Badereiſe;
verbeſſerter Werkchen;
beyMohr und Zimmer.
1809.
[][[I]]
Vorrede
zum erſten und zweyten Bändchen.
Mit den Taſchenkalendern und Zeitſchriften
muͤſſen die kleinen vermiſchten Werkchen ſo zu-
nehmen — weil die Schriftſteller jene mit den
beſten Beytraͤgen zu unterſtuͤtzen haben — daß
man am Ende kaum ein großes mehr ſchreibt.
Selber der Verfaſſer dieſes (obwohl noch manches
großen Werks) iſt in acht Zeitſchriften und fuͤnf
Kalendern anſaͤßig mit kleinen Niederlaſſungen
und liegenden Gruͤnden.
Dieß friſchte im Jahre 1804 in Jena die
Voigtiſche Buchhandlung an, „kleine Schriften
von Jean Paul Friedrich Richter”, ohne mich
[II] und ihr Gewiſſen zu fragen, in den zweyten
Druck zu geben.
Sie friſcht wieder mich an, ihre kleinen
Schriften von J. P. gleichfalls ohne zu fragen,
hier ans Licht zu ſtellen. Gelaſſen laſſ’ ich hier
die Handlung uͤber Nachdruck des Nachdrucks,
uͤber Nachverlag des Nachverlags ſchreien, und
mache mit dieſem Suͤnden-Bekenntniß gern das
Publikum zum H. Stroppinus, welcher der
Beichtvater Chriſti iſt *). Denn will Voigt
klagen, daß ich ihm ſeinen Verlagsartikel un-
brauchbar gemacht und verdorben haͤtte durch voͤl-
lige Verbeſſerung und Umarbeitung deſſelben:
ſo verſetz’ ich, daß nur ein Sechſtel dieſes Buchs
aus jenem genommen iſt. Das zweyte Sechſtel
ſammelte ich aus Zeitſchriften, woraus er noch
nichts von mir geſammelt.
Das zweyte und das dritte Drittel dieſes
Buchs ſind ganz neu, naͤmlich D.Katzenber-
[III] gers Badreiſe und Geſchichte, ſo wie die
Schluß-Polymeter; aber hieruͤber ſey ein Beicht-
wort an den Leſer vergoͤnnt, wurd’ es ihm auch
ſchwerer, zum zweytenmale der H. Stroppinus
zu ſeyn. Und doch ſind uͤber das folgende leich-
ter vergebende Beichtvaͤter zu haben, als Beicht-
muͤtter. Es betrifft den Zyniſmus des Doktors
Katzenberger.
Es gibt aber viererley Zyniſmen. Der erſte
iſt der rohe in Betreff des Geſchlechts, wie ihn
Ariſtophanes, Rabelais, Fiſchart, uͤberhaupt
die alten, obwol keuſchen Deutſchen und die
Aerzte haben. Dieſer iſt nicht ſowol gegen Sitt-
lichkeit als gegen Geſchmack und Zeit. Der
zweyte Zyniſmus, den die Vernunftlehre an-
nimmt, iſt der ſubtile der Franzoſen, der aͤhn-
lich dem ſubtilen Todtſchlag und Diebſtahl der
alten Gottesgelehrten einen zarten ſubtilen Ehe-
bruch abgibt; dieſer glatte nattergiftige Zyniſ-
[IV] mus, der ſchwarze Laſter zu glaͤnzenden Suͤn-
den ausmalt und welcher, die Suͤnde verdeckend
und erweckend, nicht als Satiriker die ſpani-
ſchen Fliegen etwan zu Ableitungs-Schmerzen
auflegt, ſondern welcher als Verfuͤhrer die Kan-
thariden zu Untergangs-Reitzen innerlich ein-
gibt. Dieſer zweyte Zyniſmus nimmt freylich
wie Kupfer bey der Ausſtellung ins Freye bloß
die Farbe des Gruͤns an, das aber vergiftet,
indeß der erſte ſchwere gleich Blei zur ſchwar-
zen verwittert.
Von dem zweyten Zyniſmus unterſcheidet
ſich uͤberhaupt der erſte ſo vortheilhaft-ſittlich;
wie etwan (um undeutlicher zu ſprechen) Epikurs
Stall von der Sterkoraniſten-Stuhl, worin
das Gottgewordene nicht Menſch wird, oder auch
wie bone de Paris (Lutetiae) oder caca du
Dauphin von des griechiſchen Diogenes offi-
zinellem album graecum.
[V]
— Beynahe macht die Rechtfertigung ſich
ſelber noͤthig; ich eile daher zum
Dritten Zyniſmus, welcher bloß uͤber na-
tuͤrliche, aber geſchlechtsloſe Dinge natuͤr-
lich ſpricht, wie jeder Arzt ebenfalls. Was
kann aber hier die jetzt-deutſche Prüderie und
Phraſen-Kleinſtaͤdterey erwiedern, wenn ich
ſage: daß ich bey den beſten Franzoſen (z. B.
Voltaire) haͤufig den cû, derrière und das
pisser, angetroffen, nicht zu gedenken der
filles-à-douleur? In der That ein Franzoſe
ſagt manches, ein Englaͤnder gar noch mehr.
Dennoch wollen wir Deutſche das an uns Deut-
ſchen nicht leiden, was wir an ſolchen Britten
verzeihen und genießen als hier hintereinander
gehen: Buttler, Shakſpeare, Swift, Pope,
Sterne, Smollet, der kleinern wie Donne,
Peter Pindars und anderer zu geſchweigen.
Aber nicht einmal noch hat ein Deutſcher ſo viel
[VI] gewagt als die ſonſt in Sitten, Sprachen, Ge-
ſchlechts- und Geſellſchafts-Punkten und in weiſ-
ſer Wäſche ſo zart bedenklichen Britten. Der
reinliche ſo wie keuſche Swift druͤckte eben aus
Liebe fuͤr dieſe geiſtige und leibliche Reinheit die
Pazienten recht tief in ſein ſatiriſches Schlamm-
bad. Seine Zweydeutigkeiten gleichen unſern
Kaffeebohnen, die nie aufgehen koͤnnen, weil
wir nur halbe haben. Aber wir altjuͤngferlichen
Deutſchen bleiben die ſeltſamſte Verſchmelzung
von Kleinſtaͤdterey und Weltbuͤrgerſchaft, die
wir nur kennen. Man beſſere uns! Nur iſts
ſchwer; wir vergeben leichter auslaͤndiſche Son-
nenflecken als inlaͤndiſche Sonnenfackeln. Unſer
salvo titulo und unſer salva venia halten wir
ſtets als die zu- und abtreibenden Rede-Pole
den Leuten entgegen.
Der vierte (vielleicht der beſte) Zyniſ-
mus iſt der meinige, zumal in der katzenberge-
[VII] riſchen Badgeſchichte. Dieß ſchließe ich daraus,
weil er in der reinlichſten Ferne ſich in die ge-
dachten brittiſchen Fußtapfen begiebt und ſich
wenig erlaubt oder nichts, ſondern immer den
Grundſatz feſthaͤlt, daß das Komiſche jene An-
naͤherung an die Zenſur-Freiheiten der Arznei-
kunde verſtatte, verlange, verziere, welche hier
wie natuͤrlich in der Badgeſchichte eines Arztes
nicht fehlen konnte. Schon Leßing hat in ſei-
nem Laokoon das Komiſch-Ekle (das Ekel-Komi-
ſche iſt freilich etwas anderes) in Schutz genom-
men durch Gruͤnde und durch Beyſpiele z. B.
aus des feinen Lord Cheſterfield Stall- und Kuͤ-
chenſtuͤck einer hottentottiſchen Toilette.
Genug davon! Damit mir aber der gute Le-
ſer nicht ſo ſehr glaube; ſo verſichere ich aus-
druͤcklich, daß ich ihn mit der ganzen Klaſſifika-
zion von vier Zyniſmen gleichſam wie mit hei-
lendem Vierraͤubereſſig bloß vorausbeſprenge,
[VIII] um viel groͤßere Befuͤrchtungen vor Katzenberger
zu erregen als eintreffen, weil man damit am
beſten die eingetroffnen entſchuldigt und verklei-
nert.
Gebe der Himmel, daß ich mit dieſen zwey
Bändchen das Publikum ermuntere, mich zu
recht vielen zu ermuntern.
Bayreuth den 28. May
1808.
Jean Paul Fr. Richter.
[[IX]]
Druckfehler des erſten Baͤndchens.
Man erſucht ſehr den Buchbinder, das Verzeichniß der-
ſelben hinter die Vorrede einzuheften; aber noch mehr fleht
man den Bücherverleiher an, ſämtliche Fehler zu verbeſſern,
eh’ er ſie ausleiht.
- Seite 6 Zeile 6 ſtatt Schwächungen ließ Schmähungen
- — 15 — 14 ſt. wiederkommſt l. niederkommſt
- — 33 — 9 ſt. heben l. haben
- — 35 — 5 ſt. auch l. euch
- — 35 — 9 ſt. das l. des
- — 49 — 15 ſt. nichtig l. richtig
- — 52 — 10 ſt. denſelben l. daſſelbe
- — 57 — 9 ſt. Ganze l. ganze
- — 69 — 3 v. u. ſt. ſie l. ſich
- — 77 — 3 ſt. gib l. gibt
- — 83 — 4 v. u. ſt. gottlos l. gottlob
- — 86 — 6 v. u. ſt. ausbacken l. ausbatzen
- — 92 — 11 ſt. Gott l. Gold
- — 125 — 5 fehlt Bibliothek
- — 158 — 5 ſtreiche des Auges weg.
- — 214 — 4 ſt. ſich l. ſie
- — 223 — 6 nach ordentlich fehlt als
- — 225 — 6 ſt. Rechenkenner l. Rechenkammer
- — 250 — 6 vor Antwort fehlt keine
[[X]]
Druckfehler des zweyten Baͤndchens.
- Seite 9 Zeile 12 ſt. dieſer l. dieſes
- — 34 — 2 v. u. ſt. Thränenwag l. Thränenweg
- — 36 — 8 ſt. beliebte l. beleibte
- — 80 — 10 ſt. noch l. nach
- — 85 — 10 fehlt warum
- — 95 — 3 ſt. gibt l. gilt
- — 161 — 5 ſt. ſtecken l. ſticken
- — 176 — 7 ſt. einer l. reiner
- — 195 — 11 ſt. hinreiche l. hinreicht
- — 210 — 11 ſt. dringende l. dingende
- — 211 — 5 v. u. ſt. Walkboden l. Welkboden.
D.Katzenbergers
Badegeſchichte.
Erſte Abtheilung.
Erſter Theil. 1
[[2]][[3]]
1. Summula.
Anſtalten zur Badreiſe.
”Ein Gelehrter, der den erſten July mit ſei-
ner Tochter in ſeinem Wagen mit eignen Pfer-
den ins Bad Maulbronn abreiſet, wuͤnſcht
einige oder mehrere Reiſegeſellſchafter.” — Die-
ſes ließ der verwittibte ausuͤbende Arzt und ana-
tomiſche Profeſſor Katzenberger ins Wo-
chenblatt ſetzen. Aber kein Menſch auf der gan-
zen Univerſitaͤt Pira (im Fürſtenthume Zaͤckin-
gen) wollte mit ihm gern ein paar Tage unter
einem Kutſchenhimmel leben; jeder hatte ſeine
Gruͤnde — und dieſe beſtanden alle darinn, daß
niemand mit ihm wohlfeil fuhr, als zuweilen
ein hinten aufgeſprungener Gaſſenjunge; gleich-
ſam, als waͤre der Doktor ein imparochierter
Poſtraͤuber von innen, ſo ſehr kelterte er mun-
tere Reiſegefaͤhrten durch Zu- und Vor- und
[4] Nachſchüſſe gewoͤhnlich ſo aus, daß ſie nachher
als lebhafte Koͤpfe ſchwuren, auf einem Eilboten-
Pferde wollten ſie wohlſeiler angekommen ſeyn,
und auf einer Krüppelfuhre geſchwinder.
Daß ſich niemand, als Wagen-Mitbelehn-
ter meldete, war ihm als wohlhabenden Manne
herzlich einerley, da er mit der Anzeige ſchon
genug dadurch erreichte, daß mit ihm kein Be-
kannter von Rang umſonſt mitfahren konnte.
Er hatte naͤmlich eine beſondere Kaͤlte gegen
Leute von hoͤherem oder ſeinem Range, und lud
ſie deshalb ungern zu Dinnées, Soupées, Gou-
tées, Thées ein, die er deswegen niemals gab
— leichter beſucht’ er ſelbſt die ihrigen aus Feind-
ſchaft und Ironnie; — denn er denke, (ſagt’ er)
wohl von nichts gleichguͤltiger, als von Ehren-
Gaſtereien, und er wollte eben ſo gern à la Four-
chette des Bajonets geſpeiſet ſeyn, als feurig
wetteifern mit den Großen ſeiner Stadt im
Gaſtieren, er lege das Tiſchtuch lieber auf den
Katzentiſch. Nur einmal — und dieß aus hal-
bem Scherz — gab er ein Goutée oder Degou-
tée, indem er um 5 Uhr einer Geſellſchaft ſeiner
[5] Tochter ſeinen Thee einnöthigte, der Camillen-
Thee war. Man gebe ihm aber, ſagte er, Lum-
penpack, Aſchenbrödel, Kothſaſſen, Soldaten
auf Stelzfuͤßen; ſo wißt’ er, wem er gern zu
geben habe; denn die Niedrigkeit und Armuth
ſey eine hartnaͤckige Krankheit, zu deren Hei-
lung Jahre gehören, vom Töpfer oder Topf-Ko-
lik, ein nachlaſſender Puls, eine fallende und
galoppierende Schwindſucht, ein taͤgliches Fie-
ber; — venienti, aber ſage man currite morbo,
d. h. man gehe doch dem herkommenden Lumpen
entgegen, und ſchenk’ ihm einen Heller, das treue-
ſte Geld, das kein Fuͤrſt ſehr devalvieren koͤnne.
Der Zweck ſeiner Badreiſe war aber nicht,
in Maulbronn ſich zu baden — oder ſeine Toch-
ter — oder da ſich zu beluſtigen — oder dieſe —
ſondern es war der in der folgenden[.]
[6]
2. Summula.
Reiſe-Zwecke.
Katzenberger machte weniger eine Luſt- als eine
Geſchaͤftsreiſe ins Bad, naͤmlich um da ſeinen
Recenſenten beträchtlich auszupruͤgeln, und da-
bey mit Schwaͤchungen an der Ehre anzugreifen,
naͤmlich den Brunnen-Arzt Strykius, der
ſeine drey bekannten Meiſterwerke — den The-
saurus Haematologiae, die de monstris epi-
stola, den fasciculus exercitationum in ra-
biem caninam anatomico medico curio-
sarum — nicht nur in ſieben Zeitungen, ſondern
auch in ſieben Antworten (Metakritiken) auf
ſeine Antikritiken uͤberaus heruntergeſetzt hatte.
Nebenbey wollte er auch auf ſeinen vier
Rädern einer Gevatterſchaft entkommen, deren
Verheißung ihm eine halbe Drohung war. Es
ſtand die Niederkunft einer Freundin ſeiner Toch-
ter vor der Thuͤre. Bisher hatte er hin und
her verſucht, ſich mit dem Vater des Droh-Path-
[7] chens (einem gewiſſen Mehlhorn) etwas zu
uͤberwerfen und zu zerfallen, und daher ihm
manches von deſſen guten Namen abgeſchnitten,
eben um nicht den ſeinigen am Taufſteine herlei-
hen zu müſſen. Allein es hatte ihm das Erbit-
tern des gutmuͤthigen Zollers und Umgelders *)
Mehlhorn nicht beſonders glücken wollen,
und er war jede Minute einer warmen Umhal-
ſung gewärtig; in welcher er die Gevatterarme
nicht ſehr von Strangulierſtricken unterſchied.
„Bin ich und meine Tochter (Theoda) abge-
flogen, ſagte er, ſo iſts doch etwas, die Frau
mag kreiſen, ſo oft ſie will.
[8]
3. Summula.
Ein Reiſegefährte.
Wider alle Erwartung meldete ſich am Vor-
abend der Abreiſe ein Fremder zur Mitbelehn-
ſchaft des Wagens.
Waͤhrend der Doktor in ſeinem Misgeburten-
Kabinette einiges abſtaͤubte von ausgeſtopften
Thierleichen, durch Räuchern die Motten (die
Teufel derſelben) vertrieb, und den Embryonen
in ihren Glaͤschen Spiritus zu trinken gab: trat
ein fremder feingekleideter und feingeſitteter Herr
ein, nannte ſich Herr von Nieß, und uͤber-
reichte der Tochter des Doktors nach der Frage,
ob Sie Theoda heiße, ein blaueingeſchlagenes
Briefchen an ſie, es iſt von meinem Freunde,
dem Buͤhnen-Dichter Theudobach, ſagte er.
Das Maͤdchen entgluͤhte hochroth, und riß zit-
ternd mit dem Umſchlag in den Brief hinein
(die Liebe und der Haß zerreißen den Brief, ſo-
wie beyde den Menſchen verſchlingen wollen)
[9] und durchlas haſtig die Buchſtaben, ohne ein an-
deres Wort daraus zu verſtehen und zu behalten,
als den Namen Theudobach. Hr. v. Nieß ſchauete
unter ihrem Leſen ſcharf und ruhig auf ihrem
geiſtreichen beweglichen Geſicht und in ihren
braunen Feuer-Augen dem Entzuͤcken zu, das
wie ein weinendes Laͤcheln ausſah; einige Pocken-
gruben legten dem beſeelten und wie Frühlings-
Buͤſche zart und glaͤnzend-durchſichtigen Ange-
ſicht noch einige Reize zu, um welche der Doktor
Jenner die künftigen Schönen bringt. „Ich
reiſe, ſagte der Edelmann darauf, eben nach
dem Badeorte, um da mit einer kleinen dekla-
mierenden und muſikaliſchen Akademie von einigen
Schauſpielen meines Freundes auf ſeine Ankunft
ſelber vorzubereiten.” Sie blieb unter der ſchwe-
ren Freude kaum aufrecht; den zarten, nur an
leichte Blüten gewohnten Zweig, wollte faſt das
Fruchtgehaͤnge niederziehen. Sie zuckte mit ei-
ner Bewegung nach Nießens Hand, als wollte
ſie die Ueberbringerinn ſolcher Schätze kuͤſſen,
ſtreckte ihre aber — heiß und roth uͤber ihren,
wie ſie hoffte, unerrathenen Fehlgriff — ſchnell
[10] nach der entfernten Thuͤre des Mißgeburten-Ka-
binettes aus: „da drinn iſt mein Vater, der ſich
freuen wird.”
Er fuhr fort: er wuͤnſche eben ihn mehr
kennen zu lernen, da er deſſen treffliche Werke,
wie wohl als Laie, geleſen. Sie ſprang nach
der Thuͤre. „Sie hörten mich nicht aus — ſagte
er laͤchelnd —; Da ich nun im Wochenblatte
die ſchöne Möglichkeit geleſen, zugleich mit einer
Freundin meines Freundes, und mit einem gro-
ßen Gelehrten zu reiſen”: Hier aber ſetzte ſie
ins Kabinet hinein und zog den raͤuchernden Kat-
zenberger mit einem ausgeſtopften Saͤbelſchnaͤb-
ler in der Hand ins Zimmer. Sie ſelber ent-
lief ohne Schaul uͤber die Gaſſe, um ihrer
ſchwangern Freundin Bona die ſchönſte Neu-
igkeit und Abſchied zu ſagen.
Sie mußte aber jubeln und ſtuͤrmen. Denn
ſie hatte vor einiger Zeit an den großen Buͤh-
nendichter Theudobach — der bekanntlich mit
Schiller und Kotzebue die drey deutſchen Hora-
zier ausmacht, die wir den drey tragiſchen Ku-
riaziern Frankreichs und Griechenlands entgegen-
[11] ſetzen — in der Kühnheit des langen geiſtigen
Liebestrankes der Jugendzeit unter ihrem Na-
men geſchrieben, ohne Vater und Freundin zu
fragen, und hatte ihm gleichſam in einem war-
men Gewitterregen ihres Herzens alle Thraͤnen
und Blitze gezeigt, die er wie ein Sonnengott
in ihr geſchaffen und geſammelt hatte. Seelig,
wer bewundert, und den unbekannten Gott ſchon
auf der Erde als bekannten [antrifft]! — Im
Briefchen hatte ſie noch uͤber ein umlaufendes
Gericht ſeiner Badreiſe nach Maulbronn gefragt,
und die ſeinige unter die Antriebe der ihrigen ge-
ſetzt. Alle ihre ſchoͤnſten Wünſche hatte nun
ſein Blatt erfuͤllt.
[12]
4. Summula.
Bona.
Bona — die Frau des Umgelders Mehl-
horn — und Theoda blieben zwey Milchſchwe-
ſtern der Freundſchaft, welche Katzenberger nicht
aus einander treiben konnte, er mochte an ihnen
ſo viel ſcheidekuͤnſteln, als er wollte. Theoda
nun trug ihr brauſendes Saitenſpiel der Freude
in die Abſchiedsſtunde zur ſchwangern Freun-
din; und reichte ihr Theudobachs Brief, zwang
ſie aber zu gleicher Zeit deſſen Inhalt durchzuſe-
hen, und von ihr anzuhoͤren. Bona ſuchte es
zu vereinigen, und blickte mehrmals zuhorchend
zu ihr auf, ſobald ſie einige Zeilen geleſen: „ſo
nimmſt du gewiß einen recht frohen Abſchied von
hier?” ſagte ſie. Den froheſten verſetzte Theoda.
„Sey nur deine Ankunft auch ſo, du ſpringfed-
riges Weſen! Bringe uns beſonders dein be-
ſchnittenes aufgeworfnes Naͤschen wieder zurück
[13] und dein Backenroth! Aber dein deutſches Herz
wird ewig franzöſiſches Blut umtreiben,” ſagte
Bona. Theoda hatte eine Elſaſſerin zur Mut-
ter gehabt. — „Schneie noch dicker in mein We-
ſenchen hinein!” ſagte Theoda. „Ich thu’ es
ſchon, denn ich kenne dich. „Schon ein Mann
iſt im Ganzen ein halber Schelm, ein abgefeiner-
ter Mann vollends, ein Theaterſchreiber aber
iſt gar ein fuͤnfviertels Dieb; dennoch wirſt du,
fürchte ich, in Maulbronn vor deinem theuern
Dichter mit deinem ganzen Herzen herausbrau-
ſen, und platzen, und hundert ungeſtuͤme Dinge
thun, nach denen freylich dein Vater nichts
fragt, aber ich.”
„Wie Bona, fürcht’ ich denn den großen
Dichter nicht? Kaum ihn anzuſehen, geſchweige
anzureden wag’ ich!” ſagte ſie. „Vor Kotzebue
wollteſt du dich auch ſcheuen; und thateſt doch
dann keck und maͤuſig,” ſagte Bona. — „Ach
innerlich nicht,” verſetzte ſie.
Allerdings naͤhern die Weiber ſich großen
Haͤuptern und großen Koͤpfen, — was oft un-
ter Einer Krone verbunden ſeyn kann — mit
[14] einer weniger blöden Verworrenheit, als die
Maͤnner, indeß iſt hier Schein in allen Ecken;
ihre Blödigkeit vor dem Gegenſtande verkleidet
ſich in die gewöhnliche vor dem Geſchlecht; —
der Gegenſtand der Verehrung findet ſelber etwas
zu verehren vor ſich — und muß ſich zu zeigen
ſuchen, wie die Frau ſich zu decken; — und
endlich bauet jede auf ihr Geſicht: „man küßt
manchem heiligen Vater den Pantoffel, unter
den man ihn zuletzt ſelber bekommt,” kann die
jede denken.
„Und was waͤre es denn? fuhr Theoda fort,
wenn ein dichtertolles Maͤdchen einem Herder
oder Göthe oͤffentlich auf einem Tanzſaale um
den Hals fiele?” —
„Thue es nur deinem Theudobach, ſagte
Bona, ſo weis man endlich, wen du heirathen
willſt!” Jeden — verſprech ich dir — der nach-
kommt; hab’ ich nur einmal meinen maͤnnlichen
Gott geſehen, und ein wenig angebetet; dann
ſpring’ ich gern nach Hauſe, und verlobe mich
in der Kirche mit ſeinem erſten beſten Küſter
[15] oder Balgtreter, und behalte jenen im Herzen,
dieſen am Halſe.”
Bona rieth ihr, wenigſtens den Hr. v. Nieß,
wenn er mitfahre, unterwegs recht uͤber ſeinen
Freund Theudobach auszuhorchen, und bat ſie
noch einmal um weibliche Schleichtritte. Sie
verſprachs ihr und deshalb noch einen taͤglichen
Bericht ihrer Badreiſe dazu. Sie ſchien nach
Hauſe zu trachten, um zu ſehen, ob ihr Vater
den Edelmann in ſeine Adoptionsloge der Kut-
ſche aufgenommen. Unter dem langen feſten
Kuſſe in welchen Thraͤnen aus den Augen bey-
der Freundinnen drangen, fragte Bona: „wenn
kommſt du wieder?” — „Wenn du wieder-
kommſt. — Meine Kundſchafter ſind beſtellt. —
Dann laufe ich im Nothfalle meinem Vater zu
Fuße davon, um dich zu pflegen und zu war-
ten. O, wie wollt ich noch zehnmal froher rei-
ſen, waͤr’ alles mit dir vorbey.” — „Dieß iſt
leicht moͤglich,” dachte Bona im andern Sinne,
und zwang ſich ſehr, die wehmuͤthigen Em-
pfindungen einer Schwangern, die vielleicht
[16] zwey Todespforten entgegengeht, und die Ge-
danken: dieß iſt vielleicht der Abſchied von al-
len Abſchieden, hinter weinende Wuͤnſche zu-
rückzuſtecken, um ihr das ſchoͤne Abendroth ihrer
Freude nicht zu verfinſtern.
[17]
5. Summula.
Herr von Nieß.
Wer war dieſer ziemlich unbekannte Herr von
Nieß? Ich habe vor, noch vor dem Ende
dieſes Perioden den Leſer zu uͤberraſchen durch
die Nachricht, daß zwiſchen ihm und dem Dich-
ter Theudobach, von welchem er das Briefchen
mitgebracht, eine ſo innige Freundſchaft beſtand,
daß ſie beyde nicht bloß Eine Seele in zwey
Koͤrpern, ſondern gar nur in Einem Koͤrper
ausmachten, kurz Eine Perſon. Naͤmlich Nieß
hieß Nieß, hatte aber als auftretender Buͤhnen-
Dichter um ſeinen duͤnnen [Alltagsnamen] den
Feſtnamen Theudobach, wie einen Koͤnigsman-
tel umgeworfen, und war daher in vielen Ge-
genden Deutſchlands weit mehr unter dem adop-
tierten Namen, als unter dem eignen bekannt,
ſo wie von dem hier ſchreibenden Verfaſſer viel-
leicht ganze Städte, wenn nicht Welttheile, es
nicht wiſſen, daß er ſich Richter ſchreibt, wie
Erſter Theil. 2
[18] wohl es freilich auch andre giebt, die wieder ſei-
nen Parade-Namen nicht kennen. Gleichwohl
gelangten alle Maͤdchenbriefe leicht unter der
Aufſchrift Theudobach an den Dichter Nieß —
bloß durch die Oberzeremonienmeiſter oder Hof-
marſchaͤlle der Autoren; man macht naͤmlich
einen Umſchlag an die Verleger.
Nun hatte Nieß als ein uͤberall beruͤhmter
Buͤhnen-Dichter ſich längſt vorgeſetzt, einen Ba-
deort zu beſuchen, als den ſchicklichſten Ort den
ein Autor voll Lorbeeren, der gern ein lebendiges
Pantheon um ſich auffuͤhrte, zu erwaͤhlen hat,
beſonders wegen des vornehmen Morgen-Trink-
gelags und der Maskenfreiheiten, und des Kon-
greſſes des Reichthums und der Bildung ſolcher
Oerter. Er ertheilte Maulbronn, das ſeine
Stuͤcke jeden Sommer ſpielte, den Preis jenes
Beſuches; nur aber wollt’ er um ſeine Aben-
theuer pikanter und ſcherzhafter zu haben, allda
inkognito unter ſeinem eignen Namen Nieß an-
langen, den Badegaͤſten eine muſikaliſche dekla-
matoriſche Akademie von Theudobachs Stuͤcken
geben; und dann gerade, wenn der ſaͤmmtliche
[19] Hoͤrzirkel am Angelhaken der Bewunderung
zappelte und ſchnalzte, ſich unverſehens langſam
in die Hoͤhe richten, und mit Ruͤhrung und
Schamroͤthe ſagen: endlich muß mein Herz uͤber-
fließen und verrathen, um zu danken; denn ich
bin ſelbſt der weit uͤberſchaͤtzte Theater-Dichter
Theudobach, der es für unſittlich haͤlt, ſo auf-
richtige Aeuſſerungen ſtatt ſie zu erwiedern, an
der Thuͤre der Anonymität bloß zu behorchen.
Dieß war ſein leichter dramatiſcher Entwurf. In
einigen Zeitungen veranlaßte er deshalb noch den
Artikel: der bekannte Theater-Dichter Theudo-
bach werde, wie man vernehme, dieſes Jahr das
Bad Maulbronn gebrauchen.
Da es gegen meine Abſicht waͤre, wenn ich
durch das Vorige ein zweydeutiges Streiflicht
auf den Dichter wuͤrfe: ſo verſpreche ich heilig,
weiter unten den Lauf der Geſchichte aufzuhal-
ten, um auseinander zu ſetzen, warum ein gro-
ßer Theater-Dichter viel leichter und gerechter
ein großer Narr wird, als ein andrer Autor von
Gewicht; wozu ſchon meine Beweiſe ſeines groͤ-
ßern Beyfalls, hoff’ ich, ausreichen ſollen.
[20]
Nieß wußte alſo recht gut, was er war,
nämlich eine Bravour-Arie in der dichteriſchen
Sphaͤrenmuſik, ein geiſtiger Kaiſerthee, wenn
andere (z. B. viele unſchuldige Leſer dieſes) nur
braunen Thee vorſtellen. Es iſt uͤberhaupt ein
eignes Gefuͤhl, ein großer Mann zu ſeyn — ich
berufe mich auf der Leſer eignes — und den gan-
zen Tag in einem angebohrnen geiſtigen Cour-
und Chur- und Kroͤnungszuge umherzulaufen;
aber Nieß hatte dieſes Gefuͤhl noch ſtaͤrker und
feiner als einer. — Er konnte ſein Haar nicht
auskaͤmmen, ohne daran zu denken, welchen feu-
rigen Kopf der Kamm (ſeinen Anbeterinnen viel-
leicht ſo koſtbar als ein Gold-Kamm) regle, lichte,
egge und beherrſche, und wie eben ſo manches
Gold-Haar, um welches ſich die Anbeterinnen
für Haar-Ringe raufen würden, ganz gleichguͤl-
tig dem Kamm in Zaͤhnen ſtecken bleibe, als ſonſt
dem Mexiko das Gold. — Er konnte durch
kein Stadtthor einfahren, ohne es heimlich zu
einem Triumphthor ſeiner ſelbſt, und der Ein-
wohner unter dem Schwibbogen auszubauen, weil
er aus eigner jugendlicher Erfahrung ſehr
[21] gut wußte, wie ſehr ein großer Mann labe —
und ſah daher zuweilen den Namen-Regiſtrator
des Thors ſtark ins Geſicht, wenn er geſagt:
Theudobach, um zu merken, ob der Tropf jetzt
außer ſich komme, oder nicht. — Ja er konnte
zuletzt in Hotels voll Gaͤſte ſchwer auf einem ge-
wiſſen einſitzigen Orte ſitzen, ohne zu bedenken,
welches Eden vielleicht mancher mit ihm zugleich
im Gaſthofe uͤbernachtenden Seele, die noch ju-
gendlich die Autor-Achtung uͤbertreibt, zuzuwen-
den waͤre, wenn ſie ſich darauf ſetzte, und er-
fuͤhre, wer fruͤher da gethront. „O, ſo gern
will ich jeden Winkel heiligen zum gelobten Lande
fuͤr Seelen, die etwas aus meiner machen —
und mit jedem Stiefelabſatze auf dem ſchlimmſten
Wege wie ein Heiliger, verehrte Fußtapfen aus-
praͤgen auf meiner Lebensbahn, ſobald ich nur
weis, daß ich Freude errege.”
Sobald Nieß Theodas Brief erhalten — wo-
rinn die zufaͤllige Hochzeit der Namen Theoda
und Theudobach ihn auf beyden Fußſohlen kit-
zelte — ſo nahm er ohne Weiteres mit einer Hand
voll Extrapoſtgeld den Umweg uͤber Pira, um
[22] der Anbeterin, wie ein homeriſcher Gott, in der
anonymen Wolke zu erſcheinen; und ſobald er
vollends in der vorletzten Station im Piraner
Wochenblatte die Anzeige des Doktors geleſen:
ſo war er noch mehr entſchieden; dazu naͤmlich,
daß ſein Bedienter reiten, und ſein Wagen heim-
lich nachkommen ſollte.
In dieſen weniger geld- als kontribuzirens-
reichen Zeiten, mag es vielleicht Nießen empfeh-
len, wenn ich drucken laſſe, daß er Geld hatte,
und darnach nichts fragte, und daß er fuͤr ſeinen
vermuͤnzten Kopf ein Herz ſuchte, das auf kei-
nem Silber ſteht.
Mit dem erſten Blick hatte er den ganzen
Doktor ausgegründet, der mit ſchlauen grauen
Blitz-Augen vor ihn trat, den Saͤbelſchnaͤbler
ſtreichelnd; er legte — nach einer kurzen Anzeige
ſeiner Perſon und ſeines Geſuchs — ein Roͤll-
chen Gold auf den Naͤhtiſch mit dem Schwure:
„nur unter dieſer Bedingung aller Auslagen nehm’
er das Gluͤck an, einem der größten Zergliederer
gegenuͤber zu ſeyn.” — „Fiat! Es gefaͤllt
mir ganz, daß Sie ruͤckwärts fahren, ohne
[23] zu vomiren; dazu bin ich verdorben durch die
Jahre.” Der Doktor fuͤgte noch bey, daß er
ſich freue, mit dem Freunde eines berühmten
Dichters zu fahren, da er von jeher Dichter flei-
ßig geleſen, obwohl mehr fuͤr phyſiologiſche und
anatomiſche Zwecke und oft faſt bloß zum Spaße
uͤber ſie: „Es ſoll mir überhaupt lieb ſeyn, fuhr
er fort, wenn wir uns gegenſeitig faſſen und wie
Salze einander neutraliſiren; leider hab’ ich das
Ungluͤck, daß ich, wenn ich im Wagen oder
ſonſt Jemand etwas ſogenanntes Unangenehmes
ſage, fuͤr ſatiriſch verſchrien werde, als ob man
nicht jedem ohne alle Satire das ins Geſicht
ſagen koͤnnte, was er aus Dummheit iſt. In-
deß gefaͤllt Ihnen der Vater nicht, ſo ſitzt doch
die Tochter da, naͤmlich meine, die nach keinem
Manne fragt, nicht einmal nach dem Vater;
mislingt der Winterbau, ſagen die Wetterkundi-
gen, ſo geraͤth der Sommerbau. Ich fand’s
oft.”
Dem Dichter Nieß gefiel dieſes akademiſche
Peterfakt ganz, und er wuͤnſchte nur, der Mann
trieb es noch aͤrger, damit er ihn gar ſtudieren
[24] und vermauern koͤnnte in ein Poſſenſpiel als
komiſche Maske und Karyatide. „Vielleicht iſt
auch die Tochter zu verbrauchen, in einem Trau-
erſpiele,” dacht’ er, als Theoda eintrat, und
die von nachweinender Liebe und vom Jugend-
heil glaͤnzte, und durch die frohe Nachricht ſeiner
Mitfahrt neue Strahlen bekam. Jetzt wollte
er ſich in ein intereſſantes Geſpraͤch mit ihr ver-
wickeln; aber der Doktor, dem die Ausſicht auf
einen Abendgaſt nicht heiter vorkam, ſchnitt es
ab, durch den Befehl, ſie ſolle ſein Kaͤſtchen mit
Pockengift, Fleiſchbrühtafeln und Zergliederungs-
zeuge packen. „Wir brechen mit dem Tage auf,
ſagte er, und ich lege mich nach wenigen Stun-
den nieder. Sic Vale!”
[25]
6. Summula.
Fortſetzung der Abreiſe.
Am Morgen that oder war Theoda in der weib-
lichen Weltgeſchichte nicht nur das achte Wunder
der Welt — ſie war naͤmlich ſo fruͤh fertig als
die Maͤnner — ſondern auch das neunte, ſie
war noch eher fertig. Gleichwohl mußte man auf
ſie warten — wie auf jede. Es war ihr naͤmlich
die ganze Nacht vorgekommen, daß ſie geſtern
durch ihr Freude-Brauſen bey einem Abſchiede,
und durch ihr Eilen ſich an der ſchwangern Freun-
din verſuͤndiget habe; ihr Herz trieb ſie gewalt-
ſam noch einmal in der Morgendaͤmmerung zu
ihr. Sie fand das Haus offen, (Mehlhorn
war fruͤh verreißt) und kam ungehindert in
Bonas Schlafgemach. Bloß wie eine von der
Nacht geſchloſſene Lilie, ruhte ihr ſtilles Geſicht
im altvaͤteriſchen Stuhle umgeſunken angelehnt
Theoda kuͤßte eine Locke — dann leiſe die Stirn
[26] — dann, als ſie zu ſchnarchen anfing, gar den
Mund.
Aber ploͤtzlich hob die verſtellte die Arme auf
und umſchlang die [Freundin]: du biſt ſchon
wieder zuruͤck, Liebe, ſagte ſie, weil dein Dich-
ter nicht da war?
„O, ſpotte viel ſtaͤrker uͤber die Suͤnderin,
thue mir recht innig weh, denn ich verdiene es
wohl von geſtern her!” antwortete ſie, und nannte
ihr alles, was ihr feuriges Herz druͤckte. Bona
legte die Wange an ihre, und konnte, vom vor-
fruͤhen Aufſtehen ohnehin ſehr aufgeloͤſet, nichts
ſagen, bis Theoda ſagte: „ſchilt oder vergieb!”
und jener heiße Thraͤnen aus den Augen ſchoſſen,
und nun beyde ſich in einer Entzuͤckung verſtan-
den. „O jetzt moͤchte ich, ſagte Theoda, mein
Blut, wie dieſes Morgenroth vertropfen laſſen,
fuͤr dich. Ach ich bin eigentlich ſo ſanft; warum
bin ich denn ſo wild, Bona?” — „Gegen mich
biſt du gerade recht, erwiederte ſie; nur einmal
das beſte Weſen kann dein wildes verdienen.
[27] Bloß gegen andere ſey anders!” — „Ich vergeſſe
bloß immer alles, was ich ſagen will, oder leider
geſagt habe; nur ein Ding, wie ich, konnte es
geſtern zu ſagen vergeſſen, daß ich mich am in-
nigſten nach der erleuchteten Hoͤle in Maulbronn,
wie nach dem Sternenhimmel meiner Kindheit
ſehne, meiner guten Mutter halber.” Ihr war
nämlich ein unausloͤſchliches Bild von der Stunde
geblieben, wo ihre Mutter ſie als Kind in einer
großen mit Lampen erhellten Zauberhoͤle des
Orts — aͤhnlich der Höle im Bade Liebenſtein —
umhergetragen hatte.
Beyde waren nun Ein Herz. Bona hieß ſie
zum Vater eilen — wiederholte ihren Rath der
Vorſicht mit aller ihr moͤglichen Ruhe (iſt ſie fort,
dachte ſie, ſo kann ich geruͤhrt ſeyn, wie ich will)
vergaß ſich aber ſelber, als Theoda weinend mit
geſenktem Kopfe langſam von ihr ging, daß ſie
nachrief: „mein Herz: ich kann nur nicht auf
ſtehen, vor beſonderer Mattigkeit, und dich be-
gleiten; aber kehre ja deshalb nicht wieder um
zu mir!” Aber ſie war ſchon umgekehrt, und
[28] nahm, obwohl ſtumm den dritten Abſchieds-
kuß; und ſo kam ſie mit der Augenroͤthe des Ab-
ſchiedes und der Wangen- und Morgenroͤthe
der Zeit laufend bey den Abreiſenden an.
[29]
7. Summula.
Fortgeſetzte Fortſetzung der Abreiſe.
Da der Doktor neben dem Edelmanne auf ihre
Ankunft wartete: ſo ließ er noch ein Werk der
Liebe durch Flexen ausuͤben, ſeinen Bedienten.
Er griff naͤmlich unter ſeine Weſte hinein, und
zog einen mit Brantwein getraͤnkten Pfefferkuchen
hervor, den er bisher als ein Magen-Schild zum
beſſern Verdauen auf der Herzgrube getragen:
„Flex, ſagte er, hier bringe mein Staͤrkungs-
mittel druͤben den untern Gerberskindern; ſie
ſollen ſich aber redlich darein theilen.” — Der
Edelmann ſtutzte.
„Meiner Tochter, Hr. v. Nieß, ſagte er,
duͤrfen Sie nichts ſagen; — ſie hat ordentlich
Ekel vor dem Ekel — wiewohl ich fuͤr meine
Perſon finde hierin weder einfachen noch doppel-
ten noͤthig. Alles iſt Haut am Menſchen, und
meine am Bauche iſt nur die fortgeſetzte von der
an den Wangen, die ja alle Welt kuͤßte. Vor
[30] den Augen der Vernunft iſt das Pflaſter ein
Pfefferkuchen, wie ein anderer im Herzogthume
mir ein noch geiſtigerer.”
„Ich geſtehe — verſetzte der ſich leicht ekelnde
Dichter ſchnell, um nur dem boͤſen Bilde zu ent-
ſpringen — daß mich Ihr Bedienter mit ſeinem
langen Schlepp-Rocke faſt komiſch intereſſirt.
Wie ich ihm nachſah, ſchien er mir ordentlich auf
Knien zu gehen, wie ein Sieger zum Tempel
des Jupiter capitolinus oder aus der Erde zu
wachſen.”
Freundlich antwortete Katzenberger: „Ich
habe es gern, wenn meine Leute mir oder an-
dern laͤcherlich vorkommen, weil man doch etwas
hat alsdann. Mein Flex traͤgt nun von Geburt
an gluͤcklicherweiſe kurze Dachs-Beine, und
auch dieſe ſogar aͤußerſt zirkumflektiert, daß wenn
ſein Rock lang genug iſt, ſein Steiß und ſein
Weg, ohne daß er nur ſitzt, halb beyſammen
bleiben. Dieſen komiſchen Schein ſeiner Trauer-
ſchleppe nutz’ ich oͤkonomiſch. Ich habe nämlich
einen und denſelben laͤngſten Lakeienrock, den
jeder tragen muß, Goliath wie David. Dieſe
[31] Freigebigkeit entzweiete mich oft mit dem Pira-
ner Proſektor, ſonſt mein Herzensfreund, aber
ein geiziger Hund, der Leute en robe courte —
ſtatt an longue robe — hat, denen er die Roͤcke
zu kurzen neumodiſchen Weſten (nicht zu altmo-
diſchen) einſchnurren laͤßt. Setz’ ich ſeinem Geitze
mein Muſter entgegen: ſo verweiſet er mich auf
die anatomiſchen Tafeln, nach denen unter den
Gegenmuskeln der Hand, der Muskel, der ſie
zuſchließe, ſtets viel ſtaͤrker ſey, als der wel-
cher ſie aufmacht und zu jenem Muskel ge-
hoͤre noch die Seele, wenn Geld damit zu hal-
ten ſey. Daher die Freunde auch die Hände
leichter gegen einander ballen als ausſtrecken.
Etwas iſt daran.”
Als Theoda kam, hatte der Doktor, der im
Vorderſitz wartete, daß er durch einen Huͤften-
Nachbar feſter gepackt würde, den verdruͤßlichen
Anblick, daß ſich das Paar nach langer Seßions-
Streitigkeit ſich ihm gegenuͤber ſetzte. Die Toch-
ter that es aus Hoͤflichkeit gegen Nieß, und aus
Liebe gegen ihren Vater, um ihn anzuſehen und
ſeine Wuͤnſche aufzufangen. Zuletzt ſagt’ er im
[32] halben Zorn: „Du lehnſt dich an das Steißbein
und Ruͤckgrad des Kutſchers, und laͤßt ruhig
deinen alten Vater, wie ein Weberſchiffchen, von
einem Kiſſen zum andern werfen, he?”
Jetzt bekam er ſeinen Fuͤllſtein zur Freude des
Edelmannes, deſſen Seele ſich nun wie eine Fliege
auf ihr Geſicht ſetzen konnte.
[33]
8. Summula.
Beſchluß der Abreiſe.
Sie fuhren ab …
. . . . Aber jetzt faͤngt fuͤr den Abſender der
Hauptperſonen, fuͤr den Verfaſſer, nicht die
beſte Zeit von Leſers Seite an; denn da dieſer
nun alle Verwickelungen weis, ſo wird er mit
ſeiner gewoͤhnlichen Heftigkeit die ſaͤmmtlichen
Entwickelungen in den nächſten Druckbogen he-
ben wollen, und die Forderung machen, daß in
den nächſten Summuln der Rezenſent ausgepruͤ-
gelt werde, deſſen Namen er noch nicht einmal
weis. — Daß Hr. v. Nieß ſeine Larve, als ſey
er bloß ein Freund Theudobachs, abwerfe, und
dieſer ſelber werde — und daß Theoda daruͤber
erſtaune, und kaum wiſſe, wo ihr der Kopf ſteht,
geſchweige das Herz. Thu’ ich nun dem Leſer
den Gefallen, und pruͤgele, entlarve und verliebe,
was dazu gehoͤrt: ſo iſt das Buch aus, und ich
habe erbaͤrmlich in wenig Summuln ein Feuer-
Erſter Theil. 3
[34] werk oder Luftfeuer abgebrannt, das ich nach
ſo großen Vorruͤſtungen zu einem langen Step-
penfeuer von unzaͤhlichen Summuln haͤtte ent-
zuͤnden koͤnnen. Ich will aber Katzenberger
heißen, entzuͤnd ichs nicht zu einem.
Von jetzt an, wird ſich die Maſſe meiner Le-
ſer in zwey große Parteien ſpalten, die eine wird
zugleich mich und die andere und dieſen Druck-
Bogen verlaſſen, um auf dem letzten nachzuſehn,
wie die Sachen ablaufen; es ſind dies die Kehr-
aus-Leſer, die Valetſchmauſer, die Juͤngſtentag-
Waͤhler, welche an Geſchichten wie an Froͤſchen
nur den Hintertheil verſpeiſen und, wenn ſie es
vermoͤchten, jedes treffliche Buch in zwey Kapi-
tel einſchmölzen, ins erſte und ins letzte, und
jedem Kopfe von Buch wie einem aufgetragnen
Hechte den Schwanz ins Maul ſteckten, da eben
dieſer an Geſchichten und Hechten die wenigſten
Graͤten hat; Perſonen die nur ſo lange bey phi-
loſophierenden und ſcherzenden Autoren bleiben,
als das Erzählen dauert, wie die Nordameri-
kaner nur ſo lange dem Prediger der Heidenbe-
kehrer zuhorchen, als ſie Brantwein bekommen.
[35] Sie mögen denn reiſen dieſe Epilogiker. Was
hier bey mir bleibt — die zweyte Partie — dies
ſind eben meine Leute, Perſonen von einer ge-
wiſſen Denkungsart, die ich am langen Seile
der Liebe hinter mir nachziehe. Ich heiße auch
alle wilkommen; wir wollen uns lange guͤtlich mit
einander thun, und keine Summuln ſparen —
wir wollen auf der Bad-Reiſe die Einheit des
Ortes beobachten, wie die das Intereſſe und
uns vor Anker legen. Langen wir doch nach den
längſten verzoͤgerlichen Einreden und Vexirzuͤ-
gen endlich zu Hauſe und am Ende an, wo die
Kehrausleſer hauſen: ſo haben wir unterwegs
alles, jede Zoll- und Warnungstafel und jeden
Gaſthofsſchild geleſen und jene nichts, und wir
lachen herzlich uͤber ſie.
[36]
9. Summula.
Halbtagsfarth nach St. Wolfgang.
Theoda konnte unmoͤglich eine Viertelſtunde
bey dem Edelmanne ſitzen, ohne ihn uͤber Inner-
und Aeußerlichkeiten ſeines Freundes Theudobach
von dem Zopfe an, bis zu den Sporen auszu-
fragen. Er ſchilderte mit wenigen Zuͤgen, wie
einfach er lebe und nur fuͤr die Kunſt, und wie
er, ungeachtet ſeiner Luſtſpiele, ein gutmuͤthiges
liebendes Kind ſey, das eben ſo oft geliebt als be-
trogen werde; und im Aeußern habe er ſo viel
Aehnlichkeit mit ihm ſelber, daß er darum ſich
oft Theudobachs Koͤrper nenne. Himmel! mit
welchem Feuer ſchauete die Begeiſterte ihm ins
Geſicht, um ihren Autor ein Paar Tage fruͤher
zu ſehen! „Ich habe doch in meinem Leben nicht
zwey gleichaͤhnliche Menſchen geſehen,” ſagte The-
oda, der einmal in einem glaͤnzenden Traume
Theudobach ganz anders erſchienen war, als ſein
vorgebliches Nachbild. Auf dieſe Weiſe bekam
[37] der Schleicher wie der Doppel-Adler zwey Kro-
nen auf den Kopf, eine jetzige und eine kuͤnftige.
Jetzt warf er die Frage hin, wie ihr ſein be-
ziehlich-beſtes Stuͤck: „Der Ritter einer beſſern
Zeit” gefallen, mit welchem er eben in Maul-
bronn die deklamatoriſche Akademie anfangen
wolle. Da ein Autor bey einem Leſer, der ihn
wegen eines halben Dutzend Schriften anbetet,
ſtets vorausſetzt, er habe das Ganze geleſen: ſo
erſtaunte er ein wenig uͤber Theodas Freude, daß
ſie etwas noch Ungeleſenes von ihm werde zu
hoͤren bekommen. Sie mußte ihm nun — ſo
wenig wurd’ er auf ſeinem Selbſtfahrſtuhl von
Siegswagen des ſchoͤnen Aufzugs ſatt — ſagen,
was ſie vorzuͤglich am Dichter liebe: „großer Gott,
verſetzte ſie, was iſt vorzuͤglich zu lieben, wenn
man liebt? Am meiſten aber gefaͤllt mir ſein
Witz — am meiſten jedoch ſeine Erhabenheit —
freilich am meiſten ſein zartes heißes Herz—und
mehr als alles andere, was ich eben leſe.” —
„Was leſen Sie denn eben von ihm?” fragte
Nieß. „Jetzt nichts,” ſagte ſie.
[38]
Der Edelmann brauchte kaum die Haͤlfte ſei-
ner feinen Fuͤhlhoͤrner auszuſtrecken, um es
den Doktor abzufuͤhlen, daß er mit ſeinem ver-
ſchraͤnkten Geſichte eben ſo gut unter dem Bal-
biermeſſer freundlich laͤcheln koͤnnte, als unter ei-
nem fuͤr ihn ſo widerhaarigen Geſpraͤche; er that
daher — um allerley aus ihm heraus zu reitzen,
woruͤber er bey der künftigen Erkennungsſcene
recht erroͤthen ſollte — die Frage an ihn, was
er ſeines Orts vom Dichter fuͤr das Schlechteſte
halte. „Alles, verſetzte er, da ich die Schnur-
ren noch nicht geleſen. Mich wunderts am mei-
ſten, daß er als Edelmann und Reicher etwas
ſchreibt; ſonſt taugen in Papiermuͤhlen wohl die
groben Lumpen zu Papier, aber nicht die ſeid-
nen.” Nieß fragte: ob er nicht in der Jugend
Verſe gemacht? „Pope—gab er zur Antwort —
entſann ſich der Zeit nicht, wo er keine geſchmie-
det, ich erinnere mich derjenigen nicht, wo ich
dergleichen geſchaffen haͤtte. Nur einmal mag
ich als verliebtet Geßners Schaͤfer und Prima-
ner, ſo wie in Krankheiten ſogar die Venen pul-
ſieren, in Poetaſterei hineingerathen ſeyn, vor
[39] einem dummen Ding von Maͤdchen — Gott
weis, wo die Goͤttin jetzt ihre Ziegen melkt. —
Ich ſtellte ihr die ſchöne Natur vor, die ſchon
dalag und warf die Frage auf: ſieh, Suſe, bluͤht
nicht alles vor uns wie wir, der Wieſenſtorch-
ſchnabel, und die große Gaͤnſeblume und das
Rindsauge, und die Gichtroſe und das Lungen-
kraut, bis zu den Schlehengipfeln und Birnen-
wipfeln hinauf? Und uͤberall beſtaͤuben ſich die
Blumen zur Ehe, die jetzt dein Vieh frißt? —
Sie antwortete geruͤhrt: wird Er immer ſo an
mich denken, Amandus? Ich verſetzte wild:
Beym Henker an uns beyde; wohin ich kuͤnftig
auch verſchlagen und verfahren werde, und in
welchen fernen Fluß und Bach ich auch einſt
ſchauen werde — es ſey in die Schweine in
Meiningen — oder in die Beſau und die Geſau
im Henneberg — oder in die wilde Sau in
Boͤhmen — oder in die Wampfe in Luͤneburg
— oder in den Lumpelbach in Salzburg — oder
in die Starzel in Tyrol — oder in die Kratza
oder in den Galgenbach in der Oberpfalz — in
welchen Bach ich, ſchwoͤr’ ich Dir, kuͤnftig ſchauen
[40] werde, ſtets werd’ ich darin mein Geſicht erbli-
cken, und dadurch auf Deines kommen, das ſo
oft an meinem geweſen, Suſe. — Jetzt frey-
lich, Hr. v. Nieß, ſprech’ ich proſaiſcher.”
Nieß grif feurig nach des Doktors Hand,
und ſagte: „Das ſcherzhafte Gewand verberge
ihm doch nicht das weiche Herz darunter.” „Ich
muß auch durchaus fruͤherer Zeit zu weich und
fluͤſſig geweſen ſeyn — verſetzte dieſer — weil
ich ſonſt nicht gehoͤrig hart und knoͤchern haͤtte
werden koͤnnen, denn es iſt geiſtig wie mit dem
Leibe, in welchem bloß aus dem Fluͤſſigen ſich
die Knochen und alles Harte erzeugt, und wenn
ein Mann harte Eiszapfenworte ausſtoͤßt, ſo
ſollte dies wohl der beſte Beweis ſeyn, wie viel
weiche Thraͤnen er ſonſt vergoſſen.” „Immer
ſchoͤner!” rief Nieß, „o Gott nein!” rief The-
oda im gereitzten Tone.
Der Edelmann ſchob ſogleich etwas Schmei-
chelndes, naͤmlich einen neuen Zug von Theu-
dobach ein, den er mit ihm theile, naͤmlich den
Genuß der Natur. Alſo auch des Maies? fragte
der Doktor; Nieß nickte. Hierauf erzaͤhlte die-
[41] ſer: Daruͤber hab’ er ſeine erſte Braut ver-
loren; denn er habe, da ſie an einem ſchoͤnen
Morgen von ihren Maigenuͤſſen geſprochen,
verſetzt, auch er habe nie ſo viele gehabt, als
in dieſem Mai, wegen der unzaͤhligen Maikaͤfer;
als er darauf zum Beweiſe einige von den Blaͤt-
tern abgepfluͤckt, und ſie vor ihren Augen aus-
geſogen und genoſſen: ſo ſey er ihr ſeitdem mehr
greuels- als liebenswuͤrdig vorgekommen, und er
habe durch ſeine Roͤſelſche Inſektenbeluſtigun-
gen Brautkuchen und Honigwochen verſcherzt
und vernaſcht.
Nieß aber ſich mehr zur Tochter ſchlagend,
fuhr kuͤhn mit dem Ernſte des Naturgenuſſes
fort, und ſchilderte mehrere ſchoͤne Ausſichten ab,
die man ſah, und von manchen erhabenen Wol-
ken-Partien lieferte er gute Roͤthelzeichnun-
gen: — als endlich die Partien zu regnen an-
fingen und ſelbſt herunter kamen. Sogleich rief
der Doktor den langroͤckigen Flex in den Wagen
herein als einen Fuͤllſtein fuͤr Nieß. Dieſem
entfuhr der Ausruf: Dieß zarte Gefuͤhl hat
auch unſer Dichter fuͤr ſeine Leute, Theoda! —
[42] „Es iſt, antwortete ihr Vater, zwar weniger
der Menſch da, als ſein langer Rock zu ſcho-
nen; aber zartes Gefuͤhl aͤußert ſich wohl bey
jedem, den der Wagen verdammt ſtößt.” Bald
darauf kamen ſie in St. Wolfgang an.
[43]
10. Summula.
Mittags Abentheuer.
Gewoͤhnlich fand der Doktor in allen Wirths-
haͤuſern beſſere Aufnahme als in denen, wo er
ſchon einmal geweſen war. Nirgends traf er
aber auf eine ſo verzogne Empfangs-Phyſiog-
nomie als bey der verwittibten, nett gekleideten
Wirthin in St. Wolfgang, bey der er jetzt zum
zwoͤlftenmale ausſtieg. Das zweytemal, wo ſie
in der Halbtrauer um ihre eheliche Haͤlfte, und
in der halben Feiertags-Hoffnung auf eine neue
ihrem mediziniſchen Gaſte mit Klagen uͤber Hals-
ſchmerzen ſich genaͤhert, hatte dieſer freundlich
ſie in ſeiner Amtsſprache gebeten: ſie moͤge nur
erſt den Unterkiefer niederlaſſen, er wolle ihr
in den Rachen ſehen. Sie ging wuͤthig-erhitzt,
und mit vergroͤßerten Halsſchmerzen davon, und
ſagte: „Sein Rachen mag ſelber einer ſeyn; denn
kein Menſch im Hauſe frißt Ungeziefer, als Er.”
Sie bezog ſich auf ſein erſtes Dageweſenſeyn.
[44] Er hatte naͤmlich zufolge allgemein-beſtaͤtig-
ter Erfahrungen und Beyſpielen z. B. de la
Lande’s und ſogar der Dlle. Schurmann —
welche nur naturhiſtoriſchen Laien Neuigkeiten
ſeyn koͤnnen — im ganzen Wirthshauſe (dem
Kellner ſchlich er deshalb in den Keller nach)
umher geſtoͤbert und gewittert, um fette runde
Spinnen zu erjagen, die fuͤr ihn (wie fuͤr das
obengedachte Paar) Landauſtern und lebendige
Bouillon-Kugeln waren, die er friſch aß. Ja
er hatte ſogar, um den allgemeinen Ekel des
Wirthshauſes, wo moͤglich, zurecht zu weiſen
— vor den Augen der Wirthin und der Auf-
waͤrter reife Kanker auf Semmelſchnitte geſtri-
chen und ſie aufgegeſſen, indem er Stein und
Bein dabey ſchwur — um mehr anzukoͤdern —
ſie ſchmeckten wie Haſelnuͤſſe.
Gleichwohl hatte er dadurch weit mehr den
Abſcheu als den Appetit in Betreff der Spinnen
und Seiner-Selbſt vermehrt und zwar in ſolchem
Grade, daß er ſelber der ganzen Wirthſchaft als
eine Kreutz-Spinne vorkam, und ſie ſich als
ſeine Fliegen. Als er daher ſpaͤter einmal ver-
[45] ſuchte, dem Kellner nachzugehen, um un-
ten aus den Kellerloͤchern ſeine mensa ambula-
toria, ſein Kanarienfutter zu ziehen; ſo blickte
ihn der Purſche mit fremdem wie geliehenem
Grimme an und ſagte: Freſſ’ Er ſich wo anders
dick als im Keller! —
Nichts bekümmerte ihn aber weniger als ſauere
Geſichter; der geſunde Sauerſtoff, der den groͤ-
ßeren Beſtandtheil ſeines in Worte gebrachten
Athems ausmachte, hatte ihn daran gewoͤhnt.
Heute hatte er ſogar das Gluͤck, unter einer
Winkeltreppe ein niedliches Kaͤtzchen anzutreffen,
nach welchem er ſich lange geſehnt, weil er noch
keins dieſer Art unter dem Meſſer gehabt; er
ſteckte daher dieſen Privatdozenten der Zergliede-
rung ein, nachdem er ihm vorher, um ihm
alles Leiden und Kerkerfieber der Taſche zu er-
ſparen, den Kopf einigemale auf dem Hals um-
hergedreht hatte.
Die Wirthin gab ſich alle Muͤhe, unter dem
frohen Gaſtmahle ihn von Theoda und Nieß
recht zu unterſcheiden zu ſeinem Nachtheile; er,
mit dem erwuͤrgten Dozenten in der Taſche, nahm
[46] die Unterſcheidung ſehr wohl auf, und zeigte
große Luſt, naͤmlich Eßluſt; und ließ, um we-
niger der Wirthin als ſeinen Leuten etwas zu
ſchenken, dieſen nichts geben, als ſeine Tafel-
reſte. Die Wirthin ließ er zuſehen, wie er
mit derſelben Butter, zugleich ſeine Brodſchei-
ben und ſeine Stiefel-Glatzen beſtrich, und
wie er den Zuckeruͤberſchuß zu ſich ſteckte unter
dem Vorwande, er hole aus guten Gruͤnden
den Zucker erſt hinter dem Kaffee nach im
Wagen.
Da das erſte, was Nieß an jedem Orte
und Oertchen that, war, nachzuſehen, was
von ihm da geleſen und gehalten wurde: ſo fand
er zu ſeiner Freude nicht nur im elenden Leih-
buͤcher-Verzeichniß ſeine Werke, ſondern auch
in der Wirthsſtube einige geliehene wirkliche.
Sich gar nicht zu finden, druͤckt beruͤhmte Maͤn-
ner ſtärker, als ſie ſagen wollen. Nieß ertheilte
ſeinen Leihwerken aus Liebe fuͤr den Wolfgang-
iſchen Leihbibliothekar auf der Stelle einen
unbeſchreiblichen Liebhaber-Werth (pretium
affectionis) bloß dadurch, daß ers einem Vol-
[47] taire, Diderot und D’Alembert gleich that, in-
dem er wie ſie, Noten in die Werke machte
mit Namensunterſchrift; — die kuͤnftige Ent-
zuͤckung daruͤber konnte er ſich leicht denken.
Waͤhrend Theoda zwiſchen dem Dichter und
der Freundin hin und her träumte: kam auf
einmal der Mann der letztern, der arme Mehl-
horn matt herein, der nicht den Muth gehabt,
ſeinen kuͤnftigen Gevatter um einen Kutſchen-
ſitz anzuſprechen. Der Zoller war zwar kein
Mann von glaͤnzendem Verſtande — er traute
ſeiner Frau einen groͤßern zu — und ſeine Aus-
gaben der Langenweile uͤberſtiegen weit ſeine
Einnahme derſelben; aber wer Langmuth im
Ertragen, Dienſtfertigkeit und ein anſpruchlo-
ſes redliches Leben liebte, der ſah in ſein im-
mer freudiges und freundliches Geſicht, und
fand dieß alles mit Luſt darin. Theoda lief auf
ihn entzuͤckt zu, und fragte ſelbſtvergeſſen, wie
es ihrer Freundin ergangen, als waͤre er ſpaͤter
abgereiſet. Er verzehrte ein duͤnnes Mittags-
mahl, wozu er die Hälfte mitgebracht: „man
muß wahrhaftig — ſagt’ er ſehr wahr — ſich
[48] recht zuſammennehmen, wenn man noch zwey
Stunden nach Huhl hat, und doch Nachts
wieder zu Hauſe ſeyn will, es iſt aber koſtbares
Wetter fuͤr Fußgaͤnger.“
Theoda zog ihren Vater in ein Nebenzimmer
und ſetzte alle weibliche Roͤſt-, Schmelz- und
Treibwerke in Gang, um ihn ſo weit fluͤßig zu
ſchmelzen, daß er den Zoller bis nach Huhl mit ein-
ſitzen ließ. Er ſchuͤttelte kaltbluͤtig den Kopf, und
ſagte die Gevatterſchaft fuͤrchtend: „auch nähm’
ers am Ende gar fuͤr eine Gefaͤlligkeit, die ich ihm
etwa beweiſen wollte.“ Sie rief den Edelmann
zum Bereden zu Huͤlfe; dieſer brach — mehr
aus Liebe fuͤr die Fuͤrſprecherin — gar in thea-
traliſche Beredſamkeit aus, und ließ in ſeinem
Feuer ſich von Katzenberger ganz ohne eines
anſehen. Dem Doktor war naͤmlich nichts lie-
ber, als wenn ihn jemand von irgend einem
Entſchluſſe mit tauſend beweglichen Gruͤnden
abzubringen anſtrebte; ſeiner eignen Unbeweg-
lichkeit verſichert, ſah er mit deſto mehr Genuß
zu, wie der andere jede Minute des Ja’s ge-
waͤrtig, ſich nutzlos abarbeitete. Ich verſinn-
[49] liche mir dies ſehr, wenn ich mir einen umher-
reiſenden Magnetiſeur und unter deſſen Haͤnden
das Geſicht eines an menſchlichen Magnetismus
unglaͤubigen Autors z. B. Bieſters vorſtelle, wie
jener dieſen immer aͤngſtlicher in den Schlaf hin-
ein zu ſtreichen ſucht, und wie der Bibliothekar
Bieſter ihm unaufhoͤrlich ein aufgewecktes Ge-
ſicht mit blickenden Augen ſtill entgegenhaͤlt.
„Gern macht’ ich ſelber, ſagte Nieß, noch den
kurzen Weg zu Fuß.” Und ich mit, ſagte The-
oda. „O! — ſagte Nieß und druͤckte recht feu-
rig die Katzenbergeriſche Hand — ja es bleibt
dabey, Vaͤterchen, Nicht?” — „Natuͤrlich — ver-
ſetzte letzteres —, aber Sie koͤnnen denken, wie
nichtig meine Gruͤnde ſeyn muͤſſen, wenn ſie
ſogar von Ihnen nicht uͤberwogen werden.” Man
ſchien auf Seiten des Paars etwas betroffen:
„auch moͤcht’ ich den guten Umgelder ungern
verſpaͤten, ſetzte der Doktor hinzu, da wir erſt
nach dem Pferde-Fuͤttern aufbrechen, er aber
ſogleich.”
Als ſie ſaͤmmtlich zuruͤckkamen, ſtand der
Mann ſchon freundlich da, mit ſeinem Abſchiede
Erſter Theil. 4
[50] reiſefertig wartend. Theoda begleitete ihn hin-
aus, und gab ihm hundert Gruͤße an die Freun-
din mit und den Schwur, daß ſie ſchon dieſen
Abend das Tagebuch an ſie anfange: „könnt’ ich
fuͤr Sie gehen, guter Mann!” ſagte ſie; und
er ſchied mit einem langen Dankpſalm, ohne ſie
ſonderlich zu verſtehen.
Bald darauf als die Pferde abgefuͤttert waren,
und die Gewinn- und Verluſtrechnung abge-
than, gab Katzenberger das Zeichen des Abſchieds;
— es beſtand darin, daß er heimlich die Koͤrke
ſeiner bezahlten Flaſchen einſteckte. Er fuͤhrte
Gruͤnde fuͤr dieſe letzte Ziehung aus der Flaſche
an: es ſey erſtlich ein Mann in Paris blos da-
durch ein Millionair geworden, daß er auf allen
Kaffehaͤuſern ſich auf ein ſtilles Korkziehen mit
den Fingern gelegt, wobey er freylich mehr ans
Stehlen gedacht, als an erlaubtes Einſtecken;
zweytens ſey jeder, der eine Flaſche fodere, Herr
uͤber den Inhalt derſelben, wozu der Stoͤpſel
als deſſen Anfang am erſten gehoͤre, den er
mit ſeinem eigenen Korkzieher zerbohren oder
[51] auch ganz laſſen und mitnehmen koͤnne, als eine
elende Kohle aus dem niedergebrannten Wein-
feuer.” Daruͤber ſuchte Nieß zu laͤcheln ohne
vielen Erfolg.
[52]
11. Summula.
Wagen-Sieſte.
Im Ganzen ſitzt ohnehin jeder Kutſchenklub
in den erſten Nachmittagsſtunden ſehr matt und
dumm da; das junge Paar aber thats noch mehr,
weil Katzenbergers Geſicht, ſeitdem er dem
armen Schreckens-Gevatter die Wagenthuͤre vor
der Naſe zugeſchlagen, kein ſonderliches Roſen-
thal und Paradies fuͤr jugendlich-gutmuͤthige
Augen war, die in denſelben hinein und auf
den ſandigen Weg hinausſahen. Er ſelber litt
weniger; ihn verließ nie jene Heiterkeit, welche
zeigen konnte, daß er ſich den Stoikern beyge-
ſellte, welche verboten, etwas zu bereuen, nicht
einmal das Boͤſe. Indeß iſt dieſer hoͤhere Stoi-
zismus, der den Verluſt der unſchaͤtzbaren hoͤ-
heren Guͤter noch ruhiger ertraͤgt als den der
kleinern, nicht ſo ſelten als man klagt.
Nach einigen Minuten Sandfahrt ſenkte
Katzenberger ſein Haupt in Schlaf. Jetzt be-
[53] kraͤnzte Theoda ihren Vater mit allen moͤglichen
Redeblumen, um dem Freund ihres Dichters
ihre Tochter-Augen für ihn zu leihen. Beſon-
ders hob ſie deſſen reines Feuer fuͤr die Wiſſen-
ſchaft heraus, fuͤr die er Leben und Geld ver-
ſchwende, und beklagte ſein Loos, ein gelehrter
einſamer Rieſe zu ſeyn. Da der Edelmann ge-
wiß vorausſetzte, daß die Augen-Sperre des
Rieſen nichts ſey, als ein Aufmachen von ein
Paar Dionyſius-Ohren, wie uͤberhaupt Blinde
beſſer hoͤren: ſo fiel er ihr unbedingt bey, und
erklaͤrte, er erſtaune uͤber Katzenbergers Genie.
Dieſer hoͤrte dies wirklich, und hatte Muͤhe,
nicht aus dem Schlafe heraus zu laͤcheln wie
ein Kind, womit Engel ſpielen. Des blin-
den optiſchen Schlafes bedient er ſich bloß, um
ſelber zu hoͤren, wie weit Nieß ſein Verlieben
in Theoda treibe; um dann etwa bey feurigen
Welt- und Redetheilen raſch auf zu wachen,
und mit Schnee und Scherz einzufallen. Jetzt
ging Theoda, die den Schlummer glaubte, weil
ihr Vater ſich ſelten die Muͤhe der Verſtellung
gab, noch weiter und ſagte dem Edelmanne frei:
[54] „ſein Kopf lebt zwar dem Wiſſen, wie ein Herz
dem Lieben, aber Sie ſpringen zu ungeſtuͤm mit
ſeiner Natur um. — In der That — Sie legen
es ordentlich darauf an, daß er ſich uͤber Ge-
fuͤhle recht ſeltſam und ohne Gefuͤhle ausdruͤcke.
Thaͤte dieß wohl Ihr Theudobach?” — „Gewiß
— ſagt’ er — aber in meinem Sinne. Denn
Ihren Vater, liebreiche Tochter, nehm’ ich viel
beſſer als der Haufe. Mich hindert ſeine ſatiri-
ſche Enkauſtik nicht, darhinter ein warmes Herz
zu ſehn. Recht geſchliffnes Eis iſt ein Brenn-
glas. Man iſt ohnehin der alltaͤglichen Liebes-
Floſkeln der Buͤcher ſo ſatt!” O dieſer ſanfte
Schlaͤfer vor uns, iſt vielleicht waͤrmer als wir
glauben und ſeiner Tochter werth!” Katzenber-
ger jetzt warm und heiß vom nahen Nachmittags-
ſchlummer, haͤtt etwas darum gegeben, wenn
ihm ſein Geſicht, wie das des Kaͤtzchens in der
Taſche, waͤre gegen den Ruͤcken und das Kut-
ſchen-Fenſterchen gedreht geweſen, damit er un-
geſehen haͤtte laͤcheln koͤnnen; wenigſtens
ſchnarchte er.
Nieß ging von da auf die Weiſe uͤber, Lieben
[55] auszuſprechen und legte ſie an einem bekannten
Theudobachiſchen Schauſpiel: „Die zage ſcheue
Liebe” zergliedernd aus einander. Ein Buͤh-
nen-Dichter vieler Stuͤcke, oder ein Kunſtrich-
ter aller Stuͤcke wird ihm eine Schiff- und Eſels-
bruͤcke in ein Weiberherz. Daruͤber verſank doch
der Doktor vor Langerweile aus dem vorgetraͤum-
ten Schlaf in einen aͤchten und zwar bald nach
Nießens ſchoͤnen wahren Worten: „jungfraͤuliche
Liebe ſchlummert wol, aber ſie traͤumt doch.”
Als er ganz ſpaͤt aufwachte: ſagt’ er, halb
im Schlafe: „natuͤrlich ſchlaͤft ſie und traͤumt dar-
auf.” Nur Nießen war dieſer ihm zugehoͤrige
Sinnſpruch deutlich und erinnerlich, und er
dachte leiſe: „ſeht den Dieb!”
Eben watete ihnen im Sande ein Bekannter
der Familie entgegen, der ſogleich ſich umkehrte,
als er in die Taſchen griff und den Wagen er-
blickte. Es iſt bekannt, daß es der Winkel-
Schul-Direktor Wuͤrfel war, ein feines
Maͤnnchen. Der Doktor ließ ihm ſchnell nach-
fahren, um das Umwenden zu begreifen. Ein-
geholt kehrte der Direktor ſich wieder um und
[56] verbeugte ſich ſtufenweiſe vor jedem. Der Dok-
tor fragte, warum er immer ſo umkehre? „er
ſey ſo ungluͤcklich geweſen, ſein Taſchenbuch in
Huhl zu vergeſſen; und jetzt ſo gluͤcklich gewor-
den, indem er’s hole, eine ſolche Geſellſchaft
immer vor Augen, wenn auch von weitem zu
haben.” „So nehmen Sie hier Ruͤckſitz und
Stimme” ſagte der Doktor zu Nießens Ver-
wundrung.
Der Winkel-Schul-Direktor war lange
wohl zehnmal adlicher Haus- und Schloß-Leh-
rer geweſen — hatte mehr als hundert Haus-
baͤllen zugeſchaut, und getraute ſich jede adliche
Schuͤlerin noch anzureden, wenn ſie mannbar
geworden — wie der alte Deutſche im Trunke
keuſch blieb, ſo war er ſtets mitten unter den
feinſten Deſſertweinen nicht nur keuſch, ſondern
auch nuͤchtern geblieben, weil er den ſchlechteſten
bekam — und war uͤberhaupt an den Tiſchen
ſeiner Herrn tafelfaͤhig, wenn auch nicht ſtimm-
faͤhig geweſen. Dieſes Durchwaͤlzen durch die
feine Welt hatt’ an ihm ſo viele elegante Sitten
zuruͤckgelaſſen, als er zu oft an Spezial- ja an
[57] Generalſuperintendenten vermißte; ſo daß ihm
oͤfters nichts zum vollſtaͤndigſten feinſten Fat
fehlte als der Muth; aber er glich dem Prediger,
welcher auf der Kanzel mitten zwiſchen ſeinen
heiligſten Erhebungen uͤber die Erde und deren
Gaben von Zeit zu Zeit — ſchnupft. Dabey
hatte er durch langes Erziehen faſt alle Sprachen
und Wiſſenſchaften und die uͤbrige Kultur in
den Kopf bekommen, die ihm wie einem armen
Poſtknechte Reichthuͤmer und Prinzen zu nichts
halfen, als daß er ſie weiter zu ſchaffen hatte.
Da er indeß kein Wort ſagte, das nicht ſchon
einen Verleger und Verfaſſer gehabt haͤtte: ſo
hoͤrte man ſeine Schuͤler lieber als ihren Lehrer.
Dieſer Winkelſchul-Direktor hatte nun einſt
mit Theoda Teudobachs Stuͤcke ins Engliſche,
und ſich dabey (da ſie nur eine Buͤrgerliche war)
in einen Liebhaber und in den Himmel uͤber-
tragen. Eben deßhalb hatte ihm der Doktor,
der in Herzensſachen Scherz verſtand und ſuchte,
einen Sitz neben den erſten Liebhaber Nieß
ausgeleert: „ich ſehe, ſagte er, nichts lieber
[58] mit einander ſpielen als zwey Haſen, ausge-
nommen den Fuchs mit dem Haſen.”
Es ging anders. Theoda ſtellte vor allen
Dingen den Vielwiſſer Wuͤrfel — dem ſie freu-
dig alles ſchenkte, ſich ausgenommen — dem
Freunde des ins Engliſche verdollmetſchten Dich-
ters vor; jetzt fing das lange Zergliedern des
Dichters (Nieß war der Proſektor) an, jedes
Glied wurde durch kritiſches Zerſchneiden ver-
groͤßert und zum Ewigkeits-Praͤparat beſeelt;
nur Katzenberger hatte nichts als die Katze in
der Taſche.
Nieß zeigte dabey die leichte Weltmanns
Waͤrme eines feurigen Juvels. Wuͤrfel zeigte
eine Schmelzofengluth, als waͤren in ſeiner
die poetiſchen Geſtalten erſt fertig zu gießen;
Theoda zeigte eine Franzoͤſin, eine Deutſche,
und eine Jungfrau und ein Sich. Indeß ſah
der helle Edelmann aus jedem Worte Wuͤrfels,
wie dieſer den Teudobachiſchen Sockus und Ko-
thurn nur in ein Fahrzeug verkehrte, um auf
einer von den ſchoͤnen Freundſchafts-Inſeln
Theoda’s anzulanden; je mehr daher der Di-
[59] rektor den Dichter erhob, deſto mehr erzuͤrnte
ſich der Edelmann. Doch blieben beyde, Nieß
und Theudobach, ſo feſt und fein und ſtudirten
die Menſchen, und wollten weniger die Schuld-
ner einer (dichteriſchen) Vergangenheit ſeyn,
als einer (proſaiſchen) Gegenwart; Nieß wollte
zugleich als Muͤnzer und als Muͤnze gelten.
Vom Dichten kommt man leicht aufs Lieben,
und indem man ideale Karaktere kritiſirt, pro-
duzirt man leicht den eigenen, und ein gedruck-
ter Roman wird das Getriebe und Leitzeug eines
lebendigen. Wuͤrfel ſtach hier mehr durch Fein-
heit hervor, Nieß durch Keckheit. Jener zeigte
einen Grad von romantiſcher Delikateſſe, der
ſeinen Stand verrieth, naͤmlich den mittlern.
Ich kann hier aus eigner Erfahrung die Weiber
der höhern Staͤnde verſichern, daß, wenn ſie
eine romantiſchere zaͤrtere Liebe kennen wollen
als die galante, höhnende, atheiſtiſche ihrer
Weltleute, ſie ſolche in meinem Stande finden
koͤnnen, wo mehr Begeiſterung, mehr Dichter-
Liebe, und weniger Erfahrung herrſcht; und
dieſe Bemerkung ſollte mich freuen, wenn ich
[60] durch ſie zum Gluͤcke manches Hofmeiſters und
deſſen hoher Prinzipalin etwas beygetragen
haͤtte; meines waͤre mir denn Belohnung
genug.
Niemand war in der Kutſche zu bedau-
ern, als der Blutzeuge Katzenberger, dem ſolche
Diskurſe ſo in die Ohren eingingen, wie einem
Pferde der Schluck Arzeney, die man ihm durch
die Naſenloͤcher einſchuͤttet. Um aber mit ir-
gend etwas ſeinem Ohre zu ſchmeicheln, brachte er
einen feinen Iltispinſel heraus und ſteckte ihn in
den rechten Gehörgang bis nahe ans Paukenfell
und wirbelte ihn darin umher; er verſicherte
die Zuſchauer, hierin ſey er ganz der Mei-
nung der Sineſer, wovon er die Sitte entlehne,
welche dieſen Ohrenkitzel und Ohren-Schmaus
fuͤr den Himmel auf Erden hielten.
Da aber die Menſchen immer noch links hoͤ-
ren, wenn ſie in Luſt-Geſchaͤften rechts taub
ſind: ſo vernahm er noch viel vom Geſpraͤch. Er
fiel daher in dieſes mit ein und berichtete: „Auch
er habe ſonſt als Unverheiratheter an Heirathen
gedacht und nach der damaligen Mode angebe-
[61] tet — was damals Adoriren geheißen —; doch
ſey einem Manne, der ploͤtzlich aus dem ſtren-
gen mathematiſch-anatomiſchen Heerlager ins
Kindergaͤrtchen des Verliebens hinein gemußt,
damals zu Muthe geweſen, wie einem Lachſe,
der im Lenze aus ſeinem Salz-Ozean in ſuͤße
Fluͤſſe ſchwimmen muß, um zu leichen. Noch
dazu wäre zu ſeiner Zeit eine beſſere Zeit gewe-
ſen — damals habe man aus der brennenden
Pfeife der Liebe polizeymaͤßig wie ohne Pfeifen-
deckel geraucht. — Man habe von der ſogenann-
ten Liebe nirgends in Kutſchen und Kellern ge-
ſprochen, ſondern von Haushalten, von Sich-
Einrichten, und Anſetzen. So geſteh’ er z. B.
ſeiner Seits, daß er aus Scham nicht gewagt,
ſeine Werbung bey ſeiner durch Maikaͤfer ent-
fuͤhrten Braut anders einzukleiden, als in die
wahrhaftige Wendung: naͤchſtens gedenke er ſich
als Geburtshelfer zu ſetzen in Pira, wiſſe aber
leider, daß junge Maͤnner ſelten gerufen wuͤr-
den, und ſchwache Praxis haͤtten, ſo lange ſie
unverehlicht waͤren.” — „Freilich, ſetzte er hinzu,
war ich damals hoͤlzern in der Liebe, und erſt
[62] durch die Jahre wird man aus weichem Holze
ein hartes, das nachhaͤlt.”
„Bey der Trennung von Ihrer Geliebten
mag Ihnen doch im Mondſcheine das Herz
ſchwer geworden ſeyn?” ſagte der Edelmann.
„Zwey Pfund — alſo halb ſo ſchwer als meine
Haut — iſt meines wie Ihres bey Mond- und
bey Sonnenlichtſchwer,” verſetzte der Doktor. „Sie
kamen ſo nach uͤber die empfindſame Epoche, wo
alle junge Leute weinten, leichter hinweg?”
fragte Nieß. „Ich hoffe, ſagt er, ich bin noch
darin, da ich ſcharf verdaue, und ich vergieße
taͤglich ſo viele ſtille Thraͤnen als irgend eine
edle Seele, naͤmlich vier Unzen den Tag; nur
aber ungeſehen (denn die Magenhaut iſt mein
Schnupftuch); unaufhoͤrlich fließen ſie ja bey
heilen guten Menſchen in den knochigen Naſen-
kanal und rinnen durch den Schlund in den
Magen und erweichen dadrunten manches Herz,
das man gekaͤuet, und das zum Verdauen und
Nachkochen da liegt.”
Da aber Nieß, um den ſeltenen Seefiſch
immer mehr fuͤr ſeine dichteriſche. Naturalien-
[63] kammer aufzutrocknen, eine neue Frage thun
wollte: fuhr Theoda ordentlich auf und ſagte:
Hr. v. Nieß Sie ſind im Innerlichen noch haͤrter
und boshafter als mein Vater ſelber. — „So,
ſagte der Doktor, noch haͤrter als ich? Es iſt
wahr, die weibliche Sprache iſt wie die Zunge
weich und linde zu befuͤhlen, aber dieſe ſanfte
Zunge haͤlt ſich hinter den Hundszaͤhnen auf,
und ſchmeckt und ſpedirt gern, was dieſe zer-
riſſen haben.” Hier ſuchte der feine Wuͤrfel auf
Etwas ſchoͤneres hin abzulenken, und bemerkte,
was bisher Theoda nicht geſehen: „dort ſchreite
ſchon lange Hr. Umgelder Mehlhorn ſo tapfer,
daß ihn der Kutſcher ſchwerlich auf dem hoͤcke-
rigen Wege uͤberhole.” Als dies der Kutſcher
hoͤrte, dem ſchon laͤngſt der nicht einzuholende
Zoller eine bewegliche Schandſaͤule und Hoͤllen-
maſchine geweſen: ſo fuhr er gallopirend in die
[64]
12. Summula.
— Die Avantuͤre. —
Hinein und warf an einem ſchiefgeſunknen
Graͤnzſtein leicht, wie mit einer Wurfſchaufel,
den Wagen in einen naſſen Graben hinab.
Katzenberger fuhr als primo Ballerino zuerſt
aus der Schleudertaſche des Kutſchers, griff aber
im Fluge in die Halsbinde des Schuldirektors,
wie in einen Kutſchen-Lakaien-Riemen ein, um
ſich an etwas zu halten; — Wuͤrfel ſeines Orts
krallte nach Fleren hinaus und in deſſen Fries-
Aermel ein, und hatte unten im Graben den
mitgebrachten Fries-Aufſchlag in der Hand; —
Nieß, das Geſtirn erſter Groͤße im Wagen,
glaͤnzte unten im Drachenſchwanze ſeiner Lauf-
bahn, nahm aber mehr die Geſtalt eines Haar-
ſterns an, weil er die Theoda’ſche Peruͤcke nach
ſich gezogen, an die er ſich laut wehklagend un-
terwegs hatte ſchließen wollen; — Theoda war
durch kleines Nachgeben gegen den Stoß und
[65] durch Erfaſſen des Kutſchenſchlages diagonal
im Wagen geblieben; — Flex ruhte, den Kut-
ſcher noch recht umhalſend, bloß mit der Stirn
im Kothe, wie ein mit dem Gipfel vortheilhaft
in die Erde eingeſetzter Baum.
Erſt unten im Graben und als jedermann
angekommen war — konnte man wie in einem
Unterhauſe auf Herauskommen ſtimmen und an
Einhelligkeit denken. Katzenberger votierte zu-
erſt, indem er die Hand aus Wuͤrfels Halsbinde
nahm, und dann auf dem Ruͤckgrade des Schul-
direktors wie auf einer fluͤchtigen Schiffbruͤcke
wegging, um nachher auf Flechſen aufzufußen
und ſich von da, wie auf einem Gaukler-
Schwungbret leicht ans Ufer zu ſchwingen. Es
gelang ihm ganz gut, und er ſtand droben und
ſah hernieder.
Hier konnte er nicht ohne wahre Ruhe und
Luſt ſo leicht bemerken, wie die andern Hechte
im Graben Waſſer ſchnalzten, aus Verlegen-
heit. Flexens Ruͤckgrats-Wirbel wurden ein all-
gemeines aber gutes Trottoir und der Schul-
direktor ſchlug gern dieſen Weg ein. Am Ufer
Erſter Theil. 5
[66] zog der Doktor ihn an der Halsbinde nach kur-
zem Erwuͤrgen ans Ufer, wo er unaufhoͤrlich
ſich und ſeinen Kleider-Bewurf beſah und zu-
ruͤckdachte. Auch der untergepfluͤgte Dichter
bekroch Flechſen, und bot dem Doktor die Hand,
an deren Ohrfinger dieſer ihn mit kleiner Ver-
renkung dadurch aufs Trockne zog, daß er ſelber
ſich ruͤckwaͤrts bog und umfiel, als jener auf-
ſtand. Was noch ſonſt aus dem Nilſchlamme
halb lebendig aufwuchs, waren nur Leute; aber
dieſe waren am noͤthigſten zum Aufhelfen, ſie
waren die Fluͤgel, die Maſchinen-Goͤtter, die
Schutzheiligen, die Korkweſten des Wagens im
Waſſer.
Mehlhorn fuͤr ſeine Perſon war herbeyge-
ſprungen, und ſtand auf dem umgelegten Kut-
ſchenſchlage feſt, in welchen er unaufhoͤrlich ſei-
nen Huͤlf-Engels Arm umſonſt Theoda’n hin-
ein reichte um ſie um den Schlag herum und
aufzuziehen — bis ihm der Kutſcher von ſeinem
Standort wegfluchte, um den Wagen aufzu-
ſtellen.
Delikate Geſellſchafts-Knoten werden wol
[67] nie zaͤrter aufgeloͤſet als von dem Wurfe in ei-
nen Graben, gleichſam in ein verlaͤngertes Grab,
wobey das allgemeine Intereſſe wenig verliert,
wenn noch dazu Glieder der Mitglieder verrenkt
oder verſtaucht ſind, oder beſchmutzt. Die Freude
gieng allgemein wie eine Luna auf; das Städt-
chen Huhl lag vor der Naſe und jeder mußte
ſich abtrocknen und abſtäuben und deshalb vor-
her uͤbernachten. Nur Wuͤrfel, der aus dem
Oertchen ſein Taſchenbuch zuruͤck zu holen hatte,
mußt’ verdruͤslich daraus heimeilen mit der naſſen
Borke am beſten Vorderweſtchen; eine halbe
Nacht und einen ganzen Weg voll Nachtluft
mußt’ er dazu nehmen, um ſo trocken anzu-
langen, als er abgegangen. Katzenberger machte
weniger aus dem Koth, von welchem er ſeine
eigne Meinung hegte, welche dieſe war, daß er
ihn bloß als reine Adams-Erde mit heiligem
Himmels-Waſſer getauft darſtellte, und dann
die Leute fragte: was mangelt dem Dreck? Bloß
den dachsbeinigen Flex ſchalt er uͤber deſſen ſchwe-
res Schleppkleid ſo: „fauler Hund, haͤtteſt du
dich nicht ſtracks aufrichten können, ſo bald ich
[68] von dir aufgeſprungen war? Warum ließeſt du
dich von allen immer tiefer eintreten? Und warum
gabſt du dem unbedachten Wuͤrfel nicht nach,
und ließeſt dich vom Bocke herunterreiſſen, an-
ſtatt meines Livrei-Aufſchlags? He, Menſch?”
Das weiß ich nicht, verſetzte Flex, das fragen
Sie einen andern.
[69]
13. Summula.
Theoda’s erſten Tages Buch.
Die Deſtillation hinabwaͤrts (dest. per de-
scens.) wie der Doktor den Grabenfall nannte,
brachte manches Leben in den Abend. Er ſelber
behielt alles an, und war ſein Selbſt-Trockenſeil.
Nieß konnte die Einſamkeit der abwaſchen-
den Wiedergeburt zum Nachſchuͤren von neu-
em Brennſtoff fuͤr Theoda verwenden. Er ſann
nemlich lange auf treffliche Sentenzen uͤber die
Liebe, und grub endlich folgende in die Fenſter-
tafel ſeines Zimmers: „Das liebende Seufzen
iſt das Athmen des Herzens. — Ohne Liebe iſt
das Leben eine Nacht in einer Mondsverfinſte-
rung; wird aber dieſe Luna von keiner Erde mehr
verdeckt, ſo verklaͤrt ſich mild die Welt, die
Nachtblumen des Lebens oͤffnen ſie, die Nachti-
gallen toͤnen, und uͤberall iſt Himmel. Theu-
dobach im Junius.”
[70]
Theoda ſchrieb eiligſt folgende Tagebuchs-
blaͤtter, um ſie den eiligen Mehlhorn noch mit
zu geben.
„Du theures Herz, wie lange bin ich ſchon
von Dir weg geweſen, wenn ich Zeit und Weg
nach Seufzern meſſe? Und wenn werd’ ich in
Dein Haus ſpringen oder ſchleichen? Gott ver-
huͤte letzteres! Ein Zufall — eigentlich ein
Fall in einen Graben — hält uns alle dieſe
Nacht in Huhl feſt; leider kommen wir dann
erſt morgen ſpaͤt in Maulbronn an; aber ich
habe doch die Freude, Deinem guten Manne
mein Geſchreibſel aufzupacken. Der Gute! Ich
weiß wohl, warum Du mir nichts von ſeiner
gleichzeitigen Reiſe geſagt; aber Du haſt nicht
Recht gehabt. Mein Vater ſetzte auf eine Stunde
den raffinirten Zuckerhut Wuͤrfel in den Wa-
gen; ſeine Weſte litt ſehr beym Umwerfen. In
ſo fern war mirs lieb, daß Dein Mann nicht
mitgefahren; wer ſteht fuͤr die Wendungen des
Zufalls? — Ich habe, Herzige, Deinen Rath
— denn in der Ferne gehorcht man leichter als
in der Naͤhe — treu befolgt, und heute faſt
[71] nichts gethan als Fragen an den Edelmann
uͤber den Dichter. Dieſer iſt ſelber — hoͤre —
bloß die beſte erſte Ausgabe ſeiner Buͤcher, eine
Prachtausgabe, wenn nicht beſſer; wenigſtens
milder, als ſeine Stachelkomoͤdien. Niemand
hat ſich vor ſeinem Auge oder Herzen zu ſcheuen.
Er lief ſchon als Kind gern auf Berge, und in
die Natur; und ſo war er auch ſchon als Kind
vor ſeinem neunten Jahre unſterblich verliebt.
Naͤrriſch iſts doch, daß man dergleichen an gro-
ßen Menſchen als ſo etwas Großes nimmt, da
man ja bey ſich und andern nicht viel daraus
macht. — Hr. v. Nieß erzaͤhlte mir eine koͤſtliche
laͤngſt abgeſchloſſne Geſchichte von ſeiner erſten
Liebe, als eines Knaben voll Zaͤrte und Gluth
und Froͤmmigkeit; ſie ſoll Dir einmal wohlthun,
wenn ich ſie Dir in Dein Wochenbett hinein
werfe. Nur machts der liebe Vater durch Mi-
nen und Worte jedem gar zu ſchwer, dergleichen
vorzutragen; — anzuhoͤren weniger, denn ich
bin an ihn gewoͤhnt — er wirft oft, wie Du ja
weißt, Eisſpitzen ins ſchoͤnſte Feuer, auf die
niemand in ganz Pira gefallen waͤre, und bringt
[72] damit den Geruͤhrteſten zum Lachen. Er nennt
unſer ewiges Sprechen uͤber unſern Dichter ein
hollaͤndiſch-langes Glockenſpiel. Freilich kennt
ihn Hr. v. Nieß nicht oder will es nicht; ſo
ſeltſam fragt er ihn an. Ich habe Dir ihn uͤber-
haupt noch nicht gemalt, ſo mag er mir denn
ſitzen auf dem Kutſchenkiſſen. Recht klug wird
man nicht aus ihm; er wirft nicht ſich, aber
das Geld weg (faſt zu ſehr) — er ſchimmert und
ſchneidet, wie der Demant in ſeinem Ringe; —
und iſt doch weich dabey, und ſtets auf der
Jagd nach warmen Augenblicken — ein Held iſt
er auch nicht, ja nicht einmal eine Heldin, vor
dem kleinſten Stachelchen faͤhrt er in die Bienen-
kappe — wie ich Dir nachher meine eigne Peruͤcke
als Beweis und Bienenkappe vorzeigen will —
uͤbrigens hat er alle nachgiebige Beſcheidenheit
des Weltmannes, der ſich auf die Vorausſetzung
ſeines Werths verlaͤßt — und dabey fein, fein
und ſonſt mehr. — Dieß iſt aber eben der
Punkt; von ſich ſpricht er faſt kein Wort, un-
aufhoͤrlich von ſeinem Jugendfreunde, dem Dich-
ter, gleichſam als waͤre ſein Leben nur die Grun-
[73] dierung fuͤr dieſe Hauptfigur. Auffallend’ iſts,
daß er nicht mit dem feurigen Gefuͤhl, wie et-
wan ich, von ihm redet, ſondern faſt ohne
Theilnahme (er berichtet bloß Thatſachen) ſo daß
es ſcheint, er wolle nur meinem Geſchmacke zu
Gefallen reden, und dabey unter der Hand fuͤr
jemand anders den Angelhaken auswerfen, als
fuͤr unſern Theudobach. Zwiſchen dieſem Na-
men, und dem meinigen find’ er etymologiſch,
ſagt’ er, nur den Unterſchied des Geſchlechts,
woruͤber ich ordentlich zuſammenfuhr, weil ich
nie darauf gefallen war. Aber, warum ſagt er
mir ſolches angenehme Zeug, da er doch ſieht,
daß er mich nur durch ein ganz fernes Herz in
Flamme ſetzt? Eilte Dein Mann nicht ſo fuͤrch-
terlich; wahrlich, ich wollte vernuͤnftig ſchreiben.
Ich ſage Dir Donnerſtags alles, wenn es auch
der Freitag widerlegt. In der Fremde iſt man
gegen Fremde (ja gegen Einheimiſche) weniger
fremd als zu Hauſe; ich fragte geradezu Hr. v.
Nieß, wie der Dichter ausſehe. „Wie ſtellen
Sie ſich ihn denn vor?” fragt’ er. „Wie die
edleren Geſchoͤpfe dieſes Schoͤpfers ſelber (verſetzt’
[74] ich). Er ſoll und wird ausſehen, wie ein nicht
zu junger Ritter der alten Zeit — vorragend
auch unter Maͤnnern. — Er muß Augen voll
Dichter- und Kriegsfeuer haben, und doch da-
bey ſolche Herzens-Lieblichkeit, daß er ſein Pferd
eben ſo gut ſtreichelt als ſpornt, und ein gefall-
nes Kindchen aufhebt, und abkuͤßt eh’ ers der
Mutter reicht. — Auf ſeiner Stirn muͤſſen oh-
nehin alle Welten ſtehen, die er geſchaffen,
ſammt den kuͤnftigen Welttheilen — Köſtlich
muß er ausſehen — Der Bergruͤcken ſeiner Naſe
— (Hier, Bona, dacht’ ich an Deinen Rath.)
Nun Sie haben ja die Naſe ſelber geſehen, und
ich gedenke das auch zu thun.”
Hierauf verſetzte Hr. v. Nieß: „vielleicht
ſollt’ er, Demoiſſelle, dieſer Geſtalt nach Maler-
Ideal haben; aber leider ſieht er faſt ſo aus
wie ich.”
Gewiß hab’ ich darauf ein einfaͤltiges Staun-
Geſicht gemacht und wol gar die Antwort gege-
ben: „wie Sie?” — Ueberhaupt ſchien meine
zu lebhafte Vorſchilderei ſeines Freundes ihn
nicht ſonderlich zu ergoͤtzen. — „Theoda und
[75] Theudobach — fuhr er fort — behalten ihre
Aehnlichkeit ſogar in der Statur; denn Er iſt ſo
lang als ich.” — „Nein, unterfuhr ich, dann
iſt er kuͤrzer als ich; eine Frau, die ſo lang iſt
als ein Mann, iſt laͤnger als ein Mann.” —
Es ſchwollen beynahe Giftblaſen mir auf, ge-
ſteh’ ich gern. Es verdroß mich das ewige Prah-
len mit der koͤrperlichen Aehnlichkeit Theudobachs
bey ſo wenig geiſtiger. Ich denke an ſeine un-
ritterliche Furcht und an meine Peruͤcke beym
Wagen-Umwurf. Er wollte ſich an meinen
Kopf anhalten, um ſeinen zu retten. Raufen
aber iſt eine eigne Weiſe, einem Maͤdchen den
Kopf zu verruͤcken. Mein Vater wird ihn mit
dieſer Perrücke, womit er in die Grube gefahren,
noch oft fegen, wie die Bedienten in Irland da-
mit die Treppen.
Freilich wars an ihn eine dumme Maͤdchen-
frage, die ich nachher gethan, wie ich Dir beich-
ten will. Aber wer denn anders? Die Leſe-
rinnen eines Dichters ſind alle ſeine heimlichen
Liebhaberinnen — die Juͤnglinge werdens mit
Dichterinnen auch nicht beſſer machen —; und
[76] wir denken bey einem Genie, der Ehre unſeres
Geſchlechts wegen, zuerſt an die Frau, die der
große Mann uns allen vorgezogen und die wir
als die Geſandtin unſeres Geſchlechts an ihn
abgeſchickt. Auf ſeine Frau ſind wir ſogar neu-
gieriger als auf ſeine Kinder, die er ja nur be-
kommen und ſelten erzieht. Ob ich mich gleich
einmal tapfer gegen meinen Vater gewehrt, da
er ſagte, an einem Poeten zoͤgen wir den Knie-
fall dem Sylbenfall vor, ein Paar Freiersfuͤſſe
ſechs Versfuͤſſen, Schaͤferſtunden den Schaͤfer-
liedern und wären gern die Hausehre einer
Deutſchlands Ehre: ſo hatt’ er halb und halb
Recht. — Die dumme Maͤdchenfrage war naͤm-
lich: ob der Dichter eine Braut habe. — „We-
nigſtens bey meiner Abreiſe noch nicht.” verſetzte
Nieß. — „O ich wuͤßte, ſagt’ ich, nichts
ruͤhrenderes, als eine Jungfrau mit dem am
Traualtare ſtehen zu ſehen, den ſie im Namen
einer Nachwelt belohnen ſoll; ſie ſollte mir meine
heiligſte Schweſter ſeyn und ich wollte ſie lieben
wie mich.” — Wahrlich, Sie koͤnnten’s, ſagt’
er mit unnuͤtz-feiner Mine.
[77]
Schilt nicht, Clair-voyante, mein Laͤrv-
chen (mehr eine komiſche als tragiſche Maske)
gib mir keine Einbildungen, weil ich doch damit
keinem Manne gefallen kann als einen halbblin-
den, der, wie Du, nichts begehrt als ein Herz;
aber der ſollte dieſes denn auch ganz haben mit
allen Kammern und Herzohren und Flämmchen
darin und mein kleines Leben hinterd’rein.
Ich wollt’, es gaͤbe gar keine Maͤnner, ſon-
dern die göttlichſten Sachen wuͤrden von Wei-
bern geſchrieben; warum muͤſſen gerade jene
einfältigen Geſchoͤpfe ſo viel Genie haben und
wir nichts? —
Gute Nacht, meine Seele! So viel Him-
mel als nur hineingeht, komme in Dein Herz-
chen!
Th.
[78]
14. Summula.
Misgeburten-Geſchichte.
Der Wirth, der die Geſellſchaft immer hin-
ter Buͤchern und Schreibfedern ſah, vermuthete,
er koͤnne ſie als Ziehbrunnen benutzen und ſei-
nen Eimer einſenken; er brachte ein Werk in
Folio und eins in Oktav zum Verkaufe getra-
gen. Das kleinere war ein zerleſener Band
von Theudobachs Theater. Aber der Doktor
ſagte, es wäre kein Kauf fuͤr das Gewiſſen ſeiner
Tochter, da das Buch vielleicht aus einer Leih-
bibliothek unrechtmaͤßig verſetzt ſey. Auch fragt’
er ſie, ob ſie denn nicht glaube, daß in Maul-
bronn der Dichter ſelber ſie als ſeine ſo warme
Anbeterin [und] Goͤtzen-Dienerin mit einem ſchö-
nen Freiexemplare uͤberraſchen werde, das er
wieder ſelber umſonſt habe vom Verleger. Ich
komme ihn zuvor, ſagte Nieß, ich habe von
ihm ſelber fuͤnf Prachtexemplare zum Geſchenk
und gebe gern eines davon um den Preis hin,
[79] den es mich koſtet. Theoda hatte Zweifel uͤber
das Annehmen, aber der Vater ſchlug alle nie-
der und ſagte zum Edelmanne mit naͤrriſchen
Grimmaſſen: „Hr. v. Nieß, ich nehme von ſo
etwas Genießbaren Nießbrauch ſo wie von allen
koſtſpieligen Auslagen, die Sie bisher auf der
Reiſe vorſchoſſen, weil Sie vielleicht wiſſen, daß
ich ein ſchlechter Zahl- und Rechenmeiſter bin;
aber am Ende der Reiſe, hoff’ ich, ſollen Sie
mich kennen lernen.” Nieß bat Theoda in ſein
Zimmer zu folgen, wo er ihr vom Dichter viel-
leicht noch etwas Lieberes zu geben habe, als
das Gedruckte.
Er fuͤhrte ſie vor die oben gedachte Fenſter-
ſcheiben-Inſchrift. Als ſie die Theudobachiſche
Hand, und die ſchoͤnen Liebesworte erblickte, und
nun gewiß wußte, daß ſie den Boden und die
Nachbarſchaft mit ihren Helden theilend gleich-
ſam in deſſen Atmosphaͤre gekommen, wie die
Erde in die der Sonne *); ſo zitterte das Herz
vor Luſt, und die Prachtausgabe verlohr faſt
[80] gegen die Fenſter-Schrift. Nieß ſah das feuchte
Auge und hielt ſich mit Gewalt, um nicht mit
dem Bekenntniß ſeines zweyten Namens ihr ans
Herz zu fallen, aber ihre Hand druͤckte er heftig
und malte geruͤhrt den Theaterſtreich am Fen-
ſter nicht weiter aus.
Beyde gingen halb trunken zum Doktor zu-
ruͤck. Dieſer hatte eben theuer den Folioband
vom Wirthe erhandelt, naͤmlich Soͤmmerings
Abbildungen und Beſchreibungen einiger Miß-
geburten, die ſich ehemals auf dem anatomiſchen
Theater zu Kaſſel befanden. Fol. Mainz. 1791.
Nicht nur das Paar, auch der Wirth ſah, mit
welchem Entzuͤcken er die Misgeburten verſchlang.
Da nun ein Wirth, wie jeder Handelsmann,
bey jedem Kaͤufer ungern aufhoͤrt zu verkaufen,
ſo ſagte der Wirth: „Ich bin vielleicht im Stande
einem Liebhaber mit einer der veritabelſten aus-
geſtopften Misgeburten aufzuwarten, die je auf
acht Beinen herumgelaufen:” „Wie, wo, wenn,
was?” rief der Doktor auf den Gaſtwirth ren-
nend. „Gleich!” verſetzte dieſer und ent-
ſchoß.
[81]
„Gott gebe doch, fing Katzenberger an gegen
den Edelmann ſich wendend, daß er etwas wahr-
haft Misgebornes bringt. Ich weiß nicht, haben
Sie meine de monstris epistola geleſen oder
nicht; inzwiſchen habe ich darin ohne Beden-
ken die allgemeine Gleichguͤltigkeit gegen aͤchte
Misgeburten geruͤgt, und es frey heraus geſagt,
wie man Weſen vernachlaͤſſigt, die uns am er-
ſten die organiſchen Baugeſetze eben durch ihre
Abweichungen gothiſcher Bauart lehren koͤnnen.
Gerade wie die Natur zufaͤllige Durchkreuzun-
gen und Aufgaben (z. B. zweyer Leiber mit ei-
nem Kopfe) doch organiſch aufzuloͤſen weiß, dieß
belehrt. Sagen Sie mir nicht, daß Misgebur-
ten nicht beſtehen, als widernatuͤrlich; jede mußte
einmal natuͤrlich ſeyn, ſonſt haͤtte ſie nicht bis
zum Leben und Erſcheinen beſtanden; und wiſſen
wir denn, welche verſteckte organiſche Mis- und
Uebertheile eben auch Ihrem oder meinem Be-
ſtehen zuletzt die Ewigkeit nehmen? Alles Le-
ben, auch nur Einer Minute, hat ewige Ge-
ſetze hinter ſich; und ein Monſtrum iſt bloß ein
Geſetzbuch mehrerer foͤderativen Staatskoͤrper-
Erſter Theil. 6
[82] chen auf einmal; auch die unregelmaͤßigſte Ge-
ſtalt bildete ſich nach den regelmaͤßigſten Geſetzen
(unregelmaͤßige Regeln ſind Unſinn). Eben
darum könnte aber aus Misgeburten als den
höhern Haruſpizien oder paſſiven Blutzeugen
bey geſchickter Zergliederung mehr Einſicht ge-
wonnen worden ſeyn, als durch alles Alltagsvieh,
ſobald man nur beſſer dieſe Sehroͤhre und Opern-
gucker ins Lebensreich haͤtte zu richten verſtan-
den, und wenn man uͤberhaupt, Hr. v. Nieß,
ſo ſeltene Cicerone und Zeichendeuter, die eben
gerade, wie die Wandelſterne in ihren Verfin-
ſterungen am meiſten geiſtig erleuchten, ſorgfaͤl-
tiger aufgehoben haͤtte? Wo iſt aber — mein
elendes ausgenommen — noch ein ordentliches
Misgeburtenkabinet? Welcher Staat hat noch
Preiſe auf Einliefern von monstris geſetzt, ge-
ſchweige auf Erzeugung derſelben, wie doch bey
Blumen geſchehen? Geht ein Monſtrum als
ein wahrer Solitaire der Wiſſenſchaft unter, ſo
iſt man noch gleichguͤltiger, als waͤre ein Schock
leicht zu zeugender Werkeltagsleiber an der Ruhr
verſchieden. Wer kann den aber eine Misgeburt,
[83] die ſich ſo wenig als ein Genie fortpflanzt, —
denn ſie iſt ſelber ein koͤrperliches, eine Einzig-
perle — nicht einmal ein Sonntagskind, ſon-
dern ein Schalttagskind — erſetzen, ich bitte
jeden? Ich fuͤr meine Perſon koͤnnte fuͤr der-
gleichen viel hingeben, ich koͤnnte z. B. mit einer
weiblichen Misgeburt, wenn ſie ſonſt durchaus
nicht wohlfeiler zu haben waͤre, in den Stand
der Ehe treten; und ich will Dirs nicht ver-
ſtecken, Theoda, — da die Sache aus reiner
Wiſſenſchaftsliebe geſchah, und ich gerade an der
Epiſtel de monstris ſchrieb — daß ich an Dei-
ner ſeel. Mutter waͤhrend ihrer guten Hoffnung
eben nicht ſehr darauf dachte, aufrechte Tanz-
baͤren, Affen, oder kleine Schrecken und meine
Kabinets-Prezioſen fern von ihr zu halten, weil
ſie doch im ſchlimmſten Falle bloß mit einem mon-
ſtroͤſen Eheſeegen mein Kabinett um ein Stuͤck
bereichert haͤtte; aber leider, haͤtt’ ich bey-
nah’ geſagt, aber gottlos ſie beſcheerte mir Dich
als eine Beſtaͤtigung der Lavaterſchen Bemer-
kung, daß die Muͤtter, die ſich in der Schwan-
gerſchaft vor Zerrgeburten am meiſten gefuͤrchtet,
[84] gewöhnlich die ſchoͤnſten gebaͤren. Ein Mon-
ſtrum . . . . o, du guter Wirth kommſt!
Letzterer kam an, mit dem faſt grimmig aus-
ſehenden Stadtapotheker, und dieſer mit einem
gut ausgeſtopften, achtbeinigen Doppel-Haſen,
den er wie ein Wickelkind im Arme trug und an
die Bruſt anlegte. Der Doktor ſah den Haſen
faſt mit geifernden Augen an, und wollte wie
ein Haſengeier auf ihn ſtoßen. „Ich bin — ſagte
jener und ſprang ſtirn-runzelnd ſeitwaͤrts —
Pharmazeutikus hieſiger Stadt, und habe dieſes
curiosum in Beſitz. Beſehen darf es werden,
aber unmoͤglich begriffen vor dem Einkauf. Ich
will es aber auf alle Seiten drehen, und wie es
mir gut duͤnkt; denn es iſt ſeines Gleichen nicht
im Lande oder auf Erden.” Um Verzeihung,
ſagte der Doktor, im koͤniglichen Kabinet zu
Chantilly, wurde ſchon ein ſolcher Doppel-Haſe
aufbewahrt*), der ſogar ſich an ſich ſelber, wie
an einem Bratenwender, hat umdrehen und
auf die vier Relais-Laͤufe werfen koͤnnen, um
[85] auf ihnen friſch weiter zu reiſen, waͤhrend die
vier ausgeſpannten in der Luft ausruhten und
ſelber ritten.” — „Das konnte meiner bey Leb-
zeiten auch, ſagte der Apotheker, und Ihr an-
deres einfaͤltiges Haſenſtuͤck hab ich gar nicht ge-
ſehen, und gebe nicht einen Loͤffel von meinem
darum.” Jetzt nannte er den Kaufſchilling.
Bekanntlich wurde unter dem minderjaͤhrigen
Ludwig XV der Greiſenkopf auf den alten Louis-
d’or von Ludwig XIV bloß durch den Druck ei-
nes Rades in den noch lebendigen Kinderkopf
umgemuͤnzt; worauf ſie 20 Livres ſtatt 16 gal-
ten. Fuͤr ein ſolches Geld-Kopfſtuͤck, und zwar
für ein vollwichtiges, wollte der Apotheker ſei-
nen Haſen mit 4 Loͤffeln, 2 Koͤpfen ff. herge-
ben. Nun hatte der Doktor wirklich ein ſolches
bey ſich; nur aber wars um viele Aſſe zu leicht,
nnd ihm gar nicht feil. Er bot halb ſo viel
an Silbergeld — dann eben ſo viel — dann ſtrei-
chelte er den Pharmazeutikus am duͤrren Arme
herab, um in ſeinen Heißhunger nur, wie der
blinde Angelo den Torſo, ſo den Pelz der Haſen
zu befuͤhlen, die er wie ein Kalmucke goͤttlich
[86] verehrte. — Endlich zeigte er noch ſeinen langen
Hakenſtock vor, und zog aus deſſen Scheide wie
einen giftigen Bienenſtachel, einen langen befie-
derten amerikaniſchen Giftpfeil vor, und ſagte,
dieſen Pfeil, womit der Pharmazeutikus jeden
Feind auf der Stelle erlegen koͤnnte, woll’ er
noch drein ſchenken. Bisher hatte dieſer immer
drey Schritte auf und abgethan, kopfſchuͤttelnd
und ſchweigend; jetzt trug er ohne weiteres ſei-
nen Haſenvielfuß zur Thuͤre hinaus, und ſagte
bloß: „bis morgen fruͤh ſteht viel feil ums Gold-
ſtuͤck; aber mittags katz ab!” „Es iſt mein Her-
zens Gevatter, ſagte der Wirth und ein obſti-
nater Mann, aber dabey blitz wunderlich; ich
ſage Ihnen aber, Sie kriegen eben ſo wenig
den Haſen einzupacken als den Rathhaus Thurm,
wofern Sie kein ſolches Kopfſtuͤck ausbacken; er
hat ſeinen Kopf darauf geſetzt.” — Giebts denn,
ſagte der Doktor, einen groͤßern Spitzbuben?
Ich habe freilich eins, aber es iſt zu gut, zu
vollloͤthig fuͤr ihn — doch werd’ ich ſehen.” —
„So thue, ſagte der Wirth, doch unſer Herr
[87] Gott ſein Beſtes und bringe zwey ſolche Herren
zuſammen!”
Der Poet Nieß hatte aus dem Vorfalle eine
ganze Theaterkaſſe voll Einfaͤlle und Situationen
erhoben; und auf der Stelle den Plan zu einer
komiſchen Oper entworfen, worin nichts als
Misgeburten handeln und ſingen ſollten.
[88]
15. Summula.
Haſenkrieg.
Der Doktor hatte eine unruhigere Nacht, als
irgend einer ſeiner Heilkunden, weniger weil ein
Goldſtuͤck fuͤr das Natur-Kunſtwerk zu zahlen
war, als weil daſſelbe ſehr zu leicht war. End-
lich fiel ihm gegen Mitternacht der Kunſtgriff
eines chriſtlichen Kaufmanns bey, der zu leichten
Goldſtuͤcken nicht juͤdiſch durch Beſchneidung,
ſondern vielmehr mit etwas Ohrenſchmalz, als
Taufe und Oelung, das alte Gewicht zuruͤckgab.
Er ſtand auf, und nahm ſeine Gehoͤrwerkzeuge
und gab dem Louis XIV et XV d’or, ohne
alle Rheims-Flaͤſchchen, ſo viele Salbung bis
er ſein Gewicht hatte. Fruͤhmorgens ſchickte
er durch den Wirth die Nachricht in die Apo-
theke: er gehe den Kauf ein, und werde bald
vor ihr mit ſeinen Wagen hatten. Man ant-
wortete darauf zuruͤck: „geſtern waͤr’ es zwar
[89] eben ſo gut abzumachen geweſen; aber meint-
wegen!”
Der Doktor ſann ſich viele Liſt- und Gewalt-
Mittel — d. h. Friedens-Unterhandlungen, und
Kriegsliſten — aus, um die Foͤderativ-Haſen
zu bekommen; und er war, im Falle gute Worte,
naͤmlich falſche, nichts verfingen, zum Aeußer-
ſten, zu Mord und Todtſchlag entſchloſſen;
weßhalb er ſeinen Arm mit dem giftigen Gems-
hornſtock armirte.
Vor der Apotheke befahl er, aus dem Wa-
gen ſpringend, die Thuͤre offen zu laſſen, und
ſo bald er gelaufen kaͤme, fliegend mit ihm ab-
zurennen. Er hatte ſich vorgenommen, an-
fangs dem Fuchſe zu gleichen, der ſo lange ſich
einem Haſen naͤher tanzt, bis der Haſe ſelber
in den Tanz einfaͤllt, worauf der Fuchs ihn leicht
in Todtentaͤnze hineinzieht*). Er ſtieg dann
aus — hielt ein zweykoͤpfiges Goldſtuͤck bloß
zwiſchen Mittelfinger und Daumen am Rande,
[90] um es mehr zu zeigen, und um nichts vom Fe-
lien-Golde weg zu reiben — und war jedes
Wortes gewiß, das er ſagen wollte. Er konnte
ſich aber beym Eintritte nicht viel Vortheil fuͤr
ſeine Anrede oder Benevolenz-Kaptanz von dem
Umſtande verſprechen, daß gerade das Subject*)
und der Proviſor giftigen Bilſenſamen in Moͤr-
ſer ſtampften; da nach allen Giftlehrern dieſes
Giftkraut unter dem Stoßen und Kochen den
Arbeiter unter der Hand in ein toll-erboßtes,
biſſiges Weſen umſetzt. Indeß fing er — mit
dem Goldſtuͤck in der Hand, wie ein venedi-
ſcher Sbirre mit einem auf der Muͤtze — ſein
freundſchaftliches Anreden mit Vergnuͤgen an,
weil er wußte, daß er ſtets mit der ſanften Hir-
tenfloͤte den, dem er ſie vor tauben Ohren bließ,
leicht hinter dieſelben ſchlagen konnte.
„Herr Amtsbruder, ſagt’ er, meine de mon-
stris epistola (Sendſchreiben uͤber Misgebur-
ten) kennen Sie wahrſcheinlich fruͤher, als ir-
gend ein Protomedikus und Oberſanitätsrath in
[91] ganz groͤßern Staͤdten; ſonſt hätten Sie ſich
vielleicht weniger auf Misgeburten gelegt. Ihr
Monſtrum, geſteh’ ich Ihnen gern — denn es
iſt zu ſehr gegen meine Sinnes-Art, etwas her-
ab zu ſetzen, bloß weil ich es erhandeln will —
iſt, wie Sie ſelber trefflich ſagten, ein curiosum;
in der That iſt Ihr Dioskuren-Haſe (Sie ver-
ſtehen mich leicht,) wie ein Doppel-Adler gleich-
ſam eine lebendige Sozietaͤts-Inſel, ein zuſam-
mengewachſenes Haſen tête-à-tête. Sie wiſ-
ſen alles, wenn nicht mehr. Sie ſehen aus
meinem Goldſtuͤck in der Hand, ich gebe alles
dafuͤr; waͤr’ es nur deshalb, um neben meiner
Wißbegierde noch die des Fuͤrſten im Maulbron-
ner-Bad, meines intimen dicken Freundes, zu
befriedigen; ich weiß zwar nicht, ob Sie bey ihm
dabey verlieren, daß Sie den Doppel-Haſen
fruͤher aufgetrieben und beſeſſen als ich; aber
ich weiß, daß Sie dabey gewinnen, und daß ich
ihm ſagen werde, wie Sie ſich ſchreiben, und
daß nur Sie mir die Haſen abgelaſſen.”
„Ich will jetzt das Goldſtuͤck waͤgen,” verſetzte
der Apotheker, und gab das Haſenpaar dem Pro-
[92] viſor hin, der es mit vorfechtenden Blicken als
Schutzheiliger auf- und abtrug. — Das Sub-
ject ſtieß feurig fort und ſott ohne Noth in eig-
nen Augenhoͤlen ſeine Eiweiß-Augen krebs-
roth. — Der Prinzipal ſtand im feuernden
Krebs als Sonne, und zitterte vor Haſt, als
er die Goldwage hielt. — Die ganze Apotheke
war die Sakriſtey zu einer ſtreitenden Kirche. —
Katzenberger aber zeigte ſich mild und ſchien
als kalte Sonne im Steinbock.
„Mein Gott, ſagt’ er, da es etwas in die
Hoͤhe ging — iſt wohl uͤberwichtig; denn Sie
halten nicht feſt genug und ſo fliegts auf und
ab.” —
— [...] „Wenn nicht Harn d’ran iſt, der’s ſchwer
macht”, ſagte der Apotheker und beroch’s; wor-
auf er das Goldſtuͤck Verſuchsweiſe ein wenig
am Oberrocks-Futter zu ſcheuern begann. Aber
der Doktor fing ſeine Hand, damit er nicht die
auf die Goldmuͤnze aufgetragne Schaumuͤnze
wegfeile, und ſagte ihm frey heraus: „er halte
ihn zwar fuͤr den ehrlichſten Mann in der gan-
zen Apotheke, aber er koͤnne deßhalb doch nicht
[93] vergeſſen, daß in verſchiedenen Leipziger und
Frankfurter Meſſen, Juden geſtanden, welche
ein feines Reibeiſen im Unterfutter eingenaͤht
getragen, womit ſie unter dem Vorwande der
Reinigung von den beſten Fuͤrſten d’or Goldſtaub
abgekratzt, und dann mitgenommen.“
„Fremder Herr! Mordieu! Ihr Geld (ſagte
der Mann) wird ja immer leichter, je laͤnger ich
wiege. — Ein Aß um’s andre fehlt.“
„Wir wollen beyde nichts daraus machen,
Hr. Amtsbruder — ſagte der Doktor, und klopfte
auf deſſen ſpitze Achſel — ſondern als aͤchte Freunde
ſcheiden, zumal da man hinter uns Bilſenſamen
ſtampft; Sie kennen deſſen Einfluß auf Schlaͤ-
gereien, in denen ohnehin jeder Karakter, wie
eine Sommerkrankheit, leicht einen gewiſſen
bilioͤſen oder gallichten Karakter annimmt. Wir
beide nicht alſo!“
„Sacker, zehnmal zu leicht! (rief der Apo-
theker die Goldwage hoch uͤber den Kopf haltend)
An keinen Haſen zu denken!“
Aber der Doktor hatte ſchon daran gedacht;
denn er hatte den aufs Geſpraͤch horchenden
[94] Proviſor mit dem Schnabelſtocke, den er als ein
Kammrad in deſſen Zopf eingreifen laſſen, ruͤck-
waͤrts auf den Boden wie in einen Sarg nieder-
gelegt, und ihm im Umwerfen die Misgeburt
aus der Hand gezogen.
Wie ein Krebs trat er den Ruͤckzug an, um
mit den Gemshornſtock vorwaͤrts in die Apotheke
hinein zu fechten. Der Landſturm darin orga-
niſierte ſich bald. Wuͤthig warf ſich der Provi-
ſor herum, und empor und feuerte (er konnte
nicht wählen) mit Kraͤuterſaͤckchen, Kirſchkern-
ſteinen, die erſt zu extrahiren waren, mit alten
Oſtereyern voll angemahlter Vergißmeinicht dem
Doktor auf die Backenknochen. — Der Apothe-
ker hatte erſtaunt das Goldſtuͤck fallen laſſen und
ſucht’ es unten mit Grimm. — Das Subjekt
ſtocherte mit dem Stoͤßel bloß auf dem Moͤrſer-
rand und drehte ſich ſelber faſt den Kopf ab, um
mehr zu ſehen. —
Unten ſchrie der gebuͤckte Apotheker: „greift
den Haſen, greift den Hund!“ „Nur auf ein
ruhiges Wort, meine Herren! rief Katzenber-
ger ausparierend. Das Bilſenkraut erhitzt uns
[95] alle, und am Ende muͤßte ich hier gar als Artzt
verfahren und dagegen rezeptiren und geben, es
ſey nun, daß ich dem Pazienten, der zu mir
kaͤme, entweder das Gemſenhorn meines aͤſkulapi-
ſchen Stabs als einen kuͤhlenden Blutigel auf
die Naſenfluͤgel wuͤrfe, oder dieſe ſelber damit
aufſchlitzte, um ihm Luft zu machen, oder das
Horn als einen fluͤchtigen Gehirnbohrer in ſeine
Kopfnath einſetzte. — — Aber den Haſen be-
halt’ ich, Geliebte!
Nun ſtieg die Kriegslohe gen Himmel. Der
Apotheker ging auf ihn mit einer langen Pa-
pierſcheere los, ſie, wie ein Hummer die ſeinigen,
aufſperrend; — Katzenberger indeß hob ihm
bloß mit dem Skalpier-Stock leicht eine Vor-
ſtecklocke aus, — Der Proviſor ſchnellte eine der
feinſten chirurchiſchen Splitterſcheeren ab, die
zum Gluͤck nur in den langen Aermel weit hin-
terfuhr. — Katzenberger aber ließ auf ihn durch
den Druck einer Springfeder ſein Gemſenhorn,
woran noch die Vorſtecklocke des Vorgeſetzten
hing, abfahren, und ſchoß damit die ganze linke
Bruſtwarze des Proviſors zuſammen, wiewol
[96] die Welt, da er mit ihr nichts ſaͤugte, dabey
weniger verlor, als er ſelber. — Das Subjekt
hielt im Nachtrabe den Stoͤßel in die Luͤfte auf-
gehoben und drohte nach Vermoͤgen. — —
Aber jetzt erſah der Pharmazeutikus den
langen amerikaniſchen Giftpfeil nakt vorſtechend,
und wollte hinter den Subjekts-Hintergrund
zuruͤck. „Um Gottes Willen, Leute, rief der
Doktor, rettet euch — ſpringt insgeſammt zuruͤck
— auf wen ich dieſen Giftpfeil zu werfe, der
faͤllt auf der Stelle todt nieder, eh’ er nur mei-
nen Steiß erblickt.“
Da der Menſch ſtets neue Waffen und Ge-
fahren mehr ſcheut als die gefaͤhrlichſten be-
kannten: ſo ging die ganze pharmazeutiſche Fecht-
ſchule ruͤckwaͤrts; und der Doktor ohnehin, bis
er auf dieſe Weiſe mit ſeinem Haſen, und dem
zielenden Wurfſpieß und ſeinem Ruͤcken an den
Fußtritt ſeines Wagen gelangte. Darauf fiel
zwar die erhitzte Apotheke wieder von Ferne
aus. — Der Apotheker begleitete den Siegs-
wagen wie einen roͤmiſchen mit Schimpfworten,
der Proviſor ſchleuderte praͤparirte Glaͤſer voll
[97] Kuͤhltraͤnke dem Haſendiebe nach und zerrte vor
Wuth, um die Bruſtwarze und Splitterſcheere
gebracht zu ſeyn, mit beyden Zeigefingern die
beyden Mundwinkel bis an den Backenbart aus-
einander, um allgemeines Grauſen auszubrei-
ten — und das Subject hieb in der Weite mit
der Moͤrſerkeule heftig in das Stein-Pflaſter
und kegelte noch mit den Fuͤßen Steine nach;
inzwiſchen Katzenberger und die Haſen fuhren
ab, und er lachte munter zuruͤck.
So aber, ihr Menſchen, ſchnappen öfters Kriegs-
Troubeln paſſabel ab, und am Friedensfeſte ſagt
der eine: ich bin noch der Alte und wie neuge-
boren — und der zweyte: verflucht! wir leben
ja ordentlich wieder auf — und der dritte: ich
haͤtte mehr wiſſen ſollen, ich haͤtte mich weniger
gefuͤrchtet; denn mein Herz ſitzt wol auf dem
rechten Fleck — und der vierte: aber die Haſen
haben wir doch in dieſem Kriege verloren.
Erſter Theil. 7
[98]
16. Summula.
Ankunfts-Sitzung.
Niemand fuhr wol jemals froher mit Haſen
als Katzenberger mit ſeinem. Es war ihm ein
Leichtes und ein Spaß, mit ſeiner Misgeburt
im Arm jedes Wort auszudauern, das Nieß von
erſter Jugendliebe, dem Fruͤhgottesdienſt gegen
weibliche Goͤttinnen, und von Theudobachs ſee-
ligmachendem Glauben an dieſe ihm an die Oh-
ren warf; denn er wußte, was er hatte. Suͤß-
lich durchtaſtete er den Haſen-Zwilling, und
weidete ihn geiſtig aus. Seinem Kutſcher be-
fahl er, jetzt am wenigſten umzuwerfen, weil
er ſonſt die Haſen bezahlen muͤßte, und nachher
aus dem Dienſt gejagt wuͤrde ohne Livrei.
Nun ſchlug er der Geſellſchaft, eigentlich
dem Edelmanne die Frage zur Abſtimmung vor,
ob man ſchon die naͤchſte Nacht ſehr ſpaͤt in Maul-
bronn anlangen wolle, oder lieber in Fug-
nitz verbleiben, der Zaͤckinger Grenzſtadt we-
[99] nige Stunden von Maulbronn. Theoda beſtand
auf ſchnelle Ankunft; ſie wollte wenigſtens mit
dem ſchlafenden Dichter in demſelben gelobten
Lande und unter Einer Wolke ſeyn. Der Edel-
mann ſagte; er habe den eigennuͤtzigen Wunſch,
erſt morgen anzukommen, weil ein Wagen
enger vereinige als ein Baddorf. Die heimli-
chern Gruͤnde ſeines Wunſches waren, am Tage
vom Thurm herab mit dem Bade-Staͤndchen
angeblaſen zu werden — ferner ſich den Genuß
des Inkognito’s und das Hineinfuͤhlen in Theo-
das wachſende Herzens-Spannung zu verlaͤn-
gern — und endlich um mit ihr Abends durch
das gewachſene Mondlicht ſpatzieren zu wa-
ten. Der Doktor ſchlug ſich mit Freuden zu
ihm; Nieß trug mit dichteriſcher Großmuth die
Frachtkoſten fuͤr ihn und kuͤrzte aus dichteriſcher
Weichlichkeit alles Reiſe-Gezaͤnk durch Doppel-
Gaben ab, um auch die kleinſten Himmelsſtuͤr-
mer von ſeinen Freuden-Himmel fern zu halten.
„Ohnehin — ſagte der Doktor — muͤſſ’ er in
Fugnitz eine neue Scheide fuͤr ſeinen gefaͤhrli-
chen Giftpfeil machen laſſen; und er reiſe ja
[100] uͤberhaupt nur nach dem Bad-Neſte, um da
einen unreifen Rezenſenten, den er nicht eher
nenne, bis er ihn injurirt habe, auf die Weiſe
zu verſuͤßen, wie man nach D. Darwin unreife
Aepfel ſuß mache, naͤmlich durch Zerſtampfen;
wiewol er ſich beym Manne nur auf Pruͤgel eine
ſchraͤnke.
[101]
17. Summula.
Station.
Ihr Wirthshaus war ein Poſthaus, und zwar
gluͤcklicherweiſe fuͤr den Doktor. Denn waͤh-
rend der Poſthalter ſich mit der Misgeburt ab-
gab: fand jener Gelegenheit einen dicken un-
frankirten Briefwuͤrfel, an ſich uͤberſchrieben,
ungeſehen einzuſtecken als Selbſt-Brieftraͤger.
„Warum, ſagt’ er ſich, das wichtige Paquet
einen gefaͤhrlichen Umweg zu mir hin und her
machen ſoll, dieß ſeh’ ich nicht recht. Noch dazu
will ich den unſchuldigen Poſthalter nicht im Ge-
ringſten zur Rede ſtellen, wenn er mir den Brief
nicht ſchickt.”
Im Ganzen bewahrte er ſich durch einen ge-
wiſſen Egoismus vor allem Nepotismus. Eigent-
lich iſt jede Menſchenliebe, ſobald ſie auf beſon-
deres Begluͤcken, nicht auf ruhiges Liebhaben
anderer ausgeht, vom Nepotismus wenig un-
terſchieden, da alle Menſchen ja, von Adam her,
[102] Verwandte ſind. Daher auch Maͤnner in ho-
hen Poſten den Schein eines ſolchen Nepotis-
mus gegen adamitiſche Verwandte ſo ſehr fliehen.
Uebrigens laͤſſet gerade dieſe Verwandſchaft von
Jahr zu Jahr, mehr ruhige kalte Behand-
lung der Menſchen hoffen; denn mit jedem Jahr-
hundert, das uns weiter von Adam entfernt,
werden die Menſchen weitlaͤuftigere Anverwandte
von einander, und am Ende nur kahle Namens-
vettern.
[103]
18. Summula.
Maͤnnike’s Seegefecht.
Um den Leſer nicht durch zu viel Ernſt und
Staats-Geſchichte zu uͤberſpannen, moͤge ein un-
bedeutendes Seegefecht, im Staͤdtchen Hoͤf-
lein, wo die Pferde Veſperbrod und Veſper-
waſſer bekamen, hier eine kurze Unterbrechung
gewaͤhren duͤrfen, ohne dadurch den Ton des
Ganzen zu ſtoͤren.
Der Waſſerſpringer Maͤnnike hatte naͤm-
lich den ganzen Höfleiner Adel und Poͤbel auf
die Bruͤcke des Orts zuſammengeladen, damit
beyde ſaͤhen, ob er auf dem Waſſer ſo viel ver-
möchte und gewaͤnne, als die Britten-Inſel,
dieſe Untiefe und Klippe des ſtrandenden Euro-
pas. Der Springer, der ſo wol bemitleidet
als bewundert zu werden wuͤnſchte, und der un-
ten im Naſſen recht in ſeinem Elemente ſeyn
wollte, hatte dem Staͤdtchen verſprochen, im
Waſſer Taback zu rauchen, mit einem Schiebe-
[104] karren zu fahren, anderthalb Klafter hoch Freu-
denwaſſer wie Freudenfeuer zu ſpeien wie ein
Flußgott von Stein, und dann im Strome noch
groͤßere Kunſtſtuͤcke fuͤr morgen der erſtaunten
Bruͤcke zu verſprechen.
Die Reiſegeſellſchaft, die Pferde ausgenom-
men, begab ſich gleichfalls auf die Bruͤcke und
machte gern einer herfliegenden gebratenen Taube
den Mund auf.
Der Waſſerſpringer that in der That, ſo
weit Nachrichten reichen, das Seinige und den
Ritterſprung vom Gelaͤnder ins Waſſer zu erſt
und ſtahl ſich in viele Herzen. Inzwiſchen ſtand
auf der Bruͤcken-Bruͤſtung ein laͤngſt in Hoͤf-
lein angeſeſſener Hallore aus Halle, der mehr-
mals murmelte: die Peſtilenz uͤber den Hall-
purſch! Er wollte ſich wahrſcheinlich in ſeiner
Sprache ausdruͤcken und ſich ſo Luft verſchaffen,
da er durch den Nebenbuhler unten im Waſſer,
ſo lange auf dem Gelaͤnder gelitten. Katzen-
berger neben ihm zeigte mit dem Finger wech-
ſelnd auf Maͤnnike und den Halloren, als woll’
er ſagen: Pavian, ſo ſpring nach! Endlich
[105] hielt er es auch nicht mehr aus — ſondern warf
ſeinen halben Habit hinter ſich, die Leder-Kappe
— fuhr wie ein Stechfinke auf das Finken-
Maͤnnchen in ſeinem Waſſergehege — und machte
den Sprung auf Maͤnnike’ns Schienbeine her-
unter, als dieſer eben zuruͤckliegend ſein Freu-
denwaſſer aufwaͤrts ſpie, und den offnen Him-
mel im Auge, anfangs gar nicht wußte, was er
von der Sache halten ſollte, vom Kerl auf ſei-
nen Beinen. Aber ſein Nebenmann und Bad-
gaſt zuͤndete eilig Licht in ſeinem Kopf an, in-
dem er letztern bey den Haaren nahm und ſo
— die Fauſt ſollte den Raufdegen oder Raufer
ſpielen — geſchickt genug das Luſttreffen einlei-
tete. Denn da dieſe neue Seemacht die Knie
als Anker auf Maͤnnike’ns Bauchfell auswarf
und zufoͤrderſt die Zitadelle der Feſtung, naͤm-
lich den Kommandanten d. h. deſſen Kopf beſetzt
und genommen hatte: ſo mußte ſich fuͤr jedes
Herz auf der Bruͤcke ein anmuthiges Vesper-
turnier anfangen, oder eine fluͤchtige republi-
kaniſche Hochzeit, folglich deren Scheidung auf
dem naſſen Wege. In der That pruͤgelte jeder
[106] von beyden den andern genug — keiner konnte
im lauten Waſſer ſein eignes Wort hoͤren, ge-
ſchweige Vernunft, nicht nur nach Lebensluft
des Lebens, ſogar nach Ehren-Wind der Fama
mußten beyde ſchnappen — die ſchoͤnſten Tha-
ten und Stoͤße entwiſchten der Geſchichte. Gluͤck-
licher Weiſe ſtieß der Hallore und Fluß-Mi-
neur unten auf den Schiebkarren, womit Män-
nike als auf einem Triumphkarren vor wenigen
Minuten, wie ein glaͤnzender Waſſermann oder
waͤſſriges Meteor gefahren war, und ſich von
der Bruͤcke hatte mit Lob beregnen laſſen. —
Der Hallore faßte den Vorſpringer, und ſtuͤlpte
ihn ſo abgemeſſen auf den Karrn, daß deſſen
Geſicht aufs Rad hinausſah, und die beyden
Beine mit den Zaͤhen auf die Karren-Gabel
feſt geheftet lagen. So ſchob er den verdienten
Artiſten ans Ufer hinaus, wo er erwartete, was
die Welt zu ſeiner Fiſchgerechtigkeit, Fiſcher zu
fangen, ſagen wuͤrde.
Die Freude war allgemein, Hr. Männike
wuͤnſchte waͤhrend derſelben auf dem terminiren-
den Teller Bruͤckenzoll im ſchoͤnern Sinne ein-
[107] zufodern; aber die Hoͤfleiner wollten wenig ge-
ben. Der Doktor nahm ſich der Menge an,
und ſagte: „Mit Recht! Jeder habe wie Er
bloß dem guten eingepfarrten anſaͤßigen Hallo-
ren, der’s umſonſt gethan, zugeſehen, weiter
keinem; am wenigſten Herrn Männike, dem
ſpätern Nebenregenbogen des Hallenſers. Ich
ſelber, beſchloß er, gebe am wenigſten, ich bin
Fremder.“ Da nuu das Wenigſte Nichts iſt;
ſo gab er nichts und ging davon; — und der
Ketzer-Glaube, gratis zugeſehen zu haben,
fraß auf der Bruͤcke auffallend um ſich.
[108]
19. Summula.
Monds-Beluſtigungen.
Auf der kurzen Fahrt nach Fugnitz wurde ſehr
geſchwiegen. Der Edelmann ſah den nahen Lu-
nens Abend mitten im Sonnenlichte ſchimmern
und der Mondſcheiu mattete ſich aus dieſer
Seelen-Ferne geſchauet, zu einem zweyten
zaͤrtern ab. Theoda ſah die niedergehende
Sonne an und ihr Vater den Haſen. Die ſtille
Geſellſchaft hatte den Schein einer verſtimmten;
gleichwol bluͤhte hinter allen äußern Knochen-
Gittern ein voller haͤngender Garten. Woher
kommts, daß der Menſch — ſogar der ſelber,
der in ſolchen Dunkel uͤberwoͤlbter Herzens-
Paradieſen ſchwelgt und ſchweigt — gleichwol
ſo ſchwer Verſtummen fuͤr Entzuͤcken hält, als
fehle nur dem Schmerz die Zunge, als thue
blos die Nonne das Geluͤbde des Schweigens,
nicht auch die Braut, und als geb’ es nicht eben
ſo gut ſtumme Engel wie ſtumme Teufel?
[109]
Im Nachtquartiere trafs ſichs fuͤr den Edel-
mann ſehr gluͤcklich, daß in die Fenſter der nahe
Gottesacker mit getuͤnchten und vergoldeten
Grabmaͤhlern glaͤnzte, von Obſtbaͤumen mit
Zauberſchatten und vom Mond mit Zauberlich-
tern geſchmuͤckt. Es wurd’ ihm bisher neben
Theoda immer wohler und voller ums Herz;
gerade ihr Scherz und ihr Ungeſtuͤm, womit ihre
Gefuͤhle wie noch mit einer Puppen-Huͤlſe aus-
flogen, uͤberraſchten den Ueberfeinerten und
Verwoͤhnten; und die Naͤhe eines entgegengeſetz-
ten Vaters hob mit Schlagſchatten ihre Lichter;
denn er mußte denken: wem hat ſie ihr Herz zu
danken, als allein ihrem Herzen? — Haͤtte er
die Erfahrung der Soldaten und Dichter nicht
gehabt, zu ſiegen wie Caͤſar, wenn er kaͤme,
und — geſehen wuͤrde, oder gar gehoͤrt, —
wie denn ſchon am Himmel der Liebesſtern
ſich nie ſo weit vom dichteriſchen Sonnen-
gott verliert, daß er in Gegenſchein oder Ent-
gegenſetzung mit ihm geriethe —; waͤre dies
nicht geweſen, Nieß wuͤrde anders prangen in
dieſer Geſchichte.
[110]
Im Fugnitzer Wirthshaus gerieth er mit
ſich in folgendes Selbſtgeſpraͤch: „Ja, ich wag’
es heute, und ſag’ Ihr alles, mein Herz und
mein Gluͤck. — Blickt ſie neben mir allein in
den ſtillen Mond und auf die Graͤber, und in
die Bluͤten: ſo wird ſie das Wort meiner Liebe
beſſer verſtehen; o dann ſoll das reine Gemuͤth
den Lohn empfangen und der geliebte Dichter
ſich ihm nennen. Wenn ſie aber Nein ſagte?
Kann ſie es denn? Geb’ ich ihr nicht meinen
Stand und alles und mein Herz? Und biſt
du denn unwerth, du armes Herz? Schlaͤgſt
du nicht fuͤr fremde Freuden und Leiden ſtark?
Und noch niemand hab’ ich ungluͤcklich machen
wollen. Nicht ſtark genug iſt mein unſchuldiges
Herz, aber ich haſſe doch jede Schwaͤche und
liebe jede Kraft. O waͤren [nur] meine Ver-
hältniſſe anders und haͤtt’ ich meine See-
lenzwecke erreicht; ich wollte leicht trotzen und
ſterben. Woraus ſchoͤpft ich denn meinen „Rit-
ter groͤßerer Zeit“ als aus meiner Bruſt? Mei-
netwegen! ſagt ſie doch Nein und verkennt mich
und liebt nur den Autor, nicht den Menſchen:
[111] ſo beſtraf’ ich ſie im Badort und nenne mich —
und dann verzeih’ ich ihr doch herzlich.“
Er ſchlug daher, als das Glück die Gabe ver-
doppelt, naͤmlich den Doktor ausgeſchickt hatte,
Theoda’n den Nachtgang ins rechte Nachtquar-
tier der Menſchen, in den Gottesacker vor. Sie
nahm es ohne Umſtände und Ausfluͤchte an; ſo
gern ſie lieber ihre heutige Herzens-Enge nur
einſam ins Weite getragen haͤtte; Furcht vor
böſen Maͤnnern vorher und vor boͤſen Zungen
nachher war ihr ungewohnt. Als nun beyde im
Monds-Helldunkel und im Kirchhofe waren, und
Theoda heute beklommener als je fortſchritt,
und ſie vor ihm mit dem neuen Ernſte (einem
neuen Reitze) dem alten Scherze den weichen
Krantz aufſetzte und als er den Mond als eine
Leuchtkugel in ihre Seelen-Veſte warf, um zu
erſehen und zu erobern: ſo hoͤrt er deutlich, daß
hinter ihm mit etwas andern geworfen wurde.
[Er] ſchauete ſich um, und ſah gerade bey dem
Gitter-Pfoͤrtchen einige Todtenkoͤpfe ſitzen und
gaffen, die er gar nicht beym Eintritte geſehen
zu haben ſich entſinnen konnte. Inzwiſchen je
[112] oͤfter er ſich umkehrte, deſto mehr erhob ſich die
Schaͤdelſtaͤtte empor. Sehr gleichguͤltige und
verdruͤßliche Geſpenſter-Gedanken wie dieſe,
bringen um den halben Flug, und Nieß ſenk-
te ſich.
Katzenberger — von dem kam alles — hatte
ſich naͤmlich laͤngſt in unſchuldiger Abſicht auf
den Gottesacker geſchlichen, weniger um Ge-
fuͤhle als um Knochen einzuſammeln, das einzige,
was der Menſchenfreſſer, der Tod, ihm zuwarf un-
ter den Tiſch. Zufaͤllig war das Beinhaͤuschen,
worin er aus einem Knochen-Florilegium ein
kompletes Gerippe auszuheben arbeitete, am
Eingangs-Gitterpfoͤrtchen gelegen und hatte
mehr den Schein eines großen Mauſoleums
als eines kleinen Gebeinhauſes. Katzenberger
hörte das dichteriſche Eingehen und bekannte
Stimmen, und er ſah durchs Gitter alles und
erhorchte noch mehr. Die Natur und die Tod-
ten ſchwiegen, nur die Liebe ſprach, obwohl
keine Liebe zur andern. Fuͤr den wiſſenſchaft-
lichen Katzenberger, der eben mitten unter der
ſcharfen Einkleidung des Lebens wirthſchaftete,
[113] war daher der Blick auf Nießen, der, wie der
Doktor ſich in einem bekannten Briefe aus-
druͤckte, „ſeinen Kopf, wie ein reitender Jaͤger
den Flintenlauf, immer gen Himmel gerichtet an-
haͤngen hatte,“ kein ſympathetiſcher Anblick, ob-
wohl ein antipathetiſcher. Bey ihm wollte das
Wenige, das Nieß uͤber Todte und vermählte
Herzens-Paradieſe auf dem Wege hatte fallen laſ-
ſen, ſich wenig empfehlen. Vor allem Warmen uͤber-
lief gewoͤhnlich des Doktors innern Menſchen
eine Gaͤnſehaut; kalte Stichworte hingegen rie-
ben wie Schnee ſeine Bruſt und Glieder warm
und roth. Uebrigens verſchlang ſich ſeine Seele
ziemlich mit der Nießiſchen, ſo wie der Werboffi-
zier bey dem Rekruten ſchlaͤft, und immer einen
Schenkel oder Arm auf ihn legt, um ihn zu be-
halten im Schlafe. Er nun hatte die Koͤpfe
und Ellenbogen am Pfoͤrtchen angehaͤuft. —
Endlich ließ er gar ein rundes Kinderkoͤpfchen
nach dem Dichter laufen als nach ſeinem Kegel-
koͤnig. Aber hier nahm Nieß aus uͤbermaͤßiger
Phantaſie Reißaus, und ſchwang ſich auf einen
nahen Birnbaum, an der niedern Gottesacker-
Erſter Theil. 8
[114] mauer um allda — weil das Knochenwerk als
Floßrechen und geſtachelter Heriſſon die Pforte
verſperrte — ins Freie zu ſehen und zu ſpringen.
Umſonſt rief die uͤber ſeinen Schrecken erſchrokne
Theoda bange nach, was ihn jage, ihr Vater
ſammle nur Skelette. Nun trat der Doktor ſel-
ber aus ſeinen Schießſcharten heraus, ein wohl-
erhaltenes Kindergerippe wie eine Bienenkappe
auf den Kopf geſtuͤlpt, und begab ſich unter den
Birnbaum, und ſagte hinauf: „am Ende ſind
Sie es, die ſelber droben ſitzen, und wollen den
Gottesacker und die Landſchaft beſſer uͤberſehen?“
Aber Nieß laͤngſt verſtaͤndigt — war während
des Perorierens des Doktors ſchon um die Mauer
herum, und durch das Pfoͤrtchen zuruͤckgerannt
und erfaßte jetzt, mit zwey aufgerafften Arm-
knochen in Haͤnden, hinten den Doktor an den
Achſelknochen, woruͤber er die bleichen ragen ließ,
mit den Worten: „ich bin der Tod, Spoͤtter!“
Katzenberger drehte ſich ſelber ruhig um; da
lachte der Poet ungemein, mit den Worten:
„nun ſo haben wir beyde unſern luſtigen Zweck
einer kleinen Schreckens-Zeit verfehlt; nur aber
[115] Sie zu erſt!“ — „Ich fuͤr meine Perſon fahre
gern zuſammen — verſetzte der Doktor — weil
Schrecken ſtärkt, indeß Furcht nur ſchwaͤcht. In
Hallers Phyſiologie *) und uͤberall koͤnnen Sie
die Beyſpiele zuſammen finden, wie durch bloßen
ſtarken Schrecken — weil er dem Zorne aͤhnlich
wirkt — Laͤhmung, Durchfall, Fieber gehoben
worden, ja wie Sterbende durch auffliegende
Pulverhaͤuſer vom Aufflug nach dem Himmel ge-
rettet worden und wieder auf die Beine ge-
bracht —; und ganze matte Staaten waren oft
nur zu ſtaͤrken durch Erſchrecken. Furcht hin-
gegen, Hr. v. Nieß, iſt wie ihre Leibeserbin
und Verwandte, die Traurigkeit, nach
demſelben Haller und den naͤmlichen andern,
wahres Laͤhmungs-Gift fuͤr Muskeln und Haut,
Hemmkette des umlaufenden Bluts, macht Wun-
den, die man ſich durch eigne Tapferkeit oder
von fremder geholt, erſt unheilbar, und uͤber-
haupt leicht toll, blind und ſtumm. Es ſollte
mir daher leid thun, wenn ich Sie mit meinen
Verſuchen in Furcht anſtatt in Schrecken und
[116] Zuſammenſchaudern mit Haarenbergan, geſetzt
haͤtte; und Sie werden mich belohnen, wenn
Sie mir ſagen, ob Sie gefuͤrchtet haben oder
nur geſchaudert?“ —
„Ich bin ein Dichter und Sie ein Wiſſen-
ſchafts-Weiſer; dies erklaͤrt unſern Unterſchied“
verſetzte Nieß. Theoda aber, die ihren eignen
Muth bey Maͤnnern verdoppelt vorausſetzte,
glaubte ihn gern. Aber ihr Vater hatte ſeine
Gedanken, naͤmlich ſatyriſche. — Uebrigens
gieng er ſeelig mit doppelten Gliedern (wie ein
Engliſch-Kranker), mit mehrern Koͤpfen und
Ruͤckgraden behangen, die er aus der Troͤdelbude
und Rumpelkammer des Todes geholet, nach
Hauſe.
[117]
20. Summula.
Zweyten Tages Buch.
In der Nacht ſchrieb Theoda an ihre Freundin:
„Vor Verdruß mag ich Dir vom dummen Heute
gar nichts erzaͤhlen, das ohne Menſchenverſtand
bleibt bis morgen fruͤh, wenn wir in Maul-
bronn einfahren. Denke, wir nachtlagern noch
drey Stunden davon. Himmel, wie koͤnnt’ ich
morgen dort aufwachen, und meinem Kopf aus
dem Fenſter ſtecken in die Aurora und in Alles
hinein! Aber dieſes Feindſchafts-Stuͤckchen hab’
ich bloß dem Freundſchafts-Stuͤckchen zu dan-
ken, daß Hr. v. Nieß nach mir etwas fragt, ob
ich ihm gleich meine Perſon und Seele ſo komiſch
geſchildert habe, daß er ſelber lachen mußte.
Aber ſieh’, ſo kann eine Maͤdchenſeele dem Maͤn-
ner-Poltergeiſt auch nicht unter einem Kutſchen-
himmel nahe kommen, ohne wund gezwickt zu
werden. Gib dem Teufel ein Haar, ſo biſt Du
[118] ſein, gib einem Manne eines, ſo zerrt er Dich
daran ſo lange, bis er das Haar oder den Kopf
hat. Der Bienenſtich wird ſonſt mit Honig ge-
heilt; aber dieſe Weſpen geben Dir erſt die Ho-
nigblaſe und dann die Giftblaſe. Ich wollt’, ich
waͤr’ ein Mann, ſo duellirte ich mich ſo lange, bis
keiner mehr uͤbrig waͤre, und legte einer Frau
den Degen mit der Bitte zu Fuͤßen, mich zu
erſtechen. Aber wir Weiber ſind alle ſchon ein
paar Jahre vor der Geburt verwahrloſet, und
verbraten, und eh’ wir nur noch ein halbes Na-
delkoͤpfchen von Koͤrper umhaben, ſind wir ſchon
voraus verliebt in die kuͤnftige Raͤuberbande,
und liebaͤugeln mit dem Taufpaſtor und Tauf-
pathen.
Wie viel weißt Du ſo? — Es iſt aber uͤber-
haupt nicht viel. Naͤmlich den ganzen Reiſetag
hindurch hatt’ es Theudobachs angeblicher
Freund (merke, ich unterſtreich’ es) darauf ange-
legt, mein Gehirnchen und Herzchen in allen
acht Kaͤmmerchen ordentlich gluͤhend zu heitzen
durch Anekdoten von ihm, durch Ausmahlerey
[119] unſerer dreyfachen Zuſammenkunft, und ſogar
durch das Verſprechen noch Abends vor dem
ſtillen Monde, der beſſer dazu paſſe, als das
laute Naͤderwerk, mich naͤher mit ſeinem Freunde
bekannt zu machen. Ich dachte dabey wahrlich,
er wuͤrde mich Nachts auf dem Gottesacker dem
Dichter auf einmal vorſtellen. Dazu kam Mit-
tags noch etwas Naͤrriſches. Er brachte mir
meinen Schaul mit unlesbarer Kreideſchrift be-
druckt; da er ſie aber gegen den Spiegel hielt,
ſo war zu leſen: Dein Namensvetter, ſchoͤne
Th — da, wird Dir bald fuͤr Deinen Brief zum
zweytenmale danken; worauf er mich hinab zu
einer Birke fuͤhrte, von deren Rinde wirklich er
dieſe Zeile von des Dichters Hand am Tuche ab-
gefaͤrbt hatte. Am Ende mußt’ ich gar noch
oben in ſeinem Zimmer auf den Fenſterſcheiben
eine herrliche Sentenz vom Dichter finden, die
ich Dir auf der Ruͤckreiſe abſchreiben will. Selt-
ſam genug! Aber Abends wars doch nichts;
und mein Vater brach gar mit einem Spaße
darein.
[120]
Du Klare, errietheſt nun wohl am fruͤheſten,
was Hr. v. N. bisher gewollt — nicht mich,
ſondern (was auch leichter zu haben iſt) ſich.
Er kokettirt. — Wahrlich die Maͤnner ſollten
niemals kokettiren, da unter 99 Weibern im-
mer 100 Gaͤnſe ſind, die ihnen zuflattern; in-
deß weibliche Koketterie weniger ſchadet, da die
Maͤnner als kaͤltere und gleichſam kosmopoliti-
ſche Spitzbuben ſelten damit gefangen werden,
wenn ſie nicht gar zu jung und unfluͤgge im
Neſte ſitzen. — Warlich, ein Mädchen, das
ein Herz hat, iſt ſchon halb dumm, und wie
gekoͤpft.
Der Zärtling ſteckt ſeinen Freund als Köder
an die Angel, um damit eine verduzte Grun-
del zu fangen; er, der wenn auch kein Narr,
doch ein Naͤrrchen iſt, und welcher ſchreit, wenn
ein Wagen umfaͤllt.
Gott gehab Dich wohl! Vergib mein Aus-
toben. Ich bin doch allen Leuten gut, und habe
ſelber mit dem Teufel Mitleid, ſo lang er in
[121] der Hoͤlle ſitzt, und nicht auf der Erde ſtreift.
Der weichſte Engel bringe Dich uͤber Deine
Huͤgel hinüber!“
Th.
[122]
21. Summula.
Ankunft im Badorte. — D. Strykius.
Am Morgen, nachdem der Doktor ſeine Flaſchen-
Stoͤpſel (worunter zufaͤllig ein glaͤſerner) einge-
ſteckt hatte, fuhr man heiter auf den breiten
beſchatteten, ſich durchkreuzenden Chauſſeen dem
Badorte zu, das bekanntlich im unmittelbaren
Fuͤrſtenthuͤmchen Großpolei, (jetzt aber me-
diatiſirt) liegt. Als ſie den letzten Berg hinab-
fuhren ins Maulbronn, das ein Staͤdtchen aus
Landhäuſern ſchien; und als man ihnen vom
Thurme gleichſam wie zum Eſſen bließ, ſo mußte
den drey Ankoͤmmlingen, wovon jede Perſon
ſich bloß nach ihrer Ziel-Palme ſcharf umſah,
naͤmlich:
- Die erſte, um angebetet zu werden.
- Die zweyte, um anzubeten.
- Die dritte, um aus zu pruͤgeln.
ganz natuͤrlicherweiſe die praͤludierende Bad-
Ouvertuͤre dem erſten, Nießen, als eine Famas-
[123] trompete erklingen; der zweyten, Theoda, als
ein Verwandel- oder Meßgloͤckchen zum Nieder-
fallen, und dem dritten, Katzenberger, als eine
Jagd- oder auch Spitzbubenpfeife zum Anfallen.
Wenn ſie freilich Flexen mehr als ein Vogel-
ſchwanzpfeifchen vorkam, weil ſein Herz nur ſein
Vor-Magen war, und er erſt alles von hinten
anfing, ſo iſt dieſer Einleg-Rieſe, wie man
Einlegmeſſer hat, viel zu klein, um hier ange-
ſchlagen zu werden.
Indeß zeigt dieſes widertoͤnige Quartett,
wie verſchieden dieſelbe Muſik in Verſchiedene
einwirke. Da ſie aber dieß mit allem in der Welt,
und mit dieſer ſelber gemein hat: ſo mag fuͤr ſie
beſonders der Wink gegeben werden, daß ihr
weites Aetherreich mit demſelben Blau, derſel-
ben Melodie einen Jammer und einen Jubel trage
und hebe.
Der Doktor bezog zwey Kammern in der
ſogenannten großen Badewirthſchaft, und Nieß
ihm gegenuͤber eins der niedlichſten gruͤnen Haͤu-
ſerchen.
Aber der rechte Muſik-Text fehlt vor der
[124] Hand der begeiſterten Theoda; auf der Badeliſte,
wornach ſie zu erſt fragte, erſchien noch kein an-
gelangter Theudobach. Doch hatte ſie die Freude
in der großpoleiſchen Zeitung angekuͤndigt zu le-
ſen: „Der durch mehrere Werke bekannte Theu-
dobach, habe man aus ſicherer Hand, werde
dieſes Jahr das Maulbronner Bad gebrauchen.“
Die Hand war ſicher genug, denn es war ſeine
eigne.
Der Doktor fragte, ob der Brunnenarzt
Strykius da ſey; und gieng, als man ihm ein
feines um das Brunnen-Gelaͤnder flatterndes
Maͤnnchen zeigte, ſogleich hinab.
Dieſer Strykius, ein gerader Abkoͤmmling
vom beruͤhmten Juriſten Strykius — dem er ab-
ſichtlich die lateiniſche Namens Schleppe nachtrug,
um dem deutſchen Strick zu entgehen — war be-
kanntlich eben der Rezenſent der Katzenberger-
ſchen Werke geweſen, den ihr Verfaſſer auszu-
ſtaͤupen ſich vorgeſetzt. Auf Muſenſitzen — wie
in Pira — die zugleich rezenfirende Muſenvaͤter-
ſitze ſind, iſts ſehr leicht, da alle dieſe Kollegien
unter einander kommunizieren, den Namen des
[125] apokalpptiſchen Thiers oder Unthiers zu er-
fahren; bloß in Marktflecken und Kleinſtaͤdten
wiſſen die Schulkollegen von nichts, ſondern er-
ſtaunen. Mehr als durch alle Strykiſchen Re-
zenſionen in der allg. deutſchen, oberdeutſchen
Literaturzeitung u. ſ. w. war der milde Katzen-
berger erbittert geworden, durch lange grobe
haͤmiſche und ſpaͤte Antworten auf ſeine gelehr-
ten Antikritiken. Denn den Doktor wars ſchon
im Leben bloß um die Wiſſenſchaft zu thun, ge-
ſchweige in der Wiſſenſchaft ſelber. Da er in-
deß eine unglaubliche Kraft zu paſſen beſaß: ſo
ſagte er ein akademiſches Semeſter hindurch bloß
freundlich: „ich koch’s“ und troͤſtete ſich mit der
Hoffnung, den Brunnenarzt perſoͤnlich in der
Badzeit kennen zu lernen.
Dieſe ſehnſuͤchtige Hoffnung ſollte ihm heute
erfuͤllt werden. Er traf unten an dem Brun-
nenhauſe — dem Induſtriekomptoir und Markt-
platze eines Brunnenarztes — den verlangten.
Der Brunnenarzt lief, da er mit der gewoͤhnli-
chen Neugier dieſes kuͤrzeſten Amtes, ſchon Kat-
zenbergers Namen erjagt hatte, ihm entgegen,
[126] und konnte, wie er ſagte, die Freude nicht aus-
druͤcken, dem Verfaſſer einer haematologia
und einer epistola de monstris und de rabie
canina perſoͤnlich zu hoͤren, und zu benuͤtzen,
und ihm, wo möglich, irgend einen Dienſt zu
leiſten. „Der groͤßte, verſetzte der Doktor, ſey
deſſen Gegenwart, er habe laͤngſt ſeine Bekannt-
ſchaft gewuͤnſcht.“ — Strykius fragte: „wahr-
ſcheinlich hab er ſeine ſchoͤne Tochter, als ihr be-
ſter Brunnenmedikus hierher begleitet, wenn ſie
das Bad gebrauche.“
„Nicht eines zu gebrauchen, antwortete er,
ſondern einem Badegaſte eines zu zubereiten,
und zu geſegnen, ſey er angelangt.“ — „Alſo
auch im Umgange der ſcherzhafte Mann, als den
ich Sie laͤngſt aus ihren epistolis kenne?“ Doch
Scherz bey Seite“, ſagte Strykius, und wollte
fortfahren. „Nein, dieß hieße Pruͤgel bey
Seite, ſagte der Doktor. Ich bin wirklich ge-
ſonnen einen kritiſchen Anonymus von wenig
Gewicht, den ich hier finden ſoll, aus Gruͤnden
ſo lange wir beyde, naͤmlich er und ich, es
aushalten, was man ſagt zu pruͤgeln, zu dre-
[127] ſchen, zu walken. Indeß will ich als ein Mann,
der ſich beherrſcht, nur ſtufenweiſe verfahren,
und fruͤher ſeine Ehre angreifen als ſeinen
Koͤrper.“
„Nun dieſen Scherz-Ernſt abgethan —
ſagte der Brunnenarzt ſich todtlachen wollend —
ſo verſprech’ ich Ihnen hier wenigſtens fuͤnf
Freunde des Verfaſſers der Haͤmotologie, Maͤn-
ner vom Handwerk.“
„Es ſoll mich freuen, ſagte der Doktor,
wenn einer darunter mich rezenſirt hat, weils
eben das Subjekt iſt, dem ich, wie ich Ihnen
ſchon anvertrauet, ſo viel Hirn ausſchlagen will,
als ein Menſch ohne Lebensgefahr entbehren
kann, welches, wie Sie wiſſen, bis auf zwey
Unzen ſteigt, es muͤßte denn ſeyn, daß ich aus
Liebe mich auf bloßes Einſchlagen der Hirnſchale
einzoͤge. — Wenn ſchon jener Feſtungs-Kom-
mandant jeder davonlaufenden Schildwache fuͤnf
und zwanzig aufzaͤhlen ließ, die einen Geiſt ge-
ſehen: wie viel mehr ich einer kritiſchen, die kei-
nen Geiſt in meinen Werken geſehen!
Wie?“
[128]
„Thun Sie, was Sie wollen, Humoriſt;
nur ſeyn Sie heute mit Ihrer bluͤhenden Toch-
ter mein Gaſt im großen Brunnenſaale,“ ſagte
Strykius; er fand ſeine Bitte gern gewaͤhrt,
und ſchied mit einem eiligen Handdruck, um
einen verdruͤßlichen Grafen zu antworten, der
eben geſagt: Franchement, Mr. Medecin,
ich habe bisher von dem deteſtabeln Geſoͤff nur
die Hälfte Ihrer vorgeſchriebenen Glaͤſer ver-
ſchluckt; ich verlange nun durchaus nur dieſe
Haͤlfte verordnet.“
„Gut, verſetzte er, von morgen an, duͤr-
fen Sie keck mit der bisherigen Haͤlfte fort-
fahren.“
Dieſe Antwort vernahm noch der Doktor mit
unſaͤglichem Ingrimm; er, der ſich von keinem
Fuͤrſten nur eine einzige von 1000 verordneten
Merkurialpillen haͤtte abdingen laſſen. Stry-
kius milde Hoͤflichkeit verdroß ihn mehr als die
groͤßte Grobheit gethan haͤtte, auf die er zu-
[129] folge der anonymen in den Rezenſionen ſo ge-
wiß gezaͤhlet hatte; einen rauhen, wiederhaari-
gen, ſtaͤmmigen Mann hatte er zu finden ge-
hoͤfft, dem der Kopf kaum anders zu waſchen iſt,
als durch Abreißen oder Abhaaren deſſelben,
wenigſtens einen Mann, der wie ein Teich un-
ter ſeine weißen Waſſer-Bluͤten gezaͤhnte Hechte
verbaͤrge — — aber er, ein ſo gebognes, wan-
genfettes, gehorſamſtes, unterthaͤnigſtes Zier-
Maͤnnchen, das noch niemand ein hartes Wort
geſagt, als Frau und Kindern, und gegen nie-
mand ein Elephant, als gegen Elephanten-Kaͤ-
fer und Elephant-Ameiſen! … Nichts er-
bittert mehr als anonyme Grobheit eines abge-
ſuͤßten Schwaͤchlings!
Allerdings gibt es ein oder das andere We-
ſen in der Welt, das Gott ſelber kaum ſtaͤrken
kann ohne den Tod — das ſich als ewiger Bet-
telbrief gern auf- und zubrechen, als ewiges
Friedensinſtrumment gern brechen laͤßt. — Das
eine Ohrfeige empfaͤngt, und zornig heraus-
fährt, es erwarte jetzt, daß man ſich beſtimm-
Erſter Theil. 9
[130] ter ausdruͤcke — das nicht ſo wohl zu einem ar-
men Hunde und Teufel als zu einem nieſenden,
fuͤrſtlichen mit Silberhalsband ſagt: Gott helf,
oder contentement — deſſen Zunge der ewig
gelaͤutete Kloͤppel in einer Leichenglocke iſt, wel-
che anſagt: ein Mann iſt geſtorben aber ſchon
ungeboren — Das erſt halb, ja dreyviertels
erſchlagen ſeyn will, bevor er es dem Thaͤter
geradezu herausſagt auf dem Todtenbette im
Kodizill, es ſey deſſen erklaͤrter Todfeind — das
jeder ſo oft zu luͤgen zwingen kann, als er eben
will, weil es ſich gern widerſpricht, ſobald man
ihm widerſpricht — und dem nur der Feind
gern begegnet und nur der Freund un-
gern. — —
Indem ich ein ſolches Weſen mir ſelber durch
den Pinſel und das Gemaͤlde naͤher vor das
Auge bringe: erwehr’ ich mir doch nicht eines
gewiſſen Mitleidens mit ſolchen tauſendfach ein-
geknickten Seelen, die nun Gott einmal ſo duͤnn-
halmig in die Erde geſaͤet hat; und welchen,
obwohl am wenigſten durch ſchnelles Aufſchrau-
[131] ben, doch auch nicht durch ſchweres Niederdruͤk-
ken aufzuhelfen iſt, ſondern vielleicht durch all-
maͤhliges Ermuntern und Aufwinden und durch
Abwenden der Verſuchung.
Aber an das Letzte, war bey Katzenberger
nicht zu denken. Des Brunnenarztes Sprech-
und That-Markloſigkeit neben ſeiner harten,
heißen Schreib- und Richt-Strengfluͤſſigkeit
ſetzten in ihm nun den Vorſatz feſt, den
Badarzt auf eine ausgedehnte Folterleiter von
Aengſten und Ehren-Giften zu ſetzen und
ihn erſt auf der oberſten Stufe zu empfan-
gen mit dem Pruͤgel. Strykius war der er-
ſte Patient, den er durch Heilmittel nicht
heilen wollte, ſo ſehr war er ergrimmt; und
er war entſchloſſen, ihm durch zuvor-
kommende Unhoͤflichkeiten wo moͤglich zu ei-
ner zu zwingen, und als umrollender We-
berbaum, das hin und her fliegende We-
berſchiffchen zubearbeiten. Es iſt indeß oft
eben ſo ſchwer, manche grob zu machen, als
andere hoͤflich.
[132]
Zu Hauſe ſetzte er in Strykius Namen
einen oͤffentlichen Widerruf ſeiner Rezenſio-
nen auf, den er ihn zu unterſchreiben und
herauszugeben in der Pruͤgelſtunde zwingen
wollte.
[133]
22. Summula.
Unwichtigkeiten.
H. v. Nieß lud auf Abends gegen ein unbedeu-
des Einlaßgeld die Badegeſellſchaft zu ſeinem
muſikaliſchen Deklamatorium des beſten Theudo-
bachiſchen Stuͤckes betitelt: „Der Ritter einer
groͤßern Zeit” auf Zetteln ein, die er ſchon fer-
tig gedruckt mitgebracht hatte, bis auf einige
leere Vakanz-Rahmen oder Logen, welche er
mit Inhalt von eigner Hand beſetzen wollte.
Funfzig ſolcher Zettel ließ er austheilen, und
ſagte mit inniger Liebe gegen jeden und ſich:
„warum wollt’ ich ſo vielen Menſchen aus entge-
gengeſetzten Winkeln Deutſchlands, denen ein
Buchſtabenblaͤttchen von mir vielleicht eine ewige
Reliquie iſt, und zwey geſchriebene Worte viel-
leicht mehr als tauſend gedruckte von mir, war-
um ſollt’ ich ihnen dieſe Freude nicht mit nach
Hauſe geben?”
[134]
Aber aus Liebe gegen Theoda, die dem Dich-
ter als einem Sonnengott wie eine Memnon’s
Statue zutoͤnte mit heitern Nachtmuſiken und
Staͤndchen, ſetzte er ſich nieder und ſchrieb, um
ihr den Aufſchub ſeiner Goͤtter-Erſcheinung oder
ſeines Aufgangs zu verfuͤßen, eigenhändig in
Theudobachs Namen ein Briefchen an Hr. v.
Nieß, worin er ſich ſelber als Freund berich-
tete: „er komme erſt Abends in Maulbronn an,
doch aber, hoff’ er, nicht zu ſpaͤt fuͤr den Be-
ſuch des Deklamatorium, und nicht zu fruͤh,
wuͤnſch’ er fuͤr unſre Dame.” Er ſteckte dies
Blaͤttchen in einem mit der Bad-Poſt angelang-
ten Briefumſchlag und ging zu Theoda mit ent-
zuͤcktem Geſichte. Daß er nicht log, war er
ſich bewußt, da er eben vorhatte unter dem
Vorleſen (um das Loben ins Geſicht zu hemmen)
auf zu ſtehen und zu ſagen: ach nur ich bin
ſelber dieſer Theudobach. Ehe der Edelmann
kam, hatte ſie eben folgendes ins Tagebuch ge-
ſchrieben: „Endlich bin ich da, Bona, aber nie-
mand anders (außer einige Schocke Badegaͤſte)
ſogar auf der Badeliſte fehlt Er. Bloß in der
[135] Großpoleiſchen Zeitung wird er gewiß ange-
kuͤndigt. Ich wollte, ich hätte nichts worhin-
ter ich mich kratzen könnte; aber die Ohren
muͤſſen mir lang auf der Fahrt gewachſen ſeyn,
weil ich ſo feſt vorausſetzte, der Erſte, auf den
man vor der Wagenthuͤre ſtieße, ſey bloß der
Poet. Wohin ich nur vom Fenſter herabblicke
auf die ſchoͤnən Badgaͤnge: ſo ſeh’ ich doch nichts
als den leeren Stickrahmen, worauf ihn meine
Phantaſie zeichnet, nichts als den Paradeplatz
ſeiner Geſtalt, und ſein Throngeruͤſte. Wahr-
lich ſo wird einem Maͤdchen doch ſo ein Menſch,
den man liebt, es mag nun ein Braͤutigam oder
ein Dichter ſeyn, zu jedem Geſtirn und Gebirg
gleichſam zum Augengehenk und hinter allen
ſteckt der Menſch, daß es ordentlich langweilig
wird. Man ſollte weniger nach einem Schrei-
ber [fragen], da man ja an unſeren Herrgott ge-
nug haͤtte, der doch das ganze Schreiber-Volk
ſelber geſchaffen.
Ich merke wohl, ich werde allmaͤhlig eher
toller als kluͤger; am beſten ſchreib ich Dir nichts
mehr uͤber mein Aufpaſſen, als bis der Meſſias
[136] erſchienen iſt; [d]enn ausſtreichen, was ich ein-
mal an Dich geſchrieben, kann ich aus Ehrlich-
keit unmoͤglich; ich ſage Dir ja alles, und nehme
mir kein Blatt vors Maul, warum ein Blatt
vors Blatt…”
Da erſchien Nieß und wollte ſeine eben er-
haltene Nachricht uͤbergeben. Sie empfing ihn,
in der vaterloſen Einſamkeit, mit keinem groͤ-
ßern Feuer, wie er doch gedacht, ſondern mit
einigem Maireif, der aus dem Tagebuche auf
das Geſicht gefallen war. Sofort behielt er ſeine
Selbſtbriefwechſel in der Taſche, und beſchenkte
ſie und ihren abweſenden Vater bloß mit der
Einladung, Mittags ſeine Gaͤſte, und Abends
ſeine Zuhörer zu ſeyn. Auch wunderte er ſich
innerlich ſehr, warum er nicht ſogleich darauf
gefallen, ihr das Blaͤttchen erſt an der Tafel zu
geben, und dadurch der Tafel zugleich; „ein
Briefwechſel mit dem Dichter ſelber, (dacht’ er),
muͤßte, ſollt ich denken, dem Deklamator deſſel-
ben, vorlaͤufige Ehre, und nachlaufende Zuhoͤ-
rer eintragen.”
[137]
Eben verſprach Theoda ſeinem Tiſche ſich
und ihren Vater, als dieſer eintrat, und
das Nein vorſchuͤttelte und ſagte: er habe ſich
dem Handwerksgeſellen Strykius verſprochen,
um das Band der Freundſchaft immer enger
zuſammen zu ziehen bis zum Erſticken. Das
Maͤdchen koͤnne aber thun, was es wolle.
Dieß that ſie denn auch, und blieb ihrem
Wort, und Nießen getreu. Sie ſaß naͤm-
lich, damit ich alles erklaͤre, an oͤffentlichen
Orten gern ſo weit als thunlich, von ihrem
Vater ab, als Tochter und als Mädchen;
ſie kannte ſeine Luthers-Tiſchreden. Der
Edelmann wendete dieſe Wendung ganz an-
ders: „o! ſie hat ſchon Recht, die Zarte,
dacht’ er; jetzt in Gegenwart eines Fremden,
naͤmlich des Vaters, verbirgt ſie ihre Waͤrme
weniger; neben dem einſamen Geliebten
ſcheuet die einſame Liebende jedes Wort zu
ſehr, und wartet auf fremde kuͤhlende Nach-
barſchaft; o Gott, wie errath’ ich dieß ſo
ſehr, und doch leider mich kein Hund!”
[138]
Endlich, hoff’ ich, iſt Hoffnung da,
daß Mittags gegeſſen wird in Maulbronn in
der 23ten Summel.
[139]
23. Summula.
Ein Brief.
Herr v. Nieß fuͤhrte ſeine ſchoͤne Tiſchgenoſſin
in die glänzenden Eßzirkel an eine Stelle, wo-
hin das vaͤterliche Ohr nicht langte. Der Eßſaal
war die gruͤne Erde mit einem von Laubzwei-
gen durchbrochnen Stuͤckchen Himmel dazu.
Luſtbeklommen uͤberflog Theoda mit dem ſcheuen
Auge die wallende Menge, in der weiblichen
Hoffnung, ob doch nicht zufaͤllig daraus der Ge-
hoffte auffliege. Ihre Seele quaͤlte, ſehnte ſich
immer heftiger, und immer unverſtaͤndiger, ihr
war, als muͤſſe er uͤberall gehen und ſitzen.
In dieſen Frauen-Rauſch hinein, reichte nun der
Edelmann den Brief, den Theudobach an ihn
geſchrieben. Mehr bedurfte ihre Seele nicht
um den Tiſch-Trompeten leiſe nach zu ſchmet-
tern, um das Erden-Leben fuͤr Sonnenſtern-
Leben zu halten, und um außer ſich zu
ſeyn.
[140]
Jetzt ſtanden alle Roſenknoſpen als gluͤhende
Roſen aufgebrochen da. Sie druͤckte Nießens
Hand im Feuer, und er freuete ſich daß er kei-
nen andern Nebenbuhler hatte, als ſich ſelber.
Die Neuigkeit lispelte ſich bald von ſeiner zwey-
ten Nachbarin die Tafel hinab. Nieß brachte
deswegen, da er ſchon als Freund eines Groß-
Autors Aufmerkſamkeit gewann, mehrere Sen-
tenzen, theils laut, theils gut gedreht hervor,
weil leicht auszurechnen war, wie ſie vollends
umlaufen wuͤrden, wenn er mit dem Dichter in
Eins zuſammengeſchmolzen. Die Tiſchluſtbar-
keit ſtieg zuſehends. Das Brunnen-Eſſen iſt
ungleich dem Brunnen-Trinken, die beſte Brun-
nen-Beluſtigung und ohnehin froher als jedes
andere; außer der Freyheit wirkt noch darin,
daß man da keinen andern Arbeitstiſch kennt als
den Eßtiſch, und keine Schmollwinkel als die
Badwanne.
[141]
42. Summula.
Mittags-Tiſchreden.
Aber unten am entgegengeſetzten Tafel-Aus-
ſchnitt, wo Katzenberger neben ſeinen gaſtfreien
Rezenſenten ſaß, nahm man von Zeit zu Zeit
auf den Damengeſichtern von weitem verſchiedene
Queerpfeifer-Muskel-Bewegungen und Mie-
nen-Vielecke wahr. Der Doktor hatte naͤmlich
bey der Suppe ſeinen Wirth gebeten, ihn mit
den verſchiedenen Krankheiten bekannt zu ma-
chen, welche gerade jetzt hier vertrunken, und ver-
badet wuͤrden. Strykius wußte, als ein leiſe
auftretender Mann durchaus nicht, wie er auf
Deutſch (zumal da außer dem Namen, wenig
Latinitaͤt in ihm war) zugleich die Ohren ſeines
Gaſtes bewirthen, und die der Nachbarinnen
beſchirmen ſollte. „Beym Eſſen, ſagte eine aͤlt-
liche Landjunkerin hoͤrte ſich dergleichen ſonſt
nicht gut.” — „Wenn Sie es des Ekels wegen
meinen, verſetzte der Doktor, ſo biet’ ich mich
[142] an, Ihnen noch ehe wir vom Tiſch aufſtehen,
ins Geſicht zu beweiſen, daß es rein genommen
gar keine ekelhaften Gegenſtaͤnde gebe; ich will
mit Ihnen Scherzes halber, bloß einige der
ekelhaften durchgehen, und dann Ihre [Empfin-
dung] fragen.” Nach einem allgemeinen mit weib-
lichen Flachhaͤnden unternommenen Niederſchla-
gen dieſer Unterſuchung ſtand er ab davon.
„Gut, ſagt’ er, aber dieß ſey mir erlaubt zu
ſagen, daß unſer Geiſt ſehr groß iſt, und ſehr
geiſtig und unſterblich und immateriell. Denn
wäre dieſer Umſtand nicht, ſo waltete die Ma-
terie vor, und es waͤre nicht denklich; denn wo
iſt nur die geringſte Nothwendigkeit, daß bey
Traurigkeit ſich gerade die Thränendruͤſe, bey
Zorn die Gallendruͤſe ergießen? Wo iſt das
abſolute Band zwiſchen geiſtigen Schaͤmen
und den Adernklappen, die dazu das Blut auf
den Wangen eindaͤmmen? Und ſo alle Abſon-
derungen hindurch, die den unſterblichen Geiſt in
ſeinen Thaten hienieden theils ſpornen, theils
zaͤumen? In meiner Jugend, wo noch der
Dichtergeiſt mich beſaß, und nach ſeiner Pfeife
[143] tanzen ließ, da erinner’ ich mich noch wohl, daß
ich einmal eine ideale Welt gebauet, wo die Na-
tur den Koͤrper ganz entgegengeſetzt mit der Seele
verbunden hatte. Es war nach der Auferſte-
hung (ſo dichtete ich); ich ſtieg in groͤßter Freude
aus dem Grabe, aber die Freude, ſtatt daß ſie
jetzt die Haut gelinde öffnet, druͤckte ſich bey mir,
und bey meinen Freunden, durch Erbrechen aus.
Da ich mich ſchaͤmte wegen meiner Bloͤße, ſo
wurde ich nicht roth, ſondern ſogenannt preu-
ßiſch Gruͤn, wie ein Gruͤnſpecht. — Beym
Zorn ſonderten ſaͤmtliche Auferſtandne bloß album
graecum ab. — Bey den zaͤrtern Empfindun-
gen der Liebe, bekam man eine Gaͤnſehaut, und
die Farbe von Gaͤnſe-Schwarz, was aber die
Sachſen Gaͤnſe-Sauer nennen. — Jedes freund-
liche Wort war mit Gallergießungen verknuͤpft,
jedes ſcharfe Nachdenken mit Schlucken und Nie-
ſen, geringe Freude mit Gaͤhnen. — Bey ei-
nem ruͤhrendem Abſchied floß ſtatt der Thränen
viel Speichel. — Betruͤbnis wirkte nicht wie
bey uns auf verminderten Pulsſchlag, ſondern
auf Wolfs- und Ochſen Hunger und Fieber-
[144] Durſt, und ich ſah viele Betruͤbte Leichentrunk
und Leicheneſſen zugleich einſchlucken. — Die
Furcht ſchmuͤckte mit feinem Wangenroth. —
Und feurige aber zarte Zuneigung der Ehegat-
ten verrieth ſich, wie jetzt unſer Grauſen, mit
Haarbergan, mit kaltem Schweiß und Laͤhmung
der Arme. — Ja, als.…”
Aber hier lenkte der vorſorgende Brunnenarzt
den ungetreuen Dichterſtrom durch die Frage
ſeitwaͤrts: „Artig, ſehr artig, und wie Haller,
wahrer Dichter und Arzt zugleich! — Aber Sie
haben ſich gewiß vorhin in der Wirklichkeit ſchoͤ-
ner gefuͤhlt, da Sie aufmerkſam unſern ſchoͤ-
nen Damenzirkel durchliefen?” — „Allerdings,
verſetzte er, und ich thue es auch in jeder neuen
Geſellſchaft in der Hoffnung, endlich einmal
ein Monſtrum darunter zu finden. Denn jetzt
bin ich der bluͤhende ſchwaͤrmeriſche Juͤngling
nicht mehr, der ſonſt vor jeder ſchoͤnen Ge-
ſtalt oder Bruſt außer ſich ausrief: „Rumpf ei-
ner Goͤtrin! Bruſtkaſten fuͤr einen Gott! Und
das feine Hautwarzenſyſtem, und das Malpi-
phiſche Schleimnetz und die empfindſamen Ner-
[145] venſtraͤnge darunter! O ihr Goͤtter!” — Auch
Sie wie alle Schwaͤrmer haben ſich gewiß ſonſt
nicht ſchwaͤcher ausgeſprochen; jetzt freylich wird
der Ausdruck immer lahmer. Um aber auf die
Misgeburten zuruͤck zu kommen, nach denen ich
mich hier nach den erſten Komplimente vergeb-
lich umgeſehen: ſo ſag’ ich dieß: Eine Misge-
burt iſt mir als Arzt eigentlich fuͤr die Wiſſen-
ſchaft das einzige Weſen von Geburt, und Hoch-
und Wolgeboren; denn ich lerne mehr von ihm,
als vom wohlgeborenſten Manne. Aus demſel-
ben Grunde iſt mir ein Foͤtus in Spiritus lieber,
als ein langer Mann voll Spiritus; und Embryo-
nengläſer ſind meine wahren Vergroͤßerungs-
Glaͤſer des Menſchen. — Ach wohl in jedem
von uns, fuhr er feuriger fort, ſind einige An-
ſaͤtze zu einem Monſtrum, aber ſie werden nicht
reif; mit dem Rückgrads Ende, dem Steißbein,
ſetzen wir z. B. zu einem Affenſchwanz an, und
auf dem neugebornen Kindskopfe erſcheint nach
Buffon eine hornartige Materie zu einem Ge-
hörne, nicht Gehirne, die man leider ſauber
wegbuͤrſtet; aber jeder will wahrlich nur ſeines
Erſter Theil. 10
[146] Gleichen ſehen, ohne nur im Geringſten, ſich um
die ſchon fuͤrs Auge koͤſtliche Mannigfaltigkeit zu
bekuͤmmern, welche z. B. an dieſer Badtafel
genoſſen wuͤrde, wenn jeder von uns etwas Ver-
drehtes an ſich hätte, und wenn z. B. der eine
ſtatt der Naſe einen Fuchsſchwanz truͤge, der
andere einen Zopf unter dem Kinn, der dritte
Adlerfaͤnge, der vierte ordentliche, nicht etwa
abgenutzte mythologiſche Eſelsohren. Ich fuͤr
meine Perſon, darf ich wol bekennen, ginge mit
Jauchzen vor einer misgebornen Knappſchaft
und Mannſchaft an der Spitze als verzerrter Fluͤ-
gelmann und monſtroͤſes Muſter, und wuͤrde
Gott danken, wenn ich (naͤmlich koͤrperlich) nicht
waͤre wie andere Leute, ſondern wenn auf mir
etwa Kameel und Dromedar, alſo 3 Hoͤcker zu-
gleich verkettet waͤren zur Gebirgskette, oder
wenn die Natur mir hinten eine angeborne Frau
aufgeſetzt haͤtte, ſammt 12 Fingern vorne, oder
wenn ich ſonſt mit vielen Curiosis fuͤr mich und
andere begabt waͤre, inſofern mir naͤmlich bey
dieſem lebendigen Naturalienkabinet auf mir,
mein gewoͤhnlicher mediziniſcher Verſtand ge-
[147] laſſen wuͤrde, der ſich wie eine Biene auf alle
Blumen-Monſtroſen ſetzen muͤßte und koͤnnte.
Was hat aber jetzt mein Geiſt davon, daß mein
Leib wohlgeſtaltet iſt und die gemeinſten Reitze
fuͤr Volksaugen umher ſpreitet? — Nichts hat
er, er ſieht ſich nach beſſern um. Aber ich ent-
ſinne mich noch recht gut meiner Jugend, wo
ich mehr idealiſierte und weniger auf Erden als
im Himmel wandelte, da weidete ich mich an
getraͤumten hoͤhern Misgeburten, als an einem
theuern ſchwachen Haſenpaar, das ich geſtern
gekauft; da war es mir ein Leichtes, ganze in
einander hineingewachſene Seſſionen geboren
und zu Kauf zu denken, die ich dann nach dem
Ableben leicht in einem Spiritus-Glas bewahrte
und bewegte nach Luſt — oder einen Knaben
mit einem angebornen vollſtaͤndigen fleiſchernen
Kroͤnungshabit — oder einen tafelfaͤhigen Edel-
mann mit 32 Steißen beſetzt — und doch ſind
das nicht ganz arkadiſche Traͤume. Sonſt wur-
den ja wirklich Menſchen mit lebendigen Pluder-
hoſen und Fontangen gebornen zum Abſchrecken
vor genaͤhten; warum koͤnnte nicht unſern Zeiten
[148] der Fang zufallen, daß ihnen das Gluͤck einen
Incroyable mit pulſirenden Hutkrempen und
Schnabelſtiefeln, und fleiſchernen Crawatten-
Zacken beſcherte, frag’ ich?”
Der Brunnenarzt ſchwitzte, waͤhrend er prieß,
mehrere Schweiße von verſchiedener Temperatur
daruͤber, daß er einen Fluͤgel ſeiner Pazienten,
zumal den weiblichen, eine Landjunkerin, eine
Konſiſtorial-Raͤthin, eine halb bleich-, halb gelb-
ſuͤchtige Zaͤrtlingin, und am Ende ſich ſelber,
in die Hoͤr- oder Stech-Weite eines ſolchen gei-
ſtigen Raufdegens gebracht als Wirth. Gern
haͤtte er verſchiedene kaltſinnige Mienen dabey
geſchnitten, wenn er verſichert geweſen waͤre,
daß ihn der Doktor nicht als Rezenſenten kenne,
und darum ſchaͤrfer angreife. Doch that er das
Seinige und ſprang von den Misgeburten auf
die Katzenbergeriſchen Geburten, um vorzuͤglich
deſſen Haͤmatologie zu huldigen, worin, ſagt’ er,
Paragraphen waͤren, ohne welche er manche
gluͤckliche Bemerkungen gar nicht haͤtte machen
koͤnnen. „Schoͤn, verſetzte der Doktor, ſo denkt
wohl nur ein äußerſt parteiiſcher und guter Mann
[149] wie Sie; — denn außer Ihnen giebts nur
noch einen Leſer, der gern alles redlich thut,
was ihm Buͤcher vorſchreiben, naͤmlich den Buch-
binder, der jedes Wort an den Buchbinder be-
folgt — aber Sie ſollten meinen Hund von Re-
zenſenten kennen, und dagegen halten. Him-
mel, wie bellt der Zerberus, zwar nicht mit drey
Koͤpfen, aber aus ſieben Hundhuͤtten, und an
ſieben Ketten gegen mich! — — Ich wollt’, ich
haͤtte ihn da; ich wollte jetzt alles thun, da ich
eben getrunken, was ich ihm laͤngſt geſchworen,
naͤmlich meine Blut-Machungslehre (die hae-
matologia) an ihm ſelber erproben. — Oder
gibt es etwas ſuͤndlichers, als wenn ein Narr —
bloß weil er ſieben Zeitungen dazu frey hat, wie
zu ſieben Thuͤrme — die ſieben Weiſen ſpielt,
und ſieben Todſuͤnden begeht, um als einziger
Zeuge vermittelſt einer boͤſen literatiſchen Hep-
tarchie ſeinen Ausſpruch zu beſiebnen? Ich
kann von der boͤſen Sieben gar nicht los; aber
ich werde, ſollt’ ich denken, in jedem Falle den
Mann auspruͤgeln, erwiſch’ ich ihn. Hier faſſ’
ich zum Gluͤck den redlichen Stryk an der Hand,
[150] der denkt wie ich, wenn nicht zehnmal beſſer.
Dieſem Magen uͤbergeb’ ich mich — denn ich
meyne Magus, nicht Stomachus — und er ent-
ſcheide; fuͤr mich der große Thor (ich ſpreche
zwar nach einem Glas Wein, aber ich weiß
recht gut, daß Thor unſer erſter altdeutſcher
heilender Gott geweſen) — der ſage hier.…
was wollt ich denn ſagen? Nun mir gilts ſehr
gleich, und die Sache iſt ohnehin klar und feſt
genug. Kurz — —
„Ich errathe unſern guten Autor, ſagte
Strykius; denn vielleicht kann ich, als alter Le-
ſer ſeiner witzreichen Werke, ihn wenigſtens zum
Theil wuͤrdigen. Man kennt dieſen tiefen Mann,
er verzeihe mir ſein Lob ins Geſicht, nur wenig,
wenn man nicht ſeine gelehrte und ſeine witzige
Seite zugleich bewundert und unterſcheidet, die
er beyde ſo eng verſchmilzt, aber er hat nun
einmal, um ſpashaft-gemein zu ſprechen, Haar
im Mund.” „Aber ich habe ſie jetzt zwiſchen
den Zähnen (verſetzte er, einen Truthahn-Hals
[151] an der Gabel aufhebend); ich wuͤnſchte mancher
haͤtte ſo viel Haarwuchs auf dem Kopfe als der
Truthahn hier am Halſe und ſolche herrliche
Haarzwiebeln waͤren auf eine beſſere Haut und
Glatze geſaͤet als ich eben kaͤuen muß.”
„Ich tadle aber doch die Sauce dabey — fiel
ein aͤltlicher mehr bloͤd- und fuͤnfſinniger als
ſcharfſinniger Poſthalter ein — ſie will mir faſt
wie abgeſchmackt ſchmecken; aber jeder hat frey-
lich ſeinen Geſchmack.” — „Abgeſchmackt, Herr
Poſthalter, (ſagte der Doktor, und hielt lange
innen,) nennen die Phyſiologen alles, was we-
niger Salz enthaͤlt als ihr eigner Speichel; da-
her ſind Sie wegen des Ungeſalzenen wahr-
ſcheinlich ein Mann von Salz, ich meyne den
Speichel.” —
Eine ſchwergeputzte Landjunkerin, die ihren
Kahlſchaͤdel mit einem Prunk- und Titular-Haar
gekroͤnt, merkte (aber nicht leiſe genug, weil ſie
es franzoͤſiſch ſagte), gegen ihre Tochtrr an: „Fi!
[152] Welch ein Menſch! Wer kann dabey eſſen?” —
Der Poſthalter, der ihn ſchlecht verſtand und
gut aufnahm, wollte es hoͤflich erwiedern, und
fragte: Wie gefallen Sie ſich hier, Herrrr … ich
weiß Ihren werthen Karakter nicht? Ich mir
ſelber? Sehr! verſetzte der Doktor.
Eben bekam er, und die Landjunkerin kleine
etwas klumpige Paſteten auf den Teller. Er
ſchob ſeinen weit in den Tiſch hinein, bemer-
kend: gerade in ſolchen Paſteten wuͤrden ge-
woͤhnlich die Frauens-Peruͤcken ausgebacken,
wie hier mehrere an der Tafel ſaͤßen; indeß
find’ er darum noch kein Haar aus Eckel
darin, ja er ziehe in Ruͤckſicht des letztern
Paſteten den Peruͤcken vor.
Die Edeldame brach mit Abſcheu auf, um
es zu keinen ſtaͤrkern Ausbruͤchen kommen zu
laſſen. Endlich thaten es auch die Uebrigen.
Wohlgemuthet druͤckte Katzenberger dem Re-
zenſenten die Hand und prophezeiete ſich die
Freuden, die ihn erwarteten, koͤnn’ er oͤf-
[153] ters ſo mit ihm zuſammenhauſen, und machte
die Herzens-Ergießung: „ich habe am Ende
(und nur mit Gewalt verſchieb’ ichs) ſagen
wollen zu Ihnen: Du!”
[154]
25. Summula.
Muſikaliſches Deklamatorium.
Die Leſer finden jetzt um 7 Uhr alle Maul-
bronner von Bildung in Nießens Deklamier-
ſaal. — Das muſikaliſche Vorſpiel hat ſchon
ausgeſpielt — Nieß geht mit „dem Ritter einer
groͤßern Zeit” in der Hand, ihn drittels dekla-
mierend, drittels leſend, drittels tragierend lang-
ſam zwiſchen der weiblichen und maͤnnlichen Kom-
pagniengaſſe auf und ab, und haͤlt bald bey
dieſem Maͤdchen ſtill, bald bey jenem. Auch
Katzenberger ging auf und ab, aber einſam im
Vorſaal, theils um den reinen Muſik-Wein
ohne poetiſchen Bleizucker einzuſchluͤrfen, theils
weil es uͤberhaupt ſeine Sitte war, im Vor-
zimmer eines Konzertſaales unter unaufhoͤrli-
cher Erwartung des Billeteurs, daß er ſeine Ein-
laßkarte nehme, ſo lange im muſikaliſchen Ge-
nuſſe gratis verſunken hin und her zu ſpatzieren,
bis alles vorbey war. — Der Vorleſer ſteht
[155] ſchon bey den groͤßten lyriſchen Katarakten ſeiner
dichteriſchen Alpenwirthſchaft, und die Muſik
faͤllt (auf kleine Finger-Winke) bald vor, bald
nach, bald unter den Waſſerfaͤllen ein, und
alles harmonirt. —
Der Karakter des Ritters einer groͤßern
Zeit war endlich ſo weit vorgeruͤckt, daß viele
Zuhoͤrerinnen ſeufzten, um nur zu athmen und daß
Theoda gar ohne Scheu vor den ſcharf geſchlif-
fenen Frauen-Blicken daruͤber in jene Traual-
tars- oder Brautthraͤnen (aͤhnlich den maͤnnli-
chen Bewunderungsthraͤnen) zerſchmolz, welche
freudig nur uͤber Groͤße, nicht uͤber Ungluͤck flie-
ßen. Der geſchilderte bluͤhende Ritter des Ge-
maͤldes, ſchamhaft wie eine Jungfrau, liebend
wie eine Mutter, ſchlagend und ſchweigend wie
ein Mann und ohne Worte vor der That, und
von wenigen nach der That, ſtand im Gemaͤlde
eben vor einem alten Fuͤrſten, um von ihm zu
ſcheiden. Es war ein prunkloſes Gemaͤlde, das
ein jeder leicht haͤtte uͤbertreffen wollen. Der
aͤltliche Fuͤrſt war weder der Landesherr, noch
Waffenbruder des Juͤnglings; er hatte ſich bloß
[156] an ihn gewoͤhnt, aber jetzt mußt’ er ihn ziehen
laſſen und dieſer mußte ziehen. Beyde ſprachen
nun in der letzten Stunde bloß wie Maͤnner,
nämlich nicht uͤber die letzte Stunde, ſondern
wie ſonſt, weil nur Maͤnner der Nothwendig-
keit ſchweigend gehorchen; und ſo gingen beyde,
ſo ſehe auch in jedem der innere Menſch ſchwere
Thraͤnen in den Augen hatte, wortkarg, ernſt,
mit ihren Wunden und mit einem Gott befoh-
len, aus einander.
So weit war die Vorleſung einer groͤßern
Zeit ſchon vorgeruͤckt, als noch die Thuͤre aufging,
und wie ein fremder Geiſt ein Mann eintrat,
der wie auferſtanden aus dem Gottesacker der
Ritterzeiten ganz dem Ritter an Blick und Hoͤhe
glich und die Hoͤr-Geſellſchaft faſt eben ſo ſehr
erſchreckte als erfreuete…
[157]
26. Summula.
Neuer Gaſtrollenſpieler.
Jetzt in den Monaten, wo ich die 26te Sum-
mel fuͤr die Welt bereite und wuͤrtze, iſt es frei-
lich ſogar der Welt bekannt, wer ankam; aber
am beſchriebenen Abende war noch Maulbronn
ſelber daruͤber dumm.
Der eintretende Mann ſchrieb ſich Herr von
Theudobach, Hauptmann in preuß. Dienſten.
Nach altdeutſchen Lebens-Styl war er noch ein
Juͤngling, das heißt 30 Jahr alt — und nach
ſeinem blühenden Geſicht und Leben war ers
noch mehr. Seine dunkeln Augen gluͤhten wie
einer wolkigen Aurora nach, weil er ſie bisher
noch auf keine andere Figuren geworfen als auf
mathematiſche in Euler und Bernouilli, und
weil er bisher nichts ſchoͤneres zu erobern geſucht,
als was Koehorn, Rimpler und Vauban ge-
gen ihn befeſtigt hatten. Unter dieſem mathe-
matiſchen Schnee ſchlief und wuchs ſein Fruͤh-
[158] lings-Herz ihm ſelber unbemerkt. Vielleicht gibt
es keinen pikantern Gegenſchein der Geſtalt und
des Geſchaͤfts als der eines Juͤnglings iſt, welcher
mit ſeinen Roſenwangen und Augen-Blitzen
des Auges und verſteckten Donnermonaten der
brauſenden Bruſt, ſich hinſetzt und eine Feder
nimmt, und dann keine andere Aufloͤſung ſucht
und ſieht, als eine — algebraiſche. „Gott! ſa-
gen dann die Weiber mit beſonderem Feuer, er
hat ja noch das ganze Herz, und jede will ſei-
nem gern ſo viel geben, als ſie uͤbrig hat von
ihrem. Dieſer Hauptmann hatte nun auf ſeiner
Reiſe durch das Fuͤrſtenthum Großpolei zufaͤllig
in der Zeitung geleſen: der durch ſeine Schrif-
ten bekannte Theudobach werde das Maulbron-
ner Bad beſuchen. „Das ich doch nicht wuͤßte?”
ſagte der Hauptmann, weil er von ſich geſpro-
chen glaubte, indem er mehrere kriegsmathema-
tiſche Werkchen geſchrieben. Von Nießens
Namensvetterſchaft und Dichtkunſt wußt’ er kein
Wort. Unter allen Wiſſenſchaften bauet keine
ihre Prieſter ſo ſehr gegen andere Wiſſenſchaften
ein, als die ſich ſelber genuͤgſame Meßkunſt, in-
[159] deß die meiſten andern die Meßruthe ſelber als
eine bluͤhende Aarons Ruthe entlehnen, die ih-
nen bey Priſterwahlen rathen helfen ſoll. Ich
kann mir Mathematiker gedenken, die gar nicht
gehöret haben, daß ich in der Welt bin, und
die alſo nie dieſe Zeile zu Geſicht bekommen.
„Es ſind folglich, ſchloß der Hauptmann, nur
zwey Faͤlle denkbar, entweder irgend ein litera-
riſcher Ehrenraͤuber gibt ſich fuͤr mich aus, und
dann will ich ihm öffentlich die Meßruthe geben —
oder es treibt wirklich noch ein Waſſeraſt und
Nebenſprößling meines Stammbaums, was mir
aber unglaublich — in jedem Falle ſind fuͤnf Mei-
len Umweg ſo viel als keiner fuͤr einen ſolchen
Pruͤfungs-Zweck.”
Sein Erſtaunen, aber auch ſein Zuͤrnen —
denn das Zornfeuer der Ehre hatte bisher ganz
allein in ihm neben dem wiſſenſchaftlichen Feuer
und Lichte gebrannt — erſtieg einen hohen Grad,
da er in Maulbronn von ſeinem entzuͤckten Wir-
the hoͤrte: ein Hr. v. Nieß habe ſchon heute nach
einem Brief, den er von Hr. v. Theudobach er-
halten, deſſen Ankunft angeſagt; und alles werde
[160] ſich im Deklamatorium uͤber ſeinen Eintritt ent-
zuͤcken, zumal da eben etwas von ihm vorgeleſen
werde. Der Wirth trug ſogar Vorſorge, ihm
unter dem Deckmantel eines Wegweiſers ſeinen
Sohn mitzugeben, der der Wirthstochter, weil
ſie beleſen, und mit darin war, ſogleich das ganze
Signalement des neuen Zuhoͤrers durch drey
Worte ins Ohr zuſtecken ſollte.
Als der Hauptmann eintrat, blickten ihn die
uͤbrigen weiblichen Augen an, ausgenommen
nur ein Paar; Theoda ſah unter dem Vorleſen
keine Geſichter, als — ihre innern, und zu den
poetiſchen Hoͤhen hinauf. Noch ehe die Wirths-
tochter die Nachricht von Theudobachs Ankunft
wie einen elektriſchen Funken hatte durch die
Weiber-Ohrenkette laufen laſſen: hatten ſich
ſchon alle Augen an den Hauptmann feſtge-
ſchraubt. Denn immerhin halte Chriſtus auf
einem Berge ſeine Predigt, oder auf dem Rich-
terſtuhle ſein juͤngſtes Gericht: es iſt unmoͤglich,
daß die Ftauen, die davon erbauet oder geruͤhrt
werden, nicht mehrere Minuten den Heiland
vergeſſen, und ſich alle an den erſten Kirchen-
[161] gaͤnger und Verdammten heften, der eben die
Geſellſchaft verſtaͤrkt; ſie muͤſſen ſich umdrehen
und ſchauen und einander etwas ſagen, und
wieder nachſchauen.
Ich will ſetzen, mein zweyter Satz waͤre wahr,
daß fuͤr das Weiberherz ein Federbuſch auf dem
Mannskopfe mehr wiege als ein ganzer Bund
gelehrter Federn hinter dem Ohre, weil mein er-
ſter richtig waͤre, daß interna non curat Prae-
tor, oder woͤrtlich uͤberſetzt, daß eine Frau vor
allen Dingen gern wiſſen will, wie ein Mann von
außen ausſieht: ſo haͤtt’ ich ziemlich erklaͤrt, war-
um der junge Mann mit ſeinem Federbuſch-Hut
in der Hand, mit ſeinem Juͤnglingsblicke und
ſeiner Manneskraft, und ſelber mit einigen Kriegs-
und Blatternarben, ja ſogar mit dem duͤſtern
Feuer, womit er dem Vorleſer nachſah und
nachhoͤrte, den ganzen weiblichen Hoͤr- und
Sitz-Kreis wie in Einem Hamen gefangen und
ſchnalzend aus dem Waſſer emporhob. Jetzt
ſchlug vollends die Nachricht der Wirthstochter
von einem beringten Ohre zum andern: der ſey’s,
der Dichter.
Erſter Theil. 11
[162]
Theoda hoͤrte es, ſah auch hin — und ſie,
und ihr Leben wurden wie von einem ausgebrei
teten Abendrothe uͤberzogen. Wie ein ſtiller
Rieſe, wie eine ſtille Alpe ſtand er da; und ihr
Herz war ſeine Alpenroſe. — Irgend einmal
findet auch der geringſte Menſch ſeinen Gott-
menſch, und in irgend einer Zeit findet er ein
wenig Ewigkeit; Theoda fands.
Der Vorleſer, den die fremde Bewundrung
ſeines Leſeſtuͤcks hinriß in eigne, und der unter
allen Empfindungen dieſe am innigſten mit dem
Hoͤr-Kreis theilte, hatte jetzt, wo die eigent-
liche Hoͤhe und Bergſtraße ſeiner Schöpfung erſt
recht anging, gar nicht Zeit, die Ankunft, ge-
ſchweige die Geſtalt, und die Einwirkuag des
Kriegers wahrzunehmen. Jetzt ſtand er eben an
der zweyten Hauptſtelle ſeines Geſangs, (der
Anfang war die erſte) am Schwanengeſange,
am Ende-Triller; denn wie im Leben die Ge-
burt und der Tod, im Geſellſchaftszimmer der
Eintritt und der Austritt die beyden Fluͤgel ſind,
womit man ſteigt oder faͤllt, ſo im Gedichte —
Nieß konnte alſo nicht unaufhaltſam genug ſtuͤr-
[163] men, und laufen und deklamieren, und ſich be-
gleiten laſſen von Muſik, um wie ein Gewitter,
gerade den ſtaͤrkſten und entzuͤndenſten Schlag
beym Abzuge zu thun.
Indeß hoͤren mitten in dieſem Geraſſel von
poetiſchen Streit- und Siegswagen Vorleſer
eigner Sachen gleichwohl manches leiſe Wort,
das daruͤber ausfliegt. Nieß vernahm mitten im
Dichter-Sturm ſehr gut Theoda’s Wort: ja er
iſts, und hat ſich ſelber kopirt im Ritter.” —
„Und thut doch immer, ſagte die Nachbarin, als
ginge ihm das ganze Gedicht nichts an.” Es
war Nießen auf keine Weiſe moͤglich bey ſolchen
Ausſpruͤchen, daß er da ſey, und ſich im alten
Ritter ſelber getroffen habe, und bey dem allge-
meinen Klatſchen und Anblicken und Anfragen
der Bewunderung, ſich etwa in den Kopf zu ſet-
zen, er ſey gar nicht gemeynt, nur der neue
Soldat. Sondern eine wärmere Minute und
hoͤhere Stelle um ſich zu enthuͤllen und zu ent-
woͤlken, dieß ſah er wol ein — koͤnnte kein Stern-
ſeher fuͤr ihn errechnen, als der Kulminazions-
und Scheitelpunkt war, den er jetzt vor ſich hatte,
[164] um die Wolke des Inkognito ſeinem Phoͤbus
auszuziehen. Zum Gluͤck war er fruͤher darauf
geruͤſtet, und hatte daher — da er laͤngſt wußte,
daß die Menſchen die erſten Worte eines großen
Mannes, ſogar die kahlſten, laͤnger behalten,
und umtragen als die beſten nach einem Umgange
von Jahren — ſchon auf der Chauſſee zehn Mei-
len vom Leſeſaal, folgende improviſierende An-
rede ausgearbeitet.
„Ehrwuͤrdige Verſammlung, faͤnd’ ich nur
die erſten Worte! Auf eine ſolche Sympathie
einer ſo gebildeten Geſellſchaft mit mir, durft’
ich ohne Eigenliebe nicht rechnen. Aber eine
Herzens-Ergießung verdient die andere, und
ich gebe mich willig dem Ungeſtuͤm des Augen-
blicks Preis. Moͤge, Ihr Herrlichen, euch je-
der Schleier des Lebens ſo abgehoben werden
als jetzt, und nie decke ſich euch ein Leichen-
ſchleier ſtatt eines Brautſchleiers auf. — Ich
war naͤmlich mein eigner Vorläufer; denn ich
bin wirklich der Theudobach, deſſen Ankunft ich
auf heute in Briefen anſagte.”
[165]
„Der ſind Sie nicht, mein Herr — ſagte
der Hauptmann — ich heiße von Theudobach —
Sie aber, wie ich hoͤre, Hr. von Nieß. —
Was Sie fuͤr Ihre Werke ausgeben, ſind ganz
andere, und die meinigen.”
Nieß blickte ihn ganz erſtarrt ins Geſicht. —
Beſonnener ſpringt der Menſch plötzlich zu hoch,
als zu tief — Theudobach ſtand faſt gebietend
mit ſeinem Macht-Geſicht, Krieger-Auge, ho-
hem Wuchs, neben dem zu kurzen Dichter, von
welchem nun jedes Weiber-Auge abfiel; aber er
ermannte ſich, und ſagte: „ich kenne Sie nicht,
aber Deutſchland mich.” — — „Hr. v. Nieß,
daſſelbe iſt gerade mein Fall.”
Unverſehends trat Theoda, welche laͤngſt vor
Begeiſterung unbewußt aufgeſtanden war, aus
der verbluͤften Schweſter-Gemeine heraus vor
Theudobach, und ſagte zu ihm im hohen Zuͤr-
nen gegen den vieldeutigen Nieß: „Sie ſind
der Mann, den wir alle achten, oder aller Glaube
luͤgt.” Der Hauptmann ſah das kuͤhne Feuer-
Maͤdchen verwundert an, und wollte erwiedern;
aber Nieß rief zornig dazwiſchen: „An mich ha-
[166] ben Sie geſchrieben, nicht an dieſen Herrn, meld’
ich jetzt, und ich an Sie.” — „O Gott ich?
ſagte Theoda.”
„Mein Name Theudobach, Hr. v. Nieß, iſt
kein angenommener, ich habe nur Einen; und
es gibt nur meinen noch in der Welt; Sie
fuͤhren eingeſtanden Zwey, wovon ich nur den
meinigen reklamire, und Ihnen den Ihrigen
billig laſſe. In der allgemeinen deutſchen Bib-
liothek können Sie meinen Namen Theudobach
neben meinen rezenſirten Werke finden. Jede
andere Erklaͤrung koͤnnen wir uns an andern
Orten geben,” ſetzte er mit einigen Blicken hinzu,
die ſehr gut als Funken auf das Zuͤndpulver ei-
ner Piſtole fallen konnten.
„Sehr gern!” verſetzte Nieß, um nur zuerſt
auf der Adels-Probe zu beſtehen, aber auf
das Vorhergehende konnte er kein Wort zuruͤck-
geben vor Ueberfuͤlle von Antworten. Wer zu
viel zu ſagen hat, ſagt meiſtens zu wenig. Nieß
noch weniger.
Noch habe ich in der allgemeinen Welt-Ge-
ſchichte von Eſſig und Zopf — die ohnehin mein
[167] Fach nicht iſt, weil ich vielmehr ſelber eines in
ihm fuͤllen und fodern will — kein rechtes Bey-
ſpiel (unter ſo vielen abgeſetzten Guͤnſtlingen und
Koͤnigen) aufgetrieben, das einigermaßen dazu
taugen koͤnnte, Nießens Falle und Verfalle die
gehoͤrige Beleuchtung zu geben, wenn jemand
ſehen wollte, wie einem Manne zu Muthe ge-
weſen, den man auf einmal vom Muſenberge auf
die Quartanerbank, vom Throne eines Sonnen-
Gottes auf den Altar ſeiner Opferthiere, die er
vermehren ſoll, oder von Allem zu Nichts her-
unterwirft — — Gehenkte auf den Zergliede-
rungstiſchen erwachend unter dem Meſſer anſtatt
im Himmel, ſind nichts dagegen.
„O, ich bin ſtolz!” ſagte Nieß und ging
davon.
(Beſchluß im zweyten Bändchen.)
[168]
II.
Huldigungspredigt vor und unter dem Re-
gierungsantritt der Sonne*)gehalten am
Neujahrsmorgen 1800 vom Fruͤhprediger
dahier.
Da unſere Zaarin, liebe Mit-Unterthanen
und Erdſaſſen, ſich erſt um 8 Uhr 15 Minuten
2 Sekunden zu uns erhebt: ſo kann ich vorher
ein vernuͤnftiges Wort mit Euch reden. —
[169]
Nach dieſem Exordium ſchreit’ ich zu den
Theilen; denn ein Laͤngeres oder gar Doppeltes
iſt nicht moͤglich, da ich genug werde zu thun
haben, wenn ich von 7 ¾ bis 8 Uhr den
erſten Theil und in der zweyten Viertel-
ſtunde den zweyten ſo durchtreiben will, daß
ich bey dem erſten Strahle unſerer Regentin vor
der Nutzanwendung halte.
Der erſte Theil ſoll dieſe loben,
der zweyte Euch, liebe Zuhoͤrer, her-
unterſetzen, indeß maͤßig.
I. Viertelſtunde und Pars. Wenn das po-
litiſche und das Schachſpiel von 2 Meiſtern ge-
ſpielet werden, ſo bleiben zuletzt die Bauern
auf dem Brett. Ich beweiſe dieſes ſo gern als
ein anderer: aber warum iſt das 18te Jahr-
hundert ſo ſehr auf die Fuͤrſten erboßet, die
ſtets ein wenig beſſer ſind, als ihre Hofleute,
indeß wieder dieſe nichts ſchlimmer als Welt-
leute, die wieder nichts anders ſind, als eben
die Elementarmeiſter und Oberlogenmeiſter des
Jahrhunderts ſelber? Das Einzige was das
Sekulum fuͤr ſeine Angriffe auf Fuͤrſten anfuͤh-
[170] ren kann, ſind die Engländer, die im Seegefecht
zuerſt das Admiralsſchiff berennen, um die Sig-
nale und das Kommando zu verwirren.
Eben ſo ſind die meiſten Kalendermacher ge-
gen die mutſchierende Regierung der ſieben Kron-
Planeten aufgeſtanden, und haben viele Kalen-
der hinten revoluzionirt. Natuͤrlich ſetzten ſie
auch die heutige Landesmutter*) ab; aber der
Huldigungs Prediger dieſes lacht uͤber den Aktus,
weil er weiß, daß dieſe Louiſe XVIII. doch fort-
regieren und Anziehungskraͤfte zeigen werde,
ſie mag im aſtronomiſchen Staatskalender ſtehen
oder nicht. Die morgenlaͤndiſchen Fuͤrſten er-
kennen ſie noch an, und nennen ſich ihre Vet-
tern; ja, ein tartariſcher zeigt der Baſe den
Fuͤrſtenweg, den ſ[ie] taͤglich nehmen muß.
Gelehrten iſt wol nichts an einem Regenten
wichtiger, als daß er ſie beſchuͤtzt und penſionirt;
und falls ein gekroͤnter Broddieb des Landes nur
ein guter Nutritor der Akademieen und Akade-
[171] miſten iſt, ſo weiß jeder Dekan, daß ein Fuͤrſt
ein Menſch iſt, und mutzt ihm nicht alles auf.
Einmuͤthig wird nun von den Gelehrten hienie-
den unſere neue Regentin erhoben. In ihrer
Jugend privatiſierte ſie als Amazone verkleidet
lange in Griechenland; und noch fuͤhrt ſie den
Namen, Apollo. Viele Laͤnder wurden uͤber
das Geſchlecht dieſer Ritterin d’Eon irre, wie-
wol man aus dem jungfraͤulichen Gefolge der
neun Muſen oder filles d’honneur und aus
der ſchoͤnen jugendlichen unbaͤrtigen Geſtalt die-
ſes Apollo leicht haͤrte merken können, wie viel
Uhr es ſey. Sie machte uͤbrigens in Griechen-
land, wie mehrere ihres hohen Standes, nicht
die beſten Verſe (weil in den Orakeln der Stoff
uͤber die Form vorſprang), aber doch die beſten
Versmacher. Da erfand ſie den Lorbeer, um
uns etwas, wenn auch nicht in die Arme, doch
auf den Kopf zu geben, und uns auf dieſe Weiſe
fuͤrſtlich zu belohnen. Manchen armen Teufel
von Gelehrten haͤlt ſie noch ein ganzes halbes
Jahr Licht- und Holzfrey. Dieſelben Verſe,
wofuͤr der neidiſche Nero den Lukan umbrachte
[172] und Alexander den Choͤrilus, hatte ſie
beyden in die Feder geſagt; — wie ganz an-
ders als beyde Regenten fuͤhrte ſich dieſe Frau
auf, oder als der Miſchling aus beyden, Lud-
wig XIV., der ſeine Ueberſetzung des Caͤſars,
ſo wie ſeine Feldzuͤge durch andere machen ließ!
Und ſchickt unſere Zaarin nicht eben die Kalen-
der, die ihr nach der Krone ſtreben, ihren Va-
ſallen zu, wie die ſineſiſche den ſeinigen? —
Bode in Berlin ſoll reden!
Als Apollo nahm ſie laͤngſt den mediziniſchen
Doktorgrad an; die galliſchen und engliſchen
Koͤnige legten ſich nur auf die Kur des Stam-
melns und des Kropfes: aber ſie hielt als Mag-
netiſeur faſt alles von weitem durch Anſehen und
iſt in der Peſt der einzige Peſtilenziarius. Ich
koͤnnte noch ruͤhmen, daß ſie die Medizin-Kiſte
auf dem Erdenſchiffe ſelber fuͤllt, welches wenig
Aerzte thun.
Ich kenne keine Fuͤrſten, die mit ihr, dieſer
Himmelskoͤnigin, zu vergleichen waͤren. Die aſia-
tiſchen und mexikaniſchen koͤnnen in Gnadenſa-
chen der Witterung, um welche das Land bey
[173] ihnen nachſucht, nicht eher reſolvieren, als bis
ſie ſolche ſelber erſt von der Landesherrin ihrer
Sonnenlehne erhalten haben.
Sie macht ſich alles ſelber, ſo wohl die Ro-
ſen, welche der Pabſt den Erden-Vicekoͤnigen
weiht und ſchickt, als ihre Kammermohren faͤrbt
ſie eigenhaͤndig — ſie macht ſich ihr Prinzeſſin-
Waſchwaſſer — ihren glaͤnzenden Sonnenhof —
die donnernden Ehren-Salven und bunte
Ehrenpforten Abends nach ihren Arbeiten — ja
ſogar die in den Weg geſtreuten Blumen, wozu
die Landleute noch ihre Koller und Roben un-
terbreiten.
Es iſt mir ſo gut wie einem bekannt, daß
Koͤnig Ninus ſagte, er habe nie die Sterne
geſehen; aber daſſelbe kann unſere Neugekroͤnte
von ſich ruͤhmen, ja ſie löſchet ſogar alle die am
Himmel (wie ein reiſender Koͤnig die an Roͤcken)
aus, auf welche ſie ſtoͤßet *).
Was ihren fuͤrſtlichen Kabinetsfleiß anlangt:
ſo weiß man allgemein von Joſua-Koper-
[174] nikus, daß ſie ihre Seſſion nie abbricht, ſon-
dern ſtets die Welt laufen laͤſſet um ſich. —
Karl XII. von Schweden ſagte einmal, er
wollte ſeinen Stiefel als Subdelegaten und Vice-
Karl XII. ſenden; mich duͤnkt, ein Stiefel re-
praͤſentire leichter den Unterthan, der ihn oͤfter
anziehen und darin waten muß.
Man ſchreibt Fuͤrſten ſehr die Gabe das
Feuer zu beſprechen zu; beym Himmel! ſie be-
ſpricht das Ofenfeuer auf das Sommerhalbjahr;
nur leider, das groͤßte Schadenfeuer, das Ka-
nonenfeuer ſchuͤrrt ſie freylich, wie jener ſtaͤr-
ker an.
Ueber ihre Hofhaltung koͤnnt’ ich wenig ſa-
gen, geſetzt auch, es ſchluͤge jetzt nicht ſchon
8 Uhr. Man ſuche auf ihr, wie an andern Hoͤ-
fen, weder ein Paradies noch eine Hoͤlle *); was
Glanz und Fackeln ſcheint, ſchreibe man mit
Herſchel (wie bey uns) dem Dunſtkreis zu,
der ſie umzieht und ihre breiten Flecken ſind na-
tuͤrliche Stellen ohne dieſen. — Nach Newton
[175] verhaͤlt ſich bey ihr die Zentripetalkraft
oder das Anziehen zum Weglaſſen wie bey allen
kameraliſtiſchen Höfen, naͤmlich 47000 zu I. —
Die Winde ſtreichen auf ihr wie in jedem Staats-
koͤrper, naͤmlich nicht wagrecht, ſondern hinauf,
hinab.
II. Wir haben nun den zweyten Theil der
Huldigungspredigt zu betrachten, naͤmlich uns
ſelber, die Reichs- und Sonnenkinder. Be-
kanntlich ſtehen wir ſaͤmmtlich um das Sterbe-
bette unſers 99jaͤhrigen Redakteurs, des kritiſie-
renden Jahrhunderts. Dieſes iſt gleichſam die
allgemeine deutſche Bibliothek der Zeit und be-
urtheilt, ſich ausgenommen, alles. Wir war-
fen darin alle Feſſeln ab, und ließen uns gern
die Fuͤße zugleich mit den Ketten abnehmen,
und gingen ledig davon; gleich roͤmiſchen Skla-
ven und Kindern wurden wir öffentlich emanzi-
pirt durch Ohrfeigen. Gelinde abfuͤhrende Mit-
tel ſind jetzt unſer Eſſen und Manna; und die
politiſche und kritiſche Revoluzion iſt ein Erbre-
chen, das noch fortfuͤhrt, wenn nichts mehr
da iſt; — daher kann es uns am Ende (fatal
[176] fuͤr jeden) an den noͤthigſten Dingen gebrechen,
die abzufuͤhren ſind. Das Wenige, was gegen
das Ende des Sekuls geſchaffen wurde, iſt dem
nicht ganz ungleich, was am letzten Schoͤpfungs-
tage, am Freytag, nachgeſchaffen wurde, wel-
ches das Maul der bileamitiſchen Eſelin war,
die Buchſtaben, eine Zange, Abrahams Widder,
der Regenbogen und der Teufel *).
Zum Gluͤck beherrſcht uns noch einmal un-
ſere Bienenkoͤnigin, die Sonne. Sie iſt durch
ihre Scheidungen auf dem trocknen Wege in
mehreren Welttheilen bekannt genug. Unter
dem angenommenen Namen Apollo rezenſierte
ſie den Pfeifer Marſyas vom Skalp bis zur Ferſe
— mit einem Federmeſſer. Daher wurden die
Wappenthiere der Rezenſenten der Wolf, der
Habicht, der Rabe, zu apollinariſchen. Ja ſie
ſetzte die Rezenſenten in ihr Wappenſchild und
fuͤhrte ſie in ihrem Titel fort; wenigſtens hoͤrt
ſie ſich gern Apollo culciarius nennen; ja als
Apollo Smintheus nicht nur betiteln ſondern
[177] auch als eine Maus abbilden *) (wie Jupiter
muscarius ſich als eine Fliege) ein Nagethier,
das den eigentlichen Buͤcherwurm und Biblio-
theken-Lumpenhecker vorſtellt, wenn es durſtig iſt.
Ich vermuthe im kuͤnftigen Jahrhundert, in
deſſen erſtem Jahre ſchon der milde Hesperus re-
giert und troͤſtet, werde der ſchaffende Brahma
auf unſre duͤrren, von Welttheil zu Welttheil
brennenden Steppen voll uͤberſtaͤndigem Gras
wieder Saamenkoͤrner werfen. Wir haben alſo
nur noch ein Sonnenjahr zum Sengen uͤbrig.
Und hier iſt nichts zu verſaͤumen. In dieſem
Jahre muß noch alles gar unterſucht werden,
ſogar das Unterſuchen — alles rezenſiert, ſogar
die Rezenſenten — bloß auf filtrirendes Loͤſch-
papier muß geſchrieben — und jede Kornmuͤhle
in eine Fegemuͤhle umgebauet werden. —
— — Ich glaube, dadurch kommt Enthuſias-
mus in die Welt; naͤmlich jener allgemeine En-
thuſiasmus gegen den Enthuſiasmus, jene beſſere
Tollheit, die nicht aus Hitze entſteht, ſondern
aus Froſt. —
Erſter Theil. 12
[178]
Das jetzige ſo viel Laͤrm machende Jahrhun-
dert ſchlaͤgt mit ſchwarzen Knallſilber gefuͤllt, nur
bey dem Beruͤhren kalter Koͤrper los. Man
kann noch die Aehnlichkeit beyfuͤgen, daß die,
die es entzuͤnden, wie bey anderem Knallſilber
(der Gefahr wegen) Masken vorthun.
Ich geſtehe, es weht ſelber am erſten Tage
der Sonnenregierung eben nicht die wärmſte
Luft um unſere Kirche; aber gute Kronprinzen
fangen ſtrenge an wie Titus, nicht mild wie
Nero; es geht daher, zumal da ſie ſo nahe und
kalt iſt *) alles ſchneller, die Geſchaͤfte, die Men-
ſchen und die Erde, ſogar die — Predigten.
Meine ſchneid’ ich durch die Schnelle der
Kaͤlte — wie ich an der Kanzeluhr und am Him-
mel ſehe — gerade ſo richtig fuͤr dreyſig Minu-
ten zu, als ſtaͤnd’ ich in einer engliſchen Kanzel.
Blickt nach Morgen — die Direktrice unſers
Welttheaters kann nicht uͤber drey Wolken weit
von uns ſeyn. —
[179]
Die alte Frau *), die Aurora, ſtreuet ihre
gelben Sonnenblumen immer dicker — ich ſehe
ſchon neugepraͤgte Kroͤnungsflittern, goldne und
ſilberne, auf der Erde ausgeworfen — hoͤret das
Rauſchen des Zugs — jetzt wird eine Fackel vor-
ausgetragen — ſie brennt die Wolken an — die
Fuͤrſtin ſoll uͤber Feuer einziehen. — — Da
ſteigt ſie herauf, die Koͤnigin unſers Tags und
unſers Jahrs.
Sey gegruͤßet, Mutter der Erden und Bluͤ-
then und Fruͤchte! Wie blickſt Du ſo mild und
weich das ſcheidende Jahrhundert an! —
O, ſeine Schlachtfelder ſind jetzt nur unter
unſchuldigen Schnee verſteckt. — Zieh dem
Jahrhundert, dieſem wilden Titan **), wie
ſonſt, das Schwert aus der Hand, und gib ihm
deinen geheiligten Oelzweig ins Grab! — Wie,
war nicht ſeine letzte Bahn, wie die einer Koͤ-
nigsleiche, mit Trauertuch belegt, und wird es
nicht wie dieſe unter Kanonen eingeſenkt? —
Gib uns Liebe und Friede, Mutter des Lebens
[180] und der Wärme! Schick uns den weißen ſanf-
ten Schwan, der dir heilig iſt, und baue mit
deiner reinen Leier die Menſchheit wieder auf,
welche Mißtoͤne zertrümmert haben! — Gib uns
Liebe und Friede, das bleibe unſer letztes Ge-
bet! — Ach der Daͤdalus der Menſchheit, die
Zeit, ſchloß uns Statuen die Augen auf, hob
unſre Haͤnde empor, und band die Fuͤße los; —
aber ſiehe, ploͤtzlich zerſchlagen die Statuen wie
emporwachſende Drachenzaͤhne einander ſelber,
und ſtuͤrzen, wie jene Roſenkreuzeriſche Sta-
tue, die ewige Lampe um, die ſie gehuͤtet
haben.
Aber wenn du uͤber den letzten Tag des Jahr-
hunderts gezogen biſt, und uͤber ſchoͤnere Saa-
ten unter dem Winter, als jetzt vermodern —
und wenn der letzten Nacht des Saͤkulums
dein lieblicher verklaͤrter Friedensengel, der Mond,
ins erblaſſende Antliz ſchauet: Ach! wirſt du
dann noch, ſegnendes Geſtirn, unter unſern
Fuͤßen auf eine ganz neue Welt voll geraub-
[181] ter mit Narben und Schweiß bedeckter Men-
ſchen ſcheinen, welche dein heiliges Licht nur
quaͤlen kann? — O gib Liebe der alten Welt
und Freyheit der neuen! — —
[182]
III.
Ueber Hebels allemanniſche Gedichte.
An den Herausgeber der Zeitung fuͤr die ele-
gante Welt. 1803.
Eben habe ich zum fuͤnften oder ſechſten Male
eine Sammlung Volkslieder von Einem Dichter
geleſen, welche in der Herderſchen ſtehen koͤnnte,
wenn man in einen Blumenſtraus wieder einen
binden duͤrfte. Sie betitelt ſich: „allemanniſche
Gedichte. Fuͤr Freunde laͤndlicher Natur und
Sitten.” Groͤßere Kunſtrichter werden den Titel
beurtheilen, und gegen den Sprachfehler „laͤnd-
licher Natur und Sitten” (entweder ſtatt Sitte,
[183] oder Naturen) ins Feld ruͤcken mit Klammern
und Fragzeichen, ich als Liebhaber ſchraͤnke mich
bloß auf die Gedichte ein, und lobe ſie fruͤher
oͤffentlich als irgend ein Nachfolger. Ich wuͤnſchte,
lieber Spazier, es waͤre in der eleganten Welt,
an die ich hier zugleich, wie aus dem Konzept-
papier zu ſehen, mit geſchrieben haben will, das
Schwaͤbiſche nur halb ſo einheimiſch, als das
Franzoͤſiſche. Denn nur die Mundart jenes
Landes, das ſonſt das Mutterland einer un-
vergleichlichen Dichtkunſt war, und jetzt
das Vaterland einiger großen Dichter iſt,
ſpricht das zarte ſpielende Muſenkind; und mit
der ſchwaͤbiſchen Mundart entzöge man ihm ſeine
halbe Kindlichkeit und Anmuth. Manchem Dich-
ter wären die wohllauten ſchwaͤbiſchen Zuſam-
menziehungen — z. B. Sagi’ m, ſtatt: ſage ich
ihm, zu goͤnnen und das Ausmuſtern unſerer
engen n; das Eintauſchen des i gegen das ewige
deutſche e *); und die Verwandlung des harten
[184] Verkleinerungs chen in das ſuͤße li; und am
meiſten der Reichthum an Diminutiven den mit
den Schwaben noch Schweizer, Oeſtreicher und
Letten theilen. In allen Sprachen verkleinert
die Liebe ihr Geliebtes, gleichſam um es zu ver-
juͤngen und zum Kinde zu machen, das ja der
Amor ſelber iſt. Und das Kleine, gleichſam als
das Liebere, verkleinert man wieder, daher man
öfter Laͤmmchen, Taͤubchen, Kindlein, Buͤchel
chen, (letzteres iſt nach Voß dreymal verkleinert)
ſagt als Elephantchen, Fuͤrſtchen, Tyrannchen,
Walfiſchchen. Manche Voͤlker reden die ganze
Natur mit dieſen Liebeswoͤrtern an, und ziehen
ſie ſich, wie mit Zauberformeln, naͤher an die
Bruſt; aber in ſolchen Laͤndern wohnet gern der
Dichter. Daher kommen in den altdeutſchen
Dichtern die zahlreichen Verkleinerungswoͤrter;
daher unſere guten Voreltern, welche ſtatt der
Philanthropie und des Kosmopolitismus Bruder-
liebe und Chriſtenliebe beſaßen und aus den Ro-
ſen der Liebe noch nicht den feinen Roſeneſſig
*)
[185] der Selbſtſucht zogen, ſogar in ihrer Proſa die
lebendigen Weſen gern mit Verkleinerungswoͤr-
tern nennten z. B. das Soͤhnlein und die Kind-
lein Luthers, bis zum Jeſulein und Chriſtkind-
chen. Was wir etwa noch jetzt verkleinern moͤch-
ten in Zirkeln, dieß ſuchen wir doch weniger zu
vergroͤßern und zu lieben, als faſt zu haſſen.
Noch iſt jetzt der falſchen Ironie, als einer
ſpoͤttiſchen Nachaͤffung der Liebe, das Verklei-
nerungswort gewoͤhnlich. In meiner Vorſchule
der Aeſthetik finden Sie Beyſpiele, und vorher
uͤberall.
Unſer allemanniſche Dichter — denn ich ſehe
nicht ein, warum ich ihn uͤber ihn vergeſſe —
hat fuͤr alles Leben und alles Seyn das offne
Herz, die offnen Arme der Liebe, und jeder
Stern und jede Blume wird ihm ein Menſch.
Durch alle ſeine Gedichte greift dieſes ſchöne Zu-
eignen der Natur, der allegoriſierende Perſonifi-
kazion, die er oft bis zur Kuͤhnheit der Laune
ſteigert *). Die Dichtkunſt iſt nur ein anderes
[186] Wort fuͤr hoͤhere weitere Liebe; ſie ſcheidet und
erloͤſet die Natur vom dienſtbaren Tode, und
beſeelt wie ein Gott, um nur zu lieben, und
ſchmuͤckt wie eine Mutter, um noch mehr zu lie-
ben. Freilich koͤnnen wir den Bergen, Baͤu-
men und Sternen, worin ſonſt die Griechen
Goͤtter zauberten, jetzt nur Seelen einblaſen
und was jene vergoͤtterten, nur beleben.
— Ich komme aber ſehr aus den einkleiden-
den Brieftone heraus, lieber Sp., vielleicht
weil ich zu lebhaft an die Zeitung denke, deren
Welt ich das Meinige von dem allemanniſchen
Dichter ſagen wollte. Ich will alſo alles ohne
weitere Muͤhe folgender Geſtalt herauswerfen:
er iſt naiv — er iſt von alter Kunſt erhellt und
von neuer erwärmt — er iſt meiſtens chriſtlich-
elegiſch — zuweilen romantiſch ſchauerlich *) —
er iſt ohne Phraſen-Triller — er iſt zu leſen,
wenn nicht Einmal, doch Zehnmal, wie alles
Einfache. Mit andern noch beſſern Worten:
Das Abendroth einer ſchoͤnen friedlichen Seele
liegt auf allen Hoͤhen, die er vor uns ſich hin-
[187] ziehen laͤßt — poetiſche Blumen erſetzt er durch
die Poeſie. — Das Schweizer Alpenhorn der
jugendlichen Sehnſucht und Freude hat er am
Munde, indeß er mit der andern Hand auf das
Abendbluͤhen der hohen Gletſcher zeigt, und zu
beten anfaͤngt, wenn auf den Bergen die Bet-
glocken ſchoͤn heruͤberrufen — gleich Griechen und
einigen Mahlern umſchließet er ſeine Gemaͤlde,
aus Verachtung der Pointe, zuweilen mit Bil-
dern, die ſich in den Rahmen verlieren *) und
ſo iſt der Mann. Wahrlich eine liebliche Er-
ſcheinung, aber keine außer der Jahreszeit!
Denn auf dem deutſchen Muſenberg, der jetzt
unter einer ſtechenden Fruͤhlingsſonne zugleich
bluͤht und dampft, kann jetzt Alles auffah-
ren: Gleicher-Blumen und nordiſches Geſtrippe
und Gift und Duft.
Ich haͤtte gern meine Freude mit einigen
Proben entſchuldigt, wenn Schoͤnheiten, die
immer ein Ganzes bilden, ſo leicht einen Aus-
zug vertruͤgen als Maͤngel, die eben darum ei-
nes ſtoͤren. Auch gaͤb’ ich am liebſten das laͤngſte
[188] Gedicht zur Probe, indeß der Zeitungsraum das
kleinſte vorzieht; und es bleibe Ihren Ruͤck-
und Einſichten uͤberlaſſen, ob Sie eines als Poſt-
ſkript fuͤr den zweyten Druck hier waͤhlen und ge-
ben wollen.
Doch beſcheide ich mich gern, daß es immer
Gedichte geben kann (worunter vielleicht die alle-
manniſchen zu rechnen), welche jedem Leſer mis-
fallen, der gar keinen Sinn fuͤr Dichtkunſt be-
ſitzt. Einen ſolchen wuͤrd’ ich freylich ſtatt dieſer
allemanniſchen Droſſel aus dem Schwarzwalde
lieber eine da geſchnitzte Guck Gucks-Uhr oder
irgend einen da gedrechſelten Viehſtand im Klei-
nen, in die Hand zu geben rathen. —
P. P.*)
[189]
IV.
Rath zu urdeutſchen Taufnamen*).
Ich ruͤcke hier in Briefform in die Zeitung f. d.
e. W. fuͤr Leſer, welche ſie mithalten — worun-
ter Sie gewiß auch gehoͤren, lieber Spazier —
in ſo fern einer davon an mich etwas zu ſchrei-
ben hat, vorher die Nachricht ein, daß ich von
Koburg nach Baireuth gezogen bin. Die Urſa-
chen des Zugs gehören nicht in Ihre Zeitung,
ſondern in die Flegeljahre, naͤmlich in den vier-
ten Theil.
Was dieſen Brief ſelber anlangt, ſo verſprach
ich Ihnen leider fuͤr ſolchen in einem fruͤheren
[190] Auszuͤge und Sentenzen aus meiner Aeſthetik,
welche zu Michaelis erſcheint. Aber ich muß um
die Erlaubniß bitten, gelogen zu haben. Einem
Autor wird es eben ſo ſchwer, mit ſeinen Ge-
danken das jeu de bateaux*) zu ſpielen als ei-
ner Mutter mit ihren Kindern. Gnomen, ſagt
er, die er in alter Bedeutung als Denkſpruͤche
gebe, koͤnnen andern leicht in neues als Zwerge
erſcheinen. Zoͤgen Sie aber, lieber Spatzier,
ſtatt meiner aus: ſo waͤr’ es zehn Mal beſſer,
leichter und vernuͤnftiger.
Lieber haͤtt’ ich fuͤr dieſen Brief aus Tiecks
ächt poetiſchen Oktavian die Geburt der Roſe
und die Geburt der Lilie ausziehen moͤgen —
zwey Dichtungen, welche ihm die Blumengoͤttin
ſelber wie reife Fruͤhlingsbluͤthen zugeworfen.
Auch waͤr’ es in der erſten Entzuͤckung über ſein
Buch — und in der erſten Entruͤſtung uͤber ein
ſcham- und ſinnloſes Geſchwaͤtz uͤber daſſelbe,
verzeihlich geweſen, viel Worte uͤber dieſen ita-
[191] lieniſchen wortreichen Dichter zu machen. Wenn
er indeß, wie die Feuerwerker ſeine poetiſchen
Feuerwerke zu gern auf dem Waſſer gibt,
und die Wiederſcheine zu ſehr ſucht: ſo iſt we-
nigſtens dieſes leichte Nachglaͤnzen eines wahren
Feuers poetiſcher und lieblicher als das ſchwere
Feuerwerksgeruͤſte von Statuen und Ge-
baͤuden, das uns manche beruͤhmte Dichter fuͤr
das Feuerwerk ſelber verkaufen. Waͤr’ ich die
elegante Welt, Spazier, ſo wuͤrd’ ich ein from-
mes poetiſches Kind; dann koͤnnte Tieck, der
eines iſt, leichter mit mir ſpielen.
Auch dieſen Auszug aus Oktavian wird ein
Anderer beſſer geben als ich. Wichtiger als jeder
aus Gedichten und Aeſthetiken ſchien mir fuͤr
die elegante Welt einer aus Wiarda, der uͤber
deutſche Namen geſchrieben. Wir leben jetzt wenn
nicht in, doch vor ein er boͤſen Zeit, und wer die
Ohren nahe an die deutſche Erde legen will,
kann leicht darunter die Mineurs arbeiten und
hoͤlen und mit Pulvertonnen und Leitfeuern ge-
hen hoͤren. Sollte nun einmal Deutſchland zum
erſten Male erobert werden, wiewohl nicht wie
[192] Amerika aus Mangel an zahmen Thieren,
ſondern aus Ueberfluß daran: ſo war’ es ja um
die deutſchen Namen geſchehen, wenn vorher
Niemand einen mehr fuͤhrte. Leider bitten wir
gegenwaͤrtig lieber alle Propheten, Apoſtel, Hei-
lige und Voͤlker zu Gevattern, als einen alten
Deutſchen. Wer am Hofe einen deutſchen Tauf-
namen hat, ſucht ihn wenigſtens franzoͤſiſch aus-
zuſchreiben, und zu unterſchreiben — ausge-
nommen Friedrich der Einzige, der ſich ſogar an
Voltaire Frederic unterſchrieb, welches (wie
Godaric, Ardoric etc.) nur deutſch iſt; denn
ric heißt reich und Fried Schirm. Wenn man
wenige Thiere ausnimmt, welche ſich Hans nen-
nen, wie Rehe, Pferde, Schwanen: ſo gibts
nicht viele deutſche Menſchen und Moͤbeln, die
nicht ein Franzoſe, ſobald er ſie entdeckt, wie
ein Seefahrer die Inſeln behandelte; er benennt,
beſetzt und beſitzt ſie. Schon bey den Weinhaͤnd-
lern bedeutet Taufen und Heirathen des Weins
dieſelbe Verduͤnnung.
Ein zweyter Grund fuͤr urdeutſche Namen
iſt ihr Wohlklang. Der Ausländer verſtuͤmmelt
[193] nicht ſchoͤne Namen am meiſten, ſondern ſchlechte.
Nur bey unſern Kunſtwerken kehrt ers um.
Hätte z. B. Montesquieu einen klingendern
Namen gehabt; ſo waͤr’ er nicht in Rom ange-
meldet worden im erſten Zimmer als Mont-
dieu — im zweyten als Montieu — im drit-
ten als Mordieu — bis er endlich im letzten
als Hr. von Forbii eintrat. Chamfort erzaͤhlt,
daß der Wuͤſtling Richelieu nie im Stande ge-
weſen, den Namen eines Buͤrgerlichen auszu-
ſprechen, ohne ihn zu verſtuͤmmeln. Da wir
Deutſche gegen die Franzoſen — denn dieſen
muͤſſen wir uns taͤglich mehr zu- und entgegen-
bilden, damit ſie kuͤnftig mit uns beſſer vorlieb
nehmen — als geborne Buͤrgerliche erſcheinen:
ſo werden ſie einſt neben der geoͤfneten Mine
jeden Namen, wenn er nicht halbitalieniſch,
wie etwa Bonaparte, toͤnt, entweder erbaͤrm-
lich verrenken, oder uns gar als neuen Mitglie-
dern ihrer großen Akademie der Arkadier neue
arkadiſche Namen geben, z. B. Pépé, Huleu,
Bexou, Baïf, Ouffle, Grez.
Erſter Theil. 13
[194]
Der Eindruck eines wollautenden Namen,
ſo wie eines mistoͤnigen, wird oft kaum von
Jahre langer Gegenwirkung uͤberwunden; und
er wird gar verdoppelt, wenn der Menſch ſo
handelt, wie er heißt; ſo ſehr iſt unſer Schick-
ſal, wie nach Bonnet der Baum, eben ſo wohl
in die Luft als in die Erde gepflanzt. Waͤr’ ich
z. B. Rapinat geweſen, ſo haͤtt’ ich mich, in
der Schweitz Fenelon, oder Jean Jaques, oder
Tell getauft, um wie die Muͤhle ſchoͤn zu klin-
geln nach dem Zermahlen.
Ich ſchlage daher noch, da es fuͤr Deutſche
Zeit iſt, aus Wiarda und Fiſchart zur Probe
einige urdeutſche köſtliche Namen vor; erſtlich
weibliche: Amala (von amal, unbefleckt) Amalo-
berga — Theoda (von theod, vornehm) Theo-
delinda, Theudogotha, Theuberga — Liuba
(von lieb) — Witta (die Weiſe) — Hilda (Hel-
din) — Torilda (von toro kuͤhn) — Feſtrada
(von feſt) — Egwia (die Treue) — Diotwina
(Siegerin) — Liota (von lud beruͤhmt) — Lieb-
[195] warta — Adelinda — Aethelwina — Giſa (die
Maͤchtige) — Folka (die Vollkommene) — Oda
(von od gluͤcklich).
Der ſchoͤnen männlichen Namen ſind weit
mehrere: Totilar (theod) — Theudobach (von
theut; Volk) — Theodulph (ulf, Helfer) —
Likolf — Adalmar (der große Edle) — Ewald
(der Maͤchtige) — Walland — Torwald — Fa-
ſtulf — Toro, Torald, Thorismund, Thurſtan
— Hariobaud — Osmund (von Mund, Mann
und Beſchuͤtzer) — Gummunder, Hildemund —
Britomar, Wiſimar, Marobod, Theodomir
(von mar beruͤhmt und mehrend) — Eoric, Ar-
daric (von hear geehrt) — Ollo, Almot, Allo-
rico (von al groß) — Odo, Athulf, Eodric
(von od gluͤcklich) — Adelfried, Adalland (von
ethel) — Clodic (von lud) — Degenwerd —
Manrich etc. etc.
Das Herz erhebt ſich froh vor unſern edeln
Urvaͤtern und Urmuͤttern, deren bloße Namen
ſo grosſinnig zu uns ſprechen; und das Ohr fin-
[196] det ſich von ſpaniſchen und italieniſchen Aehnlich-
keiten geſchmeichelt. Gerade fuͤr die zwey groͤß-
ten Welttheile der eleganten Welt, ſind urdeut-
ſche Namen Geſchenke. Erſtlich fuͤr die Weiber. —
Ein ſchoͤner Taufname z. B. (Amala oder unbe-
fleckt) iſt die einzige Schönheit, die ihnen Maͤn-
ner und Jahre nicht rauben. Zweytens fuͤr
Fuͤrſten. — Bekanntlich haben ſie keine andere
als Taufnamen, aber deren viele (Kaiſer Jo-
ſeph hieß noch: Benedikt Auguſt Johann Anton
Michael Adam) und ſie regieren mit einem da-
von (wie man aus dem Unterſchreiben ſieht) die
Laͤnder. Ein wohllautender Taufname aber,
z. B. Theodulph (Volks- oder erhabener Helfer),
koͤnnte gewiß uͤber der Unterſchrift des Miniſters,
deſſen angeborner Name ſelten ſo lieblich klingen
kann, als ein gewaͤhlter, die ſchoͤnſten Kon-
traſte machen.
Auch Vaͤtern uͤberhaupt ſollten Taufnamen
mehr anliegen, da ſie bey dieſen das Verdienſt,
ſie gegeben zu haben, herrlicher außer Zweifel
[197] ſetzen koͤnnen, als bey irgend einem vorneh-
men Geſchlechts-Namen, den ſie den Kindern
geben.
— — Ob ich gleich hier der Welt unbezahl-
bare Namen, wozu ſie wie zu Tugenden nichts
zu erfinden braucht als die Traͤger, mit einer
gewiſſen Verſchwendung anbiete — da ich in
meinen kuͤnftigen Biographien Helden und
Heldinnen genug habe, welche ohne die koͤſt-
lichſten Namen gar nicht exiſtiren koͤnnen: —
ſo bin ich doch, oder eben darum, nicht im
geringſten geſonnen, auch nur einen davon
an die zeitigen Romanſchreiber abzuſtehen,
ſondern ich erklaͤre hiermit oͤffentlich jeden fuͤr
einen Namendieb, der irgend einen in dieſem
Briefe oder auch im Wiarda fuͤr ſeine er-
bärmliche Helden abborgt und ihn dadurch na-
tuͤrlich ſo abnutzt, daß ihn nachher die meini-
gen ſo wenig tragen wollen, als einen durch-
ſchoſſenen Troͤdel-Mantel. Gedachter Schreib-
troß beſitzt ja Italien; in dieſen Namen-Bruch
und Schacht fahr’ er ein.
[198]
Ich habe kaum den Muth zu ſagen: le-
ben Sie wohl, lieber Sp., ſo wenig brieflich
iſt dieſer Brief geſchrieben.
Jean Paul.
Nachſchrift. Was ein bloßer Name vermag,
ſieht man an meinem; ſonſt könnt’ ich ihn leicht
vertauſchen, um mir nicht zu widerſprechen.
[199]
V.
D. Fenks Leichenrede auf den hoͤchſtſeeligen
Magen des Fuͤrſten von Scheerau.
D. Fenk hielt die Predigt im Kloſter Hopf
an die Patres, da ſie aßen. Schon vor 8 Jah-
ren hab’ ich jedermann in der unſichtbaren
Loge*) berichtet, daß er vorher in der Klo-
ſterkirche die Dispoſition dazu entworfen, waͤh-
rend daß man den Magen beyſetzte. Seitdem
las ich in Moſers Archiv, daß aus Leichenpre-
digten fuͤr Fuͤrſten vieles von ihrer Geſchichte zu
ſchoͤpfen ſey; ich vertheile daher mit Freuden
einige Exemplare vom Sermone an die Welt,
[200] zumal da man mich faſt verſichert, daß ſelber der
Konſiſtorial-Direktor Fromman; der (nach Mo
ſer) ſiebentauſend fuͤrſtliche Leichenpredigten auf-
geſpeichert, die D.Fenkiſche noch nicht hat
erwiſchen koͤnnen.
Die Paters im Kloſter Hopf verdienen hier
meinen öffentlichen Dank und Preis, daß ſie
den Spaß, der den ernſten Mann oft mitten in
der Trauerrede auf den hohen Magen uͤberfiel,
ganz gut verſtanden und vergeben haben. Die-
ſes vermag die katholiſche Kirche leichter als un-
ſere. Gerade in die andaͤchtigſten Zeiten fielen
die Narren- und Eſelsfeſte, die Myſterienſpiele,
und die Spaßpredigten am erſten Oſtertage, bloß
weil damals das Ehrwuͤrdige noch ſeinen weite-
ſten Abſtand von dieſen Traveſtirungen behaup-
tete, wie der Xenophontiſche Sokrates vom Ari-
ſtophaniſchen. Spaͤterhin vertraͤgt die Zweydeu-
tigkeit des Ernſtes nicht mehr die Annaͤherung
des Scherzes, ſo wie nur Verwandte und Freunde,
aber nicht Feinde einander vor den komiſchen
Hohlſpiegel fuͤhren duͤrfen.
D. Fenk machte ſchon vor dem Eſſen die
[201] Patres dadurch aufmerkſam, daß er anmerkte,
er wuͤrde nie, wenn er auf dem Throne ſaͤße
und davon todt herunterſaͤnke, ſich in ſo großen
breiten Bruchſtuͤcken begraben laſſen, wie die
Oeſtreichiſchen Erzherzoͤge naͤmlich nie, wie dieſe,
bloß Herz und Zunge in die Lorettokapelle bey
der Hofkirche zu den Auguſtinern, Eingeweide
und Augen in die heil. Stephanskirche, und
den Torſo in die Gruft bey den Kapuzinern: —
ſondern jeder Stummel, ſchwur er, und jede
Subſubdiviſion ſeines Gemaͤchs muͤßte wie vom
Oſiris, in ihren eigenen Gottesacker einlaufen.
Denn — fragt’ er die Vaͤter — warum ſoll ein
Regent nicht nach dem Tode eben ſo gut uͤber-
all in ſeinem Lande ſeyn, wie vorher, und zwar
durch Repraͤſentanten, wozu ſeine Glieder ſo gut
wie Staatsglieder paſſen? Und wenn das gelte,
fuhr er fort, ſo koͤnn’ er ja recht gut das geheime
Kabinet zur Begraͤbnißkapelle fuͤr ſeine Schreib-
finger erleſen, die Antichambre fuͤr Milz und Leber,
den Audienz- und Landtagsſaal fuͤr die Ohren,
die Kammer fuͤr die Haͤnde, den Regensburger
Re- und Korrelazionsſaal als Familiengruft fuͤr
[202] die Zunge; — ja er koͤnne die Koͤnigswege zur
geweiheten Erde ſeiner erſten Wege ausheben
und den fernen Fuhrleuten die letzten geben,
und die Landſtaͤnde koͤnnen ſich (die Reſidenz be-
ſitze ſein Herz) in ſeine einſaugenden Gefaͤße
theilen. „Mich duͤnkt — ſagt’ er etwas ſtolz,
da er auf einmal die ganze ſchoͤne Idee uͤber-
ſchauete — gegen ein ſolches topographiſches
Univerſalbegraͤbniß kommt wol wenig das elende
kleine Parzialbegraͤbniß auf, wozu es einer und
der andere gekroͤnte Stammhalter dadurch treibt
daß er noch bey Lebzeiten aus eignen Gruͤnden
nach dem Chirurgus ſchickt.” —
Die Eßkongregation fand den Doktor ſo ora-
toriſch, daß ſie ihn bat, ſtatt des Novizen, der
eine Predigt uͤber die Speiſetafel hinleſen wollte,
ſelber eine eigne zu halten. Er zog eine Schreib-
tafel heraus, und ſagte, dieſe ſetz’ ihn in
Stand, dem eingeſargten Magen eine kleine
ruͤhrende Tiſch- und Trauerrede zu halten; er
bitte ſich bloß vom Hörſaale die Gefaͤlligkeit aus,
— weil er im Redefeuer etwas vor ſich ſehen
muͤſſe zum Anſehen und Anreden — daß es ei-
[203] nen im Zimmer zum Knaul aufgewickelten Ret-
ter und Schirmer (oder war’s ein anderer Jagd-
hund) fuͤr den Leichenmagen halte, und ſich
ſaͤmmtliche fuͤr das Trauerkondukt des Schtrmers.
Dann trat er nach dem erſten Tiſchgebet ganz
bewegt als Parentator vor das Thier, beſah es
lange und hob an.
Betruͤbte Trauerverſammlung!
Nun haben wir unſern Landes-Magen ver-
loren, hier liegt ſein kalter Reſt auf die Bahre
hingeſtreckt. Er, der ſonſt fuͤr uns arbeitete,
wenn wir ſchliefen, ruht endlich aus von ſeiner
Bewegung, welche ſo periſtaltiſch war. Wir
wollen uͤber das Staatsglied, das wir hier zur
Ruhe beſtatten, zugleich die allgemeinſten und
beſonderſten Betrachtungen durch einander
werfen.
Ein Fuͤrſt repraͤſentirt das Volk, aber nicht
bloß mit dem Herzen den allgemeinen Willen,
ſondern auch in mehrern Laͤndern mit dem Ma-
gen den allgemeinen Appetit; in Spanien ſetzen
[204] die Reichsgeſetze dem Koͤnige taͤglich eine Schuͤſ-
ſel-Zenturie vor; und in Frankreich ließen ſie
fuͤr ihn nach dem Tode — denn der Koͤnig ſtirbt
da nie, nach der Fikzion — gerade ſo viele Tage
lang kochen, als Chriſtus hungerte, naͤmlich 40 *),
ja die Bienen weiſen auf etwas Aehnliches;
ihre Dogareſſa oder Fürſtin wird durch zwey
Umſtaͤnde groß und thronfaͤhig, durch eine groͤ-
ßere Zelle — ein Bienen-Louvre und Esku-
rial — und durch fettern Fraß aus zerdruͤckten
Bienenjungen bereitet. Im letzten haͤlt ſich der
Koͤnig von Makoko ganz woͤrtlich an die Natur;
er laͤßt ſich taͤglich (nach Dapper) 200 geſottene
und gekochte Landskinder ſerviren. Wie hart!
Waͤre es nicht genug und etwas Aehnliches,
wenn er entweder wie ein durchpaſſirender auf-
ſchmauſender Paſcha Zahngeld fuͤr das Abnu-
tzen ſeiner Hundszaͤhne eintriebe, oder fuͤr die
Vakanz derſelben außerordentliche Steuern ein-
foderte? —
[205]
Daher wird ſogleich nach der Kroͤnung der
Thron als ein Seſſel an den Eßtiſch geruͤckt,
und ſpeiſen iſt der erſte öffentliche Aktus des
Neugekroͤnten; daher muß der Erbherr auf
Bardolf, der die Gruͤtze auf die brittiſche Königs-
tafel traͤgt, der Herr von Lyſton, der das Gebaͤck
aufſetzt, der Erbherr auf Skoulton, welcher
Oberſpeckverwalter iſt, ſammt andern Erbland-
kuͤchenmeiſtern und Erblandvorſchneidern, fruͤher
ihren Poſten vorſtehen als andere Staatsbedien-
ten von weniger Wichtigkeit, z. B. der Lord-
Major oder der Sprecher des Unterhauſes.
Darum wird in beſſern Laͤndern darauf ge-
ſehen, daß der Mundkoch nicht mit dem Regie-
rungsrathe, den man ſogern uͤber jenen heben
moͤchte *) in Eine Klaſſe geworfen werde, da
jener doch am Ende fuͤr die laͤngere Seſſions-
tafel arbeitet. Daher ſpeißte der verewigte
Magen, den wir hier verſenken, ſo oft öffentlich
[206] vor ſeinem ganzen Fuͤrſtenthume, wie der Groß-
Sultan eben deswegen jeden Freytag in die
Kirche geht. Der Dalai Lama haͤlt es fuͤr hin-
laͤnglich, wenn er die Folgen von der Sache
ſehen laͤßt. Der Negerkoͤnig iſt ſo deſpotiſch,
daß er ſtets hinter der Decke ißt.
Das Geſandtenperſonale glaubt ſeinem repraͤ-
ſentirenden Charakter durch Gaſtmahle genug zu
thun, die es theils gibt, theils beſucht. Auch
geringern Staatsdienern darf er nicht ganz feh-
len. Es verdient bewundert zu werden, wie ich
ſonſt in der Fleiſchſcharre einer Provinz ſtand,
und mehrmals aus einem Rind, das eben aus-
gehauen wurde, den Adreßkalender der Hono-
razioren ſo komplet herſtellte, wie die Paſſions-
hiſtorie aus einem Hechtskopf; ich theilte die
Maͤnner bloß, wie Friſch die Voͤgel, nach dem
Futter ein. Dem regierenden Konſul, der am
meiſten zu ſagen hatte, ſtarb vom Thier die Zunge
an — fette Kollegen erhielten Fettſtuͤcke — in-
nere Rathsglieder hintere Rindsglieder — äu-
ßere nur vordere — der magern Kanaille, die
nichts an ſich hat, als Haut und Knochen und
[207] einen leeren Magen, gehoͤrte vom Maſtſtuͤck
auch nichts Beſſeres. Von den Opferſchalen,
welche die Kuͤnſtler den alten roͤmiſchen Kaiſern,
wie den Doriſchen Fries, anbilden und anmah-
len, behauptete ich ſtets, daß ſie nicht das Aus-
gießen, ſondern das Einſchoͤpfen vorſtell-
ten: In der Natur fließt zwar von den Bergen
den Thaͤlern fette Erde zu, aber im Staate
mäſten beſſer die Tiefen die Hoͤhen. So iſt der
paͤbſtliche Thron zwar ein Hungerthurm, aber
nicht fuͤr den Biſchof Hatto droben, ſondern fuͤr
die zappelnden Kirchenmaͤuſe unten, die nicht
hinauf koͤnnen.
Betruͤbtes Trauer- und Eßgelag! Du
ſeufzeſt unter dem Genuß des Leichenmaals,
womit du das Abſcheiden unſers Magen feierſt,
und die Biſſen treiben dir Thraͤnen aus. Wi-
ſche ſie ab, ſetzte deine Trauer darein, daß du in
den Fußtapfen des hingegangenen Gliedes wan-
delſt. Ihr wiſſet, Leidtraͤger, daß ihr im Kir-
chenſchiff, eurem Proviantſchiff, nicht umſonſt
fahret, ſondern daß euer Leben ein langes Nach-
tiſchgebet ſeyn ſoll, hingebracht nicht in gelehr-
[208] ter Zerſtreuung, ſondern in genoſſener. Da der
Klerus-Magen in den Kloſter-Prytaneen der
erweichende Vogelkropf am Staats-Phoͤnix ſeyn
ſoll; da die Kirche auch bloß darum, wie den
Epikur und andere Alte ſo oft faſten laͤßt, um
den Hunger zu reitzen, und ſie euch ſogar das
Geluͤbde des Schweigens unter dem Eſſen auf-
legt, damit euch alles beſſer zuſchlage, ſo ſeyd
ihr verbunden, der großen Welt voranzugehen,
die ſo ſchwache Eßluſt und doch ſoviel zu eſſen hat;
weil ſie das Brokardikon Marcians nicht bloß
auf Dokumente einſchraͤnkt: non solent, quae
abundant, vitiare scripturas d. h. es thut
nichts, was zuviel daſteht. — Ritter Michaelis
bewies, daß die Prieſter des alten Bundes bloße
Schlaͤchter waͤren; und dieß ſpreche fuͤr euch.
Muntern euch keine Staatsglieder auf, die
in ihren Pflichten ſtarben? — Hier liegt ein
betruͤbtes, aber großes Beyſpiel vor uns; der
hier unten ſeinem Erwachen entgegenſchlafende
Magen kam durch Arbeitſamkeit an den Ort,
wo wir ihn betrauern. Er wollte zuviel auf
ſich nehmen und in Saft und Blut verwan-
[209] deln — er wollte, gleich dem Waſſer der Nep-
tuniſten, ganze ausgeleerte Auſternbänke fuͤr die
Nachwelt abſetzen — er wollte eine europaͤiſche
Niederlaſſung wichtiger Konſumtibilien werden
und alles einfuͤhren in ſich: — jetzt ſchlaͤft er.
Wird er aber wieder erwachen, unſer hoher
Magen, zum Lohne ſeiner Arbeiten?
Hoch — Hochwohl — Wohl — Hochedel-
geborne Trauerverſammlung! Das iſt ausge-
macht! Nicht zwar der irrdiſche ſchwere Ma-
gen erſteht, aber der verklaͤrte. Bonnet und
Platner kundſchafteten im jetzigen Koͤr-
per und Seelenorgan einen zweyten Koͤrper aus
mit ſeinem zweyten Seelenorgan, und fuͤhren
Gruͤnde an, die es glauben laſſen, daß ſich das
zweyte konſervire und letzlich aufſchwinge. Iſt
das, und fuͤttert in der That ein feiner Unter-
ziehmenſch den aͤußern groben aus: ſo muß ſich
auch in dem erſten Magen ein praͤformirter aͤthe-
riſcher aufhalten, wie beym Krebs der alte im
neuen. Schon Van Helmont wickelt die
ſenſitive Seele in die Magenhaut, und Par-
menides gar den ganzen Geiſt. — — Wie,
Erſter Theil. 14
[210] ſollte keine gluͤckliche Erfahrung die Hypotheſe
eines Aethermagens ſtuͤtzen? — Woher kommt
es denn, daß die vornehme Welt, wenn ſie den
Erdenmagen ausgefuͤllt hat, ſich doch immer
nach feinerer Zehrung fuͤr den Himmelsmagen
umſieht? — Himmel! was ſind denn Schau-
gerichte? — Sind dieſe nicht eben die vollen
Schuͤſſeln fuͤr den ewigen Magen, der ſie daher
bloß mit den feinſten Freßſpitzen, mit den Seh-
nerven aufzehrt? Das Phaͤnomen der Schau-
gerichte wurde bisher noch ſchlecht erklaͤrt; und
wenige Leute in Schulen wußten, warum ſie
den Namen Schau-Eſſen, Materien und For-
men laſſen ſollten, die hoͤchſtens nur fuͤr den
Vogel Strauß brauchbar und nahrhaft waͤren.
Allein es fuͤhret Licht in die Sachen, wenn man
erkennt, daß eine ſpeiſende Hoftafel ja nicht bloß
die untern Seelenkraͤfte des Unterleibs, die nur
materiellere Trebern fodern, ſondern auch die
obern Seelen- und Magenkraͤfte, die, wie bey
den Krebſen, im Kopfe, und zwar im Auge
ſitzen, entwickeln will an optiſchem Manna.
Veredelte, uͤberſinnliche Seelen dieſer Art, wel-
[211] che dem Volke des Kteſias ſo ungleich, das
ſich nur vom Geruch der Fruͤchte erhaͤlt, viel
feiner von der Phyſiognomie derſelben le-
ben, dieſe haben in ihrem eignen Bewußtſeyn
den gewiſſern hoͤhern Beweis einer ſchoͤnern hoͤ-
hern Natur, gleichſam des Magens eines neuen
Adams; und bloß darauf koͤnnen ſie die Hoff-
nung ihrer Dauer bauen. Die Völker, welche
Todten Speiſe vorſetzen und mitgeben, die er
mit dem geſtorbenen Magen nicht verdauen
konnte, ſcheinen etwas von einem fortlebenden,
vorausgeſetzt zu haben. Indeß, ſo wie ein La-
ſterhafter im ganzen Himmel kein Vergnuͤgen
faͤnde, ſo wuͤrde ein Hungerleider — voll gro-
ber Begierden — in einer ganzen Garkuͤche voll
Schaugerichte, keine Saͤttigung gewinnen; er
muß erſt veredelt (oder geſaͤttigt) ſeyn. Gebil-
dete Damen haben meiſt den irrdiſchen Magen
dermaßen ertödtet, daß ſie — ſo wie Chriſtus,
nach dem Clemens von Alexandrien, Eſſen genoß,
nicht weil ers brauchte, (eine himmliſche Kraft
macht’ ihn ſatt) ſondern um ſich nicht das An-
ſehn eines Scheinkoͤrpers zu geben — daß,
[212] ſag ich, die Damen gleicherweiſe grobe Sachen
eſſen, nicht um ſatt zu werden (Schaugerichte
bekoͤſtigen ſie genug) ſondern um zu zeigen, daß
ſie ſelber keine Schau- oder Schein-Koͤrper
ſind, um ſo mehr, da ihre Pariſer Schau- oder
Schein-Wangen-Schein-, Adern- und Haare:
ſo leicht dieſen Irrthum weiter ſaͤen.
Und ſo wird denn der ſeelige Magen vor
uns einſt die irrdiſchen Schlacken abſchütteln und
geläutert erwachen, und im Anſchauen ewiger
Kuͤchenſtuͤcke leben.” — —
Soweit war D.Fenk als der Pater Kuͤ-
chenmeiſter aus Bosheit den Schirmer mit einem
Tritt auf dem Schwanze erweckte, und ihm ein
leeres Markbein zuwarf, ſo daß der Hund an-
fing, mit dem Bein im Maul herumzugehen.
Inzwiſchen da der Leichenredner nur noch fuͤnf
bis ſechs Kadenzperioden nachzutragen hatte: ſo
ging er lieber fortfahrend hinter dem Thiere her
und ſagte: „Und wir, wenn wir Landes-Wei-
ſen einſt unſerm hohen Magen wieder begeg-
nen und ihm danken wollen fuͤr” — — Da
aber der Hund voll Verdruß uͤber das Nachſetzen,
[213] vielleicht praͤſumierend, der Redner woll’ ihm
den Knochen nehmen, zu murren anfing, und
ſich wehren wollte, ſo fiel jetzt die Sache ins
Komiſche und ſelber der Parentator mußte mit-
ten im Jammer lachen und brach ab....
[214]
VI.
Die Kunſt einzuſchlafen.
Fuͤr die jetzigen langen Naͤchte und fuͤr die ele-
gante Welt zugleich, die ſich noch länger macht,
iſt eine Kunſt einzuſchlafen, vielleicht erwuͤnſcht,
ja fuͤr jeden, der nur einigermaßen ausgebildet
iſt. Es gibt jetzt wenige Perſonen von Stand
und Jahren, die, das Gluͤck ihrer hoͤhern Feinde
ausgenommen, irgend ein anderes ſo ſehr be-
neideten, als das einer Haſelmaus, oder auch
eines nordiſchen Baͤrs, deſſen Nachtſchlummer
bekanntlich gerade ſo lange als ſeine Nordnacht
waͤhrt, naͤmlich fuͤnf Monate. Unſere Zeit
bildet uns in Kleidern und Sitten immer mehr
[215] den waͤrmern Zonen an und zu, und folglich
auch darin, daß man wenig und nur in Mor-
gen- und Mittagsſtunden ſchlaͤft; ſo daß wir
uns von den Negern, welche die Nacht kurzwei-
lig vertanzen, in nichts unterſcheiden, als in der
Länge unſerer Weile und unſerer Nacht. Hoch
oben wird immer mehr die eigne Menſchheit —
nicht wie von Alexander aus dem Schlafe —
umgekehrt aus dem Mangel deſſelben errathen.
Gibt es nicht in allen Reſidenzen Juͤnglinge von
Welt und Geburt, welche (beſonders wenn die
Glaͤubiger erwachen) gern ſo lange ſchliefen bis
ſie ſtuͤrben, oder doch ihre Vaͤter? Und was
hilfts manchem jungen Menſchen, daß er Frank-
lins Wink, Nachts zum beſſern Schlafe die Bet-
ten zu wechſeln, ſo gut er weiß, befolgt? Aus
dem Gegengift wird in die Laͤnge ein Gift.
Kurz, wer jetzt noch am feſteſten ſchlaͤft —
die Gluͤcklichen in den Wachſtuben auf der Prit-
ſche ausgenommen — iſt einer oder der andere
Homer, und die ſogenannten zehn thoͤrigten
Jungfrauen, welche in der Bibel den Braͤutigam
verſchlafen.
[216]
Wenn ich gleichwol mehrere geiſtige Mittel,
einzuſchlafen, freygebig anbiete, noch dazu in
einem kurzen Aufſatze — nicht in langen dicken
Baͤnden: — ſo ſind ſie in der That nicht jenen
Wuͤſtlingen gegoͤnnt und geſchrieben, welche —
durch lauter maitres de plaisirs zu esclaves
de plaisirs gemacht; — in der Nachtzeit, in
welche ſonſt die alte Jurisprudenz die Folter ver-
legte, bloß darum die ihrige ausſtehen, weil ſie
ſonſt ihre Freuden und Rachtviolen darin pfluͤck-
ten. Sie mögen wachen und leiden, dieſe Sab-
bathsſchaͤnder des taͤglichen Sabbaths der Natur.
Gibt es hingegen einen Miniſter, der an ei-
nem Volke — oder einen Autor, der an einem
Werke arbeitet, und beyde ſo feurig, daß ſie
eben ſoviel Schlaf verlieren, als entziehen —
oder irgend einen weiblichen Kopf, der das Naͤh-
und Fang-Gewebe ſeiner oder fremder Zukunft,
wie die Spinnen die ihrigen gern um Betten,
und immer in der Nacht abweben, eben ſo im
Finſtern ausſpinnt, und der folglich kein Auge
zuthut — oder gibt es irgend einen andern von
Idee zu Idee fortgetriebenen Kopf — z. B.
[217] meinen eignen, den bisher der Gedanke, die
Kunſt einzuſchlafen fuͤr die Zeitung fuͤr die ele-
gante Welt zu bearbeiten, an der Kunſt ſelber
hinderte: — ſo ſey allen dieſen ſo geplagten und
geſchaͤtzten Koͤpfen mit Vergnuͤgen der Schatz
von Mitteln einzuſchlafen mitgetheilt, worunter
ſo manche oft nichts helfen dem einen, doch
aber dem andern und den uͤbrigen.
Nicht Einſchlafen, ſondern Wiedereinſchlafen
iſt ſchwer. Nach dem erſten ſchlummernden
Ermatten faͤhrt der obige Staatsmann wieder
auf, und irgend eine Finanz-Idee, die ihm zu-
fliegt, hält er ſich abarbeitend feſt, wie der Ha-
bicht eine in der Nacht erpackte Taube bis an
den Morgen in den Faͤngen aufbewahrt; daſſelbe
gilt ganz vom Buͤcherſchreiber, deſſen Innres
im Bette, wie Nachts ein Fiſchmarkt in See-
ſtaͤdten, von Schuppen phosphoreszirt und nach-
glaͤnzt, bis es ſo licht in ihm wird, daß er alle
Gegenſtaͤnde in ſeinen Gehirnkammern unter-
ſcheiden kann, und an ſeinem Tagwerke wieder
zu ſchreiben anfängt unter der Bettdecke. Dieß
[218] iſt ungemein verdruͤßlich, beſonders wenn man
keine Mittel dagegen weiß.
Ich weiß und gebe ſie aber; ſaͤmmtlich lau-
fen ſie in der Kunſt zuſammen, ſich ſelber Lang-
weile zu machen, eine Kunſt, die bey gedachten
logiſchen Koͤpfen auf die unlogiſche Kunſt, nicht
zu denken, hinaus kommt.
Wir wollen indeß einen weitern Anlauf zur
Sache nehmen. Es wird allgemein von Philo-
ſophen und Feſtungskommendanten angenommen,
daß ein Menſch, z. B. eine Schildwache, im
Stande ſey, ſchlaͤfrig und wach zu bleiben. Ja
ein Philoſoph kann ſich zu Bette legen, Augen
und Ohren verſchließen, und doch die Wette aus-
bieten und gewinnen, die ganze Nacht zu ver-
wachen bloß durch ein geiſtiges Mittel, durch
Denken; — folglich, ſetzt dieſe Willkuͤhr die an-
dere voraus, einzuſchlafen, ſobald man das
Mittel der Wette nicht anwendet, wie wir
Abends ja an ganzen Voͤlkern ſehen, wenn ſie
zu Bette gehen.
Der Schlaf iſt, wie ich im Hesperus bewei-
ſen, das ſtaͤrkende Ausruhen nicht ſo wohl des
[219] ganzen Koͤrpers, oder der Muſkeln u. ſ. w. als
des Denkorgans, des Gehirns, daher durch
lange Entziehung deſſelben nichts am Koͤrper er-
krankt als das Gehirn, nemlich zum Wahnwitz.
Wird es bey dem Thiere durch kein Empfinden,
beym Menſchen durch kein Denken mehr gereizt:
ſo zittert dieſes willkuͤhrliche Bewegungsorgan
endlich aus. So bald der Menſch ſagt: ich will
keine einzige Vorſtellung, die mir aufſtößt, mehr
verfolgen, ſondern kommen und laufen laſſen,
was will: ſo faͤllt er in Schlaf; nachdem vor-
her noch einzelne Bilder ohne Band und Reihe,
wie aus einer Bilderuhr, vor ihm aufgeſprun-
gen waren, bloße Nachzuckungen des gereizten
Denkorgans, denen der Muskelfaſern eines ge-
toͤdteten Thieres aͤhnlich. Das Erwachen dage-
gen beginnt das geſtaͤrkte und nun reitzende Or-
gan, wie das Einſchlafen der nachlaſſende
Geiſt.
Die goͤttliche Herrſchaft des Menſchen uͤber
ſein inneres Thier- und Pflanzenreich wird zu
wenig anerkannt, und eingeuͤbt, zumal von
Frauen; ohne ſie ſchleppt uns die Kette des er-
[220] ſten beſten Einfalls fort. „Tritt aber nicht,
kann eine Frau ſagen, das Leichenbild meines
Schmerzes uͤberall ungerufen mitten im Fruͤh-
ling und im Garten deſſelben wie ein Geiſt,
aus der Luft, bald hier, bald da, und kann ich
der Geiſtererſcheinung wehren?“
Wende das Auge von ihr, ſag’ ich, ſo ver-
ſchwindet ſie und kommt zwar wieder, aber im-
mer kleiner; ſiehſt du ihn hingegen lange an,
ſo vergroͤßert ſie ſich, und uͤberdeckt dir Him-
mel und Erde. — Nicht die Entſtehung, ſon-
dern die Fortſetzung unſerer Ideen unterſchei-
det das Wahre vom Traume; im Wachen erzie-
hen wir den Fuͤndling eines erſten Gedankens,
oder laſſen ihn liegen, im Traume erzieht der
Fuͤndling die Mutter, und zuͤgelt ſie an ſeinem
Laufzaume.
Um zum nahen Einſchlafen wieder zu kom-
men, ſo bekenn’ ich indeß, daß jenes gewaltſame
Abbeſtellen und Einſtellen alles Denkens ohne
philoſophiſche Uebung wohl wenigen gelingen
wird; nur der Philoſoph kann ſagen: ich will
jetzt bloß mein Gehirn walten laſſen ohne Ich.
[221] Dieſes Vermoͤgen, nicht zu denken, kann alſo
nicht uͤberall bey der eleganten und denkenden
Welt vorausgeſetzt werden. Die Juden haben
unter ihren hundert Dankſagungen an jedem
Tage, auch eine bey dem Kraͤhen des Hahns,
worin ſie Gott preiſen, daß er den Menſchen
hohl erſchaffen, desgleichen löcherig. Jeder
elegante Welt-Menſch wird bis zu einem gewiſ-
ſen Grade — bis zum Kopfe — in das Dank-
gebet einfallen, weil er in der That keine Luͤcken
in der Welt lieber auszufuͤllen ſucht als ſeine
eignen.
Allein nicht jeder hat Abends das Gluͤck,
hohl zu ſeyn, und alſo, da die Leerheit des Ma-
gens nicht halb ſo ſehr als die des Kopfes das
Einſchlafen beguͤnſtigt, letzteres zu erringen.
Es muͤſſen folglich brauchbarere Anleitungen, den
Kopf wie einen Barometer luftleer zu machen,
damit darin das zarte elektriſche Licht der Traͤume
in ſeinem Aether ſchimmere, von mir angege-
ben werden.
Wenn alle Einſchlafs-Mittel, nach den vori-
gen Abſaͤtzen, d. h. Grundſaͤtzen in ſolchen be-
[222] ſtehen muͤſſen, die den Geiſt vom Gehirne ſchei-
den, und dieſes ſeiner eignen Schwere über-
laſſen: ſo muß man, da doch die wenigſten Men-
ſchen verſtehen, nicht zu denken, ſolche Mittel
waͤhlen, die zwar etwas, aber immer daſſelbe
etwas zu denken zwingen.
Da ich wol ein guter Einſchläfer und Schläfer,
aber einer der mittelmaͤßigſten Wiedereinſchlaͤfer,
bin: ſo geben mir meine Naͤchte- und Bett-Luku-
brazionen vielleicht ein Recht uͤber die Selbſtein-
ſchlaͤferungskunſt hier der Welt nach eignen Dik-
taten zu leſen.
Ich muͤßte von mir ſelber ſprechen, und mich
über mich ausbreiten, wenn ich die Leſer an
mein Bett fuͤhren wollte, um ſie von dieſem Hei-
denvorhof aus, weiter zu geleiten zum Kathe-
der. Nur dieß kann ich vielleicht ſagen, daß
ich ganz andere Anſtalten als die meiſten Leſer
treffe, nicht aufzuwachen. Wenn z. B. ſo man-
cher Leſer bey dem Einſchlafen eine Hand aus
Unvorſicht auf die Stirn oder an den Leib, oder
nur ein Bein aufs andere legt: ſo kann das ge-
ringſte dem Schlafe gewoͤhnliche Zucken der vier
[223] Glieder ſaͤmmtlichen Rumpf aufwecken und auf-
kratzen; — und dann iſt die Nacht ruinirt und
er mag zuſehen. Dagegen man ſehe mich im
Bett! — Nie beruͤhre doch jemand im Schlaf
ein lebendiges Weſen, welches ja er ſelber iſt.
Der kleinlichern Vorſichtsregeln gedenk’ ich gar
nicht, z. B. gegen den Hund, der auf der Stu-
bendiele mit dem Ellenbogen haͤmmert, oder
auf einem wankenden Stuhl mit zwey Stuhl-
beinen auf- und abklappert, wenn er ſich kratzt.
Und doch leidet der unvorſichtige Leſer ſo viel
im Bette als ich, weil wir beyde nie ſchaͤrfer
denken und reicher empfinden als in der Nacht,
dieſe Mutter der Goͤtter und mithin Großmut-
ter der Muſen; und ginge am Morgen nicht der
Koͤrper mit Nachwehen herum, es gaͤbe kein
beſſeres Braut- und Kindbett geiſtiger Sonn-
tagsgeburten als das Bett, ordentlich wenn
die Schlaffedern zu Schreibfedern auswuͤchſen.
Eh’ ich endlich meine eilf Mittel, einzuſchla-
fen, folgen laſſe, merk’ ich ganz kurz an, daß
ſie ſämmtlich nichts helfen; — denn man ſtrengt
ſich ſehr dabey an, und mich hat jedes Schlaf
[224] genug gekoſtet; — aber dieß gilt nur fuͤr das
erſtemal. — Eben hat mir mein ſcharfſinniger
Freund E. noch ein zwoͤlftes entdeckt, naͤmlich
gar nicht einſchlafen zu wollen.
Das Erſte aber iſt: Leibnitz ſchlug es als ein
gutes vor, nehmlich Zaͤhlen. — Denn die
ganze Philoſophie, ja die Mathematik hat keine
abſtrackte Groͤße, die uns ſo wenig intereßirt,
als die Zahl — wer nichts zaͤhlt, als Zahlen,
hat nichts Neues und nichts Altes, indeſſen doch
eine geiſtige Thaͤtigkeit, obwohl die leichte der
Gewohnheit, ſo wie ein Virtuoſe ohne große gei-
ſtige Anſtrengung nach dem Generalbaſſe phan-
taſirt, den er doch mit großer erlernte; Bur-
ton, der eine Zahl von 39 Ziffern im Kopfe mit
ihr ſelber multiplizierte, ſank nach tiefen Rech-
nungen in tiefen Schlaf. Die Alten hatten an
den Bettſtellen das Bildnis Merkurs, dieſes
Rechners und Kaufmanns, und thaten an ihn
das letzte Gebet. Es laͤßet ſich wetten, daß nie-
mand leichter einſchlaͤft als ein Mathematiker,
ſo wie niemand ſchlechter als ein Verſe- und
Staatsmann.
[225]
Allein dieſes Leibnitziſche Zaͤhlen wird an
ſchwachen Schlaͤfern unſers Jahrhunderts nur
mittelmaͤßige Wunder thun, wenn man ent-
weder ſchnell, oder uͤber 100 (wodurch es ſchwe-
rer wird) oder mit einiger Aufmerkſamkeit zaͤhlt.
Eben ſo muß man, wie hoͤhere Rechenkenner,
nichts darnach fragen, daß man ſich verzaͤhlt.
Unglaublichen Verſchub thut aber dem Schlafe
ein kleiner, meines Wiſſens noch unbekannter
Handgriff, naͤmlich der, daß man im Kopfe die
Zahlen, welche andere Schlaͤfer ſchon fertig aus-
geſchrieben anſchauen, ſelber erſt groß und lang-
ſam hinſchreibt, auf was man will. Verfaſſer
dieſes, nahm dazu haͤufig eine lange Wetter-
oder auch Stoͤhrſtange und zeichnete, indem er
ſie am kurzen Hebelsarme hielt, mit dem lan-
gen oben an das Zifferblatt einer Thurmuhr
(indeß iſt Schnee eben ſo gut) die gedachten
Zahlen an, ſo lang und ſo dick, daß er ſie un-
ten leſen konnte. Dieſe ſo unendlich einfoͤrmige
Langſamkeit der Operazion iſt eben ihr punc-
tum saliens oder Huͤpfpunkt und ſchlaͤfert ſo ein;
und was das Laͤcherliche dabey anlangt, ſo geht
Erſter Theil. 15
[226] wohl jeder im Bette daruͤber hinweg. Jedem
Langſam- und Stangenſchreiber rathe man aber
unſere arabiſchen Ziffern ab, deren jede einen
neuen Zickzack fodert, ſondern er ſchreibe roͤmi-
ſche an ſeinen Thurm (wie alle Thurmuhrblaͤt-
ter haben), welche bis 99 nichts machen, als lau-
ter herrliche, recht herpaſſende Linien, naͤmlich
gerade. — Will ein Einſchlaͤfer Thurm und
Stange nicht: ſo kann man ihn rathen, recht
lange und zwar wie Trochaͤen auszuſprechende
Zahlen ſich vorzuzählen: ein und zwanzig Billio-
nen, 22, 23, ꝛc. Billionen.
2) Toͤne, ſagt Bako, ſchlaͤfern mehr ein,
als ungegliederte Schaͤlle. Auch Töne zaͤhlen,
und werden gezaͤhlt. Da aber hier nicht von
fremden, ſondern von Selbſtentladungen — das
Einſchlaͤfern iſt der einzige ſchöne Selbſtmord —
die Rede iſt: ſo gehoͤren nur Töne her, die man
in ſich ſelber hoͤrt, und macht. Es gibt kein
ſuͤßres Wiegenlied als dieſes innere Hoͤren des
Hoͤrens. Wer nicht muſikaliſch phantaſiren
kann, der hoͤre ſich wenigſtens irgend ein Lieb-
lingslied oder eine Trauermuſik in ſeinem Kopfe
[227] ab; der Schlaf wird kommen, und vielleicht
den Traum mitbringen, deſſen Saiten in keiner
Luft mehr zittern ſondern im Aether.
3) Vom zweyten Mittel iſt das dritte nicht
ſehr verſchieden, ſich naͤmlich in gleichem Sylben-
Dreſchen, leere Schilderungen langſam innen
vorzuſagen; wie ich z. B. mir: wenn die Wol-
ken fliegen, wenn die Nebel fliehen, wenn die
Baͤume bluͤhen ꝛc. Darauf laſſ ich auf’s Wenn
kein So folgen, ſondern nichts, naͤmlich Ent-
ſchlafen; denn die kleinſte Ruͤckſicht auf Sinn
oder Zuſammenhang oder Sylbenzahl wuͤrde
alles wieder, wie ein Nachtwaͤchter-Geſang, ein-
reißen, was das poetiſche Selbſtwiegenlied auf-
gebauet *). Da aber nicht jeder Talent zum
Dichter hat — zumal ſo ſpaͤt im Bette: — ſo
kommen ja dem Nicht-Dichter zu tauſenden
Bett-Lieder mit dieſem poetiſchen faulen Trom-
melbaß entgegen, wovon er nur eines auswen-
dig zu lernen braucht, um fuͤr alle Naͤchte damit
[228] ſein Gluͤck zu machen. Unſchaͤtzbar iſt hier un-
ſer Schatz von Sonnetten, an denen wie an
Raupen-Puppen nichts ſich lebendig regt, als
das Hintertheil, der Reim; man weiß es nur
noch nicht genug, wie ſicher das Reim-Glocken-
ſpiel uns in einen kuͤrzern Schlaf einlaͤute, als
der laͤngſte iſt. — Ich wuͤrde hiezu auch aus-
wendig gelernte Abendſegen vorſchlagen, da ſich
durch ſie wahrſcheinlich ſonſt Tauſende eingewiegt,
wenn ich nicht beſorgte, daß ſie ungewohnten
Betern durch den Reitz der Neuheit mehr Scha-
den und Wachen braͤchten als Nutzen.
4) Ein gutes Mittel einzuſchlafen nicht ſo-
wohl als wieder einzuſchlafen iſt, falls man aus
einem Traum erwacht, ſich in dieſen mit den
ſchlaͤfrigen Augen, indem man ihm unaufhoͤrlich
nachſchauet, wieder einzuſenken; bald wird die
Welle eines neuen Traumes wieder anfallen,
und dich in ihr Meer fortſpuͤhlen und eintauchen.
Der Traum ſucht den Traum. Im großen
Schatten der Nacht ſpielt jeder Schatten mit
uns Sterblichen, und haͤlt uns fuͤr ſeines
Gleichen.
[229]
5) Hefte dein inneres Nachtauge lange auf
einen optiſchen Gegenſtand, z. B. auf eine Mor-
genaue, auf einen Berggipfel, es wird ſich ſchlie-
ßen. Ueberhaupt ſind Landſchaften — weil ſie
unſerem innern Menſchen, der mehr Augen
hat als Ohren, leicht zu erſchaffen werden,
und weil ſie uns in keine mit Menſchen bevoͤl-
kerte und erweckende Zukunft ziehen, — die
beſte Schaukel und Wiege des unruhigen
Geiſtes.
6) Das ſechſte Mittel half mir mehrere
Nachmitternaͤchte durch, aber es fodert Uebung;
man ſchauet naͤmlich bloß unverruͤckt in den lee-
ren ſchwarzen Raum hinein, der ſich vor den
zugeſchloßnen Augen ausſtreckt.
7) Wer ſeine Augen ſchließen will, mache
an ſeinem innern Januskopfe zuerſt das Paar,
das nach der Zukunft blicket, zu; das zweyte,
nach der Vorzeit gerichtet, laſſe er immer
offen. Am Tage vor einer Reiſe oder Haupt-
that ſchlaͤft man ſo ſchwer als am Tage nach-
her ſo leicht; die Zukunft ergreift uns (ſo wie
den Traum) mehr, als die Gegenwart und Ver-
[230] gangenheit. Im Hauſe eines Todten, aber
nicht eines Sterbenden kann man ſchlafen. Daß
Kato in der Nacht vor ſeinem Entleiben ſchlief
— wie die Seitenraupe vor der Einpuppung —
ja ſchnarchte, iſt ſchwerer, als was er nachher
that. Daß Papſt Klemens XIIII*) am Mor-
gen vor ſeiner Kroͤnung geſchlafen, merkt die
Weltgeſchichte mit Recht an; denn am Abende
darauf, da er auf dem Stuhle ſaß, war es ganz
leicht; auf dem Wege zum Throne und auf deſ-
ſen Stufen wird uͤberall weniger geſchlafen und
das Auge zugemacht, als eben in den weichſten
Betten der Ehren und lits de justice. Euere
Vergangenheit könnt ihr daher — zu große Tie-
fen und Hoͤhen darin ausgenommen — mit Vor-
theil durchlaufen; aber nicht an den kleinſten
Plan und Brief und Aufſatz des naͤchſten Mor-
gens denken.
8) Fuͤr manche geuͤbte gewandte Geiſter im
Kopfe mag das wildeſte Springen von Gegen-
[231] zu Gegenſtand — aber ohne Vergleichungs-
zweck — mit welcher der Verfaſſer ſich ſonſt ein-
ſchlaͤferte, von einiger Brauchbarkeit ſeyn. Ei-
gentlich iſt dieſes Springenlaſſen nichts andres,
wenn es gut ſeyn will, als das obige Gehenlaſ-
ſen des Gehirns; der Geiſt laͤßt das Organ
auszucken in Bildern.
9) Seelenlehrer und deren Seelenſchuͤler
ſchläfern ſich ein — falls ſie wollen, — wenn
ſie geradezu jede Gedankenreihe ganz vorn ab-
brechen, die neue wieder und ſo fort: indem ſie
ſich fragen, bey jedem Maͤchtigen was ſie aus-
denken und vollenden moͤchten: „kann ich denn
nicht morgen eine Stunde laͤnger wach liegen,
und meine Kopfarbeit auf dem Kopfkiſſen verrich-
ten? Und warum denn nicht? — Wer aber
ſo wenig Denkkraft hat, daß er ſie damit nicht
einmal hemmen kann, wo er will, der hoͤrt hier
wieder ein Ausmittel; naͤmlich, er horche ſich
innen zu, wie ihm ohne ſein Schaffen
ein Subſtantivum nach dem andern zutoͤnt, und
zufliegt, z. B. mir geſtern: „Kaiſer — Roth-
mantel — Purpurſchnecke — Stadtrecht — Don-
[232] nerſteine — Hunde — Blutſcheu — atque —
uhinus — Fontenelle — caetera — et —
u. ſ. w.
10) Das neunte Seelen- und Bett-Lau-
danum kann jeder gebrauchen, er habe ſo viele
Ideen als er will, oder ſo wenige, oder keine.
Ich ſchaͤme mich es aber anzugeben, da es in
nichts Geiſtigerem beſteht, als darin, daß man
die fuͤnf Finger, einen nach dem andern, lang-
ſam auf oder unter dem Deckbette auf- und nie-
der bewegt, und fortfaͤhrt und daran ſo lange
denkt, bis man, ohne daran zu denken, an
kein Aufheben oder Achtgeben mehr denkt, ſon-
dern ſchnarcht. Es iſt erbärmlich, daß unſer
Geiſt ſo oft der Mitbelehnte des Leibes iſt, und
beſonders hier das Fauſtrecht der todten Hand,
und deren Fingerſetzung hat, und daß ſein gei-
ſtiger oder geiſtlicher Arm in der Armroͤhre des
weltlichen ſteckt. Schlafdurſtige, alſo Schlaf-
trunkene, z. B. Soldaten, Poſtillions, ſchlum-
mern im Reiten und marſchiren halb ein, bloß
weil gleiche Bewegungen des Koͤrpers dieſelben
langweilig-geiſtigen, die das Gehirn wenig mehr
[233] reitzen, in ſich ſchließen. Laͤßt man aber den
ſchlafenden Poſtillion dir Pferde abſpannen, ein-
ziehen, abſchirren und fuͤttern: ſo wird und
bleibt der Mann ganz wach; bloß weil ſeine
(koͤrperliche und geiſtigen) Bewegungen jetzt im-
mer etwas anderes anzufangen und abzuſetzen
haben. Der Grund iſt, die Einfoͤrmigkeit fehlt.
Wenn man in Tangotaboo (nach Forſter) die
Großen dadurch einſchlaͤfert, daß man lange und
linde auf ihrem Leibe trommelt: ſo iſt der Grund
gar nicht von dieſem vorletzten Mittel verſchie-
den. Denn das
11) iſt das letzte. Da die Kunſt einzuſchla-
fen nichts iſt, als die Kunſt ſich ſelber auf die
angenehmſte Weiſe Langeweile zu machen —
denn im Bette oder Leibe findet man doch keinen
andern Geſellſchafter als ſich — ſo taugt alles
dazu, was nicht aufhoͤrt, und ohne Abſaͤtze wie-
derkehrt. Der eine ſtellt ſich auf einen Stern,
und wirft aus einem Korbe voll Blumen eine
nach der andern in den Weltabgrund, um ihn
(hoft er) zu fuͤllen; er entſchlaͤft aber vorher.
Ein anderer ſtellt ſich an eine Kirchenthuͤre und
[234] zaͤhlt und ſucht die Menge ohne Ende, die her-
auszieht. Ein Dritter, z. B. ich ſelber, reitet
um die Erde, eigentlich auf der Wolkenberg-
ſtraße des Dunſtkreiſes, auf der wahren um uns
haͤngenden Bergkette von Rieſengebirgen und
reitet (indem er unaufhoͤrlich ſelber das Roß be-
wegt) von Wolke zu Wolke und zu Pol-Schei-
nen und Nebelfeldern, und dann ſchwimmt er
durch langes Blau und durch Aequator Guͤſſe
und endlich ſprengte er zum andern Pole wie-
der zu uns herauf. — Ein vierter Schlafluſti-
ger ſetzt irgend einen Genius bis an den halben
Leib in eine lichte Wolke, und will ihn mit Ro-
ſen rund umlegen und uͤberdecken, die aber
alle in die weiche Wolke unterſinken; der Mann
läßt indeß nicht ab, und umbluͤmet weiter —
in die Runde — und immer fort — und die
Blumen weichen — und der Genius ragt —
wahrhaftig ich ſchliefe hier, hielte mich nicht
das Schreiben munter, unter demſelben ſelber
ein. So wird uns nun der Schlaf — dieſes
ſchöne Stillleben des Lebens — von allem zuge-
fuͤhrt, was einfoͤrmig ſo fortgeht. So ſchlafen
[235] Menſchen uͤber dem Leben ſelber ein, wenn es
kaum acht oder neun Jahrzehnde gedauert hat.
So koͤnnte ſogar dieſer muntere Aufſatz den Le-
ſern die Kunſt einzuſchlafen mittheilen, wenn
er ganz und gar nicht aufhoͤrte.
[236]
VII.
Ueber den Tod nach dem Tode; oder der
Geburtstag.
Das Schloß des Juͤnglings, deſſen Taufname
Ernſt uns genuͤgen mag, ruhte einem großen
engliſchen Garten im Schooß, und der Gar-
ten wieder einer ſtolzen Ebene voll Berghaͤupter.
Darin ſollte ſein Geburtstag von ſeiner Mutter,
von mir und — wenn ſie noch morgends kaͤme —
von ſeiner Verlobten ſchoͤn gefeyert werden; auch
niemand hatte etwas darwider, ausgenommen
der Feſtheilige ſelber. Ich nenn ihn ſo, weil er
oft ſagte: er wuͤnſchte um keinen Preis irgend
[237] ein Schutzheiliger oder gar die Maria zu ſeyn,
wenn er an ſeinem Namenstage das widrige
Preiſen und Poſaunen der Menſchen im Him-
mel hoͤren müßte; wiewol es mit dem Allerheilig-
ſten — oder richtiger mit dem Alleinheiligen noch
ſchlimmer ſtehe. Ordentlich mit der Haͤrte des
Egoismus gegen Feindſeeligkeiten, koͤnnte er
Freundſeeligkeiten anfallen, und berennen; ein
Geburtstag, ſagt’ er, wenn es nicht ein frem-
der waͤre, ſey vollends dumm. Laſſet den Juͤng-
ling! Eine rechte Jungfrau iſt auch eine Heilige,
warum nicht der rechte Juͤngling ein Heiliger? —
Beyde ſind unſchuldig hoͤhere Kinder, denen
nur nach der Laubknospe auch die Bluͤtenknospe
zerſpringt. Ein Juͤngling iſt ein Lebens-Trun-
kener, und darum gluͤht er — wie einer, der
ſich durch phyſiſche Trunkenheit, die jugendliche
zuruͤckholt — zugleich vom Wangen- und Her-
zensfeuer des Muthes und der weichſten Liebe.
Die menſchliche Natur muß tiefgegruͤndete Guͤte
haben, da ſie gerade in den beyden Zuſtänden
des Rauſches, die ſie verdoppeln und vor den
Vergroͤßerungsſpiegel bringen, ſtatt vergroͤßer-
[238] ter Mängel nichts enthuͤllt, als das Schoͤnſte
und Beſte gereift, naͤmlich Blume und Frucht,
Liebe und Muth.
Der ſchoͤn-widerſpenſtige Juͤngling, der wie
meiſtens Juͤnglinge, nichts von ſeinem morgend-
lichen Geburtstage wußte, ſollte am Morgen
von der Ankunft ſeiner Verlobten und ſeines
Feſtes zugleich uͤberraſcht werden mit einer neuen
hellen Welt; wir ſprachen zuſammen tief in die
Nacht, aber Geſpraͤche, an dem Vigilien- und
heiligen Abende einer geſchloſſnen Lebensfriſt
werden leicht ernſt. Unverſehends hatten wir
uns wieder in den Staub unſers alten Kampf-
platzes verlaufen; er behauptete: man werde in
der zweyten Welt wieder ſterben, und in der
dritten, u. ſ. w. Ich replicirte: man muͤßte
gar nicht ſagen zweyte, ſondern andere
Welt; — nach dem Zerbroͤckeln unſeres körper-
lichen Rindenhauſes ſey ja die ſinnliche Laufbahn
abgeſchloſſen, die Erwartung einer neuen ſinnli-
chen, gleichſam ihrer Wiederholung in einer hoͤ-
hern Oktave, werde bloß von der Phantaſie
untergeſchoben, die ihre Welten nur mit den Ar-
[239] men der fuͤnf Sinne baue und halte — und
wir daͤchten wie die ſineſiſchen Tataren, die ihre
Todten mit goldpapierenen Haͤuſern und Geraͤth-
ſchaften, im Vertrauen deren Verwirklichung
droben, ausſteuern, und beſonders ſey die See-
lenwanderung außerhalb der Erde durch die Lei-
ber auf andern Sternen ganz unſtatthaft, ſchon
nach Seite 106 im Kampanerthal.
Ernſt warf mir den ganzen rein-blauen
Sternenhimmel vor uns ein, deſſen Welten ja
ein ſolcher juͤngſte Tag unſeres Todes alle ſo ein-
ſchmelze, daß aus deſſen ganzer verſperrter Un-
endlichkeit uns bloß das einzige Erd-Sternchen
waͤre offen geblieben. Ich duplizierte: dieß folge
zwar nicht — da wir nicht alle Wege der Er-
kenntnis neben unſern fünfen kennen, und da
wir Blindgeborne die Sonne durch den Tod
der Gefuͤhlsnerven verlieren und doch durch das
Erwecken der Sehnerven wieder bekommen kön-
nen — aber geſetzt, ſo ſey es, ſo waͤren wir
dann nur eben ſo von den Welten wie jetzt von
den zahlloſen Jahrtauſenden vor uns geſchie-
den. — Hingen die Sterne naͤher und als
[240] Erdmaſſen vor uns, oder ſaͤhen wir außer denen
droben zugleich die drunten: ſo wäre man
ſchwerlich auf die Hoffnung dieſer himmliſchen
Völkerwanderungen verfallen, und haͤtten un-
ſerer heiligſten Sehnſucht nicht die Richtung nach
einer bloß methaphoriſchen Hoͤhe gegeben —
Der Zeltiſche Himmel aus Wolken, und der
jetzige aus Welten wären uns nur in der Groͤ-
ße verſchieden, ja der griechiſche ſey beſſer, der
die ſchattige traͤumeriſche Unterwelt einnehme.
Ernſt verſetzte myſtiſch, es gäbe ein abſolutes
Oben, welches im Siege uͤber die Schwerkraft,
in der Freyheit beſtehe, und das die Flammen und
die Wurzelkeime auf dem Avers und Reversuuſerer
Kugel ſuchen. — Gegen meinen Unglauben
an eine zweyte Verkoͤrperung und Menſchwer-
dung fragt’ er: ob das Erkennen und das ſittliche
Handeln ohne irgend eine moͤglich ſey —— „bey
endlichen Weſen meynen Sie ohnehin, ſetzt’ ich
darzu: denn vom unendlichen iſts gewiß,” —
und wenn das kuͤnftig ſeyn koͤnnte, warum man
denn uͤberhaupt die erſte hieſige umbekommen? —
Aber das voͤllige Ausſcheiden aus unſerer Koͤrper-
[241] welt ſey undenkbar, inſofern der Tod es voll-
fuͤhren ſolle, der ſie ja, wie der Schlaf und die
Ohnmacht nicht dadurch fuͤr den Geiſt aufhebe,
daß er ſie veraͤndere; und wenn einmal
das Gehirn eine Teſtatur des Geiſtes war, ſo
behalte er doch nach deſſen Zerſetzung noch die
Koͤrper uͤbrig, wodurch und worin daſſelbe zer-
ſetzt geworden: zumal da keine Kraft im Uni-
verſum zu verlieren ſey. — Das Univerſum
iſt der Koͤrper unſers Körpers, fuhr er fort,
aber kann nicht unſer Koͤrper wieder die Huͤlle
einer Huͤlle ſeyn und ſo fort? Fuͤr die Phantaſie
wird es faßlicher, wenn man ihr es auszumah-
len gibt, daß, da jede mikroſkopiſche Vergroͤ-
ßerung eine wahre, nur aber zu kleine iſt*),
Erſter Theil. 16
[242] unſer Leib ein wandelnder organiſcher Koloſſus
und Weltbau iſt; ein Weltgebaͤude voll rinnen-
der Blutkugeln, voll elektriſcher, magnetiſcher,
und galvaniſcher Stroͤme, ein Univerſum, deſ-
ſen Univerſalgeiſt und Gott das Ich iſt. Aber
wie die Schmetterlingspſyche eine Haut nach
der andern abſprengt, die Ey-Haut, die vielen
Raupen-Häute, die Puppenhaut, und end-
lich doch mit dem ſchoͤn bemalten Pappillonkoͤr-
per vorbricht, ſo kann ja unſere Pſyche den
muskuloͤſen, dann den nervoͤſen Ueberzug durch-
reißen, und doch mit aͤtheriſchem glaͤnzenden Ge-
fieder ſteigen. Schon hier bereiten ihr oft Berg-
luft, Getraͤnke, Krankheit ein duͤnneres Ele-
ment, worin ſie leichter und mit den aufgeho-
benen Fluͤgeln halb außer der Welle flatternd
ſchwimmt; wie muß ſie nicht erſt im hohen Ae-
ther, im leichten weißen Brautkleide des zwey-
ten Lebens, fliegen und eilen?” —
[243]
Aus der Wirklichkeit war freylich gegen dieſe
Möglichkeit, den goldnen Wiederſchein derſel-
ben, nichts zu ſchließen. Dabey hatte der feurige
Juͤngling nach Landesart der Schwärmer Ein-
wuͤrfe verſchiedener Gattung wie auslaͤndiſche
Truppen in eine Linie geſtellt. Ich macht’ es
nachher nicht beſſer, als ich triplicierte. Aber
er ließ mich noch nicht dazukommen; ſondern
trug erſt dieſe Moͤglichkeit gar nach: „Wir ken-
nen nur die äußerſten Ueberzieh-Kleider der
Seele, aber nicht ihr letztes und nächſtes, ihr
Hemde. Unter allen Erſcheinungen von Ver-
ſtorbenen ſind z. B. die von eben Verſtorbenen,
oder von Sterbenden am ſchwerſten rein abzu-
laͤugnen; die unzaͤhlichen Todten der Jahrtau-
ſende verhuͤllen ſich uns, aber der Todte der
Stunde traͤgt gleichſam noch Erdenſtaub genug
an ſich, um damit noch einmal im Sonnenſtrahl
des Lebens vor einem geliebten Auge zu ſpielen.”
Ich wollte beynahe entgegenſetzen, warum
uns keine verſtorbne Thierſeelen erſchienen und
daß die Erſcheinung bloß verwandter Ster-
benden und Geſtorbenen, je deutlich ihre Ur-
[244] ſache und Erklaͤrung, naͤmlich die Taͤuſchung der
Liebe und Furcht anſage; aber ich unterließ den
Zweifel; uͤber Geiſtererſcheinungen wurde ohne-
hin bisher noch nicht mit rechter Religion
und Freyheit zugleich geurtheilt, und am we-
nigſten koͤnnen gegen ſie, ſo wie gegen den thie-
riſchen Magnetismus, negative Erfahrungen
entſcheiden, die eben darum gar keine ſind.
Mich beſticht jeder Gebildete, der Geiſtererſchei-
nungen glaubt, weil er mich an die religioͤſere
deutſche Zeit erinnert, wo man ſie eben ſo feſt
glaubte, als aushielt. Ich triplizirte aber
nun auf alles Vorige: man nehme das Koͤrper-
kleid ſo fein gewoben an, als man wolle, ſo
verhalte ſichs doch zum Ich wie der unorganiſierte
Rock zum organiſchen Leibe; ein einziger irrdi-
ſcher Nerve ſey aber ſchon der Sperrſtrick vor
der andern Welt, und ein einziges Erdſtaͤubchen
ziehe die ganze Erde, unſer ganzes irrdiſches
Treiben nach ſich; das Leben nach dem Tode ſey
dann eines vor demſelben, und der Geſtorbene
vom Lebenden nur dadurch verſchieden, daß er
hinter dem Alter alt, und aus dem Neunziger
[245] ein Millionaͤr werde; wir hieſige Nacht-Rau-
pen verwandeln uns dann nicht in Schmetter-
linge, ſondern in Tag-Raupen, und freſſen
und kriechen dann bloß im Sonnenſchein. Aber,
fuhr ich im Enthuſiasmus fort, was wir begeh-
ren, und was allein zu beweiſen iſt, das muß
etwas anderes ſeyn; die Welt des moraliſchen
Herzens klingt wie ein Ton unſichtbar und zum
Wehen unwirkſam, in der groben der Sinnen;
— will denn unſere Liebe, unſere Freude, un-
ſere Gottes-Ahnung etwas, was auf einer har-
ten Koͤrper-Welt, ſey es auch die ſchoͤnſte, er-
ſcheinen kann? Die ſchoͤnſte, die ich in dieſer
Art kenne, iſt die von der Phantaſie, dieſer
rechten Weltſchoͤpferin; und doch muß eben
dieſe allgewaltige Weltſeele, alle ihre Weltgloben,
damit ſie Zauberlicht gewinnen, mit der Mor-
genroͤthe und Milchſtraße der kuͤnftigen Unend-
lichkeit ahnend umziehen. Wie die Geiſter-Furcht
ſich vor wahnſinnigen neuen Schmerzen ent-
ſetzt, die nicht vor dem Einfluſſe, ſondern vor
der bloßen Gegenwart des Gegenſtandes
beben und die uns gar keine Geſtalt dieſes Mit-
[246] tagslebens machen oder heilen koͤnnte: ſo gibt es
auch eine Geiſter-Hoffnung und Geiſter-Liebe,
die nicht Wirkungen ſondern Daſeyn der
Weſen begehrt, und welche keiner irrdiſchen
Freude abborgt, ſondern hoͤchſtens den beſten
heimlich darleiht. Unſer armes, wundes-volles
Herz habe ſich auch nach allen Seiten noch ſo
oft wieder geſchloſſen, ſo bleibt doch daran eine
angeborne Wunde offen, die nur in einem
andern Elemente des Daſeyns zufaͤllt, wie
ſich am ungebornen Kinderherzen die eyförmige
Oeffnung erſt verſchließet, wenn es ein leichteres
Leben athmet. Darum wendet ſich ja unſere
obere Blatſeite, wie bey Blumen, ſo oft man
ſie auch gegen den irrdiſchen Boden umdrehe,
immer wieder gegen ihre Himmelsſeite herum.”
„Angeborne Wunde!” wiederholte der Juͤng-
ling mit einem Seufzer: unſere Wunde oder un-
ſer Himmel iſt offen, ſagt’ ich angefeuert, daß
iſt eins und kein Wortſpiel. Oder ſoll der Tod
auch in jener Welt uns wie ſklaviſche Krieger
immer wieder von neuem einquartiren? — Wir,
jetzt der Libellen-Nymphe gleich, deren vier
[247] Fluͤgel ſichtbar in den Scheiden kleben, ſollen
einmal nur neue Scheiden aus alten ziehen, und
dieſes Ausſcheiden Fliegen heißen? Und wenn
wir vor der Suͤndfluth des Irrdiſchen uns ret-
tend zu heiligern Bergen geflohen, ſollen wir auf
jedem wie auf dem Pilatusberge wieder einem
See begegnen? Und die Ewigkeit waͤre bloß
ein ewiger Vorhalt auf der Diſſonanz?”
Jetzt kam der Juͤngling durch mich zu ſich,
und er fragte mich kalt: „Demnach muͤßte ich
doch irgend eine Original-Vorſtellung vom an-
dern Leben geben koͤnnen; weil nur dieſes Ur-
bild jedes Urtheil uͤber ein Nachbild rechtfertigen
koͤnne.” —
Ich quadruplizierte: Koͤnnt’ ich das kuͤnftige
Leben beſchreiben, ſo haͤtt’ ich es und der, der
mich verſtaͤnde; der neugeborne Saͤugling aber
draͤngte ſich durſtend nach einer Koſt, die er
nicht chemiſch prophezeien koͤnne, und die doch
der Inſtinkt verbuͤrge und treffe. Von der an-
dern Welt ſprechen wir jetzt wie Blinde vor der
Operation von der ſichtbaren — alle Malereyen
ihres Morgenroths wuͤrden wie bey jenem Blin-
[248] den, auf Definitionen vom Trompetenton hinaus-
laufen.
Hier ſpraͤche aber — verſetzte der Juͤngling —
der Blinde doch nur zum Blinden, und Aehn-
liches orientirte ſich durch Aehnliches. Aber
eben darum, da kein Sinn durch die vier an-
dern — und hier ſollen ſie gar uͤber Nicht- und
Ueber-Sinne richten, gegeben ſey, und das ſo
wenig z. B. durch alle Farbenebenen ein Ton,
daß wir dieſen fuͤr ein Ich unter den ſprachloſen
Flächen halten wuͤrden, wenn ſich nicht Geruch,
Geſchmack, Gefuͤhl eben ſo ſchneidend und ſelbſt-
ſtaͤndig wie der Ton, von den Farben ſchieden;
und da doch dieſe fuͤnf unaͤhnliche Welttheile
ſich zuſammenknuͤpften und unterſtuͤtzten; ſo ſey
aus ihrer irrdiſchen Entfernung von einem kuͤnf-
tigen ſechſten, ſiebenten u. ſ. w. gar nichts gegen
das Daſeyn und Verhaͤltniß eines aͤhnlich- un-
aͤhnlichen eben beſagten ſechſten, ſiebenten
u. ſ. w. zu folgern: umgekehrt vielmehr alles
dafuͤr.
Das war etwas und doch nur einſeitig und
halbſeitig. „Das Herz ſeptuplizierte ich, braucht
[249] aber etwas anderes als Sinnen, man geb’ uns
tauſend neue; der Lebensfaden bleibt doch auf
dieſelbe Weiſe leer-verglimmend, der leichte
Punkt des Augenblicks lodert an ihm hinauf,
und der lebendige Funke laͤuft zwiſchen duͤnner
Aſche und leerer weißer Zukunft. Die Zeit iſt
ein Augenblick, unſer Erden-Seyn wie unſer
Erden-Gang ein Fall durch Augenblick in Au-
genblick. Unſer Sehnen wird uns fuͤr deſſen
Gegenſtand, ſo wie der wirkliche Durſt im
Traum fuͤr ſein wirkliches Loͤſchen im Wachen
Buͤrge, ſo oft auch der Traum mit ge-
träumtem Trinken hinhalte. Ja dieſe Aehn-
lichkeit wird Gleichheit; denn gerade dann,
wann dieſes Leben am reichſten austheilt
z. B. in der Jugend und wie eine Sonne uns
mit Morgenroth und Mittagslichtern und Mond-
ſchein blendet, gerade dann, wenn das Leben
unſere hoͤchſten Wuͤnſche ausfuͤllt, da erſcheint
das fremde Sehnen am ſtaͤrkſten, und nur um
ein ebenes Paradies des Erdbodens woͤlbt ſich
der tiefe geſtirnte Himmel der Sehnſucht am
groͤßten. Woher das ſogar bey den geiſtigſten
[250] Seeligkeiten? Eher ſollte man das Sehnen er-
warten von der Leere.”
— „Die Sehnſucht konnte ja ihr eigener
Gegenſtand ſeyn” — verſetzte Ernſt.
„Ich begehre, (antwortete ich gleichſam zur
Parodie) Antwort auf meine Frage, ob man nach
Duͤrſten duͤrſten wuͤrde, ohne getrunkenes oder
zu trinkendes Waſſer: ſondern Sie fahren fort:”
„Ich antwortete eben — verſetzte er — daß
wenn wir nach Ihren Behauptungen mit der
ganzen ſogenannten andern Welt ſchon in der
hieſigen leben und ausdauern, und jene als
einen himmliſchen Regenbogen des Friedens
ſchon uͤber dieſe ſpannen: ſo koͤnnte ſich dieß ja
ſo fort vererben von Erde zu Erde; (wir braͤch-
ten immer die andere Welt dahin mit:)”
„Dann, verſetzt’ ich, waͤrs einerley, wo man lebte
und kein Weiſer koͤnnte etwas Hoͤheres verlangen
vom Leben, als es fort zu erleben d. h. neue Ge-
hurtstage.”
„Sehen wir uns den wieder, wenn wir aus
der Zeit in die Ewigkeit gehen?” fiel die liebe
Mutter ein; denn das liebende Herz der Weiber
[251] ſucht in der Zukunft zuerſt das Geliebte; daher
hoͤrt man dieſe ſorgende Frage nach Wiederſehen
zuerſt von ihnen. „Was goͤttlich iſt an der Liebe,
das kann nie untergehen, ſagt’ ich, oder ſonſt,
da das Irrdiſche ohnehin vermodert, bliebe gar
Nichts. Aber der altchriſtliche Ausdruck aus
der Zeitlichkeit in die Ewigkeit, das iſt
der rechte; hinter dem Leben gibts keine Zeit,
ſo wenig wie vor dem Leben; uͤber das andere
Leben laͤſſet ſich ſo wenig etwas daruͤber hinaus
denken, als uͤber den Urgrund alles Seyns.”
Ernſt wandte noch ſchnell ein: „und doch
ſpreche man von Fortdauer und wolle mit
dieſem Zeitpleonasmus alle Zeit vernichten; aber
geſetzt warum wolle man denn vor der Ewig-
keit vorher, fuͤr welche Millionen Jahre
nicht mehr waͤren als achtzig, uns nur letztere,
nicht auch die Millionen zugeſtehen?” Ich mußte
dieß einräumen und ſogar noch feſter machen,
indem ich verſetzte: „dieß komme denn und Trilli-
onen dahinter; denn ſo gut der Schöpfer hier
unſere Spiel- und Laufbahn über Eine Erde ge-
hen ließ, ſo kann er ſie noch uͤber tauſend Er-
[252] den ziehen, nur muß der Weg ein Sonnenziel
haben, oder wir jagen ewig einem ruͤckenden
Regenbogen nach.”
Wir waren nun einander freundlich, wie vor-
her feindlich, näher geruͤckt, und hoͤrten auf mit
Recht; ein ſolcher Streit kann nur abgebrochen,
nicht abgeſchloſſen werden, er laͤſſet, wie die
ganze Philoſophie, nur Waffenſtillſtaͤnde, nicht
Friedensſchluͤſſe zu. Alle Unterſuchungen ſollten
daher, wie die platoniſchen und leſſingiſchen poe-
tiſch, naͤmlich dramatiſch ſeyn, damit ſich hinter
dem Reichthum der Anſichten die Anſicht des
Autors verſteckt erhielte, weil der blinde Glaͤu-
bige ſo gern und zuerſt dieſe als eine Autoritaͤt
aufſucht und annimmt, um ſich dann in ruhi-
gem Beſitze aller uͤbrigen nur zu deren Defenſoren
und Geſchaͤftstraͤgern, ſtatt zu Richtern zumachen.
Ich wende mich wieder zur Geſchichte, die
freylich in ſo vielen Schlußketten kaum drey
Schritte thut. Ich und die alte fromme Mut-
ter hatten uns beredet, den Juͤngling zum Ge-
burtstag, wie den Montaigne, mit Muſik zu
wecken, womit ſich andere einſchlaͤfern. Bloß
[253] mit einer Floͤte wollt’ ich ihn herausblaſen aus
dem dunklen Reich. Am Morgen da ich dieſe in
die Hand genommen, kam ſchon ſeine verlobte
Erneſtine angerollt, welche deßhalb die ganze
Nacht gefahren war. Es ſtand noch nichts wei-
ter vom Morgen am Himmel — nicht drey Au-
roras-Sonnenblnmen — als der kuͤhle weiße
Morgenſtern. Aber der Feſt-Schlaͤfer, den
ich ins Leben blaſen wollte, war gar noch nicht
daraus gekommen, ſondern hatte die Nachmitter-
nacht, und den Vormorgen im Freien verwacht.
Wir hatten aus der Erneſtiniſchen Ueberraſchung
eine noch ſchoͤnere fuͤr ihn bilden wollen, und
glaubten uns durch eine ſchlimmere um jede an-
dere gebracht.
Ich ſucht’ ihn im Park, und fand ihn end-
lich doch im — Schlafe; er hatte ſich auf der
anmuthigſten Moosbank geſetzt, wahrſcheinlich
um der Nachtigall und der Kaskade hinter ſei-
nem Nuͤcken zuzuhoͤren, und den Strom und
den Morgen vor ſich zu ſehen, aber der Abend-
krieg und die Morgenkuͤhle und Sonnennaͤhe
hatten wieder die Sinnenthore langſam zugezo-
[254] gen. Das Morgenroth gluͤhte auf ſeinem ge-
ſundrothen Geſicht, und Traͤume zitterten durch
die zartern Fibern. Erneſtine allein ſtellte ſich
mit Augen voll Freudentropfen vor die ruhige
Geſtalt. Ich fing von ferne leiſe Floͤtentoͤne
an, die noch wie Mattgold in ſeine Traumau-
rora zu verweben waren. Die Sonne brannte
immer heller ins Morgengewoͤlk herauf. Auf
einmal regt er bange die Arme — ſeine Lippe
zuckte — ſein Augenrand quoll weinend uͤber —
die Floͤtentoͤne bebten auf ſeinen Zuͤgen nach. —
Da fuͤrchtete Erneſtine, ihn quaͤle ein harter
Traum; ſie winkte mir, ihn mit Toͤnen zu erloͤ-
ſen, und legte, ſeine Haͤnde nehmend, ihre
ſchoͤne Wange leiſe an ſeine Bruſt. Er fuhr aus
dem Traum — er ſah Erneſtine groß an, und
kam als gehoͤre ſie in den Traum Wahnſinn,
durch ihr freundliches liebes Antlitz wieder in
denſelben zuruͤck — bis ihn endlich das Wort
und das Licht zu allen Freuden wach und leben-
dig machte.
Hoͤrt nun ſeinen Traum.
[255]
Der Tod in der letzten zweyten
Welt.
Endlich ſind wir im Vorhofe der Ewigkeit
und ſterben nur noch einmal, ſagten die See-
len, und dann ſind wir bey Gott. Aber wie
rinnend und flatternd iſt das Land der Seelen!
Im ganzen Himmel waren Sonnen, die ein
Menſchenantliz hatten, umhergelegt, ſie ſahen
uns bloß mit einem Mondlicht an, eine nach
der andern ging bloß in der Hoͤhe unbegreiflich
unter, aber an keinem Erdenrand, und wurde
vorher ihre eigne Abendroͤthe. Jetzt ſind nur
noch tauſend Mondſonnen lebendig, ſagten wir,
wenn die letzte im Zenith einſinkt, ſo geht Gott
auf und tagt. Nach jeder verſiegten Sonne
wurden unſere Geſtalten verkleinert. Wir ſind
doch keine Traͤumer mehr, wie auf der Erde,
ſondern ſchon Nachtwandler, und wir muͤſſen
bald erwachen, ſagte ich; ja, wenn wir aber
erſt kleine Kinder ſind, ſagten die andern. Die
Koͤrperwelt wurde immer fluͤſſiger und rann leicht.
Mit bloßen Gedanken bogen wir goldne Baͤume
nieder, und ruͤckten Gartenberge von thauigen
[256] Auen weg. Ein Montblanc aus dichtem Mond-
licht gegoſſen, ſtand mitten unter Roſen, ich
nahm meine Gedanken und loͤſte ihn auf, und
goß ihn gleißend uͤber die breite Roſenflur. Ich
ſtand vor einem glatten blauen Pallaſt ohne
Thore, und mein Herz klopfte ſehnſuͤchtig davor;
ſiehe wie vor dem Erdbeben Thuͤren aufſprin-
gen, und Uhren ſchlagen, ſo that ſich vor mei-
nem Herzklopfen der Tempel aus einander; ſiehe
mein Erdenleben bluͤhte darin an ſeinen Waͤn-
den in Bilderchen angemalt, kleine Harmonika-
glöckchen ſchlugen meine Jugendſtunden nach;
und ich weinte, und ein alter Erden-Garten
war an der Wand und ich rief; ſchon darin,
in jenen grauen Zeiten drunten, ſehnt ſich dein
armes Herz wie jetzt, ach, das wird lange! —
Da ſegelte die weißſchuppige endloſe Schlange
durch die hohen Blumen an mich heran, um
ſich unaufhoͤrlich um mich zu guͤrten, aber ich
nahm unter ihrem Aufſprunge meine Gedanken,
und wand ſie unausgeſetzt als Perlenſchnur um
meinen Leib; da vertropften wieder dieſe Perlen
[257] als Thraͤnen: gut, ſagt ich, ich weinte ja ſchon
vorhin, eh’ ſie kam, und noch viel laͤnger.
„Es iſt ſchon Ewigkeit, ſagten einige, denn
die Körper gehorchen dem Sehnen; die Rau-
pen auf Blumen fliegen als Schmetterlinge auf,
wenn wirs denken — der dicke Schlaf kommt,
ſogleich wird er ein durchſichtiger Traum — wir
blicken ins dunkle Grab, und ſchlagen es durch
mit dem Augenfunken und unten ſieht aus dem
zweyten Himmel ein mildes Sonnengeſicht her-
auf.” — „Nein, es iſt erſt Zeit, ſagten
die andern, ſeht nach dem Zifferblatt.” — Auf
einer weißen hohen Geſetztafel flogen noch die
wimmelnden Kugelſchatten umlaufender Welten
durcheinander.
Nur die Toͤne allein konnten wir nicht ver-
ändern’, denn ſie ſind ſelber Seelen, ſagten wir.
Sie waren ſchon auf der alten tiefen Erde bey
uns geweſen, und waren uns nachgegangen
durch die Sonne, durch den Sirius und den
unendlichen Sternen-Weg, ſie waren die En-
gel Gottes, die uns von ſeinen Himmelshoͤhen
Erſter Theil. 17
[258] erzaͤhlten, daß das Herz vor lauter Sehnſucht
in ſeinen eignen Thraͤnen ſtarb.
Jetzt zog die Ewigkeit naͤher. Die Sonnen
rings am Himmel-Rand waren alle eingegan-
gen und nur noch einige ſanfte blickten mit ein-
ander an der dunkeln Höhe zuſammen. Wir
waren alle Kinder geworden, und der eine ſagte
zum andern: Du kennſt mich, und ich dich ſehr
gut, aber wir haben keine Namen. Helle ge-
ſpannte Farben erklangen; hohe Töne blitzten
oben im Flug, und die tiefern ließen am Boden
Blumen fallen. Es donnerte; jetzt bricht das
Welten-Eis, ſagten wir, es wird ſchmelzen,
und rinnen und verrinnen. Wo bleibt aber mein
kleines auf der Erde verſtorbenes Kind, ſagte
ſelber eines. Es ſchwimmt in ſeiner Wiege auf
dem Weltenmeer daher, antwortete das andere.
Jetzt ſtand nur noch eine Sonne mild und
blaß am gewoͤlbten Blau. — Der rollende
Eisdonner verlief ſich zu tiefen Toͤnen, und end-
lich zu fernen Melodieen. — In Abend ſtiegen
goldne Wolken aus dem Boden gen Himmel,
und Sternbilder ſchlichen ſich hinter ihnen auf
[259] den Boden nieder. — — In Morgen ſtand
die Ewigkeit hinter den letzten vergehenden Wol-
ken, es war eine große verhuͤllte Gluth hinter
einer im Sturme umgetriebnen Regenwolke.
Aber die Kinder ſahen nur noch hinauf zur letz-
ten Sonne, die oben untergehen wollte. —
Da kamen die Toͤne, in denen ihre letzten
Welten ſprachen und ſtarben; und die Kinder
weinten alle, weil ſie ihre lieben alten Erden-
Melodieen hoͤrten, und ſie beteten kindiſch ſo zu
Gott: „Wir ſind ja Deine Kinder, Vater,
wir ſind in allen Welten geſtorben, und wir
weinen immer noch fort, weil wir ja nicht zu
Dir, zu der ewigen Liebe und Freude kommen. —
O wurde nicht der Himmel ſo tauſendmal oft
höher uͤber uns, und ſo tauſendmal tiefer, und
unſer liebes Erdelein verſchwand bald rechts,
bald links, und wir blieben immer allein? Hoͤre,
wie die guten Toͤne fuͤr uns beten!” —
Ploͤtzlich glomm hoch in der fernen Unendlich-
keit die goldne Fluͤgelſpitze eines unſichtbaren
Engels an — die ſchmachtend-bebenden Kin-
der wurden unſichtbarer, wie Saiten, wenn ſie
[260] zittern und tönen, und verklangen im Gebete…
Da fing die letzte Sonne oben zu lächeln an,
und ſchlug blaue Augen auf. — Der Engel
mit rothen ausgebreiteten Feuerfluͤgeln rauſchte
herunter, um mit ihnen die Welten-Aurora
weg zu ſtreifen, die um Gott hing… Und
ſiehe die letzte Sonne ſtand als Gott unten bey
mir, die Welten waren verſchwunden, und ich
ſah nichts weiter — und erwachte…
Aber er erwachte, mit ſeiner Geliebten an
der Bruſt und ſie laͤchelte angeſchmiegt in ſein
Auge empor. Gegenuͤber fuhr die Morgenroͤthe
auseinander, die Erden-Sonne trat zwiſchen
ihre Goldberge, und warf ſchnell einen Flam-
menſchleier uͤber die entzuͤckten Augen, und die
laͤchelnde Mutter kam zur Seeligkeit; der Strom
floß ſchneller, der Waſſerfall ſprang lauter,
und die Nachtigallen ſagten alles inbruͤnſtiger,
was ich hier ſage. „O Freunde — ſagte Ernſt
vom Traume und allem begeiſtert, und wollte
gleichſam durch das Aufopfern des Geſtern und
durch das Einſtimmen in den muͤtterlichen Glau-
[261] ben an eine Ewigkeit ohne Tod, dankbar die lie-
bende Ruͤckſicht auf ſein Gluͤck abwenden und
belohnen — o Freunde, wie licht iſt das Leben!
Das Wachen iſt nicht bloß ein hellerer Traum;
dieſer Affe unſers heiligen Bewußtſeyns ſtirbt
vor den Fuͤßen des wachen innern Menſchen, das
getraͤumte Erwachen wird vom wahren vernich-
tet. — Und ſo werden einmal von der Ewigkeit
alle unſere Traͤume uͤber ſie vertilgt.” —
Und hier endige der endloſe Streit! Eine
Braut weint ſeelig uͤber den erſten Geburtstag
des Herzens, das nun dem ihrigen bleibt; aber
das wiedergeborne weint ſeelig uͤber die ſympa-
thetiſche Seeligkeit des fremden; ſo muß es
ſeyn und ſo gehoͤren wir der Liebe an. Erne-
ſtine fragte in ſanfter Ruͤhrung: kann es denn
droben etwas Höheres geben, als die Liebe? —
Wahr, Erneſtine! Nur in ihr — und in ei-
nigen andern ſeltenen Blitzen des Lebens —
reicht die Wirklichkeit bluͤhend in unſer innres
Land der Seelen herein, und die aͤußere Welt
faͤllt in eins zuſammen mit der kuͤnftigen;
[262] die Liebe iſt unſer hieſiges Seegeſicht*) und
die tiefen Kuͤſten unſerer Welt erheben ſich vor
der alten.
Mit dieſer Geſinnung wurde das ſchoͤne Feſt
froher gefeiert. Unſer ganzes Leben iſt ein nie
wiederkommender Geburtstag der Ewigkeit, den
wir darum heiliger und freudiger begehen ſollten.
Dem ganzen Tage hing der fruͤhe Thauglanz
an — der Abend fand den Morgen noch im
Schimmer, und der Mond ſpiegelte ſich im
Sonnenthau — die Sterne zogen in das Herz
herab und erleuchteten die ſchoͤnſten Nachtſtuͤcke
darinn — und was wollen wir Menſchen denn
weiter? — —
Umgelds- und Zoll-Einnehmer.
Erde hinein reichenden Dunſtkreis der Sonne gehalten.
thiere 1 B. S. 34.
ſtoriſche Bemerkung aus Bechſteins Werken, oder aus
deſſen Munde hat.
hülſen und Geſellen.
ſieben regierenden Planeten auch die Sonne auf, und
gibt ihr gerade auf das Valetjahr des Sekulums den
Zepter — 1801 regiert der Morgenſtern, der
1900 wieder regiert, aber als Abendſtern, und 1799
den Mars. — Ich nenne ſolche ſonderbare Zuſammen-
treffungen den Witz des Schickſals. So haben nach
Gibbons Bemerkung die Auguren prophezeiet: Das
romiſche Reich werde ſo viele Jahrhunderte dauern,
als Romulus Geier zur Rechten geſehen; und es
traf ein.
Kind der mit einem Kometen zuſammengekommnen
Sonne iſt.
bahn liegenden Geſtirne unſichtbar.
dieſe.
Erde läuft ſchneller.
lie iſt — daher das Wort für beyde mit ſeinen beyden
e, Ehe — und da nach Wenzel (in ſeinen Entdeckun-
gen über die Sprache der Thiere 1800) eh der Schmer-
uns faſt als ein familienliebe- volles, und etwas mar-
tervolles Volk zugleich.
1804.
welche unter gleich lieben Perſonen in einem unterſin-
kenden Kahne man opfern müſſe und welche retten.
nig begraben; und ſo lange ſpeißt er auf der Serviette.
Ein Prälat oder Kardinal verrichtet das Tiſchgebet
nut ihm.
und weltlichen Statiſtik 1 Jahrg. VIII. 2.) der Mund-
koch 602 Thaler Salar und ein Regierungsrath 250;
ſo daß jeder nach Verhältniß das bekam, was er for-
dern konnte.
Säen des Korns bis zu deſſen Dreſchen und Becken
in freien Trochäen oder Jamben ohne Schmuck, vor-
ſagen wie ich.
muß vor jedem obigen Einſchlafen geſchrieben werden,
wenn man nicht vom Denken erwachen will.
nichts iſt als eine nähere Annäherung — erſchafft und
organiſirt ja z. B. nicht den Flaum der Schmetter-
lings-Flügel, den ſie aus der relativen Ferne herüber-
zieht, (ſo wie nicht die nahe Größe, ſondern die ferne
Kleinheit einer Gegend ſcheinbar iſt) mithin da
jede Mücke unter dem Mikroſkop die enthüllten Aederchen
u. ſ. w. und deren Verhältniſſe wirklich hat, die jenes
zeigt: ſo wird ſie ja darunter nicht vergrößert, ſondern
nur weniger verkleinert gezeigt; weil die Vergrößerung
im umgekehrten Verhältniß der Fokus-Ferne beſteht, und
dieſe am Ende ſo klein gedacht werden kann, daß nur noch
das Objekt in, nicht vor dem Auge haben müßte. —
Die abſolute Größe ergäbe ſich aus dem Zuſammen-
fallen des Gegenſtandes, des Fokus und der Retina,
Es gibt alſo auf der Erde gar keine Vergrößerung,
ſondern nichts als Verkleinerungen.
ſchung, daß ferne, noch unter dem Geſichtskreiſe
liegende Küſten ſich ſchon heraufgehoben zeigen.
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- Zitationsvorschlag für diese Edition
- TextGrid Repository (2025). Anonymous. D. Katzenbergers Badereise. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bnnh.0