Hoͤlle, und ich will ihr mit Freuden ent-
fliehen. Und der Koͤnig trinkt wiſſend die-
ſen ſchauderlichen Trank?
Teufel. Der Arzt, der ſein Tyrann iſt,
und ſich bereichert, hat ihn verordnet, und
der Beichtvater es unſtraͤflich gefunden,
wenn es dazu dienen kann, ſeine koſtbaren
Tage zu verlaͤngern.
Sie eilten nach dem Gehoͤlze, verbargen
ſich hinter dickes Geſtraͤuch, und ſahen die
Abgeordneten des Koͤnigs, mit einigen Buͤr-
gern und dem Prieſter des Kirchſpiels, in
Unterhandlung. Vier kleine Kinder lagen
vor ihnen im Graſe, eins derſelben ſchrie er-
baͤrmlich, die Mutter koßte es, und legte es
an die Bruſt, um es zu ſtillen. Die andern
krochen auf den Baͤuchen, und ſpielten mit
den
[265] den Blumen. Die Abgeordneten zaͤhlten
den Maͤnnern das Gold auf die Hand, der
Pfarrer empfing ſeinen Theil, und man lie-
ferte die Kinder aus. Noch lange hoͤrte
man die Kinder durch den Wald ſchreyen,
die Muͤtter heulten, aber die Maͤnner ſag-
ten ihnen: „Hier iſt Gold, laßt uns in die
„Schenke gehen, und uns Muth trinken,
„andre zu machen. Man ſagt, der Koͤnig
„freſſe die Kinder, beſſer er frißt ſie jung,
„als daß er ſie alt ſchindet, oder ſie in ei-
„nen Sack genaͤht, in die Seine werfen
„laͤßt, wie er tauſenden gethan hat. Laßt
„fruͤh ſterben, was zum leiden gebohren iſt,
„wahrlich es waͤre beſſer fuͤr uns geweſen,
„wenn ſein Vater uns jung gefreſſen
„haͤtte.“
Der Pfarrer troͤſtete ſie, und ſagte:
„Es ſey ein verdienſtliches Werk, und
„der Mutter Gottes, welcher der Koͤnig ſo
„ſehr zugethan ſey, gefaͤllig. Auch ſeyen
„die Unterthanen fuͤr den Koͤnig geboren,
„und da er an Gottes Statt uͤber ſie auf
R 5„Erden
[266] „Erden herrſchte.“ Wer mag den Unſinn
ausfuͤhren? So giengen ſie nach der Schen-
ke, verſoffen einen Theil des Blutgelds, und
ſparten den andern auf, dem Koͤnig die Ter-
mine zu bezahlen.
Der Teufel ſah Fauſten hoͤhniſch an:
„Zweifelſt du noch, ob dir der Edelmann
„die Tochter verkaufen wird, die du doch
„wenigſtens nicht freſſen wirſt?“
Fauſt. Bey der ſchwarzen Hoͤlle, die mir
in dieſem Augenblick ein Paradies gegen die
Erde zu ſeyn ſcheint, ich will von nun an
allen meinen Begierden den Zuͤgel ſchießen
laſſen, und bey Zerſtoͤrung und Verwuͤſtung
glauben, ich arbeitete in dem Sinn deſſen,
der die Menſchen ſo ungeheuer geſchaffen
hat. Eile, kaufe ihm die Tochter ab, ſie
iſt der Zerſtoͤrung geweiht, wie alles, was
Othem hat.
Dieſes war die Laune, worin der Teufel
Fauſten laͤngſt zu ſehen wuͤnſchte, um ihn
zum Ziel zu foͤrdern, und der laͤſtigen Buͤr-
de los zu werden, der Sclave eines ſo ver-
aͤchtli-
[267] aͤchtlichen Dinges zu ſeyn, als der Menſch
ihm ſchien. Noch denſelben Abend fieng er
an, den Edelmann zu ſtimmen, und ſprach
vorſetzlich von ihrer nahen Abreiſe; den fol-
genden Morgen warf er ihm bey einem Spa-
ziergang die goldne Angel hin, der Gierige
ſchnappte darnach, wollte ſie aber noch nicht
faſſen, und machte die gewoͤhnlichen Para-
den der Tugend — der Teufel ſtieg bey je-
der heuchleriſchen Floskel in der Summe,
ſtieg endlich ſo hoch, daß der Edelmann in
ſeinem Herzen des Thoren lachte, der ſein
Gold ſo unſinnig verſchwendete. Der Ver-
trag ward gemacht, der Vater ließ Fauſten
in das Zimmer ſeiner Tochter ein, und dach-
te ihr Heurathsgut auf eine Art erbeutet zu
haben, wovon ihr kuͤnftiger Mann nichts
merken wuͤrde. Das Maͤdchen war in der
erſten Bluͤthe der Jugend, Fauſt hatte durch
den Umgang mit den Weibern erlernt, ſie
zu bethoͤren, und da er ihr beweiſen konnte,
daß ihr Vater ſelbſt zu ihrem Fall mit-
wuͤrkte, ſo that die Natur das uͤbrige.
Der
[268]
Der Vater ſchlich indeſſen mit dem Gold-
ſack und einer Lampe, heimlich nach ſeinem,
jedermann unbekannten Gewoͤlbe. Das
Herz klopfte ihm vor Freude, einen Sack zu
fuͤllen, und endlich die Summe ſeines Scha-
tzes zu runden. Aus Furcht belauſcht zu
werden, und im Taumel der Freude, ſchlug
er die Thuͤre hinter ſich haſtig zu, ohne den
Schluͤſſel abgezogen, und zu ſich geſteckt zu
haben. Die Lampe verloſch durch den hef-
tigen Schlag, und er ſah ſich auf einmal
mit ſeinem Golde auf dem Arme, in dik-
ker Finſterniß. Die Luft im Gewoͤlbe war
ſchwer und dumpfigt, und druͤckte bald auf
ſeine Bruſt. Nun ward er erſt gewahr,
daß er den Schluͤſſel außen gelaſſen hatte,
und Todesangſt ſchoß kalt durch ſein Herz.
Noch hatte er Kraft und Inſtinkt genug,
ſeinen Kaſten zu finden, er legte das Gold
hinein, kroch tappend zu der Thuͤre zuruͤck,
und uͤberlegte ob er klopfen oder ſchreyen
ſollte. Es entſtund ein peinlicher Kampf
in ſeiner Seele, er war in Gefahr, ſein Ge-
heimniß
[269] heimniß zu verrathen, oder aus dieſer Gruft
ſein Grab zu machen. Lange haͤtte er ru-
fen moͤgen, dieſes Gewoͤlbe war mit dem be-
wohnten Theil des Hauſes außer aller Ver-
bindung, und er wußte die Zeit ſo gut zu
waͤhlen, daß ihn bisher noch niemand be-
merkt hatte, wenn er zu ſeinem Gott ſchlich.
Nachdem er lange gekaͤmpft hatte, ohne ſich
entſchließen zu koͤnnen, nahm das Bangen
ſeines Herzens, durch die ſchrecklichen Vor-
ſtellungen, und die ſchwere, verſchloßne Luft
ſo zu, daß es ſein Gehirn verwirrte. Er
ſank nieder, kroch zu ſeinem Kaſten zuruͤck,
umfaßte ihn, und fieng bald an zu wuͤthen.
Hier kaͤmpfte er mit der Verzweiflung, und
dem ſcheußlichſten Tod, waͤhrend ſeine Toch-
ter, deren Unſchuld er fuͤr das Gold, auf
welchem er nun winſelte, verkauft hatte,
Fauſt den Lohn ſeiner Suͤnde abtrug. Nach
einigen Tagen, da man ſchon alle Winkel
vergebens durchſucht hatte, fuͤhrte der Zu-
fall einen Diener nach dem Gewoͤlbe. Man
oͤfnete es, und fand den Verzweifelten blau
und
[270] und ſchwarz, in der ſcheußlichſten Verzer-
rung auf ſeinem Schatz. Er hatte in der
Wuth das Fleiſch von ſeinen Armen gefreſ-
ſen, um den wilden Hunger zu ſtillen. Der
Teufel erzaͤhlte Fauſten, auf ihrem Ruͤckweg
nach Paris, den Ausgang der Geſchichte,
und dieſer glaubte, daß ſich doch einmal die
Vorſehung gerechtfertigt haͤtte.
4.
Der Teufel hatte ausgeſpaͤht, daß das
Parlament uͤber einen Fall richten wuͤrde,
der ſo unerhoͤrt war, und die Menſchheit ſo
ſehr beſchaͤmte, daß er es ſchicklich fuͤr ſei-
nen Plan hielt, Fauſten zum Zuhoͤrer davon
zu machen. Die Sache war dieſe: Ein
Wundarzt befand ſich in der Nacht mit ſei-
nem treuen Diener unweit Paris auf der
Landſtraße. Er hoͤrte in der Naͤhe das
Winſeln und Aechzen eines Menſchen. Sein
Herz zog ihn nach dem Ort hin, wo er ei-
nen lebendig geraͤderten Moͤrder antraf, der
ihn um Gottes Willen bat, ihn zu toͤdten.
Der
[271] Der Wundarzt ſchauderte zuruͤck, und als
er ſich von ſeinem Schrecken erholt hatte,
fuhr der Gedanke durch ſeinen Sinn: ob es
nicht moͤglich ſey, dieſen Ungluͤcklichen durch
ſeine Kunſt wieder herzuſtellen. Er ſprach
mit ſeinem Diener, nahm den Moͤrder von
dem Rade herunter, legte ihn ſanft auf ſei-
nen Wagen, fuͤhrte ihn nach ſeiner Woh-
nung, und unternahm ſeine Heilung, die
gluͤcklich von ſtatten gieng. Er hatte er-
fahren, daß das Parlament hundert Pfund
dem zur Belohnung ausgeſetzt haͤtte, der es
anzeigen wuͤrde, wer dieſen Moͤrder vom
Rade genommen. Beym Abſchied entdeck-
te er dem Moͤrder dieſes, gab ihm Geld zur
Reiſe, und rieth ihm, ſich ja nicht in Pa-
ris aufzuhalten. Das erſte was dieſer
Elende that, war hinzugehen, ſeinen Wohl-
thaͤter bey dem Parlement anzugeben, um
die hundert Pfund zu erhalten. Die Wan-
gen der Richter, die ſo ſelten erblaſſen, wur-
den bleich bey dieſer Anzeige, denn er geſtund
grade zu, er ſelbſt ſey jener Moͤrder, den
das
[272] das Parlament auf der Stelle, wo er das
Verbrechen begangen, haͤtte raͤdern laſſen.
Der Wundarzt wurde vorgefordert, und
der Teufel fuͤhrte Fauſten in dieſem Augen-
blick in die Gallerie, da dieſer erſchien, oh-
ne ihm vorher etwas von dem Vorfall zu
ſagen. Das Gericht meldete dem Wund-
arzt die gegen ihn vorhandene Anklage. Er,
der ſeines Dieners gewiß war, leugnete ſie
ſtandhaft. Man bedeutete ihm ſich zu be-
denken, weil man Zeugen vorfuͤhren koͤnnte,
die ihn uͤberfuͤhren wuͤrden. Er forderte
die Richter dazu auf. Man oͤfnete eine
Seitenthuͤre, der Moͤrder trat kalt und frech
herein, ſtellte ſich vor ihn, und wiederholte
ſeine Anzeige mit allen Umſtaͤnden. Der
Wundarzt ſchrie: „Was hat dich, Ungeheu-
„er, zu dieſem ſcheußlichen Undank gereizt?“
Moͤrder. Die hundert Pfund, wovon
ihr mir ſagtet, da ihr mich entließet. Glaubt
ihr, daß mir mit meinen geſunden Gliedern
allein gedient ſey? Ich ward fuͤr einen
Mord geraͤdert, den ich um dreyßig Pfund
begieng,
[273] begieng, ſoll ich nicht hundert durch eine
Anzeige zu verdienen ſuchen, wobey ich ſelbſt
nichts wage?
Wundarzt. Undankbarer! Dein Win-
ſeln und Aechzen ruͤhrte mein Herz. Ich
nahm dich ſchaudernd vom Rade, beſorgte,
verband und heilte deine Wunden, naͤhrte
dich mit eigner Hand, ſo lange du deine zer-
ſchlagne Glieder nicht brauchen konnteſt,
gab dir Geld, das du noch nicht verzehrt
haben kannſt, um heim zu reiſen, offenbar-
te dir, um deinetwillen, die Bekanntma-
chung des Gerichts, und ich ſchwoͤre
bey dem lebendigen Gott! haͤtteſt du mir
dein teufliches Vorhaben vertraut, ich woll-
te eher alles bis auf mein Hemde verkauft
haben, dir die hundert Pfund auszuzahlen,
damit der Menſchheit dieſes abſcheuliche Bey-
ſpiel von Undank, ewig ein Geheimniß ge-
blieben waͤre. — Ihr Herren, richtet zwi-
ſchen ihm und mir, ich erkenne mich der An-
klage ſchuldig.
Fauſts Leben. SPraͤſi-
[274]
Praͤſident. Ihr habt die Juſtiz groͤblich
beleidigt, da ihr den zu erhalten ſuchtet,
den das Geſez um der Sicherheit der Buͤr-
ger willen, verdammt hat; doch diesmal
ſoll die ſtrenge Gerechtigkeit ſchweigen, und
die Menſchheit allein zu Gerichte ſitzen.
Euch werden die hundert Pfund, und der
Moͤrder werde noch einmal geraͤdert.
Fauſt, der waͤhrend des Verhoͤrs ſchnaub-
te und gluͤhte, brach in ein ſchallendes Bra-
vo aus, das die Gallerie wiederholte. Der
Teufel, welcher merkte, daß der lezte Ein-
druck den erſten verwiſchen wollte, fuͤhrte
ihn ſchnell zu einer andern Scene.
5.
Einige Wundaͤrzte, Doktoren der Medi-
cin, Philoſophen und Naturkundiger, hat-
ten eine geheime Geſellſchaft geſchloſſen, Un-
terſuchungen uͤber den Nervenſaft, den Me-
chanismus des Koͤrpers, und der Wuͤrkung
der Seele auf die Materie, anzuſtellen. Um
ihrer Neugierde und ihrem Forſchungsgeiſt
Gnuͤge
[275] Gnuͤge zu leiſten, lockten ſie unter allerley
Vorwand arme, unbedeutende Leute nach
einem von der Stadt abgelegnen Hauſe, deſ-
ſen obern Theil ſie ſo eingerichtet hatten,
daß man weder von außen noch von innen
wahrnehmen konnte, was darinnen vor-
gieng. Hier banden ſie dieſe Ungluͤcklichen
mit Stricken auf einen langen Tiſch, leg-
ten ihnen ein Querholz in den Mund, loͤſten
ihnen eine Haut nach der andern ab, ent-
bloͤßten ihre Muskeln, Nerven, ihr Herz,
Gehirn, und zerlegten ſie bey lebendigem Lei-
be, mit eben der Kaͤlte und Aufmerkſamkeit,
als man einen unempfindlichen Leichnam
anatomirt. Um recht hinter das, was ſie
ſuchten zu kommen, naͤhrten ſie dieſe Elen-
den gewaltſam mit ſtaͤrkenden Bruͤhen, und
ließen ſie viele Tage lang unter Meſſerſchnit-
ten und langſamem Zerreißen der Bande des
Lebens, des peinlichſten Tods hinſterben.
Der Teufel wußte, daß ſie eben verſammelt
waren, und ſagte zu Fauſt: „du haſt einen
„Wundarzt geſehen, der aus Menſchenliebe
S 2„oder
[276] „oder Neigung fuͤr ſeine Wiſſenſchaft, den
„geraͤderten Moͤrder heilet; ich will dir nun
„Naturkuͤndiger zeigen, die um Geheimniſ-
„ſe zu erforſchen, die ihr nie ergruͤnden
„werdet, ihre Bruͤder lebendig ſchinden.
„Du ſcheinſt zu zweifeln? Komm und uͤber-
„zeuge dich. Wir wollen zwey Doktoren
„vorſtellen.“
Er fuͤhrte ihn in das entlegne Haus, ſie
traten in das gewoͤlbte Arbeitszimmer, das
kein Tageslicht erleuchtete. Hier ſahen ſie
die Naturkuͤndiger einen dieſer Ungluͤckli-
chen, deſſen Fleiſch unter ihren Haͤnden zit-
terte, und deſſen aufgerißne Bruſt unter
dem peinlichſten Schmerz ſich hub, zerſchnei-
den, und hoͤrten ſie uͤber ihre Entdeckungen
reden und ſtreiten, als wenn ſie eine Blume
zergliederten. Sie waren mit ihrem Ge-
genſtand ſo beſchaͤftigt, daß ſie den Teufel
und Fauſten nicht einmal wahrnahmen.
Fauſt fuͤhlte Zuckungen in all ſeinen Ner-
ven, er ſtuͤrzte hinaus, ſchlug ſich vor die
Stirne, und gebot dem Teufel, das Haus
uͤber
[277] uͤber die Koͤpfe dieſer Ungeheuer zuſammen
zu werfen, daß ihre Spur von der Erde
vertilgt wuͤrde.
Teufel. Fauſt, warum raſeſt du? Fuͤhlſt
du denn nicht, daß du eben auf die Weiſe
in der moraliſchen Welt verfaͤhrſt, wie dieſe
in der phyſiſchen? Sie ſchneiden in das
Fleiſch der Lebenden, und du wuͤtheſt durch
meine zerſtoͤhrende Hand in der ganzen Schoͤ-
pfung —
Fauſt. Verworfner! denkſt du, mein Herz
ſey ſchon Stein geworden? Gefaͤllt dir das
Metzeln dieſer Ungluͤcklichen? Auf! ich kann
die Raſerey die in meiner Bruſt und in mei-
nem Gehirne gluͤht nur durch Rache kuͤh-
len. Mein ganzes Weſen loͤſet ſich, vor
der Vorſtellung des Leidens dieſer Ungluͤck-
lichen, auf. Zerſtoͤhre, und ſchnell! daß
nicht einer uͤberbleibe! Eile, oder ich wuͤthe
meinen Zorn an dir aus.
Der Teufel, der ihm mit Vergnuͤgen ge-
horchte, erſchuͤtterte den Grund des Gebaͤu-
des, es ſtuͤrzte krachend zuſammen, und
S 3zer-
[278] zerſchmetterte die Ungeheuer. Der empoͤrte
Fauſt eilte nach Paris zuruͤck, ohne auf den
Wink zu merken, den ihm der Teufel gege-
ben hatte.
6.
Fauſt hatte ſo viel von den Kefichen ge-
hoͤrt, die der Allerchriſtlichſte Koͤnig hatte
verfertigen laſſen, die ihm verdaͤchtigen und
gefaͤhrlichen Perſonen einzuſperren, daß er
dem Teufel befahl, Anſtalt zu machen, da-
mit er ſie in Augenſchein nehmen koͤnnte.
Dieſes war ein Schauſpiel, das ihm der
Teufel gern verſchaffte, und ob es gleich bey
Todesſtrafe verboten war, keinen hinzu zu
laſſen, ſo oͤfnete doch die Beredſamkeit des
Teufels, die ſo maͤchtig von ſeinen Fingern
floß, das Kaſtell. Sie fanden dort Kefiche
von Eiſen, die rund um mit gleichen Stan-
gen verſehen waren, und worinnen ein
Menſch grade aufrecht ſtehen konnte. An
die Fuͤße der Elenden, denen dieſe traurige
Wohnung angewieſen war, hatte manſchwe-
re
[279] re Ketten geſchmiedet, an die eine große Ku-
gel befeſtigt war. Der Aufſeher vertraute
ihnen, daß der Koͤnig oft in geſunden Ta-
gen in dieſer Gallerie herumſpazirt ſey, um
ſich an dem Geſang ſeiner Nachtigallen, wie
er ſie nannte, zu ergoͤtzen. Fauſt fragte
einige der Ungluͤcklichen um die Urſache ih-
rer ſchmaͤhlichen Gefangenſchaft, und hoͤrte
Geſchichten, die das Herz zerreißen. Unter
andern that er an einen ehrwuͤrdigen Greiß
dieſelbe Frage, und dieſer antwortete in
einem klaͤglichen Tone:
„Ach, wer ihr auch ſeyd, ſo laßt euch
„mein grauſames Schickſal zur Warnung
„dienen, nie eure Haͤnde einem Tyrannen zu
„Grauſamkeiten zu leihen. Ihr ſeht in
„mir den Biſchof von Verduͤn, jenen Un-
„gluͤcklichen, welcher zuerſt dem grauſamen
„Koͤnig den Gedanken von dieſen ſcheußli-
„chen Kefichen beygebracht hat, und der
„den erſten verfertigen ließ, damit einer ſei-
„ner Feinde hinein geſperrt wuͤrde. Der
„Koͤnig ließ ſogleich nach dem von mir ge-
S 4„gebenen
[280] „gebenen Muſter zwey machen, und wies
„mir, dem Erfinder, den erſten zur Woh-
„nung an. Hier buͤße ich nun ſchon vier-
„zehen Jahre fuͤr meine Suͤnde, und flehe
„taͤglich den Tod, meiner Marter ein Ende
„zu machen.“
Fauſt. Ha! ha! Ew. Ehrwuͤrden hat al-
ſo, als ein neuer Perillus, auch ſeinen Pha-
laris gefunden. Ihr wißt doch die Ge-
ſchichte? — Ihr ſchuͤttelt den Kopf —
nun zum Zeitvertreib will ich ſie euch er-
zaͤhlen.
Dieſer Perillus, der nebenher weder ein
Biſchof noch ein Chriſt war, goß einen eher-
nen Ochſen, den er dem Tyrannen Phala-
ris als ein Meiſterſtuͤck zeigte, und ihn ver-
ſicherte, er habe ihn ſo zugerichtet, daß wenn
ſeine Majeſtaͤt einen Menſchen hinein ſtecken,
und ihn durch untergelegtes Feuer gluͤhend
machen ließen, das Geſchrey des geplagten
Menſchen, das Bruͤllen eines Ochſen ganz
genau nachahmen wuͤrde, welches Seiner
Majeſtaͤt viel Vergnuͤgen machen koͤnnte.
Phala-
[281] Phalaris antwortete: wackrer Perillus, es
iſt billig, daß der Kuͤnſtler ſein Werk ſelber
probe! Hierauf mußte der Kuͤnſtler in den
Ochſen kriechen, es ward Feuer darunter
gelegt, er bruͤllte wie ein Ochs, und ſo
ſpielte vor tauſend Jahren Phalaris die Ge-
ſchichte, die der Allerchriſtlichſte Koͤnig mit
auch, Ehrwuͤrdiger Biſchof von Verduͤn, nur
wiederholt hat.
Biſchof. O haͤtt’ ich doch dieſes Beyſpiel
fruͤher gewußt, es ſollte mir zur Warnung
gedient haben.
Fauſt. Da ſeht ihr, Ehrwuͤrden, daß zu
Zeiten die Geſchichte auch einem Biſchof nu-
tzen kann. Laßt euch die Zeit nicht lang
werden; uͤber das Schickſal dieſer Ungluͤck-
lichen weint man, und uͤber das eure lacht
man.
7.
Fauſt wollte nun dieſen Koͤnig ſehen, deſ-
ſen ſcheußliche Thaten ſeine Einbildungs-
kraft ſo erhitzt hatten, daß er ſich ihn kaum
S 5unter
[282] unter einer menſchlichen Geſtalt vorſtellen
konnte. Der Teufel ſtellte ihm die Unmoͤg-
lichkeit vor, in das Schloß Pleſſis du Parc,
worin Feigheit und Furcht den Tyrannen
gefangen hielten, in ihrer wahren Geſtalt
zu dringen, und ſezte hinzu, daß außer den
noͤthigen Dienern, ſeinem Quaͤler dem Arzt,
ſeinem Beichtvater, und ſeinem Freund dem
Henker, nebſt einigen Aſtrologen, kein
Menſch ohne beſondere Erlaubniß eingelaſ-
ſen wuͤrde.
Fauſt. So laß uns andre Geſtalten an-
nehmen.
Teufel. Gut, ich will zwey ſeiner Tra-
banten entfernen, und wir wollen ihren
Dienſt unter ihrer Geſtalt verrichten, um
dieſen Koͤnig und ſein Gluͤck in der Naͤhe zu
beobachten. Der Augenblick den Elenden
zu ſehen iſt treflich. Die Furcht vor dem
Tode raͤcht ſchon vor der Hoͤlle ſeine Thaten
an ſeinem feigen Herzen, und in dieſer Mar-
ter ſinnt er Tag und Nacht, wie er ihn ent-
fernen moͤgte, zieht ihn dadurch immer naͤ-
her,
[283] her, und ſieht ihn jede Sekunde ſcheußli-
cher. Komm, ich will dich zum Zeugen ſei-
nes Jammers machen.
Der Teufel fuͤhrte ſeinen Vorſchlag aus,
und ſie ſtunden beyde als Trabanten im In-
neren des Schloſſes, wo die Stille des Gra-
bes wohnte, und die ſchaudervollen Schre-
cken des Todes herumſchwebten. Hierher
hatte ſich der verbannt, vor dem Millionen
bebten, um der Rache der Verwandten der
Ermordeten, der Furcht vor ſeinem Sohn,
in dem er den Raͤcher ſeines Vaters zu ſe-
hen glaubte, auszuweichen. Dem Auge
ſeiner Unterthanen konnte er in dieſer peinli-
chen Gefangenſchaft entfliehen; aber ihm folg-
te die Quaal ſeines Herzens; das Leiden ſeines
Koͤrpers, umſonſt ermuͤdete er den Himmel mit
Flehen um Geſundheit und Ruhe, vergebens
ſuchte er ihn mit Geſchenken an Heilige, Prie-
ſter und Kirchen zu beſtechen, umſonſt behieng
er ſeinen ſiechen, kraftloſen Koͤrper mit Reliqui-
en, aus allen Theilen der Erde, der Gedanke:
du mußt ſterben! nagte gleich einer
gifti-
[284] giftigen Schlange in ſeinem geaͤngſteten Bu-
ſen. Kaum wagt er aus ſeinem Zimmer
zu gehen, weil er fuͤrchtet, in jedem auf
den er ſtoͤßt, einen Moͤrder zu finden. Treibt
ihn die Angſt in die freye Luſt, ſo bewafnet
er ſich mit Dolch und Speer, und huͤllt
ſein zuſammengeſchrumpftes Gerippe in
praͤchtige Kleider, um ihm einen gelognen
Glanz zu geben, zeigt ſich nur von weitem,
damit das Auge der fern ſtehenden, nicht
die Maskerade wahrnehme. Tag und Nacht
blickt er angſtvoll durch die Schießloͤcher
des Thurms, ob keine Feinde nahen, ſeinem
traurigen Leben ein Ende zu machen. Vier
hundert Trabanten wachen unaufhoͤrlich
um die duͤſtre Hoͤhle des abgelebten Wuͤthe-
richs, der ſein Daſeyn nur noch durch Grau-
ſamkeiten zu erkennen giebt. Ihr dumpfer
Zuruf erſchallt jede Stunde dreymal, von
Poſten zu Poſten, durch die einſame Stille,
und jeder Schrey erinnert den Tyrannen an
ſeine ſchreckliche Lage. Das Feld um das
Schloß iſt mit Fußangeln beſtreut, damit
keine
[285] keine Reuterey nahen kann, es zu uͤberfal-
len. An den innern Mauern haͤngen Ket-
ten, an welche große und ſchwere Kugeln
geſchmiedet ſind, um ſeine gepeinigte Die-
ner zu feſſeln, wenn ſie etwas verabſaͤumen.
Rund um das Schloß ſind Galgen aufge-
richtet, und ſein einziger wahrer Freund,
der Henker Triſtan, geht forſchend umher,
Opfer auszuſpaͤhen, um die Angſt des Ty-
rannen durch ihre Hinrichtung zu mindern,
denn in jedem Verurtheilten ſieht er einen
Feind ſeines Lebens weniger. Zu Zeiten
ſchleicht er hinter die Scheidewand neben
der Folterkammer, um die Bekenntniſſe der
Verdaͤchtigen zu belauſchen, ergoͤzt ſich an
ihren Quaalen, und findet Troſt fuͤr die ſei-
nigen darinnen. Bedeckt mit Reliquien, an
ſeinem Huth ein bleiernes Bild der Mutter
Gottes, ſeiner vermeinten Beſchuͤtzerin, trinkt
er das Blut der ermordeten Saͤuglinge, laͤßt
ſich von ſeinem Arzt martern, dem er mo-
natlich zehn tauſend Thaler bezahlt, be-
ſtuͤrmt den Himmel mit unablaͤßigem Ge-
beth,
[286] beth, ſtirbt jeden Seigerſchlag, und vermehrt
bey jedem ſeiner Gedanken die Schrecken
des Todes, deſſen Namen auszuſprechen,
bey Strafe des Hochverraths verbothen iſt.
So zeigte der Teufel Fauſten den gefuͤrch-
teten Ludwig, und Fauſts Herz ergoͤzte ſich
an der Blaͤſſe ſeiner Wangen, an den Fur-
chen, die die Angſt auf ſeine Stirne gegra-
ben. Er weidete ſich an ſeinem Todes-
ſchweiß, an ſeinem beklommnen Athem, und
ſaͤttigte ſich an ſeiner Quaal. Schon woll-
te er dem ekelhaften Aufenthalt entfliehen,
als ihm der Teufel in’s Ohr raunte, den
kommenden Tag abzuwarten, eine beſondre
Scene anzuſehen. Der Koͤnig hatte ver-
nommen, daß in Kalabrien ein Eremit
Martorillo lebte, den man in ganz Sicilien
als einen Heiligen verehrte. Dieſer Thor
hatte von ſeinem vierzehenden bis zu ſeinem
vierzigſten Jahr auf einem ſpitzen Felſen ge-
lebt, ſeinen Koͤrper durch Faſten gemartert,
und ſeinem Geiſte alle Nahrung verſagt;
aber der Schein des Heiligen bedeckte den
Dumm-
[287] Dummkopf, und er ſah bald die Fuͤrſten,
wie den Poͤbel, zu ſeinen Fuͤßen. Um die-
ſen außerordentlichen Mann, hatte Ludwig
den Koͤnig von Sicilien gebethen, und hoff-
te ſeine Geneſung von ihm. Er war nun
eben auf dem Wege, und da er zugleich dem
Koͤnig die Erlaubniß von dem Papſt mit-
brachte, ſeinen ganzen Leib mit dem heili-
gen Oele von Rheims ſchmieren zu duͤrfen,
ſo glaubte er bald alle Schrecken des Todes
zu beſiegen. Der gluͤckliche Tag erſchien,
der kalabriſche Bauer nahte dem Schloſſe,
der Koͤnig gieng ihm bis an das Thor ent-
gegen, fiel ihm zu Fuͤßen, kuͤßte ſeine Haͤnde,
und bath ihn um Leben und Geſundheit.
Der Kalabrer ſpielte ſeine Rolle ſo, daß
Fauſt ſich nicht enthalten konnte, bey der
Farce in ein lautes Gelaͤchter auszubrechen.
Schon wollte ihn Triſtan mit ſeinen Hel-
fern ergreifen, es war um ſein Leben geſche-
hen, der Teufel entriß ihn ihren Klauen,
und flog mit ihm davon. Als ſie in Paris an-
gekommen waren, ſagte Fauſt zu dem Teufel:
„Die-
[288]
„Dieſes feige, niedertraͤchtige, aberglaͤu-
„biſche, bebende Ding iſt es alſo, vor dem
„die kraftvollen Soͤhne Frankreichs zittern,
„und von dem ſie ſich ohne Widerſtand er-
„wuͤrgen laſſen? Ein Todtengerippe in Pur-
„pur gehuͤllt, das kaum noch den Wunſch
„zu leben aus der Bruſt hervorkeichen kann?
„Und ſie beben vor ihm, als ob ein gewal-
„tiger Rieſe, deſſen furchtbarer Arm, von
„einem Ende des Reichs zu dem andern
„reichte, auf ihrem Nacken ſaͤße! Treten
„doch die feigſten Thiere vor die Hoͤhle des
„Loͤwen, wenn kraftloſes Alter den Raͤuber
„feſſelt, und ſpotten des unvermoͤgenden
„Wuͤrgers.“
Teufel. Dadurch eben unterſcheidet ſich
der Koͤnig der Menſchen von dem Koͤnige
des Waldes. Dieſer iſt nur furchtbar, ſo
lange er Kraͤfte hat; aber da jener die
Kraͤfte ſeiner Sclaven an ſeinen Willen bin-
det, ſo iſt er gleich ſtark, er liege an der
Gicht oder ſtehe in bluͤhender Jugend an
der Spitze der Heere. Fuͤhlſt du nun bald
daß
[289] daß es Wahn iſt, der euch in allem leitet,
euch zu Sclaven macht, eure Ketten zer-
bricht, und euch wiederum neue ſchmiedet.
So treibt ihr euch im ewigen Kreiße her-
um, und ihr ſeyd verdammt, immer den
Schatten fuͤr das Weſen zu ergreifen.
Fauſt. Faſſe es, wer da kann! er ſchlug
wider ſeine Stirne, und ſeine
Bruſt. Dieſes hier, und dieſes da, ſtehen
im Widerſpruch mit allem was ich ſehe, ver-
nehme und fuͤhle. Finſtre Gedanken, wie
plagende Daͤmonen der Nacht, ziehen in
meinem Gehirne herum, und oft duͤnkt mich,
die moraliſche Welt wuͤrde von eben einem
ſolchen Dinge beherrſcht, wie dieſer Elende
eines iſt. Er mordet ohne Form und Recht,
und ſo wird der Menſch gleich dem Stier
gefaͤllt, ohne zu wiſſen warum er bluten
muß.
Fauſt fuhr in dieſer Laune fort, und ſpann
ſeine dunkle Gedanken und Gefuͤhle, bis ins
Abſcheuliche aus. Der Teufel ergoͤtzte ſich, da
er ihn ſeinem Zwecke nahen ſahe, ſtimmte ihn
Fauſts Leben. Tzu
[290] zu fernerm Herumſtreifen, um ihn durch
neue Scenen noch mehr zu verwirren. Als
ſie aus Paris ritten, ſagte der Teufel:
„Schon wittre ich die kuͤnftigen, unge-
„heuren Thaten, die dieſe bluͤhende Stadt
„erſchuͤttern werden.“
Auf dem Wege nach Calais ſagte er oft:
„Bald werden dieſe Felder durch Buͤr-
„ger- und Religionskriege mit Leichen be-
„ſaͤet werden. Jahrhunderte wird der Geiſt
„der Zwietracht wuͤthen, und wenn der
„Deſpot des Mordens ſollte muͤde werden,
„ſo wird ihn der Prieſter auf Befehl des
„Himmels zu noch ſchrecklichern Greueln
„reitzen.“
8.
Fauſt und der Teufel flogen uͤber den
Kanal, und kamen in dem Augenblick in
London an, als ſich der haͤßliche, mißge-
ſchaffne Herzog Gloſter, zum Protektor des
Reichs aufwarf, und mit allen Kraͤften ar-
beitete, ſeines Bruders, des verſtorbenen
Koͤnigs
[291] Koͤnigs Sohn, der Krone zu berauben.
Den Vater hatte er mit Gift aus dem Wege
geraͤumt, und die Koͤnigin, die bey der
Entdeckung ſeiner Abſichten ſich nach der
Weſtmuͤnſterabtey mit ihren Kindern fluͤch-
tete, ſchon dahin gebracht, ihm den Erben
des Throns, der damals vierzehen Jahr
alt war, mit ſeinem juͤngern Bruder York,
auszuliefern. Sie uͤbergab ſie bebend,
und ſchien das Schickſal ihrer Soͤhne zu
ahnden. Fauſt war Zuhoͤrer, als der Dok-
tor Shaw, auf Befehl des Protektors, dem
erſtaunten Volke von der Kanzel bewies:
daß ſeine und des verſtorbenen Koͤnigs noch
lebende Mutter, verſchiedne Liebhaber in
ihr Bette aufgenommen haͤtte, der verſtor-
bene Koͤnig im Ehebruch erzeugt ſey, und
daß ſich niemand vom koͤniglichen Hauſe ei-
ner rechtmaͤßigen Geburt ruͤhmen koͤnnte,
außer der Protektor. Er ſah die Großen
hinrichten, die dieſem Plan nicht beytreten
wollten, und der Teufel fuͤhrte ihn in dem
Augenblick in den Tower, da Tyronel den
T 2recht-
[292] rechtmaͤßigen Koͤnig von England, nebſt ſei-
nem Bruder York durch Meuchelmoͤr der er-
morden, und an der Schwelle ihres Gefaͤng-
niſſes begraben ließ. Er war Zeuge der
niedertraͤchtigen Unterwerfung des Parla-
ments, und der Kroͤnung des ſcheußlichen
Tyrannen. Er war Zeuge davon, wie ſich
die Koͤnigin mit dem Moͤrder ihrer Soͤhne
in Unterhandlung einließ, ſeine gewaltſame
Thronbeſteigung durch die Hand ihrer aͤlte-
ſten Tochter zu unterſtuͤtzen, um im Glanz
des Hofes und der Herrſchaft erſcheinen zu
koͤnnen, ob ſie gleich durch die empoͤrten
Großen des Reichs, mit ihrem kuͤnftigen
Raͤcher, dem Grafen Reichmond, in gleiche
Verbindung getreten war. Dieſes brachte
Fauſten ſo auf, daß ihn ſelbſt die Reize der
ſchoͤnen Englaͤnderinnen nicht laͤnger in die-
ſer Inſel feſſeln konnten, er verließ ſie im
finſtern Groll, denn ſo kalt und ohne allen
Schleier hatte er noch nicht Verbrechen be-
gehen ſehen. Er war noch nicht in Rom
geweſen. Als ſie im Begriff waren,
ſich
[293] ſich einzuſchiffen, ſagte der Teufel zu
ihm:
„Dieſes Volk, Fauſt, wird eine Zeitlang
„unter dem Joche des Deſpotismus ſeufzen,
„dann einen ſeiner Koͤnige auf dem Blutge-
„ruͤſte der Freyheit opfern, um ſie ſeinen
„Nachfolgern fuͤr Gold und Titel zu ver-
„kaufen. Uebrigens ein wackres Volk im
„Laſter, und ein guter Rekrutirungsplatz
„fuͤr die Hoͤlle.“
Hierauf fuͤhrte er ihn nach Mayland, wo
ſie den Herzog Galeas Sforza, am heiligen
Stephanstage in der Domkirche ermorden ſa-
hen. Fauſt hoͤrte die Meuchelmoͤrder mit lau-
ter Stimme den heiligen Stephan und heiligen
Ambroſius anrufen, ihnen zu ihrem edlen
Vorhaben den gehoͤrigen Muth zu verleihen.
In Florenz, dem Sitz der Muſen, ſahen
ſie den Neffen des großen Kosmus, des
Vaters des Vaterlands, in der Kirche
Santa reparata, in dem Augenblick, an dem
Altar ermorden, da der Prieſter den Leib des
Herrn emporhub;- dieſes war das Zeichen
T 3zum
[294] zum Mord, welches den Moͤrdern der Erzbi-
ſchof von Florenz, Salviati gegeben hatte.
Der Papſt hatte ihn zu dieſer That durch
ſeinen Neffen anwerben laſſen, die Mediceer
zu vertilgen, um in Italien zu herrſchen;
doch dieſes gehoͤrt zur ſpaͤtern Geſchichte
der Kirche.
Im Norden ſahen ſie wilde Barbaren
und Trunkenbolde, eben ſo morden und ver-
wuͤſten, wie die uͤbrigen aufgeklaͤrteren Eu-
ropaͤer. In Spanien fanden ſie den Be-
trug und die Heucheley, unter der Maske
der Religion auf dem Throne, ſahen in ei-
nem Auto da fé, dem milden Gott der
Chriſten, Menſchen durch die Flamme opfern,
und hoͤrten den Großinquiſitor Torquema-
da gegen die heuchleriſche Iſabella, und
den trugvollen Fernando ſich ruͤhmen:
daß das heilige Gericht bereits achtzigtau-
ſend verdaͤchtigen Perſonen den Prozeß ge-
macht, und ſechstauſend Ketzer wirklich
lebendig verbrannt haͤtte. Als Fauſt das
erſtemal die Damen und Kavaliere auf dem
großen
[295] großen Platz, in all ihrem Glanz verſam-
melt ſah, ſchmeichelte er ſich einem Freuden-
feſt beyzuwohnen, da er aber die Elenden
unter der Proceßion der Gott lobenden
Prieſter, heulen und wehklagen hoͤrte, uͤber-
zeugte er ſich bald, daß der Mißbrauch der
Religion den Menſchen zu dem abſcheulich-
ſten Ungeheuer der Erde macht. Er ge-
noß indeſſen, unter Verwuͤnſchung des gan-
zen menſchlichen Geſchlechts, noch immer
der Freuden des Lebens und der ſchoͤnen
Weiber in Engelland, Florenz und Spani-
en, fieng endlich an zu glauben, alle dieſe
Greuel gehoͤrten nothwendig zu der Natur
des Menſchen, der ein Thier ſey, das ent-
weder zerreißen oder zerriſſen werden
muͤßte.
9.
Der Teufel, der Fauſten durch alle dieſe
Scenen wund und durchgluͤht ſah, und be-
merkte, daß ſein moraliſcher Sinn durch
das Beſchauen dieſer Schandthaten, immer
T 4mehr
[296] mehr in Rauch aufgieng, beſchloß ihn nun
zum Nachtiſch an den paͤpſtlichen Hof zu
fuͤhren. Dieſen ſah er als die reiche Quelle
der Laſter, als die groͤßte Schule der Ver-
brechen an, woraus ſie, von dem Oberhaup-
te der Religion, und dem Statthalter Got-
tes, gleichſam geheiligt, zu den andern Voͤl-
kern Europas floͤßen. Er ſagte zu Fauſt:
„Du haſt nun geſehen, wie alle Hoͤfe Eu-
„ropas ſich gleichen, und wie die Menſchen
„regiert werden; laß uns jezt nach Rom
„ziehen, um zu ſehen, ob es mit der Kirche
„und der geiſtlichen Regierung beſſer ſteht.“
Der Liſtige ſchmeichelte ſich, Alexander
der Sechſte, der damals die dreyfache Kro-
ne trug, und die Schluͤſſel zu dem Himmel
und der Hoͤlle in ſeiner Gewalt hatte, ſollte
ſeinem finſtern Plan gegen Fauſten den
Schwung geben, und ſeine eigne Ruͤckkehr
in die Hoͤlle befoͤrdern. Laͤngſt war er des
Aufenthalts auf Erden muͤde, denn da
er ſeit Jahrtauſenden ſchon ſo vielmal dieſel-
be durchzogen hatte, ſo ſah er doch, ſo ſehr
ihn
[297] ihn auch die ſchwarzen Thaten der Menſchen
ergoͤtzten, nur immer das Alte. Das Ei-
nerley iſt ſo ermuͤdend, daß ein Teufel leicht
das Dunkel dem Licht vorziehen kann, ihm
zu entfliehen, da die Menſchen aus dieſer
Urſache wenigſtens die Haͤlfte ihrer Thor-
heiten begehen, die ſich nur zu oft mit Ver-
brechen enden.
Auf dem Wege nach Rom ſtießen ſie auf
zwey gegen einander gelagerte Heere. Das
eine commandirte Malateſta von Rimini, das
andre ein paͤpſtlicher General. Die tuͤcki-
ſche Politik Alexanders, die den jungen
Koͤnig aus Frankreich nach Italien gelockt,
und dann zuruͤckgetrieben hatte, arbeitete
nun durch heimlichen Gift, Meuchelmord
und offne Fehde, alle die Großen zu berau-
ben, um aus ihren Herrſchaften und Kaſtel-
len, Fuͤrſtenthuͤmer fuͤr ſeine Baſtarde, zu-
ſammen zu ſetzen. Er fieng zuerſt mit den
Schwaͤchſten an, und hatte dies kleine Heer
ausgeſchickt, dem Malateſta Rimini zu ent-
reißen. Als Fauſt und der Teufel die Land-
T 5ſtraße
[298] ſtraße hinauf ritten, ſahen ſie auf einer An-
hoͤhe, unweit des paͤpſtlichen Lagers, zwey
ſtattliche Maͤnner in einen ſehr hitzigen
Zweykampf verwickelt. Die Neugierde trieb
Fauſten naͤher, der Teufel folgte ihm, und
ſie merkten bald, daß ſich die zwey erhizten
Kaͤmpfer nicht zu trennen gedaͤchten, bis ei-
ner dem Schwerdte des andern erlaͤge. Das
aber, was Fauſten am ſonderbarſten vor-
kam, war eine ſchneeweiße Ziege, mit bun-
ten Baͤndern geſchmuͤckt, die ein Schildknap-
pe, als den Preiß des Sieges zu halten
ſchien, und mit welcher er ganz kalt neben
den zwey Wuͤthenden ſtund. Viele Ritter
hatten ſich auf der Anhoͤhe verſammelt, um
Zeugen des Ausgangs zu ſeyn, den ſie mit
vieler Gleichguͤltigkeit abwarteten. Fauſt
nahte ſich einem von ihnen, und fragte mit
teutſcher Ehrlichkeit: „ob ſich die zwey
„Herren wohl um die ſchoͤngeſchmuͤckte Zie-
„ge ſchluͤgen?“ Er hatte bemerkt, daß die
zwey Champions bey jeder Pauſe mit vieler
Zaͤrtlichkeit nach der Ziege blickten, und ſie
nach
[299] nach Rittergebrauch um Beyſtand bey der
Gefahr anzuflehen ſchienen. Der Italie-
ner antwortete ihm kalt: „Allerdings, und
„ich hoffe, unſer General wird ihn dafuͤr
„zur Hoͤlle ſchicken, daß er, ein unter ſei-
„nem Befehl ſtehender Ritter, es gewagt
„hat, die ſchoͤnſte Ziege der Welt aus ſei-
„nem Zelte zu entfuͤhren, waͤhrend er her-
„umritt, das Lager des Feinds zu erken-
„nen.“ Fauſt trat zuruͤck, ſchuͤttelte den
Kopf, und wußte nicht ob er wachte oder
traͤumte. Der Teufel ließ ihn einige Au-
genblicke in dieſer Verwirrung, endlich ſag-
te er ihm etwas in’s Ohr, wobey Fauſt er-
roͤthete, und das das Papier beſudeln wuͤr-
de. Der Zweykampf gieng mittlerweile im-
mer hitzig fort, bis das Schwerdt des paͤpſt-
lichen Generals eine Oefnung in dem Pan-
zer des Ritters fand, und ihn in ſeinem
Blut auf den Boden ſtreckte. Er blies ſei-
ne Seele unter Fluͤchen weg, und nahm
mit ſeinem lezten Blick zaͤrtlich von der Zie-
ge Abſchied. Der General ward von den
An-
[300] Anweſenden frohlockend empfangen, der
Schildknappe fuͤhrte ihm die Ziege zu, er
nannte ſie ſeine Kamilla, und ſtreichelte ſie
unter ſuͤßen Liebkoſungen.
Fauſt entfernte ſich von dem Kampfplatz,
und wankte zwiſchen dem Kitzel zu lachen,
und dem Gefuͤhl des Unwillens, als der
Teufel ihm folgendes hinwarf:
„Fauſt, dieſer luſtige Zweykampf hat
„dich mit dem paͤpſtlichen General bekannt
„gemacht; aber der gegen ihm uͤber ſtehende
„iſt nicht weniger merkwuͤrdig. Dieſer ſchlug
„ſich auf Gefahr ſeines Lebens um eine
„weiſſe Ziege, und der andre hat ſchon zwey
„ſeiner Weiber, aus den beſten Haͤuſern
„Italiens, vergiftet und mit eigner Hand
„erdroſſelt, um ſchnell von ihnen zu erben.
„Er freyt wirklich um die dritte, und wenn
„er auf den Fuͤßen bleibt, ſo wird ſie ver-
„muthlich ein gleiches Schickſal haben.
„Beyde ſind uͤbrigens ſehr religioͤſe Maͤn-
„ner, halten Proceßionen, widmen dem Him-
„mel Geluͤbde, und flehen ihn um Sieg an;
„fuͤr
[301] „fuͤr welchen glaubſt du, daß er ſich erklaͤ-
„ren muͤßte?“
Fauſt machte dem Teufel ein wildes Ge-
ſicht, und ließ die haͤmiſche Frage unbeant-
wortet; der Teufel aber, der ſich an ſeiner
Prahlerey uͤber den moraliſchen Werth des
Menſchen raͤchen wollte, unterließ nicht,
noch einige bittre Gloſſen uͤber die Liebhabe-
rey des paͤpſtlichen Generals, und uͤber die
Schlechtigkeit des Menſchen, uͤberhaupt zu
machen, worauf Fauſt, der ihn eben auf
der aͤußerſten ertappte, noch weniger zu
antworten fand.
10.
Der Anblick Roms und ſeiner großen Ru-
inen, auf welchen noch der maͤchtige Geiſt
der alten Roͤmer zu ſchweben ſchien, uͤber-
raſchte Fauſten, und da er mit ihrer Ge-
ſchichte ziemlich bekannt war, ſo erhub ſich
ſeine Seele bey der lebhaften Erinnerung
und Vorſtellung, dieſes einzigen Volks der
Erde; aber die neuen Bewohner, der ehe-
maligen
[302] maligen Koͤnigin der Welt, fuͤllten ſie bald
mit andern und niedrigern Gegenſtaͤnden.
Auf des Teufels Rath, kuͤndigten ſie ſich
als teutſche Edelleute an, die die Herrlich-
keit Roms nach Italien gezogen, ihr Staat,
Gefolge und Aufwand aber, ließ mehr hin-
ter ihnen vermuthen. Die Aebte, Moͤnche,
Matronen, Kuppler, Kupplerinnen, Char-
latane und Pantalons, draͤngten ſich zu
ihnen, und trugen ihnen ihre Dienſte in dem
Augenblick an, als das Geruͤcht ihrer An-
kunft, durch alle die Zuͤnfte derer erſcholl,
die das bequeme Handwerk ergriffen haben,
von den Laſtern und Thorheiten der Men-
ſchen zu leben. Sie trugen ihnen ihre
Schweſtern, Toͤchter, ihre Weiber und Ver-
wandten an, mahlten ihre Reize und Vor-
zuͤge mit ſo feuriger Beredſamkeit, daß der
von allen Seiten beſtuͤrmte Fauſt nicht wuß-
te, wo er angreifen ſollte. Da dieſe Kup-
peley auf die poßirlichſte Art, mit dem Ge-
wand der zuͤgelloſen Ueppigkeit und der
ſtrengen Religion zugleich bekleidet war, ſo
duͤnkte
[303] duͤnkte es Fauſten: dieſes Volk brauche die
Religion zu nichts anderm, als durch ſie
den Zuruf der innern empoͤrten menſchli-
chen Natur, bey ihren Schandthaten und
Greueln zu ſtillen und zu beruhigen.
Den Tag nach ihrer Ankunft erhielten ſie
eine Einladung von dem Kardinal Caͤſar
Borgia, einem der vielen Baſtarde des
Papſts; er empfing ſie auf das praͤchtigſte,
und nahm es uͤber ſich, ſie Seiner Heiligkeit
dem Papſt vorzuſtellen. Sie ritten mit ih-
rem Gefolge, in dem groͤßten Staat, nach
dem Vatikan, und der Teufel kuͤßte mit
Fauſten den Pantoffel Seiner Heiligkeit.
Fauſt verrichtete dieſes in dem Glauben ei-
nes wahren katholiſchen Chriſten, der den
Papſt fuͤr das haͤlt, wofuͤr er ſich ausgiebt,
und der Teufel dachte bey ſich, wenn mich
Alexander kennte, ich wuͤrde ihn vielleicht zu
meinen Fuͤßen ſehen. Nachdem die aͤußere
Ceremonie voruͤber war, ließ ſie der Papſt
in ſeine innere Zimmer einladen, wo er ſich
freyer mit ihnen beſprach. Hier wurden
ſie
[304] ſie mit ſeinen uͤbrigen Baſtarden, der be-
ruͤhmten Lucretia, und Francisco Borgia,
dem Herzog von Gandia bekannt ꝛc.
Der Papſt fand die Geſellſchaft des ſchoͤ-
nen und gewandten Teufels Leviathans, ſo
ſehr nach ſeinem Geſchmacke, daß er von dem
erſten Augenblick eine beſondre Gunſt gegen
ihn aͤußerte, die, wie wir ſehen werden,
bald bis zu der aͤußerſten Vertraulichkeit
ſtieg. Fauſt hielt ſich an den Kardinal
Borgia, der ihm von den Genuͤßen und
Freuden Roms ein ſo luͤſternes Gemaͤhlde
entwarf, daß er nicht wußte, ob er ſich im
Vatican, oder in einem Tempel der irrdi-
ſchen Venus befaͤnde. Dieſer machte ihn
mit ſeiner Schweſter Lucretia, der jetzigen
Gemahlin Alfonſos von Arragonien, ge-
nauer bekannt. Sie ſtellte die ſinnliche
Wolluſt in den gefaͤhrlichſten Reizen ver-
koͤrpert vor, und nahm Fauſten auf eine
Art auf, daß er wie bezaubert vor ihr ſtund,
und ſich bey dem erſten Blick von dem
Wunſche durchgluͤht fuͤhlte, den Becher der
Freude
[305] Freude aus der Hand derjenigen zu empfan-
gen, die ihn ſo ſchaͤumend darreichte.
11.
Fauſt und der Teufel waren in wenigen
Tagen mit der paͤpſtlichen Familie auf den
Fuß der Vertraulichkeit. Eines Abends
wurden ſie zu einem Schauſpiel in’s Vati-
can eingeladen, welches Fauſten mehr in
Erſtaunen ſezte, als alles, was er bisher
am paͤpſtlichen Hofe geſehen hatte. Man
ſpielte die Mandragola. Der edle Machi-
avell hatte dieſes Schauſpiel geſchrieben,
um durch die Zuͤgelloſigkeit deſſelben, dem
roͤmiſchen Hofe ein auffallendes Gemaͤhlde
von den ſchlechten Sitten der Kleriſey vorzu-
ſtellen, und ihm zu beweiſen, daß ſie die
Quelle der Verderbniß der Layen ſey. Er
betrog ſich hier in ſeinem edlen Zwecke, wie
er ſich ſpaͤter betrog, da er in ſeinem Fuͤr-
ſten die Greuel der Tyranney der Welt auf-
deckte. Die Tyrannen und ihre Stuͤtzen,
die Moͤnche, verſchrien den als Lehrer der
Fauſts Leben. UTyran-
[306] Tyranney, der ſie aͤrger als ein Sterbli-
cher haßte, ihr durch ſein Werk einen toͤdt-
lichen Streich beyzubringen ſuchte, und das
verblendete Volk ließ ſich von ihren Betruͤ-
gern ſo betaͤuben, daß ſie ihren Arzt als ei-
nen Vergifter anſahen. So gieng es auch
hier; die Mandragola wurde beklatſcht, er-
goͤzte viele Abende den paͤpſtlichen Hof, und
keiner, außer dem Teufel und Fauſt merkte,
daß die Satyre Machiavells, durch den Bey-
fall des Papſts und der ganzen Kleriſey, um
ſo giftiger wurde. Fauſt hoͤrte von dem
Papſt, den Kardinaͤlen, Nonnen und Da-
men, Dinge beklatſchen und preiſen, die
nach ſeiner Meinung ſelbſt die uͤppigen roͤ-
miſchen Kaiſer nicht auf der Buͤhne wuͤrden
geduldet haben. Aber dieſes Staunen wur-
de bald von lebhaftern Scenen verdraͤngt,
und er merkte, daß die Thaten Alexanders
und ſeiner Baſtarde, alles uͤbertrafen, was
die Geſchichte zur Schande der Menſchheit
aufgezeichnet hat. Lucretia, welcher ihn
ſeine reiche Geſchenke noch mehr als ſein
kraft-
[307] kraftvolles Anſehen empfahlen, weihte ihn
kurz darauf in die Geheimniſſe der Wolluſt
ein, und er fuͤhlte in ihren Armen, daß
der paͤpſtliche Hof im Beſitz von Geheimniſ-
ſen ſey, wovon die uͤbrige bloͤdſinnige chriſt-
liche Welt nichts ahndete. Durch dieſe in-
nige Verbindung entdeckte er ihr blutſchaͤn-
driſches Verhaͤltniß mit ihren beyden Bruͤ-
dern, dem Kardinal und dem Herzog, und
da er ſie eines Tags mit dem Papſt ihrem
Vater uͤberraſchte, zu dem er und der Teu-
fel geheimen Zutritt hatten, ſo fand er, daß
er ſie nicht allein mit den Bruͤdern, ſondern
auch mit Seiner Heiligkeit theilte. Der
einzige Mißhandelte war Alfonſo, der die
Ehre hatte ſich ihren Gemahl zu nennen.
Nun ſah Fauſt die Urſache des bittern Haſ-
ſes des Kardinals, gegen ſeinen Bruder ein,
deſſen Grund Eiferſucht uͤber die Gunſtbe-
zeigungen der Schweſter war. Er hatte
ihn oft ſchwoͤren hoͤren, er wuͤrde ſich
noch an ihm auf die blutigſte Art
raͤchen.
U 2Wenn
[308]
Wenn ſich Fauſt den Tag uͤber am Ho-
fe und in der Stadt in allen Luͤſten herum-
gewaͤlzt hatte, ſo pflegte er gewoͤhnlich dem
Teufel Abends die Ohren uͤber die Laſter
der Menſchen zu ermuͤden. Ihr Anblick em-
poͤrte ihn, ob er gleich weder Kraft noch
Willen hatte, einer ſeiner Neigungen zu wi-
derſtehen. Gewoͤhnlich endigte er mit dem
Ausruf: „wie iſt es moͤglich, daß ein ſol-
„ches Ungeheuer Papſt werden konnte.“
Der Teufel, der genau wußte, wie es
bey ſeiner Wahl zugegangen, (denn einer der
Fuͤrſten der Hoͤlle war damals im Conclave)
erzaͤhlte ihm:
„Wie Alexander als Vicekanzler des
„paͤpſtlichen Stuhls, die Stimmen der Kar-
„dinaͤle gekauft, und wie er dieſe, nachdem
„er ſeinen Zweck erhalten, und ſie ihn an die
„Erfuͤllung ſeines Verſprechens erinnert,
„theils verjagt, theils unter verſchiednem
„Vorwand auf die grauſamſte Art habe hin-
„richten laſſen.“
Fauſt.
[309]
Fauſt. Daß ſie ſchlecht genug waren, ihn
zum Papſt zu machen, begreife ich, aber wie
ſie ihn ertragen, dies geht uͤber meine Faſ-
ſung.
Teufel. Die Roͤmer ſind ſehr wohl mit
ihm zufrieden. Er ſorgt fuͤr den Poͤbel,
mordet, pluͤndert die Großen, und wird
durch ſeine Verbrechen den paͤpſtlichen Stuhl
mehr in die Hoͤhe bringen, als alle ſeine Vor-
gaͤnger. Koͤnnen ſie wohl einen beſſern
Papſt wuͤnſchen, als einen, der ihre Laſter
durch ſein eignes Beyſpiel heiligt? der ih-
nen noch uͤber die Indulgenzen, durch ſei-
ne Thaten beweiſt, daß der Menſch vor kei-
ner Suͤnde erſchrecken muß.
12.
Der Papſt hatte ſeinen aͤlteſten Baſtard
Francisco, in einem Konſiſtorium zum Ge-
neral des heiligen Stuhls gemacht, und
der Kardinal faßte in demſelben Augenblick
den Entſchluß, ſeinen Bruder auf die Seite
zu ſchaffen, um ſeinem Ehrgeiz ein weiteres
U 3Feld
[310] Feld zu eroͤfnen. Seine Mutter Vanoſa,
hatte ihm vertraut: die Abſicht des Papſts
ſey, dem Herzoge auf den Ruinen der Fuͤr-
ſten Italiens, einen Thron zu errichten, und
durch ihn, als den Erſtgebohrnen, alle die
Anſchlaͤge zur Vergroͤßerung ſeiner Familie,
auszufuͤhren. Der Kardinal, der die Meu-
chelmoͤrder zu hunderten in ſeinem Solde
hatte, ließ ſeinen getreuen Dom Michellotto
aufſuchen, und hielt folgende Rede an ihn:
„Wackrer Michellotto, es ſind nun
„ſchon fuͤnf Jahre, daß mein Vater auf
„dem paͤpſtlichen Stuhl ſizt, und noch bin
„ich das nicht, was ich ſeyn koͤnnte, wenn
„wir unſre Geſchaͤfte etwas kluͤger betrie-
„ben haͤtten. Er hat mich zum Erzbiſchof,
„endlich zum Kardinal gemacht; aber was
„iſt dieſes fuͤr einen nach Thaten und Ruhm
„ſtrebenden Geiſt? Kaum reichen meine
„Einkuͤnfte zu dem Noͤthigen hin, und ich
„bin unvermoͤgend Freunde, die mir we-
„ſentliche Dienſte thun, nach dem Wunſche
„meines Herzens zu belohnen. Biſt du,
„Michel-
[311] „Michellotto, nicht ſelbſt ein Beweis davon?
„Sage, hab’ ich etwas von der großen
„Schuld abtragen koͤnnen, die deine Dien-
„ſte an mich einfordern koͤnnen? Sollen
„wir denn immer nur ſtille ſitzen, und ab-
„warten, bis Gluͤck oder Zufall etwas fuͤr
„die thun wollen, die es nicht wagen, ſich
„zu ihrem Herrn und Meiſter zu machen?
„denkſt du, ein Leben, das ich im Conſiſto-
„rium und der Kirche hinſchmachte, ſey fuͤr
„einen Geiſt, wie der meine, gemacht? Bin
„ich fuͤr dieſe Pfaffereyen gebohren? Haͤtte
„die Natur, ich weiß nicht warum, meinen
„Bruder Francisco, nicht vor mir, in die
„Welt geſtoßen, wuͤrden nicht alle die Eh-
„renſtellen, wodurch man allein große Aus-
„ſichten befoͤrdern kann, auf mich gefallen
„ſeyn? Wuͤrdeſt du, braver Michellotto,
„noch das ſeyn, was du biſt? Weiß mein
„Bruder die Vortheile zu nutzen, die ihm
„der Papſt und das Gluͤck darbieten? Laß
„mich an ſeine Stelle treten, und mein Na-
„me ſoll bald durch ganz Europa erſchallen!
U 4„Mich
[312] „Mich ſtempelte die [N]atur zum Helden, und
„ihn den Sanftern zum Pfaffen. Wir muͤſ-
„ſen alſo den verhaßten Streich zu verbeſ-
„ſern ſuchen, den uns der Zufall geſpielt
„hat, wenn wir das erfuͤllen wollen, wozu
„wir geboren ſind. Sieh uns beyde an!
„wer kann ſagen, wir ſeyen von einem
„Vater? Und was liegt nun daran, daß
„er mein Bruder iſt? Wer ſich uͤber andre
„erheben will, muß alle Hinderniſſe ſeines
„Emporſteigens mit Fuͤßen treten, und die
„weichlichen, ſchwachen Bande der Natur,
„Zaͤrtlichkeit und Verwandtſchaft vergeſſen;
„ja wenn er ein Mann iſt, auch wohl ſeine
„Haͤnde in das Blut derer tauchen, die ſei-
„nem unternehmenden Geiſt durch ihr Da-
„ſeyn Feſſeln ſind. So thaten alle große
„Maͤnner, ſo handelte der Stifter des un-
„ſterblichen Roms. Damit Rom werde,
„was er in ahndungsvollem Geiſte ſah,
„mußte ſein Bruder fallen; damit Caͤſar
„Borgia groß werde, muß ſein Bruder blu-
„ten. Rom ſoll von neuem durch mich,
„der
[313] „der Sitz eines maͤchtigen Koͤnigs werden,
„mein Vater ſoll mir die Leiter zu meinem
„Emporſteigen halten, und dann will ich
„unter ihm den Stuhl Petri zerſchlagen,
„den Betrug geheiligt hat, dieſes Volk von
„dem ſchimpflichen Joche der Prieſter be-
„freyen, und wiederum zu Maͤnnern und
„Helden machen. So ſterbe der, der mir
„ein Hinderniß iſt, daß wir wachſen, und
„der Welt zeigen koͤnnen, was wir ſind.
„Ob ich ihn nun gleich in der Dunkelheit
„der Nacht, ohne allen Verdacht ermorden
„koͤnnte, ſo will ich doch dir dieſe That
„uͤberlaſſen, damit du ein noch ſtaͤrkeres
„Recht erhalteſt, meine kuͤnftige Groͤße und
„mein Gluͤck mit mir zu theilen. Ich reiſe
„morgen nach Neapel, um als Legat der
„Kroͤnung des Koͤnigs beyzuwohnen. Mei-
„ne Mutter Vanoſa, die es, unter uns, muͤ-
„de iſt, ihren unternehmenden Caͤſar als
„Kardinal zu ſehen, und fruͤh den Helden
„in mir entdeckt, und angefeuert hat, giebt
„mir, meinem Bruder, und unſern Freun-
U 5„den,
[314] „den, heut ein Abendeſſen — Mein Bruder
„wird ſpaͤt in der Nacht zu einer uns ge-
„meinſchaftlichen Buhlerin ſchleichen, und
„ich muͤßte Michellotto ſchlecht kennen,
„wenn er den Weg zu ſeinem Pallaſt zuruͤck
„faͤnde. Ich heiße Caͤſar, und will alles
„oder nichts ſeyn.“
Michellotto faßte des Kardinals Hand,
dankte ihm fuͤr ſein Zutrauen, berief ſich auf
die Beweiſe ſeiner Treue und Ergebenheit,
und entfernte ſich, um einige ſeiner Geſellen
auf die That vorzubereiten.
Fauſt und der Teufel wurden zu dieſer
Abendmahlzeit gleichfalls eingeladen. Die
Gaͤſte waren ſehr munter. Francisco uͤber-
haͤufte ſeinen Bruder mit Zaͤrtlichkeit, ohne
deſſen Entſchluß zu erſchuͤttern. Nach dem
Eſſen nahm Caͤſar Abſchied von ſeiner Mut-
ter, um ſich zu dem Papſt zu begeben, ſeine
lezten Befehle abzuholen; ſein Bruder er-
bot ſich, ihn eine Strecke Wegs zu beglei-
ten, um das Vergnuͤgen ſeiner Geſellſchaft
noch einige Augenblicke laͤnger zu genießen.
Fauſt
[315] Fauſt und der Teufel folgten ihnen. Fran-
cisco trennte ſich bald von dem Kardinal,
nachdem er ihm vorher in das Ohr geliſpelt,
wohin er ſich begaͤbe. Der Kardinal wuͤnſch-
te ihm lachend Gluͤck, umarmte ihn, und
nahm Abſchied von ihm. Er eilte nach
dem Vatican, endigte ſein Geſchaͤft, ſuchte
die Meuchelmoͤrder am beſtimmten Orte
auf, und ertheilte ſeine Befehle. Fauſt war
bey der Schweſter eines Principe abgeſtiegen,
und der Teufel, der das ſchwarze Drama
ſeiner Entwicklung nah ſah, lenkte es ſo
ein, daß er ſich mit Fauſten in dem Augen-
blick an der Tiber befand, als Dom Mi-
chellotto den Leichnam des ermordeten Her-
zogs in den Fluß verſenken ließ. Fauſt
wollte auf die Moͤrder zuſprengen, der Teu-
fel hielt ihn zuruͤck, und ſagte:
„Nahe nicht, und halte dich ſtill, daß
„dich keiner entdecke, ihrer ſind tauſen-
„de in Rom, und du biſt in dem Vatican,
„ſelbſt an meiner Seite deines Lebens nicht
„ſicher, wenn ſie gewahr werden, daß du
„ſie
[316] „ſie beobachteſt. Der Ermordete, den ſie
„nun verſenken, iſt Francisco Borgia, ſein
„Moͤrder iſt ſein Bruder, und das was du
„nun ſieheſt, iſt das Vorſpiel von Thaten,
„die einſt der Hoͤlle ſelbſt Erſtaunen abzwin-
„gen werden.“
Hierauf enthuͤllte er ihm das ganze fin-
ſtre Gewebe, und wiederholte ihm die
Rede des Kardinals an Michellotto. Fauſt
antwortete kaͤlter, als der Teufel es er-
wartete:
„Ich faſſe denn ihre Thaten leichter als
„die Hoͤlle, und was kann man wohl von
„einer Familie anders erwarten, wo der
„Vater und die Bruͤder blutſchaͤnderiſch mit
„der Tochter und der Schweſter leben?
„Der Papſt nennt ſich den Statthalter Got-
„tes, die Menſchen erkennen ihn dafuͤr, und
„der, der ihn an ſeine Stelle geſezt hat,
„ſcheint mit ſeinem Regimente zufrieden,
„was ſoll Fauſt dazu ſagen, von dem die
„Kirche fordert, daß er ihn anbete; aber,
„Teufel, wer mir einer noch etwas Gutes
„von
[317] „von den Menſchen ſagt, den falle ich an,
„wie ein wuͤthendes Thier. Laß uns ſchla-
„fen gehen, du haſt Recht, der Teufel iſt
„nur ein Narr gegen unſer einen, beſonders
„wenn wir im Prieſterrocke ſtecken. O waͤ-
„re ich in dem gluͤcklichen Arabien geboren,
„ein Palmbaum meine Decke, und die Na-
„tur mein Gott!“
13.
Das Geruͤcht von der Ermordung des
Herzogs von Gandia, erſcholl bald durch
Rom und ganz Italien. Der Papſt ward
davon ſo geruͤhrt, daß er ſich der wildeſten
Verzweiflung uͤberließ, und drey Tage ohne
Speiſe und Trank blieb. Nachdem man
endlich ſeinen Koͤrper in der Tiber gefunden,
gab er die ſtrengſten Befehle, alle Muͤhe an-
zuwenden, die Moͤrder zu entdecken. Seine
Tochter, die vermuthete, woher der Streich
kaͤme, gab ihrer Mutter Vanoſa Nachricht
von dem ſtrengen Entſchluß des Papſts, und
dieſe begab ſich die folgende Nacht in das
Vatican.
[318] Vatican. Der Teufel, der als Liebling des
Papſts, waͤhrend ſeiner Trauer allein in
ſeinem Zimmer bleiben durfte, entfernte ſich
bey der Ankunft der edlen Vanoſa, ſuchte
Fauſten auf, der die Lucretia troͤſtete, und
fuͤhrte ihn an die Thuͤre, folgendes Ge-
ſpraͤch zu belauſchen.
Als ſie der Thuͤre nahten, hoͤrten ſie die-
ſe Worte des Papſts:
„Ein Brudermoͤrder, und Kardinal! Und
„du die Mutter von beyden, verkuͤndigeſt
„mir dies mit einer Kaͤlte, als haͤtte Caͤſar
„einen der Kolonne oder Orſinis vergiftet!
„Er hat in ſeinem Bruder ſeinen guten Ruf
„ermordet, hat das Gebaͤude der Groͤße im
„Grund erſchuͤttert, das ich durch meine
„Familie auffuͤhren wollte; aber der Kuͤhne
„ſoll der Strafe und meiner Rache nicht
„entgehen.“
Vanoſa. Roderico Borgia, du haſt bey
meiner Mutter geſchlafen, darauf bey mir,
ſchlaͤfſt nun mit meiner und deiner Tochter,
wer mag die zaͤhlen, die du heimlich ermor-
den
[319] den und vergiften ließeſt? und doch biſt du
Papſt, Rom zittert vor dir, und die ganze
Chriſtenheit betet dich an. Sieh, ſo viel
kommt darauf an, in welcher Lage man
ſich befindet, wenn man Verbrechen begeht.
Ich bin beyder Mutter, Roderico, und
wußte, daß Caͤſar den Francisco ermorden
wuͤrde.
Papſt. Ha der Abſcheulichen!
Vanoſa. Bin ichs, ſo bin ich es nur in
deiner Schule geworden. Der kalte, be-
daͤchtliche, ſanfte Francisco, mußte dem feu-
rigen, unternehmenden Caͤſar Platz machen,
damit dieſer die glaͤnzenden Hoffnungen er-
fuͤlle, die du meinem Buſen vertraut haſt,
als du den paͤpſtlichen Stuhl beſtiegſt.
Francisco war zum Moͤnch gebohren, mein
Caͤſar zum Helden, und darum nannte ich
ihn ſo im prophetiſchen Geiſte. Nur er iſt
faͤhig, alle die kleinen und großen Tyrannen
Italiens zu vernichten, und ſich eine Krone
zu erkaͤmpfen. Er muß Gonfalonier des
paͤpſtlichen Stuhls werden, und die Bor-
gias
[320] gias zu Herren von Italien machen. Iſt
dies nicht dein Wunſch? Haſt du nur fuͤr
Francisco gemordet und vergiftet? Wuͤrden
dieſe Verbrechen uns nuͤtzen, wenn Caͤſar
Kardinal bliebe, und der ermordete Schwaͤch-
ling einſt euren Raub vertheidigen ſollte?
Nur von ihm kann ich Schutz erwarten,
wenn du nicht mehr biſt, er achtete ſeiner
Mutter, waͤhrend dieſer Kalte mich ver-
nachlaͤßigte, und dem Vater allein ſchmei-
chelte, von dem er ſeine Groͤße hoffte. Caͤ-
ſar fuͤhlt, daß ein Weib wie ich, die einen
Helden gebaͤhren konnte, ihm auch den Weg
zu unſterblichen Thaten vorzuzeichnen weiß.
Heitere dich auf, Roderico, und ſey weiſe;
denn wiſſe nur immer, die Hand des Moͤr-
ders deines Lieblings, wird von einem ſol-
chen kuͤhnen Geiſt geleitet, die auch des Va-
ters nicht ſchonen wuͤrde, wenn er es wa-
gen ſollte, den Schleier aufzuheben, der die-
ſe noͤthige That verbirgt.
Papſt. Dein großer Sinn, Vanoſa, er-
hebt mich, ob er gleich mein Herz durch-
ſchaudert.
[321] ſchaudert. Francisco iſt kalt, und Caͤſar
lebt, er lebe, ſey der Erſtgebohrne, werde
groß, weil es das Schickſal ſo haben will. —
Er klingelte, ließ auftiſchen, und war hei-
tern Muths.
14.
Francisco war vergeſſen, und der Papſt
ſann nun, wie er dem verwegnen Geiſt Caͤ-
ſars einen weitern Schauplatz zur Ausuͤbung
ſeiner gefaͤhrlichen Kraͤfte eroͤfnen moͤchte.
Dieſer kroͤnte indeſſen den Koͤnig von Nea-
pel, mit denen von ſeines Bruders Blut be-
fleckten Haͤnden, und Friedrich von Neapel
zog daraus eine duͤſtre Ahndung, in welcher
er ſich auch nicht betrog.
Der Teufel ſorgte dafuͤr, daß Fauſten
von allem dieſem nichts entgieng, und die-
ſer ſah mit haͤmiſchen Lachen alle die Kar-
dinaͤle, die Geſandten von Spanien und
Venedig, dem Brudermoͤrder, den ſie alle
dafuͤr erkannten, bis an die Thore der
Stadt entgegen gehen, ihn darauf von einem
Fauſts Leben. Xgroßen
[322] großen Conſiſtorium empfangen, und im
Triumph zur Audienz des Papſts begleiten,
der ihn mit vieler Zaͤrtlichkeit empfieng.
Vanoſa legte die Trauer ab, und feierte
den Abend ſeiner Ruͤckkunft mit einem Feſte,
wobey alle Großen Roms erſchienen.
Bald hierauf zog Caͤſar den laͤſtigen Kar-
dinalshut aus, vertauſchte ihn mit dem
Schwerdte, und ward mit allem Pracht,
zum Gonfalonier des paͤpſtlichen Stuhls
geweiht.
Der Teufel ſah mit vielem Vergnuͤgen,
wie Fauſt den Wurm, der an ſeinem Her-
zen zu nagen anfing, durch die wildeſten
Genuͤße zu betaͤuben ſuchte. Er ſah, wie
jeder ſchwarze Streich, den er erlebte, ſein
Herz mehr vergaͤllte, und ſein verblendeter
Geiſt ſich immer mehr uͤberzeugte, daß alles
das, was er ſah und hoͤrte, in der Natur
des Menſchen gegruͤndet ſey, und man ſich
eben ſo wenig uͤber dieſe Greuel zu verwun-
dern habe, als daruͤber, daß der Wolf ein
Raͤuber ſey, der alles ohne Schonung zer-
reiße,
[323] reiße, ſeinen Heißhunger zu ſtillen. Der
Teufel unterſtuͤzte dies mit den Sophis-
men, die ſpaͤtere Philoſophen in Syſteme
gebracht haben, leerte die Schaͤtze der Erde,
ſchleppte Kleinodien zuſammen, und Fauſt
wuͤthete unter den Jungfrauen und Matro-
nen Roms, zerſtoͤhrte tauſend moraliſche
und gluͤckliche Verhaͤltniſſe der Familien,
und glaubte nicht genug an dem Menſchen-
geſchlecht verderben zu koͤnnen, das, wie
er meinte, der Verwuͤſtung geweiht ſey.
Der Unterricht der Lucretia hatte laͤngſt ſei-
ne Sinne vergiftet, und die Wolluſt ſeine
daͤmmernde gute Gefuͤhle ſo vernichtet, daß
ſich bald zu Menſchenhaß, Menſchenverach-
tung geſellte, welche Empfindung, wie der
Teufel ihn verſicherte, die einzige iſt, die
den Mann von Verſtand, von dem Dumm-
kopf unterſcheidet. Die Bande der ſanften
Menſchheit zogen ſich in ſeinem Herzen zu-
ſammen, und er glaubte in der Leitung des
Himmels die Hand eines Deſpoten zu ent-
decken, die unbekuͤmmert auf das Einzele,
X 2nur
[324] nur fuͤr den Gang und die Erhaltung des
Ganzen wache. Die Welt kam ihm nun
wie ein ſtuͤrmiſches Meer vor, auf welches
das Menſchengeſchlecht geworfen iſt, von
dem Winde hin und her getrieben, der die-
ſen an einem Felſen zerſchmettert, den an-
dern in den Hafen blaͤſt, und wo der Ver-
ungluͤckte noch dafuͤr verantworten muß,
daß er ſein Steuer nicht beſſer gefuͤhrt, ob
man ihm gleich eines aus ſo ſchwachem
Stoff gegeben, das ſich an jeder daher-
rauſchenden Welle zerb[r]icht.
15.
Alexander hatte eine Luſtjagd in Oſtia
veranſtalten laſſen. Es begleitete ihn da-
her ein großes Gefolge von Kardinaͤlen,
Biſchoͤfen, Damen und Nonnen, welche lez-
tere man wegen beſondrer Verdienſte aus
den Kloͤſtern gezogen, um die Gelagen rei-
zender zu machen. Der Teufel war beſtaͤn-
dig auf der Seite des Papſts, und Fauſt
war von der Lucretia unzertrennlich. Je-
der
[325] der uͤberließ ſich in Oſtia dem Zug ſeiner
thieriſchen Natur, und man begieng in den
wenigen Tagen Ausſchweifungen, wobey
ein Tiber und Nero noch etwas haͤtte ler-
nen koͤnnen. Fauſt hatte nun Gelegenheit,
den Menſchen, nach dem Ausdruck des Teu-
fels, in ſeiner ſcheußlichen Nacktheit zu be-
obachten; aber was waren alle dieſe Sce-
nen der Ueppigkeit, gegen die Anſchlaͤge, die
der Papſt, um ſich von der Ermattung der
Luſt zu erholen, mit ſeinen Baſtarden, in
Gegenwart Fauſts und des Teufels faßte?
Hier ward beſchloſſen, den Alfonſo von Ar-
ragonien, den Gemahl der Lucretia, zu er-
morden, um dem Koͤnig von Frankreich ei-
nen Beweis zu geben, daß man willens ſey,
mit dem Koͤnig von Neapel gaͤnzlich zu bre-
chen, und ihm zur Eroberung der Krone
Siciliens beyzuſtehen. Ludwig der Zwoͤlfte
war ſchon durch Alexanders Vermittlung in
Italien eingebrochen, und die Borgias ſa-
hen dadurch alle ihre Anſchlaͤge reifen. Lucre-
tia uͤbertrug dieſe blutige That ihrem Bru-
X 3der
[326] der, und ſah ſich ſchon als Wittwe an.
Hierauf ward der Plan zu dem folgenden
Feldzug entworfen, ſich aller Staͤdte, Ka-
ſtelle und Herrſchaften der Großen Italiens
zu bemaͤchtigen, jeden ihrer Beſitzer mit ſei-
ner Nachkommenſchaft zu ermorden, damit
keiner am Leben bliebe, der einen Anſpruch
darauf zu machen haͤtte, und ihnen durch
kuͤnftige Verſchwoͤrungen beſchwerlich ſeyn
koͤnnte. Um das Heer zu unterhalten, dic-
tirten Alexander und Caͤſar der Lucretia eine
Liſte der reichen Kardinaͤle und Praͤlaten,
die man nach und nach vergiften wollte,
um [si]e vermoͤge des Rechts des paͤpſtlichen
Stuhls zu beerben.
Nach dieſer geheimen Berathſchlagung
begab man ſich zu dem Abendeſſen. Der
Papſt war mit ſeinen Entwuͤrfen, und ihrer
nahen Erfuͤllung ſo zufrieden, daß er ſich
der ausſchweifendſten Laune uͤberließ, und
den Ton zu einem Bachanal angab, wozu
man die Zuͤge im Petron und Sueton ſu-
chen mag; doch vergaß er dabey der Sorge
fuͤr
[327] fuͤr den Staat nicht ganz, und fragte in
der Gluth des Weins die Anweſenden:
wie er es anfangen muͤßte, die Einkuͤnfte
des paͤpſtlichen Stuhls zu erhoͤhen, um das
große Heer einige Feldzuͤge durch zu unter-
halten. Nach vielen Projekten ſchlug Fe-
rara von Modena, Biſchof von Patria, der
wuͤrdige Miniſter Alexanders, durch wel-
chen er die Aemter der Kirche an den Meiſt-
bietenden verkaufen ließ, vor, Indulgenzen,
unter dem Vorwand eines bevorſtehenden
Tuͤrkenkriegs, durch Europa zu predigen,
und ſezte als wahrer paͤpſtlicher Finanzier
hinzu: „der thoͤrigte Wahn der Menſchen,
„ihre Suͤnden durch Gold abzukaufen, ſey
„die ſicherſte Quelle des Reichthums eines
„Papſtes.“
Lucretia, die in dem Schoos ihres Vaters
lag, und mit Fauſts blonden Locken ſpielte,
ſagte laͤchelnd:
„Die Rolle der Indulgenzen enthaͤlt ſol-
„che abgeſchmackte, veraltete und alberne
„Suͤnden, daß damit nicht viel zu gewin-
X 4„nen
[328] „nen iſt. Man hat ſie in dummen und
„barbariſchen Zeiten entworfen, und es iſt
„einmal Zeit, einen neuen Suͤndentariff zu
„machen, wozu Rom ſelbſt die beſten Arti-
„kel liefern kann.“
Die von Wein und Wolluſt begeiſterte
Geſellſchaft, freute ſich des gluͤcklichen Ein-
falls, und der Papſt forderte einen jeden
auf, neue Suͤnden vorzuſchlagen, zu taxi-
ren, die zu waͤhlen, die am meiſten im Gan-
ge waͤren, und folglich am meiſten ein-
truͤgen.
Borgia. Heiliger Vater, uͤberlaßt dies
den Kardinaͤlen und Praͤlaten, ſie ſind am
beſten damit bekannt.
Ferara von Modena, Biſchof von Patria,
ſezte ſich als Sekretair nieder.
Ein Kardinal. Abſolution fuͤr jede von
einem Prieſter begangne H — y, er begehe
ſie mit wem er wolle, mit einer Nonne,
außer oder in dem Bezirke des Kloſters, mit
ſeiner Bluts-Seitenverwandtin, oder ſeiner
geiſtlichen Tochter. Mit Diſpenſation, alle
Aemter
[329] Aemter der Kirche zu verwalten, und neue
Beneficien erhalten zu koͤnnen, ſo er an den
paͤpſtlichen Schatz neun Goldgulden be-
zahlt.
Papſt. Schreibt neun Goldgulden, Bi-
ſchof, und trinkt den Prieſtern, die ſie be-
zahlen, Abſolution zu.
Jeder Gaſt fuͤllte ſein Glas, und man
ſchrie Chorus: Abſolutio! Diſpenſatio!
Papſt. Biſchof Ferara ſchreibt! Fuͤr die
feinre Sodomie zwoͤlf Goldgulden, fuͤr die
groͤbere funfzehen, er ſey Laye oder Prieſter.
Mit dieſem Artikel allein hoffe ich meine Ka-
vallerie zu unterhalten, und ich ſehe voraus,
daß mir ein großer Theil ihres Soldes zu-
ruͤckkommen wird.
Chorus. Abſolutio! Diſpenſatio den fei-
nern und groͤbern Sodomiten!
Nonne. He, was iſt denn das? will ſich
niemand unſrer annehmen? Heiliger Vater,
haben wir allein kein Recht auf eure vaͤter-
liche Gnade? Ich bitte Euch, laßt uns ta-
xire[n], daß auch wir in Ruhe ſuͤndigen moͤgen.
X 5Ale-
[330]
Alexander. Recht, meine Tochter, und
ihr ſollt nicht ſchlechter gehalten werden wie
die Prieſter. Schreibt, Biſchof! Abſoluti-
on fuͤr jede Nonne die H — y treibt, es
ſey mit wem ſie wolle, mit ihrem Bruder,
Blutsverwandten oder Beichtvater, außer
oder in dem Bezirke ihres Kloſters, mit
Diſpenſationen, allen Wuͤrden des Kloſters
vorzuſtehen, neun Goldgulden.
Chorus. Abſolutio! Diſpenſatio!
Ein Biſchof. Abſolution und Diſpenſa-
tion jedem Prieſter, der eine Beyſchlaͤferin
oͤffentlich unterhaͤlt, fuͤnf Goldgulden.
Lucretia. Abſolution jedem Chriſten, der
ſeine Mutter, Schweſter oder ſonſtige Ver-
wandtin beſchlaͤft, funfzehen Goldgulden.
Chorus. Abſolutio! Diſpenſatio!
Fauſt, den die ganze Scene we-
gen des Teufels entſezlich aͤrger-
te, der aber doch dem Borgia eins
verſetzen wollte:
Abſo-
[331]
Abſolution jedem Vater-Bruder-Mut-
ter- und Schweſtermoͤrder, fuͤr drey Gold-
gulden.
Papſt. Ho ho Freund, wo wollt ihr hin-
aus, daß ihr den Mord geringer anſchlagt
als H — y, da doch der erſte die Menſchen
aus der Welt treibt, und die lezte ſie
hinein?
Caͤſar Borgia. Heiliger Vater, er will
durch einen hohen Preiß nicht von der
Suͤnde des Mords abſchrecken.
Teufel. Cautela, ihr Herren! Aller ge-
meldeten Abſolutionen und Diſpenſationen,
ſind die Armen unfaͤhig, ſie ſind des ſuͤſ-
ſen Troſts der Kirche unwuͤrdig, und ohne
[R]ettung verdammt.
Chorus unter ſtarkem Gelaͤchter. Ver-
dammt ſey alles, was kein Gold hat! Die
Armen fahren ohne Troſt der Kirche zur
Hoͤlle!
Caͤſar Borgia. Wer ſtiehlt, und ſey es
auch Kirchenraub, deſſen Seele kann geloͤſt
werden,
[332] werden, ſo er der paͤpſtlichen Kammer drey
Theile vom Diebſtahl abgiebt.
Chorus. Abſolution den Kirchenraͤubern
und allen Dieben, die mit dem paͤpſtlichen
Stuhl das Geraubte theilen!
Papſt. Du oͤffneſt eine reiche Mine, Caͤ-
ſar! ſchreibt Biſchof!
Fauſt. Abſolution fuͤr jeden, der Zauberey
treibt, und mit dem Teufel ein Buͤndniß
macht. Wie hoch taxirt ihr den Fall?
Papſt. Mein Sohn, hiermit wirſt du
den paͤpſtlichen Stuhl nicht bereichern. Der
Teufel verſteht ſeinen Vortheil nicht, man
ruft ihn umſonſt.
Fauſt. Heiliger Vater, mahlt ihn nicht
an die Wand, und ſchlagt nur immer an.
Papſt. Um der Seltenheit willen, hun-
dert Goldgulden.
Fauſt. Hier ſind ſie, im Fall es mir ge-
laͤnge, fertigt mir die Abſolution aus und
ſingt Chorus.
Chorus. Abſolution dem, der mit dem
Teufel ein Buͤndniß macht.
Eine
[333]
Eine andre Nonne. Herr Biſchof, da
ihr doch eben am Schreiben der Abſolution
fuͤr den Teufelsbanner ſeyd, ſo fertigt mir
auch eine Schrift aus; hier iſt mein Roſen-
kranz, er iſt funfzehn Goldgulden werth,
und ich behalte noch etwas Abſolution
uͤbrig.
Ferara ſchrieb, und der Papſt unter-
zeichnete.
Teufel. Glaubt Ew. Heiligkeit, daß der
Satan des Fetzen Papiers achten wird?
Der Großinquiſitor zog ſeine Hand aus
dem Buſen einer Aebtiſſin, und ſchrie mit
lallender Zunge:
„Ich rieche Ketzerey! Wer iſt der Atheiſt,
„der dieſen Frevel geſprochen hat?“
Der Papſt druͤckte dem Teufel den Zeige-
[„fi]nger leiſe auf den Mund, und ſagte:
„Kavalier, dieſes ſind Staatsgeheimniſſe!
„beruͤhre ſie nicht, denn ich darf ſelbſt dich
„nicht retten, wenn der paͤpſtliche Stuhl
„beſtehen ſoll.“
Um
[334]
Um dem Papſt den Hof zu machen, und
das Gewiſſen zu beruhigen, oͤffnete jeder der
Anweſenden ſeinen Beutel. Ferara rief
noch einige Schreiber, man fertigte ihnen
die Abſolution aus, und jeder griff nach
einem Gegenſtand, um den uͤbrigen Theil
der Nacht Gebrauch davon zu machen.
Nie wurden Suͤnden mit ruhigerm Herzen
begangen.
Ferara von Modena ſchrieb dieſen Ta-
riff den folgenden Morgen in’s Reine, uͤber-
gab ihn der Preſſe, *) und ließ ihn in der
Stille in der Chriſtenheit herumlaufen.
16.
Caͤſar Borgia vergaß des Worts nicht,
das er ſeiner Schweſter gegeben hatte. Al-
phonſo von Arragonien ward an der Schwel-
le des Pallaſts des Gonfaloniere ermordet,
als er ſich eben zu ihm begeben wollte, einer
Mas-
[335] Maskerade beyzuwohnen, wozu alle Großen
Roms eingeladen waren, die Vorſtellung
der Siege Caͤſars anzuſehen, die Borgia als
Vorbedeutung der ſeinigen auffuͤhren ließ.
Bald darauf ſezte er ſich mit ſeinem Heere
in Marſch, und nach einigen Monaten
ſtahl der Teufel dem Papſt folgenden Brief
aus der Taſche, den er Fauſten zu leſen
uͤbergab:
Heiliger Vater!
Ich kuͤße Ew. Heiligkeit Fuͤſſe. Sieg
und Gluͤck haben mich begleitet, und ich
ziehe ſie hinter mir her wie meine Sclaven.
Ich hoffe, Caͤſar iſt nun ſeines Namens
wuͤrdig, denn auch ich kann ſagen: ich kam,
ſah, und ſiegte. Der Herzog von Urbino
iſt in die Schlinge gefallen, die ich ihm ge-
legt habe. Vermoͤge des Breves Ew. Hei-
ligkeit bat ich ihn um ſeine Artillerie, un-
ter dem Vorwand, Eure Feinde zu bekrie-
gen. Von allen den Gunſtbezeigungen, wo-
mit wir ihm geſchmeichelt haben, verblendet,
ſchickte
[336] ſchickte er mir durch einen Edelmann ſeine
Einwilligung ſchriftlich zu. Unter dieſer
Maske ſandte ich einige Tauſende nach Ur-
bino, die ſich auf meinen Befehl der Stadt
und des ganzen Landes bemaͤchtigten. Leider
iſt er auf das Geruͤcht hiervon ſelbſt entflo-
hen, aber die maͤchtige und gefaͤhrliche Fa-
milie Montefeltro hat bezahlen muͤſſen, und
ich habe die ganze Brut vernichten laſſen.
Hierauf ſtieß der bethoͤrte Vitellozzo mit ſei-
nen Voͤlkern bey Camerino zu mir. Ich
ließ den Caͤſar von Varano im Wahn, ihn
mit guten Bedingungen aus Camerino ab-
ziehen zu laſſen, und uͤberfiel die Stadt in
dem Augenblick, da er beſchaͤftigt war, die
Artikel der Uebergabe niederzuſchreiben.
Ich hoffte der ganzen Familie durch einen
Streich ein Ende zu machen, aber leider iſt
mir der Vater entwiſcht, ſeine beiden Soͤhne
ließ ich erdroſſeln, und ſchmeichle mir, der
Gram ſoll ihnen den Alten nachſenden.
Bald darauf zog ich von Camerino aus, und
beorderte Paul Orſino, Vitellozzo und Oli-
verotto,
[337] verotto, mit ihren Voͤlkern nach Sinigaglia,
das ſie nach meiner Anweiſung beſtuͤrmten,
um ihr kuͤnftiges Grab mit eigner Hand zu
bereiten. Nun ſah ich alle unſre Feinde in
dem fein geſponnenen Netze, ſchickte meinen
treuen Michellotto mit ſeinen Geſellen vor-
aus, mit dem Bedeuten, daß jeder auf mei-
nen Wink einen von unſern Feinden ergrei-
fen ſollte. Ich ſezte mich in Marſch, die
Bethoͤrten kamen mir entgegen, mir ihre
Achtung zu bezeigen, und ließen nach mei-
nem Wunſche ihre Mannſchaft zuruͤck. Ich
fuͤhrte ſie unter Liebkoſungen in die Stadt,
und in dem Augenblick, als meine Voͤlker
ihre verlaßnen Haufen uͤberfielen, faßte
Michellotto mit ſeinen Angehoͤrigen, jeder
ſeinen Mann. So machte ich mich zum
Herrn der Laͤnder und Schloͤſſer derer, die
wir mit der Hoffnung von Eroberungen
uͤber ihre Feinde bethoͤrt haben. Die fol-
gende Nacht ließ ich ſie im Kerker erwuͤr-
gen. Michellotto, dem ich dieſes Geſchaͤft
uͤbertragen, hat mir mit vielem Lachen er-
Fauſts Leben. Yzaͤhlt,
[338] zaͤhlt, Vitellozzo habe um weiter
nichts gebeten, als daß man ihn
doch nicht ermorden moͤchte, bis
er die Abſolution ſeiner Suͤnde
von Ew. Heiligkeit erhalten koͤnn-
te. Man ſage mir noch einmal, es gehoͤre
Kunſt dazu, ſich zum Herrn der Menſchen
zu machen! Sobald Ew. Heiligkeit die Or-
ſinis und uͤbrigen wird eingezogen haben,
will ich ihnen den Pagola, den Herzog von
Gravina, und die andern gleichfalls ohne
Eure Abſolution nachſenden. Ich hoffe, Ew.
Heiligkeit wird ſich aus meinem Bericht
uͤberzeugen, daß ich der Krone werth bin,
die ich mit Muth und Verſtand zu erwer-
ben weiß. Vorher hatte ich Faenza, mit
ſeinem Herrn Aſtor, einem uͤberaus ſchoͤnen
Knaben von zehen Jahren, genommen. Er
ſoll leben, ſo lange er zu meinem Vergnuͤ-
gen dient, denn wahrlich, nie hat ein Sie-
ger einen reizendern Ganymed zur Beute er-
halten, und herrſchte der luͤſterne Jupiter
noch, ſo wuͤrde ich den gefaͤhrlichen und
maͤch-
[339] maͤchtigen Nebenbuhler fuͤrchten. Sollte
Carraccioli, der General der Venetianer, deſ-
ſen ſchoͤne Frau ich auf ihrer Reiſe aufhe-
ben ließ, und die mir nun mit Aſtor die
Arbeit wuͤrzt, nach Rom kommen, ſo em-
pfehlt ihn dem Bruder meines Michellottos.
Ich hoͤre, daß er viel Lermens macht, und
da er ein hitziger Kopf iſt, ſo muß man ſei-
ner Rache zuvorkommen. Die Venetianer
verſtehen ihren Vortheil zu gut, als daß ſie
ſich um ſeinetwillen mit uns uͤberwerfen ſoll-
ten. Das Geraͤuſch der Waffen hat mich
der Angelegenheiten meiner Schweſter nicht
vergeſſen machen. Der Abgeſandte des aͤl-
teſten Sohns des Herzogs von Eſte, iſt auf
dem Wege, die Vermaͤhlung in ſeinem Na-
men mit ihr zu vollziehen, und ich hoffe
ihr noch beyzuwohnen. Wir ſind nun der
Kolonne, der Orſinis, Salviatis, Vitelloz-
zos und all unſrer gefaͤhrlichen Feinde los!
Laßt uns noch das Haus Eſte und Medi-
cis vertilgen, Ludwig den zwoͤlften ſich,
wie ſein Vorgaͤnger in Italien aufreiben,
Y 2wer
[340] wer wird es dann noch wagen, gegen die
Borgias aufzuſtehen? Ich kuͤſſe Ew Hei-
ligkeit die Fuͤſſe ꝛc.
Caͤſar Borgia. Gonfalonier.
Fauſt ſah nach Leſung dieſes Briefs fin-
ſter gen Himmel, und rief: „Er iſt dein
„Statthalter, nennt ſich nach dir, dein
„Volk betet ihn an, und deine Glaͤubigen
„flehen ihn um Abſolution ihrer Suͤnde,
„in dem Augenblick da er ſie erwuͤrgen
„laͤßt! Ein blutſchaͤndriſcher Meuchelmoͤr-
„der vertrit deine Stelle auf Erden, Ty-
„rannen geiſſeln und erwuͤrgen deine Voͤlker,
„du ſchlaͤfſt, und ſie nennen dich ihren
„Vater!“
Der Teufel fuͤhrte ihn in das Vatican, wo
ſie den Papſt in großer Freude uͤber das
Gluͤck ſeiner Waffen antrafen. Er hatte
ſchon die Befehle gegeben, die Uebrigen der
Orſinis, den Alviano, Santa Croce, die
ſonſtigen Kardinaͤle und Erzbiſchoͤffe in die
Falle zu locken, und wartete mit Ungeduld
auf
[341] auf den Ausgang. Ganz Rom eilte zum
Gluͤckwunſch herbey. Die Bezeichneten
wurden im Vatican feſtgenommen, nach ver-
ſchiednen Gefaͤngniſſen gebracht, und heim-
lich hingerichtet, waͤhrend die Trabanten
des Papſts, ihre Pallaͤſte pluͤnderten. Der
Kardinal Orſini ward allein nach der En-
gelsburg gebracht, und ihm die erſten Tage
erlaubt, ſich aus der Kuͤche ſeiner Mutter
beſorgen zu laſſen; da aber der Papſt hoͤrte,
daß er ſeit ſeiner Gefangenſchaft einen Wein-
berg fuͤr zweytauſend Scudis verkauft haͤt-
te, und eine wegen ihrer außerordentlichen
Groͤße ſehr koſtbare Perle beſaͤße, ſo entzog
er ihm dieſe Gunſt. Die Mutter der einſt
großen und bluͤhenden Orſinis, huͤllte ſich
in Mannskleider, uͤberbrachte dem Papſt die
zweytauſend Scudis und die Perle, er nahm
ſie mit der Rechten, und gab mit der Lin-
ken das Zeichen zur Hinrichtung des Kar-
dinals. Dieſer Zug machte Fauſten ſo
wahnſinnig, daß der Teufel allen ſeinen Witz
brauchte, um ihn zu Verſtand zu bringen.
Y 3Er
[342] Er forderte nicht weniger von ihm, als das
ganze Vatican mit allen Borgias zu zertruͤm-
mern, und die Menſchheit an den Ungeheu-
ern zu raͤchen. Es war dem Teufel ein
leichtes, ihm zu beweiſen, daß es nicht ſei-
ne, ſondern die Sache des Himmels ſey,
dem Boͤſen zu wehren, und er fuͤhrte dieſes
Thema ſo aus, daß Fauſt zwar von ſei-
nem Wahnſinn geheilt wurde, aber an ei-
ner noch gefaͤhrlichern Seuche erkrankte,
denn er uͤberzeugte ſich nun voͤllig, der
Menſch ſey ein elender Sclave, und ſein
Herr und Schoͤpfer ein grauſamer Deſpot,
der an ſeinem Unſinn und ſeinem Frevel ei-
nen Gefallen haͤtte, um ihn deſto ſchaͤrfer
beſtrafen zu koͤnnen, ja der ihm geflißent-
lich, alle dieſe, ſeinem Gluͤcke widerſpre-
chende Neigungen in das Herz gelegt hatte,
um ſeiner Rache an ihm genug zu thun.
Die Tugendhaften und Gerechten hielt er
fuͤr Thoren, die den Boͤſen zum Raub und
Fraße hingeworfen waͤren.
Als
[343]
Als Borgia erfuhr, daß der Papſt ſeinen
Anſchlag ausgefuͤhrt haͤtte, ließ er ſeine
uͤbrigen Gefangnen, nebſt dem jungen Aſtor,
erdroſſeln, zog in Rom triumphirend ein,
und theilte mit dem Papſt und den uͤbrigen
Baſtarden den Raub der Pluͤnderung der
Pallaͤſte.
17.
Die Hochzeit der Lucretia wurde bald
hierauf mit allem aſiatiſchen Pracht gefeiert,
und jeder Roͤmer ſtrebte, dieſes Feſt durch
allen moͤglichen Glanz zu verherrlichen.
Den Tag der Vermaͤhlung laͤutete man alle
Glocken, die Artillerie donnerte von der
Engelsburg, man hielt Stiergefechte, ſpiel-
te ſittenloſe Komoͤdien, und das betaͤubte
Volk ſchrie vor dem Vatikan: „Es lebe
„Papſt Alexander! Es lebe Lucretia die Her-
„zogin von Eſte!“ Fauſt bruͤllte mit, und
ſagte zum Teufel: „Wenn nun dieſes Ge-
„ſchrey mit dem Gewinſel der Ermordeten
„an das Gewoͤlbe des Himmels anſchlaͤgt,
Y 4„wem
[344] „wem ſoll der Ewige glauben?“ Der Teufel
beugte ſich zur Erde und ſchwieg.
Um die Feyerlichkeiten der Hochzeit zu kroͤ-
nen, hatte Alexander mit ſeiner Tochter auf
den Abend eines Sonntags, ein Schau-
ſpiel angeordnet, wovon bisher die Jahr-
buͤcher der Greuel der Menſchheit noch kein
Beyſpiel gegeben haben. Der Papſt ſaß
mit ſeiner Tochter auf einem Ruhebette, in
einem großen hellerleuchteten Saale; Fauſt,
der Teufel, und die uͤbrigen zu dieſem Feſt
erleſenen, ſtunden um ſie herum. Auf ein-
mal oͤffneten ſich die Thuͤren, und es traten
funfzig reizende Kourtiſanen, in dem Stand
der Natur herein, die nach dem wolluͤſti-
gen Gefluͤſter blaſender Inſtrumente, einen
Tanz auffuͤhrten, den uns der Wohlſtand
verbietet zu beſchreiben, ob gleich ein Papſt
die Stellungen dazu erfunden hat. Nach
dem Tanz gab Seine Heiligkeit ein Zeichen
zu einem Wettkampf, den wir noch weniger
beſchreiben koͤnnen, und hielt den Preiß des
Sieges in den Haͤnden, um die Kaͤmpfenden
muthi-
[345] muthiger zu machen. Die unpartheyiſchen
Roͤmer riefen endlich Fauſten als Sieger
aus, Lucretia bekraͤnzte ihn mit Roſen un-
ter Kuͤſſen, und der Papſt uͤbergab dem
wakern Teutſchen, als Preiß des Sieges,
einen goldnen Becher, worauf Lucretia die
Schule der Wolluſt hatte graben laſſen.
Fauſt ſchenkte ihn ſeinem feinſten Kuppler,
einem venetianiſchen Moͤnch, bey dem ihn
lange hernach der goͤttlicheArretino ſah,
und ſeine beruͤchtigte Situationen darnach
copirte. Dieſer Sieg koſtete indeſſen Fau-
ſten ſoviel, daß er mit der lezten Kraft ſei-
nes Koͤrpers auch die lezte Kraft ſeines Gei-
ſtes zerbrach. Der Teufel, der ihn nun zu
ſeinem Zwecke voͤllig reif ſah, frohlockte ihm
lauten Beyfall entgegen.
18.
Der Papſt hatte bey der Vermaͤhlung ſei-
ner Tochter eine Kardinalsbefoͤrderung vor-
genommen, wozu er die reichſten Praͤlaten
auslas, und da Caͤſar Borgia zu dem kuͤnf-
Y 5tigen
[346] tigen Feldzug große Summen brauchte, ſo
nahm er ſich vor, einige davon bey einem
Feſte, das ſein Vater auf der Villa gab, in
die andre Welt zu ſchicken. Der Papſt fuhr
mit ſeiner Tochter, dem Teufel, Fauſten,
dem Borgia und der Gemahlin des Vene-
tianers, fruͤh nach dieſer Villa. Um der
Lucretia ein neues Vergnuͤgen zu machen,
ließ er einige roſigte Stuten in den Hof
fuͤhren, ſie von feurigen neapolitaniſchen
Hengſten beſpringen, und dieſes Schauſpiel
ergoͤzte Lucretia auf eine ganz beſondre Art.
Die Neuvermaͤhlte, von dieſem Schauſpiel
gereizt, zog Fauſten in ein Seitenzimmer,
fand aber bald, daß ſeine Kleinodien einen
dauerhaftern Werth haͤtten, als er. Bor-
gia begab ſich mit der Venetianerin in ein
andres Seitenzimmer, und der Papſt blieb
mit dem Teufel allein. Die Geſichtsbil-
dung Leviathans hatte ſchon lange beſon-
ders auf ihn gewuͤrkt, und erhizt von dem
was er geſehen, fieng er an dem Teufel ge-
wiſſe Antraͤge zu machen, bey welchen ſich
dieſer
[347] dieſer i[m] ein wildes Lachen ausſchuͤttete;
da aber der Papſt immer heftiger in ihn
drang, und er merkte, daß er in Gefahr
ſey, ſeine hohe unſterbliche Perſon von ei-
nem veraͤchtlichen Menſchen und gar von
einem Papſt, beſudelt zu ſehen, ſo erwachte
der ſchwarze Groll der Hoͤlle in ſeinem Geiſt,
und er ſtund in dem entſcheidenden Augen-
blick, in einer Geſtalt vor ihm, die nie ein
lebendes Auge geſehen, noch zu ſehen wa-
gen darf. Der Papſt, der ihn gleich erkann-
te, erhub ein Freudengeſchrey:
„Ah ben venuto, Signor diavolo!
„Wahrlich, du kannſt mir zu keiner geleg-
„nern Zeit erſcheinen, als jezt, und ſchon
„lange habe ich deine Gegenwart gewuͤnſcht,
„denn ich weiß, wozu man einen ſo maͤch-
„tigen Geiſt, wie du biſt, brauchen kann.
„Ha! ha! ha! du gefaͤllſt mir weit beſſer
„ſo, als vorher. Du Schaͤcker du! Komm,
„und ſey mein Freund, nimm deine vorige
„Geſtalt an, und ich will dich zum Kardinal
„machen, denn nur du allein kannſt mich
„ſchnell
[348] „ſchnell auf die hohe Stufe heben, die ich zu
„erſteigen ſtrebe. Ich bitte dich, hilf mir
„meine Feinde vertilgen, ſchaffe mir Geld,
„und jage mir die Franzoſen aus Italien,
„die ich nicht mehr brauche. Dies iſt fuͤr
„einen Geiſt, wie du biſt, das Werk eines
„Augenblicks, und du kannſt zum Lohn von
„mir fordern, was dir gefaͤllt. Nur offen-
„bare dich nicht meinem Sohn Caͤſar, er iſt
„ein ſo großer Boͤſewicht, daß er mich ſelbſt
„vergiften wuͤrde, um durch dich Koͤnig von
„Italien und Papſt zugleich zu werden.“
Der Teufel, den es anfangs ein wenig
verdroß, daß ſein furchtbares Aeußere nicht
mehr auf den Papſt wuͤrkte, konnte ſich
doch endlich des Lachens nicht enthalten.
Denn das, was er ſah und hoͤrte, uͤber-
traf alle Thaten der Menſchen, die die Hoͤl-
le zu ihrer Ergoͤtzung aufgezeichnet hat. Er
ſagte hierauf mit ernſter Miene:
„Papſt Alexander, der Satan zeigte einſt
„dem Sohn des Ewigen alle Herrlichkeit der
„Welt,
[349] „Welt, und bot ſie ihm an, ſo er nieder-
„fiele und ihn anbetete“ —
Papſt. Ich verſtehe dich. Er war ein
Gott, und bedurfte nichts, waͤre er ein
Menſch und Papſt geweſen, er haͤtte es ge-
macht wie ich.
Er fiel nieder, betete den Teufel an, und
kuͤßte ſeine Fuͤſſe.
Der Teufel ſtampfte auf den Boden, daß
die Villa erbebte. Fauſt und Lucretia, Caͤ-
ſar und die Venetianerin ſahen durch die
losgefahrnen Thuͤren den Papſt vor der
ſchrecklichen Geſtalt des Teufels mit gefalt-
nen Haͤnden knien, und dann rief dieſer mit
bittrem Hohne:
„Sodomie und dann Anbetung des Teu-
„fels! bey dem Satan, dem Herrſcher des
„dunklen Reichs, ein Papſt kann in keinem
„ſchoͤnern Augenblick ſeines Lebens zur Hoͤl-
„le fahren.“
Er faßte den Bebenden, erwuͤrgte ihn,
und uͤbergab ſeinen Schatten einem Geiſt,
ihn nach der Hoͤlle zu foͤrdern. Borgia
ſank
[350] ſank vor Schrecken zuſammen, und der
furchtbare Anblick zog ihm eine Krankheit
zu, die ihn außer alle Thaͤtigkeit ſezte, um
alle Fruͤchte ſeines Frevels brachte, und die
ſchwarzen Thaten der Borgias, dienten nur
zur Vergroͤßerung des paͤpſtlichen Stuhls.
Der erwuͤrgte und ſcheußlich verſtellte Papſt
wurde mit vielem Pomp begraben, und die
Geſchichtſchreiber, die mit ſeinem tragiſchen
Ende nicht ſo bekannt waren, wie ich es bin,
erfanden die Fabel, die eines Theils auf
Wahrheit gegruͤndet iſt, er und ſein Sohn
haͤtten aus Verſehen eines Dieners, aus
einer den Kardinaͤlen beſtimmten, vergifte-
ten Flaſche getrunken, und ſich ſo in ihrem
eignen Netze gefangen.
Fuͤnftes
[[351]]
Fuͤnftes Buch.
[[352]][[353]]
Fuͤnftes Buch.
1.
Das ſchaudervolle Ende des Papſts, der
ſchreckliche Anblick des Teufels, den Fauſt
bisher nur unter ſeiner erhabenen Geſtalt
geſehen hatte, machten einen ſo ſtarken Ein-
druck auf ihn, daß er von der Villa nach
Rom eilte, aufpacken ließ, und mit betaͤubtem
Sinn und klopfendem Herzen davon ritt.
Sein Gefuͤhl war durch alles was er geſe-
hen und beobachtet hatte, ſo ſtumpf gewor-
den, daß er, der ſo kuͤhn war, dem Ewigen
in ſeinem Innern zu trozen, es kaum wagte,
dem Teufel, den er noch ſclaviſch beherrſch-
te, in die Augen zu ſehen. Menſchenhaß,
Menſchenverachtung, Zweifel, Gleichguͤltig-
Fauſts Leben. Zkeit
[354] keit gegen alles, was um ihn geſchah, Mur-
ren uͤber die Unzulaͤnglichkeit und Beſchraͤnkt-
heit ſeiner phyſiſchen und moraliſchen Kraͤf-
te, waren die Erndte ſeiner Erfahrung, der
Gewinn ſeines Lebens; aber noch weidete
er ſich an dem Gedanken, daß ihn das, was
er geſehen, zu dieſen widrigen Empfindun-
gen berechtigte, und daß entweder keine
Verbindung auf Erden zwiſchen dem Men-
ſchen und ſeinem Schoͤpfer ſey; oder doch
der Faden, der ihn mit demſelben verbaͤn-
de, ſo verworren und zweydeutig durch die-
ſes Labyrinth des Lebens liefe, daß ihn
das Auge des Menſchen nicht entdecken,
vielweniger eine gute Abſicht dabey wahr-
nehmen koͤnnte. Noch ſchmeichelte er ſich
in ſeinem Wahne, ſeine Verirrungen ſeyen
in der ungeheuern Maſſe der Greuel der
Erde, wie ein Tropfen Waſſers der in Oce-
an faͤllt. Der Teufel erlaubte ihm gerne,
ſich in dieſem Traume zu wiegen, damit der
Schlag, den er vorausſah, ihn ſo treffen
moͤchte, daß er der Verzweiflung nicht ent-
fliehen
[355] fliehen koͤnnte. So glich nun Fauſt dem
welterfahrnen Manne, der ſeinen Leiden-
ſchaften den Zuͤgel gelaſſen, ſo lange ſeine
Kraͤfte dauerten, der das Gefuͤhl der Na-
tur in ſeinem Herzen aufgerieben, alles ohne
Bedenken der Folgen fuͤr ſich und andre ge-
noſſen hat, und nun in Stumpfheit des Gei-
ſtes und des Herzens, bitter in die Welt
zuruͤckblickt, das ganze Menſchengeſchlecht
nach der ſchwarzen Erfahrung beurtheilt,
die er gemacht hat, ohne nur einmal zu be-
denken, daß dieſe Erfahrung ihren Anſtrich
von unſerm Innern erhaͤlt, und ſich haupt-
ſaͤchlich nach unſerm eignen Werth beſtimmt.
Nur das feige, ſchlechte Herz wird ſchlech-
ter durch Erfahrung, der Edle ſieht die
Laſter und Verirrungen der Menſchen blos
als Diſſonanzen an, die die Harmonie ſei-
ner Bruſt in ein helleres Licht ſetzen, und
ihm ſein eignes Gluͤck fuͤhlbarer machen.
Fauſt, der alle haͤußliche und innige Ver-
bindung zerriſſen hatte, in dem Lauf ſeines
fernern Lebens keine mehr aufzufaſſen ſtreb-
Z 2te,
[356] te, durch ſeine Zerruͤttung und Denkart
nun keiner mehr faͤhig war, blickte duͤſter in
die Welt und auf die Menſchen, bis er von
allgemeinen Betrachtungen auf ſich geleitet,
mit Schrecken vor ſeinem eignen Bilde zu-
ruͤckfuhr. Er fieng an zu uͤberrechnen, was
er durch ſein gefaͤhrliches Wagſtuͤck gewon-
nen haͤtte, und da er dieſes gegen ſeine ehe-
maligen Wuͤnſche, Ausſichten und Hoffnun-
gen hielt, ſo ſah er bald, daß die voͤllige
Ausgleichung ſo ausfallen muͤßte, daß er
ſie nicht ertragen wuͤrde. Der Stolz, die
Rolle, die er ſo kuͤhn unternommen, ſeiner
ehemaligen Kraft wuͤrdig auszuſpielen, trat
hervor, und der Gedanke, ſich der Zahl de-
rer entriſſen zu haben, die eine unbeſorgte
Hand der Gewalt, der Geißel der Maͤchti-
gen, den Unterdruͤckern und Betruͤgern der
Menſchen unterworfen, alles genoſſen zu
haben, noch genießen zu koͤnnen, das Werk
ſeiner eignen freyen Wahl zu ſeyn, das Lee-
re der Wiſſenſchaften eingeſehen zu haben,
ſchwellten auf einmal von neuem ſeine See-
gel.
[357] gel. Er lachte der Erſcheinung ſeiner kran-
ken Fantaſie, entwarf einen neuen Lebens-
plan, ſchmeichelte ſich durch Forſchen und
Nachdenken uͤber Gott, die Welt und die
Menſchen, die Raͤthſel endlich zu enthuͤllen,
von welchen er glaubte, ſie ſeyen dem Men-
ſchen nur darum in den Weg geworfen, ſei-
nen moraliſchen Zuſtand ſo ungluͤcklich zu
machen, als ſeinen phyſiſchen. „Wer die-
„ſen Knoten geloͤſt, oder ſich uͤberzeugt hat,
„daß er nicht zu loͤſen ſey,“ ſagte er in
ſeinem Herzen, „der macht ſich zum
„Meiſter ſeines Geſchicks,“ und ſo waͤre er
gewiß, aus ſeinem ſcholaſtiſchen Jahrhun-
dert in unſer hellphiloſophiſches hinuͤber
geſprungen, wenn ihm der Teufel Zeit da-
zu gelaſſen haͤtte. Wenigſtens war er auf
dem Wege ein Philoſoph wie Voltaire zu
werden, der nur uͤberall das Boͤſe ſah, es
haͤmiſch hervorzog, und alles Gute ver-
zerrte, wo er es fand.
Z 32.
[358]
2.
Fauſt lag in einem ſuͤßen Morgenſchlum-
mer auf der Graͤnze Italiens, als ſich ein
ſehr bedeutender Traum vor ſeinem Geiſt
mit lebhaften Farben mahlte, den eine ſchau-
dervolle Erſcheinung beſchloß. Er ſah den
Genius der [Menſchheit], der ihm einſt er-
ſchienen, auf einer großen bluͤhenden In-
ſel, die ein ſtuͤrmiſches Meer umfloß, unru-
hig auf und nieder wandern, und ſehr aͤngſt-
lich nach den empoͤrten Fluthen blicken.
Das tobende Meer war mit unzaͤhlichen
Kaͤhnen bedeckt, in welchen Greiſe, Maͤnner,
Juͤnglinge Knaben, Kinder, Weiber und
Jungfrauen von allen Voͤlkern der Erde ſa-
ßen, die mit allen Kraͤften gegen den Sturm
arbeiteten, um die Inſel zu erreichen. So
wie die Gluͤcklichen nach und nach landeten,
luden ſie verſchiedne Baumaterialien aus,
die ſie in verworrnen Haufen hinwarfen.
Nachdem eine unzaͤhlbare Menge das Land
betreten hatte, entwarf der Genius auf
der erhabenſten Stelle der Inſel, den Grund-
riß
[359] riß zu einem großen Bau, und jeder der
Menge, alt und jung, ſchwach und ſtark,
nahm von den verworrnen Haufen ein ſchick-
liches Stuͤck, und trug es nach der Anwei-
ſung derer, die der Genius erleſen hatte, an
den gehoͤrigen Ort. Alles arbeitete mit
Freuden, Muth und Unverdroſſenheit, und
ſchon erhub ſich das Gebaͤude hoch uͤber der
Erde, als ſie auf einmal von großen Schaa-
ren uͤberfallen wurden, die aus einem dunk-
len Hinterhalt, in drey Haufen auf ſie dran-
gen. An der Spitze eines jeden ſtund ein
beſonderer Heerfuͤhrer. Der erſte trug ei-
ne ſchimmernde Krone auf ſeinem Haupte,
auf ſeinem ehernen Schilde glaͤnzte das
Wort Gewalt, in ſeiner Rechten hielt er ei-
nen Scepter, der wie der Stab Mercurs,
mit einer Schlange und einer Geißel um-
wunden war. Vor ihm her gieng eine
Hyaͤne, die ein Buch im blutigen Rachen
trug, auf deſſen Ruͤcken geſchrieben ſtund,
mein Wille! Sein Heer war mit Schwerd-
tern Speeren und andern zerſtoͤhrenden Werk-
Z 4zeugen
[360] zeugen des Krieges bewaffnet. Der zweyte
Heerfuͤhrer war eine erhabene Matrone, de-
ren ſanfte Zuͤge und edle Geſtalt unter einem
Prieſtergewand verſteckt waren. Auf ihrer
Rechten gieng ein hagres Geſpenſt, mit bli-
zenden Augen, der Aberglauben, mit einem
Bogen, der aus Knochen der Todten gebil-
det und zuſammengeſezt war, und mit ei-
nem Koͤcher voll giftiger Pfeile bewaffnet.
Auf ihrer Linken ſchwebte eine wilde, phan-
taſtiſch gekleidete Geſtalt, die Schwaͤrmerey,
die eine brennende Fackel fuͤhrte; beyde
drohten unter ſcheußlichen Verzerrungen des
Geſichts, und fuͤhrten als gefangne Sela-
vin die edle Matrone an Ketten. Vor ih-
nen her gieng die Herrſchſucht, auf ihrem
Haupte eine dreyfache Krone, in der Hand
einen Biſchofsſtab, und auf ihrer Bruſt
ſchimmerten die Worte: Religion! Der
Aberglauben und die Schwaͤrmerey erwar-
teten mit Ungeduld das Zeichen von dieſer,
dem Drang ihrer Wuth, die ſie kaum hal-
ten konnten, folgen zu duͤrfen. Ihr Heer
war
[361] war ein verworrner, tobender, bunt geklei-
deter Haufen, und jeder deſſelben fuͤhrte ei-
nen Dolch und eine brennende Fackel. Der
dritte Heerfuͤhrer gieng mit ſtolzen und kuͤh-
nen Schritten einher; er war in das be-
ſcheidne Gewand des Weiſen gekleidet, und
hielt, wie jeder ſeines Haufens, einen Be-
cher in der Hand, der mit einem ſchwin-
delnden und berauſchenden Getraͤnke gefuͤllt
war. Dieſe zwey lezten Haufen tobten und
ſchrien ſo entſezlich, daß das Toſen und Ge-
brauſe der Wellen, das Geheul des Sturms
nicht mehr zu hoͤren war.
Als ſie den Arbeitern nah waren, miſch-
ten ſich die drey Haufen, auf Befehl ihrer
Fuͤhrer untereinander, und fielen dieſe mit
ihren zerſtoͤhrenden Waffen in grimmiger
Wuth an. Die Muthigſten der Arbeiter
warfen ihre Werkzeuge weg, griffen zu den
Schwerdtern, mit denen ſie beguͤrtet waren,
um die Feinde zuruͤckzuſchlagen. Die an-
dern verdoppelten indeſſen ihren Eifer, das
angefangne Werk zu vollenden. Der Ge-
Z 5nius
[362]nius deckte ſeine muthige Streiter und flei-
ßige Arbeiter mit einem großen glaͤnzenden
Schilde, den ihm eine Hand aus den Wol-
ken reichte; er konnte aber die unzaͤhlbare
Menge nicht bergen. Mit tiefem Schmer-
ze ſah er viele Tauſende der Seinigen unter
den vergifteten Pfeilen, und den moͤrdriſchen
Waffen hinſinken. Viele ließen ſich von
den Vorſpieglungen und Lockungen derer be-
thoͤren, die ihnen die bezauberten Becher
als Erquickung darreichten, taumelten dann
in wildem Rauſche herum, und zerſtoͤhrten
die muͤhſame Arbeit ihrer Haͤnde. Die mit
den Fackeln bewaffneten machten ſich mit
ihren Dolchen einen Weg, warfen ihre Fa-
ckeln in das angefangne Gebaͤude, ſchon
loderte die Flamme, und drohte das herr-
liche Werk in die Aſche zu legen. Der Ge-
nius ſah mit ſchmerzvollem Blick auf die
Gefallnen und Verirrten, ſprach den Uebri-
gen Muth zu, floͤßte ihnen durch ſeine
Standhaftigkeit und Erhabenheit, Kraft,
Geduld und Ausharren ein. Sie loͤſchten
die
[363] die Flammen, ſtellten das Zertuͤttete her,
und arbeiteten, unter Verfolgung und Tod,
mit ſolchem Eifer, daß trotz der Wuth und
dem Haß ihrer Feinde, ein großer, herrli-
cher, edler Tempel emporſtieg. Der Sturm
legte ſich, und helle ſanfte Heiterkeit ergoß
ſich uͤber die ganze Inſel. Hierauf heilte
der Genius die Verwundeten, troͤſtete die
Muͤden, prieß die tapfern Streiter, und
fuͤhrte ſie unter Siegesgeſaͤngen in den Tem-
pel ein. Ihre Feinde ſtunden betaͤubt vor
dem Rieſenwerk, und zogen ſich, nachdem
ſie vergebens verſucht hatten, deſſen Veſte
zu erſchuͤttern, ergrimmt zuruͤck. Fauſt be-
fand ſich nun ſelbſt auf der Inſel. Das
Feld um den erhabenen Tempel war mit
Leichen der Erſchlagenen von allen Altern,
beyder Geſchlechter bedeckt, und diejenigen
die aus den Zauberbechern getrunken hatten,
giengen kalt unter den Todten herum, ver-
nuͤnftelten, ſpotteten und kritiſirten uͤber
die Bauart des Tempels, maßen ſeine Hoͤhe
und Breite, um ſeine Verhaͤltniſſe zu berech-
nen,
[364] nen, und beſtimmten ſie um ſo zuverlaͤßiger,
je weiter ſie von der Wahrheit entfernt wa-
ren. Fauſt gieng an ihnen voruͤber, und
als er dem Tempel nahte, las er uͤber ſei-
nem Eingang folgende Worte: Sterbli-
cher! wenn du tapfer geſtritten, treu aus-
gehalten haſt, ſo tritt herein, und lerne dei-
ne edle Beſtimmung kennen!
Sein Herz gluͤhte bey dieſen Worten,
und er hoffte auf einmal das ihn quaͤlende
Dunkel zu durchbrechen. Kuͤhn drang er
nach dem Tempel, ſtieg die hohen Stufen
hinauf, ſah, wie eine ſchimmernde, roſen-
farbene Daͤmmerung ihn fuͤllte, hoͤrte die
ſanfte Stimme des Genius, er wollte hin-
eintreten, die eherne Pforte fuhr mit einem
dumpfen Schall vor ihm zu, und er bebte
zuruͤck. Nun duͤnkte ihn, daß der Tempel,
der vorher auf ebenem Boden geſtanden,
auf drey großen Saͤulen ruhte, woran er
die Symbole der Geduld, Hoffnung und
des Glaubens erkannte. Seine Begierde,
in die Geheimniſſe des Tempels zu dringen,
nahm
[365] nahm durch die Unmoͤglichkeit noch mehr zu;
auf einmal fuͤhlte er ſich Fluͤgel, erhub ſich,
und fuhr mit ſolchem Ungeſtuͤme gegen die
eherne Pforte, daß er zuruͤckgeſchleudert, in
den tiefſten Abgrund ſank, und in dem Au-
genblick zitternd aus dem Schlaf auffuhr,
als er den Boden zu beruͤhren glaubte. Er
ſchlug betaͤubt die Augen auf, eine blaſſe, in
ein weiſſes Todtentuch gehuͤllte Geſtalt, in
der er ſeinen Vater erkannte, riß die Bett-
vorhaͤnge auseinander, und ſprach mit kla-
gender Stimme:
„Fauſt! Fauſt! Nie hat ein Vater ei-
„nen ungluͤcklichern Sohn gezeugt, in die-
„ſem Gefuͤhl bin ich nun eben geſtorben.
„Ewig, ach ewig, liegt die Kluft der Ver-
„dammniß zwiſchen mir und dir!“
3.
Dieſes bedeutende Geſicht, und die ſchau-
dervolle Erſcheinung, durchbebten die See-
le Fauſts, er ſprang auf, oͤffnete das Fen-
ſter, um freye Luft zu athmen, die unge-
heuren
[366] heuren Alpen lagen vor ihm, die aufgehen-
de Sonne vergoldete nun eben ihre Spitzen,
und dieſes Bild ſchien ihm eine Dollmei-
ſchung ſeines Gefuͤhls. Er verſank in tiefe
Betrachtungen, das Luftgebaͤude ſeines
Stolzes fiel zuſammen, und die ſchlummern-
den Empfindungen ſeiner Jugend ſchoſſen
hervor, um ſeine Quaal zu vermehren. Der
Gedanke, ſein Leben dem Wahn geopfert,
die Kraft ſeines Geiſts nicht genuͤzt, in dem
Strudel der Wolluſt, in dem Geraͤuſche der
Welt verbrauſt zu haben, drang durch ſeine
Seele. Er bebte vor der Enthuͤllung des
naͤchtlichen Geſichts zuruͤck, ſchon arbeitete
ſein Geiſt an der Deutung der Bilder, als
ſein Herz ihn ins Dunkel zuruͤcktrieb:
„Woher kamen nun dieſe Ungeheuer, die
„die fleißigen Arbeiter uͤberfielen? Wer be-
„rechtigte ſie zu dem Frevel, ſie in ihrer Ar-
„beit zu ſtoͤhren, und ſie unter ihrem edlen
„Tagwerk zu ermorden? Wer ließ es zu?
„Wollte, konnte er’s nicht hindern, der es
„zuließ? Wenn ich die Bilder des Geſichts
„recht
[367] „recht verſtehe, ſo deuten ſie auf die Grund-
„ſtuͤtzen der in Geſellſchaft geſammelten
„Menſchen, und jede derſelben behauptet
„ihren Urſprung vom Himmel? Iſt ihr Vor-
„geben Betrug, warum leidet der ſchmaͤhli-
„che Strafe, welcher ſie antaſtet? deuten
„ſie auf Mißbrauch — wie dann? ſo iſt
„alles Mißbrauch unter der Sonne, ſo ſoll
„es ſo ſeyn, und mein Unwille iſt gerecht.
„Iſt es nicht das Werk eines Hoͤhern, den
„wir nicht befragen koͤnnen, der uns nichts
„enthuͤllt hat? Warum erlagen ſo viele
„Tauſende der Wuth dieſer Ungeheuer?
„Konnte, wollte ſie der Genius nicht alle
„bergen? Sind einige vorher beſtimmt, als
„Opfer fuͤr die andern zu fallen? Wer ſteht
„mir dafuͤr, daß ich nicht einer von denen
„bin und ſeyn muß, den das Loos der Ver-
„werfung bey der Entſtehung getroffen?
„Mußten es dieſe mit ihrem Leben erkaufen,
„damit jene im Triumph einzoͤgen, und der
„Ruhe genoͤßen? Was haben die Ungluͤck-
„lichen verſchuldet? Was die verſchuldet,
„die
[368] „die lechzend nach dem Becher griffen, ih-
„ren gluͤhenden Durſt zu ſtillen?“
So trieb er ſich lange auf dem Meere
der Zweifel herum, als ihm durch die Er-
ſcheinung ſeines Vaters, ſeine ſeit ſo lan-
ger Zeit vergeßne Familie einfiel. Er faßte
den Entſchluß zu den Verlaßnen zuruͤckzu-
kehren, in die buͤrgerliche Ordnung wiede-
rum einzutreten, ſein Gewerbe zu treiben,
und ſich von der laͤſtigen Geſellſchaft des
Teufels zu befreyen. So machte er ſich
nun auf den Weg zu ſeiner Heimath, wie
viele, die unbeſtimmtes jugendliches Brau-
ſen fuͤr Genie halten, mit großen Anſpruͤ-
chen in die Welt treten, das wenige Feuer
ihrer Seele ſchnell verdampfen, und mit den
ſchaalen Ueberbleibſeln ſich nach kurzem auf
eben dem Punkte befinden, von dem ſie aus-
gelaufen, ſich und der Welt zur Laſt. Fauſt
kochte dieſes alles im Stillen aus, er ritt
ſtumm, duͤſter und muͤrriſch an der Seite
des Teufels. Dieſer uͤberließ ihn gerne ſei-
nen Betrachtungen, lach[t]e ſeines Entſchluſ-
ſes,
[369] ſes, und verkuͤrzte ſich die Zeit mit der ſuͤſ-
ſen Hoffnung, bald wieder den ſuͤßen Dampf
der Hoͤlle zu riechen. Er freute ſich ſchon
im Voraus darauf, wie er des Satans
ſpotten wollte, der ihm Fauſten als einen
Kerl beſondrer Kraft empfohlen haͤtte, den
er doch vor der Entwicklung ſeines Schick-
ſals ſo muͤrbe ſah. Er ſtellte ſich den Kuͤh-
nen in dem Augenblick vor, da er ihm zum
erſtenmal erſcheinen mußte, und nun ſah er
ihn gebeugt, wie einen buͤßenden Moͤnch,
neben ſich her reiten. Sein Haß gegen ihn
nahm zu, und er jauchzte in ſeinem ſchwar-
zen Inneren, als er Worms in der Ebene
vor ſich liegen lag.
4.
Sie ritten beyde die Landſtraße hinan,
und als ſie noch einige Steinwuͤrfe von der
Stadt entfernt waren, ſahen ſie einen Gal-
gen nah an derſelben, an welchem ein ſchlan-
ker, wohlgeſtalteter Juͤngling hieng. Fauſt
blickte hinauf. Der friſche Abendwind, der
Fauſts Leben. A adurch
[370] durch ſeine blonde, uͤber ſein Geſicht
gefallene Haare blies, und ihn hin und
her ſchaukelte, entdeckte Fauſten ſeine ju-
gendliche Bildung. Er brach bey die-
ſem Anblick in Thraͤnen aus, und rief mit
bebender Stimme:
„Armer Juͤngling, in der erſten Bluͤthe
„des Lebens ſchon hier, am verfluchten Hol-
„ze? Was kannſt du verbrochen haben,
„daß dich das Gericht der Menſchen ſo fruͤh
„verurtheilt hat?“
Teufel.mit ernſtem und feyerli-
chem Tone: Fauſt, dieſes iſt dein Werk!
Fauſt. Mein Werk?
Teufel. Dein Werk! Sieh ihn genau
an — es iſt dein aͤlteſter Sohn!
Fauſt blickte hinauf, erkannte ihn, und
ſank vom Pferde.
Teufel. Schon jezt vernichtet? So wirſt
du mich bald um die Fruͤchte meiner Muͤhe
bringen, die ich nur in deinem Jammer
erndten kann. Winſle und ſtoͤhne, die
Stunde naht, worin ich dir den dicken
Schleier
[371] Schleier von den Augen reißen muß. Hoͤre!
ich will mit einem Athemzug das verworrne
Labyrinth weghauchen, in welchem du dich
nicht finden konnteſt, dir Licht uͤber die
Wege der moraliſchen Welt geben, und dir
zeigen, wie gewaltſam du ſie durchkreuzt
haſt. Ich ein Teufel, will dir zeigen, mit
welchem Rechte und Gewinn, ein Wurm
wie du, ſich zum Richter und Raͤcher des
Boͤſen aufwirft, und in die Raͤder-
dieſer ſo ungeheuren und feſt geſtimm-
ten Maſchine greift. Langſam will ich
dir alles zuzaͤhlen, damit das Gewicht
eines jeden deines Frevels, einer jeden
deiner Thorheiten, ſchwer auf deine See-
le falle. Erinnerſt du dich des Juͤng-
lings, den ich auf deinen Befehl, bey un-
ſerm Auszug aus Mainz, vom Erſaufen er-
retten mußte? Ich warnte dich, du wollteſt
dem Zug deines Herzens gehorchen, vernimm
nun die Folgen. Haͤtteſt du jenen Boͤſe-
wicht ertrinken laſſen, ſo wuͤrde dein Sohn
nicht an dieſem ſchaͤndlichen Holze ſein Le-
A a 2ben
[372] ben verlohren haben. Er, um deßwillen
du durch die Fuͤhrung des Schickſals ver-
wegen griffſt, nahte ſich bald nach deiner
[Entfernung] deinem jungen verlaßnen Wei-
be. Der Glanz des Goldes, das wir
ihr ſo reichlich hinterlaſſen hatten, reiz-
te ihn mehr, als ihre Jugend und
Schoͤnheit. Es war ihm ein Leichtes,
das Herz der von dir Vernachlaͤßigten
zu gewinnen, und er machte ſich in
kurzem ſo zum Meiſter davon, daß ſie ihm
ihre Fuͤhrung, und alles was ſie beſaß,
uͤberließ. Dein Vater wollte ſich ſeiner
Wirthſchaft widerſetzen, der junge Mann
ſchlug und mißhandelte ihn, er ſuchte ſeine
Zuflucht in dem Hoſpitale der Armen, wo
er vor einigen Tagen, vor Kummer uͤber
dich und deine Familie geſtorben iſt. Da
ihn dein Sohn darauf mit heftigen Vor-
wuͤrfen anfiel, und ihm drohte, trieb er
auch ihn aus dem Hauſe. Dieſer irrte in
der Wildniß herum, ſchaͤmte ſich zu betteln,
kaͤmpfte lange mit dem Hunger, ſtahl end-
lich
[373] lich in einer Kirche dieſer Stadt einige Gro-
ſchen von einem Opferteller, ihn zu ſtillen,
that es aber ſo unvorſichtig, daß man ihn
bemerkte, und der Hochweiſe Magiſtrat ließ
ihn aus Ruͤckſicht ſeiner Jugend, nur haͤn-
gen, ob er ihnen gleich unter Thraͤnen ſag-
te, er habe in vier Tagen nichts als Gras
verſchlungen. Deine Tochter iſt in Frank-
furt, naͤhrt ſich mit Proſtituirung ihrer
Jugend, jedem der ſie dazu auffordert; dein
zweiter Sohn dient bey einem Praͤlaten, der
die Juͤnglinge dazu braucht, wozu mich der
Papſt einſt brauchen wollte, und wofuͤr er
eine ſo billige Taxe im Suͤndentariff feſtſezte.
Der junge von mir gerettete Mann, raubte
endlich deinem Weibe das lezte; dein Freund,
den wir vom Bettelſtab retteten, verſagte
deinem alten Vater ſeine Huͤlfe, ſtieß deine
Kinder, die zu ihm fluͤchteten, und um Brod
flehten, weg, und nun will ich dir deine
Familie zeigen, damit du mit Augen ſiehſt,
was du aus ihnen gemacht haſt. Dann
will ich dich wieder hierher reißen, Rechnung
A a 3mit
[374] mit dir halten, und du ſollſt eines Todes
ſterben, wie ihn kein Sterblicher gelitten
hat. Ich will deine bebende Seele herum-
zerren, bis du daſteheſt, ein erſtarrtes Bild
der Verzweiflung.
5.
Der Teufel ergriff den Jammernden, flog
mit ihm nach Mainz, zeigte ihm ſein Weib
und zwey Kinder, mit Lumpen bedeckt, vor
dem Franziskanerkloſter ſitzen, um die ekel-
haften Ueberbleibſel des Nachteſſens dieſer
Moͤnche abzuwarten. Als die Mutter
Fauſten erblickte’, ſchrie ſie: „Ach Gott,
„Fauſt, euer Vater!“ deckte ihre Augen
mit ihren Haͤnden zu, und ſank in Ohn-
macht. Die Kinder liefen zu ihm, hingen
ſich an ihn, und ſchrien um Brod.
Fauſt. Teufel, gebiete uͤber mein Schick-
ſal, laß es ſchrecklicher ſeyn, als es das
Herz des Menſchen tragen und faſſen kann,
nur gieb dieſen Elenden, und errette ſie vor
Schande und Hunger!
Teufel.
[375]
Teufel. Ich habe fuͤr dich die Schaͤtze
der Erde gepluͤndert, du haſt ſie der Wol-
luſt und dem Vergnuͤgen aufgeopfert, ohne
dieſer Elenden zu gedenken. Fuͤhle nun dei-
ne Thorheit, dieſes iſt dein Werk; du haſt
das Gewebe zu ihrem Schickſal geſponnen,
und deine hungrige, bettleriſche und elende
Brut, wird den von dir ausgeſaͤten Jammer
durch Kinder und Kindes Kinder fortpflan-
zen. Du zeugteſt Kinder, warum wollteſt
du nicht ihr Vater ſeyn? Warum haſt du
da das Gluͤck geſucht, wo es nie ein Sterb-
licher gefunden hat? Blicke ſie noch ein-
mal an, und dann fort, in der Hoͤlle ſiehſt
du ſie einſt wieder, wo ſie dich fuͤr die Erb-
ſchaft verfluchen werden, die ſie dir nur zu
danken haben.
Er riß ihn von den Jammernden, ſein
Weib wollte ſo eben ſeine Knie umfaſſen,
und um Erbarmung flehen — Fauſt woll-
te ſich zu der Ungluͤcklichen neigen, der Teu-
fel faßte ihn, und ſtellte ihn abermals un-
ter den Galgen bey Worms.
A a 46.
[376]
6.
Die Nacht ſenkte ſich ſchwarz auf die
Erde. Fauſt ſtund vor dem grauſenden An-
blick ſeines ungluͤcklichen Sohns. Wahn-
ſinn gluͤhte in ſeinem Gehirne, und er rief
im wilden Tone der Verzweiflung:
„Teufel, laß mich dieſen Ungluͤcklichen
„begraben, entreiße mir dann das Leben,
„und ich will in die Hoͤlle hinunterfahren,
„wo ich keinen Menſchen im Fleiſche mehr
„ſehen werde. Ich habe ſie kennen gelernt,
„mir ekelt vor ihnen, vor ihrer Beſtimmung,
„vor der Welt, und dem Leben. Die gute
„That zog unausſprechliches Weh auf mein
„Haupt, und ich hoffe, die boͤſen allein,
„ſind zum Gluͤck ausgeſchlagen. So muß
„es ſeyn in dem tollen Sinn des Wirrwarrs
„auf Erden. Foͤrdere mich hinunter, ich
„will ein Bewohner der Hoͤlle werden, ich
„bin des Lichts muͤde, gegen welches ihre
„Dunkelheit vielleicht Tag iſt.“
Teufel. Nicht zu raſch! — Fauſt, ich
ſagte dir einſt, du ſollteſt das Stundenglas
deiner
[377] deiner Zeit ſelbſt zerſchlagen, du haſt es in
dieſem Augenblick gethan, und die Stunde
der Rache iſt da, nach der ich ſo lange ge-
ſeufzt habe. Hier entreiße ich dir deine
maͤchtige Zauberruthe, und feßle dich in den
engen Bezirk, den ich nun um dich ziehe.
Hier ſollſt du mich anhoͤren, heulen und zit-
tern: ich ziehe die Schrecken aus dem Dun-
kel hervor, enthuͤlle die Folgen deiner Tha-
ten, und ermorde dich mit langſamer Ver-
zweiflung. So jauchze ich, ſo ſiege ich
uͤber dich!
Thor, du ſagſt, du haͤtteſt den Menſchen
kennen gelernt? Wo? Wie und wenn? Haſt
du auch einmal ſeine Natur erwogen?
durchforſcht, und abgeſondert, was er zu
ſeinem Weſen Fremdes hinzugeſezt, daran
verpfuſcht und verſtimmt hat? Haſt du ge-
nau unterſchieden, was aus ſeinem Herzen,
und was aus ſeiner durch Kunſt verdorbe-
nen Einbildungskraft fließt? Haſt du die
Beduͤrfniſſe und Laſter, die aus ſeiner Na-
tur entſpringen, mit denen verglichen, die
A a 5er
[378] er der Kunſt und ſeinem verdorbenen Willen
allein verdankt? Haſt du ihn in ſeinem na-
tuͤrlichen Zuſtand beobachtet, wo jede ſei-
ner unverſtellten Aeußerungen, das Gepraͤ-
ge ſeiner innern Stimmung an ſich traͤgt?
Du haſt die Maske der Geſellſchaft fuͤr ſei-
ne natuͤrliche Bildung genommen, und
nur den Menſchen kennen gelernt, den ſei-
ne Lage, ſein Stand, Reichthum, ſeine
Macht und ſeine Wiſſenſchaften, der Ver-
derbniß geweiht haben, der ſeine Natur an
eurem Goͤtzen, dem Wahn, zerſchlagen
hat. An die Hoͤfe, in die Pallaͤſte haſt du
dich gedraͤngt, wo man der Menſchen lacht,
indem man ſie mißbraucht, wo man ſie mit
Fuͤßen tritt, waͤhrend man das verpraßt,
was man ihnen geraubt hat. Die Herr-
ſcher der Welt, die Tyrannen mit ihren
Henkersknechten, wolluͤſtige Weiber, Pfaf-
fen, die eure Religion als Werkzeug der Un-
terdruͤckung nutzen, die haſt du geſehen,
und nicht den, der unter dem ſchweren Jo-
che ſeufzt, des Lebens Laſt geduldig traͤgt,
und
[379] und ſich mit Hoffnung der Zukunft troͤſtet.
Stolz biſt du die Huͤtte des Armen und Be-
ſcheidnen voruͤber gegangen, der die Namen
eurer erkuͤnſtelten Laſter nicht kennt, im
Schweiß ſeines Angeſichts ſein Brod er-
wirbt, es mit Weib und Kindern treulich
theilt, und ſich in der lezten Stunde des
Lebens freut, ſein muͤhſames Tagwerk ge-
endet zu haben. Haͤtteſt du da angeklopft,
ſo wuͤrdeſt du freylich euer ſchaales Ideal
von [heroiſcher], uͤberfeiner Tugend, die eine
Tochter eurer Laſter und eures Stolzes iſt,
nicht gefunden haben; aber den Menſchen
in ſtiller Beſcheidenheit, großmuͤthiger Ent-
ſagung, *) der unbemerkt mehr Kraft der
Seele und Tugend ausuͤbt, als eure im
blutigen Felde, und im trugvollen Kabinete,
beruͤhmte Helden. Ohne leztere, Fauſt,
ohne eure Pfaffen und Philoſophen, wuͤr-
den ſich bald die Thore der Hoͤlle zuſchlie-
ßen. Kannſt du ſagen, daß du den Men-
ſchen kenneſt, da du ihn nur auf dem Tum-
mel-
[380] melplatz der Laſter und deiner Luͤſte geſucht
haſt? Kennſt du dich ſelbſt? Laß mich tie-
fer reißen, ich will mit Sturm in die Gluth
blaſen, die du in deinem Buſen geſammelt
haſt. Wenn ich tauſend menſchliche Zun-
gen haͤtte, und dich Jahre in dieſem Kreiße
gefeſſelt hielte, ſo koͤnnte ich dir doch nicht
alle die Folgen deiner Thaten und Verwe-
genheiten entwickeln. Durch Jahrhunder-
te laͤuft das Gewebe des Ungluͤcks deiner
Hand, und kuͤnftige Geſchlechter verfluchen
einſt ihr Daſeyn, weil du in wahnſinnigen
Stunden, deinen Kitzel befriedigt; oder
dich zum Richter und Raͤcher menſchlicher
Handlungen aufgeworfen haſt. Sieh,
Kuͤhner, ſo bedeutend wird euer Wuͤrken,
das euch Blinden ſo beſchraͤnkt ſcheint!
Wer von euch kann ſagen, die Zeit vertilgt
die Spur meines Daſeyns? Weißt du, was
Zeit und Daſeyn ſind und ſagen wollen?
Schwellt der Tropfen, der in das Weltmeer
faͤllt, nicht die Woge, um einen Tropfen?
Und du, der nicht weiß, was Anfang, Mit-
tel
[381] tel und Ende ſind, haſt mit verwegner
Hand die Kette des Geſchicks gefaßt, und
an den Gliedern derſelben genagt, ob
ſie gleich die Ewigkeit geſchmiedet hat!
Nun ziehe ich den Vorhang hinweg, und
ſchleudre das Geſpenſt Verzweiflung in dein
Gehirn.
Fauſt druͤckte ſeine Haͤnde vor ſeine Au-
gen, der Wurm der Quaal ſog an ſeinem
Herzen.
Teufel. Vernimm nun deines Lebens Ge-
winn, und erndte ein, was du geſaͤet haſt,
erinnre dich dabey, daß ich keinen deiner
Frevel ausfuͤhrte, ohne dich vor den Folgen
zu warnen. Gezwungen von dir, unter-
brach ich den Lauf der Dinge, und ich der
Teufel ſtehe ſchuldlos vor dir, denn alles
ſind Thaten deines eignen Herzens.
Denkſt du noch der Nonne Klara, der
wolluͤſtigen Nacht, die du mit ihr zuge-
bracht? Wie ſollteſt du nicht, da ſie dich
ſo ſehr ergoͤzte? Hoͤre die Folgen derſelben!
Kurz nach unſrer Entfernung ſtarb der Erz-
biſchof
[382] biſchof ihr Freund und Beſchuͤtzer, und ſie
mußte nach ihrer Niederkunft, mit ihrem
Kinde, als ein Gegenſtand des Abſcheus, im
peinlichen Kerker, den verzweifelnden Hun-
gertod ſterben. In der Wuth fiel ſie uͤber
den Neugebohrnen her, ſaͤttigte ſich an dei-
nem und ihrem Blute, und verlaͤngerte ihre
ſcheußliche Marter, ſo lange der unnatuͤrli-
che Fraß dauerte. Was hatte ſie verbro-
chen, ſie die ihr Verbrechen nicht begriff,
den Urheber ihrer Schande, und ihres
ſchrecklichen Todes, weder kannte noch ahn-
dete? Fuͤhle nun die Folgen einer einzigen
Sekunde der Wolluſt, und bebe! Haſt du
nicht den Wahnſinn bekraͤftigt, der ſie ver-
dammte? Mußte die Hoͤlle nicht den Vor-
wurf deines Frevels tragen? Sie ermor-
deten deine Brut, als die Brut des Satans,
und du haſt durch dieſe That die Begriffe
dieſes Volks auf Jahrhunderte verwildert?
Stoͤhne nur, ich ziehe der Schrecken mehr
herauf.
Es
[383]
Es iſt wahr, mit dem Fuͤrſt Biſchof iſt
dir’s beſſer gelungen. Er ließ den Hans
Ruprecht begraben, und verſezte ſeine Fami-
lie in Wohlſtand. Auch verlohr er durch
meine Vorſpieglung ſein Fett, und ward ei-
ner der gelindeſten und guͤtigſten Fuͤrſten,
erſchlaffte aber die Bande der buͤrgerlichen
Ordnung ſo durch ſeine Nachſicht, daß ſei-
ne Unterthanen bald ein Haufen Hallunken,
Saͤufer, Faullenzer, Raͤuber und liederli-
chen Geſindels ward. Um ſie wiederum zu
Menſchen zu machen, mußte nun der jezige
Biſchof ihr Henker werden, hundert Fami-
lien zerſtoͤhren und hinrichten, damit die
andern, durch das Beyſpiel erſchreckt, in
die buͤrgerliche Ordnung eintraͤten. Drey
Schlemmer und Freſſer haͤtten dieſem Volke
nicht ſo weh gethan, als ihm diejenigen nun
thun, denen dieſer Fuͤrſt, gezwungen, das
Schwerdt der Gerechtigkeit, und die Gewalt
der Rache vertrauen muß.
Der Doktor Robertus, der beruͤhmte
Freyheitsraͤcher, der Mann nach deinem
Sinne,
[384] Sinne, war von fruͤhſter Jugend ein Feind
des Miniſters, den er wegen ſeiner Talen-
te haßte. Neid und Eiferſucht waren die
Quellen ſeines unabhaͤngigen Geiſtes, und
haͤtte jener wie er gedacht, ſo wuͤrde er mit
Freuden die Grundſaͤtze des ſtrengſten De-
ſpotismus angenommen haben, denn nur
dazu war ſein hartes und wildes Herz ge-
ſchaffen. Der rechtſchaffne Mann war der
Miniſter, dieſer ein Unhold, der die Welt
in Brand geſteckt haͤtte, es theils gethan
hat, um ſeinen grenzenloſen Ehrgeiz zu be-
friedigen. Ich mußte ihn nach deinem
Willen retten, ihn mit einer großen Sum-
me Gelds verſehen, vernimm nun, wozu er
ſie gebraucht hat, und freue dich der Fol-
gen. Er nuzte ſeine Freyheit, das Gold
und den Wahn, den ſein Verſchwinden durch
mich, im Volke veranlaßte, ſo gut, daß es
ihm bald gelang, einen fuͤrchterlichen Auf-
ſtand zu erregen. Er bewaffnete die Bau-
ern, dieſe ermordeten die Edelleute, verwuͤ-
ſteten das ganze Land, der edle Miniſter
fiel
[385] fiel ein Opfer ſeiner Rache, und dein Frey-
heitsraͤcher Robertus iſt der Stifter des
ungluͤcklichen Bauernkriegs, der ſich nach
und nach in ganz Teutſchland ausbreiten
und es verheeren wird. Mord, Todſchlag,
Pluͤndrung, Kirchenraub wuͤthen nun, und
dein edler Held ſteht an der Spitze ei-
nes tollen Haufens, und droht aus Teutſch-
land einen Kirchhof des Menſchengeſchlechts
zu machen. Erndte den Jammer ein, den
du veranlaßt haſt, der Satan ſelbſt haͤtte
nicht beſſer fuͤr die Zerſtoͤrung der Menſchen,
die wir haſſen, arbeiten koͤnnen, als du,
da du dieſen Wahnſinnigen der Gerechtigkeit
entriſſen haſt.
Kehre mit mir an den Hof jenes teut-
ſchen Fuͤrſten zuruͤck, wo du den Raͤcher der
Tugend und Gerechtigkeit ſo raſch und kuͤhn
geſpielt haſt. Dieſer Fuͤrſt und ſein Guͤnſt-
ling waren Heuchler eurer Tugenden; aber
ihr Wuͤrken befoͤrderte das Gluͤck des Volks,
weil ſie beyde Verſtand genug hatten, zu
fuͤhlen, der Vortheil der Unterthanen ſey
Fauſts Leben. B bGewinn
[386] Gewinn fuͤr den Fuͤrſten. Weiß der Dur-
ſtige und kuͤmmerts ihn, ob die Quelle, die
ihn traͤnkt, aus dem Bauche eines Berges
ſpringt, der mit Gift angefuͤllt iſt? Genug
fuͤr ihn, wenn er nur ohne Schaden ſein
heißes Blut abkuͤhlt. Dieſer Heuchler miß-
fiel dir, weil er deiner hohen Meinung, die
du mir gerne aus gewiſſen Urſachen auf-
draͤngen wollteſt, nicht entſprach, und ich
mußte ihn auf deinen Befehl erwuͤrgen.
Sein unmuͤndiger Sohn folgte ihm in der
Regierung. Seine Vormuͤnder druͤckten
und preßten das unter dem Heuchler einſt
gluͤckliche Volk, verdarben das Herz und
den Geiſt des kuͤnftigen Regenten, entnerv-
ten fruͤh ſeinen Koͤrper durch Wolluſt, be-
herrſchen ihn nun, da er muͤndig iſt, und
ſind ſeine und des Volks Tyrannen. Haͤtt’
ich nicht auf deinen Befehl den Vater er-
wuͤrgen muͤſſen, ſo wuͤrde er ſeinen Sohn
nach ſeinen Grundſaͤtzen erzogen, ſeine Faͤ-
higkeiten entwickelt, und ihn zum Manne
gebildet haben, der wuͤrdig ſey, [an] der
Spitze
[387] Spitze eines Volks zu ſtehen. Die Hun-
derttauſende, die nun unter dem Druck des
feigen, tuͤckiſchen Wolluͤſtlings ſeufzen, und
deren Jammer ſich auf deinem Haupte ſam-
melt, wuͤrden die Gluͤcklichſten in Teutſch-
land ſeyn. Wohl uns, du haſt ein ganzes
Volk elend gemacht, da du dich zum Raͤ-
cher eines Einzigen aufwarfſt. Erndte
ihre Thraͤnen, ihre Verzweiflung, die blu-
tigen Thaten ihrer kuͤnftigen Empoͤrung
ein, und freue dich deines ſtrengen Rich-
teramts!
Wahnſinniger, auf dein Geheiß mußt
ich das Schloß des wilden Rauhgrafs, mit
allen Bewohnern, ſeinem Weibe und dem
Saͤugling verbrennen. Was haben dieſe
Unſchuldigen verbrochen? Es war ein
Augenblick der Wonne fuͤr mich! — dein
Werk iſt es, daß der Saͤugling auf dem
Buſen der Mutter zu Aſche brannte, dein
Werk, daß der Rauhgraf einen benachbar-
ten Edelmann, als den Urheber des Bran-
des uͤberfiel, des Unſchuldigen Schloß der
B b 2Flam-
[388] Flamme uͤbergab, ihn erſchlug, und die
Fehde, die meine That veranlaßte, noch in
dieſem Theile Teutſchlands wuͤthet. Tau-
ſende ſind ſchon unter dem Schwerdte der
wechſelſeitigen Rache hingeſunken, und es
wird nicht eher ruhen, bis ſich die ſtreiten-
den Familien gaͤnzlich erſchopft und vertilgt
haben. So warſt du, Wurm, der ſich in der
Wolluſt herumwaͤlzte, in die Hoͤlle drangſt,
um deine Luͤſternheit zu ſaͤttigen, der Raͤ-
cher des Unrechts. Heule und ſtoͤhne, ich zie-
he der Schrecken mehr aus dem Dunkel.
Die Tochter des Geizigen in Frankreich,
die du zur H — e gemacht, und in ihrem
Buſen die Luſt nach der Suͤnde erweckt haſt,
ergab ſich bald hierauf dem jungen Koͤnig
als Maitreſſe. Sie beherrſchte ihn, reizte
ihn daß er ſie mit einem neuen Buhler nicht
ſtoͤhren moͤchte, zu dem unſinnigen Zuge nach
Italien, und zog ein Elend uͤber Frankreich,
das viele kuͤnftige Regierungen nicht heilen
werden. Die Bluͤthe der franzoͤſiſchen Ju-
gend, die Helden des Reichs, faulen in
Italien,
[389] Italien, und der Koͤnig kehrte beſchaͤmt und
ohne Vortheil heim. So haſt du, wohin
du dich wandteſt, den Saamen des Ungluͤcks
ausgeſtreut, und er fruchtet zum Unheil die
Ewigkeit durch.
Ich hoffe, nun begreifſt du den Fingerzeig,
den ich dir damals gab, als ich das Haus
uͤber die Naturkuͤndiger zuſammenſtuͤrzte.
Ich ſagte dir, ſo wie dieſe in das Fleiſch der
Lebenden ſchneiden, um unergruͤndliche Ge-
heimniſſe zu erforſchen, ſo wuͤtheſt du in der
moraliſchen Welt, durch meine zerſtoͤhrende
Hand. Du haſt dieſes Winks nicht ge-
achtet. Fuͤhle ihn nun tiefer. Sie verdien-
ten unter den Ruinen ihrer Schlachtbank be-
graben zu werden; aber was hatten die Un-
ſchuldigen im Unterſtock verbrochen, die
nicht wußten, welche Greuel uͤber ihrem
Haupte vorgiengen? Warum mußten auch
ſie mit begraben werden? Warum mußte,
deine ſchnelle Rache zu befriedigen, eine
ſchuldloſe, gluͤckliche Familie mit aufgeopfert
werden? Richter und Raͤcher, dieſes haſt
B b 3du
[390] du nicht bedacht. Faſſe nun die Folgen
deines Wahnſinns zuſammen, durchlaufe
ſie, und ſinke vor der ſcheußlichen Vorſtel-
lung hin. Sagt’ ich dir nicht, der Menſch
iſt raſcher in ſeinem Urtheil und in ſeiner
Rache, als der Teufel in der Vollziehung
des Boͤſen?
Auf deinen Befehl mußt ich den Zunder
der Wolluſt, an das Herz der himmliſchen
Angelika legen, die die Zierde ihres Ge-
ſchlechts und der Welt war. Du haſt ſie
im wilden Rauſche deiner Sinne genoſſen,
und die Ungluͤckliche wußte nicht was ihr
geſchah. Schaudre vor den Folgen — die-
ſe Angelika — ich der Gefallen an der Suͤn-
de und der Zerſtoͤhrung hat, koͤnnte mitlei-
dig auf ihr Ende blicken! Sie floh auf das
Land, und das Gefuͤhl der Scham zwang
ſie, den Zuſtand zu verbergen, in den du ſie
geſezt hatteſt. Sie gebahr unter Todes-
angſt, in der Einſamkeit, ohne Huͤlfe, das
Kind entfiel dem Schooß der Unvermoͤgen-
den, und ſtarb in dem Augenblick, da es
das
[391] das Licht der Welt erblickte. Sie, das un-
gluͤckliche Opfer deiner augenblicklichen Luſt,
ward eingezogen, und oͤffentlich als Kinder-
moͤrderin hingerichtet. Du haͤtteſt ſie ſehen
ſollen im lezten Augenblick ihres Lebens —
ſehen ſollen, wie ihr reines Blut den weißen
Talar befleckte —
Fauſt oͤffnete ſeine ſtarre Augen und ſah
gen Himmel.
Teufel. Er iſt taub gegen dich! Sey
ſtolz auf den Gedanken, einen Augenblick
gelebt zu haben, der das Vergehen der Teu-
fel leicht machen koͤnnte, wenn das Gericht
uͤber ſie nicht geſchloſſen waͤre! Noch rauſcht
er in den duͤſtern Gefilden der Ewigkeit.
Ich rede von jenem, da du mich zwingen
wollteſt, den Schleier zu heben, der Euch
den Ewigen verbirgt. Der Engel der euer
Schuldbuch fuͤhrt, erbebte auf ſeinem glaͤn-
zenden Sitze, und ſtrich deinen Namen mit
weggewandtem Angeſicht aus dem Buche
des Lebens.
B b 4Fauſt.
[392]
Fauſt, ſprang auf: Verflucht ſeyſt
du! Verflucht ich! die Stunde meiner Ge-
burt! der, der mich gezeugt, die Bruſt die
ich geſogen!
Teufel. Ha des herrlichen Augenblicks!
des koͤſtlichen Lohns meiner Muͤhe! Die Hoͤl-
le freut ſich deiner Fluͤche, und erwartet ei-
nen noch ſchrecklichern von dir. Thor,
warſt du nicht frey geſchaffen? Trugſt, em-
pfandeſt du nicht, wie alle, die im Fleiſche
leben, den Trieb zum Guten, wie zum Boͤ-
ſen, in deiner Bruſt? Warum tratſt du ver-
wegen aus dem Gleiſe, das dir ſo beſtimmt
vorgezeichnet war? Warum wagteſt du dei-
ne Kraͤfte an dem und gegen den zu verſu-
chen, der nicht zu erreichen iſt? Warum
wollteſt du mit dem richten und rechten, den
du nicht faſſen und denken kannſt? Warum
trieb Stolz die Pflanze aufwaͤrts, die nur
an der Erde hinkriechen ſoll? Hat er dich
nicht ſo geſchaffen, daß du uͤber den Teu-
fel, wie uͤber die Thiere der Erde erhaben
ſtundeſt? Dir verlieh er den unterſchei-
den-
[393] denden Sinn des Guten und Boͤſen: frey
war dein Wille, frey deine Wahl. Wir
ſind Sclaven des Boͤſen und der eiſernen
Nothwendigkeit ohne Wahl und Willen;
gezwungen, von Ewigkeit dazu verdammt,
wollen wir nur das Boͤſe, und ſind Werk-
zeuge der Rache und der Strafe an euch.
Ihr ſeyd Koͤnige der Schoͤpfung, freye Ge-
ſchoͤpfe, Meiſter eures Schickſals, das ihr
ſelbſt beſtimmt, Herren der Zukunft, die von
eurem Thun abhaͤngt, um dieſe Vorzuͤge
haſſen wir euch, und frohlocken, wenn ihr
durch Thorheit und Laſter die Herrſchaft
verwuͤrkt. *) Waͤrſt du geblieben, was du
B b 5warſt,
[394] warſt, haͤtten dich Duͤnkel, Stolz, Wahn
und Wolluſt, nicht aus der gluͤcklichen, be-
ſchraͤnk-
*)
[395] ſchraͤnkten Sphaͤre geriſſen, wozu du gebohren
warſt, ſo haͤtteſt du ſtill dein Gewerbe getrie-
ben, dein Weib und deine Kinder ernaͤhrt, und
deine Familie, die nun in Koth der Menſch-
heit geſunken iſt, wuͤrde bluͤhen. Von ihr
beweint, wuͤrdeſt du ruhig auf deinem Bet-
te geſtorben ſeyn, und dein Beyſpiel wuͤrde
deine Hinterlaſſnen auf dem dornigten Pfad
des Lebens leiten.
Fauſt. Ha, wohl mag dies die groͤßte
Quaal der Verdammten ſeyn, wenn der
Teufel ihnen Buße predigt!
Teufel. Es iſt luſtig genug, daß ihr es
dazu kommen laßt. Elender, und wenn die
Stimme der Wahrheit und Buße laut vom
Himmel ſelbſt erſchallte, ihr wuͤrdet ihr euer
Ohr verſchließen.
Fauſt. Erwuͤrge mich, und toͤdte mich
nicht mit deinem Geſchwaͤtze, das mein Herz
zerreißt, ohne meinen Geiſt zu uͤberzeugen.
Willſt du, daß ich dein Gift Tropfen fuͤr
Tropfen einſchluͤrfen ſoll, gieße ein! deine
Vorſtellungen laufen im Ungeheuren zuſam-
men,
[396] men, und verlieren ihre Kraft an mir.
Sieh, meine Augen ſind ſtarr und trocken,
nenne meine Stumpfheit Verzweiflung —
noch kann ich ihrer ſpotten, und mein Geiſt
kaͤmpft mit der peinlichen Wallung meines
Herzens. Nur dieſer da, und die ich eben
geſehen, liegen wie eine ungeheure Laſt auf
mir, und zerknirſchen meine ſich noch empoͤ-
rende Kraft. Um der guten That willen
muß er hier henken! Um der guten That
willen muͤſſen ſie im Elend verſchmachten,
und eine Reihe niedertraͤchtiger Suͤnder
fortpflanzen! Sah ich was anders als
Morden, Vergiften und Greuel in der Welt?
Sah ich nicht uͤberall den Gerechten zertre-
ten, und den Laſterhaften gluͤcklich und
belohnt?
Teufel. Das kann nun wohl ſeyn, und
beweiſt nur, was fuͤr Kerle ihr ſeyd; aber
was prahlſt du mir immer von deiner guten
That vor? Wodurch verdient ſie dieſen
Namen? Etwa dadurch, daß du mir den
Wink dazu gegeben, der dich wahrlich nicht
viel
[397] viel gekoſtet haben kann? Um es zu einer
edlen Handlung zu machen, haͤtteſt du dich
in das Waſſer werfen, und den jungen
Mann auf Gefahr deines Lebens retten muͤſ-
ſen. Darauf deutete ich, als ich dir ſagte:
vermuthlich kannſt du nicht ſchwimmen.
Ich warf ihn an das Ufer, und verſchwand.
Dich ſelbſt wuͤrde er erkannt haben, und
von Dankbarkeit geruͤhrt, haͤtte der Zerſtoͤh-
rer deiner Familie, ihr Beſchuͤtzer und Ver-
theidiger werden koͤnnen.
Fauſt. Quaͤlen kannſt du mich, Teufel,
aber die Zweifel des Menſchen kannſt du aus
Stumpfheit nicht loͤſen, oder willſt es aus
Bosheit nicht thun. Nie drangen ſie gifti-
ger in mein Herz, als in dieſer Stunde, da
ich den Jammer meines Lebens, meiner Zu-
kunft uͤberblicke. Iſt das menſchliche Leben
etwas anders, als ein Gewebe von Pein,
Laſter, Quaal, Heucheley, Widerſpruͤchen
und ſchielender Tugend? Was iſt Frey-
heit, Wahl, Wille, der geruͤhmte Sinn,
Boͤſes
[398] Boͤſes und Gutes zu unterſcheiden, wenn
die Leidenſchaften die ſchwache Vernunft
uͤberbruͤllen, wie das toſende Meer die Stim-
me des Steuermanns, deſſen Schiff gegen
die Klippen treibt? Wozu das Boͤſe? Wa-
rum das Boͤſe? Er wollte es ſo; kann der
Menſch den Saamen des Boͤſen aus der un-
geheuren Maſſe herausreißen, den er mit
Willen hineingelegt hat? Noch wuͤthender
haſſe ich nun die Welt, den Menſchen und
mich. Warum gab man mir, der zum Lei-
den gebohren iſt, den Drang nach Gluͤck?
Warum dem zur Finſterniß gebohrnen, den
Wunſch nach Licht? Warum dem Sclaven
den Durſt nach Freyheit? Warum dem
Wurme das Verlangen zu fliegen? Wozu
eine unbeſchraͤnkte Einbildungskraft, die
immer gebaͤhrende Mutter kuͤhner Begier-
den, verwegner Wuͤnſche und Gedanken?
Zerſchlage das Fleiſch, das meine dunkle
zweifelvolle Seele umhuͤllt nimm ihr das
Erinnern, daß ſie einen menſchlichen Leib
zum Suͤnder gemacht hat, dann will ich ei-
ner
[399] ner der eurigen werden, und nur im Wun-
ſche des Boͤſen leben.
Ha, Teufel, dieſes gefaͤllt deinen Ohren
nicht, wie der ziſchende, heulende Geſang
der Verzweiflung, den du erwartet haſt —
noch kennſt du den Menſchen nicht ganz.
Was iſt die Leitung des Himmels, wenn ein
Wurm wie ich, durch das Mittel eines Ver-
worfnen wie du biſt, durch ſeinen eignen
Willen, ſein Werk verpfuſchen kann? Iſt
hier Gerechtigkeit? Mußte Fauſt ſo geboh-
ren werden, ſich ſo entwickeln, ſo denken
und empfinden, daß Tauſende elend durch
ihn wuͤrden? — Loͤſe nur immer den Zau-
ber, der mich in dieſem Kreiße feſſelt, und
ich werde dir nicht entfliehen, und koͤnnte
ich’s, ich wollte nicht, denn die Pein der
Hoͤlle kann nicht groͤßer ſeyn, als das was
ich fuͤhle.
Teufel. Fauſt, mich freut deines Muths,
und ich hoͤre das, was du ſagſt, noch lie-
ber, als die wilden Toͤne der Verzweiflung.
Sey ſtolz darauf, deine genialiſche Kraft
bis
[400] bis zum Unſinn und zur Laͤſterung getrie-
ben zu haben, die Quaal der Hoͤlle erwartet
dich dafuͤr. Es iſt Zeit zum Abfahren, dei-
ne Rolle iſt hier geſpielt, du beginneſt eine,
die nie enden wird. Tritt aus deinen:
Kreiße, und begrabe den Ungluͤcklichen;
dann will ich dich faſſen, deinen bebenden,
muͤrben Leib von deiner Seele ſtreifen, wie
man dem Aale die Haut abſtreift, ihn zer-
ſtuͤckt auf das umherliegende Feld ſtreuen,
den Voruͤbergehenden zum Ekel und Abſcheu.
7.
Fauſt ſtieg den Galgen hinauf, und loͤſte
den Strick von dem Halſe ſeines Sohns;
trug ihn auf das nahe Feld, das der Pflug
friſch aufgeriſſen, grub mit ſeinen Haͤnden,
unter Schluchzen und Thraͤnen ein Grab,
und legte den Ungluͤcklichen hinein. Hier-
auf trat er vor den Teufel, und ſprach mit
wildem Tone:
„Das Maas meines Jammers iſt voll, zer-
„ſchlage das Gefaͤß, das ihn nicht mehr
„faſſen
[401] „faſſen kann; aber noch habe ich Muth,
„mit dir um mein Leben zu kaͤmpfen, denn
„ich will nicht ſterben, wie der Sclave, der
„unter der Gewalt ſeines Herrn, ohne Wi-
„derſtand hinſinkt. Erſcheine mir, unter
„welcher Geſtalt du willſt, ich ringe mit
„dir. Um der Freyheit, der Unabhaͤngig-
„keit, zog ich dich aus der Hoͤlle, am Ran-
„de der Hoͤlle will ich ſie behaupten, am
„Rande der furchtbaren Wohnung will ich
„noch meine Kraft gebrauchen, und fuͤhlen,
„daß ich dich einſt an meinem Zauberkreiße
„gefeſſelt ſah, und dich zu geiſſeln drohte.
„Was du in meinen Augen ſiehſt, ſind
„Thraͤnen der Verſtockung, Thraͤnen grim-
„migen Unwillens — Teufel, nicht du,
„mein eignes Herz ſiegt uͤber mich!“
Teufel. Ekelhafter Prahler! mit dieſem
Fleiſche reiß ich dir die Maske ab, die mir
Muth vorluͤgt, und ſtelle dich hin in deiner
elenden, ſcheußlichen Nacktheit. Die Ra-
che rauſcht heran, und Ewigkeit iſt ihr
Name.
Fauſts Leben. C cEr
[402]
Er ſtund in Rieſengeſtalt vor ihm. Sei-
ne Augen gluͤhten wie vollgefuͤllte Sturm-
wolken, auf denen ſich die untergehende Son-
ne ſpiegelt. Der Gang ſeines Athems
glich dem Schnauben des zornigen Loͤwens.
Der Boden aͤchzte unter ſeinem ehernen Fu-
ße, der Sturm ſaußte in ſeinen fliegenden
Haaren, die um ſein Haupt ſchwebten, wie
der Schweif um den drohenden Kometen.
Fauſt lag vor ihm, wie ein Wurm, der fuͤrch-
terliche Anblick hatte ſeine Sinne gelaͤhmt,
und alle Kraft ſeines Geiſts gebrochen.
Dann faßte er ihn mit einem Hohngelaͤchter,
das uͤber die Flaͤche der Erde hinziſchte, zer-
riß den Bebenden, wie der muthwillige
Knabe eine Fliege zerreißt, ſtreute den Rumpf
und die blutenden Glieder mit Ekel und Un-
willen auf das Feld, und fuhr mit ſeiner
Seele zur Hoͤlle.
8.
Die Teufel waren um den Satan ver-
ſammelt, der mit den Fuͤrſten zu Rathe ſaß,
um
[403] um auszumachen, mit was fuͤr Strafen
man den Papſt Alexander den ſechſten peini-
gen muͤßte. Seine Verbrechen, und der
lezte Augenblick ſeines Lebens, waren ſo ein-
zig, daß auch die boshaftigſten Teufel in
Verlegenheit waren, die Pein zu beſtimmen,
die er verdiente. Der Papſt ſtund vor ſei-
nen Richtern, die ihn ſo ſpoͤttiſch und uͤber-
muͤthig behandelten, als nur immer ein
fuͤrſtliches Gericht einen Angeklagten behan-
delt, der weiter nichts vor ſich hat, als das
Ungluͤck, ein Menſch zu ſeyn. Auf einmal
fuhr Leviathan triumphirend in ihre Mitte,
hielt die Seele Fauſts am Schopfe, und
ſchleuderte ihn hin:
„Da habt ihr den Fauſt!“
Die Hoͤlle empfieng ihn mit einem ſo lau-
ten Freudengebruͤlle, daß die Verdammten
in ihren Pfuͤhlen erbebten: „Willkommen,
„Fuͤrſt Leviathan! da iſt der Fauſt! da iſt
„der Fauſt!“
C c 2Satan.
[404]
Satan. Willkommen, Fuͤrſt der Hoͤlle!
Willkommen Fauſt, wir haben hier genug
von dir gehoͤrt.
Leviathan. Da haſt du ihn nun, Sa-
tan! Sieh ſelbſt was an ihm iſt. Er hat
mich nicht wenig geplagt; aber ſeine Thor-
heit hat der Hoͤlle gewuchert, und ich hoffe,
du biſt mit meinem Aufenthalt auf Erden
zufrieden. Zum Lohn bitte ich dich, mich
fuͤr Jahrhunderte mit ſolchen Auftraͤgen zu
verſchonen, ich bin des Menſchengeſchlechts
uͤberſatt, ob ich gleich geſtehen muß, daß
dieſer hier den lezten Augenblick ſeines Le-
bens, ſo bitter er auch war, nicht uͤbel be-
ſtanden hat; aber dies kommt daher, daß er
ſich in fruͤhern Jahren mit jener Philoſophie
abgegeben, die du die Menſchen gelehrt haſt.
Satan. Ich danke dir, Fuͤrſt Leviathan,
und verſpreche dir, du ſollſt lange mit mir
im Dampf der Hoͤlle verweilen, und die
Schatten der groͤßten Fuͤrſten der Erde, zum
Zeitvertreib reiten und geiſſeln. — Hm! ein
ganzer Kerl, und ſcheint mir den Menſchen
voͤllig
[405] voͤllig ausgezogen zu haben. Verzweiflung,
Vermeſſenheit, Haß, Groll, Schmerz und
Wahnſinn, haben tiefe Furchen in ſeine
Seele geriſſen. Er ſieht ſelbſt uns und die
Hoͤlle ohne Beben an. Fauſt, biſt du auf
einmal ſtumm?
Fauſt. Nicht aus Furcht, ich war gegen ei-
nen Maͤchtigern kuͤhn, und darum bin ich
hier.
Satan. He, fuͤhrt doch den Trotzigen ein
wenig nach dem Pfuhl der Verdammten,
und nehmt eine Legion meiner muthwilligen
Hofjungens mit, daß ſie ſie zuſammengeiſ-
ſein, damit dieſer Biedermann mit der Wirth-
ſchaft der Hoͤlle bekannt werde.
Ein Teufel riß ihn nach dem Pfuhl der
Verdammten. Die Legion ſchwaͤrmte nach.
Leviathan, der den Papſt wahr-
nimmt: Ha, willkommen in der Hoͤlle, Papſt
Alexander. Ich hoffe, der Kitzel iſt euch nun
vergangen, den Teufel zum Ganymed ma-
chen zu wollen.
Papſt. ſeufzend. Leider!
C c 3Satan.
[406]
Satan. Ha! ha! ha! das iſt mir ein gu-
ter Schlag von Menſchen, die jezt auf der
Erde wirthſchaften! Laß nur erſt den Geiſt
der Reformation uͤber ſie kommen, und ſie
nach der neuen Welt hinziehen, einen neuen
Tummelplatz ihrer Greuel und Laſter zu ent-
decken, ſo wird es noch toller hergehen.
Papſt. Schade, daß ich nicht dabey ſeyn
kann.
Satan. Ein ſehr paͤpſtlicher Wunſch, doch
troͤſte dich nur, deine Landsleute werden
ſchon die Millionen um ihr Gold erwuͤrgen.
Papſt. Was thut man nicht um’s Gold!
Fauſt kam mit der teufliſchen Begleitung
zuruͤck.
Satan. Nun, Fauſt, wie gefaͤllt dir das
Bad, und die welche ſie dort abreiben?
Fauſt. Unſinniger, raſender Gedanke, daß
der edle Theil des Menſchen, fuͤr die Suͤnden
des aus Koth geſchaffnen, leiden und buͤ-
ßen ſoll.
Die Teufel lachten, daß es durch die un-
endliche Hoͤlle ertoͤnte.
Satan. Bravo, Fauſt, das was du ſagſt,
und wie du dich benimmſt, zeigt mir, daß du
fuͤr einen Menſchen zu gut biſt. Auch bin ich
dir einen beſondern Lohn fuͤr die ſchoͤne, der
Hoͤlle ſo nuͤtzliche Erfindung der Buchdru-
ckerey ſchuldig.
Papſt.
[407]
Papſt. Was? ein Buchdrucker, und hat
ſich an meinem Hofe fuͤr einen Edelmann
ausgegeben, und bey meiner Tochter Lucre-
tia geſchlafen?
Fauſt. Schweig, ſtolzer Spanier, ich ha-
be ſie reichlich dafuͤr bezahlt, und du haͤtteſt
dich mir fuͤr eine gleiche Summe proſtituirt,
wenn ich eine Beſtie geweſen waͤre, wie du.
Wiſſe, meine große Erfindung wird mehr
Gutes ſtiften, und dem Menſchengeſchlecht
mehr nuͤtzen, als alle Paͤpſte, vom heiligen
Peter, bis auf dich Scheuſal!
Satan. Fauſt, darin irrſt du dich. Erſtens,
werden dir die Menſchen den Ruhm der Er-
findung dieſer Kunſt rauben —
Fauſt. Dieſes iſt noch mehr als Ver-
dammniß!
Satan. Merkt mir doch auf den Men-
ſchen, er ſteht vor mir dem Satan, hat den
Pfuhl der Verdammten geſehen, und haͤlt
die Quaal der Hoͤlle fuͤr nichts, gegen ſeine
Hirngeſpinſte, Ruhm und Wahn. Seht mir
doch, was aus dieſen Ebenbildern des Hoͤch-
ſten geworden iſt, ſeitdem ſie ſich in Geſell-
ſchaften geſammelt, Koͤnige uͤber ihren Leib
und ihre Seele gewaͤhlt haben, Buͤcher le-
ſen, und ein erkuͤnſteltes Ding ihres eignen,
C c 4eitlen,
[408] eitlen, ſtolzen, unruhigen und wahnſinnigen
Geiſtes geworden ſind. —
Zweytens, Fauſt, werden die Schatten zu
hunderttauſenden herunterfahren, uͤber dich
herfallen, dich mit ihren Fluͤchen aͤngſtigen,
daß du die kleine Quelle des Gifts des menſch-
lichen Verſtandes, in einen ungeheuren
Strom verwandelt haſt. Fuͤhlſt du denn
nicht aus eigner Erfahrung, was euch die
Wiſſenſchaften ſind, und was ſie aus euch
machen; doch hiervon ſoll dich dein ehema-
liger Begleiter Leviathan unterhalten, und
dir eroͤffnen, daß das Unheil, das du uͤber
die Menſchen gebracht haſt, deine ſonſtige
Frevel noch weit uͤbertrift. Ich der Herrſcher
der Hoͤlle, der dadurch gewinnt, bin dir Lohn
dafuͤr ſchuldig, und wenn du dem Ewigen
fluchen willſt, der dich entweder nicht beſſer
machen konnte, oder wollte; ſo ſollſt du der
Pein der Hoͤlle entfliehen, und einer unſers
Gleichen werden.
Papſt. Satan, laßt mich der erſte ſeyn,
als Papſt muß ich wenigſtens den Rang uͤber
ihn haben.
Satan. Merkt mir doch dieſe Menſchen,
ihr Teufel, und ſeht, wie ſie euch beſchaͤmen!
Papſt, du haſt es gethan, da du meinem
Leviathan zu Fuͤßen fielſt. Fauſt, waͤhle —
Fauſt
[409]
Fauſt trat hervor — die raſende Ver-
zweiflung rollte ſich in ſcheußlichen Zuͤgen,
auf ſeiner Schattengeſtalt — er — wer
kann den Frevel ausdruͤcken?
Alle Teufel bebten bey ſeinen Worten, und
erſtaunten uͤber ſeine Vermeſſenheit. Seit der
Entſtehung der Hoͤlle herrſchte keine ſolche
Stille, in dem dunklen furchtbaren Reiche,
der Wohnung ewigen Jammers, ewigen
Geheuls. Fauſt unterbrach ſie, und for-
derte den Satan zur Erfuͤllung ſeines Ver-
ſprechens auf.
Satan. Thor, wie kannſt du von mir er-
warten, daß ich der Herrſcher der Hoͤlle, dir
mein Wort halten ſollte, da man kein Bey-
ſpiel hat, daß ein Fuͤrſt der Erde je ſein Wort
gehalten haͤtte, wenn er nichts dabey ge-
wann. Wenn du vergeſſen kannſt, daß du
ein Menſch biſt, ſo vergiß nicht, daß du
vor dem Teufel ſtehſt. Meine Teufel er-
blaßten bey deiner Verwegenheit, mein fe-
ſter, unerſchuͤtterlicher Thron erbebte bey
deinen vermeßnen Worten, und ich glaubte
einen Zeigerſchlag, ich haͤtte zu viel gewagt.
Fort, deine Gegenwart macht mich unruhig,
und du beweiſeſt, daß der Menſch mehr thun
kann als der Teufel ertragen mag. Zerrt
ihn in den ſchrecklichſten Winkel der Hoͤlle,
C c 5dort
[410] dort ſchmachte er in duͤſtrer Einſamkeit, und
ſtarre hin vor der Betrachtung ſeiner Tha-
ten und dieſes Augenblicks, der nie zu ver-
ſuͤhnen iſt. Daß ihm kein Schatten nahe!
Geh und ſchwebe allein und verlohren im
Lande, wo keine Hoffnung, kein Troſt und
kein Schlaf wohnen. An deiner Seele ſol-
len ewig die Zweifel nagen, die dich in [dei-
nem] Leben gequaͤlt haben, und nie ſoll ſich
dir eins der Raͤthſel enthuͤllen, um deren
Aufloͤſung du hier biſt. Dies iſt die pein-
lichſte Strafe fuͤr einen Philoſophen deiner
Art, und ich habe ſie vorzuͤglich meinen
Schuͤlern vorbehalten. Die Hoͤlle iſt voll
von ihnen, und du haſt den Saamen zu
groͤßrer Bevoͤlkerung meines Reichs ausge-
ſtreut. Reißt ihn weg, martert ihn! Faßt
dieſen Papſt, und werft ihn in einen andern
Winkel, in der Hoͤlle iſt ihres Gleichen nicht.
Das ſind mir Menſchen, und wenn ſie
etwas ſcheußliches vorſtellen wollen, mahlen
ſie den Teufel; ſo laßt uns denn, wenn wir
etwas ſchaͤndliches vorſtellen wollen, den
Menſchen zur Wiedervergeltung mahlen,
und dazu ſollen mir Philoſophen, Paͤpſte,
Pfaffen, Fuͤrſten, Erobrer, Hoͤflinge, Mini-
ſter und Autoren ſitzen!
[411]
Epilogus.
So faſſe ſich ein jeder in Geduld, und
dringe nicht auf Koſten ſeiner Ruhe verwe-
gen in die Geheimniſſe, die der Geiſt des
Menſchen hier nicht enthuͤllen kann und ſoll.
Auch richte keiner; denn keinem iſt das Rich-
teramt gegeben. Halte deine raſche Auf-
wallung bey den Erſcheinungen der morali-
ſchen Welt, die dein Herz empoͤren, deinen
Verſtand verwirren, im Zaum, und bebe
ein Urtheil zu faͤllen, denn du kannſt nicht
erkennen, wie und woher ſie kamen, wohin
ſie zielen, und wie ſie fuͤr den enden, der ſie
veranlaſſet. Dem Geiſt des Menſchen iſt
alles dunkel, er iſt ſich ſelbſt ein Raͤthſel.
Lebe in der Hoffnung, einſt helle zu ſehen,
und wohl dem, der ſein. Tage ſo hinlebt;
er allein hat gewonnen, denn das uͤbrige iſt
in der Macht deſſen, der den Menſchen ſo
pruͤfen wollte, und ihm die Kraft, die Pruͤ-
fung zu beſtehen, mitgetheilt hat. Dies
erkennt der wahre Weiſe, und erwartet in
Unterwerfung ſein Loos. Ich hatte eine gute
Abſicht bey dieſem Buch; doch der Mann,
der
[412] der ein Buch ſchreibt, iſt mit dem, der ein
Kind zeugt, in gleichem Fall, keiner weiß,
welche Frucht ſeine Pflanze tragen wird,
und das Spruͤchwort hat recht: Der Wurf
aus der Hand iſt des Teufels. Uebrigens
wuͤnſche ich den deutſchen Autoren billige
Verleger, den Verlegern guten Abgang, dem
Publikum mehr Geld und Geduld. (Ge-
ſchmack wuͤrde zu oft den Handel verderben).
Der geſammten Kleriſey weniger Toleranz
und Wiſſenſchaften. Den Philoſophen mehr
Liebe zu Syſtemen. Den Fuͤrſten mehr
Strenge, und mehr von jener Kunſt, die
Unterthanen ſyſtematiſch zu ſchinden und zu
pluͤndern. Den teutſchen Maͤnnern den bit-
terſten Haß gegen Freyheit, die zaͤrtlichſte
Liebe fuͤr Sclaverey, und den teutſchen Wei-
bern, daß ſie mit eben dem Vergnuͤgen ge-
baͤhren moͤchten, als ſie, wie man ſagt,
empfangen; ſo wird’s uns an nichts fehlen.
[[413]][[414]][[415]]
folgt.
dieſes Drama zu Ende des funfzehnten Jahr-
hunderts ſpielt, und folglich keinen der jezt le-
benden beleidigen kann und ſoll. Uebrigens
weiß ich nicht, ob der Teufel den Reichsſtaͤdtern
und Teutſchen uͤberhaupt, groͤßte Komplimente
machen koͤnnte, als er hin und wieder thut, und
es bewieſe nur gegen ihre Tugend und ihr Chri-
ſtenthum, wenn ſie dieſelben nicht mehr ver-
dienten; oder gar in einem andern Sinn[e]
nahmen.
ſer viele Abentheuer in Teutſchland, um ſein
Buch nicht zu dick zu machen, unterſchlagen
hat. Vielleicht daß ſie bey einer zweiten Auf-
lage erſcheinen.
druckt zu Rom und Paris ꝛc.
ne Zweifel immer nur ſchaͤrfen will, deutet
hier auf folgende Theorie, die er vielleicht
darum nicht beſtimmt ausdruͤckt, weil er glaubt,
ſie moͤchte dem Stolze des Menſchen zu viel
ſchmeicheln, und ihm durch eine Reihe von
wahren oder falſchen Schluͤſſen, einen erhabe-
nen Begriff von der Gottheit beybringen. Sie
lautet ſo:
Der
lens, und ſeines ihm eingedruͤckten innern
Sinns, ſein eigner Herr, Schoͤpfer ſeines
Schickſals und ſeiner Beſtimmung. Er kann
durch ſeine Thaten und ſein Wuͤrken, den
ſchoͤnen Gang der moraliſchen Welt befoͤr-
dern und ſtoͤhren, nach ſeiner Lage und Denk-
art oft ganze Voͤlker, ja ganze Welttheile
gluͤcklich oder ungluͤcklich machen, und das gan-
ze Menſchengeſchlecht, vom Bettler bis zum
Koͤnig, iſt alſo, jeder nach ſeiner Kraft, zu-
ſammengenommen, Werkmeiſter der ſogenann-
ten moraliſchen Welt. Er entwickelt alſo nur
das einmal in ihn gelegte Streben, wie jedes
Ding der ſichtbaren Welt, doch mit dem Un-
terſchied, daß nur ihn ſein freyer Wille, und
ſein das Boͤſe und Gute begreifender Sinn,
der Strafe und Belohnung faͤhig machen.
Dieſe Theorie greift die Vorſicht freylich nicht
an; aber doch die mittelbare Leitung und feſie
Beſtimmung von oben und da ſie von dem
Teufel herkommt, uͤberdem ſehr untheologiſch
zu ſeyn ſcheint, und die moraliſche Welt ſo
unſichern Haͤnden anvertraut, ſo laß ich ſie
ohne weiteres da ſtehen, ſo vielen Glanz ſie
auch auf die Moral zuruͤckwirſt. Der Leſer
mache damit was er will.
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 2. Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bnp1.0