Symbolik
des
Traumes
im neuen Leſeinſtitut von C. F. Kunz.
1814.
Seinen Freunden:
Herrn
Georg Matthias Burger
zu Nuͤrnberg
und
Herrn
Matthias Conrads
zu Brinke in Weſtphalen
als ein vergaͤngliches Denkmahl unvergaͤnglicher Liebe
zugeeignet
vom Verfaſſer.
[][]
Vorrede.
Der Verfaſſer hat in den nachſtehenden Blaͤttern kei-
ne eigentliche Theorie des Traumes geben wollen;
vielmehr hat er ſich begnuͤgt, ſelbſt im phyſiologiſchen
Theile dieſes Werkchens, auf eine gewiſſe partie
honteuse der menſchlichen Natur aufmerkſam zu ma-
chen, welche, wenigſtens im gemeinen Gange des Le-
bens, nur ſelten als das erkannt wird, was ſie ei-
gentlich iſt. Dieſer ſchlafende und traͤumende Theil
unſers Weſens, der ſich dem ungeuͤbten Auge ſo gut
zu verbergen weiß, wird eben ſo gewiß mit uns hin-
uͤbergehen uͤber die dunkle Grenze, als der wachende,
und die Erziehung des erſteren ſollte uns aus mehr
als Einem Grunde eine Hauptangelegenheit ſeyn: ei-
ne Erziehung, uͤber deren Methode freylich nur ein ſehr
altes, aber hoͤchſtes paͤdagogiſches Syſtem aller
Voͤlker und Zeiten Aufſchluͤſſe giebt.
Der Verfaſſer hielt es aus mehreren Urſachen
fuͤr angemeſſen, ſelbſt dieſer Abhandlung im leichten
Converſationstone jene Wendung zu geben Die
Zeit ſcheint gekommen, wo auch die geiſtig Tauben
wieder anfangen zu hoͤren und wo endlich die Wiſ-
ſenſchaft, beſonders die der Natur, im Stande ſeyn
wird
[] wird, einen Theil ihrer alten Schuld abzutragen.
Außerdem ſchien es nicht unpaſſend, gerade in den
Tagen in welchen der Sieg uͤber einen aͤußeren ge-
feyert worden, auf einen Zerſtoͤrer und Uſurpator in
unſerm Innern aufmerkſam zu machen. Dieſer, der
uͤberhaupt bey aͤußerem Sonnenſchein und Frieden
am beſten gedeiht, bleibt uns noch immer zu bekaͤm-
pfen, und dieſer Kampf, den auch nur ein vollkom-
mener Sieg kein Unterhandeln um Waffenſtillſtand,
enden kann, moͤchte wohl aus mehr als Einem Grun-
de in unſerem Zeitalter ernſter als ſonſt werden.
Darum iſt die kurze Zeit der Remiſſion und der Em-
pfaͤnglichkeit wohl zu benutzen, um ſo mehr, da es bey
wieder eintretendem Fieberanfall zum Arzneygeben zu
ſpaͤt ſeyn moͤchte.
Uebrigens ſollte dieſe Symbolik eine leichte Vor-
gaͤngerin eines ziemlich weitlaͤuftigen Abſchnittes in dem
naͤchſten Bande meiner Ahndungen u. f. ſeyn, den
der Verfaſſer ſchreiben wird, ſobald ihm dazu der
noͤthige Boden, Nahrung — und Sonne von oben
kommen werden.
Det Verfaſſer.
1. Die Sprache des Traumes.
Im Traume, und ſchon in jenem Zuſtande des Deliri-
ums, der meiſt vor dem Einſchlafen vorhergeht, ſcheint
die Seele eine ganz andre Sprache zu ſprechen als ge-
woͤhnlich. Gewiße Naturgegenſtaͤnde oder Eigenſchaften
der Dinge, bedeuten jetzt auf einmal Perſonen und um-
gekehrt ſtellen ſich uns gewiſſe Eigenſchaften oder Hand-
lungen, unter dem Bilde von Perſonen dar. So lange
die Seele dieſe Sprache redet, folgen ihre Ideen einem
andern Geſetz der Aſſociation als gewoͤhnlich, und es iſt
nicht zu laͤugnen, daß jene neue Ideenverbindung einen
viel rapideren, geiſterhafteren und kuͤrzeren Gang oder
Flug nimmt, als die des wachen Zuftandes, wo wir mehr
mit unſern Worten denken. Wir druͤcken in jener Sprache
durch einige wenige hieroglyphiſche, ſeltſam aneinander
gefuͤgte Bilder, die wir uns entweder ſchnell nacheinan-
der oder auch nebeneinander und auf einmal vorſtellen,
in wenig Momenten mehr aus, als wir mit Worten in
ganzen Stunden auseinander zu ſetzen vermoͤchten; er-
fahren in dem Traume eines kurzen Schlummers oͤfters
mehr, als im Gange der gewoͤhnlichen Sprache in gan-
zen Tagen geſchehen koͤnnte, und das ohne eigentliche
Luͤcken, in einem in ſich ſelber regelmaͤßigen Zuſam-
menhange, der nur freilich ein ganz eigenthuͤmlicher,
ungewoͤhnlicher iſt.
Ohne daß wir deshalb gerade dem Traume vor
dem Wachen, dem Naͤrriſchſeyn vor der Beſonnenheit
[1]ei-
[2] einen Vorzug geben wollen, duͤrfen wir uns doch nicht
laͤugnen: daß jene Abbreviaturen- und Hieroglyphen-
ſprache, der Natur des Geiſtes in vieler Hinſicht ange-
meſſener erſcheine, als unſre gewoͤhnliche Wortſproche.
Jene iſt unendlich viel ausdrucksvoller, umfaſſender,
der Ausgedehntheit in die Zeit viel minder unterwor-
fen als dieſe. Die letztere muͤſſen wir erſt erlernen,
dagegen iſt uns jene angeboren, und die Seele ver-
ſucht dieſe ihr eigenthuͤmliche Sprache zu reden, ſo-
bald ſie im Schlafe oder Delirio aus der gewoͤhnli-
chen Verkettung etwas los und frey geworden, obgleich
es ihr damit ohngefaͤhr nur eben ſo gelingt, als es
einem guten Fußgaͤnger gelungen, wenn er als Foͤtus
im Mutterleibe die kuͤnftigen Bewegungen verſuchte.
Denn, beylaͤufig: wir wuͤrden es, falls wir es auch
vermoͤchten, jene disjecta membra eines urſpruͤngli-
chen und kuͤnftigen Lebens, ſchon jetzt an Licht und Luft
hervorzuziehen, doch vor der Hand in der Geiſter-
ſprache kaum zum Lallen bringen, oder hoͤchſtens zu
einem Grade von Bauchrednerey.
Jene Sprache hat uͤbrigens, außerdem daß ſie
uͤber die Kraͤfte unſerer inneren Natur eben ſo viel
vermag, als die orpheiſche Liederſprache uͤber die der
aͤußeren, noch eine andre, ſehr bedeutende Eigenſchaft
vor der gewoͤhnlichen Sprache voraus. Die Reihe
unſrer Lebensbegegniſſe ſcheint ſich naͤmlich ohngefaͤhr
nach einer aͤhnlichen Ideenaſſociation des Schickſals
zuſammen zu fuͤgen, als die Bilder im Traume; mit
andern Worten: das Schickſal in und außer uns,
oder wie wir das bedeutende Ding ſonſt nennen wol-
len, redet dieſelbe Sprache, wie unſre Seele im Trau-
me.
[3] me. Dieſer gelingt es deshalb, ſobald ſie ihre Traum-
bilderſprache redet, Combinationen in derſelben zu
machen, auf die wir im Wachen freilich nicht kaͤmen;
ſie knuͤpft das Morgen geſchickt ans Geſtern, das
Schickſal ganzer kuͤnftiger Jahre an die Vergangen-
heit an, und die Rechnung trifft ein; der Erfolg zeigt,
daß ſie uns das was kuͤnftig, oft ganz richtig vor-
herſagt. Eine Art zu rechnen und zu kombiniren, die
ich und du nicht verſtehen; eine hoͤhere Art von Al-
gebra, noch kuͤrzer und beguemer als die unſrige, die
aber nur der verſteckte Poet in unſerm Innern zu
handhaben weiß.
Merkwuͤrdig iſt es immer, daß jene Sprache
nicht bey jedem Menſchen eine verſchiedene, gleichſam
nach der Willkuͤhr einer jeden Individualitaͤt ſelbſter-
ſchaffene iſt; ſondern daß ſie bey allen Menſchen ſo
ziemlich als dieſelbe, hoͤchſtens dem Dialect nach et-
was verſchieden erſcheint. Koͤnnten wir im Tempel
des Amphiaraus im Traume mit einander reden, ſo
wuͤrde der americaniſche Wilde und der Neuſeelaͤn-
der meine Traumbilderſprache verſtehen, und ich die
ihrige. Freilich hat auch hier die Sprache des Einen
ungleich mehr Wortreichthum, Umfang und Bildung,
als die des andern, Plato redet griechiſch, und der
Matroſe außen im Piraͤo auch, dennoch wird der Um-
fang dieſes Griechiſchen bey beyden ziemlich verſchieden
ſeyn; die gebildete Hofdame und die Baͤuerin ſprechen
beide, und zwar in einer und der naͤmlichen Sprache,
von denſelben Naturgegenſtaͤnden und Beduͤrfniſſen des
taͤglichen Lebens, und doch hat jene dafuͤr ganz andre Worte
als dieſe. Oder auch, in einer Sprache die ſo unendlich
reich
[4] reich iſt wie jene geiſterhafte, die fuͤr einen und den-
ſelben Gegenſtand ſo viele Worte hat, pflegt die Seele
des Einen vorzugsweiſe den oder jenen Ausdruck, die
oder jene Lieblingsconſtruction zu waͤhlen, die des An-
dern jene. Gemeine Seelen ſprechen demnach hier plart,
gebildetere den hoͤheren Dialect; wie in der Region des
Scheines z. B. unſer gemeines Volk plattdeutſch zu re-
den pflegt, der vornehme Stand hochdeutſch.
Man darf mit Recht annehmen: daß ein Theil
des Inhaltes unſerer ſogenannten Traumbuͤcher, ſich
auf gute, mehrfach wiederholte Beobachtungen gruͤnde;
waͤhrend ein andrer Theil jenes Inhaltes freilich bloß
aus aberwitzigen Zuſammenreimungen und kuͤnſtlichen
Deuteleyen beſteht. Die Traumbuͤcher verſchiedener
Rationen, werden ſich, beim Vergleichen, in der Haupt-
ſache uͤbereinſtimmend zeigen, und dieſe Uebereinſtim-
mung ſcheinet nicht bloß daher zu kommen, daß ein
Theil der aͤlteſten Traumbuͤcher, z. B. jenes des Car-
dan in lateiniſcher Sprache geſchrieben, und bei ver-
ſchiedenen Nationen in den Haͤnden der ſpaͤteren Traum-
beobachter waren. Unbefangene Selbſtbeobachtung und
ſelbſt das, was uns Reiſebeſchreiber in jener Beziehung
von nordamericaniſchen Volkern erzaͤhlen, fuͤhrt uns
auf aͤhnliche Prinzipien der Traumdeutung, als die in
den Traumbuͤchern aufgefuͤhrten, und zum Theil dem
gemeinen Volk aus Erfahrung und durch Tradition
bekannten ſind.
Wir wollen im Nachſtehenden aus einem bewaͤhr-
teren Traumbuch einige Beyſpiele von Traumbildern
und ihren Deutungen mittheilen, welche zum Theil
durch anderweitige Beobachtungen beſtaͤtigt ſind.
Jener
[5]
Jener Zuſtand, wo die Seele mit einer Art von
Zuſammenhang und Ordnung in ihrer Bilderſprache
denkt und wirkt, iſt ſchon ein hoͤherer und vollkommne-
rer Grad des Traumes. Wir bemerken oͤfters, beſonders
unmittelbar beim Einſchlafen oder im Halbſchlummer,
einen unvollkommneren Grad deſſelben, der dem Wa-
chen naͤher ſteht, und gewiſſermaßen den Uebergang von
dieſem zum eigentlichen Traumzuſtande bildet. Auf dieſer
Stufe, deren wir uns beim Erwachen viel leichter erin-
vern, als des vollkommneren Traumes, laufen die zwey
verſchiedenen Regionen mit ihren beyden verſchiedenen
Sprachen noch eine Zeit lang parallel neben einander
fort, und vermiſchen ſich auf eine unzuſammenhaͤngen-
de, unpaſſende Weiſe. So denken wir uns z. B. das
Wort: ſchreiben, und haben zu gleicher Zeit das Bild
zweyer Menſchen vor uns, davon der eine den andern
auf dem Ruͤcken traͤgt. Auf dieſe Weiſe laͤßt beym
Einſchlafen der Traumzuſtand den wachen Verſtand
noch eine Zeit lang in ſeiner Woͤrterſprache fortpredigen,
macht aber zu gleicher Zeit ſo fremdartige Geſticula-
tionen hinter ihm hervor, wie die verſteckte Perſon
bey einer Schlafrockspredigt, bis zuletzt jener entſchlaͤft,
und nun die hinter ihm verborgne Traumwelt frey
hervortritt.
Auch im vollkommneren Traumzuſtand iſt der
Bilderausdruck, deſſen ſich die Seele bedient, von
verſchiedener Art, und bald mehr bald minder plan
und leicht verſtaͤndlich. Oefters ſtellt uns ein prophe-
tiſcher Traum die Begebenheiten des naͤchſten Tages,
in ſo ferne ſich dieſelben zu einer bildlichen Darſtel-
lung eignen, ganz ſo vor, wie ſie uns hernach im Wa-
chen
[6] chen begegnen, oder es miſchen ſich doch nur theil-
weiſe hieroglyphiſche und bildliche Bezeichnungen ein.
So ſehen wir z. B. einen ſehr entfernt geglaubten
Freund, der uns am andern Tag auf einmal durch
ſeine Ankunft uͤberraſcht, im Traume wirklich ankom-
men; das aber, was uns derſelbe zu ſagen hat, wird,
entweder mimiſch dargeſtellt, oder wieder in Bilderaus-
druͤcke eingekleidet. Oder wir ſehen im Traume in ei-
nem Zimmer voller Blut einen noch geſund geglaubten
Bekannten, der uns mit ernſtem, bleichem Geſichte
ſagt: es ſey heute ſein Geburtstag, und am andern
Tage muͤſſen wir unvermuthet in demſelben Zimmer das
wir im Traume ſahen, Zeugen der Section jenes ploͤtz-
lich Geſtorbenen ſeyn. Selbſt das, was wir im voll-
kommeneren Traume ſprechen, behaͤlt, in ſo ferne es
eine große Verwandſchaft mit der Region des Trau-
mes (Gefuͤhles) hat, oͤfters ganz den im Wachen ge-
woͤhnlichen Ausdruck und Zuſammenhang bey, und
nur hie und da werden einzelne Gedanken auf eine im
Traume gewoͤhnliche ſymboliſche Weiſe bezeichnet.
Ueberhaupt iſt bey Vielen, eben vermoͤge jener Ver-
wandſchaft, der Traum ein treuer Spiegel des Wa-
chens. Dagegen iſt in andern Faͤllen der Bilderaus-
druck des Traumes ſo weit von dem Wortausdruck des
Wachens entfernt, daß er erſt einer Ueberſetzung in
dieſen bedarf. Von dieſer dem Traume eigenthuͤmli-
cheren ſymboliſchen Sprache, reden wir hier zunaͤchſt.
Die eine Wortklaſſe jener Sprache, die, worinnen
ſie noch die meiſte Verwandſchaft mit der gewoͤhnli-
chen Wortſprache zeigt, beſtehet aus Bildern, die ohn-
gefaͤhr hier dieſelbe Bedeutung haben, wie im gemein
poeti-
[7] poetiſchen oder bildlichen Ausdruck. Ein Weg der
durch Dornen oder ſteil uͤber Berge geht, bedeutet im
Traume, wie im gemein poetiſchen Ausdruck, Unan-
nehmlichkeiten und Hinderniſſe in unſerm Lebensſchick-
ſal; ein Weg uͤber Glatteis, druͤckt in beyden Arten zu
ſprechen, eine peinliche, gefaͤhrliche Lage aus; Finſter-
niß bezeichnet in beyden Betruͤbniß und Melancholie;
den Ring empfangen: verlobt werden. In demſelben
Sprachgebrauch bedeuten Blumen: Heiterkeit, ein ver-
trockneter Bach: Mangel, das Eingeſperrtſeyn in ei-
ne Feſtung: Bettlaͤgrigkeit; der Beſuch des Arztes:
Krankheit, Advokaten Unkoſten; einen reiſen oder uͤbers
Waſſer gehen ſehen: ſcheiden von ihm fuͤrs ganze Leben.
Eine ganz vorzuͤgliche Aufmerkſamkeit verdient
indeß jener aus den Traumbuͤchern *) und aus der
gemeinen Erfahrung ſehr bekannte Sprachgebrauch des
Traumes, nach welchem die Seele durch irgend ein
Bild gerade das Gegentheil von dem bezeichnet, was
dieſes im gemeinen Leben bedeutet; nach welchem ſie
froͤhliche Bilder fuͤr traurige, und umgekehrt traurige
Bilder fuͤr froͤhliche Begebenheiten braucht. **) Dem
ſelt-
[8] ſeltſamen verſteckten Poeten in uns, ſcheinet Manches
erſtaunlich luſtig vorzukommen, was uns ſehr traurig
macht, und umgekehrt ſcheint er uͤber viele unſrer Freu-
den ſehr ernſte Anſichten zu haben; ein Zeichen daß
er ſich uͤberhaupt in unſrem jetzigen Zuſtande nicht ſo
ganz behaglich befindet. So bedeutet Weinen und
Betruͤbtſeyn im Traume oͤfters nahe (ſinnliche) Freude;
dagegen wird durch Lachen, durch Tanz, durch Spiel:
Betruͤbniß und Traurigkeit; durch luſtige Comoͤdien,
Spielkarten, luſtige Muſik (beſonders von Geigen):
lauter Zank und Widerwaͤrtigkeit angedeutet, und nur
das Singen ſoll auf Gutes weiſſagen. Eben ſo ſol-
len das Grab oder ein Leichenkonduct oͤfters Hochzeit
bezeichnen, waͤhrend umgekehrt, jemand im Traume
vermaͤhlen ſehen, oͤfters den Tod deſſelben bedeutet.
Nicht minder wird in jenem hoͤheren Styl des Trau-
mes, unter Geborenwerden: der nahe Tod des Kran-
ken, unter dem Geburtstage der Todestag verſtanden.
In derſelben Manier des Ausdrucks pflegt auch
der Traum durch das zur Bezeichnung gewaͤhlte Bild,
oͤfters mit Dingen, die im Wachen ſehr gefchaͤtzt ſind,
gleichſam Scherz zu treiben. So ſoll Koth im Trau-
me oͤfters Geld; Erde eſſen oder Spreu ſammlen,
reich werden und Schaͤtze ſammlen bedeuten; Geld ſoll
im Traume auch durch Blattern, Flecken am Leibe
und andre unangenehme Dinge bezeichnet, ja in der
altmodiſchen Sprache des Traumes ſollen große Reich-
thuͤmer unter dem Bilde des hoͤlliſchen Feuers, oder
des Beſeſſenſeyns vom Teufel dargeſtellt werden.
Nicht minder ſollen Geld und Gut im Traume unter
dem Bilde eines laſtbaren Eſels erſcheinen, unter wel-
chem
[9] chem jedoch auch zuweilen die Ehehaͤlfte verſtanden
wird; Bettler, Huren und Betrunkenheit, bezeichnen
das aͤußere gute Gluͤck. Umgekehrt, deutet (kleines)
Geld auf Verdruß, ein naher Geldverluſt erſcheint
unter dem Bilde eines großen Gewinns; Schlaͤge und
Wunden von Einem empfangen, ſoll gerade umgekehrt
auf Geſchenke und aͤußere Guͤter deuten, welche der
Traͤumer von Jenem zu gewarten hat.
Auch in andrer hiermit verwandter Beziehung,
pflegt uns der verſteckte Poet, wenigſtens im Traume
an die Kehrſeite alles unſeres irdiſchen Gluͤckes zu erin-
nern. Die nahe Befoͤrderung zum aͤußern Gluͤcke
ſoll ſich oͤfters unter dem Bilde einer Todtenbahre ver-
ſinnlichen; vor einer nahen aͤußern Gluͤcks- und Stan-
deserhebung, ſoll der Traum manchen Perſonen das
Bild ihres eigenen Leichenbegaͤngniſſes zeigen; das
Kreuz, ſonſt Symbol des Duldens, ſoll Triumph
uͤber die Feinde und Anſehen; Lilien bluͤhen ſehen:
Spott und Verachtung vor der Welt bedeuten.
Eine andre Wortklaſſe der Traumſprache, welche
vielleicht fuͤr den Pſychologen von Profeſſion nicht
minder wichtig iſt, ſcheinet ſich zum Theil auf tiefer
liegende Wechſelbeziehungen zu gruͤnden, und mit ei-
ner Naturſprache in Verwandſchaft zu ſtehen, in wel-
cher jeder Gegenſtand eine eigene, oͤfters mit ſeinen
uns bekannten Eigenſchaften in keinem Zuſammenhange
ſtehende Eigenſchaft hat. So, um nur einige Beyſpiele
zu geben, werden uns unſre eignen Leidenſchaften und
Begierden im Traume unter dem Bilde haͤßlicher oder
furchtbarer Thiere, (die wir auf dem Schoße oder ſonſt
he-
[10] hegen) verſinnlicht; eine Neigung zu irgend einem Ge-
genſtand, ſtellt der Traum zuweilen unter dem Bilde
eines Lichtſtrahls dar, welcher von der Bruſt des Lie-
benden aus, nach dem geliebten Gegenſtand hingehet,
die gelbe Farbe, z. B. der Anblick einer wie in gel-
bes Herbſtlicht getauchten Gegend, bedeutet im Trau-
me Trauer, die rothe Farbe: Freude, gewiſſe Natur-
gegenſtaͤnde, z. B. Zwiebeln, Peterſilie, ſollen ver-
moͤge jener dunklen Wechſelbeziehung: Truͤbſinn und
Kuͤmmerniß, Salz ein Fieber, Erdbeben: ein allge-
meines Ungluͤck; Sonnenfinſterniß ſo wie Sturm und
Zeichen am Himmel, ſollen Leiden und tiefe Trauer
bedeuten. Die Hirten und Fuͤhrer (Starken) des
Volkes, erſcheinen uns im Traume, wie dort dem
Ajax, unter dem Bilde von Stieren und Viehheerden,
(und ſchon das Haupt des Stieres bedeutet Macht), ein
aͤußres Ehrenamt oder der ſtaͤrkere Gemahl unter je-
nem des Roßes, toller Streit unter dem des Cameeles.
Nach derſelben dunklen Weiſe des Ausdrucks, ſoll der
Nabel (durch den der Ungeborne zuerſt mit ſeiner Um-
gebung in Verbindung war) die Heimath, oder die
in ihr zuruͤckgelaßenen Eltern, das Ohr und uͤber-
haupt mehrere Theile des Leibes: (Zaͤhne, Haͤnde,
Schenkel) die nahen Anverwandten, die Schulter: ei-
ne Beyſchlaͤferin; die Biene: Feuer, der Wein: Macht
bedeuten.
Auf eine aͤhnliche raͤthſelhafte Weiſe erhalten
denn auch gewiſſe ſymboliſche Handlungen im Trau-
me eine ganz eigene Bedeutung, ſo z. B. das Aus-
oder Anziehen eines Schuhes, wodurch die Seele
das Aufloͤſen oder Anknuͤpfen einer Verbindung
zwi-
[11] zwiſchen zwey Perſonen verſchiedenen Geſchlechts be-
zeichnet.
Es iſt wohl moͤglich, daß der groͤßte Theil der
hier gegebenen Beyſpiele von Traumbildern, zu dem
oben erwaͤhnten platten oder niedern Dialect der
Traumſprache gehoͤren; indeß hat man uͤber dieſen
die meiſten Beobachtungen. Der hoͤhere Dialect
ſcheint ganz mit jener Sprache uͤbereinzuſtimmen, von
welcher im naͤchſten Abſchnitte die Rede ſeyn wird.
Beyde ſtehen uͤbrigens in der genaueſten Verwand-
ſchaft mit einander, und einer iſt aus dem andern
verſtaͤndlich.
Die Bedeutung jener Traumhieroglyphen, iſt zu-
naͤchſt an vorherſagenden Traͤumen erforſcht worden.
Jene prophetiſche Combinationsgabe uͤbt indeß die
Seele nicht in allen, und ſelbſt nicht in den meiſten
Traͤumen aus, eben ſo wie ſie auch im Wachen nicht
minder oft an das denkt, was vergangen, oder mit
ihren gegenwaͤrtigen Wuͤnſchen und Beduͤrfniſſen in
Beziehung iſt, als an das, was ſie kuͤnftig thun und
genießen will. Außerdem iſt ein großer Theil unſrer
Traͤume, wie ein großer Theil unſrer Geſpraͤche beym
Wachen, ein leeres, bedeutungsloſes Gewaͤſch, und
zuweilen haͤlt ſich die Seele fuͤr das uͤberfluͤßige Spre-
chen, was ihr im Wachen verſagt iſt, im Traume
ſchadlos, eben ſo wie ſie umgekehrt bey jenen tieferen
Seelen, denen im Wachen das Organ zu fehlen
ſcheint, im Traume ſich gewaltiger und gehaltreicher
ausdruͤckt als im Wachen. Wir bemerken indeß auch
in den nicht prophetiſchen Traͤumen, daß ſich die Seele
zum
[12] zum Bezeichnen der Gegenſtaͤnde eben ſolcher hierogly-
phiſcher Bilder bediene, als in den prophetiſchen. Ein
großer Theil unſrer Traͤume iſt demnach ein Repro-
duciren des Vergangenen, oder ein freyes Spiel unſe-
rer Neigungen und Geluͤſte, beydes in einer Welt
von eigenthuͤmlichen Bildern und hieroglyphiſchen
Zeichen, und wenn die Seele zuweilen im Traume
uͤber abſtracte Gegenſtaͤnde in der gewoͤhnlichen Woͤr-
terſprache und Gedankenfolge auf dieſelbe Weiſe denkt
wie im Wachen, ſo verhaͤlt ſich dieß zur eigentlichen
Region des Traumes eben ſo, wie jene phantaſtiſchen
Traͤumereyen, denen wir uns zuweilen im Wachen
uͤberlaſſen, zu der eigentlichen Region des Wachens.
Uebrigens iſt es mehr als wahrſcheinlich, daß es
noch einen tieſeren Grad des Traumzuſtandes gebe, von
welchem uns beym Erwachen nur hoͤchſt ſelten eine
dunkle Ruͤckerinnerung zuruͤckbleibt, weil er von der
Region des Wachens durch dieſelbe Kluft geſchieden iſt,
als der Zuſtand der magnetiſchen Clairvoyance. Je-
ne tieferen Traͤume laſſen indeß meiſt im Wachen eine
gewiſſe Stimmung und einen Theil jener Vorahndun-
gen (z. B. des nahen Todes) zuruͤck, von welchem meh-
rere Beyſpiele bekannt genug ſind. Wie uͤberhaupt
die ganze Welt der Traͤume in der Bildungs- und
Entwicklungsgeſchichte unſers Geiſtes eine wichtige
Rolle ſpielt, ſo ſcheint auch jener hoͤhere Grad des
Traumes noch einer weiteren Nachforſchung wuͤrdig.
Spuren deſſelben wird der Pſycholog viele finden.
[13]
2. Die Sprache der Poeſie und der
Offenbarung.
Wenn noch ganz neuerdings ein ehrwuͤrdiger Gelehr-
ter den Grund, warum die Sprache der Propheten
zum Theil etwas ſo Dunkles, Unverſtaͤndliches habe,
bloß darinnen zu finden glaubt: daß die hoͤhere Weis-
heit abſichtlich ihre Plaͤne fuͤr die Zukunft nicht vor je-
dermanns Augen enthuͤllen wolle, damit die Parthey
des Obſcurantismus den Keim des noch kuͤnſtigen Gu-
ten nicht im voraus erſticken, oder wenigſtens das was
ſein Aufkommen foͤrdert zuruͤckhalten koͤnne: ſo will die-
ſe Anſicht nicht durchaus genuͤgen. Die hoͤhere Hand
hat von Anfang an immer Mittel zu finden gewußt,
den noch zarten Keim mitten unter feindlichen Abſich-
ten zu bewahren, oder ihn in ein fernes Egypten zu
verbergen, und von jeher iſt nichts ſeinem Aufkommen
und Gedeihen ſo foͤrderlich und heilſam geweſen, als
gerade jene Plaͤne die ihn unterdruͤcken wollten. Außer
dieſem iſt es auch den Wenigen, deren geweihtes Auge
jene Hieroglyphen verſteht, niemals vergoͤnnt zu ſchwei-
gen. Die andre Parthey, wenn ſie nur ſonſt aufmer-
ken moͤchte, wuͤrde noch zeitig genug erfahren, ſo viel
ſie zum Anlegen ihrer fruchtloſen Gegenplaͤne und Ge-
genmaſchinen zu wiſſen brauchte, und der endliche
Sieg der Wahrheit uͤber die Luͤge, wuͤrde durch jene
Hinderniſſe nur um ſo ſchneller hexbeygefuͤhrt, nur um
ſo entſcheidender und glaͤnzender werden.
In einer etwas anderen Beziehung pflegt mein
alter Lehrmeiſter, bey vorzuͤglich dunklen politiſchen Con-
ſtella-
[14] ſtellationen mit Sicherheit anzunehmen: daß das nicht
geſchehen werde, was die große Menge, und unter ihr
vorzuͤglich die politiſchen Weiſen, in frechem Ueber-
muth, fuͤr ausgemachte Sache halten, und ſchon als
ganz gewiß hoffen oder fuͤrchten; vielmehr ſchließt er
dann gerade aufs Gegentheil, und hat ſich, ſo viel ich
von ihm weiß, in ſolchen Schluͤſſen, die ſich auf die
Dummheit des menſchlichen Herzens gruͤnden, noch
nicht betrogen. Die Plaͤne der hoͤheren Weisheit, ſagt
er, ſind etwas Anderes als die Plaͤne und Schluͤſſe
der bloͤden Menſchenweisheit: beyde lauſen einander
meiſt gerade entgegen, und jene Weisheit wuͤrde uͤber-
haupt keine hoͤhere ſeyn, wenn jeder dummdreiſte po-
litiſche Witz ihre Abſichten durchſchauen koͤnnte.
In der That bedarf es keiner langen Beobach-
tungen, um einzuſehen, daß wir in unſern Schluͤſſen
und Plaͤnen ſchon auf den naͤchſten Tag aͤußerſt blind
und ungluͤcklich ſind, und daß die Sprache des Schick-
ſals uns unverſtaͤndlich, ſein Gang fuͤr uns ein ver-
ſchloſſenes Buch ſey. In jener natuͤrlichen Blindheit
liegt denn auch der Grund, weßhalb uns die Vorher-
verkuͤndigungen der Propheten, welche noch auf eine
viel hoͤhere Weiſe als der Traum die Sprache des
Schickſals reden, ſo dunkel und unverſtaͤndlich erſcheinen.
Allerdings gleicht jene Sprache in Bildern und
Hieroglyphen, deren ſich die hoͤhere Weisheit in
allen ihren Offenbarungen an den Menſchen bedient
hat, eben ſo, wie die hiermit verwandte Sprache der
Poeſie, in unſerm jetzigen Zuſtande mehr dem dunklen
Bilderausdruck der Traͤume, als der Proſa des Wa-
chens;
[15] chens; indeß fragt ſich ſehr, ob nicht eben jene Spra-
che die eigentliche wache Rede der hoͤheren Region ſey,
waͤhrend wir, ſo wach wir uns glauben, in einem lan-
gen, mehrtauſendjaͤhrigen Schlaf, oder wenigſtens in
den Nachhall ſeiner Traͤume verſunken, von jener
Sprache Gottes, wie Schlafende von der lauten Rede
der Umſtehenden, nur einzelne dunkle Worte vernehmen.
Was zuerſt die Sprache der Poeſie betrifft: ſo iſt
ihre Verwandſchaft mit der Sprache des Traumes ſchon
im Vorhergehenden bemerkt worden. Wie die letztere
der Seele natuͤrlich und gleichſam angeboren iſt, nicht
erſt erlernt zu werden braucht, ſo iſt nach der alten
bekannten Sage auch Poeſie die urſpruͤngliche Sprache
der Voͤlker geweſen, die Proſa uͤberhaupt eine ſpaͤtere
Erfindung und aͤltere Voͤlker und Voͤlkerbuͤcher ſprechen
noch immer fuͤr uns Sprache der Poeſie. Jene, wie
dieſe redet ausdrucksvoller, gewaltiger, magiſcher zum
Gemuͤth als die Proſa des Wachens, und die Poeſie
zeigt auch noch in anderer Hinſicht, daß ihr der Schluͤſ-
ſel zu unſerem innern Raͤthſel nicht ſern liege. Wie
naͤmlich der Seele, wenn ſie die Sprache des Traumes
ſpricht, peophetiſche Combinationen, Blicke in das Zu-
kuͤnftige gelingen: ſo erhaͤlt ſie dieſe Eigenſchaft auch in
der Region der hoͤheren Poeſie; die wahrhaft poetiſche
Begeiſterung und die prophetiſche ſind ſich verwandt;
Propheten waren wenigſtens immer Dichter.
Freylich waren jene Verſe, in denen Pythia in
den aͤlteſten Zeiten immer ſprach, oder in welche ihre
Ausſpruͤche uͤberſetzt wurden, nicht immer ſonderlich
wohlklingend noch ſonſt eines Gottes der Dichter wuͤr-
dig
[16] dig. Man hat hier uͤberhaupt nicht zunaͤchſt auf das
Metrum zu ſehen, obgleich auch der Rhythmus *) ein
urſpruͤnglicher Begleiter der aͤlteſten Voͤlkerſprache ge-
weſen. Uebrigens hat jene pythiſche Begeiſterung mit
dem Zuſtande des lebhafteren Traumes die Art der
Sprache, und den eigenthuͤmlichen dunkleu, ſcheinbar
zweydeutigen Charakter gemein; abgeſehen davon, daß
ein Theil der Orakel in Traͤumen ertheilt wurde. Die
zerriſſene Weinrebe, wodurch das Orakel dem nach ſei-
ner Ruͤckkehr in die Heimath fragenden Feldherrn den
nahen Tod, fern von den Seinen, andeutet; die hoͤl-
zerne Mauer, worunter Schiffe; Schiffe, unter de-
ren beſtimmter Zahl die Zahl der Lebensjahre; das
Meer, worunter die Maſſe der zu beherrſchenden Voͤlker
verſtanden werden u. ſ. f., ſind ganz im Sprachgebrauch
des Traumes. Eben ſo die dem gemeinen Sprach-
gebrauch oͤfters ganz entgegengeſetzte, gleichſam ironiſche
Bedeutung der Orakelſpruͤche, wie z. B. jener dem
Croͤſus ertheilte:
„er werde, wenn er uͤber den Halys
ginge, ein großes Reich ſtuͤrzen‟
was Croͤſus als Vor-
herverkuͤndigung des nahen Sieges genommen, waͤhrend
das Reich das er ſtuͤrzte, ſein eigenes war.
In einem ſolchen mehr oder minder ironiſchen Ver-
haͤltniſſe zu der Region des alltaͤglichen, gemeineren Be-
ſtrebens und Beduͤrfniſſes, ſtehet uͤberhaupt die ganze
Welt der Poeſie, und ſchon die Lebensſchickſale der
mei-
[17] meiſten Dichter, laßen uns jenen Widerſpruch, in wel-
chem die poetiſche Welt mit der nicht poetiſchen ſte-
het, deutlich erkennen.
Der Geiſt des Prophetenthums iſt freylich von
jenem der Orakel ſo weit entfernt, als die ehemalige
Heimath der menſchlichen Seele: die Region der geiſti-
gen Gefuͤhle, von der der ſinnlichen, worinnen ſie jetzt
weilt, und welche das Feld der pythiſchen Begeiſte-
rung des Traums, und aller hiermit verwandten Er-
ſcheinungen iſt. Dennoch, wie auch in der aͤußern
Natur, in den verſchiedenſten Klaſſen und Arten der
Weſen, dieſelbe, nur mehr oder minder vollkommen
ausgepraͤgte Grundform wieder erkannt wird, finden
wir auch hier denſelben allgemeinen Typus in beyden
Klaſſen wieder, und die hoͤhere ſpiegelt ſich in der nie-
deren mit hinlaͤnglicher Deutlichkeit ab.
Wie ſchon in der ungleich niederern Region des
Traumes, bey den verſchiedenartigſten Menſchen die
Bedeutung der Traumbilder faſt ganz dieſelbe iſt; ſo
iſt auch in der Sprache der Propheten ſchon von Meh-
reren jene Gleichartigkeit bemerkt worden, vermoͤge
welcher bey den verſchiedenſten Propheten unter den-
ſelben Bildern immer das Naͤmliche verſtanden wird.
Wir ſehen uns bey Allen in dieſelbe Welt heiliger
Geſtalten und Kraͤfte verſetzt, finden bey allen dieſelbe
Natur, das naͤmliche Coſtuͤme, und dieſe Ueberein-
ſtimmung ſcheint, wenn wir verwandte geiſtige Er-
ſcheinungen bey andern Voͤlkern (Abſchn. 3) damit
vergleichen, nicht daher zu kommen, daß die Prophe-
ten alle Kinder eines Volkes waren.
2Jene
[18]
Jene vier Thiere, allenthalben voll Augen, ohne
Stillſtand und voll lauten Lobes; die ſieben Lampen,
oder der ſiebenarmige Leuchter; die beyden Oelbaͤume
und andre Bilder jener Art, *) finden wir bey Meh-
reren; das neu zu begruͤndende Reich des Guten wird
bey den verſchiedenſten auf dieſelbe Weiſe, durch den
zu bauenden oder auszumeſſenden Tempel bezeichnet,
große Monarchien und Voͤlkerfuͤrſten unter dem Bil-
de chimaͤriſcher Thiere oder der Hoͤrner; das Verhaͤlt-
niß zwiſchen Gott und ſeiner Gemeinde unter dem
Bilde der Ehe; das Gewuͤhl mannichfacher Nationen
unter dem des Meeres; allgemeiner Untergang unter
jenem des Erdbebens, der Stuͤrme; das Unterliegen
der Beſſeren, unter dem Bilde einer großen Aerndre;
die Lehrer des Volkes unter jenem der Sterne; das
Reich des Boͤſen, ſo wie das des Guten, unter dem
Bilde einer großen Stadt; die Wiederbringung und
Wiedererneuerung des zerſtreuten Volkes Gottes, un-
ter jenem der leiblichen Auferſtehung. Eben ſo ſind
die (kriegbringenden) Waͤgen, mit ſtarken Roſſen be-
ſpannt, ſo wie jener Reuter, ausgeſandt das Land
als Raͤcher zu durchziehen, — der Brief — je-
nes Gefaͤß, worin die feindliche, abtruͤnnige Gewalt,
in Geſtalt eines Weibes verſchloſſen wird, wie ſchon
St. Martin bemerkt hat, Mehrern gemein.
Jener Ton der Ironie, welcher ſchon in der Spra-
che des Traumes bemerkt wird, gehet denn auch, nur
auf
[19] auf eine ungleich hoͤhere Weiſe, durch die Vorherver-
kuͤndigungen aller Propheten hindurch. Waͤhrend fuͤr
das geiſtige Reich des an andern Stellen als niedrig
und verachtet geſchilderten Meſſias, die herrlichſten
und gewaltigſten Bilder gebraucht werden; ſehen wir
alle Hoheit und Macht der nicht prophetiſchen Welt
auf die entgegengeſetzte Weiſe unter niedrigen und ge-
ringen Bildern bezeichnet. Der Stolz jenes maͤchti-
gen Fuͤrſten, welcher ganze Voͤlker hinweggenommen,
wie man die huͤlfloſe Brut eines Vogels hinwegnimmt,
wird mit dem Stolze eines Steckens verglichen, den
ein ſtarker Arm zum Schlagen braucht, ſo lange er
will, oder mit einem Horn, das die ſtarke Hand des
Schmidtes hinwegſchlaͤgt, ſobald ſie mag. Jener
ſchoͤne Morgenſtern, der die Voͤlker bezwang, der in
den Himmel ſteigen, und ſeinen Stuhl uͤber die Ster-
ne Gottes erhoͤhen wollte, wie der Allerhoͤchſte,
iſt zur Erde geworfen, wie das in Lumpen zerriſſene,
verfaulte Kleid eines Todten, fern von ſeinem Grabe
hingeſchleudert, wie ein verachteter Zweig, da ſind
nun ſtatt dem Klange der Harfen, Motten ſeine Ge-
ſellſchaft; jener Große, der ſo feſt an ſeinem Orte
zu ſtehen glaubt, daß er noch Plaͤne uͤber den Tod
hinaus macht, wird umgetrieben, wie eine Kugel, der
feſte Felſen muß vor Furcht entfliehen. Ein gewal-
tiges Heer, zahllos wie Staub und wohlgeruͤſtet, wird
mit einem ohnmaͤchtigen Nachtgeſicht im Traume ver-
glichen, ſeine Unternehmungen mit dem Thun eines
Hungernden im Traume, der ſich an den erdichteten
Speiſen zu erſaͤttigen glaubt, und nur kraftloſer vom
Schlafe erwacht. Die weiſen Raͤthe der weiſen Koͤ-
nige, werden mit Narren verglichen, die nicht wiſſen,
was
[20] was ſie wollen, der Tag des Herrn, der anderwaͤrts
grauſam und traurig geſchildert wird, erſcheint unter
dem froͤhlichen Bilde eines Gaſtmahls, zu welchem
die Schlachtthiere laͤngſt gemaͤſtet, und viele Gaͤſte
geladen ſind; die Ruthe des Zorns koͤmmt mit Pau-
ken und Harſen. Waͤhrend die Wuͤſte und Einoͤde
luſtig ſeyn, das Gefilde froͤhlich ſtehen und bluͤhen
wird wie die Lilien und wie Carmel und Saron,
ſollen in den Pallaͤſten bluͤhender Staͤdte aus den
Truͤmmern Neſſeln wachſen und Dornen, einſame
Strauße in den ehemals froͤhlichen Gaſſen weiden, Eu-
len und Raben in den Luſtſchloͤſſern wohnen. Berge
ſollen zur Ebene, das Niedrige und Verachtete hoch
werden. Und ſo ſpricht ſich dieſer Sinn des Gegen-
ſatzes und Widerſpruches der hoͤheren prophetiſchen
Welt, gegen die niedere nicht prophetiſche, auf die
verſchiedenſte Weiſe aus, was in dieſer hoch, allge-
mein begehrt und glaͤnzend iſt, erſcheint in jener un-
werth und niedrig, und ſo wieder umgekehrt, und die-
ſer Widerſpruch hat ſich nicht bloß in den Vorher-
verkuͤndigungen, ſondern auch in den Lebensſchickſalen
der Propheten, in dem Verhaͤltniſſe zu ihrer Zeit und
ihrer Umgebung deutlich gezeigt.
Eine beſondere Aufmerkſamkeit ſcheinen die ſym-
boliſchen Handlungen zu verdienen, welche den Pro-
pheten zum Theil anbefohlen werden, ſo wie die ſym-
boliſchen Lebensſchickſale einiger von ihnen. Daß auch
in der Sprache des Traumes gewiſſe Handlungen ei-
ne ſymboliſche Bedeutung annehmen, davon war ſchon
im Vorhergehenden die Rede. Es gehoͤrt zu den we-
ſentlichſten Eigenthuͤmlichkeiten in der Sprache beyder
Regi-
[21] Regionen: den Theil fuͤrs Ganze zu brauchen, an ei-
nem Einzelnen die Geſchichte des Ganzen darzuſtellen,
und wir finden in der Geſchichte der Propheten oͤfters,
daß dieſe durch ihr eignes Schickſal das ihres geſamm-
ten Volkes repraͤſentirten.
Uebrigens iſt die Sprache der hoͤheren propheti-
ſchen Region mehr als irgend eine andre ihr verwand-
te: Sprache des Schickſals, Sprache einer alles wal-
tenden Gottesweisheit, und die Zukunft, ſelbſt die
fernſte, hat ſich jenen Sehern ſo klar und deutlich
enthuͤllt, wie keinem andern. Der Inhalt aller Vor-
herverkuͤndigungen der Propheten iſt immer derſelbe:
Geſchichte des großen Kampfes der Wahrheit mit
der Luͤge, des endlichen gewiſſen Sieges der erſtern
uͤber die letztre, und die Ausſicht auf ein herrliches
Reich des Lichts, der Liebe, des Schauens.
Nun noch einige Worte, uͤber ein hiermit nahe
verwandtes Gebiet: Die Lebensbeſchteibungen und
Selbſtbekenntniſſe jener Menſchen, welche ein inner-
liches Leben gefuͤhrt haben, von jenen des Auguſtinus
an, bis zu den bekannten Bekenntniſſen einer ſchoͤnen
Seele, reden nicht ſelten von Zuſtaͤnden, welche ganz
denen der prophetiſchen Geſichte gleichen. Beſonders iſt
das Leben der Anna Garcias, ſo wie jenes der An-
gela Foligni reich an aͤhnlichen Erſcheinungen, und
der erſteren wird bald ihr innerer Seelenzuſtand, bald
ihr Verhaͤltniß zur Welt oder zu Gott unter allerhand
(prophetiſchen) Bildern vorgeſtellt; z. B. unter jenen
von Thieren, Lichterſcheinungen und anderen Naturgegen-
ſtaͤnden. Beyſpiele einer ſolchen hoͤheren Clairvoyance
finden
[22] finden ſich auch in der neulich wieder bekannt gemach-
ten Lebensbeſchreibung des Hemme Hayen. *) Auch
bey allen jenen Menſchen geſchehen die Mittheilungen
und Offenbarungen der hoͤheren, geiſtigen Region in
einer Sprache, deren Worte hieroglyphiſche Geſtalten,
Gegenſtaͤnde und Bilder der Sinnenwelt waren, und
in einem einzigen ſolchen Bilde, entraͤthſelten ſich ih-
nen oͤfters Dinge, mit denen ſie ſich Jahre lang an-
gelegentlich beſchaͤftigt, die ſie Jahre lang als dunkles
Geheimniß bekuͤmmert hatten.
Hieher gehoͤrt denn auch die ganze Region des
religioͤſen Cultus, und wir erinnern nur an das, was
von der ſymboliſchen Bedeutung mancher Handlun-
gen uͤberhaupt geſagt worden. Schon aus der Ge-
ſchichte der magnetiſchen Rapports iſt es bekannt:
was jede noch ſo unbedeutende Beruͤhrung eines orga-
niſchen oder nicht organiſchen Koͤrpers ſowohl auf dieſe
als auf den Leib des Beruͤhrenden zu wirken vermoͤ-
ge. In der hoͤheren geiſtigen Region zeigt ſich, nur
noch auf viel zaͤrtere Weiſe, etwas dem Aehnliches.
Wer es empfunden, wie oft eine noch ſo unbedeutend
ſcheinende, mit Willen vollzogene Handlung, wie oft ein
einziges Wort einen ſo bedeutenden Einfluß auf unſer gei-
ſtiges Wohlbefinden habe, der ſich durch ein inneres
Wohlgefuͤhl oder Mißbehagen merklich macht, und wie
oft ſolche Handlungen eine lange andauernde, unſer ſpaͤ-
teres Thun beſtimmende Nachwirkung zuruͤcklaſſen, dem
wird jenes Verhaͤltniß nicht ſchwer zu begreifen ſeyn.
Die
[23]
Die Worte, z. B. mancher religioͤſer Hymnen
der fruͤheren Zeit, erregen, wenn wir uns ihrer Wir-
kung uͤberlaſſen, Gefuͤhle und Kraͤfte in uns, welche
faſt von einer magiſchen Wirkſamkeit ihrer dunkeln Bil-
derſprache zeugen, obgleich dieſe, neben der nuͤchternen
Proſa unſrer neuern (moraliſchen) Geſaͤnge, die in
demſelben Grade erkaͤlten und entkraͤften, einem hoͤ-
hern Wahnſinne gleicht, der, vor Liebe ſterbend, wie
dort Ophelia, mit Blumen ſpielt. Der religioͤſe Cul-
tus, mit ſeinen vielfach mißverſtandenen ſymboliſchen
Handlungen, iſt nichts anders, als ein ſolcher Hym-
nus, deſſen Worte Handlungen ſind, welche ihre ma-
giſche Wirkung auf das empfaͤnglichere Gemuͤth nicht
leicht verfehlen. Der Cultus hoͤherer Art gehoͤrt ganz
in die Region der prophetiſchen Welt zu Hauſe, und
wird aus dieſer verſtanden, waͤhrend der Cultus nie-
deren Ranges, aus der Region der pythiſchen Begei-
ſterung hervorgehet.
Endlich, ſo zeigt auch jene hieroglyphiſche Bil-
derſprache, die man beſonders an egyptiſchen alten
Denkmaͤlern und an den ſeltſamen Geſtalten der alten
Goͤtzenbilder der Morgenlaͤnder kennen gelernt hat, eine
auffallende Verwandſchaft mit der Traumbilderſprache.
Vielleicht koͤnnte es gelingen, durch Huͤlfe dieſer Ver-
wandſchaft den verloren gegangenen Schluͤſſel auch fuͤr
den bisher noch nicht entraͤthſelten Theil jener Natur-
zeichenſprache zu finden, womit dann fuͤr uns mehr
als eine bloße Erweiterung unſerer archaͤologiſchen und
mythologiſchen Kenntniſſe wuͤrde gewonnen werden:
eine Anſicht von der Bedeutung der uns umgebenden
Natur, von welcher ſich unſre gewoͤhnliche Naturkunde
nichts traͤumen laͤſſet.
[24]
3. Die Symbolik der Natur.
Von jenen Bildern und Geſtalten, deren ſich die
Sprache des Traumes, ſo wie die der Poeſie und der
hoͤheren prophetiſchen Region als Worte bedienon, fin-
den wir die Originale in der uns umgebenden Natur,
und dieſe erſcheint uns ſchon hierinnen als eine ver-
koͤrperte Traumwelt, eine prophetiſche Sprache in le-
bendigen Hieroglyphengeſtalten. Der unbekannte Phi-
loſoph *) ſcheint deßhalb nicht ohne Grund die Natur
mit einer Somnambuͤle, einer Traumrednerin zu ver-
gleichen, welche uͤberall nach derſelben innern Noth-
wendigkeit, nach demſelben bewußtleſen und blinden
Triebe wirke, aus welchem die Handlungen eines Nacht-
wandlers hervorgehen, und deren Producte — in allen
ihren mannigfachen Geſchlechtern und Arten, den Bil-
dern unſerer Traͤume gleichen, die an ſich ſelber unwe-
ſentlich, erſt durch das was ſie bedeuten, was ſie
darſtellen, Sinn und Weſenheit erhalten.
In der That, die gemeine teleologiſche Anſicht
machet aus der Natur ein Ungeheuer, welches, damit
es nur eine Beſchaͤftigung habe, ewig in ſeinen eige-
nen Eingeweiden wuͤthet; ein Carouſſel, wo ſich Katze
und Maus, Maus und Katze, ewig in einem Kreiſe
herumjagen, ohne dabey eigentlich „vom Flecke zum
Zwecke‟ zu kommen. Wenn z. B. nach jener Anſicht
ein Theil der untergeordneten Thierwelt nur dazu da
iſt, um von der hoͤheren geſreſſen zu werden, dieſe hoͤ-
here
[25] here wiederum ihrerſeits meiſtens nur dazu, um die
ſonſt ſich gar zu ſehr mehrende niedere aufzufreſſen;
ſo begreift man nicht, wozu denn am Ende dieſes Freſ-
ſen und Gefreſſenwerden eigentlich fuͤhren ſolle? Die
Natur, in welcher uͤbrigens die Zahl der Individuen,
im Einzelnen wie im Ganzen und von der moͤglichen
Summe der Polypen eines Corallenbaums an, bis hin-
auf zu der Summe der zu gleicher Zeit auf der Erde
lebenden Menſchen ſo genau beſtimmt iſt, *) verſtuͤnde
wirklich den Calcul in ihrer Haushaltung ſehr ſchlecht
und unhaͤuslich zu fuͤhren, wenn ſie auf der einen
Seite eine ſo unverhaͤltnißmaͤßig große Menge von Vor-
raͤthen herbeyſchaffte, daß ſie wieder eigner Weſen be-
duͤrfte, die jene nur aufzehrten, auf der andern ganze
große Supplemente und Anhaͤnge an ihre, zunaͤchſt
bloß fuͤr den Menſchen beſtimmte Welt verfertigen
muͤßte, weil in derſelben fuͤr den Lebensunterhalt der
dem Menſchen dienenden Weſen noch zu ungenuͤgend
geſorgt geweſen.
Der verſtorbene Wieland beklagte bey dem An-
blick eines Feldes voll friſchen, bluͤhenden Klees ſcherz-
haft, daß er nicht eine Kuh ſey, um dieſen ſchoͤnen
Vorrath ſelber verzehren zu koͤnnen; und in der That,
in einer Natur, deren ganze Beſtimmung doch nur
am Ende darauf hinaus liefe, den Menſchen zu fuͤt-
tern und zu bekleiden, begreift man nicht, warum
nicht
[26] nicht hie und da oͤfter ſolche Abbreviaturen angebracht
ſind? um ſo mehr da auch von einer andern Seite,
wie ſchon der ſeynſollende Gotteslaͤugner Vanini am
Scheiterhaufen ſtehend ſagte, die Betrachtung eines
bloßen Strohhalmes Beweiſe genug fuͤr das Daſeyn
eines Gottes geben koͤnnte.
Unſerer gemeinen teleologiſchen Anſicht ſpottet ſchon
in altes Buch, welches fragt: „meynſt du das Ein-
ehorn werde dir dienen, und werde bleiben an deiner
Krippe?‟ oder: „kannſt du den Leviathan ziehen mit
einem Hamen,‟ … meyneſt du, die Geſellſchaften
werden ihn zerſchneiden, daß er unter die Kaufleute
zertheilet wird? „und es widerſpricht ihr die ganze
Bildungsgeſchichte des Menſchen. Dieſe, weit ent-
fernt, der Annahme einer ſolchen epicuriſchen Fuͤrſorge,
welche die ganze Natur nur zur Beluſtigung unſerer
Sinne hervorgerufen, das Wort zu reden, hat viel-
mehr von jeher von einer hoͤheren Beſtimmung des
Menſchen als jener des ſinnlichen Genuſſes geſprochen,
und der Weg zu der urſpruͤnglichen Region unſeres
Gemuͤths, gehet durch Abgeſchiedenheit und Ent-
bloͤßung von allem Sinnlichen. Ueberhaupt ſcheinet
nach allem nicht der ſinnliche Menſch, und die Be-
friedigung ſeines niederen Beduͤrfniſſes, ſondern der
geiſtige und ſeine Ausbildung, Hauptaugenmerk der
ſchaffenden Natur geweſen zu ſeyn.
Eine hoͤhere, aber auch nicht durchaus genuͤgende
teleologiſche Anſicht, iſt die aus der allgemeinen Noth-
wendigkeit des Gegenſatzes hergeleitete, nach welcher
ein Gegenſatz nicht da ſeyn koͤnnte ohne den ihm
gegen-
[27] gegenuͤberſtehenden andern, die Leber z. B. in der Re-
gel nicht produzirt werden koͤnnte, ohne daß zugleich
der andere Pol, die in Hinſicht ihres phyſiologiſchen
Nutzens raͤthſelhafte Milz mit geſetzt wuͤrde, die Nie-
ren nicht ohne die Nebennieren, die Pflanzen freſſenden
Thiere nicht ohne die ihnen gegenuͤber ſtehenden Raub-
thiere. Indeſſen gehet dennoch die wahre Teleologie,
welche zwar auch den Menſchen als Mittelpunkt alles
Erſchaffenen, die ganze Natur (nur in geiſtiger
Hinſicht) in Beziehung auf ihn vorhanden annimmt,
nicht von dieſer Anſicht, ſondern von andern tiefer
liegenden Prinzipien aus.
An eine geiſtige Bedeutung der uns umgebenden
Natur, an eine ſogenannte Naturſprache, iſt ſchon oͤf-
ters und bey mehreren Voͤlkern gedacht worden. Merk-
wuͤrdig iſt es immer, daß gewiſſe Thiere, gewiſſe
Blumen u. ſ. w. bey den verſchiedenſten Voͤlkern und
in den verſchiedenſten Zeiten einerley Bedeutung ge-
habt haben, die mit ihren uns bekannten Eigenſchaf-
ten in keinem ſichtbaren Zuſammenhang ſtehet, z. B.
der Eisvogel, der Alcyon der Alten, der noch jetzt bey
halb kultivirten und wilden Nationen, bey den Tar-
taren und Oſtiaken ſowohl als bey den Bewohnern
der Suͤdſee Inſeln daſſelbe bedeutet, was er den Al-
ten war, Vogel des Friedens und des Gluͤcks, Baͤn-
diger der Stuͤrme und des Meeres, und ſo mehrere
Thiere, von deren einigen noch hernach die Rede ſeyn
wird. Auch die kuͤnſtliche Blumenſprache, die vor-
zuͤglich in den Morgenlaͤndern zu Hauſe iſt, ſcheint
wenigſtens von der Vorausſetzung auszugehen, daß
eine ſolche Naturſprache moͤglich ſey, obgleich ſie meiſt
will-
[28] willkuͤhrlich zu Werke geht, und nur ſelten an einer
tieferen Bedeutung ber Naturgegenſtaͤnde hinſtreifet.
So koͤnnte z. B. eben ſo gut die eine als die andre
Blume in jener Briefſprache eine Zuſammenkunft, oder
das eiferſuͤchtige Auge des Waͤchters bedeuten, und
wirklich (man denke nur an die ſo verſchiedene Be-
deutung des Stiefmuͤtterchens, im Deutſchen und im
Franzoͤſiſchen) iſt faſt jede Nation mit ſolchen will-
kuͤhrlichen Auslegungen auf eigene Weiſe zu Werke
gegangen. Wenn dagegen z. B. die Herbſtzeitloſe
(colchicum autumnale) deren lilienartige Blume noch
im Herbſt, wenn die Zeit faſt aller andern Blumen
voruͤber iſt, unſre Wieſen bedeckt, und nach wenig Ta-
gen wieder verſchwindet, ohne Blaͤtter oder Fruͤchte er-
zeugt zu haben, die dann erſt im Fruͤhling des naͤch-
ſten Jahres zum Vorſchein kommen, in jener Blu-
menſprache die Unſterblichkeit, das im jetzigen Leben
ungeſtillte, erſt im Fruͤhling eines neuen Lebens in Er-
fuͤllung gehende Sehnen bedeutet, *) ſo ſcheint eine
ſolche Auslegung einem tiefer eindringenden Verſtaͤnd-
niß wenigſtens nicht ferne zu ſtehen.
Schon bey den Alten **) iſt jener in den Myſte-
rien gefeyerte Dionyſos die Vielheit, er offenbart ſich
als bunte Mannigfaltigkeit der Elemente und Geſchlech-
ter
[29] ter der uns umgebenden Natur. Derſelbe Dionyſos
iſt nach der Geheimlehre der Egypter, Gott aus Gott
geboren und ihm wird als Zagreus ſein Sitz unmit-
telbar neben dem Throne des Gottes der Goͤtter und
die Macht des Vaters eingeraͤumt, ja in den orphi-
ſchen Myſterien iſt er der Gott der Goͤtter ſelber. Je-
ner Fleiſchgewordne Gott, — der den Indern zweyte
Perſon der Gottheit iſt, den egyptiſchen Prieſtern der
ewige Entſcheider uud Beſtimmer aller Dinge und ſo-
mit auch Herr der Schickſale und Schickſalsdeuter —
erſter Prophet (Sprecher der Schickſalsſprache nach dem
Vorhergehenden) wird anderwaͤrts das Wort aus Gott
genannt. Die uns umgebende Natur in allen ihren
mannigfaltigen Elementen und Geſtalten, erſcheint hier-
nach als ein Wort, eine Offenbarung Gottes an den
Menſchen, deren Buchſtaben (wie denn in dieſer Re-
gion alles Leben und Wirklichkeit hat) lebendige Ge-
ſtalten und ſich bewegende Kraͤfte ſind. Auf dieſe
Weiſe wird dann die Natur das Original jener Na-
turbilderſprache, worinnen die Gottheit ſich ihren Pro-
pheten und anderen Gott-geweihten Seelen von jeher
offenbart hat, jener Sprache, die wir in der ganzen
geſchriebenen Offenbarung finden, und welche die Seele
als die ihr urſpruͤngliche und natuͤrliche, im Traume,
und in den hiermit verwandten Zuſtaͤnden der poeti-
ſchen und pythiſchen Begeiſterung redet. Eine ſolche
Gemeinſchaftlichkeit der Sprache unſerer Seele und des
hoͤchſten ſchaffenden Prinzips, laͤſſet auch auf eine an-
dre tiefere Uebereinſtimmung beyder ſchließen. Daſſel-
be Prinzip, aus welchem die ganze uns umgebende
Ratur hervorgegangen, zeigt ſich unter andern auch in
uns, bey der Hervorbringung jener Traum- und Na-
tur-
[30] tur-Bilderwelt thaͤtig, obgleich gerade dieſe Thaͤtig-
keitsaͤußerung, in dem jetzigen Zuſtande nur ein ſehr
untergeordnetes Geſchaͤft der Seele iſt.
Daſſelbe, was wir bey der Sprache des Traumes
bemerken, jenen Ton der Ironie, jene eigenthuͤmliche
Ideenaſſociation und den Geiſt der Weiſſagung, fin-
den wir denn auch auf ganz vorzuͤgliche Weiſe, in
dem Originale der Traumwelt, in der Natur wieder.
In der That, die Natur ſcheint ganz mit unſerm ver-
ſteckten Poeten einverſtanden, und gemeinſchaftlich mit
ihm uͤber unſere elende Luſt und luſtiges Elend zu ſpot-
ten, wenn ſie bald aus Graͤbern uns anlacht, bald an
Hochzeitbetten ihre Trauerklagen hoͤren laͤſſet, und auf
dieſe Weiſe Klage mit Luſt, Froͤhlichkeit mit Trauer
wunderlich paart, gleich jener Naturſtimme, der Luft-
muſik auf Ceilon, welche im Tone einer tiefklagenden,
herzzerſchneidenden Stimme, furchtbar luſtige Menuetten
ſingt. Die Zeit der Liebe und der Freude iſt es, wenn
die Nachtigall ihren klagenden Geſang am meiſten hoͤ-
ren laͤſſet, worinnen ſie nach einem dichteriſchen Aus-
druck, die Roſe uͤber Graͤbern beſinget, und alle Freu-
dengeſaͤnge der Natur haben den klagenden Mollton,
waͤhrend umgekehrt ein ephemeres Gefluͤgel den Tag
ſeiner Hochzeit unmittelbar am Grabe, am Tage des
Todes ſeyert. Tod und Hochzeit, Hochzeit und Tod
liegen ſich in der Ideenaſſociation der Natur ſo nahe
wie in der des Traumes, eins ſcheint oft das andere
zu bedeuten, eins das andere herbeyzufuͤhren oder vor-
auszuſetzen; ſie erſcheinen oͤfters in der Sprache der
Natur als zwey gleichbedeutende Worte, davon nach
Gelegenheit eins fuͤr das andre geſetzt wird. Die
Er-
[31] Erzeugung und letzte Aufloͤſung der Koͤrper, ſind ſich,
wie ſchon anderwaͤrts bemerkt worden *), in der gan-
zen Natur, ſowohl in Hinſicht der Erſcheinun-
gen als der dabey hervorkommenden Stoffe unmittel-
bar verwandt und gleich; Phosphorus iſt Morgen-
wie Abendſtern, Fackel der Hochzeit und des Todes,
und waͤhrend der eine Theil des immer kreiſenden Ra-
des ſich zur neuen Zeugung emporhebt, geht der an-
dere in demſelben Verhaͤltniß hinabwaͤrts. Schmerz
und Luſt, Luſt und Schmerz ſind auf dieſelbe Weiſe
verbruͤdert: das Kind der Freude wird mit Schmer-
zen geboren, auf den hoͤchſten Grad der ſinnlichen
Unluſt und Qual, folget, ſelbſt ſchon im Zuſtan-
de der Ohnmacht und des Scheintodes die hoͤchſte Luſt
**); umgekehrt, iſt die ſinnliche Luſt eine Gebaͤhrerin
des Schmerzens.
Jene ſeltſame Verſchwiſterung ſcheinet die Vor-
welt wohl verſtanden zu haben, wenn ſie den Phal-
lus oder deſſen coloſſales Sinnbild, die Pyramide als
Mahlzeichen auf Graͤber geſtellet, oder das geheime
Feſt der Todesgottheit mit Vortragung des Phallus
gefeiert; obgleich jene Aufopferung des Werkzeuges
ſinnlicher Luſt, der rohe Ausdruck auch noch eines an-
dern tieferen Verſtaͤndniſſes geweſen. Mitten unter
den Todesfei-rlichkeiten und den Trauerklagen der
My-
[32] Myſterien, ertoͤnte, wie in einer Shakſpeariſchen Tra-
goͤdie, die Stimme des Lachens uͤber Baubo und Jac-
chus; mitten unter zum Theil komiſchen und heitern
Feyerlichkeiten, blickte oͤfters ein ſehr ernſter und tra-
giſcher Sinn hervor.
Ein aͤhnlicher Humorismus der Natur hat denn
auch Liebe und Haß in der ganzen Region der Sin-
nenwelt aufs mannigfaltigſte verſchwiſtert. Beyde lie-
gen ſich hier ſo nahe, daß man oft bey gewiſſen Aeu-
ßerungen, z. B. der thieriſchen Natur nicht zu un-
terſcheiden vermag, aus welcher von beyden Quellen
ſie gekommen. Das Feſt der Liebe wird bey vielen
Thieren mit Zweykaͤmpfen der Maͤnnchen, mit bluti-
ger Erbitterung begonnen, furchtbarer Haß und ra-
ſende Zuneigung gehen aus derſelben Baſis hervor,
und oͤſters (wenn z. B. das maͤnnliche Raubthier
das Weibchen, um deſſen Gunſt es ſich lange verge-
bens bemuͤht, zuletzt zerreißt, und mit ungewoͤhnlicher
Wuth frißt, *) oder wenn das Weibchen mancher
Inſecten ſein Maͤnnchen gleich nach der Begattung
umbringt und zerſtuͤckt,) erſcheint die ſinnliche Zunei-
gung nur wie ein grimmiger Haß, welcher die Mas-
ke der Liebe angenommen, und umgekehrt.
So findet ſich denn auch anderwaͤrts in der Na-
tur dieſelbe (ironiſche) Zuſammenſtellung der entfern-
teſten Extreme. Unmittelbar auf den vernuͤnftigen,
ge-
[33] gemaͤßigten Menſchen, folgt in der Ideenaſſociation
der Natur der tolle Affe, auf den weiſen, keuſchen
Elephanten das unreine Schwein, auf das Pferd der
Eſel, auf das haͤßliche Cameel die ſchlanken Rehar-
ten, auf die mit dem gewoͤhnlichen Loos der Saͤug-
thiere unzufriedne, dem Vogel nachaͤffende Fledermaus,
folgt in verſchiedener Hinſicht die Maus, die ſich kaum
aus der Tiefe herauswagt; dann wieder auf den win-
digen, immer unruhig bewegten Affen, der traͤge Lori,
und ſelbſt das Faulthier ſcheinet nach einer gewiſſen
Affenaͤhnlichkeit ſeines aͤußeren Geſichtsumriſſes der
traͤumenden Natur nicht gar zu fern vom Affen weg
zu liegen.
Auch von jener prophetiſchen Combinationsgabe,
von jener Verknuͤpfung des Morgen mit dem Geſtern,
welche in der Sprache des Traumes bemerkt worden,
findet ſich in der Natur das Urbild. Dieſe Combi-
nationsgabe iſt es, vermittelſt welcher jedes Beduͤrfniß
in der Natur, ſchon bey ſeinem Erwachen alles um
ſich her bereitet, und fuͤr alles geſorgt findet, weſſen
es zu ſeiner Befriedigung bedarf. Vermoͤge jener
Vorausſicht baut die Mauerbiene den noch ungelegten
Eyern ihre Zellen, und nimmt hierbey ſchon auf das
Geſchlecht der noch Ungebornen Ruͤckſicht, verſorgt ſie
auf die einem jeden angemeſſene Weiſe mit Vorrath.
Ein Geſchlecht der Thiere, das noch keinen Winter er-
lebt hat, iſt ſchon waͤhrend des Sommers fuͤr den zu-
kuͤnftigen Winter beſorgt; kaum aus der Huͤlle hervor-
gegangen, und zum erſten Male am Sonnenſtrahle ſich
waͤrmend, hat es ſchon deutliche Vorgefuͤhle von dem
nahen Witterungswechſel; eben ſo wie jene krankhaft
3indi-
[34] individualiſirten Theile des menſchlichen Koͤrpers, die
ſich durch ihr falſches Selbſtſtaͤndigwerden und Abſon-
dern, der Einheit des wachen Willens entziehen, und
ſich in die Region der Beſonderheit, der aͤußern Na-
turdinge verſetzen. So wie der Menſch oͤfters im
Traume und anderen hiermit verwandten Zuſtaͤnden,
ganz zufaͤllig ſcheinende aͤußere Begebenheiten: z. B.
den Einſturz einer Wand, eines Schachtes oder andre
Ereigniſſe, die ihm den Untergang drohen, voraus er-
faͤhrt; ſo entfliehen auch Thiere, dem nach menſchli-
chen Einſichten durchaus nicht vorauszuſehenden Berg-
ſturze; der ſonſt ſo zaͤrtlich beſorgte Muttervogel, ver-
laͤßt ſelbſt die am unſichern Orte beſindliche Brut, waͤh-
rend der wache Menſch noch mit unbedachtſamen Leicht-
ſinne, unten im Thale, in dem ſchon fuͤr ihn geoͤffne-
tem Grabe, Freudentaͤnze und Luſtbarkeiten haͤlt. Auf
dieſelbe Weiſe vermeiden Thiere oft lange vorher Ge-
genden, denen ein vulkaniſcher Ausbruch oder Erdbeben
bevorſtehen, *) waͤhrend der Menſch noch unwiſſend
auf dem gefahrvollen Boden graͤbt und erndtet, und es
ſind Beyſpiele bekannt, wo Thiere, beſonders Pferde,
mit einem faſt menſchenaͤhnlichen Ahndungsvermoͤgen,
nahen Gefahren ausgewichen **). Jene Combina-
tionsgabe iſt es, welche die wandernden Thiere uͤber
weite Meere hin, ſicher nach dem fernen Welttheile
fuͤhret, waͤhrend der menſchliche Verſtand Jahrhun-
derte
[35] derte lang ſelbſt uͤber das Daſeyn jenes Welttheiles
ungewiß war.
So iſt jener Trieb, welchen wir in der ganzen
Natur herrſchen ſehen, durchaus prophetiſcher Natur,
und der Schickſalsgott Dionyſos, welcher anderwaͤrts
als Traumgott, als Traumprophet, *) erſcheinet, wal-
tet hier, wie in der Region des Traumes, und der
verwandten geiſtigeren Zuſtaͤnde, mit einer alles ord-
nenden, alles in Uebereinſtimmung ſetzenden Noth-
wendigkeit.
Wir finden indeß jenen prophetiſchen Geiſt, wel-
chen die Natur ſchon in Beziehung auf ſich ſelber,
auf ihre eigenen Beduͤrfniſſe beſitzt, auch noch in ei-
nem viel hoͤheren Sinne, und in Beziehung auf den
Menſchen in ihr wieder. Seit den aͤlteſten Zeiten hat
eine reine, unbefangene Betrachtung, in der Natur
ein Abbild des menſchlichen Lebens und Beſtrebens
gefunden, und auch den aus dem anfaͤnglichen Kreiſe
weit abgewichenen Menſchen, erinnert die Natur auf
mannigfaltige Weiſe an ſeine urſpruͤngliche Beſtim-
mung. Der Anblick einer hohen einſamen Gebirgs-
gegend, das Wehen der Abendroͤthe, erwecken oͤfters
den in uns ſchlummernden Ideenkreis einer hoͤheren,
geiſtigeren Welt und ein Verlangen, welches vergeb-
lich ſeine volle Befriedigung von dem jetzigen Da-
ſeyn begehrt.
Wie dem Menſchen aus der ihn umgebenden
Natur das Bild ſeines eigenen ſinnlichen Daſeyns von
allen
[36] allen Seiten zuruͤckſtrahlt; ſo findet er in derſelben
auch ſein innres, geiſtiges Leben abgeſpiegelt. Der
Geiſt der Natur ſcheint ſich mit denſelben Gedanken,
mit denſelben Problemen zu beſchaͤftigen, welche auch
dem unſrigen am meiſten anliegen, und welche der-
ſelbe am meiſten zu loͤſen bemuͤht iſt. Nicht ohne
hoͤhere Bedeutung iſt es in jener Hinſicht, daß uns
in der Inſektenmetamorphoſe das Erwachen „nach
dem hoͤhern urſpruͤnglichen Vorbilde‟ aus dem Tode
der unvollkommneren Larve dargeſtellt wird. Der
Geiſt der Natur thut hier wirklich einen prophetiſchen
Blick uͤber das jetzige Daſeyn des Menſchen hinaus,
und beantwortet dieſem hiermit eine der angelegent-
lichſten Fragen ſeines Geiſtes.
Wir erwaͤhnten vorhin, daß der Inhalt aller
Vorherverkuͤndigungen der Propheten, der Inhalt al-
ler Offenbarungen Gottes, ein gemeinſchaftlicher, und
uͤberall derſelbe ſey: die Geſchichte einer Wiederher-
ſtellung und Wiederbringung des Menſchen zu ſeiner
urſpruͤnglichen Beſtimmung, die Geſchichte eines gro-
ßen Kampfes des Lichts mit der Finſterniß und des
endlichen Sieges der Wahrheit uͤber die Luͤge. Wenn
die Natur ein Wort der ewigen Weisheit, eine Of-
fenbarung derſelben an den Menſchen iſt, ſo muß
auch dieſe Offenbarung von demſelben Inhalt ſeyn,
wie die mit Buchſtaben geſchriebene, durch Menſchen
geſchehene. Denn daß auch das Buch der Natur zu-
naͤchſt bloß fuͤr den Menſchen geſchrieben ſey, leidet
keinen Zweifel, da er das einzige Weſen der uns ſicht-
baren Welt iſt, welches von Natur den Schluͤſſel zu
jener Hieroglyphenſprache beſitzt.
In
[37]
In einer gewiſſen Hinſicht erſcheint die uns um-
gebende Natur als ein Schrittmeſſer, an welchem ſich
der Gang der Entwicklung des hoͤheren Geiſterreichs,
vollkommen nachweiſen laͤſſet. Zugleich mit dem ur-
ſpruͤnglichen Zuſtande des Menſchen veraͤnderte ſich
auch die ihn umgebende, mit ihm in Beziehung ſte-
hende Natur. In anderer Beziehung erſcheinet dieſe,
welche jetzt keine andre Geſchlechter mehr ſchaffet, ſon-
dern zu dem ſchon fertig geſchriebenen Buche hoͤchſtens
Varianten, der Zeit ſich accommodirende Abaͤnderungen
der Arten liefert, als der fruͤher vollendete Theil eines
hoͤheren Ganzen. Da bey der Erzeugung des Einzel-
nen dieſelben Prinzipien, dieſelben ſtreitenden Kraͤfte
thaͤtig geweſen, aus denen das hoͤhere Ganze hervor-
geht, ſo muß die Geſchichte des letzteren ſchon in je-
ner des Einzelnen zu erkennen ſeyn, eben ſo wie ſich
in der Geſchichte des einzelnen Menſchen die Entwicke-
lungsperioden des ganzen Geſchlechts nachweiſen laſſen,
oder wie ſich an der zugleich, in einem und demſel-
ben Monat bluͤhenden Pflanzenflor, an den zugleich
auf der Erde lebenden Voͤlkern und einzelnen Men-
ſchen alle die verſchiedenen Entwickelungsſtufen neben
einander zeigen, welche die ganze Klaſſe, das ganze
Geſchlecht in den verſchiedenen Monden und Jahrtau-
ſenden nach einander durchlaufen muͤſſen.
In der ganzen uns umgebenden Sinnenwelt zeigt
ſich, eben ſo wie in der geiſtigen, der ſtete Kampf
zweyer Prinzipien, welche urſpruͤnglich einander be-
freundet, eins das andre vorausſetzend, bey einem ge-
gebenen Punkte ſich feindlich gegen einander entzuͤnden.
Der Kampf zwiſchen beyden laͤßt ſich durch die verſchieden-
ſten
[38] ſten Entwicklungsſtufen — Klaſſen und Geſchlechter (ein
Abbild eben ſo vieler Weltenalter, Epochen, groͤßerer
und kleinerer Zeitabſchnitte) verfolgen, bis dahin,
wo zuletzt das zerſtoͤrende Prinzip von dem ihm ent-
gegengeſetzten beſiegt wird, und wo ſich gleichſam per-
ſpectiviſch, wie in weiter Ferne und in immer mehr
verloͤſchenden Umriſſen, eine Periode der Vollendung,
frey vom Kampfe, und ein Reich des Friedens dar-
ſtellt. Der Inhalt jenes großen Hieroglyphen-Bu-
ches iſt mithin derſelbe, als der der geſchriebenen
Offenbarung.
Auch die uns umgebende Natur iſt uͤbrigens
(ſelbſt nach der heiligen Tradition) nicht auf einmal,
ſondern in verſchiedenen Zeiten nach einander entſtan-
den. Wir hoffen, uns mit dem Zodiacus dieſer ver-
ſchiedenen Entwicklungsſtufen anderwaͤrts ausfuͤhrlicher
zu beſchaͤftigen, und heben hier nur einige wenige da-
hin gehoͤrige Momente aus, wobey wir zunaͤchſt bloß
bey dem Thierreich ſtehen bleiben.
Das aͤlteſte Sternbild unſers Zodiacus, die fruͤ-
heſte Thierwelt, erhebt ſich aus dem Gewaͤſſer, ihr
Charakter ſcheint eine in ſich ſelbſt gekehrte Ruhe,
Innerlichkeit und feſtes Zuſammenhalten mit dem ei-
genthuͤmlichen Centro. Von einem großen Theile der
Polypen, Wuͤrmer, Fiſche, ſteigt daſſelbe durch eine
Art von hoͤheren Puppenzuſtand der letzteren Klaſſe,
durch die Cetaceen (… Lamentine, Maſen, Nilpferd)
zu den Pachydermen. Der Repraͤſentant dieſes aͤlte-
ſten Weltenalters iſt der Elephant. Groͤßere Koͤr-
permaſſe, laͤngere Lebensdauer, harmoniſchere Ueberein-
ſtim-
[39] ſtimmung mit dem urſpruͤnglichen Zwecke der Natur,
(Unſchaͤdlichkeit) welche dieſer Thierformation vor al-
len andern zukommen, ſind uͤberhaupt Charakter der aͤl-
tern Zeit. Noch ſtehet dieſer Kreis von Weſen in einer
Region des Friedens, er iſt vor jenem der Raubthiere,
und uͤber ihn erhoben, was ſich ſchon dadurch zeigt,
daß er bis zu einem gewiſſen Grade von den Raub-
thieren unbezwinglich, fuͤr dieſe gleichſam nicht vorhan-
den, außer Beziehung auf dieſelben iſt. Zugleich iſt
aber auch dieſe Weltperiode des Thierreichs meiſt au-
ßer naͤherem Verhaͤltniß zum Menſchen, ſie iſt auch
fuͤr ihn zum Theil unbezwingbar; waͤhrend ſich eine
faſt eben ſo alte Thierwelt, deren Repraͤſentant der
Stier iſt, ſchon ungleich naͤher und inniger den Be-
duͤrfniſſen des Menſchen anfuͤgt, unmittelbar fuͤr den
Menſchen vorhanden ſcheint. Dieſer zweyte Kreis
ſinkt mit dem Menſchen zugleich, in der dritten Pe-
riode, in die Region des Kampfes, der Zerſtoͤrung.
Es zeichnet die Thiere der dritten, ebenfalls ſehr al-
ten Formation, die groͤßeren Raubthiere, — eine vor-
zuͤgliche Menſchenaͤhnlichkeit aus, ſey es nun, daß ſie
mit dem Menſchen in einer noch naͤheren Beziehung
geſtanden, als die beyden fruͤheren, und daß der
Menſch, der nach der aͤlteſten Tradition Urſache jener
Kataſtrophe war, durch welche Kampf und Wider-
ſpruch in die ihn umgebende Natur kam, ſie vorzuͤg-
lich mit in ſeinen Fall verwickelte; oder daß ſie zum
Theile erſt ihre Entſtehung jener durch den Menſchen
herbeygefuͤhrten, großen Veraͤnderung verdanken. Re-
praͤſentant dieſes dritten Sternbildes iſt der Loͤwe.
Die koͤrperliche Groͤße, laͤngere Lebensdauer, jene
Innerlichkeit nnd Ruhe, welche die fruͤhere Thierwelt
cha-
[40] charakteriſirten, fangen nun an ſich zu vermindern,
die zerſtoͤrende Kraft tritt aus der anfaͤnglichen Ge-
bundenheit hervor, und hier verlaͤßt die Natur
die urſpruͤngliche Harmonie, ſie ſteht feindſelig ge-
gen den auf, fuͤr welchen ſie eigentlich ihre Kraͤſte
brauchen ſollte. Der Geiſt eines beſtaͤndigen Wider-
ſpruches iſt nun in die Natur eingefuͤhrt, und der je-
nen boͤſen Geiſt citirte, kann das Wort nicht finden,
ihn wieder hinweg zu bannen; es entſteht jener Kampf,
der denn durch alle die verſchiedenen Formationsſtu-
fen des Thierreiches hindurch gehet. Noch wird der
Kampf der beyden entgegengeſetzten Kraͤfte auf die-
ſer Stufe der maͤchtigeren Bildungen offen und mit
ſichtbaren Waffen gefuͤhrt, das erhaltende Prinzip ſiegt
auch hier durch groͤßere Productionskraft der am
meiſten leidenden Geſchlechter, waͤhrend bey den ſchwaͤ-
cheren Geſchlechtern der juͤngſten Perioden der Kampf
gleichſam mit unſichtbaren Waffen, durch Gifte u. f.
w. gefuͤhrt wird.
Jene aͤlteren Thierfamilien duͤrfen naͤmlich als
der Theil des großen Naturbuches betrachtet werden,
welcher uns die Geſchichte einer fruͤhen Vergangenheit,
die der erſten großen Kataſtrophe aufbehaiten hat. In
dieſer Hinſicht wird z. B. der Stier, Sinnbild einer
noch reineren, hoͤheren, mit dem Menſchen und um
des Menſchen willen ſchuldlos leidenden Na-
tur. Die nun folgenden, juͤngeren Theile der Natur-
Offenbarung, enthalten die Geſchichte der ſpaͤteren
Weltperioden.
Man hat die Vorherverkuͤndigungen der Prophe-
ten in denen die naͤher an der Zeit des Sehers gele-
genen
[41] genen Ereigniſſe klaͤrer, die ferner davon liegenden,
immer dunkler und zuſammengedraͤngter erſcheinen, zu-
weilen mit der Ausſicht in eine weiten Ferne, z. B.
mit der durch eine lange Allee verglichen, wo die
naͤchſten Gegenſtaͤnde groͤßer, deutlicher, und wei-
ter von einander entfernet, die weiter abgelegenen, im
Verhaͤltniß der zunehmenden Entfernung immer un-
deutlicher, kleiner, und naͤher zuſammengeruͤckt erſchei-
nen. Auch in der Geſtaltenſprache der Natur ſchei-
nen ſich die Umriſſe immer mehr zu verkleinern, im-
mer zaͤrter und undeutlicher zu werden, je juͤnger und
neuer die Thierformationen werden, und je mehr der
Inhalt der einzelnen Abſchnitte die fernſte Zukunft be-
trifft. Wir finden dieſes am meiſten bey den juͤng-
ſten und letzten Sternbildern des großen Zodiacus.
Mit Uebergehung der andern, wollen wir uns hier
zunaͤchſt mit dem letzten Gliede beſchaͤftigen.
Die Klaſſe der Inſecten und zum Theil die der
Wuͤrmer, ſind ſchon von Mehreren als ſpaͤter ent-
ſtanden, als juͤnger denn die uͤbrige Natur betrachtet
worden. In der That gruͤndet ſich das Daſeyn die-
ſer Thiere groͤßtentheils auf den Tod, auf die Ver-
weſung und Zerſtoͤrung der fruͤheren Natur, welche
mithin bey dem Entſtehen jenes juͤngern Naturrei-
ches als ſchon vorhanden vorausgeſetzt wird. Wir be-
merken in der Klaſſe der Inſekten zum Theil ganz
neue, den aͤlteren Klaſſen nicht zukommende Verhaͤlt-
niſſe; ſo zeigen ſich z. B. ſtatt der beyden fruͤher ge-
woͤhnlichen Zahlen 2 und 4, an den Fuͤßen und Sin-
nesorganen die Zahlen 3 und 6. Die Geſtalten wer-
den hier durchaus ſymboliſch und chimaͤriſch, und die
Men-
[42] Menſchenaͤhnlichkeit verſchwindet nun ganz, ohngefaͤhr
ſo wie der Umriß der am fernſten ſtehenden Gegen-
ſtaͤnde bey einer weiten Ausſicht zuletzt ganz undeut-
lich und urkenntlich wird. Auch in der Maſchinerie
der Tracheen, verraͤth ſich der Charakter einer ſpaͤtern
Ratur, bey deren Entſtehen die jetzige Atmoſphaͤre
ganz jene Hauptrolle geſpielt zu haben ſcheint, welche
bey der fruͤheren dem Waſſer zugekommen. Was je-
doch dieſe juͤngere Thierwelt am meiſten charakteriſirt,
iſt: daß die Weſen nicht mehr in der urſpruͤnglichen
Grundgeſtalt ihres Geſchlechts auftreten, ſondern daß
ſie den groͤßten Theil ihres Daſeyns in dem Zuſtande
einer unkenntlichen, entſtellten Larve zubringen, und
daß ſie einer neuen hoͤheren Geburt — der Me-
tamorphoſe beduͤrfen, um wieder in den eigentlichen
Normal-Zuſtand ihres Geſchlechts, in den elterli-
chen zuruͤckzukehren.
In einer andern Hinſicht wird jene Metamor-
phoſe, ſchon nach der aͤlteſten Voͤlkeranſicht, ein troͤ-
ſtendes Sinnbild des Todes, als Wiedergeburt zu ei-
nem urſpruͤnglichen, vollkommenen Daſeyn, als Er-
wachen nach einem hoͤheren Vorbilde, und das Wort
Tod, in ſeiner ſchrecklichen, wie in ſeiner troͤſtlichen
Bedeutung, ſcheint erſt mit den juͤngeren Perioden in
die Sprache der Natur gekommen, in dieſe aufgenom-
men worden zu ſeyn, wie denn dieſe juͤngeren und
juͤngſten Formationen erſt aus der Zerſtoͤrung und dem
Tode der aͤlteren hervorgehen. Die ganze fruͤheſte Na-
tur hat kein ſolches Bild fuͤr das Wort Tod; dieſer
Begriff ſcheint ihr urſpruͤnglich fremd zu ſeyn.
Wenn
[43]
Wenn ſchon in der fruͤheren Periode der Raub-
thiere, die Thierwelt ſich immer mehr von der ur-
ſpruͤnglichen Einheit und Zweckmaͤßigkeit entfernt;
ſo ſehen wir dieſe juͤngſte Thierwelt noch viel wei-
ter aus jener anfaͤnglichen Harmonie heraustreten,
finden ſie in einem noch viel groͤßeren Widerſpruche
mit dem Urzweck der Natur. Dieſes Thierreich macht
ſich immer unnuͤtzer, ſchaͤdlicher, iſt, wenigſtens in
ſeinem Larvenzuſtande, der fruͤheren Natur groͤßten-
theils nur zur Plage, zum Schaden. Das zerſtoͤrende
Prinzip kaͤmpfet hier mit andern, gleichſam geiſterar-
tigen Waffen, mit jenen Giften, deren chemiſch ma-
giſche Wirkſamkeit oͤfters aus der gewoͤhnlichen Wir-
kungsweiſe der ſichtbaren Natur kaum zu erklaͤren iſt.
Zu gleicher Zeit vermindert ſich die Lebensdauer (we-
nigſtens waͤhrend des vollkommeren Zuſtandes) koͤr-
perliche Groͤße, und abſolute Kraft immer mehr, und
der dem ſchwaͤcheren Geſchlecht als eine Art von Erſatz
gegebene Kunſttrieb, gehoͤret auch zum Charakter ei-
ner ſpaͤteren Zeit.
In der Sprache des Traumes und in jener der
hoͤheren prophetiſchen Region, wird oͤfters jene Rede-
weiſe gebraucht, nach welcher ein Theil das Ganze,
(z. B. der Seher ſein ganzes Volk) darſtellt, das Ein-
zelne fuͤr das Ganze geſetzt wird. Dieſe Redeweiſe
finden wir denn auch ganz vorzuͤglich, und faſt
ausſchließend in der juͤngſten Periode der Thierwelt,
in dem Inſectenreiche wieder. Jenes Verhaͤltniß,
wo ein ganzes Geſchlecht von Thieren, wo eine ganze
minder vollkommene Menge, durch ein hoͤheres, voll-
kommneres Einzelne repraͤſentirt wird, wo dieſes Eine
fuͤr
[44] fuͤr Alle das wichtigſte Geſchaͤft des Daſeyns und die
Schmerzen des Gebaͤhrens uͤbernimmt, finden wir nir-
gends anders im Thierreich, als in der juͤngſten Klaſſe,
in jener der Inſecten. Der vollkommene Bienen-
weiſel tritt als Repraͤſentant ſeines ganzen Geſchlechts,
in ein gleichſam magiſches Verhaͤltniß zu dieſem, wel-
ches bekanntlich nicht ohne ihn zu beſtehen, zu leben
vermag. In der That iſt dieſer Weiſel nichts anders,
als die urſpruͤngliche und Normalgeſtalt des Bienen-
geſchlechts, und die Arbeitsbienen ſind bekanntlich nach
aͤlteren und den neueſten Unterſuchungen nichts anders, als
verkuͤmmerte meiſt unfruchtbare Mutterbienen, unvoll-
kommne Weiſel. Aus einem gewoͤhnlichen Ey, ver-
mag ſtatt einer Arbeitsbiene ein Weiſel zu werden,
wenn die ihres Weiſels, und ſelbſt der Weiſelzeu-
genden Eyer beraubten Bienen, die Zelle des Eyes er-
weitern und mit uͤberfluͤſſigeren Nahrungsmitteln ver-
ſorgen. — So finden wir denn auch hier, wie in der
Geiſterwelt, jenes geheimnißvolle Verhaͤltniß, wo bloß
ein vollkommneres Einzelne den Normalzuſtand des
ganzen Geſchlechts erreicht, und dieſe unvollkommnere
Vielheit vertritt, indem es fuͤr dieſelbe jenes wichtigſte
Geſchaͤft des thieriſchen Daſeyns uͤbernimmt, zu wel-
chem jene Vielen fuͤr ſich allein untuͤchtig erſcheinen.
Das Inſectenreich wird uns noch auf eine andere
Weiſe, Sinnbild des Hoͤheren und Geiſtigen. Waͤh-
rend auf der einen Seite ſich nirgends ſolche Bilder
der Beſchraͤnktheit, des groͤberen Beduͤrfniſſes und des
Grimmes finden, eines Grimmes gegen deſſen Aus-
bruch ſelbſt die wechſelſeitige Liebe der Geſchlech-
ter und der Mutter gegen die Jungen nicht ſchuͤ-
tzen,
[45] tzen, *) vermiſſen wir auch in eben dieſer Thierklaſſe nicht
die freundlichſten, lieblichſten Bilder einer ganz entgegen-
geſetzten Bedeutung. In jenen, aus dem Tod, und
dem Untergang der unvollkommenen Larve neu wieder-
gebornen bunten Weſen, welche in vollkommnerer
Freyheit den Boden verlaſſend, entbunden von dem
fruͤheren, groͤberen Beduͤrfniß, im Glanze eines neuen,
noch nie geſehenen Himmels, und auf einer, ihnen
neuen Erde *) wohnen, erblicken wir freundliche
Vorzeichen einer fernen, ſchoͤnen Zukunft unſeres Ge-
ſchlechts. Der lange Kampf ſcheint nun fuͤr dieſe
Region, deren Weſen unter ſich ſelber in harmloſer
Stille, und in einem beſtaͤndigen Frieden leben, ge-
endigt, das feindſelige Prinzip ſcheint erloſchen und
das große Buch der erſten Offenbarung Gottes ſchließt
noch mit einem troͤſtenden Worte des Friedens.
In ihrem großen Buche, das eigentlich drey
Hauptabſchnitte hat, von denen jeder wieder in meh-
rere Unterabtheilungen zerfaͤllt, zeigt ſich uns demnach
die Natur als eine Apocalypſe in Geſtalten und le-
bendigen Naturbildern. Sie iſt die aͤlteſte uns be-
kannte Offenbarung Gottes an den Menſchen, daſſelbe
Wort, und durch daſſelbe Wort, aus welchem die
ſpaͤteren Offenbarungen ſind, von gleichem Inhalte mit
dieſen.
[46] dieſen. Sie iſt dieſelbe Sprache, welche die hoͤhere
Region der Geiſterwelt vom Anfange geſprochen, und
noch ſpricht, und ſo ſehr ſich auch der Menſch von
jener Sprache Gottes entwoͤhnt hat, iſt ihm doch noch
immer ein Strahl des anfaͤnglichen Verſtaͤndniſſes
uͤbrig geblieben, und wir werden hernach ſehen, auf
welche gewaltige Weiſe der Geiſt jenes großen Natur-
buches, deſſen Buchſtaben Leben ſind, noch jetzt auf
ihn wirkt, ihn ergreift, ſo ſelten er ſich auch dieſer
Wirkung bewußt wird.
So haben wir im Vorhergehenden das Wichtigſte
nur andeuten wollen, und verſparen eine weitere Aus-
fuͤhrung an einen anderen Ort. Vielleicht, daß es
dann gelingt, aus der innern Geſchichte der Natur
Aufſchluͤſſe von ſehr verſchiedener Art zu erhalten, zum
Theil uͤber Raͤthſel, die uns das fernſte Alter-
thum noch aufgegeben. Ehe wir dieſen Abſchnitt ganz
verlaſſen, wollen wir hier nur noch Eines ſolchen Raͤth-
ſels erwaͤhnen.
Der ganzen Vorwelt ſcheint die Idee eines Fleiſch
gewordenen Gottes, welcher als Menſch geboren wor-
den, und als ſolcher alle Schmerzen der menſchlichen
Beſchraͤnkung erfahren, durchaus nicht fremd. Jener
Gott aus Gott geboren, welchen das egyptiſche Sy-
ſtem erkennt, iſt als die letzte Goͤttergeburt und die
aͤußerſte Ausſtrahlung des ewigen Weſens, gleich uns
Fleiſch geworden, und muß in menſchlicher Huͤlle das
Aeußerſte erleiden, ſelbſt den grauſamſten Tod. *)
Eben
[47] Eben ſo jener Shiwa Dionichi, welcher nach dem Re-
ligionsſyſtem der Inder die zweyte Perſon der grof-
fenbarten Gottheit iſt. Dieſer muß als ſinnlich offen-
bar gewordener Gott, das haͤrteſte Loos der Sterblich-
keit, und den Toy ſelber erdulden. *) Auch jener Sohn
des Gottes der Goͤtter, Zagreus, welchem der ewige
Vater den Sitz unmittelbar neben ſeinem Throne und
ſelbſt die Zeichen ſeiner hoͤchſten Macht verliehen, wird
auf grauſame Weiſe von den Titanen getoͤdtet, **)
und jener perſiſche Mithras, der als Weltenſchoͤpfer,
als Hervorbringer der bunten Mannigfaltigkeit der
Dinge und Beſchuͤtzer und Erhalter verehrt wird, muß
als Stier Abudad unter der Hand des Ahriman ſter-
ben. So hat das Alterthum jene Anſicht von der
Menſchwerdung des Goͤttlichen und von dem Loos der
Erniedrigung, welches daſſelbe in dieſem Zuſtande er-
duldet, auf verſchiedene Weiſe, in den mannigfaltigſten
bunteſten Sagen dargeſtellt und ausgebildet. Aber an
jene Anſicht ſchloß ſich eine andre eben ſo bedeutungs-
volle an. Jener Menſch gewordene Gott erſcheinet
nicht allein als Richter der Todten, als Herrſcher der
Unterwelt, ſondern als Erretter vom Tode, Befreyer
aus den Banden der Sterblichkeit, Fuͤhrer zuruͤck
zu dem goͤttlichen Urſprunge. Jener Gott, der in den
Myſterien bald als Dionyſos bald als Perſephone ver-
ſinnlicht wurde, war Schoͤpfer der Seelen und Lenker
ihres Schickſals, als Hades groͤßter Wohlthaͤter der
von
[48] von dem Leibe entfeſſelten Geiſter, indem er ihnen
jenen Becher reicht, der ſie wieder zur Beſinnung
bringt, und die Sehnſucht nach der Ruͤckkehr zum
Goͤttlichen in ihnen erweckt. Ja jene Anficht erſcheint
in den Myſterien noch viel beſtimmter ausgedruͤckt. In
dieſer wurde uͤberhaupt das Schickſal der Geiſter nach
dem Tode dargeſtellt, und die Myſterien bereiteten
ſchon durch ihre Weihen und geheimen Lehren ſelber, der
Seele ein guͤnſtigeres Loos in jenem Leben, indem ihr
weſentlichſter Inhalt die Leitungen der Seelen zur ver-
laſſenen Heimath — zum Goͤttlichen waren. Dionyſos,
der Gott der Myſterien war es aber, der allein die See-
len zum Himmel zuruͤckfuͤhrte, und zur Vollendung.
Er war Aufſeher und Anordner jener Heilsordnung, je-
ner Vervollkommungsanſtalt, zu welcher die Myſterien
den Weg bahnten. Er ſelber war als Bacchus zur
Unterwelt gefahren, und hatte die Seele der Mutter
von dort befreyt, und in dieſer ſinnvollen Sage verein-
ten ſich die ſonſt verſchieden ſcheinenden Anſichten des
orphiſchen und bacchiſchen Syſtemes. Als Aridela leitet
er unter dem Bilde eines freundlichen Geſtirnes, die
Seelen durch das dunkle Labyrinth, an den Eingang
und zum Lichte zuruͤck. Auch der geſtorbene Gott des
egyptiſchen Syſtemes, ſteht, nachdem er eben das haͤrteſte
Loos der Sterblichkeit erduldet, als ewiger Wohlthaͤter
und Lehrer, herrlicher wieder auf. —
Fragen wir ferner, auf welche Weiſe nach der
Lehre der Myſterien jene Leitung zum Himmel, jene
Erloͤſung und Heiligung der Seelen geſchehen, ſo er-
halten wir aus verſchiedenen Gebraͤuchen jener Geheim-
lehren abermal eine bedeutungsvolle, wenn auch dunkle
Ant-
[49] Antwort. Die Myſterien heißt es, bereiteten der See-
le ein beſſeres Loos in jener Welt durch ihre Reini-
gungen vor, und der Weg zur Ruͤckkehr nach der
ewigen Heimath ging durch viele Laͤuterungen. Unter
dieſen iſt das aber vorzuͤglich eine, die durch Blut
merkwuͤrdig.
Ueberhaupt erſcheint der Gott der Myſterien in
verſchiedenen Beziehungen unter dem Bilde des Stie-
res verſinnlicht, und ſtirbt, wie oben erwaͤhnt, im
perſiſchen Mythus als Weltſtier Abudad. In den ſo-
genannten Taurobolien wurden aber z. B. Reinigun-
gen von begangener Schuld dadurch bewirkt, daß das
Blut eines geopferten Stieres auf den Leib des in einer
Grube darunter ſtehenden Buͤßenden geſprengt wurde,
und auf dieſelbe Weiſe waren auch Widderopfer als
pſychiſche Reinigungsmittel gebraͤuchlich (die Kriobo-
lien). Selbſt Hercules wurde auf dieſe Weiſe vor
der geheimen Weihe durch Stierblut entſuͤndigt und
auch keiner ſolchen Entſuͤhnung Beduͤrftige wurden bey
der Einweihung in die Myſterien, auf die Felle der
geopferten Thiere geſtellt. Ueberhaupt ſpielten die ſuͤh-
nenden Opfer in den Geheimlehren eine nicht unbedeu-
tende Rolle. Merkwuͤrdig erſcheint hierbey beſonders
jene Anſpielung, welche dabey in den Bacchusmyſte-
rien vorkam. Das Fleiſch der geopferten Thiere muß-
te von den Prieſtern roh gegeſſen werden, was aus-
druͤcklich eine Andeutung auf den blutigen Tod und
die Zerſtuͤckelung des Tionyſus (Zagreus) durch die
Titanen ſeyn ſollte. Auch bey der merkwuͤrdigen jaͤhr-
lichen Aufopferung des Ackerſtieres, wurde das Fleiſch
gleich vertheilt und Dionyſus heißt auch in jener Be-
4ziehung
[50] ziehung oͤfters Speiſevertheiler, gerechter, liebreicher
Austheiler der Koſt. Ja ſelbſt die aus dem Leibe der
Titanen entſtandenen Menſchen wurden deßhalb als
Theile des Gottes betrachtet, weil die Titanen von
dem Fleiſche des Gottes gegeſſen hatten.
Freylich wurden auch jene ſinnvollen und alten
Gebraͤuche ſchon von der fruͤheſten Zeit an, durch ei-
ne ſeltſame Sprachenverwirrung, von der wir in ei-
nem der naͤchſten Abſchnitte reden werden, auf die
mannichfaltigſte und graͤulichſte Weiſe entſtellt. Aus
Thieropfern wurden grauſame Menſchenopfer: die geiſt-
vollſten Bilder wurden zu Zerrbildern und Schreckge-
ſtalten, doch giebt es auch hier Mittel, die verzerrten
Theile zu einem kenntlichen Ganzen zu vereinen und
alle jene Zuͤge werden dann Belege zu der Wahrheit: daß
die aͤlteſte Zeit in prophetiſchem Geiſt Vieles erkannt, was
erſt ſpaͤt zur Erfuͤllung gekommen. Wir koͤnnten die-
ſes, wenn hier gerade (in einem Traumbuche) der
Ort dazu waͤre, noch aus mannichfaltigen Beyſpielen
zeigen, was auch bereits von Andern geſchehen iſt. *)
Selbſt das gefallene, ausgeartete Geſchlecht, ſcheint
ſich eine alte, heilige Offenbarung bewahrt zu haben.
Aber woher, auf welchem Wege, kam jene alte Of-
fenbarung? — Abermals durch das fleiſchgewordene
Wort, durch jenes goͤttliche Wort, das ſich ſelbſt
nach der Dionyſus-Lehre, als bunte Mannichfalttgkeit
der
[51] der Sinnenwelt, als Vielheit dargeſtellt hat — durch
die Natur.
Wir finden Vieles, was uns auf eine ſolche Be-
antwortung jener Frage fuͤhren kann, aus Vielem ſey
jedoch hier abermals nur Einiges herausgehoben.
Nach dem Vorhergehenden erkannten wir unter
andern im Inſectenreich den juͤngſten und letztgeſchaf-
fenen Theil der uns umgebenden Natur. Dieſes letz-
te Buch der Naturbibel enthaͤlt aber vorzuͤglich eine
Weiſſagung auf die ſpaͤtere bedeutungsvolle Zukunft.
Unter andern fanden wir bey dem Geſchlecht der Bie-
nen Verhaͤltniſſe, die uns eine tiefere Bedeutung
zu haben ſchienen. Jene Anſicht finden wir in ge-
wiſſer Hinſicht dadurch beſtaͤtigt, daß auch das fruͤ-
heſte Alterthum jene Bedeutung, und zwar auf dieſel-
be Weiſe erkannte.
Die Bienen waren nach der alten Sage, nach
dem goldenen Zeitalter entſtanden, *) muͤhſam berei-
teten ſie jene Suͤßigkeit, welche in der goldenen Zeit
unmittelbar von den Blaͤttern der Baͤume gefloſſen,
und
[52] und gaben hierdurch den Menſchen einen, wenn auch
nur kaͤrglichen Erſatz fuͤr jenen verlorenen Genuß.
Schon deßhalb wurde die Biene das koͤnigliche, hei-
lige Thier, voll goͤttlichen (prophetiſchen) Geiſtes ge-
nannt, war Sinnbild der Segensfuͤlle, der Weisheit,
Unſchuld und Gerechtigkeit. Sie wird uns aber noch
viel bedeutender in ihrer Beziehung auf die Myſte-
rien. Ueberhaupt war Dionyſus, ſo wie Jupiter, von
Bienen ernaͤhrt worden, war Bienengott und Bienen-
vater. Die Prieſterinnen der Ceres, und wie es
ſcheint alle in ihre Myſterien Eingeweihte, hießen
Bienen (Meliſſen), der Bienenkoͤnig oder Bienen-
weiſel ſelber war das Bild eines Koͤniges, der zu-
gleich Gott-geweihter Prieſter iſt, eines geiſtlichen
Koͤniges. Unter jene Bienenkoͤnige oder Eſſeme, de-
ren das Alterthum viele verehrte, gehoͤrte auch Mel-
chiſedek, *) deſſen hoͤhere Bedeutung auch die ſpaͤtere,
chriſtlich apoſtollſche Zeit anerkannte. Der Bienen-
koͤnig, **) ſo wie jene goͤttlichen mythiſchen Koͤnigs-
Geſtalten, die von ihm den Namen hatten, war aber
als Speiſemeiſter, als Vertheiler der Koſt, jener
Gott der Geheimlehre ſelber, deſſen Leib als Zagreus
zerſtuͤckt und von den Titanen genoſſen, deſſen Fleiſch
unter dem Bilde des Pflugſtieres zur Suͤhne vertheilt
und geſpeiſt wurde, und nach ihm heißen auch die
Eingeweihten, die ſchon nach dem oben erwaͤhn-
ten Inhalt der Geheimlehre Theile des Gottes ſind
und
[53] und Bienen des Bienenkoͤniges: Speiſeherren und
Speiſefrauen, Vertheiler der Koſt. Ja in der Spra-
che iſt die Biene nichts anders als die Sprecherin,
„die das Evangelium des neuen Geſetzes verkuͤndigt“
und das Wort ſelber. *) Außer dieſem war
ſchon der Honig den Alten ein Bild des Todes, und
jener mythiſche Glaucos, der anderwaͤrts der Fiſch ſel-
ber iſt, der Menſchen verſchlingt, ſtirbt im Honig, und
wird wieder erweckt, (nach dem alten Sprichwort:
Glaukos, da er Honig getrunken, iſt wieder auferſtan-
den,) wobey ſelbſt die Schlange und der dreyfarbige
Stein, der die Farben mit dem Tageslicht wechſelt,
nicht ohne Bedeutung ſcheinen. Honig iſt von den
aͤlteſten Zeiten, bis zu jenen des Chriſtenthums, Sinn-
bild der Entſuͤhnung und pſychiſchen Reinigung. Auf
dieſelbe Weiſe iſt denn auch dem Menſch gewordenen
Gott Chrishna der Inder die Biene heilig, iſt
ſein Symbol.
Die Biene iſt aber auch Bild der Zeugung, der
Schoͤpferkraft, aus welcher die Sinnenwelt, die ſicht-
bare Natur hervorgeht. Daſſelbe bedeutet auch dem
ganzen Alterthum der Stier, welchem als Weltſtier
alle Samen der ſichtbaren Schoͤpfung anvertraut wer-
den. Jenes Fleiſch gewordene Wort, deſſen ſinnlich-
ſte Offenbarung die uns umgebende Natur, und die
ganze bunte, vielgeſtaltige Welt der Sinne iſt, jener
Weltſchoͤpfer und Hervorbringer der Vielheit, wird
deß-
[54] deßhalb unter dem Bilde des Stieres dargeſtellt. Der
Stier iſt aber nach dem Vorhergehenden auch Repraͤ-
ſentant jener Weltperiode, die unmittelbar vor einer
großen, Vieles verbeerenden, Alles veraͤndernden Ca-
taſtrophe vorherging, und wo das erhaltende Prinzip
dem zerſtoͤrenden gegenuͤber durch Staͤrke und kraͤfti-
gere Reproductions und Schoͤpferkraft, den Sieg da-
von traͤgt. Der Stier zeigt uns daher das erhaltende
Prinzip, das Prinzip des Lichtes ſchon im Kampfe,
gleichſam leidend, duldend, und aus dem Tode des
Einzelnen nur immer mannichfaltiger und maͤchtiger
hervorgehend. Auch der Eſel wird Bild der Zeugung
und der ſchaffenden Kraft. Merkwuͤrdig iſt es, daß
beyde Thierbilder in der Sprache des Traumes noch
jetzt dieſelbe Bedeutung haben, wo z. B. der Eſel un-
ter andern (auf ſeltſame Weiſe mit dem Begriffe der
Zeugung in Beziehung tretend) die Geliebte, die Ehe-
gattin bedeutet *).
Von einem ſolchen tiefbedeutenden Sinne erſcheinen
uns alle in den Myſterien gebrauchte Naturbilder: der
Schmetterling, das in der Erde verborgene keimende
Korn, der Epheu, Wein, Mehl, Waſſer, Feuer u. ſ.
w. Alle jene ſymboliſchen Geſtalten ſtehen in einem
tiefen Zuſammenhange mit einander, und bilden eine
Reihe, worinnen ſich uns die ganze Geſchichte der hoͤ-
heren prophetiſchen Region offenbaret. Wir ſehen uns
auch in jener Myſterienſprache in einem mit dem Trau-
me verwandten Gebiet; ja wir glauben uns in einem
Trau-
[55] Traume, voll tiefen prophetiſchen Inhaltes ſelber be-
fangen zu ſehen. Und in der That, das Wort der
Natur, oder vielmehr der zur Natur gewordene Gott,
iſt dem Alterthume zugleich Traum und Traumdeuter
geweſen. Der Menſch, ein Theil und Gleichniß je-
nes Gottes, deſſen Sprache, deſſen ſinnlich offenbar-
tes Wort die Natur iſt, hatte urſpruͤnglich auch das
Organ fuͤr dieſe Sprache in ſich, (er war Herr der
Natur, und zwar in anderem Sinne, als es gewoͤhn-
lich genommen wird) und noch jetzt laͤßt uns die ein-
geſperrte Pſyche, wenigſtens im Traume, den ange-
bornen Ton vernehmen. Uebereinſtimmend mit dem
in ihr gelegten, war daher dem anfaͤnglichen Menſchen
das ſinnlich offenbarte Wort der aͤußeren Natur durch-
aus verſtaͤndlich, der Geiſt des Menſchen redete ja die-
ſelbe Sprache in welcher jene lebendige Offenbarung
abgefaßt war, er war dieſe Sprache ſelber. Uns aber,
ſeit jener großen Sprachenverwirrung (Abſchn. 5.) iſt
die unſerer Natur eigenthuͤmliche Sprache ihrem tiefe-
ren Sinne nach unverſtaͤndlich, wir bedurften der in
Worten ertheilten, geſchriebenen Offenbarung. Ue-
brigens iſt auch dieſe von demſelben Inhalt, als jene
Naturoffenbarung — immer nur Er, geſtern und heu-
te, Derſelbe auch in Ewigkeit.
[56]
4. Der verſteckte Poet.
Unſer verſteckter Poet, deſſen Aeußerungen mit den
Anſichten und den Neigungen des gewoͤhnlichen ſinn-
lichen Lebens in einem beſtaͤndigen ironiſchen Wider-
ſpruch ſtehen, zeigt ſich hierinnen einem anderen dunk-
len Gebiet der menſchlichen Natur — dem Gewiſſen
— nahe verwandt. Die oberflaͤchliche Anſicht des jetzt
untergegangenen und untergehenden Menſchenalters, hat
auch dieſe dunkle Anlage im Menſchen, mit der ſie ſich
auf jede Weiſe im Widerſpruch fuͤhlte, ſo viel ſie nur
vermochte, verkannt und hinweggelaͤugnet. Selbſt
nach einem uͤbrigens ernſten Syſtem der Moral, wird
dem Menſchen erſt durch Erziehung gelehrt, was
recht ſey oder unrecht, und ihm die Furcht vor der
Gottheit eingepraͤgt. Jene anerzogene Furcht ſey das
was wir Gewiſſen nennen, und der Menſch werde
demnach erſt dazu abgerichtet, eins zu haben.
Allerdings laͤßt ſich das Gewiſſen darinnen mit
dem ſinnlichen Gefuͤhl des Wohlſeyns oder des Uebel-
befindens vergleichen, daß es, wie dieſes, einer Ver-
feinerung oder Abſtumpfung faͤhig iſt. Denn ſo, wie
erſt der, welcher ſchon einen hoͤheren Grad des mora-
liſchen Wohlſeyns genoſſen, fuͤr jedes leiſe Uebelbefin-
den empfindlich wird, waͤhrend der, welcher nie das
Gefuͤhl einer kraͤftigen Geſundheit empfunden, oder
welcher ſich allmaͤhlig aus Krankſeyn gewoͤhnte, zuletzt
ſeinen kraͤnklichen Zuſtand fuͤr Geſundheit haͤlt; ſo
macht uns auch erſt ein oͤfterer Genuß des moraliſchen
Wohlſeyns fuͤr jedes entgegengeſetzte Gefuͤhl empfind-
lich. Wir treten in das Leben, nicht als Geſunde,
ſondern als ſolche ein, welche hier geneſen koͤnnen
und
[57] und ſollen, und die Welt, mit allen ihren Heil- und
Correctionsmitteln, iſt eine Anſtalt fuͤr Reconvalescen-
ten. In ſo fern gelangen wir erſt als Widergeneſene
zum Gefuͤhl des vollendeten Wohlſeyns, werden nicht
ſogleich mit dieſem Gefuͤhl geboren, und ganze, in
dem Irrthume langer Jahrhunderte befangene Voͤlker,
ſcheinen in einzelnen Punkten uͤber das, was recht oder
unrecht ſey? ungewiß, und fuͤr den Zuſtand einer mo-
raliſchen Laͤhmung, worinnen ſie ſich befinden, unem-
pfindlich geworden zu ſeyn. Indeſſen iſt die Beſtaͤti-
gung welche jenes oberflaͤchliche Raͤſonnement uͤber das
Gewiſſen hieraus zu empfangen ſcheint, bloß ſcheinbar,
und die Ruͤckerinnerung an einen ehehin geſunden Zu-
ſtand ihrer geiſtigen Natur, bringen alle Menſchen,
mehr oder minder deutlich mit ſich ins Leben.
Abgeſehen von jenem Bilde, ſo iſt das Gewiſſen
nichts anders als das Organ jener ehehin dem menſchli-
chen Geiſte durchaus eigenthuͤmlichen Sprache — der
Sprache Gottes. Es iſt dieſes Organ ein Theil der
goͤttlichen Natur ſelber, jener Funke des hoͤheren Le-
bens, welcher den Menſchen erſt zum Ebenbild des
Goͤttlichen machet, und ſeine Gemeinſchaft mit dieſem
vermittelt. Jenes Organ gehoͤrt zu dem eigenthuͤmlich-
ſten Charakter der menſchlichen Natur — das Ge-
wiſſen iſt uns angeboren. Es iſt dieſelbe Anlage, die
ſich uns als der verſteckte Poet der Traͤume, und in
der Begeiſterung der poetiſchen, ſo wie der hoͤheren
prophetiſchen Region kund giebt.
Wenn das Gewiſſen urſpruͤnglich ein Organ der
Stimme Gottes im Menſchen geweſen, und dieſe
Stimme ſelber; ſo iſt es freylich ſeit der großen
Sprachenverwirrung zum Theil weit von ſeiner ur-
ſpruͤng-
[58] ſpruͤnglichen Beſtimmung abgewichen, und jenes geiſti-
gen Organes bedient ſich oͤfters eine der goͤttlichen ſehr
entgegengeſetzte Stimme, mißbraucht daſſelbe aufs ent-
ſetzlichſte. Wir vernehmen deßhalb, nicht bloß im Trau-
me, uͤber deſſen ungoͤttliche Natur ſchon alte Selbſt-
bekenntniſſe klagen, *) ſondern auch in der pythiſchen
Begeiſterung und im Fanatismus, ſowohl des Unglau-
bens, als des Aberglaubens, durch jenes Organ eine
Geiſterſprache, die ſich zwar zum Theil derſelben Wor-
te bedient, als die urſpruͤngliche, aber dieſe in einem
ganz anderen ungeheuer verſchiedenen Sinne gebraucht,
ſie zu einem ganz entgegengeſetzten Zwecke mißbraucht.
Indeſſen bleibt das Gewiſſen uͤberall jene (im jetzigen
Daſeyn dunkle) Region des Gefuͤhles, auf welche,
und in welcher alle Einfluͤſſe einer hoͤheren oder nie-
deren, guten oder ſchlimmen Geiſterwelt wirken, durch
welche ſich alle Kraͤfte eines ehemaligen und kuͤnfti-
gen Lebens aͤußern.
In dieſer Zweyſeitigkeit und Doppelſinnigkeit
verraͤth ſich jene geiſtige Anlage uͤberall, und es iſt
kein Zeitalter, keine Nation, woraus ſich nicht, mit-
ten unter den ungeheuerſten Mistoͤnen, wozu bey ih-
nen jenes Organ entwuͤrdigt worden, auch noch einzel-
ne Toͤne der entgegengeſetzten hoͤheren Stimme ver-
nehmen ließen.
Zu dem Altvater Antonius kam einſt, ermuͤdet
und verwundet von mannichfaltiger Mißhandlung der
Menſchen, ein Mann, den das Alterthum unter dem
Namen Paulus der Einfaͤltige kennet. Der Ruhe
und der Belehrung beduͤrftig, bat er den Vater, er
moͤch-
[59] moͤge ihn bey ſich als Schuͤler aufnehmen. Anto-
nius erkannte bald in dem beſchraͤnkten Geiſt des
Mannes, eine vorzuͤgliche Anlage zum demuͤthigen blin-
den Gehorſam, und ſtellte gleich Anfangs dieſen Ge-
horſam auf eine harte Probe. Der neue Juͤnger
mußte bald Waſſer tragen in durchloͤcherten Gefaͤßen,
Koͤrbe flechten und wieder aufflechten, Kleider auftren-
nen und wieder naͤhen, Steine zwecklos von einem Or-
te zum andern tragen, und in ſtillem, ruͤckſichtsloſen
Gehorſam that er blind nach dem Worte des Vaters.
So fuͤhrte durch die ſcheinbar einſeitige Uebung ei-
ner einzelnen Anlage, Antonius ſelbſt dieſe beſchraͤnk-
te Natur zum hoͤchſten Gipfel der dem menſchlichen
Gemuͤth moͤglichen Vollendung, und jener einfaͤltige
Sinn, nachdem er vollkommen gelernt, ſeinen eigenen
Willen einem hoͤheren aufopfern und ſich dieſem ganz
hinzugeben, wurde Organ des goͤttlichen Sinnes, er-
griffen von einem nun nicht mehr beſchraͤnkten, von
den gewoͤhnlichen Graͤnzen der menſchlichen Natur ent-
bundenen Vermoͤgen; aus Paulus dem Einfaͤltigen
wurde Paulus der Wunderwirkende.
Auf gleiche Weiſe ſcheint auch der hoͤhere Lehrer
unſers Geſchlechts ganze Voͤlker und Zeitalter in ei-
nem oͤfters ſehr beſchraͤnkten Kreiſe von Tugenden zu
uͤben, und ſich den Zugang zu der uͤbrigens auf man-
nigfaltige Art entweihten und verunreinigten Region ih-
rer Neigungen und Handlungen, wenigſtens von ei-
ner Seite offen zu erhalten. Hierdurch geſchieht es,
daß keinem die Stimme Gottes, — jenes hoͤhere
Geſetz im Menſchen, — ganz unvernehmlich wird,
und es ſcheint hier eine andere Art von Zurech-
nung
[60] nung ſtatt zu finden, als jene unſerer moraliſchen
Syſteme.
Jenes geiſtige Organ im Menſchen, in ſeiner
Doppelſeitigkeit, iſt der gute und boͤſe Daͤmon, wel-
cher den Menſchen durchs Leben begleitet, und, je
nachdem er der einen oder anderen Stimme mehr Ge-
hoͤr gegeben, ihn zu einem gluͤcklichen oder ungluͤckli-
chen Ziele fuͤhret. Der beſſere (ſocratiſche) Daͤmon
erregt in der Seele die Sehnſucht des Beſſeren und
beſtraft ſie anfangs leiſer, je mehr ſie ihm aber Gehoͤr
giebt, deſto vernehmlicher uͤber jede Handlung, jedes
Wort, jeden Gedanken, welcher ſie von dem beſſeren
Ziele hinwegfuͤhret. Dieſer Daͤmon iſt prophetiſch,
und Jeder der mit den Fuͤhrungen des inneren Le-
bens bekannt iſt, wird erfahren haben, wie oft uns
derſelbe ſchon vor jenen Veranlaſſungen und Gelegen-
heiten warnt, und mit hoͤherer Gewalt bewahrt, hin-
ter denen, uns noch ganz unbekannt, das Boͤſe auf
uns lauert. Noch ſind wir uns keiner, ſelbſt nicht
der leiſeſten boͤſen Abſicht bewußt, und doch fuͤhlen
wir, wenn wir uns der unbekannten Gefahr naͤhern,
eine Unruhe, eine Angſt, wie nach einer vollbrachten
boͤſen Handlung. Auch vor andern, leiblichen Gefah-
ren warnt uns der ſocratiſche Daͤmon. Jener from-
me Geiſtliche gehet aus, um den nahe bey ſeiner Woh-
nung gelegenen Felſenberg mit ſeiner ſchoͤnen Ausſicht
zu beſuchen. Unterwegens ſpricht die innere Stimme
zu ihm: was thuſt du hier? fuͤhrt dich hoͤherer Be-
ruf, oder eitle Neugier hieher, iſt es auch recht, daß
du hier gehſt? Er haͤlt ein, ſtellt ſich neben den Weg
unter eine Bergwand, und uͤberlegt, und noch indem
er
[61] er nachſinnt, koͤmmt ein Felſenſtuͤck in den engen, von
ihm eben verlaſſenen Fußſteig herabgeſtuͤrzt, das ihm
ohnfehlbar, ohne jene Warnung zerſchmettert haͤtte *).
Auf dieſelbe prophetiſche Weiſe fuͤhrt uns der
gute Daͤmon mit einer Art von hoͤherer Gewalt, in
Verhaͤltniſſe, worin wir etwas Gutes zu thun ver-
moͤgen, und er bedient ſich hier eben jener Unruhe,
jener Angſt, die uns als Bewegungen des Gewiſſens
bekannt ſind. Schon ausgekleidet, und in ſpaͤter
Nacht, wird der ehrwuͤrdige Johann Dod, durch ei-
ne unwiderſtehliche Unruhe getrieben, einen etwa eine
Meile entfernt wohnenden Freund zu beſuchen. Alles
Raͤſonniren, alle Gegeneinwendungen gegen die Stim-
me der innern Unruhe helfen nichts; er muß ſich auf
den Weg machen. Verzweifelnd, in dem Kampfe
einer tiefen Gewiſſensangſt, findet er ſeinen Freund
dem Selbſtmord nahe, und erhaͤlt Gelegenheit, ihn
auf immer von jener Angſt zu retten. **) Jener
Beamte, der in ſtuͤrmiſcher regnigter Nacht, ſchlaflos
auf ſeinem Lager ruhet, bemuͤht ſich auch vergebens,
die innere Angſt, die ihn hinaus in den Garten, und
von da aufs Feld treiben will, ſo vernuͤnftig als moͤg-
lich hinweg zu raͤſonniren. Er muß endlich hinaus,
und erhaͤlt Gelegenheit, einem vergebens um Beyſtand
rufenden Knaben ſeinen Vater vom Tode retten zu
helfen. ***) Eben ſo wird Jener, den recht zur un-
gele-
[62] gelegenen Zeit eine innere Unruhe zu einem Spazier-
ritt ins Freye treibt, auf dieſem Wege Retter meh-
rerer Perſonen. *)
In aͤhnlicher Manier, nur mit ganz entgegengeſetzter
Abſicht und zu entgegengeſetztem Zwecke, wirkt auch der boͤſe
Daͤmon. Er erregt in der Seele die Neigung zum Boͤſen,
weckt die Luſt durch Vorſpiegelung vergangenen oder zukuͤnf-
tigen Genuſſes, und treibt uns, anfangs leiſer, je mehr
wir ihm aber Gehoͤr geben, deſto gewaltiger von Ge-
danken und Worten bis zur ſchlimmen That, wider-
ſpricht der beſſeren Stimme in uns. Der ſchlimme
Daͤmon iſt auch prophetiſch, auf eine eben ſo ausge-
zeichnete Weiſe, als der gute. In der Lebensgeſchich-
te großer und kleiner Verbrecher, finden ſich mannich-
faltige Spuren von dieſem, jede Gelegenheit zum Beſ-
ſeren, oder zum Erwachen der guten Stimme, ver-
meidenden und verabſcheuenden Geiſte. Nicht minder
verkuͤndigt der boͤſe Engel dem Verzweifelnden den
nahen Tod, oder ſelbſt andere mehr zufaͤllig ſcheinen-
de Dinge. Jene Beſeſſene zu Loudun, welche die
aufgeklaͤrteren Aerzte und Philoſophen ihrer Zeit durch
ihre prophetiſche Gabe in nicht geringe Verlegenheit
brachte, und von der I. Bodin erzaͤhlet, verrieth
einem Moͤrder und Laͤſterer, der ſie befragte, die in-
nerſten Geheimniſſe und Gedanken ſeines Herzens **)
und
[63] und brachte auch Andere auf aͤhnliche Weiſe zum Ent-
ſetzen. Wie der beſſere Engel mit unwiderſtehlicher
prophetiſcher Gewalt in Gelegenheiten zum Gutes-
thun fuͤhrt, ſo der ſchlimme in entgegengeſetzte Ver-
haͤltniſſe. Ungluͤckliche Moͤrder, und ſolche, welche
dem Selbſtmord nahe geweſen, erzaͤhlen oͤfters, wie
ſie mit unwiderſtehlicher Gewalt zu den Werkzeugen
und alles beguͤnſtigenden Umſtaͤnden ihrer That hin-
gefuͤhrt worden.
Wir finden jene dunkle Anlage im Menſchen
uͤberall in ihrer Zweyſeitigkeit und in ihrem guten und
ſchlimmen Charakter wieder. Mit Unrecht pflegen
wir unter dem Worte Gewiſſen immer nur die guten
Regungen jener Anlage zu verſtehen. Die Bangig-
keiten des Gewiſſens zeigen ſich zuweilen eben ſowohl
von boͤſer als von guter Natur. Um nur ein Bey-
ſpiel zu geben: ſo wird Bunian Jahre lang von tie-
fer Gewiſſensangſt um ein unwillkuͤhrlich, bloß in
Gedanken, nicht einmal mit den Lippen ausgeſproche-
nes Wort gemartert. Fuͤr ihn allein ſcheint kein Er-
barmen, keine Huͤlfe moͤglich. Er, der unwiderruflich
Verlorene, mag ſich nur immer allen Beluſtigungen
der Sinne, oder der aͤußerſten Verzweiflung hingeben.
Alle Mittel eines hoͤheren Troſtes, alle aͤußere Ge-
braͤuche der Andacht, ſcheinen ihm nur wie Spott,
wie Laͤſterung, die ſeine Schuld noch vermehren. Oef-
ters fuͤhrt ihn die Verzweiflung nahe zum Selbſtmord
und zu andern ſchlimmen Ausbruͤchen. — Auch in an-
dern Faͤllen nimmt dann jener boͤſe Daͤmon die Ge-
ſtalt des beſſeren Gewiſſens, als Beſtrafer und innerer
Raͤcher des Boͤſen an, verſtellt ſich in die Form des
guten
[64] guten Engels, und macht nun die verzweifelnde Seele
deſto ſicherer gegen die Stimme alles beſſeren Troſtes,
aller Liebe und des hoͤheren Friedens taub. Mit be-
wundernswuͤrdiger Dialectik *) weiß derſelbe alle Ge-
gengruͤnde und Vorſtellungen der beſſeren Stimme zu
widerlegen, und dieſe Dialectik erſcheint uͤberhaupt
noch anderwaͤrts als eine Erfindung des boͤſen Daͤ-
mons, deren der gute nicht bedarf. Hieher gehoͤren
alle Ausbruͤche des ſogenannten religioͤſen Wahnſinnes
und des Fanatismus, und die ſcheinbar religioͤſe Mas-
ke iſt eine der gewoͤhnlichſten Erſcheinungsformen jenes
ſchlimmen Geiſtes, wodurch er nur zu haͤufig auch die
Aeußerungen des guten laͤcherlich und verdaͤchtig
machet. **)
Jene Bilder- und Geſtaltenſprache, deren ſich
das geiſtige Organ der urſpruͤnglichen Sprache, im
Traume, und in der poetiſchen und prophetiſchen Be-
geiſterung bedienet, finden wir auch in ſeinen erſten
und unmittelbarſten Aeußerungen als Gewiſſen wie-
der, und auch die Welt der Furien ſpricht mit dem
Menſchen auf furchtbar laute Weiſe, jene Geiſter-
ſprache.
[65] ſprache. Auch dieſer Sprache gehet der ſchon fruͤher
erwaͤhnte Character einer allgemeinen Verſtaͤndlichkeit
nicht ab. Das Bild des Ermordeten, welches einem
gewiſſen Mahler, der der Moͤrder war, uͤberall nach-
folgte, uͤberall begegnete, traͤumend und wachend mit
furchtbarem, ſtillem Ernſt ins Geſicht ſchaute, hatte,
als es von jenem gemahlt war, fuͤr Jeden den es ſa-
he, ohne nur das Mindeſte von der Veranlaſſung zu
wiſſen, etwas Unheimliches, Furcht- und Grauſen-
Erregendes. Und doch war es dem Anſehen nach
nur das Portraͤt eines ſchoͤnen, wohlgekleideten, etwas
ernſt blickenden Mannes von mittleren Jahren. *)
Bekannt iſt auch in jener Hinſicht die Wirkung der
Toͤne und Worte, welche religioͤſe Melancholie aus-
preßte, auf Andre.
Das Bild einer einzelnen Handlung oder eines
einzelnen Nebenumſtandes derſelben iſt es, welches
Verbrecher oͤfters als marternde Furie lange Jahre be-
gleitet. Viele haben erzaͤhlt, wie das Wimmern des
Ermordeten, das Bild einer gewiſſen Gegend, worin
die Handlung geſchahe, das Blut, das ſie immer noch
an ihren Haͤnden oder an dem Orte, wo es vergoſſen
worden, zu ſehen glaubten, ſie wachend und traͤumend
nie verlaſſen habe, und ihnen bis an die todesſtunde
oder die Stunde des beſſeren Beſinnens gefolgt ſey.
Eben ſo begleiteten auch zuweilen die Bilder und Em-
pfindungen der beſſeren Stunden und Handlungen die
Seele, wie ein guter Engel durchs ganze Leben, und
5wur-
[66] wurden ihr Fuͤhrer zuruͤck zu dem hoͤheren Urſprung.
Bey einem in alle Laſter Verſunkenen, *) allen wil-
den Leidenſchaften zum Spiele Hingegebenen, blieb, aus
fruͤher Kindheit her, die Erinnerung an eine einzige
beſſere Bewegung, an eine einzige beſſere Thraͤne,
welche die Ermahnung eines guten Vaters in ihm
geweckt hatte. Dieſe Erinnerung wollte niemals vor
aller Dialektik des Laſters entweichen, und ſie ward
dem Verirrten ein Fuͤhrer zur verlaſſenen Wahrheit
zuruͤck. Bey einem andern war es die Wirkung ei-
ner religioͤſen Handlung, welche ihn unter allen tie-
fen Verirrungen nie verließ, und ihn zuletzt zur ru-
higen Erkenntniß fuͤhrte. **) Wir werden hernach
mehrere Faͤlle ſolcher Art kennen lernen.
Nicht ſelten ſtellen ſich, in der Bilder- und Ge-
ſtaltenſprache des Geiſtes, jene verſchiedenartigen Stim-
men, der Seele als beſondre, ſelbſtſtaͤndige Weſen
dar, und der gute oder ſchlimme Daͤmon wird dieſer
wirklich ſichtbar. Wir wollen hier nicht an die aus
alter und neuer Zeit bekannten, daher gehoͤrigen Faͤl-
le, nicht an die ſeltſamen Erſcheinungen des ſich ſel-
ber Sehens erinnern. Jenem hollaͤndiſchen Predi-
ger, ***) der aus unzulaͤnglicher Bedenklichkeit, ſein
etwas beſchwerliches, aber folgenreiches Amt aufge-
ben will, werden die Einwuͤrfe und Zurechtweiſungen
ſeines Gewiſſens von der Geſtalt eines fremden, un-
ge-
[67] gewoͤhnlich ausſehenden Mannes vorgeſtellt. Auf aͤhn-
liche Weiſe wird dem Grynaͤus *) der gute warnende
Daͤmon ſichtbar, und ein großer Theil jener, mit den
Neigungen und Anſichten des gewoͤhnlichen Lebens im
ſeltſamen Contraſt ſtehenden Traumbilder, ſcheint eine
Wirkung dieſes beſſeren Schutzgeiſtes zu ſeyn.
Wenn naͤmlich irgendwo der ſchon fruͤher erwaͤhn-
te, mit der gewoͤhnlichen Welt contraſtirende in ironi-
ſchem Gegenſatze ſtehende Charakter merklich iſt: ſo iſt
es an den unmittelbarſten Aeußerungen jenes Organs,
jener Quelle alles Contraſtes ſelber. Die Propheten,
welche an Geſinnungen und Thaten immer in dem ge-
waltigſten Gegenſatze mit ihrem Zeitalter und ihrem
Volke ſtunden, repraͤſentirten eigentlich das Gewiſſen
der Voͤlker. In dieſem Charakter eines Gewiſſens ih-
res Volkes und ihrer Zeit, erſcheinen uns ſelbſt noch
prophetiſche Maͤnner der neueren Zeit. Der große Re-
formator der Schottlaͤnder, welcher ſelbſt die unerwar-
tetſten, auf keine Weiſe zu vermuthenden Begebenhei-
ten mit klarer Beſtimmtheit vorausſagte, pflegte auch
oͤfters dem blindeſten, dreuſteſten Laſter, wie eine Stim-
me im Gewiſſen den nahen Untergang zu verkuͤndigen,
die geheimſte und verſteckteſte Bosheit zu beſtrafen,
und ihre verborgenſten Plaͤne ans Licht zu ziehen.
Ganz in neueſter Zeit, gab der ſeltſame Manizius ein
aͤhnliches Beyſpiel. (Basler Sammlungen.) Maͤnner
dieſer Art, ſind niemals nach dem Sinne der Welt ge-
weſen,
[68] weſen, und hatten auch ihrerſeits an dem Treiben und
den Neigungen des gewoͤhnlichen Lebens wenig Intereſſe.
Jenem natuͤrlichen Contraſt gemaͤß, iſt die Ide-
enaſſociation des Gewiſſens eine ganz [an]dre, als die
des wachen Denkens, und ſie iſt dieſer ganz entgegen-
geſetzt. Die Stimme des Gewiſſens laͤßt ſich durch
keine noch ſo folgerechten und vernuͤnftigen Raͤſonne-
ments hinwegſtreiten oder erſticken, und noch ſo oft
widerlegt und uͤbertaͤubt, laͤßt ſie ſich immer von neu-
em und immer dringender, ſelbſt bey denen verneh-
men, welche das Gewiſſen ſelber fuͤr den Nachhall al-
ter, durch die Erziehung eingepflanzter Vorurtheile
halten. In jener Hinſicht, wegen der Unabhaͤngig-
keit von allem Vernuͤnfteln und Verſtaͤndeln, iſt auch
die Wirkung der Wahrheit auf das Gemuͤth derer wel-
che ſie vernehmen, mit der Wirkung eines Miasma
verglichen worden, das unwiderſtehlich und aller Ge-
genvorkehrungen ſpottend, alle ergreift, die ſich ſeinem
Wirkungskreiſe naͤhern. Keine vernuͤnftigen Vorſtel-
lungen aͤußerer Ruͤckſichten, Bande der Geſellſchaft
und ſinnliche Neigung, kein gewaltſamer Widerſtand,
noch Drohung, noch Gefahr ſind vermoͤgend, ein Ge-
muͤth, welches von jener anſteckenden Kraft der Wahr-
heit ergriffen worden, in ſeinem gewoͤhnlichen Kreiſe
zuruͤck zu halten *).
Wir nannten das Gewiſſen die Mutter aller fruͤ-
her erwaͤhnten Widerſpruͤche unſerer Natur. Es iſt
jener
[69] jener Stachel, welcher uns mitten in den Vergnuͤgun-
gen der Sinnenwelt kein Genuͤge, in allen Befriedi-
gungen ſinnlicher Neigungen keinen Frieden finden laͤ-
ßet, welcher aber auch auf der anderen Seite unſere
hoͤhere Ruhe beſtaͤndig unterbricht und unſere beſſeren
Kraͤfte, ſchon dem Hafen nahe, immer zu neuen
Kaͤmpfen auffodert. Von den beyden Janusgeſichtern
unſerer doppelſinnigen Natur, pflegt, jenem contraſti-
renden Freundespaar der alten Zeit gleich, das eine
dann zu lachen, wenn das andre weint, das eine zu
ſchlummern, und nur noch im Traume zu reden, wenn
das andere am hellſten wacht und das laute Wort
fuͤhrt. Wenn der aͤußere Menſch ſich am ungebun-
denſten und froͤhlichſten, in eine Fuͤlle von Genuͤſſen
verſenkt, ſtoͤrt jenen Rauſch eine Stimme der inneren
Unluſt und tiefen Trauer. Wer hat es nicht, wenig-
ſtens in den Jahren einer beſſeren, ſtilleren Kindheit
erfahren, wie auf ungebundene froͤhlich durchſchwaͤrmte
Stunden ein noch unbekanntes Gefuͤhl von Leere, ei-
ne unwiderſtehliche Schwermuth, Thraͤnen ohne Ur-
ſache folgten, ja wie uns dieſe Schwermuth oͤfters
mitten in der lauteſten Freude uͤberraſchte? Auf der
anderen Seite laͤßt uns der innere Menſch, wenn der
aͤußere weint und trauert, Toͤne einer Freude verneh-
men, die uns, wenn wir ihnen nur Gehoͤr geben, un-
ſere Schmerzen bald vergeſſen machen, und dieſer
Phoͤnix frohlockt noch in der Flamme. Je friſcher und
kraͤftiger der aͤußere Menſch vegetirt, deſto ohnmaͤchti-
ger wird der innere, der ſich dann in die Bilderwelt
der dunklen Gefuͤhle und des Traumes zuruͤckzieht, je
kraͤftiger dagegen der innere Menſch auflebt, deſto mehr
muß der aͤußere abſterben. Eine nur gar zu alte Er-
fah-
[70] fahrung! Was jener am liebſten will, iſt dieſem nichts
nuͤtze, was dieſer verlangt, iſt jenem ein Gift. Bey-
de Naturen dieſes ſeltſamen Zweygeſpannes fodern laut
ihr Recht, das keine der andern aufopfern will; die
eine zieht dahin, die andere dorthin, und in der unſe-
lig ſeligen Mitte ſchwebt der Menſch, geriſſen nach
zwey Seiten, oͤfters von dem widerſpaͤnſtigen Geſpann
zerriſſen; unvermeidlich, immer die eine beguͤnſtigt mit
der andern im toͤdlichen Kriege. Wann wird dieſer
alte Widerſpruch aufhoͤren? Wird an jener zweyleibi-
gen Mißgeburt, davon ein Leib dem andern zur Laſt iſt,
der eine im Tode wirklich ſterben, oder ſchleppen wir
den naͤrriſchen Doppelmagen mit uns hinuͤber, und
werden wir jenes vom heiligen Altar unſerer beſten
Entſchluͤſſe, *) oder am Sarge unſerer Liebſten frech
auflachenden, in unſere ſchoͤnſten Freuden laut hinein-
grinſenden Ungeheuers auch dort nicht los? Wer hat
ſich denn den ſeltſamen Scherz gemacht, mit unſerer
armen Natur das Spiel einer Schlafrockspredigt zu
ſpielen, wo zu der Rede des Predigers der keine Arme
hat, eine andere mit in ſein Gewand verſteckte Perſon
die Gebaͤrden macht, traurige, wenn jener froͤhliche,
froͤhliche, wenn er traurige Worte ſpricht, unruhige und
eifrige Bewegungen, wenn jener am ruhigſten, ruhige,
wenn er am eifrigſten redet?
[71]
5. Von einer babyloniſchen Sprachen-
verwirrung.
Wir verfolgen den ſeltſamen Contraſt unſerer Natur
noch weiter. *) Von jeher hat die ernſtere Moral
nicht den hoͤchſten Werth in jene innerlichen Empfin-
dungen und Genuͤſſe gelegt, von denen ſich der Menſch
in den gluͤckſeligſten Stunden ſeines inneren Lebens er-
griffen fuͤhlt. Und dennoch erſcheinen dieſe Freu-
den, welche die Seele aus dem Umgange und der Ge-
meinſchaft mit ihrem hoͤheren Urſprunge empfaͤngt, als
die reinſten und geiſtigſten, deren ſie in dem jetzigen
Daſeyn empfaͤnglich iſt. Jene ernſtere Moral redet
vielmehr von einer tiefen, geiſtigen Verlaſſung und
Entbehrung ſelbſt unſerer geiſtigſten Genuͤſſe, als von
einem Zuſtande, welcher zur Entwickelung des inneren
Lebens nothwendig, ſeinem Gedeihen oͤfters viel foͤr-
derlicher ſey, als der des Genuſſes, obgleich dieſer
Schmerz, welcher ſelbſt des Troſtes der Thraͤnen und
einer ſinnlichen Fuͤhlbarkeit entbehrt, der hoͤchſte iſt,
den die Seele in ihrem jetzigen Zuſtande ertragen kann.
Und in der That, ſelbſt jene geiſtigſten und rein-
ſten Empfindungen, graͤnzen nahe an eine andere Re-
gion des Gefuͤhles, die den Geiſt leicht in die groͤßten
Widerſpruͤche und Gefahren ſtuͤrzt. Dieſen groͤßten
Gefahren unter allen iſt der unbewachte Menſchengeiſt
zu
[72] zu allen Zeiten unterlegen, und wenn nach dem Vor-
hergehenden in den Geheimlehren und Geheimgottes-
dienſt des Alterthums auf der einen Seite allenthal-
ben den Geiſt eines hoͤheren, nuͤchternen Erkenntniſſes
und der innigeren Gemeinſchaft mit dem Goͤttlichen
unverkennbar iſt; ſo finden wir auf der andern Seite
jene reine Feyer auch eben ſo ſehr durch orgiaſtiſche
Greuel einer raſenden thieriſchen Wolluſt befleckt. Wir
haben fruͤher den eigentlichen und urſpruͤnglichen Sinn
der Bacchiſchen Myſterien geſehen, deren ſpaͤtere Miß-
braͤuche und entſetzliche Ausſchweifungen ſich noch jetzt
im Sprichwort erhalten haben. Gehen wir alle die
verſchiedenen Religionsformen der Voͤlker durch, ſo
finden wir zu unſerm Erſtaunen, daß ſich das Getoͤſe
wilder ſinnlicher Luſt, blutige Grauſamkeit und Fana-
tismus immer gerade zu jenen Lehren geſellt haben,
welche urſpruͤnglich die meiſten, maͤchtigſten Strahlen
einer hoͤheren Wahrheit und Gotteserkenntniß in ſich
enthielten. Die Geheimlehren der ganzen alten Welt
ſind ſich in Hinſicht ihres Inhaltes verwandt, (z. B.
die Bacchusmyſterien mit den ſo verſchiedenartig ſchei-
nenden Lehren des Apollo,) und dieſer Inhalt iſt noch
immer in jenen Ueberreſten zu erkennen, die ſich im
Goͤtzendienſt der jetzigen, beſonders der aſiatiſchen Voͤl-
ker erhalten haben. Mit Recht behauptete das Al-
terthum von einigen jener minder verunreinigten My-
ſterien, daß ſie, wie die Goͤtter uͤber die Heroen,
uͤber alle andere von Menſchen angeordnete Religions-
anſtalten erhaben waͤren. Und die heiligen ſymboli-
ſchen Geſtalten jener Geheimlehren, zu welchen unge-
heuren Zerrbildern ſind ſie entſtellt worden! von je-
nem des Kinder-mordenden Molochs an bis zu dem
blu-
[73] blutigen Huichtlopochtli der neuen Welt. Jene klare,
erhellende, allbefruchtende Sonne, als Symbol eines
hoͤheren Lichtes der geiſtigen Region, iſt zum allver-
ſengenden, toͤdtenden Feuer geworden; aus den Sym-
bolen der allerſchaffenden Gottheit, deren ſinnlich offen-
bartes Wort die ſichtbare Natur iſt, wurden Werk-
zeuge thieriſcher Woliuſt, der Weinkelch, der in den
aͤlteſten wie in den neueren Myſterien eine hohe Be-
deutung hatte, iſt zum Taumelkelch finnloſer Dumpf-
heit und verkehrter Mißverſtaͤndniſſe geworden. Be-
ſonders ſind es zwey nahe verwandte Laſter: Wolluſt
und Blutgier, welche ſich durch eine verkehrte Ideen-
aſſociation des Wahnſinnes, faſt immer an die Grund-
idee der Geheimlehren angereiht haben, und wie jene
naͤchtliche Feyer ſich faſt allenthalben mit Schaͤndlich-
keiten der erſteren Art befleckte, ſo finden wir auch,
daß ſich die erſten fanatiſchen Kriege, Verfolgungs-
wuth und Grauſamkeiten aller Art an der Ausbrei-
tung der Geheimlehren entzuͤndet haben. Gerade die-
ſer heiligſte Altar wurde zum Schlachtheerd der Men-
ſchenopfer. — Ueberall das Beſte bey dem Schlimm-
ſten, wie unter andern die Geſchichte jener Nation
zeigt, welche ein hoͤherer Rathſchluß aus allen Voͤl-
kern des Alterthums erwaͤhlt hatte.
Schon jene Vorſtellung, welche die Alten mit
dem Begriff einer Baccha, einer Maͤnas verbanden,
wird hier ſehr bedeutend. Einmal war ihnen dieſe
ein Bild tiefer religioͤſer Beſchauung, verſunken in
ein ſchmerzlich ſuͤßes Gefuͤhl des innern geiſtigen Ge-
nuſſes, ſtill und in ſich gekehrt; auf der andern Seite
ein Bild raſender Geiſtestrunkenheit und des aus-
ſchwei-
[74] ſchweifenden, bewußtloſen Sinnentaumels. *) Und
noch immer liegen ſich beyde Extreme fuͤrchterlich nahe.
Ein aufmerkſameres Studium der Selbſtbekenntniſſe
und Lebensbeſchreibungen jener innigeren Menſchen,
welche ein ganzes Leben hindurch den Kampf um re-
ligioͤſe Vollendung gekaͤmpft haben, belehrt uns: daß
gerade die Seelen mit den gluͤhendſten Verſuchungen
und inneren Anregungen zur ſinnlichen Luſt zu ſtreiten
hatten, welche am oͤfteſten und maͤchtigſten den ſeligen
Genuß geiſtiger Freuden und den Himmel eines goͤtt-
lichen Entzuͤckens empfunden. Und doch ſind dieſe mil-
den, waͤrmenden Strahlen einer hoͤheren Sonne, dem
Erwachen des geiſtigen Lebens ſo noͤthig — ſind ſeine
erſte Nahrung. Schon aus einem andern Kreiſe iſt
es bekannt, daß faſt alle groͤßere Komiker, neben ih-
rem Talent zum Komiſchen, einen tiefen Hang zum
Ernſt, zur Schwermuth hatten, wie unter andern
Arioſts Lebensgeſchichte bezeugt, und umgekehrt zeigt
ſich auch bey dem tieferen Talent zum Tragiſchen, zu-
gleich jenes zum Komiſchen. — Mit der obenerwaͤhn-
ten Erfahrung verwandt iſt auch jene, nach welcher
oͤfters gerade die Kinder der innigſten und beſten El-
tern den ausgezeichneteſten Hang zu wilden Ausbruͤchen
verrathen. — Fanatiſche Grauſamkeit und andere Aus-
ſchweifungen jener Art, haben ſich auch noch in neue-
rer Zeit am leichteſten an jenen Cultus geknuͤpft, da
die ſich ſelber entfremdete Seele durch maͤchtige Gefuͤhle
aller Art zu erwecken, und an die Ruͤckkehr in ihre
Heimath zu erinnern pflegt.
Die
[75]
Die Wurzel jenes alten Mißverſtaͤndniſſes liegt
tief. Schon dem Alterthum war jener fleiſchgeworde-
ne Gott, der ein Fuͤhrer der Seelen aus der Sinn-
lichkeit zuruͤck zu ihrem reinen, goͤttlichen Urſprung,
ein Beyſpiel aller Verlaͤugnung ſinnlicher Selbſtſucht
und wohlthaͤtiger Aufopferung fuͤr Alle war, zugleich
Hervorbringer und Herrſcher der ſinnlichen Luſtregion.
Er war ein Vertheiler der Speiſe, und wie die ganze
Natur ſichtbare Offenbarung jenes goͤttlichen Wortes
— Leib deſſelben war, ſo theilte ſich dieſer Leib dem
Menſchen in jeder Speiſe, jedem Trank, jedem Sin-
nesgenuſſe mit. Er war deßhalb der Milde, der Guͤ-
tige, der freygebige Austheiler ſinnlicher Freuden, in
deſſen genußvollem Reiche die koͤrperliche Natur es ſich
wohl ſeyn ließ — der freundliche Spender ſuͤßer Won-
ne. *) Freylich hatte derſelbe Sinnesgott ſein Fleiſch
auch in einem andern Sinne vertheilt, war urſpruͤng-
lich der Geber anderer Freuden, anderer Genuͤſſe.
Die Seelen, herabgeſunken aus der reinen, hei-
teren Region des Urſprungs, in das luſtige Sinnen-
reich des Dionyſos, vergaßen gar bald in dieſer war-
men behaglichen Welt koͤrperlichen Genuſſes, die Ruͤck-
kehr in die Heymath und die Heimath ſelber. Aber
eben der Gott, durch deſſen Spiegel die Sehnſucht
nach der niederen, groͤberen Region in ihnen entzuͤn-
det war, und der ſie in ſeiner Sinnenwelt die Heimat[h]
vergeſſen machte, war ja auch der Fuͤhrer in dieſe
zuruͤck, reichte ihnen jenen Becher der Weisheit und
der
[76] der Erkenntniß, der die Sehnſucht nach dem Ueber-
ſinnlichen und ein Vergeſſen der niederen Region in
ihnen wirkte *).
Der Grund aller jener Widerſpruͤche lag in ei-
nem allgemeinen und alten Mißverſtaͤndniß der
menſchlichen Natur, und in einer Umkehrung ihrer in-
nern urſpruͤnglichen Verhaͤltniſſe. In der Region des
Sinnlichen ſehen wir oͤfters den bildenden Trieb durch
eine metaſtatiſche Verirrung von einem Organ auf
ein anderes uͤbergehen, und z. B. die Abſonderung
der Milch oder anderer Saͤfte an Theilen geſche-
hen, welche an ſich zu jener Verrichtung gaͤnzlich
ungeſchickt ſind. Auch die Geſchichte unſerer
ſinnlichen Neigungen iſt reich an Beyſpielen einer
ſolchen metaſtatiſchen Verirrung von einem Gegen-
ſtand auf einen andern, und ſchon jene Perſo-
nen, welche des natuͤrlichen Gegenſtandes der ehe-
lichen oder elterlichen Liebe entbehren, heften oͤf-
ters die Reigung, welche dieſem gebuͤhrt, mit ihrer
ganzen Staͤrke auf andere, lebloſe oder belebte Din-
ge, die an ſich keiner Neigung werth ſind. Auf die-
ſelbe Weiſe hat ſich auch die Grundneigung unſerer
zur Liebe geſchaffenen geiſtigen Natur, von einem ih-
rem unſterblichen Beduͤrfniß angemeſſenen Gegenſtand
auf einen ungleich niederen, wandelbaren verirrt, und
noch immer wirkt die Verirrte in einer ſolchen unge-
ſchickten Region, mit der ihr eigenthuͤmlichen Kraft
und nach dem eingepflanzten Typus fort, wie ein
Nacht-
[77] Nachtwandler, der ſich, befangen im engen Zimmer,
an einem ganz anderen Orte waͤhnt, und deſſen Hand-
lungen deßhalb im laͤcherlichſten Contraſt mit ſeiner
Umgebung ſtehen. — Die uns umgebende Sinnen-
welt ſollte nach den vorhin gebrauchten Worten Sym-
bol, bildlicher Ausdruck der hoͤheren Region, und des
Gegenſtandes unſerer geiſtigen Neigung ſeyn. Durch
eine optiſche Taͤuſchung iſt aber der Schatten zum Ur-
bild, dieſes zum Schatten ſeines Schattens gewor-
den: jene Sinnenwelt, die fuͤr uns Region der ruhi-
gen, kalten Reflexion und eine Bilderſprache ſeyn ſoll-
te, deren Bedeutung ſich auf den Gegenſtand der hoͤ-
heren Neigung bloß bezogen, iſt nun fuͤr uns der Ge-
genſtand jener Neigung ſelber, und Region der Liebe,
des Gefuͤhls; dagegen iſt uns die geiſtige Sphaͤre Re-
gion der kalten Reflexion geworden. Die ſinnlichen
Eigenſchaften jener (ſymboliſchen) Geſtalten, erſcheinen
uns nun als ihre Bedeutung, der urſpruͤngliche Sinn
derſelben iſt uns erloſchen; umgekehrt ſehen wir dage-
gen die Gegenſtaͤnde der geiſtigen Region zum Bilde
und Symbol der Gegenſtaͤnde unſerer ſinnlichen Nei-
gung herabgewuͤrdigt, und die mit ihrer ganzen un-
ſterblichen Kraft im Dienſte des Nichtigen befangene
Seele, mißbraucht in ſeltſamer Verkehrtheit die Strah-
len ſelbſt des geiſtigſten Lichtes bloß zu einer niedri-
gen Ausſchmuͤckung ihres ſchmutzigen und armen Auf-
enthaltes; wie in der ſinnlichen Welt der Sclav zer-
ſtoͤrender Luͤſte ſelbſt die kaum wieder erlangte Geſund-
heit nur zur ſchnelleren Selbſtzerſtoͤrung benuͤtzt. Ein
altes Mißverſtaͤndniß, eine alte Verwechslung hat
demnach das Aeußere zum Innern, das Niedere zum
Hoͤheren und umgekehrt gemacht, und in ungluͤcklicher
Ehe
[78] Ehe ſehen wir unſere unſterbliche Liebe mit einem
durchaus ungleichartigen, ihrer unwuͤrdigen Geſpann
zuſammengepaart.
Eine neuere, tiefer gehende Sprachforſchung, hat
jene alte Verwechslung ſelbſt uͤberall in der articulir-
ten Sprache und der Verwandſchaft ihrer Worte un-
ter einander nachgewieſen. *) Zuerſt zeigt ſich haͤufig,
daß die Worte, welche ganz entgegengeſetzte Begriffe
bezeichnen, aus einer und derſelben Wurzel hervor-
gehen, als wenn die ſprechende Seele anfangs mit
den Worten nicht die aͤußerlichen, einander entgegen-
geſetzten Erſcheinungen, ſondern das (doppelſinnige)
Organ bezeichnet haͤtte, das zum Auffaſſen dieſer
Klaſſe von Erſcheinungen geeignet iſt. So ſind die
Worte, welche warm und kalt bezeichnen, nicht nur
noch jetzt in mehreren Sprachen gleichlautend: z. B.
Caldo, was im Italieniſchen warm bedeutet, iſt gleich-
lautend mit unſerem kalt; ſondern ſelbſt in einer und
derſelben Sprache, gehen die Worte fuͤr kalt und
warm aus einer und derſelben Wurzel hervor, (gelu,
gelidus, Kaͤlte, kalt, mit caleo, calidus, warm) und
der Gott des heißen Suͤdens iſt aus dem kalten Nord
geboren. **) So wie ſehr haͤufig in Mythus und
Sprache die gute Gottheit mit dem Boͤſen verwechſelt
und wiederum das Boͤſe als Gutes genommen wird, ***)
ſo
[79] ſo entſpringt auch im Perſiſchen, wo doch ſonſt der
Mythus beyde entgegengeſetzte Prinzipien ſcharf von
einander zu halten ſcheint, der Name des boͤſen Ah-
riman und des Lichtgottes Orim-Asdes aus Einer
Wurzel, eben ſo wie ʼερως (Liebe) und ʼεις Zwiſt,
und in verſchiedenen Sprachen die Worte fuͤr Einig-
keit und Vereinigen und fuͤr Feind und entzweyen, (faſt
auf dieſelbe Weiſe, wie nach Schwedenborg aus ſinn-
licher Liebe jenſeits der grimmigſte Haß geboren wird.)
*) Auch Licht (das Symbol der Wahrheit), und Lug
und Luͤge entſpringen in verſchiedenen Sprachen aus
Einer Wurzel, weil das Licht, (der ſchoͤne Morgenſtern
wie es anderwaͤrts heißt,) indem es ſich zur ſengenden
Flamme entzuͤndet, der verzehrende Wolf und der boͤ-
ſe Loghe geworden, der als Hund und Huͤndin auch
anderwaͤrts in unreiner Bedeutung erſcheinet. Jene
zweyfache (brennende und leuchtende) Natur des Lich-
tes begegnet ſich in der Sprache und im Mythus al-
lenthalben. **) Das Blut erſcheint ebenfalls in bey-
den unter der Bedeutung des Giftes, des Zornes,
des raſenden Grimmes, und unter jener der Verſoͤh-
nung, Beſaͤnftigung, Belebung. ***) Raſerey und ru-
hige Beſinnung, Finſterniß und Licht, das ſchwere
Metall und der leichte Vogel, Luft und Eiſen, die
Bezeugungen der Freude und der Trauer, niedrig und
hoch, ſinnliche Luſt und Entmannung, und alle in ihrer
Bedeutung noch ſo entgegengeſetzt ſcheinenden Worte
gehen
[80] gehen auf dieſelbe Weiſe aus gemeinſchaftlicher Quelle
hervor, und das Lamm, ſo wie der Widder, welche
oͤfters Symbole des ſchaffenden Wortes ſind, erſcheinen
als Bock anfangs als Ausdruck des zeugenden Prin-
zips, dann der groͤbſten Wolluſt (auch hier Lamm und
Flamme aus Einer Wurzel), oder als Schlange, in ei-
ner bald wohlthaͤtigen bald furchtbaren Bedeutung.
Auf eine merkwuͤrdige Weiſe laͤßt ſich nicht ſelten
noch in der Sprache und im Mythus der Weg deut-
lich nachweiſen, auf welchem die Worte von der einen
Bedeutung in die andere ganz entgegengeſetzte uͤberge-
gangen ſind. Wir wollen auch hier nur einige wenige
Beyſpiele hervorheben. Die Verwandſchaft des Er-
kennens und Zeugens iſt ſchon von Franz Baader auf
eine merkwuͤrdige Weiſe dargethan worden. Anch in
der Sprache und im Mythus iſt die Taube, welche als
heiliger Lebensgeiſt das Lebenswaſſer der Schoͤpfung,
ſo wie den erkennenden Menſchengeiſt bewegt, mit
dem Vogel Phoͤnix und der Palme gleichbedeutend.
Die Palme, ſo wie die Blume der Nacht am Lebens-
quell, oder anderwaͤrts die Eiche, Weinſtock, Feigen-
baum, wird hierauf zum Baume der Erkenntniß, wel-
cher zugleich Baum des Haders iſt. Endlich ſo wird
der Baum der Erkenntniß zum Lingam, zum Werk-
zeug und Symbol ſinnlicher Geſchlechtsluſt. Auf die-
ſelbe Weiſe wird auch das erkennende Auge (der
Brunnen des Lichts, das Wort) auf der einen Seite
zur bauenden, ſchaffenden Hand, auf der andern, zu-
gleich mit der Hand, gleichbedeutend mit dem Organ
der koͤrperlichen Erzeugung. Das belebende Auge wird
nun zugleich toͤdtend, die Wahrheit zeugende, ſchwoͤ-
ren-
[81] rende Hand, wird die taͤuſchende, Luͤgen verkuͤndende,
zaubernde. So iſt denn jene keuſche Jungfrau des
Mythos, die nie von dem Hauch einer ſinnlichen Luſt
beruͤhrt worden, zu der unkeuſchen Goͤttin der ausge-
laſſenſten wildeſten Wolluſt geworden, das ſchaffende,
geiſtig erkennende Wort, iſt nun durch eine furchtbare
Verwechslung unter dem Bilde des graͤulichen Bockes
Mendes angeſchaut worden, deſſen Kultus alle Schand-
thaten der ausgearteteſten thieriſchen Wolluſt in ſich
vereinte, aus dem Fiſch und der Fiſchſchlange der
ſinnlichen Luſt, *) iſt aber auch jenes furchtbare Gift
gekommen, welches die Welt und das Leben vergiftet
hat. Das Wort der Liebe, der heilige Name, das
Geſetz, ſind zur Strafe, zum Zorne, zur Rache
geworden **).
Eben ſo wie ſich durch jene große Sprachenkata-
ſtrophe das Gute ins Boͤſe, das Licht in die Finſter-
niß verkehrt hat; ſo verſtellt ſich umgekehrt das Boͤ-
ſe ins Gute, und in haͤufigen Beyſpielen, wozu ſich
ſchon die oben angefuͤhrten gebrauchen laſſen, erſcheint,
in Mythos und Sprache, das Boͤſe und Giftige,
6taͤu-
[82] taͤuſchend in lieblicher Geſtalt, als Gutes und Heil-
bringendes.
Aber was war die Urſache jener babyloniſchen
Sprachenverwirrung, die Urſache, daß jene Taube,
jener goͤttliche Geiſt, der den Voͤlkern die Sprache
gelehrt, zugleich Vogel des Zwiſtes geworden?
Haranguerbehah, heißt es in der alten Sage,
anfangs ein reiner Ausfluß des goͤttlichen Urlichts,
als er in ſeiner Geſtalt die Geſtalten aller Dinge be-
ſchloſſen, die Prinzipien alles Werdens in ſich ver-
ſchlungen, betete nun ſich ſelber an, ſagte zu ſich ſel-
ber Aham, ich bins, und wurde dadurch Urheber
des Abfalles, der Luͤge und des Todes, obgleich in
ſeinem Namen Sati das S und I noch von dem erſten,
goͤttlichen Urſprunge zeugen, das T von der Luͤge und
dem Tode. Dieſer Haranguerbehah, heißt es weiter,
der das Verlangen nach der Figur der ganzen Welt
bezeichnet, (wie Parkorat, der weibliche Verſtand:
Gottes Verlangen nach der Welt,) beſchloß bey ſich
ſelbſt, die ohne Figur und Namen in ihm gelegene
Welt hervor zu ziehen, und als er das ewige Licht
(die Sonne) in ſich verſchlingen will, entſteht die
Rede, welche, in Namen getheilt, allen Kreaturen ih-
re Benennung giebt, und Urſache der Zeit- und Raum-
verhaͤltniſſe, wie der Wiſſenſchaft wird. Auch in an-
dern Sagen erſcheint die articulirte Menſchenſprache
als eine ſpaͤtere Erfindung, und jener ſtolze Sinn,
der das ewige Licht in ſich verſchlingen, Berge auf-
thuͤrmen, ſich durch den Bau des Thurmes ewig ma-
chen will, wird dabey in ſehr verſchiedenen mythiſchen
Bildern dargeſtellt.
Selbſt
[83]
Selbſt das Buch der Natur enthaͤlt einen aͤhn-
lichen Mythus, auf deſſen Inhalt wir hier nur hin-
deuten wollen.
Die jetzige uns umgebende ſinnliche Welt — das
als Natur offenbarte Wort — iſt freylich in feſt ſte-
henden Lettern abgefaßt, und die Geſchlechter der
ſichtbaren Weſen erhalten und erneuern ſich, auf dem
gewoͤhnlichen Wege, faſt ohne alle Veraͤnderung. In-
deß iſt es doch ſehr die Frage: ob dieſes immer ſo
geweſen, oder ob nicht vielmehr der ſchaffende Proteus
in den letzten ſeiner Verwandlungen gewaltſam feſt ge-
halten worden, ob nicht die einander gegen uͤber ſte-
henden, kaͤmpfenden Kraͤfte (ein trauriges Hochzeitmahl
der Lapithen) gewaltſam in ihren wandelnden Bewegun-
gen gehemmt und erſtarrt ſind? Jene Ueberreſte einer
vormaligen organiſchen Natur, die ſich in den aͤlteren
Gebirgen finden, haben, wenigſtens groͤßtentheils, zu
andern Formen gehoͤrt, als die der jetzigen Natur
ſind, und der alte Meeresgrund der Gebirge zeigt
uns, in den uͤber einander gehaͤuften abwechſelnden
Schichten, wovon zuweilen eine jede ihre eigene Thier-
arten enthuͤllt, ein wirklich periodiſches Verwandeln
und Abwechſeln der Formen, eine in verſchiedenen
Zeitraͤumen ganz verſchiedene Thierwelt, wie ſolche
proteiſche Umwandlungen aus einer Form in die andre,
noch jetzt unter den Infuſorien wahrgenommen werden. *)
Freylich ſind die in der letzten großen Kataſtrophe un-
tergegangenen Geſchlechter den jetzigen ziemlich aͤhnlich,
indeß
[84] indeß war auch dieſe Kataſtrophe erſt eine Folge je-
nes verſteinernden Hochzeitmahles.
Wenn einſt das hoͤhere Urbild dieſer koͤrperlichen
organiſchen Natur, als wandelndes, wechſelndes Wort
der Rede, unmittelbar aus den Bewegungen der gei-
ſtigen Region hervorgehend, von dieſen Bewegungen
abhing und mit ihnen ſich wandelte: ſo ſtehen vielmehr
jetzt die Prinzipien der Erhaltung und beſtaͤndigen Wie-
dererneuerung der Geſchlechter, in der Gewalt der
Weſen ſelber. Das ewige Lied der Schoͤpfung verhal-
let an dieſer ſtarren Mauer zuletzt in einen einzigen Ton,
der ohne Wechſel immer derſelbe fortklingt, deſſen Vi-
brationen die immer ſterbenden und als dieſelben wie-
derkehrenden Geſchlechter ſind, und das zur todten me-
tallnen Schlange gewordne Weltall, iſt ein immer, da
wo er endet auch wieder beginnender Ring geworden.
Noch iſt ſelbſt jene aͤlteſte Thierwelt die wir nur ken-
nen, ohne Unterſchied des Geſchlechts oder andro-
gyniſch geweſen, waͤhrend die juͤngſte jenen Unter-
ſchied am auffallendſten und markirteſten in ſich
ausgebildet traͤgt. Uranus, der waltende Herrſcher
der aͤlteſten Vorwelt, heißt es, iſt gewaltſam ent-
mannt worden (nach Sprache und Mythus iſt
Entmannung und Ausuͤbung ſinnlicher Wolluſt
Ein Wort), aus dem Blute und dem belebend
Fluͤſſigen ſeiner Mannesſtaͤrke iſt die Goͤttin aller
koͤrperlichen Erzeugung und des ſinnlichen Entſtehens
geworden. Die Prinzipien der Erzeugung, ſcheint
jener Mythus ſagen zu wollen, ſind durch eine ge-
waltſame Kataſtrophe, welche die Natur aus ihrem
urſpruͤnglichen Verhaͤltniſſe zur geiſtigen Region losriß,
in
[85] in die Gewalt der ſinnlichen Weſen gekommen, und
in der That ſpricht denn auch die Verſchiedenheit je-
ner beyden Sprachen, von denen wir hier reden, von
einer ſolchen Kataſtrophe.
Die urſpruͤngliche Sprache des Menſchen, wie
ſie uns der Traum, die Poeſie, die Offenbarung ken-
nen lehren, iſt die Sprache des Gefuͤhles, und, da
der Gefuͤhle lebendiger Mittelpunkt und Seele die
Liebe iſt — die Sprache der Liebe. Der Gegenſtand
jener Liebe iſt urſpruͤnglich das Goͤttliche, und die hoͤ-
here Region des Geiſtigen geweſen. Die Worte jener
Sprache, welche zwiſchen Gott und dem Menſchen be-
ſtanden, waren die Weſen der uns noch jetzt (als
Schatten der urſpruͤnglichen) umgebenden Natur. Je-
ne Sprache handelte von dem Gegenſtand unſerer ewi-
gen Liebe, (ihr geiſtiger Inhalt war das Wort) war
nicht dieſer Gegenſtand ſelber. Wie jedes Beduͤrfniß,
jede Liebe ihre natuͤrliche Wiſſenſchaft mit ſich bringt;
ſo brachte auch jenes Sehnen im Menſchen ſeine Wiſ-
ſenſchaft mit ſich, und dem Menſchen, als Herrſcher
und Mittelpunkt der Natur, war dieſe ein Saitenſpiel,
womit er das Lied ſeines ewigen Sehnens beſungen,
und aus welchem er wiederum das Wort, den Ton
der ewigen Liebe vernommen. Noch iſt es im Anfan-
ge der Einfluß, der Lebensgeiſt der hoͤheren Region
geweſen, welcher dieſes Meer wechſelnder Geſtalten be-
wegte und wandelte. „Aber dem unerfahrnen Kin-
de kommt irgend woher der Gedanke, in das Innere
des ihm vom Vater geſchenkten Uhrwerkes hineinzu-
blicken, mit erkennender Hand es zu zerlegen, und
ſelber nach eigener Phantaſie ein anderes Werk da-
raus
[86] raus zuſammenzuſetzen.“ Sein ganzes Sehnen, und die
Wiſſenſchaft dieſes Sehnens verlaͤßt nun die urſpruͤng-
liche Bahn, und wird von dem Meiſter auf das In-
ſtrument gerichtet. Das ſchoͤne Werk, gewaltſam los-
geriſſen von ſeiner Wurzel, die ihm Leben und Be-
wegung gab, ſteht ſtill, nur ein mitleidiger Strahl
von oben giebt und erhaͤlt ihm noch die Kraft einer
beſtaͤndig im einfoͤrmigen Kreiſe ſich drehenden Wie-
dererneuerung und Wiedererzeugung.
Ein großer, guter Koͤnig, ſpricht die Sage, hat-
ten ſeine Liebe einer armen, unbekannten Jungfrau
geſchenkt. Noch lebte ſie fern und getrennt von ihm,
aber Boten der Liebe waren zahlreiche und glaͤnzende
Diener, die der Koͤnig ihr ſandte und die ihm wie-
der den Gruß der Liebe zuruͤck brachten. Und die
Schoͤnheit der Diener blendete die unerfahrne Jung-
frau, eine ſtrafbare Neigung erwachte in der vergeb-
lich Gewarnten, ſie vergaß jene ferner als Boten der
Liebe zu ſenden oder den Gruß des Geliebten von
ihnen zu vernehmen, Sclaven ſollten ſie ihr ſeyn, mit
denen ſie bey ihren Nachbarn prangte, Sclaven ſtraf-
barer Neigung. Arme Geſunkene! wer wird dich ret-
ten, wenn nicht die ewige Liebe noch groͤßer iſt als
dein Vergehen, maͤchtiger als der Tod ſelber!
So iſt auch dem Menſchen die Sinnenwelt und
ſein armes Selbſt Gegenſtand der Liebe und des Seh-
nens geworden, waͤhrend der urſpruͤngliche Gegen-
ſtand ſeiner Liebe, die Region des Geiſtigen und Goͤtt-
lichen, ihn kalt laͤßet. In traurigem Wahnſinn bezieht
er nun jene Worte der urſpruͤnglichen Sprache, die
von
[87] von der ewigen Liebe und ihrem unſterblichen Vor-
wurfe gehandelt, auf das enge Beduͤrfniß, ſeine ei-
gene unnatuͤrliche Liebe, und jenes Wort, welches den
Geiſt des goͤttlichen Erkennens bedeutete, womit Gott
den Menſchen und die Welt erkannte und aus ſich
erzeugte, hat fuͤr ihn, nach einem oben gewaͤhlten
Beyſpiel, die Bedeutung niederer ſinnlicher Luſt ge-
wonnen. Der Arme, der ſich ſtolz zum Menſchen-
Schoͤpfer, zum Schoͤpfer der Natur machen wollte,
iſt ein Schoͤpfer des Todes geworden, ſeine Welt zum
Grabe, an welchem der Ton der ewigen Liebe nur
noch als Grabgelaͤute nachhallet. — Hier iſt der Quell
aller jener Mißverſtaͤndniſſe und Verwechſelungen.
Ein Lied voll hohen, goͤttlichen Inhaltes, iſt aufs
fuͤrchterlichſte traveſtirt worden, noch ſind es dieſel-
ben Worte, aber der geſunkene Menſchengeiſt miß-
braucht ſie aufs entſetzlichſte, wie ſchon in einem be-
ſchraͤnkteren Kreiſe, der entartete Wolluͤſtling die hei-
ligen Worte: Liebe und Freundſchaft aufs niedrigſte
mißbraucht.
Aber jene Sprache Gottes, dieſe uns noch jetzt
umgebende Natur, hatte urſpruͤnglich einen Inhalt,
der ein unendlicher und unermeßlicher war, und von
ewiger Natur, durch jene Traveſtirung ſind aber ihre
Worte auf einen Kreis bezogen, welcher der engſte,
aͤrmſte und beſchraͤnkteſte iſt, bis zu welchem die
menſchliche Seele herabſinken koͤnnte; ihre Worte be-
deuten nun einen Gegenſtand von ſterblicher und ver-
gaͤnglicher Art. Ganz natuͤrlich iſt hierbey der groͤßte
Theil der Worte außer aller Beziehung und ohne alle
Bedeutung geblieben, auf jenen engen Kreis ließen
ſich
[88] ſich nur wenige anwenden, eben ſo, wie in der Re-
gion des Scheines, der bloͤde Sinn eines beſchraͤnkten
Verſtandes, wenn er den engen Kreis ſeines armen
Beduͤrfniſſes anſchaut, aus der reichſten Mutterſprache
nur einiger weniger Worte bedarf, die uͤbrigen unbe-
nutzt laͤßet, und nicht einmal kennet. Da ſerner bey
jener verkehrten Anwendung und Verdrehung die
Worte gar nicht mehr in ihrem urſpruͤnglichen Sinne
gebraucht wurden, worin ſie allein Licht und Zuſam-
menhang erhielten, ſo verlor uͤberhaupt jene Sprache
fuͤr den Menſchen ihr urſpruͤngliches Licht, wurde ihm
faſt ganz unverſtaͤndlich und zur Region des Dunkels.
Nur wer die hoͤhere Region des Geiſtigen kennt, und
jenes Wort, das ſeitdem an der Stelle der Natur ge-
offenbaret worden, und das mit dieſer von gleichem
Inhalt, der wird der Schluͤſſel zu jenem Labyrinth
mannichfaltiger, fuͤr uns bedeutungslos gewordener
Geſtaltenhieroglyphen finden.
Es entſteht ferner durch jene Traveſtirung, die
Doppelſinnigkeit der menſchlichen Seele, vermoͤge wel-
cher dieſelbe Zuneigung des Gemuͤths fuͤr den hoͤchſten
wie fuͤr den niedrigſten Gegenſtand empfaͤnglich wird.
Die unſterbliche Natur des Menſchen iſt ſo verkehrt
worden, daß nun, ſelbſt bey der Stimme der hoͤch-
ſten Liebe, oͤfters die niedrigſte Luſt erwacht, und wenn
an dieſem doppelt beſpannten Inſtrument die eine Sai-
te toͤnt, hallet zugleich die ihr gleichſtimmige, hoͤhere
oder niedere mit. Wenn Traum, Poeſie, und ſelbſt
Offenbarung, noch immer mit uns, der urſpruͤnglichen
Organiſation des Geiſtigen gemaͤß, die Sprache des
Gefuͤhles, der Liebe reden; ſo erwecken ſie leider in
uns
[89] uns, zugleich mit dem ewigen und goͤttlichen Sehnen,
oder ſelbſt anſtatt deſſelben, die Welt ſinnlicher Nei-
gungen und Luͤſte; der Lebensquell ſelber iſt vergiftet,
der Becher der Begeiſterung, den der Liebende ſeiner
Jungfrau ſandte, daß ſie aus ihm Weihe des reinen,
goͤttlichen Sehnens traͤnke, iſt ihr zum Reizbecher nie-
derer Luſt, die reine in ihm wohnende Flamme, zum
Feuer niederen Taumels geworden.
Was Sprache des Wachens ſeyn ſollte, iſt uns
jetzt dunkle Sprache des Traumes, und uͤberhaupt iſt
nun die Region des Gefuͤhles, ſelbſt des urſpruͤnglich
geiſtigeren und reineren, der Seele, ſo lange ſie in
dieſem mit doppelten, ſo entſetzlich verſchiedenartigen
Saiten beſpannten Inſtrumente wohnet, eine gefahr-
volle, unſichere Region geworden. Die niedere Natur
muß ſterben, und obgleich dieſes Unkraut neben dem
Waizen und mitten unter ihm aufwuchs; ſo ſtirbt die
ewige Natur doch nicht mit jener zugleich, und das
asbeſtene Gewebe gehet aus der Flamme, welche die mit-
eingewebten Faͤden niederer Art verzehrte, nur reiner
und ſchoͤner hervor. Und dieſe Flamme iſt eben jene Nacht
ohne Stern, jener Zuſtand der tiefen Verlaſſenheit,
des Mangels, ſelbſt der reinſten und heiligſten Ge-
fuͤhle. Die Seele, wenn ſie nun Alles verlaſſen, um
jener einzigen Liebe willen, waͤhnet, an dieſem Fel-
ſen, den ſie allein geſucht, in der Fluth des Wandel-
baren, und nach manchem Sturm gefunden, das
ſchwache Fahrzeug auf ewig befeſtigt, ſie glaubt jene
Eine Liebe werde unſterblich ſeyn, ihre Treue und
Suͤße unwandelbar durch Zeit und Ewigkeit! Und
nun ſieht ſie ſich auch von dieſer verlaſſen, auch das
ein-
[90] einzige Auge, an dem das ihre noch glaubend hing,
hat ſich geſchloſſen, um ſie lauter Nacht, alles ſchweigt,
nur nicht der Spott der Welt, die ſie um des Einen
willen verlaſſen. „Aber wir weichen nicht! und wo-
hin ſollten wir weichen, iſt uns doch nichts mehr au-
ßer dir! Dieſe Liebe zu dir iſt unſterblicher Art, wie
du ſelber!“ *) — Und ſiehe, die zagende Seele fin-
det ſich beym Erwachen aus ihren Schmerzen mitten
in Jenem ſelber befangen, den ſie bang geſucht, dem
ſie, als ſie ſich ihm am fernſten glaubte, am naͤchſten
war, und unmittelbar nach der Erſtarrung der kaͤlte-
ſten Morgenſtunde, erhebt ſich die waͤrmende Sonne.
Die Seele ſoll ſich in dem jetzigen, verkuͤmmer-
ten Zuſtande, wieder eines hoͤheren und urſpruͤnglichen
— eines neuen, kuͤnftigen Lebens faͤhig machen. Ueber-
haupt muß ſich im Tode das Verhaͤltniß von neuem
umkehren; die (Geiſter)-ſprache des Traumes muß
wieder Sprache des wachen, gewoͤhnlichen Zuſtandes
werden. Wie koͤnnte aber dieſes geſchehen, ohne die
Seele in die groͤßte Gefahr und ſelbſt unmittelbar in
jenen Abgrund zu ſtuͤrzen, uͤber welchen ſie die Dop-
pelſeitigkeit ihrer jetzigen ſinnlichen Welt und eigenen
ſinnlichen Natur noch aufrecht erhaͤlt, (wovon ſpaͤter,)
wenn nicht vorher jenem unſterblichen Sehnen ſeine
urſpruͤngliche Bahn und das urſpruͤngliche Ziel ange-
wieſen wuͤrde. Es muß in dem jetzigen Daſeyn ein
Weg gefunden werden, auf welchem die Seele aus
je-
[91] jenen niederen Banden, und von dem anklebenden na-
tuͤrlichen Mißverſtehen und Mißdeuten des Wortes
der Geiſterwelt frey werden kann, eine Region muß
noch hienieden fuͤr ſie erbaut werden, in die ſie ſich
von der ſonſt unvermeidlichen Anſteckung zu retten
vermag, welche der unſicher gewordene und ſelbſt ver-
giftete ehemalige Lebensquell in ihr wirken koͤnnte.
Jene Region iſt denn wirklich aufgefunden, es iſt
unſre articulirte Sprache, die kuͤnſtlich erlernte Spra-
che unſers Wachens.
Wie unmittelbar nach der großen Kataſtrophe
der Winter in die Natur gekommen, welcher dem Men-
ſchen gerade in jenem Gebiet der Erde, das der ur-
ſpruͤngliche Wohnſitz ſeines Geſchlechts war, einen
Theil des Jahres hindurch die aͤußere Sinnenwelt
entzog, und ihn auf ſich ſelber beſchraͤnkte; ſo entſtund
auch dem Menſchen ſeit der großen Kataſtrophe ſeine
jetzige Laut- Sprache. Dieſe iſt allerdings aus der ur-
ſpruͤnglichen Natur- und Geſtaltenſprache hervorgegan-
gen, und ein zufaͤlligerer untergeordneter Beſtandtheil
derſelben geweſen. Der untergeordnete hat aber nun
die weſentlicheren Beſtandtheile verdraͤngt, und gerade
durch dieſes krankhafte, einſeitige Verhaͤltniß iſt die
Sprache des Wachens jenes Mittel geworden, wodurch
ſich die Seele der Region des ſinnlichen Gefuͤhles und
alles Gefuͤhles uͤberhaupt ganz entziehen, die Klippen
jener unſicheren Doppelſeitigkeit vermeiden, und ſich
ihrem urſpruͤnglichen Kreiſe, rein und abgeſchieden von
dem andern niederen zu naͤhern vermag. Zugleich iſt
ſie aber auch jenes Kunſtſtuͤck, wodurch es dem Men-
ſchen gelingt, die Farbe der Liebe an ſich zu neh-
men
[92] men ohne Liebe, den Schein des Lebens, ohne Leben;
kaltes Feuer, warme Kaͤlte, dunkles Licht, duͤrres
Waſſer!
Seitdem die urſpruͤngliche Sprache der Natur
und des Gefuͤhles, deren Inhalt Liebe des Goͤttlichen
war, fuͤr den Menſchen, weil er ihre Ausdruͤcke faͤlſch-
lich auf ſeine eigene entartete Neigung anwendete,
und bloß in dieſer ſchlimmeren Beziehung nahm, un-
mittelbar gar nicht mehr verſtaͤndlich, und ſelbſt ge-
faͤhrlich geworden iſt, hat ſein Geiſt durch Sprache
und Wiſſenſchaft einen von der Region des Gefuͤhls
(das ihm nun zum bloß ſinnlichen geworden) immer
mehr abfuͤhrenden Weg gehen muͤſſen. Auf der ei-
nen Seite iſt ihm die Scheidung von jener unſicheren
dunklen Region wohlthaͤtig, auf der andern entſetzlich
toͤdtend, allen, auch den letzten Lebenskeim erſtickend
geweſen. Doch allerdings das erſtere mehr als das
letztere, und nicht zu unſerm Nachtheil iſt die an-
faͤngliche Sprache der Poeſie, zur Sprache der nuͤch-
ternen Proſa, das Lied der Natur zur Philoſophie
geworden. Freylich ſtirbt, ohne Nahrung von oben,
gar leicht der Keim der hoͤheren Gefuͤhle zugleich mit
den niedern, und die ſchoͤne Taube, die vom Baume
des Lebens mit uns redete, iſt gar vielfaͤltig zum tod-
ten bleyernen Vogel geworden. *) In der That, un-
ſer Wiſſen, wie unſere Geſinnung haben ſich von meh-
reren Seiten bald in jene beeiste Region verloren,
wo auch das letzte Gefuͤhl, die letzte Liebe ſtirbt.
Aber
[93] Aber noch ſpricht (weihe ihr nur ein reines Organ!)
die ewige Liebe mit dir die erſte, urſpruͤngliche Spra-
che, noch ruͤhrt der lebendige Hauch die Saiten der
Lyra, und mit den unreinen muͤſſen auch zugleich die
reinen toͤnen. Und wenn (vielleicht bald) der Geiſt
unſers Geſchlechts das Aeußerſte jener Verlaſſenheit,
jenes Mangels erreicht, wo nun auch die letzten Le-
bensſtrahlen von ihm weichen, ſo wird die ihm am
fernſten zu ſtehen, die er vergebens zu ſuchen ſchien,
die ewige Liebe ihm am naͤchſten ſeyn, der dunklen
Nacht der Morgen.
Jenen Entwickelungsgang der Sprache und Wiſ-
ſenſchaft, von ihrem urſpruͤnglichen Stand in der goͤtt-
lichen Liebe, bis zu dem jetzigen der mehrſeitigen Er-
ſtarrung, ſpricht irgendwo ſehr ſinnvoll der bekannte
Schwedenborg aus, deſſen Zuſtand dem Pag. 12 erwaͤhr-
ten tieferen Grad des Traumes ſehr aͤhnlich, und von
dieſem nur durch die Verknuͤpfung mit dem Bewußt-
ſeyn des Wachens verſchieden war.
„Einſtens, erzaͤhlt er, als ich in Unterredung
mit einem Geiſte war, welcher denkwuͤrdige Dinge,
in einem Zuſtande, welcher dem des Schlafes glich,
zu reden ſchien, kamen Geiſter zu uns an, welche un-
ter einander ſprachen, es verſtunden aber weder
die Geiſter um mich herum noch ich, was ſie
redeten. Ich wurde belehrt, daß es Geiſter aus dem
Erdball des Mars waͤren, welche alſo unter einan-
der ſprechen konnten, daß die anweſenden Geiſter
nichts davon verſtuͤnden. Ich verwunderte mich, daß
es eine ſolche Sprache geben koͤnnte, da alle Geiſter
Eine
[94] Eine Sprache haben, die aus dem geiſtigen Reprodu-
ziren der Ideen beſteht, welche in der geiſtigen Welt
wie Worte vernommen werden. Mir wurde geſagt,
daß jene Geiſter dadurch ihre Gedanken, die ſie auf
gewiſſe Weiſe durch die Lippen und das Angeſicht aus-
druͤcken, andern entziehen, daß ſie ſich dabey kuͤnſtlich
frey von Ruͤhrung und dem inneren Gefuͤhle deſſen
was ſie ſprechen erhalten. Denn weil der Gedanke
nur aus dem Gefuͤhle lebt, kann derſelbe nur durchs
Gefuͤhl ſich Andern offenbaren und er bleibt dieſen
verſchloſſen, wenn die Rede als bloße Bewegung der
Lippen und Geſichtszuͤge durch Entfernung der Ruͤh-
rungen entſeelt und getoͤdtet wird. Es ſind dieſes
ſolche Einwohner des Mars, welche das himmliſche
Leben in die Erkenntniß allein, und nicht in das Le-
ben der Liebe ſetzen, doch ſind nicht alle Einwohner
jener Welt ſo. Jene behalten ihre todte Sprache
auch als Geiſter bey. Jedoch, ſo ſehr ſie meynen
Andern unverſtaͤndlich zu ſeyn, werden ſie doch in ih-
ren geheimſten Gedanken, von den Geiſtern einer hoͤ-
heren Ordnung (den zu Engeln gewordenen) durch-
ſchauet. Von dieſen wurde ihnen geſagt, daß es boͤ-
ſe ſey, das Innerliche alſo zu verſchließen, und da-
von auf das Aeußerliche abzuweichen, vornehmlich,
weil es Falſchheit ſey, alſo zu reden, und Mangel
an Wahrheit. Denn die, welche wahr ſind, wollen
nichts reden und denken, als was Alle, auch der
ganze Himmel wiſſen moͤchten, die dieß nicht wollen,
denken nur wohl von ſich, und uͤbel von Andern, zu-
letzt ſelbſt vom Herrn. Es wurde mir geſagt, daß
diejenigen, welche auf ſolche Weiſe in Kenntniſſen al-
lein, und in keinem Leben der Liebe ſtehen, und welche
ſich
[95] ſich gewoͤhnt haben, ohne Ruͤhrung zu reden, der zu
Bein erſtarrten harten Haut gleichen, welche den Mit-
telpunkt des ſinnlichen Lebens, das Gehirn umſchließt,
ohne an den Ruͤhrungen deſſelben im mindeſten Theil
zu nehmen. Sie ſind geiſtlich todt, denn die allein
haben ein geiſtliches Leben, deren Erkenntniß aus der
himmliſchen Liebe koͤmmt. Und dieſes Erkenntniß,
welches in der unendlichen Liebe iſt, gehet uͤber alles
andere Erkenntniß; die, welche, ſo lange ſie in der
Welt lebten, in der Liebe ſtunden, wiſſen, wenn ſie
nach dem Tode in den Himmel kommen, und lieben
Dinge, die ſie niemals vorher wußten; denken und
reden wie die uͤbrigen Engel: Dinge, die kein Ohr
jemalen gehoͤrt, kein Herz empfunden hat, die unaus-
ſprechlich ſind.‟
„Der Zuſtand jener ausgearteten Geiſter des
Mars, deſſen Einwohner noch zum großen Theil in
der erſten, himmliſchen Liebe leben, wurde uns in
einem anderen Bilde vorgeſtellt.‟
„Ich ſahe etwas ſehr ſchoͤn Flammendes; es war
von mancherley hell glaͤnzenden Farben, purpurn,
dann weiß, dann roth. Hierauf zeigte ſich eine
Hand, an welche ſich dieſes flammende Weſen anſetz-
te: zuerſt auf die aͤußere Seite, dann auf die flache
Hand, dann rings um die ganze Hand herum. Die-
ſes dauerte einige Zeit lang, dann entfernte ſich die
Hand ſammt dem flammenden Weſen auf einige
Weite, wo ſie als eine Helle ſtehen blieb, worinnen
die Hand verſchwand. Hierauf verwandelte ſich das
flammende Weſen in einen Vogel, welcher anfangs
von
[96] von jenem noch die hellen, glaͤnzenden Farben an ſich
trug. Dieſe Farben verloſchen aber nach und nach,
und mit ihnen die Lebenskraft im Vogel. Dieſer flog
umher, zuerſt um mein Haupt, dann in ein enges
Zimmer, das einer Kapelle glich, und wie er mehr
vorwaͤrts flog, wich das Leben immer mehr von ihm,
und er wurde endlich zu einem Stein, anfangs perl-
farben, dann immer dunkler; ob er aber gleich kein
Leben mehr hatte, ſo flog er doch immer. Als der
Vogel noch um mein Haupt fleg, und noch in ſeiner
Lebenskraft war, erſchien ein Geiſt, welcher von un-
ten, durch die Gegend der Lenden bis zur Bruſt auf-
ſtieg, und wollte von da jenen Vogel wegnehmen.
Weil dieſer aber ſo ſchoͤn war, verwehrten es die
Geiſter die um mich waren, denn ſie hatten alle ihr
Geſicht mit mir zugleich auf die Erſcheinung gerichtet.
Er aber beredete ſie, daß der Herr mit ihm ſey, und
daß er es aus dem Herrn thue, und obgleich die
meiſten es nicht glaubten, hinderten ſie ihn nicht wei-
ter. Weil aber in dieſem Augenblick der Himmel ſei-
nen Einfluß gab, vermochte er nichts uͤber den Vo-
gel, ſondern dieſer entflog ihm frey. Indem dieß ge-
ſchahe, redeten die Geiſter unter einander von der
Bedeutung dieſes Geſichts. Sie erkannten, daß die-
ſes nichts anders, als etwas Himmliſches habe an-
zeigen koͤnnen, und wußten daß das flammende We-
ſen die himmliche Liebe und deren Ruͤhrungen bedeute,
die Hand: das Leben und ſeine Schoͤpferkraft, die
Veraͤnderung der Farben: die Verwandlungen des Le-
bens durch Weisheit und Erkenntniß. Auch der Vo-
gel bedeutet Liebe und deren Erkenntniß, aber waͤh-
rend das Flammende die himmliſche Liebe: die Liebe
zu
[97] zu dem Herrn bezeichnet, bedeutet der Vogel die geiſt-
liche Liebe: die Liebe zum Naͤchſten und das Erkennt-
niß das in dieſer Liebe iſt. Die Veraͤnderungen der
Farben und zugleich des Lebens im Vogel, bis er zu
Stein worden, bedeuten die nach und nach entſtehen-
den Veraͤnderungen des geiſtlichen Lebens nach dem
Erkenntniß. Ferner wußten ſie, daß die Geiſter,
die von unten herauf durch die Gegend der Lenden
nach der Bruſt empor ſteigen, in der ſtarken Ein-
bildung ſtehen, ſie ſeyen in dem Herrn, und alles
was ſie thun, auch wenn es boͤſe waͤre, thaͤten ſie
aus dem Herrn. Dennoch war den Geiſtern die Be-
deutung des ganzen Geſichtes noch dunkel. Endlich
wurden ſie von oben belehrt, daß unter jenem Geſicht
der Zuſtand der Einwohner des Mars verſtanden
wuͤrde. Das flammende Weſen bedeute die himm-
liſche Liebe, worinnen noch viele von ihnen ſtehen, der
Vogel, ſo lange er noch in der Schoͤnheit ſeiner Far-
ben und in voller Lebenskraſt war, bedeutete ihre geiſt-
liche Liebe, als er aber wie von Stein, leblos und
allmaͤhlig dunkel wurde, deutete er jene Einwohner
an, die ſich von der Liebe entfernt haben und im
Boͤſen ſind; jene welche das Leben ihrer Gedanken
und Regungen auf eine fremde Weiſe in faſt gar
kein Leben, in todte Kenntniß verwandeln. Solche
der Liebe entfremdete, im Boͤſen begriffene Geiſter,
die doch noch von ſich waͤhnen, ſie ſeyen in dem
Herrn, ſind auch durch den Geiſt angezeigt wor-
den, welcher aufſtieg und den Vogel wegnehmen
wollte.‟ —
7Wir
[98]
Wir haben hier aus mehreren Gruͤnden zu-
gleich ein ausfuͤhrlicheres Beyſpiel von einer Viſion
jenes pſychologiſch merkwuͤrdigen Mannes geben wol-
len. Deutlicher als irgendwo, wird hier der eigen-
thuͤmliche Charakter der Traumſprache, die eigen-
thuͤmliche Aufeinanderfolge der Ideen und Erſchei-
nungen des Traumes, die Weiſe ſeines Ausdrucks
erkannt; jene Viſion iſt uns deßhalb eine Erlaͤuterung
des fruͤher Geſagten. Zugleich aber iſt ſie uns Bey-
ſpiel einer Art pſychologiſchen Erſcheinung, durch
die wir uns nun den Weg zu dem phyſiologiſchen
Theil des Traumgebietes bahnen wollen.
[99]
6. Die Echo.
Schon der die Zunge bewegende und der Schlund-
kopf-Nerve, am allermeiſten aber der Stimmnerve,
welchem im lebenden Koͤrper die Funktion der Stim-
me und des lauten Sprechens zukoͤmmt, ſtehet durch
Bau, Verzweigung und organiſche Beſtimmung in
der genaueſten Beziehung mit einem Theil des Ner-
venſyſtems, der, den Nerven des Gehirns und Ruͤck-
marks gegenuͤber, ein fuͤr ſich beſtehendes, ſelbſtſlaͤn-
diges Ganze bildet. Dieſes an Ganglien und Ge-
flechten reiche, ſogenannt ſympathiſche Syſtem, aus
welchem alle Eingeweide der Bruſt- und Unterleibs-
Hoͤhle und die Blutgefaͤße des ganzen Koͤrpers ihre
Nerven empfangen, entſpringt nicht, wie die aͤltere
Anſicht wollte, aus dem fuͤnften und ſechsten Nerven-
paar des Gehirns, ſondern ſtehet mit dieſen, ſo wie
mit einigen andern Gehirn- und allen Ruͤckenmarks-
nerven bloß in Verbindung, und jene vermeinte Wur-
zel ſtuͤnde ſchon in Hinſicht ihrer ungemeinen Feinheit
in keinem Verhaͤltniß mit dem uͤbrigen Verlauf. *)
Es wird deßhalb im unvollkommneren Thierreich und
ſelbſt noch in Mißbildungen des vollkommneren **)
im
[100] im Ganglienſyſtem auch ohne Gehirn und Ruͤckenmark
gefunden, und nicht ſelten fehlen in der Nervenkno-
ten-Reihe des ſympathiſchen Nerven, vom Gehirn
abwaͤrts einzelne Verbindungsglieder ohne Nachtheil.
Mit einer vorzuͤglichen Klarheit hat Reil*) das
Verhaͤltniß dargethan, welches zwiſchen dem Ganglien-
und Gehirnſyſtem ſtatt findet. Schon im Bau un-
terſcheiden ſich die aus dem Gehirn und Ruͤckenmark
entſpringenden Nerven auffallend von denen des Gang-
lienſyſtems, und dem faſt gaͤnzlich zu ihm gehoͤrigen
Stimmnerven. Die letzteren ſind weicher, gallertartiger,
graugelb und roͤthlich von Farbe, von haͤufigen Gang-
lien und Geflechten unterbrochen, und laſſen ſich nicht
ſo leicht in Faͤden aufloͤſen, als die weißeren, haͤrte-
ren, ſtaͤrker oxydirten Nerven des Cerebralſyſtems.
Waͤhrend die Gehirn- und Ruͤckenmarksnerven, als
gute Leiter, nicht bloß die Empfindung zum Gehirn,
ſondern auch den Willen von dieſem zu den Theilen
leiten, gehorchen die Nerven des Ganglienſyſtems dem
Wil-
**)
[101] Willen nicht: die Bewegungen der Blutgefaͤße und
des Darmkanals ſind im Normalzuſtande unwillkuͤhr-
lich, und ein lebendig geoͤfnetes Thier, welches ſo-
gleich ſchreyt, wenn es an einem aus dem Cerebral-
ſyſtem entſpringenden (z. B. dem Schenkel-) Ner-
ven gereizt wird, erduldet Stiche und Einſchnitte in
einem weichen Nerven des Ganglienſyſtems, ohne ir-
gend einen Schmerz zu aͤußern. Das ganze vegeta-
tive Syſtem des Leibes, alle jene Organe, welche zur
Bildung, Erhaltung und zum Wachsthum des mate-
riellen Organismus wirken, gehoͤren in das Gebiet
des Ganglienſyſtems, und dieſes bildet, zuſammen
mit dem Stimmnerven, nicht bloß die Geflechte des
Schlundes, Herzens, der Lungen, des Zwergfells, Ge-
kroͤſes, Beckens und der Saamenbereitung; ſondern
aus jenem vereinten Syſtem allein, empfangen die
großen Arterien ihre Nerven, waͤhrend die Nerven
des Cerebralſyſtems bloß an den Blutgefaͤßen hinlau-
fen, ohne ſich in ſie zu verzweigen. Mit den Arte-
rien, aus deren Inhalt alle Theile des Leibes ſich bil-
den und erhalten, verbreiten ſich die Nerven des
Ganglienſyſtems in alle Organe, und ſtehen hier allen
Prozeſſen der Abſonderung, der materiellen Bildung
und Erzeugung vor.
Die ſympathiſchen Nerven, welche, laͤngs den
beyden Seiten des Ruͤckgrats hinabwaͤrts, eine lange
Ellipſe bilden, die ſich nach oben im Gehirn, nach
unten im letzten Beckenknoten ſchließt, ſind, weit ent-
fernt, der Urſprung des Ganglienſyſtems zu ſeyn, viel-
mehr nur die abgeſteckte Graͤnze zwiſchen dieſem und
dem
[102] dem Cerebralſyſtem. *) Innerhalb jener elliptiſchen
Graͤnze, breiten ſich die weichen Nervengeflechte des
erſteren aus, durch vielfache Faͤden unter einander
verbunden, keines jedoch dem andern untergeordnet,
und leiten von dieſem Heerde aus, das Geſchaͤft der
Verdauung, Blutbereitung, materiellen Bildung und
Wiedererzeugung.
Wie ſchon jeder Nervenknote die leitende Kraft
eines Nerven unterbricht, und dieſen, unabhaͤngiger
vom Gehirn und der Willkuͤhr, bloß fuͤr den eigen-
thuͤmlichen aͤußeren Reitz empfindlich macht: ſo bildet
auch der unaufhoͤrlich von Ganglien unterbrochene ſym-
pathiſche Nerve, rings um das Ganglienſyſtem her,
einen Apparat der Halbleitung, welcher daſſelbe im
Normalzuſtand ſo ſehr von dem Cerebralſyſtem iſolirt
und unabtzaͤngig machet, daß die lebendige Thaͤtigkeit
des einen, einen nur mittelbaren Einfluß auf das an-
dere hat, und daß die Bewegungen und Ruͤhrungen
des Ganglienſyſtems im normalen (und wachenden)
Zuſtand nicht zum Gehirn gelangen und von der See-
le nicht empfunden werden, eben ſo wie dieſer uͤber
die Verrichtungen der Eingeweide und Gefaͤße keine
unmittelbare Gewalt verſtattet iſt. Indeſſen wird in
gewiſſen Faͤllen jene Iſolation aufgehoben, der Ap-
parat der Halbleitung wird zum guten Leiter und die
Verbindung beyder Syſteme, die Abhaͤngigkeit des ei-
nen vom andern wird hergeſtellt. **)
Ich
[103]
Ich habe mich anderwaͤrts bemuͤht zu zeigen, daß
nicht bloß der Schlaf, ſondern auch der natuͤrliche
Tod durch die Ruͤckwirkung der dem Ganglienſyſtem
untergeordneten Organe erzeugt werde. *) Alle Phaͤ-
nomene des Schlafes und der mit ihm verwandten Zu-
ſtaͤnde, ſcheinen aus dem Ganglienſyſtem hervorzuge-
hen, welches alsdann vor dem Cerebralſyſtem vor-
herrſcht. Ueberhaupt zeigt ſich uns das erſtere in al-
len ſeinen Verrichtungen, als eine in materieller Bildung
befangene Seelenthaͤtigkeit, welche, ſobald ſie in je-
nem eigenthuͤmlichen Geſchaͤft geſtoͤrt, oder ihres Ma-
terials beraubt wird, den eigenthuͤmlichen Bildungs-
trieb ihrer urſpruͤnglichen Natur gemaͤß, auf geiſtige
Weiſe aͤußert. Im ruhigen, geſunden Schlafe herrſcht
die materielle bildende Thaͤtigkeit des Ganglienſyſte-
mes, uͤber die eigenthuͤmliche Thaͤtigkeit des Cere-
bralſyſtems vor, und die letztere ruhet, beſangen in
der des erſteren, alle Thaͤtigkeit der Seele iſt erlo-
ſchen in dem Geſchaͤft der materiellen Bildung.
Waͤhrend im Schlafe jene iſolirende Scheidewand
hinwegfaͤllt, wenn der oben erwaͤhnte Apparat der
Halbleitung ein Leiter wird, und beyde Syſteme
zu Einem Geſchaͤft vereint, gemeinſam wirken: ſo ſtellt
ſich dagegen beym Erwachen wieder das natuͤrliche
Verhaͤltniß her, beyde Syſteme ſind nun von neuem
iſolirt und ſelbſt von unſern Traͤumen bleiben uns nur
jene
[104] jene in der Erinnerung zuruͤck, welche in die Region
hinuͤber ſpielten, die durch den Stimmnerven einen
leichteren Zugang zum Gehirn findet — in die Re-
gion der Leber.
Es wird uns jenes Verhaͤltniß vorzuͤglich in den
Phaͤnomenen des Somnambulismus, des Nachtwan-
delns und des Wahnſinnes deutlich. Wenn im Zu-
ſtande des Somnambulismus *) der geſchaͤrfte innere
Sinn alles Aeußere, eben ſo klar und noch klaͤrer als
ſonſt im Wachen wahrnimmt, wenn er, bey krampf-
haft verſchloſſenen, und zum Sehen ganz untauglich ge-
wordenen Augen, aͤußere Gegenſtaͤnde eben ſo, wie
durchs Geſicht erkennt: ſo geſchieht dieſes, nach der
einmuͤthigen Ausſage aller Somnambulen mittelſt der
Herzgrube — der Magengegend. Ein an dieſe Ge-
gend gelegter Brief wird geleſen, das leiſeſte, unhoͤr-
barſte, an dieſe Gegend geſprochene Wort wird ver-
nommen, und ſelbſt Ahndungen des Kuͤnftigen, Wahr-
nehmungen und Ahndungen deſſen, was fern und
außerhalb dem Kreiſe einer gewoͤhnlichen ſinnlichen
Beobachtung liegt, geſchehen, nach jener Ausſage,
durch die Gegend der Herzgrube. Wenn die Som-
nambule mit der Seele des Magnetiſeurs ſo ganz
Eins wird, daß ſie jeden Gedanken, jedes Gefuͤhl
des-
[105] deſſelben erraͤth und mitfuͤhlt; wenn ſie tiefe Blicke
in die innere und aͤußere, vergangene und gegenwaͤr-
tige Geſchichte aller mit ihr in Verbindung geſetzten
Perſonen zu thun vermag; wenn ſie ſich ſelber Ereig-
niſſe und Zufaͤlle vorausverkuͤndigt, welche mit dem
Kreiſe des gegenwaͤrtigen Wiſſens durchaus in keiner
Beziehung ſtehen; wenn ſie nicht bloß die Heilmittel
genau beſchreibt und angiebt, die ihre Krankheit zu
heilen vermoͤgen, ſondern durch ein eroͤffnetes Ahn-
dungsvermoͤgen ſogar den von ihr nicht beſuchten Ort,
wo dieſes oder jenes heilende Kraut waͤchſt: *) ſo
zeigt ſich immer die Gegend des Magengeflechtes und
der Herzgrube als das Organ jenes Erkennens. **)
Alle Gegenſtaͤnde, welche der Somnambule deutlicher
betrachten will, pflegt er aus einem innern Inſtinkte
an dieſe Stelie zu halten ***) wie ſonſt aus Auge.
Aber wenn in jenem merkwuͤrdigen Zuſtande eine
hoͤhere Kraft des Erkennens und Gefuͤhles in der
Seele erwacht war, wenn die Somnambule mit einer
Klarheit und Sicherheit uͤber Gegenſtaͤnde ſprach,
die ihr ſonſt nur wie dunkle Bilder vorſchwebten,
wenn ihr die fernſte Vergangenheit wie die Zukunft
hell wurde, ****) wenn ſie mit geiſterhafter Einſicht,
den
[106] den Zuſammenhang der geheimſten Handlungen und
Gedanken erraͤth, welche außer Gott, niemand, als
der handelnden oder denkenden Perſon bekannt ſeyn
konnten, *) wenn ſie ſelber zuſammengeſetzte und kuͤnſt-
liche Handlungen verrichtet, arbeitet, ausgeht, und
beſuchende Perſonen unterhaͤlt: ſo iſt auf einmal alles
dieſes Wiſſen, und ſelbſt die Erinnerung an alles Ge-
ſprochne und Gethane beym Erwachen verſchwun-
den. Im Somnambulismus war jene Iſolation auf-
gehoben, der gewoͤhnliche Mittelpunkt unſers Denkens
— das Gehirn — war mit dem Ganglienſyſtem ver-
eint, und nahm an jenen geiſtigen Geſchaͤften Theil,
welche durch dieſes geſchahen. Dagegen wird nun
beym Erwachen auf einmal die Iſolation wieder her-
geſtellt und den Nachklaͤngen jener bloß durchs Gang-
lienſyſtem moͤglichen Thaͤtigkeitsaͤußerungen, bleibt nun
kein Zugang mehr zum Gehirn offen, ſo wie umge-
kehrt, da jede willkuͤhrliche Erinnerung nichts anders
iſt, als eine Wiedererneuerung der fruͤher empfunde-
nen Ruͤhrungen durch den Willen, in dieſem Falle
keine Erinnerung moͤglich iſt, weil der Wille keinen
Zutritt zu den Organen hat, worinnen jene Ruͤhrun-
gen geſchahen. Die Somnambule will an die Erzaͤh-
lung alles deſſen, was ſie im magnetiſchen Schlaf ge-
ſprochen und gethan, nicht mehr glauben, ihr ſelber
ſcheint es unmoͤglich, daß ſie noch vor wenig Augen-
blicken eine ganz andere, mit ganz andern Kraͤften und
Faͤhigkeiten begabte Perſon geweſen. **)
So
[107]
So entſteht das Phaͤnomen einer doppelten Rei-
he von Zuſtaͤnden, davon jede in ſich ſelber, die eine
aber nicht mit der andern zuſammenhaͤngt. Die Som-
nambule erinnert ſich, ſobald ſie heute wieder in den
Zuſtand des magnetiſchen Schlafes geraͤth, alles deſ-
ſen, was ſie geſtern und fruͤher in dieſem Zuſtande
gethan und geſprochen; ſie knuͤpft nicht ſelten das Ge-
ſpraͤch gerade da wieder an, wo ſie es ein andermal
abgebrochen, und verſpricht umgekehrt in einer kuͤnf-
tigen Kriſe uͤber Gegenſtaͤnde eine weitere Auskunft
zu geben, die ihr heute noch dunkel waren. So haͤn-
gen die Zuſtaͤnde des magnetiſchen Schlafes durch
klare Erinnerung eben ſo innig unter einander zuſam-
men als im wachen Zuſtande das Heute mit dem
Geſtern.
Aber der eigentliche, vollkommene Somnambu-
lismus hat zugleich einen hellen Ueberblick uͤber das
Gebiet des wachen Zuſtandes. Obgleich die Som-
nambule beym Erwachen keine Erinnerung mehr an
alles das behaͤlt, was in und mit ihr waͤhrend der
Kriſe vorgegangen: ſo weiß ſie doch umgekehrt alles
ſehr wohl, was waͤhrend des Wachens jemals geſche-
hen, und ſie erinnert ſich ſehr beſtimmt an Vorgaͤnge
einer fernen Vergangenheit, auf die ſie ſich, waͤhrend
des gewoͤhnlich wachen Zuſtandes auf keine Weiſe
mehr zu beſinnen vermag. Die Seele empfaͤngt bloß
im Somnambulismus, wenn die natuͤrliche Iſolation
aufgehoben worden, die Faͤhigkeit zu dem gewoͤhnlichen
Kreis der Kraͤfte, noch einen andern, tiefer liegenden
und im jetzigen Zuſtande fuͤr ſie meiſt verlorenen
Sinn zu gebrauchen, deſſen Geſichts- und Empfin-
dungs-
[108] dungskreis ein ungleich weiterer iſt, als der der gewoͤhn-
lichen Sinne, und nur jene hoͤhere Thaͤtigkeitsaͤußerun-
gen der Kriſe nur durch eine Erweiterung des geiſtigen
Wirkungskreiſes moͤglich geweſen: ſo verſchwinden ſie
auch ſogleich, und koͤnnen ſelbſt nicht mehr als Erin-
nerung reproducirt werden, ſobald ſich jener Kreis
wieder in ſeine gewoͤhnlichen Grenzen verengert. An
dem durch eine dichte Scheidewand in zwey verſchie-
dene Abtheilungen geſchiedenen Clavichord, werden die
hoͤheren Accorde bloß dann vernommen, wenn die
Scheidewand hinweggehoben iſt, und der kuͤnſtleriſche
Geiſt, der ſonſt auf wenige Toͤne beſchraͤnkt iſt, auch
jene Saiten zu ruͤhren vermag; ſobald ſich aber die
trennende Wand wieder vorſchiebt, wird ſelbſt der
leiſe Nachklang jener hoͤheren Accorde unvernehmlich.
Es giebt aber andere, mit dem Somnambulis-
mus nahe verwandte Zuſtaͤnde, waͤhrend denen jene
Iſolation eben ſo wie ſonſt im Wachen fortdauert.
Erſt hier zeigt ſich mit vorzuͤglicher Deutlichkeit das
Phaͤnomen zweyer ganz von einander geſchiedenen, in
ſich ſelber wohl zuſammenhaͤngenden Individualitaͤten,
die auf eine wunderbare Weiſe in einer und derſelben
Perſon vereint ſind. Das Maͤdchen, deſſen Krank-
heitsgeſchichte Er. Darwin *) erzaͤhlt, gerieth einen
Tag um den andern regelmaͤßig in einen Zuſtand,
worinnen ſie fuͤr die gewoͤhnlichen Sinneseindruͤcke ih-
rer
[109] rer Umgebung vollkommen unempfindlich, nichts ſahe
und hoͤrte, was um ſie her vorging. Sie unterhielt
ſich dann zuſammenhaͤngend und voll Geiſt mit ab-
weſenden, von ihr gegenwaͤrtig geglaubten Perſonen,
declamirte Gedichte, und wenn ihr zuweilen, beym De-
clamiren ein Wort fehlte, half es nichts, wenn ihr
die Umſtehenden noch ſo laut und deutlich einhalfen;
ſie mußte das fehlende Wort eben ſelber finden: wenn
man ihr die Haͤnde hielt, beklagte ſie ſich ohne zu wiſ-
ſen welche Urſache ihre Bewegungen hemmte, eben
ſo, wenn die offenen, vor ſich hinſtarrenden Augen
zugehalten wurden. Wenn ſie aus jenem Zuſtande er-
wachte, erſchrak ſie, und wußte nichts mehr von Al-
lem, was mit ihr vorgegangen. Sie war nun, bis
am wechſelnden Tage, wo die Traͤumerey wieder ein-
trat, dieſelbe, die ſie zuvor geweſen. Nicht ohne ei-
nigen Anſchein behaupteten die ſie beſuchenden Freun-
dinnen, ſie habe zwey Scelen, welche wechſelsweiſe
aus ihr ſpraͤchen. — Auch in dem ganz aͤhnlichen Fal-
le, welchen Gmelin *) beſchreibt, gerieth die Kranke
abwechſelnd in einen Zuſtand, wo ſie ſich fuͤr eine
ganz andere Perſon, fuͤr eine franzoͤſiſche Ausgewan-
derte hielt, und ſich mit einem ertraͤumten Ungluͤck
abquaͤlte. Sie ſprach dann franzoͤſiſch, oder gebro-
chen, und anfangs ſogar mit Schwierigkeit deutſch,
hielt ihre Eltern und anweſenden Freunde fuͤr unbe-
kannte Beſuchende, die an ihrem ungluͤcklichen Looſe
Theil naͤhmen, konnte ſich durchaus an nichts erinnern,
was
[110] was auf ihre wache und wahre Perſoͤnlichkeit Bezie-
hung hatte, zeigte aber uͤbrigens eine mehr als ge-
woͤhnlich erhoͤhte Geiſtesthaͤtigkeit. Beym Erwachen
wußte ſie nichts von Allem was ſie in jener erdichte-
ten Perſoͤnlichkeit gethan und geſprochen, wohl aber
erinnerte ſie ſich deutlich an Alles, was ſich in der
ganzen Reihe jener Zuſtaͤnde mit ihr zugetragen hat-
te, ſobald ſie wieder hinein gerieth. Beyde Zuſtaͤnde
waren daher in ſich ſelber zuſammenhaͤngend, jeder
einzelne aber mit dem andern außer Zuſammenhang.
Aehnliche Faͤlle finden ſich haͤufig von Aerzten
aufgezeichnet *) Unter andern ſind ſich auch die Nacht-
wandler außer dem Anfall, deſſen nicht bewußt, was
waͤhrend deſſelben mit ihnen vorging, und koͤnnen wie-
derum in dem Anfall, wo ſie ſich deutlich auf Alles
beſinnen, was in aͤhnlichen Zuſtaͤnden mit ihnen ge-
ſchehen, nicht begreifen, daß ſie auch noch zu anderer
Zeit einer andern, wachen Perſoͤnlichkeit genießen. Sie
ſind und glauben ſich im Anfalle eine ganz andere
Perſon als im Wachen und umgekehrt. Ein ſolches
Gefuͤhl ſcheinbar doppelter Perſoͤnlichkeit wird auch
nach langen Krankheiten empfunden, und ſie iſt im
Wahnſinne mit lichten Intervallen und im Traume
wirklich vorhanden. Die Zuſtaͤnde unſerer Traͤume
ſtehen haͤufig unter einander durch deutliche Ruͤckerin-
nerung in Zuſammenhang, und wir ſind im Traume
ſelbſt dem Charakter nach oͤfters eine ganz andere Per-
ſon, als im Wachen, der von Natur Sanftmuͤthige
iſt
[111] iſt dann jaͤhzornig und ſtreitſuͤchtig, der Bloͤde voll
Muthes.
Wir werden alle jene Erſcheinungen aus dem Da-
ſeyn jenes Doppelſyſtemes der Nerven, und ſeiner
Trennung begreiflich finden. Es war in jenen Faͤllen
die durchs Ganglienſyſtem wirkende Seelenthaͤtigkeit,
welche den von der gewoͤhnlichen Perſoͤnlichkeit getrenn-
ten Zuſtand begruͤndete, und ſehr oft, z. B. in dem
von Gmelin erzaͤhlten Falle, verraͤth ſich der eigen-
thuͤmliche Charakter des Ganglienſyſtems, durch die
Gabe der prophetiſchen Vorausſicht, oder durch die
Erſcheinungen eines ungewoͤhnlich geſchaͤrften Fern-
und Gemein- Gefuͤhls. Wenn die Seele in dem ei-
nen Zuſtand, das Ganglienſyſtem zum Mittelpunkt
ihrer Wirkſamkeit waͤhlt, ſieht ſie ſich, durch jene na-
tuͤrliche Scheidewand, von den Huͤlfsmitteln des Cere-
bralſyſtems und der Sinne verlaſſen, und umgekehrt.
Der Traum zeigt uns noch einen dritten, eine
Art von Mittelzuſtand. Wir erinnern uns beym Er-
wachen lebhafter Traͤume, und ſelbſt in der Geſchich-
te des Sdmnambulismus wird bemerkt, daß zuweilen
das, was waͤhrend der Kriſe geſchehen, und was beym
Erwachen fuͤr die Erinnerung ganz verloren ſchien, im
Traume der naͤchſtfolgenden Nacht ſich der Seele von
neuem, als Traumbild vorſtellt, und als ſolches auch
nach dem Erwachen Erinnerungen zuruͤcklaͤßt. *) So
wird der Traum ein vermittelndes Glied zwiſchen dem
Zu-
[112] Zuſtand der Kriſe und jenem des Wachens, und
bringt als ſolches die Erſcheinungen des erſteren zu
dem wachen Bewußtſeyn.
Es geſchieht jene Verknuͤpfung eines großen
Theiles unſerer Traͤume mit dem wachen Zuſtand
vorzuͤglich durch jenen Nerven, der unter allen am
meiſten den Vermittler zwiſchen beyden Syſtemen bil-
det, den Stimmnerven. Dieſer, nachdem er ſchon
fruͤher den Charakter und die Funktion des Ganglien-
ſyſtems an ſich genommen, wird zuletzt ein Hauptnerve
der Leber, jenes merkwuͤrdigen Organes, das ſich von
dem erſten Beginnen des Lebens an in allen Prozeſſen
der materiellen Bildung und Gerinnung des Organis-
mus ganz vorzuͤglich thaͤtig zeigt. Die Leber, in de-
ren Gegend bey verſchiedenen Stellungen des Koͤrpers,
unter andern beym Liegen der Schwerpunkt unſers Lei-
bes faͤllt, ſtellt dieſen Schwerpunkt auch in anderen
Beziehungen dar, und ſie, die Hauptquelle der ma-
teriellen Bildung, bindet uns vorzuͤglich an die Ma-
terie, an Orts- und Raumverhaͤltniſſe feſt. Ich ha-
be auf dieſe Function der Leber ſchon anderwaͤrts auf-
merkſam gemacht und unter andern gezeigt, daß ſie
es iſt, welche bey bedeutenden Veraͤnderungen des
Wohnortes am meiſten leidet. *) Jene Europaͤer, wel-
che ihren Welttheil mit einem andern vertauſchen,
ſind hierbey vorzuͤglich Leberkrankheiten ausgeſetzt und
die Seekrankheit ſcheint auch vorzuͤglich in einer krank-
haften Affection der gallenabſondernden Organe zu
beſte-
[113] beſtehen. Alle ſchaukelnden und jaͤhen Bewegungen wir-
ken vorzuͤglich auf dieſen natuͤrlichen Schwerpunkt —
auf die Leber, und bey der Wichtigkeit dieſes Orga-
nes fuͤr das Geſchaͤft materieller Bildung, wird es be-
greiflich: warum nach neueren Entdeckungen, die oͤfters
und regelmaͤßig wiederholte ſchaukelnde Bewegung ſo
wohlthaͤtig zur Heilung der Auszehrung und anderer
Krankheiten wirkt, welche aus einer Stoͤrung des ve-
getativen Lebensprozeſſes hervorgehen. *) Die Leber,
(Quelle des bittern Prinzips) iſt aber auch der Sitz
aller jener Leidenſchaften, deren Bewegungen ſich am
ſchwerſten verbergen laſſen, die am leichteſten jene wohl-
thaͤtige Scheidewand durchbrechen, und zur Spra-
che kommen, unter andern des Zornes, Haſſes,
Neides, des Hochmuths. Sie iſt auch ganz vorzuͤg-
lich bey jenem Wahnſinne geſchaͤftig, welcher aus
dieſem Gebiet bald materiell bald geiſtig ſich aͤußern-
der Leidenſchaften **) hervorgeht, und aus dieſem
Grunde zeigt ſich die Schaukel auch zur Heilung des
Wahnſinnes, der Epilepſie u. a. ſo vorzuͤglich wohl-
thaͤtig. ***) Die ganze Region des Ganglienſyſtems,
welche auf die Leber Beziehung hat, ſtehet durch den
8in
[114] in jenem Organe mehr vorherrſchenden Stimmnerven
in genauerer Verknuͤpfung mit dem Gehirn und dem
Bewußtſeyn, waͤhrend ſchon in dem coͤliakiſchen Kno-
ten und im Magen die Nerven des eigentlichen Gang-
lienſyſtemes ungleich vorherrſchender werden.
Wir finden daß im Schlafe jede Veraͤnderung
der Lage, wodurch die Leber aus der beim Liegen an-
gemeſſenſten Stellung kommt, Einfluß auf die Art
und Lebhaftigkeit unſrer Traͤume habe. Bey dem Er-
wachen aus beſonders ſchweren und lebhaften Traͤu-
men, zeigt uns ein eigenthuͤmliches unangenehmes Ge-
fuͤhl in der Gegend der Leber, den Urſprung jener
Erſcheinungen an, ein leichteres Geſchaͤft der Ver-
dauung bringet einen geſunden, ruhigeren Schlaf mit
ſich, waͤhrend Stoͤrungen und Erſchwerungen jenes
Geſchaͤftes, gewoͤhnlich einen von Traumbildern un-
terbrochenen Schlaf zur Folge haben.
Ueberhaupt erkannten wir in den Funktionen des
Ganglienſyſtemes, eine in materieller Bildung befan-
gene (verlarvte) geiſtige Thaͤtigkeit. Wie die Saͤure,
die vorher heftig brennend auf die Organe des Ge-
ſchmackes und des aͤußeren Gefuͤhls einwirkte, wenn
ſie mit der Kalkerde zu Gyps verbunden worden, nun
auf einmal jene Eigenſchaften ganz verloren zu haben
ſcheint, wie dieſe aber ſogleich wieder aus ihrer Ver-
larvung hervortreten, wenn die Saͤure von ihrem
Materiale geſchieden wird; ſo erſcheint auch jene gei-
ſtige Thaͤtigkeit, jene werkthaͤtige Seele, ſogleich wie-
der als das was ſie urſpruͤnglich iſt, wenn ſie in dem
gewoͤhnlichen Geſchaͤft des materiellen Bildens, un-
ter
[115] ter welchem ſich ihre eigentliche Natur verbirgt, ge-
ſtoͤrt wird. Jener Moͤrder, den ein wohlthaͤtiger Rich-
terſpruch an den Karren ſchmiedet, ſcheint, ſo lange
er hier den ganzen Tag mit Arbeiten zubringt, und
des Nachts tief ermuͤdet ſchlaͤft, das nicht was er iſt,
ſeine blutduͤrſtige Natur verbirgt ſich hinter dem ge-
zwungenen Geſchaͤfte, aber ſobald ihn Don Quichote
oder ein frommer Gilpin von den Ketten losmacht,
wird er ſich in ſeiner eigentlichen Geſtalt zeigen, wie
der halbverhungerte Wolluͤſtling bey beſſerer Pflege
gar bald wieder das wird, was er geweſen.
Nicht bloß jede Stoͤrung im Verdauungsgeſchaͤft
erzeugt uns im Schlafe unruhige, bilderreiche Traͤume,
ſondern es iſt bekannt, daß eine ſchnell unterbrochene
Milchabſonderung, eine auf einmal ſich aufhebende
Waſſerſucht, ein zur Unzeit unterdruͤckter Ausſchlag
oͤfters ſogleich Wahnſinn erzeugen, eben ſo wie umge-
kehrt Wahnſinn durch kuͤnſtlich erregte Geſchwuͤre und
andere materielle Beſchaͤftigungen des Bildungstriebes
auch gehoben wird. Wie oft gehet eine tiefe Melan-
cholie aus einer Unterdruͤckung oder dem zu langen
Ausbleiben der monatlichen Reinigung, tiefe Neigung
zum Selbſtmord, aus einer Stoͤrung des vegetativen
Lebens durch Onanie und andere Ausſchweifungen oder
auch aus andern krankhaften koͤrperlichen Stimmun-
gen; *) eine an Wahnſinn graͤnzende Hypochondrie
aus einer Erſchwerung und Hemmung des Verdau-
ungs-
[116] ungsgeſchaͤftes hervor! Hier wird uns die Zwangs-
weſte der gewoͤhnlichen pſychologiſchen Syſteme ein wenig
zu enge, und der craſſeſte Materialismus der Aerzte,
tritt da oͤfters der Wahrheit viel naͤher! Die erſte-
ren lehren uns wenigſtens nicht wie ſo oft ein Brech-
mittel, *) etwas Arſenik, **) eine ſtarke Verletzung,
auf deren Heilung die werkthaͤtige Seele wieder ihre
ganze Kraft wenden muß, ***) natuͤrliche Blattern,
Ausſchlag, oder kuͤnſtlich erregte Geſchwuͤre, *a) die
Schaukel *b) ja ſelbſt eine beſſere, ſtaͤrkende, den Ma-
gen und ſeine Thaͤtigkeit mehr in Anſpruch nehmen-
de Koſt *c) eine wiederhergeſtellte Leibesoͤffnung, mo-
natliche Reinigung oder Milchabſonderung, oft ein
einziger ar[ti]ſtiſch-magnetiſcher Strich vom Haupte
abwaͤrts, *d) faſt auf der Stelle die verlorene Ver-
nunft wieder herſtellen, Blutigel, von Viſionen hei-
len; wie dagegen umgekehrt, Veraͤnderung der Koſt
oder ſelbſt der Witterung den Charakter aͤndern, ein
Stuͤckchen zufaͤllig verſchlucktes Leder, das den Magen
belaͤſtigt, der Genuß eines mit etwas Kochſalz verſetz-
ten Weines, *e) ein wenig Stechapfelſamen oder aͤhn-
liche
[117] liche Subſtanzen, bey manchen Perſonen die bloße
Entfernung des Lichts, oder eine Augenkrankheit, *)
bey andern das Hinausgehen aus der gewoͤhnlichen
Umgebung **) ſelbſt die nuͤchternſte Beſonnenheit zur
Narrheit machen. Jene ſiebenzigjaͤhrige Alte, die
an einer Verſtopfung litt, welche anderer Umſtaͤnde
wegen nur an jedem ſechsten. Tage kuͤnſtlich gehoben
werden konnte, war jedesmal in den erſten Tagen
nach der Oeffnung ganz verſtaͤndig, ſich ihrer ganz
bewußt, darauf trat eine Zeit ein, wo ſie ſich nur
noch der vergnuͤgteſten Periode ihres Lebens, der Jah-
re der erſten Liebe, zwiſchen zwanzig und dreyßig er-
innerte, dann erloſchen auch dieſe Erinnerungen, ſie
war im tiefen Bloͤdſinn ſich ihrer nicht mehr bewußt,
fragte nur noch zuweilen nach den erſten Pflegern ih-
rer Kindheit, nach ihren verſtorbenen Eltern. ***)
Selbſt bey den Anfaͤllen jener fuͤrchterlichen Mordluſt,
die mit Bewußtſeyn verbunden, dennoch zu den Ab-
arten des gewoͤhnlichen Wahnſinnes gehoͤrt, fuͤhlt der
geiſtig Kranke vor dem Anfalle ein Brennen in der
Gegend des groͤßten Gangliengeflechtes am Magen,
hierauf einen wilden Andrang des Blutes nach dem
Kopfe, und nun hat er noch kaum Zeit die geliebten
Perſonen, die ihn umgeben, zur ſchnellſten Flucht zu
ermahnen, wodurch ſie allein den Ausbruͤchen ſeiner
Mordwuth entgehen koͤnnen. *a)
In
[118]
In der That iſt es nicht gerade die glaͤnzendſte
und beſte Seite, ſondern vielmehr die partie hon-
teuse unſers armen zerlumpten Selbſt, die hier ne-
ben uns, als werkthaͤtige (bildende) Seele an den
Karren geſchmiedet iſt. Wir lernen ſie nur zu gut
kennen, ſobald ſie, wenn auch nur auf einzelne Au-
genblicke, aus ihren Ketten losgelaſſen wird *) Ich
erſchrecke, wenn ich dieſe Schattenſeite meines Selbſt
einmal im Traume in ihrer eigentlichen Geſtalt er-
blicke! Selbſt im Zuſtande des bloßen Nachtwandelns
zeigen ſich, ſonſt gleichguͤltige Naturen zu Mordtha-
ten und Verletzungen, ſelbſt der Geliebteſten geneigt,
und muͤſſen ſchon deßhalb ſorgfaͤltig bewacht wer-
den. **) Ein ſonſt ſtiller, gleichguͤltiger Junge, den
ich in den erſten Monaten meiner Praxis an einer
Art von Veitstanz zu behandeln hatte, war, ſobald
der Anfall kam, wie von einem boshaften Teufel be-
ſeſſen. Die Augen blickten wild und tuͤckiſch, dabey
lachte er entſetzlich behaglich, als wenns ihm bey ſei-
nen tanzenden Bewegungen ganz beſonders wohl waͤre.
Jetzt mußten alle Meſſer u. dgl. entfernt werden, auf
die hinterliſtigſte Weiſe ſuchte er die Umſtehenden zu
verletzen, und wenn er nichts anders haben konnte,
ver-
[119] verſteckte er wenigſtens eine Nadel unter eine Blume,
womit er ſeinen kleinen Bruder, als wenn er ihn
wollte an die Blume riechen laſſen, liſtig tuͤckiſch
ſtach. In den meiſten Faͤllen findet ſich mit dem
Wahnſinn, wenn er nicht zu ſehr an dumpfen Bloͤd-
ſinn oder an fade, taͤndelnde Narrheit graͤnzt, ein
auffallender Geiſt der Zerſtoͤrung, Mordſucht und der
Luͤge verbunden. *) Selbſt uͤbrigens gutartig ſchei-
nende Narren pflegen gern Feuer anzulegen, oder auf
eine boshafte Weiſe zu necken. **) Wahnſinnigen
von hoͤherem Grade, iſt in keinem Augenblicke zu trau-
en, nicht ſelten wiſſen ſie ihre Mordluſt hinter eine
angenommene Zaͤrtlichkeit unb Freundlichkeit zu ver-
bergen, und dieſe thieriſche Luſt am Zerfleiſchen und
Morden, im Gewande zaͤrtlicher Zuneigung, hat man
vorzuͤglich bey Solchen wahrgenommen, deren Ver-
nunft durch entſetzliche thieriſche Wolluſt zerſtoͤrt war,
***) wie denn auch ſchon im natuͤrlichen Zuſtande
Wolluſt nur eine Maske iſt, hinter der ſich Zerſtoͤ-
rungs- und Mordluſt verbirgt. Auch bey ſcheinbar
Wiedergeneſenen kehrt mit dem Nachhall des Wahn-
ſinnes zugleich die dieſem eigenthuͤmliche Mordluſt wie-
der
[120] der und nur zu oft ſind zu fruͤh entlaſſene Wahnſin-
nige auf dieſe Weiſe Vater- und Muttermoͤrder ge-
worden. *)
Wenn jener Mordluſt des Wahnſinnes jeder an-
dere Gegenſtand geraubt iſt, pflegt ſie ihre Wuth an
ſich ſelber auszulaſſen, und Wahnſinnige haben ſich
nicht nur oͤfters verſtuͤmmelt und Glieder abgehauen,
ſondern zuweilen mit recht ausgeſuchter Grauſamkeit
das Fleiſch von den Haͤnden und Fingern abgebiſſen.
**) Eine dumpfe Grauſamkeit gegen den eigenen Koͤr-
per iſt ſelbſt noch in den tieſeſten Graden des Bloͤd-
ſinns wahr genommen worden. ***)
Bewundernswuͤrdig iſt oft die Liſt und Feinheit,
mit welcher vollkommen Wahnſinnige ſich zu verſtel-
len und eine ganz erdichtete, wohl zuſammenhaͤngende
Geſchichte als ihre eigene zu erzaͤhlen wiſſen. Jener
Wahnſinnige des Gregory wußte ſeine Freunde und
einige Magiſtratsperſonen durch eine ganz erdichtete
Geſchichte ſo einzunehmen, daß ſie ſogleich beſchloſſen,
ihn aus ſeiner Zwangsweſte los zu machen und
kaum dem gegenwaͤrtigen Arzt ſo viel Zeit ließen zu
entfliehen. Jene hatten nur zu bald Gelegenheit ihre
Voreile zu bereuen, der Wahnſinnige brachte ſie alle
in Lebensgefahr. Auch die Stuͤrmer der Baſtille
*)
[121]*) ließen ſich durch die ſanften und vernuͤnftig ſchei.
nenden Luͤgen eines ſolchen Wahnſinnigen einnehmen,
lernten aber ihren Irrthum ſogleich bereuen, als ſich
der eben von den Ketten losgelaſſene Wahnſinnige
eines fremden Mordgewehres bemaͤchtigte, und ſeine
Befreyer in groͤßte Gefahr ſtuͤrzte. Wahnſinnige,
welche eine ganz erlogene Lebensgeſchichte fuͤr ihre ei-
gene hielten, ſind in der Geſchichte jener Krankheit
nichts Seltenes, **) und ſchon die Erzeugungen des
Ganglienſyſtemes im Traume, gruͤnden ſich zum Theil
auf Taͤuſchung und Luͤge.
Schon fruͤher erwaͤhnten wir einer Art von Tob-
ſucht, wo ſich die Zerſtoͤrungs- und Mordluſt des
Wahnſinnes ganz mit geſund ſcheinendem Bewußtſeyn zu-
ſammen findet. Hier graͤnzen der hoͤchſte Grad wil-
der Leidenſchaft und eigentlicher Wahnſinn nahe zu-
ſammen. Jener Bauer, der gewoͤhnlich ganz vernuͤnf-
tig ſprach, und keine Spur von Unvernunft verrieth,
entlief aus dem Tollhauſe, kam in ſeine Heimath wie
ein ganz Widergeneſener, Vernuͤnftiger, ermordete
aber noch an demſelben Abend, nachdem er ſich durch
Kartenſpiel erhitzt, mit wohl uͤberlegtem Vorfatze ſei-
ne Frau und Kinder. *a) Bey ihm war jene unwi-
der-
[122] derſtehliche Luſt zum Morden nach und nach aus ei-
nem niemals durch gute Vorſaͤtze unterdruͤckten Hang
zum Jaͤhzorn entſtanden. Dagegen hatte eine gewiſſe
nun verſtorbene Dame, deren Geſchichte mir wohl
bekannt iſt, ſo lange ſie unverheirathet war, unter die
Empfindſamen ihrer Zeit gehoͤrt, und dennoch warf ſie,
aus unglaublicher Verkehrtheit, auf ihren eigenen erſtge-
bornen Sohn, einen ſolchen Haß, daß ſie ihn mehr
als einmal mit ganz kuͤhlem Vorſatze ermorden wollte,
bis man ihn zuletzt mit Gewalt der taͤglichen Grau-
ſamkeit ſeiner Mutter entriß, und in fremde Haͤnde
gab. Der Vorwand jenes unnatuͤrlichen Haſſes war:
daß das Kind ihrem ſchlimmſten Feinde aͤhnlich ſey,
und ich will nicht unterſuchen, von welcher andern
(unrechtmaͤßigen) Leidenſchaft jene unnatuͤrliche die
Folge war. Aehnliche Geſchichten haben uns die
Aerzte mehrere aufbewahrt. *)
Je-
[123]
Jene eigenthuͤmliche Natur des an uns ange-
ſchmiedeten Galeerenſclaven, wird beſonders aus der
Weiſe erkannt, auf welche der Wahnſinn erzeugt
wird. Dieſer Zuſtand beſtehet uͤberhaupt in jener
Umkehrung des natuͤrlichen Verhaͤltniſſes, wodurch die
bildende Seelenthaͤtigkeit, ihr gewoͤhnliches Geſchaͤft
verſaͤumend, ſich auf pſychiſche Weiſe aͤußert, und wo
nun die ganze Kraft des geiſtigen Organismus, auf
jenes unnatuͤrliche Geſchaͤft concentrirt, und die Thaͤ-
tigkeit des Cerebralſyſtems verdunkelt wird. Ein Vor-
herrſchen der Ganglienſeelenthaͤtigkeit uͤber das hoͤhere
Seelenvermoͤgen, entſteht zuweilen auf negative Wei-
ſe, dadurch, daß das hoͤhere Organ durch Krankheit
gezwungen, oder durch eigene willkuͤhrliche Schuld
ſeine natuͤrliche Oberherrſchaft verliert, haͤufiger je-
doch auf poſitive Weiſe, entweder dadurch daß die in
materieller Bildung befangene Seelenthaͤtigkeit, in ih-
rem gewoͤhnlichen Geſchaͤfte geſtoͤrt, aus ihren Ban-
den frey wird, und ſich, als der bey den Meiſten
ſtaͤrkere Theil zum Herrſcher aufwirft, oder dadurch
daß die Schlummernde durch verwandte, beguͤnſtigen-
de Einfluͤſſe geweckt, genaͤhrt wird.
In einem Saitenſpiel pflegt ein aͤußerer lauter
Ton den Nachhall der gleichgeſtimmten Saiten zu er-
wecken. Die Leidenſchaſten und das ganze Gefolge
unſerer Neigungen und Abneigungen, der Begierde
und
*)
[124] und des Haſſes, die ganze Region der Gefuͤhle, ha-
ben ihren Wirkungskreis und Urſprung im Ganglien-
ſyſtem, wirken belebend oder zerſtoͤrend auf dieſes ein.
Wie in ſchon wiedergeneſenen Wahnſinnigen, die alte
Tollheit durch den Anblick fremder Raſerey wieder auf-
wacht, wie jede ſchlummernde Anlage durch die Aeuße-
rungen eines verwandten Vermoͤgens geweckt wird; ſo
wacht auch jene untergeordnete Seelenthaͤtigkeit auf, und
verlaͤßt ihren bisherigen Kreis, ſobald ſie den Ton der mit
ihrer eigenen Natur verwandten Leidenſchaft vernimmt.
Die meiſten Wahnſinnigen verloren den Gebrauch
ihrer Vernunft durch Leidenſchaften. Jaͤhzorn, Haß,
heftiger Geiz, uͤbermaͤßige Zerſtreuungsfucht, wilde
Begierde und heftige Zuneigung, jedes Fixiren der
Seele auf einen ihrem eigentlichen Beduͤrfniß unan-
gemeſſenen Gegenſtand; unter allen Leidenſchaften am
meiſten aber der Hochmuth, und der vielleicht ſchon
bey einer ſchlechten Erziehung nie gebrochene Wille, *)
erregen Wahnſinn. Wenn man die genauer bekannt
gewordenen Faͤlle des ſogenannten religioͤſen Wahnſinnes,
der religioͤſen Melancholie durchgeht, wird man mei-
ſtens finden, daß jenem Zuſtand Hochmuth und
Erhebung ſeiner Selbſt uͤber Andere, vorhergegangen.
Selbſtgeſtaͤndniſſe lehren, daß jene Ungluͤcklichen ſich
vor dem Ausbruche ihres Leidens, haͤufig fuͤr die Hei-
ligſten und Beſten gehalten unter allen die ſie umga-
ben, und daß ſie erſt von dieſer falſchen Hoͤhe herab
in wahnſinnige Selbſtverdammung verſanken. **)
Selbſt
[125] Selbſt jener Wahnſinnige, deſſen Geſchichte bey Cox
die neunzehnte iſt, ſcheint in ſeiner finſtern religioͤſen
Rechtlichkeit, Selbſtheiligung in ſtrenger Erfuͤl-
lung aͤußerer Geſetze geſucht zu haben. — Oder ein
uͤbermuͤthiger, gruͤbelnder Verſtand, glaubte ſich zum
Ergruͤnden religioͤſer Geheimniſſe berufen, und fand
hier ſeinen Untergang. Indeß iſt bey einigen jener
Ungluͤcklichen der koͤrperliche, unwillkuͤhrliche Urſprung
ihres Leidens unverkennbar. Dieſen religioͤs Wahn-
ſinnigen bleibt dann, als Ausnahme von der oben
erwaͤhnten Regel, auch mitten in ihrem Wahnſinne
nach Cox eigenen Worten: ein hohes Ehrgefuͤhl und
eine heilige Scheu gegen Wahrheit, wie dieß der erſte
von ihm erzaͤhlte Fall bewieſen.
Wenn der Grundton jener untergeordneten, in
materieller Bildung befangenen Thaͤtigkeit, welche am
leichteſten durch Leidenſchaften erweckt wird, Hochmuth
iſt, ſo koͤnnte man mit einem aͤlteren theoſophiſchen
Ausdruck das Verſinken einer Thaͤtigkeit, die an ſich
hoͤherer, geiſtigerer Natur iſt, in ein bewußtloſes ma-
terielles Bilden, aus Hochmuth herleiten, und jenen
Gefangenen als einen Verbrecher betrachten, der ſich
durch Hochmuth vergangen, und der nun, auf eine
fuͤr ihn ſelber, ſobald er nur will, hoͤchſt wohlihaͤtige
Weiſe
**)
[126] Weiſe, ſein Vergehen abbuͤßt. Seiner urſpruͤngli-
chen Kraͤfte beraubt, oder wenigſtens unfaͤhig ſich ih-
rer zu bedienen, lernt er hier, der Region des ſinn-
lichen Erkennens und ihrem Willen untergeordnet, ge-
horchen, und den etwa, auch noch in ſeiner jetzigen
Lage ſich regenden Hochmuth, wenn ihm ſeine Ket-
ten zu leicht werden, erſtickt der alte Richterſpruch:
Im Schweiße deines Angeſichts ſollſt du dein Brod
eſſen.
Da gerade jene Anlage des urſpruͤnglichen Men-
ſchen ſich durch Hochmuth vergangen, welche zum Ge-
horchen beſtimmt war, indem ſie (nach dem Folgen-
den) das Organ ſeyn ſollte, durch welches das Wort
der hoͤheren Region zu dem Menſchen gelangte; ſo
wird, eben in jenem Dienſte, zu welchem ſie ſich
durch eigene Neigung erniedrigt, das urſpruͤngliche
Verhaͤltniß am leichteſten hergeſtellt, die Materie und
die dunkle Region der Koͤrperwelt, wird zu einer
Correctionsanſtalt, aus welcher Jeder, welcher die
dargebotenen Mittel nur einigermaßen benutzt, gewiß
als geneſen hinweggeht. Aber jene Mittel ſind dem
noch in uns wohnenden Reſt des alten Hochmuths
bitter, er ahndet mit Recht in ihnen ſeinen Tod, und
der Wahnſinnige ſelber, der ſich in dem Gefuͤhle ſei-
nes Wahnes wohl befindet, wendet die letzten Spu-
ren von Vernunft nur dazu an, alle Bemuͤhungen
zu ſeiner Heilung unwirkſam zu machen. *) Die
Huͤlle, hinter welcher ſich der Abgrund verbirgt, das
gruͤne
[127] gruͤne Laub, welches nicht, wie ein oberflaͤchlicher An-
blick waͤhnte, von einem unſchuldigen Zephir, ſondern
von der unter ihm liegenden Schlange bewegt wurde,
die nur die uͤber ihn liegende Decke noch unſchaͤdlich
machte, wird dann auf einmal hinweggenommen, und
der Moͤrder in uns, jene Furien, deren Geheul uns
Bedlam in dem Kettengeraſſel ſeiner Wahnſinnigen
nur von fern hoͤren laͤßt, ſtehen losgelaſſen und durch
unſere Pflege ſtark geworden da, und kehren
dann zuerſt ihre Waffen gegen den, der ſie hegte
und groß gezogen. Eine Bußpredigt aus dem
Tollhauſe!
O du Unerkannter und doch herzlich Geliebter!
Laß doch meinen Moͤrder, der noch hier bey mir an-
geſchmiedet ſitzet, nicht eher los, bis er erſt durch
Dich beſſer geworden!
Wir wollen die Prinzipien jener goͤttlichen Cor-
rectionsanſtalt im folgenden Abſchnitte etwas naͤher
betrachten. Eine naͤhere Auseinanderſetzung der phy-
ſiſchen Eigenſchaften des Ganglienſyſtemes, wird uns
hierzu den Weg bahnen.
Das Ganglienſyſtem hat im lebendigen Organis-
mus das Amt der koͤrperlichen Bildung und Geſtal-
tung. Sein Geſchaͤft iſt: die ſchon vorhandene Ma-
terie zu zerſtoͤren, (daher in der Sprache und im My-
thus Hunger und Tod ein Wort) und ihre bildenden
Prinzipien ſich ſelber zuzueignen. Freylich iſt dieſer
Helmontiſche Alchymiſt, — die Magenſeele — uͤber
dem Forſchen nach dem Stein der Weiſen, blind,
und zum Narren geworden. In jenes unterirdiſche
Ge-
[128] Gefaͤngniß faͤllt von oben gerade ſo viel Licht hinein,
als ſie zu ihrem Geſchaͤfte braucht, nur daß uns die
Scheidewand hindert, jene Strahlen wahrzunehmen!
Jene Thierwelt, die wir in einem fruͤheren Ab-
ſchnitte, als vor dem jetzigen Menſchen entſtanden,
annahmen, das Reich der Mollusken, iſt ohne ein
eigentliches Cerebralſyſtem, lebt bloß durch das der
Ganglien. Dieſen Thieren fehlen zum Theil mit dem
Kopfe zugleich, alle Sinnesorgane, ſie ſind bloß
Rumpf, und dennoch erkennen ſie Alles, was mit
dem Kreiſe ihrer Lebensbeduͤrfniſſe in Beziehung ſteht,
ſind ſogar noch zu gewiſſen Aeußerungen des Kunſt-
triebes und der Liſt faͤhig, eben ſo wie der Nacht-
wandler und die Somnambuͤle mit krampfhaft ge-
ſchloſſenen und verbundenen Augen dennoch ſehen, mit
verſchloſſenem Ohre dennoch hoͤren, weil ihnen ein
ganz neuer Sinn im Ganglienſyſtem eroͤffnet worden.
Bey jener Thierwelt, die wir fruͤher als die juͤngſte
anerkannten, bey den Inſecten, iſt auch ein bloßes
Ganglienſyſtem vorhanden, das aber hier ganz in die
Rechte des Cerebralſyſtems getreten iſt. Auch dieſe
Thiere ſind, wenigſtens waͤhrend ihres Larvenzuſtan-
des, zum Theil ohne Sinnesorgane, und verrathen
dennoch einen ungewoͤhnlich ſcharfen Sinn fuͤr die
aͤußere Umgebung. Bey ihnen ſtellt ſich uͤberhaupt
die Ganglienthaͤtigkeit ganz vorzuͤglich als bildender
Trieb dar, in jenen Kunſtwerken, welche außer dem
Koͤrper zur Bedeckung und Erhaltung deſſelben auf-
gefuͤhrt werden, und in einer eben ſolchen genauen
phyſiologiſchen Beziehung auf die Beduͤrfniſſe deſſel-
ben ſtehen, eben ſo zu dem Kreiſe deſſelben gehoͤren,
als
[129] als z. B. die Haare und Haͤute, welche der Orga-
nismus des vollkommneren Thieres in ſeinen eigenen
Graͤnzen bildet. Auch die kuͤnſtliche Mauerbiene, wenn
ſie der noch ungebornen Brut ihr Gehaͤuſe baut, thut
hiermit nichts anders, als der bildende Trieb in dem
vollkommneren Mutterthier, wenn er die die Frucht
umgebenden Haͤute und ernaͤhrenden Theile innerlich
bauet. Dennoch zeigen die aͤußeren Erzeugungen des
Inſectenreiches, noch mehr aber gewiſſe Erſcheinungen
der hoͤheren Region, unter andern die des thieriſchen
Magnetismus, daß jene bildende Kraft urſpruͤnglich
nicht auf den engen Kreis des materiellen Organis-
mus beſchraͤnkt ſey, ſondern auch uͤber denſelben hin-
aus zu wirken vermoͤge.
Unter andern geht aus dem Ganglienſyſtem das
ganze Gebiet der Sympathien und jener gleichſam
magiſchen Wirkungen der Natur hervor, die ſich aus
keinem Geſetz der bloß mechaniſchen Beruͤhrungen er-
klaͤren laſſen. Gewiſſe Thaͤtigkeiten und Erſcheinungs-
ſormen der ſonſt untergeordneten Natur, laſſen ſich
ſelbſt noch der menſchlichen Natur — mittelſt des
Ganglienſyſtems mittheilen und gleichſam einimpfen.
Wenn der Biß eines tollen Hundes zuletzt jenen fuͤrch-
terlichen Zuſtand erregt, wo der Kranke, bey uͤbrigens
noch andauerndem Bewußtſeyn, den unwiderſtehlichen
Trieb der Hundenatur fuͤhit, zu beißen, und ſeine
umſtehenden Freunde aͤngſtlich bittet ihn feſtzubinden,
damit er ſie nicht beiſſen koͤnne, ſo zeigt ſich hier das
Ganglienſyſtem eines wirklichen Einimpfens der Hun-
denatur faͤhig. Jener Sohn des großen Condé erfuhr
dieſe Einimpfung auf eine mehr pſychiſche Weiſe. Er
9)glaubte
[130] glaubte taͤglich zu gewiſſen Zeiten in einen Hund ver-
wandelt zu ſeyn, und fuͤhlte ſich dann unwiderſtehlich
dazu gedrungen, wie ein Hund zu bellen. Selbſt die
Gegenwart des Monarchen konnte ihn nicht verhindern,
wenn der Anfall kam, wenigſtens zum Fenſter hinaus
die ſtumme Pantomine des Bellens zu machen. Auch
jene Kloͤſterfraͤulein pflegten, in einer aͤhnlichen Ver-
wandlung, taͤglich eine Stunde lang wie die Katzen
zu heulen *) und ſolcher Faͤlle finden ſich viele aufge-
zeichnet. Die ſogenannten Daͤmoniſchen laſſen in ihrer
Raſerey nicht bloß die verſchiedenartigſten Stimmen
von Raubthieren (Baͤrengebruͤll, Wolfs- und Katzen-
heul) hoͤren, ſondern wiſſen auch in anderer Hinſicht
die Natur jener Thiere auf eine fuͤrchterliche Weiſe
taͤuſchend nachzuahmen. **) Hier iſt es, wo die Leh-
ren des alten Syſtems der Metempſychoſe nicht ganz
ohne Sinn erſcheinen, und vom Throne herab wird
zum Thiere jener hochmuͤthige Nebucadnezar.
Auf eine andere, mehr materielle Weiſe, zeigt
ſich jene weibliche Empfaͤnglichkeit und Erzeugungs-
faͤhigkeit des Ganglienſyſtems in der Geſchichte der
anſteckenden Stoffe. So lange jenes Syſtem in ſei-
nem gewoͤhnlichen Kreiſe bleibt, iſt es faͤhig, fremde
Krankheitsformen in ſich aufzunehmen und auszubilden,
jene
[131] jene Faͤhigkeit verliert ſich aber, wenn es den Kreis
ſeiner materiellen Produktionen verlaͤßt, und pſychiſch
wirkt, weshalb ſchon Wahnſinnige keiner Anſteckung
mehr ausgeſetzt ſind, mitten unter vergifteten Peſt-
und Fieberkranken, mitten unter dem Aushauch an-
derer Seuchen unangetaſtet bleiben.
Der Kreis jener Empfaͤnglichkeit zeigt ſich im
ſogenannten thieriſchen Magnetismus noch mehr er-
weitert. Die Zuſtaͤnde deſſelben werden in der Regel
zwar leichter hervorgerufen, wenn der lebenskraͤftige
Magnetiſeur an dem Koͤrper der Kranken vom Haup-
te abwaͤrts nach den unteren Theilen vom Haup-
te abwaͤrts nach den unteren Theilen ſtreicht, ſie er-
folgen jedoch auch bey einem umgekehrten Streichen,
beym bloßen Anhauchen, bey der Beruͤhrung der
Haͤnde, oder des bloßen Daumens der Kranken, ja
durch die Wirkung des Willens aus der Ferne. Es
erfolgen jene Zuſtaͤnde, auch ohne Zuthun des Mag-
netiſeurs, nach Gemuͤthsbewegungen und allen Ein-
fluͤſſen, wodurch die Thaͤtigkeit des Ganglienſyſtems
ſehr aufgeregt wird. Wie naͤmlich jene Eindruͤcke,
welche auf den wachen Kreis der Sinne ge-
ſchehen, ſaͤmmtlich in Einem gemeinſchaftlichen Punkte
— im Gehirn verſammelt werden, die Eindruͤcke aufs
Geſicht oder aufs Gehoͤr eben ſo gut als jene auf die
Fingerſpitzen, ſo haben auch alle jene Lebenseinfluͤſſe,
welche auf das ſchaffende, bildende Vermoͤgen in uns
vermehrend oder ſchwaͤchend einwirken, ihren gemein-
ſchaftlichen Sammelplatz in der Mitte des Ganglien-
ſyſtemes, ſie moͤgen nun auf einen Theil oder in ei-
ner Richtung wirken in welcher ſie wollen. Auf dieſe
Weiſe wird ein der Kriſe aͤhnlicher Zuſtand durch
ver-
[132] verſchiedene Urſachen, z. B. das Ausbleiben der mo-
natlichen Blutungen, ja nach einzelnen Erfahrungen
durch Galvanismus *) u. a. erregt und bey gewiſſen
ſehr reitzbaren Naturen, bringet ſelbſt die Naͤhe einer
Katze oder anderer Raubthiere, ſo wie die Naͤhe gif-
tiger Schlangen, die ſich im Schlafgemach verſteckt ha-
ben, convulſiviſche Zufaͤlle hervor, welche jenen der
Kriſe gleichen.
Endlich ſo zeigt ſich jene Eigenſchaft des Gang-
lienſyſtemes noch vorzuͤglich im Prozeß der weiblichen
Zeugung und Ausbildung der Frucht, und es iſt auch
hier, vornehmlich beym Weibe, das innerlich gewor-
den, was urſpruͤnglich mehr aͤußerlich — ein Werk,
nicht des bewußtloſen Bildungstriebes, ſondern des
erkennenden Wortes ſeyn ſollte. Wenn jenem bilden-
den Vermoͤgen in uns einſt die aͤußere Natur Mate-
rial und eben ſo gut zu ihm gehoͤriges, eigenthuͤmli-
ches Organ geweſen, als es ihm jetzt die Theile des
Leibes ſind; ſo ſieht ſich dagegen in dem jetzigen Zu-
ſtande jenes Vermoͤgen bloß auf die engen Grenzen
des Ganglienſyſtemes beſchraͤnkt.
In der That, dieſes Syſtem, durch deſſen Wirk-
ſamkeit wir vorzuͤglich an die Materie gebunden, mit
ihr vereint ſind, pflegt uns noch in dem jetzigen Zu-
ſtande einen Sinn offen zu laſſen, welcher uns, uͤber
alle Beſchraͤnkung des Raumes hinuͤber, ungehindert
von den Banden der Schwere und der Koͤrperlichkeit,
die
[133] die lebendigen Einfluͤſſe einer fernen und nahen, gei-
ſtigen und koͤrperlichen Welt zufuͤhrt. In dem Kreiſe
des taͤglichen Beduͤrfniſſes, ſcheint das Gefuͤhl fuͤr
Waͤrme und Kaͤlte dem Ganglienſyſteme vorzuͤglich
zuzukommen, ſo wie die Erſcheinungen des ſogenann-
ten Gemeingefuͤhles, z. B. das Bemerken eines na-
hen Gegenſtandes im Dunklen, das kitzelnde Gefuͤhl
auf der Haut eines Schlafenden, wenn ſich ihm ein
Anderer mit der Hand naͤhert, die Erſcheinungen der
Sympathie und Antipathie. *) In gewiſſen koͤrper-
lichen Zuſtaͤnden zeigt ſich ſelbſt noch beym Menſchen,
der Wirkungskreis jenes Sinnes ſo erweitert, daß be-
vorſtehende Witterungsveraͤnderungen, ziemlich ferne
Metalle oder Waſſermaſſen, Feuersbruͤnſte und aͤhn-
liche Begebenheiten in einer ziemlich großen Ferne
wahrgenommen werden. **) Auffallender als irgend-
wo zeigt ſich jenes, nicht vom Cerebral- ſondern aus-
ſchließend vom Ganglienſyſtem abhaͤngende Ferngefuͤhl
in dem Zuſtande des magnetiſchen Hellſehens. Jene
Schranken, welche die Koͤrperlichkeit zwiſchen zwey
verſchiedenen Individuen feſtſtellet, ſind in dieſem Zu-
ſtande aufgehoben, die Seele jener innerlich Eroͤfne-
ten, wird mit der Seele des Magnetiſeurs Eine und
dieſelbe, ſie weiß nicht bloß alle ſeine Gedanken, ließt
in ſeiner Seele Alles, was ihn bekuͤmmert und er-
freut,
[134] freut, ſondern ſie nimmt auch unwillkuͤhrlich an allen
koͤrperlichen und geiſtigen Gefuͤhlen jener ihm frem-
den Perſon Theil, aͤußert Schmerzen, an eben jenem
Theile, woran der Magnetiſeur unvermerkt verletzt
wird, empfindet einen bald widerlichen bald angeneh-
men Geſchmack, wenn jener unangenehme oder wohl-
ſchmeckende Dinge in den Mund nimmt, *) weiß jede
Bewegung des entfernt oder hinter ihm ſtehenden Mag-
netiſeurs und wird von der Kraͤnklichkeit deſſelben mit
ergriffen. Durch den Willen des Magnetiſeurs oder
durch unmittelbare Beruͤhrung ſelbſt mit einer dritten
Perſon in Beziehung geſezt, weiß die Somnambuͤle
um alles was mit dieſer vorgehet, auch wenn dieſelbe
weit entfernt iſt, **) und auch der Magnetiſeur ver-
mag aus weiter (ganze Meilen betragender) Entfer-
nung, durch bloße Anſtrengung ſeines Willens auf ei-
ne mit ihm in enger Beziehung ſtehende Somnambuͤ-
le zu wirken, und dieſe in Kriſe zu verſetzen. ***)
In dem Zuſtande des Hellſehens wiſſen jene Kranken
auch, was ſich indeß in weiter Entfernung, in ihrer
Heimath zutraͤgt *a), und uͤberhaupt wird, ſobald jener
innere Sinn ſich eroͤffnet, eine ganze, nahe und ferne
Außenwelt demſelben klar und gegenwaͤrtig. Nicht
bloß wird ein noch ganz unbekanntes Buch, deſſen
Blaͤt-
[135] Blaͤtter durch verſchiedene Mittelglieder mit dem Hell-
ſehenden in Beziehung gebracht worden, von dieſem
geleſen, *) der Stand des Zeigers an einer außer dem
Geſichtskreiſe deſſelben ſtehenden Uhr erkannt, **)
und die Annaͤherung bekannter Perſonen, die auf ge-
woͤhnliche Weiſe nicht bemerkt werden konnte, aus der
Ferne wahrgenommen ***) ſondern durch jene Eroͤff-
nung des innern Sinnes, ſieht ſich der Somnambul
auch in eine, von ihm ſonſt nicht beſuchte, nur dem Na-
men nach bekannte Gegend verſetzt, wo er das ſieht,
was er angelegentlich geſucht und gewuͤnſcht hatte. *a)
Eine gewiſſe Perſon jener Art durchſchaute mit gei-
ſterhafter Klarheit eine ganze naͤchtliche Begebenheit,
die ſich, waͤhrend ſie ſchlief, fern von ihrem Zimmer
im elterlichen Hauſe zugetragen hatte, und der Erfolg
zeigte, daß ſie ſich nicht getaͤuſcht, und den Plan eines
wirklich vorgehabten Diebſtahls richtig eingeſehen hat-
te. *b)
Jenes Ferngefuͤhl, jener Seherblick des Gang-
lienſyſtemes, iſt denn auch ein Eigenthum der Ent-
zuͤckung (wovon noch nachher), des Traumes, der Ohn-
macht, des Scheintodes, und anderer Zuſtaͤnde, wo-
rinnen alle Faͤhigkeit nach außen zu wirken noch mehr
auf-
[136] aufgehoben iſt. Jene Faͤlle, wo ein weit entfernter
Freund, einen Geliebten, deſſen Seele ſich in der To-
desſtunde oder anderen wichtigen Augenblicken lebhaft
mit ihm beſchaͤftigte, eigentlich vor ſich ſtehen zu ſe-
hen, die Stimme des Abſchiednehmenden oder Fra-
genden wirklich zu hoͤren glaubte, obgleich er in jenem
Augenblick an etwas ganz Anders dachte, und von der
Krankheit der geliebten Perſon nicht das mindeſte
wußte, ſind doch zum Theil von zu nuͤchternen Beob-
achtern erzaͤhlt, als baß man ſie ganz laͤugnen koͤnnte. *)
Ein gewiſſer, mir nahe verwandter, ehrwuͤrdiger Mann,
deſſen frommer Ernſt keine Selbſitaͤuſchung zuließ,
hat eine aͤhnlichr Erfahrung in der Todesſtunde ſeiner
weit entfernten Mutter gemacht. Freylich vermoͤgen
wir uns nur ſelten beym Erwachen aus jenen tieferen
Traͤumen oder Zuſtaͤnden der Ohnmacht, an das zu er-
innern, was waͤhrend der Zeit unſern innern Sinn
bewegt hat. Merkwuͤrdig iſt es aber, daß Somnam-
bulen in dem Zuſtand des Hellſehens alles das genau
wußten, was waͤhrend ſie in Ohnmacht oder Catalep-
ſie lagen, um ſie und mit ihnen vorgegangen. **) So
merkwuͤrdig ſchon alle jene Erſcheinungen ſind, ſo ſehr
auch ſchon ſie an ein hoͤheres Vermoͤgen im Menſchen
erinnern, ſind ſie dennoch nur erſt ein Schatten von
dem, was dieſer hoͤhere Sinn, wenn er zuweilen noch
in den Grenzen des jetzigen Daſeyns auf eine geſunde
und natuͤrliche Weiſe im Menſchen erwacht, umfaſſet
und
[137] und vermag; *) wie die noch kuͤnftige Lilie, die
das zergliedernde Meſſer und das Vergroͤßerungsglas
ſchon in der zerſchnittenen Zwiebel kuͤnſtlich darſtellen,
nur ein kleiner Schatten von dem iſt, was ſie gewor-
den waͤre, wenn ſie ſich im naͤchſten Sommer allmaͤh-
lig aus dem Keim entwickelt haͤtte.
So ſind uns jene Organe, welche uns an die
Materie feſſeln, gerade auch ihrerſeits Leiter uͤber die
Graͤnzen materieller Beſchraͤnkung hinaus, und ſie
ſind uns ganz daſſelbe in Beziehung auf die Zeit. Al-
les Periodiſche, alle Zeiteintheilung kommt naͤmlich
durch das Ganglienſyſtem ins thieriſche Leben. Schon
die Bewegungen der Organe des Ganglienſyſtems ge-
ſchehen nicht wie die der willkuͤhrlichen Organe in un-
beſtimmten, zufaͤlligen Momenten, ſondern in einer
rhythmiſchen periodiſchen Aufeinanderfolge der Zuſam-
menziehungen und Ausdehnungen, gleichſam ſtoßwei-
ſe, und dieſe ſtoßweiſe Bewegung findet ſich auch in
jenen Krankheiten der willkuͤhrlich beweglichen Organe,
die aus dem Ganglienſyſteme herkommen, z. B. in
der Epilepſie. — Die an beſtimmte Zeiten gebundenen
Erſcheinungen des Schlafens und Wachens, der Ver-
dauung, des Wachsthums und der Entwickelung, der
monatlichen Blutungen, die kritiſchen Perioden der
Fieber, kommen ſaͤmmtlich aus dem Gebiete des Gang-
lienſyſtems her. Ueberhaupt iſt ſchon an ſich ſelber
das
[138] das zeugende und bildende Vermoͤgen des Koͤrpers in
ſeinen wichtigſten Aeußerungen an feſt beſtimmte Zei-
ten gebunden. Das Zeugungsvermoͤgen des Thieres
erwachet im Naturzuſtande bey einem gewiſſen Stand
der Geſtirne, und jene Varietaͤten und haͤufigen Spiel-
arten in Geſtalt und Farbe, welche ſich bey den
Hausthieren finden, kommen bloß daher, daß der
Menſch ihnen durch haͤufiges oder veraͤndertes Futter,
die Zeiten der Begattung veraͤndert hat; die zahlloſen
Verſchiedenheiten, individuellen Charaktere und Be-
ſonderheiten des Menſchengeſchlechtes, bloß daher, daß
daſſelbe in Beziehung auf Zeugung an keine beſtimm-
ten Zeiten feſtgebunden iſt. Dennoch verraͤth ſich jene
Abhaͤngigkeit von der Zeit auch noch bey dem Men-
ſchen in verſchiedenen Thatſachen, und wenn im weib-
lichen Geſchlecht die pſychiſche (feindliche, zerſtoͤrende)
Natur des Ganglienſyſtemes viel leichter frey zu wer-
den vermag als im maͤnnlichen, ſo weiß dieſes die
Natur durch die monatlichen Blutungen zu verhuͤten,
deren Ausbleiben jenes pſychiſche (zerſtoͤrende) Erwa-
chen nur zu leicht herbeyfuͤhrt. Es erinnert jenes koͤr-
perliche Phaͤnomen an gewiſſe pſychichte Erſcheinungen,
welche der Forſcher in der Geſchichte der Orakel und
Menſchenopfer und in dem Beyſammenſeyn beyder be-
merken wird. Die Erſcheinungen der pythiſchen Begei-
ſterung gruͤnden ſich zum großen Theil, wie der Wahn-
ſinn, auf ein Erwachen des ſonſt gebundenen, pſychi-
ſchen Vermoͤgens des Ganglienſyſtemes, deſſen weſentli-
cher Charakter Zerſtoͤrungsſucht und jene innre Wuth iſt,
die ſich nur im Blute zu kuͤhlen vermag. Selbſt der grau-
ſame Goͤtzendienſt der Mexicaner, war zugleich mit Spu-
ren einer weiſſagenden Erkenntniß der Prieſter verbunden.
— Auch
[139] — Auch in der hoͤheren, reineren Region zeigt ſich,
nur zu einem beſſeren, goͤttlichen Zweck, etwas Aehn-
liches, und auch hier muß ein weit von ſeiner Be-
ſtimmung abirrendes Erkennen durch Blut ver-
ſoͤhnt werden. *)
Der an kritiſche Tage und Zeitraͤume gebundene
Charakter, kommt eigentlich nur jenen Krankheiten zu,
welche im Gebiete des Ganglienſyſtemes ihren Sitz
haben, **) und iſt in denen, bey uns haͤufigeren Zu-
ſtaͤnden des Uebelbefindens, wobey das Cerebralſyſtem
mehr afficirt iſt, unkenntlicher und verwiſchter. Die
Art
[140] Art der Kriſe an einem noch kuͤnftigen vorzuͤglich ent-
ſcheidenden Tage, wird freylich oͤfters ſchon in der
Kriſe eines fruͤheren kritiſchen Momentes voraus er-
kannt, und dieſe, oft weit von einander getrennten
Momente, ſtehen in einer eben ſo genauen Beziehung
aufeinander, als die Kriſen des Somnambulismus;
doch wuͤrde hieraus jenes prophetiſche Vermoͤgen des
Ganglienſyſtemes, welches oͤfters ganz zufaͤllig ſchei-
nende Ereigniſſe lange voraus verkuͤndigt, nur unge-
nuͤgend erklaͤrt. Im Grunde genommen, gruͤndet ſich
jenes prophetiſche Geſicht auf ein aͤhnliches Ferngefuͤhl
der Zeit nach, als die fruͤher erwaͤhnten Erſcheinun-
gen auf ein Ferngefuͤhl dem Raume nach. Die verſchie-
denen Zuſtaͤnde, welche unſer eigenes oder ein genau
mit ihm verbundenes Weſen, in verſchiedenen Zeiten,
ſcheinbar zufaͤllig und doch nach feſt beſtimmtem Geſetz
durchlaufen muß, gehoͤren eben ſo nothwendig zu un-
ſerm gegenwaͤrtigen Weſen, als jene Veraͤnderungen
und Ereigniſſe, welche eine entfernte geliebte Per-
ſon betreffen, deren Schickſal uns wie ein eigenes an-
geht. Wir und der entfernte Geliebte, unſere Ge-
genwart und unſere Zukunft, ſin in einem hoͤheren
Dritten vereint, deſſen Strahl in jenen prophetiſchen
Augenblicken des Erkennens, unſern inneren Sinn be-
ruͤhrt, und in der Entwickelungsgeſchichte unſers un-
ſterblichen Weſens giebt es uͤberhaupt keinen Zufall,
ſondern daßelbe wird von jener Liebe, die es ſich ſel-
ber freywillig erwaͤhlte, in Ereigniſſen, welche nach
unabaͤnderlichem Geſetz auf einander folgen, entweder
fuͤr den Genuß eines ewigen Friedens oder einer ewi-
gen Unruhe erzogen.
Wir
[141]
Wir wollen uns auch hier zunaͤchſt nur bey dem
engeren Kreiſe der Erſcheinungen des Hellſehens ver-
weilen. Perſonen, die ſich in jenem Zuſtande inner-
licher Eroͤffnung befinden, ſagen nicht nur die Zeit,
wie lange jener Zuſtand dauern, wenn er wiederkehren
werde und kuͤnftige Krankheitszufaͤlle genau voraus, *)
ſondern ſie wiſſen auch Dinge vorher, die durchaus
nicht von ihnen ſelber abhaͤngen. Drey von Wien-
holt magnetiſch behandelte Perſonen, ſagten einen Zu-
fall vorher, durch welchen ſie den Fuß verrenkten.
**) Eine Andere wußte im Zuſtande des Hellſehens
voraus, daß ſie an einem gewiſſen Tage aufs Land
gebeten und dort in Verſuchung gerathen werde, ein
Pferd zu beſteigen, das ihr durch einen Sturz großes
Ungluͤck bringen koͤnnte, und bat dringend, jenen Zu-
fall von ihr abzuwehren. Auf eine durchaus nicht
vorherzuſehende Weiſe, wurde jene Ahndung wahr.
Eben ſo weiß die Somnambuͤle genau vorher, wenn
ſich in geiſtiger Hinſicht irgend eine Idee vollſtaͤndig
in ihr entwickeln, wenn ſie im Stande ſeyn werde,
gewiſſe Fragen zu beautworten. Jenes Vorahndungs-
vermoͤgen beſchraͤnkt ſich aber nicht auf die Perſon
des Somnambuͤlen allein, ſondern dieſer beſitzt auch
ein ſolches Vermoͤgen in Beziehung auf andre, mit
ihm in Beziehung geſetzte Perſonen, denen derſelbe
***)
kuͤnf-
[142] kuͤnftige Ereigniſſe und das nahe Ende ihrer Leiden
vorausſagt. *)
Es giebt ein ſchon im Somnambulismus oͤfters
ſehr deutlich entwickeltes prophetiſches Vermoͤgen, nicht
bloß fuͤr die Zukunft, ſondern auch fuͤr die Vergan-
genheit. **) Die Somnambulen wiſſen mit einer be-
wundernswuͤrdigen Klarheit alle jene kleinen, im Wa-
chen laͤngſt vergeſſenen Begebenheiten und Zufaͤlle, die
ihnen einmal vor langen Jahren begegnet ſind, ***)
und auch im Traume werden wir oͤfters an laͤngſt
vergeſſene Begebenheiten aus der fruͤheſten Kindheit
erinnert. Auch hier wird jenes prophetiſche Erkennen
auf ſremde mit dem Somnambul verbundene Perſo-
nen uͤbergetragen, und jener weiß in gewiſſen Faͤllen
genau alle jene Begebenheiten, welche, oͤfters der lei-
denden Perſon ſelber nicht mehr erinnerlich, auf ihren
jetzigen Krankheitszuſtand Beziehung hatten. *a)
Ueberhaupt werden faſt alle Erſcheinungen des
Erinnerungsvermoͤgens und der reproducirenden Ein-
bil-
[143] bildungskraft, in einem genauen Zuſammenhange mit
dem Ganglienſyſteme gefunden. Wenn wir uns je-
ne Ruͤhrungen unſerer Sinne, jene Handlungen, wel-
che mit innerm Gefuͤhl verbunden waren, dadurch zu-
ruͤckrufen, daß wir dieſe Gefuͤhle erneuern, ſo muß
nothwendig ein großer Theil der Empfindungen und
vormaligen Ruͤhrungen, welche im inneren Kreiſe des
Ganglienſyſtemes ihren ſammlenden Mittelpunkt hatten,
fuͤr die Erinnerung verloren gehen, weil unſer Wille
vermoͤge der oben erwaͤhnten Scheidewand, nicht im
Stande iſt, Ruͤhrungen jenes Syſtemes nach Gefallen
hervorzubringen. In der Zeit der Jugend, bey ei-
nem hoͤheren Stand der bildenden Lebenskraft, gelingt
der ſinnlichen Natur die Vereinigung beyder Syſteme
und das Aufheben der trennenden Scheidewand noch
eher, dagegen ſcheint ſich bey dem zunehmenden Alter
die Grenze immer enger und feſter um das Cerebral-
ſyſtem herumzuziehen und dem Willen den Zugang zu
der Region der Gefuͤhle abzuſchneiden. Alte, dumpfe
Greiſe, wiſſen nichts mehr von allen jenen folgenrei-
chen, heitern oder truͤben Begebenheiten, nichts mehr
von allen jenen vielumfaſſenden tiefen Kenntniſſen, wo-
durch ſie fruͤher zu großen maͤnnlichen Thaten gereift
waren, Neuton und Kant verſtehen ihre eigenen Wer-
ke nicht mehr, große, im Umgange der Alten grau
gewordene Philologen, ſtraucheln an leichten Sprach-
regeln, alle, ſelbſt die hoͤchſten Bemuͤhungen und
Kaͤmpfe um geiſtige Vollendung und Tugend, ſchei-
nen mit allen dem, was durch ſie errungen worden,
verloren und auf immer vergeſſen zu ſeyn, und dem
frommen, tiefer erleuchteten Greiſe, bleibt von allen
muͤhſam erworbenen religioͤſen Erkenntniſſen, kaum noch
ein
[144] ein einfaches Gebet aus der Kindheit uͤbrig. *) Und
dennoch geht uns jenes wohlerworbene Eigen-
thum unſerer fruͤheren Jahre, gehen uns jene Er-
kenntniſſe und Gefuͤhle nicht verloren. **) Vielfaͤltige
Erfahrungen haben gelehrt: daß oͤfters in der Stunde
des Todes, in Traͤumen und aͤhnlichen Zuſtaͤnden,
ja in einem geringeren Maaße ſchon im froͤhlichen Rau-
ſche alle jene Erinnerungen und verloſchenen Gefuͤhle
zuruͤckkehren, daß dann auf einmal der noch vor we-
nig Tagen dumpfe, kaum ſeiner ſelbſt ſich bewußte
Greis, helle, klare Blicke uͤber ſeine ganze Vergan-
genheit zu thun vermag, alle ſeine vergeſſenen Kennt-
niſſe wieder empfaͤngt, und zum Theil ſich ihrer in
einem Grade maͤchtig zeige, wie vorher niemals, in-
dem zugleich Sprache und Ausdruck ſich veredlen.
Die kindiſch gewordenen Alten haben dieſes mit den
Wahnſinnigen gemein. Die verloren gegangene Ver-
nunft kehrt bey Vielen kurz vor dem Tode, mit der
Erinnerung an die eigentlichen perſoͤnlichen Verhaͤlt-
niſſe
[145] niſſe und an die ganze Reihe der Lebensſchickſale zu-
ruͤck. Der kranke Wahn ſchwindet wie ein ſchwerer
Traum, deſſen Inhalt freylich in der wachen Erinne-
rung zuruͤckbleibt. *) Ueberhaupt iſt es bekannt, daß
die Wahnſinnigen ſobald ſie ſchlafen, vernuͤnftige und
in klarem Zuſammenhange ſtehende Traͤume haben,
und die Reihe der wachen Zuſtaͤnde ſcheint ſich
durch den Traum hindurch fortzuſetzen. **) Ja es
ſcheint ſogar in gewiſſen Faͤllen durch den Wahnſinn
und mitten in demſelben eine gewiſſe Entwickelung
und Ausbildung der hoͤheren Seelenkraͤfte moͤglich, und
nicht bloß folget auf den Zuſtand der Melancholie ein
freyerer Gebrauch der Seelenkraͤfte, ſondern an wieder-
hergeſtellten Wahnſinnigen iſt zuweilen in Hinſicht der
moraliſchen und erkennenden Kraͤfte, eine vortheilhafte
Veraͤnderung und Veredelung wahrgenommen worden.
***) Merkwuͤrdig iſt in jener Beziehung vorzuͤglich
die Geſchichte jener zwanzig Jahre lang wahnſinnig
geweſenen Frau, welche im November 1781, in einer
kleinen Stadt der Uckermark, ſieben und vierzig Jahre
alt geſtorben. Man hatte an dieſer Wahnſinnigen
ſchon in den einzelnen lichten Augenblicken, eine ſtille
Ergebung in den hoͤheren Willen und fromme Faſſung
10wahr-
[146] wahrgenommen. Vier Wochen vor ihrem Tode er-
wachte ſie endlich aus ihrem zwanzigjaͤhrigen ſchwe-
ren Traume. Aber die ſie vor ihrem Wahnſinne ge-
kannt hatten, kannten ſie jetzt, in dem Zuſtande dieſer
letzten Verwandlung kaum wieder, ſo veredelt, erweitert
und erhoͤhet waren alle Kraͤfte und Empfindungen ihrer
geiſtigen Natur, ſo veredelt ihr Ausdruck. Sie ſprach
in dieſer Zeit Dinge mit einer Klarheit und inneren
Helle aus, welche der Menſch in ſeinem jetzigen Zu-
ſtande nur ſelten oberflaͤchlich erkennen lernt. Ihre
Geſchichte erregte Aufſehen: Gelehrte und Ungelehrte,
Gebildete und minder Gebildete draͤngten ſich an je-
nes merkwuͤrdige Krankenbette, und Alle mußten ein-
geſtehen, daß, wenn auch die Kranke waͤhrend der
ganzen Zeit ihres Wahnſinnes den Umgang und die
Belehrung der gelehrteſten und erleuchtetſten Maͤnner
ihrer Zeit genoſſen haͤtte, ihr Geiſt doch nicht gebil-
deter, ihre Erkenntniſſe doch nicht umfangsreicher und
hoͤher haͤtten ſeyn koͤnnen, als jetzt, wo ſie aus einer
ſo langen, tiefen Gefangenſchaft aller Kraͤfte zu er-
wachen ſchien. *) So ſind denn jene Fuͤhrungen
unſeres Geiſtes durch die kindiſche Beſchraͤnktheit des
hohen Alters, oder ſelbſt durch noch dunklere, truͤbere
Zuſtaͤnde, nicht das was ſie dem Materialismus ſchei-
nen, und das ewige Eigenthum unſers Geiſtes kann
uns durch nichts entwendet werden.
Aber wo verbirgt ſich denn jene dem Anſcheine
nach verloren gegangene Erkenntniß, wo verbirgt ſich
die
[147] die ganze Reihe ſcheinbar ganz erloſchener Erinnerun-
gen, waͤhrend jener Zuſtaͤnde der Dumpfheit und Be-
ſinnungsloſigkeit, die demnach in gewiſſen Faͤllen nur
dem Schlafe gleichen, aus dem wir mit klarer Erin-
nerung ans Geſtern, und aufs neue geſtaͤrkt erwachen?
Wir duͤrfen uns auch bey der Beantwortung dieſer
Frage auf das fruͤher Geſagte beziehen. Ueberhaupt
pflegen ſich die Gegenſtaͤnde und Veraͤnderungen, wel-
che auf und in uns wirken, nur in dem Grade un-
ſerer Erinnerung einzupraͤgen, in welchem ſie uns in-
tereſſiren, d. h. mit der Liebe, mit der Grundneigung
in uns in Beziehung ſtehen, — in dem Grade, in
welchem ſie auf den Kreis unſerer Gefuͤhle, wohl-
thuend oder ſchmerzhaft einwirken. Selbſt das Ein-
praͤgen ganz mechaniſcher und an ſich todter Fertig-
keiten z. B. das Erlernen ganz unverſtandener frem-
der Worte, gelingt uns nur dadurch, daß wir das
zu Erlernende in irgend eine, wenn auch noch ſo leiſe
Beziehung mit dem Kreiſe unſerer Gefuͤhle und un-
ſerer Grundneigung ſetzen, und jene Fertigkeiten er-
loͤſchen um ſo fruͤher, je unweſentlicher und leiſer
dieſe Beziehung war. Gegenſtaͤnde, die gar nicht auf
jenen lebendigen Kreis einwirken, liegen uͤberhaupt
ganz außer dem Umfang unſeres Erkennens, wir
erkennen nur im Lichte unſerer Liebe (das was dieſer
Liebe foͤrderlich iſt oder hinderlich, koͤnnen nur das
erkennen, was Gegenſtand unſerer Neigung oder Ab-
neigung zu werden vermag. Unſer Erkennen ſtehet
deßhalb in Hinſicht ſeines Umfanges in geradem Ver-
haͤltniß mit dem Umfang unſerer Liebe, hoͤheres Er-
kennen wohnt bey hoͤherer Liebe, beſchraͤnktes bey be-
ſchraͤnkter. Eng iſt der Kreis des Erkennens bey der
thier-
[148] thieriſchen Natur, welche nur von dem Kunde hat,
was mit ihren Neigungen in Verbindung ſteht, und
fuͤr welche die ganze uͤbrige Welt der Dinge nicht
vorhanden iſt; nicht viel weiter iſt jener Kreis bey
der thieriſch-menſchlichen Natur, waͤhrend er bey je-
ner Liebe, deren einziger und hoͤchſter Gegenſtand
der Inbegriff aller Dinge waͤre, ſo unermeßlich ſeyn
wuͤrde, als jener Gegenſtand ſelber.
Nach dem Vorhergehenden iſt das Ganglienſy-
ſtem der Ausgangspunkt und das vereinigende Cen-
trum der inneren Gefuͤhle und Neigungen. Die von
dem Cerebralſyſtem abhaͤngenden Verrichtungen unſerer
Sinne, das Sehen und Hoͤren, laſſen uns an ſich
kalt, und geſchehen ohne Gefuͤhl von Wolluſt oder
Schmerz, wenn aber bey dem Anblick einer hohen
Natur, bey dem Hoͤren des Glockengelaͤutes und an-
derer Harmonien unſere Bruſt ſich erweitert, unſer
Gefuͤhl ſich erhebt, fuͤhlen wir, daß jene Ruͤhrung
nicht in dem an ſich kalten Kreis der Sinne beſchloſ-
ſen ſey, ſondern aus jener Region der Gefuͤhle kom-
me, die wir im gemeinen Leben das Herz nennen.
Dagegen ſind ſchon alle Verrichtungen des Ganglien-
ſyſtemes an ſich, ſelbſt im Kreiſe des thieriſchen Lebens,
mit einem Gefuͤhl von Wolluſt oder Schmerz verbun-
den, und das Geſchaͤft des Nahrungnehmens, der
Geſchlechtsverrichtung u. a. pflegt urſpruͤnglich das
thieriſche Gefuͤhl heftig zu erregen. Vorzuͤglich ge-
nießen wir dann das erhoͤhte Gefuͤhl ſinnlichen Wohl-
ſeyns und innigen Behagens, wenn jene trennende
Scheidewand zwiſchen dem Cerebral- und Ganglien-
ſyſtem ſich hinweghebt, und der enge Kreis, welcher
je-
[149] jenes erſtere — den Sitz des Bewußtſeyns — umgiebt,
mehr und mehr ſich erweitert. Wenn im Schlafe,
in der Ohnmacht, im Scheintode und aͤhnlichen Zu-
ſtaͤnden jene Schranke hinwegfaͤllt, und beyde Syſte-
me nun in Eins vereinigt, das (dann vorherrſchende)
Geſchaͤft des Ganglienſyſtemes wirken, ſo iſt hiermit
zugleich ein Gefuͤhl des innigen Wohlbehagens, nach
dem Ausdruck der ohnmaͤchtig und ſcheintodt Geweſenen
von Seligkeit verbunden. *) Auch der Zuſtand des
Wahnſinnes und der Raſerey, beſonders der der letz-
tern, wobey jene Schranken auch aufgehoben ſind,
pflegt mit einem ganz beſonderen Wonnegefuͤhl ver-
bunden zu ſeyn. **) „Ich erwartete, ſagte ein von
Willis geheilter Wahnſinniger, ***) meine Anfaͤlle
mit Ungeduld, denn ich genoß waͤhrend derſelben eine
Art von Seligkeit. Alles ſchien mir leicht, kein Hin-
derniß hemmte mich, weder in der Theorie, noch in
der Ausfuͤhrung. Mein Gedaͤchtniß bekam auf ein-
mal
[150] mal eine beſondere Vollkommenheit — ich erinnerte
mich z. B. langer Stellen aus lateiniſchen Schriftſtel-
lern. Es koſtete mir im gewoͤhnlichen Leben viel
Muͤhe, gelegentlich Reime zu finden, aber in der
Krankheit ſchrieb ich ſo gelaͤuſig in Verſen, als in
Proſa. Ich war perſchmizt, ſogar boshaft,
und fruchtbar an Huͤlfsmitteln aller Art. *)‟ Auch
bey den Somnambuͤlen, in denen waͤhrend der Kriſe
eine aͤhnliche Erweiterung jener engen Grenzen, ein
aͤhnliches Aufheben jener Scheidewand ſtatt findet,
nur daß ſich bey ihnen das Gehirn nicht negativ wie
im Wahnfinn und Schlaf, ſondern poſitiv verhaͤlt,
wird jenes Wonnegefuͤhl bemerkt, beſonders im hoͤchſten
Grade, in dem Zuſtand der Entzuͤckung, wodurch jene
Schranken ſo vollkommen aufgehoben werden, daß
die empfangenen Ruͤhrungen ſelbſt noch mit ins Wa-
chen uͤbergehen.
Jene Aufhebung der gewoͤhnlichen Schranken
und Vereinigung beyder Syſteme pflegt insgemein
durch eine ganz vorzuͤglich erhoͤhte Thaͤtigkeit des ei-
nen von beyden zu geſchehen, und im Rauſche, im
Somnambulismus, im Zuſtande der hoͤchſten Freude
u. a. durch Erhoͤhung der Thaͤtigkeit im Ganglienſy-
ſtem, im Zuſtande des erhoͤhten Erkennens, durch
Er-
[151] Erhebung des hoͤheren Seelenvermoͤgens. In beyden
Faͤllen aber kommt das geſteigerte Gefuͤhl aus und
vermittelſt dem Ganglienſyſtem in unſere Seele. Je-
nes iſt uͤberhaupt, wie ſchon geſagt, Organ des Er-
kennens, und zwar in dem fruͤher erwaͤhnten doppel-
ten Sinne, Organ des koͤrperlichen Erkennens oder
Erzeugens und des geiſtigen Erkennens. Die Erkennt-
nißkraͤfte ſind ſchon im Somnambulismus, ja im
Rauſche geſteigert, und fruͤh nuͤchtern, wenn die pſy-
chiſche Erkenntnißkraft des Ganglienſyſtemes noch nicht
in dem Geſchaͤfte der Verdauung erloſchen iſt, fuͤhlet
ſich unſer geiſtiges Erkenntnißvermoͤgen am freyeſten,
am erweitertſten und vollkommenſten und im Gegen-
theil fuͤhlet es ſich durch die entgegengeſetzten koͤrper-
lichen Zuſtaͤnde im hoͤchſten Grade beſchraͤnkt und ver-
engert. Der Unterſchied zwiſchen einem großen Ta-
lent und einem ſehr beſchraͤnkten, ſcheinet bloß davon
abzuhaͤngen, daß bey jenem der Wille mehr Gewalt
uͤber die Region des Ganglienſyſtems hat, und dieſe
wieder eine leichtere Zuruͤckwirkung auf das Gehirn,
waͤhrend bey einem beſchraͤnkten Talent, jene Commu-
nikation erſchwerter iſt. Daher wird Bloͤdſinn ſo oft
durch Bewegung in freyer Luft, durch Verwundun-
gen, beſonders am Kopfe, und andere Einwirkungen,
welche jene Communikation erleichtern, gehoben. Die
Somnambuͤlen ſagen faſt einmuͤthig aus, daß ſie jene
fruͤher erwaͤhnten hoͤheren Erkenntniſſe, das Verſtehen
fremder Gedanken, die prophetiſchen Blicke in die
Ferne, und in die eigene oder fremde Zukunft und Ver-
gangenheit, die helle Ueberſicht uͤber eine naͤhere oder
fernere Koͤrperwelt und die Einſicht in den inneren Um-
trieb ihrer Kraͤfte, vermittelſt der Herzgrube, d. h.
mit-
[152] mittelſt des Ganglienſyſtemes empfangen, und nicht auf
dem gewoͤhnlichen Wege der ſinnlichen Erkenntniſſe.
Jenes Syſtem iſt uͤberhaupt das einzige Organ fuͤr
alle Erkenntniſſe, welche außerhalb der engen Schran-
ken der gewoͤhnlichen Sinnlichkeit liegen, *) und wenn
in gewiſſen Zuſtaͤnden dem Menſchen, ſelbſt noch waͤh-
rend des jetzigen Lebens Blicke in eine hoͤhere geiſtige
Region oder ins innerſte und verborgenſte Geheimniß
eines fremden Herzens, das Errathen und deutliche
Wiſſen fremder Gedanken und Geſinnungen gelingt
**), ſo wird dieſes auch nur dadurch moͤglich, daß die
Seele das im jetzigen Leben meiſt fuͤr ſie verloren ge-
gangene und im niederen Geſchaͤfte befangene Organ
eines hoͤheren und geiſtigeren Erkennens von neuem wie-
der empfaͤngt, ein Gluͤck, welches, ſo ſelten es iſt, den-
noch von Einigen fuͤr eine beſtaͤndige Furcht unſerer rein-
ſten und hoͤchſten Beſtrebungen gehalten wird. ***)
Wenn
[153]
Wenn demnach alle unſere Erkenntniſſe und Er-
innerungen ihr Reich im Ganglienſyſtem haben, ſo
wird jene an Greiſen und nach manchen Nervenkran-
ken bemerkte Erſcheinung des ſcheinbar gaͤnzlichen Ver-
ſchwindens, und oftmals ploͤtzlichen Wiederkehrens un-
ſerer Kenntniſſe und Erinnerungen leicht begreiflich
ſeyn. Ueberhaupt iſt jede Erinnerung nichts anders,
als eine bald mehr bald minder willkuͤhrliche Wieder-
erneuerung der gehabten Ruͤhrungen und Empfindun-
gen. Wenn ſich nun bey zunehmendem Alter und
durch andere Umſtaͤnde jene um das Cerebralſyſtem
gezogene Schranke immer mehr verengert, wenn das
Gebiet der Empfindungen — das Ganglienſyſtem,
welches in der Gefuͤhls- und Empfindungsreichen Zeit
der Jugend demſelben noch ungleich zugaͤnglicher war,
immer mehr fuͤr den Einfluß des Willens ſich verſchließt:
ſo gelingen auch jene Wiedererneuerungen der gehab-
ten Ruͤhrungen des inneren Sinnes nicht mehr, un-
ſere Erinnerungen und Kenntniſſe ſind uns zwar nicht
verloren, aber ſie ſind fuͤr uns unzugaͤnglich und ver-
ſchloſſen. Aber ſchon der Traum, ploͤtzliche Freude, noch
mehr der dem Tode haͤufig vorhergehende Zuſtand,
ſtellt die unterbrochene Verbindung auf einmal her.
Uebrigens belehrt uns jene oͤfters bis zum hoͤchſten
Grade gehende Verengerung und Beſchraͤnkung des
Erkenntnißkreifes, was die von Vielen uͤber Gebuͤbr
verachtete Region des Gefuͤhles und der groͤberen Koͤr-
perlichkeit uns ſey: der muͤtterliche Erdboden oder
Mutterleib, dem wir die Frucht unſerer Bemuͤhungen
und Forſchungen, aller Kaͤmpfe und freywilligen Ent-
ſagungen, alle erlernte Fertigkeiten im Guten und
Schlimmen, ja die meiſten Keime eines neuen, hoͤhe-
ren
[154] ren Daſeyns anvertrauen. — Der Wurm einiger In-
ſekten pflegt, wenn er ſich in ſeinem engen Gehaͤuſe
zur hoͤhern Verwandlung anſchickt, ſich auf eine be-
wundernswuͤrdige Weiſe umzukehren, was unten war,
wird jetzt oben — der neue Vogel Phoͤnix entſteht
nach der alten Sage aus einem Wurm, und im muͤt-
terlichen Koͤrper bildet ſich das neue Leben, mitten
zwiſchen den Staͤtten des Moders und des Todes. —
Nach einer andern, vielfaͤltig veraͤnderten Sage, ge-
ſchieht die Bildung der neuen himmliſchen Natur und
die Auferſtehung des Leibes aus dem im bisherigen
Zuſtande unſcheinbaren und unwerthen Beinchen Lus. *)
Wir nehmen nun hier den Faden, deſſen Zu-
ſammenhang durch jene phyſiologiſchen Eroͤrterungen
vielleicht um etwas klarer geworden, wieder auf. Der
Stimmnerve und der ganze mit ihm verbundene Kreis
der Sprachorgane, gehoͤret zu einem Syſteme unſers
Koͤrpers; deſſen Geſchaͤft jenes des ſchaffenden Wortes
iſt — eine ganze ihm untergeordnete kleine Welt zu
erzeugen und zu bilden. Wenn auch dieſer Kreis ſehr
verengert iſt, ſo zeigen uns doch mehrere Erſcheinun-
gen, unter andern jene pſychiſche Gewalt welche der
Magnetiſeur uͤber die ganz von ihm verſchiedene Perſon
der Somnambuͤle, noch mehr jene, welche der Menſch
in gewiſſen Faͤllen uͤber die ganze ihn umgebende Na-
tur ausuͤbt **), daß das Ganglienſyſtem, ſo wie es noch
jetzt
[155] jetzt der Sinn iſt, auf welchen alle Einfluͤſſe einer hoͤ-
heren geiſtigen Region einwirken, auch urſpruͤnglich
das Organ ſey, durch welches der Menſch bildend und
veraͤndernd auf die ihm umgebende Natur einwirken
konnte. Sobald in verſchiedenen koͤrperlich - geiſtigen
Zuſtaͤnden, die eigenthuͤmliche Natur des Ganglien-
ſyſtemes anfaͤngt zu erwachen, ſehen wir dieſelbe we-
nigſtens noch im ſchwachen Schatten, ihr altes und
urſpruͤngliches Geſchaͤft treiben. Der Traum, der
Somnambulismus, die Begeiſterung und alle erhoͤh-
ten Zuſtaͤnde unſerer bildenden Natur, fuͤhren uns in
ſchoͤne, noch nie geſehene Gegenden, in eine neue und
ſelbſterſchaffene, reiche und erhabene Natur, in eine
Welt voller Bilder und Geſtalten. *) Aber jene
Gebilde ſind nur ein armer Nachhall des anfaͤnglichen
Vermoͤgens. Ein großer Kuͤnſtler, der jetzt in einem
engen Kerker an Ketten geſchloſſen, alles Materials
ſeiner ehehin mit Ruhm ausgeuͤbten Kunſt beraubt iſt,
verraͤth das innere Verlangen nach angemeſſener Be-
ſchaͤftigung und den eingepflanzten Kunſttrieb we-
nigſtens noch dadurch, daß er Geſtalten aus Brod-
teig bildet, die ihm der naͤchſt folgende Augenblick
wieder zerbricht, und mit ſeiner Kette, ſtatt des ihm
genommenen Pinſels, in den Staub mahlet, den der
naͤchſte Morgen wieder verweht. — Von allen jenen
Kraͤf-
[156] Kraͤften welche das Ganglienſyſtem oder vielmehr die
in ihm wirkende bildende Seele beſeſſen, ſtatt jener
goͤttlichen Sprache, deren Worte die Gegenſtaͤnde der
aͤußeren Natur, deren ewiger Inhalt Gott und die
Liebe des Menſchenherzens zu Ihm geweſen, iſt uns
nur noch ein Laut ohne Weſen und Koͤrper, ein nicht
mehr bildendes und ſchaffendes, ſondern ohnmaͤchtiges
und kraftloſes Wort, die Stimme und die gemeine
Woͤrterſprache uͤbrig geblieben. Jene Echo, die taͤu-
ſchende, als ſie gegen den in ſeiner eigenen Liebe
befangenen Narciß entzuͤndet worden, verzehrt ſich
ſelber in ungluͤcklicher Neiguug, und wird eine koͤr-
perloſe Stimme — ein armer Nachhall.
Wenn ſchon in den Zuſtaͤnden eines erhoͤhten Er-
kennens einzelne gottgeweihte Maͤnner dahin gelangten,
daß ſie in der Seele Anderer zu leſen, noch nicht
ausgeſprochene Gedanken zu beantworten vermochten,
daß ſie „wußten, was im Menſchen war,‟ wie Der,
durch deſſen Huͤlfe ſie jene Kraſt erlangten *): ſo laͤßt
ſich noch vielmehr in einem kuͤnftigen hoͤheren Zuſtan-
de eine Sprache der Seelen erwarten, worinnen ſie ſich
die Gedanken und Empfindungen auf eine andere und
wirkſamere Weiſe mittheilen, als durch Worte. Ob-
gleich unſerm Weſen von jenem weiten Kreiſe einer
geiſtigen liebenden Wirkſamkeit, der eine ganze Welt
in ſich faßte, nur noch ein kleiner, enger Bezirk
uͤbrig geblieben, ſo iſt es dennoch dieſer enge Bezirk,
inner-
[157] innerhalb welchem ſich noch jetzt die hoͤchſten Wun-
der unſerer Natur entſalten. Wir wollen ihn mit
einem andern, mit ſeinem eigentlichen Namen nen-
nen: jener gefallene, in die Materie befangene Phos-
phorus unſers Weſens, iſt nichts anders als die Faͤ-
higkeit deſſelben zu lieben. Nur der Liebe in uns
offenbart ſich die hoͤhere geiſtige Region, nur die Lie-
be vermag, wenn ſie ſich von dem ihrer unwuͤrdigen
Gegenſtand zu einem hoͤheren und wuͤrdigeren erhebt,
das zu erkennen, was uͤber den engen Kreis des jetzi-
gen Daſeyns hinausliegt. Und unſre Liebe allein,
und das was ſie in ihrem bald weiteren, bald enge-
ren Kreis aufgenommen, geht mit uns hinuͤber.
Die Sprache der ewigen, goͤttlichen Liebe, mit
der liebenden Faͤhigkeit im Menſchen, war nach dem
Vorhergehenden das als aͤußere Natur geoffenbarte
Wort. Und dieſes Wort, in der Bilder- und Ge-
fuͤhlsſprache (des Traumes, der Begeiſterung) prophe-
tiſcher Weihe, iſt noch jetzt die Sprache der hoͤheren
Liebe mit unſerer liebenden Seele, die eine ganze
Welt von lebendigen Geſtalten und Gefuͤhlen zum
Ausdruck ihres Sehnens erwachet.
Aber die liebende Faͤhigkeit im Menſchen hat
ſich von ihrem urſpruͤnglichen Gegenſtand entfernt, und
ihr unvergaͤngliches Sehnen auf einen vergaͤnglichen
Vorwurf gerichtet. Wie der natuͤrliche Schlaf, ein
Bild des Todes, dadurch entſteht, daß die in mate-
rieller Bildung befangene Ganglienthaͤtigkeit (der ſchla-
fende Phosphorus) dieſe ihr eigenthuͤmliche Befan-
genheit und Laͤhmung periodiſch auf das Cerebralſy-
ſtem
[158] ſtem uͤbertraͤgt, ſo iſt Phosphorus ſelber durch die
Materie der er ſich zugeſellet, von jenem Schlaf in
dem er befangen, angeſteckt worden. Nach einem al-
ten Spruche wird naͤmlich das Erkennende mit dem
Erkannten Ein Leib, Ein Weſen. Die Materie, an
welche jene Liebe in uns ſich gefeſſelt, hat, wie ſie
an ſich ſich ſelber blind und bewußtlos war, und
bloß durch das, was ſie dem hoͤheren Sinn bedeute-
te, Weſenheit gewann, dem Phosphorus der ſich lie-
bend zu ihr geſellte, ihre eigene Blindheit mitgetheilt.
Jener Theil unſeres Weſens, welcher an ſich we-
der zu lieben noch zu haſſen vermag, ſondern dem ru-
higen Selbſtbewußtſeyn dienet, hat bey der alten,
traurigen Kataſtrophe am wenigſten gelitten, und das
Cerebralſyſtem, jedoch ſeines urſpruͤnglichen Organes
beraubt, iſt der urſpruͤnglichen geiſtigen Beſtimmung
auch noch im jetzigen Zuſtande getreu. Aber wie ein
aus einer ſchweren Nervenkrankheit Geneſener, deſſen
Kraͤfte jetzt alle nur der Wiederherſtellung des Leibes
dienen, von dem weiten Kreiſe ehemaliger Kenutniſſe
und Fertigkeiten, nur noch eiden engen, dumpfen, ei-
nes dunklen, ungewiſſen Bewußtſeyns uͤbrig behaͤlt,
ſo iſt auch der jetzige Zuſtand unſers, mit ſeinen be-
ſten Kraͤften (mit ſeiner Liebe) in materieller Bil-
dung befangenen Weſens, nur ein Schatten des fruͤ-
heren. Das volle Bewußtſeyn und der ganze Ge-
brauch der geiſtigen Kraͤfte kehrt Jenem bey der Wie-
dergeneſung zuruͤck, und auch der Menſch vermag
ſchon in den Grenzen des jetzigen Daſeyns einen gro-
ßen Theil der verlorenen Kraͤfte wieder zu gewinnen.
In gewiſſen Faͤllen iſt ſelber die fruͤher erwaͤhnte Be-
ſchraͤnkt-
[159] ſchraͤnktheit des hohen Alters ein Zeichen, daß alle
Anlagen unſers Weſens Liebe geworden, in Liebe ſich
verwandelt, und daß nun das Fahrzeug, das nicht
mehr in dem beſchraͤnkten Kreiſe unſerer Willkuͤhr liegt,
flott zu werden anfange. Wie die Seele des Foͤtus
im Mutterleibe, ganz im Geſchaͤft der Bildung ihres
Organes befangen, bewußtlos ſchlummert, ſo die See-
le der Alten, wenn in ihrem Innern der Foͤtus des
neuen hoͤheren Daſeyns ſich zu bilden anfaͤngt.
Sobald in dem der urſpruͤnglichen geiſtigeren Be-
ſtimmung noch getreu gebliebenen Cerebralſyſtem, wel-
ches bloß duͤrch den Schlaf mit der Materie ſich ver-
miſchet, das Bewußtſeyn jener Beſtimmung erwachet,
ſiehet ſich daſſelbe in einem ſteten Widerſpruch mit ſei-
ner eigenen Natur. Der eine Theil ſeines Weſens
ſpricht eine Sprache (die des blinden materiellen Be-
duͤrfniſſes), welche das geiſtige Organ nicht verſteht,
und wiederum verſteht jenes nicht die Sprache des
geiſtigen Sinnes. Durch dieſe babyloniſche Sprachen-
verwirrung, da keines das andere verſteht, ſind beyde
zu einander gehoͤrige Haͤlften ſich gegenſeitig unver-
ſtaͤndlich, keine vernimmt die andre, und hierin liegt
der Grund der fruͤher erwaͤhnten Iſolation.
Ueberhaupt verſtehen wir, wie ſchon oben geſagt,
nur das, was in dem Kreiſe unſerer Neigungen, un-
ſerer Liebe liegt, und zwey Weſen von ganz verſchie-
denartigen Neigungen, ſind ſich gegenſeitig ganz un-
verſtaͤndlich — bemerken ſich gar nicht. Die Mag-
netnadel wird durch jeden in ihre Naͤhe gebrachten
Magnet oder jedes Stuͤckchen Eiſen, ſtark afficirt,
kaum
[160] kaum merklich durch einen elektriſchen Koͤrper, und
ein ploͤtzlich auf ſie einfallender Lichtſtrahl, ſo wie ein
naher Ton, der doch verwandte Saiten ſtark in Be-
wegung ſetzt, ſcheinen gar keinen unmittelbaren Ein-
fluß auf ſie zu haben; eben ſo weuig als im organiſchen
Koͤrper der Geſichtsſinn Toͤne, das Gehoͤr Farben ver-
nimmt; eine einfache Parallele, welche zum Theil von
den Phyſikern uͤberſehen worden. Schon Weſen von
Einer und derſelben, oder von nahe verwandter Gat-
tung und Anlage, aber von verſchiedener Neigung,
verſtehen ſich gegenſeitig nicht; z. B. die Bruthenne
verſteht nicht die Neigung der jungen unter ihren Kuͤ-
chelchen befindlichen Ente zum Waſſer; der gemeine,
geldgierige Sinn verſteht nicht den poetiſchen; der boͤſe
Menſch nicht den Guten. Mit andern Worten: nur
Weſen, die ſich in Beziehung auf ihre Neigungen ver-
wandt ſind, vermoͤgen auf einander zu wirken, und
wenn in irgend einem, ſonſt dem Cerebralſyſtem un-
tergeordneten, willkuͤhrlich beweglichen Theile durch ei-
nen Umſtand die bildende oder zerſtoͤrende Ganglien-
thaͤtigkeit das Uebergewicht bekommt, wird dieſer Theil
willkuͤhrlich unbeweglich — erſcheint gelaͤhmt. Auf
dieſe Weiſe ſind ſich auch das in materieller Bildung
befangene Ganglienſyſtem, und das pſychiſch thaͤtige
Gehirn, gegenſeitig unverſtaͤndlich, ſind gegenſeitig
von einander iſolirt.
Betrachten wir den Organismus bloß innerhalb
der Grenzen der Thierheit, ſo erſcheinen an ihm das
Gehirn und die Sinne als jener Theil, der an dem
Geſchaͤfte der materiellen Koͤrperbildung, auf welches
doch im Thiere alles hinfuͤhrt, keinen unmittelbaren
An-
[161] Antheil nimmt. Ernaͤhrung, Bildung, und Wachs-
thum haͤngen bloß von den Organen des Ganglienſy-
ſtemes — Gedaͤrmen, Gefaͤßen u. a. ab, und die Or-
gane des Cerebralſyſtemes bleiben dabey muͤßig. Das
letztere Syſtem iſt daher jener Theil der thieriſchen Na-
tur, der noch nicht, wie der bildende Trieb, in mate-
rieller Wirkſamkeit befangen, von dieſer noch nicht
eingenommen, ungefaͤttigt, als reine Empfaͤnglichkeit
fuͤr jeden mit der eigenthuͤmlichen Neigung
des Weſens verwandten Gegenſtand zuruͤckbleibt,
wie bey der nicht ganz geſaͤttigten Verbindung einer
Saͤure mit einem Kali, der noch ungeſaͤttigte Antheil
der Saͤure. Bey dem Thiere, deſſen Neigung bloß
die Materie zum Vorwurf hat, reicht indeſſen auch
jene noch unbefangene Empfaͤnglichkeit, welche ihren
Sitz im Cerebralſyſteme hat, nicht uͤber den Kreis
des materiellen Beduͤrfniſſes hinaus, waͤhrend im Men-
ſchen, deſſen Neigung urſpruͤnglich hoͤherer Natur iſt,
noch eine Empfaͤnglichkeit fuͤr etwas Hoͤheres, unge-
ſaͤttigt durch alles bloß materielle Wirken und Genie-
ßen, zuruͤckbleibt. Die Vernunft iſt in dieſem Sinne
ein Vernehmen der Sprache einer hoͤheren Ordnung
— der Stimme einer hoͤheren Urſache alles Seyns,
und das mitten in dem Meere materieller Genuͤſſe frey
gebliebene Geiſtige erhebt ſich als Selbſtbewußt-
ſeyn uͤber die Beſonderheit. Wenn der Wahnſinn
nach dem Vorhergehenden vielfaͤltig in einem catalepti-
ſchen Stillſtehen aller Seelenthaͤtigkeit, in einem Hin-
ſtarren nach Einem geiſtigen Punkte beſtehet *) und
11wenn
[162] wenn es dagegen meiſt ſchon ein Vorzeichen naher
Geneſung iſt, wenn ſich die Seele von ihrer fixen
Idee auf andre Gegenſtaͤnde hinwegbringen laͤſſet:
ſo beſtehet jene Gemuͤthskrankheit in einem Aufhoͤren
der eben erwaͤhnten geiſtigen Empfaͤnglichkeit, welche
bey ihr ganz in dem Kreiſe materieller Wirkſamkeit
und Neigungen befangen und geſaͤttigt iſt.
Jener empfaͤngliche, in dem Kreis der materiel-
len Neigungen nicht mit befangene Theil unſers We-
ſens iſt es, welcher auch allein einer hoͤheren Liebe
als die zu dem Materiellen, noch zugaͤnglich und of-
fen iſt. Je mehr aber jener Theil von einer geiſti-
gen (guten oder boͤſen) Wirkſamkeit ergriffen worden,
deſto mehr ſcheidet er ſich von dem bloß in materiel-
ler Wirkſamkeit befangenen Ganglienſyſtem. Daher
nimmt die Scheidung beyder Syſteme durch Kultur
des Geiſtes bis zu einer gewiſſen Graͤnze zu, und der
wilde Naturmenſch (noch mehr das Thier) iſt fuͤr die
Ruͤhrungen des Ganglienſyſtemes und fuͤr die Strah-
len ſeines natuͤrlichen Lichtes (Inſtinkt, Vor- und
Ferngefuͤhl) noch viel offener als der gebildete Euro-
paͤer. Bey jenem ſind ſich beyde Syſteme in Hinſicht
ihrer Neigung und Wirkſamkeit naͤher verwandt —
verſtaͤndlicher. Die Region des Ganglienſyſtemes
bleibt bey ihm dem Willen zugaͤnglicher und um-
gekehrt accordiren die Regungen der Gefuͤhlsregion
mehr
*)
[163] mehr mit den Regungen des Cerebralſyſtemes, ſchließen
ſich dem Kreiſe des Selbſtbewußtſeyns naͤher an,
weßhalb auch die wilden Indianer niemals dem
Wahnſinn ausgeſetzt ſind.
Obgleich aber auf der einen Seite die Iſolation
zwiſchen beyden Syſtemen durch Kultur des Selbſt-
bewußtſeyns bis zu einer gewiſſen Grenze zunimmt,
ſo verſchwindet ſie dagegen jenſeits dieſer Grenze gaͤnz-
lich. Wenn naͤmlich die Region unſerer bisher ſinn-
lichen und materiellen Neigungen erſt gaͤnzlich von ei-
ner hoͤheren und geiſtigen Liebe erfuͤllt iſt, wenn jene
materielle Beſchraͤnkung, die der ſelbſtſuͤchtige Trieb
ſich geſchaffen, durch eine der Selbſtſucht ganz entge-
gengeſetzte Neigung wieder aufgeloͤst worden, dann
wird auch das in Hinſicht ſeiner Neigung veredelte
und vergeiſtigte Gebiet des Ganglienſyſtemes, dem
hoͤheren Gebiet wieder gleichartig, die Schranke zwi-
ſchen beyden faͤllt nun hinweg, jene Iſolation hoͤrt
auf, und der Wille empfaͤngt von neuem den Gebrauch
ſeiner hoͤchſten, bisher fuͤr ihn unbrauchbar und wie
verloren geweſenen Kraͤfte zuruͤck. Und wenn auch
dieſe Wiedervereinigung unſrer im jetzigen Zuſtande ge-
trennten Natur nur ſelten durch jene Mittel noch im
jetzigen Daſeyn gelingt, ſo wird uns doch das hoͤchſte
Bemuͤhen unſerer Natur in einem kuͤnftigen Daſeyn
ſeine hoͤchſte Frucht tragen. Denn allerdings iſt es
der groͤßere, wichtigere Theil der Kraͤfte unſerer gei-
ſtigen Natur, welcher gewoͤhnlich in der Materie be-
fangen — gebunden iſt, und wir ſehen, daß, ſobald
er durch krankhafte Zuſtaͤnde (z. B. im Wahnſinn)
befreyt, ſeine pſychiſche Natur zuruͤckempfaͤngt, und
nun
[164] nun vermoͤge dem Geſetz der Gleichartigkeit auf das
pſychiſch thaͤtige Cerebralſyſtem vollkommener zu wirken
vermag, er dieſes unaufhaltſam mit ſich fortreiße, in
den Kreis ſeiner Neigungen.
Ueber jene Grenze der gewoͤhnlich ſogenannten
Kultur hinuͤber, beginnt dann erſt eine wahre, hoͤhere
(auch dem Naturmenſchen unmittelbar zugaͤngliche)
moraliſche Kultur, in welcher das wichtigſte Geſchaͤft
unſeres jetzigen Daſeyns beſtehet. Das ganze Gebiet
der Gefuͤhle, der Traumſprache und der Natur, er-
ſcheint uns hier in einer neuen hoͤheren Beziehung,
in welcher es uns nun der naͤchſte Abſchnitt ſoll ken-
nen lehren.
[165]
7. Der Deus ex Machina.
Wir haben im Vorhergehenden zugegeben, daß die
ganze Region unſerer Gefuͤhle von zweydeutiger Natur
ſey und daß uns gerade mitten im Gluͤcke ſelbſt un-
ſerer hoͤchſten und geiſtigſten Genuͤſſe, Regungen von
ganz entgegengeſetzter Natur am leichteſten beſchleichen.
Nur gar zu oft nimmt in der Zeit unſerer lebhafte-
ſten jugendlichen Gefuͤhle, eine Zuneigung der Ge-
ſchlechter, die Maske religioͤſer Gefuͤhle an; ein leicht
getaͤuſchtes Gemuͤth haͤlt ſein unbefriedigtes Sehnen
fuͤr eine Liebe hoͤherer und goͤttlicher Art, und der
ſchoͤne Schein verſchwindet, wenn jenes Sehnen ſei-
nen laͤngſt geliebten Gegenſtand empfangen. *) Es
ſind daher jene ſogenannten Erweckungen, welche in
der Zeit der lebhaften Jugend geſchehen, nur ſelten
von langer Ausdauer, um ſo weniger, je auffallender
und glaͤnzender die Erſcheinungen dabey geweſen **);
der beſſere Sinn ſcheint nicht eigentlich erwacht ge-
weſen zu ſeyn, ſondern nur im Schlafe geſprochen zu
haben, und der alte Zuſtand des ruhigen Schlafes
tritt um ſo feſter wieder ein, ſobald jene Zeit der
lebhafteſten Neigungen und Empfindungen vorbey iſt.
Jene
[166] Jene fromme Seelen, welche eine ganz beſondere Leb-
haftigkeit und Innigkeit ihres Gemuͤths, vorzuͤglich
oft in die Tiefe eines religioͤſen Entzuͤckens hingeriſſen,
waren, wie ſchon erwaͤhnt, auf der andern Seite auch
gerade am meiſten den Qualen der heftigſten ſinnli-
chen Verſuchungen ausgeſetzt *) oder auf jenes Ent-
zuͤcken folgte eine bis zur tiefſten Ohnmacht gehende
Duͤrre und Verlaſſung von allem geiſtigen Gefuͤhl. **)
Eben ſo iſt es von einer andern Seite gewiß,
daß nur gar zu oft das oͤftere Schwelgen ſelbſt in
den hoͤchſten und geiſtigſten Genuͤſſen, der vorzuͤglich-
ſte Stoff zu jenem ſchlimmſten Hochmuth iſt, welcher
ſich fuͤr heiliger und beſſer haͤlt, als alle andre, ſei-
nen Weg fuͤr den einzig guten, und welcher jeden an-
deren Weg verdammet; eine Quelle jenes Fanatis-
mus, der, bis nahe an unſere Zeiten, tauſend Un-
ſchuldige und Beſſere hingeopfert. ***)
Je-
[167]
Jener Weg der moraliſchen Vollendung, welcher
fortwaͤhrend durch lauter heftige, wenn auch nicht
durchaus liebliche Gefuͤhle geht, iſt daher wenigſtens
fuͤr die Meiſten ein gefaͤhrlicher und unſicherer, und
ein großer Mann in deſſen eigenen Lebensſchickſalen
uͤberall ſchnelle Uebergaͤnge, gewaltſame Entwickelun-
gen und wunderbare Fuͤhrungen gefunden werden und
eine ganz beſondere Heftigkeit und Lebhaftigkeit der
Gefuͤhle, wirkte Zwar auch unter ſeinen Schuͤlern ge-
waltige Entwickelungen und ſchnelle ſcheinbar tiefe
Sinnesaͤnderungen, aber er mußte zugleich auch er-
fahren, daß alle, außer Einem, deſſen ſtarke Natur
jenem gewaltſamen Wege gewachſen war, aufs Ent-
ſetzlichſte zuruͤckfielen und ſich von dem Hoͤchſten ge-
rade aufs Niedrigſte — auf Diebſtahl, Luͤgen, Selbſt-
mord u. dgl. wendeten. *) Mit Recht wird daher von
ernſter Geſinnten der Weg, auch der geiſtigen Ar-
muth und ſtillen Entbehrung: jener koͤnigliche Weg
des Kreuzes wie ihn Einige nennen, **) fuͤr ſicherer
gehalten als der Weg des geiſtigen Genuſſes, und ein
gewiſſer heiliger Mann, ſpricht ſelbſt ernſt und ent-
ſchieden gegen jene Thraͤnen und Seuſzer, und gegen
alle, auch die leiſeſten aͤußeren Bewegungen, welche
ein ganz in Gott verſunkenes Gefuͤhl, ihm ſelber un-
bewußt verrathen. ***)
Und
[168]
Und dennoch erſchien uns im Vorhergehenden die
Region unſerer Gefuͤhle als der bergende und bildende
Mutterleib, worinnen der Foͤtus eines neuen, hoͤhe-
ren Daſeyns in Freud’ und Leid empfangen und aus-
gebildet wird. In der That die immer mißlungenen
und mißlingenden Verſuche unſerer Moraliſten zeigen
uns zur Genuͤge, daß der Menſch durch ihr kaltes
verſtaͤndiges Gewaͤſch weder erzogen noch gebeſſert wer-
den koͤnne, und wenn nicht der gute Wille eines ein-
faͤltigen nach Wahrheit ſuchenden Gemuͤthes dieſes
ſchon an ſich ſelber veredelte und beſſerte, koͤnnte man
zugeben, daß es oͤfters vortheilhafter ſey, Moral von
der Buͤhne als von unſern Kanzeln zu vernehmen.
Der Erinnerung bleiben uͤberhaupt nur ſolche empfan-
gene Eindruͤcke getreu, welche auf den Kreis unſerer
Neigungen (Gefuͤhle) wirkten, aus dieſem Kreiſe ge-
hen alle unſre Entſchluͤſſe und Handlungen hervor, in
ihm wurzeln unſre Geſinnungen; und nicht bloß der
ganze koͤrperliche ſondern auch der geiſtige Menſch
wird in und aus jenem Kreiſe gebildet. Der Starke
wird nur durch einen Staͤrkeren bezwungen, die
ſchwaͤchſte unſerer ſinnlichen Neigungen iſt ſtaͤrker als
das ſtaͤrkſte verſtaͤndige Raͤſonnement, das bloß aufs
innere Gehoͤr, nicht aufs Herz wirkt, und der Menſch
wird nur dadurch gebeſſert, daß eine hoͤhere und edle-
re Liebe von ſeinen Neigungen Beſitz nimmt und die
unedlere und niedere verdraͤnget; nur dadurch, daß
das Licht einer hoͤheren Sonne den Schein der niede-
ren Funken ausloͤſcht.
In unſern Schauſpielen erfaͤhrt man oͤfters im
letzten Akte, daß auf einmal ein ungerathener Sohn,
ein
[169] ein ganz entarteter Gatte gebeſſert, ein alter Suͤnder
zum Tugendhaften umgewandt werde, und obgleich
ſolchen ſchnellen Aenderungen ſelten lange zu trauen,
wie uns, wenn wir hinter den Vorhang hinaus
blicken koͤnnten, der ſechste und ſiebente Akt lehren
wuͤrden; ſo iſt es doch gewiß, daß die innere Ge-
ſchichte des Menſchen reich an Beyſpielen einer faſt
auf einmal geſchehenden und uͤber das ganze Leben
hinaus unwandelbar fortwaͤhrenden Sinnesaͤnderung
ſey. Auch eine herzliche Liebe zwiſchen zwey fuͤr ein-
ander geeigneten Perſonen, entſteht oͤfters ſogleich in
den Augenblicken des erſten Sehens, und bringt in
einer einzigen entſcheidenden Stunde eine gaͤnzliche
Aenderung der Geſinnung hervor, indem alle andere
fruͤhere Neigungen durch dieſe ungleich ſtaͤrkere veraͤn-
dert oder verdraͤngt werden. Oder auch, eine lange
im Innern verhaltene, ſich ſelber unbekannt gebliebe-
ne Liebe, bricht zuletzt auf einmal in einer einzigen
gluͤcklichen Stunde unaufhaltſam hervor, *) ſetzet ſich
in Beſitz aller unſerer Kraͤfte, und faͤngt nun ſo-
gleich an, auf dieſe bildend und geſtaltend einzuwir-
ken. Auf dieſe Weiſe kann auch jene hoͤchſte Liebe,
deren Gegenſtand ein ſolcher iſt, daß in ihm ein ewi-
ges Sehnen ewig neue Befriedigung findet, und daß
ſeine unendliche Fuͤlle ſelbſt ein ewiger Genuß nicht zu
erſchoͤpfen vermag, auf einmal, in einer einzigen gro-
ßen Stunde ſich entzuͤnden, und nun auf immer in un-
ſerm Gemuͤth feſten Sitz faſſen; oder eine einzige gute
Stunde
[170] Stunde kann die bisher noch ſchwache und dem
Kampfe mit der Sinnlichkeit nicht gewachſene Nei-
gung aus ihrer Ohnmacht erwecken und auf immer
ſtaͤrken. Jene Liebe aber, nur einmal recht erwacht,
wirkt gar bald bildend und veredelnd auf den ganzen
Menſchen ein, und wie man von der gewoͤhnlichen
Liebe mit Recht behauptet, daß ſie zuweilen den Juͤng-
ling in einer einzigen Stunde zum Manne reife, ſo
wird es auch nicht befremden koͤnnen, daß dieſe Liebe
von ungleich hoͤherer Kraft, den Menſchen auf ein-
mal zu etwas ungleich Hoͤherem reife.
Hieher gehoͤren zuvoͤrderſt nicht jene ſogenannten
Sinnesaͤnderungen und Verwandlungen des Charak-
ters, die in etwas bloß zufaͤllig erſcheinenden Koͤrper-
lichem ihren Grund hatten, z. B. jener Fall, wo ein
Wahnſinniger, nachdem er durch einen Sturz das
Bein gebrochen und den Kopf verletzet, nun auf ein-
mal nicht bloß vernuͤnftig, ſondern auch von ſeinen
ehemaligen Unarten und ſchlechten Neigungen geheilt
erſchien, *) ein Fall, der ſchon aus dem Inhalt des
vorhergehenden Abſchnittes begreiflich ſeyn und in
ſeinem eigentlichen Lichte erſcheinen wird. Die bald
ganz im Geſchaͤft der materiellen Bildung befangene,
bald durch einen aͤußerlichen Zufall von ihren Schran-
ken befreyte ſinnliche Seele, kann einer und derſelben
indifferenten Natur bald einen beſſeren bald einen
ſchlim-
[171] ſchlimmeren moraliſchen Anſtrich geben, jene boͤſen
Neigungen und Regungen, welche aus einer uͤblen
Laune hervorgehen, werden oͤfters durch ein wenig
Wein oder eine leichte Bewegung in freyer Luft geho-
ben, und von dem gemeinen Troß der Menſchen wird
es ſich erſt jenſeit dieſes Lebens, wenn jene Schran-
ken brechen werden, wodurch die materielle Natur dem
jetzigen Daſeyn eine Bruͤcke uͤber einen tiefen Ab-
grund bauet, entſcheiden muͤſſen, ob ſie ihrer Grund-
neigung nach zu den Guten gehoͤren oder zu den Boͤ-
ſen. Sinnesaͤnderungen, die daher auf jene Weiſe
erfolgen, beſtehen in nichts anderem, als in einem mo-
mentanen Verſtecken der eigentlichen Grundneigung,
in einem Hineinziehen jener Klauen, die gar bald,
bey einer gegebenen Veranlaſſung wieder hervortreten
koͤnnen. Ein materielles Band hat ſie auf Augen-
blicke gefeſſelt, und ſobald daſſelbe hinweggenommen
worden, zeigen ſie ſich von neuem. Jene gleichſam
durch einen Ribbenſtoß moraliſch veraͤnderte Men-
ſchen, blieben uͤbrigens auch nach jener Veraͤnderung
noch im Grunde und in Hinſicht auf ihren Willen,
das was ſie zuvor geweſen — indifferente Naturen,
die an ſich weder gut noch boͤs, die alten Unarten auf
einmal unterließen, weil ſie die Neigung oder die Faͤ-
higkeit dazu verloren. In aͤhnlicher Manier ſind auch
Boͤſewichter, bey denen die innere Verdorbenheit und
Verkehrtheit uͤbrigens nicht bloß in thieriſcher Luſtbe-
gierde beſtanden, ploͤtzlich durch Caſtration; Brand-
weinſaͤufer, durch ein geſchickt beygebrachtes Brech-
mittel ſcheinbar ganz gebeſſert worden, und die hart-
naͤckigſten Moͤrder, die noch im Angeſicht des nahen
Todes, alle gutgemeinte Sorge eines geiſtlichen Va-
ters
[172] ters verachteten und kalt verſpotteten, machte wohl ein
einziger ſtarker Aderlaß auf einmal zahm und reuig.
Wenn indeſſen Tiſſot durch Veraͤnderung der
Diaͤt, z. B. durch Vertauſchung der Fleiſchkoſt mit
Pflanzenkoſt, bey welcher der moraliſch Kranke ſtand-
haft beharrte, einen zum heftigen Jaͤhzorn geneigten
Juͤngling von jener Aufwallung heilte, ſo iſt hierbey
jener Antheil nicht zu uͤberſehen, welchen der taͤglich
bey jener freywilligen Verſagung mitwirkende, ernſte
gute Wille an der phyſiſchen Kur hatte. Uebrigens
wird es wohl keinem Zweifel ausgeſetzt ſeyn, daß oͤf-
ters auch der Arzt einen ſchweren moraliſchen Kampf
mit der eigenen verdorbenen Neigung ſehr erleichtern
koͤnne, und daß uͤberhaupt der praktiſche Philoſoph in
mehr als einer Hinſicht auch die Kenntniſſe des leib-
lichen Arztes beſitzen muͤſſe.
Wir reden demnach hier nicht von jenen, ſchon
durch leichte aͤußerliche Mittel zu erreichenden ſchein-
baren Beſſerungen, wobey die Geſinnung eigentlich
dieſelbe bleibt, und nur die Gegenſtaͤnde irgend einer
verkehrten Neigung ihr gewoͤhnliches Intereſſe verlie-
ren, waͤhrend der verwoͤhnte Sinn gar bald wieder
eine andere eben ſo verkehrte Richtung nimmt; nicht
von jenen Remiſſionen und lichten Augenblicken, die
wohl die verdorbenſte Natur zuweilen, aus Abſtum-
pfung und Ueberdruß gegen den gewoͤhnlichen Reiz
zum Boͤſen haben kann, oder weil die zu ferneren
Ausſchweifungen noͤthigen Kraͤfte erſchoͤpft ſind, und
kein Ernſtgeſinnter wird ein dumpfes Phlegma, das
ſo oft eine Folge jener Erſchoͤpfung iſt, und dem nun
zuletzt
[173] zuletzt das Boͤſe eben ſo gleichguͤltig geworden, als
ihm das Gute ſchon laͤngſt geweſen, — fuͤr Tugend
halten. Vielmehr reden wir hier von jener Verwand-
lung des ganzen inneren Weſens, welche unveraͤnder-
lich durch das ganze Leben hindurch fortdauert, und
wodurch alle Neigungen des Menſchen auf einmal
eine neue, veredelte Richtung annehmen. Alle jene,
vorhin ſinnlichen Neigungen, zeigen ſich jetzt durch ei-
ne neue, hoͤhere Liebe, deren Gegenſtand ein geiſti-
ger und goͤttlicher iſt, verdraͤngt, und ſelbſt in jene
Naturen, die vorhin ganz Sclaven ihrer Sinnlichkeit
waren, gelangt der beſſere Wille auf einmal zur ſchwe-
ren Selbſtbeherrſchung. Eine ſolche Seele findet in
keinem Beſitz mehr Genuͤge, als in dem ihrer Liebe,
und dieſes Beſitzes gewiß, bleibt ſie bey allem andern
aͤußern und innern Wechſel ruhig, vermag wie jener
Koͤnig in Bettlerlumpen Gott zu loben, wenn ſie friert
und wenn ſie hungert *) und gern und froͤhlich em-
pfaͤngt ſie aus der Hand ihrer Liebe auch das Bitter-
ſte. Wie ſchon ein von ſinnlicher Liebe ergriffener
Menſch, mit ſeiner Neigung auch alles das umfaſſet,
was mit dem Gegenſtand ſeiner Liebe in Beziehung
ſteht und was dieſer in ſich begreift; ſo oͤffnet auf ei-
ne noch viel hoͤhere Weiſe die Liebe zu einem Ge-
genſtand, welcher die ganze Welt in ſich begreifet, das
Herz einer reinen Bruderliebe, die auch den herzlich
umfaßt, von dem ſie ſich gehaſſet weiß. Zugleich iſt
jene hoͤchſte Liebe ein Spiegel, worinnen die Seele
ſich
[174] ſich taͤglich ſelber betrachtet und erkennen lernt, was ſie
ohne ihre Liebe war und iſt. Hierdurch allein gelangt
der Menſch zu jener Selbſtverlaͤugnung, durch welche
er Andre von Herzen hoͤher zu achten vermag, als ſich
ſelber. Mit einem Worte, durch jene Liebe vermag
der Menſch Alles, auch das Ungewoͤhnlichſte und un-
moͤglichſt ſcheinende, in ihrem Lichte erkennt er Alles,
was ihm fruͤher dunkel war. Denn in der That,
ſchon die Verwandlung, welche unter dem Einfluß
jener Liebe, mit den erkennenden Kraͤften der Men-
ſchennatur vorgehet, ſetzt in Erſtaunen, denn hier
ſehen wir mehr als uns alle Erſcheinungen des Som-
nambulismus und das ganze hiermit verwandte Ge-
biet zuſammen zeigen koͤnnen. Dem unwiſſendſten
Layen werden in dieſem Zuſtande oͤfters Augen und
Mund geoͤffnet, Dinge klar zu erkennen und auszu-
ſprechen, in deren Tiefe kaum der gebilderſte Ver-
ſtand hineinblicket. Jener baͤueriſche Einſiedler *),
der anfangs in ſeinem ſtillen, abgelegenen Dorfe, dann
in einem einſamen Walde ſelbſt nicht einmal Gelegen-
heit gehabt hatte, ſich durch Umgang zu bilden, und
der nicht einmal leſen konnte, behielt zwar auch ſpaͤ-
ter, ſo lange bloß von Gegenſtaͤnden des gemeinen
Lebens die Rede war, eine große Unbeholfenheit und
Duͤrftigkeit des Ausdruckes, ſobald er aber von Ge-
gen-
[175] genſtaͤnden der Religion ſprach, war jene Unbehuͤlf-
lichkeit verſchwunden, ſein Ausdruck erhob und vere-
delte ſich ploͤtzlich, er ſprach, ohne es ſelbſt jemals zu
wiſſen, in Verſen. Hierbey verrieth er in ſeinem Um-
gange eine Liebe, ein Zartgefuͤhl, das von einer hoͤhern
Bildung zeugte, als die ſogenannte Bildung der Welt
iſt. Erkennen wir ſchon beym Zuſtande des Somnambu-
lismus Erſcheinungen aͤhnlicher Art an, wie viel weni-
ger ſollten ſie uns hier befremden. Es ſind bey wei-
tem noch nicht die hoͤchſten Erſcheinungen dieſer
Region!
Aber auf welche Weiſe, durch welche Mittel ge-
ſchieht dieſe Veraͤnderung? — In der That hier
erſcheint uns die Region der Gefuͤhle und der Sinn-
lichkeit in einer neuen hoͤheren Beziehung, und jene
ploͤtzliche Veraͤnderung begann allerdings jederzeit zu-
erſt durch Einfluͤſſe, welche die dunkle und verdaͤchtige
Welt der Gefuͤhle ſtark aufregten. Wenn auch ein
ſolches pſychiſches Freywerden eines vorhin gebunde-
nen, ſeiner Natur nach hoͤchſt zweydeutigen Vermoͤ-
gens, das nun auf einmal ſeinen Einfluß auf Be-
wußtſeyn und Willen wieder empfaͤngt *), nicht ohne
Gefahr iſt, ſo wird doch dieſe Gefahr dadurch ver-
mindert und zuletzt ganz aufgehoben, daß die vorhin
von ſinnlichen Gegenſtaͤnden ganz erfuͤllte und gefeſſel-
te Neigung, von einem andern hoͤhern Gegenſtand er-
grif-
[176] griffen wird, der auch ſeinerſeits ſich ihrer allmaͤhlig
ganz bemaͤchtigt, und ſie in ſeine eigene Natur ver-
wandelt.
Schon die gemeinere ſinnliche Liebe, beginnt gewoͤhn-
lich mit dem Gefuͤhl eines innigen Entzuͤckens, das
das Herz unwiderſtehlich in ihren magiſchen Kreis
hineinzieht. Auch jene hoͤhere Liebe beginnt meiſt mit
einem noch nie gefuͤhlten Entzuͤcken, deſſen Veranlaſ-
ſung oͤfters ganz dunkel iſt. So wurde ein lebhafter,
ſinnlich froͤhlicher Juͤngling *), als er einſt mit gleich-
geſinnten Gefaͤhrten, jugendlich munter im Freyen gieng,
ploͤtzlich von jenem Entzuͤcken einer himmliſchen Liebe
ergriffen, ſo daß er wie angewurzelt ſtehen blieb, den
Spott ſeiner Begleiter nicht mehr vernahm, und von
nun an Kraft erhielt, ſelner Liebe ganz zu leben, ihr
Alles — Vermoͤgen, Stand, Freunde aufzuopfern,
um ihretwillen Hunger und Bloͤße und Mißhandlun-
gen zu erdulden. —
Einen Andern ergreift jenes Entzuͤcken ploͤtzlich
beym Leſen und hierauf im Gebet **). Jemand wurde
bey dem Anblick eines blaͤtterloſen Baumes, in ſeinem
achtzehnten Jahre von einer ſo tiefen Erleuchtung er-
fuͤllt, daß er von nun an ſein ganzes Leben ver-
aͤnderte und daß dieſe Geſinnung bis ans Ende ſeines
Le-
[177] Lebens andauerte *), und dieſelbe Wirkung brachte in
andern Faͤllen der Anblick eines betenden Wilden, ja
bey einer heiligen Seele in fruͤher Kindheit das oͤftere
Ausſprechen des unverſtandenen Wortes Ewigkeit her-
vor **). Einmal wurde jene unvergaͤngliche Empfin-
dung durch die bedeutungsvollen Worte eines geliebten
Kindes ***), in andern Faͤllen durch Errettung aus
Lebensgefahr *a), beym Genuß des Abendmales, in
einer einſamen Nacht *b), bey dem Verrichten einer
vielleicht ungewohnen religioͤſen Handlung *c) erweckt.
Nicht ſelten iſt, auf eine merkwuͤrdige Weiſe, der beym
Wachen gegen jede andre Stimme verſchloſſene innere
Sinn, durch oͤfters wiederkehrende bedeutungsvolle
Traͤume eroͤffnet worden, welche ein nie empfundenes
Entzuͤcken zuruͤck ließen *d), oder die merkwuͤrdige Ge-
muͤthsveraͤnderung geſchah auf einmal, beym Erwa-
chen *e). Ja in einem gewiſſen, wohlbekannten Falle
12wur-
[178] wurde durch den ploͤtzlichen Anblick neugeſcheuerter zin-
nerner Gefaͤße, ein ganz neues inneres Geſicht erweckt,
welches mit großer Klarheit Himmliſches und Irdiſches
durchſchaute *) (in einem untergeordnetem Kreiſe
pflegt ſchon das Hineinblicken in den aus einer hell-
polierten Metallflaͤche beſtehenden Erdſpiegel, in reitz-
baren Perſonen einen dem magnetiſchen Hellſehen aͤhn-
lichen Zuſtand hervorzubringen). Nicht ſelten hat eine
Veraͤnderung der aͤußerlichen religioͤſen Confeſſion,
wenn ſie die Folge eines ernſtlichen guten Willens ge-
weſen, dem es wahrhaft um rechte Beſſerung zu thun
war, und der alle aͤußerlichen Vortheile gern aufop-
fern, den Spott der Welt nicht achren wollte, damit
er jenes Hoͤhere gewoͤnne, eine ſolche gluͤckſelige innere
Veraͤnderung herbeygefuͤhrt. Uebrigens hat hierbey
keine Confeſſion einen Vorzug gehabt, indem bis nahe
an unſere Zeiten die Faͤlle eben ſo haͤufig ſind, wo
eine gaͤnzliche Sinnesaͤnderung und innre hoͤhere Ver-
wandlung bey einem wohlgemeinten Uebertritt von der
katholiſchen Confeſſion zur proteſtantiſchen **) als bey
jenem von der proteſtantiſchen zur katholiſchen erfolgt
war. Eine ſolche, aus einem reinen, guten Willen
geſchehene Aufopferung, kann wohl ſchon an ſich nie-
mals ohne ihren hoͤheren Lohn bleiben, und jener from-
me Ernſt, der aus gutmeinender Liebe zu Gott ſich von
Vermoͤgen, aͤußerem Stande, ja von dem Geliebteſten,
was
[179] was er auf der Welt hatte, loszureißen vermochte *),
wird auch zu andern noch ſchwereren Kaͤmpfen nicht
ungeſchickt ſeyn. Uebrigens pflegen, von einem hoͤhe-
ren Standpunkte aus geſehen, jene menſchlichen Schran-
ken zu verſchwinden **), und die goͤttliche, Mark und
Bein durchdringende Gewalt des Chriſtenthums, wel-
che die innerſte Kraft des Menſchen nach einem goͤttli-
chen Vorbilde wieder erneuert, zeigt ſich wohl ohne
Anſehen der Perſon, an keine Confeſſion gebunden.
In ſehr vielen Faͤllen iſt jene hoͤchſte, geiſtige
Liebe erſt dann zum lebendigen Ausbruch gekommen,
wenn ſich die an irdiſche Liebe gewoͤhnte Seele von
dem Gegenſtand ihrer bisherigen Neigung verlaſſen ge-
ſehen, oder wenn ſie in Leiden anderer Art erfahren:
daß uns unter allem aͤußern und innern Wechſel, nur
Ein Troſt, nur Ein Beſitz ſicher bleibet. So iſt nicht
ſelten der beſſere innre Wille durch den Tod der gelieb-
teſten Perſonen — der Kinder, des Gatten erweckt
worden ***), und ein ſehr lebensluſtiger Sinn wurde
auf dieſe Weiſe durch den unvermutheten Anblick des
Leichnams ſeiner Geliebten, ploͤtzlich und auf immer
veraͤndert *a). Oefters hat aͤußere Noth *b), Mangel
an
[180] an allem Nothwendigen, wobey die Seele zuerſt ge-
wahr worden, daß noch Eine Huͤlfe bleibt, wenn auch
alle andre Huͤlfe uns verlaſſen, eine falſche Beſchuldi-
gung, deren Ungrund nur Gott bekannt ſeyn konnte,
*) noch oͤfter haben innere, geiſtige Leiden, den ſchlum-
mernden Keim einer goͤttlichen Liebe auf einmal ge-
weckt und zur Bluͤthe gerufen **). In einem gewiſſen
Falle begann der innere Kampf beym ploͤtzlichen Auf-
ſchrecken aus einem bedeutungsvollen Traume, deſſen
eigentlichen Inhalt der Erwachende nicht mehr wußte,
der aber eine tiefe innere Wirkung zuruͤckgelaſſen ***),
und ganz dieſelbe Wirkung hatte mehrmalen das Er-
wachen aus dem Scheintode *a).
Da jene tiefe Sinnesaͤnderung niemals in einem
von ſeinem eigenen Werthe eingenommenen Gemuͤth
Wurzel faſſen kann, ſondern vor allem das lebendig
empfundene Beduͤrfniß einer hoͤheren Huͤlfe und das
Gefuͤhl der eignen Unzulaͤnglichkeit vorausſetzet; ſo hat
oͤfters erſt jenes Gefuͤhl, welches ein begangenes Un-
recht zuruͤcklaͤßt, ein unvermutheter Fehltritt, den beſſe-
ren Sinn aus ſeiner getraͤumten Sicherheit wecken muͤſ-
ſen. Die von ſich ſelber verlaſſene, uͤber ihre eigene
Be-
[181] Beſchraͤnkung belehrte Seele, lernte erſt jetzt den Quell
einer neuen, hoͤheren Kraft aufſuchen und finden. So
konnte in einer gewiſſen, wohlmeinenden Perſon, eine
lange aufgeſchobene Sinnesaͤnderung erſt dann Raum
gewinnen, als ſich dieſelbe in einem laͤngſt gefuͤrchte-
ten Fehltritt verſunken ſahe *); ein zartes Gefuͤhl hat
wohl zuweilen die Reue uͤber eine einzige geſagte Un-
wahrheit **), uͤber ein einziges ausgeſprochenes bitteres
Wort ***) zur beſſeren Selbſterkenntniß gefuͤhrt. In
einem gewiſſen merkwuͤrdigen Falle, war eine, fruͤher
in den Augen der Welt gute Perſon, durch die Qua-
len einer gaͤnzlich mißrathenen Ehe ſo weit gebracht,
daß ſie faſt kein anderes Gefuͤhl mehr kannte, als je-
nes des bitteren Haſſes gegen den Urheber ihrer ver-
zweifelten Lage. Einſt im lebhaften Traume, ſieht ſie
ſich als Moͤrderin des gehaßten Gatten, wird nun auf
einmal des Abgrundes gewahr, woran ſie ſich befun-
den, und giebt der hoͤheren Liebe auf immer in ſich
Raum *a).
Wir erwaͤhnten ſchon im erſten Abſchnitte jenes
Kontraſtes, in welchem der eigentliche Sinn unſerer
Gefuͤhle und Empfindungen oͤfters mit den aͤußeren
Erſcheinungen ſtehet, welche jene begleiten; und wir
fin-
[182] finden dieſen ſeltſamen Kontraſt auch hier wieder. Nicht
ſelten wurde ein empfaͤngliches Herz gerade im Genuſſe
aͤußerer Luſtbarkeiten, mitten im Taumel lebhafter ſinn-
licher Vergnuͤgungen, von einem tiefen Gefuͤhl der Ei-
telkeit und Unſicherheit alles Irdiſchen und von dem
Sehnen nach einer hoͤheren unvergaͤnglichen Liebe er-
griffen *).
Wir koͤnnten, wenn hier der Ort dazu ſchiene,
noch eine ungemeine Zahl jener merkwuͤrdigen Faͤlle
anfuͤhren, wo eine durchs ganze Leben bleibende gaͤnz-
liche Sinnesaͤnderung auf einmal, durch irgend eine
tief aufs Gefuͤhl wirkende Veranlaſſung herbeygefuͤhrt
worden **) und wir enthalten uns hier abſichtlich al-
ler jener ſeltenen Beyſpiele, welche zu ſehr ans Wun-
derbare graͤnzen ***), ſo wie jener, wo die geiſtige
Veraͤnderung zu nahe am Tode erfolgte, wiewohl ohn-
fehlbar ein ernſter erſt an den Graͤnzen des jetzigen
Daſeyns erwachter guter Wille, auch uͤber dieſe Graͤn-
zen hinuͤber ſich getreu zu bleiben vermag, indem nach
dem Ausdruck eines großen Mannes, der Menſch in
jedem Augenblick, ſobald er nur ernſtlich will, ſich
von ſeiner bisherigen Verkehrtheit losſagen und beſſer
werden kann.
Oef-
[183]
Oeſterer und vielleicht ſicherer, pflegt ſich jedoch
jene hoͤhere Liebe allmaͤhlig eines fuͤr ſie empfaͤnglichen
Herzens zu bemaͤchtigen und daſſelbe durch unmerkliche
Uebergaͤnge in ihre goͤttliche Natur umzuwandeln. Es
iſt dieſer Weg der leichtere und ſanftere, waͤhrend der
andere, auf welchem die Uebergaͤnge heftiger und ploͤtz-
licher geſchehen, nicht ohne gewaltige Kaͤmpfe abgehet.
Maͤchtiger naͤmlich als jede andere, pflegt jene hoͤchſte
Liebe alle unſere Gefuͤhle bis in ihre Wurzel zu erre-
gen. Wenn dann der Gegenſtand der ſie entflammte
auf Augenblicke ſich ihnen entziehet und den noch nicht
gepruͤften Willen gleichſam ſich ſelber uͤberlaͤſſet, aͤu-
ßern ſich jene Gefuͤhle ihrer eigentlichen (ſinnlichen)
Natur gemaͤß, als ſinnliche Neigung. Und dieß mit
der ganzen Heftigkeit welche jene hoͤchſte Neigung in
ihnen erweckte, wie die einmal groß genaͤhrte Flamme,
wenn nun auch jener naͤhrende Stoff von oben, an dem
ſie erſtarkt war, ihr entgangen, ſich mit ihrer ganzen
Heftigkeit auf die ſie umgebenden niederen Gegenſtaͤnde
wendet und ſie verzehrt. Es entſtehet hieraus ein in-
neres Leiden, das ſich auf doppelte Weiſe zu aͤußern
vermag. Entweder hoͤrt, jener im vorigen Abſchnitte
erwaͤhnten Sprachverſchiedenheit wegen, die in die
Schranken ihrer niedern Natur zuruͤckgekehrte Region
des Gefuͤhles auf, der hoͤheren Region verſtaͤndlich und
vernehmlich zu ſeyn, und es tritt nun die fruͤher er-
waͤhnte Scheidewand in ihrer ganzen Staͤrke zwiſchen
beyde ein — die ganze Region des Gefuͤhles, wie ſie
voͤllig von jener hoͤheren Liebe in Anſpruch genommen
war, wird jetzt, zu ihrer erſten Beſchraͤnkung zuruͤck-
gekehrt, dem Willen und Bewußtſeyn entzogen. In
dieſem Falle entſtehet jenes Gefuͤhl von Duͤrre und
Ver-
[184] Verlaſſenheit aller geiſtigen Empfindungen, welches die
in dieſen Wegen Erfahrenen nicht ſchmerzlich genug
beſchreiben koͤnnen. Oder auch das Bewußtſeyn und
der Wille muͤſſen, nachdem durch die Stunden einer
maͤchtigen Erſchuͤtterung jene Scheidewand aufgehoben
worden, alle Qualen einer im Innern wuͤthenden Flam-
me niederer Neigungen und Leidenſchaften erdulden.
In dieſen Zuſtaͤnden bleibt jedoch jener Theil unſerer
Natur unberuͤhrt, welcher, wie ſchon fruͤher erwaͤhnt,
an ſich weder zu lieben noch zu haſſen vermag, und
welcher als bloßes Organ eines geiſtigen Auffaſſens
ſich durchaus von der Region der leidenſchaftlichen Ge-
fuͤhle unterſcheidet. Dieſer bleibt, mitten in jenen
Stuͤrmen, dem leitenden Stern von oben getreu, und
ein ernſter guter Wille widerſetzt ſich ſtandhaft allen in-
neren Neigungen und Regungen, welche ſeiner hoͤheren
Richtung entgegenlaufen.
Und eben hier iſt es, wo der im Innern empfan-
gene Keim des neuen hoͤheren Lebens ſich zu entwickeln
und zu wachſen anfaͤngt. Sehr ſchoͤn druͤckt ſich uͤber
dieſen Gegenſtand eine gewiſſe, in dieſen Wegen viel-
erfahrne heilige Seele aus, deren Gefuͤhle von Natur
ganz vorzuͤglich heftig und feurig waren. „Zuweilen,
*) ſagt ſie, uͤberfaͤllt mich in meinem Innern eine ge-
wiſſe Leidenſchaft, welche zwar vorhin nie in mir ge-
weſen, welche aber durch Gottes Zulaſſung in mich
koͤmmt. Dieſe Verſuchung iſt graͤulicher als alle an-
dere Verſuchungen ſeyn moͤgen. Zu gleicher Zeit giebt
mir
[185] mir aber alsdann Gott in mein Inneres eine gewiſſe
goͤttliche Kraft oder Tugend, welche jenem Laſter gera-
de entgegengeſetzt iſt, wodurch ich von der Verſuchung
erloͤst werde. Dieſe goͤttliche Kraft oder Tugend iſt ſo groß,
daß wenn ich auch ſonſt keinen Glauben an Gott haͤtte, ſo
muͤßte ich ihn hierdurch bekommen. Jene Kraft nun bleibt
immer, die Verſuchung nimmt ab. Ja jene Tugend
haͤlt mich nicht allein feſt, daß ich nicht in die Suͤn-
de zu fallen vermag, ſondern ſie hat eine ſolche Ge-
walt, daß ſie mich gruͤndlich und ganz tugendhaft ma-
chet und ich erkenne, daß Gott in ihr gegenwaͤrtig ſey.
Durch ſie werde ich ſo erleuchtet und befeſtiget, daß
alle Guͤter und Leiden dieſer Welt mich nicht zu der
mindeſten Suͤnde bewegen wuͤrden, denn durch jene
Kraft behalte ich einen gewiſſen Glauben an Gott. Je-
nes Laſter aber iſt ſo abſcheulich, daß ichs auch nicht
nennen darf, und ſo heftig, daß wenn die erwaͤhnte
goͤttliche Kraft nicht in und mit mir waͤre, nichts in
der ganzen Welt, weder Scham noch Schmerz mich
wuͤrde abhalten koͤnnen in jene Suͤnde zu verfallen.‟
Und jene innern Leiden ſcheinen — nur bey Elnigen
mehr, bey Andern minder heftig, uͤberall nothwendige
Begleiter der neuen Geburt. Nur bey einigen from-
men Kindern, und bey ſolchen ganz kindlichen Seelen,
wie die Margarethe von Beaune geweſen, welche ganz
in die Betrachtung der Kindheit Jeſu verſunken und
in dieſe Kindheit verwandelt war, ſoll die Fuͤhrung
faſt durchaus mild und ohne jene Schmerzen geweſen
ſeyn. Aber wir ſehen allezeit ein ſich ſelber treu blei-
bendes, wachſames Gemuͤth, aus jenen Verſuchungen
nur ſtaͤrker und gebeſſerter hervorgehen, und den Keim
des neuen Menſchen, wie die Blume im Fruͤhling
un-
[186] unter den elektriſchen Erſchuͤtterungen der Gewitter,
ſich nur kraͤftiger entwickeln.
Eben jene fromme Seele, deren Worte wir vor-
hin anfuͤhrten, ſagt an einem andern Orte: „Der
Menſch wird gerade durch jene Untugend, womit er
Gott beleidiget, auch wieder geſtraft. So iſt wohl zu-
naͤchſt der Hochmuth eine Wurzel alles unſeres Uebels.
Wenn nun die Seele aus Gott wiedergeboren iſt,
wird ſie demuͤthig und wuͤnſchet von ganzem Herzen
ohne Hochmuth zu ſeyn. Demohngeachtet kommt der
Hochmuth ganz gegen ihren Willen in die Seele.
Aber es ſtehet nur bey ihr, ſich dieſem Hochmuth zu
widerſetzen, und ſich dadurch nur mehr in dem Sitz
der Wahrheit zu befeſtigen. Weil ſie aber vorhin jene
Untugend mit ihrem Willen hegte, ſo kommt dieſelbe
nun gegen ihren Willen.‟ Ueber ſolche unwillkuͤhrliche
Regungen der Selbſtſucht, jene Wurzel alles Uebeln,
klagen Alle in dieſen Wegen Erfahrene. Wir ſahen
im Vorhergehenden, daß die Grundneigung unſerer ſinn-
lichen Region Hochmuth ſey, und daß bloß das mate-
rielle Geſchaͤft, worinnen dieſer Theil unſerer geiſtigen
Natur befangen iſt, ſeine eigenthuͤmlichen Ausbruͤche
hindere, welche dann erfolgen, wenn er durch heftige
Aufregung ſeiner ganzen Kraft (was eben ſo durch
niedere Leidenſchaften, als durch die gewaltigen Ge-
fuͤhle unſerer hoͤchſten Liebe geſchehen kann) aus ſeinen
materiellen Banden frey geworden, oder wenn die Huͤl-
le unter der er ſich verbarg auf einmal von ihm genom-
men wird. Dieſe ganze uns umgebende Region der
Sinnlichkeit, erſcheint nach dem Vorhergehenden, durch
eineu Act des Hochmuths entſtanden und gebildet. Aber
eben
[187] eben jene Selbſtſucht muß zerſtoͤrt und das verdorbene
Organ zu ſeiner urſpruͤnglichen Beſtimmung zuruͤckge-
fuͤhrt werden. Es bleibt uns jener merkwuͤrdige Pro-
zeß der Wiedererneuerung hier noch vorzuͤglich von Ei-
ner Seite zu betrachten.
Die Fuͤhrungen der Seelen moͤgen auf noch ſo
verſchiedenen Wegen, die neue Verwandlung mag nun
auf einmal, in einer einzigen entſcheidenden Stunde
oder durch unmerkliche Uebergaͤnge geſchehen, immer
bemerken wir (wie es ohnehin dem Inhalt des vor-
hergehenden Abſchnittes gemaͤß zu erwarten war), daß
jene Momente, worinnen der neue Keim zuerſt erwach-
te und wodurch er ſich weiter entwickelte, in vorzuͤg-
lich kraͤftigen Aufregungen der Region unſerer Gefuͤhle
beſtunden *). In den vorhin angefuͤhrten Beyſpielen
begann der neue Seelenzuſtand immer mit ganz vor-
zuͤglich lebhaften Gefuͤhlen, oder war ploͤtzlich durch ei-
ne aͤußere Veranlaſſung herbeygefuͤhrt, welche den
ganzen Menſchen, welche alle ſeine Empfindungen bis
aufs Tiefſte erſchuͤtterte. Auch in einem untergeord-
neten Kreiſe hat, wie ſchon erwaͤhnt, oͤfters eine innige
Liebe
[188] Liebe — der Anblick einer vorzuͤglich erhebenden Ge-
gend — ein tief aufs Gemuͤth wirkender Geſang —
eine gewaltſame aͤußere Lage der Dinge, wobey es
auf entſchiedenes Wollen und Handeln ankam, und
wobey der Einzelne, wie ganze Nationen auf einmal in
ſich ſelber neue, bis dahin ihnen unbekannt gebliebene
Kraͤfte gewahr werden, — einen durch ein ganzes Le-
ben hindurch wirkenden, tiefen Eindruck zuruͤckgelaſſen.
Selbſtbekenntniſſe und tiefer gehende Selbſtbeobach-
tungen, lehren uns in jener Hinſicht die Region der
Sinnlichkeit und des Gefuͤhles in einer hoͤheren Be-
ziehung auf die Entwickelungsgeſchichte unſerer geiſti-
gen Natur kennen. Und hier iſt es, wo ſich uns der
„in der Maſchine verborgene, aus ihr herauswirkende
Gott‟ deutlich verraͤth, wo wir gewahr werden, daß
dieſe ganze uns umgebende Sinnenwelt und Region der
Gefuͤhle noch immer eine Sprache — ein Wort der
hoͤheren, geiſtigen Region an den Menſchen ſey, eine
geſchloſſene, leitende Kette, wodurch ein goͤttlicher hoͤ-
herer Einfluß auf das Gemuͤth des Menſchen einwir-
ket Aber nicht immer war jene Kette daſſelbe was ſie
jetzt iſt, jene Leitung war einſt unterbrochen, und konn-
te nur durch eine neue geiſtige Schoͤpfung wieder her-
geſtellt werden. Wir ruͤhren hier mit wenigen ſchuͤch-
ternen Worten an das groͤßte Geheimniß der Gei-
ſterwelt.
Das Urbild jener Natur, die uns noch jetzt, gleich-
ſam ein Schatten der urſpruͤnglichen umgiebt, war
nach dem Vorhergehenden das vermittelnde Organ zwi-
ſchen Gott und dem Menſchen; jene Sprache, worin
ſich die Liebe des Goͤttlichen zu dem Menſchen und die
Liebe
[189] Liebe des menſchlichen Gemuͤthes zur Gottheit lebendig
und werkthaͤtig ausgeſprochen, das Material, woran jene
Liebe ſich genaͤhret und geuͤbet. Der Menſch war da-
mals in einem andern Sinne Herr der Natur, als er
es jetzt iſt, obgleich uns auch noch jetzt einzelne be-
deutungsvolle Zuͤge verrathen, auf welche Weiſe er es
geweſen. Jener Theil ſeiner Natur, durch welchen er
mit hoͤherer Kraft auf die Anßenwelt zu wirken ver-
mochte, war der, welcher noch jetzt ſich als bildende,
ſchoͤpferiſche Kraft beurkundet — die Region ſeiner Ge-
fuͤhle — das Ganglienſyſtem, ein Kreis, welcher in
dem jetzigen Zuſtande der Einwirkung des Willens groͤß-
tentheils verſchloſſen iſt. Das Verhaͤltniß war wechſel-
ſeitig — der eine Pol konnte nur vorhanden ſeyn, wenn
der andre es war, die ſinnliche Region konnte nur dann
wieder ein Organ der Einwirkung Gottes auf den Men-
ſchen werden, wenn ſie auch auf der andern Seite
den von neuem zum Herrſcher ſeiner ſinnlichen Sphaͤre
gewordene Menſch zum Organ ſeines Verhaͤltniſſes zur
Gottheit gemacht hatte. Der Menſch konnte aber nur
dadurch wieder in ſeinen urſpruͤnglichen Standpunkt
zur Natur eintreten, daß ihm jener bedeutungsvolle
Theil ſeines Weſens, der im jetzigen Zuſtande geiſtig
von ihm abgetrennt iſt, und welcher doch den Schluͤſſel
zur aͤußeren Natur enthaͤlt, wiedergegeben und in ſei-
nen urſpruͤnglichen Zuſtand wieder hergeſtellt wurde.
Wir ſahen ferner im Vorhergehenden, daß Hochmuth
der Grundton unſerer ſinnlichen Region ſey, daß die
ſinnliche Sphaͤre unſerer Natur noch jetzt durch einen
beſtaͤndigen Act der Selbſtſucht, beſtehe und erhalten
werde, welcher die Dinge die in ſeine Sphaͤre kommen
zerſtoͤrt, um ſich ihrer Prinzipten zu bemaͤchtigen,
mit-
[190] mithin Zerſtoͤrungsſucht iſt. Die materielle Huͤlle, de-
ren Bildung und Erhaltung das Geſchaͤft jenes Thei-
les unſerer Natur iſt, dienet ihm zugleich zur Decke,
worunter er ſeinen eigentlichen Umriß verbirgt, zur
Schranke, welche jene thieriſche und zerſtoͤrende Kraft
feſſelt, und dem hoͤheren Funken in uns erſt die Herr-
ſchaft uͤber ſie moͤglich machet. Aber zugleich iſt auch
dieſe materielle Huͤlle die Schranke, welche den Men-
ſchen hindert, in ſein urſpruͤngliches Verhaͤltniß zur
geiſtigen Region zuruͤckzutreten, welche ihn in allen
ſeinen geiſtigen Beſtrebungen hemmt, an der ſich die
Strahlen ſeiner hoͤheren Kraft ohne Aufhoͤren brechen
und begraͤnzen.
Von einer andern Seite erkannten wir im Vor-
hergehenden, daß gerade jener merkwuͤrdige Theil un-
ſers Weſens, welcher jetzt ſelbſtthaͤtig in dem Ge-
ſchaͤft materieller Bildung befangen, und der Sitz des
Egoismus unſerer Natur iſt, urſpruͤnglich gerade um-
gekehrt, das fuͤr den hoͤheren Einfluß empfaͤngliche,
dieſen leitende Organ ſeyn ſollte. Nur dadurch daß er
dieſes von neuem wird, daß er ſich von neuem der hoͤheren
Liebe gaͤnzlich zum Organ hingiebt, kann das alte und ur-
ſpruͤngliche Verhaͤltniß des Menſchen zu Gott und der Welt
wieder hergeſtellt werden. Damit er aber wieder werden
konnte was er war, mußte der Menſch ſelber,
die durch einen Act des Hochmuths entſtan-
dene Schranke der Sinnlichkeit, durch ei-
nen entgegengeſetzten Act der gaͤnzlichen
Selbſtverlaͤugnung, Demuth und Erge-
bung in einen hoͤheren Willen, freywillig
wieder aufloͤſen. Wie ſollte aber die ins Stocken
gera-
[191] gerathene Maſchine durch ſich ſelber — durch eigene
Kraft wieder in Gang kommen? Der Meiſter ſelbſt
mußte ſich in ihr Inneres hineinbegeben, und die
Kraft, durch welche ſie einſt erbaut worden, mußte
jetzt von neuem aus ihr herauswirken.
Jenes Wort, das ſich einſt als ewige Liebe in der
anfaͤnglichen Natur ausgeſprochen, war von neuem
Fleiſch geworden. Der Menſch-gewordne Gott voll-
brachte nun ſelber jenen — dem erſten und verkehrten
Willensact, wodurch der Menſch in ſeinen jetzigen
Zuſtand verſunken, entgegengeſetzten — Act einer voͤl-
ligen Selbſtverlaͤugnung, einer Selbſtaufopferung und
Ergebung in den hoͤheren Willen, bis zum freywilli-
gen Opfertode. Was jenes Wort einſt dem Menſchen
in der urſpruͤnglichen Natur geweſen, das wurde es
jetzt von neuem in der Menſchennatur: vermittelndes
Organ zwiſchen dem Menſchen und Gott, eine Spra-
che der Liebe zwiſchen beyden. Aber das Fleiſch ge-
wordene Wort hatte durch jenen Act zugleich auch das
urſpruͤngliche Verhaͤltniß des menſchlichen Weſens zur
Sinnlichkeit wieder hergeſtellt, es hatte dieſe von neu-
em, indem es mit Wunderkraft aus der wieder ge-
heilten und von ihren Schranken befreyten Menſchen-
natur herauswirkte, zu dem geweiht, was ſie einſt war:
ſie iſt nun wieder gereinigt, und auch hier, aͤußerlich
zeigt ſich die vorhin unterbrochene leitende Kette zwi-
ſchen Gott und Menſchen wieder geſchloſſen, ſobald der
Menſch nur von jenem innerlichen Organe Gebrauch
zu machen verſteht.
Wenn wir in die Zeit, die vor dem Chriſten-
thume geweſen, hineinblicken, finden wir den Men-
ſchen
[192] ſchen faſt allgemein in einem Verhaͤltniß zu der Na-
tur und zu ſeiner eigenen ſinnlichen Sphaͤre, das von
unſerem jetzigen ſehr verſchieden war. Jener blutige
Naturdienſt, jene furchtbare Verkehrtheit, welche alle
Graͤuel der ſchaͤndlichſten thieriſchen Luſt zum Gottes-
dienſt machen wollte, die Grauſamkeit, welche, ganz
in der Natur des Wahnſinns, weder der eigenen
Kinder noch des eigenen Leibes verſchonte, koͤnnen doch
in der That nicht als Wirkungen einer in den Gren-
zen des Beſſeren gebliebenen Menſchennatur betrachtet
werden, und mit Recht machte die Sage des Alter-
thums die ganze Natur zu einem Wohnſitze und ver-
mittelnden Organ von Daͤmonen. Jenem auserwaͤhl-
ten Volke ſcheint deßhalb nicht ohne tieferen Grund,
durch ein ausdruͤckliches hoͤheres Verbot, ein großer
Theil der aͤußeren Natur verſagt und verſchloſſen wor-
den zu ſeyn, indem es weder auf Hoͤhen noch in
Haynen, noch uͤberhaupt irgend wo anders opfern
durfte, als in einem nach hoͤherer Anweiſung erbau-
ten Tempel, und indem ihm ein großer Theil der
aͤußeren Natur unrein war. Gleich mit dem Ein-
tritte des Chriſtenthums hoͤrte jene Einſchraͤnkung auf,
dem Menſchen wurde wieder der Zutritt zu der gan-
zen Natur, als die von Gott gereinigt ſey, freyge-
ſtellt. Von einer andern Seite fodert unter allen
Religionen bloß das Chriſtenthum Dinge von uns,
die der ſinnlichen Natur ganz und gerade zu entge-
egen laufen, und eine ungemeine Selbſtverlaͤugnung
vorausſetzen, z. B. herzliche Liebe des Feindes u. dgl.
und bloß das Chriſtenthum giebt auch (vermittelſt des
rwaͤhnten inneren Organes) zu der Erfuͤllung dieſer
Foderung Kraͤfte, und zeigt in der Geſchichte ſeiner
Be-
[193] Bekenner Tauſende von Beyſpielen, einer bis zum
Tode getreuen gaͤnzlichen Ergebenheit in einen hoͤhe-
ren Willen.
Seitdem der alte Zugang zu der hoͤheren Region
in uns ſelber wieder eroͤffnet worden, ſeitdem auch
aͤußerlich wieder der Gott in und aus der Maſchine
zu wirken, dem Menſchengemuͤth ſeinen hoͤheren Ein-
fluß mitzutheilen vermag, iſt der Kampf der hoͤheren
Natur in uns, mit ihrer ſinnlichen Sphaͤre um vie-
les erleichtert worden. Der Fleiſch gewordene Gott
hat die abtruͤnnig gewordene Welt des Sinnlichen der
Menſchennatur von neuem unterwuͤrfig gemacht, er hat
der Schlange die ſich feindlich erhoben, den Kopf zer-
treten, und ſeitdem iſt es auch der gemeinen Menſchen-
natur, wenn ſie ſich nur den Zugang von oben offen zu
erhalten — das (geiſtig) vermittelnde Organ zwiſchen
ſich und der hoͤheren Region wohl zu benutzen weiß,
leicht, den ſchon ein fuͤr allemal uͤberwundenen Gegner,
auch ihrerſeits von neuem zu beſiegen.
Denn dieſer Sieg — jene Selbſtverlaͤugnung und
Aufopferung des eignen Willens, wird von Allen ge-
fordert, welche jenem Vorbilde der wiedergeheiligten
Menſchennatur nachfolgen wollen. Jene ſinnliche Schran-
ke, deren Entſtehungsgrund und herrſchender Ton Hoch-
muth iſt, muß von neuem in Jedem, welcher dieſen
Weg eingeſchlagen, durch den entgegengeſetzten Act der
Selbſtverlaͤugnung wieder aufgeloͤst, hierdurch die
Grundneigung unſers Weſens wieder geheiligt und
wieder auf ihren urſpruͤnglichen Gegenſtand zuruͤckge-
fuͤhrt werden. Daher gehet dieſer Weg unabaͤnder-
13lich
[194] lich durch gaͤnzliche Selbſtverlaͤugnung. Durch ihn
unterſcheidet ſich das Chriſtenthum weſentlich von al-
len, noch ſo trefflich ſcheinenden Moralſyſtemen oder
Religionen. In ihnen wird allerdings der Menſch im
beſſeren Falle darauf hingefuͤhrt, der hoͤheren Liebe
Einiges aufzuopfern, aber nicht Alles, nicht ſein Selbſt.
Und hier gilt es nichts Halb oder Theilweiſe, ſondern
Alles zu geben oder zu thun, wenn nicht die Wurzel
des argen Gewaͤchſes noch immer im Innern zuruͤck bleiben
ſoll. Man pflegt allerdings von einem Wege geiſtiger
und moraliſcher Vollendung zu reden, der außer und
ohne das Chriſtenthum, ja ohne alle Religion moͤglich
ſeyn ſoll. „Mein Freund! ich wuͤnſche mir die ent-
ferntere Bekanntſchaft ſolcher Vortrefflichen; ich
werde ſie nicht loben, bis ich uͤber den fuͤnften Act
hinuͤber blicken kann. Ja wenn der Moͤrder, der ge-
bundene Moͤrder nicht waͤre! Der gute Seneca hat an
der Natur des Nero ein Hofmeiſterexperiment gemacht,
dem ich zur Ehre der guten Moral ein beſſeres Gelingen
gewuͤnſcht haͤtte. Und mein Freund! wer weiß was
ich und du an der Stelle des Nero geworden waͤren.
Was wurde noch in neuerer Zeit ein ſehr kultivirtes
harmlos ſcheinendes Volk, als die Revolution auf ein-
mal alle die aͤußeren Schranken abbrach, welche den
wilden Drang der Leidenſchaften gewoͤhnlich zuruͤckhal-
ten. In der That, mein Freund! um deine Vortreff-
lichen ohne Religion moͤchte ich nicht ſeyn, wenn auf
einmal dieſe Schranken fielen, und vor allem die letz-
te, jene Blume unter der ſich die Schlange bewegt,
die Decke uͤber dem Abgrund!
In
[195]
In der That pflegt keine Religion den Menſchen
ſo ausſchließend fuͤr ein neues hoͤheres Daſeyn zu bil-
den, als die chriſtliche, nur ſie enthaͤlt das Specificum,
was unſerer Natur die verlorenen eigenthuͤmlichen Kraͤfte
zuruͤckgeben kann, waͤhrend andere Wege einer gei-
ſtigen Erziehung die menſchliche Natur noch in ſich ſel-
ber unentſchieden in das Jenſeits hinuͤbertreten laſſen,
wo der Kampf wohl ſchwerer ſeyn mag, als er hier
geweſen waͤre. Nur durch jene ſiete und freywillige
Hingebung in einen hoͤheren Willen, welche das Chri-
ſtenthum lehrt, wird jener in dem Haus der Materie
gefangene Moͤrder in uns wieder das was er geweſen:
liebendes Organ der hoͤheren Liebe, und wir duͤrfen
dann die Banden die ihn hier noch feſſelten, im To-
de mit Freuden ſinken ſehen. Und nicht ſelten loͤſen
ſich dieſe Banden noch waͤhrend des jetzigen Daſeyns
auf, und der vorhin gebunden geweſene Engel (einſt
ein Moͤrder) wirkt von neuem mit goͤttlicher Gewalt in
den ihn umgebenden Kreis hinaus, und zeigt uns,
was der Menſch einſt in Beziehung auf die ihn um-
gebende hoͤhere und niedere Welt war und wieder ſeyn
ſoll. Vergangenheit und Zukunft, Hohes und Nie-
driges, eroͤffnen ſich dem wiedergereinigten der Seele
wiedergeſchenkten Sinne von neuem, und die Seele
blickt uͤber die geſunkene Scheidewand in eine hoͤhere,
geiſtige Region hinuͤber.
Wir wuͤrden, wenn hier der Ort dazu ſchiene, ſelbſt
aus der neueſten Zeit eine Menge Thatſachen aufſtellen
koͤnnen *), welche beweiſen, was der Menſch, wenn
er
[196] er von neuem Organ einer hoͤheren Liebe geworden,
uͤber ſeine eigenen Neigungen und uͤber einen fremden
Wil-
*)
[197] Willen, uͤber ſeinen eigenen und uͤber einen fremden
Organismus, ja uͤber die ganze aͤußere Natur mit ei-
ner
*)
[198] ner goͤttlich-magiſchen Gewalt vermoͤge, und wie er
dann uͤber die Beſchraͤnkung des Raumes und der
Zeit, ſo hinuͤber blicken als hinuͤber wirken koͤnne.
Eben ſo wuͤrde hier nicht der Ort ſeyn, jenen
Weg, und ſeine verſchiedenen eigenthuͤmlichen Fuͤhrun-
gen genauer zu beſchreiben. In der That, er hat von
außen wenig Empfehlendes und vielmehr Vieles was
von jeher Veranlaſſung gegeben ihn zu verkennen und
zu verlaͤſtern. Da der Funke jener hoͤheren goͤttlichen
Liebe, zuerſt und zunaͤchſt die zweydeutige Region des
Gefuͤhles entzuͤndet und bewegt, und ſie (wie
dieß ſchon in einem untergeordneten Kreiſe jede heftige
Leidenſchaft thut, anfaͤnglich, ehe ſie dieſelbe veraͤndert,
bloß aus ihren Banden frey macht, erſcheinen oͤfters je-
ne Menſchen welche dieſen Weg gehen, ſchwaͤcher,
elen-
*)
[199] elender, und von dem gewoͤhnlichen ſchoͤnen Deckman-
tel entbloͤßter als Andre. Und wie das was am hoͤch-
ſten ſtehet, uͤberall am tiefſten und gefaͤhrlichſten zu
fallen vermag, wie in der koͤrperlichen und geiſtigen
Natur gerade die ihrer Anlage und Beſtimmung nach
vollkommenſten Organe und Kraͤfte, wenn ſie einmal
ausarten, in die fuͤrchterlichſte Verderbniß uͤbergehen:
ſo iſt auch jener Weg nicht ohne die Gefahren der fuͤrch-
terlichſten Abwege des Fanatismus, des Hochmuths,
der Heucheley. Dennoch wird ſich ein beſſerer Sinn,
wenn er nur Einmal an ſich erfahren, was jenes
geiſtige Heilmittel vermoͤge, durch keinen Anſchein ab-
ſchrecken laſſen, eine Bahn zu verfolgen, auf welcher
allein Alles zu gewinnen iſt. Und das geiſtige Expe-
riment iſt fuͤr jeden guten, ernſten Sinn ſo leicht zu
machen, der Weg Jedem unter uns ſo bekannt!
So verrieth ſich uns denn zuerſt in der allen
Menſchen angebornen, bey Allen ſich gleichenden Spra-
che des Traumes, ein eigenthuͤmliches Vermoͤgen unſe-
rer Natur, welches waͤhrend des ganzen jetzigen Da-
ſeyns ſeinem eigentlichen Umfange nach verhuͤllt zu
bleiben pfleget. Es iſt dieß die liebende Faͤhigkeit un-
ſerer Natur, durch welche dieſe mit einem Anderen,
Hoͤheren oder Niederen, Eins zu werden — Theil,
Organ deſſelben zu ſeyn vermag. Jene urſpruͤnglich
negative Seite unſers Weſens, iſt demnach erſt in
Beziehung auf den Gegenſtand ihrer Liebe, das was
ſie ſeyn ſoll, außer und ohne dieſen hat ſie kein Cen-
trum, keinen lichten Punkt, iſt dunkel und bewußtlos.
Wenn im Somnambulismus jenes Dunkel ſich ſelber
licht
[200] licht und klar wird, ſo geſchieht dieß, weil die Hell-
ſehende jenes Centrum in dem mit ihrer Natur Eins
gewordenen Magnetiſeur gefunden, und auch in einem
fruͤher erwaͤhnten Zuſtande des Wahnſinnes, war die
Seele des Kranken faͤhig, mit der Seele anderer Men-
ſchen Eins zu werden, fremde Gedanken und Geſin-
nungen zu erkennen, und in der Seele Anderer pflegte
er auch, wie in einem Spiegel Alles dem Raume nach
Entfernte zu erkennen, was nicht Er, ſondern bloß Je-
ne zu ſehen vermochten. Dennoch wird bey dieſer und
verwandten Erſcheinungen nur erſt ein geringer Theil
jenes dunklen Vermoͤgens ſichtbar. Wenn dagegen in
dem ungleich hoͤheren Zuſtand des prophetiſchen Hellſe-
hens die liebende Kraft im Menſchen ſich wieder nach
ihrem urſpruͤnglichen Centrum hinwendet, und den
hoͤchſten Gegenſtand ſich erwaͤhlt, findet ſie das ihr
urſpruͤngliche Licht in ſeiuem ganzen Umfange wieder.
Wie ſchon die Somnambuͤle an den Kenntniſſen und
Gedankenreichthum des Magnetiſeurs Theil nimmt, in
und durch ihn erkennt: ſo nimmt in jenem hoͤheren
Zuſtand die liebende und erkennende Seele an dem
Lichte des hoͤchſten Erkennens Theil, in welchem ſich,
als in der allgemeinen Urquelle alles Seyns, Vergan-
genes, Gegenwaͤrtiges und Zukuͤnſtiges, Nahes und
Fernes abſpiegeln.
In einem bald groͤßeren, bald geringeren Um-
fange, erwacht eine, auf urſpruͤngliche Wahlverwand-
ſchaft gegruͤndete Anziehung der Liebe in uns und der
hoͤheren, geiſtigen Region, ſobald jene Liebe durch ir-
gend eine Veranlaſſung aus der materiellen Verlarvung
in der ſie ſich jetzt befindet, wieder frey und pſychiſch
be-
[201] beweglich wird, ſobald ſie — wenn auch nur auf Mo-
mente — ihre urſpruͤngliche geiſtige Form wieder an-
genommen. Schon im Zuſtande des Somnambulis-
mus tritt daher jenes liebende Vermoͤgen wieder mit der
hoͤheren Region in Beruͤhrung, empfaͤngt aus ihr ein
Licht, worinnen ihm die ganze in ſeinem Umfange lie-
gende (der Capacitaͤt ſeiner Neigung angemeſſene) Welt,
uͤber die Schranken der Zeit und des Raumes hinuͤber
klar wird, obgleich ſich daſſelbe ſeiner noch nicht in
jenem hoͤheren Centrum ſondern bloß in dem Magne-
tiſeur bewußt iſt. Es empfaͤngt deßhalb ſchon in ei-
nem gewiſſen Grade der Somnambulismus, der Traum,
ja ſelbſt der Wahnſinn, jenes prophetiſche Erkennen,
und es wird uns ſchon hierdurch jenes Vermoͤgen un-
ſerer Natur, als die Gabe eines neuen, hoͤheren Ge-
ſichtes, deſſen Blick weit uͤber die Schranken unſerer
Natur hinuͤberreicht, wichtig. Wichtiger noch als das
Organ, in welchem die Wahlverwandtſchaft unſeres
Weſens mit einer hoͤheren, goͤttlichen Region begruͤn-
det iſt (die der Liebe mit der Liebe).
So oft ſich die hoͤhere Region dem Organ der
Liebe in dem Menſchen mittheilte, geſchahe dieſes in
der dieſem Organe eigenthuͤmlichen (Natur-) Bilder-
ſprache. Von dieſer Bilderſprache fanden wir das Ur-
bild noch in der, freylich von ihrem urſpruͤnglichen Zu-
ſtand weit entfernten ſichtbaren Natur. Der Menſch
ſtund einſt zu dieſer noch in einem ungleich activeren
Verhaͤltniß als jetzt, und wie die Natur eine Sprache,
ein Act der Liebe des Goͤttlichen zu dem Menſchen
war, ſo vermochte dieſer hinwiederum eben dieſe Na-
tur zur Sprache ſeiner Liebe zu machen — Worte die-
ſer
[202] ſer Sprache nach dem Gefallen und der Kraft ſeiner
Liebe hervorzurufen und zuſammenzufuͤgen. Noch jetzt
beweißt jenes pſychiſch erwachte Erkenntnißvermoͤgen,
ſeine Natur-bildende und ſchaffende Kraft wenigſtens
noch im Schatten, an der aus ihm hervorgehenden
Bilderwelt des Traumes, und vermag dieſelbe in ge-
wiſſen Faͤllen auch noch auf eine ungleich hoͤhere, we-
ſentlichere Art zu aͤußern. Aber gewoͤhnlich iſt ſeine
ganze Wirkſamkeit auf materielles Erkennen und Bil-
den beſchraͤnkt und zwar bloß in den Grenzen ſeines
materiellen Organismus, waͤhrend noch im Thierreich,
z. B. bey den mit Kunſttrieben verſehenen Inſekten,
freylich nur auf eine hoͤchſt unvollkommene Weiſe, je-
nes Produciren nicht in dem Umfange des Leibes ein-
geſchloſſen iſt, ſondern uͤber dieſen hinausgeht.
Jene Beſchraͤnkung iſt dadurch entſtanden, daß
die Liebe der menſchlichen Natur ihren urſpruͤnglichen
Gegenſtand verlaſſen, und ſie auf einen ihrem Be-
duͤrfniſſe wenig genuͤgenden Vorwurf — auf das Be-
ſondere, auf ihr eigenes Selbſt gewendet. Erſt hier-
durch iſt die Thaͤtigkeit jenes urſpruͤnglich ſchoͤpferiſchen
Vermoͤgens, ein beſtaͤndiger Zerſtoͤrungsprozeß gewor-
den, welcher alles zerſtoͤrt, was in ſeinen Kreis koͤmmt
und ſich ſeiner Prinzipien bemaͤchtiget. — Vergeblich!
eine ſolche ſeinem Weſen unnatuͤrliche Richtung vermag
nicht bleibend zu werden, jener zerſtoͤrend-bildends
Trieb, wenn er alles zerlegt hat, was in dem Capa-
citaͤtsumfange ſeiner (toͤdtenden) Liebe gelegen, wendet
ſich zuletzt gegen ſich ſelber, und zerſtoͤrt ſein eigenes
Werk, ſo daß auch hier Hunger und Tod ſynonym
erſcheinen.
Waͤh-
[203]
Waͤhrend das aͤußerlich im Gehirn ſeine Baſis
habende ſinnliche Wahrnehmungsvermoͤgen, waͤhrend
der Verſtand auch in dem jetzigen Daſeyn der urſpruͤng-
lichen geiſtigen Natur getreu bleibt, iſt demnach jener
andere Theil unſeres geiſtigen Weſens in materieller
Wirkſamkeit erloſchen und unkenntlich geworden. Zwi-
ſchen beyden Haͤlften iſt hierdurch die urſpruͤngliche
Gleichheit und Einheit aufgehoben, beyde ſind ſich zum
Theil unvernehmlich — ſind von einander getrennt.
Das materiell bildende Vermoͤgen zeigt ſich, ſo bald
es geiſtig frey wird, ganz in jenem zerſtoͤrend ſelbſt-
fuͤchtigen Charakter, und durchs ganze Leben hindurch
als eine der Vernunft und dem beſſeren Willen entge-
gengeſetzte Stimme, als eine zweyte, von der Ver-
nunft verſchiedene Sprache in uns. Jenes reißt, wie
uns ſchon Erſcheinungen des jetzigen Daſeyns lehren,
ſobald es nur einigermaßen ſeiner ſelbſt maͤchtig ge-
worden, als der ungleich maͤchtigere Theil unſerer Na-
tur, auch die andere, ſchwaͤchere Haͤlfte mit ſich fort,
obgleich es in den Schranken der Materie nie zu dem
ganzen Gebrauch ſeiner Kraft gelangen, nie ſich ſelbſt
umfaſſen kann. Aber den hieraus entſtehenden Gefah-
ren vermag der Menſch zu entgehen, und, ſeitdem die
anfaͤngliche Vereinigung zwiſchen ihm und dem urſpruͤng-
lichen Gegenſtand ſeiner Liebe wieder gefunden, ſeitdem
ſelbſt die aͤußere Natur wieder zur leitenden Kette ge-
worden, durch die ſich ihm der hoͤhere Einfluß mit-
theilet, (der Gott aus der Maſchine auf ihn wirkt)
vermag er das zur Moͤrdergrube gewordene Organ wie-
der zu einem reinen Tempel zu weihen, welcher noch
in dem jetzigen Leben, tief im Innern, unter Schmer-
zen und Freuden gegruͤndet und gebaut wird.
Das
[204]
Das magiſche Dunkel unſerer Traͤume wird nun
wieder zu einem hellen Licht von oben, der alte Zwie-
ſpalt unſerer Natur iſt verſoͤhnt, das verlorene Klei-
nod wird uns wieder. Das bange Sehnen in uns hat
den ihm angemeſſenen Gegenſtand wieder gefunden, und
mit ihm volles Genuͤgen, Friede, Freude!
[[205]]
Appendix A Verbeſſerungen.
- Seite 17, Zeile 9, fehlt ein, nach pythiſche Begeiſterung.
- S. 35, und anderwaͤrts leſe man in der Note a. a. O. (am
angefuͤhrten Orte) ſtatt u. a. O. - S. 38, Zeile 4, von unten, l. m. Lamontine, Morſen, ſtatt
Lamentiue, Maſen. - S. 49, Z. 1, von unten, l. m. gleichvertheilt, ſtatt gleich
vertheilt. - S. 52, Zeile 15, l. m. Cſſener, ſt. Eſſeme.
- S. 53, Z. 23. l. m. worden, ſt. werden.
- S. 55, Z. 13, l. m. ihn ſt. ihr.
- S. 56, Z. 10, von unten, l. m. koͤrperlichen, ſt. moraliſchen.
- S. 62, in der zweyten Note, l. m. Queriolet, ſt. Querioles.
- S. 65. Z. 7, der ſt. den.
- S. 68, Z. 20, l. m. Vorſtellungen, aͤußere Ruͤckſichten, ſt.
Vorſtellungen aͤußerer Ruͤckſichten. - S. 70. Z. 8. l. m. wenn er, ſt. immer.
- S. 74, Z. 5. von unten, l. m. der, ſt. da.
- S. 78, Z. 24, der boͤſen, ſt. dem Boͤſen.
- S. 83, Z. 22, enthaͤlt, ſt. enthuͤllt.
- S. 87, Z. 3 und 4, Beduͤrfniß ſeiner eignen unnatuͤrlichen
ſt. Beduͤrfniß, ſeine eigene unnatuͤrliche. - S. 88, Z. 16, den Schluͤſſel, ſt. der Schluͤſſel.
- S. 100, Z. 1. ein ſt. im.
- S. 108, Z. 2, wie ſt. nur.
- S. 121, Z. 14, mit ganz ſt. ganz mit.
- S. 134, Z. 2, und Z. 8, ihr ſt. ihm.
- S. 144, Z. 4, ſtreiche man die **) und ſetze ſie Zeile 6,
hinter Zuſtaͤnden. - S. 152, Z. 16, Frucht, ſt. Furcht.
- S. 155, Z. 4, ihn, ſt. ihm.
- S. 157, Z. 22, machet, ſt. erwachet.
- S. 158, Z. 3, dieſe, ſt. er, Z. 21, den, ſt. einen.
- S. 166, Z. 12, ſey, ſt. iſt.
- S. 167, Z. 9, zwar ſt. war.
[[206]]
- S. 173, Z. 10, jenen, ſt. jene, Z. 1, v. unten, Tauleri
ſt. Taubers. - S. 180, Z. 2, bleibe, ſt. bleibt.
- S. 181, Z. 5. einen, ſt. einem.
- S. 189, Z. 18, der, ſt. den.
- S. 197, Z. 16, praeſtabilita, ſt. pracſtabitita.
- S. 198, Z. 13, ein) nach thut.
- S. 200, Z. 1, ſetze man nach dieß, — unter anderm auch
dadurch, weil. - S. 201. Z. 16, Geſichtes, ſt. Geſichte.
- S. 203. Z. 13, eine, ſt. ein.
[[207]][[208]][][][]
ſonderbare Kehrſeite des wachen Zuſtandes; ſanfte,
friedfertige Menſchen, ſind im Traume oͤfters uͤber al-
les Maaß jaͤhzornig und ſtreitſuͤchtig, Feigherzige traͤu-
men am haͤufigſten von kuͤhnen Thaten, und wer z. B.
Auguſtins Selbſtbekenntniſſe geleſen, der wird ſich noch
an andere Widerſpruͤche erinnern, worinn der Traum
mit dem Wachen ſteht.
in die Region der dunklen Gefuͤhle und des Traumes
fuͤhrende Wirkung des Metrums, macht uns daſſelbe
hier noch in anderer Beziehung merkwuͤrdig.
bey dem Weltſchoͤpfer der Orphiker und der perſiſch-
indiſche Sonnengott Mithras hat ſie als Attribute neben
ſich (nach Kaune.)
ren, Nuͤrnberg 1810.
Menſchengeſchlechts, nach manchen Peſtepidemien der
fruͤheren Jahrhunderte.
man Creuzers Symbolik und Mythologie, beſonders
das dritte Buch, aus dem ſie hier woͤrtlich entlehnt
worden.
nen Geſchichte des Lebens, Abſchn. 1.
Orte.
ſaͤchſiſchen Schweiz.
Magnetismus als Heilmittel. Pag. 290.
chen vom Weibchen, ein großer Theil der jungen Brut
von der Mutter ſelber verzehrt.
Orte, der dem Lichte unzugaͤnglich iſt.
uͤber die Lehre und Weisheit der Inder.
Sprache und Mpthus iſt die Biene aus der Ver-
weſung des Stieres (der fruͤheren Natur) entſtanden,
und heißt Todtengraͤberin (als vespa, vespillo.) Sie
iſt in mehreren Mythen mit dem Regenbogen (dem
Sinnbilde der Zeit nach der Cataſtrophe) zuſammen-
geſtellt. M. ſ. Kanne’s Pantheon 320—340 und an-
derwaͤrts, indiſche Myth. 365.
272. u. a. O.
heiliger Seelen, Vorrede zum zweyten Bande.
Harris, in der Lebensgeſchichte des letzteren. Geſch.
d. Wiedergebornen.
nannt religioͤſen Melancholie, etwas Koͤrperliches nicht
zu verkennen, nur bleibe man bey dieſem Koͤrperlichen
nicht allein ſtehen.
fahrung des Jean Paulſchen Feldpredigers Schmelzle
(am Altare,) oder die des Stifters der engliſchen Me-
thodiſten, deſſen Lachſucht beym Gottesdienſt eine Zeit-
lang anſteckend wurde, an ſich ſelbſt gemacht haben.
Baaders Begruͤndung der Ethik durch die Phyſik. —
Indiſche Mythe.
Traumſprache die Schlange Sinnlichkeit bezeichnet.
Man erinnert ſich dabey an Schwedenborgs Traum-
Geiſterwelt. „Das koͤrperlich Sinnliche, ſagt er irgend-
wo, wird im andern Leben durch Schlangen vor-
geſtellet.“
beſonders im Pantheon.
Reich, ſteht eine treffliche Schrift, von H. Nees von
Eſenbeck zu erwarten, voller eigenthuͤmlicher, frucht-
barer Anſichten und neuer Entdeckungen.
vigni Schriften, Nuͤrnberg 1809.
V. Abth. 1. S. 322.
ganz oder faſt ganz durch Eiterung u. a. zerſtoͤrt ge-
funden, ohne daß lange Zeit bey jenem ſchon ziemlich
vorgeſchrittenen Zerſtoͤrungsprozeß eine Abnahme der
Hirn-
beſonders merkwuͤrdigen Falle, war bey einem jungen
Menſchen durch ein blutiges Geſchwuͤr, die ganze Maſ-
ſe des Gehirns nach und nach Stuͤckweis herausge-
ſchworen, ohne daß ſich dabey eine Veraͤnderung der
Verſtandeskraͤfte gezeigt hatte. Er verlor erſt vier Ta-
ge vor ſeinem Tode die Sprache. Bey der Section
fand man das Gehirn ganz vernichtet, nur noch ein
wenig faule ſchwarze Feuchtigkeit auf dem Grunde der
Hirnſchale. Man ſehe Voigtels pathol. Anatomie,
B. 1. S. 600.
2ten Theiles erſter Band, im erſten Abſchnitte.
gefuͤhrten Phaͤnomene des Somnambulismus: Kluges
Verſuch einer Darſtellung des animaliſchen Magnetis-
mus als Heilmittel, Berlin 1811, ein Werk, das
unter allen bisherigen, jenes Gebiet der Phyſiologie
am vollſtaͤndigſten und tuͤchtigſten umfaßt hat.
Wienholt beobachteten Fall, erzaͤhlt Kluge S. 215.
S. 220.
Anwendung der pſychiſchen Kurmethode auf Geiſtes-
zerruͤttungen. S. 81.
a. O. S. 180.
Hektik durch fortgeſetzte Anwendung der Schaukel ge-
heilt wurden. M. ſ. Cor practiſche Bemerkung uͤber
Geiſteszerruͤttungen, Ueberſetzung. S. 180.
gen, von Seite 158 an.
faſt unwiderſtehliche Luſt ſich ins Waſſer zu ſtuͤrzen.
rie gebunden, als im maſſiven Pflanzen freſſenden
Thiere, beym Cholericus weniger, als beym Phlegma-
ticus, ohne daß dieſer um ein Haar beſſer waͤre als
dieſer.
Dumpfſinn und Cretinismus zum Wahnſinn geſellen.
Reil u. a. O. 425.
das Hospital der Wahnſinnigen zu P. — Geſchichte
des heimtuͤckiſchen Raſenden.
Eſther L. im 2ten Bande. — Andere Bepſpiele bey
Reil und Cox, u. a. der ſchon erwaͤhnte Fall, Cox
S. 222.
man haͤuſig, daß die Kranken einen lebhaften Wider-
willen gerade gegen jene Perſonen aͤußern, die ihnen
ſonſt die naͤchſten und liebſten ſind. Auch in der Me-
lancholie und im Wahnſinn iſt gerade dieſe Verkehrt-
heit recht haͤuflg. Die Geſchichte eines wohluͤberlegten
Mordes, den eine, uͤbrigens vernuͤnftig ſcheinende
Schwangere an ihrem Mann beging, zu deſſen Fleiſch
ſie einen unwiderſtehlichen Appetit bekommen, ſteht
bey Reil S. 394. Die Ungluͤckliche ſalzte noch das
Fleiſch des Ermordeten ein, um recht lange daran zu
haben. Auch ſolche Beobachtungen erinnern an den
Schwedenborgiſchen Satz, daß in jener Welt wolluͤſti-
ge Liebe ſich in Luſt ſich gegenſeitig zu morden ver-
wandſchaft der Wolluſt (Fleiſchesluſt) und
Mordluſt.
— Auch vor der gemeinen religioͤſen Schwermuth
den ſich fuͤr beſſer halten als andere Menſchen, und
und Verzweiflung folgt auf Uebermuth. M. ſ. Ar-
nolds Leben der Glaͤubigen. Seite 842.
in Hunde oder Woͤlfe verwandelt glaubten, und als
ſolche heulten S. 336.
Kluge a. a. O. S. 304, und aͤhnliche bey demſelben
noch anderwaͤrts!
Klugt, nach Rahn, S. 295.
Thomas Bromley in der Hiſtorie der Wiedergebor-
nen, von Reiz, Theil 2 und 6.
heren Geſichtspunkt, der uns nur gerade hier zu ſehr
aus dem Wege liegt. Die Leichtglaͤubigkeit und der
Unglaube ſprechen beyde von außerordentlichen Erſchei-
nungen (Voranzeichen u. a.) die ſich in der Naͤhe ei-
nes Sterbebettes oder uͤberhaupt nahe vor dem Tode
eines Menſchen zutragen ſollen. Beyde ſtreiſen, ohne
es zu wiſſen, an ein Geheimniß, vermoͤge welchem der
Sterbende zwiſchen ſeiner noch lebenden Umgebung und
einer andern (der Geiſter-) Welt, ein vermittelndes
Glied — eine Leiter bildet, an welcher jene Kraͤfte
und Erſcheinungen der andern Welt in unſere ſinnliche
herabſteigen und in dieſe auf Momente hinuͤber wir-
ken. Die Phantaſien der Sterbenden haben ſich ſchon
oft auch ihrer lebenden Umgebung mitgetheilt, was
jene hoͤrten, glaubten auch dieſe zu vernehmen.
haͤufig periodiſch, kamen in gewiſſen Faͤllen einen Tag
um den andern, in andern 15 Tage im Jaͤhre, in
noch andern jede zwey Jahre 6 Monate lang, (alſo
ein Viertel der Zeit) m. ſ. Reil, S. 440.
das Heute mit dem Geſtern, erzaͤhlte Dinge, die noch
zukuͤnftig waren, und die ſie prophetiſch vorausſahe,
als waͤren ſie geſtern geſchehen. Hufeland uͤber
Sympathie, S. 189.
alter Vater. M. ſ. den letzten Band der Lebensbe-
ſchreibung.
in den er dadurch verſallen war, daß er ſeine treu ge-
glaubte Braut nach mehrjaͤhriger Trennung auf ein-
mal als Gattinn eines Andern und als ſaͤugende Mut-
ter wieder ſah, und der nach der Heilung gar nichts
mehr von ſeiner vorigen Liebe wußte, erinnerte ſich
beym Anblick einer ſaͤugenden Frau wieder an Alles.
M. ſ. Spieß a. a. O.
an verſchiedenen Orten.
tharina P … rin, und auch des Friedrich M .. r,
der jedesmal beym Erwachen die Seinen kannte.
bens, Art. Verweſung.
ſinnigen iſt meiſtens ſchon eine innerliche organiſche
Zerſtoͤrung der Theile vorgegangen, ſie ſind deßhalb
weit ſeltener und ſchwerer heilbar als luſtige Wahn-
ſinnige (man ſ. ebendaſelbſt S. 59), und Raſerey iſt
oft ein guͤnſtiges Zeichen naher Heilung.
der Geneſung nahe ſind, betrachten deßhalb oͤfters den
Arzt der ſie aus ihrem Traume reiſſen will, mit Wi-
derwillen. Spieß a. a. O. uͤber das Hospital der
Wahnſinnigen zu P…
ſondern zum Theil ſogar ſehr verdaͤchtige Natur
jenes Wonnegefuͤhles einſehen, ein Umſtand, den ich
ſelber fruͤher (a. a. O.) uͤberſehen.
im 1ten Bande erzaͤhlte Geſchichte des wahnſinnigen
Jacob W. Dieſer, ohne ſein Zimmer zu verlaſſen,
wußte mit einem ganz beſondern Hellſehen, nicht bloß
alles was auf den Feldern und unter den entſernten
Heerden ſeines Gutes vorging, ſondern errieth und er-
kannte auch offenbar fremde Gedanken und Geſin-
nungen.
B. 1. S. 61. u. f. Reiz Hiſtorie der Wiedergebor-
nen, B. 6. S. 19.
che man außerordentliche zu nennen pflegt. Aus dem
Engliſchen.
Abſchnitte erwaͤhnt werden.
ſahe ſich im Zuſtand des Hellſehens gleich von Anfang
in einen ſchoͤnen Garten verſetzt. Hufeland, uͤber
Sympathie S. 179. — Scheintodt Geweſene ſagten
daſſelbe von ſich aus.
Eben ſo die ſogenannten Verzuͤckten.
angefuͤhrten Orte.
Wahnſinnes wiederholte der Kranke ganze Tage lang
Reil, a. a. O. 126 — 127 — Spieß, Hospital
der Wahnſinnigen zu P. im angefuͤhrten Werke.
S. 113. Th. 2. S. 15, 18, 20, 82, u. ſ. f.
Beſonders aber die in verſchiedener Hinſicht merkwuͤr-
dige: Pilgerreiſe zu Waſſer und zu Lande, u. f. in
Briefen, Nuͤrnberg 1799. Seite 135, 366 u. a. und
Stilling, a. a. O.
ſchreibungen des 2ten Bandes.
ders vom 33ten Briefe an.
Quellen jene ſuͤßen religioͤſen Entzuͤckungen haben koͤn-
nen, auf welche Einige ſo ſtolz ſind. Eine gewiſſe fa-
natiſche Geſellſchaft in den dreyßiger Jahren des vorigen
Jahrhunderts, rief ſie, auf eine Art von magnetiſcher
Weiſe, durch fortgeſetztes eigenes Kneipen und Reiben
des Leibes hervor. Und jene Entzuͤckten wurden fuͤr
Wiedergeborne gehalten! Stilling, a. a. O. Th. 1.
S. 244.
30 Schuͤlern, war Ueberfeld.
93. der Originalausgabe.
Seite 229.
durch ein Brechmittel moraliſch gebeſſert, S. 123.
und aͤhnliche Beyſpiele in demſelben Theile Seite 80,
im Vten Theile Seite 12, Seite 169, ſo wie das
Leben des Jacob Boͤhme u. A.
de, die Wahlverwandſchaft zwiſchen beyden Haͤlften
wieder hergeſtellt wird.
gebornen, Band III. S. 30.
miſſionaͤrs.
beſonders 143.
S. 110. Th. 6. S. 192, u. f.
oben angefuͤhrten Pilgerreiſe hieruͤber.
S. 91. u. f.
3. S. 185. u. a. O. m.
von Avre u. A. a. a. O.
Avre, Th. 1. S. 45.
Leben, bey Arnold, a. a. O.
Arnold u. A. ſo wie die Basler Sammlungen ent-
halten eine Menge.
ſtuͤrmiſche, nach außen heftige zu ſeyn. Es giebt eine
ruhige, ſtille, allmaͤhlig wachſende Liebe, die gerade
die beſtaͤndigſte, treueſte und tiefſte zu ſeyn pflegt. Auch
zeigt ſich der Grad der Empfindbarkeit jener Liebe bey
verſchiedenen Naturen ſehr verſchieden, je nachdem
bey ihnen die Region der Gefuͤhle dem Willen mehr
oder minder auf- oder zugeſchloſſen iſt.
ſachen erinnern. 1) Beyſpiele, wo zum Theil un-
frommen Glauben des Kranken geheilt wurden, finden
ſich in den Anccdoten fuͤr Chriſten, Th. 1, S. 13,
70, 106, 107, Th. 5, S. 52, in der trefflichen chriſt-
lichen Zeitſchrift von Hillmers, 2ter Jahrgang, S. 312,
530, und 3ter Jahrgang, S. 175. In den Basler
Sammlungen, unter andern auf 1806, S. 256, auf
1807, S. 96, auf 1808, S. 222, auf 1809, S. 347.
Auch die Geſchichte des Pfarrer Kuͤhze, (bey Federſen?)
gehoͤrt hieher, und eine Menge andere.
2) Beyſpiele, wo durch frommen, feſten Glauben
Andre geheilt wurden, und wo jener Glaube oͤfters auf
eine auffallende Weiſe in die Ferne wirkte: Anccdoten
fuͤr Chriſten, Th. 1, S. 8, Th. 2, S. 56, und 66.
Geſchichte des Markgrafen von Renty bey Terſtegen,
S. 78, und der h. Thereſe, S. 168. Basler Samm-
lungen auf 1799, S. 71, 407, und 409, auf 1800,
S. 110, auf 1801, S. 161, 352.
3) Eine gewiſſe Gewalt des menſchlichen Gemuͤths,
ſelbſt uͤber die aͤußere Natur: Chriſtliche Anecdoten Th.
1, S. 52; Leben der Anna Garcias bey Terſtegen, S.
48; Hillmers chriſtliche Zeitſchrift, erſter Jahrg. S. 366.
4) Magiſche Gewalt eines frommen Gemuͤths auf die
Geſinnung Anderer, die oft ſogleich gebeſſert wurde:
Stillings Taſchenkalender auf 1814, S. 137; Anecdo-
ten fuͤr Chriſten, Th. 1, S. 39, Th. 2, S. 182, Th.
3, S. 217, Th. 4, S. 168 und beſonders 171, Hill-
mers chr. Zeitſchrift, Erſter Jahrgang, S. 471; zwey-
ter Jahrgang, S. 100, 101, 104, 735, 739, 746,
lungen auf 1799, S. 206, 207, auf 1800, S. 140,
auf 1801, S. 27, auf 1804, S. 29, 1805, S. 139,
vorzuͤglich aber S. 284, auf 1806, S. 382, auf 1807,
S. 218, vorz. S. 380, auf 1808, S. 190.
5) Gewalt eines frommen Willens uͤber die eigenen
Leidenſchaften, unter andern; Anecdoten fuͤr Chriſten, Th.
5, S. 111 und 306, Th. 1, S. 3, beſonders aber S.
5, und S. 7. 101, 124, Th. 2, S. 209, Hillmers
Zeitſchrift: erſter Jahrgang, S. 710, Basler Samm-
lungen auf 1808, S. 184; Leben des Gregorius Lopez
bey Terſtegen, S. 7.
6) Beſonders haͤufig ſind jene Faͤlle einer Harmonia
praeſtabitita hoͤherer Art, wo der fromme Glaube ei-
nes Nothleidenden, auf den Willen Anderer alſo influir-
te, daß ſie ihm, ohne ſelbſt etwas von ſeiner Noth zu
wiſſen, gerade zur rechten Zeit und auf rechte Art helfen
mußten. Uebrigens verſteht es ſich von ſelbſt, daß hier-
bey ein hoͤheres Band, das die ganze Geiſterwelt
in Einem zuſammenfaſſet, thaͤtig war. Um nur einige
ſolcher Beyſpiele anzufuͤhren, citiren wir hier: Chriſtli-
che Anecdoten, Th. 1, S. 53, und 54, Th. 2, S. 54,
Th. 4, S. 117, Hillmers, Jahrgang 2, S. 99 und
102, auch in anderer Beziehung Jahrg. 1, S. 706,
748, Jahrgang 3, S. 175, beſonders aber 548, dann
551; Basler Sammlungen auf 1799, S. 410, auf
1800, S. 78, 311, 312, 382, 418, 420, auf 1801,
S. 59, auf 1805, S. 185, 349, auf 1806, S. 122,
auf 1807, S. 95, 154, auf 1808, S. 28, 86, 88,
beſonders aber S. 214 und 307, auf 1809, S. 54, 55,
132, 164, 166, 344, 345, auf 1812, S. 35, 69,
85. Eine Harmonia praeſtabitita jener Art zeigte
ſich auch unter andern: Stillings Taſchenbuch auf 1814,
S. 136, Hillmers; Jahrgang 1, S. 690, Jahrg. 2,
S. 524, Jahrg. 3, S. 555; Basler Sammlung
auf 1801, S. 59, 57, auf 1805, S. 319, 1806, S.
94, 1807, S. 349.
Uebrigens noch eine Menge aͤhnliche Beyſpiele in an-
deren, beſonders den aͤlteren Jahrgaͤngen der erwaͤhnten
Basler Sammlungen, die aber eben nicht bey der Hand
ſind, in Pfenningers Magazin (z. B. Frankens Erbau-
ung des Halliſchen Waiſenhauſes), in Stillings Schrif-
ten u. ſ. f.
- Lizenz
-
CC-BY-4.0
Link zur Lizenz
- Zitationsvorschlag für diese Edition
- TextGrid Repository (2025). Schubert, Gotthilf Heinrich von. Die Symbolik des Traumes. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bnnf.0