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Oden


Hamburg: .1771.
Bey Johann Joachim Chriſtoph Bode.

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Inhalt.


Erſtes Buch.


  • Dem Drloͤſer.   1751.
  • Fuͤr den Koͤnig.   1753.
  • Die Geneſung.   1754.
  • Dem Allgegenwaͤrtigen.   1758.
  • Das Anſchauen Gottes.   1759.
  • Die Fruͤhlingsfeyer.   1759.
  • Der Erbarmer.   1759.
  • Die Gluͤckſeligkeit Aller.   1759.
  • Die Geneſung des Koͤnigs.   1759.
  • Die Welten.   1764.
  • Die Geſtirne.   1764.
  • Dem Unendlichen.   1764.
  • Der Tod.   1764.
  • Die hoͤchſte Gluͤckſeligkeit.   1764.
  • Der Vorhof und der Tempel.   1765.
  • Das groſſe Halleluja.   1766.
  • Schlachtgeſang.   1767.

Zweytes Buch.


  • Der Lehrling der Griechen.   1747.
  • Wingolf.   1747.
  • An Giſeke.   1747.
  • An Ebert.   1748.
  • Bardale.   1748.
  • An Fanny.   1748.
  • Heinrich der Vogler.   1749.
  • An Bodmer.   1750.
  • Der Zuͤrcherſee.   1750.
  • Friedrich der Fuͤnfte.   1750.
  • Friedrich der Fuͤnfte. An Bernſtorff und Moltke.   1751.
  • Die todte Clariſſa.   1751.
  • Friedensburg.   1751.
  • An Cidli.   1751.
  • Die Koͤnigin Luiſe.   1752.
  • Hermann und Thusnelda.   1752.
  • Fragen.   1752.
  • An Young.   1752.
  • Die beyden Muſen.   1752.
  • An Cidli.   1752.
  • An Cidli.   1752.
  • Cidli.
  • []
  • Cidli.   1752.
  • An Gleim.   1752.
  • An Cidli.   1752.
  • Der Rheinwein.   1753.
  • Cidli.   1753.
  • An Cidli.   1754.

Drittes Buch.


  • Das neue Jahrhundert.   1760.
  • Aganippe und Phiala.   1764.
  • Kaiſer Heinrich.   1764.
  • Die Zukunft.   1764.
  • Siona.   1764.
  • Der Nachahmer.   1764.
  • Sponda.   1764.
  • Thuiskon.   1764.
  • Der Eislauf.   1764.
  • Der Juͤngling.   1764.
  • Die fruͤhen Graͤber.   1764.
  • Schlachtgeſang.   1765.
  • Braga.   1766.
  • Die Sommernacht.   1766.
  • Skulda.   1766.
  • Selmar und Selma.   1766.
  • Der Bach.   1766.
  • Wir und Sie.   1766.
  • Unſre Fuͤrſten.   1766.
  • Die Choͤre.   1767.
  • Die Barden.   1767.
  • Teone.   1767.
  • Stintenburg.   1767.
  • Unſre Sprache.   1767.
  • Die Kunſt Tialfs.   1767.
  • Der Huͤgel und der Hain.   1767.
  • Hermann.   1767.
  • Mein Vaterland.   1768.
  • Vaterlandslied zum Singen fuͤr Johanna Eliſabeth von
  • Winthem.   1770.

Elegien.


  • Die kuͤnſtige Geliebte.   1747.
  • Selmar und Selma.   1748.
  • Rothſchilds Graͤber.   1766.

Erſtes
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Erſtes Buch.


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Dem Erloͤſer.


[figure]
Der Seraph ſtammelts, und die Unendlichkeit

Bebts durch den Umkreis ihrer Gefilde nach

Dein hohes Lob, o Sohn! Wer bin ich,

Daß ich mich auch in die Jubel draͤnge?

Von Staube Staub! Doch wohnt ein Unſterblicher

Von hoher Abkunft in den Verweſungen!

Und denkt Gedanken, daß Entzuͤckung

Durch die erſchuͤtterte Nerve ſchauert!

Auch du wirſt einmal mehr wie Verweſung ſeyn,

Der Seele Schatten, Huͤtte, von Erd’ erbaut,

Und andrer Schauer Trunkenheiten

Werden dich dort, wo du ſchlummerſt, wecken.

Der Leben Schauplatz, Feld, wo wir ſchlummerten,

Wo Adams Enkel wird, was ſein Vaker war,

Als er ſich jetzt der Schoͤpfung Armen

Jauchzend entriß, und ein Leben daſtand!

A 2O
[4]
O Feld vom Aufgang bis, wo ſie untergeht

Der Sonnen letzte, heiliger Todten voll,

Wenn ſeh ich dich? wenn weint mein Auge

Unter den tauſendmal tauſend Thraͤnen?

Des Schlafes Stunden, oder Jahrhunderte,

Fließt ſchnell voruͤber, fließt, daß ich auferſteh!

Allein ſie ſaumen! und ich bin noch

Dieſſeits am Grabe! … O helle Stunde,

Der Ruh Geſpielinn, Stunde des Todes, komm!

O du Gefilde, wo der Unſterblichkeit

Dieß Leben reift, noch nie beſuchter

Acker fuͤr ewige Saat, wo biſt du?

Laßt mich dort hingehn, daß ich die Staͤte ſeh!

Mit hingeſenktem trunkenem Blick ſie ſeh!

Der Erndte Blumen druͤber ſtreue,

Unter die Blumen mich leg’, und ſterbe!

Wunſch groſſer Auſſicht, aber nur Gluͤcklichen,

Wenn du, die ſuͤſſe Stunde der Seligkeit,

Da wir dich wuͤnſchen, kaͤmſt, wer gliche

Dem, der alsdann mit dem Tode raͤnge?

Dann miſcht’ ich kuͤhner unter den Throngeſang

Des Menſchen Stimme, ſaͤnge dann heiliger

Den meine Seele liebt! den Beſten

Aller gebohrnen, den Sohn des Vaters!

Doch
[5]
Doch laß mich leben, daß am erreichten Ziel

Ich ſterbe! Daß erſt, wenn es geſungen iſt

Das Lied von dir, ich triumphirend

Ueber das Grab den erhabnen Weg geh!

O du mein Meiſter, der du gewaltiger

Die Gottheit lehrteſt! zeige die Wege mir,

Die dann du gingſt! worauf die Seher,

Deine Verkuͤndiger, Wonne ſangen.

Dort iſt es himmliſch! Ach, aus der Ferne Nacht,

Folg’ ich der Spur nach, die du gewandelt biſt,

Doch faͤllt von deinen Strahlenhoͤhen

Schimmer herab, und mein Auge ſieht ihn.

Dann hebt mein Geiſt ſich, duͤrſtet nach Ewigkeit,

Nicht jener kurzen, die auf der Erde bleibt;

Nach Palmen ringt er, die im Himmel

Fuͤr der Unſterblichen Rechte ſproſſen.

Zeig mir die Laufbahn, wo an dem fernen Ziel

Die Palme wehet! Meinen erhabenſten

Gedanken lehr ihn Hoheit! fuͤhr ihm

Wahrheiten zu, die es ewig bleiben!

Daß ich den Nachhall der, die es ewig ſind,

Den Menſchen ſinge! daß mein geweihter Arm

Vom Altar Gottes Flammen nehme!

Flammen ins Herz der Erloͤſten ſtroͤme!

A 3Fuͤr
[6]

Fuͤr den Koͤnig.


[figure]
Pſalter, ſinge dem Herrn! geuß Silbertoͤne,

Laute Jubel herab! und ruf zur Stimme

Deiner Feyer Gedanken,

Welche Jehova, den Schoͤpfer, erhoͤhn!

Du biſt herrlich und mild! Du gabſt, du Geber!

Dem gluͤckſeligen Volk, in deinen Gnaden,

Einen weiſen Beherrſcher,

Daß er die Ehre der Menſchlichkeit ſey!

Preis und Jubel und Dank dem groſſen Geber!

Heil dem Koͤnige! Heil dem Gottgegebnen!

Segn’ ihn, wenn du herabſchauſt,

Schau unverwandt, o Jehova, herab!

Schau herunter, und gieb ihm langes Leben,

Sanftes Leben, du Gott der Menſchenfreunde!

Giebs dem Theuren, dem Guten,

Ihm, der die Wonne der Menſchlichkeit iſt!

Den
[7]
Den wir lieben! Er iſts! Er iſt der Jubel

Unſrer Seele! Dir rinnt die Freudenthraͤne!

Heil dir! Weh dem Erobrer,

Welcher im Blute der Sterbenden geht,

Wenn die Roſſe der Schlacht gezaͤhmter wuͤten,

Als der ſchwillende Held nach Lorbern wiehert!

Stirb! So tief ſie auch wuchſen,

Fand ſie des Donnerers Auge doch auf!

Fluͤche folgen ihm nach! Ein lauter Seegen

Jauchzt dem edleren zu, der dieſes Nachruhms

Schwarze Freuden verabſcheut,

Sich zu der beſſern Unſterblichkeit ſchwingt!

Dann bald hoͤher empor zum Gipfel aufſteigt,

Spricht zum Ruhme: Du kennſt die Auſſenthat nur!

Edel handelt! zum Lohne

Selbſt nicht den Beyfall des Weiſen begehrt!

Reines Herzens, das ſeyn! Es iſt die letzte,

Steilſte Hoͤhe von dem, was Weiſ’ erſannen,

Weiſre thaten! Der Zuruf

Selber des Engels belohnet nicht ganz

Einen Koͤnig, der Gott ſein Herz geweiht hat!

Kaum gebohren wird ihm das Kind ſchon lallen!

Und, geſchaffen vor Eden,

Sieht ihn der Seraph, und nennt ihn vor Gott!

A 4Einen
[8]
Einen Chriſten, ich ſah den Weiſen ſterben,

Einen Chriſten, zur Zeit der neuen Heiden!

Liebend wandt’ er ſein Auge

Gegen den Enkel, und laͤchelte ſo:

Erſt ſey dieſes mein Dank, der ewig daure,

Daß mein Schoͤpfer mich ſchuf, und nun mich wegwinkt,

Von der Schwelle des Lebens,

Zu dem unſterblichen Leben empor!

Und dann bet’ ich ihn an, daß dieß mein Auge

Noch den Menſchenfreund ſah, den uns ſein Gott gab!

Gott, Gott ſegne, ja ſegn’ ihn!

Wende dich nicht, ach, und weine nicht, Sohn!

Gott, Gott ſegn’ ihn! Hier wird der Tod mir bitter,

Hier nur! Denn nun erblickt mein todtes Auge

Meinen Koͤnig, den beſten,

Ach! den geliebteſten Koͤnig, nicht mehr!

Du, mein gluͤcklicher Sohn, du wirſt ihn lange,

Lange wirſt du ihn ſehn, noch, wenn ſein Alter

Ihn, mit ſilbernen Haaren,

Und, mit der Wonne des Lebens, bedeckt,

Ach! der Wonne, vor Gott gelebt zu haben!

Gute Thaten um ſich, in vollen Schaaren,

Zu erblicken! Sie folgen

Juͤngling! ihm nach in das ernſte Gericht!

Vieles
[9]
Vieles ſah ich. Ich weiß, was groß und ſchoͤn iſt

In dem Leben! Allein das iſt das hoͤchſte,

Was des Sterblichen Auge

Sehn kann: Ein Koͤnig, der Gluͤckliche macht!

Sey du wuͤrdig, von Ihm gekannt zu werden!

Lern beſcheidnes Verdienſt; Er wird dich kennen

Nun .. Gott ſegne, ja ſegn’ ihn!

Segne der Koͤnige Beſten! .. Er ſtarb.
[figure]
A 5Die
[10]

Die Geneſung.


Geneſung, Tochter der Schoͤpfung auch,

Obwohl der Unſterblichkeit nicht gebohren,

Dich hat mir der Herr des Lebens und des Todes

Vom Himmel geſandt!

Haͤtt’ ich deinen ſanften Gang nicht vernommen,

Nicht deiner Lispel Stimme gehoͤrt;

So haͤtt auf des Liegenden kalter Stirn

Geſtanden mit dem eiſernem Fuſſe der Tod!

Zwar waͤr ich auch dahin gewallet,

Wo Erden wandeln um Sonnen,

Haͤtte die Bahn betreten, auf der der beſchweifte
Komet

Sich ſelbſt dem doppelten Auge verliert;

Haͤtte mit dem erſten entzuͤckenden Gruſſe

Die Bewoner gegruͤßt der Erden und der Sonnen,

Gegruͤßt des hohen Kometen

Zahlloſe Bevoͤlkerung;

Juͤnglings Fragen gefragt, Antworten

Mit den Fragen gleiches Maaſſes bekommen,

Mehr in Stunden gelernt, als der Jahrhunderte

Lange Reihen hier entraͤthſeln.

Aber
[11]
Aber ich haͤtt’ auch hier das nicht vollendet,

Was ſchon in den Bluͤthenjahren des Lebens

Mit lauter ſuͤſſer Stimme

Mein Beruf zu beginnen mir rief.

Geneſung, Tochter der Schoͤpfung auch,

Obwohl der Unſterblichkeit nicht gebohren,

Dich hat mir der Herr des Lebens und des Todes

Vom Himmel geſandt!
[figure]
Dem
[12]

Dem Allgegenwaͤrtigen.


Da du mit dem Tode gerungen, mit dem Tode

Heftiger du gebetet hatteſt,

Da dein Schweiß und dein Blut

Auf die Erde geronnen war;

In dieſer ernſten Stunde

Thateſt du jene groſſe Wahrheit kund

Die Wahrheit ſeyn wird

So lange die Huͤlle der ewigen Seele Staub iſt.

Du ſtandeſt, und ſprachſt

Zu den Schlafenden:

Willig iſt eure Seele,

Aber das Fleiſch iſt ſchwach!

Dieſer Endlichkeit Looß, die Schwere der Erde

Fuͤhlt auch meine Seele,

Wenn ſie zu Gott, zu dem Unendlichen

Sich erheben will.

Anbetend, Vater, ſink ich in den Staub, und fleh,

Vernimm mein Flehn, die Stimme des Endlichen,

Gieb meiner Seel’ ihr wahres Leben,

Daß ſie zu dir ſich zu dir erhebe!

All-
[13]
Allgegenwaͤrtig, Vater!

Schlieſſeſt du mich ein!

Steh hier, Betrachtung, ſtill, und forſche

Dieſem Gedanken der Wonne nach.

Was wird das Anſchaun ſeyn, wenn der Gedank[']
an dich

Allgegenwaͤrtiger! ſchon Kraͤfte jener Welt hat!

Was wird es ſeyn dein Anſchaun,

Unendlicher! o du Unendlicher!

Das ſah kein Auge, das hoͤrte kein Ohr,

Das kam in keines Herz, wie ſehr es auch rang,

Wie es auch nach Gott, nach Gott,

Nach dem Unendlichen duͤrſtete:

Kams doch in keines Menſchen Herz,

Nicht ins Herz deß, der Suͤnder

Und Erd’, und bald ein Todter iſt,

Was Gott, denen, die ihn lieben, bereitet hat.

Wenige nur, ach! wenige ſind

Deren Aug’ in der Schoͤpfung

Den Schoͤpfer ſieht! Wenige, deren Ohr

Ihn in dem maͤchtigen Rauſchen des Sturm-
winds hoͤrt,

Im Donner, der rollt! oder im liſpelnden Bache,

Unerſchafner! dich vernimmt!

Weniger Herzen erfuͤllt, mit Ehrfurcht und Schauer,

Gottes Allgegenwart!

Laß
[14]
Laß mich im Heiligthume

Dich, Allgegenwaͤrtiger,

Stets ſuchen, und finden! und iſt

Er mir entflohn, dieſer Gedanke der Ewigkeit;

Laß mich ihn tiefanbetend

Von den Choͤren der Seraphim

Ihn, mit lauten Thraͤnen der Freude,

Herunter rufen!

Damit ich, dich zu ſchaun,

Mich bereite, mich weihe,

Dich zu ſchaun

In dem Allerheiligſten!

Ich hebe mein Aug’ auf, und ſeh,

Und ſiehe der Herr iſt uͤberall!

Erd’, aus deren Staube

Der erſte der Menſchen geſchaffen ward;

Auf der ich mein erſtes Leben lebe,

In der ich verweſen werde!

Und auferſtehen aus der!

Gott wuͤrdigt auch dich, dir gegenwaͤrtig zu ſeyn.

Mit heiligem Schauer,

Brech’ ich die Blum’ ab!

Gott machte ſie,

Gott iſt, wo die Blum’ iſt.

Mit
[15]
Mit heiligem Schauer, fuͤhl’ ich der Luͤfte Wehn,

Hoͤr ich ihr Rauſchen! Es hieß ſie wehn und rauſchen

Der Ewige! … Der Ewige

Iſt, wo ſie ſaͤuſeln, und wo der Donnerſturm
die Ceder ſtuͤrzt.

Freu dich deines Todes, o Leib!

Wo du verweſen wirſt

Wird Er ſeyn

Der Ewige!

Freu dich deines Todes, o Leib! in den Tiefen der
Schoͤpfung,

In den Hoͤhen der Schoͤpfung, wird deine Truͤm-
mer verwehn!

Auch dort, Verweſter, Verſtaͤubter, wird Er ſeyn

Der Ewige!

Die Hoͤhen werden ſich buͤcken!

Die Tiefen ſich buͤcken,

Wenn der Allgegenwaͤrtige nun

Wieder aus Staub’ Unſterbliche ſchaft.

Werft die Palmen, Vollendete! nieder, und die Kronen!

Halleluja dem Schaffenden,

Dem Toͤdtenden, Halleluja!

Halleluja dem Schaffenden!

Ich hebe mein Aug’ auf, und ſeh,

Und ſiehe der Herr iſt uͤberall!

Euch, Sonnen, euch, Erden, euch, Monde der Erden,

Erfuͤllet, ringsum mich, ſeine goͤttliche Gegenwart!

Nacht
[16]
Nacht der Welten, wie wir im dunkeln Worte ſchaun

Den, der ewig iſt!

So ſchaun wir in dir, geheimnißvolle Nacht,

Den, der ewig iſt!

Hier ſteh ich Erde! was iſt mein Leib,

Gegen dieſe ſelbſt den Engeln unzaͤhlbare Welten!

Was ſind dieſe ſelbſt den Engeln unzaͤhlbare Welten,

Gegen meine Seele!

Ihr, der Unſterblichen, ihr, der Erloͤſten

Biſt du naͤher, als den Welten!

Denn ſie denken, ſie fuͤhlen

Deine Gegenwart nicht.

Mit ſtillem Ernſte dank ich dir,

Wenn ich ſie denke!

Mit Freudenthraͤnen mit namloſer Wonne

Dank’ ich, o Vater! dir, wenn ich ſie fuͤhle!

Augenblicke deiner Erbarmungen,

O Vater, ſinds, wenn du das himmelvolle Gefuͤhl

Deiner Allgegenwart

In meine Seele ſtrahlſt.

Ein ſolcher Augenblick,

Algegenwaͤrtiger,

Iſt ein Jahrhundert

Voll Seligkeit!

Meine
[17]
Meine Seele duͤrſtet!

Wie nach der Auferſtehung verdorrtes Gebein,

So duͤrſtet meine Seele

Nach dieſen Augenblicken deiner Erbarmungen!

Ich liege vor dir auf meinem Angeſichte;

O laͤg ich, Vater, noch tiefer vor dir,

Gebuͤckt in dem Staube

Der unterſten der Welten!

Du denkſt, du empfindeſt,

O du, die ſeyn wird,

Die hoͤher denken,

Die ſeliger wird empfinden!

O die du anſchaun wirſt!

Durch wen, o meine Seele?

Durch den, Unſterbliche!

Der war! und der iſt! und der ſeyn wird!

Du, den Worte nicht nennen,

Deine noch ungeſchaute Gegenwart

Erleucht’, und erhebe jeden meiner Gedanken!

Leit ihn, Unerſchafner, zu dir!

Deiner Gottheit Gegenwart

Entflamm’, und befluͤgle

Jede meiner Empfindungen!

Leite ſie, Unerſchafner, zu dir!

BWer
[18]
Wer bin ich, o Erſter!

Und wer biſt du!

Staͤrke, kraͤftige, gruͤnde mich,

Daß ich auf ewig dein ſey!

Ohn’ ihn, der ſich fuͤr mich geopfert hat,

Koͤnt’ ich nicht dein ſeyn!

Ohn’ ihn waͤr deine Gegenwart

Feuereifer, und Rache mir!

Erd’ und Himmel vergehen;

Deine Verheiſſungen, Goͤttlicher, nicht!

Von dem erſten Gefallnen an

Bis zu dem letzten Erloͤſten,

Den die Poſaune der Auferſtehung

Wandeln wird,

Biſt du bey den Deinen geweſen!

Wirſt du bey den Deinen ſeyn!

In die Wunden deiner Haͤnde legt’ ich meine Fin-
ger nicht;

In die Wunde deiner Seite

Legt’ ich meine Hand nicht;

Aber du biſt mein Herr und mein Gott!
[figure]
Das
[19]

Das Anſchaun Gottes.


Zitternd freu ich mich,

Und wuͤrd’ es nicht glauben;

Waͤre der groſſe Verheiſſer

Nicht der Ewige!

Denn ich weiß es, ich fuͤhl es:

Ich bin ein Suͤnder!

Wuͤßt’ es, und fuͤhlt’ es,

Wenn auch das Gotteslicht

Heller mir meine Flecken nicht zeigte:

Vor meinen weiſeren Blicken

Nicht enthuͤllte

Meiner Seele Todesgeſtalt!

Mit geſunkenem Knie,

Mit tiefanbetendem Erſtaunen,

Freu ich mich!

Ich werde Gott ſchaun!

Forſch ihm nach, dem goͤttlichſten Gedanken,

Den du zu denken vermagſt,

O die du naͤher ſtets des Leibes Grabe,

Doch ewig biſt!

B 2Nicht
[20]
Nicht daß du wagteſt,

In das Allerheiligſte zu gehn!

Viel unuͤberdachte, nie geprieſne, nie gefeyrte,

Himmliſche Gnaden ſind in dem Heiligthume.

Von ferne nur, nur Einen gemilderten Schimmer,

Damit ich nicht ſterbe!

Einen fuͤr mich durch Erdenacht gemilderten Schim̃er

Deiner Herrlichkeit ſeh ich.

Wie groß war der, der beten durfte:

Hab ich Gnade vor dir gefunden; ſo laß mich

Deine Herrlichkeit ſehn!

So zum Unendlichen beten durft’, und erhoͤrt ward!

In das Land des Golgatha kam er nicht!

An ihm raͤcht’ es ein fruͤherer Tod,

Daß er Einmal, nur Einmal nicht glaubte!

Wie groß zeigt ihn ſelbſt die Strafe!

Ihn verbarg der Vater

In eine Nacht des Berges,

Als vor dem Endlichen voruͤberging

Des Sohnes Herrlichkeit!

Als die Poſaun’ auf Sinai ſchwieg,

Und die Stimme der Donner!

Als Gott

Von Gott ſprach!

Unein-
[21]
Uneingehuͤllt durch Nacht,

In eines Tages Lichte,

Das keine Schatten ſichtbarer machen,

Schaut er nun, ſo halten wirs, Jahrhunderte
ſchon;

Auſſer den Schranken der Zeit,

Ohn’ Empfindung des Augenblicks,

Dem der Augenblick folgt,

Schaut er nun

Deine Herrlichkeit,

Heiliger!

Heiliger!

Heiliger!

Namloſeſte Wonne meiner Seele,

Gedanke des kuͤnftigen Schauns!

Du biſt meine groſſe Zuverſicht,

Du biſt der Fels, auf den ich tret’, und gen
Himmel ſchaue;

Wenn die Schrecken der Suͤnde,

Des Todes Schrecken

Fuͤrchterlich drohn,

Mich niederzuſtuͤrzen!

Auf dieſem Felſen, o du,

Den nun die Todten Gottes ſchaun,

Laß mich ſtehen, wenn die Allmacht

Des unbezwingbaren Todes mich ringsum ein-
ſchließt.

B 3Er-
[22]
Erheb, o meine Seele, dich uͤber die Sterblichkeit,

Blick auf, und ſchau; und du wirſt ſtrahlenvoll

Des Vaters Klarheit

In Jeſus Chriſtus Antlitz ſchaun!

Hoſianna! Hoſianna!

Die Fuͤlle der Gottheit

Wohnet in dem Menſchen

Jeſus Chriſtus!

Kaum ſchallet der Cherubim Harfe noch,

Sie bebt!

Kaum toͤnet ihre Stimme noch,

Sie zittert, ſie zittert!

Hoſianna! Hoſianna!

Die Fuͤlle der Gottheit

Wohnet in dem Menſchen

Jeſus Chriſtus!

Selbſt damals, da einer der Gottesſtrahlen auf unſere
Welt,

Jene Blutweiſſagung heller leuchtet’, erfuͤllt ward,

Da er verachtet, und elend war,

Als kein anderer Menſch verachtet, und elend
war;

Erblickten, nicht die Suͤnder,

Aber die Engel,

Des Vaters Klarheit

In dem Angeſichte des Sohns!

Ich
[23]
Ich ſeh, ich ſehe den Zeugen!

Sieben entſetzliche Mitternaͤchte

Hatt’ er gezweifelt! mit der Schmerzen baͤngſten

Anbetend gerungen!

Ich ſeh ihn!

Ihm erſcheinet der Auferſtandne!

Seine Haͤnde legt er in des Goͤttlichen Wunden!

Himmel und Erde vergehen um ihn!

Er ſieht die Klarheit des Vaters im Angeſichte des
Sohns!

Ich hoͤr’, ich hoͤr’ ihn! er ruft,

Himmel und Erde vergehen um ihn! er ruft:

Mein Herr! und mein Gott!
[figure]
B 4Die
[24]

Die Fruͤhlingsfeyer.


Nicht in den Ocean der Welten alle

Will ich mich ſtuͤrzen! ſchweben nicht,

Wo die erſten Erſchaffnen, die Jubelchoͤre der
Soͤhne des Lichts,

Anbeten, tief anbeten! und in Entzuͤckung ver-
gehn!

Nur um den Tropfen am Eimer,

Um die Erde nur, will ich ſchweben, und anbeten!

Halleluja! Halleluja! Der Tropfen am Eimer

Rann aus der Hand des Allmaͤchtigen auch!

Als der Hand des Allmaͤchtigen

Die groͤſſeren Erden entquollen!

Die Stroͤme des Lichts rauſchten, und Sieben-
geſtirne wurden,

Da entrannſt du, Tropfen! der Hand des All-
maͤchtigen!

Als ein Strom des Lichts rauſcht’, und unſre Sonne
wurde!

Ein Wogenſturz ſich ſtuͤrzte wie vom Felſen

Der Wolk’ herab, und Orion guͤrtete,

Da entrannſt du, Tropfen! der Hand des All-
maͤchtigen!

Wer ſind die tauſendmal tauſend,

Wer die Myriaden alle,

Welche den Tropfen bewohnen, und bewohnten?

Und wer bin ich?

Halle-
[25]
Halleluja dem Schaffenden!

Mehr, wie die Erden, die quollen!

Mehr, wie die Siebengeſtirne,

Die aus Strahlen zuſammen ſtroͤmten!

Aber du Fruͤhlingswuͤrmchen,

Das gruͤnlichgolden neben mir ſpielt,

Du lebſt; und biſt vielleicht

Ach! nicht unſterblich!

Ich bin heraus gegangen anzubeten,

Und ich weine? Vergieb, vergieb

Auch dieſe Thraͤne dem Endlichen,

O du, der ſeyn wird!

Du wirſt die Zweifel alle mir enthuͤllen,

O du, der mich durchs dunkle Thal

Des Todes fuͤhren wird! Ich lerne dann,

Ob eine Seele das goldene Wuͤrmchen hatte.

Biſt du nur gebildeter Staub,

Sohn des Mays, ſo werde denn

Wieder verfliegender Staub,

Oder was ſonſt der Ewige will!

Ergeuß von neuem du, mein Auge,

Freudenthraͤnen!

Du, meine Harfe,

Preiſe den Herrn!

B 5Um-
[26]
Umwunden wieder, mit Palmen

Iſt meine Harf’ umwunden! Ich ſinge dem Herrn!

Hier ſteh ich. Rund um mich

Iſt Alles Allmacht! und Wunder Alles!

Mit tiefer Ehrfurcht ſchau ich die Schoͤpfung an,

Denn Du!

Namenloſer, Du!

Schufeſt ſie!

Luͤfte, die um mich wehn, und ſanfte Kuͤhlung

Auf mein gluͤhendes Angeſicht hauchen,

Euch, wunderbare Luͤfte,

Sandte der Herr? der Unendliche?

Aber jetzt werden ſie ſtill, kaum athmen ſie.

Die Morgenſonne wird ſchwuͤl!

Wolken ſtroͤmen herauf!

Sichtbar iſt der kommt der Ewige!

Nun ſchweben, und rauſchen, und wirbeln die Winde!

Wie beugt ſich der Wald! wie hebt ſich der Strom!

Sichtbar, wie du es Sterblichen ſeyn kannſt,

Ja! das biſt du, ſichtbar, Unendlicher!

Der Wald neigt ſich, der Strom fliehet, und ich

Falle nicht auf mein Angeſicht?

Herr! Herr! Gott! barmherzig und gnaͤdig!

Du Naher! .... erbarme dich meiner!

Zuͤrneſt
[27]
Zuͤrneſt du, Herr,

Weil Nacht dein Gewand iſt?

Dieſe Nacht iſt Seegen der Erde.

Vater du zuͤrneſt nicht!

Sie kommt, Erfriſchung auszuſchuͤtten,

Ueber den ſtaͤrkenden Halm!

Ueber die herzerfreuende Traube!

Du zuͤrneſt nicht, o Vater!

Alles iſt ſtille vor dir, du Naher!

Rings umher iſt Alles ſtille!

Auch das Wuͤrmchen mit Golde bedeckt, merkt
auf!

Iſt es vielleicht nicht ſeelenlos? iſt es unſterblich?

Ach, vermoͤcht’ ich dich, Herr, wie ich duͤrſte, zu
preiſen!

Immer herrlicher offenbareſt du dich!

Immer dunkler wird die Nacht um dich,

Und voller von Seegen!

Seht ihr den Zeugen des Nahen den zuͤckenden Strahl?

Hoͤrt ihr Jehova’s Donner?

Hoͤrt ihr ihn? Hoͤrt ihr ihn,

Den erſchuͤtternden Donner des Herrn?

Herr! .... Herr! .... Gott! ....

Barmherzig, und gnaͤdig!

Angebetet, geprieſen

Sey dein herrlicher Name!

Und
[28]
Und die Gewitterwinde? Sie tragen den Donner!

Wie ſie rauſchen! wie ſie die Waͤlder durchrauſchen!

Und nun ſchweigen ſie. Langſam wandelt

Die ſchwarze Wolke.

Seht ihr den neuen Zeugen des Nahen, den flie-
genden Strahl?

Hoͤrt ihr hoch in der Wolke den Donner des Herrn?

Er ruft: Jehova! Jehova! Jehova!

Und der geſchmetterte Wald dampft!

Aber nicht unſre Huͤtte!

Unſer Vater gebot

Seinem Verderber,

Vor unſrer Huͤtte voruͤberzugehn!

Ach! ſchon rauſcht, ſchon rauſcht

Himmel, und Erde vom gnaͤdigen Regen!

Nun iſt, wie duͤrſtete ſie! die Erd’ erquickt,

Und der Himmel der Seegensfuͤll’ entlaſtet!

Siehe, nun kommt Jehova nicht mehr im Wetter,

In ſtillem, ſanftem Saͤuſeln

Koͤmmt Jehova,

Und unter ihm neigt ſich der Bogen des Frie-
dens!
[figure]
Der
[29]

Der Erbarmer.


O Bewunderung, Gottes Bewunderung,

Meine Seligkeit!

Nein! wenn ſie nur bewundert,

Hebt ſich die Seele zu ſchwach!

Erſtaunen! himmelfliegendes Erſtaunen!

Ueber den, der unendlich iſt!

O du der Seligkeiten hoͤchſte,

Ueberſtroͤme meine ganze Seele

Mit deinem heiligen Feuer!

Und laß ſie, du Seligkeit,

So oft, und ſo hoch die Endliche kann,

Aufflammen in Entzuͤckungen!

Du warſt! du biſt! wirſt ſeyn!

Du biſt!

Wie ſoll ich dich denken!

Meine Seele ſtehet ſtill, erreicht es nicht!

Vater! Vater!

So ſoll meine Seele dich denken,

Dich empfinden mein Herz!

Meine Lippe dich ſtammeln.

Vater!
[30]
Vater! Vater! Vater!

Fallt nieder, betet an, ihr Himmel der Himmel!

Er iſt euer Vater!

Unſer Vater auch!

O ihr, die einſt mit den Himmel Bewohnern

Erſtaunen werden!

Wandelt forſchend in dieſem Labyrinth der Wonne,

Denn Jehova redet!

Zwar durch den rollenden Donner auch

Durch den fliegenden Sturm, und ſanftes Saͤuſeln;

Aber erforſchlicher, daurender,

Durch die Sprache der Menſchen.

Der Donner verhallt, der Sturm brauſt weg, das
Saͤuſeln verweht,

Mit langen Jahrhunderten ſtroͤmt die Sprache der
Menſchen fort,

Und verkuͤndet jeden Augenblick,

Was Jehova geredet hat!

Bin ich am Grabe noch? oder ſchon uͤber dem Grabe?

Hab ich den himmliſchen Flug ſchon gethan?

O Worte des ewigen Lebens!

So redet Jehova:

Kann die Mutter vergeſſen ihres Saͤuglings,

Daß ſie ſich nicht uͤber den Sohn ihres Leibes erbarme?

Vergaͤſſe ſie ſein;

Ich will dein nicht vergeſſen!

Preis,
[31]
Preis, Anbetung, und Freudenthraͤnen, und ewiger
Dank,

Fuͤr die Unſterblichkeit!

Heiſſer, inniger herzlicher Dank

Fuͤr die Unſterblichkeit!

Halleluja in dem Heiligthume!

Und jenſeits des Vorhangs

In dem Allerheiligſten Halleluja!

Denn ſo hat Jehova geredet!

Wirf zu dem tiefſten Erſtaunen dich nieder,

O du, die unſterblich iſt!

Geneuß, o Seele, deine Seligkeit!

Denn ſo hat Jehova geredet!
[figure]
Die
[32]

Die Gluͤckſeligkeit Aller.


Ich legte meine Hand auf den Mund, und ſchwieg

Vor Gott!

Itzt nehm’ ich meine Harfe wieder aus dem
Staub auf,

Und laſſe vor Gott, vor Gott ſie erſchallen!

Wenn dem Tage der Garben zu reifen,

Geſaͤt iſt meine Saat;

Wenn gepflanzt iſt im Himmel meine Seele,

Zu wachſen zur Ceder Gottes;

Wenn ich erkenne,

Wie ich erkennet werde!

Schwing dich uͤber dieſe Hoͤhe, mein Flug, empor!

Wenn ich liebe, wie ich geliebet werde!

Von Gott geliebet! …

Anbetung, Anbetung, von Gott!

Ach dann! allein wie vermag ich es hier

Nur fern zu empfinden!

Was iſt es in mir, daß ich ſo endlich bin?

Und dennoch weniger endlich zu ſeyn!

Duͤrſte mit dieſem heiſſem Durſte?

Das iſt es in mir: Einſt werd’ ich weniger
endlich ſeyn.

Wie
[33]
Wie herrlich ſind, Gott, vor mir deine Gedanken!

Wie zahllos ſind ſie! Wollt’ ich ſie zaͤhlen;

Ach ihrer wuͤrde mehr, wie des Sandes am
Meere ſeyn!

Einer von ihnen iſt: Einſt bin ich weniger endlich!

O Hofnung, Hofnung, dem Himmel nah,

Vorſchmack der kuͤnftigen Welt!

Hier ſchon hebſt du meine Seele

Ueber ihrer jetzigen Endlichkeit Schranken!

Du Durſt, du heiſſes Verlangen meines muͤden Herzen:

Mein Herr und mein Gott!

Preiſen, preiſen will ich deinen herrlichen Namen!

Lobſingen, lobſingen deinem herrlichen Namen!

Wenn begann er? und wo iſt er?

Der, wie Gott, wuͤrdig meiner Liebe ſey!

Die Ewigkeiten, die Welten all’ herunter

Iſt keiner!

Quell des Heils! ewiger Quell des ewigen Heils!

Welcher Entwurf von Seligkeiten,

Fuͤr alle, welche nicht fielen!

Und fuͤr alle, die fielen!

Tauſendarmiger Strom, der herab durch das groſſe
Labyrinth ſtroͤmt:

Reicher Geber der Seligkeiten!

Sie gebaͤhren Seligkeiten!

Einſt gebiert das Elend auch!

CPfeiler,
[34]
Pfeiler, auf dem einſt Freuden ohne Zahl ruhn,

Du ſtehſt auf der Erd’, o Elend!

Und reicheſt bis in den Himmel!

Auch um dich ſtroͤmet der ewige Strom!

Gott, du biſt Vater der Weſen

Nicht nur, daß ſie waͤren;

Du biſt es, daß ſie auf ewig

Gluͤckſelig waͤren!

Welche Reihen ohn’ Ende! Wenn meine reifere Seele

Jahrtauſende noch gewachſen wird ſeyn,

Wie wenige werd’ ich von euch,

Ihr Mitgeſchafnen kennen!

Schaaren Gottes! ihr Mitanbeter!

Ach wenn dereinſt auch ich,

Neben euren Kronen,

Eine Krone niederlegte!

Gott, mein Vater! …

Aber darf ich noch laͤnger mich unterwinden

Mit dir zu reden?

Der ich Erde bin?

Vergieb, vergieb, o Vater!

Dem kuͤnftigem Todten

Seine Suͤnden! ſeine Wuͤnſche!

Seinen Lobgeſang!

Weſen
[35]
Weſen der Weſen!

Du warſt von Ewigkeit!

Dieß vermag ich nicht zu denken!

In dieſen Fluten verſink’ ich!

Weſen der Weſen! du biſt!

Ach Wonne! du biſt!

Was waͤr ich,

Wenn du nicht waͤrſt!

Du wirſt ſeyn!

Auch ich werde durch dich ſeyn,

O du der Geiſter Geiſt!

Weſen der Weſen!

Erſter! ein ganz Anderer,

Als die Geiſter alle!

Obgleich ſie der wunderbare Schatten

Deiner Herrlichkeit ſind.

Warum, da allein du dir genung warſt, Erſter,
ſchufſt du? ..

Zahlloſen Schaaren Seliger

Wollteſt du der unerſchoͤpfliche Quell

Ihrer Seligkeit ſeyn!

Wurdeſt du ſeliger dadurch, daß du Seligkeit gabſt?

Eine der aͤuſſerſten Schranken des Endlichen iſt hier.

Schwindeln kann ich an dieſem Hange des Ab-
grunds,

Aber nichts in ſeinen Tiefen ſehn.

C 2Hei-
[36]
Heilige Nacht, an der ich ſtehe,

Vielleicht ſinket,

Nach Jahrtauſenden,

Dein geheimnisverhuͤllender Vorhang.

Vielleicht ſchaft Gott Erkenntniß in mir,

Die meine Kraft, und was ſie entflammt,

Wie viel es auch iſt, und wie groß,

Die ganze Schoͤpfung mir nicht geben kann!

Du mein kuͤnftiges Seyn, wie jauchz’ ich dir entgegen!

Wie fuͤhl’ ich es in mir, wie klein ich bin!

Aber wie fuͤhl’ ich es auch,

Wie groß ich werde ſeyn!

O du, die ſteigt zu dem Himmel hinauf,

Hofnung gegeben von Gott!

Ein kurzer, ſchneller, gefluͤgelter Augenblick,

Er heiſſet Tod! dann werd ich es ſeyn!

Von dieſem Nun an, ſchwing’ ich mich

Selbſt uͤber die hoͤchſte der Hofnungen auf!

Denn ſelig ſind von dieſem Nun an,

Die Todten, die dem Herrn entſchlafen!

Er iſt der Suͤnde Lohn, der Augenblick, der Tod heißt!

Aber ſeine gefuͤrchtete Nacht

Zeigt auch heller das himmliſche Licht,

Welches dicht hinter ihr ſtrahlt!

Laß
[37]
Laß den fliegenden Augenblick,

Du, der mit ihm in das wahre Leben fuͤhrt,

In einer Stunde deiner Gnaden,

Herr des Lebens, mich toͤdten!

Er komm’ in ſanfteren Saͤuſeln,

Oder mit Donnertritte,

Laß nur in einer Stunde deiner Gnaden

Ihn zu der Auferſtehung mich ausſaͤn!

Welch ein Anſchaun welcher Triumph wird es mei-
ner Seele ſeyn,

Wenn ſie mit Einem Blicke nur auf der Erde noch
weilt,

Mit dieſem Einem, zu ſehn,

Daß ihre Saat geſaͤt wird!

Welcher Gedank’ iſt der

Dem, der ihn zu denken vermag,

Welcher hoͤhere Triumphgedanke:

Jeſus Chriſtus iſt auch geſtorben! iſt auch be-
graben!
[figure]
C 3Die
[38]

Die Geneſung des Koͤnigs.


[figure]
Laßt dem Erhalter unſers Geliebten uns freudig danken!

Du haſts allein gethan, o du des Lebens

Herr! und Herr des Todes!

Dir ſey der Ruhm, der Dank, der Preis, die Ehre,

Groſſer Erhalter unſers Geliebten!

Thraͤnen der Wonne, dankende Thraͤnen ſeyn unſer
Opfer!

Mit dieſem Opfer fallet tiefanbetend

Vor dem Throne nieder,

Von dem des Rettenden Befehl’ erſchollen:

Leben, ja leben ſoll mein Geſalbter!

Wunderbar haſt du, Vater des Schickſals, uns ihn
erhalten!

Zu viel zu viel Barmherzigkeit, o Vater,

Haſt du uns gegeben!

Steig oft, und ſtark, Gebet, viel iſt der Gnade!

Steige mit Wonne auf zu dem Geber!

Men-
[39]
Mengen erlagen, aber ihn ruͤhrte ſanft deine Hand nur.

So ſanft, daß wir ſogar, wer kann hier danken?

Nicht einmal erſchracken!

Zu viel, zu viel Barmherzigkeit, o Vater,

Gab uns die Stunde deiner Errettung!

Ach, den wir lieben, Vater, er lebet! und auch wir leben!

Der in der Stunde deiner reichen Gnade,

Da du ihn erhielteſt,

Da ruͤhrteſt du auch uns mit ſanfter Hand an.

Vater, die Erde bebt’, und wir leben!

Herr! da die Erde unter uns bebte, ſcholl deine Stimme,

Nicht deines Zornes, deiner Liebe Stimme

Scholl, uns aus dem Staube

Zu rufen, und gen Himmel ſchaun zu lehren,

Auf zu des Lebens Herrn, und des Todes!

Noch mit Entzuͤckung hoͤr’ ich der Erde gelindes Rauſchen!

Des Richters Arm, der uͤber andre Voͤlker

Fuͤrchterlich ſich ausſtreckt,

Die Staͤdt’ erſchuͤttert, daß ſie voll Entſetzens

Donnern, und fallen, unterzugehen!

Der itzt die Voͤlker, daß es ſie wuͤrge, dem Schwerte
zufuͤhrt,

Der Arm wird uͤber unſerm Haupt erhoben,

Ach, damit er ſegne!

Und daß wir auf des Segens Fuͤlle merken,

Wecket er ſanft uns auf von dem Schlummer.

C 4Fallet
[40]
Fallet mit Jauchzen vor dem Erbarmer aufs Antlitz
nieder!

Laßt Aller Herz das Halleluja ſingen!

Herr, Herr, Gott, barmherzig!

Du Dulder! du Getreuer! Gnadenvoller!

Ehre dir! Preis dir! Dank dir, Erbarmer!

Ging nicht des Herrſchers Herrlichkeit ſichtbar vor uns
voruͤber?

Laßt uns anbetend ihr von ferne nachſehn!

Ja, in unſrer Seele

Soll dieſes Heils Erinnerung ewig bleiben,

Bleiben, ein Nachhall deſſen, was Gott that!

Sagt es den Enkeln, Vaͤter, und lehrt ſie gen Him-
mel ſchauen!

Vernimms, der Enkel Sohn, und lerne danken!

Und kein Greis entſchlummre,

Der nicht noch Einmal Dank, wenn er entſchlummert,

Gott aus des Herzens Innerſten ſtammle.

Daß wir dir danken, Vater, o gieb uns auch dieſe
Gnade!

Herr, Herr! Preis, Ehr’, und Ruhm ſey, und
Anbetung

Deinem groſſen Namen!

Im Himmel oben hubſt du deinen Arm auf,

Herr! uns zu ſegnen! Herr! uns zu ſegnen.

Die
[41]

Die Welten.


Groß iſt der Herr! und jede ſeiner Thaten,

Die wir kennen, iſt groß!

Ocean der Welten, Sterne ſind Tropfen des Oceans!

Wir kennen dich nicht!

Wo beginn ich? und ach! wo end’ ich

Des Ewigen Preis?

Welcher Donner giebt mir Stimme?

Gedanken welcher Engel?

Wer leitet mich hinauf

Zu den ewigen Huͤgeln?

Ich verſink’, ich verſink’, und geh

In deiner Welten Ocean unter!

Wie ſchoͤn, und hehr war dieſe Sternennacht,

Eh ich des groſſen Gedankens Flug,

Eh ich es wagte, mich zu fragen:

Welche Thaten dort oben der Herrliche thaͤte?

Mich! den Thoren! den Staub!

Ich fuͤrchtet’, als ich zu fragen begann,

Daß kommen wuͤrde, was gekommen iſt.

Ich unterliege dem groſſen Gedanken!

Weniger kuͤhn, haſt, o Pilot,

Du gleiches Schickſal.

Truͤb am fernen Olymp

Sammeln ſich Sturmwolken.

C 5Jetzo
[42]
Jetzo ruht das Meer noch fuͤrchterlich ſtill.

Doch der Pilot weiß

Welcher Sturm dort herdroht!

Und die eherne Bruſt bebt ihm,

Er ſtuͤrzt am Maſte

Bleich die Seegel herab.

Ach! nun kraͤuſelt ſich

Das Meer, und der Sturm iſt da!

Donnernder rauſcht der Ocean als du, ſchwarzer Olymp!

Krachend ſtuͤrzet der Maſt!

Lautheulend zuckt der Sturm!

Singt Todtengeſang!

Der Pilot kennt ihn. Immer ſteigender hebſt, Woge,
du dich!

Ach die letzte, letzte biſt du! Das Schif geht unter!

Und den Todtengeſang heult dumpf noch fort

Auf dem groſſen, immer offnem Grabe der
Sturm!
[figure]
Die
[43]

Die Geſtirne.


[figure]
Es toͤnet ſein Lob Feld, und Wald, Thal, und Gebirg,

Das Geſtad’ hallet, es donnert das Meer dumpf-
brauſend

Des Unendlichen Lob, ſiehe des Herrlichen,

Unerreichten von dem Danklied der Natur!

Es ſingt die Natur dennoch dem, welcher ſie ſchuf,

Ihr Getoͤn ſchallet vom Himmel herab, laut preiſend

In umwoͤlkender Nacht rufet des Strahls Gefaͤhrt

Von den Wipfeln, und der Berg’ Haupt es herab!

Es rauſchet der Hain, und ſein Bach liſpelt es auch

Mit empor, preiſend, ein Feyrer, wie er! Die Luft,
wehts

Zu dem Bogen mit auf! Hoch in der Woͤlke ward

Der Erhaltung und der Huld Bogen geſetzt.

Und ſchweigeſt denn du, welchen Gott ewig erſchuf?

Und verſtummeſt mitten im Preiſ’ um dich her?
Gott hauchte

Dir Unſterblichkeit ein! Danke dem Herrlichen!

Unerreicht bleibt von dem Aufſchwung des
Geſangs

Der
[44]
Der Geber, allein dennoch ſing, preiſ’ ihn, o du

Der empfing! Feyrendes Chor um mich her, ernſt-
freudig,

Du Erheber des Herrn, tret’ ich herzu, und ſing

In Entzuͤckung, o du Chor, Pſalme mit dir!

Der Welten erſchuf, dort des Tags ſinkendes Gold,

Und den Staub hier voll Gewuͤrmegedraͤng, wer
iſt der?

Es iſt Gott! es iſt Gott! Vater! ſo rufen wir an;

Und unzaͤhlbar, die mit uns rufen, ſeyd ihr!

Der Welten erſchuf, dort den Leun! Heiſſer ergießt

Sich ſein Herz! Widder, und dich Capricorn,
Pleionen,

Scorpion, und den Krebs. Steigender waͤgt
Sie dort

Den Begleiter. Mit dem Pfeil zielet, und blitzt

Der Schuͤtze! Wie toͤnt, dreht er ſich, Koͤcher,
und Pfeil!

Wie vereint leuchtet ihr, Zwilling’, herab! Sie
heben

Im Triumphe des Gangs freudig den Strah-
lenfuß!

Und der Fiſch ſpielet, und blaͤſt Stroͤme der
Glut.

Die
[45]
Die Roſ’ in dem Kranz duftet Licht! Koͤniglich
ſchwebt,

In dem Blick Flamme, der Adler, gebeut Ge-
horſam

Den Gefaͤhrten um ſich! Stolz, den gebognen
Hals

Und den Fittig in die Hoͤh, ſchwimmet der
Schwan!

Wer gab Harmonie, Leyer, dir? zog das Getoͤn

Und das Gold himmliſcher Saiten dir auf? Du
ſchalleſt

Zu dem kreiſenden Tanz, welchen, beſeelt von dir,

Der Planet haͤlt in der Laufbahn um dich her,

In feſtlichem Schmuck ſchwebt, und traͤgt Halm’ in
der Hand,

Und des Weins Laub die gefluͤgelte Jungfrau!
Licht ſtuͤrzt

Aus der Urn er dahin! Aber Orion ſchaut

Auf den Guͤrtel, nach der Urn ſchauet er nicht!

Ach goͤſſe dich einſt, Schaale, Gott auf dem Al-
tar,

So zerfiel Truͤmmer die Schoͤpfung! es braͤch des
Leun Herz!

Es verſiegte die Urn! toͤnte Todeston

Um die Leyer! und gewelkt ſaͤnke der Kranz!

Dort
[46]
Dort ſchuf ſie der Herr! hier dem Staub naͤher den
Mond,

Der, Genoß ſchweigender kuͤhlender Nacht, ſanft
ſchimmernd

Die Erdulder des Strahls heitert! in jener Nacht

Der Entſchlafnen da umſtrahlt einſt ſie Geſtirn!

Ich preiſe den Herrn! preiſe den, welcher des Monds

Und des Tods kuͤhlender, heiliger Nacht, zu daͤm-
mern,

Und zu leuchten! gebot. Erde, du Grab, das ſtets

Auf uns harrt, Gott hat mit Blumen dich
beſtreut!

Neuſchaffend bewegt, ſteht er nun auf zum Gericht,

Das gebeindeckende Grab, das Gefild der Saat,
Gott!

Es erwachet, wer ſchlaͤft! Donner entſtuͤrzt dem
Thron!

Zum Gericht hallts! und das Grab hoͤrts, und
der Tod!
[figure]
Dem
[47]

Dem Unendlichen.


Wie erhebt ſich das Herz, wenn es dich,

Unendlicher, denkt! wie ſinkt es,

Wenns auf ſich herunterſchaut!

Elend ſchauts wehklagend dann, und Nacht
und Tod!

Allein du rufſt mich aus meiner Nacht, der im Elend,
der im Tod hilft!

Dann denk ich es ganz, daß du ewig mich ſchufſt,

Herrlicher! den kein Preis, unten am Grab’,
oben am Thron,

Herr Herr Gott! den dankend entflammt, kein
Jubel genug beſingt.

Weht, Baͤume des Lebens, ins Harfengetoͤn!

Rauſche mit ihnen ins Harfengetoͤn, kryſtallner
Strom!

Ihr liſpelt, und rauſcht, und, Harfen, ihr toͤnt

Nie es ganz! Gott iſt es, den ihr preiſt!

Donnert, Welten, in feyerlichem Gang, in der Po-
ſaunen Chor!

Du Orion, Wage, du auch!

Toͤnt all’ ihr Sonnen auf der Straſſe voll Glanz,

In der Poſaunen Chor!

Ihr Welten, donnert

Und du, der Poſaunen Chor, halleſt

Nie es ganz, Gott; nie es ganz, Gott,

Gott, Gott iſt es, den ihr preiſt!

Der
[48]

Der Tod.


O Anblick der Glanznacht, Sternheere,

Wie erhebt ihr! Wie entzuͤckſt du, Anſchauung

Der herrlichen Welt! Gott Schoͤpfer!

Wie erhaben biſt du, Gott Schoͤpfer!

Wie freut ſich des Emporſchauns zum Sternheer wer
empfindet

Wie gering er, und wer Gott, welch ein Staub
er, und wer Gott

Sein Gott iſt! O ſey dann, Gefuͤhl

Der Entzuͤckung, wenn auch ich ſterbe, mit
mir!

Was erſchreckſt du denn ſo, Tod, des Beladnen
Schlaf?

O bewoͤlke den Genuß himmliſcher Freude nicht
mehr!

Ich ſink’ in den Staub, Gottes Saat! was
ſchreckſt

Den Unſterblichen du, taͤuſchender Tod?

Mit hinab, o mein Leib, denn zur Verweſung!

In ihr Thal ſanken hinab die Gefallnen

Vom Beginn her! mit hinab, o mein Staub,

Zur Heerſchaar, die entſchlief!

Die
[49]

Die hoͤchſte Gluͤckſeligkeit.


[figure]
Wie erhoͤht, Weltherrſcher,

Deine Bewundrung den Geiſt des Staubs!

Denket er dich, Herrlicher, welches Gefuͤhl

Flammt in ihm! welcher Gedank’ hebt ihn,
denket er dich!

Iſt ein Menſch gluͤckſelig?

Einer der Waller am Grabe das?

Du! der es iſt, rede, dich frag’ ich allein!

Nenneſt du, wuͤrdigeſt du etwas Seligkeit dann,

In dem Staub’ hier, droben,

Dann noch zu nennen, wenn Gottes Wink

Wonnegefuͤhl ſeiner Volkommenheit dir

Sandt’, und du freudig erſchrackſt uͤber Gott,
wie in Traum,

Vor dem Anſchaun ſelig?

Fluͤge durch Welten? Ein Freund zu ſeyn

Derer, die ſchon Ewigkeit hinter ſich ſehn,

Dachten, und thaten? .. Es iſt nur Gluͤck-
ſeligkeit auch

DDer
[50]

Der Vorhof und der Tempel.


Wer ermuͤdet hinauf zu der Heerſchaar der Geſtirne,

In die Hoͤhen zu ſchaun, wo der Lichtfuß ſich
herabſenkt,

Wo den Blitzglanz Fomahant und Antar, wo
des Leun Herz

Sich ergeußt, ins Gefild hin, wo die Aehr’ und
die Winzerinn ſtrahlt!

Mit Graun fuͤllt, und Ehrfurcht der Anblick, mit
Entzuͤckung

Das Herz deß, der ſich da freut, wo Freud iſt,
nicht allein ihn

Ihr Phantom taͤuſcht! Ich ſteh hier im Vorhof
der Gottheit.

Befluͤgelt von dem Tod’ eilt mein Geiſt einſt
in den Tempel!

Mitternacht, hoͤre du meinen Geſang, Morgenſtern,

Finde du preiſend oft, dankend mich, Thraͤnen im
Blick,

Bote des Tags! Wirſt du darauf Abendſtern,
find’ auch dann

Ueber Gott, den erſtaunt, welcher ſein Heil
nie begreift!

Das
[51]

Das groſſe Halleluja.


Ehre ſey dem Hocherhabnen, dem Erſten, dem Va-
ter der Schoͤpfung!

Dem unſre Pſalme ſtammeln,

Obgleich der wunderbare Er

Unausſprechlich, und undenkbar iſt.

Eine Flamme von dem Altar an dem Thron

Iſt in unſre Seele geſtroͤmt!

Wir freun uns Himmelsfreuden,

Daß wir ſind, und uͤber Ihn erſtaunen koͤnnen!

Ehre ſey ihm auch von uns an den Graͤbern hier,

Obwohl an ſeines Thrones letzten Stufen

Des Erzengels niedergeworfne Krone

Und ſeines Preisgeſangs Wonne toͤnt.

Ehre ſey und Dank und Preis dem Hocherhabnen,
dem Erſten,

Der nicht begann, und nicht aufhoͤren wird!

Der ſo gar des Staubes Bewohnern gab,

Nicht aufzuhoͤren.

Ehre dem Wunderbaren,

Der unzaͤhlbare Welten in den Ocean der Unend-
lichkeit ausſaͤte!

Und ſie mit Heerſchaaren Unſterblicher fuͤllte,

Daß Ihn ſie liebten, und ſelig waͤren durch
Ihn!

D 2Ehre
[52]
Ehre dir! Ehre dir! Ehre dir!

Hocherhabner! Erſter!

Vater der Schoͤpfung!

Unausſprechlicher! Undenkbarer!
[figure]
Schlacht-
[53]

Schlachtgeſang.


Mit unſerm Arm iſt nichts gethan;

Steht uns der Maͤchtige nicht bey,

Der Alles ausfuͤhrt!

Umſonſt entflammt uns kuͤhner Muth;

Wenn uns der Sieg von dem nicht wird,

Der Alles ausfuͤhrt!

Vergebens flieſſet unſer Blut

Fuͤrs Vaterland; wenn der nicht hilft,

Der Alles ausfuͤhrt!

Vergebens ſterben wir den Tod

Fuͤrs Vaterland; wenn der nicht hilft,

Der Alles ausfuͤhrt!

Stroͤm’ hin, o Blut, und toͤdt’, o Tod

Fuͤrs Vaterland! Wir trauen dem,

Der Alles ausfuͤhrt!

Auf! in den Flammendampf hinein!

Wir laͤchelten dem Tode zu,

Und laͤcheln, Feind’, euch zu!

Der Tanz, den unſre Trommel ſchlaͤgt,

Der laute ſchoͤne Kriegestanz

Er tanzet hin nach euch!

D 3Die
[54]
Die dort trompeten, hauet ein,

Wo unſer rother Stahl das Thor

Euch weit hat aufgethan!

Den Flug, den die Trompete blaͤſt,

Den lauten ſchoͤnen Kriegesflug

Fliegt, fliegt ihn ſchnell hinein!

Wo unſre Fahnen vorwaͤrts wehn,

Da weh auch die Standart hinein,

Da ſiege Roß und Mann!

Seht ihr den hohen weiſſen Hut?

Seht ihr das aufgehobne Schwert?

Des Feldherrn Hut und Schwert?

Fern ordnet’ er die kuͤhne Schlacht,

Und jetzo da’s Entſcheidung gilt,

Thut ers dem Tode nah.

Durch ihn, und uns iſt nichts gethan;

Steht uns der Maͤchtige nicht bey,

Der Alles ausfuͤhrt!

Dort dampft es noch. Hinein! hinein!

Wir laͤchelten dem Tode zu!

Und laͤcheln, Feind’, euch zu!

Zwey-
[[55]]

Zweytes Buch.


D 4Der
[[56]][57]

Der Lehrling der Griechen.


[figure]
Wen des Genius Blick, als er gebohren ward,

Mit einweichendem Laͤcheln ſah,

Wen, als Knaben, ihr einſt Smintheus Anakreons

Fabelhafte Geſpielinnen,

Dichtriſche Tauben umflogt, und ſein maͤoniſch Ohr

Vor dem Laͤrme der Scholien

Sanft zugirrtet, und ihm, daß er das Alterthum

Ihrer faltigen Stirn nicht ſah,

Eure Fittige lieht, und ihn umſchattetet,

Den ruft, ſtolz auf den Lorberkranz,

Welcher vom Fluche des Volks welkt, der Eroberer

In das eiſerne Feld umſonſt,

Wo kein muͤtterlich Ach baͤnger beym Scheidekuß,

Und aus blutender Bruſt geſeufzt,

Ihren ſterbenden Sohn dir, unerbittlicher

Hundertarmiger Tod, entreißt!

Wenn das Schickſal ihn ja Koͤnigen zugeſellt,

Umgewoͤhnt zu dem Waffenklang,

Sieht er, von richtendem Ernſt ſchauernd, die Leich-
name

Stumm und ſeelenlos ausgeſtreckt,

Segnet dem fliehenden Geiſt in die Gefilde nach,

Wo kein toͤdtender Held mehr ſiegt.

Ihn laͤßt guͤtiges Lob, oder Unſterblichkeit

Deß, der Ehre vergeudet, kalt!

Kalt der wartende Thor, welcher bewundernsvoll

Ihn großaͤugigten Freunden zeigt,

D 5Und
[58]
Und der laͤchelnde Blick einer nur ſchoͤnen Frau,

Der zu dunkel die Singer iſt.

Thraͤnen nach beſſerem Ruhm werden Unſterblichen,

Jenen alten Unſterblichen,

Deren daurender Werth, wachſenden Stroͤmen gleich,

Jedes lange Jahrhundert fuͤllt,

Ihn geſellen, und ihn jenen Belohnungen,

Die der Stolze nur traͤumte, weihn!

Ihm iſt, wenn ihm das Gluͤck, was es ſo ſelten that,

Eine denkende Freundin giebt,

Jede Zaͤhre von ihr, die ihr ſein Werk entlockt,

Kuͤnftiger Zaͤhren Verkuͤnderin!
[figure]
Win-
[59]

Wingolf.


Erſtes Lied.


[figure]
Wie Gna in Fluge, jugendlich ungeſtuͤm,

Und ſtolz, als reichten mir aus Idunens Gold

Die Goͤtter, ſing’ ich meine Freunde

Feyrend in kuͤhnerem Bardenliede.

Willſt du zu Strophen werden, o Haingeſang?

Willſt du geſetzlos, Oſſians Schwunge gleich,

Gleich Ullers Tanz auf Meerkryſtalle,

Frey aus der Seele des Dichters ſchweben?

Die Waſſer Hebrus waͤlzten mit Adlereil

Des Celten Leyer, welche die Waͤlder zwang,

Daß ſie ihr folgten, die die Felſen

Taumeln, und wandeln aus Wolken lehrte.

So
(Gna)
(Idunens)
(Ullers)
[60]
So floß der Hebrus. Schattenbeſaͤnftiger,

Mit fortgeriſſen folgte dein fliehend Haupt

Voll Bluts, mit todter Stirn, der Leyer

Hoch im Getoͤſe geſtuͤrzter Wogen.

So floß der Waldſtrom hin nach dem Ocean!

So fließt mein Lied auch, ſtark, und gedankenvoll.

Deß ſpott’ ich, der’s mit Kluͤglingsblicken

Hoͤret, und kalt von der Gloſſe triefet.

Den ſegne, Lied, ihn ſegne beym feſtlichen

Entgegengehn, mit Freudenbegruͤſſungen,

Der uͤber Wingolfs hohe Schwelle

Heiter, im Hain gekraͤnzt, hereintritt.

Dein Barde wartet. Liebling der ſanften Hlyn,

Wo bliebſt du? koͤmmſt du von dem begeiſternden

Achaͤerhoͤmus? Oder koͤmmſt du

Von den unſterblichen ſieben Huͤgeln?

Wo Scipionen, Flaccus und Tullius,

Uhrenkel denkend, toͤnender redt’, und ſang,

Wo Maro mit dem Kapitole

Um die Unſterblichkeit muthig zankte!

Voll
(Wingolf)
(Hlyn)
[61]
Voll ſichern Stolzes, ſah er die Ewigkeit

Des hohen Marmors: Truͤmmer wirſt einſt du ſeyn!

Staub dann! und dann des Sturms Geſpiele,

Du Kapitol! und du Gott der Donner!

Wie oder zoͤgerſt du von des Albion

Eiland heruͤber? Liebe ſie, Ebert, nur!

Sie ſind auch deutſchen Stamms, Uhrſoͤhne

Jener, die kuͤhn auf der Woge kamen!

Sey mir gegruͤſſet! Immer gewuͤnſcht koͤmmſt du,

Wo du auch herkoͤmmſt, Liebling der ſanften Hlyn!

Vom Tybris lieb, ſehr lieb vom Hoͤmus!

Lieb von Britanniens ſtolzem Eiland,

Allein geliebter, wenn du voll Vaterlands

Aus jenen Hainen kommſt, wo der Barden Chor

Mit Braga ſinget, wo die Telyn

Toͤnet zum Fluge des deutſchen Liedes.

Da koͤmmſt du jetzt her, haſt aus dem Mimer ſchon

Die geiſtervolle ſilberne Flut geſchoͤpft!

Schon glaͤnzt die Trunkenheit des Quells dir,

Ebert, aus hellem entzuͤcktem Auge.

Wohin
(Braga)
(Telyn)
(Mimer)
[62]
Wohin beſchwoͤrſt du, Dichter, den Folgenden?

Was trank? was ſah ich? Bauteſt du wieder auf

Tanfana? oder, wie an Dirce

Mauren Amphion, Wathalla’s Tempel?

Die ganze Lenzflur ſtreute mein Genius,

Der unſern Freunden rufet, damit wir uns

Hier in des Wingolf lichten Hallen

Unter dem Fluͤgel der Freud’ umarmen.

Zweytes Lied.


Sie kommen! Cramern gehet in Rhythmustanz,

Mit hochgehobner Leyer Iduna vor!

Sie geht, und ſieht auf ihn zuruͤcke,

Wie auf die Wipfel des Hains der Tag ſieht.

Sing noch Beredſamkeiten! die erſte weckt

Den Schwan in Glaſor ſchon zur Entzuͤckung auf!

Sein Fittig ſteigt, und ſanft gebogen

Schwebet ſein Hals mit des Liedes Toͤnen!

Die deutſche Nachwelt ſinget der Barden Lied,

(Wir ſind ihr Barden!) einſt bey der Lanze Klang!

Sie wird von dir auch Lieder ſingen,

Wenn ſie heran zu der kuͤhnen Schlacht zeucht.

Schon
(Tanfana)
(Iduna)
(Glasor)
[63]
Schon hat den Geiſt der Donnerer ausgehaucht,

Schon waͤlzt ſein Leib ſich blutig im Rheine fort,

Doch bleibt am leichenvollen Ufer

Horchend der eilende Geiſt noch ſchweben.

Du ſchweigeſt, Freund, und ſieheſt mich weinend an.

Ach warum ſtarb die zaͤrtliche Radikin?

Schoͤn, wie die junge Morgenroͤthe,

Heiter und ſanft, wie die Sommermondnacht.

Nimm dieſe Roſen, Gieſeke; Lesbia

Hat ſie mit Zaͤhren heute noch ſanft benetzt,

Als ſie dein Lied mir von den Schmerzen

Deiner Geſpielin der Liebe vorſang.

Du laͤchelſt: Ja, dein Auge voll Zaͤrtlichkeit

Hat dir mein Herz ſchon dazumal zugewandt,

Als ich zum erſtenmal dich ſahe,

Als ich dich ſah, und du mich nicht kannteſt.

Wenn einſt ich todt bin, Freund, ſo beſinge mich!

Dein Lied voll Thraͤnen wird den entfliehenden

Dir treuen Geiſt noch um dein Auge,

Das mich beweint, zu verweilen zwingen.

Dann ſoll mein Schutzgeiſt, ſchweigend und unbemerkt

Dich dreymal ſegnen! dreymal dein ſinkend Haupt

Umfliegen, und nach mir beym Abſchied

Dreymal noch ſeyn, und dein Schutzgeiſt werden.

Der
[64]
Der Thorheit Haſſer, aber auch Menſchenfreund,

Allzeit gerechter Rabner, dein heller Blick

Dein froh und herzenvoll Geſicht iſt

Freunden der Tugend, und deinen Freunden

Nur liebenswuͤrdig; aber den Thoren biſt

Du furchtbar! Scheuch ſie, wenn du noch ſchweigeſt, ſchon

Zuruͤck! Laß ſelbſt ihr kriechend Laͤcheln

Dich in dem ſtrafenden Zorn nicht ſtoͤren.

Stolz, und voll Demuth, arten ſie niemals aus!

Sey unbekuͤmmert, wenn auch ihr zahllos Heer

Stets wuͤchſ’, und wenn in Voͤlkerſchaften

Auch Philoſophen die Welt umſchwaͤrmten!

Wenn du nur Einen jedes Jahrhundert nimmſt,

Und ihn der Weisheit Lehrlingen zugeſellſt;

Wohl dir! Wir wollen deine Siege,

Die in der Fern dich erwarten, ſingen.

Dem Enkel winkend ſtell’ ich dein heilig Bild

Zu Tiburs Lacher, und zu der Houyhmeß Freund,

Da ſollſt du einſt den Namen (wenig

Fuͤhreten ihn) des Gerechten fuͤhren!

Drittes Lied.


Lied, werde ſanfter, flieſſe gelinder fort.

Wie auf die Roſen hell aus des Morgens Hand

Der Thau herabtraͤuft, denn dort koͤmmt er

Froͤlicher heut und entwoͤlkt mein Gellert.

Dich
[65]
Dich ſoll der ſchoͤnſten Mutter geliebteſte

Und ſchoͤnſte Tochter leſen, und reizender

Im Leſen werden, dich in Unſchuld,

Sieht ſie dich etwa wo ſchlummern, kuͤſſen.

Auf meinem Schooß, in meinen Umarmungen

Soll einſt die Freundin, welche mich lieben wird,

Dein ſuͤß Geſchwaͤtz mir ſanft erzaͤhlen

Und es zugleich an der Hand als Mutter

Die kleine Zilie lehren. Des Herzens Werth

Zeigt auf dem Schauplatz keine mit jenem Reitz,

Den du ihm gabſt. Da einſt die beyden

Edleren Maͤdchen mit ſtiller Großmuth,

Euch unnachahmbar, welchen nur Schoͤnheit bluͤht,

Sich in die Blumen ſetzten, da weint’ ich, Freund,

Da floſſen ungeſehne Thraͤnen

Aus dem geruͤhrten entzuͤckten Auge.

Da ſchwebte lange freudiger Ernſt um mich.

O Tugend! rief ich, Tugend, wie ſchoͤn biſt du!

Welch goͤttlich Meiſterſtuͤck ſind Seelen,

Die ſich hinauf bis zu dir erheben!

Der du uns auch liebſt, Olde, komm naͤher her,

Du Kenner, der du edel und feuervoll

Unbiegſam beyden, beyden furchtbar,

Stuͤmper der Tugend und Schriften haſſeſt!

EDu,
[66]
Du, der bald Zweifler, und Philoſoph bald war,

Bald Spoͤtter aller menſchlichen Handlungen,

Bald Miltons und Homerus Prieſter,

Bald Miſanthrope, bald Freund, bald Dichter,

Viel Zeiten, Kuͤhnert, haſt du ſchon durchgelebt,

Von Eiſen Zeiten, ſilberne, goldene!

Komm, Freund, komm wieder zu des Milton

Und zu der Zeit des Homer zuruͤcke!

Noch zween erblick ich. Den hat vereintes Blut,

Mehr noch die Freundſchaft, zaͤrtlich mir zugeſellt,

Und den des Umgangs ſuͤſſe Reitzung

Und der Geſchmack mit der hellen Stirne.

Schmidt, der mir gleich iſt, den die Unſterblichen

Des Hains Geſaͤngen neben mir auferziehn!

Und Rothe, der ſich freyer Weisheit

Und der geſelligen Freundſchaft weihte.

Viertes Lied.


Ihr Freunde fehlt noch, die ihr mich kuͤnftig liebt!

Wo ſeyd ihr? Eile! ſaͤume nicht, ſchoͤne Zeit!

Kommt, auserkohrne, helle Stunden,

Da ich ſie ſeh, und ſie ſanft umarme!

Und du, o Freundin, die du mich lieben wirſt,

Wo biſt du? Dich ſucht, Beſte, mein einſames

Mein fuͤhlend Herz, in dunkler Zukunft,

Durch Labyrinthe der Nacht hin ſuchts dich!

Haͤlt
[67]
Haͤlt dich, o Freundin, etwa die zaͤrtlichſte

Von allen Frauen muͤtterlich ungeſtuͤm;

Wohl dir! Auf ihrem Schooſſe lernſt du

Tugend und Liebe zugleich empfinden!

Doch hat dir Blumenkraͤnze des Fruͤhlings Hand

Geſtreut, und ruhſt du, wo er in Schatten weht;

So fuͤhl auch dort ſie! Dieſes Auge,

Ach dein von Zaͤrtlichkeit volles Auge,

Und der in Zaͤhren ſchwimmende ſuͤſſe Blick,

Die ganze Seele bildet in ihm ſich mir!

Ihr heller Ernſt, ihr Flug zu denken,

Leichter als Tanz in dem Weſt und ſchoͤner!

Die Mine, voll des Guten, des Edlen voll,

Dieß vor Empfindung bebende ſanfte Herz!

Dieß alles, o die einſt mich liebet!

Dieſes … geliebte Phantom iſt mein! du,

Du ſelber fehlſt mir! Einſam und wehmuthsvoll

Und ſtill und weinend irr’ ich, und ſuche dich,

Dich Beſte, die mich kuͤnftig liebet,

Ach die mich liebt! und noch fern von mir iſt!

Fuͤnftes Lied.


Sahſt du die Thraͤne, welche mein Herz vergoß,

Mein Ebert? Traurend lehn’ ich auf dich mich hin.

Sing mir begeiſtert, als vom Dreyfuß,

Brittiſchen Ernſt, daß ich froh wie du ſey!

E 2Doch
[68]
Doch jetzt auf Einmal wird mir mein Auge hell!

Geſichten hell, und hell der Begeiſterung!

Ich ſeh in Wingolfs fernen Hallen

Tief in den ſchweigenden Daͤmmerungen

Dort ſeh ich langſam heilige Schatten gehn!

Nicht jene, die ſich traurig von Sterbenden

Loshuͤllen, nein, die, in der Dichtkunſt

Stund’ und der Freundſchaft, um Dichter ſchweben!

Sie fuͤhret, hoch den Fluͤgel, Begeiſtrung her!

Verdeckt dem Auge, welches der Genius

Nicht ſchaͤrft, ſiehſt du ſie ſeelenvolles,

Treues, poetiſches Auge, du nur!

Drey Schatten kommen! neben den Schatten toͤnts

Wie Mimers Quelle droben vom Eichenhain

Mit Ungeſtuͤm herrauſcht, und Weisheit

Lehret die horchenden Widerhalle!

Wie aus der hohen Druͤden Verſammlungen,

Nach Braga’s Telyn, nieder vom Opferfels,

Ins lange tiefe Thal der Waldſchlacht,

Satzungenlos ſich der Barden Lied ſtuͤrzt!

Der du dort wandelſt, ernſtvoll und heiter doch,

Das Auge voll von weiſer Zufriedenheit,

Die Lippe voll von Scherz; Es horchen

Ihm die Bemerkungen deiner Freunde,

Ihm
[69]
Ihm horcht entzuͤckt die feinere Schaͤferin,

Wer biſt, du Schatten? Ebert! er neiget ſich

Zu mir, und laͤchelt. Ja er iſt es!

Siehe der Schatten iſt unſer Gaͤrtner!

Uns werth, wie Flaccus war ſein Quintilius,

Der unverhuͤllten Wahrheit Vertraulichſter,

Ach komm doch, Gaͤrtner, deinen Freunden

Ewig zuruͤck! Doch du flieheſt fern weg!

Fleuch nicht, mein Gaͤrtner, fleuch nicht! du flohſt ja nicht,

Als wir an jenen traurigen Abenden,

Um dich voll Wehmuth ſtill verſammelt,

Da dich umarmten, und Abſchied nahmen!

Die letzten Stunden, welche du Abſchied nahmſt,

Der Abend ſoll mir feſtlich auf immer ſeyn!

Da lernt’ ich, voll von ihrem Schmerze,

Wie ſich die wenigen Edlen liebten!

Viel Mitternaͤchte werden noch einſt entfliehn.

Lebt ſie nicht einſam, Enkel, und heiligt ſie

Der Freundſchaft, wie ſie eure Vaͤter

Heiligten, und euch Exempel wurden!

Sechſtes Lied.


In meinem Arme, freudig, und weisheitsvoll,

Sang Ebert: Evan, Evoe Hagedorn!

Da tritt er auf dem Rebenlaube

Muthig einher, wie Lyaͤus, Zevs Sohn!

E 3Mein
[70]
Mein Herze zittert! herrſchend und ungeſtuͤm

Bebt mir die Freude durch mein Gebein dahin!

Evan, mit deinem Weinlaubſtabe

Schone mit deiner gefuͤllten Schaale!

Ihn deckt’ als Juͤngling eine Lyaͤerin,

Nicht Orpheus Feindin, weislich mit Reben zu!

Und dieß war allen Waſſertrinkern

Wunderſam, und die in Thaͤlern wohnen,

In die des Waſſers viel von den Huͤgeln her

Stuͤrzt, und kein Weinberg laͤngere Schatten [st]reckt.

So ſchlief er, keinen Schwaͤtzer fuͤrchtend,

Nicht ohne Goͤtter, ein kuͤhner Juͤngling.

Mit ſeinem Lorbeer hat dir auch Patareus,

Und eingeflochtner Myrthe das Haupt umkraͤnzt!

Wie Pfeile von dem goldnen Koͤcher,

Toͤnet dein Lied, wie des Juͤnglings Pfeile

Schnellrauſchend klangen, da der Unſterbliche

Nach Peneus Tochter durch die Gefilde flog!

Oft wie des Satyrs Hohngelaͤchter,

Als er den Wald noch nicht laut durchlachte.

Zu Wein und Liedern waͤhnet der Thore dich nur

Allein geſchaffen. Denn den Unwiſſenden

Iſt, was das Herz der Edlen hebet,

Unſichtbar ſtets und verdeckt geweſen!

Dir
[71]
Dir ſchlaͤgt ein maͤnnlich Herz auch! Dein Leben toͤnt

Mehr Harmonien, als ein unſterblich Lied!

In unſokratiſchem Jahrhundert

Biſt du fuͤr wenige Freund’ ein Muſter!

Siebendes Lied.


Er ſangs. Jetzt ſah ich fern in der Daͤmmerung

Des Hains am Wingolf Schlegeln aus dichtriſchen

Geweihten Eichenſchatten ſchweben,

Und in Begeiſterung vertieft und ernſtvoll,

Auf Lieder ſinnen. Toͤnet! da toͤneten

Ihm Lieder, nahmen Geniusbildungen

Schnell an! In ſie hatt’ er der Dichtkunſt

Flamme geſtroͤmt, aus der vollen Urne!

Noch Eins nur fehlt dir! falt’ auch des Richters
Stirn,

Daß, wenn zu uns ſie etwa vom Himmel koͤmmt

Die goldne Zeit, der Hain Thuiskens

Leer des undichtriſchen Schwarmes ſchatte.

Achtes Lied.


Komm, goldne Zeit, die ſelten zu Sterblichen

Herunterſteiget, laß dich erflehn, und komm

Zu uns, wo dir es ſchon im Haine

Weht, und herab von dem Quell ſchon toͤnet!

E 4Ge-
[72]
Gedankenvoller, tief in Entzuͤckungen

Verlohren, ſchwebt bey dir die Natur … Sie hats

Gethan! hat Seelen, die ſich fuͤhlen,

Fliegen den Geniusflug, gebildet.

Natur, dich hoͤrt’ ich durchs Unermeßliche

Herwandeln, wie, mit Sphaͤrengeſangeston,

Argo, von Dichtern nur vernommen,

Strahlend im Meere der Luͤfte wandelt.

Aus allen goldnen Zeiten begleiten dich,

Natur, die Dichter! Dichter des Alterthums!

Der ſpaͤten Nachwelt Dichter! Segnend

Sehn ſie ihr heilig Geſchlecht hervorgehn.
[figure]
An
[73]

An Giſeke.


Geh! ich reiſſe mich los, obgleich die maͤnnliche
Tugend

Nicht die Thraͤne verbeut,

Geh! ich weine nicht, Freund. Ich muͤßte mein Le-
ben durchweinen,

Weint’ ich dir, Giſeke, nach!

Denn ſo werden ſie alle dahingehn, jeder den andern

Traurend verlaſſen, und fliehn.

Alſo trennet der Tod gewaͤhlte Gatten! der Mann
kam

Seufzend im Ocean um,

Sie am Geſtad, wo von Todtengeripp, und Schei-
ter, und Meerſand

Stuͤrme das Grab ihr erhoͤhn.

So liegt Miltons Gebein von Homers Gebeine ge-
ſondert,

Und der Cypreſſe verweht

Ihre Klag’ am Grabe des Einen, und kommt nicht
hinuͤber

Nach des Anderen Gruft.

So ſchrieb unſer aller Verhaͤngniß auf eherne Ta-
feln

Der im Himmel, und ſchwieg.

Was der Hocherhabene ſchrieb, verehr’ ich im Staube,

Weine gen Himmel nicht auf.

Geh, mein Theurer! Es letzen vielleicht ſich unſere
Freunde

Auch ohne Thraͤnen mit dir;

Wenn nicht Thraͤnen die Seele vergießt, unweinbar
dem Fremdling

Sanften edlen Gefuͤhls.

E 5Eile
[74]
Eile zu Hagedorn hin, und haſt du genung ihn um
armet,

Iſt euch die erſte Begier,

Euch zu ſehen, geſtillt, ſind alle Thraͤnen der Freu[d]e

Weggelaͤchelt entflohn,

Giſeke, ſag’ ihm alsdann, nach drey genoſſenen T[a-]
gen,

Daß ich ihn liebe, wie du!
[figure]
An
[75]

An Ebert.


Ebert, mich ſcheucht ein truͤber Gedanke vom blin-
kenden Weine

Tief in die Melancholey!

Ach du redeſt umſonſt, vor dem gewaltiges Kelchglas,

Heitre Gedanken mir zu!

Weggehn muß ich, und weinen! vielleicht, daß die
lindernde Thraͤne

Meine Betruͤbniß verweint.

Lindernde Thraͤnen, euch gab die Natur dem menſch-
lichen Elend

Weiſ’ als Geſellinnen zu.

Waͤret ihr nicht, und koͤnnten ihr Leiden die Men-
ſchen nicht weinen,

Ach! wie ertruͤgen ſie’s da!

Weggehn muß ich, und weinen! Mein ſchwermuths-
voller Gedanke

Bebt noch gewaltig in mir.

Ebert! … ſind ſie nun … alle dahin! deckt un-
ſere Freunde

Alle die heilige Gruft;

Und ſind wir … zween Einſame … dann von
allen noch uͤbrig! …

Ebert! … verſtummſt du nicht hier?

Sieht dein Auge nicht bang um ſich her, nicht ſtarr
ohne Seele?

So erſtarb auch mein Blick!

So erbebt’ ich, als mich von allen Gedanken der
baͤngſte

Donnernd das erſtemal traf!

Wie du einen Wanderer, der, zu eilend der Gattin,

Und dem gebildeten Sohn,

Und
[76]
Und der bluͤhenden Tochter, nach ihrer Umarmung
ſchon hinweint,

Du den, Donner, ereilſt,

Toͤdtend ihn faſſeſt, und ſeine Gebeine zu fallendem
Staube

Machſt, triumphirend alsdann

Wieder die hohe Wolke durchwandelſt; ſo traf der
Gedanke

Meinen erſchuͤtterten Geiſt,

Daß mein Auge ſich dunkel verlor, und das bebende
Knie mir

Kraftlos zittert’, und ſank.

Ach, in ſchweigender Nacht, ging mir die Todtener-
ſcheinung,

Unſre Freunde, vorbey!

Ach in ſchweigender Nacht erblickt’ ich die offenen
Graͤber,

Und der Unſterblichen Schaar!

Wenn nicht mehr des zaͤrtlichen Giſeken Auge mir
laͤchelt!

Wenn, von der Radikinn fern,

Unſer redlicher Cramer verweſt! wenn Gaͤrtner, wenn
Rabner

Nicht ſokratiſch mehr ſpricht!

Wenn in des edelmuͤthigen Gellert harmoniſchem Leben

Jede Saite verſtummt!

Wenn, nun uͤber dem Grabe, der freye geſellige Rothe

Freudegenoſſen ſich waͤhlt!

Wenn der erfindende Schlegel aus einer laͤngern Ver-
bannung

Keinem Freunde mehr ſchreibt!

Wenn in meines geliebteſten Schmidts Umarmung
mein Auge

Nicht mehr Zaͤrtlichkeit weint!

Wenn
[77]
Wenn einſchlummernd ſich Hagedorn unſer Vater ent-
fernet;

Ebert, was ſind wir alsdann,

Wie Geweihte des Schmerzes, die hier ein truͤberes
Schickſal

Laͤnger, als Alle ſie ließ.

Stirbt denn auch einer von uns, mich reißt mein
banger Gedanke

Immer naͤchtlicher fort!

Stirbt dann auch Einer von uns, und bleibt nur Ei-
ner noch uͤbrig;

Bin der Eine dann ich;

Hat mich dann auch die ſchon geliebt, die kuͤnftig mich
liebet,

Ruht auch Sie in der Gruft;

Bin dann ich der Einſame, bin allein auf der Erde:

Wirſt du, ewiger Geiſt,

Seele zur Freundſchaft erſchaffen, du dann die leeren
Tage

Sehn, und fuͤhlend noch ſeyn?

Oder wirſt du betaͤubt fuͤr Naͤchte ſie halten, und
ſchlummern

Und gedankenlos ruhn?

Aber wenn du bisweilen erwachteſt zu fuͤhlen dein Elend,

Banger, unſterblicher Geiſt?

Rufe, wenn du erwachſt, das Bild vom Grabe der
Freunde,

Das nur rufe zuruͤck!

O ihr Graͤber der Todten! ihr Graͤber meiner Ent-
ſchlafnen!

Warum liegt ihr zerſtreut?

Warum liegt ihr nicht in bluͤhenden Thalen beyſam-
men?

Oder in Hainen vereint?

Leitet
[78]
Leitet den ſterbenden Greis! Ich will mit bebendem Fuſſe

Gehn, auf jegliches Grab

Eine Cypreſſe pflanzen, die noch nicht ſchattenden Baͤume

Fuͤr die Enkel erziehn,

Oft in der Nacht auf biegſamen Wipfel die himmli-
ſche Bildung

Meiner Unſterblichen ſehn,

Zitternd mein Haupt gen Himmel erheben, und wei-
nen, und ſterben!

Grabet den Todten dann ein

Bey dem Grabe, bey dem er ſtarb! Nimm dann, o
Verweſung!

Meine Thraͤnen, und mich! …

Finſtrer Gedanke, laß ab! laß ab in die Seele zu
donnern!

Wie die Ewigkeit ernſt,

Furchtbar, wie das Gericht, laß ab! die verſtummen-
de Seele

Faßt dich, Gedanke, nicht mehr!
[figure]
Bar-
[79]

Bardale.


[figure]
Einen froͤhlichen Lenz ward ich, und flog umher!

Dieſen froͤhlichen Lenz lehrete ſorgſam mich

Meine Mutter, und ſagte:

Sing, Bardale, den Fruͤhling durch!

Hoͤrt der Wald dich allein, deine Geſpielinnen

Flattern horchend nur ſie dir um den Schattenaſt;

Singe dann, o Bardale,

Nachtigallen Geſaͤnge nur.

Aber tritt er daher, welcher erhabner iſt,

Als die Greiſe des Hains, kommt er der Erde Gott,

Sing dann, gluͤcklicher Saͤnger,

Toͤnevoller, und lyriſcher!

Denn ſie hoͤren dich auch, die doch unſterblich ſind!

Ihren goͤttlichſten Trieb lockt dein Geſang hervor.

Ach, Bardale, du ſingeſt

Liebe zu, den Unſterblichen!

Ich
Bardale
[80]
Ich entflog ihr, und ſang, und der bewegte Hain

Und die Huͤgel umher hoͤrten mein floͤtend Lied!

Und des Baches Geſpraͤche

Sprachen leiſer am Ufer hin.

Doch der Huͤgel, der Bach war nicht, die Eiche ſelbſt

War der Gott nicht! und bald ſenkte den Ton mein Lied.

Denn ich ſang dich, o Liebe,

Nicht Goͤttinnen, und Goͤttern nicht!

Jetzo kam ſie herauf, unter des Schattens Nacht

Kam die edle Geſtalt, lebender, als der Hain!

Schoͤner, als die Gefilde!

Eine von den Unſterblichen!

Welch ein neues Gefuͤhl gluͤhte mir! Ach der Blick

Ihres Auges! Der Weſt hielt mich, ich ſank ſchon hin!

Spraͤch die Stimme den Blick aus;

O ſo wuͤrde ſie ſuͤſſer ſeyn,

Als mein leiſeſter Laut, als mein geſungenſter,

Und gefuͤhlteſter Ton, wenn mich die junge Luſt

Von dem Zweige des Strauches

In die Wipfel des Hains entzuͤckt!

Aug’, ach Auge! dein Blick bleibt unvergeßlich mir!

Und wie nennet das Lied? ſingen die Toͤne dich?

Nennt’s dich, ſingen ſie: Seele?

Biſt du’s, das die Unſterblichen

Zu
[81]
Zu Unſterblichen macht? Auge! wem gleich’ ich dich?

Biſt du Blaͤue der Luft, wenn ſie der Abendſtern

Sanft mit Golde beſchimmert?

Oder gleicheſt du jenem Bach,

Der dem Quell kaum entfloß? Schoͤner erblickte nie

Seine Roſen der Buſch! heller ich ſelber nie

Mich in einem der Baͤche,

Niederſchwankend am Fruͤhlingsſproß.

O was ſprach itzt ihr Blick? Hoͤrteſt du, Goͤttinn, mich?

Eine Nachtigall du? Sang ich von Liebe dir?

Und was flieſſet gelinder

Dir vom ſchmachtenden Aug’ herab?

Iſt das Liebe, was dir zaͤrtlich vom Auge rinnt?

Deinen goͤttlichſten Trieb lockt ihn mein Lied hervor?

Welche ſanfte Bewegung

Hebt dir deine beſeelte Bruſt?

Sag, wie heiſſet der Trieb, welcher dein Herz bewegt?

Reitzt ohn’ ihn dich Iduns goldene Schaale noch?

Iſt er himmliſche Tugend?

Oder Freud’ in dem Hain Walhalls?

O gefeyert ſey mir, blumiger Zwoͤlfter May,

Da die Goͤttinn ich ſah! aber gefeyerter

Seyſt du unter den Mayen,

Wenn ich in den Umarmungen

FEines
[82]
Eines Juͤnglings ſie ſeh, der die Beredſamkeit

Dieſer Augen, und euch fuͤhlet, ihr Fruͤhlinge

Dieſer laͤchelnden Minen,

Und den Geiſt, der dieß alles ſchuf!

Wars nicht, Fanny, der Tag? wars nicht der
Zwoͤlfte May,

Als der Schatten dich rief? wars nicht der Zwoͤlfte
May,

Der mir, weil ich allein war,

Oed’ und traurig voruͤberfloß?
[figure]
An
[83]

An Fanny.


[figure]
Wenn einſt ich todt bin, wenn mein Gebein zu Staub

Iſt eingeſunken, wenn du, mein Auge, nun

Lang’ uͤber meines Lebens Schickſal,

Brechend im Tode, nun ausgeweint haſt,

Und ſtillanbetend da, wo die Zukunft iſt,

Nicht mehr hinauf blickſt, wenn mein erſungner Ruhm,

Die Frucht von meiner Juͤnglingsthraͤne,

Und von der Liebe zu dir, Meßias!

Nun auch verweht iſt, oder von wenigen

In jene Welt hinuͤber gerettet ward:

Wenn du alsdann auch, meine Fanny,

Lange ſchon todt biſt, und deines Auges

Stillheitres Laͤcheln, und ſein beſeelter Blick

Auch iſt verloſchen, wenn du, vom Volke nicht

Bemerket, deines ganzen Lebens

Edlere Thaten nunmehr gethan haſt,

Des Nachruhms werther, als ein unſterblich Lied,

Ach wenn du dann auch einen begluͤckteren

Als mich geliebt haſt, laß den Stolz mir,

Einen Begluͤckteren, doch nicht edlern!

F 2Dann
[84]
Dann wird ein Tag ſeyn, den werd ich auferſtehn!

Dann wird ein Tag ſeyn, den wirſt du auferſtehn!

Dann trennt kein Schickſal mehr die Seelen;

Die du einander, Natur, beſtimmteſt.

Dann waͤgt die Wagſchaal in der gehobnen Hand

Gott Gluͤck und Tugend gegen einander gleich;

Was in der Dinge Lauf jetzt misklingt,

Toͤnet in ewigen Harmonieen!

Wenn dann du daſtehſt jugendlich auferweckt,

Dann eil’ ich zu dir! ſaͤume nicht, bis mich erſt

Ein Seraph bey der Rechten faſſe,

Und mich, Unſterbliche, zu dir fuͤhre.

Dann ſoll dein Bruder, zaͤrtlich von mir umarmt,

Zu dir auch eilen! dann will ich thraͤnenvoll,

Voll froher Thraͤnen jenes Lebens

Neben dir ſtehn, dich mit Namen nennen,

Und dich umarmen! Dann, o Unſterblichkeit,

Gehoͤrſt du ganz uns! Kommt, die das Lied nicht ſingt,

Kommt, unausſprechlich ſuͤſſe Freuden!

So unausſprechlich, als jetzt mein Schmerz iſt.

Rinn unterdeß, o Leben. Sie kommt gewiß

Die Stunde, die uns nach der Cypreſſe ruft!

Ihr andern, ſeyd der ſchwermuthsvollen

Liebe geweiht! und umwoͤlkt und dunkel!

Hein-
[85]

Heinrich der Voͤgler.


Der Feind iſt da! Die Schlacht beginnt!

Wohlauf zum Sieg’ herbey!

Es fuͤhret uns der beſte Mann

Im ganzen Vaterland!

Heut fuͤhlet er die Krankheit nicht,

Dort tragen ſie ihn her!

Heil, Heinrich! heil dir Held und Mann

Im eiſernen Gefild!

Sein Antlitz gluͤht vor Ehrbegier,

Und herrſcht den Sieg herbey!

Schon iſt um ihn der Edlen Helm

Mit Feindesblut beſprizt!

Streu furchtbar Strahlen um dich her,

Schwert in des Kayſers Hand,

Daß alles toͤdtliche Geſchoß

Den Weg voruͤbergeh!

Willkommen Tod fuͤrs Vaterland!

Wenn unſer ſinkend Haupt

Schoͤn Blut bedeckt, dann ſterben wir

Mit Ruhm fuͤrs Vaterland!

Wenn vor uns wird ein ofnes Feld

Und wir nur Todte ſehn

Weit um uns her, dann ſiegen wir

Mit Ruhm fuͤrs Vaterland!

F 3Dann
[86]
Dann treten wir mit hohem Schritt

Auf Leichnamen daher!

Dann jauchzen wir im Siegsgeſchrey!

Das geht durch Mark und Bein!

Uns preiſt mit frohem Ungeſtuͤm

Der Braͤutgam und die Braut;

Er ſieht die hohen Fahnen wehn,

Und druͤckt ihr ſanft die Hand,

Und ſpricht zu ihr: Da kommen ſie,

Die Kriegesgoͤtter, her!

Sie ſtritten in der heiſſen Schlacht

Auch fuͤr uns beyde mit!

Uns preiſt der Freudenthraͤnen voll

Die Mutter und ihr Kind!

Sie druͤckt den Knaben an ihr Herz,

Und ſieht dem Kaiſer nach.

Uns folgt ein Ruhm, der ewig bleibt,

Wenn wir geſtorben ſind,

Geſtorben fuͤr das Vaterland

Den ehrenvollen Tod!
[figure]
An
[87]

An Bodmer.


Der die Schickungen lenkt, heiſſet den froͤmmſten
Wunſch,

Mancher Seligkeit goldnes Bild

Oft verwehen, und ruft da Labyrinth hervor,

Wo ein Sterblicher gehen will.

In die Fernen hinaus ſieht, der Unendlichkeit

Uns unſichtbaren Schauplatz, Gott!

Ach, ſie finden ſich nicht, die fuͤr einander doch,

Und zur Liebe geſchaͤffen ſind.

Jetzo trennet die Nacht fernerer Himmel ſie,

Jetzo lange Jahrhunderte.

Niemals ſah dich mein Blick, Sokrates-Addiſon,

Niemals lehrte dein Mund mich ſelbſt.

Niemals laͤchelte mir Singer, der Lebenden

Und der Todten Geſellerinn.

Auch dich werd ich nicht ſehn, der du in jener Zeit,

Wenn ich lange geſtorben bin,

Fuͤr mein Herze gemacht, und mir der aͤhnlichſte,

Nach mir einmal auch ſeufzen wirſt,

Auch dich werd ich nicht ſehn, wie du dein Leben lebſt,

Werd ich einſt nicht dein Genius.

Alſo ordnet es Gott, der in die Fernen ſieht,

Tiefer hin ins Unendliche!

Oft erfuͤllet er auch, was das erzitternde

Volle Herz kaum zu wuͤnſchen wagt.

Wie von Traͤumen erwacht, ſehn wir dann unſer Gluͤck,

Sehns mit Augen, und glaubens kaum.

Dieſes Gluͤcke ward mir, als ich das erſtemal

Bodmers Armen entgegen kam.

F 4Der
[88]

Der Zuͤrcherſee.


[figure]
Schoͤn iſt, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht

Auf die Fluren verſtreut, ſchoͤner ein froh Geſicht,

Das den groſſen Gedanken

Deiner Schoͤpfung noch einmal denkt.

Von des ſchimmernden Sees Traubengeſtaden her,

Oder, floheſt du ſchon wieder zum Himmel auf,

Komm in roͤthendem Strale

Auf dem Fluͤgel der Abendluft,

Komm, und lehre mein Lied jugendlich heiter ſeyn,

Suͤſſe Freude, wie du! gleich dem beſeelteren

Schnellen Jauchzen des Juͤnglings,

Sanft, der fuͤhlenden Fanny gleich.

Schon lag hinter uns weit Uto, an deſſem Fuß

Zuͤrch in ruhigem Thal freye Bewohner naͤhrt;

Schon war manches Gebirge

Voll von Reben vorbeygeflohn.

Jetzt entwoͤlkte ſich fern ſilberner Alpen Hoͤh,

Und der Juͤnglinge Herz ſchlug ſchon empfindender,

Schon verrieth es beredter

Sich der ſchoͤnen Begleiterin.

Hal-
[89]
Hallers Doris, ſie ſang, ſelber des Liedes werth,

Hirzels Daphne, den Kleiſt zaͤrtlich wie Gleimen liebt,

Und wir Juͤnglinge ſangen,

Und empfanden, wie Hagedorn.

Jezt empfing uns die Au in die beſchattenden

Kuͤhlen Arme des Walds, welcher die Inſel kroͤnt;

Da, da kameſt du, Freude!

Volles Maaſſes auf uns herab!

Goͤttinn Freude! du ſelbſt! dich, wir empfanden dich!

Ja, du wareſt es ſelbſt, Schweſter der Menſchlichkeit,

Deiner Unſchuld Geſpielinn,

Die ſich uͤber uns ganz ergoß!

Suͤß iſt, froͤhlicher Lenz, deiner Begeiſtrung Hauch,

Wenn die Flur dich gebiert, wenn ſich dein Odem ſanft

In der Juͤnglinge Herzen,

Und die Herzen der Maͤdchen gießt.

Ach du machſt das Gefuͤhl ſiegend, es ſteigt durch dich

Jede bluͤhende Bruſt ſchoͤner, und bebender,

Lauter redet der Liebe

Nun entzauberter Mund durch dich!

Lieblich winket der Wein, wenn er Empfindungen,

Beſſre ſanftere Luſt, wenn er Gedanken winkt,

Im ſokratiſchen Becher

Von der thauenden Roſ’ umkraͤnzt;

F 5Wenn
[90]
Wenn er dringt bis ins Herz, und zu Entſchlieſſungen,

Die der Saͤufer verkennt, jeden Gedanken weckt,

Wenn er lehret verachten,

Was nicht wuͤrdig des Weiſen iſt.

Reizvoll klinget des Ruhms lockender Silberton

In das ſchlagende Herz, und die Unſterblichkeit

Iſt ein groſſer Gedanke,

Iſt des Schweiſſes der Edlen werth!

Durch der Lieder Gewalt, bey der Urenkelinn

Sohn und Tochter noch ſeyn; mit der Entzuͤckung Ton

Oft beym Namen genennet,

Oft gerufen vom Grabe her,

Dann ihr ſanfteres Herz bilden, und, Liebe, dich,

Fromme Tugend, dich auch gieſſen ins ſanfte Herz,

Iſt, Goldhaͤufer! nicht wenig!

Iſt des Schweiſſes der Edlen werth!

Aber ſuͤſſer iſts noch, ſchoͤner und reizender,

In dem Arme des Freunds wiſſen ein Freund zu ſeyn!

So das Leben genieſſen,

Nicht unwuͤrdig der Ewigkeit!

Treuer Zaͤrtlichkeit voll, in den Umſchattungen

In den Luͤften des Walds, und mit geſenktem Blick

Auf die ſilberne Welle,

That mein Herze den frommen Wunſch:

Waͤ-
[91]
Waͤret ihr auch bey uns, die ihr mich ferne liebt,

In des Vaterlands Schooß einſam von mir verſtreut,

Die in ſeligen Stunden

Meine ſuchende Seele fand,

O ſo bauten wir hier Huͤtten der Freundſchaft uns!

Ewig wohnten wir hier, ewig! Der Schattenwald

Wandelt’ uns ſich in Tempe,

Jenes Thal in Elyſium!
[figure]
Frie-
[92]

Friedrich der Fuͤnfte.


[figure]
Welchen Koͤnig der Gott uͤber die Koͤnige

Mit einweihendem Blick, als er gebohren ward,

Sah vom hohen Olymp, dieſer wird Menſchenfreund

Seyn, und Vater des Vaterlands!

Viel zu theuer durchs Blut bluͤhender Juͤnglinge

Und der Mutter und Braut naͤchtliche Thraͤn’ erkauft,

Lockt mit Silbergetoͤn ihn die Unſterblichkeit

In das eiſerne Feld umſonſt!

Niemals weint’ er am Bild eines Eroberers,

Seines gleichen zu ſeyn! Schon da ſein menſchlich Herz

Kaum zu fuͤhlen begann, war der Eroberer

Fuͤr den Edleren viel zu klein!

Aber Thraͤnen nach Ruhm, welcher erhabner iſt,

Keines Hoͤflings bedarf, Thraͤnen geliebt zu ſeyn

Vom gluͤckſeligen Volk, weckten den Juͤngling oft

In der Stunde der Mitternacht,

Wenn der Saͤugling im Arm hoffender Muͤtter ſchlief,

Einſt ein gluͤcklicher Mann! wenn ſich des Greiſes Blick

Sanft im Schlummer verlor, jetzo verjuͤngert ward,

Noch den Vater des Volks zu ſehn.

Lange
[93]
Lange ſinnt er ihm nach, welch ein Gedank’ es iſt!

Gott nachahmen, und ſelbſt Schoͤpfer des Gluͤckes ſeyn

Vieler tauſend! Er hat eilend die Hoͤh erreicht,

Und entſchließt ſich, wie Gott zu ſeyn!

Wie das ernſte Gericht furchtbar die Wage nimmt,

Und die Koͤnige waͤgt, wenn ſie geſtorben ſind,

Alſo waͤgt er ſich ſelbſt jede der Thaten vor,

Die ſein Leben bezeichnen ſoll!

Iſt ein Chriſt! und belohnt redliche Thaten erſt!

Und dann ſchauet ſein Blick laͤchelnd auf die herab,

Die der Muſe ſich weihn, welche das weiche Herz

Tugendhafter und edler macht!

Winkt dem ſtummen Verdienſt, das in der Ferne ſteht!

Durch ſein Muſter gereizt, lernt es Unſterblichkeit!

Denn er wandelt allein, ohne der Muſe Lied,

Sichern Wegs zur Unſterblichkeit!

Die vom Sion herab Gott den Meſſias ſingt,

Fromme Saͤngerinn, eil’ itzt zu den Hoͤhen hin,

Wo den Koͤnigen Lob, beſſeres Lob ertoͤnt,

Die Nachahmer der Gottheit ſind!

Fang den lyriſchen Flug ſtolz mit dem Namen an,

Der oft, lauter getoͤnt, dir um die Saite ſchwebt,

Singſt du einſt von dem Gluͤck, welches die Tugenden

Auf dem freyeren Throne lohnt!

Da-
[94]
Daniens Friederich iſts, welcher mit Blumen dir

Jene Hoͤhen beſtreut, die du noch ſteigen mußt!

Er, der Koͤnig und Chriſt, waͤhlt dich zur Fuͤhrerin,

Bald auf Golgatha Gott zu ſehn.
[figure]
Frie-
[95]

Friedrich der Fuͤnfte,
an Bernſtorf, und Moltke.


Eingehuͤllet in Nacht, jetzt, da die beeiſten Gebirge,

Und der einſame Wald

Stumm und menſchenlos ruhn, jetzt eil’ ich, gefluͤgel-
ter eilen

Meine Gedanken euch zu,

Wuͤrdige Freunde des Beſten der Koͤnige! Leiſeren Lautes

Sang ihn mein furchtſames Lied;

Aber euch ſag’ ich ſie ganz des vollen Herzens Em-
pfindung,

Wie das Herz ſie empfand,

Ohne des Zweifels verſuchenden Ton; ſo offen ich ſage,

Daß dem Sieger bey Sorr

Julianus zum Muſter zu klein, und, ein Chriſt zu
werden!

Wuͤrdig Friederich iſt.

Aber das iſt ein Gedanke voll Nacht: Er wird es nicht
werden …

Da ſein Freund ihm entſchlief,

Und, entflohen dem Labyrinthe, gewiß war, es herrſche

Jeſus! und richte die Welt!

Blieb der laͤchelnde Koͤnig ſich gleich. Zwar weinte
ſein Auge

Um den Freund, der ihm ſtarb!

Oft, da dem Todten ſein Moos ſchon begann, ging Frie-
drich noch ſeitwaͤrts,

Ohne Zeugen zu ſeyn.

Ernſte Muſe, verlaß den wehmuthsvollen Gedanken,

Der dich traurig vertieft,

Wecke
[96]
Wecke zu Silbertoͤnen die Leyer, die frohere, wenn ſie,

Scandinaviens Stolz,

Auch der Deutſchen, beſingt. Der nennt der Menſch-
lichkeit Ehre,

Welcher Friederich nennt!

Voͤlker werden ihn einſt, den Liebenswuͤrdigen, nennen,

Und der denkende Mann

Wird mit richtendem Blick ſein ſchoͤnes Leben betrachten,

Keinen finden, wie ihn!

Dann wird, jenen furchtbaren Tag, den die Muſe
des Tabor

Jetzo ſtammelnd beſingt,

Wenn im Tempel der Ehre die Lorbeern alle ver-
welkt ſind,

Und kein Ruhm mehr beſchuͤtzt,

Ach den Tag wird dann der ſanften Menſchlichkeit
Lohn ſeyn,

Wie ihr Leben einſt war!
[figure]
Die
[97]

Die todte Clariſſa.


[figure]
Blume, du ſtehſt verpflanzet, wo du bluͤheſt,

Werth, in dieſer Beſchattung nicht zu wachſen,

Werth, ſchnell wegzubluͤhen, der Blumen Edens

Beſſre Geſpielin!

Luͤfte, wie dieſe, die die Erd’ umathmen,

Sind, die leiſeren ſelbſt, dir rauhe Weſte.

Doch ein Sturmwind wird, o er koͤmmt! ent-
flieh du,

Eh er daher rauſcht,

Grauſam, indem du nun am hellſten glaͤnzeſt,

Dich hinſtuͤrzen! Allein, auch hingeſtuͤrzet,

Wirſt du ſchoͤn ſeyn, werden wir dich bewundern,

Aber durch Thraͤnen!

Reizend noch ſtets, noch immer liebenswuͤrdig,

Lag Clariſſa, da ſie uns weggebluͤht war,

Und noch ſtille Roͤthe die hingeſunkne

Wange bedeckte.

GFreu-
[98]
Freudiger war entronnen ihre Seele,

War zu Seelen geflogen, welch’ ihr glichen,

Schoͤnen, ihr verwandten, geliebten Seelen,

Die ſie empfingen,

Daß in dem Himmel ſanft die Liedervollen

Frohen Huͤgel umher zugleich ertoͤnten:

Ruhe dir, und Kronen des Siegs, o Seele,

Weil du ſo ſchoͤn warſt!

So triumphirten, die es wuͤrdig waren.

Komm, laß uns wie ein Feſt die Stunde, Cidli,

Da ſie fliehend uns ihr erhabnes Bild ließ,

Einſamer feyern!

Sammle Cypreſſen, daß des Trauerlaubes

Kraͤnz’ ich winde, du dann auf dieſe Kraͤnze

Mitgeweinte Thraͤnen zur ernſten Feyer

Schweſterlich weineſt!
[figure]
Frie-
[99]

Friedensburg.


[figure]
Selbſt der Engel entſchwebt Wonnegefilden, laͤßt

Seine Krone voll Glanz unter den Himmliſchen,

Wandelt, unter den Menſchen

Menſch, in Juͤnglingsgeſtalt umher.

Laß denn, Muſe, den Hain, wo du das Weltgericht,

Und die Koͤnige ſingſt, welche verworfen ſind!

Komm, hier winken dich Thaͤler

In ihr Tempe zur Erd’ herab.

Komm, es hoffet ihr Wink! Wo du der Ceder Haupt

Durch den ſteigenden Schall deines Geſangs bewegſt,

Nicht nur jene Gefilde

Sind mit lachendem Reiz bekraͤnzt;

Auch hier ſtand die Natur, da ſie aus reicher Hand

Ueber Huͤgel und Thal lebende Schoͤnheit goß,

Mit verweilendem Tritte,

Dieſe Thaͤler zu ſchmuͤcken, ſtill.

Sieh den ruhenden See, wie ſein Geſtade ſich,

Dicht vom Walde bedeckt, ſanfter erhoben hat,

Und den ſchimmernden Abend

In der gruͤnlichen Daͤmmrung birgt.

G 2Sieh
[100]
Sieh des ſchattenden Walds Wipfel. Sie neigen ſich.

Vor dem kommenden Hauch lauterer Luͤfte? Nein,

Friedrich koͤmmt in den Schatten!

Darum neigen die Wipfel ſich.

Warum laͤchelt dein Blick? warum ergieſſet ſich

Dieſe Freude, der Reiz heller vom Aug herab?

Wird ſein feſtlicher Name

Schon genannt, wo die Palme weht?

Glaubſt du, daß wir auf das, was auf der Erd’ ihr thut,

Nicht mit forſchendem Blick wachſam herunter ſehn?

Und die Edlen nicht kennen,

Die ſo einſam hier unten ſind?

Da wir, wenn er kaum reift, ſchon den Gedanken ſehn,

Und die werdende That, eh ſie hinuͤbertrit

Vor das Auge des Schauers,

Und nun andre Gebehrden hat!

Kann was feyrlicher denn uns wie ein Koͤnig ſeyn,

Der zwar feurig und jung, dennoch ein Weiſer iſt,

Und, die hoͤchſte der Wuͤrden,

Durch ſich ſelber, noch mehr erhoͤht?

Heil dem Koͤnig! Er hoͤrt, rufet die Stund ihm einſt,

Die auch Kronen vom Haupt, wenn ſie ertoͤnet, wirft,

Unerſchrocken ihr Rufen,

Laͤchelt, ſchlummert zu Gluͤcklichen

Still
[101]
Still hinuͤber! Um ihn ſtehn in Verſammlungen

Seine Thaten umher, jede mit Licht gekroͤnt,

Jede bis zu dem Richter

Seine ſanfte Begleiterin.
[figure]
G 3An
[102]

An Cidli.


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Lang in Trauren vertieft, lernt’ ich die Liebe, ſie

Die der Erden entfloh, aber auch wiederkehrt

Zur geheimeren Tugend,

Wie die erſte der Liebenden

Voller Unſchuld im Hauch duftender Luͤfte kam,

Und mit jungem Gefuͤhl an das Geſtade trat,

Bald ſich ſelbſt mit den Roſen

Von dem Hang des Geſtades ſah.

Die erſchien mir! O Schmerz, da ſie erſchienen war,

Warum trafeſt du mich mit dem gewaltigſten

Deiner zitternden Kummer,

Schwermuthsvoller, wie Naͤchte ſind?

Jahre trafſt du mich ſchon! Endlich (das hoft’ ich nicht)

Sinkt die traurige Nacht, iſt nun nicht ewig mehr,

Und mir wachen mit Laͤcheln

Alle ſchlummernde Freuden auf!

Seyd ihrs ſelber? und taͤuſcht, taͤuſchet mein Herz
mich nicht?

Ach ihr ſeyd es! die Ruh, dieſes Gefuͤhl ſo ſanft

Durch das Leben gegoſſen,

Fuͤhlt ich, als ich noch gluͤcklich war!

Als
[103]
Als … Wie ſtaun’ ich mich an, daß ich itzt wieder bin,

Der ich war! wie entzuͤckt uͤber die Wandlungen

Meines Schickſals, wie dankbar

Wallt mein freudiges Herz in mir!

Nichts Unedles, kein Stolz (ihm iſt mein Herz zu groß!)

Nicht betaͤubtes Gefuͤhl; aber was iſt es denn,

Das mich heitert? O Tugend,

Sanfte Tugend, belohnſt du mich?

Doch biſt du es allein? oder (o darf ichs auch

Mir vertrauen?) entſchluͤpft, Tugend, an deiner Hand

Nicht ein Maͤdchen der Unſchuld

Deinen Hoͤhn, und erſcheinet mir?

Sanft im Traume des Schlafs, ſanfter im wachenden,

Daß ich, wenn es vor mir eilend voruͤber ſchluͤpft,

Stamml’, und ſchweig’, und beginne:

Warum eilſt du? ich liebe dich!

Ach, du kennſt ja mein Herz, wie es geliebet hat!

Gleicht ein Herz ihm? Vielleicht gleichet dein Herz
ihm nur!

Darum liebe mich, Cidli,

Denn ich lernte die Liebe dir!

Dich zu finden, ach dich, lernt’ ich die Liebe, ſie,

Die mein ſteigendes Herz himmliſch erweiterte,

Nun in ſuͤßeren Traͤumen

Mich in Edens Gefilde traͤgt!

G 4Die
[104]

Die Koͤniginn Luiſe.


Da Sie, ihr Name wird im Himmel nur genennet!

Ihr ſanftes Aug’ im Tode ſchloß,

Und, von dem Thron’, empor zum hoͤhern Throne,

In Siegsgewande trat,

Da weinten wir! Auch der, der ſonſt nicht Thraͤnen
kannte,

Ward blaß, erbebt’ und weinte laut!

Wer mehr empfand, blieb unbeweglich ſtehen,

Verſtummt’, und weint’ erſt ſpaͤt.

So ſteht mit ſtarrem Blick, der Marmor auf dem
Grabe;

So ſchauteſt Du Ihr, Friedrich, nach!

Ihr Engel ſah, als er zu Gott Sie fuͤhrte,

Nach deinen Thraͤnen hin.

O, Schmerz! ſtark, wie der Tod! … Wir ſollten
zwar nicht weinen,

Weil Sie ſo groß und edel ſtarb!

Doch weinen wir. Ach, ſo geliebt zu werden,

Wie heilig iſt dieß Gluͤck!

Der Koͤnig ſtand, und ſah, ſah die Entſchlafne liegen,

Und neben ihr den todten Sohn.

Auch er! auch er! O Gott! o, unſer Richter!

Ein Friedrich ſtarb in ihm!

Wir
[105]
Wir beten weinendan. Weil nun nicht mehr ihr Leben

Uns lehrt; ſo lehr uns denn ihr Tod!

O himmliſche, bewundernswerthe Stunde,

Da Sie entſchlummerte!

Dich ſoll der Enkel noch, du Todesſtunde, feyern!

Sie ſey ſein Feſt um Mitternacht!

Voll heiliger tiefeingehuͤllter Schauer,

Ein Feſt der Weinenden!

Nicht dieſe Stunde nur, Sie ſtarb viel lange Tage!

Und jeder war des Todes werth,

Des lehrenden des ehrenvollen Todes,

Den Sie geſtorben iſt.

Die ernſte Stunde kam, in Nebel eingehuͤllet,

Den ſie bey Graͤbern bildete.

Die Koͤniginn, nur ſie, vernimmt den Fußtritt

Der kommenden! nur ſie

Hoͤrt, durch die Nacht herauf, der dunkeln Fluͤgel
Rauſchen,

Den Todeston! da laͤchelt ſie…

Sey ewig, mein Geſang, weil du es ſingeſt,

Daß ſie gelaͤchelt hat!

Und nun ſind Throne nichts, nichts mehr der Erde
Groͤſſen,

Und alles, was nicht ewig iſt!

Zwo Thraͤnen noch! die eine fuͤr den Koͤnig;

Fuͤr ihre Kinder die,

G 5Und
[106]
Und fuͤr die liebende, ſo ſehr geliebte Mutter:

Und dann wird Gott allein geliebt!

Die Erde ſinkt, wird ihr zum leichten Staube;

Und, nun entfchlummert ſie…

Da liegt im Tode ſie, und ſchoͤn des Seraphs Auge,

Der Sie zum Unerſchafnen fuͤhrt.

Indem erblaßt die Wang’, und ſinkt; es troknen

Die letzten Thraͤnen auf!

Schoͤn ſind, und ehrenvoll des Patrioten Wunden!

Mit hoͤhrer Schoͤne ſchmuͤckt der Tod

Den Chriſten! ihn die letzte Ruh! der ſanften

Gebrochnen Augen Schlaf!

Nur wenige verſtehn, was dem fuͤr Ehren bleiben,

Der liegt, und uͤberwunden hat,

Dem ewigen, dem gottgeweihten Menſchen,

Der auferſtehen ſoll!

Fleug, mein Geſang, den Flug unſterblicher Geſaͤnge,

Und ſinge nicht vom Staube mehr!

Zwar heilig iſt ihr Staub; doch ſein Bewohner

Iſt heiliger, als er!

Die hohe Seele ſtand vor Gott. Ihr groſſer Fuͤhrer,

Des Landes Schutzgeiſt, ſtand bey ihr.

Dort ſtrahlt’ es auch, um ſie, an ihrer Seite,

Wo Carolina ſtand.

Die
[107]
Die groſſe Tochter ſah vom neuen Thron herunter,

Sah bey den Koͤnigen ihr Grab;

Der Leiche Pomp. Da ſah ſie auf den Seraph;

So ſprach die Gluͤckliche:

Mein Fuͤhrer, der du mich zu dieſer Wonne fuͤhrteſt,

Die fern von dort, und ewig iſt!

Kehrſt du zuruͤck, wo wir, zum Tod’, itzt werden,

Dann bald unſterblich ſind:

Kehrſt du dorthin zuruͤck, wo du des Landes Schickſal,

Und meines Koͤnigs Schickſal, lenkſt;

So folg’ ich dir. Ich will ſanft um dich ſchweben,

Mit dir, ſein Schutzgeiſt ſeyn!

Wenn du unſichtbar dich den Einſamkeiten naͤherſt,

Wo er um meinen Tod noch klagt;

So troͤſt’ ich ſeinen Schmerz mit dir! ſo lispl’ ich

Ihm auch Gedanken zu!

Mein Koͤnig, wenn du fuͤhlſt, daß ſich ein ſanfters Leben,

Und Ruh, durch deine Seele gießt;

So war ichs auch, die dir, in deine Seele,

Der Himmel Frieden goß!

O, moͤchten dieſe Hand, und dieſe hellen Locken,

Dir ſichtbar ſeyn; ich trocknete,

Mit dieſer Hand, mit dieſen goldnen Locken,

Die Thraͤnen, die du weinſt!

O,
[108]
O, weine nicht! Es iſt, in dieſem hoͤhern Leben,

Fuͤr ſanfte Menſchlichkeit viel Lohn,

Viel groſſer Lohn! und Kronen bey dem Ziele,

Das ich ſo fruͤh ergrif!

Du eilſt mit hohem Blick, doch laͤnger iſt die Laufbahn!

Mein Koͤnig, dieſem Ziele zu!

Die Menſchlichkeit, dieß groͤßte Lob der Erde!

Ihr Gluͤck, ihr Lob iſt dein.

Ich ſchwebe jeden Tag, den du, durch ſie, verewigſt,

Dein ganzes Leben, um dich her!

Auch dieß iſt Lohn des fruͤherrungnen Zieles,

Zu ſehen, was du thuſt.

Ein ſolcher Tag iſt mehr, als viele lange Leben,

Die ſonſt ein Sterblicher verlebt!

Wer edel herrſcht, hat doch, ſtuͤrb’ er auch fruͤher,

Jahrhunderte gelebt!

Ich ſchreibe jede That, hier wurd ihr Antlitz heller,

Und himmliſchlaͤchelnd ſtand ſie auf,

Ins groſſe Buch, woraus einſt Engel richten;

Und nenne ſie vor Gott!
[figure]
Her-
[109]

Hermann und Thusnelda.


[figure]
Ha! dort koͤmmt er mit Schweiß, mit Roͤmerblute,

Mit dem Staube der Schlacht bedeckt! ſo ſchoͤn war

Hermann niemals! So hats ihm

Niemals vom Auge geflammt!

Komm! ich bebe vor Luſt! Reich mir den Adler

Und das triefende Schwert! komm, athm’, und ruhe,

Hier in meiner Umarmung

Aus von der donnernden Schlacht!

Ruh hier, daß ich den Schweiß der Stirn abtrokne,

Und der Wange das Blut! Wie gluͤht die Wange!

Hermann! Hermann! ſo hat dich

Niemals Thusnelda geliebt!

Selbſt nicht, da du zuerſt in Eichenſchatten

Mit dem braͤunlichen Arm mich wilder faßteſt!

Fliehend blieb ich, und ſah dir

Schon die Unſterblichkeit an,

Die nun dein iſt! Erzaͤhlts in allen Hainen,

Daß Auguſtus nun bang mit ſeinen Goͤttern

Nektar trinket! Daß Hermann

Hermann unſterblicher iſt!

War-
[110]
Warum lockſt du mein Haar? Liegt nicht der ſtumme

Todte Vater vor uns? O haͤtt’ Auguſtus

Seine Heere gefuͤhrt, Er

Laͤge noch blutiger da!

Laß dein ſinkendes Haar mich, Hermann, heben,

Daß es uͤber dem Kranz in Locken drohe!

Siegmar iſt bey den Goͤttern!

Folg du, und wein’ ihm nicht nach!
[figure]
Fra-
[111]

Fragen.


[figure]
Veracht ihn, Leyer, welcher den Genius

In ſich verkennet! und zu des Albion

Zu jedem edlern Stolz unfaͤhig,

Fern, es zu werden, noch immer nachahmt!

Soll Hermanns Sohn, und, Leibniz, dein Zeitgenoß,

(Des Denkers Leben lebet noch unter uns!)

Soll der in Ketten denen nachgehn,

Welchen er kuͤhner voruͤber floͤge?

Und doch die Wange niemals mit gluͤhender

Schamvoller Roͤthe faͤrben? nie feuriger,

Sieht er des Griechen Flug, ausrufen:

Wurde nur er ein Poet gebohren?

Nicht zuͤrnend weinen, weinen vor Ehrbegier,

Wenn ers nicht ausrief? gehn, und um Mitternacht

Auffahren? nicht, an ſeiner Kleinmuth,

Sich, durch unſterbliche Werke, raͤchen?

Zwar, werther Hermanns, hat die beſtaͤubte Schlacht

Uns oft gekroͤnet! hat ſich des Juͤnglings Blick

Entflammt! hat laut ſein Herz geſchlagen,

Brennend nach kuͤhnerer That gedurſtet?

Des
[112]
Des Zeug’ iſt Hoͤchſted, dort, wo die dunkle Schlacht

Noch donnert, wo, mit edlen Britanniern,

Gleich wuͤrdig ihrer groſſen Vaͤter,

Deutſche den Galliern Flucht geboten!

Das Werk des Meiſters, welches von hohem Geiſt

Gefluͤgelt hinſchwebt, iſt, wie des Helden That,

Unſterblich! wird, gleich ihr, den Lorber

Maͤnnlich verdienen, und niederſehen!
[figure]
An
[113]

An Young.


[figure]
Stirb, prophetiſcher Greis, ſtirb! denn dein Pal-
menzweig

Sproßte lang ſchon empor; daß ſie dir rinnen, ſtehn

Schon der freudigen Thraͤnen

Viel im Auge der Himmliſchen.

Du verweilſt noch? und haſt hoch an die Wolken hin

Schon dein Denkmal gebaut! Denn die geheiligten,

Ereſten, feſtlichen Nachte

Wacht der Freigeiſt mit dir, und fuͤhls,

Daß dein tiefer Geſang drohend des Weltgerichts

Prophezeyhung ihm ſingt! fuͤhlts, was die Weisheit will,

Wenn ſie von der Poſaune

Spricht, der Todtenerweckerin!

Stirb! du haſt mich gelehrt, daß mir der Name Tod,

Wie der Jubel ertoͤnt, den ein Gerechter ſingt.

Aber bleibe mein Lehrer,

Stirb, und werde mein Genius!

HDie
[114]

Die beyden Muſen.


[figure]
Ich ſah, o ſagt mir, ſah ich, was jetzt geſchieht?

Erblickt’ ich Zukunft? mit der britanniſchen

Sah ich in Streitlauf Deutſchlands Muſe

Heiß zu den kroͤnenden Zielen fliegen.

Zwey Ziele graͤnzten, wo ſich der Blick verlor,

Dort an die Laufbahn. Dieſes beſchattete

Des Haines Eiche, jenes weitre

Wehende Palmen im Abendſchimmer.

Gewohnt des Streitlaufs, trat die von Albion

Stolz in die Schranken, ſo wie ſie kam, da ſie

Einſt mit der Maonid’, und jener

Vom Kapitol in den heiſſen Sand trat.

Sie ſah die junge bebende Streiterin;

Doch dieſe bebte maͤnnlich, und gluͤhende

Siegswerthe Roͤthen uͤberſtroͤmten

Flammend die Wang’, und ihr wehend Haar flog.

Schon hielt ſie muͤhſam in der empoͤrten Bruſt

Den engen Athem; hing ſchon hervorgebeugt

Dem Ziele zu; ſchon klang des Herolds

Silberton ihr, und ihr trunkner Blick ſchwamm.

Stolz
[115]
Stolz auf die Kuͤhne, ſtolzer auf ſich, bemaß

Die hohe Brittin, aber mit edlem Blick,

Thuiskons Tochter: Ja bey Barden

Wuchs ich mit dir in dem Eichenhain auf;

Allein ich glaubte, daß du geſtorben waͤrſt!

Verzeih, o Muſe, wenn du unſterblich biſt,

Verzeih, daß ichs erſt jetzo lerne;

Aber am Ziele nur will ichs lernen!

Dort ſteht es! doch o ſiehſt du das weitere,

Und ſeine Kron’ auch? dieſen gehaltnen Muth,

Dieß ſtolze Schweigen, dieſen Blick, der

Feurig zur Erde ſich ſenkt, die kenn’ ich!

Doch eh der Herold dir zu gefahrvoll toͤnt,

Sinn’s nach noch Einmal. Bin es nicht ich, die ſchon

Mit der an Thermopyl geſtritten?

Und mit der hohen der ſieben Huͤgel?

Sie ſprachs. Der groſſe, richtende Augenblick

Kam mit dem Herold naͤher. Ich liebe dich!

Sprach ſchnell mit Flammenblick Teutona,

Brittin, ich liebe dich mit Bewundrung!

Doch dich nicht heiſſer, als die Unſterblichkeit,

Und jene Palmen! ruͤhre, dein Genius

Gebeut ers, ſie vor mir, doch faß’ ich,

Wenn du ſie faſſeſt, dann gleich die Kron’ auch.

H 2Und
[116]
Und o! wie beb’ ich! o ihr Unſterblichen!

Vielleicht erreich’ ich fruͤher das hohe Ziel!

Dann mag, o dann, an meine leichte

Fliegende Locke, dein Athem hauchen!

Der Herold klang! Sie flogen mit Adlereil.

Die weite Laufbahn ſtaͤubte, wie Wolken, auf.

Ich ſah: Vorbey der Eiche wehte

Dunkler der Staub, und mein Blick verlor ſie!
[figure]
An
[117]

An Cidli.


Unerforſchter, als ſonſt etwas den Forſcher taͤuſcht,

Iſt ein Herz, das die Lieb’ empfand,

Sie, die wirklicher Werth, nicht der vergaͤngliche

Unſers dichtenden Traums gebahr,

Jene trunkene Luſt, wenn die erweinete,

Faſt zu ſelige Stunde kommt,

Die dem Liebenden ſagt, daß er geliebet wird!

Und zwo beſſere Seelen nun

Ganz, das erſtemal ganz, fuͤhlen, wie ſehr ſie ſind!

Und wie gluͤcklich! wie aͤhnlich ſich!

Ach, wie gluͤcklich dadurch! Wer der Geliebten ſpricht

Dieſe Liebe mit Worten aus?

Wer mit Thraͤnen? und wer mit dem verweilenden,

Vollem Blick, und der Seele drinn?

Selbſt das Trauren iſt ſuͤß, das ſie verkuͤndete,

Eh die ſelige Stunde kam!

Wenn dieß Trauren umſonſt Eine verkuͤndete;

O dann waͤhlte die Seele falſch,

Und doch wuͤrdig! Das webt keiner der Denker auf,

Was vor Irren ſie damals ging!

Selbſt der kennt ſie nicht ganz, welcher ſie wandelte,

Und verfehlt ſie nur weniger.

Leiſe redets darin: Weil du es wuͤrdig warſt,

Daß du liebteſt, ſo lehrten wir

Dich die Liebe. Du kennſt alle Verwandlungen

Ihres maͤchtigen Zauberſtabs!

Ahm den Weiſen nun nach: Handle! die Wiſſenſchaft,

Sie nur, machte nie Gluͤckliche!

Ich gehorche. Das Thal, Eden nur ſchattete,

Wie es ſchattet, der Lenz im Thal

Wei!t dich! Luͤfte, wie die, welche die Himmliſchen

Sanft umathmen, umathmen dich!

H 3Roſen
[118]
Roſen knoſpen dir auf, daß ſie mit ſuͤſſem Duft

Dich umſtroͤmen! dort ſchlummerſt du!

Wach, ich werfe ſie dir leiſ’ in die Locken hin,

Wach vom Thaue der Roſen auf.

Und … noch bebt mir mein Herz, lange daran verwoͤhnt,

Und … o wache mir laͤchelnd auf!
[figure]
An
[119]

An Cidli.


[figure]
Zeit, Verkuͤndigerin der beſten Freuden,

Nahe ſelige Zeit, dich in der Ferne

Auszuforſchen, vergoß ich

Truͤbender Thraͤnen zu viel!

Und doch kommſt du! O dich, ja Engel ſenden,

Engel ſenden dich mir, die Menſchen waren,

Gleich mir liebten, nun lieben

Wie ein Unſterblicher liebt.

Auf den Fluͤgeln der Ruh, in Morgenluͤften,

Hell vom Thaue des Tags, der hoͤher laͤchelt,

Mit dem ewigen Fruͤhling,

Kommſt du den Himmel herab.

Denn ſie fuͤhlet ſich ganz, und gießt Entzuͤckung

In dem Herzen empor die volle Seele,

Wenn ſie, daß ſie geliebet wird,

Trunken von Liebe, ſichs denkt!

H 4Cidli.
[120]

Cidli.


[figure]
Sie ſchlaͤft. O gieß ihr, Schlummer, gefluͤgeltes

Balſamiſch Leben uͤber ihr ſanftes Herz!

Aus Edens ungetruͤbter Quelle

Schoͤpfe die lichte, kryſtallne Tropfe!

Und laß ſie, wo der Wange die Roͤth’ entfloh,

Dort duftig hinthaun! Und du, o beſſere,

Der Tugend und der Liebe Ruhe,

Grazie deines Olymps, bedecke

Mit deinem Fittig Cidli. Wie ſchlummert ſie,

Wie ſtille! Schweig, o leiſere Saite ſelbſt!

Es welket dir dein Lorberſproͤßling,

Wenn aus dem Schlummer der Cidli liſpelſt!
[figure]
An
[121]

An Gleim.


[figure]
Der verkennet den Scherz, hat von den Grazien

Keine Mine belauſcht, der es nicht faſſen kann,

Daß der Liebling der Freude

Nur mit Sokrates Freunden lacht.

Du verkenneſt ihn nicht, wenn du dem Abendſtern,

Nach den Pflichten des Tags, ſchnellere Fluͤgel giebſt,

Und dem Ernſte der Weisheit

Deine Blumen entgegen ſtreuſt.

Laß den Lacher, o Gleim, lauter dein Lied entweihn!

Deine Freunde verſtehns. Wenige kenneſt du;

Und manch lesbiſches Maͤdchen

Straft des Liedes Entweihungen!

Lacht dem Juͤnglinge nicht, welcher den Flatterer

Zu buchſtaͤblich erklaͤrt! weiß es, wie ſchoͤn ſie iſt!

Zuͤrnt ihn weiſer, und lehrt ihn,

Wie ihr Laͤcheln, dein Lied verſtehn!

Nun verſteht ers; ſie mehr. Aber ſo ſchoͤn ſie iſt,

So empoͤrt auch ihr Herz deinem Geſange ſchlaͤgt:

O ſo kennt ſie doch Gleimen,

Und ſein feuriges Herz nicht ganz!

H 5Sei-
[122]
Seinen brennenden Durſt, Freunden ein Freund zu ſeyn!

Wie er auf das Verdienſt deß, den er liebet, ſtolz,

Edel ſtolz iſt, vom halben,

Kaltem Lobe beleidiget!

Liebend, Liebe gebeut! hier nur die zoͤgernde

Sanfte Maͤßigung haßt, oder, von Friederichs,

Wenn, von Friederichs Preiſe!

Ihm die trunknere Lippe trieft,

Ohne Wuͤnſche nach Lohn; aber auch unbelohnt!

Sprich nur wider dich ſelbſt edel, und ungerecht!

Dennoch beuget, o Gleim, dir

Ihren ſtolzeren Nacken nicht

Deutſchlands Muſe! .. In Flug’ eilend zum hohen Ziel,

Das mit heiligem Sproß Barden umſchatteten,

Hin zum hoͤheren Ziele,

Das der Himmliſchen Palm’ umweht,

Sang die Zuͤrnende mir; toͤnend entſchluͤpfete

Mir die Leyer, als ich drohend die Prieſterin,

Und mit fliegendem Haar ſah,

Und entſcheidendem Ernſt! ſie ſang:

Lern des innerſten Hains Ausſpruch, und lehre den

Jeden Guͤnſtling der Kunſt; oder ich nehme dir

Deine Leyer, zerreiſſe

Ihre Nerven, und haſſe dich!

Wuͤr-
[123]
Wuͤrdig war er, uns mehr, als dein begluͤckteſter

Freyheitshaſſer, o Rom, Octavian zu ſeyn!

Mehr als Ludewig, den uns

Sein Jahrhundert mit aufbewahrt.

So verkuͤndiget’ ihn, als er noch Juͤngling war,

Sein aufſteigender Geiſt! Noch, da der Lorber ihm

Schon vom Blute der Schlacht trof,

Und der Denker gepanzert ging,

Floß der dichtriſche Quell Friedrich entgegen, ihm

Abzuwaſchen die Schlacht! Aber er wandte ſich,

Stroͤmt’ in Haine, wohin ihm

Heinrichs Saͤnger nicht folgen wird!

Sagts der Nachwelt nicht an, daß er nicht achtete,

Was er werth war, zu ſeyn! Aber ſie hoͤrt es doch.

Sagts ihr traurig, und fodert

Ihre Soͤhne zu Richtern auf!
[figure]
An
[124]

An Cidli.


[figure]
Cidli, du weineſt, und ich ſchlummre ſicher,

Wo im Sande der Weg verzogen fortſchleicht;

Auch wenn ſtille Nacht ihn umſchattend decket,

Schlummr’ ich ihn ſicher.

Wo er ſich endet, wo ein Strom das Meer wird,

Gleit’ ich uͤber den Strom, der ſanfter aufſchwillt;

Denn, der mich begleitet, der Gott gebots ihm!

Weine nicht, Cidli.
[figure]
Der
[125]

Der Rheinwein.


[figure]
Odu, der Traube Sohn, der im Golde blinkt,

Den Freund, ſonſt Niemand, lad’ in die Kuͤhlung ein.

Wir drey ſind unſer werth, und jener

Deutſcheren Zeit, da du, edler Alter,

Noch ungekeltert, aber ſchon feuriger

Dem Rheine zuhingſt, der dich mit auferzog,

Und deiner heiſſen Berge Fuͤſſe

Sorgſam mit gruͤnlicher Woge kuͤhlte.

Jetzt, da dein Ruͤcken bald ein Jahrhundert traͤgt,

Verdieneſt du es, daß man den hohen Geiſt

In dir verſtehen lern’, und Catons

Ernſtere Tugend von dir entgluͤhe.

Der Schule Lehrer kennet des Thiers um ihn,

Kennt aller Pflanzen Seele. Der Dichter weiß

So viel nicht; aber ſeiner Roſe

Weibliche Seele, des Weines ſtaͤrkre,

Den jene kraͤnzt, der floͤtenden Nachtigall

Erfindungsvolle Seele, die ſeinen Wein

Mit ihm beſingt, die kennt er beſſer,

Als der Erweis, der von Folgen triefet.

Rhein-
[126]
Rheinwein, von ihnen haſt du die edelſte,

Und biſt es wuͤrdig, daß du des Deutſchen Geiſt

Nachahmſt! biſt gluͤhend, nicht aufflammend,

Taumellos, ſtark, und von leichtem Schaum leer.

Du dufteſt Balſam, wie mit der Abendluft

Der Wuͤrze Blume von dem Geſtade dampft,

Daß ſelbſt der Kraͤmer die Geruͤche

Athmender trinkt, und nur gleitend fortſchift.

Freund! laß die Laub’ uns ſchlieſſen; der Lebensduft

Verſtroͤmet ſonſt, und etwa ein kluger Mann

Moͤcht’ uns beſuchen, breit ſich ſetzen,

Und von der Weisheit wohl gar mit ſprechen.

Nun ſind wir ſicher. Engere Wiſſenſchaft,

Den hellen Einfall, lehr uns des Alten Geiſt!

Die Sorgen ſoll er nicht vertreiben!

Haſt du geweinte, geliebte Sorgen,

Laß mich mit dir ſie ſorgen. Ich weine mit,

Wenn dir ein Freund ſtarb. Nenn ihn. So ſtarb er mir!

Das ſprach er noch! Nun kam das letzte,

Letzte Verſtummen! nun lag er todt da!

Von allem Kummer, welcher des Sterblichen

Kurzſichtig Leben nervenlos niederwirft,

Waͤrſt du, des Freundes Tod! der truͤbſte;

Waͤr ſie nicht auch die Geliebte ſterblich!

Doch
[127]
Doch wenn dich, Juͤngling, andere Sorg’ entflammt,

Und dirs zu heiß wird, daß du der Barden Gang

Im Haine noch nicht gingſt, dein Name

Noch unerhoͤht mit der groſſen Fluth fleußt;

So red’! In Weisheit wandelt ſich Ehrbegier,

Waͤhlt jene. Thorheit iſt es, ein kleines Ziel

Das wuͤrdigen, zum Ziel zu machen,

Nach der unſterblichen Schelle laufen!

Noch viel Verdienſt iſt uͤbrig. Auf, hab es nur;

Die Welt wirds kennen. Aber das edelſte

Iſt Tugend! Meiſterwerke werden

Sicher unſterblich; die Tugend ſelten!

Allein ſie ſoll auch dieſer Unſterblichkeit

Nur wenig achten! … Athme nun auf, und trink.

Wir wollen viel von groſſen Maͤnnern,

Eh ſich der Schatten verlaͤngt, noch reden!
[figure]
An
[128]

An Cidli.


[figure]
Der Liebe Schmerzen, nicht der erwartenden

Noch ungeliebten, die Schmerzen nicht,

Denn ich liebe, ſo liebte

Keiner! ſo werd ich geliebt!

Die ſanftern Schmerzen, welche zum Wiederſehn

Hinblicken, welche zum Wiederſehn

Tief aufathmen, doch liſpelt

Stammelnde Freude mit auf!

Die Schmerzen wollt ich ſingen. Ich hoͤrte ſchon

Des Abſchieds Thraͤnen am Roſenbuſch

Weinen! weinen der Thraͤnen

Stimme die Saiten herab!

Doch ſchnell verbot ich meinem zu leiſem Ohr

Zuruͤck zu horchen! die Thraͤne ſchwieg,

Und ſchon waren die Saiten

Klage zu ſingen verſtummt!

Denn ach, ich ſah dich! trank die Vergeſſenheit

Der ſuͤſſen Taͤuſchung mit feurigem

Durſte! Cidli, ich ſahe

Dich, du Geliebte! dich Selbſt!

Wie ſtandſt du vor mir, Cidli, wie hing mein Herz

An deinem Herzen, Geliebtere,

Als die Liebenden lieben!

O die ich ſuchet’, und fand!

Drit-
[[129]]

Drittes Buch.


JDas
[[130]][131]

Das neue Jahrhundert.


Weht ſanft auf ihren Gruͤften, ihr Winde!

Und hat ein unwiſſender Arm

Ausgegraben den Staub der Patrioten,

Verweht ihn nicht!

Veracht’ ihn, Leyer, wer ſie nicht ehrt!

Und ſtammt’ er auch aus altem Heldenſtamme, ver-
acht’ ihn!

Sie entriſſen uns der hundertkoͤpfigen Herrſchſucht.

Und gaben uns Einen Koͤnig!

O Freyheit!

Silberton dem Ohre!

Licht dem Verſtand, und hoher Flug zu denken!

Dem Herzen groß Gefuͤhl!

O Freyheit! Freyheit! nicht nur der Demokrat

Weiß, wer du biſt,

Des guten Koͤnigs gluͤcklicher Sohn

Der weiß es auch.

Nicht allein fuͤr ein Vaterland,

Wo das Geſetz, und Hunderte herſchen,

Auch fuͤr ein Vaterland,

Wo das Geſetz, und Einer herſcht,

Erſteigt, wem dieſen Tod ſein groſſes Herz verdienk,

Ein hohes Thermopylaͤ,

Oder einen andern Altar des Ruhms,

Und lockt ſein Haar, und ſtirbt!

J 2Unſ
[132]
Unſterblichkeit dir!

Mit Biumenkraͤnzen umwindet

Die Muſe dein heiliges blutiges Haar!

Und weinet Mutterthranen dir nach!

Suͤß und ehrenvoll iſts, ſterben fuͤr das Vaterland!

Fuͤr Friederich!

Und fuͤr des groſſen Vaters

Gluͤckliche Kinder, ſein Volk!

Ich ſeh’, ich ſeh’, ein Geiſt der Patrioten

Entflammet der Krieger Schaar!

Du flieſſeſt, du flieſſeſt,

Blut fuͤr das Vaterland!

Namen jetzt nicht bekannter, als andre Namen ſind,

Fliegen wie Adler empor!

Die Mutter und die Braut troknen die bebende
Thraͤne ſchnell,

Denn des Todten Verdienſt entweihten Thraͤnen!

Allein mit Weisheit, die maͤnnlicher,

Mit Vaterliebe, die edler, als Muth zu kriegen, iſt,

Haͤlt Friederich ſein Schwerdt zuruͤck.

Europa donnert! er ſchweigt.

Dank dir! unſer Vater,

Daß wir dein Feſt, und unſer Feſt,

Unter des ſegentriefenden Friedens

Beſchattenden Fittigen feyern!

Nicht
[133]
Nicht mit der laͤrmenden Pracht

Der Freude, die nur ſchimmert, und toͤnt,

Nein, deiner wuͤrdiger, Friederich,

Mit tiefanbetendem Preiſe des Weltbeherrſchers,

Der uns dich, und deine Vaͤter gab,

Mit ſtiller Ruh feyern wir,

Mit Freude tief im Herzen,

Und ihrer entzuͤckenden Thraͤne!

Entſchlafnes Jahrhundert!

Hebe dein niedergeſunkenes Haupt noch einmal empor,

Und gib dem neuen Jahrhundert

Den Segen, den du hatteſt!

Es hebt aus ſeinem Grabe ſich auf,

Und ſegnet:

Nur Friederich und Chriſtian

Sollen das neue Jahrhundert begluͤcken!

Das flehen wir, und unſre Kinder,

Vorſehung an! dich,

Dich an, die jetzt die Voͤlker

Machtig erinnert, ſie herrſche!

Hoͤrt ihr der Herrſcherin donnernde Wage nicht klingen?

In ihren furchtbaren Klang

Schreyen Blut und Elend!

Nur wenige ſingen von Frieden darein!

J 3Die
[134]
Die donnerde Wage toͤnet fort, und waͤgt!

Ein Sandkorn mehr, jetzt in die Eine,

Dann in die andere Schaale,

Iſt Sieg voll Blut und Elend!

Noch werden der Krieger Stolzeſte ſagen: Nicht deine
bruͤllende Tode

Schrecken mich, nicht deine Wetter, Schlacht!

Aber das Sinken und Steigen der goͤttlichen
Wagſchaal,

Und ihr Todeston ſchrecken mich!

OVorſehung, beſchleuß doch endlich,

Endlich die blutigen

Wieder beſiegten Siege,

Mit Einem, der Friede gebeut!

So wollen unſer Vater, und wir,

Er, daß er uns liebet!

Wir, daß wir ihn lieben!

Ohne Wehmuth uns freun!

Wie gluͤcklich ſind wir!

Weht uͤber der Patrioten Gebeinen, ihr Winde, ſanft!

Auch an Friedrichs ungehinderter Gnade

Haben ſie Theil!

Odu, das uns mit jeder froͤhlichen Hofnung umlaͤchelt,

Feſtliches erſtes Jahr!

Mit dem Fluͤgel der Sommermorgenroͤthe,

Schwebſt du dem Tage voran!

Aga-
[135]

Aganippe und Phiala.


[figure]
Wie der Rhein durchs hoͤhere Thal fern herkommt

Rauſchend, als kaͤm Wald und Felſen mit ihm,

Hochwogig erhebt ſich ſein Strom,

Wie das Weltmeer die Geſtade

Mit erhobner Woge beſtuͤrmt! Als donnr’ er,

Rauſchet der Strom, ſchaͤumet, ſtuͤrzt ſich herab

Ins Blumengefild, und im Fall

Wird er Silber, das empor ſtaͤubt.

So ertoͤnt, ſo ſtroͤmt der Geſang, Thuiskon,

Deines Geſchlechts. Tief lags, Vater, und lang

In ſaͤumendem Schlaf, unerweckt

Von dem Aufſchwung und dem Tonfall

Des Apollo, wenn, der Poet Achaͤa’s,

Phoͤbus Apoll Lorbern, und dem Eurot

Geſaͤnge des hoͤheren Flugs

In dem Lautmaaß der Natur ſang,

J 4Und
(Phiala)
[136]
Und den Hain ſie lehrt’, und den Strom. Weit-
rauſchend

Hallteſt du’s ihm, Strom, nach; Lorber, und du

Gelinde mit liſpelndem Wehn,

Wie das Echo des Eurotas.

Und Thuiskons Enkel entſprang tieftraͤumend,

Eiſerner Schlaf, dir nicht … eiſerner Schlaf!

Dir nicht, und erhabner erſcholl

Aus den Palmen um Phiala

Doch ihm auch Prophetengeſang! Kaum ſtammelnd

Hoͤrt’ er ihn ſchon! Fruh ſang, ſelber entflammt,

Die Mutter dem Knaben ihn vor,

Und dem Juͤngling, daß er ſtaunte!

Mit dem Schilfmeer brauſt’ er! erſcholl vom Griſim,

Donnert’ am Bach Kiſon, toͤnt’ auf der Hoͤh

Moria, daß laut von dem Pſalm

Vom Hoſanna ſie erbebte!

An dem Rebenhuͤgel, ergoß die Klage

Sulamiths ſich, Wehmuth, uͤber dem Graun

Des Tempels in Truͤmmern, der Stadt

In der Huͤlle des Entſetzens!
[figure]
Kai-
[137]

Kaiſer Heinrich.


[figure]
Laß unſre Fuͤrſten ſchlummern in ſanftem Stuhl,

Vom Hoͤfling rings umraͤuchert, und unberuͤhmt,

So jetzo, und im Marmorſarge

Einſt noch vergeßner, und unberuͤhmter!

Frag nicht des Tempels Halle, ſie nennte dir

Mit goldnem Munde Namen, die keiner kennt;

Bey dieſen unbekraͤnzten Graͤbern

Mag der Heralde, ſich wundernd, weilen!

Laß dann, und jetzt ſie ſchlummern! Es ſchlummert ja

Mit ihnen der ſelbſt, welcher die blutigen

Siegswerthen Schlachten ſchlug, zufrieden,

Daß er um Galliens Lorbern irrte.

Zur Wolke ſteigen, rauſchen wie Leyerklang

Der deutſchen Dichter Haine, Begeiſterer

Wehn nah am Himmel ſie. Ihr ſelbſt auch

Fremdling, durchdrang er die Lorberhoͤh nicht.

J 5Schnell
[138]
Schnell Fluß, und Strom ſchnell, ſtuͤrzen, am Ei-
chenſtamm,

In deinem Schatten, Palme, die Quellen fort.

Nicht mit der Rechte ſchoͤpft der Dichter,

Feuriger, leckt er die Silberquellen!

Wer ſind die Seelen, die in der Haine Nacht

Herſchweben? Ließt ihr, Helden, der Todten Thal?

Und kamt ihr, eurer ſpaͤten Enkel

Rachegeſang an uns ſelbſt zu hoͤren?

Denn ach wir ſaͤumten! Jetzo erſchrecket uns

Der Adler keiner uͤber der Wolkenbahn.

Des Griechen Flug nur iſt uns fuͤrchtbar,

Aber die Religion erhoͤht uns

Weit uͤber Hoͤmus, und, Aganippe, dich!

Poſaun’, und Harfe toͤnen, wenn ſie beſeelt;

Und tragiſcher, wenn ſie ihn leitet,

Hebet, o Sophokles, dein Kothurn ſich.

Und wer iſt Pindar gegen dich, Bethlems Sohn,

Du Hirt, und o du Sieger des Dagonit,

O Iſaͤide, Saͤnger Gottes,

Der den Unendlichen ſingen konnte!

Hoͤrt uns, o Schatten! Himmelan ſteigen wir

Mit Kuͤhnheit. Urtheil blickt ſie, und kennt den Flug.

Das Maaß in ſichrer Hand, beſtimmen

Wir den Gedanken, und ſeine Bilder.

Biſt
[139]
Biſt du, der Erſte, nicht der Eroberer

Am leichenvollen Fluß? und der Dichter Freund?

Ja, du biſt Karl! … Verſchwind, o Schatten,

Welcher uns mordend zu Chriſten machte! …

Trit, Barbaroſſa, hoͤher als er empor.

Dein iſt des Vorfahrs edler Geſang! Denn Karl

Ließ, ach umſonſt, der Barden Kriegshorn

Toͤnen dem Auge. Sie liegt verkennet

In Nachtgewoͤlben unter der Erde wo

Der Moͤncheinoͤden, klaget nach uns herauf

Die farbenhelle Schrift, geſchrieben,

Wie es erfand, der zuerſt dem Schall gab

In Hermanns Vaterlande Geſtalt, und gab

Altdeutſchen Thaten Rettung vom Untergang!

Bey Truͤmmern liegt die Schrift, des ſtolzen

Franken Erfindung, und bald in Truͤmmern,

Und ruft, und ſchuͤttelt, hoͤrſt du es, Cellner, nicht?

Die goldnen Buckeln, ſchlaͤgt an des Bandes Schild

Mit Zorn! Den, der ſie hoͤret, nenn’ ich

Dankend dem froheren Widerhalle!

Du
(Zuerst dem Schall)
[140]
Du ſangeſt ſelbſt, o Heinrich: Mir ſind das Reich

Und unterthan die Lande, doch mißt’ ich eh

Die Kron’, als Sie! erwaͤhlte beydes

Acht mir und Bann, eh ich ſie verloͤre!

Wenn jetzt du lebteſt, edelſter deines Volks,

Und Kaiſer! wuͤrdeſt du, bey der Deutſchen Streit

Mit Hoͤmus Dichtern, und mit jenen

Vom Kapitol, unerwecklich ſchlummern?

Du ſaͤngeſt ſelber, Heinrich: Mir dient, wer blinkt

Mit Pflugſchar, oder Lanze, doch mißt’ ich eh

Die Kron’, als Muſe, dich! und euch, ihr

Ehren, die laͤnger, als Kronen ſchmuͤcken!
[figure]
Die
[141]

Die Zukunft.


[figure]
Himmliſcher Ohr hoͤrt das Getoͤn der bewegten

Sterne; den Gang, den Seleno und Pleione

Donnern, kennt es, und freut hinhoͤrend

Sich des gefluͤgelten Halls,

Wenn des Planets Pole ſich drehn, und im Kreislauf

Walzen, und wenn, die im Glanze ſich verbargen,

Um ſich ſelber ſich drehn! Sturmwinde

Rauſchen, und Meere dann her!

Heſperus Meer, Meere des Monds, und der
Erd’, ihr

Sanfter, allein wie erhebt ſichs im Bootes,

O wie thuͤrmt es empor! Hochwogig

Donnerts am Felſengeſtad!

Lauter noch ſchwebt dort der Altar, und die goldne

Koͤnigin dort, mit dem Palmzweig in der Rechte!

Lauter ſchwingt ſich der Schwan, und lauter

Wehet die Roſe daher.

Pſalmen-
[142]
Pſalmengeſang toͤnet darein! Die erhabnen

Feyrer am Thron, die Gerechten und Vollkomm-
nen

Singen Jubel und Preis! Anbetung!

Danken, ſie koͤnnen es, Gott!

Ahndung in mir, dunkles Gefuͤhl der Entzuͤckung,

Welche den Staub an dem Staub einſt unaus-
ſprechlich

Troͤſten ſoll, o Gefuͤhl, Weiſſager

Inniger ewiger Ruh,

Liſpel, entflohn jenem Geſang der entflammten

Soͤhne des Heils, o, beſuch oft die beladnen

Erdewanderer, komm mildthaͤtig,

Trockne des Weinenden Blick!

Strahlendes Heer, Welten! iſt auch ein Erſchaffner

Irgendwo noch, wie der Menſch, ſchwach? Es er-
ſchreckt uns

Unſer Retter, der Tod! Sanft kommt er

Leiſ’ in Gewoͤlke des Schlafs;

Aber er bleibt fuͤrchterlich uns, und wir ſehn nur

Nieder ins Grab, ob er gleich uns zur Vollendung

Fuͤhrt, aus Huͤllen der Nacht hinuͤber

Nach der Erkenntniſſe Land!

Von
[143]
Von der Geduld ſteinigem Pfad’ in ein heitres

Wonnegefild! Zur Geſellſchaft der Vollkommnen!

Aus dem Leben, das bald durch Felſen

Zoͤgernder flieſſet, und bald

Fluͤchtiger da, wo, zu verbluͤhn, die bekraͤnzten

Fruͤhling’ ihr Haupt in des Thaus Glanz und
Geruͤchen

Schimmernd heben; es ſpiel’ hinunter,

Oder es ſaͤume, Geſchwaͤtz!
[figure]
Siona.
[144]

Siona.


[figure]
Toͤne mir, Harfe des Palmenhains,

Der Lieder Geſpielin, die David ſang!

Es erhebt ſteigender ſich Sions Lied,

Wie des Quells, welcher des Hufs Stampfen
entſcholl.

Hoͤher in Wolken., o Palmenhain,

Erblickſt du das Thal, wie der Lorberwald!

Und entſenkſt Schatten, herab auf den Wald,

Dem Gewoͤlk, welches dich deckt, Palme, mit
Glanz.

Tanze, Siona, Triumph einher!

Am Silbergeliſpel Phiala trit

Sie hervor! ſchwebet in Tanz! fuͤhlts, wie du

Sie erhebſt, Religion deſſen, der iſt!

Seyn wird! und war! Der Erhabnen weht

Sanft Rauſchen vom Wipfel der Palme nach.

An dem Fall, welchen du toͤnſt, reiner Quell

Des Kryſtals, rufen ihr nach Berge Triumph!

Feuri-
[145]
Feuriger blickt ſie! Ihr Haupt umkraͤnzt

Die Roſe Sarona, des Blumenthals.

Ihr Gewand flieſt, wie Gewoͤlk, ſanft um ſie,

Wie des Tags Fruͤhe gefaͤrbt, Purpur und Gold.

Liebevoll ſchauet, o Sulamith

Siona, mein Blick dir, und freudig nach!

Es erfuͤllt Wehmuth und Ruh, Wonn’ erfuͤllt

Mir das Herz, wenn du dein Lied, Himm-
liſche, ſingſt.

Hoͤrt ihr? Siona begint! Schon rauſcht

Der heilige Hain von dem Harfenlaut!

Des Kryſtalls Quelle vernimmts, horcht, und ſteht;

Denn es wehn Liſpel im Hain rings um ſie her.

Aber itzt ſtuͤrzt ſie die Well’ herab

Mit freudiget Eil! Denn Siona nimmt

Die Poſaun’, haͤlt ſie empor, laͤßt ſie laut

Im Gebirg’ hallen! und ruft Donner ins Thal!
[figure]
KDer
[146]

Der Nachahmer.


[figure]
Schrecket noch andrer Geſang dich, o Sohn Teutons,

Als Griechengeſang; ſo gehoͤren dir Hermann,

Luther nicht an, Leibniz, jene nicht an,

Welche des Hains Weihe verbarg,

Barde, ſo biſt du kein Deutſcher! ein Nachahmer

Belaſtet vom Joche, verkennſt du dich ſelber!

Keines Geſang ward dir Marathons Schlacht!

Naͤcht’ ohne Schlaf hatteſt du nie!
[figure]
Spon-
[147]

Sponda.


[figure]
Der Deutſchen Dichter Hainen entweht

Der Geſang Alcaͤus und des Homer.

Deinen Gang auf dem Kothurn, Sophokles,

Meidet, und geht Jambanapaͤſt.

Viel hats der Reize, Cynthius Tanz

Zu ereilen, und der Hoͤrer belohnts;

Dennoch hielt lieber den Reihn Teutons Volk,

Welchen voran Bragor einſt flog.

Doch ach verſtummt in ewiger Nacht

Iſt Bardiet! und Skofliod! und verhallt

Euer Schall, Telyn! Triomb! Hochgeſang,

Deinem ſogar klagen wir nach!

O Sponda! rufet nun in dem Hain

Des ruinentflohnen Griechen Gefaͤhrt,

Sponda! dich ſuch’ ich zu oft, ach! umfonſt;

Horche nach dir, finde dich nicht!

K 2Wo,
(Skofliod)
(Triombon)
(Hochsang)
[148]
Wo, Echo, wallt ihr toͤnender Schritt?

Und in welche Grott’ entfuͤhrteſt du ſie,

Sprache, mir? Echo, du rufſt ſanft mir nach,

Aber auch dich hoͤret ſie nicht.

Es draͤngten alle Genien ſich

Der entzuͤckten Harmonie um ihn her.

Riefen auch, klagten mit ihm, aber Stolz

Funkelt’ im Blick einiger auch.

Erhaben trat der Daktylos her:

Bin ich Herſcher nicht im Liede Maͤoons?

Rufe denn Sponda nicht ſtets, bilde mich

Oft zu Homers fliegendem Hall.

Und hoͤrte nicht Choreos dich ſtets?

Hat er oft nicht Sponda’s ſchwebenden Gang?

Geht ſie denn, Kretikos toͤnt’s, meinen Gang?

Dir, Choriamb, weich’ ich allein!

Da ſang der Laute Silbergeſang

Choriambos: Ich bin Smintheus Apolls

Liebling! mich lehrte ſein Lied Hain und Strom,

Mich, da es flog nach dem Olymp.

Erkohr nicht Smintheus Pindarus mich

Anapaͤſt, da er der Saite Getoͤn

Liſpeln ließ? Jambos, Apolls alter Freund,

Hielt ſich nicht mehr, zuͤrnt’, und begann.

Und
[149]
Und geh nicht ich den Gang des Kothurns?

Wo … Baccheos ſchritt in lyriſchem Tanz:

Stolze, ſchweigt! Ha, Choriamb, toͤnteſt du,

Daktylos, du, toͤnt’ ich nicht mit?

Mit leichter Wendung eilten daher

Didymaͤos, und Paͤone daher:

Floͤge Thyrſ’ und Dithyramb ſchnell genung,

Riſſen ihn nicht wir mit uns fort.

Ach, Sponda! rief der Dichter, und hieß

In den Hain nach ihr Pyrrhichios gehn.

Fluͤchtig ſprang, ſchluͤpft’ er dahin! Alſo wehn

Bluͤthen im May Weſte dahin.

Denn, Sponda, du begleiteſt ihn auch

Der Bardiete vaterlaͤndiſchen Reihn,

Wenn ihn mir treffend der Fels toͤnt’, und mich

Nicht die Geſtalt taͤuſchte, die ſang.
[figure]
K 3Thuis-
[150]

Thuiskon.


[figure]
Wenn die Strahlen vor der Daͤmmrung nun entfliehn,
und der Abendſtern

Die ſanfteren, entwoͤlkten, die erfriſchenden Schim̃er nun

Nieder zu dem Haine der Barden ſenkt,

Und melodiſch in dem Hain die Quell’ ihm ertoͤnt;

So entſenket die Erſcheinung des Thuiskon, wie Sil-
ber ſtaͤubt

Von fallendem Gewaͤſſer, ſich dem Himmel, und
kommt zu euch,

Dichter, und zur Quelle. Die Eiche weht

Ihm Geliſpel. So erklang der Schwan Venuſin

Da verwandelt er dahin flog. Und Thuiskon ver-
nimmts, und ſchwebt

In wehendem Geraͤuſche des begruͤſſenden Hains,
und horcht;

Aber nun empfangen, mit lauterm Gruß,

Mit der Sait’ ihm und Geſang, die Enkel um ihn.

Melodieen, wie der Leyer in Walhalla, ertoͤnen ihm

Des wechſelnden, des kuͤhneren, des deutſcheren Odeflugs,

Welcher, wie der Adler zur Wolk’ itzt ſteigt,

Dann herunter zu der Eiche Wipfel ſich ſenkt.

Der
[151]

Der Eislauf.


[figure]
Vergraben iſt in ewige Nacht

Der Erfinder groſſer Name zu oft!

Was ihr Geiſt gruͤbelnd entdeckt, nutzen wir;

Aber belohnt Ehre ſie auch?

Wer nannte dir den kuͤhneren Mann,

Der zuerſt am Maſte Segel erhob?

Ach! verging ſelber der Ruhm deſſen nicht;

Welcher dem Fuß Fluͤgel erfand?

Und ſollte der unſterblich nicht ſeyn,

Der Geſundheit uns und Freuden erfand,

Die das Roß muthig im Lauf niemals gab;

Welche der Ball ſelber nicht hat?

Unſterblich iſt mein Name dereinſt!

Ich erfinde noch dem ſchluͤpfenden Stahl

Seinen Tanz! Leichteren Schwungs fliegt er hin

Kreiſet umher, ſchoͤner zu ſehn.

Du nenneſt jeden reizenden Ton

Der Muſik, drum gieb dem Tanz Melodie!

Mond, und Wald hoͤre den Schall ihres Horns

Wenn ſie des Flugs Eile gebeut.

K 4O
[152]
O Juͤngling, der den Waſſerkothurn

Zu beſeelen weiß, und fluͤchtiger tanzt,

Laß der Stadt ihren Kamin! Komm mit mir,

Wo des Kryſtalls Ebne dir winkt!

Sein Licht hat er in Duͤfte gehuͤllt,

Wie erhellt des Winters werdender Tag

Sanft den See! Glaͤnzenden Reif, Sternen gleich,

Streute die Nacht uͤber ihn aus!

Wie ſchweigt um uns das weiſſe Gefild!

Wie ertoͤnt vom jungem Froſte die Bahn!

Fern verraͤth deines Kothurns Schall dich mir,

Wenn du dem Blick, Fluͤchtling, enteilſt.

Wir haben doch zum Schmauſe genung

Von des Halmes Frucht? und Freuden des Weins?

Winterluft reizt die Begier nach dem Mahl;

Fluͤgel am Fuß reizen ſie mehr!

Zur Linken wende du dich, ich will

Zu der Rechten hin halbkreiſend mich drehn.

Nimm den Schwung, wie du mich ihn nehmen
ſiehſt.

Alſo! nun fleug ſchnell mir vorbey!

So gehen wir den ſchlaͤngelnden Gang

An dem langen Ufer ſchwebend hinab.

Kuͤnſtle nicht! Stellung, wie die, lieb’ ich nicht,

Zeichnet dir auch Preisler nicht nach.

Was
[153]
Was horchſt du nach der Inſel hinauf?

Unerfahrne Laͤufer toͤnen dort her!

Huf’ und Laſt gingen noch nicht uͤbers Eis,

Netze noch nicht unter ihm fort.

Sonſt ſpaͤht dein Ohr ja alles, vernimm

Wie der Todeston wehklagt auf der Flut!

O, wie toͤnts anders! wie hallts, wenn der Froſt

Meilen hinab ſpaltet den See!

Zuruͤck! Laß nicht die ſchimmernde Bahn

Dich verfuͤhren, weg vom Ufer zu gehn!

Denn wo dort Tiefen ſie deckt, ſtroͤmts vielleicht,

Sprudeln vielleicht Quellen empor.

Den ungehoͤrten Wogen entſtroͤmt,

Dem geheimen Quell entrieſelt der Tod!

Glittſt du auch leicht, wie dieß Laub, ach! dorthin;

Saͤnkeſt du doch, Juͤngling, und ſtuͤrbſt!
[figure]
K 5Der
[154]

Der Juͤngling.


[figure]
Schweigend ſahe der May die bekraͤnzte

Leicht wehende Lock’ im Silberbach;

Roͤthlich war ſein Kranz, wie des Aufgangs,

Er ſah ſich, und laͤchelte ſanft.

Wuͤthend kam ein Orcan am Gebirg’ her!

Die Eſche, die Tann’, und Eiche brach,

Und mit Felſen ſtuͤrzte der Ahorn

Vom bebenden Haupt des Gebirgs.

Ruhig ſchlummert’ am Bache der May ein,

Ließ raſen den lauten Donnerſturm!

Lauſcht’, und ſchlief, beweht von der Bluͤthe,

Und wachte mit Heſperus auf.

Jetzo fuͤhlſt du noch nichts von dem Elend,

Wie Grazien lacht das Leben dir.

Auf! und wafne dich mit der Weisheit!

Denn, Juͤngling, die Blume verbluͤht!

Die
[155]

Die fruͤhen Graͤber.


[figure]
Willkommen, o ſilberner Mond,

Schoͤner, ſtiller Gefaͤhrt der Nacht!

Du entfliehſt? Eile nicht, bleib, Gedankenfreund!

Sehet, er bleibt, das Gewoͤlk wallte nur hin.

Des Mayes Erwachen iſt nur

Schoͤner noch, wie die Sommernacht,

Wenn ihm Thau, hell wie Licht, aus der Locke
traͤuft,

Und zu dem Huͤgel herauf roͤthlich er koͤmmt.

Ihr Edleren, ach es bewaͤchſt

Eure Maale ſchon ernſtes Moos!

O wie war gluͤcklich ich, als ich noch mit euch

Sahe ſich roͤthen den Tag, ſchimmern die
Nacht.
[figure]
Schlacht-
[156]

Schlachtgeſang.


[figure]
Wie erſcholl der Gang des lauten Heers

Von dem Gebirg in das Thal herab,

Da zu dem Angriff bey dem Waldſtrom das
Kriegslied

Zu der vertilgenden Schlacht und dem Siege
den Befehl rief!

Mit herab zu groſſer Thaten Ernſt!

Zu der unſterblichen Rettung Ruhm!

Die am Gebirg uns bey dem Strom ſtolz er-
warten,

Und im Gefilde der Schlacht mit dem Donne:
in dem Arm ſtehn,

O Tyrannenknechte ſind ſie nur!

Und vor dem Drohn des geſenkten Stahls,

Vor dem Herannahn, und dem Ausſpruch der
Freyen,

Die ſich dem Tode gelaſſener heiligen, ent-
fliehn ſie!

Braga.
[157]

Braga.


[figure]
Saͤumſt du noch immer an der Waldung auf dem
Heerd’, und ſchlaͤfſt

Scheinbar denkend ein? Wecket dich der ſilberne
Reif

Des Decembers, o du Zaͤrtling! nicht auf?

Noch die Geſtirne des kryſtallnen Sees?

Lachend erblick’ ich dich am Feuer, in des Wolfes
Pelz,

Blutig noch vom Pfeil, welcher dem entſcheidenden
Blick,

In die Seite des Eroberers ſchnell

Folgte, daß nieder in den Strauch er ſank.

Auf denn, erwache! Der December hat noch nie ſo
ſchoͤn,

Nie ſo ſanft, wie Heut, uͤber dem Gefilde geſtrahlt!

Und die Blume von dem nachtlichen Froſt

Bluͤhte noch niemals, wenn es tagte, ſo!

Neide mich! ſchon, von dem Gefuͤhle der Geſund-
heit froh,

Hab ich, weit hinab, weiß an dem Geſtade gemacht

Den bedeckenden Kryſtall, und geſchwebt

Eilend, als ſaͤnge der Bardiet den Tanz.

Unter
[158]
Unter dem fluͤchtigerem Fuſſe, vom geſchaͤrften Stahl

Leicht getragen, ſcholl ſchnelleres Getoͤne der Bahn!

Auf den Mooſen in dem gruͤnlichen See,

Floh mit voruͤber, wie ich floh, mein Bild.

Aber nun wandelt’ an dem Himmel der erhabne Mond

Wolkenlos herauf, nahte die Begeiſtrung mit ihm,

O wie trunken von dem Mimer! Ich ſah

Fern in den Schatten an dem Dichterhain

Braga! Es toͤnet’ an der Schulter ihm kein Koͤcher
nicht,

Aber unterm Fuß toͤnete, wie Silber, der Stahl,

Da gewandt er aus der Nacht in den Glanz

Schwebt’, und nur leiſe den Kryſtall betrat.

Sing, es umkraͤnzete die Schlaͤfen ihm der Eiche
Laub!

Sings, o Bardengeſang, ſchimmernder bereifet war
ihm

Der beſchattende glaſoriſche Kranz!

Golden ſein Haar, und wie der Kranz bereift!

Feurig beſeelet er die Saiten, und der Felſen lernts,

Denn die Telyn ſcholl! Tapfere belohnte ſein Lied,

Und den Weiſen! von den Ehren Walhalls

Rauſcht’ es in freudigerem Strophengang.

Ha, wie ſie blutet’, und den Adler aus der Wolke rief

Meine Lanze! … Sangs, ſchwebte voruͤber den Tanz

Des Bardiets wie in Orkanen, izt ſchnell

Langſamer jetzo, mit gehaltnem Schwung.

Schla-
[159]
Schlaget, ihr Adler, mit den Fittigen, und kommt
zum Mahl!

Trinket warmes Blut! … ſchwebete den Tanz
des Bardiets

In dem ſchimmernden Geduͤfte! So ſchoͤn

Schwang ſich Apollo Patareus nicht her!

Leichtere Spiele der Bewegungen begann er jezt,

Leichtern Bardenton: Lehre, was ich ſinge, den
Hain!

An dem Hebrus, wie der Grieche das traͤumt,

Ueber der Woge von Kryſtall erfand

Dieſe Befluͤglungen des Stahles, der den Sturm
ereilt,

Thrazens Orpheus nicht! eilete damit auf dem
Strom

Zu Euridice nicht hin! Walhalla’s

Saͤnger, umdraͤnget von Enherion,

Ich, der Begeiſterer des Barden und des Skalden,
ich,

Toͤn’ es, Telyn, laut! hoͤr’ es du am Hebrus!
erfand,

Vor der Lanz’ und vor dem Sturme vorbey

Siegend zu ſchweben! Und den ſchoͤnen Sohn

Siphia
(Enherion)
[160]
Siphia lehrt’ ich es! Wie blinken ihm ſein Fuß und
Pfeil!

Lehrts Tialf, dem nie einer in dem Laufe voran,

Wie des Zaubernden beſeeltes Phantom,

Toͤnte! Da roͤthete der Zorn Tialf!

Lehrt’ es den tapferſten der Koͤnige des hohen Nord;

Dennoch floh vor ihm Ruſſiens Eliſſif! Haͤtt ihn

Denn geflohen der Unſterblichen Stolz,

Noſſa denn, Thoͤrinn? … Er entſchwebt,
ſein Kranz

Rauſcht wie von Weſten, und es wehet ihm ſein
goldnes Haar!

Seiner Ferſe Klang fernte ſich hinab am Gebirg,

Bis er endlich in der Duͤfte Gewoͤlk

Unter dem Hange des Gebirgs verſchwand.

Die




[161]

Die Sommernacht.


[figure]
Wenn der Schimmer von dem Monde nun herab

In die Waͤlder ſich ergießt, und Geruͤche

Mit den Duͤften von der Linde

In den Kuͤhlungen wehn;

So umſchatten mich Gedanken an das Grab

Der Geliebten, und ich ſeh in dem Walde

Nur es daͤmmern, und es weht mir

Von der Bluͤthe nicht her.

Ich genoß einſt, o ihr Todten, es mit euch!

Wie umwehten uns der Duft und die Kuͤhlung,

Wie verſchoͤnt warſt von dem Monde,

Du o ſchoͤne Natur!
[figure]
LSkulda.
[162]

Skulda.


[figure]
Ich lernt’ es im innerſten Hain,

Welche Lieder der Barden ah!

In die Nacht deines Thals ſinken, Untergang,

Welch auf den Hoͤhen der Tag bleibend um-
ſtrahlt.

Ich ſahe, noch beb’ ich davor!

Sah der richtenden Norne Wink!

Ich vernahm, hoͤr’ ihn noch! ihres Fluges Schlag,

Daß bis hinauf in des Hains Wipfel es ſcholl!

Gekuͤhlt von dem wehenden Quell

Saß, und hatt’ auf die Telyn ſanft

Sich gelehnt Braga. Jezt brachte Geiſter ihm,

Die ſie, in Naͤchten des Monds, Liedern ent-
lockt,

Die Norne Werandi, und ſie

Hatt’ in Leiber gehuͤllt, die ganz

Fuͤr den Geiſt waren, ganz jeden leiſen Zug

Sprachen, Gebilder, als waͤrs wahre Geſtalt;

Zehn
(Nornen)
[163]
Zehn neue. Sie kamen. Nur Eins

Hatte Minen der Ewigkeit!

Vom Gefuͤhl ſeines Werths ſchoͤn erroͤthend! voll

Reize des Juͤnglings, und voll Staͤrke des
Manns!

Mit Furchtſamkeit trat es herzu,

Als es ſtehen die Norne ſah,

Die allein nach des Tags fernen Huͤgeln fuͤhrt,

Oder hinab, wo die Nacht ewig bewoͤlkt.

Nachdenkender breitete ſchon

Skulda ſchattende Fluͤgel aus;

Doch es ſank nieder noch ihr der Eichenſtab,

Deſſen entſcheidender Wink Thoren nicht warnt.

Die Neune betraten den Hain

Stolz, und horchten mit trunknem Ohr

Dem Geſchwaͤtz, welches laut Stimmenſchwaͤrme
ſchrien,

Und von dem wankendem Stuhl Richter am
Thal.

Sie ſchreckte das Laͤcheln im Blick

Skulda’s nicht, und ſie ſchlummerten

Noch getaͤuſcht, ahndungsfrey auf den Kraͤnzen
ein,

Welche jetzt gruͤnen ihr Traum, welken nicht
ſah.

L 2Ah
[164]
Ah Norne! … Sie hub ſich in Flug,

Schwebt’, und wies mit dem ernſten Stab

In das Thal! Taumellos endlich, ſchlichen ſie

Kuͤrzeren, laͤngeren Weg, aber hinab!

Dem Einen nur wandte ſie ſich

Nach den ſchimmernden Huͤgeln hin!

Es entfloß Lautenklang ihrer Fluͤgel Schwung,

Da ſie ſich wandt’, und der Stab Ewigkeit
wies!
[figure]
Sel-
[165]

Selmar und Selma.


[figure]
Weine du nicht, o die ich innig liebe,

Daß ein trauriger Tag von dir mich ſcheidet!

Wenn nun wieder Heſperus dir dort laͤchelt,

Komm’, ich Gluͤcklicher, wieder!

Aber in dunkler Nacht erſteigſt du Felſen,

Schwebſt in taͤuſchender dunkler Nacht auf Waſſern!

Theilt’ ich nur mit dir die Gefahr zu ſterben;

Wuͤrd, ich Gluͤckliche, weinen?
[figure]
L 3Der
[166]

Der Bach.


[figure]
Bekraͤnzt mein Haar, o Blumen des Hains,

Die am Schattenbach des luftigen Quells

Noſſa’s Hand ſorgſam erzog, Braga mir

Brachte, bekraͤnzt, Blumen, mein Haar!

Es wendet nach dem Strome des Quells

Sich der Lautenklang des wehenden Bachs.

Tief, und ſtill ſtroͤmet der Strom; tonbeſeelt

Rauſchet der Bach neben ihm fort.

Wohllaut gefaͤllt, Bewegung noch mehr;

Zur Geſpielin gab dem Herzen ich ſie.

Dieſem ſaͤumt, eilet ſie nach; Bildern folgt,

Leiſeren Tritts, ferne ſie nur.

Mir gab Siona Sulamith ſchon

An der Palmenhoͤh den roͤthlichen Kranz

Sarons. Ihr weiht’ ich zuerſt jenen Flug,

Der in dem Chor kuͤhn ſich erhebt.

Nun
[167]
Nun rufet ſeinen Reihen durch mich

In der Eiche Schatten Braga zuruͤck.

Huͤllte nicht daurende Nacht Lieder ein,

Lyriſchen Flug, welchem die Hoͤhn

Des Lorberhuͤgels horchten; o ſchlief

In der Truͤmmer Graun Alcaͤus nicht ſelbſt:

Ruͤhmt’ ich mich kuͤhneren Schwungs! toͤnte, ſtolz

Ruͤhmt’ ichs, uns mehr Wendung fuͤrs Herz,

Als Tempe’s Hirt vom Felſen vernahm!

Und der Kaͤmpfer Schaar am Fuß des Olymp!

Als mit Tanz Sparta zur Schlacht eilend! Zevs

Aus des Altars hohem Gewoͤlk!

Der groſſe Saͤnger Oſſian folgt

Dem Getoͤn des vollen Baches nicht ſtets!

Ferne, zaͤhlt Galliens Lied Laute nur;

Zwiſchen der Zahl, ſchwankt und dem Maaß

Der Britte; ſelbſt Hesperinn ſchlaͤft!

O ſie wecke nie die Sait’ und das Horn

Braga’s auf! Floͤgen ſie einſt deinen Flug

Schwan des Glaſoor, neidet’ ich ſie!

Nachahmer, wie Nachahmer nicht ſind,

Du erweckteſt ſelbſt, o Flaccus, ſie nicht!

Graue Zeit waͤhret’ ihr Schlaf! O, er waͤhrt

Immer, und ich neide ſie nie!

L 4Schon
[168]
Schon lange maß der Dichter des Rheins

Das Getoͤn des ſtarken Liedes dem Ohr;

Doch mit Nacht decket’ Allhend ihm ſein Maaß,

Daß er des Stabs Ende nur ſah.

Ich hab’ ihn heller blitzen geſehn

Den erhabnen, goldnen, lyriſchen Stab!

Kraͤnze du, roͤthlicher Kranz Sarons, mich!

Winde dich durch, Blume des Hains.

[figure]
Wir

[169]

Wir und Sie.


Was that dir, Thor, dein Vaterland?

Dein ſpott’ ich, gluͤht dein Herz dir nicht

Bey ſeines Namens Schall!

Sie ſind ſehr reich! und ſind ſehr ſtolz!

Wir ſind nicht reich! und ſind nicht ſtolz!

Das hebt uns uͤber Sie!

Wir ſind gerecht! das ſind Sie nicht!

Hoch ſtehn Sie! traͤumen’s hoͤher noch!

Wir ehren fremd Verdienſt!

Sie haben hohen Genius!

Wir haben Genius, wie Sie!

Das macht uns ihnen gleich!

Sie dringen in die Wiſſenſchaft

Bis in ihr tiefſtes Mark hinein!

Wir thun’s! und thaten’s lang!

Wen haben Sie, der kuͤhnen Flugs,

Wie Haͤndel Zaubereyen toͤnt?

Das hebt uns uͤber Sie!

Wer iſt bey ihnen, deſſen Hand

Die trunkne Seel’ im Bilde taͤuſcht?

Selbſt Kneller gaben Wir!

L 5Wenn
[170]
Wenn traf ihr Barde ganz das Herz?

In Bildern weint er! Griechenland,

Sprich du Entſcheidung aus!

Sie ſchlagen in der finſtern Schlacht,

Wo Schiff an Schiff ſich donnernd legt!

Wir ſchluͤgen da, wie Sie!

Sie ruͤcken auch in jener Schlacht,

Die Wir allein verſtehn! heran.

Vor Uns entfloͤhen Sie!

O ſaͤhn Wir Sie in jener Schlacht,

Die Wir allein verſtehn! einſt dicht

Am Stahl, wenn er nun ſinkt,

Wenn unſre Fuͤrſten Herrmanns ſind!

Cherusker unſre Heere ſind,

Cherusker, kalt, und kuͤhn!

Was that dir, Thor, dein Vaterland?

Dein ſpott’ ich, gluͤht dein Herz dir nicht

Bey ſeines Namens Schall!
[figure]
Un-
[171]

Unſre Fuͤrſten.


[figure]
Von der Palmenhoͤhe, dem Hain Siona’s,

Kommen wir her, wir des Harfengeſangs

Geweihte, daß Chriſten noch einſt

Wir entflammen mit dem Feuer,

Das zu Gott ſteigt! Hier in dem Hain, wo Eichen

Schatten, erſchallſt ſchoͤner, Telyn, auch du,

Wenn Schoͤne des Herzens voran

Vor der Schoͤnheit des Geſangs fleugt!

Mit Entzuͤckung, wall’ ich im Hain der Palmen,

Dichter, mit Luſt, hier, wo Eich’ und ihr Graun

Uns daͤmmert, das Vaterland euch,

Mich hinauf rief, ihm zu ſingen.

O bekraͤnzet froh euch das Haupt, Thuiskons

Enkel! empfangt Braga’s heiliges Laub!

Er bringt es den Huͤgel herab,

Wie es glanzvoll von dem Quell traͤuft!

Mit
[172]
Mit des Stolzes Toͤnen erſchallt, ihr wurdet,

Dichter, ſein Stolz! Braga’s freudiges Lied!

Ihr tranket mit ihm aus dem Quell

Der Begeiſtrung und der Weisheit;

Und ihr ſaͤumt noch? Singet ihm nach! Ihr ſiegtet

Ueber die Zeit! Deutſchlands Fuͤrſten … ſie rief

Kein Stolz, euch zu leiten, herzu;

Und allein ſchwungt durch die Hindrung

Ihr mit edler Kuͤhnheit euch auf! So werde

Euch denn allein auch unſterblicher Ruhm!

Der Name der Fuͤrſten verweh,

Wie der Nachhall, wenn der Ruf ſchweigt.

Aus dem Hain Thuiskons entflieh kein ſanftes

Silbergetoͤn hin zum pariſchen Maal,

Das keiner beſucht, und das bald,

In den Staub ſinkt der Gebeine.

O wie feſtlich rauſchet der Hain! Ich ſehe

Fliegenden Tanz! Braga fuͤhrt den Triumph!

Unſterblichkeit! rufet das Chor,

Und der Hain rufts in den Schatten!

Pyramiden ſanken! Der Wandrer findet

Truͤmmer nur noch! Lobſchrift, welche die Burg

Des Fuͤrſten nur kannte, ſie ſchlaͤft

In dem Goldſaal, wie im Grabe!

Pyra-
[173]
Pyramiden, liegt ihr! und ſchlaf, des Schmeichlers

Werk, in dem Goldſaal begraben! Uns macht

Unſterblich des Genius Flug

Und die Kuͤhnheit des Entſchluſſes,

Von des Lohns Verachtung entflammt! Einſt konntet

Fuͤrſten, ihrs thun! Baut von Marmor euch jezt

Die Maale, vergeſſen zu ruhn!

Denn es ſchweigt euch in dem Haine.
[figure]
Die
[174]

Die Choͤre.


[figure]
Goldener Traum, du, den ich nie nicht erfuͤllt ſeh,

Strahlengeſtalt, wie der Tag ſchoͤn, wenn er auf-
wacht,

Komm du dennoch zuruͤck, und ſchwebe

Mir vor dem trunkenen Blick!

Decken ſie denn Kronen umſonſt, daß des Traumes

Himmliſches Bild ſie ins Daſeyn nicht verwandeln?

Soll ihr Marmor ſie auch ſchon decken,

Wenn die Verwandlung geſchieht?

Koͤnigesſohn! Edelſter! dir, ja die ſchoͤnſte

Leyer ertoͤnt zu dem ſchoͤnſten der Geſaͤnge

Dir, der einſt es vollfuͤhrt! Dein warten

Ehren der Religion!

Ließ mich das Grab; ſaͤng ich von dir! Zu der ſchoͤn-
ſten

Leyer ertoͤnt mein Geſang nicht; doch begeiſtert

Saͤng’ ich! ſchoͤpft’ aus der Freude tiefſten

Stroͤmen, Vollfuͤhrer, dein Lob!

Groß
[175]
Groß iſt dein Werk! jezo mein Wunſch. O es weiß der

Nicht, was es iſt, ſich verlieren in der Wonne!

Wer die Religion begleitet

Von der geweihten Muſik,

Und von des Pſalms heiligem Flug, nicht gefuͤhlt hat!

Sanft nicht gebebt, wenn die Schaaren in dem
Tempel

Feyrend ſangen! und, ward dieß Meer ſtill,

Choͤre vom Himmel herab!

Taͤuſche mich lang, ſeliger Traum! Ach ich hoͤre

Chriſtengeſang! Welch ein Volkheer iſt verſammelt!

So ſah Kephas vordem fuͤnf Tauſend

Jeſus auf Einmal ſich weihn.

Hoͤrt ihr? Den Sohn ſinget ſein Volk! Mit des
Herzens

Einfalt vereint ſich die Einfalt des Geſanges!

Und mehr Hoheit, als alle Welt hat,

Hebt ſie gen Himmel empor!

Wonnegefuͤhl hebt ſie empor, und es flieſſen

Thraͤnen ins Lied! Denn die Kronen an dem Ziele

Strahlen ihnen! Sie ſehn um Sion

Palmen der Himmliſchen wehn!

Oben beginnt jezo der Pſalm, den die Choͤre

Singen, Muſik, als ob kunſtlos aus der Seele

Schnell ſie ſtroͤmte! So leiten Meiſter

Sie, doch in Ufern, daher.

Kraft-
[176]
Kraftvoll, und tief dringt ſie ins Herz! Sie ver-
achtet

Alles, was uns bis zur Thraͤne nicht erhebet!

Was nicht fuͤllet den Geiſt mit Schauer!

Oder mit himmliſchem Ernſt.

Himmliſcher Ernſt toͤnet herab mit des Feſtes

Hohem Geſang. Prophezeihung! und Erfuͤllung!

Wechſeln Choͤre, mit Choͤren. Gnade!

Singen ſie dann, und Gericht!

Ach von des Sohns Liede beſeelt, von der Heerſchaar

Sions entflammet, erheben ſie ihr Loblied!

Eine Stimme beginnet leiſe,

Eine der Harfen mit ihr.

Aber es toͤnt maͤchtiger bald in dem Chor fort!

Choͤre ſind nun in dem Strom ſchon des Geſanges!

Schon erzittert das Volk! ſchon gluͤhet

Feuer des Himmels in ihm!

Wonne! Das Volk haͤlt ſich noch kaum! Die Po-
ſaunen

Donnerten ſchon! und izt donnern ſie von neuem!

Aller Choͤre Triumph erſcholl ſchon!

Schallt, daß der Tempel ihm bebt!

Laͤnger nun nicht, laͤnger nicht mehr! Die Gemeine

Sinket dahin, auf ihr Antlitz zum Altare!

Hell vom Kelche des Bundes! eilt, eilt!

Stroͤmt in der Choͤre Triumph!

Ruhet
[177]
Ruhet dereinſt dort mein Gebein, an der Tempel

Einem mein Staub, wo der Chorpſalm den Ge-
meinen

Toͤnt; ſo bebet mein Grab, und lichter

Bluͤhet die Blume darauf,

Wenn, an dem Tag, als aus dem Felſen der Todte

Strahlte, der Preis in dem Jubel ſich ihm nach-
ſchwingt!

Denn ich hoͤr’ es, und Auferſtehung!

Liſpelt ein Laut aus der Gruft.
[figure]
MDie
[178]

Die Barden.


[figure]
Ihr Dichter! ihr Dichter! es huͤllt

Nacht die Leyer der Barden ein!

Der am Quell Mimer oft Braga’s Leyer ſchwieg,

Wenn die Erfindung, im Weſt ſchlummernd,
gebahr

Erhabneren Geiſt, und Geſtalt

Schoͤn wie Knaben im Kriegestanz,

Daß entzuͤckt, wenn ſie ſah, was gebohren war,

Ihr des beſeelteren Blicks Trunkenheit ſchwamm.

Leicht ſpringt er, ein Genius, auf,

Spielt am Sproſſe des Eichenhains!

Den Allhend geht ſein Gang! ſeiner Tritte Ton

Rieſelt daher, wie der Bach, rauſcht wie der
Strom.

Ihr Dichter! ihr Dichter! wo ſank

Unſrer Filea Leyer hin?

Ah es truͤbt, ſinn’ ich nach, was die Truͤmmer deckt,

Mir den beweinenden Blick wuͤnſchender Schmerz!

Teone.

[179]

Teone.


[figure]
Still auf dem Blatt ruhte das Lied, noch erſchrocken

Vor dem Getoͤſ’ des Rhapſoden, der es herlas,

Unbekannt mit der ſanftern Stimme

Laut’, und dem vollerem Ton.

Dicht an Homer ſchrie ſein Geſchrey! Auf den Dreyfuß

Setzt’ ihn ſein Wahn, und verbarg ihm, daß Achilles

Leyer ſank, und des Maͤoniden

Genius zornig entfloh.

Aber o lern, Saͤngerinn ſelbſt, von Teonens

Zaubernder Kunſt, wenn dem Inhalt ſie wie Wachs
ſchmilzt,

Und der Seele des Liedes gleiche,

Schoͤne Geſpielinnen waͤhlt.

Hoͤrſt du, wie ſie, an der Gewalt des Rhapſoden,

Raͤchet das Lied! wie dem Ohre ſie es bildet!

Sind nicht, Saͤngerin, dieſer Toͤne

Wendungen auch Melodie?

M 2Ja
[180]
Ja Melodie, aber verwebt von des Herzens

Feinſtem Gefuͤhl! nicht die Haltung, wie die Floͤte

Toͤnet, oder wie deine Stimme

Ueber die Floͤte ſich hebt.

Sage, warum bebſt du? was ſtuͤrzt dir die Thraͤne

Eilend herab? was beſaͤnftigt nun dein Herz dir?

Thats Teone nicht auch? und ruͤhrt dich

Etwa der Dichter allein?

Hoͤre, fuͤr ſie dichtet’ er! hoͤr’, auch die kleinſte

Kunſt des Geſangs iſt Teonen nicht verborgen!

Folg ihr, wie in des ſtolzen Rhythmus

Tanz, ſie mit Leichtigkeit ſchwebt!

Pflanze fuͤr ſie Blumen im Hain an dem Bache,

Noſſa, daß ich, wenn melodiſch ſie vielleicht einſt

Meiner Saite Geſang begleitet,

Kraͤnze Teonen ihr Haar!
[figure]
Stin-
[181]

Stintenburg.


[figure]
Inſel der froheren Einſamkeit,

Geliebte Geſpielin des Widerhalls

Und des Sees, welcher izt breit, dann, verſteckt

Wie ein Strom, rauſcht an des Walds Huͤ-
geln umher,

Selber von ſteigenden Huͤgeln voll,

Auf denen im Rohr die Moraͤne weilt,

Sich des Garns Tuͤcke nicht naht, und den Wurm

An dem Stahl, leidend mit ihm, ferne beklagt.

Fluͤchtige Stunden verweilt’ ich nur

An deinem melodiſchen Schilfgeraͤuſch;

Doch verlaͤßt nie dein Phantom meinen Geiſt,

Wie ein Bild, welches mit Luſt Geniushand

Bildete, trozt der Vergeſſenheit!

Der Garten des Fuͤrſten verdorrt, und waͤchſt

Zu Geſtraͤuch, uͤber des Strauchs Wildniß hebt

Sich der Kunſt meiſterhaft Werk daurend empor.

M 3Neben
[182]
Neben dir ſchattet der Sachſen Wald,

Ihr Schwert war entſcheidend, und kurz ihr Wort!

Und um dich glaͤnzeten nie Schilde Roms,

Sein Tyrann ſendete nie Adler dir zu!

Ruhiger wandelt’ in deinem Thal

Der Goͤttinnen Beſte, die ſanfte Hlyn.

Es erſcholl freudigen Klangs Braga’s Lied

Um dich her, miſchte nicht ein Rufe der Schlacht.

Ueber dem ſtolzeren Strome nur,

Der Ham ſich voruͤber ins Meer ergießt,

Da umgab Blut den Bardiet, ließ den Speer

Mit des Lieds ſchreckendem Drohn fliegen der
Gott!

Aber wenn Hertha zum Bade zog,

So eilete Braga zu dir zuruͤck,

So begann Lenzmelodie, ließ der Gott

Bey des Lieds Tanze dahin ſinken den Speer.

Seines Geſanges erſchallet noch;

Mich lehret er aͤlteren deutſchen Ton,

Wenn entwoͤlkt wallet der Mond, und es ſanft

Um das Grab derer ertoͤnt, welchen er ſang.

Horchend dem lehrenden Liede, ſaͤng

Ich deinen Beſitzer, o Inſel, naͤhm

Ich des Hains Fluͤgel, und eilt’, heilig Laub

In der Hand, Ihm, wo der Ruhm ewiget,
nach!

Aber
[183]
Aber entweihet, entweihet ward

Die Leyer, die Fluͤge des Lobes flog!

Dem Verdienſt ſelten getreu, rauſchte ſie

Um das Ohr deß, der an That duͤrftig, ver-
ſchwand.

Leyer des heiligen Bardenhains,

Verwuͤnſche des Ehreverſchwenders Lied,

Der zuerſt, truͤgenden Glanz, den beſang!

Und der That lautes Verbot, das nicht ver-
nahm!

Kuͤhner Verſchwender, nun glauben ſie

Der edleren Dichter Geſaͤnge nicht;

(Es verweh, ſo wie der Staub jenes Maals,

Deß Ruin ſinket, es geh unter dein Lied!)

Taͤuſchen ſich, kaͤltere Zweifler noch,

Wenn jeden gefluͤgelten Silberton,

Der den Schwung uͤber des Hains Wipfel ſchwingt,

Das Verdienſt deſſen gebot, welchen ihr ſangt.

Ja du Verſchwender! nun ſtroͤmt mein Herz

In hoͤheren wahren Geſang nicht aus!

Es verweh, ſo wie der Staub jenes Maals,

Deß Ruin ſinket, es geh unter dein Lied!
[figure]
M 4Unſre
[184]

Unſre Sprache.


[figure]
An der Hoͤhe, wo der Quell der Barden in das Thal

Sein fliegendes Getoͤne, mit Silber bewoͤlkt,

Stuͤrzet, da erblickt’ ich, zeug’ es, Hain!

Die Goͤttin! ſie kam zu dem Sterblichen herab!

Und mit Hoheit in der Mine ſtand ſie! und ich ſah

Die Geiſter um ſie her, die den Liedern entlockt

Taͤuſchen, ihr Gebild. Die Wurdi’s Dolch

Unſchuldige traf, die begleiteten ſie fern,

Wie in Daͤmmrung; und die Skulda’s maͤchtigerer
Stab

Errettete, die ſchwebten umher in Triumph,

Schimmernd, um die Goͤttin, hatten ſtolz

Mit Laube der Eiche die Schlaͤfe ſich bekraͤnzt!

Den
(Wurdi)
[185]
Den Gedanken, die Empfindung, treffend, und mit
Kraft,

Mit Wendungen der Kuͤhnheit, zu ſagen! das iſt,

Sprache des Thuiskon, Goͤttin, dir,

Wie unſeren Helden Eroberung, ein Spiel!

O Begeiſtrung! Sie erhebt ſich! Feurigeren Blicks

Ergieſſet ſich ihr Auge, die Seel’ in der Glut!

Stroͤme! Denn du ſchoneſt deß umſonſt,

Der, leer des Gefuͤhls, den Gedanken nicht
erreicht!

Wie ſie herſchwebt an des Quells Fall! Maͤchtiges
Getoͤn,

Wie Rauſchen in den Naͤchten des Walds iſt ihr
Schwung!

Drauſſen im Gefilde brauſt der Sturm!

Gern hoͤret der Wandrer das Rauſchen in dem
Wald!

Wie ſie ſchwebet an der Quelle! Sanfteres Getoͤn,

Wie Wehen in dem tieferen Wald’ iſt ihr Schwung!

Drauſſen im Gefilde brauſt der Sturm!

Gern hoͤret im Walde der Wanderer das Wehn.

Die der Fremdling nicht entweihte, (Teutonien erlag

Nur Siegen, unerobert!) o freyere, dich

Wagte der Geſchreckten Feſſel nicht

Zu feſſeln! Die Adler entflogen, und du bliebſt

M 5Die
[186]
Die du wareſt! An dem Rhodan klirret ſie noch laut

Die Kette des Eroberers! laut am Ibeer!

Alſo, o Britanne, ſchallt dir noch

Der Angel und Sachſe mit herrſchendem Geklirr!

So bezwang nicht an des Rheins Strom Romulus
Geſchlecht!

Entſcheidungen, Vergeltungen ſprachen wir aus,

Rache, mit des Deutſchen Schwert, und Wort!

Die Kette verſtummte mit Varus in dem Blut!

Die dich damals mit erhielten, Sprache, da im Forſt

Der Weſer die Erobererkette verſank,

Schweigend in der Legionen Blut

Verſank, ſie umhuͤllt die Vergeſſenheit mit
Nacht!

Ah die Geiſter der Geſaͤnge, welche ſie zur Schlacht

Ertoͤneten dem zuͤrnendem Vaterlandsheer,

Folgen mit der Todeswunde dir!

Ha Norne, dein Dolch! Wirſt auch dieſen,
der ſie klagt

Die vertilgten, du vertilgen? Geiſter des Bardiets!

Ihr Schatten! ich beſchwoͤr’ euch, ihr Genien!
lehrt,

Fuͤhret mich den ſteilen kuͤhnen Gang

Des Haines, die Bahn der Unſterblichkeit
hinauf!

Die
[187]
Die Vergeſſenheit umhuͤllt’, o Oſſian, auch dich!

Dich huben ſie hervor, und du ſteheſt nun da!

Gleicheſt dich dem Griechen! trozeſt ihm!

Und fragſt, ob wie du er entflamme den Ge-
ſang?

Voll Gedanken auf der Stirne hoͤret’ ihn Apoll,

Und ſprach nicht. Und gelehnt auf die Harfe
Walhalls

Stellt ſich vor Apollo Bragar hin,

Und laͤchelt, und ſchweiget, und zuͤrnet nicht
mit ihm.
[figure]
Die
[188]

Die Kunſt Tialfs.


Durch Wittekinds Barden:
Wliid, Haining und Wandor.


Wliid.
Wie das Eis hallt! Toͤne nicht vor! ich dulde das
nicht!

Wie der Nacht Hauch glaͤnzt auf dem ſtehenden Strom!

Wie fliegeſt du dahin! Mit zu ſchnellem Flug

Scheucheſt du Noſſa weg!

Haining.
Sie ſchwebet ſchon nach! Bardenliedertanz

Haſcht Pfeile wie der Juͤnglinge Bogen ſie entfliehn!

Wie rauſchet ihr Gefieder! Ereile ſie vor mir!

Noſſa ſchwebet ſchon nach!

Wliid.
Pfeilverfolger, reize ſie nicht! Verachtet kehrt ſie
nicht um!

Ich ſeh es, halt inn, ich ſeh es, ſie zuͤrnt!

Das Woͤlkchen Laune

Daͤmmert ſchon auf ihrer Stirn.

Hai-
[189]
Haining.
Sieheſt du ſie kommen bey dem Felſen herum

In dem hellen Dufte des ſchoͤnſten der December-
morgen?

Wie ſchweben ſie daher! Beſaͤnftigen ſoll

Mir Hlyda die Zuͤrnende!

Wliid.
Wer iſt es? Wer koͤmmt? Wie verſchoͤnen ſie

Den fchoͤnſten der Decembermorgen!

Ha rede, du Beleidiger der Goͤttin!

Wer ſind ſie, die daher in dem weiſſen Dufte
ſchweben?

Wie des Jaͤgers Lenzgeſang aus der Kluft zuruͤck,

Toͤnt unter ihrem Tanze der Kryſtall!

Viel ſind der Schweber um den leichten Stuhl,

Der auf Stahlen wie von ſelber ſchluͤpft.

Und Sie, die, in Hermeline gehuͤllt,

Auf dem eilenden Stuhle ruht,

Und dem Juͤngling horcht, der hinter ihr

Den Stahlen der Ruhenden Fluͤgel giebt?

Haining.
Um des Maͤdchens willen beleidigt’ ich

Noſſa, darum verſoͤhnt ſie die Goͤttin mir!

Der Juͤngling liebet das Maͤdchen, ſie liebet ihn.

Sie feyren heute des erſten Kuſſes Tag!

O
[190]
O du in die Hermeline gehuͤllt,

Und du mit dem Silberreif in dem fliegenden Haar,

Wir tanzen ihn auch den Bardenliedertanz!

Und feyren euer Feſt mit euch!

Wandor.
Willkommen uns! Ihr tanztet ihn ſchoͤn

Am ſauſelndem Schilf herab!

Nur Ein Geſez: Wir verlaſſen nicht eh den
Strom,

Bis der Mond am Himmel ſinkt!

Weit iſt die Reiſe zum Tanz in der Halle,

Der mit dem ſinkenden Monde beginnt!

Ihr muͤſt euch ſtaͤrken. Die Lauſcherin hier

Liebt fluͤchtigen Stahl.

Du Schweber mit der blinkenden Schaale dort:

Den der Winzer des Rheins kelterte,

Den! und die Schaale voll bis zum Rand’
herauf!

Im Fluge geſchwebt! doch kein Tropfen fall’
auf den Strom!

So rund herum, und dann der Hoͤrner Schall

Nach altem Brautgeſangestritt!

Zu dieſem Braga’s fluͤchtigſten Reihn

Auf dem Sternkryſtall!

Hai-
[191]
Haining.
Er ſangs, und die weiſſe Hlyda glitt

Auf dem Zuge des Stroms; die Hoͤrner toͤnten
hinter ihr her.

An den beyden Ufern eilten um ſie die Beglei-
tenden,

Und wogen ſich leicht auf der Schaͤrfe des
Stahls.

Wie glatt iſt der ſchimmernde Froſt! Schall dort
umher

In dem Felſen, nicht hier, mit dem Strom hinab,

Hau droben im Walde, verwuͤſtendes Beil!

Wir ſangens, und lehnten uns rechts an den
warmenden Strahl.

O Bahn des Kryſtalls! Eh ſie dem Schlittner den
Stachel reicht,

Eh ſie durch Schaͤrfung den Huf, durch den Eis-
ſporn den Wanderer

Sichert, erſtarr, erſtarr an der Eſſe die Am-
boshand!

Wir ſangens, und lehnten uns links an die
leiſere Luft.

Wir ſangen der Eisgangslieder noch viel.

Vom Weſte, dem Zerſioͤrer, ach!

Wenn die Blume des naͤchtlichen Froſtes welkt!

Von der Tuͤcke des verborgnen warmen Quells,

Da
[192]
Da der ſchoͤne Juͤngling ſank! Er ſchwung ſich her-
auf, ſein Blut

Faͤrbte den Strom, dann ſank er wieder, und ſtarb!

Von dem braͤunlichen Hirten, der ſchneller die
wartende Braut ereilt,

Getragen auf dem Fluͤgelſchwunge des Stahls,

Hier die hundertfarbige Pforte vorbey, dem ſiegen-
den Winter

Auf der Gletſcher Hoͤh wie Bogen der Triumphe
gebaut,

Dort den Klee des Thals vorbey,

Und das weidende Lamm.

Von der bahnvernichtendem Flocke!

Ach ſie verſcheucht den Waller, auf beſtirntem Kryſtall,

Wie der Gewitterregen

Den Waller in durchbluͤmtem jungen Graſe.

Von des Normanns Sky. Ihm kleidet die leichte
Rinde der Seehund;

Gebogen ſteht er darauf, und ſchießt, mit des Blizes Eil,

Die Gebirg’ herab!

Arbeitet dann ſich langſam wieder herauf am
Schneefelſen.

Die blutige Jagd trieft ihm an der Schulter, allein
den Schwung,

Die Freude, den Tanz der Lehrlinge Tialfs kennt
er nicht!

Oft ſchleudert ein Orkan ſie, als in Schwindel
vor ſich her,

Am voruͤberfliegenden Felſengeſtad’ hinab.

Schnell
[193]
Schnell wie der Gedanke, ſchweben ſie in weitauskrei-
ſenden Wendungen fort,

Wie im Meere die Rieſenſchlange ſich waͤlzt!

Noch ſangen wir vom erſten Tritte, mit dem auf
den Teich Ida

Zitterte. Klein war ihr Fuß, und blinkend ihr
Stahl.

Sie hatte des Stahles Band mit ſilberbereiftem Laube

Und roͤthlich geſprengten fliehenden Fiſchen geſtickt.

Die Lieder ſangen wir, jetzo dem Widerhalle der
Waͤlder ſie,

Jetzo den Truͤmmern der alten Burg,

Und tanzten fort, bald wie auf Fluͤgeln des Nords

Den Strom hinunter geſtuͤrmt!

Bald wie gewehet von dem ſanften Weſte.

Nun ſank, ach viel zu fruͤh! der Mond am Him-
mel herab.

Wir kamen zum regelreichen Tanz in der lichten Halle,

Und dem laͤrmenden Heerd, auf dem die junge Tanne
ſank.

Wir koſteten nur mit ſtolzem Zahn von der Halle
Tanz,

Und ſchliefen, zu der Nacht den Tag, geſunden
Schlaf.

NDer
[194]

Der Huͤgel und der Hain.


Die Singenden ſind:
Ein Poet, ein Dichter, und ein Barde.


Der Poet.
Was horcheſt du unter dem weitverbreiteten Fluͤgel
der Nacht

Dem fernen ſterbendem Widerhalle des Bardenge-
ſangs?

Hoͤre mich! Mich hoͤrten die Welteroberer einſt!

Und viel Olympiaden, hoͤrtet ihr Celten, mich
ſchon!

Der Dichter.
Laß mich weinen, Schatten!

Laß die goldene Leyer ſchweigen!

Auch meinem Vaterlande ſangen Barden,

Und ach! ihr Geſang iſt nicht mehr!

Laß mich weinen!

Lange Jahrhunderte ſchon

Hat ihn in ihre Nacht hinab

Geſtuͤrzt die Vergeſſenheit!

Und
[195]
Und in oͤden dunkeln Truͤmmern

Der alten Celtenſprache,

Seufzen nur einige ſeiner leiſen Laute,

Wie um Graͤber Todesſtimmen ſeufzen.

Der Poet.
Toͤne dem Klager, goldene Leyer!

Was weinſt du in die oͤde Truͤmmer hinab?

War er der langen Jahrhunderte meines Geſanges
werth;

Warum ging er unter?

Der Dichter.
Die Helden ſtritten! Ihr nanntet ſie Goͤtter und Ti-
tanen.

Wenn jezo die Aegis nicht klang, und die geworfnen
Felſenlaſten

Ruhten, und Jupiter der Gott, mit dem Titan
Enceladus ſprach;

So ſcholl in den Kluͤften des Pelion die Sprache
des Bardengeſangs!

Ha du ſchwindelſt vor Stolz

An deinem juͤngeren Lorbeer!

Warf, und weißt du das nicht? auch ungerecht

Nicht oft die Vergeſſenheit ihr Todesloos?

N 2Noch
[196]
Noch rauſcheſt du ſtets mit Geniusfluge die Saiten
herab!

Lang kenn’ ich deine Silbertoͤne,

Schweig! Ich bilde mir ein Bild,

Jenes feurigen Naturgeſangs!

Unumſchraͤnkter iſt in deinem Herrſcherin,

Als in des Barden Geſange die Kunſt!

Oft ſtammelſt du nur die Stimme der Natur;

Er toͤnet ſie laut ins erſchutterte Herz!

O Bild, das jezt mit den Fittigen der Morgenroͤthe
ſchwebt!

Jezt gehuͤllt in Wolken, mit des Meeres hohen Woge
ſteigt!

Jezt den ſanften Liedestanz

Tanzet in dem Schimmer der Sommermond-
nacht!

Wenn dich nicht gern, wer denket, und fuͤhlt,

Zum Genoſſen ſeiner Einſamkeit waͤhlt;

So erhebe ſich aus der Truͤmmern Nacht der Bar-
den einer,

Erſchein’, und vernichte dich!

Laß fliegen, o Schatten, die goldene Leyer

Den maͤchtigſten Flug,

Und rufe mir einen der Barden

Meines Vaterlands herauf!

Einen
[197]
Einen Herminoon,

Der unter den tauſendjaͤhrigen

Eichen wandelte,

Unter deren alternden Sproß ich wandle.

Der Poet.
Ich beſchwoͤre dich, o Norne, Vertilgerin,

Bey dem Haingeſange, vor dem in Winfeld die Ad-
ler ſanken!

Bey dem liedergefuͤhrten Brautlenzreihn: O ſende
mir herauf

Einen der Barden Teutoniens, einen Herminoon!

Ich hoͤr’ es in den Tiefen der Ferne rauſchen!

Lauter toͤnet Wurdi’s Quell dem Kommenden!

Und die Schwaͤne heben ſich vor ihm

Mit ſchnellerem Fluͤgelſchlag!

Der Dichter.
Wer kommt? wer kommt? Kriegeriſch ertoͤnt

Ihm die thatenvolle Telyn!

Eichenlaub ſchattet auf ſeine gluͤhende Stirn!

Er iſt, ach er iſt ein Barde meines Vaterlands!

Der Barde.
Was zeigſt du dem Uhrſohn meiner Enkel

Immer noch den ſtolzen Lorber am Ende deiner Bahn,

Grieche? Soll ihm umſonſt von des Haines Hoͤh

Der Eiche Wipfel winken?

N 3Zwar
[198]
Zwar aus Daͤmmrung nur! … Denn ach! er ſieht

In meiner Bruſt der wuͤtenden Wurdi Dolch!

Und mit der Eile des Sturms eilet voruͤber der
Augenblick,

Da ich ihm von der Barden Geheimniſſe ſingen
kann!

Der Poet.
Toͤne, Leyer, von der Grazie,

Den leichten Tritt an der Hand der Kunſt gefuͤhrt,

Und laß die Stimme der rauhen Natur

Des Dichters Ohre verſtummen!

Der Barde.
Sing, Telyn, dem Dichter die ſchoͤnere Grazie

Der ſeelenvollen Natur!

Gehorcht hat uns die Kunſt! ſie geſchreckt,

Wollte ſie herrſchen, mit hohem Blicke die Natur!

Unter ſparſamer Hand toͤnte Gemaͤhld’ herab,

Geſtaltet mit kuͤhnem Zug;

Tauſendfaͤltig, und wahr, und heiß! ein Taumel!
ein Sturm!

Waren die Toͤne fuͤr das vielverlangende Herz!

Der Poet.
Laß, o Dichter, in deinem Geſange vom Olympus

Zevs donnern! mit dem ſilbernen Bogen toͤnen aus
der Wolkennacht

Smintheus! Pan im Schilfe pfeifen, von Artemis

Schulter den vollen Koͤcher die Rehe ſcheuchen.

Der
[199]

Der Barde.


Iſt Achaͤa der Thuiskonen Vaterland?

Unter des weiſſen Teppichs Huͤllen ruh auf dem Frie-
denswagen

Hertha! In blumenbeſtreutem Haine walle der
Wagen hin,

Und bringe die Goͤttinn zum Bade des einſamen
Sees.

Die Zwillingsbruͤder Alzes graben

In Felſen euch das Geſez der heiligen Freundſchaft:

Erſt des hingehefteten Blickes lange Wahl,

Dann Bund auf ewig!

Es vereine Loͤbna voll Noſſa’s Reizen, und Wara

Wie Sait’ und Geſang, die Lieb’ und die Ehe! Bra-
ga toͤne

Vom Schwert, gegen den Eroberer gezuͤckt! und
That

Des Friedens auch, und Gerechtigkeit lehr’
euch Wodan!

N 4Wenn


[200]
Wenn nicht mehr in Walhalla die Helden Waffenſpiel

Tanzen, nicht mehr von Braga’s Lied’ in der Freude

Suͤſſe Traͤume geſungen, halten Siegesmahl,

Dann richtet auch die Helden Wodan!

Der Dichter.
Des Huͤgels Quell ertoͤnet von Zevs,

Von Wodan, der Quell des Hains.

Weck’ ich aus dem alten Untergange Goͤtter

Zu Gemaͤlden des fabelhaften Liedes auf;

So haben die in Teutoniens Hain

Edlere Zuͤge fuͤr mich!

Mich weilet dann der Achaͤer Huͤgel nicht;

Ich gehe zu dem Quell des Hains!

Der Poet.
Du wagſt es, die Hoͤrerin der Leyer,

Die in Lorbeerſchatten herab

Von der Hoͤhe faͤllt des Helikon,

Aganippe voruͤber zu gehn?

Der Dichter.
Ich ſeh an den wehenden Lorber gelehnt,

Mit allen ihren goldnen Saiten,

O Grieche, deine Leyer ſtehn,

Und gehe voruͤber!

Er
[201]
Er hat ſich gelehnt an den Eichenſproß,

Des Weiſen Saͤnger und des Helden, Braga,

Die inhaltsvolle Telyn! Es weht

In ihren Saiten, und ſie toͤnt von ſich ſelber;
Vaterland!

Ich hoͤre des heiligen Namens Schall!

Durch den Saiten rauſchet es herab:

Vaterland! Weſſen Lob ſinget nach der Widerhall?

Koͤmmt Hermann dort in den Naͤchten des
Hains?

Der Barde.
Ach Wurdi, dein Dolch! Sie ruft, ſie ruft

Mich in ihre Tiefen zuruͤck, hinunter, wo unbeweinbar

Auch die Edlen ſchweben, die fuͤr das Vaterland

Auf des Schildes blutige Blume ſanken!
[figure]
N 5Her-
[202]

Hermann.


Durch die Barden:
Werdomar, Kerding, und Darmond.


Werdomar.
Auf dieſem Steine der alternden Mooſe,

Wollen wir ſizen, o Barden, und ihn ſingen.

Keiner tret’ hervor, und blick hinab uͤber das Ge-
ſtraͤuch,

Das ihn verdeckt den edelſten Sohn des Vater-
lands.

Denn dort liegt er in ſeinem Blut

Er, ſelbſt da, der geheime Schrecken Roms,

Da ſie mit Kriegestanz und Floͤtenſpiel des Triumphs

Seine Thusnelda fuͤhrten.

Blikt nicht hin, ihr weintet;

Saͤhet ihr ihn in ſeinem Blute liegen!

Und nicht Thraͤnen ſoll die Telyn toͤnen;

Sie ſoll den Unſterblichen ſingen!

Kerding.
Hell iſt noch mein Juͤnglingshaar,

Umguͤrtet ward ich heut mit dem erſten Schwert,

Gewafnet das erſtemal mit der Lanz’ und der Telyn;

Und ich ſoll Hermann ſingen?

Fodert
[203]
Fodert nicht zu viel von dem Juͤngling, Vaͤter!

Ich muß mit der goldenen Locke zuvor

Troknen meine heiſſe Wange,

Eh ich ſinge den groͤſten der Soͤhne Mana’s.

Darmond.
Thraͤnen wein’ ich der Wut!

Und will ſie nicht troknen!

Fließt, fließt die gluͤhende Wang’ herab,

Thraͤnen der Wut!

Sie ſind nicht ſtumm. Du vernimmſt, was ſie rauſchen!

Fluch iſts! Hoͤre ſie, Hela!

Keiner der Verraͤther des Vaterlands, die ihn
toͤdteten,

Sterb’ in der Schlacht!

Werdomar.
Sehet ihr den Waldſtrom ſtuͤrzen

Hinunter in der Felſenkluft?

Stuͤrzen mit ihm gewaͤlzte Tannen

Zu Hermanns Todtenfeuer?

Bald
(Hela)
[204]
Bald iſt er Staub, und ruhet

Im Gefaͤß der Begraͤbnifſe,

Und in dem heiligen Staube das Schwert,

Bey dem er Untergang dem Eroberer ſchwur!

Weil’, o du des Getoͤdteten Geiſt!

Auf deinem Wege zu Siegmar,

Und hoͤre, wie heiß von dir das Herz

Deines Volkes iſt!

Kerding.
Verſchweigts Thusnelden, verſchweigts,

Daß hier in Blut ihr Hermann liegt!

Sagts dem edlen Weibe, der ungluͤckſeligen Mut-
ter nicht,

Daß ihres Thumeliko Vater hier in Blute liegt!

Ihr nicht, die ſchon vor des ſtolzen Triumphs

Fuͤrchterlichen Wagen in der Feſſel ging!

Du haſt ein Roͤmerherz,

Der das der Ungluͤckſeligen ſagen kann!

Darmond.
Und welcher Vater zeugte dich,

Ungluͤckſelige! Segeſtes auch

Roͤthet’ in der finſtern ſpaͤten Rache ſein Schwert!

Flucht ihm nicht! ihm hat ſchon Hela geflucht!

Wer-
[205]
Werdomar.
Laßt den Namen Segeſt den Geſang nicht nennen!

Weihet ihn ſchweigend der Vergeſſenheit,

Daß uͤber ſeine Aſche ſie

Ruhe mit ſchwerem Fittig!

Die Saite, die den Namen

Hermanns bebt, wird entehrt,

Wenn ſie auch nur mit Einem Zornlaut

Verurtheilt den Verraͤther!

Hermann! Hermann! ſingen dem Widerhall,

Dem geheimen Graun des Hains, den Liebling der
edelſten!

Die Barden in vollem Chor, dem Fuͤhrer der
Kuͤhnſten

In vollem Chor, den Befreyer des Vaterlands!

Schweſter Cannaͤ’s! Winfelds Schlacht!

Ich ſah dich mit wehendem blutigen Haar,

Mit dem Flammenblick der Vertilgung,

Unter die Harfen Walhalla’s ſchweben!

Verbergen wollte Druſus Sohn

Dein vergaͤngliches Denkmaal:

Der Ueberwundnen weiſſes Gebein

In dem oͤden Todesthal!

Wir
[206]
Wir duldeten es nicht, und ſtaͤubten den Huͤgel weg!

Denn auch dieſes Maal ſollte Zeuge der groſſen Tage
ſeyn,

Und hoͤren bey dem Fruͤhlingsblumentanz,

Der Ueberwinder Triumphgeſchrey!

Der Schweſtern mehr wollt’ er Cannaͤ geben,

Geſpielin Varus in Elyſium!

Ohne der Fuͤrſten neidenden uͤberrufenden Rath-
ſchluß,

Ward Varus Geſpiele Caͤcina!

In Hermanns heiſſer Seele war

Lang ein groͤſſerer Gedanke!

Um Mitternacht, bey dem Opfer Thorrs, und dem
Kriegsgeſang,

Bildet’ er ſich in ihr, und ſchwang ſich entgegen
der That!

Auch dacht’ er ihn, wenn er tanzen ließ bey dem Mahl

Unter den Lanzen der Juͤnglinge,

Und umher um dem kuͤhnen Tanz

Blutringe warf, den Knaben ein Spiel.

Der Sturmbeſieger erzaͤhlt:

In dem Ocean des fernen Nords iſt ein Eilandsberg

Der flammenverkuͤndenden Dampf, als waͤlz’ er
Wolken, waͤlzt,

Dann ſtroͤmet die hohen Flammen, und meilen-
lang krachende Felſen wirft!

So
[207]
So verkuͤndete Hermann durch ſeine Schlacht,

Entſchloſſen, zu gehn

Ueber die ſchuͤzenden Eisgebirge! zu gehn

Hinunter in die Ebnen Roms!

Zu ſterben da! oder in dem ſtolzen Kapitol,

Dicht an der Wagſchaal Jupiters,

Zu fragen Tiberius, und ſeiner Vaͤter Schatten,

Um ihrer Kriege Gerechtigkeit!

Das zu thun! wollt’ er tragen Feldherrnſchwert

Unter den Fuͤrſten, da zuͤckten ſie den Tod auf ihn!

Und im Blute liegt nun der, in deſſen Seele war

Der groſſe Vaterlandsgedanke!

Darmond.
Haſt du ſie gehoͤrt, o Hela,

Meine zuͤrnende Thraͤne?

Haſt du ihr Rufen gehoͤrt,

Hela, Vergelterin?

Kerding.
In Walhalla wird Siegmar, unter der goldnen Aeſte
Schimmer,

Siegeslaub in der Hand, umſchwebt von Taͤnzen der
Enherion,

Von Thuiskon gefuͤhrt und von Mana,

Der Juͤngling den Juͤngling empfangen!

Wer-
[208]
Werdomar.
Siegmar wird, mit ſtummer Trauer,

Seinen Hermann empfangen.

Denn nun fragt er nicht Tiberius, und die Schatten

Seiner Vaͤter an der Wagſchaale Jupiters.
[figure]
Mein
[209]

Mein Vaterland.


So ſchweigt der Juͤngling lange,

Dem wenige Lenze verwelkten,

Und der dem ſilberhaarigen thatenumgebenen Greiſe,

Wie ſehr er ihn liebe! das Flammenwort hin-
ſtroͤmen will.

Ungeſtuͤm faͤhrt er auf um Mitternacht,

Gluͤhend iſt ſeine Seele!

Die Fluͤgel der Morgenroͤthe wehen, er eilt

Zu dem Greiſ’, und ſaget es nicht.

So ſchwieg auch ich. Mit ihrem eiſernen Arme

Winkte mir ſtets die ſtrenge Beſcheidenheit!

Der Fluͤgel wehet’, und meine Leyer ſchimmerte,

Und begann von ſelber zu toͤnen, allein mir bebte
die Hand.

Ich halt es laͤnger nicht aus! Ich muß die Leyer nehmen,

Fliegen den kuͤhnen Flug!

Reden, kann es nicht mehr verſchweigen,

Was in der Seele mir gluͤht.

O ſchone mein! dir iſt dein Haupt umkraͤnzet

Mit tauſendjaͤhrigem Ruhm! du hebſt den Tritt der
Unſterblichen,

Und geheſt hoch vor vielen Landen her!

O ſchone mein! … Ich liebe dich, mein
Vaterland!

OAch
[210]
Ach ſie ſinkt mir, ich hab es gewagt!

Es zittert die Hand mir die Saiten herunter;

Schone, ſchone! Wie wehet dein heiliger Kranz,

Wie gehſt du den Gang der Unſterblichen daher.

Ich ſeh ein ſanftes Laͤcheln,

Das ſchnell das Herz mir entlaſtet;

Ich ſing es mit dankendem Freuderuf dem Widerhall,

Daß dieſes Laͤcheln mir ward!

Fruͤh hab ich dir mich geweiht! Schon da mein Herz

Den erſten Schlag der Ehrbegierde ſchlug,

Erkohr ich, unter den Lanzen und Harniſchen

Heinrich, deinen Befreyer, zu ſingen.

Allein ich ſah die hoͤhere Bahn,

Und, entflammt von mehr, denn nur Ehrbegier,

Zog ich weit ſie vor. Sie fuͤhret hinauf

Zu dem Vaterlande des Menſchengeſchlechts!

Noch geh ich ſie, und wenn ich auf ihr

Des Sterblichen Buͤrden erliege;

So wend ich mich ſeitwaͤrts, und nehme des Bar-
den Leyer,

Und ſinge, o Vaterland, dich dir!

Du pflanzeteſt dem, der denket, und ihm, der handelt!

Weit ſchattet, und kuͤhl dein Hain,

Steht, und ſpottet des Sturmes der Zeit,

Spottet der Buͤſch um ſich her!

Wen
[211]
Wen ſcharfer Blick, und tanzende gluͤckliche Stunden
fuͤhren,

Der bricht in deinem Schatten, kein Maͤrchen ſie,

Die Zauberruthe, die, nach dem helleren Golde,

Dem neuen Gedanken, zuckt.

Oft nahm deiner jungen Baͤume das Reich an der
Rhone,

Oft das Land an der Themſ’ in die duͤnneren Waͤlder.

Warum ſollten ſie nicht? Es ſchieſſen ja bald

Andere Staͤmme dir auf!

Und dann ſo gehoͤrten ſie ja dir an. Du ſandteſt

Deiner Krieger hin. Da klangen die Waffen! da
toͤnte

Schnell ihr Ausſpruch: Die Gallier heiſſen Franken!

Engellaͤnder die Britten!

Noch lauter lieſſeſt du die Waffen klingen. Die hohe
Rom

Ward zum kriegeriſchen Stolz, ſchon von der Woͤlfin
geſaͤugt;

Lange war ſie Welttyrannin! Du ſtuͤrze teſt,

Mein Vaterland, die hohe Rom in ihr Blut!

Nie war, gegen das Ausland,

Ein anderes Land gerecht, wie du!

Sey nicht allzugerecht. Sie denken nicht edel genung,

Zu ſehn, wie ſchoͤn dein Fehler iſt!

O 2Ein-
[212]
Einfaͤltiger Sitte biſt du, und weiſe,

Biſt ernſten tieferen Geiſtes. Kraft iſt dein Wort,

Entſcheidung dein Schwert. Doch wandelſt du gern
es in die Sichel, und triefſt,

Wohl dir! von dem Blute nicht der anderen
Welten!

Mir winket ihr eiſerner Arm! Ich ſchweige

Bis etwa ſie wieder ſchlummert;

Und ſinne dem edlen ſchreckenden Gedanken nach,

Deiner werth zu ſeyn, mein Vaterland.
[figure]
Vater-
[213]

Vaterlandslied
zum Singen fuͤr Johanna Eliſabeth
von Winthem.


Ich bin ein deutſches Maͤdchen!

Mein Aug’ iſt blau, und ſanft mein Blick,

Ich hab ein Herz

Das edel iſt, und ſtolz, und gut.

Ich bin ein deutſches Maͤdchen!

Zorn blickt mein blaues Aug’ auf den,

Es haßt mein Herz

Den, der ſein Vaterland verkennt!

Ich bin ein deutſches Maͤdchen!

Erkoͤre mir kein ander Land

Zum Vaterland,

Waͤr mir auch frey die groſſe Wahl!

Ich bin ein deutſches Maͤdchen!

Mein hohes Auge blickt auch Spott,

Blickt Spott auf den,

Der Saͤumens macht bey dieſer Wahl.

Du biſt kein deutſcher Juͤngling!

Biſt dieſes lauen Saͤumens werth,

Des Vaterlands

Nicht werth, wenn du’s nicht liebſt, wie ich!

O 3Du
[214]
Du biſt kein deutſcher Juͤngling!

Mein ganzes Herz verachtet dich,

Der’s Vaterland

Verkennt, dich Fremdling! und dich Thor!

Ich bin ein deutſches Maͤdchen!

Mein gutes, edles, ſtolzes Herz

Schlaͤgt laut empor

Beym ſuͤſſen Namen: Vaterland!

So ſchlaͤgt mirs einſt beym Namen

Deß Juͤnglings nur, der ſtolz wie ich

Aufs Vaterland,

Gut, edel iſt, ein Deutſcher iſt!
[figure]
[[215]]

Elegien.


O 4Die
[[216]][217]

Die kuͤnftige Geliebte.


Dir nur, liebendes Herz, euch, meine vertraulich-
ſten Thraͤnen,

Sing ich traurig allein dieß wehmuͤthige Lied.

Nur mein Auge ſoll’s mit ſchmachtendem Feuer dur
irren,

Und, an Klagen verwoͤhnt, hoͤr es mein leiſeres Ohr:

Ach! warum, o Natur, warum, unzaͤrtliche Mutter,

Gabſt du zu dem Gefuͤhl mir ein zu biegſames Herz?

Und ins biegſame Herz die unbezwingliche Liebe,

Daurend Verlangen, und ach keine Geliebte dazu?

Die du kuͤnftig mich liebſt, (wenn anders zu meinen
Thraͤnen

Einſt das Schickſal erweicht eine Geliebte mir giebt!)

Die du kuͤnftig mich liebſt, o du aus allen erkohren,

Sag, wo dein fliehender Fuß ohne mich einſam
itzt irrt?

Nur mit Einem verrathenden Laute, mit Einem der Toͤne,

Die der Frohen entfliehn, ſag es, einſt Gluͤckliche,
mir!

Fuͤhlſt du, wie ich, der Liebe Gewalt, verlangſt du nach
mir hin,

Ohne daß du mich kennſt; o ſo verheele mirs nicht!

Sag es mit einem durchdringendem Ach, das meinem
Ach gleicht,

Das aus innerſter Bruſt Klage ſeufzet, und ſtirbt.

Oft um Mitternacht wehklagt die bebende Lippe,

Daß, die ich liebe, du mir immer unſichtbar noch biſt!

Oft um Mitternacht ſtreckt ſich mein zitternder Arm aus,

Und umfaſſet ein Bild, ach das deine vielleicht!

Wo, wo ſuch ich dich? wo werd ich endlich dich finden?

Du, die meine Begier ſtark und unſterblich verlangt!

O 5Jener
[218]
Jener Ort, der dich haͤlt, wo iſt er? wo flieſſet der Himmel,

Welcher dein Aug umwoͤlbt, heiter und laͤchelnd
vorbey?

Werd ich mein Auge zu dir einſt, ſegnender Himmel,
erheben,

Und umarmet die ſehn, die aufbluͤhen du ſahſt?

Aber ich kenne dich nicht! Es ging die fernere Sonne

Meinen Thraͤnen daſelbſt niemals nicht unter und
auf.

Soll ich jene Gefilde nicht ſehn? Fuͤhrt nie dort im
Fruͤhling

Meine zitternde Hand ſie durch ein bluͤhendes Thal?

Sinkt ſie, von ſuͤſſer Gewalt der maͤchtigen Liebe be-
zwungen,

Nie mit der Daͤmmerung Stern mir an die beben-
de Bruſt?

Ach, wie ſchlaͤgt mir mein Herz! Wie zittern durch meine
Gebeine

Freud und Hofnung, dem Schmerz unuͤberwindlich
dahin!

Unbeſingbare Luſt, ein ſuͤſſer begeiſternder Schauer,

Eine Thraͤne, die mir ſtill von den Wangen entfiel;

Und, o ich ſehe ſie! mitweinende, weibliche Zaͤhren

Ein mir liſpelnder Hauch, und ein erſchuͤtterndes Ach;

Ein zuſegnender Laut, der mir rief, wie ein Schatten
dem Schatten

Liebend ruft, weiſſagt, dich, die mich hoͤrete, mir.

O. du, die du Sie mir und meiner Liebe gebahreſt,

Haͤltſt du Sie, Mutter, umarmt; dreymal geſeg-
net ſey mir!

Dreymal geſegnet ſey mir dein gleich empfindendes Herze,

Das der Tochter zuerſt weibliche Zaͤrtlichkeit gab!

Aber laß ſie itzt frey! Sie eilt zu den Blumen, und will da

Nicht von Zeugen behorcht, will geſehen nicht ſeyn.

Eile
[219]
Eile nicht ſo! Doch mit welchem Namen ſoll ich dich
nennen,

Du, die unausſprechlich meinem Verlangen gefaͤllt?

Heiſſeſt du Laura? Laura beſang Petracha in Liedern,

Zwar dem Bewunderer ſchoͤn, aber dem Liebenden
nicht!

Wirſt du Fanny genannt? Iſt Cidli dein feyerlicher Name?

Singer, die Joſeph und den, welchen ſie liebte, beſang?

Singer! Fanny! Ach Cidli! ja Cidli nennet mein Lied dich,

Wenn im Liede mein Herz halbgeſagt dir gefaͤllt!

Eile nicht ſo, damit kein Dorn der verpflanzeten Roſe

Deinen zu fluͤchtigen Fuß, wenn du eileſt, verletzt;

Daß kein ſchaͤdlicher Duft des werdenden Fruͤhlings dich
anhaucht;

Daß ſich dem bluͤhenden Mund reinere Luͤfte nur
nahn.

Aber du geheſt denkend und langſam, das Auge voll
Zaͤhren,

Und jungfraͤulicher Ernſt deckt dein verſchoͤnert
Geſicht.

Taͤuſchte dich jemand? Und weinſt du, weil deiner Ge-
ſpielinnen eine

Nicht, wie von ihr du geglaubt, redlich und tu-
gendhaft war?

Oder liebſt du, wie ich? Erwacht mit unſterblicher Sehn-
ſucht,

Wie ſie mein Herz mir empoͤrt, dir die ſtarke Natur?

Was ſagt dieſer erſeufzende Mund? Was ſagt mir dieß
Auge,

Das mit verlangendem Blick ſich gen Himmel er-
hebt?

Was entdeckt mir dieß tiefere Denken, als ſaͤhſt du ihn
vor dir?

Ach, als ſaͤnkſt du ans Herz dieſes Gluͤcklichen hin!

Ach
[220]
Ach du liebeſt! So wahr die Natur kein edleres Herz
nicht

Ohne den heiligſten Trieb derer, die ewig ſind, ſchuf!

Ja, du liebeſt, du liebeſt! Ach wenn du den doch auch
kennteſt,

Deſſen liebendes Herz unbemerket dir ſchlaͤgt;

Deſſen Seufzer dich ewig verlangen, dich bang vom
Geſchicke

Fodern, von dem Geſchick, das unbeweglich ſie hoͤrt.

Weheten doch ſanftrauſchende Winde ſein innig Ver-
langen,

Seiner Seufzer Laut, ſeine Geſaͤnge dir zu!

Winde, wie die in der goldenen Zeit, die vom Ohre
des Schaͤfers

Hoch zu der Goͤtter Ohr flohn mit der Schaͤferin Ach.

Eilet, Winde, mit meinem Verlangen zu ihr in die Laube,

Schauert hin durch den Wald, rauſcht, und ver-
kuͤndigt mich ihr!

Ich bin redlich! Mir gab die Natur Empfindung zur
Tugend;

Aber maͤchtiger war, die ſie zur Liebe mir gab.

Zu der Liebe, der Tugenden ſchoͤnſten, wie ſie den Men-
ſchen

In der Jugend der Welt ſtaͤrker und edler ſie gab.

Alles empfind ich von dir; kein halb begegnendes Laͤ-
cheln;

Kein unvollendetes Wort, welches in Seufzer
verflog;

Keine ſtille mich fliehende Thraͤne, kein leiſes Verlangen,

Kein Gedanke, der ſich mir in der Ferne nur zeigt;

Kein halb ſtammelnder Blick voll unausſprechlicher Re-
den,

Wenn er den ewigen Bund ſuͤſſer Umarmungen
ſchwoͤrt;

Auch
[221]
Auch der Tugenden keine, die du mir ſittſam verbirgeſt,

Eilet mir unerforſcht und unempfunden vorbey!

Ach, wie will ich, o Cidli, dich lieben! Das ſagt uns
kein Dichter,

Selbſt wir entzuͤckt im Geſchwaͤtz trunkner Bered-
ſamkeit nicht.

Kaum, daß noch die unſterbliche ſelbſt, die fuͤhlende
Seele

Ganz die volle Gewalt dieſer Empfindungen faßt!
[figure]
PSel-
[222]

Selmar und Selma.


Meine Selma, wenn aber der Tod uns Liebende
trennte?

Wenn dein Geſchick dich zuerſt zu den Unſterbli-
chen ruft?

Ach, ſo werd ich um dich mein ganzes Leben durch-
weinen,

Jeden naͤchtlichen Tag, jede noch truͤbere Nacht!

Jede Stunde, die ſonſt in deiner Umarmung vorbey floß,

Jede Minute, die uns, zaͤrtlich genoſſen, entfloh!

Ach, ſo vergehen mir dann die uͤbrigen Jahre voll
Schwermuth,

Wie der vergangenen keins ungeliebt uns entfloh.

Ach mein Selmar, wenn kuͤnftig der Tod uns Lie-
bende trennte,

Wenn dein Geſchick dich zuerſt zu den Unſterb-
lichen ruft;

Ach, dann wein’ ich um dich mein ganzes uͤbriges Leben,

Jeden unbrauchbaren Tag, jede mir ſchreckliche
Nacht!

Jede Stunde, die ſonſt, mit deinem Laͤcheln erheitert,

Unter dem ſuͤſſen Geſpraͤch zaͤrtlicher Thraͤnen ent-
floh!

Ach ſo vergehen mir dann die uͤbrigen Tage voll Schwer-
muth,

Wie der vergangenen keins ungeliebt uns entfloh.

Meine Selma, du wollteſt nach mir nur Tage noch
leben?

Und ich braͤchte noch die Jahre voll Traurigkeit zu?

Selma, Selma, nur wenig unbrauchbare truͤbe Mi-
nuten,

Bring ich, biſt du erblaßt, neben dir ſeelenlos zu!

Nehme
[223]
Nehme noch Einmal die Hand der Todten, kuͤſſe dein
Auge

Einmal noch, in die Nacht ſink ich, und ſterbe
bey dir.

Selmar, ich ſterbe nach dir! den Schmerz ſoll Sel-
mar nicht fuͤhlen,

Daß er ſterbend mich ſieht. Selmar, ich ſterbe
nach dir!

Bringe dann auch nur wenig unbrauchbare truͤbe Mi-
nuten,

Biſt du, Selmar, erblaßt, neben dir ſeelenlos zu!

Blicke noch einmal dich an, und ſeufze noch einmal:
Mein Selmar!

Sink an die ruhende Bruſt, zittr’ und erblaſſe
daſelbſt!

Selma, du ſtuͤrbeſt nach mir? den Schmerz ſoll Sel-
ma nicht fuͤhlen,

Daß ſie ſterbend mich ſieht. Selma, du ſtirbſt
nicht nach mir!

Selmar, ich ſterbe nach dir! Das iſt es, was ich vom
Schickſal

Laͤngſt ſchon mit Thraͤnen erbat. Selmar, ich
ſterbe nach dir!

Ach wie liebeſt du mich! Sieh dieſe weinenden Augen!

Fuͤhle dieß bebende Herz! Selma, wie liebeſt du mich!

Meine Selma, du ſtuͤrbeſt nach mir? du fuͤhlteſt die
Schmerzen,

Daß du ſterbend mich ſaͤhſt? Selma, wie liebeſt
du mich!

Ach wenn eine Sprache doch waͤre, dir alles zu ſagen,

Was mein liebendes Herz, meine Selma, dir fuͤhlt!

Wuͤrde dieß Aug und ſein Blick, und ſeine Zaͤhren
voll Liebe,

Und dieß Ach des Gefuͤhls, das mir gebrochen entfloh,

P 2Doch
[224]
Doch zu einer Sprache der Goͤtter, dir alles zu ſagen,

Was mein liebendes Herz, meine Selma dir fuͤhlt.

Ach, wenn doch kein Grabmal waͤre, das Liebende
deckte,

Die einander ſo treu, die ſo voll Zaͤrtlichkeit ſind!

Aber weil ihr denn ſeyd, ihr immer offenen Graͤber,

Nehmet zum wenigſten doch nehmet auf einmal
uns ein!

Hoͤreſt du mich, der zur Liebe mich ſchuf? Ach! wenn
du mich hoͤreſt;

Laß mit eben dem Hauch Selma ſterben, und
mich!

Selmar, ich ſterbe mit dir! Ich bete mit dir von
dem Himmel

Dieſe Wohlthat herab. Selmar, ich ſterbe mit
dir!
[figure]
Roth-
[225]

Rothſchilds Graͤber.


Ach, hier haben ſie Dich bey deinen Vaͤtern begraben,

Den wir liebten, um den lange die Thraͤne noch fließt;

Jene treuere, die aus nie vergeſſendem Herzen

Kommt, und des Einſamen Blick ſpaͤt mit Er-
innerung truͤbt.

Sollt um ſeinen entſchlafenen Koͤnig nicht Thraͤnen
der Wehmut

Lange vergieſſen ein Volk, deſſen Wittwe nicht
weint?

Ach, um einen Koͤnig, von dem der Waiſe, des Dankes

Zaͤhren im Aug’, oft kam, lange nicht klagen ſein
Volk?

Aber noch wend’ ich mich weg, kann noch zu der Halle
nicht hingehn,

Wo des Todten Gebein neben der Todten itzt ruht,

Neben Luiſa, die uns des Kummers einzigen Troſt gab,

Die wir liebten, der auch ſpaͤtere Traurigkeit rann!

O ihr aͤlteren Todten, ihr Staub! einſt Koͤnige, fruͤh rief

Er den Enkel zu euch, der die Welten beherrſcht!

Ernſt, in Sterbegedanken, umwandl’ ich die Graͤber,
und leſe

Ihren Marmor, und ſeh Schrift wie Flammen
daran,

Andre, wie die, ſo die Auſſengeſtalt der Thaten nur bildet,

Unbekannt mit dem Zweck, welchen die Seele verbarg.

Furchtbar ſchimmert die himmliſche Schrift: Dort ſind
ſie gewogen,

Wo die Krone des Lohns, keine vergaͤngliche, ſtrahlt!

Ernſter, in tieferer Todesbetrachtung meid’ ich die Halle

Stets noch, in welche dem Thron Friederichs
Truͤmmer entſank!

P 3Denn
[226]
Denn mir blutet mein Herz um Ihn! O Nacht des
Verſtummens,

Als die Ausſaat Gott ſaͤte, wie traurig warſt du!

Aber warum wank’ ich, und ſaͤume noch ſtets, zu dem
Grabe

Hinzugehen, wo Er einſt mit den Todten erwacht?

Iſt es nicht Gott, der Ihn in ſeine Gefilde geſaͤt hat?

Ach, zu des ewigen Tags dankenden Freuden geſaͤt?

Und, o ſollte noch weich deß Herz ſeyn, welcher ſo
Viele,

Die er liebte, verlor, Viele, die gluͤcklicher ſind?

Deſſen Gedanken um ihn ſchon viel Unſterbliche ſam-
meln,

Wenn er den engeren Kreis dieſer Vergaͤnglich-
keit mißt,

Und die Huͤtten an Graͤbern betrachtet, worinn die
Bewohner

Traͤumen, bis endlich der Tod ſie zu dem Leben
erweckt!

Dieſe Staͤrke bewafne mein Herz! Doch beb’ ich im
Anſchaun?

Ach! des Todten Gebein! unſers Koͤnigs Ge-
bein! ....

Streuet Blumen umher! Der Fruͤhling iſt wiederge-
kommen!

Wiedergekommen … ohn’ Ihn! … Bluͤthe be-
kraͤnze ſein Grab!

Daniens ſchoͤne Sitte, die ſelbſt dem ruhenden Land-
mann

Freudighoffend das Grab jaͤhrlich mit Blumen
bedeckt,

Sey du feſtlicher jezt, und ſtreu um des Koͤnigs Ge-
beine,

Auferſtehung im Sinn, Kraͤnze des Fruͤhlings umher!

Sanftes,
[227]
Sanftes, erheiterndes Bild von Auferſtehung! Und
dennoch

Truͤbt ſich im Weinen der Blick, traͤufelt die Thraͤn’
auf den Kranz?

Friederich! Friederich! ach, denn dieſes allein iſt von
Dir uns

Uebrig! ein Leib, der verweſt, bald noch zerfall-
nerer Staub!

Schweigendes Grabgewoͤlbe, das ſeine Gebeine beſchattet,

Schauer koͤmmt von dir her! langſam auf Fluͤ-
geln der Nacht

Schauer! Ich hoͤr’ ihr Schweben. Wer ſeyd ihr, See-
len der Todten? …

Gluͤckliche Vaͤter ſind wir! ſegneten, ſegneten noch

Friederich, als der Erde wir Erde gaben! Wir kommen

Nicht von Gefilden der Schlacht! … Ferne ver-
liert ſich ihr Laut,

Und ich hoͤr’ ihr Schweben nicht mehr; allein noch
bewoͤlkt mich

Trauren um Ihn! Ach, da ſchlaͤft er im Tode
vor mir,

Den ich liebte! Wie einer der Eingebohrnen des Landes

Liebt’ ich Friedrich, und da ſchlaͤft er im Tode
vor mir!

Beſter Koͤnig! .... Es klagt Ihm nach der Muſe
Geſpiele

Und der Weisheit! Um Ihn trauert der Lieb-
ling der Kunſt!

Beſter Koͤnig! .... Der Knabe, der Greis, der
Kranke, der Arme

Weinen, Vater! … Es weint nah und ferne
dein Volk!

Von des Hekla Gebirge bis hin zum Strome der Weſer

Weinet alle dein Volk, Vater, dein gluͤckliches Volk!

Kann
[228]
Kann dir Lohn Unſterblichkeit ſeyn; ſo beginnet die
Erd’ ihn

Jetzt zu geben! Allein iſt denn Unſterblichkeit Lohn?

Du, o Friederichs Sohn, du Sohn Louiſens, erhabner

Theurer Juͤngling, erfuͤll unſer Erwarten, und ſey,

Schoͤner, edler Juͤngling, den alle Grazien ſchmuͤcken,

Auch der Tugend, ſey uns, was dein Vater
uns war!

Heiliger kann kein Tempel Dir, als dieſer voll Graͤber

Deiner Vaͤter, und nichts mehr Dir Erinnerung
ſeyn,

Daß es alles Eitelkeit iſt, und Thaten der Tugend

Dann nur bleiben, wenn Gott auch von dem
Throne Dich ruft!

Ach! im Tod’ entſinkt die Erdenkrone dem Haupte,

Ihr Schimmer umwoͤlkt bald der Vergaͤnglich-
keit Hand;

Aber es giebt auf ewig die ehrenvollere Krone

Jenen entſcheidenden Tag ſeiner Vergeltungen
Gott!
[figure]
[][][][]
Notes
(Gna)
Nach der Mythologie unſrer Vorfahren, eine
Untergoͤttin, welche Freya, die erſte der Goͤttinnen,
mit ihren Befehlen ausſandte.
(Idunens)
Iduna, auch Idun, bewahrte in einer gold-
nen Schale Aepfel, womit die Goͤtter die Unſterb-
lichkeit erhielten.
(Ullers)
Schoͤnheit, Pfeil, und Schrittſchuh unterſchei-
den ihn von den andern Goͤttern.
(Wingolf)
Der Tempel der Freundſchaft.
(Hlyn)
Die Goͤttinn der Freundſchaft.
(Braga)
Auch Bragar, der Gott der Dichtkunſt.
(Telyn)
Die Leyer der Barden. Sie heißt noch jetzt
ſo in derjenigen neuern celtiſchen Sprache, die am
meiſten von der aͤltern behalten hat.
(Mimer)
Der Quell der Dichtkunſt und der Weisheit.
(Tanfana)
Ein Tempel der Deutſchen.
(Iduna)
Sie iſt Braga’s Frau.
(Glasor)
Ein Hain in Walhalla, deſſen Baͤume goldne
Zweige haben.
Bardale
von Barde, hieß in unſrer aͤlteren Sprache
die Lerche. Die Nachtigall verdients noch mehr,
ſo zu heiſſen.
(Phiala)
Der Quell des Jordans.
(Zuerst dem Schall)
Karl der Groſſe, der ſich bisweilen
auch mit Erfindung neuer Alphabete beſchaͤftigte,
ließ die Lieder der Barden, die man bisher nur durch
muͤndliche Ueberlieferung gekannt hatte, zuerſt
aufſchreiben. Der engliſche Geſchichtſchreiber Paris
hat noch Handſchriften dieſer Lieder geſehn.
(Skofliod)
in der Sprache der Angeln und Sachſen
das Lied des Dichters, noch ohne Muſik, Sang-
gliod, mit Muſik.
(Triombon)
Trompete, nach einem ſehr alten Glof-
ſarium.
(Hochsang)
Hymnus, zu Otfrieds Zeiten.
(Enherion)
Die Helden in Walhall.
(Der Sohn Siphia)
Uller.
(Tialf)
Thorrs Begleiter, der mit dem Geiſte des
Rieſen einen Wettlauf hielt.
(Des hohen Nord)
In Harolds Liede ſteht: Ich
bin ein Krieger, mein Roß zu zaͤhmen iſt mir
ein Spiel, ich ſchwimme, ich laufe auf Schritt-
ſchuhn, ich werfe die Lanze; und das ruſſi-
ſche Maͤdchen liebt mich nicht!
(Nossa)
Eine Untergoͤttinn, die ſchoͤnſte aller Goͤt-
tinnen. Wenn die Barden und Skalden den
Begriff von Anmuth und Reitz erhoͤhn woll-
ten; ſo nannten ſie Noſſa.
(Nornen)
Untergoͤttinnen, Skulda, der Zukunft,
Werandi, der gegenwaͤrtigen Zeit.
(Allhend)
Bey unſern Alten volle Harmonie eines
Gedichts.
(Filea)
Die vortreflichſten unter den Barden, wel-
che die juͤngeren unterrichteten.
(Wurdi)
Die Norne der vergangnen Zeit. So nennt
ſie der Sachſe, ein Dichter aus Ludewigs des
Frommen Zeiten, und verſteht das Schickſal
dadurch. In der Edda wird ſie Urd genannt.
(Alzes)
Einem Haine alter Heiligkeit ſteht ein Prieſter
in weiblichem Schmucke vor. Ein Roͤmer wuͤrde
die Goͤtter dieſes Hains Caſtor und Pollux nen-
nen. Sie heiſſen Alzes. Sie haben keine Bild-
niſſe, werden auch durch keinen auslaͤndiſchen Got-
tesdienſt, aber doch als Bruͤder und als Juͤng-
linge verehrt. Tacitus.
(Loͤbna, Wara)
Die erſte ſoͤhnt die Liebenden aus; die
zweyte beſtraft die Ungetreuen.
(Hela)
Sie herrſcht in denen traurigen Gegenden, wo die-
jenigen nach dem Tode ſind, die nicht in der
Schlacht ſterben.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 2. Oden. Oden. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bnkh.0