auf der
Reiſe nach Prag.
: J. G. Cotta'ſcher Verlag.
1856.
auf der
Reiſe nach Prag.
: J. G. Cotta' ſcher Verlag.
1856.
Buchdruckerei der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung
in Stuttgart und Augsburg.
Seinen Freunden,
den beiden Componiſten
Louis Hetſch,
Muſikdirector in Mannheim,
und
Friedrich Ernſt Kauffmann,
Profeſſor in Stuttgart,
zugeeignet
vom Verfaſſer.
Im Herbſt des Jahrs 1787 unternahm Mozart
in Begleitung ſeiner Frau eine Reiſe nach Prag, um
Don Juan daſelbſt zur Aufführung zu bringen.
Am dritten Reiſetag, den vierzehnten September,
gegen eilf Uhr Morgens, fuhr das wohlgelaunte
Ehepaar noch nicht viel über dreißig Stunden Wegs
von Wien entfernt, in nordweſtlicher Richtung, jen¬
ſeits vom Mannhardsberg und der deutſchen Thaya,
bei Schrems, wo man das ſchöne Mähriſche Gebirg
bald vollends überſtiegen hat.
„Das mit drei Poſtpferden beſpannte Fuhrwerk,“
ſchreibt die Baroneſſe von T. an ihre Freundin, „eine
ſtattliche, gelbrothe Kutſche, war Eigenthum einer ge¬
wiſſen alten Frau Generalin Volkſtett, die ſich auf
ihren Umgang mit dem Mozartiſchen Hauſe und ihre
ihm erwieſenen Gefälligkeiten von jeher ſcheint etwas
Mörike, Mozart. 1[2] zu gut gethan zu haben.“ — Die ungenaue Beſchrei¬
bung des fraglichen Gefährts wird ſich ein Kenner des
Geſchmacks der achtziger Jahre noch etwa durch einige
Züge ergänzen. Der gelbrothe Wagen iſt hüben und
drüben am Schlage mit Blumenboukets, in ihren
natürlichen Farben gemalt, die Ränder mit ſchmalen
Goldleiſten verziert, der Anſtrich aber noch keines¬
wegs von jenem ſpiegelglatten Lack der heutigen Wiener
Werkſtätten glänzend, der Kaſten auch nicht völlig
ausgebaucht, obwohl nach unten zu kokett mit einer
kühnen Schweifung eingezogen; dazu kommt ein hohes
Gedeck mit ſtarrenden Ledervorhängen, die gegenwärtig
zurückgeſtreift ſind.
Von dem Coſtüm der beiden Paſſagiere ſey über¬
dieß ſo viel bemerkt. Mit Schonung für die neuen,
im Koffer eingepackten Staatsgewänder war der An¬
zug des Gemahls beſcheidentlich von Frau Conſtanzen
ausgewählt; zu der geſtickten Weſte von etwas ver¬
ſchoſſenem Blau ſein gewohnter brauner Ueberrock mit
einer Reihe großer und dergeſtalt façonnirter Knöpfe,
daß eine Lage röthliches Rauſchgold durch ihr ſternar¬
tiges Gewebe ſchimmerte, ſchwarzſeidene Beinkleider,
Strümpfe, und auf den Schuhen vergoldete Schnallen.
Seit einer halben Stunde hat er wegen der für dieſen
[3] Monat außerordentlichen Hitze ſich des Rocks entledigt
und ſitzt vergnüglich plaudernd, baarhaupt, in Hemd¬
ärmeln da. Madame Mozart trägt ein bequemes
Reiſehabit, hellgrün und weiß geſtreift; halb aufge¬
bunden fällt der Ueberfluß ihrer ſchönen, lichtbraunen
Locken auf Schulter und Nacken herunter; ſie waren
Zeit ihres Lebens noch niemals von Puder entſtellt,
während der ſtarke, in einen Zopf gefaßte Haarwuchs
ihres Gemahls für heute nur nachläſſiger als gewöhn¬
lich damit verſehen iſt.
Man war eine ſanft anſteigende Höhe zwiſchen
fruchtbaren Feldern, welche hie und da die ausge¬
dehnte Waldung unterbrachen, gemachſam hinauf und
jetzt am Waldſaum angekommen.
„Durch wie viel Wälder,“ ſagte Mozart, „ſind
wir nicht heute, geſtern und ehegeſtern ſchon paſſirt!
— Ich dachte nichts dabei, geſchweige daß mir ein¬
gefallen wäre, den Fuß hinein zu ſetzen. Wir ſteigen
einmal aus da, Herzenskind, und holen von den
blauen Glocken, die dort ſo hübſch im Schatten
ſtehen. Deine Thiere, Schwager, mögen ein bischen
verſchnaufen.“
Indem ſie ſich beide erhoben, kam ein kleines
Unheil an den Tag, welches dem Meiſter einen Zank
[4] zuzog. Durch ſeine Achtloſigkeit war ein Flacon mit
koſtbarem Riechwaſſer aufgegangen und hatte ſeinen
Inhalt unvermerkt in die Kleider und Polſter ergoſſen.
„Ich hätt' es denken können,“ klagte ſie, „es duftete
ſchon lang ſo ſtark! O weh, ein volles Fläſchchen ächte
Roſée d'Aurore rein ausgeleert! Ich ſparte ſie wie
Gold.“ — „Ei, Närrchen,“ gab er ihr zum Troſt
zurück, „begreife doch, auf ſolche Weiſe ganz allein
war uns dein Götter-Riechſchnaps etwas nütze. Erſt
ſaß man in einem Backofen und all dein Gefächel
half nichts, bald aber ſchien der ganze Wagen gleich¬
ſam ausgekühlt; du ſchriebſt es den paar Tropfen zu,
die ich mir auf den Jabot goß; wir waren neu be¬
lebt und das Geſpräch floß munter fort, ſtatt daß
wir ſonſt die Köpfe hätten hängen laſſen wie die
Hämmel auf des Fleiſchers Karren; und dieſe Wohl¬
that wird uns auf dem ganzen Weg begleiten. Jetzt
aber laß uns doch einmal zwei Wieneriſche Noſ'n
recht expreß hier in die grüne Wildniß ſtecken!“
Sie ſtiegen Arm in Arm über den Graben an
der Straße und ſofort tiefer in die Tannendunkelheit
hinein, die, ſehr bald bis zur Finſterniß verdichtet,
nur hin und wieder von einem Streifen Sonne auf
ſammetnem Moosboden grell durchbrochen ward. Die
[5] erquickliche Friſche, im plötzlichen Wechſel gegen die
außerhalb herrſchende Gluth, hätte dem ſorgloſen
Mann ohne die Vorſicht der Begleiterin gefährlich
werden können. Mit Mühe drang ſie ihm das in
Bereitſchaft gehaltene Kleidungsſtück auf. — „Gott,
welche Herrlichkeit!“ rief er, an den hohen Stämmen
hinaufblickend, aus: „man iſt als wie in einer Kirche!
Mir däucht, ich war niemals in einem Wald, und
beſinne mich jetzt erſt, was es doch heißt, ein ganzes
Volk von Bäumen bei einander! Keine Menſchenhand
hat ſie gepflanzt, ſind alle ſelbſt gekommen, und ſtehen
ſo, nur eben weil es luſtig iſt beiſammen wohnen
und wirthſchaften. Siehſt du, mit jungen Jahren
fuhr ich doch in halb Europa hin und her, habe die
Alpen geſehn und das Meer, das Größeſte und
Schönſte, was erſchaffen iſt: jetzt ſteht von ungefähr
der Gimpel in einem ordinären Tannenwald an der
böhmiſchen Grenze, verwundert und verzückt, daß ſol¬
ches Weſen irgend exiſtirt, nicht etwa nur ſo una
finzione di poeti iſt, wie ihre Nymphen, Faune
und dergleichen mehr, auch kein Comödienwald, nein
aus dem Erdboden heraus gewachſen, von Feuchtig¬
keit und Wärmelicht der Sonne groß gezogen! Hier
iſt zu Haus der Hirſch, mit ſeinem wunderſamen
[6] zackigen Geſtäude auf der Stirn, das poſſierliche Eich¬
horn, der Auerhahn, der Häher.“ — Er bückte ſich,
brach einen Pilz und pries die prächtige hochrothe
Farbe des Schirms, die zarten weißlichen Lamellen
an deſſen unterer Seite, auch ſteckte er verſchiedene
Tannenzapfen ein.
„Man könnte denken,“ ſagte die Frau, „du habeſt
noch nicht zwanzig Schritte hinein in den Prater
geſehen, der ſolche Raritäten doch auch wohl aufzu¬
weiſen hat.“
„Was Prater! Sapperlot, wie du nur das Wort
hier nennen magſt! Vor lauter Caroſſen, Staatsde¬
gen, Roben und Fächern, Muſik und allem Spektakel
der Welt, wer ſieht denn da noch ſonſt etwas? Und
ſelbſt die Bäume dort, ſo breit ſie ſich auch machen,
ich weiß nicht — Bucheckern und Eicheln, am Boden
verſtreut, ſehn halter aus als wie Geſchwiſterkind mit
der Unzahl verbrauchter Korkſtöpſel darunter. Zwei
Stunden weit riecht das Gehölz nach Kellnern und
nach Saucen.“
„O unerhört!“ rief ſie, „ſo redet nun der Mann,
dem gar nichts über das Vergnügen geht, Backhähnl
im Prater zu ſpeiſen!“
Als beide wieder in dem Wagen ſaßen, und ſich
[7] die Straße jetzt nach einer kurzen Strecke ebenen
Wegs allmählig abwärts ſenkte, wo eine lachende
Gegend ſich bis an die entfernteren Berge verlor,
fing unſer Meiſter, nachdem er eine Zeitlang ſtill
geweſen, wieder an: „Die Erde iſt wahrhaftig ſchön,
und keinem zu verdenken, wenn er ſo lang wie mög¬
lich darauf bleiben will. Gott ſey's gedankt, ich
fühle mich ſo friſch und wohl wie je, und wäre bald
zu tauſend Dingen aufgelegt, die denn auch alle nach
einander an die Reihe kommen ſollen, wie nur mein
neues Werk vollendet und aufgeführt ſeyn wird. Wie
viel iſt draußen in der Welt, und wie viel daheim,
Merkwürdiges und Schönes, das ich noch gar nicht
kenne, an Wunderwerken der Natur, an Wiſſen¬
ſchaften, Künſten und nützlichen Gewerben! Der
ſchwarze Köhlerbube dort bei ſeinem Meiler weiß dir
von manchen Sachen auf ein Haar ſo viel Beſcheid
wie ich, da doch ein Sinn und ein Verlangen in
mir wäre, auch einen Blick in Dieß und Jen's
zu thun, das eben nicht zu meinem nächſten Kram
gehört.“
„Mir kam,“ verſetzte ſie, „in dieſen Tagen dein
alter Sackkalender in die Hände von Anno fünfund¬
achtzig; da haſt du hinten angemerkt drei bis vier
[8] Notabene. Zum Erſten ſteht: Mitte Oktober gießet
man die großen Löwen in kaiſerlicher Erzgießerei;
für's Zweite, doppelt angeſtrichen: Profeſſor Gattner
zu beſuchen. Wer iſt der?“
„O recht, ich weiß — auf dem Obſervatorio der
gute alte Herr, der mich von Zeit zu Zeit dahin ein¬
lädt. Ich wollte längſt einmal den Mond und 's
Mandl drin mit dir betrachten. Sie haben jetzt ein
mächtig großes Fernrohr oben; da ſoll man auf der
ungeheuern Scheibe, hell und deutlich bis zum Greifen,
Gebirge, Thäler, Klüfte ſehen, und von der Seite,
wo die Sonne nicht hinfällt, den Schatten, den die
Berge werfen. Schon ſeit zwei Jahren ſchlag' ich's
an, den Gang zu thun, und komme nicht dazu, elen¬
der und ſchändlicher Weiſe!“
„Nun,“ ſagte ſie, „der Mond entläuft uns nicht.
Wir holen manches nach.“
Nach einer Pauſe fuhr er fort: „Und geht es
nicht mit allem ſo? O pfui, ich darf nicht daran
denken, was man verpaßt, verſchiebt und hängen
läßt! — von Pflichten gegen Gott und Menſchen
nicht zu reden — ich ſage von purem Genuß, von
den kleinen unſchuldigen Freuden, die einem jeden
täglich vor den Füßen liegen.“
[9]
Madame Mozart konnte oder wollte von der Rich¬
tung, die ſein leicht bewegliches Gefühl hier mehr und
mehr nahm, auf keine Weiſe ablenken, und leider
konnte ſie ihm nur von ganzem Herzen Recht geben,
indem er mit ſteigendem Eifer fortfuhr: „Ward ich
denn je nur meiner Kinder ein volles Stündchen
froh? Wie halb iſt das bei mir, und immer en
paſſant! Die Buben einmal rittlings auf das Knie
geſetzt, mich zwei Minuten mit ihnen durch's Zimmer
gejagt, und damit baſta, wieder abgeſchüttelt! Es
denkt mir nicht, daß wir uns auf dem Lande zu¬
ſammen einen ſchönen Tag gemacht hätten, an Oſtern
oder Pfingſten, in einem Garten oder Wäldel, auf
der Wieſe, wir unter uns allein, bei Kinderſcherz
und Blumenſpiel, um ſelber einmal wieder Kind zu
werden. Allmittelſt geht und rennt und ſauſt das
Leben hin — Herr Gott! bedenkt man's recht, es
möcht' einem der Angſtſchweiß ausbrechen!“
Mit der ſo eben ausgeſprochenen Selbſtanklage
war unerwartet ein ſehr ernſthaftes Geſpräch in aller
Traulichkeit und Güte zwiſchen beiden eröffnet. Wir
theilen daſſelbe nicht ausführlich mit, und werfen
lieber einen allgemeinen Blick auf die Verhältniſſe,
die theils ausdrücklich und unmittelbar den Stoff,
[10] theils auch nur den bewußten Hintergrund der Unter¬
redung ausmachten.
Hier drängt ſich uns voraus die ſchmerzliche Be¬
trachtung auf, daß dieſer feurige, für jeden Reiz der
Welt und für das Höchſte, was dem ahnenden Ge¬
müth erreichbar iſt, unglaublich empfängliche Menſch,
ſo viel er auch in ſeiner kurzen Spanne Zeit erlebt,
genoſſen und aus ſich hervorgebracht, ein ſtetiges und
rein befriedigtes Gefühl ſeiner ſelbſt doch lebenslang
entbehrte.
Wer die Urſachen dieſer Erſcheinung nicht etwa
tiefer ſuchen will, als ſie vermuthlich liegen, wird ſie
zunächſt einfach in jenen, wie es ſcheint, unüberwind¬
lich eingewohnten Schwächen finden, die wir ſo gern,
und nicht ganz ohne Grund, mit alle dem, was an
Mozart der Gegenſtand unſrer Bewunderung iſt, in
eine Art nothwendiger Verbindung bringen.
Des Mannes Bedürfniſſe waren ſehr vielfach,
ſeine Neigung zumal für geſellige Freuden außeror¬
dentlich groß. Von den vornehmſten Häuſern der
Stadt als unvergleichliches Talent gewürdigt und ge¬
ſucht, verſchmähte er Einladungen zu Feſten, Cirkeln
und Parthien ſelten oder nie. Dabei that er der
eigenen Gaſtfreundſchaft innerhalb ſeiner näheren
[11] Kreiſe gleichfalls genug. Einen längſt hergebrachten
muſikaliſchen Abend am Sonntag bei ihm, ein un¬
gezwungenes Mittagsmahl an ſeinem wohlbeſtellten
Tiſch mit ein paar Freunden und Bekannten, zwei-,
dreimal in der Woche, das wollte er nicht miſſen.
Bisweilen brachte er die Gäſte, zum Schrecken der
Frau, unangekündigt von der Straße weg in's Haus,
Leute von ſehr ungleichem Werth, Liebhaber, Kunſt¬
genoſſen, Sänger und Poeten. Der müßige Schma¬
rotzer, deſſen ganzes Verdienſt in einer immer auf¬
geweckten Laune, in Witz und Spaß, und zwar vom
gröbern Korn beſtand, kam ſo gut wie der geiſtvolle
Kenner und der treffliche Spieler erwünſcht. Den
größten Theil ſeiner Erholung indeß pflegte Mozart
außer dem eigenen Hauſe zu ſuchen. Man konnte
ihn nach Tiſch einen Tag wie den andern am
Billard im Kaffeehaus, und ſo auch manchen Abend
im Gaſthof finden. Er fuhr und ritt ſehr gerne in
Geſellſchaft über Land, beſuchte als ein ausgemachter
Tänzer Bälle und Redouten und machte ſich des Jahrs
einigemale einen Hauptſpaß an Volksfeſten, vor allen
am Brigitten-Kirchtag im Freien, wo er als Pierrot
maskirt erſchien.
Dieſe Vergnügungen, bald bunt und ausgelaſſen,
[12] bald einer ruhigeren Stimmung zuſagend, waren be¬
ſtimmt, dem lang geſpannten Geiſt nach ungeheurem
Kraftaufwand die nöthige Raſt zu gewähren; auch
verfehlten ſie nicht, demſelben nebenher auf den ge¬
heimnißvollen Wegen, auf welchen das Genie ſein
Spiel bewußtlos treibt, die feinen flüchtigen Eindrücke
mitzutheilen, wodurch es ſich gelegentlich befruchtet.
Doch leider kam in ſolchen Stunden, weil es dann
immer galt, den glücklichen Moment bis auf die Neige
auszuſchöpfen, eine andere Rückſicht, es ſey nun der
Klugheit oder der Pflicht, der Selbſterhaltung wie
der Häuslichkeit, nicht in Betracht. Genießend oder
ſchaffend kannte Mozart gleich wenig Maß und Ziel.
Ein Theil der Nacht war ſtets der Compoſition ge¬
widmet. Morgens früh, oft lange noch im Bett,
ward ausgearbeitet. Dann machte er, von zehn
Uhr an, zu Fuß oder im Wagen abgeholt, die
Runde ſeiner Lectionen, die in der Regel noch einige
Nachmittagsſtunden wegnahmen. „Wir plagen uns
wohl auch rechtſchaffen,“ ſo ſchreibt er ſelber einmal
einem Gönner, „und es hält öfter ſchwer, nicht
die Geduld zu verlieren. Da halst man ſich als
wohl accreditirter Cembaliſt und Muſiklehrmeiſter ein
Dutzend Schüler auf, und immer wieder einen neuen,
[13] unangeſehn, was weiter an ihm iſt, wenn er nur
ſeinen Thaler per marca bezahlt. Ein jeder ungriſche
Schnurrbart vom Geniecorps iſt willkommen, den der
Satan plagt, für nichts und wieder nichts General¬
baß und Contrapunct zu ſtudiren; das übermüthigſte
Comteßchen, das mich wie Meiſter Coquerel, den
Haarkräusler, mit einem rothen Kopf empfängt, wenn
ich einmal nicht auf den Glockenſchlag bei ihr an¬
klopfe u. ſ. w.“ Und wenn er nun durch dieſe und
andere Berufsarbeiten, Accademien, Proben und der¬
gleichen abgemüdet, nach friſchem Athem ſchmachtete,
war den erſchlafften Nerven häufig nur in neuer
Aufregung eine ſcheinbare Stärkung vergönnt. Seine
Geſundheit wurde heimlich angegriffen, ein je und je
wiederkehrender Zuſtand von Schwermuth wurde, wo
nicht erzeugt, doch ſicherlich genährt an eben dieſem
Punkt, und ſo die Ahnung eines frühzeitigen Todes,
die ihn zuletzt auf Schritt und Tritt begleitete, un¬
vermeidlich erfüllt. Gram aller Art und Farbe, das
Gefühl der Neue nicht ausgenommen, war er als
eine herbe Würze jeder Luſt auf ſeinen Theil ge¬
wöhnt. Doch wiſſen wir, auch dieſe Schmerzen
rannen abgeklärt und rein in jenem tiefen Quell zu¬
ſammen, der aus hundert goldenen Röhren ſpringend,
[14] im Wechſel ſeiner Melodien unerſchöpflich, alle Qual
und alle Seligkeit der Menſchenbruſt ausſtrömte.
Am offenbarſten zeigten ſich die böſen Wirkungen
der Lebensweiſe Mozarts in ſeiner häuslichen Ver¬
faſſung. Der Vorwurf thörichter, leichtſinniger Ver¬
ſchwendung lag ſehr nahe; er mußte ſich ſogar an
einen ſeiner ſchönſten Herzenszüge hängen. Kam
Einer, in dringender Noth ihm eine Summe abzu¬
borgen, ſich ſeine Bürgſchaft zu erbitten, ſo war meiſt
ſchon darauf gerechnet, daß er ſich nicht erſt lang
nach Pfand und Sicherheit erkundigte; dergleichen hätte
ihm auch in der That ſo wenig als einem Kinde an¬
geſtanden. Am liebſten ſchenkte er gleich hin, und
immer mit lachender Großmuth, beſonders wenn er
meinte gerade Ueberfluß zu haben.
Die Mittel, die ein ſolcher Aufwand neben dem
ordentlichen Hausbedarf erheiſchte, ſtanden allerdings
in keinem Verhältniß mit den Einkünften. Was von
Theatern und Concerten, von Verlegern und Schülern
einging, zuſammt der kaiſerlichen Penſion, genügte
um ſo weniger, da der Geſchmack des Publikums noch
weit davon entfernt war, ſich entſchieden für Mozarts
Muſik zu erklären. Dieſe lauterſte Schönheit, Fülle
und Tiefe befremdete gemeinhin gegenüber der bisher
[15] beliebten, leicht faßlichen Koſt. Zwar hatten ſich die
Wiener an Belmonte und Conſtanze — Dank den
populären Elementen dieſes Stücks — ſeiner Zeit
kaum erſättigen können, hingegen that, einige Jahre
ſpäter, Figaro, und ſicher nicht allein durch die In¬
triguen des Direktors, im Wettſtreit mit der lieb¬
lichen, doch weit geringeren Coſa rara, einen uner¬
warteten, kläglichen Fall; derſelbe Figaro, den gleich
darauf die gebildetern oder unbefangenern Prager mit
ſolchem Enthuſiasmus aufnahmen, daß der Meiſter,
in dankbarer Rührung darüber, ſeine nächſte große
Oper eigens für ſie zu ſchreiben beſchloß. — Trotz
der Ungunſt der Zeit und dem Einfluß der Feinde
hätte Mozart mit etwas mehr Umſicht und Klugheit
noch immer einen ſehr anſehnlichen Gewinn von ſei¬
ner Kunſt gezogen: ſo aber kam er ſelbſt bei jenen
Unternehmungen zu kurz, wo auch der große Haufen
ihm Beifall zujauchzen mußte. Genug, es wirkte
eben alles, Schickſal und Naturell und eigene Schuld
zuſammen, den einzigen Mann nicht gedeihen zu laſſen.
Welch einen ſchlimmen Stand nun aber eine Haus¬
frau, ſofern ſie ihre Aufgabe kannte, unter ſolchen
Umſtänden gehabt haben müſſe, begreifen wir leicht.
Obgleich ſelbſt jung und lebensfroh, als Tochter
[16] eines Muſikers ein ganzes Künſtlerblut, von Hauſe
aus übrigens ſchon an Entbehrung gewöhnt, bewies
Conſtanze allen guten Willen, dem Unheil an der
Quelle zu ſteuern, manches Verkehrte abzuſchneiden
und den Verluſt im Großen durch Sparſamkeit im
Kleinen zu erſetzen. Nur eben in letzterer Hinſicht
vielleicht ermangelte ſie des rechten Geſchicks und der
frühern Erfahrung. Sie hatte die Kaſſe und führte
das Hausbuch, jede Forderung, jede Schuldmahnung,
und was es Verdrießliches gab, ging ausſchließlich
an ſie. Da ſtieg ihr wohl mitunter das Waſſer an
die Kehle, zumal wenn oft zu dieſer Bedrängniß, zu
Mangel, peinlicher Verlegenheit und Furcht vor offen¬
barer Unehre, noch gar der Trübſinn ihres Mannes
kam, worin er tagelang verharrte, unthätig, keinem
Troſt zugänglich, indem er mit Seufzen und Klagen
neben der Frau, oder ſtumm in einem Winkel vor
ſich hin, den Einen traurigen Gedanken, zu ſterben,
wie eine endloſe Schraube verfolgte. Ihr guter Muth
verließ ſie dennoch ſelten, ihr heller Blick fand meiſt,
wenn auch nur auf einige Zeit, Rath und Hülfe.
Im Weſentlichen wurde wenig oder nichts gebeſſert.
Gewann ſie ihm mit Ernſt und Scherz, mit Bitten
und Schmeicheln für heute ſo viel ab, daß er den
[17] Thee an ihrer Seite trank, ſich ſeinen Abendbraten
daheim bei der Familie ſchmecken ließ, um nachher
nicht mehr auszugehen, was war damit erreicht?
Er konnte wohl einmal, durch ein verweintes Auge
ſeiner Frau plötzlich betroffen und bewegt, eine ſchlimme
Gewohnheit aufrichtig verwünſchen, das Beſte ver¬
ſprechen, mehr als ſie verlangte, — umſonſt, er fand
ſich unverſehens im alten Fahrgeleiſe wieder. Man
war verſucht zu glauben, es habe anders nicht in
ſeiner Macht geſtanden und eine völlig veränderte
Ordnung nach unſern Begriffen von dem, was allen
Menſchen ziemt und frommt, ihm irgendwie gewalt¬
ſam aufgedrungen, müßte das wunderbare Weſen
geradezu ſelbſt aufgehoben haben.
Einen günſtigen Umſchwung der Dinge hoffte
Conſtanze doch ſtets in ſo weit, als derſelbe von
außen her möglich war: durch eine gründliche Ver¬
beſſerung ihrer ökonomiſchen Lage, wie ſolche bei dem
wachſenden Ruf ihres Mannes nicht ausbleiben könne.
Wenn erſt, ſo meinte ſie, der ſtete Druck wegfiel.
der ſich auch ihm, bald näher, bald entfernter, von
dieſer Seite fühlbar machte, wenn er, anſtatt die
Hälfte ſeiner Kraft und Zeit dem bloßen Gelder¬
werb zu opfern, ungetheilt ſeiner wahren Beſtimmung
Mörike, Mozart. 2[18] nachleben dürfe, wenn endlich der Genuß, nach dem er
nicht mehr jagen, den er mit ungleich beſſerem Ge¬
wiſſen haben würde, ihm noch einmal ſo wohl an
Leib und Seele gedeihe, dann ſollte bald ſein ganzer
Zuſtand leichter, natürlicher, ruhiger werden. Sie
dachte gar an einen gelegentlichen Wechſel ihres
Wohnorts, da ſeine unbedingte Vorliebe für Wien,
wo nun einmal nach ihrer Ueberzeugung kein rech¬
ter Segen für ihn ſey, am Ende doch zu überwin¬
den wäre.
Den nächſten entſcheidenden Vorſchub aber zu
Verwirklichung ihrer Gedanken und Wünſche verſprach
ſich Madame Mozart vom Erfolg der neuen Oper,
um die es ſich bei dieſer Reiſe handelte.
Die Compoſition war weit über die Hälfte vor¬
geſchritten. Vertraute, urtheilsfähige Freunde, die,
als Zeugen der Entſtehung des außerordentlichen
Werks, einen hinreichenden Begriff von ſeiner Art
und Wirkungsweiſe haben mußten, ſprachen überall
davon in einem Tone, daß viele ſelber von den Geg¬
nern darauf gefaßt ſeyn konnten, es werde dieſer
Don Juan, bevor ein halbes Jahr verginge, die ge¬
ſammte muſikaliſche Welt, von einem Ende Deutſch¬
lands bis zum andern, erſchüttert, auf den Kopf
[19] geſtellt, im Sturm erobert haben. Vorſichtiger und
bedingter waren die wohlwollenden Stimmen an¬
derer, die von dem heutigen Standpunkt der Muſik
ausgehend einen allgemeinen und raſchen Succeß kaum
hofften. Der Meiſter ſelber theilte im Stillen ihre
nur zu wohl begründeten Zweifel.
Conſtanze ihrerſeits, wie die Frauen immer, wo
ihr Gefühl einmal lebhaft beſtimmt und noch dazu
vom Eifer eines höchſt gerechten Wunſches eingenom¬
men iſt, durch ſpätere Bedenklichkeiten von da und
dorther ſich viel ſeltener als die Männer irre machen
laſſen, hielt feſt an ihrem guten Glauben, und hatte
eben jetzt im Wagen wiederum Veranlaſſung, den¬
ſelben zu verfechten. Sie that's, in ihrer fröhlichen
und blühenden Manier, mit doppelter Gefliſſenheit,
da Mozarts Stimmung im Verlauf des vorigen Ge¬
ſprächs, das weiter zu nichts führen konnte und de߬
halb äußerſt unbefriedigend abbrach, bereits merklich
geſunken war. Sie ſetzte ihrem Gatten ſofort mit
gleicher Heiterkeit umſtändlich auseinander, wie ſie
nach ihrer Heimkehr die mit dem Prager Unternehmer
als Kaufpreis für die Partitur accordirten hundert
Dukaten zu Deckung der dringendſten Poſten und ſonſt
zu verwenden gedenke, auch wie ſie zufolge ihres
[20] Etats den kommenden Winter hindurch bis zum Früh¬
jahr gut auszureichen hoffe.
„Dein Herr Bondini wird ſein Schäfchen an der
Oper ſcheeren, glaub' es nur; und iſt er halb der
Ehrenmann, den du ihn immer rühmſt, ſo läßt er
dir nachträglich noch ein artiges Procentchen von
den Summen ab, die ihm die Bühnen nach einan¬
der für die Abſchrift zahlen; wo nicht, nun ja,
Gottlob, ſo ſtehen uns noch andere Chancen in Aus¬
ſicht, und zwar noch tauſendmal ſolidere. Mir ahnet
Allerlei.“
„Heraus damit!“
„Ich hörte unlängſt ein Vögelchen pfeifen, der
König von Preußen hab' einen Kapellmeiſter nöthig.“
„Oho!“
„Generalmuſikdirektor wollt' ich ſagen. Laß mich
ein wenig phantaſiren! Die Schwachheit habe ich
von meiner Mutter.“
„Nur zu! je toller je beſſer.“
„Nein, alles ganz natürlich. — Vornweg alſo
nimm an: über's Jahr um dieſe Zeit —“
„Wenn der Papſt die Grete freit —“
„Still doch, Hanswurſt! Ich ſage, auf's Jahr
um Sanct Aegidi muß ſchon längſt kein kaiſerlicher
[21] Kammercomponiſt mit Namen Wolf Mozart in Wien
mehr weit und breit zu finden ſeyn.“
„Beiß dich der Fuchs dafür!“
„Ich höre ſchon im Geiſt, wie unſere alten
Freunde von uns plaudern, was ſie ſich alles zu
erzählen wiſſen.“
„Zum Exempel?“
„Da kommt z. B. eines Morgens früh nach Neune
ſchon unſere alte Schwärmerin, die Volkſtett, in ihrem
feurigſten Beſuchsſturmſchritt quer über'n Kohlmarkt
hergeſegelt. Sie war drei Monat fort, die große
Reiſe zum Schwager in Sachſen, ihr tägliches Ge¬
ſpräch, ſo lang wir ſie kennen, kam endlich zu Stand;
ſeit geſtern Nacht iſt ſie zurück, und jetzt, mit ihrem
übervollen Herzen — es ſchwattelt ganz von Reiſe¬
glück und Freundſchaftsungeduld und allerliebſten
Neuigkeiten — ſtracks hin zur Oberſtin damit! die
Trepp' hinauf und angeklopft und das Herein nicht
abgewartet; ſtell' dir den Jubel ſelber vor und das
Embraſſement beiderſeits! — Nun, liebſte, beſte
Oberſtin, hebt ſie nach einigem Vorgängigen mit
friſchem Odem an; ich bringe Ihnen ein Schock
Grüße mit, ob Sie errathen von wem? Ich komme
nicht ſo gradenwegs von Stendal her, es wurde ein
[22] kleiner Abſtecher gemacht, linkshin, nach Brandenburg
zu. — Wie? wär' es möglich ... Sie kamen nach
Berlin? ſind bei Mozarts geweſen? — Zehn himm¬
liſche Tage! — O liebe, ſüße, einzige Generalin,
erzählen Sie, beſchreiben Sie! Wie geht es unſern
guten Leutchen? Gefallen ſie ſich immer noch ſo gut
wie Anfangs dort? Es iſt mir fabelhaft, undenkbar,
heute noch, und jetzt nur deſto mehr, da Sie von
ihm herkommen — Mozart als Berliner! Wie be¬
nimmt er ſich doch? wie ſieht er denn aus? — O
der! Sie ſollten ihn nur ſehen. Dieſen Sommer hat
ihn der König in's Karlsbad geſchickt. Wann wäre
ſeinem herzgeliebten Kaiſer Joſeph ſo etwas einge¬
fallen, he? Sie waren beide kaum erſt wieder da,
als ich ankam. Er glänzt von Geſundheit und Leben,
iſt rund und beleibt und vif wie Queckſilber; das
Glück ſieht ihm und die Behaglichkeit recht aus den
Augen.“
Und nun begann die Sprecherin in ihrer ange¬
nommenen Rolle die neue Lage mit den hellſten Far¬
ben auszumalen. Von ſeiner Wohnung unter den
Linden, von ſeinem Garten und Landhaus an, bis
zu den glänzenden Schauplätzen ſeiner öffentlichen
Wirkſamkeit und den engeren Cirkeln des Hofs, wo
[23] er die Königin auf dem Piano zu begleiten hatte,
wurde alles durch ihre Schilderung gleichſam zur
Wirklichkeit und Gegenwart. Ganze Geſpräche, die
ſchönſten Anekdoten ſchüttelte ſie aus dem Aermel.
Sie ſchien fürwahr mit jener Reſidenz, mit Potsdam
und mit Sansſouci bekannter als im Schloſſe zu
Schönbrunn und auf der kaiſerlichen Burg. Nebenbei
war ſie ſchalkhaft genug, die Perſon unſres Helden
mit einer Anzahl völlig neuer hausväterlicher Eigen¬
ſchaften auszuſtatten, die ſich auf dem ſoliden Boden
der preußiſchen Existenz entwickelt hatten, und unter
welchen die beſagte Volkſtett, als höchſtes Phänomen
und zum Beweis wie die Extreme ſich manchmal be¬
rühren, den Anſatz eines ordentlichen Geizchens wahr¬
genommen hatte, das ihn unendlich liebenswürdig
kleide. „Ja, nehmen's nur, er hat ſeine dreitauſend
Thaler fix, und das wofür? Daß er die Woche ein¬
mal ein Kammerconcert, zweimal die große Oper
dirigirt — Ach, Oberſtin, ich habe ihn geſehen, un¬
ſern lieben, kleinen goldenen Mann, in Mitten ſeiner
trefflichen Kapelle, die er ſich zugeſchult, die ihn an¬
betet! ſaß mit der Mozartin in ihrer Loge, ſchräg
gegen den höchſten Herrſchaften über! Und was ſtand
auf dem Zettel, bitte Sie — ich nahm ihn mit für
[24] Sie — ein kleines Reiſ'präſent von mir und Mozarts
drein gewickelt — hier ſchauen Sie, hier leſen Sie,
da ſteht's mit ellenlangen Buchſtaben gedruckt! —
Hilf Himmel! was? Tarar! — Ja, gelten's, Freun¬
din, was man erleben kann! Vor zwei Jahren, wie
Mozart den Don Juan ſchrieb und der verwünſchte
giftige, ſchwarzgelbe Salieri auch ſchon im Stillen
Anſtalt machte, den Triumph, den er mit ſeinem
Stück davon trug in Paris, demnächſt auf ſeinem
eignen Territorio zu begehen, und unſerem guten,
Schnepfen liebenden, allzeit in Coſa rara vergnügten
Publikum nun doch auch 'mal ſo eine Gattung Falken
ſehn zu laſſen, und er und ſeine Helfershelfer bereits
zuſammen munkelten und raffinirten, daß ſie den
Don Juan ſo ſchön gerupft wie jenesmal den Figaro,
nicht todt und nicht lebendig, auf das Theater ſtellen
wollten — wiſſen's, da that ich ein Gelübd', wenn
das infame Stück gegeben wird, ich geh' nicht hin,
um keine Welt! Und hielt auch Wort. Als alles
lief und rannte — und, Oberſtin, Sie mit — blieb
ich an meinem Ofen ſitzen, nahm meine Katze auf
den Schooß und aß meine Kaldauſche; und ſo die
folgenden paar Male auch. Jetzt aber, ſtellen ſie ſich
vor, Tarar auf der Berliner Opernbühne, das Werk
[25] ſeines Todfeinds, von Mozart dirigirt! — Da müſſen
Sie ſchon drein! rief er gleich in der erſten Viertel¬
ſtunde, und wär's auch nur, daß Sie den Wienern
ſagen können, ob ich dem Knaben Abſalon ein Här¬
chen krümmen ließ. Ich wünſchte, er wär' ſelbſt
dabei, der Erzneidhammel ſollte ſehen, daß ich nicht
nöthig hab', einem andern ſein Zeug zu verhunzen,
damit ich immerfort der bleiben möge, der ich bin!“
„Brava! bravissima!“ rief Mozart überlaut und
nahm ſein Weibchen bei den Ohren, verküßte, herzte,
kitzelte ſie, ſo daß ſich dieſes Spiel mit bunten Sei¬
fenblaſen einer erträumten Zukunft, die leider niemals,
auch nicht im beſcheidenſten Maße, erfüllt werden
ſollte, zuletzt in hellen Muthwillen, Lärm und Ge¬
lächter auflöste.
Sie waren unterdeſſen längſt in's Thal herab
gekommen und näherten ſich einem Dorf, das ihnen
bereits auf der Höhe bemerklich geweſen und hinter
welchem ſich unmittelbar ein kleines Schloß von mo¬
dernem Anſehen, der Wohnſitz eines Grafen von
Schinzberg, in der freundlichen Ebene zeigte. Es
ſollte in dem Ort gefüttert, geraſtet und Mittag ge¬
halten werden. Der Gaſthof, wo ſie hielten, lag
vereinzelt am Ende des Dorfs bei der Straße, von
[26] welcher ſeitwärts eine Pappelallee von nicht ſechs¬
hundert Schritten zum herrſchaftlichen Garten führte.
Mozart, nachdem man ausgeſtiegen, überließ wie
gewöhnlich der Frau die Beſtellung des Eſſens. In¬
zwiſchen befahl er für ſich ein Glas Wein in die
untere Stube, während ſie, nächſt einem Trunke fri¬
ſchen Waſſers, nur irgend einen ſtillen Winkel, um
ein Stündchen zu ſchlafen, verlangte. Man führte
ſie eine Treppe hinauf, der Gatte folgte, ganz mun¬
ter vor ſich hin ſingend und pfeifend. In einem rein
geweißten und ſchnell gelüfteten Zimmer befand ſich
unter andern veralteten Möbeln von edlerer Herkunft
— ſie waren ohne Zweifel aus den gräflichen Ge¬
mächern ſeiner Zeit hierher gewandert — ein ſauberes,
leichtes Bett mit gemaltem Himmel auf dünnen, grün
lackirten Säulen, deſſen ſeidene Vorhänge längſt durch
einen gewöhnlichern Stoff erſetzt waren. Conſtanze
machte ſich's bequem, er verſprach ſie rechtzeitig zu
wecken, ſie riegelte die Thüre hinter ihm zu und er
ſuchte nunmehr Unterhaltung für ſich in der allge¬
meinen Schenkſtube. Hier war jedoch außer dem
Wirth keine Seele, und weil deſſen Geſpräch dem
Gaſt ſo wenig wie ſein Wein behagte, ſo bezeugte
er Luſt, bis der Tiſch bereit wäre, noch einen
[27] Spaziergang nach dem Schloßgarten zu machen. Der
Zutritt, hörte er, ſey anſtändigen Fremden wohl ge¬
ſtattet und die Familie überdieß heut ausgefahren.
Er ging, und hatte bald den kurzen Weg bis zu
dem offenen Gatterthor zurückgelegt, dann langſam
einen hohen alten Lindengang durchmeſſen, an deſſen
Ende linker Hand er in geringer Entfernung das
Schloß von ſeiner Fronte auf einmal vor ſich hatte.
Es war von italieniſcher Bauart, hell getüncht, mit
weit vorliegender Doppeltreppe; das Schieferdach ver¬
zierten einige Statuen in üblicher Manier, Götter
und Göttinnen, ſammt einer Baluſtrade.
Von der Mitte zweier großen, noch reichlich blü¬
henden Blumenparterre ging unſer Meiſter nach den
buſchigen Theilen der Anlagen zu, berührte ein paar
ſchöne dunkle Piniengruppen, und lenkte ſeine Schritte
auf vielfach gewundenen Pfaden, indem er ſich all¬
mählig den lichteren Partien wieder näherte, dem
lebhaften Rauſchen eines Springbrunnens nach, den
er ſofort erreichte.
Das anſehnlich weite, ovale Baſſin war rings
von einer ſorgfältig gehaltenen Orangerie in Kübeln,
abwechſelnd mit Lorbeeren und Oleandern umſtellt;
ein weicher Sandweg, gegen den ſich eine ſchmale
[28] Gitterlaube öffnete, lief rund umher. Die Laube bot
das angenehmſte Ruheplätzchen dar; ein kleiner Tiſch
ſtand vor der Bank und Mozart ließ ſich vorn am
Eingang nieder.
Das Ohr behaglich dem Geplätſcher des Waſſers
hingegeben, das Aug auf einen Pomeranzenbaum von
mittlerer Größe geheftet, der außerhalb der Reihe,
einzeln, ganz dicht an ſeiner Seite auf dem Boden
ſtand und voll der ſchönſten Früchte hing, ward unſer
Freund durch dieſe Anſchauung des Südens alsbald
auf eine liebliche Erinnerung aus ſeiner Knabenzeit
geführt. Nachdenklich lächelnd reicht er hinüber nach
der nächſten Frucht, als wie um ihre herrliche Ründe,
ihre ſaftige Kühle in hohler Hand zu fühlen. Ganz
im Zuſammenhang mit jener Jugendſcene aber, die
wieder vor ihm aufgetaucht, ſtand eine längſt ver¬
wiſchte muſikaliſche Reminiscenz, auf deren unbe¬
ſtimmter Spur er ſich ein Weilchen träumeriſch er¬
ging. Jetzt glänzen ſeine Blicke, ſie irren da und
dort umher, er iſt von einem Gedanken ergriffen,
den er ſogleich eifrig verfolgt. Zerſtreut hat er zum
zweitenmal die Pomeranze angefaßt, ſie geht vom
Zweige los und bleibt ihm in der Hand. Er ſieht
und ſieht es nicht; ja ſo weit geht die künſtleriſche
[29] Geiſtabweſenheit, daß er, die duftige Frucht beſtändig
unter der Naſe hin und her wirbelnd und bald den
Anfang, bald die Mitte einer Weiſe unhörbar zwiſchen
den Lippen bewegend, zuletzt inſtinktmäßig ein email¬
lirtes Etui aus der Seitentaſche des Rocks hervorbringt,
ein kleines Meſſer mit ſilbernem Heft daraus nimmt
und die gelbe kugelige Maſſe von oben nach unten
langſam durchſchneidet. Es mochte ihn dabei entfernt
ein dunkles Durſtgefühl geleitet haben, jedoch be¬
gnügten ſich die angeregten Sinne mit Einathmung
des köſtlichen Geruchs. Er ſtarrt minutenlang die
beiden innern Flächen an, fügt ſie ſachte wieder zu¬
ſammen, ganz ſachte, trennt und vereinigt ſie wieder.
Da hört er Tritte in der Nähe, er erſchrickt, und
das Bewußtſeyn, wo er iſt, was er gethan, ſtellt
ſich urplötzlich bei ihm ein. Schon im Begriff, die
Pomeranze zu verbergen, hält er doch gleich damit
inne, ſey es aus Stolz, ſey's weil es zu ſpät dazu
war. Ein großer breitſchulteriger Mann in Livree,
der Gärtner des Hauſes, ſtand vor ihm. Derſelbe
hatte wohl die letzte verdächtige Bewegung noch ge¬
ſehen und ſchwieg betroffen einige Sekunden. Mozart,
gleichfalls ſprachlos, auf ſeinem Sitz wie angenagelt,
ſchaute ihm halb lachend, unter ſichtbarem Erröthen,
[30] doch gewiſſermaßen keck und groß mit ſeinen blauen
Augen in's Geſicht; dann ſetzte er — für einen
Dritten wäre es höchſt komiſch anzuſehen geweſen —
die ſcheinbar unverletzte Pomeranze mit einer Art
von trotzig couragirtem Nachdruck in die Mitte des
Tiſches.
„Um Vergebung,“ fing jetzt der Gärtner, nachdem
er den wenig verſprechenden Anzug des Fremden ge¬
muſtert, mit unterdrücktem Unwillen an; „ich weiß
nicht, wen ich hier —“
„Kapellmeiſter Mozart aus Wien.“
„Sind ohne Zweifel bekannt im Schloß?“
„Ich bin hier fremd und auf der Durchreiſe. Iſt
der Herr Graf anweſend?“
„Nein.“
„Seine Gemahlin?“
„Sind beſchäftigt und ſchwerlich zu ſprechen.“
Mozart ſtand auf und machte Miene zu gehen.
„Mit Erlaubniß, mein Herr, — wie kommen
Sie dazu, an dieſem Ort auf ſolche Weiſe zuzu¬
greifen?“
„Was?“ rief Mozart, „zugreifen? Zum Teufel,
glaubt Er denn, ich wollte ſtehlen und das Ding da
freſſen?“
„Mein Herr, ich glaube was ich ſehe. Dieſe
Früchte ſind gezählt, ich bin dafür verantwortlich. Der
Baum iſt vom Herrn Grafen zu einem Feſt beſtimmt,
ſo eben ſoll er weggebracht werden. Ich laſſe Sie
nicht fort, ehbevor ich die Sache gemeldet und Sie
mir ſelbſt bezeugten, wie das da zugegangen iſt.“
„Sey's drum. Ich werde hier ſo lange warten.
Verlaß Er ſich darauf.“
Der Gärtner ſah ſich zögernd um, und Mozart,
in der Meinung, es ſey vielleicht nur auf ein Trink¬
geld abgeſehen, griff in die Taſche, allein er hatte
das Geringſte nicht bei ſich.
Zwei Gartenknechte kamen nun wirklich herbei,
luden den Baum auf eine Bahre und trugen ihn hin¬
weg. Inzwiſchen hatte unſer Meiſter ſeine Brieftaſche
gezogen, ein weißes Blatt herausgenommen, und
während daß der Gärtner nicht von der Stelle wich,
mit Bleiſtift angefangen zu ſchreiben:
„Gnädigſte Frau! Hier ſitze ich Unſeliger in
Ihrem Paradieſe, wie weiland Adam, nachdem er
den Apfel gekoſtet. Das Unglück iſt geſchehen, und
ich kann nicht einmal die Schuld auf eine gute Eva
ſchieben, die eben jetzt, von Grazien und Amoretten
eines Himmelbetts umgaukelt, im Gaſthof ſich des
[32] unſchuldigſten Schlafes erfreut. Befehlen Sie und
ich ſtehe perſönlich Ihro Gnaden Rede über meinen
mir ſelbſt unfaßlichen Frevel. Mit aufrichtiger Be¬
ſchämung
Hochdero
unterthänigſter Diener
W. A. Mozart,
auf dem Wege nach Prag.“
Er übergab das Billet, ziemlich ungeſchickt zuſam¬
mengefaltet, dem peinlich wartenden Diener mit der
nöthigen Weiſung.
Der Unhold hatte ſich nicht ſobald entfernt, als
man an der hinteren Seite des Schloſſes ein Gefährt
in den Hof rollen hörte. Es war der Graf, der eine
Nichte und ihren Bräutigam, einen jungen reichen
Baron, vom benachbarten Gut herüberbrachte. Da
die Mutter des letztern ſeit Jahren das Haus nicht
mehr verließ, war die Verlobung heute bei ihr ge¬
halten worden; nun ſollte dieſes Feſt in einer fröh¬
lichen Nachfeier mit einigen Verwandten auch hier
begangen werden, wo Eugenie gleich einer eigenen
Tochter ſeit ihrer Kindheit eine zweite Heimath fand.
Die Gräfin war mit ihrem Sohne Max, dem Lieu¬
tenant, etwas früher nach Hauſe gefahren, um noch
[33] verſchiedene Anordnungen zu treffen. Nun ſah man
in dem Schloſſe alles, auf Gängen und Treppen,
in voller Bewegung, und nur mit Mühe gelang es
dem Gärtner, im Vorzimmer endlich den Zettel der
Frau Gräfin einzuhändigen, die ihn jedoch nicht auf
der Stelle öffnete, ſondern ohne genau auf die Worte
des Ueberbringers zu achten, geſchäftig weiter eilte.
Er wartete und wartete, ſie kam nicht wieder. Eins
um das andere von der Dienerſchaft, Aufwärter,
Zofe, Kammerdiener, rannte an ihm vorbei, er fragte
nach dem Herrn — der kleidete ſich um; er ſuchte
nun und fand den Grafen Max auf ſeinem Zimmer,
der aber unterhielt ſich angelegentlich mit dem Baron
und ſchnitt ihm, wie in Sorge, er wolle etwas mel¬
den oder fragen, wovon noch nichts verlauten ſollte,
das Wort vom Munde ab: „Ich komme ſchon —
geht nur!“ Es ſtand noch eine gute Weile an, bis
endlich Vater und Sohn zugleich herauskamen und
die fatale Nachricht empfingen.
„Das wär' ja höllenmäßig!“ rief der dicke, gut¬
müthige, doch etwas jähe Mann; „das geht ja über
alle Begriffe! Ein Wiener Muſikus, ſagt Ihr?
Vermuthlich irgend ſolch ein Lump, der um ein
Viaticum läuft und mitnimmt was er findet?“
Mörike[34]
„Verzeihen Ew. Gnaden, darnach ſieht er gerad
nicht aus. Er däucht mir nicht richtig im Kopf;
auch iſt er ſehr hochmüthig. Moſer nennt er ſich.
Er wartet unten auf Beſcheid; ich hieß den Franz
um den Weg bleiben und ein Aug auf ihn haben.“
„Was hilft es hintendrein, zum Henker? Wenn
ich den Narren auch einſtecken laſſe, der Schaden iſt
nicht mehr zu repariren! Ich ſagt' Euch tauſend¬
mal, das vordere Thor ſoll allezeit geſchloſſen bleiben.
Der Streich wär' aber jedenfalls verhütet worden,
hättet Ihr zur rechten Zeit Eure Zurüſtungen gemacht.“
Hier trat die Gräfin haſtig und mit freudiger
Aufregung, das offene Billet in der Hand, aus dem
anſtoßenden Cabinet. „Wißt Ihr,“ rief ſie, „wer
unten iſt? Um Gotteswillen, lest den Brief —
Mozart aus Wien, der Componiſt! Man muß gleich
gehen, ihn heraufzubitten — ich fürchte nur, er iſt
ſchon fort! was wird er von mir denken! Ihr,
Velten, ſeyd ihm doch höflich begegnet? Was iſt
denn eigentlich geſchehen?“
„Geſchehn?“ verſezte der Gemahl, dem die Aus¬
ſicht auf den Beſuch eines berühmten Mannes un¬
möglich allen Aerger auf der Stelle niederſchlagen
konnte: „der tolle Menſch hat von dem Baum, den
[35] ich Eugenien beſtimmte, eine der neun Orangen ab¬
geriſſen, hm! das Ungeheuer! Somit iſt unſerem
Spaß geradezu die Spitze abgebrochen und Mar mag
ſein Gedicht nur gleich caſſiren.“
„O nicht doch!“ ſagte die dringende Dame; „die
Lücke läßt ſich leicht ausfüllen, überlaßt es nur mir.
Geht Beide jetzt, erlöſ't, empfangt den guten Mann,
ſo freundlich und ſo ſchmeichelhaft ihr immer könnt.
Er ſoll, wenn wir ihn irgend halten können, heut
nicht weiter. Trefft ihr ihn nicht im Garten mehr,
ſucht ihn im Wirthshaus auf, und bringet ihn mit
ſeiner Frau. Ein größeres Geſchenk, eine ſchönere
Ueberraſchung für Eugenien hatte der Zufall uns an
dieſem Tag nicht machen können.“
„Gewiß!“ erwiederte Max, „dieß war auch mein
erſter Gedanke. Geſchwinde, kommen Sie, Papa!
Und“ — ſagte er, indem ſie eilends nach der Treppe
liefen — „der Verſe wegen ſeyen Sie ganz ruhig.
Die neunte Muſe ſoll nicht zu kurz kommen; im
Gegentheil, ich werde aus dem Unglück noch beſon¬
dern Vortheil ziehen.“ — „Das iſt unmöglich!“ —
„Ganz gewiß.“ — „Nun, wenn das iſt — allein
ich nehme dich beim Wort — ſo wollen wir dem,
Querkopf alle erdenkliche Ehre erzeigen.“
[36]
So lange dieß im Schloß vorging, hatte ſich
unſer Quaſi-Gefangener, ziemlich unbeſorgt über den
Ausgang der Sache, geraume Zeit ſchreibend beſchäf¬
tigt. Weil ſich jedoch gar niemand ſehen ließ, fing
er an unruhig hin und her zu gehen; darüber kam
dringliche Botſchaft vom Wirthshaus, der Tiſch ſey
ſchon lange bereit, er möchte ja gleich kommen, der
Poſtillon preſſire. So ſuchte er denn ſeine Sachen
zuſammen und wollte ohne weiteres aufbrechen, als
beide Herrn vor der Laube erſchienen.
Der Graf begrüßte ihn, beinah wie einen frühe¬
ren Bekannten, lebhaft mit ſeinem kräftig ſchallenden
Organ, ließ ihn zu gar keiner Entſchuldigung kom¬
men, ſondern erklärte ſogleich ſeinen Wunſch, das
Ehepaar zum wenigſten für dieſen Mittag und Abend
im Kreis ſeiner Familie zu haben. „Sie ſind uns,
mein liebſter Maeſtro, ſo wenig fremd, daß ich wohl
ſagen kann, der Name Mozart wird ſchwerlich an¬
derswo mit mehr Begeiſterung und häufiger genannt
als hier. Meine Nichte ſingt und ſpielt, ſie bringt
faſt ihren ganzen Tag am Flügel zu, kennt Ihre
Werke auswendig und hat das größte Verlangen,
Sie einmal in mehrerer Nähe zu ſehen, als es vori¬
gen Winter in einem Ihrer Concerte anging. Da
[37] wir nun demnächſt auf einige Wochen nach Wien
gehen werden, ſo war ihr eine Einladung beim Für¬
ſten Gallizin, wo man Sie öfter findet, von den
Verwandten verſprochen. Jetzt aber reiſen Sie nach
Prag, werden ſobald nicht wiederkehren, und Gott
weiß, ob Sie der Rückweg zu uns führt. Machen
Sie heute und morgen Raſttag! Das Fuhrwerk
ſchicken wir ſogleich nach Hauſe und mir erlauben
Sie die Sorge für Ihr Weiterkommen.“
Der Componiſt, welcher in ſolchen Fällen der
Freundſchaft oder dem Vergnügen leicht zehnmal mehr,
als hier gefordert war, zum Opfer brachte, beſann
ſich nicht lange; er ſagte dieſen einen halben Tag
mit Freuden zu, dagegen ſollte morgen mit dem
Früheſten die Reiſe fortgeſetzt werden. Graf Max
erbat ſich das Vergnügen, Madame Mozart abzuho¬
len und alles Nöthige im Wirthshaus abzumachen.
Er ging, ein Wagen ſollte ihm gleich auf dem Fuße
nachfolgen.
Von dieſem jungen Mann bemerken wir bei¬
läufig, daß er mit einem, von Vater und Mutter
angeerbten, heitern Sinn Talent und Liebe für ſchöne
Wiſſenſchaften verband, und ohne wahre Neigung zum
Soldatenſtand ſich doch als Offizier durch Kenntniſſe
[38] und gute Sitten hervorthat. Er kannte die fran¬
zöſiſche Literatur, und erwarb ſich, zu einer Zeit,
wo deutſche Verſe in der höheren Geſellſchaft wenig
galten, Lob und Gunſt durch eine nicht gemeine
Leichtigkeit der poetiſchen Form in der Mutterſprache
nach guten Muſtern, wie er ſie in Hagedorn, in
Götz und andern fand. Für heute war ihm nun,
wie wir bereits vernahmen, ein beſonders erfreulicher
Anlaß geworden, ſeine Gabe zu nutzen.
Er traf Madame Mozart, mit der Wirthstoch¬
ter plaudernd, vor dem gedeckten Tiſch, wo ſie ſich
einen Teller Suppe voraus genommen hatte. Sie
war an außerordentliche Zwiſchenfälle, an kecke Steg¬
reifſprünge ihres Manns zu ſehr gewöhnt, als daß
ſie über die Erſcheinung und den Auftrag des jungen
Offiziers mehr als billig hätte betreten ſeyn können.
Mit unverſtellter Heiterkeit, beſonnen und gewandt,
beſprach und ordnete ſie ungeſäumt alles Erforder¬
liche ſelbſt. Es wurde umgepackt, bezahlt, der Po¬
ſtillon entlaſſen, ſie machte ſich, ohne zu große Aengſt¬
lichkeit in Herſtellung ihrer Toilette, fertig, und fuhr
mit dem Begleiter wohlgemuth dem Schloſſe zu, nicht
ahnend, auf welche ſonderbare Weiſe ihr Gemahl ſich
dort eingeführt hatte.
[39]
Der befand ſich inzwiſchen bereits ſehr behag¬
lich daſelbſt und auf das Beſte unterhalten. Nach
kurzer Zeit ſah er Eugenien mit ihrem Verlobten; ein
blühendes, höchſt anmuthiges, inniges Weſen. Sie
war blond, ihre ſchlanke Geſtalt in carmoiſinrothe,
leuchtende Seide mit koſtbaren Spitzen feſtlich geklei¬
det, um ihre Stirn ein weißes Band mit edlen Per¬
len. Der Baron, nur wenig älter als ſie, von ſanf¬
tem, offenem Charakter, ſchien ihrer werth in jeder
Rückſicht.
Den erſten Aufwand des Geſprächs beſtritt, faſt
nur zu freigebig, der gute launige Hausherr, ver¬
möge ſeiner etwas lauten, mit Späßen und Hiſtör¬
chen ſattſam geſpickten Unterhaltungsweiſe. Es wur¬
den Erfriſchungen gereicht, die unſer Reiſender im
mindeſten nicht ſchonte.
Eines hatte den Flügel geöffnet, Figaros Hoch¬
zeit lag aufgeſchlagen, und das Fräulein ſchickte ſich
an, von dem Baron accompagnirt, die Arie Suſan¬
nas in jener Gartenſcene zu ſingen, wo wir den
Geiſt der ſüßen Leidenſchaft ſtromweiſe, wie die ge¬
würzte ſommerliche Abendluft, einathmen. Die feine
Röthe auf Eugeniens Wangen wich zwei Athemzüge
lang der äußerſten Bläſſe; doch mit dem erſten Ton,
[40] der klangvoll über ihre Lippen kam, fiel ihr jede be¬
klemmende Feſſel vom Buſen. Sie hielt ſich lächelnd,
ſicher auf der hohen Woge, und das Gefühl dieſes
Moments, des einzigen in ſeiner Art vielleicht für
alle Tage ihres Lebens, begeiſterte ſie billig.
Mozart war offenbar überraſcht. Als ſie ge¬
endigt hatte, trat er zu ihr und fing mit ſeinem un¬
gezierten Herzensausdruck an: „Was ſoll man ſagen,
liebes Kind, hier wo es iſt wie mit der lieben Sonne,
die ſich am beſten ſelber lobt, indem es gleich jeder¬
mann wohl in ihr wird! Bei ſolchem Geſang iſt
der Seele zu Muth wie dem Kindchen im Bad: es
lacht und wundert ſich und weiß ſich in der Welt
nichts Beſſeres. Uebrigens glauben Sie mir, unſer
einem in Wien begegnet es nicht jeden Tag, daß er
ſo lauter, ungeſchminkt und warm, ja ſo complet
ſich ſelber zu hören bekommt.“ — Damit erfaßte er
ihre Hand und küßte ſie herzlich. Des Mannes hohe
Liebenswürdigkeit und Güte nicht minder, als das
ehrenvolle Zeugniß, wodurch er ihr Talent auszeich¬
nete, ergriff Eugenien mit jener unwiderſtehlichen
Rührung, die einem leichten Schwindel gleicht, und
ihre Augen wollten ſich plötzlich mit Thränen an¬
füllen.
[41]
Hier trat Madame Mozart zur Thüre herein,
und gleich darauf erſchienen neue Gäſte, die man er¬
wartet hatte: eine dem Haus ſehr eng verwandte
freiherrliche Familie aus der Nähe, mit einer Toch¬
ter, Franziſka, die ſeit den Kinderjahren mit der
Braut durch die zärtlichſte Freundſchaft verbunden
und hier wie daheim war.
Man hatte ſich allerſeits begrüßt, umarmt, be¬
glückwünſcht, die beiden Wiener Gäſte vorgeſtellt, und
Mozart ſetzte ſich an den Flügel. Er ſpielte einen
Theil eines Concerts von ſeiner Compoſition, wel¬
ches Eugenie ſo eben einſtudirte.
Die Wirkung eines ſolchen Vertrags in einem
kleinen Kreis wie der gegenwärtige unterſcheidet ſich
natürlicherweiſe von jedem ähnlichen an einem öffent¬
lichen Orte durch die unendliche Befriedigung, die in
der unmittelbaren Berührung mit der Perſon des
Künſtlers und ſeinem Genius innerhalb der häus¬
lichen bekannten Wände liegt.
Es war eines jener glänzenden Stücke, worin
die reine Schönheit ſich einmal, wie aus Laune,
freiwillig in den Dienſt der Eleganz begibt, ſo aber,
daß ſie gleichſam nur verhüllt in dieſe mehr will¬
kürlich ſpielenden Formen und hinter eine Menge
[42] blendender Lichter verſteckt, doch in jeder Bewegung
ihren eigenſten Adel verräth und ein herrliches Pa¬
thos verſchwenderiſch ausgießt.
Die Gräfin machte für ſich die Bemerkung, daß
die meiſten Zuhörer, vielleicht Eugenie ſelbſt nicht
ausgenommen, trotz der geſpannteſten Aufmerkſamkeit
und aller feierlichen Stille während eines bezaubern¬
den Spiels, doch zwiſchen Auge und Ohr gar ſehr
getheilt waren. In unwillkürlicher Beobachtung des
Componiſten, ſeiner ſchlichten, beinahe ſteifen Körper¬
haltung, ſeines gutmüthigen Geſichts, der rundlichen
Bewegung dieſer kleinen Hände, war es gewiß auch
nicht leicht möglich, dem Zudrang tauſendfacher Kreuz-
und Quergedanken über den Wundermann zu wider¬
ſtehen.
Zu Madame Mozart gewendet ſagte der Graf,
nachdem der Meiſter aufgeſtanden war: „Einem be¬
rühmten Künſtler gegenüber, wenn es ein Kennerlob
zu ſpitzen gilt, das halt nicht eines jeden Sache iſt,
wie haben es die Könige und Kaiſer gut! Es nimmt
ſich eben alles einzig und außerordentlich in einem
ſolchen Munde aus. Was dürfen ſie ſich nicht er¬
lauben, und wie bequem iſt es z. B., dicht hinter'm
Stuhl Ihres Herrn Gemahls, beim Schlußaccord
[43] einer brillanten Phantaſie dem beſcheidenen claſſiſchen
Mann auf die Schulter zu klopfen und zu ſagen:
„Sie ſind ein Tauſendſaſa, lieber Mozart!“ Kaum
iſt das Wort heraus, ſo geht's wie ein Lauffeuer
durch den Saal: „Was hat er ihm geſagt?“ — „Er
ſey ein Tauſendſaſa, hat er zu ihm geſagt!“ Und
alles, was da geigt und fiſtulirt und componirt, iſt
außer ſich von dieſem Einen Wort; kurzum, es iſt
der große Styl, der familiäre Kaiſerſtyl, der unnach¬
ahmliche, um welchen ich die Joſephs und die Fried¬
richs von je beneidet habe, und das nie mehr als
eben jetzt, wo ich ganz in Verzweiflung bin, von
anderweitiger geiſtreicher Münze zufällig keinen Deut
in allen meinen Taſchen anzutreffen.“
Die Art, wie der Schäker dergleichen vorbrachte,
beſtach immerhin und rief unausbleiblich ein Lachen
hervor.
Nun aber auf die Einladung der Hausfrau ver¬
fügte die Geſellſchaft ſich nach dem geſchmückten run¬
den Speiſeſalon, aus welchem den Eintretenden ein
feſtlicher Blumengeruch und eine kühlere, dem Appetit
willkommene Luft entgegen wehte.
Man nahm die ſchicklich ausgetheilten Plätze ein,
und zwar der diſtinguirte Gaſt den feinigen dem
[44] Brautpaar gegenüber. Von einer Seite hatte er eine
kleine ältliche Dame, eine unverheirathete Tante Fran¬
ziska's, von der andern die junge reizende Nichte
ſelbſt zur Nebenſitzerin, die ſich durch Geiſt und
Munterkeit ihm bald beſonders zu empfehlen wußte.
Frau Conſtanze kam zwiſchen den Hauswirth und
ihren freundlichen Geleitsmann, den Lieutenant; die
übrigen reihten ſich ein, und ſo ſaß man zu Elfen
nach Möglichkeit bunt an der Tafel, deren unteres
Ende leer blieb. Auf ihr erhoben ſich mitten zwei
mächtig große Porcellanaufſätze mit gemalten Figuren,
breite Schalen gehäuft voll natürlicher Früchte und
Blumen über ſich haltend. An den Wänden des
Saals hingen reiche Feſtons. Was ſonſt da war,
oder nach und nach folgte, ſchien einen ausgedehnten
Schmaus zu verkünden. Theils auf der Tafel, zwi¬
ſchen Schüſſeln und Platten, theils vom Servirtiſch
herüber im Hintergrund, blinkte verſchiedenes edle Ge¬
tränk, vom ſchwärzeſten Roth bis hinauf zu dem
gelblichen Weiß, deſſen luſtiger Schaum herkömmlich
erſt die zweite Hälfte eines Feſtes krönt.
Bis gegen dieſen Zeitpunkt hin bewegte ſich die
Unterhaltung, von mehreren Seiten gleich lebhaft ge¬
nährt, in allen Richtungen. Weil aber der Graf
[45] gleich Anfangs einige mal von weitem und jetzt nur
immer näher und muthwilliger auf Mozarts Garten¬
abenteuer anſpielte, ſo daß die einen heimlich lächel¬
ten, die andern ſich umſonſt den Kopf zerbrachen,
was er denn meine, ſo ging unſer Freund mit der
Sprache heraus.
„Ich will in Gottes Namen beichten,“ fing er
an, „auf was Art mir eigentlich die Ehre der Be¬
kanntſchaft in dieſem edlen Haus geworden iſt. Ich
ſpiele dabei nicht die würdigſte Rolle, und um ein
Haar, ſo ſäß' ich jetzt, ſtatt hier vergnügt zu tafeln,
in einem abgelegenen Arreſtantenwinkel des gräflichen
Schloſſes und könnte mir mit leerem Magen die
Spinneweben an der Wand herum betrachten.“
„Nun ja!“ rief Madame Mozart, „da werd' ich
ſchöne Dinge hören.“
Ausführlich nun beſchrieb er erſt, wie er im
weißen Roß ſeine Frau zurück gelaſſen, die Promenade
in den Park, den Unſtern in der Laube, den Handel
mit der Gartenpolizei, kurz, ungefähr was wir ſchon
wiſſen, gab er alles mit größter Treuherzigkeit und
zum höchſten Ergötzen der Zuhörer preis. Das Lachen
wollte faſt kein Ende nehmen; ſelbſt die gemäßigte
Eugenie enthielt ſich nicht, es ſchüttelte ſie ordentlich.
[46]
„Nun,“ fuhr er fort, „das Sprichwort ſagt:
hat einer den Nutzen, dem Spott mag er trutzen.
Ich hab' meinen kleinen Profit von der Sache, Sie
werden ſchon ſehen. Vor allem aber hören Sie,
wie's eigentlich geſchah, daß ſich ein alter Kindskopf
ſo vergeſſen konnte. Eine Jugenderinnerung war mit
im Spiele.“
„Im Frühling 1770 reiſte ich als dreizehnjäh¬
riges Bürſchchen mit meinem Vater nach Italien.
Wir gingen von Rom nach Neapel. Ich hatte zwei¬
mal im Conſervatorium und ſonſt zu verſchiedenen
malen geſpielt. Adel und Geiſtlichkeit erzeigten uns
manches Angenehme, vornemlich attachirte ſich ein
Abbate an uns, der ſich als Kenner ſchmeichelte und
übrigens am Hofe etwas galt. Den Tag vor un¬
ſerer Abreiſe führte er uns in Begleitung einiger
anderen Herrn in einen königlichen Garten, die Villa
reale, bei der prachtvollen Straße geradhin am
Meere gelegen, wo eine Bande ſicilianiſcher comme¬
dianti ſich producirte — figlj di Nettuno, wie ſie
ſich neben andern ſchönen Titeln auch nannten. Mit
vielen vornehmen Zuſchauern, worunter ſelbſt die junge
liebenswürdige Königin Carolina ſammt zwei Prin¬
zeſſen, ſaßen wir auf einer langen Reihe von Bänken
[47] im Schatten einer zeltartig bedeckten, niedern Galerie,
an deren Mauer unten die Wellen plätſcherten. Das
Meer mit ſeiner vielfarbigen Streifung ſtrahlte den
blauen Sonnenhimmel herrlich wider. Gerade vor
ſich hat man den Veſuv, links ſchimmert ſanft ge¬
ſchwungen eine reizende Küſte herein.“
„Die erſte Abtheilung der Spiele war vorüber;
ſie wurde auf dem trockenen Bretterboden einer Art
von Flöße ausgeführt, die auf dem Waſſer ſtand, und
hatte nichts Beſonderes; der zweite aber und der
ſchönſte Theil beſtand aus lauter Schiffer-, Schwimm-
und Taucherſtücken und blieb mir ſtets mit allen Ein¬
zelnheiten friſch im Gedächtniß eingeprägt.“
„Von entgegengeſetzten Seiten her näherten ſich
einander zwei zierliche, ſehr leicht gebaute Barken,
beide, wie es ſchien, auf einer Luſtfahrt begriffen.
Die eine, etwas größere, war mit einem Halbverdeck
verſehen, und nebſt den Ruderbänken mit einem dün¬
nen Maſt und einem Segel ausgerüſtet, auch präch¬
tig bemalt, der Schnabel vergoldet. Fünf Jünglinge
von idealiſchem Ausſehen, kaum bekleidet, Arme,
Bruſt und Beine dem Anſchein nach nackt, waren
theils an dem Ruder beſchäftigt, theils ergötzten ſie
ſich mit einer gleichen Anzahl artiger Mädchen, ihren
[48] Geliebten. Eine darunter, welche mitten auf dem
Verdecke ſaß und Blumenkränze wand, zeichnete ſich
durch Wuchs und Schönheit, ſo wie durch ihren Putz
vor allen übrigen aus. Dieſe dienten ihr willig,
ſpannten gegen die Sonne ein Tuch über ſie und
reichten ihr die Blumen aus dem Korb. Eine Flö¬
tenſpielerin ſaß zu ihren Füßen, die den Geſang der
andern mit ihren hellen Tönen unterſtützte. Auch
jener vorzüglichen Schönen fehlte es nicht an einem
eigenen Beſchützer; doch verhielten ſich beide ziemlich
gleichgültig gegen einander und der Liebhaber däuchte
mir faſt etwas roh.“
„Inzwiſchen war das andere, einfachere Fahr¬
zeug näher gekommen. Hier ſah man bloß männliche
Jugend. Wie jene Jünglinge Hochroth trugen, ſo
war die Farbe der letztern Seegrün. Sie ſtutzten
beim Anblick der lieblichen Kinder, winkten Grüße
herüber und gaben ihr Verlangen nach näherer Be¬
kanntſchaft zu erkennen. Die munterſte hierauf nahm
eine Roſe vom Buſen und hielt ſie ſchelmiſch in die
Höhe, gleichſam fragend, ob ſolche Gaben bei ihnen
wohl angebracht wären, worauf von drüben allerſeits
mit unzweideutigen Gebärden geantwortet wurde. Die
Rothen ſahen verächtlich und finſter darein, konnten
[49] aber nichts machen, als mehrere der Mädchen einig
wurden, den armen Teufeln wenigſtens doch etwas
für den Hunger und Durſt zuzuwerfen. Es ſtand
ein Korb voll Orangen am Boden; wahrſcheinlich
waren es nur gelbe Bälle, den Früchten ähnlich
nachgemacht. Und jetzt begann ein entzückendes Schau¬
ſpiel, unter Mitwirkung der Muſik, die auf dem
Uferdamm aufgeſtellt war.“
„Eine der Jungfrauen machte den Anfang und
ſchickte für's erſte ein paar Pomeranzen aus leichter
Hand hinüber, die, dort mit gleicher Leichtigkeit auf¬
gefangen, alsbald zurückkehrten; ſo ging es hin und
her, und weil nach und nach immer mehr Mädchen
zuhalfen, ſo flog's mit Pomeranzen bald dem Dutzend
nach in immer ſchnellerem Tempo hin und wieder.
Die Schöne in der Mitte nahm an dem Kampfe
keinen Antheil, als daß ſie höchſt begierig von ihrem
Schemel aus zuſah. Wir konnten die Geſchicklichkeit
auf beiden Seiten nicht genug bewundern. Die Schiffe
drehten ſich auf etwa dreißig Schritte in langſamer
Bewegung um einander, kehrten ſich bald die ganze
Flanke zu, bald ſchief das halbe Vordertheil: es
waren gegen vierundzwanzig Bälle unaufhörlich in der
Luft, doch glaubte man in der Verwirrung ihrer viel
Mörike, Mozart. 4[50] mehr zu ſehen. Manchmal entſtand ein förmliches
Kreuzfeuer, oft ſtiegen ſie und fielen in einem hohen
Bogen; kaum ging einmal einer und der andere fehl,
es war, als ſtürzten ſie von ſelbſt durch eine Kraft
der Anziehung in die geöffneten Finger.“
„So angenehm jedoch das Auge beſchäftigt wurde,
ſo lieblich gingen für's Gehör die Melodien nebenher:
ſicilianiſche Weiſen, Tänze, Saltarelli, Canzoni a
ballo, ein ganzes Quodlibet, auf Guirlandenart leicht
aneinander gehängt. Die jüngere Prinzeß, ein holdes
unbefangenes Geſchöpf, etwa von meinem Alter, be¬
gleitete den Tact gar artig mit Kopfnicken; ihr Lächeln
und die langen Wimpern ihrer Augen kann ich noch
heute vor mir ſehen.“
„Nun laſſen Sie mich kürzlich den Verlauf der
Poſſe noch erzählen, obſchon er weiter nichts zu
meiner Sache thut. Man kann ſich nicht leicht etwas
Hübſcheres denken. Während dem das Scharmützel
allmählig ausging und nur noch einzelne Würfe ge¬
wechſelt wurden, die Mädchen ihre goldenen Aepfel
ſammelten und in den Korb zurück brachten, hatte
drüben ein Knabe, wie ſpielenderweis, ein breites,
grüngeſtricktes Netz ergriffen und kurze Zeit unter
dem Waſſer gehalten; er hob es auf, und zum
[51] Erſtaunen Aller fand ſich ein großer, blau, grün und
goldſchimmernder Fiſch in demſelben. Die Nächſten
ſprangen eifrig zu, um ihn heraus zu holen, da glitt
er ihnen aus den Händen, als wär' es wirklich ein
lebendiger, und fiel in die See. Das war nun eine
abgeredte Kriegsliſt, die Rothen zu bethören und aus
dem Schiff zu locken. Dieſe, gleichſam bezaubert von
dem Wunder, ſobald ſie merkten, daß das Thier nicht
untertauchen wollte, nur immer auf der Oberfläche
ſpielte, beſannen ſich nicht einen Augenblick, ſtürzten
ſich alle in's Meer, die Grünen ebenfalls, und alſo
ſah man zwölf gewandte, wohlgeſtalte Schwimmer,
den fliehenden Fiſch zu erhaſchen bemüht, indem er
auf den Wellen gaukelte, minutenlang unter den¬
ſelben verſchwand, bald da, bald dort, dem einen
zwiſchen den Beinen, dem andern zwiſchen Bruſt und
Kinn herauf, wieder zum Vorſchein kam. Auf Ein¬
mal, wie die Rothen eben am hitzigſten auf ihren
Fang aus waren, erſah die andere Partie ihren
Vortheil und erſtieg ſchnell wie der Blitz das fremde,
ganz den Mädchen überlaſſene Schiff unter großem
Gekreiſche der letztern. Der nobelſte der Burſchen,
wie ein Mercur gewachſen, flog mit freudeſtrahlendem
Geſicht auf die ſchönſte zu, umfaßte, küßte ſie, die,
[52] weit entfernt in das Geſchrei der andern einzuſtimmen,
ihre Arme gleichfalls feurig um den ihr wohlbekannten
Jüngling ſchlang. Die betrogene Schaar ſchwamm
zwar eilends herbei, wurde aber mit Rudern und
Waffen vom Bord abgetrieben. Ihre unnütze Wuth,
das Angſtgeſchrei der Mädchen, der gewaltſame Wider¬
ſtand einiger von ihnen, ihr Bitten und Flehen, faſt
erſtickt vom übrigen Alarm, des Waſſers, der Muſik,
die plötzlich einen andern Charakter angenommen
hatte — es war ſchön über alle Beſchreibung und
die Zuſchauer brachen darüber in einen Sturm von
Begeiſterung aus.“
„In dieſem Moment nun entwickelte ſich das
bisher locker eingebundene Segel: daraus ging ein
roſiger Knabe hervor mit ſilbernen Schwingen, mit
Bogen, Pfeil und Köcher, und in anmuthvoller
Stellung ſchwebte er frei auf der Stange. Schon
ſind die Ruder alle in voller Thätigkeit, das Segel
blähte ſich auf: allein gewaltiger als beides ſchien
die Gegenwart des Gottes und ſeine heftig vorwärts
eilende Gebärde das Fahrzeug fortzutreiben, dergeſtalt,
daß die faſt athemlos nachſetzenden Schwimmer, deren
Einer den goldenen Fiſch hoch mit der Linken über
ſeinem Haupte hielt, die Hoffnung bald aufgaben,
[53] und bei erſchöpften Kräften nothgedrungen ihre Zu¬
flucht zu dem verlaſſenen Schiffe nahmen. Derweil
haben die Grünen eine kleine bebuſchte Halbinſel
erreicht, wo ſich unerwartet ein ſtattliches Boot mit
bewaffneten Kameraden im Hinterhalt zeigte. Im
Angeſicht ſo drohender Umſtände pflanzte das Häufchen
eine weiße Flagge auf, zum Zeichen, daß man güt¬
lich unterhandeln wolle. Durch ein gleiches Signal
von jenſeits ermuntert, fuhren ſie auf jenen Haltort
zu, und bald ſah man daſelbſt die guten Mädchen
alle, bis auf die Eine, die mit Willen blieb, ver¬
gnügt mit ihren Liebhabern das eigene Schiff be¬
ſteigen. — Hiemit war die Comödie beendigt.“
„Mir däucht,“ ſo flüſterte Eugenie mit leuchten¬
den Augen dem Baron in einer Pauſe zu, worin
ſich jedermann beifällig über das eben Gehörte aus¬
ſprach, „wir haben hier eine gemalte Symphonie
von Anfang bis zu Ende gehabt, und ein vollkom¬
menes Gleichniß überdieß des Mozartiſchen Geiſtes
ſelbſt in ſeiner ganzen Heiterkeit! Hab' ich nicht Recht?
iſt nicht die ganze Anmuth Figaro's darin?“
Der Bräutigam war im Begriff, ihre Bemerkung
dem Componiſten mitzutheilen, als dieſer zu reden
fortfuhr.
[54]
„Es ſind nun ſiebzehn Jahre her, daß ich Italien
ſah. Wer, der es einmal ſah, inſonderheit Neapel,
denkt nicht ſein Lebenlang daran, und wär' er auch,
wie ich, noch halb in Kinderſchuhen geſteckt! So
lebhaft aber wie heut in Ihrem Garten war mir der
letzte ſchöne Abend am Golf kaum jemals wieder auf¬
gegangen. Wenn ich die Augen ſchloß — ganz deut¬
lich, klar und hell, den letzten Schleier von ſich hau¬
chend, lag die himmliſche Gegend vor mir verbreitet!
Meer und Geſtade, Berg und Stadt, die bunte
Menſchenmenge an dem Ufer hin, und dann das
wunderſame Spiel der Bälle durcheinander! Ich
glaubte wieder dieſelbe Muſik in den Ohren zu haben,
ein ganzer Roſenkranz von fröhlichen Melodien zog
innerlich an mir vorbei, Fremdes und Eigenes, Crethi
und Plethi, eins immer das andre ablöſend. Von
ungefähr ſpringt ein Tanzliedchen hervor, Sechsach¬
telstact, mir völlig neu. — Halt, dacht' ich, was
gibt's hier? Das ſcheint ein ganz verteufelt niedliches
Ding! Ich ſehe näher zu — alle Wetter! das iſt ja
Maſetto, das iſt ja Zerlina!“ — Er lachte gegen
Madame Mozart hin, die ihn ſogleich errieth.
„Die Sache,“ fuhr er fort, „iſt einfach dieſe.
In meinem erſten Act blieb eine kleine leichte Rumer
[55] unerledigt, Duett und Chor einer ländlichen Hochzeit.
Vor zwei Monaten nämlich, als ich dieſes Stück der
Ordnung nach vornehmen wollte, da fand ſich auf
den erſten Wurf das Rechte nicht alsbald. Eine
Weiſe, einfältig und kindlich und ſprützend von Fröh¬
lichkeit über und über, ein friſcher Buſenſtrauß mit
Flatterband dem Mädel angeſteckt, ſo mußte es ſeyn.
Weil man nun im Geringſten nichts erzwingen ſoll,
und weil dergleichen Kleinigkeiten ſich oft gelegentlich
von ſelber machen, ging ich darüber weg und ſah
mich im Verfolg der größeren Arbeit kaum wieder
danach um. Ganz flüchtig kam mir heut im Wagen,
kurz eh' wir in's Dorf herein fuhren, der Text in
den Sinn; da ſpann ſich denn weiter nichts an, zum
wenigſten nicht daß ich's wüßte. Genug, ein Stünd¬
chen ſpäter, in der Laube beim Brunnen, erwiſch'
ich ein Motiv, wie ich es glücklicher und beſſer zu
keiner andern Zeit, auf keinem andern Weg erfunden
haben würde. Man macht bisweilen in der Kunſt
beſondere Erfahrungen, ein ähnlicher Streich iſt mir
nie vorgekommen. Denn eine Melodie, dem Vers
wie auf den Leib gegoſſen — doch, um nicht vor¬
zugreifen, ſo weit ſind wir noch nicht, der Vogel
hatte nur den Kopf erſt aus dem Ei, und auf der
[56] Stelle fing ich an, ihn vollends rein herauszuſchälen.
Dabei ſchwebte mir lebhaft der Tanz der Zerline vor
Augen, und wunderlich ſpielte zugleich die lachende
Landſchaft am Golf von Neapel herein. Ich hörte
die wechſelnden Stimmen des Brautpaars, die Dirnen
und Burſche im Chor.“
Hier trällerte Mozart ganz luſtig den Anfang des
Liedchens:
amore,
passi l'età!
„Mittlerweile hatten meine Hände das große Un¬
heil angerichtet. Die Nemeſis lauerte ſchon an der
Hecke und trat jetzt hervor in Geſtalt des entſetzlichen
[57] Mannes im galonirten blauen Rock. Ein Ausbruch
des Veſuvio, wenn er in Wirklichkeit damals an dem
göttlichen Abend am Meer Zuſchauer und Acteurs,
die ganze Herrlichkeit Parthenope's mit einem ſchwar¬
zen Aſchenregen urplötzlich verſchüttet und zugedeckt
hätte, bei Gott, die Kataſtrophe wäre mir nicht un¬
erwarteter und ſchrecklicher geweſen. Der Satan der!
ſo heiß hat mir nicht leicht jemand gemacht. Ein
Geſicht wie aus Erz — einigermaßen dem grauſamen
römiſchen Kaiſer Tiberius ähnlich! Sieht ſo der
Diener aus, dacht' ich, nachdem er weggegangen, wie
mag erſt Seine Gnaden ſelbſt drein ſehen. Jedoch,
die Wahrheit zu geſtehn, ich rechnete ſchon ziemlich
auf den Schutz der Damen, und das nicht ohne
Grund. Denn dieſe Stanzel da, mein Weibchen,
etwas neugierig von Natur, ließ ſich im Wirths¬
haus von der dicken Frau das Wiſſenswürdigſte von
denen ſämmtlichen Perſönlichkeiten der gnädigen Herr¬
ſchaft in meinem Beiſeyn erzählen, ich ſtand dabei
und hörte ſo —“
Hier konnte Madame Mozart nicht umhin, ihm
in das Wort zu fallen und auf das Angelegentlichſte
zu verſichern, daß im Gegentheil Er der Ausfrager
geweſen; es kam zu heitern Conteſtationen zwiſchen
[58] Mann und Frau, die viel zu lachen gaben. — „Dem
ſey nun wie ihm wolle,“ ſagte er, „kurzum, ich
hörte ſo entfernt etwas von einer lieben Pflegetochter,
welche Braut, ſehr ſchön, dazu die Güte ſelber ſey
und ſinge wie ein Engel. Per Dio! fiel mir jetzt
ein: das hilft dir aus der Lauge! Du ſetz'ſt dich auf
der Stelle hin, ſchreibſt's Liedchen auf, ſo weit
es geht, erklärſt die Sottiſe der Wahrheit gemäß,
und es gibt einen trefflichen Spaß. Gedacht, ge¬
than. Ich hatte Zeit genug, auch fand ſich noch
ein ſauberes Bögchen grün linirt Papier. — Und hier
iſt das Produkt! Ich lege es in dieſe ſchönen Hände,
ein Brautlied aus dem Stegreif, wenn Sie es dafür
gelten laſſen.“
So reichte er ſein reinlichſt geſchriebenes Noten¬
blatt Eugenien über den Tiſch, des Onkels Hand kam
aber der ihrigen zuvor, er haſchte es hinweg und rief:
„Geduld noch einen Augenblick, mein Kind!“
Auf ſeinen Wink that ſich die Flügelthüre des
Salons weit auf, und es erſchienen einige Diener,
die den verhängnißvollen Pomeranzenbaum anſtändig,
ohne Geräuſch in den Saal herein trugen und an der
Tafel unten auf eine Bank niederſetzten; gleichzeitig
wurden rechts und links zwei ſchlanke Myrtenbäumchen
[59] aufgeſtellt. Eine am Stamm des Orangenbaums
befeſtigte Inſchrift bezeichnete ihn als Eigenthum der
Braut; vorn aber, auf dem Moosgrund, ſtand, mit
einer Serviette bedeckt, ein Porcellanteller, der, als
man das Tuch hinwegnahm, eine zerſchnittene Orange
zeigte, neben welche der Oheim mit liſtigem Blick
des Meiſters Autographen ſteckte. Allgemeiner un¬
endlicher Jubel erhob ſich darüber.
„Ich glaube gar,“ ſagte die Gräfin, „Eugenie
weiß noch nicht einmal, was eigentlich da vor ihr
ſteht? Sie kennt wahrhaftig ihren alten Liebling in
ſeinem neuen Flor und Früchteſchmuck nicht mehr!“
Beſtürzt, ungläubig ſah das Fräulein bald den
Baum, bald ihren Oheim an. „Es iſt nicht mög¬
lich,“ ſagte ſie, „ich weiß ja wohl, er war nicht mehr
zu retten.“
„Du meinſt alſo,“ verſetzte jener, „man habe dir
nur irgend ungefähr ſo ein Erſatzſtück ausgeſucht?
Das wär' was Rechts! Nein, ſieh nur her — ich
muß es machen, wie's in der Comödie der Brauch
iſt, wo ſich die todtgeglaubten Söhne oder Brüder
durch ihre Muttermäler und Narben legitimiren.
Schau dieſen Auswuchs da! und hier die Schrunde
über's Kreuz, du mußt ſie hundertmal bemerkt haben.
[60] Nun, iſt er's oder iſt er's nicht?“ — Sie konnte
nicht mehr zweifeln; ihr Staunen, ihre Rührung und
Freude war unbeſchreiblich.
Es knüpfte ſich an dieſen Baum für die Familie
das mehr als hundertjährige Gedächtniß einer aus¬
gezeichneten Frau, welche wohl verdient, daß wir
ihrer mit Wenigem hier gedenken.
Des Oheims Großvater, durch ſeine diplomati¬
ſchen Verdienſte im Wiener Cabinet rühmlich bekannt,
von zwei Regenten nach einander mit gleichem Ver¬
trauen beehrt, war innerhalb ſeines eigenen Hauſes
nicht minder glücklich im Beſitz einer vortrefflichen
Gemahlin, Renate Leonore. Ihr wiederholter Auf¬
enthalt in Frankreich brachte ſie vielfach mit dem
glänzenden Hofe Ludwigs XIV. und mit den bedeu¬
tendſten Männern und Frauen dieſer merkwürdigen
Epoche in Berührung. Bei ihrer unbefangenen Theil¬
nahme an jenem ſteten Wechſel des geiſtreichſten Lebens¬
genuſſes verläugnete ſie auf keinerlei Art, in Worten
und Werken, die angeſtammte deutſche Ehrenfeſtig¬
keit und ſittliche Strenge, die ſich in den kräftigen
Zügen des noch vorhandenen Bildniſſes der Gräfin
unverkennbar ausprägt. Vermöge eben dieſer Den¬
kungsweiſe übte ſie in der gedachten Societät eine
[61] eigenthümliche naive Oppoſition, und ihre hinter¬
laſſene Korreſpondenz weiſt eine Menge Spuren
davon auf, mit wie viel Freimuth und herzhafter
Schlagfertigkeit, es mochte nun von Glaubensſachen,
von Literatur und Politik, oder von was immer die
Rede ſeyn, die originelle Frau ihre geſunden Grund¬
ſätze und Anſichten zu vertheidigen, die Blößen der
Geſellſchaft anzugreifen wußte, ohne doch dieſer im
mindeſten ſich läſtig zu machen. Ihr reges Intereſſe
für ſämmtliche Perſonen, die man im Hauſe einer
Ninon, dem eigentlichen Herd der feinſten Geiſtes¬
bildung treffen konnte, war demnach ſo beſchaffen
und geregelt, daß es ſich mit dem höheren Freund¬
ſchaftsverhältniß zu einer der edelſten Damen jener
Zeit, der Frau von Sévigné, vollkommen wohl ver¬
trug. Neben manchen muthwilligen Scherzen Cha¬
pelle's an ſie, vom Dichter eigenhändig auf Blätter
mit ſilberblumigem Rande gekritzelt, fanden ſich die
liebevollſten Briefe der Marquiſin und ihrer Tochter
an die ehrliche Freundin aus Oeſterreich nach ihrem
Tod in einem Ebenholzſchränkchen der Großmutter vor.
Frau von Sévigné war es denn auch, aus deren
Hand ſie eines Tages, bei einem Feſte zu Trianon,
auf der Terraſſe des Gartens den blühenden Orangen¬
[62] zweig empfing, den ſie ſofort auf das Gerathewohl
in einen Topf ſetzte und glücklich angewurzelt mit
nach Deutſchland nahm.
Wohl fünfundzwanzig Jahre wuchs das Bäumchen
unter ihren Augen allgemach heran und wurde ſpäter
von Kindern und Enkeln mit äußerſter Sorgfalt ge¬
pflegt. Es konnte nächſt ſeinem perſönlichen Werthe
zugleich als lebendes Symbol der feingeiſtigen Reize
eines beinahe vergötterten Zeitalters gelten, worin
wir heutzutage freilich des wahrhaft Preiſenswerthen
wenig finden können, und das ſchon eine unheilvolle
Zukunft in ſich trug, deren welterſchütternder Eintritt
dem Zeitpunkt unſerer harmloſen Erzählung bereits
nicht ferne mehr lag.
Die meiſte Liebe widmete Eugenie dem Vermächt¬
niß der würdigen Ahnfrau, weßhalb der Oheim öfters
merken ließ, es dürfte wohl einſt eigens in ihre Hände
übergehen. Deſto ſchmerzlicher war es dem Fräulein
denn auch, als der Baum im Frühling des vorigen
Jahres, den ſie nicht hier zubrachte, zu trauern be¬
gann, die Blätter gelb wurden und viele Zweige
abſtarben. In Betracht, daß irgend eine beſondere
Urſache ſeines Verkommens durchaus nicht zu ent¬
decken war und keinerlei Mittel anſchlug, gab ihn
[63] der Gärtner bald verloren, obwohl er ſeiner natür¬
lichen Ordnung nach leicht zwei und dreimal älter
werden konnte. Der Graf hingegen, von einem be¬
nachbarten Kenner berathen, ließ ihn nach einer
ſonderbaren, ſelbſt räthſelhaften Vorſchrift, wie ſie
das Landvolk häufig hat, in einem abgeſonderten
Raume ganz insgeheim behandeln, und ſeine Hoff¬
nung, die geliebte Nichte eines Tags mit dem zu
neuer Kraft und voller Fruchtbarkeit gelangten alten
Freund zu überraſchen, ward über alles Erwarten
erfüllt. Mit Ueberwindung ſeiner Ungeduld und nicht
ohne Sorge, ob denn wohl auch die Früchte, von
denen etliche zuletzt den höchſten Grad der Reife hat¬
ten, ſo lang am Zweige halten würden, verſchob er
die Freude um mehrere Wochen auf das heutige Feſt,
und es bedarf nun weiter keines Worts darüber, mit
welcher Empfindung der gute Herr ein ſolches Glück
noch im letzten Moment durch einen Unbekannten ſich
verkümmert ſehen mußte.
Der Lieutenant hatte ſchon vor Tiſche Gelegen¬
heit und Zeit gefunden, ſeinen dichteriſchen Beitrag
zu der feierlichen Uebergabe in's Reine zu bringen
und ſeine vielleicht ohnehin etwas zu ernſt gehaltenen
Verſe durch einen veränderten Schluß den Umſtänden
[64] möglichſt anzupaſſen. Er zog nunmehr ſein Blatt
bervor, das er, vom Stuhle ſich erhebend und an
die Couſine gewendet, vorlas. Der Inhalt der
Strophen war kurz gefaßt dieſer:
Ein Nachkömmling des vielgeprieſ'nen Baums
der Heſperiden, der vor Alters, auf einer weſtlichen
Inſel, im Garten der Juno, als eine Hochzeitgabe
für ſie von Mutter Erde, hervorgeſproßt war, und
welchen die drei melodiſchen Nymphen bewachten,
hat eine ähnliche Beſtimmung von jeher gewünſcht
und gehofft, da der Gebrauch, eine herrliche Braut
mit ſeinesgleichen zu beſchenken, von den Göttern
vorlängſt auch unter die Sterblichen kam.
Nach langem vergeblichen Warten ſcheint endlich
die Jungfrau gefunden, auf die er ſeine Blicke richten
darf. Sie erzeigt ſich ihm günſtig und verweilt oft
bei ihm. Doch der muſiſche Lorbeer, ſein ſtolzer
Nachbar am Bord der Quelle, hat ſeine Eiferſucht er¬
regt, indem er droht, der kunſtbegabten Schönen Herz
und Sinn für die Liebe der Männer zu rauben. Die
Myrte tröſtet ihn umſonſt und lehrt ihn Geduld durch
ihr eigenes Beiſpiel; zuletzt jedoch iſt es die andauernde
Abweſenheit der Liebſten, was ſeinen Gram ver¬
mehrt und ihm, nach kurzem Siechthum, tödtlich wird.
[65]
Der Sommer bringt die Entfernte und bringt
ſie mit glücklich umgewandtem Herzen zurück. Das
Dorf, das Schloß, der Garten, alles empfängt ſie
mit tauſend Freuden. Roſen und Lilien, in erhöh¬
tem Schimmer, ſehen entzückt und beſchämt zu ihr
auf, Glück winken ihr Sträucher und Bäume: für
Einen, ach, den edelſten, kommt ſie zu ſpät. Sie
findet ſeine Krone verdorrt, ihre Finger betaſten den
lebloſen Stamm und die klirrenden Aeſte ſeines Ge¬
zweigs. Er kennt und ſieht ſeine Pflegerin nimmer.
Wie weint ſie, wie ſtrömt ihre zärtliche Klage!
Apollo von weitem vernimmt die Stimme der
Tochter. Er kommt, er tritt herzu und ſchaut mit¬
fühlend ihren Jammer. Alsbald mit ſeinen allheilen¬
den Händen berührt er den Baum, daß er in ſich
erbebt, der vertrocknete Saft in der Rinde gewaltſam
anſchwillt, ſchon junges Laub ausbricht, ſchon weiße
Blumen da und dort in ambroſiſcher Fülle aufgehen.
Ja — denn was vermöchten die Himmliſchen nicht? —
ſchön runde Früchte ſetzen an, dreimal drei, nach der
Zahl der neun Schweſtern; ſie wachſen und wachſen,
ihr kindliches Grün zuſehends mit der Farbe des
Goldes vertauſchend. Phöbus — ſo ſchloß ſich das
Gedicht —
Mörike[66]
Der Dichter erntete rauſchenden Beifall, und gern
verzieh man die barocke Wendung, durch welche der
Eindruck des wirklich gefühlvollen Ganzen ſo völlig
aufgehoben wurde.
Franziska, deren froher Mutterwitz ſchon zu ver¬
ſchiedenen malen bald durch den Hauswirth, bald
durch Mozart in Bewegung geſetzt worden war, lief
jetzt geſchwinde, wie von ungefähr an etwas erinnert,
hinweg, und kam zurück mit einem braunen engliſchen
Kupferſtich größten Formats, welcher wenig beachtet
in einem ganz entfernten Cabinet unter Glas und
Rahmen hing.
„Es muß doch wahr ſeyn, was ich immer hörte,“
rief ſie aus, indem ſie das Bild am Ende der Tafel
aufſtellte, „daß ſich unter der Sonne nichts Neues
[67] begibt! Hier eine Scene aus dem goldenen Weltalter
— und haben wir ſie nicht erſt heute erlebt? Ich hoffe
doch, Apollo werde ſich in dieſer Situation erkennen.“
„Vortrefflich!“ triumphirte Max, „da hätten wir
ihn ja, den ſchönen Gott, wie er ſich juſt gedanken¬
voll über den heiligen Quell hinbeugt. Und damit
nicht genug — dort, ſeht nur, einen alten Satyr
hinten im Gebüſch, der ihn belauſcht! Man möchte
darauf ſchwören, Apoll beſinnt ſich eben auf ein
lange vergeſſenes arkadiſches Tänzchen, das ihn in
ſeiner Kindheit der alte Chiron zu der Cither lehrte.“
„So iſt's! nicht anders!“ applaudirte Franziska,
die hinter Mozart ſtand. „Und,“ fuhr ſie gegen
dieſen fort, „bemerken Sie auch wohl den frucht¬
beſchwerten Aſt, der ſich zum Gott herunter ſenkt?“
„Ganz recht; es iſt der ihm geweihte Oelbaum.“
„Keineswegs! die ſchönſten Apfelſinen ſind's!
Gleich wird er ſich in der Zerſtreuung eine herunter
holen.“
„Vielmehr,“ rief Mozart, „er wird gleich dieſen
Schelmenmund mit tauſend Küſſen ſchließen!“ Da¬
mit erwiſchte er ſie am Arm und ſchwur, ſie nicht
mehr loszulaſſen, bis ſie ihm ihre Lippen reiche, was
ſie denn auch ohne vieles Sträuben that.
[68]
„Erkläre uns doch, Max,“ ſagte die Gräfin,
„was unter dem Bilde hier ſteht.“
„Es ſind Verſe aus einer berühmten Horaziſchen
Ode. Der Dichter Ramler in Berlin hat uns das
Stück vor kurzem unübertrefflich deutſch gegeben. Es
iſt vom höchſten Schwung. Wie prächtig eben dieſe
Eine Stelle:
„Schön! wirklich ſchön!“ ſagte der Graf, „nur
hie und da bedarf es der Erläuterung. So z. B.,
„der keinen unthätigen Bogen führet,“ hieße natür¬
lich ſchlechtweg: der allezeit einer der ſteißigſten Gei¬
ger geweſen. Doch, was ich ſagen wollte: beſter
Mozart, Sie ſäen Unkraut zwiſchen zwei zärtliche
Herzen.“
„Ich will nicht hoffen — wie ſo?“
„Eugenie beneidet ihre Freundin, und hat auch
allen Grund.“
„Aha, Sie haben mir ſchon meine ſchwache
Seite abgemerkt. Aber was ſagt der Bräutigam
dazu?“
„Ein oder zweimal will ich durch die Finger
ſehen.“
„Sehr gut; wir werden der Gelegenheit wahr¬
nehmen. Indeß fürchten Sie nichts, Herr Baron;
es hat keine Gefahr, ſo lang mir nicht der Gott
hier ſein Geſicht und ſeine langen gelben Haare borgt.
Ich wünſchte wohl, er thät's! er ſollte auf der Stelle
Mozarts Zopf mitſammt ſeinem ſchönſten Bandl da¬
für haben.“
„Apollo möge aber dann zuſehen,“ lachte Fran¬
ziska, „wie er es anfängt künftig, ſeinen neuen fran¬
zöſiſchen Haarſchmuck mit Anſtand in die kaſtaliſche
Fluth zu tauchen.“
Unter dieſen und ähnlichen Scherzen ſtieg Luſtig¬
keit und Muthwillen immer mehr. Die Männer
ſpürten nach und nach den Wein, es wurden eine
Menge Geſundheiten getrunken und Mozart kam in
den Zug, nach ſeiner Gewohnheit in Verſen zu
ſprechen, wobei ihm der Lieutenant das Gleichge¬
wicht hielt und auch der Papa nicht zurückbleiben
wollte; es glückte ihm ein paarmal zum Verwundern.
[70]
Doch ſolche Dinge laſſen ſich für die Erzählung kaum
feſthalten, ſie wollen eigentlich nicht wiederholt ſeyn,
weil eben das, was ſie an ihrem Ort unwiderſteh¬
lich macht, die allgemein erhöhte Stimmung, der
Glanz, die Jovialität des perſönlichen Ausdrucks in
Wort und Blick fehlt.
Unter andern wurde von dem alten Fräulein zu
Ehren des Meiſters ein Toaſt ausgebracht, der ihm
noch eine ganze lange Reihe unſterblicher Werke ver¬
hieß. — „À la bonne heure, ich bin dabei!“ rief
Mozart und ſtieß ſein Kelchglas kräftig an. Der
Graf begann hierauf mit großer Macht und Sicher¬
heit der Intonation, kraft eigener Eingebung, zu
ſingen:
Durch des Grafen ausnehmende Singluſt ſchweifte
das zufällig entſtandene Terzett mit Wiederaufnahme
der letzten vier Zeilen in einen ſogenannten endlichen
Canon aus, und die Fräulein Tante beſaß Humor
oder Selbſtvertrauen genug, ihren verfallenen So¬
prano mit allerhand Verzierungen zweckdienlich einzu¬
miſchen. Mozart gab nachher das Verſprechen, bei
guter Muße dieſen Spaß nach den Regeln der Kunſt
expreß für die Geſellſchaft auszuführen, das er auch
ſpäter von Wien aus erfüllte.
Eugenie hatte ſich im Stillen längſt mit ihrem
Kleinod aus der Laube des Tiberius vertraut ge¬
macht; allgemein verlangte man jetzt das Duett vom
[72] Componiſten und ihr geſungen zu hören, und der
Oheim war glücklich, im Chor ſeine Stimme aber¬
mals geltend zu machen. Alſo erhob man ſich und
eilte zum Klavier in's große Zimmer nebenan.
Ein ſo reines Entzücken nun auch das köſtliche
Stück bei allen erregte, ſo führte doch ſein Inhalt
ſelbſt, mit einem raſchen Uebergang, auf den Gipfel
geſelliger Luſt, wo die Muſik an und für ſich nicht
weiter in Betracht mehr kommt, und zwar gab zu¬
erſt unſer Freund das Signal, indem er vom Klavier
aufſprang, auf Franziska zuging und ſie, während
Max bereitwilligſt die Violine ergriff, zu einem Schlei¬
fer perſuadirte. Der Hauswirth ſäumte nicht, Ma¬
dame Mozart aufzufordern. Im Nu waren alle be¬
weglichen Möbel, den Raum zu erweitern, durch ge¬
ſchäftige Diener entfernt. Es mußte nach und nach
ein jedes an die Tour, und Fräulein Tante nahm
es keineswegs übel, daß der galante Lieutenant ſie
zu einer Menuet abholte, worin ſie ſich völlig ver¬
jüngte. Schließlich, als Mozart mit der Braut den
Kehraus tanzte, nahm er ſein verſichertes Recht auf
ihren ſchönen Mund in beſter Form dahin.
Der Abend war herbeigekommen, die Sonne nah
am Untergehen, es wurde nun erſt angenehm im
[73] Freien, daher die Gräfin den Damen vorſchlug, ſich
im Garten noch ein wenig zu erholen. Der Graf
dagegen lud die Herrn auf das Billardzimmer, da
Mozart bekanntlich dieß Spiel ſehr liebte. So theilte
man ſich denn in zwei Partien, und wir unſerer¬
ſeits folgen den Frauen.
Nachdem ſie den Hauptweg einigemal gemäch¬
lich auf- und abgegangen, erſtiegen ſie einen runden,
von einem hohen Rebengeländer zur Hälfte umgebe¬
nen Hügel, von wo man in das offene Feld, auf
das Dorf und die Landſtraße ſah. Die letzten Strah¬
len der herbſtlichen Sonne funkelten röthlich durch
das Weinlaub herein.
„Wäre hier nicht vertraulich zu ſitzen,“ ſagte
die Gräfin, „wenn Madame Mozart uns etwas von
ſich und dem Gemahl erzählen wollte?“
Sie war ganz gerne bereit, und alle nahmen
höchſt behaglich auf den im Kreis herbeigerückten
Stühlen Platz.
„Ich will Etwas zum Beſten geben, das Sie
auf alle Fälle hätten hören müſſen, da ſich ein kleiner
Scherz darauf bezieht, den ich im Schilde führe. Ich
habe mir in Kopf geſetzt, der Gräfin Braut zur fröh¬
lichen Erinnerung an dieſen Tag ein Angebind von
[74] ſonderlicher Qualität zu verehren. Daſſelbe iſt ſo
wenig Gegenſtand des Luxus und der Mode, daß es
lediglich nur durch ſeine Geſchichte einigermaßen in¬
tereſſiren kann.“
„Was mag das ſeyn, Eugenie?“ ſagte Fran¬
ziſka, „zum wenigſten das Tintenfaß eines berühm¬
ten Mannes.“
„Nicht allzuweit gefehlt! Sie ſollen es noch
dieſe Stunde ſehen; im Reiſekoffer liegt der Schatz.
Ich fange an, und werde mit Ihrer Erlaubniß ein
wenig weiter ausholen.“
„Vorletzten Winter wollte mir Mozarts Geſund¬
heitszuſtand, durch vermehrte Reizbarkeit und häufige
Verſtimmung, ein fieberhaftes Weſen, nachgerade bange
machen. In Geſellſchaft noch zuweilen luſtig, oft
mehr als recht natürlich, war er zu Haus meiſt trüb
in ſich hinein, ſeufzte und klagte. Der Arzt empfahl
ihm Diät, Pyrmonter und Bewegung außerhalb der
Stadt. Der Patient gab nicht viel auf den guten
Rath; die Cur war unbequem, zeitraubend, ſeinem
Taglauf ſchnurſtracks entgegen. Nun machte ihm
der Doctor die Hölle etwas heiß, er mußte eine lange
Vorleſung anhören von der Beſchaffenheit des menſch¬
lichen Geblüts, von denen Kügelgens darin, vom
[75] Athemholen und vom Phlogiſton — halt unerhörte
Dinge; auch wie es eigentlich gemeint ſey von der
Natur mit Eſſen, Trinken und Verdauen, das eine
Sache iſt, worüber Mozart bis dahin ganz eben ſo
unſchuldig dachte wie ſein Junge von fünf Jahren.
Die Lection, in der That, machte merklichen Ein¬
druck. Der Doctor war noch keine halbe Stunde
weg, ſo ſind' ich meinen Mann nachdenklich, aber
mit aufgeheitertem Geſicht, auf ſeinem Zimmer über
der Betrachtung eines Stocks, den er in einem
Schrank mit alten Sachen ſuchte und auch glücklich
fand; ich hätte nicht gemeint, daß er ſich deſſen nur er¬
innerte. Er ſtammte noch von meinem Vater, ein ſchö¬
nes Rohr mit hohem Knopf von Lapis Lazuli. Nie ſah
man einen Stock in Mozarts Hand, ich mußte lachen.“
„Du ſiehſt,“ rief er, „ich bin daran, mit meiner
Cur mich völlig in's Geſchirr zu werfen. Ich will
das Waſſer trinken, mir alle Tage Motion im Freien
machen und mich dabei dieſes Stabes bedienen. Da
ſind mir nun verſchiedene Gedanken beigegangen. Es
iſt doch nicht umſonſt, dacht' ich, daß andere Leute,
was da geſetzte Männer ſind, den Stock nicht miſſen
können. Der Commercienrath, unſer Nachbar, geht
niemals über die Straße, ſeinen Gevatter zu beſuchen,
[76] der Stock muß mit. Profeſſioniſten und Beamte,
Kanzleiherrn, Krämer und Chalanten, wenn ſie am
Sonntag mit Familie vor die Stadt ſpazieren, ein
jeder führt ſein wohlgedientes, rechtſchaffenes Rohr
mit ſich. Vornämlich hab' ich oft bemerkt, wie auf
dem Stephansplatz, ein Viertelſtündchen vor der Pre¬
digt und dem Amt, ehrſame Bürger da und dort
truppweis beiſammen ſtehen im Geſpräch: hier kann
man ſo recht ſehen, wie eine jede ihrer ſtillen Tu¬
genden, ihr Fleiß und Ordnungsgeiſt, gelaßner Muth,
Zufriedenheit, ſich auf die wackern Stöcke gleichſam
als eine gute Stütze lehnt und ſtemmt. Mit Einem
Wort, es muß ein Segen und beſonderer Troſt in
der altväteriſchen und immerhin etwas geſchmackloſen
Gewohnheit liegen. Du magſt es glauben oder nicht,
ich kann es kaum erwarten, bis ich mit dieſem guten
Freund das erſtemal im Geſundheitspaß über die
Brücke nach dem Rennweg promenire! Wir kennen
uns bereits ein wenig und ich hoffe, daß unſere
Verbindung für alle Zeit geſchloſſen iſt.“
„Die Verbindung war von kurzer Dauer: das
dritte mal, daß beide mit einander aus waren, kam
der Begleiter nicht mehr mit zurück. Ein anderer
wurde angeſchafft, der etwas länger Treue hielt,
[77] und jedenfalls ſchrieb ich der Stockliebhaberei ein gut
Theil von der Ausdauer zu, womit Mozart drei
Wochen lang der Vorſchrift ſeines Arztes ganz er¬
träglich nachkam. Auch blieben die guten Folgen
nicht aus; wir ſahen ihn faſt nie ſo friſch, ſo hell
und von ſo gleichmäßiger Laune. Doch machte er
ſich leider in kurzem wieder allzu grün und täglich
hatt' ich deßhalb meine Noth mit ihm. Damals ge¬
ſchah es nun, daß er, ermüdet von der Arbeit eines
anſtrengenden Tages, noch ſpät, ein paar neugieri¬
ger Reiſenden wegen, zu einer muſikaliſchen Soirée
ging — auf eine Stunde bloß, verſprach er mir
heilig und theuer; doch das ſind immer die Gelegen¬
heiten, wo die Leute, wenn er nur erſt am Flügel
feſtſitzt und im Feuer iſt, ſeine Gutherzigkeit am mehr¬
ſten mißbrauchen; denn da ſitzt er alsdann wie das
Männchen in einer Montgolfiere, ſechs Meilen hoch
über dem Erdboden ſchwebend, wo man die Glocken
nicht mehr ſchlagen hört. Ich ſchickte den Bedienten
zweimal mitten in der Nacht dahin, umſonſt, er
konnte nicht zu ſeinem Herrn gelangen. Um drei Uhr
früh kam dieſer denn endlich nach Haus. Ich nahm mir
vor, den ganzen Tag ernſtlich mit ihm zu ſchmollen.“
Hier überging Madame Mozart einige Umſtände
[78] mit Stillſchweigen. Es war, muß man wiſſen, nicht
unwahrſcheinlich, daß zu gedachter Abendunterhaltung
auch eine junge Sängerin, Signora Malerbi, kom¬
men würde, an welcher Frau Conſtanze mit allem
Recht Aergerniß nahm. Dieſe Römerin war durch
Mozarts Verwendung bei der Oper angeſtellt worden,
und ohne Zweifel hatten ihre koketten Künſte nicht
geringen Antheil an der Gunſt des Meiſters. Sogar
wollten einige wiſſen, ſie habe ihn mehrere Monate
lang eingezogen und heiß genug auf ihrem Roſt ge¬
halten. Ob dieß nun völlig wahr ſey oder ſehr über¬
trieben, gewiß iſt, ſie benahm ſich nachher frech und
undankbar, und erlaubte ſich ſelbſt Spöttereien über
ihren Wohlthäter. So war es ganz in ihrer Art,
daß ſie ihn einſt, gegenüber einem ihrer glücklichern
Verehrer, kurzweg un piccolo grifo raso (ein kleines
raſirtes Schweinsrüſſelchen) nannte. Der Einfall,
einer Circe würdig, war um ſo empfindlicher, weil
er, wie man geſtehen muß, immerhin ein Körnchen
Wahrheit enthielt. *
[79]
Bei'm Nachhauſegehen von jener Geſellſchaft, bei
welcher übrigens die Sängerin zufällig nicht erſchienen
war, beging ein Freund im Uebermuth des Weins
die Indiscretion, dem Meiſter dieß boshafte Wort zu
verrathen. Er wurde ſchlecht davon erbaut, denn
eigentlich war es für ihn der erſte unzweideutige Be¬
weis von der gänzlichen Herzloſigkeit ſeines Schütz¬
lings. Vor lauter Entrüſtung darüber empfand er
nicht einmal ſogleich den froſtigen Empfang am Bette
ſeiner Frau. In Einem Athem theilte er ihr die Be¬
leidigung mit, und dieſe Ehrlichkeit läßt wohl auf
einen mindern Grad von Schuldbewußtſeyn ſchließen.
Faſt machte er ihr Mitleid rege. Doch hielt ſie ge¬
fliſſentlich an ſich, es ſollte ihm nicht ſo leicht hin¬
gehen. Als er von einem ſchweren Schlaf kurz nach
Mittag erwachte, fand er das Weibchen ſammt den
beiden Knaben nicht zu Hauſe, vielmehr ſäuberlich
den Tiſch für ihn allein gedeckt.
Von jeher gab es wenige Dinge, welche Mozart
ſo unglücklich machten, als wenn nicht alles hübſch
eben und heiter zwiſchen ihm und ſeiner guten Hälfte
ſtand. Und hätte er nun erſt gewußt, welche weitere
Sorge ſie ſchon ſeit mehreren Tagen mit ſich herum
trug! — eine der ſchlimmſten in der That, mit deren
[80] Eröffnung ſie ihn nach alter Gewohnheit ſo lange wie
möglich verſchonte. Ihre Baarſchaft war eheſtens alle,
und keine Ausſicht auf baldige Einnahme da. Ohne
Ahnung von dieſer häuslichen Extremität war gleich¬
wohl ſein Herz auf eine Art beklommen, die mit
jenem verlegenen, hülfloſen Zuſtand eine gewiſſe Aehn¬
lichkeit hatte. Er mochte nicht eſſen, er konnte nicht
bleiben. Geſchwind zog er ſich vollends an, um nur
aus der Stickluft des Hauſes zu kommen. Auf einem
offenen Zettel hinterließ er ein paar Zeilen italieniſch:
„Du haſt mir's redlich eingetränkt, und geſchieht mir
ſchon recht. Sey aber wieder gut, ich bitte dich, und
lache wieder, bis ich heim komme. Mir iſt zu Muth,
als möcht' ich ein Carthäuſer und Trappiſte werden,
ein rechter Heulochs, ſag' ich dir!“ — Sofort nahm
er den Hut, nicht aber auch den Stock zugleich; der
hatte ſeine Epoche paſſirt.
Haben wir Frau Conſtanze bis hieher in der
Erzählung abgelöſt, ſo können wir auch wohl noch
eine kleine Strecke weiter fortfahren.
Von ſeiner Wohnung, bei der Schranne, rechts
gegen das Zeughaus einbiegend, ſchlenderte der theure
Mann — es war ein warmer, etwas umwölkter
Sommernachmittag — nachdenklich läſſig über den
[81] ſogenannten Hof, und weiter an der Pfarre zu unſrer
lieben Frau vorbei, dem Schottenthor entgegen, wo
er ſeitwärts zur Linken auf die Mölkerbaſtei ſtieg und
dadurch der Anſprache mehrerer Bekannten, die eben
zur Stadt herein kamen, entging. Nur kurze Zeit
genoß er hier, obwohl von einer ſtumm bei den Ka¬
nonen auf und nieder gehenden Schildwache nicht
beläſtigt, der vortrefflichen Ausſicht über die grüne
Ebene des Glacis und die Vorſtädte hin nach dem
Kahlenberg und ſüdlich nach den ſteieriſchen Alpen.
Die ſchöne Ruhe der äußern Natur widerſprach ſeinem
innern Zuſtand. Mit einem Seufzer ſetzte er ſeinen
Gang über die Eſplanade und ſodann durch die Alſer-
Vorſtadt ohne beſtimmten Zielpunkt fort.
Am Ende der Währinger Gaſſe lag eine Schenke
mit Kegelbahn, deren Eigenthümer, ein Seilermeiſter,
durch ſeine gute Waare, wie durch die Reinheit ſeines
Getränks den Nachbarn und Landleuten, die ihr
Weg vorüber führte, gar wohl bekannt war. Man
hörte Kegelſchieben und übrigens ging es bei einer
Anzahl von höchſtens einem Dutzend Gäſten mäßig
zu. Ein kaum bewußter Trieb, ſich unter anſpruch¬
loſen, natürlichen Menſchen in etwas zu vergeſſen,
bewog den Muſiker zur Einkehr. Er ſetzte ſich an
Mörike, Mozart. 6[82] einen der ſparſam von Bäumen beſchatteten Tiſche
zu einem Wiener Brunnen-Obermeiſter und zwei
andern Spießbürgern, ließ ſich ein Schöppchen kom¬
men und nahm an ihrem ſehr alltäglichen Discours
eingehend Theil, ging dazwiſchen umher, oder ſchaute
dem Spiel auf der Kegelbahn zu.
Unweit von der letztern, an der Seite des Hau¬
ſes, befand ſich der offene Laden des Seilers, ein
ſchmaler, mit Fabrikaten voll gepfropfter Raum, weil
außer dem, was das Handwerk zunächſt lieferte, auch
allerlei hölzernes Küchen-, Keller- und landwirth¬
ſchaftliches Geräth, ingleichem Thran und Wagenſalbe,
auch Weniges von Sämereien, Dill und Kümmel,
zum Verkauf umher ſtand oder hing. Ein Mädchen,
das als Kellnerin die Gäſte zu bedienen und neben¬
bei den Laden zu beſorgen hatte, war eben mit einem
Bauern beſchäftigt, welcher, ſein Söhnlein an der
Hand, herzugetreten war, um einiges zu kaufen, ein
Fruchtmaß, eine Bürſte, eine Geißel. Er ſuchte
unter vielen Stücken eines heraus, prüfte es, legte
es weg, ergriff ein zweites und drittes, und kehrte
unſchlüſſig zum erſten zurück; es war kein Fertig¬
werden. Das Mädchen entfernte ſich mehrmals der
Aufwartung wegen, kam wieder und war unermüdlich,
[83] ihm ſeine Wahl zu erleichtern und annehmlich zu
machen, ohne daß ſie zu viel darum ſchwatzte.
Mozart ſah und hörte, auf einem Bänkchen bei
der Kegelbahn, dieſem allen mit Vergnügen zu. So
ſehr ihm auch das gute verſtändige Betragen des
Mädchens, die Ruhe und der Ernſt in ihren anſpre¬
chenden Zügen gefiel, noch mehr intereſſirte ihn für
jetzt der Bauer, welcher ihm, nachdem er ganz be¬
friedigt abgezogen, noch viel zu denken gab. Er hatte
ſich vollkommen in den Mann hinein verſetzt, gefühlt,
wie wichtig die geringe Angelegenheit von ihm be¬
handelt, wie ängſtlich und gewiſſenhaft die Preiſe,
bei einem Unterſchied von wenig Kreuzern, hin und
her erwogen wurden. Und, dachte er, wenn nun
der Mann zu ſeinem Weibe heimkommt, ihr ſeinen
Handel rühmt, die Kinder alle paſſen, bis der Zwerch¬
ſack aufgeht, darin auch was für ſie ſeyn mag; ſie
aber eilt, ihm einen Imbis und einen friſchen Trunk
ſelbſtgekelterten Obſtmoſt zu holen, darauf er ſeinen
ganzen Appetit verſpart hat!
Wer auch ſo glücklich wäre, ſo unabhängig von
den Menſchen! ganz nur auf die Natur geſtellt
und ihren Segen, wie ſauer auch dieſer erworben
ſeyn will!
[84]
Iſt aber mir mit meiner Kunſt ein anderes Tag¬
werk anbefohlen, das ich am Ende doch mit keinem
in der Welt vertauſchen würde: warum muß ich da¬
bei in Verhältniſſen leben, die das gerade Widerſpiel
von ſolch unſchuldiger, einfacher Exiſtenz ausmachen?
Ein Gütchen wenn du hätteſt, ein kleines Haus bei
einem Dorf in ſchöner Gegend, du ſollteſt wahrlich
neu aufleben! Den Morgen über fleißig bei deinen
Partituren, die ganze übrige Zeit bei der Familie;
Bäume pflanzen, deinen Acker beſuchen, im Herbſt
mit den Buben die Aepfel und die Birn' herunter thun;
bisweilen eine Reiſe in die Stadt zu einer Aufführung
und ſonſt, von Zeit zu Zeit ein Freund und meh¬
rere bei dir — welch eine Seligkeit! Nun ja, wer
weiß was noch geſchieht.
Er trat vor den Laden, ſprach freundlich mit dem
Mädchen und fing an, ihren Kram genauer zu be¬
trachten. Bei der unmittelbaren Verwandtſchaft,
welche die meiſten dieſer Dinge zu jenem idylliſchen
Anfluge hatten, zog ihn die Sauberkeit, das Helle,
Glatte, ſelbſt der Geruch der mancherlei Holzarbeiten
an. Es fiel ihm plötzlich ein, Verſchiedenes für ſeine
Frau, was ihr nach ſeiner Meinung angenehm und
nutzbar wäre, auszuwählen. Sein Augenmerk ging
[85] zuvörderſt auf Gartenwerkzeug. Conſtanze hatte näm¬
lich vor Jahr und Tag auf ſeinen Antrieb ein Stück¬
chen Land vor dem Kärnthner Thor gepachtet und
etwas Gemüſe darauf gebaut; daher ihm jetzt für's
Erſte ein neuer großer Rechen, ein kleinerer ditto,
ſammt Spaten, ganz zweckmäßig ſchien. Dann Wei¬
teres anlangend, ſo macht es ſeinen ökonomiſchen
Begriffen alle Ehre, daß er einem ihn ſehr appetitlich
anlachenden Butterfaß nach kurzer Ueberlegung, wie¬
wohl ungern, entſagte; dagegen ihm ein hohes, mit
Deckel und ſchön geſchnitztem Henkel verſehenes Ge¬
ſchirr zu unmaßgeblichem Gebrauch einleuchtete. Es
war aus ſchmalen Stäben von zweierlei Holz, abwech¬
ſelnd hell und dunkel, zuſammengeſetzt, unten weiter
als oben und innen trefflich ausgepicht. Entſchieden
für die Küche empfahl ſich eine ſchöne Auswahl
Rührlöffel, Wellhölzer, Schneidbretter und Teller von
allen Größen, ſo wie ein Salzbehälter einfachſter
Conſtruction zum Aufhängen.
Zuletzt beſah er ſich noch einen derben Stock,
deſſen Handhabe mit Leder und runden Meſſingnägeln
gehörig beſchlagen war. Da der ſonderbare Kunde
auch hier in einiger Verſuchung ſchien, bemerkte die
Verkäuferin mit Lächeln, das ſey juſt kein Tragen
[86] für Herrn. „Du haſt Recht, mein Kind,“ verſetzte
er, „mir däucht, die Metzger auf der Reiſe haben
ſolche; weg damit, ich will ihn nicht. Das übrige
hingegen alles, was wir da ausgeleſen haben, bringſt
du mir heute oder morgen in's Haus. Dabei nannte
er ihr ſeinen Namen und die Straße. Er ging hier¬
auf, um auszutrinken, an ſeinen Tiſch, wo von den
Dreien nur noch Einer, ein Klempnermeiſter, ſaß.
„Die Kellnerin hat heut 'mal einen guten Tag,“
bemerkte der Mann. „Ihr Vetter läßt ihr vom Erlös
im Laden am Gulden einen Batzen.“
Mozart freute ſich nun ſeines Einkaufs doppelt:
gleich aber ſollte ſeine Theilnahme an der Perſon noch
größer werden. Denn als ſie wieder in die Nähe
kam, rief ihr derſelbe Bürger zu: „Wie ſteht's, Cres¬
cenz? Was macht der Schloſſer? Feilt er nicht bald
ſein eigen Eiſen?“
„O was!“ erwiederte ſie im Weitereilen: „ſelbiges
Eiſen, ſchätz' ich, wächst noch im Berg, zuhinterſt.“
„Es iſt ein guter Tropf,“ ſagte der Klempner.
„Sie hat lang ihrem Stiefvater hausgehalten und ihn
in der Krankheit verpflegt, und da er todt war, kam's
heraus, daß er ihr Eigenes aufgezehrt hatte; zeither
dient ſie da ihrem Verwandten, iſt Alles und Alles
[87] im Geſchäft, in der Wirthſchaft und bei den Kindern.
Sie hat mit einem braven Geſellen Bekanntſchaft und
würde ihn je eher je lieber heirathen; das aber hat
ſo ſeine Haken.“
„Was für? Er iſt wohl auch ohne Vermögen?“
„Sie erſparten ſich beide etwas, doch langt es
nicht gar. Jetzt kommt mit Nächſtem drinnen ein
halber Haustheil ſammt Werkſtatt in Gant; dem
Seiler wär's ein Leichtes, ihnen vorzuſchießen, was
noch zum Kaufſchilling fehlt, allein er läßt die Dirne
natürlich nicht gern fahren. Er hat gute Freunde im
Rath und bei der Zunft, da findet der Geſelle nun
allenthalben Schwierigkeiten.“
„Verflucht!“ — fuhr Mozart auf, ſo daß der
Andere erſchrack und ſich umſah, ob man nicht horche.
„Und da iſt niemand, der ein Wort nach dem Recht
darein ſpräche? den Herrn eine Fauſt vorhielte? Die
Schufte, die! Wart nur, man kriegt euch noch bei'm
Wickel.“
Der Klempner ſaß wie auf Kohlen. Er ſuchte
das Geſagte auf eine ungeſchickte Art zu mildern, bei¬
nahe nahm er es völlig zurück. Doch Mozart hörte
ihn nicht an. „Schämt Euch, wie Ihr nun ſchwatzt.
So macht's ihr Lumpen allemal, ſobald es gilt mit
[88] etwas einzuſtehen!“ — Und hiemit kehrte er dem Ha¬
ſenfuß ohne Abſchied den Rücken. Der Kellnerin, die
alle Hände voll zu thun hatte mit neuen Gäſten,
raunte er nur im Vorbeigehen zu: „Komme morgen
bei Zeiten, grüße mir deinen Liebſten; ich hoffe, daß
eure Sache gut geht.“ Sie ſtutzte nur und hatte weder
Zeit noch Faſſung ihm zu danken.
Geſchwinder als gewöhnlich, weil der Auftritt
ihm das Blut etwas in Wallung brachte, ging er
vorerſt denſelben Weg, den er gekommen, bis an das
Glacis, auf welchem er dann langſamer, mit einem
Umweg, im weiten Halbkreis um die Wälle wandelte.
Ganz mit der Angelegenheit des armen Liebespaars
beſchäftigt, durchlief er in Gedanken eine Reihe ſei¬
ner Bekannten und Gönner, die auf die eine oder
andere Weiſe in dieſem Fall etwas vermochten. Da
indeſſen, bevor er ſich irgend zu einem Schritt be¬
ſtimmte, noch nähere Erklärungen von Seiten des
Mädchens erforderlich waren, beſchloß er dieſe ruhig
abzuwarten und war nunmehr, mit Herz und Sinn
den Füßen voraus eilend, bei ſeiner Frau zu Hauſe.
Mit, innerer Gewißheit zählte er auf einen
freundlichen, ja fröhlichen Willkommen, Kuß und
Umarmung ſchon auf der Schwelle, und Sehnſucht
[89] verdoppelte ſeine Schritte bei'm Eintritt in das Kärnth¬
ner Thor. Nicht weit davon ruft ihn der Poſtträger
an, der ihm ein kleines, doch gewichtiges Packet
übergibt, worauf er eine ehrliche und accurate Hand
augenblicklich erkennt. Er tritt mit dem Boten, um
ihn zu quittiren, in den nächſten Kaufladen; dann,
wieder auf der Straße, kann er ſich nicht bis in ſein
Haus gedulden; er reißt die Siegel auf, halb gehend,
halb ſtehend verſchlingt er den Brief.
„Ich ſaß,“ fuhr Madame Mozart hier in der
Erzählung bei den Damen fort, „am Nähtiſch, hörte
meinen Mann die Stiege heraufkommen und den Be¬
dienten nach mir fragen. Sein Tritt und ſeine
Stimme kam mir beherzter, aufgeräumter vor, als
ich erwartete und als mir wahrhaftig angenehm war.
Erſt ging er auf ſein Zimmer, kam aber gleich her¬
über. Guten Abend! ſagt' er; ich, ohne aufzuſehen,
erwiederte ihm kleinlaut. Nachdem er die Stube ein
paarmal ſtillſchweigend gemeſſen, nahm er unter er¬
zwungenem Gähnen die Fliegenklatſche hinter der Thür,
was ihm noch niemals eingefallen war, und murmelte
vor ſich: „Wo nur die Fliegen gleich wieder her
kommen!“ — fing an zu patſchen da und dort, und
zwar ſo ſtark wie möglich. Dieß war ihm ſtets der
[90] unleidlichſte Ton, den ich in ſeiner Gegenwart nie
hören laſſen durfte. Hm, dacht' ich, daß doch was
man ſelber thut, zumal die Männer, ganz etwas
anderes iſt! Uebrigens hatte ich ſo viele Fliegen gar
nicht wahrgenommen. Sein ſeltſames Betragen ver¬
droß mich wirklich ſehr. — „Sechſe auf Einen Schlag!“
rief er: „willſt du ſehen?“ — Keine Antwort. Da
legt er mir Etwas auf's Nähkiſſen hin, daß ich es
ſehen mußte, ohne ein Auge von meiner Arbeit zu
verwenden. Es war nichts Schlechteres als ein
Häufchen Gold, ſo viel man Ducaten zwiſchen zwei
Finger nimmt. Er ſetzte ſeine Poſſen hinter meinem
Rücken fort, that hin und wieder einen Streich und
ſprach dabei für ſich: „Das fatale, unnütze, ſcham¬
loſe Gezücht! Zu was Zweck es nur eigentlich auf
der Welt iſt — Patſch! — offenbar bloß daß man's
todtſchlage — Pitſch — darauf verſtehe ich mich ei¬
nigermaßen, darf ich behaupten. — Die Naturge¬
ſchichte belehrt uns über die erſtaunliche Vermehrung
dieſer Geſchöpfe — Pitſch Patſch —: in meinem
Hauſe wird immer ſogleich damit aufgeräumt. Ah
maledette! disperate! — Hier wieder ein Stück
zwanzig. Magſt du ſie?“ — Er kam und that wie
vorhin. Hatte ich bisher mit Mühe das Lachen
[91] unterdrückt, länger war es unmöglich, ich platzte her¬
aus, er fiel mir um den Hals und beide kicherten
und lachten wir um die Wette.“
„Woher kommt dir denn aber das Geld?“ frag'
ich, während daß er den Reſt aus dem Röllelchen
ſchüttelt. — „Vom Fürſten Eſterhazy! durch den Haydn!
Lies nur den Brief.“ Ich las.
„Eiſenſtadt u. ſ. w. Theuerſter Freund! Seine
Durchlaucht, mein gnädigſter Herr, hat mich zu mei¬
nem größeſten Vergnügen damit betraut, Ihnen bei¬
folgende ſechzig Ducaten zu übermachen. Wir haben
letzt Ihre Quartetten wieder ausgeführt und Seine
Durchlaucht waren ſolchermaßen davon eingenommen
und befriediget als bei dem erſtenmal, vor einem
Vierteljahre, kaum der Fall geweſen. Der Fürſt be¬
merkte mir (ich muß es wörtlich ſchreiben): als Mozart
Ihnen dieſe Arbeit dedicirte, hat er geglaubt nur Sie
zu ehren, doch kann's ihm nichts verſchlagen, wenn
ich zugleich ein Compliment für mich darin erblicke.
Sagen Sie ihm, ich denke von ſeinem Genie bald
ſo groß wie Sie ſelbſt, und mehr könn' er in Ewig¬
keit nicht verlangen. — Amen! ſetz' ich hinzu. Sind
Sie zufrieden?“
„Poſtſcript. Der lieben Frau in's Ohr: Sorgen
[92] Sie gütigſt, daß die Dankſagung nicht aufgeſchoben
werde. Am beſten geſchäh' es perſönlich. Wir müſſen
ſo guten Wind fein erhalten!“
„Du Engelsmann! o himmliſche Seele!“ rief
Mozart ein über's anderemal, und es iſt ſchwer zu
ſagen, was ihn am meiſten freute, der Brief, oder
des Fürſten Beifall oder das Geld. Was mich be¬
trifft, aufrichtig geſtanden, mir kam das letztere ge¬
rade damals höchſt gelegen. Wir feierten noch einen
ſehr vergnügten Abend.“
„Von der Affäre in der Vorſtadt erfuhr ich
jenen Tag noch nichts, die folgenden eben ſo wenig,
die ganze nächſte Woche verſtrich, keine Crescenz er¬
ſchien, und mein Mann, in einem Strudel von Ge¬
ſchäften, vergaß die Sache bald. Wir hatten an einem
Sonnabend Geſellſchaft; Hauptmann Weſſelt, Graf
Hardegg und andere muſicirten. In einer Pauſe
werde ich hinausgerufen — da war nun die Be¬
ſcheerung! Ich geh' hinein und frage: „Haſt du Be¬
ſtellung in der Alſervorſtadt auf allerlei Holzwaare
gemacht?“ — „Potz Hagel, ja! Ein Mädchen wird
da ſeyn? Laß ſie nur hereinkommen.“ So trat ſie
denn in größter Freundlichkeit, einen vollen Korb
am Arm, mit Rechen und Spaten in's Zimmer,
[93] entſchuldigte ihr langes Ausbleiben, ſie habe den Na¬
men der Gaſſe nicht mehr gewußt und ſich erſt heut zu¬
recht gefragt. Mozart nahm ihr die Sachen nach
einander ab, die er ſofort mit Selbſtzufriedenheit mir
überreichte. Ich ließ mir herzlich dankbar alles und
jedes wohl gefallen, belobte und pries, nur nahm
es mich Wunder, wozu er das Gartengeräthe gekauft.
— „Natürlich,“ ſagt' er, „für dein Stückchen an der
Wien.“ — „Mein Gott, das haben wir ja aber lange
abgegeben! weil uns das Waſſer immer ſo viel Scha¬
den that und überhaupt gar nichts dabei herauskam.
Ich ſagte dir's, du hatteſt nichts dawider.“ — „Was?
Und alſo die Spargeln, die wir dieß Frühjahr ſpeis¬
ten“ — „Waren immer vom Markt.“ — „Seht,“
ſagt' er, „hätt' ich das gewußt! Ich lobte ſie dir
ſo aus bloßer Artigkeit, weil du mich wirklich dauerteſt
mit deiner Gärtnerei; es waren Dingerl wie die
Federſpulen.“
„Die Herrn beluſtigte der Spaß überaus; ich
mußte Einigen ſogleich das Ueberflüſſige zum Anden¬
ken laſſen. Als aber Mozart nun das Mädchen über
ihr Heirathsanliegen ausforſchte, ſie ermunterte, hier
nur ganz frei zu ſprechen, da das, was man für ſie
und ihren Liebſten thun würde, in der Stille, glimpflich
[94] und ohne Jemandes Anklagen ſolle ausgerichtet wer¬
den, ſo äußerte ſie ſich gleichwohl mit ſo viel Be¬
ſcheidenheit, Vorſicht und Schonung, daß ſie alle
Anweſenden völlig gewann und man ſie endlich mit
den beſten Verſprechungen entließ.“
„Den Leuten muß geholfen werden!“ ſagte der
Hauptmann. „Die Innungskniffe ſind das Wenigſte
dabei; hier weiß ich Einen, der das bald in Ord¬
nung bringen wird. Es handelt ſich um einen Bei¬
trag für das Haus, Einrichtungskoſten und dergleichen.
Wie, wenn wir ein Concert für Freunde im Tratt¬
neriſchen Saal mit Entrée ad libitum ankündigten?“
— Der Gedanke fand lebhaften Anklang. Einer der
Herrn ergriff das Salzfaß und ſagte: „Es müßte
jemand zur Einleitung einen hübſchen hiſtoriſchen
Vortrag thun, Herrn Mozarts Einkauf ſchildern,
ſeine menſchenfreundliche Abſicht erklären, und hier
das Prachtgefäß ſtellt man auf einem Tiſch als Opfer¬
büchſe auf, die beiden Rechen als Decoration rechts
und links dahinter gekreuzt.“
Dieß nun geſchah zwar nicht, hingegen das
Concert kam zu Stande; es warf ein Erkleckliches ab,
verſchiedene Beiträge folgten nach, daß das beglückte
Paar noch Ueberſchuß hatte, und auch die andern
[95] Hinderniſſe waren ſchnell beſeitigt. Duſcheks in Prag,
unſre genauſten Freunde dort, bei denen wir logiren,
vernahmen die Geſchichte, und ſie, eine gar gemüth¬
liche herzige Frau, verlangte von dem Kram aus
Curioſität auch etwas zu haben; ſo legt' ich denn
das Paſſendſte für ſie zurück und nahm es bei dieſer
Gelegenheit mit. Da wir inzwiſchen unverhofft eine
neue liebe Kunſtverwandte finden ſollten, die nah
daran iſt, ſich den eigenen Herd einzurichten, und ein
Stück gemeinen Hausrath, welches Mozart ausge¬
wählt, gewißlich nicht verſchmähen wird, will ich mein
Mitbringen halbiren, und Sie haben die Wahl zwi¬
ſchen einem ſchön durchbrochenen Chocoladequirl und
mehrgedachter Salzbüchſe, an welcher ſich der Künſt¬
ler mit einer geſchmackvollen Tulpe verunköſtigt hat.
Ich würde unbedingt zu dieſem Stück rathen; das
edle Salz, ſo viel ich weiß, iſt ein Symbol der
Häuslichkeit und Gaſtlichkeit, wozu wir alle guten
Wünſche für Sie legen wollen.“
So weit Madame Mozart. Wie dankbar und
wie heiter alles von den Damen auf- und angenom¬
men wurde, kann man denken. Der Jubel erneuerte
ſich, als gleich darauf bei den Männern oben die
Gegenſtände vorgelegt und das Muſter patriarchaliſcher
[96] Simplicität nun förmlich übergeben ward, welchem
der Oheim in dem Silberſchranke ſeiner nunmehrigen
Beſitzerin und ihrer ſpäteſten Nachkommen keinen ge¬
ringern Platz verſprach, als jenes berühmte Kunſt¬
werk des florentiniſchen Meiſters in der Ambraſer
Sammlung einnehme.
Es war ſchon faſt acht Uhr; man nahm den
Thee. Bald aber ſah ſich unſer Muſiker an ſein
ſchon am Mittag gegebenes Wort, die Geſellſchaft
näher mit dem „Höllenbrand“ bekannt zu machen,
der unter Schloß und Riegel, doch zum Glück nicht
allzutief im Reiſekoffer lag, dringend erinnert. Er
war ohne Zögern bereit. Die Auseinanderſetzung
der Fabel des Stücks hielt nicht lange auf, das
Textbuch wurde aufgeſchlagen und ſchon brannten die
Lichter am Fortepiano.
Wir wünſchten wohl, unſere Leſer ſtreifte hier
zum wenigſten etwas von jener eigenthümlichen Em¬
pfindung an, womit oft ſchon ein einzeln abgeriſſener,
aus einem Fenſter bei'm Vorübergehen an unſer Ohr
getragener Accord, der nur von dorther kommen
kann, uns wie elektriſch trifft und wie gebannt feſt¬
hält; etwas von jener ſüßen Bangigkeit, wenn wir
in dem Theater, ſo lange das Orcheſter ſtimmt, dem
[97] Vorhang gegenüber ſitzen. Oder iſt es nicht ſo?
Wenn auf der Schwelle jedes erhabenen tragiſchen
Kunſtwerks, es heiße Macbeth, Oedipus oder wie
ſonſt, ein Schauer der ewigen Schönheit ſchwebt,
wo träfe dieß in höherem, auch nur in gleichem
Maße zu, als eben hier? Der Menſch verlangt und
ſcheut zugleich aus ſeinem gewöhnlichen Selbſt ver¬
trieben zu werden, er fühlt, das Unendliche wird ihn
berühren, das ſeine Bruſt zuſammenzieht, indem es
ſie ausdehnen und den Geiſt gewaltſam an ſich reißen
will. Die Ehrfurcht vor der vollendeten Kunſt tritt
hinzu; der Gedanke, ein göttliches Wunder genießen,
es als ein Verwandtes in ſich aufnehmen zu dürfen,
zu können, führt eine Art von Rührung, ja von
Stolz mit ſich, vielleicht den glücklichſten und reinſten,
deſſen wir fähig ſind.
Unſre Geſellſchaft aber hatte damit, daß ſie ein
uns von Jugend auf völlig zu eigen gewordenes
Werk jetzt erſtmals kennen lernen ſollte, einen von
unſerem Verhältniß unendlich verſchiedenen Stand,
und, wenn man das beneidenswerthe Glück der per¬
ſönlichen Vermittlung durch den Urheber abrechnet,
bei weitem nicht den günſtigen wie wir, da eine
reine und vollkommene Auffaſſung eigentlich niemand
Mörike, Mozart. 7[98] möglich war, auch in mehr als Einem Betracht
ſelbſt dann nicht möglich geweſen ſeyn würde, wenn
das Ganze unverkürzt hätte mitgetheilt werden können.
Von achtzehn fertig ausgearbeiteten Numern *gab
der Componiſt vermuthlich nicht die Hälfte; (wir
finden in dem, unſerer Darſtellung zu Grunde lie¬
genden Bericht nur das letzte Stück dieſer Reihe, das
Sextett, ausdrücklich angeführt) — er gab ſie mei¬
ſtens, wie es ſcheint, in einem freien Auszug, bloß
auf dem Klavier, und ſang ſtellenweiſe darein, wie
es kam und ſich ſchickte. Von der Frau iſt gleich¬
falls nur bemerkt, daß ſie zwei Arien vorgetragen
habe. Wir möchten uns, da ihre Stimme ſo ſtark
als lieblich geweſen ſeyn ſoll, die erſte der Donna
Anna (Du kennſt den Verräther), und eine von den
beiden der Zerline dabei denken.
Genau genommen waren, dem Geiſt, der Ein¬
ſicht, dem Geſchmacke nach, Eugenie und ihr Ver¬
lobter die einzigen Zuhörer wie der Meiſter ſie ſich
wünſchen mußte, und jene war es ſicher ungleich
mehr als dieſer. Sie ſaßen Beide tief im Grunde
[99] des Zimmers; das Fräulein regungslos, wie eine
Bildſäule, und in die Sache aufgelöst auf einen
ſolchen Grad, daß ſie auch in den kurzen Zwiſchen¬
räumen, wo ſich die Theilnahme der Uebrigen be¬
ſcheiden äußerte oder die innere Bewegung ſich un¬
willkürlich mit einem Ausruf der Bewunderung Luft
machte, die von dem Bräutigam an ſie gerichteten
Worte immer nur ungenügend zu erwiedern vermochte.
Als Mozart mit dem überſchwänglich ſchönen
Sextett geſchloſſen hatte, und nach und nach ein Ge¬
ſpräch aufkam, ſchien er vornämlich einzelne Bemer¬
kungen des Barons mit Intereſſe und Wohlgefallen
aufzunehmen. Es wurde vom Schluſſe der Oper
die Rede, ſo wie von der, vorläufig auf den Anfang
Novembers anberaumten Aufführung, und da jemand
meinte, gewiſſe Theile des Finale möchten noch eine
Rieſenaufgabe ſeyn, ſo lächelte der Meiſter mit eini¬
ger Zurückhaltung; Conſtanze aber ſagte zu der
Gräfin hin, daß er es hören mußte: „Er hat noch
was in petto, womit er geheim thut, auch vor mir.“
„Du fällſt,“ verſetze er, „aus deiner Rolle,
Schatz, daß du das jetzt zur Sprache bringſt; wenn
ich nun Luſt bekäme, von Neuem anzufangen? und
in der That, es juckt mich ſchon.“
„Leporello!“ rief der Graf, luſtig aufſpringend,
und winkte einem Diener: „Wein! Sillery, drei
Flaſchen!“
„Nicht doch! damit iſt es vorbei — mein Junker
hat ſein letztes im Glaſe.“
„Wohl bekomm's ihm — und Jedem das Seine!“
„Mein Gott, was hab'ich da gemacht!“ lamen¬
tirte Conſtanze, mit einem Blick auf die Uhr, „gleich
iſt es Elfe, und morgen früh ſoll's fort — wie wird
das gehen?“
„Es geht halt gar nicht, Beſte! nur ſchlechter¬
dings gar nicht.“
„Manchmal,“ fing Mozart an, „kann ſich doch
ein Ding ſonderbar fügen. Was wird denn meine
Stanzl ſagen, wenn ſie erfährt, daß eben das Stück
Arbeit, was ſie nun hören ſoll, um eben dieſe
Stunde in der Nacht, und zwar gleichfalls vor einer
angeſetzten Reiſe, zur Welt geboren iſt?“
„Wär's möglich? Wann? Gewiß vor drei Wochen,
wie du nach Eiſenſtadt wollteſt?“
„Getroffen! Und das begab ſich ſo. Ich kam nach
Zehne, du ſchliefſt ſchon feſt, von Richters Eſſen
heim, und wollte verſprochenermaßen auch bälder zu
Bett, um Morgens bei Zeiten heraus und in den
[101] Wagen zu ſteigen. Inzwiſchen hatte Veit, wie ge¬
wöhnlich, die Lichter auf dem Schreibtiſch angezündet,
ich zog mechaniſch den Schlafrock an, und fiel mir
ein, geſchwind mein letztes Penſum noch einmal an¬
zuſehen. Allein, o Mißgeſchick! verwünſchte, ganz
unzeitige Geſchäftigkeit der Weiber! du hatteſt auf¬
geräumt, die Noten eingepackt — die mußten näm¬
lich mit: der Fürſt verlangte eine Probe von dem
Opus; — ich ſuchte, brummte, ſchalt, umſonſt!
Darüber fällt mein Blick auf ein verſiegeltes Couvert:
vom Abbate, den gräulichen Haken nach auf der
Adreſſe — ja wahrlich! und ſchickt mir den umge¬
arbeiteten Reſt ſeines Texis, den ich vor Monats¬
friſt noch nicht zu ſehen hoffte. Sogleich ſitz' ich be¬
gierig hin und leſe und bin entzückt, wie gut der
Kauz verſtand, was ich wollte. Es war alles weit
ſimpler, gedrängter und reicher zugleich. Sowohl die
Kirchhofsſcene, wie das Finale, bis zum Untergang
des Helden, hat in jedem Betracht ſehr gewonnen.
(Du ſollſt mir aber auch, dacht' ich, vortrefflicher Poet,
Himmel und Hölle nicht unbedankt zum zweitenmal
beſchworen haben!) Nun iſt es ſonſt meine Ge¬
wohnheit nicht, in der Compoſition etwas vorauszu¬
nehmen, und wenn es noch ſo lockend wäre; das
[102] bleibt eine Unart, die ſich ſehr übel beſtrafen kann.
Doch gibt es Ausnahmen, und kurz, der Auftritt
bei der Reiterſtatue des Gouverneurs, die Drohung,
die vom Grabe des Erſchlagenen her urplötzlich das
Gelächter des Nachtſchwärmers haarſträubend unter¬
bricht, war mir bereits in die Krone gefahren. Ich
griff einen Accord und fühlte, ich hatte an der rech¬
ten Pforte angeklopft, dahinter ſchon die ganze Legion
von Schrecken bei einander liege, die im Finale los¬
zulaſſen ſind. So kam für's Erſte ein Adagio her¬
aus: D moll, vier Tacte nur, darauf ein zweiter
Satz mit fünfen — es wird, bild' ich mir ein, auf
dem Theater etwas Ungewöhnliches geben, wo die
ſtärkſten Blasinſtrumente die Stimme begleiten. Einſt¬
weilen hören Sie's, ſo gut es ſich hier machen läßt.“
Er löſchte ohne weiteres die Kerzen der beiden
neben ihm ſtehenden Armleuchter aus, und jener
furchtbare Choral: „Dein Lachen endet vor der
Morgenröthe!“ erklang durch die Todtenſtille des
Zimmers. Wie von entlegenen Sternenkreiſen fallen
die Töne aus ſilbernen Poſaunen, eiskalt, Mark
und Seele durchſchneidend, herunter durch die blaue
Nacht.
„Wer iſt hier? Antwort!“ hört man Don Juan
[103] fragen. Da hebt es wieder an, eintönig wie zuvor,
und gebietet dem ruchloſen Jüngling die Todten in
Ruhe zu laſſen.
Nachdem dieſe dröhnenden Klänge bis auf die
letzte Schwingung in der Luft verhallt waren, fuhr
Mozart fort: „Jetzt gab es für mich begreiflicher¬
weiſe kein Aufhören mehr. Wenn erſt das Eis ein¬
mal an Einer Uferſtelle bricht, gleich kracht der ganze
See und klingt bis an den entfernteſten Winkel hin¬
unter. Ich ergriff unwillkürlich denſelben Faden
weiter unten bei Don Juans Nachtmahl wieder, wo
Donna Elvira ſich eben entfernt hat und das Ge¬
ſpenſt, der Einladung gemäß, erſcheint. — Hören
Sie an.“
Es folgte nun der ganze lange, entſetzenvolle
Dialog, durch welchen auch der Nüchternſte bis an
die Grenze menſchlichen Vorſtellens, ja über ſie hin¬
aus geriſſen wird, wo wir das Ueberſinnliche ſchauen
und hören, und innerhalb der eigenen Bruſt von einem
Aeußerſten zum andern willenlos uns hin und her
geſchleudert fühlen.
Menſchlichen Sprachen ſchon entfremdet, bequemt
ſich das unſterbliche Organ des Abgeſchiedenen, noch
einmal zu reden. Bald nach der erſten fürchterlichen
[104] Begrüßung, als der Halbverklärte die ihm gebotene
irdiſche Nahrung verſchmäht, wie ſeltſam ſchauer¬
lich wandelt ſeine Stimme auf den Sproſſen einer
luftgewebten Leiter unregelmäßig auf und nieder! Er
fordert ſchleunigen Entſchluß zur Buße: kurz iſt dem
Geiſt die Zeit gemeſſen; weit, weit, weit iſt der
Weg! Und wenn nun Don Juan, im ungeheuren
Eigenwillen den ewigen Ordnungen trotzend, unter
dem wachſenden Andrang der hölliſchen Mächte, rath¬
los ringt, ſich ſträubt und windet, und endlich unter¬
geht, noch mit dem vollen Ausdruck der Erhabenheit
in jeder Geberde — wem zitterten nicht Herz und
Nieren vor Luſt und Angſt zugleich? Es iſt ein Ge¬
fühl, ähnlich dem, womit man das prächtige Schau¬
ſpiel einer unbändigen Naturkraft, den Brand eines
herrlichen Schiffes anſtaunt. Wir nehmen wider
Willen gleichſam Partei für dieſe blinde Größe und
theilen knirſchend ihren Schmerz im reißenden Ver¬
lauf ihrer Selbſtvernichtung.
Der Componiſt war am Ziele. Eine Zeitlang
wagte niemand, das allgemeine Schweigen zuerſt zu
brechen.
„Geben Sie uns,“ fing endlich, mit noch be¬
klemmtem Athem, die Gräfin an, „geben Sie uns,
[105] ich bitte Sie, einen Begriff, wie Ihnen war, da
Sie in jener Nacht die Feder weglegten!“
Er blickte, wie aus einer ſtillen Träumerei er¬
muntert, helle zu ihr auf, beſann ſich ſchnell und
ſagte, halb zu der Dame, halb zu ſeiner Frau:
„Nun ja, mir ſchwankte wohl zuletzt der Kopf. Ich
hatte dieß verzweifelte Dibattimento, bis zu dem Chor
der Geiſter, in Einer Hitze fort, beim offenen Fen¬
ſter, zu Ende geſchrieben, und ſtand nach einer kurzen
Raſt vom Stuhl auf, im Begriff, nach deinem Ca¬
binet zu gehen, damit wir noch ein bischen plaudern
und ſich mein Blut ausgleiche. Da machte ein über¬
querer Gedanke mich mitten im Zimmer ſtill ſtehen.“
(Hier ſah er zwei Sekunden lang zu Boden, und
ſein Ton verrieth beim Folgenden eine kaum merkbare
Bewegung.) „Ich ſagte zu mir ſelbſt: wenn du noch
dieſe Nacht wegſtürbeſt, und müßteſt deine Partitur
an dieſem Punkt verlaſſen: ob dir's auch Ruh im
Grabe ließ'? — Mein Auge hing am Docht des
Lichts in meiner Hand und auf den Bergen von ab¬
getropftem Wachs. Ein Schmerz bei dieſer Vorſtel¬
lung durchzückte mich einen Moment; dann dacht' ich
weiter: wenn denn hernach über kurz oder lang ein
anderer, vielleicht gar ſo ein Wälſcher, die Oper zu
[106] vollenden bekäme, und fände von der Introduction
bis Numero ſiebzehn, mit Ausnahme Einer Piece,
alles ſauber beiſammen, lauter geſunde, reife Früchte
in's hohe Gras geſchüttelt, daß er ſie nur aufleſen
dürfte; ihm graute aber doch ein wenig hier vor
der Mitte des Finale, und er fände alsdann unver¬
hofft den tüchtigen Felsbrocken da in ſo weit ſchon
bei Seite gebracht: er möchte drum nicht übel in das
Fäuſtchen lachen! Vielleicht wär' er verſucht, mich
um die Ehre zu betrügen. Er ſollte aber wohl die
Finger dran verbrennen; da wär' noch immerhin ein
Häuflein guter Freunde, die meinen Stempel kennen
und mir was mein iſt redlich ſichern würden. —
Nun ging ich, dankte Gott mit einem vollen Blick
hinauf, und dankte, liebes Weibchen, deinem Genius,
der dir ſo lange ſeine beiden Hände ſanft über die
Stirne gehalten, daß du fortſchliefſt wie eine Ratze
und mich kein einzigmal anrufen konnteſt. Wie ich
dann aber endlich kam und du mich um die Uhr be¬
frugſt, log ich dich friſchweg ein paar Stunden jünger
als du warſt, denn es ging ſtark auf Viere; und nun
wirſt du begreifen, warum du mich um Sechſe nicht
aus den Federn brachteſt, der Kutſcher wieder heimge¬
ſchickt und auf den andern Tag beſtellt werden mußte.“
„Natürlich,“ verſetzte Conſtanze, „nur bilde ſich
der ſchlaue Mann nicht ein, man ſey ſo dumm ge¬
weſen, nichts zu merken! Deßwegen brauchteſt du
mir deinen ſchönen Vorſprung fürwahr nicht zu ver¬
heimliche!“
„Auch war es nicht deßhalb.“
„Weiß ſchon — du wollteſt deinen Schatz vor¬
erſt noch unbeſchrieen haben.“
„Mich freut nur,“ rief der gutmüthige Wirth,
„daß wir morgen nicht nöthig haben, ein edles Wiener
Kutſcherherz zu kränken, wenn Herr Mozart partout
nicht aufſtehen kann. Die Ordre „Hans ſpann wie¬
der aus“ thut jederzeit ſehr weh.“
Dieſe indirekte Bitte um längeres Bleiben, mit
der ſich die übrigen Stimmen im herzlichſten Zuſpruch
verbanden, gab den Reiſenden Anlaß zu Auseinan¬
derſetzung ſehr triftiger Gründe dagegen; doch ver¬
glich man ſich gerne dahin, daß nicht zu zeitig auf¬
gebrochen und noch vergnügt zuſammen gefrühſtückt
werden ſolle.
Man ſtand und drehte ſich noch eine Zeitlang
in Gruppen ſchwatzend um einander. Mozart ſah
ſich nach jemanden um, augenſcheinlich nach der Braut;
da ſie jedoch gerade nicht zugegen war, ſo richtete er
[108] naiver Weiſe die ihr beſtimmte Frage unmittelbar an
die ihm naheſtehende Franziska: „Was denken Sie
denn nun im Ganzen von unſerm Don Giovanni?
was können Sie ihm Gutes prophezeien?“
„Ich will,“ verſetzte ſie mit Lachen, „im Namen
meiner Baſe ſo gut antworten als ich kann: „Meine
einfältige Meinung iſt, daß wenn Don Giovanni
nicht aller Welt den Kopf verrückt, ſo ſchlägt der
liebe Gott ſeinen Muſikkaſten gar zu, auf unbe¬
ſtimmte Zeit heißt das, und gibt der Menſchheit zu
verſtehen —“ — „Und gibt der Menſchheit,“ fiel
der Onkel verbeſſernd ein, „den Dudelſack in die
Hand und verſtocket die Herzen der Leute, daß ſie
anbeten Baalim.“
„Behüt' uns Gott!“ lachte Mozart. „Je nun,
im Lauf der nächſten ſechzig, ſiebzig Jahre, nachdem
ich lang fort bin, wird mancher falſche Prophet auf¬
ſtehen.“
Eugenie trat mit dem Baron und Max herbei,
die Unterhaltung hob ſich unverſehens auf ein Neues,
ward nochmals ernſthaft und bedeutend, ſo daß der
Componiſt, eh' die Geſellſchaft aus einander ging,
ſich noch gar mancher ſchönen, bezeichnenden Aeußerung
erfreute, die ſeiner Hoffnung ſchmeichelte.
[109]
Erſt lange nach Mitternacht trennte man ſich;
Keines empfand bis jetzt, wie ſehr es der Ruhe be¬
durfte.
Den andern Tag (das Wetter gab dem geſtri¬
gen nichts nach) um zehn Uhr ſah man einen hüb¬
ſchen Reiſewagen, mit den Effekten beider Wiener
Gäſte bepackt, im Schloßhof ſtehen. Der Graf ſtand
mit Mozart davor, kurz ehe die Pferde heraus ge¬
führt wurden, und fragte, wie er ihm gefalle.
„Sehr gut; er ſcheint äußerſt bequem.“
„Wohlan, ſo machen Sie mir das Vergnügen
und behalten Sie ihn zu meinem Andenken.“
„Wie? iſt das Ernſt?“
„Was wär' es ſonſt?“
„Heiliger Sixtus und Calixtus — Conſtanze!
du!“ rief er zum Fenſter hinauf, wo ſie mit den
Andern heraus ſah. „Der Wagen ſoll mein ſeyn!
du fährſt künftig in deinem eigenen Wagen!“
Er umarmte den ſchmunzelnden Geber, betrach¬
tete und umging ſein neues Beſitzthum von allen
Seiten, öffnete den Schlag, warf ſich hinein und
rief heraus: „Ich dünke mich ſo vornehm und ſo
reich wie Ritter Gluck! Was weiden ſie in Wien
für Augen machen!“ — „Ich hoffe,“ ſagte die Gräfin,
[110] „Ihr Fuhrwerk wieder zu ſehn bei der Rückkehr von
Prag, mit Kränzen um und um behangen!“
Nicht lang nach dieſem letzten fröhlichen Auf¬
tritt ſetzte ſich der vielbelobte Wagen mit dem ſchei¬
denden Paare wirklich in Bewegung und fuhr im
raſchen Trab nach der Landſtraße zu. Der Graf
ließ ſie bis Wittingau fahren, wo Poſtpferde genom¬
men werden ſollten.
Wenn gute, vortreffliche Menſchen durch ihre
Gegenwart vorübergehend unſer Haus belebten, durch
ihren friſchen Geiſtesodem auch unſer Weſen in neuen
raſchen Schwung verſetzten und uns den Segen der
Gaſtfreundſchaft in vollem Maße zu empfinden gaben,
ſo läßt ihr Abſchied immer eine unbehagliche Sto¬
ckung, zum mindeſten für den Reſt des Tags, bei
uns zurück, wofern wir wieder ganz nur auf uns
ſelber angewieſen ſind.
Bei unſern Schloßbewohnern traf wenigſtens
das Letztere nicht zu. Franziskas Eltern nebſt der alten
Tante fuhren zwar alsbald auch weg; die Freundin
ſelbſt indeß, der Bräutigam, Max ohnehin, verblieben
noch. Eugenien, von welcher vorzugsweiſe hier die
Rede iſt, weil ſie das unſchätzbare Erlebniß tiefer
[111] als alle ergriff, ihr, ſollte man denken, konnte nichts
fehlen, nichts genommen oder getrübt ſeyn; ihr reines
Glück in dem wahrhaft geliebten Mann, das erſt ſo
eben ſeine förmliche Beſtätigung erhielt, mußte alles
andre verſchlingen, vielmehr, das Edelſte und Schönſte,
wovon ihr Herz bewegt ſeyn konnte, mußte ſich noth¬
wendig mit jener ſeligen Fülle in Eines verſchmelzen.
So wäre es auch wohl gekommen, hätte ſie geſtern
und heute der bloßen Gegenwart, jetzt nur dem reinen
Nachgenuß derſelben leben können. Allein am Abend
ſchon, bei den Erzählungen der Frau, war ſie von
leiſer Furcht für ihn, an deſſen liebenswerthem Bild
ſie ſich ergötzte, geheim beſchlichen worden; dieſe
Ahnung wirkte nachher, die ganze Zeit als Mozart
ſpielte, hinter allem unſäglichen Reiz, durch alle das
geheimnißvolle Grauen der Muſik hindurch, im Grund
ihres Bewußtſeyns fort, und endlich überraſchte, er¬
ſchütterte ſie das was er ſelbſt in der nämlichen Rich¬
tung gelegenheitlich von ſich erzählte. Es ward ihr
ſo gewiß, ſo ganz gewiß, daß dieſer Mann ſich ſchnell
und unaufhaltſam in ſeiner eigenen Gluth verzehre,
daß er nur eine flüchtige Erſcheinung auf der Erde
ſeyn könne, weil ſie den Ueberfluß, den er verſtrö¬
men würde, in Wahrheit nicht ertrüge.
[112]
Dieß, neben vielem andern, ging, nachdem ſie
ſich geſtern niedergelegt, in ihrem Buſen auf und ab,
während der Nachhall Don Juans verworren noch
lange fort ihr inneres Gehör einnahm. Erſt gegen
Tag ſchlief ſie ermüdet ein.
Die drei Damen hatten ſich nunmehr mit ihren
Arbeiten in den Garten geſetzt, die Männer leiſteten
ihnen Geſellſchaft, und da das Geſpräch natürlich zu¬
nächſt nur Mozart betraf, ſo verſchwieg auch Eugenie
ihre Befürchtungen nicht. Keins wollte dieſelben im
Mindeſten theilen, wiewohl der Baron ſie vollkom¬
men begriff. Zur guten Stunde, in recht menſchlich
reiner, dankbarer Stimmung pflegt man ſich jeder
Unglücksidee, die einen gerade nicht unmittelbar an¬
geht, aus allen Kräften zu erwehren. Die ſprechend¬
ſten, lachendſten Gegenbeweiſe wurden, beſonders vom
Oheim, vorgebracht, und wie gerne hörte nicht Eu¬
genie alles an! Es fehlte nicht viel, ſo glaubte ſie
wirklich zu ſchwarz geſehen zu haben.
Einige Augenblicke ſpäter, als ſie durch's große
Zimmer oben ging, das eben gereinigt und wieder
in Ordnung gebracht worden war, und deſſen vorge¬
zogene, grün damaſtene Fenſtergardinen nur ein ſanf¬
tes Dämmerlicht zuließen, ſtand ſie wehmüthig vor
[113] dem Klaviere ſtill. Durchaus war es ihr wie ein
Traum, zu denken, wer noch vor wenigen Stunden
davor geſeſſen habe. Lang blickte ſie gedankenvoll die
Taſten an, die Er zuletzt berührt, dann drückte ſie
leiſe den Deckel zu und zog den Schlüſſel ab, in
eiferſüchtiger Sorge, daß ſobald keine andere Hand
wieder öffne. Im Weggehn ſtellte ſie beiläufig einige
Liederhefte an ihren Ort zurück; es fiel ein älteres
Blatt heraus, die Abſchrift eines böhmiſchen Volks¬
liedchens, das Franziska früher, auch wohl ſie ſelbſt,
manchmal geſungen. Sie nahm es auf, nicht ohne
darüber betreten zu ſeyn. In einer Stimmung wie
die ihrige wird der natürlichſte Zufall leicht zum
Orakel. Wie ſie es aber auch verſtehen wollte, der
Inhalt war der Art, daß ihr, indem ſie die ein¬
fachen Verſe wieder durchlas, heiße Thränen entfielen.
Appendix A Berichtigungen.
Seite 45 Zeile 9 lies mit ſtatt in.
„ 65 „ 9 „ Spitzen ſtatt Aeſte
lieri, der wo er ging und ſtand Zuckerwerk naſchte, zugleich mit
Anſpielung auf das Zierliche ſeiner Perſon.
Man hat hier ein älteres kleines Profilbild im Auge, das,
gut gezeichnet und geſtochen, ſich auf dem Titelblatt eines Mo¬
zart'ſchen Klavierwerks befindet, unſtreitig das ähnlichſte von allen,
auch neuerdings im Kunſthandel erſchienenen Porträts.
Bei dieſer Zählung iſt zu wiſſen, daß Elvira's Arie mit
dem Recitativ und Leporello's „Hab's verſtanden“ nicht urſprüng¬
lich in der Oper enthalten geweſen.
- Holder of rights
- Kolimo+
- Citation Suggestion for this Object
- TextGrid Repository (2025). Collection 2. Mozart auf der Reise nach Prag. Mozart auf der Reise nach Prag. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bnm2.0