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TROJANISCHE ALTERTHÜMER.
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TROJANISCHE ALTERTHÜMER.

BERICHT
über
DIE AUSGRABUNGEN IN TROJA.


[figure]

LEIPZIG::
IN COMMISSION BEI F. A. BROCKHAUS.
1874.

[[IV]]
[[V]]

EINLEITUNG.


Das vorliegende Werk ist eine Art von Tagebuch
meiner Ausgrabungen in Troja, denn alle Aufsätze,
woraus es besteht, sind, wie die Lebhaftigkeit der Schil-
derungen es beweist, an Ort und Stelle, beim Fort-
schreiten der Arbeiten, von mir niedergeschrieben.


Wenn meine Aufsätze hin und wieder Widersprüche
enthalten, so hoffe ich, dass man mir diese zugute halten
wird, wenn man berücksichtigt, dass ich hier eine neue
Welt für die Archäologie aufgedeckt, dass man bisjetzt
noch nie oder nur höchst wenige solcher Sachen gefun-
den, wie ich sie zu Tausenden ans Licht gebracht, dass
mir daher alles fremd und räthselhaft erschien, und ich
somit oft Vermuthungen wagte, die ich bei reiflicher
Ueberlegung wieder umwerfen musste, bis ich endlich
zur gründlichen Einsicht gelangte und auf viele that-
sächliche Beweise gegründete Schlüsse ziehen konnte.


Eine meiner grössten Schwierigkeiten ist es aber
gewesen, die enorme Schuttaufhäufung in Troja mit der
Chronologie in Einverständniss zu bringen, und ist mir
dies trotz langem Forschen und Grübeln nur theilweise
gelungen. Nach Herodot (VII, 43): „kam Xerxes bei
seinem Zuge durch Troas vor seinem Einfall in Griechen-
[VI]einleitung.
land (also im Jahre 480 v. Chr.) am Skamander an und
stieg zu Priam’s Pergamos hinauf, weil er das Verlangen
hatte, diese Burg zu sehen; und nachdem er sie gesehen
und sich nach ihren Schicksalen erkundigt hatte, opferte
er der ilischen Minerva 1000 Rinder, und die Magier
brachten den Manen der Helden Trankopfer dar“.


Aus dieser Stelle geht stillschweigend hervor, dass
damals eine griechische Colonie schon seit langer Zeit
die Stadt innehatte, und nach dem Zeugnisse Strabo’s
(XIII, 1, 42) erbaute dieselbe Ilium unter der Herrschaft
der Lydier. Da nun der Anfang der lydischen Herr-
schaft auf 797 v. Chr. festgestellt wird und die Ilier bei
der Ankunft des Xerxes, im Jahre 480 v. Chr., dort
längst vollkommen eingerichtet gewesen zu sein scheinen,
so darf man wol annehmen, dass ihre Niederlassung in
Troja ungefähr 700 Jahre v. Chr. erfolgt ist. Die Haus-
mauern hellenischer Architektur, von grossen Steinen
ohne Cement, sowie die Ueberbleibsel des griechischen
Hausgeräths, reichen aber in den Ausgrabungen auf der
platten Fläche des Berges nie tiefer als 2 Meter.


Da ich in Ilium keine spätern Inschriften als vom
2. Jahrhundert n. Chr. und keine Medaillen später als
Constans II. und Constantin II., von diesen beiden Kaisern
aber sowie von Constantin I., dem Grossen, sehr viele
finde, so ist bestimmt anzunehmen, dass schon vor der
Zeit des letztern, der bekanntlich anfänglich dort Con-
stantinopel zu bauen beabsichtigte, die Stadt in Verfall
kam, jedoch ungefähr bis zum Ende der Regierung
Constans’ II., sage bis 361 n. Chr., ein bewohnter Ort
blieb. Aber die Schuttaufhäufung in dieser langen Pe-
riode von 1061 Jahren beträgt nur 2 Meter, während
[VII]einleitung.
man unterhalb derselben noch 12 Meter oder 40 Fuss,
und auf vielen Stellen gar 14 Meter oder 46½ Fuss tief
zu graben hat, ehe man den Urboden erreicht, der aus
einem Muschelkalkfelsen besteht. Diese gewaltige, 40
bis 46½ Fuss dicke Schuttdecke, welche von den vier
verschiedenen Völkern herrührt, die, das eine nach dem
andern, den Berg vor Ankunft der griechischen Colonie,
also vor 700 v. Chr., bewohnt haben, ist ein unermess-
lich reiches Füllhorn der merkwürdigsten, bisher nie
gesehenen Terracottas und anderer Gegenstände, die
nicht die entfernteste Aehnlichkeit mit den Erzeugnissen
hellenischer Kunst haben. Die Frage drängt sich nun
auf: ob nicht diese enorme Trümmermasse vielleicht
von einem andern Orte hierher gebracht worden ist, um
den Berg zu erhöhen? Eine solche Hypothese ist, wie
sich jeder Besucher meiner Excavationen auf den ersten
Blick überzeugen kann, ganz unmöglich, weil man in
allen Schuttschichten, vom Felsen in 14 und 16 Meter
(46 bis 53½ Fuss) Tiefe ab bis zu 4 Meter unter der
Oberfläche fortwährend Reste gemauerter Wände sieht,
die auf starken Fundamenten ruhen und von wirklichen
Häusern herrühren, und ausserdem, weil alle die zahl-
reichen grossen Wein-, Wasser- und Leichenurnen, de-
nen man begegnet, aufrecht stehen. Die Frage ist dann:
aber wie viele Jahrhunderte sind erforderlich gewesen,
um von den Trümmern der vorgriechischen Haushaltun-
gen eine Schuttdecke von 40 bis 46½ Fuss Dicke zu
bilden, wenn zur Formirung der obersten, der griechi-
schen Schuttdecke, von 2 Meter oder 6½ Fuss Dicke,
1061 Jahre erforderlich waren? Ich habe in meinen
dreijährigen Ausgrabungen in den Tiefen Trojas täglich
[VIII]einleitung.
und stündlich Gelegenheit gehabt, mich zu überzeugen,
dass wir uns, nach dem Massstabe unserer eigenen oder
der altgriechischen Lebensweise, von dem Leben und
Treiben der vier Völker, welche das eine nach dem
andern vor der Zeit der griechischen Ansiedelung die-
sen Berg bewohnt haben, gar keinen Begriff machen
können; es muss heilloss bei ihnen zugegangen sein,
denn sonst könnte man nicht in beständiger unregel-
mässiger Reihenfolge auf den verschütteten Resten des
einen Hauses die Wände eines andern finden; und eben
weil wir uns keinen Begriff davon machen können, wie
diese Nationen gewirthschaftet und welche Calamitäten sie
zu ertragen gehabt haben, können wir unmöglich nach
der Dicke ihrer Trümmer die Dauer ihrer Existenz
auch nur annähernd berechnen. Höchst merkwürdig,
aber durch die fortwährenden Calamitäten, welche diese
Stadt befallen haben, vollkommen erklärlich ist es, dass
bei allen vier Völkern die Civilisation stets abgenommen
hat; die Terracotten, welche fortwährende décadence
zeigen, lassen keinen Zweifel darüber.


Die erste Ansiedelung dieses Berges scheint jeden-
falls von längster Dauer gewesen zu sein, denn ihre
Trümmer bedecken den Felsen bis zu einer Höhe von
4 und 6 Meter. Ihre Häuser und Festungsmauern waren
von grossen und kleinen, mit Erde verbundenen Steinen
gebaut, und sieht man mehrfach Reste davon in meinen
Ausgrabungen. Ich glaubte im vorigen Jahre, diese
Ansiedler seien identisch mit den von Homer besunge-
nen Trojanern, weil ich bei ihnen Bruchstücke des Dop-
pelbechers, des homerischen δέπας ἀμφικύπελλον gefunden
zu haben vermeinte. Bei genauer Prüfung hat es sich
[IX]einleitung.
aber herausgestellt, dass diese Bruchstücke von einfachen
Bechern mit hohlem Fuss herrühren, der nie als zweiter
Becher gebraucht sein kann. Ueberdies glaube ich in
meinen diesjährigen Aufsätzen hinreichend bewiesen zu
haben, dass Aristoteles (Hist. anim., IX, 40) irrthümlich
dem homerischen δέπας ἀμφικύπελλον die Gestalt einer
Bienenzelle gibt, dass man von jeher diesen Becher
fälschlich als Doppelbecher aufgefasst hat, und dass er
nichts anderes bedeuten kann als: Becher mit einem
Henkel an jeder Seite, wie solche in den Trümmer-
schichten der ersten Ansiedelung dieses Berges niemals,
dagegen in jenen des folgenden Volkes in grossen
Massen, auch bei den beiden spätern Nationen, die hier
der griechischen Colonie vorausgegangen sind, vielfach
vorkommen. Der grosse, 600 Gramm wiegende goldene
Becher mit zwei Henkeln, den ich im königlichen
Schatze, in 8½ Meter Tiefe, in den Trümmerschichten
des zweiten Volkes fand, lässt in dieser Hinsicht keinen
Zweifel übrig.


Die Terracotten, welche ich in 14 Meter Tiefe auf
dem Urboden fand, sind alle so ausgezeichneter Qualität,
wie sie in keiner der höhern Schichten vorkommen; sie
sind glänzend schwarz, roth oder braun, und haben ein-
geschnittene, mit einer weissen Masse gefüllte Verzie-
rungen; die Schalen haben an zwei Seiten horizontale
Röhren, die Vasen haben meistentheils an jeder Seite
zwei senkrechte Röhren zum Aufhängen mit Schnüren;
von bemaltem Terracotta fand ich nur ein Bruchstück.


Alles was sich über die ersten Ansiedler sagen
lässt, ist, dass sie arischen Stammes waren; dies be-
weisen zur Genüge die in ihren Trümmerschichten, sowol
[X]einleitung.
auf den Topfscherben als auf den kleinen merkwürdigen
durchbohrten Terracottas in Gestalt des Vulkans und
des Carrousels vorkommenden arischen religiösen Sym-
bole, unter welchen man auch das

[figure]

sieht.


Meine diesjährigen Ausgrabungen haben zur Genüge
bewiesen, dass die zweite Nation, die auf diesem Berge,
auf den 4 bis 6 Meter oder 13 bis 20 Fuss hohen Trümmern
der ersten Ansiedler, eine Stadt erbaute, die von Homer
besungenen Trojaner waren, deren Schuttschichten in 7
bis 10 Meter oder 23⅓ bis 33⅓ Fuss unter der Oberfläche
sind. Diese trojanischen Trümmerschichten, welche ohne
Ausnahme das Gepräge grosser Glut tragen, bestehen
hauptsächlich aus rother Holzasche und bedecken 1½
bis 3 Meter hoch Iliums grossen Thurm, das doppelte
Skaeische Thor und die grosse Ringmauer, deren Bau
Homer dem Neptun und dem Apollo zuschreibt, und be-
weisen, dass die Stadt durch eine furchtbare Feuers-
brunst zu Grunde ging. Wie gross die Glut gewesen
ist, zeigen auch die grossen Steinplatten des vom dop-
pelten Skaeischen Thor zur Ebene hinunterführenden
Weges; denn als ich diesen Weg vor einigen Monaten
blosslegte, sahen alle Steinplatten so unversehrt aus, als
wenn sie erst kürzlich gelegt worden wären; nachdem
sie aber einige Tage der Luft ausgesetzt gewesen waren,
fingen, auf einer Strecke von 3 Meter, die Platten des
obern Theils des Wegs, welcher der Glut ausgesetzt
gewesen war, an wegzubröckeln und sind jetzt beinahe
schon verschwunden, während diejenigen des untern
Theils des Wegs, welcher vom Feuer unberührt geblie-
ben war, durchaus unversehrt geblieben sind und un-
verwüstlich zu sein scheinen. Ein weiteres Zeugniss von
[XI]einleitung.
der furchtbaren Katastrophe gibt eine ½ bis 3 Centi-
meter dicke Schlackenschicht von geschmolzenem Blei-
und Kupfererz, die sich in 8½ bis 9 Meter Tiefe fast
durch den ganzen Berg ausdehnt. Dass Troja nach
blutigem Kampfe vom Feinde zerstört wurde, dafür
zeugen die vielen Menschenknochen, die ich in diesen
Schuttschichten fand, und vor allen Dingen die in den
Tiefen des Minervatempels gefundenen Gerippe mit
Helmen; denn, wie wir aus Homer wissen, wurden alle
Leichname verbrannt und die Asche in Urnen beigesetzt,
deren ich eine gewaltige Menge in allen vorgriechischen
Schuttschichten dieses Berges fand. Ferner lässt keinen
Zweifel über die Zerstörung der Stadt durch Feindes
Hand der von mir auf der grossen Ringmauer neben
dem königlichen Palast, in 8½ Meter Tiefe und mit 1½
bis 2 Meter rothem trojanischen Schutt und einer post-
trojanischen, 6 Meter hohen Festungsmauer bedeckt ge-
fundene Schatz, den wahrscheinlich jemand von der kö-
niglichen Familie während der Zerstörung versucht hat
zu retten, aber gezwungen worden ist, auf der Ring-
mauer zurückzulassen.


Auf die Angaben der Ilias vertrauend, an deren Ge-
nauigkeit ich wie ans Evangelium glaubte, meinte ich His-
sarlik, der Berg den ich seit drei Jahren durchwühlt habe, sei
die Pergamos der Stadt, Troja müsse wenigstens 50000 Ein-
wohner gehabt und seine Baustelle müsse sich bis über die
ganze Baustelle des Ilium der griechischen Colonie hinaus
ausgedehnt haben, dessen Plan im Massstabe von \frac{2787}{10000}
Millimeter per Meter ich auf Tafel 213 gebe. Dessen unge-
achtet wollte ich die Sache genau untersuchen und glaubte
dies nicht besser thun zu können, als durch Anlegung von
[XII]einleitung.
Brunnen. Behutsam fing ich daher an, an den äussersten
Enden des griechischen Ilium Brunnen zu graben, die aber
bis zum Urboden nur Hauswände oder Mauern, sowie
Bruchstücke von Töpferwaare aus griechischer Zeit, und
keine Spur von den Trümmern der vorhergehenden Völker
zum Vorschein brachten. Ich rückte daher dieser ver-
meinten Pergamos mit dem Graben von Brunnen all-
mählich näher, ohne bessern Erfolg, und da nun endlich
gar sieben Brunnen, die ich unmittelbar am Fusse dieses
Berges bis zum Felsen grub, nur griechisches Mauerwerk
und nur griechische Topfscherben zum Vorschein brach-
ten, so trete ich jetzt aufs entschiedenste mit der Be-
hauptung hervor: dass sich Troja auf die kleine Fläche
dieses Berges beschränkt hat, dass seine Baustelle genau
angegeben ist durch seine von mir auf vielen Stellen
blossgelegte grosse Ringmauer; dass die Stadt keine
Akropolis hatte und die Pergamos eine reine Erfindung
Homer’s ist; ferner dass Trojas Baustelle in posttroja-
nischer Zeit bis zur griechischen Ansiedelung nur um
so viel zugenommen hat, als der Berg durch den hinun-
tergeworfenen Schutt gewachsen ist, dass aber dem
Ilium der griechischen Colonie sogleich bei dessen
Gründung eine grosse Ausdehnung gegeben wurde.


Wenn man sich aber einerseits hinsichtlich der
Grösse Trojas getäuscht sieht, so muss man doch ande-
rerseits eine hohe Genugthuung in der nunmehr erlang-
ten Gewissheit empfinden, dass es wirklich ein Troja
gab, dass dies Troja dem grössten Theile nach von mir
ans Licht gebracht ist, und dass die Ilias — wenn auch
in übertriebenem Massstabe — diese Stadt und die That-
sache ihres tragischen Endes besingt. Homer ist aber
[XIII]einleitung.
nun einmal kein Historiker, sondern ein epischer Dichter,
und muss man ihm die Uebertreibungen zugute halten.


Da Homer die Topographie und die Witterungsver-
hältnisse der Troade so genau kennt, so leidet es wol
keinen Zweifel, dass er selbst Troja besucht hat; da er
aber lange nach dessen Untergang kam und die Bau-
stelle Trojas sogleich bei der Katastrophe durch die
Trümmer der zerstörten Stadt tief im Schutt begraben
und seit Jahrhunderten durch eine neue Stadt überbaut
worden war, so konnte er weder Iliums grossen Thurm,
noch das Skaeische Thor, noch die grosse Ringmauer,
noch den Palast des Priamos sehen, denn, wie jeder
Besucher der Troade sich in meinen Excavationen über-
zeugen kann, lastete auf allen diesen Denkmälern un-
sterblichen Ruhms, schon allein von Trojas Trümmern und
rother Asche, eine Decke von 1½ bis 3 Meter oder 5 bis 10
Fuss Dicke, und diese Schuttaufhäufung muss bis Homer’s
Besuch noch sehr bedeutend zugenommen haben. Homer
stellte keine Excavationen an, um jene Denkmäler ans Licht
zu bringen; er kannte sie aber aus der Ueberlieferung,
denn seit Jahrhunderten war Trojas tragisches Ende im
Munde aller Sänger, und das Interesse, was sich daran
knüpfte, war so gross, dass, wie meine Ausgrabungen
erwiesen haben, die Tradition selbst in vielen Einzel-
heiten genau die Wahrheit berichtete; so z. B. das Vor-
handensein des Skaeischen Thors in Iliums grossem
Thurm; der stete Gebrauch des Skaeischen Thors im
Plural, weil dasselbe als doppelt geschildert worden sein
muss, und in der That hat es sich als doppelt heraus-
gestellt. Nach den Versen der Ilias, XX, 307—308
scheint es mir jetzt höchst wahrscheinlich, dass der
[XIV]einleitung.
König von Troja zur Zeit von Homer’s Besuch sein Ge-
schlecht in gerader Linie von Aeneas abzustammen
vorgab.


Weil nun Homer Iliums grossen Thurm und das
Skaeische Thor nicht sah, sich nicht denken konnte,
dass diese Bauten tief unter seinen Füssen begraben
ruhten, sich auch wol — nach den damals bestehenden
Gesängen — Troja als sehr gross vorstellen mochte und
es vielleicht noch grösser zu schildern wünschte, so ist es
nicht zu verwundern, wenn er Hektor vom Palast in der
Pergamos heruntersteigen und die Stadt durcheilen lässt,
um ans Skaeische Thor zu gelangen, während dieses in
der Wirklichkeit, ebenso wie Iliums grosser Thurm, in
welchem es sich befindet, unmittelbar vor dem königlichen
Hause ist. Dass dies Haus wirklich des Königs Haus ist,
das scheint durch seine Grösse, durch die Dicke seiner
steinernen Mauern, im Gegensatze zu den übrigen fast
ausschliesslich von ungebrannten Ziegeln erbauten Häu-
sern der Stadt, durch seine imposante Lage auf einem
künstlichen Hügel unmittelbar vor oder neben dem
Skaeischen Thor, dem grossen Thurm und der grossen
Ringmauer, ferner durch die darin gefundenen vielen
herrlichen Sachen, namentlich durch die ungeheuere,
königlich geschmückte Vase mit dem Bilde der eulen-
köpfigen ilischen Schutzgöttin Minerva, weiter, und vor
allen Dingen, durch den unmittelbar neben demselben
gefundenen reichen Schatz hervorzugehen. Ich kann na-
türlich nicht beweisen, dass der Name des Königs, des
Besitzers des Schatzes, wirklich Priamus war, ich nenne
ihn aber so, weil er mit diesem Namen von Homer und
von der ganzen Tradition genannt wurde. Alles was
[XV]einleitung.
ich beweisen kann, ist, dass der Palast dieses Besitzers des
Schatzes, dieses letzten trojanischen Königs, gleichzeitig
mit dem Skaeischen Thor, der grossen Ringmauer und
dem grossen Thurm in der grossen Katastrophe unter-
gegangen ist, welche die ganze Stadt verheerte. Ich
beweise durch jene 1½ und 3 Meter hohen rothen und
gelben calcinirten trojanischen Trümmermassen, womit
alle diese Bauten bedeckt wurden und eingehüllt blie-
ben, und durch die vielen posttrojanischen Bauten, die
wiederum auf diesen calcinirten Trümmermassen errich-
tet wurden, dass weder der Palast des Schatzinhabers
noch das Skaeische Thor, noch die grosse Ringmauer,
noch Iliums grosser Thurm jemals wieder ans Tageslicht
gekommen sind. Eine Stadt, deren König einen solchen
Schatz besass, war für damalige Verhältnisse unermess-
lich reich, und weil Troja reich war, so war es mächtig,
hatte viele Unterthanen und erhielt Hülfstruppen von
allen Seiten.


Ich schrieb im vorigen Jahre den Bau von Iliums
grossem Thurm den ersten Ansiedlern dieses Berges
zu, bin jedoch längst zur festen Ueberzeugung gekom-
men, dass er vom zweiten Volk, den Trojanern, herrührt,
da er auf der Nordseite nur innerhalb der trojanischen
Trümmerschichten und 5 bis 6 Meter oberhalb des Ur-
bodens wirkliches Mauerwerk hat. Ich habe in meinen
Briefen wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass
die von mir auf dem Thurm gefundenen Terracotten nur
jenen aus 11 bis 14 Meter Tiefe zur Seite gestellt wer-
den können. Dies gilt aber nur für die Schönheit des
Thons und die Eleganz der Gefässe, keineswegs aber
für die Typen derselben, die — wie man sich im Atlas
[XVI]einleitung.
dieses Werks überzeugen kann — durchaus verschieden
sind von denen der Thongefässe der ersten Ansiedler.


Man glaubte bisher, das Vorfinden von steinernen
Werkzeugen bezeichne die Steinperiode; meine Ausgra-
bungen hier in Troja stellen jedoch diese Meinung als
durchaus irrig heraus; denn sehr häufig finde ich schon
gleich unterhalb der Trümmerschichten der griechischen
Colonie, d. h. schon in 2 Meter Tiefe, steinerne Werk-
zeuge, die von 4 Meter Tiefe abwärts in sehr grossen
Massen vorkommen, jedoch in den trojanischen Trüm-
merschichten, in 7 bis 10 Meter unterhalb der Ober-
fläche, im allgemeinen viel besser gearbeitet sind. Ich
mache ganz besonders darauf aufmerksam, dass ich lei-
der bei Anfertigung des vorstehenden Werks in den
mir jetzt unbegreiflichen Irrthum verfallen bin, jene
herrlich geschliffenen Waffen und Werkzeuge, die
meistentheils von Diorit, aber oft auch von sehr hartem
durchsichtigen grünen Stein sind, wie ich solche auf
Tafel 17, No. 503, 504; Tafel 21, No. 580; Tafel 23,
No. 613; Tafel 22, No. 593 bis 598 und Tafel 24, No. 648
bis 653 abgebildet habe, Keile zu nennen. Wie sich
jeder überzeugen kann, sind es aber keine Keile, son-
dern Beile oder Aexte, und die meisten derselben wer-
den als Streitäxte gebraucht worden sein; ja viele schei-
nen, nach ihrer Form zu urtheilen, sich ausgezeichnet
als Lanzen zu eignen und mögen als solche benutzt
worden sein. Ich habe viele Hunderte davon gesammelt.
Gleichzeitig aber mit den Tausenden von steinernen
Werkzeugen finde ich auch viele kupferne, und beweisen
die viel vorkommenden Formsteine von Glimmerschiefer
zum Giessen von kupfernen Waffen und Werkzeugen,
[XVII]einleitung.
sowie die vielen kleinen Schmelztiegel und roh ge-
machten kleinen Näpfe, Löffel und Trichter zum Füllen
der Formen, dass dies Metall viel gebraucht wurde, wo-
rüber ausserdem die erwähnte Schicht von Kupfer- und
Bleischlacken in 8½ bis 9 Meter Tiefe keinen Zweifel
lässt. Zu bemerken ist, dass alle vorkommenden kupfer-
nen Gegenstände von reinem Kupfer sind, ohne jegliche
Beimischung eines andern Metalls. Ja, der Schatz des
Königs enthielt davon einen Schild mit grossem Nabel,
eine grosse Kasserole, einen Kessel oder Vase, eine
lange Platte mit in der Feuersbrunst daraufgeschmol-
zener silberner Vase, viele Bruchstücke anderer Vasen,
wovon eine mit zwei Röhren an jeder Seite zum Auf-
hängen mit Schnüren; eine andere mit krummen, sehr
künstlichen Griffen an den Seiten und einer wahrschein-
lich am obern Theil befestigt gewesenen krummen
Röhre sehr niedlicher Form, dreizehn Lanzen, vierzehn
jener hier häufig vorkommenden, anderswo aber noch
niemals gefundenen Waffen, die nach einem Ende spitz
aber stumpf, nach dem andern in eine breite Schneide
auslaufen; ich hielt sie früher für Lanzen, bin aber jetzt
zur Ueberzeugung gekommen, dass sie nur als Streitäxte
gebraucht sein können, obwol sie kein Loch in der Mitte
haben. Ich fand dort weiter sieben grosse zweischnei-
dige Dolchmesser, ein gewöhnliches Messer sowie einen
grossen Schlüssel, der wahrscheinlich zu der hölzernen
Kiste gehört hat, in welcher man versucht hat, den
Schatz zu retten. Da alle Gegenstände des Schatzes
dicht zusammengepackt waren und einen viereckigen
Raum einnahmen, so kann es wol keinem Zweifel unter-
liegen, dass sie in einer hölzernen Kiste enthalten waren.
Schliemann, Troja. b
[XVIII]einleitung.
Ausser dem bereits vorhin erwähnten grossen goldenen
Becher, welcher gegossen ist und dessen beide gewal-
tigen, hohlen Griffe darangeschmiedet sind, fand ich im
Schatze eine 403 Gramm wiegende kugelrunde goldene
Flasche, einen 226 Gramm wiegenden einfachen goldenen
Becher; einen kleinen Becher von 70 Gramm, der nicht
von reinem Golde ist, und sind die drei letztern Gegen-
stände mit dem Hammer getrieben (σφυρήλατα); ferner
60 herrliche goldene Ohrringe, worunter vier beinahe in
Korbform, mit prachtvollen, von fünf oder sechs Kettchen
mit Idolen der eulenköpfigen Schutzgöttin gebildeten
Gehängen, und sechs goldene Armbänder, wovon drei
geschlossen sind und zu beweisen scheinen, dass die
Hände der Trojanerinnen viel kleiner gewesen sein
müssen als die jetzigen Frauenhände, denn ein jetziges
Mädchen von 10 Jahren würde Mühe haben, ihre Hand
durchzustecken; auch die Oeffnung der drei nicht ge-
schlossenen Armbänder, welche doppelt sind, beweist,
dass sie von Frauen mit ungemein kleinen Händen
getragen sind. Weiter fand ich im Schatze ein golde-
nes Stirnband (ἄμπυξ) und zwei wundervolle goldene
Diademe (κρήδεμνα), wovon das eine sechzehn herunter-
hängende Kettchen mit Idolen der ilischen Schutzgöttin
und 74 andere mit Baumblättern verzierte Kettchen hat;
das zweite Diadem hat 61 herunterhängende Kettchen
mit Idolen derselben Göttin. Ich fand weiter im Schatze
nicht weniger als 8750 kleine, kunstvoll gearbeitete
durchbohrte Gegenstände von Gold, wie Cylinder, aus-
gezackte Scheibchen, Kugeln, Prismen, Würfel, mit
einer Röhre zum Aufziehen versehene Baumblätter, ein-
fache, doppelte oder dreifache Ringe mit durchgehen-
[XIX]einleitung.
dem Loch an zwei Seiten, Stücke ganz in Form kleiner
Glockenzungen, Knöpfe mit einer Oese, sowie Doppel-
knöpfe, die aber nicht wie unsere Hemdknöpfe, zusam-
mengeschmiedet, sondern einfach zusammengesteckt sind,
denn aus der Höhlung des einen kleinen Knopfes steht
eine kleine Röhre (αὐλίσκος), aus der des andern eine
Stange (ἔμβολον) hervor, und steckt man letztere in die
erstere, um den Doppelknopf herzustellen. Auf mehr
als einem Drittel dieser kleinen Gegenstände sieht man
eingeschnittene Verzierungen von acht oder sechzehn
Rillen, die oft so fein gemacht sind, dass man nur mit-
tels einer Lupe im Stande ist, sie zu unterscheiden und
ihre grosse Symmetrie zu bewundern. Diese 8750 kleinen
goldenen Gegenstände dienten wahrscheinlich theils an
Halsschnüren, theils an Schmucksachen auf Leder. Der
Schatz enthielt ferner sechs an einem Ende abgerundete
an dem andern in Form des Halbmondes ausgeschnittene
Klingen von allerreinstem Silber, deren Gewicht leider ne-
ben den Abbildungen Tafel 200 nicht genau angegeben ist;
sie wiegen 171, 173, 174, 183 und 190 Gramm; nur zwei der
Stücke haben genau dasselbe Gewicht von 174 Gramm;
ferner einen silbernen Becher und drei grosse silberne
Vasen; auf einer derselben ist viel Kupfer, auf einer an-
dern das Bruchstück einer kleinern silbernen Vase in
der Feuersbrunst festgeschmolzen. Der Schatz enthielt
ferner zwei kleinere äusserst kunstvoll gearbeitete sil-
berne Vasen mit Deckeln, in Form von langen phry-
gischen Hüten, und hat die eine an jeder Seite ein, die
andere an jeder Seite zwei Röhrchen für die Schnüre
zum Aufhängen. Es gehört höchst wahrscheinlich auch
noch zum Schatz eine acht Tage vor dessen Entdeckung
b*
[XX]einleitung.
daneben gefundene grosse silberne Vase, in welcher ich
einen grossen herrlichen Becher fand, der, wie sich jetzt
herausgestellt hat, von Elektron ist und nicht von Silber,
wie ich irrthümlich im vorletzten Aufsatze dieses Buchs
berichtet habe. Auch vier silberne Schalen (φιάλαι)
enthielt der Schatz, denn die eine derselben fand ich
mit den andern Gegenständen zusammen, die drei übri-
gen einige Tage später am Abhange der grossen Ring-
mauer, etwa 1 Meter unterhalb des Schatzes. Der durch
seine vielen wichtigen Entdeckungen und Schriften be-
rühmte Professor der Chemie Landerer in Athen,
welcher auch alle silbernen Sachen des Schatzes genau
untersucht hat, findet die beiden kleinen Vasen von
ganz reinem Silber, während die vier grossen Vasen,
der kleine Becher und die vier Schalen 95 Procent
Silber und 5 Procent Kupfer enthalten, welches, wie
er sagt, beigemischt ist, um dem Silber grössere Härte
zu geben und es mit dem Hammer treiben zu können.


Dieser in grosser Tiefe, in den Ruinen der für
mythisch angesehenen Stadt Troja von mir entdeckte
grosse Schatz des für mythisch gehaltenen Königs
Priamos aus dem mythischen heroischen Zeitalter, ist
jedenfalls eine in der Archäologie einzig dastehende
Entdeckung grossen Reichthums, grosser Civilisation
und grossen Kunstsinns in einer der Erfindung der
Bronze vorhergehenden Zeit, in einer Zeit, wo man
Waffen und Werkzeuge von reinem Kupfer gleichzeitig
mit gewaltigen Massen steinerner Waffen und Werk-
zeuge anwandte. Dieser Schatz lässt auch keinen
Zweifel, dass Homer wirklich dergleichen goldene und
silberne Sachen gesehen haben muss, wie er fortwährend
[XXI]einleitung.
beschreibt; in jeder Beziehung ist er von unermesslichem
Werth für die Wissenschaft und wird jahrhundertelang
der Gegenstand eingehender Forschungen bleiben.


Leider finde ich auf keinem der Gegenstände des
Schatzes eine Inschrift, auch kein anderes religiöses
Symbol als die an den beiden Diademen (κρήδεμνα) und
an den vier Ohrgehängen prangenden 100 Idole der
homerischen „ϑεὰ γλαυκῶπις Ἀϑήνη“, welche uns aber
den unumstösslichen Beweis geben: dass der Schatz der
Stadt und dem Zeitalter angehören, welche Homer be-
singt.


Indessen fehlte die Schriftsprache zu jener Zeit
nicht, und fand ich z. B. in 8 Meter Tiefe, im könig-
lichen Palast, die auf Tafel 188, No. 3273 abgebildete
Vase mit einer Inschrift, und mache ich ganz be-
sonders darauf aufmerksam, dass von den in derselben
vorkommenden Schriftzügen der dem griechischen P
ähnliche Buchstabe auch schon in der Inschrift auf dem
aus 7 Meter Tiefe stammenden Petschaft, Tafel 19, No. 555,
der zweite und dritte Buchstabe, links von diesem, auf
dem ebenfalls aus 7 Meter Tiefe stammenden, Tafel 13,
No. 432 abgebildeten kleinen Vulkan von Terracotta,
auch der dritte Buchstabe auf den aus 3 Meter Tiefe
stammenden beiden kleinen Trichtern von Terracotta,
Tafel 171, No. 3292 und 3295, vorkommt. Ich fand fer-
ner im königlichen Palast die auf Tafel 190, No. 3474
abgebildete ausgezeichnet eingravirte Inschrift, finde hier
aber nur ein Schriftzeichen, welches einem Buchstaben
der Inschrift des erwähnten Petschafts ähnlich ist. Mein
geehrter Freund, der grosse Indiologe Herr Emile Burnouf,
vermuthet, dass alle diese Schriftzeichen einem sehr alten
[XXII]einleitung.
gräco-asiatischen Localalphabete angehören. Professor
H. Brunn in München schreibt mir, dass er diese In-
schriften dem Professor Haug gezeigt und dieser auf
Verwandtschaft und Zusammenhang mit dem Phöni-
zischen hingewiesen habe (von dem allerdings das grie-
chische Alphabet abhängig ist), und ferner auf gewisse
Analogien mit der Inschrift der Erztafel, die zu Idalion
auf Cypern gefunden und jetzt im Cabinet des médailles
zu Paris ist. Professor Brunn fügt hinzu, dass Beziehun-
gen der trojanischen Funde zu Cypern in keiner Weise
auffallen, sondern sich vielmehr sehr wohl mit Homer
vertragen würden; dass jedenfalls auf diese Beziehungen
ein Hauptaugenmerk zu richten ist, da nach seiner
Meinung Cypern die Wiege der griechischen Kunst,
oder sozusagen der Kessel ist, in dem asiatische, ägyp-
tische, griechische Ingredienzen zusammengebraut wur-
den, aus denen sich später die griechische Kunst ab-
klärte.


Herrliche Töpferwaare, und besonders grosse und
kleine Becher mit zwei Henkeln oder mit einem Griff
von unten in Form einer Krone, Vasen mit Röhren an
den Seiten und in gleicher Richtung mit Löchern im
Munde zum Aufhängen mit Schnüren, ferner alle andern
Arten von Hausgeräth finde ich in diesen trojanischen
Trümmerschichten in grosser Abondanz, auch eine schön
verzierte knöcherne Flöte, mehrere Theile von andern
Flöten und das herrlich verzierte elfenbeinene Stück
einer Leier mit nur vier Saiten, welches man auf
Tafel 98, No. 2044 sieht.


Ebenso wie die ersten Ansiedler dieser heiligen
Stätte waren auch die Trojaner von arischer Rasse,
[XXIII]einleitung.
denn ich finde bei ihnen in gewaltigen Massen die mit
eingeschnittenen arischen religiösen Symbolen bedeckten
kleinen Stücke Terracotta in Gestalt des Vulkans und
des Carrousels.


Das Baumaterial der Trojaner ist verschiedener
Art; mit seltener Ausnahme bestehen alle von mir ans
Licht gebrachten Hauswände nur aus ungebrannten, an
der Sonne getrockneten Ziegeln, von denen durch die
Glut der Feuersbrunst eine Art von wirklich gebrannten
Ziegeln geworden ist; der königliche Palast aber, sowie
zwei kleine Bauten in den Tiefen des Minervatempels,
Iliums grosser Thurm, das Skaeische Thor und die
grosse Ringmauer bestehen dagegen aus mit Erde ver-
einigten, meistens unbehauenen Steinen, deren weniger
rauhe Seite nach aussen gekehrt ist, sodass die Wände
ein ziemlich glattes Ansehen haben.


Ich glaubte im vorigen Jahre, bei Aufdeckung
von Iliums grossem Thurm, dass derselbe einst höher
gewesen sein müsse als er jetzt ist, nämlich 6 Meter
oder 20 Fuss; seine glatt gemauerte Fläche neben dem
Skaeischen Thor, sowie die weiterhin auf demselben be-
findlichen Bänke, nicht Ruinen, wie ich früher glaubte,
beweisen aber, dass er nie höher gewesen sein kann.
Ganz besonders mache ich darauf aufmerksam, dass das
Mauerwerk des Skaeischen Thors bei dessen Aufdeckung
noch so merkwürdig neu aussah, als ob es erst ganz
kürzlich errichtet worden wäre. Bestimmt hat es mäch-
tige hölzerne Vertheidigungswerke, und wahrscheinlich
auch einen hölzernen Thurm oberhalb der Thorflügel
gehabt, denn sonst ist es mir unerklärlich, wie der Ein-
gang zum Thor 10 Fuss hoch mit jener rothen troja-
[XXIV]einleitung.
nischen Holzasche verschüttet, und namentlich wie dort,
von andern Bauten entfernt, die Glut so gross hat sein
können, dass selbst die dicken Steinplatten davon zer-
stört worden sind.


Homer (Ilias, V, 638—642) spricht von einer dem
trojanischen Krieg vorhergegangenen Zerstörung Trojas
durch Hercules, und wird es uns ewig ein Räthsel blei-
ben, ob sich diese durch die Ueberlieferung bis zu seiner
Zeit erhaltene Kunde wirklich auf das Ilium des Priamos
oder auf die demselben vorausgegangene uralte Stadt
der ersten Ansiedelung bezieht.


Für die Chronologie Trojas haben wir nur die all-
gemeine Annahme des Alterthums, dass der trojanische
Krieg ungefähr 1200 Jahre v. Chr. stattgefunden hat,
und die Angabe Homer’s (Ilias, XX, 215—237), dass der
erste trojanische König, Dardanos, Dardania gründete,
welche Stadt ich mit Virgil und Euripides mit Ilium
für synonym halte, und dass sie nach ihm von seinem Sohn
Erichthonios, dann von seinem Enkel Tros, von seinem
Urenkel Ilos, sowie von dessen Sohn Laomedon und
Enkel Priamos beherrscht wurde. Wenn wir jedem
dieser sechs Könige auch eine lange Regierung von
33 Jahren zugestehen, so bringen wir doch die Gründung
der Stadt nur kaum auf 1400 Jahre v. Chr., also nur
auf 700 Jahre vor der griechischen Colonie.


Die Baustelle Trojas, welche zur Zeit der Gründung
der Stadt 10 Meter unterhalb der jetzigen Oberfläche
war, war nach der Zerstörung nur 7 Meter unterhalb
derselben, als Ilium von einem andern Volke arischen
Stammes wieder aufgebaut ward; ich finde nämlich in
den Trümmerschichten dieses Volks, die von 7 bis 4 Me-
[XXV]einleitung.
ter unter der jetzigen Oberfläche reichen, die nämlichen
Stücke Terracotta mit religiösen Symbolen.


Da ich bei jedem Gegenstand in den photographi-
schen Tafeln des Atlas genau die Tiefe vermerkt habe,
in welcher er gefunden worden ist, so kann man leicht
die von diesem Volke stammenden Sachen herausfinden.
Die Töpferwaaren dieser Nation haben Aehnlichkeit mit
denen der Trojaner, sind aber schlechter und gröber,
und es kommen viele neue Typen vor; fast alle Vasen
haben auch hier eine Röhre an jeder Seite zum Auf-
hängen mit Schnüren. Ich fand hier, in 5 Meter Tiefe,
das steinerne Stück einer Leier mit sechs Saiten, und
in 4 Meter Tiefe das schön verzierte elfenbeinene Stück
einer andern von sieben Saiten. Man findet beide
Stücke in den photographirten Tafeln des Atlas dar-
gestellt.


Die Architektur dieses Volks war, wie man aus den
vielen von mir aufgedeckten Hauswänden ersieht, durch-
gehends von kleinen mit Erde vereinigten Steinen; je-
doch sieht man auch auf zwei Stellen in den Tiefen
des Minervatempels eine Mauer von an der Sonne ge-
trockneten Ziegeln, die dieser Nation anzugehören schei-
nen. Die Häuser derselben waren kleiner, und in den-
selben war weniger Holz verwandt, als in denen der
Trojaner, denn obwol die aufeinanderruhenden Haus-
reste mehrfache grosse Convulsionen beurkunden, so
findet man hier doch viel weniger verkohlte Trümmer
als beim vorhergehenden Volke; ja diese Schuttschichten
haben meistentheils ein graues oder schwarzes Ansehen,
und sieht man in denselben Millionen kleiner Muschel-
schalen, Knochen, Fischgräten u. s. w. Merkwürdig ist
[XXVI]einleitung.
es, dass sich in diesen Trümmerschichten gewisse Typen
von Terracottas nur genau in derselben Tiefe finden,
und dass so z. B. die herrlichen schwarzen Becher in
Form von Sanduhren und mit zwei grossen Henkeln
nur auf 6 Meter Tiefe beschränkt sind.


In den beiden ersten Jahren meiner Ausgrabungen
fand ich in 4 bis 7 Meter Tiefe fast gar kein Kupfer
und glaubte schon, Metall sei bei diesem Volke selten
oder gar nicht bekannt gewesen. In diesem Jahre je-
doch fand ich auch in diesen Trümmerschichten viele
kupferne Nägel, auch einige Messer und Streitäxte und
Formsteine von Glimmerschiefer zum Giessen derselben
und anderer Waffen und Werkzeuge. Immerhin muss
Kupfer bei dieser Nation selten gewesen sein, denn
steinerne Werkzeuge, wie Messer von Silex, Hämmer
und Beile von Diorit u. s. w., kommen zu Tausenden vor.


Dem Anscheine nach verschwand auch dies Volk
gleichzeitig mit der Zerstörung der Stadt, denn nicht
nur finde ich von 4 Meter Tiefe aufwärts bis 2 Meter
Tiefe viele neue Typen von Terracotta-Gefässen, sondern
ich finde auch keine Reste von Hauswänden mehr; ja
selbst die einzelnen Steine fehlen fast gänzlich. Jeden-
falls wurde die Stadt sogleich nach der Zerstörung aus
Holz wieder aufgebaut von einem verwandten Volk
arischen Stammes, denn die kleinen, mit arischen reli-
giösen Symbolen geschmückten Terracottas, obwol häu-
fig mit neuen Typen, kommen auch in diesen Schutt-
schichten vielfältig vor. Es kommen zwar auch in diesen
Tiefen Festungsmauern vor, aber diese waren schon von
dem vorhergehenden Volk gebaut, wie z. B. die in
7 Meter Tiefe und 1½ bis 2 Meter oberhalb des Schatzes
[XXVII]einleitung.
gegründete 6 Meter hohe Mauer, welche bis 1 Meter
unter der Oberfläche reicht. Das hölzerne Ilium war
dem Anscheine nach noch weniger glücklich als die
steinerne Stadt seiner Vorgänger, denn wie es die zahl-
reichen calcinirten Trümmerschichten beweisen, wurde
es vielfältig durch Feuer verheert. Ob diese Feuers-
brünste zufällig ausbrachen oder durch Feindes Hand
angelegt wurden, das muss uns ewig ein Räthsel blei-
ben; soviel ist aber gewiss und aus den aus diesen Tie-
fen stammenden Terracottas ersichtlich, dass die von
Anfang an geringe Civilisation des Volks bei den fort-
währenden Verheerungen seiner Stadt immer mehr ver-
krüppelte. Ich finde bei dieser Nation Lanzen, Streit-
äxte sowie Werkzeuge von reinem Kupfer und Form-
steine zum Giessen derselben; auch eine Menge kupfer-
ner Nägel, die aber — gleich wie bei allen vorhergehen-
den Völkern, die diesen Berg bewohnt haben — zu lang
und dünn sind, um zum Festschlagen in Holz verwandt
worden zu sein, und jedenfalls als Brustnadeln gebraucht
sein müssen; dass dem so ist, scheinen auch zwei solcher
kupferner Nägel zu beweisen, an deren oberm Theil ich
Reihen von durchbohrten Perlen von Gold oder Elektron
festgeschmiedet fand. Diese beiden kupfernen Nägel
wurden zwar unmittelbar unter der Oberfläche gefunden,
müssen aber jedenfalls der vorgriechischen Zeit ange-
hören.


Steinerne Werkzeuge, wie z. B. Hämmer und herr-
lich geschliffene Beile und Streitäxte von Diorit, kom-
men auch bei diesem Volke in 4 bis 2 Meter Tiefe vor,
aber bedeutend weniger als bei dem vorhergehenden.


Als die Oberfläche des Bergs um 2 Meter niedriger
[XXVIII]einleitung.
war als sie jetzt ist, wurde Ilium von einer griechischen
Colonie aufgebaut, und haben wir bereits versucht,
nachzuweisen, dass diese Niederlassung ungefähr um
700 v. Chr. erfolgt sein muss. Von nun an findet man
Reste hellenischer Hauswände von ohne Cement zusam-
mengelegten grossen behauenen Steinen; von ungefähr
1 Meter unter der Oberfläche aufwärts auch Trümmer
von Bauten, deren Steine mit Cement oder Kalk ver-
bunden sind. Kupferne Medaillen Iliums aus der römi-
schen Kaiserzeit von Augustus bis Constans II. und
Constantin II. sowie ältere ilische Münzen mit dem Bilde
der Minerva und Medaillen von Alexandria Troas kom-
men in grosser Menge vor, auch einige Münzen von
Tenedos, Ophrynium und Sigeion, einzeln bis 1 Meter,
aber grösstentheils in weniger als 50 Centimeter unter
der Oberfläche. Ich habe einmal irrthümlich bemerkt,
dass hier auch byzantinische Münzen nahe an der Ober-
fläche vorkommen. Aus späterer Zeit als Constans II.
und Constantin II. habe ich hier aber in meinen drei-
jährigen Ausgrabungen nicht eine einzige Medaille ge-
funden, ausser zwei schlechten Münzen eines byzantini-
schen Klosters, die von Schäfern verloren sein mögen;
und da hier jede Spur von byzantinischem Mauerwerk
oder byzantinischer Töpferwaare durchaus fehlt, so ist
als bestimmt anzunehmen, dass das Ilium der griechi-
schen Colonie gegen Mitte des 4. Jahrhunderts n. Chr.
untergegangen und nie wieder ein Dorf, geschweige
denn eine Stadt auf seiner Baustelle errichtet worden
ist. Die in meinem Aufsatz vom 1. März 1873 von mir
erwähnte, aus mit Cement vereinigten korinthischen
Säulen bestehende Mauer, die ich aus dem Mittelalter
[XXIX]einleitung.
zu stammen glaubte, muss jedenfalls aus der Zeit Con-
stantin’s I. oder Constans’ II. stammen, als der Minerva-
tempel durch den frommen Eifer der ersten Christen
zerstört wurde.


Von den Mauern und Festungswerken dieser grie-
chischen Colonie sind hauptsächlich nur die anscheinlich
von Lysimachos erbauten erhalten geblieben, und sieht
man von denselben auf Tafel 109, gleich links, eine
Bastion, sowie auf Tafel 112 eine Mauer. Aus älterer
Zeit, und wahrscheinlich vom Anfang der griechischen
Colonie, stammt der untere, hervorstehende Theil der
Thurmmauer, die man auf Tafel 212 in dem Einschnitt
auf jener Seite des Skaeischen Thors sieht. Grosse po-
litische Convulsionen oder Katastrophen scheinen fortan
wenig oder gar nicht mehr vorgekommen zu sein, denn
die Schuttaufhäufung beträgt während der langen Dauer
der griechischen Colonie, sage während 10½ Jahrhun-
derten, nur 2 Meter.


Merkwürdigerweise finde ich in diesen griechischen
Trümmerschichten äusserst wenig Metall; ein halbes
Dutzend sichelförmiger Messer, eine zweischneidige Axt,
ein paar Dutzend Nägel, ein Becher, ein paar Lanzen und
Pfeile u. s. w. sind so ziemlich alles was ich fand; ich
beschrieb diese Gegenstände in meinen Aufsätzen und
im Katalog als von Kupfer; wie sich aber bei näherer
Untersuchung herausgestellt hat, sind sie von Bronze,
und kommt reines Kupfer in der griechischen Colonie
nicht mehr vor. Von Eisen fand ich nur ganz nahe an
der Oberfläche einen Schlüssel merkwürdiger Form und
ein paar Pfeile und Nägel. Wie wir aus Homer wissen,
hatten auch die Trojaner Eisen, ja sogar das von ihm
[XXX]einleitung.
κύαονς genannte Metall, welches man schon im Alter-
thum durch χάλυψ (Stahl) übersetzte. Ich betheuere aber,
weder bei den Trojanern, noch bei irgendeinem der
andern der griechischen Colonie voraufgegangenen
Völker, die diesen Berg bewohnt haben, auch nur eine
Spur von diesen Metallen gefunden zu haben. Es mögen
aber immerhin eiserne und stählerne Geräthschaften da-
gewesen sein; ja ich glaube ganz bestimmt, dass sie
dagewesen sind, sie sind aber spurlos verloren gegan-
gen; denn bekanntlich zersetzt sich Eisen und Stahl viel
leichter als Kupfer. Von Zinn, dessen Homer so viel-
fältig erwähnt, fand ich natürlich keine Spur, denn dies
Metall zersetzt sich bekanntlich mit grosser Schnelligkeit,
selbst wenn es an einem trockenen Orte liegt. Blei kam
bei allen Völkern vor, die diesen Berg bewohnt haben,
bei den Völkern vor der griechischen Ansiedelung aber
hauptsächlich nur in Klumpen, in Form von Halbku-
geln. Nur erst in der griechischen Colonie finde ich es
in allgemeinem Gebrauch, und sogar als Verbindungs-
mittel von Bausteinen angewandt. Nach der Grösse der
Baustelle des Iliums der griechischen Colonie zu urthei-
len, deren Plan ich auf Tafel 213 gebe, mag dasselbe
100000 Einwohner gehabt haben und muss in seiner
Blütezeit sehr reich gewesen sein, und die plastische
Kunst muss hier einen hohen Grad von Vollkommenheit
erreicht haben. Die mit den Trümmerhaufen grossarti-
ger Bauten bedeckte Baustelle ist nämlich mit Bruch-
stücken von ausgezeichneten Sculpturen übersäet, und
der hier in den Tiefen des Apollotempels von mir ent-
deckte und jetzt meinen Garten in Athen zierende
2 Meter lange, 86 Centimeter hohe herrliche Triglyphen-
[XXXI]einleitung.
block mit einer Metope, welche den Phöbus Apollo
mit den vier Rossen der Sonne darstellt, ist eins der er-
habensten Meisterwerke, welche uns aus der Blütezeit
der griechischen Kunst erhalten sind. In der Beschrei-
bung, welche ich sogleich nach der Entdeckung dieses
Kunstschatzes in meinem Aufsatz vom 18. Juni 1872
machte, bemerkte ich, dass dies Kunstwerk aus
der Zeit des Lysimachos, sage ungefähr vom Jahre
306 v. Chr. stammen müsse. Ich schickte einen Gips-
abguss davon an das Museum für Gipsabgüsse in
München, und schreibt mir der Vorsteher desselben,
Professor H. Brunn, welcher jedenfalls eine der grössten
Autoritäten der Welt für die plastischen Kunstwerke
des Alterthums ist, wie folgt darüber: „Selbst Photo-
graphien reichen doch zur Beurtheilung plastischer
Werke nie ganz aus, und hat mir auch hier erst der
Abguss die volle Gewissheit gegeben, dass dieses Werk
weit günstiger beurtheilt werden muss, als es in der
archäologischen Zeitung geschehen ist. Ich wage nicht,
üher die Triglyphen bestimmt abzusprechen: die Ge-
schichte des dorischen Stils nach der Zeit des Parthenon
und der Propyläen liegt noch durchaus im argen, doch
lässt sich der gerade Abschnitt der Cannele gewiss in
vorrömischer Zeit nachweisen. Von äussern Kriterien
bleibt so zunächst der Strahlenkranz. Nach den Unter-
suchungen von Stephani (Nimbus und Strahlenkranz)
kommt derselbe erst etwa in der Zeit Alexander’s des
Grossen vor. Für die specielle Form, lange und kurze
Strahlen, haben wir die von Curtius angeführten Münzen
Alexander’s I. von Epirus und von Keos, resp. Karthaea.
Das jüngste Beispiel, welches ich bisjetzt gefunden, bie-
[XXXII]einleitung.
tet die Unterweltsvase von Canosa im hiesigen Museum,
die spätestens in das 2. Jahrhundert v. Chr. gehört;
so wären also für das Relief die äussersten Termini
etwa Ende des 4. und Mitte des 2. Jahrhunderts.
Künstlerisch zeigt die Composition die grössten Fein-
heiten in der Lösung eines schwierigen Problems. Das
Viergespann soll sich nämlich nicht in der Relieffläche
bewegen, sondern so erscheinen, als ob es in halber
Wendung aus derselben herauskomme. Das ist beson-
ders dadurch erreicht, dass der rechte Hinterschenkel
des Pferdes im Vordergrunde stark zurückgedrängt ist,
während der linke Fuss vorschreitet, dass ausserdem
dieses Pferd in leiser Verkürzung gebildet ist, dass die
Fläche jenes Schenkels tiefer liegt als die obere Fläche
der Triglyphen, die Fläche des Vorderbuges und des
Halses dagegen etwas höher, während der Kopf, um
das Gesetz des griechischen Reliefstils zu wahren,
wieder mit der Grundfläche ziemlich parallel steht.
Darum fehlt auch jede Andeutung eines Wagens, der
durch das vordere Pferd verdeckt zu denken ist. Dann
ist auch die Stellung des Gottes, dem Kopfe einiger-
massen folgend, halb nach vorne gewendet, und nur um
auch hier die Stellung mit dem Reliefgesetz in Conflict
zn bringen, ist der Arm wieder stark nach innen ge-
wendet. Wenn man sodann in dem Uebergreifen des
Kopfes auf die obere Leiste des Triglyphs eine In-
correctheit hat sehen wollen, so finde ich darin einen
besonders glücklichen Gedanken, der wol an die freilich
wieder verschiedene Auffassung am Parthenongiebel er-
innern darf, wo Helios nur erst mit Kopf und Schultern
aus dem Wagen des Oceans auftaucht. Hier bricht
[XXXIII]einleitung.
Helios sozusagen aus den Pforten des Tags hervor und
überstrahlt mit seinem Glanze das All. Das sind Fein-
heiten, wie sie nur der griechischen Kunst in ihrer vollen
Kraft eigen sind. Die Ausführung entspricht durchaus
dem Verdienst der Ideen, und so stehe ich nicht an,
das Relief näher an den Anfang als an den Schluss des
oben begrenzten Zeitraums zu setzen. Wenn Sie daher
auch aus andern Gründen an die Zeit des Lysimachos
denken, so habe ich dagegen von archäologischer Seite
durchaus keine Einwendung zu machen, freue mich viel-
mehr, unsern Monumentenschatz mit einem Originalwerk
aus jener Zeit bereichert zu sehen.“


Ich bewies vorhin die Verwandtschaft der vier ver-
schiedenen Völker, welche die Baustelle Trojas vor An-
kunft der griechischen Colonie bewohnt haben, durch
die bei allen massenweise vorkommenden kleinen Terra-
cotta-Vulkane und -Carrousele und durch die Aehnlich-
keit der auf denselben eingravirten arischen religiösen
Symbole. Ich beweise diese Verwandtschaft ferner und
vor allen Dingen durch die plastische Darstellung der
Minerva, der Schutzgöttin Iliums, mit einem
Eulengesicht
, denn diese Darstellung ist allen vier
Völkern eigen, welche hier der griechischen Colonie
vorausgegangen sind. Sogleich unter den Trümmer-
schichten der letztern, in 2 Meter Tiefe, fand ich dies
Eulengesicht mit einer Art von Helm auf Terracotta-
Bechern, die auch in allen folgenden Schuttschichten,
bis in 12 Meter Tiefe, vorkommen und sich bis in 9 Meter
Tiefe sehr häufig finden. Diese Becher mögen auch,
wie mein gelehrter Freund Emile Burnouf meint, nur
als Deckel der gleichzeitig mit ihnen vorkommenden
Schliemann, Troja. c
[XXXIV]einleitung.
Vasen mit zwei emporstehenden Flügeln, zwei Frauen-
brüsten und einem grossen Schamtheil gedient haben,
denn sie passen vollkommen auf dieselben. Ich fand
gleichzeitig von 3 Meter Tiefe abwärts in allen Trüm-
merschichten bis zu 10 Meter Tiefe Vasen mit Eulen-
gesichtern, zwei emporstehenden Flügeln (nicht Armen,
wie ich früher meinte), zwei grossen Frauenbrüsten und
einem sehr grossen Schamtheil, und sogar, in 6 Meter
Tiefe, eine Vase, auf welcher der Schamtheil mit einem
Kreuze und vier Nägeln verziert ist (s. Tafel 54).
Ich fand selbst in 14 Meter Tiefe den obern Theil einer
Vase (Tafel 102) und die Scherbe einer Schüssel
(Tafel 27, No. 734) mit Eulengesichtern geschmückt.
Ausserdem fanden sich von 2 Meter Tiefe abwärts in
allen Schuttschichten bis zum Urboden 2½ bis 18½
Centimeter lange und 1½ bis 12 Centimeter breite Idole
von sehr feinem Marmor, von Knochen, von Glimmer-
schiefer, von Schiefer oder selbst von ganz ordinärem
Kalkstein; auf sehr vielen derselben sieht man ein
Eulengesicht, und auf einigen ausserdem sogar Frauen-
haar auf der Stirn eingravirt; auf vielen sieht man auch
einen Frauengürtel eingeschnitten. Da ich auf mehrern
Idolen ohne eingeschnittenen Eulenkopf diesen mit rother
oder schwarzer Farbe dargestellt finde, so vermuthe ich,
dass ein Gleiches einst mit allen Idolen der Fall war, auf
welchen die Kennzeichen der Eule jetzt fehlen, und dass
auf diesen die Farbe im Laufe der Jahrtausende durch
die Feuchtigkeit verloren gegangen ist. Auf mehrern
Idolen von Marmor oder Knochen sind die Flügel an
den Seiten angedeutet. Ich fand aber auch den ver-
steinerten Wirbelknochen eines antediluvianischen Thiers,
[XXXV]einleitung.
auf welchem die Trojaner einen grossen Eulenkopf aus-
geschnitten haben. Ferner fanden sich in 3, 4, 6, 7, 8,
9 und 14 Meter Tiefe zwölf Idole von Terracotta, und
sind, nur mit einer Ausnahme, auf allen Eulengesichter;
die meisten haben auch zwei Frauenbrüste und auf der
Rückseite angedeutetes langes Frauenhaar. Eins dieser
eulenköpfigen Idole ist in Form eines Gefässes und hat
an jeder Seite einen Schlauch in Gestalt eines kleinern
Gefässes; der vordere Körper der Göttin bis zum Halse
ist bedeckt mit einem langen Schilde, und auf der Rück-
seite sieht man das Frauenhaar, auf Art der Karyatiden
in der Akropolis in Athen, lang herunterhängen. Auch
auf mehrern dieser Idole von Terracotta sind Flügel
angedeutet.


Diese auf Bechern, Vasen und Idolen vielfältig vor-
kommenden Eulengesichter mit Frauengestalt können
nur eine Göttin darstellen, und diese Göttin kann nur
Minerva, die Schutzgöttin Trojas, sein um so mehr
als sie Homer fortwährend „ϑεα γλαυκῶπις Ἀϑήνη“ nennt;
denn „γλαυκῶπις“ ist von den Gelehrten aller Jahrhun-
derte falsch übersetzt, und bedeutet nicht „mit feurigen
oder funkelnden Augen“, sondern es bedeutet „mit
Eulengesicht
“. Die natürliche Schlussfolgerung ist,
erstens, dass es dem Homer vollkommen bekannt war,
dass Minerva mit dem Eulengesicht Iliums Schutzgöttin
war; zweitens, dass der Ort, in dessen Tiefen ich seit
drei Jahren wühle, die Stätte sein muss „ubi Troja fuit“;
und drittens, dass bei fortschreitender Civilisation Pallas
Athene ein menschliches Gesicht erhielt und aus ihrem
frühern Eulenkopf ihr Lieblingsvogel, die Eule, gemacht
c*
[XXXVI]einleitung.
wurde, welche als solcher dem Homer ganz unbe-
kannt ist.


Es kommen in 4 bis 9 Meter Tiefe auch einige
Vasen und Becher mit einem Menschengesicht vor,
welches aber vieles von der Eule hat.


Da ich keine Spur des Eulengesichts in den Trüm-
merschichten der griechischen Colonie finde, so ist mit
Bestimmtheit anzunehmen, dass diese schon weiter in
der Cultur fortgeschritten war als die Ilier, deren Stadt
sie in Besitz nahm, und dass sie schon die Vorstellung
der Schutzgöttin mit menschlichem Gesicht mit nach
Troja brachte.


Was die mehrerwähnten, mit arischen religiösen
Symbolen geschmückten runden durchbohrten Stücke
Terracotta in Gestalt des Carrousels oder des Vulkans
betrifft, so ist es immerhin möglich, dass ihre ursprüng-
liche Form die des Rades gewesen ist, denn in dieser
Gestalt kommen sie mehrfach auf dem Urboden, in 14
und 16 Meter Tiefe vor. In den höhern Schuttschichten
ist zwar bei diesen Stücken die Form des Rades selten,
aber die durch Einschnitte bewirkte Darstellung des in
Bewegung befindlichen Rades kommt doch noch sehr
häufig vor. Trotz allen Forschens und Grübelns ist es
mir noch nicht gelungen, zur Einsicht zu kommen: zu
welchem Zweck diese äusserst interessanten Gegenstände
gebraucht worden sind, die, wie sich jetzt beim Aus-
graben des Minervatempels herausgestellt hat, nur bei
den der griechischen Colonie vorangegangenen Völkern
mit arischen symbolischen Zeichen geschmückt worden
sind, in der griechischen Ansiedelung aber nur noch ein-
zeln, auch in abweichender Form und ganz ohne einge-
[XXXVII]einleitung.
schnittene Verzierungen vorkommen und durch die run-
den und viel grössern zweimal durchbohrten Stücke
Terracotta ersetzt werden, welche hin und wieder eine
Art von Stempel tragen.


Durch die Güte meines geehrten Freundes, des
Professors Giuseppe G. Bianconi in Bologna, erhielt ich
die Zeichnungen von zehn solchen, sich im Museum von
Modena befindenden, runden Stücken Terracotta in der
Form des Carrousels und des Vulkans, welche in den
Terramares der dortigen Gegend, in den Pfahlbauten
aus der Steinzeit, gefunden sind. Zu meinem grössten
Erstaunen sehe ich darunter sechs mit den nämlichen
eingeschnittenen Verzierungen, die ich auf den Stücken
gleicher Gestalt hier in Troja finde. Drei derselben
haben im Kreise um die Centralsonne ein dreifaches
Kreuz, welches, wie ich bemüht gewesen bin in meinem
sechsten Aufsatz ausführlich auseinanderzusetzen, als
Bild der beiden Hölzer unserer arischen Urväter zur
Hervorbringung des heiligen Feuers, ein Symbol
höchster Wichtigkeit war; das vierte stellt eine solche
Feuermaschine mit fünf Enden dar, und werden die In-
dologen vielleicht finden, dass einer der Stäbe das „pra-
mantha“ genannte Stück Holz darstellt, womit das Feuer
durch Reibung hervorgebracht wurde und von dem die
Griechen in späterer Zeit den Prometheus machten, den
sie das Feuer vom Himmel stehlen liessen. Das fünfte
zeigt eine etwas verschiedene Form der Feuermaschine
unserer Urväter, und das sechste hat zwölf Kreise um
die Centralsonne. Wahrscheinlich sind dies die im
Rigveda so oft vorkommenden zwölf Stationen der
Sonne, welche personificirt sind durch die zwölf Adityas,
[XXXVIII]einleitung.
Söhne des Adity (des Untheilbaren oder des unendlichen
Raumes), und die zwölf Zeichen des Thierkreises dar-
stellen.


Derselbe Freund schickte mir auch die Zeichnungen
von achtzehn solchen, aus den Gräbern des Kirchhofs
von Villanova stammenden und im Museum des Grafen
Gozzadini in Bologna befindlichen runden Stücken Terra-
cotta. Da der Graf in einem der Gräber ein „aes rude“
gefunden hat, so glaubt er, dass, so wie dies, so auch
der Kirchhof, aus der Zeit des Königs Numa stamme
und somit aus circa 700 v. Chr. G. de Mortillet (Le Signe
de la Croix, S. 88—89) hingegen schreibt dem Kirchhof ein
viel grösseres Alter zu. Jedenfalls aber haben funfzehn
der vorliegenden achtzehn Zeichnungen, im Vergleich
zu den zehn im Museum von Modena, sowie auch im
Vergleich mit meinen hier in Troja gefundenen kleinen
Carrousels, Vulkanen und Rädern, ein modernes Aus-
sehen, denn nicht nur die Verzierungen, sondern auch
die Form der Stücke sind viel mehr gekünstelt. Nur
drei der achtzehn Stücke zeigen eine Gestalt und Ver-
zierungen, wie sie auch hier in Troja vorkommen. Alle
drei haben die Form des Carrousels; das eine hat sieben
Sonnen im Kreise um die Centralsonne; das zweite hat
zwei Kreuze, deren eins durch vier Sterne, das andere
durch vier Striche gebildet wird. Das dritte hat fünf
fünffache Dreiecke und fünf Sterne im Kreise um den
Mittelpunkt. Der Vergleich dieser achtzehn Stücke mit
den trojanischen bringt mich zur Ueberzeugung, dass
Graf Gozzadini recht hat, wenn er dem Kirchhof von
Villanova kein höheres Alter als 700 v. Chr. zuschreibt.


Ausser den mit religiösen Symbolen verzierten
[XXXIX]einleitung.
Stücken kommen aber auch in Troja Tausende von
Terracottas ähnlicher, aber meistens mehr gedehnter
Form vor, die gar keine Verzierungen haben; in 3 Me-
ter Tiefe kommen sie auch in Gestalt des Kegels vor.
Früher fand ich in 3 Meter Tiefe solche Stücke auch
von blauem oder grünem Stein, die ich in letzter Zeit
aber auch in 7 bis 10 Meter Tiefe häufig antraf. Unter
den unverzierten Terracottas dieser Art finde ich einige,
aber kaum mehr als 2 Procent, die einige Abnutzung
zeigen und am Spinnrad gebraucht sein mögen. Die
mit Einschnitten verzierten Stücke dagegen zeigen nie-
mals irgendwelche Abnutzung, und die auf denselben
eingravirten symbolischen Zeichen sind mit einer weissen
Thonerde ausgefüllt, damit sie mehr in die Augen fallen.
Diese weisse Thonerde hätte beim Gebrauch der Stücke
am Spinnrad oder als Münze sogleich verloren gehen
müssen. Als Amulete können die Stücke ihrer
Grösse und Schwere wegen nicht getragen worden
sein. Ich muss daher glauben, dass sie als Opfergaben
angewandt oder als Idole der Sonne angebetet wurden,
deren Bild man im Mittelpunkt sieht. Wie es leider
bei der Grösse meiner Ausgrabungen, bei der Eile, mit
welcher dieselben betrieben wurden, und bei der Härte
des Schuttes nicht anders möglich war, kam bei weitem
der grössere Theil der von mir in den Tiefen Iliums
gefundenen Terracotta-Gefässe in mehr oder weniger
zerbrochenem Zustande heraus. Ich habe aber alles,
was nur irgend reparirt werden konnte, mittels Schel-
lack und Gips wiederhergestellt, und tritt letzterer in
den Photographien hervor. Ueberall wo von einem
Theile etwas abgebrochen war und fehlte, habe ich den-
[XL]einleitung.
selben nach dem Modell anderer heil herausgekommener
Gefässe derselben Art restaurirt; wo mir aber ein
solches Modell entbrach, oder wo ich die geringste Un-
gewissheit hatte, da habe ich die Restauration ganz
unterlassen.


Die Stadt Ilium, auf deren Baustelle ich seit mehr
als drei Jahren gegraben habe, gab sich für die Nachfol-
gerin von Troja aus, und da im ganzen Alterthum der
Glaube an die Identität seiner Baustelle mit jener der
alten Stadt des Priamos fest begründet war und niemand
daran gezweifelt hat, so ist es gewiss, dass die gesammte
Tradition diese Identität bestätigte. Endlich erhob sich
dagegen Strabo, der jedoch, wie er selbst sagt, die
Ebene von Troja niemals besucht hatte und sich auf die
von Eigennutz eingegebenen Berichte des Demetrios
von Skepsis verliess. Nach Strabo (XIII, 1, S. 122,
Tauchn. Ausg.) behauptete dieser Demetrius, seine Ge-
burtsstadt, Skepsis, sei die Residenz des Aeneas gewe-
sen, und beneidete Ilium um die Ehre, die Hauptstadt
des trojanischen Reichs geworden zu sein. Deshalb
sprach er die Ansicht aus: in Ilium und Umgegend sei
für die grossen Thaten der Ilias nicht Raum genug, und
das ganze Terrain, welches die Stadt vom Meere trennte,
sei angeschwemmtes Land und habe sich erst nach dem
trojanischen Kriege gebildet. Als einen andern Beweis,
dass die Stelle der beiden Städte nicht dieselbe sein
könnte, führt er an: Achilles und Hektor seien dreimal
um Troja gelaufen, während man um Ilium nicht herum-
laufen könnte „διὰ τὴν συνεχῆ ῥάχην“, wegen des fort-
laufenden Bergrückens
. Aus allen diesen Gründen
müsse man das alte Troja an die Stelle von Ἰλιέων κώμη,
[XLI]einleitung.
30 Stadien von Ilium und 42 Stadien von der Küste,
verlegen, obwol er allerdings zugestehen muss, dass
sich nicht die geringste Spur davon erhalten habe
(Strabo, XIII, 1, S. 99).


Strabo würde gewiss bei dem ihn kennzeichnenden
richtigen Urtheil alle diese irrthümlichen Behauptungen
des Demetrios von Skepsis verworfen haben, wenn er
selbst die Ebene von Troja besucht hätte, da sie sich
leicht widerlegen lassen.


Ich bemerke zunächst, dass man um die Baustelle
von Troja sehr bequem herumlaufen kann, ferner, dass
die Entfernung von Ilium, in gerader Linie bis zur
Küste, 6 Kilometer, dagegen in gerader nordwestlicher
Linie bis zum Vorgebirge von Sigeum (oder Sigeion)
7 Kilometer beträgt, welches die Tradition noch zu
Strabo’s Zeit als die Stelle des griechischen Lagers be-
zeichnete. Strabo sagt nämlich (XIII, 1, S. 103): „Nächst
Rhoeteum sieht man die zerstörte Stadt Sigeum, den
Hafen der Achäer, das achäische Lager und den Sumpf
oder See, Stomalimne genannt, und die Mündung des
Skamanders.“


Auf der Baustelle von „Ἰλιέων κώμη“ habe ich im
November 1871 Ausgrabungen gemacht, deren Resultat
die Theorie des Demetrios von Skepsis vollkommen um-
wirft, denn überall fand ich den Urboden in weniger
als ½ Meter Tiefe, und die auf einer Seite der Baustelle
weit fortlaufende Anhöhe, welche die Trümmer einer
grossen Stadtmauer zu bergen scheint, enthält nur rei-
nen Kornsand ohne jegliche Beimischung von Schutt.


Im J. 1788 n. Chr. besuchte Lechevalier die Ebene von
Troja und war so begeistert für die Theorie, das Dorf
[XLII]einleitung.
Bunarbaschi und die Anhöhen hinter demselben als die
Lage des homerischen Troja anzusehen, dass er es ver-
schmähte, die Baustelle von Ilium aufzusuchen, wie aus
seinem Werke: «Voyage de la Troade», (3e éd., Paris 1802),
sowie aus der demselben beigefügten Karte zu ersehen
ist auf welcher er höchst lächerlicherweise diese uralte
Stadt „Ilium Novum“ nennt und auf jene Seite des Ska-
manders, neben Kumkalé, nahe am Meer, und 6 Kilo-
meter von ihrer wirklichen Baustelle versetzt. Diese
Theorie, dass Trojas Baustelle nur auf der des Dorfs
Bunarbaschi und auf den Anhöhen hinter derselben zu
suchen sei, wurde auch von den Nachstehenden festgehal-
ten: Rennel, „Observations on the topography of the Plain
of Troy“, (London 1814); P. W. Forchhammer im „Journal
of the Royal Geographical Society“, vol XII, 1842; Mau-
duit, „Découvertes dans la Troade“ (Paris et Londres 1840);
Welcker, „Kleine Schriften“; Texier; Choiseul Gouffrier,
„Voyage pittores que de la Grèce“ (1820); M. G. Nikolaïdes
(Paris 1867); Ernst Curtius in seiner im November 1872
in Berlin gehaltenen Rede nach seiner Reise nach der
Troade und Ephesus, in Gesellschaft der Professoren
Adler und Müllenhoff und des Doctors Hirschfeldt. Wie
ich aber in meinem Werke: „Ithaque, le Péloponnèse et
Troie“ (Paris 1869), ausführlich auseinandergesetzt habe,
ist diese Theorie in all und jeglicher Hinsicht in voll-
kommenstem Widerspruch mit allen Angaben der Ilias;
auch haben meine Nachgrabungen in Bunarbaschi er-
wiesen, dass dort nie eine Stadt gestanden hat, denn
ich finde dort überall in weniger als ½ Meter Tiefe, und
meistentheils schon unmittelbar an der Oberfläche reinen
Urboden. Ebenso habe ich durch meine Excavationen
[XLIII]einleitung.
auf den Höhen hinter diesem Dorf, wo ich überall nur
reinen Urboden und nirgends in mehr als 1 Meter Tiefe
den Fels fand, nachgewiesen, dass dort nie menschliche
Wohnungen gewesen sind. Dies bestätigt auch, überall
wo die Erde fehlt, die bald spitze, bald abrupte und
stets ganz anomale Form der Felsen. Eine halbe Stunde
hinter Bunarbaschi ist allerdings die auf zwei Seiten
von Abgründen und von den andern Seiten von den
Trümmern einer Ringmauer umgebene Baustelle einer
ganz kleinen Stadt, welche ich für Skamandria hielt und
so auf meiner Karte der Ebene von Troja nannte. Eine
der in den Trümmern des Minervatempels des Iliums
der griechischen Colonie gefundenen Inschriften lässt
mich jedoch jetzt mit Bestimmtheit vermuthen, dass es
nicht die Baustelle von Skamandria, sondern die von
Gergis war. Auch ist dort die Schuttaufhäufung nur
höchst unbedeutend, und sieht man nicht nur in der
kleinen Akropolis, sondern auch auf der Baustelle der
kleinen Stadt auf gar vielen Stellen den nackten Fels
herausgucken. Ausserdem findet man dort überall, wo
Schuttaufhäufung ist, hellenische Topfscherben, und aus-
schliesslich hellenische Topfscherben bis zum Urboden.
Da die Archäologie den ältesten dieser Scherben
höchstens 500 bis 600 Jahre v. Chr. zugestehen kann,
so können auch die Mauern der kleinen Stadt, welche
man denen von Mykene an Alter gleichzustellen pflegte,
keinenfallsälter sein als alleräusserst 500 bis 600 Jahre v. Chr.


Unmittelbar vor dieser kleinen Stadt sind drei Hel-
dengräber, wovon man eins dem Priamos, ein anderes
dem Hektor zuschrieb, weil es ganz von kleinen Steinen
erbaut war. Dies letztere Grab ist im October 1872
[XLIV]einleitung.
von Sir John Lubbock ausgegraben, der nur bemalte
hellenische Topfscherben darin fand, denen man ein
Alter von äusserst 300 Jahren v. Chr. zugestehen kann,
und geben uns somit diese Scherben auch das Alter
des Grabes.


Der verstorbene Consul J. G. von Hahn, welcher
im Mai 1864 in seinen grössern Ausgrabungen in der
Akropolis von Gergis bis zum Urboden dieselben und
nur ganz dieselben hellenischen Topfscherben aufdeckte,
die ich dort in meinen kleinern Excavationen fand,
schreibt in seiner Broschüre „Die Ausgrabungen des
Homerischen Pergamos“: Trotz eifrigen Suchens konn-
ten meine Gefährten und ich auf dem weit gedehn-
ten nördlichen Abhang des Balidagh vom Fusse der
Akropole (von Gergis) bis zu den Quellen von Bunar-
baschi ausser den drei Heldengräbern nicht ein einziges
Kennzeichen entdecken, welches auf eine frühere mensch-
liche Niederlassung hinwiese, nicht einmal antike Topf-
scherben und Ziegeltrümmer, die nie fehlenden und da-
her unumgänglichen Zeugen einer antiken Niederlassung.
Kein Säulen- oder sonstiges Baustück, kein alter Quader,
kein in den gewachsenen Felsen eingehauenes Quader-
bett, keine künstliche Ebenung desselben; überall der
naturwüchsige, von keiner Menschenhand berührte
Boden.“


Diese irrige Theorie, Troja auf die Höhen von Bu-
narbaschi zu verlegen, hätte auch niemals aufkommen
können, hätten die genannten Vertheidiger derselben
die paar Stunden, welche sie auf den Höhen von Bu-
narbaschi und in Bunarbaschi selbst zugebracht haben,
[XLV]einleitung.
dazu benutzt, wenn auch nur von einem einzigen Ar-
beiter, kleine Löcher graben zu lassen.


Clarke und Barker Webb, Paris 1844, stellen die
Theorie auf: Troja hätte auf den Hügeln von Chiblak
oder Tschiplak gelegen. Leider aber haben auch sie
sich nicht die Mühe gemacht, dort nachzugraben, denn
sonst würden sie sich mit gar leichter Mühe überzeugt
haben, dass alle Hügel in und um Chiblak, bis zur
Ringmauer von Ilium, nur reinen Urboden enthalten.


H. N. Ulrichs (Rheinisches Museum, Neue Folge, III,
S. 573—608) stellt die Theorie auf: Troja habe auf den
Hügeln von Atzik-kioï, welches ich auf meiner Karte
Eski Akschi köi nenne, gelegen. Ich habe aber auch
diese Hügel untersucht und gefunden, dass sie aus reinem
Urboden bestehen. Ich habe bei dieser Untersuchung
einen Spaten gehabt, aber ein Taschenmesser würde
hingereicht haben.


Ich begreife gar nicht, wie es nur möglich ist, dass
man die Lösung des grossen Räthsels „ubi Troia fuit“,
welche doch die ganze civilisirte Welt aufs höchste in-
teressirt, von jeher so leichtfertig hat behandeln können,
und sich, nach einem Besuch von ein paar Stunden in
der Ebene von Troja, zu Hause hinzusetzen und volumi-
nöse Werke zu schreiben, um eine Theorie zu verthei-
digen, deren Nichtigkeit man eingesehen hätte, wenn
man auch nur eine einzige Stunde hätte nachgraben
lassen.


Ich kann zu meiner Freude rühmend Doctor Wilhelm
Büchner (Jahresbericht über das Gymnasium Fridericia-
num, Schwerin 1871 und 1872), Doctor G. von Eckenbrecher
(im Rheinischen Museum, Neue Folge 2. Jahrg., S. 1 fg.)
[XLVI]einleitung.
und C. Mac Laren (Dissertation on the Topography of
the Trojan War, Edinburgh, 1822) erwähnen, welche,
obwol sie keine Ausgrabungen gemacht haben, doch in
ihren ausgezeichneten Abhandlungen durch viele unwi-
derlegbare Beweise darthun, dass die Baustelle von
Ilium, wo ich seit mehr als drei Jahren gegraben habe,
mit allen Angaben der Ilias für die Lage Trojas über-
einstimmt, und nur dort und nirgends anderswo die alte
Stadt zu suchen sei.


Auch gedenke ich mit dankbarer Rührung des lei-
der nun schon seit fünf Jahren seinem unermüdlichen
Streben erlegenen grossen deutschen Gelehrten Julius
Braun, des Verfechters der Theorie, dass das homerische
Troja nur auf der Baustelle von Ilium in den Tiefen
des Berges Hissarlik, wo ich seit drei Jahren gegraben
habe, zu suchen sei, und dessen ausgezeichnetes Werk:
„Die Geschichte der Kunst in ihrem Entwickelungsgang“,
ich allen, welche sich für das Wahre, das Schöne
und das Erhabene interessiren, aufs angelegentlichste
empfehle.


Ebenso kann ich nicht umhin, dankbar meines ge-
ehrten Freundes, des berühmten Sanskritgelehrten und
unermüdlichen Forschers Emile Burnouf, des Directors
der französischen Schule in Athen zu erwähnen, welcher
mir persönlich und durch seine vielen vortrefflichen
Werke, und namentlich durch sein im vorigen Jahre
erschienenes vorzügliches Werk: „La Science des Ré-
ligions“, mehrere Anleitungen gegeben hat, die mich in
den Stand gesetzt haben, viele der trojanischen symbo-
lischen Zeichen zu entziffern.


Ich gedenke ferner mit Dankgefühl meines verehr-
[XLVII]einleitung.
ten Freundes, des gelehrtesten Griechen, den ich je das
Vergnügen gehabt habe zu kennen, des Professors
Stephanos Koumanoudes in Athen, der mich stets mit
seinem gediegenen Rath unterstützte, wenn ich dessen
bedurfte.


Ebenso gedenke ich hier mit herzlichem Danke der
mir während meiner langen Ausgrabungen von meinem
geehrten Freunde, dem griechischen Consul Herrn
G. Dokos in den Dardanellen, erwiesenen vielen Gefäl-
ligkeiten.


Ich mache ganz besonders darauf aufmerksam, dass
sich in der Umgegend von Troja noch bis zum heutigen
Tage mehrere Typen der uralten Töpferwaare erhalten
haben, welche ich in meinen Ausgrabungen zwischen 3
und 10 Meter Tiefe fand. So z. B. sieht man in den
Töpferläden in den Dardanellen eine ungeheuere Menge
von Gefässen mit langem aufrecht stehenden Hals und
zwei Frauenbrüsten, sowie Massen anderer in Gestalt
von Thieren. Trotz ihrer Vergoldungen und andern
Verzierungen sind diese Gefässe zwar weder hinsichtlich
Qualität noch Eleganz der Form in Vergleich zu brin-
gen mit den ilischen Terracottas, ja nicht einmal mit je-
nen aus 3 Meter Tiefe, sie geben aber dennoch den
merkwürdigen Beweis, dass sich trotz vielfältiger poli-
tischer Umwälzungen gewisse Typen von Terracottas
über 3000 Jahre lang in einer Gegend fortpflanzen
können.


So weit geschrieben, bin ich nach langer, reiflicher
Ueberlegung zur festen Ueberzeugung gekommen, dass
alle jene hier in 3 bis 10 Meter, und besonders in den
trojanischen Schuttschichten in 7 bis 10 Meter Tiefe
[XLVIII]einleitung.
in grosser Zahl vorkommenden Gefässe, welche ganz
die Form der Glocke und unten eine Krone haben, so-
dass sie nur auf die Mündung hingesetzt werden kön-
nen, und die ich bisher als Becher beschrieb, nothwen-
digerweise auch, und vielleicht sogar ausschliesslich als
Deckel der hier so vielfältig vorkommenden grossen
Terracotta-Vasen gebraucht sind, die einen glatten Hals
und auf jeder Seite zwei ohrenförmige Verzierungen
haben, zwischen denen zwei gewaltige Flügel angebracht
sind, welche, da sie eine Höhlung haben, auch scharf
auslaufen, nie als Griffe gedient haben können, um so
mehr als zwischen den ohrenförmigen Verzierungen auf
jeder Seite ein kleiner Henkel ist. Da nun letzterer
einem Eulenschnabel ähnlich ist, um so mehr als man ihn
zwischen den Ornamenten in Form von Ohren sieht, so
hat man ohne Zweifel beabsichtigt, somit auf jeder Seite
der Vasen das Bild der Eule mit emporgehobenen Flügeln
darzustellen, welchem der herrliche, mit einer Krone
versehene Deckel ein erhabenes Ansehen gibt. Ich
gebe auf Tafel 217 die Photographie der grössten von
dieser Art Vasen, welche vor einigen Tagen im könig-
lichen Hause, in 8½ bis 9 Meter Tiefe, gefunden wurde,
und welcher ich einen neben derselben entdeckten
glockenförmigen Deckel mit Krone aufgesetzt habe, der
zu ihr gehört zu haben scheint.


Ich mache auch auf den Druckfehler, S. 10, auf-
merksam, wo es ɜΚΤΩΡ ІΛІЕΩΝ anstatt ϶ΚΤΟΡ
ІΛІЕΩΝ heisst.


Alle photographirten Tafeln des zu diesem Werke
gehörenden Atlas sind vom Photographen Panagos
Th. Zaphyropoulos in Athen gemacht.


[XLIX]einleitung.

Mein mehrerwähnter Freund, der Professor der
Chemie, Herr Landerer in Athen, welcher auch die Farbe
der trojanischen Alterthümer genau untersucht hat,
schreibt mir wie folgt: „Was erstens die Gefässe selbst
anbelangt, so sind solche theils auf der Thon-Drehscheibe,
theils aus freier Hand geformt. Je nach Vorkommen
des Thons sind selbe in ihrer Grundfarbe voneinander
verschieden; es finden sich solche aus schwarzem, tief-
braunem, rothem, gelblichem und aschgrauem Thon ver-
fertigt. Alle diese Thonsorten, die die trojanischen
Töpfer zu diesen ihren Gefässen verwendeten, bestehen
aus eisenoxydhaltigem, silicathaltigem Thon (argile sili-
ceuse ferrugineuse), und je nach der stärkern oder
schwächern Brennmethode wurde das im Thon enthal-
tene Eisenoxyd mehr oder weniger oxydirt, und mithin
ist die schwarze, braune, rothe, gelbe und graue Farbe
durch die Oxydation des Eisens zu erklären. Die schöne
schwarze Glasur der auf dem Urboden in 14 Meter
Tiefe gefundenen Gefässe enthält kein Bleioxyd und
besteht aus Kohlenschwarz, das mit dem Thon zu-
sammenschmolz und in dessen Poren eindrang. Dies
lässt sich erklären durch das Einstellen der Thongefässe
in schlecht ziehende Brennöfen, in denen harzreiches
Holz gebrannt wurde und einen starken Rauch gab, der
sich in Form des feinsten Pulvers auf die Gefässe nie-
derschlug und mit einbrannte. Möglich ist es übrigens,
jedoch keineswegs wahrscheinlich, dass man sich eines
schwarzen Peches oder Asphaltes, der in Terpentinöl
aufgelöst wurde, oder des flüssigen Peches bediente und
damit die Gefässe übertünchte. Durch das Brennen
derselben wurde ebenfalls Kohlenschwarz gebildet, das
Schliemann, Troja. d
[L]einleitung.
in spätern Zeiten Atramentum indelebile des Apelles ge-
nannt wurde. Auf diese Weise gab man den helleni-
schen Terracottas ihre Farbe und Glasur.


„Die weisse Farbe, womit die auf den trojanischen
Terracottas mittels eines spitzen Gegenstandes einge-
grabenen Verzierungen ausgefüllt sind, ist nichts weiter
als reine weisse Thonerde. Ebenso ist die Malerei auf
der Topfscherbe No. 722 auf Tafel 27 mit weissem und
mit schwarzem kohlenhaltigen Thon gemacht. Die
glänzend rothe Farbe der grossen δέπα ἀμφικύπελλα
ist keine eigenthümliche Farbe, sondern blosses Eisen-
oxyd, welches ein Bestandtheil des Thons ist, aus dem
die Becher gefertigt wurden. Bei manchem der glän-
zend gelben trojanischen Gefässe finde ich, dass sie aus
grauem Thon gefertigt und mit einer gelben Thonmasse,
die eisenoxydhaltig ist, überstrichen, darauf mit einem
jener in Troja vielfältig vorkommenden geschliffenen
Stücke Diorit geglättet und dann gebrannt worden sind.“


Die in meinem zweiten Aufsatze besprochenen, vor
der Baustelle von Ἰλιέων κώμη gelegenen grossen Sümpfe
sind jetzt längst ausgetrocknet und haben dem Land-
gute Thymbria (früher Batak) 240 Acres reichen Landes
gegeben. Wie zu erwarten war, hat sich in denselben
keine Quelle heissen Wassers und nur drei Quellen
kalten Wassers gefunden.


Auf Tafel 161 unter No. 3092 findet man eine
trojanische Vase mit einer herumlaufenden Reihe von
Zeichen, die ich für symbolisch hielt und daher
nicht noch besonders zur Reproduction durch Photo-
graphie abzeichnen liess. Da jedoch mein gelehrter
Freund Herr Emile Burnouf der Meinung ist, dass es
[[LI]]

[figure]

[LII]einleitung.
eine wirkliche Inschrift mit chinesischen Schriftzeichen
ist, so gebe ich sie hier nach seiner Zeichnung wie auf
vorhergehender Seite.


Herr Burnouf erklärt sie wie folgt:


[figure]

puisse


[figure]

(la) terre


[figure]

faire germer


[figure]

dix


[figure]

labours


[figure]

dix


[figure]


[figure]
[figure]
[figure]

dix dix dix mille


[figure]

pièces d’étoffes


[figure]

Er fügt hinzu: „Les caractères du petit vase ne
sont ni grecs, ni sanscrits, ni phéniciens, ni, ni, ni — ils
sont parfaitement lisibles en chinois!!! Ce vase peut
être venu en Troade de l’Asie septentrional, dont tout
le Nord était touranien.“


Sollte es sich bestätigen, dass dies chinesische
Schrift ist, dann wird man auf den Tafeln des Atlasses
dieses Werkes noch manche Inschriften finden, denn
ähnliche Zeichen wie die vorstehenden kommen na-
mentlich auf den durchbohrten Terracottas in Form des
Vulkans und des Carrousels öfter vor.


Da ich von den türkischen Zeitungen auf eine so
schmähliche Weise angegriffen werde, dass ich wider den
Wortlaut des mir gegebenen „Fermans“ gehandelt und
anstatt den Schatz mit der türkischen Regierung zu
theilen, ihn für mich behalten habe, so sehe ich mich
genöthigt, hier in kurzen Worten auseinanderzusetzen,
[LIII]einleitung.
wie ich das vollste Recht dazu habe. Nur um Safvet
Pascha, den frühern Minister für Volksaufklärung, zu
schonen, gab ich in meinem ersten Aufsatz an, er habe
es auf meine Bitten, im Interesse der Wissenschaft,
durchgesetzt, dass der den beiden Türken in Kum-kalé
gehörige Theil von Hissarlik von der Regierung ange-
kauft wurde. Der Wahrheit gemäss verhält sich aber
die Sache wie folgt. Seit meinen Ausgrabungen hier
im Anfang April 1870. war ich unablässig bemüht, dies
Feld zu kaufen, und gelang es mir endlich, nachdem ich
dreimal eigens dazu nach Koum-kalé gereist war, die
beiden Eigenthümer auf 1000 Frs. herabzustimmen. Ich
ging alsdann im December 1870 zu Safvet Pascha nach
Konstantinopel, sagte ihm, dass es mir nach achtmonat-
lichen [vergeblichen] Bemühungen endlich gelungen
wäre, die Hauptstelle von Troja zu 1000 Frs. zu behan-
deln, und ich den Ankauf abschliessen würde, sobald er mir
die Erlaubniss ertheilen würde, das Feld auszugraben.
Er wusste nichts von Troja oder Homer; ich setzte es
ihm aber in der Kürze auseinander und sagte, dass ich
dort Alterthümer von unermesslichem Werth für die
Wissenschaft zu finden hoffte. Er meinte aber, ich
würde dort viel Gold finden, liess sich daher alle Détails
von mir geben und ersuchte mich, nach acht Tagen wie-
derzukommen. Als ich aber wiederkam, hörte ich zu
meinem Schrecken von ihm, dass er bereits die beiden
Eigenthümer gezwungen habe, ihm das Feld zu 600 Frs.
zu verkaufen, dass ich daher graben könne, aber alles,
was ich fände, an ihn abgeben müsse. Ich setzte ihm
daher in den derbsten Worten das Gehässige und Er-
bärmliche seiner Handlungsweise auseinander und er-
[LIV]einleitung.
klärte, dass ich infolge dessen nichts mit ihm zu thun
haben und gar nicht graben wolle.


Er liess mir aber darauf durch den damaligen ameri-
kanischen Gesandten Herrn Wyne Mac Veagh wiederholt
anbieten, die Excavationen zu machen und ihm nur die
Hälfte der gefundenen Sachen zu geben, und ging ich,
auf Zureden des letztern, darauf ein, aber nur unter der
Bedingung, dass ich das Recht habe, meine Hälfte von
der Türkei auszuführen. Dies mir zuerkannte Recht
wurde aber im April 1872 durch ein ministerielles Decret
widerrufen, worin gesagt war, dass ich nichts von meiner
Hälfte der gefundenen Alterthümer ausführen dürfe,
wohl aber das Recht habe, dieselben in der Türkei zu
verkaufen. Durch diese neue Verordnung hatte aber
die türkische Regierung unser schriftliches Ueberein-
kommen im vollsten Sinne des Worts gebrochen und
mich jeglicher Verpflichtung entbunden. Ich habe mich
infolge dessen auch nicht im geringsten mehr an das
ohne meine Schuld aufgehobene Uebereinkommen ge-
kehrt, habe alles Werthvolle, was ich fand, für mich
behalten und somit für die Wissenschaft gerettet, und
wird mir die ganze gebildete Welt Beifall klatschen,
dass ich es so gemacht habe. Die gefundenen troja-
nischen Alterthümer, und namentlich der Schatz, über-
steigen bei weitem meine sanguinsten Erwartungen
und geben mir volle [Entschädigung] für den mir von
Safvet Pascha gespielten erbärmlichen Streich, sowie
für die fortwährende unangenehme Gegenwart eines tür-
kischen Wächters bei meinen Ausgrabungen, dem ich
gezwungen war, täglich 4¾ Frs. zu zahlen.


Durchaus nicht, weil ich es als meine Pflicht ansah,
[LV]einleitung.
sondern lediglich um mein freundliches Entgegenkommen
zu zeigen, habe ich dem Museum in Konstantinopel
sieben grosse, 1½ bis 2 Meter hohe trojanische Vasen
und vier Säcke mit steinernen Werkzeugen geschickt,
und bin somit der einzige Wohlthäter geworden, den
dies Museum je gehabt hat; denn zwar werden sämmt-
liche „Fermane“ mit der ausdrücklichen Bedingung er-
theilt, die Hälfte der zu findenden Alterthümer ans Mu-
seum zu geben, aber noch niemals hat letzteres von ir-
gendjemand irgendetwas davon erhalten; denn da es
nichts weniger als öffentlich ist und selbst gar oft dem
Director desselben von der Schildwache der Eintritt
verweigert wird, so weiss jeder, dass die dahin geschick-
ten Alterthümer auf ewig für die Wissenschaft verloren
gehen.


Ich mache ganz besonders darauf aufmerksam, dass
infolge der Reduction der Pläne auf Tafel 213, 214, 215
und 216 durch Photographie der auf denselben verzeich-
nete Massstab bedeutend verringert wird, und dass der-
selbe jetzt für den Plan von Ilium, Tafel 213, auf \frac{2787}{10000}
Millimeter per Meter; für den Plan meiner Ausgrabun-
gen Tafel 214 auf \frac{8}{10} Millimeter per Meter; für den Plan
des alten Troja Tafel 215 auf \frac{9}{10} Millimeter per Meter;
und für den Plan des Skaeischen Thors und des grossen
Thurms Tafel 216 auf 3 \frac{4}{10} Millimeter per Meter zu be-
rechnen ist.


Der grosse Indologe Max Müller in Oxford schreibt
mir soeben hinsichtlich der eulenköpfigen trojanischen
Schutzgöttin: „Under all circumstances, the owl headed
[LVI]einleitung.
idol cannot be made to explain the idea of the goddess.
The ideal conception and the naming of the goddess
came first, and in that name, the owl’s head, whatever it
may mean, is figurative or ideal. In the idol the figu-
rative intention is forgotten, just as the sun is represented
with a golden hand, whereas the ideal conception of
«golden handed» was «spreading his golden rays». An
owl-headed deity was most likely intended for a deity
of the morning or the Dämmerung, the owl light; to
change it into a human figure with an owl’s head was
the work of a later and more materializing age.“


Ich bin vollkommen hiermit einverstanden. Es geht
aber daraus hervor, dass die Trojaner, oder wenigstens
die ersten Ansiedler dieses Berges, griechisch sprachen,
denn wenn sie aus dem idealen Begriff, den sie von
ihrer Schutzgöttin hatten, deren Beinamen „γλαυκῶπις“
nahmen und in späterer Zeit aus diesem eine Frauenge-
stalt mit Eulengesicht machten, so mussten sie nothge-
drungen verstehen, dass γλαῦξ Eule und ὠπή Gesicht
heisst. Dass aber diese Umwandlung viele Jahrhunderte
und wahrscheinlich über 1000 Jahre vor Homer’s Zeit
vor sich gegangen ist, dafür zeugen die selbst in 14 Me-
ter Tiefe, in der untersten Trümmerschicht der Vorgän-
ger der Trojaner, auf Vasen und sogar in Monogrammen
vorkommenden Eulenköpfe.


Noch muss ich darauf aufmerksam machen, dass ich
bei Nachsehen meiner trojanischen Sammlung, aus 2 Me-
ter Tiefe stammend, 70 sehr hübsche glänzend schwarze
oder rothe Terracottas mit oder ohne eingeschnittene
Verzierungen finde, welche sowol in Qualität als Form
[LVII]einleitung.
nicht die geringste Aehnlichkeit weder mit der griechi-
schen noch mit der vorhistorischen Töpferwaare haben.
Es scheint somit, dass gerade vor Ankunft der griechi-
schen Colonie noch ein anderes Volk eine kurze Zeit
lang diesen Berg bewohnt hat. Man erkennt diese
Töpferwaare in den Photographien an den beiden lan-
gen, spitz zulaufenden Henkeln der grossen cannelirten
und meist mit drei oder vier kleinen Hörnern versehenen
Tassen.


Dr. Heinrich Schliemann.


[[LVIII]][[LIX]]

INHALT.


  • Seite
  • Einleitung V
  • I. Auf dem Berge Hissarlik (in der Ebene von Troja), 18. October 1871 1
  • II. Auf dem Berge Hissarlik, 26. October 1871 9
  • III. Auf dem Berge Hissarlik, 3. November 1871 21
  • IV. Auf dem Berge Hissarlik, 18. November 1871 28
  • V. Auf dem Berge Hissarlik, 24. November 1871 37
  • VI. Auf dem Berge Hissarlik, 5. April 1872 45
  • VII. Auf dem Berge Hissarlik, 25. April 1872 59
  • VIII. Auf dem Berge Hissarlik, 11. Mai 1872 76
  • IX. Auf dem Berge Hissarlik, 23. Mai 1872 86
  • X. Auf dem Berge Hissarlik, 18. Juni 1872 99
  • XI. Auf dem Berge Hissarlik, 13. Juli 1872 139
  • XII. Pergamos von Troja, 4. August 1872 157
  • XIII. Pergamos von Troja, 14. August 1872 171
  • XIV. Athen, 28. September 1872 179
  • XV. Pergamos von Troja, 22. Februar 1873 184
  • XVI. Pergamos von Troja, 1. März 1873 194
  • XVII. Pergamos von Troja 15. März 1873 211
  • XVIII. Pergamos von Troja, 22. März 1873 224
  • XIX. Pergamos von Troja, 29. März 1873 231
  • XX. Pergamos von Troja, 5. April 1873 243
  • XXI. Pergamos von Troja, 16. April 1873 253
  • XXII. Pergamos von Troja, 10. Mai 1873 268
  • XXIII. Troja, 17. Juni 1873 288

[[LX]][[1]]

I.



In meinem 1869 publicirten Werke „Ithaque, le Pélo-
ponnèse et Troie“ 1 habe ich mich bemüht, sowohl
durch das Resultat meiner eigenen Ausgrabungen, als
durch die Angaben der Ilias zu beweisen, dass das ho-
merische Troja unmöglicherweise auf den Höhen von
Bunarbaschi gelegen haben kann, wohin es die meisten
Archäologen verlegen. Gleichzeitig habe ich dahin ge-
strebt darzuthun, dass Troja’s Baustelle nothwendiger-
weise identisch sein muss mit der Baustelle der Stadt,
die im ganzen Alterthum, und bis zu ihrem gänzlichen
Untergang am Ende des 8. oder im Anfange des 9. Jahr-
hundert n. Chr., Ilium hiess und erst 1000 Jahre
nach ihrem Verschwinden — sage im Jahr 1788 n. Chr.
— Ilium Novum getauft wurde durch Lechevalier,
welcher, wie es sein Werk „Voyage de la Troade“ (3e
éd. Paris 1802) beweist, nie sein Ilium Novum besucht
haben kann, denn er versetzt es auf seiner Karte auf
jene Seite des Skamanders neben Kum-Kalé, und somit
6 Kilometer von dem richtigen Orte.


Schliemann, Troja. 1
[2]die baustelte iliums.

Die Baustelle Iliums ist auf einem durchschnittlich
24 Meter oder 80 Fuss über der Ebene erhabenen
Plateau, welches nach Norden sehr steil abfällt. Seine
Nordwestecke wird durch einen noch um 8 Meter
höheren Hügel gebildet, welcher nach den beifolgen-
den Plänen 215 Meter breit und 300 Meter lang ist,
und sich durch seine imposante Lage und natürliche
Befestigungen ganz besonders zur Akropolis der Stadt
zu eignen scheint; auch habe ich seit meinem ersten
Besuch nie daran gezweifelt, in den Tiefen dieses
Berges die Pergamos des Priamos zu finden. In einer
Ausgrabung, die ich an der Nordwestecke desselben
im April 1870 machte, fand ich, unter anderm, in
5 Meter Tiefe Mauern von 2 Meter Dicke, die, wie sich
jetzt herausgestellt hat, zu einem Bollwerk aus der
Zeit des Lysimachus gehören. Ich konnte jene Aus-
grabungen leider damals nicht fortsetzen, weil die Eigen-
thümer des bezüglichen Feldes, zwei Türken in Kum-
Kalé, welche auf demselben ihre Schafhürden hatten,
mir die Erlaubniss, weiter zu graben, nur unter der Be-
dingung geben wollten, dass ich ihnen sogleich eine
Entschädigung von 12000 Piastern zahle und mich ausser-
dem gerichtlich verpflichte, nach Beendigung meiner
Ausgrabungen alles sorgfältig wieder zu verschütten.
Da mir dies natürlich nicht passend erschien und die
beiden Besitzer mir das Feld zu keinem Preise verkaufen
wollten, so wandte ich mich an Se. Exc. Safvet-Pascha,
den Minister für Volksaufklärung, der es auf meine Bitten
im Interesse der Wissenschaft durchsetzte, dass vom
Ministerium des Innern dem Statthalter der Hohen Pforte
im Archipelagus und in den Dardanellen, Achmed-
[3]die erlangung des fermans.
Pascha, der Befehl ertheilt wurde, das Feld durch Sach-
kundige abschätzen zu lassen und die Eigenthümer zu
zwingen, dasselbe zum Taxpreis an die Regierung zu
verkaufen, die es somit für 3000 Piaster erstand.


Behufs Erlangung des zur Fortsetzung meiner Aus-
grabungen nöthigen Fermans stiess ich aber auf neue
grosse Schwierigkeiten, indem die türkische Regierung
für ihr neuerdings in Konstantinopel errichtetes Museum
alte Kunstschätze sammeln lässt, infolge dessen kaiser-
liche Erlaubnisse für Ausgrabungen nicht mehr ertheilt
werden. Was ich aber trotz dreimaliger Reisen nach
Konstantinopel nicht erreichen konnte, erreichte ich
endlich auf Verwendung meines geehrten Freundes, des
interimistischen Geschäftsträgers der Vereinigten Staaten
von Amerika bei der Hohen Pforte, Herrn John P.
Brown, des Verfassers des ausgezeichneten Werkes
„Ancient and Modern Constantinople“ (London, Stevens
Brothers, Henrietta Street, Covent Garden, 1868), und
am 27. v. M. kam ich mit meinem Ferman in den Dar-
danellen an, stiess aber dort wiederum auf Schwierig-
keiten, und diesmal von seiten des vorerwähnten Ach-
med-Pascha, der die Lage des von mir zu erforschenden
Feldes nicht genau genug in jenem Document bezeichnet
zu finden glaubte, und nicht eher seine Erlaubniss zu
den Ausgrabungen ertheilen wollte, als bis er vom
Grossvezier nähere Aufklärung erhalten haben würde.
Wegen des inzwischen eingetretenen Ministerwechsels
würde wahrscheinlich eine lange Zeit darüber hinge-
gangen sein, ehe diese Sache in Ordnung gekommen
wäre, hätte Herr Brown nicht die glückliche Idee ge-
habt, sich an Se. Exc. Kiamil-Pascha, den neuen Mi-
1*
[4]der anfang der grossen excavationen.
nister für Volksaufklärung, zu wenden, welcher ein leb-
haftes Interesse für die Wissenschaft hegt, und auf dessen
Verwendung beim Grossvezier an Achmed-Pascha so-
gleich der verlangte Aufschluss gegeben wurde. Darüber
waren aber wieder 13 Tage vergangen, und erst am
10. October abends konnte ich mit meiner Frau von den
Dardanellen nach der acht Stunden davon entfernten
Ebene von Troja abreisen. Da ich laut des Fermans
von einem türkischen Beamten überwacht werden muss,
dessen Gehalt ich während der Zeit meiner Ausgra-
bungen zu entrichten habe, so wurde mir von Achmed-
Pascha der zweite Secretär seiner Justizkanzlei, ein Ar-
menier Namens Georgios Sarkis, mitgegeben, dem ich
täglich 23 Piaster bezahle.


Ich fing endlich am Mittwoch, 11. d. M., meine Aus-
grabungen mit 8 Arbeitern wieder an, konnte aber deren
Zahl schon am folgenden Tage auf 35 und am 13. d. M.
auf 74 Mann erhöhen, deren jeder täglich 9 Piaster
(1 Frc. 80 Cent.) erhält. Da ich leider nur acht Schieb-
karren von Frankreich mitgebracht habe und dieselben
hier nicht zu haben sind, in der ganzen Umgegend auch
nicht gemacht werden können, so muss ich zur Fort-
schaffung des Schuttes 52 Körbe zu Hülfe nehmen.
Diese Arbeit geht aber, da der Schutt eine weite Strecke
geschleppt werden muss, nur langsam vor sich und ist
sehr ermüdend. Ich wende daher auch vier Karren an,
die von Ochsen gezogen werden und deren jeder täglich
20 Piaster kostet. Ich arbeite mit grosser Energie und
scheue keine Kosten, um womöglich noch vor den
Winterregen, die jeden Augenblick eintreten können,
auf den Urboden zu kommen, und somit endlich das
[5]der berg hissarlik.
grosse Räthsel zu lösen, ob, wie ich gerade bestimmt
glaube, der Berg Hissarlik die Burg von Troja ist.


Wenn es Thatsache ist, dass Berge, die aus blosser
Erde bestehen und beackert werden, allmählich ganz
verschwinden, und wenn so z. B. der Wartsberg bei dem
Dorfe Ankershagen in Mecklenburg, den ich einst als
Kind für den höchsten Berg der Welt hielt, in 40 Jahren
ganz zu Grunde gegangen ist, so ist es ebensowohl
Thatsache, dass Hügel, auf denen im Laufe von Jahr-
tausenden fortwährend neue Gebäude auf den Trümmern
der frühern Bauten errichtet werden, sehr bedeutend
an Umfang und Höhe gewinnen. Dafür liefert der Berg
Hissarlik den schlagendsten Beweis. Wie bereits er-
wähnt, liegt derselbe am Nordwestende der Baustelle
von Ilium, welche durch die von Lysimachus erbauten,
noch auf vielen Stellen sichtbaren Ringmauern genau
bezeichnet ist. Ausser der imposanten Lage dieses Berges
innerhalb des Stadtbezirks scheint auch sein jetziger türki-
scher Name Hissarlik (Festung oder Akropolis, von dem aus
dem Arabischen ins Türkische übergegangenen Worte
[...], von der Wurzel [...], einschliessen) zur Genüge
zu beweisen, dass dies Ilium’s Pergamos, und dass es
daher nach Herodot (VII, 43) hier war, wo (im Jahre
480 v. Chr.) Xerxes der ilischen Minerva 1000 Rinder
opferte, dass es hier war, wo Alexander der Grosse
seine Waffenrüstung im Tempel der Göttin aufhing,
dagegen einige vom Trojanischen Kriege her in dem-
selben geweihte Waffen mitnahm und ebenfalls der
ilischen Minerva opferte (Strabo XIII, 1, 8; Arrian I,
11; Plutarch, „Leben Alexander’s des Grossen“, VIII).
[6]die schwierigkeiten der ausgrabungen.
Ich vermuthete, dass dieser Tempel, der Stolz der Ilier,
auf dem höchsten Punkte des Berges gestanden haben
muss, und entschloss mich daher, diese Stelle bis zum
Urboden auszugraben. Um nun gleichzeitig die urältesten
Festungsmauern der Pergamos zum Vorschein zu bringen
und auch genau bestimmen zu können, um wieviel der
Berg seit Errichtung jener Mauern durch den hinunter-
geworfenen Schutt an Breite zugenommen hat, legte
ich, 20 Meter von meinen vorjährigen Arbeiten entfernt,
von der steilen Nordseite genau nach Süden und bis
über die höchste Bergfläche hinausgehend, einen unge-
heuern Einschnitt an, welcher so breit ist, dass er das
ganze Gebäude umfasst, dessen Fundamente von grossen
behauenen Steinen, nur 1 bis 3 Fuss unter der Erde,
ich schon im vorigen Jahre blossgelegt hatte. Nach
genauer Messung beträgt die Länge dieses Gebäudes,
welches aus den ersten Jahrhunderten v. Chr. zu stam-
men scheint, 17 Meter 90 Centimeter und seine Breite
13 Meter 25 Centimeter. Ich habe natürlich alle diese
Fundamente wegräumen lassen, da sie innerhalb meines
Einschnitts von keinem Nutzen sind und nur hindern
würden.


Die Schwierigkeiten der Ausgrabungen in einer
Wildniss wie dieser, wo es an allem gebricht, sind un-
geheuer, und dieselben wachsen mit jedem Tage, da
wegen des Bergabhangs der Einschnitt um so länger
wird, je tiefer ich grabe, und daher die Fortschaffung
des Schutts an Schwierigkeit zunimmt; letzterer kann
auch nicht vom Abhang geradeaus geworfen werden,
denn er wäre dann ja fortwährend von neuem wieder
wegzuräumen, und muss daher in einiger Entfernung
[7]die fortschaffung der schuttmassen.
rechts und links von der Mündung des Einschnitts auf
die schroffe Bergseite geschüttet werden. Auch macht
das Herausholen und Fortschaffen der Massen unge-
heurer Steinblöcke, die uns fortwährend in den Weg
kommen, grosse Mühe und verursacht gar viel Zeitver-
lust, da in dem Augenblick, wo ein grosser Steinblock
bis an den Rand des Abhangs gewälzt ist, immer alle
meine Leute ihre Arbeiten verlassen und hineilen, um
Augenzeugen zu sein, wie die gewaltigen Lasten mit
donnerndem Getöse den steilen Pfad hinunterrollen und
sich erst in einiger Entfernung in der Ebene festlegen.
Auch bin ich, da ich allein allem vorstehe, in der abso-
luten Unmöglichkeit, jedem meiner Arbeiter die richtige
Beschäftigung zu geben und zu überwachen, dass jeder
seine Schuldigkeit thut. Dann müssen auch, behufs der
Fortschaffung des Schutts, die Seitenausgänge in Ord-
nung gehalten werden, was sehr zeitraubend ist, da
deren Senkung mit jedem Schritt, den wir tiefer gehen,
bedeutend modificirt werden muss.


Ungeachtet aller dieser Hindernisse aber schreitet
die Arbeit doch rasch vorwärts, und ich würde, wenn
ich nur einen Monat ununterbrochen fortarbeiten könnte,
trotz der ungeheuern Breite des Einschnitts, schon be-
stimmt eine Tiefe von 10 Meter erreichen.


Die bisjetzt aufgefundenen Medaillen sind sämmtlich
von Kupfer und meistentheils von Alexandria-Troas;
dann auch von Ilium aus den ersten Jahrhunderten vor
und nach Chr.


Meine liebe Frau, eine Athenienserin, die für Homer
schwärmt und die Ilias fast ganz auswendig weiss,
wohnt den Ausgrabungen von früh bis spät bei. Von
[8]chinin als präservativ.
unserer Lebensweise in dieser Einöde, wo es an allem
fehlt und wo wir als Präservativ gegen die pestilen-
zialen Sumpffieber alle Morgen vier Gran Chinin ein-
nehmen müssen, will ich gar nicht sprechen. Meine
Arbeiter sind alle Griechen vom benachbarten Dorfe
Renkoï; nur am Sonntag, wo die Griechen nicht arbeiten,
nehme ich türkische Arbeiter. Mein Diener Nikolaos
Zaphyros von Renkoï, dem ich täglich 30 Piaster zahlen
muss, ist mir unentbehrlich zur Zahlung des Tage-
lohns, da er jeden Arbeiter kennt und ehrlich ist; leider
aber leistet er mir bei den Arbeiten keine Hülfe, indem
er weder die Gabe des Commandos noch die geringste
Sachkenntniss hat.


Begreiflich fehlt es mir hier ganz an Zeit und ist
es mir nur möglich gewesen, Vorstehendes zu schreiben,
weil es heute stark regnet und daher nicht gearbeitet
werden kann. Bei nächstem Regenwetter werde ich
über den Fortgang meiner Ausgrabungen weiter be-
richten.


[9]münzen nur bis 1 meter tiefe

II.



Seit meinem Berichte vom 18. d. habe ich die Aus-
grabungen mit durchschnittlich 80 Arbeitern mit aller-
grösster Energie fortgesetzt und heute eine mittlere Tiefe
von 4 Meter erreicht. In 2 Meter Tiefe fand ich einen
mit einem sehr grossen Stein verdeckten und mit Schutt
gefüllten Brunnen, dessen Tiefe ich noch nicht habe
ermitteln können und der aus römischer Zeit stammt,
wie aus dem Cement hervorgeht, mit welchem die Steine
zusammengefügt sind. Trümmer von Gebäuden, die aus
behauenen, mit oder ohne Cement zusammengefügten
Steinen bestehen, finde ich nur bis 2 Meter Tiefe. In
den Schuttschichten zwischen 2 und 4 Meter Tiefe finde
ich fast gar keine Steine und die grossen Steinblöcke
kommen zu meiner Freude gar nicht mehr vor. Me-
daillen von Ilium vom 1. und 2. Jahrhundert vor und den
beiden ersten Jahrhunderten nach Christo, sowie Münzen
von Alexandria-Troas und Sigeion, deren Alter ich
nicht anzugeben weiss, fand ich fast nur dicht an der
Oberfläche und nur in einzelnen Fällen in einer Tiefe
von 1 Meter; bei weitem die meisten ilischen Münzen
tragen die Bilder der Minerva, Faustina der ältern, von
[10]merkwürdige stücke terracotta.
Marcus Aurelius, von Faustina der jüngern, von Com-
modus oder von Crispina, und fand ich eine mit der
Aufschrift: ΦΑΥΣΤΙΝΑ ɜΚΤΩΡ ІΛІЕΩΝ. Bis 2 Meter
Tiefe fand ich, gleichwie bei meiner vorjährigen Aus-
grabung in diesem Berge, eine ungeheure Menge runder,
rother, gelber, grauer nnd schwarzer Stücke Terracotta
mit zwei Löchern ohne Aufschrift, jedoch oft mit einer
Art Töpferstempel versehen. Auf keinem dieser Stücke
kann ich in den Löchern oder sonst wo die geringste
Spur von Abnutzung durch häuslichen Gebrauch ent-
decken, und vermuthe ich daher, dass sie als Exvotos
zum Aufhängen in den Tempeln gedient haben. Auf
den meisten derjenigen, die einen Stempel haben, sehe
ich in letzterm einen Altar und darüber eine Biene oder
Fliege mit ausgebreiteten Flügeln; auf andern ist ein
Stier, ein Schwan, ein Kind oder zwei Pferde. Merk-
würdigerweise verschwinden diese Stücke mit einemmal
in einer Tiefe von 2 Meter, und ich finde von da ab-
wärts anstatt derselben bald kugelrunde Stücke, ganz
in der Form der deutschen Brummkreisel, bald Stücke
in Form von Halbkugeln, bald andere in der Gestalt
von Kegeln, Carrouselen oder feuerspeienden Bergen; sie
sind von 1 ½ bis 6 Centimeter hoch und breit und haben
in allen Formen ein Loch quer durch die Mitte; fast
alle haben auf einer Seite die verschiedenartigsten Ver-
zierungen im Kreise um das im Mittelpunkt befindliche
Loch. Mit Ausnahme weniger, in 3 Meter Tiefe vor-
kommender Stücke von blauem Stein, die 1 ½ Centi-
meter hoch und 2 ½ Centimeter breit sind, sind alle von
Terracotta, und man sieht deutlich, dass die Verzie-
rungen eingravirt sind, als der Thon noch weich war;
[11]haifischknöchel und muscheln.
viele sind von so ausgezeichnetem und so hart ge-
branntem schwarzen Thon, dass ich zuerst glaubte, sie
seien von Stein und den Irrthum erst nach genauer
Untersuchung einsah. In der jetzt erreichten Tiefe finde
ich auch sehr viele jener zierlichen runden Knöchel, die
das Rückgrat des Haifisches bilden und von denen man
bekanntlich Spazierstöcke macht. Das Vorhandensein
dieser Knöchel scheint zu beweisen, dass es im hohen
Alterthum in diesen Meeren Haifische gab, die jetzt
hier nicht mehr vorkommen. Auch fand ich heute, auf
einem Bruchstück grober Thonarbeit, einen Menschen-
kopf mit grossen hervorstehenden Augen, langer Nase
und ganz kleinem Munde dargestellt, der entschieden
phönizischer Arbeit zu sein scheint.


Fortwährend kommt dabei eine ungeheure Menge
Muscheln zum Vorschein, und es scheint fast, dass die
alten Bewohner von Ilium grosse Liebhaber dieser Schal-
thiere gewesen sind. Austerschalen kommen auch vor,
aber nur selten; dagegen sehr viele Knochen und Topf-
scherben. Bis zu der jetzt erreichten Tiefe scheinen alle
Gebäude, die im Laufe von Jahrtausenden auf dem
Berge gestanden haben und deren jedes deutlich durch
eine Schicht calcinirter Trümmer angegeben ist, durch
Feuersbrünste zerstört worden zu sein. Jedenfalls ist
dies die Ursache, dass ich nicht auch andere Gegen-
stände, und besonders dass ich nicht mehr irdene Ge-
fässe finde. Was ich bisjetzt davon unversehrt gefunden
habe, sind ganz kleine Töpfe grober Arbeit; übrigens
beweisen die Topfscherben, dass es selbst im Zeitab-
schnitt der Trümmer in 4 Meter Tiefe schon gutes
Küchengeschirr gab.


[12]entdeckte inschriften.

In dem vorerwähnten viereckigen Gebäude fand
ich, in 1 ½ Meter Tiefe, eine 65 Centimeter lange, oben
35, unten 39 Centimeter breite Marmorplatte mit nach-
stehender Inschrift, die ich im Anhange, auf Tafel 28,
in verkleinertem Masstabe, aber in natürlicher Form
darstelle:


Ἐπειδὴ Διαφένης Πολλέως Τημνίτης, διατρίβων παρὰ
τῷ βασιλεῖ, φίλος ὢν καὶ εὔνους διατελεῖ τῷ δήμῳ, χρείας
παρεχόμενος προϑύμως εἰς ἅ ἄν τις αὐτὸν παρακαλῇ, δεδό-
χϑαι τῇ βουλῇ καὶ τῷ δήμῳ ἐπαινέσαι μὲν αὐτὸν ἐπὶ τούτοις,
παρακαλεῖν δὲ καὶ εἰς τὸ λοιπον εἶναι φιλότιμον εἰς τὰ τοῦ
δήμου συμφέροντα, δεδόσϑαι δὲ αὐτῷ πολιτείαν, προξενίαν,
ἔγκτησιν, ἀτέλειαν ὧγ καὶ οἱ πολῖται ἀτελεῖς εἰσι καὶ ἔφοδον
ἐπὶ τὴν βουλὴν πρώτῳ μετὰ τὰ ἱερὰ καἰ ἄφιξιν καὶ ἐμ πολέμῳ
καὶ ἐν εἰρήυῃ ἀσυλεί καὶ ἀστονδεί· ἀναγράψαι δὲ τὰ δεδο-
μένα αὐτῷ ταῦτα εἰς στήλην καὶ (ἀνα)ϑεῖναι ε(ἰς ....


Der König, von dem in dieser Inschrift die Rede
ist, muss einer der Pergamener sein, und nach dem
Charakter der Schrift glaube ich dieselbe dem 3. Jahr-
hundert v. Chr. zuschreiben zu müssen.


In ungefähr gleicher Tiefe fand ich neben dem Ge-
bäude eine zweite Marmorplatte von 42 Centimeter
Länge und 34 Centimeter Breite, die ich ebenfalls im
Anhange auf Tafel 29 in natürlicher Form wiedergebe;
sie lautet:


Ἰλιεῖς ἔδοσαν Μενελάῳ Ἀῤῥαβαίου Ἀϑηναίῳ εὐεργέτῃ
γενομένῳ αὐτῶν καὶ περὶ τὴν ἐλευϑερίαν ἀνδρὶ ἀγαϑῷ γενο-
μένῳ προξενίαν καὶ εὐεργεσίαν.


Diese zweite Inschrift scheint, nach der Form der
Buchstaben zu urtheilen, aus dem 1. Jahrhundert v. Chr.
Ἀῤῥαβαῖος kommt hier zuerst als ein attischer Name vor.


[13]die prachtvolle aussicht von hissarlik.

Ich fand ferner in gleicher Tiefe, ebenfalls neben
den Fundamenten des mehrerwähnten Gebäudes, eine
dritte 38 Centimeter lange, 36 Centimeter breite Mar-
morplatte, die ich gleichfalls im Anhang auf Tafel 29
in ihrer natürlichen Form vorstelle und deren In-
halt ist:


Μηνόφιλος Γλαυρίου εἶπεν· ἐπειδὴ πλείονες τῶν πολιτῶν
ἐπελϑόντες ἐπὶ τὴν βουλῄν φασιν Χαιρέαν τὸν τεταγμένον ἐπ̕
Ἀβύδου εὔνουν τε εἶναι τῇ πόλει καὶ ἐνίοις πρεσβευομένοις
ὑπὸ τοῦ δήμου πρὸς αὐτὸν βουλόμενον τῇ πόλει χαρίξεσϑαι
τὴν πᾶσαν σπουδὴν καὶ πρόνοιαν ποεῖσϑαι καὶ τοῖς συναν-
τῶσιν αὐτῷ τῶν πολιτῶν φιλανϑρώπως προσφέρεσϑαι, ἵνα
οὖν καὶ ὁ δῆμος φαίνηται τὴν καϑήκουσαν χάριν ἀποδιδοὺς
τοῖς προαιρουμένοις τὴν πό(λιν) ....... δεδόχϑαι


Diese dritte Inschrift scheint ebenfalls aus dem
1. Jahrhundert v. Chr. zu sein.


Es ist wahrscheinlich, dass das Gebäude, in und bei
welchem ich diese drei Inschriften gefunden habe, das
Rathhaus von Ilium gewesen ist; keinesfalls scheint es
ein Tempel gewesen zu sein.


Die Aussicht vom Berge Hissarlik ist eine überaus
prachtvolle: vor mir die herrliche trojanische Ebene, die
sich seit dem neulichen Gewitterregen von neuem mit
Gras und gelben Butterblumen bedeckt hat, und in
einer Stunde Entfernung im Nord-Nord-Westen vom
Hellespont begrenzt wird. Die Halbinsel von Gallipoli
läuft hier in eine Spitze aus, die mit einem Leuchtthurm
versehen ist. Links davon ist die Insel Imbros, über
welche man den jetzt mit Schnee bedeckten Ida der
Insel Samothraki sieht, und etwas mehr nach Westen
bemerkt man auf der macedonischen Halbinsel den mit
[14]die heldengräber der ebene von troja.
Klöstern bedeckten berühmten Berg Athos oder Monte-
Santo, an dessen nordwestlicher Seite man noch jetzt
die Spuren jenes grossen Schiffskanals sieht, den, nach
Herodot (VII, 22—23), Xerxes dort graben liess, um die
stürmische Umfahrt des Caps Athos zu vermeiden.


Wieder zur trojanischen Ebene zurückkehrend, sieht
man am rechten Ende derselben, auf einem Ausläufer
des Vorgebirges von Rhöteum, den Grabhügel des
Ajax, am Fusse des gegenüberliegenden Vorgebirges
von Sigeion den des Patroklos, und auf einem Ausläufer
desselben das Denkmal des Achilleus; links von letzterm,
auf jenem Vorgebirge selbst, das Dorf Jenischahir. Von
dort wird die zwei Stunden breite Ebene gegen Westen
durch das im Durchschnitt 40 Meter hohe Ufer des
Aegeischen Meeres begrenzt, auf dem man zuerst den
Grabhügel des Festus, des vertrauten Freundes von
Caracalla, sieht, den dieser Kaiser (nach Herodian, IV)
bei seinem Besuch in Ilium vergiften liess, um das von
Homer (Ilias, XXIII) beschriebene Leichenbegängniss
nachahmen zu können, welches Achilleus seinem Freunde
Patroklos weihte. Dann folgt auf derselben Küste ein,
Udjek-Tépé genannter, 24 Meter hoher Grabhügel,
welcher von den meisten Archäologen als der des Greises
Aesyetes angesehen wird, von dem aus Polites, im Ver-
trauen auf die Schnelligkeit seiner Füsse (Ilias II, 791—
794), spähte, wann das griechische Heer von den Schiffen
hervorstürmen würde. Die Entfernung dieses Hügels
vom griechischen Lager am Hellespont ist aber volle
3 ½ Stunden, während man auf einen Abstand von einer
Viertelstunde keinen Menschen sehen kann. Ferner
brauchte Polites in einer Entfernung von 3 ½ Stunden
[15]thymbria.
keine schnellen Füsse zu haben, um zu entkommen.
Kurz, nach jener Stelle der Ilias kann man unmöglicher-
weise jenes Grab mit dem des Aesyetes identificiren,
mag man nun das alte Troja auf die Höhen von Bunar-
baschi oder nach Ilium, wo ich grabe, verlegen. Zwi-
schen den beiden letztgenannten Grabhügeln sieht man
über das hohe Ufer des Aegeischen Meeres die Insel
Tenedos hervorragen. Gegen Süden erblickt man die
trojanische Ebene, die sich noch zwei Stunden weit bis
zu den Anhöhen von Bunarbaschi ausdehnt, über welche
der mit ewigem Schnee bedeckte Gargarus des Ida-
gebirges, von welchem Jupiter den Kämpfen der Tro-
janer und Griechen zusah, majestätisch emporragt. Eine
halbe Stunde links von Bunarbaschi liegt das meinem
geehrten Freunde, dem Herrn Frederik Calvert, gehö-
rige, 5000 Acres grosse schöne Landgut Batak, welcher
Name jetzt in Thymbria umgewandelt ist. Es verdient aber
diesen Namen aus mehr als einem Grunde, denn nicht
nur wird es vom Flusse Thymbrios (jetzt Kemer) durch-
strömt, sondern es umfasst auch die ganze Baustelle der
alten Stadt Thymbria mit ihrem Tempel des Apollo, in
dessen Trümmern des Besitzers Bruder, Herr Frank
Calvert, der durch seine archäologischen Forschungen
bekannt ist, Nachgrabungen gemacht und mehrere
werthvolle Inschriften gefunden hat, unter anderm auch
ein Inventarverzeichniss des Tempels. Dieses Landgut
umfasst ferner auch die dem Anschein nach stellenweise
von Ringmauern umgebene Baustelle einer alten Stadt,
welche mit Topfscherben bedeckt ist und so sehr mit
Strabo’s Angaben hinsichtlich Lage, Abstand u. s. w.
übereinstimmt, dass es jedenfalls dessen Ἰλιέων κώμη sein
[16]thymbria.
muss, wohin er, der Theorie des Demetrios von Skepsis
folgend, das homerische Troja verlegt. Am Fusse des
Hügels, der diese Baustelle trägt, ist merkwürdigerweise
eine Quelle heissen und eine andere kalten Wassers.
Diese Quellen haben, da ihr Abzugsgraben, wahrschein-
lich seit Jahrhunderten, durch eine eingestürzte Brücke
verstopft war, einen 240 Acres grossen Sumpf gebildet,
dessen Ausdünstungen viel zur Verpestung der herr-
lichen Ebene beitragen. Der wunderbare Umstand, dass
diese Quellen unmittelbar vor der Baustelle von Ἰλιέων
κώμη liegen und ihre Lage so ganz mit der der beiden
Quellen heissen und kalten Wassers übereinstimmt, die
vor dem alten Troja sich befanden und in denen die
trojanischen Frauen ihre Wäsche wuschen, gibt Herrn
Frederik Calvert die Ueberzeugung, dass Demetrios von
Skepsis und Strabo recht haben und dass er die wirk-
liche Baustelle des alten Ilium besitzt. Um 240 Acres
reichen Landes zu gewinnen und die Gegend zugleich
gesünder zu machen, hat Herr Calvert jetzt, namentlich auch
im Interesse der Wissenschaft, den Abzugsgraben wieder
aufgraben lassen und glaubt, da der Fall bedeutend ist und
von dort bis zum Hellespont, auf einem Abstand von drei
Stunden Wegs, wenigstens 16 Meter beträgt, bestimmt
bis zum nächsten Sommer den ganzen Sumpf auszu-
trocknen und die beiden Quellen, die jetzt fünf Fuss
unter Wasser sind, ans Licht zu bringen. Vergebens
habe ich mich bemüht, Herrn Calvert von seinem Glauben
abzubringen, indem ich ihn zu überzeugen suchte, dass
nach der Ilias (II, 123—130) Troja wenigstens 50000 Ein-
wohner gehabt haben muss, während seine Baustelle
kaum gross genug ist für 10000; ferner, dass die
[17]chanaï tépé.
Entfernung von Ἰλιέων κώμη bis zum Hellespont ganz
im Widerspruch steht mit den Angaben Homer’s, denn
die griechischen Truppen drangen ja an einem Tage
zweimal fechtend vom Lager bis zur Stadt vor und
kehrten zweimal fechtend zurück. Der Abstand der
Stadt von den Schiffen kann daher nach meiner Mei-
nung höchstens eine Stunde gewesen sein. Herr Calvert
antwortet mir darauf, dass die ganze Ebene von Troja
Alluvialboden sei und dass zur Zeit des Trojanischen
Krieges seine Baustelle dem Hellespont näher gelegen
haben müsse. Ich bin aber schon vor drei Jahren, in
meinem Werke „Ithaque, le Péloponnèse et Troie“, be-
müht gewesen, zu beweisen, dass die Ebene von Troja
entschieden kein Alluvialboden sei.


Eine andere Merkwürdigkeit jenes Landguts ist der
dicht beim Tempel des Apollo gelegene „Chanaï Tépé“,
ein 10 Meter hoher, runder Hügel, der an der Basis
66 Meter im Durchmesser hat. Er wurde früher für
einen natürlichen Hügel angesehen, bis Herr Frank
Calvert im Jahre 1856 einen Einschnitt machte und auf
einem 5 Meter hohen platten Felsen einen von einer
2 Meter hohen Mauer umgebenen Kreis fand. Der ganze
innere Raum bis zum Rande der Ringmauer war an-
gefüllt mit calcinirten Knochen, die von den Chirurgen
der englischen Flotte als Menschenknochen erkannt
wurden. Im Mittelpunkte fand Herr Calvert das Skelet
eines Menschen. Das Ganze war mit 3 Meter Erde
bedeckt.


Die trojanische Ebene wird von Südost nach Nord-
west durchströmt vom Skamander, der 35 Minuten Wegs
vom Hissarlik entfernt ist, und dessen Bett ich durch die
Schliemann, Troja. 2
[18]das uralte bett des skamander.
an seinen Ufern befindliche, ununterbrochene Reihe von
Bäumen von hier aus erkenne. Zwischen dem Skamander
und Hissarlik, nur 15 Minuten Wegs von letzterm
entfernt, wird die Ebene ferner durchschnitten vom
Flusse Kalifatli-Asmak, der aus den Sümpfen von Batak
(Thymbria) entspringt, und nur im Spätherbst, Winter
und Frühjahr fliessendes Wasser hat, in den heissen
Sommermonaten aber, bis Ende October, aus einer un-
unterbrochenen Reihe tiefer Pfützen besteht. Dieser
Strom hat, selbst bei den lange anhaltenden starken
Winterregen, im Verhältniss zu seinem herrlichen, un-
geheuer breiten Flussbett nur ein sehr geringfügiges
Quantum Wasser, ja nie soviel, um auch nur den zehn-
ten Theil seines Bettes in der Breite zu bedecken. Ich
glaube daher mit Bestimmtheit, dass sein gewaltiges
Bett einst das Bett des Skamander war; ich glaube
dies um so mehr, als noch heute der Simoïs sich eine
Viertelstunde Weges nördlich vor Ilium, wo ich grabe,
in den Kalifatli-Asmak ergiesst. Indem man dies Fluss-
bett, welches man bis zum Hellespont, nahe beim Cap
von Rhöteum, sieht, mit dem uralten Flussbett des Ska-
mander identificirt, beseitigt man die andernfalls ganz
unüberwindlichen Schwierigkeiten der Homerischen To-
pographie der Ebene von Troja; denn hätte der Ska-
mander zur Zeit des Trojanischen Krieges sein jetziges
Bett gehabt, so wäre er durch das griechische Lager
geflossen und Homer hätte vielfach Gelegenheit gehabt,
diesen wichtigen Umstand anzuführen. Da er aber
nie eines Flusses im Lager erwähnt, so konnte auch
keiner da sein. Ausserdem bleibt der Simoïs jetzt eine
halbe Stunde Weges vom Skamander entfernt, während
[19]das uralte bett des skamander.
Homer vielfältig den Zusammenfluss dieser beiden Ströme
vor Ilium erwähnt, und die meisten Schlachten auf
dem Felde zwischen Troja, dem Skamander und dem
Simoïs stattfanden. Bei seinem Zusammenfluss mit dem
Kalifatli-Asmak, dessen ungeheures Bett jedenfalls einst
dem Skamander gehört haben muss, hat der Simoïs ein
besonders grosses und tiefes Bett, welches ohne Zweifel
noch genau dasselbe ist, welches dieser Strom zur Zeit
des Trojanischen Krieges hatte.


Der Kalifatli-Asmak wendet sich zwar jetzt nach
seinem Zusammenfluss mit dem Simoïs, beim Dorfe
Kumköi, nach Nordwesten und fliesst unweit des jetzigen
Bettes des Skamander in drei kleinen Armen ins Meer;
er hat aber von diesem Dorfe ab ein ganz enges Bett,
welches augenscheinlich neuer Bildung ist. Sein altes
Bett dagegen, welches das uralte Bett des Skamander
ist und eine ungeheure Breite hat, geht von Kumköi
direct nach Norden; es hat jetzt nur das Wasser des
kleinen, Intépé-Asmak genannten Flüsschens, über das
ich später ausführlich berichte, und mündet, wie gesagt,
nahe beim Cap von Rhöteum in den Hellespont.


Der Skamander ist nicht plötzlich, sondern ganz
allmählich, wahrscheinlich in Zwischenräumen von
vielen Jahrhunderten, in sein jetziges Bett getreten,
denn zwischen diesem und seinem uralten Bett sieht man
noch drei ungeheure Flussbetten, die ebenfalls in den
Hellespont münden, kein Wasser haben und nothwen-
digerweise das eine nach dem andern vom Skamander
gebildet sein müssen, denn es ist hier kein anderer
Strom, der sie hätte bilden können.


Nach Nordnordost übersehe ich eine zweite, über
2*
[20]die trümmer von ophrynium.
eine halbe Stunde breite und 1 ½ Stunden lange, vom
Simoïs durchströmte und Chalil-Owasi genannte Ebene,
die bis zum Berge reicht, auf dem man die mächtigen
Trümmer der alten Stadt Ophrynium sieht. Die dort
gefundenen Münzen lassen keinen Zweifel darüber. Dort,
dicht beim Simoïs, war Hektor’s Grab und ein ihm ge-
geweihter Hain (Lykophron’s Kassandra, Virgil’s Aeneïs
III, 302—305, Strabo XIII, 1).


[21]die steinernen werkzeuge

III.



Meine letzten Mittheilungen waren vom 26. v. M.,
und ich habe seitdem, durchschnittlich mit 80 Arbeitern,
eifrig fortgearbeitet. Leider aber gingen mir drei Tage
verloren, denn am Sonntag, an dem die Griechen nicht
arbeiten, konnte ich keine türkischen Arbeiter bekommen,
weil die Türken jetzt ihre Saaten bestellen, und zwei
Tage wurde ich durch starkes Regenwetter abgehalten.


Zu meinem allergrössten Erstaunen kam ich Montag,
30. v. M., plötzlich in eine Schicht Schutt, in der ich
eine ungeheure Menge Werkzeuge von sehr hartem
schwarzen Stein (Diorit), aber ganz primitiver Form,
fand. Am folgenden Tage dagegen wurde nicht ein ein-
ziges steinernes Instrument gefunden, anstatt dessen ein
kleines Stück gedrehten Silberdrahts und viel zerbro-
chenes Töpfergeschirr zierlicher Arbeit, unter anderm
das Bruchstück eines Bechers mit einem Eulenkopf. Ich
dachte daher schon, ich sei wieder in die Trümmer-
schicht eines civilisirten Volks gekommen und die stei-
nernen Werkzeuge des vorigen Tags rührten von der
Invasion eines Barbarenvolks her, dessen Herrschaft nur
von kurzer Dauer gewesen. [Ich] hatte mich aber geirrt,
[22]die steinernen werkzeuge.
denn am Mittwoch kam die Steinperiode in noch viel
vollerm Masse wieder zum Vorschein und dauerte auch
gestern den ganzen Tag fort. Heute kann leider, eines
starken Gewitterregens wegen, nicht gearbeitet werden.


Vieles mir ganz Unerklärliche finde ich in dieser
Steinperiode, und ich halte es daher für nöthig, alles
so umständlich als möglich darzustellen, hoffend, dass
der eine oder der andere meiner geehrten Collegen im
Stande sein wird, über die mir dunkeln Punkte Auf-
klärung zu geben.


Erstens erstaune ich, dass ich hier auf der höchsten
Stelle des Berges, wo doch nach allem Vermuthen die
vornehmsten Gebäude gestanden haben müssen, schon
in 4 ½ Meter Tiefe auf die Steinperiode stiess, während
ich bei meinem nur 20 Meter davon entfernten vorjäh-
rigen tiefern Graben in 5 Meter Tiefe, wie bereits er-
wähnt, eine 2 Meter dicke Mauer fand, die durchaus
nicht uralt ist, und dort keine Spur von der Stein-
periode entdeckte, obgleich ich jene Ausgrabung bis
zu einer Tiefe von 8 Meter brachte. Dies ist wol
nicht anders zu erklären, als dass der Berg auf jener
Stelle, wo die Mauer ist, sehr niedrig gewesen sein muss,
und dass diese niedrige Stelle allmählich durch Schutt
aufgehäuft worden ist.


Ferner verstehe ich nicht, wie es möglich ist, dass
ich in der gegenwärtigen Schicht auf der ganzen Länge
meiner Ausgrabung, die jetzt wenigstens 56 Meter be-
tragen muss, und bis zur Mündung derselben, das ist bis
zum steilen Abhang, steinerne Werkzeuge finde, die
doch offenbar beweisen, dass die steile Seite des Berges
auf jener Stelle seit der Steinperiode nicht durch von
[23]die steinernen werkzeuge.
oben hinuntergeworfenen Schutt zugenommen haben
kann.


Dann weiss ich mir auch nicht zu erklären, wie es
möglich ist, dass ich Sachen finde, die doch augen-
scheinlich im Gebrauche der rohen Menschen der Stein-
periode gewesen sein müssen, die aber mit den ihnen
zu Gebote stehenden groben steinernen Werkzeugen nie
angefertigt werden konnten. Dahin gehören nun vor-
nehmlich die in grossen Massen vorkommenden irdenen
Gefässe, die zwar ohne alle Verzierungen, auch nicht
fein, doch aber ausgezeichnet gearbeitet sind. Keins
dieser Gefässe ist auf dem Töpferrade gedreht, und
dennoch scheint es mir, dass man sie nicht anfertigen
konnte, ohne eine Art von Maschinen zu benutzen, diese
waren aber mit den groben steinernen Werkzeugen der
Epoche nicht herzustellen.


Dann erstaune ich über die in dieser Steinperiode
mehr als je zuvor vorkommenden runden Stücke mit
einem Loch in der Mitte, die bald die Form von Brumm-
kreiseln oder Carrouselen, bald die von feuerspeienden
Bergen haben, und in dieser letztern Gestalt, im klei-
nen, die auffallendste Aehnlichkeit besitzen mit den
riesenmässigen Grabhügeln dieser Gegend, die deswegen,
auch weil in einem derselben (dem Chanaï-Tépé) stei-
nerne Werkzeuge gefunden wurden, wahrscheinlich der
Steinperiode angehören und somit vielleicht Jahrtausende
älter sind als der Trojanische Krieg. In 3 Meter Tiefe
kam eins dieser Stücke von sehr feinem Marmor vor, alle
übrigen waren von ausgezeichnetem, sehr hart gebranntem
Thon; fast alle haben Verzierungen, welche augen-
scheinlich eingeritzt, sind, als der Thon noch ungebrannt
[24]die kleinen vulkane und carousele.
war, und die in gar vielen Fällen mit einer weissen
Masse ausgefüllt sind, damit sie mehr ins Auge fallen.
Wahrscheinlich waren einst die Verzierungen auf allen
diesen Stücken mit jener weissen Masse angefüllt, denn
auf vielen, auf denen sie jetzt fehlt, sehe ich wenigstens
Spuren davon. Auf einigen der Stücke von sehr hartem
schwarzen Thon, auf welchen dieselben fehlten, hat
man versucht, sie noch zu machen, als der Thon schon
gebrannt war, und, durch die Lupe betrachtet, lassen
die gemachten Einschnitte keinen Zweifel darüber, dass
sie mittels eines Feuersteins mühsam eingeritzt wurden.


Die Frage drängt sich nun auf: Wozu wurden diese
Stücke gebraucht? Unmöglich können sie beim Spinnen
oder Weben oder gar als Gewichte an Fischernetzen
benutzt worden sein, denn dazu sind sie viel zu fein
und zierlich gemacht; auch habe ich bisjetzt noch auf
keinem eine Spur davon entdecken können, dass es
bei irgendeiner Handarbeit gebraucht sein könnte.
Wenn ich nun weiter die vollkommene Aehnlichkeit der
meisten dieser Stücke mit der Form der Heldengräber
erwäge, so muss ich glauben, dass sie, gleichwie jene
mit zwei Löchern, die nur bis 2 Meter Tiefe vorkamen,
als Exvotos gebraucht wurden.


Dann finde ich zu meinem Erstaunen mehrfach den
Priapus; bald ist derselbe ganz der Natur getreu von
Stein oder Terracotta gemacht, bald in der Form der
oben abgerundeten Säule (ganz wie ich ihn in den
Tempeln in Indien sah, aber hier nur 10 Centimeter
lang) dargestellt; einmal fand ich ihn auch in einem nur
3 Centimeter langen Säulchen von herrlichem schwarzen,
weissgestreiften und schön polirten Marmor, der hier in
[25]gefässe mit eulenköpfen.
der ganzen Gegend nicht vorkommt. Ich zweifle daher
nicht im geringsten daran, dass dieses trojanische Volk
der Steinperiode den Priapus göttlich verehrt und, zu
den indogermanischen Völkerstämmen gehörend, diese
Religion schon von Baktrien mitgebracht hat, denn in
Indien wird der Gott der Erzeugung und der Zerstörung
bekanntlich in dieser Form dargestellt und angebetet.
Es ist ausserdem wahrscheinlich, dass diese alten Tro-
janer die Vorfahren des grossen hellenischen Volks sind;
denn ich fand bereits mehrfach auf Bechern und Vasen
von Terracotta den Kopf der Eule dargestellt, welche
muthmasslich die Ur-Urgrossmutter des athenischen
Vogels der Pallas-Athene ist.


Ausser dem erwähnten kleinen Stück Silberdraht
und zwei kupfernen Nägeln habe ich bisjetzt in den
Schichten der Steinperiode keine Spur von Metall ge-
funden.


Gleichwie in den obern Schichten finde ich auch in
jenen der Steinperiode viele Eberzähne, die ohne Aus-
nahme in letzterer alle zugespitzt sind und als Werk-
zeuge gedient haben. Unbegreiflich ist es mir, wie die
Männer der Steinperiode mit ihren unvollkommenen
Waffen wilde Schweine zu erlegen im Stande waren.
Ihre Lanzen sind zwar — gleich fast allen andern Waffen
und Werkzeugen — aus sehr hartem schwarzen oder
grünen Stein, aber doch so stumpf, dass eine wahre
Riesenkraft dazu gehören muss, um damit einen Eber
zu tödten. Hämmer und Aexte kommen in allen Grössen
in grossen Massen vor. Ebenso finde ich sehr viele Ge-
wichte von Granit, auch viele Handmühlen von Lava,
die aus zwei etwa 1 Fuss langen, von einer Seite ovalen,
[26]die gefundenen gegenstände.
von der andern flachen Stücken bestehen, zwischen denen
das Getreide zermalmt wurde. Manchmal sind diese
Mühlsteine auch von Granit. Messer kommen in sehr
grossen Massen vor; alle sind von Flintstein, einige
in der Form von Messerklingen, andere — bei weitem
die grössere Zahl — sind auf einer oder auf beiden
Seiten gleichwie Sägen ausgezackt. Nadeln und Pfriemen
von Knochen kommen häufig vor, manchmal auch kleine
knöcherne Löffel. Die primitiven, aus ausgehöhlten
Baumstämmen bestehenden Kähne, wie ich sie viel in
Ceylon sah, finde ich hier oft in Miniatur aus Terracotta
gebildet, und vermuthe ich, dass diese kleinen Ge-
fässe als Salz- oder Pfefferfässer gedient haben mögen.
Ich finde ebenfalls viele, 10 Centimeter lange, 9½ Cen-
timeter breite Schleifsteine, bald von Thon, bald von
grünem oder schwarzem Schiefer; ferner viele runde
flache Steine von 5 — 5½ Centimeter im Durchmesser,
die auf einer Seite roth gefärbt sind, auch viele Hun-
derte von runden Terracottas gleicher Grösse und Ge-
stalt, mit einem Loch in der Mitte, die augenscheinlich
aus Topfscherben hergestellt sind und an Spindeln
gebraucht sein mögen. Es kommen auch flache stei-
nerne Mörser vor.


Ich fand auch in meinen Ausgrabungen eine Haus-
wand aus der Steinperiode, welche aus Steinen, die
durch Lehm verbunden sind, besteht, gleichwie die
Bauten auf den Inseln Therassia und Thera (Santorin),
die unter drei — zusammen 68 Fuss hohen — Schichten
vulkanischer Asche entdeckt wurden.


Meine Ansprüche sind höchst bescheiden; plastische
Kunstwerke zu finden hoffe ich nicht. Der einzige Zweck
[27]zweck der ausgrabungen.
meiner Ausgrabungen war ja von Anfang nur, Troja
aufzufinden, über dessen Baustelle von hundert Gelehrten
hundert Werke geschrieben worden sind, die aber noch
niemals jemand versucht hat durch Ausgrabungen ans
Licht zu bringen. Wenn mir nun dies nicht gelingen
sollte, dann würde ich doch überaus zufrieden sein,
wenn es mir nur gelänge, durch meine Arbeiten bis in
das tiefste Dunkel der vorhistorischen Zeit vorzudringen
und die Wissenschaft zu bereichern durch die Auf-
deckung einiger interessanten Seiten aus der urältesten
Geschichte des grossen hellenischen Volks. Die Auffin-
dung der Steinperiode, anstatt mich zu entmuthigen,
hat mich daher nur noch begieriger gemacht, bis zu der
Stelle vorzudringen, die von den ersten hierher gekom-
menen Menschen betreten worden ist, und ich will bis
dahin gelangen, sollte ich selbst noch 50 Fuss zu graben
haben.


[28]kupferne waffen und werkzeuge

IV.



Seit meinem Bericht vom 3. d. M. habe ich meine
Ausgrabungen mit grösstem Eifer fortgesetzt, und ob-
wol dieselben bald durch Regen, bald durch griechische
Festtage unterbrochen wurden, habe ich, ungeachtet der
fortwährend wachsenden Schwierigkeiten im Fortschaffen
des Schuttes, jetzt eine durchschnittliche Tiefe von
10 Meter oder etwa 33 englische Fuss erreicht. Vieles
mir Unerklärliche ist mir seitdem klar geworden, und
ich muss vor allen Dingen den in meinem letzten Be-
richt begangenen Irrthum berichtigen, als sei ich in die
Steinperiode gekommen. Ich war irregeleitet durch die
kolossale Masse von steinernen Werkzeugen aller Art,
die täglich ausgegraben wurden, und durch die Ab-
wesenheit jeder Spur von Metall, ausser zwei kupfernen
Nägeln, von denen ich glaubte, dass sie auf irgend-
eine Weise von einer obern in die tiefere Schicht der
Steinperiode gekommen sein müssten. Aber schon seit
dem 6. d. M. kommen nicht nur viele Nägel, sondern
auch Messer, Lanzen und Streitäxte von Kupfer zum
Vorschein, die so zierlich gearbeitet sind, dass nur ein
civilisirtes Volk sie hat machen können. Ich muss daher
[29]höhere civilisation in der tiefe.
nicht nur widerrufen, dass ich schon auf die Steinperiode
gerathen sei, sondern ich kann nicht einmal zugeben,
dass ich die Bronzeperiode erreicht habe, denn die
Werkzeuge und Waffen, die ich finde, sind zu schön
gearbeitet. Uebrigens muss ich auf die Thatsache auf-
merksam machen, dass ich, je tiefer ich von 7 Meter
abwärts grabe, desto mehr Spuren höherer Civilisation
finde. In einer Tiefe von 4 bis 7 Meter waren die stei-
nernen Werkzeuge und Waffen grober Art; die Messer
von Flintstein, meistentheils in der Form von kleinen
Sägen und selten in der von Klingen; es kam aber
eine sehr grosse Masse scharfer Stücke Silex vor, die
ebenfalls als Messer gedient haben müssen. Seitdem
aber sind die steinernen Werkzeuge, als Hämmer und
Beile, viel besser gearbeitet; es kommt noch eine Menge
von Silexmessern in der Form von Sägen vor, aber dieselben
sind viel besser gemacht als die der höhern Schichten;
es kommen unterhalb 7 Meter Tiefe auch bisweilen
zweischneidige Messerklingen von vulkanischem Glase
vor, die so scharf sind, dass man sich damit rasiren
könnte. Es finden sich ausserdem in diesen Tiefen, wie
gesagt, wieder Waffen und Massen von Nägeln, Mes-
sern und Werkzeugen von Kupfer. Was aber mehr
noch als alles andere zu beweisen scheint, dass ich nie
die Steinperiode erreichte und bei tieferm Graben aus
den 4 bis 7 Meter tief liegenden Schuttschichten roher
Völker wieder in die civilisirterer Nationen überging,
bei denen sogar die Buchstabenschrift im Gebrauch war,
das sind zwei Inschriften, wovon die eine in 7½ Meter
Tiefe gefundene phönizisch zu sein scheint, aber nur
aus etwa fünf Buchstaben besteht, die mit einem spitzen
[30]zweck der merkwürdigen terracottas.
Instrument auf einem von einer Seite weissgefärbten
Scheibchen von Terracotta eingeritzt sind, welches blos
6 Centimeter im Durchmesser hat. Jedenfalls sind die
Buchstaben in der weissen Farbe sehr deutlich hervor-
getreten, diese ist aber dem grössten Theil nach ver-
schwunden und somit sind zwei der fünf Schriftzüge
nicht klar zu sehen. Ich hoffe aber, dass die Inschrift
dennoch zu entziffern sein wird.


Die andere Inschrift fand ich in 8½ Meter Tiefe
auf einem jener kleinen runden Stücke von Terracotta
mit einem Loch durch die Mitte, die von 2 Meter Tiefe
abwärts in der Form des Brummkreisels, des Carrousels
und des Vulkans in ungeheuern Massen vorkommen.
Ich sprach bereits die Meinung aus, sie möchten als
„Exvotos“ gebraucht worden sein, und möchte jetzt die
Frage aufstellen: ob sie nicht vielleicht gar Götzenbilder
waren, und namentlich, ob jene in der Form des Vul-
kans nicht den Hephaistos vorstellen? Diesen Gedanken
gibt mir vornehmlich die grosse Aehnlichkeit dieser
Stücke mit den kolossalen Grabhügeln der trojanischen
Ebene, welche die Asche der durch Hephaistos ver-
brannten Leichname der Helden bedecken. Jedenfalls
lassen die beinahe an allen diesen Stücken angebrachten
Verzierungen, auf die man namentlich bei jenen von
ungeheuer hart gebrannter Terracotta grosse Mühe ver-
wendet zu haben scheint, sowie die weisse Masse,
womit diese Verzierungen ausgefüllt wurden, damit sie
mehr ins Auge fallen sollten, keinen Zweifel darüber,
dass sie zu wichtigen Zwecken gedient haben. Auf
einem dieser kleinen Stücke von Terracotta, in der Form
des Carrousels, fand ich die vorerwähnte zweite Inschrift,
[31]die sonderbaren schriftzüge.
welche im Anhange, Taf. 2, No. 61, genau abgebildet
ist; sie ist so herrlich eingravirt, dass man erstaunt, wie
solches in Terracotta möglich war. Da die Schrift ganz
um das kleine Carrousel herumgeht und dieses auf der
einen Seite so geformt ist wie auf der andern so ist
es mir, bei meiner vollkommenen Unkenntniss der
Sprache, unmöglich zu wissen, weder mit welchem Buch-
staben sie anfängt, noch welcher der obere oder der
untere Theil derselben ist. Auf einem gewöhnlichen
Stein fand ich gleichzeitig den Schriftzug:

[figure]

. Unend-
lich sollte es mich freuen, wenn jemand fähig wäre,
diese Inschriften zu lesen, und somit im Stande, Auf-
klärung zu geben über den Gebrauch dieser sonder-
baren Stücke, über das Volk, welches sie anfertigte,
und über die Epoche, in der ich in 7½ und 8½ Meter
Tiefe war.


Wie ich zur Zeit der Abfassung meines letzten Auf-
satzes steinerne und nur steinerne Werkzeuge und Waffen
herauskommen sah und somit glauben musste, ich sei
in die Schuttschichten der Völker der Steinperiode vor-
gedrungen, da fürchtete ich wirklich schon, dass der
eigentliche Zweck meiner Ausgrabungen, hier die Per-
gamos des Priamos zu finden, verfehlt sei, dass ich schon
in die Epoche lange vor dem Trojanischen Kriege vor-
gedrungen, und dass die riesenmässigen Grabhügel der
Ebene von Troja vielleicht Jahrtausende älter seien als
die Thaten des Achilleus.


Da ich aber mehr und immer mehr Spuren von
Civilisation finde, je tiefer ich grabe, so bin ich jetzt
vollkommen überzeugt, dass ich noch nicht bis zum Zeit-
alter des Trojanischen Kriegs vorgedrungen bin, und
[32]viele gefässe mit eulenköpfen.
ich bin jetzt hoffnungsreicher als je zuvor, bei tieferm
Graben hier die Stätte von Troja zu finden; denn wenn
es jemals ein Troja gab — und mein Glaube daran steht
fest — so kann es nur hier auf der Baustelle von Ilium
gewesen sein. Ich glaube, durch meine Ausgrabungen
von 1868 auf den Höhen von Bunarbaschi die Unmög-
lichkeit nachgewiesen zu haben, dass dort jemals eine
Stadt oder auch nur ein Dorf stand, ausgenommen am
äussersten Ende von Balidak, wo Consul Hahn Ausgra-
bungen gemacht hat, wo aber wegen des durch die
Abgründe beschränkten Raums nur ein Städtchen von
höchstens 2000 Einwohnern gestanden haben kann. Auf
der Baustelle von Ἰλιέων κώμη, wohin Strabo, der nie
selbst die Ebene von Troja besuchte, nach der Theorie
des Demetrius von Skepsis das alte Troja verlegt und
worüber ich in meinem Bericht vom 26. v. M. sprach,
lasse ich vom Dienstag dem 21. d. M. an zehn Arbeiter
graben, um einen Theil der Ringmauer blosslegen zu
lassen, die durch eine niedrige, weit fortlaufende An-
höhe angegeben zu sein scheint. Ich thue dies aber
lediglich im Interesse der Wissenschaft und weit von
dem Gedanken entfernt, dort Troja zu finden.


Noch muss ich hinsichtlich der runden Stücke Terra-
cotta hinzufügen, dass nach 7 Meter Tiefe jene in der
Form des Vulkans weniger vorkommen und fast alle in
der Gestalt des Carrousels sind. Auch hören mit dieser
Tiefe die Idole des Vischnu, in der Form des Priapus,
ganz auf. Ich finde aber noch sehr häufig nach 7 Meter
Tiefe den Kopf der Eule an den irdenen Gefässen, die,
obwol nur einfarbig und ohne alle Verzierungen, bei
aller ihrer Einfachheit elegant sind und eleganter und
[33]die merkwürdigen becher.
feiner werden, je tiefer ich grabe. Besonders hervorzu-
heben habe ich die feuerrothen Becher, die bald in der
Form einer Glocke mit einer Art Krone von unten,
bald in der von ungeheuern Champagnergläsern mit
zwei sehr grossen Henkeln vorkommen, und in beiden
Formen nicht auf den untern Theil, wie unsere jetzigen
Becher, sondern nur auf den obern Theil gestellt
werden konnten, gerade wie man es mit einer Glocke
zu thun gezwungen sein würde, wenn man sich der-
selben als Trinkgefäss bedienen wollte. Dann verdienen
besondere Aufmerksamkeit die kleinen Töpfe mit drei
Füsschen, sowie die grossen mit nach hinten gebogenem
Halse; ferner die grössern Gefässe mit zwei Henkeln
und zwei Griffen in Gestalt von emporgehobenen Armen,
und endlich die sehr grossen, oft mehr als 1 Meter hohen
und breiten Graburnen, die in solchen Massen vorkom-
men, dass sie uns beim Arbeiten hindern, aber bisjetzt
immer so zerbrochen waren, dass ich nicht im Stande
war, auch nur eine davon zu retten. Es ist unmöglich
zerbrochene Urnen wieder zusammenzuleimen, wenn der
Thon eine Dicke von 4 und 5 Centimeter hat.


Von 6 Meter Tiefe ab bis zur jetzt erreichten Tiefe
von 10 Meter kommen sehr viele 10 bis 12 Centimeter
hohe, 8 bis 10 Centimeter breite und 4 Centimeter dicke
Stücke Thon vor, die bald an der obern breiten, bald
an der schmalen Seite ein durchgehendes Loch haben
und als Gewichte gedient zu haben scheinen; von dem-
selben Thon kommen auch oft 8½ Centimeter lange und
6½ Centimeter breite Cylinder vor. Die kolossale Masse
steinerner Gewichte und Handmühlen von Lava, die
fortwährend zum Vorschein kommt, gibt eine Idee von
Schliemann, Troja. 3
[34]die bauart der alten häuser.
der Zahl der Haushaltungen, deren Trümmer ich täglich
durchgrabe. Grosse Massen dieser Mühlen und anderer
steinerner Werkzeuge lege ich den Bewunderern von
Homer, welche die Ebene von Troja besuchen, zur
Schau in die Nischen der Wände in meinen Ausgra-
bungen.


In 8 bis 10 Meter Tiefe habe ich mehrfach Bruch-
stücke einer 7 Centimeter breiten, 4⅓ Centimeter dicken
Masse gefunden, die hart wie Stein inwendig eine harz-
ähnliche Farbe, auswendig eine Art glänzender Glasur
hat, und die offenbar künstlich angefertigt und in glü-
hendem flüssigen Zustand in eine Form gegossen ist,
denn von allen vier Seiten ist sie cannelirt. Ohne Zwei-
fel finde ich in der Fortsetzung meiner Ausgrabungen
Aufklärung darüber, wie diese Stücke, deren Länge ich
noch nicht kenne, weil bisjetzt nur Bruchstücke vor-
kamen, angefertigt sind und wozu sie gedient haben.


Die zahlreichen Hauswände, deren Trümmer ich
täglich fortschaffe, sind von 4 bis 7 Meter Tiefe sämmt-
lich von durch Lehm vereinigten gewöhnlichen, unbe-
hauenen Steinen, und von 7 bis 10 Meter Tiefe von
ungebrannten und nur in der Sonne getrockneten Zie-
geln erbaut; die Fundamente und Thürschwellen dieser
Ziegelhäuser bestehen aber aus so grossen Steinen, wie
sie mir seit 2 Meter Tiefe nicht mehr vorgekommen
sind.


Was endlich die Senkung der Wände meines grossen
Einschnitts betrifft, so erlaubte mir die Beschaffenheit
der Schuttschichten nur auf drei Stellen, jede von etwa
15 Meter Länge, dieselbe unter einem Winkel von
85 Graden zu machen; auf allen andern Stellen ist sie
[35]die senkung der erdwände.
unter einem Winkel von 67½ Graden. Um dies recht
zu verstehen: es weichen meine 10 Meter hohen Wände
von 85 Graden um nur 56 Centimeter, jene von 67½ Gra-
den aber um 2½ Meter von der perpendiculären Rich-
tung ab.


Es sollte mich sehr freuen, in meinen nächsten Mit-
theilungen eine recht interessante Entdeckung berichten
zu können.


Am 21. November. Der Platzregen, den wir
gestern und vorgestern, auch heute morgen noch hatten,
macht die Absendung dieses Berichts erst diesen
Abend möglich; denn ich lebe hier in der Wildniss und
acht Stunden vom nächsten Postbureau (von den Dar-
danellen). Hoffentlich wird der Boden bis morgen früh
hinlänglich ausgetrocknet sein, um weiter arbeiten zu
können. Ich beabsichtige die Ausgrabungen jedenfalls
bis zum Eintritt des Winters fortzusetzen und sie An-
fang April wieder zu beginnen.


Die fortwährend warme feuchte Witterung erzeugt
viel bösartiges Fieber, und es werden täglich meine
Dienste als Arzt in Anspruch genommen. Glücklicher-
weise habe ich einen grossen Vorrath von Chinin bei
mir, und kann somit allen helfen. Da ich aber gar nichts
von Medicin verstehe, so würde ich gewiss grobe Irr-
thümer begehen, zum Glück jedoch erinnerte ich mich,
dass mich einmal, als ich an einem von Nicaragua
stammenden Sumpffieber am Tode lag, der ausgezeich-
nete deutsche Arzt Tellkampf in New-York mit einer
Dosis von 64 Gran Chinin rettete. Ich gebe daher hier
immer ein gleiches Quantum, aber nur in verzweifelten
Fällen in einer Dosis, gewöhnlich in vier Dosen
3*
[36]meine dienste als arzt.
von 16 Gran. Auch werde ich täglich belästigt, nicht
nur an Menschen, sondern auch an Kamelen, Eseln und
Pferden Wunden auszuheilen, und es ist mir dies bis-
jetzt noch in allen Fällen durch Arnicatinctur gelungen.
Auch habe ich bisher noch alle Fieberkranken, die sich
an mich wandten, geheilt. Bedankt aber hat sich bis
heute noch niemand bei mir. In der That scheint die
Dankbarkeit nicht zu den Tugenden der jetzigen Tro-
janer zu gehören.


[37]die ruinen von troja

V.



Seit meinem Bericht vom 18. und 21. d. M. habe ich,
trotz des fortwährenden Regenwetters, noch drei Tage
gearbeitet; leider aber sehe ich mich jetzt gezwungen,
die Ausgrabungen für den Winter einzustellen, um sie
erst am 1. April 1872 wieder fortzusetzen. Es ist nicht
wahrscheinlich, dass hier der Winter vor Mitte Decem-
ber eintritt, und ich hätte, ungeachtet des Regens, gar
zu gern bis dahin fortgearbeitet, besonders da ich jetzt
ganz bestimmt glaube, schon in den Ruinen von Troja
zu sein. Seit vorgestern morgen nämlich finde ich auf
der ganzen Ausdehnung meiner Excavationen fast nichts
als grosse, theils behauene, theils unbehauene Steine,
und es kommen darunter gewaltige Blöcke vor. So
z. B. habe ich diesen Morgen mit 65 Arbeitern drei
Stunden lang daran gearbeitet, eine einzige Thürschwelle
mittels Taue und Rollen fortzuschaffen.


Die beiden grossen Seitenwege bin ich genöthigt
gewesen, schon bei 7 Meter Tiefe ganz aufzugeben, und
habe seitdem allen Schutt und alle kleinen Steine in
Körben und Schiebkarren durch den grossen Ausgangs-
kanal bringen und an dessen Ende auf Seitenwegen vom
[38]das sonderbare töpfchen.
steilen Bergabhange werfen lassen. Dieser Ausgangs-
kanal aber, dessen Wände 67½ Grad Senkung haben,
ist bei der jetzigen Tiefe von mehr als 10 Meter für
die Fortschaffung solcher ungeheuern Blöcke nicht mehr
breit genug und muss vor allen Dingen um wenigstens
4 Meter breiter gemacht werden. Dies ist aber eine
riesige Arbeit, die ich bei dem täglichen Regen nicht
mehr vor dem nahen Winter anzufangen wage.


Wegen der vielen grossen Steine wurde vorgestern
und gestern von Terracotten nichts gefunden. Heute
in der letzten Stunde aber fand ich ein nur 5½ Centi-
meter hohes Töpfchen mit drei Füssen; der ganze obere
Theil ist in der Form eines Globus und in fünf grosse
und fünf kleine Felder getheilt, die regelmässig unter-
einander abwechseln; alle grossen Felder sind mit ein-
geprägten Sternchen angefüllt. Der Mund oder die
Oeffnung hat nur 9 Millimeter im Durchmesser. Ich
vermuthe, dieses kleine wunderbare trojanische Gefäss
hat den Damen als Behälter für wohlriechendes Oel ge-
dient, welches bekanntlich beim Bad angewandt wurde.
Als Lampe kann es nicht gedient haben, denn Homer,
der ja 200 Jahre nach der Zerstörung von Troja lebte,
kennt noch keine Lampen. Auch fand ich diesen Morgen
zwei kupferne Pfeilspitzen und einen jener kleinen Vul-
kane von Terracotta, die seit einigen Tagen seltener
geworden waren. Ferner ein 3¾ Centimeter langes und
ebenso breites Bleiplättchen mit dem Schriftzuge

[figure]

in
der Mitte und einem Loch an einer Ecke, was keinen
Zweifel lässt, dass das Plättchen zum Aufhängen ge-
dient hat.


Obgleich das Wort γράφειν nur zweimal im Homer
[39]ausgrabungen in ἸΛΙΕΩΝ ΚΩΜΗ.
vorkommt und beidemal auch nur „einritzen“ bedeutet,
so bin ich dennoch fest überzeugt, dass im alten Troja
die Buchstabenschrift bekannt war, und ich hege die
bestimmteste Hoffnung, im nächsten Frühjahr durch In-
schriften und durch andere Monumente, die keinem
Zweifel unterliegen können, zu beweisen, dass ich die
Trümmer des lange theoretisch aufgesuchten Troja end-
lich praktisch, in 33 Fuss Tiefe, seit vorgestern aufzu-
decken angefangen habe. Von allem, was ich finde,
werde ich natürlich die getreueste und sorgfältigste Be-
schreibung geben.


Meine Ausgrabungen von Ἰλιέων κώμη sind, wie
übrigens nicht anders zu erwarten war, entschieden un-
günstig für Strabo und Demetrius von Skepsis ausge-
fallen, denn die kleine, weit fortlaufende, steile Anhöhe
enthält keine Spur von Mauer und besteht aus grobem
Sand ohne die geringste Beimischung von Schutt. Auch
glaube ich, gegen die Behauptung des Besitzers von
Thymbria, meines geehrten Freundes Herrn Frederik
Calvert, nicht an die Existenz einer heissen Quelle am
Fusse der Anhöhe von Ἰλιέων κώμη, denn mit einem
Thermometer in der Hand habe ich jetzt den ganzen
Sumpf untersucht und finde nirgends, weder im stehenden
noch im fliessenden Wasser, den geringsten Temperatur-
unterschied. Kalte Quellen gibt es dort jedenfalls mehr
als eine, aber erst nach völliger Austrocknung des
Sumpfes, welcher jetzt aus schwimmenden Inseln be-
steht, wird es möglich sein, die Zahl derselben anzu-
geben.


Wenn ich nun das Ergebniss meiner Ausgrabungen
zusammenfasse, so fand ich nur nahe an der Oberfläche
[40]die gefundenen gegenstände.
und in seltenen Fällen bis zu einer Tiefe von 1 Meter
Medaillen von Kupfer von Sigeion, Alexandria, Troas
und Ilium — letztere von den ersten Jahrhunderten v.
und n. Chr.; ferner kleine lampenähnliche solide runde
Stücke Terracotta mit zwei Löchern, die bis 2 Meter
Tiefe in grossen Massen vorkommen, jedoch ausser dem
Töpferstempel, in welchem man bald einen Altar mit
einer Biene oder Fliege darüber, bald ein Kind mit
vorgestreckten Händen, bald zwei Pferde, bald einen
Stier oder einen Schwan sieht, keine Verzierungen haben.
Nach dieser Tiefe hören sie mit einemmal auf. Statt der-
selben fand ich in 2 bis 10 Meter Tiefe die vielbeschriebenen
kleinen Vulkane, Brummkreisel oder Carrousele, die nur
in 3 Meter Tiefe manchmal von blauem Stein, sonst aber
immer von Terracotta vorkommen — fast alle mit Ver-
zierungen; in 2 Meter Tiefe unter der Erde einen römi-
schen Brunnen, den ich bis zu einer Tiefe von mehr
als 11 Meter ausgrub, der aber bis zur Ebene hinunter-
zugehen scheint; in allen Tiefen viele Muscheln, Eber-
zähne, Fischgräten; Haifischknochen aber nur in 3½ bis
4 Meter unter der Oberfläche. Die Trümmer der von
behauenen, mit Cement oder Kalk verbundenen Steinen
gebauten Häuser reichen selten tiefer als 1 Meter, und
die Reste von Gebäuden, welche von grossen behauenen,
ohne Verbindungsmittel zusammengelegten Steinen er-
richtet waren, nie tiefer als 2 Meter; hierüber können
sich die Besucher der Ebene von Troja in den Wänden
meiner Einschnitte durch eigene Anschauung vergewis-
sern. Von 2 bis 4 Meter Tiefe kommen wenig oder gar
keine Steine vor, und scheinen die calcinirten Trümmer
der zahllosen Schuttschichten zu beweisen, dass alle im
[41]die gefundenen gegenstände.
Laufe von Jahrhunderten dort vorhandenen Gebäude von
Holz waren und durch Feuer zerstört worden sind; in-
folge dessen fand ich bisjetzt in diesen Tiefen von guter
Töpferwaare nur Bruchstücke, und kamen unversehrt nur
kleine Töpfe gröbster Art heraus.


In 4 Meter Tiefe eine Topfscherbe mit einem Brust-
bilde phönizischer Arbeit. Gleich darauf — also in 4 bis
4¼ Meter Tiefe — eine ungeheure Masse steinerner
Werkzeuge und Waffen von hartem schwarzen Stein,
die bis 7 Meter Tiefe fortdauert; gleichzeitig mit ihr,
aber bis 10 Meter Tiefe, elegante einfarbige Topfarbeit
ohne jegliche Verzierung ausser dem Gesicht der Eule;
kleine Töpfe und grössere Vasen mit drei Füsschen;
ferner, aber nur bis 7 Meter Tiefe, der Priapus in na-
türlicher Form von Terracotta und in Form der abge-
rundeten Säule. Von 4 bis 7 Meter Tiefe sehr viele
Messer von Flintstein, die meistens die Form von
Sägen haben oder auch nur aus scharfen Stücken be-
stehen, und nur selten in der Gestalt von Klingen sind.
Bis zur gleichen Tiefe auch Nadeln und Löffelchen von
Knochen sowie eine gewaltige Menge von Terracotta-
Scheibchen mit einem Loch durch die Mitte. In 4 bis
7 Meter Tiefe nur zwei kupferne Nägel. Wie die zahl-
reichen von mir in diesen Tiefen durchschnittenen Haus-
wände beweisen, wovon sehr viele in den Erdwänden
meiner Ausgrabungen sichtbar sind, waren die Häuser
aus kleinen mit Erde verbundenen Steinen gebaut. Von
7 bis 10 Meter Tiefe sehr viele, manchmal bis 13 Centi-
meter lange kupferne Nägel, einige elegant gearbeitete
Lanzen und Streitäxte. Von 7 Meter Tiefe abwärts
mehren sich, mit jedem Fuss Erde, den man tiefer gräbt,
[42]die gefundenen gegenstände.
die Spuren viel höherer Civilisation; steinerne Waffen
kommen noch hie und da vor, sind aber herrlich ge-
arbeitet. Es kommen viele kupferne Messer, aber auch
ungeheuer viele Messer von Flintstein vor, welche indess
ungleich besser gearbeitet sind als diejenigen der vorher-
gehenden Schuttschichten; es kommen auch, obwol nicht
häufig, sehr scharfe zweischneidige, 7 Centimeter lange
Messerklingen von vulkanischem Glase vor. Töpfe und
Vasen werden immer eleganter; auch fanden sich feuer-
rothe Becher in der Form einer Glocke mit einer Krone
von unten, oder riesigen Champagnergläsern ähnlich, mit
zwei grossen Henkeln; sehr viele elegante Gefässe mit
oder ohne drei Füsse mit Röhrchen an den Seiten und
Löchern in gleicher Richtung im Munde, sodass sie nicht
nur hingesetzt, sondern auch an Schnüren getragen
werden konnten; auch viele ganz kleine Vasen mit drei
Füsschen. Alle Terracottas haben eine glänzendrothe,
gelbe, grüne oder schwarze Farbe; nur die ganz grossen
Urnen sind farblos. Von 2 bis 10 Meter Tiefe gänzliche
Abwesenheit von Malerei. In 7½ Meter Tiefe ein Terra-
cotta-Scheibchen mit fünf Buchstaben, die ich für phö-
nizische halte; in 8½ Meter eine jener vielbesprochenen
Terracotten in Form eines Carrousels mit sechs Schrift-
zügen. In gleicher Tiefe ein dem Anschein nach einer
andern Sprache angehöriger Schriftzug auf einem Stein,
und endlich in 10 Meter oder 33 englische Fuss Tiefe
eine Bleiplatte mit einem Buchstaben.


Was nun die Bauart der Häuser betrifft, denen
die Schuttschichten von 7 bis 10 Meter Tiefe angehören,
so bestanden, wie man sich beim Anblick der Erdwände
in meinen Ausgrabungen überzeugt, nur die Fundamente
[43]die schwierigkeiten der ausgrabungen.
und die Thürschwellen aus grossen Steinen, die Haus-
wände dagegen aus ungebrannten und nur an der Sonne
getrockneten Ziegelsteinen. In 10 Meter Tiefe finde ich
wiederum die Bauart aus Steinen, aber in kolossalen
Verhältnissen; die meisten Steine sind sehr gross, viele
behauen, und es kommen sehr viele gewaltige Blöcke
vor. Es scheint mir, dass ich in dieser Tiefe schon meh-
rere Wände ans Licht gebracht habe, aber es ist mir
leider bisjetzt noch nicht gelungen, zur Einsicht zu kom-
men, wie dieselben eigentlich gebaut waren und welche
Dicke sie hatten. Die Steine der Wände scheinen mir
wie durch ein heftiges Erdbeben von einander getrennt;
von einem Verbindungsmittel — wie Lehm oder Kalk —
sehe ich bisjetzt keine Spur zwischen denselben.


Wie furchtbar die Schwierigkeiten der Ausgrabungen
bei solchen Steinmassen sind, davon kann sich nur der
einen Begriff machen, welcher der Sache mit beigewohnt
und mit angesehen hat, wie lange es dauert und wie
mühsam es ist — besonders bei jetzigem Regenwetter —
erst um einen der vielen ungeheuern Blöcke herum die
kleinern Steine herauszunehmen, darauf den Block zu
untergraben, den „Bock“ darunter zu bringen, ihn in die
Höhe zu winden und durch den Schlamm des Ausgangs-
kanals bis an den steilen Abhang zu wälzen!


Aber die Schwierigkeiten vermehren nur mein Ver-
langen, das jetzt — nach so vielen Täuschungen — end-
lich vor mir liegende grosse Ziel zu erreichen und zu
beweisen, dass die Ilias auf Thatsachen beruht und dass
der grossen griechischen Nation diese Krone ihres Ruhmes
nicht genommen werden darf. Keine Mühe will ich sparen,
keine Kosten will ich scheuen, dahin zu kommen.


[44]die zunahme des berges.

Noch muss ich auf die sonderbare Zunahme dieses
Berges aufmerksam machen. Die grossen Quadersteine
der Fundamente des Hauses auf dem Gipfel des Berges
(in welchem ich die Inschrift fand, die aus dem 3. Jahr-
hundert v. Chr. zu stammen scheint), welche seiner
Zeit an der Oberfläche gewesen sein müssen, waren jetzt
auf einigen Stellen nur 34 Centimeter, auf andern 1 Meter
unter der Erde. Da aber die kolossalen Ruinen, die
ich ganz bestimmt für die des alten Troja halte, in
10 Meter Tiefe liegen, so muss die Schuttaufhäufung
auf dieser Stelle in den ersten 1000 Jahren über 30, in
den letzten 2000 Jahren dagegen nur 1 bis 3 Fuss be-
tragen haben.


Merkwürdigerweise hingegen hat die Dicke des
Berges an der Nordseite, wo der steile Abhang ist, auf
der Stelle, wo ich grabe, nicht im geringsten zugenom-
men; denn nicht nur reichen die Trümmerschichten der
unzähligen Haushaltungen immer bis zum äussersten
Rande des Abhangs, sondern ich finde auch bis zu diesem
Punkte immer dieselben Gegenstände, die ich in der-
selben horizontalen Linie bis ans entgegengesetzte Ende
meiner Ausgrabungen finde. Interessant ist es daher zu
wissen, dass der Abhang des Berges an der Nordseite
schon zur Zeit des Trojanischen Krieges genau ebenso
steil war, wie er jetzt ist, nämlich dass er schon damals
unter einem Winkel von 40 Graden aufstieg.


[45]die fortsetzung der ausgrabungen.

VI.



Mein letzter Bericht war vom 24. November v. J.,
und habe ich in Gesellschaft meiner Frau am 1. d. M.,
6 Uhr morgens, bei herrlichem Wetter mit 100 grie-
chischen Arbeitern aus den benachbarten Dörfern Renkoï,
Kalifatli und Jenischahir die Ausgrabungen fortgesetzt.
Herr John Latham aus Folkestone, der Director der vom
Piräus nach Athen führenden Eisenbahn, welche unter
seiner ausgezeichneten Verwaltung den Actionären eine
jährliche Dividende von 30 Proc. gibt, hatte die Güte,
mir als Unteraufseher seine beiden besten Arbeiter,
Theodoros Makrys aus Mitylene und Spiridion Demetrios
aus Athen, mitzugeben, deren jedem ich monatlich
150 Frcs zahle, während der Tagelohn der übrigen Ar-
beiter nur 9 Piaster oder 1 Frc 80 Cent. ist. Wie früher
zahle ich täglich 30 Piaster oder 6 Frcs an Nikolaos
Zaphyros aus Renkoï, der mir durch seine Localkennt-
nisse von grossem Nutzen ist und mir gleichzeitig als
Kassirer, Aufwärter und Koch dient. Ausserdem hatte
Herr Piat, der den Bau der Eisenbahn vom Piräus nach
Lamia übernommen hat, die Güte, mir seinen Ingenieur
Adolphe Laurent auf einen Monat zu überlassen, dem
[46]die art der ausgrabungen.
dafür 500 Frcs und die Reisekosten vergüte. Es sind
aber ausserdem noch bedeutende Ausgaben zu bestreiten,
sodass sich die Gesammtkosten meiner Ausgrabungen
täglich auf nicht weniger als 300 Frcs belaufen.


Um nun auf all und jeden Fall die trojanische
Frage in diesem Jahre gründlich zu lösen, lasse ich auf
der unter einem Winkel von 40 Graden schroff aufstei-
genden Nordseite dieses Berges, welcher 32 Meter senk-
rechte Höhe hat und sich 40 Meter über dem Meere
erhebt, ganz genau in einer senkrechten Tiefe von
14 Meter oder 46½ engl. Fuss eine ungeheure, hori-
zontal durch den ganzen Berg laufende Plateforme 1
graben, welche eine Breite von 70 Meter oder 233 engl.
Fuss hat und meinen im vorigen Jahre gemachten Ein-
schnitt mit einschliesst. Herr Laurent berechnet die ab-
zugrabende Schuttmasse auf 78545 Kubikmeter; dieselbe
wird geringer, wenn ich den Urboden in weniger als
14 Meter Tiefe finden sollte, und sie wird grösser, wenn
ich die Plateforme noch tiefer anlegen müsste, um ihn
zu finden. Vor allen Dingen muss ich diesen Urboden
erreichen, um genaue Forschungen anstellen zu können.
Zur Erleichterung der Arbeiten lasse ich, nachdem ich
den nördlichen Abhang der wegzuschaffenden Schutt-
masse so behauen habe, dass er unten auf 2½ Meter
senkrecht und darauf unter einem Winkel von 50 Graden
ansteigt, fortwährend den Schutt auf solche Weise von
der mächtigen Erdwand lösen, dass dies Winkelmass
genau beibehalten wird. Auf diese Weise arbeite ich
bestimmt dreimal rascher als früher, wo ich wegen der
[47]die vielen schlangen.
geringen Breite des Einschnitts gezwungen war, den-
selben auf dem Gipfel des Berges sogleich in horizon-
taler Richtung in seiner ganzen Länge zu graben. Bei
aller Vorsicht bin ich jedoch nicht im Stande, meine
Arbeiter noch mich selbst gegen die beim Abhacken
der steilen Wand fortwährend herunterrollenden Steine
zu schützen, und keiner von uns allen ist ohne mehrere
Wunden an den Füssen.


In den ersten drei Tagen der Ausgrabungen kam
beim Abgraben des Bergabhangs eine ungeheure
Menge giftiger Schlangen zum Vorschein, und unter
denselben besonders viele jener kleinen braunen, Ante-
lion (Ἀντήλιον) genannten Schlangen, die kaum dicker
sind als Regenwürmer, und die ihren Namen davon
haben, dass der von ihnen Gebissene nur bis zum
Sonnenuntergang lebt. Es scheint mir, als wenn ohne
die vielen Tausende von Störchen, welche hier im Früh-
ling und Sommer die Schlangen vertilgen, die Ebene
von Troja wegen des Uebermasses von diesem Unge-
ziefer gar nicht bewohnt werden könnte.


Ich verdanke der Güte meiner geehrten Freunde,
der Herren J. Henry Schröder u. Comp. in London, die
zum Losbrechen und Herabwälzen des Schutts nöthigen
besten englischen Hacken und Schaufeln, auch 60 aus-
gezeichnete englische Schiebkarren mit eisernen Rädern
zur Fortschaffung desselben.


Augenscheinlich ist behufs Consolidirung der Bauten
auf dem Gipfel des Hügels die ganze schroffe Nord-
seite desselben mit einer Stützmauer bedeckt gewesen,
denn auf mehrern Stellen finde ich die Reste davon.
Diese Mauer ist aber nicht uralt, denn sie besteht aus
[48]kreuze der verschiedenartigsten form.
grossen mit Kalk und Cement verbundenen, meisten-
theils behauenen Steinen von Muschelkalk. Die Mauer-
reste sind mit nur sehr wenig Erde bedeckt; aber auf
allen andern Stellen ist mehr oder weniger Humus, der
am östlichen Ende der Plateforme sogar eine Tiefe von
2 und 3 Meter erreicht. Hinter demselben, sowie hinter
den Mauerresten, ist der Schutt hart wie Stein und be-
steht aus Haustrümmern, in welchen ich Beile aus
Diorit, Schleudern aus Magneteisenstein, viele Messer
von Flintstein, unzählige Handmühlsteine von Lava,
eine grosse Menge kleiner Götzenbilder aus sehr feinem
Marmor mit oder ohne Eulenkopf und Frauengürtel,
Gewichte aus Thon in pyramidalischer Gestalt und mit
mit einem Loch an der Spitze, oder aus Stein und in
der Form von Kugeln, und endlich sehr viele jener in
meinen vorjährigen Berichten vielbesprochenen kleinen
Terracottas in der Form von Vulkanen und Carrouselen
finde. Zwei solcher Stücke mit Kreuzen am untern Ende
sind in den Terramares von Castione und Campeggine 1
gefunden und befinden sich im Museum von Parma.
Viele dieser trojanischen Stücke, und besonders der-
jenigen in der Form von Vulkanen, haben — wie man
in den Abbildungen Taf. 1 bis 13 im Anhange sieht —
Kreuze der verschiedenartigsten Darstellung, und be-
sonders viel kommt die Form

[figure]

vor; auf sehr vielen
sieht man auch das Zeichen 卍, welches oft in ganzen
Reihen im Kreise um den Mittelpunkt steht. Ich habe
in meinen frühern Berichten gar nicht von diesen Kreuz-
zeichen gesprochen, weil mir deren Bedeutung durchaus
[49]kreuzformen; svastika.
unbekannt war. Das

[figure]

kommt indess unter jenen in
meinem Aufsatz vom 18. November v. J. angeführten,
auf Taf. 2, No. 61 abgebildeten fünf Schriftzeichen vor.


Nachdem ich diesen Winter in Athen viele ausge-
zeichnete Werke berühmter Gelehrten über indische
Alterthumskunde gelesen habe, besonders Adalbert
Kuhn, „Die Herabkunft des Feuers“; Max Müller,
„Essays“; Emile Burnouf, „La Science des Religions“
und „Essai sur le Vêda“, sowie mehrere Werke von
Eugène Burnouf, sehe ich ein, dass diese Zeichen des
Kreuzes auf den trojanischen Terracottas von höchster
Wichtigkeit für die Wissenschaft sind, und halte es
daher für nothwendig, näher darauf einzugehen, um
so mehr, als ich jetzt im Stande bin zu beweisen, dass
sowohl das

[figure]

als auch das 卍, welches ich in Emile
Burnouf’s Sanskrit-Lexikon unter der Benennung „sva-
stika“ und mit der Bedeutung: εὖ ἐστι oder als Zeichen
guter Wünsche finde, schon Jahrtausende v. Chr. als
allerbedeutungsvollste religiöse Symbole bei den Ur-
vätern der arischen Stämme in Baktrien, in den Thälern
des Oxus geltend waren, zur Zeit, als noch Germanen,
Inder, Pelasger, Kelten, Perser, Slawen und Iranier
eine einzige Nation ausmachten und eine einzige Sprache
redeten. Ich erkenne nämlich auf den ersten Blick das
„svastika“ auf einem jener in der „Zeitschrift für Eth-
nologie, Organ der Berliner Gesellschaft für Anthropo-
logie und Urgeschichte“, 1871, Heft III, abgebildeten
drei Topfböden, die auf der Bischofsinsel von Königs-
walde am rechten Ufer der Oder entdeckt sind und zu
sehr vielen gelehrten Discussionen Anlass gaben, wäh-
rend niemand jenes höchst bedeutungsvolle religiöse
Schliemann, Troja. 4
[50]kreuzformen; svastika.
Symbol unserer Urväter darin erblickte. Ich sehe eine
ganze Reihe solcher Svastikas rings um die berühmte
Kanzel des heiligen Ambrosius in Mailand; ich sehe es
tausendmal in den Katakomben in Rom. 1 Ich sehe
dasselbe in drei Reihen, und somit sechzigmal wieder-
holt, auf einer in Shropham in der Grafschaft Norfolk
entdeckten und jetzt im British Museum befindlichen 2
uralten keltischen Begräbnissurne. Ich sehe dasselbe
auch auf mehreren korinthischen Vasen meiner eigenen
Sammlung, sowie auf zwei im Besitz des Professors
Rusopulos in Athen befindlichen uralten attischen Vasen,
denen man ein Alter von wenigstens 1000 Jahren
v. Chr. gibt. Ich sehe dasselbe ferner auf mehreren alten
Münzen von Leukas, sowie zweimal in dem grossen
Mosaïk im königlichen Schlossgarten in Athen. Der
englische Geistliche, Wm. Brown Keer, welcher mich
hier besuchte, versichert, dass er das 卍 unzähligemal
in den ältesten Hindutempeln und besonders in jenen
der Gaïna gesehen hat. Ich sehe im Ramayana, dass
die Schiffe des Königs Rama, in welchen er auf seinem
Eroberungszuge nach Indien und Ceylon seine Truppen
über den Ganges setzte, das 卍 an ihren Schnäbeln
trugen. Die Sanskritgelehrten geben diesem Helden-
gedicht (Ramayana) ein Alter von wenigstens 800 Jahren
v. Chr. und verlegen den Feldzug des Rama auf späte-
stens 13- oder 1400 Jahre v. Chr., denn, wie Herr
Kiepert in seinem in der National-Zeitung publicirten
sehr interessanten Artikel nachweist, sind die im zweiten
Buch der Könige überlieferten Namen der unter König
[51]svastika; feuererzeugung.
Salomo’s Regierung von phönizischen Schiffen aus
Ophir gebrachten Producte, wie z. B. Elfenbein, Pfauen,
Affen, Spezereien, kaum veränderte Sanskritwörter, und
man kann doch wohl mit Bestimmtheit annehmen, dass
es wenigstens drei bis vier Jahrhunderte gewährt hat,
in dem so ungeheuer grossen, dicht bevölkerten Indien
die Sprache der Eroberer allgemein einzuführen, zumal
da die Zahl derselben nicht gar gross gewesen sein kann;
denn in den Hymnen des Rigveda, die noch vor dem
Eroberungszug in der Heptopotamia geschrieben wurden,
wird die arische Bevölkerung immer nur als geringfügig
dargestellt.


Emile Burnouf sagt in seinem soeben erschienenen
ausgezeichneten Werke „La Science des Religions“:
„Das 卍 stellt die beiden Stücke Holz vor, die vor den
Opferaltären, behufs Erzeugung des heiligen Feuers (Agni),
kreuzweise aufeinandergelegt und deren Enden unter
rechtem Winkel umgebogen und mittels vier Nägel
befestigt wurden (࿘), damit dies Holzgerüst sich nicht
drehen möge. Im Verbindungspunkt der beiden Hölzer
war ein Grübchen, in welchem man ein drittes, Pra-
mantha genanntes Stück Holz, welches die Form einer
Lanze hatte, mittels eines Stricks von Kuhhaaren und
Hanf drehte, bis sich durch die Reibung das Feuer ent-
zündete. Der Vater des heiligen Feuers (Agni) ist
Twastri, d. h. der göttliche Zimmermann, welcher den
卍 und den Pramantha anfertigte, durch deren Reibung
das göttliche Kind erzeugt werden sollte. Aus dem
Pramantha machten später die Griechen den Prometheus,
den sie das Feuer vom Himmel stehlen liessen, um den
aus Thon gebildeten Menschen den Feuerfunken der
4*
[52]agni; mâjâ.
Seele einzupflanzen. Die Mutter des heiligen Feuers ist
die göttliche Mâjâ, aus welcher der Name der Gottes-
mutter, Maria, geworden ist. Mâjâ (Maria) stellt die
zeugende Kraft in weiblicher Form vor; jedes göttliche
Wesen hat seine Mâjâ. Kaum ist der schwache Feuer-
funke dem mütterlichen Schose entsprungen, d. h. dem
卍, welches auch die Mutter genannt wird und in dem
vorzüglich die göttliche Mâjâ wohnt, so nimmt er (Agni)
den Namen Kind an. Man findet im Rigveda Hymnen
himmlischer Schönheit, um dies neugeborene schwache
göttliche Geschöpf zu preisen. Man legt das kleine Kind
auf Stroh, neben ihm ist die mystische Kuh, d. h. die
fürs Opfer bestimmte Milch und Butter, vor ihm steht
ein heiliger Priester des göttlichen Vâju, welcher den
kleinen orientalischen Fächer, in der Form einer Fahne,
bewegt, um des kleinen Kindes Leben, welches dem
Aushauchen nahe ist, anzufachen. Von dort wird das
kleine Kind auf den Altar gelegt, wo es durch den
darauf gegossenen heiligen «Sôma» und die gereinigte
Butter eine wunderbare Kraft empfängt, welche alle
Begriffe der Anbeter übersteigt; des Kindes Glanz um-
strahlt alles um sich her; die Engel (dêvâs) und die
Menschen jubeln vor Freude und singen ihm zur Ehre
Hymnen, indem sie sich aufs Angesicht werfen. Zu
seiner Linken ist die aufgehende Sonne, zu seiner Rech-
ten ist der Vollmond am Horizont, und beide scheinen
vor dem Glanze des neugeborenen Gottes (des Agni)
zu bleichen und ihn anzubeten. Wie ist nun aber diese
Verklärung des Agni vor sich gegangen? In dem
Augenblick, wo ein Priester den kleinen Gott auf den
Altar legt, hat ein anderer ihm den heiligen Trank,
[53]agni; messias.
den geistigen «Sôma», aufs Haupt gegossen und gleich
darauf hat er ihn gesalbt, indem er die Butter des hei-
ligen Opfers über ihn ausbreitet. Durch diese Salbung
erhält Agni den Namen Gesalbter — akta — χριστός;
er ist durch die brennbaren Stoffe gewaltig gewachsen;
ruhmreich schlägt er seine Flammen empor; er glänzt
in einer Rauchwolke, welche wie eine Säule gen Himmel
steigt, und sein Licht vereinigt sich mit dem Lichte der
himmlischen Lichtkörper. Der Gott Agni, in seinem
Glanze und seiner Herrlichkeit, offenbart den Menschen
die verborgenen Dinge; er lehrt die Doctoren; er ist
der Meister der Meister und erhält den Namen Jâta-
vêdas, d. h. derjenige, dem die Weisheit angeboren ist.
Alle Welt weiss, dass die Theorie von Christus viel älter
ist als Jesus Christus: die Juden erwarteten seit langer
Zeit den Messias; sie hatten ihn in gewissen historischen
Persönlichkeiten, wie z. B. in der des Cyrus, zu erkennen
geglaubt; Simon der Magier gab sich für den Messias
aus; zur Zeit des Augustus war die Erwartung eines
Messias in allen Herzen. Die Juden erkannten ihn nicht
in Jesus und sie hatten recht, denn der Apostel Paulus
und diejenigen, welche, wie Lukas, seine Lehre annah-
men, verkündeten laut, dass der Christus nicht der
Messias der Hebräer, sondern der Sohn des himmlischen
Vaters sei. Auch war die Theorie von Christus, dem
Sohne Gottes, in den Apokryphen von Alexandrien
und Palästina und bei den durch arischen Einfluss zur
Zeit der Gefangenschaft in Babylon entstandenen jüdi-
schen Sekten vorherrschend. Diese Theorie war im
Zend-Avesta (der heiligen Schrift der Perser) in ihrer
idealen Form und in ihrer doppelten — ihrer materiellen
[54]ursprung der christuslegende.
und ihrer metaphysischen — Gestalt in den ältesten
Hymnen der indischen Vedas. Aber die Verfasser dieser
Hymnen bezeugen, dass die besagte Theorie von Christus,
dem Sohne Gottes, schon seit undenklicher Zeit vor
ihnen in einem grossen Nationalcultus symbolisirt worden
ist, dessen Gründer, Ribhu, mit Orpheus identisch ist.
Diese Tradition, welche die Griechen mit den Indern
gemein haben, führt uns in jene uralte Zeit zurück, wo
sich die Zweige des arischen Stammes noch nicht ge-
trennt hatten und wo diese Familie noch vereint in den
Thälern des Oxus wohnte. Daher kann man auch nur
dort den Ursprung der Theorie von Christus, dem Sohne
Gottes, suchen.


Wäre es möglich anzunehmen, dass eine so wunder-
schöne Theorie, welche der ganzen Gottesverehrung
einen so gewaltigen Zauber verleiht und welche mit
wunderbarer Genauigkeit das Leben und die Gedanken
der Menschen beurkundet, hätte in Asien 30 oder 40
Jahrhunderte einheimisch sein können, ohne eine Legende
zum Vorschein zu bringen? Nein, im Gegentheil, alle
Elemente der Legende von Christus finden sich im Rig-
veda vor: seine Herkunft von Gott und Mensch, die
wunderbare Conception seiner Mutter Mâjâ, sein Vater
Twastri (der Zimmermann), seine Geburt vor Sonnen-
aufgang in Verbindung mit wunderbaren Erscheinungen,
seine Taufe im Wasser, die heilige Salbung (χρῖσις oder
χρῖσμα), woraus sein Name entstanden ist, seine frühe
Gelehrsamkeit, seine Verklärung, seine Wunder, seine
Himmelfahrt und seine Vereinigung mit dem Vater im
Himmel, damit er der Erlöser der Menschen werde.“


Auf meine briefliche Anfrage bei Herrn E. Burnouf
[55]feuererzeugung nach d. rigveda.
wegen des andern, hundertfach auf den trojanischen
Terracottas vorkommenden Symbols, des Kreuzes:

[figure]

,
erwidert er mir: dass er aus den alten Scholiasten des
Rigveda, aus der vergleichenden Philologie und aus
den „Monuments figurés“ ganz bestimmt weiss, dass
auch Svastikas in dieser Form schon in den urältesten
Zeiten zur Hervorbringung des heiligen Feuers ange-
wandt worden sind. Er fügt hinzu, dass die Griechen eine
lange Zeit hindurch Feuer durch Reibung erzeugten,
und dass man die beiden untern, quer übereinander lie-
genden Stücke Holz „σταυρός“ genannt habe, welches
Wort entweder von der Wurzel „stṛi“ kommt, welche auf
die Erde legen heisst und mit dem lateinischen „ster-
nere“ identisch ist, oder vom Sanskritwort „stâvara“, das
fest, solide, unbeweglich bedeutet. Seitdem die Griechen
andere Mittel zum Anzünden des Feuers hatten, ist das
Wort σταυρός nur einfach für Kreuz gebraucht worden.


Adalbert Kuhn nennt in seinem gelehrten, höchst
interessanten Werke: „Die Herabkunft des Feuers“, das
卍 immer nur araṇî und bemerkt p. 70: „Den ein-
fachen Naturmenschen musste jene Vorrichtung zur Er-
zeugung des Feuers leicht an die Zeugung des Menschen
erinnern, und dass dies in der That der Fall gewesen
sei, sehen wir aus einem Liede des Rigveda, welches
die Handlung der Feuerzeugung begleitet. Der Eingang
(Rigveda III, 29, 1—3) lautet: Das ist das Drehholz,
der Zeuger (penis) ist bereitet; bringt die Herrin des
Stammes herbei, den Agni lasst uns quirlen nach altem
Brauch. In den beiden Hölzern liegt der Jâtavêdas, wie
in den Schwangern die wohlbewahrte Leibesfrucht;
tagtäglich ist Agni zu preisen von den sorgsamen,
[56]araṇi, manthana.
opferspendenden Menschen. In die Dahingestreckte lass
hinein (den Stab), der du dess kundig bist; sogleich
empfängt sie, hat den Befruchtenden geboren; mit röth-
licher Spitze leuchtend seine Bahn ward der Ilâsohn in
dem trefflichen Holze geboren.“


Derselbe Gelehrte gibt darauf, um zu zeigen, mit
welcher peinlichen Sorgfalt man bei der Auswahl des
Holzes für das 卍, dem Mass der Stäbe, der Stelle der
Reibung u. s. w. zu Werke ging, nachstehende Ueber-
setzung von „Kâtyâyana’s Karmapradîpa“ 1, 7, vs. 1—
14: „Ein Açvatha, welcher auf einer Çâmî entkeimt ist
und auf reiner Erde seinen Ursprung hat, ein Zweig
von dem, sei er ein nach Osten oder nach Norden ge-
richteter, oder ein aufwärts gerichteter, ein solcher
heisst Araṇi, und ein ebensolcher auch Uttarâraṇi; zum
Câtram und zum Ovîlî wird ein markiges Holz empfohlen.
Der seine Wurzel auf einer Çamî hat, heisst ein Çamî
entkeimter; ist ein solcher nicht vorhanden, so möge
man ohne Bedenken einen von einer Çamî entsprossenen
nehmen. 24 Daumen die Länge, 6 die Breite, 4 die
Höhe, das ist das überlieferte Mass der beiden Araṇî.
Acht Finger sei der Pramantha, das Câtram sei 12
Finger und 12 sei auch die Ovîlî. Das ist das Manthana-
Werkzeug. Ueberall, wo ein Mass von Daumen oder
Fingern angegeben wird, lege man das Mass mit dem
mittlern Gelenke auf. Von Kuhhaaren mit Hanf ver-
mischt, dreifach gedreht und aus ganzen Fäden, eine
Klafter an Mass sei das Leitseil, mit dem das Feuer
hervorzureiben ist. Haupt, Augen, Ohren, Mund, der
Hals als fünfter, die haben einen Daumen an Mass, die
Brust besteht aus zweien, sagt man. Das Herz ist ein
[57]araṇi, manthana.
Daumen an Mass, dreidaumig wird der Bauch erwähnt,
eindaumig, wisse man, sei die Hüfte, die Bastigegend
(zwischen Schos und Nabel) zwei, und zwei das Guhyaka
(pudendum). Die beiden Schenkel, Beine und Füsse
werden der Reihe nach mit vier, drei und einem Daumen
gemessen, das sind die von den der Opfer Kundigen
überlieferten Glieder der Araṇi. Was das Guhya
(pudendum) genannt wird, das heisst die Yôni (Ge-
burtsstätte des Gottes), das Feuer, welches dort geboren
wird, heisst segenbringend. Die aber an andern Stellen
reiben, gerathen in Gefahr von Krankheit; jedoch gilt
diese Beschränkung nur für das erste Manthana, nicht
für die folgenden. Von der Uttarâraṇi genommen sei
stets der Pramantha, denn wer einen andern als Mantha
braucht, wird mit dem Fehler der Yônisaṃkara be-
haftet. Eine nasse, löcherige, verkrümmte, eine mit
Rissen versehene Araṇi und Uttarâraṇi ist den Opferern
nicht heilsam.“ Adalbert Kuhn fügt hinzu: „Wir sehen
demnach hier den beiden Araṇî (卍) vollständige Körper-
bildung beigelegt und nach genauem Mass die Stelle
bezeichnet, aus welcher Agni seinen Ursprung nehmen
müsse; nur da entsprungen ist er heilbringend; an
anderer Stelle emporlodernd bringt er sogar Krankheit
ins Haus. Aus dieser Vorstellung erklärt es sich denn
auch, dass man umgekehrt den Zeugungsact wie den
der Feuerentzündung auffasste.“


Ich habe es für nöthig gehalten, alles Vorstehende
anzuführen, um zu beweisen, dass das 卍 und das

[figure]

seit den urältesten Zeiten die allerheiligsten reli-
giösen Symbole unserer arischen Vorväter waren.


[58]gebrauch der symbole.

Wahrscheinlich werde ich in meinen gegenwärtigen
Ausgrabungen bestimmten Aufschluss darüber finden,
wozu die mit so bedeutungsvollen Symbolen geschmück-
ten Stücke gebraucht wurden; bis dahin halte ich an
meiner frühern Idee fest, dass sie entweder als Exvotos
dienten oder wirkliche Götzenbilder des Hephaistos
waren.


[59]empörung der arbeiter.

VII.



Seit meinem Bericht vom 5. d. M. habe ich die
Ausgrabungen, mit durchschnittlich 120 Arbeitern, aufs
eifrigste fortgesetzt. Leider aber gingen mir von diesen
20 Tagen sieben Tage durch Regenwetter und Feste
und ein Tag durch Aufruhr meiner Leute verloren. Da
ich nämlich bemerkt hatte, dass die Cigarretten das Ar-
beiten erschweren, verbot ich das Rauchen. Es ge-
lang mir indess nicht, die Sache sogleich durchzusetzen,
und sah ich immer noch, dass heimlich geraucht wurde.
Ich wollte jedoch nicht nachgeben und liess ausrufen,
dass ich die Uebertreter sofort entfernen und nie wieder
annehmen würde. Darüber erzürnt schrieen die Arbeiter
vom Dorfe Renkoï — ungefähr 70 an Zahl — sie würden
nicht weiter arbeiten, wenn es nicht jedem freigestellt
wäre, soviel zu rauchen als er wolle, und verliessen die
Plateforme, indem sie die Arbeiter aus den übrigen
Dörfern durch Steinwürfe hinderten, weiter zu arbeiten.
Die guten Leute hatten sich nämlich eingebildet, dass
ich sofort nachgeben würde, da ich gar nicht ohne sie
fertig werden und ausser ihnen nicht hinreichend Ar-
beiter erhalten könne; dass ich überdies bei dem schönen
[60]masse des schuttes.
Wetter unmöglich den ganzen Tag still sitzen würde.
Sie hatten sich aber geirrt, denn ich schickte sofort
meinen Aufseher in die übrigen umliegenden Dörfer,
und es gelang mir, zum Entsetzen der 70 Renkoïten,
die die ganze Nacht vor meiner Thür gewartet hatten,
ohne sie für den nächsten Morgen 120 Arbeiter zusam-
menzubringen. Mein energisches Verfahren hat nun
endlich die Renkoïten, von deren Frechheit ich hier
bei meinen vorjährigen Ausgrabungen so viel zu leiden
hatte, aufs tiefste gedemüthigt und auch auf alle meine
jetzigen Arbeiter einen segensreichen Einfluss gehabt,
sodass es mir möglich geworden ist, nach dem Aufruhr
nicht nur das Nichtrauchen streng einzuführen, sondern
auch die Arbeitszeit täglich um eine Stunde zu verlän-
gern; denn anstatt wie früher von 5½ Uhr morgens bis
5½ Uhr abends lasse ich jetzt stets von 5 Uhr morgens
bis 6 Uhr abends arbeiten. Ich gebe aber, wie früher,
um 9 Uhr morgens eine halbe und um 1½ Uhr nach-
mittags eine Stunde zum Essen und Rauchen.


Nach genauer Berechnung des Ingenieurs Herrn
A. Laurent habe ich in den 17 Tagen, an welchen seit
dem 1. d. M. gearbeitet wurde, 8500 Kubikmeter Schutt
fortgeschafft; es kommen somit 500 Kubikmeter auf jeden
Tag und etwas über 4 Kubikmeter täglich auf jeden
Arbeiter.


Die Plateforme ist bereits 15 Meter in den Berg
vorgerückt, aber zu meinem allergrössten Erstaunen habe
ich bisjetzt den Urboden noch nicht erreicht. Meine,
in meinem Bericht vom 24. November v. J. ausgespro-
chene Meinung, dass die Dicke des Berges an der Nord-
seite seit uralten Zeiten nicht zugenommen hat, fand ich
[61]ascheschichten.
auf dem ganzen westlichen Theil meiner Plateforme,
auf einer Breite von 45 Meter, bestätigt; denn nur im
östlichen Theil derselben, auf 25 Meter Breite, fand ich
2 und sogar 3 Meter Humus, und unter oder hinter
demselben, bis 5 Meter Höhe über der Plateforme, stein-
harten Schutt, der nur aus Holz- und Thierasche zu
bestehen und von den der ilischen Minerva darge-
brachten Opfern herzustammen scheint. Ich vermuthe
daher mit Bestimmtheit, dass ich bei weiterm Vordringen
auf dieser Stelle auf die Baustelle des uralten Tempels
dieser Göttin stossen werde. Die Asche dieser Schutt-
schichten hat ein so lehmartiges Aussehen, dass ich
glauben würde, es sei der Urboden, wenn ich nicht
häufig Knochen, Holzkohlen und kleine Muscheln, auch
dann und wann Stückchen Ziegel darin fände. Die
Muscheln sind unversehrt, was zur Genüge beweist, dass
sie nicht der Glut ausgesetzt gewesen sein können. In
diesen steinharten Ascheschichten fand ich, 3½ Meter
oberhalb der Plateforme und 14 Meter vom Rande der-
selben einen 20 Centimeter breiten und 18 Centimeter
hohen Kanal von grünem Sandstein, der wahrscheinlich
einst zur Ableitung des Bluts der Opferthiere gedient
und nothwendigerweise einst auf den Abhang des Berges
gemündet haben muss. Er beweist daher, dass des
Berges Dicke auf dieser Stelle um volle 14 Meter zu-
genommen hat, seitdem das Heiligthum, zu dem er ge-
hört hat, zu Grunde gegangen ist.


Auf den übrigen 45 Meter der Plateforme finde ich
überall, bis ungefähr 5 Meter Höhe, kolossale Massen
grosser, oft mehr oder weniger behauener, meistens aber
unbehauener Blöcke von Muschelkalkstein, die oft so
[62]gebäudetrümmer; urnen.
dicht aufeinanderliegen, dass sie das Ansehen wirklicher
Mauern haben. Aber man findet gar bald, dass alle
diese Steinmassen nothwendigerweise von grossartigen
Gebäuden herrühren, die hier gestanden und durch eine
furchtbare Katastrophe zu Grunde gegangen sein müssen.
Die Gebäude können unmöglich von diesen Steinen
ohne ein Verbindungsmittel gebaut worden sein, und
vermuthe ich, dass es blosse Erde gewesen ist, denn
von Kalk oder Cement finde ich keine Spur. Zwischen
den ungeheuern Steinmassen sind mehr oder we-
niger grosse Zwischenräume von sehr festem und oft
steinhartem Schutt, in welchem sehr viele Knochen,
Muscheln und Massen anderer Ueberbleibsel von Haus-
haltungen vorkommen. Von interessanten Gegenständen
irgendwelcher Art war aber in der ganzen 70 Meter
langen, 5 Meter hohen Schuttwand, ausser einer kleinen
herrlich gearbeiteten, aber vom Rost zerstörten silbernen
Haar- oder Tuchnadel noch keine Spur gefunden, als
heute in derselben, in 14 Meter senkrechter Tiefe, ein
8 Centimeter langes, 6 Centimeter breites schön geschlif-
fenes Stück Glimmerschiefer mit Mulden zum Giessen
von zwei Brustnadeln und zwei andern mir ganz unbe-
kannten Schmucksachen — alles höchst phantastischer
Art — gefunden wurde; ferner eine leider ganz zer-
brochene Grab- oder Wasserurne mit Verzierungen in
der Form von zwei flachen Kränzen, die ganz herum-
gehen; es muss dieselbe eine Höhe von 1½ Meter und
und eine Breite von wenigstens 70 Centimeter gehabt
haben. In den beiden Kränzen ist eine ununterbrochene
Reihe Keileindrücke, die auf den ersten Blick ent-
schieden assyrische Keilinschriften zu sein scheinen. Bei
[63]urnen mit kränzen; assyr. kunst.
näherer Betrachtung aber findet man, dass es blosse
Verzierungen sind. Die Scherben dieser Vase zeigen
eine Dicke von 2½ Centimeter. Noch zwei andere, ganz
zerbrochene, ungeheuere Wasser-, Wein- oder Leichen-
urnen, mit Verzierungen in der Form von mehreren ganz
herumlaufenden Kränzen, wurden am 22. und 23. d. M.
in 6 bis 7 Meter über der Plateforme, also in 8 oder
7 Meter senkrechter Tiefe gefunden. Beide müssen über
2 Meter hoch gewesen sein und über 1 Meter im Durch-
messer gehabt haben, denn die Scherben zeigen eine
Dicke von 5 Centimeter. Die Kränze sind ebenfalls in
Basrelief und zeigen theils ineinandergreifende doppelte
Dreiecke mit Kreisen, theils Blumen, theils drei Reihen
oder auch nur eine Reihe Kreise. Diese letztere Ver-
zierung sieht man auch auf einem im Jahre 1810 von
Lord Elgin in der Schatzkammer Agamemnon’s in
Mykene ausgegrabenen Fries von grünem Stein, der
jetzt im British Museum ist. Sowohl dieser Fries als
obige in den Tiefen Iliums von mir entdeckten Urnen
weisen entschieden assyrische Kunst auf, und kann ich
sie nicht betrachten, ohne mit Wehmuth daran zu denken,
mit welchen Freudenthränen und mit welchem Jubel-
geschrei der grosse, unvergessliche deutsche Gelehrte
Julius Braun, der leider vor drei Jahren seinen über-
mässigen Anstrengungen erlegen ist, diese trojanischen
Urnen begrüsst haben würde; denn er war nicht nur
der grosse Verfechter der Theorie, dass das homerische
Troja nur tief unter den Ruinen von Ilium gesucht
werden dürfe, sondern er war auch der gewaltige Ver-
theidiger der Doctrin, dass die plastischen Künste und
ein Theil der Götterlehre von Aegypten und Assyrien
[64]neue funde.
nach Kleinasien und Griechenland gewandert sind, und
er hat dies durch Tausende von unwiderlegbaren Be-
weisstücken dargethan in seinem tiefgelehrten ausge-
zeichneten Werke: „Geschichte der Kunst in ihrem Ent-
wickelungsgange“, welches ich allen Lernbegierigen,
die sich für Kunst und Wissenschaft interessiren, aufs
angelegentlichste empfehle.


Sowohl die Urne in 14 Meter Tiefe als jene in 8
oder 7 Meter Tiefe, sowie auch alle früher von mir auf-
gedeckten Leichenurnen und grossen Wasser- oder
Weinbehälter standen aufrecht, was zur Genüge beweist,
dass sich die kolossalen Schutt- und Trümmermassen an
Ort und Stelle allmählich gebildet und nicht von an-
derswo hierher geschleppt sein können, um den Berg
zu erhöhen. Dies ist auch eine reine Unmöglichkeit hin-
sichtlich der ungeheuern Massen behauener und unbe-
hauener riesiger Steinblöcke, die oft ein Gewicht von
1 und 2 Tonnen haben.


In den Schuttschichten von 7 bis 10 Meter Tiefe
fand ich zwei Klumpen Blei von runder gehöhlter Form,
jeder wohl zwei Pfund wiegend, sehr viele verrostete
kupferne Nägel, auch einige Messer und eine Lanze von
Kupfer; ferner sehr viele kleinere und grössere Messer
von weissem und braunem Silex in der Form von ein-
und zweischneidigen Sägen; viele Schleifsteine von grü-
nem und schwarzem Schiefer mit einem Loch an einem
Ende, sowie verschiedene kleine Gegenstände von Elfen-
bein; in allen Schichten von 4 bis 10 Meter Tiefe viele
Hämmer, Beile und Keile von Diorit, welche aber ent-
schieden in den Schichten von mehr als 7 Meter Tiefe
viel besser gearbeitet sind als in den obern. Auch
[65]idole mit eulengesichtern.
kommen von 3 Meter unter der Oberfläche in allen
Tiefen bis zu 10 Meter Tiefe viele platte Götzenbilder
von sehr feinem Marmor vor; auf vielen derselben ist
ein Eulengesicht und ein Frauengürtel mit Punkten;
auf einem sind ausserdem noch zwei Frauenbrüste ein-
gravirt. Die auffallende Aehnlichkeit dieser Eulenge-
sichter mit den auf vielen Bechern und Vasen befind-
lichen und mit einer Art von Helm bedeckten Eulen-
köpfen bringt mich zur festen Ueberzeugung, dass alle
Idole und alle behelmten Eulenköpfe auf den Bechern
und Vasen eine Göttin, und zwar ein und dieselbe Göttin
vorstellen müssen, um so mehr als ja sämmtliche Eulen-
gesichtsvasen zwei Frauenbrüste und einen Bauchnabel,
meistentheils auch zwei emporgehobene Arme haben; —
einmal sieht man auf dem Bauchnabel ein Kreuz mit
vier Nägeln dargestellt. Die Becher mit Eulenköpfen
haben dagegen nie Brüste oder Bauchnabel; jedoch ist
an einigen derselben auf der Rückseite das lange
Lockenhaar der Frau zu sehen.


Die wichtige Frage drängt sich nun auf, welche
die Göttin sei, die hier so vielfältig, aber ganz allein
auf den Idolen, Trinkbechern und Vasen vorkommt?
Die Antwort ist: sie muss nothwendigerweise die Schutz-
göttin von Troja
, sie muss die ilische Minerva
sein, und dies stimmt ja vollkommen mit der Angabe
Homer’s, welcher sie fortwährend „ϑεὰ γλαυκῶπις Ἀϑήνη“,
die Göttin Athene mit dem Eulengesicht, nennt. Das
Beiwort „γλαυκῶπις“ ist nämlich von den Gelehrten aller
Zeiten falsch übersetzt, weil sie sich nicht denken konn-
ten, dass man die Minerva mit einem Eulengesicht dar-
gestellt hätte. Es besteht aber aus den beiden Worten
Schliemann, Troja. 5
[66]bedeutung von ΓΛΑϒΚΩΠΙΣ und ΒΟΩΠΙΣ.
γλαῦξ und ὠπή, und, wie ich durch eine ungeheure
Masse von Beweisstücken in corpore darthue, ist nur
die wörtliche Uebersetzung „mit Eulengesicht“ möglich,
die bisherige Uebersetzung „mit blauen, feurigen oder
funkelnden Augen“ aber durchaus falsch. Die natürliche
Schlussfolgerung ist, dass, als bei fortschreitender Civi-
lisation Minerva ein menschliches Gesicht erhielt, aus
ihrem frühern Eulenkopf ihr Lieblingsvogel, die Eule,
wurde, welche als solcher dem Homer unbekannt ist.
Die fernere Schlussfolgerung ist, dass der Cultus der
Minerva als Schutzgöttin von Troja dem Homer wohl-
bekannt war, dass folglich ein Troja existirte und dass
es auf der heiligen Stätte lag, deren Tiefen ich er-
forsche.


Auf gleiche Weise wird man ohne allen Zweifel bei
Nachgrabungen im Heraeon zwischen Argos und Mykene
und auf der Baustelle des uralten Tempels der Juno auf
Samos auf Idolen, Bechern und Vasen das Bild dieser
Göttin mit einem Ochsenkopf finden; denn „βοῶπις“, das
gewöhnliche Beiwort der Juno im Homer, kann ur-
sprünglich nichts anderes bedeutet haben als „mit
Ochsengesicht
“. Da aber Homer das Beiwort βοῶπις
auch einigemal für sterbliche Frauen anwendet, so ist
es wahrscheinlich, dass man zu seiner Zeit es schon
hässlich fand, Juno, die Frau des mächtigsten aller
Götter, mit einem Ochsengesicht darzustellen, dass man
daher schon angefangen hatte, sie mit Frauengesicht,
aber mit Ochsenaugen, d. h. mit sehr grossen Augen,
abzubilden, und dass folglich das im Sprachgebrauch
befindliche und früher nur für die Juno mit der Bedeu-
[67]vasen seltsamer gestalt; gesichtsurnen.
tung „mit Ochsengesicht“ angewandte Beiwort βοῶπις
nur noch schlechthin „mit grossen Augen“ bedeutete.


Von Töpferwaaren kam in den letzten Wochen viel
vor, aber leider mehr als die Hälfte in zerbrochenem
Zustande. Von Malerei auf Terracottas noch immer
keine Spur; die meisten Gefässe haben eine einfache
glänzend schwarze, gelbe, braune, und die ganz grossen
Gefässe gewöhnlich gar keine Farbe. Teller ordinären
Fabrikats habe ich bisjetzt nur in 8 bis 10 Meter Tiefe
gefunden, und sind diese, wie man genau bemerken
kann, auf dem Töpferrade gedreht; dagegen scheinen
alle andern bisjetzt entdeckten Gefässe aus freier Hand
gemacht zu sein; sie haben aber dennoch eine gewisse
Eleganz und erregen die Bewunderung des Beschauers
durch ihre seltsamen, höchst merkwürdigen Formen.
Die Vasen mit langem zurückgebogenem Halse, schnabel-
artigem, nach oben gebogenem Munde und hervor-
stehendem Bauch, wovon zwei im British Museum,
mehrere in Cypern gefundene im Museum in Konstan-
tinopel und mehrere unter drei Schichten vulkanischer
Asche in Thera und Therassia entdeckte in der fran-
zösischen Schule in Athen sind, sollen wol jedenfalls
Frauen bezeichnen, denn ich finde dieselben hier in 8 und
10 Meter Tiefe mit zwei und sogar mit drei Brüsten,
und glaube daher auch, dass sie hier die ilische
Schutzgöttin darstellen. Es kommen auch einige Becher
und Vasen mit männlichen Gesichtern vor, in denen
aber die Kennzeichen der Eule nie fehlen; auch haben
die Vasen mit solchen Gesichtern stets zwei Frauenbrüste
und Bauchnabel. Ich mache ganz besonders darauf
aufmerksam, dass fast alle Vasen mit Eulengesichtern
5*
[68]das verfahren beim ausgraben.
oder mit Menschengesichtern und den Kennzeichen der
Eule zwei hoch emporstehende Arme haben, die als
Griffe dienen, und dies bringt mich zu der Vermuthung,
dass dies Nachahmungen des im uralten Tempel der
ilischen Schutzgöttin aufgestellt gewesenen grossen
Idols sind, welches also Eulengesicht, im übrigen Frauen-
gestalt, und zwei neben dem Kopf hoch emporgehobene
Arme gehabt haben muss. Sehr bemerkenswerth ist es,
dass die meisten Töpfe und Vasen, die ich finde, zum
Aufhängen an Schnüren dienten, wie es die beiden
Löcher im Munde und die beiden Röhrchen oder Löcher
in den Griffen an den Seiten der Gefässe beweisen.


Leider zerbrechen mir viele Terracottas beim Ab-
brechen oder Herunterfallen des Schuttes; denn es gibt
nur eine Weise, auf welche ich meine Arbeiter und
mich selbst dagegen schützen kann, von den herunter-
rollenden Steinen zermalmt oder verstümmelt zu werden,
und die ist, dass ich die untersten 5 Meter (nicht 2½ Meter
wie in den ersten fünf Tagen) senkrecht, den ganzen
obern Theil der mächtigen Erdwand unter einem Winkel
von 50 Grad halte und den senkrechten Theil immer
durch Anlegen von Schornsteinen und Losbrechen mit
grossen eisernen Hebeln in Stücken von 15 bis 30 Kubik-
meter ablöse. Wenn ich dann den Schutt und die
Steine auf dem obern Theil mit den Hackeisen losbrechen
lasse, so fallen die Steine fast perpendikulär über die
unterste senkrechte, 5 Meter hohe Wand weg, rollen
daher höchstens einige Schritt, und es ist weniger Ge-
fahr, dass jemand verletzt werden könnte. Auch habe
ich auf diese Weise den Vortheil, dass der grösste Theil
des Schuttes schon von selbst hinunterfällt und das, was
[69]georgios photidas, der unteraufseher.
liegen bleibt, mit leichter Mühe hinunter geschaufelt
werden kann, während ich anfänglich die Hälfte der
Zeit mit dem Hinunterschaffen des Schuttes verlor. Da
aber beim Aushauen der Schornsteine und Abbrechen
der riesigen Erdklötze immerhin eine gewisse Geschick-
lichkeit und Vorsicht nöthig ist, so habe ich noch, als
dritten Unteraufseher, mit 7 Frcs. Lohn per Tag, Geor-
gios Photidas aus Paxos angenommen, der sieben Jahre
als Bergmann in Australien gearbeitet und sich dort
besonders mit dem Anlegen von Tunnels beschäftigt
hat. Durchs Heimweh ins Vaterland zurückgetrieben,
hat er sich, ohne selbst das tägliche Brot zu haben, in
jugendlichem Leichtsinn und aus Patriotismus mit einer
funfzehnjährigen armen Landsmännin verheirathet. Erst
nach der Hochzeit ist er durch die Qual der häuslichen
Sorgen zur Besinnung gekommen und, da er gehört
hatte, dass ich hier grabe, so ist er auf gut Glück hier-
her geeilt, um mir seine Dienste anzubieten. Da er
mir von vornherein betheuerte, dass seine Anstellung
bei mir eine Lebensfrage für ihn, seine Frau und ihre
Nachkommenschaft sei, so habe ich ihn auch sofort
acceptirt, um so mehr, als ich gerade einen solchen
Minen-, Tunnel- und Brunnenbauer nothwendig ge-
brauche. Er ist mir ausserdem an Sonn- und Festtagen
von grossem Nutzen, indem er griechisch schreibt und
somit im Stande ist, meine griechischen Aufsätze für
die Zeitungen und gelehrten Gesellschaften im Orient
zu copiren; denn nichts war mir bisher so unausstehlich,
als meine langen Berichte über eine und dieselbe Sache
dreimal auf griechisch niederzuschreiben, um so mehr,
als ich mir die Zeit dazu vom Schlafe stehlen musste.
[70]lage der pergamos.
Dagegen verlässt mich zu meinem Bedauern morgen
früh der ausgezeichnete Ingenieur Adolphe Laurent,
denn sein Monat ist um und er muss jetzt den Bau der
Eisenbahn vom Piräus nach Lamia anfangen. Er hat
mir aber einen guten Plan dieses Berges gemacht,
den ich im Anhange Taf. 116 gebe. Ich habe jedoch
demselben beizufügen, dass sich die Pergamos des
Priamus nicht, wie aus dem Plan hervorzugehen scheint,
auf diesen meistentheils künstlichen Hügel beschränkt
haben kann, sondern dass sich dieselbe, wie ich
schon vor vier Jahren in meinem Werke über Troja 1
darzuthun versucht habe, nothwendigerweise noch eine
weite Strecke nach Süden hin übers hohe Plateau aus-
gedehnt haben muss. Aber selbst wenn die Pergamos
sich auf diesen Berg beschränkt haben sollte, so ist sie
dennoch grösser gewesen als die Akropolis von Athen,
denn diese hat nur 50126 Quadratmeter, während die
Fläche des Berges 64500 Quadratmeter beträgt. Ich be-
merke ferner, dass nach Herrn Laurent’s Messung die
Bergfläche sich 14 Meter über meine Plateforme erhebt,
und dass seine Höhenangaben von 11 Meter 79 Centi-
meter Nord und 11 Meter 95 Centimeter Süd sich für
die Punkte verstehen, wo der steile Abhang anfängt.
Das auf dem Plan angegebene Haus mit drei Zimmern,
sowie das Magazin mit Küche, habe ich erst jetzt bauen
lassen, und kostet alles zusammen, inclusive Bedeckung
mit wasserdichtem Filz, nur 1000 Frcs. denn das Holz
ist hier billig und kauft man das Bret von 3 Meter
[71]giftige schlangen; schlangenkraut.
Länge, 25 Centimeter Breite und 1 Zoll Dicke für
2 Piaster oder 40 Centimes.


Wir finden bis 10 und 11 Meter Tiefe noch immer
giftige Schlangen zwischen den Steinen, und ich sah
mit Erstaunen bisher, dass meine Arbeiter diese Thiere
mit den Händen ergreifen und mit ihnen herumspielen,
ja sogar gestern, wie einer derselben zweimal von einer
Natter gebissen wurde, ohne dass er sich daran kehrte.
Als ich mein Entsetzen darüber zu erkennen gab, er-
klärte er mir lachend, er selbst und alle seine Collegen
hätten gewusst, dass es in diesem Berge viele Schlangen
gäbe, und alle hätten daher einen Decoct von dem in
hiesiger Gegend wachsenden Schlangenkraut getrunken,
welcher den Biss der giftigen Schlangen unwirksam
mache. Ich habe daher Ordre gegeben, mir auch von
diesem Decoct zu bringen, damit auch ich unverletzbar
werde. Ich möchte aber wol wissen, ob denn dieser
Decoct auch den Biss der Brillencobra unschädlich
macht, von welchem ich in Indien einen Menschen in
einer halben Stunde sterben sah. Es würde in diesem
Fall eine gute Speculation sein, das Schlangenkraut in
Indien anzubauen.


Von den vielbesprochenen Terracottas in der Form
des Vulkans und des Carrousels kommt bis 10 und
11 Meter Tiefe fortwährend eine ungeheure Menge zum
Vorschein, und die meisten haben Verzierungen, die ich
immer genau aufzeichne. Bei Vergleichung dieser Zeich-
nungen finde ich jetzt, dass alle ohne Ausnahme in der
Mitte die Sonne darstellen, und dass fast auf der Hälfte
aller die übrigen Verzierungen entweder nur einfach
die Strahlen derselben, oder die Strahlen mit Sternen
[72]terracotten mit sonnendarstellungen.
dazwischen oder am Rande herum, oder drei, vier, sechs,
oder acht einfache, doppelte, dreifache und vierfache
aufgehende Sonnen im Kreise am Rande herum, oder
auch die Sonne in der Mitte des Kreuzes mit vier Nä-
geln zeigen, welches nach meinen Auseinandersetzungen
im sechsten Aufsatz offenbar in allen Fällen nur das
von einigen Sanskritgelehrten „Araṇi“, von andern
„Svastika“ genannte Gestell unserer arischen Urväter
zur Erzeugung des heiligen Feuers (Agni) vorstellen
kann. Die aufgehende Sonne musste bei unsern arischen
Urvätern von grösster Heiligkeit sein, denn nach
Max Müller („Essays“) entstand aus ihr, nämlich aus
ihrem Kampf gegen die Wolken, ein sehr grosser Theil
der Götterwelt, welche später den Olymp bevölkerte.
Auf einigen Stücken ist die Sonne von 40 oder 50 Stern-
chen umgeben; ich fand auch eins, auf welchem sie in
der Mitte von 32 Sternchen und drei

[figure]

dargestellt
wird; ein anderes, wo die eine ganze Hälfte des Kreises
von den Strahlen der wie immer in der Mitte befind-
lichen Sonne ausgefüllt ist, während man in der andern
Hälfte zwei

[figure]

und 18 Sternchen sieht, von denen zwei-
mal drei, dem Schwert des Orion gleich, in einer Reihe
stehen, und ein drittes mal sieht man selbst vier in einer
Reihe. Wie mir Herr Emile Burnouf mittheilt, bedeuten
in den persischen Keilinschriften die drei Punkte in
einer Reihe immer „königliche Majestät“. Ich wage
nicht zu beurtheilen, ob die drei Punkte hier eine gleiche
Uebersetzung zulassen. Vielleicht weisen sie auf die
Majestät des Sonnengottes und des aus dem

[figure]

erzeugten
Agni hin. Auf einigen dieser Terracottas ist die Sonne
sogar von vier

[figure]

umgeben, die wiederum durch ihre
[73]lebensbaum; sômacultus.
Stellung ein Kreuz um dieselbe bilden. Auf noch an-
dern finde ich die Sonne im Mittelpunkt eines von vier
Bäumen gebildeten Kreuzes, und jeder dieser Bäume
hat drei oder vier grosse Blätter. Die Indologen werden
vielleicht finden, dass auch diese Baumkreuze die Ge-
rüste unserer Urväter zur Erzeugung des heiligen Feuers
und ein mehrfach vorkommender fünfter Baum den
„Pramantha“ darstellt. Ich finde diesen selben Baum
ausserdem noch mehrere mal, von Kreisen umgeben oder
freistehend, auf kleinen Terracotta-Kegeln von 4 und
6 Centimeter im Durchmesser dargestellt, welche ausser-
dem die verschiedenartigsten symbolischen Zeichen und
eine Menge von Sonnen und Sternen haben; auf einer
in 8 Meter Tiefe gefundenen Kugel steht ein solcher
Baum von Sternen umgeben einem

[figure]

gegenüber, neben
welchem sich eine Gruppe von neun Sternchen befindet.
Ich wage daher die Vermuthung auszusprechen, dass
dieser Baum der Lebensbaum ist, den man so vielfältig
in den assyrischen Sculpturen sieht, und dass er iden-
tisch ist mit dem heiligen Sômabaum, welcher nach
Emile Burnouf, Max Müller, Adalbert Kuhn und Fr.
Windischmann im Himmel wächst und dort von den
Gandharvas bewacht wird, welche der ältesten arischen
Periode angehören und später die Centauren der
Griechen wurden. Indra, der Sonnengott, raubte in
Falkengestalt vom Himmel diesen Sômabaum, aus dem
das Unsterblichkeit verleihende Amrita (Ambrosia) träu-
felt. Fr. Windischmann („Abhandlungen der k. bayeri-
schen Akademie der Wissenschaften“, 1846, S. 127) hat
die Existenz des Sômacultus als den Stämmen der
Arier bereits vor ihrer Trennung gemeinsam nachge-
[74]sômabaum; braun’s ansicht.
wiesen und ihn daher mit Recht als aus urältester Tra-
dition stammendes Erbgut bezeichnet. 1 Julius Braun
sagt („Geschichte der Kunst“, II, 380) über diesen
Sômabaum: „Hermes, der seltene Gast, wird mit Nektar
und Ambrosia bewirthet. Das ist die Speise, deren die
Götter bedürfen, um unsterblich zu bleiben. Mit dem
ganzen Götterberg Olymp ist sie aus Innerasien nach
Westen gerückt; denn die Wurzel dieser Vorstellung
ist der Lebensbaum des urzoroastrischen Systems.
Frucht und Saft dieses Lebensbaums machen unsterblich.
Im hebräischen Paradies werden die Menschen davon
fern gehalten, damit sie, die vom Baum der Erkenntniss
genossen haben, nicht auch durch Unsterblichkeit
vollends gottähnlich werden. Aber der künftige Messias
Sosiosch in den Zendschriften wird allen Gläubigen da-
von reichen und sie alle unsterblich machen. Diese
Hoffnung sahen wir auf assyrischem Bildwerk, wo die
geflügelten Genien mit Saftgefäss und Frucht vor dem
heiligen Baum stehen, reichlich ausgesprochen. Der
Baum ist dem Propheten Hom heilig oder ist selbst der
Prophet Hom. Darum kann dieser Prophet sagen, es
sei sein Leib und sein Saft, der von den Gläubigen
genossen werde. Symbolische Nachbildung jenes künf-
tigen, unsterblich machenden Genusses ist die irdische
Abendmahlsfeier der Parsen, und ihr entstammt der
christliche Gebrauch. Also die Götterspeise auf dem
homerischen Olymp und die heiligen Symbole der christ-
lichen Kirche dürften in ein und derselben Vorstellung
ihre gemeinsame Wurzel haben.“


[75]neue zeichnungen auf d. vulkanf. terracotten.

Soeben werden mir zwei jener sonderbaren kleinen
Terracottas in der Form des Vulkans gebracht, auf
deren einer drei Thiere mit Geweihen im Kreise um
die Sonne eingravirt sind; auf dem andern bilden vier
bisjetzt noch nicht vorgekommene Zeichen — in der
Form von grossen Kämmen mit langen Zähnen — ein
Kreuz um die Sonne; ich vermuthe, dass diese höchst
merkwürdigen Hieroglyphen, in denen man auf den
ersten Blick wirkliche Buchstaben zu erkennen glaubt,
keinenfalls etwas anderes vorstellen können, als den
Opferaltar mit den darauf lodernden Flammen. Ich
zweifle übrigens nicht, dass ich in der Fortsetzung der
Ausgrabungen dies Zeichen in Kammform mit andern
Symbolen finden werde, die meine Vermuthung verge-
wissern.


Ich bemerke noch, dass die guten Trojaner wol
jedenfalls den Namen Ida, den sie dem Gebirge gaben,
welches ich mit ewigem Schnee bedeckt im Südosten
vor mir sehe, auf dem Zeus und Juno Hochzeit machten
(Ilias XIV, 346—351) und von dem Zeus Ilium und
die Schlachten in der Ebene von Troja überschaute,
aus Baktrien mitgebracht haben; denn nach Max Müller
(„Essays“, II, 93) war Ida Frau von Dyaus (Zeus) und
ihr Sohn Eros. Das dem Eros von der Sappho zuge-
schriebene Aelternpaar, Himmel und Erde, ist mit diesen
seinen vêdischen Aeltern identisch. Hercules heisst ἰδαῖος
von seiner Sonnennatur und hat diesen Namen mit Apollo
und Zeus gemeinsam.


Morgen fängt das griechische Osterfest an, welches
leider sechs Tage dauert, wo nicht gearbeitet wird. Somit
kann ich die Ausgrabungen erst am 1. Mai fortsetzen.


[76]wiederaufnahme der ausgrabungen

VIII.



Seit meinem Bericht vom 25. v. M. habe ich der
verschiedenen griechischen Feiertage wegen nur zehn
Tage graben können, denn selbst der ärmste Grieche
hiesiger Gegend arbeitet am Festtage nicht und könnte
er 1000 Francs in einer Stunde verdienen, und türkische
Arbeiter konnte ich nicht bekommen, weil dieselben
jetzt mit ihren Feldarbeiten beschäftigt sind. Das Wetter
war und ist für die Ausgrabungen sehr günstig, denn
die Tageshitze übersteigt noch nicht 20 Grad Réaumur
im Schatten, und ausserdem regnet es hier von Anfang
Mai bis October nur bei Gewittern und selten mehr als
eine halbe Stunde zur Zeit. Auch ist die Ebene von
Troja jetzt noch gesund und fangen die berüchtigten
trojanischen Fieber eigentlich erst im Juli an, nachdem
die vielen stehenden Gewässer verdunstet sind und aus
der Zersetzung der Millionen von todten Fröschen und
aus dem durch die Sonnenglut gespaltenen Boden der
ausgetrockneten Sümpfe die pestilenzialischen Miasmen
entstehen. Somit haben meine Frau und ich noch sechs
Wochen Zeit mit dem Einnehmen von Chinin als Vor-
beugungsmittel gegen die Fieber.


[77]dicke der schuttschichten auf dem urboden.

Den mehr erwähnten römischen Brunnen habe ich
bis zu einer Tiefe von 20 Meter vom Schutt geräumt
und gefunden, dass er nur bis zu einer Tiefe von
16 Meter unter der Bergesfläche gemauert ist und dann
in den Muschelkalkfels hineingeht, welcher den Urboden
bildet. In diesen Fels habe ich vom Brunnen aus durch
Georgios Photidas einen kleinen Tunnel graben lassen
und somit jetzt die Gewissheit erlangt, dass der Boden
auf dem nach Homer (Ilias XX, 215—218: „κτίσσε δὲ
Δαρδανίην· ἐπεὶ οὔπω Ἴλιος ἱρὴ ἐν πεδίῳ πεπόλιστο, πόλις
μερόπων ἀνϑρώπων ἀλλ̕ ἔϑ̕ ὑπωρείας ᾤκεον πολυπίδακος Ἴδης“)
der trojanische König Dardanos, der bis dahin mit sei-
nem Volke am Fusse des quellenreichen Idagebirges
gewohnt hatte, die Stadt Dardania (Troja) in der Ebene
erbaute, mit einer Schuttdecke von 16 Meter oder 53½
engl. Fuss Dicke bedeckt ist. Hierbei muss ich daran
erinnern, dass die Trümmer der hier ansässig gewesenen
griechischen Colonie nur kaum bis 2 Meter Tiefe reichen,
und dass folglich, wenn wir mit Strabo (XIII, 1, 43)
die Gründung dieser Colonie unter lydischer Herrschaft,
somit ums Jahr 700 v. Chr., annehmen und die
Dauer der Regierung der sechs Könige (Dardanos,
Erichthonios, Tros, Ilos, Laomedon und Priamos), welche
nach Ilias XX, 215—337 Trojas Zerstörung vorangingen,
auf 200 Jahre ansetzen, somit die Gründung der Stadt
um 1400 v. Chr. muthmassen, die Schuttaufhäufung hier
in den ersten 700 Jahren 14 Meter oder 46½ Fuss be-
tragen haben muss.


Ich bin fest überzeugt, dass bei einem Blick
auf meine Ausgrabungen jeder der noch übrigen Ver-
theidiger der veralteten Theorie, Troja hinter der Ebene,
[78]unmöglichkeit der bunarbaschi-theorie.
auf den Höhen von Bunarbaschi zu suchen, sofort diese
Theorie verdammen wird; denn die einst auf letztern
gelegene Akropolis und Stadt, deren kleine Baustelle
ja ganz genau durch die Trümmer der Ringmauern und
durch Abgründe bezeichnet ist, reicht kaum hin für
eine Bevölkerung von 2000 Seelen; auch ist die Schutt-
aufhäufung dort nur äusserst geringfügig; man sieht
sogar an vielen Stellen, in der Mitte der Akropolis,
den nackten Fels herausgucken, und zwischen der Bau-
stelle dieser kleinen Stadt und Bunarbaschi zeigt ja der
bald spitz zulaufende, bald abrupte und überall ganz
unebene Felsboden, dass niemals ein Dorf, geschweige
denn eine Stadt darauf gestanden haben kann. Un-
mittelbar oberhalb Bunarbaschi, überall wo nur irgend
Erde ist, habe ich im August 1868 bis zum Skamander
mit meinem Führer und fünf Arbeitern, in Abständen
von 100 Meter zu 100 Meter, eine lange Reihe von
Löchern gegraben, aber überall sogleich den Urboden
und in ganz geringfügiger Tiefe den Fels gefunden,
und nirgends eine Spur von Topfscherben oder andern
Anzeichen, dass der Ort jemals von Menschen bewohnt
gewesen sein könnte. Auch in Bunarbaschi selbst fand
ich den Urboden in ½ Meter Tiefe. Auch würde, wenn
Troja hinter der Ebene, auf den Höhen von Bunarbaschi,
erbaut gewesen wäre, Homer (Ilias, XX, 216—218)
nicht ausdrücklich gesagt haben, dass es vor seiner
Gründung durch Dardanos noch nicht in der Ebene er-
baut war.


Der Urboden von Hissarlik ist zwar keine 20 Meter
höher als die Ebene unmittelbar am Fusse des Berges,
aber jedenfalls ist auch die Ebene selbst, und besonders
[79]etymologie des namens ΙΛΙΟΣ.
der an den Berg grenzende Theil derselben, seit 31 Jahr-
hunderten bedeutend gestiegen. Aber selbst wäre dies
nicht der Fall, so würde dennoch das auf diesem weit
in die Ebene hinauslaufenden Hügel erbaute Troja durch
seine imposante hohe Lage die homerischen Beiwörter
ὀφρυόεσσα, αἰπεινή und ἠνεμόεσσα verdienen, und beson-
ders das letztere; denn mein grösstes Leiden hier ist
der fortwährende Sturm, und kann es zu Homer’s Zeit
unmöglich anders gewesen sein. Es wird wahrlich Zeit,
dass die so ganz und gar mit allen Angaben der Ilias
in vollkommenem Widerspruch stehende Bunarbaschi-
Theorie jetzt endlich einmal aufhört; sie würde auch
niemals aufgekommen sein, wenn ihre Verfechter an-
statt eine Stunde einen ganzen Tag lang auf den
Höhen von Bunarbaschi zugebracht und, wenn auch nur
mit einem einzigen Arbeiter, dort Ausgrabungen ange-
stellt hätten. Wie ich bereits in meinem letzten Auf-
satz bemerkte, finde ich hier die Sonne im Mittelpunkt
aller der unzähligen, mit Verzierungen versehenen,
runden Stücke von Terracotta in der Form des Vulkans
und des Carrousels dargestellt, und fand ich gestern
sogar eins, worauf die im Centrum befindliche Sonne
von fünf andern Sonnen, jede mit zwölf Strahlen, um-
geben ist.


Ich weiss sehr wohl, dass man den Stadtnamen Ilium
(Ἴλιος oder Ἴλιον) vom Sanskritworte vîlu, Festung, und
Ἥλιος von einem verlorenen Masculinum zu Σελήνη,
vielleicht von Σείριος, ableiten will, und doch drängt
sich beim Anblick des vorerwähnten Stücks Terracotta
mit den fünf Sonnen im Kreise um die Centralsonne
unwillkürlich der Gedanke mir auf, dass hier tausend
[80]etymologie des namens ΙΛΙΟΣ.
und aber tausend mal wiederkehrende Sonnenbild müsse
durchaus der Name der Stadt Troja, nämlich Ἴλιος
sein, denn Ἴλιον kommt ja nur ein einziges mal im Homer
(Ilias, XV, 71) vor, der sonst stets Ἴλιος sagt und dies
Wort immer als Femininum gebraucht. Homer sagt
zwar immer Ἠέλιος anstatt Ἥλιος, aber nach meiner An-
sicht ist das Stammwort beider ἕλη oder εἵλη vom Verbum
αἱρέω, dessen Aorist εἷλον ist. In Deutschland spricht
man, nach der Erasmischen Aussprache, εἵλη zwar heilä
und εἷλον heilon aus, aber im Neugriechischen spricht
man εἵλη: „ili“, εἷλον: „ilon“ und Ἥλιος: „ilios“ aus;
dass aber die Erasmische Aussprache grundfalsch und
die neugriechische die richtige ist, dafür gibt es ja gar
viele Beweise, und will ich von diesen nur anführen,
dass alle griechischen Wörter, die in die russische Sprache
übergegangen sind, als Russland vor 900 Jahren das
Christenthum angenommen hat, ganz genau so auf rus-
sisch ausgesprochen werden, als dies noch jetzt in
Griechenland der Fall ist, und ausserdem, dass die Ent-
zifferer der assyrischen Keilinschriften, ich glaube
besonders J. Oppert in Paris, nachgewiesen haben, dass
die in denselben aus der Zeit der Seleuciden vorkom-
menden griechischen Namen genau nach neugriechischer
Aussprache durch die Cuneiformschrift wiedergegeben
sind. Wenn nun aber aus dem Worte εἵλη, ἕλη oder
εἷλον, Ἠέλιος und Ἥλιος entstanden ist, so kann doch
wohl durch die Gleichheit der Aussprache aus einem
der erstern drei Worte in einer vorhomerischen Zeit
Ἴλιος im Femininum für πόλις Ἡλίου oder Ἰλίου ent-
standen sein mit der Bedeutung „Sonnenburg“, denn
die früheste Bedeutung von πόλις ist jedenfalls Burg,
[81]aruṇa.
Festung oder Akropolis, wie z. B. Ilias, VI., 88, 257, 317;
XXII. 383.


Obgleich ich wohl weiss, dass die Aegyptologen bis-
jetzt keine Verwandtschaft zwischen der Hieroglyphen-
und der Sanskritsprache gefunden haben, so kann ich
doch nicht umhin hinzuzufügen, dass ich vor drei Jahren
im Institut de France einem Vortrag des Vicomte de
Rougé beiwohnte, welcher in einem Papyrus die Namen
der gegen Rameses III. verbündeten Mächte, und unter
diesen den Staat Arouna oder Aruna gefunden hatte,
welchen er ohne Bedenken mit Ilium identificirte, da er
meinte, letzteres Wort könne in der Hieroglyphensprache
nur so wiedergegeben werden. Merkwürdigerweise
aber heisst nach Max Müller (Essays, II, 324) und Adal-
bert Kuhn (Herabkunft des Feuers, S. 59) das Sanskrit-
wort Aruṇa: „Wagenlenker der Sonne.“ Ich überlasse
es den Aegyptologen und Sanskritgelehrten zu beurtheilen,
ob und wieweit dies zur Bestätigung des Vorstehenden
beitragen kann.


Obgleich ich seit den griechischen Ostern 1 Piaster
mehr, also jetzt 10 Piaster oder 2 Frs. Tagelohn zahlen
muss, so arbeite ich doch nun mit 130 Mann und hoffe
bestimmt bis zum 1. October d. J. meine grosse Plate-
forme, genau in der auf dem Plane angegebenen Breite,
durch den ganzen Berg zu graben, denn während meine
Frau und ich mit 85 Arbeitern auf der Plateforme an
der Nordseite beschäftigt sind, arbeitet uns seit zehn Tagen
Georgios Photidas mit 45 Mann auf einer zweiten Plate-
forme von der Südseite entgegen. Leider aber ist die
Senkung des Berges auf der Südseite so gering, dass
wir, um Raum und Leichtigkeit zur Fortschaffung des
Schliemann, Troja. 6
[82]bollwerk aus der zeit des lysimachos.
Schuttes zu haben, gezwungen waren dieselbe in 5 Me-
ter Tiefe unter der Bergfläche anzufangen; wir geben
ihr aber eine Senkung von 14°, sodass sie schon in
ungefähr 75 Meter Länge den Urboden erreichen muss.
Auf dieser südlichen Plateforme hat Georgios Photidas
das Commando ganz allein, denn er zeigt sich als ein
sehr gewandter Ingenieur und arbeitet mittels seiner
geschickt angelegten Seitenterrassen mit grosser Schnel-
ligkeit vorwärts; er hat aber bisjetzt nur sehr leichte
Trümmer fortzuschaffen und ist noch nicht auf jenen
steinharten, zähen, feuchten Schutt gestossen, den ich
auf meiner Plateforme in 10 bis 16 Meter Tiefe finde.
Er hat heute ein herrliches, aus grossen schön behauenen
Muschelkalksteinen und ohne Cement oder Kalk gebau-
tes Bollwerk ans Licht gebracht, das mir aber nicht
älter zu sein scheint als die Zeit des Lysimachos. Es
ist uns zwar sehr im Wege, aber es ist zu schön und
ehrwürdig, als dass ich wagen könnte Hand daran zu
legen, und es soll erhalten bleiben. Man sieht es gleich
links auf Tafel 109.


Auf dieser Südseite ist die Schuttaufhäufung aus
griechischer Zeit viel bedeutender als an der Nordseite und
auf der Bergfläche, und bisjetzt findet Georgias Photidas
noch immer griechische Töpferarbeit und jene runden
Stücke Terracotta mit zwei Löchern an einem Ende,
welche in meinen bisherigen Ausgrabungen bereits in
2 Meter Tiefe ganz aufhörten. Die meisten dieser
runden Stücke haben den bereits früher erwähnten
Töpferstempel, welcher über einem Altar eine Fliege
oder Biene mit ausgebreiteten Flügeln darstellt.


Auch der Plateforme an der Nordseite habe ich, um
[83]ruinenschichten.
die unsagliche Mühe zu sparen, dieselbe um 2 Meter
niedriger zu machen und somit 3000 Kubikmeter Schutt
davon wegzuräumen, auf eine Strecke von 20 Me-
ter eine Senkung von 10° gegeben, sodass ich dort
auf dem Urboden weiter arbeite. Dieser Urboden be-
weist zur Genüge, dass alle jene gewaltigen Massen un-
geheuerer, meistentheils mehr oder weniger behauener
Steine, mit denen ich — wie erwähnt — in einer Tiefe
von 10 bis 14 Meter fortwährend zu kämpfen hatte,
von grossen Gebäuden herrühren, die im Laufe von
Jahrhunderten das eine auf den Ruinen des andern er-
richtet worden sind, denn es scheint mir nicht denkbar,
dass selbst ein grosser Palast, wäre er auch sechs Stock-
werke hoch, diese kolossalen Ruinen zurücklassen könnte,
die, da sie bis zum Fels gehen, eine Höhe von 6 Metern
haben.


Seit einigen Tagen haben diese Steinmassen nach-
gelassen; wir finden aber fortwährend viele einzelne
grosse Steinblöcke. Statt der Steinschichten haben wir
aber jetzt auf der ganzen 70 Meter breiten Plateforme,
bis 6 Meter Höhe, und somit in einer Tiefe von 10 bis
16 Meter, eine feuchte, steinharte Wand von mit klei-
nen Muscheln, Knochen, Eberzähnen u. s. w. vermischter
Asche, ganz wie jene, welche wir früher nur am öst-
lichen Ende fanden, vor uns. Dieser Schutt ist so zähe,
dass wir ohne Anlegung von Schornsteinen und Ab-
brechung der Wände mittels ungeheuerer eiserner Hebel
nie damit fertig werden könnten.


Die mit grösserer Tiefe zunehmenden Zeichen höherer
Civilisation, auf welche ich wiederum in meinem letzten
Bericht bei Gelegenheit der grossen Urne mit assyrischen
6*
[84]irdene doppelbecher und andere thongefässe.
Verzierungen hinwies, dauern bis zum Urboden fort,
und ich finde dicht über demselben eine grosse Menge
Bruchstücke glänzend schwarzer, auch bisweilen rother
und brauner, mit eingeschnittenen Verzierungen ge-
schmückter Töpferarbeit so ausgezeichneter Qualität,
wie sie mir bisjetzt selbst in den höchsten Schichten
unter den Trümmern aus griechischer Zeit noch nie vor-
gekommen ist. Auch fand ich mehrere Bruchstücke von
Bechern, deren unterer Theil auch einen, obwol nicht
grossen, Becher bildet, und ich zweifle daher nicht daran,
dass es Bruchstücke von Doppelbechern (δέπας ἀμφικύ-
πελλον) sind. Bei Homer scheinen zwar alle Doppel-
becher von Gold oder Silber mit vergoldetem Rand zu
sein (z. B. Ilias, XI, 633—635; Odyssee, XV, 116 und 446),
doch zweifle ich nicht, dass es gleichzeitig auch irdene
Doppelbecher gab.


Die übrigen Gefässe, wovon ich Bruchstücke fand,
sind, wie zwei auf jeder Seite nebeneinander fortlaufende
Röhren beweisen, zum Tragen an Schnüren bestimmt
gewesen. Auch den Kopf einer glänzend schwarzen
Kanne mit hintenüber gebogenem, schnabelartigem
Munde fand ich auf dem Urboden, sowie ein Bruchstück
eines weissbemalten, durch horizontal gezogene schwarze
Streifen in zwei Fächer getheilten Gefässes; das obere
Fach enthält wellenförmig gezogene schwarze Linien,
welche wol Wasser vorstellen sollen, während das un-
tere gefüllt ist mit einer Reihe pfeilartiger Verzierungen,
die einen viereckigen, spitzzulaufenden Kopf haben, in
dessen Mitte immer ein Punkt ist.


Von grossen Wasser- oder Leichenurnen fand ich
in gleicher Tiefe Bruchstücke mit eingravirten Ver-
[85]verschiedene terracotten.
zierungen verschiedener Art, auch ein durch mehrere
mit einer weissen Masse ausgefüllte Linien und vier Reihen
Punkte ringsum verziertes viereckiges Stück von schwarz
bemalter Terracotta, welches, wie die Form der obern
und der untern Seite und zwei durchgehende Löcher
zu beweisen scheinen, als Einsatz und Verzierung eines
hölzernen Schmuckkästchens gedient haben muss; es ist
mit so viel Symmetrie gemacht, und hat ein so feines
Ansehen, dass ich zuerst dachte, es sei mit Elfenbein
ausgelegtes Ebenholz. Eine Zeichnung dieses Stückes
findet sich im Anhange Tafel 20.


In 8 Meter Tiefe fand ich ein 4 Centimeter langes,
mit einem Loch zum Aufhängen versehenes Petschaft
von Terracotta, auf welchem man eine Menge Zeichen
sieht, die dem alten Koppa ähnlich sind, wie es auf den
korinthischen Münzen geprägt ist.


In 5 Meter Tiefe fand ich heute einen sehr hüb-
schen Topf mit drei Füssen, der jedenfalls eine Frau,
wahrscheinlich die ilische Minerva vorstellen soll, denn
er hat zwei Brüste und einen Bauchnabel.


Die Schlangen scheinen durch die eingetretene
warme Witterung aus ihrem Winterlager gelockt wor-
den zu sein, denn seit zehn Tagen sah ich keine mehr.


Bei allen Beschwerden und Drangsalen in den Aus-
grabungen hat man unter andern Annehmlichkeiten
auch die, dass man niemals Zeit hat sich zu langweilen.


[86]mauern zur fortschaffung d. schuttes errichtet.

IX.



Seit meinem Berichte vom 11. d. M. hatten wir,
heute mitgerechnet, leider wieder drei grosse und zwei
kleine griechische Festtage, und ich habe somit eigent-
lich nur sieben ordentliche Arbeitstage in diesen 12 Tagen
gehabt. So arm die Leute sind und so gerne sie arbei-
ten wollen, so sind sie doch nicht zu überreden, an den
Feiertagen selbst der unbedeutendsten Heiligen zu ar-
beiten, und μᾶς δέρνει ὁ ἅγιος (es schlägt uns der Heilige)
ist die stete Antwort, die ich kriege, wenn ich die armen
Leute zu bereden suche, gegen höhern Lohn von ihrem
Aberglauben abzustehen.


Zur Beschleunigung der Arbeiten habe ich nun 5
und 6 Meter über der grossen Plateforme, am Ost- und
am Westende derselben, Terrassen machen und behufs
Fortschaffung des Schuttes in dieser Höhe Mauern von
grossen Steinblöcken errichten und den Zwischenraum
mit Schutt füllen lassen. Die kleinere Mauer schien mir
nicht stark genug und ich hielt die Arbeiter ferne da-
von; sie hielt auch den Druck nicht aus und stürzte ein,
als sie kaum fertig war. Auf die grössere höhere Mauer
war sehr viel Mühe verwandt, sie war ausschliesslich
[87]gefahren bei den ausgrabungen.
aus grossen, meistentheils behauenen Steinen erbaut,
und alle, selbst Georgios Photidas, meinten, sie könne
Jahrhunderte halten. Dennoch wollte ich am folgenden
Tage einen Stützpfeiler von grossen Steinblöcken er-
richten, um das Fallen der Mauer unmöglich zu machen,
und waren sechs Mann damit beschäftigt, als sie plötzlich
mit donnerndem Krachen einstürzte. Mein Schreck war
entsetzlich, unbeschreiblich, denn ich glaubte, die sechs
Menschen wären unter der Steinmasse begraben; zu
meiner übergrossen Freude aber hörte ich sogleich, dass,
wie durch ein Wunder, alle gerettet waren.


Bei aller Vorsicht sind und bleiben Ausgrabungen,
wo man es mit Erdwänden von 53½ Fuss senkrechter
Tiefe zu thun hat, immer sehr gefährlich. Das Schreien:
„guarda, guarda!“ nützt nicht immer, weil diese Worte
fortwährend auf verschiedenen Stellen gerufen werden;
viele Steine rollen auch von den steilen Erdwänden herab,
ohne dass die Gräber es bemerken, und wenn ich den
ganzen Tag lang die furchtbare Gefahr sehe, der wir
alle ausgesetzt sind, so kann ich, wenn ich des Abends
nach Hause komme, nicht umhin, Gott inbrünstig zu dan-
ken für den grossen Segen, dass noch wieder ein Tag
ohne Unglück hingegangen ist. Ich kann auch noch
immer nicht ohne Entsetzen daran denken, was
aus der Aufdeckung Iliums und was aus mir geworden
wäre, wenn die sechs Mann von der fallenden Mauer zer-
malmt worden wären; kein Geld und keine Versprechun-
gen hätten mich dann retten können; die armen Witwen
hätten mich in ihrer Verzweiflung zerrissen, denn das
haben die trojanischen Frauen mit allen Griechinnen
gemein, dass der Mann, mag er alt oder jung, reich
[88]uraltes gebäude auf d. westlichen terrasse.
oder arm sein, Alles bei ihnen ist und Himmel und
Erde nur von secundärem Interesse für sie sind.


Auf der neu angelegten westlichen Terrasse, un-
mittelbar neben meiner vorjährigen Ausgrabung, haben
wir einen Theil eines grossen Gebäudes blossgelegt,
dessen Wände eine Dicke von 1 Meter 90 Centimeter
oder 6¼ Fuss haben und aus mit Lehm verbundenen,
grösstentheils behauenen Muschelsteinen bestehen, von
denen keiner mehr als ½ Meter lang zu sein scheint
und die so geschickt zusammengelegt sind, dass die
Wand eine glatte Fläche bildet. Dies Haus ist in 6 Me-
ter Tiefe auf einer Schicht gelber und brauner Asche
und Trümmer gebaut, und der erhaltene Theil der
Wände reicht bis 3 Meter unter des Berges Oberfläche.
In dem Hause, soweit wir bis jetzt gegraben haben,
fanden wir nur eine Vase mit zwei Brüsten nach vorne
und einer Brust auf der Seite und eine Menge jener
vielbesprochenen runden Terracottas in der Form des
Vulkans und des Carrousels, welche sämmtlich fünf oder
sechs vierfache aufgehende Sonnen im Kreis um die Central-
sonne haben. Diese Gegenstände, die Tiefe von 6 Me-
ter, sowie die beschriebene Bauart der Wände lassen
keinen Zweifel darüber, dass das Haus Jahrhunderte vor
der Gründung der griechischen Colonie gebaut wurde,
deren Trümmer ja nur eine Tiefe von 2 Meter er-
reichen. Ein grosses Interesse gewährt es mir, von
der grossen Plateforme aus, also in einer senk-
rechten Höhe von 33½ bis 43½ Fuss, dies uralte Ge-
bäude, welches 1000 Jahre vor Christo errichtet sein mag,
gleichsam in der Luft schweben zu sehen. Aber zu
meinem Leidwesen muss es auf jeden Fall wegge-
[89]die trümmerschichten unter dem gebäude.
brochen werden, um tiefer graben zu können.
Wie gesagt, ist unmittelbar unter diesem Hause eine
Schicht von Trümmern und gelber und brauner Asche,
und folgen darauf bis zur Terrasse noch vier andere
Schichten von Asche und sonstigem Hausschutt, deren
jede die Ueberbleibsel wenigstens eines Hauses reprä-
sentirt. Unmittelbar über der Terrasse, somit 4 Me-
ter unter den Fundamenten jenes uralten Hauses, finde
ich eine von grossen Muschelkalksteinen erbaute Wand
von 1 Meter 40 Centimeter Dicke, die ich erst in meinem
nächsten Berichte beschreiben kann, denn ein grosser
Theil des erwähnten Gebäudes und kolossale Massen
von den obern Schuttschichten, auch eine 8 Meter dicke
und 6 Meter hohe Erdwand von der Terrasse selbst
müssen weggebrochen werden, ehe ich im Stande sein
werde, einen Theil dieser Mauer blosszulegen und zu
untersuchen, wie tief sie geht. Reicht sie bis zum Ur-
boden oder auch nur annähernd dahin, dann will ich sie
mit Ehrfurcht bewahren. Es ist aber doch eine wirk-
lich merkwürdige Thatsache, dass dies die erste von
grossen Steinen erbaute, wirkliche Mauer ist, die ich
bisjetzt in 10 bis 16 Meter Tiefe fand, und ich kann
dies in Betracht der kolossalen Masse der, besonders in
11 bis 16 Meter Tiefe, lose und unregelmässig zusam-
menliegenden Steine nicht anders erklären, als dass
die Häuser der Trojaner von durch Lehm verbundenen
Muschelkalksteinen erbaut und daher leicht zerstörbar
waren.


Wenn die Ausgrabungen durch kein Unglück gestört
werden, dann hoffe ich jedenfalls in dieser Beziehung
sehr bald interessante Entdeckungen zu machen.


[90]verziertes gefäss; terracotten mit thieren und sonne.

Leider habe ich seit 12 Tagen wenig von der un-
tern festen Erdwand losbrechen können, da ich zur
Vermeidung der Lebensgefahr mich ganz besonders mit
der Anlegung und Vergrösserung der Seitenterrassen
beschäftigen musste. Jetzt aber habe ich riesige eiserne
Hebel von 3 Meter Länge und 16 Centimeter Um-
fang angeschafft, und hoffe somit fortan die härtesten
Erdwände, von 3 Meter Dicke, 20 Meter Breite und 5
bis 8 Meter Höhe, mittels Winden auf einmal nieder-
brechen zu können. In dem Wenigen, was dieser Tage von
der untern Erdwand losgebrochen ist, finde ich wieder-
holt die unwiderlegbarsten Beweise höherer Civilisation,
und will nur ein vor mir liegendes, in 15 Meter
Tiefe gefundenes Bruchstück eines glänzend dunkel-
grauen Gefässes erwähnen, welches wol 60 Centimeter im
Durchmesser gehabt haben mag und auswendig und in-
wendig Verzierungen zeigt, die in eingravirten horizon-
talen und wellenförmigen Linien bestehen. Erstere, in
Streifen von je fünf Linien, bilden drei Fächer, wovon das
unterste mit acht, das folgende mit fünf wellenförmigen
Linien geschmückt ist, welche wol die Meereswogen
vorstellen sollen; von dem darauffolgenden Fach ist
nichts erhalten; die Dicke des Thons ist genau 1½ Cen-
timeter. Das Stück ist auf Tafel 26 abgebildet.


In meinem Berichte vom 25. v. M. erwähnte ich die
Auffindung eines jener runden Stücke Terracotta, auf
dem drei Thiere mit Geweihen im Kreise um die Cen-
tralsonne eingravirt waren. Es sind seitdem noch vier
dieser merkwürdigen Stücke mit ähnlichen Darstellungen
vorgekommen. Auf dem einen, welches in 6 Meter
Tiefe gefunden wurde, stehen nur zwei Thiere mit Ge-
[91]terracotten mit thierbildern.
weihen im Kreise um die Sonne, und sieht man am Ende
jedes Geweihes, mit demselben zusammenhängend,
ein höchst sonderbares, einem grossen Leuchter oder
Weihrauchbecken ähnliches Zeichen, welches jedenfalls
ein besonders wichtiges Symbol darstellt, denn es
kommt hier mehrfach alleinstehend vor; die Abbildung
dieser Terracotte ist Tafel 2, No. 35; aber eine ähnliche
ist auf Tafel 9, No. 296. Auf einem anderen, Tafel 9,
No. 298 dargestellten Stücke sieht man unten einen roh
dargestellten Menschen, der zu beten scheint, denn er
hat beide Arme gen Himmel gerichtet, derselbe erin-
nert in dieser Stellung lebhaft an die Eulengesichts-
vasen mit den beiden emporgehobenen Armen; links
davon ist ein Thier mit nur zwei Füssen und zwei Bäu-
men auf dem Rücken. Die Indologen werden vielleicht
finden, dass dies den Falken vorstellen soll, in dessen
Gestalt der Sonnengott den heiligen Sôma-Baum vom
Himmel raubte. Dann folgen zwei Thiere mit zwei Hör-
nern, wahrscheinlich Antilopen, die man so häufig auf
den alten griechischen Vasen sieht und welche im
Rigvêda immer den Wagen der Winde ziehen. Auf
einer dritten, Tafel 9 unter No. 299 abgebildeten Terra-
cotta, sieht man drei dieser Antilopen mit einer und zwei
Reihen Sterne über dem Rücken, welche vielleicht den
Himmel vorstellen sollen; dann fünf Feuermaschinen unse-
rer arischen Urväter; dann ein Zeichen im Zickzack, wel-
ches, wie ich schon früher erwähnt habe, nichts anderes
als den Flammenaltar bedeuten kann. Auf dem vierten,
Tafel 9, No. 288 abgezeichneten Stücke bilden vier Hasen,
welche das Symbol des Mondes sind, ein Kreuz um die
Sonne und stellen wol die vier Jahreszeiten dar.


[92]radförmige terrac. als symbole des sonnenwagens.

In 14 Meter Tiefe wurden heute zwei jener runden
Stücke von herrlich glänzender schwarzer Terracotta ge-
funden, die nur 1½ Centimeter hoch sind, aber 6 Centi-
meter im Durchmesser haben und fünf dreifache aufge-
hende Sonnen und fünf Sterne im Kreise um die Central-
sonne darstellen. Alle diese Verzierungen, welche, wie
immer, eingravirt sind, sind mit einer sehr feinen weissen
Masse ausgefüllt. Beim Anblick dieser seltsamen Stücke,
wovon eins Tafel 3, No. 70 dargestellt ist, und die ganz
die Form des primitiven Wagenrades haben, drängte
sich unwillkürlich der Gedanke mir auf, sie seien
Symbole des Sonnenwagens, der bekanntlich im Rigvêda
durch das Rad symbolisirt wird, und alle und jegliche
in den höhern Schichten vorkommenden Stücke, deren
Form zwar wegen grösserer Dicke von der des Rades
etwas abweicht, aber doch immer noch grosse Aehnlich-
keit mit demselben behält, könnten nichts anderes sein als
entartete Darstellungen des Sonnenrades. Ich vermuthe
dies um so mehr, als nicht nur die Sonne auf allen runden
Terracottas im Mittelpunkt ist, sondern auch die-
selbe fast immer umgeben ist von einem, zwei, drei, vier
oder fünf Kreisen, welche die Naben des Rades vor-
stellen mögen. In 16 Meter Tiefe wurde eine runde
Terracotta, welche Tafel 8, No. 266 unter den Abbil-
dungen vorkommt, gefunden, die kaum 2½ Centimeter im
Durchmesser und ½ Centimeter Dicke hat; man sieht auf
derselben 5 nabenähnliche Kreise um den Mittelpunkt
und zwischen dem vierten und sechsten Kreise kleine
schräg gezogene Strichelchen, die vielleicht die Drehung
des Rades anzeigen sollen.


Bei dieser Gelegenheit zurückkommend auf die in
[93]die zeichnungen d. terrac. von s. 29 keine buchstaben.
meinem Berichte vom 18. November v. J. besprochene
runde Terracotta, deren Abbildung Tafel 2, No. 61 ist, muss
ich jetzt zu meinem Leidwesen die bestimmte Ueber-
zeugung aussprechen, dass keine Buchstaben, sondern
nur symbolische Zeichen darauf stehen, dass z. B. das
obere Zeichen, welches man fast ganz so auf der Ter-
racotta Tafel 9, No. 298 findet, durchau seinen Menschen
in betender Stellung vorstellen muss, und dass die links
folgenden drei Zeichen keinesfalls etwas anderes sein kön-
nen als die Feuermaschine unserer arischen Vorväter,
das wenig oder gar nicht veränderte

[figure]

(svastika). Das
darauffolgende Zeichen, welches mit dem vierten und
sechsten Zeichen zusammenhängt, finde ich auch, wenig-
stens sehr annähernd, in dem Bilde Tafel 13, No. 432 wieder,
aber ich wage noch nicht, eine Meinung darüber auszu-
sprechen, was es bedeuten soll. Das sechste Zeichen (das
fünfte von der betenden Figur) ist dem phönizischen Buch-
staben „Nun“ sehr ähnlich, kann aber nach meiner Mei-
nung kein Buchstabe sein; denn wie wäre es nur möglich,
einen einzelnen semitischen Buchstaben zwischen arischen
religiösen Symbolen zu finden? Seine grosse Aehnlich-
keit mit dem Zickzackzeichen Tafel 11, No. 356 und Ta-
fel 4, No. 124 und 125, in welchem ich den Blitz erkenne,
führt mich zur Vermuthung, dass es ebenfalls nur den
Blitz vorstellen kann.


Alle die primitiven symbolischen Zeichen der ari-
schen Rasse, die ich auf den trojanischen Terracottas
finde und wovon ich die verschiedenen Arten in den
Abbildungen im Anhange gebe, müssen Zeichen guter
Bedeutung sein, denn wol nur solche konnte man auf
diese hier zu Tausenden vorkommenden Thonstücke
[94]formen aus glimmer- und chloritschiefer.
setzen, in denen ich jetzt, wie gesagt, das Rad, das
Symbol des Sonnenwagens, zu erkennen glaube. Den-
noch aber erinnern diese symbolischen Zeichen lebhaft an
die „σήματα λυγρά“ und „ϑυμοφϑόρα“, welche der König
Proitos von Tiryns dem Bellerophontes an seinen
Schwiegervater in Lykien mitgab (Ilias, VI., 168—170):
πέμπε δέ μιν Λυκίηνδε, πόρεν δ̕ ὅγε σήματα λυγρά, γράψας ἐν
πίνακι πτυκτῷ ϑυμοφϑόρα πολλά, δεῖξαι δ̕ ἠνώγειν ᾧ πενϑερῷ,
ὄφρ̕ ἀπόλοιτο.


Hätte er ihm dagegen ein Glückszeichen, z. B. ein

[figure]

auf dem doppelten Täfelchen eingeritzt, so hätte dies
bestimmt hingereicht, ihm die beste Aufnahme und
Schutz zu sichern. Er gab ihm aber Todeszeichen mit,
damit er getödtet werden sollte.


Die in meinem Berichte vom 18. November v. J. erwähn-
ten, in 7½ Meter Tiefe auf einem Terracotta-Scheibchen
gefundenen fünf Zeichen, die ich für phönizisch hielt, ha-
ben sich leider nicht als solche herausgestellt, denn Herr
Ernest Renan in Paris, dem ich das Scheibchen einsandte,
erkennt nichts Phönizisches in den Zeichen und behaup-
tet auch, dass ich nichts der Art in Troja würde finden
können, da die Phönizier nicht die Gewohnheit hatten,
auf Terracotta zu schreiben, und überdies, ausser der
neuentdeckten Inschrift des Mesa, noch nie eine phö-
nizische Inschrift gefunden sei, die über 500 Jahre vor
Christo hinausginge.


Noch kann ich, in Bezug auf meine vorjährigen Ausgra-
bungen, bemerken, dass ich jetzt viereckige, 15 und bis
27½ Centimeter lange, 4½ und bis 9 Centimeter dicke
Stücke Glimmerschiefer und Chloritschiefer gefunden
habe, welche auf allen vier Seiten, mehrere sogar
[95]abwesenheit von kellern.
auf sechs Seiten Formen oder Mulden zum Giessen von
Waffen und Werkzeugen haben, und dass die in meinem
Berichte vom 18. November v. J. erwähnten cannelirten
Stücke nichts anderes sind als Bruchstücke ähnlicher
Formsteine; das glänzende, glasurähnliche Aussehen er-
hält dieser Schiefer, wie es scheint, durch blosses Po-
liren.


Von Kellern, wie man sie in civilisirten Ländern
hat, finde ich bisjetzt weder in den Trümmerschichten
griechischer, noch in denen vorgriechischer Zeit die ge-
ringste Spur; dieselben scheinen überall durch ir-
dene Behälter ersetzt worden zu sein, von denen ich
auf meiner südlichen Plateforme, in den Schuttschichten
griechischer Zeit, bereits zehn Stück unversehrt heraus-
grub, welche eine Höhe von 1 Meter 85 Centimeter bis 2 Me-
ter und einen Durchmesser von 90 Centimeter bis 1 Meter 25
Centimeter haben, aber ohne Verzierungen sind. Sieben
dieser πίϑοι schickte ich an das Museum in Konstantinopel.


In den Trümmerschichten vorgriechischer Zeit finde
ich eine ungeheuere Menge solcher πίϑοι, jedoch gelang
es mir bisjetzt nur zwei derselben aus 8 Meter Tiefe
unversehrt herauszunehmen; dieselben haben eine Höhe
von 1 Meter 10 Centimeter und einen Durchmesser
von 68 Centimeter; es sind auf denselben nur unbedeu-
tende Verzierungen.


Ich konnte in meinem letzten Bericht eine Vermin-
derung der mir auf der grossen Plateforme den Weg
sperrenden Steinmassen melden, muss aber heute leider
wieder eine bedeutende Zunahme derselben berichten.


Ich habe jetzt, in kaum 300 Meter Abstand von
meinem Hause, auf der Südseite, am Fusse der Hoch-
[96]entdeckung der latomie. meine dienste als arzt.
ebene von Ilium, gerade senkrecht unter dessen
zertrümmerter Ringmauer, die von Lysimachos erbaut
zu sein scheint, die Latomie entdeckt, aus der alle diese
kolossalen Massen Muschelkalksteine stammen, welche
von den Trojanern und ihren Nachfolgern bis nach Christo
zum Bau ihrer Häuser und Mauern verwandt worden
sind, die meinen Arbeitern und mir so unsaglich viel
Angst, Mühe und Sorgen bereiten. Der Eingang
der Latomie, die von den eingeborenen Griechen und
Türken „lagum“ (Mine oder Tunnel, vom ins türkische
übergegangenen arabischen Worte [...]) genannt wird,
ist verschüttet, aber, wie man hier allgemein versichert,
ist er noch vor 20 Jahren offen gewesen, und, wie
meine Untersuchungen erwiesen haben, war er sehr
gross. Die Stadt hat, wie eine kleine sich unterhalb
der Latomie weit ausdehnende Anhöhe zu beweisen
scheint, auf dieser Stelle doppelte Ringmauern gehabt,
und dies war nöthig, weil sonst der Feind ohne
weiteres in die unter der Stadtmauer befindliche La-
tomie hätte dringen können, zu der der Eingang von
aussen war.


Unglücklicherweise bin ich hier, ohne eine Idee von
Arzneikunde zu haben, als Arzt berühmt geworden,
weil das grosse Quantum Chinin und Tinctura Arnicae,
welches ich mitgebracht habe und freigebig austheilte,
im October und November v. J. hier alle Wunden und
alle Fieberkranken heilte. Infolge dessen wird jetzt
meine kostbare Zeit auf eine lästige Weise von
Kranken in Anspruch genommen, die oft viele Meilen
weit herkommen, um durch meine Medicin und meinen
Rath zu genesen; denn in allen Dörfern hiesiger Gegend
[97]krankenheilungen durch baden.
ist der Priester der Gemeindearzt, und da er selbst keine
Medicin besitzt, auch nichts davon versteht, und immer
einen angeborenen Ekel gegen kaltes Wasser und alle
Arten von Waschungen hat, so gebraucht er nie ein
anderes Mittel als Aderlassen, welches natürlich die ar-
men Leute zu Grunde richtet. Oft zeigen schon die
Runzeln rechts und links neben den Lippen der 10- und
12jährigen Kinder, dass der Pfaffe ihnen bereits mehr-
mals Blut abgezapft hat. Ich hasse aber das Blutver-
giessen und schwärme für Kaltwassercur; ich lasse daher
niemand zur Ader und verordne fast bei allen Krank-
heiten die Seebäder, die hier, ausser mir, der ich keine
Zeit dazu habe, allen zu Gebote stehen. Meine Ver-
ordnung dieser Bäder hat ein solches Vertrauen und
sogar Enthusiasmus erweckt, dass selbst Frauen,
welche zu sterben glaubten, wenn sie ihren Körper mit
kaltem Wasser berührten, jetzt freudig ins Meer gehen
und untertauchen. Unter andern wurde vor 14 Tagen
ein 17jähriges Mädchen aus Neo-Chori zu mir gebracht;
ihr Körper war mit Geschwüren bedeckt, besonders das
Gesicht, und ein furchtbares Geschwür auf dem linken
Auge hatte dasselbe geblendet; sie konnte kaum
sprechen, nicht gehen oder stehen, hatte, wie ihre Mutter
versicherte, gar keinen Appetit, ihre Brust war einge-
fallen und sie hustete. Ich sah sogleich, dass nur durch
furchtbares Aderlassen und daraus entstandenen Blut-
mangel alle jene Leiden entsprungen waren, und fragte
daher nicht ob, sondern nur wieviel mal ihr Blut ab-
gezapft wäre. Die Antwort war, sie hätte sich erkältet
gehabt und der Dorfpriester hätte ihr siebenmal in einem
Monat zur Ader gelassen. Ich gab ihr einen Löffel voll
Schliemann, Troja. 7
[98]krankenheilungen.
Castoröl ein und verordnete täglich ein Seebad; ferner
dass ihr Vater bei ihr, sobald sie zu Kräften gekommen
sein würde, eine einfache passive Gymnastik, die ich
genau beschrieb, anwenden solle, damit die Brust her-
vortrete. Ich wurde gerührt, als dasselbe Mädchen heute
früh plötzlich auf der Plateforme erschien, sich vor mir
auf die Erde warf, meine schmuzigen Schuhe küsste
und mit Freudenthränen meldete, schon das erste See-
bad habe ihr Appetit gegeben, alle Geschwüre hätten
sofort angefangen abzutrocknen und seien verschwunden,
und nur mit dem linken Auge sähe sie noch nicht; sonst
wäre sie vollkommen gesund, denn selbst der Husten
hätte sich verloren. Natürlich kann ich das Auge nicht
curiren; es scheint mir aber nur mit einer Haut über-
zogen zu sein, und ich glaube, dass ein Augenarzt leicht
diese Haut abziehen könnte. Das Mädchen hatte die
drei Stunden Wegs von Neo-Chori zu Fuss gemacht, um
sich bei mir zu bedanken, und kann ich bezeugen, dass
dies das erste mal ist, wo man sich in der Ebene von
Troja für geleistete ärztliche Dienste und gelieferte
Arznei bei mir bedankt hätte; nur weiss ich nicht
recht, ob es das Gefühl reiner Dankbarkeit war, welches
das Mädchen zu mir trieb, oder die Hoffnung, ich
möchte noch ein anderes Mittel wissen, das blinde Auge
sehend zu machen.


Die Hitze hat hier seit einigen Tagen bedeutend
zugenommen und das Thermometer zeigt den ganzen
Tag 24 und 25 Grad Réaumur im Schatten.


[99]anlegung einer dritten plateforme.

X.



Seit meinem Berichte vom 23. v. M. habe ich mit
Einwilligung meines geehrten Freundes, des Herrn Frank
Calvert, und unter der Bedingung, die zu findenden Ge-
genstände mit ihm zu theilen, auf dessen Hälfte dieses
Berges unmittelbar neben meiner grossen Plateforme
in 12 Meter senkrechter Tiefe unter der Bergfläche
eine 31 Meter breite dritte Plateforme mit einer 34
Meter breiten obern Terrasse angelegt und lasse dort
70 Arbeiter graben, denn unmittelbar neben dem Rande
des steilen nördlichen Abhangs finde ich auf dieser
Stelle eine 34 Meter lange und 23 Meter breite vier-
eckige Senkung des Bodens, welche nur durch Aus-
grabungen entstanden sein kann, die schon vor Jahr-
hunderten von den nach Säulen oder andern nur ir-
gend als Grabmäler tauglichen Marmorblöcken suchen-
den Türken gemacht sind; sämmtliche alte türkische
Kirchhöfe in der Ebene von Troja und in deren Umge-
bung, ja selbst bis hinter Alexandria Troas, haben nämlich
Tausende von solchen Marmorblöcken, die alten Bauten
entlehnt sind. Die unzähligen Stücke Marmor, womit
die ganze Bergfläche des Herrn Frank Calvert bedeckt
7*
[100]triglyphenblock mit apollorelief.
ist, lässt keinen Zweifel, dass das Feld, jedenfalls jener
Theil desselben, wo die viereckige Senkung ist, von
türkischen Marmorsuchern durchgraben ist.


Kaum war diese meine dritte Plateforme wagrecht
in den Berg vorgerückt, so fand ich einen 2 Meter
langen, 86 Centimeter hohen und auf einer Seite 55, auf
der anderen 36 Centimeter dicken Triglyphenblock von
parischem Marmor, der in der Mitte eine 88 Centimeter
lange, 86Centimeter hohe Sculptur in Hautrelief hat, welche
den Phoebus Apollo darstellt, der in langem, mit einem
Gürtel versehenem Frauengewande auf vier unsterbliche,
das Weltall durcheilende Rennpferde gelehnt ist. Von
einem Wagen sieht man nichts. Ueber dem herrlichen,
wallenden, ungetrennten, aber nicht langen Haupthaar des
Gottes sieht man den Rand von ungefähr zwei Drittel der
Sonnenscheibe mit zehn Strahlen von 6 Centimeter und
zehn von 9 Centimeter Länge. Das Gesicht des Gottes
ist sehr ausdrucksvoll und die Falten seines langen Ge-
wandes sind so ausgezeichnet gearbeitet, dass sie leb-
haft an die Meisterwerke im Tempel der Νίκη ἄπτερος
in der Akropolis von Athen erinnern. Was aber besonders
meine Bewunderung erregt, sind die vier Hengste, die
wild vor sich hinblickend mit unendlicher Kraft das
Weltall durchschnauben und deren Anatomie so genau
beobachtet ist, dass ich aufrichtig bekenne, noch nie ein
solches Meisterwerk gesehen zu haben. Rechts und links
davon sind dorische Triglyphen; ein drittes Triglyph ist
auf der linken, 55 Centimeter dicken Seite des Marmor-
blocks dargestellt, während die rechte, 36 Centimeter
dicke Seite unbearbeitet ist. Oben und unten im Block
sind mit Blei befestigte Eisen, und in Betracht des
[101]bedeutung und entstehungszeit des reliefs.
Triglyphs der linken Seite vermuthe ich, dass diese
Metope neben einer andern Sculptur, die auf der rech-
ten Seite ebenfalls ein dorisches Triglyph hatte, die
Propyläen des Tempels geschmückt hat.


Vor allem ist hier das Vorhandensein des Sonnen-
gottes höchst merkwürdig, denn von einem Tempel der
Sonne in Troja weiss Homer nichts, und die spätere Ge-
schichte sagt uns kein Wort davon, dass es hier einen
solchen gab. Das Bild des Phoebus Apollo beweist
aber auch nicht, dass die Sculptur zu einem Tempel der
Sonne gehört haben muss; sie kann nach meiner Meinung
ebenso gut als Schmuck irgendeines andern Tempels
gedient haben.


Bereits in meinem Aufsatze vom 11. Mai habe ich
die Vermuthung gewagt, dass das Bild der Sonne, welches
ich hier tausend und abertausend mal auf den runden
Stücken Terracotta dargestellt finde, der Name oder das
Sinnbild der Stadt, nämlich ῎Ιλιος sein müsse, und ich
wage jetzt die Meinung auszusprechen, dass auf gleiche
Weise dieser Sonnengott in weiblicher Gestalt als
Symbol „τῆς ᾽ Ιλίου“ auf den Προπύλαια des Tempels der
ilischen Minerva geglänzt hat. Ich hörte von einem
gelehrten Freunde die Meinung aussprechen, dass dies
Meisterwerk aus der Zeit zwischen Perikles und Alexan-
der dem Grossen stamme, da die ausgestreckte Hand
des Sonnengottes sehr ähnlich derjenigen des Phoebus
Apollo auf den Münzen von Rhodos aus jener Epoche
ist. Nach Strabo (XIII, 1) aber fand Alexander der
Grosse bei seinem Besuche in Ilion einen winzigen
Tempel (εὐτελῆ ναόν) der ilischen Minerva vor, und
ein winziger Tempel kann wol solche Meisterwerke
[102]muthmassliche lage d. spätern u. alten minervatempels.
der plastischen Kunst nicht gehabt haben. Ausserdem
sieht mir der Kopf des Sonnengottes so alexandrinisch
aus, dass ich an der Geschichte festhalten und glauben
muss, dass dies Kunstwerk aus der Zeit des Lysimachos
stammt, der, nach Strabo, XIII, 1, nach Alexander’s des
Grossen Tode hier den von diesem nach der Unterwer-
fung des persischen Reichs der Stadt Ilion versproche-
nen neuen Tempel der ilischen Minerva baute.


Dass ich nun das Kunstwerk auf dem steilen Ab-
hange des Berges fand, während es doch nothwendiger-
weise auf der entgegengesetzten Seite, über dem Ein-
gang zum Tempel, gestanden haben muss, ist nur da-
durch erklärlich, dass die Türken, welche hier Grab-
säulen suchten, diese Sculptur verschmähten, weil sie
lebendige Geschöpfe darstellt, deren Nachahmung sehr
streng im Koran verboten ist.


Unter den Ruinen dieses Tempels hoffe ich die
Trümmer jenes von Alexander dem Grossen hier vor-
gefundenen winzigen Tempels zu finden. Es scheint
mir jedoch nicht wahrscheinlich, dass ich in den Tiefen
des letztern den alten trojanischen Tempel entdecke,
in welchem Hekabe durch die Priesterin Theano ihr
kostbarstes Gewand auf die Knie der Minerva legen
liess (Ilias, VI, 302—304): ῾ Η δ̕ ἄρα πέπλον ἑλοῦσα Θεανὼ
καλλιπάρῃος ϑῆκεν Ἀϑηναίης ἐπὶ γούνασιν ἠϋκόμοιο· εὐχομένη
δ̕ ἠρᾶτο Διὸς κούρῃ μεγάλοιο (und die schönwangige
Theano, das Gewand nehmend, legte es auf die Knie
der schönlockigen Athene und betete inbrünstig zur
Tochter des grossen Zeus). Nach dem aus der Asche
von Opferthieren bestehenden steinfesten Schutt zu ur-
theilen, der mir auf einer Strecke von 25 Meter am öst-
[103]einsturz einer erdwand; gefahren dabei.
lichen Ende meiner grossen Plateforme so unendlich
viele Schwierigkeiten machte, kann die Baustelle des
uralten Tempels unmöglich identisch sein mit der des
von Lysimachos erbauten; sie muss durchaus etwas
westlicher sein und etwa am westlichen Ende desselben
anfangen.


Nach meinem Berichte vom 23. v. M. fing ich an,
die steinfesten untern Erdwände mit jenen ungeheuern,
bereits beschriebenen eisernen Hebeln loszubrechen.
Es wollte mir jedoch nicht glücken, denn nachdem ich
an einer durch Schornsteine und Minen wohlvorberei-
teten, 5 Meter hohen, 5 Meter breiten und 3 Meter
dicken Erdwand drei Stunden lang mit 40 Mann gear-
beitet hatte, um sie mit den grossen Hebeln und Win-
den loszubrechen, und dies nur mit der allergrössten
Mühe gelungen, nachdem die dicksten Ketten mehrmals
gerissen waren, fiel die nächste Erdwand ganz von selbst
und begrub den Georgios Photidas und einen Arbeiter,
welche mit dem Untergraben beschäftigt waren und
sich durch untergestellte, 60 Centimeter hohe, 25 Centi-
meter dicke Holzblöcke, die mit 8 Centimeter dicken
Bretern bedeckt waren, vollkommen sicher geglaubt
hatten. Wir alle glaubten natürlich, die beiden Menschen
wären zermalmt unter der gewaltigen Stein- und Erd-
masse von 75 Kubikmetern, welche die dicken Breter
zersplittert hatte, und unser Schreck war entsetzlich.
Aber ohne einen Augenblick zu verlieren, gingen wir
an die Arbeit, die Unglücklichen herauszuholen. Kaum
hatten wir damit angefangen, so hörten wir das Aech-
zen beider unter der Erdlast, denn die Blöcke waren
nur umgefallen und unterstützten noch, in der Länge
[104]anlegung eines kanals längs des urbodens.
liegend, einigermassen die Wölbung, sodass den Leuten
etwas Luftraum zum Athemholen geblieben war. Die
Rettung aber konnte, der in mehrere grosse Scheiben
zerspaltenen Erdwand wegen, nicht ohne die grösste
Gefahr geschehen, und mussten beide Männer mit Mes-
sern herausgeschnitten werden; ich schnitt den Georgios
Photidas mit meinem Taschenmesser heraus, der andere
wurde von meinen Arbeitern herausgeschnitten.


Infolge dieses Ereignisses habe ich beschlossen,
von der grossen Plateforme aus nur erst einen oben 30,
unten 20 Meter breiten Durchstich den Urboden ent-
lang durch den ganzen Berg zu machen und erst nach
Vollendung desselben den übrigen Theil der grossen
Plateforme durchzustechen; denn dann werde ich im
Stande sein, zu beurtheilen, wie es am besten zu be-
werkstelligen ist. Ich lasse diesen 30 Meter breiten
Kanal in seiner ganzen Länge auf einmal in Angriff
nehmen und hoffe ihn so in zwei Monaten fertig zu
kriegen. Bei Grabung dieses Kanals fand ich, dass in
21 Meter Abstand vom Bergabhang der Urboden sich
allmählich um 2 Meter hebt, und da der Durchstich
nothwendigerweise dem Urboden folgen muss, so habe
ich von der Stelle ab den Schutt wieder auf die grosse
Plateforme werfen lassen und habe so auf derselben,
bis zum Bergabhange, einen 20 Meter breiten, 2 Meter
hohen Damm gebildet.


Wären es nicht die herrlichen Terracottas, die ich
ausschliesslich auf dem Urboden und bis 2 Meter
über demselben finde, dann würde ich beschwören, dass
ich in 8 und genau bis 10 Meter Tiefe in den Trümmer-
schichten des homerischen Troja bin, denn in dieser
[105]gegenstände aus metall u. elfenbein.
Tiefe fand ich im vorigen Jahre und finde ich in diesem Jahre
tausend wunderbare Sachen, während ich in den untersten
Schichten, deren Wegräumung mir so unsagliche Mühe
kostet, verhältnissmässig nur wenig finde. Es kommen
täglich einige jener runden Stücke sehr feiner Terracotta
aus denselben hervor, und ist es merkwürdig, dass diejeni-
gen, welche ganz ohne Verzierungen sind, immer in der ge-
wöhnlichen Form und Grösse der kleinen Carrousele und
Vulkane, diejenigen dagegen, welche Verzierungen ha-
ben, fast alle flach und in der Form des Rades sind.
Metall, wenigstens Gold, Silber und Kupfer, waren den
Trojanern bekannt, denn ich fand ein kupfernes stark
vergoldetes Messer, eine silberne Haarnadel und viele
kupferne Nägel in 14 Meter, und mehrere 10 bis 16 Centi-
meter lange kupferne Nägel in 16 Meter Tiefe. Kupferne
Waffen und Werkzeuge müssen dagewesen sein, ich habe
aber bisjetzt noch nichts davon gefunden; dagegen fand
ich viele kleine Werkzeuge zum Stechen, auch eine
Menge Nadeln von Elfenbein, sowie eine kleine Platte
von Elfenbein, beinahe in der Form einer Spielkarte, mit
sechs Sternchen oder kleinen Sonnen, auch, mit gleichen
Verzierungen bedeckt, ein sonderbares Stück Elfenbein
in der Form eines Brieffalters, und ein noch sonder-
bareres in der Form eines äusserst niedlichen Dolches,
die auf Tafel 25 dargestellt sind. Die Verzierungen
dieses Dolches scheinen jedenfalls auf beiden Seiten die
ilische Minerva mit dem Eulenkopf darzustellen. Es
fanden sich auch einige Ringe von Elfenbein und Kupfer,
sowie ein Paar Armbänder von letzterm Metall. Ein-
und zweischneidige Messer in der Form von Sägen,
4½ und 5 Centimeter lang, von weissem Silex, fanden
[106]handmühlen von lava; thongefässe.
sich in Menge; ebenso viele 33 Centimeter lange und
17 Centimeter breite Handmühlen von Lava, in der
Form eines in der Länge durchschnittenen Eies. Von
Terracottas kam alles in ganz zerbrochenem Zustande
heraus, jedoch habe ich von einer Menge Vasen und
mehrern Töpfen alle oder fast alle Stücke, sodass ich
sie wieder zusammensetzen kann. Besonders hervorzu-
heben ist darunter ein grosser gelblicher Mischbecher
von 34 Centimeter Höhe und 43 Centimeter Breite,
welcher ausser einem Henkel drei grosse geringelte
Rammhörner hat; dann eine schwarze unten runde Vase
mit zwei Röhren zum Aufhängen an jeder Seite; eine
schöne rothe Vase mit vier Henkeln und ein sehr feiner
rother Becher; ferner ein höchst sonderbares rothes
Gefäss in der Form von zwei Kannen mit langen, ganz
aufrecht stehenden schnabelartigen Münden; die beiden
Kannen hängen sowol in der Bauchwölbung als durch
einen Henkel miteinander zusammen; ferner eine 24
Centimeter hohe glänzende schwarze Vase mit Röhrchen
an den Seiten zum Aufhängen und sehr weitem Hals
in der Form eines Schornsteins; der untere Theil der
Vase ist verziert mit Zeichen in der Form von Blitzen,
der obere mit Punkten. Nur von ein paar glänzend
schwarzen trojanischen tiefen Tellern habe ich so ziem-
lich alle Stücke, sodass ich sie wieder zusammensetzen
kann; diese Teller sind sehr merkwürdig, denn sie haben
an zwei Seiten am Rande lange horizontale Röhren zum
Aufhängen an Schnüren; bei den grossen Schüsseln
sind diese Röhren sehr gross. Von mehrern schwar-
zen Doppelbechern habe ich Bruchstücke, aber nicht
genug von einem, um ihn wiederherstellen zu können.
[107]qualität der terracotten.
Leider haben die furchtbaren Steinlasten in den untersten
Schichten alle Terracottas zerschlagen oder zerdrückt;
aber alles, was ich von dieser herrlichen Töpferwaare
habe retten können und wovon ich im Anhange Photo-
graphien gebe, zeugt von Reichthum und Kunst, und
man sieht auf den ersten Blick, dass ein Volk sie anfertigte,
das ganz verschieden ist von dem, welchem die Schutt-
schichten in 7 bis 10 Meter Tiefe angehören. Ich mache
ganz besonders aufmerksam auf die grosse Aehnlichkeit
in der Qualität der Terracotta der schwarzen trojani-
schen Gefässe mit jener der Gefässe, die man in den
etruskischen Gräbern findet; aber die Formen und Ver-
zierungen derselben sind ganz verschieden; letztere sind
hier immer auf der Terracotta eingeschnitten, als diese
noch in weichem Zustande war. Die meisten trojanischen
Terracottas sind unzerstörbar durch Nässe; einige der-
selben aber sind durch die Feuchtigkeit mürbe gewor-
den, und ich fand z. B. auf dem Urboden, in 15½ Meter
Tiefe, in einem kleinen, durch drei Steine gebildeten
und geschützten, 65 Centimeter langen, 45 Centimeter
breiten Hauskirchhof zwei mit Leichenasche gefüllte
Gefässe sehr merkwürdiger Form mit drei langen Füssen,
die so sehr durch die Nässe gelitten hatten, dass ich sie
trotz aller Mühe und Vorsicht nicht herausnehmen
konnte, ohne sie ganz zu zerbrechen. Ich habe aber
alle Stücke der beiden Gefässe gesammelt und kann sie
daher wieder zusammensetzen. In dem einen derselben
fand ich in der Leichenasche die Knochen eines Em-
bryo von sechs Monaten, was mir nicht anders erklärlich
ist, als dass die Mutter in ihrer Schwangerschaft gestor-
ben und verbrannt sein muss, des Embryo Knochen
[108]becher; werkzeuge von diorit u. a.
aber durch die Hülle, die sie umgab, geschützt worden
und unversehrt geblieben sind. Dennoch scheint mir
die Erhaltung dieser kleinen Knochen wunderbar, denn
der Mutter Gebeine waren zu Asche verbrannt, und es
fanden sich nur noch kleine Bröckel von ihren Knochen.
Ich habe des kleinen trojanischen Embryo Knochen
aufs sorgfältigste herausgesucht, werde von einem
geschickten Chirurgus das kleine Gerippe wiederher-
stellen lassen und eine Photographie davon diesem
Werke beifügen. Der berühmte Arzt Aretaios in Athen
schreibt mir soeben, dass die Erhaltung der Knochen
des Embryo nicht anders möglich ist, als dass die
Mutter geboren hat und daran gestorben ist; dass man
ihre Leiche verbrannt und zusammen mit ihrer Asche
den unverbrannten Embryo in die Leichenurne gewor-
fen hat, in welcher ich ihn fand.


Es kommen in den tiefsten Schuttschichten auch
einfache schwarze, unsern Trinkgläsern ähnliche Becher
vor; auch schwarze Becher mit einem Henkel von unten,
sodass sie nur auf die Oeffnung gestellt werden kön-
nen. Ich finde sonst noch auf dem Urboden Gewichte
von Granit, deren genaues specifisches Gewicht ich auf
einer besondern Tafel angeben werde; Hämmer und
Beile, sowie sehr viele herrlich gearbeitete grosse und
kleine Keile von Diorit; auch einige mal kleine schön
geschliffene Werkzeuge in der Form von Keilen, von sehr
schönem, durchsichtigem grünen Stein. Ausserdem erschei-
nen Massen von durchschnittlich 5 Centimeter im Durch-
messer habenden runden, schwarzen und rothen Terra-
cotta-Scheibchen mit einem Loch in der Mitte; steinerne
Scheiben (δίσκοι) von durchschnittlich 15 Centimeter im
[109]idole aus marmor. grösse der gebäude.
Durchmesser und mit einem Loch im Centrum, zum Werfen,
ferner viele Idole von sehr feinem Marmor, welche
allein eine Ausnahme machen von der hier allgemeinen
Regel, dass mit zunehmender Tiefe alle Gegenstände
besser gearbeitet sind. In der That sind die in den
trojanischen Schuttschichten bis 2 und 4 Meter über
dem Urboden, also in 12 bis 14 Meter Tiefe vorkommenden
Idole, wie man aus deren Abbildungen im Anhange
sehen kann, so roh gearbeitet, dass man glauben möchte,
dies wären die allerersten Versuche eines rohen Volkes,
eine Gottheit plastisch darzustellen. Nur ein verstüm-
meltes Idol von Terracotta, welches ich Tafel 20, No. 562
abbilde, kam in diesen Trümmerschichten vor; alle
übrigen sind von sehr feinem Marmor. Ich erwähne
noch einen in 13 Meter Tiefe gefundenen Priapus von
feinem Marmor.


Es kommen ferner in diesen Tiefen viele Thier-
knochen, Eberzähne, kleine Muscheln, Büffel-, Bocks-
und Rehhörner, sowie die Rückgratsknöchel des Hai-
fisches vor.


Die Häuser und Paläste, in welchen die herrlichen
Terracottas gebraucht wurden, waren gross und geräu-
mig, denn zu ihnen gehören alle jene gewaltigen Massen
grosser behauener und unbehauener Steine, welche 4
und 6 Meter hoch dieselben bedecken. Diese Häuser
und Paläste waren leicht zerstörbar, denn die Steine
waren nur mit Erde zusammengefügt, und als die
Mauern fielen, wurde durch die gewaltigen Blöcke alles
zerschmettert, was in den Häusern war. Das alte troja-
nische Volk verschwand gleichzeitig mit der Zerstörung
seiner Stadt, denn in keiner der folgenden Schutt-
[110]spätere ansiedler, ihre bauart.
schichten findet sich solche Bauart von grossen, durch
Erde verbundenen Steinblöcken, in keiner sieht man in
den Terracottas, mit Ausnahme der runden Stücke in
der Form des Carrousels und des Vulkans, eine Aehn-
lichkeit mit jener von Kunstsinn zeugenden ausgezeich-
neten Töpferarbeit des Volkes von Priamos.


Auf der Baustelle der zerstörten Stadt erbauten
neue Ansiedler verschiedener Civilisation, Sitten und
Gewohnheiten sogleich wieder eine neue Stadt; aber
nur die Fundamente ihrer Häuser bestanden aus mit
Lehm zusammengefügten Steinen; alle Hauswände waren
aus ungebrannten Ziegeln gebaut. Viele solcher Wände
sieht man in 7 bis 10 Meter Tiefe in den Erdwänden
meiner Ausgrabungen; sie sind dadurch erhalten ge-
blieben, dass die Häuser ausbrannten und die unge-
brannten Ziegel der Wände durch die Glut eine Art
Ziegelkruste erhielten oder wirkliche gebrannte Ziegel
wurden.


In meinem Aufsatze vom 23. v. M. sprach ich von
einer in 10 Meter Tiefe gefundenen Mauer von Steinen,
wovon ich hoffte, dass sie bis zum Urboden gehen
würde; leider aber waren es blosse Fundamente eines
Hauses der unmittelbaren Nachfolger der alten Trojaner,
und gingen diese Fundamente nur ½ Meter tief.


Die vom alten Troja übriggebliebenen Mauerreste
mussten natürlich von den neuen Ansiedlern, welche so
ganz verschiedene Lebensweise und Bauart hatten, nie-
dergebrochen werden, und somit ist es erklärlich, dass
ich, mit Ausnahme einer kleinen Wand im nördlichen
Eingange meines grossen Kanals, bisjetzt nicht im Stande
bin, eine einzige Mauer des alten Troja aufzuweisen,
[111]eingeschlossene kröten.
und dass ich bis dahin der Wissenschaft nur wenige
herrliche Urnen, Vasen, Töpfe, Teller, Schüsseln und
nur einen Mischkrug, aber Tausende von Bruchstücken
anderer ausgezeichneter Gefässe als trauernde Denk-
mäler eines Volkes vorlegen kann, dessen Ruhm un-
sterblich ist.


Ich kann die Beschreibung der untersten Schutt-
schichten nicht schliessen, ohne zu erwähnen, dass ich
zwischen den grossen Steinblöcken, in 12 bis 16 Meter
Tiefe, zwei Kröten, auch in 12 Meter Tiefe eine kleine
sehr giftige Schlange mit schildförmigem Kopfe fand.
Letztere kann von oben dahin gelangt sein; dies ist
aber unmöglich für die grossen Kröten, und müssen
dieselben 3000 Jahre in diesen Tiefen zugebracht haben.
Sehr interessant ist es, in den Ruinen Trojas lebende
Geschöpfe aus der Zeit des Hector und der Andromache
zu sehen, selbst wenn diese Geschöpfe nur Kröten sind.


Noch muss ich darauf aufmerksam machen, dass ich
auch zweimal das

[figure]

auf Topfscherben fand, wovon die
eine in 16, die andere in 14 Meter Tiefe entdeckt
wurde. Die Trojaner waren daher arischer Rasse, wie
es ausserdem die symbolischen Zeichen auf den runden
Stücken Terracotta zur Genüge beweisen.


Die Existenz der Nation, welche den Trojanern
folgte, war ebenfalls von langer Dauer, denn ihr ge-
hören alle jene Schuttschichten in 10 bis 7 Meter Tiefe;
sie war ebenfalls von arischer Abkunft, denn sie hatte
unzählige arische religiöse Symbole; und ich glaube,
von mehrern derselben nachgewiesen zu haben, dass
sie schon unsern Vorvätern eigen waren zur Zeit als
noch Germanen, Pelasger, Hindus, Perser, Kelten und
[112]die den trojanern folgende nation; ihre spuren.
Griechen eine Nation ausmachten und eine Sprache
redeten. Vom Doppelbecher fand ich bei diesem
Volke keine Spur, statt dessen aber jene sonderbaren
Becher, die als Griff eine Krone von unten haben;
dann jene glänzend rothen phantastischen Becher in der
Form von ungeheuern Champagnergläsern mit zwei mäch-
tigen Henkeln an den Seiten und Ründung von unten,
sodass sie ebenfalls nur auf die Oeffnung hingesetzt
werden können; dann jene kleinen, nur 10 bis 12 Centi-
meter hohen Becher mit Eulengesichtern mit einer Art
von Helm am untern Ende, der mit einem hohen Knopf
oder Zopf versehen ist, welcher ohne Zweifel den Helm-
busch bezeichnen soll und als Griff dient, sodass auch
diese Becher nur auf den Mund gestellt werden
können; ferner alle jene herrlich gebrannten Töpfer-
waaren, wie z. B. 1 bis 1½ Meter hohe Leichen- oder
Weinurnen von 50 Centimeter bis 1 Meter Durch-
messer, kleinere Leichenurnen, Teller, Schüsseln, Vasen
höchst phantastischer Form von 20 bis 25 Centimeter
Höhe mit dem Eulengesicht der Schutzgöttin Trojas, zwei
grossen Frauenbrüsten und Bauchnabel, sowie mit zwei
neben dem Kopf emporgehobenen Armen, die als Griffe
dienen; ferner alle jene Gefässe mit kurzem oder langem,
hintenüber gebogenem, schnabelartigem Munde. Die
meisten dieser Gefässe sind unten rund, sodass sie gar nicht
hingestellt werden können, andere haben drei Füsse, noch
andere sind unten platt; der Hals von manchen ist so weit
hintenüber gebogen, dass sie Aehnlichkeit haben mit einer
Gans oder einem Schwan. Dann gehören hierher alle jene
kleinen und grossen kugelähnlichen oder eiförmigen
Gefässe mit oder ohne Schornstein, die ein kurzes
[113]priapus. rosa mystica.
Röhrchen an jeder Seite und ein Loch in gleicher
Richtung im Munde haben, wodurch die Schnüre zum
Aufhängen gezogen wurden; viele haben ausserdem
noch drei Füsse; alle sind einfarbig braun, gelb, roth
oder schwarz; einige haben als Verzierung Reihen von
Blättern oder Zweigen. Es kommen auch sehr sonder-
bare Vasen in Thiergestalt mit drei Füssen vor, deren
Oeffnung in dem aufwärts stehenden, sehr dicken Schwanze
ist, der durch einen Griff oder Henkel mit dem Rücken
verbunden ist; auf einer dieser letztern Vasen sind
Verzierungen, die in drei eingravirten Streifen von je
drei Linien bestehen. Ich fand früher den Priapus nur in
7 Meter Tiefe, kürzlich einen in 13 Meter Tiefe; ich
finde ihn jetzt auch in 8 Meter, somit bei der
Nation, von deren Ueberbleibseln ich jetzt spreche. Auch
findet sich in diesen Trümmerschichten eine kolossale Masse
jener runden Stücke Terracotta, die zwar durch ihre
grössere Dicke von der Radform der Stücke auf dem
Urboden etwas abweichen, auch nicht von so ausge-
zeichnetem gebrannten Thon sind wie letztere, dagegen
aber, wie man sich durch die beigefügten Zeichnungen
überzeugen kann, mit ungemein schönen, sinnreichen
symbolischen Zeichen geschmückt sind, unter denen der
Sonnengott immer die hervorragendste Stellung ein-
nimmt; aber auch das Feuerzeug unserer Urväter, der
heilige Opferaltar mit lodernden Flammen, der heilige
Lebens- und Sômabaum und die Rosa mystica kommen
sehr häufig hier vor. Diese mystische Rose, die
in den byzantinischen Sculpturen ungemein viel
vorkommt und durch deren Namen bekanntlich in den
katholischen Litanien (litaniae) die heilige Jung-
Schliemann, Troja. 8
[114]sonnendarstellungen auf terracotten.
frau bezeichnet wird, ist ein bisjetzt leider noch nicht
erklärtes uraltes arisches religiöses Symbol; es ist uralt,
weil ich es jetzt hier in 7 bis 10 Meter Tiefe in den
Schuttschichten der Nachfolger der Trojaner finde, die
ein Alter von nahe 1200 Jahren vor Christo haben müssen.
Das dem phönizischen Buchstaben „Nun“ so ähnliche
Zeichen fand ich in 8 Meter Tiefe sechzehnmal auf einer
jener runden Terracottas dargestellt; diese Zeichen
stehen nämlich in Gruppen von vier und bilden durch ihre
Stellung ein Kreuz um die Sonne, oder, falls meine jetzt
aufgestellte Vermuthung richtig ist, um die Nabe des
den Sonnenwagen vorstellenden Rades. Das Bild dieses
Stückes findet sich Tafel 4, No. 124. Ich finde das Symbol
des Blitzes auch in allen höhern Schichten bis zu 3
Meter unter der Oberfläche. In allen Schuttschichten
von 10 Meter bis ½ Meter Tiefe finde ich unzählige
mal auf den runden Terracottas die Sonne mit ihren
Strahlen, ganz so wie sie auf der bei der Ausgrabung
des Tempels von mir gefundenen Metope auf dem
Haupte des Sonnengottes dargestellt ist; noch viel
öfter aber im Kreise von drei, vier, fünf, sechs oder acht
doppelten, dreifachen oder vierfachen aufgehenden Sonnen
und am allermeisten im Centrum von vier dreifachen
aufgehenden Sonnen, die ein Kreuz um sie bilden;
Hunderte von malen finde ich auch die Sonne von
Sternen umgeben im Mittelpunkt eines doppelten oder
dreifachen Kreuzes, welches an jedem der vier Enden
einen grossen Punkt hat. Diese Punkte bezeichnen ver-
muthlich die vier Nägel, womit das Holzgerüst zur Berei-
tung des heiligen Feuers befestigt wurde. Es kommen
auch, obwol seltener, in 10 bis 7 Meter Tiefe fünf mystische
[115]sonne und sonnenwagen.
Rosen im Kreise um die Sonne vor. Von den runden
Stücken mit Zeichen, die sich möglicherweise nicht blos
als Symbole, sondern als wirkliche Schriftzeichen her-
ausstellen können, finde ich eins in 7 Meter Tiefe, von
welchem ich Tafel 6, No. 208 die Abbildung gebe. Ich
erwähne noch die in dieser Tiefe vorkommenden runden
Stücke, auf welchen drei mystische Rosen und zwei
Schweife von Sonnenstrahlen im Kreise um die Sonne
stehen. Auch kamen in 9 Meter Tiefe mehrere runde
Stücke vor, auf welchen 14 krumme, Windmühlenflügeln
ähnliche Schweife von je drei Sonnenstrahlen nach allen
Richtungen von der Sonne ausgehen, während die
Fächer zwischen diesen Strahlenschweifen mit Sternen
ausgefüllt sind. Diese Darstellung muss die Drehung
des Rades, respective den Lauf des Sonnenwagens in
den Himmeln bedeuten, falls meine vorhin gewagte
Vermuthung richtig ist, dass die runden Stücke das
Rad darstellen. Es kommt in gleicher Tiefe auch eins
vor, auf dessen einer Seite drei mit Flammen bedeckte
heilige Opferaltäre und eine Sterngruppe, auf der an-
dern Seite drei solche Opferaltäre und ein Svastika ein
Kreuz um die Sonne bilden; es finden sich auch ein-
zelne mit nur vier gebogenen Strahlenschweifen, oder zwei

[figure]

und zwei Flammenaltären im Kreuz um die Sonne;
auch kommt eins vor, auf welchem zwei Kreuze sich ge-
genüberstehen und der ganze übrige Raum um die
Sonne (oder um die Nabe des Rades) mit Sternen an-
gefüllt ist. Alle in 10 bis 7 Meter Tiefe vorkommen-
den Stücke sind von sehr hartem und die meisten von
steinhartem, schwarzem oder rothem Thon, der sich im
Vergleich zu dem der Stücke in den höhern Schichten
8*
[116]waffen und werkzeuge aus metall und stein.
durch seine Feinheit auszeichnet. Es kommen in diesen
Schichten auch einige dieser Stücke von Blei oder
feinem Marmor vor, sie sind aber ohne Verzierungen.


In den Schuttschichten derselben Nation fand ich
auch kupferne Streitäxte, Lanzen, Pfeile, Messer und
Werkzeuge verschiedener Art, sowie viele Formen von
Glimmer- und Chloritschiefer zum Giessen dieser und vieler
anderer, mir theilweise ganz unbekannter Gegenstände.
Petschafte von Terracotta mit Kreuzen und andern
Verzierungen sind nicht diesen Schuttschichten allein eigen,
sondern kommen von 10 Meter bis nur 1 Meter Tiefe vor.
Ferner erscheinen auf einer Seite ovale, auf der andern
platte Handmühlsteine von Lava und mitunter auch von
Granit; grosse und kleine Hämmer, Keile, Kugeln mit
einem Loch durch die Mitte, und Mörserkeulen von Diorit,
Gewichte von Granit; Mörser und Scheiben mit einem
Loch durch die Mitte zum Werfen, aus Granit und an-
dern Steinarten. Schleudern von Magneteisenstein und
grosse Massen von Messern in Gestalt von Sägen aus
weissem und gelbem Silex, auch manchmal Messer von
vulkanischem Glas und Lanzen von Diorit kommen bei
diesem Volke vor, aber alle diese Werkzeuge sind
besser gearbeitet als in den Schichten oberhalb 7 Me-
ter Tiefe.


Es kommen in diesen Schuttschichten auch sehr
viele Idole von sehr feinem Marmor vor, und auf vielen
sieht man das Eulengesicht der ilischen Minerva, sowie
ihren Gürtel eingravirt; auch kam in 8 Meter Tiefe
ein Idol derselben Eulengesichtsgöttin von Terracotta
vor; vier horizontale Striche am Halse scheinen ihre
Rüstung anzudeuten; von ihren Armen ist nur einer
[117]schmucksachen aus silber und elektron.
erhalten und zwar in emporgehobener Stellung; zwei Li-
nien, die von den Armen ausgehen und sich in der Gegend
des Bauchnabels kreuzen, geben ihr ein kriegerisches
Ansehen; zwei Punkte bezeichnen ihre Brüste; ihr langes
Haar ist deutlich auf dem Hinterkopfe angedeutet.


In 9½ Meter Tiefe fand ich in der gelben Asche
eines ausgebrannten Hauses einen grossen Klumpen
dicken Draht, den ich für Kupferdraht hielt und daher
gleichgültig auf meinen Tisch legte; als aber der
Klumpen zufälligerweise heruntergeworfen wurde, zer-
brach ein Silberdraht, der das Packet zusammengehal-
ten hatte, und es kamen drei silberne Armbänder zum
Vorschein, von denen eines einfach, das andere doppelt
und das dritte dreifach ist; in letzterm ist ein sehr künst-
licher Schmuck, auch ein Ohrring mit einem Blatt, das
von sechs Drähten gebildet ist, und müssen diese Gegen-
stände in der Feuersbrunst durch die Glut mit dem
Armbande zusammengeschmolzen sein, denn so wie es
jetzt ist wäre es unmöglich, es auf den Arm zu stecken.
Es zeigte sich ferner in dem Klumpen ein sehr hübscher
goldener Ohrring, der auf beiden Seiten drei Reihen
von Sternchen hat. Es fanden sich ferner darin zwei Pa-
ckete oder Bünde von Ohrringen verschiedener Form, die
meisten sind von Silber und laufen in fünf Blätter aus.
Zugleich waren aber auch darin enthalten mehrere Ohr-
ringe gleicher Form von Elektron (ἤλεκτρον); von drei Ohr-
ringen weiss ich ganz bestimmt, dass sie von diesem Metall
sind, denn sie stehen hervor; es sind aber wahrscheinlich
noch mehrere von Elektron in den beiden Bünden, die
ich, aus Furcht die silbernen Ohrringe zu zerbrechen,
die stark vom Rost gelitten haben, nicht zu lösen wage.


[118]werkzeuge, gewichte. dritte bewohnerschicht.

Nach Plinius H. N. 33, 23 und Pausanias 5, 12, 6
war Elektron eine künstliche Metallmischung aus vier
Theilen Gold und einem Theil Silber. Auch sind die äl-
testen lydischen Münzen von Elektron. Alle vorgenannten
Ohrringe und Armbänder lasse ich für dieses Werk
photographiren.


Es kommen in diesen Tiefen auch nicht selten Ku-
geln von Serpentin oder Porphyr vor, die 5 Centimeter
im Durchmesser und ein Loch durch die Mitte haben.
Man findet ausserdem Löffel von Knochen oder Terra-
cotta und grosse Massen von Werkzeugen aus Elfenbein
und Knochen zum Stechen; auch fand ich ein sehr
künstlich bearbeitetes Stück Ebenholz, welches jeden-
falls zu einem musikalischen Saiteninstrument gehört
hat. Ich erwähne noch die nicht blos in diesen Schutt-
schichten, sondern auch bis 6 Meter Tiefe vorkommen-
den 7 Centimeter langen, 6 breiten runden Stücke
Terracotta mit einem in der Länge durchgehenden Loch,
sowie die 7 bis 10 Centimeter breiten, unten platten,
oben abgerundeten Stücke Terracotta mit zwei Löchern
am Rande der breiten Fläche, oder mit nur einem oben von
der Seite durchgehenden Loche. Alle diese Stücke haben
vermuthlich als Gewichte gedient. In allen diesen Schutt-
schichten kommen viele Rückgratsknöchel des Haifisches,
Eberzähne, Rehhörner, und grosse Massen kleiner Meer-
muscheln vor, wovon die Trojaner und ihre Nachfolger
zu allen Zeiten grosse Liebhaber gewesen sein müssen.


Ich komme jetzt an die Schuttschichten in 7 bis 4
Meter Tiefe, welche augenscheinlich auch von einem
Volke arischen Stammes herrühren, welches die auf
Trojas Ruinen erbaute Stadt wieder einnahm, zerstörte
[119]bauart. rohere werkzeuge und gefässe.
und die Einwohner ausrottete, denn ich fand in diesen
3 Meter dicken Schichten keine Spur von Metall ausser
zwei Nägeln und einem Stückchen Silberdraht, während
die Bauart der Häuser eine gänzlich verschiedene ist.
Hier nämlich finde ich wiederum alle Hauswände von
mit Lehm zusammengesetzten kleinen Steinen, welche
in den grössern Gebäuden mehr oder weniger behauen,
in den kleinern aber ganz unbehauen sind. Die Be-
sucher der Ebene von Troja sehen in den Erdwänden
meiner Ausgrabungen, in 7 bis 4 Meter Tiefe, viele
solcher grösserer und kleinerer Hauswände, unter an-
dern auch Reste jener grossen, 1 Meter 90 Centimeter
dicken Wände des von mir in meinem Aufsatze vom
23. v. M. erwähnten in 6 Meter Tiefe gegründeten
Gebäudes, dessen Trümmer bis 3 Meter unter der Ober-
fläche hinaufreichen; denn da ich, wie erwähnt, ausser
der Tempelausgrabung vorläufig nur den oben 30 Meter
breiten Kanal durch den Berg graben will, so hatte ich
nicht nöthig, jenes Gebäude ganz wegzubrechen.


In diesen Schuttschichten (7 bis 4 Meter Tiefe) sind
nicht nur sämmtliche steinerne Werkzeuge viel plumper
gearbeitet, sondern auch alle Terracottas sind schlechter
Qualität; dennoch aber kann ihnen bei aller ihrer Ein-
fachheit eine gewisse Eleganz nicht abgesprochen wer-
den, und ich bemerke besonders die dort vorkommenden
sehr niedlichen, 10 Centimeter hohen rothen und 14
Centimeter hohen schwarzen Vasen in Form von Sand-
uhren mit zwei grossen Henkeln; die Töpfchen in Form
von Obertassen mit grossen Henkel; die grösseren Töpfe
mit einem und zwei Henkeln, und vor allem die häufig
vorkommenden Becher mit dem Eulengesichte der troja-
[120]terracottakugeln mit symbolen.
nischen Schutzgöttin, welche zwar jenen in 10 bis 7 Me-
ter Tiefe an Grösse ungefähr gleichkommen, aber in
der Ausführung bedeutend nachstehen.


Besonders merkwürdig sind in diesen Schichten die
mit den mannichfaltigsten symbolischen Zeichen be-
deckten Terracottakugeln, wovon ich zwei in 5 Meter
Tiefe gefundene beschreiben will. Die Oberfläche der
einen ist durch Linien in acht gleiche Theile getheilt, und
sieht man in der einen Abtheilung eine Sonne mit zehn
Strahlen, wovon nur vier gerade sind, während die übrigen
alle religiöse Symbole vorzustellen scheinen. Ein Strahl
ist in Form des phönizischen „Nun“ und muss den Blitz
bedeuten, ein anderer Strahl ist in Schlangenform, ein
noch anderer in Form einer Drei, ein vierter hat die Ge-
stalt eines mecklenburger Wegweisers und die beiden
übrigen die Form von Angelhaken; neben der Sonne
ist ein Stern. Im folgenden Fach ist ein Baum mit
acht Zweigen, ein Viereck mit zwei Sternen, und ein
Dreieck mit vier Sternen. Das dritte Feld enthält einen
Baum mit zwölf Zweigen, einen Kreis mit einem Sterne
und neben und über einem Strich zwölf Sterne, wovon
der eine einen Punkt im Centrum hat. Vielleicht be-
zeichnen diese zwölf Sternchen die zwölf Zeichen des
Thierkreises, welche als die zwölf Stationen der Sonne
im Rigvêda personificirt sind durch die zwölf Adityâs,
Söhne der Aditi, des untheilbaren unendlichen Raumes.
Das vierte Feld enthält einen Baum mit nur sechs
Zweigen, ein Dreieck mit drei Abtheilungen, in deren
einer ein Strich ist, und ferner zwei Vierecke. Das
fünfte Feld hat wieder eine Sonne mit sechs krummen
Strahlen und einem geraden Strahl. Das sechste Feld hat
[121]waffen aus diorit. schleifsteine.
fünf Abtheilungen: in der ersten sind fünf, in der andern
vier, in der dritten sieben Sternchen, in der vierten ist
ein Zeichen, welches der arabischen Zwei gleicht und drei
Sterne, in der fünften ein einfaches Kreuz. Im
siebenten Felde sieht man einen Baum mit zehn Zwei-
gen. Im achten Felde ist eine schlangenförmige Figur
und ein Stern. Auf der zweiten Kugel sieht man eine
Sonne mit dreizehn geraden Strahlen; darauf sieht man zwi-
schen zwei

[figure]

drei Gruppen von je drei Sternen und
vier gerade Striche und endlich, unter der Sonne, drei
gleiche Striche und drei Sterne. Diese beiden Kugeln
sind Tafel 14, No. 450 und 451 abgebildet. Ganz mit
Sternen bedeckte Terracottakugeln kommen auch in
diesen Schuttschichten häufig vor; ferner eine ungeheuere
Menge jener runden Terracottas in der Form des Car-
rousels und des Vulkans, wovon mehr als die Hälfte
mit den verschiedenartigsten symbolischen Zeichen ver-
ziert sind. Auch kommen hier viele Waffen von Diorit
und hartem, grünem Stein, sowie eine Menge Schleif-
steine von schwarzem und grünem Schiefer mit einem
Loch an einem Ende vor. Der Gebrauch dieser Schleif-
steine ist mir nicht recht klar, da ich in diesen Tiefen
(7 bis 4 Meter), wie gesagt, ausser den zwei Nägeln und
dem Stückchen Silberdraht keine Spur von Metall fand.
Es kamen jedoch ein paar Bruchstücke von Formen-
steinen zum Giessen von Werkzeugen vor, und ist es
daher wahrscheinlich, dass Kupfer bekannt war. Jeden-
falls aber war es selten und theuer, denn sonst würde
ich nicht die kolossalen Massen von steinernen Werk-
zeugen gefunden haben.


Wie man aus den Abbildungen im Anhange er-
[122]eulengesichtsvasen. priapus.
sieht, kommen in diesen Tiefen viele sehr merk-
würdige grosse Vasen vor, und unter denselben eine
Menge schöner Urnen mit dem Eulengesicht der ilischen
Minerva, ihren zwei Frauenbrüsten, Bauchnabel und bei-
den neben dem Kopf emporgehobenen Armen. Auf
einem der Bauchnabel ist ein Kreuz und vier Löcher,
welche ohne Zweifel die vier Nägel bezeichnen sollen,
womit unsere arischen Urväter die beiden kreuzweis
gelegten Hölzer zur Erzeugung des heiligen Feuers be-
festigten. Es finden sich auch in diesen Schichten
viele jener rothen Becher in der Form von Champagner-
gläsern mit zwei Henkeln, die aber, wie man aus den
Abbildungen ersieht, mit jedem Meter, den man höher
steigt, mehr ausarten, plumper, kleiner und schlechterer
Qualität werden. Auch Becher mit Kronen von
unten kommen viele vor, ebenso viele rothe Töpfchen
mit drei Füssen und zwei Henkeln, sowie viele
Hunderte von 10 bis 12 Centimeter hohen ungefärbten
Töpfen mit einem Henkel. Von grossen plumpen
Hämmern und andern Werkzeugen von Diorit gibt
es hier eine kolossale Masse; auch fand sich ein Priapus von
Diorit, der 32 Centimeter hoch und 20 Centimeter dick
ist. Dieser Priapus war, da man die Sechs für eine Neun
angesehen hatte, mit unter die Gegenstände aus 9 Meter
Tiefe gekommen und ist somit aus Versehen auf Tafel
83, No. 1755 abgebildet; er stammt jedoch entschieden
aus 6 Meter Tiefe.


Demselben Volke gehört ein von gut behauenen
Steinen mittels Lehm gemauerter Brunnen, dessen
Oeffnung in 4 Meter Tiefe ist und den ich beinahe bis
zum Urboden abgetragen habe; man sieht noch eine
[123]neue zerstörung iliums. gefässe d. folg. bewohnfr.
Mauer dieses Brunnens links im nördlichen Eingang
meines grossen Kanals.


Handmühlsteine von Lava finden sich auch in diesen
Schuttschichten in ungeheuern Massen.


Eine neue Epoche in der Geschichte Iliums trat
ein, als die Schuttaufhäufung dieses Berges die Höhe von
4 Meter unter seiner gegenwärtigen Oberfläche erreicht
hatte, denn die Stadt wurde wiederum zerstört und die
Einwohner getödtet oder vertrieben durch ein armseliges
Volk, welches jedenfalls auch arischer Rasse gewesen sein
muss, denn auf den runden Terracottas finde ich noch
immer sehr viel den Lebensbaum, sowie das einfache
und doppelte Kreuz mit den vier Nägeln. Die Form
dieser Stücke artet aber in diesen Tiefen aus, sie wer-
den gedehnter und spitzer zulaufend; es finden sich
auch viele in der Form von 3 bis 4 Centimeter hohen
Kegeln, die in den tiefern Schichten nie vorkommen;
die meisten sind ohne Verzierung. Von Töpferwaaren
kommt viel weniger vor, und ist hier alles noch viel
kunstloser als in den vorhergehenden Schichten. Be-
sondere Erwähnung verdient jedoch der in 4 Meter Tiefe
gefundene, Tafel 41, No. 996 abgebildete, höchst phantasti-
sche Trinkbecher, dessen Behälter eine auf drei Füsschen
ruhende Röhre ist, aus der drei kleine Becher aufsteigen.
Becher mit dem Eulengesicht der ilischen Minerva und
einer Art Helm, wie Tafel 37, No. 307, Tafel 35, No. 872,
874 und 882, Tafel 33, No. 806, Tafel 32, No. 775 und 776,
kommen noch häufig vor, sie werden aber immer kunst-
loser. Ebenso arten die Becher in der Form von Cham-
pagnergläsern immer mehr aus, werden immer kleiner
und schlechter und sind in 2 Meter Tiefe (Tafel 32,
[124]minervenidole. kupferwerkzeuge.
No. 875 und 876) nur noch 13 Centimeter hoch, während
sie in 10 Meter Tiefe eine Höhe von 32 Centimeter
erreichten. Von grössern Vasen mit Frauenbrüsten,
Bauchnabel und emporgehobenen Armen, kommen
mehrere in 4 und eine in 2½ Meter Tiefe vor.
Kleine rothe Vasen in der Form der Sanduhr mit
einem Henkel kommen noch viel vor, und es fanden
sich zwei selbst in 2 Meter Tiefe. Auch von kleinen
ordinären Töpfen kommt in 4 und 3 Meter Tiefe eine
sehr grosse Menge vor; dieselben hören aber in
2 Meter Tiefe fast ganz auf. In 4, 3 und sogar
in 2½ Meter Tiefe fand ich auch sehr viele
Idole der ilischen Minerva von feinem Marmor; auf
mehrern ist der Euleṇkopf derselben und ihr Gürtel
eingravirt.


Auch fand ich in 3 Meter Tiefe ein Idol von
Terracotta, welches dieselbe Göttin mit dem Eulenge-
sicht und zwei ungeheuern Augen darstellt; sie hat
zwei Frauenbrüste und hinten lang herabhängendes
Haar. Drei horizontale Linien am Halse scheinen die
Rüstung anzudeuten. In 3 Meter Tiefe fand ich auch
ein kleines herrliches Opferbecken von Terracotta mit
drei Füssen, worin ein Svastika, ein Baum mit 24 Zwei-
gen und eine Raupe eingravirt sind.


Das Kupfer war diesem Volke bekannt, denn ich
finde hier kupferne Messer, Lanzen und Nägel. Die
Form der letztern ist oft sonderbar, denn bald haben
sie zwei Köpfe nebeneinander, bald gar keinen Kopf
und nur zwei spitze Enden, sodass durch eine 2 Centi-
meter lange Ueberbiegung des einen Endes eine Art
Kopf gemacht werden musste. Steine kommen in diesen
[125]griechische colonie auf dem boden iliums.
Schichten fast gar nicht vor, und die Massen verkohlter
Trümmer und Holzasche lassen keinen Zweifel darüber,
dass alle Gebäude dieses Volks von Holz waren. Ich
finde in diesen 2 Meter dicken Schichten zwar
einige wenige Gewichte von Stein, auch ein paar Hand-
mühlen von Lava, sonst aber keine steinernen Werk-
zeuge, ausser Messern von Silex in der Form von Sägen,
welche oft mit vieler Sorgfalt gemacht sind. So z. B.
fand ich in 2 Meter Tiefe eine 12 Centimeter lange,
4 Centimeter breite Säge von Silex, die so ausgezeich-
net gemacht war, dass ich anfänglich glaubte, es sei
ein Kamm. Der obere Theil der Säge trug die deut-
lichsten Merkmale, dass dieselbe in Holz eingefasst ge-
wesen ist.


Mit dem Volke, dem diese Schuttschichten (von 4
bis 2 Meter Tiefe) angehören, hört die vorgriechische
Zeit auf, denn von nun an sieht man viele Mauerreste
hellenischer Bauart von ohne Verbindungsmittel zusam-
mengelegten, schön behauenen Steinen, und in den
allerobersten Schichten selbst die Ruinen von Haus-
mauern, in welchen die Steine mit Kalk oder Cement
zusammengefügt sind. Auch die schon hin und wieder
in 2 Meter Tiefe vorkommenden bemalten und unbe-
malten kunstvollen Terracottas lassen keinen Zweifel
darüber, dass eine griechische Colonie sich Iliums be-
mächtigt hat, als die Oberfläche dieses Berges noch 2
Meter niedriger war als jetzt. Es ist unmöglich,
genau zu bestimmen, wann diese neue Colonisation
stattgefunden hat; jedenfalls aber muss sie viel älter
sein als der von Herodot (VII, 43) berichtete Besuch
des Xerxes, welcher 480 v. Chr. stattfand. Nach
[126]griech. terracotten gemischt mit den ältern typen.
Strabo (XIII, 1. 42) wurde die Stadt unter lydischer
Herrschaft gebaut, und mag dieses Ereigniss daher um
circa 700 v. Chr. stattgefunden haben, denn den Anfang
der lydischen Herrschaft hat man auf 797 v. Chr. fest-
gestellt. Cannelirte Töpfe, denen die Archäologen
ein Alter von 200 Jahren v. Chr. zuschreiben, kommen
hier gleich unter der Oberfläche von ½ bis 1 Meter
Tiefe vor. Keinesfalls scheint die griechische Colonie
die Einwohner von Ilium ausgerottet zu haben, denn
ich finde noch sehr viele vorgriechische Töpferwaare in
2 und sogar 1½ Meter Tiefe. Jedenfalls scheinen
mir griechischen Fabrikats zu sein die runden, lampen-
ähnlichen, einen Töpferstempel tragenden und mit
zwei Löchern am Rande versehenen Stücke Terracotta,
welche bis zu 2 Meter Tiefe vorkommen. Die run-
den Stücke mit einem Loch durch die Mitte, ohne Ver-
zierungen oder mit Verzierungen, welche die Sonne mit
ihren Strahlen, oder die Sonne mit Sternen, oder vier
ein Kreuz bildende, doppelte oder dreifache auf-
gehende Sonnen, oder auch die Sonne in der Mitte
eines einfachen oder doppelten Kreuzes darstellen,
kommen in Menge bis zu 1 Meter Tiefe vor; aber in diesen
höchsten Schichten ist die Qualität des Thons dieser
runden Stücke eine sehr schlechte, und die symbolischen
Zeichen sind sehr grob und kunstlos eingeschnitten.
Ja, meine Frau, die für die Aufdeckung Iliums schwärmt
und mir eifrig bei meinen Ausgrabungen hilft, fand in
einer Excavation, welche sie mit ihren Dienstmädchen
neben unserm Hause auf diesem Berge machte, diesel-
ben runden Terracottas, mit und ohne Verzierungen,
sogar bis ganz dicht unter der Oberfläche. Wie diese
[127]griechische brunnen. aufrechtstehende pithoi.
höchst merkwürdigen, mit den urältesten religiösen
Symbolen der arischen Rasse verzierten Stücke bei den
vier Völkern, welche das eine nach dem andern Ilium
innehatten, und darauf sogar bei der civilisirten grie-
chischen Colonie noch über 1000 Jahre in Anwendung
bleiben konnten — das ist für mich ein ebenso unlös-
bares Räthsel, wie der Zweck, wozu sie gebraucht
wurden. Wenn sie, wie ich jetzt vermuthe, das Rad
darstellten, welches im Rigvêda das Symbol des Son-
nenwagens ist, so wurden sie wol als Exvotos gebraucht,
oder sie wurden auch als Idole des Sonnengottes, des
Phoebus Apollo, angebetet. Aber wozu dann die ko-
lossale Menge davon?


Der griechischen Colonie gehört natürlich jener mehr-
fach erwähnte, von behauenen Steinen mit Cement aufge-
mauerte Brunnen an, den ich hier im vorigen Jahre in
2 Meter Tiefe entdeckte; ferner natürlich alle jene unge-
heuern Wasser- oder Weinurnen (πίϑοι), die ich in den
höchsten Schichten finde. Ich finde diese kolossalen
Behälter sowol, als auch alle in den tiefern und
tiefsten Schichten vorkommenden grossen irdenen πίϑοι
stets in aufrechter Stellung, und dies ist der beste Be-
weis, wenn überhaupt noch ein Beweis nöthig wäre,
dass die gewaltigen Schuttmassen nicht von einem an-
dern Orte hierher gebracht sein können, sondern dass
sie sich ganz allmählich im Laufe der Jahrtausende da-
durch gebildet haben, dass die Eroberer und Zerstörer
von Ilium, oder wenigstens die neuen Ansiedler nach
der Eroberung und Zerstörung, nie dieselbe Civilisation
und Gewohnheiten hatten, wie ihre Vorgänger; dass somit
viele Jahrhunderte lang Häuser mit Wänden von unge-
[128]folge der verschiedenen bauarten.
brannten Ziegeln standen auf den 4 und 6 Meter
dicken, gewaltigen Steinmassen der ungeheuern tro-
janischen Gebäude; dass wieder jahrhundertelang
Häuser von mit Lehm zusammengefügten Steinen auf
die Trümmer der Lehmhäuser gesetzt wurden; dass auf
dem Schutt dieser steinernen Häuser wieder eine lange
Zeit hindurch hölzerne Häuser errichtet wurden, auf
deren verkohlten Trümmern endlich die Bauten der
griechischen Colonie gegründet wurden, die anfänglich
aus grossen behauenen Steinen mit Kalk oder Cement
bestanden. Auf diese Weise erscheint es nicht mehr
wunderbar, dass diese Trümmermassen, welche jetzt den
Urboden bedecken, eine Dicke von mindestens 14 und
16 Metern haben.


Ich benutze die Gelegenheit, um die Uebersetzung
der Antwort beizufügen, die ich auf den von M. G. Ni-
kolaïdes in No. 181 der griechischen Zeitung „Ἐφημερὶς
Συζητήσεων“ veröffentlichten Artikel gab, in welchem
der Verfasser zu beweisen sucht, dass ich mir hier un-
nütze Mühe gebe und dass Trojas Baustelle nicht hier,
sondern auf den Höhen von Bunarbaschi sei:


„Herr Nikolaïdes behauptet, dass Trojas Baustelle
nicht durch Ausgrabungen oder andere Beweise, sondern
nur durch die Ilias entdeckbar ist. Er hat recht, wenn er
annimmt, dass Ilium nur ein Gedankenbild Homer’s sei,
gleichwie die Vögelstadt nur ein Phantasiebild des
Aristophanes war. Wenn er jedoch glaubt, dass es
wirklich ein Troja gegeben hat, dann erscheint seine
Behauptung höchst sonderbar. Er sagt darauf: das ho-
merische Troja lag auf den Höhen von Bunarbaschi, denn
am Fusse derselben sind die beiden Quellen, bei denen
[129]widerlegung der ansicht des herrn nikolaïdes.
Hektor getödtet wurde. Dies ist jedoch ein grosser Irr-
thum, denn die Zahl der dort befindlichen Quellen ist
vierzig und nicht zwei, was auch schon der türkische
Name des Quellenortes «Kirkgiös» (40 Augen oder
Quellen) zur Genüge beweist. Auch habe ich durch meine
im Jahre 1868 auf den Höhen von Bunarbaschi gemach-
ten Ausgrabungen, bei welchen ich immer bis auf den
Urboden grub, hinlänglich nachgewiesen, dass dort nie
ein Dorf, geschweige denn eine Stadt gestanden hat,
und dies beweist auch die Gestalt der bald spitzen, bald
steilen und stets ganz ungleichen Felsen. Am Ende
der Höhen, in einer Entfernung von 17 Kilometer vom
Hellespont, sieht man wirklich die Trümmer einer klei-
nen Stadt, deren Baustelle jedoch dermassen unbedeu-
tend ist, dass sie unmöglich mehr als 2000 Einwohner
gehabt haben kann, während nach den Andeutungen
der Ilias das Homerische Ilion über 50000 gehabt
haben muss. Ausserdem ist diese kleine Stadt 4, die
40 Quellen aber 3½ Stunden weit vom Hellespont ent-
fernt, und solche Entfernungen sind in vollkommenem
Widerspruch mit den Angaben der Ilias, wonach das
griechische Heer oft viermal an einem Tage kämpfend
die Strecke zwischen dem Schiffslager und der Mauer
von Troja zurücklegte.


„Der Plan der Ebene von Troja des Herrn Nikolaï-
des kann zu Irrthümern Anlass geben, denn er nennt
Simoïs den Fluss, welcher den südöstlichen Theil der
Ebene durchströmt, während dies der Thymbrius ist, wie
Frank Calvert nachgewiesen hat; denn dieser fand bei
seinen Ausgrabungen am Ufer jenes Flusses die Ruinen
des Tempels des thymbrischen Apollo, worüber eine
Schliemann, Troja. 9
[130]widerlegung der ansicht des herrn nikolaïdes.
lange, das Inventarium dieses Tempels enthaltende In-
schrift nicht den geringsten Zweifel lässt. Dann finde
ich auf der Karte des Herrn Nikolaïdes gar nicht den
viel grössern Fluss Dumbrek-Su angegeben, welcher
den nordöstlichen Theil der trojanischen Ebene durch-
strömt, somit nahe bei der alten Stadt Ophrynion
vorbeifliesst, wo das Grab Hektor’s und ein ihm ge-
weihter Hain war (Strabo, XIII, 1. S. 103; Lycophron,
Cassandra 1208). Im ganzen Alterthum wurde dieser
Fluss Simoïs genannt, wie auch Virgil (Aeneïde, III,
302—305) beweist. Ebensowenig weiss die Karte des
Herrn Nikolaïdes etwas von dem die trojanische Ebene
von Süden nach Norden durchlaufenden Flusse Kalifatli-
Asmak, der ein ungeheuer breites Bett hat, welches je-
denfalls einst das Bett des Skamander gewesen sein
muss und in welches, nördlich vor Ilion, sich noch jetzt
der Simoïs ergiesst. Der Skamander hat mehrmals
seinen Lauf verändert, wie es drei grosse Flussbetten
beweisen, die man zwischen ihm und dem Bett des
Kalifatli-Asmak sieht. Aber auch diese drei alten Fluss-
betten kennt die Karte nicht.


„Ganz im Widerspruch mit allen Traditionen des
Alterthums erkennt die Karte das Grab des Achilles in
dem kegelförmigen Grabhügel Intépé, der auf einem
Hügel am Fusse des Vorgebirges von Rhoeteum steht
und der von jeher als das Grab des Ajax angesehen
worden ist. Bei einer 1788 geschehenen Nachgrabung
in diesem Grabhügel hat man einen von Ziegeln er-
bauten, gewölbten, 1 Meter 17 Centimeter hohen Gang
gefunden, sowie die Ruinen eines kleinen Tempels.
Nach Strabo (XIII, 1. S. 103) enthielt der Tempel die
[131]widerlegung der ansicht des herrn nikolaïdes.
Bildsäule des Ajax, welche Marcus Antonius fortnahm
und der Cleopatra schenkte; Augustus gab sie den
Einwohnern der nahe beim Grabe gelegenen Stadt
Rhoeteum zurück. Nach Philostratus (Heroica, I) wurde
der auf dem Grabe befindliche Tempel vom Kaiser
Hadrian ausgebessert, und nach Plinius (V. 33) lag einst
neben dem Grabe die Stadt Aianteion. Dagegen er-
kannte das ganze Alterthum das Grab des Achilles in
dem auf einer Anhöhe am Fusse des Vorgebirges von
Sigeion, nahe am Hellespont gelegenen Grabhügel, und
die Lage desselben entspricht vollkommen der Beschrei-
bung Homer’s (Odyssee, XXIV, 80—81):


ἀμφ ̕ αὐτοῖσι δ̕ἔπειτα μέγαν καὶ ἀμύμονα τύμβον

χεύαμεν Ἀργείων ἱερὸς στρατὸς αἰχμητάων,

ἀκτῇ ἐπὶ προυχούσῃ, ἐπὶ πλατεῖ Ἑλλησπόντῳ,

ὥς κεν τηλεφανὴς ἐκ ποντόφιν ἀνδράσιν εἴη

τοῖς, οἳ νῦν γεγάασι, καὶ οἳ μετόπισϑεν ἔσονται.

(Wir heiliges Heer der speerwerfenden Argeier häuften
darauf um diese [Knochen] ein grosses und lobenswerthes
Grab am vorspringenden Ufer des breiten Hellespontos, da-
mit es vom Meere aus sichtbar sei den Männern, die jetzt
geboren sind und die künftig sein werden.) Das südlich, un-
mittelbar neben diesem Grabe liegende, mit Topfscher-
ben bedeckte Feld ist ohne Zweifel die Baustelle der
alten Stadt Achilleion, welche nach Strabo (XIII, 1,
S. 110) von den Mitylenern erbaut wurde, viele Jahre
lang mit den, Sigeion besetzt haltenden, Atheniensern
im Krieg war und, gleichzeitig mit Sigeion, durch
Ilium zerstört wurde. Plinius (V, 33) bestätigt das Ver-
schwinden von Achilleion. Die Ilier brachten hier
9*
[132]widerlegung der ansicht des herrn nikolaïdes.
Todtenopfer, nicht nur auf dem Grabe des Achilleus,
sondern auch auf den in der Nähe liegenden Gräbern
des Patroklos und des Antilochos (Strabo, XIII, 1).
Alexander der Grosse opferte hier im Tempel des
Achill (Plutarch, Leben Alexanders des Grossen; Cicero,
pro Archia, 10; Aelian V. H., 12, 7). Auch Caracalla
brachte hier mit seinem Heere dem Achill Todten-
opfer und stellte um das Grab herum Wettspiele an
(Dio Cassius, LXXVII, 16). Homer sagt nie etwas von
einem Fluss im griechischen Lager, welches vermuthlich
das ganze Ufer zwischen dem Cap Sigeion und dem Ska-
mander eingenommen hat, der damals das alte Bett des
Kalifatli-Asmak hatte. Letzteres ist aber jedenfalls vom
Dorfe Kum-Köi ab identisch mit dem grossen Bett des
kleinen Stroms Intépé-Asmak, der beim Cap Rhoeteum
in den Hellespont fliesst.


„Herr Nikolaïdes führt ferner die Verse der Ilias
(II, 811—815) an:


ἔστι δέ τις προπάροιϑε πόλιος αἰπεῖα κολώνη,

ἐν πεδίῳ ἀπάνευϑε, περίδρομος ἔνϑα καὶ ἔνϑα,

τὴν ἤτοι ἄνδρες Βατίειαν κικλήσκουσιν,

ἀϑάνατοι δέ τε σῆμα πολυσκάρϑμοιο Μυρίνης.

ἔνϑα τότε Τρῶές τε διέκριϑεν ἠδ̕ἐπίκουροι.

(Vor der Stadt, seitwärts in der Ebene, erhebt sich ein
steiler, freistehender Hügel, den die Menschen Batieia,
die Unsterblichen das Grab der gewandten Myrine
nennen; dort stellten sich gesondert die Trojaner und
ihre Verbündeten auf.) Herr Nikolaïdes folgert daraus,
dass vor Ilium ein sehr grosser Hügel war, auf wel-
chem sich das trojanische Heer von 50000 Mann in
[133]widerlegung der ansicht des herrn nikolaïdes.
Schlachtordnung aufstellte. Ich verstehe vorstehende
Verse aber durchaus nicht so, dass der Hügel Batieia
gross und geräumig war, noch dass 50000 Mann sich
auf demselben in Schlachtordnung aufgestellt hätten.
Im Gegentheil, wenn Homer das Wort «αἰπύς» für An-
höhen gebraucht, dann versteht er immer «steil und
hoch», und auf einem steilen und hohen Hügel konnten
sich unmöglich 50000 Trojaner aufstellen. Auch sagt ja
der Dichter ausdrücklich, dass der steile Hügel von
den Göttern das Grab der gewandten Myrine genannt
wird, während der dem Hügel von den Menschen [gege-
bene]
Name «Batieia» auch nur soviel heissen kann als:
»Grab der Batieia». Nach Apollodor (III, 12) war näm-
lich Batieia die Tochter des trojanischen Königs Teukros,
die den von Samothrakien eingewanderten Dardanos hei-
rathete, welcher später König und der Erbauer von Troja
wurde (Ilias, XX, 215—218). Die Myrine war eine der
Amazonen, welche den Feldzug gegen Troja unternom-
men hatten (Herodot, I, 27; Ilias, III, 189—190; Strabo,
XIII, 3). Nie kann Homer haben glauben machen
wollen, dass sich 50000 Krieger auf einem hohen und
steilen Grabe aufstellten, auf dessen Spitze kaum
zehn Mann stehen können; er hat nur den Ort angeben
wollen, wo sich das trojanische Heer aufstellte; dasselbe
stellte sich also um das Grab herum, oder neben dem-
selben auf. Herr Nikolaïdes sagt weiter, dass sich ein
solcher Hügel auch jetzt noch vor Bunarbaschi befinde,
während vor Neu-Ilium durchaus kein Hügel oder eine
Anhöhe sei. Ich antworte darauf, dass vor den Anhöhen
von Bunarbaschi keines jener «σῆμα» von Homer be-
nannten, kegelförmigen Heldengräber ist, dass aber ein
[134]widerlegung der ansicht des herrn nikolaïdes.
solches vor Hissarlik, wo ich grabe, gewesen sein
muss; es ist aber verschwunden, wie alle nur aus Erde
bestehenden Anhöhen, die cultivirt werden, zu Grunde
gehen. So z. B. hat Herr Nikolaïdes während seines
eintägigen Aufenthalts in der Ebene von Troja im
Jahre 1867 noch in der Nähe des Skamander das
grosse Grab des Antilochos gesehen, denn er spricht
von demselben in seinem, in demselben Jahre veröffent-
lichten Buche; auch ich habe dieses Grab noch im August
1868 gesehen; es hatte sich aber damals schon bedeutend
verringert, denn man hatte gerade angefangen, es zu
bebauen; jetzt ist es längst spurlos verschwunden.
Herr Nikolaïdes sagt, dass ich in Neu-Ilium ausgrabe.
Ich antworte, dass die Stadt, in deren Tiefen ich grabe,
im ganzen Alterthum, ja, von ihrer Gründung bis zu
ihrem Untergang, der ungefähr 800 Jahre n. Chr.
stattgefunden haben soll, immer nur Ilium genannt
worden ist, und dass es niemand jemals Neu-Ilium
genannt hat, denn alle glaubten, dass die Stadt auf
der Baustelle des homerischen Ilium stände und mit
diesem identisch wäre. Der einzige, welcher je die
Identität dieses Ilium mit der Stadt des Priamos be-
zweifelt hat, war Demetrios von Skepsis, welcher be-
hauptete, dass die alte berühmte Stadt auf der Baustelle
des 30 Stadien südöstlich von hier gelegenen Dorfes der
Ilier (Ἰλιέων κώμη) gestanden hätte; diese Ansicht theilte
später auch Strabo, der übrigens, wie er selbst gesteht,
nie die Ebene von Troja besucht hat; er nennt daher
auch die Stadt «τὸ σημερινὸν Ἴλιον», im Gegensatze zum
homerischen Ilium. Ich habe aber durch meine vor-
jährigen Ausgrabungen auf der Baustelle von Ἰλιέων κώμη
[135]widerlegung der ansicht des herrn nikolaïdes.
dargethan, dass die sich auf einer Seite derselben weit
ausdehnenden Anhöhen, welche die Ruinen grosser
Stadtmauern zu enthalten schienen, nur reinen Urboden
enthalten; auch fand ich überall, wo ich auf der Bau-
stelle des alten Dorfes grub, immer den Urboden in ge-
ringer Tiefe, und nirgends die geringste Spur, dass dort
jemals eine Stadt gestanden hat. Demetrios von Skepsis
und Strabo, der seine Theorie annahm, waren daher
gewaltig im Irrthum. Die Stadt Ilium wurde erst un-
gefähr 1000 Jahre nach ihrem völligen Untergang mit
dem Namen Ilium Novum getauft; in der That, diese
Taufe geschah erst im Jahre 1788 n. Chr. durch
Lechevalier, den Gründer der Theorie, dass das home-
rische Ilium auf den Höhen von Bunarbaschi gestanden
habe. Unglücklicherweise aber, wie es sein Werk und
seine Karte der Ebene von Troja beweisen, kannte
Lechevalier nur vom Hörensagen die von ihm mit dem
Namen Ilium Novum getaufte Stadt Ilium, niemals
hat er sich die Mühe gegeben, selbst hierher zu kom-
men, und hat so den höchst lächerlichen Irrthum
begangen, sein Neu-Ilium 6 Kilometer von hier, jenseit
des Skamander, bei Kumkalé, auf seine Karte zu
setzen.


„Ich erstaune, wie Herrn Nikolaïdes die Nachricht
zugekommen ist, dass die Stadt, welche er Ilium Novum
nennt, im 6. Jahrhundert v. Chr. von den Astypa-
läern gegründet ist. Es scheint aber, dass er einfach
im Strabo (XIII, 602) gelesen hat, dass die in Rhoeteum
wohnenden Astypaläer am Simoïs die Stadt Polion er-
bauten (welcher Name in Polisma überging), die, da sie
nicht von der Natur befestigt war, bald zerstört wurde,
[136]widerlegung der ansicht des herrn nikolaïdes.
und dass er diese Mittheilung Strabo’s irrthümlich dahin
abänderte, dass die Astypaläer im 6. Jahrhundert v.
Chr. Ilium Novum gebaut hätten. Im darauffolgenden
Satze sagt Strabo, dass die Stadt (Ilium) unter der
Herrschaft der Lydier 797 v. Chr. anfing. Woher
kann Herr Nikolaïdes die Kunde haben, dass der Bau
der Stadt im 6. Jahrhundert stattgefunden hat?


„Herr Nikolaïdes sagt weiter, dass Homer jedenfalls
die Nachkommen des Aeneas in Troja hat herrschen
sehen, indem er sonst nicht die prophetischen Worte:


νῦν δὲ δὴ Αἰνείαο βίη Τρώεσσιν ἀνα΄ξει

καὶ παίδων παῖδες, τοί κεν μετόπισϑε γένωνται

(Ilias, XX, 307—308. Ja bald werden über die Trojaner
herrschen Aeneas und die Söhne seiner Söhne, und die,
welche später geboren werden) dem Poseidon hätte in
den Mund legen können. Auch ich war immer dersel-
ben Ansicht, bis meine Ausgrabungen dieselbe als
irrig erwiesen und über jeden Zweifel herausstellten,
dass Troja von Grund aus zerstört und von einem
andern Volke wieder aufgebaut wurde. Als weitern
Beweis, dass das homerische Ilium auf den Höhen von
Bunarbaschi lag, führt Herr Nikolaïdes an, dass die
Trojaner einen Kundschafter auf dem Grabhügel des
Aesyetes aufgestellt hatten, um zu erspähen, wann die
Achäer aus den Schiffen hervorstürmen würden, und er
meint, dass, des geringen Abstandes vom Hellespont
wegen, dies Spähen überflüssig und widersinnig gewe-
sen sein würde, wenn, wie ich sage, Troja auf der Bau-
stelle von Ilium, welches Herr Nikolaïdes Ilium Novum
nennt, gestanden hätte. Ich erstaune auch über diese
[137]widerlegung der ansicht des herrn nikolaïdes.
Bemerkung des Herrn Nikolaïdes, denn wie er aus seiner
eigenen Karte der Ebene von Troja ersehen kann, ist die
Entfernung von hier bis zum Hellespont 6 Kilometer
oder 1½ Stunde Wegs, während kein menschliches
Auge Menschen in einer Entfernung von 2 Kilometer
erkennen kann, und noch viel weniger dies auf 6 Ki-
lometer Abstand möglich ist. Herr Nikolaïdes indessen
erkennt den Grabhügel des Aesyetes in dem 13 Kilometer
oder 3½ Stunden Wegs vom Hellespont entfernten,
Udjek-Tépé genannten Grabhügel. In einer solchen
Entfernung aber erkennt das menschliche Auge kaum
die grössten Schiffe, und niemals Menschen.


„Ebenfalls durchaus falsch ist die Behauptung des
Herrn Nikolaïdes, dass bei Hissarlik gar keine Quelle
sei. Ein Unglück wäre es für mich, wenn dies wahr wäre,
denn ich habe meinen 130 Arbeitern stets frisches Trink-
wasser zu geben; aber, Gott sei Dank, dicht bei meinen
Ausgrabungen, gerade unter den Trümmern der Stadt-
mauer, sind zwei schöne Quellen, von denen die eine
sogar doppelt ist. Auch ist irrig die Behauptung des
Herrn Nikolaïdes, dass zwischen Hissarlik und dem
Hellespont der Skamander weder fliesse noch jemals
geflossen sei. Denn, wie gesagt, muss der Skamander
einst das auf Herrn Nikolaïdes’ Karte vergessene, grosse,
herrliche Bett des Kalifatli-Asmak innegehabt haben,
welches unweit des Caps von Rhoeteum in den Helles-
pont mündet.


„Endlich ist durchaus falsch die Angabe des Herrn
Nikolaïdes, dass der Berg Hissarlik, wo ich grabe, am
äussersten Nordostende der Ebene von Troja liege; denn,
wie jeder mit einem Blick auf die Karte sehen kann,
[138]widerlegung der ansicht des herrn nikolaïdes.
erstreckt sich die Ebene von Troja noch 1½ Stunde
lang und ½ Stunde breit vom Berge Hissarlik mehr nach
Nordosten, und sie endet erst am Fusse der Anhöhen
von Renköi und der alten Stadt Ophrynium.


„Begreiflicherweise habe ich bei meinen über-
menschlichen Arbeiten nie einen Augenblick freie Zeit
und kann unmöglich meine theuere Zeit mit eiteln
Schwätzereien verlieren. Ich bitte daher Herrn Nikolaï-
des nach Troja zu kommen, um sich mit eigenen Augen
zu überzeugen, dass ich in der Widerlegung seiner
falschen Angaben alles der reinsten Wahrheit gemäss
so geschildert habe, wie ich es hier vor mir sehe.“


[139]vermehrung der mittel zum ausgraben.

XI.



Mein letzter Bericht war vom 18. Juni. Da ich
bei der Grösse meiner Ausgrabungen gar nicht im
Stande bin, mit weniger als 120 Mann zu arbeiten,
so habe ich, der Erntezeit wegen, schon seit dem
1. Juni den Tagelohn auf 12 Piaster erhöhen müs-
sen, und würde selbst dadurch nicht im Stande ge-
wesen sein, die nöthige Zahl von Leuten zusammenzu-
bringen, hätte nicht Herr Max Müller, der würdige
deutsche Consul in Gallipoli, die Güte gehabt,
mir 40 Arbeiter von dort zu schicken. Infolge dessen
habe ich selbst in der schwersten Erntezeit immer
120 bis 130 Arbeiter gehabt, und jetzt, wo die Ernte
beendigt ist, habe ich beständig 150. Zur Erleich-
terung der Arbeiten habe ich mir durch die Güte
des englischen Consuls, Herrn Charles Cookson in Kon-
stantinopel, 10 man-carts angeschafft, die von zwei Mann
gezogen und von einem dritten geschoben werden.
Derselbe hat ausserdem 20 Schiebkarren geschickt, so-
dass ich jetzt mit 10 man-carts und 88 Schiebkarren
arbeiten lasse. Ich halte aber ausserdem noch sechs
Schuttwagen mit Pferden, wovon jeder 5 Frs. täglich
[140]fortwährender wind; das „stürmische“ ilium.
kostet, und übersteigen somit die Gesammtkosten der
Ausgrabungen täglich 400 Frs. Ausser Böcken,
Ketten und Winden bestehen meine Werkzeuge aus
24 grossen eisernen Hebeln, 108 Spaten und 103 Hacken,
alle besten englischen Fabrikats. Es wird von Son-
nenaufgang bis Sonnenuntergang eifrig gearbeitet, denn
ich habe drei tüchtige Aufseher, und meine Frau und
ich sind stets bei den Arbeiten. Dennoch kann ich
nicht rechnen, dass ich jetzt mehr als 300 Kubikmeter
Schutt täglich fortschaffe, denn die Entfernung wird
immer grösser und übersteigt an mehrern Stellen
schon 80 Meter, und ausserdem ist auch der beständige
Nordsturm, der uns den Staub fortwährend in die Augen
treibt und uns blendet, bei den Arbeiten äusserst hin-
derlich. Dieser immerwährende Sturm erklärt sich viel-
leicht dadurch, dass zunächst das Meer von Marmara
und dann das Schwarze Meer durch eine verhält-
nissmässig so enge Wasserstrasse mit dem Aegäischen
Meere verbunden sind. Da man aber solche fortwäh-
rende Stürme sonst nirgends in der Welt kennt, so
muss Homer in der Ebene von Troja gelebt haben,
denn sonst könnte er seiner Ἴλιος nicht so oft das so
treffende Beiwort „ἠνεμόεσσα“ (das windige oder stür-
mische) geben, welches er sonst keinem andern Orte
gibt.


Wie bereits erwähnt, habe ich in 12 Meter senk-
rechter Tiefe unter dem Berggipfel, auf der Baustelle
des wahrscheinlich von Lysimachus gebauten Tempels,
eine unten 31, oben 34 Meter breite Plateforme getrie-
ben, die bereits eine Länge von 25 Meter erreicht hat.
Aber zu meinem grössten Schrecken sehe ich, dass ich
[141]terracotten; figur einer priesterin.
sie um wenigstens 5 Meter zu hoch angelegt habe, denn
ich bin trotz der grossen Tiefe und der grossen Ent-
fernung vom Abhange des Berges noch immer in den
Schutthaufen der griechischen Colonie, während ich sonst
am nördlichen Abhange des Berges gewöhnlich schon
in weniger als 2 Meter Tiefe die Trümmer des vorher-
gehenden Volkes erreichte. Diese ganze Plateforme um
5 Meter tiefer zu graben, würde eine Riesenarbeit sein,
für welche ich jetzt, der vorgerückten Jahreszeit wegen,
nicht mehr die Geduld habe. Um aber jedenfalls bald-
möglichst zu erforschen, was in den Tiefen dieses Tem-
pels steckt, habe ich mich damit begnügt, genau 5 Me-
ter unterhalb der Plateforme und in deren Mitte einen
oben 8, unten 4 Meter breiten Einschnitt zu machen,
welcher, da ich ihn gleichzeitig von unten und auf
zwei Terrassen grabe, schnell fortschreitet.


Es sind seit der Entdeckung des Sonnengottes mit
den vier Pferden viele Marmorblöcke mit Darstellungen
von Sonnen und Blumen gefunden, jedoch keine Sculp-
turen von Wichtigkeit. Von andern Gegenständen
kam in dieser Tempelausgrabung bis heute sehr wenig
zum Vorschein: nur wenige runde Stücke Terracotta
mit der gewöhnlichen Verzierung der von drei, vier
oder fünf dreifachen oder vierfachen aufgehenden
Sonnen umgebenen Centralsonne; Messer von Silex in
Form von Sägen, einige niedliche Terracotta-Figuren,
worunter eine Priesterin mit sehr ausdrucksvollen assy-
rischen Gesichtszügen, mit feuerrothem und grünem Ge-
wande und mit rothem Tuch um den Kopf; auch ein
kleiner Napf, dessen unteres Ende einen Mausekopf
vorstellt. Die Maus war bekanntlich, als ein von Erd-
[142]napf mit mausekopf; sonnensymbole.
dünsten begeistertes Thier und als Symbol der Weis-
sagung, dem Apollo geweiht. Auch soll nach Strabo
(XIII, 613) Apollo den von Kreta ausgewanderten
Teukrern durch Mäuse den Ort angezeigt haben, wo
sie sich ansiedeln sollten. Der Napf mit dem Mause-
kopf beweist aber ebenso wenig als die den Sonnen-
gott mit vier Pferden darstellende Metope, dass der
hier von Lysimachos gebaute Tempel dem Apollo ge-
weiht war.


In meinen übrigen Ausgrabungen kam seit meinem
letzten Bericht wiederum eine ungeheuere Menge runder
Stücke Terracotta zum Vorschein, und darunter, in 4
bis 10 Meter Tiefe, besonders viele mit drei, vier oder
fünf

[figure]

um die Centralsonne. Eins aus 7 Meter Tiefe,
dessen Abbildung ich Tafel 9, No. 295 gebe, zeigt die
Centralsonne umgeben von sechs Sonnen, durch de-
ren jede ein

[figure]

geht; auf einem andern, in 10 Meter
Tiefe gefundenen, hat die Centralsonne anstatt Strahlen
12 Bäume; auf einem dritten, aus 5 Meter Tiefe
stammenden, hat die Sonne sieben Strahlen in der Form
von Angelhaken, einen in Form einer Drei und zwei in
Gestalt des phönizischen Buchstaben Nun, darauf
folgen 12 Strahlenschweife, in deren jedem vier
Sternchen sind; auf einem vierten Stück, welches ich
in 5 Meter Tiefe fand, sieht man vier aufgehende
Sonnen und einen Baum im Kreise um die Sonne.
Sehr häufig finde ich zwischen den aufgehenden Sonnen
drei oder vier auf die Centralsonne zugehende Reihen
von je drei Punkten, die, wie bereits erwähnt, nach
Herrn E. Burnouf in den persischen Keilinschriften
„königliche Majestät“ bedeuten. Bestimmt soll dieses
[143]schwarze terracotten mit symbolen.
Symbol auch hier den Sonnengott verherrlichen. Es
kommen in 7 bis 10 Meter Tiefe auch runde Stücke
Terracotta vor, auf denen die ganze Fläche um die Sonne
mit Sternchen ausgefüllt ist und man ausserdem nur ein

[figure]

sieht.


In den letzten Tagen sind auch in den Schuttschich-
ten des homerischen Iliums auf dem Urboden, in 14
und bis 11 Meter Tiefe, viele ausgezeichnet gearbeitete,
runde, glänzend schwarze Stücke Terracotta gefunden;
die meisten derselben sind viel platter als die in den
höhern Schichten vorkommenden, und einem Rade
ähnlich; manche haben die Gestalt von grossen
platten Knöpfen; es kommen aber auch oft Stücke in
der Form des Carrousels und des Vulkans vor, die sich
nur durch die Feinheit der Terracotta und durch bes-
sere Arbeit von denen in den höhern Trümmer-
schichten unterscheiden. Die Verzierungen dieser ur-
ältesten Stücke sind aber im allgemeinen viel einfacher
als die der oberhalb 10 Meter Tiefe vorkommenden, und
beschränken sich meistentheils auf die Darstellung der
Sonne mit ihren Strahlen oder mit Sternen zwischen
letztern, oder auf die Sonne in der Mitte eines ein-
fachen Kreuzes oder in der Mitte von vier oder fünf
doppelten oder dreifachen aufgehenden Sonnen. In
6 Meter Tiefe wurde abermals eine runde Terracotta in
der Form eines Vulkans gefunden, auf dem drei Anti-
lopen im Kreise um die Sonne dargestellt sind.


In einer Tiefe von 5 bis 8 Meter kommen viele
Terracotta-Kugeln vor, deren Oberfläche oft in acht
Felder abgetheilt ist; diese enthalten eine grosse Menge
von entweder durch Kreise umschlossenen oder auch
[144]gebrauch der terracottastücke.
freistehenden kleinen Sonnen und Sternen; die meisten
Kugeln sind aber ohne Abtheilungen und mit Sternen
bedeckt; auf einigen sieht man auch das

[figure]

und den
Lebensbaum, der, wie bereits erwähnt, auf einer aus
8 Meter Tiefe stammenden Kugel Sterne zwischen
seinen Zweigen hat.


Unter den Tausenden und aber Tausenden der
hier von der Oberfläche bis 14 und 16 Meter Tiefe, also
vom Ende der griechischen Colonie bis zu den Trümmer-
schichten der ersten Einwohner des homerischen Troja,
vorkommenden runden Stücke Terracotta in Form des
Vulkans, des Carrousels oder des Rades habe ich noch
nicht ein einziges mit symbolischen Zeichen bedecktes
gesehen, auf welchem ich die geringste Spur hätte ent-
decken können, dass es zu irgendeinem häuslichen
Gebrauch benutzt worden wäre; dagegen finde ich
zwischen denen, welche ohne Verzierungen sind, einige
wenige in der Form des Vulkans, vielleicht zwei unter
hundert, deren oberer Theil deutliche Spuren der Ab-
reibung und somit des Gebrauchs am Spinnrad oder
in Webstühlen zeigen. Dass diese herrlichen, oft mit
den feinsten, kunstvollsten eingravirten Zeichnungen
bedeckten Stücke als Gewichte an Fischernetzen ge-
dient haben sollten, daran ist nicht im entferntesten zu
denken, denn abgesehen von allen andern dagegen-
sprechenden Gründen, haben Stücke von Terracotta
nicht die nöthige Schwere und werden natürlich beim
Gebrauch im Wasser sogleich verdorben.


Herr E. Burnouf schreibt mir, dass diese höchst
merkwürdigen Stücke entweder von den Trojanern und
ihren Nachfolgern als Amulete getragen, oder bei
[145]gebrauch der terracotten; lampen.
ihnen als Münzen im Gebrauch gewesen sein müssen.
Beides scheint mir aber unmöglich. Als Amulete sind sie
viel zu gross und schwer, denn sie haben 3, 5 und selbst
6 Centimeter im Durchmesser und 1 bis 5 Centimeter
Höhe; auch würde es ungemein unbequem sein, auch nur
ein einziges dieser schweren Stücke um den Hals oder
auf der Brust zu tragen. Der Gebrauch derselben
als Münzen scheint mir wegen der religiösen symbo-
lischen Zeichen nicht denkbar; auch müssten sie, als
Münzen benutzt, durch den fortwährenden Austausch
abgenutzt sein. Dann scheint gegen den Gebrauch als
Münzen auch die weisse Masse zu sprechen, mit der die
Verzierungen ausgefüllt sind und die bei dem fortwähren-
den Wandern von Hand zu Hand gar bald hätte verschwin-
den müssen; ferner der Umstand, dass sie auch in den
Trümmerschichten der griechischen Colonie vorkommen,
in denen ich viele kupferne, auch einige silberne Mün-
zen von Ilium finde. Uebrigens sind letztere meistens
aus der römischen Kaiserzeit, und ich kann nicht mit
Bestimmtheit behaupten, dass sie über unsere Zeitrech-
nung hinausgehen. Es finden sich indess Münzen von
Sigeion, die wahrscheinlich aus dem 2. Jahrhundert vor
Christo sind, denn diese Stadt war schon zu Strabo’s
Zeit zerstört.


In 14 Meter Tiefe finde ich unter andern merk-
würdigen Gegenständen kleine runde Näpfe, von nur
4½ Centimeter Durchmesser; einige derselben haben
am Rande des Bodens herum vier Füsschen mit einem
durchgehenden Loch, während sich ein fünftes Füsschen
ohne Loch in der Mitte befindet. Andere Näpfe gleicher
Grösse haben vier Füsschen, wovon nur zwei ein durch-
Schliemann, Troja. 10
[146]näpfchen, trichter, kahnförmige salzfässer.
gehendes Loch haben. Ich vermuthe, dass alle diese
Näpfchen, welche sowol hingestellt als aufgehängt
werden konnten, den alten Trojanern als Lampen ge-
dient haben. Bei keiner der drei folgenden Nationen
finde ich eine Spur von Lampen, und erst in weniger
als 1 Meter Tiefe griechische λύχνοι.


In 2 Meter Tiefe fand ich in den Trümmern eines
Hauses eine grosse Masse von ganz kleinen, nur 2 Cen-
timeter hohen und 1 Centimeter breiten Näpfchen mit
ihren Deckelchen, deren Gebrauch mir unbekannt ist.
In 4 bis 7 Meter Tiefe finde ich grobe, in 7 bis 10
Meter Tiefe feinere, und in 13 bis 14 Meter Tiefe sehr
feine kleine flache Schälchen von 5 bis 8 Centimeter
im Durchmesser, die zwei sich gegenüberstehende
Löcher haben und deren Gebrauch mir vollends ein
Räthsel ist. In allen diesen Tiefen finde ich auch 7 bis
8 Centimeter lange und am breiten Ende nur 3 bis 3½
Centimeter im Durchmesser habende Trichter, welche
in den obern Schichten von sehr schlechtem Thon sind,
aber allmählich mit zunehmender Tiefe besser werden
und in 14 Meter Tiefe von sehr guter Terracotta sind.
Höchst merkwürdig aber ist es, dass diese seltsame,
ganz unpraktische Art von Trichtern, wovon ich mehrere
photographiren lassen werde, sich in ganz unveränder-
ter Gestalt von der Gründung der Stadt ab bei allen
Völkern erhalten hat, die vor der griechischen Co-
lonie Ilium bewohnt haben. Auch finde ich in 4 bis
7 Meter Tiefe grobe, 10 Centimeter lange, und in 7 bis
10 Meter Tiefe feingearbeitete, 4 bis 7 Centimeter lange
Terracottas in der Form des primitiven, aus einem aus-
gehöhlten Baumstamm bestehenden Kahns, welche als
[147]glocke; schöner becher mit eulenkopf.
Salz- oder Pfefferfässer gebraucht sein mögen; mehrere
derselben habe ich mit flachen Deckeln gefunden. In
den trojanischen Schuttschichten kommen diese Gefässe
nicht vor. Miniaturvasen und Töpfe von 3 und 4
Centimeter Höhe kommen in allen Trümmerschichten
von 3 bis 10 Meter Tiefe viel vor, und ich werde hun-
dert von den bessern photographiren lassen; in 14 bis
16 Meter Tiefe kamen nur drei Miniaturtöpfe vor, unter
denselben aber ist einer von nur 2½ Centimeter Höhe.
In 5 Meter Tiefe fand sich ein ganz geschlossenes irdenes
Gefäss mit einem Henkel von oben, welches als Glocke
gebraucht zu sein scheint, denn es sind Stücke Metall
darin, welche klingeln, wenn man schüttelt.


Von Bechern mit Eulenköpfen und Helm kamen
seit meinem letzten Berichte zwei in 3 und 3½,
zwei in 5 und einer in 8 Meter Tiefe zum Vorschein.
Erstere sind von schlechter Terracotta und kunst-
los, jene von 5 Meter Tiefe sind schon viel feiner gear-
beitet und von besserm Thon, während der Becher
aus 8 Meter Tiefe so schön ist, dass man sagen möchte,
er stelle das wirkliche Porträt der Göttin mit dem
Eulengesicht dar. Von jenen herrlichen rothen Bechern
in der Form grosser Champagnergläser, ohne Fuss
und mit zwei ungeheuern Henkeln, wurden dieser Tage
viele gefunden, darunter einer von 27 Centimeter
Höhe; ich fand aber bereits einen von 32 Centimeter
Höhe. Auch kamen in den letzten Tagen aus 8 bis 10
Meter Tiefe viele Töpfchen vor mit drei Füsschen
mit Röhren an den Seiten und Löchern im Munde zum
Aufhängen, und mit hübschen eingeschnittenen Verzie-
rungen. Im ganzen genommen kamen in den letzten
10*
[148]vasen mit verzierungen; gemalte dose.
Tagen aus allen Schuttschichten viele schöne Terra-
cottas zum Vorschein.


Noch muss ich eine jener sehr niedlichen Vasen be-
schreiben, die in 7 bis 10 Meter Tiefe häufig vorkom-
men und entweder zwei geschlossene Henkel, oder an-
statt derselben zwei Griffe mit durchgehenden Löchern
und, in gleicher Richtung, zwei Löcher im Munde ha-
ben, daher hingestellt oder mittels der durch die
vier Löcher gezogenen Schnüre aufgehängt werden
können. Sie haben in den meisten Fällen ringsherum
Verzierungen, welche gewöhnlich oben und unten aus
drei parallelen, horizontal herumlaufenden Strichen be-
stehen, zwischen welchen sich 24 senkrechte, eben-
falls parallel laufende Linien befinden; die durch
letztere gebildeten Räume sind abwechselnd mit drei
oder sechs Sternchen angefüllt. Es kommen auch, ob-
wol selten, in 7 bis 10 Meter Tiefe Vasen mit keil-
förmigen Verzierungen vor. Ich erinnere aber daran,
dass alle Verzierungen, die hier von 10 bis 2 Meter Tiefe
vorkommen, immer nur mehr oder weniger kunstvoll in die
Terracottas eingravirt sind, als diese noch weich und un-
gebrannt waren, dass alle Vasen immer nur eine ein-
tönige Farbe haben, die ganz ordinären Töpfe aber in
den meisten Fällen ungefärbt sind, und dass von Malerei
in diesen Tiefen nie eine Spur vorkommt, mit Ausnahme
einer sonderbaren, in 8 Meter Tiefe gefundenen Dose
in Form einer Schachtel, welche drei Füsse und Löcher
zum Aufhängen hat; dieselbe ist auf gelbem Grund auf
allen Seiten mit rothen, gemalten Verzierungen ge-
schmückt und trägt auf dem Deckel ein grosses

[figure]


oder ein diesem sehr ähnliches symbolisches Zeichen der
[149]fälschungen der arbeiter.
Maya, der Feuermaschine unserer arischen Urväter.
Ihrer Merkwürdigkeit wegen werde ich diese Dose von
allen Seiten photographiren lassen.


In den Schuttschichten der alten Trojaner, in 14
bis 16 Meter Tiefe, habe ich auch nur das eine, bereits
früher beschriebene Bruchstück einer Vase mit wirk-
licher Malerei gefunden, welches Tafel 27, No. 722 ab-
gebildet ist; alle sonst in denselben vorkommenden Ge-
fässe, selbst die runden Terracottastücke in der
Gestalt des Rades, des Vulkans oder des Carrousels
haben eine glänzend schwarze, rothe oder braune Farbe,
und sind die Verzierungen kunstvoll eingeschnitten und
mit einer weissen Masse ausgefüllt, damit sie mehr in
die Augen fallen.


Da in den der dunkeln Nacht vorgriechischer Zeit
angehörigen Trümmern jeder Gegenstand, der Spuren
menschlichen Kunstsinns trägt, eine Seite der Geschichte
für mich ist, so muss ich vor allen Dingen dafür sorgen,
dass mir nichts entgeht, ich bezahle daher meinen
Arbeitern ein Trinkgeld von 10 Paras (5 Centimes)
für jeden Gegenstand, der den geringsten Werth
für mich hat, also auch für jedes runde Stück
Terracotta mit religiösen Symbolen. Und, wer sollte
es glauben, ungeachtet der ungeheuern Masse derarti-
ger vorkommender Stücke versuchen meine Arbeiter
manchmal auf den unverzierten Stücken Verzierungen
zu machen, um den Preis zu verdienen, und ist beson-
ders die Sonne mit ihren Strahlen der Gegenstand ihres
Kunstfleisses. Ich erkenne natürlich die gefälschten
Symbole auf der Stelle, bestrafe auch die Fälscher
immer mit einem Abzug von 2 Piastern vom Tagelohn,
[150]die quellen an der nordseite iliums.
aber bei dem fortwährenden Wechsel der Arbeiter wird
die Fälschung doch noch immer von Zeit zu Zeit
versucht.


Da ich bei meinen vielen Arbeiten nicht die Namen
aller meiner Arbeiter im Gedächtniss behalten kann, so
nenne ich sie je nach ihrem mehr oder weniger gottesfürch-
tigen, militärischen oder gelehrten Aussehen: Derwisch,
Mönch, Pilgrim, Corporal, Doctor, Schulmeister u. s. w.
und kaum habe ich einen solchen Namen gegeben, so
wird der gute Mann von allen bei demselben so genannt,
solange er bei mir ist. Auf diese Weise habe ich viele
Doctoren, von denen keiner lesen oder schreiben kann.


Gestern fand ich wieder in 13 Meter oder 43½ Fuss
Tiefe, zwischen den Steinen des alten Troja, zwei
Kröten, welche davonhüpften, sobald sie sich in Freiheit
sahen.


Die Zahl der an der Nordseite von Ilium befind-
lichen Quellen habe ich in meinem letzten Berichte
noch nicht ganz genau angegeben. Ich habe jetzt alle
Quellen selbst besucht, ihre Entfernung von meinen
Ausgrabungen gemessen und kann Nachstehendes darü-
ber mittheilen: Die erste gerade unter den Trümmern
der alten Stadtmauer befindliche Quelle ist genau 365
Meter von meinen Ausgrabungen entfernt; ihr Wasser
hat eine Temperatur von 16 Grad Celsius oder 12⅘ Grad
Réaumur; sie hat eine 2 Meter hohe und 2 Meter
80 Centimeter breite Einfassung von mit Cement ver-
bundenen grossen Steinen, und vor ihr stehen zwei
steinerne Tröge zum Tränken des Viehes. Die zweite,
ebenfalls noch unter den Ruinen der alten Stadtmauer
befindliche Quelle ist genau 725 Meter von meinen Aus-
[151]die quellen an der nordseite iliums.
grabungen entfernt; sie hat eine ähnliche, 2 Meter
10 Centimeter hohe, 1 Meter 50 Centimeter breite Ein-
fassung von grossen Steinen, und ebenfalls eine Tempe-
ratur von 16 Grad Celsius; sie ist aber in Unordnung,
und das Wasser läuft nicht mehr durch die steinerne
Röhre der Einfassung, sondern auf der Erde, ehe es
letztere erreicht. Die in meinem letzten Bericht er-
wähnte doppelte Quelle ist genau 945 Meter von meinen
Ausgrabungen entfernt; sie besteht aus zwei verschie-
denen Quellen, die in einer 2 Meter 10 Centimeter
hohen, 7 Meter breiten Einfassung von durch Cement
verbundenen grossen Steinen durch zwei nebeneinander-
liegende steinerne Röhren auslaufen und eine Tempera-
tur von 17 Grad Celsius oder 13⅗ Grad Réaumur haben.
Vor diesen beiden Quellen, von denen Tafel 107 eine
Photographie gibt, stehen sechs steinerne Tröge, die so
gestellt sind, dass der Ueberfluss des Wassers immer
aus dem ersten Troge der Reihe nach durch alle an-
dern läuft. Höchst wahrscheinlich sind dies die beiden
von Homer (Ilias, XXII, 145—148) erwähnten Quellen,
bei denen Hektor getödtet wurde, und wenn der
Dichter die eine derselben als siedend heiss,
die andere als eiskalt beschreibt, so kann dies
wol nur metaphorisch zu verstehen sein; denn das
Wasser dieser beiden Quellen läuft in den nahe
davor fliessenden Simoïs, und durch diesen in den
Kalifatli-Asmak, dessen ungeheueres Bett einst das des
Skamander gewesen ist; letzterer aber entspringt be-
kanntlich im Idagebirge aus einer heissen und einer
kalten Quelle.


Ich bemerkte in meinem letzten Aufsatz, dass der
[152]der lauf des dumbrek-su (simoïs).
Dumbrek-Su (Simoïs) auch heute noch nördlich von
Ilium in jenes ehemalige Bett des Skamander fliesst, und
sagte nachher, dass ein Arm desselben beim Cap
Rhoeteum ins Meer geht; dies bedarf einer Erklärung.
Die Quellen des Simoïs sind acht Stunden von hier ent-
fernt, und obgleich bis zum nahen Dorfe Chalil-Köi vier-
mal Kanäle zum Treiben von Wassermühlen von ihm
abgeleitet sind, so hat er doch bis zu jenem Dorfe,
selbst im heissesten Sommer, in seinem grossen Fluss-
bett immer einen Ueberfluss von Wasser. In Chalil-Köi
aber theilt er sich in zwei Arme, von denen der eine,
nachdem er eine Mühle getrieben hat, in nordwestlicher
Richtung in die Ebene geht, ungeheuere Sümpfe bildet
und sich in zwei Arme theilt, wovon der eine mit dem
von Chalil-Köi in westlicher Richtung fliessenden Arme
wieder zusammenfliesst und sich gleich darauf in den
Kalifatli-Asmak, das frühere Bett des Skamanders, wirft.
Der andere Arm aber des von Chalil-Köi in nordwest-
licher Richtung fliessenden Simoïs wendet sich, nachdem
er bei Kum-Köi durch einen künstlichen Kanal Zufluss
vom Kalifatli-Asmak erhalten hat, ganz nach Norden
und fliesst unter dem Namen Intépé-Asmak in einem
gewaltig breiten Flussbett, welches jedenfalls früher
dem Kalifatli-Asmak und im hohen Alterthum dem
Skamander gehört hat, neben dem Intépé genannten
Grabe des Ajax in den Hellespont. Ich mache darauf
aufmerksam, dass der Name Ajax (Αἴας gen. Αἴαντος)
selbst in diesem türkischen Namen wiederzuerkennen
ist; Tépé heisst Hügel.


Auf den Artikel des Herrn Nikolaïdes zurückkom-
mend, kann ich jetzt auch seine Behauptung widerlegen,
[153]strabo und das grab des aesyetes.
dass es bei Ilium, wo ich grabe, keinen Hügel gebe, den
man für das von Homer (Ilias, II, 811—815) beschrie-
bene Grabmal der Batieia oder der Amazone Myrine an-
sehen könnte. Strabo (XIII, 1, S. 109) führt unter
anderm, als Beweis gegen die Identität von Ilium und
dem Ilium des Priamus, die Verse der Ilias (II,
791—794) an:


εἴσατο δὲ φϑογγὴν υἷϊ Πριάμοιο Πολίτῃ,

ὃς Τρώων σκοπὸς ἷζε ποδωκείῃσι πεποιϑώς,

τύμβῳ ἐπ̕ ἀκροτάτῳ Αἰσυήταο γέροντος,

δέγμενος, ὁππότε ναῦφιν ἀφορμηϑεῖεν Ἀχαιοί.

(Ihre Stimme glich der des Polites, des Sohnes des
Priamos, welcher als Späher der Trojaner, seiner
Schnellfüssigkeit vertrauend, auf dem Gipfel des Grabes
des Greises Aesyetes sass, spähend, wann die Achäer
von den Schiffen hervorstürmen würden). Strabo fügt
hinzu: „Wenn Troja auf der Baustelle des derzeitigen
Ilium gestanden hätte, so würde Polites die Bewegun-
gen der Griechen bei den Schiffen besser von der
Höhe von Pergamos aus haben beobachten können als
vom Grabmal des Aesyetes, welches auf dem Wege
nach Alexandria Troas, 5 Stadien (925 Meter) von Ilium
liegt.“


Strabo hat durchaus darin recht, dass man
das griechische Lager besser von der Höhe der Per-
gamos hätte sehen müssen als von einem auf dem
Wege nach Alexandria Troas, 5 Stadien von Ilium ge-
legenen Grabe, denn Alexandria Troas liegt südwestlich
von Ilium, und der Weg dahin, der durch die Furt des
Skamander bei seinem Eintritt ins Thal genau bezeich-
[154]das grabmal des aesyetes, der batieia.
net ist, geht bis vor Bunarbaschi genau südlich, während
der Hellespont und das Lager der Griechen nördlich
von Ilium liegen. Nun sehe ich im Süden von Ilium,
genau in der Richtung, in welcher die Strasse von
Alexandria Troas gewesen sein muss, einen 10 Meter
hohen Grabhügel vor mir, der 120 Meter im Umfange hat
und nach meiner genauen Messung 930 Meter von der süd-
lichen Stadtmauer entfernt ist. Nothwendigerweise muss
daher dies das Grab sein, von welchem Strabo schreibt;
offenbar aber ist er rücksichtlich der Identität dessel-
ben mit dem Tumulus des Aesyetes durch Demetrios
von Skepsis irregeführt worden, welcher durch die Lage
dieses Grabes, in gerader Linie zwischen dem griechi-
schen Lager und dem Dorfe der Ilier (Ἰλιέων κώμη),
letzteres als die Baustelle von Troja nachweisen
wollte. Der Grabhügel des Aesyetes ist vermuth-
lich im jetzigen Dorfe Kum-Köi, unweit des Zusam-
menflusses des Skamander und des Simoïs gewesen,
denn noch heute sieht man dort die einige Meter hohen
Reste eines Heldengrabes.


Das vor mir liegende Grab liegt vor Troja, aber
seitwärts in der Ebene, und entspricht in dieser Lage
vollkommen den Angaben, welche uns Homer (Ilias, II,
811—815) für die Lage des Grabes der Batieia oder der
Amazone Myrine gibt: „προπάροιϑε πόλιος“ und „ἐν
πεδίῳ ἀπάνευϑε“. Dies Grab wird jetzt Pascha-Tépé
genannt.


Eine Idee von der bedeutenden Bevölkerung Iliums
zur Zeit des Lysimachos geben unter anderm die
ungeheuern Dimensionen des von ihm gebauten
Theaters, welches sich neben der Pergamos, wo ich
[155]der krämer konstantinos kolobos.
grabe, befindet und dessen Bühne eine Breite von
60 Meter hat.


Die Tageshitze von 32 Grad Celsius bemerkt man
hier gar nicht infolge des fortwährenden Sturms, und
die Nächte sind kühl und erfrischend.


Nächst dem unaufhörlichen, unerträglichen Sturm ist
die hiesige ungeheuere Menge von Insekten und Unge-
ziefer aller Art unsere grösste Plage; besondere Angst
aber haben wir vor den Skorpionen und den sogenann-
ten Vierzigfüsslern (Σαραντοπόδια), die oft von der Decke
des Zimmers auf uns oder neben uns niederfallen und
deren Biss tödlich sein soll.


Ich kann nicht schliessen, ohne einer höchst merk-
würdigen Persönlichkeit, des Krämers Konstantinos
Kolobos, in dem in der Ebene von Troja gelegenen
Dorfe Neo-Chorion, zu erwähnen, welcher, obwol ohne
Füsse geboren, dennoch im Kleinhandel, in einem arm-
seligen Dorfe, ein bedeutendes Vermögen erworben
hat. Aber sein Talent ist nicht allein auf den Handel
beschränkt, es dehnt sich auch auf Sprachkenntniss
aus, und obwol Kolobos mit den rohen, unwissenden
Dorfjungen aufgewachsen ist und nie einen Lehrer
gehabt hat, so ist es ihm dennoch durch Selbstunter-
richt gelungen, sich die italienische und französi-
sche Sprache so eigen zu machen, dass er beide
fertig schreibt und spricht. Auch im Altgriechischen
hat er es durch mehrmaliges Abschreiben und Aus-
wendiglernen eines grossen etymologischen Lexikons
und durch das Lesen aller Classiker zu einer be-
wunderungswürdigen Fertigkeit gebracht, und weiss
ganze Rhapsodien der Ilias auswendig. Wie jammer-
[156]konstantinos kolobos.
schade ist es, dass ein solches Genie ohne jeglichen
Nutzen für die Welt in einem erbärmlichen Dorfe der
Troade verkümmern muss in der steten Gesellschaft
ganz roher, unwissender Menschen, die ihn alle mit
Bewunderung begaffen, von denen ihn aber niemand
versteht.


[157]auffindung einer mauer am abhange

XII.



Bezug nehmend auf meinen Bericht vom 13. v. M.
freut es mich jetzt melden zu können, dass ich bei der
Ausgrabung in den Tiefen des Tempels, in einer Ent-
fernung von 40 Meter vom Abhange des Berges und
in einer senkrechten Tiefe von 10½ Meter, eine 2 Meter
dicke und 3 Meter hohe Mauer fand, die aber, wie die
Massen der vor ihr liegenden Steine zu beweisen schei-
nen, einst viel höher gewesen ist. Diese Mauer besteht
aus grossen, mit Erde zusammengesetzten Steinen, und
wie die unter ihr schräg hinunterlaufenden Schutt-
schichten beurkunden, wurde sie einst auf dem steilen
Abhange des Berges gebaut. Somit hat, seitdem die
Mauer errichtet worden ist, der Berg auf dieser Stelle
durch die Schuttaufhäufung um 40 Meter an Ausdeh-
nung und um 13½ Meter an Höhe zugenommen. Ich
habe noch nicht ermitteln können, ob diese Mauer als
Unterbau eines alten trojanischen Tempels gedient hat,
oder ob sie zu der, wie Homer (Ilias, XII, 452—453)
sagt, von Poseidon und Apoll gebauten Ringmauer
gehört. Ist letzteres der Fall, so darf es nicht auffallen,
dass sie nur 2 Meter dick und vielleicht nie höher als
[158]terracotta-carrousele; sonnendarstellungen.
5 Meter gewesen ist, denn ich erinnere daran, dass der
Berg an der Nordseite steil abläuft, der Abhang be-
sonders an dieser Stelle sehr jähe ist. Unterhalb der
Mauer fand ich fünf jener kleinen herrlichen, glänzen-
den, schwarzen, platten trojanischen Carrousele, die dem
Rade so ähnlich sind und die man auf den ersten Blick
von allen andern unterscheidet. Eins hat sechs Sonnen
im Kreise um die Centralsonne; ein anderes vier
Sterne, die ein Kreuz um die Sonne bilden; ein drittes
drei doppelte aufgehende Sonnen im Kreise um die
Centralsonne; ein viertes vier mit fünf Strichen ver-
sehene aufgehende Sonnen, die ein Kreuz um die Sonne
bilden; ein fünftes drei dreifache aufgehende Sonnen
um die Sonne. Auch viele Scherben von schwarzen
trojanischen Gefässen, die man durch ihre Feinheit und
durch die an den Seiten befindlichen langen einfachen
oder doppelten Röhren sogleich erkennt, fand ich unter
der Mauer. Letztere geht von Westen nach Osten und
sperrt mir somit den Weg ab, und hinter ihr kann ich
den Schutt nicht herausholen ohne den Kanal bedeutend
zu erweitern, was zwischen den ungeheuern Erdwänden
eine Riesenarbeit ist. Meinen Kanal in horizontaler
Linie fortführend, bin ich gerade 2 Meter unter diese
Mauer gekommen. Sehr interessant ist es, aus dieser
senkrechten Tiefe von 15½ Meter oder 51 Fuss 4 Zoll
dies uralte trojanische Bauwerk in 13½ bis 10½ Meter
Tiefe, und neben ihr die von Lysimachos gebaute
Mauer fast unmittelbar an der Oberfläche und gleich-
sam in der Luft schweben zu sehen.


Auf der Südseite des Berges, wo ich wegen der
Geringfügigkeit der natürlichen Senkung meinen grossen
[159]aufdeckung eines alten thurmes.
Kanal mit einer Inclination von 14 Grad machen musste,
entdeckte ich in einer Entfernung von 60 Meter vom
Bergabhange einen 12 Meter oder 40 Fuss dicken
Thurm, der mir ebenfalls den Weg sperrt und sehr
lang zu sein scheint, und ich bin eifrig damit beschäf-
tigt, rechts und links davon grosse Ausgrabungen zu
machen, um ihn ganz ans Licht zu bringen, denn ausser
dem gewaltigen Interesse, welches dieser Thurm für die
Wissenschaft hat, muss ich auch nothgedrungen einen
Kanal graben zum Abfluss des Winterregenwassers,
welches sonst von meiner 60 Meter langen, stark ge-
senkten Plateforme mit Ungestüm auf den Thurm stür-
zen und denselben beschädigen würde. Ich habe ihn
auf der Nord- und der Südseite auf die ganze Breite
meines Kanals blossgelegt und mich überzeugt, dass er
in 14 Meter oder 46½ Fuss senkrechter Tiefe auf den
Felsen gebaut ist.


An die Nordseite des Thurmes lehnt sich eine
20 Meter breite, 5 Meter hohe Anhöhe von Kalkerde,
welche augenscheinlich von dem Schutt gemacht ist,
den man abzugraben hatte, um den Felsen für den Aufbau
des Thurmes zu ebnen. Ich habe natürlich diese An-
höhe durchstochen und mich überzeugt, dass die Nord-
seite des Thurmes 5 Meter hoch über dem Felsen nicht
gemauert ist, sondern aus grossen, lose übereinanderliegen-
den Steinen besteht, und dass nur der obere, 1 Meter
hohe Theil derselben aus wirklichem Mauerwerk
besteht. Diese Anhöhe, die in Form eines Walles ist,
diente also dazu, die Nordseite des Thurmes zu
consolidiren und ohne Treppen ersteigbar zu machen.
Die der Stadt und Ebene zugewandte Südseite des
[160]beschaffenheit des thurmes.
Thurmes besteht aus sehr solidem Mauerwerk von durch
Erde verbundenen, theils behauenen, theils unbehauenen
Muschelkalksteinen. Diese Südseite des Thurmes steigt
unter einem Winkel von 75 Grad vom Felsen auf.


Wie ungeheuer die Schwierigkeiten sind, rechts
und links vom Thurm 46½ Fuss tiefe Ausgrabungen zu
machen, wo der Schutt über 80 Meter weit wegge-
schleppt werden muss, davon kann sich nur derjenige
eine Idee machen, der diesen Ausgrabungen beigewohnt
hat. Da bei so grosser Entfernung die Arbeit für die
Schiebkarren und man-carts sehr ermüdend ist, so sind
mir die von Pferden gezogenen Schuttkarren, deren ich
jetzt sieben halte, von sehr grossem Nutzen.


Wie der Thurm jetzt ist, ist er nur 6 Meter oder
20 Fuss hoch, indessen die Natur seiner Oberfläche und
die Massen der an beiden Seiten liegenden Steine
scheinen zu beweisen, dass er einst viel höher war.
Aber die Erhaltung dessen, was übrig ist, haben wir
nur Trojas Trümmern zu verdanken, welche den Thurm,
so wie er jetzt ist, ganz und gar bedeckten. Wahr-
scheinlich blieb aus Trojas Zerstörung viel mehr von
ihm erhalten, und wurde der über die Trümmer
der Stadt hervorragende Theil desselben von den
Nachfolgern der Trojaner vernichtet, welche weder
Mauern noch Festungswerke hatten. Der westliche
Theil des Thurmes, soweit er bisjetzt blossgelegt
ist, ist nur 37 bis 38 Meter von dem steilen west-
lichen Abhang des Berges entfernt, und in Betracht
der enormen Schuttaufhäufung glaube ich daher, dass
der Thurm einst an der westlichen Kante der Akropolis
gestanden hat, wo seine Lage höchst interessant und
[161]bedeutung des thurmes.
imposant war und man von ihm nicht nur die ganze
trojanische Ebene, sondern auch das Meer mit den In-
seln Tenedos, Imbros und Samothrake überschauen konnte.
Es gab und gibt auf Trojas Baustelle keine erhabenere
Lage als diese, und ich vermuthe daher, dass er Iliums
grosser Thurm war, auf welchen Andromache stieg, weil
sie gehört hatte, die Trojaner seien bedrängt und ge-
waltig sei der Achäer Obmacht:


ἀλλ̛ ἐπὶ πύργον ἔβη μέγαν Ἰλίνυ οὕνεκ̕ ἄκουσεν
τείρεσϑαι Τρῶας, μέγα δὲ κράτος εἶναι Ἀχαιῶν.
(Ilias, VI, 386—387).
()

Nachdem dieser Thurm 31 Jahrhunderte lang tief unter
dem Schutt begraben war und jahrtausendelang ein
Volk nach dem andern seine Häuser und Paläste hoch
über seinem Gipfel erbaut hatte, ist er jetzt wieder ans
Licht gekommen und übersieht, wenn auch nicht die
ganze Ebene, doch wenigstens den nördlichen Theil
derselben und den Hellespont. Möge dies heilige, er-
habene Denkmal von Griechenlands Heldenruhm fortan
auf ewige Zeiten die Blicke der durch den Hellespont
Fahrenden fesseln, möge es ein Wallfahrtsort werden
für die wissbegierige Jugend aller künftigen Genera-
tionen und sie begeistern für die Wissenschaft, beson-
ders für die herrliche griechische Sprache und Litera-
tur; möge es die Veranlassung werden zur baldigen
vollständigen Aufdeckung von Trojas Ringmauern,
die nothwendigerweise mit diesem Thurme, höchst
wahrscheinlich auch mit der auf der Nordseite von mir
blossgelegten Mauer in Verbindung stehen müssen und
deren Aufdeckung jetzt sehr leicht ist.


Schliemann, Troja. 11
[162]bauart iliums.

Die Kosten von Iliums Ausgrabung sind aber zu
gross für Privatvermögen, und ich hoffe, es wird sich
später eine Gesellschaft bilden, oder eine Regierung be-
schliessen, meine Excavationen fortzusetzen, damit ich zur
Ausgrabung der Akropolis von Mykenae schreiten kann.
Fürs erste setze ich die Ausgrabungen auf eigene Kosten
fort, werde mich aber künftighin auf die allmähliche
Blosslegung der grossen Ringmauern beschränken,
welche jedenfalls in grosser Tiefe unter der von
Lysimachos erbauten Stadtmauer mehr oder weniger
gut erhalten sind.


Ehe ich noch den geringsten Mauerrest von Ilium ge-
sehen hatte, habe ich schon in meinen Aufsätzen wiederholt
versichert, dass die ganze Stadt so gebaut war, wie es
sich jetzt bei der Mauer und dem Thurm herausstellt,
nämlich aus mit Erde verbundenen Steinen. Dass diese
Bauart, wenn nicht älter, doch wenigstens ebenso alt
ist wie die sogenannte cyklopische, das beweisen die
auf gleiche Weise erbauten Mauern und Häuser in
Thera (Santorin) und Therassia, welche bekanntlich
unter drei Schichten vulkanischer Asche von 68 Fuss
Dicke entdeckt sind. Letztere sind aber von einem
wenigstens 3800 Fuss hoch gewesenen Centralvulkan
ausgeworfen, der, wie man allgemein annimmt, spä-
testens 1500 Jahre v. Chr. ins Meer versunken sein
muss.


Auf der Baustelle des Tempels fand ich in 2 Meter
Tiefe einen 1 Meter 57 Centimeter hohen, 80 Centi-
meter breiten und ebenso dicken, ungefähr 50 Centner
wiegenden Marmorblock mit nachstehender Inschrift:


[163]inschrift auf der baustelle des tempels.
[figure]

Der erste in dieser Inschrift vorkommende Name,
wovon ΑΥ erhalten ist, ist wol ΑΥΛΟΣ; ΚΑΙΚΙΝΑΙ
muss jedenfalls der Familienname sein und den lateinischen
Ablativ andeuten. Ob der andere Name, wovon ΑΙΟΝ
übrig ist, ΓΑΙΟΣ sein soll, wage ich nicht gewiss zu be-
haupten, halte es aber für wahrscheinlich. Die Inschrift,
welche ich demnach wie folgt lese, ist namentlich gegen
das Ende in schlechtem Griechisch abgefasst: Ἡ βουλὴ
καὶ ὁ δῆμος Ἰλιέων ἐτίμησαν Αὖλον Κλαύδιον Καικινᾷ Γάϊον
Κυζικηνὸν ἄρχοντα λογιστὴν ὑπὸ τοῦ ϑειοτάτου αὐτοκράτορος
Καίσαρος Τίτου Αἰλίου Ἀδριανοῦ Ἀντωνίου Σεβαστοῦ εὐσε-
βοῦς καὶ πολλὰ καὶ μεγάλα τῆ πόλει κατορϑώραντα καὶ πα-
ράσχοντά τε τῇ λογιστείᾳ καὶ συνηγορίαος ἄνδρα πάσης τιμῆς
ἅξιον ἀρετῆς ἕνεκεν καὶ εὐνοίρς τῆς πρὸς τὴν πόλιν.


Der in dieser Inschrift erwähnte Kaiser ist natür-
11*
[164]fussmarken auf dem inschriftblock.
lich der im Jahre 138 n. Chr. zur Regierung gekom-
mene und 161 verstorbene Antoninus Pius, und kann es
nur irrthümlich sein, dass er hier Antonius genannt
wird. Den Namen Hadrianus hat er von seinem Pflege-
vater, dem Kaiser Hadrian, und den Namen Aelius von
des letztern erstem Pflegesohn Aelius nach dessen Ab-
leben angenommen.


Auf dem obern Ende dieses Marmorblocks sind
zwei Fussmarken, die eine bedeutend vor der andern,
von denen jede eine Länge von 39 Centimeter hat,
dieselben lassen keinen Zweifel übrig, dass auf diesem
Block die kolossale Bildsäule des in der Inschrift ge-
priesenen Kyzikeners in der Stellung eines Redners
stand. In der hintern Fussmarke sieht man ein vier-
eckiges, 4½ Centimeter langes und breites Loch, in welches
die eiserne Stange zur Befestigung der Statue gesteckt
worden ist. Nach der Grösse der Fussmarken ist die
Bildsäule über 8 Fuss hoch gewesen, und da der Mar-
morblock, wie gesagt, 1 Meter 57 Centimeter oder
5¼ Fuss hoch ist, so hatte das Ganze eine Höhe von
mindestens 13¼ Fuss, und lässt sich daraus schliessen,
dass der Tempel, in welchem dies Kunstwerk stand,
sehr geräumig war.


Die Abgrabungen links und rechts vom Thurm
müssen leider von oben geschehen, was langsamer geht,
aber den Vortheil gewährt, noch einmal wieder mit
grosser Genauigkeit constatiren zu können, in welchen
Tiefen die verschiedenen Gegenstände vorkommen.
Wenn im allgemeinen die Trümmer aus griechischer
Zeit bis zu 2 Meter Tiefe reichen, so gibt es doch
manche Stellen, wo die Ueberbleibsel aus vorgriechischer
[165]tiefe der versch. culturschichten, münze von eläusa.
Zeit schon in weniger als 1 Meter Tiefe anfangen, und
ist dies östlich vom Thurm der Fall, wo ich schon
1 Meter unter der Oberfläche ein Petschaft von Thon
mit einem Baum und zwei Sternen fand. In gleicher
Tiefe fand ich dort ein gerades und drei krumme
kupferne Messer, sowie ein grosses zweischneidiges Beil
und mehrere andere Werkzeuge von gleichem Metall.
Beinahe an der Oberfläche fand ich dort unter andern
Münzen eine höchst merkwürdige und, wie ich glaube,
noch nie vorgekommene Medaille, welche auf der einen
Seite das Bild des Kaisers Commodus (hier ΚΟΜΟΔΟΣ
geschrieben) hat; auf der andern steht eine gehar-
nischte, mit zwei Lanzen bewaffnete Figur (wahrschein-
lich Minerva) auf dem Vordertheil eines Schiffes,
welches in einen meisterhaft gearbeiteten Gazellenkopf
ausläuft; im Halbkreise um dasselbe steht das Wort
ΕΛΑΙΟΥΣΙΩΝ. Die Medaille stammt daher von der zu
Cilicien gehörigen, ganz kleinen Insel Eläusa, und stellt
die merkwürdige Thatsache heraus, dass diese kleine,
jetzt beinahe unbewohnte Insel im Alterthum so bevöl-
kert war, dass sie ihre eigenen Münzen schlagen liess.


Die vielbesprochenen kleinen Vulkane und Carrou-
sele von Terracotta mit einfachen und doppelten Kreu-
zen mit den Marken der vier Nägel, oder mit drei, vier
oder fünf doppelten aufgehenden Sonnen im Kreise um
die Centralsonne, kommen östlich vom Thurm schon
ganz dicht unter der Oberfläche, nämlich schon in 30 Cen-
timeter Tiefe vor. In 1 Meter Tiefe fand ich dort einen
kleinen Vulkan, auf dem die Rosa mystica mit ihren
vier Blumenblättern ein Kreuz um die Sonne bildet.
Schon in 2 Meter Tiefe entdeckte ich dort einen klei-
[166]terracotten und gefässe um den thurm.
nen, roh gearbeiteten Becher mit dem Eulengesicht der
ilischen Schutzgöttin, sehr plumpe Trinkgefässe in der
Gestalt von Champagnergläsern mit zwei Henkeln; in
3 Meter Tiefe kleine Schälchen mit drei Füsschen, die
mit

[figure]

und Lebensbäumen verziert sind. Auch kamen
dort schon in 3 Meter Tiefe kleine Terracotta-Vulkane
und Carrousele mit

[figure]

vor, und sehr viele in 4 Meter
Tiefe. In dieser letztern Tiefe fand ich in der Aus-
grabung an der Westseite des Thurmes einen höchst
sonderbaren, 20 Centimeter hohen Becher in der Form
einer mecklenburger Plutensemmel, mit vier Absätzen,
aber rund und mit zwei ungeheuern Henkeln versehen;
er hat einen abgerundeten Fuss, sodass er nur auf den
Mund hingestellt werden kann. Ebendaselbst fand ich
eine merkwürdige Vase mit Röhrchen an den Seiten
zum Aufhängen an Schnüren und mit einer kleinen
Röhre im Bauch, sodass die in die Vase gegossene
Flüssigkeit sogleich wieder herauslaufen muss. Vasen
mit solchen Röhren im Bauch, aber ohne Röhren an
den Seiten, sind sehr häufig. Ferner in 4 Meter Tiefe
Becher in der Form von Champagnergläsern mit zwei
grossen Henkeln, auch einen merkwürdigen kleinen Terra-
cotta-Vulkan mit vier

[figure]

, dem Symbol des Blitzes, und
zwei mit Flammen bedeckten Opferaltären. Mehrere
solche Stücke mit höchst interessanten symbolischen
Zeichen fand ich in 5 Meter Tiefe, darunter eins
mit sehr fein eingravirtem Flammenaltar und Lebens-
baum. In gleicher Schuttschicht eine kleine niedliche
Vase mit drei Füsschen, zwei Henkeln und hübschen
eingeschnittenen Verzierungen, endlich viele kleine
Messer von Silex in Form von Sägen. In 6 Meter
[167]terracotten und gefässe um den thurm.
Tiefe wurde ein 23 Centimeter langes Gefäss gefunden,
welches ganz die Gestalt eines Thieres hat; es hat
drei Füsse, Schwanz und aufrecht stehenden Hals,
der mit dem Rücken durch einen grossen Henkel ver-
bunden ist. In 7 Meter Tiefe fand ich eine sehr hübsche
Vase mit dem Eulenkopf der Schutzgöttin Trojas, ihren
beiden Frauenbrüsten und Bauchnabel; sie hat ihre
beiden Arme neben dem Kopfe emporgehoben, die als
Griffe dienen. Diese Vase ist Tafel 65, No. 1440 abge-
bildet. Aus gleicher Tiefe kam eine sonderbare knö-
cherne Säge, aus 8 Meter Tiefe Idole mit dem Bilde
der ilischen Minerva und ihrem Gürtel von sehr feinem
Marmor, in gleicher Tiefe einige von den mehrerwähn-
ten irdenen Trichtern, sowie mehrere mit eingeschnitte-
nen Sternchen bedeckte Terracotta-Kugeln zum Vor-
schein. Auch fand ich in 8 bis 11 Meter Tiefe in den
letzten Tagen viele grosse Vasen und Gefässe verschiede-
ner Form mit zwei, drei und vier Henkeln, ausserdem in
10 Meter Tiefe ein thierähnliches Gefäss mit drei Füssen
und Schwanz; ein vom aufrecht stehenden Hals ausgehen-
des Horn, welches als Henkel dient, verbindet den Kopf
mit dem hintern Rücken; dies Gefäss sieht einer Locomotive
nicht unähnlich und ist Tafel 91, No. 1893 abgebildet.


In 14 Meter Tiefe wurden vorgestern viele sehr in-
teressante Sachen gefunden, z. B. der Tafel 102, No. 2276
abgebildete Hals einer glänzend rothen Vase mit Eulen-
kopf, der ein paar ungeheuer grosse Augen hat; ein
22 Centimeter langes, 18 Centimeter hohes und 15 Cen-
timeter dickes glänzend braunes Gefäss in der Form
einer Sau, mit hervorstehendem, ausgezeichnet gemach-
tem, aber geschlossenem Kopf und drei Füssen, die
[168]gerippe einer frau, dabei gefundener schmuck.
Oeffnung des Gefässes ist im Schwanze, der durch einen
Henkel mit dem Rücken verbunden ist; das Gefäss ist
Tafel 104, No. 2299 abgebildet; ferner eine Lanze und
mehrere Werkzeuge, sowie viele Nägel von Kupfer und
Nadeln von Elfenbein zum Sticken. In der Asche desselben
augenscheinlich verbrannten Hauses fand ich ferner
in 13 Meter Tiefe das ziemlich gut erhaltene Gerippe
einer Frau, wovon ich so ziemlich alle Knochen gesam-
melt zu haben glaube; der Schädel ist besonders gut
conservirt, aber leider beim Graben zerschlagen; ich
kann ihn jedoch leicht wieder zusammensetzen; der
Mund ist etwas spitzzulaufend und zeigt gute, aber
erstaunlich kleine Zähne. Neben dem Gerippe fand ich
einen Fingerring, drei Ohrringe und eine Tuchnadel
von reinem Golde. Letztere ist ganz einfach und hat
einen runden Kopf; zwei der Ohrringe sind ganz pri-
mitiver Art und bestehen aus einfachem, 1½ Millimeter
dickem Golddraht; ebenso der dritte Ohrring, der aber
viel feiner gearbeitet ist und in ein Blatt ausläuft,
welches von sechs zusammengeschmiedeten Golddrähten
gleicher Dicke gebildet wird. Der Fingerring ist von
2½ Millimeter dickem, dreifachem Golddraht. Alle diese
Gegenstände tragen das Gepräge, dass sie grosser Glut
ausgesetzt gewesen sind. Aber noch andere Schmuck-
sachen muss die Trojanerin getragen haben, denn ich
sammelte neben dem Gerippe mehrere nur 1 Millimeter
grosse Goldperlen, sowie auch einen ganz dünnen ovalen
Ring von nur 7 Millimeter Länge. Auch die Farbe der
Knochen lässt keinen Zweifel darüber, dass die Dame,
vom Feuer übereilt, lebendig verbrannt ist; überdiess
sind mir hier ausser dem Gerippe des Embryo von
[169]becher mit mannesgesicht, abwesenheit von säulen.
sechs Monaten in der Vase auf dem Urboden noch nie in
in irgendeiner der vorgriechischen Schuttschichten
dieses Berges Menschengerippe vorgekommen. Wie
wir aus Homer wissen, wurden alle Leichname verbrannt
und die Asche in Urnen beigesetzt, deren ich eine
grosse Menge in den Trümmerschichten aller Nationen
fand, welche diese Anhöhe vor der griechischen Colonie
bewohnt haben; aber die Knochen waren immer zu
wirklicher Asche verbrannt, und höchstens habe ich
dann und wann einen heilen Zahn, nie einen andern
ganzen Knochen darin gefunden.


Im Schutt desselben trojanischen Hauses unweit
des Gerippes fand ich das Bruchstück eines gelben
Bechers mit sehr ausdrucksvollem Mannesgesicht; die
Nase ist sehr lang und etwas gebogen. Ausserdem
fand ich dort sieben jener runden Terracotten in Gestalt
von flachen Carrousels, worunter eins von 6 Centimeter
im Durchmesser, welches vollkommen die Form eines
Rades hat; es hat im Kreise um die Nabe fünf
aufgehende Sonnen; wie immer sind diese Verzie-
rungen eingravirt und mit einer weissen Masse aus-
gefüllt.


Von Säulen habe ich bisjetzt keine Spur in Troja
gefunden, und wenn es daher wirklich Säulen gab, so
müssen sie jedenfalls von Holz gewesen sein. Uebrigens
findet sich das Wort „κίων“ ja auch nie in der Ilias,
und nur in der Odyssee. Einen hübsch geschnittenen
sehr harten Kalkstein in der Form eines Halbkreises
mit einem runden, 4 Centimeter tiefen Loch, fand ich
in einem Hause in 12 Meter Tiefe und vermuthe, dass
derselbe in einer Thür gedient haben mag.


[170]taufe des ortes als „pergamos von troja“.

Schliesslich schmeichle ich mir mit der Hoffnung,
dass als Belohnung für meine riesenmässigen Kosten
und alle meine Entbehrungen, Drangsale und Leiden
in dieser Wildniss, vor allem aber für meine wichtigen
Entdeckungen die civilisirte Welt mir das Recht zuer-
kennt, diese heilige Stätte umzutaufen, und im Namen
des göttlichen Homer taufe ich sie mit jenen Namen
unsterblichen Ruhmes, welche das Herz eines jeden mit
Freude und Enthusiasmus erfüllen; ich taufe sie mit
den Namen „Troja“ und „Ilium“, und ich nenne
„Pergamos von Troja“ die Akropolis, wo ich diese
Zeilen schreibe.


[171]einstellung der arbeit. ausdehnung des thurmes.

XIII.



Seit meinem Bericht vom 4. d. M. habe ich die
Excavationen mit aller Energie fortgesetzt, bin nun aber
gezwungen, heute Abend die Arbeiten einzustellen, denn
meine drei Aufseher und mein Bedienter, der auch mein
Kassirer ist, haben das bösartige Sumpffieber, und
meine Frau und ich sind so leidend, dass wir nicht im
Stande sind, den ganzen Tag in der furchtbaren Sonnen-
glut allein das Commando zu führen. Wir lassen daher
unsere beiden hölzernen Häuser und alle unsere Ma-
schinen und Werkzeuge hier unter der Aufsicht eines
Wächters und kehren morgen nach Athen zurück.


Wie die Bewunderer Homer’s bei ihrem Besuch in
der Pergamos von Troja finden werden, habe ich den
Thurm auf der Südseite nicht nur auf die ganze Breite
meines Kanals, bis auf den Felsen, auf dem er in
14 Meter oder 46½ Fuss Tiefe steht, freigelegt, sondern
ihn auch durch meine Ausgrabungen nach Osten und
Westen bedeutend weiter aufgedeckt, ohne ein Ende
zu finden. Im Gegentheil finde ich auf seiner Ostseite,
wo er 40 Fuss Breite hat und noch breiter zu werden
scheint, die Ruinen einer zweiten Etage, wovon aber
[172]auf dem thurm gefundene gegenstände.
nur, soweit es bisjetzt zu beurtheilen ist, vier sich lang-
ausdehnende Stufen erhalten sind. An der Westseite hat
er nur 9 Meter oder 30 Fuss Breite und sendet von
dort eine ungeheuere Mauer, deren Dicke ich noch nicht
im Stande gewesen bin zu ermitteln, nach Norden.
Wenn ich diese neuen Ausgrabungen nicht bis auf den
Urboden und nur 11 Meter oder 36½ Fuss tief habe
machen können, so ist die zerbrechliche Natur der
Schutt- und Trümmerwände um den Thurm herum
daran schuld, die, wie sich jeder überzeugen kann, aus
rother Asche und aus durch die Glut verkalkten Steinen
bestehen und jeden Augenblick einzustürzen und meine
Arbeiter zu begraben drohten. Auf dem Thurm, und be-
sonders in der auf demselben befindlichen langen ovalen
Vertiefung und auf den Stufen der zweiten Etage, fand
ich zwei kupferne trojanische Lanzen, mehrere Pfeil-
spitzen in der primitiven Form von 3 und 5 Centimeter
langen dicken Stiften, die am Ende der Pfeile befestigt
wurden, auch eine 6½ Centimeter lange Pfeilspitze von
Silex in der Form einer spitzzulaufenden, zweischneidi-
digen Säge; dann mehrere kupferne und silberne Nägel
mit rundem Kopf, dieselben mögen als Tuchnadeln
gedient haben; ferner grosse Massen von Knochen,
Massen von glänzenden rothen und schwarzen troja-
nischen Topfscherben und eine Menge mehr oder we-
niger gut erhaltener Vasen und Töpfe. Mehrere dersel-
ben ist es mir gelungen in gutem Zustande herauszu-
nehmen, und ist unter denselben eine hübsche, 25 Centi-
meter hohe glänzend rothe Vase, die ich mit den Gräten
eines Meerfisches angefüllt in einer grossen, leider ganz
zerbrochenen Urne fand; diese Vase hat zwei kleine
[173]auf dem thurm gefundene gegenstände.
Henkel und auf zwei Seiten eine Verzierung in der
Form des griechischen Lambda, aber mit kreisförmigen
Enden; Vasen ähnlicher Form und mit ganz derselben
Verzierung fand ich noch drei auf dem Thurme. Von
derselben Form und sehr ähnlicher Verzierung kamen
noch zwei Vasen in 8 und 6 Meter Tiefe vor. Dann
fand ich auf dem Thurm ein höchst merkwürdiges Ge-
fäss von 15 Centimeter Länge, welches ganz in der
Form des Maulwurfs ist und drei Füsse hat. Es kann
auch so hingestellt werden, dass die Schnauze des
Thieres unten ist und als Fuss dient; die Oeffnung
ist im Schwanze, den ein grosser Henkel mit dem
Rücken verbindet, s. Tafel 114, No. 2317. Ich fand
dort ferner eine 40 Centimeter hohe herrliche, glänzend
schwarze trojanische Vase, die aber leider ganz zerschla-
gen wurde; ich habe jedoch alle Stücke davon und
kann sie daher wieder zusammensetzen, s. Tafel 95,
No. 2006; ausserdem einen trojanischen Topf und ein
kugelrundes Gefäss mit der vorerwähnten Verzierung
eines abgerundeten Lambda. Ebenso rettete ich beinahe
heil eine höchst interessante rothe, unten ganz abgerun-
dete, 23 Centimeter hohe Kanne mit so sehr hintenüber
gebogenem Halse, wie mir derartige Gefässe noch nie
vorgekommen sind. Ich fand dort auch einen Priapus
und ein sehr niedliches Vogelei von sehr feinem Marmor,
viele kleine Terracotta-Vulkane mit den gewöhnlichen
Symbolen von doppelten und dreifachen Kreuzen, sechs
Sonnen, vier oder fünf doppelten oder dreifachen auf-
gehenden Sonnen oder auch Sternen im Kreise um die
Centralsonne; auch ein Stück, auf welchem vier

[figure]

ein
Kreuz um die Sonne bilden und der übrige Raum mit
[174]rechts und links vom thurm gefundene sachen.
Sternen ausgefüllt ist. Auch einige kleine Gefässe mit
Röhren zum Aufhängen an Schnüren wurden dort
gefunden, sowie 25 sehr ordinäre irdene Teller, die
vom Töpfer gedreht sind, während sonst alles aus
der Hand, ohne Töpferrad, gemacht zu sein scheint;
wol die Hälfte der Teller ist unversehrt herausge-
kommen.


Beim Graben links und rechts vom Thurm wurden
seit meinem letzten Bericht noch viele interessante
Sachen gefunden; so z. B. kamen in 2 Meter Tiefe sehr
niedliche, obwol ordinäre Gefässe mit Röhrchen an den
Seiten und Löchern im Munde zum Aufhängen an
Schnüren vor, die ich bisher nur in grösserer Tiefe fand;
in 3 Meter Tiefe ein kleiner Becher mit dem Eulenge-
sicht und Helm der ilischen Minerva, sehr guter Arbeit;
auch in 3½ Meter Tiefe ein kleiner Terracotta-Vulkan
mit drei Hirschen im Kreise um die Sonne. In 5 bis
6 Meter Tiefe fand ich eine sehr grosse Menge kleiner
Messer in Form von Sägen aus Silex. In 10 Meter
Tiefe fand ich ein sehr sonderbares Werkzeug von
glänzend gelber Terracotta, dessen Abbildung ich
Tafel 16, No. 485 gebe und dessen Gebrauch mir uner-
klärlich ist; es ist fast in Gestalt eines Schildes und hat
neben dem mit einem Baum verzierten Griff eine
Höhlung zum Einstecken der Hand. Da es, wie gesagt,
von Terracotta ist, so kann es natürlich nicht als Schild
gedient haben.


Nachdem es hier seit vier Monaten nicht geregnet
hatte, haben wir merkwürdigerweise gerade heute, nach
Einstellung der Arbeiten, bei heftigem Gewitter eine
Art von Wolkenbruch, und ich bedauere ungemein,
[175]einstellung der arbeit; resultat.
nicht im Stande gewesen zu sein, einen Kanal zur Ab-
leitung des Regenwassers vom Thurm bis an den west-
lichen Abhang des Berges zu graben. Aber der Ab-
zugsgraben müsste eine Tiefe von 50 Fuss haben, und
müsste seine Breite ebenfalls 50 Fuss sein, denn sonst
würden seine aus verbrannten Trümmern und loser
rother Asche bestehenden Wände einstürzen; es würde
somit nöthig sein, 5000 Kubikmeter Schutt wegzuräumen,
und eine solche Riesenarbeit kann ich jetzt nicht mehr
unternehmen.


Indem ich die Ausgrabungen für dieses Jahr ein-
stelle, kann ich beim Rückblick auf die furchtbare Ge-
fahr, der wir seit dem 1. April zwischen den riesigen
Trümmerschichten fortwährend ausgesetzt waren, nicht
umhin, Gott inbrünstig für die grosse Gnade zu danken,
dass nicht nur niemand ums Leben gekommen, sondern
dass sogar keiner von uns gefährlich verletzt wor-
den ist.


Was nun das Resultat meiner Ausgrabungen be-
trifft, so wird mir jeder zugestehen, dass ich ein grosses
historisches Problem gelöst habe, und dass ich es gelöst
habe durch die Entdeckung hoher Civilisation und Rie-
senbauten auf dem Urboden, in den Tiefen einer alten
Stadt, welche im ganzen Alterthum Ilium hiess und sich
für die Nachfolgerin Trojas ausgab, und deren Baustelle
von der ganzen damaligen civilisirten Welt als identisch
mit der Baustelle des homerischen Ilium angesehen
wurde. Die Lage dieser Stadt entspricht nicht nur in
jeder Hinsicht vollkommen allen Angaben der Ilias,
sondern auch allen jenen der uns durch spätere Autoren
bekannten Traditionen, während es weder in der Ebene
[176]baustelle trojas.
von Troja noch in der Umgegend eine andere Stelle
gibt, welche im entferntesten denselben angepasst werden
könnte. Die Höhen von Bunarbaschi, als Baustelle
Trojas angesehen, widersprechen in jeglicher Hinsicht
allen Angaben Homer’s und der Tradition. Meine Aus-
grabungen oberhalb Bunarbaschi sowie die Form der
Felsen beweisen, dass jene Höhen bis zu den drei Hel-
dengräbern nie von Menschen bewohnt sein können.
Wie bereits früher erwähnt, findet man hinter jenen
Gräbern die Trümmer einer ganz kleinen Stadt, deren
an zwei Seiten durch die Trümmer einer Ringmauer
und an den übrigen Seiten durch Abgründe umschlos-
sene Baustelle so geringfügig ist, dass sie nur aller-
höchstens 2000 Einwohner gehabt haben kann; die Ring-
mauer ihrer kleinen Akropolis ist kaum 1 Fuss dick
und deren Thor kaum 1 Meter breit, während dort die
Schuttaufhäufung nicht der Rede werth ist und man
auf vielen Stellen im Boden der Akropolis den nackten,
platten Felsen sieht. Hier in Ilium dagegen sind die
Verhältnisse ganz anders; hier ist die durch Lysimachos’
Ringmauern genau angegebene Baustelle der Stadt
gross genug für eine Bevölkerung von über 100000
Seelen, und dass eine solche Einwohnerzahl wirklich da
war, davon zeugt die 60 Meter oder 200 Fuss breite
Scene des Theaters. Hier ist die von Lysimachos ge-
baute Ringmauer 2 Meter dick, während in grosser
Tiefe unter ihr die vom Thurm auslaufende Mauer
eine fünfmal grössere Dicke zu haben scheint, und ge-
wiss hat Homer den Bau von Trojas Mauern nur wegen
ihrer kolossalen Proportionen dem Poseidon und Apollo
zugeschrieben. Was nun gar die Schuttaufhäufung
[177]grösse der trümmeranhäufung.
anbetrifft, so gibt es hier in der Pergamos keine Stelle,
wo dieselbe weniger betrüge als 14 Meter oder
46½ Fuss, und an vielen Stellen ist sie noch bedeutend
grösser. So z. B. fand ich auf meiner grossen Plate-
forme den Urboden erst in 16 Meter oder 53⅓ Fuss
Tiefe, und in den Tiefen des Tempels, auf dem angren-
zenden Felde des Herrn Frank Calvert, habe ich den-
selben in 15½ Meter oder 51⅔ Fuss Tiefe noch nicht
erreicht. Eine solche Trümmeranhäufung hat man bis-
jetzt noch nirgends in der Welt gefunden, ausser hin
und wieder in den kleinen Felsenthälern von Jerusalem,
wo sie jedoch erst seit der Zerstörung der Stadt durch
Titus angefangen hat, somit kaum mehr als 1800
Jahre alt ist, während hier in Troja die Ueberreste aus
griechischer Zeit schon in ½, 1 oder 2 Meter Tiefe ganz
aufhören und man von da bis zum Urboden in genauer
Reihenfolge die gewaltigen Trümmerschichten von vier
uralten Nationen findet.


Ebenso wage ich hinsichtlich der von mir ans Licht
gebrachten mehr als hunderttausend Gegenstände,
welche bei jenen uralten Völkern in Gebrauch gewesen
sind, zu sagen, dass ich für die Archäologie eine neue
Welt aufgedeckt habe; denn, um nur ein Beispiel an-
zuführen, von jenen Rädern, Vulkanen oder Carrousels
aus Terracotta mit den verschiedenartigsten arischen
religiösen Symbolen habe ich hier viele Tausende ge-
funden.


Wenn es, wie es scheint, weder bei den Trojanern
noch bei irgendeiner der drei ihnen nachfolgenden
Nationen eine Schriftsprache gab, so müssen uns, soweit
es möglich ist, die von mir aufgefundenen „monuments
Schliemann, Troja. 12
[178]abbildungen der gefundenen alterthümer.
figurés“ die Schriftsprache ersetzen. Da ich, wie bereits
früher erwähnt, jeden den Tag über aufgefundenen Ge-
genstand, und besonders die bildlichen Symbole mit
grösster Genauigkeit am Abend in mein Tagebuch ab-
zeichne, so ist es mir durch die Vergleichung der un-
zähligen Symbole gelungen, einige derselben zu ent-
ziffern, und ich hoffe, dass es meinen gelehrten Colle-
gen gelingen wird, die übrigen zu erklären. Keines-
falls soll der Wissenschaft irgend etwas von meinen
Entdeckungen entgehen; jeder Gegenstand, der irgend-
wie Interesse für die gelehrte Welt haben kann, soll
photographirt oder von einem geschickten Zeichner ge-
zeichnet und im Anhange dieses Werkes publicirt wer-
den; bei jedem Gegenstand wird man genau die Tiefe
verzeichnet finden, in welcher er von mir entdeckt wurde.


[179]rückkehr nach troja, treulosigkeit des wächters.

XIV.



Ich schrieb meinen letzten Aufsatz am 14. v. M., und
reiste am 10. d. M. in Gesellschaft meiner Frau und des
Landmessers Sisilas nach Troja zurück, um einen
neuen Plan der Pergamos aufzunehmen, auf welchem
alle meine Ausgrabungen sowie die Tiefe derselben
und die von mir entdeckten Denkmäler unsterblichen
Ruhmes aufs genaueste verzeichnet sind. Auch nahm
ich von den Dardanellen den Photographen Siebrecht
mit, um Photographien von meinen Ausgrabungen, von
zwei der vier an der Nordseite von Ilium befindlichen
Quellen, von Iliums grossem Thurm und Trojas Ebene,
und dem Hellespont, von diesem Monument aus gesehen,
aufzunehmen.


Mit Schrecken sah ich bei meiner Ankunft dort,
dass der von mir zurückgelassene Wächter treulos ge-
wesen und eine ungeheuere Menge grosser, aus meinen
Ausgrabungen stammender behauener Steine wegge-
schleppt war, aus denen ich an verschiedenen Stellen
Mauern errichtet hatte, um zu verhindern, dass der Win-
terregen den ausgeworfenen Schutt wegschlemme. Er
entschuldigte sich damit, dass die Steine zu guten
12*
[180]beschädigung d. ausgrab. durch diebstahl u. regengüsse.
Zwecken angewandt wären, nämlich zum Bau eines
Glockenthurmes im christlichen Dorfe Yenischahir und
zur Errichtung von Wohnhäusern im türkischen Dorfe
Tschiplak, aber ich jagte ihn natürlich sogleich weg
und nahm an seine Stelle einen mit einer Flinte be-
waffneten Wächter, welcher den Ruf der Treue hat und
durch seine körperliche Stärke den Steinräubern Respect
einflössen wird. Was mich am meisten ärgerte, war,
dass letztere sich sogar an das von mir, wie früher er-
wähnt, auf der Südseite dieses Berges ans Licht ge-
brachte herrliche Bollwerk aus der Zeit des Lysimachos
gewagt und zwei grosse Steine aus demselben entwen-
det hatten; bestimmt wäre diese Bastion ganz ver-
schwunden, wenn ich auch nur eine Woche länger
weggeblieben wäre.


Auch sehe ich mit Bedauern, dass der Regenschauer
vom 14. August hingereicht hat, die grosse Oeffnung,
welche ich auf der Südseite des grossen Thurmes ge-
macht hatte, um ihn bis auf den Felsen, auf dem er ge-
baut ist, blosszulegen, 2 Meter hoch mit Schutt zu füllen.
Ich habe daher sogleich bei meiner Ankunft hier
20 Arbeiter angenommen, wovon zehn damit beschäftigt
sind, die Südseite des Thurmes bis auf den Urboden
zu reinigen, den Schutt wegzukarren und vor der
grossen Oeffnung eine Mauer von grossen Steinblöcken
zu bauen, durch welche nur das Regenwasser, nicht
aber der von demselben fortgeschlemmte Schutt drin-
gen kann.


Wie ich Gelegenheit gehabt habe mich zu über-
zeugen, schadet das Regenwetter dem Thurme nicht,
denn es verschwindet sogleich rechts und links von
[181]stützmauer zur sicherung des abhanges.
demselben in den losen Trümmerschichten. Von den
übrigen zehn Arbeitern sind sechs damit beschäftigt, die
von frevelhafter Hand zerstörten oder beschädigten
Mauern wiederherzustellen, während die andern vier
daran arbeiten, soviel als möglich von einer höchst
merkwürdigen Mauer blosszulegen, die in 15½ Meter
Tiefe und 40 Meter vom Rande des Berges auf der
Baustelle des Tempels, genau 2 Meter unterhalb
der dort von mir ans Licht gebrachten trojanischen
Mauer unter einem Winkel von 40 Grad empor-
steigt. Wie bereits früher bemerkt, beweisen die un-
ter jener trojanischen Mauer schräg nach Norden
hinunterlaufenden Schuttschichten, dass dieselbe einst
auf dem steilen Abhange des Berges gebaut wor-
den ist, und liefert uns hierfür einen fernern untrüg-
lichen Beweis die 2 Meter unter ihr empor-
steigende Stützmauer, welche keinen andern Zweck
haben konnte, als den, das Erdreich des Bergabhanges
zusammenzuhalten und hinlänglich zu befestigen, sodass
ohne Gefahr Gebäude von gewaltigem Gewicht auf dem
Gipfel errichtet werden konnten. Da ich aber hier bis-
jetzt noch nie in den Trümmerschichten der vorgrie-
chischen Zeit dergleichen Stützmauern zur Consolidirung
des Bergabhanges fand, obgleich es, wie die riesigen
5 und 6 Meter hohen Massen ungeheuerer, mit verkohl-
tem Schutt gemischter, behauener und unbehauener
Steine beweisen, mit denen ich auf meiner grossen
Plateforme zu kämpfen hatte, an grossartigen Gebäuden
in der Pergamos von Troja nirgends gefehlt hat, so
glaube ich ganz gewiss, die vorerwähnte Stützmauer
ist dazu bestimmt gewesen, die Baustelle eines Tempels
[182]die stützmauer bezeichnet die stelle des minervatempels.
von grösster Heiligkeit zu befestigen. Ich glaube dies um
so mehr, als die Stützmauer hier einen Bogen bildet und
die ganze Nordostecke des Berges zu bekleiden scheint,
welche das äusserste Ende der Pergamos war, und
Homer’s Angabe über die Lage des Tempels der Minerva:
„ἐν πόλει ἄκρῃ“ (Ilias, VI, 297) vollkommen entspricht.
Ich hege keinen Zweifel, dass ich, mit dieser Stützmauer
emporsteigend, die Ruinen jenes uralten Tempels schon
in weniger als 10 Meter Abstand finde. Aber um wei-
ter zu graben, muss ich vor allen Dingen die mehrer-
wähnte 3 Meter hohe und 2 Meter dicke trojanische
Mauer einreissen und gewaltige Schuttmassen wegräu-
men, und muss ich diese Arbeit bis zum 1. Februar ver-
schieben, denn jetzt bin ich zu krank und müde dazu.
Die Entdeckung des uralten Tempels der Minerva auf
des Berges Nordostecke würde dann auch das grosse
Räthsel lösen, woher die kolossale Schuttaufhäufung
kommt, welche hier den Bergabhang mit einer stein-
harten Kruste von 40 Meter Dicke bekleidet, und von
der ich nicht nur bei dieser Ausgrabung, sondern auch
auf den östlichen 25 Metern meiner grossen Plateforme
so sehr viel zu leiden hatte. Man würde finden, dass
diese riesige Kruste nur durch die Ueberbleibsel der der
ilischen Minerva dargebrachten Opfer entstanden ist.


Ich hatte die Stützmauer bis zu meiner Abreise
am 15. August gar nicht bemerkt, und bemerkte sie auch
jetzt erst, weil der Regen zwei Steine davon ans Licht
gebracht hatte. Sie ist aus 30 bis 66 Centimeter langen
und breiten, mit Erde vereinigten Muschelkalksteinen
gebaut und bekleidet höchst wahrscheinlich die ganze
nordöstliche Bergecke von unten bis oben. Ich ver-
[183]bauart des minervatempels, apollotempel.
muthe, dass zu dem uralten Minervatempel der in
meinem Aufsatz vom 25. April erwähnte Abzugskanal
aus grünem Sandstein von 20 Centimeter Breite und
18 Centimeter Höhe gehört, den ich in einer Höhe von
3½ Meter über meiner grossen Plateforme und in einer
Entfernung von 14 Meter vom Rande des Abhanges fand.


Der von mir gefundene Triglyphenblock mit dem
Sonnengott und den vier Pferden beweist, dass der
Tempel, den er geziert hat, in dorischem Stil gebaut
war, und da der dorische Baustil bekanntlich der äl-
teste ist, so hatte diesen ohne Zweifel auch der uralte
Tempel der ilischen Minerva. Wir wissen aber aus
der Ilias (VII, 83 und IV, 508), dass es in der Pergamos
auch einen Tempel Apollo’s gab, und stand dieser ver-
muthlich auf der Südostecke des Berges; denn am Fusse
derselben sieht man in einer kleinen Ausgrabung eine
aus herrlichen korinthischen Säulen mittels Cement zu-
sammengesetzte Mauer. Wahrscheinlich gehören diese
Säulen zu einem Apollotempel aus der Zeit des Lysi-
machos. Bei der weitern Ausgrabung des Thurmes
in östlicher Richtung hoffe ich die Baustelle dieses
Tempels, und in den Tiefen derselben die Ruinen des
uralten Apollotempels zu finden.


Falls es in Troja eine Schriftsprache gab, so werde
ich wahrscheinlich Inschriften in den Ruinen der beiden
Tempel finden. Ich bin aber in dieser Hinsicht nicht
mehr sanguinisch, da ich bisher in den kolossalen Trüm-
merschichten der vier Völker, welche der griechischen
Colonie vorhergegangen sind, keine Spur von Schrift
gefunden habe.


[184]wiederaufnahme der ausgrabungen; kälte.

XV.



Ich kehrte am 31. Januar mit meiner Frau hierher
zurück, um die Ausgrabungen fortzusetzen, wurde aber
bald durch griechische Festtage, bald durch furchtbare
Gewitterregen, bald durch grimmige Kälte gestört und
kann kaum rechnen, dass ich bis heute mehr als acht
gute Arbeitstage gehabt habe. Ich hatte mir hier
neben meinen beiden hölzernen Häusern letzten Herbst
aus Steinen alter trojanischer Bauten ein Haus mit
60 Centimeter dicken Wänden bauen lassen, wurde aber
gezwungen, dasselbe meinen Aufsehern zu überlassen,
welche nicht hinlänglich mit Kleidern und Decken ver-
sehen waren und daher bei der grossen Kälte umge-
kommen sein würden. Meine arme Frau und ich haben
infolge dessen viel leiden müssen, denn der eisige
Nordsturm blies mit Ungestüm durch die Fugen unserer
Breterwände, sodass wir nicht einmal im Stande waren,
des Abends Licht anzuzünden; und obgleich wir Feuer
im Kamin hatten, so zeigte dennoch das Thermometer
4 Grad Réaumur Kälte in den Stuben, und das Wasser
gefror zu Klumpen neben dem Kamin. Den Tag über
konnten wir die Kälte noch einigermassen ertragen,
[185]aufseher, maler, mangel an arbeitern.
indem wir in den Ausgrabungen mitarbeiteten, des Abends
aber hatten wir weiter nichts als unsern Enthusiasmus
für das grosse Werk der Aufdeckung Trojas, um uns
zu erwärmen. Glücklicherweise aber dauerte die grosse
Kälte nur vier Tage — vom 16. bis 19. d. M. — und
haben wir seitdem herrliches Wetter.


Als Aufseher habe ich ausser Georgios Photidas, der
auch während der vorjährigen Ausgrabungen bei mir
war, den Schiffskapitän Georgios Barba Tsirogiannis aus
Chalkis in Euböa, sowie einen Albanesen von Salamis,
den ich aber wegen seiner Unbrauchbarkeit nächstens
zurückschicke, indem ich mir dafür zwei andere Auf-
seher vom Piräeus schicken lasse. Ein guter Aufseher
ist mir nützlicher als zehn gewöhnliche Arbeiter, ich
finde aber die Gabe des Commandos selten bei andern
als bei Seeleuten.


Ich habe auch einen Maler mitgenommen, um die
gefundenen Gegenstände immer sogleich mit chinesischer
Tinte abzeichnen und die Zeichnungen in Athen durch
Photographie vervielfältigen zu lassen. Auf diese Weise
ist es mir aber nicht mehr möglich, wie früher die Ge-
genstände jeder Tiefe auf besondern Tafeln zu geben;
die in den verschiedenen Tiefen gefundenen Sachen
sind jetzt durcheinandergemischt, jedoch ist bei einer
jeden ausser der Nummer des Katalogs genau die Tiefe
in Metern sowie das Grössenverhältniss angegeben.


Die Arbeiter sind gegenwärtig nicht so häufig zu
haben als früher, denn ein hier anwesender Kaufmann aus
Smyrna beschäftigt 150 Mann zum Aufsuchen einer hier
γλυκόϱιζα genannten medicinischen Wurzel, aus welcher
der Lakritzensaft bereitet wird, und sowol das Wort
[186]ausgrabungen an der nordseite.
Lakritze als das französische Wort lacorice sind
jedenfalls nur Verderbungen von γλυκόϱιζα. Da nun
die Leute bei dem smyrnaer Kaufmann das Land
nach Flächenmass zu bestimmten Preisen durchgraben,
so verdienen sie bei ihm täglich 12 bis 23 Piaster
(2 Frs. 40 bis 4 Frs. 60 Cent.), während ich in den
jetzigen kurzen Tagen nur 9 Piaster (1 Frs. 80 Cent.)
zahlen kann, um nach Ostern 10 und nach dem 1. Juni
12 Piaster zu bewilligen. Da die Wurzel unweit Renkoï
gegraben wird, so sind hauptsächlich Leute aus diesem
Dorfe damit beschäftigt, und ich bin für meine Aus-
grabungen auf die in und an der Ebene von Troja ge-
legenen Dörfer Kalifatli, Yenischahir und Neo-Chori an-
gewiesen, aus welchen ich bei trockenem Wetter von
morgen ab auf 120 tägliche Arbeiter rechnen kann.


Ich habe die Stelle auf der Nordseite des Berges,
wo mir, in einer Entfernung von 40 Meter vom Bergab-
hange, in einer Tiefe von 15½ Meter, die 2 Meter unter-
halb der trojanischen Mauer unter einem Winkel von
40 Grad aufsteigende Mauer von weissen Steinen die
Baustelle des uralten Minervatempels zu bezeichnen
scheint, von zwei Seiten gleichzeitig in fünf Terrassen
in Angriff genommen und lasse den Schutt mit man-
carts und Schiebkarren fortschaffen. Dieser Schutt be-
steht in der nordöstlichen Ausgrabung, von der Ober-
fläche bis zu 3 Meter Tiefe, aus mit schwarzer Erde ver-
mengten Marmorsplittern, und finde ich darin gar viele
grosse, herrlich sculptirte Marmorblöcke, welche offenbar
von dem auf der Stelle befindlichen Tempel aus der Zeit
des Lysimachos herrühren, aber durchaus weiter keinen
Werth für die Wissenschaft haben. Die Fortschaffung
[187]grosser zuwachs des berges durch schutt und asche.
dieser Blöcke, deren Gewicht oft 2000 Kilogramm über-
steigt, macht mir die grösste Schwierigkeit. Die Bau-
stelle des Tempels ist zwar deutlich genug durch das
Vorhandensein dieser grossen, dorischen Stil zeigenden
Marmorblöcke angegeben, aber vom Heiligthum selbst
findet sich kein Stein an seiner Stelle. Wie die 34 Me-
ter lange, 23 Meter breite Senkung im Erdboden zu be-
weisen scheint, ist der Ort schon vor Jahrhunderten
von den nach passenden Grabsteinen suchenden Tür-
ken durchwühlt, welche merkwürdigerweise auch alle
Fundamente fortgenommen haben. Unterhalb dieser
3 Meter dicken Schuttdecke folgt eine unter einem
Winkel von 50 bis 60 Grad ablaufende Aschenmasse,
welche mit einer 40 Meter dicken Kruste an jener Stelle
den durch die erwähnte Stützmauer genau bezeichneten
einstigen Bergabhang bedeckt. Letzterer rundet sich
hier nach Osten ab, und wie es sowol die sich nach
jener Richtung umwendende Stützmauer, als die ober-
halb derselben auch nach Osten ablaufenden Schutt-
schichten beweisen, fing von diesem Punkte ebenfalls
einst der östliche Bergabhang an, während der jetzige
80 Meter von demselben entfernt ist. Somit hat der
Berg der Pergamos in östlicher Richtung um 80 Meter
oder 264 Fuss an Dicke zugenommen, seitdem die Stütz-
mauer gemacht ist. Ich glaube nicht, dass es einen
zweiten Berg in der Welt gibt, dessen Zunahme im
Laufe der Jahrtausende auch nur im entferntesten mit
diesem kolossalen Zuwachs zu vergleichen wäre.


Ausser jenen kleinen runden Terracottas in Form
von Vulkanen und Carrouselen mit den gewöhnlichen,
viel vorkommenden und mehrfach beschriebenen Ver-
[188]ausgrabungen an der ostseite der plateforme.
zierungen und einigem mehr oder weniger zerbrochenen
Topfgeschirr wurde bisjetzt nichts in dieser Ausgrabung
gefunden. Die andere Ausgrabung, um die vermeinte
Baustelle des uralten Minervatempels zu erreichen, ge-
schieht am Ostende meiner grossen Plateforme, auf
welche ich wiederum den grössten Theil des dort jetzt
abgegrabenen Schuttes werfen lasse, weil mir dessen
Fortschaffung ausserhalb derselben zu ungeheuere
Schwierigkeiten machen würde. Ich habe dieser Aus-
grabung nur vorläufig eine Breite von 13 Metern gege-
ben, beabsichtige aber sie zu erweitern, sobald ich darin
irgendeinen Nutzen für die Wissenschaft sehe. In der
untern Terrasse dieser Ausgrabung finde ich die Fort-
setzung jener trojanischen Mauer der mehr östlichen
Ausgrabung. Diese Mauer hat hier nur eine Höhe
von 1 Meter, aber die unter ihr liegenden Steine
scheinen keinen Zweifel übrig zu lassen, dass sie einst
viel höher gewesen ist. Merkwürdigerweise erkenne
ich, und erkennt jeder Besucher der Troade mit
mir, die Fortsetzung dieser Mauer auch an beiden Seiten
meines grossen Durchstichs durch den ganzen Berg,
links und rechts am Eingange desselben, in 12 Meter
Tiefe. Wenn diese Mauer der Zeit vor dem trojanischen
Kriege angehört, woran ich in Betracht ihrer grossen
Tiefe nicht zweifeln darf, so beweisen doch jedenfalls
die unter ihr befindlichen mächtigen Ruinen sowie das
in dem grossen Durchstich in ½ Meter Tiefe gerade
unter ihr liegende Pflaster von weissen Meersteinen,
dass sie erst lange Zeit nach der ersten Zerstörung
der Stadt gebaut sein muss. Aber der eigentliche Zweck
dieser Mauer ist mir hier und weiterhin nach Westen
[189]hippopotamos aus terracotta.
ganz unerklärlich, indem dieselbe über und durch die
Trümmer mächtiger Bauten errichtet ist.


Die Schuttschichten in dieser Ausgrabung liegen alle
horizontal, was keinen Zweifel übrig lässt, dass sie sich
im Laufe der Zeit allmählich aufgehäuft haben. Die
Beschaffenheit derselben beweist, dass die meisten der
hier gestandenen Häuser durch Feuersbrunst vernichtet
sind. Es kommen aber auch hier mehrere dicke Schutt-
schichten vor, in denen man Tausende von wohlerhalte-
nen Muscheln sieht, und beweist die Erhaltung der
letztern, dass erstere nicht von verbrannten Bauten her-
rühren können.


Unter den in dieser Ausgrabung entdeckten interes-
santen Gegenständen muss ich besonders hervorheben
einen in 7 Meter Tiefe gefundenen glänzend rothen Hippo-
potamos von Terracotta, dessen Bild ich auf Tafel 119
No. 2330 in Zweidrittelgrösse gebe; er ist hohl, hat
eine Röhre an der linken Seite und mag daher als Ge-
fäss gedient haben. Das Vorhandensein der Gestalt
des Hippopotamos hier in 7 Meter Tiefe ist höchst
merkwürdig, ja wunderbar, denn dies Thier kommt be-
kanntlich nicht einmal in Oberägypten, und nur in den
Flüssen des Innern von Afrika vor. Es ist jedoch
wahrscheinlich, dass es im Alterthume Hippopotamoi
in Oberägypten gab, denn nach Herodot (II, 7) wurden
sie in der ägyptischen Stadt Papremites als heilige
Thiere verehrt. Jedenfalls muss daher Troja mit Aegypten
in Handelsverbindung gestanden haben; aber selbst
dann bleibt es ein Räthsel, wie das Thier hier so bekannt
war, dass es in Thon, vollkommen der Natur getreu,
nachgebildet werden konnte.


[190]marmoridole, vasen, terracotten.

Von Idolen von Marmor kamen in diesen wenigen
Arbeitstagen erst acht vor, und davon nur zwei mit
dem eingravirten Eulenkopf der ilischen Minerva. Von
Vasen mit Eulengesicht, zwei Frauenbrüsten und zwei
emporgehobenen Armen kam nur eine in 15 Meter
Tiefe vor, sowie in 7 Meter Tiefe der obere Theil einer
andern, auf dem noch der Stummel des einen Arms zu
erkennen ist. In 3 Meter Tiefe finden sich zwei Vasen
mit zwei Frauenbrüsten und einem ungeheuern Bauch-
nabel, welche ohne allen Zweifel auch die Schutzgöttin
Trojas darstellen sollen. Endlich von Bechern mit
Eulengesicht und Helm fand sich erst einer in 1 Meter
Tiefe, der einen doppelten Griff in Form einer
Krone hat, und ein anderer mit einem einfachen Griff
in 8 Meter Tiefe. Von den übrigen Terracotta-Gefässen
gebe ich die Zeichnungen der noch nicht vorgekomme-
nen Arten, und kann ich unter denselben besonders her-
vorheben einen in 3 Meter Tiefe gefundenen, höchst
merkwürdigen Becher in der Form eines Waldhorns mit
drei Füssen, sowie das Gefäss No. 2368 auf Tafel 120,
welches nur zwei Füsse und, wie es die abgebrochene
Stelle an der rechten Seite beweist, mit einem andern
Gefäss ganz gleicher Form und Art zusammengehangen
hat; dies doppelte Gefäss hatte auf jeder Seite eine
Röhre zum Aufhängen an Schnüren. Von dem übrigen
Töpfergeschirr kann ich nur noch hervorheben die kleine
merkwürdige Vase No. 2362 auf Tafel 120, welche drei
lange Füsse, einen Henkel und zwei Griffe in Gestalt
von Ohren hat.


Von den runden Stücken Terracotta in Form von
Vulkanen und Carrouselen mit symbolischen Verzierun-
[191]weibl. marmorstatue; ausgrab. a. d. südostecke d. akrop.
gen kamen wie immer grosse Massen vor; ich verzeichne
natürlich aber nur die Bilder der noch nicht dage-
wesenen. Von Schleudern kamen vier vor; davon eine
von Kupfer aus 15 Meter Tiefe; eine von Alabaster aus
7 Meter und zwei von Diorit aus 6 und 7 Meter Tiefe.
In 4 Meter Tiefe fand sich ein herrlich verziertes flaches
Stück Elfenbein, dessen Bild ich Tafel 122, No. 2435
gebe, und welches offenbar zu einem musikalischen
Instrument gehört haben muss. Endlich kam aus 1 Meter
Tiefe der Tafel 119, No. 2343 verzeichnete untere Theil
einer mit grosser Meisterschaft gemachten weiblichen
Statue von feinem Marmor, und ist es nicht unwahr-
scheinlich, dass dieselbe Iliums Schutzgöttin darstellte,
welche ja ihren Tempel in der Pergamos hatte.


Gleichzeitig mit diesen Ausgrabungen liess ich auch
22 Arbeiter an der Südostecke der Akropolis in nord-
westlicher Richtung graben, um zu versuchen, von dieser
Seite den grossen Thurm weiter blosszulegen, was mir
von meinem grossen Durchstich aus durchaus unmöglich
geworden ist. Da aber der Berg an dieser Stelle nur
sehr allmähliche Senkung hat, so wurde ich gezwungen,
den neuen Einschnitt mit einer bedeutenden Senkung
anzulegen, welche das Herauskarren des Schuttes sehr
erschwert, aber durchaus nothwendig ist, um die zur
Erreichung des Thurmes nöthige Tiefe von 8 Meter er-
langen zu können. Gleich im Anfang dieses Einschnittes
stiess ich, 30 Centimeter unter der Oberfläche, auf
zwei ungeheuere Mauern, deren jede 3 Meter oder 10 Fuss
Dicke hat und wovon die erste aus dem Mittelalter zu
stammen scheint und aus grossen durch Cement verbun-
denen korinthischen Säulenblöcken und andern alten
[192]aufdeckung zweier mauern; inschrift.
Bauten entlehnten Marmorblöcken besteht. Die unmit-
telbar darauffolgende zweite Mauer, welche jedenfalls
zu der nach Strabo (XIII, 1, S. 100 und 101, Tauchnitz’
Ausgabe) von Lysimachos erbauten, 40 Stadien langen
Stadtmauer gehören muss, besteht aus grossen schön
behauenen Muschelkalksteinen, die ohne Verbindungs-
mittel zusammengelegt sind und grossentheils ein Mono-
gramm tragen. Da der Buchstabe nicht immer derselbe ist
und auf einem Stein z. B. ein Σ, auf einem andern ein Υ
oder ein Δ steht, so vermuthe ich, dass es die Initialen
der verschiedenen Bauunternehmer sind. In der ersten
fand ich eine 1 Meter 10 Centimeter lange, 30 Centi-
meter dicke, 83 Centimeter breite Marmorplatte mit nach-
stehender Inschrift:


[figure]
Ἡ βουλὴ καὶ ὁ δῆμος

Γάïον Καίσαϱα τὸν υἱὸν τοῦ Σεβασ-

τοῦ τὸν συνγενῆ καὶ πατϱῶνα καὶ εὐ-

εϱγέτην τῆς πόλεως.

Der in dieser Inschrift Gepriesene kann keinesfalls
der Kaiser Caligula sein, denn dann würde αὐτοκϱάτωϱ
dastehen. Da aber dies Wort fehlt, so ist jedenfalls
Caius Cäsar, der Sohn von Vipstanus (oder Vipsanius)
Agrippa und Julia, der Tochter von Octavianus, gemeint.
Er hatte einen Bruder Namens Lucius. Beide wurden
von Augustus Octavianus adoptirt und erhielten durch
diese Adoption den Titel „υἱὸς τοῦ Σεβαστοῦ“, beide
[193]das verhalten der julier gegen ilium.
waren von Augustus für das Staatsruder ausersehen. Cajus
Cäsar, geboren im Jahre 20 v. Chr., wurde schon im Alter von
drei Jahren adoptirt. Er nahm theil an den trojanischen
Spielen, welche Augustus Octavianus bei der Einweihung
des Tempels von Marcellus veranstaltete. Im Alter von
15 Jahren wurde er zum Consul und mit 19 Jahren zum Gou-
verneur von Asien ernannt. Während seiner dortigen Ver-
waltung kam er in Streit mit Phraates, dem Könige von
Armenien, wurde verwundet und starb im Jahre 4
n. Chr. am 21. Februar, also im Alter von 24 Jahren.
(Vellejus Paterculus, Histor., II, 102). Da er in der In-
schrift der Verwandte, der Wohlthäter und der Patron
von Ilium genannt wird, so ist er wahrscheinlich während
seiner Administration öfter hierher gekommen und hat
sich jedenfalls die Stadt sehr angelegen sein lassen und
sie mit Wohlthaten überhäuft. Die Familie der Julier
nämlich legte anfänglich ein grosses Gewicht darauf,
von Iulos (oder Askanios), dem Sohn des Aeneas, abzu-
stammen, und die Aeneïs des Virgil hatte bekanntlich
einzig und allein den politischen Zweck, diese Ab-
stammung zu beweisen und zu verherrlichen. Dadurch
erklären sich die Wohlthaten, womit die Julier Ilium
überhäuften, und ihr Hass gegen die Griechen, weil sie
Troja zerstört und ausserdem weil sie die Partei des
Marcus Antonius ergriffen hatten.


Der Wein, welcher hier im vorigen Jahre nur
1¼ Piaster (25 Centimes) die Oka von zwei gewöhn-
lichen Weinflaschen kostete, kostet jetzt 2 Piaster
(40 Centimes) die Oka; er ist aber ganz ausgezeichneter
Qualität und ich ziehe ihn jedem französischen Wein vor.


Schliemann
[194]blosslegung der stützmauer; muthmassl. tempelhügel

XVI.



Schon seit Montag Morgen, 24. v. M., ist es mir
gelungen, die Zahl meiner Arbeiter auf 158 zu brin-
gen, und da wir diese Woche fortwährend herrliches
Wetter hatten, so habe ich in diesen sechs Tagen etwas
Tüchtiges leisten und ungeachtet der vielen Hindernisse
und Schwierigkeiten, mit denen ich anfänglich zu kämpfen
hatte, bisjetzt seit dem 1. Februar von der Baustelle
des Tempels 8500 Kubikmeter Schutt fortschaffen können.
Ich hatte somit heute endlich die Freude, einen grossen
Theil jener aus grossen unbehauenen weissen Steinen
bestehenden Stützmauer blosszulegen, welche einst die
ganze Nordostecke des Bergabhanges bekleidete,
während infolge des Zuwachses durch die im Laufe
vieler Jahrhunderte hinuntergeworfene Asche der Opfer-
thiere der jetzige Bergabhang nach Norden 40, nach
Osten 80 Meter davon entfernt ist. Zu meinem Erstau-
nen fand ich, dass diese Stützmauer bis 8 Meter unter
die Oberfläche reicht und somit, da der Urboden sonst
überall nur in 14 bis 16 Meter Tiefe unter der Ober-
flache ist, am Nordostende der Pergamos einen isolirten
Hügel von 6 bis 8 Meter Höhe bekleidet hat, auf
[195]schutt eines kleinen tempels; fundgegenstände.
welchem ohne Zweifel einst ein kleiner Tempel gestan-
den hat. Von diesem Heiligthum aber fand ich nur rothe
Holzasche mit glänzenden schwarzen trojanischen Topf-
scherben vermischt und eine ungeheuere Menge un-
behauener Steine, die einer furchtbaren Glut ausge-
setzt gewesen zu sein scheinen; dagegen keine Spur
von Sculptur, es muss das Gebäude daher sehr winzig
gewesen sein. Ich habe die Stützmauer dieses Tempel-
hügels auf eine Breite von 4 Meter durchbrochen, um
den Boden zu untersuchen. Ich grub ihn 1½ Meter tief
ab und fand, dass er aus reinem Urboden von grün-
licher Farbe besteht. Auf der durch die Stützmauer
angewiesenen Baustelle des kleinen uralten Tempels
finde ich an zwei Stellen reinen Kornsand, der sehr
tief zu gehen scheint, da ich beim Nachgraben bis in 2 Me-
ter Tiefe das Ende desselben nicht erreichte. Ob dieser
Hügel ganz oder nur theilweise aus Erde und Kornsand
besteht, vermag ich nicht zu sagen, und unterlasse ich
auch dies zu untersuchen, da deswegen aufs neue Tau-
sende von Kubikmetern Schutt fortgeschafft werden
müssten. In dem Schutt des Tempels wurden einige
wenige aber höchst interessante Gegenstände gefun-
den, z. B. das grösste bisjetzt vorgekommene mar-
morne Idol von 13½ Centimeter Länge und 8 Centimeter
Breite, dessen Bild ich auf Tafel 126, No. 2560 gebe;
ferner der Topfdeckel No. 2555, welcher durch grob
eingeschnittene Linien in zwölf Fächer abgetheilt ist,
wovon zehn mit Sternchen, eins mit zwei Blitzen und
eins mit sechs Strichen verziert sind. Es fand sich dort
ein kleines Tafel 122, No. 2438 abgebildetes Idol von
Terracotta mit dem Eulenkopf der ilischen Schutzgöttin,
13*
[196]vase mit eulengesicht u. a.
einem Bauchnabel, zwei Armen und auf der Rückseite
lang herunterhängendem Haupthaar, es ist aber so
kunstlos gemacht, dass z. B. die Augen der Göttin
oberhalb der Augenbrauen stehen. Auch fand ich im
Schutt des Tempels eine Vase mit Eulengesicht, zwei
Frauenbrüsten und einem grossen Bauchnabel; vom
Gesicht ist aber nur ein Auge und ein Ohr erhalten.
Ich mache ganz besonders darauf aufmerksam, dass so-
wol auf allen Vasen mit Eulenköpfen, zwei Frauen-
brüsten und Bauchnabel, als auch auf allen andern, die
ohne Eulengesicht und nur mit zwei Frauenbrüsten und
Bauchnabel verziert sind, letzterer immer zehnmal
grösser ist als die Brüste. Ich vermuthe daher, dass
der Bauchnabel irgend eine wichtige Bedeutung hatte,
um so mehr als derselbe manchmal mit einem Kreuze
und einmal sogar mit einem solchen und den Marken
eines Nagels an jedem der vier Enden des Kreuzes ver-
ziert ist. Es fanden sich ferner in den Trümmern des
kleinen uralten Gebäudes einige hübsche Keile und
eine Menge sehr grober klotziger Hämmer von Diorit;
ferner eine Menge jener kleinen rothen und schwarzen
runden Terracottas in der Form des Vulkans oder des
Carrousels mit den gewöhnlichen Verzierungen von
vier oder fünf

[figure]

oder drei, vier oder fünf dreifachen
aufgehenden Sonnen im Kreise um die Centralsonne,
oder mit andern höchst sonderbaren Verzierungen.


Es wurde auch in 7 und 8 Meter Tiefe eine Menge
Vasen mit eingravirten Verzierungen und mit drei Füssen
oder ohne Füsse, aber meistentheils mit Röhren an den
Seiten und Löchern im Munde zum Aufhängen an
Schnüren, gefunden; wiederum Trinkbecher, die aus
[197]idol aus schwarzem stein; terracotta-schlangen.
einer kreisförmigen Röhre bestehen und an einer Seite
eine hervorragende Oeffnung zum Trinken haben; letz-
tere ist immer durch einen Henkel mit der andern Seite
der Röhre verbunden; ferner kleinere und grössere
Töpfe mit ganz hintenüber gebogenem Munde; kleine
Terracotta-Trichter; sehr merkwürdige kleine, nur 2½ bis
3 Centimeter lange Schleudern von Diorit. Der merk-
würdigste aller bis heute in diesem Jahre gefundenen
Gegenstände ist aber jedenfalls ein in 9 Meter Tiefe
gefundenes Idol von sehr hartem schwarzen Stein, von
6½ Centimeter Länge und Breite. Kopf, Hände und
Füsse sind in Form von Halbkugeln, und der Kopf ist
nur dadurch kenntlich, dass mehrere unter demselben
befindliche horizontal herumgehende Einschnitte Hals-
schnüre zu bezeichnen scheinen. In der Mitte des
Bauchs sieht man einen Nabel, welcher ebenso
gross ist als der Kopf, aber nicht hervorsteht, wie dies
bei den Vasen der Fall ist, sondern durch eine kreis-
förmige Vertiefung bezeichnet ist. Die Rückseite des
mittlern Körpers ist gewölbt und hat das Ansehen eines
Schildes, sodass man bei Betrachtung des Idols unwillkür-
lich daran denkt, dass es den Kriegsgott Mars darstellt.


Es kommen in 4 bis 7 Meter Tiefe auch Bruch-
stücke von Terracotta-Schlangen vor, deren Köpfe
manchmal mit Hörnern dargestellt sind. Letztere
müssen durchaus ein uraltes bedeutungsvolles Symbol
von höchster Wichtigkeit sein, denn noch jetzt herrscht
hier der Aberglaube, dass Schlangenhörner durch blosse
Berührung des menschlichen Körpers eine Menge
Krankheiten und besonders Epilepsie heilen, ferner dass
sie in Milch getaucht diese augenblicklich in Käse ver-
[198]schlangenhörner; vasen, steinwerkzeuge.
wandeln und dergleichen mehr. Wegen der vielen heil-
samen und nützlichen Wirkungen, die man den Schlangen-
hörnern beilegt, schreibt man ihnen einen ungeheuern
Werth zu, und wurde bei meiner Rückkunft hier, Ende
Januar, einer meiner vorjährigen Arbeiter von seinen
neidischen Kameraden beschuldigt, er habe im vorigen
Jahre in einer Urne in 16 Meter Tiefe ein paar Schlan-
genhörner gefunden und entwendet. Alle meine Ver-
sicherungen, dass es keine Schlangenhörner gebe, ver-
mochten nicht, die guten Arbeiter zu überzeugen, und
sie glauben heute noch, ihr Kamerad habe mir einen
grossen Schatz gestohlen. Die nicht mit Hörnern ver-
zierten Schlangenköpfe stellen meistentheils die giftige
Aspis dar; sie haben über dem Maule eine Menge
Punkte, und Kopf und Rücken sind durch Querstriche
in Fächer abgetheilt, und diese sind mit Punkten ge-
schmückt. Auf der entgegengesetzten Seite haben diese
flachen Schlangenköpfe der Länge nach laufende,
Frauenhaaren ähnliche Striche. Es kommen auch 4 Centi-
meter hohe Kegel von Terracotta vor, welche drei nicht
durchgehende Löcher haben. Von Terracotta-Vasen ohne
Eulengesicht, aber mit zwei Frauenbrüsten und grossem
Bauchnabel, sowie mit zwei kleinen aufrecht stehen-
den Griffen in Form von Armen wurden dieser Tage
noch mehrere in 1 und 2 Meter Tiefe gefunden. Werk-
zeuge von Diorit und Wurfscheiben von Granit, auch
mitunter von hartem Kalkstein kommen in allen Schutt-
schichten unterhalb 4 Meter Tiefe in Menge vor. Häm-
mer und Keile kommen sowol von Diorit als von grü-
nem Steine vor und sind in den meisten Fällen sehr
hübsch gearbeitet. Nicht alle steinernen Hämmer
[199]kupferwaffen; ausgrabung a. d. südostecke d. pergamos.
haben ein durchgehendes Loch; bei vielen sieht
man nur eine ½ bis 1 Centimeter tiefe Höhlung auf
beiden Seiten.


Von Metallen kam nur Kupfer vor; eine 14 Centi-
meter lange kupferne Sichel wurde heute gefunden;
von kupfernen Waffen wurden seit dem 1. v. M. nur erst
zwei Lanzen in 7 und ein Pfeil in 4 Meter Tiefe gefun-
den. Lange dünne kupferne Nägel mit rundem Kopf
oder nur gebogener Spitze kommen in Menge vor, und
finde ich deren jetzt auch mehrfach in 5 und 6 Meter
Tiefe, wo ich bis dahin seit Anfang meiner Ausgrabun-
gen im Jahre 1871 erst zwei Nägel gefunden hatte.


Den an der Südostecke der Pergamos angelegten
Einschnitt zur Blosslegung des östlichen Theils des
grossen Thurms habe ich jetzt bis zu meinem vorjähri-
gen Einschnitt in einer Länge von 96 Meter und in
einer Breite von 20 bis 24 Meter auf einmal in An-
griff genommen, und geht die Arbeit sehr rasch, da
diese Ausgrabung nahe am südlichen Bergabhange
und daher der Schutt nicht weit zu karren ist. Ich
habe acht Seitenwege zur Fortschaffung desselben an-
gelegt. Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass es weit
vortheilhafter ist, keine besondern Leute zum Beladen
der Schiebkarren zu halten und jeden Arbeiter selbst seine
Karre vollschaufeln zu lassen. Ebenso hat mir die
Praxis gezeigt, dass beim Abbrechen der Erdwände
mit den langen eisernen Hebeln mittels eines „Bocks“
sehr viel kostbare Zeit verloren geht und dass es viel
vortheilhafter und für die Arbeiter weniger gefahrvoll
ist, die Erdwände immer unter einem Winkel von
55 Grad zu halten, nach Mass des Bedarfs abzugra-
[200]wasserleitung; trümmer des minervatempels.
ben und den Schutt mit 21 Centimeter breiten Hacken
herunterzuharken. In dieser neuen Ausgrabung finde ich
vier aus irdenen, 48 bis 57 Centimeter langen und 17 bis
30 Centimeter dicken Röhren zusammengesetzte Wasser-
leitungen, in welchen das Wasser aus einer Entfernung von
1½ deutschen Meilen vom obern Thymbrius hergeleitet
wurde. Letzterer heisst jetzt Kemar, vom griechischen Wort
καμάϱα (Gewölbe), weil eine Wasserleitung aus römischer
Zeit in grossen Bogen über seinen untern Lauf hinweg-
geht, die einst Ilium mit Trinkwasser aus dem obern
Theile des Flusses versorgte. Für die Pergamos aber
waren besondere Wasserleitungen nöthig, da dieselbe
höher liegt als die Stadt.


Ich finde in dieser Ausgrabung eine ungeheuere
Menge sehr grosser, 1 bis 2 Meter hoher und 75 Centi-
meter dicker irdener Weinbehälter (πίϑοι), sowie eine
Menge Bruchstücke von korinthischen Säulen und andern
herrlich sculptirten Marmorblöcken. Alle diese Marmor-
blöcke müssen jedenfalls zu jenem grossartigen Gebäude
gehört haben, dessen südliche Wand von 87,7 Meter
Länge ich bereits aufgegraben habe. Dieselbe besteht
aus mit vielem steinharten Cement zusammengesetzten
kleinen Steinen und ruht auf grossen schönbehauenen
Kalksteinen. Die Richtung dieser Wand und folglich
des ganzen Gebäudes ist Ostsüdost halb Ost, und drei
Inschriften, die ich in den Ruinen desselben fand und
in deren einer gesagt ist, dass sie im „ἱεϱόν“, d. h. im
Tempel aufgestellt wurde, lassen gar keinen Zweifel,
dass dies der Tempel der ilischen Minerva, der „πολιοῦχος
ϑεά“ war, denn nur dieses Heiligthum konnte wegen
seiner über alle andern Tempel hervorragenden Grösse
[201]der minervatempel des lysimachos; inschriften.
und Wichtigkeit schlechthin „τὸ ἱεϱόν“ genannt werden.
Auch stimmt ja die genau der aufgehenden Sonne zu-
gewandte Lage des Gebäudes ganz genau mit der Lage
des Παϱϑενών und aller übrigen Tempel der Minerva.
Von Anfang an habe ich nach diesem wichtigen Heilig-
thume gesucht, habe, um es zu finden, über 100000 Ku-
bikmeter Schutt von den schönsten Stellen der Perga-
mos weggeschleppt, und jetzt entdecke ich es gerade an
jener Stelle, wo ich es am allerwenigsten erwartet hätte.
Ich habe diesen wahrscheinlich von Lysimachos erbau-
ten neuen Tempel gesucht, weil ich glaubte und glaube,
dass ich in den Tiefen desselben die Trümmer des ur-
ältesten Minervatempels und darin mehr als irgendwo
anders Aufschluss über Troja finden werde. Von den
erwähnten hier gefundenen Inschriften ist die eine auf
einer 1 Meter 60 Centimeter langen, 45 Centimeter brei-
ten und 15 Centimeter dicken Marmorplatte in Form
eines Grabsteins geschrieben und lautet wie folgt:


[figure]
[202]inschrift aus dem minervatempel.
[figure]
[203]inschrift aus dem minervatempel.
[figure]
[...]

[204]inschrift aus dem minervatempel.
[...]

[205]inschrift aus dem minervatempel.
[...]

[206]zeit der inschrift; die stadt gergis.

Diese Inschrift, deren hoher geschichtlicher Werth
nicht zu verkennen ist, scheint jedenfalls, sowol nach
dem Inhalt als nach der Form der Buchstaben zu ur-
theilen, aus dem dritten Jahrhundert v. Chr. zu stammen,
denn der darin vielfach vorkommende König Antiochus
muss entweder Antiochus I. mit Beinamen Soter (281
bis 260 v. Chr.) oder Antiochus III., der Grosse (222 bis
186) sein. Zwar erzählt Polybios, der 210 oder 200
v. Chr. geboren ist und 122 v. Chr. starb, in seinem
Werke, XXVIII, 1 und XXXI, 21 von einem zu seiner
Zeit lebenden Meleagros, einem Gesandten des Antiochus
Epiphanes, der von 174 bis 164 regierte, und wäre es
immerhin möglich, dass dieser Meleagros späterhin auch
Satrap der Satrapie des Hellesponts geworden wäre
und in dieser Stellung den ersten Brief der Inschrift
an die Ilier gerichtet hätte. Aber im ersten Brief des
Antiochus an seinen Satrapen Meleagros stellt er es
diesem frei, die 2000 Plethra Land dem Aristodikides
von dem ans Gebiet von Gergis oder an das von Skepsis
grenzenden Lande zuzutheilen. Die Stadt Gergis wurde
aber nach Strabo (§ 616, siehe auch § 603 und 624
der Ausgabe von A. Forbiger) vom König Attalus I.
von Pergamos, der von 241 bis 197 v. Chr. regierte,
zerstört, welcher die Einwohner in die Nähe der Quellen
des Kaïkos in Mysien verpflanzte. Diese Quellen
liegen aber, wie auch Strabo (§ 616) selbst sagt, sehr
weit vom Ida und somit auch von Ilium entfernt.
2000 Plethra Land in so weiter Ferne würden den Iliern
von keinem Nutzen haben sein können; es ist daher
nicht möglich, anzunehmen, dass in der Inschrift von
dem bei den Quellen des Kaïkos aufblühenden neuen
[207]lage von gergis; antiochus i. oder iii.
Flecken Gergitha die Rede sein kann. Ich stimme jetzt
ganz mit Frank Calvert (Archæological Journal, vol.
XXI, 1864) und mit Consul von Hahn (Die Ausgrabungen
auf der homerischen Pergamos, S. 24) überein, dass Gergis
durch die Ruinen der kleinen Stadt und Akropolis am
äussersten Ende der Höhen hinter Bunarbaschi bezeich-
net wird, in welchen höchst merkwürdiger Weise noch
bis vor kurzem die meisten Archäologen das homerische
Troja erblickten. Diese Baustelle von Gergis, in ge-
rader Linie zwischen Ilium und Skepsis, dessen Ruinen
man weiterhin auf den Höhen des Ida sieht, ist ganz
im Einklange mit der Inschrift. Livius (XXXV, 43)
erzählt von dem Besuch Antiochus’, III., des Grossen.
Auch finde ich im „Corpus Inscriptionum Graecarum“,
No. 3596, dass derselbe einen General Meleagros hatte,
welcher später Satrap des Hellesponts geworden sein
mag. Dagegen sagt Chishull in seinen „Antiquitates
Asiaticae“, dass Antiochus I., Soter, auf einer Expedition
gegen den König von Bithynien mit seiner Flotte bei
der nahe bei Ilium gelegenen Stadt Sigeum anhielt und
mit der Königin, die seine Frau und Schwester war,
sowie mit den Grosswürdenträgern und Suite nach
Ilium hinaufstieg. Ueber den glänzenden Empfang, der
ihm hier bereitet wurde, ist zwar nichts Genaueres be-
kannt, wohl aber der Empfang, der ihm in Sigeum zu-
theil wurde. Die Sigeer überhäuften ihn mit knech-
tischen Schmeicheleien, und nicht nur sandten sie ihm
Gesandte entgegen, um ihn zu beglückwünschen, son-
dern sie erliessen auch ein Senatsdecret, worin sie des
Königs Handlungsweise bis zum Himmel erhoben und
anordneten, dass öffentliche Gebete für sein und seiner
[208]antiochus i. oder iii.; der name aristodikides.
Gemahlin Heil an die ilische Minerva, an Apollo (wel-
cher für seinen Ahnen galt), an die Siegesgöttin und
an andere Götter gerichtet würden; dass die Priesterin-
nen und Priester, die Senatoren und alle Magistrats-
personen der Stadt Kränze tragen und dass alle Bürger
und alle sonst in Sigeum ansässigen oder nur zeitweilig
dort wohnenden Fremden die Tugend und die Tapfer-
keit des grossen Königs laut preisen sollten; ferner
dass seine goldene Bildsäule zu Pferde im Tempel der
Minerva in Sigeum auf einem Piedestal von weissem
Marmor aufgestellt werden sollte, mit der Inschrift:
„Die Sigeer haben dem König Antiochus, dem Sohne des
Seleucus, diese Bildsäule errichtet für seine dem Tem-
pel bewiesene Frömmigkeit und weil er der Wohlthäter
und der Retter des Volkes ist; diese Ehrenbezeigung
soll in den Volksversammlungen und in den öffentlichen
Spielen ausgerufen werden.“ Es ist mir aber in dieser
Wildniss unmöglich zu ergründen, welchem alten Clas-
siker diese Episode entlehnt ist.


Wahrscheinlich wurde dem Antiochus I. ein ähn-
licher Empfang in Ilium bereitet, sodass er die Stadt
in gutem Andenken behielt. Dass er wohlwollende Ge-
sinnungen für die Ilier hegte, beweist auch die Inschrift
No. 3595 im „Corpus Inscriptionum Graecarum“. Ob aber
er oder Antiochus der Grosse in der Inschrift gemeint
ist, wage ich nicht zu bestimmen.


Der in der Inschrift so vielfach erwähnte Aristodi-
kides, der Assier, ist ganz unbekannt, und kommt dieser
Name hier zum ersten mal vor. Auch der in der In-
schrift mehrfach genannts Ort Petra ist durchaus unbe-
kannt; derselbe muss hier in der Umgegend gelegen
[[209]]zweite inschrift.
haben, aber alle meine Anstrengungen, denselben in
den jetzigen türkischen Namen der Ortschaften oder
anderswie zu entdecken, sind fehlgeschlagen.


Die andere Inschrift lautet wie folgt:


[figure]
[...]

Schliemann, Troja. 14
[210]zeit der zweiten inschrift.

In der im „Corpus Inscriptionum Graecarum“ unter
No. 3604 angeführten Inschrift, welche anerkannterweise
aus der Zeit des Augustus Octavianus stammt, wird
Hipparchos als Mitglied der berathenden Versammlung
der Ilier erwähnt, und da Zeile 13 derselbe Name in
gleicher Eigenschaft vorkommt, so zögere ich nicht zu
behaupten, dass die vorstehende Inschrift aus derselben
Zeit herrührt.


[211]fortsetzung der ausgrabung am minervatempel.

XVII.



Seit meinem Bericht vom 1. d. M. habe ich bei
herrlichem Wetter und einem Ueberfluss an Arbeitern
die Ausgrabungen mit grossem Eifer fortgesetzt. Die
Nächte sind kalt und das Thermometer fällt noch häufig
gegen Morgen auf den Gefrierpunkt, während die Sonne
am Tage schon anfängt lästig heiss zu werden und das
Thermometer oft um Mittag 18 Grad Réaumur im
Schatten zeigt. Die Blätter der Bäume fangen jetzt an
hervorzubrechen, während die trojanische Ebene bereits
mit Frühlingsblumen bedeckt ist. Schon seit 14 Tagen
hört man das Quaken der Millionen von Fröschen in den
umliegenden Sümpfen, und bereits seit acht Tagen sind die
Störche zurückgekehrt. Zu den Unannehmlichkeiten des
Lebens in dieser Wildniss gehört das entsetzliche Geschrei
der in den Löchern der Wände meiner Ausgrabun-
gen nistenden unzähligen Eulen; dies Geschrei hat etwas
Geheimnissvolles und Grauenhaftes und ist besonders in
der Nacht unerträglich.


Auf der Baustelle des Minervatempels habe ich
die Ausgrabung mit grösster Energie fortgesetzt. Die
Fundamente dieses Heiligthums erreichen nirgends mehr
14*
[212]tiefe der fundamente; reservoir der wasserleitungen.
als 2 Meter, und gewöhnlich nur 1 Meter Tiefe; der
Fussboden desselben, der aus grossen Sandsteinplatten
besteht und auf doppelten Schichten grosser behauener
Blöcke derselben Steinart ruht, ist oft nur mit 30 Centi-
meter und nie mit mehr als 1 Meter Humus bedeckt;
daraus erklärt sich der gänzliche Mangel an Sculp-
turen. Denn was davon im und am Tempel war, konnte
hier auf dem Berggipfel nicht in die Erde dringen, blieb
viele Jahrhunderte lang auf der Oberfläche liegen und
wurde durch religiösen Eifer oder Muthwillen zertrüm-
mert. So, aber auch nur so erklärt sich die enorme Masse
von Bruchstücken von Statuen, womit der ganze Berg
bedeckt ist.


Von grossen, schwer zerstörbaren, sculptirten Mar-
morblöcken, welche korinthischen Stil zeigen, finde ich
dagegen eine grosse Menge, und verursacht mir deren
Fortschaffung die allergrösste Mühe und vielen Zeit-
verlust. Da sich der im vorigen Jahre theilweise von
mir blossgelegte grosse Thurm in grosser Tiefe gerade
unter dem Tempel hinzieht und ich denselben auf jeden
Fall in seiner ganzen Ausdehnung blosszulegen wünsche,
so lasse ich nur die Reste der nördlichen und südlichen
Tempelmauern stehen und sonst alles wegbrechen, bis
auf ein im Heiligthum befindliches 8 Meter 43 Centi-
meter langes, 8 Meter breites Reservoir, welches aus
grossen, schön behauenen, ohne Cement oder Kalk zu-
sammengelegten Kalksteinen gebaut ist und dessen
Wände eine Dicke von 2 Meter 46 Centimeter haben.
In dies Reservoir münden die früher erwähnten vier Was-
serleitungen. Ich lasse es stehen, um den Besuchern der
Troade einen schwachen Begriff von der Mühe zu geben,
[213]weitere ausgrabung des thurmes.
welche ich habe, alle Steine eines 87 Meter 70 Centimeter
langen, 22 Meter breiten Tempels fortzuschaffen. Aber
noch viel schwieriger als die Fortschaffung der Steine
ist die Fortschaffung des Schuttes, der, da die Ausgra-
bung auf platter Erde geschieht, nur auf Seitenwegen
zu bewerkstelligen ist, die desto steiler werden, je tiefer
wir graben. Ich wünsche aber fortan nur den Gipfel
der Thurmruine blosszulegen, denn ihn auch fernerhin
bis auf den Urboden ans Licht zu bringen, dazu fehlt
mir die Geduld. Dieser neue grosse Einschnitt braucht
daher nur eine Tiefe von 8 Meter, und habe ich ihm am
Westende eine Breite von 24 Meter gegeben. Ich hoffe
somit, dass ich dort an der Nordseite in zwei oder
drei Tagen das alte hochwichtige Monument er-
reichen muss. Sobald dies der Fall ist, lasse ich zur
leichtern Fortschaffung des Schuttes eine obere und eine
untere Terrasse machen, und werde somit in weniger
als einem Monat von heute an die ganze Ausgrabung des
Thurmes bis zu seinem östlichen Ende vollenden können,
welches ich bereits gestern in meinem mehrfach er-
wähnten, an der Südostecke der Pergamos angelegten
steilablaufenden Einschnitt erreicht und wovon ich eine
Fläche von 4 Meter blossgelegt habe. Diese ans Licht
gebrachte Ostseite des Thurmes läuft ab unter einem
Winkel von 60 Grad, sie hatte das Ansehen einer
alten Stützmauer, welche ich an der Nordseite der Per-
gamos blossgelegt habe. Da ich nicht sogleich glaubte,
dass es der Thurm sei, so liess ich die erste Steinschicht
wegbrechen, fand aber darnach ein aus grossen Steinen
mit Erde zusammengesetztes Mauerwerk. Infolge dessen
habe ich die Arbeit in diesem Einschnitt ganz eingestellt.
[214]aufdeckung von mauern bei der ausgrabung des thurmes.
Letzterer hatte bereits eine Länge von 34 Meter er-
reicht und war trotz seiner geringen Breite eine meiner
schwierigsten Arbeiten in Troja, denn, wie bereits er-
wähnt, musste zuerst eine aus grossen Marmorblöcken
und besonders aus korinthischen Säulen mit Kalk zu-
sammengesetzte, aus dem Mittelalter stammende Mauer
von 3 Meter Dicke, und darauf die von Lysimachos
errichtete 3 Meter dicke Ringmauer von grossen be-
hauenen Steinen durchbrochen, die grossen Säulen-
blöcke den steilen Pfad hinangewälzt und wegge-
schafft, die grossen behauenen Steine mit Hämmern
zerschlagen und so in Schiebkarren entfernt werden.
Auch mussten, wie die Besucher der Pergamos in den
Wänden dieses Einschnitts sehen, zwei trojanische
Mauern durchschnitten werden, wovon die erste 1 Meter
60 Centimeter, die zweite 3 Meter Dicke hat; beide be-
stehen aus mit Erde zusammengesetzten Steinen. Die
erste dieser Wände ist gerade unterhalb eines Theils
der westlichen Wand des relativ modernen Minervatem-
pels, und da sie — nach meinem kleinen Taschenkompass
— genau nach Ostsüdost halb Ost zielt, so dachte ich
zuerst, dass sie zu dem alten winzigen Tempel der ilischen
Schutzgöttin gehören möchte, den Alexander der Grosse1
hier vorfand. Es ist mir aber weiter nichts vorgekom-
men, was dazu beitragen könnte, dies zu beweisen. Die
zweite, 3 Meter dicke Mauer ist höchst interessant, denn
sie besteht aus grossen unbehauenen Muschelkalksteinen,
während man auf ihr eine Wand von kleinen mit Erde
zusammengesetzten Steinen sieht, die offenbar einer viel
[215]schutt, holzasche, gefässe, steinerne werkzeuge.
spätern Zeit angehört, aber jedenfalls lange vor An-
kunft der griechischen Colonie in Ilium errichtet sein
muss. Aber selbst die untere Mauer von grossen Stei-
nen ist erst gebaut, als sich vor Iliums Thurm schon
eine Schuttaufhäufung von 6 Meter Höhe gebildet hatte;
sie muss daher Jahrhunderte später gebaut sein als
jener. Dieser Schutt besteht aus mit Knochen und
kleinen Muscheln vermischter Asche, und wegen seiner
Feuchtigkeit und Zähigkeit ist er ebenso schwer abzu-
hacken, wie feuchter Kalkfels. Ich fand in demselben
viele Scherben jener inwendig und auswendig glänzend
rothen und schwarzen trojanischen Gefässe, sonst aber
durchaus nichts von Interesse. Oberhalb des Thurmes,
an der Ostseite der Pergamos ist nichts als gelbe Holz-
asche und sehr viele Steine. Ueberhaupt finde ich bis
zu der jetzt erreichten Tiefe von 4½ Meter unterhalb
der Oberfläche, somit 2½ bis 3 Meter unterhalb der
Fundamente des Minervatempels, nichts als gelbe Holz-
asche, und in derselben eine kolossale Menge ungeheuerer,
1 bis 2 Meter langer, unten spitz zulaufender irdener
Behälter (πίϑοι), die nicht nur als Wein- und Wasser-
behälter, sondern auch als Keller zur Aufbewahrung
von Speisen gedient haben müssen, da es keine ge-
mauerten Keller gab.


Steinerne Werkzeuge, die ich mit Ausnahme von
seltenen Silexmessern in meinen frühern Ausgrabun-
gen erst von 4 Meter Tiefe abwärts fand, kommen
hier in grossen Massen schon in 2 Meter Tiefe,
somit unmittelbar unter dem Minervatempel vor; am
meisten finden sich klotzige Hämmer von Diorit, je-
doch hin und wieder auch sehr hübsch gearbeitete
[216]keile von diorit und silex.
Hämmer von demselben oder von grünem Stein; einige
derselben haben ein auf beiden Seiten weites und in
der Mitte enges Loch, und ich begreife nicht, wie ein
Stiel darin hat befestigt werden können. Das von allen
am besten gearbeitete Werkzeug ist immer der Keil,
welcher von Diorit oder von hartem grünem Stein,
einigemal auch von weissem Silex vorkommt und sich
in allen Grössen von 2 bis 13 Centimeter Länge findet.
Dies Werkzeug ist immer so ausgezeichnet gemacht
und so sauber polirt, dass man wirklich erstaunt, wie
es mit den elenden Mitteln der damaligen Welt mög-
lich war, so etwas Ausgezeichnetes zu liefern, denn un-
möglich würde es der beste jetzige Künstler mit den
besten Werkzeugen besser machen können. Silexmesser,
die ich im vorigen Jahre in so grossen Massen fand,
kommen bisjetzt in dieser Ausgrabung nur selten vor.
Da sonst überall steinerne Werkzeuge erst von 4 Me-
ter Tiefe abwärts vorkommen, so ist es wahrscheinlich,
dass die schon in 2 Meter Tiefe auf der Baustelle des
Tempels in Massen vorkommenden steinernen Werk-
zeuge aus dem Schutt herrühren, welchen man beim
Bau des grossen Reservoirs aufgegraben hat, denn das-
selbe scheint sehr tief zu gehen, und mögen seine Fun-
damente vielleicht bis zum Thurm reichen.


Da ich im Tempel selbst ausschliesslich jene
runden Stücke Terracotta ganz in der Form des Kegels
und ohne Verzierung finde, dagegen unterhalb der
Fundamente des Tempels grosse Massen davon in der
Form des Vulkans und des Carrousels mit den verschie-
denartigsten arischen Symbolen antreffe, so bin ich jetzt
doch der Meinung, dass alle diejenigen, welche
[217]formen, hammer aus knochen, münzen, nägel.
solche arische Symbole tragen, von den Völkern
herstammen müssen, welche hier der griechi-
schen Ansiedelung vorausgegangen sind
.


Von Formsteinen aus Glimmerschiefer habe ich
erst zwei gefunden, wovon der eine auf sechs Seiten
zum Giessen von Waffen und Werkzeugen, der andere
zum Giessen von Nägeln ohne Kopf bestimmt ist und,
ich weiss nicht zu welchem Zweck, zwei runde, nicht
durchgehende Löcher hat.


Da ich von Werkzeugen spreche, so muss ich eines
in 3 Meter Tiefe gefundenen sehr merkwürdigen Ham-
mers aus Knochen erwähnen, welcher ganz mit einge-
schnittenen Sternen bedeckt ist.


Von Idolen aus Marmor mit dem eingravirten
Eulengesicht der ilischen Minerva und deren Gürtel mit
Punkten kamen wiederum mehrere vor, auch ein sehr
niedliches Marmoridol ohne Eulenkopf, aber mit zwei
kleinen, horizontal ausgestreckten Armen. Von Terra-
cottas mit Eulenköpfen kamen seit meinem letzten Be-
richt nur zwei Becher vor.


Kupferne Münzen von Ilium und Alexandria-Troas, und
römische von Augustus bis zu Konstantin dem Grossen,
besonders von letzterm, finde ich sehr viele unmittelbar
unter der Oberfläche und höchstens bis zu 1 Meter Tiefe.
Eisen kommt gar nicht, nicht einmal im Tempel vor,
dagegen viele kupferne Nägel, von denen ich aber an-
fange zu glauben, dass sie gar nicht zum Einschlagen
in Holz gebraucht sein können, denn dazu scheinen sie
mir entschieden zu lang und dünn zu sein. Die ge-
wöhnliche Länge der unterhalb 2 Meter Tiefe vorkom-
menden Nägel ist nämlich 10 bis 16 Centimeter
[218]kupferne nägel und deren bestimmung.
bei nur ½ Centimeter Dicke, und ich glaube nicht ein-
mal, dass es möglich sein würde, einen solchen Nagel
in sehr weiches Holz zu treiben. Ausserdem haben
ja die meisten Nägel gar keine, manche zwei Köpfe,
und viele haben zwei spitze Enden, wovon das
eine nur umgebogen ist, um einen Kopf zu bilden.
Dicke kupferne Nägel, die zum Einschlagen in Holz
tauglich wären, sind hier eine sehr grosse Seltenheit, und
fand ich in zwei Jahren nur zwei davon. Ich finde mich
daher veranlasst zu glauben, dass alle Nägel, die ich
in den Schuttschichten der der griechischen Nation
vorangegangenen Völker finde, nur als Tuch- oder
Haarnadeln gebraucht worden sind. Was mich in die-
ser Ueberzeugung bestärkt, ist ein 13 Centimeter langer
kupferner Nagel mit Kopf gewöhnlicher Form und das
Bruchstück eines ähnlichen Nagels, welche nur 3 Zoll
unter der Oberfläche in einer Rinne gefunden wurden,
die meine Leute zum Abfliessen des Regenwassers um
ihre Rohrhütte gruben. An dem Kopfe des Nagels
sieht man ein kleines Goldkügelchen, und darauf folgt
in herabsteigender Richtung eine Reihe von achtzehn
solcher Goldkügelchen. Neben dem Ende dieser Reihe
fängt eine zweite Reihe von neun Goldkügelchen glei-
cher Grösse an. Die Reihen von Kügelchen sind in
Form von Halsschnüren und bekleiden den dritten Theil
des ganzen Nagels. Das Bruchstück des andern Nagels
ist noch merkwürdiger, denn es zeigt eine genau einen
Bogen bildende Schnur von Kügelchen von jener be-
reits früher erwähnten, im Alterthum ἤλεκτρον (Elektron)
genannten Metallmischung von drei Theilen Gold und
einem Theil Silber, und unter dem Bogen sieht man in
[219]ausgrabung an der westseite des thurmes; griech. haus.
horizontaler Richtung eine wahrscheinlich die Sehne
vorstellen sollende Reihe von Goldkügelchen. An bei-
den Nägeln sind die Kügelchen fest angeschmiedet.
Ausserdem habe ich noch zu erwähnen, dass ja die
häufig vorkommenden silbernen Nägel meistentheils von
gleicher Form und Dicke wie die kupfernen sind und
doch ganz bestimmt nie zum Einschlagen in Holz ver-
wandt sein können.


Auf der Westseite des von mir im vorigen Jahre
blossgelegten Theils des grossen Thurmes mache ich
ebenfalls eine 14 Meter 30 Centimeter lange, 14 Meter
40 Centimeter breite Ausgrabung, um denselben auch
nach dieser Seite hin weiter ans Licht zu bringen und
zu sehen, wie Iliums Mauern mit ihm in Verbindung
stehen. Es ist eine Reise um die Welt werth, diesen
Thurm zu sehen, dessen Lage jedenfalls einst so hoch
war, dass er nicht nur die Ebene, sondern auch das im
Süden vor ihm gelegene Plateau beherrschte, während
selbst sein Gipfel jetzt mehrere Meter tief unter dem
Niveau des Plateau liegt. Es scheint hiernach, dass
die Schuttaufhäufung auf der Baustelle der Stadt ebenso
gross ist als in der Pergamos.


In der erwähnten westlichen Ausgrabung fand ich
bis zu 2 Meter Tiefe die Ruinen eines sehr grossen Hauses
aus griechischer Zeit, welches augenscheinlich einem
reichen Manne gehört haben muss, denn die Fuss-
böden der Zimmer bestehen aus grossen rothen, herrlich
polirten Steinplatten. Ich fand darin zwei kleine, sehr
hübsche Frauenköpfe von Terracotta, sowie zwei höchst
merkwürdige Stücke von hartem, sprödem, glasähnlichem
schwarzen Stein in der Form von Champignons, aber
[220]fundgegenstände unter d. fundament d. griech. hauses.
mit einer durch die Mitte gehenden Röhre. Der Kopf
beider Stücke hat ähnliche Verzierungen, wie man auf
den runden Terracottas in Gestalt des Carrousels und
des Vulkans findet, und glaube ich daher, dass beide
Stücke einer vorgriechischen Zeit angehören.


Unterhalb der Fundamente des griechischen Hauses
fand ich in 3 und 4 Meter Tiefe viele jener kleinen
Vulkane und Carrousels mit den gewöhnlichen Verzie-
rungen von vier, fünf oder sechs doppelten oder drei-
fachen aufgehenden Sonnen, von vier mit Flammen be-
deckten Altären, von vier Rosae mysticae, von vier oder
fünf

[figure]

im Kreise um die Centralsonne; auch fand sich
in 3 Meter Tiefe eins dieser Stücke, auf dem man ein
sehr grob und kunstlos eingravirtes Bild der ilischen
Schutzgöttin mit dem Eulenkopf und ausgestreckten
Armen sieht. Neben dieser Darstellung sieht man zwei
Kreuze und an den vier Enden eines jeden die Marke
der Nägel, womit die beiden kreuzweis gelegten Hölzer
unserer arischen Urväter zum Anzünden des heiligen
Feuers befestigt wurden. Ferner sieht man in demsel-
ben Kreise mit dem Gottesbild zwei Symbole des
Blitzes. Ein getreues Bild dieses Stücks findet man
Tafel 132, No. 2613.


Unter dem in dieser Ausgrabung gefundenen Töpfer-
geschirr, wovon ich die noch nicht vorgekommenen
Formen in Abbildung gebe, verdient besondere Auf-
merksamkeit eine Schüssel in Gestalt eines Helms mit
einem runden Loch im Boden, die als eine Art von
Trichter gedient haben mag.


Wie bereits früher erwähnt, muss der im Juli vori-
gen Jahres von mir entdeckte herrliche, den Phöbus
[221]ursprünglicher ort und schicksal der apollotriglyphe.
Apollo mit den vier Pferden der Sonne darstellende
Triglyphenblock, wie es die auf der linken Seite befind-
liche Triglyphe beweist, über dem Eingang des Tempels,
wahrscheinlich auf den Propylaen desselben ge-
standen und einen andern Triglyphenblock gleicher
Grösse an seiner rechten Seite gehabt haben. Es würde
von höchstem Interesse für die Wissenschaft sein, wenn
ich auch diesen zweiten Triglyphenblock fände, der, wie
es mit dem andern Block geschehen, wahrscheinlich
auch vom Gipfel des Berges den steilen Abhang hinun-
tergeworfen ist. Ich sprach früher die Meinung aus,
dass der von mir gerettete Triglyphenblock von den
fanatischen Türken hinuntergeworfen sei, weil er le-
bende Geschöpfe darstellt, deren Abbildung im Koran
streng verboten ist. Aber dieser Ort ist seit Ende
des 9. Jahrhunderts gar nicht bewohnt gewesen
und die Feldarbeiter der entfernt liegenden türki-
schen Dörfer können sich unmöglich die Mühe gemacht
haben, aus blossem religiösen Eifer solche unge-
heuere Lasten vom Berge zu wälzen. Ausserdem beweist
die gute Erhaltung der Sculptur, dass sie unmöglich
bis zur Invasion der Türken auf des Berges Gipfel ge-
standen hat, und dies bringt mich zu der Vermuthung,
dass sie schon mehr als 1000 Jahre früher, wahrschein-
lich schon im 4. Jahrhundert n. Chr. von den ersten
Christen hinuntergeworfen ist, deren Fanatismus gar
keine Grenzen kannte und die bekanntlich alle schwer
zu zerstörenden Sculpturen von heidnischen Gottheiten
einfach von den Bergen warfen. Dass es sich so und
nicht anders damit verhält, dafür spricht auch der Hu-
mus von 1½ Meter Dicke, womit die Sculptur auf dem
[222]der apollotempel; das theater.
Abhange des Berges bedeckt war. Nach dem Massstabe
der hiesigen Aufhäufung von Humus ist die Bildung
einer solchen Humusdecke nicht in drei oder vier Jahr-
hunderten möglich, und sind über 1000 Jahre dazu erfor-
derlich gewesen.


Es ist nun ganz bestimmt, dass der einst an der Nord-
seite befindliche dorische Tempel, in dessen Tiefen ich so
lange beschäftigt gewesen bin, das Heiligthum des
Apollo war und dass mein viel erwähnter dorischer
Triglyphenblock diesem Apollotempel und keinem andern
angehört hat, denn Iliums grosser Tempel, mit dem ich
gegenwärtig beschäftigt bin, konnte, da er in der ange-
führten grossen Inschrift nur einfach „τὸ ἱερόν“ genannt
wird, nur Iliums Schutzgöttin, der Minerva, geweiht sein.


Um nun zu versuchen, auch den zweiten Triglyphen-
block zu finden, lasse ich vom Fusse des Berges ab, auf
jener Stelle, wo der Phöbus Apollo gefunden wurde,
auf eine Breite von 18 Meter seit gestern 25 Mann ar-
beiten, um den leider dort im vorigen Jahre von mir
auf den Bergabhang geworfenen Schutt wegzuräumen,
der eine Schuttdecke von 7 Meter Dicke bildet, und
um darauf, von unten herauf, die ganze steile Bergwand
1½ Meter tief abzugraben.


Auch werde ich, sobald ich überflüssige Arbeiter
habe, 30 Mann dazu anwenden, um im Theater, dessen
Scene, wie früher gesagt, eine Breite von 60 Meter hat,
einen 10 Meter breiten, 45 Meter langen tiefen Einschnitt
zu machen, denn in einem kleinen Graben, den ich vori-
ges Jahr dort machte, fand ich viele Bruchstücke von
zerschlagenen Statuen, und es ist doch immer möglich,
dass dem Fanatismus der ersten Christen das eine oder
[223]verwendung der steine zu neubauten in den dörfern.
andere entgangen ist, was für die Wissenschaft von
höchstem Interesse sein möchte.


Die vielen Tausende von Steinen, die ich aus den
Tiefen Iliums wälze, haben den Bewohnern der umliegen-
den Dörfer zu Bauten Veranlassung gegeben, die für die
Bewohner der Wildniss grossartig zu nennen sind. So
wird jetzt unter andern mit meinen ilischen Steinen
eine Moschee und ein Minaret im elenden türkischen
Dorfe Tschiplak, und ein Kirchthurm im christlichen
Dorfe Yenischahir gebaut. Eine Menge mit Ochsen be-
spannter zweiräderiger Karren steht immer bei meinen
Ausgrabungen bereit, um die irgend brauchbaren Steine
in Empfang zu nehmen, sobald ich sie auf die Berg-
fläche geschafft habe, aber die Frömmigkeit der guten
Leute geht nicht so weit, mir bei dieser furchtbaren
Arbeit zu helfen und mich somit zu verhindern, die
grossen, herrlich behauenen Blöcke zur bequemern
Fortschaffung zu zerschlagen.


Obgleich der Frühling nur eben erst anfängt, so
herrscht hier doch infolge des milden Winters schon
viel bösartiges Fieber, und wird mein Vorrath von Chi-
nin täglich von den armen Leuten der Umgegend stark
in Anspruch genommen.


Den Tagelohn habe ich mich genöthigt gesehen,
schon vor acht Tagen auf 10 Piaster oder 2 Frs. zu er-
höhen.


[224]fortsetzung der ausgrabungen in vier terrassen.

XVIII.



Wir hatten auch diese Woche wieder fortwährend
herrliches Wetter, und ich habe mit durchschnittlich
150 Arbeitern tüchtig fortgearbeitet. Auf der Nordseite
der Ausgrabung, auf der Baustelle des Minervatempels,
habe ich bereits eine Tiefe von 8 Meter erreicht und
an einigen Stellen den Thurm blossgelegt. Das abzu-
grabende Terrain ist jetzt in vier Terrassen abgetheilt,
und lasse ich besonders auf der die Thurmfläche bil-
denden untersten Terrasse mit grosser Energie arbeiten.
Da aber die Pfade immer steiler und länger werden, so
müssen die Schiebkarren jetzt schon auf halbem Wege
anhalten und etwas ausruhen, und geht daher die Arbeit
täglich langsamer. Dennoch hoffe ich den Thurm in
östlicher Richtung in drei, auf der Westseite aber schon
in einer und einer halben Woche in seiner ganzen Breite
ans Licht zu bringen. Von dem Innern des Minerva-
tempels bleibt nur das von grossen weissen Steinen ohne
Cement gebaute Reservoir stehen, welches durch meine
Abgrabung in wenigen Tagen 8 Meter über dem Thurm
erhaben sein und sich sehr hübsch ausnehmen wird. Auf
der Westseite des im vorigen Jahre blossgelegten Theils
[225]löwenkopf, hexagon aus krystall.
des grossen Thurmes werde ich erst nach Abgrabung
der dort in Angriff genommenen Stelle beurtheilen
können, in welcher Richtung die Mauern von ihm ab-
laufen und wie ich weiter zu arbeiten habe. Der merk-
würdigste der diese Woche gefundenen Gegenstände
ist jedenfalls ein in 8 Meter Tiefe auf dem Thurm ent-
deckter grosser Stockknopf von feinstem, reinstem Krystall,
in Gestalt eines sehr schön gearbeiteten Löwenkopfes.
Derselbe muss das σκῆπτρον eines Trojaners geziert
haben, denn ich fand ihn zwischen jenen glänzend rothen
und schwarzen Topfscherben, die, ausser auf der Thurm-
fläche, nur in 11 bis 14 Meter Tiefe vorkommen. Nicht
nur dieser Löwenkopf, sondern auch das fortwährende
Vorkommen des Löwen in Gleichnissen der Ilias machen es
höchst wahrscheinlich, dass es im hohen Alterthum in hie-
siger Gegend Löwen gab; ja, Homer hätte unmöglich die
Eigenschaften dieses Thieres so vortrefflich beschreiben
können, hätte er nicht öfter Gelegenheit gehabt, die-
selben zu beobachten, und seine geographischen Kennt-
nisse der südlichen Länder sind zu gering, als dass zu
vermuthen wäre, dass er sie besucht und dort die Ge-
wohnheiten des Löwen genau kennen gelernt hätte.
Unweit des Löwenkopfes fand ich ein herrlich geschlif-
fenes Hexagon von reinstem Krystall, sowie eine kleine,
nur 4 Centimeter lange und breite, 2¼ Centimeter
hohe Pyramide von sehr feinem, in hiesiger Gegend
gar nicht vorkommendem, schwarz-, weiss- und blauge-
ringeltem Marmor; das durch die Mitte der Pyramide
gehende Loch ist mit Blei gefüllt.


Weiter fand ich auf dem Thurm ein sehr primitives,
19 Centimeter langes, 8½ Centimeter breites und 3 Cen-
Schliemann, Troja. 15
[226]minervaidol aus schiefer, kupfer- und steingeräthe.
timeter dickes marmornes Idol, sowie eine sehr hübsche
kupferne Lanze; ferner eine grosse Form von Glimmer-
schiefer zum Giessen von zwölf verschiedenen Waffen
und Werkzeugen, sowie eine schöne Schleuder von
Magneteisenstein. In den höhern Schuttschichten, und
zwar in 4 Meter Tiefe, war bestimmt der merkwürdigste
Gegenstand ein bis dahin noch nie vorgekommenes
Idol der trojanischen Schutzgöttin von Schiefer; es zeigt
das Eulengesicht, zwei Brüste und Bauchnabel, auf
der Rückseite lang herunterhängendes Haupthaar;
zwei horizontale, durch kleine Querlinien verbundene
Striche am Halse scheinen die Rüstung anzudeuten.
Marmorne Idole ohne Eulengesicht, aber sonst ganz in
derselben Gestalt wie die mit demselben verzierten,
kommen in allen Schuttschichten zwischen 3 und 8 Me-
ter Tiefe in Menge vor; ebenso lange, dünne kupferne
Nägel mit rundem Kopf am dicken Ende, oder ohne
Kopf und umgebogen, in denen ich jetzt nur Brust-
oder Haarnadeln und keine wirklichen Nägel zum Ein-
schlagen in Holz erkennen kann. Ich finde dieselben
in dieser Ausgrabung auch in Menge in den Schutt-
schichten zwischen 4 und 7 Meter Tiefe, und muss daher
entschieden dem Volke, welchem diese Strata von Rui-
nen zugehören, den Gebrauch von Kupfer zusprechen.


Ein sonderbares kupfernes Geräth, beinahe in Ge-
stalt eines Pferdegebisses, aber mit zwei spitzen Haken,
kam in 3 Meter Tiefe vor. Ausserdem fanden sich zwei
etwas gekrümmte kupferne Messer in 4 bis 5 Meter
Tiefe, sowie ein kleines, sehr feines Messer von Muschel-
schale in Form einer Säge. Steinerne Werkzeuge
kommen hier fortwährend in grosser Zahl in allen
[227]steinwaffen und -geräthe, vasen.
Schuttschichten zwischen 2 und 8 Meter Tiefe vor,
während ich sie in meinen Ausgrabungen von 1871 und
1872 nur erst von 4 Meter Tiefe abwärts fand. Zwei
schöne steinerne Lanzen, die eine von Diorit, die andere
von hartem grünen Stein, wurden die eine in 6 Meter,
die andere in 3½ Meter Tiefe gefunden; ich gebe
die Zeichnungen derselben, sowie ich auch die Bilder
aller andern Gegenstände gebe, die nur irgend Interesse
für die Wissenschaft haben. Messer von Silex in Form
von Sägen oder scharfen ein- oder zweischneidigen
Klingen kamen in dieser Woche sehr viel vor, auch
ein sehr hübsch geschnittenes Stück Glimmerschiefer mit
durchgehendem Loch und Rinne von oben, das zur Be-
festigung auf dem Feuerherd und als Stütze für die
Drehung des Bratspiesses gedient haben mag.


Ich habe bemerkt, dass die Terracottas sich hier in
grosser Zahl gewöhnlich erst in und unterhalb jener
mit ungeheuern Massen kleiner Muschelschalen ge-
mischten Schuttschichten finden, welche meistentheils
in 4, aber manchmal erst in 6 Meter Tiefe anfangen.
Es kommen aber auch hin und wieder oberhalb jener
Muschelschichten schöne Terracottas zum Vorschein,
und wurden so z. B. in dem grossen Einschnitt unmit-
telbar vor meiner Thür, in 3 Meter Tiefe, mehrere
grosse prachtvolle Gefässe gefunden, worunter eine
höchst elegante schwarze Vase in Gestalt einer Suppen-
terrine, und in 3½ Meter Tiefe zwei Mischkrüge, wovon
der kleinere zwei, der grössere vier Henkel hat; letz-
terer Mischkrug ist 60 Centimeter hoch und seine Mün-
dung hat ebenso viel im Durchmesser. In 5 Meter Tiefe
fand ich eine höchst sonderbare grosse Vase, welche
15*
[228]vasen, becher, terracottas.
oben zwei grosse und an den Seiten zwei kleine Henkel
hat. Verschiedene andere Vasen höchst merkwürdiger
Form, deren getreue Abbildung ich gebe, kamen in
4 bis 8 Meter Tiefe vor, und will ich unter denselben
nur hervorheben eine in 8 Meter Tiefe auf dem Thurm
gefundene grosse, glänzend schwarze Vase mit zwei
Frauenbrüsten und zwei Henkeln, neben denen man
die Stummel der abgebrochenen, aufrecht stehenden
Arme sieht, womit dies Gefäss verziert war. Der obere
Theil desselben, welcher, wie die Arme und Brüste be-
weisen, mit dem Eulenkopf der ilischen Minerva verziert
war, fehlt leider. Auffallend ist es, dass diese Vase
keinen Bauchnabel hat.


Von jenen grossen, glänzend rothen Bechern in
Gestalt von grossen Champagnergläsern mit zwei un-
geheuern Henkeln kamen in 6 bis 8 Meter Tiefe dieser
Tage viele mehr oder weniger zerbrochene vor; darunter
ein gewaltiger Becher von 40 Centimeter Länge, von
dem ich alle Stücke sammeln konnte, sodass ich ihn
wieder zusammensetzen kann.


Irdene Teller, wovon einzelne glänzend roth, aber
die meisten ohne Farbe sind, kamen in 7 bis 8 Meter
Tiefe zahlreich vor. In 6 Meter Tiefe fand sich eine
Topfscherbe mit einem Kreuz, an dessen vier Enden
Punkte sind, welche nur die Nägel bezeichnen können,
womit es festgeschlagen wurde. Von kleinen Terra-
cotta-Vulkanen und -Carrouselen mit arischen religiösen
Symbolen kamen wiederum grosse Massen vor; von
denen mit noch nicht dagewesenen Verzierungen gebe
ich die Zeichnungen. Von Terracotta-Kugeln kamen
dieser Tage drei vor, wovon zwei sehr merkwürdig
[229]musikalische instrumente; hausmauern.
sind; die Hemisphäre der einen enthält im Kreise
herum neunzehn und in gerader Linie durch den Mit-
telpunkt zehn, dem griechischen Buchstaben Rho ähn-
liche Zeichen und viele Sternchen; die andere Hemi-
sphäre ist ganz mit Sternchen ausgefüllt. Die zweite
Kugel hat auf der einen Hälfte Halbmonde, auf der
andern grosse Sterne.


Zu den merkwürdigen dieser Tage gefundenen
Gegenständen gehört auch ein herrlich verziertes
Stück Elfenbein aus 8 Meter Tiefe, welches fast die
Gestalt einer Flöte hat und als eine solche gedient
haben mag; ferner ein platter Knochen, der an einem
Ende ein, am andern drei Löcher hat und jedenfalls
zu einem musikalischen Instrument gehört zu haben
scheint.


Hausmauern von mit blosser Erde zusammenge-
setzten Steinen, die jedenfalls lange vor der griechi-
schen Niederlassung gebaut sein müssen, sieht man
hier bisweilen bis 1 Meter unter der Oberfläche em-
porragen; ja, in dem grossen Einschnitt vor meinem
Hause habe ich zwei solcher Wände von 2 Meter
Dicke durchschnitten, welche hier eine Hausecke bil-
deten und bis nur 30 Centimeter unter der Ober-
fläche reichen; sie scheinen sehr tief zu gehen, und
ich werde in meinem nächsten Briefe Genaues darüber
berichten.


Obgleich die Pergamos, deren Tiefen ich auf-
wühle, unmittelbar an die vom Simoïs gebildeten
Sümpfe stösst, in denen man immer Hunderte von
Störchen sieht, so wollen sich diese doch hier
nicht niederlassen. Ich hatte auf meinem hölzernen
[230]störche.
Hause eine und auf dem steinernen zwei bequeme Ein-
richtungen für Storchnester gemacht, aber während
man in den umliegenden türkischen Dörfern manchmal
zwölf Storchnester auf einem Dache sieht, will sich bei
mir keiner anbauen, und muss es den Störchen in der
„Ἴλιος ἠνεμόεσσα“ zu kalt und stürmisch sein.


[231]vasenfund auf dem grossen thurm.

XIX.



Seit meinem Bericht vom 22. d. M. habe ich leider
wenig oder gar keinen Fortschritt gemacht, denn die
meisten Dorfleute bestellen in dieser Woche ihre Wein-
berge, und ausserdem wurden wir fortwährend von
einem entsetzlichen eisigen Nordsturm geplagt, der
gestern und heute das Arbeiten ganz unmöglich machte.


Dennoch wurde in dieser Woche in 8 Meter Tiefe
auf dem grossen Thurm eine grosse Menge herrlicher
Vasen von höchst merkwürdiger Form gefunden, die
zwar fast alle mehr oder weniger zerbrochen, aber leicht
wiederherzustellen sind, da ich alle Stücke davon habe.
Unter denselben verdient besondere Erwähnung eine
glänzend schwarze Vase mit zwei grossen Frauenbrüsten,
einem grossen Bauchnabel und zwei mächtigen, auf-
recht stehenden Armen; ferner eine Vase von 84 Centi-
meter Höhe, welche gut erhalten ist; ein grosser Misch-
krug mit zwei Henkeln, sowie eine kleinere, unten
runde Vase mit vier Henkeln von zwei verschiedenen
Formen. Von diesen vier Vasen gebe ich die Pho-
tographien. Von den übrigen grossen Gefässen kann
ich leider keine Abbildungen liefern, da sie zu sehr
[232]urne mit erhaltenem schädel.
zerbrochen sind und ich sie erst in Athen wieder zu-
sammenleimen lassen kann. Unter den kleinern Ge-
fässen, deren Bilder ich gebe, verdient besondere Auf-
merksamkeit ein glänzend schwarzer Becher mit einem
Griff in Form einer Krone, sowie ein glänzend rother
Becher mit einem sehr merkwürdigen Menschengesicht,
in welchem aber die Züge der Eule nicht zu verkennen
sind. Unter den übrigen Gegenständen, deren Zeich-
nungen ich gebe, kann ich noch hervorheben eine
kleine Goldplatte in Gestalt eines Pfeils, mit einem
kleinen Loch am untern Ende; ferner eine Röhre von
Elfenbein mit sehr sonderbaren Verzierungen, und end-
lich einen wohlerhaltenen Schädel mit kleinen niedlichen
Zähnen, den ich nebst einigen Knochen und vieler
Leichenasche in einer 70 Centimeter hohen und breiten,
leider zertrümmerten Vase in 8 Meter Tiefe auf dem
Thurm fand. Dies ist das erste mal, dass ich so wohl-
erhaltene Menschenknochen, und gar einen Schädel in
einer Urne finde; Leichenurnen graben wir zwar täg-
lich auf, aber die Körper sind immer vollends zu Asche
verbrannt, und ausser dem früher beschriebenen Skelet
eines Embryo in einer Vase von 15½ Meter Tiefe auf
dem Urfels hatte ich bis dahin noch nie einen heilen
Knochen in einer Leichenurne gefunden. Obige Vase,
in der ich den Schädel fand, ist von jener vorzüglichen
trojanischen Terracotta, die ich, ausser auf der Thurm-
fläche, nur in 11 bis 14 und 16 Meter Tiefe finde; es
muss der Schädel einer Trojanerin gehört haben,
denn er ist zu zart, als dass er einem Mann gehört ha-
ben könnte. In der Urne fand sich auch eine kupferne
Haar- oder Tuchnadel. Ferner wurden auf dem Thurm
[233]zwei marmoridole; griechische terracotta-scheiben.
zwei marmorne Idole ohne Eulengesichter gefunden,
wovon das eine 15¼, das andere 16¼ Centimeter lang
ist. Kleinere Terracotta-Vulkane und -Carrousels mit
symbolischen Verzierungen kamen in Massen vor, dar-
unter aber zwölf noch nicht dagewesene Zeichnungen,
deren Photographien ich gebe. Unter denselben ist ein
3¼ Centimeter hohes, 3 Centimeter breites Stück in
Form eines Hemdknopfes, mit dem nie fehlenden
durchgehenden Loch und einer eingravirten Blume,
deren vier Blätter ein Kreuz um den Mittelpunkt bilden;
in dreien der Blätter sieht man sehr grosse Punkte, welche
Sonnen oder Monde bezeichnen mögen; auf einem an-
dern, in Form des Carrousels, sieht man im Kreise
sechs abwechselnd mit der Spitze oder mit dem Fusse
auf die im Mittelpunkt dargestellte Sonne zielende
Bäume.


Ich habe bereits mehrfach die in der Mitte dicken,
oft an einer Seite glatt abgeschnittenen und in dieser
Gestalt der griechischen Lampe ähnlichen, 3 bis 5 Cen-
timeter im Durchmesser haltenden Terracotta-Scheiben
erwähnt, die stets an einer Seite mit zwei ganz kleinen
durchgehenden Löchern und oft mit einem runden oder
ovalen Töpferstempel versehen sind, in welchem man
entweder einen Altar und eine Biene mit ausgebreiteten
Flügeln, oder einen Schwan, einen Stier, Pferde, einen
Menschen u. dgl. sieht. Ich habe dabei bemerkt,
dass diese Scheiben jedenfalls von der griechischen Co-
lonie herrühren müssen, denn ich finde sie gewöhnlich
nur ganz nahe an der Oberfläche bis 1 Meter und in
seltenen Fällen bis 2 Meter Tiefe, und ausserdem zeigen
die mit grosser Feinheit gemachten, fast mikroskopischen
[234]gleichartige scheibe von diorit; formsteine.
Darstellungen im Stempel griechische Kunst. Die klei-
nen Löcher an der Seite lassen kaum einen Zweifel,
dass diese Stücke als Opfergaben zum Aufhängen in
den Tempeln oder neben den Idolen gedient haben.
Während diese Scheiben bisher nur von Terracotta
vorgekommen waren, fand sich diese Woche eine solche
in 1 Meter Tiefe von Diorit, mit zwei Löchern an einer
Seite, die aber nicht durchgehen; wegen der Härte des
Materials wird man es zu schwer gefunden haben, das-
selbe zweimal zu durchbohren. Der Merkwürdigkeit
halber gebe ich das Bild dieser Scheibe.


Es wurde dieser Tage wiederum in 8 Meter Tiefe
auf dem Thurm ein 28 Centimeter langer Formstein
von Glimmerschiefer gefunden, der auf fünf Seiten
Formen zum Giessen von zwölf Lanzen, Messern und
höchst sonderbaren Werkzeugen hat, deren Gebrauch
mir ein Räthsel ist.


Die vielen hier vorkommenden Formsteine zum
Giessen von Waffen, Messern und Werkzeugen beweisen
zur Genüge, dass es in Troja viele kupferne Waffen,
Messer und Werkzeuge gab. Es ist aber ganz natür-
lich, dass ich verhältnissmässig nur wenig davon finde,
denn die schlecht gewordenen kupfernen Geräthschaften
konnten ja mit Leichtigkeit umgeschmolzen und
umgegossen werden, und ist daher nicht einmal anzu-
nehmen, dass ich hier andere finde, als die, welche im
Schlachtgetümmel verloren gingen oder bei der Zer-
störung der Stadt erhalten blieben. Dass ich hier unge-
heuer viel mehr Silexmesser als kupferne Messer, und
ungeheuer viel mehr steinerne Keile und Hämmer als
solche von Kupfer finde, beweist somit durchaus nicht,
[235]widerlegung der ansichten calvert’s.
dass auch zur Zeit des trojanischen Kriegs mehr stei-
nerne als kupferne Werkzeuge vorhanden waren.
Steinerne Lanzen sind übrigens eine grosse Seltenheit,
und fand ich in diesem Jahre nur zwei, von denen ich ge-
wiss weiss, dass es Lanzen sind, und wovon die eine
in 3½, die andere in 6 Meter Tiefe vorkam.


Herr Frank Calvert in den Dardanellen, der mir
durch den in 7 Meter Tiefe gefundenen Hippopotamos
beweisen will, dass der Schutt in dieser Tiefe aus einer
Zeit stammt, wo es in den Flüssen der Troade Hippo-
potamoi gab, hat in seinem Artikel vom 25. Januar d. J.
im „Levant Herald“ die Meinung ausgesprochen, dass
Homer nothwendigerweise steinerne Messer und Werk-
zeuge erwähnt haben würde, wenn es solche in Troja
gegeben hätte, und dass, da er keine erwähnt, auch
keine dagewesen sein können; folglich dass keine der
von mir durchgrabenen Trümmerschichten, worin stei-
nerne Werkzeuge vorkommen, vom homerischen Troja
herrühren könne, und schon die Schuttschicht, welche
unmittelbar auf die bis 2 Meter Tiefe reichenden grie-
chischen Trümmer folgt, um mehr als 1000 Jahr älter
sein müsse als der trojanische Krieg.


Wenn Herr Calvert sich aber die Mühe gemacht
hätte, im Homer nachzusehen, dann würde er gefunden
haben, dass das Wort Hammer (ῥαιστήρ) nur ein einziges
mal (Ilias, XVIII, 477) vorkommt, und zwar in der Hand
des Hephaestos; es ist zwar nicht bemerkt, von welchem
Material dieser Hammer war, jedoch kann der Gott des
Feuers wol keinen andern als einen kupfernen gehabt
haben. Ferner scheint Herr Calvert noch nie Messer
von Silex gesehen zu haben, denn sonst würde er wissen,
[236]widerlegung der ansichten calvert’s.
dass dieselben nur 1½ bis 2½, selten bis 3 Zoll lang
sind und fast immer, ja mit seltener Ausnahme die Ge-
stalt von Sägen haben; nur ein einziges mal ist mir hier
eine solche Säge von 5 Zoll Länge vorgekommen.


Man findet im Homer nie eine Gelegenheit, bei
welcher solche kleine Sägenmesser hätten vorkommen
können, deren Gebrauch mir übrigens bisjetzt nicht
recht klar ist. Die homerischen Helden tragen ihre
kupfernen Messer neben dem Schwert, und gebrauchen
sie gewöhnlich zum Schlachten der Opferthiere, wozu
1½ bis 3 Zoll lange Silexsägen natürlich nicht passen,
wohl aber jene langen Schlachtmesser, deren Grösse
uns genau durch die Formsteine, in denen sie gegossen
wurden, angegeben ist. Ilias, XVIII, 597 sieht man
auch den Hephaestos, auf dem Schilde des Achilles,
Jünglinge mit goldenen Messern schmieden.


Herr Calvert findet darin, dass Homer weder stei-
nerne Hämmer, noch die winzigen Silexsägen er-
wähnt, einen Beweisgrund gegen die Identität von
Hissarlik mit der Baustelle Trojas. Ich aber, und mit
mir bestimmt alle Gelehrten und Bewunderer Homer’s,
würde es wunderbar finden, wenn die homerischen Hel-
den mit 1½ bis 3 Zoll langen Silexsägen bewaffnet er-
schienen; denn ein Held kann, vorzüglich in epischen
Gesängen, nur etwas Heldenmässiges tragen und thun.
Braucht der homerische Held eine steinerne Waffe, so
sucht er nicht erst in der Tasche nach einer 1½ bis
3 Zoll langen Silexsäge, sondern er nimmt den ersten
besten riesigen Stein auf, den die beiden stärksten
Männer des Volks nicht leicht von der Erde mit Hebeln
auf den Wagen gewälzt hätten, er, der Held, aber trägt
[237]widerlegung der ansichten calvert’s.
ihn mit einer Hand und mit derselben Leichtigkeit, mit
welcher der Hirt ein Widdervlies trägt, und wirft
den Felsblock mit unendlicher Gewalt gegen das Thor
der Feinde, zersplittert die Bohlen, zerschmettert die
beiden Thorangeln und die Riegel, krachend springt
das Thor auf und mit gewaltiger Wucht fällt der Stein
ins feindliche Lager (Ilias, XII, 445—462). Ein ander-
mal braucht ein anderer Held eine Steinwaffe, sucht
ebenfalls nicht nach einer kleinen Silexsäge, son-
dern er nimmt einen ungeheuern Block auf, welchen
zwei Männer des Volks nicht würden haben tragen
können, und schleudert ihn gegen seinen Gegner (Ilias,
V, 302—310). Herrn Calvert’s Ausgrabungen in der
Pergamos beschränkten sich auf zwei kleine Gräben,
die auch jetzt noch vorhanden sind, und er bemerkt irr-
thümlich, dass ich seine Ausgrabungen fortgesetzt habe.
Wie meine Pläne der Pergamos beweisen, geschahen
meine Ausgrabungen 1870, 1871 und bis Mitte Juni
1872 ausschliesslich [auf] der türkischen Hälfte der Per-
gamos, und dann erst fing ich an, auf Herrn Calvert’s
Felde die Baustelle des Apollotempels auszugraben,
weil mir eine 34 Meter lange und 23 Meter breite Ver-
tiefung des Bodens dieselbe verrieth; keineswegs gaben
oder geben die zwei kleinen Gräben des genannten
Freundes eine Ahnung vom Dasein eines solchen.


Nie habe ich, wie Herr Calvert berichtet, den Urfels
in 67 Fuss Tiefe gefunden; ich fand denselben auf
meiner grossen Plateforme 16 Meter oder 52¾ Fuss tief,
sowie in meinem grossen Durchstich, im römischen
Brunnen und auf der Südseite des Thurmes, in 14 Meter
oder 46⅕ Fuss Tiefe. Auf Herrn Calvert’s Felde aber habe
[238]widerlegung der ansichten calvert’s.
ich den Urboden nur in jenem mehrfach beschriebenen,
mit der uralten Stützmauer bedeckten Hügel entdeckt.


Weiter auf Herrn Calvert’s Artikel eingehend be-
theuere ich, dass ich ausser jener von mir beschriebenen
Mauer, die aus alten dem Minervatempel entlehnten
korinthischen Säulen zusammengesetzt ist, hier nie
auf byzantinische Trümmer gestossen bin, dass ich
hier byzantinische Münzen nur immer einige Zoll
unter der Bergfläche fand, und dass die Ruinen und
der Schutt der griechischen Colonie, wie sich ja jeder
in den Erdwänden meiner Ausgrabungen überzeugen
kann, nur selten bis 2 Meter Tiefe gehen. Herrn Cal-
vert’s Angabe, dass ich gleich unter diesen Trümmern
steinerne Werkzeuge, durchbohrte Cylinder, Zerreibungs-
mühlen und Massen von Muscheln finde, ist nicht richtig,
denn in keiner meiner bisherigen Ausgrabungen fand
ich diese Gegenstände in weniger als 4 Meter Tiefe,
und wenn ich sie jetzt schon gleich unter den Funda-
menten des Minervatempels finde, so erkläre ich dies
dadurch, dass man bei Grabung der gewaltigen Grube
für das Reservoir des Tempels den Schutt dazu benutzt
hat, um die Baustelle des Heiligthums zu erhöhen. Irrig
ist ferner Herrn Calvert’s Angabe, dass die grössern
Knochen insgesammt zerbrochen sind, um das Mark
herauszuholen; im Gegentheil, man findet hier selten
zerbrochene Knochen. Weiter ist unrichtig die Angabe,
dass ich hier kleine Bronzegegenstände, sowie Zie-
rathen von Gold- und Silberfiligran finde. Noch nie
habe ich hier Bronze, und immer nur Kupfer, noch nie
habe ich hier Schmucksachen von Gold- oder Silber-
filigran gefunden; die von mir in Zeichnung und Photo-
[239]widerlegung der ansichten calvert’s.
graphie gegebenen Schmucksachen sind von gediegenem
Golde, Elektron, Silber oder Kupfer. Irrig ist auch die
Angabe, dass ich hier auf den Gefässen bisweilen ein-
gravirte Darstellungen von Fischgräten finde; allerdings
finde ich oft Gefässe, die mit herumgehenden Reihen
von keilförmigen Einschnitten verziert sind; diese letz-
tern sind aber nie miteinander verbunden und haben
daher auch durchaus keine Aehnlichkeit mit Fischgräten.
Irrig ist ferner Herrn Calvert’s Angabe, dass es in den
Tiefen dieses Berges Hausmauern aus roh übereinander-
gelegten unbehauenen Steinen gebe; der Architekt ist
noch nicht geboren, der aus solchen Steinen, ohne Ver-
bindungsmittel, Hausmauern aufzuführen im Stande wäre.
Die Wände aus Thon bestehen nicht, wie Herrn Calvert’s
Angabe zu glauben veranlasst, aus einer Masse von
Thon, sondern sie bestehen aus an der Sonne getrock-
neten ungebrannten Ziegeln, und betheuere ich, auf
solchen Wänden noch niemals, wie Herr Calvert irrthüm-
lich angibt, die Eindrücke langen Schilfes, die auf An-
wendung von Flechtwerk hindeuten, gesehen zu haben.
Ebenso durchaus irrig ist des geehrten Freundes An-
gabe, dass der Fussboden einiger solcher Häuser glasirt
worden sei und dass die Regelmässigkeit des Nivellements
und die Glätte dieser Fussböden darauf hinweisen, dass
die Glasirung nicht das Ergebniss eines Zufalls gewesen
sei; ferner, dass einer dieser glasirten Fussböden eine
Länge von 20 Fuss hatte. Ich möchte viel darum geben,
wenn dies wahr wäre, denn ein solches trojanisches
Wunder würde Tausende von Wissbegierigen herbei-
ziehen. Leider aber bestehen solche glasirte Fussböden
nur in der Phantasie des Herrn Calvert. Ganz ebenso
[240]widerlegung der ansichten calvert’s.
durchaus irrig sind die Angaben, die dieser Freund vom
grossen Thurm gibt, welchen er als aus zwei, unter einem
spitzen Winkel zusammenlaufenden und 40 Fuss von,
einander entfernten Mauern bestehend beschreibt, deren
innerer Raum noch unerforscht sei. Nur die südliche
Mauer dieses Gebäudes steigt unter einem Winkel von
75 Grad an; auf der Nordseite hat es, weil es durch
den daran lehnenden 20 Meter breiten Wall hinlänglich
befestigt war, nur oben eine kleine senkrechte Mauer
von 1 Meter Höhe und Breite, während die unter einem
Winkel von 15 Grad abfallende südliche Mauer 2 Meter
Dicke hat; der ganze innere Raum zwischen den
beiden Mauern besteht aus lose aufeinanderliegenden
Steinen. Die senkrechte Höhe des Thurmes über dem
Urfels ist nicht 15 Fuss, wie Herr Calvert sagt, sondern
genau 6 Meter oder 20 Fuss. Die Terracotta-Scheiben
mit zwei kleinen Löchern, welche ich nach Herrn Calvert’s
Angabe hier in allen Tiefen finde, habe ich in der
Wirklichkeit immer nur nahe an der Oberfläche bis
1 Meter, und in seltenen Fällen bis 2 Meter Tiefe ge-
funden. Ich betheuere ferner, dass ich gar nichts weiss
von grossen durchbohrten Cylindern, die mich Herr
Calvert in grossen Massen, und oft mit halbem Durch-
messer ganz im Thon der Mauern finden lässt. Ich
habe hier nur durchbohrte Terracotta-Cylinder gefunden,
wovon die grössten nur 4 Zoll lang waren, und niemals
habe ich einen dieser Cylinder in einer Hausmauer ge-
sehen.


Schliesslich muss ich mich durchaus gegen Herrn
Calvert’s Behauptung auflehnen, als seien steinerne
Werkzeuge, wenngleich sie in demselben Stratum mit
[241]feuersgefahr.
Gegenständen aus verschiedenen Metallen und mit herr-
licher Töpferwaare zusammen gefunden werden, ein
Beweis für uralte vorhistorische Zeiten. Kleine Messer
und Sägen von Silex findet man z. B. viel in der Akro-
polis von Athen, und scheinen dieselben bis zu einer sehr
späten Zeit in Anwendung gewesen zu sein. Ein rohes
vorhistorisches Volk konnte keinesfalls die schönen
Terracottas anfertigen, die man hier sogleich unterhalb
der Trümmer der griechischen Colonie findet, und noch
viel weniger die von hohem Kunstsinn zeugende pracht-
volle Töpferwaare, der man hier in grosser Tiefe be-
gegnet.


Das Leben in dieser Wildniss ist nicht ohne Gefahr,
und es hätte z. B. diese Nacht sehr wenig daran gefehlt,
so wären meine Frau und ich, sowie der Aufseher Pho-
tidas, welcher im Nebenzimmer schläft, lebendig ver-
brannt. Wir hatten uns in der Schlafstube an der
Nordseite des hölzernen Hauses, welches wir bewohnen,
einen kleinen Kamin machen lassen und wegen der seit
sechs Tagen wieder eingetretenen entsetzlichen Kälte
täglich Feuer darin angezündet; aber die Steine des
Kamins ruhten blos auf den Bretern des Fussbodens,
welcher, sei es durch einen Riss in dem die Steine zu-
sammenhaltenden Lehm oder sonst wie, Feuer gefasst
hatte und auf einer Fläche von 2 Meter Länge und
1 Meter Breite brannte, als ich diesen Morgen um 3 Uhr
zufällig aufwachte. Die Stube war mit dickem Qualm
gefüllt und schon fing die nördliche Breterwand an zu
brennen; wenige Secunden hätten hingereicht ein Loch
hineinzubrennen, und dann wäre das ganze Haus in
weniger als einer Minute aufgebrannt, denn ein furcht-
Schliemann, Troja. 16
[242]feuersgefahr.
barer Nordsturm blies von dieser Seite. Trotz meines
Schreckens verlor ich nicht die Geistesgegenwart, goss
den Badeeimer auf die brennende Nordwand und that
somit dem Feuer in dieser Richtung augenblicklichen
Einhalt. Durch unser vereintes Geschrei wurde der in
der Nebenstube schlafende Photidas geweckt, welcher
die übrigen Aufseher aus dem steinernen Hause herbei-
rief; in aller Eile wurden Schwerhämmer, eiserne Hebel
und Hacken herbeigeholt; hier wurde der Fussboden
zerschlagen, dort aufgebrochen und Massen von nasser
Erde daraufgeworfen, um das Feuer zu löschen, denn
Wasser fehlte gänzlich. Da aber die untern Balken an
mehrern Stellen brannten, so dauerte es eine Viertel-
stunde, bis wir des Feuers Herr werden konnten und
jede Gefahr vorbei war.


[243]blosslegung eines hauses auf dem thurm.

XX.



Bei einem für die Arbeiter günstigen, kalten aber
herrlichen Frühlingswetter habe ich diese Woche mit
durchschnittlich 150 Arbeitern die Ausgrabungen mit
grösstem Eifer und gutem Erfolge fortgesetzt.


Der interessanteste seit drei Jahren hier von mir
entdeckte Gegenstand ist jedenfalls ein in dieser Woche
in 7 und 8 Meter Tiefe auf dem grossen Thurm,
gerade unterhalb des griechischen Minervatempels, ans
Licht gebrachtes Haus, von dem bisjetzt acht Zimmer
freigelegt sind. Die Wände desselben bestehen aus
kleinen, mit Erde zusammengesetzten Steinen und schei-
nen verschiedenen Zeitabschnitten anzugehören, denn
während einige derselben unmittelbar auf den Steinen
des Thurmes ruhen, sind andere erst gebaut als dieser
schon mit 20 Centimeter, und in mehrern Fällen sogar
als er schon mit 1 Meter Schutt bedeckt war. Auch
zeigen diese Wände ganz verschiedene Dicke, denn die
eine derselben ist 1 Meter 30 Centimeter, andere sind
nur 65 Centimeter, und noch andere gar nur 50 Centi-
meter dick. Mehrere dieser Wände haben eine Höhe
von 3 Meter, und man sieht auf einigen derselben
16*
[244]beschaffenheit der wände u. s. w.; opferaltar.
grosse Reste der gelb oder weiss bemalten Lehmbe-
kleidung. Nur in einem grossen Zimmer, dessen Dimen-
sionen aber nicht genau constatirt werden können, fand
ich bisjetzt einen wirklichen Fussboden von unbehauenen
Kalksteinen, deren glatte Seite auswärts gekehrt ist.
Schwarze Brandstreifen am untern Ende der Wände in den
übrigen, bisjetzt aufgegrabenen Zimmern lassen keinen
Zweifel, dass der Fussboden derselben aus Holz war und
durch Feuer zerstört wurde. In einem Zimmer sieht man
eine, einen Halbkreis bildende, kohlschwarz gebrannte
Wand. Alle bisjetzt ans Licht gebrachten Stuben, die
nicht unmittelbar auf dem Thurm ruhen, habe ich bis
zu demselben ausgegraben, und finde ohne Aus-
nahme, dass der unter denselben befindliche Schutt aus
rother oder gelber Asche und verbrannten Trümmern
besteht. Oberhalb desselben, also in den Stuben selbst,
fand ich, wie es die an den Wänden hängen gebliebenen
vielen Ueberbleibsel beweisen, theils nur rothe oder
gelbe Holzasche, die mit an der Sonne getrocknet gewe-
senen und durch die Feuersbrunst gebrannten Ziegeln
gemischt ist, theils nur schwarzen Schutt, der aus Resten
von Haushaltungen entstanden und mit Massen kleiner
Muscheln gemischt ist; in mehrern Stuben 7 bis 8 Fuss
hohe rothe Krüge (πίϑοι), von denen ich einige in situ
lasse; oberhalb des Hauses und bis zu den Fundamen-
ten des Tempels nur rothe und gelbe Holzasche. Auf
der Ostseite des Hauses ist ein Opferaltar sehr primi-
tiver Art, der nach Nordwest bei West gewandt ist und
aus einer 1 Meter 63 Centimeter langen, 1 Meter 65 Cen-
timeter breiten Platte von Granitschiefer besteht, auf
deren Ende ein 55 Centimeter hoher, 53 Centimeter
[245]kanal; unterlage dieses altars.
breiter Stein gleicher Art gestellt ist, dessen oberer
Theil in Gestalt eines Halbmondes ausgeschnitten ist,
wahrscheinlich um die Opferthiere darauf zu schlachten.
1 Meter 20 Centimeter unterhalb des Opferaltars sieht
man einen aus grünen Schieferplatten gemachten Kanal,
der wahrscheinlich zum Abfluss des Blutes gedient hat.
Merkwürdigerweise aber steht dieser Altar nicht auf
dem Thurme selbst, sondern 1 Meter oberhalb desselben
auf an der Sonne getrockneten Ziegeln oder Erdklum-
pen, welche durch eine Feuersbrunst wirklich gebrannt
worden sind, aber doch durchaus keine Solidität haben.
Von einer gewaltigen Schuttmasse gleicher Ziegel, so-
wie rother und gelber Holzasche war der Altar umge-
ben und bis zu einer Höhe von 3 Meter bedeckt. Ich
lasse den Altar natürlich in situ, damit sich die Besucher
der Troade durch die Beschaffenheit seines Piedestals
und des Schuttes der Erdwand, neben welcher er steht,
von der Richtigkeit aller dieser Angaben überzeugen
können, die sonst zu fabelhaft klingen möchten. Die
merkwürdige Unterlage dieses Opferaltars, der sonder-
bare Schutt, in welchem er begraben war, die Erhaltung
des augenscheinlich ausgebrannten grossen Hauses, des-
sen in verschiedenen Zeitabschnitten gebaute Wände,
endlich die Füllung der Räume desselben mit so
verschiedenartigem Schutt und mit kolossalen πίϑοι —
alles dieses sind für mich Räthsel; ich beschränke mich
daher nur darauf, die Thatsachen zu constatiren und
enthalte mich, irgendeine Vermuthung auszusprechen.
Oberhalb dieses Hauses, in der Südwestwand dieser
Ausgrabung, sieht man die 1 Meter 65 Centimeter hohen,
aus grossen weissen Kalksteinen bestehenden Reste der
[246]keller mit vasen; gerippe von kriegern mit helmen.
südlichen Wand des Minervatempels, welche bei der
Grösse ihrer Ausdehnung ein höchst imposantes An-
sehen haben, und wird dies noch erhöht durch das
grosse Reservoir des Tempels, dessen 1 Meter 30 Centi-
meter hohe Wände man gleich östlich vom Altare
sieht. Oberhalb des uralten Hauses und unterhalb der
südlichen Tempelwand sieht man den Rest eines kleinen,
runden, 1 Meter 13 Centimeter im Durchmesser haben-
den und 80 Centimeter hohen Kellers, welcher sich un-
terhalb der Fundamente befindet und daher älter sein
muss als der Tempel; er ist aus Kalk und Steinen ge-
baut, aber die Innenseite ist mit einer Art Lack oder
Firnis überzogen und hat ein glänzendes Ansehen. Die-
ser kleine Keller war mit Scherben griechischer Terra-
cotta gefüllt, unter welchen ich jedoch sechs kleine, fast
unversehrte Vasen fand.


Wie das uralte Haus mit seinen kleinen Zimmern
jetzt dasteht, hat es viel Aehnlichkeit mit einem pom-
pejanischen Hause; es ist zwar mit solchem hinsichtlich
Architektur und Ausschmückung gar nicht in Vergleich
zu stellen, übertrifft es aber an Merkwürdigkeit.


Neben dem Hause, auch in den grössern Räumen
desselben, fand ich eine grosse Masse von Menschen-
knochen, aber bisjetzt erst zwei ganze Gerippe,
welche Kriegern angehört haben müssen, denn sie wur-
den in 7 Meter Tiefe mit kupfernen Helmen auf den
Köpfen gefunden, und neben dem einen Gerippe fand
sich eine grosse Lanze, die ich auf Tafel 135, No. 2727
abbilde. Der eine Schädel ist unbeschädigt, und
werde ich die getreue Zeichnung desselben in den
Tafeln geben; der andere ist etwas zerbrochen, ich hoffe
[247]construction der kupfernen helme.
ihn aber bald zusammenleimen und auch sein Bild ge-
ben zu können. Beide Schädel sind gross, aber auffal-
lend schmal. Unglücklicherweise wurden beide Helme
zertrümmert; ich hoffe jedoch, den einen derselben in
Athen wieder zusammensetzen zu können. Der obere
Theil beider Helme, der in der Ilias so oft (z. B. III, 62; IV,
459; VI, 9; XIII, 132; XVI, 216) angeführte φάλος oder
Bügel, in den der Helmbusch, „λόφος ἵππουρις“, einge-
senkt war, ist aber wohlerhalten. In beiden Fällen
besteht der φάλος aus zwei Stücken. Ich setzte die bei-
den Stücke des zuerst gefundenen Helms so zusammen,
wie sie mir zusammen zu gehören schienen, und bildete
sie auf Tafel 134, No. 2682 ab; am Helm war, ich weiss
nicht wie, auch der grosse kupferne Ring No. 2683 be-
festigt. Als ich aber zwei Tage später den zweiten
Helm fand, sah ich ein, dass ich die unter No. 2682 ab-
gebildeten beiden Stücke verkehrt zusammengesetzt
hatte und dass der untere Theil umgedreht werden
müsse, denn an diesem Theil war der zweite Helm be-
festigt, wie es die darangebliebenen Stücke zur Genüge
beweisen. Ich bilde die auf diese Weise zusammenge-
setzten obern Theile des zweiten Helms auf Tafel 142,
No. 2791 ab. Durch die untern Stücke beider Helme
geht ein kupferner Nagel, der einen runden Kopf hat
und dessen anderes Ende einfach umgebogen ist. Hin-
sichtlich der Stelle, wo der λόφος ἵππουρις eingesenkt
und befestigt war, kann kein Zweifel obwalten, denn
die oben im Bügel befindliche Oeffnung kann zu nichts
anderm gedient haben. Auch beim zweiten Helm fand
ich das Bruchstück eines ähnlichen kupfernen Ringes
wie der am ersten Helm gefundene und unter No. 2683
[248]terracotta-funde in den zimmern des hauses.
abgebildete. In einigen Zimmern fand ich gar nichts
von Terracottas, in andern dagegen eine kolossale Masse
von herrlichen schwarzen, rothen und braunen Vasen,
Töpfen und Kannen in allen Grössen und von höchst
phantastischer Form; leider aber wurden beim Abhacken
des festen Schuttes die meisten derselben zerschlagen,
und ich kann sie erst später in Athen wieder zusammen-
setzen. Somit kann ich auf den beifolgenden Tafeln nur
die Zeichnungen derjenigen Terracottas geben, die ent-
weder heil oder so wenig beschädigt herauskamen, dass ich
sie hier sogleich wieder zusammenleimen konnte. Aus
Furcht, den Leser zu ermüden, unterlasse ich hier die
Beschreibung der einzelnen Vasen, denn man sieht
deren Bilder in den Tafeln, auch habe ich sie, so gut
es in kurzen Worten gehen wollte, im Katalog be-
schrieben. Nur möchte ich hier die Schönheit der
rothen Kannen mit hintenüber gebogenem Halse, zwei
Ohren und drei Brüsten, sowie die mit eingeschnittenen
Baumzweigen verzierten und mit drei Füssen und zwei
kleinen und zwei grossen als Arme emporgehobenen
Griffen versehenen, schwarzen oder rothen Vasen her-
vorheben, wie ebenfalls die Terracotta-Becher, die hin und
wieder auch in Form von Rheinweingläsern, auch ein-
mal in Gestalt einer Suppenterrine mit zwei Henkeln
vorkommen.


Die interessantesten und für die Wissenschaft wich-
tigsten der in dieser Woche gefundenen Terracottas
sind jedenfalls ein auf Tafel 134, No. 2673 und 2674 ab-
gebildeter, in einer grossen rothen Urne in 8 Meter 20
Centimeter Tiefe gefundener herrlicher rother Becher
mit dem Eulengesicht und dem Helm der ilischen Mi-
[249]idole aus stein; terracotten mit symbolen.
nerva, sowie zwei ebenfalls mit dem Eulenkopf der
Schutzgöttin Trojas, aber ausserdem mit zwei Brüsten,
grossem Bauchnabel und zwei emporgehobenen Armen
verzierte Vasen, wovon die eine auf dem Thurm, die
andere oberhalb desselben, in 4 Meter Tiefe gefun-
den wurde.


Von sehr merkwürdigen Terracottas wurde ferner
in 7 Meter Tiefe in einer der Stuben des unterirdischen
Hauses ein Schmelztiegel mit vier Füssen gefunden, in
welchem man noch etwas Kupfer sieht; ferner ein klei-
ner, glänzend schwarzer Trichter. Auch fand ich in dem
Hause, in 7 und 8 Meter Tiefe, mehrere Idole von ordi-
närem Stein oder von Marmor; auch eins von Knochen,
auf welchem man die beiden Arme der Göttin sieht;
nur auf einem der marmornen Idole und auf einem
derer von ordinärem Stein sieht man zwei Augen; nur
ein Idol von ordinärem Stein mit grob eingeschnittenem
Eulengesicht kam diese Woche in 4 Meter Tiefe vor.
Zu bemerken ist, dass die Idole von ordinärem Stein
immer sehr roh gearbeitet sind.


Von den kleinen Terracotta-Vulkanen und -Carrou-
selen, mit und ohne symbolische Verzierungen, kamen
auch diese Woche wieder 251 Stück zum Vorschein,
darunter aber nur 31 mit noch nicht dagewesenen sym-
bolischen Figuren, von denen ich daher die Abbildungen
gebe. Mehrere der auf diesen Stücken eingravirten
Verzierungen sind mit wirklich bewunderungswürdiger
Feinheit ausgeführt, und namentlich diejenigen, welche
auf einem glänzend schwarzen, radähnlichen Stück ein-
geschnitten und so fein sind, dass ich sie nur durch eine
Lupe erkennen konnte.


[250]teller, formen, silexmesser, kupfergeräth.

Von ordinären, vom Töpfer gedrehten Tellern ka-
men wiederum sehr viele in 6 und 8 Meter Tiefe vor;
in letzterer Tiefe, in dem vielerwähnten Hause, eine
merkwürdige Schale, ganz in der Form der Unterschale
eines Blumentopfes, die mit vier Dreiecken und zwei
grossen Kreuzen verziert ist, wovon eins durch grosse
Punkte, das andere durch Striche dargestellt ist.
Mehrere merkwürdige Formsteine wurden diese Woche
gefunden, darunter einer von grober Terracotta zum
Giessen von acht kupfernen Stäben; die übrigen Form-
steine waren von Glimmerschiefer, und war der eine
zum Giessen eines Gegenstandes in Gestalt eines Pflan-
zenblattes mit drei langen Stacheln auf jeder Seite
bestimmt; der andere Formstein zeigt drei einförmige
Furchen zum Giessen von oblongen Ringen. Von andern
Formsteinen zum Giessen von Waffen und Werkzeugen
kamen in dieser Woche nur Bruchstücke vor. Von
kleinen Sägemessern aus Silex wurden in dieser Woche
in 3 bis 8 Meter Tiefe 27 Stück gefunden, auch sechs sehr
hübsche Messerklingen von schwarzem vulkanischen
Glase, die so scharf sind, dass man sich damit rasiren
kann; kupferne Messer dagegen kamen diese Woche
gar nicht vor, dagegen vier kupferne Tuch- oder Haar-
nadeln von 6 bis 13 Centimeter Länge, sowie dreizehn
knöcherne Strick- oder Sticknadeln; auch sechzehn
grosse Pfriemen von Hirschhorn, sowie viele zugespitzte
Eberzähne. Unter den in dieser Woche gefundenen
steinernen Werkzeugen waren zwei sehr hübsche
Hämmer von Diorit, eine sehr niedlich durchbohrte
und oben mit einer Rille versehene Stütze von Glim-
[251]eigenthümliche terracotta-gegenstände.
merschiefer zum Wenden des Bratspiesses und der-
gleichen mehr.


Auf die Terracottas zurückkommend, muss ich
hervorheben ein oben schmaler und dünner werdendes
viereckiges Stück, welches oben auf der Vorderseite zwei
ganz geringfügige Vertiefungen in Form von Augen
hat und auf der einen Seite durchbohrt ist. Ich gebe
die Abbildung dieses sonderbaren Gegenstandes,
dessen Gebrauch mir unbekannt ist. Ich erwähne fer-
ner einen in jenem Hause in 7 Meter Tiefe gefundenen
sonderbaren Topf mit drei Füssen, zwei kleinen Ohren
und einem Henkel, sowie die in demselben mehrfach
vorkommenden niedlichen Tassen mit einem Henkel
und drei Füssen. In 3 Meter Tiefe wurde eine kleine
feuerrothe, glänzende Dose gefunden, deren untere
Seite in zwei kleine, durchbohrte Griffe ausläuft und
die Sonne mit ihren Strahlen darstellt. In der Mitte
der Sonnenscheibe sieht man ein Kreuz, welches in vier
kleine Kreise endet, und sollen diese wol die Köpfe
der Nägel darstellen, womit die beiden kreuzweis ge-
legten Stäbe zur Erzeugung des heiligen Feuers be-
festigt wurden. In jedem der durch das Kreuz gebil-
deten vier Räume sieht man ein

[figure]

, wovon eins mit
Punkten dargestellt ist.


Auch fand sich wiederum eins jener kleinen, aus
zwei zusammenhängenden Kugeln bestehenden, durch-
bohrten Stücke Terracotta, die etwas Aehnlichkeit
haben mit unsern Hemdknöpfen; der obere Theil
des in Frage stehenden Stückes zeigt drei einfache
aufgehende Sonnen und sechs Sterne, während der un-
[252]terracotta-kugeln.
tere drei doppelte aufgehende Sonnen und drei Sterne
im Kreise um den Mittelpunkt darstellt.


Von Terracotta-Kugeln ist diese Woche nur eine
vorgekommen, welche einen herumlaufenden, sägen-
förmigen Streif und fünf kleine Streifen zeigt, die
Sonnen oder Monde bezeichnen mögen.


[253]entdeckung einer strasse der pergamos.

XXI.



Seit meinem Bericht vom 5. d. M. habe ich durch-
schnittlich 160 Arbeiter gehabt und viele wunderbare
Dinge ans Licht gebracht, unter welchen ich besonders
hervorheben kann eine unmittelbar neben meinem Hause
in 9 Meter 20 Centimeter Tiefe im grossen Thurm ent-
deckte, 5 Meter 20 Centimeter breite Strasse der Per-
gamos, welche mit dicken, 1 Meter 18 Centimeter bis
1 Meter 50 Centimeter langen und 89 Centimeter bis
1 Meter 34 Centimeter breiten Steinplatten gepflastert ist.
Dieselbe läuft genau in südwestlicher Richtung sehr
steil nach der Ebene ab; ich habe aber bisjetzt nur erst
eine Strecke von 10 Meter oder 33⅓ Fuss von ihr bloss-
legen können. Sie führt ohne allen Zweifel zum
Skäischen Thor, dessen Stelle durch ihre Richtung und
durch die Bildung des Bodens genau an der Westseite
am Fusse der Anhöhe bezeichnet zu sein scheint und
nicht mehr als 150 Meter vom Thurm entfernt sein kann.
Rechts und links an der Strasse ist eine 73 Centimeter
breite, 3 Meter 40 Centimeter lange Einfassung. Die
Senkung der Strasse ist so stark, dass, während sie auf
der Nordostseite, soweit sie dort aufgedeckt ist, nur 9 Me-
[254]muthmassliches bedeutendes gebäude oberhalb d. strasse.
ter 20 Centimeter unter der Oberfläche des Berges ist,
sie auf einen Abstand von 10 Meter schon in einer
Tiefe von 11 Meter oder 37 Fuss liegt.


Diese herrlich gepflasterte Strasse führt mich zur Ver-
muthung, dass ein vornehmes Gebäude sich in geringer
Entfernung oberhalb derselben, an der Nordostseite, be-
funden haben muss, und habe ich daher, als sie vor
sieben Tagen entdeckt wurde, sofort 100 Mann an-
gestellt, das nordöstlich vor derselben liegende Terrain
in 24 Meter Länge, 24 Meter Breite und bis 10 Meter
Tiefe abzugraben. Die Fortschaffung dieses 5760 Kubik-
meter enthaltenden, ungeheuern Blocks von hartem
Schutt und Steinen wird dadurch sehr erleichtert, dass
derselbe an meinen grossen vorjährigen Einschnitt
stösst, welcher vom nördlichen Bergabhang bis zum
Thurm ganz horizontal geht und sich daher ausgezeich-
net zur Anwendung der „man-carts“ eignet. Um aus
dieser Ausgrabung den grösstmöglichen Nutzen für
die Wissenschaft ziehen zu können, lasse ich die Erd-
wände senkrecht machen, wie ich es übrigens auch in
fast allen meinen übrigen Einschnitten gethan habe.
Da ich gleichzeitig von oben und von unten an der
Fortschaffung dieses riesigen Erdklotzes arbeiten lasse,
so hoffe ich bestimmt, in 20 Arbeitstagen damit fertig
zu werden.


Es ist mir ungemein daran gelegen, dass die grossen
Steinplatten des Thurmweges nicht von Christen oder
Türken weggeschleppt werden, und um dies zu verhüten,
habe ich das Gerücht verbreitet, Jesus Christus habe
den König Priamos besucht und sei diesen Weg hinauf-
gestiegen; um diesem Umstande noch mehr Gewicht
[255]verschiedene mauern.
beizulegen, habe ich ein grosses Christusbild an der
Nordwestseite der Thurmstrasse in der Erdwand befestigt.
Gegen die Angriffe der abergläubischen Christen dieser
Ebene sind daher die Dallen vollkommen gesichert, und,
wie ich hoffe, auch gegen die Habgier der Türken,
denn wenngleich diese die Heiligenbilder verabscheuen,
so flössen ihnen dieselben dennoch eine gewisse
Furcht ein.


Neben dem Christusbilde sieht man in dieser Erd-
wand drei höchst merkwürdige, übereinandergebaute
Mauern aus kleinen Steinen mit Erde verbunden, welche
in sehr verschiedenen Zeitabschnitten gebaut sind, wo-
von aber selbst die oberste neueste, wie es das Material
beweist, bedeutend älter sein muss als die Gründung
der griechischen Colonie im Jahre 700 v. Chr. Diese
oberste Mauer ist 1 Meter 50 Centimeter dick, in 3½
Meter Tiefe gebaut, und reicht bis 50 Centimeter unter
der Oberfläche, was mir ganz unerklärlich ist; denn, da
die Trümmer der griechischen Colonie bis zu einer Tiefe
von 2 Meter gehen, so muss sie lange Jahrhunderte
hoch aus der Erde emporgestanden haben; immerhin
mag sie aber von der griechischen Colonie als Unterbau
eines Gebäudes benutzt und auf diese Weise erhalten
worden sein. Unter dieser Mauer findet man eine Erd-
schicht von 30 Centimeter Dicke, und darauf folgt die
zweite, um 30 Centimeter hervorstehende, 2 Meter hohe
Mauer, welche wiederum auf einer andern, noch viel
ältern Mauer ruht. Letztere läuft in schräger, mit
dem Thurmwege parallel laufender Linie nach Süd-
westen ab und liefert einen zweiten Beweis, dass die
[256]festungsmauern d. versch. völker; vorgriech. häuser.
Bergfläche, welche hier jetzt ganz horizontal ist, an
diesem Orte nicht sehr steil nach der Ebene abfiel.


Meine früher ausgesprochene Meinung, dass nur die
ersten Bewohner dieses Berges, welche den grossen
Thurm erbauten, Mauern und Festungswerke hatten,
erweist sich somit als irrig, denn diese drei, einst am
Rande des Bergabhanges gebauten Mauern, sowie drei
der Mauern, welche ich an der Südostseite des Ber-
ges durchschnitten habe, können nur Festungsmauern
sein, und offenbar gehören sie den verschiedenen Völ-
kern an, die nach dem Untergang der ersten Nation
diesen Ort bis zur Gründung der griechischen Colonie
bewohnt haben.


Wie meine weitern Nachgrabungen gezeigt haben,
geht vom grossen Thurm, gerade unterhalb des Minerva-
tempels und in einem Abstande von 40 Meter von
der erwähnten Strasse, in einer Tiefe von 8 Meter eine
grosse Mauer nach Süden, und habe ich in dieser
Richtung 2 Meter davon blossgelegt. Wie weit aber
die Mauer nach Süden fortgeht, das ist ohne neue, rie-
sige Ausgrabungen nicht zu bestimmen. Ebenso kann
ich, ohne das merkwürdige vorgriechische Haus wegzu-
brechen, unmöglich ihre Breite bestimmen. Es scheint
mir auch, dass der Thurm hier aufhört, denn in meinen
Nachgrabungen am Fusse jenes alten Hauses fand ich
keine Spur mehr von demselben, aber statt dessen ur-
alte Häuser, deren noch hier und da mit einem Lehm-
überzuge und weisser Farbe bekleidete Wände sämmt-
lich die Spuren einer furchtbaren Feuersbrunst tragen,
welche so vollkommen alles, was in den Stuben war,
zerstört hat, dass man nur dann und wann eine ver-
[257]festungsmauer die trümmer durchziehend.
kohlte Topfscherbe in der rothen Holzasche findet, wo-
mit die Räume gefüllt sind. Merkwürdigerweise findet
man unterhalb dieser uralten Häuser wiederum Haus-
wände, die jedenfalls noch älter sein müssen und
auch das Gepräge furchtbarer Glut tragen. In der
That, das Labyrinth von uralten, übereinandergebau-
ten Hausmauern, welches man hier in den Tiefen
des von Lysimachus gebauten Minervatempels findet,
ist einzig in der Welt und bietet dem Archäologen
den reichsten Stoff zu seinen Forschungen. Was mir
aber in diesem Labyrinth von Mauern am räthsel-
haftesten ist, ist eine von Westnordwest nach Süd-
südost dasselbe durchziehende, ebenfalls von Steinen
mit Erde gebaute, oben 1 Meter 85 Centimeter, unten
3 Meter 70 Centimeter breite und 3½ Meter hohe
Festungsmauer, welche nicht unmittelbar auf dem Ur-
fels steht und erst gebaut ist, als sich auf diesem be-
reits eine Humusschicht von ½ Meter Dicke gebildet
hatte. Sie scheint daher etwas weniger alt zu sein als
der grosse Thurm, der unmittelbar auf dem Urboden
ruht.


Parallel laufend mit dieser Festungsmauer und nur
68 Centimeter davon entfernt sieht man in gleicher
Tiefe eine nur 60 Centimeter hohe Mauer, gleichfalls aus
mit Erde vereinigten Steinen erbaut. Die in grösster
Tiefe bisjetzt von mir ausgegrabene Stube hat 3 Meter
Höhe und 3 Meter 45 Centimeter Breite; sie mag aber
höher gewesen sein; ihre Länge ist mir noch nicht be-
kannt. In einem der Räume des obersten der un-
terhalb des Minervatempels befindlichen Häuser aus
vorgriechischer Zeit scheint eine Weinhandlung oder
Schliemann, Troja. 17
[258]alte weinhandlung oder bazar.
ein Bazar gewesen zu sein, denn man sieht in demsel-
ben neun gewaltige irdene Krüge (πίϑοι) verschiedener
Form von 1 Meter 75 Centimeter Höhe und 1 Meter
48 Centimeter Dicke, deren Mündung eine Breite hat
von 75 bis 90 Centimeter. Alle diese irdenen Behälter
haben vier 10 Centimeter breite Henkel und der Thon
derselben hat die enorme Dicke von 6 Centimeter. Auf
der Südseite dieser „πίϑοι“ fand ich eine 8 Meter breite,
3 Meter hohe Mauer von an der Sonne getrockneten
Ziegeln, die durch eine Feuersbrunst zu wirklichen ge-
brannten Ziegeln geworden sind. Diese Mauer, welche
mir auch ein Festungswerk und sehr dick zu sein scheint,
habe ich bis zur perpendikulären Linie der Fundamente
des Minervatempels abgehauen.


Um zu verhüten, dass die uralten Hausmauern
von frevelhafter Hand ruinirt werden, habe ich im
obersten Hause unterhalb des Minervatempels das Bild
der Gottesmutter aufgehängt.


Wegen des grossen Altarsteins, dessen oberer Theil
einen Halbmond bildet, bin ich sehr besorgt, die Türken
möchten ihn zum Bau des Minaret im Dorfe Tschiplak
benutzen, ich werde ihn daher, ohne ihn von der
Stelle zu rücken, behutsam spalten, sodass er zum Bau
unbrauchbar wird. Dieser Stein sowol als sein Piedestal
sind mit einer weissgefärbten Lehmkruste überzogen,
welche auf letzterm 2½ Centimeter dick ist.


An der Südostseite der Pergamos habe ich die
Ausgrabung fortgesetzt und gefunden, dass die grosse
Mauer, welche ich für eine Fortsetzung des Thurmes
hielt, zu einer grossen uralten Ringmauer gehört.


Auf der ganzen östlichen Seite des Thurmes wurde
[259]funde in der ausgrabung nordöstl. v. d. thurmstrasse.
seit meinem letzten Bericht an irgendwie interessanten
Antiquitäten so gut wie gar nichts gefunden. Dage-
gen aber wurde in der grossen neuen Ausgrabung
nordöstlich von der Thurmstrasse eine grosse Masse
höchst merkwürdiger Gegenstände entdeckt. Die
Trümmer der griechischen Colonie reichen hier genau
bis 2 Meter Tiefe, und ich fand in dieser Tiefe eine
Topfscherbe mit gemalten ägyptischen Hieroglyphen,
deren Abbildung ich gebe. Ich gebe ferner die Zeich-
nungen von drei andern, in 3 Meter Tiefe gefundenen
merkwürdigen Topfscherben, wovon die eine ein Eulen-
gesicht, ein

[figure]

und die Marken der vier Nägel zum Fest-
schlagen desselben, die zweite ein

[figure]

, bei dem jedes der
vier Enden noch wieder in ein Viereck ausläuft und die
dritte ein in Bewegung befindliches Rad darstellt. Ferner
kam aus 2 Meter Tiefe ein Terracotta-Idol zum Vorschein
mit Eulengesicht und hervorstehenden Armen, die abge-
brochen und länger gewesen zu sein scheinen. Wie alle
übrigen Idole ist auch dies in Menschengestalt und man
sieht aus dem Kopfe den Eulenschnabel und die Eulen-
augen kunstvoll dargestellt hervortreten; auf der Stirn
sind Haare angedeutet und zwei Striche am Halse
scheinen die Rüstung zu bezeichnen. In gleicher Tiefe
fand ich den Boden einer Schüssel, welcher in Haut-
relief zwei sich umarmende und küssende Jünglinge dar-
stellt, die mit grösster Meisterschaft gemacht sind; ferner
in 1½ Meter Tiefe den obern Theil einer Vase mit
hübschem Eulenkopf; den Rand der Mündung bildet eine
Art von Helm. In ½ Meter Tiefe fand sich ein hübscher
Manneskopf von Terracotta; in 2 Meter Tiefe eine grie-
chische Lampe mit einem 7 Centimeter langen Fuss und
17*
[260]eigenthümliche idole der minerva.
in gleicher Tiefe sehr hübsche Vasen und Kannen
sowie ein auf einer Seite abgeplattetes Stück Terracotta
mit zwei durchgehenden Löchern und einem Stempel,
worin man das sehr hübsche Brustbild einer Frau sieht;
in 3 und 4 Meter Tiefe zwölf marmorne Idole ohne
Eulengesicht, auf deren einem man vier horizon-
tale Striche am Halse sieht; in 3 Meter Tiefe auch
das Bruchstück einer Schlange mit zwei Hörnern; in
5 Meter Tiefe ein schön polirtes und zweimal durch-
bohrtes Stück Diorit, in Form einer Glocke; in 5 Meter
Tiefe eine Masse von schönen Terracotta-Vasen und
Kannen, hübsch verzierte Stick- oder Stricknadeln von El-
fenbein und ein sehr niedlicher, durchbohrter, 4 Centimeter
langer und mit eingeschnittenen symbolischen Zeichen
bedeckter Cylinder von Terracotta. Der merkwürdigste
Gegenstand aus 5 Meter Tiefe ist aber ein vorn und
hinten abgerundetes marmornes Idol der ilischen Mi-
nerva mit einem Eulenkopf; die Augen sind sehr gross
und schön, der Schnabel dagegen ist klein und kunst-
los gemacht; am Halse ist ein Querstrich und oberhalb
desselben zehn emporstehende Striche, die wol die
Rüstung andeuten sollen; der ganze übrige Körper ist
mit Strichen bedeckt, in denen, namentlich auf dem
Rücken, die Vogelfedern unverkennbar sind; die sonder-
bare Verzierung am Unterleib dieses Idols scheint zu
beweisen, dass die auf dem Bauch der Vasen mit Eulen-
gesichtern hervorstehende grosse kreisförmige Erhöhung
nicht, wie ich früher glaubte, den Bauchnabel, sondern
den Schamtheil der Göttin bezeichnet. Dies Idol ist,
wie immer, in Menschengestalt.


In 6 Meter Tiefe fand ich zwei herrliche, glänzend
[261]verschiedene idole, vase u. a.
rothe Vasen, auf denen die ilische Minerva mit dem Eulen-
kopf, einer Art von Helm, zwei emporgehobenen Armen,
zwei Brüsten und der vorerwähnten grossen, kreisför-
migen, hervorstehenden Erhöhung am Bauch, worin ich
jetzt nur das pudendum erkennen kann, dargestellt ist. In
gleicher Tiefe ein Idol gewöhnlicher Form von Knochen,
sowie auf einem Griff von schwarzem Terracotta, welcher
vermuthlich zu einem grossen Becher gehört hat, ein
mit grosser Meisterschaft in Hautrelief dargestellter
Ochsenkopf, der unwillkürlich an Homer’s „βοῶπις πότνια
Ἥρη“ erinnert. Unter vielen andern merkwürdigen
Terracotta-Vasen fand ich in dieser Tiefe auch eine
kleine, wirklich prachtvoll verzierte Vase, deren Ober-
fläche in vierzehn abwechselnd aufeinanderfolgende
grössere und kleinere Fächer getheilt ist; in jedem der
grösseren Fächer sieht man drei Kreise von Sternchen
und einen Stern im Mittelpunkt; in jedem der kleinern
Fächer sind dreifache Zickzacklinien; diese Vase hat in
den kleinen Griffen Röhrchen zum Aufhängen an einer
Schnur. Weiter kam von merkwürdigen Gegenständen
in dieser Tiefe eine 10½ Centimeter lange, 5 Centimeter
breite Säge von Silex vor, sowie eins jener runden, an
einer Seite abgeplatteten, zweimal durchbohrten Stücke
Terracotta mit einem grossen Stempel, in welchem man
einen Schwan und eine Antilope sieht. Ein ähnliches
Stück, in dessen Stempel man den Kopf eines Kriegers
mit Helm sieht, kam in 8 Meter Tiefe vor, und sind dies
die beiden ersten Stücke dieser Art, welche ich bisjetzt
in mehr als 2 Meter Tiefe gefunden habe.


In 7 Meter Tiefe fand ich einen kleinen Dreifuss
mit hervorstehendem Eulengesicht, ferner einen hübschen
[262]werkzeuge, urnen, idole, vasen, terracotten.
rothen Terracotta-Becher mit dem Eulenkopf der ili-
schen Minerva und ihrem Helm; ein Messer und ein
langes Werkzeug von Kupfer; einen 8½ Centimeter
langen, mit sehr kunstvoll eingeschnittenen symbolischen
Zeichen verzierten Knochen, und unter andern höchst
sonderbaren Terracottas den Griff eines Bechers mit
einem Kreuz und den Marken der vier Nägel zum An-
schlagen desselben; weiter das Bruchstück des obern
Theils einer grossen Urne, welche mit drei herumgehen-
den Streifen verziert ist, der obere und untere Streif
besteht aus sonderbar ineinanderverwebten krummen
Linien; der mittlere enthält kleine Kreise, in deren je-
dem man ein Kreuz sieht.


In 8 Meter Tiefe fand sich ein marmornes Idol mit dem
Eulenkopf der ilischen Schutzgöttin, sowie ein glänzend
rothes Terracotta-Idol derselben, welches merkwürdiger-
weise eine kleine, sehr niedliche Vase mit zwei Griffen
auf dem Kopf trägt; das Eulengesicht dieses letztern
Idols hat gewaltige Augen und ist sehr ausdrucksvoll.
Von Terracotta-Vasen und Schüsseln wurde in dieser
Tiefe besonders viel gefunden, jedoch kann ich nur von
wenigen derselben die Zeichnungen geben, da die
meisten in zerbrochenem Zustande herauskommen und
ich diese erst in Athen wieder zusammenleimen lassen
kann. Unter den unversehrt herausgekommenen Terra-
cottas verdient nur besondere Bemerkung eine kleine
Vase mit zwei Löchern im Munde zum Aufhängen an
einer Schnur; im Kreise herum sieht man auf derselben
herzförmige Figuren mit Kreuzen; ferner tassenförmige
Töpfe mit grossem Henkel; andere Töpfchen in Form von
Salznäpfchen und mehrere unten abgerundete Vasen mit
[263]gewicht, vasen, schleudern, beile, terracotten.
drei Füssen oder ohne Füsse; Kellen von Terracotta in
Form von Tassenköpfen mit grossen Henkeln; dann ein
grosser, sehr sonderbar gestalteter, 730 Gramm wiegen-
der Topfdeckel von Terracotta mit Henkel. In gleicher
Tiefe fand ich auch das Bruchstück einer glänzend rothen
Vase, welches den weiblichen Geschlechtstheil in Haut-
relief darstellt; ferner mehrere Werkzeuge von Kupfer.


In 9 Meter Tiefe wurde eine kupferne Lanze und
ein Dutzend sehr grosser brauner und schwarzer Vasen
gefunden, welche letztere aber ebenfalls fast alle so zer-
brochen sind, dass ich nur ein paar derselben abzubilden
im Stande bin. In derselben Tiefe fand sich ein
hübscher, glänzend brauner Becher in Form eines Blu-
mentopfes mit zwei grossen Henkeln. In 8 und 9 Meter
Tiefe fand ich seit dem 5. d. M. elf schöne Schleudern
von Magneteisenstein, sowie zwei von Porphyr. Von
steinernen Werkzeugen wurde sehr wenig gefunden,
nur zwei schöne Beile von Diorit in 9 und 10 Meter
Tiefe. In letzterer Tiefe fand ich wiederum eine jener
mehrfach beschriebenen Bürsten von Terracotta, sowie
einige Vasen mit drei Füssen und Röhren an den Seiten
zum Aufhängen.


Von den kleinen Carrousels und Vulkanen aus
Terracotta sammelte ich in diesen elf Tagen 991 Stück,
wovon 581 mit symbolischen Zeichen, darunter aber nur
79 Stück mit noch nicht dagewesenen Bildern, deren
Zeichnungen ich daher gebe. Lange, dünne, kupferne
Nägel mit abgerundeten Köpfen, die als Tuch- oder
Haarnadeln gebraucht sein müssen, fanden sich in allen
Tiefen. Von ausgezeichnet polirten Beilen aus Diorit
fand ich in diesen elf Tagen 20 Stück.


[264]statue des metrodorus im minervatempel.

In 1 Meter Tiefe wurde gestern im Minervatempel neben
ihrem 1 Meter 14 Centimeter langen und 53 Centimeter
breiten, mit Inschrift versehenen Piedestal von schwar-
zem Schiefer eine 1 Meter 20 Centimeter hohe männliche
Statue von feinem weissen Marmor gefunden, welche, wie
aus der Inschrift hervorgeht, von Pytheas aus Argos ge-
macht und von den Iliern dem Metrodoros, dem Sohn
des Themistagoras, zu Ehren errichtet ist und diesen
darstellt. Der Geehrte hatte, wie es auch die Fussmarken
des Piedestals beweisen, die Stellung eines Redners.
Der Kopf und die Füsse fehlen leider.


Die Inschrift lautet wie folgt:


[figure]

und unten, auf derselben Seite des Piedestals, liest man:


[figure]
Ὁ δῆμος ὁ Ἰλιείων

Μητρόδωρον ϑεμισταγόρου

ΙΙυϑέας Ἀργεῖος ἐποίησε

Es gab im Alterthum viele Männer mit Namen
Metrodoros, aber nur zwei derselben waren besonders
berühmt, und beide waren in Kleinasien gebürtig. Der
eine, aus Lampsakos stammende, war Schüler des Epi-
kuros (Strabo, XIII, 589), der andere, aus Skepsis ge-
bürtige, war Philosoph, Redner und Staatsmann und
stand in hohem Ansehen bei Mithridates VII., Eupator
(Strabo, XIII, 609), der ihn später auf schauderhafte
[265]der bildhauer pytheas; marmorplatte mit inschrift.
Weise hinrichten liess (Plutarch, Leben des Lucullus).
Der Name des Vaters dieses Metrodoros aus Skepsis
ist nicht bekannt, und ob er Themistagoras oder anders
geheissen hat, ist ungewiss; höchst wahrscheinlich aber
ist der durch die Inschrift und die Bildsäule geehrte
Metrodoros jener skepsische Redner, Philosoph und
Staatsmann. Ueber den Bildhauer Pytheas aus Argos
finde ich gar nichts. Nur ein Pytheas, ein Drechsler,
wird ohne Angabe seiner Herkunft von Plinius, „Hist.
Nat.“ 33, 12 als ungefähr gleichzeitig mit Pompejus dem
Grossen erwähnt; ein anderer Pytheas war Wand-
maler und aus Achaia; es kann daher keiner von beiden
der argivische Bildhauer sein, welcher die Statue anfer-
tigte und seinen Namen auf deren Piedestal setzte. Es
ist übrigens, wie mein gelehrter, hochgeehrter Freund
Herr Professor Stephanos Kumanudes in Athen be-
merkt, kein Wunder, dass der Name eines kleinen Bild-
hauers vergessen wird, wenn die Namen so vieler
grosser Könige verloren gehen.


Auf derselben Stelle des Minervatempels wurde
auch das Bruchstück einer augenscheinlich sehr lang
gewesenen Marmorplatte mit nachstehender Inschrift
gefunden:


[266]inschrift.
[figure]
[...]

Der in dieser Inschrift gepriesene Proconsul Caius
Claudius Nero, der Sohn des Publius, verwaltete die
Provinz Asien 674 bis 675 nach der Erbauung Roms,
lebte daher zur Zeit des Redners Cicero und wird von
[267]zeit der inschrift.
diesem, in den Reden gegen Verres, I, 19, 50, erwähnt
(Waddington, Fastes des provinces asiatiques de l’Empire
Romain. Paris 1872, S. 43—44).


Die Poemanener (Ποιμανηνοί) sind die Bewohner
der Festung Poemanenon südlich von Kyzikos (s. Pape-
Benseler, Lexikon der Eigennamen).


Nach der Form und Dicke des Steines zu urtheilen,
muss diese Inschrift sehr lang gewesen sein und über
70 Zeilen enthalten haben. Aber selbst das vorliegende
Bruchstück derselben ist von geschichtlichem Werth,
und von um so grösserm Interesse, als wir ganz
bestimmt wissen, dass sie aus dem Jahre 80 v. Chr.
stammt.


[268]ausgrabung im tumulus der batieia.

XXII.



Seit meinem Berichte vom 16. v. M. habe ich viele
Unterbrechungen gehabt, denn die griechischen Ostern
dauerten sechs Tage, auch nahm mir der Feiertag des
heiligen Georg und die Nachfeier desselben mehrere Tage
weg, sodass ich in dieser ganzen Zeit nur vierzehn
eigentliche Arbeitstage hatte, an welchen ich aber mit
durchschnittlich 150 Mann mit grosser Energie gearbei-
tet habe.


Bei dem anhaltend schönen Wetter schlafen meine
Arbeiter schon seit Anfang April nicht mehr, wie früher,
in den umliegenden Dörfern, sondern unter freiem
Himmel in den Ausgrabungen selbst, was mir sehr zu
statten kommt, da ich sie jetzt immer gleich zur Hand
habe. Ausserdem kommen mir jetzt die langen Tage
sehr zu Hülfe und ich kann von 4¾ Uhr morgens bis
7¼ Uhr abends arbeiten lassen.


In dem nur eine halbe Stunde von der Pergamos ent-
fernten, nach der Ilias (II, 811—815) von den Menschen das
Grab der Batieia, von den Göttern das Grab der Myrine ge-
nannten Tumulus liess ich von oben einen 3 Meter 30
Centimeter breiten, 5 Meter 60 Centimeter langen Schacht
[269]tumulus der batieia; zeit seiner entstehung.
graben und fand, dass die Humusschicht desselben kaum
mehr als 2½ Centimeter dick ist und dass darauf stein-
harte braune Erde folgt, die von Zeit zu Zeit mit kleinen
Schichten Kalkerde abwechselt. In der braunen Erde
fand ich eine Masse Bruchstücke von glänzend schwarzen,
grünen und braunen Vasen derselben Art die ich hier
in der Pergamos in 8 bis 10 Meter Tiefe finde, sowie
viele Fragmente von πίϑοι; weiter entdeckte ich aber
auch gar nichts und legte in 4½ Meter Tiefe den
weissen Kalkfels bloss. Was mir am auffallendsten
war, ist, dass ich nicht einmal Holzkohlen fand und viel
weniger noch die Knochen des verbrannten Leichnams.
Dass ich die Spuren des Scheiterhaufens, wenn solche wirk-
lich vorhanden, sollte haben verfehlen können, ist bei der
Grösse meines Einschnitts und dessen senkrechten Wän-
den nicht denkbar.


Wenngleich nun der eigentliche Zweck dieser Aus-
grabung verfehlt ist, so hat dieselbe doch das für die
Wissenschaft wichtige Resultat gehabt, durch sämmt-
liche darin gefundene Topfscherben mit einiger Gewiss-
heit zu bestimmen, dass die Errichtung dieses Grabes
aus jener Zeit datirt, wo die Oberfläche der Pergamos
noch um 8 bis 10 Meter niedriger war als sie jetzt ist, und
aus dieser Zeit stammt auch die bereits beschriebene, mit
grossen Steinplatten gepflasterte Thurmstrasse, oberhalb
welcher ich die Ausgrabungen mit grösstem Eifer be-
trieben und heute beendigt habe. Dieselben haben
zwei grosse Gebäude verschiedenen Alters ans Licht
gefördert, wovon das neuere auf den Ruinen des ältern
gebaut ist. Beide sind durch furchtbare Feuersbrünste
zerstört, wovon die Wände deutliche Spuren tragen;
[270]die ausgrabungen an der thurmstrasse.
auch sind alle Räume beider Häuser mit schwarzer,
rother und gelber Holzasche sowie mit verkohlten
Trümmern gefüllt. Das neuere Haus ist errichtet
worden, als die Ruinen des ältern Hauses vollkommen
mit Asche und verbranntem Schutt bedeckt waren;
man sieht dies daraus, dass die neuern Wände stets
kreuz und quer über die ältern hinweggehen und
nicht immer unmittelbar auf ihnen ruhen, sondern oft
durch eine 2 und 3 Meter hohe calcinirte Trümmerschicht
von ihnen getrennt sind. Sowol das untere als das
obere Haus ist aus mit Erde verbundenen Steinen er-
richtet, aber die Wände des untern sind viel dicker,
auch solider gebaut als die des obern. Die Thurm-
strasse konnte nur benutzt worden sein, als das ältere
Haus noch bewohnt war, denn sie führt gerade in das-
selbe hinein, und das neuere Gebäude wurde erst gebaut
als die Strasse schon 3 Meter hoch mit den Trümmern
des ältern bedeckt war.


Ich war fest überzeugt, dass diese herrliche, mit
grossen Steinplatten gepflasterte Strasse von dem Haupt-
gebäude der Pergamos ausgehen musste, und grub daher
entschlossen weiter, um dies ans Licht zu bringen, bin
jedoch zu meinem allergrössten Leidwesen gezwun-
gen worden, zu diesem Zweck drei grosse Wände des
neuern Hauses wegzubrechen. Meine Hoffnungen sind
aber durch das Resultat weit übertroffen worden, denn
ich fand nicht nur zwei grosse Thore, die 6 Meter 13
Centimeter voneinander abstehen, sondern auch die
beiden grossen kupfernen Bolzen derselben, deren Ab-
bildung ich gebe. Das erste Thor ist 3 Meter 76 Centi-
meter breit und wird durch zwei Mauervorsprünge ge
[271]ausgrabung an der thurmstrasse; das skaeische thor.
bildet, wovon der eine 74, der andere 78 Centimeter
hervorsteht; beide sind 1 Meter hoch und 1 Meter 14
Centimeter breit. An diesem ersten Thor hört die mit
grossen Steinplatten gepflasterte Strasse auf und der
Weg hat von dort bis zum zweiten Thor, welches 6 Me-
ter 13 Centimeter weiter nordöstlich liegt, ein sehr un-
ebenes Pflaster von grossen unbehauenen Steinen. Ver-
muthlich ist das Pflaster durch die eingestürzten Mauern
des ältern Hauses so ungleich geworden.


Das zweite Thor wird ebenfalls durch zwei Mauer-
vorsprünge gebildet, die 60 Centimeter hoch, 96 Centi-
meter breit sind und um 75 Centimeter hervorstehen.


Ich habe die Strasse bis 1 Meter 33 Centimeter
nordöstlich vom zweiten Thore gereinigt, wage aber
nicht es noch weiter zu thun, da dies nicht ohne fer-
nere Abbrechung von Mauern des zweiten Hauses ge-
schehen könnte, deren Erhaltung von höchstem Interesse
für die Wissenschaft ist; denn wenn gleich dasselbe viel
neuer sein muss als das untere, auf dessen Trümmern
es ruht, so ist es doch, wie die darin gefundenen Terra-
cottas und Idole mit Eulenköpfen sowie seine Tiefe von
6 bis 7 Meter unter der Oberfläche beweisen, Jahrhunderte
vor der griechischen Niederlassung gebaut, deren Ueber-
bleibsel nur eine Tiefe von 2 Meter erreichen, und ist
jedenfalls älter als die homerischen Gesänge.


In meinem letzten Bericht sprach ich die gewisse
Vermuthung aus, dass die im Südwesten schroff nach
der Ebene ablaufende Thurmstrasse zum Skaeischen Thor
führen müsse, welches nur höchstens 150 Meter entfernt
sein könnte; ich wage aber jetzt die bestimmte Behaup-
[272]grenze iliums nach der ebene zu.
tung, dass das von mir ans Licht gebrachte grosse dop-
pelte Thor nothwendigerweise das Skaeische Thor sein
muss, denn in der in südwestlicher Richtung und in gerader
Linie mit der Thurmstrasse von dem Fusse der Pergamos
weit fortlaufenden Anhöhe, in welcher ich Iliums grosse
Ringmauer und das Skaeische Thor vermuthet hatte,
habe ich, nahe am Berge, einen 1 Meter 80 Centimeter
breiten, 3 Meter 30 Centimeter langen Brunnen ge-
graben. Ich fand in demselben ausschliesslich grie-
chische Topfscherben, stiess schon in 2 Meter 35 Centi-
meter Tiefe auf den Fels und überzeugte mich somit,
dass das alte Troja sich nie so weit nach der Ebene zu
erstreckt haben kann. Eine zweite, 3 Meter 50 Centi-
meter lange, 2 Meter breite Ausgrabung, die ich um
genau 135 Meter weiter in östlicher Richtung das Pla-
teau hinauf machte, hatte ein ähnliches Resultat, denn
ich stiess in 5 Meter Tiefe auf den Felsen und fand
auch hier ausschliesslich hellenische Topfscherben, die
ich in der Pergamos nur bis 2 Meter Tiefe antreffe,
dagegen keine Spur von trojanischer Töpferwaare.


Dies beweist zur Genüge, dass sich die alte Stadt
selbst bis zu diesem Punkte nie erstreckt haben kann
und seine Baustelle sich noch weiter östlich an die Per-
gamos angeschlossen haben muss. Ich bin jetzt damit
beschäftigt, in dieser Richtung funfzehn weitere Brun-
nen zu graben und hoffe, trotz der grossen Tiefe, bis
zu welcher ich dieselben zu graben habe, dass es mir
gelingen wird, die Topographie Trojas wenigstens eini-
germassen festzustellen. Alle Brunnen lasse ich offen,
damit sich jeder von der Wahrheit meiner Angaben
überzeugen kann.


[273]das skaeische thor.

Inzwischen ist durch die beiden oben beschriebenen
Brunnen bereits so viel für die Wissenschaft gewonnen,
dass die von dem doppelten Thor und dem grossen
Thurm schroff, unter einem Winkel von 65 Grad, in
südwestlicher Richtung nach der Ebene ablaufende
Strasse unmöglich zu einem zweiten Thor geführt haben
kann, und dass daher das von mir blossgelegte doppelte
Thor nothwendigerweise das Skaeische Thor gewesen
sein muss; dasselbe ist ausgezeichnet erhalten, und fehlt
kein Stein daran.


Also neben diesem doppelten Thor, auf Iliums
grossem Thurm, am Rande des sehr schroffen westlichen
Bergabhanges der Pergamos sassen Priamos, die sieben
Stadtältesten, und Helene und hier fällt die herrlichste
Scene der Ilias (III, 146—244) vor; von hier aus über-
schaute die Gesellschaft die ganze Ebene und sah am
Fusse der Pergamos die Heere der Trojaner und der
Achäer nebeneinander, um den Vertrag abzuschliessen,
den Krieg durch einen Zweikampf zwischen Paris und
Menelaos entscheiden zu lassen.


Wenn Homer (Ilias, VI, 390—393) den Hektor von
der Pergamos hinabsteigen und die Stadt durchstürmen
lässt, um zum Skaeischen Thor zu gelangen, so kann
dies einzig und allein daher kommen, dass letzteres,
sowie die Strasse, die von demselben nach der Ebene
hinunterführte, durch die Zerstörung Trojas mit 3 Meter
hohen Schuttmassen bedeckt und nur durch die Tradition
bekannt, die eigentliche Lage desselben aber unbe-
kannt war.


Um den Leser nicht durch die ausführliche Be-
schreibung des Skaeischen Thors zu ermüden, gebe ich
Schliemann, Troja. 18
[274]das haus des priamos.
auf einer besonderen Tafel einen genaun Plan dessel-
ben, aus welchem alle Details ersichtlich sind. Dies
Thor, sowie das grosse uralte Gebäude, stehen auf je-
nem bereits früher erwähnten, sich an die Nordseite des
Thurmes anlehnenden Wall, der hier mehr als 24 Meter
Dicke zu haben scheint und aus dem Schutt gemacht
ist, den man bei der Erbauung des Thurmes vom Urbo-
den abgehackt hat. Die Lage des Gebäudes unmit-
telbar oberhalb des Thores auf einer künstlichen An-
höhe, sowie die solide Bauart desselben lassen keinen
Zweifel, dass es das vornehmste Gebäude Trojas, ja dass
es das Haus des Priamos gewesen sein muss. Von dem
blossgelegten Theile desselben lasse ich, so gut es
gehen will, einen genauen Plan aufnehmen; ganz kann
ich es jedoch nicht ans Licht bringen, denn dazu würde
es nöthig sein, mein steinernes und mein hölzernes
Haus abzubrechen, unter welche es sich hin erstreckt,
und selbst wenn ich dies thäte, würde ich nicht im
Stande sein, einen vollständigen Plan des Hauses aufzu-
nehmen, solange ich nicht das auf demselben stehende
Gebäude fortschaffe, wozu ich mich vorläufig nicht ent-
schliessen kann.


Dass nun wirklich die Anhöhe, worauf das Haus
des Priamos oberhalb des Skaeischen Thores steht,
künstlich gemacht ist, davon kann sich jeder in meinem
vorjährigen grossen Einschnitt überzeugen, welcher
einen Theil dieser Anhöhe durchschneidet; man sieht
in den Wänden dieses Einschnitts, vom Brunnen bis
zum Thore, dass es reiner, aufgeschütteter, mit sel-
tenen Topfscherben und Muscheln vermischter Urbo-
den ist.


[275]fundgegenstände im hause des priamos.

Was nun die in diesen Häusern gefundenen Gegen-
stände betrifft, so erwähne ich vor allem eine in 8
Meter Tiefe im Hause des Priamos von mir entdeckte,
62 Centimeter hohe, herrliche, glänzend braune Vase mit
dem Bilde der Schutzgöttin Trojas, das heisst mit ihrem
Eulenkopf, zwei Brüsten, einem durch Einschnitte dargestell-
ten herrlichen Halsband, sehr breitem, prachtvoll gravir-
tem Gürtel und andern sehr kunstvoll eingeschnittenen
Verzierungen; Arme sind weder vorhanden noch angedeu-
tet. Leider hatte diese wunderschöne Vase durch die Last
der über ihr liegenden Steine gelitten, und obgleich ich
selbst sie mit der grössten Sorgfalt mit einem Messer
aus dem steinfesten Schutt unter den Steinen heraus-
schnitt, so gelang dies doch nicht, ohne sie in Stücke
zu zerbrechen. Ich habe aber alle Fragmente sorgsam
gesammelt und nach Athen gesandt, um sie dort wieder
zusammensetzen zu lassen, und sobald solches ge-
schehen ist, werde ich ihre Abbildung in halber Grösse
geben. Tafel 191.


Von sehr merkwürdigen, in demselben Hause ge-
fundenen Vasen erwähne ich sonst noch eine 30 Centi-
meter hohe Vase mit zwei Henkeln und einem herum-
gehenden Streifen von Keileinschnitten, über welchem
man auf beiden Seiten eine sehr hoch hervorstehende,
brillenförmige Verzierung sieht, die durch einen einge-
schnittenen Baum mit einer Art von Halsband in Ver-
bindung steht. Diese Vase hat auf jeder Seite einen ge-
waltigen, gerade emporstehenden Flügel. Ferner mache
ich noch besonders aufmerksam auf die in demselben Hause
gefundene höchst merkwürdige Vase No. 3273 auf Tafel 168
auf welcher man wirkliche Schriftzüge im Kreise herum
18*
[276]fundgegenstände im hause des priamos.
sieht; ein Stück der Vase und mit demselben ein Theil der
Inschrift fehlt; um aber dem Leser alles, was davon
übriggeblieben ist, genau vorlegen zu können, was auf
dem Bilde unmöglich ist, gebe ich die Inschrift auch
noch separat, und sollte es mich ungemein freuen, wenn
jemand im Stande wäre, diese trojanische Schrift zu ent-
ziffern und somit einiges Licht zu werfen auf das grosse
Volk, von dem sie stammt, und die Epoche, welcher sie
angehört. Ich mache ferner besonders aufmerksam auf
Vase No. 3092, Tafel 161, auf der man auch auf den
ersten Blick eine Reihe von Schriftzügen zu sehen
glaubt; bei näherer Betrachtung aber scheint es doch
keine Schrift, sondern nur symbolische Zeichen zu
sein, da fast aus jeder Figur das Kreuz hervorleuchtet.


Weiter fand ich in demselben Hause drei glänzend
rothe Vasen mit zwei Henkeln, einer hervorstehenden
brillenförmigen Verzierung auf jeder Seite und zwei
neben dem Halse emporstehenden, mächtigen Flügeln;
ein halbes Dutzend Vasen verschiedener Grösse mit un-
gewöhnlich langen Röhren an den Seiten und mit
Löchern im Munde zum Aufhängen mit einer Schnur;
eine sehr grosse glänzend schwarze Vase mit zwei Hen-
keln und zwei Verzierungen in Form von grossen Ohren;
auch eine kleinere Vase mit grossen durchbohrten Ohren
für die Schnur zum Aufhängen; eine Vase mit drei Füssen,
Röhren zum Aufhängen und herrlichen eingeschnittenen
Verzierungen, nämlich zwei herumlaufenden Streifen mit
Zickzacklinie und fünf am Halse herumgehenden Linien.
Ferner fand sich eine unten abgerundete, mit durchbohrten
Griffen versehene und ganz mit Punkten bedeckte Vase;
auch zwei grosse Becher mit hübschen Eulenköpfen,
[277]fundgegenstände im hause des priamos.
wovon der eine besonders grosse Augen hat; weiter
das vordere Bruchstück eines Gefässes mit einem
Schafskopf; eine merkwürdige kleine, aber sehr breite
Vase mit drei Füssen und langen Röhren zum Aufhän-
gen an Schnüren, sowie eine sonderbare Terracotta-
Lampe mit durchbohrtem Griff in Form eines Halb-
mondes und zwei andern hervorstehenden, mit Röhren
zum Aufhängen versehenen Griffen; eine rothe Kanne
mit einem Henkel, ganz hintenüber gebogenem Halse,
schnabelartigem Munde und zwei Augen; eine kleine
mit Punkten bedeckte und mit zwei Henkeln und zwei
ungeheuern aufrecht stehenden Ohren versehene Vase;
eine Kanne mit zwei Frauenbrüsten; eine Vase mit dem
Eulengesicht der ilischen Minerva, zwei Frauenbrüsten,
grossem Pudendum und zwei aufrecht stehenden
Armen, sowie der obere Theil einer andern Vase, auf
welchem man unter dem Schnabel der trojanischen
Schutzgöttin einen Mund sieht; auch eine grosse Vase
mit zwei kleinen Frauenbrüsten und grossem Scham-
theil; der obere Theil dieser Vase mit dem Eulenkopf
ist aber abgebrochen und fehlt; eine Vase mit
grossem, hohlem Fuss, sehr langen Röhren an den Sei-
ten zum Aufhängen und zwei hervorstehenden brillen-
förmigen Verzierungen. Unter den im Hause des Pria-
mos gefundenen kleinern Terracottas hebe ich ganz
besonders hervor ein nur 7 Centimeter langes Gefäss
in Menschengestalt mit dem Eulenkopf der ilischen Mi-
nerva und ungewöhnlich grossen Augen; zwei Striche
an den Schläfen scheinen den Helm, drei horizontale
Linien am Halse die Rüstung anzugeben; der Leib ist
bedeckt mit einem 4 Centimeter langen, gewölbten Schilde,
[278]fundgegenstände im hause des priamos.
auf dem man zehn Reihen von Punkten sieht, welche
wahrscheinlich die Köpfe der kleinen Nägel bezeichnen
sollen, womit die πτύχες oder Schichten, deren im Schilde
des Aias z. B. sieben aus Rindshaut und eine aus
Kupfer war (Ilias, VII, 245—247) zusammengenietet
waren. Die trojanische Schutzgöttin hält auf jeder Seite
einen grossen Schlauch in Form einer Flasche, der mit
horizontalen Linien verziert ist; das auf der Rückseite
in einen langen Zopf vereinigte, beinahe bis an die
Fersen herunterhängende Haupthaar der Göttin ist sehr
hervortretend, mit Meisterschaft gemacht und erinnert
ungemein an die diesem vollkommen ähnlichen Zöpfe
der Karyatiden im Erechtheion der Akropolis von
Athen. Nicht nur das Idol selbst, sondern auch die
Schläuche, die es trägt, sind hohl, und müssen letztere
durchaus eine symbolische Bedeutung haben. Ich fand
ferner im Hause des Priamos vier marmorne und drei
knöcherne Idole mit dem Eulenkopf der Schutzgöttin
Trojas; von den letztern ist eins mit weisser Farbe be-
malt. Auch zehn Idole von Marmor ohne Eulenkopf fand
ich dort; ferner das Bruchstück eines Schwertes, sowie
das einer Lanze, ein Messer und einige Werkzeuge von
Kupfer, auch ein Dutzend langer dünner kupferner
Nägel, die als Haar- oder Tuchnadeln gebraucht sein
müssen; ausserdem ein Packet von fünf in der Feuers-
brunst zusammengeschmolzenen kupfernen Tuchnadeln,
von denen die eine zwei Köpfe, den einen über dem andern,
hat, der untere Kopf ist ganz kugelrund. Auch einen
durchbohrten, nur 4½ Centimeter langen Cylinder von
blauem Feldspat fand ich dort, der auf Tafel 162,
No. 3131 abgebildet und mit höchst merkwürdigen ein-
[279]fundgegenstände im hause des priamos.
gravirten symbolischen Zeichen ringsum verziert ist,
Ferner entdeckte ich ebendaselbst den auf Tafel 158.
No. 3064 abgebildeten marmornen Priapos; den höchst
sonderbaren elfenbeinernen Gegenstand No. 3258 auf
Tafel 166, welcher ein musikalisches Instrument sein
muss; sechs Schleudern von Magneteisenstein, sowie
die Pfeilspitze, Tafel 166, No. 3244; auch 210 Stück
kleine, mit arischen religiösen Symbolen geschmückte
Vulkane und Carrousele von Terracotta, unter de-
nen ich 60 bisjetzt noch nicht vorgekommene Bilder sehe,
die ich auf den Tafeln 162, 163, 165 und 166 dar-
stelle; drei Terracotta-Kugeln mit symbolischen Zeichen,
und ist darunter besonders merkwürdig die auf Tafel 164,
No. 3193 dargestellte Kugel mit zehn roh eingravirten
Eulengesichtern. Diese sind in der That so grob ge-
zeichnet, dass ich gar nicht einmal Eulengesichter darin
erkennen würde, wenn ich nicht eben so plump gemachte
Darstellungen des Eulenkopfes dann und wann auf den
Idolen fände. Ich fand dort auch sechs schön polirte
Beile von Diorit, in der Art wie No. 3192 auf Tafel 162,
sowie eins jener runden, auf beiden Seiten gewölbten,
auf einer Seite am Rande abgeplatteten und zweimal
durchbohrten Stücke Terracotta, dessen ganze platte
Stelle von einem Stempel ausgefüllt ist, in welchem man
einen Adler und einen Hirsch oder eine Antilope sieht; fer-
ner vier jener vielbesprochenen und abgebildeten grossen
rothen, unten abgerundeten Becher mit zwei gewaltigen
Henkeln, die nur auf den Mund gestellt werden
können. Diese vier Becher sind leider alle zerbrochen,
und ich kann sie erst in Athen wieder zusammenleimen
lassen. Ich wage jetzt entschieden die Behauptung,
[280]bedeutung von ΔΕΠΑΣ ΑΜΦΙΚϒΠΕΛΛΟΝ.
dass diese Becher, welche, wie aus meinen frühern
Aufsätzen und Abbildungen bekannt, 13 bis 40 Cen-
timeter Höhe haben, nothwendigerweise die home-
rischen „δέπα ἀμφικύπελλα“ sein müssen, und dass die
bisherige Erklärung dieser Worte durch „Doppel-
becher mit einem gemeinschaftlichen Boden in
der Mitte“
durchaus irrthümlich ist. Es scheint wirk-
lich, dass diese falsche Uebersetzung einzig und
allein von Aristoteles herrührt, denn wie aus seiner
„Hist. anim.“, 9, 40 hervorgeht, gab es zu seiner Zeit
solche Doppelbecher mit einem gemeinschaftlichen Bo-
den in der Mitte, und soll in der That vor einer Reihe
von Jahren ein solcher in Attika entdeckt und an das
Museum in Kopenhagen verkauft worden sein. Aber
im homerischen Troja gab es keine solche Becher,
denn sonst würde ich sie gefunden haben. Wie bereits
früher bemerkt, fand ich auf dem Urboden, in 14 bis
15½ Meter Tiefe, mehrere Mittelstücke von glänzend
schwarzen Bechern, die ich damals für Bruchstücke von
Doppelbechern hielt, weil sie auf beiden Seiten des
Bodens eine Wölbung zeigten, aber die eine Wölbung
war immer zu geringfügig im Vergleich zur andern
und muss daher die des Becherfusses gewesen sein.
Wenn δέπας ἀμφικύπελλον Doppelbecher bedeutete, dann
müsste ἀμφιφορεύς Doppelurne heissen, was weder Ilias,
XIII, 92, Odyssee, XXIV, 74, noch sonstwo im Homer
möglich ist; auch ist noch nie jemand auf den Gedanken
gekommen, es anders zu übersetzen, als „Urne mit zwei
Henkeln“. Somit kann auch „δέπας ἀμφικύπελλον“ nicht
anders übersetzt werden, als „Becher mit zwei Henkeln.
Da ein wirklicher Doppelbecher doch nur von einer Seite
[281]funde in d. neuern hause oberh. d. skaeischen thores.
zur Zeit gefüllt sein kann, so würde es Homer keinenfalls
fortwährend hervorgehoben haben, dass der gefüllt hin-
gereichte Becher ein Doppelbecher war, denn es würde
kein Sinn in dem Worte sein. Er wollte aber mit ἀμφι-
κυπελλον hervorheben, dass der mit einem Henkel hinge-
reichte, gefüllte Becher mit dem andern Henkel entge-
gengenommen wurde, und liegt auf diese Weise erklärt
viel Sinn in dem Worte.


Ich fand ferner im Hause des Priamos zwei grosse
Bruchstücke einer grossen, durch eingravirte Verzierun-
gen aufs herrlichste geschmückten, glänzend gelben
Urne; dieselbe hat unter anderm mehrere herumlaufende
Reihen von Kreisen, in deren jedem man ein dreifaches
Kreuz sieht; die Eleganz des Gefässes wird noch erhöht
durch die auch auf den breiten Henkeln befindlichen
Kreise mit dreifachen Kreuzen. Es versteht sich von
selbst, dass ich sowol von diesen Bruchstücken, als auch
von jedem andern Gegenstande, der nur irgendwie In-
teresse für die Wissenschaft haben könnte, eine genaue
Zeichnung gebe.


Noch fand ich in dem Königshause einen 11½ Cen-
timeter langen, von einem Gefäss abgebrochenen Griff
in Gestalt einer Schlange.


In dem obern, neuern Hause oberhalb des
Skaeischen Thors fand ich die unten spitz zulaufende,
mit zwei Henkeln und brillenförmiger Verzierung ver-
sehene Vase No. 3087 auf Tafel 161, den hübschen
Eulenkopf No. 3082 und die herrliche, mit vier Henkeln
und Deckel versehene Vase No. 3084, die Eulenkopfvase
No. 3269, Tafel 167, die grosse Kanne No. 3088, die
einen grossen und zwei kleine Henkel hat, und viele
[282]ausgrab. zur entdeck. der festungswerke d. pergamos.
andere Vasen und Kannen, deren Beschreibung ich un-
terlasse, da sie schon oft vorgekommen sind. Von Idolen
mit Eulengesicht fand ich dort nur das auf Tafel 166, No. 2355
abgebildete. Es fanden sich dort auch viele Bruchstücke
jener grossen rothen Becher mit zwei Henkeln, in denen
ich jetzt das homerische „δέπας ἀμφικύπελλον“ erkenne.


Auf der grossen Plateforme an der Nordseite, wo
ich in letzterer Zeit nur arbeiten liess, wenn ich über-
flüssige Arbeiter hatte, lasse ich jetzt, da die Arbeit
oberhalb des Skaeischen Thors vollendet ist, wiederum
stark arbeiten; es kommen dort jetzt in 10 bis 6 Meter Tiefe
mehrere Häuser, auch in den untern Schuttschichten,
wie es scheint, eine grosse Festungsmauer zum Vorschein.


Da es höchst wichtig ist, auch zu wissen, was für
Festungswerke die Pergamos zur Zeit des trojanischen
Krieges an der West- und Nordwestseite hatte, und ich
vom Skaeischen Thor zwar noch eine 3 Meter 40 Centi-
meter dicke Mauer in westnordwestlicher Richtung
fortgehen sehe, aber in der Unmöglichkeit bin, ihr von
dieser Seite zu folgen, so habe ich schon vor acht Tagen
an der Nordwestseite der Burg, an der Stelle, wo ich
im April 1870 den ersten Einschnitt machte und die
darum auch von meinen Leuten ἡ μάμμη τῶν ἀνασκαφῶν
(die Grossmutter der Ausgrabungen) genannt wird, einen
10 Meter breiten, 43 Meter langen Graben angelegt, und
da ich gleichzeitig den Schutt auf einer am Bergab-
hange in 10½ Meter Tiefe angelegten kleinen „Plate-
forme“ und auf drei Galerien fortschaffe, der Abstand
nicht gross ist, die Schiebkarren auf ebener Fläche gehen,
ausserdem der Schutt hier sehr leicht ist und nur vom
Abhange des Berges geworfen zu werden braucht, so
[283]gegenstände von terracotta aus griechischer zeit.
geht die Arbeit sehr schnell vorwärts. Auf der untern
„Plateforme“ stiess ich auf die aus grossen behauenen und
ohne Verbindungsmittel zusammengelegten Kalksteinen
erbaute Ringmauer des Lysimachos, die 4 Meter hoch,
3 Meter dick ist und mit deren Durchbrechung ich ge-
rade fertig bin. Unmittelbar hinter derselben stosse
ich auf eine ältere, aus grossen behauenen Steinen mit
Erde zusammengesetzte Mauer von 2 Meter 70 Centi-
meter Höhe und 1 Meter 80 Centimeter Dicke, die ich
natürlich auch durchbreche. Sofort nach dieser zweiten
Mauer folgt jene Mauer von grossen behauenen Steinen,
die ich hier vor drei Jahren blosslegte und bisher für
eine Bastion hielt; es ist aber wahrscheinlich, dass es
sich als etwas anderes herausstellt, und ich werde in
meinem Nächsten ausführlich darüber berichten. Augen-
scheinlich ist diese Stelle der Pergamos im hohen Al-
terthum viel niedriger gewesen, dies scheint nicht
nur die Ringmauer, die nothwendigerweise einst bedeu-
tend über die Oberfläche des Berges hervorgeragt hat,
während sie jetzt mit 5 Meter Schutt bedeckt ist, son-
dern auch die hier sehr tief gehenden Ueberbleibsel
aus hellenischer Zeit zu beweisen. Es scheint in der
That, dass man den Kehricht und Abfall von Wirth-
schaften Jahrhundertelang hierher geworfen hat, um
diese Stelle zu erhöhen. So ist es auch erklärlich, dass
ich hier eine Masse kleiner interessanter Gegenstände
aus griechischer Zeit finde, unter andern 24 Köpfe
von Terracotta-Figuren, worunter 17 von grosser
Schönheit, die ich in Abbildung gebe; auch sehr viele
andere Bruchstücke solcher Statuetten, die von grosser
Meisterschaft zeugen. Ich gebe ferner das Bild einer
[284]reinigung der thurmfläche; keine zweite etage.
Terracotta-Platte von 14 Centimeter Länge, auf welcher
eine Frau dargestellt ist, sowie die Zeichnungen von
acht kleinen, nur 5 Centimeter langen Terracotta-Platten,
auf denen ich sehr sonderbare und mir ganz unbekannte
Gegenstände in Hautrelief sehe. Ich bilde auch die
hier gefundenen Bruchstücke einiger Gefässe von wunder-
barer Arbeit, sowie zwei herrlich verzierte Lampen
ab; weiter eine 7 Centimeter lange und breite bleierne
Platte mit einem Schweinskopf in Basrelief, und ver-
muthe, dass dies eine Münze gewesen sein mag. Auch
ein 72 Centimeter langes Gefäss höchst phantastischer
Form mit langem, ganz dünnem Fuss, langem dünnem
Hals und zwei ungeheuern Henkeln wurde hier gefun-
den, welches ich in ⅙-Grösse abbilde.


Auf der grossen Plateforme, in 4 Meter Tiefe,
wurde der höchst merkwürdige Becher No. 3063 auf
Tafel 158 gefunden, der einen Henkel und im hohlen
Fuss vier einander gegenüberstehende ovale Löcher
hat. Füsse von dieser Art Becher fand ich im vorigen
Jahre mehrfach in 14 bis 15½ Meter Tiefe, aber bis-
jetzt noch nie einen ganzen Pokal dieser Gestalt.


Da ich die Thurmfläche nicht mehr zur Fortschaffung
des Schuttes nöthig habe, so habe ich sie jetzt ganz
reinigen lassen und finde in der Mitte derselben eine
13 Meter 80 Centimeter lange, 2½ bis 4¼ Meter breite
und 90 Centimeter tiefe Senkung, die für die Bogen-
schützen gebraucht sein mag. Es stellt sich jetzt heraus,
dass das was ich im vorigen Jahre als Trümmer einer
zweiten Etage des grossen Thurmes angesehen hatte,
nur Bänke von mit Erde vereinigten Steinen sind,
deren man drei in Stufenform hintereinander sieht.
[285]besuch in bunarbaschi und gergis.
Ich erkenne hieraus, sowie aus den Mauern des Thurmes
und jenen des Skaeischen Thores, dass der Thurm nie
höher gewesen sein kann, als er jetzt ist.


Die Ausgrabungen auf der Nordseite von Herrn
Frank Calvert’s Felde zur Auffindung von fernern
Sculpturen habe ich schon vor längerer Zeit eingestellt,
da ich mich nicht mehr mit ihm einigen kann.


Ich habe jetzt nur noch zwei Aufseher, denn den
Georgios Photidas habe ich dringender Gründe wegen
vor drei Wochen entlassen müssen.


Schliesslich bemerke ich noch, dass ich während des
griechischen Osterfestes, in Gesellschaft meines geehrten
Freundes, des Gerichtsrathes Schells aus Regensburg,
[und] meiner Frau, Bunarbaschi und dessen Höhen besucht,
dort in deren Gegenwart kleine Ausgrabungen ange-
stellt und bewiesen habe, dass im Dorfe selbst die
Schuttaufhäufung nur in den Höfen der Gebäude hier
und da ½ Meter beträgt, dagegen auf und neben der
Strasse ganz reiner Urboden ist; ferner dass auf der
kleinen Baustelle von Gergis, am Ende der Höhen, die
früher mit derjenigen Trojas für identisch angesehen
wurde, überall der nackte Fels herausguckt und in der
Schuttaufhäufung, die in der Stadt selbst nirgends ½ Meter
und nur hier und da in der Akropolis etwas mehr beträgt,
nur Topfscherben aus hellenischer Zeit, nämlich aus dem
3. und 5. Jahrhundert v. Chr. zu finden sind.


Noch habe ich hinzuzufügen, dass ich jetzt meine
früher ausgesprochene Meinung, als sei Ilium bis
zum 9. Jahrhundert n. Chr. bewohnt gewesen, durch-
aus widerrufen und entschieden behaupten muss,
dass seine Baustelle schon seit dem Ende des 4. Jahr-
[286]in ilium keinerlei byzant. denkmäler.
hunderts ganz verlassen und unbewohnt geblieben
ist. Ich hatte mich irreführen lassen durch die Anga-
ben meines geehrten Freundes, des Herrn Frank Calvert
in den Dardanellen, welcher behauptete, es lägen Ur-
kunden vor, dass der Ort bis ins 13. oder 14.
Jahrhundert n. Chr. bewohnt gewesen sei. Solche
Urkunden, falls sie wirklich existiren sollten, müssen
sich nothwendigerweise auf Alexandria Troas, welches
immer nur, und so auch im Neuen Testament, schlecht-
hin Troas genannt wird, beziehen, denn dort findet man
sogar an der Oberfläche riesige Massen byzantinischer
Alterthümer, welche zu beweisen scheinen, dass die
Stadt bis ins 14. Jahrhundert oder noch länger be-
wohnt war. Hier in Ilium dagegen fehlt jegliche
Spur byzantinischer Architektur, byzantinischer Sculptur
oder byzantinischer Töpferwaare, und byzantinischer Mün-
zen. Ich fand im ganzen nur zwei kupferne Medaillen von
byzantinischen Klöstern, die von Schäfern verloren sein
mögen. Münzen von Constantin dem Grossen und
Constans II. kommen zu Hunderten vor, dagegen fehlen
die Medaillen der spätern Kaiser gänzlich.


Als ich bisher nur in der Pergamos grabend keine Spur
aus byzantinischer Zeit fand, glaubte ich, bloss die Burg sei
in byzantinischer Zeit unbewohnt, das Stadtgebiet aber be-
wohnt gewesen. Jedoch meine funfzehn Brunnen, die ich an
den verschiedensten Stellen der Baustelle Iliums grabe,
sowie die beiden bereits bis auf den Urboden gegrabe-
nen Brunnen beweisen, wie sich ja jeder überzeugen
kann, dass an und unter der Oberfläche keine Spur aus
byzantinischer Zeit ist, ja dass, eine ganz dünne Humus-
schicht abgerechnet, die übrigens nur an wenigen
[287]unmöglichkeit der existenz eines byzant. ortes.
Stellen besteht, die Trümmer aus griechischer Zeit bis
an die Oberfläche reichen, und dass ich in mehrern
Brunnen unmittelbar an der Oberfläche schon auf die
Mauern der griechischen Häuser stosse.


Es ist unmöglich, dass eine byzantinische Stadt
oder ein byzantinisches Dorf, ja auch nur ein einziges
byzantinisches Haus auf diesem, die Ruinen einer ur-
alten Stadt bergenden steinharten Boden gestanden
haben kann, ohne die deutlichsten Spuren seiner
Existenz zurückzulassen, denn hier wo es neun und
zehn Monate im Jahre nur bei den seltenen Gewittern
regnet, verwittern und vergehen die Erzeugnisse
menschlichen Kunstfleisses nicht wie in Ländern, wo
es häufig regnet; ja, die Bruchstücke von Sculpturen
und Inschriften, die ich hier in der Pergamos und auf
dem übrigen Stadtgebiete an der Oberfläche finde und
die wenigstens 1500 Jahre lang unter freiem Himmel
gelegen haben, sind noch fast ebenso frisch, als wenn
sie gestern gemacht wären.


Als ich, mich auf die Angaben des Herrn Frank
Calvert verlassend, dachte, dass Ilium noch lange unter
byzantinischer Herrschaft bewohnt gewesen sei, da
schrieb ich auch der byzantinischen Architektur jene
aus korinthischen Säulen und Cement errichtete, 3 Me-
ter dicke Mauer zu, deren Durchbrechung an der Süd-
ostecke der Pergamos mir sehr viel Mühe gekostet hat.
Jetzt aber muss ich glauben, dass der Minervatempel,
von dem diese Säulen stammen, durch den frommen Eifer
der ersten Christen schon unter Constantin dem Grossen
oder spätestens unter Constantin II. zerstört und gleich-
zeitig aus seinen Trümmern diese Mauer errichtet ist.


[288]fortsetzung der ausgrabung an der nordwestseite.

XXIII.



Seit meinem Bericht vom 10. v. M. bin ich beson-
ders bemüht gewesen, die grosse Ausgrabung an der
Nordwestseite des Berges zu beschleunigen, und habe
zu diesem Zweck auch von der Westseite einen tiefen
Einschnitt angelegt, in welchem ich leider in schräger
Richtung auf die 4 Meter hohe, 3 Meter dicke Ring-
mauer des Lysimachos stiess. Ich war somit gezwungen,
von dieser eine doppelte Masse Steine herauszubrechen,
um mir Eingang zu verschaffen, stiess aber darauf auf
die Trümmer riesiger Bauten aus hellenischer und vor-
hellenischer Zeit, sodass diese Ausgrabung nur lang-
sam fortschreiten konnte. In einer Entfernung von 21
Meter vom Bergabhange stiess ich hier, in 6 Meter
Tiefe, auf eine 1 Meter 50 Centimeter hohe, mit hervor-
stehender Zinne gebaute alte Ringmauer, die nicht mit
der vom Skaeischen Thor in westnordwestlicher Rich-
tung fortlaufenden Mauer in Verbindung steht, auch
wegen ihrer ganz verschiedenen Bauart und geringen
Höhe aus nachtrojanischer Zeit stammen muss; jedenfalls
aber ist sie viel älter als die griechische Colonie, weil
sie aus Steinen und Erde gebaut ist und ich neben ihr
mehrere marmorne Idole der ilischen Schutzgöttin fand.
[289]entdeckung des schatzes.
Ich bin leider gezwungen worden, ein 5¾ Meter langes
Stück dieser Ringmauer wegzubrechen, um weiter ar-
beiten zu können, habe aber noch ein 2¼ Meter langes
Stück vom aufgegrabenen Theil derselben stehen lassen,
so dass man diese Mauer untersuchen kann. Hinter der-
selben fand ich eine theils mit grossen Steinplatten,
theils mit mehr oder weniger behauenen Steinen ge-
pflasterte Fläche und darauf eine 6 Meter hohe, 1 Meter
80 Centimeter dicke Festungsmauer aus grossen Steinen
und Erde, die unterhalb meines hölzernen Hauses, aber
2 Meter oberhalb der vom Skaeischen Thor weiter-
gehenden trojanischen Ringmauer hinweggeht.


In der mit diesem Einschnitt in Verbindung stehen-
den neuen, grossen Excavation an der Nordwestseite
habe ich mich überzeugt, dass die im April 1870 von
mir blossgelegte herrliche Mauer von grossen behauenen
Steinen zu einem Thurm gehört, dessen unterer hervor-
tretender Theil aus der ersten Zeit der griechischen Colonie
stammen muss, während der obere Theil desselben aus der
Zeit des Lysimachos zu sein scheint. Zu diesem Thurm ge-
hört sowol die bereits in meinem letzten Berichte erwähnte,
unmittelbar auf die Ringmauer des Lysimachos folgende,
2 Meter 70 Centimeter hohe, 1 Meter 80 Centimeter breite
Mauer, als auch die 15 Meter davon entfernte Mauer von
gleichen Dimensionen, die ich ebenfalls durchbrochen
habe. Hinter der letztern legte ich in 8 bis 9 Meter
Tiefe die vom Skaeischen Thor weiter gehende troja-
nische Ringmauer bloss und stiess beim Weitergraben
auf dieser Mauer und unmittelbar neben dem Hause des
Priamos auf einen grossen kupfernen Gegenstand höchst
merkwürdiger Form, der um so mehr meine Aufmerksam-
Schliemann, Troja. 19
[290]entdeckung des schatzes.
keit auf sich zog, als ich hinter demselben Gold zu be-
merken glaubte. Auf dem kupfernen Gegenstand ruhte
eine 1½ bis 1¾ Meter dicke steinfeste Schicht von
rother Asche und calcinirten Trümmern, auf welcher
die vorerwähnte 1 Meter 80 Centimeter dicke, 6 Meter
hohe Festungsmauer lastete, die aus grossen Steinen
und Erde bestand und aus der ersten Zeit nach der
Zerstörung Trojas stammen muss. Um den Schatz der
Habsucht meiner Arbeiter zu entziehen und ihn für die
Wissenschaft zu retten, war die allergrösste Eile nöthig,
und, obgleich es noch nicht Frühstückszeit war, so liess
ich doch sogleich „païdos“ (ein ins Türkische überge-
gangenes Wort ungewisser Abkunft, welches hier an-
statt ἀνάπαυσις oder Ruhezeit gebraucht wird) ausrufen,
und während meine Arbeiter assen und ausruhten,
schnitt ich den Schatz mit einem grossen Messer heraus
was nicht ohne die allergrösste Kraftanstrengung und
die furchtbarste Lebensgefahr möglich war, denn die
grosse Festungsmauer, welche ich zu untergraben hatte,
drohte jeden Augenblick auf mich einzustürzen. Aber der
Anblick so vieler Gegenstände, von denen jeder einzelne
einen unermesslichen Werth für die Wissenschaft hat,
machte mich tollkühn und ich dachte an keine Gefahr.
Die Fortschaffung des Schatzes wäre mir aber unmög-
lich geworden ohne die Hülfe meiner lieben Frau, die
immer bereit stand, die von mir herausgeschnittenen
Gegenstände in ihren Shawl zu packen und fortzu-
tragen. Der zuerst gefundene Gegenstand war ein
grosses kupfernes Schild, ἀσπὶς ὀμφαλοειδής, in Form
eines ovalen Präsentirtellers, in dessen Mitte sich
ein von einer Rinne (αὔλαξ) umgebener Nabel befin-
[291]der schatz des priamos.
det; dieses Schild hat 50½ Centimeter Länge, ist
ganz flach und von einem 4 Centimeter hohen Rande
umgeben; der Nabel (ὀμφαλός) ist 6 Centimeter hoch
und hat 11 Centimeter im Durchmesser; die um densel-
ben befindliche Rinne hat 18 Centimeter im Durch-
messer und ist 1 Centimeter tief. Der zweite Ge-
genstand, den ich herauszog, war ein kupferner
Kessel mit zwei horizontalen Henkeln, welcher uns je-
denfalls das Bild des homerischen λέβης gibt; derselbe
hat 42 Centimeter im Durchmesser und 14 Centimeter
Höhe; der Boden ist flach und hat 20 Centimeter im
Durchmesser. Der dritte Gegenstand war eine 1 Cen-
timeter dicke, 16 Centimeter breite, 44 Centimeter
lange kupferne Platte, welche einen 2 Millimeter hohen
Rand hat; an einem Ende derselben sieht man zwei un-
bewegliche Räder mit Achse. Diese Platte ist an zwei
Stellen stark gebogen; jedoch glaube ich, dass diese
Biegungen durch die Glut geschehen sind, welcher der
Gegenstand in der Feuersbrunst ausgesetzt gewesen ist;
auf demselben ist eine silberne Vase von 12 Centimeter
Höhe und Breite festgeschmiedet, jedoch vermuthe ich,
dass dies ebenfalls nur durch Zufall in der Feuersbrunst
geschehen ist. Der vierte hervorgekommene Gegenstand
war eine kupferne Vase von 14 Centimeter Höhe und
11 Centimeter im Durchmesser. Darauf folgte eine 15
Centimeter hohe, 14 Centimeter im Durchmesser haltende
und 403 Gramm wiegende kugelrunde Flasche von
reinstem Golde mit einer angefangenen, aber nicht voll-
endeten Zickzackverzierung am Halse; ein 9 Centimeter
hoher, 7¾ Centimeter breiter, 226 Gramm schwerer
Becher ebenfalls von reinstem Golde, sowie ein 9 Centi-
19*
[292]der schatz des priamos.
meter hoher, 18¾ Centimeter langer, 18¼ Centimeter
breiter, genau 600 Gramm wiegender Becher von
reinstem Golde in Form eines Schiffes mit zwei grossen
Henkeln; auf der einen Seite ist ein 7 Centimeter, auf
der andern ein 3 Centimeter breiter Mund zum Trinken,
und mag, wie mein geehrter Freund, der Professor
Stephanos Kumanudes aus Athen bemerkt, derjenige,
welcher den gefüllten Becher hinreichte, aus dem klei-
nen Munde vorgetrunken haben, um als Ehrenbezeugung
den Gast aus dem grossen Munde trinken zu lassen.
Dies Gefäss hat einen nur um 2 Millimeter hervorstehen-
den, 3½ Centimeter langen, 2 Centimeter breiten
Fuss und ist auf jeden Fall das homerische δέπας
ἀμφικύπελλον. Ich bleibe aber fest bei meiner Behaup-
tung, dass auch alle jene hohen, glänzend rothen Becher
in Form von Champagnergläsern mit zwei gewaltigen
Henkeln δέπα ἀμφικύπελλα sind, und es wird auch diese
Form von Gold dagewesen sein. Noch muss ich die
für die Geschichte der Kunst sehr wichtige Bemerkung
machen, dass vorgesagtes goldenes δέπας ἀμφικύπελλον
gegossen ist und die grossen, nicht massiven Henkel
darangeschmiedet sind. Dagegen ist der vorerwähnte
einfache goldene Becher, sowie die goldene Flasche mit
dem Hammer getrieben. Der Schatz enthält ferner
einen kleinen, 70 Gramm wiegenden, 8 Centimeter
hohen, 6½ Centimeter breiten Becher aus mit 20 %
Silber versetztem Golde, dessen Fuss nur 2 Centimeter
hoch und 2½ Centimeter breit, ausserdem nicht ganz
gerade ist, sodass der Becher nur zum Hinstellen auf
den Mund bestimmt zu sein scheint.


Ich fand dort ferner sechs mit dem Hammer getrie-
[293]der schatz des priamos.
bene Stücke allerreinsten Silbers in Form von grossen Klin-
gen, deren eines Ende abgerundet, das andere in Gestalt
eines Halbmondes ausgeschnitten ist. Die beiden grössern
sind 21½ Centimeter lang und 5 Centimeter breit, und
wiegt eins davon 190, das andere 183 Gramm. Die dar-
auffolgenden zwei Stücke sind 18½ Centimeter lang und
4 Centimeter breit, und wiegt eins davon 174, das andere
173 Gramm; die beiden übrigen Stücke sind 17¼ Centi-
meter lang und 3 Centimeter breit, und wiegt eins
davon 173, das andere 171 Gramm. Höchst wahr-
scheinlich sind dies die homerischen Talente (τά-
λαντα), welche nur klein sein konnten, da z. B. Achilles
(Ilias, XXIII, 269) als ersten Kampfpreis eine Frau,
als zweiten ein Pferd, als dritten einen Kessel und als
vierten zwei goldene Talente aufstellt. Ich fand dort
ferner drei grosse silberne Vasen, wovon die grösste
21 Centimeter hoch, ist 20 Centimeter im Durchmesser
und einen Henkel von 14 Centimeter Länge und 9 Cen-
timeter Breite hat. Die zweite Vase ist 17½ Centimeter
hoch und hat 15 Centimeter im Durchmesser; man sieht
auf derselben den obern Theil einer andern silbernen
Vase festgeschmolzen, von der nur Bruchstücke übrig-
geblieben sind. Die dritte Vase ist 18 Centimeter hoch
und hat 15½ Centimeter im Durchmesser; am Fusse der
Vase ist viel Kupfer festgeschmolzen, welches in der
Feuersbrunst von den kupfernen Sachen des Schatzes abge-
träufelt sein muss. Alle drei Vasen sind unten kugelrund,
und können daher nicht hingestellt werden ohne ange-
lehnt zu werden. Auch fand ich dort einen 8½ Centi-
meter hohen silbernen Becher, dessen Mund 10 Centi-
meter im Durchmesser hat; ferner eine silberne Schale
[294]der schatz des priamos.
(φιάλη) von 14 Centimeter Durchmesser, sowie zwei
kleine, ganz vorzüglich gearbeitete, prachtvolle silberne
Vasen; die grössere derselben hat an jeder Seite zwei
Röhrchen zum Aufhängen an Schnüren, ist, mit
ihrem hutartigen Deckel, 20 Centimeter hoch und hat
9 Centimeter im Durchmesser im Bauch. Die kleinere,
nur mit einem Röhrchen an jeder Seite zum Aufhängen
an einer Schnur versehene silberne Vase, ist, mit ihrem
Hute, 17 Centimeter hoch und 8 Centimeter breit. Theils
auf, theils neben den goldenen und silbernen Sachen
fand ich dreizehn kupferne Lanzen von 17½, 21, 21½,
23 und 32 Centimeter Länge und 4 bis 6 Centimeter
Breite an der breitesten Stelle; in dem untern Ende
derselben sieht man ein Loch, worin bei den meisten
noch der Nagel oder Stift steckt, womit die Lanze in
der hölzernen Stange befestigt war. Die trojanischen
Lanzen waren somit ganz verschieden von den griechi-
schen und römischen, denn bei diesen wurde der Lanzen-
schaft in die Lanze, bei jenen die Lanze in den Schaft
gesteckt. Ich fand dort ferner vierzehn jener hier häufig
vorkommenden, anderswo aber noch niemals gefundenen
kupfernen Waffen, die nach einem Ende hin zwar bei-
nahe spitz aber stumpf, nach dem andern in eine breite
Schneide auslaufen; ich hielt dieselben früher für eine
besondere Art von Lanzen, bin aber jetzt nach reiflicher
Ueberlegung zur Ueberzeugung gekommen, dass sie nur
als Streitäxte gebraucht sein können; dieselben sind 16
bis 31 Centimeter lang, 1¼ bis 2 Centimeter dick und
3 bis 7½ Centimeter breit, und wiegen die grössten der-
selben 1365 Gramm. Weiter fand ich dort sieben
grosse zweischneidige kupferne Dolchmesser, die einen
[295]der schatz des priamos.
5 bis 7 Centimeter langen und am Ende unter rechtem
Winkel umgebogenen Griff haben, der einst mit Holz
eingefasst gewesen sein muss, denn wäre die Einfassung
von Knochen gewesen, so würde sie noch jetzt ganz
oder theilweise vorhanden sein. Der spitze Griff wurde
in ein Stück Holz gesteckt, sodass das Ende 1½ Centi-
meter lang hervorragte, und dies wurde einfach umge-
bogen. Das grösste dieser Messer ist 27 Centimeter
lang und an der breitesten Stelle 5½ Centimeter breit;
von einem zweiten, welches 4½ Centimeter breit ist, ist
die Spitze abgebrochen, es ist jetzt noch 22½ Centimeter
lang, scheint aber 28 Centimeter lang gewesen zu sein.
Ein dritter Dolch ist 22 Centimeter lang und misst an
der breitesten Stelle 3¾ Centimeter; ein vierter
ist in der Feuersbrunst ganz zusammengerollt, scheint
aber 28 Centimeter lang zu sein. Von dem fünften,
sechsten und siebenten Dolchmesser sind nur 10 bis
13½ Centimeter lange Bruchstücke vorhanden. Ich
glaube ausserdem in einem Packen von vier in der
Feuersbrunst zusammengeschmolzenen Lanzen und
Streitäxten noch ein Dolchmesser zu bemerken.


Von gewöhnlichen einschneidigen Messern fand sich
im Schatze nur eins von 15½ Centimeter Länge. Auch
fand ich dort das 22 Centimeter lange, 5 Centimeter
breite Bruchstück eines Schwertes, sowie eine in eine
Schneide auslaufende, 38 Centimeter lange, viereckige
kupferne Stange, die jedenfalls auch als Waffe gedient
zu haben scheint.


Da ich alle vorgenannten Gegenstände, einen vier-
eckigen Haufen bildend, zusammen, oder ineinander-
verpackt auf der Ringmauer fand, so scheint es ge-
[296]der schatz des priamos.
wiss, dass sie in einer hölzernen Kiste (φωριαμός)
lagen, wie solche in der Ilias (XXIV, 228) im Pa-
last des Priamos erwähnt werden; dies scheint um
so gewisser, als ich unmittelbar neben den Gegenstän-
den einen 10½ Centimeter langen kupfernen Schlüssel
fand, dessen 5 Centimeter langer und breiter Bart die
grösste Aehnlichkeit hat mit dem der grossen Kassen-
schlüssel in den Banken. Merkwürdigerweise hat dieser
Schlüssel einen hölzernen Griff gehabt; das wie
bei den Dolchmessern unter rechtem Winkel umgebo-
gene Ende des Schlüsselstiels lässt keinen Zweifel dar-
über.


Vermuthlich hat jemand aus der Familie des Priamos
den Schatz in aller Eile in die Kiste gepackt, diese
fortgetragen, ohne Zeit zu haben, den Schlüssel heraus-
zuziehen, ist aber auf der Mauer von Feindes Hand
oder vom Feuer erreicht und hat die Kiste im Stich lassen
müssen, die sogleich 1 Meter 50 oder 1 Meter 80 Centimeter
hoch mit der rothen Asche und den Steinen des daneben
stehenden königlichen Hauses überschüttet wurde. Viel-
leicht gehörten dem Unglücklichen, welcher den Schatz zu
retten versucht hat, die einige Tage früher in einem Raume
des königlichen Hauses und unmittelbar neben dem
Fundort des Schatzes entdeckten Gegenstände, nämlich
ein Helm und eine 18 Centimeter hohe, 14 Centimeter
breite dicke silberne Vase, in welcher ein eleganter,
11 Centimeter hoher, 9 Centimeter breiter Becher von
Elektron steckte. Der Helm wurde zertrümmert, kann je-
doch vielleicht wieder zusammengeleimt werden, da ich
alle Stücke davon habe. Die beiden obern Theile (der
φάλος) desselben sind unversehrt. Neben dem Helm fand
[297]der schatz des priamos.
ich, wie früher, eine 15 Centimeter lange gebo-
gene kupferne Stange, die auf irgendeine Weise daran
befestigt gewesen sein und zu irgendeinem Zwecke gedient
haben muss. 1 Meter 50 und 1 Meter 80 Centimeter über dem
Schatz bauten die Nachfolger der Trojaner eine 6 Meter
hohe, 1 Meter 80 Centimeter dicke Festungsmauer von
grossen behauenen und unbehauenen Steinen und Erde,
die bis 1 Meter unter der Oberfläche des Berges reicht.
Dass man den Schatz bei furchtbarer Lebensgefahr, in
zitternder Angst zutammengepackt hat, davon zeugt
unter anderm auch der Inhalt der grössten silbernen
Vase, in welcher ich ganz unten zwei prachtvolle gol-
dene Diadem (κρήδεμνα), ein Stirnband und vier
herrliche, höchst kunstvoll gefertigte Ohrgehänge
von Gold fand; darauf lagen 56 goldene Ohrringe
höchst merkwürdiger Form und 8750 kleine goldene
Ringe, durchbohrte Prismen und Würfel, goldene
Knöpfe u. s. w., die offenbar von andern Schmuck-
sachen herrühren; darauf folgten sechs goldene Arm-
bänder, und ganz oben lagen die beiden kleinern gol-
denen Becher.


Das eine Diadem ist 51 Centimeter lang und be-
steht aus einer goldenen Kette, von welcher auf jeder
Seite acht 39 Centimeter lange, ganz und gar mit
kleinen goldenen Baumblättern belegte Ketten zur Be-
deckung der Schläfe heruntergehen, und am Ende einer
jeden dieser sechzehn Ketten hängt ein 3¼ Centimeter
langes goldenes Idol mit dem Eulenkopf der ilischen
Schutzgöttin. Zwischen dieser Schläfenbedeckung sieht
man die 74 ebenfalls mit goldenen Baumblättern beleg-
ten, 10 Centimeter langen Kettchen der Stirnbedeckung,
[298]der schatz des priamos.
an deren jeder unten ein doppeltes, 2 Centimeter langes
Baumblatt hängt.


Das zweite Diadem besteht aus einem 55 Centi-
meter langen, 12 Millimeter breiten goldenen Stirnband,
von dem zur Bedeckung der Schläfen an jeder Seite
sieben, mit je elf viereckigen, mit einer Rille versehenen
Blättern geschmückte Kettchen hängen, die durch vier
Querkettchen miteinander verbunden sind und an deren
jeder unten ein 25 Millimeter langes goldenes Idol der
Schutzgöttin Trojas prangt. Die ganze Länge einer
jeden Kette mit dem Idol beträgt 26 Centimeter; diese
Idole haben fast Menschengestalt, in welcher aber der
Eulenkopf mit den beiden grossen Augen nicht zu ver-
kennen ist; ihre Breite an den Füssen ist 21 Millimeter.
Zwischen diesem Schläfenschmuck hängen 47 mit vier-
eckigen Blättchen verzierte Kettchen herab, an deren
jedem ein 18 Millimeter hohes Idol der ilischen Schutz-
göttin hängt; die Länge dieser Kettchen mit den Idolen
ist nur 10 Centimeter.


Das Stirnband ist 46 Centimeter lang und 1 Centi-
meter breit und hat an jedem Ende drei Durchbohrun-
gen; es ist durch acht vierfache Reihen von Punkten
in neun Fächer getheilt, in deren jedem man zwei grosse
Punkte sieht, und eine ununterbrochene Reihe von
Punkten ziert den ganzen Rand. Von den vier Ohrge-
hängen sind nur zwei einander vollkommen gleich; von
dem obern Theil derselben, der fast in Korbform und
mit zwei Reihen Verzierungen in Form von Perlen ge-
schmückt ist, hängen sechs mit drei kleinen viereckigen
Cylindern versehene Kettchen herunter, an deren Enden
man kleine Idole der Schutzgöttin Trojas sieht. Die
[299]der schatz des priamos.
Länge dieser beiden Ohrgehänge beträgt 9 Centimeter.
Der obere Theil der beiden andern Ohrgehänge ist
grösser und dicker, aber ebenfalls fast in Korbform, und
hängen von demselben fünf ganz mit kleinen runden
Blättchen bedeckte Kettchen herunter, an denen eben-
falls kleine, aber imposantere Idole der ilischen Schutz-
göttin befestigt sind; die Länge des einen dieser Ge-
hänge ist 9 Centimeter, die des andern 8 Centimeter.


Von den sechs goldenen Armbändern sind zwei
ganz einfach, geschlossen und von 4 Millimeter Dicke;
ein drittes ist ebenfalls geschlossen, besteht aber aus
einem verzierten Bande von 1 Millimeter Dicke [und]
7 Millimeter Breite; die drei übrigen sind doppelt und
haben umgebogene, mit einem Kopf versehene Enden.
Die Prinzessinnen, die diese Armbänder getragen haben,
müssen eine ungemein kleine Hand gehabt haben, denn
sie sind so klein, dass ein Mädchen von zehn Jahren
Mühe haben würde, sie aufzustecken.


Die 56 übrigen goldenen Ohrringe sind von ver-
schiedener Grösse, und scheinen drei derselben von den
Prinzessinnen des königlichen Hauses auch als Finger-
ringe gebraucht worden zu sein. Die Form keiner
dieser Ohrringe hat irgendwie Aehnlichkeit mit den
hellenischen, römischen, ägyptischen oder assyrischen
Ohrringen; 20 derselben laufen in vier, zehn laufen in
drei nebeneinanderliegende und zusammengeschmiedete
Blätter aus und haben daher die grösste Aehnlichkeit
mit den hier im vorigen Jahre von mir in 9 und 13 Meter
Tiefe gefundenen Ohrringen von Gold oder Elektron.
Achtzehn andere Ohrringe laufen in sechs Blätter aus,
und man sieht im Anfange derselben zwei Knöpfchen,
[300]der schatz des priamos.
in der Mitte zwei Reihen von je fünf Knöpfchen und
am Ende drei Knöpfchen. Zwei der grössten Ringe,
die wegen der Dicke des Endes keinenfalls als Ohr- und
nur als Fingerringe gebraucht zu sein scheinen, laufen
in vier Blätter aus, und sieht man im Anfang derselben
zwei, in der Mitte drei und am Ende wiederum zwei
Knöpfchen. Von den übrigen Ohrringen haben zwei die
Gestalt von drei, und vier die Gestalt von zwei neben-
einanderliegenden, herrlich geschmückten Schlangen.


Auf die Ohrringe hatte man eine Menge anderer
auf Fäden gezogener oder an Leder befestigter Schmuck-
sachen in die grosse silberne Vase gelegt, denn auf
und unter denselben fand ich, wie bereits erwähnt,
8750 kleine Gegenstände, nämlich Goldringe von nur 3
Millimeter im Durchmesser; glatte oder in Form von
Sternchen ausgeschnittene, 4 Millimeter im Durchmesser
habende, durchbohrte Würfel; 2½ Millimeter hohe, 3
Millimeter breite, der Länge nach mit acht oder sechzehn
Einschnitten verzierte, goldene durchbohrte Prismen; 5
Millimeter lange, 4 Millimeter breite, der Länge nach mit
einer Röhre zum Aufziehen versehene Baumblättchen;
kleine, 9 Millimeter lange, auf einer Seite mit einem
Knopf, auf der andern mit einem durchgehenden Loch ver-
sehene Goldstangen; 5 Millimeter lange, 2½ Millimeter
breite durchbohrte Prismen; nur 7 Millimeter im Durch-
messer habende, zusammengeschmiedete, doppelte oder
dreifache goldene Ringe mit durchgehendem Loch an
zwei Seiten zum Aufziehen; 5 Millimeter hohe goldene
Knöpfe, in deren Höhlung ein 3 Millimeter breiter
Ring oder Oese zum Annähen ist; 7½ Millimeter lange
goldene Doppelknöpfe, ganz in Gestalt unserer Hemd-
[301]der schatz des priamos.
knöpfe, die aber nicht zusammengeschmiedet, sondern
zusammengesteckt sind, denn aus der Höhlung des
einen Knopfes tritt eine 6 Millimeter lange Röhre
(αὐλίσκος), aus der andern eine ebenso lange Stange
(ἔμβολον) hervor, und steckt man einfach die Stange in die
Röhre, um den Doppelknopf zu bilden. Diese Doppel-
knöpfe können wol nur als Zierathen von ledernen
Sachen, so z. B. an Schwert-, Schild- oder Messerge-
henken (τελαμῶνες) gebraucht worden sein. Ich fand
dort auch zwei goldene Cylinder von 3 Millimeter Dicke
und 19 Millimeter Länge, sowie ein goldenes Stäbchen
von 21 Millimeter Länge und 1½ bis 2 Millimeter Dicke;
es hat an einem Ende ein durchgehendes Loch zum
Aufhängen, an der andern Seite sechs herumgehende
Einschnitte, welche dem Gegenstand das Ansehen einer
Schraube geben; nur mittels einer Loupe erkennt man,
dass es keine wirkliche Schraube ist.


Noch fand ich dort zwei Stücke Gold, wovon das
eine 4¾, das andere 5¼ Centimeter lang ist; jedes der-
selben hat 21 Durchbohrungen.


Derjenige, welcher versucht hat, den Schatz zu
retten, hat glücklicherweise die Geistesgegenwart ge-
habt, die grosse silberne Vase mit den beschriebenen
Kostbarkeiten aufrecht in die Kiste zu stellen, so-
dass nicht eine Perle heraus gefallen und alles unver-
sehrt geblieben ist.


Mein geehrter Freund, der durch seine Entdeckun-
gen und Schriften bekannte Chemiker Landerer in
Athen, welcher alle im Schatze enthaltenen kupfernen
Gegenstände aufs genaueste untersucht und Bruchstücke
davon analysirt hat, findet, dass alle, ohne jegliche Bei-
[302]aufsuch. d. ringmauer; neuentd. zimmer im hause d. priam.
mischung von Zinn oder Zink, aus reinem Kupfer be-
stehen, welches, um es haltbarer zu machen, geschmiedet
worden (σφυρήλατον) ist.


Da ich hoffte, hier weitere Schätze zu finden, auch
wünschte, die trojanische Ringmauer, deren Bau Homer
(Ilias, VII, 452—453) dem Neptun und dem Apollo zu-
schreibt, bis ans Skaeische Thor ans Licht zu bringen,
so habe ich die theilweise auf derselben lastende obere
Mauer auf eine Strecke von 17½ Meter ganz weg ge-
gebrochen. Die Besucher der Troade erkennen dieselbe
aber noch, dem Skaeischen Thor gegenüber, in der nord-
westlichen Erdwand. Auch habe ich noch den unge-
heuern Erdklotz weggebrochen, welcher meinen westlichen
und nordwestlichen Einschnitt vom grossen Thurm trennte,
musste aber zu diesem Zweck mein grösseres hölzernes Haus
wegbrechen, auch zur leichtern Fortschaffung des Schuttes
das Skaeische Thor überbrücken. Das Resultat dieser
neuen Ausgrabung ist für die Wissenschaft sehr lohnend
gewesen, denn ich habe mehrere Wände, auch ein
6 Meter langes und breites Zimmer des königlichen
Hauses aufdecken können, auf welchem keine Bauten
aus späterer Zeit lasten. Unter den dort gefundenen
Gegenständen hebe ich nur hervor eine auf einem vier-
eckigen, oben mit zwei nicht durchgehenden Löchern
und einem herumgehenden Einschnitt versehenen Stück
rothen Schiefers befindliche, ausgezeichnet eingravirte
Inschrift, von der aber weder mein gelehrter Freund,
Herr Emile Burnouf, noch ich selbst zu sagen vermag,
welcher Sprache sie angehört; ferner einige interessante
Terracottas, worunter ein Gefäss ganz in Form eines
modernen Fasses und mit einer Röhre in der Mitte zum
[303]zerstreute theile des schatzes; griech. terracotta-köpfe.
Eingiessen und Ablaufen der Flüssigkeit. Auch fanden
sich auf der trojanischen Ringmauer, ½ Meter unterhalb
der Stelle, wo der Schatz entdeckt war, drei silberne
Schalen (φιάλαι), wovon zwei beim Abgraben des Schuttes
zerschlagen wurden; dieselben können jedoch wieder
zusammengesetzt werden, da ich alle Stücke davon habe.
Diese Schalen scheinen jedenfalls zum Schatze gehört
zu haben, und wenn derselbe sonst ganz von unsern
Hackeisen verschont geblieben ist, so habe ich dies den
erwähnten grossen kupfernen Geräthen zu verdanken,
welche hervorstanden, sodass ich alles mit dem Messer
aus dem harten Schutt herausschneiden konnte.


Wie ich jetzt sehe, war mein erwähnter, im April
1870 angelegter Einschnitt ganz an der richtigen Stelle
gemacht, denn wenn ich ihn nur fortgesetzt hätte, so
würde ich schon damals in einigen Wochen die merk-
würdigsten Bauten Trojas, nämlich das Haus des Priamos,
das Skaeische Thor, die grosse Ringmauer und Iliums
grossen Thurm ans Licht gebracht haben, während ich,
weil ich später diesen Einschnitt vernachlässigte, riesige
Einschnitte von Osten nach Westen und von Norden
nach Süden durch den ganzen Berg zu machen hatte,
um sie zu finden.


In den obern Schichten der neuen nordwestlichen
und westlichen Ausgrabungen wurde noch eine grosse
Menge Köpfe von herrlichen Terracotta-Figuren aus
bester hellenischer Zeit gefunden, und in 7 Meter Tiefe
einige Idole, sowie der obere Theil einer Vase mit
Eulengesicht und einem Deckel in Form eines Helmes.
Solche Deckel, auf deren Rande man durch Einschnitte
das Frauenhaar angedeutet sieht, kommen hier in allen
[304]bestmmung der ausdehnung trojas.
Schuttschichten zwischen 4 und 10 Meter Tiefe sehr
häufig vor, und da sie zu Vasen mit Eulengesichtern gehören,
so kann man sich nach der Zahl solcher Deckel einen Be-
griff machen von der Menge der hier in Troja vorhandenge-
wesenen Vasen mit dem Bilde der eulenköpfigen Minerva.


Aber Troja war nicht gross; ich habe im ganzen
20 Brunnen im Westen, Südwesten, Süden, Südosten
und Osten der Pergamos, unmittelbar am Fusse dersel-
ben oder in einiger Entfernung davon, auf dem Plateau
des Ilion der griechischen Colonie bis zum Fels gegra-
ben, und da ich in keinem derselben eine Spur, weder
von trojanischen Topfscherben oder trojanischen Haus-
mauern, und nur hellenische Topfscherben und helle-
nische Hausmauern finde, da ferner der Berg der Per-
gamos auf der dem Hellespont zugewandten Nordwest-,
Nord- und Nordostseite sehr steil nach der Ebene ab-
fällt, sodass in keiner dieser Richtungen die Ausdeh-
nung der Stadt möglich war, so erkläre ich jetzt aufs
entschiedenste, dass sich unmöglich die Stadt des
Priamos nachirgend einer Seite hin über die uralte
Bergfläche dieser Festung hinaus ausgedehnt haben
kann, deren Umfang uns nach Süden und Südwesten
durch den grossen Thurm und das Skaeische Thor, nach
Nordwesten, Nordosten und Osten durch die trojanische
Ringmauer angedeutet ist. An der Nordseite bestand
dieselbe, da die Stadt von dieser Seite so stark von der
Natur befestigt war, nur aus jenen, einen grossen Wall
bildenden, lose aufeinandergelegten grossen Stein-
blöcken, deren Fortschaffung mir im vorigen Jahre so
ungeheuere Schwierigkeiten gemacht hat. Man erkennt
diese Mauer aber auf den ersten Blick gleich rechts im
[305]die ueberlieferung homer’s.
nördlichen Eingang meines grossen, durch den ganzen
Berg führenden Einschnitts.


Es thut mir ungemein leid, einen so kleinen Plan
von Troja geben zu müssen, ja ich hätte gewünscht, ihn
tausendmal grösser machen zu können; aber die Wahrheit
geht mir über alles, und ich freue mich, durch meine
dreijährigen Ausgrabungen, wenn auch nur in verklei-
nertem Massstabe, das homerische Troja aufgedeckt und
bewiesen zu haben, dass die Ilias auf wirkliche That-
sachen basirt ist.


Homer ist ein epischer Dichter, und kein Historiker,
und ist es ganz natürlich, dass er alles mit dichterischer
Freiheit übertreibt; überdies sind die Ereignisse, die er
schildert, so wunderbar, dass gar viele Gelehrte seit
langer Zeit die Existenz Trojas in Zweifel gezogen und
diese Stadt als ein blosses Phantasiebild des Poeten an-
gesehen haben. Ich wage daher zu hoffen, dass die
civilisirte Welt nicht nur nicht darüber entrüstet sein
wird, dass die Stadt des Priamos sich kaum ein Zwanzigstel
so gross herausstellt, als nach den Angaben der Ilias zu
erwarten wäre, sondern im Gegentheil, dass sie mit
Wonnegefühl und Begeisterung die Gewissheit entge-
gennehmen wird, dass Ilium wirklich da war, dass es
jetzt einem grossen Theil nach ans Licht gebracht ist,
und dass Homer, wenn er auch vergrösserte, doch wirklich
stattgefundene Ereignisse besingt. Ueberdies sollte man
auch bedenken, dass die sich jetzt auf diesen kleinen
Berg reducirende Baustelle von Troja doch noch ebenso
gross oder grösser ist als die der Königsstadt Athen,
welche auf die Akropolis beschränkt war, erst durch
die von Theseus hinzugefügten zwölf Dörfer sich ausser-
Schliemann, Troja. 20
[306]grösse trojas ursprünglich und zu homer’s zeit.
halb derselben ausdehnte und daher im Plural Ἀϑῆναι
genannt wurde. Ebenso ist es wahrscheinlich auch mit
der von Homer als goldreich beschriebenen Stadt
Μυκῆναι geschehen, die (Ilias, IV, 52) auch im Singular
vorkommt.


Aber das kleine Troja war für damalige Verhält-
nisse unermesslich reich, denn ich finde hier einen
Schatz von goldenen und silbernen Sachen, wie man
ihn jetzt kaum in einem kaiserlichen Palast finden kann;
und da die Stadt reich war, so war sie auch mächtig
und herrschte über ein grosses Gebiet.


Trojas Häuser waren, wie aus der Dicke der Mauern
und der kolossalen Schuttaufhäufung hervorgeht, alle
sehr hoch und hatten mehrere Etagen; aber nehmen
wir selbst dreistöckige und dicht nebeneinander-
stehende Häuser an, so kann die Stadt doch nicht mehr
als 5000 Einwohner gehabt und nicht über 500 Soldaten
gestellt haben, aber sie mochte immerhin aus ihren Unter-
thanen ein ansehnliches Heer zusammenbringen, und da
sie reich und mächtig war, so bekam sie Hülfstruppen
von allen Seiten.


Eine besondere Akropolis hatte Troja also nicht,
dieselbe war aber für die grossen Thaten der Ilias
nöthig, wurde daher von Homer hinzugedichtet und von
ihm Pergamos genannt, ein Wort ganz unbekannter
Abstammung.


Da ich in keinem meiner Brunnen Spuren der
Töpferwaare der Nachfolger der Trojaner bis zur An-
kunft der griechischen Colonie finde, so ist auch mit
Bestimmtheit anzunehmen, dass sich Troja zu Homer’s
Zeit nur um das Wenige vergrössert hatte, was durch
[307]troja zur zeit homer’s.
die Schuttaufhäufung bei der Zerstörung der Stadt
hinzugekommen war. Homer kann nie Iliums grossen
Thurm, die Ringmauer des Neptun und Apollo, das
Skaeische Thor oder Priam’s Palast gesehen haben, denn
alle diese Monumente waren tief im Schutt begraben,
und er stellte keine Ausgrabungen an, um sie ans Licht
zu bringen. Er kannte diese Denkmäler unsterblichen
Ruhmes nur vom Hörensagen, denn des alten Troja tra-
gisches Ende war noch in frischem Andenken, und
bereits seit Jahrhunderten im Munde aller Sänger.


Tempel sind im Homer noch sehr selten, und wenn-
gleich er hier einen Tempel der Minerva erwähnt, so
ist, in Betracht der Kleinheit der Stadt, doch sehr zu
bezweifeln, ob wirklich einer vorhanden war. Vermuth-
lich hatte die Schutzgöttin damals nur noch erst jenen
von mir aufgedeckten Opferaltar, dessen Halbmond-
gestalt grosse Aehnlichkeit hat mit dem obern Theil
des elfenbeinernen Idols No. 665 auf Tafel 25, sowie mit
dem einen Ende der sechs Talanta des Schatzes.


Die Lage, Grösse und Tiefe aller meiner 20 Brunnen
findet man auf meinem Plan des Ilion der griechischen
Colonie aufs genaueste angegeben; ich unterlasse
daher, diese Angaben hier zu wiederholen, um den
Leser nicht zu ermüden. Ich füge ferner einen genauen
Plan meiner Ausgrabungen, einen Plan der Stadt Troja
zur Zeit der grossen Zerstörung und einen Plan des
Skaeischen Thors und des grossen Thurmes von Ilium bei.


Das Skaeische Thor gibt uns das Alter des könig-
lichen Gebäudes, vor dem es liegt, und der Töpfer-
waare, welche man im letztern findet. Diese Töpfer-
waare ist zwar besser als die hier im allgemeinen in
20*
[308]verhältniss der versch. trümmerschichten zueinannder.
7 bis 10 Meter Tiefe vorkommende, aber sie ist dieser
durchaus ähnlich, und gehören daher alle Trümmer-
schichten dieser Tiefen dem trojanischen Volke an; diese
Trümmerschichten bestehen aus rother, gelber, hin
und wieder schwarzer Holzasche, und trägt jeder darin
vorkommende Stein das Gepräge der furchtbaren Glut,
welcher er ausgesetzt gewesen ist. In diesen Schutt-
schichten kommen jene, in 13 bis 16 Meter Tiefe sich finden-
den, glänzend schwarzen Teller und Schüsseln mit einer
langen horizontalen Röhre an jeder Seite und Vasen
mit zwei langen Röhren an jeder Seite gar nicht vor;
auch ist die Qualität und Form der Gefässe in den un-
tersten Schuttschichten so ganz und gar von jenen der
Gefässe in 7 bis 10 Meter Tiefe verschieden, dass sie
keinesfalls von demselben Volke herstammen können;
sie sind aber jedenfalls von einer verwandten Nation
arischer Rasse, da sie die kleinen, mit arischen religiösen
Symbolen verzierten Vulkane und Carrousele, auch die
Idole der ilischen Minerva mit den trojanischen Schutt-
schichten gemein haben. Ich glaubte früher in jenem
urältesten Volk die Trojaner zu erkennen, weil ich bei
ihm Bruchstücke des δέπας ἀμφικύπελλον gefunden zu
haben meinte, erkenne aber jetzt das Volk des
Priamos in der darauffolgenden Nation, weil ich bei
dieser das wirkliche δέπας αμφικύπελλον von Gold und
Terracotta, sowie das Skäische Thor aufgefunden
habe.


Wie mehrere Geologen, die mich hier besuchten,
behaupten und wie auch der Ingenieur Adolphe Laurent
bestätigt, der jetzt zu mir zurückgekehrt ist, um mir
bei den letzten Arbeiten zu helfen, auch um neue Pläne
[309]strabo’s ueberlieferung.
aufzunehmen, rührt die sich in durchschnittlich 9 Meter
Tiefe durch den grössten Theil des Berges ziehende
Schlackenschicht von geschmolzenem Blei- und Kupfer-
erz her, welches hier zur Zeit von Trojas Zerstörung in
grossen Massen vorhanden gewesen sein muss.


Strabo sagt (XIII, § 599, Ausgabe Forbiger): „Von
der alten Stadt (Troja) hat sich keine Spur erhalten.
Sehr natürlich, denn da die Städte ringsum zwar ver-
wüstet, jedoch nicht ganz zerstört waren, sie aber von
Grund aus geschleift war, so wurden alle Steine zur
Wiederherstellung jener weggeführt. So soll wenigstens
Archäanax aus Mitylene mit den Steinen von dort her
Sigeum ummauert haben.“ Diese Angaben Strabo’s
sind aber durchaus falsch, und ist die Sage des Alter-
thums, als sei Troja von Grund aus geschleift, nur da-
durch zu erklären, dass es, tief in kolossalen Massen von
Holzasche und Steinen begraben, von einer neuen Stadt
überbaut, und diese, wiederum zerstört, abermals von
Gebäuden überbaut wurde, die ein gleiches Schicksal
hatten, bis endlich die auf Troja lastende Schuttmasse
6 bis 8 Meter Dicke erreichte und auf dieser die Akropolis
des Ilion der griechischen Colonie gegründet wurde.


Infolge meinr früheren irrigen Idee, dass Troja
nur auf dem Urboden und ganz nahe darüber zu suchen
sei, ist leider 1871 und 1872 ein grosser Theil der
Stadt von mir zerstört worden, denn ich habe damals
alle mir in den höhern Schuttschichten in den Weg
kommenden Hauswände niedergebrochen. Sobald ich
aber in diesem Jahre durch klare Beweise zur bestimm-
ten Ueberzeugung gelangt war, dass Troja nicht auf
dem Urboden, sondern in 7 bis 10 Meter Tiefe zu suchen
[310]bauart der häuser.
ist, habe ich in diesen Schuttschichten keine Hauswand
mehr niedergebrochen, und sind auf diese Weise in
meinen diesjährigen Ausgrabungen eine Menge von
trojanischen Häusern ans Licht gekommen, die noch
jahrhundertelang stehen und die Besucher der Troade
überzeugen können, dass die Steine der trojanischen
Bauten nie zum Bau anderer Städte benutzt sein können,
denn sie sind meistentheils noch in situ, überdies
sind sie klein, und findet man solche Steine zu Millionen
auf allen Feldern der hiesigen Gegend.


Werthvolle Steine, wie die grossen Platten des vom
Skaeischen Thor zur Ebene führenden Weges, sowie die
grossen Steine der Ringmauer und des grossen Thurmes,
sind nicht angerührt, und fehlt am Skaeischen Thor nicht
ein einziger Stein. Ja, mit Ausnahme der von mir zer-
störten Häuser würde man, wie in Pompejï, die
Gerippe aller Häuser aufdecken können. Letztere
müssen, wie bereits erwähnt, sehr hoch gewesen und
in denselben sehr viel Holz verwandt sein, denn sonst
könnte durch die Feuersbrunst nicht eine so gewaltige
Masse Asche und Schutt erzeugt sein.


In meinen Ausgrabungen in 1871 und 1872 fand
ich, in 7 bis 10 Meter Tiefe, nur Hauswände von
an der Sonne getrockneten Ziegeln; wie man sich in
den von mir aufgedeckten und erhaltenen Häusern
überzeugen kann, kam diese Bauart auch in diesem
Jahre fast ausschliesslich vor, nur die Bauten neben dem
Skaeischen Thor, sowie einige Häuser in den Tiefen des
Minervatempels sind von Steinen und Erde gemacht.


Wie aus meinem Plane der Baustelle Trojas er-
sichtlich ist, habe ich zwei Drittel der ganzen Stadt
[311]ausgrabung an der nordseite des berges.
aufgegraben, und da ich den grossen Thurm, das
Skaeische Thor, die trojanische Ringmauer, das könig-
liche Haus, den Opferaltar der ilischen Minerva u. s. w.
ans Licht gebracht, die vornehmsten Häuser und
überhaupt den bestgelegenen Theil der Stadt auf-
gedeckt und von allen Gegenständen des häuslichen
Lebens und der Gottesverehrung der Trojaner eine
überaus reiche Sammlung zusammengebracht habe, so
ist es nicht denkbar, dass die Wissenschaft durch fernere
Ausgrabungen noch etwas sollte gewinnen können.
Sollten aber dennoch meine Ausgrabungen noch einmal
fortgesetzt werden, dann bitte ich die Grabenden drin-
gend, so wie ich es gemacht habe, den abzugrabenden
Schutt vom Abhange des Berges werfen und nicht mit
demselben meine, mit so ungeheuerer Mühe und grossen
Kosten gemachten riesigen Einschnitte ausfüllen zu
lassen, denn diese sind von hohem Werth für die Wis-
senschaft, da man in denselben alle Schuttschichten, vom
Urboden bis zur Oberfläche des Berges mit leichter
Mühe untersuchen kann.


Ich habe jetzt auch an der Nordseite des Berges
in 13 Meter Tiefe verschiedene Hauswände aufgedeckt,
auch den Anfang jener bereits früher erwähnten merk-
würdigen Festungsmauer, deren Fortsetzung man in dem
Labyrinth von Hauswänden in den Tiefen des Minerva-
tempels sieht. Auch habe ich an der Nordseite, ober-
halb des Urbodens, einen Theil des früher erwähnten
Pflasters von kleinen, runden, weissen Meersteinen ans
Licht gebracht, und man sieht unterhalb desselben die
verbrannten Trümmer eines dort früher befindlichen
Gebäudes.


[312]neugefundene terracotten.

Von sehr merkwürdigen, seit meinem letzten Bericht
gefundenen Terracottas erwähne ich noch zwei an der
Nordseite in 7 bis 8 Meter Tiefe entdeckte Kannen,
wovon jede zwei aufrecht nebeneinanderstehende Hälse
hat, deren Henkel sich aber vereinigen; die eine der-
selben hat auch neben den Münden oder Oeffnungen
zwei kleine Erhöhungen, die wol Augen andeuten sollen.
Von einer dritten Kanne dieser Art habe ich nur den
obern Theil. Ich erwähne weiter einen in 4 Meter
Tiefe gefundenen, höchst sonderbaren Becher, der aus
einer auf drei Füsse gestützten und in zwei kleine und
einen grossen Pokal auslaufenden Röhre besteht; der
grössere Pokal ist durch einen Henkel mit der entge-
gengesetzten Seite der Röhre verbunden; ferner aus
gleicher Tiefe eine grosse, mit drei Füssen und zwei
sehr hübschen Henkeln und Röhren zum Aufhängen
versehene und mit Einschnitten verzierte Vase, auf deren
einer Seite man eine kleine separate Vase hervorstehen
sieht. Ebenfalls in 4 Meter Tiefe fand ich eine Vase mit
zwei Frauenbrüsten, zwei grossen Henkeln und Buch-
staben ähnlichen Einschnitten. Von höchst sonderbaren
Terracottas erwähne ich ferner drei mit drei Reihen
von Durchbohrungen versehene Töpfe mit gewöhnlichem
Henkel an einer Seite und an der andern Seite mit drei
Füssen, sowie drei auf allen Seiten ringsherum von un-
ten bis oben mit Durchbohrungen versehene grosse
Vasen, wovon ich zwei auf Tafel 217 abbilde; der Ge-
brauch derselben ist mir ein Räthsel; sollten sie als
Bienenkörbe gedient haben? Auch ein Gefäss in Ge-
stalt eines Schweines mit vier Füssen, die aber kür-
zer sind als der Bauch, sodass es nicht darauf hinge-
[313]idole der minerva.
stellt werden kann; der auf dem Rücken des Schweines
angebrachte Hals des Gefässes ist durch einen Henkel
mit dem Hintertheil verbunden. Ferner fand sich ein Topf
in Gestalt eines Korbes mit einem über die Oeffnung
gehenden Henkel und einer Röhre im Bauch zum Ab-
laufen der Flüssigkeit. Auch zwei Trichter von Terra-
cotta aus 3 Meter Tiefe, mit einem Schriftzug, der be-
reits mehrfach auf den von mir abgebildeten Terracottas
vorgekommen ist und daher wahrscheinlich zu entziffern
sein wird; in 1½ Meter Tiefe eines jener runden,
zweimal durchbohrten Stücke Terracotta mit einem
Stempel, in welchem man ägyptische Hieroglyphen sieht,
sowie ein Dutzend gleicher Stücke, in deren Stempeln
man ein gekröntes Haupt, einen Vogel, einen Hunds-
kopf, einen fliegenden Menschen oder einen Adler und
einen Hirsch sieht; in 5 Meter Tiefe der Griff
eines Bechers mit herrlich modellirtem Ochsenkopf, es
stellt derselbe vermuthlich die βοῶπις πότνια Ἥρη vor,
jedoch lässt sich dies nicht beweisen, da ich bis dahin
noch kein Idol mit Ochsenkopf fand. Ebenso kann ich
nicht beweisen, dass die hier häufig vorkommenden
Stücke Terracotta in Form von Pferdeköpfen die Mutter
der Juno, die Cybele oder Rhea darstellen sollen, wahr-
scheinlich ist es aber, denn diese wurde bekanntlich
in Phrygien mit einem Pferdekopf abgebildet. Terra-
cotta-Idole der ilischen Minerva sind selten; mar-
morne Bilder dieser Göttin kommen aber täglich vor;
die meisten sind beinahe in Menschengestalt; es kommen
aber auch häufig unbearbeitete, oblonge, platte Stücke
Marmor vor, auf denen ihr Eulenkopf mehr oder weni-
ger tief eingeschnitten ist, und oft ist er so fein einge-
[314]münzen.
ritzt, dass man eine Lupe zur Hülfe nehmen muss, um
sich zu überzeugen, dass er auch wirklich vorhanden
ist; mehrmals sind mir auch solche Stücke mit einem
mit schwarzer Farbe darauf gemalten Eulenkopf vorge-
kommen. Seitdem ich zu der Einsicht gekommen bin,
dass diese Idole die trojanische Schutzgöttin darstellen,
habe ich sie sorgfältig gesammelt, 1871 und 1872
müssen wir aber sieben Achtel aller marmornen Idole
verloren gegangen sein, da ich damals noch keine Idee
von ihrer Bedeutung hatte.


Bei Abgrabung der Stelle, wo mein hölzernes Haus
gestanden hat, wurden in ¼ bis ½ Meter Tiefe achtzehn
kupferne und zwei silberne Medaillen gefunden; die
eine der letztern ist von Marcus Aurelius, die andere
ist ein τετράδραχμον und stammt von der Insel Tenedos;
auf der Vorderseite derselben sieht man rechts den
Kopf des Jupiter, links den der Juno, beide haben
einen gemeinschaftlichen Hals, wie die Köpfe des
Janus. Der Kopf des Jupiter ist mit Lorberzweigen
bekränzt, derjenige der Juno hat einen Kranz oder eine
Krone. Auf der Rückseite zeigt die Münze am Rande
herum einen Lorberkranz und in der Mitte ein grosses
Doppelbeil, über welchem man das Wort ΤЕΝЕΔІΩΝ
sieht; unten rechts vom Stiele des Doppelbeils sieht
man einen geflügelten Eros, welcher einen schwer zu
erkennenden Gegenstand emporhält, links eine Wein-
traube und ein Monogramm, welches einem A ähnlich
sieht.


Von den kupfernen Münzen sind fünf von Alexandria
Troas, zwei von Ophrynium, eine von Tenedos, zwei
von Abydos, eine von Dardania; zwei haben auf einer
[315]inschriften.
Seite das Brustbild der Julia Domna mit der Aufschrift
ІΟΥΛІΑ ΣЕΒΑΣΤΗ; die eine davon hat auf der
andern Seite die ganze Gestalt dieser Kaiserin mit der
Aufschrift ІΛІЕΩΝ, und die andere das Bild des Hektor
mit der Aufschrift ІΛІЕΩΝϵΚΤΩΡ. Die übrigen Me-
daillen sind aus Ilion von älterer Zeit und haben auf
der einen Seite das Brustbild der Minerva auf der an-
dern die Aufschrift ІΛІЕΩΝ


Als ich Anfang April dieses Jahres den vom
Skaeischen Thor nach der Ebene führenden, mit grossen
Steinplatten gepflasterten Weg blosslegte, sahen letztere
noch so neu aus, als wenn sie erst eben gehauen wären.
Seitdem aber bröckeln, unter dem Einflusse der glühen-
den Sonne, die Steinplatten des obern Theils des Weges,
welche besonders von der Feuersbrunst gelitten haben,
die Troja zerstörte, rasch weg, und werden dieselben
vermuthlich in wenigen Jahren ganz verschwunden sein.
Dagegen können die Platten der nordwestlichen Hälfte
dieses Weges, welche weniger der Glut ausgesetzt ge-
wesen sind, noch viele Jahrhunderte erhalten bleiben.


Unter meinem hölzernen Hause wurden, in ½ bis
1 Meter Tiefe, nachstehende Inschriften gefunden,
nämlich:


[316]inschriften.
[figure]
[...]

[317]inschriften.

Diese Inschrift enthält einen Contract für eine Ansiede-
lung und gibt die Namen der zur Begründung dersel-
ben auserwählten Männer; Σκαδρεῖς ist ein bisjetzt noch
nie vorgekommenes, unbekanntes Wort.


[figure]
[...]

[318]schluss der ausgrab.: empfehl. für künftig grabende.
[...]

Indem ich heute die Ausgrabungen in Ilium auf
immer einstelle, kann ich nicht umhin, Gott inbrünstig
für den grossen Segen zu danken, dass trotz der furcht-
baren Gefahr, der wir hier in den dreijährigen riesigen
Excavationen, bei dem immerwährenden Sturm ausge-
setzt gewesen sind, kein Unglück vorgefallen, niemand
getödtet, ja sogar keiner gefährlich verletzt worden ist.


Schliesslich kann ich nicht umhin, allen denjenigen,
welche früher oder später in der Ebene von Troja oder
in der Umgegend Ausgrabungen zu machen wünschen,
den Nikolaos Saphyros Jannakis aus dem benachbarten
Dorf Renkoï aufs angelegentlichste zu empfehlen; der-
selbe ist hier seit April 1870, während aller meiner
Ausgrabungen, mein Bedienter, Koch und Kassirer ge-
wesen, und ist besonders in letzterer Eigenschaft wegen
seiner erprobten Treue, auch weil er den Namen und
die Arbeitsfähigkeit eines jeden Arbeiters in der Troade
kennt, ganz unübertrefflich, dazu ist er wegen seiner
Grösse, seiner herculischen Stärke, seiner Gewandtheit
und seiner gründlichen Kenntniss der türkischen Sprache
ganz ausgezeichnet befähigt zur Beseitigung der hier
bei den Ausgrabungen fortwährend auftauchenden
Schwierigkeiten mit den türkischen Behörden. Ebenso
kann ich meinen Aufseher Spiridion Demetrios aus Athen
und den Kapitän Georgios Tsirogiannis aus Limne in
[319]empfehlungen für künftig grabende.
Euboea ganz besonders empfehlen, denn dieselben haben
hier durch lange Erfahrung gelernt, wie riesige Schutt-
massen am leichtesten fortzuschaffen sind, und sie
haben ausserdem die Gabe des Commandos. Auch
meinen talentvollen Maler Polychronios Lempesis aus
Salamis, der hier alle Zeichnungen meines Werkes von
Tafel 119 bis 190 gemacht hat, kann ich als ganz vor-
züglich empfehlen. Endlich kann ich als ganz ausge-
zeichnet hervorheben meinen Ingenieur Adolphe Laurent,
welcher mir die ersten und die letzten Pläne angefer-
tigt hat.


[[320]]

Da der jetzige Name des Simoïs, Dumbrek kein
türkisches Wort ist, so will man darin eine Corruption
des Namens Thymbrius erkennen, und somit beweisen,
dass der am Fusse der Trümmer von Ophrynium vor-
beifliessende, das nordöstliche Thal der Ebene von Troja
durchströmende und sich vor Ilium in den Kalifatli-
Asmak, das uralte Bett des Scamander, werfende Fluss
der Thymbrius ist und unmöglich der Simoïs sein kann.


Ich erwidere darauf: dass kein Beispiel vorhanden
ist, dass ein griechischer auf os endigender Name auf
türkisch durch ein mit einem k endigendes Wort
wiedergegeben wäre; ferner dass Dumbrek jedenfalls
eine Corruption der beiden türkischen Worte [...] [...],
Don barek, sein muss. Don heisst Eis und barek drückt
den Besitz oder die Wohnung aus; die beiden Worte
würden daher soviel heissen, als Eis innehabend, und
dürfte sich der Name dadurch erklären, dass die durch
den Simoïs verursachten Ueberschwemmungen öfter bei
der Winterkälte gefrieren und die ganze Nordost-Ebene
eine Eisdecke bildet. Im ganzen Alterthum aber
wurde dieser Fluss Simoïs genannt, denn nach Strabo
(XIII, 1, S. 103) war auf einem Hügel zu Ophrynium
das dem Hektor geweihte Wäldchen; nach Lykophron
(Kassandra) war der Held in Ophrynium begraben, und
nach Virgil (Aeneis, III, 302—305), welcher der gewis-
senhafteste Ueberlieferer der Traditionen ist, war das
Grab Hektor’s im Wäldchen nahe am Ufer des Simoïs.

Appendix A

Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.

Appendix B

[[321]]

Verzeichniss des specifischen Gewichts in Grammen der in den verschiedenen Tiefen in der Pergamos
von Troja gefundenen Stücke Terracotta in Form von Cylindern, Kegeln, Pyramiden u. s. w., die dem
Anscheine nach als Gewichte gebraucht sind.


[[322]]

Verzeichniss des specifischen Gewichts in Grammen der in den verschiedenen Tiefen der Pergamos
von Troja gefundenen runden Steine, welche dem Anscheine nach als Gewichte gebraucht sind.


[[323]]

Herr Ernest Chantre, Unterdirector des Museums
in Lyon, sendet mir soeben das Resultat der von dem
berühmten Chemiker Herrn Damour in Lyon gemachten
Analyse der trojanischen Waffen, wovon ich drei an-
gebohrt und den Bohrstaub zur Untersuchung eingesandt
hatte:


  • No. 1. Bohrstaub aus einer Streitaxt des Schatzes.

Analyse.


  • No. 2. Bohrstaub aus einer andern Streitaxt des Schatzes.

Analyse.


[[324]]
  • No. 3. Bohrstaub aus einer gewöhnlichen zweischnei-
    digen, in 1 Meter Tiefe und somit in den
    Trümmerschichten der griechischen Colonie ge-
    fundenen Axt.

Analyse.


  • No. 4. Bohrstaub aus einer äusserlich mit Grünspan
    bedeckten und inwendig eisenfarbigen troja-
    nischen Schleuder.

Analyse.


Athen, 1. Januar 1874.


Dr. H. Schliemann.


[][][]
Notes
1.
Deutsche Uebersetzung: „Ithaka, der Peloponnes und Troja. Archäo-
logische Forschungen“. (Leipzig, Giesecke u. Devrient 1869.)
1.
S. die Pläne Taf. 116 und Taf. 117.
1.
Gabriel de Mortillet, „Le Signe de la Croix avant le Christianisme“
1.
Emile Burnouf, „La Science des Religions“.
2.
A. W. Franks, „Horae ferales“, pl. 30, fig. 19.
1.
„Ithaque, le Péloponnèse et Troie.“
1.
A. Kuhn, „Herabkunft des Feuers“.
1.
Plutarch, Leben Alexander’s.

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CC-BY-4.0
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Schliemann, Heinrich. Trojanische Alterthümer. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bnk6.0