auf den
verſchiedenen Stufen ſeiner Entwicklung.
Erſte Abtheilung.
Druck und Verlag von Breitkopf und Härtel
1865.
[[II]][[III]]
Vorrede.
Das Erſcheinen der gegenwärtigen erſten Abtheilung des
dritten Bandes hat ſich ungleich länger hinausgeſchoben, als ich
urſprünglich gerechnet hatte. Die Schuld davon liegt weniger
an mir, als an der Aufgabe. Ich habe in den ſechs Jahren, die
ſeit der Veröffentlichung der zweiten Abtheilung des zweiten
Bandes verfloſſen ſind, die Arbeiten für den dritten Band nie
auf längere Zeit unterbrochen, aber wer eine Vorſtellung von
der Art der Arbeit hat, wird wiſſen, daß ſie nicht raſch aus der
Stelle ſchreiten kann. Wie oft hat ein vermeintlicher Schritt vor-
wärts mich um zwei Schritte zurückgebracht, wie oft eine neu
auftauchende Frage, eine neue Seite, die ich der Sache hinterher
noch abgewann, mich zu einem unfreiwilligen Stillſtand von
mehreren Monaten verdammt, wie häufig habe ich mich ent-
ſchließen müſſen mit einem Abſchnitt, mit dem ich bereits fertig
geworden zu ſein glaubte, ganz von neuem zu beginnen! Es iſt
das einmal der Fluch, der von derartigen Unternehmungen, wie
die meinige es iſt, unzertrennlich iſt, und der mich, wenn mein
Werk mir nicht zu ſehr ans Herz gewachſen wäre, mehr als ein
[IV]Vorrede.
Mal hätte in Verſuchung bringen können, es gänzlich aufzu-
geben. Ich glaube die Art meiner Aufgabe nicht beſſer bezeich-
nen zu können, als damit, daß ſie nie zum Abſchluß zu bringen
iſt. Bei Arbeiten anderer Art gibt es doch einen gewiſſen Punkt,
bei dem der Verfaſſer ſich ſagen kann, daß er mit aller Anſtren-
gung nicht mehr im Stande iſt, die Sache weſentlich zu fördern,
daß er ſeine Kraft daran vollſtändig erſchöpft hat, kurz einen
ſubjectiven Abſchluß und Ruhepunkt. Bei der meinigen iſt der-
ſelbe faſt nie eingetreten, es iſt kaum eine Parthie meines Buchs,
bei der ich nicht auch jetzt noch von neuem anfangen möchte zu
ändern und zu beſſern, kaum eine, bei der nicht die Ausführung
hinter dem Bilde, in dem ſie mir vor der Seele ſchwebte, zurück-
geblieben iſt, und empfindlicher, als alle Ausſtellungen, welche die
Kritik mir machen kann, iſt für mich das Gefühl, daß mein Werk
dem Maßſtab, den ich in mir ſelber trage, nicht entſpricht —
ein Gefühl, das mich jetzt, wo ich ein neues Stück meines Werks
der Oeffentlichkeit übergebe, in verſtärktem Maße überfällt, und
deſſen ich nur durch den nothgedrungenen Troſt Herr werde,
daß es einmal nur wenig auserwählten Naturen beſchieden iſt,
etwas wirklich Vollkommnes zu Tage zu fördern. Aber die Er-
fahrung hat mich belehrt, daß ich, wo ich dem Triebe zu feilen
und zu beſſern zu ſehr nachgab, nur zu oft ſtatt zu beſſern ledig-
lich änderte, wohl gar verſchlechterte; anſtatt aus der Stelle zu
kommen, mich nutzlos im Kreiſe herumdrehte. Um mich gegen
dieſe Gefahr zu ſchützen, die meinem Buch das Schickſal des
Gewebes der Penelope bereitet haben würde, habe ich noth-
gedrungen auch bei dieſem Bande den frühern Weg einge-
ſchlagen, das Manuſcript ſtückweis der Druckerei zu übergeben,
und werde denſelben auch für die Zukunft beibehalten müſſen.
[V]Vorrede.
Ich bemerke dies nur darum, weil die Benutzung dieſes Weges
einen Uebelſtand zur Folge gehabt hat, der dem aufmerkſamen
Leſer nicht entgangen ſein würde. Während des dreijährigen
Zeitraums, der über dem Druck der gegenwärtigen Abtheilung
verſtrichen iſt, hat ſich der Grundriß und Plan des Ganzen, das
Fachwerk der Paragraphen, nach dem ich mich bei Ausarbeitung
des Einzelnen richtete, nicht unweſentlich verändert, und ich
glaubte die Möglichkeit einer Verbeſſerung deſſelben nicht aus
dem Grunde von der Hand weiſen zu ſollen, weil ich auf den
bereits abgezogenen Bogen eine andere Anordnung angekündigt
hatte. So ſtimmen z. B. die §§. 54 und 55 nicht mit der
Ueberſicht auf S. 16, und manche Verweiſungen auf ſpätere
Paragraphen nicht mit letztern ſelbſt, die B. 2 S. 8 ange-
kündigte Theorie des Willens hat ſich zu einer Theorie der
Rechte erweitert, wie überhaupt der dort mitgetheilte Aufriß des
ganzen zweiten Syſtems weſentlich modificirt worden iſt. Ich
glaube der Nachſicht des Leſers für wichtigere Dinge zu be-
dürfen, als daß ich ſie für dieſe rein äußerlichen Unregelmäßig-
keiten in Anſpruch nehmen möchte. Jener ſucceſſive Druck des
Buchs hat auch noch die Folge gehabt, daß er mich verhindert
hat, das Zuſammentreffen der eignen Anſicht mit Anſichten An-
derer, die erſt nach dem Druck der betreffenden Bogen meines
Buchs veröffentlicht wurden, zu conſtatiren, wie dies z. B. mit
der von mir S. 207 entwickelten Idee über die act. receptitia
der Fall iſt, die ihrem weſentlichen Kern nach inzwiſchen auch
von Goldſchmidt, Handbuch des Handelsrechts, B. 1 §. 37
Note 3 (vorher ſchon in einem Abdruck des §. 37 in Nr. 16
der deutſchen Gerichtszeitung vom 20. April dieſes Jahres)
ausgeſprochen worden iſt.
[VI]Vorrede.
Mit der zweiten Abtheilung dieſes Bandes wird das zweite
Syſtem und damit das wichtigſte und umfänglichſte Stück meines
ganzen Werks beſchloſſen ſein. Das dritte Syſtem wird un-
gleich kürzer ausfallen, ich glaube dafür nur einen Band von
der Stärke des zweiten nöthig zu haben — ein ſcheinbares Miß-
verhältniß, deſſen Erklärung und Rechtfertigung zur Zeit noch
verfrüht ſein würde.
Gießen, den 6. November 1864.
[[VII]]
Inhalt des dritten Theils.
- Erſte Abtheilung.
- Zuſammenhang mit dem Früheren.
- B. 2 Abth. 2 (§. 37—41).
- A.Das Weſen der Technik im Allgemeinen.
- B.Die Technik des ältern Rechts.
- (1) Die Jurisprudenz (§. 42).
- (2) Haften des Rechts an der Aeußerlichkeit (§. 43—47).
- B. 3. Abth. 1.
- (3) Die juriſtiſche Kunſt (§. 48—58).
- I. Die Analytik des Rechts.
- II. Die juriſtiſche Oekonomie.
- Die juriſtiſche Kunſt.
- §. 48. Gegenſatz des folgenden Abſchnittes zum vorhergehenden — Die ſpe-
cifiſch-juriſtiſche Kunſt — ihr Antheil an der urſprünglichen Bildung
des Rechts — ihr Charakter. S. 1—11. - I.Die Analytik des Rechts. §. 49—55.
- §. 49. Ueberſicht. S. 12—16.
- A.Der Proceß.
- 1. Analytiſcher Mechanismus deſſelben.
- §. 50. Relativ frühe Entwicklung des Proceſſes — Antheil des analytiſchen
Gedankens an der Organiſation des altrömiſchen Proceſſes — Der
Zerſetzungszwang des Actionenſyſtems — Fixirung des Moments der
Litis-Conteſtation — Idee der proceſſualiſchen Cäſur. S. 16—27. - 2. Die Actionen proceſſualiſche Reagentien.
- §. 51. Caſuiſtiſche Erläuterung — Unzuläſſigkeit der Klagencumulation —
Das Geſetz der Scheidung der Klagen — Auffindung deſſelben auf
inductivem Wege — Individualitätsmoment des Eigenthums, der
Obligation und des Erbrechts — caſuiſtiſche Erprobung des Geſetzes.
S. 27—48. - 3. Die Vertheidigung.
- §. 52. Aelteres und neueres Syſtem derſelben — Vertheidigung in Form der
Negation (Formulirung der Klage in jus und in factum) — Spiel-
raum derſelben im Vergleich zur Exception — Möglichkeit der Gel-
tendmachung eines Gegenanſpruches in proceſſualiſch unſichtbarer
Form (Rechtsſätze mit Exceptionszweck) und in proceſſualiſch ſicht-
barer Form (Klage mit Vorbehalt des gegneriſchen Rechts — Sub-
ſtituirung einer andern Klagformel im Intereſſe des Beklagten —
Doppelklage) — Vertheidigung in Form der Klage — die proceſſua-
liſche Strafklage und die leges imperfectae — Geſammturtheil über
den analytiſchen Mechanismus des alten Proceſſes. S. 48—125. - B.Das Rechtsgeſchäft.
- §. 53. Correſpondenzverhältniß in der Structur des Proceſſes und Rechts-
geſchäfts — Der Grundſatz der Einfachheit des Rechtsverhältniſſes
— Der Gedanke der Concentration des Rechtsgeſchäfts: Simul-
taneität des Akts, des Thatbeſtandes und der Wirkungen (Bedingung
und dies). S. 125—168). - C.Die abſtracte Analyſe.
- 1. Grundſatzderelementaren Einfachheit der Rechtskörper.
- §. 54. Gegenſatz des ältern und neuern Rechts — zuſammengeſetzte und ein-
fache Rechtskörper — Maßſtab der Einfachheit — juriſtiſche Geſtal-
tung des Obligationselements in nicht-obligatoriſchen Verhältniſſen
(analytiſche Compoſition der alten reivindicatio) — Prüfung der
Rechte vom analytiſchen Standpunkt — Gedanke der Einſeitigkeit
der Rechtsverhältniſſe. S. 169—194. - 2. Analytiſche Vereinfachung des Thatbeſtandes.
- §. 55. Vereinfachung des Thatbeſtandes im Intereſſe des Beweiſes — Aus-
ſcheidung lösbarer Elemente in Form ſelbſtändiger Begriffe und Ver-
hältniſſe — die abſtracte Eigenthumsübertragung (doppelte Beurthei-
lung deſſelben Aktes vom Standpunkt des Eigenthums und der Obli-
gation aus) — die abſtracte Obligation (die act. receptitia) — der
abſtracte Rechtsträger (die juriſtiſche Perſon) — Anwendung des
[IX]Inhalt des dritten Theils.
Grundſatzes in den Verhältniſſen des öffentlichen und des Privatrechts
— Syſtem der politiſchen Vitiöſität — Verfaſſungsmäßigkeit der
Geſetze. S. 195—228. - II.Die juriſtiſche Oekonomie.
- 1. Beſtreitung der Bedürfniſſe auf einfachem Wege.
- §. 56. Das Geſetz der Sparſamkeit — Die Kunſt ſich zu behelfen — Der
einfache und künſtliche Weg — Exemplification des erſtern an einer
Reihe von Beiſpielen. S. 229—247. - 2. Die Schleichwege des Lebens.
- §. 57. Die Verwendung der Rechtsverhältniſſe im Leben — Mißbrauch der
Familienverhältniſſe — Mittel zur Vereitelung der erbrechtlichen Be-
ſchränkungen. S. 247—260. - 3. Die künſtlichen Mittel.
- §. 58. Die Conſtructionshandlungen — Die Scheingeſchäfte — Die coemptio
fiduciae causa — Theorie der Scheingeſchäfte — Dogmatiſche Selb-
ſtändigkeit derſelben — Adoption zum Zweck der transitio ad plebem
und adoptio regia — Die Fictionen. S. 260—292. - Zweiter Abſchnitt.
- Die Rechte.
(Correſpondirt dem erſten Abſchnitt: allgemeine Charakteriſtik des Rechts-
ſyſtems §. 23—58.)
Der Abſchnitt zerfällt in zwei Unterabſchnitte: - A.Allgemeine Theorie der Rechte.
- B.Die einzelnen Rechte.
- Allgemeine Theorie der Rechte.
- Die Rechte des ältern Privatrechts.
- §. 59. Hiſtoriſcher Charakter der Grundbegriffe des ältern Rechts — ihre
Veränderlichkeit — Die wahren Quellen derſelben — Ueberſchätzung
des logiſchen Elements im Recht. S. 293—306. - I.Begriff des Rechts.
- 1. Das ſubſtantielle Moment des Rechts.
- §. 60. Unzulänglichkeit des Willens- und Machtbegriffs für die Definition
des Rechts — Das ſubſtantielle Moment des Rechtsbegriffs und die
damit gegebenen Begriffe: Nutzen, Gut, Werth, Intereſſe — Die
praktiſche Verwirklichung des Rechts: der Genuß. Die verſchiedenen
Formen des Genuſſes. Die Dispoſitionsbefugniß ein Wahlrecht in
Bezug auf die Genußformen. S. 307—327. - 2. Das formale Moment des Rechts.
- §. 61. Der Selbſtſchutz der Intereſſen oder die Klage — Die Gränze dieſes
Schutzes — Klagmechanismus und Recht der Deſtinatäre im Ver-
hältniß der Corporationen und Stiftungen — Rechtsverhältniſſe an
res religiosae und publicae (Recht des Gemeingebrauchs) — Gegen-
ſatz des Individual- und Gemeinrechts — Der Beſitz und die bonae
fidei possessio. S. 327—342.
Die juriſtiſche Kunſt.
Gegenſatz des folgenden Abſchnittes zum vorhergehenden — Die
ſpecifiſch-juriſtiſche Kunſt — ihr Antheil an der urſprünglichen
Bildung des Rechts — ihr Charakter.
XLVIII. Schon eine geraume Zeit verweilt unſere Darſtel-
lung auf dem Gebiete der älteren Jurisprudenz, und wäre es
wahr, was Manche lehren, daß der Beruf der Jurisprudenz in
dem Interpretiren der Geſetze beſtehe, ſo könnte unſeres Bleibens
hier nicht lange mehr ſein, denn dieſen Zweig der juriſtiſchen
Thätigkeit haben wir bereits (§. 44) kennen lernen, und was
wäre ſonſt noch viel übrig? Allein ſo paradox es klingt: der
Haupttheil unſerer Aufgabe, das Schwierigſte iſt noch zurück,
und erſt von jetzt an können wir behaupten uns im Centrum der
römiſchen Jurisprudenz zu befinden, während wir uns bisher
bloß in den Außenwerken umher getrieben haben. Zwar eine
Reihe intereſſanter Erſcheinungen haben wir auch dort angetrof-
fen, Züge, die namentlich für den phyſiognomiſchen Ausdruck
des ältern Rechts im Gegenſatz des neuern höchſt charakteriſtiſch
ſind, allein dieſelben gehören nicht ſowohl der Jurisprudenz,
als der Zeit an, ſie waren nichts als die Reflexe, in denen
die damalige Culturſtufe innerhalb der Jurisprudenz ſich abſpie-
gelte, und ſie wiederholen ſich darum auch auf den andern Ge-
bieten des geiſtigen Lebens.
Interpretiren und Formeln aufſetzen mußte der Pontifex auch
außerhalb des eigentlich juriſtiſchen Gebietes, eine ſpecifiſch-
juriſtiſche Kunſt übte er damit nicht aus, und der Geiſt, in dem
er es that, jene früher nachgewieſene Abhängigkeit vom Wort,
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 1
[2]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik.
kam eben ſo wenig auf Rechnung der Jurisprudenz, ſondern auf
die der Zeit.
Dies ändert ſich von nun an gänzlich. Unſere Darſtellung
verſetzt uns jetzt in die innerſte Werkſtätte der Jurisprudenz und
verſchafft uns die Gelegenheit, ſie in ihrem geheimſten Wirken
und Schaffen zu belauſchen. Die Aufgaben und Intereſſen, die
es hier gilt, die Mittel, mit denen ſie gelöſt werden, die Opera-
tionen und Kunſtgriffe, die hier zur Anwendung gelangen, kurz
der ganze Gedanken-Apparat, den wir hier wahrnehmen, iſt
ausſchließlich juriſtiſcher Art, es iſt die ſpecifiſch-juriſtiſche Kunſt,
welche wir im folgenden bei ihrem Werk: der techniſchen Ge-
ſtaltung des älteren Rechts, zu beobachten haben werden. Die
von uns vorausgeſchickte allgemeine Theorie der Technik (§. 38
bis 41) macht es eben ſo möglich als nöthig uns ſtreng auf das
poſitive Material, welches das ältere Recht uns bietet, zu be-
ſchränken.
Die heutzutage herrſchende Lehre datirt das Auftreten der
Jurisprudenz in der Geſchichte erſt aus einer verhältnißmäßig
ſpäten Zeit. Eine lange Periode der rein naiven und gewohn-
heitsrechtlichen Exiſtenz des Rechts war ihr zufolge vorausge-
gangen, und geraume Zeit bereits war der Geſetzgeber thätig
geweſen, bevor die Jurisprudenz ſich von ihrem Lager erhob.
Um noch an der Grundlegung des Rechts ſich zu betheiligen,
dazu kam ſie viel zu ſpät, denn die Fundamentalbegriffe des
Rechts waren längſt fertig und feſt geworden, der Ablagerungs-
und Erſtarrungsproceß des Rechts im Ganzen und Großen be-
reits vollzogen; was ihr zu thun übrig blieb, war mithin nur
ein Nachhelfen und Nachbeſſern im Kleinen und Einzelnen, das
Poliren und Feilen. Dieſe Anſicht habe auch ich früher getheilt,
eine fortgeſetzte Beſchäftigung mit dem ältern römiſchen Recht
hat mich jedoch überzeugt, daß dieſelbe ein reines Phantaſie-
Product iſt, dem die Geſchichte keinerlei Unterſtützung gewährt —
der Traum von einem goldnen Zeitalter des Rechts, in dem die
Menſchen, ohne zu ſuchen, das Richtige getroffen hätten, in
[3]Juriſtiſche Kunſt — frühes Alter derſelben. §. 48.
dem die Rechtsbegriffe noch ohne Zuthun des Menſchen am
Baum der Erkenntniß gewachſen ſeien, von dem er nur nöthig
gehabt hätte ſie zu pflücken, oder von dem ſie ihm gar von ſelbſt
in den Schooß gefallen ſeien. Die poſitive Behauptung, die ich
dieſer Lehre entgegenſtelle, iſt die: daß die Geſchichte des Rechts
mit einem eiſernen Zeitalter begonnen hat, mit dem harten
Ringen und Arbeiten des menſchlichen Verſtandes, daß Abſicht,
Reflexion, Bewußtſein, Berechnung bereits bei der Bildung des
Rechts thätig geweſen, daß die juriſtiſche Kunſt ſchon an
der Wiege deſſelben geſtanden hat.
So wenig uns heutzutage die Begriffe von ſelbſt zufallen,
ſondern mit Mühe und Anſtrengung gewonnen werden müſſen,
ſo und nicht anders iſt es auch in jener hiſtoriſchen Epoche der
Fall geweſen, wo die Grundbegriffe des Rechts ſich gebildet ha-
ben, und die Meinung, als ob die Völker in ihrer Kindheit den
Begriff des Eigenthums, der Obligation u. ſ. w. nicht nöthig
gehabt hätten zu ſuchen und auszubilden, ſondern ihn fertig
vorgefunden hätten, iſt um nichts beſſer, als daß ſie ihre
Häuſer, Pflugſchaaren u. ſ. w. aus den Händen der Natur er-
halten hätten.
Wie ſie wegen letzterer Jahrhunderte lang haben denken, arbei-
ten und in Verſuchen ſich abmühen müſſen, eben ſo und in noch
viel höherem Grade wegen jener, und in Rom wenigſtens muß
eine lange Zeit des Taſtens und Suchens, des Schwankens und
der Unſicherheit vorhergegangen ſein, bevor dieſe Begriffe jene
knappen, feſten Formen angenommen haben, die ſie ſchon bei
ihrem erſten hiſtoriſchen Auftreten an ſich tragen.
Einer je längern Prüfung ich dieſe Begriffe unterworfen
habe, um ſo feſteren Fuß hat die Ueberzeugung bei mir gefaßt,
daß ſie ſg. Kunſtproducte ſind, und zwar Producte einer
Kunſt, die uns die höchſte Bewunderung abnöthigen muß.
Wer die Jurisprudenz mit der juriſtiſchen Schriftſtellerei iden-
tificirt und ſie daher von dem erſten Buch an, das da geſchrie-
ben iſt, datirt, für den freilich fällt dieſe Kunſt weit zurück vor
1*
[4]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik.
die Zeiten der Jurisprudenz und hat auf den Namen der letzte-
ren keinen Anſpruch. Allein wer wie ich das Kriterium der Ju-
risprudenz in etwas anderem erblickt, als im Bücher ſchreiben,
wer ſie ſetzt in juriſtiſches Denken, der wird jener Kunſt
dieſen Namen nicht vorenthalten, denn von einem juriſtiſchen
Denken legen die Begriffe und Formeln, die ſie uns überlie-
fert hat, in einer Weiſe Zeugniß ab, wie ganze Wagenladungen
von Büchern es für ſo manche ſchreibluſtige Zeitalter nicht könn-
ten. Dies Denken geht nur nicht, wie bei uns, in die Breite
und iſt uns nur nicht in ſeiner urſprünglich flüſſigen Geſtalt,
ſondern objectivirt und comprimirt auf kleinſten Raum, d. h. in
Geſtalt eines Rechtsbegriffs erhalten, und darum wird es von
ſo Vielen überſehen, wie man ja auch im gewöhnlichen Leben
ſich oft nicht bewußt iſt, daß die einfachſten Geräthſchaften,
Kunſtgriffe u. ſ. w. Reſultate eines oft über Jahrhunderte ſich
ausdehnenden menſchlichen Denkproceſſes ſind.
Wenn man aber mit uns jene Niederſchläge des älteſten
römiſch-juriſtiſchen Denkens, wie wir die Grundbegriffe des rö-
miſchen Rechts nennen dürfen, einer Analyſe unterwirft, das in
ihnen objectivirte Denken wiederum in Fluß verſetzt, ſo erſtaunt
man wahrhaft über die geiſtige Kraft und Arbeit, von der ſie
Zeugniß ablegen, über die Fruchtbarkeit und Einfachheit der
Gedanken und die Conſequenz und Energie der Durchführung —
Eigenſchaften, welche die Idee, daß die unmittelbare Volksüber-
zeugung, das naive, nicht reflectirende Denken dies hervorge-
bracht habe, geradezu zu einer Abgeſchmacktheit ſtempeln, — und
man ſieht eine reiche Gedankenwelt ſich aufthun, von der freilich
die bisherige Rechtsgeſchichtsſchreibung, der die werthloſen Na-
men von Juriſten ſchwerer wogen, als juriſtiſche Gedanken, eben
ſo wenig eine Vorſtellung hatte, wie der Ungebildete von der Welt,
die in Form der Verſteinerungen das Innere der Erde uns auf-
bewahrt. Wie das Auge des Paläontologen in dieſen Verſtei-
nerungen den ſteinernen Bericht über die Geſchichte unſerer Erd-
rinde erblickt, wie ſie ihm Vorgänge und Umwälzungen aus
[5]Juriſt. Kunſt — Antheil an der Schöpfungsgeſchichte des Rechts. §. 48.
einer Periode, früher als alle Geſchichte, verkünden, ſo gehört
auch nur die rechte Kunſt des hiſtoriſchen Leſens dazu, um in
dem älteſten Begriffsmaterial des römiſchen Rechts eine juri-
ſtiſche Schöpfungsgeſchichte deſſelben verzeichnet zu fin-
den, einen Bericht über das, was bei der urſprünglichen Bil-
dung ſeiner Grundbegriffe geſchehen iſt, wie mit dem Willen
und dem ſittlichen Gefühl auch der Verſtand und die juriſtiſche
Kunſt zu Rathe geſeſſen, was die älteſten Bildner des römiſchen
Rechts beabſichtigt, erſtrebt, gewollt.
Es wäre Vermeſſenheit beſtimmen zu wollen, was bei
der Geſtaltung der Begriffe auf Rechnung der juriſtiſchen Kunſt,
was auf Rechnung der übrigen rechtsbildenden Factoren zu ſetzen,
z. B. wie ſich der Antheil, den jene einerſeits und der Macht-
und Freiheitstrieb andererſeits am römiſchen Eigenthumsbe-
griffe genommen haben, auf beide vertheilt, allein daß dieſe
Kunſt an allen Rechtsbegriffen ihren Antheil und zwar ihren
großen Antheil hatte, das ſteht mit unverkennbaren Zügen in
jenem Bericht verzeichnet, ja es laſſen ſich gewiſſe, bei ihnen
allen wiederkehrende techniſche Grundgedanken nachweiſen, die
ihnen ein ganz beſtimmtes juriſtiſches Gepräge aufdrücken und
uns in Stand ſetzen, einen Typus der Structur aufzu-
ſtellen, der ſich bei ihnen wiederholt, während er bei den Inſti-
tuten, die erſt dem neuern Recht ihren Urſprung verdanken, ſich
verläugnet. Um darin ein Werk der naiven, nicht reflectirenden
Volksanſchauung zu erblicken, während die Abſicht, Berech-
nung, Planmäßigkeit aus allem hervorleuchtet, müßte man ge-
radezu die Augen ſchließen — eben ſo gut könnte man glauben,
daß die Conſtruction der Dampfmaſchine durch Zufall gefunden
worden ſei. Wie die Darſtellung des Einzelnen ſpäter genauer
nachweiſen wird, entfernt ſich die Structur einzelner dieſer In-
ſtitute in dem Maße von der natürlichen Geſtalt, die ſie im Le-
ben an ſich tragen und in der mithin auch die natürliche Auffaſ-
ſung des Volks ſie ſich vorzuſtellen pflegt, daß man geradezu von
einem Widerſpruch gegen dieſelbe reden kann. So bringt z. B.
[6]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik.
das ältere Recht den Kauf in Form zweier einſeitiger Stipula-
tionen, gibt alſo das für die ökonomiſche Würdigung des Kaufs
ganz entſcheidende Moment der Zweiſeitigkeit, an der die un-
befangene Betrachtung ſich ſtets halten wird, der juriſtiſchen
Form nach völlig auf — ein Gedanke durch und durch juriſti-
ſcher Art, der wenn auch nicht dem Kopf eines „Juriſten von
Fach,“ doch jedenfalls juriſtiſchem Denken ſeinen Urſprung
verdankt. Vor allem aber tritt jener Zug der Künſtlichkeit und
Abſichtlichkeit im ältern Proceß hervor, den wir eben darum
einer genauern Betrachtung würdigen müſſen, ja jene vermeint-
liche Naivität und Natürlichkeit der Urperiode ſchlägt hier in
dem Maße in ihr gerades Gegentheil um, daß unſer heutiger
Proceß ungleich weniger den Eindruck des Gemachten, Berech-
neten, Künſtlichen macht, als der jener Kindheitszeit.
Fort alſo mit jenem Wahn, daß es eine Zeit gegeben —
und verlege man ſie auch noch ſo weit zurück —, wo das Recht,
wie eine ſchöne Blume des Feldes wild aufgewachſen auf dem
geſegneten Boden des nationalen Rechtsgefühls, der pflegen-
den Hand des Menſchen nicht bedurft hätte! Die Reflexion und
Abſicht hätten daſſelbe freilich nie ſchaffen können, ſo we-
nig wie es der Gärtner bei der Blume kann, allein, was ſie
können und von jeher gethan haben, iſt: es pflegen, begießen,
beſchneiden. Der Antheil, den die menſchliche „That“ an der
Entwicklung des Rechts hat und nach der ſittlichen Weltordnung
einmal haben ſoll, beginnt bereits in der frühſten Periode, und
die heutzutage ſo verbreitete Anſicht der hiſtoriſchen Schule, welche
wie überall ſo vor allem dort ein reines „Werden“ annimmt,
kann es nur darum, weil ſie die Hand nicht mehr ſieht, welche
„gehandelt“ — das Handeln von der Ferne geſehen erſcheint
als Werden! Die berechtigte Auflehnung gegen eine frühere Rich-
tung, welche das „Machen“ als einzige, wenn nicht ausſchließ-
liche Form der Rechtserzeugung betrachtete und der Widerwille
gegen den flachen Rationalismus der Aufklärungsperiode hat
die hiſtoriſche Schule ihrerſeits in das andere Extrem getrieben,
[7]Juriſt. Kunſt — primitiver Typus derſelben. §. 48.
das „Thun“ iſt in ihren Augen faſt mit einem Makel behaf-
tet, jedenfalls bildet das „Werden“ d. h. die gewohnheitsrecht-
liche, unbewußte Bildung des Rechts ihr Ideal. Sie reprä-
ſentirt auf dem Gebiet unſerer Wiſſenſchaft ganz dieſelbe Er-
ſcheinung, wie die romantiſche Schule auf dem der Literatur,
allein wie letztere mit ihrer poetiſchen Auffaſſung vom Mittel-
alter bereits ſeit geraumer Zeit einer proſaiſchen, aber wahren
Auffaſſung gewichen iſt, ſo möchte es an der Zeit ſein, der
Poeſie der „unmittelbaren Rechtserzeugung,“ des „organiſchen
Wachsthums“ und wie ſonſt die beſtechenden Ausdrücke für eine
und dieſelbe Sache heißen, die Proſa der Geſchichte entgegen-
zuhalten, und eben weil dies regelmäßig unterlaſſen wird, habe
ich hier nicht umhin gekonnt es zu thun.
Alſo Berechnung und Abſicht haben am Bau des römiſchen
Rechts und zwar bereits an dem der Fundamente mitgewirkt —
die juriſtiſche Kunſt iſt ſo alt wie das römiſche Recht
ſelber. Aber zwiſchen ihrem erſten Auftreten und ihrer Blüthezeit
liegt, wie ein langer Raum, ſo auch ein großer Fortſchritt und
zwar nicht etwa ein Fortſchritt des Grades, ſondern der Art.
Andere Zeiten andere Aufgaben, andere Aufgaben andere Mittel
und Wege zur Löſung! Die Methode der ſpätern Jurisprudenz
in die alte Zeit hinein verlegt wäre hier ebenſo am unrechten
Orte geweſen, als die der letzteren in jene, denn jede von ihnen
war berechnet auf das eigenthümliche Problem, das ſie zu löſen
hatte. Das Problem der alten Zeit aber beſtand darin, die Fun-
damente zum Bau zu legen. Strenge Ordnung, mathematiſche
Genauigkeit waren die Eigenſchaften, die es hier galt; die Richt-
ſchnur, das Winkelmaß und das Senkblei ſind die architektoni-
ſchen Symbole dieſer Periode, gerade Linien, ſcharfe Winkel
und Ecken die Formen, über die ſie ſich nicht hinauserhebt. Aber
eben weil ſie ſich ſtreng auf ihre Aufgabe beſchränkt und dieſe
im vollſten Umfange gelöſt hat, konnte die ſpätere Jurisprudenz,
fortbauend auf dem feſten Fundamente, das jene gelegt, ſich den
höhern Aufgaben widmen, die an ſie ergingen, der Ordnung
[8]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik.
und Regelmäßigkeit die Freiheit und Schönheit hinzufügen und
ihre Linien, ſtatt nach der Richtſchnur, in den kühnſten Wendun-
gen und Verſchlingungen ſich bewegen laſſen, ohne Unordnung
zu befürchten.
Verſuchen wir es, das Bild der alten juriſtiſchen Kunſt etwas
genauer zu entwerfen; die ſpeciellere Darſtellung der folgenden
Paragraphen wird demſelben Farben und Leben geben.
Von den verſchiedenen Seiten und Operationen der juriſti-
ſchen Technik, die wir bei unſerer allgemeinen Schilderung der-
ſelben (§. 38) aufgeführt haben, finden wir bei dieſem ihrem
erſten Auftreten nur zwei in nachweisbarer, aber um ſo ausge-
prägterer Geſtalt vor: die juriſtiſche Analyſe und die juriſtiſche
Oekonomie (a. a. O. S. 345). Daß gerade ſie hiſtoriſch zuerſt
auftreten, hat in ihnen ſelbſt ihren tieferen Grund (§. 49 u. 55),
die Geſtalt aber, in der ſie es thun, iſt beſtimmt theils durch die
Zeit, in die dieſe Thatſache fällt, theils durch ein für die Ent-
wicklung einer jeden Kunſt geltendes Geſetz. Wie nach unſern
frühern Unterſuchungen (§. 43—48) die Zeit allem, was die ältere
Jurisprudenz ſchuf, ihren Stempel aufdrückte, nämlich den der
Aeußerlichkeit, ſo auch ihrer Technik. Dieſen Charakter trägt zu-
nächſt und vor allem ihre Analyſe; unſere heutige Jurisprudenz
und auch die ſpätere römiſche, ſoweit das ererbte Recht nicht im
Wege ſteht, ſcheidet auf innerlichem, begrifflichem Wege, aber
das alte Recht ſcheidet äußerlich, d. h. es hält nicht, wie wir,
die Begriffe, wo ſie in einem einzelnen Fall zuſammen auftre-
ten, innerlich auseinander, ſondern es macht ihr äußeres
Zuſammentreffen unmöglich, indem es ſie zwingt einfach aufzu-
treten. Dies geſchieht einmal durch die Theorie der Rechtsge-
ſchäfte (§. 53): jedes Rechtsgeſchäft iſt nur für einen recht-
lichen Zweck beſtimmt, und ſodann durch die Organiſation des
proceſſualiſchen Verfahrens (§. 50, 51): jeder Proceß behandelt
nur einen einzigen Anſpruch, und weder von Seiten des Klä-
gers, noch des Beklagten dürfen Geſichtspunkte eingemiſcht
werden, die ſich nicht unmittelbar auf dieſen Anſpruch beziehen.
[9]Juriſt. Kunſt — primitiver Typus derſelben. §. 48.
Die Analyſe, die in unſerem heutigen Rechte lediglich den Cha-
rakter einer dem Richter obliegenden Operation hat, iſt im
ältern Rechte durch einen eignen äußern analytiſchen Appa-
rat garantirt. Die juriſtiſche Oekonomie oder die Kunſt durch
geſchickte Verwendung des vorhandenen Materials den Bedürf-
niſſen des Lebens gerecht zu werden bethätigt jenen Charakter
der Aeußerlichkeit vorzugsweiſe in den Scheingeſchäften.
Das Geſetz, das ich oben im Sinne hatte, lautet folgender-
maßen: Der Weg zur Freiheit in der Kunſt geht durch
die Unfreiheit. Der unerläßliche Anfang der Kunſt ſowohl
für die Individuen wie für die Völker iſt die ſtrenge, ſklaviſche
Anwendung der Regel, nur Der wird Herr der Regel, der vor-
her ihr Sklav geweſen. Was dem Meiſter als lebendiges Ge-
ſetz ſeiner geſammten künſtleriſchen Anſchauung ſich innerlich
aſſimilirt hat, das ſteht dem Lehrling noch als mechaniſches
Gebot äußerlich gegenüber, dem er ſich blindlings und ohne
eigene Prüfung zu unterwerfen hat. Das Verhältniß innerer
Unfreiheit prägt ſich in allen ſeinen Leiſtungen aus und drückt
denſelben einen ganz beſtimmten Typus auf, der überall die
Anfangsſtufen der Kunſt kennzeichnet, den der Tyrannei der
Regel: der Steifheit, Trockenheit, Pedanterie, aber zugleich
ſtrenger Regelmäßigkeit und Ordnung.
Das Geſagte trifft auch für die juriſtiſche Kunſt zu, auch ſie
hat, um zur geiſtigen Freiheit zu gelangen, das Stadium der
Unfreiheit zurücklegen müſſen und ſie trägt in demſelben ganz
jenen Typus der Anfangsſtufe der Kunſt an ſich, den wir ſo
eben geſchildert haben, auf der einen Seite: muſterhafte Ord-
nung und Einfachheit, mathematiſche Regelmäßigkeit und Ge-
nauigkeit, unerbittliche Conſequenz; auf der andern die Kehr-
ſeite dieſer Vorzüge: Starrheit, Umſtändlichkeit, Schwerfällig-
keit, Pedanterie, ein gewiſſes ſteifes, ſchulmeiſterliches Weſen.
Um einen gegebenen Punkt zu erreichen, geht die ältere Ju-
risprudenz, wenn irgend ein Stein im Wege liegt, ſicherlich nicht
geradeaus, ſondern ſie ſucht auf einem Umwege, in einem Zick-
[10]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik.
zack das Ziel zu erreichen. Es genügt ihr nicht bloß das Rich-
tige zu treffen, ſondern ſie ſucht auch zugleich äußerlich zu ver-
ſinnlichen oder anzudeuten, daß es das Richtige iſt, ſie dedu-
cirt, ſo zu ſagen, indem ſie operirt.
Es iſt nicht gerade ſchwer, die lächerlichen Seiten dieſes
Bildes herauszukehren, wie Cicero bewieſen hat, allein ver-
dienſtlicher iſt es, ſich durch dieſelben nicht in ſeinem Urtheile
irre führen zu laſſen, was aus dem Grunde doppelt leicht iſt,
weil einmal der ganze Eindruck der alten Jurisprudenz, ihr
nüchterner, ſpießbürgerlicher, altväteriſcher Charakter durchaus
nichts Gewinnendes hat, und ſodann, weil ihre Leiſtungen mehr
verſteckter Art ſind, wenigſtens für uns, die wir uns einmal ge-
wöhnt haben, die Grundbegriffe des römiſchen Rechts als eine
urſprüngliche Mitgift der römiſchen Rechtsanſchauung zu be-
trachten. Wenn jene Eigenſchaften, die wir ſo eben hervor-
gehoben haben, allerdings bei einer „ſchönen“ Kunſt, deren We-
ſen die Poeſie iſt, übel am Platze ſind, ſo ſind ſie es darum nicht
auch bei unſerer juriſtiſchen, deren Weſen die nüchterne, dürre
Proſa iſt, und am wenigſten in einer Epoche derſelben, in der
noch das Senkblei und Winkelmaß regierten. Dem ſklaviſchen
Cultus der Regel, der ſelbſt vor der Gefahr des Lächerlichen
nicht zurückbebenden Conſequenz und Strenge der Methode ver-
dankt das römiſche Recht jene Vorzüge, die durch alles, was
die ſpätere Jurisprudenz geleiſtet, um nichts an ihrem Glanz
verlieren, ich meine die wunderbare Klarheit und Durchſichtigkeit
ſeiner ganzen Architektonik, die Deutlichkeit und Schärfe der
Grundlinien und Grundformen und die kryſtallartig-ſcharfe Ab-
gränzung und faſt mathematiſche Gegenſätzlichkeit der einzelnen
Begriffe. Das alte Recht iſt in einer Weiſe ſchulgerecht ange-
legt, daß man glauben möchte, es habe dem praktiſchen Leben
überall nicht angehört, ſei vielmehr rein zu didaktiſchen Zwecken
— als eine Art Schulrecht — entworfen worden: eine Vor-
ſtellung, an der wenigſtens ſo viel wahr iſt, daß nirgends die
Schule dem Leben gegenüber eine ſolche Macht geweſen und ein
[11]Juriſt. Kunſt — primitiver Typus derſelben. §. 48.
ſolches ſchulmeiſterliches Regiment geführt hat, als im alten
Rom (B. 2 S. 429). Wer ein Auge hat für die mancherlei
Züge und Andeutungen, aus denen die Strenge dieſer Zucht
bis zur Evidenz hervorgeht — und nicht bloß das Recht ſelbſt
bietet deren in Menge dar, ſondern es ſtimmt dazu auch die
Tradition über den Druck, den die Jurisprudenz in alter Zeit
ausgeübt habe, ſowie die Stellung des Juriſten im Leben —
wer, ſage ich dafür ein Auge hat, dem muß der Glaube, als
ſei das unter ſtrengſter Aufſicht und Zucht groß gewordene
römiſche Recht wild aufgewachſen, einen nahezu kindlichen Ein-
druck machen.
Unter den oben namhaft gemachten zwei Richtungen der
juriſtiſchen Kunſt nimmt die analytiſche entſchieden die erſte
Stelle ein, und wir werden darum mit ihr beginnen.
[12]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
‘Jurisconsulti … quod positum in una cogni-
tione est, id in infinita dispertiuntur.’
(Cicero de leg. II c. 19.)
XLIX. Die moſaiſche Schöpfungsgeſchichte läßt die Erſchaf-
fung der Welt ihren Anfang nehmen mit dem Scheiden: im
Anfang ſchied Gott Himmel und Erde, Feſtes und Flüſſiges,
Licht und Finſterniß. In derſelben Weiſe beginnt auch die ju-
riſtiſche Schöpfungsgeſchichte des römiſchen Rechts; ihre er-
ſten Tage gehören ebenfalls dem Werk der Zerſetzung. Dies iſt
nicht Zufall, es hätte die juriſtiſche Kunſt nicht etwa auch an
einem andern Punkt anſetzen können, ſondern, wenn überall,
ſo mußte ſie hier beginnen. Nicht etwa darum, weil jede Ent-
wicklung mit Scheidung beginnt, ſondern weil ſie ſich auf dem
Wege der Zerſetzung erſt in Beſitz der einfachen Beſtandtheile
des Rechts zu ſetzen hatte, mit denen ſie ſpäter operiren ſollte
(§. 39) — es mußte das Alphabet gefunden ſein, bevor man
ans Leſen und Schreiben denken konnte!
Im richtigen Gefühl von der Unerläßlichkeit dieſer Aufgabe
wirft ſich daher der jugendliche Geiſt mit aller Macht auf das
Scheiden. Je gedankenärmer er im übrigen iſt, um ſo höhern
Werth gewinnt für ihn ein Gedanke, der ſeine erſte Errungen-
ſchaft und lange Zeit hindurch ſeinen ganzen geiſtigen Reichthum
bildet, an dem er zuerſt zum Gefühl ſeiner ſelbſt und ſeiner Kunſt
gelangt. Seine ganze Thätigkeit geht daher im weſentlichen auf
in der Verwerthung dieſes einen Gedanken, ſeine Kunſt iſt
Scheidekunſt — das beſtimmt die Bedeutung und den Werth
dieſer erſten Periode und unterſcheidet dieſelbe von den Zeiten
[13]Die Analytik der älteſte Zweig der jur. Kunſt. §. 49.
der entwickelten Rechtswiſſenſchaft. Was für letztere nur ein
einzelner und nicht gerade ſehr hervorſtechender Zweig der Be-
rufsarbeit iſt, bildet dort den einzigen. Eben aus dieſem
Grunde iſt es mir richtig erſchienen, die Darſtellung der analy-
tiſchen Methode für den ganzen Verlauf meines Werks auf die
gegenwärtige Stelle zu verweiſen. Denn hier, wo ſie, ſo zu
ſagen, aus dem Boden hervorſchießt, wird ſie nicht bloß zuerſt
in der Geſchichte ſichtbar, ſondern ſie treibt auch in dieſer
Nähe am Boden die meiſten Früchte und Triebe; der ungleich
dürftigern Früchte wegen, die ſie noch in der Krone d. h. im
dritten Syſtem trägt, ſpeciell auf ſie zurückzukommen, wäre ohne
alles Intereſſe; ſoweit dieſelben für uns brauchbar ſind, wollen
wir ſie hier mit benutzen. Nur in einer Beziehung werde ich
im dritten Syſtem der analytiſchen Methode gedenken, nämlich
was die Veränderung anbetrifft, die in der äußern Form mit ihr
vorgegangen iſt.
Für unſer obiges Urtheil über den analytiſchen Charakter
der alten Kunſt iſt es weder nöthig noch möglich, Aeußerungen
römiſcher Juriſten in Bezug zu nehmen; das ältere Recht ſetzt uns
in Stand, uns unſer Urtheil ſelber zu bilden. Dagegen gewährt
uns Cicero in dem als Motto über dieſem Paragraphen benutz-
ten Ausſpruch eine beachtenswerthe Beſtätigung deſſelben. Die-
ſer Ausſpruch, inſoweit er einen Tadel gegen die Jurispru-
denz begründen ſollte, nur ein Beweis für die juriſtiſche Urtheils-
loſigkeit ſeines Urhebers, enthält doch als faktiſche Wahrneh-
mung, nämlich als Zeugniß über den Eindruck, den die juriſti-
ſche Literatur auf Cicero gemacht hatte, eins der intereſſanteſten
Urtheile über die alte Jurisprudenz, das unſere heutige Rechts-
hiſtorie ſich hätte um keinen Preis entgehen laſſen dürfen und
das ich eben, um es einmal zu Ehren zu bringen, als Motto
für dieſen ganzen Abſchnitt benutzt habe. „Was auf einem Be-
griff beruht, zerſpalten die Juriſten in unzählige Stücke.“ Der
Vorwurf war zwar zunächſt gegen die Zeitgenoſſen Cicero’s ge-
richtet, allein er glitt von ihnen um einige Jahrhunderte zurück
[14]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
auf ihre Vorgänger, denn die bei weitem meiſten Eintheilungen
und Begriffsſpaltungen, welche in den Schriften der erſteren
vorkommen, ſtammten aus alter Zeit und gehörten nicht ſowohl
der Schule, als dem Recht an, ſie waren, wie z. B. vorzugs-
weiſe die Klagen (§. 51), praktiſche Potenzen, nicht theo-
retiſche Ideen. Was aber Cicero’n hier als Gebrechen der juri-
ſtiſchen Wiſſenſchaft ſeiner Zeit erſchien, war nichts, als der
analytiſch-juriſtiſche Geiſt des römiſchen Rechts,
und nur indem er die totale Verſchiedenheit des Geſichtspunktes,
von dem der Philoſoph und von dem der Juriſt ſich bei ſeiner
Begriffszerſetzung leiten zu laſſen hat, überſah, konnte er dahin
gelangen, der Jurisprudenz zum Vorwurf anzurechnen, was das
Lebensgeſetz des Rechts ausmacht und ihr zur ewigen, unver-
gänglichen Ehre gereicht. Berechtigt wäre der Tadel nur dann
geweſen, wenn die Jurisprudenz bei ihren Eintheilungen den
praktiſchen Zweck außer Augen gelaſſen und ſich von einer ſol-
chen formal-dialektiſchen Scheidewuth hätte hinreißen laſſen,
wie ſie in Zeiten wiſſenſchaftlicher Impotenz als Zerrbild wah-
ren Denkens wohl aufzutreten pflegt. Das alte Recht, welches
uns ſonſt ein ſo reiches Material für die Zeichnung der analy-
tiſchen Methode an die Hand gibt, bietet für dieſen Vorwurf
auch nicht den geringſten Anhalt dar, im Gegentheil alle ſeine
Begriffe, ſo fein geſpalten ſie auch ſein mögen, finden in einem
praktiſchen Motiv ihre Rechtfertigung, wie dies der Verlauf
der Darſtellung lehren wird (§. 51). Daß gerade Cicero’s
Zeitgenoſſen in der angegebenen Richtung viel gethan, haben
wir allen Grund zu bezweifeln. Zwar der Stoff hatte ſich zu
ihrer Zeit mehr angehäuft, als einige Jahrhunderte vorher,
allein ſie ſelber hatten gewiß nur das wenigſte dazu gethan,
denn zu ihrer Zeit war bereits der Umſchwung eingetreten, wel-
cher, indem er der Wiſſenſchaft andere Ziele, Ideen und Wege
eröffnete, der ausſchließlichen oder auch nur vorherrſchenden
Richtung der wiſſenſchaftlichen Kräfte auf die Analyſe ein Ende
machte. Gerade die ſonſtige Gedankenarmuth und Beſchränkt-
[15]Höhenpunkt der alten analyt. Kunſt. §. 49.
heit des älteren Rechts hat, wie ſchon bemerkt, dem Flor der
analytiſchen Kunſt großen Vorſchub geleiſtet und wohl nie in der
Geſchichte hat letztere ſelbſt ſich zu einer ſolchen Höhe der Vir-
tuoſität erhoben und das Problem der Zerſetzung des Rechts
nicht bloß ſo meiſterhaft gelöſt, ſondern auch ſo anſchaulich
gezeigt, als im alten römiſchen Recht. Namentlich dieſe letz-
tere Thatſache: das anſchauliche Zeigen kann ich nicht genug
hervorheben. Es laſſen ſich Aufgaben vollkommen richtig löſen,
aber ohne daß ein Dritter in Stand geſetzt würde den Weg zu
erkennen, auf dem dies geſchehen, und anderſeits gibt es eine
Art der Löſung, bei der jeder Schritt zum Ziele gewiſſermaßen
vor den Augen der Zuſchauer geſchieht, das gewonnene Re-
ſultat das Mittel, wodurch es gewonnen, noch mit ſich führt.
In der letztern Weiſe löſt im älteren Recht die analytiſche Me-
thode ihre Aufgabe. Wie unter einem durchſichtigen Glaſe das
Innere einer Maſchine, ſo arbeitet ſie unter unſern Augen,
gleich als ob der Mechanismus eigens zum Schulunterricht ver-
fertigt worden wäre (ich erinnere an die Bemerkung auf S. 10);
was anderwärts bloß auf dem Wege des innerlichen Denkens
vor ſich geht, geſchieht hier in Form einer ſichtbaren äußerlichen
Einrichtung — im alten Proceß ſieht man das Rechtsverhältniß,
ſo zu ſagen, unter das Schneidewerk gerathen, wodurch es zer-
ſetzt werden ſoll. Eben wegen dieſer Sichtbarkeit der Procedur
will ich meine Darſtellung mit dem Proceß beginnen. Dieſelbe
würde ſonſt eigentlich folgenden Gang zu nehmen haben. Sie
müßte zuerſt nachweiſen, wie die Rechtsbegriffe geſchieden
ſind, und dann erſt, wie das praktiſche Leben mit ihnen operirt.
Allein aus dem angegebenen Grunde ſchlage ich den entgegen-
geſetzten Weg ein, bei dem ich zuerſt
- I. Die concrete Analyſe ſchildern will d. h. die analytiſche
Behandlung des concreten Rechtsverhältniſſes- A.im Proceſſe, und zwar
- 1. analytiſcher Mechanismus des Proceſſes im all-
gemeinen (§. 50); - 2. der Angriff, die Klage (§. 51);
- 3. die Vertheidigung (§. 52);
- 1. analytiſcher Mechanismus des Proceſſes im all-
- B.im Rechtsgeſchäft (§. 53); ſodann zweitens
- A.im Proceſſe, und zwar
- II. die abſtracte Analyſe oder die Zerſetzung innerhalb der
juriſtiſchen Begriffswelt, und zwar- 1. das Alphabet des ältern Rechts (§. 54) und
- 2. die analytiſchen Grundgedanken (§. 55).
Relativ frühe Entwicklung des Proceſſes — Antheil des analyti-
ſchen Gedankens an der Organiſation des altrömiſchen Proceſſes
— Der Zerſetzungszwang des Actionenſyſtems — Fixirung des
Moments der Litis-Conteſtation — Idee der proceſſualiſchen
Cäſur.
‘Illud enim video in hoc foro fieri … separan-
tur actiones et de eo agimus, et de eo nobiscum
agitur. Non confunditur formula, si qui apud me
pecuniam deposuerit, idem mihi postea furtum fe-
cerit et ego cum illo furti agam et ille mecum de-
positi … Lex legi non miscetur, utraque sua via
it, depositum habet actionem propriam tam me-
hercule quam furtum.’
(Seneca de benef. VI 5. 6.)
L. Wozu bedarf der Civil-Proceß eines „Mechanismus“?
Was hat die Geſetzgebung nöthig über das proceſſualiſche Ver-
fahren Beſtimmungen zu erlaſſen? Offenbar können dieſelben
doch nicht den Zweck haben, die Auffindung der Wahrheit zu
erſchweren, ſondern ſie zu fördern, indem ſie den zweckmäßig-
ſten Weg dafür feſtſetzen; warum aber die Partheien zwin-
gen, dieſen Weg einzuſchlagen, da ihr eignes Intereſſe von ſelbſt
ſie dazu veranlaſſen wird? So ſcheint der Proceß d. i. der durch
geſetzliche Vorſchriften geregelte Gang der Verhandlung und
Entſcheidung von Rechtsſtreitigkeiten nur ein Ausfluß der poli-
zeilichen Bevormundungstheorie zu ſein.
[17]A. Der Proceß. Nothwendigkeit der Proceßordnung. §. 50.
Es würde Jemand nicht viele Proceſſe zu führen brauchen,
um ſich von der Irrigkeit dieſer Anſicht zu überzeugen. Rechts-
pflege und geſetzliche Ordnung des proceſſuali-
ſchen Verfahrens iſt gleichbedeutend, denn Freiheit
des Verfahrens heißt Freiheit richterlicher Willkür und Parthei-
lichkeit, Freiheit der Chikane und der Verſchleppung des Pro-
ceſſes. Freilich: wäre das Suchen nach Wahrheit auf Seiten
der Partheien ein ebenſo unintereſſirtes, wie es auf Seiten des
Richters ſein ſoll, das Recht brauchte ſie dabei in keiner Weiſe
zu beſchränken, allein dem Intereſſe an der Ermittlung der Wahr-
heit auf der einen Seite ſteht auf der andern das gerade entge-
gengeſetzte gegenüber, auf beiden Seiten reicht das Intereſſe an
der Wahrheit nur ſo weit als das Intereſſe, und eben
dieſer Umſtand allein ſchon würde eine Ordnung des Proceſſes
nöthig machen, der ſonſtigen Rückſichten, die wir hier nicht nam-
haft machen wollen, zu geſchweigen.
Der Proceß alſo iſt eine Nothwendigkeit. Wie
bei faſt allen Inſtitutionen die Vortheile, die ſie gewähren, mit
gewiſſen Nachtheilen erkauft werden müſſen, ſo auch beim Proceß,
und gerade er läßt ſich die letzteren recht theuer, bei fehlerhafter
Organiſation ſogar unerträglich hoch bezahlen. Es iſt ein Leich-
tes, eine Beſchreibung vom Proceß zu entwerfen, welche ihn
dem Unkundigen im abſchreckendſten Licht erſcheinen läßt, und
zwar ohne im Mindeſten zu übertreiben. Oder wäre es Ueber-
treibung, wenn wir ihn ſo definirten: der Proceß iſt eine Ein-
richtung, welche die Schwierigkeiten der Rechtsverfolgung häuft
und vermehrt, indem ſie zu den materiellen Fragen noch die for-
mellen hinzufügt, — welche den Richter in der Ermittlung der
Wahrheit beſchränkt und hemmt und ihn nicht ſelten zwingt, ge-
gen ſeine Ueberzeugung ein Urtheil zu fällen, — welche die
Widerſtandskraft des Unrechts gegen das Recht erhöht und in
ihren Formvorſchriften Netze und Fußangeln ausſtellt, in denen
ſich oft die gerechteſte Sache fängt? Alles dies iſt wahr, ja in
dem Maße, daß es nicht eine beſonders fehlerhafte Organiſation
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 2
[18]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
des Proceſſes vorausſetzt, ſondern in der Idee des Proceſſes
ſelbſt gelegen iſt, aber eben dieſer Umſtand beweiſt mehr als
alles andere, wie unſchätzbar die Vortheile des Proceſſes ſein
müſſen, daß man einen ſolchen Preis von jeher nicht zu hoch
gefunden hat. Es würde nur einer eben ſo getreuen Zeichnung
des entgegengeſetzten Zuſtandes bedürfen, den freilich die Phan-
taſie erſt ausmalen müßte — denn die Geſchichte kennt ihn nicht
— um dies Jedem begreiflich erſcheinen zu laſſen.
Im Anfang ihrer Geſchichte werden die Völker dieſe Erfah-
rung von der Nothwendigkeit des Proceſſes theuer haben bezah-
len müſſen, aber dieſe Erfahrung gehört jedenfalls zu den früh-
ſten, die ſie überhaupt gemacht haben, denn der Proceß
ſelbſt gehört zu den frühſt entwickelten Rechtsin-
ſtitutionen. Zu einer Zeit, da die materiellen Rechtsbegriffe
erſt in ſehr ſchwachen Umriſſen für uns ſichtbar werden, begegnet
uns der Proceß bereits in ausgebildeter und präciſirter Geſtalt
und bildet einen der älteſten Gegenſtände der Geſetzgebung
(B. 2 S. 669). Wie ſehr ändert ſich dies ſpäter! Wie unbe-
deutend werden hier die proceſſualiſchen Geſetze gegenüber den
materiellen, welche enorme Fortſchritte macht das materielle
Recht, wie geringe das Proceßrecht!
Woher dies alles? Daß der Proceß im Anfang der Ge-
ſchichte ſich in dem Maße in den Vordergrund drängt, erklärt
ſich ſehr einfach. Der Proceß iſt eine Einrichtung, die unbeſtrit-
ten der Reflexion und Berechnung ihren Urſprung verdankt,
denn wer auch noch ſo ſehr der Anſicht huldigt (S. 4), daß
die Völker ihre Rechtsbegriffe mit auf die Welt gebracht ha-
ben, für den Proceß wird auch Er nicht umhin können zu-
zugeben, daß ſie ihn machen, erſt ſuchen und probiren muß-
ten, bis ſie das Richtige fanden. Daher gehören wiederum
Proceßreformen zu den älteſten in der ganzen Rechtsge-
ſchichte, ſie bezeichnen eben noch jene Periode des Suchens;
darum aber auch werden ſie ſpäterhin im Vergleich zu den Aen-
derungen des materiellen Rechts ſo ſelten, denn wenn das Rich-
[19]A. Der Proceß. Seine Präponderanz in d. Kindheit d. Rechts. §. 50.
tige im Proceß einmal gefunden, bedarf es des Suchens nicht
mehr, und Aenderungen in der Volksanſchauung, im Leben
u. ſ. w. üben auf den Proceß, bei dem es ſich nicht um ſittliche
Ideen, ſondern lediglich um Zweckmäßigkeit handelt, einen
ungleich geringeren Einfluß aus, als auf die Inſtitute des ma-
teriellen Rechts. Ohne die Rückwirkung der politiſchen Verän-
derungen auf die Gerichtsverfaſſung hätte der Formularpro-
ceß in Rom ſich noch Jahrhunderte halten können.
Die Präponderanz des Proceſſes in der Kindheitsperiode
des Rechts äußert ſich in einem Doppelten; zunächſt in der
Ausbildung des Proceſſes ſelbſt. Letzteres findet wiederum
nach einer zwiefachen Seite hin Statt, einmal nämlich in for-
meller Beziehung: die reiche und detaillirte Ausbildung der pro-
ceſſualiſchen Formen, und ſodann in materieller: die Strenge
der zur Anwendung gelangenden Grundſätze. In beiderlei
Beziehung darf man behaupten, daß der Proceß in jener Pe-
riode ſich ungleich mehr geltend, mehr fühlbar machte, als
heutzutage. Jene Zeit ſcheint in ihrer rohen Kraft für die Rei-
bung des Proceſſes (worunter ich jene unvermeidlichen Uebel-
ſtände des Proceſſes verſtehe, die ich oben angedeutet habe)
weniger empfindliche Nerven beſeſſen zu haben, als wir — je-
denfalls iſt dieſe Reibung heutzutage eine geringere, die Proceß-
Maſchine, wie alle Maſchinen, eine vollkommnere geworden, als
damals. Die Präponderanz des Proceſſes bethätigt ſich zweitens
auch am materiellen Rechte, nämlich durch die Einwirkung,
die er auf alle diejenigen Parthien deſſelben ausübt, die, wenn
ich ſo ſagen darf, nach der Proceß-Seite hin liegen. 1) Von
einer ſolchen Einwirkung läßt ſich heutzutage kaum ſprechen, in
jener Zeit hingegen iſt ſie eine höchſt beträchtliche, und jene dem
Proceß zugekehrten Inſtitute oder Seiten des materiellen Rechts,
beleuchtet und erwärmt von demſelben Licht der Intelligenz,
2*
[20]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
das zuerſt über den Proceß ſich ausbreitet, haben in ihrer Ent-
wicklung einen entſchiedenen Vorſprung gewonnen vor denjeni-
gen, die, wenn ich im Bilde bleiben darf, nach der Schattenſeite
hin gelegen ſind.
Es knüpft ſich hieran eine eigenthümliche Erſcheinung für das
ſpätere Recht: der Proceß verändert ſich, aber die durch ihn her-
vorgerufenen und auf ihn berechneten Sätze des materiellen
Rechts erhalten ſich noch eine Zeit lang durch die Macht der Tra-
dition, ſo wie die Spitzen der Berge noch eine Zeit lang beleuch-
tet bleiben, nachdem die Sonne bereits untergegangen iſt. Wer
dieſe eigenthümliche Bewandniß nicht kennt, kann durch dieſe
Erſcheinung leicht irre geführt werden und müht ſich vergebens
ab, die Lichtquelle zu entdecken. Statt aller andern Beiſpiele
verweiſe ich auf die Erklärung des Satzes: impensae neces-
sariae dotem ipso jure minuunt in §. 52.
Die Geſtaltung des proceſſualiſchen Verfahrens iſt eine reine
Frage der Zweckmäßigkeit oder der legislativen Politik. Daraus,
daß der Zweck des Proceſſes in einer Analyſe des Rechtsver-
hältniſſes beſteht, das Ent-ſcheiden regelmäßig durch Schei-
den geſchieht, folgt noch keineswegs, daß der Gedanke der Ana-
lyſe auf jene Geſtaltung einen beſtimmenden Einfluß hätte aus-
üben müſſen, der Mechanismus des Proceſſes ſelbſt ein analy-
tiſcher ſein müßte. Unſer heutiger Proceß z. B. läßt in ſeiner
Structur den analytiſchen Zweck gar nicht hervortreten, letzterer
vollzieht ſich vielmehr, ohne durch eine äußere Einrichtung des
Verfahrens unterſtützt oder garantirt zu werden, lediglich durch
die ſubjective Denkthätigkeit des Richters. Das verwickeltſte
Rechtsverhältniß kann ſich ihm nahen, ein ganzer Knäuel von
Anſprüchen dieſſeits und jenſeits, und er hat den Knäuel zu ent-
wirren, indem er die einzelnen Fäden ſondert. Der Beſitz der
Rechtskenntniß, deren der Staat ſich heutzutage in der Perſon
ſeiner Richter verſichert, gewährt die Garantie oder ſoll ſie wenig-
ſtens gewähren, daß er dazu im Stande iſt; iſt er es aber nicht,
ſo zwingt der Proceß ihn nicht zum Scheiden, und nichts hindert
[21]A. Der Proceß. Proceſſualiſcher Zerſetzungszwang. §. 50.
ihn, das Verſchiedenartigſte durcheinander zu werfen und wilde
Verwirrung zu ſtiften.
Kann denn der Proceß ihn zum Scheiden zwingen? — höre
ich fragen; wenn es eine ſolche proceſſualiſche Scheide-Maſchine
gäbe, die dem Richter das Zerſetzen abnähme oder auch nur er-
leichterte, würden wir uns dieſelbe entgehen laſſen? Vielleicht
doch — — vielleicht iſt uns nur der Preis zu theuer!
Jene Maſchine nämlich iſt in der That von den Römern er-
funden worden und Jahrhunderte lang in Gebrauch geweſen.
Sie beruht auf dem oben in unſerm Motto von Seneca in Be-
zug auf die Gegenforderungen des Beklagten ausgeſprochenen
Gedanken, daß in je einem Proceß nur über je einen Anſpruch
verhandelt werden kann, daß alſo, wo ein Verhältniß mehre
Anſprüche in ſich ſchließt, daſſelbe in ebenſo viele ſeparate Kla-
gen und Proceſſe aufgelöſt werden muß, als ſolcher Anſprüche
vorhanden ſind, nicht aber, wie es in unſerm heutigen Recht
möglich iſt, als ſolches in ſeiner Totalität in einem einzigen
Proceß zum Gegenſtand richterlicher Unterſuchung gemacht wer-
den kann — die römiſche Proceßmaſchinerie iſt nur auf einfache,
nicht auf zuſammengeſetzte Körper eingerichtet. Das Scheiden
erfolgt nicht, wie bei uns, in, ſondern außer und vor dem
Proceß, nicht durch den Richter, ſondern durch den Kläger.
Das Zerſetzen geſchieht durch Ausſetzen, das Scheiden durch
Ausſcheiden. Die Nöthigung zu dieſer vorproceſſualiſchen Aus-
ſcheidung liegt im römiſchen Actionen-Syſtem. Keine Sache
kann anders vor den Richter gelangen, als in Geſtalt einer
der vorhandenen Actionen. Letztere aber waren nicht etwa wie
die Stipulation, bloße Einkleidungsformen für jeden beliebigen
concreten Inhalt, dem ſie ſich elaſtiſch angeſchmiegt hätten, ſon-
dern ſie waren ſtarre, unabänderliche Typen, verſchieden nach
Art und Natur des Anſpruchs und nur paſſend für einen In-
halt, der ganz genau die Größe und das Maß hatte — das
eiſerne Rüſtzeug für das proceſſualiſche Turnier, das nur dem
bequem ſaß, dem auch nicht ein Zoll fehlte. Eine Klage ohne
[22]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
dieſe Form war eine Unmöglichkeit — es gab keine Klage
ſchlechthin, ſondern nur eine beſtimmte Zahl von Actionen
(B. 2 S. 674) — da aber jede Actio nur der proceſſualiſche
Ausdruck für einen abſtract erfaßten einfachen Anſpruch war
(§. 51), ſo folgte daraus mit Nothwendigkeit, daß jeder con-
crete Anſpruch, der in derſelben Platz gefunden, eben damit ſich
als einfachen documentirt hatte.
Jede Klage war eine Frage an den Richter (judex im römi-
ſchen Sinn), und zwar, wie oben bemerkt, eine einzige; ſo
viele Fragen man alſo an ihn richten wollte, ſo vieler Proceſſe
bedurfte es. Die Frage war geſtellt, nicht wie die des heutigen
Beweisinterlokuts auf einzelne Thatſachen, ſondern auf die
Exiſtenz des Anſpruchs; 2) eine weitere Auflöſung der
Frage nach Art der Fragſtellung an unſere heutigen Geſchwor-
nen fand in Rom nicht Statt. Die Faſſung der Frage war ur-
ſprünglich die einer Suggeſtivfrage d. h. eine ſolche, daß
der Richter ſie mit Ja und Nein beantworten konnte und mußte
(intentio certa), die Urtheilsform war ihm gewiſſermaßen ſchon
in der Klage vorgezeichnet, ſo daß er ſie nur poſitiv oder negativ
wieder zu geben brauchte (sacramentum justum — injustum
esse, rem actoris esse, non esse u. ſ. w.). Darin liegt, daß
auch der Geldbetrag des Anſpruchs, wo nämlich die Condem-
nation auf Geld und nicht auf die Sache ſelbſt ging, in der
Klage genannt werden mußte; denſelben völlig unbeſtimmt zu
laſſen (intentio incerta) und mit einem bloßen: quidquid N. N.
ob eam rem Ao. Ao. dare facere oportet zu begehren, wider-
ſtritt durchaus dem urſprünglichen proceſſualiſchen Frageſyſtem
und wäre namentlich mit der Urtheilsform im Sacramentspro-
ceß abſolut unverträglich geweſen.
Dem Bisherigen nach werden wir behaupten dürfen: die
[23]A. Der Proceß. Proceſſualiſcher Zerſetzungszwang. §. 50.
Anforderung einer Zerſetzung des Rechtsverhältniſſes, die bei
uns lediglich als ein bloßes Sollen an den Richter ergeht,
war im römiſchen Proceß eine in die Anſtalt verlegte proceſſua-
liſche Nothwendigkeit; die Römer haben es verſtanden,
einen proceſſualiſchen Mechanismus mit Zerſetzungszwang
zu erfinden. Dieſen Zwang üben die Actionen allerdings zwar
zunächſt nur gegen den Kläger aus, allein der ganze Zweck
der Einrichtung wäre vereitelt worden, wenn daſſelbe Geſetz,
das für den Kläger galt: ein Proceß eine Frage, nicht
auch für den Beklagten gegolten hätte. Von welcher Seite
ungehörige Fragen in den Proceß eingemiſcht werden, iſt, wenn
einmal dieſe Einmiſchung für bedenklich erkannt iſt, vollkommen
gleichgültig, und dem Beklagten geſchieht damit, daß er in ſeiner
Vertheidigung lediglich auf die vom Kläger angeregte Frage
beſchränkt und mit ſeinen ſelbſtändigen Gegenanſprüchen auf
ein beſonderes Verfahren verwieſen wird, eben ſo wenig ein
Unrecht, wie dem Kläger, wenn ihm ein Gleiches rückſichtlich
derjenigen Klagen geſchieht, die ihm zur Verfolgung ſeines
Zweckes ſonſt noch zu Gebote ſtehen. So wie die richterliche Un-
terſuchung, ſo wird auch die Vertheidigung des Beklagten durch
die Klage ſtreng fixirt, beide können nicht nach der Seite aus-
ſchweifen, nicht einräumen und ein „Aber“ hinzufügen, ſondern
beide haben nur die Wahl zwiſchen einem kategoriſchen Ja oder
Nein.
Die bisherige Schilderung der analytiſchen Structur des
römiſchen Proceſſes hat nur in allgemeinen Umriſſen gezeich-
net, was die folgenden beiden Paragraphen genauer ausführen
und beweiſen ſollen. Der Grund, warum letzteres nicht ſchon
an dieſer Stelle geſchieht, beſteht darin, daß die Analytik des
römiſchen Proceſſes mit dem Bisherigen noch keineswegs er-
ſchöpft iſt, des Totaleindrucks wegen aber eine zuſammenhän-
gende, durch keine ausführlichen Detailunterſuchungen unter-
brochene Darſtellung derſelben wünſchenswerth war. Erſt am
Schluſſe unſerer ganzen Unterſuchung wird es am Platz ſein,
[24]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
uns die Frage vom Werth der römiſchen Einrichtung und ihrer
etwaigen Brauchbarkeit für unſer heutiges Recht aufzuwerfen.
Der Gedanke der Fixirung der richterlichen Aufmerkſamkeit
auf einen einzigen Punkt, dem das Syſtem der römiſchen Klagen
ſeinen Urſprung verdankt, erweiſt ſich auch nach einer andern Rich-
tung hin für den römiſchen Proceß höchſt fruchtbar, nämlich in
Bezug auf die Beachtung, die der Richter dem Verhalten des
Streitgegenſtandes während des Proceſſes angedeihen zu
laſſen hat. Wenn der Streitgegenſtand während des Proceſſes ſich
verändert z. B. abnimmt, zunimmt, untergeht, wenn er im Preiſe
ſteigt, ſinkt oder dem Beſitzer abhanden kommt, ſo wirft ſich die
Frage auf, wie ſoll die richterliche Beurtheilung ſich dazu ver-
halten? Hat ſie Akt davon zu nehmen, ſo kann dies, wie wenn
bei einer ſonſtigen Unterſuchung das Object während derſelben
ſich bewegt, recht ſtörend in den Gang des Proceſſes eingreifen,
die ganze bisherige Dispoſition des Proceſſes verrücken, ganz
neue Verhandlungen und gar ein Wiederaufnehmen bereits er-
ledigter Punkte nöthig machen. Das neuere römiſche Recht hat
ſich nun durch dieſe Gefahr nicht abhalten laſſen, der Stimme
der Billigkeit, welche eine Berückſichtigung dieſer Veränderungen
fordert, Gehör zu geben, allein das ältere Recht hat auch hier,
wie ſo oft, die Intereſſen der Ordnung höher geſtellt, als die der
Billigkeit, es erklärt alle jene Veränderungen für einflußlos und
verweiſt den Richter einzig und allein auf den Moment, in dem
der Proceß vor ihm beginnt, d. h. den der Litisconteſtation, was
die an ihn gerichtete Frage formell dadurch ausdrückt, daß ſie auf
das Präſens: esse, oportere, alſo auf den Moment lautet, wo ſie
an ihn ergeht. So wie die Sachlage in dieſem Moment beſchaf-
fen war, ſoll ſie die Grundlage des ganzen Verfahrens bilden; der
Richter ſtellt ſich im Moment des Urtheils nicht auf den letztern
Standpunkt, indem er den ganzen Verlauf des Proceſſes rückwärts
verfolgt alſo auch die Veränderungen des Streitgegenſtandes
[25]A. Der Proceß. Analytiſche Structur deſſelben. §. 50.
während deſſelben wahrnimmt, ſondern auf den der Litisconte-
ſtation, ohne von da aus den Blick weder vorwärts noch rück-
wärts zu wenden. Dieſe letztere Behandlungsweiſe enthält aber-
mals einen Anwendungsfall der analytiſchen Methode, was
auf den erſten Blick nicht ſo einleuchtend iſt. Wie die Actio dem
Rechtsverhältniß, verfährt ſie dem Thatbeſtande der Klage ge-
genüber; beide nämlich ſcheiden aus einem Ganzen ein Stück
aus: jene aus einem Gedanken-Ganzen, dieſe aus einem
Zeit-Ganzen, jene den Thatbeſtand der Klage, dieſe den flüchti-
gen Moment. Wie bei einem Lichtbilde wird derſelbe aufgefan-
gen und fixirt, und wie immerhin auch der Gegenſtand ſelbſt ſich
ändere, der Richter hält ſich lediglich an den fixirten Moment, an
das Bild. So ſetzt ſich in dieſer Ausſcheidung der Ausſchei-
dungsproceß, der mit der Klage beginnt, nur fort, denn von dem
Thatbeſtande der Klage, den letztere aus dem Geſammtrechtsver-
hältniß der Partheien ausgeſondert hat, ſondert jene wiederum
einen einzelnen Daſeinsmoment aus — eine punktualiſirende Be-
handlungsweiſe, die das ältere Recht, wie wir an anderer Stelle
zeigen werden, auch bei dem Rechtsgeſchäft ſtreng feſthält, wäh-
rend das neuere in beiden Anwendungsfällen den Zeitraum
an Stelle des Zeitpunktes ſetzt.
In ungleich höherem Grade als bei dem Streitgegen-
ſtande iſt dieſe Fixirung beim Streit ſelbſt erforderlich. Wir
können uns auch hier zwei Möglichkeiten denken: die eine, welche
den Streit bis zum Moment des Urtheils im Zuſtande der Flüſ-
ſigkeit, des Fluctuirens verharren läßt, die andere, welche ihn
ſchon vorher in feſte Formen zwingt, ihn ſtückweiſe, ſo zu ſagen,
erſtarren läßt. Bei jener Behandlungsweiſe würde alles, was
bis zum Urtheil geſchähe, noch rechtzeitig geſchehen — während
des Proceſſes, könnte man ſagen, geſchehe nichts, ſondern
es bereite ſich bloß ein künftiges Geſchehen vor, es häufe und
ſammle ſich bloß das Material zum Urtheil; in welchen Mo-
ment des Proceſſes die einzelnen Behauptungen und Beweiſe
fielen, wäre gleichgültig, Nachträge und Berichtigungen wären
[26]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
bis zum Schluß verſtattet, der Schluß ſelber aber würde nicht
auf einem innern Abſchluß des Streites, ſondern auf reinem
Belieben des Richters beruhen. Es genügt, ſich dieſe Behand-
lungsweiſe zu vergegenwärtigen, um ſie als eine unmögliche zu
erkennen. Sie würde den „Streit“ (lis) zu einem „Gezänke“
(jurgium) herabwürdigen, der Welle gleich auf- und abwogend,
aber ohne aus der Stelle zu kommen. Ein neues, vielleicht
bloß aus Chikane bisher unterlaſſenes Vorbringen von Seiten
der Parthei, die Erkenntniß des Richters, daß der Proceß bis-
her in einer verkehrten Richtung geführt worden ſei, würde ihn,
nachdem er ſchon beim Ende angelangt ſchien, zu ſeinen Anfän-
gen zurückwerfen.
Darum bedarf es einer beſtimmten Ordnung für den Pro-
ceß, einer Disciplinirung des Streites, welche, indem ſie einer-
ſeits die Partheien beſchränkt, ihnen andererſeits gegen richter-
liche Willkür und Partheilichkeit und die Chikane der Gegen-
parthei, welche in der Regelloſigkeit des Verfahrens das ſicherſte
Verſteck beſitzen, Schutz gewährt. Dieſe Disciplin des Streits
beſteht darin, daß dem Proceß ein beſtimmter Gang vorgezeichnet
und dem entſprechend allem, was zu geſchehen hat, eine beſtimmte
Stelle und Zeit geſetzt wird, wovon die Ausſchließung verſäum-
ter Handlungen nur die nothwendige Folge iſt. Hier kömmt
der Proceß, wie ſein Name (procedere) es bekundet, wirklich
aus der Stelle und iſt gegen die Gefahr geſichert, einen bereits
zurückgelegten Weg zum zweiten Mal machen zu müſſen, oder
in einem ſpätern Stadium, wie man es ausgedrückt hat, zu ſei-
nen Anfängen zurückverſchlagen zu werden.
Welche Gemeinſchaft aber hat dieſe Behandlungsweiſe mit
der analytiſchen Methode? Sie entlehnt derſelben wenigſtens
eine Idee, nämlich die der Zerlegung des Proceſſes in
gewiſſe Stadien, von denen jedes ſeine eigenthümliche Bedeu-
tung und Wirkung hat, und das Reſultat des vorausgehen-
den die Baſis des folgenden wird — die Methode der ſtück-
[27]A. Der Proceß. Analytiſche Structur deſſelben. §. 50.
weiſen Erledigung der Aufgabe. Ich will dieſe Einrichtung
als die der proceſſualiſchen Cäſur bezeichnen.
Der römiſche Proceß hat von jeher drei Cäſuren gehabt,
die erſte: das Stadium der Vorbereitungshandlungen und der
Feſtſtellung des Streitpunktes, endend mit der Litisconteſtation
(Verfahren in jure), die zweite: das Stadium der Verhand-
lung vor dem Richter (judex im römiſchen Sinn), endend mit
dem Endurtheil (Verfahren in judicio); die dritte: das Sta-
dium der Execution. Jedes dieſer drei Stadien erfaßt und be-
handelt den Anſpruch in einer andern Geſtalt, das erſte: in
ſeiner urſprünglichen, außerproceſſualiſchen, das zweite: in
der, die er durch die Litisconteſtation, das dritte: in der, die
er durch das Urtheil gewonnen hat. Bei der Obligation brin-
gen die römiſchen Juriſten den geſtaltenden Einfluß, den der
Proceß auf ſie ausübt, unter den Geſichtspunkt der Conſumtion
und Novation und drücken dies in dem Satz aus: ante litem
contestatam dare debitorem oportere, post litem contestatam
condemnari oportere, post condemnationem judicatum facere
oportere. 3)
Wir wenden uns jetzt der Aufgabe zu, die wir oben ausge-
ſetzt haben, der genaueren Ausführung des analytiſchen Cha-
rakters der römiſchen Actionen.
Caſuiſtiſche Erläuterung — Unzuläſſigkeit der Klagencumula-
tion — Das Geſetz der Scheidung der Klagen — Auffindung des-
ſelben auf inductivem Wege — Individualitätsmoment des Ei-
genthums, der Obligation und des Erbrechts — caſuiſtiſche
Erprobung des Geſetzes.
LI. In der Theorie wie in der Praxis ſpielen die römiſchen
Klagen zwar dem Namen nach eine große Rolle, allein wenn
[28]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
dieſe Namen ſich wieder beleben würden zu dem, was ſie einſt
waren, ſie würden hier wie dort wahrſcheinlich mit Proteſt zu-
rückgewieſen werden. Wer würde heutzutage auf die Idee kom-
men, ein ihm geſtohlenes Fuhrwerk vom dritten Beſitzer in der
Weiſe zurückzufordern, wie es das römiſche Recht verlangt d. h.
jedes Pferd und den Wagen und die einzeln darauf befindlich
geweſenen Sachen ſämmtlich mit beſondern Reivindicationen und
gar, wenn der Beſitzer einen Beſtandtheil des Wagens mit dem
ſeinigen verbunden gehabt hätte, erſt noch mit einer actio ad ex-
hibendum? Wie viele Praktiker würden gegen eine ſolche Idee
ſchon dadurch geſchützt ſein, daß ſie ſich derſelben gar nicht
bewußt ſind! Iſt doch ſelbſt die Theorie bei ihrer Schilde-
rung römiſcher Klagen oft recht unrömiſch in die Irre ge-
gangen; eine Servitutenklage z. B., die zugleich auf Aner-
kennung der Servitut, Schadenserſatz und Caution für zukünf-
tige Störungen gerichtet iſt, 4) würde kein römiſcher Juriſt als
ächt anerkennen, darin vielmehr nur einen Baſtard römiſcher
und moderner Ideen erblicken. Soll ich derſelben des Contra-
ſtes wegen einmal ächt römiſche entgegenſtellen? Es hat Jemand
auf ſeinem Lande den Lauf des Regenwaſſers zum Nachtheil ſei-
nes Nachbarn unbefugter Weiſe geändert; wie kömmt letzterer
zu ſeinem Recht? Der Juriſt Paulus gibt uns darauf Ant-
wort: 5) es bedarf vier Klagen! Der einen (act. aquae pluviae
arcendae), um die getroffene Anlage rückgängig zu machen,
einer zweiten (interd. quod vi aut clam), um Schadenserſatz für
die bisher erlittenen Nachtheile zu erwirken, einer dritten
(Klage aus der dem Beklagten aufzuerlegenden cautio damni
infecti) für die zukünftigen Aenderungen nach dem Urtheil, und
endlich wegen der im Lauf des Proceſſes etwa getroffenen Aen-
derung einer eignen zweiten act. aq. pl. arc.6)
[29]A. Der Proceß. Die Actionen. Beiſpiele. §. 51.
Dieſes eine Beiſpiel wird mehr, als lange Ausführungen
es vermöchten, dem Leſer eine Anſchauung von dem analytiſchen
Charakter der römiſchen Klagen gegeben haben. Nicht um den
Eindruck deſſelben zu verſtärken, ſondern weil ich derſelben für
die Folge als Material bedürftig bin, will ich noch eine Reihe
anderer Beiſpiele hinzufügen.
Es iſt dabei nicht außer Acht zu laſſen, daß die ſtreng ana-
lytiſche Structur mancher Klagen im neueren Recht nicht ſelten
verwiſcht worden iſt, indem dieſelben auf Zwecke ausgedehnt wor-
den ſind, welche im früheren Recht entweder überall nicht verfolg-
bar waren oder nur in Form von beſondern Klagen. Daß die
Klagen, welche gegen den Beſitzer als ſolchen gehen, auch gegen
den angeſtellt werden können, welcher den Beſitz doloſer Weiſe
aufgegeben hat, iſt bekanntlich ein Satz des neuern Rechts, aber
auch wenn äußere Zeugniſſe uns dies nicht ausdrücklich melde-
ten, würden innere Gründe uns zu dieſer Annahme nöthigen,
denn dieſes Umſchlagen einer reiperſecutoriſchen Klage in eine
pönale 7) enthält vom Standpunkt des ältern Rechts aus eine
Unmöglichkeit. Letzteres hält die beiden Klagen in dem Maße
ſtreng auseinander, daß es ſelbſt bei Delicten, wo aus dem-
ſelben Factum zwei Klagen entſpringen, z. B. beim Diebſtahl
(act. furti und condictio furtiva) keine Vermiſchung derſelben
vornimmt — die act. mixta iſt für das ältere Recht eine techni-
ſche Mißgeburt, ein Verſtoß gegen die Elementarbegriffe ſeiner
Technik. Zwar die durch das Edict eingeführte actio vi hono-
rum raptorum vereinigt beide Functionen, allein daß dieſe Ver-
einigung ſich erſt in ſpäterer Zeit vollzogen hat, wird dem, der
das Quellenmaterial 8) einer Prüfung unterwerfen will, nicht
verborgen bleiben. Der Schutz gegen doloſe Veräußerungen
[30]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
bei den gegen den Beſitzer als ſolchen gerichteten Klagen, der im
neuern Recht ein Stück der Klage ſelbſt geworden iſt, und der
dem älteſten Rechte gänzlich fehlte, iſt hiſtoriſch zuerſt durch den
Prätor eingeführt worden in Form eines beſonderen unvollkomm-
neren Rechtsmittels (act. in factum propter alienationem ju-
dicii mutandi causa factam).
In dieſem Fall iſt uns zufälligerweiſe die Kunde über die
Umgeſtaltung der Klage erhalten; in wie vielen Fällen, wo
letztere ſich auf dem innerlichen Wege einer freieren Interpreta-
tion vollzog, 9) mag ſie uns verloren ſein! Es wird daher ge-
rathen ſein, nicht jede Klage in der Form, wie ſie uns im neuern
Recht erhalten iſt, ohne weiteres dem ältern Recht zu überwei-
ſen, vielmehr nach Maßgabe der folgenden Unterſuchung Kritik
zu üben.
Dem obigen Beiſpiel der act. pluv. arc. ſchließt ſich am
nächſten an eine Reihe von Fällen, in denen es ſich um Aner-
kennung eines geſtörten ſachenrechtlichen Verhältniſſes (Beſitz,
Eigenthum, Servitut) handelt. Auch hier geht die Klage nicht
auf Erſatz des durch die Störung angerichteten Schadens, 10)
[31]A. Der Proceß. Die Actionen. Beiſpiele. §. 51.
ſondern lediglich auf Anerkennung, welche aber die thatſächliche
Reſtitution der Sache zu ihrer nothwendigen Folge hat, ſowie
vom Moment der Litisconteſtation an auf die Früchte, unter
welchem Ausdruck die ſpiritualiſirende Auffaſſung einer ſpätern
Zeit auch das Intereſſe verſtand (B. 2 S. 459). Daß die rei-
vindicatio auch auf die in der Vergangenheit gezogenen Früchte
gerichtet werden kann, halte ich für einen Satz des neuern
Rechts. Einem bösgläubigen Beſitzer gegenüber, in deſſen Per-
ſon die Aneignung der Früchte ein furtum nec manifestum in
ſich ſchloß, 11) wäre der Vindikant ein Thor geweſen, wenn er
dieſelben zum einfachen Betrage mit der Hauptklage, anſtatt zum
doppelten Betrage mit einer beſondern Diebſtahlsklage, beige-
trieben hätte; daß er aber, auch wenn er es gewollt hätte, weder
ihm, noch dem gutgläubigen Beſitzer gegenüber dazu berechtigt
war, ſoll an anderer Stelle nachgewieſen werden. 12) Der Rei-
vindicatio haben wir ſchon oben (S. 28) die beiden Beiſpiele
10)
[32]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
entlehnt, mit denen wir dieſen Paragraphen begannen. Bedingt
und gewährt durch die äußere Selbſtändigkeit der zu vindiciren-
den Sache, ſetzte ſie einerſeits, wenn letztere mit einer fremden
verbunden war, deren Trennung voraus, ohne daß ſie ſelbſt die-
ſelbe hätte erzwingen können, wozu es vielmehr einer eigenen
act. ad exhibendum bedurfte, und andererſeits war ſie beim
Vorhandenſein mehrer ſelbſtändiger Objecte auf jedes beſon-
ders zu richten 13) d. h. es galt der Satz: ſo viel Gegen-
ſtände, ſo viel Vindicationen.
Das Obligationenrecht möge uns außer dem obigen Bei-
ſpiel der Zerlegung des durch ein Delict begründeten Anſpruchs
in die reiperſecutoriſche und Pönal-Klage noch zwei andere lie-
fern. Kein Richter würde heutzutage daran Anſtoß nehmen,
wenn die Klage des einen Geſellſchafters gegen den andern nach
Auflöſung der Geſellſchaft neben ſonſtigen Anträgen auch den
auf Theilung der gemeinſchaftlichen Gegenſtände enthielte; einem
römiſchen Richter hätte eine ſolche Klage gar nicht zukommen
können, es hätte zweier Klagen bedurft: der act. pro socio und
communi dividundo. 14) Das Darlehn als Realcontract hat
nach römiſchem Recht lediglich das Kapital zum Gegenſtande, das
Zinsverſprechen bildet einen beſondern Vertrag für ſich (Stipu-
lation); daraus folgt, daß es für beide, inſofern ſie nicht durch
eine gemeinſame Stipulation in eine Obligation verwandelt
wurden, ebenfalls zweier Klagen bedurfte.
Ueber die praktiſche Bedeutung der im Bisherigen durch Bei-
ſpiel ſattſam erläuterten Spaltung der Klagen werde ich kurz
hinweggehen dürfen. Der Leſer weiß bereits: jede ſolche Klage
[33]A. Der Proceß. Unzuläſſigkeit der Klagencumulation. §. 51.
bedeutete einen beſondern Proceß, nicht alſo, wie bei uns,
bloß ein materielles Klagerecht. Die Unterſcheidung der vor-
handenen Klagen im einzelnen Fall hat auch für uns ein hohes
Intereſſe, aber regelmäßig nur das der richtigen materiellen
Claſſification und Beurtheilung des Anſpruchs, nicht aber ein
proceſſualiſches, denn unſer heutiger Proceß verſtattet die Cumu-
lation mehrer Klagen in einem Proceß. Während er ſie nun
ſelbſt da zuläßt, wo die mehren Klagen in gar keinem innern
oder äußern Nexus ſtehen, z. B. wo ſie ſich auf völlig verſchie-
dene Gründe ſtützen und völlig verſchiedene Zwecke verfolgen,
ſchließt der römiſche Proceß die Cumulation ſelbſt da aus, wo
zwiſchen den mehren Klagen die engſte Verwandtſchaft beſteht.
Er behandelt die Klagen nicht wie wir, bloß als materiell recht-
liche Begriffe, als Klagrechte, ſondern als proceſſualiſche
Individuen, die auch da, wo ſie mit andern zuſammentreffen,
ihre Individualität behaupten und bethätigen.
Mit dieſer Behauptung ſteht die herrſchende Lehre in Wider-
ſpruch, welche eine Klagencumulation ſchon nach römiſchem
Recht für zuläſſig erklärt. Die Stellen, auf die ſie ſich beruft,
ſprechen zum Theil von der gleich zeitigen Anſtellung mehrer
Klagen und Ueberweiſung derſelben an einen und denſelben
Richter, allein ſo wenig wie heutzutage die gleichzeitige Erhe-
bung mehrer Klagen vor einem und demſelben Richter, wenn
ſie durch ebenſoviel verſchiedene Akte erfolgt, als Klagen vor-
handen ſind, unter den Geſichtspunkt der Cumulation fällt,
ebenſowenig im römiſchen Proceß. Die verſchiedenen Klagen
ſchmolzen hier wegen der bloßen Identität des Richters und der
Partheien nicht zu einem Proceß zuſammen, 15) ſondern jede
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 3
[34]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
blieb für ſich, hatte ihre beſondereformula16) und war mit-
hin durch einen beſondern17) Urtheilsſpruch zu erledigen.
Gegen eine derartige gleichzeitige Verhandlung mehrer Klagen
vor demſelben Richter hatte das römiſche Recht ſo wenig etwas
zu erinnern, daß es dieſelbe in ſpäterer Zeit ſogar auf indirectem
Wege zu erzwingen ſuchte. 18) Um eine wirkliche Klagencumu-
lation zuzulaſſen, d. h. die mehren Klagen in eine Formel zu
bringen, hätten die Römer ihr ganzes Klagenſyſtem und die
Theorie der Formeln aufgeben müſſen. In dem Legisactionen-
proceß, wenigſtens für die urſprünglich alleinige Form des pro-
ceſſualiſchen Verfahrens, die durch sacramentum, ſtellten ſich der
Klagencumulation noch ganz ſpecielle Gründe entgegen. Zu-
nächſt nämlich das fiskaliſche Intereſſe. Jede Streitſache brachte
dem betreffenden Fond (B. 1 S. 265) einsacramentum ein,
Klagencumulation hätte hier alſo ſo viel geheißen, als denſelben
in ſeiner Einnahme verkürzen, mehre Proceſſe um den Preis
einessacramentum führen. Sodann die Proceßform. Der
Streit wurde formell um das sacramentum geführt, und der Rich-
terſpruch lautete auf sacramentum justum und injustum esse
(B. 1 S. 158). Wie hätte nun wohl das Urtheil lauten ſollen,
wenn bei der Verbindung mehrer Proceßſachen zu einem Pro-
ceß der Richter in der einen dem Kläger, in der andern dem Be-
[35]A. Der Proceß. Unzuläſſigkeit der Klagencumulation. §. 51.
klagten den Sieg hätte zuerkennen wollen? Hier konnte weder
das sacramentum der einen, noch das der andern Parthei für
ganz verwirkt oder für ganz rückfällig erklärt werden, es
hätte alſo nichts erübrigt, als das sacramentum zu theilen! —
eine Idee, zu der ſich ſchwerlich Jemand bekennen wird.
Wenn ich ſo eben die Möglichkeit der Klagencumulation
auch für das neuere römiſche Recht in Abrede geſtellt habe, ſo
darf ich doch nicht verſchweigen, daß unſere Quellen drei unläug-
bare Fälle des Gegentheils enthalten; ſie erlauben nämlich, eine
einzigeact. familiae erciscundae in Anwendung auf mehre
denſelben Partheien gemeinſchaftliche Erbſchaften, eine einzige
act. pro socio für mehre unter ihnen beſtehende Societäten und
eineact. emti für einen vom Erblaſſer und einen vom Erben
mit derſelben Perſon über dieſelbe Sache abgeſchloſſenen Kauf-
contract. 19) Der Umſtand, daß alle dieſe Fälle Obligations-
verhältniſſe derſelben Art zum Gegenſtand haben, während
ſich für die Cumulation verſchiedener Klagen, z. B. einer
act. venditi und locati kein Beiſpiel beibringen läßt, iſt ſicherlich
kein rein zufälliger; er erklärt jedenfalls die formelle Möglich-
keit einer ſolchen Cumulation, indem es dazu in dieſen Fällen
keiner Aenderung der gewöhnlichen formula der act. pro socio
u. ſ. w., keiner beſonders conſtruirten Doppel-Formel bedurfte,
und dieſe Leichtigkeit einer Abweichung von der ältern Regel
mag in einer Zeit, da, wie im dritten Syſtem zu zeigen iſt,
der Sinn für die ſcharfen Formen und die Plaſtik des alten
Proceſſes bedeutend im Abnehmen war, den Ausſchlag gegeben
3*
[36]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
haben, während in allen andern Fällen die formelle Schwierig-
keit ein unüberſteigliches Hinderniß entgegen ſetzte. So hat die
bereits vielfach von uns erprobte conſervirende Macht der Form
(B. 2 S. 543) ſich auch hier wieder ein Mal bethätigt. Ohne
das Formelnweſen wäre unſere heutige Klagencumulation ſtatt
bei uns, wahrſcheinlich ſchon in Rom zur Welt gekommen!
Wir wenden uns jetzt der ebenſo ſchwierigen, wie wichtigen
Frage zu: durch welchen Geſichtspunkt hat das römiſche Recht
ſich bei der Scheidung und Abgränzung der Klagen leiten laſſen?
Ich meine nicht den Zweck, den es damit verfolgte, der iſt uns
bereits bekannt (S. 21), ſondern die Rückſicht, durch die es
beſtimmt wurde, das Gebiet der einzelnen Klage gerade ſo weit
und nicht weiter abzugränzen. — Aber hat es überhaupt eine
beſtimmte Rückſicht, ein Geſetz dabei verfolgt? Wäre es nicht
der Fall, ſo würden wir bloß von einer analytiſchen Tendenz
des ältern Rechts ſprechen dürfen, bei der wir über das Einzelne
keine Rechenſchaft zu geben brauchten, daſſelbe vielmehr als
Werk individueller Beliebung dahin geſtellt ſein laſſen dürften,
während wir im umgekehrten Fall die Verpflichtung überneh-
men, über das Einzelne Rede und Antwort zu ſtehen.
Wir brauchen vor dieſer Verpflichtung nicht zurück zu ſchrecken;
ein ſolches Geſetz exiſtirt und läßt ſich bis in das Einzelnſte hin-
ein verfolgen. Wir ſind in der Lage, die Erwägungen, die vor
Jahrtauſenden die erſten und älteſten Bildner des römiſchen
Rechts bei Abgränzung der Klagen geleitet haben, den Einſchnitt
im einzelnen Fall gerade da zu machen, wo ſie es gethan, noch
heute nachzuweiſen, den Bildungsproceß des römiſchen Klagen-
ſyſtems vor unſerm Auge zu reproduciren.
Nicht ein vages Gefühl von dem Werth der analytiſchen Me-
thode war es, das ſie dabei trieb; ſie wußten genau das Warum
und Bis-wie-weit, und den praktiſchen Zweck des Scheidens
[37]A. Der Proceß. Zweck und Gränze der Klagzerſetzung. §. 51.
feſt im Auge haltend, waren ſie geſichert gegen die Gefahr einer
Ausartung ihrer Thätigkeit in unfruchtbare Begriffsſpalterei,
gegen jenen Abweg, auf dem das Scheiden Selbſtzweck und
Krankheit wird.
Von dieſer Verirrung, welche zu Zeiten wiſſenſchaftlicher
Oede und Dürre das ſchöpferiſche Denken erſetzt und carikirt,
gilt was Quintilian 20) treffend ſagt: ſie ſpaltet ſelbſt das, was
ſeiner Natur nach einfach iſt, und indem ſie nicht ſowohl ſcheidet,
als zerſtückelt, bewirkt ſie durch ihre Unterſcheidungen gerade das,
was ſie abwehren will: Dunkelheit. Es bedarf nur eines
Blickes auf das ältere Recht, um ſich zu überzeugen, daß es ſich
von dieſer Verirrung völlig frei gehalten hat. Wäre es ihm
darum zu thun geweſen, möglichſt kleine Klagen zu ſchaffen, es
hätte wie bei der Vindication der mehren Pferde (S. 28), ſo
auch bei dem Kauf derſelben eben ſo viele Klagen geben können,
als Objecte vorhanden ſind; oder da es für die Stipulation den
Satz aufſtellt: tot stipulationes, quot res, d. h. wenn eine
Stipulation mehre Gegenſtände umfaßt, ſo iſt es ſo gut, als ob
über jeden derſelben eine beſondere Stipulation abgeſchloſſen
wäre, ſo hätte es dieſem Satze, deſſen hauptſächliche, wenn
nicht ausſchließliche praktiſche Bedeutung in der Klagenconſum-
tion und der exc. rei judicatae liegt, auch die Tragweite ein-
räumen können, daß über jeden der mehren Gegenſtände beſon-
ders hätte geklagt werden müſſen; kurz ſoweit für den Klä-
ger die Möglichkeit einer Theilung der Klage reichte, hätte
es dieſelbe zur Nothwendigkeit erheben müſſen. Eine ſolche
Zerſetzung des Klagſtoffs hätte in der That mit dem Ausdruck
Quintilians den Namen der Zerſtücklung verdient; weit entfernt
einem praktiſchen Intereſſe zu dienen, hätte ſie demſelben viel-
[38]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
mehr in einer Weiſe widerſtrebt, die ſie ſelbſt zur Unmöglichkeit
ſtempeln mußte. 21)
Verfolgen wir dieſen Weg weiter, ſo führt er uns von ſelbſt
zum Ziel. Warum wäre es ſinnlos geweſen, die zehn Gegen-
ſtände der Stipulation durch zehn beſondere Klagen verfolgen zu
laſſen? Weil der Richter in den zehn Proceſſen immer eine und
dieſelbe Frage hätte behandeln, immer auf einen und denſelben
Klaggrund, mit dem ſämmtliche Klagen ſtehen und fallen, hätte
zurückkommen müſſen. Keine derſelben weicht von der andern
auch nur im mindeſten ab; was ſie haben, haben ſie ſämmtlich
gemein, und ob der Richter bloß eine von ihnen oder alle zehn
auf ein Mal entſcheidet, die Mühe iſt ganz dieſelbe. Vom
Standpunkte des Richters aus — und der ſoll ja für die Frage
von der Scheidung der maßgebende ſein — bedarf es hier nur
einer Unterſuchung, das heißt aber m. a. W.: es liegt hier
eine Klage, ein Anſpruch vor.
Ganz anders bei der Vindication einer Mehrheit von Ge-
genſtänden. Die Unterſuchung muß hier auf jeden einzelnen
Gegenſtand allein gerichtet werden, 22) denn aus dem Eigenthum
[39]A. Der Proceß. Individualitätsmoment des Eigenthums. §. 51.
an dem einen folgt nicht das an dem andern — es liegen ſo
viel ſelbſtändige Fragen als Gegenſtände vor, und um dem
Richter Gelegenheit zu geben, über jede einzelne beſonders zu
antworten, bedarf es der Form der ſeparaten Klage; ohne dieſe
Form hätte er dies nicht gekonnt, vielmehr über ſämmtliche gleich-
lautend entweder mit Ja oder Nein antworten müſſen.
Bei der Obligation beſtimmt ſich demnach die Mehrfältig-
keit des Verhältniſſes nach dem Entſtehungsgrunde, bei
dem Eigenthum nach dem Gegenſtande; dort gilt der Satz:
ſo viel obligatoriſche Thatſachen ſo viel perſön-
liche Klagen, 23) hier: ſo viel Gegenſtände ſo viel
Vindicationen. Der Umfang, in dem der Eigenthums-
begriff ſich im einzelnen Fall bethätigt und erſchöpft, iſt durch die
Natur, d. i. durch die Sache ſelbſt, vorgezeichnet; Recht und
Gegenſtand fallen, wie auch der Sprachgebrauch, welcher die
Sache ſtatt des Rechts nennt, andeutet, in dem Maße zuſam-
men, daß jenes hinter dieſem weder zurückbleiben, noch über
denſelben hinausgehen kann, d. h. an einer Sache ſind nicht
zwei Eigenthumsverhältniſſe möglich (Einheit der Sache
Einheit des Rechts — Lehre von der Acceſſion) und an
zwei Sachen nicht ein Eigenthum (Mehrheit der Sache
Mehrheit des Eigenthums). Bei der Obligation hinge-
gen beſtimmt lediglich der ſubjective Wille den Umfang des ein-
zelnen Rechtsverhältniſſes. Ob die Stipulation auf 100 oder
1000 lauten, der Kaufcontract einen oder zehn Gegenſtände um-
22)
[40]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
faſſen ſoll, hängt vom Belieben der Partheien ab; die Obligation
iſt ſo zu ſagen ein leerer Beutel von unbegränzter Elaſticität, in
den ſie beliebig viel oder wenig hineinpacken, den ſie zuſchnüren
können, wann und wo ſie wollen. Ob ſie nun, um im Bilde zu
bleiben, für mehre Gegenſtände einen oder mehre Beutel nehmen
wollen, iſt ihre Sache, aber jedes Zuſchnüren (contrahere) be-
deutet einen Beutel, jeder Beutel eine Obligation, folglich eine
Klage. Denn während die Entſcheidung der allein relevanten Frage,
ob der Beutel richtig geſchnürt und gebunden iſt, über ihn und
ſeinen ganzen Inhalt entſcheidet, die Frage alſo für ſämmtliche
darin enthaltene Gegenſtände eine und dieſelbe iſt, muß ſie für
jede andere zwiſchen dieſen Partheien abgeſchloſſene Obligation
jedes Mal von neuem aufgeworfen werden, denn daraus, daß
das eine Mal gültig contrahirt iſt, folgt daſſelbe nicht auch für
ein anderes Mal, und dieſe mehren Fragen in denſelben Pro-
ceß zuſammenwerfen, hätte für den römiſchen Proceß geheißen:
dem Richter die ſelbſtändige Beantwortung jeder einzelnen un-
möglich machen, ihn zwingen, ſie entweder ſämmtlich zu be-
jahen oder ſämmtlich zu verneinen.
Der eben ausgeſprochene ziemlich einfache Grundſatz kann
in der Anwendung zu Schwierigkeiten führen, denn das Ver-
hältniß geſtaltet ſich nicht immer ſo einfach, wie hier angenom-
men, vielmehr nimmt es nicht ſelten den täuſchenden Schein
an, als ob bloß ein einziger Obligationsgrund vorliege, wäh-
rend das Recht doch mehre Obligationen, und umgekehrt als ob
mehre Obligationsgründe vorliegen, während doch das Recht
nur eine Obligation annimmt. Erſteres tritt ein, wenn z. B.
Jemand mit dem Abſchluß eines Pachtcontracts zugleich einen
Kaufcontract verbindet. In Wirklichkeit ſind hier zwei ſelbſtän-
dige obligatoriſche Thatſachen vorhanden, welche nur der Kürze
wegen — eine Kürze, die im ältern Recht entſchieden unſtatt-
haft war (§. 53) — in einen äußern Akt zuſammengezogen
werden. Ein anderes Beiſpiel bietet das obige (S. 29) der
reiperſequutoriſchen und Pönal-Klage. Beide werden durch
[41]A. Der Proceß. Individualitätsmoment der Obligation. §. 51.
einen und denſelben äußern Akt: das Delict, ins Leben gerufen,
allein der obligatoriſche Grund beider iſt verſchieden, bei der
einen, der Pönal-Klage, beſteht er in dem Delict, bei der an-
dern hingegen in der durch das Delict bewirkten Vermögens-
veränderung, zu der ſich das Delict ſelbſt bloß als äußere Ver-
anlaſſung verhält, und welche, wie ſie ohne Delict vorkom-
men, ſo auch umgekehrt bei letzterem fehlen kann. Trotz dieſer
Verſchiedenheit des Geſichtspunktes, der ihnen beiden zu Grunde
liegt, wäre ein Grund zur Aufſtellung zweier Klagen, wenn
beide nur im übrigen ganz denſelben Weg gehen würden, hier eben
ſo wenig vorhanden geweſen, wie z. B. bei der act. pro socio,
mandati, tutelae rückſichtlich der verſchiedenen Poſten, welche ſie
umfaſſen können (Herausgabe der erhobenen Gelder, Schadens-
erſatz für culpa u. a.), und von denen im einzelnen Fall der eine
Poſten ohne den andern vorkommen kann. Allein dieſe letzteren
Poſten gehen, wenn ſie vorhanden ſind, ſtets dieſelben Wege,
erleiden dieſelben Schickſale, jene beiden Anſprüche dagegen ſind
nicht aneinander gekettet, der eine erliſcht mit dem Tode des
Schuldigen, der andere wird auf ſeine Erben transmittirt, der
eine verjährt unter Umſtänden ſchon in einem Jahre, der andere
nach früherem Recht gar nicht, nach ſpäterem erſt in längerer
Zeit. Hatte man einmal für beide Anſprüche ſolche Verſchieden-
heiten ſtatuirt, ſo verſtand ſich in der correcten Sprache des älte-
ren Rechts die Bezeichnung derſelben als zweier Klagen von
ſelbſt, denn wie hätte der Richter mit Ja oder Nein antworten
ſollen, wenn er ſich überzeugt hätte, daß der Anſpruch auf die Strafe
bereits verjährt war, der reiperſequutoriſche dagegen noch nicht.
Das ſpätere Recht freilich fand nichts Anſtößiges darin, eine
Delictsklage in ihrer Richtung auf die Strafe mit dem Tod oder
Ablauf der Verjährungsfriſt untergehen, in Richtung auf die
Sache aber fortdauern zu laſſen, 24) — eine Erſcheinung, die
[42]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
zu den oben S. 29 charakteriſirten gehört, und in der ein Juriſt
der guten alten Zeit einen nicht geringeren Verſtoß gegen die
Elementarbegriffe ſeiner Kunſt gefunden haben würde, als ein
muſikaliſcher Puriſt des vorigen Jahrhunderts in Quintengängen
und ſo vielen muſikaliſchen Freiheiten, welche die neuern Muſiker
ſich herausnehmen. Man könnte mir den Einwand machen,
warum das ältere Recht nicht wenigſtens da, wo jene beiden
Anſprüche zufälligerweiſe ganz zuſammenfielen, verſtattet habe,
ſie in einer Klage geltend zu machen. Als Antwort diene:
erſtens daß die Frage: ob ſie zuſammenfallen, erſt im Proceß
ſelbſt feſtgeſtellt werden kann, und ſodann, daß, wenn man die
Scheidung der Klagen von dem zufälligen Zuſammen-
oder Auseinanderfallen hätte abhängig machen wollen, der
Zweck und Grundgedanke des Klagenſyſtems vereitelt worden
wäre; denn derſelbe beſteht ja gerade darin, daß da, wo im ein-
zelnen Falle mehre Anſprüche zuſammentreffen, das ſtrenge Aus-
einanderhalten der materiellen Geſichtspunkte durch proceſ-
ſualiſche Scheidung derſelben geſichert werden ſoll.
Ein anderes Beiſpiel möge dies unterſtützen. Bekanntlich iſt
ein Miteigenthum ohne Societät und eine Societät ohne Mit-
eigenthum möglich, oder in der Sprache der Klagen aus-
gedrückt: es gibt außer der act. pro socio noch eine act. com-
muni dividundo. Wenn nun beide Rechtsverhältniſſe in den-
ſelben Perſonen zuſammentreffen, begründet durch einen und
denſelben Akt der Eingehung der Societät, ſo könnte man glau-
ben, daß eine Klage dafür ausreiche. Allein angenommen,
man hätte ſich dafür entſchieden, ſo wäre man, wenn der eine
von beiden Miteigenthümern ſeinen Antheil veräußert hätte,
ſofort wieder in die Nothwendigkeit verſetzt worden, zwei Kla-
gen zuzulaſſen, denn der Anſpruch auf Theilung (die act. comm.
div.) geht activ und paſſiv auf den Singularſucceſſor über,
während Recht und Verbindlichkeit aus dem Societätsvertrag
(die act. pro socio) bei dem Geſellſchafter verbleibt. Jeder die-
ſer beiden Anſprüche geht ſeine eignen Wege und hat ſeine eigne
[43]A. Der Proceß. Individualitätsmoment der Obligation. §. 51.
Natur; der eine hat activ und paſſiv zu ſeinen Trägern ſpe-
cifiſch beſtimmte, der andere abſtract beſtimmte Subjecte
(die jedesmaligen Eigenthümer). Jene Gemeinſamkeit der
Entſtehung beſchränkt ſich aber auch hier wiederum bloß auf den
äußern Akt, in dem zufälligerweiſe zwei völlig ſelbſtändige
und verſchiedenartige Obligationsgründe zur Exiſtenz gelangen,
der Societätsvertrag und die bei Gelegenheit deſſelben vor-
genommene Mittheilung des Eigenthums.
Dem ſo eben betrachteten Fall ſteht gegenüber Einheit der
Obligation bei ſcheinbarer Mehrheit der Obligationsgründe.
Alle Delicte, die der Vormund, Mandatar in Sachen der Ge-
ſchäftsführung ſich hat zu Schulden kommen laſſen, werden mit
einer Klage verfolgt, während doch ſonſt der Grundſatz gilt:
ſo viel Delicte ſo viel Klagen. Worauf beruht die
Abweichung von unſerm Grundſatz? Sie iſt gar keine, denn
das Mandats- oder Vormundſchaftsverhältniß begründet einen
neuen, weiten Pflichtenkreis, dem gegenüber jene Delicte als
Verletzung der contractlichen Verbindlichkeit erſcheinen. Die ein-
zelnen Anſprüche, die aus dieſem Verhältniß ſich ergeben, bilden
mithin nicht beſondere Forderungen, ſondern nur einzelne
Poſten25) der act. mandati, tutelae — welche die Klagformel
mit der Collectivbezeichnung (quidquid ob eam rem dare facere
oportet) auch formell zur Einheit zuſammenfaßte, und der
Richter ſämmtlich von dem einen Standpunkt des Mandats-
und Vormundſchaftsverhältniſſes aus zu würdigen hatte.
Dieſen Fällen ſchließen ſich einige andere von ähnlicher Be-
wandniß an, ſo z. B. die Klage des Banquiers auf Auszahlung
ſeines Saldos 26) d. h. des ſchließlichen Guthabens aus ſeiner,
eine Reihe der verſchiedenartigſten Einnahme- und Ausgabe-
[44]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
poſten umfaſſenden Abrechnung. 27) Wie beim Mandatsver-
hältniß, ſo laſſen ſich auch hier die ſämmtlichen einzelnen Rechts-
geſchäfte unter den einen Geſichtspunkt der fremden Vermö-
gensverwaltung bringen. 28) Befremden erregen kann im erſten
Moment die Beſtimmung des römiſchen Rechts, daß der Prä-
legatar das ihm hinterlaſſene Legat mit der act. fam. ercisc.
einklagen ſoll, 29) indem dieſe Klage ja nur die Erbtheile zum
Gegenſtande hat, für Legate aber eine eigne Klage beſteht. Allein
das Prälegat enthält nach Auffaſſung der Römer nur eine Ver-
fügung über die Realtheilung der Erbmaſſe und fällt mithin
unter die Erbtheilungsklage. Auf der Gränze zwiſchen Kriminal-
und Civilproceß liegt der Repetundenproceß, der ähnlich wie die
Klage aus der Tutel, die geſammte Verwaltung des Beamten
und alle daraus für ſeine früheren Amtseingeſeſſenen ſich er-
gebenden Anſprüche zum Gegenſtande hat. 30)
Die bisherige Ausführung hat den Geſichtspunkt, den wir
oben (S. 39) für die Obligation aufgeſtellt haben, gegen ſchein-
bare Abweichungen in Schutz nehmen ſollen, und wir dürfen
jetzt nach dieſer Abſchweifung unſern Weg weiter fortſetzen.
Alles was oben (S. 40) von der Obligation geſagt iſt, gilt
auch für das Erbrecht. Wie jene, iſt auch die Erbſchaft eine
leere, elaſtiſche Form, welche beliebig viel und wenig in ſich auf-
[45]A. Der Proceß. Individualitätsmoment des Erbrechts. §. 51.
nehmen kann; die Klage verhält ſich auch bei ihr gegen die
Mehrheit der Gegenſtände vollkommen indifferent. 31) Das In-
dividualitäts- und Identitätsmoment, welches bei dem
Eigenthum in der Sache, bei der Obligation in dem Ent-
ſtehungsgrunde liegt, beruht hier auf der Delation: ſo
viel Delationen ſo viel Klagen; 32) denn die Delation
begründet, auch wenn Erbſchaft, Prätendent und Beklagter die-
ſelben ſind, eine neue Frage, indem daraus, daß erſterer nicht im
Teſtament oder in keinem gültigen eingeſetzt iſt, noch nichts für
ſein Inteſtaterbrecht geſchloſſen werden kann, ihm aber anderer-
ſeits nicht zugemuthet werden kann, unbeſtimmt ohne Detaillirung
der causa ſchlechthin ſein „Erbrecht“ zur Verhandlung zu ſtellen;
denn die Verſchiedenheit des Delationsgrundes iſt beim Erb-
recht nicht etwa, wie beim Eigenthum, eine bloße Verſchiedenheit
des Grundes des Rechts, ſondern des Rechts ſelbſt, ſie gibt
ihm möglicherweiſe z. B. wegen der im Teſtament angeordneten
Vermächtniſſe oder abweichend von der Inteſtaterbfolgeordnung
[46]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
beſtimmten Erbtheile einen völlig verſchiedenen Inhalt; der
Delationsgrund individualiſirt das Erbrecht.
Es kann nicht in unſerer Abſicht liegen, den Geſichtspunkt,
den wir bisher bei einigen der wichtigſten Verhältniſſe des Rechts,
dem Eigenthum, Erbrecht und der Obligation erprobt haben,
durch das ganze Recht und bis ins kleinſte Detail durchzufüh-
ren. 33) Dagegen wollen wir dies noch thun bei einigen der Bei-
ſpiele, mit denen wir oben unſere Darſtellung eingeleitet haben.
Als Preisſtück der proceſſualiſchen Zerſetzung haben wir dort
(S. 28) die act. aquae pluviae arcendae nebſt den ſie beglei-
tenden Klagen genannt. Die Analytik des Verhältniſſes, aus
dem ſie hervorgehen, führt zu folgenden Erwägungen. Wenn
das Werk, durch das Jemand den Lauf des Regenwaſſers ge-
ändert hat, für den Nachbar bloß mit einer einmaligen Be-
ſchädigung verbunden geweſen iſt, ohne eine Wiederholung der-
ſelben in Ausſicht zu ſtellen, ſo wäre das Verlangen einer Be-
ſeitigung des Werks ein völlig ungerechtfertigtes, der Anſpruch
des Verletzten wird ſich hier mithin auf Schadenserſatzleiſtung
mittelſt der geeigneten Klagen (Note 10 a. E.) beſchränken müſ-
ſen, ein Anſpruch, der activ und paſſiv an die urſprünglichen
Perſonen gebunden iſt, auf die Käufer der beiderſeitigen Grund-
ſtücke aber, welche den Schaden weder erlitten, noch zugefügt
haben, nicht übergeht. Ganz anders, wenn jenes Werk den
Nachbarn dauernd in widerrechtlicher Weiſe beeinträchtigt. 34)
Dieſe Rechtsverletzung läßt ſich nicht durch einmaligen Schadens-
erſatz, ſondern nur durch Wegnahme des Werks beſeitigen, und
der Anſpruch kann nicht, wie der obige, activ und paſſiv auf die
urſprünglichen Perſonen beſchränkt, muß vielmehr auch auf
deren Singularſucceſſoren erſtreckt werden, denn jenes hieße
[47]A. Der Proceß. Exemplification des Grundſatzes. §. 51.
das Intereſſe des Grundſtücks dem Zufall Preis geben — ein
Wechſel des Eigenthümers, z. B. durch Verkauf auf der einen,
durch Legat auf der andern Seite, und das Grundſtück wäre für
ewige Zeiten hülflos! Wenn man aber den Anſpruch einmal
in dieſer Richtung anerkannt hat, ſo kann man ihn mit dem ſo
eben betrachteten nicht in eine Klage ſpannen, denn das hieße
ſie beide zwingen, ſtets denſelben Weg zu gehen, während doch
ihre Wege auseinander gehen. Eben ſo wenig konnte man den
Anſpruch in die Form der act. negatoria oder confessoria weiſen
und ſo die ganze act. aq. pl. arc. entbehrlich machen. Er-
ſtere paßte nicht, weil der Beklagte keinen Eingriff in des Klä-
gers Eigenthum vorgenommen hatte, letztere nicht, weil es
ſich hierbei nicht um eine Servitut, ſondern eine geſetzliche
Vorſchrift handelte, und zugleich bedurfte es der Formel der in
personam actio, weil der Beklagte zu einem Thun angehalten
werden ſollte, was durch eine in rem actio ſich nicht erreichen ließ.
Die Nothwendigkeit einer eigenen act. aq. pl. arc. wegen
neuer, während der Dauer des Proceſſes errichteter Werke er-
klärt ſich von ſelbſt, denn daraus, daß das Werk, worüber in
dieſem Proceß geſtritten wird, unſtatthaft iſt, folgt nichts für das
neue, und wenn man dieſe völlig neue Frage in den ſchwebenden
Proceß hätte werfen wollen, ſo hätte man daſſelbe auch mit einem
neuen Kaufcontract oder Diebſtahl gegenüber einer anhängigen
act. emti oder furti thun können! Was endlich die vierte dort
genannte Klage betrifft, ſo hört die Macht des Richters mit dem
Urtheil auf, für alles, was ſpäter geſchieht, bedarf es alſo einer
neuen Klage.
Die Nothwendigkeit einer Trennung der act. negatoria und
confessoria von der Schadenserſatzklage (Note 10) ergibt ſich
aus dem Bisherigen zur Genüge: die eine geht gegen den
jedesmaligen Beſitzer, die andere gegen den Thäter.
Die Trennung der act. ad exhibendum von der reivindica-
tio hat, ſoweit ich ſehe, mehr einen doctrinären, als praktiſchen
Grund gehabt. Beide Klagen gehen gegen den Inhaber als
[48]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
ſolchen und haben daſſelbe Fundament, ich wüßte daher keinen
andern Grund ihrer Scheidung anzugeben, als das für die letz-
tere Klage geltende Requiſit der äußern ſelbſtändigen Exiſtenz
der Sache, welches durch das vorſchriftmäßige Bringen und
Ergreifen der Sache vor Gericht zur proceſſualiſchen Noth-
wendigkeit geſtempelt war, und welches durch die reivind. ſelbſt
nicht beſchafft werden konnte, indem ſie den Beklagten nicht zu
einem Thun verpflichtete, ohne deſſen Erlaubniß aber anderer-
ſeits der Kläger die Trennung nicht vornehmen durfte.
Aelteres und neueres Syſtem derſelben. — Vertheidigung in Form
der Negation (Formulirung der Klage in jus und in factum).
— Spielraum derſelben im Vergleich zur Exception. — Möglich-
keit der Geltendmachung eines Gegenanſpruches in proceſſualiſch
unſichtbarer Form (Rechtsſätze mit Exceptionszweck) und in pro-
ceſſualiſch ſichtbarer Form (Klage mit Vorbehalt des gegneriſchen
Rechts. — Subſtituirung einer andern Klagformel im Intereſſe
des Beklagten — Doppelklage.) — Vertheidigung in Form der
Klage — die proceſſualiſche Strafklage und die leges imper-
fectae — Geſammturtheil über den analytiſchen Mechanismus
des alten Proceſſes.
‘Nec omnino ita ut nunc usus erat illis temporibus
exceptionum.’ (Gaj. IV. 108.)
LII. Sollte der Grundſatz: ein Proceß eine Frage, ſeinen
Zweck erreichen, ſo mußte er, wie bereits oben (S. 23) bemerkt,
für beide Theile gelten. Was half es, der in der Häufung der
Fragen liegenden Gefahr der Anſchwellung des Proceſſes und
der daraus ſich ergebenden Verwirrung und Verſchleppung
deſſelben von der einen Seite vorbeugen, wenn ſie von der
andern Seite und gerade von der, von welcher ſie am erſten
zu beſorgen iſt, freien Zutritt hatte? Den Kläger hält ſchon
ſein eigenes Intereſſe ab, dieſe Gefahr heraufzubeſchwören, oder
ſollte ihn wenigſtens abhalten, das Intereſſe des Beklagten aber
[49]A. Der Proceß. Die Vertheidigung. — Organiſation derſelben. §. 52.
iſt das gerade entgegengeſetzte, jede Frage, die er in den Proceß
hineinſpielt, iſt ein Hinderniß, das dem Kläger die Erreichung
des Ziels erſchwert und verzögert.
Aber andererſeits wie kann man ihn in der Wahl und Zahl
ſeiner Vertheidigungsmittel beſchränken? Die Lage der beiden
Partheien iſt ja eine völlig ungleiche. Der Kläger hat die Ini-
tiative, er kann den Zeitpunkt beſtimmen, wann er klagen will,
ſeinen Angriff lange vorbereiten, ſeine Beweiſe vorher ſammeln,
und abgewieſen mit dieſer Klage zu einer neuen greifen. Von
alle dem gilt das gerade Gegentheil für den Beklagten. Ihn
der Beſchränkung unterwerfen, die bei dem Kläger vollkommen
gerechtfertigt iſt — heißt das nicht, in geradem Gegenſatz zu dem,
was die natürliche Geſtalt des Verhältniſſes mit ſich bringt, der
Klage ein Uebergewicht über die Vertheidigung geben?
So ſcheint es, allein dies iſt nur Schein. Es handelt ſich
nämlich nicht um eine materielle Beſchränkung des Beklagten in
dem Gebrauch ſeiner Vertheidigungsmittel, ſondern lediglich um
die Form dieſes Gebrauchs. Dieſe kann nämlich eine doppelte
ſein. Die einfache und natürliche Form beſteht in der Benutzung
der Vertheidigungsmittel der Klage gegenüber; hier wird die
Klage durch die Vertheidigung, ſelbſt wenn letztere [noch] ſo frivol
iſt, in ihrem Lauf aufgehalten, bis über Beide entſchieden werden
kann. Die zweite, künſtlichere Form iſt die der Widerklage oder
Nachklage; hier wird die Unterſuchung der Vertheidigungs-
gründe einem eignen vom Beklagten zu erhebenden Proceß über-
wieſen, der Lauf der Klage alſo dadurch nicht unterbrochen, die
Vertheidigung nimmt hier mithin die Geſtalt einer Klage auf
Wiedererlangung deſſen an, was der Beklagte dem Kläger auf
Grund der Condemnation im erſten Proceß hat entrichten
müſſen. Das neuere römiſche Recht gibt dem Beklagten für die
meiſten Vertheidigungsgründe die Wahl, ob er ſie in der einen
oder andern Form geltend machen will, 35) einige weiſt es aus-
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 4
[50]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
ſchließlich in die erſte, 36) andere ausſchließlich in die zweite
Form. 37)
Letztere hat etwas höchſt Befremdendes. Warum gewährt
man dem Beklagten ein Mittel, das man ihm einmal zugedacht
hat, nicht zur rechten Zeit, warum verſetzt man ihn erſt in
die Lage zahlen zu müſſen, damit er ſodann das Gezahlte hinter-
her zurückfordere? Würden die Beklagten ſich immer nur wirk-
lich begründeter Einwendungen bedienen, ſo hätte ein ſolches
Verfahren allerdings keinen Sinn, allein es findet ſeine volle
Rechtfertigung in der unbegränzten Möglichkeit des Gegentheils
jener Vorausſetzung. Dieſe Möglichkeit nämlich ſetzt den Be-
klagten in Stand, den Proceß, der bei der Klarheit und Zweifel-
loſigkeit des klägeriſchen Rechts ſonſt ſofort beendet ſein würde,
durch lauter erdichtete Einwendungen in die Länge zu ziehen
und ſich während der Zeit auf Koſten des Klägers im Genuß
des Rechts zu behaupten, ein Nachtheil, für den ſeine endliche
Verurtheilung in den geſammten Schadenserſatz dem andern
Theile in der Regel nur einen unausreichenden Erſatz gewährt.
Wie dieſem Uebelſtande abhelfen? Das iſt die Beſtimmung der
obigen zweiten Form der Vertheidigung. 38) Ohne dem Beklag-
ten das abſolut nothwendige Maß der Vertheidigung zu ver-
kümmern, ſchneidet ſie ihm alle Einreden ab, welche die ange-
deutete Gefahr herbeiführen können. Raſch gelangt hier der
Kläger in den Genuß ſeines Rechts, und der Aufſchub, den die
Ausführung der Einreden verurſacht, kann ihm völlig gleichgül-
tig ſein, denn derſelbe gereicht nicht ihm, ſondern dem jetzigen
35)
[51]A. Der Proceß. Die Vertheidigung. Proceſſ. Gerechtigkeit. §. 52.
Kläger zum Nachtheil. Es beruht demnach jene Einrichtung
auf einer Ausgleichung der Verſchiedenheit der Partheirollen,
der Theilung der Vortheile des mit dem Beklagtenverhältniß
verbundenen Beſitzes zwiſchen beiden ſtreitführenden Theilen.
Eben in der möglichſt raſchen Gewinnung dieſer Vortheile liegt
für den jedesmaligen Kläger der wirkſamſte Sporn zur Beſchleu-
nigung des Proceſſes, und ſo paradox es klingt, man darf mit
Sicherheit behaupten, daß eine ſolche Zerlegung eines Proceſſes
in zwei den Streit vereinfacht und abkürzt, anſtatt ihn zu ver-
längern und zu vervielfachen; denn vor der Benutzung völlig
nichtiger Einwendungen in Form der Nachklage bebt doch gar
Mancher zurück, der es in Form der Einrede damit verſucht hätte.
Es liegt auf der Hand, daß die Anwendung dieſes Mittels,
wenn die berechtigte Rückſicht auf den Kläger nicht in ein Unrecht
gegen den Beklagten ausarten ſoll, an ganz beſtimmte Voraus-
ſetzungen geknüpft werden muß. In dieſer Hinſicht das Richtige
zu treffen, nach beiden Seiten das Extrem zu vermeiden und die
feine Mittellinie aufzuſuchen, die beiden Partheien gegenüber
der Idee der proceſſualiſchen Gerechtigkeit Genüge lei-
ſtet, das iſt die Aufgabe. Es iſt nicht dieſes Orts, dieſes ſchwie-
rige legislative Problem, für das weder die Jurisprudenz noch
die Geſetzgebung überall das richtige Verſtändniß bethätigt hat,
eingehender zu behandeln, allein zur richtigen Beurtheilung des
älteren römiſchen Proceſſes iſt wenigſtens ein Bewußtſein davon,
daß es exiſtirt, und eine gewiſſe Anſchauung von der Art ſeiner
concreten Geſtaltung erforderlich; ein weiteres iſt mit den fol-
genden Bemerkungen nicht beabſichtigt.
Bei einer Klage aus einem zweiſeitigen Geſchäft, wel-
ches für beide Theile Rechte und Verbindlichkeiten begründet,
kann der Umſtand, daß der Kläger ſeinen Anſpruch ſofort klar
ſtellt, unmöglich die Wirkung nach ſich ziehen, daß der Beklagte
mit ſeinen Gegenanſprüchen aus demſelben Geſchäft, ſoweit er ſie
nicht ebenfalls ſofort zu erweiſen im Stande iſt, in die Form der
Widerklage („ad separatum“) verwieſen werde. Denn Anſpruch
4*
[52]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
und Gegenanſpruch ſtehen hier im engſten Zuſammenhange, im
Verhältniß gegenſeitiger Abhängigkeit, und der Aufenthalt, den
der Beklagte veranlaßt, gleicht nur den Vorſprung aus, den der
Kläger dadurch vor ihm voraus hat, daß er vor dem Proceß
thun konnte, was der Beklagte während deſſelben thun muß.
So hat es denn auch das römiſche Recht von jeher, ſeitdem die
zweiſeitigen Geſchäfte als ſolche klagbar wurden, gehalten. Eine
ganz andere Behandlungsweiſe aber trat in dem Fall ein, wenn
die Partheien ihr Geſchäft in die Form von zwei einſeitigen Ver-
trägen (Stipulationen) kleideten, wie ſie vor dem angegebenen
Zeitpunkt es mußten, nachher aber es noch ſtets konnten
und ſehr häufig thaten. Hier ſtand jeder Anſpruch für ſich, und
es entſprach nur dem Willen beider Partheien, daß der eine in
ſeiner gerichtlichen Geltendmachung durch den andern nicht ge-
hemmt werden ſollte; hätten ſie das Gegentheil gewollt, ſo
hätten ſie dies auf dem Wege der bedingten Faſſung beider Sti-
pulationen erreichen können. Das neuere römiſche Recht hat
auch hier aus Gründen, auf die ich erſt am Ende des Para-
graphen eingehen kann, die Form der exceptionsweiſen
Geltendmachung der Gegenforderung zugelaſſen, ſo daß alſo —
und dies verdient ſicherlich keine Billigung — das Recht den
Partheien die Möglichkeit, ihrem Verhältniß die angegebene
Form zu geben geradezu abſchneidet.
Was im Bisherigen von urſprünglich zweiſeitigen Geſchäften
geſagt iſt, gilt natürlich in um ſo höherem Maße von urſprünglich
einſeitigen, und ich kann es auch hier wiederum nicht für eine
glückliche Aenderung halten, wenn das neuere Recht alle
Gründe, mit denen der Beklagte im Wege der Klage ihre Wirkſam-
keit beſeitigen kann, auch in Form der Einrede zuläßt und das
ganz allgemeine Princip aufſtellt: wer eine Klage habe, dem ſei
auch eine Einrede zu gewähren. 39) Die bedenklichſte Anwendung,
[53]A. Der Proceß. Die Vertheidigung. Einreden in Klagform. §. 52.
die das neuere Recht von dieſem Satz macht, iſt die unbeſchränkte
Zulaſſung der Compenſationseinrede, und ich glaube nicht zu
viel zu thun, wenn ich dieſen ſcheinbaren Triumph der Billig-
keit gegenüber dem ſtrengen Recht 40) geradezu als einen ſchweren
Verſtoß gegen die Idee der proceſſualiſchen Gerechtigkeit bezeichne
und darin nur eine Erſcheinung wieder finde, die ich im dritten
Syſtem mit manchen Belegen hoffe begründen zu können, nämlich
die Abſchwächung des geſunden, energiſchen Rechtsgefühls der
alten Zeit. Nur bei einer Materie hat auch das neuere Recht ſich
von dieſem Fehler gänzlich frei gehalten, nämlich beim Beſitz.
Wo es ſich um Klagen handelt, die den Beſitz zur Grundlage
haben, iſt jede Einrede, welche ſich auf das Recht bezieht, aus-
geſchloſſen, 41) und dieſem Gedanken hat das neuere Recht im
Erbrecht ſogar eine erweiterte Anwendung gegeben. 42)
Unſer heutiges Recht hat den Fehler des ſpätern römiſchen
zum großen Theil wieder gut gemacht, theils nämlich dadurch,
daß es dem Verkehr durch die an gewiſſe Urkunden (Wechſel und
instrumenta guarentigiata) geknüpfte privilegirte Proceßart
ſowohl bei zweiſeitigen als einſeitigen Geſchäften innerhalb ge-
wiſſer Gränzen die Erlangung der obigen Vortheile in Ausſicht
ſtellt, theils dadurch, daß es von dem Gedanken des Beſitzes den
ausgedehnteſten Gebrauch macht (Quaſibeſitz). So ſcheinbar
verſchieden dieſe beiden Verhältniſſe ſind, ſo iſt es doch daſſelbe
legislative Motiv, das ihre Geſtalt beſtimmt; bei beiden iſt es
nämlich der obige Zweck, die Vortheile der Beklagtenrolle in an-
gemeſſener Weiſe zwiſchen beiden Partheien zu vertheilen, das
Uebergewicht der Vertheidigung über die Klage auszugleichen.
[54]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Die bisherige Ausführung hat uns gezeigt, daß die unbe-
gränzte Zulaſſung des Vertheidigungsmaterials in Form der
Defenſive, weit entfernt durch die Idee der Gerechtigkeit geboten
zu ſein, umgekehrt mit den Anforderungen der wahren, äch-
ten Gerechtigkeit, welche ſich nicht allein nach dem bemißt,
was ſie gibt, ſondern auch nach dem, wann ſie es gibt, unter
Umſtänden in ſchneidenden Widerſpruch treten kann, und dieſes
Unrecht zu erkennen und zu beſeitigen — darein ſetze ich die Idee
und Beſtimmung der proceſſualiſchen Gerechtigkeit. Ob
mehr das Gefühl oder die Vorſtellung von ihr es war, was die
ältere Jurisprudenz bei der Geſtaltung des Proceſſes leitete,
oder mehr die Rückſicht auf die durch Häufung der Fragen be-
drohte Einfachheit und Ueberſichtlichkeit des Proceſſes, alſo ein
Geſichtspunkt der legislativen Politik, darüber wäre es müßig
zu rechten; genug! der ältere Proceß gibt beiden Gedanken ihr
volles Recht.
Es liegt die Frage nahe, nach welchen Rückſichten die Ver-
theilung des Vertheidigungsmaterials unter die beiden Formen
erfolgt ſein mag, warum der eine Einwand in die einer Negation
oder exceptio, der andere in die einer Gegenklage gebracht worden
iſt. Um dieſe Frage zu beantworten, müßte die Geſchichte uns
tiefere Blicke in die innere Entwickelung des römiſchen Rechts, vor
allem des Condictionenſyſtems verſtattet haben, als ſie es in
Wirklichkeit gethan. Manches iſt dabei unzweifelhaft rein hiſto-
riſch. So z. B. glaube ich, daß der Begriff einer Aufhebung der
Rechte „ipso jure“ und die Zahl der einzelnen Fälle im Laufe der
Zeit in ähnlicher Weiſe etwas Feſtſtehendes und hiſtoriſch Ab-
geſchloſſenes geworden iſt, wie der Begriff und die Zahl der con-
tractus und delicta. Gründe, denen erſt das ſpätere Recht eine
aufhebende Wirkung zugeſtand, wurden daher ſchon darum in die
Form der Klage getrieben, weil ihnen die der Negation (ſ. u.)
verſchloſſen war, die der exceptio aber, ſelbſt wenn ſie damals
bereits exiſtirte, wenigſtens ſolange noch die urſprünglichen An-
ſchauungen nicht ganz abhanden gekommen waren, ungleich
[55]A. Der Proceß. Die Vertheidigung im alten Proceß. §. 52.
mehr gegen ſich hatte, als die der Klage. Erſt durch die Form
der Klage hindurch arbeiteten ſie ſich zu der der Exception hinauf
— ein Punkt, auf den ich am Schluß des Paragraphen zurück-
kommen werde.
Die folgende Darſtellung beſchränkt ſich nicht auf die älteſte
Form des römiſchen Proceſſes. Es iſt nicht blos die Dürftigkeit
unſerer Kenntniß über den Legisactionenproceß, die uns zwingt,
unſern Blick auf den Formular-Proceß zu erweitern, ſondern es
iſt die Gleichheit des hier zur Betrachtung ſtehenden, ſie beide
gleichmäßig beherrſchenden Grundgedankens. Beide ſind gebaut
auf den Grundſatz der Einen Frage, aber während der eine,
ſoviel wir wiſſen, denſelben nie verläugnet hat, und auch der an-
dere in der erſten Periode ſeines Beſtehens an dieſem ſeinem
Fundament ſicherlich nicht gerüttelt hat, weiſt er in einer ſpätern
Phaſe ſeiner Entwicklung zwei Bildungen auf, die eine entſchie-
dene Abweichung von jenem Grundſatz enthalten. Beide ſind
prätoriſchen Urſprungs, die eine eine eigenthümliche Form der
Klage: die actio in factum, die andere die exceptio. Bei der
erſten war die Abweichung keine nothwendige und durchgehende,
ſie konnte unter Umſtänden auf einen Fragepunkt geſtellt
werden, aber regelmäßig enthielt ſie zwei; bei der andern da-
gegen war dieſe Abweichung durch ihre Form ſelbſt mit Nothwen-
digkeit gegeben, ſie fügte ſtets zu der im Intereſſe des Klägers
geſtellten Frage eine zweite im Intereſſe des Beklagten hinzu.
Nach dem Zweck unſerer Aufgabe, welcher auf die Schilde-
rung des urſprünglichen Grundbaus des römiſchen Proceſſes
gerichtet iſt, ſcheiden wir daher dieſe beiden Bildungen von dem
Kreis unſerer Betrachtung aus, ſoweit ſie nicht etwa dazu dienen
können, durch ihren Gegenſatz das Verſtändniß zu fördern.
Wir verfolgen jetzt die Vertheidigung in den beiden oben an-
gegebenen Richtungen und zwar zuerſt in der defenſiven
Richtung. Hier nimmt ſie den Charakter einer Negation der
Klage an.
[56]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Dieſelbe Alternative rückſichtlich der Beantwortung der durch
die Klage geſtellten Frage, welche dem Richter geſtellt iſt, daß er
nämlich entweder ſchlechthin bejahen oder ſchlechthin verneinen
muß, gilt auch für den Beklagten. Auch ihm iſt nur die Wahl
gelaſſen zwiſchen einem kategoriſchen Ja oder Nein, ohne das
ausweichende „Aber“ der exceptio. Dem Ja folgt die Verurthei-
lung, dem Nein der Proceß. Iſt mithin die Behauptung des
Klägers ſo gefaßt, daß der Beklagte ſie nur bedingt oder theil-
weiſe einräumen kann, ſo bleibt ihm, wenn er ſeinem Recht
nichts vergeben will, nichts übrig, als ſie ſchlechthin in Abrede
zu ſtellen und ebenſo dem Richter, wenn er ſich nicht überzeugt,
daß ſie ihrem ganzen Umfang nach begründet iſt, nichts übrig,
als den Kläger ſchlechthin abzuweiſen. Die kleinſte Abweichung
von der Wahrheit zu eignen Gunſten begründet mithin für den
Kläger den Verluſt des ganzen Proceſſes; die Strafe der plus
petitio war eine nothwendige Conſequenz der obigen Alternative
oder, was daſſelbe, der intentio certa. Wo der Anſpruch des
Klägers ſich in ſeiner ſchließlichen Geſtalt auf eine Geldſumme
reducirte, und man ihm billigerweiſe nicht zumuthen konnte, die-
ſelbe mit Gefahr der plus petitio ſelber anzuſetzen, wußte man
in verſchiedener Weiſe zu helfen, theils nämlich durch vorherige
Schätzung in Form eines praejudicium, wovon unten ein Bei-
ſpiel folgen wird, theils durch nachherige (arbitrium litis aesti-
mandae), theils auf andere Weiſe. 43)
[75[57]]A. Der Proceß. Die Vertheidigung in Form der Negation. §. 52.
Der Umfang der Negation beſtimmte ſich nach dem der Be-
hauptung; je nachdem letztere enger oder weiter gefaßt, war damit
auch jener ein engerer oder weiterer Spielraum angewieſen. Es
ergab ſich daraus die Nothwendigkeit, die Klage ſoweit zu faſſen,
daß dem Beklagten der nöthige Raum zu ſeiner Vertheidigung offen
blieb. Hätte man alſo z. B. die Klagformel ſo formulirt, daß „Klä-
ger dem Beklagten 100 geliehen habe“, ſo hätte der Beklagte
mit dem Einwande, daß „er ſie zurückgezahlt“, in demſelben
Proceß gar nicht gehört werden können, weil darin eine neue po-
ſitive Behauptung gelegen hätte. Man mußte folglich die Klag-
formel ſo einrichten, daß ſie beide Behauptungen in ſich aufnehmen
konnte, und dies geſchah dadurch, daß man ſie auf das „Schul-
digſein“ ſtellte. Dieſe Faſſung ließ von Seiten des Klägers
als Affirmative des Schuldigſeins die Behauptung zu, daß
er die 100 gegeben, von Seiten des Beklagten als Negative
des Schuldigſeins die, daß er ſie zurückgezahlt habe. Alle
Klagformeln mußten mithin, wenn ſonſt der Grundſatz der Ne-
gation durchführbar ſein ſollte, auf die gegenwärtige Exi-
ſtenz des Rechtes lauten — und in der That iſt dies die
Form aller altrömiſchen Klagen 44) —, ſie ſind ſämmtlich, wie die
römiſchen Juriſten es ausdrücken, „in jus conceptae“.
Den Gegenſatz zu ihnen bilden die vorhin erwähnten actiones
in factum conceptae des prätoriſchen Rechts. Der Begriff
„jus“ war ein hiſtoriſch abgeſchloſſener; als jus im concreten
Sinn bezeichnete die correcte Sprache des Proceſſes nur ein ſol-
ches, welches dem jus im abſtracten Sinn, dem jus civile, ent-
ſprach, der Prätor konnte ſich mithin für die von ihm eingeführten
Klagen nicht der Ausdrücke bedienen, in denen man ſich ge-
[58]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
wöhnt hatte die Bezeichnung eines jus zu erblicken (Note 44),
es erübrigte ihm folglich nur die Faſſung, welche wir oben zurück-
gewieſen haben, die der „actiones in factum“. Die Formel lau-
tete auf die Thatſache(factum), auf welche der Anſpruch des
Klägers ſich gründete, und zwar, da dieſe Thatſache regelmäßig
der Vergangenheit angehört, im Gegenſatz zu dem Infinitiv
Präſentis des Civilrechts im Infinitiv perfecti. 45) Um hier nun
den Beklagten, welcher die angegebene Entſtehung des kläge-
riſchen Anſpruchs zwar einräumte, aber die ſpätere Aufhebung
deſſelben behauptete, Raum zu dieſer Behauptung zu geben,
mußte natürlich der Formel ein darauf gerichteter Zuſatz als
zweites Glied einverleibt werden. Die actiones in factum waren
daher in der Regel zweigliedrig, ſie enthielten zwei Fragen:
eine im Intereſſe des Klägers — das Klagfundament — eine
im Intereſſe des Beklagten, bald als negative Beſchränkung
des Klagfundaments, bald als exceptio gefaßt. 46) Einige For-
meln waren bloß eingliederig; hier ſteckte das nöthige Ver-
theidigungsmaterial ſchon im poſitiven Klagfundament. 47)
Wenn ich den ſo eben entwickelten Gegenſatz in der Faſſung
[59]A. Der Proceß. Die Vertheidigung in Form der Negation. §. 52.
der Klagen erſt hier bei Gelegenheit der Vertheidigung
behandelt habe, ſo geſchah es, weil er erſt hier für uns von Be-
deutung ward. Seine Bedeutung iſt übrigens keineswegs auf
den hier in Frage ſtehenden Geſichtspunkt der Form der Verthei-
digung beſchränkt, und es möge mir erlaubt ſein, darüber noch
einige Worte hinzuzufügen.
Wer ſich auf den Standpunkt des römiſchen Formalismus
ſtellt und von ihm aus, wie man es ja muß, den Gegenſatz be-
urtheilt, dem bietet er, ſo äußerlich er ſcheint, doch reichen Stoff
zur Betrachtung. Daß ſich in ihm der Gegenſatz der verſchiede-
nen Zeiten, denen er angehört, klar abſpiegelt, wird keines aus-
führlichen Nachweiſes bedürfen. Die actio in jus concepta iſt
eins jener formaliſtiſchen Kunſtproducte, die den fein entwickelten
Formenſinn der alten Jurisprudenz kennzeichnen; ihr gegenüber
macht die act. in factum den Eindruck des Rohen, Form-
loſen. Nicht bloß darum, weil jene in einem Satz erreicht,
wozu dieſe mehrere nöthig hat, ſondern vor allem darum, weil
jene die Condemnation dadurch, daß ſie dieſelbe an die Voraus-
ſetzung der Exiſtenz eines Rechts knüpft, innerlich motivirt,
während letztere ſie rein äußerlich an das Vorhandenſein gewiſſer
Thatſachen knüpft. Aus bloßen Thatſachen aber folgt nie
die Nothwendigkeit der Verurtheilung — das Mittelglied: das
Recht fehlt. Bei jener Faſſung iſt dieſe Nothwendigkeit eine
innere, die ſich von ſelbſt verſteht — denn wo ein Recht vor-
handen iſt, da muß es auch realiſirt werden — bei dieſer eine
äußerliche, die ſich der Form nach lediglich auf poſitive Anord-
nung ſtützt. Sodann faßt jene wiederum die Beſtandtheile des
Thatbeſtandes zur Einheit des Begriffs zuſammen, ſchließt
ihn alſo innerlich ab, während dieſe ſie als loſes, äußerlich zu-
ſammengefügtes Aggregat neben einander ſtellt. Dieſer Unter-
ſchied iſt aber von der äußerſten Wichtigkeit — an ihn knüpft ſich
ein Stück römiſcher Jurisprudenz. Wer ein „Recht“ angeben
ſoll, muß über deſſen Natur mit ſich im Reinen ſein, wer bloße
Thatſachen für ſich anzuführen braucht, kann ſich dem entziehen.
[60]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
In der formula in jus concepta lag alſo eine Nöthigung zur
Klarheit über die ſyſtematiſche Natur der Rechte; wer aus irgend
einer lex eine legis actio fabriciren wollte, mußte ſich die Frage
beantworten, ob die intentio auf esse oder oportere geſtellt wer-
den müſſe, m. a. W., ob der Anſpruch ein abſoluter oder rela-
tiver ſei. Hätte dagegen die Form der actio in factum ausge-
reicht, ſo hätte er dieſe Frage ebenſo umgehen können, wie das
z. B. bei der act. hypothecaria geſchehen iſt und vielleicht
würde uns dann auch über ein Recht des alten Civilrechts der-
ſelbe Streit geblüht haben, wie heutzutage der über die Natur
des Pfandrechts. Die harmloſe Unentſchiedenheit ihres civiliſti-
ſchen Selbſt, die ſo manche Rechte modernen Urſprungs bei un-
ſern heutigen formloſen Klagen — man kann ſie nicht einmal
actiones in factum nennen — Jahrhunderte lang genoſſen haben
und zum Theil noch genießen, wäre bei der römiſchen actio in
jus concepta völlig unmöglich geweſen, die Reallaſten z. B.
hätten mit dem erſten Schritt, den ſie in den römiſchen Proceß
hinein thun wollten, ſich entſcheiden müſſen: ob actio in rem
oder actio in personam. Die Sprache der actio in jus concepta
iſt die des Juriſten, die der actio in factum kann jeder Laie
reden! — wohl dem Rechte, das früh jene Sprache zu lernen
gezwungen geweſen iſt!
Der Gedanke der proceſſualiſchen Bezeichnung der Rechtsbe-
griffe, der das Weſen der act. in jus concepta bildet, hätte der
Tod der Jurisprudenz werden können. Es hing nur von dem
Maß ab, in dem das materielle Recht in der Klage zur Erſchei-
nung kommen mußte, um den Zwang zur wiſſenſchaftlichen
Klarheit in ein Hemmniß jedes Fortſchrittes, die Beſtimmtheit
in Verſteinerung zu verwandeln; denn alles, was einmal in der
Formel der legis actio Platz gefunden, war ſo gut wie unabän-
derlich. Hätten alſo die alten Juriſten dieſe Formel in demſelben
Stil concipirt, in dem man zu andern Zeiten die Klagformulare
und Geſchäftsformulare abgefaßt hat, alſo z. B. in die Formel
der revindic. die Eigenthumserwerbungsarten aufgenommen,
[61]A. Der Proceß. Die Vertheidigung in Form der Negation. §. 52.
ſo wäre es um jede freie Bewegung im Innern der Inſtitute ge-
ſchehen geweſen — die Erſtarrung an der Oberfläche würde ſich
auch auf die Tiefe erſtreckt haben. Es bewährt ſich darin wie-
derum ſo recht der Takt der alten Jurisprudenz, daß ſie den
Rechtsbegriff in der Klage zwar fixirte, aber ohne ihn zu feſ-
ſeln (B. 2 S. 666 flg.).
Unterſuchen wir den Spielraum, den die actio in jus con-
cepta der Vertheidigung vergönnte.
Von vornherein hat die Meinung ſehr viel für ſich, daß der-
ſelbe ein ſehr enger geweſen ſei. Denn wenn der Beklagte ledig-
lich auf Negation angewieſen iſt, ſo iſt ja die Berufung auf
alle ſolche Gründe und Verhältniſſe ausgeſchloſſen, welche nicht
direct eine Nichtexiſtenz des klägeriſchen Anſpruchs involviren;
in dem Fall ſiegt der Eigenthümer gegen den Uſufructuar, denn
die Berufung auf den Nießbrauch enthält keine Negation des
Eigenthums, der Erbe ſiegt gegen den Eigenthümer, denn der
Einwand des Eigenthums enthält keine Negation der Be-
hauptung, daß der Kläger Erbe ſei und die Sache zur Maſſe
gehöre. Gegenüber dieſem engen Spielraum der Vertheidigung
würde das Gebiet, das die exceptio ihr eröffnet hat, ein unver-
gleichlich weites ſein. Hier kann der Beklagte, frei von jeglicher
Beſchränkung, den Anſpruch des Klägers in jeder gedenk-
baren Weiſe bekämpfen: er kann ihn in ſeiner abſtracten juri-
ſtiſchen Exiſtenz beſtehen laſſen und dennoch wegen der Mängel,
die ihm anhaften, ſich ſeiner Ausübung widerſetzen — er kann dem
Anſpruch einen Gegenanſpruch gegenüber ſtellen und ihn damit
zurückſchlagen, ja die verſchiedenartigſten Rechte, wie z. B. Eigen-
thum und Obligation (exc. rei creditae et traditae) können in
dieſer Form ſich einander gegenüber geſtellt werden.
Dieſe ganze Anſicht von der vermeintlichen Enge des ältern und
der Weite des neuern Vertheidigungsſyſtems beruht jedoch auf
bloßem Schein. Freilich der Gründe, auf welche der Beklagte
hier ſeinen Antrag auf Befreiung ſtützen konnte, iſt eine ungleich
größere Zahl geworden, als dort; Hausſöhne, Frauenzimmer ge-
[62]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
noſſen noch nicht den Schutz des Sc. Macedonianum und Velleja-
num, dem Betrogenen und Gezwungenen gab noch keine exceptio
doli und metus Hülfe. Allein darauf die Anſicht zu bauen, daß der
proceſſualiſche Mechanismus dieſen Schutz ausgeſchloſ-
ſen habe, wäre ſehr irrig. Hätte man ſonſt für die materielle
Nothwendigkeit dieſer Befreiungsgründe ſich entſchieden, die
Form würde keine Schwierigkeit gemacht haben, man hätte ſie
unter die einer Negation des klägeriſchen Rechts gebracht, d. h.
als Nichtigkeitsgründe behandelt. Daß das ſpätere Recht
dies nicht that, davon iſt der Grund ſchon oben (S. 54) an-
gegeben.
Das beſte Mittel, um dieſen Irrthum von der vermeintlichen
großen Differenz des Spielraums der Negations- und Exceptions-
Vertheidigung zu widerlegen beſteht darin, den beiderſeitigen
Spielraum mit einander zu vergleichen.
Die Exception wird uns als ein Mittel bezeichnet, welches die
Condemnation bald völlig ausſchließt, bald bloß verringert. 48)
Daß auch die Negation unbeſchadet der Grundſätze von der plus
petitio dieſer doppelten Wirkung fähig war, wird der Verlauf
der Darſtellung lehren (Note 56, 66, 71, 76).
Das Fundament oder der Stoff der Exception kann drei-
facher Art ſein; zu allen drei Arten liefert die Negation Seiten-
ſtücke.
Die erſte Art iſt die Behauptung der Mangelhaftigkeit
der Entſtehungsweiſe des klägeriſchen Anſpruchs, Beiſpiele bieten
die oben genannten Fälle der exc. Sc. Macedon., Vellej., me-
tus, doli. Dieſer erſten Grundform der exc.: der urſprünglichen
Mangelhaftigkeit, entſpricht im Syſtem der Negation die
urſprüngliche Nichtigkeit; Beiſpiele gewähren alle Gründe,
welche „ipso jure“ das Zuſtandekommen eines Rechtsge-
ſchäfts ausſchließen: Fehler in der Form, z. B. Präterition
[63]A. Der Proceß. Die Vertheidigung. Negation u. Exception. §. 52.
eines suus im Teſtament, Mangel der Handlungsfähigkeit, z. B.
Verträge eines Wahnſinnigen, Unmündigen, Ertheilung der
tutoris auctoritas in rem suam, u. a.
Die zweite Grundform der exc. betrifft die ſpäter einge-
tretene Mangelhaftigkeit des klägeriſchen Anſpruchs, ſie
umfaßt alle Ereigniſſe, Vorgänge im Leben deſſelben, welche,
ohne dieſes ſelber aufzuheben, doch die fernere Wirkſamkeit
deſſelben hemmen — Gebrechen und Fehler, die das urſprüng-
lich geſunde dem von Anfang an ſiechen Recht völlig gleich ſtellen.
Dieſen Gründen correſpondiren im Syſtem der Negation die,
welche das Recht hinterher „ipso jure“ aufheben; der Ent-
kräftung entſpricht die Vernichtung. Beiſpiele gewähren
für jene: die Verjährung der Klage, der formloſe Erlaß (pactum
de non petendo), für dieſe: Untergang des klägeriſchen Eigen-
thums durch Uſucapion von Seiten des Beklagten, der formelle
Erlaß (acceptilatio) u. a.
Während dieſe beiden erſten Grundformen der exc. der in-
nern Mangelhaftigkeit des klägeriſchen Rechts ihren Stoff ent-
nehmen, entlehnt die dritte ihn dem Verhältniß dieſes Rechts
zu einem ſelbſtändigen Recht des Beklagten, ſie repräſentirt
uns den Conflicht zweier Anſprüche, welche ſich in ihrer Verwirk-
lichung hemmen oder paralyſiren, ſo z. B. zweier Obligationen
(Compenſations-, Retentions-Einrede), des Eigenthums und der
Obligation (exc. rei vend. et traditae). Daß das Negations-
ſyſtem auch für dieſe Form ein Seitenſtück zu liefern im Stande
ſein ſoll, möchte man im erſten Moment bezweifeln, denn wie
kann der Beklagte, wenn er lediglich auf Negation des klägeriſchen
Anſpruchs angewieſen iſt, demſelben einen poſitiven Gegenanſpruch
gegenüberſtellen? Antwort: er kann es nur in Form der Negation
— dem Conflict beider Anſprüche muß alſo die Geſtalt gegeben
werden, daß der eine den andern von vornherein ausſchließt
oder hinterher vernichtet. Wie die römiſchen Juriſten es ver-
ſtanden haben, durch eine höchſt geſchickte Benutzung dieſer ſchein-
bar ſo ungelenken Form einen Grad praktiſcher Brauchbarkeit zu
[64]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
ſichern, der dem der exceptio gleich kömmt — das zu zeigen iſt
die weſentliche Aufgabe des gegenwärtigen Paragraphen.
Der Weg, den ſie zu dem Zwecke einſchlagen, iſt ein doppel-
ter; theils der des materiellen Rechts, theils der des Proceſſes.
Dort wird die Berufung des Beklagten auf ſein Gegenrecht le-
diglich durch Sätze des materiellen Rechts ermöglicht, ohne daß
das Gegenrecht im geringſten proceſſualiſch (d. h. in der
Klagformel oder im Urtheil) ſichtbar würde; der Beklagte negirt
einfach die Exiſtenz des klägeriſchen Rechts und begründet vor
dem Richter ſeine Negation mit dem Nachweis des eigenen
Rechts. Der zweite Weg beſteht darin, daß der Klage mit Rück-
ſicht auf den beabſichtigten Einwand des Beklagten eine ganz
beſondere Faſſung gegeben wird, welche es ermöglicht, denſelben
in Form der Negation der Klage gegenüber zu ſtellen; hier wird
das Recht des Beklagten proceſſualiſch ſichtbar. Für gewiſſe
Verhältniſſe reichte auch dieſer Weg nicht aus, und hier ſchlug
man den ein, den Streit über die beiderſeitigen Rechte als zwei
Klagen zu einem einzigen Doppelproceß(judicium duplex)
zuſammen zu faſſen.
Das Geſetz der Scheidung und ſelbſtändigen Entwicklung der
einzelnen Theile, welches das Geſetz einer jeden Entwicklung
überhaupt iſt, bethätigt ſich auch an dem Verhältniß des mate-
riellen Rechts und Proceſſes. Urſprünglich ganz zuſammenge-
wachſen und unlöslich an einander gekettet, gehen beide im Laufe
der Zeit immer weiter auseinander, ihre eigenthümlichen Pro-
bleme verfolgend und ihren eigenthümlichen Lebensgeſetzen ge-
horchend. So wird das Band zwiſchen ihnen ein immer lockereres,
das Verhältniß ein rein äußerliches. Die proceſſualiſchen Einrich-
tungen bilden ausſchließlich die Form des Verfahrens aus, ohne
[65]A. Der Proceß. Vertheidigung. Gegenanſprüche in Negationsform. §. 52.
zur Unterſtützung derſelben eine beſondere Geſtaltung des mate-
riellen Rechts in Anſpruch zu nehmen, und das materielle Recht
widmet ſich ſeinen Aufgaben, ohne des Proceſſes dabei zu ge-
denken, ja es kömmt endlich der Zeitpunkt, wo man ſogar vor
der Idee nicht mehr zurückſchrickt, eine ganz neue Proceßordnung
einzuführen, den Proceß der weſentlichſten Umgeſtaltung zu unter-
ziehen, ohne am materiellen Recht zu rütteln, und umgekehrt
letzteres in eine völlig neue Form zu bringen, ohne den Proceß
im mindeſten zu alteriren. Von einem ſolchen Standpunkt der
Entwicklung aus, wie es der unſerer heutigen Zeit iſt, läuft man
nur zu ſehr Gefahr, das urſprüngliche Verhältniß zwiſchen bei-
den Theilen zu verkennen und im Licht der eignen Zuſtände zu
beurtheilen, und es bedarf erſt eines künſtlichen Sich-Einlebens
in die Vergangenheit und ihre eigenthümlichen Zuſtände, um die
Erſcheinungen, die ſie uns aufweiſt, wirklich zu verſtehen.
Zu dieſer Betrachtung haben mir die Rechtsſätze Veranlaſſung
gegeben, deren Bedeutung ich im Folgenden zu ermitteln verſuchen
werde. Sie gehören ſämmtlich dem materiellen Recht an,
und doch iſt ihre Bedeutung eine rein proceſſualiſche. Ein
proceſſualiſcher Zweck nämlich, die Ermöglichung der Vertheidi-
gung des Beklagten in Form der Negation, hat ihnen das Leben
gegeben, aber die ſpätere Entwickelung des Proceſſes hat den
Boden, auf dem ſie gewachſen waren, und der ihre eigenthümliche
Geſtalt bedingte, überfluthet, ohne ſie ſelbſt mit hinwegzuſchwem-
men, und ſo ragen ſie als Ueberbleibſel einer frühern Epoche in
eine Zeit hinein, die für ähnliche Zwecke andere Formen zur An-
wendung brachte, lediglich gehalten durch die Macht der Tradition
und ganz geeignet, den Unkundigen irre zu führen (S. 20).
Die römiſchen Juriſten erwähnen öfter die Regel, daß weder
ein Kauf oder Miethcontract, noch eine Verpfändung, ein Pre-
carium oder Depoſitum der eigenen Sache möglich ſei. 49) Für
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 5
[66]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
einige dieſer Contracte begreift ſich dies auch vom Standpunkt
des materiellen Rechts aus, für andere aber ſchlechterdings nicht,
denn warum ſollte z. B. der Uſufructuar dem Eigenthümer der
Sache dieſelbe nicht vermiethen, der Pfandgläubiger dem Ver-
pfänder die zum Fauſtpfand übergebene Sache nicht zum Pre-
carium 50) überlaſſen dürfen? Auch rückſichtlich des Kaufs möchte
ich dieſelbe Frage aufwerfen, und in der That haben die ſpätern
Juriſten ſie nicht bloß rückſichtlich ſeiner bejaht, ſondern über-
haupt die Regel in einer Weiſe eingeſchränkt, die ſie mit dem
Intereſſe des materiellen Rechts mehr in Einklang ſetzt, als
ſie es ihrer Faſſung nach urſprünglich geweſen ſein kann. 51)
Was war nun denn der urſprüngliche Sinn und Zweck der
Regel? Die Antwort ſollen uns zwei Fälle geben! Angenom-
men, es hätte ein Vermiether zu einer Zeit, als man im Formu-
larproceß noch keine Exceptionen zuließ, auf Rückgabe der ver-
mietheten Sache und auf Zahlung des Miethzinſes geklagt, der
Miether aber inzwiſchen in Erfahrung gebracht, daß die Sache
die ſeinige ſei; ſollte und konnte man ihn mit dieſem Einwand
hören? Die Juriſten waren der Anſicht, daß dies in dem Fall
der Billigkeit entſpreche, wenn er bereits zur Zeit des Abſchluſſes
des Contracts Eigenthümer geweſen ſei. 52) Aber in welcher
Form ſollte man dieſen Einwand zulaſſen? In ſeiner nackten
Geſtalt als Berufung auf das eigene Eigenthum war er un-
möglich, denn in dem Proceß über die Obligation kann nicht
von der andern Seite die Eigenthumsfrage eingemiſcht
[67]A. Der Proceß. Vertheidigung. Gegenanſprüche in Negationsform. §. 52.
werden. Die Aufſtellung der obigen Regel enthält die Löſung:
der Beklagte richtet ſeinen Widerſpruch formell gegen die Exiſtenz
der Obligation und begründet denſelben vor dem Richter mit
dem Beweiſe ſeines Eigenthums. Proceſſualiſch wird letzteres
alſo weder in der Klage, noch im Urtheil ſichtbar. Aber wie
kann der Richter über das Daſein des Eigenthums erkennen, da
er zu dem Zweck des Vindicationsverfahrens bedarf? Wäre die
letztere Annahme wahr, ſo hätte die Sache erſt an den Prätor
zurückgewieſen werden müſſen (B. 2 S. 600), und in den an-
hängigen Proceß wäre ein anderer eingeſchoben worden — eine
proceſſualiſche Monſtroſität, zu der kein Juriſt die Hand geboten
hätte. Wie half man ſich in dem Fall? Durch das (B. 2 S. 85)
bereits gelegentlich erwähnte Mittel der sponsio praejudicialis.
Die Eigenthumsfrage trat hier als Präjudicialfrage für das
Urtheil auf, der Richter war mithin nicht bloß berechtigt, ſon-
dern verpflichtet, den Partheien die Eingehung einer sponsio
praejudicialis über jene Frage aufzuerlegen. 53) Der Proceß
büßte damit den Charakter einer in personam actio in keiner
Weiſe ein, denn jene sponsio hatte trotz ihres Zweckes doch der
Form nach ebenfalls eine Obligation zum Gegenſtande.
Möglicherweiſe erfolgte die Erledigung des Präjudicialpunktes
bereits vor der Conſtituirung des Judiciums über die perſönliche
Klage, ſo daß je nach Ausfall des Vorverfahrens das Haupt-
verfahren entweder unterblieb oder zu Stande kam.
Ein Gegenſtück zu dieſem Conflict des Eigenthums mit
der Obligation liefert der des Eigenthums mit dem Be-
ſitz. Obſchon der Einwand des Eigenthums den Beſitzesklagen
gegenüber regelmäßig unzuläſſig iſt, ſo macht doch vermöge der
obigen Regel das interdictum de precario eine Ausnahme da-
5*
[68]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
von, 54) eben weil ihm gegenüber dieſer Einwand unter den Ge-
ſichtspunkt einer Negation des Klagfundaments fällt. 55)
Wir betrachten jetzt einen Conflictsfall von eigenthümlichem
Intereſſe: den der Obligation mit der Obligation.
Die beiden Formen, in denen derſelbe im neuern Recht mög-
lich iſt, ſind bekanntlich die der Compenſation und Reten-
tion, beide regelmäßig in Geſtalt einer exceptio. In dieſer
Form war ein ſolcher Conflict natürlich im ältern Proceß un-
möglich, er hätte ja zu dem Zwecke den Grundſatz der einen
Frage verläugnen müſſen. Aber in anderer Form ſind beide
der Sache nach bereits dem ältern Proceß bekannt, und eine
der Formen, in denen er ſie ermöglicht, ſoll jetzt mitgetheilt wer-
den; die zweite wird ſpäter folgen.
Es ſchien den alten Juriſten billig, daß der Ehemann, wenn
er nach Auflöſung der Ehe die Dos herauszugeben habe, wegen
der von ihm aufgewandten nothwendigen Auslagen einen
Abzug machen dürfe. Aber wie dieſen Anſpruch in der Klagfor-
mel ausdrücken? Als ſelbſtändiger Anſpruch durfte er aus dem
angegebenen Grunde nicht auftreten. Wie alſo? Es ward der
Sache die Wendung gegeben, daß die Forderung der Frau um
den Betrag der Gegenforderung ſich vermindert habe.
Bei dieſer Einkleidung kam letztere poſitiv als ſolche im
[69]A. Der Proceß. Vertheidigung. Gegenanſprüche in Negationsform. §. 52.
Proceß gar nicht zum Vorſchein, ſie wirkte nur negativ als
Subtractionsfactor — man ſpürte ſie nur.
Das iſt die Bedeutung des Satzes, daß die nothwendigen
Auslagen die Dos ipso jure vermindern. 56) Wäre dieſes
Abzugsrecht erſt in ſpäterer Zeit zugelaſſen worden, als die Ex-
ceptionen ſich bereits völlig eingebürgert hatten, ſo würde es
ſchwerlich in dieſe, ſondern wahrſcheinlich in dieſelbe Form ge-
bracht worden ſein, die das Abzugsrecht des Mannes wegen der
nützlichen Verwendungen an ſich trägt, 57) nämlich in die des
Retentionsrechts (exc. doli). Die Verſchiedenheit der Form
beider kommt meiner Anſicht nach lediglich auf Rechnung der Ver-
ſchiedenheit ihrer Entſtehungszeit und der zu derſelben herrſchenden
Proceßſyſteme; 58) vom praktiſchen Standpunkte aus könnte man
beide als Anwendungsfälle des Retentionsrechts bezeichnen, wie
dies die römiſchen Juriſten in der That auch gethan haben. 59)
Das Genauere über die Art und Weiſe, wie jener Abzug
formell in der Klagformel vermittelt wurde, iſt uns nicht erhalten.
[70]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Zur Zeit, als die Klagen mit einer intentio incerta (S. 22)
aufgekommen waren, hatte die Sache gar keine Schwierigkeit,
die Frau klagte mit der act. rei uxoriae auf „quantum aequius
melius sit dari“; in dem „quantum“ ſteckt bereits die Hindeu-
tung auf die Verringerung der Dos durch die Gegenforderung.
Allein zur Zeit, als noch das Princip der intentio certa exiſtirte,
und als es noch keine eigentliche Dotalklage gab, die Dos viel-
mehr nur auf Grund der über ihre Rückgabe abgeſchloſſenen
Stipulationen (cautiones rei uxoriae) zurückgefordert werden
konnte, 60) mußte die Klage nicht unbeſtimmt auf ein „quantum“,
ſondern auf das ganze beſtimmte Dotalobject und mithin, wenn
letzteres in Geld beſtand, auf Geld gerichtet werden. Hier hätte
alſo die Frau, wenn ſie ſich nicht einer plus-petitio und damit der
Gefahr des Verluſtes des ganzen Proceſſes ausſetzen wollte, die
Gegenforderung des Mannes auf Heller und Pfennig genau in
Abzug bringen müſſen. Allein wie durfte man ihr dies zumuthen?
Wie konnte ſie den Betrag der Gegenforderung von ſich ſelbſt
wiſſen oder dem Manne ohne Beweis glauben? Die Analogie des
Argentarius (ſ. u.), der die Gegenforderung ganz genau kennen
konnte und mußte, läßt ſich eben aus dem Grunde nicht heran-
ziehen. Ich glaube nun eine Auskunft auf dieſe Frage in der
von Gajus 61) mitgetheilten Präjudicialklage über den Betrag
der Dos zu finden. Einen verſtändigen Grund für die Noth-
wendigkeit dieſer Präjudicialklage ſoll man noch erſt angeben.
In das Syſtem der intentio incerta paßt ſie abſolut nicht, denn
hier ſteht ja der Ermittelung und Feſtſtellung des Betrags
der Dos in dem Dotalproceß ſelber nichts im Wege, ſie weiſt
alſo mit Nothwendigkeit auf das Syſtem der intentio certa hin.
[71]A. Der Proceß. Vertheidigung. Gegenanſprüche in Negationsform. §. 52.
Wie will man ſie aber hier einfügen? Etwa ſo: die Frau hätte,
ſei es ſofort nach Beſtellung und Auszahlung der Dos, ſei es
ſpäter zu irgend einem beliebigen Zeitpunkt den Betrag der Dos
richterlich feſtſtellen laſſen können? Aber wozu das? Konnte die
Frau bei Gelegenheit der Präjudicialklage den Betrag nachwei-
ſen, und dies mußte ſie ja, um den Richter zu überzeugen, ſo
konnte ſie es auch bei Gelegenheit der Dotalklage. Wozu alſo
dieſer anticipirte Beweis, für den der ältere Proceß ſonſt gar
keine Parallele darbietet? Und wenn er für den Dotalanſpruch
möglich war, warum nicht auch für jede andere Forderung? Kurz,
jene Präjudicialklage hat gar keinen Sinn, wenn man ſie ledig-
lich auf die Forderung der Klägerin bezieht. Dagegen gewinnt
ſie eine ungeahnte Bedeutung, ſowie man ſie mit der Gegenfor-
derung des Beklagten in Beziehung ſetzt; denn daß letztere einen
Gegenſtand des Streits unter den Partheien abgeben konnte,
und zwar nicht bloß die Frage über den Betrag der Verwen-
dungen, ſondern auch die über ihren Charakter als nothwen-
diger Auslagen 62) liegt ebenſoſehr auf der Hand, als daß man
der Frau nicht zumuthen konnte, dieſe Frage in Form des ge-
wöhnlichen Proceſſes mit Gefahr der plus-petitio zur Entſchei-
dung zu bringen, ganz abgeſehen von dem Fall, wenn beide
Partheien in Frieden und ohne Proceß auseinander kommen woll-
ten. 63) Daß die Formel der Klage, wenn Gajus ſie ſonſt rich-
tig mittheilt, nicht direct auf die Höhe der Impenſen, ſondern
auf die der Dos lautete, wird als Gegengrund nicht angeführt
werden dürfen; denn der Sache nach ſteckte in der einen Frage
zugleich die andere, 64) und wir ſind nicht in der Lage zu beſtim-
[72]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
men, ob nicht mit der weitern Faſſung noch andere Zwecke ſich
verbanden. 65)
Dieſe Vermuthung wird durch einen zweiten Conflictsfall
in hohem Grade unterſtützt, nämlich durch die Art, wie man bei
dem Abzug und der zu dem Zwecke nöthigen Berechnung der
Quarta Falcidia verfuhr. Aehnlich wie von der Dos heißt es
von den Legaten, daß ſie durch das Falcidiſche Geſetz bis zu der
dem Erben zuſtändigen Quart „ipso jure“ vermindert würden. 66)
Auch hier handelte es ſich um ein Abzugsrecht, 67) auch hier aber
erhob ſich im älteren Recht dieſelbe Schwierigkeit der proceſſuali-
ſchen Geſtaltung dieſes Abzugsrechts. Da nämlich bei einer
Ueberbürdung der Erbſchaft mit Vermächtniſſen letztere ſich
„ipso jure“ um ebenſo viel verringerten, als die Quart des
Erben betrug, ſo lag in der Einklagung derſelben zum ganzen
Betrage eine plus-petitio; wollte der Legatar ſich dagegen wah-
ren, ſo mußte er die Quart ſelber abziehen. Aber wie konnte er
es? wie konnte man von ihm verlangen, 68) daß er den Stand
des Nachlaſſes ſo genau kenne oder in Erfahrung bringe? Der
Erbe ſelber war vielleicht noch nicht einmal in der Lage, darüber
genaue Auskunft zu geben, oder er verweigerte ſie in böſer Abſicht.
[73]A. Der Proceß. Vertheidigung. Gegenanſprüche in Negationsform. §. 52.
Es gab hier verſchiedene Mittel, 69) von denen ich des Zu-
ſammenhangs wegen zunächſt nur der Präjudicialklage gedenke.
Es ward den Partheien ein Arbiter 70) beſtellt, welcher den
Stand des Vermögens zu ermitteln hatte; ſein Ausſpruch gab
dem Legatar das Mittel an die Hand, die Quart ſelber zu be-
rechnen und dem entſprechend ſeinen Anſpruch herabzuſetzen.
Der Satz, daß der Anſpruch des Klägers ſich ipso jure um
die Gegenforderung des Beklagten vermindere, oder, wie wir ihn
fortan bezeichnen wollen, das Retentions- und Compen-
ſationsrecht in ſeiner älteſten Geſtalt, wiederholt ſich
drittens auch beim Pekulium. Bekanntlich ſtatuirt das
römiſche Recht Naturalobligationen zwiſchen dem Hausherrn und
den ihm untergebenen Perſonen. Wenn nun letztere ſich im Beſitz
eines Pekuliums befinden, und der Herr auf Zahlung ihrer
Schulden aus dieſem ihrem Sondervermögen (actio de peculio)
oder auf geſammte Ueberlaſſung deſſelben aus einem Legat oder
einem andern Grunde in Anſpruch genommen wird, ſo iſt ihm
verſtattet, ſeine Forderungen in Abzug zu bringen. Auch hier
aber wird die Gegenforderung nicht als ſolche dem Anſpruch des
Klägers gegenüber geſtellt, ſondern ſie wirkt wiederum nur ne-
gativ: als Subtractionsfactor; wie die Dos ſich um ſoviel
vermindert, als die nothwendigen Impenſen, ſo das Pekulium um
ſoviel, als die Forderungen des Herrn betragen. 71) War die an-
[74]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
geſtellte Klage eine perſönliche, ſo war die Sache ziemlich einfach.
Der Kläger gab lediglich den Betrag ſeiner Forderung an,
ohne daß ihm ein gleiches rückſichtlich der Höhe des Pekuliums
obgelegen hätte; 72) er ſtellte vielmehr ſeinen Antrag nur unbe-
ſtimmt auf Zahlung „bis zum Betrag des Pekuliums“, es be-
durfte mithin nicht, wie bei der Dos, erſt eines Präjudicialver-
fahrens über dieſen Betrag, ſondern dieſer Punkt erledigte ſich
von ſelbſt bei Gelegenheit der Condemnation. Ungleich ſchwieri-
ger aber ſtand die Sache, wenn die angeſtellte Klage eine dingliche
war, alſo z. B. wenn der verſtorbene Herr des Sklaven das
Pekulium ihm ſelber oder irgend einem Andern in Vindications-
form legirt hatte. Der Legatar konnte hier ſeine Klage nicht auf
den Betrag oder den Werth des Pekuliums im Ganzen rich-
ten, ſondern er mußte die einzelnen Sachen vindiciren, 73)
und von Sachen laſſen ſich Schulden nicht abziehen, denn
Eigenthum und Obligation ſind irrationale Größen. 74) Der
Behauptung des Klägers „die Sachen ſind mein“ konnte der
Beklagte nicht entgegenſetzen „ich habe eine Forderung“, ſon-
dern ſein Forderungsrecht mußte, wenn ſonſt das Abzugsrecht
nicht verloren gehen ſollte, in dieſem Fall in eine Eigenthums-
quote umſchlagen, das Recht auf einen Werth ſich zum Recht
an der Subſtanz verdichten. 75) Damit waren Minuend und
Subtrahend in gleichartige Größen verwandelt, und in demſelben
Verhältniß, wie ſich der Betrag der Forderung des Beklagten
71)
[75]A. Der Proceß. Vertheidigung. Gegenanſprüche in Negationsform. §. 52.
zum Geſammtwerth des Pekuliums verhielt, bekam er Miteigen-
thum an jeder einzelnen Sache; das Recht des Klägers war alſo
auch hier „ipso jure vermindert“, auch hier trat das Recht des
Beklagten ihm entgegen in Form der (partiellen) Negation. 76)
Damit ergab ſich aber für den Kläger wiederum derſelbe Noth-
ſtand, wie oben für die Frau bei der Dos: er ſoll, wenn er ſich
nicht der Gefahr der plus-petitio ausſetzen will, ſeine Klage nur
auf das richten, was übrig bleibt, nachdem der Theil des Be-
klagten abgezogen iſt, und doch kann er ihn nicht abziehen, weil
er ihn nicht kennt. Wie hier helfen? Hier wäre ein Präjudicial-
verfahren ganz am Platz geweſen, und ob das frühere Recht
ſich deſſen nicht wirklich bedient hat, bleibe dahin geſtellt. Die
römiſchen Juriſten nennen uns zwei andere Mittel, die act. com-
muni dividundo und die vindicatio incertae partis;77) ob ſchon
der ältere Proceß beide Klagen in Richtung auf einen unbeſtimm-
ten Theil zugelaſſen habe, möchte ich bezweifeln. 78)
[76]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Das Gemeinſame der Fälle, welche wir bisher betrachtet
haben, beſteht darin, daß der Beklagte dem Kläger einen ſelb-
ſtändigen Anſpruch gegenüber ſtellt, ohne daß derſelbe proceſſua-
liſch im Mindeſten ſichtbar wird und ohne daß es zu dem Zweck
erſt eines beſondern Zuſchnitts der Klagformel bedürfte. Die
Rückſicht auf das dem Beklagten zuſtehende Recht kann zwar in
einigen dieſer Fälle dem Kläger Veranlaſſung geben, die Form
der proceſſualiſchen Verfolgung des eigenen Rechts etwas zu
modificiren, allein er thut dies wohl gemerkt nur im eigenen
Intereſſe; für den Beklagten, um nämlich ihm die Möglichkeit
jenes Einwandes zu verſchaffen, iſt es nicht nöthig. Denn dieſer
Einwand hält ſich ganz innerhalb der Gränzen der Negation, in-
dem durch einen von der Jurisprudenz aufgeſtellten Rechtsſatz dem
Recht des Beklagten die Wirkung beigelegt iſt, das des Klä-
gers ganz oder zum Theil ipso jure auszuſchließen, — und ſo
wenig es ſonſt für Gründe, welche dieſelbe Wirkung äußern,
z. B. den Einwand der Zahlung eines beſondern Vermerks in der
Klagformel bedarf, ebenſo wenig für jenen Einwand.
Der Weg, den die Juriſten hier eingeſchlagen haben, der
einer Appretur des materiellen Rechts zu Gunſten proceſſualiſcher
Zwecke oder, wenn ich ſo ſagen darf, einer in einen Rechtsſatz
verſteckten Einrede wiederholt ſich noch in manchen andern Fällen,
die nicht unter unſern Geſichtspunkt der Geltendmachung eines
Gegenanſpruchs fallen. Wer dafür ein Auge hat, wird in man-
chen Sätzen des materiellen Rechts dieſen, ich möchte ſagen,
proceſſualiſchen Zug nicht verkennen können. Wenn man
hört: das Darlehn erfordere Eigenthumsübergang, 79) wer ſollte
im erſten Moment nicht glauben, daß der Kläger, wie jedes an-
dere Erforderniß, ſo auch dieſes, wenn es ihm beſtritten wurde,
beweiſen müſſe? Bei einigem Nachdenken wird man nicht um-
hin können, dies für widerſinnig zu erklären. Aber welchen Sinn
[77]A. Der Proceß. Vertheidigung — Accommodation der Klage. §. 52.
hat denn die Aufſtellung jenes Requiſits? Ich antworte: um
dem Beklagten für den Fall, daß ihm der Darlehnsgegenſtand
evincirt worden war, eine Einrede zu verſchaffen; 80) ohne
jenen Satz hätte er den Einwand nur in Form der exceptio,
d. h. im älteren Recht gar nicht vorſchützen können — der Satz
enthielt alſo in Form eines abſoluten, poſitiven Erforderniſſes
des Thatbeſtandes den Stoff zu einer eventuellen Einrede. Die-
ſelbe Auffaſſung verbinde ich mit dem Erforderniß des Eigen-
thums des Teſtators am Object des Vindicationslegats. 81) Den
Beweis dieſes Erforderniſſes dem Legatar aufbürden hätte ge-
heißen, den Erfolg des Legats in den meiſten Fällen geradezu
vereiteln und rückſichtlich des Beweiſes das natürliche Verhält-
niß zwiſchen Erben und Legatar völlig verkehren, denn wenn
Beweismittel über das Eigenthum des Erblaſſers überhaupt exi-
ſtirten, ſo befanden ſie ſich im Beſitz des Erben, nicht des Lega-
tars; welche Stirn hätte dazu gehört, von letzterem den Eigen-
thumsbeweis zu verlangen! 82) Auch in dieſem Erforderniß muß
mithin eine verſteckte Einrede für den Erben gelegen haben. 83)
Der bisher geſchilderte Weg war nicht überall anwendbar,
er paßte nur für ſolche Fälle eines Zuſammentreffens verſchiede-
ner Rechte, bei denen beide ſich gegenſeitig ganz oder theilweiſe
vernichten. Dagegen war er völlig ungeeignet für alle Fälle
eines friedlichen Nebeneinanderbeſtehens. Mit dem Eigen-
[78]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
thum des Klägers verträgt ſich ein Nießbrauch in der Perſon
des Beklagten, mit dem Miteigenthum des Einen daſſelbe
Rechtsverhältniß auf Seiten des Andern. Wenn man hier, wie
es ja gar nicht zu umgehen war, dem Beklagten die Berufung
auf ſein Recht verſtatten wollte, wie konnte dies geſchehen, ohne
den Grundſatz der einen Frage zu verletzen? Das Recht des
Einen läßt ſich hier ja nicht unter den Geſichtspunkt einer Ne-
gation des gegneriſchen bringen.
Die römiſchen Juriſten haben auch dieſe Aufgabe trefflich zu
löſen verſtanden. Der Weg, den ſie einſchlagen, beſteht in der
entſprechenden Anpaſſung der Klage für die Zwecke dieſer beſtimm-
ten in Ausſicht genommenen Vertheidigung; der Kläger wird
gezwungen, ſeinen eignen Anſpruch in einer Weiſe zu formuliren,
daß der des Beklagten ihm gegenüber unter den Geſichtspunkt
der Negation fällt: die Klage kömmt der Vertheidigung auf
halbem Wege entgegen. Für gewiſſe Zwecke reicht dieſer Weg
nicht aus, und hier tritt dann — ſollen wir ſagen mit Verläug-
nung des Grundſatzes der Negation oder des Grundſatzes, daß
zwei Klagen nicht zu einem Proceß verbunden werden dürfen?
— ein Proceß mit poſitiven Behauptungen beider Partheien:
die Doppelklage auf.
Es ergeben ſich daraus für die folgende Betrachtung drei pro-
ceſſualiſche Formen, nämlich:
- 1) Klage mit Vorbehalt des gegneriſchen Rechts;
- 2) Subſtituirung einer Klagformel im Intereſſe
des Beklagten an Stelle der vom Kläger ge-
wählten; - 3) Doppelklage.
Zwei Anwendungsfälle derſelben ſind jedem Kenner der rö-
miſchen Rechtsgeſchichte aus Gajus 84) zur Genüge bekannt, es
[79]A. Der Proceß. Vertheidigung — Klage mit Vorbehalt. §. 52.
ſind dies die beiden Klagen des argentarius85) und des honorum
emtor; jener wird gezwungen, wie Gajus ſich ausdrückt,
(cogitur) cum compensatione agere, dieſer (jubetur) cum
deductione agere. 86) Das Unterſcheidende dieſer beiden Fälle
iſt für uns hier ohne Werth und findet ſich bei Gajus klar aus-
einander geſetzt, dagegen iſt das, worin ſie übereinſtimmen, näm-
lich die Art, wie ſie es erreichen, daß die Gegenforderung des
Beklagten zu ihrem Recht gelangt, von um ſo höherm Intereſſe
für uns. Es geſchieht dies in derſelben Weiſe, wie in unſern
obigen Beiſpielen der Dos und des Pekuliums, nämlich durch
Subtraction, nur daß letztere, die dort proceſſualiſch nicht
als ſolche ſichtbar, ſondern nur in ihrer Wirkung fühlbar ward,
hier in der Klagformel offen zu Tage tritt. Der Kläger fordert
in derſelben nämlich: „ſo viel, als ihm nach Abzug der Gegen-
forderung des Beklagten zukommt“. Der Argentarius aber muß
dabei die Gegenforderung und ſein Saldo bis auf Heller und
Pfennig genau angeben; verſieht er ſich darin, ſo verliert er den
ganzen Proceß. Von ihm kann man mit Fug und Recht die ex-
acteſte Genauigkeit verlangen, denn Buch- und Rechnung-führen
iſt ja ſein Geſchäft, und dafür wird er bezahlt. In dem andern
Fall hingegen iſt der Kläger in den meiſten Fällen gar nicht in der
Lage, den Betrag der Gegenforderung zu kennen, und darum wird
ihm auch die Angabe deſſelben gar nicht zugemuthet, die Ermitt-
lung und Feſtſtellung deſſelben vielmehr dem Proceſſe überlaſſen.
Hier wie dort erſtreckt ſich die proceſſualiſche Verhandlung auch
auf die Gegenforderung, allein nur in ihrer Eigenſchaft als ein
die Höhe der klägeriſchen Forderung beſtimmendes Moment. 87)
[80]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Die beiden von Gajus mitgetheilten Fälle waren ſchwerlich
die einzigen, in denen dieſe eigenthümliche Art der Klagfaſſung
zur Anwendung kam. Zwar für die perſönlichen Klagen, alſo den
Conflict der Forderung mit der Gegenforderung, habe ich keinen
Grund zu dieſer Behauptung, 88) wohl aber für die dingliche
Klage, namentlich den Conflict des Eigenthums mit dem Nieß-
brauch. Setzen wir den Fall, es hätte Jemand in ſeinem Teſta-
ment ſeiner Wittwe den Nießbrauch, einer andern Perſon aber
das Eigenthum an ſeinem Hauſe vermacht, die Gültigkeit dieſes
letzteren Legats aber wäre in Frage gekommen, und der Berech-
tigte wollte die Frage zur gerichtlichen Entſcheidung bringen.
Wie gegen jede andere Perſon, ſo ſtand ihm auch gegen die
Wittwe die reivindicatio zu, allein während er jener gegenüber
nicht nöthig hatte in ſeiner Klage des Umſtandes zu gedenken, daß
ihm der Nießbrauch entzogen ſei, ſo konnte er es dieſer Beklag-
ten gegenüber nicht umgehen, denn in ihr ſtand ihm ja gerade die
Perſon gegenüber, welcher der Nießbrauch gehörte. Mochte er den-
ſelben anerkennen oder beſtreiten — kurz ſo wie ihm das Mittel,
ſein Eigenthum, ſo mußte ihr das Mittel geboten werden,
ihren Nießbrauch zur Anerkennung zu bringen. Dafür bot ſich
aber ein ganz einfaches Mittel dar, nämlich die Form der reivind.
mit dem Zuſatz deducto usufructu. Dieſe Formel iſt in Anwendung
auf die freiwillige Gerichtsbarkeit bezeugt, 89) und bei der Ueber-
[81]A. Der Proceß. Vertheidigung. Formelzwang. §. 52.
einſtimmung zwiſchen den Formeln der freiwilligen und ſtreitigen
Gerichtsbarkeit (B. 2 S. 647), bei der nothwendigen Deckung,
die auch rückſichtlich der Bezeichnung des Umfangs des Rechts
bei Gelegenheit der Beſtellung und der Geltendmachung
des Rechts Statt finden mußte, würde ſchon von vornherein die
größte Wahrſcheinlichkeit dafür ſprechen, daß die Formel der in
jure cessio deducto usufructu ſich bei der reivindicatio wiederholt
habe. Dieſe Wahrſcheinlichkeit wird faſt zur Gewißheit, wenn man
einerſeits das unläugbare praktiſche Bedürfniß einer ſolchen Klag-
formel und andererſeits die von Gajus bezeugten beiden Fälle
einer perſönlichen Klage mit ähnlichem Vorbehalt in Anſchlag
bringt. 90)
Ob ſich mit der Zeit nicht noch andere Fälle einer ſolchen
Klage mit deductio werden entdecken laſſen, darüber wäre es
voreilig jetzt ſchon abzuſprechen; 91) uns kann es genügen, daß
wir dieſe Klage als eine beſtimmte Klagſpecies erkannt haben.
Schon bei der ſo eben betrachteten Form findet, wie wir ge-
ſehen (S. 79 Note 86), ein Zwang gegen den Kläger Statt; er
wird gezwungen den Vorbehalt zu Gunſten des Beklagten in die
Klage aufzunehmen. Dieſer Zwang kehrt in verſtärktem Maße
bei unſerer gegenwärtigen Form wieder, er richtet ſich aber nicht
dahin, daß der Kläger ſich eine einzelne Modification der Formel
gefallen laſſe, ſondern daß er die von ihm beabſichtigte Klagfor-
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 6
[82]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
mel völlig aufgebe und ſtatt deren eine andere wähle, die dem
Beklagten für die Verfolgung des von ihm in Anſpruch genom-
menen Rechts den nöthigen Spielraum verſtattet. Die Klage
kömmt hier der Vertheidigung nicht mehr bloß auf halbem Wege
entgegen, ſondern ſie läßt ſich ganz zu ihr hinab.
Dieſer Klagezwang iſt ein nothwendiges Complement des
alten Proceſſes, für den Beklagten ebenſo unentbehrlich, wie für
den Kläger in gewiſſen Fällen (S. 70—72) die Präjudicial-
klage; beide Einrichtungen geben den Partheien erſt das nöthige
Maß der freien Bewegung zurück, das ihnen ſonſt durch die Enge
der Proceßformen entzogen ſein würde.
Ueberzeugen wir uns davon an dem früher geſetzten Fall
eines Rechtsſtreits zwiſchen Eigenthümer und Uſufructuar. An-
genommen der Eigenthümer hätte einfach gegen letzteren die Vin-
dication angeſtellt, der Beklagte aber ſich auf ſein ihm vom Kläger
beſtrittenes Recht berufen. Wäre hier dem Richter die gewöhn-
liche Frage im Vindicationsproceß geſtellt worden: si paret rem
actoris esse, ſo hätte er den Beklagten mit der Behauptung ſei-
nes Nießbrauchs gar nicht hören dürfen, denn dieſelbe enthält
keine Negation des Eigenthums, ſelbſt nicht eine partielle:
„der Nießbrauch — lautet die Regel — iſt kein Theil des Eigen-
thums“. 92) Andererſeits aber konnte man doch auch den Ein-
wand des Beklagten nicht in die Formel aufnehmen, denn Eigen-
thum und Nießbrauch ſind ebenſo irrationale Größen, und folglich
in derſelben Formel ebenſo unverträglich mit einander, wie Eigen-
thum und Forderung (Note 74). Man half ſich hier in der
Weiſe, daß man eine Formel componirte, die gewiſſermaßen die
Mitte zwiſchen den Rechten beider Partheien hielt, beiden ſowohl
die Behauptung des eignen als die Beſtreitung des gegneriſchen
[83]A. Der Proceß. Vertheidigung. Formelzwang. §. 52.
Rechts verſtattete. 93) Es iſt dies die act. negatoria. Der
Kläger behauptet dem Beklagten gegenüber: jus tibi non esse
me invito utendi fruendi; als Negation dieſer Behauptung
iſt damit dem Beklagten die Entgegnung freigeſtellt: jus mihi
esse te invito utendi fruendi. 94) Der Grundſatz der Negation
iſt demnach vollkommen aufrecht erhalten, und nur die Anwen-
dung hat etwas Ueberraſchendes, weil dadurch die logiſche Form
der Behauptungen beider Partheien ſich geradezu umkehrt, dem
Beklagten die poſitive, dem Kläger die negative Form in den
Mund gelegt wird. Die Behauptung des klägeriſchen Eigen-
thums iſt etwas verſteckt, ſie liegt in dem: me invito,95)
denn nur der wahre Eigenthümer hat das Recht, dem angeblichen
Uſufructuar die fernere Benutzung der Sache zu unterſagen.
Dieſer Zuſatz war daher höchſt weſentlich, denn ohne ihn hätte
jeder Nichteigenthümer mit demſelben Erfolg wie der Eigenthü-
mer gegen den Uſufructuar die act. negatoria erheben, d. h. ihm
jeder Zeit die Alternative ſtellen können, entweder ſein Recht zu
6*
[84]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
beweiſen oder die Aberkennung deſſelben zu gewärtigen. 96) Da-
gegen war er bei der act. confessorianicht erforderlich, 97) denn
[85]A. Der Proceß. Vertheidigung. Formelzwang. §. 52.
dieſe Klage kann nicht bloß gegen den Eigenthümer, ſondern
gegen jeden angeſtellt werden.
Das bisher Geſagte litt auf die Prädialſervituten keine An-
wendung, da ſie nicht mit dem Beſitz der Sache verbunden ſind;
ihnen gegenüber war die reivindicatio gar nicht denkbar, der
Eigenthümer vielmehr von vornherein auf die act. negatoria
angewieſen. Dagegen würden die Innehaber eines Fauſtpfan-
des, einer Superficies oder Emphyteuſis, wenn ſchon das
ältere Recht dieſe Verhältniſſe als jura in re gekannt hätte,
nur in derſelben Weiſe ſich auf ihr Recht haben berufen können
und folglich auch bei klagweiſer Verfolgung daſſelbe mittelſt einer
act. confessoria haben verfolgen müſſen, denn beides bedingte
ſich gegenſeitig. 98) Eben daraus, daß dies nicht der Fall, der
Einwand hier nicht die Form der Negation, ſondern der Excep-
tion an ſich trägt, geht hervor, daß dieſe Rechte ſpätern Ur-
ſprungs ſind.
Ein anderes Beiſpiel des Klagezwangs bietet das Verhältniß
des Erben dar, der gegen die Beſitzer erbſchaftlicher Gegenſtände
auf Herausgabe derſelben dringt. Es ſtehen ihm zu dem Zweck
zwei Mittel zu Gebote: die reivindicatio und hereditatis petitio;
aber welches von beiden zu wählen iſt, darüber entſcheidet nicht
ſein Wille, ſondern das Vertheidigungsſyſtem des Beklagten.
Setzt letzterer nämlich der Behauptung des klägeriſchen Eigen-
thums die des eignen Erbrechts entgegen, ſo wird der Kläger
angehalten, ſeinen Anſpruch in Form der hereditatis petitio
zu verfolgen, um dadurch dem Beklagten die Möglichkeit zu ge-
währen, ſeinen Einwand in die Geſtalt einer Negation der Klage
zu bringen. In dem entgegengeſetzten Fall, wenn der Kläger
Erbrecht, der Beklagte Eigenthum beanſprucht, muß jener
97)
[86]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
zur reivindicatio greifen. 99) Um zu conſtatiren, worauf der Be-
klagte ſeine Vertheidigung ſtützen will, wird er bei Beginn des
Proceſſes gefragt, wie er beſitze. Antwortet er: „als Erbe“
oder verweigert er die Auskunft, oder ſchützt er einen Eigen-
thumstitel vor, deſſen Unwahrheit oder Nichtigkeit der Kläger
ſich darzuthun getraut, 100) ſo wird die her. pet. gegen ihn ange-
ſtellt, entgegengeſetzten Falls kommt es zur reivindicatio. 101)
Eine beſonders intereſſante Geſtalt nimmt das Verhältniß
an, wenn Obligation und Erbrecht in Conflict mit einander
gerathen. Dies iſt dann der Fall, wenn einer der erbſchaftlichen
Schuldner der gegen ihn erhobenen perſönlichen Klage die
Behauptung des eignen Erbrechts entgegenſtellen will. Auch
hier muß der Kläger, um ihm dies zu ermöglichen, zur hered. pe-
titio greifen, 102) und zwar wird der Sache die Wendung ge-
geben, daß der Beklagte, wenn auch kein Stück, ſo doch ein
Recht (die Forderung) als Erbprätendent in Beſitz genommen
habe (juris possessor). Wie ſehr die Form dieſer Klage durch
die Rückſicht auf die Vertheidigung des Beklagten beſtimmt iſt,
geht aus den Stellen der Note 102 hervor, denen zufolge der
Proceß dann nicht in die Form der Erbſchaftsklage gewieſen
werden ſoll, wenn der Beklagte, ohne ſich ſelbſt ein Erbrecht an-
zumaßen, bloß das des Klägers beſtreitet.
Die bisher entwickelte Idee des Klagzwangs muß gefaßt dar-
auf ſein auf Widerſpruch zu ſtoßen, namentlich bei allen denen,
[87]A. Der Proceß. Vertheidigung. Formelzwang. §. 52.
welche glauben, der Legis-Actionen-Proceß habe ſofort mit dem
Ausſprechen der Formel der Legis Actio begonnen. Es kann
kaum etwas Verkehrteres geben, als eine ſolche Vorſtellung!
In derſelben Weiſe wie im Formularproceß ging auch im
Legis-Actionenproceß eine längere formloſe Verhandlung, worin
beide Partheien den Stand der Sache erzählten, der formellen
Conſtituirung und Fixirung der Streitſache in Geſtalt der Legis
Actio voraus. Für die reivindicatio ergibt ſich dies aus dem
Formular derſelben, in welchem der Kläger rückſichtlich der Cauſa
ſeines angeblichen Eigenthums auf vorangegangene Aeußerungen
Bezug nimmt, 103) und der Proceß der Virginia gewährt uns
dafür ein intereſſantes Beiſpiel. Das Erſte, womit dieſer Pro-
ceß beginnt, iſt die Erzählung des Vindicanten, daß und warum
die Virginia ihm gehöre, 104) und erſt nach längerer Verhandlung
von beiden Seiten 105) kommt es zur eigentlichen ſolennen Vin-
dication. 106) Für die perſönliche Klage iſt uns zwar ein ſolcher
poſitiver Anhaltspunkt nicht gegeben, allein es iſt kein Grund
abzuſehen, warum die vorangehende formloſe Verhandlung bei
ihr leichter hätte entbehrt werden können, als bei der Vindi-
cation. 107)
[88]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Für den Formularproceß iſt die Sache außer Zweifel, 108)
und ich brauche wohl nicht erſt auszuführen, daß und warum
man von ihm auf die frühere Form des Proceſſes ſchließen darf.
Eine größere Berechtigung geſtehe ich einem andern Einwurf
zu, 109) nämlich dem, daß die Stellung, die der Prätor im ältern
Proceß einnahm (B. 2 S. 665), zu jenem ſelbſtändigen Eingrei-
fen, wie meine Anſicht es ihm zumuthet, nicht paſſe. Allein
verdient dieſes Eingreifen in Wirklichkeit den Namen eines ſelb-
ſtändigen, iſt dem Belieben und individuellen Ermeſſen des Prä-
tors hier etwa ein größerer Spielraum geöffnet, als bei irgend
einer andern Procedur des Proceſſes? Wenn der Beklagte der
reivindicatio den Einwand des Nießbrauchs oder Erbrechts ent-
gegenſetzt, ſo iſt es für den Prätor ein ebenſolches Muß, daß er
ſtatt des Vindicationsproceſſes die Negatorienklage oder den
Erbſchaftsproceß einleitet, als daß er im Vindicationsproceß
dem Scheinkampf Einhalt gebietet oder die Vindicien ertheilt,
und wenn ich der Sache den Ausdruck gegeben habe: der Kläger
werde gezwungen110) ſich einer andern Klagformel zu bedie-
nen, ſo iſt dieſer Zwang wiederum kein anderer, als wenn der
Kläger ſich im Formularproceß die exceptio gefallen laſſen muß.
In dem einen wie in dem andern Falle handelt es ſich nicht um
eine Beſchränkung des Klägers in der Wahl der Klage — in
107)
[89]A. Der Proceß. Vertheidigung — Doppelklage. §. 52.
dieſem Sinn hat die Stelle in Note 109 vollkommen Recht —
ſondern umgekehrt um Nichtbeſchränkung des Beklagten in
der Benutzung ſeiner Vertheidigungsmittel. Nur wer noch an
dem obigen Irrthum hängt, als ſei der Kläger ſofort vor dem
Prätor mit einer legis actio aufgetreten, die, einmal geſprochen,
ſich natürlich hinterher nicht mehr ändern ließ, wird meine An-
ſicht für unmöglich erklären müſſen; allein ich meinerſeits gebe
jenen Vorwurf der Unmöglichkeit zurück und glaube, daß es ſich
gerade bei der gegenwärtigen Frage ſo recht ſchlagend zeigt, wie
das ganze alte Proceßſyſtem nur möglich war, wenn wir anneh-
men, daß die ſolenne Fixirung der Klage in Form der legis actio
das Reſultat vorausgegangener Verhandlungen war, bei denen
ſich herausgeſtellt hatte, was ſtreitig, was zugegeben war — kein
einſeitiger Akt, ſondern eine zweiſeitige Feſtſtellung des
eigentlichen Streitpunktes.
Dieſe Klagform bezeichnet in unſern Augen den höchſten
Elevationspunkt des alten Proceſſes oder richtiger den Punkt,
wo er über ſich ſelbſt, über den Grundſatz der einen Frage und
der bloßen Negation hinausgeht.
Das neuere Recht nennt uns zwei Klaſſen von Doppelklagen:
die Theilungsklagen und die interd. retinendae possessionis111)
und ſetzt das Eigenthümliche darein, daß jeder von beiden Thei-
len die Rolle des Klägers und Beklagten in ſich vereinige. 112)
[90]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Schärfer kann man dieſe Eigenthümlichkeit ſo ausdrücken, daß
zwei denſelben Gegenſtand, daſſelbe Verhältniß betreffende Pro-
ceſſe unter denſelben Partheien und mit Kreuzung der Parthei-
ſtellung zu einem Proceß vereinigt ſind, daher judicium duplex
oder actio mixta. Jeder von beiden Theilen iſt rückſichtlich
deſſen, was er begehrt, Kläger, rückſichtlich deſſen, was von ihm
begehrt wird, Beklagter. 113)
Im ältern Proceß gehörte zur Klaſſe dieſer Klagen auch die
Vindication, wenigſtens wenn ſonſt das angegebene Kriterium,
daß jeder der ſtreitenden Theile mit einer poſitiven Behauptung,
einem ſelbſtändigen Anſpruch auftritt, richtig iſt. Während näm-
lich den Regeln des gewöhnlichen Proceſſes gemäß der Beklagte
der Behauptung des Klägers „daß die Sache ſein ſei“ nur die
„daß ſie nicht ſein ſei“ hätte entgegenſtellen dürfen, lautete die
Erwiderung in Wirklichkeit poſitiv „daß ſie dem Beklagten ge-
höre“. 114) Allerdings lag auch in der letzten Behauptung eine
Negation des klägeriſchen Eigenthums, allein eine Beſtreitung in
poſitiver Geſtalt, eine Behauptung, die nicht ſchon, wie bei
den beiden bisher betrachteten Klagformen in der Klage ſelbſt
vorgeſehen war. Während der Richter bei allen andern Proceſſen
(judicia simplicia) nur auf Exiſtenz oder Nichtexiſtenz des kläge-
riſchen Anſpruchs erkennen konnte, ward er durch dieſe Form
der Doppelklage in Stand geſetzt, in derſelben Weiſe auch über
den des Beklagten ſeinen Ausſpruch zu thun. Daß damit die
Möglichkeit, beide Fragen negativ zu beantworten, abgeſchnitten
geweſen ſei, wäre von vornherein kaum zu glauben, denn un-
möglich konnte man dem Richter zumuthen, wenn er ſich über-
zeugte, daß keiner von beiden Eigenthümer war, das Gegen-
theil zu erklären; es wird unten für einen ſpeciellen Anwendungs-
[91]A. Der Proceß. Vertheidigung — Doppelklage. §. 52.
fall der Vindication die hier in Frage geſtellte Möglichkeit der
negativen Beantwortung beider Fragen aus den Quellen nach-
gewieſen werden, und ich zweifle nicht im Mindeſten daran, daß
ſie für die reivindicatio ſchlechthin beſtanden hat, daß alſo der
Richter, anſtatt poſitiv zu erklären rem rei videri, negativ er-
kennen durfte: rem actoris non videri.115)
Es war eine ganz richtige Erfaſſung des Verhältniſſes, wenn
man dem Beklagten, der hier in Wirklichkeit als Kläger auftrat,
bei der ſolennen Einleitung des Proceſſes auch ganz dieſelben
Handlungen auferlegte, die der Kläger zu vollziehen hatte. Wie
dieſer ſo hat auch er zu vindiciren (contravindicare), 116) ſo wird
auch er nach der causa ſeines Eigenthums gefragt, ſo ruft auch
er ihn aufs Grundſtück hinaus, 117) ſo werden beide gleichmäßig
vom Prätor zur Ruhe verwieſen, ſo kann letzterer dem einen
oder andern von ihnen die Vindicien geben — kurz dieſelbe
Duplicität, die in modernerer Form im interdictum uti possi-
detis wiederkehrt, findet ſich bereits im älteſten Vindicationspro-
ceß aufs vollſtändigſte durchgeführt.
Was mag nun zu dieſer eigenthümlichen Geſtaltung des
[92]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Vindicationsproceſſes Veranlaſſung gegeben haben? Daß es die
Rückſicht auf die Vertheidigung des Beklagten geweſen, wird
von vornherein vermuthet werden dürfen. Man verſtatte mir zum
Zweck der Beantwortung dieſer Frage zunächſt von dem einfache-
ren Verhältniß der Vindication von Sachen abzuſehen und
einen complicirteren Anwendungsfall ins Auge zu faſſen.
Im römiſchen Leben konnten die Fälle nicht ſelten ſein, daß
die verſchiedenen hausherrlichen Gewalten mit einander in Con-
flict geriethen, z. B. an demſelben Individuum von der einen
Seite väterliche oder herrſchaftliche Gewalt, von der andern
Manus oder Mancipium in Anſpruch genommen ward. Da
nun wenn nicht alle, ſo doch die meiſten dieſer Gewaltverhältniſſe
durch eine Vindication geltend gemacht werden konnten, 118) die
Vindication aber ein judicium duplex war, ſo wird man zur
Annahme berechtigt ſein, daß nicht bloß dann, wenn beide Par-
theien ſich ein und daſſelbe, ſondern auch wenn ſie ſich ein ver-
ſchiedenes Gewaltverhältniß anmaßten, z. B. der Kläger, wie
im Proceß der Virginia, die Tochter eines Andern für ſeine
Sklavin ausgab, die beiderſeitigen Anſprüche in einem und
demſelben Proceß zur Verhandlung gelangen konnten. Hätte
man hier den Grundſatz: ein Proceß eine Frage feſthalten wollen,
ſo hätte es zweier Proceſſe bedurft, um den Status dieſer Per-
ſon proceſſualiſch feſtzuſtellen, in dem erſten wäre bloß entſchie-
den, daß ſie nicht Sklavin des Einen, in dem zweiten, daß ſie
Tochter des Andern ſei, und zur Ermöglichung dieſes zweiten
[93]A. Der Proceß. Vertheidigung — Doppelklage. §. 52.
Proceſſes hätte es einer ganz beſondern Procedur bedurft, ent-
weder nämlich hätte der Vater einen Kläger aufſtellen müſſen,
welcher die Tochter als die eigne in Anſpruch nahm und ihm da-
durch Gelegenheit gab, ſeinerſeits in Form der contravindicatio
daſſelbe Verhältniß für ſich in Anſpruch zu nehmen, oder er
hätte, indem er künſtlich für einen Beklagten ſorgte, der ihm die
Tochter vorenthielt, als Kläger mit jener Behauptung auftreten
müſſen. Kurzum jeder andere Weg als der angenommene mußte
ſich als unbrauchbar erweiſen.
Haben wir hierin das Richtige getroffen, ſo ergibt ſich dar-
aus, daß die poſitive Behauptung, die man einer ſolchen Klage
entgegenſetzen durfte, eine verſchiedenartige ſein konnte, ſo z. B.
in dem obigen Fall der Virginia die, welche ihr Verlobter in
Wirklichkeit aufſtellte Virginiam liberam esse, ſodann die, die
der Vater, wenn er anweſend geweſen, hätte entgegenſetzen kön-
nen: filiam suam esse ex jure Quiritium;119) in einem andern
Fall hätte der Kläger vielleicht noch die Behauptung gewärtigen
müſſen, daß das Mädchen Sklavin des Beklagten ſei oder ſich in
ſeinem Mancipium befinde. Im Bisherigen liegt zugleich die
Erklärung dafür, warum die Behauptung der Freiheit in die
Form einer Vindication, nicht eines Präjudiciums gebracht
[94]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
werden mußte (asserere in libertatem — vindex libertatis),
denn nur mittelſt dieſer Form konnte ſie der Vindication eines
angeblichen Sklaven gegenüber als contravindicatio auf-
treten. Der Widerſpruch in Form der bloßen Negation hätte
nämlich nicht lauten können, daß dies Individuum frei ſei,
ſondern nur: daß es nicht Sklave dieſes Klägers ſei. 120)
In ſtrenger Durchführung der Idee eines Doppelproceſſes
konnte das Urtheil dreifach lauten: entweder nämlich dem An-
trag des Klägers gemäß (servum esse) oder dem des Beklagten
oder ſeines Vinder gemäß (liberum esse) 121) oder endlich ab-
weiſend für beide Theile, wenn nämlich keiner von ihnen ſeine
Behauptung bewieſen hatte, alſo z. B. das Individuum, um
das der Proceß ſich drehte, ſich zwar nicht als Sklave des Klä-
gers, aber doch als Sklave erwieſen hatte: hier lautete der Spruch
auf: servum Titii non videri. Eines doppelten Aus-
ſpruchs des Richters bedurfte es in allen drei Fällen nicht, und
eben darin bethätigte ſich formell die Einheit des Doppelpro-
ceſſes; wären es zwei geſonderte Proceſſe geweſen, ſo hätte der
Richter zwei beſondere Sentenzen erlaſſen müſſen; die Dop-
pelheit äußerte ſich bloß in den Behauptungen der Partheien, die
Einheit im Streitgegenſtande und im Urtheil.
Das bisher geſchilderte Intereſſe der Möglichkeit einer ſelb-
ſtändigen Intention für den Beklagten, oder gebrauchen wir
[95]A. Der Proceß. Vertheidigung — Doppelklage. §. 52.
dafür im Gegenſatz zur Negation den Ausdruck der Contra-
vindication, war auch für die Vindication von Sachen und
Erbſchaften vorhanden. Auch rückſichtlich ihrer war es, wie auf
der Hand liegt, für den Beklagten nicht gleichgültig, ob der Rich-
ter bloß erkennen durfte, daß der Vindicant nicht Eigenthümer
oder Erbe ſei, oder aber poſitiv daß es der Beklagte ſei. Man
denke z. B. an den Fall, daß zwei Erbprätendenten miteinander
im Streit liegen, von denen der eine auf Grund eines Teſta-
ments, der andere wegen angeblicher Nichtigkeit des Teſtaments
auf Grund ſeines Inteſtaterbrechts, den Nachlaß in Anſpruch
nimmt, jeder aber ſich in Beſitz von Nachlaßgegenſtänden geſetzt
hat. Soll hier etwa der eine, nachdem er im erſten Proceß als
Beklagter die Gültigkeit des Teſtaments nachgewieſen hat, als
Kläger auftreten, um den gelieferten Nachweis noch einmal zu
führen? 122)
So alt wie die Begriffe des Miteigenthums und des Mit-
erbrechts ſind begreiflicherweiſe auch die Klagen, mit denen ſie
geltend gemacht werden, nämlich die Theil-Vindication der Sache
und der Erbſchaft 123) und die Theilungsklagen (act. communi
dividundo und familiae erciscundae). Es wirft ſich nun die
Frage auf, ob in derſelben Weiſe wie die vindicatio ſo auch die
contravindicatio auf einen Theil habe gerichtet werden kön-
nen, nicht zwar auf einen körperlichen Theil 124) — denn bei
[96]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
beweglichen Sachen hätte die Trennung des Theiles erſt durch
die act. ad exhibendum vorbereitet werden müſſen, bei unbe-
weglichen Sachen iſt der Theil ein beſonderes Ganze für ſich, 125)
ſondern auf einen intellektuellen Theil, auf eine Quote des
vom Kläger in Anſpruch genommenen Rechts. Ich finde kein
Bedenken dieſe Frage zu bejahen, das Bedürfniß einer ſolchen
partiellen contravindic. war ganz daſſelbe, wie das einer to-
talen, ja wo möglich noch höher, und da ſie juriſtiſch kein Ein-
wand, ſondern eine eigne Klage war, ſo war kein Grund vor-
handen, ſie anders zu behandeln, als jede andere. Das Intereſſe
derſelben liegt auf der Hand. Wenn zwei Perſonen das Mit-
eigenthum oder Miterbrecht, das jede von ihnen in Anſpruch
nimmt, ſich gegenſeitig beſtreiten, ſo hätte es ohne contravindi-
catio für die Entſcheidung dieſes Streits im ältern Recht zweier
Proceſſe bedurft, denn in jedem hätte der Richter nur über den
Antrag des Klägers erkennen dürfen; die contravind. machte
es möglich, die Anträge beider Partheien zuzulaſſen. Die Du-
plicität der Theilungs klagen findet mithin in der der Eigen-
thums- und Erbſchaftsklage ihr Vorbild und Seitenſtück, und
in dieſer Anwendung war ſie wiederum völlig unentbehrlich.
Wenn der Kläger ſeine Klage aufs Ganze gerichtet hatte,
ſo bot die Möglichkeit einer contravind. des Theils für den Be-
klagten ein ungleich geringeres Intereſſe, denn um die Abweiſung
der Klage — und zwar zum ganzen Betrage 126) — zu bewir-
ken, dazu reichte ſchon der Beweis eines ihm zuſtehenden Theil-
rechts aus. Dagegen bezweifle ich nicht, daß der Beklagte auch
in dieſem Fall mit der contravindic. ſeines Theils zugelaſſen
wurde, da es doch immer einen Unterſchied machte, ob bloß der
Kläger ihm gegenüber abgewieſen oder er umgekehrt ihm als
124)
[97]A. Der Proceß. Vertheidigung — Doppelklage. §. 52.
Theilberechtigter anerkannt ward. Umgekehrt muß es auch frei
geſtanden haben, der vindic. eines Theils die contravindic. des
Ganzen gegenüber zu ſtellen.
Daß die contravind. bei der act. confess. und negat. weder
nöthig, noch möglich war, 127) wird ſich aus dem Bisherigen zur
Genüge ergeben. Bei beiden Klagen reichte zur Vertheidigung
des Beklagten die Umkehrung der klägeriſchen Behauptung, alſo
die bloße Negation, vollkommen aus. Nur in einem Fall ver-
hielt es ſich anders, nämlich wenn zwei Perſonen ſich über einen
Uſusfructus ſtritten, ſei es über den ganzen oder über einen
Theil; ob die Römer hier die Austragung des Streits in einem
Verfahren, wie es das natürlichſte war, zugelaſſen, und ob ſie
die poſitive Behauptung des Beklagten hier contravindicatio ge-
nannt haben, darüber wage ich eine Anſicht nicht zu äußern.
Möglicherweiſe hatte die contravind. außer der im Bisheri-
gen nachgewieſenen Bedeutung noch eine andere. Bildete ſie
nämlich, wie es nach der Darſtellung von Gajus den Anſchein
gewinnt, einen unerläßlichen Beſtandtheil des Verfahrens, war
alſo der Beklagte ſtets genöthigt zu contravindiciren, ſo ergab
ſich daraus für ihn die Alternative, entweder ſich ſelbſt das Ei-
genthum anzumaßen, beziehungsweiſe ſich durch den angeblichen
Eigenthümer, auf deſſen Namen er beſaß, vertreten zu laſſen,
oder aber die Sache herauszugeben, und dieſe Annahme wird
durch die Analogie der in jure cessio unterſtützt. 128) Eine
befriedigende Erklärung erhält dieſer Contravindicationszwang
jedoch erſt durch das für beide Theile beſtehende Requiſit der
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 7
[98]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Angabe der „causa“. Bei dem Gewicht, das jedes Wort einer
römiſchen Klagformel hat, und bei dem unverkennbaren Werth,
den die causa in den Augen beider Partheien haben mußte, indem
ſie ſogar den Gegenſtand einer eignen Frage von Seiten des
Klägers an den Beklagten bildete, kann ich mich nicht entſchließen,
darin mit ſo Manchen eine werthloſe Ausſchmückung der Formel
zu erblicken. Ich bin vielmehr der Anſicht, daß die causa hier
wie überall beim Eigenthum den Erwerbungsgrund deſſel-
ben bedeutet. Dafür erblicke ich eine Unterſtützung in dem Be-
richt von Livius über den Proceß der Virginia (Note 119), in
welchem der Kläger in der That die causa ſeines Eigenthums vor
der ſolennen Vindication ganz ſpeciell anführt, ſo wie in der
noch für das neuere Recht beſtehenden Möglichkeit einer vindicatio
„expressa oder adjecta causa.“129)
Warum die Angabe der causa, wenn ſie einmal nöthig war,
nicht in der Formel ſelbſt erfolgte, falls letzteres ſonſt richtig
(Note 102), darüber will ich mich nicht in Vermuthungen er-
gehen, dagegen mögen mir einige Worte vergönnt ſein über die
Gründe, die eine ſolche Geſtaltung der Klage motiviren konnten,
und die meiner Anſicht nach in dem Inſtitut der Vindicienerthei-
lung und dem Mangel der act. Publiciana zu ſuchen ſind.
Nichts hinderte den Beklagten, der ſich ſelbſt nicht für den
Eigenthümer hielt, ſich dennoch dafür auszugeben und einen er-
dichteten Erwerbungsgrund vorzuſchützen. Allein zunächſt war
doch der Preis der Lüge, um den er ſich vorläufig noch in dem
Beſitz behaupten konnte, kein ſolcher, den Jeder gern zahlte, die
Lage des Beklagten war alſo von vornherein ſchon eine ungün-
ſtigere, als heutzutage, wo er einfach mit Nichtwiſſen oder Läug-
nen auskommen kann. Sodann aber fiel ſicherlich ſchon bei der
Vindicienertheilung der verſchiedene Charakter der beiderſeitigen
[99]A. Der Proceß. Vertheidigung — Doppelklage. §. 52.
Ausſagen ſchwer ins Gewicht. Der Lügner wird auch in Rom
regelmäßig von einem Unbekannten, Durchreiſenden u. ſ. w.
gekauft haben, der ehrliche Mann gab ſeinen Autor mit Namen
an und brachte ihn vielleicht gleich mit, oder er erſchien mit ſei-
nen Nachbarn, die den Ochſen als den ſeinigen ſofort recognos-
cirten. Schreckte dann trotzdem der Beklagte vor dem Proceß
nicht zurück, ſo kam es zur ſolennen Einleitung deſſelben, und
der Prätor wußte, wem er die Vindicien zu ertheilen hatte.
Eben ſo wägte aber auch der Richter, der bekanntlich in Rom an
eine ſtrenge Beweistheorie nicht gebunden war, ſicherlich das
Maß der Glaubwürdigkeit beider causae gegeneinander ab, und
wenn es dem Kläger gelungen war, den Beklagten in ſeinem
eignen Lügengewebe zu verſtricken, ſo mochte auch, um in der
Sprache des heutigen Proceſſes zu reden, ein halber Beweis
ſeiner eignen causa die Wirkung eines ganzen ausüben, der
Nachweis, daß Er gekauft, der Beklagte aber die Sache geſtoh-
len, den Richter über das Bedenken hinweghelfen, ob denn auch
der Autor des Klägers und deſſen Autoren wirkliches Eigenthum
gehabt hätten. Mit andern Worten alſo: die reivind. wird
ſchon im älteren Proceß nicht ſelten die Wirkung der Publiciana
act. gehabt haben. Um ſie zu haben, um das relative Ver-
hältniß beider Partheien zur Sache zu conſtatiren, mußten aber
beide ihre causae angeben. Als jene Klage eingeführt ward,
und der Gedanke der Relativität im Eigenthumsrecht damit eine
mehr geſicherte und geregelte Form der Verwirklichung erhielt,
als das ſubjective Gefühl des Richters ſie ihm gewährte, fiel der
eine Grund hinweg, der die Angabe der causa nöthig machte,
mit dem Abkommen der Vindicien der zweite, und ſo mag es ſeine
Erklärung finden, daß der neuere Proceß jenen Gedanken des
ältern Rechts völlig aufgab. 130) Die Nothwendigkeit der
7*
[100]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
contravindicatio, ſei es auch in moderniſirter Form, würde fort-
an keinen Sinn mehr gehabt haben; ohne causa war ſie
werthlos.
Wie man nun auch über dieſen Verſuch, ihre Nothwen-
digkeit innerlich zu erklären, denken möge, für unſern gegen-
wärtigen Zweck reicht vollkommen ihre Möglichkeit aus, und
nach dieſer Seite hin dürfen wir nicht anſtehen, ſie als ein un-
entbehrliches Complement des altrömiſchen Proceſſes, als eine
Einrichtung zu bezeichnen, welche gerade dadurch, daß ſie ſich von
dem Grundſatz der einen Frage losſagte, beweiſt, wie auch hier
wiederum die alten Juriſten die Intereſſen des Lebens höher
achteten, als eine auf Koſten derſelben erkaufte ungeſunde Con-
ſequenz. Aber die Art, wie ſie es thaten, wie ſie auch hier trotz
der gebotenen Abweichung von jenem Grundſatz die Einheit
des Proceſſes zu retten verſtanden und dem Richter es ermöglich-
ten mit einem Spruch den Proceß zu entſcheiden, iſt wiederum
ein ſprechendes Zeugniß der Geſchicklichkeit, mit der ſie die Pro-
ceßformen zu handhaben wußten.
Faſſen wir das Geſammtreſultat unſerer ganzen bisherigen
Unterſuchung über die Möglichkeit eines Conflicts der Rechte
beider Partheien in demſelben Proceß in wenig Worte zuſam-
men, ſo glaube ich als ſolches den oben S. 63 verſprochenen
Nachweis bezeichnen zu dürfen, daß das Negationsſyſtem auch
in dieſer Richtung den Vergleich mit dem Exceptionsſyſtem nicht
zu ſcheuen hat. Was ihm an Elaſticität und Weite abging, er-
ſetzten die alten Juriſten durch Geſchicklichkeit. Die Proben, die
wir dafür beigebracht haben — und wie wenige mögen es ſein
im Vergleich zu denen, die uns vorenthalten ſind — werden das
Urtheil rechtfertigen, daß die alten Juriſten den Proceß vollkom-
men beherrſchten, d. h. daß die Proceßformen für ſie kein
Hinderniß bildeten, Zwecke, die ſie einmal proceſſualiſch erreichen
wollten, auch wirklich zu erreichen, und daß mithin der Grund,
warum ſo manche Befreiungsgründe des Beklagten die Form
der exceptio an ſich tragen, d. i. erſt der ſpäteren Zeit ihre Ein-
[101]A. Der Proceß. Vertheidigung — Doppelklage. §. 52.
führung verdanken, nicht darin gefunden werden darf, daß die
ältere Zeit ſie nicht hätte zulaſſen können, ſondern darin, daß
ſie dieſelben nicht zulaſſen wollte. Wenn der Prätor für ſie eine
ganz neue Form die der exceptio wählte, ſo geſchah es nicht,
weil die alte nicht mehr ausgereicht und die neuere einen höhern
Grad der Brauchbarkeit beſeſſen hätte, ſondern weil er ſich für
den Zweck der Vertheidigung ebenſowenig ihrer bedienen
durfte, wie für den Zweck der Klage der civilrechtlichen Form
derſelben; die Befreiung „ipso jure“ und die actio in jus con-
cepta waren civilrechtliche Begriffe.
Nur in einer Beziehung behauptet allerdings die exc. einen
größern Grad der Brauchbarkeit, aber es war eine ſolche, die das
ältere Recht verſchmähte und verſchmähen mußte (§. 55). Die
Wirkung der Negation iſt ſtets eine abſolute, d. h. ſie negirt
das Daſein des vom Kläger in Anſpruch genommenen Rechts
ſchlechthin, gleichgültig welcher Art dies Recht iſt, ob relativer
oder abſoluter. Die exc. aber kann die Wirkſamkeit des Rechts
nicht bloß abſolut, ſondern auch relativ d. h. bloß dem Be-
klagten gegenüber beſtreiten, und zwar ſelbſt bei der Obligation,
wovon die Einreden des Correalſchuldners aus einem abſolut
oder relativ (in rem, in personam) gefaßten formloſen Nachlaß-
vertrag ein Beiſpiel gewähren. Die exceptio ſchließt mithin
die Möglichkeit in ſich, daß in einem und demſelben Proceß der
abſolute und relative Geſichtspunkt ſich kreuzen, daß z. B. der
Käufer der Vindication des Verkäufers gegenüber zwar das
Eigenthum zugibt, aber der Conſequenz deſſelben rückſicht-
lich ſeiner durch Berufung auf den Kaufcontract ausweicht.
In Form der Negation wäre dies nicht möglich geweſen, denn
das Eigenthum läßt ſich nicht relativ negiren, der Käufer
konnte mithin im alten Proceß ſeinen Anſpruch nur in Form der
perſönlichen Klage (act. auctoritatis) verfolgen.
Allein daß auch hier wiederum das ältere Recht nicht wegen
der Unbeholfenheit der proceſſualiſchen Form eine Vertheidigung
ausſchloß, die es im übrigen für zuläſſig gehalten hätte, geht
[102]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
daraus hervor, daß es bei der Berufung des Beklagten auf
einen ihm zuſtehenden Nießbrauch, die ja in der That ebenfalls
nur ein relatives Hinderniß geltend macht, welches lediglich
in der Perſon dieſes Beklagten beſteht, die dafür erforderliche
Form ſehr wohl zu finden wußte. Der Grund, warum es in
andern Fällen dies nicht that, kann alſo nur darin gefunden wer-
den, daß es jene Kreuzung abſoluter und relativer Elemente in
einem Proceß im allgemeinen für bedenklich hielt, und wir wer-
den ſpäter (§. 55) Gelegenheit finden, die Gründe davon ein-
zuſehen. Der Beklagte, der mit ſeinem relativen Recht in die
Form der Klage gewieſen war, ſtand ſich darum nicht ſchlechter,
ja in dem obigen Fall ſogar beſſer, denn die act. auctoritatis
brachte ihm das Doppelte ein.
Schließlich möge noch das Geſammtergebniß unſerer Detail-
unterſuchungen tabellariſch veranſchaulicht werden.
[103]A. Der Proceß. Vertheidigung in Negationsform. §. 52.
Conflict von Rechten beider Partheien.
Stellen wir zunächſt den Begriff derſelben feſt.
Von einer Vertheidigung in Form der Klage kann nur da ge-
redet werden, wo der ganze Zweck der Klage gleich dem der restit.
in int. aufgeht in der Beſeitigung des gegneriſchen Anſpruchs,
die eine Klage, ſo zu ſagen, bloß die Form iſt, in der das Recht
ſeine Mißbilligung über die andere ausſpricht. Zu dieſen Klagen
zählen z. B. die Condictionen wegen mangelnden Grundes, die
act. quod met. causa. Dagegen gehören gar nicht hierher alle
Klagen aus zweiſeitigen Geſchäften, durch welche jeder Theil den
ihm zuſtehenden Anſpruch verfolgt, z. B. der Käufer den auf
die Sache, der Verkäufer den auf den Kaufpreis, denn jeder die-
ſer Anſprüche iſt ſeiner ſelbſt wegen da, nicht um den gegneri-
ſchen zu vernichten, und der Umſtand, daß er der Klage des
Gegners gegenüber in Form der Einrede (durch Retention) ver-
folgt werden kann, ſchwächt dieſen ſeinen Charakter um nichts
ab. Dort haben wir eine Klage mit dem Zweck der Einrede,
hier eine Einrede mit dem Zweck der Klage — ein Geſichts-
punkt, der für die richtige Beurtheilung beider, insbeſondere was
die Frage von der Verjährbarkeit betrifft, von maßgebendem Ein-
fluß iſt.
Von jenen Klagen mit ausſchließlich defenſivem Zweck kennt
das römiſche Recht zwei Klaſſen: die eine eine Schöpfung des
älteren und nicht in das neuere übergegangen, die andere,
wenn vielleicht auch in einzelnen Anwendungsfällen bereits dem
früheren bekannt, doch erſt im neuern völlig entwickelt. Eben
aus dieſem Grunde hat letztere für uns hier nur einen unterge-
ordneten Werth, und nur im Intereſſe der ſchärferen Abgränzung
beider Klaſſen wollen wir ſpäter auf ſie einen Blick werfen, wäh-
rend die erſtere den eigentlichen Gegenſtand unſerer Aufgabe
bildet.
Als man im Lauf der Jahrhunderte in Rom ſich genöthigt
ſah, die Autonomie der Privaten, wie ſie in den XII Tafeln an-
[105]A. Der Proceß. Vertheidigung in Form der Klage. §. 52.
erkannt war und bis dahin unangetaſtet beſtanden hatte, in
manchen Fällen zu beſchränken, z. B. dem Teſtator ein Maß
vorzuſchreiben, über das hinaus er keine Legate anordnen dürfe,
oder gewiſſe Contracte zu unterſagen, ſchlug man dabei in ächt
römiſcher Weiſe (B. 2 S. 72, S. 495 u. a. St.) nicht den
Weg ein, der uns heutzutage ich will nicht ſagen: als der natür-
liche, ſondern als der einzig denkbare erſcheint, nämlich den des
geſetzlichen Verbots bei Strafe der Nichtigkeit (lex perfecta),
ſondern man bediente ſich eines Umweges, indem man das Ge-
ſchäft in ſeiner abſtracten juriſtiſchen Gültigkeit unangetaſtet ließ,
aber den, der daſſelbe zu verwirklichen verſuchte, beſtrafte (lex
minus quam perfecta). 131)
Dieſen Weg verfolgte man mit der Conſequenz, daß man
ohne Anſtand aus dem Geſchäft eine Klage gewährte, den Rich-
ter mithin anwies, den Beklagten zu verurtheilen. Allein der
Sieg kam dem Kläger theuer zu ſtehen, denn was er erhalten,
mußte er dem Beklagten vierfach zurückgeben! Die Klage, die
hier dem Beklagten gegeben ward, iſt die, welche wir im Folgen-
den zu unterſuchen haben.
Die regelmäßige 132) Form derſelben ſcheint die der legis actio
durch manus injectio geweſen zu ſein. Daß ſie auf die Strafe
des Vierfachen ging, wird für die lex Furia testamentaria
und die lex Marcia de usuris ausdrücklich bezeugt, 133) und prägt
[106]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
ſich, wie unten gezeigt werden wird, auch in dem „quadruplator“
aus. Als Handlung, worauf die Strafe geſetzt war, wird bald
das „exigere“, bald das „capere“ bezeichnet; 134) dürfte man
den erſten Ausdruck zur Noth ausſchließlich auf das gerichtliche
Beitreiben beziehen, ſo läßt doch der letztere Ausdruck dies nicht
zu und beweiſt, daß im Sinne des Geſetzes da, wo er gebraucht
ward, auch die bloße Annahme des Geſchuldeten als Geſetz-
übertretung gelten ſollte — eine Beſtimmung, der wir unten
verſuchen werden den Schein des Unwahrſcheinlichen und Wider-
ſinnigen zu nehmen.
Die Beſtimmung der Klage liegt auf der Hand. Sie ſoll
indirect daſſelbe bewirken, was die exceptiodirect bewirkt:
dem Gläubiger die Ausübung ſeines Rechts unmöglich, die
Klage zu einem Noli me tangere machen, und man wird zu-
geſtehen müſſen, daß das Mittel zu dem Zwecke gut gewählt war
— nur ein Thor hätte das Einfache begehren können, was er
vierfach zurückzahlen mußte — und es begreift ſich vollkommen,
daß man bei ungenauer Redeweiſe ſich ſo ausdrücken konnte, als
habe das Geſetz nicht ſowohl die Klage, als das Geſchäft ſelbſt,
auf welches ſie ſich ſtützte, verboten.
Der fortgeſchrittenen und in conſervativer Beziehung minder
empfindlich gewordenen Anſchauungsweiſe der ſpäteren Zeit
widerſtrebte die Abſonderlichkeit der Form; 135) an die Stelle des
133)
[107]A. Der Proceß. Vertheidigung in Form der Klage. §. 52.
indirecten Zwanges trat, wie in ſo manchen Fällen der di-
recte durch Exception. 136)
Ihrer juriſtiſchen Natur nach wird unſere Klage zu den
Strafklagen zu ſtellen ſein, und zwar möchte ich ihr zur Un-
terſcheidung von andern den Zuſatz einer proceſſualiſchen
geben. Ihr Zweck iſt nämlich ein rein proceſſualiſcher, reiner
Exceptionszweck: Verhinderung der Ausübung eines
Klagrechts. Das Delict, das ſie ſtrafen ſoll, läßt ſich nach
Analogie der Nichtachtung einer exceptio137) als proceſſua-
liſcher dolus bezeichnen, denn dolus, fraus iſt es, eine
Klage anzuſtellen, die das Geſetz mißbilligt. 138)
In gewiſſen Verhältniſſen nahm die Klage eine ganz eigen-
thümliche Geſtalt an. Die Erwägung nämlich, daß der Schuld-
ner möglicherweiſe aus Scheu vor der Rache des Gläubigers
Anſtand nehmen mochte, ſich ihrer zu bedienen, veranlaßte den
Geſetzgeber, ihre abſchreckende Wirkung für den Gläubiger da-
durch zu erhöhen, daß er ſie für den Fall, wenn der zunächſt Be-
rechtigte keinen Gebrauch von ihr machen wollte, jedem, der Luſt
hatte, verhieß, m. a. W. daß er ſie zu einer Popularklage er-
[108]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
hob. 139) Jetzt erſt war der Zweck des Geſetzes vollſtändig er-
reicht! Was half es dem Gläubiger, wenn auch die Abhängig-
keit, in die er den Schuldner zu verſetzen gewußt hatte, ihn
ſeiner vergewiſſerte? Jeder andere konnte ihm das Loos be-
reiten, welches das Geſetz ihm zugedacht hatte; es war eine
Prämie darauf geſetzt, ihn zur Verantwortung zu ziehen. Damit
war alſo der Schuldner gewiſſermaßen unter öffentlichen Schutz
geſtellt — in der That ein eben ſo ingeniöſes, als wirkſames
Mittel, den Druck, den der Gläubiger auf ihn ausübte, zu para-
lyſiren. Daß das Motiv, welches regelmäßig zur Anſtellung
einer ſolchen Klage beſtimmte, nicht auf jenen Zweck gerichtet
war, 140) daß der Kläger ſehr häufig, weit entfernt bei Anſtellung
der Klage das Intereſſe des Schuldners zu verfolgen, ſich lediglich
durch die Ausſicht auf den von der öffentlichen Moral für nichts
weniger als ehrenhaft bezeichneten eigenen Erwerb leiten ließ,
that der Wirkſamkeit des Mittels nicht im Mindeſten Abbruch.
Gerade im Gegentheil, daß das Geſetz das Motiv ſo niedrig ge-
griffen, daß es nicht, wie in ſo manchen andern ähnlichen Fällen,
z. B. der postulatio suspecti tutoris an ein ſittliches Motiv,
die Theilnahme für einen Hülfloſen, ſondern an die ſchnödeſte
Art der Erwerbſucht appellirt hatte, gerade dieſer Umſtand
ſicherte der Einrichtung den gewünſchten Erfolg, denn es rief in
ihrem Dienſte die ganze Betriebſamkeit, Rührigkeit, Rückſichts-
loſigkeit auf, über die der Eigennutz gebietet, wenn er das
Gefühl der Scham verloren hat. Wer ſich einmal zu dem ver-
achteten Gewerbe eines Quadruplator 141) herabgelaſſen hatte,
[109]A. Der Proceß. Vertheidigung in Form der Klage. §. 52.
mußte, um Stoff zu haben, durch Ausſpähen und Nachſpüren
ſich ihn ſelber ſuchen, um mit Erfolg Denunciant zu ſein,
Spion ſein, und in der That ward das Gewerbe mit einer Ener-
gie betrieben, daß die Geſetzgebung ſich genöthigt ſah, gegen das
Uebel, das ſie ſelbſt mit jener Einrichtung ins Leben gerufen
hatte, in anderer Weiſe Abhülfe zu gewähren, und durch An-
drohung ſchwerer Strafen 142) dafür Sorge zu tragen, daß die
Gier der Quadruplatoren ſich nicht unterſchiedlos gegen Schul-
dige und Unſchuldige kehrte.
Das im Bisherigen entworfene Bild unſerer Strafklage be-
ruht auf einer Zuſammenſetzung einzelner Züge, welche die
Quellen uns bei Gelegenheit der verſchiedenen Fälle aufbewahrt
haben, bei dem einen dieſen, bei dem andern jenen; die Mit-
theilung dieſer einzelnen Fälle wird uns Gelegenheit geben, die
obige Darſtellung quellenmäßig zu begründen.
Die einzelnen Fälle ſind folgende:
1. Die lex Furia testamentaria. 143) Das Einzige,
was für dieſen Fall noch Hervorhebung verdient, iſt die Frage:
was konnte den Geſetzgeber, wenn er einmal für die Legate oder
ſonſtige mortis causa capiones ein Maß von 1000 As feſtſetzen
wollte, veranlaſſen, nicht bloß die gerichtliche Beitreibung, ſon-
141)
[110]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
dern ſogar die Annahme (das „capere“144)) des Hinterlaſſe-
nen zu unterſagen? Genügte es nicht vollkommen, ihm die
Klage zu entziehen? Die Frage muß verneint werden. Mit
der Klage würde das Geſetz bloß den rechtlichen Zwang zur
Auszahlung der Legate beſeitigt haben, nicht den moraliſchen
und ſocialen, den die Achtung vor dem Willen des Teſtators
und die Rückſichten auf die Legatare und das Urtheil der Welt
dem Erben auferlegte. Wollte es dieſe Einflüſſe paralyſiren, ſo
blieb nichts übrig, als dem Honorirten die Annahme des Legats
bei Strafe zu unterſagen. 145) Ein Seitenſtück aus unſern
Tagen wird dies erläutern. Neuere Geſetzgebungen haben mit
Recht den Satz des kanoniſchen Rechts, daß der promiſſoriſche
Eid den Rechtsgeſchäften, denen er hinzugefügt werde, eine
rechtliche Erzwingbarkeit verleihe, aufgehoben. Allein damit
iſt die gefährliche Tauglichkeit dieſes Mittels für Geſchäfte, die
das Geſetz verhindern will, z. B. das Nehmen wucheriſcher
Zinſen, nur um ein Geringes abgeſchwächt, denn der gewiſſen-
hafte Menſch erfüllt auch den rechtlich unverbindlichen Eid.
Wie dem begegnen und damit dem Mißbrauch des Eides ſteuern?
Die Antwort ertheilen einige andere Geſetzgebungen, indem ſie
dem Gläubiger bei Strafe verbieten, ſich einen Eid ſchwören
zu laſſen — alſo ganz derſelbe Weg, den die lex Furia einzu-
ſchlagen für nöthig hielt!
Ob die lex Furia die Klage aufs Vierfache auch als Popu-
[111]A. Der Proceß. Vertheidigung in Form der Klage. §. 52.
larklage gegeben habe, muß dahingeſtellt bleiben, es läßt ſich
aber nicht verkennen, daß ſie erſt dadurch ihren Zweck vollſtän-
dig erreicht haben würde.
2. Die lex Furia de sponsu gebietet dem Gläubiger,
der mehre Bürgen 146) angenommen hat, die Klage zwiſchen ihnen
zu theilen, und gibt im Uebertretungsfall dem Bürgen, der mehr
als ſeinen Theil hat zahlen müſſen, eine manus injectio auf
Rückforderung des Ueberſchuſſes; ob aufs Vierfache, hat Gajus,
dem wir allein die Kunde dieſes Geſetzes verdanken, nicht be-
merkt, woraus aber ein Schluß auf das Gegentheil umſoweniger
berechtigt iſt, als Gajus auch bei dem vorhergehenden Geſetz, bei
dem doch die Strafe des Vierfachen anderweit bezeugt iſt, die-
ſelbe nicht erwähnt.
Daß beide Geſetze verſchiedene geweſen ſeien, wie man ge-
wöhnlich annimmt, 147) iſt nirgends geſagt, und die Bezeichnung
als lex Furia „de sponsu“ und „lestamentaria“ gewährt da-
für keinen Beweis, da die römiſchen Juriſten bekanntlich ſehr oft
verſchiedene Kapitel eines und deſſelben Geſetzes als verſchiedene
[112]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
leges bezeichnen. 148) Nichts ſteht im Wege, das letztere Verhält-
niß auch hier anzunehmen, und dies vorausgeſetzt, würde das
ganze Geſetz in ein unerwartetes Licht treten. Der Zweck des-
ſelben würde dann nämlich in der quantitativen Herabſetzung
gewiſſer Anſprüche beſtanden haben, nämlich des aus einem
Vermächtniß auf 1000 As, des aus einer Geſammt-Bürgſchaft
auf den Viriltheil 149) — beides in der damaligen Form ſtatt
durch exceptio durch Widerklage. 150) Vielleicht ſchloſſen ſich
dem noch einige andere uns nicht überlieferte Fälle an.
3. Das Geſetz über verbotene Glücksſpiele, über
welches wir nichts weiter wiſſen, als daß es die Strafe des
Vierfachen feſtſetzte. 151)
4. Die lex Marcia de usuris reddendis. Wenn
Gajus 152) bei der Erwähnung dieſes Geſetzes von Zinſen
ſchlechthin, nicht von ungeſetzlichen Zinſen ſpricht, ſo läßt ſich
dies aufrecht erhalten durch Bezugnahme auf die lex Genucia,
welche bekanntlich das Zinſennehmen gänzlich verboten hatte.
In welcher Weiſe ſie es gethan haben mag, läßt ſich nach unſern
bisherigen Ausführungen errathen; ſie that es in der Form ihrer
Zeit, in der einer lex minus quam perfecta, indem ſie auf die
Uebertretung die Strafe des Vierfachen ſetzte. Ob ſie aber das
Nehmen oder bloß das Einklagen der Zinſen verbot, darüber
wird ſich wohl nichts Sicheres ermitteln laſſen, und nicht minder
wird das Verhältniß der lex Marcia zur lex Genucia nur Gegen-
[113]A. Der Proceß. Vertheidigung in Form der Klage. §. 52.
ſtand von Muthmaßungen ſein können. Möglich, daß jenes
Geſetz bloß die Form der Rückforderungsklage betraf und an
Stelle der bisherigen, durch die lex Genucia angeordneten, die
manus injectio ſetzte; möglich, daß es auch materiell eine Aen-
derung traf und an Stelle des Verbots des Einklagens das
des Nehmens ſetzte. Kurzum es iſt außer Zweifel, daß die
älteſte Form der Repreſſion des Zinswuchers in der Klage aufs
Vierfache beſtand, und daß dieſelbe zugleich als Popularklage
gegeben ward.
Eine intereſſante Beſtätigung des Geſagten hat uns Ap-
pian 153) in ſeiner Erzählung der Ermordung des Prätor Aſellio
aufbewahrt. Zur Zeit der Bürgerkriege ſahen ſich manche Schuld-
ner außer Stand, die Zinſen zu zahlen, und einige von ihnen
flüchteten ſich hinter das Verbot der lex Genucia, welches obſchon
gewohnheitsrechtlich längſt außer Anwendung gekommen, doch
geſetzlich nie aufgehoben war, und drohten ihren Gläubigern
mit der Strafe des Geſetzes. Dadurch nicht abgeſchreckt erhoben
letztere Klage, und der Prätor, nachdem er vergeblich einen
Güteverſuch gemacht hatte, beſtellte ihnen Richter, aber — und
dies ward die Urſache ſeiner Ermordung — „wechſelsweis“
(κατ’ ἀλλήλων), d. h. er gewährte neben der den Gläubigern
zugeſtandenen Klage auf die Zinſen ganz nach Art der geiſtlichen
Gerichtshöfe des Mittelalters (Note 135) zugleich den Schuld-
nern die im Geſetz verheißene manus injectio (pura) aufs Vier-
fache. Es ergibt ſich alſo daraus, daß die letztere Klage nicht
an die Vorausſetzung einer erfolgreichen Einklagung der For-
derung d. h. der in Folge der Verurtheilung geleiſteten Zah-
lung, ſondern an die Erhebung der Klage geknüpft war,
das bloße Klagen im Sinne des Geſetzes als „exigere“ galt.
Beide Proceſſe liefen demnach parallel, ſie wurden gleichzeitig
inſtruirt, und, angenommen daß für beide derſelbe Richter be-
ſtellt worden war, auch gleichzeitig entſchieden 154) — ein Um-
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 8
[114]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
ſtand, der die von mir behauptete Exceptionsbeſtimmung unſerer
Strafklage in ein helles Licht ſetzt.
5. Die lex Plaetoria über den Schutz der Min-
derjährigen. Den materiellen Inhalt des Geſetzes genau zu
beſtimmen iſt hier nicht unſere Aufgabe, 155) uns intereſſirt nur
die Form, in der es ſeinen Zweck zu erreichen ſuchte. Dieſelbe
iſt hier weniger erkennbar, als in den vorhergehenden Fällen
(wovon der Grund in der jüngern Form, durch die ſpäter der
Prätor den Zweck des Geſetzes auf directem Wege zu realiſiren
ſuchte, der restit. in integrum gelegen ſein mag), allein durch
Combination verſchiedener einzelner Spuren kann man ſie den-
noch, wie ich glaube, bis zu einem gewiſſen Grade der Wahr-
ſcheinlichkeit reconſtruiren.
Wer Minderjährige bei Abſchluß von Contracten übervor-
theilt hat, den trifft außer der an die Verurtheilung ſich reihen-
den Infamie ein Vermögensnachtheil, welcher mit der Klage
aus dem Geſetz (judicium legis Plaetoriae) verfolgt wird und
ſchwerlich bloß in der Reſtitution des einfachen Betrages beſtan-
den haben wird. 156) Die Klage wird zunächſt dem Minderjäh-
rigen ſelbſt gewährt und zwar noch ein Jahr lang nach erreichter
Volljährigkeit, 157) ſodann aber auch jedem, der Luſt hat, 158) ob
erſt dann, wenn ſie für den Minderjährigen verjährt iſt, oder,
154)
[115]A. Der Proceß. Vertheidigung in Form der Klage. §. 52.
wie in den Fällen der Note 139, ſchon vorher, wenn der Min-
derjährige ſich ihrer nicht bedienen will, muß dahin geſtellt blei-
ben. Wenn irgendwo, ſo war gerade bei dieſem Verhältniß die
Schärfung der Klage durch Erhebung derſelben zu einer Popu-
larklage ganz am Platz, die Schutzklage der Minderjährigen
gegen betrügeriſche Contrahenten ward damit nur derſelben Aus-
zeichnung theilhaftig, deren die zum Schutz der Unmündigen
gegen ungetreue Vormünder eingeführte postulatio suspecti tu-
toris von jeher genoß 159) — beide Klaſſen von Perſonen waren
unter öffentlichen Schutz geſtellt.
Auf dieſe Klage beſchränkte ſich meiner Anſicht nach der Schutz
des prätoriſchen Rechts, und er reichte auch hier, wie in allen
oben angeführten Fällen, vollkommen aus, eine rein defenſive
Hülfe (durch Nichtigkeit oder Einrede) überflüſſig zu machen. Erſt
als mit dem Formularproceß die Exceptionen aufkamen, und die
Anſchauung ſich Bahn brach, daß man dem, der eine Klage
habe, um ſo mehr eine Exception geben müſſe (Note 39), mochte
man davon auch bei der lex Plaetoria Anwendung machen und
dem Minderjährigen eine Einrede gewähren. Nach Anſicht
mancher Juriſten 160) reicht aber dieſe Einrede bereits in die Zeit
des Legis-Actionen-Proceſſes zurück; der Minderjährige hätte
alſo durch Berufung auf das Geſetz die Klage vereiteln können.
Als Form für dieſen Einwand hat man ſich, da das Zeugniß
158)
8*
[116]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
von Gajus (ſ. das Motto dieſes §) die eigentliche exceptio für
das ältere Verfahren ausſchließt, die einer „proceßhindernden
Sponſion“ gedacht. Es wäre, meint man, über die Frage, ob
eine Uebertretung des Geſetzes vorliege, eine Präjudicialſponſion
(B. 2 S. 85) abgeſchloſſen, ſodann darüber ein Richter beſtellt
und im Fall der Bejahung der Frage die Klage gegen den Min-
derjährigen verſagt worden. Wenn ich dieſe Anſicht einer ge-
nauern Prüfung unterziehe, ſo geſchieht es weniger dieſes ein-
zelnen Falles wegen, als weil man die Behauptung aufgeſtellt
hat, daß der ältere Proceß ſich überhaupt dieſes Mittels bedient
habe, um das Exceptionsbedürfniß zu befriedigen.
Meiner Anſicht nach iſt dieſe ganze Idee völlig unhaltbar.
Als einziger Anhaltspunkt muß ihr eine Stelle von Plautus 161)
dienen, in der ein Minderjähriger an die Erfüllung einer eid-
lichen Zuſage 162) gemahnt, ſich mit dem Zuſatz, daß „er nicht be-
trogen oder minderjährig ſei“, einen Richter gefallen laſſen will.
Aus dieſer Beſchränkung, die im Sinne des Proceſſes eine
exceptio zu nennen ſein würde, macht nun jene Anſicht den
Inhalt einer sponsio, ohne daran Anſtoß zu nehmen, daß letztere
unter dieſer Vorausſetzung nicht wie eine exceptio mit ni oder
nisi, ſondern mit si hätte gefaßt werden müſſen, 163) und daß die
Cumulation zweier Fragen (dolus und Minderjährigkeit) in
einersponsio den Richter in die Unmöglichkeit verſetzt haben
würde, die eine zu bejahen und die andere zu verneinen. An-
genommen aber ein Prätor wäre auf die Idee verfallen, eine
Frage, die erſt zur Sprache kommen konnte, wenn der Anſpruch
des Klägers ſich als ergründet erwies, der Verhandlung des
[117]A. Der Proceß. Vertheidigung in Form der Klage. §. 52.
letzteren voranzuſchicken und damit ein Geſetz der logiſchen
Ordnung zu übertreten, das die Römer ſonſt ſo unverbrüchlich
beobachten (B. 2 S. 641, 642) — in welcher Form hätte er von
dem Reſultat der Vorunterſuchung Gebrauch machen können?
Da er an der Formel der legis actio nicht rütteln durfte, ſo wäre
ihm nichts übrig geblieben, als die Klage zu verſagen — ein
Mittel, das in meinen Augen einer Aufhebung des ganzen Legis-
Actionen-Proceſſes gleichgekommen wäre (B. 2 S. 665 flg.),
und deſſen Statthaftigkeit doch wohl durch eine andere Autorität,
als die des Plautus bezeugt ſein müßte!
Läßt es ſich annehmen, daß Plautus in einem Fall, in dem
es ſich bloß um die Beurtheilung der Gültigkeit eines Eides
durch einen Schiedsrichter handelte, die Analogie des ge-
richtlichen Verfahrens vor Augen gehabt hat, ſo gewährt
die Stelle das wichtige Ergebniß, daß es zu ſeiner Zeit wirkliche
Exceptionen gegeben hat, der Formularproceß wenn auch in be-
ſchränkter Ausdehnung mithin bereits eingeführt geweſen ſein muß,
und dieſe Annahme, der die Verbindung zweier Einreden bekannt-
lich kein Hinderniß entgegenſetzt, findet in der Form der Faſſung (ni
und nive mit dem Conjunctiv) keine unbedeutende Unterſtützung.
Mit den bisher erörterten Fällen iſt meines Wiſſens das Ma-
terial, das die Quellen uns darbieten, erſchöpft, 164) und ich will
den Eindruck deſſelben durch leere Vermuthungen über andere
mögliche Fälle und Fragen, für deren Beantwortung es an poſi-
tiven Anhaltspunkten fehlt, nicht abſchwächen. So möge denn
auch die Frage nur angeregt, nicht beantwortet werden, ob nicht
die eventuelle Strafe des Vierfachen bei der prätoriſchen actio quod
metus causa mit der Idee des älteren Rechts zuſammenhängt, daß
der Strafe des Vierfachen verfällt, wer einen an ſich beſtehenden,
aber vom Geſetz gemißbilligten Anſpruch geltend zu machen ſucht
und damit ſich offen gegen das Geſetz auflehnt (ſ. Note 138).
[118]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Die zweite der oben (S. 104) genannten beiden Klaſſen von
Defenſionsklagen ſoll, wie bereits bemerkt, hier nur ſo weit erör-
tert werden, um ſie von der ſo eben betrachteten zu unterſcheiden.
Ihre Aehnlichkeit liegt in dem angegebenen Moment des
Defenſionszweckes, ihre Verſchiedenheit darin, einmal daß dieſer
Zweck nicht ihre ausſchließliche Beſtimmung bildet, ihr Ge-
biet und ihre Function erſtreckt ſich vielmehr ungleich weiter, und
ſodann daß ſie auch in jener Richtung die exceptio nicht in
der Weiſe erſetzt und überflüſſig macht, wie es die Strafklage
that. Dem Kläger, der ſich der Rückſicht auf ſie entſchlägt, droht
keine Strafe, die einzige Folge die ihn trifft, iſt die Verpflichtung
zur Zurückgabe — eine Folge, derentwegen er nicht vor An-
ſtellung der Klage zurückzuſchrecken braucht, um ſo weniger, da
es immer noch fraglich bleibt, ob der Beklagte ſich der Klage
wirklich bedienen wird.
In allen den Fällen, in denen ſie Statt findet, gibt das
neuere Recht dem Beklagten eine exceptio (Note 39), die Klage
iſt daher in dieſer Richtung d. h. als Surrogat für die exceptio
überflüſſig geworden. Ein Gleiches aber läßt ſich für das ältere
Recht, inſoweit es dieſe Klagen kannte, nicht behaupten, und
wenn man ſonſt nicht von der Vorausſetzung ausgeht, die ich
nicht theilen kann, daß alle jene Klagen (z. B. auch die Con-
dictionen) erſt der ſpäteren Zeit des Formularproceſſes angehö-
ren, ſo gelangt man zu dem Schluß, daß der ältere Proceß, ſo
lange er noch an dem Grundſatz: ein Proceß eine Frage feſt-
hielt und die Exceptionen ausſchloß, denſelben Zweck, für den
das neuere den Weg der Klage und der Einrede öffnet, lediglich
in Form der Klage verfolgt hat. Dieſer Weg entſpricht ganz
dem, was wir im übrigen vom älteren Recht wiſſen, und zwar
nicht etwa bloß inſofern, als er im Vergleich zu dem kürzeren
Wege der exceptio ein Umweg, letzterer aber hiſtoriſch überall
der frühere iſt, 165) ſondern auch inſofern, als er in vielen Fällen
[119]A. Der Proceß. Vertheidigung in Form der Klage. §. 52.
durch die Idee der ſtrengen proceſſualiſchen Gerechtigkeit, durch die
das ältere Recht ſich in ſo hohem Maße leiten ließ (S. 51 flg.),
entſchieden geboten iſt. Die Tendenz des ſpäteren Rechts, den
einen Weg mehr und mehr durch den andern zu erſetzen, gereicht,
wie ich ſchon früher bemerkte, demſelben keineswegs zur Ehre,
und Juſtinian oder ſeine Gehülfen haben ihre vermeintliche
Ueberlegenheit über die ältere Jurisprudenz in ſehr zweifelhafter
Weiſe documentirt, wenn ſie, befangen von dem Eindruck der
Weitläuftigkeit, den dieſer Mechanismus auf ſie ausübte, dem
ältern Recht den Vorwurf machen: 166) es habe in widerſinniger
und höchſt unzweckmäßiger Weiſe durch die eine Klage genom-
men, was es mit der andern gegeben. — Jeder Juriſt aus der
alten Zeit würde dem Tadler die Augen haben öffnen können!
Ueberſchauen wir jetzt den geſammten Inhalt dieſes Paragra-
phen, ſo wird der Ausſpruch des Gajus, den wir an die Spitze
deſſelben geſetzt haben: „nec omnino ita, ut nunc, usus erat
illis temporibus exceptionum“, nicht bloß in dem Sinn ſeine
Erklärung gefunden haben, daß das alte Recht keine eigentlichen
Exceptionen gekannt, ſondern auch in dem, daß es an Stelle
derſelben etwas anderes beſeſſen habe, mit dem es ebenſo weit
gereicht iſt, wie das neuere mit den Exceptionen.
[120]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Wir haben das Ziel, das wir uns früher geſteckt, und das
uns von §. 50 an beſchäftigt hat: den analytiſchen Mechanis-
mus des alten Proceſſes zur Anſchauung zu bringen, erreicht,
und es wird jetzt an der Zeit ſein, uns über den Werth und Un-
werth der ganzen Einrichtung zu verſtändigen.
Der erſte Eindruck, den ſie gewiß in jedem Unbefangenen
hervorrufen wird, iſt der der Bewunderung über die außerordent-
liche Kunſt, die ſich in ihr ausprägt. Vom Standpunkt der ju-
riſtiſchen Aeſthetik (B. 2 S. 405 flg.) aus betrachtet erſcheint ſie
als ein Kunſtwerk, dem ich nichts, was die Geſchichte des Proceſſes
ſonſt bietet, an die Seite zu ſetzen wüßte, und dem gegenüber
namentlich der heutige Proceß ſehr in den Schatten tritt — ein
Kunſtwerk, bei dem die höchſte Einfachheit des Grundgedankens
ſich paart mit der bewundernswürdigſten Conſequenz ſeiner Durch-
führung und einer in Auffindung der richtigen Mittel unerſchöpf-
lichen Erfindungskraft, die äußerſte Feinheit der Detailarbeit mit
der größten Solidität und der klarſten Durchſichtigkeit ſeiner gan-
zen Anlage — kurz eine durch ihre Einfachheit wie ihre Kunſt
gleich ingeniöſe Maſchine!
Aber was kümmert uns der Kunſtwerth beim Proceß, wird
man mir einwenden, welchen Werth hat alle Kunſt, wo es nur auf
einfache Brauchbarkeit und Zweckmäßigkeit ankömmt? Hier wird
die Kunſt zur Künſtelei. Und iſt nicht die Rückſicht der Zweck-
mäßigkeit und Bequemlichkeit durch die Weitläuftigkeiten, Um-
wege, Wiederholungen, zu denen der alte Proceß nöthigt, entſchie-
den hintenan geſetzt? Der Weg, auf den Er die Streitſache weiſt,
gleicht dem Geleiſe der Eiſenbahn, es ſind eiſerne Schienen, in
denen die Bewegung unabänderlich in der vorgeſchriebenen Rich-
tung ſich vorwärts bewegen muß. Keine Abweichung zur Seite,
kein Anhalten! Auch an Punkten, wo die eine oder andere Par-
thei ein Ausſchlag gebendes Streitmaterial aufnehmen könnte,
ſchießt der Zug unaufhaltſam vorbei, und es bedarf, nachdem er
am Ziele angelangt iſt, einer neuen Fahrt, neuer Koſten, neuen
Zeitverluſtes, um das Verſäumte nachzuholen.
[121]A. Der Proceß. Geſammturtheil. §. 52.
Gewiß! das ſind die Nachtheile der Einrichtung; aber es
frägt ſich nur, ob ſie nicht, wie bei der Eiſenbahn, durch die
Vortheile überwogen werden — oder richtiger geſagt: im alten
Rom wurden; denn wir müſſen ſie nicht meſſen mit dem Maße
der heutigen, ſondern der altrömiſchen Zeit. Wo, wie heutzu-
tage, die Führung eines Proceſſes mit großen Koſten verbunden
iſt, fällt der Koſtenpunkt allerdings ſchwer ins Gewicht, und die
Rückſicht der Koſtenerſparniß ſcheint dafür zu ſprechen, das ge-
ſammte Streitmaterial mit einem Male abzuthun. 167) Allein
ich möchte auch hier die Frage aufwerfen: wird das Maß der
Arbeit, nach dem ſich doch die Koſten beſtimmen, geringer, wenn
dieſelben Rechtsfragen gemeinſchaftlich, als wenn ſie iſolirt be-
handelt werden? Ich behaupte: es wird größer, denn je mehr
Fragen ſich häufen, um ſo mehr ſteigt die Schwierigkeit; zu der
Arbeit, die jede einzelne erfordert, geſellt ſich noch die, ſie alle aus-
einander zu halten; wer zehn Gegenſtände mit leichter Mühe hin-
ter einander zu heben vermag, erliegt unter der Laſt, wenn er ſie
mit einem Male heben ſoll. Dazu geſellt ſich noch ein anderer
Geſichtspunkt. Wo der Häufung des Streitmaterials keine
Gränze geſetzt iſt, wird, wie die tägliche Erfahrung unſeres Pro-
ceſſes lehrt, neben den Gründen und Geſichtspunkten, von denen
die Parthei ſich allein den Sieg verſpricht, noch eine Maſſe an-
derer völlig nichtiger und haltloſer zuſammengetragen, Einreden
des Zwangs, Betrugs, Irrthums u. ſ. w., an die die Parthei
ſelber nicht glaubt, gleich als gelte es, die Gelegenheit zu be-
nutzen, um koſtenfrei auch Ballaſt zu befördern. Aber der Ballaſt
wiegt eben ſo ſchwer, und koſtet eben ſo viel, als das Werth-
object! Wie ſehr würde manche Parthei ſich beſinnen, von dieſem
Material Gebrauch zu machen, wenn dies nicht mehr in einem
und demſelben, ſondern, wie im alten Rom, nur in Form ver-
ſchiedener Proceſſe möglich wäre! Wie wenige von allen jenen
[122]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Einreden, über die täglich auf Koſten der Partheien viel hin und
her geſtritten wird, würden als Klagen zum Vorſchein kommen!
Der Mechanismus, den der altrömiſche Proceß beſaß, und den
auch der heutige für manche Verhältniſſe in Anwendung bringt,
verringert mithin die Koſten, anſtatt ſie zu erhöhen, denn
er ſchneidet eine Menge werthloſen Streitmaterials von vorn-
herein ab. Um den vermeintlichen Vortheil der Koſtenerſparniß
erkaufen wir heutzutage Proceſſe, die einem Laſtwagen gleich das
ganze Material von möglichen und unmöglichen Klagen und Ein-
reden beider Partheien in ſich aufnehmen müſſen, und mühſam
ſich aus der Stelle ſchleppend und ſtets in Gefahr, die Ladung
durch Unordnung und Verwirrung zu beſchädigen, nicht ſelten erſt
am Ziele anlangen, nachdem Richter, Rechtsbeiſtände und Par-
theien die Ueberſicht, Geduld und das Leben verloren haben.
Der Koſtenpunkt fiel übrigens für den alten Proceß, von den
Proceßkoſten der legis actio sacramento abgeſehen, wenig ins
Gewicht; die Kunſt des Juriſten ging damals noch nicht nach
Brod — was aber dieſer Umſtand für das Proceßweſen zu be-
deuten hat, darauf brauche ich hier nicht wieder zurückzukommen
(ſ. B. 2 S. 444).
Neben dem Koſtenpunkt bildet der durch den Proceß veran-
laßte Zeitverluſt eine wichtige Rückſicht. Wo der Proceß vor-
zugsweiſe auf dem Papiere ſpielt, möchte auch hier aus den eben
entwickelten Gründen die Bilanz ſich mehr zu Gunſten des pro-
ceſſualiſchen Iſolirungs- als des Cumulirungs-Princips neigen.
Ganz anders aber, wo er auf mündliche Verhandlung und folg-
lich perſönliches Erſcheinen der intereſſirten Perſonen gebaut iſt.
Hier iſt die Behauptung Planks (Note 167) ganz begründet,
„daß getrennte Rechtsſtreitigkeiten doppeltes Kommen und doppelte
Termine veranlaſſen“. Aber der Werth der Zeit iſt nicht überall
derſelbe; daß Zeit Geld iſt, gilt nur für Perſonen, welche
arbeiten, denn nur Arbeit iſt Geld. Für den, der arbeitet,
iſt die Frage von dem durch den Proceß veranlaßten Zeitaufwand
nicht eine Frage der bloßen Bequemlichkeit, ſondern des mate-
[123]A. Der Proceß. Geſammturtheil. §. 52.
riellen Verluſtes, und es wird daher begreiflich, daß die Ent-
wicklung der Induſtrie, des Handels, kurz der Arbeit nicht um-
hin gekonnt hat, einen ganz beſtimmenden Einfluß auf die
Proceßorganiſation auszuüben. So tritt an die Stelle des eige-
nen Erſcheinens der Parthei die Vertretung durch Sachwalter,
welche in einem einzigen Termin die Geſchäfte von vielen Par-
theien verſehen, ſo an die der Mündlichkeit und des perſönlichen
Erſcheinens vor Gericht die Schriftlichkeit.
Dieſe Rückſichten waren jedoch nicht maßgebend in einem Ge-
meinweſen, wie im alten Rom, wo von der ländlichen Arbeit abge-
ſehen nur die Zeit des Sklaven Geld war, und auch die ländliche
Arbeit dem freien Bauern Zeit genug übrig ließ, bei ſeinem Markt-
gange nach Rom zugleich ſeine Rechtsſtreitigkeiten zu verſehen.
Das Intereſſe einer durch veränderte Proceßorganiſation zu er-
reichenden Zeiterſparniß, das Gewicht der Frage, ob Kläger und
Beklagter in Form eines oder zweier und mehrerer Proceſſe ihren
Streit austragen müſſen, würde hier kaum verſtanden worden ſein.
Aber das Verſtändniß drängte ſich unabweisbar auf, als das
Staatsgebiet von Jahr zu Jahr ſich ausdehnte, und die Entfer-
nungen wuchſen. Dieſer Umſtand der für das geſammte Recht,
ſoweit es mit dem perſönlichen Erſcheinen zuſammenhängt, einen
ſo fühlbaren Einfluß geäußert hat (B. 2 S. 689 flg.), mußte in
Verbindung mit dem in gleichem Schritt mit der Cultur ſteigenden
Werth der Zeit und dem Hang zu Bequemlichkeit auch eine ent-
ſprechende Veränderung der Proceßorganiſation zur Folge haben.
Jetzt war es nicht mehr gleichgültig, ob jeder ſelbſt kommen
mußte oder einen Stellvertreter ſchicken durfte, ob er ſeine Sache
mittelſt Exceptionen in einem Proceß erledigen konnte, oder nach
alter Weiſe mittelſt eines beſondern Proceſſes. Ob das ſpätere
römiſche Recht dieſer Rückſicht aber nicht auf Koſten anderer nicht
minder gewichtiger Intereſſen einen ungebührlichen Einfluß
vergönnt hat, das iſt eine Frage, auf die ich mir die Antwort für
das dritte Syſtem vorbehalte.
So ſchrumpfen alſo die ſcheinbaren Gebrechen des alten Pro-
[124]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
ceſſes vom Standpunkt der damaligen Zeit faſt auf Nichts zu-
ſammen, und wenn einmal der Werth einer Einrichtung ſich nach
dem Verhältniß ihrer Vortheile und Nachtheile beſtimmt, ſo wird
das Urtheil über den Werth des altrömiſchen Proceſſes — nicht
ſeinen Kunſtwerth (S. 120), ſondern ſeinen praktiſchen
Werth für das römiſche Leben — nicht zweifelhaft ſein können.
Die genaue Sonderung der verſchiedenen Seiten des Rechts-
verhältniſſes, der Anſprüche und Gegenanſprüche, die größtmög-
lichſte Beſchränkung und zugleich die ſchärfſte Präciſirung der
Streitfrage, die Fixirung der richterlichen Aufmerkſamkeit auf den
weſentlichen Punkt, bis zur Unmöglichkeit des Abirrens, die
Einfachheit, Raſchheit und Sicherheit der Proceßmaſchinerie —
das ſind die Eigenſchaften, die den praktiſchen Werth des altrömi-
ſchen Proceſſes beſtimmen und ihn für immer nicht bloß zu einem
höchſt anziehenden Gegenſtand hiſtoriſcher Unterſuchung, ſondern
zugleich zu einer überaus werthvollen Quelle der Belehrung ſtem-
peln. Aber freilich wenn irgendwo der Satz gegolten hat: jus ci-
vile vigilantibus scriptum est,168) ſo war es im alten Proceß.
Zum ungefährlichen Spiel, zum bequemen Sich gehen laſſen war
die Maſchine nicht eingerichtet. So geringe Anforderungen ſie an
den Richter ſtellte, dem die Frage zur Beantwortung überwieſen
war, ſo hohe an den Magiſtrat und die Partheien. Wenn ſie ſich
verſahen, wenn die Parthei rechtzeitig eines Umſtandes zu geden-
ken vergaß, der auf die Wahl der Klagformel von Einfluß hätte
werden können, oder wenn eine Fragſtellung gewählt ward, die
dem Stande der Sache nicht adäquat war, kurz wenn der Proceß
bei der Inſtruction vor dem Magiſtrat, welcher den Schwerpunkt
des ganzen Verfahrens bildete, durch ungeſchickte Hände in eine
verkehrte Bahn geleitet ward — dann allerdings rollte er unauf-
haltſam fort, und das kleinſte Verſehen rächte ſich durch den Ver-
luſt der ganzen Sache. Aber das iſt einmal ein Fehler, wenn
man ihn ſo nennen will, der von der Idee des Proceſſes un-
[125]B. Das Rechtsgeſchäft. Analyſirbarkeit deſſelben. §. 53.
zertrennlich iſt, und der in unſerm heutigen Proceß nicht minder
wiederkehrt, als im ſpätern Formularproceß (B. 2 S. 663, 664).
Gleichwohl genügte er, um die Beſchreitung des Rechtswegs
ohne einen erfahrenen Führer zu einem höchſt mißlichen Unter-
nehmen, m. a. W. den Juriſten unentbehrlich zu machen. 169)
Daß ſeine Hülfe gern gewährt ward, ſchloß nicht aus, daß nicht
der Laie den Druck dieſer Nothwendigkeit empfand, und wenn
ſich die Sage bilden konnte, die Juriſten hätten in alter Zeit aus
dem Recht ein Geheimniß gemacht, ſo wird dies jedem, der mir
bisher gefolgt iſt, vollkommen begreiflich erſcheinen — die alten
Proceßformeln und ihr Gebrauch waren für den Laien ein eben
ſolches Geheimniß, wie Logarithmentafeln für einen Bauern.
Wer den hohen Einfluß zu würdigen weiß, den knappe,
ſtrenge Formen auf die innere Entwicklung des Rechts ausüben,
für den wird es weder einer Ausführung, noch Rechtfertigung
bedürfen, wenn ich ſchließlich mein Urtheil über die hiſtoriſche
Bedeutung des altrömiſchen Proceſſes für die Geſammtent-
wickelung des römiſchen Rechts in den Satz zuſammen-
faſſe: was für den Geiſt der Körper, das war für die
Analytik der Begriffe die des Proceſſes — ohne
den altrömiſchen Proceß gäbe es muthmaßlich kein
heutiges römiſches Recht.
Correſpondenzverhältniß in der Structur des Proceſſes und Rechts-
geſchäfts — Der Grundſatz der Einfachheit des Rechtsverhältniſſes
— Der Gedanke der Concentration des Rechtsgeſchäfts: Simul-
taneität des Akts, des Thatbeſtandes und der Wirkungen (Bedin-
gung und dies).
LIII. Das Rechtsgeſchäft iſt die Form, in welcher der ſub-
jective Wille innerhalb der ihm vom Recht angewieſenen Schran-
ken ſeine rechtſchöpferiſche Thätigkeit entfaltet. Nur inſoweit er
[126]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
dieſe Gränzen innehält, ſchafft er wirklich; darüber hinaus
bleibt ſein Handeln entweder jeder Wirkung beraubt, iſt ein lee-
rer, nichtiger Akt, oder die Wirkung kehrt ſich als negative gegen
ihn, nämlich als Verpflichtung, das Geſchehene ungeſchehen zu
machen (Strafe, Schadenserſatz), jenes, wenn der Wille ſich
mit einem Rechtsbegriff, dieſes, wenn er ſich mit einem Verbot
in Widerſpruch befindet — über den Rechtsbegriff hinaus gibt
es kein rechtliches Können, über das Verbot hinaus kein
Dürfen.
Bezeichnen demnach die Rechtsbegriffe das Maß und den
Umfang des Könnens, ſo gewähren ſie damit zugleich die Mittel
zur analytiſchen Beſtimmung deſſelben: die Analyſe des Rechts-
geſchäfts beruht auf der der Begriffe. Nur dadurch, daß das
Rechtsgeſchäft auf vorhandene Begriffe zurückgeführt werden kann,
gewinnt es rechtlichen Beſtand, denn, was nicht abſtract möglich
iſt, kann auch nicht concret wirklich werden. Das Gebiet des
Möglichen aber fällt zuſammen mit der Summe der anerkannten
Rechtsbegriffe. Die Vorausſetzung für das rechtliche Han-
deln iſt eben eine ganz andere, als für das factiſche; letzteres
iſt erlaubt, wenn es nicht verboten iſt. Aber dieſe bloß nega-
tive und abſtracte Vorausſetzung der Abweſenheit eines Verbots
iſt für das Rechtsgeſchäft, deſſen Wirkſamkeit eben nicht wie die
des factiſchen Handelns auf einem körperlichen Druck, ſondern
auf geiſtiger Kraft beruht, nicht ausreichend, ſondern ſeine Vor-
ausſetzung iſt weſentlich poſitiver Art.
Beruht die Gültigkeit des Rechtsgeſchäfts auf ſeiner Reducir-
barkeit auf bekannte Begriffe, ſeiner analytiſchen Löslichkeit, ver-
ſagt m. a. W. der Juriſt die Anerkennung jedem Rechtsgeſchäft,
das er ſich nicht denken kann (B. 2 S. 402), ſo ſcheint damit
der Verkehr in höchſt bedenklicher Weiſe von dem „Denken“ des
Juriſten in Abhängigkeit geſetzt worden zu ſein. Das Bedürfniß
und die Erfindungskraft des Verkehrs reichen ſtets weiter, als das
juriſtiſche Denken; wie kann man ſie letzterem unterordnen? Die
Antwort lautet, daß wo in der That zwiſchen beiden ein Wider-
[127]B. Das Rechtsgeſchäft. Analyſirbarkeit deſſelben. §. 53.
ſpruch beſteht, und nicht etwa die Jurisprudenz durch geſchickte
Benutzung des vorhandenen Materials denſelben zu vermitteln
vermag, wovon uns die juriſtiſche Oekonomie des alten Rechts
(§. 56) Beiſpiele in reicher Menge bringen wird, daß da, ſage
ich, die Jurisprudenz ſich dem Drange des praktiſchen Lebens
fügt und ihren geiſtigen Horizont um ſo viel erweitert, als das
Bedürfniß des Verkehrs gebietet (B. 2 S. 403). Die erſten
Regungen, Anſätze und Verſuche zur Einführung des Neuen
mögen immerhin an dem Widerſtande der Jurisprudenz ſcheitern,
dem fortgeſetzten Andrängen hält er nicht Stand.
Das Erforderniß der analytiſchen Löslichkeit des Rechtsge-
ſchäfts enthält keine Beſchränkung in Bezug auf die Zahl und
Art der zu einem und demſelben Rechtsgeſchäft zu combinirenden
Begriffe. Die verſchiedenartigſten Rechtsverhältniſſe laſſen ſich
mithin, inſofern keine beſondern Formvorſchriften für ſie aufgeſtellt
ſind, durch einen und denſelben Akt ins Leben rufen, ſo daß
alſo z. B. Uebertragung des Eigenthums, 170) Beſtellung von
Servituten und Hypotheken, Begründung von Obligationsver-
hältniſſen, Ceſſion von Forderungen, Aufgabe von Rechten aller
Art zu einem einzigen Rechtsgeſchäft zuſammenfaßt werden dürfen.
Aber iſt ein ſolches Rechtsgeſchäft in der That wohl ein
einziges? Legt man den obigen Geſichtspunkt, daß die Analytik
der Rechtsgeſchäfte und folglich ihre Individualität in den
Rechts begriffen ruht, zu Grunde, ſo wird man die Frage ver-
neinen und vielmehr ſagen müſſen: es liegen hier ſo viel Rechts-
geſchäfte als Rechtsverhältniſſe vor, jene werden zwar
ſämmtlich durch einen und denſelben äußern Akt vollzogen, allein
dies ſchließt für ſie die Möglichkeit und Nothwendigkeit einer
Unterſcheidung ebenſowenig aus, wie die Verbindung mehrerer
Klagen zu einer einzigen Klagſchrift — es gibt einfache und
[128]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
combinirte Rechtsgeſchäfte, der Begriff der Cumulation
der Klagen findet ſein Seitenſtück an der der Rechtsge-
ſchäfte.
Die hiſtoriſche Entwickelung beider im römiſchen Recht hat
nicht gleichen Schritt gehalten. Während noch die neuere Juris-
prudenz im Ganzen und Großen an dem hergebrachten Verbot
der Klagen cumulation feſthält (S. 35), hat ſie dagegen für
das Rechtsgeſchäft, inſoweit ſie freie Hand hatte d. h. für die
formloſen Verträge und Akte des neuern Rechts, dem Gedanken
der Cumulation keinen Widerſtand entgegengeſetzt, und es unter-
liegt für mich keinem Zweifel, daß ſie an dem von mir aufgeſtellten
Fall durchaus keinen Anſtoß genommen haben würde. Dieſe Ver-
ſchiedenheit hängt damit zuſammen, daß die Strenge der Disciplin
nicht bloß dem Proceß nöthiger iſt, als dem Leben, ſondern auch
für ihn ſich leichter erzwingen läßt. Mit dem Verſchwinden der
meiſten römiſchen Geſchäftsformen im juſtinianeiſchen und heu-
tigen Recht hat das Gebiet jenes Gedankens noch beträchtlich an
Ausdehnung gewonnen, und es ſind faſt nur das Teſtament und
die modernen Formen des Handels- und Seerechts, welche ſich
ihm entziehen.
Mit welchen Augen die altrömiſche Jurisprudenz ihn betrach-
ten mußte, werden wir nicht erſt zu ſagen haben. Eine Juris-
prudenz, die den Grundſatz der analytiſchen Einfachheit, den
Gedanken, daß das, was begrifflich eins iſt, ſich auch bei
ſeinem äußern Auftreten in concreter Geſtalt als ſolches erweiſen
müſſe, bei der Organiſation des proceſſualiſchen Verfahrens mit
ſolcher eiſernen Conſequenz zur Geltung gebracht hatte, wäre auf
halbem Wege ſtehen geblieben, wenn ſie ſich bei der Geſtaltung
des Rechtsgeſchäfts ſeiner hätte entſchlagen wollen. Wenn man
einmal dem Proceß die Einrichtung gab, daß nur ein einfaches
Rechtsverhältniß Zutritt zu ihm finden konnte, was lag näher,
als den Zerſetzungszwang (S. 21) rückwärts über den Proceß
hinaus ſoweit zurückzuerſtrecken, als man es in der Hand hatte,
d. h. alſo bis zur Begründung des Rechtsverhältniſſes durch
[129]B. Das Rechtsgeſchäft. Correſpondenz mit dem Proceß. §. 53.
Rechtsgeſchäft? Was im Proceß ſich ſcheiden mußte, warum
ſollte es im Rechtsgeſchäft vereint ſein? Erſt wenn letzteres
demſelben Geſetz der Analyſe unterworfen war, das für jenen
galt, war dem Keim der Unordnung und Verwirrung, die jede
Vermiſchung verſchiedener Rechtsverhältniſſe in ſich ſchließt,
gründlich vorgebeugt. Rechtsbegriff (ich verſtehe darunter
den des ſelbſtändigen Rechtskörpers, B. 2 S. 372), Rechts-
geſchäft und Klage bildeten unter dieſer Vorausſetzung eine
fortlaufende Linie, oder richtiger drei ſich ſtreng aneinander an-
ſchließende und ſich deckende Größen: die dialektiſche Fortbewe-
gung eines und deſſelben Gedankens.
In der That hat die ältere Jurisprudenz dieſen höchſt ein-
fachen und nicht minder fruchtbaren und genialen Gedanken mit
ihrer bekannten Energie erfaßt und verwirklicht. Rückſichtlich der
Klage iſt dies früher nachgewieſen, rückſichtlich des Rechtsge-
ſchäfts ſoll es an dieſer Stelle geſchehen.
Die Congruenz zwiſchen der Klage und dem Rechtsgeſchäft
beſchränkt ſich aber keineswegs auf dieſe ihre gemeinſame Ueber-
einſtimmung mit dem Begriff, den ſie verwirklichen, ſo daß ſie
unter ſich nur gleich wären, weil ſie mit einem Dritten gleich
ſind, ſondern ſie erſtreckt ſich auch auf das, worin ſie durch den
Begriff nicht weiter beeinflußt werden, das rein Mechaniſche
ihrer Structur. Schon bei einer andern Gelegenheit nämlich in
Bezug auf das Formelweſen (B. 2 S. 646) iſt das Correſpon-
denzverhältniß zwiſchen der Begründung und gerichtlichen Gel-
tendmachung des Rechts von uns nachgewieſen worden. Die-
ſes wiederholt ſich nun bei der gegenwärtigen Gelegenheit in
einer Weiſe, daß man über die Abſicht und Planmäßigkeit des-
ſelben gar nicht im Zweifel ſein kann. Die Verwandtſchaft der
analytiſchen Structur des Proceſſes und des Rechtsgeſchäfts do-
cumentirt nicht bloß die Gemeinſamkeit ihrer beiderſeitigen Ab-
ſtammung von denſelben Meiſtern, ſondern ungleich mehr als
das: die Gemeinſamkeit ihrer Beſtimmung — beide ſind ge-
genſeitig aufeinander berechnet, es beſteht zwiſchen ihnen kein
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 9
[130]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
bloßer Parallelismus, ſondern ein Correſpondenzver-
hältniß.
Die Erkenntniß dieſes Verhältniſſes iſt für die Reproduction
der Theorie des alten Rechtsgeſchäfts von maßgebendem Ein-
fluß. Denn wenn auch einerſeits unſer Quellenmaterial voll-
kommen ausreicht, um uns dieſe Ueberzeugung ſelbſt zu gewäh-
ren, ſo kann und muß doch andererſeits ſie ſelber wieder dazu
dienen, jenes zu ergänzen und zu vervollſtändigen. Sie vor
Allem wird es ſein, welche uns bei der Scheidung deſſen, was
von der Theorie des Rechtsgeſchäfts der alten, und was der
neuen Zeit angehört, leiten muß. In der Darſtellung der römi-
ſchen Juriſten liegt beides ungeſchieden nebeneinander: bei die-
ſem Verhältniß die Einſchärfung einer Regel, die bei jenem
hintangeſetzt wird, bei demſelben Inſtitut Strenge in der einen
und Nachgiebigkeit in der andern Richtung. Nur innere Krite-
rien, die Erkenntniß des Gegenſatzes der älteren und neueren
Methode, können hier einen Anhaltspunkt liefern, um künſtlich
dieſe Verſchlingung von Rechtsſätzen, die ganz verſchiedenen
Epochen der Jurisprudenz entſtammen, zu löſen und für dieſen
Zweck vermag uns gerade jene Uebereinſtimmung in der Struc-
tur des Proceſſes und Rechtsgeſchäfts wichtige Dienſte zu
leiſten.
Die zwei Grundgedanken der proceſſualiſchen Analytik be-
ſtanden, wie früher gezeigt, in dem durch das Actionenſyſtem
geſicherten Grundſatz der Einfachheit des Rechtsverhältniſſes
(§. 51), oder negativ ausgedrückt: in dem der Unzuläſſigkeit der
Klagencumulation und in der Concentrirung der geſamm-
ten proceſſualiſchen Action auf den Moment der Litisconteſtation
(S. 25). Ueberzeugen wir uns, daß beide Grundgedanken mit
den eigenthümlichen Modificationen, die die beſondere Natur des
Rechtsgeſchäfts bedingte, in der Structur des letztern ſich wie-
derholen.
[131]B. Das Rechtsgeſchäft. Einfachheit des Rechtsverhältniſſes. §. 53.
verhältniſſes.
Wenn ich früher die Actio in formeller und materieller Bezie-
hung als Individuum bezeichnet habe (B. 2 S. 673 u. oben
S. 33), ſo darf ich denſelben Ausdruck auch auf das Rechtsge-
ſchäft anwenden. Das Individualitätsmoment beider beruhte
auf dem Recht, das ſie zum Gegenſtande hatten; derſelbe Grund-
ſatz, den wir für den Proceß nachgewieſen haben: ſo viel An-
ſprüche ſo viel Klagen, gilt auch für das Rechtsgeſchäft:
ſo viel Anſprüche ſo viel Rechtsgeſchäfte.
Wenn dem in der That ſo war, ſo muß nicht bloß die Cu-
mulation ungleichartiger Geſchäfte, z. B. der Eigenthums-
übertragung und der Begründung von Servituten und Obliga-
tionen, ſondern auch die gleichartiger Geſchäfte wie z. B.
der Uebertragung mehrerer Sachen oder der Beſtellung meh-
rerer Servituten durch einen Mancipationsakt ausge-
ſchloſſen geweſen ſein. Unterſuchen wir, ob dies wirklich der
Fall war.
Das neuere römiſche Recht kennt gewiſſe Verhältniſſe, bei
denen die zwei Grundelemente des ganzen Rechts, welche ſonſt
ſo weit auseinander gehen, das dingliche und obligatoriſche, ſich
zu einer ſyſtematiſchen Einheit verbinden, nämlich das pignus,
die superficies und die emphyteusis. Beide Seiten dieſer Ver-
hältniſſe, die dingliche (das jus in re) und die obligatoriſche (der
Contract) werden hier durch einen und denſelben Akt ins Leben
gerufen, können es wenigſtens. So das neuere Recht; ganz
anders aber das ältere. Das Verhältniß, bei dem ihm be-
reits daſſelbe Problem, jene Verbindung beider Elemente tech-
niſch zu geſtalten, entgegentrat, war der Uſusfructus. Wie
löſte es daſſelbe? Nicht in der Weiſe, daß es beide zur Einheit
zuſammenſchmolz, ſondern ſo, daß es ſie, wie ſie im Begriff in-
9*
[132]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
nerlich geſchieden ſind, ſo auch im Rechts geſchäft äußerlich aus-
einanderhielt, d. h. daß es für jedes derſelben einen beſondern
Akt erforderte, für das jus in re nämlich den dinglichen der in
jure cessio, für das Obligationsverhältniß den obligatoriſchen
der Stipulation (cautio usufructuaria). Man wende nicht ein,
daß die Verbindung des dinglichen und obligatoriſchen Elements
beim Uſusfructus eine minder innige ſei, als bei den drei andern
Verhältniſſen. Das obligatoriſche Band iſt dem einen Verhält-
niß ganz eben ſo nothwendig und unentbehrlich wie dem an-
dern. 171) Die Verſchiedenheit ihrer Structur läßt ſich mithin
nur auf techniſche Gründe zurückführen, und ſie iſt um ſo be-
zeichnender für die Methode der alten Jurisprudenz, als ja das
Verhältniß ſelber in ſeiner natürlichen ökonomiſchen Geſtalt ſich
als Einheit darſtellt.
Dieſe unſere Deutung müßte freilich in Nichts zerfallen, wenn
ſich anderweitige Beiſpiele einer ſimultanen Begründung ding-
licher und obligatoriſcher Anſprüche aus dem älteren Recht er-
bringen ließen, und in der That ſcheint der bekannte, bereits oft
erwähnte (B. 2 S. 151, 557 u. a.) Satz der XII Tafeln über
die verbindende Kraft der bei Gelegenheit der Mancipation ver-
lautbarten Beſtimmungen ein ſolches Beiſpiel zu gewähren.
Die einzige quellenmäßig bezeugte obligatoriſche Wir-
kung, welche ſich an die Mancipation knüpft, beſteht in der actio
auctoritatis, der Klage aufs Doppelte im Falle der Entwährung.
Wäre dieſe Klage nun in Wahrheit eine Wirkung der Manci-
pation als ſolcher, ſo müßte ſie letztere überall begleiten. Dies
iſt aber keineswegs der Fall. Dieſelbe war vielmehr bedingt durch
zwei der Mancipation völlig fremde Vorausſetzungen, nämlich
die: daß die Mancipation in Folge eines Kaufcontracts er-
folgt und die: daß der Kaufpreis bezahlt war. Demnach bil-
[133]B. Das Rechtsgeſchäft. Einfachheit des Rechtsverhältniſſes. §. 53.
dete die Mancipation für ſie nicht den Grund, ſondern bloß
eine ihrer Vorausſetzungen, und ſo wenig man die Uſu-
capion darum, weil ſie unter ihren Vorausſetzungen ein obliga-
toriſches Geſchäft (titulus) zählt, als Wirkung der Obligation
bezeichnen darf, eben ſo wenig die obige Klage als Wirkung der
Mancipation. Am richtigſten dürfte man in ihr wohl eine qua-
lificirte Diebſtahlsklage erblicken. Der Verkäufer hat durch das
Geſchäft den Käufer um den Kaufpreis gebracht, ein furtum nec
manifestum an ihm begangen und haftet in Folge davon aufs
Doppelte. 172) Wie wenig die Worte der XII Tafeln über die
Mancipation, wenn ſie wirklich einen obligatoriſchen Sinn ge-
habt hätten, von den römiſchen Juriſten in dieſem Sinn verſtan-
den worden ſind, 173) geht ſchlagend daraus hervor, daß ſie dem
Vertrag der fiducia die Aufnahme in die Mancipationsformel
verſagten und ihn in die Form eines ſelbſtändigen, urſprünglich
klagloſen Nebenvertrags, ich möchte ſagen eines geheimen Ar-
tikels (B. 2 S. 557), wieſen. Hätte er in jener Formel Platz
finden können, ſo würde er, wie alle andern obligatoriſchen Akte
des alten Rechts eine actio stricti juris erzeugt haben, während
die aus ihm entſpringende Klage in Wirklichkeit eine act. bonae
fidei war, eine Klage, die an dem harten Stamm der mancipatio
[134]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
eben ſo wenig gewachſen ſein kann, wie eine Roſe an einem Eich-
baum. 174)
Eine intereſſante Parallele zu der fiducia und damit zugleich
einen neuen Beleg für unſere Anſicht gewährt die Form, in der
die Jurisprudenz die dem Sklaven bei ſeiner Freilaſſung vertrags-
mäßig auferlegte Verpflichtung zu Dienſtleiſtungen (operarum
obligatio) brachte. Wenn man erwägt, daß dieſe Auflage bei dem
Akte der Freilaſſung und vor der Obrigkeit erfolgte, 175) ſo wird
man den Grund, warum ſie nicht als Modus in die Formel der
Manumiſſion aufgenommen ward, ſondern ſich gleich der fiducia
mit der Form eines mehr in das Gewiſſen (fides) geſchobenen Neben-
vertrages (Eid) begnügen mußte, abermals nur in unſerm obigen
Princip erblicken können: daß ein und derſelbe Akt nicht
zwei ſyſtematiſch verſchiedene Wirkungen (Freiheit
und Obligation) hervorzubringen vermag.
Demnach nehme ich keinen Anſtand, den Satz aufzuſtellen,
daß kein Akt des älteren Rechts zugleich dingliche und obligato-
riſche Wirkung hervorbrachte, der ſcharfe Gegenſatz, der im älte-
ren Recht zwiſchen den Begriffen eines dinglichen und obli-
gatoriſchen Rechts beſteht, ſich vielmehr auch auf die Begründung
derſelben durch Rechtsgeſchäft erſtreckte.
Wie Eigenthum und Obligation, ſo ſind auch Eigenthum
und Servitut ſyſtematiſch verſchieden; es müßte mithin unſerem
Princip zufolge eine Cumulation beider zu einem Rechtsgeſchäft
unſtatthaft geweſen ſein. Dem ſcheint jedoch die Möglichkeit der
Deductio von Servituten bei Gelegenheit einer ſolennen Eigen-
[135]B. Das Rechtsgeſchäft. Einfachheit des Rechtsverhältniſſes. §. 53.
thumsübertragung zu widerſprechen. 176) In Wirklichkeit aber
verwandelt ſich dieſer Schein des Widerſpruchs gerade in eine
Unterſtützung unſerer Anſicht, denn die Form, in der jene Ser-
vitutbeſtellung erfolgte, beſtätigt unſern Grundſatz gerade durch
die Art, wie ſie ihm ausweicht. Es wird nämlich der Sache die
Geſtalt gegeben, als ob bloß eine Eigenthumsübertragung vor
ſich gehe, nämlich an einem mit der vom Mancipanten gewünſch-
ten Servitut belaſteten Grundſtück. Nicht alſo iſt der Hergang ſo
zu denken, als ob der Mancipant erſt Eigenthum übertrüge und
ſodann der Empfänger, auf Grund des ſo eben erworbenen Eigen-
thums die Servitut beſtellte — dann würden in der That juriſtiſch
zwei Rechtsgeſchäfte vorliegen — ſondern der Mancipant behält
von dem, was er überträgt, etwas zurück, er zieht etwas ab
(deducit) — eine Wendung im Geiſt der analytiſchen Methode,
zu welcher der Proceß in dem „cum deductione und compensa-
tione agere“ (S. 79) ein Seitenſtück darbietet, und deren ma-
terielle Statthaftigkeit die alten Juriſten auf die oben in Be-
zug genommenen Worte der XII Tafeln über die Mancipation
ſtützen konnten. So wenig wie die Klage des Argentarius juri-
ſtiſch zwei Forderungen, ſo wenig hatte jener Akt zwei dingliche
Rechte zum Gegenſtande; das vorbehaltene Recht erſchien hier,
wie bei der Subtraction, mit dem Minuszeichen verſehen,
nicht wie bei der Addition mit dem Pluszeichen. In conſe-
quenter Durchführung dieſes Geſichtspunktes mußte es verſtattet
ſein, auch mehrere Servituten vorzubehalten z. B. den Nieß-
brauch, eine Weggerechtigkeit u. a., während ein Gleiches meiner
Meinung nach bei ſelbſtändiger Beſtellung der Servituten
ſchlechthin ausgeſchloſſen war, — wo die Einheit bloß auf dem
Minuendus beruht, iſt die Mehrheit der Subtrahenden
gleichgültig. Hätte das ältere Recht bereits die übrigen jura in
re gekannt, ſo würde es rückſichtlich ihrer ſich ſicherlich ganz des-
[136]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
ſelben Mittels bedient haben, und den Grund, daß daſſelbe bei
letztern nicht erwähnt wird, vermag ich daher nicht in einer ſyſte-
matiſchen Verſchiedenheit derſelben von den Servituten, ſondern
nur in rein hiſtoriſchen Verhältniſſen zu erblicken. 177)
Das Gegenſtück zu dem eben beſprochenen Fall liefert die
Beſtellung von Prädialſervituten zu Gunſten des Erwerbers.
Der bisherige Eigenthümer führt unter den dem zu übertragen-
den Grundſtücke zuſtehenden Servituten auch diejenige auf, welche
er auf das von ihm zurückbehaltene Grundſtück übernehmen will,
es erſcheint alſo auch hier wiederum die Servitutbeſtellung nicht
als beſonderes Rechtsgeſchäft, ſondern als eine Modalität der
Eigenthumsübertragung. Während das praedium in jenem
Fall als serviens, wird es in dieſem als dominans über-
geben. 178)
So weit das höchſt dürftige Material, welches unſere Quellen
uns meines Wiſſens für die Frage von der Cumulation mehrerer
ungleichartiger Rechtsgeſchäfte darbieten. Es verbleibt uns
jetzt noch die Frage von der Möglichkeit gleichartiger Rechts-
geſchäfte.
Halten wir uns hier an die drei Grundformen des römiſchen
Geſchäftslebens (§. 46) die mancipatio, in jure cessio und sti-
pulatio, ſo darf zunächſt für die in jure cessio, wenn ſonſt der
Schluß von der Vindication auf ſie ein berechtigter iſt, die Un-
zuläſſigkeit einer ſolchen Cumulation unbedenklich behauptet wer-
den. Konnte man nicht mehrere Gegenſtände mit einem Male
vindiciren, ſo konnte man ſie auch nicht durch Scheinvindication
mit einem Male vor Gericht abtreten; dem Satz: ſo viel
Gegenſtände, ſo viel Vindicationen (S. 32), muß
der entſprochen haben: ſo viel Gegenſtände, ſo viel Akte
der in jure cessio. So weit, wie das ausſchließliche
[137]B. Das Rechtsgeſchäft. Einfachheit des Rechtsverhältniſſes. §. 53.
Gebiet der in jure cessio (B. 2 S. 585) wird ſich mithin auch
der Grundſatz der Unzuläſſigkeit der Cumulation der dadurch zu
bewerkſtelligenden Geſchäfte erſtreckt haben, ſo daß alſo z. B. die
Emancipation mehrerer Kinder oder die Freilaſſung mehrerer
Sklaven durch einen Akt ausgeſchloſſen geweſen ſein wird.
Für die mancipatio hat jener Schluß von der rei vindicatio
keine Geltung, und von ihr iſt wenigſtens in einer Anwendung,
nämlich hinſichtlich der Eigenthumsübertragung, die Möglichkeit
einer Cumulation ausdrücklich bezeugt. Von beweglichen res
mancipi, ſagt Ulpian (Fragm. XIX, 6), laſſen ſich mit einem
Male ſo viele mancipiren, als man mit der Hand faſſen kann,
von unbeweglichen ſo viel, als man Luſt hat. Daß dieſer Rechts-
ſatz bereits dem älteren Recht bekannt geweſen, muß ich mir
erlauben zu bezweifeln. Ich will dem Umſtande, daß Gajus
bei ſeiner Darſtellung der mancipatio (I, 119—122) Nichts von
ihm zu melden weiß, keine allzuhohe Beweiskraft beilegen, ob-
gleich er doch immer mit ins Gewicht fällt; allein wer mir bisher
gefolgt iſt und eine Anſchauung gewonnen hat von dem analyti-
ſchen Geiſte, der die ganze alte Jurisprudenz beſeelt, von der
Strenge und Folgerichtigkeit ihrer Methode, der wird, wie ich
glaube, nicht anſtehen, meinen Zweifel zu theilen. Man könnte
mir den Einwand machen, daß die Beſchränkung der Mancipa-
tion auf einen einzigen Gegenſtand in gewiſſen Anwendungsfällen
z. B. bei der Uebertragung einer Heerde mit zu großen prakti-
ſchen Unzuträglichkeiten verbunden geweſen ſei. Allein abgeſehen
davon, daß ſich für dieſen Zweck die in jure cessio darbot (nach
dem Vorbild der Vindication einer Heerde S. 38), ſo dürfte
die Unbequemlichkeit nicht allzu hoch anzuſchlagen ſein, indem
mit Hülfe einiger Sklaven, die bekanntlich der Mancipation fähig
waren, 179) auch die ſtattlichſte Heerde ſich ſtückweis in einigen
Stunden mancipiren ließ.
Die Stipulation kann den verſchiedenartigſten Obliga-
[138]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
tions-Stoff: ein Geben, Thun und Unterlaſſen in beliebiger
Häufung und Miſchung in ſich aufnehmen, es ſteht alſo nichts
im Wege, die mannigfaltigſten materiellen Verträge: das
Darlehn, den Kauf- und Miethcontract, die Societät u. ſ. w.
zuſammen in eine einzige Stipulation zu werfen. Daß dies be-
reits im alten Recht ſo geweſen, muß ich mir ebenfalls erlauben
in Zweifel zu ziehen. Nicht etwa bloß auf die abſtracten
Schlußworte der Stipulation: spondesne spondeo legte die
alte Zeit das entſcheidende Gewicht, ſo daß die Verſchiedenheit
des Inhalts gar nicht weiter in Betracht gekommen wäre, ſon-
dern jene Worte hatten urſprünglich für die Stipulation keine
geringere und höhere Bedeutung, als die: ajo .. esse für die
in jure cessio und mancipatio, d. h. ſie kennzeichneten das Ge-
ſchäft der Gattung, nicht aber der Art nach, das eigentliche
Individualitätsmoment aller dieſer Geſchäfte aber beruhte auf
dem Gegenſtand, dem Inhalt, und ſo wenig man auf den
Grund hin die in jure cessio einer körperlichen Sache, hereditas,
servitus, tutela hätte verbinden dürfen, weil das Schema ajo ..
esse bei allen daſſelbe war, ebenſo wenig meiner Anſicht nach
auf denſelben Grund hin mehrere juriſtiſch verſchiedene Obli-
gationsſtoffe zu einer Obligation. Eine stipulatio emti, ven-
diti, locati, conducti180) erſchien den alten Juriſten ſicherlich
nicht minder als juriſtiſches Individuum, als nur irgend eines
der ſo eben genannten Geſchäfte, 181) und unſere heutige Vorſtel-
lung, welche in der Stipulation nicht ſo ſehr eine abſtracte Ge-
ſchäftsform, als einen mit den ſachlich charakteriſirten Verträgen
[139]B. Das Rechtsgeſchäft. Einfachheit des Rechtsverhältniſſes. §. 53.
des Obligationenrechts auf eine Linie zu ſtellenden Contract
erblickt, iſt meiner Anſicht nach, obſchon durch die ſpätere Ent-
wickelung des Obligationenrechts bis zu einem gewiſſen Grade
unterſtützt, doch für das ältere Recht entſchieden unrichtig (B. 2
S. 585, 586). Für alle Verträge gab es in alter Zeit beſtimmte
Formulare, und obgleich der Gebrauch derſelben frei war, wie
ſchon aus der Erwähnung mehrerer Formulare für ein und
daſſelbe Geſchäft hervorgeht, 182) ſo hielt doch der Verkehr aus
gutem Grunde (B. 2 S. 312—315 flg.) die Bahnen inne, die
ihm in den verſchiedenen Formularen übereinſtimmend vorgezeich-
net waren, und gerade dieſer Umſtand, die Gewöhnung an den
Gedanken, daß es für jedes Geſchäft eines beſondern Formulars
bedürfe, wird den, ich möchte ſagen, doctrinären Einfall, verſchie-
denartige Geſchäfte und Formulare zu einem einzigen Stipula-
tions-Ganzen zu verbinden, in alter Zeit gar nicht haben auf-
kommen laſſen. Und wozu auch? Um das spondesne spondeo ſtatt
zehn Mal ein Mal auszuſprechen! Und um dieſes Vortheils
willen hätte man die Elementarbegriffe der juriſtiſchen Methode
verläugnen und ſich in die Lage verſetzen ſollen, aus dieſer einen
Stipulation auch eine einzige Klage (S. 40) zu geben?!
Nur ein einziges Geſchäft gab es, bei dem unſer Grundſatz
der Einfachheit nicht zur Anwendung kam und kommen konnte:
das Teſtament. Daſſelbe war jedoch nicht ſowohl ein ein-
ziges Rechtsgeſchäft, als ein ganzer Complex von Rechtsge-
ſchäften: nämlich Erbeseinſetzungen, Vermächtniſſen, Freilaſſun-
gen, Vormundſchafts-Ernennungen. Alle dieſe Verfügungen,
im übrigen von höchſt verſchiedenem juriſtiſchem Charakter,
trafen nur darin zuſammen, daß ſie ſämmtlich auf die Voraus-
ſetzung des Todes des Erblaſſers gebaut waren. Es würde
daher ſehr verkehrt ſein, das Teſtament mit einem einzelnen
Rechtsgeſchäft unter Lebenden in Parallele zu bringen; der rich-
tige Gegenſatz iſt vielmehr der: auf der einen Seite das Teſta-
[140]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
ment als Inbegriff ſämmtlicher letztwilliger Rechtsge-
ſchäfte, auf der andern Seite die Geſammtſumme aller denk-
baren Rechtsgeſchäfte unter Lebenden. Das Eigenthümliche
der letztwilligen Autonomie im Gegenſatz zu der unter Lebenden
beſteht nämlich darin, daß während letztere ſich nur in einzel-
nen Akten darſtellt, nicht aber zu einem einzigen Geſammtakt
ſich zuſammenzufaſſen vermag, jene umgekehrt nur in der letztern
Form zur Ausübung gelangt — ein Grundſatz, den das neuere
römiſche Recht zwar mittelſt der Codicille zum Theil verlaſſen,
dagegen für den weſentlichen Inhalt des Teſtaments: die Erbes-
ernennung unverändert beibehalten hat. So repräſentirt uns
alſo das Teſtament gewiſſermaßen die eine Hälfte der geſammten
Autonomie des Subjects und verhält ſich zu den bisher betrach-
teten Rechtsgeſchäften unter Lebenden ungefähr ebenſo, wie die
Erbſchaft zu den einzelnen Vermögensrechten, und wir dürfen es
mit Anſpielung auf die Ausdrücke Univerſal- und Singularſuc-
ceſſion etwa als Univerſal geſchäft im Gegenſatz zum Sin-
gular geſchäft bezeichnen. Was die Römer veranlaßt hat, im
Gegenſatz zu dem für letzteres geltenden Grundſatz der Tren-
nung für die letztwilligen Geſchäfte umgekehrt den Grundſatz
der Concentration aufzuſtellen, iſt nicht ſchwer abzuſehen.
Zunächſt bietet ſich ein hiſtoriſcher Grund dar, nämlich die ur-
ſprüngliche Form der Teſtamentserrichtung in der Volksverſamm-
lung. Ich habe mich früher (B. 1 S. 138) für die Idee aus-
geſprochen, daß das Volk die Teſtamente nicht bloß einfach zu
vernehmen hatte, ſondern daß es ſie prüfen und mithin auch ver-
werfen durfte, und ich bin in der Lage, den dort benutzten Grün-
den noch einige andere auf die gegenwärtige Veranlaſſung bezüg-
liche von erheblichem Gewicht hinzufügen zu können. Sollte
dem Volke ein wirkliches Urtheil ermöglicht werden, ſo mußte
der Teſtator ihm den ganzen von ihm entworfenen Plan der Be-
erbung mittheilen; nur in dieſem Geſammtzuſammenhange
ließen die einzelnen Beſtimmungen ſich wahrhaft prüfen und be-
urtheilen, abgeriſſen von ihm als einzelne Modificationen der im
[141]B. Das Rechtsgeſchäft. Einfachheit des Rechtsverhältniſſes. §. 53.
übrigen eintretenden, dem Volke nicht weiter bekannt gemachten
Inteſtaterbfolge aber eben ſo wenig, als ein einzelner Paragraph
eines Contracts ohne Einſicht des ganzen Documents. Welche
Garantie aber gab es, daß der Teſtator wirklich den ganzen Plan
vorlegte und nicht etwa bloß die Beſtimmungen, welche aus dem
Grunde der Sanction von Seiten des Volks bedurften, weil ſie
eine Abweichung vom Geſetz enthielten, im übrigen aber ſich der
Ausſicht getröſtete, daß die Inteſtaterbfolge zur Anwendung
kommen würde? Antwort: daß man ihm dieſe Ausſicht abſchnitt
m. a. W. durch den Satz: nemo pro parte testatus, pro parte
intestatus decedere potest. Dieſer Satz, über deſſen Bedeutung
in unſerer Literatur ſo viel völlig Ungeſundes und Abentheuer-
liches zu Tage gefördert iſt, enthält meiner Anſicht nach ein ſo
unentbehrliches Complement des alten testamentum in comitiis
calatis, daß er unter ähnlichen Verhältniſſen ſofort und unab-
weisbar wieder in Geltung treten würde. Ohne ihn hätte jeder
Teſtator das Volk hintergehen und ſeine Zuſtimmung zu Anord-
nungen erſchleichen können, die daſſelbe bei Vorlegung des ge-
ſammten Succeſſionsplans nie gebilligt haben würde, mittelſt
ſeiner war dafür geſorgt, daß ein Teſtator, der das Volk betrügen
wollte, ſich ſelber betrog und ſich in ſeinen eignen Schlingen fing.
Aber noch einen andern Ausweg gab es, den man ihm verſperren
mußte. Angenommen, ſeine Abſicht ging darauf, einen ſeiner
Söhne zu enterben, er wagte aber nicht, weil er ſich der Schwäche
ſeiner Gründe bewußt war und darum die Verwerfung des gan-
zen Teſtaments fürchten mußte, dem Volk die Sache vorzutragen.
Hier hätte jener Satz eine gefährliche Anwendung erlangt, der
Teſtator brauchte nur den Sohn gar nicht zu erwähnen, weder
einſetzen, noch enterben, ſo war letzterer durch den Satz, welcher
im Fall des Teſtaments die Inteſtaterbfolge ausſchloß, beſeitigt,
der Teſtator hatte ſeinen Zweck erreicht und das Volk aber-
mals hintergangen. Damit haben wir die Erklärung eines an-
dern Satzes des altrömiſchen Erbrechts, nämlich daß der Teſtator
ſeine sui entweder inſtituiren oder exherediren muß, nicht aber
[142]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
präteriren darf; thut er es dennoch, verheimlicht er alſo dem
Volk das Daſein derſelben, ſo fällt der beabſichtigte Schlag auf
ihn ſelbſt zurück, ſein Teſtament wird je nach Umſtänden ganz
oder zum Theil (accrescere) nichtig — dieſelbe Wirkung mithin,
die das ſpätere Recht für das Erſchleichen kaiſerlicher Reſcripte
vorſchreibt. 183) Auch dieſer Satz war vom Standpunkt der Ver-
hältniſſe aus, für die er berechnet war, ſo nothwendig, daß er
meiner Ueberzeugung nach bei gleichen Verhältniſſen überall wie-
der zum Vorſchein kommen müßte; wenn er auch nach Wegfall
derſelben ſeine Exiſtenz friſtete, ſo hängt dies damit zuſammen,
daß er die einzige Handhabe bot, um einem Kinde, das ent-
weder zur Zeit des Teſtaments noch nicht geboren oder aber
vom Vater fälſchlich für todt geglaubt wurde, den Zugang zum
väterlichen Nachlaß zu verſchaffen. In welcher Verbindung die
für Söhne geltende Unſtatthaftigkeit einer exheredatio inter
ceteros mit dem obigen Geſichtspunkt ſteht, werde ich nicht nö-
thig haben auszuführen.
Unſer Reſultat läßt ſich demnach in den einen Satz zuſam-
menfaſſen: der Teſtator ſoll dem Volk nichts Weſentliches ver-
ſchweigen, er ſoll, um mich einer vulgären Ausdrucksweiſe zu
bedienen, mit der Sprache heraus!
Der im Bisherigen entwickelte hiſtoriſche Grund für die
Univerſalität oder die attractive Kraft des Teſtaments verlor
mit Einführung des Mancipationsteſtaments ſeine Bedeutung.
Wenn gleichwohl die römiſche Jurisprudenz noch geraume Zeit an
dieſem Gedanken feſthielt, ſo vermag ich die Urſache davon nicht
lediglich in dem Conſervativismus der Römer zu erblicken — hat
ja ſelbſt unſer heutiges Recht ihn in der Geſtalt, die er im ſpätern
römiſchen angenommen hat, nämlich in ſeiner Beſchränkung auf
die Erbeseinſetzung adoptirt. Vielmehr müſſen praktiſche Mo-
tive hinzugekommen ſein, und ſie bieten ſich ungeſucht dar in der
aus einer Zerſplitterung der einzelnen letztwilligen Akte leicht ſich
[143]B. Das Rechtsgeſchäft. Concentration des Rechtsgeſchäfts. §. 53.
ergebenden Verwirrung und Unſicherheit in dem Beſtreben, den
Teſtator durch die Simultaneität ſämmtlicher letztwilliger Ver-
fügungen zur Klarheit und Einheit zu zwingen.
geſchäfts.
Die glückliche Idee der Concentrirung des Proceſſes auf den
Moment der Litis-Conteſtation findet an dem alten Rechtsge-
ſchäft ihr Seitenſtück. Wie der ganze Proceß ſich um dieſen einen
Punkt dreht (S. 25 flg.), und der Richter bei der Beurtheilung
des Streitverhältniſſes weder frühere, noch ſpätere Ereigniſſe ins
Auge zu faſſen hat, ſo iſt auch für alle Fragen, welche ſich auf
die Vorausſetzungen und Wirkungen des Rechtsgeſchäfts be-
ziehen, der Moment ſeiner Vornahme zum Normalpunkt gemacht.
Auf dieſen einen Punkt wird daher der ganze Thatbeſtand des
Rechtsgeſchäfts concentrirt, es verſteinert ſich in gleicher Weiſe,
wie das Streitverhältniß, in der Geſtalt die es in dieſem Mo-
ment an ſich trägt, unempfänglich für alle Einwirkungen der Zu-
kunft oder Nachwirkungen der Vergangenheit, ganz auf ſich und
ſeinen in ihm ſelbſt zu Tage liegenden Inhalt beſchloſſen.
Drei Momente ſind es, auf denen der geſammte Beſtand des
Rechtsgeſchäfts beruht: der Akt der Handlung, ſeine Vor-
ausſetzungen (der Thatbeſtand) und ſeine Wirkungen.
Unterſuchen wir, wie der Gedanke der Concentration ſich bei
ihnen bethätigt.
Der Akt der Handlung muß ein einiger ſein, er darf nicht
geſpalten, getheilt werden. Aber wer wird, kann man fragen,
auch wohl auf die Idee kommen, eine Handlung, die er in
einem Moment vornehmen kann, zu theilen, den Anfang eines
Satzes jetzt, das Ende nach einer Stunde auszuſprechen? Ge-
wiß! bei Rechtsgeſchäften, welche in einem bloß momentanen
[144]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Handeln einer einzigen Perſon beſtehen, braucht die Einheit
des Akts nicht erſt vorgeſchrieben zu werden, ſie macht ſich fac-
tiſch von ſelbſt, denn es fehlt an jeder Verſuchung zum Gegen-
theil. Ganz anders aber bei Rechtsgeſchäften, welche, wie das
mündliche Teſtament, regelmäßig eine längere Dauer in Anſpruch
nehmen oder ein Handeln mehrerer Perſonen erfordern, wie
z. B. die Verträge. Bei ihnen hat das Recht, wenn es einmal
die Einheit des Akts beachtet wiſſen will, auch allen Grund ſie
ausdrücklich zu fordern. Unſere Quellen erwähnen dieſes Re-
quiſit zwar nur für das Teſtament, die Stipulation und die
tutoris auctoritas,184) allein es unterliegt mir nicht dem gering-
ſten Zweifel, daß daſſelbe für ſämmtliche Geſchäfte des älte-
ren Rechts gegolten hat. Für die mancipatio (und mithin
auch das nexum) und die in jure cessio erblicke ich eine indirecte
Beſtätigung deſſelben in dem Erforderniß der Gegenwart der
Partheien. Für das Obligationenrecht hängt die Richtigkeit dieſer
Behauptung von dem an ſpäterer Stelle zu erbringenden Be-
weiſe ab, daß die formloſen Verträge ihre Klagbarkeit erſt dem
neuern Recht verdanken.
Mit dem nackten Ausſprechen dieſes Grundſatzes iſt aber
wenig gewonnen; einen wirklichen Werth kann er vielmehr nur
dadurch gewinnen, daß wir uns ſeiner Conſequenzen, ſowie der
Bedingungen ſeiner praktiſchen Durchführbarkeit bewußt werden,
und das erreichen wir am erſten, wenn wir des Gegenſatzes
wegen einen Blick auf das ſpätere Recht werfen.
Bei allen Rechtsgeſchäften, welche ein Handeln mehrerer
Perſonen erfordern, iſt die Einheit des Akts (ich abſtrahire da-
bei von der erſt unſern Tagen angehörigen Telegraphie) bedingt
durch die Anweſenheit derſelben an demſelben Ort — Einheit
der Zeit iſt Einheit des Raums, Trennung im Raum ge-
[145]B. Das Rechtsgeſchäft. Concentration deſſelben. §. 53.
trenntes Handeln. Will das Recht den Grundſatz der Einheit
des Akts, ſo muß es zugleich den der Einheit des Raums auf-
ſtellen. Letzteres iſt aber nur da durchführbar, wo der Raum,
auf dem der Verkehr ſich bewegt, ein engbegränzter iſt, ſo daß
die Contrahenten ohne beträchtlichen Zeitverluſt und große Un-
bequemlichkeiten ſich zu einander verfügen können, es wird aber
unmöglich, ſobald der Verkehr eine ſo beträchtliche geographiſche
Ausdehnung gewonnen hat, daß die handelnden Perſonen nicht
ſelten durch Meere und ganze Länder geſchieden ſind. So ſtellt ſich
alſo der Grundſatz der Einheit der Zeit und des Raumes dar als
weſentlich bedingt durch den geographiſchen Umfang der Handels-
und Verkehrsbewegung, und es wird jetzt nicht minder begreiflich
erſcheinen, daß das ältere Rom bei ſeinem kleinen Stadtgebiet
jenen Grundſatz aufſtellen und durchführen, als daß das ſpätere
Rom ſich von ihm losſagen mußte. Das alte Rechtsgeſchäft
und das alte Staatsgebiet ſtanden in engſter Beziehung;
als letzteres ſich mehr und mehr erweiterte, mußte das Rechts-
geſchäft ihm nach, es hatte in ſeiner Weiſe ſich ebenſo von der
Schranke des Raumes frei zu machen, wie dies der Handel in
der ſeinigen gethan hatte. Die althergebrachten Geſchäfte des
Civilrechts waren aber bereits zu ſehr erſtarrt, um dem entſpre-
chend ihre ganze Structur ändern zu können; was ihnen abge-
rungen wurde, beſtand nur in einzelnen Conceſſionen, die ich,
weil ſie durch ihren Gegenſatz das alte Recht zu erläutern ver-
mögen, ſchon an dieſer Stelle mittheilen will.
Eine principielle Anerkennung hingegen fand jene Forderung
bei den Verträgen des jus gentium, die uns ja das eigentliche
Handelsrecht des römiſchen internationalen Verkehrs darſtellen,
und es gehört zu ihrer Signatur im Gegenſatz zu denen des
eigentlichen jus civile, daß ſie den Gedanken der Emancipation
vom Raum verwirklicht haben. Ihre Betrachtung liegt jenſeits
der Gränzen unſerer Aufgabe, da ihre Entwickelung zu ſelbſtändi-
gen, der Stipulation zu ihrer Klagbarkeit nicht mehr bedürftigen
Contracten der dritten Periode anheimfällt.
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 10
[146]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Wenn mehrere Miteigenthümer eine Prädial-Servitut erwer-
ben oder beſtellen wollten, ſo mußten ſie dies nach älterm Recht
gemeinſam mittelſt eines Aktes thun; nach neuerm können ſie
einzeln handeln. 185) Wenn mehrere Legatare gemeinſchaftlich ein
Wahlrecht auszuüben haben, ſo verſtattet das neuere Recht jedem
die abgeſonderte Vornahme; daß das ältere ſich dazu nicht ver-
ſtanden haben kann, bedarf nicht der Bemerkung. Die Correal-
obligation begründet zwiſchen den verſchiedenen Theilnehmern ein
und daſſelbe Obligationsverhältniß, conſequenterweiſe erforderte
daher die alte Jurisprudenz Begründung deſſelben durch einen
einzigen Akt, 186) das neuere Recht hingegen verſtattet getrenntes
Handeln. Das ältere Recht verlangt, daß die Teſtamentszeugen
gleichzeitig fungiren, das prätoriſche verſtattet die Vornahme des
einzigen Akts, von dem es die Bonor. poss. secundum tabulas
abhängig macht (Verſiegeln) für jeden abgeſondert — eine Be-
hauptung, deren Beweis ich mir freilich für das dritte Syſtem
vorbehalten muß. Der Tutor eines Unmündigen muß ſeine
autoritasſofort ertheilen, alſo gegenwärtig ſein, der Curator
eines Minderjährigen kann ſeine Einwilligung vorher oder nach-
[147]B. Das Rechtsgeſchäft. Concentration deſſelben. §. 53.
her erklären, alſo abweſend ſein — eine Verſchiedenheit, deren
Grund ich nicht in der verſchiedenen Auffaſſung des Weſens der
tutoris auctoritas und des consensus curatoris, ſondern lediglich
darin erblicke, daß erſtere dem älteren, letzterer dem neuern Recht
angehört.
Der Grundſatz der Einheit der Handlung erlitt meiner Anſicht
nach noch eine andere Anwendung, die unſerer heutigen Vorſtel-
lung ziemlich fern liegt. Sie beſtand darin, daß alle Nach-
träge zum Rechtsgeſchäft ausgeſchloſſen waren. Der alten
Jurisprudenz erſchienen dieſe Nebenſchößlinge des Rechtsge-
ſchäfts als etwas nicht zu Duldendes, ſie verlangte, daß alles,
was mit dem Rechtsgeſchäft gelten wolle, auch mit ihm ent-
ſtanden ſein, in ihm ſtecken müſſe. Ihrer Theorie nach ver-
mochte das Rechtsgeſchäft nur ein Doppeltes: das Verhältniß,
das es zum Gegenſtand hat, begründen oder aufheben,
nicht aber es modificiren; wer letzteres beabſichtigt, muß
dies in der Weiſe bewerkſtelligen, daß er das Verhältniß ganz
neu begründet, 187) z. B. die Obligation novirt — die alte
Jurisprudenz duldet kein Flicken. Wie die lebenden Weſen den
Körper, den ſie bei der Geburt mit auf die Welt bringen, bis an
ihr Ende beibehalten, ſo auch die Rechtsverhältniſſe.
Daß darin eine Anwendung des Grundſatzes der Einheit der
Handlung liegt, wird keines Nachweiſes bedürfen. Jeder Nach-
trag enthält ein vergeſſenes Stück Handeln, die Totalität des
Handelns, die ſich ſonſt in dem einen Akt des Rechtsgeſchäfts
concentrirt, zerſplittert und zerſtreut ſich, wenn man Nachträge
zuläßt, in einzelne Akte und Zeitmomente, dieſes Stück des
Rechtsverhältniſſes entſteht in dieſem, jenes in jenem Moment
— die Einheit der Zeit iſt preisgegeben.
Auch nach dieſer Richtung hin hat die neuere Jurisprudenz
ſich bis zu einem gewiſſen Grade von dem Grundſatz der Einheit
der Handlung losgeſagt, wie folgende Fälle zeigen werden.
10*
[148]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Nach älterm Recht mußte der Teſtator des unbedeutendſten
Nachtrages wegen das ganze Teſtament von neuem machen, das
neuere überhebt ihn dieſer Mühe, indem es ihm zu dem Zweck
die Form des Fideicommiſſes und Codicills zur Verfügung ſtellt.
Der Fortſchritt, den die Idee des Codicills für die Geſchichte des
römiſchen Erbrechts bezeichnet, beſteht nicht in der Einführung
der Formloſigkeit — das war im Gegentheil eine Verſchlechte-
rung, und das ſpätere Recht iſt mit gutem Grunde zur Form
zurückgekehrt — ſondern in der theilweiſen Losreißung von dem
Grundſatz der Concentrirung des letzten Willens zu einem Akt
(S. 40), kurz in der Ermöglichung eines Singulargeſchäfts
auf dem Gebiet des Erbrechts.
Nach Abſchluß des Vertrages werden die Partheien noch
über einige Abänderungen einig: welche Kraft haben dieſelben?
Nach älterm Recht gar keine, denn wenn einmal die Worte der
Stipulation geſprochen ſind, ſo iſt letztere für immer fixirt, und
es hätte, um jene Beſtimmungen nachzutragen, eines neuen
Stipulationsaktes bedurft. Nach neuerm dagegen muß man
unterſcheiden, ob ſie ſofort d. h. im unmittelbaren Anſchluß an
den Akt, oder ob ſie erſt ſpäter getroffen ſind. Im erſten Fall fügen
ſie ſich noch als integrirende Beſtandtheile dem Rechtsgeſchäft ſel-
ber ein und zwar ſowohl bei den bonae fidei Contracten als der
Stipulation, 188) im letztern Fall haben ſie eine poſitive (d. h.
Klage erzeugende) Wirkung nur dann, wenn ſie ſich unter den
Geſichtspunkt eines neuen Contractsabſchluſſes bringen laſſen,
ſonſt d. h. alſo in ihrer Geſtalt als Zuſätze haben ſie nur eine
negative (Exceptions-) Wirkung. 189) Zu dem Gedanken einer
[149]B. Das Rechtsgeſchäft. Concentration deſſelben. §. 53.
poſitiven Kraft des Nachtrages wollte ſelbſt die ſpätere Juris-
prudenz trotz ihrer ſonſtigen Freiheit von den Traditionen der
alten Methode 190) ſich nicht verſtehen — ſicherlich nicht darum,
weil derſelbe ihrem juriſtiſchen Auffaſſungsvermögen als et-
was Unmögliches erſchienen wäre (wie etwa die Idee eines Nach-
zeugens), ſondern weil ſie eine ſolche Zerſplitterung für praktiſch
bedenklich hielt. Den einzigen mir bekannten Ausnahmsfall ent-
hält die act. de pecunia constituta des prätoriſchen Edicts; die
Ausnahme beſtand aber nicht darin, daß das Conſtitutum die
urſprüngliche Schuld ſelbſt modificirt hätte — unter dieſer Vor-
ausſetzung hätte es verſtattet ſein müſſen, den Inhalt des Con-
ſtitutums mit der urſprünglichen Contractsklage geltend zu
machen — ſondern darin, daß hier eine Acceſſion zum Haupt-
vertrag als ſelbſtändiger Verpflichtungsgrund anerkannt ward.
Das Conſtitutum bietet uns demnach ein Seitenſtück zu dem Co-
dicill; beide überheben der Mühe, eines einzelnen Zuſatzes we-
gen das ganze Geſchäft von neuem vorzunehmen. Daß die ältere
Jurisprudenz, ſelbſt wenn ſie den Begriff der Exception gekannt
hätte, den Zuſatz-Verträgen nicht einmal die Wirkung einer Ex-
ception hätte zugeſtehen können, bedarf nicht erſt der Bemerkung;
denn was hätte dies anders geheißen, als den Grundſatz der
Einheit der Handlung verläugnen?
Zwei Rechtsgeſchäfte ſcheint aber dennoch das ältere Recht
gekannt zu haben, welche unſerm Princip der Einheit des Akts
ſpotteten: die Emancipation und Adoption. Beide erforderten
nämlich ſtatt eines einzigen Akts bei Söhnen ſechs oder ſieben,
bei Töchtern und Enkeln zwei Akte, die wiederum durch einen
längern Zwiſchenraum getrennt ſein konnten. Womit es zuſam-
men hing, daß beide Geſchäfte durch dreimaligen oder einmaligen
Verkauf vorbereitet werden mußten, iſt an früherer Stelle (B. 2
[150]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
S. 190, 484) angegeben. Daß der Zuſtand des Mancipiums,
durch den die Perſonen hindurch mußten, längere Zeit dauern
konnte (B. 2 S. 558, 559), ſteht unſerer Regel nicht entgegen;
die Akte, welche ihn begründeten und wiederum aufho-
ben, waren gewöhnliche Rechtsgeſchäfte.
So gilt demnach der Grundſatz der Einheit der Handlung
für das ältere Recht ganz ausnahmslos — ein zerſtückeltes
Handeln, beſtehe es darin, daß mehrere Perſonen, die gemein-
ſam ein Verhältniß zu errichten haben, abgeſondert die einzelnen
Akte vornehmen, oder darin, daß die Handelnden dem Rechts-
geſchäft ſpätere Zuſätze hinzufügen — ein ſolches Handeln hat
für das ältere Recht gar keine Wirkung.
Zu dem Akt der Handlung geſellen ſich noch verſchiedene Er-
forderniſſe hinzu, welche theils die perſönliche Fähigkeit des Han-
delnden, theils den Gegenſtand und den Inhalt des Rechtsge-
ſchäfts, theils gewiſſe durch den Zweck deſſelben gebotene Vor-
ausſetzungen betreffen. In welchem Moment müſſen dieſelben
vorhanden ſein? Darauf ertheilt das ältere Recht die Antwort:
im Moment der Handlung, und man möchte glauben, daß eine
andere Antwort kaum möglich ſei, denn wie könnte das Daſein
jener Vorausſetzungen in einem früheren oder ſpäteren Moment
ihren Mangel im Moment der Handlung erſetzen, da letztere erſt
durch ſie ihre Bedeutung und Wirkſamkeit erlangt? Wie kann
man ſchießen mit vergangenem oder zukünftigem Pulver?
Wenn die alten römiſchen Juriſten ſich durch dieſen Schein
logiſcher Nothwendigkeit haben beſtechen laſſen, ſo ſind wenigſtens
die ſpätern durch den Fortſchritt des Verkehrs und den Drang
der Verhältniſſe gezwungen worden, ſich des Vorurtheils zu
entſchlagen und ſich bewußt zu werden, daß ein Handeln in Er-
wartung und unter Vorausſetzung des künftigen Eintritts der
Erforderniſſe, oder gebrauchen wir dafür den Ausdruck: anti-
cipirtes Handeln durchaus nichts Widerſinniges hat. Die
[151]B. Das Rechtsgeſchäft. Concentration deſſelben. §. 53.
auf die äußerſte Spitze getriebene Ausnutzung des Realcredits
im ſpätern römiſchen Verkehr und die damit gleichen Schritt
haltende civiliſtiſche Nachgiebigkeit der römiſchen Jurisprudenz
brachte es bis zu dem Punkt, daß man den Akt der Verpfän-
dung vornehmen konnte zu einer Zeit, wo noch alle und jede
Vorausſetzungen zum Pfandrecht fehlten: die Forderung, der
Gegenſtand, das Eigenthum des Verpfänders an demſelben —
ein nackter, abſtracter Akt, ein Futteral ohne Inhalt, ein Rechts-
geſchäft „in blanco“!
Vergleicht man den Entſtehungsproceß eines ſolchen erſt ſpä-
ter ſubſtantiirten Rechtsgeſchäfts mit dem eines von Anfang an
in ſich fertigen, ſo beſteht die Verſchiedenheit darin, daß derſelbe
ſich bei jenem über einen ganzen Zeitraum hinzieht, bei dieſem
in einen Zeitpunkt fällt, daß dort die einzelnen Erforderniſſe
hinter einander, hier neben einander auftreten — ein Gegen-
ſatz, den wir paſſend als ſucceſſive und ſimultane Ent-
ſtehungsweiſe bezeichnen können.
Es liegt auf der Hand, daß derſelbe von eingreifender Be-
deutung iſt. Verſtattet man einmal die Anticipation des
Rechtsgeſchäfts, ſo drängt die Conſequenz mit Nothwendigkeit
auch zur Zulaſſung der Ratihabition und Convalescenz
deſſelben. Denn wenn einmal das Geſetz der Gleichzeitigkeit in
der Richtung aufgegeben iſt, daß der Wille dem ſonſtigen That-
beſtand des Rechtsgeſchäfts voraneilen kann (Anticipation),
warum ſollte er ihm nicht umgekehrt auch nachfolgen können
(Ratihabition), und wenn das Rechtsgeſchäft durch aus-
drückliche Willenserklärung in dem einen und andern Fall nach-
reifen kann, warum nicht auch ohne ſolche Erklärung durch
bloßes objectives Eintreten ſeines Thatbeſtandes (Convales-
cenz)? Alle dieſe drei Begriffe ſind aufs Engſte mit einander
verwandt; ſie beruhen ſämmtlich auf dem Gedanken der ſucceſ-
ſiven Entſtehungsweiſe.
Solche langgeſtreckte Rechtsgeſchäfte, wie ſie bei dieſer Ent-
ſtehungsweiſe zu Tage treten, wären dem älteren Recht wahr-
[152]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
ſcheinlich als civiliſtiſche Mißgeburten erſchienen. Das alte
Rechtsgeſchäft hat ein bloß punktuelles Daſein, die Minute
oder Sekunde, in die es fällt, entſcheidet bei ihm über Sein
und Nichtſein; von der Zeit hat es nichts zu hoffen und nichts
zu fürchten; was ihm fehlt, kann die Zukunft ihm nicht geben,
was es einmal hat, ihm nicht entziehen, es iſt von vornherein
abſolut feſt und unabänderlich. Nur zwei Ausnahmen läßt das
ältere Recht zu: das Teſtament und die bedingte Obligation (ſ. u.);
beide erwarten die Entſcheidung über ihre Exiſtenz erſt von der
Zukunft, befinden ſich alſo bis dahin im Zuſtande des Werdens
(der Pendenz). Wir wenden uns zunächſt der Regel zu.
Sie wird in unſern Quellen in einer doppelten Faſſung an-
erkannt, in der poſitiven: über die Exiſtenz des Rechtsgeſchäfts
entſcheide die Zeit des Abſchluſſes, 191) in der negativen: was
von Anfang an ungültig ſei, könne durch ſpätere Ereigniſſe nicht
zu Kräften kommen. 192) Außer dieſen allgemeinen Ausſprüchen
enthalten unſere Quellen noch eine Reihe einzelner Anwendungs-
fälle, welche der folgenden Darſtellung zur Grundlage dienen.
Die erſte Vorausſetzung der Gültigkeit einer jeden Hand-
lung iſt die perſönliche Fähigkeit der handelnden Perſonen,
und auf dieſes Requiſit hält auch noch das neuere Recht ſo ſtreng,
daß es die Umgehung deſſelben ſei es in Form der Anticipation
ſei es in der der Ratihabition oder der Convalescenz faſt aus-
nahmslos verwirft. 193) Eine eigenthümliche Geſtalt nahm dieſes
Erforderniß beim Teſtament an, inſofern es nämlich nicht auf die
[153]B. Das Rechtsgeſchäft. Concentration deſſelben. §. 53.
dabei thätigen Perſonen: den Teſtator und die Zeugen be-
ſchränkt, ſondern auch auf die honorirten Perſonen, gleich
als ob dieſelben dabei ebenfalls wenigſtens geiſtig in Thätigkeit
träten, erweitert ward. Eine Conſequenz davon war, daß ſie
ſelbſt nicht auf den Fall der künftigen Fähigkeit bedacht werden
konnten — ein Geſichtspunkt, aus dem ſich auch die Unzuläſſig-
keit der Einſetzung von postumi erklärt. 194)
Die perſönliche Fähigkeit, ſowohl die Rechts- als Hand-
lungsfähigkeit, braucht nur im Moment der Handlung vor-
handen zu ſein, 195) der ſpätere Wegfall derſelben iſt für das
Rechtsgeſchäft, welches als Akt keine Dauer hat, völlig
gleichgültig; inwieweit das Rechtsverhältniß dadurch be-
troffen werden kann, gehört nicht hierher. Daß und warum
bei pendenten Rechtsgeſchäften die Fortdauer der perſönlichen
Rechtsfähigkeit erforderlich iſt, kann erſt unten entwickelt werden.
Die zweite Vorausſetzung des Rechtsgeſchäfts iſt die juri-
ſtiſche Möglichkeit ſeines Inhalts. Die neuere Jurisprudenz
läßt in manchen Fällen Verträge auf den Fall der künftigen
Möglichkeit zu, 196) von der ältern haben wir kein Beiſpiel.
Die dritte Vorausſetzung iſt das Vorhandenſein der con-
creten Verhältniſſe, durch welche die Wirkſamkeit der Dispoſition
bedingt iſt, z. B. des Eigenthums, wenn es ſich um eine Ver-
fügung handelt, die nur der Eigenthümer mit Erfolg treffen
kann, der Erbſchaft, wenn ſie angetreten oder ausgeſchlagen wer-
den ſoll. Gerade nach dieſer Seite hin hat das neuere Recht ſich
193)
[154]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
weit von den Traditionen der alten Theorie entfernt, wie die
folgende Darſtellung zeigen wird.
„Was man ſelber nicht hat, kann man auch nicht
auf einen Andern übertragen“ — folglich, fügt das ältere
Recht hinzu, auch nicht vorher, bevor man es hat, allein das
neuere ſetzt ſich über dieſe vermeintliche Conſequenz hinweg. 197)
„Was man nicht hat, kann man nicht aufgeben“
— folglich, ſagt das ältere Recht, auch keine Erbſchaft ausſchla-
gen, bevor ſie deferirt iſt 198) — ein Schluß, den unſer heutiger
Erbverzicht widerlegt.
„Was Einem nicht angeboten, kann man auch
nicht annehmen“ — folglich, ſagt das ältere Recht, keine
Erbſchaft, bevor ſie deferirt iſt, die Bonorum possessio läßt ſich
nach neuerm Recht ſchon vorher (intra alienam vicem) agnos-
ciren.
Dispoſitionen, welche zu ihrer Wirkſamkeit das Eigenthum
vorausſetzen, z. B. die Freilaſſung des Sklaven, 199) das Vin-
dicationslegat, 200) erfordern daſſelbe im Moment ihrer Vor-
nahme. Conſequenterweiſe mußte die ältere Jurisprudenz daſſelbe
auch für die Obligation annehmen, wo ſie den Gegenſtand
oder die Vorausſetzung eines Rechtsgeſchäfts bildet. Die neuere
dagegen läßt hier eine Anticipation zu, ſo z. B. die Novation,
[155]B. Das Rechtsgeſchäft. Concentration deſſelben. §. 53.
Delegation, Acceptilation einer bedingten, die Verbürgung
für eine zukünftige Schuld. 201)
An letzterer würde das alte Recht ganz beſonders Anſtoß ge-
nommen haben, 202) denn es erblickt in der Bürgſchaft ein Ac-
ceſſorium der Hauptſchuld; daß aber das Acceſſorium der Haupt-
ſache vorangehen ſollte, iſt dem Geiſt des ältern Rechts völlig
zuwider. 203)
Das vierte Erforderniß eines jeden Rechtsgeſchäfts iſt die
Angabe des concreten Willensinhalts, alſo die des Gegen-
ſtandes, der Summe, des Rechts der gegenüberſtehenden Per-
ſon. Daß auch dieſe Momente ins Ungewiſſe geſtellt werden
können, lehrt ein Blick auf das ſpätere und (rückſichtlich der Per-
ſonen) auf das heutige Recht. Der Teſtator legirt „ſo viel, als der
Legatar den Geſetzen nach von der Maſſe bekommen kann“, 204) der
Promittent verſpricht „ſo viel, als das Urtheil erkennen oder als
ein Anderer ſchuldig werden werde“. 205) Der Arrogator eines Un-
mündigen verheißt deſſen Nachlaß, im Fall derſelbe während der
Unmündigkeit verſterben ſollte, „denen, welchen er gebührt“, 206)
der Auslobende heutzutage den Lohn „dem, der die Leiſtung vor-
[156]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
nimmt“, der Wechſel wird indoſſirt ohne Angabe des Indoſſatars
(in blanco) — kurz dieſer Gedanke der Erſtreckung des Rechtsge-
ſchäfts auf unbeſtimmte Verhältniſſe und Perſonen hat im ſpä-
tern römiſchen und im heutigen Recht eine ſehr weite Ausdehnung
erhalten. Daß das ältere Recht ihm keinen Zutritt gewähren
konnte und gewährt hat, braucht nicht erſt geſagt zu werden. 207)
Es war ein Gedanke, dem die Jurisprudenz ohne die größte Ge-
fahr für die Ordnung und Feſtigkeit des Rechts ſich erſt hingeben
durfte, als ſie, im ſichern Beſitz der techniſchen Meiſterſchaft, der
engen Formen und ſtrengen Regeln entrathen konnte, durch welche
die ältere ſich die techniſche Beherrſchung des Rechts hatte ſichern
müſſen. Daß jene völlig elaſtiſche, nach allen Seiten hin offene
Structur des Rechtsgeſchäfts eine große Gefahr in ſich ſchließt,
wer ſähe das nicht? Von der höchſten Freiheit bis zur Unge-
bundenheit und Anarchie iſt auch hier nur ein Schritt, und es
war ein richtiges Gefühl, welches die alte Jurisprudenz leitete,
hier, wie ſo oft, der größern Sicherheit des Rechts vor der
größern Bequemlichkeit den Vorzug zu geben.
Oder war jene etwa zu theuer erkauft? Waren die knappen
Formen, in die man das Rechtsgeſchäft wies, vielleicht zu eng,
verkümmerten ſie dem Verkehr das nöthige Maß der freien Be-
wegung? Die folgende Betrachtung ſoll uns Antwort auf dieſe
Frage geben.
Kein Verkehr, und wäre er noch ſo niedrig entwickelt, vermag
ſich ausſchließlich auf die Verhältniſſe in der Gegenwart zu be-
ſchränken; ſchon die einfachſten Bedürfniſſe treiben den Menſchen
in die Zukunft, und das Recht muß ihm die Formen gewäh-
ren, um ſich die Zukunft zu ſichern. Wer könnte, wenn er für den
Bau eines Hauſes einer Servitut bedarf, warten, bis das Haus
gebaut iſt, oder wenn er über ein halbes Jahr eine Wohnung
[157]B. Das Rechtsgeſchäft. Concentration deſſelben. §. 53.
nöthig hat, bis dahin den Miethcontract aufſchieben? Daraus
ergibt ſich die Nothwendigkeit des dies. Allein der dies reicht
nicht aus. Die Dispoſitionen für die Zukunft hängen in ihrer
Zweckmäßigkeit und Nothwendigkeit oft noch von zukünftigen
Verhältniſſen ab; dürfte man ſie nur ſchlechthin treffen, ſo
müßte man in manchen Fällen ſich ihrer zunächſt gänzlich enthal-
ten. Darauf beruht das Verkehrsbedürfniß der Bedingung.
Erſt ſie verleiht der Idee der rechtlichen Beherrſchung der
Zukunft ihre volle Verwirklichung, indem ſie das Mittel ge-
währt, Combinationen, Berechnungen, Erwartungen, kurz das
bloß Mögliche mit derſelben Sicherheit, als wäre es bereits
wirklich, in den Kreis unſerer Operationen zu ziehen — ſie
emancipirt von der Schranke der Gegenwart und ermöglicht es,
die Zukunft von ſich, ohne ſich von ihr abhängig zu
machen. 208)
Für den Verkehr unter Lebenden verweiſt das ältere Recht
jenen Gedanken der freien Dispoſition über die Zukunft aus-
ſchließlich in die Form der bedingten und betagten Obligation,
für das Teſtament realiſirt es ihn theils durch den Grundſatz der
freien Widerruflichkeit deſſelben, theils durch Zulaſſung des dies
und der conditio.
Alle Rechtsgeſchäfte unter Lebenden mit Ausnahme der Obli-
gation ſind auf die Gegenwart beſchränkt; der zunächſt für die
Klagformen des alten Proceſſes und die in jure cessio ausge-
ſprochene Satz: daß ſie ſämmtlich auf die Gegenwart lauten, 209)
[158]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
gilt auch für die Formeln der Rechtsgeſchäfte. Darin liegt alſo
die Ausſchließung ſowohl des dies als der conditio.
Von der Bedingung kennt das alte Recht nur eine Art: die
Suspenſivbedingung; die Reſolutivbedingung iſt ganz
jungen Datums. 210) Wenn es jene nun ausſchließlich auf die
Obligation beſchränkt, 211) den Verkehr alſo überall, wo der
Entſchluß zu irgend einem Geſchäft noch von zukünftigen Um-
ſtänden abhängt, auf die indirecte Anticipirung deſſelben in Form
des bedingten Verſprechens verweiſt, ſo dürfen wir dieſem
Gedanken den Ausdruck geben: das ältere Recht proklamirt für
alle Geſchäfte den Grundſatz der Reife. Wie ſie im Moment
ihrer Vornahme reif ſein ſollen rückſichtlich des Thatbeſtan-
des, ſo auch rückſichtlich des Entſchluſſes; wo zu letzterem
etwas fehlt, ſoll man mit der Vornahme des Geſchäfts ſelbſt
noch warten und ſich vorläufig mit der Form, die das Recht für
dieſen Zweck in Bereitſchaft hat: der Obligation, begnügen.
Für gewiſſe Geſchäfte iſt aber auch der Gebrauch dieſes
Mittels ausgeſchloſſen, ſie dulden alſo weder die directe, noch
die indirecte Anticipation. So zunächſt für alle Rechtsgeſchäfte
des Familienrechts. Zur Eingehung einer Ehe ſoll man ſich
nicht im voraus verpflichten (daher ſind die Sponſalien rechtlich
unverbindlich), eben ſo wenig zur Aufhebung derſelben. Daſſelbe
gilt von der Emancipation, Adoption und Arrogation. Alle
[159]B. Das Rechtsgeſchäft. Concentration deſſelben. §. 53.
dieſe Akte haben nach Anſicht des Rechts nur Werth, wenn ſie im
Moment ihrer Vornahme frei gewollt werden. Ganz daſſelbe
nimmt das römiſche Recht auch für die beiden erbrechtlichen Akte:
die Errichtung des Teſtaments und die Antretung der Erbſchaft
(B. 2 S. 230) an, und es beſchränkt ſich demnach die Möglichkeit
der Benutzung der Obligation (mit und ohne Zuſatz von dies und
conditio) als eines Sicherungsmittels der demnächſtigen Vor-
nahme des Rechtsgeſchäfts oder um es mit einem Wort auszu-
drücken: der indirecten Anticipirung (obligatoriſchen Disconti-
rung) des Rechtsgeſchäfts lediglich auf den vermögensrecht-
lichen Verkehr unter Lebenden.
Werfen wir jetzt die Frage auf, ob die alte Jurisprudenz da-
mit das Richtige getroffen, ſo möchte es ſchwer ſein, dies in Ab-
rede zu ſtellen. Allerdings würde es für den Betheiligten un-
gleich vortheilhafter ſein, wenn er ſich das künftige Recht anſtatt
auf obligatoriſchem auf dinglichem Wege zuſichern laſſen könnte
d. h. mit der Wirkung, daß daſſelbe mit Eintritt des Tages oder
der Bedingung von ſelbſt ihm anfiele. Und in der That hat das
ſpätere römiſche Recht dieſen Weg eingeſchlagen, theils nämlich
beim Eigenthum durch Zulaſſung der bedingten Tradition —
hier ankert das Verhältniß aber doch noch mit dem Erforderniß
des gegenwärtigen Eigenthums des Beſtellers und dem
äußern Akt der Beſitzübertragung in dem feſten Grunde der
Gegenwart; theils durch Zulaſſung der Verpfändung zukünftiger
Sachen — hier treibt es, ſo zu ſagen, ohne allen Halt und ohne
feſte Richtung auf hoher See umher. Dieſe letztere Form wäre
der bloßen juriſtiſchen Idee nach die vollkommenſte, aber vom
ökonomiſchen, legislativ-politiſchen Standpunkte aus ruft ſie die
gewichtigſten Bedenken wach, und der Umſtand, daß unſere mo-
dernen Geſetzgebungen über das Hypothekenweſen mit Aufſtel-
lung des Grundſatzes der Specialität ſich zum großen Theil
wiederum von ihr losgeſagt haben, kann uns lehren, daß ſie
dem wirklichen Intereſſe des Verkehrs eher widerſpricht, als för-
derlich iſt. Durch die Idee der privatrechtlichen Autonomie
[160]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
(B. 2 §. 33) iſt ſie keineswegs geboten. Wie ließe ſich auch der
Anſpruch rechtfertigen bei Verhältniſſen, die ganz auf die Zukunft
geſtellt ſind, derſelben Sicherheit theilhaftig zu werden, die das
Recht für diejenigen bietet, welche auf dem realen Boden der Ge-
genwart ruhen, worauf die Berechtigung ſich gründen, ſtatt der
gegenwärtigen Perſon des Verſprechenden bereits die künftigen
Verhältniſſe, bevor ſie noch exiſtiren, in Bande zu ſchlagen? So
kann ich alſo mein Geſammturtheil nur dahin abgeben, daß die
alte Jurisprudenz im Weſentlichen das völlig Richtige traf, wenn
ſie die Dispoſitionen über künftige Verhältniſſe in die Form der
bedingten und betagten Obligation verwies.
Vom Standpunkt der Technik aus knüpft ſich an die bedingte
Obligation ein eigenthümliches Intereſſe, nämlich das einer Er-
ſcheinung, zu der uns das alte Recht ſonſt kein Gegenſtück dar-
bietet: der ſucceſſiven Entſtehung des Rechtsgeſchäfts. Denn
während die betagte Obligation bereits ſofort zur Exiſtenz ge-
langt, und der Tag nur ihre Erfüllung hinausſchiebt (ſ. u.),
befindet ſich die bedingte bis zum Eintritt der Bedingung in dem
Zuſtand des Werdens, der Bildung — ein Zuſtand, den
das Recht (ich möchte faſt ſagen: ähnlich wie beim nasciturus!)
durch das Verbot aller ſtörenden Eingriffe in den ruhigen Ver-
lauf des Entwicklungsproceſſes in Schutz nimmt. 212) Wie beim
nasciturus von der Conception bis zur Geburt zieht ſich hier der
Entſtehungsproceß des Rechtsgeſchäfts von dem Akt ſeiner Vor-
nahme bis zum Eintritt der Bedingung hin, er füllt einen Zeit-
raum, keinen bloßen Zeitpunkt. Conſequenterweiſe verlangen
daher die römiſchen Juriſten, daß die Erforderniſſe der Mög-
lichkeit der Entſtehung des Rechtsgeſchäfts von Anfang bis zu
Ende fortdauern müſſen 213) — ein Satz, zu dem uns ſofort das
Teſtament eine Parallele liefern wird. Und nicht minder kann
[161]B. Das Rechtsgeſchäft. Concentration deſſelben. §. 53.
ich es nur conſequent finden, wenn ſie das Rechtsgeſchäft vom
Tage ſeiner Conception datiren; dies iſt nämlich die Bedeu-
tung der rückwirkenden Kraft der Bedingung (B.2 S.396). Denn
der Akt der Handlung iſt an jenem Tage vorgenommen, und alle
Elemente ſeines Thatbeſtandes lagen damals bereits vor. 214) War
dies nicht der Fall, ſo verſchiebt ſich wiederum ganz conſequent
das Datum der Entſtehung des Rechtsgeſchäfts auf den Tag, wo
das letzte noch fehlende Requiſit eintritt. 215) Daß die römiſchen
Juriſten den Geſichtspunkt der rückwirkenden Kraft der Bedingung,
ganz abgeſehen von theoretiſchen Gründen, praktiſch gar nicht
entbehren konnten, ſollte nicht Gegenſtand des Zweifels ſein. 216)
Daſſelbe Bedürfniß, das die Obligationen im Verein mit dem
dies und der conditio für Rechtsgeſchäfte unter Lebenden zu be-
friedigen beſtimmt ſind, wiederholt ſich in verſtärktem Maße für
die letztwilligen Dispoſitionen. Denn während jene Geſchäfte
ſich gleichmäßig in der Gegenwart und Zukunft bewegen, iſt das
Gebiet der letzteren ausſchließlich die Zukunft, die Zeit nach dem
Tode des Teſtators. Eben darum iſt das Teſtament ſtets und
nothwendig das, was die Obligation nur dadurch, daß ſie die
Bedingung aufnimmt, ſein kann: ein ſchwebendes, unfertiges
Geſchäft. Um dem Teſtator die völlig freie Herrſchaft über die
213)
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 11
[162]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Zukunft zu ſichern, iſt dem Teſtament gerade die Eigenſchaft beige-
legt, welche die Rechtsgeſchäfte unter Lebenden vernichten würde:
die abſolute Widerruflichkeit. Gewährt ſie dem Teſtator die
Macht über das Stück der Zukunft, das er ſelbſt noch erlebt, ſo
verſchafft die Bedingung und der dies ihm die Macht über die
Zeit nach ſeinem Tode. In welche Gränzen letztere eingeſchloſſen
iſt, hat für den vorliegenden Zweck kein Intereſſe.
Aus dem Zuſtand der Pendenz, in welchem das Teſtament
im Ganzen ſowohl wie alle ſeine einzelnen Beſtimmungen ſich bis
zu ihrer Realiſirung befinden, folgt in gleicher Weiſe wie bei der
Obligation, daß diejenigen Requiſite, welche ſich nicht mit dem
Akt der Teſtamentserrichtung erſchöpfen, (Fähigkeit der zugezo-
genen Zeugen und factiſches Willensvermögen des Teſtators
Note 53,) ſondern in dauernder Beziehung zu dem Zweck des
Teſtaments ſtehen, (testamenti factio des Teſtators und der ein-
geſetzten Perſonen,) auch nachher fortdauern müſſen. Und zwar die
des Teſtators unausgeſetzt bis zu ſeinem Tode, denn das Teſta-
ment repräſentirt nicht einen Willensakt von ihm, ſondern ein
fortdauerndes Wollen, dieſes Wollen aber hört auf, nicht bloß
wenn dies in der gehörigen Form erklärt wird, ſondern auch
wenn der Teſtator die Fähigkeit rechtlich zu wollen (testamenti
factio) einbüßt. 217) Etwas anders wird die testamenti factio
der honorirten Perſonen beſtimmt, eben weil ihre Stellung zum
Teſtament eine andere iſt. Sie wird nämlich zuerſt verlangt in
dem Moment, wo der Teſtator in Beziehung zu ihnen tritt, in
dem der Teſtamentserrichtung. Von da an aber hört ihre Be-
ziehung zum Teſtament bis zum Moment der Delation auf, und
folgeweiſe iſt der Beſitz oder Mangel der testamenti factio wäh-
rend dieſer Zeit unſchädlich. 218) Von der Delation an aber muß
ſie natürlich bis zum Moment der Acquiſition fortdauern. 219)
[163]B. Das Rechtsgeſchäft. Concentration deſſelben. §. 53.
Die bisherige Ausführung über die bedingte Obligation und
das Teſtament läßt unſere obige Regel (S. 150 fl.), derzufolge
der ganze Thatbeſtand des Rechtsgeſchäfts im Moment ſeiner
Vornahme vorhanden ſein muß, unangetaſtet, dagegen hat ſie
allerdings gezeigt, daß der Schluß, den wir auf ſie gebaut ha-
ben, nämlich der, daß das Rechtsgeſchäft in jenem Moment ſo-
fort entweder exiſtiren oder nicht exiſtiren müſſe, ein Zuſtand der
Unentſchiedenheit oder des Werdens aber nicht möglich ſei, einer
Einſchränkung bedarf. Wie wenig aber dieſe beiden Fälle, in
denen ausnahmsweiſe der Richter ſtatt des Zeitpunktes einen
Zeitraum ins Auge zu faſſen hat, geeignet ſind, unſere Lehre
von der Bedeutung des Zeitpunktes im älteren Rechte (der
„punktualiſirenden Methode“ S. 25) zu erſchüttern, dafür möge
es mir noch verſtattet ſein, zwei Erſcheinungen in Bezug zu neh-
men, von denen die eine noch in das Gebiet des Rechtsgeſchäfts
hineinreicht, die andere aber wenigſtens an daſſelbe anſtreift.
Wenn der Teſtator eine Capitis deminutio erleidet, ſpäter-
hin aber die dadurch verlorene Rechtsſtellung wiedererlangt, ſo
bleibt das Teſtament gleichwohl nach Civilrecht ungültig (irri-
tum); ebenſo wenn ihm ein Kind geboren wird, das im Teſta-
ment nicht berückſichtigt war, aber vor ihm ſtirbt (ruptum). In
beiden Fällen — und da zeigt ſich wiederum der principielle Ge-
genſatz in der Methode und Auffaſſung — hält das prätoriſche
Recht das Teſtament in Form der Bon. Poss. secundum tabulas
aufrecht. Der Gegenſatz beider Behandlungsweiſen reducirt ſich
vom Standpunkt der Technik aus auf den bisher von uns ent-
wickelten. Das alte Civilrecht beſchränkt ſich in der Würdi-
gung jener Ereigniſſe lediglich auf den Moment ihres Eintritts,
die Nachgeſchichte derſelben kommt nicht in Betracht. 220) Das
prätoriſche Recht hingegen verfolgt dieſelben bis zum Moment
des Todes. Das zweite Beiſpiel bietet die Uſucapion. Das
11*
[164]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
römiſche Recht erfordert die bona fides nur im Moment des
Beginns derſelben (in initio), das kanoniſche während der gan-
zen Dauer (continua), der Einfluß der Beſitzunterbrechung er-
ſchöpft ſich nach römiſchem Recht in und mit dem Moment, d. h.
es iſt gleichgültig, ob ſie ſofort wieder aufgehoben wird oder
fortdauert, neuere Rechte knüpfen den nachtheiligen Einfluß die-
ſes Uſucapionshinderniſſes an ſeine Dauer (B. 2 Note 592).
Wenn der Thatbeſtand des Rechtsgeſchäfts vorliegt, ſo exi-
ſtirt es, und daß es exiſtirt, äußert es dadurch, daß es wirkt
— ein Aufſchub der Exiſtenz oder der Wirkungen des Rechtsge-
ſchäfts enthält demgemäß eine logiſche Unmöglichkeit. Freilich
auf die Ausübung des erlangten Rechts kann der Berechtigte
vorerſt noch verzichten, er kann die Sache, von der er durch
Mancipation oder Tradition das Eigenthum erlangt hat,
vorläufig im Beſitz des Gebers laſſen, allein daß ungeachtet
der Vornahme jener Akte das Eigenthum ſelbſt nicht auf ihn
übergehen ſoll, das kann kein Vertrag feſtſetzen, denn das würde
den Willen mit ſich ſelber in Widerſpruch ſetzen. Wo dieſer Er-
folg dennoch beabſichtigt iſt, d. h. wo bis zu einem beſtimmten
Zeitpunkt der Eine, und von da an der Andere das Eigenthum
haben ſoll, müſſen die Partheien die Form der Obligation wäh-
len — eine Eigenthumsbeſtellung ex die, ein der Zeit nach im
voraus hinter einander geſchichtetes Eigenthum mehrerer Perſo-
nen iſt eine Unmöglichkeit.
So das römiſche Recht; wenigſtens glaube ich im Geiſte des-
ſelben die Sache ſo auffaſſen zu dürfen. Ob ſich nicht dennoch
eine andere Auffaſſungsweiſe denken ließe, darüber brauche ich
nach meiner obigen Ausführung (S. 59) über die abſtracte
Denkbarkeit einer Anticipation dinglicher Rechtsgeſchäfte mich
nicht weiter zu äußern. Daß aber der Eigenthumsbegriff durch
dieſe Zerſtückelung und Zertheilung in ſeinem innerſten Grunde
[165]B. Das Rechtsgeſchäft. Simultaneität der Wirkungen. §. 53.
erſchüttert werden würde, daß alſo, wenn wir mit den poſitiv
gegebenen Größen und nicht mit bloß denkbaren operiren wollen,
die oben behauptete juriſtiſch-logiſche Unmöglichkeit voll-
kommen begründet iſt, wird nicht beſtritten werden.
Der Satz, den ich ſo eben für das Eigenthum aufgeſtellt habe,
gilt für ſämmtliche Rechtsbegriffe. Ein leerer Zwiſchenraum
zwiſchen dem Rechtsgeſchäft und der Entſtehung des Rechts iſt
eben ſo unmöglich, wie eine Trennung von Urſache und Wirkung,
oder eine Geburt, bei der das Leben erſt nach einiger Zeit be-
ginnen ſoll. Bei allen Rechtsgeſchäften 221) unter Lebenden iſt
demgemäß die Vertagung der Exiſtenz des Rechts (dies ex
quo) 222) unmöglich. Davon macht auch die Obligation keine Aus-
nahme; ſie entſteht bekanntlich ſofort, auch wenn die Erfül-
lung bis zu einem beſtimmten Termin hinaus geſchoben iſt. 223)
Nur beim Teſtament begründet auch hier wiederum der Ge-
ſichtspunkt, daß es die Zukunft zu ſeinem Gebiet hat, inſofern
eine Abweichung, als der Teſtator, wenn auch nicht die Erbes-
einſetzung, ſo doch das Legat an einen beliebigen Zeitpunkt
knüpfen kann.
Die Vertagung der bloßen Ausübung des factiſchen Genuſſes
des Rechts würde mit dem obigen Princip nicht unverträglich
ſein, und hätte die ältere Jurisprudenz die Ausübung als etwas
Rechtliches aufgefaßt, ſo würde ihr die Form der deductio das
Mittel dargeboten haben, jenen Zweck zu erreichen. Allein die
Regel von der Unzuläſſigkeit des dies ex quo wird für das ältere
[166]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Recht ganz allgemein ausgeſprochen, gilt mithin auch in dieſer
Richtung.
So bewährt ſich demnach der Geſichtspunkt der Concentra-
tion auch für die Wirkungen des Rechtsgeſchäfts, es gilt für
ſie daſſelbe Geſetz der Gleichzeitigkeit, wie für die Vorausſetzun-
gen deſſelben. Alle Momente des Rechtsgeſchäfts: der äußere
Akt der Handlung, der Thatbeſtand, die Exiſtenz und die Wirk-
ſamkeit deſſelben fallen mithin in den einen Fokus zuſammen,
das geſammte Rechtsgeſchäft iſt ein einziges untheilbares
Ganze.
Dieſe Untheilbarkeit läßt ſich noch für einen andern Satz der
Theorie des alten Rechtsgeſchäfts verwenden, nämlich für den der
Unzuläſſigkeit der Stellvertretung. 224) Die wahre,
ächte Stellvertretung beruht auf einer Trennung der Urſache und
Wirkung beim Rechtsgeſchäft; die Urſache: die Handlung fällt
auf die Perſon des Stellvertreters, die Wirkung: das Recht auf
die des Repräſentirten, ſie ſchließt alſo eine künſtliche Spaltung
deſſen in ſich, was bei der natürlichen Geſtalt des Verhältniſſes
eins iſt. 225) Ich bin zwar nicht gemeint, in einem formal tech-
niſchen Gedanken den letzten Grund der Ausſchließung der
Stellvertretung zu erblicken, allein gleichwohl iſt es höchſt beach-
tenswerth, daß auch dieſes Stück der Theorie des alten Rechts-
geſchäfts ſich einem Geſichtspunkt fügt, den wir im übrigen für
die ganze Structur des alten Rechtsgeſchäfts bewährt gefunden
haben.
[167]B. Das Rechtsgeſchäft. Simultaneität der Wirkungen. §. 53.
Dieſer Satz, daß das Rechtsgeſchäft in der Perſon des Han-
delnden ſeine Wirkungen äußern müſſe, gilt auch in Bezug auf
das Verhältniß des Erblaſſers zum Erben. Die letztwilligen
Verpflichtungen, die jener dieſem auferlegt, entſtehen erſt in der
Perſon des letztern, dagegen die durch Rechtsgeſchäft unter Leben-
den begründeten Verpflichtungen und Forderungen müſſen ihren
Urſprung umgekehrt noch in der Perſon des Erblaſſers nehmen,
laſſen ſich alſo nicht auf die Zeit nach ſeinem Tode ſtellen. 226)
Hiermit iſt das Ziel, das wir uns geſteckt haben, erreicht,
und es iſt jetzt an der Zeit, die einzelnen zerſtreuten Züge, die
uns theils die gegenwärtige, theils frühere Darſtellungen,
wie namentlich die über den Formalismus, zu dem Bilde des
alten Rechtsgeſchäfts geliefert haben, zu einem Totalein-
druck zuſammen zu faſſen. Wie alles, was aus den Händen
der alten Jurisprudenz hervorgegangen iſt, ſo trägt auch das
Rechtsgeſchäft den Charakter ſchärfſt ausgeprägter Individuali-
tät. Das iſt keine bloße Willensmaſſe, die das ſouveräne Be-
lieben der Partheien zuſammen gegoſſen hat, und die erſt der
Kunſt des Richters harrt, um geſchieden zu werden: Kauf,
Miethe, Eigenthum, Servituten, Pfandrecht, Verzicht u. ſ. w.
in einem Gemenge durcheinander, ſondern das ſind Indivi-
duen, wie die alten Actionen, äußerlich und innerlich,
genau begränzt nach Seiten des Inhalts, den ſie aufnehmen
dürfen, unfähig etwas anderes zuzulaſſen, als was ihr Begriff
ihnen verſtattet. Mit dem Moment, mit dem ſie ins Daſein tre-
ten, fertig und vollendet, ſchließen ſie ſich eben ſo ſtreng gegen
die Vergangenheit wie die Zukunft ab; gegen jene, indem ſie
[168]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
alles, was dieſſeits von ihnen liegt, durch die Form, die das
Rechtsgeſchäft von der Vorverhandlung ſcheidet, für immer ab-
ſchütteln und ſich ganz auf ſich ſelbſt und das, was in ihnen zu
Tage tritt, beſchränken — offenſichtlich gegen die Zukunft,
indem ſie in dem Moment ihres Auftretens auch ſofort in allen
ihren Theilen erſtarren und unabänderlich werden, keine ſpätern
Zuſätze und Nachträge dulden, keine Unentſchiedenheit und Un-
beſtimmtheit, keine Frage, die ihre Löſung erſt von der Zu-
kunft zu erwarten hätte, keinen Aufſchub der Wirkung, ſon-
dern ganz, wie ſie ſind, geſtellt auf den ſichern, realen Boden
der Gegenwart, und ſofort ihre Kraft bethätigend.
Das die Structur und Phyſiognomie des alten Rechtsge-
ſchäfts! Gewiß ein würdiges Seitenſtück zur alten Actio, beide
würdig der Bezeichnung von Individuen und plaſtiſchen
Geſtalten. Derſelbe Zug juriſtiſcher Disciplin geht durch beide
hindurch — jener Zug, an den faſt jedes Bruchſtück des alten
Rechts uns erinnert. Ob dieſe Disciplin auf dieſem Gebiet des
Rechts ſchwerer vom Leben empfunden, ob die knappen Formen
und ſtreng abgemeſſenen Bahnen, in die ſie den Verkehr zwang,
die freie Regung und Bewegung deſſelben mehr gehindert, als
die entſprechenden Einrichtungen des Proceſſes — nun, das
glaube ich nach dem, was ich über dieſe Frage bei Gelegenheit
des letztern und an andern Stellen (B. 2 S. 442, 530) bemerkt
habe, billig dem Urtheil des Leſers überlaſſen zu dürfen.
[169]C. Die abſtracte Analyſe. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54.
Rechtskörper.
Gegenſatz des ältern und neuern Rechts — zuſammengeſetzte und
einfache Rechtskörper — Maßſtab der Einfachheit — juriſtiſche
Geſtaltung des Obligationselements in nicht-obligatoriſchen Ver-
hältniſſen (analytiſche Compoſition der alten rei vindicatio) —
Prüfung der Rechte vom analytiſchen Standpunkt — Gedanke der
Einſeitigkeit der Rechtsverhältniſſe.
‘Nihil admixtum, nihil concretum, nihil copulatum,
nihil coagmentatum, nihil duplex.’
(Cic. Tusc. disp. I. c. 29.)
LIV. Die bisher behandelte concrete Analyſe hatte die
Rechtsverhältniſſe zum Gegenſtande, ſie hat uns gezeigt,
wie bei der Begründung und gerichtlichen Geltendmachung der-
ſelben, d. i. wie im Mechanismus des Rechtsgeſchäftes und Pro-
ceſſes der Gedanke der Zerſetzung zur Geltung gelangte. Die
folgende Unterſuchung beſchäftigt ſich mit den Rechtsbegrif-
fen, ſie ſoll ermitteln, welchen Antheil der Gedanke der Zer-
ſetzung an der Bildung des abſtracten Rechts, an der Stru-
ctur der materiellen Rechtsbegriffe gehabt hat. Einer richtigen
logiſchen Anordnung zufolge, ſcheint es, hätte dieſe letztere Un-
terſuchung der erſten vorangehen ſollen, denn vorher müſſen die
Begriffe doch erſt da ſein, bevor ſie angewandt werden können.
Allein dies iſt nur in der Idee wahr; in der Wirklichkeit bilden
ſich die Rechtsbegriffe und die Formen ihrer Anwendung, das
materielle Recht, der Proceß und das Rechtsgeſchäft, nicht eins
nach dem andern aus, ſondern gleichzeitig, wie die verſchiedenen
Theile des menſchlichen Körpers. Der Grund, der jene Anord-
nung empfahl, hängt mit dem eigenthümlichen Verhältniß zu-
ſammen, welches in der Jugendperiode des Rechts zwiſchen dem
materiellen Recht und Proceß obwaltet (S. 18 fl.). Während
in der abſtracten Periode des Rechts, in der wir uns heute be-
[170]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
finden, die Begriffe des materiellen Rechts ſich bis zu einem
gewiſſen Grade ganz für ſich allein behandeln laſſen — ich
möchte hinzufügen: gar zu oft ſelbſt über dieſen Grad hinaus es
werden! —, Proceß und materielles Recht ſich hier faſt fremd
gegenüber ſtehen, ſind dieſe beiden Theile auf jener Entwicke-
lungsſtufe des Rechts in dem Maße verbunden und verwach-
ſen, daß die meiſten Begriffe des materiellen Rechts überhaupt
nur, wenn ich ſo ſagen darf, exiſtiren als proceſſualiſche Be-
griffe: die Forderung als actio in personam, das Nexum als
manus injectio, gewiſſe andere Anſprüche als pignoris capio
u. ſ. w. Macht dieſe innige Verbindung einerſeits eine ſtreng
durchgeführte Trennung beider Seiten geradezu zur Unmöglich-
keit — was ich für dieſen ganzen Abſchnitt wohl zu beherzigen
bitte — ſo hat ſie andererſeits für mich zu Gunſten der von mir
befolgten Anordnung den Ausſchlag gegeben. Es geſellte ſich noch
ein anderer Umſtand hinzu. Die Schwierigkeiten einer jeden
Darſtellung ſteigern ſich in demſelben Maße, in dem ſie vom
Aeußern ins Innere vordringt. Im Proceß, im Rechtsgeſchäft
ſpielt der Gedanke der Zerſetzung noch auf der Oberfläche, es iſt
eine Maſchinerie, ein äußerer Mechanismus, den man ſehen,
ſelbſt ein blödes Auge ſehen kann, dagegen im materiellen Rechte
zieht er ſich ins Innere zurück, dem bloßen Auge nicht mehr
ſichtbar, und nur auf künſtlichem, mühſamem Wege durch
Schlüſſe und Abſtractionen dem Kundigen erreichbar.
Dieſe Steigerung der Schwierigkeiten in der Darlegung des
analytiſchen Elements iſt übrigens keineswegs mit einer Steige-
rung ſeiner ſelbſt verbunden. Im Gegentheil kann man ſagen: der
Einfluß dieſes Elements verringert ſich mit dem Fortſchreiten vom
Aeußerlichen zum Innerlichen immer mehr; er gipfelt im Pro-
ceß und Rechtsgeſchäft, im materiellen Recht ſchwächt er ſich ab.
Ganz erklärlich! Der Mechanismus des Proceſſes und
Rechtsgeſchäftes iſt etwas rein Formales, bei ihm hat ein for-
meller Gedanke, wie es der der Zerſetzung iſt, völlig freies
Spiel, dagegen auf dem Gebiete des materiellen Rechts geſellen
[171]C. Die abſtracte Analyſe. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54.
ſich ihm als geſtaltende Faktoren Gedanken anderer, materieller
Art hinzu, mit denen er ſich in die Herrſchaft zu theilen hat.
Während daher bei jenen beiden der Geſichtspunkt der Analyſe
ausreichte, um das ſpecifiſch juriſtiſche Intereſſe derſelben, ſoweit
es nicht ſchon früher berührt ward (§. 44—47), vollſtändig zu
erſchöpfen, ſo daß wir alſo fortan in dieſem Syſtem uns mit
ihnen nicht mehr werden zu beſchäftigen haben, iſt dies für die
Begriffe des materiellen Rechts keineswegs der Fall, wir wer-
den vielmehr genöthigt ſein, auf ſie ſpäter noch ausführlich zu-
rückzukommen (Theorie der Rechte).
Aber hat denn jener Gedanke überhaupt einen Antheil an
der Bildung der Begriffe? Was hat die Analyſe gemein mit
dem Eigenthum, der väterlichen Gewalt, dem Erbrecht? Was
hätte die Jurisprudenz an dieſen Begriffen, die ſie ihrer Sub-
ſtanz nach fertig aus den Händen des Lebens überkam, noch
zerſetzen können? Was ihr erübrigte, war Nichts, als die rea-
len Thatſachen und Verhältniſſe der Sitte und des Verkehrs in
die Form des Begriffs zu bringen. In gewiſſem Sinn kann
man zwar auch dieſe Thätigkeit eine analytiſche und jeden Be-
griff ein Zerſetzungsproduct nennen, inſofern nämlich die Bil-
dung der Begriffe darauf beruht, daß der denkende Geiſt aus
der flüſſigen Gedankenſubſtanz einen Stoff nach dem andern
herausgreift, ihn abgränzt und abſcheidet und zur Selbſtändigkeit
des individuellen logiſchen Seins erhebt. Aber in dieſem Sinn
iſt die Analyſe, die hier zur Frage ſteht, nicht gemeint, in die-
ſem Sinn iſt ſie eine allgemeine logiſche, keine ſpecifiſch-juriſti-
ſche Operation.
Der ſo eben aufgeworfene Zweifel wurzelt in einer An-
ſchauung, die, ohne je wiſſenſchaftlich begründet, in Frage ge-
ſtellt oder überhaupt nur einmal beſtimmt ausgeſprochen zu ſein,
doch als ſtillſchweigendes Axiom allgemein verbreitet iſt. Ich
faſſe ſie in die Formel zuſammen: die Rechtsbegriffe ſind keine
Kunſt-, ſondern Naturproducte. Bei der Theorie der Rechte
werde ich Gelegenheit finden, näher auf ſie einzugehen und ſie
[172]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
vollſtändig zu widerlegen; rückſichtlich des uns hier zunächſt
intereſſirenden Geſichtspunktes wird letzteres bereits im Folgen-
den geſchehen. Die Begriffe des ältern Rechts ſind nicht ein-
fache Formulirungen der Verhältniſſe, wie ſie thatſächlich im
Leben vorkamen, ſondern ſie ſind nach den Geſetzen der Analyſe
in eine ſpecifiſch-juriſtiſche, dem naiven Denken des Laien fremde
Form gebracht — ihre Structur verdanken ſie nicht den rea-
len Motiven, Zwecken, Impulſen des Lebens, ſondern der
Kunſt.
Zwei Richtungen ſind es, in denen ſich dieſe Kunſt in der
analytiſchen Geſtaltung der Rechtsbegriffe thätig erwieſen, zwei
Geſetze, durch die ſie dieſelbe vermittelt hat. Das eine bezeichne
ich als Geſetz der elementaren Einfachheit der Rechts-
körper, das zweite als Geſetz der analytiſchen Ver-
einfachung des Thatbeſtandes (§. 55). Beide kenn-
zeichnen ſich ſofort als ächt-juriſtiſche Ideen, als Producte der
Reflexion und eigenthümliche Kunſtgriffe, beide reichen offenbar
in jene Zeit hinauf, wo von einer Jurisprudenz im ſpätern
Sinn noch keine Rede war, ſie gehören zu dem älteſten Stück
römiſcher Jurisprudenz, das uns überliefert iſt. In ihren Nach-
wirkungen, in den Inſtituten, in denen ſie einmal fixirt waren,
erhielten ſie ſich allerdings noch bis in die ſpätere Zeit hinein,
nicht aber als productive Principien — die poſitiv neuen Bil-
dungen des ſpätern Rechts athmen einen andern Charakter, ſind
in einem ganz andern Styl angelegt. Eben darum weiſe ich beide
ausſchließlich dem ältern Recht zu, dem die Ehre ihrer Erfin-
dung gebührt, ohne im dritten Syſtem auf ſie nochmals zurück-
zukommen.
Das erſte Geſetz, das der elementaren Einfachheit der Rechts-
körper, dem ich mich jetzt zuwende, beſchränkt ſich auf die ſtruc-
tuelle Geſtaltung der von mir früher (B. 2. S. 372) ſo ge-
nannten ſelbſtändigen oder concreten Rechtskörper, d. h. der-
jenigen, welche im Gegenſatz zu den abſtracten, die nur in und
[173]C. Die abſtracte Analyſe. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54.
an andern vorkommen, ſich ſelbſtändig verwirklichen, zu concre-
ten Rechtsverhältniſſen geſtalten können, wie z. B. die Obliga-
tion, das Eigenthum. Eine Vergleichung derjenigen dieſer Be-
griffe, die dem neuern Recht ihren Urſprung verdanken, mit
denen des ältern führt zu dem überraſchenden Reſultat, daß
erſtere faſt ausnahmslos aus zwei ſyſtematiſch verſchiedenen Be-
griffen zuſammengeſetzt ſind, während letztere nicht bloß kein ein-
ziges derartiges Beiſpiel aufzuweiſen haben, ſondern vielmehr
in allen Fällen, wo der natürliche Thatbeſtand des Verhältniſſes
einen Zwang dazu in ſich zu ſchließen ſcheint, demſelben in einer
Weiſe ausweichen, die über die Abſichtlichkeit dieſer Wendung
und das ihm zu Grunde liegende Motiv keinen Zweifel aufkom-
men läßt. Die erſtere Behauptung möge durch eine tabellariſche
Ueberſicht, bei der ich auch Beiſpiele aus dem heutigen Recht
aufgenommen habe, veranſchaulicht werden.
Es verbinden ſich zur Einheit des Rechtsbegriffes:
[174]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Wenn nun das ältere Recht, wie ſofort gezeigt werden ſoll,
kein einziges derartiges Beiſpiel darbietet, ſo könnte dies mög-
licherweiſe darin ſeinen Grund haben, daß es der älteren Zeit
an der Subſtanz dafür gefehlt habe. Man könnte meinen, jene
complicirten Bildungen ſeien das Kennzeichen und das Product
einer höhern Stufe der wirthſchaftlichen Entwicklung, die ein-
fachen Verhältniſſe der frühern Zeit hätten auch nothwendiger-
weiſe in einfachen Begriffen ihren Ausdruck gefunden. Dieſe
Vorſtellung iſt eine irrige, ſie widerlegt ſich einfach durch den
Hinweis auf ſolche Verhältniſſe des ältern Rechts, die das Ma-
terial zu einer derartigen Begriffsbildung in ſich ſchloſſen, und
die Art und Form ihrer juriſtiſchen Geſtaltung. Letztere beſteht
nicht, wie im neuern Recht, in einer Verſchmelzung der hetero-
genen Elemente zur Einheit des Begriffs, ſondern in einem äußer-
lichen Nebeneinanderſtellen der verſchiedenen einfachen Begriffe,
in einem ſeparaten, ſucceſſiven Operiren mit jedem einzelnen von
ihnen. Das ganze Verhältniß wird ſtückweiſe errichtet, es iſt nicht
Ein juriſtiſches Ganze, ſondern eine Combination von verſchie-
denen, ökonomiſch zwar durch den gemeinſamen Zweck ver-
bundenen und um ihn als ihren Mittelpunkt gravitirenden,
juriſtiſch aber völlig ſelbſtändigen Begriffen.
Das Geſetz ſelbſt, welches hier zur Anwendung gelangt, iſt
klar: die ältere Jurisprudenz duldet nur einfache, keine zuſam-
mengeſetzten Körper. Aber was heißt: einfache und zuſammen-
geſetzte Körper, nach welchem Maßſtabe beſtimmte die Jurispru-
[175]C. Die abſtracte Analyſe. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54.
denz den Begriff der Einfachheit? Die Antwort lautet: nicht
darnach, ob ein Verhältniß des Lebens ſeinem Zweck, ſeiner Be-
ſtimmung nach ein für ſich abgeſchloſſenes Ganze bildete (öko-
nomiſche Einheit), ſondern darnach, ob daſſelbe mit Hülfe der
von ihr angenommenen juriſtiſchen Grundbegriffe ſich noch wei-
ter zerlegen ließ. Der Maßſtab war alſo kein abſoluter, ſon-
dern ein relativer, ein hiſtoriſcher, aber gleichwohl ein ganz be-
ſtimmter. Zuſammengeſetzt war ein Verhältniß, das einen Be-
griff, der als ſolcher im Leben vorkommen konnte,
als Element ſeiner Subſtanz in ſich ſchloß. Darum war z. B.
der Kaufcontract ein zuſammengeſetzter Körper, denn die ein-
fachſte Form, in der die Obligation im Leben vorkömmt, iſt die
einſeitige Obligation, der Kaufcontract aber erzeugt zwei
Obligationen, er läßt ſich alſo auflöſen in zwei einſeitige. Soll
unſere Behauptung richtig ſein, ſo muß mithin das ältere Recht
keine zweiſeitigen Obligationen gekannt haben. Die einfachſte
Form des Rechtsverhältniſſes, wie es z. B. im Eigenthum zu
Tage tritt, iſt die des einſeitigen Rechts, d. h. des Rechts ohne
alle Verpflichtung. Soll unſer obiger Satz aufrecht beſtehen,
ſo darf die ältere Jurisprudenz keine mit Pflichten gemiſchte
Rechte geduldet haben, ſo dürfen die verſchiedenen Rechte nie
zur Einheit eines dritten ſelbſtändigen Rechts verſchmolzen wor-
den ſein.
Unterſuchen wir, ob unſer Grundſatz die Probe beſteht. Ich
wende mich zu dem Zweck zuerſt einer Erſcheinung zu, die meines
Erachtens mehr als irgend eine andere den Leſer ſofort auf die
Höhe der Aufgabe hebt und ihm das innerſte Geheimniß der
Analytik des alten Rechts erſchließt.
Der Gedanke der Verpflichtung beſchränkt ſeine Herr-
ſchaft keineswegs auf dasjenige Gebiet, in dem er ſeinen eigent-
lichen Sitz hat und ſeine feſte Ausprägung und Verkörpe-
rung gefunden hat: das Obligationenrecht; als unſichtbares,
individuell nicht ausgeprägtes, unkörperliches Element durch-
[176]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
dringt er die ganze Rechtswelt, alle Verhältniſſe belebend und
erhaltend, gleich dem Sauerſtoff der atmoſphäriſchen Luft. Nicht
das iſt mit dieſer Behauptung gemeint, daß es auf allen Gebie-
ten des Rechts Obligationen gibt, wie z. B. auf dem des Fa-
milienrechts die Dotations-, Alimentations-verbindlichkeit, die
Dotalklage, auf dem des Erbrechts die Vermächtnißobligation
— hier tritt der Gedanke der Verpflichtung in ſeiner ſpecifiſchen,
im Obligationenrecht ausgeprägten Form auf: in der einer mit
einer actio in personam zu verfolgenden obligatio. Sondern
gemeint iſt, daß er auch in nicht-obligatoriſchen Rechtsverhält-
niſſen als bloßer Obligationsſtoff anweſend ſein kann, ohne
die Form der Obligation anzunehmen. Es gibt kaum einen der
Obligation antagoniſtiſcheren Rechtsbegriff, als den der in rem
actio, und doch in welchem Maße ſind manche in rem actiones
des neuern Rechts mit obligatoriſchem Element verſetzt! Die
moderne reivind. iſt faſt mehr obligatoriſcher, als dinglicher Art,
wie dies die unten folgende Analyſe derſelben darthun wird,
und doch wird ſie in dieſer Beziehung noch überboten durch die
hereditatis petitio. Aeußerlich aber wird bei beiden das obliga-
toriſche Element gar nicht ſichtbar, es iſt nur vorhanden in Form
von Regeln und Grundſätzen obligatoriſcher Art — der Unkun-
dige, der das Daſein des Stoffs nur nach der äußern Form be-
urtheilt, und dem das Auge fehlt, um die Elemente zu erkennen,
auch wenn ſie noch ſo bunt gemiſcht ſind, merkt von jenem Stoff
Nichts und glaubt daher in den beiden Klagen reine dingliche
Klagen zu beſitzen.
Dieſe Verſetzung nicht-obligatoriſcher Verhältniſſe mit obli-
gatoriſchen Elementen ſteigert ſich in eben dem Maße, wie ſie ſelber
im Lauf der Zeit ſich vervollkommnen — der Grad der Vollkom-
menheit eines Rechts bemißt ſich nach ſeiner Sättigung mit die-
ſem Stoff. Im entwickelten Recht führt der Gedanke der Obli-
gation das Regiment, es gibt keinen Fleck, keinen noch ſo ver-
borgenen Winkel, wohin dieſe flüchtige Subſtanz nicht dränge.
Es muß dem dritten Syſtem vorbehalten bleiben, dieſe That-
[177]C. Die abſtracte Analyſe. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54.
ſache des Nähern zu begründen, an der gegenwärtigen Stelle
gilt es nur feſtzuſtellen, in welcher Form das ältere Recht dieſen
acceſſoriſchen Obligationsſtoff zur Wirkſamkeit gebracht hat.
Wenn es in gleicher Weiſe geſchehen iſt, wie im ſpätern Recht, ſo
iſt unſer Grundſatz der elementaren Einfachheit der Rechtskörper
nicht begründet, denn unter dieſer Vorausſetzung würde daſſelbe
zuſammengeſetzte Rechtskörper gekannt haben. Soll unſer
Grundſatz wahr ſein, ſo muß das ältere Recht entweder bei
jenen Verhältniſſen die Beihülfe der obligatoriſchen Principien
völlig verſchmäht haben — und dies war unmöglich und iſt
nicht der Fall, wenn gleich das Maß, in dem es ſich derſelben
bediente, ungleich geringer war, als im ſpätern Recht —; oder
aber es muß dieſer Stoff in die ihm adäquate Form der Obli-
gation gebracht d. h. alſo neben dem Verhältniß, um deſſen
obligatoriſchen Ausbau es ſich handelte, beſondere, ihrem
Zweck nach, um letzteres als um ihren Mittelpunkt graviti-
rende, juriſtiſch aber völlig ſelbſtändige Obligatio-
nen geſchaffen haben. Und ſo verhält es ſich in der That.
Wo das alte Recht in irgend einem Verhältniß, ſei es in, ſei es
außer dem Proceß der Verpflichtung zu einem Thun bedarf, da
bringt es dieſelbe regelmäßig in die Form einer eigenen durch
einen beſondern Akt zwiſchen beiden Partheien ins Leben geru-
fenen Obligation; unſere moderne Idee, daß das Verhältniß als
ſolches eine obligatoriſche Kraft in ſich ſchließt, iſt ihm völlig
fremd, ſelbſt für den Proceß. Was heutzutage die nothwen-
dige Folge irgend eines proceſſualiſchen Aktes iſt, ſich für un-
ſere Auffaſſung aus dem Getriebe des Verfahrens mit Noth-
wendigkeit ergibt, wird im alten Proceß erſt durch eine (indirect
erzwungene) Obligation von der betreffenden Parthei ſpeciell
und ausdrücklich übernommen, letztere iſt nur verpflichtet,
wenn ſie ſich verpflichtet hat, aber es wird dafür geſorgt, daß
ſie ſich verpflichten muß.
Es liegt nicht in meiner Abſicht, dieſe für die Signatur des
ältern Rechts ſo höchſt bezeichnende Erſcheinung in ihrer ganzen
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 12
[178]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Ausdehnung zu verfolgen, es genügt, ſie an einigen Haupt-
fällen klar zu machen.
Unter ihnen nimmt die erſte Stelle ein die Behandlung des
obligatoriſchen Elements in der alten reivindicatio. In der
Reinheit ihrer Idee bildet die reivind. den ſchärfſten Gegenſatz
zur actio in personam und zur Obligation, „non personam
obligat, sed rem persequitur“,230) wie es noch in ſpätere Zeit
von ihr heißt, wo freilich dieſe Bezeichnung ihre Wahrheit be-
reits zum größten Theil eingebüßt hatte, d. h. ſie verfolgt ledig-
lich die Sache (agitur in rem), ſie folgt ihr, wohin ſie gelangt,
und begehrt Nichts von ihr, als was ſie ſelber ohne vermittelnde
Thätigkeit des Beklagten zu gewähren vermag, die Sache haf-
tet, die Sache leiſtet, die Perſon des Beklagten hat nur die Be-
deutung, daß ſie zwiſchen den Kläger und das Object ſeines
Anſpruches in die Mitte tritt und durch den Proceß erſt hinweg-
geſchoben werden muß.
Dieſe urſprüngliche Idee der reivind. iſt freilich im neuern
Recht bis zur Unkenntlichkeit entſtellt. Die moderne reivind. iſt
durch und durch mit obligatoriſchen Elementen verſetzt, ja man
könnte ſagen: ſie iſt eine perſönliche Klage geworden, die nur,
was ſie ja mit manchen actiones in personam (ſ. g. in rem
scriptae) theilt, paſſiv durch den Beſitz beſtimmt wird. Ihr obli-
gatoriſcher Charakter bethätigt ſich nach drei Seiten: ſie um-
faßt obligatoriſche Anſprüche aus der Zeit vor Beginn des Pro-
ceſſes, aus der Zeit während des Proceſſes und ſolche, die
erſt mit Beendigung des Proceſſes entſtehen. In der erſten
Richtung kann ſie für den Kläger zwei, für den Beklagten
einen Anſpruch verfolgen, für jenen nämlich den wegen dolus
praeteritus und den wegen der Früchte, für dieſen den wegen der
Impenſen. Will man ſie in Richtung auf den erſtgenannten klä-
geriſchen Anſpruch beim rechten Namen nennen, ſo muß man
ſagen: ſie übt hier die Function einer Pönalklage, einer etwas
[179]C. Die abſtracte Analyſe. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54.
modificirten 231)act. de dolo aus. In Richtung auf den zwei-
ten Anſpruch des Klägers hält ſie ſich innerhalb der reinen Vin-
dicationsidee nur da, wo ſie die von einem malae fidei posses-
sor gezogenen und bei ihm noch vorhandenen Früchte verfolgt,
— denn an ihnen hat Kläger das Eigenthum —, in den bei-
den andern möglichen Fällen dagegen, wenn nämlich dieſe Früchte
nicht mehr vorhanden, oder wenn der Beklagte bonae fidei pos-
sessor iſt, ſchlägt ſie in eine condictio um, denn hier hat ſie
nicht Eigenthum in der Perſon des Klägers, ſondern Bereiche-
rung aus deſſen Vermögen in der Perſon des Beklagten, alſo
ein obligatoriſches Motiv, zu ihrem Fundamente.232) Für den
Anſpruch des Beklagten auf Erſatz der Impenſen bedarf die
obige Behauptung keiner Bemerkung, er ſtützt ſich ebenfalls auf
Bereicherung.
Während des Proceſſes äußert ſich die obligatoriſche Kraft
der reivind. darin, daß ſie den Beklagten zur diligentia und in
gewiſſem Grade zur Präſtation des Zufalls verpflichtet, am
Ende deſſelben darin, daß auch ſie, ganz wie die act. in perso-
nam, mit einer Geldcondemnation, alſo einer Verpflichtung
endet.
Von alle dem kennt die reivind. in ihrer urſprünglichen Ge-
ſtalt Nichts. Zunächſt nicht die Haftung wegen dolus praeteri-
tus, was weiterer Begründung nicht bedürfen wird (S. 29).
Sodann nicht den Anſpruch wegen der Früchte, was in meinen
Augen wenigſtens keinem Zweifel unterliegt. Die von einem
12*
[180]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
b. f. p. gezogenen Früchte fielen in ſein Eigenthum, konn-
ten alſo, ſelbſt wenn dies ſonſt möglich geweſen wäre,233) von
ihm jedenfalls nicht vindicirt werden. Ebenſo wenig die vom
m. f. p. bereits conſumirten, denn das zu vindicirende Ob-
ject muß noch exiſtiren, ſchon darum weil es mit vor Gericht
gebracht werden muß. Dieſe beiden Kategorieen von Früchten
hätten alſo nur mit der Formel der perſönlichen Klage: dare
oportere d. h. ſelbſtändig und unabhängig von der reivind.
verfolgt werden können; denn daß die Combination des dare
oportere und rem meam esse zu einer Klage nach Grund-
ſätzen des ältern Proceſſes eine Unmöglichkeit, ein Unding war,
wird nach den Ausführungen des §. 51 keiner Bemerkung be-
dürfen. Bleiben alſo nur die beim m f. p. noch in Natur exiſtiren-
den Früchte. Hätten ſie vindicirt werden ſollen, ſo hätten ſie
es nach dem Grundprincip des ältern Proceſſes einzeln müſſen
(S. 38),234) eine Idee, zu deren Widerlegung ich kein Wort
für nöthig halte. Die wirkliche Geſtalt der Klage iſt bereits
S. 31 angegeben, es war die Diebſtahlsklage.235)
Daß der Gegenanſpruch des Beklagten auf Erſatz ſeiner
Impenſen der ſpätern Zeit angehört, lehrt ſchon die Form ſeiner
Geltendmachung (exceptio doli), und der enge Zuſammenhang,
in dem er mit dem ſo eben erwähnten Anſpruch des Klägers
ſteht, gibt ein neues Argument für das relativ ſpäte Alter des
[181]C Die abſtracte Analyſe. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54.
letztern. So lange dem b. f. p. die Impenſen nicht vergütet
wurden, durfte man ihn ohne die größte Unbilligkeit nicht zur
Herausgabe der vorhandenen Früchte nöthigen. Die Aenderung
des einen Satzes ſchloß nothwendigerweiſe die des andern in
ſich. An die Stelle der rohen Aufrechnung in Bauſch und Bo-
gen zwiſchen Früchten und Impenſen trat jetzt der Fuß einer ge-
naueren Abrechnung nach beiden Seiten, denn derſelbe Grund,
auf den der eine Theil ſeinen Anſpruch ſtützte, der der Berei-
cherung, bot auch dem Gegner das Fundament zu dem ſeinigen.
Beide Anſprüche ſind Ausflüſſe deſſelben Gedankens: der Ueber-
tragung der dem Obligationenrecht angehörigen Idee der Be-
reicherung auf die Eigenthumsklage.
Daß der Beſitzer während des Vindicationsproceſſes,
wenn ich ſo ſagen darf, unter die Zucht des Obligationenrechts
geſtellt werden mußte, konnte auch im ältern Recht nicht zweifel-
haft ſein. Die Art, wie dies geſchah, bezeugt wiederum die
Strenge, mit der die alte Jurisprudenz an ihren techniſchen Ge-
ſetzen feſthielt, denn ſie ließ dieſe Obligation nicht einfach aus
der reiv. herauswachſen, noch auch im Urtheil ſichtbar werden,
ſondern ſie ſchlug denſelben Weg ein, wie bei dem usus fructus,
d. h. den der Begründung eines ſelbſtändigen Obligationsver-
hältniſſes neben dem dinglichen Recht. Um die Verpflichtung
zur Herausgabe der vom Beſitzer (einerlei ob b. f. p. oder m. f. p.)
während des Proceſſes gezogenen Früchte zu begründen, dazu
reichte ſchon der Geſichtspunkt des Diebſtahls (furtum nec mani-
festum) vollkommen aus, mochte man nun in der Erlangung
der Vindicien von Seiten des unterliegenden Theils („si vin-
diciam falsam tulit“) 236) ein furtum (possessionis) des
Grundſtücks237) oder ein furtum (rei) der Früchte erblicken;
[182]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
jedenfalls geht daraus, daß wegen dieſer Früchte nach beendig-
tem Hauptproceß 238) ein beſonderes Schätzungsgericht von drei
Sachverſtändigen (tres arbitri) beſtellt wurde, ſoviel hervor, daß
dieſer Poſten nicht der Cognition des Richters in der Hauptſache
unterlag, und ſowohl die Strafe des Doppelten als die beim
Diebſtahl techniſchen Worte „damnum decidere“ deuten auf
das furtum nec manifestum hin.
Gegen poſitive Beſchädigungen der Sache von Seiten des
Beſitzers wäre der Gegner zwar durch andere Delictsklagen ge-
ſchützt geweſen,239) nicht aber gegen Deteriorationen durch Un-
terlaſſen. In dieſer Richtung bedurfte es daher jedenfalls
der Begründung eines beſondern Obligationsverhältniſſes. Sie
erfolgte durch Beſtellung von Bürgen (praedes litis et vindicia-
rum), welche dafür aufzukommen hatten, daß der Beſitzer die
Sache in ordnungsmäßigem Stand halte und dem Urtheil Folge
leiſte;240) wer ſie nicht ſtellen konnte, hatte auf die Vindicien
keinen Anſpruch. Die Realiſirung dieſes Obligationsanſpruchs
geſchah ſeparat in einem beſondern, ausſchließlich gegen den
Bürgen (der Beklagte war juriſtiſch gar nicht verpflichtet) ge-
richteten Verfahren, hatte alſo mit der reivind. Nichts gemein.
Die Beendigung des Proceſſes durch Urtheil und Exe-
cution blieb ebenfalls dem Charakter der rein dinglichen Klage
treu. Im neuern Recht haben beide die Form der perſönlichen
Klage angenommen. Die Verurtheilung erfolgt bei der petitoria
formula auf Geld, alſo auf ein dare (nicht auf rem ejus esse)
— eine Veränderung, die durch die vielerlei obligatoriſchen Zu-
[183]C. Die abſtracte Analyſe. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54.
ſätze, welche die Klage aufgenommen hatte, unabweisbar ge-
worden war. Daß das Urtheil im ältern Vindicationsproceß
nicht auf Geld lauten konnte, wird keiner Bemerkung bedürfen,
der Richter durfte nur ſo ſprechen, wie die Formel ihm vorge-
zeichnet hatte, alſo im Sacramentsproceß auf sacramentum
justum esse (B. 1 S. 158).241) Auch daß hinterher in einem
beſondern Nachverfahren das zuerkannte Eigenthum in eine
Geldſchuld verwandelt worden ſei, ſo daß alſo der alte Pro-
ceß gleich dem ſpätern ſeinem ſchließlichen Verlauf nach mit
einer Obligation geendet hätte, muß ich entſchieden beſtreiten.
Das für den Legisactionenproceß erwähnte arbitrium liti
aestimandae242) findet bei den perſönlichen Klagen, bei denen
urſprünglich die Condemnation auf die Sache ſelbſt, nicht auf
Geld lautete,243) ſeine ausreichende Erklärung. Der arbiter
konnte nur ſchätzen, nicht condemniren, d. h. keine Obliga-
tion begründen, ſondern nur den Betrag einer bereits vor-
handenen feſtſtellen, in der Perſon des Beklagten beſtand
aber rückſichtlich des Vindicationsobjectes ſelber keine Ver-
pflichtung. Nur rückſichtlich der obigen obligatoriſchen Ne-
benanſprüche wegen der Früchte und wegen Deterioration oder
Vernichtung der Sache konnte, eben weil es ſich hier lediglich
um den Betrag obligatoriſcher Anſprüche handelte, ein ſol-
ches Schätzungsverfahren eintreten und ausreichen.
Aber, wird man mir einwenden, das Urtheil im Vindica-
tionsproceß muß doch jedenfalls eine Verpflichtung des Beklag-
ten zur Herausgabe der Sache begründet haben. Eine Ver-
pflichtung in dem unbeſtimmten Sinn des Wortes, in dem man
auch wohl von einer Verpflichtung ſpricht, die Geſetze und An-
ordnungen der Obrigkeit zu befolgen, allerdings, aber keine Ver-
pflichtung im juriſtiſch-techniſchen Sinn: keine obligatio. Die
[184]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
alte reivind. ging ſelbſt nicht einmal im Moment ihrer Ver-
wirklichung durch den Begriff der Obligation hindurch, denn
der Beklagte hat die Sache nicht zu geben, ſondern der Kläger
nimmt ſie ſich,244) das Dulden von Seiten des Beklagten iſt
Nichts als das Unterlaſſen der Auflehnung gegen die Rechts-
ordnung und die Obrigkeit.245) Auch wenn der Beklagte nach
dem Urtheil geſtorben wäre, hätte die Execution keinen Auf-
ſchub zu erleiden brauchen, zum beſten Beweiſe, daß jenes
Dulden kein Handeln war, denn Handeln ſetzt eine Perſon
voraus. So wenig es eines Gebens bedurft hätte, wenn
der Beklagte von vornherein einen Widerſtand überall nicht ent-
gegengeſetzt hätte, ſondern wie hier der Kläger nach erfolgter
addictio des Prätors 246) einfach den vor Gericht gebrachten
Gegenſtand mit ſich hinweggenommen hätte,247) ganz ebenſo
ſtand die Sache, wenn dieſer Widerſtand durch das Urtheil ge-
brochen war.
Als Reſultat unſerer bisherigen Ausführungen werden wir
den Satz ausſprechen dürfen: die reivind. des neuern Rechts
iſt ein Conglomerat verſchiedener um das Eigenthum ſich drehen-
der Anſprüche, dinglicher und perſönlicher, nicht ſowohl eine
einzelne Klage, als ein ganzer Complex von Klagen, kurz in
analytiſcher Hinſicht ein Compoſitum. Die reivind. des ältern
Rechts dagegen bleibt dem Geſichtspunkt eines Verfahrens ge-
gen die Sache von Anfang bis zu Ende treu; ihrer urſprüng-
lichen Richtung und Vorausſetzung nach lediglich durch die
Sache beſtimmt, nimmt ſie Nichts in ſich auf, was über das
rein Sachliche hinausginge und die Perſon träfe, ſie entſteht
[185]C. Die abſtracte Analyſe. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54.
und endet im Gebiet des reinen Sachenrechts, die admini-
kulirenden obligatoriſchen Anſprüche, deren ſie bedarf, ſchlagen,
wie ſie es nach unſerem Geſetz der Analyſe ſollen, die Bahn
der act. in personam ein. Die alte reivind. iſt alſo ein analy-
tiſch einfacher Körper, denn ſie ſchließt keinen Beſtandtheil in
ſich, der anderwärts als ſelbſtändiger Rechtsbegriff vorkommt.
Das ſo eben erörterte Beiſpiel hat vor den beiden, die ich
jetzt erwähnen will, den Vorzug voraus, daß es unzweifelhaft in
die früheſte Zeit der römiſchen Rechtsentwicklung hinaufreicht —
denn daß wir in der alten reivind. eines der älteſten römiſchen
Rechtsgebilde beſitzen, darüber wird unter Kundigen wohl kein
Zweifel obwalten. Die zwei andern Beiſpiele: der ususfructus
und die cautio damni infecti gehören in ihrer jetzigen Form
wahrſcheinlich einer jüngern Epoche, 248) aber immerhin noch
dem Zeitalter der ſtrengen Handhabung der alttechniſchen Grund-
ſätze an. Ueber die Structur des Uſusfructus habe ich bereits
S. 131, 132 das Nöthige geſagt, die dort angeſtellte Verglei-
chung deſſelben mit der Superficies und Emphyteuſis kann Nie-
manden über den Gegenſatz der Methode des ältern und neuern
Rechts im Unklaren laſſen. Ueber das zweite Beiſpiel werden
wenig Worte genügen. Es iſt der einzige Fall, in dem das
ältere Recht den Schutz des Grundeigenthums in die Form einer
eigentlichen obligatio bringt. Warum? Warum genügte nicht,
wie bei der act. aquae pluviae arcendae, eine durch das Geſetz
aufgeſtellte actio in personam? Oder wenn es in jenem Fall
der Begründung einer obligatio durch beſondern Vertrag be-
durfte, warum nicht auch in letzterem Fall? Die Antwort lautet:
weil es ſich in jenem Verhältniß um Zahlung von Geld, d. i.
um eine obligatoriſche Leiſtung handelte, was bei der act.
[186]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
pluv. arc., ad exhibendum nicht der Fall war, denn das
arcere, restituere, exhibere iſt im Sinn des alten Obliga-
tionsbegriffs keine obligatoriſche Leiſtung. Eine Delictsklage
war nicht möglich, weil ein Delict eine poſitive Thätigkeit vor-
ausſetzt, nicht durch ein rein negatives Verhalten, wie es das
Unterlaſſen von Reparaturen iſt, begangen werden kann. In
Gemäßheit unſeres obigen Geſetzes blieb daher Nichts übrig, als
dieſe mit dem Eigenthum verbundene, aus ihm herauswachſende
Obligation, in derſelben Weiſe, wie es mit den acceſſoriſchen
Obligationen bei der reivind. und dem ususfructus geſchah,
in die ihr zukommende ſpecifiſche Form zu bringen, d. h. den
Imploraten zur ausdrücklichen Uebernahme der Erſatzverbind-
lichkeit indirect zu zwingen.
Die bisherige Ausführung ſollte den Grundſatz der ele-
mentaren Einfachheit der Rechtskörper zunächſt nur
in einer ſeiner lehrreichſten Anwendungen veranſchaulichen. Um
denſelben aber als allgemeines, ausnahmsloſes Geſetz aufſtellen
zu dürfen, dazu bedarf es noch eines Weitern: einer Prüfung
ſämmtlicher Rechte des ältern Syſtems unter dieſem Geſichts-
punkt. Soll letzterer die Probe beſtehen, ſo darf ſich unter ihrer
Zahl kein einziges befinden, welches aus zwei ſyſtematiſch ein-
fachen Elementen aus Recht und Recht oder aus Recht und
Verpflichtung gemiſcht iſt, es muß vielmehr, wo irgend ein Ver-
hältniß ſeiner Natur nach ein ſolches Zuſammenwirken meh-
rerer Elemente mit ſich bringt, der ſo eben geſchilderte Weg
ſeparater Nebeneinanderſtellung eingeſchlagen worden ſein.
Nach ſolchen Miſchbegriffen wird man nun, wie bereits be-
merkt, im älteren Recht vergebens ſuchen. Nicht darin aber hat
dies ſeinen Grund, weil es der ältern Zeit an der Subſtanz da-
für, an den Verhältniſſen ſelber gefehlt hätte, denn wenn auch
manche der obigen Beiſpiele einer höhern Stufe wirthſchaftlicher
Entwicklung angehören, ſo kannte doch auch die ältere Zeit Fälle
[187]C. Die abſtracte Analyſe. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54.
genug, in denen ſie, wenn ſie es ſonſt gewollt hätte, eine ſolche
Verſchmelzung zweier Begriffe zur Einheit hätte eintreten laſſen
können. Der Weg, den ſie in dieſen Fällen einſchlägt, iſt aber
ein ganz anderer, nämlich der der äußerlichen Combination, oder
ſoll ich ſagen: der Addition der beiden Begriffe. Beide werden
einzeln für ſich durch ein beſonderes Rechtsgeſchäft in Wirkſam-
keit geſetzt und gehen in dieſer ihrer Wirkſamkeit völlig ſelbſtän-
dig neben einander, ohne ſich gegenſeitig zu bedingen oder zu
modificiren. Ich will dies jetzt an einigen Beiſpielen nachwei-
ſen, welche die Verbindung der Obligation mit der reivindi-
catio, dem Grundeigenthum und dem ususfructus betreffen.
Von den zwei angedeuteten Richtungen, in denen ſich unſer
Grundſatz zu bewähren hat, bietet die erſte: die Combination
zweier Rechte zur Einheit des Begriffs mir keinen Anlaß
zur weitern Entwicklung mehr dar. 249) Das Einzige, was ich
etwa noch hervorheben könnte, iſt der Contraſt, in den ſich das
neuere Recht dadurch zum älteren geſetzt hat, daß es zur Verfolgung
eines und deſſelben Anſpruches dem Kläger eine in rem
und in personam actio verſtattet, ſo z. B. dem Legatar aus dem
Legat, der Ehefrau wegen der Dos. Es gehörte der völlige
Bruch mit den techniſchen Ueberlieferungen der alten Jurispru-
denz dazu, um dieſe Idee zu Tage zu fördern. Im alten Recht
waren die beiden Klagen, wie bei allen Verhältniſſen, ſo auch
beim Legat ſtreng geſchieden, das Vindicationslegat ward aus-
ſchließlich mit der einen, das Damnationslegat ausſchließlich
mit der andern geltend gemacht, eine Combination beider Kla-
gen, bez. beider Legatsformen zu einer Doppelform wäre einem
[188]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Juriſten der alten Schule als eine Ungeheuerlichkeit erſchienen,
Eigenthum und Obligation, in rem actio und in personam
actio waren ſtreng geſchiedene und incompatible Körper.
Zur weitern Unterſuchung verbleibt uns alſo nur die zweite
angedeutete Möglichkeit: die Combination von Recht und Ge-
genrecht oder Pflicht zur Einheit des Begriffes. Das ältere
Recht erkennt dieſe Möglichkeit nicht an, alle ihm bekannten
Rechtsverhältniſſe ſind weſentlich einſeitiger Art, ſie ge-
währen lediglich dem Berechtigten ein Recht, für ein Gegen-
recht, für eine Pflicht haben ſie keinen Raum.
Dieſer Geſichtspunkt der Einſeitigkeit iſt bereits vor mir von
Stahl ausgeſprochen worden. 250) Ohne das Verdienſt dieſes
Mannes, deſſen tiefen, ins Innere der Dinge dringenden Blick
Niemand ſo anerkennen kann, wie ich, zu ſchmälern, darf ich
doch behaupten, daß ſeine Ausführungen Manches zu wünſchen
übrig laſſen. Um von Einzelnheiten völlig zu ſchweigen, ſo kann
ich ihm jedenfalls, was die Bedeutung anbetrifft, die er dieſem
Geſichtspunkt beilegt, in keiner Weiſe beiſtimmen. Weder darin,
daß in dieſem einzigen Gedanken das eigenthümliche Weſen
des römiſchen Rechts beſchloſſen liegen ſolle, was für das neuere
nicht zutrifft, für das ältere aber viel zu eng iſt, noch darin, daß
derſelbe in der ethiſchen Lebensanſchauung der Römer ſeinen
Grund gehabt haben ſoll. Ohne die Mitwirkung dieſer letzteren
Quelle zu verkennen, glaube ich doch ſchon durch meine bisheri-
gen Beiſpiele den weſentlichen Antheil, den die Technik an jener
Erſcheinung hatte, zur Genüge dargethan zu haben. Was Stahl
irre geführt, darüber habe ich mich ſchon bei Gelegenheit des
allgemeinen Weſens der Analyſe (B. 2 S. 378, 79) des Wei-
tern ausgeſprochen, und es kann hier genügen darauf einfach
Bezug zu nehmen.
Das Verhältniß des Mannes zu ſeiner Frau hat im neueſten
Recht den Charakter eines gegenſeitigen angenommen, ebenſo
[189]C. Die abſtracte Analyſe. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54.
das des Vormundes zu ſeinem Mündel, und daſſelbe kann man
bis zu einem gewiſſen Grade auch von der väterlichen Gewalt
ſagen, inſofern auch ſie dem Vater Pflichten (z. B. die Alimen-
tationspflicht) auferlegt. Ganz anders im ältern Recht. Denn
wie dieſe Verhältniſſe im Leben und durch die Sitte immerhin
auch thatſächlich geſtaltet ſein mochten, juriſtiſch waren ſie
ſämmtlich einſeitige Machtverhältniſſe, die einen Gegenanſpruch
des Untergebenen nicht zuließen. Für die Kinder bedarf dies
keiner Bemerkung, für die Ehefrau in der manus könnte man
höchſtens eine Ausnahme rückſichtlich der Dos ſtatuiren. Allein
nach der richtigen Anſicht 251) hatte die Frau, wie überhaupt kei-
nen Anſpruch gegen den Mann, ſo auch nicht rückſichtlich der
Dos, es wäre ein Anſpruch des Mannes gegen ſich ſelber gewe-
ſen. Die Vormundſchaft in ihrer urſprünglichen Geſtalt von
den Römern ausdrücklich als „Machtverhältniß“ definirt, 252) ge-
hörte in der ältern Zeit zur Zahl der Pflichtverhältniſſe (offi-
cia), 253) die zwar eine höchſt innige, durch Infamie geſchützte,
ſittliche Verpflichtung, aber keine juriſtiſche Verbindlichkeit
begründeten. Unterſchlagung erzeugte hier, wie überall, die
Diebſtahlsklage aufs Doppelte (act. rationibus distrahendis),
der Gedanke eines obligatoriſchen Anſpruches des Pupillen ge-
gen den Vormund auf treue und ſorgfältige Führung ſeines
Amtes, m. a. W.: das judicium tutelae war dem ältern Recht
fremd. 254)
Das Eigenthum ließ ſich durch Servituten beſchränken,
[190]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
und der Eigenthümer ſelber konnte ſich perſönlich verpflichten,
allein mit dem Eigenthum als ſolchem (d. h. ſo, daß ſie auf
den Nachfolger übergegangen wäre) ließ ſich eine Obligation
nicht verbinden. Durch den Satz: servitus in faciendo con-
sistere nequit war dafür geſorgt, daß die Servitut nicht in
das Gebiet der Obligation hinübergriff. Die Laſt, die ſie dem
Eigenthümer auferlegte, fiel nicht unter den Geſichtspunkt einer
Verbindlichkeit, ſie beſtand fort, auch wenn gar kein Eigenthü-
mer, oder ein handlungsunfähiger da war, zum beſten Beweiſe,
daß das rein negative Verhalten von ſeiner Seite kein Handeln
in ſich ſchloß. Darum erfolgte ihre Geltendmachung auch nicht
mit einer act. in personam, ſondern einer act. in rem. Ueber
die Structur des ususfructus iſt bereits das Nöthige geſagt.
Am ergiebigſten für unſere Betrachtung iſt das Obligationen-
recht. Bei weitem die meiſten Verhältniſſe des obligatoriſchen
Verkehrs ſind zweiſeitiger Art, und es wird Niemand daran
zweifeln, daß auch ſie bereits dem altrömiſchen Leben bekannt
geweſen ſind. Um ſo lehrreicher iſt daher die Thatſache, daß alle
Obligationsformen, welche mit Sicherheit auf das ältere Recht
zurückzuführen ſind, weſentlich einſeitiger Art ſind, nämlich das
Nexum, das Darlehn, der Literalcontract und die Stipulation.
Unter den zweiſeitigen Verträgen des ſpätern Rechts gibt es
keinen, den die Römer dem jus civile zuzählten, ſie gehören
ſämmtlich dem jus gentium an, das heißt aber m. a. W.: der
Gedanke der Gegenſeitigkeit iſt kein urſprünglicher
Gedanke des römiſchen Civilrechts, das ſpecifiſch
Römiſche iſt die Einſeitigkeit.
Es wird nicht der Angabe bedürfen, wie die Römer mit die-
ſem Grundſatz der Einſeitigkeit auszureichen vermochten — ſie
löſten das zweiſeitige Verhältniß in zwei einſeitige Stipulatio-
nen auf (z. B. stipulationes emti venditi, locati conducti). 255)
Wollte der Promittent ſicher gehen, daß der Gegner die Einſei-
[191]C. Die abſtracte Analyſe. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54.
tigkeit ſeines Anſpruches nicht mißbrauche d. h. denſelben nicht
geltend mache, bevor er ſeinerſeits erfüllt hatte, ſo fügte er ſei-
nem Verſprechen eine darauf gerichtete Bedingung hinzu (centum
dare spondes, si equum dederim? equum dare spondes, si
centum dederim?). Ebenſo wenig werden wir darüber ein
Wort zu verlieren haben, daß der Grund dieſer Manipulation
nicht mit Stahl in der Beſchränktheit der ethiſchen, der Verbin-
dung der Pflicht mit dem Recht widerſtrebenden Auffaſſung der
Römer, ſondern in den Zweckmäßigkeitsgründen zu ſuchen iſt,
denen die Analytik des Rechts überhaupt ihren Urſprung ver-
dankt. Die einſeitige Obligation iſt nicht bloß die einfachſte
Obligationsform im analytiſchen Sinn, ſondern auch im prak-
tiſchen Sinn, d. h. die am leichteſten zu handhabende (§. 55).
Jahrhunderte lang hindurch hatten die Römer keine andere
Obligation gekannt, als die einſeitige, Jahrhunderte lang hatten
ſie ſich daran gewöhnt die ſubſtantiell zweiſeitigen Geſchäfte des
Lebens, wie Kauf, Miethe, Societät in die Form von zwei ein-
ſeitigen Verträgen zu bringen, in ihnen juriſtiſch nicht einen
einzigen, ſondern zwei Contracte zu erblicken. Aenderte ſich dies
nun mit einem Mal, als das Erforderniß der beſondern Form
dieſer Verträge: die Stipulationsform hinwegfiel, ſahen ſie
dieſe Geſchäfte jetzt mit völlig andern Augen an? Jene Aende-
rung in der Form ſchloß dies keineswegs in ſich, die Frage nach
der juriſtiſchen Structur des Geſchäfts war von der Formfrage
völlig unabhängig, und ein ſolcher totaler Umſchwung in der
ganzen Vorſtellungs- und Auffaſſungsweiſe ohne zwingende
Gründe würde durchaus der Weiſe der römiſchen Juriſten, dem
Continuitätsgeſetz der römiſchen Rechtsentwickelung widerſpro-
chen haben. Und er iſt auch nicht erfolgt. An die Stelle
der stipulatio emti und venditi, locati und conducti trat nicht
ein ſolches zweiſeitiges Geſchäft, wie wir Neuern es uns unter
dem Kauf- und Miethcontract vorzuſtellen pflegen, ſondern die
emtioundvenditio, die locatioundconductio; m. a. W. jene
beiden Geſchäfte behielten ihre alte Structur bei, ſie blieben
[192]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
was ſie waren: zwei einſeitige über einander geſchobene Ge-
ſchäfte. Darum iſt es nicht Zufall, nicht eine bloße Reminiscenz
an die ehemalige Structur derſelben, daß die Römer zu deren
Bezeichnung ſtets den Doppelnamen: emtio venditio, locatio
conductio gebrauchen, ſondern es prägt ſich darin das wahre
Weſen, die juriſtiſche Structur dieſer Geſchäfte auch vom Stand-
punkt des neuern Rechts aus. Erſt in unſerer Zeit hat die rich-
tige Erkenntniß davon zu tagen begonnen, 256) aber es fehlt noch
viel, daß man überall mit den Irrthümern, die die bisher herr-
ſchende Auffaſſung mit Nothwendigkeit in ihrem Gefolge haben
mußte, aufgeräumt hätte. 257)
Auch für diejenigen weſentlich oder zufällig zweiſeitigen Ge-
ſchäfte, welche die Römer mit einem Namen bezeichneten, wie
z. B. die societas, das mandatum u. a. wiederholt ſich derſelbe
Mechanismus, dieſelben können für den einen Theil von vorn-
herein ungültig, für den andern gültig ſein, für den einen fort-
dauern, für den andern nicht. Bei dieſem partiellen Beſtehen
nimmt der nicht zur juriſtiſchen Exiſtenz gelangte Gegenanſpruch
des andern Theils den Charakter einer Bedingung der Rea-
liſirung des gegneriſchen Anſpruchs an — eine Art der indirecten
Verpflichtung des Gegners, auf welche die römiſchen Juriſten
den Ausdruck: obligatio naturalis ausgedehnt haben. Das
Verhältniß iſt aber in Wirklichkeit kein anderes, als bei der
[193]C. Die abſtracte Analyſe. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54.
oben angegebenen bedingten stipulatio emti, aus der es ſich
hiſtoriſch entwickelt hat. Ein Pupill, der mittelſt der stipulatio
emti „spondesne equum dare, si centum dederim?“ ſich
das ohne Tutor gekaufte Pferd hatte verſprechen laſſen und da-
für ſeinerſeits: centum dare, si equum dederis ſpondirt hatte,
haftete auf den Kaufpreis nicht anders, als wenn er einfach den
Kaufcontract abgeſchloſſen hatte — wollte er das Pferd, ſo
mußte er die Bedingung erfüllen.
In unſerem heutigen Recht ſind zur Zahl der zweiſeitigen
Verträge noch die ſ. g. Innominatcontracte hinzugekommen, 258)
in ihrer reinen römiſchen Geſtalt gehören ſie bekanntlich zur
Zahl der einſeitigen — ein neuer Beleg für die Ausdehnung,
in welcher der Gedanke der Einſeitigkeit noch das neuere Obliga-
tionenrecht beherrſcht, für die Zähigkeit, mit der noch die ſpätere
Zeit an dieſem alt- und ächtrömiſchen Gedanken feſthielt.
Das Erbrecht bot dieſem Geſichtspunkt nur bei dem Legat
Raum, denn die Erbſchaft ſchließt mit Nothwendigkeit den
Uebergang von Rechten und Verbindlichkeiten in ſich, darauf
beruht ja der Begriff der Univerſalſucceſſion. Es hieße das
wahre Verhältniß mehr verdecken, als aufklären, wollte man
es dadurch mit unſerem Geſichtspunkt in Uebereinſtimmung
bringen, daß man ſagte: der Erbe überkomme nicht unmittelbar
die einzelnen Rechte und Verbindlichkeiten, ſondern das ideale
Object der hereditas, die Perſönlichkeit des Erblaſſers, er werde
alſo lediglich berechtigt.
Beim Legat dagegen iſt unſer Geſichtspunkt wiederum
ſtreng durchgeführt. Das Legat ſo wie das ihm correſpondi-
rende Geſchäft unter Lebenden: die Schenkung, ſind nach älterer
Auffaſſung rein einſeitige Zuwendungen, mit deren Begriff
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 13
[194]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
die Auflage einer Verpflichtung259) nicht vereinbar iſt;
einem Legatar konnte kein Legat, dem Donatar keine Obligation
auferlegt werden. Im neuern Recht iſt beides möglich gewor-
den, beim Legat dadurch, daß der Legatar mit einem Fideicom-
miß belaſtet werden kann, bei der Schenkung durch die directe
Erzwingbarkeit des Modus.
Iſt die ältere Jurisprudenz, wie ſo eben angenommen,
wirklich von dem Satz ausgegangen, daß liberale Zuwendungen
ſich nicht mit obligatoriſchen Auflagen verbinden laſſen, ſo wird
ſie es auch nicht geduldet haben, daß der Vater bei der Eman-
cipation des Sohnes oder der Herr bei Freilaſſung des Sklaven
ſich etwas ausbedang. Rückſichtlich des erſteren Falles wird Nie-
mand daran zweifeln, rückſichtlich des letzteren möchte es daraus
hervorgehen, daß zu dem Zweck der Eid benutzt ward (jurata
operarum promissio), was darauf zu deuten ſcheint, daß man
den Zweck urſprünglich in juriſtiſcher Form nicht zu erreichen
vermochte.
Hiermit habe ich meine Ueberſicht geſchloſſen, und wenn ich
ſonſt kein Verhältniß übergangen, 260) ſo glaube ich das Reſultat
derſelben in den Satz zuſammenfaſſen zu dürfen: das ältere Recht
kannte kein Verhältniß, welches aus Recht und Verbind-
lichkeit gemiſcht iſt. Geſellen wir dazu unſern frühern Satz:
ebenſowenig kannte daſſelbe eins, welches zwei ſyſtematiſch ver-
ſchiedene Rechte zur Einheit des Begriffs zuſammenfaßte, ſo
möchte damit der an die Spitze dieſes Paragraphen geſtellte Ge-
ſichtspunkt der elementaren Einfachheit der Rechtskörper ſeine
Erläuterung und Rechtfertigung gefunden haben.
[195]C. Die abſtracte Analyſe. Vereinfachung des Thatbeſtandes. §. 55.
Vereinfachung des Thatbeſtandes im Intereſſe des Beweiſes —
Ausſcheidung lösbarer Elemente in Form ſelbſtändiger Begriffe
und Verhältniſſe — die abſtracte Eigenthumsübertragung (dop-
pelte Beurtheilung deſſelben Aktes vom Standpunkt des Eigen-
thums und der Obligation aus) — die abſtracte Obligation (die
act. receptitia) — der abſtracte Rechtskörper (die juriſtiſche Per-
ſon) — Anwendung des Grundſatzes in den Verhältniſſen des
öffentlichen und des Privatrechts — Syſtem der politiſchen Vitiö-
ſität — Verfaſſungsmäßigkeit der Geſetze.
‘Denique sit quodvis simplex duntaxat et unum.’
(Hor. ep. ad Pisones. v. 23.)
L V. Die erfolgreiche Geltendmachung der Rechte hängt ab
von dem Beweis ihres Thatbeſtandes, d. h. des Inbegriffs der
Vorausſetzungen, an welche das Geſetz die Entſtehung derſelben
geknüpft hat. Der Beweis iſt der Preis, um den die Rechte
proceſſualiſch zu haben ſind; je höher dieſer Preis, d. h. je um-
ſtändlicher, ſchwieriger der Beweis, um ſo mehr verringert ſich
der praktiſche Werth der Rechte, denn letzterer beſtimmt ſich, wie
bei allen Dingen, nicht bloß nach ihrem Inhalt, nicht nach
ihrer Brauchbarkeit an ſich, ſondern zugleich darnach, welcher
Aufwand von Zeit, Mühe und Koſten erforderlich iſt, um ſich
derſelben zu verſichern. Möglichſte Erleichterung des Beweiſes
iſt daher eine der wichtigſten Rückſichten, die der Geſetzgeber und
die Wiſſenſchaft bei der Geſtaltung des Rechts zu nehmen ha-
ben; ein Beitrag zur Löſung dieſer Aufgabe wiegt für den
Verkehr mehr, als die feinſte innere Ausbildung und Zuſpitzung
der Rechtsbegriffe — die koſtbarſten Güter ſind werthlos, wenn
die Koſten ihrer Erlangung den Gewinn verſchlingen.
So einleuchtend dieſe Wahrheit iſt, ſo viel fehlt doch, daß
ſie überall von der modernen Geſetzgebung und Wiſſenſchaft in
gebührender Weiſe berückſichtigt worden wäre, und man kann
geradezu behaupten, daß der Fortſchritt in Bezug auf die innere
13*
[196]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Seite des Rechts mit einem Rückſchritt in Bezug auf jene
äußere, praktiſche Seite deſſelben verbunden geweſen iſt. Unſer
heutiges Recht ſteht in dieſer Beziehung weit unter dem reinen
römiſchen — eine Behauptung, die ich hier ebenſo wenig weiter
ausführen darf, als ich nöthig haben werde, die ziemlich nahe
liegenden Gründe anzudeuten, in denen dieſe Erſcheinung ihre
Erklärung findet.
Die glückliche Löſung des obigen Problems hängt ab theils
von einem allgemeinen Moment: der zweckmäßigen Geſtal-
tung des Beweisverfahrens und der Beweislehre überhaupt, —
theils von einem beſondern, der Theorie der einzelnen
Rechte angehörigen Moment: dem richtigen Zuſchnitt ihres
Thatbeſtandes (B. 2 S. 347—352). Je complicirter, umfäng-
licher der Thatbeſtand, je unbeſtimmter, vager die Erforderniſſe,
aus denen er zuſammengeſetzt iſt, um ſo umſtändlicher, ſchwie-
riger der Beweis. Jedes dieſer Erforderniſſe leiſtet dem Gegner
den Dienſt einer offenen Schanze, die er durch bloßes Läugnen
in Beſitz nehmen kann, und aus der der Angreifende ihn erſt
mit vieler Mühe vertreiben muß. Durch ungeſchickte Formuli-
rung des Thatbeſtandes kann daher die Verfolgung der Rechte
in bedenklichſter Weiſe erſchwert, durch geſchickte in höchſt wirk-
ſamer Weiſe erleichtert werden. Wer unſer Recht unter dieſem
Geſichtspunkt prüfen will, wird eine reiche Ausbeute finden,
reich genug, um eine höchſt intereſſante und lehrreiche Abhand-
lung über die Kunſt der zweckmäßigen Geſtaltung des Thatbe-
ſtandes zu ſchreiben. Daß ſie es bisher nicht iſt, gehört zur
Signatur unſerer modernen Rechtswiſſenſchaft.
Ueberſchlage ich im Geiſt die verſchiedenen Hülfsmittel und
Kunſtgriffe, welche das römiſche Recht zum Zweck der Verein-
fachung des Thatbeſtandes in Anwendung gebracht hat, ſo ſind
vorzugsweiſe zwei unter ihnen von principieller Bedeutung: die
Veräußerlichung des Thatbeſtandes, d. h. die Subſtitui-
rung äußerer Kriterien und Erforderniſſe an Stelle der innern
— davon iſt bereits B. 2 S. 348 fl. gehandelt — und die
[197]C. Die abſtracte Analyſe. Vereinfachung des Thatbeſtandes. §. 55.
analytiſche Vereinfachung deſſelben — davon iſt hier
zu reden.
Das Weſen dieſer letztern Operation beſteht darin, daß von
den zu irgend einem Verhältniß erforderlichen Momenten gewiſſe
vom Thatbeſtand deſſelben ausgeſchieden und in die Form
beſonderer ſelbſtändig wirkender Begriffe und Rechtsmittel ge-
bracht werden. Die Geſtalt, die das Rechtsverhältniß ſchließ-
lich erhält, iſt alſo nicht das Werk einer einzigen, ſondern
zweier Kräfte, von denen die eine ſich in dieſer, die andere in
jener Richtung bewegt; die eine ſetzt und ſchafft, die andere be-
ſchränkt, negirt, ergänzt — ein Zuſammenwirken von Kräften
nach Art des Parallelogramms der Kräfte, bei dem jede Kraft
in einer beſonderen Richtung thätig iſt und die Geſammtwirkung
in der Diagonale Statt findet.
Man ſieht, es iſt daſſelbe Verfahren, wie das im vorigen
Paragraphen geſchilderte, und in einigen Fällen, z. B. bei der
abſtracten Obligation, trifft es ſogar ganz zuſammen. Aber
Zweck und Motiv iſt in beiden Verhältniſſen ein verſchiedenes.
Daß z. B. eine wegen mangelhafter Cauſa ungültige Eigen-
thumsübertragung mit einer beſondern Klage angefochten wer-
den muß, daß ein im Widerſpruch mit den Auſpicien erlaſſenes
Geſetz bis zu ſeiner Aufhebung gültig blieb — das hat mit dem
Grundſatz der elementaren Einfachheit der Rechtsbegriffe Nichts
gemein.
Die Idee der analytiſchen Vereinfachung des Thatbeſtandes
beſchränkte ſich keineswegs auf das Privatrecht, ihre intereſſan-
teſte, jedenfalls aber ihre wichtigſte Anwendung fand ſie auf dem
Gebiete des geiſtlichen und öffentlichen Rechts, und es wird,
um ein vollſtändiges Verſtändniß von ihr zu erlangen, nöthig
ſein, ſie auch in der letztern Richtung zu verfolgen. Wir begin-
nen mit dem Privatrecht.
Der Beweis eines auf derivativem Wege, d. i. durch Suc-
ceſſion erlangten Eigenthums erfordert zweierlei: den des Eigen-
thums des Autors und den der Succeſſion (Univerſal- und
[198]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Singularſucceſſion). Iſt die Sache durch mehrere Hände hin-
durchgegangen, ſo vervielfacht ſich der zweite Beweis in dem-
ſelben Maße, als Succeſſionsfälle Statt gefunden haben. Der
erſte iſt ſtets nur dadurch zu erbringen, daß in der Perſon des
nähern oder entfernteren Vorgängers eine Entſtehung des Eigen-
thums auf originärem Wege dargethan wird. In der erſten
Beziehung genügt es nicht, nachzuweiſen, daß der Eine dem
Andern die Sache tradirt habe — denn die Tradition als ſolche
überträgt bloß Beſitz — es muß vielmehr dargethan werden,
daß ſie zum Zweck der Eigenthums übertragung erfolgt iſt,
alſo das Geſchäft, aus dem ſich dies ergibt, angegeben und
bewieſen werden und, wenn daſſelbe ein Kaufcontract war,
außerdem noch die Zahlung oder Creditirung des Kaufpreiſes,
die bei dieſem Geſchäft bekanntlich die Vorausſetzung des Eigen-
thumsübergangs bildet. Welche Schwierigkeit des Beweiſes!
Iſt es dem Beweisführer auch gelungen, alle die früheren Inne-
haber bis zum originären Eigenthümer: dem Fabrikanten, Pro-
ducenten, Occupanten, Uſucapienten, ausfindig zu machen und
das Succeſſionsverhältniß zu conſtatiren, ſo hat er bei jedem
erſt noch zu ermitteln, wie hoch der Kaufpreis ſich belief, und ob
er bezahlt oder creditirt worden iſt. Ein einziges mangelndes
Glied in dieſer Kette, und die ganze Kette iſt unterbrochen.
So hat alſo der Beweisführer die Sache bei allen ihren
Irrfahrten und Sprüngen zu begleiten, ihren Lauf rückwärts
bis zum erſten Ausgangspunkt zu verfolgen, kurz ihre ganze
Geſchichte zu ſchreiben. Welche Anforderung! Wer gäbe nicht
häufig lieber ſie ſelber Preis, als ſich dieſer Mühe zu unter-
ziehen. Dazu geſellt ſich noch ein anderer erſchwerender Um-
ſtand. Steht einmal die Eigenthumsübertragung in Abhängig-
keit von dem Geſchäft, deſſen Ausführung ſie enthält, ſo muß
nothwendigerweiſe ein Ungültigkeitsgrund, der letzteres betrifft,
z. B. Betrug, Zwang, Irrthum, ſeinen Einfluß auch auf ſie
erſtrecken, d. h. ſo lange nicht die Uſucapion dieſen Mangel in
[199]C. Die abſtracte Analyſe. Vereinfachung des Thatbeſtandes. §. 55.
der Perſon irgend eines Innehabers geheilt hat, bis in die ent-
fernteſten Hände hinein nachwirken.
Welche unpraktiſche Geſtalt des Eigenthums, welcher Auf-
wand von Mühe und Koſten, und wie oft würde es trotzdem
über der langen Schleppe, die es nach ſich zöge, zu Fall kom-
men. Es iſt nicht dieſes Orts zu zeigen, welche verſchiedenen
Mittel das römiſche Recht in Anwendung gebracht hat, um jenen
Schwierigkeiten zu begegnen. 261) Wir beſchränken uns auf ein
einziges, aber allerdings ſehr ausgiebiges: die analytiſche Aus-
ſcheidung des Cauſalmoments bei der Eigenthumsübertragung,
und zwar laſſen wir dabei die Tradition ganz außer Acht aus
Gründen, die ſeiner Zeit erhellen werden, 262) ſo daß alſo nur
die mancipatio und in jure cessio zur Betrachtung übrig
bleiben.
Das juriſtiſche Weſen beider Geſchäfte läßt ſich mit dem Be-
griff der abſtracten Eigenthumsübertragung wiedergeben —
einer Eigenthumsübertragung, die von ihrem Cauſalmoment
ſich frei gemacht, abſtrahirt hat. Das Cauſalmoment hat eine
große Aehnlichkeit mit dem Motiv, unterſcheidet ſich aber weſent-
lich von demſelben. Das Motiv iſt etwas für die juriſtiſche
Charakteriſtik des Geſchäftes völlig Unweſentliches. Ob Je-
mand kauft weil er die Sache nöthig hat oder weil er dem Ver-
käufer einen Verdienſt zuwenden will, ob er ſchenkt aus Eitel-
keit oder aus Wohlwollen, iſt völlig gleichgültig, der Kaufcon-
tract, die Schenkung als ſolche iſt eine juriſtiſch völlig verſtänd-
[200]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
liche Thatſache, welche die Frage nach dem Warum in einem
Juriſten gar nicht hervorruft. Ganz anders bei der Eigenthums-
übertragung. Der Zweck oder Grund, deſſentwegen ſie erfolgt,
iſt nicht bloßes Motiv, etwas in der ſubjectiven Innerlichkeit
Beſchloſſenes, was jede Parthei für ſich behalten kann, ſondern
es iſt ein Element des Geſchäfts ſelbſt, über das beide Partheien
einverſtanden ſind, eine gemeinſame Vorausſetzung deſſelben,
ein Moment, welches dieſem Akt erſt ſeinen ſpecifiſchen ver-
mögensrechtlichen Charakter als Zahlung, Schenkung, Zweck-
gabe u. ſ. w. aufdrückt, kurz ein zur vollſtändigen juriſtiſchen
Charakteriſtik dieſes Akts völlig unentbehrliches Merkmal. Wird
uns dieſes Moment vorenthalten oder richtiger zur ſeparaten
Unterſuchung zurückgewieſen, ſo fehlt uns etwas zum vollen
Verſtändniß des Akts, auf die Frage: Warum? gibt er uns keine
Antwort, unſer Urtheil über ihn kann daher nur ein einſeitiges
ſein. Eben dieſe Einſeitigkeit iſt aber der Zweck dieſer ganzen
Manipulation, die Eigenthumsübertragung ſoll lediglich dar-
nach beurtheilt werden, ob unter und neben all dem andern, was
die Partheien ſonſt noch wollten, auch die Eigenthumsübertra-
gung beabſichtigt war, m. a. W. nach dem Daſein des abſtracten
Eigenthumsübertragungswillens. Jene beiden Akte ſtellen uns
demnach den Eigenthumswillen dar in ſeiner abſoluten Iſoli-
rung, in ſeiner vollſtändigen auf dem Wege der juriſtiſchen Ana-
lyſe beſchafften Reinigung von allem obligatoriſchen Beiwerk —
um ſie zu beurtheilen, braucht man Nichts vom Obligationen-
recht zu verſtehen! — ſie ſind Vorgänge, die ſich ausſchließ-
lich auf dem Gebiete der Eigenthumstheorie bewegen: reine
Eigenthumserwerbungsarten.
Das hohe Alter der mancipatio beweiſt, daß die Römer ſich
ſchon früh zu jener Höhe der Abſtraction aufgeſchwungen haben,
von der ſie Zeugniß ablegt. Der Form nach hält die manci-
patio noch an dem Gedanken der Nothwendigkeit des Cauſal-
moments bei der Eigenthumsübertragung feſt, denn ſie motivirt
dieſelbe mittelſt eines von der andern Seite ſofort erfüllten
[201]C. Die abſtracte Analyſe. Vereinfachung des Thatbeſtandes. §. 55.
Scheinkaufs (eaque mihi emta est hoc aere aeneaque libra) —
eine Erſcheinung, die ſich bei der abſtracten Obligation, dem
nexum und dem Literalcontract und bei unſerem Wechſel in der
Valutaclauſel („Valuta erhalten“) wiederholt. So legt alſo die
Mancipatio gewiſſermaßen durch ihre eigne Form das Geſtänd-
niß ihrer Künſtlichkeit ab, indem ſie das Moment, von dem ſie
ſich thatſächlich losreißt, ausdrücklich als berechtigtes anerkennt.
In der in jure cessio iſt ſelbſt dieſe rein äußerliche Remi-
niscenz an das Cauſalmoment überwunden, ſie iſt auch der Form
nach, was ſie der Sache nach iſt: ein reiner Eigenthumsübertra-
gungsakt, und bekundet auch dadurch ihr relativ jüngeres Alter
(B. 2 S. 579). Der Umſtand, daß ſie auch auf res nec man-
cipi, ſeitdem an ihnen ein dominium ex jure Quiritium zuge-
laſſen war, Anwendung fand, gab das Mittel an die Hand,
das die traditio verſagte, um nämlich auch bei ihnen eine ab-
ſtracte Eigenthumsübertragung vorzunehmen.263)
Fragen wir nun, worin der praktiſche Nutzen der Ausſchei-
dung des Cauſalmoments bei jenen beiden Geſchäften beſtanden
habe, ſo traf derſelbe zunächſt die Vereinfachung des Beweiſes
bei der reivindicatio. Der Kläger war der Mühe überhoben,
den Geſchäften nachzuforſchen, vermittelſt deren die Sache aus
der einen Hand in die andere gegangen war, und auch dem Be-
klagten waren alle Einwendungen, die er der etwaigen Ungül-
tigkeit derſelben hätte entnehmen können, abgeſchnitten, m. a. W.
das Cauſalmoment der Eigenthumsübertragung bildete kein
Streitmaterial für die reivind., weder für den Hauptbeweis,
noch für den indirecten Gegenbeweis.
Der zweite Vortheil lag in Folgendem. Die Form, in der
das Cauſalmoment ſeine Verwendung fand, war die einer auf
die beiden, unmittelbar durch das betreffende Geſchäft in Ver-
[202]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
bindung geſetzten Perſonen beſchränkten d. h. perſönlichen Klage
(der Contracts-Klage oder der Condictionen wegen mangelhaf-
ter oder nicht erfolgter causa). War alſo das Eigenthum über-
tragen worden z. B. unter einer Vorausſetzung, die von An-
fang nicht vorhanden geweſen oder ſpäterhin nicht eingetreten
war, ſo gewährte dieſer Umſtand zwar dem Geber eine con-
dictio ob causam datorum, um damit den erfolgten Eigen-
thumsübergang wieder rückgängig zu machen, aber wohl zu be-
achten: nur gegen den Empfänger — das Eigenthum ſelber
ward dadurch nicht berührt, es ging frei aus der einen Hand in
die andere. Dieſer Mechanismus, den das ſpätere Recht im
Weſentlichen auch für die Eigenthumsübertragung durch Tradi-
tion beibehalten hat, iſt vielleicht einer der glücklichſten Gedan-
ken des römiſchen Rechts, jedenfalls einer der feſteſten Anker für
die Sicherheit des Eigenthums. Man würde ſich irren, wenn
man die Geſtalt der Sache als etwas ſich von ſelbſt Verſtehen-
des betrachten wollte; das ſpätere Recht lehrt das Gegentheil.
Letzteres hat nämlich in einigen Ausnahmsfällen den entgegen-
geſetzten Weg eingeſchlagen, ſo z. B. bei der act. quod metus
causa, bei der restitutio in integrum der Minderjährigen,264)
bei der Reſolutivbedingung, wenigſtens in gewiſſen Verhältniſ-
ſen.265) Hier behält das Eigenthum ſein Muttermal, ſo zu
ſagen, ſtets bei, der angeborne Fehler iſt ein Todeskeim, der,
[203]C. Die abſtracte Analyſe. Vereinfachung des Thatbeſtandes. §. 55.
wie ſpät und wo er ſich auch entfaltet, dem Eigenthum den Un-
tergang bereitet und ſo den Unſchuldigen, den ſpäteſten
Nachmann mit in die Verwickelung und den Schaden hin-
einzieht.
Solche dem Eigenthum noch in die fernſte Hand nachſchlei-
chende Rückforderungs- und Anfechtungsklagen, — man möchte
ſie als Siechthum des Eigenthums, als Eigenthumskrankheiten
bezeichnen! — waren dem ältern Recht völlig fremd, und in
meinen Augen ſteht es dadurch nur um ſo höher. Das altrömi-
ſche Eigenthum iſt geſund und kräftig, wie alle Inſtitute des
ältern Rechts, und gegen alle Anſteckung geſichert. All der An-
ſteckungsſtoff, der ihm auf ſeinem Wege und bei ſeiner Berüh-
rung mit der Obligation gefährlich werden könnte, entweicht in
die Form der perſönlichen Klagen, alles Unreine, alle Schlacken
läßt es bei den zwei ſich unmittelbar gegenüberſtehenden Perſonen
zurück und wandelt unverſehrt und intact von einer Hand in die
andere. Den Condictionen wegen Mangels in der causa, die
ihm das Cauſalmoment abnehmen, verdankt das Eigenthum
ſeine Reinheit, Sicherheit und freie Beweglichkeit.
Dieſe Selbſtändigkeit der Eigenthumsfrage verläugnete ſich
ſelbſt für das Verhältniß der unmittelbar gegenüberſtehenden
Partheien nicht, d. h. auch in dem zwiſchen ihnen beiden ob-
ſchwebenden Vindicationsproceß war das Material für die Con-
dictionen völlig ausgeſchieden, was nach §. 52 keiner weitern
Ausführung bedürfen wird. Aber gleichzeitig mit dem einen
Proceß konnte der andere inſtruirt, möglicherweiſe derſelbe Rich-
ter dafür beſtellt werden. In beiden Proceſſen handelte es ſich
um denſelben äußern Akt, aber der Standpunkt der Betrachtung
und der juriſtiſche Charakter des Aktes ſelbſt war hier und dort
ein völlig verſchiedener. Dieſe letztere Bemerkung über den
Doppelcharakter eines und deſſelben Aktes vom Standpunkt des
Eigenthums und des Obligationenrechts aus kann nicht genug
betont werden, ſie trifft in demſelben Umfange, wie für das alt-
römiſche, auch für unſer heutiges Recht zu. Jedes Geben — und
[204]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
daſſelbe gilt von jeder Vermögenszuwendung (z. B. der Beſtellung
einer Servitut, der Ceſſion, Novation u. ſ. w.) — fällt unter
einen doppelten Geſichtspunkt und iſt daher von dem, der genau
ſprechen will, auch mit verſchiedenen Namen zu bezeichnen. Der-
ſelbe Akt, der in der einen Richtung den Namen: mancipatio,
traditio an ſich trägt, heißt in der andern solutio, indebiti so-
lutio, donatio, mutuum u. ſ. w. In der einen Richtung kann
er beſtehen, in der andern nicht, derſelbe Richter, der den Akt
als gültige Eigenthumsübertragung anerkannt und geſchützt hat,
kann ihn als ungültige solutio reſcindiren d. h. die Verpflich-
tung zur Rückübertragung des Eigenthums ausſprechen (nicht
das Eigenthum ſelber aberkennen).
Der Gedanke der Ausſcheidung des Cauſalmoments, den
wir ſo eben für das Eigenthum entwickelt haben, wiederholte ſich
auch für das alte Obligationenrecht; die abſtracte Eigenthums-
übertragung fand in der abſtracten Obligation ihr wür-
diges Seitenſtück. Auch ſie war ein Kunſtproduct, kein Menſch
verſprach ein „dare oportere“, ohne ſich darüber klar zu ſein,
ob er dies that, um zu ſchenken, zu noviren, eine Gegen-
leiſtung hervorzurufen u. ſ. w., und auch bei ihr fiel dieſer
Grund oder Zweck des Verſprechens nicht unter den Geſichts-
punkt eines bloßen Motivs, ſondern unter den oben entwickelten
Begriff des Cauſalmoments d. h. eines zum vollen Verſtändniß
des Verhältniſſes abſolut unentbehrlichen Elements. Die Aus-
ſcheidung deſſelben hat daher bei ihr ganz dieſelbe Bedeutung, wie
bei der Eigenthumsübertragung; indem ſie die Fäden, mit denen
das Verhältniß am Boden feſthängt, löſt, hebt ſie daſſelbe auf
eine künſtliche Höhe abſtracter Exiſtenz und verweiſt das Zurück-
gebliebene in die Form beſonderer Klagen.
Bei der Obligation iſt dies Verfahren noch um einen Grad
künſtlicher, als beim Eigenthum. Bei letzterem ſind die beiden
Elemente, die ſich trennen, ſubſtantiell verſchiedener Art: Eigen-
thum und Obligation, bei der Obligation iſt es eine und die-
ſelbe Subſtanz. In welchem Maße übrigens auch bei ihr dieſe
[205]C. Die abſtracte Analyſe. Vereinfachung des Thatbeſtandes. §. 55.
Trennung indicirt iſt und durch die Macht der Dinge gefordert
wird, lehrt der Umſtand, daß die abſtracte Obligation zu allen
Zeiten und auf allen Stufen der Rechtsentwicklung wiederkehrt,
im älteſten Rom wie im Mittelalter und in der Gegenwart, trotz
des Widerſtandes, den Geſetzgebung und Theorie — meiner
Ueberzeugung nach aus unzureichenden Gründen — ihr nicht
ſelten entgegengeſetzt haben.266) Ich werde nicht nöthig haben,
das was oben (S. 201) über den praktiſchen Nutzen dieſer
Operation beim Eigenthum geſagt iſt, in ſpecieller Anwendung
auf die Obligation zu wiederholen. Nur eine Bemerkung kann
ich nicht unterdrücken. Es könnte nämlich ſcheinen, als ob der
dort hervorgehobene zweite Vortheil auf die Obligation keine
Anwendung fände, indem letztere ſich nicht gleich dem Eigen-
thum, um mich ſo auszudrücken, auf die Wanderſchaft bege-
ben kann, vielmehr ſtets auf die urſprünglich ſich gegenüber-
ſtehenden Perſonen beſchränkt bleiben müßte. Dieſe Vorſtel-
lung iſt eine irrige. Das Gegentheil lehrt nicht bloß unſer mo-
derner Wechſel, deſſen Circulationsfähigkeit der des Eigenthums
Nichts nachgibt, ſondern auch die römiſche Obligation bei Ge-
legenheit der Delegation. Wie das Cauſalmoment des Eigen-
thums mit ſeinen rechtlichen Wirkungen bei dem Uebergang in
zweite Hand in dem Verhältniß des Gebers und Empfängers, ſo
bleibt in gleichem Fall das des Wechſels in dem des Ausſtellers
und Nehmers, das der durch Delegation übertragenen Obliga-
tion in dem des Deleganten und Delegaten zurück — Eigen-
thum, Wechſel, Obligation gehen frei und rein in die zweite
Hand über!267)
[206]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Die Formen, in denen der Begriff der abſtracten Obligation
im römiſchen Recht ſich verwirklicht hat, ſind das Nexum, der
Literalcontract, die Stipulation und eine vierte problematiſche
Form. Die beiden erſten correſpondiren der mancipatio, ſie
tragen das Cauſalmoment, das ſie der Sache nach ausgeſchie-
den, als Formelement noch in ſich, indem ſie nämlich die Ver-
pflichtung des Schuldners durch die Fiction eines Darlehns mo-
tiviren. Im Nexum geſchieht dies nach Art der mancipatio in
plaſtiſcher Weiſe mittelſt ſcheinbaren Zuwägens des Geldes, im
Literalcontract hat ſich die Imitation des Darlehns nach Art der
Valutaclauſel beim Wechſel zu einer bloßen ſchriftlichen Beur-
kundung deſſelben in den Hausbüchern (acceptum und expen-
sum ferre) abgeſchwächt. Erſt in der Stipulation erreicht die
abſtracte Obligation die Höhe, die die abſtracte Eigenthums-
übertragung in der in jure cessio erreicht hat, d. h. auch die
rein nominelle Anknüpfung an das ihr unterliegende Geſchäft
iſt verſchwunden — ein Fortſchritt in der Form, wie bei unſerm
Wechſel der durch die deutſche Wechſelordnung ſtillſchweigend
angeordnete Wegfall der Valutaclauſel. Nur bei der Aufhe-
bung der Stipulationsſchuld durch acceptilatio repetirt der
obige Gedanke, von dem die Stipulation ſelber ſich bereits frei
gemacht hat; Frage und Antwort lauten nicht auf dare non
oportere, ſondern gleich dem heutigen Schulderlaß mittelſt
Quittirung auf „acceptum habere“.
Zu den bisher genannten Formen der abſtracten Obligation,
von denen die beiden erſten im neuern Recht völlig verſchwun-
den, die dritte aber, wenn auch äußerlich beibehalten, doch durch
Zulaſſung des Cauſalmoments in Form der exceptio doli ihren
267)
[207]C. Die abſtracte Analyſe. Vereinfachung des Thatbeſtandes. §. 55.
urſprünglichen Charakter gänzlich eingebüßt hat, zu ihnen ge-
ſellte ſich im neuern Recht oder richtiger es löſte ſie völlig ab eine
andere, über die wir aber allerdings wenig wiſſen. Aus der
Conſtitution, in der Juſtinian die actio receptitia für den ge-
wöhnlichen Verkehr außer Anwendung ſetzte und ſie paſſiv auf
Banquiers und Kaufleute beſchränkte, geht ſo viel mit aller
Sicherheit hervor, daß die Idee der abſtracten Obligation in ihr
zur vollſten Verwirklichung gelangt war, denn das, was er ihr
zum Vorwurf macht, daß nämlich der Schuldner, trotz der Ein-
wendungen und Gegenanſprüche, die ihm zu Gebote ſtanden,
vorläufig habe zahlen und, um zu ſeinem Recht zu kommen, den
Weg der Klage habe einſchlagen müſſen,268) gerade das enthält
das charakteriſtiſche Merkmal der abſtracten Obligation. Das
Aufkommen dieſer jüngſten Form liefert einen abermaligen Be-
weis für die Unentbehrlichkeit der abſtracten Obligation. Sei-
ner bisherigen Formen theils ſchlechthin, theils durch gänzliche
Abſchwächung derſelben beraubt, ſchuf der Gedanke der abſtracten
Obligation ſich eine neue, bis Juſtinian auch dieſe dem allge-
meinen Gebrauch verſchloß und damit den modernen Verkehr
nöthigte, im Wechſel abermals eine andere an die Stelle zu
ſetzen. Welcher Art jene Form war, ob bloß mündlich oder auch
ſchriftlich,269) und ob nicht auch ſie vielleicht die Valutaclauſel
enthielt, wie man aus dem Namen der Klage: actio recepti-
tia entnehmen möchte,270) darüber wollen wir uns gern aller
[208]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Hypotheſen enthalten. Dagegen kann ich mir nicht verſagen, über
das ökonomiſche Motiv und die praktiſche Beſtimmung dieſer
eigenthümlichen Obligationsart eine Vermuthung zu äußern.
Das Bedürfniß, das im Mittelalter den Wechſel hervorrief: die
Beſchaffung von auswärtigen Geldzahlungen in der Landesmünze
mußte ſich in der Zeit des Welthandels auch in Rom fühlbar
machen.271) Die Verbindungen, welche die Publikanen, die
Banquiers der römiſchen Welt, auf allen Plätzen der Erde
unterhielten, boten zu dem Zweck ein vielleicht noch bequeme-
res und zuverläſſigeres Mittel, als die der Campſadoren des
Mittelalters. So vermittelte z. B. Attikus für den Cicero die
Uebermachung der Summe, die letzterer ſeinem in Athen ſtu-
direnden Sohn zugedacht hatte; das Geld ward in Rom ein-
gezahlt und in Athen in Landesmünze ausgezahlt.272) Daß die
praktiſchen Römer für dieſen Zweck auch das richtige Mittel ge-
funden haben werden, d. h. eine Form, die nicht bloß dem Ein-
zahler des Geldes, ſondern auch dem Deſtinatär ein Klagerecht
verſchaffte, darüber bin ich wenigſtens nicht zweifelhaft. Ohne
nun andere mögliche Formen abzuweiſen, wie z. B. die chiro-
grafa und syngrafa der Peregrinen,273) ſo möchte ich die Ver-
muthung aufſtellen, daß die act. receptitia in dem angegebenen
Zweck oder ſagen wir geradezu in den Bedürfniſſen des römi-
ſchen Wechſelverkehrs ihre eigentliche Entſtehung und Beſtim-
mung gefunden habe. So würde es ſich erklären, daß Juſti-
270)
[209]C. Die abſtracte Analyſe. Vereinfachung des Thatbeſtandes. §. 55.
nian, um unſern Vergleich mit dem Wechſel weiter fortzuführen,
die paſſive Wechſelfähigkeit auf diejenigen Perſonen beſchränkte,
welche durch ihr Geſchäft und ihre Verbindungen die geeigneten
Vermittler des Wechſelverkehrs waren: Geldwechſler (argenti
distractores) und Handelsleute (alii negotiatores). So ferner
die Erſcheinung, daß gerade in dieſem Verhältniß, für welches
die ſtrenge Durchführung des Begriffs der abſtracten Obliga-
tion allerdings eine Lebensfrage iſt, eine Strenge ſich zu erhal-
ten vermochte, die das römiſche Recht für den gewöhnlichen Ver-
kehr verworfen hatte. Der formelle Charakter der Klage (solen-
nibus verbis composita) und ihr an die Valutaclauſel erinnern-
der Name erhöht die Aehnlichkeit mit unſerem modernen Wechſel.
In unſerer heutigen Sprache ausgedrückt würde darnach der
Inhalt der juſtinianiſchen Verfügung ſich dahin angeben laſſen:
die paſſive Wechſelfähigkeit iſt auf Wechſler und Kaufleute be-
ſchränkt, die Schuldverſchreibungen des gewöhnlichen Lebens
ſollen nicht in die Form von Wechſeln gebracht werden.
Die beiden bisher betrachteten Verhältniſſe: die abſtracte
Eigenthumsübertragung und die abſtracte Obligation enthalten
die Hauptfälle, in denen der Gedanke der analytiſchen Verein-
fachung des Thatbeſtandes im ältern Recht zur Verwirklichung
gelangt, aber keineswegs die einzigen. Es möge mir erlaubt
ſein, noch einen dritten Fall hervorzuheben, bei dem die Be-
ziehung zu unſerem Geſichtspunkt ungleich verſteckter iſt.
In Verhältniſſen gemeinſchaftlicher Berechtigung und Ver-
pflichtung wird die Verfolgung der Rechte und Verbindlichkeiten
in eben dem Maße erſchwert, als die Zahl der Intereſſenten
wächſt, doppelt wenn gar der Kreis dieſer Perſonen dem beſtän-
digen Wechſel ausgeſetzt, oder das Theilverhältniß, in dem ſie an
den Rechten und Pflichten participiren, ein unſicheres, ſchwan-
kendes iſt. Für ſie ſelber zwar, wenn ſie klagend auftreten wol-
len, iſt die Schwierigkeit nicht ſo erheblich, theils weil ſie ſelber
ihr inneres Verhältniß kennen, theils weil ſie ſich durch einen
gemeinſamen Stellvertreter vertreten laſſen können. Anders aber
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 14
[210]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
für den Dritten, der ſie belangen will. Für ihn, den außen
Stehenden, iſt es ungleich mühſamer und oft geradezu unmög-
lich, das Theilverhältniß, das er ja bei jedem Beklagten in der
Klage angeben muß, zu ermitteln, und der beſte, unzweifelhafteſte
Anſpruch würde, wenn dieſer Schwierigkeit nicht abzuhelfen
wäre, nur zu oft Gefahr laufen Schiffbruch zu leiden. Die
Richtung, in der die Abhülfe zu ſuchen, iſt durch die Sache
ſelber in dem Maße vorgezeichnet, daß der Verkehr überall unter
den verſchiedenſten Verhältniſſen und zu den verſchiedenſten Zei-
ten jener Schwierigkeit in derſelben Weiſe begegnet iſt. Das
Mittel beſteht einfach in einer Anwendung unſeres obigen Ge-
ſichtspunktes, nämlich in der Ausſcheidung eben jener unbeque-
men Frage: wie das der Geſammtgemeinſchaft an ſich zuſtehende
Recht oder die auf ihr laſtende Verbindlichkeit im Innern der-
ſelben ſich unter die Mitglieder vertheile? kurz in der Aus-
ſcheidung der innern Seite des Verhältniſſes und der Beſchrän-
kung auf die äußere Seite, d. h. der Frage von der Exiſtenz des
Anſpruchs zwiſchen der Gemeinſchaft auf der einen und dem
Dritten auf der andern Seite. Techniſch wird dieſe Ausſchei-
dung der ſubjectiven Seite des Verhältniſſes dadurch vermittelt,
daß ein künſtlicher Träger deſſelben geſchaffen wird, der nach
außen als Subject deſſelben figurirt. In Wirklichkeit iſt er nichts
als ein Figurant, ein bloßer Mechanismus, um in bequemer
Weiſe die Beziehungen der Gemeinſchaft nach außen hin zu
vermitteln; nach innen hin iſt nicht Er der Berechtigte, ſon-
dern die Gemeinſchaftsintereſſenten, die hinter ihm ſtehen, und
denen er bloß als Leitapparat dient. Nach außen hin aber nimmt
er durchaus die Stellung des wirklich Berechtigten und Ver-
pflichteten ein, Er iſt es, der klagt und beklagt wird, der die
Rechtsgeſchäfte abſchließt und ausführt. Seine Stellung iſt
alſo keineswegs die eines gewöhnlichen Bevollmächtigten, da-
mit würden die obigen Schwierigkeiten nicht umgangen, denn
der Bevollmächtigte, der nicht das eigne, ſondern das Recht ſei-
ner Mandanten geltend macht, wird durch den ihm obliegenden
[211]C. Die abſtracte Analyſe. Vereinfachung des Thatbeſtandes. §. 55.
Nachweis ſeiner Vollmacht ſtets auf das innere Theilhaberver-
hältniß zurückgeworfen, ganz abgeſehen von der prekären, durch
Tod und Widerruf jeder Zeit löslichen Natur dieſer Form.
Wirklich abgeſchnitten werden dieſe Schwierigkeiten nur dadurch,
daß man dieſe Mittelsperſon nach außen hin zum Subject des
Rechts ſtempelt.
Dieſe Figur des Rechtsträgers wiederholt ſich theils zu dem
angegebenen, theils zu andern Zwecken faſt überall.274) Das
Intereſſe, das ſie der juriſtiſchen Betrachtung darbietet, iſt mit
dem Geſichtspunkt, unter dem wir ſie hier zu betrachten haben,
keineswegs erſchöpft;275) an dieſer Stelle haben wir uns auf
letzteren zu beſchränken.
Die Form, in der der Rechtsträger in Anwendung auf den
obigen Zweck im altrömiſchen Recht auftritt, iſt eine doppelte.
Die eine beſteht darin, daß jeder Theilhaber nach außen hin
die Rolle des Rechtsträgers auf ſich nimmt, was nur bei obli-
gatoriſchen Verhältniſſen möglich iſt, indem nur die Obliga-
tion ſich activ und paſſiv beliebig in solidum vervielfachen läßt.
Dies war, wie es ſcheint, die eigentliche Beſtimmung der Cor-
realobligation. Die mehreren Gemeinſchaftsintereſſenten
ſchloſſen den Contract in solidum ab, im Fall einer Stipulation
promittirte und ſtipulirte Jeder (correi stipulandi, promittendi)
oder ſie bedienten ſich zu dem Zweck eines gemeinſamen Skla-
ven.276) So ward Jeder von ihnen Schuldner und Gläubiger,
und wie auch ihr Verhältniß im Innern beſchaffen war oder ſich
im Lauf der Zeit geſtalten mochte, für das Verhältniß nach
außen hin verſchlug dies Nichts. An dieſe im Verkehr vorge-
fundene Gewohnheit knüpfte der Prätor bei Aufſtellung der
14*
[212]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
act. institoria und exercitoria an, indem er dieſe Klagen gegen
jeden Geſellſchafter in solidum gab.
Die geſchilderte Form reichte bei einer kleinen Zahl der Theil-
nehmer aus, bei ganzen Gemeinden, bei Corporationen, bei den
Geſellſchaften der Publikanen enthielt ſie eine Unmöglichkeit.
Hier bedurfte es einer andern Form, und dies iſt die bekannte
der juriſtiſchen Perſon. In welcher Geſtalt ſich die Römer die-
ſen Begriff juriſtiſch gedacht haben, ob bereits in jener ganz
abſtracten, über das Praktiſche des Verhältniſſes ſo leicht irre
führenden Weiſe, die uns heutzutage zur zweiten Natur gewor-
den iſt, mag hier dahin geſtellt bleiben; für unſern Zweck ge-
nügt es, die beiden Momente zu conſtatiren, in denen das eigent-
lich praktiſche Weſen dieſes Begriffs beſchloſſen liegt, das über
jener rein doctrinären Frage nur zu oft überſehen wird. Das
iſt aber in meinen Augen erſtens der Satz, daß nach innen
hin die einzelnen Mitglieder der juriſtiſchen Perſon die Berech-
tigten ſind — eine Behauptung, die ich zwar erſt an anderer
Stelle rationell begründen kann, für die aber hier ſchon die
bloße Verweiſung auf die Publikanenvereine, von denen ſchwer-
lich Jemand das Gegentheil annehmen wird, einen ausreichen-
den Beweis liefern möchte. Zweitens die Thatſache, daß
nach außen hin nicht die einzelnen Mitglieder nach Maßgabe
ihres Antheilverhältniſſes als Subjecte des Rechts auftreten,
ſondern die als Trägerin aller Theilrechte, als Inbegriff aller
berechtigten Perſonen gedachte Geſammtheit. Der hier zur An-
wendung gelangende Mechanismus iſt demnach techniſch ganz
derſelbe, wie in dem obigen Verhältniß; hier wie dort ein künſt-
licher Rechtsträger, nur daß der eine leibliche, der andere bloß
begriffliche Exiſtenz hat. Entkleidet man das Verhältniß von
dieſer ſeiner Form, ſo bleibt als realer Kern übrig: Geltend-
machung der Anſprüche im Namen derer, „die es angeht“ (ad
quos pertinet) — wer die ſind, braucht nicht geſagt zu werden,
das iſt eine ausſchließlich innere Frage, die die Mitglieder unter
ſich ausmachen, in derſelben Weiſe, wie bei der Correalobligation.
[213]C. Die abſtracte Analyſe. Vereinfachung des Thatbeſtandes. §. 55.
So reducirt ſich demnach der Kunſtgriff, der bei der juriſti-
ſchen Perſon zur Anwendung gelangt, auf denſelben Gedanken,
wie bei der abſtracten Eigenthumsübertragung und Obliga-
tion: Vereinfachung des Thatbeſtandes auf analytiſchem Wege,
durch Ausſcheidung eines zum vollen Beſtande des Verhält-
niſſes gehörigen Moments. Alle drei Begriffe ſind nichts als
Kunſtproducte, Mechanismen zum Zweck der Erleichterung der
Rechtsverfolgung.277)
Die Frage vom Thatbeſtande iſt keine ausſchließlich privat-
rechtliche, ſie wiederholt ſich wie für alle Theile des Rechts, ſo
auch für das öffentliche. Wie das Rechtsgeſchäft, ſo iſt auch
das Geſetz, wie die Handlungen der Privatperſonen, ſo ſind
auch die der öffentlichen Behörden an gewiſſe Bedingungen ge-
knüpft, deren Nichtdaſein ihre verpflichtende Kraft ausſchließt.
Um ſo viel höher die Sicherheit und Ordnung der öffentlichen
Verhältniſſe, das Intereſſe der geſammten Rechtsordnung über
den Verhältniſſen des Privatlebens ſteht, um ſo viel höher die
Bedeutung, welche die richtige Löſung der Frage für das Staats-
recht hat, gegenüber der, die ihr für das Privatrecht zukommt.
Sind die Erforderniſſe, an welche der Thatbeſtand der politi-
ſchen Akte und Einrichtungen geknüpft iſt, nicht der Art, daß
ſich ihr Daſein oder Nichtdaſein auf den erſten Blick erkennen
läßt, fordern ſie den Zweifel heraus, ſetzen ſie eine Unterſu-
chung voraus, ſo ſchließt dies die größte Gefahr für die bürger-
liche Geſellſchaft, eine Quelle von Verſuchungen und Gewiſſens-
conflicten und vor allem einen Fluch für den ſeiner Stellung
nach am meiſten dadurch betroffenen Richter in ſich. Die richtige
Geſtaltung des Thatbeſtandes für dieſe Verhältniſſe iſt daher
[214]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
eine politiſche Lebensfrage erſten Ranges. Unterſuchen wir, wie
das altrömiſche Staatsrecht dies Problem gelöſt hat.
Wir knüpfen an einen bekannten hiſtoriſchen Fall an. Clo-
dius hatte während ſeines Tribunats den Cicero in die Verban-
nung getrieben und deſſen Haus conſecrirt, beides in den dafür
vorgeſchriebenen Formen. Nachdem Cicero durch Volksbeſchluß
zurückgerufen war, bemühte er ſich dieſe Conſecration rückgängig
zu machen, indem er vor dem Pontificalcollegium, welches dar-
über zu entſcheiden hatte, die Nichtigkeit dieſes Akts auszuführen
verſuchte. Der Weg, den er dabei einſchlug, war folgender.
Clodius, ein geborener Patricier, hatte ſich, um das nur den
Plebejern zugängliche Tribunat zu erlangen, von einem Plebejer
arrogiren und ſodann wieder emancipiren laſſen. Cicero beſtreitet
nun die Gültigkeit dieſes Akts aus verſchiedenen Gründen. An
dem Tage, wo die lex curiata über dieſe Arrogation erlaſſen,
ſeien Himmelsbeobachtungen angeſtellt (servatum de coelo)
— ein Hinderniß für das agere cum populo —, das Altersver-
hältniß zwiſchen Clodius und dem Adoptivvater ſei nicht das
im Pontificalrecht vorgeſchriebene geweſen u. ſ. w. Nachdem
er dadurch die Nichtigkeit der Arrogation dargethan zu haben
glaubt, ſchließt er weiter: war letztere nicht gültig, ſo iſt Clo-
dius nicht Plebejer, folglich auch nicht Volkstribun geworden,
war er letzteres nicht, ſo ſind alle Akte, die er in dieſer Eigen-
ſchaft vorgenommen, mithin auch die durch ihn vollzogene Con-
ſecration nichtig.278)
Die ſtillſchweigende Vorausſetzung, auf der dieſe ganze De-
duction beruht, iſt eine doppelte, erſtens: jeder Verſtoß
gegen das geiſtliche oder weltliche Recht begründet Nichtigkeit
des Akts; zweitens: dieſe Nichtigkeit theilt ſich allem mit,
was auf Grundlage dieſes Akts fernerhin vorgenommen wird.
Es läßt ſich nicht läugnen, daß dieſe Betrachtungsweiſe, die
[215]C. Die abſtracte Analyſe. Vereinfachung des Thatbeſtandes. §. 55.
man als Syſtem der abſoluten politiſchen Nichtigkeit
bezeichnen könnte, einen gewiſſen doctrinären Schein hat, na-
mentlich der zweite Satz, denn wie kann ſich — möchte man ſa-
gen — Leben entwickeln aus einem todten Keim? Anderer-
ſeits aber liegt es auf der Hand, daß ſie mit dem Intereſſe der
öffentlichen Ordnung und Sicherheit völlig unverträglich iſt,
und es bedarf nicht der Bemerkung, daß die Römer am wenig-
ſten das Volk waren, um die realen Zwecke und Anforderungen
des Lebens dem Streben nach theoretiſcher Correctheit zu opfern.
Und nicht einmal das letztere Lob läßt ſich jenem Syſtem nach-
rühmen; der Schein logiſcher Nothwendigkeit, mit dem es ſich
umgibt, iſt leerer Schein, wie denn überhaupt alles praktiſch
Verkehrte und Unbrauchbare nie das theoretiſch Richtige ſein
kann.
Der Weg, den das altrömiſche Staatsrecht eingeſchlagen
hat, iſt in der That ein ganz anderer — ein eben ſo einfacher,
wie logiſch untadelhafter und praktiſch richtiger.
Das geiſtliche Recht, das Fas, ſtellte bekanntlich für die Vor-
nahme aller Akte des öffentlichen Lebens eine Menge von Erfor-
derniſſen auf: ſie ſollten nur vollzogen werden an gewiſſen Ta-
gen, nur, wenn die Auſpicien günſtig ausgefallen, wenn keine
drohenden Himmelserſcheinungen vorgekommen u. ſ. w. Wer
würde nicht erwarten, daß wenn irgendwo, ſo gerade bei dieſen
mit der Weihe göttlicher Sanction bekleideten Vorſchriften die
Nichtbeachtung Nichtigkeit nach ſich gezogen hätte? Aber auch
das göttliche Gebot fügte ſich in Rom den Rückſichten der prakti-
ſchen Zweckmäßigkeit! Ein Augur oder im Felde der Pullarius
hatte ſich bei Einholung der Zeichen ein Verſehen zu Schulden
kommen laſſen oder gar abſichtlich, um den Akt nicht zu verhin-
dern, die Wahrheit entſtellt, der Beamte, der ihn zugezogen,
wußte dies, nahm aber gleichwohl den beabſichtigten Akt vor.
War derſelbe nichtig? Nein! Die Beobachtung der Auſpicien
iſt Sache des Augurn, ſeine Verpflichtung iſt es dabei nach
den Geſetzen ſeiner Kunſt zu verfahren, handelt er denſelben
[216]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
zuwider, ſo ladet er die Schuld auf ſein Haupt und leidet
Strafe,279) aber den Magiſtrat kümmert dies nicht, er hält ſich
einfach an den Ausſpruch des Technikers, ohne denſelben einer
weitern Prüfung zu unterziehen, dazu hat er weder das Recht,280)
noch die Pflicht.281) Das Erforderniß günſtiger Auſpicien redu-
cirt ſich alſo juriſtiſch lediglich auf die Verkündigung derſel-
ben. Nicht aber, als ob die Römer das Wort an die Stelle
der Sache geſetzt hätten282) — mit welchem Grunde hätte dies
geſchehen können? — ſondern weil der Magiſtrat, der dem Au-
gurn die Prüfung der Auſpicien übertragen hatte, das Urtheil
deſſelben ebenſo zu reſpectiren hatte, wie der Prätor, der den
judex beſtellt hatte, das des letztern. Mit andern Worten: das
Erforderniß der richtigen Beobachtung der Auſpicien iſt in die
Form einer dem Augurn auferlegten Verpflichtung gebracht,
es iſt keine Anforderung für den Akt, durch den er das Daſein
günſtiger Auſpicien conſtatirt, ſondern eine Anforderung an
ſeine Perſon.
Ein Prätor hatte an einem dies nefastus eine legis actio
vornehmen laſſen; war dieſelbe nichtig? Die Beobachtung der
richtigen Zeiten und Tage war eins der Grundgeſetze des heili-
gen Rechts, aber dieſe Vorſchrift beſtand nicht für die Partheien,
[217]C. Die abſtracte Analyſe. Vereinfachung des Thatbeſtandes. §. 55.
denen man die genaue Kenntniß und Beobachtung des Kalen-
ders nicht zumuthen konnte,283) ſondern lediglich für den Ma-
giſtrat! 284) Eine Nichtbeachtung derſelben begründete alſo zwar
von ſeiner Seite eine Pflichtverletzung und zog Strafe für ihn
nach ſich, aber auf den Akt erſtreckten ſich die Wirkungen ſeiner
Pflichtverletzung ebenſowenig als die der Verletzung der Obli-
gation von Seiten eines Verkäufers, der die Sache zwei Mal
verkauft, auf die Tradition — der Akt war gültig.285)
Die beiden bisher betrachteten Verhältniſſe laſſen bereits den
Weg, den das ältere Recht zur Löſung des obigen Problems
eingeſchlagen hat, mit ziemlicher Deutlichkeit erkennen, aber zu der
Ueberzeugung, daß wir es hier mit einem vollſtändig ausgebil-
deten, durchdachten politiſchen Syſtem zu thun haben, gelangen
wir erſt, wenn wir noch zwei andere Verhältniſſe von ungleich
höherer politiſcher Tragweite: die Wahl der Magiſtrate und
den Erlaß der Geſetze zur Vergleichung heranziehen.
Das erſte dieſer beiden Verhältniſſe iſt ganz beſonders ge-
eignet, jenes Syſtem ins hellſte Licht zu ſetzen, theils wegen des
relativ reichen bis in die älteſten Zeiten hinaufreichenden Quel-
lenmaterials, das uns dafür zu Gebote ſteht, theils weil uns in
[218]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
ſpecieller Anwendung auf dieſen Fall ein Satz aufbewahrt iſt,
der die Formulirung des ganzen Syſtems enthält. Dieſer Satz
lautet: magistratus vitio creatus nihilo secius magistratus.286)
Mit dieſem der Auguraldisciplin angehörigen Ausdruck vi-
tium287) iſt das Syſtem ſelbſt in einer ſo prägnanten Weiſe
charakteriſirt, daß wir darnach daſſelbe als Syſtem der politi-
ſchen Vitioſität bezeichnen werden.
Mit der Wahl der Magiſtrate verhielt es ſich nun kurz ge-
ſagt folgendermaßen. Alle Erforderniſſe, die für dieſelbe aufge-
ſtellt ſind, ſei es durch Geſetze oder durch Gewohnheitsrecht,
ſeien ſie poſitiver oder negativer Art, ſind in die Form von An-
forderungen an den die Wahlcomitien leitenden Magiſtrat
gebracht. Er iſt für ihre Beobachtung verantwortlich, und ſein
Amtseid und die Ausſicht auf die nach Niederlegung ſeines
Amts ihn treffende Anklage und Strafe bürgen für die Erfül-
lung ſeiner Pflicht. Aber wagt er es darauf, ſetzt er ſich über
jene Vorſchriften hinweg, indem er beim Schluß der Comitien
Jemand als gewählt proklamirt (renuntiatio), deſſen Wahl er
als ungültig hätte zurückweiſen ſollen, ſo iſt der Verkündete,
wenn die Zeit zum Antritt ſeines Amts gekommen, Magiſtrat,
und Niemand darf ihm den amtlichen Gehorſam vorenthalten,
denn wenn auch „vitio creatus“, ſo iſt er doch „nihilo secius
magistratus“. Nur die höchſte Oberaufſichtsbehörde: der Se-
nat kann ihn, ſei es aus eigner oder fremder Anregung, nach-
[219]C. Die abſtracte Analyſe. Vereinfachung des Thatbeſtandes. §. 55.
dem das Vitium in richtiger Form (z. B. durch Ausſpruch des
Augurncollegiums) conſtatirt iſt, removiren, und zwar geſchieht
dies nicht etwa durch Nichtigkeitserklärung ſeiner Wahl — da-
mit wären alle ſeine Amtshandlungen ebenfalls für nichtig er-
klärt 288) — ſondern indem er genöthigt wird, ſein Amt nieder
zu legen (se abdicare magistratu).289) Indem man ihn damit
noch im Moment des Scheidens als legitimen Träger des
Amts anerkannte, rettete man ſeine Vergangenheit, ſchnitt den
unheilvollen Einfluß, den jeder Zweifel an der Gültigkeit ſeiner
Amtshandlungen oder gar die Hinfälligkeit derſelben hätte aus-
üben müſſen, in beſtimmteſter Weiſe ab. Ich muß ſogar beſtrei-
ten, daß der Senat auf Grund der Vitioſität ſeiner Wahl auch
nur eine einzige ſeiner Amtshandlungen hätte reſcindiren kön-
nen, damit wäre er mit ſich ſelber in Widerſpruch gerathen,
denn unter dieſer Vorausſetzung hätte er ſie ſämmtlich caſſiren
müſſen. Wollte er einzelne herausgreifen, ſo mußten Ungültig-
keitsgründe vorgebracht werden, die ſich ſpeciell auf ſie bezo-
gen,290) die ſich aber, wenn’s Noth that, leicht ſanden.
Man wird zugeſtehen, daß die bisher geſchilderte Geſtaltung
des Verhältniſſes eine ungemein glückliche war, ſie vereinigt in
ſich die höchſte Einfachheit mit der größten Klarheit und Sicher-
[220]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
heit. Es iſt ein intereſſanter Beweis für das hohe Alter feſter
ſtaatsrechtlicher Grundſätze in Rom und zugleich für den con-
ſervativen Sinn der Römer, daß die älteſten und jüngſten Ge-
ſetze aus der Republik ſich auf dem von uns bezeichneten Wege
begegnen. Dieſelbe Form, in die die leges Valeriae (305) das
Verbot der Wahl eines magistratus sine provocatione bringen,
nämlich die einer (in dieſem Fall durch Todesſtrafe verſchärften)
Inſtruction an den die Wahlcomitien leitenden Magiſtrat,291)
dieſelbe Form wiederholt ſich noch in der lex Julia municipalis
(709).292) Wer die juriſtiſche Sprache der Römer einigermaßen
kennt, weiß, daß mit dieſer Form alles oben Ausgeführte impli-
cirt iſt, daß alſo die Uebertretung nicht Nichtigkeit, ſondern bloß
Strafe nach ſich zog, oder um den Gegenſatz mit einem römi-
ſchen Kunſtausdruck zu bezeichnen, daß jene Geſetze nicht leges
perfectae, ſondern minus quam perfectae waren.293) Der Kai-
ſerzeit kamen die ſtaatsrechtlichen Traditionen der Republik ſehr
bald abhanden. Schon im erſten Jahrhundert nehmen die Ge-
ſetze über die Wahl der Beamten Beſtimmungen auf, die man
in denen der Republik vergebens ſuchen würde,294) und in dem
Zeitalter der klaſſiſchen Juriſten war die Erinnerung an die
ſtaatsrechtliche Doctrin der Republik bereits in dem Maße ver-
ſchwunden, daß zwei dieſer Juriſten ſich abmühen mußten, eine
Entſcheidung, die ihre Vorgänger zur Zeit der Republik einfach
[221]C. Die abſtracte Analyſe. Vereinfachung des Thatbeſtandes. §. 55.
auf den Satz: magistratus vitio creatus nihilo secius magi-
stratus geſtützt hätten, als eine zweifelhafte und fragliche erſt
noch mit allerhand Gründen zu motiviren.295)
Bei der untergeordneten Bedeutung, welche der Gegenſtand
für meine Zwecke hat, muß ich es mir verſagen, den obigen für
die richtige Auffaſſung der römiſchen Magiſtratur höchſt frucht-
baren Geſichtspunkt ausführlicher zu verfolgen. Aber in einer
Richtung möge man mir dies wenigſtens verſtatten.
Wer den eben geſchilderten Mechanismus in juriſtiſch präg-
nanter Weiſe ausdrücken wollte, durfte in Hinblick darauf, daß
das durch die Abſtimmung des Volks herbeigeführte Reſultat
der Wahl erſt durch die Renuntiation von Seiten des Vorſitzen-
den ſeinen formellen, bindenden Abſchluß erhielt, dieſen letzten
Akt als den entſcheidenden bezeichnen und geradezu ſagen: der
Vorſitzende creire den Magiſtrat. Dieſe in den Quellen
nicht ſelten vorkommende Wendung hat die Anſicht hervorgeru-
fen,296) als ob die Magiſtratur nicht in der Souveränität des
Volks, ſondern in ſich ſelber gewurzelt habe, nicht durch den
Willen des Volks vergeben und beſetzt worden ſei, ſondern ſich
durch und aus ſich ſelber fortgepflanzt habe, wonach das Wahl-
recht des Volks ſich ſtaatsrechtlich auf ein bloßes Präſentations-
oder Petitionsrecht reducirt haben würde. Man kann zuge-
ſtehen, daß hie und da die Beamten factiſch ſich in dieſer Weiſe
gerirten; — in der Zeit des Umſturzes ging dies ſogar ſoweit,
daß zwei ohne allen vorhergegangenen Wahlact ſich ſelber re-
nuntiirten.297) Allein dem Geiſt der Verfaſſung widerſprach das
[222]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
meiner Anſicht nach in eben dem Maße, als wenn heutigen Tags
der Landesherr ein mit den Ständen vereinbartes Geſetz nicht
verkünden wollte. Geſetz wird es erſt durch Verkündigung von
ſeiner Seite, aber daraus folgt keineswegs, daß dieſelbe lediglich
ſeinem Ermeſſen und Belieben anheimgeſtellt iſt — er iſt ver-
pflichtet, ſie vorzunehmen. In derſelben Weiſe war der römiſche
Magiſtrat verpflichtet, das Wahlergebniß, inſofern daſſelbe nicht
rechtlich 298) zu bemängeln war, zu reſpectiren und zu verkün-
den. Daß er thatſächlich ſich dieſer Pflicht entziehen konnte, und
daß es an Beiſpielen nicht fehlt, wo dies zum Heil des Staats
geſchah, ſollte über ſeine Stellung nicht irre führen. Hatte doch
auch der Augur es in der Hand, die wirklich beobachteten Au-
ſpicien zu unterſchlagen, erlangte der Wille der Götter doch
auch nur durch ſeine Nuntiation und nur in der Geſtalt, wie
er ſie vorgenommen, ſeine bindende Kraft. Wie aber er gleich-
wohl nichts war als Organ und Verkündiger des göttlichen
Willens, ſo war es auch der Beamte in Bezug auf den Willen
des Volks — auch wenn ſie ſich thatſächlich zu Herren deſſel-
ben machten, waren ſie doch ſtaatsrechtlich Diener deſſelben.
Das bisher entwickelte Syſtem erreichte ſeinen Culmina-
tionspunkt bei der Frage von der Gültigkeit der Geſetze. Das
in gehöriger Form 299) verkündete Geſetz iſt Geſetz, auch wenn
es an noch ſo vielen Fehlern leidet. Möge es alſo z. B. durch
Zwang oder Gewalt durchgeſetzt,300) möge es gegen die Auſpi-
cien 301) oder mit Vernachläſſigung der üblichen Vorbereitungs-
[223]C. Die abſtracte Analyſe. Vereinfachung des Thatbeſtandes. §. 55.
formen 302) erlaſſen ſein — ſo lange der Senat nicht die Aufhe-
bung deſſelben verfügt hat, iſt es für Jedermann verbindlich.
Die Aufhebung erfolgte in derſelben Weiſe, wie die der fehler-
haften Wahl des Magiſtrats, d. h. das Geſetz ward nicht für
nichtig erklärt, ſondern es ward aufgehoben,303) m. a. W.
dieſer Akt hatte keine rückwirkende Kraft, ſondern er wirkte erſt
von jetzt an, alle Verfügungen, Maßregeln, Urtheile u. ſ. w.,
die auf Grund des Geſetzes getroffen und geſprochen waren,
blieben demnach gültig; der Schuldige ward zur Verantwortung
gezogen.
Von beſondrem Intereſſe iſt die Frage von der Gültigkeit
der im materiellen Sinn verfaſſungswidrigen Geſetze d. h.
derjenigen, durch welche ein Fundamentalgrundſatz der römiſchen
Verfaſſung ſei es ſchlechthin aufgehoben, ſei es bloß im einzel-
nen Fall verletzt worden war. Dürfte man der Auctorität des
Cicero trauen, der aber gerade für die vorliegende Frage ein
mehr als bedenklicher Gewährsmann iſt (ſ. u.), ſo würde ein
ſolches Geſetz gar keine Kraft gehabt haben.304) Wie ſehr eine
ſolche Geſtaltung des Verhältniſſes, welche jeden Bürger zum
Richter über die Verfaſſungsmäßigkeit der Geſetze machte, mit
dem ganzen bisher geſchilderten Syſtem in Widerſpruch geſtan-
den, wie ſehr ſie alle die Gefahren heraufbeſchworen haben
würde, denen das alte Staatsrecht im übrigen in ſo planmä-
ßiger und umſichtiger Weiſe zu begegnen bemüht war — dar-
über würde jedes Wort ein verlorenes ſein. Aber andererſeits
301)
[224]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
gab es doch Geſetze und Einrichtungen, die durch das Fas und
Jus den Charakter unverletzlicher, unantaſtbarer Normen erhal-
ten hatten, ſo z. B. die mit der Plebs vereinbarten leges sacra-
tae? Unſtreitig! Allein auch hier bewährt ſich wiederum der
feine Sinn für die Correctheit der juriſtiſchen Form. Ein Ge-
ſetz, das ſich nicht aufheben ließe, ſelbſt wenn es noch ſo ſehr
mit dem Stempel göttlicher Weihe verſehen wäre, iſt in den
Augen der Römer ein Unding. Das ſpätere Geſetz hebt das
frühere auf — das hatten ſchon die XII Tafeln beſtimmt.305)
Die beabſichtigte Unantaſtbarkeit des Geſetzes ward daher nicht
in der Weiſe vermittelt, daß man ſeine Aufhebung für unmög-
lich erklärt hätte, ſondern daß man ſie bloß verbot,306) und
zwar mittelſt Androhung von Strafen,307) die ſich bei den leges
sacratae bis zur sacratio capitis et familiae ſteigerten. Die im
Geſetz vorgeſehene Strafe traf den, der einen Antrag auf Auf-
hebung deſſelben geſtellt hatte, ſelbſt dann, wenn das Volk ſei-
nen Antrag angenommen hatte, denn die Stellung deſſelben
fiel noch unter die Herrſchaft des alten Geſetzes, das neue wirkte
erſt von dem Moment, wo es erlaſſen war. Um ſich gegen dieſe
Gefahr zu ſichern, fügte der Antragſteller dem Geſetzentwurf
eine Clauſel hinzu, durch die ihm Strafloſigkeit zugeſichert
ward.308) Aber dies Mittel war kein völlig ſicheres. Lehnte
das Volk den Antrag ab, ſo war damit auch die Indemnitäts-
[225]C. Die abſtracte Analyſe. Vereinfachung des Thatbeſtandes. §. 55.
clauſel verworfen, und die erſte Lebensäußerung des leichtfertig
angetaſteten Geſetzes beſtand in der Strafe, mit der es das At-
tentat auf ſein Beſtehen an dem Schuldigen rächte. So war es
alſo nichts weniger als ein gefahrloſes Unternehmen, an den
beſtehenden Geſetzen und Einrichtungen zu rütteln; wenigſtens
wer ſeiner Sache nicht völlig ſicher war — und die Sicherheit
war nicht bloß durch die Stimmung des Volks, ſondern auch
durch die der zur Interceſſion berechtigten Beamten oder der
die Auſpicien in der Gewalt habenden Augurn, durch zufällige
Störungen u. ſ. w. bedingt —, kurz wer nicht auf alle die vie-
len Vorausſetzungen zählen konnte, von deren Eintritt die defi-
nitive Annahme ſeines Geſetzentwurfes abhing, der ſpielte ein
gewagtes Spiel, ein Spiel, das ihn möglicherweiſe um Leib
und Leben und ſein ganzes Vermögen bringen konnte. Es war
die Miniſterverantwortlichkeit des römiſchen Alterthums,309) der
Schutz gegen Verfaſſungsveränderungen. Daß die Aufhebung
der Geſetze, wenn die Zeit dazu gekommen war, nicht ausge-
ſchloſſen war, bedarf nicht der Bemerkung.310) Eine andere
Clauſel zu demſelben Zweck war die, daß der Antrag nur inſo-
weit geſtellt ſein ſolle, als dies geſetzlich erlaubt ſei — eine
Clauſel, die Sinn hatte, wo es zweifelhaft, nicht aber, wo es
klar war, daß der Antrag gegen die Strafſanction eines früheren
Geſetzes verſtieß.311)
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 15
[226]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Ueberſchaut man die bisher von mir angeführten Fälle, ſo
wird Jeder mein obiges Urtheil, daß wir es hier mit einem
wohldurchdachten, ausgebildeten Syſtem zu thun haben, ge-
rechtfertigt finden, und man wird es mir gern erſparen, daſſelbe
noch weiter in ſeine Einzelheiten zu verfolgen.312) Der Grund-
gedanke deſſelben beſteht darin, daß die Erforderniſſe aller öffent-
lichen Akte und Maßregeln in zwei Claſſen gebracht werden.313)
Die der einen Claſſe bilden die conſtitutiven Momente des Akts;
ſoweit ich beurtheilen kann, ſind ſie lediglich formeller Art,
die Vornahme des Akts muß von Seiten der competenten Be-
hörde und in der dafür vorgeſchriebenen Form erfolgt ſein. Alle
Erforderniſſe, die das Sachliche des Akts betreffen, ſind der
zweiten Claſſe zugewieſen, d. h. ſie tragen die ſchwächere Form
von Geboten, Verboten, kurz von Vorſchriften an ſich, die ledig-
lich an den gerichtet ſind, der den Akt vornimmt. Die Garantie
ihrer Beobachtung beruht auf ſeiner Pflichttreue, ſeinem Amts-
eid, der angedrohten Strafe; ſetzt er ſich darüber hinweg, ſo iſt
der Akt an ſich gültig. Die Garantie für die Erforderniſſe der
erſten Claſſe beruht auf der Nichtigkeit des Akts. Sie ſind ſol-
311)
[227]C. Die abſtracte Analyſe. Vereinfachung des Thatbeſtandes. §. 55.
cher Art, daß Jeder ſie beurtheilen kann, man hört und man
ſieht ſie; Zweifel ſind nicht möglich, die Anordnung der Nich-
tigkeit hat hier nicht den geringſten Anſtand. Ein Wahlcandi-
dat, der von allen Centurien gewählt, aber nicht renuntiirt war,
galt nicht als Magiſtrat, dagegen mochten, wenn die Renun-
tiation erfolgt war, alle gedenkbaren Verſtöße gegen das geiſt-
liche und weltliche Recht bei ſeiner Wahl zuſammengetroffen
ſein — er war und blieb Magiſtrat, bis er auf Befehl des Se-
nats ſich dieſer ſeiner Würde begeben hatte.
Wer von der im Bisherigen gewonnenen Grundlage des
poſitiven römiſchen Staatsrechts aus die Deduction von Cicero,
die den Ausgangspunkt unſerer Unterſuchung gebildet hat
(S. 214), einer Beurtheilung unterziehen will, wird darüber
kaum ein anderes Urtheil fällen können, als daß ſie eine Kette
von lauter Unrichtigkeiten enthält, und ſich nicht darüber wun-
dern können, daß ſie, wie er ſelber die Naivität hat einzuge-
ſtehen,314) vor den Augen der im Staatsrecht beſſer unterrichte-
ten im Uebrigen ganz mit ihm ſympathiſirenden Autoritäten keine
Gnade gefunden hatte. Mochten die Pontifices bei der Arro-
gation des Clodius alle Regeln ihres Rechts außer Acht gelaſſen
haben, daraus folgte im Mindeſten nicht der Schluß, den Ci-
cero zieht, daß ſie nichtig war; 315) die Beobachtung jener Re-
geln war Sache der Pflichterfüllung der Pontifices. Mochten
an jenem Tage Himmelsbeobachtungen angeſtellt ſein, die lex
curiata über die Adoption ward dadurch vitiös, aber nicht nich-
tig. Mochte endlich Clodius ebenfalls in vitiöſer Weiſe Ple-
bejer und Volkstribun geworden ſein, die Akte, die er in der
letzten Eigenſchaft vorgenommen hatte, waren und blieben gültig.
Werfen wir jetzt einen Blick zurück auf den Gedanken der
analytiſchen Vereinfachung des Thatbeſtandes, ſo wird es nicht
15*
[228]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
überflüſſig ſein zu zeigen, daß das bisher geſchilderte politiſche
Syſtem nur eine Anwendung dieſes Gedankens enthält. Der-
ſelbe Mechanismus, den das Privatrecht bei der mancipatio,
in jure cessio und den abſtracten Obligationen zur Anwendung
bringt, wiederholt ſich beim Geſetz, bei der Wahl der Magi-
ſtrate und allen Amtsverrichtungen der politiſchen und geiſtlichen
Gewalten: der Geſammtbeſtand des Verhältniſſes ſpaltet ſich
in zwei Theile, ein Theil bleibt zurück als abſolut weſentlich,
als Thatbeſtand — er beſchränkt ſich bei jenen politiſchen
Akten, ſo zu ſagen, auf die abſtracte That, auf das nackte Wort,
die einfache Verkündigung — der andere aber ſcheidet aus und
nimmt die Form der Verpflichtung an, im Privatrecht die
der Obligation, im Staatsrecht die einer durch Geſetz, Ge-
wohnheitsrecht und religiöſe Satzung normirten Amtspflicht
und wird damit des nachtheiligen Einfluſſes auf das Verhält-
niß ſelber beraubt. Was die mangelhafte oder fehlende causa
bei dem Eigenthum und der abſtracten Obligation, das iſt das
Vitium bei den öffentlich rechtlichen Verhältniſſen. Die Con-
dictionen wegen mangelhafter causa repräſentiren für das Pri-
vatrecht dieſelbe Erſcheinung, wie die Reſciſſion der Geſetze,
Wahlen und Handlungen der Magiſtrate durch den Senat für
das öffentliche Recht; indem das Geſetz die Befugniß zur An-
fechtung auf eine beſtimmte Perſon beſchränkt, ſchützt es das
Verhältniß gegen die Gefahr, bei jedem Verſuch ſeiner Lebens-
äußerung von Jedermann in Frage geſtellt und gelähmt zu wer-
den — kurz das Verhältniß verdankt ſeine Geſundheit und
Kraft der Ausſcheidung des Krankheitsſtoffes: des
Cauſalmoments und des Vitiums.
[[229]]
Das Geſetz der Sparſamkeit — Die Kunſt ſich zu behelfen — Der
einfache und künſtliche Weg — Exemplification des erſtern an einer
Reihe von Beiſpielen.
LVI. Das Geſetz der logiſchen Sparſamkeit iſt eins der
Fundamentalgeſetze der juriſtiſchen Technik (B. 2 S. 344),
gleichmäßig geltend für alle Epochen der Jurisprudenz; die Ver-
ſchiedenheit der Entwicklungsſtufe, die ſie einnimmt, beſtimmt
nur die Art und die Formen, in denen ſie es zur Anwendung
bringt. In anderer Weiſe handhabt der Meiſter, in anderer der
Anfänger die Regeln der Kunſt, jener mit der Freiheit, welche die
Frucht der Sicherheit, dieſer mit der Unfreiheit, welche die Be-
gleiterin der Unſicherheit iſt; der Weg zur Freiheit in der Kunſt
geht durch die Schule d. h. durch eine Periode ſklaviſcher Unter-
ordnung unter die Regel (S. 8, 9) hindurch. Davon haben wir
in dem vorhergehenden Abſchnitt über die Analyſe, insbeſondere
in ihrer Anwendung auf den Proceß und das Rechtsgeſchäft
reichliche Gelegenheit gehabt uns zu überzeugen, einen neuen
Beitrag wird uns die folgende Ausführung geben.
Das Geſetz der Sparſamkeit, um das der Zweig der alt-
juriſtiſchen Kunſt, dem wir fortan uns zuwenden, ſich dreht,
lautet einfach: was die Jurisprudenz mit den gegebenen Mit-
teln und Begriffen zu Wege bringen kann, dafür ſoll ſie keine
beſondern benutzen. In unſerer heutigen Wiſſenſchaft vollzieht
[230]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
ſich dieſe Regel in einer ſo wenig auffälligen, kaum ſichtbaren
Weiſe, ſo ſehr auf rein negativem Wege durch bloße Unterlaſſung
eines Verſtoßes gegen ſie, daß man ſich ihrer Wahrnehmung leicht
verſchließen kann. Ein Blick auf die altrömiſche Jurisprudenz
dagegen muß das Daſein und die hohe Bedeutung derſelben
ſofort zum Bewußtſein bringen. Denn die Anſtrengungen, die
letztere macht, um ihr nachzukommen, ſind ſo gewaltſam, die
Mittel, die ſie anwendet, ſo künſtlich und verzwickt, die Wege,
die ſie einſchlägt, ſo gewunden und weitläufig, daß Niemand,
der überhaupt das Bedürfniß fühlt, ſich über die äußern Er-
ſcheinungen Rechenſchaft zu geben, unaufmerkſam an ihnen vor-
übergehen kann, ſie leiten ihn mit Nothwendigkeit auf die
richtige Spur.
Die Erſcheinungen nun, die durch dies Beſtreben, die vor-
handenen Mittel bis zum äußerſten Grad ihrer Verwendbarkeit
auszunutzen, hervorgerufen ſind, faſſe ich zuſammen unter den
Geſichtspunkt der juriſtiſchen Oekonomie oder der Kunſt
ſich mit dem Gegebenen zu behelfen.
Die Kunſt ſich zu behelfen iſt das Erbtheil der Armen, im
Haushalt des Reichen gedeiht ſie nicht. Unſere heutige Wiſſen-
ſchaft genügt dem Geſetz der Sparſamkeit ſchon, indem ſie nicht
verſchwendet, d. h. nichts Ueberflüſſiges poſtulirt, Nichts,
was ſie auf andere Weiſe auf dem Wege der Combination und
Deduction gewinnen kann, ſie hat aber nicht nöthig, ſich etwas
Nothwendiges zu verſagen. Wenn alſo das Leben ihr neue
Verhältniſſe zuführt, wie z. B. die Inhaberpapiere, die Aus-
lobungen, die ſie mit den bisherigen römiſch-rechtlichen Be-
griffen nicht genügend conſtruiren kann, ſo darf ſie ſich der An-
forderung, die zu dem Zweck nöthigen Begriffe aufzuſtellen,
nicht entziehen. Denn die gereifte Wiſſenſchaft muß die Kraft
beſitzen, ſich des Neuen in ſeiner wahren, ureignen Geſtalt zu
bemächtigen, und ſoll daher jene Nothbehelfe, mittelſt deren die
Jurisprudenz der Kindheitszeit dieſer Aufgabe auszuweichen
wußte, verſchmähen.
[231]Beſtreitung der Bedürfniſſe auf einfachem Wege. §. 56.
Für letztere dagegen ſind dieſe Nothbehelfe eine durch ihre
Entwicklungsſtufe gegebene Nothwendigkeit, und ſie wiederholen
ſich darum auch überall, in beſonders ausgeprägter Geſtalt im
engliſchen Recht. Für ſie iſt die Kunſt ſich mit wenigem zu be-
helfen eine Lebensfrage; unter der Maſſe des Materials würde
ſie zu Grunde gehen. Die Herrſchaft über den Stoff kann ſie
ſich nur dadurch ſichern, daß ſie die Ordnung, in die ſie ihn
einmal gebracht hat, ängſtlich hütet, an den Grundlagen und For-
men, auf denen dieſe Ordnung beruht, nicht leichtſinnig rüttelt.
Ein neuer Gedanke, der Aufnahme begehrt, iſt ihr daher nicht,
wie uns, ein willkommner Gaſt, ſie erblickt in ihm nicht mit
uns eine werthvolle Erweiterung des Wiſſens, ſondern einen
unbequemen Eindringling, der den Beſtand der bisherigen Ord-
nung in Frage ſtellt. Gezwungen ihn zuzulaſſen, thut ſie dies
in einer Weiſe, die dieſen Beſtand möglichſt wenig alterirt, ſie
bereitet für ihn, wenn ich ſo ſagen darf, kein beſonderes Bett,
wo er ſich frei ſtrecken und rühren kann, ſondern ſie bringt ihn
unter, wo es eben am beſten geht.
Dies Beſtreben, die neuen Gedanken oder ſagen wir beſſer:
die neuen Zwecke und Bedürfniſſe, die der Fortſchritt der Bil-
dung und die Entwicklung des Verkehrs mit ſich bringen, mög-
lichſt mit den gegebenen Mitteln zu beſtreiten, führte noth-
wendigerweiſe in manchen Fällen zu einer höchſt gewaltſamen
Spannung, um nicht zu ſagen: Verrenkung des vorhandenen
Rechts. Das ſchlagendſte Beiſpiel dafür liefert das testamentum
per aes et libram, bei dem die mancipatio in ihrer urſprüng-
lichen Geſtalt faſt bis zur Unkenntlichkeit entſtellt iſt. Es gibt
kaum größere Gegenſätze im ganzen Recht, als den Begriff des
Kaufs und der Eigenthumsübertragung auf der einen und den
des Teſtaments und der Univerſalſucceſſion auf der andern Seite.
Nicht immer aber bedurfte es für den angegebenen Zweck ſo
künſtlicher Mittel, nicht ſelten reichten auch ganz einfache aus.
Der römiſche Scharfſinn war in Entdeckung derſelben ungemein
erfinderiſch und hat in dieſer Richtung Probeſtücke zu Tage ge-
[232]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
fördert, die durch ihre Feinheit und geniale Einfachheit über-
raſchen — glückliche Würfe des juriſtiſchen Genies, die uns
heutzutage noch als Muſter dienen können.
Für das richtige Verſtändniß des ältern Rechts iſt die Kennt-
niß der juriſtiſchen Oekonomie von nicht geringerer Erheblichkeit,
als die der juriſtiſchen Analyſe. An der Bildung und Geſtaltung
der juriſtiſchen Seite des ältern Rechts haben beide den gleichen
Antheil. Dagegen liegt allerdings der geiſtige Höhepunkt, zu
dem ſich die juriſtiſche Kunſt in dieſem zweiten Zweige erhebt,
tiefer, als bei dem erſten. Nicht etwa, als ob ſie hier hinter
ihrer Aufgabe zurückgeblieben wäre; aber die Aufgabe ſelber
verſtattete ihr nicht denſelben Spielraum zur Entfaltung geiſtiger
Kraft, nicht jene Verſenkung in das Feinſte und Tiefſte der
Begriffswelt, zu der das Problem der Zerſetzung Anlaß bot.
Die Leiſtungen, die ſie hier aufzuweiſen hat, beſtehen mehr in
Löſung von Aufgaben, als in Löſung einer Aufgabe. Von
der Analyſe waren wir im Stande eine Theorie zu entwerfen
d. h. ein Syſtem von Regeln aufzuſtellen, die in einem oberſten
Geſichtspunkt ihren letzten Grund hatten und unter ſich in engſter
Wechſelwirkung ſtanden. Das iſt uns bei der juriſtiſchen
Oekonomie nicht möglich. Für dieſe logiſche Durchbildung eines
Princips, dieſe Dialektik des Gedankens, der von Regel zu
Regel fortſchreitend das ganze Recht umſpannt und beherrſcht,
bot ſie eben keinen Raum. Unſere Darſtellung nimmt dadurch
einen weſentlich andern Charakter an, ſie hat ſich zu beſcheiden,
eine Reihe von Fällen und Verhältniſſen namhaft zu machen,
an denen unſer obiger Geſichtspunkt wahrnehmbar wird. Das
Maß, in dem dies zu geſchehen hat, iſt rein Sache des durch
die Rückſicht der Zweckmäßigkeit geleiteten ſubjectiven Ermeſſens.
Ich werde ſo viel Material heranziehen, als nöthig iſt, um auch
dem minder Kundigen ein anſchauliches Bild jener Methode zu
gewähren und ihn damit in Stand zu ſetzen, die Anwendung
auf andere Fälle ſelber zu machen. Dabei werde ich mich
derſelben Freiheit bedienen, wie bei früheren Gelegenheiten,
[233]Beſtreitung der Bedürfniſſe auf einfachem Wege. §. 56.
indem ich meine Beiſpiele nicht bloß dem ältern, ſondern auch
dem neuern Recht entlehne. Ueber die Benutzung und Gruppirung
des hiſtoriſchen Materials entſcheidet in meinen Augen nicht der
Umſtand ob das Einzelne, ſondern ob das Princip nach
der einen oder andern Epoche gravitirt. Daß aber die hier zu
ſchildernde Kunſt der juriſtiſchen Verwendung ihre richtige Stelle
in der Entwicklungsgeſchichte des römiſchen Rechts nur im alten
Syſtem findet, indem ſie ihm nicht bloß ihrem Urſprung, ſondern
auch ihrer Blüthezeit nach angehört, darüber wird der Verfolg
der Darſtellung hoffentlich keine Zweifel übrig laſſen.
Nur ein einziger Geſichtspunkt hat ſich mir dargeboten, um
die Maſſe des Materials wenigſtens in zwei größere Gruppen
zu vertheilen. Es iſt der oben angedeutete der Einfachheit oder
Künſtlichkeit der aufgebotenen Mittel. Aber auch er hat nur
einen relativen Werth, indem der Maßſtab darüber: was künſt-
lich, was einfach ſei, ein ziemlich ſchwankender iſt, ein Uebelſtand,
der übrigens hier, wo es ſich nicht um begriffliche Scheidung,
ſondern lediglich um die Gruppirung des Stoffs handelt, gar
nicht ins Gewicht fällt. Einfach nenne ich diejenige Verwen-
dung eines Rechtsſatzes oder Rechtsinſtituts, die dieſelben einem
Zwecke dienſtbar macht, für den ſie zwar ihrer Intention nach
nicht beſtimmt ſind, der ihnen aber doch nicht widerſtrebt.
Künſtliche Mittel nenne ich diejenigen, bei denen die Rechts-
ſätze und Rechtsinſtitute Dienſte leiſten ſollen, die über ihr natür-
liches Leiſtungsvermögen, ihren Sinn und Zweck hinausgehen,
bei denen ihnen alſo zu dem Ende Gewalt angethan werden
muß. Die fiduciariſche Eigenthumsübertragung an den Stell-
vertreter (ſ. unten Note 327) als Surrogat der dem ältern
Recht fehlenden directen Stellvertretung war ein einfaches Mittel,
denn dem Begriff der Eigenthumsübertragung geſchah, indem
ſie einem ſolchen Zweck dienen mußte, keine Gewalt. Die
Verwendung der Ehe dagegen lediglich zu dem Zweck, der Frau
andere Tutoren oder die Befreiung von den sacris zu ver-
ſchaffen (§. 58), war ein künſtliches Mittel, denn eine der-
[234]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
artige Verwendung der Ehe widerſtreitet ihrem innerſten Weſen,
ſie wird hier zum reinen Scheinakt herabgewürdigt. Dieſe letztere
Art der Benutzung, die ich als Spannung der Begriffe, For-
men u. ſ. w. des Rechts bezeichne, ſetzte daher ſtets eine Con-
nivenz in der rechtlichen Beurtheilung voraus, wie dies die
nähere Betrachtung dieſer Mittel (§. 58) des Weitern ergeben wird.
Ich wende mich jetzt der erſten Gruppe von Mitteln zu. Im
Intereſſe ihres wahren Verſtändniſſes halte ich es für förderlich,
den Zweck, ſoweit dies möglich, mit heutigen Namen zu be-
zeichnen und ihn dadurch unſerer heutigen Anſchauungsweiſe
näher zu rücken. Ich denke mir den Zweck als eine einem alt-
römiſchen Juriſten geſtellte Aufgabe; überzeugen wir uns, wie
ihm mit den Mitteln, die das vorhandene Recht ihm darbot, die
Löſung derſelben gelang.
Der Zweck dieſes modernen Inſtituts iſt bekanntlich ein dop-
pelter: einmal dem Erben die mit der Regulirung des Nach-
laßweſens verbundenen Mühen und Laſten abzunehmen — ein
Zweck, der bei den Grundſätzen des ältern Rechts über die Stell-
vertretung für die Römer noch eine höhere Wichtigkeit hatte, als
für uns — und ſodann die Ausführung der teſtamentariſchen
Anordnungen dadurch zu ſichern, daß ſie aus den Händen des
an ihrer mangelhaften oder verzögerten Ausführung intereſſirten
Erben in die einer unintereſſirten Perſon gelegt wird.
Das römiſche Mittel für dieſen Zweck war: Einſetzung des
Teſtamentsexecutors zum Erben mit der Verpflichtung, den Netto-
ertrag der Erbſchaft nach Abzug einer entſprechenden Remune-
ration für ſeine Mühe der eigentlich gewünſchten Perſon zu
reſtituiren. So lange die Höhe der Legate keiner Beſchränkung
unterworfen war, ließ ſich dieſe Verpflichtung in Form des Legats
bewerkſtelligen, ſei es in der Weiſe, daß der Erblaſſer ſelber den
Nettoertrag der Erbſchaft zu Geld anſchlug und dieſen Betrag
legirte oder, da dies oft zur Zeit der Teſtamentserrichtung noch
[235]Beſtreitung der Bedürfniſſe auf einfachem Wege. §. 56.
nicht möglich war, in Form des legatum partitionis, bei dem
ihm, wie wir nicht anders wiſſen, die Anordnung des Theil-
verhältniſſes völlig frei ſtand, 316) alſo auch eine ſolche,
wobei der eingeſetzte Erbe gerade nur ſo viel erhielt, als ihm
für ſeine Mühwaltung zugedacht war. Seitdem die Legate rück-
ſichtlich ihres Betrages einer geſetzlichen Beſchränkung unter-
worfen waren, mußte man ſich anderer Mittel bedienen, nämlich
entweder der Einſetzung des Erben unter einer Bedingung
(Titius, si Maevio centum millia dederit oder promiserit oder
juraverit se ei daturum, heres esto) oder des Univerſalfidei-
commiſſes (deducta re oder summa), letzteres freilich, bevor es
klagbar geworden war, ein trügeriſches, ganz von der Treue und
Zuverläſſigkeit des Erben abhängiges Mittel. Es begreift ſich
jetzt, was die Römer zu dem ſcheinbaren Widerſpruch veranlaſſen
konnte, dem Eingeſetzten mit der einen Hand die Erbſchaft zu
geben, mit der andern ſie ihm zu entziehen. Die Abſicht war
gar nicht darauf gerichtet, ihm die Erbſchaft, ſondern ledig-
lich die Stellung eines Rechtsträgers317) einzuräumen.
Sollten dieſe Mittel bei Kindern in der Gewalt angewandt
werden, was namentlich im Fall ihrer Unmündigkeit ganz an-
gemeſſen ſein konnte, ſo bedurfte es zu dieſem Zweck erſt noch einer
Exheredation derſelben, — eine Anwendung der Exheredation,
die den Unkundigen leicht irre führen kann. Allein ſo wenig
wie die obige Erbeseinſetzung den Zweck der effectiven Zu-
wendung des Nachlaſſes, ſo wenig hatte dieſe Enterbung den
der effectiven Entziehung deſſelben, ſie war weit entfernt ein
Akt der Liebloſigkeit zu ſein, umgekehrt eine durch die umſichtigſte,
wohlwollendſte Fürſorge dictirte Maßregel. 318)
[236]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
Erbrechts.
Der Teſtator wünſcht den Erben in die Lage zu verſetzen,
daß er je nach Gutbefinden die Erbſchaft auf einen Andern über-
tragen oder ſie ſelber antreten kann; wie hat er es anzufangen?
Nicht in der Weiſe, daß er dies direct verfügt, die römiſchen
Juriſten ließen eine ſolche Uebertragung nur bei der hereditas
legitima, nicht auch bei der teſtamentariſchen Erbſchaft zu. 319)
Vielmehr in der Weiſe, daß er einen Sklaven der beabſichtigten
Perſon oder, da dieſer ſterben kann, der Sicherheit wegen ſämmt-
liche Sklaven derſelben ſei es neben ſei es hintereinander zu
Erben einſetzt. Nach ſeinem Tode hat dann der Eigenthümer
des Sklaven die Wahl, ob er die Erbſchaft durch letztern an-
treten laſſen oder ſie auf einen Andern übertragen will. Zu dem
Zweck muß er dieſem den Sklaven mancipiren und zwar für
den Fall, daß er letzteren zurückhaben will, unter Hinzufügung
eines darauf zielenden Fiduciarvertrages. 320) Auf dieſe Weiſe
erhält er ganz wie im obigen Fall den Nettowerth der Erbſchaft
und wird ſelbſt von den sacris frei; der Käufer bekommt für
ſeine Mühwaltung eine Proviſion oder berechnet ſie ſich implicite
im Kaufpreis. 321)
[237]Beſtreitung der Bedürfniſſe auf einfachem Wege. §. 56.
des Eingeſetzten.
Wenn der Eingeſetzte den Anfall der Erbſchaft nicht erlebt,
ſo iſt dieſelbe für ſeine Erben verloren. Nun kann es aber der
Wille des Teſtators ſein, dieſen Verluſt abzuwenden. Wie iſt
dies zu erreichen? Auf directem Wege ebenfalls nicht. Der
Teſtator kann allerdings dem Eingeſetzten andere Perſonen ſub-
ſtituiren, alſo auch deſſen jetzige nächſte Inteſtaterben, allein
die jetzigen ſind nicht immer auch die zukünftigen, eine Sub-
ſtitution der „zukünftigen Erben deſſelben“ aber als zur Zeit noch
ungewiſſer Perſonen (personae incertae) iſt unſtatthaft. Die
Antwort auf die obige Frage wird der Leſer ſich nunmehr ſelber
geben. Der Teſtator ſetzt wiederum die Sklaven der beabſichtigten
Perſon zu Erben ein; wenn letztere ſtirbt, ſo geht mit ihrer Erb-
ſchaft auch das Eigenthum der Sklaven und damit die ſeinige
auf diejenigen Perſonen über, die zu jener berufen ſind.
Nach römiſchem Recht iſt ein Verſprechen an eine unbeſtimmte
Perſon (z. B. der Reſtitution des Vermögens des arrogirten
Unmündigen an ſeine „demnächſtigen“ Erben, oder einer Prämie
an „den, der die Sache wiederbringt“) ebenſo wenig juriſtiſch
wirkſam, als die Erbeinſetzung unbeſtimmter Perſonen, gleich-
wohl bot aber das römiſche Leben zur Leiſtung derartiger Ver-
ſprechungen manche Veranlaſſung dar. 322) Das ſo eben er-
wähnte erſte Beiſpiel lehrt uns, wie man ſich hier half, ohne
einen der oberſten Grundſätze des Obligationenrechts Preis zu
321)
[238]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
geben. Der Arrogator, dem die Arrogation des Unmündigen
nur gegen Uebernahme der Verpflichtung, das Vermögen des-
ſelben, wenn er während der Unmündigkeit verſterben ſollte, dem
„demnächſtigen“ Inteſtaterben deſſelben herauszugeben, verſtattet
wird, verſpricht dieſe Herausgabe dem servus publicus d. i. der
Commune, alſo einer bereits jetzt beſtimmten Perſon. 323) Bei
Eintritt der Bedingung cedirt letztere ihre Klage den betreffen-
den Perſonen oder ſtellt ſie ſelber an und gibt das Empfangene
heraus. 324)
Einen ähnlichen Weg ſchlug man in ſolchen Verhältniſſen
ein, wo zwar die Perſonen ſelber beſtimmt, die Zahl derſelben
aber zu groß war, um in der Perſon jedes Einzelnen das
Forderungsverhältniß zu begründen. 325)
Das Bedürfniß ſich bei rechtlichen Handlungen durch Andere
vertreten zu laſſen iſt von einem einigermaßen entwickelten Ver-
kehr gar nicht zu trennen. Wenn gleichwohl das römiſche Recht
ſich, wie es ſcheint, erſt verhältnißmäßig ſpät zu den Formen
erhoben hat, in denen dies Bedürfniß in der klaſſiſchen Zeit be-
friedigt erſcheint, ſo hat dies nur darin ſeinen Grund, daß es
ſich bereits von Altersher in Beſitz zweier Formen befand, die
ſich auch noch im neuen Recht erhalten haben. Die eine war die
Benutzung der hausunterthänigen Perſonen für den ange-
gebenen Zweck, ſie ſtützte ſich auf den Satz, daß alles, was dieſe
[239]Beſtreitung der Bedürfniſſe auf einfachem Wege. §. 56.
Perſonen erwerben, dem Gewaltinhaber zufällt. Vor allem
waren es die Sklaven, deren man ſich zu dem Ende in ausge-
dehnteſter Weiſe bediente, und dieſer ihr juriſtiſcher Beruf gehört
weſentlich mit zur vollſtändigen Charakteriſtik der Stellung, die
ſie im Leben einnahmen. In welchem Maße die Römer ſich
daran gewöhnt hatten, in ihnen bloße Inſtrumente zum Abſchluß
von Rechtsgeſchäften zu erblicken, geht ſchlagend daraus hervor,
daß die Juriſten dem Tutor, in einem Fall, wo die gänzliche
Unreife des Mündels die Möglichkeit einer Stipulation und
damit die der Beſtellung der cautio rem pupilli salvam fore an
ihn ſelber ausſchloß, daß ſie alſo dem Tutor hier anriethen,
demſelben einen Sklaven zu kaufen, der für ſeinen Herrn das
Geſchäft vornehme. 326)
Dieſe Form litt jedoch an einem Mangel, ſie erſtreckte ſich
nicht auf die proceſſualiſche Stellvertretung. Dieſem Mangel
half die zweite Form ab, ohne jedoch auf dieſen Zweck beſchränkt
zu ſein. Sie beſtand darin, daß der Beauftragte das Geſchäft
in eignem Namen abſchloß und hinterher die Wirkungen des-
ſelben auf den Mandanten übertrug. Wo die Vornahme des
gewünſchten Aktes an Vorausſetzungen geknüpft war, die ſich
nur in der Perſon des Mandanten, nicht in ſeiner eignen vor-
fanden, mußten dieſelben erſt auf ihn übertragen werden, ſo
z. B. das Eigenthum des Grundſtücks, dem er eine Servitut
erwerben oder an dem er ſie beſtellen ſollte. 327) Dieſer Weg
[240]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
war namentlich geboten im Proceß. Um hier einen Andern an
die eigne Stelle zu ſetzen blieb in alter Zeit nichts übrig, als
das Verhältniß, welches den Gegenſtand des Streites bildete,
auf ihn fiduciariſch zu übertragen, alſo bei Eigenthums- und
Servitutenſtreitigkeiten das Grundſtück. Selbſt bei einem
Streit über eins der Gewaltverhältniſſe war dieſer Weg nicht
ausgeſchloſſen, man mancipirte den Sklaven, das Kind, die
Frau, ohne daß dieſelben darum das Haus zu verlaſſen brauchten,
und der jetzige Innehaber der Gewalt über ſie führte in dieſer
Eigenſchaft den Proceß, deſſen Verhandlung und Entſcheidung
ſich auch in dieſer Geſtalt lediglich um das Recht des Autors
drehte. Ich kann mir denken, daß ein Mann, der auf längere
Zeit ſich von ſeinem Hauſe entfernen mußte, ebenfalls dieſen
Weg einſchlug, um den Seinigen, denen der Zutritt zu Gericht
verſperrt war, für die Zeit ſeiner Abweſenheit einen Vertreter
zu ſichern. Nur bei der Erbſchaft und der Forderung war aus
bekannten Gründen eine ſolche Uebertragung ausgeſchloſſen.
Wie bei der erſteren der Teſtator gleichwohl es erreichen konnte,
dem eingeſetzten Erben die Laſt, ſelber die Proceſſe zu führen,
zu erſparen und ſie auf andere Schultern zu legen, iſt oben mit-
getheilt. Für die Forderungsverhältniſſe blieb nichts anderes
übrig, als ſofort bei Begründung derſelben den eventuellen
Stellvertreter als Mitgläubiger (adstipulator) oder als Mit-
ſchuldner (adpromissor) heranzuziehen,328) wenn nicht etwa der
Gegner ſelber die Hand zur Novation der ſtreitigen Forderung
bot. Dagegen ließ ſich die Acceptilation durch Mittelsperſonen
327)
[241]Beſtreitung der Bedürfniſſe auf einfachem Wege. §. 56.
ſehr leicht bewerkſtelligen, dadurch nämlich, daß ſie die Forderung
zunächſt in eigner Perſon erwarben und dann erließen.329)
Das Urtheil des Richters kann nicht bedingt und nicht auf
die Zukunft lauten,330) alſo auch keinen zur Zeit noch nicht
exiſtenten Anſpruch für den Fall ſeiner demnächſtigen Exiſtenz
eventuell vorbehalten, der Kläger, der ihn gleichwohl vorher
geltend macht, verliert ihn, denn der ſpätern Erhebung der Klage
ſteht die exc. rei judicatae entgegen. Dieſer Grundſatz konnte
in manchen Verhältniſſen höchſt drückend werden. Ich ſetze z. B.
den Fall der act. pro socio, die der Geſellſchafter ſchon ſofort nach
aufgehobener Societät genöthigt iſt zu erheben, während noch
bedingte Forderungs- oder Schuldverhältniſſe ſchweben. Wie
hier helfen? Der Richter legt den ſtreitenden Theilen auf, ſich
gegenſeitig die demnächſtige active und paſſive Theilhaberſchaft
an den zur Zeit noch ſchwebenden Schuldverhältniſſen zuzuſichern,
aus dieſer cautio entſteht ein neuer, ſelbſtändiger Anſpruch,
dem ſeiner Zeit, wenn die Bedingung deſſelben in Erfüllung ge-
gangen, die exc. rei judicatae nicht im Wege ſteht.331) In
derſelben Weiſe half man ſich überall, wo es wegen ſchwebender
Verhältniſſe, deren Berückſichtigung man dem Kläger billiger-
weiſe nicht zumuthen konnte, eines eventuellen Urtheils bedurft
hätte. Man beendete den Proceß in gewöhnlicher Weiſe durch
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 16
[242]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
Condemnation oder Abſolution, aber ſorgte dafür, daß das
Fundament für eine eventuelle zukünftige Klage gelegt wurde.332)
reſtitution im Proceß.
Das Urtheil im Formularproceß muß bekanntlich immer auf
Geld lauten, es faßt die beiden Erkenntniſſe, zu denen es im
Legisactionenproceß kommen konnte: die Verurtheilung auf
die Sache und die im Fall der Unmöglichkeit ihrer Leiſtung
eintretende Abſchätzung derſelben (arbitrium litis aesti-
mandae)333) in ein einziges zuſammen. Das wäre ein ent-
ſchiedener Rückſchritt geweſen, wenn man nicht Sorge dafür ge-
tragen hätte, dem Kläger in allen ſolchen Fällen, wo die Sache
nicht bloß als Werthobject für ihn in Betracht kam, ſondern
ein individuelles, ſpecifiſches Intereſſe für ihn hatte, den An-
ſpruch auf Naturalreſtitution, den der ältere Proceß ihm in
directer Weiſe zuerkannte, wenigſtens in indirecter Weiſe zu
ſichern. Man vermittelte dies, ohne das Princip der Geld-
condemnation aufzugeben, in der Art, daß der Richter ange-
wieſen ward, nachdem er ſich von dem Recht des Klägers über-
zeugt hatte, dem Beklagten die Naturalreſtitution aufzuerlegen
(arbitrium de re restituenda, Klagen mit formula arbitraria).
Dieſe Auflage war freilich nicht direct erzwingbar, allein es war
dafür geſorgt, daß der Beklagte gleichwohl ihr nachkommen
mußte, denn that er es nicht, ſo ward der Kläger zur eidlichen
Erhärtung ſeines Intereſſes (juramentum in litem) zugelaſſen,
und da ihm urſprünglich in Bezug auf den Höhenanſatz deſſelben
gar keine Gränze gezogen war, indem das Mittel zugleich die
Beſtimmung der Strafe für den Gegner hatte, ſo war es ganz
[243]Beſtreitung der Bedürfniſſe auf einfachem Wege. §. 56.
in ſeine Hand gegeben, den trotzigen Beklagten aufs empfind-
lichſte zu züchtigen, ihn möglicherweiſe an den Bettelſtab zu
bringen.
Die Obligation des ältern Rechts hat die Sache d. h. das
dare zu ihrem Grunde und zu ihrem Zweck oder Gegen-
ſtand,334) ein facere kann nicht wirkſam verſprochen werden.
Andererſeits iſt aber doch für einen einigermaßen entwickelten
Verkehr die juriſtiſche Erzwingbarkeit eines verſprochenen facere
ein unabweisbares Bedürfniß. Der Weg, auf dem der ältere
Verkehr daſſelbe befriedigte, iſt ganz derſelbe, wie in dem vorher-
gehenden Fall: der der indirecten Erzwingung. Der Pro-
mittent verſpricht für den Fall, daß er die zugeſicherte Hand-
lung nicht vornimmt, eine Geldſumme, hoch genug gegriffen, um
den gewünſchten Zwang auf ihn auszuüben (Conventionalpön).
Die Obligation iſt nach römiſcher Auffaſſung unlöslich mit
der Perſon des Gläubigers und Schuldners verknüpft, ein
Wechſel der Perſonen, wie er bei der Delegation Statt findet,
iſt Aufhebung der bisherigen Obligation und Errichtung einer
neuen. Der Umſtand, daß die active Delegation Einwilligung
und Mitwirkung des Schuldners vorausſetzte, machte die Be-
nutzung dieſer Form für den Zweck der Uebertragung der Ob-
ligation zu einer höchſt läſtigen und unſicheren, es bedurfte für
den regen Handels- und Geldverkehr der ſpätern Zeit einer
andern Form, die nicht an dieſe Vorausſetzung gebunden war.
Dies iſt bekanntlich die Ceſſion. Die Form, in der ſie das
Problem der Uebertragung der Obligation löſte, ohne mit dem
einmal adoptirten obigen Dogma in Widerſpruch zu gerathen,
16*
[244]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
beſtand in der Verwendung der zu jener Zeit bereits zugelaſſenen
proceſſualiſchen Stellvertretung. Dem Ceſſionar ward die Voll-
macht zur Anſtellung der Klage (mandatum ad agendum) er-
theilt, er führte den Proceß wie ein gewöhnlicher Proceßprocu-
rator, nur daß er das Beigetriebene für ſich ſelber behielt
(procurator in rem suam).
Obligationen.
Das ältere Recht kennt nur einſeitige Obligationen
(S. 190 fl.), aber die Bedingung bot das Mittel, ihnen den
Erfolg zweiſeitiger zu verſchaffen. Wünſchten z. B. die Con-
trahenten bei einem Kaufcontract, der nach altem Recht in die
Form zweier einſeitiger Stipulationen gekleidet werden mußte,
ſich gegen die daraus reſultirende Gefahr, daß der eine Theil
auf Erfüllung klage, ohne ſeinerſeits bereits geleiſtet zu haben,
zu ſichern oder m. a. W. den Erfolg des zweiſeitigen Vertrages,
daß die Leiſtung nur Zug um Zug geſchehe, herbeizuführen, ſo
nahm jeder in ſein Verſprechen die entſprechende Bedingung auf
(spondesne centum dare, si equum dederim, equum dare, si
centum dederim). Ebenſo verfuhr der Teſtator, der dem Legatar,
was in directer Weiſe nicht zu beſchaffen war (S. 194), eine
Leiſtung an einen Andern auferlegen wollte (heres damnas esto
Maevio centum dare, si Maevius Titio equum dederit). Die
Bedingung hat für das ältere Recht die hiſtoriſche Bedeutung
eines Surrogats für die mangelnde Zweiſeitigkeit.
Doch genug der Beiſpiele! Die bisher mitgetheilten werden
zur Genüge erwieſen haben, wie ſehr die römiſchen Juriſten es
verſtanden, durch geſchickte Benutzung der vorhandenen Mittel
die Anforderungen, die das Leben an ſie richtete, zu befriedigen.
Es war nicht ihre Weiſe, ein gerechtfertigtes Verlangen achſel-
zuckend damit abzuweiſen, daß die Theorie demſelben wider-
ſtrebe, ſie hielten es vielmehr für eine weſentliche Seite ihres
Berufes, ſelber die Mittel auszudenken, wie der Noth abzu-
[245]Beſtreitung der Bedürfniſſe auf einfachem Wege. §. 56.
helfen, ſelber dem Verkehr die Wege zu bahnen, die eine ver-
änderte Strömung deſſelben nöthig machte, kurz ihre Kunſt war
zugleich eine praktiſche Rechtsheuriſtik, Cautelarjuris-
prudenz im weiteſten Sinne des Worts. Und zwar bildete
dieſe Seite ihrer Kunſt nicht etwa einen beſondern Zweig für
ſich, ſondern ein untrennbares, allgegenwärtiges Element der
Theorie ſelber, d. h. auch bei ihren rein theoretiſchen Unter-
ſuchungen ſtellen die römiſchen Juriſten ſich nie auf den Stand-
punkt einer mit rein wiſſenſchaftlicher Unbefangenheit ſich hin-
gebenden naturhiſtoriſchen Betrachtung der Rechtswelt,
ſondern ſie halten ſtets die praktiſche Beſtimmung der Rechts-
ſätze und Begriffe, das Zweckmoment feſt im Auge, geben
daher auch hier überall die Mittel und Wege an, um den Ver-
legenheiten, die aus der ſtrengen Durchführung der Theoreme
ſich für das Leben ergeben können, zu entgehen,335) während
wir heutzutage daſſelbe nur zu oft ruhig in der Sackgaſſe ſtecken
laſſen, in die es durch unſere Schuld gerathen iſt. Der Umſtand,
daß unſer heutiges Recht die Ausbildung dieſer heuriſtiſchen Ge-
ſchicklichkeit in ungleich geringerem Maße beanſprucht und för-
dert, als das altrömiſche, indem es der rechtlichen Bewegung
von vornherein einen weit größeren Spielraum öffnet, als letz-
teres, dieſer Umſtand hat zur Folge gehabt, daß wir für die Pro-
ben, die das römiſche Recht von jener Geſchicklichkeit ablegt, ein
ungleich geringeres Wahrnehmungsvermögen beſitzen, als wir
es ſonſt haben müßten. An wie manchen dahin einſchlagenden be-
deutungsvollen Erſcheinungen gehen wir unachtſam, gedankenlos
vorüber, wenn nicht ein römiſcher Juriſt uns auf Sinn und Zweck
derſelben aufmerkſam macht. Um anderer Beiſpiele zu geſchweigen
(ſ. z. B. Note 321) ſo beruhigen wir uns z. B. dabei, daß die Tra-
dition einer res mancipi kein Eigenthum übertrug, auf die Frage
aber: was denn die Partheien veranlaſſen konnte, die Sache, anſtatt
[246]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
zu mancipiren, zu tradiren, bleiben wir die Antwort ſchuldig
oder geben eine ſolche, die unmöglich befriedigen kann, wie z. B.
daß ſie ſich die Weitläuftigkeit der Mancipation hätten erſparen
wollen — als wenn fünf Zeugen und eine Wagſchaale in Rom
ſchwer zu haben geweſen wären! — oder daß die Mancipation
nur unter Gegenwärtigen hätte beſchafft werden können — als
ob dem Sklaven oder Stellvertreter des Abweſenden nicht eben
ſo gut hätte mancipirt, als tradirt werden können. Nein! Die
Tradition hatte hier einen ganz verſtändigen, praktiſchen
Grund, ſo war ſie z. B., um nur eins anzuführen, für die res
mancipi die einzige Form unſeres heutigen ſ. g. pactum reservati
dominii und pactum displicentiae. Ein anderes Beiſpiel bietet
die Verbindung des Vorkaufsrechts und des Anſpruchs auf
Alienationsgebühr336) (ſ. g. quinquagesima) bei der Emphy-
teuſis — in meinen Augen eins der feinſten Probeſtücke römiſcher
Cautelarjurisprudenz aus der ſpätern Zeit! Ich weiß nicht, ob
bereits ein Anderer den Sinn und Zweck dieſer Verbindung an-
gegeben hat, in den gangbaren Darſtellungen iſt dies wenigſtens
nicht der Fall. Und doch iſt er ſo wenig ſchwer zu finden. Beide
Rechte ſtützen und ſichern ſich gegenſeitig. Beſtände das eine
ohne das andere, ſo würde der Emphyteuta es in ſeiner Hand
haben, den Herrn zu betrügen, beim Vorkaufsrecht nämlich, in-
dem er den ihm gebotenen Kaufpreis fälſchlich ſo hoch angäbe,
daß der Herr von der Ausübung deſſelben abgeſchreckt würde,
bei der Alienationsgebühr, indem er, um ſie zu verringern, um-
gekehrt den erhaltenen Kaufpreis beträchtlich geringer angäbe.
Die Verbindung beider Rechte aber bewirkt, daß er ſich nicht
nach der einen Seite von der Wahrheit entfernen kann, ohne ſich
nach der andern hin zu gefährden. Gibt er das ihm gemachte
Gebot zu niedrig an, ſo fängt er ſich im Vorkaufsrecht, gibt er
[247]Die Schleichwege des Lebens. §. 57.
es, um letzterem zu entgehen, zu hoch an, ſo fängt er ſich in der
Alienationsgebühr, kurz es iſt eine Doppelſchraube, eine juriſtiſche
Zwickmühle!337)
Die Verwendung der Rechtsverhältniſſe im Leben — Mißbrauch
der Familienverhältniſſe — Mittel zur Vereitelung der erbrecht-
lichen Beſchränkungen.
LVII. Meinem Plane gemäß ſollte jetzt die Betrachtung der
künſtlichen Mittel folgen (S. 233), ich ſchiebe hier jedoch
eine Ausführung ein, die, obſchon ſie nicht unmittelbar die
Jurisprudenz betrifft, dennoch mittelbar für unſere Zwecke von
Intereſſe iſt.
Dieſelbe Kunſt, die in den Händen der Jurisprudenz dazu
diente, das Recht zu fördern und zu vervollkommnen, erwies ſich
auch geſchäftig, daſſelbe zu umgehen und zu untergraben. Den
Umwegen, die erſtere einſchlug, um erlaubte Zwecke zu er-
reichen, correſpondiren die Schleichwege, deren das Leben ſich be-
diente, um unerlaubte Zwecke zu verfolgen. Mochten letztere
von Juriſten oder Nichtjuriſten aufgefunden worden ſein, jeden-
falls bilden ſie kein Stück der römiſchen Jurisprudenz, denn
die Wiſſenſchaft lehrt die Wege des Rechts, nicht die des Un-
rechts. Sie würden daher ganz außerhalb der Gränzen unſerer
Aufgabe fallen, wenn nicht ein doppelter Grund uns nöthigte,
[248]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
auch ihnen einen Blick zuzuwerfen. Einmal nämlich die That-
ſache, daß manche von ihnen im Laufe der Zeit als Schein-
geſchäfte, d. h. als vom Recht und von der Jurisprudenz
adoptirte Geſchäftsformen (§. 58) eine gewohnheitsrecht-
liche Geltung erlangten, und ſodann der Umſtand, daß ſie, in-
dem ſie das Recht und die Jurisprudenz in die Lage verſetzten,
ihnen entgegenzutreten, dadurch die Veranlaſſung und Quelle
mancher nur von dieſem Geſichtspunkt aus zu erklärender Rechts-
ſätze wurden. Die römiſche Schlauheit war in der Entdeckung
ſolcher Schleichwege ungemein erfinderiſch, kaum war ihr der
eine abgeſchnitten, ſo war bald ein anderer wiederum da, kaum
aus dieſem Schlupfwinkel durch das Geſetz vertrieben, hatte ſie
ſofort wiederum einen andern in Beſitz genommen — ein Schau-
ſpiel, das unwillkührlich das Bild eines in ſeinem Bau um-
ſtellten und angegriffenen Fuchſes hervorruft. Wem es gelänge,
dieſen Kampf bis in ſeine Einzelnheiten zu verfolgen und zu
ſchildern, dem römiſchen Fuchſe in alle ſeine gewundenen
Gänge und Wege nachzuſchleichen, würde damit ein faſt noch
leeres Blatt römiſcher Rechtsgeſchichte beſchrieben haben, das
uns nothwendigerweiſe wichtige Aufſchlüſſe geben, uns den Sinn
ſo mancher Rechtsſätze enthüllen würde, die für uns, ſo lange
wir gewohnt ſind, den Zugang zu ihnen, ſtatt unter der Erde,
auf ebnem Boden oder wohl gar mit Hülfe des Luftballons 338)
von oben zu ſuchen, ewige Räthſel bleiben werden. Ich hatte
mir vorgenommen, an dieſer Stelle das Material, das ich mir
für dieſen Zweck geſammelt habe, vollſtändig zu verwerthen,
daſſelbe iſt jedoch ſo angewachſen, und der Verſuch der Ver-
arbeitung deſſelben hat mich ſo ſehr in Einzelnheiten und ins
Weite geführt, daß ich Anſtand nehme, ihn hier einzufügen und
mich lieber auf eine kurze Skizze beſchränke.
[249]Die Schleichwege des Lebens. §. 57.
Wenn ich zunächſt den Geſammteindruck, mit dem meine
Unterſuchungen abgeſchloſſen haben, in ein Wort zuſammen-
faſſen ſoll, ſo beſteht er in der Ueberzeugung, daß eins der
ſchwierigſten Probleme, die an den Geſetzgeber überhaupt her-
antreten können, das iſt, ſein Geſetz gegen Umgehungen ſicher
zu ſtellen, und daß alle Kunſt, die Er aufbietet, es zu ſchützen,
derjenigen die das Leben anwendet, es zu untergraben, zu
ſtürzen, zu vereiteln kaum gewachſen iſt. Wer noch den Glau-
ben theilt, — ein Glaube, von dem die Geſetzgeber ſelber nicht
ſelten nichts weniger als frei geweſen ſind — daß es einfach ge-
nüge, etwas zu gebieten oder zu verbieten, um den gewünſchten
Erfolg zu erreichen, gleich als ob bloß die Schärfe des Schwer-
tes genüge, um zu treffen und nicht auch der wuchtigſte Schlag
dadurch, daß der Gegner ihm ausweicht, zu einem bloßen Luft-
hieb werden kann — wer alſo dieſen Wahn noch theilt, der leſe
das Blatt Geſchichte, das ich ihm in Folgendem aufrollen
werde, um von demſelben gründlich geheilt zu werden.
Die Klagen über die Unerſchöpflichkeit der auf die Ver-
eitelung der Geſetze gerichteten Liſt und die Erfolgloſigkeit oder
wenigſtens den geringen Erfolg der ihr entgegengeſtellten geſetz-
lichen Maßregeln wiederholen ſich in Rom zu allen Zeiten, und
würde es an ausdrücklichen Ausſprüchen fehlen, 339) die fort-
geſetzten Bemühungen, deren die Geſetzgebung und Jurisprudenz
bedurfte, um bei einem und demſelben Verhältniß eine noth-
dürftige Sicherung zu bewirken, würden das beredteſte Zeugniß
dafür ablegen. Kein Verhältniß, das nicht einer derartigen
fraudulöſen Benutzung ausgeſetzt geweſen wäre, nichts war
heilig, weder die Ehe, noch das elterliche Verhältniß, noch die
[250]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
Ehre, das man nicht in den Staub gezogen, um irgend einen
ſchnöden Zweck damit zu erreichen, und ohne es zu wiſſen, mußte
oft ſelbſt die Obrigkeit ihre Hand dazu bieten, die Verfolgung
illegaler Zwecke durch das Urtheil in einem abgekarteten Proceß
zu fördern. 340) Den äußerſten Tiefegrad erreichte dieſer Unfug
allerdings erſt in der Zeit der ſittlichen Verſunkenheit und Ver-
wilderung, als alle Bande der Zucht und Schaam zerriſſen waren.
Damals ſchrak die entartete Damenwelt der höheren Kreiſe eben-
ſo wenig davor zurück, ſich durch Anmeldung beim Aedilen unter
die Zahl öffentlicher Dirnen einen Freibrief von den Unzucht-
geſetzen, als die ihrer würdige männliche Jugend vor der Schande
der Infamie, um ſich dadurch den Zutritt zur Bühne zu er-
kaufen. 341) Aber ſelbſt die gute alte Zeit iſt von dem Vor-
wurf, das erſte Beiſpiel zu einer ſolchen Verſündigung gegeben
zu haben, nicht frei zu ſprechen, und die Jurisprudenz trägt
daran ebenfalls einen Antheil der Schuld. Es iſt dies ein für
die ganze Weiſe der Römer und damit auch der römiſchen Juriſten
höchſt bezeichnender Punkt. Ueber dem ſtrengen Feſthalten des
juriſtiſchen Moments haben ſie, ohne es zu wiſſen und wollen,
das ethiſche preisgegeben. Die Benutzung der Ehe als bloßer
Scheinehe für die Verfolgung gewiſſer legislativ nicht zu be-
anſtandender Zwecke (§. 58) mochte immerhin vom einſeitigen
Standpunkt juriſtiſcher Technik ſich noch ſo ſehr empfehlen, eine
Jurisprudenz, die ſich auf den höhern legislativ-politiſchen und
ethiſchen Standpunkt geſtellt hätte, würde nie ihre Zuſtimmung
[251]Die Schleichwege des Lebens. §. 57.
dazu gegeben haben, denn ſelbſt in Anwendung auf erlaubte
Zwecke enthält eine ſolche Verwendung der Ehe als bloßer Form
eine Verſündigung gegen ihr wahres Weſen und zugleich das
Signal, ſich ihrer auch zu andern, minder beifallswürdigen
Zwecken zu bedienen, kurz ſie ſchlechthin als juriſtiſches In-
ſtrument zu betrachten. Das iſt überhaupt die dunkle Kehrſeite
jener einſeitig juriſtiſchen Lebensauffaſſung, welche die Römer
kennzeichnet und in der Technik der Juriſten nur ihren höchſten
Gipfelpunkt erreicht, daß ſie, indem ſie die vorhandenen Ver-
hältniſſe rein vom Standpunkt ihrer juriſtiſchen Brauchbarkeit
erfaßt, ſie als bloßen Apparat für beliebige Zwecke verwendet,
zu jener Gleichgültigkeit gegen das wahre Weſen der Dinge,
jenem formaliſtiſchen Nihilismus geführt hat, der ſchon früh
einen Charakterzug des römiſchen Volkes bildet. Die Römer
haben die Scheingeſchäfte nicht umſonſt gehabt!
Möge das römiſche Leben ſelber dieſe Anklage begründen, und
zwar an der Art, wie es die Familienverhältniſſe behandelt hat.
Es iſt bezeichnend, daß der Mißbrauch derſelben, den ich
hier im Auge habe, ſchon in eine Zeit hinaufreicht, wo dieſelben
im übrigen noch in voller, ungeſchwächter Kraft beſtanden.
Schon Licinius Stolo war es, der um dem von ihm ſelbſt be-
antragten Geſetz zu entgehen, ſeine Kinder emancipirte und dafür
vom Volk beſtraft ward (B. 2 S. 494). Schon Publius Scipio
klagte als Cenſor darüber, daß die Adoption benutzt werde,
um ſich der Vortheile, die der Beſitz der Kinder gewährte, zu ver-
ſichern, 342) und Scheinadoptionen und Scheinverkäufe der Kinder
ins Mancipium dienten im ſechſten Jahrhundert den Mitgliedern
der latiniſchen Gemeinden als allbetretener Weg, um das römiſche
Bürgerrecht zu erlangen. 343) Auch die Eingehung ſimulirter Ehen,
[252]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
um den Nachtheilen der Eheloſigkeit zu entgehen, muß offenbar
ſchon in alter Zeit häufig genug geweſen ſein, denn der dagegen
berechnete, von den Cenſoren auferlegte Eid, daß die Ehe in
ernſtlicher Abſicht geſchloſſen ſei, 344) kann jedenfalls nicht in dem
zu dieſem Verdacht ſo wenig Anlaß bietenden Fall des Carvilius
Ruga zuerſt zur Anwendung gelangt ſein. Auch die ſtrenge
Unterſuchung, die man bei der Arrogation anſtellte, um einer
mißbräuchlichen Anwendung zu ſteuern, ſo wie der dabei zu
leiſtende, von Q. Mucius ſchwerlich erſt erfundene, ſondern nur
beſſer formulirte Eid 345) weiſt darauf hin, daß rückſichtlich dieſes
Aktes eine ſolche Gefahr früh beſtanden haben muß, und die
ausgeprägte Geſtalt, in der die Arrogation in dem bekannten Fall
des Clodius als gewohnheitsrechtlich anerkannte Form zum
Zweck des Uebertritts der Patricier zur Plebs zur Anwendung
gelangt (§. 58), berechtigt zu dem Schluß, daß wenigſtens dieſe
Verwendung der Arrogation zu einem ihr völlig fremden Zweck
im Leben bereits lange vorher Statt gefunden haben muß.
Das Uebel, das dieſe Erſcheinungen ſchon ſo früh zu Tage
rief, ſaß tief, es lag in der rechtlichen Organiſation der römiſchen
Familienverhältniſſe ſelber. Indem dieſelben über Gebühr mit
vermögensrechtlichen und perſönlichen Folgen ausgeſtattet waren,
beſchworen ſie ſelber die Gefahr des Mißbrauchs herauf. Wer
kann es dem Vater verdenken, daß er ſeinen Sohn emancipirt, 346)
wenn dies der einzige Weg iſt, damit die Antretung der dem
343)
[253]Die Schleichwege des Lebens. §. 57.
letztern deferirten mütterlichen Erbſchaft ihm ſelber zu gute komme,
dieſelbe nicht in das Vermögen des Vaters und damit in die
Hände der Gläubiger oder des Fiscus bringe? Wer wird es
nicht billigen, daß eine Frau den Wunſch hegt, ihren Nachlaß
ſtatt den reichen Agnaten lieber ihren bedürftigen Cognaten zu-
zuwenden? Das Recht ſelber wies ſie auf eine Scheinehe hin
(§. 58).
Der Grund, warum in unſerm heutigen Leben Emancipa-
tionen, Arrogationen und Adoptionen eine ſo große Seltenheit
bilden, während ſie in Rom zur Tagesordnung gehörten, liegt
lediglich darin, daß unſere heutige rechtliche Organiſation der
Familienverhältniſſe eine geſundere geworden, und daß ſelbſt das
ſekundäre Intereſſe derſelben für eine Reihe ſonſtiger Verhältniſſe
hinweggefallen iſt. 347) Ich wüßte nicht, was man heutzutage
Großes durch ſie erreichen könnte, das nicht auch auf anderm
Wege zu erzielen wäre.
Der ſo eben geſchilderte Krebsſchaden der römiſchen Familie
ward zur vollſten Blüthe gebracht durch ein Geſetz, welches
gerade die Beſtimmung hatte, ihr neue Kraft einzuflößen: die
lex Julia und Papia Poppaea. Indem dies Geſetz, ganz im
Styl des Polizeiſtaates des vorigen Jahrhunderts, vermögens-
rechtliche Belohnungen und Strafen in Anwendung brachte, um
auf die Eingehung von Ehen und die Fruchtbarkeit der Gatten
hinzuwirken, vermehrte es damit nur das Gewicht der äußern
Zwecke und Rückſichten, die ſchon bis dahin ſich wie ein Blei-
gewicht an die Familie geheftet und die ſittliche Spontaneität
ihrer Bewegung gelähmt hatten. Es iſt hier nicht der Ort, die
tiefe Unſittlichkeit dieſes Geſetzes, das ſelbſt der Wittwe und der
[254]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
geſchiedenen Frau nicht ſchonte, 348) Greiſe und Greiſinnen in
die Ehe trieb 349) und das Leben manches wider Willen erzeugten
Kindes 350) und manchen Ehebruch 351) auf dem Gewiſſen haben
mag, näher zu kennzeichnen, aber die römiſche Natur hätte ſich
völlig verläugnen müſſen, wenn ſie nicht bei einem ſo empfind-
lichen Eingriff allen Scharfſinn aufgeboten hätte, um dem Geſetz
zu entgehen. Kaum war es erlaſſen, als Auguſtus, der Urheber
deſſelben, bereits Veranlaſſung hatte, einige der eingeſchlagenen
Schleichwege zu verbieten. 352) Eheſcheidungen und Scheinehen
waren die reiche Frucht der von ihm geſäeten Saat, 353) und die
Künſte, die man in den Teſtamenten aufbot, waren unerſchöpf-
lich; ſelbſt die Juriſten nahmen keinen Anſtand, die Caducitäts-
beſtimmungen ſo viel wie möglich zu vereiteln. 354)
Den Haupttummelplatz für die auf die Umgehung der Ge-
ſetze gerichteten Beſtrebungen bildeten, wenn ich von den Ver-
hältniſſen des öffentlichen Rechts abſehe, die Beſchränkungen der
Zinſen, der letztwilligen Verfügungen und der Freilaſſung der
Sklaven. Es wird genügen, wenn ich das zweitgenannte Bei-
ſpiel etwas genauer behandle.
Das ältere Erbrecht ſeit Einführung des Mancipations-
teſtaments kannte für die letztwilligen Verfügungen keine weitere
[255]Die Schleichwege des Lebens. §. 57.
Beſchränkung, als die ſich aus dem Erforderniß der Erbfähigkeit
der honorirten Perſon ergab. Bedacht werden konnten nur ſolche
Perſonen, die das commercium hatten, alſo keine Peregrinen. Die
erſte poſitive Beſchränkung, welche die Geſetzgebung hinzufügte,
hatte die Höhe der Legate zum Gegenſtand, und es erſchienen darüber
bekanntlich drei Geſetze mit wechſelnden Beſtimmungen: die lex
Furia, Voconia, Falcidia. Es iſt eine auffallende Erſcheinung,
daß während die beiden erſtern in ganz vorſichtiger Weiſe neben
dem Legat auch das „mortis causa capere“ mit nannten, 355)
die lex Falcidia ſich deſſen entſchlug und lediglich das Legat er-
wähnte. 356) Damit war, man möchte faſt glauben mit Abſicht,
eine Hinterthür geöffnet. Wer ſich dem Geſetz entziehen wollte,
brauchte die Zuwendung nur in Form einer mortis causa donatio
einzukleiden oder die gewünſchte Leiſtung zur Bedingung der
Erbeseinſetzung zu machen (Note 145); beides war kein Legat, fiel
alſo nicht unter das Geſetz. Daſſelbe galt von den Fideicom-
miſſen. Daß man bei der Erhebung derſelben zur Klagbarkeit
es verſäumte, die lex Falcidia auf ſie zu übertragen, war eine
Unterlaſſung, — ob abſichtliche oder unabſichtliche, bleibe
dahin geſtellt — welche den praktiſchen Fortbeſtand des Geſetzes
ſo gut wie in Frage ſtellte und aus dem Grunde ſehr bald nach-
her nachgeholt werden mußte.
Ungleich unbequemer und drückender, als dieſe objective
Schranke der Teſtirfreiheit, waren die ſubjectiven, welche die
lex Voconia hinſichtlich der Weiber, die lex Furia Norbana rück-
ſichtlich einer gewiſſen Claſſe der Freigelaſſenen, vor allem aber
die oben erwähnte lex Julia und Papia Poppaea hinſichtlich der
Kinderloſen und Eheloſen zog, und dieſe ſubjectiven Schranken,
zu denen ſich noch die rückſichtlich der Peregrinen aus dem ältern
Recht hinzugeſellte, waren es vornehmlich, gegen welche man
Jahrhunderte hindurch alle Kunſt und Schlauheit aufbot. Eine
[256]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
Menge erbrechtlicher Inſtitute, Begriffe und Rechtsſätze ver-
danken dieſem Beſtreben und dem ihm von Seiten der Geſetz-
gebung und der Jurisprudenz entgegengeſetzten Widerſtand ihren
Urſprung. Meinem obigen Vorſatz getreu verzichte ich darauf,
den Kampf bis in ſeine Einzelnheiten zu verfolgen, insbeſondere
alſo nachzuweiſen, wie die Geſetzgebung und die Jurisprudenz
den Angreifer aus einer Poſition nach der andern verdrängte.
Es möge genügen, einfach die hauptſächlichſten Mittel
zu bezeichnen, deren man ſich zu dem angegebenen Zweck
bediente. 357)
1. Die Fideicommiſſe. Als das hiſtoriſche Motiv des
Aufkommens der Singular fideicommiſſe führt Gajus 358)
ausdrücklich die Unfähigkeit der Peregrinen an. Die erſten
Fälle des Univerſal fideicommiſſes, von denen wir meines
Wiſſens Kunde haben, betrafen die durch die lex Voconia be-
ſchränkte Erbfähigkeit der Frauenzimmer. 359) Daran reihten
ſich ſeit der lex Julia und Papia Poppaea die Fideicommiſſe an
Kinderloſe und Eheloſe. Seitdem derartige Fideicommiſſe
unterſagt, beziehungsweiſe ganz oder zum Theil dem Aerar oder
dem Fiscus 360) zugeſprochen wurden, ſchlug man andere Wege
ein, wozu auch der des Fideicommissum tacitum gehörte, d. h.
man entzog daſſelbe der Kunde der Obrigkeit, indem man es
nicht im Teſtament ſelber anordnete, ſondern der onerirten Per-
ſon das Verſprechen oder den Eid abnahm, es auszahlen zu
wollen, ein Verſprechen, das allerdings gleich den Fideicom-
miſſen in alter Zeit ganz von der Zuverläſſigkeit und Treue des
Subjects abhing, gleichwohl aber, wie ſie, in den meiſten Fällen
[257]Die Schleichwege des Lebens. §. 57.
ſeinen Zweck erreichte. 361) Dieſe fideicommissa tacita machten
der Geſetzgebung viel zu ſchaffen.
2. Benutzung der Bedingung für den angegebenen
Zweck. Die Erbeseinſetzung oder das Legat wird an die Be-
dingung geknüpft, daß die bedachte Perſon die gewünſchte Leiſtung
vornehme, 362) verſpreche oder eidlich angelobe, 363) oder es wird
ihr ein Straflegat (legatum poenae nomine relictum) an eine
fähige Perſon auferlegt für den Fall, daß dieſelbe unterbleibe.
Eine ſolche Anordnung fiel nicht unter den Geſichtspunkt eines
Vermächtniſſes, es war keine directe, ſondern eine indirecte
Zuwendung; der Bedachte, welcher ihr nachkam, that es ledig-
lich, um die Bedingung zu erfüllen (conditionis implendae causa
datum).
3. Einkleidung in die Form der Schuld, entweder im
Teſtament ſelber (legatum debiti) 364) oder mittelſt einer auf den
Tod des Promittenten ausgeſtellten Stipulation. 365)
4. Niederlegung der Sache oder Summe bei einer zu-
verläſſigen Mittelsperſon mit der Beſtimmung, ſie nach dem Tode
des Gebers der gewünſchten Perſon einzuhändigen, 366) oder An-
weiſung zur Auszahlung im gleichen Fall an den Schuldner,
zu mehrerer Sicherheit verſtärkt durch Zuziehung des Aſſignatars
als correus stipulandi.367)
5. Einſetzung der Sklaven. 368) Der Erfolg derſelben
beſtimmte ſich allerdings nach der Capacität des Herrn, allein
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 17
[258]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
letzterer ſorgte dafür, daß er ihn zeitig in die Hände eines Fähi-
gen brachte.
Wir haben alle Urſache anzunehmen, daß die Art, wie
man den Zinsbeſchränkungen zu entgehen ſuchte, ein würdiges
Seitenſtück zu den obigen Verhältniſſen darbot. 369) Ich habe
mir die Frage aufgeworfen, ob die Art, wie man hier und in
den übrigen Fällen verfuhr, ſich nicht auf eine gewiſſe Methode
zurückführen laſſe, ob nicht gewiſſe Kunſtgriffe und Manipula-
tionen ſich überall wiederholen, und in der That gibt es deren
wenigſtens zwei. Der eine beſteht darin, daß man bei eigner
Unfähigkeit die Handlung durch eine fähige Perſon vornehmen
ließ. 370) Die alten Wuchergeſetze galten nur für römiſche
Bürger, nicht für die Bundesgenoſſen: um ihnen zu ent-
gehen, ſchob der Gläubiger zwiſchen ſich und den Schuldner
einen Bundesgenoſſen als Scheinanleiher und Scheindarleiher
ein. (Note 369.) Einem jungen Manne unter 20 Jahren war
durch die lex Aelia Sentia die Freilaſſung ſeiner Sklaven nur
aus beſondern Gründen verſtattet; wo ſie fehlten, mancipirte er
den Sklaven einem Andern, der das nöthige Alter hatte und den
Akt vornahm. 371) Wer wegen der lex Voconia ſeine Tochter
nicht zu Erben einſetzen konnte, ſetzte einen zuverläſſigen Freund
ein und trug ihm die Herausgabe der Erbſchaft in Form des Uni-
verſalfideicommiſſes auf. Freilaſſung einer unfreien Perſon durch
einen römiſchen Bürger verſchaffte ihr das Bürgerrecht; um letz-
[259]Die Schleichwege des Lebens. §. 57.
teres zu gewinnen, ließ man ſich einem römiſchen Bürger als
Sklaven verkaufen und ſodann durch ihn freilaſſen, 372) ein
Schleichweg, der zu einer gewiſſen Zeit eher eine Heerſtraße zu
nennen war, auf der Tauſende von Latinern in’s römiſche Bür-
gerrecht drangen. (Note 343.)
Den zweiten der obigen Kunſtgriffe, mit dem erſten theil-
weiſe, doch nicht durchweg zuſammenfallend, bildet das ſimulirte
Geſchäft, bei dem die handelnden Partheien darüber einig ſind,
daß der Akt, den ſie äußerlich vornehmen, keine ernſtliche Be-
deutung für ſie haben ſoll. Um dem Verbot der Schenkung
unter Ehegatten zu entgehen, führen die Ehegatten eine Schei-
dung auf, 373) der, wenn die Schenkung vollzogen, nach einiger
Zeit wiederum die Verſöhnung folgt, oder kleiden die Schenkung
in die Form eines Kaufcontractes. Manche dieſer ſimulirten Ge-
ſchäfte erlangten gewohnheitsrechtliche Gültigkeit und gingen da-
mit in die Kategorie derjenigen Rechtsformen über, die wir im fol-
genden Paragraphen betrachten wollen: der Scheingeſchäfte.
Die Mittel, deren ſich die Geſetzgebung dieſen Schleich-
wegen gegenüber bediente, waren nach den Umſtänden verſchie-
den. Sie beſtanden:
1. in dem Verbot der Umgehung, ſei es im voraus und in
allgemeiner Faſſung, wie es manchen Geſetzen der ſpätern Zeit
ausdrücklich hinzugefügt ward, 374) ſei es mittelſt ſpecieller Ab-
ſchneidung beſtimmter einzelner Auswege, — eine Maßregel, die
ſelbſt ſolchen Geſetzen, welche mit jener Clauſel verſehen waren,
hinterher noch folgte. 375)
2. in der Abnahme eines auf die ernſtliche Abſicht ge-
richteten Eides Seitens der Obrigkeit. 376)
17*
[260]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
3. in der Androhung einer Strafe, deren Erfolg vielfach
dadurch geſichert ward, daß ſie dem Angeber ganz oder zum
Theil als Prämie zugeſichert ward. 377)
Daß übrigens die höchſten politiſchen und geiſtlichen Ge-
walten nicht ſelten ſelber ſich auf ganz ähnlichen Schleichwegen
betreten ließen, iſt von mir bereits bei einer früheren Gelegen-
heit (B. 1 S. 326, 327) nachgewieſen worden, worauf hier
einfach Bezug genommen werden möge. Die dort genannten
Beiſpiele, welche noch den Zeiten der Republik angehörten,
waren mehr harmloſer Art, Nothlügen, ohne ſchlechten Zweck;
der Despotismus der Kaiſer aber fügte Fälle hinzu, in denen
ſich die äußere Beobachtung des Geſetzes bei frevelhafter Ver-
letzung ſeines Inhalts zu einem teufliſchen Hohn gegen das
Recht geſtaltete.
Die Conſtructionshandlungen — Die Scheingeſchäfte — Die
coemptio fiduciae causa — Theorie der Scheingeſchäfte —
Dogmatiſche Selbſtändigkeit derſelben — Adoption zum Zweck der
transitio ad plebem und adoptio regia. — Die Fictionen.
LVIII. Wir kehren jetzt zur römiſchen Jurisprudenz zurück,
um den zweiten Theil der oben (S. 233) bezeichneten Aufgabe
zu löſen, nämlich die künſtlichen Mittel, deren ſie ſich für die
Zwecke der juriſtiſchen Oekonomie bedient hat, einer Prüfung
zu unterwerfen.
Dieſelben laſſen ſich auf drei Claſſen zurückführen, von
denen ich zwei mit bekannten, die dritte aber nur mit einem ſelbſt-
[261]Die künſtlichen Mittel. §. 58.
erfundenen Namen bezeichnen kann: die Conſtructions-
handlungen, die Scheingeſchäfte und die Fictionen.
Mit dem erſtgenannten Mittel hatte es folgende Bewand-
niß. Nach dem bisherigen Rechte iſt die Hervorbringung einer
gewiſſen rechtlichen Wirkung lediglich Sache des freien Willens,
alſo ausſchließlich an die Handlung des Subjects geknüpft. Der
Fortſchritt der Entwicklung bringt es jetzt mit ſich, daß ſie auch
unabhängig davon als nothwendige Folge irgend eines Ver-
hältniſſes eintrete. Wenn ein heutiger Juriſt das Geſetz zu re-
digiren hätte, durch welches dieſe Neuerung eingeführt werden
ſollte, ſo würde er über die Form ſeiner Faſſung ſchwerlich in
Zweifel ſein, er würde einfach den Satz ausſprechen, daß nicht
bloß die Handlung, ſondern das Verhältniß ſelber die Wirkung
erzeuge. Damit würde aber der entgegengeſetzte Satz des frühern
Rechts principiell alterirt ſein. Eben um dies zu vermeiden, um
alſo die Neuerung dem beſtehenden Recht formell anzuſchließen,
ſchlagen die Römer einen andern Weg ein. Sie laſſen den Satz,
daß nur die Handlung die Wirkung hervorbringe, ſtehen, aber,
indem ſie das Subject zur Vornahme derſelben, ſei es direct,
ſei es indirect zwingen, ſorgen ſie dafür, daß letztere ſtets da
eintritt, wo ſie nöthig iſt. In Wirklichkeit iſt hier ihr bisheriges
Abhängigkeitsverhältniß vom Willen des Subjects aufgehoben,
aber der Form nach iſt daſſelbe gerettet — die Wirkung tritt nur
ein, wenn das Subject ſie will, aber freilich das Subject muß
wollen! Solche Handlungen nun, die lediglich im Intereſſe der
juriſtiſchen Conſtruction, um den bisherigen Rechtsmechanismus
beizubehalten, erzwungen und vorgenommen werden, nenne ich
Conſtructionshandlungen. Das römiſche Recht kennt
dieſelben in großer Menge, es werden einige Beiſpiele zur Ver-
anſchaulichung des Verhältniſſes genügen.
Das SC. Pegasianum zwang den mit einem Univerſal-
fideicommiß belaſteten Erben bei grundloſer Weigerung zur An-
tretung und Reſtitution der Erbſchaft — ein reiner Scheinakt,
der nicht die geringſten Wirkungen für ihn hatte, weder vortheil-
[262]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
hafte, noch nachtheilige. Der legislative Zweck, der jenem Se-
natsbeſchluß vorſchwebte, war Unabhängigkeit des Univerſal-
fideicommiſſes vom Belieben der bloß der Form wegen vorge-
ſchobenen Perſon des Erben. Für dieſen Zweck wären verſchie-
dene Formen denkbar geweſen, die einfachſte und natürlichſte
die: die fideicommiſſariſche Subſtitution wird im Fall grundloſer
Weigerung des Erben in Ergänzung des muthmaßlichen Willens
des Erblaſſers in eine directe verwandelt, d. h. der Fideicom-
miſſar wird als eventuell eingeſetzter Erbe behandelt. Die ſpätere
römiſche Jurisprudenz würde vor dieſer Behandlungsweiſe
ſchwerlich zurückgeſchreckt ſein, wenigſtens hat ſie keinen Anſtand
genommen, die beiden Formen der Subſtitution in doppelter
Weiſe mit einander zu vertauſchen, eine ungültige directe Sub-
ſtitution als gültige fideicommiſſariſche aufrecht zu erhalten und
umgekehrt, 378) zu jener Zeit war die Jurisprudenz noch nicht
bis zu dieſer Freiheit der Auffaſſungsweiſe vorgeſchritten. Eine
andere, dem techniſchen Standpunkt der damaligen Zeit minder
fern liegende Möglichkeit wäre die geſetzliche Aufſtellung der
Fiction geweſen, daß die grundloſe Weigerung des Erben als
Antretung und Reſtitution der Erbſchaft angeſehen werden ſolle.
Der Weg, den jenes Geſetz wirklich einſchlug, hatte allerdings
den Vorzug, daß er ſich am engſten an das bisherige Recht an-
ſchloß — an dem Erforderniß der Antretung der Erbſchaft wird
nicht das Mindeſte geändert — im Uebrigen aber war er keines-
wegs ein ganz glücklicher. 379) Daß der Erbe hier ein reiner Fi-
gurant iſt, ich möchte ſagen: lediglich als Conſtructionsapparat
[263]Die künſtlichen Mittel. §. 58.
verwandt wird, um die Gültigkeit des Univerſalfideicommiſſes
zu retten, wird keiner Ausführung bedürfen.
Die cautio rem pupilli salvam fore verpflichtete den Tutor
und ſeine Bürgen für alle Anſprüche aus ſeiner Geſchäfts-
führung; enthielt er ſich letzterer, ſo hafteten beide nicht. Das
war eine Lücke. Heutzutage würden wir dieſelbe einfach dadurch
ausfüllen, daß wir an Stelle der „Geſchäftsführung“ die „Tutel“
ſetzten, d. h. alſo das beſtehende Recht principiell änderten.
Anders die Römer. Der Tutor wird gezwungen, eine Admini-
ſtrationshandlung vorzunehmen, dadurch gelangt jene Caution
zu Kräften. 380)
Derſelbe Weg iſt von der römiſchen Jurisprudenz in unzäh-
ligen andern Fällen eingeſchlagen. Der obrigkeitliche Zwang
zur Vornahme einer Handlung diente den Römern als eins der
wirkſamſten Mittel der juriſtiſchen Conſtruction. Die Wendung:
compellendus est a Praetore, a judice, die ſo oft in den Quellen
wiederkehrt, iſt überall der Ausdruck für ein der Freiheit des
Subjects entzogenes Verhältniß, bei dem nur in Anſchluß an
das frühere Recht die Form der Freiheit: die Handlung, äußer-
lich beibehalten wird. Seitdem man angefangen hatte, den
Geſchlechtsvormund in gewiſſen Fällen zur Ertheilung ſeiner
Auctoritas zu zwingen, hatte man dies Erforderniß in
Wirklichkeit umgangen, und es war daher ganz zutreffend,
wenn Gajus eine derartige Auctoritas für einen reinen Schein-
akt erklärte. 381) Man hätte ebenſo gut den Satz ausſprechen
können: für die und die Geſchäfte ſind die Frauenzimmer fortan
von der Tutel befreit; daß man es nicht that, charakteriſirt eben
die eigenthümliche Weiſe der römiſchen im Gegenſatz zu unſerer
heutigen Jurisprudenz.
[264]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
Es wäre eine dankenswerthe Aufgabe, an der Hand dieſes
Gedankens alle Verhältniſſe des öffentlichen und Privatrechts
einer Durchſicht zu unterziehen, an reicher Ausbeute würde es
nicht fehlen. 382) Für meine Zwecke genügt es, wenn ich den
Gedanken ſelber und deſſen Bedeutung für unſern gegenwärtigen
Geſichtspunkt in das richtige Licht geſetzt habe. Daß das Mittel
ein künſtliches war, daß mit dem gegen die Perſonen gerichte-
ten Zwange auch den Rechtsbegriffen Zwang angeſchah, wird
aus dem Bisherigen erhellen. In den meiſten Fällen waren
dieſe erzwungenen Handlungen von den Scheingeſchäften, denen
wir uns jetzt zuwenden, wenig verſchieden.
Den Scheingeſchäften haben wir ſchon bei einer frühern
Gelegenheit (B. 2 S. 554 fl.) unſere Aufmerkſamkeit zugewandt,
der dort angelegte Geſichtspunkt des Formalismus war jedoch
keineswegs ausreichend, um die Bedeutung, die ihnen für die
Entwicklungsgeſchichte des römiſchen Rechts zukömmt, zu er-
ſchöpfen. An gegenwärtiger Stelle betrachten wir ſie vom
Standpunkt der juriſtiſchen Technik aus als Mittel für die Zwecke
der juriſtiſchen Oekonomie. Von den dort genannten zwei Arten
der Scheingeſchäfte: den originären und reſiduären ſchei-
den daher die letztern, als jeglicher techniſcher Bedeutung baar,
von unſerer Betrachtung aus; ſie ſind nichts als abgeſtorbene
[265]Die künſtlichen Mittel. §. 58.
Stücke des früheren Rechts, denen nur die hiſtoriſche Vis inertiä
ein äußerliches Scheindaſein gefriſtet hat. Der Ausdruck: Schein-
geſchäft bezieht ſich daher im Folgenden lediglich auf die erſt-
genannte Art.
Das Scheingeſchäft in dieſem engern Sinne hat eine große
Aehnlichkeit mit gewiſſen Scheinhandlungen des gewöhnlichen
Lebens, die ich früher mit dem Ausdruck: ſimulirte Geſchäfte
bezeichnet habe.383) Bei beiden iſt der vorgenommene Akt ein
reiner Scheinakt, dem die innere Abſicht nicht entſpricht, aber
die Scheingeſchäfte ſind Rechtsformen, wie alle andern, nur
mit eigenthümlich zugeſchnittener Form, die ſimulirten Geſchäfte
hingegen ſind einzelne Handlungen, jene gehören dem Rechte
an, haben eine abſtracte, dieſe lediglich concrete Exiſtenz.
Ein fernerer Unterſchied iſt der, daß jedes ſimulirte Geſchäft eine
Täuſchung beabſichtigt. Die wahre Geſtalt des Geſchäfts ſoll
den Blicken Dritter oder der Obrigkeit entzogen werden, zu dem
Ende hängt man ihm ein falſches Gewand über, z. B. der
Schenkung das des Kaufs. Der Zweck dieſer Täuſchung kann
in der Verhüllung eines rechtswidrigen Handelns beſtehen,
er kann aber auch lediglich dahin gehen, ein durchaus erlaubtes
Geſchäft vor der unberufenen Neugierde unbetheiligter Dritter
ſicher zu ſtellen. Auf eine ſolche Verſchleierung iſt es bei dem
Scheingeſchäft durchaus nicht abgeſehen. Jeder weiß, was
es bedeutet, auch die Obrigkeit, wo ſie, wie z. B. bei der rö-
miſchen in jure cessio, ihre Hand dazu bietet. Der Zweck des
Scheingeſchäfts iſt rein techniſcher Art: Erreichung eines vom
Recht ſelber gebilligten Zweckes durch etwas gewaltſame An-
wendung der vorhandenen Mittel, die Scheingeſchäfte waren
[266]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
juriſtiſche Nothlügen. Allerdings mögen manche derſelben
immerhin aus urſprünglich ſimulirten Geſchäften des Lebens
hervorgegangen ſein. Als zuerſt eine Frau auf die Idee kam,
eine Scheinehe einzugehen, um einen der Zwecke zu erzielen, zu
denen die coemptio fiduciae causa diente (ſ. u.), war dies ein
ſimulirtes Geſchäft; als die Einſchlagung dieſes Weges all-
gemein geworden und gewohnheitsrechtliche Sanction erhalten
hatte, war es ein Scheingeſchäft. Aber durch dieſe hiſtoriſche
Berührung beider, die ſich übrigens auch nicht bei allen wieder-
holt, wird ihr begrifflicher Unterſchied eben ſo wenig alterirt, als
dadurch, daß manche Gewohnheit im Laufe der Zeit zu einem
Gewohnheitsrechte führt, der Unterſchied zwiſchen dieſen beiden
Begriffen.
Der Verlauf unſeres Werkes hat uns bereits mannigfache
Beiſpiele der Scheingeſchäfte und damit einen Theil des
Materials geliefert, deſſen wir für die folgende Unterſuchung
benöthigt ſind. Dahin gehören: die mancipatio (Bd. 2
S. 554 fl.), ſelbſt in Anwendung auf ihren urſprünglichen
Anwendungskreis: die res mancipi, ein Scheingeſchäft, in An-
wendung auf das Teſtament aber ein Scheingeſchäft in zweiter
Potenz (daſ. S. 554); die Hingabe des Hauskindes ins Man-
cipium zur Vorbereitung der Emancipation und Adoption (daſ.
S. 190); die in jure cessio (daſ. S. 579 fl.) und die sponsio
praejudicialis (daſ. S. 85 und 556). Außerdem verdienen
noch genannt zu werden das nexum und die nexi liberatio,
d. i. die Begründung und Aufhebung einer Geldſchuld durch
eine ſolenne, vor 5 Zeugen und dem Libripens vorgenommene
Scheinzahlung,384) die coemptio fiduciae causa und zwei proble-
matiſche Fälle der Scheinadoption. Die Betrachtung der letztern
ſetze ich aus, bis uns die folgende Unterſuchung einen ſichern
Maßſtab für die Beurtheilung ihrer Scheingeſchäftsnatur ver-
[267]Die künſtlichen Mittel. §. 58.
ſchafft hat, dagegen ſchalte ich die coemptio fiduciae causa,
gerade um dieſen Zweck zu fördern, an dieſer Stelle ein.
Dieſelbe iſt ſicherlich eins der jüngſten Scheingeſchäfte,
denn die Zwecke, deretwegen die Frauenwelt Roms ſich ihrer
bediente: Befreiung von den sacris, Wechſel des Geſchlechts-
vormundes und Erlangung der Teſtirbefugniß weiſen unver-
kennbar einerſeits auf die Zeiten des Verfalls der religiöſen Ein-
richtungen und andererſeits auf die Periode der ſocialen Eman-
cipation des weiblichen Geſchlechts hin. Das Geſchäft beſtand
aus drei Akten: 1. der coemptio fiduciae causa, wornach das
ganze Geſchäft ſeinen Namen hatte, d. h. Eingehung einer
Manus-Ehe in der gewöhnlichen Form der coemptio, mit der
Nebenberedung der Remancipation, — 2. der remancipatio
fiduciae causa, d. h. dem Verkauf der Frau ins Mancipium
mit der Nebenberedung der Freilaſſung — und 3. dieſer Frei-
laſſung ſelber.
Mit obigen drei Zwecken, und zwar zunächſt mit dem erſten,
der Befreiung von den sacris, hat es folgende Bewandniß.385)
Die Ehefrau übertrug, indem ſie in die Manus des Mannes
trat, auf ihn ihre sacra, die bei letzterem auch dann verblieben,
wenn die Frau in Folge einer capitis deminutio aus dieſem
Verhältniß ſchied, mit ſeinem Tode aber, wir wiſſen nicht, ob
unter- oder auf die Erben übergingen. Jedenfalls war erſteres
dann der Fall, wenn der Nachlaß keinen Erben fand. Damit
war in der Zeit der Frivolität, als man die sacra nur noch unter
dem Geſichtspunkt einer Laſt betrachtete, den Frauenzimmern der
Weg gewieſen, wie ſie ſich mit verhältnißmäßig geringen Un-
koſten von dieſer Laſt Zeit Lebens befreien konnten. Sie gewan-
nen als Coemptionator einen alten Knaben, der ſchon mit einem
Fuß im Grabe ſtand, und dem ſie außer der Vergütung für die-
[268]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
ſen Dienſt die nöthigen Mittel zur Beſtreitung der sacra bis zu
ſeinem Lebensende vorſtreckten, oder der wohl gar wegen notori-
ſcher Armuth oder Gebrechlichkeit die Erfüllung dieſer Verpflich-
tung einfach von ſich abzulehnen im Stande war. Am billigſten
kam die Frau dazu, wenn ſie ſich auf dem Sklavenmarkt im
eigentlichen Sinne des Wortes einen ſolchen Laſtträger kaufte;
ſie ließ ihn frei und führte mit ihm als ihrem Freigelaſſenen,
dem ſie keine guten Worte und kein Geld zu geben hatte,386) die
obige Farce auf. Ein Todeskandidat, wie ſie ihn nöthig hatte,
war für wenig Geld zu haben, die Verwendung für dieſe Rolle
eines »senex coemptionalis« war die einzige, für die er noch zu
gebrauchen war. Niemand machte der Frau Concurrenz.387)
Die Geſchlechtsvormundſchaft der Agnaten hatte bekannt-
lich den ausgeſprochenen Zweck, dieſelben zu Wächtern über das
[269]Die künſtlichen Mittel. §. 58.
Vermögen der Frau zu beſtellen, und dadurch ihnen das Mittel
zu gewähren, ihre eventuellen Erbanſprüche ſelber zu ſichern.
Eine ſolche Einrichtung, die der Frau im Weſentlichen die Stel-
lung einer Nießbraucherin anwies, hatte für die Auffaſſung der
alten Zeit nichts Widerſtrebendes, mit den freiern Ideen der ſpä-
tern Zeit vertrug ſie ſich nicht. Die Form, in der letztere ihre
Oppoſition dagegen praktiſch bethätigte und die endliche Auf-
hebung des Inſtituts unter Claudius vorbereitete, war die von
Cicero388) als eine Erfindung der Juriſten bezeichnete Coemptio
zum Zweck des Wechſels der Tutel.389) Die Anlage derſelben be-
ruhte darauf, daß durch die mit der coemptio verbundene capitis
deminutio die legitima tutela der Agnaten unterging, und
daß der, welcher eine eines Tutors bedürftige Perſon aus dem
Mancipium freiließ, als Quaſipatron ihr Vormund ward. Die
ſtillſchweigende Vorausſetzung ihrer Wirkſamkeit war die nöthi-
genfalls durch Zwang zu realiſirende Verpflichtung der Agnaten
zur Ertheilung der Auctoritas bei einer Manusehe ihrer Pfleg-
befohlenen.390) Ohne dieſe Vorausſetzung würde das Mittel,
um an Stelle des unbequemen Agnaten einen gefügigen andern
Vormund zu erhalten, nur dann zum Ziel geführt haben, wenn
jener ſelber damit einverſtanden geweſen wäre, für dieſen Fall
aber gab es eine einfachere Form: die in jure cessio der tutela
legitima.391) Der Hergang war ganz der oben beſchriebene, die
[270]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
einzige Abweichung beſtand darin, daß der Nachdruck des Ge-
ſchäfts hier nicht auf der Perſon des Coemptionators, ſondern
auf der des Dritten ruhte, der die Frau freiließ und dadurch ihr
Vormund ward. Daß die Frau ſich zu dieſer Rolle eine ſolche
Perſönlichkeit ausſuchte, deren ſie ſich in allen Dingen verſichert
halten konnte, bedarf ebenſowenig der Bemerkung, als daß ſchon
die bloße Androhung jenes Aktes ausreichen konnte, um einen
ſtarrſinnigen Agnaten geſchmeidiger zu machen oder ihn zur
Ceſſion der Tutel an die von der Frau gewünſchte Perſon zu be-
ſtimmen.
Der Nachlaß einer Frau, die in ihrer urſprünglichen oder
der angeheiratheten Familie verblieben war, fiel ihren Verwand-
ten zu und konnte ihnen durch Teſtament nicht entzogen werden,
ſelbſt dann nicht, als mit dem Aufkommen des testamentum per
aes et libram das formelle Hinderniß, das dem Teſtament der
Frau bis dahin entgegengeſtanden hatte, beſeitigt worden war.
Dieſelbe Rückſicht aber, welche dieſer Beſchränkung und zu-
gleich der Geſchlechtsvormundſchaft der Agnaten zu Grunde lag:
die Erhaltung des Vermögens im Mannsſtamm, brachte es mit
ſich, einer Frau, die durch capitis deminutio aus dem Ver-
bande ihrer Familie geſchieden und sui juris geworden war, um-
gekehrt das Recht der Teſtamentserrichtung einzuräumen, um ihr
dadurch das Mittel zu gewähren, ihren Nachlaß an ihre ur-
ſprünglichen Verwandten zurückzubringen. An dieſen Satz: daß
eine derartige capitis deminutio der Frau das Recht der Teſta-
mentserrichtung verſchaffe, knüpfte man an, als man auch jene
dem weiblichen Geſchlecht gezogene Schranke beſeitigen wollte.
Es kam darauf an, die Frau in ein Scheinmancipium zu bringen,
um damit die Freilaſſung derſelben zu ermöglichen. Da aber
eine gewaltfreie Perſon ſich weder ſelber ins Mancipium geben,
noch auch durch ihre Tutoren hineingebracht werden konnte, ſo
bedurfte es zu dem Ende des Durchganges durch eins der Ge-
waltverhältniſſe, mit denen das Recht des Verkaufs ins Manci-
pium verbunden war, die manus oder die väterliche Gewalt, und
[271]Die künſtlichen Mittel. §. 58.
da wiederum eine Arrogation von Frauenzimmern, ganz abge-
ſehen von der Form ihrer Vornahme, aus ſachlichen Gründen
ausgeſchloſſen war, indem die Frau den Familiennamen nicht
fortpflanzen konnte, ſo blieb die manus, d. i. die Scheinehe,
allein übrig. Mittelſt dieſer Benutzung eines den Intereſſen
der Verwandten urſprünglich eher günſtigen als nachtheiligen
Satzes zu dem gerade entgegengeſetzten Zweck war der Erbrechts-
zwang derſelben nach dem, was oben über die Nothwendigkeit
der Ertheilung der tutoris auctoritas geſagt iſt, praktiſch ſo gut
wie beſeitigt. Es begreift ſich, daß die Agnatentutel, nachdem ſie
ihren ganzen Werth als Sicherungsmittel des agnatiſchen Erb-
rechts eingebüßt hatte, ſchließlich durch Claudius gänzlich aufge-
hoben ward;392) ein Senatusconſult unter Hadrian that daſſelbe
rückſichtlich der coemptio testamenti faciendi gratia.393)
Ueber den hiſtoriſchen Urſprung der Scheingeſchäfte iſt
neuerdings eine Anſicht394) aufgeſtellt, die ich nicht für richtig
halte. Das Scheingeſchäft ſoll gleich der Fiction zuerſt auf
dem Gebiete des religiöſen Cultus und geiſtlichen Rechts auf-
getaucht und von dort auf das des profanen Rechts übertragen
ſein. Die dafür beigebrachten poſitiven Zeugniſſe beweiſen ledig-
lich, was wir bereits wußten und was von Niemanden mehr
als von mir betont worden iſt (Bd. 1 S. 326, Bd. 2 S. 424 fl.),
nämlich daß, ſo wie die ganze Methode der Behandlung, ſo auch
die Scheingeſchäfte und Fictionen ſich auf beiden Gebieten wie-
derholten, in keiner Weiſe aber, daß dieſelben auf einem der
beiden Gebiete früher zum Vorſchein gekommen ſeien, als auf
dem andern. Allgemeine Gründe unterſtützen das angenommene
[272]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
Prioritätsverhältniß ſo wenig, daß ſie eher für das Gegentheil
ſprechen würden. Beide, die Scheingeſchäfte wie die Fictionen,
ſind die einer gewiſſen Culturepoche eigenthümlichen Formen
des Fortſchritts. Niemand aber wird doch wohl darüber in
Zweifel ſein, daß das profane Recht dem Fortſchritt395) un-
gleich zugänglicher war, als das geiſtliche, daß alſo, wenn eins
von beiden zuerſt die Formen ausgebildet haben ſoll, in denen
er Statt fand, dies nur das profane Recht geweſen ſein kann.
Es gilt von dieſer Anſicht ganz daſſelbe, was ich früher (Bd. 2
S. 675 fl.) von einer ganz verwandten geſagt habe, die den
Urſprung der Legisactionen in dieſelbe Region verſetzt; beide
begehen den Fehler, daß ſie für eine Erſcheinung von allgemein
culturhiſtoriſcher Nothwendigkeit noch eine äußere, nur für Rom
zutreffende Erklärung für nöthig halten. Die Scheingeſchäfte
und Fictionen ſind ebenſowenig wie die ſtarren Formeln des
Proceſſes etwas dem römiſchen Rechte Eigenthümliches, ſie wie-
derholen ſich auf einer gewiſſen Culturſtufe überall, wofür ins-
beſondere die Geſchichte des engliſchen Rechts die lehrreichſten
Beiſpiele liefert; mit Zurücklegung derſelben ſterben ſie mehr
und mehr ab und verlieren ſich endlich völlig.
Dieſe Wahrnehmung muß die Ueberzeugung in uns her-
vorrufen, daß nicht die Frage nach dem Urſprung, der äußern
hiſtoriſchen Entſtehung, ſondern die nach dem Grunde der
Scheingeſchäfte die eigentlich entſcheidende iſt. Mögen immerhin
manche derſelben der Abſicht der Umgehung unbequemer Geſetze
ihren Urſprung verdanken, alſo aus urſprünglich ſimulirten Ge-
ſchäften des Lebens hervorgegangen ſein, die ſich erſt auf dem
[273]Die künſtlichen Mittel. §. 58.
langſamen Wege gewohnheitsrechtlicher Bildung zum Range
rechtlich anerkannter Geſchäftsformen erhoben, andere ſofort als
ſolche von der Jurisprudenz ins Leben gerufen worden ſein,
darauf kömmt Nichts an. In beiden Fällen wirft ſich gleichmäßig
die Frage auf, was die Jurisprudenz zur Billigung oder Wahl
ſo ſeltſamer Formen veranlaſſen konnte. Von dem von uns ge-
wonnenen Standpunkt aus kann die Antwort auf dieſe Frage
nicht zweifelhaft ſein. Die Scheingeſchäfte waren nur eins der
vielen Mittel, welche die römiſchen Juriſten anwandten, um neu
auftauchende Bedürfniſſe des Lebens mit den vorhandenen Mit-
teln zu befriedigen. Der Vorwurf, den Cicero, der ſich auch
dieſen bequemen Stoff, die Jurisprudenz vor dem großen Haufen
herunterzuſetzen, nicht entgehen ließ — der Vorwurf alſo, den
Cicero den Juriſten macht: ſie hätten mittelſt der Scheingeſchäfte
das ältere Recht fraudulöſer Weiſe umgangen,395 a) wird keiner
ernſtlichen Widerlegung bedürfen, zum Ueberfluß verweiſe ich
auf das, was ich bereits Bd. 2 S. 492 dagegen bemerkt habe.
Der einzige Punkt, der uns zu einem genaueren Eingehen
Veranlaſſung bietet, iſt der praktiſche Mechanismus des Schein-
geſchäfts.
Ich habe früher die „künſtlichen Mittel“ der juriſtiſchen
Oekonomie als ſolche bezeichnet, bei denen dem Rechtsbegriff
Gewalt angethan, bei denen er in widernatürlicher Weiſe ge-
ſpannt werde. Bei dem Scheingeſchäft beſteht dieſe Spannung
darin, daß daſſelbe, um gewiſſe Wirkungen, auf die es abgeſehen
iſt, zu erzielen, ein anderes Geſchäft oder Verhältniß, in welchem
dieſelben als einzelne Momente des geſammten Inhalts, ſei es
als Zwecke, oder als bloße Folge und gar als Strafe ent-
halten ſind, in der Weiſe verwendet, daß es lediglich dieſe ein-
zelne Wirkung herausgreift, die übrigen fallen läßt. Das
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 18
[274]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
Scheingeſchäft iſt ein Iſolirungsapparat. Es iſt
derſelbe Kunſtgriff, den wir bereits bei ſo manchen der im §. 57
genannten Fälle haben kennen lernen.
An die Ehe hatte die lex Julia und Papia Poppaea gewiſſe
Vortheile geknüpft. Um dieſer einen Wirkung theilhaftig zu
werden, ging man eine Ehe ein, bei der beide Theile ſich darüber
verſtändigten, daß alle übrigen Wirkungen ausgeſchloſſen ſein
ſollten. In derſelben Weiſe verfährt die coemptio fiduciae causa.
Wie weit jene Möglichkeit der Auslöſung einer einzelnen
Wirkung gerade bei ihr reichte, beweiſt am beſten der Umſtand,
daß die drei Zwecke, für welche ſie verwandt ward, als drei ver-
ſchiedene Anwendungsfälle oder Arten derſelben bezeichnet wer-
den, woraus hervorgeht, daß jeder derſelben ſelbſtändig ohne die
andern erreicht werden konnte. Eine Frau mochte den Wunſch
hegen, einen andern Geſchlechtsvormund zu erhalten oder ein
Teſtament zu errichten, aber ſie war keineswegs gewillt, ihre
sacra aufzugeben. Wären nothwendigerweiſe ſämmtliche Wir-
kungen der coemptio eingetreten, ſo hätte ſie das eine ohne das
andere gar nicht gekonnt. Das Recht legte ihr kein Hinderniß
in den Weg.
Der Richter, der über einen bedingten Anſpruch ein Urtheil
fällt, erkennt damit zugleich implicite über die Bedingung.
Dieſen letztern Punkt greift die sponsio praejudicialis heraus,
um in Form des bedingten Geldverſprechens gewiſſe Fragen
indirect zur richterlichen Beurtheilung zu bringen. Die Wirkung
des Urtheils beſchränkt ſich auf Feſtſtellung dieſer Fragen, der
directe Inhalt deſſelben: die Verurtheilung auf die verſprochene
Summe erlangte keine Rechtskraft.
Das älteſte Recht kannte keine Entlaſſung der Kinder aus
der väterlichen Gewalt. Nur wenn der Vater den Sohn drei
Mal, Tochter und Enkel ein Mal ins Mancipium gegeben hatte,
ſollten ſie für immer frei von ihm werden — eine Beſtimmung,
die offenbar als Strafe gemeint war. Dieſe Strafe ergreift
die Emancipation als Zweck, indem ſie, um die Befreiung des
[275]Die künſtlichen Mittel. §. 58.
Kindes zu vermitteln, das Kind durch das Mancipium hindurch-
führt. Von den Wirkungen des Mancipiums ſollte aber bloß
die eine: die damit verknüpfte Möglichkeit der Freilaſſung ein-
treten; der Fiduciar, der das Kind zu Dienſtleiſtungen hätte
zwingen wollen, würde ebenſowenig rechtlichen Schutz gefunden
haben, als der Sieger bei der sponsio praejudicialis, wenn er
die verſprochene Summe hätte einklagen wollen. In einer an-
dern Richtung war freilich dieſe Iſolirungsidee bei der Emanci-
pation weniger verwerthet, als in den beiden obigen Fällen,
insbeſondere bei der coemptio fiduciae causa. Während bei
letzterer die Frau, um die eine der drei Wirkungen zu erzielen,
nicht nöthig hatte, die beiden andern mit in den Kauf zu nehmen,
traten bei der Emancipation ſämmtliche Wirkungen ein, ſelbſt
wenn ſie über die Abſicht der Partheien weit hinausgingen, wie
dies regelmäßig mit dem Verluſt des civilen Erbrechts der Fall
geweſen ſein mag. Eine Emancipation lediglich für einen ſpeciel-
len Zweck nach Art der coemptio fiduciae causa gab es nicht.
Was mag Urſache geweſen ſein, daß erſtere hinter letzterer ſo
weit zurückgeblieben iſt? Iſt es der Umſtand, daß letztere aus
einer Zeit ſtammt, wo man die Scheingeſchäfte bereits mit größerer
Freiheit behandelte? Mehr Wahrſcheinlichkeit hat mir ein anderer
Grund. Wer durch die Emancipation dem Kinde bloß die ſelb-
ſtändige Stellung eines homo sui juris einräumen wollte, ohne
daſſelbe ſeines Erbrechts zu berauben, hatte im Teſtament das
Mittel in Händen, dieſen Zweck zu erreichen. In Ergänzung
des muthmaßlichen Willens des Vaters gab, wenn die Be-
nutzung dieſes Mittels verſäumt war, ſpäter der Prätor dem
emancipirten Kinde eine Bonorum Possessio, die alſo die Un-
beholfenheit der Emancipation, wenn ich ſo ſagen darf, von
außen her verbeſſerte, letztere auf diejenige Wirkung beſchränkte,
die in den bei weitem meiſten Fällen die allein beabſichtigte war:
die Verleihung der Stellung des pater familias.
Die Spannung bei der Emancipation äußerte ſich daher
nicht ſowohl in ihren Wirkungen, als in der Art, wie die-
18*
[276]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
ſelben erzielt wurden: in der Erfaſſung einer Strafe als
Zweck und der Verwendung des Mancipiums lediglich zur
Erzeugung einer einzelnen Wirkung. Daſſelbe wiederholt ſich
bei einigen andern Scheingeſchäften. Die mancipatio, das
nexum, die in jure cessio erzeugten ganz dieſelben Wirkungen,
wie der ernſtliche Kauf, das ernſtliche Darlehn in alter Form
und das Urtheil im Vindicationsproceß. Das, worin jene Nach-
bildungen hinter dem Original zurückblieben, lag hier lediglich
in der Art, wie die Wirkungen herbeigeführt wurden, darin
nämlich, daß man den Mangel der wirklichen Vorausſetzungen
auf künſtlichem Wege durch Scheinzahlung und Scheinproceß
ergänzte. Alle Scheingeſchäfte, mögen ſie nun an den Wir-
kungen oder Vorausſetzungen kürzen, kommen mithin
darin überein, daß bei ihnen etwas fehlt, was dem vorbild-
lichen Geſchäft weſentlich iſt, daß ſie nicht ſowohl eine An-
wendung, als vielmehr eine bloße, mitunter höchſt äußerliche
Anknüpfung an daſſelbe enthalten.
Dieſen Geſichtspunkt darf man bei der Beurtheilung der
Scheingeſchäfte nie aus den Augen laſſen. In welchem Maße
er ihren Urhebern ſelber vorgeſchwebt hat, davon hat zwar die
bisherige Entwicklung bereits manche Zeugniſſe beigebracht,
allein ich darf es nicht unterlaſſen, dieſen Punkt in ein noch
helleres Licht zu ſetzen.396)
Ich faſſe meine Anſicht in den Satz zuſammen: Das
Scheingeſchäft iſt mit dem originären hiſtoriſch, nicht dog-
matiſch verbunden. Es iſt aus letzterem hervorgegangen, aber
nicht wie ein Zweig, der dauernd mit dem Stamm zuſammen-
hängt, ſondern wie der Schößling, der ſelbſtändiges Daſein ge-
wonnen hat. Oder minder bildlich geſprochen: die Theorie des
originären Geſchäfts iſt nicht die des Scheingeſchäfts, letzteres
hat ſeine eigne, die von jener nicht ſelten in den weſentlichſten
[277]Die künſtlichen Mittel. §. 58.
Punkten abweicht und darum auch durch die Veränderungen, die
mit jener vor ſich gehen, nicht betroffen wird.397) Der praktiſche
Werth des Scheingeſchäfts beruhte auf der Freiheit, mit der die
Juriſten die Rechtsſätze des originären dem Scheingeſchäft
adaptirten, ſie änderten und ausſchloſſen, kurz auf ſeiner dog-
matiſchen Unabhängigkeit und Selbſtändigkeit.
Möglich, daß letztere für manche Scheingeſchäfte erſt nach und
nach gewonnen ward, aber nicht minder gewiß, daß andere ſie
von vornherein mit zur Welt brachten. Das testamentum
per aes et libram war ein von der mancipatio abgezweigtes
Scheingeſchäft. Die mancipatio gewährte ein unwiderrufliches
Recht. Wer möchte glauben, daß dieſer Satz jemals beim Man-
cipationsteſtament zur Anwendung gelangt ſei? Damit wäre
daſſelbe ſeiner ganzen Brauchbarkeit in den Augen der Römer
beraubt worden, es hätte aufgehört zu ſein, was es von jeher
war: ein Teſtament, und wäre in eine unwiderrufliche
letztwillige Verfügung, einen Erbvertrag übergegangen. Bei der
wirklichen coemptio fällt dem Manne das ganze Vermögen der
Frau zu, und umgekehrt beerbt ſie ihn, wenn er ſtirbt. Wie
ungeſchickt wäre es geweſen, wenn man beide Sätze auf die
coemptio fiduciae causa hätte übertragen wollen! Daß es nicht
geſchehen iſt, wird uns ausdrücklich bezeugt.398) Das Urtheil
erzeugt nur Wirkungen unter den Partheien, ſo auch das Urtheil
im Vindicationsproceß. Die in jure cessio dagegen reichte weiter,
ſie wirkte abſolut, in einem ſpeciellen Fall: bei der tutela
legitima mulierum aber blieb ſie umgekehrt hinter der vindi-
catio zurück, ihre Wirkung erloſch mit dem Tode und der capitis
deminutio des Cedenten.399) Eine Vindication der Erbſchaft
[278]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
war erſt nach der Antretung möglich, eine in jure cessio der-
ſelben nur vor der Antretung und auch dies nur bei der here-
ditas legitima.
Doch genug der Belege für eine Behauptung, die Jedem,
der die römiſchen Juriſten kennt, kaum eines Beweiſes bedürftig
erſcheinen wird. So wenig wie ſie ſich bei der Interpretation der
Geſetze blindlings dem Buchſtaben gefangen gaben, unbekümmert
um das praktiſche Reſultat, das zu Tage kam (Bd. 2 S. 487),
ſo wenig bei dem Scheingeſchäfte der leidigen Conſequenz. Wo
dieſelbe zu Reſultaten führte, die, obſchon durch den Zweck des
Scheingeſchäfts nicht gerade geboten, doch mit demſelben wenig-
ſtens nicht in Widerſpruch traten, vergönnten ſie ihr freien
Spielraum; über dieſe Gränze hinaus (Bd. 2 S. 560—562)
verſperrten ſie ihr den Weg. Eben daß die Juriſten dies
thaten, daß ſie die Theorie des Scheingeſchäfts in der Weiſe
geſtalteten, wie ſie dem Zweck deſſelben entſprach, daß es alſo
nicht erſt Sache der Partheien war, alle unbequemen Wirkun-
gen, die das originäre Geſchäft in ſeiner wirklichen Anwendung
erzeugte, auf allerhand Umwegen zu beſeitigen — eben dieſer
Umſtand enthält in meinen Augen die eigentliche Signatur des
Scheingeſchäfts und damit zugleich das ſpecifiſche Merkmal,
welches die Scheingeſchäfte des Rechts von den Schleichwegen
des Lebens den ſimulirten Geſchäften unterſcheidet.400)Th.
[279]Die künſtlichen Mittel. §. 58.
Mommſen hat das Scheingeſchäft als denaturirtes be-
zeichnet, und ich halte dieſen Ausdruck für einen ganz treffenden.
Aber die Denaturation beruhte nicht darin, worein er ſie ſetzt,
nämlich daß nur die Partheien im einzelnen Fall das Geſchäft
verrenkt hätten — dies hätte die Natur, den Begriff des Ge-
ſchäfts ſelber in Nichts alterirt — ſondern darin, daß das Recht
ſelber es that, m. a. W. daß auf gewaltſamem Wege eine neue
Geſchäftsform geſchaffen ward.
Die bisherige Ausführung war, ganz abgeſehen von dem
Intereſſe, das ſie an ſich hat, auch zu dem Zweck nöthig, um
ein Scheingeſchäft, auf das man erſt neuerdings aufmerkſam ge-
worden iſt, dem aber von dem ſo eben genannten Gelehrten ſeine
Legitimation als Scheingeſchäft beſtritten iſt, unter die Zahl
derſelben aufnehmen zu können und damit einen werthvollen
Beitrag für die oben entwickelte Theorie der Scheingeſchäfte zu
erhalten. Dies iſt die arrogatio als Form des Uebertritts eines
Patriciers zu den Plebejern (transitio ad plebem).401)
Der Sohn des Plebejers war wiederum Plebejer. Ein Pa-
tricier, der zur Plebs übertreten wollte, um damit die Fähigkeit
400)
[280]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
zur Bekleidung des Tribunats zu erlangen, brauchte ſich alſo zu
dem Zweck nur von einem Plebejer arrogiren oder, wenn er
Hausſohn war, adoptiren zu laſſen, was wenn auch ſchwerlich
in älteſter, doch jedenfalls ſchon in der guten Zeit der Republik
möglich war. Eine ſich daran reihende im Voraus verabredete
Emancipation verſchaffte ihm, wenn er es wünſchte, die Stellung
eines pater familias. Der Preis, den er für den gewünſchten
Zweck einzuſetzen hatte, war freilich kein geringer: Verluſt des
Patriciats, der sacra, des Namens und des Erbrechts; dies
brachte die Conſequenz jener Vorgänge mit ſich. Aber gerade in
der Höhe dieſes Preiſes lag die Aufforderung, eine bequemere
Form ausfindig zu machen. Dies war entweder in der Weiſe
möglich, daß man eine ganz neue, eigens für dieſen Zweck be-
rechnete Form erfand, oder in der Weiſe, daß man an jenen
durch das vorhandene Recht ermöglichten Umweg anknüpfend
denſelben nur zweckgemäßer geſtaltete. Wer der bisherigen Aus-
führung gefolgt iſt, wird ſchwerlich darüber im Unklaren ſein,
welche von beiden Möglichkeiten der Weiſe der römiſchen Juriſten
mehr entſprach, und ebenſo wenig wird ſich, wenn ſie ſich den-
noch für die erſtere entſchieden hätten, begreifen laſſen, warum
Jemand anſtatt des ihm geöffneten directen Weges den in ſeiner
früheren unvollkommenen Geſtalt belaſſenen Umweg hätte ein-
ſchlagen ſollen.
Bekanntlich wählte nun Clodius, als er des obigen Motivs
wegen zur Plebs überzutreten beſchloß, den letztern Weg; er ließ
ſich von einem Plebejer, dem Fontejus, arrogiren und ſodann
emancipiren. Ueber den Zweck dieſer Maßregel konnte Niemand
im Unklaren ſein, ganz Rom kannte ihn und ſo auch die Pon-
tifices, die dabei mitzuwirken hatten. Zum Ueberfluß, um die
Nichternſtlichkeit der Arrogation noch augenfälliger zu machen,
war als Figurant ein Mann gewählt, jünger an Jahren, als
der zu Arrogirende! Wenn nun gleichwohl die Pontifices ihre
Beihülfe nicht verſagten, ſo läßt das die doppelte Deutung zu:
entweder die einer mit der Ernſtlichkeit, mit der ſie ſonſt die
[281]Die künſtlichen Mittel. §. 58.
Bedingungen der Arrogation prüften, wenig in Einklang ſtehen-
den Connivenz bei einem, wie Mommſen ſelber ihn bezeich-
net, „dem Weſen der Adoption widerſtreitenden Willkühract“
— einer Connivenz, die ihnen durch die Wahl eines ältern Ar-
rogators jedenfalls hätte erleichtert werden können —, oder aber
die einer ihnen amtlich obliegenden Mitwirkung zu einem Schein-
geſchäft in unſerm Sinn. Die Gründe, die für die letztere
Deutung geltend gemacht worden ſind, haben für mich ganz
überzeugende Kraft. Clodius behielt ſeinen patriciſchen Namen
bei und nahm nicht, wie es bei wirklichen Adoptionen üblich,
den des Adoptivvaters an, ebenſo verblieben ihm ſeine sacra
und ſein civiles Erbrecht402) — alles ganz erklärlich bei der zwei-
ten, unerklärlich bei der erſten Annahme. Wenn die Pontifices
die Wirkung der den Uebertritt zur Plebs vermittelnden Schein-
arrogation lediglich auf dieſen ihren einzigen Zweck beſchränkten
und die übrigen Wirkungen, welche über ihn hinausgingen,
fallen ließen, ſo verfuhren ſie dabei nicht anders, als, wie oben
gezeigt, bei den meiſten andern Scheingeſchäften, und die arrogatio
fiduciae causa zum Zweck der transitio ad plebem findet ins-
beſondere an der coemptio fiduciae causa in ihrer oben be-
ſchriebenen Geſtalt ein Seitenſtück, das nichts zu wünſchen übrig
läßt, und das allein ſchon ausreicht, die Einwendungen, die
vom Standpunkt der „römiſch-juriſtiſchen Logik“ aus gegen jene
Anſicht erhoben ſind, zu entkräften. Bei den Scheingeſchäften
beſtand die Logik des römiſchen Rechts meiner Auffaſſung nach
gerade darin, daß es die unbequeme Logik ausſchloß, die Logik
des Zwecks über die der Mittel ſetzte.
Von dieſem Standpunkt aus erklärt es ſich auch, warum in
dem obigen Fall ein Mann, jünger an Jahren, als der zu Arro-
girende, die Rolle des Adoptivvaters übernahm — es ließ ſich
kein beſſerer Proteſt gegen die Ernſtlichkeit der Arrogation denken,
[282]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
als gerade dieſer.403) Bei der entgegengeſetzten Anſicht hätte
darin ein völlig nutzloſer Hohn gegen das Pontificalcollegium
gelegen.
Zu dieſem Schößling der Arrogation fügte die Kaiſerzeit noch
einen andern, ſo viel ich weiß, bisher nicht beachteten hinzu:
die Adoption als Form der Ernennung des Thronfolgers. Unter
den erſten Kaiſern eine wirkliche Adoption, die dem Adoptirten
ganz die Stellung eines Hauskindes anwies,404) ward ſie nach
und nach eine reine Form für die angegebenen Zwecke, deren
Unterſchied von der ächten Adoption ein Zeugniß aus der Zeit
Diocletians als einen ganz bekannten vorausſetzt.405) Daß es
bei dieſem Akt nicht auf einen Sohn im natürlich-ſittlichen und
juriſtiſchen Sinn abgeſehen ſei, ward bereits in früher Zeit von
einigen der Kaiſer ſelber betont,406) und nachdem man ſich daran
gewöhnt hatte, den Akt in anderm Licht zu betrachten, kam man
ſchwerlich mehr in Verſuchung die Conſequenzen der gewöhn-
lichen Adoptionstheorie zu ziehen, das Vermögen des Thron-
folgers dem Kaiſer407) und umgekehrt die Privaterbſchaft des
letztern jenem zuzuſprechen. Hadrian ſtellte dem Antoninus Pius
bei ſeiner Adoption die Bedingung, daß er als ſeinen Nach-
[283]Die künſtlichen Mittel. §. 58.
folger den Mark Aurel und als deſſen, alſo als ſeinen Enkel,
den Verus adoptire und dieſem ſeine Tochter gebe. Erſteres
geſchah, gleichwohl aber wurden die beiden letztern im Leben als
Brüder betrachtet (nach ihrem Tode die „Divi fratres“), unge-
achtet juriſtiſch genommen der eine der Vater des andern war.
Verus erhielt ſtatt der ihm von ſeinem Adoptiv-Urgroßvater
Hadrian zugedachten Tochter ſeines Adoptiv-Großvaters Pius
ſchließlich die Tochter ſeines Adoptivvaters oder Bruders Mark
Aurel zur Braut, während dieſer wiederum die Tochter ſeines
eignen Adoptivvaters zur Frau nahm.408) Wer mag bei dieſer
Verkehrung der gewohnten Ordnung der Familie noch an wirk-
liche Familienverhältniſſe denken! Es waren Verabredungen rein
politiſcher Art, bei denen die Adoption nur den Namen hergab,
um die Reihe der Regierungsnachfolger zu beſtimmen, ohne daß
man ihr auf die Privatverhältniſſe weder einen hinderlichen noch
förderlichen Einfluß eingeräumt hätte.409) Kurz es war ein neuer
Begriff: die „adoptio regia“,410) bei der daher auch die alten For-
men, die früher noch beobachtet waren, bald andern Platz machten.
Hadrian erfuhr ſeine Ernennung zum Nachfolger von Seiten des
Trajan erſt durch Ueberſendung des Patents, als er in Spanien
war.411) Ob wohl irgend einer der Juriſten, wenn derſelbe dort
[284]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
umgekommen wäre, daran gedacht haben würde, das Teſtament,
das er vorher errichtet hatte, für hinfällig zu erklären und ſein
Vermögen als Pekulium dem Trajan zuzuſprechen? Ich möchte
es bezweifeln! Im dritten Jahrhundert fiel endlich ſelbſt die
formelle Anknüpfung an die Adoption hinweg. Die Ernennung
erfolgte durch Patent, welches den Titel eines Caesar verlieh,
und der Akt ſelber wird als Verleihung des caesarianum nomen
bezeichnet.412)
In dem ſo eben behandelten Fall beſitzen wir, ſo viel mir
bekannt, das ſpäteſte Scheingeſchäft, das die Geſchichte des
römiſchen Rechts aufzuweiſen hat. Die Technik der klaſſiſchen
Zeit konnte derartiger künſtlicher Mittel, mit denen die Juris-
prudenz in ihrer Jugendzeit ſich beholfen hatte, entrathen; die
vorhandenen Scheingeſchäfte erhielten ſich noch zum Theil, aber
von neuentſtandenen thut die Geſchichte uns keine Meldung
mehr. — Die Periode der Scheingeſchäfte war vorüber!
Die Fictionen haben ſich in neueſter Zeit einer regen Be-
arbeitung zu erfreuen gehabt,413) es will mir aber ſcheinen, als
ob man ſtellenweis ihre Bedeutung nicht wenig überſchätzt
habe,414) und als ob bereits Savigny415) mit wenig Worten
[285]Die künſtlichen Mittel. §. 58.
das wahre Weſen derſelben erſchöpft habe. „Entſteht eine neue
Rechtsform, ſagt er, ſo wird dieſelbe unmittelbar an eine alte,
beſtehende angeknüpft, und ihr ſo die Beſtimmtheit und Aus-
bildung derſelben zugewendet. Dieſes iſt der Begriff der Fiction,
für die Entwicklung des römiſchen Rechts höchſt wichtig und von
den Neuern oft lächerlich verkannt.“
Zu dieſer „lächerlichen Verkennung“ bietet die Fiction aller-
dings eine gewiſſe Verſuchung dar. Sie iſt eine von den Erſchei-
nungen der juriſtiſchen Technik, mittelſt deren man die römiſche
Jurisprudenz vor Unkundigen leicht perſifliren kann, und Cicero,
den wir ſchon ſo oft auf derſelben Fährte betroffen haben (Note
394) hat auch dieſen Stoff zu verwerthen geſucht.416) Wie
läppiſch, kann man ſagen: ein rechtliches Hinderniß, deſſen man
nicht Herr werden kann, einfach hinwegzufingiren, den nach-
theiligen Einfluß einer Emancipation zu beſeitigen, indem man
ſie ſelber für nicht geſchehen erklärt, die Tochter des Patrons
zum Sohne, den Nichtbürger zum Bürger zu machen und ſogar
die keuſche Diana mit Kindern zu beſchenken.417) Wie freilich
Juriſten durch dieſe neckiſche Form der Fiction ſich täuſchen laſſen
konnten, iſt ſchwer zu begreifen, und doch bietet die Literar-
geſchichte ein eclatantes Beiſpiel an einem der nahmhafteſten
Juriſten des vorigen Jahrhunderts.418)
Und doch iſt die Sache ſo außerordentlich einfach. Man möge
mir erlauben, ſie durch ein Beiſpiel des heutigen Lebens zu ver-
anſchaulichen. Eine Eiſenbahnverwaltung, eine Steuerbehörde
[286]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
hat Formulare drucken laſſen, in denen aus Verſehen oder, weil
der Artikel damals noch nicht bekannt war, eine Columne oder
Rubrik für dieſen Artikel fehlt. Um nicht die ſämmtlichen For-
mulare umdrucken zu laſſen, beſtimmt ſie, daß der Artikel unter
eine der vorhandenen Columnen untergebracht werden ſolle,
Braunkohlen z. B. ſollten als Steinkohlen gelten. Was hat
der römiſche Prätor anders gethan, wenn er bei Ausdehnung der
Klagen auf neue Verhältniſſe die alten Formulare unverändert
beibehielt und nur für den Richter den Vermerk hinzufügte: er
ſolle das neue Verhältniß ganz ſo behandeln, als ob es das alte
wäre, der Nichtbürger z. B., der die Klage anſtelle, ſolle in Be-
zug auf ſie als Bürger betrachtet werden?
Dieſen und keinen andern Zweck hat die Fiction. Sie ſoll
den Prätor oder die Theorie der Mühe, die alte Formulirung
der Klage oder des Begriffs entſprechend zu verändern, über-
heben. „Nur ein Erbe kann die hereditatis petitio anſtellen“
lautete der Satz des alten Rechts. Aber das Bedürfniß drängte
ſpäter dahin, auch andern Perſonen, z. B. dem Käufer der
Concursmaſſe, dem Bonorum Possessor die Klage zuzugeſtehen.
In Folge davon hätte nicht bloß die alte auf den heres oder die
hereditas lautende Faſſung der Klage, ſondern auch die For-
mulirung der obigen Regel geändert werden müſſen. Letzteres
war aber kein Leichtes, es hieß an Stelle des bekannten, ge-
läufigen Begriffs der hereditas einen neuen allgemeinern: den
der Univerſalſucceſſion aufzuſuchen, ihn klar zu erfaſſen und zu
formuliren. Sollte das Leben ſo lange warten, bis der Doctrin
dies gelungen? Man wählte einen theoretiſch minder correcten,
praktiſch aber eher zum Ziele führenden Weg: jene beiden Per-
ſonen werden als heredes angeſehen, ſie ſind es zwar nicht, aber
ſie werden als ſolche fingirt. Auf dieſe Weiſe war das bis-
herige Recht formell gerettet. Der Prätor gab nach wie vor die
alte Klagformel, nur mit dem obigen Zuſatz, der Lehrer des
Rechts trug nach wie vor jene Regel vor und ſchnitt den Ein-
wand des Schülers, daß doch jene Perſonen keine heredes ſeien,
[287]Die künſtlichen Mittel. §. 58.
in derſelben Weiſe ab, wie der Prätor den des Richters: ſie
ſeien zwar keine, aber rückſichtlich der Klagbefugniß gölten ſie
als ſolche.
„Das Teſtament iſt der letzte Wille eines römiſchen Bürgers;
wem dieſe Eigenſchaft im Moment des Todes abgeht, der kann
kein gültiges Teſtament hinterlaſſen.“ Das war der Satz des alten
Rechts; eine Conſequenz davon, daß das Teſtament eines Bür-
gers, der in feindlicher Gefangenſchaft ſtarb, keine Gültigkeit
hatte. Die lex Cornelia ſah ſich veranlaßt, dieſe Conſequenz
rückſichtlich der vor der Gefangenſchaft errichteten Teſtamente
aufzuheben. Sie hätte es thun können in der Weiſe, wie wir
heutzutage es thun würden, indem ſie dieſe Neuerung offen aus-
ſprach, und ſie würde es vielleicht auch gethan haben, wenn nicht
Juriſten mit im Rath geſeſſen und das Intereſſe ihrer Disciplin
dadurch gewahrt hätten, daß ſie eine Wendung erſannen, die den
obigen Fundamentalſatz äußerlich beſtehen ließ: die bekannte
fictio legis Corneliae. Das Geſetz ſprach aus: es ſolle ſo an-
geſehen werden, als ob der Teſtator bereits im Moment ſeiner
Gefangennehmung, alſo noch als Freier und römiſcher Bürger
verſtorben wäre.419)
Dieſe beiden Beiſpiele werden als Anhaltspunkte zur Ver-
anſchaulichung des eigenthümlichen Mechanismus und der tech-
niſchen Beſtimmung der Fiction genügen.
Der Zweck der Fiction beſteht in der Erleichterung der
Schwierigkeiten, die mit der Aufnahme und Verarbeitung neuer,
mehr oder weniger einſchneidender Rechtsſätze verbunden ſind,
in der Ermöglichung, die traditionelle Lehre formell ganz in ihrer
alten Geſtalt zu belaſſen, ohne doch dem Neuen praktiſch ſeine
volle Wirkſamkeit dadurch irgendwie zu verkümmern. Indem ſie
die Schwierigkeiten umgeht, ſtatt ſie zu löſen, charakteriſirt ſie
ſich damit allerdings als eine wiſſenſchaftlich unvollkommene
Form der Löſung der Aufgabe — ſie verdient denſelben Namen,
[288]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
wie das Scheingeſchäft: den einer techniſchen Nothlüge —
aber indem ſie andererſeits einen leichteren, bequemeren Weg
einſchlägt, der praktiſch ganz zu demſelben Ziele führt, erleich-
tert ſie damit den Fortſchritt, macht ihn möglich zu einer
Zeit, wo es der Wiſſenſchaft noch an der Kraft fehlen würde,
die Aufgabe in ihrer vollen Geſtalt zu bemeiſtern. Ohne die
Fictionen wären manche einflußreiche Aenderungen des römiſchen
Rechts wahrſcheinlich erſt in viel ſpäterer Zeit erfolgt. Es iſt
leicht ſagen: Fictionen ſeien Nothbehelfe, Krücken, deren ſich die
Wiſſenſchaft nicht bedienen ſolle. Sobald ſie ohne ſie fertig wer-
den kann, gewiß nicht! Aber immer beſſer, daß ſie mit Krücken
geht, als ohne Krücken ausgleitet oder ſich nicht aus der
Stelle wagt. Es iſt daher nicht Zufall, ſondern ein richtiger
Inſtinkt, der die Wiſſenſchaft in ihrer Jugendperiode zu dieſer
Krücke greifen heißt, und auch hier kann wiederum das Beiſpiel
des engliſchen Rechts, das von dieſem Mittel die ausgedehnteſte
Verwendung gemacht hat, uns belehren, daß wir es nicht mit
einer ſpecifiſch römiſchen, ſondern mit einer Einrichtung zu thun
haben, die auf einer gewiſſen Stufe der geiſtigen Entwicklung
mit innerer Nothwendigkeit zu Tage getrieben wird. Selbſt
wenn die Wiſſenſchaft die Kinderſchuhe ausgetreten hat, und die
tauſendjährige Uebung des Denkens in ihr endlich jene Sicher-
heit und Fertigkeit des abſtracten Denkens gezeitigt hat, die er-
forderlich iſt, um die theoretiſchen Grundlagen einer Lehre neu
zu geſtalten, kann immerhin doch als erſter Anſatz zur Bewäl-
tigung eines völlig neuen Gedankens — im theoretiſchen
Nothſtand — die Fiction eine gewiſſe Berechtigung haben.
Beſſer Ordnung mit Fiction, als Unordnung ohne Fiction!
Jede Fiction jedoch diene der Wiſſenſchaft zugleich als Auf-
forderung ſich ihrer bald möglichſt zu entledigen, denn mit jeder
Fiction legt ſie das Eingeſtändniß unvollkommener Löſung des
Problems ab. Aber ihr zumuthen, die Fiction über Bord zu wer-
fen, bevor die wirkliche Löſung gelungen, hieße den Krücken-
träger auffordern, die Krücken fortzuwerfen, bevor er gehen kann.
[289]Die künſtlichen Mittel. §. 58.
Völlig verſchieden von den Fictionen, die ich im Bisherigen
im Auge gehabt habe, und die ich als hiſtoriſche bezeichnen
möchte, ſind zwei andere Verhältniſſe, auf die ebenfalls der Name
angewandt worden iſt. War es eine Fiction, wenn die lex de
arrogatione dem arrogirten Kinde die Stellung des natürlichen
anwies? Sicherlich nicht,420) es war zwar eine Gleichſtellung,
aber nicht jede Gleichſtellung iſt eine Fiction. Oder wäre es
eine Fiction, wenn ein heutiges Geſetz die Juden den Chriſten
gleichſtellt? Allerdings enthält auch die Fiction eine Gleichſtel-
lung — man denke an das Beiſpiel des bonorum emptor und
bonorum possessor (S. 286) — aber das Charakteriſtiſche iſt
die Form, in der ſie dieſelbe vermittelt, und der Zweck, deſſent-
wegen ſie dies thut. Anſtatt den Rechtsſatz ſo zu erweitern, daß
das Verhältniß, auf das er ausgedehnt werden ſoll, darunter
Platz findet, wird umgekehrt das Verhältniß in gewaltſamer
Weiſe ſo gepreßt, daß es hineinpaßt, der juriſtiſchen Vorſtellung
wird zugemuthet, ſich daſſelbe in einer andern Geſtalt zu denken,
als die es an ſich trägt, die wirkliche Erweiterung des Rechts-
ſatzes wird verdeckt, verſchleiert. In den obigen Fällen
geſchieht nichts dem Aehnliches. Anſtatt die rechtliche Stellung,
die das arrogirte Kind, die Juden einnehmen ſollen, im Ein-
zelnen genauer anzugeben, wird einfach auf die des natürlichen
Kindes, der Chriſten Bezug genommen, es iſt eine abgekürzte
Form der Faſſung der anzuwendenden Rechtsgrundſätze, eine
Verweiſung, aber nichts weniger als eine Fiction. Solche
Verweiſungen wiederholen ſich überall und zu jeder Zeit ſowohl
in den Geſetzen als den Rechtsgeſchäften der Privaten,421) nicht
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 19
[290]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
ſelten bilden ſie den Inhalt eines beſondern Privilegiums,422)
— eine techniſche Bedeutung können ſie nicht in Anſpruch
nehmen.
Für das zweite Verhältniß iſt der Ausdruck: Fictionen all-
gemein eingebürgert, und ich will dem Sprachgebrauch nicht
entgegentreten, es genügt mir, die Verſchiedenheit deſſelben von
der oben geſchilderten Function der Fiction zu conſtatiren. Die
Exiſtenz der juriſtiſchen Perſon, ſo lehrt man, beruht nicht auf
natürlichem Daſein, ſondern auf Fiction. Und in der That
richtet dieſe Fiction an unſere Vorſtellung ganz dieſelbe Auf-
forderung, wie die obigen: ſich nämlich das thatſächliche Ver-
hältniß anders zu denken, als es wirklich iſt, ſtatt der einzelnen
Mitglieder der Zunft ſich ein gedachtes Weſen: die Zunft, als
Subject vorzuſtellen. Aber der Zweck der Fiction iſt hier nicht
Erleichterung der Anknüpfung eines neuen Rechtsſatzes an das
bisherige Recht, ſondern Erleichterung der juriſtiſchen Vor-
ſtellung. Die Betrachtung dieſer dogmatiſchen Function der
Fiction liegt außerhalb der Gränzen unſerer gegenwärtigen Auf-
gabe, ſie hatte lediglich das negative Intereſſe für uns, den
ſtörenden Einfluß, den ſie auf die richtige Erfaſſung der obigen
hiſtoriſchen Function derſelben ausüben konnte, fern zu
halten.
Kehren wir zu letzterer zurück. Die Fiction in dieſem
Sinn iſt ein Seitenſtück zum Scheingeſchäft, nicht ſelten ſogar,
um einen frühern (B. 2 S. 408) Ausdruck zu wiederholen, das
421)
[291]Die künſtlichen Mittel. §. 58.
Caput mortuum deſſelben, hervorgegangen aus demſelben Motiv
und in ganz ähnlicher Weiſe operirend. Was das Scheingeſchäft
auf dem weitläuftigeren Wege der Handlung, beſchafft ſie auf
dem einfacheren des Gedankens, beide thun dem Verhältniß,
das ſie ergreifen, Gewalt an, um es über das Prokruſtesbett
bereits vorhandener Geſchäfte, Begriffe, Klagen zu ſpannen.
Nur darin möchte ein Unterſchied beider gelegen ſein, daß wäh-
rend das Scheingeſchäft in unſerm obigen Sinn vorzugsweiſe
im römiſchen Verkehr, weniger im Proceß zur Erſcheinung ge-
langte, die Fiction gerade im Proceß die reichſte Verwendung
fand, welches letztere ſich auch im engliſchen Rechte wiederholt.
Der Uebergang des Legis-Actionen-Proceſſes in den Formular-
proceß ſcheint vorzugsweiſe durch ſie vermittelt worden zu ſein.423)
Die Form, die ſie in dem Proceſſe annahm, war eine doppelte:
die eines Zwiſchenſatzes und eines Vorderſatzes, im erſtern Fall
enthielt die Formel bloß die eine, ſich überall wiederholende Be-
dingung: si paret, im zweiten eine Doppelbedingung;424) dieſe
letztere Form möchte ich für die ältere halten.
Ueber den angeblichen hiſtoriſchen Urſprung der Fiction
auf dem Gebiet des geiſtlichen Rechts habe ich mich ſchon oben
S. 271 gelegentlich ausgeſprochen. Ihr ſpäteres Schickſal war
ganz das des Scheingeſchäfts, ſie ſtarb nach und nach ab, und mit
dem Bedürfniß verlor ſich auch das Verſtändniß; die vereinzelten
Spuren, die Juſtinian noch vorfand, regten die ganze Galle ſeines
Unmuths und ſeiner Entrüſtung über eine ſo unſinnige Ver-
irrung des Alterthums in ihm auf, und er rottete ſie mit Stumpf
19*
[292]Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
und Stiel aus.425) Was die älteſte Jurisprudenz mit dem un-
beholfenen Mittel des Scheingeſchäfts, die mittlere mit dem
ſchon etwas gelenkigeren der Fiction, das beſchaffte die klaſſiſche
in der höchſten und letzten Form: der analogen Ausdehnung.
[[293]]
Zweiter Abſchnitt.
Die Rechte des ältern Privatrechts.
Die Aufgabe.
Hiſtoriſcher Charakter der Grundbegriffe des älteren Rechts —
ihre Veränderlichkeit — Die wahren Quellen derſelben — Ueber-
ſchätzung des logiſchen Elements im Rechte.
‘Non ergo a Praetoris edicto neque a XII tabulis,
sed penitus ex intima philosophia hauriendam juris
disciplinam’
(Cie. de legib. I. Cap. 5.)
LIX. Die Aufgabe des erſten Abſchnitts beſtand darin, die-
jenigen Erſcheinungen, Gedanken und Geſetze darzulegen, die
ſich mehr oder weniger auf allen Gebieten des Rechts wieder-
holten. Den Gegenſtand des gegenwärtigen Abſchnitts bilden die
Rechte des ältern Privatrechts. Der Verlauf unſerer Darſtel-
lung hat uns zwar bereits manche Züge zur Signatur derſelben
geliefert, theils Einzelheiten, theils allgemeine Ideen, allein
die bisher entwickelten univerſellen Geſichtspunkte reichen nicht
aus, um das eigenthümliche Weſen und den Gedankengehalt
der Rechte zu erſchöpfen, es bleibt noch ein beträchtlicher Reſt
zurück, deſſen wir uns nur auf dem Wege einer ausſchließ-
lich dieſem Gegenſtand zugewandten Unterſuchung bemächtigen
können.
[294]Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte.
Es iſt ein wunderbares Ding um dieſen Beſtandtheil des
ältern Syſtems. Der alte Proceß iſt in der ſpätern Zeit ſpurlos
untergegangen, das alte Rechtsgeſchäft mit ſeinen Formen und
ſtrengen Grundſätzen iſt verſchwunden, aber über die Rechte des
alten Vermögensrechts ſcheint der Wechſel der Dinge keine
Macht gehabt zu haben; noch bis auf den heutigen Tag operiren
wir mit denſelben Begriffen des Eigenthums, Beſitzes, der Ser-
vitut, Obligation, der erbrechtlichen Univerſalſucceſſion, des
Legats, die bereits vor zweitauſend und mehr Jahren den alt-
römiſchen Juriſten dienten. Hat die Zeit in der That keine Ge-
walt über ſie, ſind ſie für die Ewigkeit gemacht — unvergäng-
lich und unveränderlich, weil das abſolut Wahre? Oder haben
auch ſie ſich dem Wechſel der Dinge und Anſichten gefügt, iſt es
vielleicht nur die Gleichheit des Namens, die uns die Aende-
rung der Sache ſelber überſehen läßt, nur dieſelbe Schaale, aber
mit anderem Kern?
Unſere Wiſſenſchaft iſt auf dieſe Frage die Antwort ſchuldig
geblieben. Zwar die Veränderungen, die mit all jenen Inſtitu-
ten im Lauf der Zeit vor ſich gegangen, hat ſie getreulich regi-
ſtrirt, aber ob dieſe Veränderungen das juriſtiſche Weſen, den
Begriff der Rechte getroffen oder nicht, darüber erwartet man
vergebens von ihr eine Auskunft. Und doch braucht man nur
einige dieſer Veränderungen ins Auge zu faſſen, um ſich von der
Verſchiedenheit des Einfluſſes, den ſie in dieſer Beziehung aus-
geübt haben, zu überzeugen. Die Aufhebung der in jure cessio
und mancipatio, die Erweiterung der Uſucapionsfriſten durch
Juſtinian und eine Reihe anderer Veränderungen auf dem Ge-
biet des Eigenthumsrechts waren für das praktiſche Leben und
die Theorie des Eigenthums von höchſter Wichtigkeit, allein der
Begriff des Eigenthums oder auch nur des Eigenthums-
erwerbs erlitt dadurch nicht die geringſte Modification, alle
dieſe Neuerungen trafen lediglich die legislative oder ökonomi-
ſche Brauchbarkeit des Inſtituts, nicht ſeine juriſtiſche Indivi-
dualität. Für die Geſchichte des Vormundſchaftsrechts iſt die
[295]Die Aufgabe — hiſtoriſcher Charakter der Rechtsbegriffe. §. 59.
Einführung der Dativtutel (tutor Atilianus) ohne alles und
jedes begriffliche Intereſſe, dagegen bezeichnet das Umſchlagen
der Tutel aus einem perſönlichen Gewaltverhältniß („jus ac
potestas in capite libero“) in ein Obligationsverhältniß einen
begrifflichen Entwicklungsmoment, dem keine von allen Verän-
derungen, die mit dieſem Inſtitut vor ſich gegangen, ſich an die
Seite ſtellen läßt. Am lehrreichſten in dieſer Beziehung iſt das
Erbrecht. Alle Umgeſtaltungen, denen die römiſche Teſtaments-
form im Lauf der Zeit unterlag, namentlich die Verdrängung
des Comitialteſtaments durch das Mancipationsteſtament, die
Einführung der ſchriftlichen d. i. geheimen Errichtungsform neben
der früheren ausſchließlich mündlichen, ſowie der privilegir-
ten Teſtamentsformen gaben der Teſtirfreiheit eine nicht hoch
genug anzuſchlagende Erweiterung, aber an dem Begriff des
Teſtaments426) änderten ſie nicht das Geringſte; letzteres blieb,
was es von jeher geweſen: eine einſeitige Verfügung des
Erblaſſers über die Erbſchaft. Das Codicill dagegen und der
Erbvertrag des heutigen Rechts haben eine begriffliche Aende-
rung der weſentlichſten Art vorgenommen, erſteres, indem es
den bis dahin unbekannten Begriff des erbrechtlichen Singu-
largeſchäfts (S. 140), letzteres, indem es den Vertrag
ins Erbrecht einführte. Von den XII Tafeln bis auf Juſtinian
iſt das Inteſtaterbrecht in ſeinen ganzen Grundlagen umgeſtaltet
worden, aber ich möchte wiſſen, ob die Definition deſſelben auch
nur um ein Wörtchen anders gefaßt werden müßte, als in
älteſter Zeit; der Begriff der Inteſtaterbfolge iſt ganz der alte
geblieben. Dagegen hat Juſtinian durch ſeine Verordnung über
[296]Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte.
die Antretung der Erbſchaft unter der Rechtswohlthat des Inven-
tars mit einem Federſtrich die Idee der erbrechtlichen Succeſ-
ſion in einer Weiſe alterirt, gegen die hunderte von ſonſtigen
Reformen nicht in Betracht kommen. Der Begriff des Erben,
der (von dem beſondern Recht der Soldaten abgeſehen) ein
Jahrtauſend lang unverändert derſelbe geblieben war, iſt damit
ein völlig anderer geworden. Für die Geſchichte des Univerſal-
fideicommiſſes machten in praktiſcher Beziehung das SC. Trebel-
lianum und Pegasianum in gleicher Weiſe Epoche, aber für die
begriffliche Entwicklung dieſes Inſtituts hat letzteres gar keine
Bedeutung, das Univerſalfideicommiß als ſelbſtändiger erbrecht-
licher Begriff verdankt ſeinen Urſprung lediglich dem erſteren.
Wie nun? Sind die Begriffe in Wirklichkeit noch dieſelben,
nachdem ſie eine ſolche Umgeſtaltung erfahren haben? Und ver-
ändern ſie ſich nicht täglich unter unſern Augen? Iſt denn der
Begriff der römiſchen Obligation heutzutage noch derſelbe, wie
zur Zeit der klaſſiſchen römiſchen Juriſten? Man denke an die
Papiere auf den Innehaber, die Reallaſten, die Auslobungen,
um ſich von dem gewaltigen Umſchwung zu überzeugen, der mit
dieſem Begriff vor ſich gegangen. Und ähnliche Erſcheinungen
wiederholen ſich auf allen Gebieten. Wer kann unſere heutigen
Hypothekenbriefe und Handfeſten juriſtiſch begreifen, wenn er
an dem römiſchen Begriff des Pfandrechts als eines Rechts an
fremder Sache feſthält, wie ließe ſich die Uebertragung der
Papiere auf den Inhaber unter den römiſchen Begriff der Ceſ-
ſion bringen?
Kurz die juriſtiſchen Grundbegriffe verändern ſich im Lauf
der Zeit eben ſo gut, wie die Rechtsſätze, und ſie müſſen es,
denn ſie ſind ja keine bloßen logiſchen Kategorien, ſondern die
Concentrationsform materieller Rechtsſätze, die Rechtsſätze aber
wechſeln mit den Verhältniſſen. An die Unveränderlichkeit der
römiſchen Rechtsbegriffe zu glauben iſt eine kindliche Vorſtel-
lung, die von einem völlig unkritiſchen Studium der Ge-
ſchichte zeugt.
[297]Die Aufgabe — hiſtoriſcher Charakter der Rechtsbegriffe. §. 59.
Was aber in die Zeit fällt, nachdem es entſtanden, iſt auch
in die Zeit gefallen, als es entſtand, m. a. W. dieſelben hiſto-
riſchen Einflüſſe, denen jene Grundbegriffe im Fortgang ihrer
Geſchichte ausgeſetzt geweſen ſind, werden ſich bereits bei ihrer
urſprünglichen Bildung thätig erwieſen haben. Der Hiſtoriker
würde ihnen gegenüber ſeine Aufgabe verfehlen, wollte er ſich
einfach dabei beruhigen, daß ſie gegebene Thatſachen des römi-
ſchen Lebens ſeien, deren Urſprung in undurchdringliches Dunkel
gehüllt ſei, unmittelbare Offenbarungen, an denen das menſch-
liche Denken und Wollen keinen Antheil.gehabt hätte, Producte
einer geheimnißvoll ſchaffenden Naturkraft. Eine ſolche Auf-
faſſung, ſo gern ſie ſich den Schein der ehrfurchtsvollen Scheu
vor dem „was die Geſchichte bedeckt mit Nacht und Grauen“ zu
geben verſucht, entwürdigt den Menſchen und erniedrigt das
Recht. Denn das Recht iſt keine Pflanze, ſondern ein Stück
menſchlichen Denkens und Empfindens; zu den Aufzeichnungen,
die es enthält, müſſen das menſchliche Herz und der denkende
Verſtand den Schlüſſel liefern. Vermögen uns alſo jene Grund-
begriffe auf die Frage nach dem: Woher und Warum? keine
befriedigende Antwort zu geben, ſo iſt all’ ihr Anſehen nur ein
erſchlichenes, ſo ſind ſie für uns ſtatt eines freien Beſitzthums
äußerlich aufgezwungene Ketten, die dadurch, daß ſie ein noch
ſo hohes Alter für ſich aufzuweiſen vermögen, um Nichts von
dieſer Eigenſchaft verlieren — man beherrſcht bloß das, was
man verſteht.
Der gegenwärtige Abſchnitt ſoll nun den Verſuch machen,
die alten Rechtsbegriffe, ſo zu ſagen, zum Sprechen zu bringen,
indem er ſie künſtlich wiederum in Fluß verſetzt, indem er ſie
zurückführt auf die Urſubſtanz von Ideen, Anſchauungen, Er-
wägungen, aus denen ſie hervorgegangen, die Geſetze ermittelt,
nach denen ſie ſich zu feſten Formen zuſammengefügt, kurz er ſoll
ſie gewiſſermaßen ihren Kryſtalliſationsproceß von neuem vor
unſern Augen beſtehen laſſen. Ob dieſe Aufgabe mehr verwe-
gen, als lösbar, darüber will ich Jedem ſeine Zweifel zu gute
[298]Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte.
halten, jedenfalls iſt ſie eine der anziehendſten und dankbarſten,
denen ich im ganzen Verlauf meines Werks begegnet bin. Es hat
einen Reiz für mich, dem ich Nichts an die Seite zu ſtellen
wüßte, dem menſchlichen Geiſt nachzuſchleichen auf den dunklen
Pfaden ſeiner vorhiſtoriſchen Thätigkeit, die verfallenen und
verſchütteten Schachte, die er in den Schooß der Erde getrieben,
wieder zu öffnen und damit den Beweis zu liefern, daß an die-
ſen Stellen bereits vor Jahrtauſenden rege Arbeit und umſich-
tiges, planvolles Schaffen herrſchte, daß dieſe unterirdiſche
Welt, dieſer Unterbau des geſammten Rechts nicht das Werk
einer blind waltenden Naturkraft, ſondern das Verdienſt und
die freie That des denkenden Geiſtes iſt. Je mehr die elemen-
tare Art der Arbeit und der Oberbau, der ſie unſerm Auge ent-
zieht, den entgegengeſetzten Schein hervorzurufen vermag, und
je mehr es bisher verſäumt worden iſt, in dieſe Tiefen hinabzu-
ſteigen, um ſo lohnender iſt es, wenn es gelingt, dem menſch-
lichen Geiſt zurückzuerobern, was ſein eigen iſt. Davon wird
uns auch der Umſtand nicht abhalten dürfen, daß die römiſchen
Juriſten ſelber ſich bis zu dieſen Tiefen nicht hinabgelaſſen haben,
daß ſie ſich, um im Bilde zu bleiben, auf den Tagbau, d. i. auf
die offen zu Tage liegenden praktiſchen Parthieen des Rechts
beſchränkt haben — ein Beiſpiel, das von uns Neueren nur
zu getreulich befolgt worden iſt. Es lag einmal nicht in ihrer
Weiſe, auf dem Wege hiſtoriſcher oder rechtsphiloſophiſcher Un-
terſuchung bis zu den letzten Quellen des Rechts zurückzugehen
oder auch nur einmal den Apparat, mit dem ſie arbeiteten, ihre
allgemeinen Anſchauungen, ihre Methode zum Gegenſtand der
Betrachtung zu machen. Selbſt eine Kritik des beſtehenden
Rechts vom legislativ-politiſchen Standpunkt aus ſucht man bei
ihnen vergebens, ſie war eben in zu hohem Grade ein leben-
diges Stück von ihnen ſelbſt, als daß ſie es für nöthig gefun-
den hätten, ſie zu Papier zu bringen. Aber für alles das, was
ſie verabſäumt, haben ſie uns das Material gegeben, es nach-
zuholen.
[299]Die Aufgabe — Antheil der juriſtiſchen Logik am Recht. §. 59.
Hat denn aber unſere moderne Jurisprudenz dies nicht be-
reits längſt gethan? An Zeit hat es ihr doch wahrlich nicht ge-
fehlt! Ich muß mir gefallen laſſen der Anmaßung bezüchtigt zu
werden, aber ich kann nicht anders als ſagen: in dieſer Rich-
tung hat ſie ſo gut wie Nichts geleiſtet. Es hat mich bei den
Unterſuchungen, die ich im Folgenden anſtellen werde, kaum je
das Gefühl verlaſſen, daß ich meinen Fuß auf völlig unbetretenes
Land ſetzte, daß hier Lager verborgen liegen, von deren Reich-
thum wir bisher kaum eine Ahnung gehabt, und von denen es
mir begreiflicherweiſe nur beſchieden ſein wird, den kleinſten Theil
zu heben und auch dieſen ſicherlich verſetzt mit vielen Schlacken.
Die hiſtoriſche Jurisprudenz hält regelmäßig ihre Aufgabe für
gelöſt, wenn ſie das Aeußere der hiſtoriſchen Erſcheinung ermit-
telt hat; wo die Quellen aufhören, glaubt auch ſie aufhören zu
müſſen, über das Aeußere gehen aber, wie bemerkt, die Quellen
ſelber ſelten hinaus. Der Rechtsphiloſophie dagegen, welche
den Beruf gehabt hätte ins Innere zu dringen, iſt jene Aufgabe
zu hiſtoriſch, und man kann jedenfalls dem Philoſophen von
Fach keinen Vorwurf daraus machen, daß er ſich rückſichtlich des
poſitiven und juriſtiſchen Materials auf den Juriſten verläßt.
Dieſe ſeine Abhängigkeit von Letzterem hat freilich für die Rechts-
philoſophie böſe Früchte getragen, der geiſtige Bann, mit dem
das römiſche Recht uns poſitive Juriſten ſo leicht beſtrickt, hat
ſich auch auf ſie mit ausgedehnt, indem ſie Begriffe, denen der
Juriſt einmal gewohnt iſt, eine abſolute Wahrheit zuzuſchreiben,
wie z. B. dem des römiſchen Eigenthums, in derſelben Eigen-
ſchaft gläubig aus ſeiner Hand entgegennahm. Dieſen Bann
zu brechen, das Hiſtoriſche, Römiſche, das durch Zweckmäßig-
keitsrückſichten oder andere Einflüſſe Bedingte in dieſen Begriffen
nachzuweiſen und damit einen Maßſtab zu gewinnen für ihren
Werth, iſt eine der Hauptaufgaben der folgenden Unterſuchungen.
Machen wir uns zunächſt klar, worauf der Bann beruht.
Er läßt ſich mit einem Worte bezeichnen. Es iſt das Blend-
werk der juriſtiſchen Dialektik, welche dem Poſitiven den Nim-
[300]Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte.
bus des Logiſchen zu geben verſteht, welche, indem ſie das
Vorhandene vor unſerm Urtheil als vernünftig zu rechtfertigen
ſucht, dabei nicht den Weg einſchlägt, daß ſie die hiſtoriſche,
praktiſche oder ethiſche Berechtigung deſſelben nachweiſt,
ſondern den, daß ſie mit Hülfe von Geſichtspunkten, die erſt
für dieſen Zweck erfunden ſind, die logiſche Nothwendigkeit
deſſelben darzuthun verſucht. Es hat einmal etwas höchſt Ver-
lockendes, ja man möchte ſagen es iſt eine im Weſen der Juris-
prudenz ſelber tief begründete Verſuchung, daß ſie den realen
Mächten gegenüber, mit denen ſie ſich in die Schöpfung des
Rechts zu theilen hat, die Autonomie des juriſtiſchen Denkens
zur möglichſten Geltung zu bringen und auch das Poſitive zur
idealen Höhe einer logiſchjuriſtiſchen Wahrheit zu erheben ſucht.
Gerade in der Gegenwart hat dieſe Richtung einen höchſt be-
denklichen Grad erreicht — bedenklich aus dem Grunde, weil
dieſe Scheinbegründung, dieſe logiſche Selbſttäuſchung von den
wahren Quellen, in denen die letzten Gründe der Rechtsſätze zu
ſuchen, und damit vom wahren Verſtändniß des Rechts über-
haupt abführt. Sollte man doch nach manchen neuern Erſchei-
nungen faſt glauben, als ſei das Recht im Weſentlichen nichts
als eine Schöpfung der juriſtiſchen Dialektik, zu deren Ver-
ſtändniß praktiſche Anſchauungen überall nicht nöthig ſeien,
ein Tummelplatz für die Fanatiker des Gedankens. Geblendet
durch den Glanz des Logiſchen, der das römiſche Recht bedeckt
und jedem, der ſich ihm naht, zuerſt in die Augen fällt, wird
das Wahrnehmungsvermögen des Auges, wenn nicht die friſche
Luft des Lebens es wieder kräftigt, nur zu leicht für alles an-
dere abgeſtumpft; ſtatt der wirklichen Welt, in der die realen
Mächte des Lebens regieren, erblickt es ausſchließlich nur noch
die Fata Morgana einer Welt, in der der abſtracte Gedanke
das Scepter führt. Da ſchwingt ſich denn der Begriff zur
Rolle des Demiurgen auf: Er hat die Welt des Rechts ge-
macht, Er regiert ſie. An die Stelle der realen Kräfte, welche
im Schooße des Rechts walten, ſetzt ſich die Dialektik des Be-
[301]Die Aufgabe — Antheil der juriſtiſchen Logik am Recht. §. 59.
griffs; was jene geſchaffen und hervorgebracht, gibt ſie für
ihr Werk aus, indem ſie, je nachdem es poſitiver oder nega-
tiver Art iſt, das eine als logiſch nothwendig, das andere
als logiſch unmöglich deducirt. Die Stellvertretung und
die Uebertragung bei Obligationen iſt ausgeſchloſſen, weil der
Begriff der Obligation ſie nicht verſtattet,427) der Erblaſſer
kann nicht zum Theil aus dem Teſtament, zum Theil nach In-
teſtaterbrecht beerbt werden, weil die teſtamentariſche und In-
teſtaterbfolge logiſch incompatible Begriffe ſind,428) die Specifi-
cation muß Eigenthum geben und die bona oder mala fides
darauf ohne Einfluß ſein, weil der Begriff dies verlangt, und
ſelbſt der Eigenthumserwerb an der insula in flumine nata und
am alveus derelictus iſt durch zwingende begriffliche Gründe
ins Leben gerufen.429)
Alle dieſe und ähnliche Sätze wären alſo bloß der Logik
wegen adoptirt? Wie nun, wenn es einem neuern Geſetzgeber
gefiele, gerade das Gegentheil feſtzuſetzen? Dann würde er ſich
gefallen laſſen müſſen, daß wir ihn der „Willkür“ bezüchtigten
und ſeine Begriffe als „monſtröſe“ bezeichneten.430) Die directe
[302]Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte.
Stellvertretung des heutigen Rechts, die Papiere auf den Inne-
haber, die Pfandrechte an eigner Sache (Handfeſten, Hypothe-
kenbriefe) und eine Menge anderer moderner Begriffe — ſie alle
alſo wären logiſche Mißbildungen? Anſtatt freudig in ihnen
eine Erweiterung unſeres Vorſtellungsvermögens zu begrüßen,
ſollen wir, weil unſere Logik über die Begriffe des römiſchen
Rechts nicht hinauskann, ihnen das Stigma des Unjuriſtiſchen
aufprägen, eingeſtehen, daß wir alles, was nicht römiſch iſt
oder ſich nicht über den römiſchen Leiſten ſchlagen läßt, nicht
zu begreifen vermögen, gleich als enthielte das römiſche
Recht den für alle Zeiten gültigen Kanon des juriſtiſch Denk-
baren? Damit würden wir uns ſelber unſer Verdammungs-
urtheil ſprechen.
Brechen wir den Bann, mit dem der Irrwahn uns gefangen
hält.431) Jener ganze Cultus des Logiſchen, der die Jurispru-
denz zu einer Mathematik des Rechts hinaufzuſchrauben ge-
denkt, iſt eine Verirrung und beruht auf einer Verkennung des
Weſens des Rechts. Das Leben iſt nicht der Begriffe, ſondern
430)
[303]Die Aufgabe — Antheil der juriſtiſchen Logik am Recht. §. 59.
die Begriffe ſind des Lebens wegen da. Nicht was die Logik, ſon-
dern was das Leben, der Verkehr, das Rechtsgefühl poſtulirt,
hat zu geſchehen, möge es logiſch nothwendig oder unmöglich
ſein. Die Römer hätten verdient in Abdera zu wohnen, wenn
ſie es je anders gehalten, die Intereſſen des Lebens der Schul-
dialektik zum Opfer gebracht hätten.
Aber, wird man mir einwenden, die römiſchen Juriſten ſelber
operiren doch nicht ſelten mit dem Geſichtspunkt der logiſchen
Nothwendigkeit und Unmöglichkeit. Gewiß! Allein welche Be-
wandniß hatte es damit? Für den Schulgebrauch iſt es ganz
bequem, ſtatt der ausführlichen Darlegung der Verhältniſſe oder
der praktiſchen Gründe, denen ein Rechtsſatz wirklich ſeinen
Urſprung verdankt, einen Geſichtspunkt auszudenken, dem er ſich
als logiſche Conſequenz unterordnet, er gewinnt damit einen ge-
wiſſen Nimbus und prägt ſich leichter dem Gedächtniß ein, und
in dieſem Sinn wollen wir uns derartige Deductionen der römi-
ſchen Juriſten gern gefallen laſſen. Nur verlange man nicht, daß
wir in den Geſichtspunkten, die ſie zu dem Zweck hie und da
aufſtellen, den wirklichen Grund der Rechtsſätze und Begriffe
erblicken. Es ſind Rechenpfennige, Zahlmarken — ganz geeignet
für den Zweck, dem ſie dienen ſollen, aber nicht wirkliches Geld.
Immerhin möge alſo Pomponius den Satz: nemo pro parte
testatus, pro parte intestatus decedere potest aus der natür-
lichen Unvereinbarkeit der beiden Begriffe der teſtamentariſchen
und Inteſtaterbfolge erklären,432) nur ſoll uns Niemand glau-
ben machen, daß ein Geſichtspunkt, der erſt jenem Satz zu Liebe
erfunden iſt, und auf den kein Menſch verfallen würde, der den
Satz ſelber nicht kennt, den hiſtoriſchen Grund deſſelben ent-
halte. Sich bei einem ſolchen Geſichtspunkt beruhigen, und gar
[304]Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte.
alle Kunſt der Dialektik und Myſtik in Bewegung ſetzen, um
ihn zu rechtfertigen, gleich als hätten die ungeſunden Specula-
tionen eines modernen Theoretikers im Kopfe eines alten Römers
Platz finden können, heißt ſeinen Verſtand und Glauben für ein
Billiges dahingeben. So mögen immerhin andere Juriſten die
Specification durch den Geſichtspunkt der Herrenloſigkeit der
Sache motiviren.433) Wer ſich damit abfinden läßt, der ver-
ſchließt ſich die Einſicht in das wahre Weſen der Specification.
Nicht weil die neugebildete Sache in dieſer ihrer jetzigen Geſtalt
noch nicht da war und keinen Herrn hat, fällt ſie dem Specifi-
canten zu — dann müßte auch die bloße Zerſtörung der Sache
Eigenthum geben —, ſondern weil ſie aus zwei Faktoren gebil-
det iſt, von denen jeder einen Anſpruch auf Schutz erheben
kann: Stoff und Arbeit. Eine wirthſchaftlich unentwickelte Zeit
mag den Ausſchlag für den Stoff geben, aber eine Zeit, in der
Gewerbe, Handel und Induſtrie blühen, kann dies nicht, ohne
die Intereſſen des Verkehrs Preis zu geben. In demſelben
Maße, in dem die Arbeit ſelber ſich entwickelt, ent-
wickelt ſich auch das Recht der Arbeit.
So möge ferner die juriſtiſche Logik uns immerhin deduci-
ren: die Früchte, die der gutgläubige Beſitzer auf fremdem Grund
und Boden baut, müßten eigentlich dem Eigenthümer gehören.
Der altrömiſche Bauer wußte in dieſem Verhältniß den Werth
und das Recht der Arbeit beſſer zu würdigen, er ſprach das
Eigenthum dem zu, der die Mühe davon gehabt hatte, und auch
in ſpäterer Zeit, als man dem natürlichen Anſpruch des Grund-
eigenthümers gerecht ward, wies man denſelben in eine Form,
in der er dem dritten Beſitzer der Früchte, d. h. der Sicherheit
des Verkehrs nicht gefährlich werden konnte.
Wenn nun in dieſem und ſo manchen andern Verhältniſſen
die Logik verlaſſen iſt, welche Bewandniß wird es mit denjenigen
[305]Die Aufgabe — Antheil der juriſtiſchen Logik am Recht. §. 59.
haben, in denen ſie befolgt iſt? Ich denke, in beiden Fällen ganz
dieſelbe, nämlich das praktiſche Bedürfniß oder das Rechtsgefühl
hat den Ausſchlag gegeben, und die Logik hat ſich gefügt. So
bei den Römern, ſo bei uns. Wäre das Bedürfniß nach Stell-
vertretung im alten Rom bereits dringend genug geweſen, um
die Bedenken zu überwinden, die ihr in praktiſcher Beziehung
entgegenſtehen,434) ſo würden dieſelben Perſonen, die heutzutage
die logiſche Unmöglichkeit der directen Stellvertretung deduciren,
muthmaßlich die logiſche Nothwendigkeit derſelben beweiſen, und
mit der angeblichen logiſchen Undenkbarkeit der Uebertragung
von Forderungen würde es ſich ſchwerlich anders verhalten.
Kurz unſere juriſtiſche dialektiſche Methode iſt um kein Haar
beſſer als die von Hegel: was wirklich iſt, iſt nothwen-
dig (vernünftig) — unſere Nothwendigkeit iſt der gehorſame
Schatten der Wirklichkeit; weil es uns ein Leichtes iſt, ihn
vorausfallen zu laſſen, entſteht die Täuſchung, als ſei er es,
der vorangehe, und dem die Wirklichkeit folgen müſſe!
In dieſem Sinne habe ich die folgenden Unterſuchungen
angeſtellt. Ich bin davon ausgegangen, daß die letzten Quellen
der römiſchen Rechtsbegriffe in pſychologiſchen und praktiſchen,
ethiſchen und hiſtoriſchen Gründen geſucht werden müſſen, daß
aber die juriſtiſche Intuition: die Ueberzeugung von dem unmit-
telbaren logiſchen Daſein eines Begriffs keinem einzigen derſelben
das Leben gegeben habe, ja daß die juriſtiſche Dialektik ſelbſt
in der Richtung, wo ſie ſcheinbar völliger Selbſtändigkeit ge-
noß, nämlich wo ſie die Conſequenzen der gegebenen Begriffe
und Principien aufzudecken hatte, ſich weſentlich durch die prak-
tiſche Angemeſſenheit des Reſultats hat leiten laſſen. Gar man-
ches erſcheint im Gewande einer bloßen Conſequenz, was in
Wirklichkeit eine ſelbſtändige Lebensberechtigung in ſich trug,
Thering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 20
[306]Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte.
und was, wenn man es nicht auf dem Wege der Schlußfolge-
rung hätte gewinnen können, auf unmittelbare Weiſe hätte be-
ſchafft werden müſſen.
Der gegenwärtige Abſchnitt zerfällt in zwei Abtheilungen,
von denen die erſte die allgemeine Theorie der Rechte
zum Gegenſtande hat. Sie ſoll die Fragen beantworten: auf
welchen Momenten beruhte der Begriff des Rechts nach römi-
ſcher Auffaſſung, wie dachte ſich der Römer die Beziehung des
Rechts zum Subject, worauf baſirte er das Daſein des Rechts,
wornach bemaß er die Richtung deſſelben u. ſ. w.
Bei dieſer ganzen Unterſuchung, die ich als eine Material-
kritik der römiſchen Rechtstheorie bezeichnen kann, werde ich mich
keineswegs auf das ältere Recht beſchränken, denn das Meiſte
von dem, was wir hier finden werden, hat auch für das neuere
ſeine Geltung beibehalten; ſoweit dies nicht der Fall, werde ich
im dritten Syſtem darauf zurückkommen. Dagegen habe ich es
nicht für nöthig gehalten, den Stoff zu erſchöpfen, es genügte
ein Maß der Ausführlichkeit, welches ausreicht, den allgemei-
nen Geſichtspunkten die erforderliche Deutlichkeit und Anſchau-
lichkeit zu geben; die Anwendung auf übergangene Verhält-
niſſe kann Jeder ſelber machen.
Die zweite Abtheilung behandelt die einzelnen Rechte,
aber nicht in ihrer ganzen Geſtalt — das überlaſſe ich der
Rechtsgeſchichte — ſondern nur inſoweit, als ich glaube die
herrſchenden Anſichten berichtigen oder erweitern zu können,
wozu mir insbeſondere in Bezug auf die urſprüngliche Geſtalt
des Eigenthums- und Obligationenrechts Gelegenheit geboten
zu ſein ſchien. Daran wird ſich eine früher ausgeſetzte Unter-
ſuchung über die angebliche Formloſigkeit der Eingehung der
Ehe reihen. Dieſer Theil bildet daher kein in ſich abgeſchloſſe-
nes Ganze, ſondern ein Aggregat von einzelnen rechtshiſtori-
ſchen Unterſuchungen, deren Ergebniß mir aber für den Ge-
ſammtzweck meines Werks unentbehrlich iſt.
[[307]]
Allgemeine Theorie der Rechte.
I. Regriff des Rechts.
1. Das ſubſtantielle Moment des Rechts.
Unzulänglichkeit des Willens- und Machtbegriffs für die Defini-
tion des Rechts — Das ſubſtantielle Moment des Rechtsbegriffs
und die damit gegebenen Begriffe: Nutzen, Gut, Werth, Intereſſe
— Die praktiſche Verwirklichung des Rechts: der Genuß. Die
verſchiedenen Formen des Genuſſes. Die Dispoſitionsbefugniß ein
Wahlrecht in Bezug auf die Genußformen.
tem spectat. Ulpianus lib. I. Inst.’
‘(L. 1 §. 2 de Just. et Jure.)’
LX. Was iſt das Recht? Man kann auf dieſe Frage eine
ganz verſchiedene Antwort ertheilen je nach dem Intereſſe und
dem Standpunkt, für das und von dem man ſie aufwirft. Dem
poſitiven Juriſten mag es genügen, wenn man ihm darauf die
in den früheren Darſtellungen des römiſchen Rechts übliche Ant-
wort ertheilt: Recht iſt die durch das Geſetz gewährte Möglich-
keit des Zwanges (Thibaut) oder wie man denſelben Gedanken
ſonſt mit andern Ausdrücken wiedergab.435) Mit einer ſolchen
20*
[308]Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
Antwort, die im Grunde nur eine Beſchreibung, die An-
gabe der äußern Erſcheinung des Rechts enthält, können wir
uns aber für unſere Zwecke nicht begnügen. Die Antwort, die
uns Noth thut, muß das Innere des Rechts: ſein Weſen
treffen, wenn ſie uns ſonſt als Ausgangs- und Anhaltspunkt
für die folgenden Unterſuchungen dienen ſoll.
Eine derartige Antwort müßte uns die Rechtsphiloſophie
geben. Während Kant und ſeine Schule über die äußere Er-
ſcheinungsform des Rechts: den Zwang nicht hinausgekommen
iſt,436) hat Hegel — und ſein Einfluß iſt für die neuere poſi-
tive Jurisprudenz bewußt oder unbewußt ein ganz entſcheiden-
der geworden — die Subſtanz des Rechts ſowohl im objectiven
als ſubjectiven Sinn in den Willen geſetzt. Damit iſt für daſ-
ſelbe nach beiden Seiten ein unläugbarer Fortſchritt begründet,
aber in der Einſeitigkeit ſeiner Verfolgung hat das Willensmo-
ment dennoch vom rechten Wege abgelenkt und nicht minder,
wie der Begriff des Zwanges, mit einem reinen Formalismus
des Rechtsbegriffs geendet. Die Bezeichnung des Rechts im
objectiven Sinn als des „allgemeinen Willens“ gibt in formaler
Beziehung das Weſen deſſelben in einer Weiſe wieder, wie ſie
nicht kürzer und treffender gedacht werden kann. Denn das
Weſen des Rechts, was immerhin auch ſeine Aufgabe, ſein Ziel,
ſein Inhalt ſein möge, beſteht in der Verwirklichung, die
Vorausſetzung dazu aber iſt die Macht, das Organ und der Trä-
ger der Macht aber der Wille. Erſt durch ihn werden die Rechts-
gedanken — die des Geſetzgebers im Geſetz, die des Volks
im Gewohnheitsrecht — zu Rechtsſätzen, zu wirklichem,
435)
[309]I. Subſtant. Moment des Rechts. — Willensformalismus. §. 60.
wahrhaftigem Recht erhoben, d. h. zu einer Macht, die das
Leben geſtaltet und beherrſcht; ohne dieſe Bethätigung ihrer
praktiſchen Kraft durch unausgeſetzte conſtante Verwirklichung
wären ſie Gedanken, Ideen, Anſichten, wie alle andern, aber
keine Rechtsſätze.
Für die dogmatiſche Darſtellung des Rechts reicht dieſe Auf-
faſſung, welche die für jene allein wichtigen Momente des
Rechts: den Charakter der Poſitivität und Realität treffend
wiedergibt, vollkommen aus; darüber hinaus nicht. Denn es
fehlt ihr an einem Princip für den Inhalt des Willens; wenn
ſie den Willen ſelber zu ſeinem eignen Princip erheben will, um
auf dieſe Weiſe zu einer inhaltreichen Füllung deſſelben zu ge-
langen, ſo artet dies in Sophiſtik aus.
Für unſere Zwecke hat nur die Verwendung des Willensbe-
griffs für die Erklärung des Rechts im ſubjectiven Sinn ein
Intereſſe. Wenn letzteres nun zunächſt an den „allgemeinen
Willen“ in der Weiſe angeknüpft wird, daß der individuelle Wille
nur ſoweit wollen könne, als er durch den allgemeinen ge-
deckt iſt, ſo iſt dies vollkommen richtig. Nur ſoweit dies Con-
gruenzverhältniß reicht, kommt die Macht, mit der jener ausge-
rüſtet iſt, auch dieſem zu gute, ſchlägt das objective Recht zum
ſubjectiven Recht nieder, darüber hinaus offenbart ſich die Ohn-
macht des individuellen Willens, indem die Macht des allge-
meinen Willens ihn zu Boden wirft. In dieſem Sinn kann man
alſo das Recht als „concrete Einheit des Staats- und Einzel-
willens“ (Kierulff) bezeichnen, als ein in der Privatperſon con-
cret und lebendig gewordenes Stück des allgemeinen Willens.
Ganz anders aber, wenn man, wie dies nach dem Vorgang
Hegels mehr und mehr auch die poſitive Jurisprudenz zu thun
angefangen hat, in ähnlicher Weiſe wie die Subſtanz des ob-
jectiven Rechts in den allgemeinen, ſo die des ſubjectiven in den
ſubjectiven Willen ſetzt. Dies iſt nicht bloß einſeitig, ſondern
falſch.437) Daraus, daß mein Wille ſich nicht weiter erſtrecken
[310]Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
kann, als der allgemeine, folgt nicht, daß letzterer ſich nicht
weiter erſtrecken kann, als der meinige, m. a. W. daß ich nicht
ein Recht haben kann, welches nicht in meinem, ſondern im
Willen des Geſetzes ſeinen Grund hat, kurz daß mein Recht
ſich nur ſoweit erſtrecken könne, als mein Wille.
Indem die obige Anſicht dies überſieht, gelangt ſie alſo zu
einer völligen Identificirung des ſubjectiven Rechts- und Wil-
lensbegriffes. Endzweck alles Rechts iſt das Wollen, Rechts-
fähigkeit und Willensfähigkeit daher gleichbedeutend, das Recht
ein abgegränztes Stück Willensſubſtanz. Die abſtracten Larven,
die das Geſetz aufſtellt, die Begriffe des Eigenthums, der Obli-
gation u. ſ. w. werden erſt dadurch concret-lebendig, daß der
individuelle Wille ſie ausfüllt, ſie beſeelt, daß er ſich „in die
Sache hineinlegt.“438)
Dieſer Auffaſſung zufolge iſt demnach das ganze Privat-
recht nichts als eine Arena für den Willen, ſich darauf zu bewe-
437)
[311]I. Subſtant. Moment des Rechts. — Willensformalismus. §. 60.
gen und zu üben, der Wille iſt das Organ, durch welches der
Menſch das Recht genießt, der Genuß beſteht darin, daß er die
Freude und Herrlichkeit der Macht empfindet, die Genugthuung
hat, einen Willensakt vollzogen, z. B. eine Hypothek beſtellt,
eine Klage cedirt und damit ſich als Rechtsperſönlichkeit doku-
mentirt zu haben.439) Welch’ armſeliges Ding aber um den
Willen, wenn die nüchternen und niedern Regionen des Rechts
das eigentliche Gebiet ſeiner Thätigkeit bezeichneten! Das wahre
Reich des Willens, die Sphäre der ſchöpferiſch geſtaltenden Macht
der Perſönlichkeit fängt erſt da an, wo jene aufhören; die Rechte
ſind nicht der Stoff, das Object, ſondern die Voraus-
ſetzung des wahren Wollens, nicht das Ziel, ſondern das
Mittel. Wäre das Wollen Zweck des Rechts, was ſollten Rechte
in Händen willenloſer Perſonen? Sie würden hier ja ihren
Zweck, ihre Beſtimmung gänzlich verfehlen — eine Brille für
einen Blinden!
Wenn die Perſönlichkeit und Rechtsfähigkeit mit der Willens-
fähigkeit zuſammenfällt, wie verträgt es ſich, daß alle Rechte der
Welt (mir iſt wenigſtens keins bekannt, das es nicht gethan hätte)
in den Kindern und Wahnſinnigen nicht bloß das rein Menſch-
liche der Perſönlichkeit: Leib und Leben anerkennen und ſchützen,
ſondern ihnen auch mit geringen Modificationen dieſelbe Ver-
mögensfähigkeit zugeſtehen, wie den willensfähigen Perſonen?
Es iſt eine leidige Ausflucht, die nicht Stich hält: das Geſetz
reſpectire in ihnen die Möglichkeit künftiger Willensfähigkeit,
[312]Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
es ſchütze auch den Keim des Willens. Ganz abgeſehen von
den Fällen, wo dieſe Annahme auf eine reine Fiction hinaus-
laufen würde, wie z. B. bei einem Kretin, einem unheilbar
Wahnſinnigen, ſo würde jene Rückſicht auf den künftigen Eintritt
der Willensfähigkeit zwar allenfalls den Schutz der nackten Per-
ſönlichkeit, nicht aber die Zulaſſung des Erwerbs concreter Ver-
mögensrechte z. B. einer Erbſchaft zu rechtfertigen vermögen,
in der letzteren Beziehung dürfte vielmehr als äußerſte Conceſ-
ſion nur die Vertagung des Erwerbs bis zur erlangten Fähigkeit
eintreten können. Die einzige conſequente Abweiſung jenes
Einwandes beſteht in der Antwort: die Anerkennung von Rech-
ten in den Händen willensunfähiger Perſonen ſei lediglich Sache
poſitiver Satzung, und in der That hat es einem neuern Rechts-
philoſophen nicht an dem Muth gefehlt, dieſelbe zu ertheilen
und damit zu conſtatiren, daß die Philoſophie auf dem angege-
benen Wege nicht dazu gelangen kann, die reale Welt zu be-
greifen.440)
Und doch, ſollte man meinen, wäre dies ſo unendlich leicht.
Nicht eines Künftigen, ſondern eines Gegenwärtigen wegen
haben jene Perſonen ihr Recht, nicht wegen willkürlicher Laune
des Geſetzgebers, ſondern in Anerkennung des Anſpruchs, den
jedes menſchliche Weſen auf ſeiner Stirn trägt.441) Das Be-
[313]I. Subſtant. Moment des Rechts. — Willensformalismus. §. 60.
dürfniß, das die thieriſche Natur des Menſchen begründet, und
deſſen Befriedigung in der geſicherten Form des Rechts einer
der erſten Zwecke aller fubjectiven Rechte iſt, dies Bedürfniß iſt
bei jenen Perſonen in nicht minderem Grade vorhanden, als bei
allen andern, und je weniger ihnen ſelber die Fähigkeit zuſteht
für die Befriedigung deſſelben Sorge zu tragen, um ſo mehr iſt
dies Aufgabe des Staats. Jene philoſophiſchen Rechtsträger,
deren Daſein erſt mit dem Eintritt des Willensvermögens be-
ginnt, ſind freilich ſo glücklich disponirt, daß ſie das Organ,
mit dem der natürliche Menſch ſich zuerſt mit den Dingen der
Außenwelt in Rapport ſetzt: den Magen, überall nicht beſitzen,
aber ſie leben eben auch nicht,
Daß die Bedürfniſſe und Intereſſen dieſer Perſonen nicht auf
das rein Thieriſche beſchränkt ſind, daß das Vermögen vielmehr
auch bei ihnen einer Verwendung für höhere Zwecke (z. B. Er-
ziehung) fähig iſt, wird nicht erſt der Bemerkung bedürfen. Daß
die Verwendung deſſelben nicht durch ſie erfolgt, iſt gleichgül-
441)
[314]Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
tig; genug ſie erfolgt für ſie. Dieſer letztere Umſtand iſt der
entſcheidende. Nach der obigen Anſicht, welche alles Gewicht
auf das „Durch“ legt und die Bedeutung des „Für“ überſieht,
würde der Vormund der Berechtigte ſein, denn er nimmt die
Dispoſitionen über das Vermögen vor, ihm allein kömmt der
ideale Genuß zu gute, in den dieſe Anſicht den Zweck der
Rechte ſetzt: der Hochgenuß, einen Willensakt vorzunehmen.
Er ſei ihm gern gegönnt, wenn nur der reale Nutzen dem Mün-
del zu Theil wird! Berechtigt iſt nicht, wer das Wollen, ſon-
dern den Genuß beanſpruchen kann. Erſteres läßt ſich zur Noth
auf einen Andern übertragen oder lahm legen, letzteres nicht,
ohne daß das Recht ſelber in gleicher Weiſe dadurch betroffen
wird. Subject des Rechts iſt der, dem der Nutzen deſſelben
zugedacht iſt (der Deſtinatär); der Schutz des Rechts hat
keinen andern Zweck, als die Zuwendung dieſes Nutzens an
ihn zu ſichern. Welche Rolle der Wille dabei ſpielt, werden
wir unten nachweiſen.
Handelte es ſich bei der obigen Anſicht lediglich um einen
Mißgriff in der philoſophiſchen Formulirung des Rechtsbegriffs,
ich würde denſelben, nachdem ich ihn, wie ich glaube, als ſol-
chen erwieſen habe, nicht weiter verfolgen. Aber in Wirklich-
keit handelt es ſich dabei um einen Gegenſatz in der Auf-
faſſung von ganz fundamentaler Art, — um einen Irrthum,
der die richtige praktiſche Erkenntniß des Rechts in bedenklichſter
Weiſe erſchwert und trübt. Es iſt hier nicht der Ort, dies aus-
führlicher zu begründen — es würde zu dem Zweck eine hiſto-
riſche, weil in die Geſchichte der Jurisprudenz und der Rechts-
philoſophie zurückgreifende Abhandlung über das durch die Idee
des abſtracten Willens im Recht angeſtiftete Unheil nöthig ſein
— aber das folgende Beiſpiel wird, wie ich hoffe, das obige
Urtheil vollkommen beſtätigen. 442)
[315]I. Subſtant. Moment des Rechts. — Willensformalismus. §. 60.
Liegt der Endzweck des Rechts im Wollen, ſo müſſen alle
Vereinbarungen, welche nichts Unſittliches oder Unerlaubtes
enthalten, rechtlich verbindende Kraft haben, und in der That
iſt ja das Dogma von der abſtract verpflichtenden Kraft der Ver-
träge von Juriſten und Rechtsphiloſophen oft genug aufgeſtellt.
Ein Vertrag alſo, der dem einen Theil eine Beſchränkung auf-
erlegt, ohne dem andern den geringſten Nutzen zu gewähren,
z. B. der, daß er ſein Grundſtück nicht veräußern, daß er einen
gewiſſen Beruf nicht ergreifen dürfe, würde demgemäß vollkom-
men gültig ſein. Daran würde ſelbſt der Umſtand, daß der
Promiſſar nicht das leiſeſte Intereſſe an der Innehaltung des
Vertrages anzugeben vermöchte, nicht das Geringſte ändern.
Wozu ein ſolches Intereſſe? Der Zweck des Rechts beſteht
ja einmal in der Willensmacht, der Herrſchaft, und eine Herr-
ſchaft über den fremden Willen übe ich aus, wenn ich ihn zu
Unterlaſſungen und Handlungen zwingen darf, einerlei ob die-
ſelben ein Intereſſe für mich haben oder nicht — jener ſpiri-
tualiſtiſche Rechtsgenuß, bei dem die Willenstheorie es bewen-
den läßt: die Freude an der reinen Macht als ſolcher, die Sa-
tisfaction, ſeinen Willen durchzuſetzen, wird in beiden Fällen in
gleicher Weiſe gewährt.
Wohin dies im Verkehr führen muß, leuchtet ein. Unge-
hemmt und unbeſchränkt kann die Saat der Unfreiheit ausge-
ſtreut werden, kann das Unkraut drückender, für den Verkehr
wie für das berechtigte Individuum völlig werthloſer Beſchrän-
kungen wuchern; unter der falſchen Freiheit geht die wahre zu
Grunde, und der Wille gräbt ſich ſein eigenes Grab. Ein ſol-
cher Willensformalismus, der im Mittelalter in dem Princip
442)
[316]Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
der ſchlechthin verbindlichen Kraft promiſſoriſcher Eide einen
verſchärften Ausdruck fand, war dem römiſchen Recht zu allen
Zeiten völlig fremd. In ſorgſamſter Weiſe war daſſelbe be-
dacht, dieſer Selbſtvernichtung der Freiheit vorzubeugen (§. 33),
und den Grund dazu legte es in der Geſtaltung des Rechtsbe-
griffs. Die Rechte ſind nicht dazu da, um die Idee des ab-
ſtracten „Rechtswillens“ zu verwirklichen, ſondern um den In-
tereſſen, Bedürfniſſen, Zwecken des Verkehrs zu dienen. In
dieſem Zweck finden ſie, findet der Wille ſein Maß und Ziel.
Verträge, die mit dieſem Maßſtab gemeſſen des Intereſſes ent-
behren, ſind nichtig, aus ihnen entſteht weder eine Servitut, 443)
noch eine Obligation 444); die Rechte gewähren nichts Unnützes,
der Nutzen, nicht der Wille iſt die Subſtanz des Rechts.
Doch dies führt uns bereits auf den poſitiven Theil unſerer
Aufgabe. Es wird verſtattet ſein, den negativen in den Satz
zuſammenzufaſſen:
der Wille iſt nicht der Zweck und die bewegende Kraft
der Rechte; der Willens- und Machtbegriff iſt nicht
im Stande, das praktiſche Verſtändniß der Rechte zu
erſchließen.
Zwei Momente ſind es, die den Begriff des Rechts conſti-
tuiren, ein ſubſtantielles, in dem der praktiſche Zweck deſ-
[317]I. Subſtant. Moment des Rechts. — Gut, Werth u. ſ. w. §. 60.
ſelben liegt, nämlich der Nutzen, Vortheil, Gewinn, der durch
das Recht gewährleiſtet werden ſoll, und ein formales, wel-
ches ſich zu jenem Zweck bloß als Mittel verhält, nämlich der
Rechtsſchutz, die Klage. Erſteres iſt der Kern, letzteres die
ſchützende Schale des Rechts. Jenes für ſich allein begründet
lediglich einen thatſächlichen Zuſtand des Nutzens oder Genuſſes
(faktiſches Intereſſe), der jeder Zeit ohne weitere Folgen
von Jedem, der dazu thatſächlich in der Lage iſt, aufgehoben
werden kann. 445) Den Charakter der Zufälligkeit, Hinfällig-
keit verliert dieſer Zuſtand erſt dadurch, daß das Geſetz ihn un-
ter ſeinen Schutz nimmt, der Genuß oder die Ausſicht auf den-
ſelben wird dadurch ein geſicherter: ein Recht. Der Begriff
des Rechts beruht alſo auf der rechtlichen Sicherheit des Ge-
nuſſes, Rechte ſind rechtlich geſchützte Intereſſen.
Das erſte Moment, dem wir zunächſt unſere Aufmerkſamkeit
zuwenden, ſtellt ſich dar in folgender Vorſtellungsreihe: Nu-
tzen, Gut, Werth, Genuß, Intereſſe. Der Maßſtab,
nach dem das Recht dieſe Begriffe bemißt, iſt keineswegs aus-
ſchließlich der ökonomiſche: Geld und Geldeswerth; das Ver-
mögen iſt nicht das Einzige, das dem Menſchen geſichert wer-
den muß, über demſelben ſtehen noch höhere Güter ethiſcher
Art: die Perſönlichkeit, Freiheit, Ehre, die Familienverbindung,
ohne welche die äußerlichen, ſichtbaren Güter gar keinen Werth
haben würden.
Jedes Recht des Privatrechts iſt dazu da, daß es dem Men-
ſchen irgend einen Vortheil gewähre, ſeine Bedürfniſſe befrie-
dige, ſeine Intereſſen, Zwecke fördere. Von jedem Recht iſt
alſo der Menſch der Deſtinatär, 446) ob auch das Sub-
[314]Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
ject, hängt davon ab, wie man ſich das Verhältniß bei der
juriſtiſchen Perſon denkt (S. oben S. 209—213 u. §. 61).
Der angegebene Zweck trifft bei ſämmtlichen Rechten zu,
mögen ſie dem Vermögen- oder dem Perſonenrecht angehören,
alle ſollen mich fördern, mir einen Dienſt, Nutzen, Vortheil 447)
gewähren, die Freiheit ſo gut wie das Eigenthum, die Ehe ſo
gut wie die Forderung — „es gibt kein zweck- und nutzloſes
Recht; Wohl und Recht ſind keine Gegenſätze, ſondern in noth-
wendiger Beziehung zu einander“ (Ahrens).
Ein Ding, das uns dieſen Dienſt zu leiſten vermag, nennen
wir ein Gut, die Römer beſchränken den Ausdruck bekanntlich
auf das Gut im ökonomiſchen Sinn: die Glücksgüter (bona).
Demnach bildet ein Gut den Inhalt eines jeden Rechts — eine
Definition des Rechts, die nicht von dem Begriff des Guts im
weitern Sinn ausgeht, iſt verfehlt.
An den Begriff des Guts reiht ſich der des Werths und
Intereſſes an. Der Werthbegriff enthält den Maßſtab zur
Beſtimmung der Tauglichkeit des Guts, der Intereſſenbegriff
erfaßt dieſe Wertheigenſchaft in beſonderer Beziehung auf die
Zwecke und Verhältniſſe des Subjects. Ein Recht, das an ſich
einen Werth hat, kann für dieſes Subject ohne Intereſſe ſein,
z. B. eine Ausſichtsgerechtigkeit für einen Blinden, die Berech-
tigung zum Beſuch eines Concerts für einen Tauben. Beide
Begriffe ſind wie der des Guts nicht auf das Vermögen be-
[319]I. Subſtant. Moment des Rechts. — Gut, Werth u. ſ. w. §. 60.
ſchränkt, 448) nur hat der des Werths allerdings außerhalb die-
ſer Sphäre kein praktiſches Intereſſe, denn das praktiſche In-
tereſſe deſſelben beſteht in der Möglichkeit, ſeine Abſtufungen in
Geld auszudrücken, dieſer Werthmaßſtab des Geldes iſt aber
nur anwendbar bei den Dingen, die für Geld zu haben ſind —
die Freiheit, das Leben, die Ehre ſind inäſtimabel, 449) was aber
das römiſche Recht nicht abgehalten hat, bei einer Verletzung
dieſer Güter das Geld als Strafmittel öfters zur Anwen-
dung zu bringen. 450)
Das Geld alſo iſt der ökonomiſche Werth- und Intereſſen-
maßſtab. Denn das Geld iſt die Form, in die mittelſt der
Operation des Kaufs alle Werthobjecte ſich auflöſen, und aus
der ſie ſich wieder herſtellen laſſen — die Urſubſtanz, in der ſie
alle enthalten ſind. Was käuflich iſt, iſt ſchätzbar d. i. auf Geld
reducirbar (aes-timare), was der Verkehr ſchätzt (bezahlt), kann
auch der Richter ſchätzen (taxiren). Aber nicht Alles findet
innerhalb des Vermögens ſein Aequivalent in Geld, gewiſſe
Gegenſtände, ſelbſt wenn ſie um Geld erworben wurden, ſind
uns doch wegen des perſönlichen Bandes, das die Gewohnheit
oder die Pietät zwiſchen ihnen und uns geſponnen, für Geld
nicht feil, es iſt nicht bloß das Werthobject, der Geldwerth, was
wir in ihnen ſchätzen, ſondern das Concrete dieſer beſtimmten
[320]Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
Species, dieſes Sachindividuum mit dieſer ſeiner Vergangen-
heit. 451)
Wie verſchieden ſich nun auch bei den einzelnen Rechten das
Intereſſe beſtimme, ſo enthält doch jedes in Theſi zugelaſſene
Recht den Ausdruck eines vom Geſetzgeber nach dem Stand-
punkt ſeiner Zeit für ſchutzfähig und für ſchutzbedürftig aner-
kannten Intereſſes. Mit den Intereſſen wechſeln daher auch die
Rechte, zwiſchen beiden findet bis zu einem gewiſſen Grade ein
hiſtoriſcher Parallelismus Statt — nicht ſchlechthin, weil manche
Intereſſen ihrer Natur nach dem mechaniſchen Zwange des Rechts
widerſtreben. Für die ſcurrilen Witze, welche das Mittelalter
in die Form von Rechten zu kleiden pflegte, fehlt uns heutzu-
tage der Sinn, unſer Intereſſenmaßſtab im Recht iſt ein ſtrenge-
rer geworden, obſchon in dieſer Beziehung immer noch genug
zu thun übrig bleibt. 452) Das römiſche Recht hat, wie bereits
oben S. 316 bemerkt, dieſen Geſichtspunkt des Intereſſes klar
ausgeſprochen und conſequent durchgeführt, mit der Form des
Rechts: der Klage iſt es von jeher ſehr ſparſam geweſen und
hat aus gutem Grunde in dieſer Beziehung eher zu wenig, als
zu viel gethan. Die Rechtsformen, die es aufſtellt, entſprechen
ſämmtlich einem ernſten Zweck des Verkehrs oder einem gerecht-
[321]I. Subſtant. Moment des Rechts. — Intereſſenmaßſtab. §. 60.
fertigten ethiſchen Intereſſe, für Scherze, Späße, individuelle
Launen und Liebhabereien bieten ſie keinen Raum.
Daß auch in Rom der Intereſſenmaßſtab mit der wirth-
ſchaftlichen, geiſtigen und ſocialen Entwicklung des Volks ſich
veränderte, davon legt die Rechtsgeſchichte vielfach Zeugniß ab.
Es möge genügen, hier ein Beiſpiel anzuführen, die übrigen
will ich dem dritten Syſtem vorbehalten. Daſſelbe betrifft die
Entwicklung des Rechts der Prädialſervituten; in ihr prägt ſich
der Fortſchritt der Intereſſen in anſchaulichſter Weiſe aus. Die-
ſelbe beginnt mit denjenigen Servituten, welche bereits auf der
niederſten Stufe der Landwirthſchaft ein Intereſſe haben: den
Weg- und Waſſergerechtigkeiten. 453) Für ſie hatte der altrömi-
ſche Bauer ein Verſtändniß; den Werth einer durch eine servi-
tus ne prospectui officiatur geſicherten ſchönen Ausſicht dürfte
er ſchwerlich hoch angeſchlagen haben! Der Fortſchritt der Land-
wirthſchaft und die Veränderung in den Verhältniſſen des Wei-
delandes (ager publicus) brachte ſodann die übrigen Ruſtical-
ſervituten, die Entwicklung des ſtädtiſchen Lebens, das gedrängte
Wohnen, der Aufſchwung der Baukunſt, der Luxus und die
Verfeinerung des Geſchmacks die Urbanalſervituten zum Vor-
ſchein. 454) Letztere verdanken ihren Urſprung nicht einer Er-
weiterung des juriſtiſchen Denkens, des geiſtigen Blicks, ſondern
dem Drang der Intereſſen und Bedürfniſſe, ihre Zulaſſung war
eine vom Leben der Jurisprudenz abgenöthigte Conceſſion, das
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 21
[322]Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
Zugeſtändniß, daß auch die Annehmlichkeit und Behaglichkeit
des Wohnens ein des Rechtsſchutzes würdiges Intereſſe ſei, daß
der Maßſtab des unmittelbar Nützlichen, mit dem die alte Zeit
die Servituten gemeſſen („servitus fundo utilis esse debet“)
für die neuere Zeit ſich als zu eng erwieſen habe. 455)
Nachdem wir jetzt die Bedeutung des Intereſſes für das
Recht in Theſi entwickelt haben, würde ſich daran die Frage
reihen müſſen: ob daſſelbe Verhältniß, welches zwiſchen beiden
Begriffen in abſtracto gilt, nämlich daß das Intereſſe der Zweck
und die Vorausſetzung des Rechts bildet, ſich auch in Hypo-
theſi wiederholen müſſe, z. B. die beſtellte Weggerechtigkeit nur
dann zu Recht beſtehe, wenn ſie für den Berechtigten von nach-
weisbarem Intereſſe ſei. Es ſcheint mir jedoch paſſender, dieſe
Frage zunächſt auszuſetzen, um vorläufig in der Entwicklung
des Rechtsbegriffs weiter fortzufahren.
Die Thatſache, daß das Recht dem Berechtigten die ihm zu-
gedachten Dienſte wirklich erweiſt, bezeichnen wir als Genuß
des Rechts. Der Begriff der Ausübung des Rechts iſt ein
weiterer, er umfaßt nämlich alles das, was der Berechtigte ver-
möge des Rechts vornehmen darf, dazu gehört aber außer dem
Genuß auch die Behauptung und Verfolgung des Rechts im
Fall ſeiner Verletzung.
Der Genuß nimmt nach Verſchiedenheit der Sache ver-
ſchiedene Formen an, bald iſt er mit dem Rechte ſelber, ſo lange
es nicht verletzt iſt, von ſelbſt gegeben (z. B. Freiheit, Ehre,
negative Servituten), bald ſetzt er ein Handeln des Berechtigten
voraus, bald iſt die Art deſſelben ganz genau vorgeſchrieben und
eng begränzt, bald iſt dem Ermeſſen des Berechtigten in dieſer
Beziehung der weiteſte Spielraum geöffnet. Dieſer letztere Ge-
genſatz bedarf der näheren Ausführung; ein praktiſches Intereſſe
[323]I. Subſtant. Moment des Rechts. — Der Genuß. §. 60.
hat er nur für das Vermögensrecht, auf das wir uns daher im
Folgenden beſchränken werden.
Die Genußmöglichkeit, welche mir die Sache in factiſcher,
das Eigenthum an derſelben in rechtlicher Beziehung gewährt,
beſteht je nach Art der Sache bald lediglich in der bloßen Be-
nutzung (dem uti und, wenn dieſelbe eine fruchtbringende iſt,
dem frui), bald lediglich in der Conſumtion der Sache (res quae
usu consumuntur), bald in beiden zuſammen. Zu dieſer Form
des vom Eigenthümer in eigner Perſon vorgenommenen realen
oder unmittelbaren Genuſſes geſellen ſich noch zwei andere, bei
denen der Eigenthümer den realen Genuß auf einen Andern
überträgt, um dafür einen andern einzutauſchen, (ideale oder
juriſtiſche Genußformen) nämlich:
- 1. der Genuß des Werthes, und zwar
- a. der Sache, indem in Form des Vertrages ein anderes
Gut für ſie eingetauſcht wird, ſei es Geld (Kaufcon-
tract), eine andere Sache (Tauſchcontract im engern
Sinn), oder perſönliche Leiſtungen (Kategorie: do, ut
facias der Innominatcontracte), - b. des Gebrauchs, indem das uti oder frui gegen Geld
(locatio conductio, Mieth- und Pachtcontract, Super-
ficies, Emphyteuſis) oder ſonſtige Leiſtungen (z. B.
Antichreſe) zeitweiſe oder auf immer überlaſſen wird. 456)
- a. der Sache, indem in Form des Vertrages ein anderes
- 2. die unentgeltliche Dahingabe an Individuen oder
gemeinnützige Zwecke- a. der Sache, in Form der Schenkung, Pollicitatio, Stif-
tung, letztwilliger Zuwendungen, - b. der Nutzungen, in Form des Commodats, Prekari-
ums oder der ſchenkweiſen Beſtellung des Uſus oder
Uſusfructus.
- a. der Sache, in Form der Schenkung, Pollicitatio, Stif-
Auch die letztere Art der Verwendung ſchließt einen Genuß in
ſich, 457) während die rein negative Entäußerung der Sache (De-
reliction) oder die Nichtausübung eines zuſtehenden Gebrauchs-
rechts (non-usus) ein Verſchmähen deſſelben enthält.
Je nach Verſchiedenheit der Verhältniſſe, Zwecke, Lagen hat
nun das Recht die Wahl dieſer verſchiedenen Genußformen mehr
oder weniger beſchränkt oder gänzlich offen gelaſſen. Dem voll-
jährigen Eigenthümer ſtehen ſämmtliche zu Gebote, nur in eini-
gen Ausnahmsfällen iſt ihm mit Rückſicht auf die einer andern
Perſon eingeräumte Expectanz auf die Sache die unter 1 a
verſchloſſen, ſo z. B. beim Dotalgrundſtück, Familienfideicom-
miß, ohne daß die römiſchen Juriſten darin eine Alterirung des
Eigenthumsbegriffs erblickt hätten. Beim minderjährigen Ei-
genthümer iſt dieſe Form an die Genehmigung der obervormund-
ſchaftlichen Behörde geknüpft, dagegen die Form unter 2 a völ-
lig verboten. Beim gewöhnlichen Rentenlegat ſteht dem Lega-
tar wie bei jedem andern die freieſte Transactionsbefugniß zu,
dagegen beim Alimentenlegat iſt er an die vom Teſtator ange-
ordnete Genußform gebunden, wenigſtens iſt eine weſentliche
Alterirung derſelben, z. B. mittelſt Zahlung einer einmaligen
Abfindungsſumme durch die Mitwirkung der Obrigkeit bedingt.
Den äußerſten Gegenſatz zu dem unbeſchränkten, ſämmtliche
Genußformen in ſich vereinigenden Eigenthum bildet das Recht
[325]I. Subſtant. Moment des Rechts. — Genußformen. §. 60.
des Gemeingebrauchs (usus publicus) an den öffentlichen Sa-
chen. 458) Daſſelbe iſt beſchränkt auf das reale uti in eigner Per-
ſon. Von dieſer niederſten Stufe der Genußmöglichkeit bis zu
der höchſten Spitze: dem freien Eigenthum baut ſich eine Scala
von Abſtufungen auf, bei denen bald die eine, bald die andere
der obigen Formen fehlt. Die Benutzung der res religiosae iſt
gleich der der res publicae ausſchließlich auf den Gebrauch be-
ſchränkt, für den ſie beſtimmt ſind, 459) aber es geſellt ſich die
Möglichkeit der Ueberlaſſung des Gebrauchs an Andere hinzu,
wohl bemerkt nur des unentgeltlichen — aus res reli-
giosae ſoll kein Geld gemacht werden. 460) In den jura in re
ſteigert ſich die Verwendungsmöglichkeit von dem uti zum frui
bis zum consumere, d. h. von der niederſten Form des eignen
realen Gebrauchs (Prädialſervituten und perſönliche Servitut
des usus und der habitatio) zu der Wahlfreiheit im Gebrauch
(usus fructus) bis zum Recht der Conſumtion, der realen im
Quaſi-uſusfructus, der juriſtiſchen oder ökonomiſchen im Pfand-
recht.
Dieſe Abſtufung der Genußformen, möge ſie die Form be-
ſonderer Rechte annehmen oder, wie beim Eigenthum, innerhalb
eines und deſſelben Rechts Platz greifen, dieſe Abſtufung alſo
bezeichnet einen großen Theil deſſen, was man unter dem Be-
griff der Dispoſitionsbefugniß zu verſtehen pflegt. Der
Angelpunkt, um den die Dispoſitionsbefugniß ſich bewegt, iſt,
wenn wir von dem wenig wichtigen Fall der Dereliction abſehen,
die Wahl der Modalität des Genuſſes. Alle Rechts-
geſchäfte, die der Eigenthümer abſchließt, ſind Akte, durch die er
genießt: er möge verkaufen, vertauſchen, verſchenken, verpach-
[326]Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
ten, vermiethen oder jura in re beſtellen. Auch bei der Ver-
pfändung genießt er, nämlich einen Theil des Werths oder den
ganzen Werth der Sache, nur daß er ſich die Einlöſung vorbe-
hält. 461)Freiheit der Dispoſition iſt demnach Frei-
heit in der Wahl der Genußformen, Beſchränkung jener
Beſchränkung dieſer. Damit erſchließt ſich für den Willens-
oder Machtbegriff innerhalb des Rechts 462) ein inhaltsreicher,
fruchtbarer Geſichtspunkt. Indem der Wille ſich an das ſub-
ſtantielle Element des Rechts: an den Genuß anſchmiegt, erhält
er ſtatt der öden, dürftigen ihm zugedachten Rolle, den Gedan-
ken der Herrſchaft oder Macht zu repräſentiren, die dankbare
Aufgabe, überall da, wo nicht das Geſetz die Richtung und die
Art und Weiſe, in der das Recht dem Subject dienſtbar werden
ſoll, unabänderlich feſtgeſetzt hat, dieſe Direction ſelber zu be-
ſtimmen, die Verwendung des Rechts den Bedürfniſſen und
Zwecken dieſes beſtimmten Subjects individuell anzupaſſen. Daß
damit die Thätigkeit des Willens ſelbſt innerhalb des Rechts
nicht erſchöpft iſt, braucht nicht geſagt zu werden. Aber was
ihm außerdem noch erübrigt: die Verſchmähung des Rechts
und die Behauptung deſſelben im Fall ſeiner Verletzung, tritt
an innerer Bedeutung hinter der obigen Aufgabe weit zurück.
Der Genuß iſt Selbſtzweck des Rechts, die Verfechtung deſ-
ſelben nur Mittel zum Zweck, der Verſchmähung wegen aber
iſt kein Recht gegeben, die Befugniß dazu könnte ſogar entzogen
ſein, ohne daß damit der Begriff des Rechts alterirt würde
(z. B. bei der Freiheit, bei dem Recht des Gemeingebrauchs),
aber was dem Recht nie fehlen kann, iſt der Genuß — Genuß
[327]II. Formales Moment des Rechts. §. 61.
ohne Dispoſition bildet immer noch ein Recht,
Dispoſition ohne Genuß nicht! Um dieſen Begriff
dreht ſich das ganze Leben und Daſein des Rechts, an dieſen
Mittelpunkt hat daher auch der Wille ſich anzulehnen, wenn er
zum Zweck des Ganzen mitwirken will. Was er einbüßt, in-
dem er von der Höhe, auf die ihn die philoſophiſche Formel
gehoben hat, herabſteigt, gewinnt er doppelt, indem er einen
praktiſchen Antheil an der Bewegung des Rechts erhält. Möge
man dann immerhin das Recht in ſeiner Totalität als Macht
bezeichnen, — wenn man ſich nur bewußt bleibt, daß die Macht
nicht der Zweck des Rechts, ſondern nur die Form iſt, in der das
Recht ſeinen Zweck zu erreichen hat.
2. Das formale Moment des Rechts.
Der Selbſtſchutz der Intereſſen oder die Klage — die Gränze die-
ſes Schutzes — Klagmechanismus und Recht der Deſtinatäre im
Verhältniß der Corporationen und Stiftungen — Rechtsver-
hältniſſe an res religiosae und publicae (Recht des Gemein-
gebrauchs) — Gegenſatz des Individual- und Gemeinrechts — der
Beſitz und die bonae fidei possessio.
LXI. Das zweite Moment des Rechts iſt der rechtliche
Schutz — Rechte ſind rechtlich geſchützte Intereſſen,
Recht iſt die rechtliche Sicherheit des Genuſſes.
Nicht alle Intereſſen bedürfen des rechtlichen Schutzes,
nicht alle ſind deſſelben fähig. 463) Und ferner: nicht jedes Ge-
ſetz, welches mein Intereſſe ſchützt, erzeugt für mich ein Recht.
Das Geſetz, welches im Intereſſe gewiſſer Fabrikationszweige
Schutzzölle einführt, kommt den Fabrikanten zu gute, es
ſchützt ſie, und dennoch gewährt es ihnen keine Rechte.
Wie verträgt ſich dies? Es liegt hier nur eine rechtliche Re-
[328]Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
flexwirkung vor (§. 63), ein Verhältniß, das allerdings
mit dem Recht die größte Aehnlichkeit hat, aber um ſo ſorgfäl-
tiger von ihm geſchieden werden muß. Der Staat erläßt das
Geſetz in Wirklichkeit in ſeinem Intereſſe, welches hier freilich
mit dem der Fabrikanten ebenſo Hand in Hand geht, wie bei
dem Legat, wodurch Jemand ſeiner Nichte für den Fall ihrer
Verheirathung eine Dos legirt, das der Legatarin und das
ihres Mannes. Sowenig wie letzterer einen rechtlichen An-
ſpruch auf Auszahlung des Legats erhält, ebenſowenig die Fa-
brikanten auf Vollzug des Schutzzollgeſetzes, die Anwendung
deſſelben iſt von ihrem Wollen oder Nichtwollen völlig unab-
hängig, lediglich Sache der betreffenden Behörden. Ganz daſ-
ſelbe gilt für die Polizei- und Criminalgeſetze.
Demnach kömmt zur Vervollſtändigung unſeres Begriffs —
ich halte es für nöthig daran zu erinnern, daß ich hier bloß von
Privatrechten ſpreche — noch das Moment hinzu, daß dem
Berechtigten ſelber der Schutz ſeines Intereſſes anvertraut iſt,
daß er rückſichtlich dieſes Schutzes nicht von der Gnade eines
Andern abhängig iſt, ſondern ſelber die Initiative ergreifen
kann. Dieſe Initiative iſt nach römiſchem Recht die Klage,
d. h. die Anrufung des zur Gewährung dieſes Schutzes ver-
pflichteten Civilrichters. Sonach läßt ſich alſo das Recht
definiren als Selbſtſchutz des Intereſſes. Ob dieſer
Schutz in eigner Perſon oder durch Stellvertreter, zu denen für
handlungsunfähige Perſonen auch die Vormünder gehören,
ausgeübt wird, verſchlägt nichts, denn immer wird hier die
Klage erhoben im Namen des Berechtigten, und der Erfolg
derſelben kömmt ihm zu gute.
Die Klage alſo iſt das Kriterium der Privatrechte. Wo die
Klage anfängt unausführbar zu werden, hört die Möglichkeit
des civilrechtlichen Schutzes der Intereſſen auf, wird deren
Schutz Sache der Verwaltung, unausführbar aber wird ſie
bei dem Punkt, wo die Bedingungen, an deren Daſein die
Möglichkeit richterlicher Entſcheidung geknüpft iſt: die ge-
[329]II. Formales Moment des Rechts. — Gränze des Klagſchutzes. §. 61.
naue Begränzung der Klage nach Perſon, Gegenſtand, Vor-
ausſetzungen und Wirkungen, beziehungsweiſe die Möglichkeit
des civilproceſſualiſchen Beweiſes dieſer Momente, hinwegfal-
len. 464) Der Civilrichter kann nur diejenigen Intereſſen ſchü-
tzen, welche die Geſtalt feſter Körper an ſich tragen; wo ſie
dieſe Form abſtreifen und in den luftförmigen Zuſtand über-
gehen, ſich ins völlig Unbeſtimmte verlieren, hört ſeine Macht
auf — man kann Wolken nicht in einen Sack oder eine Kapſel
fangen, — der Richter aber muß die Sache faſſen und greifen
können, um ſie mit Sicherheit zu beurtheilen, es gilt für ihn
daſſelbe, was Cicero (B. 2 S. 348) von den Geſetzen ſagt:
tollunt astutias, quatenus manu tenere possunt.
Den vorgeſchobenſten Punkt, bis zu dem der Schutz der
Intereſſen in Form der Klage ſich im römiſchen Recht erſtreckt,
bezeichnen die actiones populares (B. 1 S. 186 fg.). Die In-
tereſſen, um die es ſich bei ihnen handelt, verlieren ſich in der
That ins Unbeſtimmte, Allgemeine, es ſind die der Gemeinſchaft
des Publikums; die Handlungen, gegen welche ſie Schutz ge-
währen ſollen, ſind gemeingefährlicher Art. Nicht überall
aber, wo es derartige Intereſſen gilt, findet eine actio popula-
ris Statt, m. a. W. die letztere Klage iſt kein Princip (Idee
des rechtlichen Schutzes allgemeiner Intereſſen), ſondern ſie iſt
beſchränkt auf diejenigen Fälle, wo das poſitive Recht ſie aufge-
ſtellt und nach Vorausſetzungen und Wirkungen ſo genau fixirt
hat, daß damit die praktiſche Durchführbarkeit der Klage ermög-
licht und geſichert iſt. 465)
[330]Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
Auch in dem Verhältniß der juriſtiſchen Perſonen, ſowohl
der Corporationen als milden Stiftungen handelt es ſich um
ſolche ſich mehr oder weniger ins Unbeſtimmte und Allgemeine
verlierende Intereſſen, und der Verſuch, dieſelben unter die ge-
wöhnliche Form der Klage zu bringen, würde hier auf unüber-
ſteigliche Hinderniſſe ſtoßen. In welcher Weiſe das römiſche
Recht dieſe Aufgabe gelöſt hat, iſt bereits früher (S. 209—213)
entwickelt worden, und es bleibt uns hier nur übrig, uns über
die eigenthümliche Verſchiebung, welche hier zwiſchen dem ſub-
ſtantiellen und formalen Element des Rechts eintritt, Rechen-
ſchaft zu geben. Beſchränken wir uns zunächſt auf die Corpo-
ration, bei der das natürliche Sachverhältniß durch die juriſtiſche
Form verhältnißmäßig am wenigſten verdeckt wird. Niemand
wird darüber im Zweifel ſein, daß die einzelnen Mitglieder es
ſind (die gegenwärtigen und zukünftigen), denen die Rechte, mit
denen die juriſtiſche Perſon ausgeſtattet iſt, zu gute kommen,
und daß dieſe Wirkung nicht eine zufällige (Reflexwirkung),
ſondern daß ſie der Zweck des ganzen Verhältniſſes iſt, daß alſo
die einzelnen Mitglieder die Deſtinatäre der hier in Frage
kommenden Vortheile ſind. Wenn nun die Rückſicht auf die
Praktikabilität der Klage den a. a. O. beſchriebenen Mechanis-
mus ins Leben gerufen hat, daß nach außen hin nicht die
einzelnen Mitglieder, ſondern nur die zur künſtlichen perſönlichen
Einheit erhobene Geſammtheit derſelben die gemeinſamen Inter-
eſſen verfolgen darf, ſo liegt darin zwar eine Abweichung von
der gewöhnlichen Geſtalt eines Privatrechts, bei der dem Quo-
ten recht auch eine Quotenklage entſpricht, allein es gehört
die gänzliche Befangenheit im juriſtiſchen Formalismus dazu,
um über dieſer juriſtiſchen Form den realen Sinn und Zweck des
ganzen Verhältniſſes zu verkennen und den einzelnen Mitglie-
465)
[331]II. Formales Moment des Rechts. — Juriſt. Perſonen. §. 61.
dern alles und jedes Recht abzuſprechen. 466) Die juriſtiſche
Perſon als ſolche iſt völlig genußunfähig, ſie hat keine Intereſ-
ſen und Zwecke, kann alſo auch keine Rechte haben, denn Rechte
ſind nur da möglich, wo ſie ihre Beſtimmung erreichen d. h.
dem berechtigten Subject dienen können — ein Recht, das in der
Perſon des Berechtigten nie dieſen ſeinen Zweck zu erfüllen ver-
mag, iſt ein Unding, ein Widerſpruch gegen die Grundidee des
Rechtsbegriffs. Wo der Schein einer ſolchen Abnormität vor-
liegt, iſt dies eben bloßer Schein, hinter dem Afterſubject ſteckt
das wahre. Entfernt man ſich einmal von dieſer Grundidee des
Rechts, die in dem Satz, daß lediglich der Menſch der Deſtina-
tär, das Beſtimmungsſubject der Rechte iſt (Note 446), ihren
Ausdruck findet, ſo findet der Unfug mit dem Perſonificiren
gar keine Gränze mehr, und nachdem man einmal bei den
Prädialſervituten Grundſtücke zum Rang von Perſonen (warum
nicht auch Brauhäuſer, Apotheken u. ſ. w. mit Realprivile-
gien?) erhoben hatte, konnte es kaum noch Wunder nehmen, daß
ſelbſt die Papiere auf den Innehaber derſelben Ehre theilhaftig
wurden.
Nein! nicht die juriſtiſche Perſon als ſolche, ſondern die
einzelnen Mitglieder ſind die wahren Rechtsſubjecte, jene iſt
nichts als die nach außen gekehrte eigenthümliche Erſcheinungs-
und Vermittlungsform ihrer rechtlichen Beziehungen zur Außen-
welt, für den Verkehr im Innern hat dieſe Form nicht die ge-
ringſte Bedeutung, hier gelangt der Geſichtspunkt des Rechts
der Einzelnen auch formal zur vollen Geltung; die Rechte, die
verfaſſungsmäßig (ſtatutenmäßig) jedem Einzelnen zuſtehen,
[332]Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
kann er, wenn ſie ihm beſtritten oder durch einen verfaſſungswi-
drigen Majoritätsbeſchluß entzogen werden, im Wege der Klage
verfolgen. 467) Die durch die eigenthümliche Natur des Ver-
hältniſſes gebotene Ausſchließung des individuellen Verfügungs-
rechts, die Unterordnung des Einzelnen unter den Willen der
Majorität bei verfaſſungsmäßigen Beſchlüſſen, prägt dieſen
Rechten zwar auch nach der innern Seite hin einen von dem Ty-
pus der gewöhnlichen Rechte abweichenden Charakter auf, ent-
zieht ihnen aber den Charakter von Rechten nicht. Wer dies
läugnen will, muß den Nachweis führen, daß unſere Definition
der Rechte als rechtlich geſchützter Intereſſen oder als Selbſt-
ſchutz der Intereſſen auf einem Fehler beruht. Die hier ent-
wickelte Auffaſſung war übrigens den Römern ſelber ſo wenig
fremd, daß man ſie umgekehrt als die altrömiſche bezeichnen
kann, 468) wie ſie denn überhaupt nur da ſich wird verläugnen
[333]II. Formales Moment des Rechts. — Juriſt. Perſonen. §. 61.
können, wo der Gemeinſinn, das Gefühl, daß Jeder in dem
Allgemeinen zugleich das Seinige beſitzt (B. 1 S. 186—188),
ebenſo darnieder liegt, wie die Herrſchaft der juriſtiſchen Formel
blüht (S. 302, 314) — nur ein ungeſunder Boden konnte die
bekämpfte Theorie zur Reife bringen.
Eine noch complicirtere Geſtalt nimmt das obige Verhält-
niß bei den Stiftungen an. Daß auch bei ihnen der Zweck und
Schwerpunkt dieſer ganzen Rechtsmaſchinerie nicht in letzterer
ſelbſt, ſondern in den natürlichen Perſonen liegt, denen die
Stiftung zu gute kommen ſoll, daß die Perſonification derſelben
alſo nichts als eine Form der Zuwendung und Beſtimmung
eines Vermögens für die Zwecke und Intereſſen unbeſtimmter
Perſonen iſt, wird auch hier keiner Ausführung bedürfen. Die
Armen, Kranken, Wittwen, Waiſen, Kunſtfreunde ſind die De-
ſtinatäre der entſprechenden Stiftungen. 469) Aber ſind ſie auch
Subjecte derſelben, d. h. nimmt dieſe ihre Berufung zu den
Nutzungen derſelben den Charakter eines Rechts an? Dies
entſcheidet ſich darnach, ob ſie eine Klage haben. Iſt die Be-
rufung in der Stiftung in einer Weiſe geſchehen, daß die Per-
ſon des zum Eintritt oder Genuß Berechtigten im einzelnen Fall
völlig beſtimmt iſt, ſo liegt ein ſtiftungsmäßiger Anſpruch vor,
deſſen klagweiſe Verfolgung gar keinem Anſtand ausgeſetzt ſein
kann. Wie aber, wenn dies nicht der Fall, wenn alſo die Auf-
468)
[334]Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
nahme der einzelnen Beneficiaten rein dem Ermeſſen der ver-
waltenden Behörde überlaſſen iſt? Hier kann von einer Klage
nicht die Rede ſein — es handelt ſich hier um einen Akt der
Adminiſtration, nicht der Juſtiz. Aber wenn es nun der Admi-
niſtration gefiele, die ganze Stiftung ihrem Zweck zu entfrem-
den, die Kunſtanſtalt z. B. zu ſchließen oder bloß Künſtlern den
Zutritt zu verſtatten — iſt denn dagegen das Publikum macht-
los? Ich meine damit nicht den Weg der Beſchwerde bei der
oberſten Staatsbehörde, ſondern den Weg des Rechts. In der
That hat das ſpätere römiſche Recht denſelben geöffnet, 470) es
verſtattet Jedem eine actio popularis auf Realiſirung einer in
einer letztwilligen Urkunde errichteten Stiftung. Unſerer Defi-
nition des Rechtsbegriffes nach würde demnach auch hier ein
Recht anzunehmen ſein, denn die beiden Momente: das In-
tereſſe und der Selbſtſchutz deſſelben liegen hier vor. Daß der
Kläger nicht ausſchließlich ſein perſönliches Intereſſe, ſondern
in und mit demſelben zugleich das allgemeine verfolgt, ſteht der
Annahme eines Rechts nicht entgegen. Ganz dieſelbe Erſchei-
nung wiederholt ſich bei dem Rechtsverhältniß an res sacrae,
religiosae und res publicae.
Nur ſcheinbar wird an dieſen Sachen die Möglichkeit eines
Rechtsverhältniſſes geläugnet, indem ſie von den römiſchen Juri-
ſten zu den res extra commercium gezählt worden. Denn com-
mercium iſt keineswegs gleichbedeutend mit Möglichkeit eines
Rechtsverhältniſſes, die Bedeutung dieſes Ausdrucks iſt vielmehr
eine ungleich engere, nämlich: rechtliche Möglichkeit Handels-
object (merx, mercari, commercium) zu ſein, verkauft werden
zu können. Der Mangel dieſer Eigenſchaft entrückt die Sache im
[335]II. Formales Moment des Rechts. Res extra commercium. §. 61.
Mindeſten nicht dem Dienſt des Menſchen, — welche Sachen die-
nen ihm z. B. mehr, als gerade die res publicae? — ſondern er
beſchränkt dieſen Dienſt lediglich auf eine der oben S. 323 aufge-
führten Genußformen, nämlich auf die der Beſtimmung der Sache
entſprechende reale Benutzung derſelben mit Ausſchließung jeder
andern Genußform, namentlich auch der idealen mittelſt Verkau-
fens oder Vermiethens, kurz auf das „uti“.471) Ganz dieſelbe
Beſchränkung wiederholt ſich auch bei den Prädialſervituten und
der perſönlichen Servitut des Uſus. So wenig wie bei ihnen, ſo
wenig ſchließt dieſe Beſchränkung bei den res sacrae, religiosae
und publicae die Annahme eines Rechts an der Sache aus. Bei
den beiden erſtgenannten Arten von Sachen kömmt daſſelbe dem
Eigenthum ziemlich nahe, wie dies die römiſchen Juriſten ſelber
ausdrücklich bemerken. 472) Es iſt ein exkluſives Recht wie die-
ſes und iſt eben ſo vollſtändig geſchützt, nur daß die Form der
Klagen eine andere iſt. 473) Das Recht an den res religiosae
konnte ſogar übertragen werden, nur nicht für Geld (S. 325),
es entſtand durch longi temporis praescriptio,474) kurz es
fehlte ihm nichts zum Recht an der Sache. 475) Ihm dieſe
[336]Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
Eigenſchaft beſtreiten kann nur der, welcher das Eigenthum und
die ihm entwachſenen Rechte für die einzig mögliche Form die-
ſes Begriffs anſieht. Erkennt man dieſen Irrthum als das,
was er iſt, 476) ſo wird man auch über die Natur des Rechts-
verhältniſſes an den res publicae nicht im Zweifel ſein können.
Daſſelbe iſt in keiner Weiſe erſchöpft, wenn man es lediglich auf
die rechtliche Qualität des Gegenſtandes als einer dem Ver-
kehr entzogenen und dem allgemeinen Gebrauch überwieſenen
Sache ſtellt und es demgemäß bei der Lehre von Eigenſchaften
der Sachen erörtert, 477) gleich als handle es ſich hier lediglich,
wie bei der res nullius, um den rechtlichen Zuſtand einer Sache.
Der Sache ſteht hier vielmehr eine Perſon gegenüber, 478) der
ſie dient, und nicht bloß zufällig, faktiſch, ſondern vermöge recht-
475)
[337]II. Formales Moment des Rechts. Res extra commercium. §. 61.
licher Nothwendigkeit — in dieſem Dienſt, in dieſer ihrer totalen
Hingabe an den gemeinen Gebrauch (usus publicus) geht ihre
ganze Beſtimmung auf. 479) Zu einem Recht aber geſtaltet ſich
das Verhältniß erſt dadurch, daß den Deſtinatären: den Staats-
angehörigen, Gemeindemitgliedern — dem Fremden kommen
dieſe Sachen bloß in Form der Reflexwirkung zu gute — eine
Klage: die oben berührte act. popularis eingeräumt iſt, und
zwar nicht etwa bloß zur Verfolgung des allgemeinen, ſondern
auch des eignen Intereſſes (B. 1 S. 187). Daß die römiſche
Rechtstheorie dieſes Recht nicht mit regiſtrirt hat, 480) darf uns
ebenſo wenig Wunder nehmen, als abhalten das Verſäumte
nachzuholen — jenes nicht, weil ſie dem für ſie maßgebenden
praktiſchen Intereſſe vollſtändig entſprach, indem ſie ſich auf
die Verhältniſſe des commercium beſchränkte — dieſes nicht, weil
wir in der theoretiſchen Conſtruction von ihr vollkommen unab-
hängig ſind. Indem wir uns dieſer Freiheit bedienen, werden
wir nicht umhin können, das Recht des Gemeingebrauchs
unter die Zahl der Rechte an den Sachen aufzunehmen. Zu
dem Ende bedarf freilich der letztere Begriff oder richtiger der
Begriff des Rechts überhaupt einer Erweiterung. Derſelbe
ſpaltet ſich in zwei Aeſte: das Individualrecht und Ge-
mein- oder Geſammtrecht. Der Charakter des erſteren be-
ſteht in dem Moment der Ausſchließlichkeit, der exclu-
ſiven Berechtigung, womit die Möglichkeit einer Theilung des
Rechts nicht im Widerſpruch ſteht — in jeder Quote des Rechts
wiederholt ſich die Contraction des Rechts auf ſich ſelbſt, ſeine
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 22
[338]Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
Abſperrung nach außen hin. Bei den meiſten dieſer Claſſe an-
gehörigen Rechten geſellt ſich noch das Moment der abſoluten
Herrſchaft d. i. der freien Dispoſitionsbefugniß oder, wie ich
es faſſe (S. 323), der Wahl der Genußformen hinzu. Wie
wenig weſentlich aber dies Moment iſt, zeigen die auf den
bloßen usus beſchränkten Servituten und das obige Recht an
res religiosae, welches ebenfalls zur Claſſe der Individualrechte
gehört. Der Charakter der zweiten Claſſe beruht auf der Ab-
weſenheit des excluſiven Moments, oder poſitiv ausgedrückt auf
der ungetheilten und untheilbaren Gemeinſamkeit des Genuſſes.
Zu den Rechten dieſer Claſſe zählt nicht bloß das des Gemein-
gebrauchs, ſondern auch die oben beſchriebenen, welche Jemand
als Mitglied einer Corporation (Genoſſenſchaft) oder als Deſti-
natär einer milden Stiftung hat. Alle dieſe Rechte ſind geknüpft
an die Zugehörigkeit zu einem gewiſſen Kreiſe von Perſonen,
möge er weit oder eng ſein, ſie entſtehen mit dem Eintritt, ſie
hören auf mit dem Austritt. Ihre Beſtimmung und ihr Nutzen
erſchöpft ſich nicht in den Intereſſen dieſer gegenwärtigen
Subjecte, ſondern ſie haben die Intereſſen der Gattung, auch
der kommenden Generationen zum Gegenſtande. Eben daraus
ergibt ſich für ihre legislative Geſtaltung ein folgenreicher Ge-
ſichtspunkt. So wie der Staat in vormundſchaftlicher Fürſorge
ſich der Perſonen, die ſelber ihre Rechte nicht wahren können,
annimmt, ſo wie dem Ungebornen ſein Antheil an der auf ihn
gefallenen Erbſchaft geſichert wird, ſo hat auch der Staat für
die kommenden Geſchlechter Fürſorge zu treffen und dafür zu
wachen, daß nicht eine egoiſtiſche Gegenwart einen Raub an
ihnen begehe, indem ſie das auch für ſie mit Beſtimmte ſeiner
Beſtimmung entfremde und lediglich für ihre Zwecke verzehre.
Aber andererſeits hat doch das lebendige Geſchlecht ein höhe-
res Recht, als das noch ungeborne, die Noth des Tages
einen dringlicheren Anſpruch, als die Rückſicht auf die Zu-
kunft, es kann Fälle geben, wo jene Conſumtion oder die Ver-
änderung des Beſtimmungszweckes vollkommen gerechtfertigt
[339]II. Formales Moment des Rechts. Der Beſitz. §. 61.
iſt. 481) Dieſe Vermittlung zwiſchen den Intereſſen und Rechten
der Generationen: zwiſchen dem Stiftungswillen der Ver-
gangenheit, der Noth der Gegenwart und der Anwart-
ſchaft der Zukunft iſt eine Frage der höheren hiſtoriſchen Ge-
rechtigkeit, für die nicht die Rechtsregel, ſondern das Gewiſſen
und die freie Einſicht den Ausſchlag zu geben hat, — das Recht
geht bei dieſem Punkt in die Adminiſtration über.
Die bisherige Erörterung hatte zum Zweck, unſere Definition
des Rechts an einigen Verhältniſſen zu erproben, bei denen man
bisher das Vorhandenſein eines Rechts überſehen hat. Auch
bei dem Beſitz iſt bekanntlich die Frage, ob er zu den Rechten zu
zählen, und zu welcher Claſſe derſelben, außerordentlich ſtreitig.
Wenn die bisher entwickelte Begriffsbeſtimmung des Rechts
richtig iſt, ſo verſteht ſich die Bejahung der erſteren Frage von
ſelbſt: der Beſitz iſt ein rechtlich geſchütztes Intereſſe. 482) Da
dies Intereſſe aber die Sache zum Gegenſtande und zwar un-
mittelbar (nicht wie bei der Obligation mittelbar) zum Gegen-
ſtande hat, ſo iſt der Beſitz zu den Rechtsverhältniſſen an der
Sache zu ſtellen. Ganz daſſelbe gilt von der bonae fidei pos-
22*
[340]Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
sessio. Daß weder dieſe beiden Verhältniſſe, noch die oben be-
trachteten an den res publicae und religiosae der Aufnahme
unter die Sachenrechte gewürdigt ſind, hat nur darin ſeinen
Grund, daß man ganz unkritiſcher Weiſe den Begriff des Rechts
an der Sache lediglich nach dem Eigenthum und den jura in re
aliena zuſchnitt, gleich als erſchöpften ſie die rechtlichen Be-
ziehungen des Menſchen zur Sache, oder als ſeien die übrigen,
weil ſie hinter ihnen an Rechtsgehalt zurückſtehen, nicht eben-
falls rechtlich geſchützte Beziehungen zur Sache. Der Beſitzer
und bonae fidei possessor, ſagt man, weichen dem Eigenthümer.
Gewiß! aber hat nicht letzterer auch dem Pfandgläubiger zu
weichen, und dieſer wiederum jenem, wenn derſelbe die Schuld
abtragen will? Gehört es zum Begriff des Rechts an der Sache,
daß es keinem andern weicht? Der Beſitz iſt ſeiner urſprüng-
lichen Idee nach nichts als das Eigenthum in der Defen-
ſive. Es wäre um das Eigenthum geſchehen, wenn der Eigen-
thümer, um ſich im Genuß ſeines Rechts zu ſchützen, jedes Mal
ſein Eigenthum beweiſen müßte; die Vollſtändigkeit des
Eigenthumsſchutzes poſtulirt vielmehr mit abſoluter Nothwen-
digkeit den Satz, daß ſchon die bloße Thatſächlichkeit des
Eigenthums d. i. der Beſitz reſpectirt und geſchützt werden müſſe.
Die Beſitzrechtsmittel repräſentiren die Defenſive, die rei vindi-
catio die Offenſive im Eigenthum. Indem aber dieſer defen-
ſive Schutz des Eigenthums, der nicht minder wie der offenſive
innerhalb ſeiner Sphäre ein abſoluter iſt d. h. gegen jeden
ertheilt wird, der das Eigenthum von dieſer Seite antaſtet,
von dem Beweis des Eigenthums entbunden wird, ergibt ſich
daraus die nothwendige Conſequenz, daß auch der beſitzende
Nichteigenthümer deſſelben theilhaftig wird — um den Eigen-
thümer als Beſitzer, mußte man eben den Beſitzer ſchlechthin
ſchützen. Damit aber geſtaltete ſich der Beſitz zu einem ſelbſtän-
digen Rechtsverhältniß neben und außer dem Eigenthum, alſo
zu einem Recht an der Sache. Das Charakteriſtiſche deſſelben
läßt ſich mit einem Wort bezeichnen als: eine zur Selbſtän-
[341]II. Formales Moment des Rechts. Die b. f. possessio. §. 61.
digkeit des Schutzes und Rechts erhobene Situation des
Eigenthums. Von der b. f. possessio gilt ganz daſſelbe:
ſie iſt eine zur Selbſtändigkeit des Rechts erhobene Form des
offenſiven Schutzes des Eigenthums. Daß ihr der Charak-
ter eines Rechts an der Sache zukommt, würde in einem Recht,
das den Schutz und die Idee des Eigenthums lediglich in dieſer
minderen Form anerkannt hätte, Niemand bezweifeln, und nur dem
Umſtand, daß das römiſche Recht neben dieſer ſchwächeren Form
noch die ſtärkere der reivindicatio ausgebildet hat, iſt es zuzu-
ſchreiben, daß man jenes Rechtsverhältniß bisher nicht als eine
Eigenthumsform anerkannt, daſſelbe vielmehr im Syſtem in
derſelben Weiſe unter der actio Publiciana verſchwinden läßt,
wie das Rechtsverhältniß an den res publicae und religiosae
unter der Lehre von den Sachen. Dieſe ſyſtematiſche Stellung
und die darin ſich kundgebende Auffaſſung würde richtig ſein,
wenn die Publiciana lediglich dem Eigenthümer zugedacht, alſo
an den Beweis des Eigenthums geknüpft wäre. Da ſie aber
gerade dafür beſtimmt iſt, dieſen Beweis durch einen leichteren
zu erſetzen, den auch der Nichteigenthümer erbringen kann, ſo
geſtaltet ſie ſich ebendamit zum Schutzmittel eines ſelbſtändigen
ſachenrechtlichen Verhältniſſes außer und neben dem Eigenthum.
Möge daſſelbe im Zuſammenſtoß mit dem Eigenthum immerhin
erliegen, wie der Beſitz im Zuſammenſtoß mit einem von ihnen
beiden — ſo lange dieſer Zuſammenſtoß nicht erfolgt iſt, bewegen
ſie ſich innerhalb der ihnen zugewieſenen Bahnen ganz mit der
Kraft und Autorität eines Rechts. Die Vorausſichtlichkeit des
Unterganges beim Eintritt eines gewiſſen Umſtandes ſchließt die
vorherige Exiſtenz des Rechts nicht aus.
Für die praktiſche Jurisprudenz hat das eben Entwickelte
nicht den geringſten Werth, und ſchwerlich würden ſich die römi-
ſchen Juriſten die Mühe genommen haben, die berührten Fragen
eingehender zu behandeln. Ihr Standpunkt war der unmittel-
bar praktiſche: der der Klage (B. 2 S. 672 fl.). Wie das der
Klage zu Grunde liegende Recht ſyſtematiſch zu charakteriſiren
[342]Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
und claſſificiren, kümmerte ſie wenig, — hat man doch ſogar
behauptet, daß ſie nicht einmal beim Pfandrecht die Abſtraction
von der Klage auf das Recht gemacht, ſondern ſich bei der Vor-
ſtellung der Pfandklage beruhigt hätten. Unſer heutiger
Standpunkt iſt aber, wie bereits an der angeführten Stelle be-
merkt ward, ein anderer geworden, das Fundament unſerer
heutigen wiſſenſchaftlichen Syſtematik bildet nicht die Klage,
ſondern das Recht. Aber freilich fehlt noch viel an der con-
ſequenten Durchführung deſſelben, mit dem einen Fuß ſtehen
wir auf dem römiſchen, mit dem andern auf dem modernen
Boden, unſere Syſtematik der Rechte und der Klagen ſchiebt ſich
nicht ſelten in wunderbarſter Weiſe durcheinander, die in rem
actiones finden bei den Rechten ihren Platz, denen ſie dienen,
aber die ebenfalls zum Schutz dieſer Rechte beſtimmten in per-
sonam actiones wandern ins Obligationenrecht. Weniger um
dieſen Mangel aufzudecken, als um die aufgeſtellte Definition
des Rechts gegen einige nahe liegende Einwendungen zu ver-
theidigen, war ich gezwungen, die Verhältniſſe, denen man ſie
entnehmen konnte, einer Betrachtung zu unterziehen. Eine
weitere Verfolgung des Verhältniſſes zwiſchen Recht und Klage
iſt an dieſer Stelle weder geboten, noch thunlich.
den beiden §§.
jus esse eundi, — dare oportere u. ſ. w. Gaj. IV 41, 45. Die actiones
in factum conceptae (ib. §. 46) ſind ſpäten Urſprungs, ſ. drittes Syſtem.
ſogar noch einer fünften Klage, L. 3 §. 2 de alien. jud. (4. 7).
riſche hier an, arg. L. 7 de alien. jud. (4. 7) cf. L. 4 §. ult. L. 5, 6 ibid.
L. 42 L. 52 de R. V. (6. 1).
L. 2 §. 26 ib. hervor.
raturen des Weges nach der Anſicht der klaſſiſchen Juriſten durch die act.
confess. erzwingen, L. 4 §. 5 si serv. (8. 5), während das Edict dafür ein
eignes Interdict für nöthig gehalten hatte, bei dem der Beweisſatz nicht etwa
leichter, ſondern ſtrenger, als bei jener Klage geweſen war (Beweis des
Rechts und der Ausübung) L. 3 §. 11. 16 L. 4 de itin. (43. 19).
de prec. (43. 26), L. 3 §. 11 uti poss. (43. 17). Daß für die „vergangene
Zeit Schadenserſatz geleiſtet werden muß“ verſteht ſich nach Savigny Recht
des Beſitzes (§. 39) beim Interd. utrubi von ſelbſt, beim uti poss. (§. 38)
beruft er ſich auf die letztere Stelle, welche lediglich von dem quanti interest
possessionem retinere d. h. dem Intereſſe des gegenwärtigen Beſitzes
ſpricht — ſo wenig iſt ſelbſt den Koryphäen unſerer Wiſſenſchaft das richtige
Verſtändniß des römiſchen Klagenſyſtems aufgegangen! — Rückſichtlich der
reivindicatio wird ſchwerlich Jemand, der eine Idee von der Bedeutung rö-
miſcher Klagformeln hat, glauben, daß eine Klage mit der Intention: rem
meam esse auf Schadenserſatz für die Vergangenheit hätte gerichtet werden
ſtimmung der XII Tafeln, daß der Beklagte im Fall ſeines Unterliegens
(ohne Rückſicht auf bona oder mala fides) die doppelten Früchte zurückgeben
muß. Festus: vindiciae. Anerkennung des obigen Geſichtspunktes im neuern
Recht: L. 15 de usur. (22. 1).
mancipi.
völlig gleichgültig und Gegenſtand einer perſönlichen Klage (act. leg. Aqui-
liae); nur ſeine Handlungen während des Proceſſes fielen vermöge der
Proceßobligation unter den Bereich der reivindic. und zwar mit genauer Feſt-
haltung des zutreffenden Geſichtspunktes (ſ. L. 27 §. 2 de R. V. 6. 1). Für
die act. conf. und negat. gilt ganz daſſelbe; keine einzige der Stellen,
welche man für das Gegentheil anführt, entſcheidet den allein relevanten
Punkt, mit welcher Klage der unzweifelhafte Anſpruch auf Schadenserſatz
geltend gemacht werden kann, die Ausdrücke fructus und quod interest
(z. B. servitute non prohiberi, nicht prohibitum esse) beziehen ſich aber
auf die Zeit des Proceſſes. Für jenen Zweck waren das interd. quod vi aut
clam und die act. leg. Aquiliae (L. 27 §. 7—11, §. 25, 26, 31, 33 ad leg.
Aq. 9. 2) beziehungsweiſe die cautio damni infecti und operis novi nun-
ciatio beſtimmt.
dicanda (L. 56 ibid.), und (mit Andeutung des in dieſer Hinſicht obwaltenden
Unterſchiedes zwiſchen perſönlichen Klagen und der reivind.) L. 2 §. 26 vi
bonor. rapt. (47. 8) … singnlae res. Ueber die Behandlung der Heerde
ſ. u.
der hered. pet. partiaria und act. fam. ercisc. L. 7 si pars her. (5. 4).
gegengeſetzten Sinn ausdrückt, ſo iſt das nur eine Verſchiedenheit des Aus-
drucks, denn er ſelbſt erkennt S. 69 an, „daß die Verbindung an der juri-
ſtiſchen Beurtheilung jedes einzelnen Rechtsſtreites nichts ändere, vielmehr
nur factiſch gewiſſe Vortheile gewähre.“
unum judicem habere multis et diversis formulis solent. Wie hätte
auch wohl die gemeinſame Formel für den Fall der L. 1 §. 4 quod leg. (43. 3),
auf die man ſich u. a. beruft, die Verbindung der hered. pet. und des interd.
quod legatorum, lauten ſollen!
über ſämmtliche Anſprüche entſcheiden“ läßt, ſo iſt dies für den Formular-
proceß nicht richtig, denn ſo viele formulae ſo viele Urtheile; durch die bloße
zeitliche Aneinanderreihung der mehren Urtheile ſchmolzen ſie nicht zu einem
zuſammen.
litis dividuae. Gaj. IV, 122. — Beiſpiele einer ſolchen Vereinigung mehrer
Streitigkeiten unter einem Richter aus den Quellen bei Plank S. 67 Note 3.
auch wenn man dieſe Stelle nicht von mehren über verſchiedene Objecte ab-
geſchloſſenen Societäten, ſondern von einer und derſelben, bei einem Todesfall
erneuerten Societät verſtehen will, bleibt die Schwierigkeit gleich groß, denn
die Erneuerung enthält jedes Mal einen neuen Abſchluß. — L. 10 de act.
emti (19. 1). In L. 1 de quib. reb. (11. 2) erblicke ich keinen hierher ge-
hörigen Fall, denn unter den „eosdem“ verſtehe ich andere Perſonen, als
die „plures“.
secant, nec tam plura faciunt quam minora; deinde quum fecerunt mille
particulas, in eandem incidunt obscuritatem, contra quam partitio in-
venta est.
singulas esse stipulationes — absurdum est.
ich ſo ſagen darf, eine landwirthſchaftliche, ſich ſtets ſelbſt erhaltende Größe
und Einheit gebildet hat (alſo nicht z. B. bei hundert Schafen, die ein Metz-
ger auf dem Markt zuſammen gekauft hat), läßt das römiſche Recht eine
Vindication zu. Es heißt nur einen andern Ausdruck gebrauchen, wenn
man ſagt: die Heerde bilde einen Gegenſtand (universitas); erklärt iſt
damit gar nichts, namentlich nicht, warum dieſelbe Behandlungsweiſe nicht
auch bei andern Sachen-Complexen z. B. einer Bibliothek eintritt. Die Er-
klärung liegt m. E. in dem eigenthümlichen Verhältniß der Ergänzung der
Heerde aus ſich ſelbſt, welches nach Grundſätzen über den Fruchterwerb für
Eigenthümer und gutgläubigen Beſitzer Eigenthum bewirkt und präſumtiv alle
Stücke der Heerde ergreift, für die nicht das Gegentheil nachgewieſen wird.
Die Vindication der Heerde ſtimmt alſo mit dem Grundſatz: eine Frage
eine Klage, denn der Richter hat bei ihr trotz der Mehrheit der Gegen-
ſtände doch bloß eine und dieſelbe Frage zu entſcheiden. Dies ſchließt nicht aus,
ſchränken (Concurrenz der Klagen), allein zur Entſtehung kommen ſie alle.
dicirt werden könnten, L. 30 §. 2 de usuc. (41. 3) L. 1 §. 3 de R. V. (6. 1);
es tritt daſſelbe Verhältniß ein, wie rückſichtlich der Vindication einer zuſam-
mengeſetzten Sache, z. B. eines Hauſes, welches als Ganzes vindicirt werden
kann, obſchon einzelne Beſtandtheile anderen Perſonen gehören. Ein anderes
Beiſpiel außer der Heerde bietet der Bienenſchwarm L. 5 §. 2, 4 de A. R. D.
(41. 1), nicht dagegen ein Viergeſpann oder ein Waarenlager. arg. L. 79
pr. de leg. III. (3. 1).
§. 1 L. 26 de dolo (4. 3) L. 23 §. 8 ad leg. Aq. (9. 2) u. a.
quae plures species in se haberet, pluribus summis sit condemnatus.
L. 1 §. 1 quae sent. (49. 8) .. ex illa specie 30 .. ex illa 25.
gandi, solvendi sui causa negotiationem.
über ſchweigen unſere Quellen. Jedenfalls konnte der Committent von dem
Banquier Abrechnung verlangen (L. 4 pr. de edendo 2. 13), welche ſich
natürlich über ſämmtliche Poſten von beiden Seiten erſtreckte (L. 6 §. 3 ibid.).
In der Anerkennung des daraus für ihn ſich ergebenden Ueberſchuſſes ließ ſich
ein constitutum finden (L. 26 de const. pec. 13. 5), womit vielleicht die
in L. 2 §. 2 Cod. de const. pec. (4. 18) erwähnte beſondere Uſance bei
Argentarien zuſammenhängt.
im Gegenſatz zur simplex, weil er „plures controversiae ejusdem gene-
ris“ in ſich ſchließe.
in hereditate sunt, videntur in petitionem deduci. L. 7 §. 5 de exc. rei
jud. (44. 2). Die Klage erſtreckt ſich daher auch auf die Früchte, ohne daß
es hier der Erwähnung derſelben bedurfte, L. 13 §. 7 L. 20 §. 2, 16 de
her. pet. (5. 3), denn „fructus hereditatem augent L. 40 §. 1 ibid.
hereditas et augmentum recipit et deminutionem“ L. 20 §. 3 ibid.
L. 178 §. 1 de V. S. (50. 16) — ein Satz, der im Formularproceſſe für
den Kläger dieſelbe Bedeutung hatte, wie der in §. 52 zu betrachtende, daß
das Pekulium durch die Gegenforderungen des Herrn ipso jure vermindert
werde, für den Beklagten.
ſo wenig am Orte, wie die Verfolgung des Zuſammenhanges, in dem unſer
Thema mit der Lehre von der exc. rei jud. ſteht. Zum Beweiſe der Behaup-
tung im Text diene ſtatt aller andern Gründe die in jure cessio der heredi-
tas legitima, bei der offenbar in der Ceſſions- (und folglich auch in der Vin-
dications-) Formel die hereditas als „legitima“ bezeichnet, alſo der
Delegationsgrund angegeben geweſen ſein muß, denn man hätte ſonſt die-
ſen Ceſſionsfall von dem der hered. testam. nicht unterſcheiden können,
was doch wegen der ſehr verſchiedenen Folgen wichtig war.
merkſamkeit zu empfehlen; eine eingehende Bearbeitung deſſelben, namentlich
in Verbindung mit der Lehre von der Identität der Streitſachen bei der exc.
rei judicatae, muß eine höchſt lohnende Ausbeute gewähren.
traditae und act. emti wegen Eviction, exc. non numeratae pec. und die
penſen bei der Reivind.
Klage, die Einrede der Compenſation und Retention beim Depoſitum.
ſie auf die Verringerung des Streitmaterials äußert, ſ. Ende des §.
doli wegen mangelnder causa und die Condictionen, Compenſation und klag-
weiſe Geltendmachung der Forderung.
ceptionem competere multo magis quis dixerit. Der Satz erleidet jedoch
divi Hadriani tollendo, interdictum quod legatorum.
6 si cui plus (35. 3), der zufolge der Erbe das Legat vorläufig gegen Cau-
tion unverkürzt auszuzahlen hat, wenn die Ermittelung der ihm gebührenden
quarta Falcidia mit Weiterungen verbunden iſt.
indem man dem Kläger für den Anſatz der Geldſumme („tantum aes
dare domino damnas esto“, Worte der lex Aquilia L. 2 pr. ad leg. Aq.
9. 2), wo ſie erforderlich war (L. 25 §. 2 ibid.), einen ſo weiten Spielraum
gewährte (Werth des letzten Jahres bez. Monats), daß er es ſich ſelbſt zuzu-
ſchreiben hatte, wenn er eine plus petitio beging. Die act. furti lautete bloß
auf „pro fure damnum decidere oportere“ Gaj. IV. 37, 45, womit die
bei jedem „dare oportere“ erforderliche Angabe einer beſtimmten Sache oder
Summe umgangen war.
Andeutung der abſoluten Natur des ihnen zu Grunde liegenden Rechts
(B. 2 S. 511) auf ein esse geſtellt (rem, hereditatem meam esse, jus
eundi mihi esse, tibi non esse), die actiones in personam mit derſelben fei-
nen Andeutung der ihnen zu Grunde liegenden Verpflichtung der Perſon (B. 2
S. 512) auf oportere (dare, pro fure damnum decidere oportere).
inter A. A. et N. N., ut res pignoris nomine obligata esset — patronum
in jus vocatum esse, Gaj. IV. 46, 47. Nur wo die Klage von einer
gegenwärtigen Thatſache abhing, z. B. beim interd. uti possidetis vom
gegenwärtigen Beſitz, ward natürlich das Präſens gebraucht: possidetis.
Klagfundaments) eamque dolo malo Ni Ni Ao Ao redditam non esse (ne-
gativer Theil). Beiſpiel beider Formen bei der act. hypothecaria: (Note 45)
… obligata esset (poſitiver Theil) eamque pecuniam solutam non esse
neque eo nomine satisdatum esse neque per A. A. stetisse, quominus sol-
veretur (nach Bachofen Pfandrecht I. S. 49 — negativer Theil) si non
voluntate creditoris veniit (exceptio, L. 8 §. 9 quib. mod. pig. 20. 6).
Gaj. IV. 46, in dem contra edictum ſteckte der Stoff zur Vertheidigung
(z. B. L. 11 de in jus 2. 4), ebenſo bei den poſſeſſoriſchen Interdicten
.. possidetis nec vi nec clam nec precario alter ab altero (L. 1
pr. uti poss. 43. 17).
ſ. H. Dernburg, Die Compenſation S. 218 flg.
neque precarium neque emtio neque locatio rei suae consistere potest.
L. 21 de usuc. (41. 3), L. 31 §. 1 Dep. (16. 3) u. a.
Anſicht von dem interd. Salvianum gründet (Inſtit. §. 251 Note b), hat die
obige Regel überſehen, ſonſt hätte er vielleicht nicht in der Möglichkeit,
ſondern der Unmöglichkeit des interd. de precario den Grund zur Ein-
führung jenes Interdicts erblickt.
poss. (41. 2).
der Theorie des Rechtsgeſchäfts (§. 53) ergeben, von legislativ politiſchen
Gründen ganz zu geſchweigen.
est, sestertios XXV nummos dare spondes? — Hier ſtellte alſo der Be-
ſitzer der Sache eine in rem actio an (ſo wird ſie bezeichnet von Gaj. IV,
91), abermals einer von den vielen Fällen des „unus casus“ der Inſtitutio-
nen (§. 2 I. de act. 4. 6).
43. 26).
Obligation (das Verſprechen des Klägers, dem Beklagten den Beſitz eine
Zeitlang zu laſſen) ausgeſchloſſen L. 12 pr. de prec. (43. 26), ſchwerlich je-
doch aus dem Grunde, den Celſus hier angibt, denn warum ſollte abgeſehen
von dem in dem Beſitz proceß gelegenen Hinderniß ein ſolcher Vertrag nicht
gültig ſein? Im Fall der L. 15 §. 3 ibid., wo die Rückforderungsklage auf
das Verſprechen des Beklagten gegründet, d. h. eine actio in per-
sonam war, wäre ſchwerlich von irgend einem Juriſten die entgegengeſetzte
Berufung des Betheiligten auf das Verſprechen des Klägers zurückgewieſen
worden. Beim interd. de precario, wo der Anſpruch des Klägers nicht auf eine
Obligation, ſondern auf den Beſitz geſtützt wird, würde ein Einwand
obligatoriſcher Art den Charakter des Beſitzproceſſes alterirt haben.
L. 5 §. 2 de pact. dot. (22. 4), L. 5 de imp. (25. 1), L. 1 §. 4 L. 2 §. 1
L. 5 de dot. prael. (33. 4). Die Erklärung, die man ſonſt von dieſer Regel
gibt (z. B. Dernburg Compenſation S. 116), iſt nicht ſowohl eine Erklä-
rung, als eine andere Faſſung der Regel.
dotem.
denkbare Differenz hätte ſich an die cond. indebiti knüpfen können, allein die
meiſten römiſchen Juriſten ſtellten ſie auch hier einander gleich, L. 5 §. 2 de imp.
dot. (25. 1); die Auffaſſung auch der erſten Form als eines Retentions-
rechts hätte ſich nicht deutlicher dokumentiren können (arg. L. 51 de cond.
ind. 12. 6) und wird auch durch die mit der „aequitas“ motivirte Mei-
nungsverſchiedenheit von Marcellus und Ulpian um nichts abgeſchwächt.
cessa“), ſoll nicht ſchwer in die Wagſchale fallen, ſ. aber Ulp. VI, 9. 14
(retentio propter impensas), L. 56 §. 3 de J. D. (23. 3) .. retineatur
und die vorige Note; ähnlich beim Pekulium (ſ. u.), für welches die L. 30
pr. de act. emt. (19. 1) das „ipso jure minutum esse peculium“ und
„retentionem habiturum“ ebenfalls identificirt.
Carvilius Ruga (523 d. St.); Haſſe, das Güterrecht der Ehegatten nach
R. R. B. 1 S. 214, 216; zu dieſer Zeit aber ſtand meiner Anſicht nach das
Princip der intentio certa noch in vollſter Blüthe.
tur … quanta dos sit. Die Erklärung, die O. Bülow de praejudic.
form. (Breslau 1859) gibt, befriedigt mich nicht.
possunt.
um deren Höhe handelte L. 1 §. 5 de dot. coll. (37. 7) … impensarum
necessariarum fit detractio.
die Frage nicht direct auf dieſen Betrag, ſondern auf den des Nachlaſſes ge-
richtet (ſ. u.).
hatte, ſo konnte die Klägerin, bevor er erkannte: quanta sit dos, die Aus-
lagen erſetzen und auf dieſe Weiſe ſich die unverkürzte Reſtitution der ur-
ſprünglichen Dotalobjecte ſichern, arg. L. 56 §. 3 de J. D. (23. 3) v. nisi
impensa reddatur.
ipso jure minuuntur. L. 1 §. 5 quod legat. (43. 3).
ductio ſ. z. B. L. 15, 16 de imp. (25. 1) .. ex dote deduci .. ex dote
deductionem. L. 80 pr. ad leg. Falc. (35. 2) Ulp. XXV, 14 .. quarta
deducta; detrahere L. 1 §. 5de dot. coll. (37. 7), L. 73 §. 5 ad leg.
Falc. (35. 2). Ebenſo bei dem Pekulium (ſ. u.) L. 11 §. 7 de pec. (15. 1)
.. deducere … detrahere.
legatarius .. quotam partem vindicare debeat.
ſtänden der in L. 80 §. 1 ad leg. Falc. (35. 2) und L. 5 §. 1 de doli exc.
(44. 4) angegebene Weg; außerdem ſ. oben Note 39.
quantitatem bonorum. So erklärt ſich L. 76 §. 1 de R. V. (6. 1) .. prop-
ter incertam detractionem ex legatis, quae vix apud judicem (d. h.
nicht im judicium, ſondern im prae-judicium) examinatur.
culium, L. 11 §. 7 de pec. (15. 1) .. non est in peculio, quod domino
debetur, L. 9 §. 2 ibid. peculium deducto, quod domino debetur, compu-
tandum esse. Auf dieſe juriſtiſche Verminderung, Vermehrung und Auf-
hebung iſt der Ausſpruch in L. 40 pr. de pec. (15. 1): peculium nascitur,
sit in peculio.
corporis fieri propter pecuniam.
Ulpian ſehr klar erfaßt.
Die Herbeiziehung des Begriffs der universitas juris (Dernburg Compen-
ſation S. 119—129) iſt zur Erklärung unſerer Regel meiner Anſicht nach
weder nöthig, noch ausreichend.
ſagen: „singula corpora pro rata deminui debebunt“ (L. 6 pr. de
pec. leg. 33. 8) oder „si crediderit, id ipso jure detrahi et corpora
singula per hoc aes alienum deminui“ (L. 8 pr. ibid.). Derſelbe Ge-
ſichtspunkt kehrt aus demſelben Grunde bei der Quarta Falcidia wieder, L. 1
§. 5 quod leg. (43. 3) .. ipso jure remanet, et si corporaliter res in so-
lidum translatae sunt und arg. L. 76 §. 1 de R. V. (6. 1), L. 8 §. 1
Comm. div. (10. 3). Hätte die Frau die Dos ſtatt mit einer perſönlichen
Klage mit einer Vindication zurückfordern müſſen, ſo würde Ulpians Ausfüh-
rung in L. 5 pr. de imp. (25. 1) gerade entgegengeſetzt gelautet haben.
zugs der Quarta Falcidia genannt, und er kehrt wieder in der L. 76 §. 1 de
R. V. (6. 1).
comm. div. ſtütze ich ihn darauf, daß nach dem Separationsſyſtem der Kla-
gen im alten Proceß (§. 51) dieſe Klage nicht zugleich eine Function haben
konnte, für die es eine eigne Klage: die reivindicatio gab, nämlich das
Eigenthum der Partheien feſtzuſtellen, ſ. darüber die Analogie der act. fam.
ercisc. L. 1 §. 2 si pars her. (5. 4) .. aut si controversiam sibi non fa-
ciunt hereditatis, familiae erciscundae.
esse dantem.
B. 2 S. 351, ebenſo das zweite Beiſpiel im Text, daſelbſt S. 350.
peto ex testamento; diversae partis expositio est, cur ea non de-
beantur.
aus Irrthum eine ihm anvertraute fremde oder meine des Erben Sache als
die ſeinige legirt“), darüber will ich mich nicht entſcheiden.
(Paulus S. R. II. 5 §. 3 .. compensare ac deducere debes, L. 4 L. 18
§. 1 L. 21 de comp. 16. 2) gehört nicht mehr hierher. Die zweite Klage iſt
zwar prätoriſchen Urſprungs, allein ihr Zuſchnitt iſt ganz im Geiſt des ältern
Proceſſes.
petitur.
rorum nomine repetere posse eine Klage mit deductio gemeint iſt, wozu
Ulp. VI, 4: quintis relictis .. ſtimmen würde, wird ſich ſchwer entſchei-
den laſſen.
den Vat. fr. §. 50 mitgetheilt. Von ihnen iſt namentlich die der in jure ces-
sio als einer nachgebildeten Vindicatio (B. 2 S. 579) beſonders wichtig:
ajo hunc fundum meum esse deducto usufructu. Statt „deducto“ kommen
ähnlich wie bei den nothwendigen Impenſen der Dos (Note 67) auch re-
tento (Vat. fr. §. 313) detracto (L. 36 §. 1 L. 54 de usufr. 7. 1,
L. 19 de usu leg. 33. 2) vor, bei Gaj. II, 33 beide Ausdrücke: detrahere
und deducere neben einander.
ditae (L. 7 pr. usufr. quemadm. 7. 9) ein, denn dieſe exc. läßt ſich ähn-
lich wie die exc. rei venditae et traditae auf den Fall beziehen, daß das
intendirte Recht nicht wirklich beſtellt, ſondern die Sache nur zu dem Zweck
übergeben war (daher „traditae“), kurz auf den ususfructus traditus,
der „ipso jure“ nicht als beſtehend galt.
nihilominus gregem vindicaturus sit? Der Zuſatz: in restitutionem
non veniunt aliena capita ſcheint ebenfalls dafür zu ſprechen.
nostrum esse, etiam cum ususfructus alienus est, quia ususfructus
non dominii pars, sed servitutis sit ut via et iter, nec falso dici to-
tum meum esse cujus non potest ulla pars dici alterius esse.
ſchen Rechts aus nicht richtig iſt, wenn man im vermeintlichen Gegenſatz zu
der durch die reivindic. aufzuhebenden totalen Verletzung des Eigenthums
die Vorausſetzung der act. neg. in eine partielle Verletzung deſſelben ſetzt;
der Uſufructuar im Text verletzt das Eigenthum gewiß nicht minder total,
als jeder andere Beſitzer.
tigte ſich zur Klage genöthigt ſieht (act. contraria L. 8 pr. si serv. 8. 5 oder
confessoria), ſo dreht ſich das Verhältniß zwiſchen beiden Formeln um, der
Kläger bedient ſich der poſitiven, der Beklagte der negativen Faſſung. Nur
bei den negativen Servituten, die dem Servitutberechtigten das Recht geben,
dem Gegner eine beſtimmte Art der Benutzung ſeines Eigenthums z. B. das
Höherbauen zu unterſagen, kann der Kläger, ſtatt ſeine Klage poſitiv auf ſein
jus prohibendi zu ſtellen (act. prohibitoria), ſie auch negatoriſch faſſen; was
dieſe Doppelfaſſung nothwendig machte, und an welche Vorausſetzung ſie ge-
knüpft war, iſt zur Zeit noch nicht ermittelt.
B. 13 S. 386.
si ususfr. (7. 6), für andere Servituten durch manche Stellen z. B. L. 4
§. 7 L. 6 pr. si serv. (8. 5), L. 17 Comm. praed. (8. 4), L. 15 de O. N. N.
(39. 1). Wenn er anderwärts von den römiſchen Juriſten ausgelaſſen wird und
darnach auch in §. 2 I. de act. (4. 6), ſo wird wohl Niemand darüber in
Zweifel ſein können, wo die genauere Faſſung zu ſuchen iſt. Theophilus IV 6
§. 2 erſetzte ihn durch das Pronomen poſſeſſivum: aedibus meis, per agrum
meum, das er ganz verkehrter Weiſe (ſ. u.) auch für die act. confess. ge-
braucht. Die Beſiliken (XVI, 6, 5) laſſen ihn bei Uebertragung der L. 5 cit.
aus, dagegen wird er von Stephanus in dem von Zachariä von Lingen-
thal (Zeitſchr. für geſch. R. W. XII S. 260 flg.) mitgetheilten Scholium
ſehr betont: „indem der Kläger ſich jener Formel bedient, heißt es hier, gibt
er ſich damit als Eigenthümer zu erkennen“. In eigenthümlicher Weiſe
conſtruirt Keller (Röm. Civilproc. §. 15) die Formel der act. negatoria
für den Legis-Actionen-Proceß „nego tibi jus esse (eundi) utendi fruendi
fundo Corneliano“ — ihr zufolge hätte auch der Nichteigenthümer des fun-
dus Corn. die Klage mit Erfolg anſtellen können, denn das Erforderniß des
Eigenthums iſt in dieſer Formel mit Nichts angedeutet! Den entgegen-
geſetzten Fehler begeht Rudorff (R. Rechts-G. II. S. 132) bei ſeiner Re-
conſtruction der Formel der act. confessoria im L.-A.-Proceß „ajo mihi jus
esse utendi fruendi fundo tuo“ — dieſe Klage hätte bloß gegen den
Eigenthümer des dienenden Grundſtücks gerichtet werden dürfen, und der Klä-
ger hätte das Eigenthum des Beklagten beweiſen müſſen — — zwei neue Bei-
träge für mein früher (B. 2 S. 679) ausgeſprochenes Urtheil über das Miß-
liche einer Reconſtruction römiſcher Formeln.
Fall, wenn Jemand confeſſoriſch die Nichtexiſtenz einer von dem Gegner
in Anſpruch genommenen negativen Servitut behauptete (z. B. jus mihi
esse altius tollere) nicht zu entbehren; denn angenommen der Kläger ſchuldete
zwar nicht dem Beklagten, wohl aber einem Andern die Servitut, ſo hätte er
durch abſolute Behauptung ihrer Nichtexiſtenz zu viel behauptet, alſo den
Proceß verlieren müſſen. Der Zuſatz „te invito“ gab der Behauptung die
erforderliche Relativität L. 4 §. 7 16 pr. si serv. (8. 5). Auch wenn der
Gegner confeſſoriſch klagen wollte, durfte er nicht fehlen, denn ſonſt
hätte der Beklagte ihn nicht in ſeine Verneinung aufnehmen dürfen, da Klage
und Negation gleichlautend ſein mußten L. 17 Comm. praed. (8. 4). Wo
aber dieſe Relativität bereits im Inhalt der Servitut lag (z. B. zu gehen
über dieſes Grundſtück) bedurfte es dieſes Zuſatzes weder bei der act. confess.
terit: jus esse.
findet er ſich auch hier ſ. z. B. L. 17 pr. §. 1 ibid.
zu dem ſeines Erbrechts geſellt ſich nämlich noch der des Eigenthums ſeines
Erblaſſers hinzu.
hic pro possessore haeret etc.
(5. 4). Ganz ſchlagend iſt namentlich die zweite Stelle: si debitor heredi-
tarius non ideo nolit solvere, quod se dicat heredem, sed quod
neget aut dubitet, an hereditas pertineat ad eum, qui petit hereditatem,
non tenetur petitione hereditatis.
dixi, ebenſo Val. Prob. de notis ant. §. 4. Wer von der Genauigkeit der
römiſchen Klagformeln die geringſte Vorſtellung hat, wird wohl darüber nicht
in Zweifel ſein, einmal: daß dieſer Zuſatz kein müſſiger iſt, und zweitens, daß
er ſich nicht auf das bezieht, was der Kläger jetzt ſagt, indem er die Formel
ausſpricht (wie von Manchen angenommen wird), ſondern auf das, was er
vorher geſagt hat. Dieſe von mir bereits B. 2 Note 795 angedeutete Anſicht
iſt inzwiſchen auch von Puntſchart der Proceß der Virginia. Wien 1860
angenommen. Warum aber in der Formel die causa anſtatt angegeben zu wer-
den bloß in Bezug genommen wird, darüber wage ich keine Vermuthung.
unten vorkommen.
cero orat. part. c. 28: Atque etiam ante judicium de constituendo ipso
judicio solet esse contentio, quum aut sitne actio illi qui agit aut jamne
sit aut num jam esse desierit aut illane lege, hisve verbis sit actio
quaeritur.
die von Cicero pro Caec. c. 3 §. 8: praetor is, qui judicia dat, nunquam
petitori praestituit, qua actione illum uti velit gegen mich benutzen; ich
finde nicht nöthig dagegen etwas zu bemerken.
rum emptor aus, ſ. oben S. 79.
§. 10 ad leg. Aq. (9. 2).
§. 1 de O. et A. (41. 1), L. 2 pr. de interd. (43. 1).
Gajus ſich außerdem noch ſo ausdrückt: par utriusque litigatoris in his
conditio est nec quisquam praecipue reus vel actor intelligitur, ſo iſt dies
ganz geeignet, den einfachen, klaren Geſichtspunkt zu verwiſchen und der An-
ſicht Raum zu geben, als greife der Gegenſatz der Partheirollen bei dieſen
Klagen gar nicht Platz (eine ähnliche Aeußerung von ihm ſ. in L. 13 de jud.
5. 1), während der Gegenſatz umgekehrt verdoppelt iſt.
Abkürzungsvorſchlag feſt, denn er legt dem Beklagten nicht die nackte Nega-
tion: tuus non est, ſondern den poſitiven Widerſpruch: immo meus est in
den Mund.
denn er hatte den Proceß gewonnen, wenngleich der Richter ſeinem poſi-
tiven Antrag nicht entſprochen hatte; anders Wetzell Röm. Vindications-
proceß S. 45. Ob die Vindicien ihm oder dem Kläger ertheilt waren, war
ſowohl hierfür wie für die ganze Partheiſtellung und den Beweis meiner
Ueberzeugung nach ohne allen Einfluß; eben darum werden die Vindicien erſt
ertheilt, nachdemvindic. und contravindic. vorgenommen ſind und damit
das Partheiverhältniß und die Beweislaſt fixirt iſt. Der Kläger mußte mit-
hin, wenn ihm die Vindicien ertheilt waren, den Beſitz ſelbſt dann heraus-
geben, wenn der Richter bloß ihn abgewieſen hatte, ohne dem Beklagten das
Eigenthum zuzuerkennen. Wohin würde auch das Gegentheil geführt haben!
Durch die Abſprechung der Vindicien hätte der Prätor den beſitzenden Eigen-
thümer in die Lage bringen können, jedem Nichteigenthümer gegenüber ſein
Eigenthum beweiſen zu müſſen!
der Sache ſelbſt IV. 16 nicht vor.
folgt es aus der Formel ſeiner Begründung (Gaj. I. 119: hunc ego hominem
ex jure Quiritium meum esse ajo I. 123), wenn man ſonſt an die Correſpon-
denz zwiſchen den Formeln der Begründung und gerichtlichen Verfolgung des
Rechts (B. 2 S. 647) glaubt; für die väterliche Gewalt Gaj. I. 134 vindicat
filium suum esse L. 1 §. 2 de R. V. (6. 1). Für die Manus dagegen ſcheint
das Gegentheil aus Gaj. I. 123 i. f. zu folgen; worauf die Behauptung des
Gegentheils bei Andern z. B. von Scheurl Inſtitutionen §. 157 ſich ſtützt,
vermag ich nicht zu beſtimmen.
ginia zum Vorwand, um im erſten Termin (Liv. III. 45) die vindiciae secun-
dum libertatem zu verweigern. Die Vertheidiger des Mädchens, ſagt er, hät-
ten ſelbſt zugeſtanden, daß es ſich hier um einen Conflict zwiſchen herrſchaftlicher
und väterlicher Gewalt handle (Liv. III. c. 45), auf den Fall aber beziehe
ſich die Beſtimmung der XII Tafeln nicht, hier habe vielmehr (wenn der Va-
ter nicht da ſei) der Herr Anſpruch auf die Vindicien. Eben darum ſuchte
er das Erſcheinen des Vaters um jeden Preis zu verhindern, und erſt als dieſer
wider Erwarten erſchien und damit ſeinen ganzen Plan vereitelte, ließ er ſich
zu einem Act offener Ungeſetzlichkeit verleiten. Neben dem für den Vater in
Ausſicht genommenen Proceß über die Frage: väterliche Gewalt oder Skla-
verei war bereits ein anderer über die Frage: Sklaverei oder Freiheit in der
Perſon des Icilius inſtruirt (Liv. III. 46 — ita vindicatur Virginia), aber
auf dieſen Proceß war Appius vorbereitet, auf ihn ſeine ganze Ausflucht
berechnet. Anders erklärt Puntſchart (Note 102) die Sache.
sit Gaj. IV. 44. Das Patronat begründete ſo wenig wie die Vormundſchaft
ein „suum esse“; entgegengeſetzten Falls hätte es der contravindicatio be-
durft (wenigſtens wenn das Urtheil zu Gunſten des Beklagten nicht negativ,
ſondern poſitiv auf: ingenuum esse hätte lauten ſollen), dann aber wäre
auch ein vindex (ingenuitatis!) nöthig geweſen.
caus. (40. 12) dient mir gerade als Argument für meine Anſicht, indem ſie
bloß im Fall des Ausbleibens des Klägers den Richter anweiſt negativ zu er-
kennen: servum illius non videri, alſo damit für den entgegengeſetzten Fall
die Möglichkeit des Ausſpruchs: liberum videri vorausſetzt. Letztere wird
übrigens in L. 4 §. 27 Cod. de lib. caus. (7. 16) ausdrücklich anerkannt.
§. 13 de inoff. test. (5. 2) .. in modum contradictionis querelam
inducat, quemadmodum ageret si non possideret, sed peteret. Wie hier
die contravindicatio contradictio, ſo wird in L. 27 §. 2 de lib. caus.
(40. 12) der Contravindicant Contradictor genannt — das vindicare hatte
ſich zu einem dicere abgeſchwächt.
pars 5. 4), ſteht dem nicht im Wege.
dem Nachlaß, das wäre eine Cumulation der her. pet. und reivind. geweſen.
Daß übrigens die contravindic. auch bei ihr Statt fand, ergibt ſich daraus,
L. 25 §. 1 de V. S. (50. 16).
(5. 4) .. petere debebunt.
contravindic. ſpricht, ſo beruht das auf einem Verkennen des eigenthümlichen
Weſens derſelben; offenbar meint er, daß der Widerſpruch des Beklagten bei
in rem actiones ſchlechthin contravindicatio genannt worden ſei, während
doch nur die poſitive Gegenbehauptung, nicht die bloße Negation auf dieſen
Namen Anſpruch hatte.
dicet; quo negante aut tacente tunc ei, qui vindicaverit, eam rem ad-
dicit.
de R. V. (6. 1), wie immerhin ſie auch zu verſtehen ſein mag, kann jenen kla-
ren Stellen nichts von ihrer Beweiskraft entziehen.
Theod. de fide test. (11. 39) oder den Theil, zu dem er beſitzt L. 73 pr. de
reiv. (6. 1).
aliquid fieri et si factum sit non rescindit, sed poenam injungit ei, qui
contra legem fecit, qualis est Furia testamentaria, quae plus quam mille
asses legati nomine mortisve causa prohibet capere praeter exceptas per-
sonas et adversus eum, qui plus ceperit, quadrupli poenam constituit.
quadruplator (ſ. u.) quoipiam injexit manum vorausgeſetzt. Gaj. IV. 22,
23 erwähnt drei Fälle, den der lex Furia testamentaria, der lex Furia de
sponsu und der lex Marcia.
re rust. Prooem .. foeneratorem quadrupli. Pseudo-Ascon. (Orelli p.
cepisset. Ulp. a. a. O. capere.
z. B. in dem öffentlichen Leben der Römer (Sulla legte in dieſer Weiſe das
Interceſſionsrecht der Tribunen lahm) und im kanoniſchen Recht. Wer eidlich
Zinſen verſprochen, wird vom geiſtlichen Gericht gezwungen, ſie zu entrich-
ten, aber hinterher wird der Empfänger gezwungen ſie zurückzugeben. c. 6 X.
de jurej. (2. 24) — eine lex minus quam perfecta des kanoniſchen Rechts.
Asconius fügt noch den Fall des Svielverluſtes (aleae) hinzu.
Klage, dafür glaube ich mich auf Gaj. IV. 108 nicht einmal zu beziehen zu
brauchen; wer dies nicht ſofort ſieht (B. I S. 73 unten), mit dem läßt ſich
gar nicht ſtreiten.
quaqua exceptione elidi potest, petit L. 1 §. 1 L. 8 pr. ib.: dolo facit,
qui petit quod redditurus est.
Hinblick auf die lex Furia): eam pecuniam sine fraude sua capere li-
ceto, L. 1 pr. ad leg. Falc. (35. 2). Rudorff benutzt zur Erklärung der
Strafe des Vierfachen den Geſichtspunkt des Diebſtahls, ſo nämlich für die lex
Marcia (ſ. u.) Röm. R. G. I. S. 46 Note 7 und für die lex Furia testa-
mentaria S. 56 („als einen offenbaren Diebſtahl an der Familie“ — ? —).
Will man hier überhaupt nach einem Geſichtspunkt ſuchen, um die Strafe des
Vierfachen zu erklären, ſo bietet ſich wohl am ungezwungenſten der dar, daß
die Römer das Vierfache als Strafe der offenbaren, das Zweifache als
Strafe der verborgenen, verſteckten Widerſetzlichkeit gegen das Geſetz
betrachteten.
ſo z. B. für die act. sepulcri violati, welche zunächſt dem Betheiligten und
nach ihm Jedem, der Luſt hat, verſprochen wird L. 3 pr. §. 12 de sep. viol.
(47. 12), ebenſo L. 5 §. 5 de his qui effud. (9. 3). Hiermit hängt vielleicht
auch die exc. quasi popularis der lex Cincia (Vat. fr. §. 266) zuſammen.
anerkennt: nam publicae rei causa quicunque id facit magis, quam sui
quaesti … eum civem et fidelem esse et bonum.
quadrupli, die das Geſetz für manche Fälle verhängt hat (Festus sub Qua-
druplatores .. ut eas res persequerentur, quarum ex legibus qua-
drupli erat actio); es ſind dies alſo Fälle, wo zunächſt der Betheiligte eine
Klage hatte, z. B. auf Rückgabe gezahlter ungeſetzlicher Zinſen. (Pseudo-
Ascon. [Orelli 110] .. pecuniae gravioribus usuris feueratae, auf Rück-
gabe deutet auch Seneca de benef. VII. 25: beneficiorum suorum qua-
druplatores). Von der Quarta pars bei crimina publica (Tac. Ann. IV. 20
Pseudo-Ascon. a. a. O.) kann der Name quadruplatores nicht her-
ſtammen; daß er aber auch hier in Uebung war, iſt bekannt. Ebenſo wird
er in den Fällen gebraucht worden ſein, wo die act. popularis nicht auf ein
quadruplum, ſondern auf eine beſtimmte Summe gerichtet war, ſ. z. B. L. 3
§. 12 cf. L. 3 pr. de sep. viol. (47. 12).
die directen Zeugniſſe von Gajus und Ulpian, ſondern auch das indirecte der
lex Falcidia (Note 137).
dung, das ſ. g. conditionis implendae causa datum („wenn A dem B
10000 As gibt, ſoll er mein Erbe ſein“). Hier hatte der Honorirte weder
eine Klage, noch bedurfte er derſelben, denn der dem Erben auferlegte indirecte
Zwang genügte vollkommen. Wollte er hier nicht dem Geſetz verfallen, ſo
mußte er das Anerbieten der Zahlung der ganzen Summe (zu dem der Erbe,
um die Bedingung zu erfüllen, genöthigt war) zurückweiſen und ſich mit
1000 As begnügen; die Bedingung galt trotzdem als erfüllt, ſ. B. 2 S. 176.
jussores galt weder dieſe, noch die bei Gajus erwähnte zweite Beſtimmung
der lex Furia. Wenn man nicht annehmen will, daß das Geſetz ſelbſt eine
Hinterthür offen gelaſſen, um ſeinen ganzen Zweck zu vereiteln, ſo drängt dies
zu der Vermuthung, daß dieſe jüngſte Form der Verbürgung damals noch
nicht exiſtirte, und daß vielleicht gerade die lex Furia ſie ins Leben gerufen
hat. Auf demſelben Wege, auf dem man im Verkehr den unbequemen Rechts-
ſätzen über Legate durch die fidei-commissa entging, mochte man es denen
der lex Furia gegenüber durch die fide-jussio zu thun verſuchen, nämlich
auf dem einer rein auf das Gewiſſen, die Ehrbarkeit (die fides) geſtellten Er-
wartung. So wie jene Form ſpäter klagbar ward, ſo auch dieſe, und ſo wie
auf jene die Beſtimmungen der Legate ausgedehnt wurden, ſo auf dieſe durch
die epistola Divi Hadriani das benefic. divisionis; ob auch die andere Be-
ſtimmung der lex Furia (jedenfalls erſt nach Gajus), hängt davon ab, ob
L. 25 de stip. ser. (45. 3) interpolirt iſt.
reichenden Grund das eine Geſetz dem fünften, das andere dem ſechsten Jahr-
hundert zuweiſt.
lex Licinia Sextia.
beiden Fällen den Zuſatz pro judicato zu machen, ungeachtet das Geſetz nur
bei Gelegenheit des einen dazu Anlaß gab, Gaj. IV. 23.
ipso jure minui der lex Falcidia (Note 66), bei der fidejussio die exceptio
divisionis (Note 146).
als lex talaria erwähnt.
(das „credere“ bei Plaut. Pseudol. I. 3, 96, das „stipulari“ bei Priscian.
Gr. Inst. VIII. 4, XVIII. 19) oder wenn auch nicht ſchlechthin das Contra-
hiren, ſo doch die Uebervortheilung der Minderjährigen beim Contrahiren
verboten hat.
druck weiſt, wie die aetas „legitima“, auf die Beſtimmung einer lex hin.
cum rei privatae lege Plaetoria. Daß unter dieſem Ausdruck kein Crimi-
nalverfahren zu verſtehen iſt, darüber ſollte der lex Julia munic. (tab. Heracl.)
quoipiam injexit manum, tantidem ille illi rursus injiciat manum, ut
aequa parti (pacti?) prodeant ad trisviros (ed. Ritschel).
quasi publicam esse hanc accusationem hoc est omnibus patere.
S. 248 ausgeſprochen und hat ſodann nur zu bereitwillige Aufnahme gefun-
den, ſ. z. B. auch bei Keller Röm. Civilpr. §. 36, und Rudorff R. R.
G. II. S. 94.
Dolus anreiht und erſt ſpäter die Condemnation in einem judicium publicum
erwähnt, ein Zweifel nicht möglich ſein, und es iſt Savigny, Ztſ. für geſch.
R. W. B. 10 S. 243 leichter gefallen, ihn zu erheben, als zu begründen. Daß
aber der Ausdruck actio publica auch für eine act. popularis vorkömmt,
zeigen L. 30 §. 3 de jurej. (12. 2) cf. L. 1 de popul. act. (47. 23) und die
Stellen der folgenden Note.
„ni dolo malo instipulatus sis nive etiam dum siem quinque et viginti
natus annos“.
v. 21 wird der Pontifex als der erwähnt, welcher über die Gültigkeit des
Eides zu entſcheiden habe.
Buhlerin, „quae adversum legem (accepit) a plurimis pecuniam“ bei
Plaut. Truc. IV. 2, 47—49 geht über unſern Geſichtspunkt (S. 106) hinaus.
ceptitiam actionem res exigebatur, etiam si quid non fuerat debitum,
cum satis absurdum et tam nostris temporibus quam justis legibus con-
trarium sit permittere per actionem receptitiam res indebitas consequi
et iterum multas proponere condictiones, quae et pecunias indebitas et
promissiones corrumpi et restitui definiunt.
Stelle in Note 39, in der act. das ſtärkere, in der except. das ſchwächere
Rechtsmittel erblickt, allein ich gebe mich der Hoffnung hin, daß meine bis-
herigen Ausführungen über den Mechanismus des altrömiſchen Proceſſes den
Nachweis geliefert haben, daß von ſeinem Standpunkt aus eine Anfechtung
auf dem Wege der Klage ungleich früher möglich war, als auf dem der Ein-
rede. Derſelben Anſicht iſt auch Bähr Anerkennung S. 94 Note 6. Jahr-
bücher für Dogmat. II. S. 376, 378.
ihm gleichmäßig betonte Rückſicht auf Zeiterſparniß ſ. u.
Vertrag, der die ſämmtlichen übrigen Verhältniſſe begründet (traditio
brevi manu und constitutum possessorium). Wer für Servituten Tradition
verlangt, denke an die Beſtellung derſelben durch deductio.
L. 7 Cod. ut in poss. (6. 54). R. Elvers die römiſche Servitutenlehre.
S. 554 ff.
abänderliche Folge der Eviction bezeichnet wird, während wenn der Ver-
trag als Grundlage gegolten hätte, nicht abzuſehen wäre, warum die Par-
theien durch Vereinbarung den Betrag der Evictionsleiſtung nicht hätten
erhöhen oder verringern können. — In welchem Lichte mir die Idee erſcheinen
muß, den Anſpruch auf Evictionsleiſtung wegen einer mancipirten und tradir-
ten res mancipi als einen Fall einer per aes et libram begründeten Schuld
aufzufaſſen (Huſchke: Gajus, Beiträge u. ſ. w. S. 100) und wie ich
demnach über das: secundum „mancipium“, das dieſer Schriftſteller
ſtatt des früher von ihm beliebten „lege mancipii“ in den Text von
Gaj. III. 174 aufgenommen hat, denke, brauche ich nicht erſt zu bemerken.
bereits angegeben; an Beiſpielen ähnlicher reſtrictiver Interpretationen fehlt
es bekanntlich dem ältern Recht nicht, ſ. B. 2 S. 482 flg.
werde ich darauf zurückkommen. — Das Argument, das man aus L. 48 de
pact. (2. 14) Gajus ad legem XII tabul. entnehmen könnte, wird keiner
Widerlegung bedürfen.
Theile angeordneten Mitwirkung des Magiſtrats arg. L. 47 de oper. lib.
(38. 1) .. Praetorem nonpati, Cic. ad Attic. VII, 2 a. E. . in eo, qui
eadem liber non juraret.
Dirkſen Vermiſchte Schriften I. S. 110.
von der traditio geſagt wird, auf die beiden Geſchäftsformen im Texte be-
ziehe, wird keiner Rechtfertigung bedürfen.
folgenden Abſchnitt.
formellen Ausdruck, ohne den ſchwerlich ein alter Juriſt den beſtimmten Con-
tract angenommen haben würde, ſo z. B. die stipulatio emti in den Worten
habere recte licere (vergl. die Beiſpiele bei Varro de re rust. II. 2, 3, 4),
die stipul. conducti in den Worten: frui licere (Stellen bei Dirksen
Manuale unter frui).
textu actus, für die Stipulation: L. 137 pr. de V. O. (45. 1) con-
tinuus actus (B. 2 S. 582), für die tut. auctor. §. 2 I. de auct. tut.
(1. 21) statim in ipso negotio.
folgende Beiſpiel im Text ſ. L. 8 §. 2 de opt. leg. (33. 5). Sämmtliche
Einzeln-Akte bleiben aber ſo lange ſuspendirt, bis der letzte noch fehlende hin-
zugekommen iſt, und das römiſche Recht verlangt daher die Fortdauer der Vor-
ausſetzungen in der Perſon der Handelnden bis zu dieſem Moment, ſo daß
alſo z. B. im erſtern Fall der Tod oder die Veräußerung das Zuſtandekommen
des Rechtsgeſchäfts hindert. Ganz daſſelbe nimmt das römiſche Recht für alle
noch in der Entſtehung begriffenen Rechtsverhältniſſe an, wie ich an einem an-
dern Ort nachweiſen will. Eine andere denkbare Geſtaltung der Sache iſt die,
daß das Verhältniß nicht bloß ſtückweis begründet werden darf, ſondern
daß es auch ſtückweis feſt wird; unſer Handelsgeſetzbuch hat ſie, und wie ich
glaube, aus gutem Grunde, für den Abſchluß der Verträge unter Abweſenden
adoptirt, dem römiſchen Recht iſt ſie fremd.
pr. D. ibid. (45. 2): Ribbentrop Correalobl. S. 112 (das neuere Recht
S. 114 daſ.) und Schrader ad §. 3 I. de fidejuss. (3. 20), welcher noch
auf Plautus Trinummus V. 2, 39 verweiſt.
mutari placuit, omnia ex integro facienda sunt.
gressu contractus. L. 72 de cont. emt. (18. 1), für dieſe L. 40 de R. Cr.
(12. 1).
de O. et A. (44. 7). Die Exceptions form zeigt, daß der Zuſatz kein
Stück des urſprünglichen Vertrages wird, ihm vielmehr als etwas Selbſtän-
diges äußerlich gegenüber tritt.
cit.: si igitur in totum (abiri ab emtione) potest, cur non et pars ejus
pactione mutari potest? wäre im Munde eines alten Juriſten undenkbar ge-
weſen.
senti vires accipit. L. 78 pr. de V. O. (45. 1): id tempus spectatur,
quo contrahimus. L. 83 §. 5 L. 137 §. 6 ibid., L. 144 §. 1 de R. J. (50.
17); für Vermächtniſſe die regula Catoniana L. 1 pr. de reg. cat.
(34. 7), L. 41 §. 2 de leg. II. (31). Neueres Recht: L. 5 ibid. reg. caton.
ad novas leges non pertinet; für letztwillige Beſtimmungen überhaupt
L. 201 de R. J. (50. 17) .. si initium sine vitio ceperint.
L. 41 §. 2 de leg. I. (30).
auf den Fall der Fähigkeit L. 62 pr. de her. inst. (28. 5), L. 51 pr. de
leg. II. (31).
L. 41 §. 2 de leg. II. (31), L. 98 de cond. (35. 1), ſ. jedoch L. 34 §. 2
de cont. emt. (18. 1), L. 83 §. 5 de V. O. (45. 1).
Wiederholung des Rechtsgeſchäfts, ſ. z. B. L. 1 §. 1 de leg. III. (33), L. 65
§. 1 de R. N. (23. 2), ſ. jedoch L. 7 §. 18 de pact. (2. 14).
antequam ipse jurisdictionem nanciscatur … alii eam mandare, quam
non habet, gleichwohl läßt der Juriſt die eventuelle Uebertragung der Juris-
diction zu. Andere Beiſpiele: die Verpfändung zukünftiger Sachen, die Ceſ-
ſion betagter (L. 43 Mand. 17. 1) und bedingter (L. 73 §. 1 ad leg. Falc.
35. 2) Forderungen.
rere potest. In allgemeiner Faſſung: L. 174 §. 1 de R. J. (50. 17): quod
quis si velit, habere non potest, id repudiare non potest.
Fall der L. 20 § 1 de cond. inst. (28. 7).
Todes, bei nicht fungiblen mußte es außerdem im Moment der Teſtaments-
errichtung vorhanden ſein. Gaj. II. 196.
(35. 1),DelegationL. 8 §. 2 ibid.,AcceptilationL. 12 de ace.
(46. 4),Bürgſchaft in Form der fidejussio §. 3 I. de fidej. (3. 20), L. 6
§. 2 de fidej. (46. 1),ConſtitutumL. 19 pr. de pec. const. (13. 5).
sponsio und fidepromissio nicht möglich geweſen, nimmt auch Schrader
ad §. 3 I. cit. an. Ueber den im Texte geltend gemachten Geſichtspunkt der
Acceſſionsqualität ſ. Gaj. III. 119 „accedere“.
pillarteſtament nach dem ſeinigen errichten muß; dieſes iſt das „principale“,
jenes die „sequela“, die secundae tabulae L. 2 §. 2 pr. de vulg. subst.
(28. 6), §. 5 I. ibid. (2. 16), der Teſtator darf alſo nicht „convertere ordi-
nem scripturae“ L. 2 §. 4 cit. S. auch B. 2 S. 642 Nr. 4.
(45. 1), L. 8 §. 2 de novat. (46. 2).
Stelle.
test. tut. (26. 2), L. 6 §. 1 quod cuj. (3. 4) cf. L. 3 de proc. (3. 3). Daß
der cognitor urſprünglich unbeſtimmt und generell hätte ernannt werden kön-
nen (Keller Civilpr. §. 52), halte ich für völlig unmöglich.
miſchen Juriſten mit gewohntem Takt vollkommen richtig erfaßt, indem ſie das
Moment des Zukünftigen in die Definition der Bedingung aufnehmen
und als Kriterium der ächten Bedingung den Zuſtand der Pendenz d. h.
des Werdens bezeichnen; ein bedingtes Geſchäft iſt ihnen ein werdendes,
aber ein ſolches, welches die geſetzlichen Bedingungen ſeines Werdens
bereits vollſtändig in ſich trägt und nur ein ſeinem abſtracten Thatbeſtand
fremdes, aber für den concreten Entſchluß weſentliches Moment zu über-
winden hat.
Rechtsgeſchäfts (S. 131), denn in ihrer urſprünglichen Geſtalt war ſie nichts
als eine dem Hauptgeſchäft hinzugefügte, auf Rückgabe gerichtete Neben-
obligation unter einer Suspenſivbedingung, ihre Betrachtung fällt daher
dem dritten Syſtem anheim.
zufügung einer Bedingung: die Beſtellung eines cognitor, die mancipatio,
acceptilatio (L. 4. de accept. 46. 4) und expensilatio; zu ihnen fügt L. 77
de R. J. (50. 17) hinzu: die hereditatis aditio, servi optio und datio tutoris
(L. 6 §. 1 de tut. 26. 1) und L. 8 de auct. (26. 8) die tutoris auctoritas.
Ueber die in jure cessio ſ. Note 208; die manumissio vindicta braucht
nicht erſt erwähnt zu werden.
Vertrag auf, L. 8 pr. de peric. (18. 6). Dagegen iſt die Willensänderung
ſtimmungen des Teſtaments keine Anwendung.
pr. (8. 4).
Tode des Promittenten oder Promiſſars ein — ohne die rückwirkende Kraft
wäre die Entſtehung der Obligation unmöglich geweſen: L. un. Cod. Ut ac-
tiones (4. 11) .. ab heredibus non incipere actiones, und hätte das
Schuldverhältniß gar nicht zur Erbmaſſe gehört. — Die Bedingung tritt erſt
ein, nachdem der Sohn oder Sklave, die ſich bedingt hatten verſprechen laſſen,
von der Gewalt befreit ſind: L. 18 de R. J. (50. 17) L. 78 pr. de V.
O. (45. 1) L. 40 de stip. serv. (45. 3) oder nachdem der Promittent oder
Promiſſar aus dem Societätsverhältniß geſchieden iſt L. 27 pro soc. (17. 2).
des Rechtsgeſchäfts erſchöpft.
L. 52 de leg. II. (31).
pulositas nimiaque subtilitas.
L. 4 de usufr. (7. 1) muß alſo interpolirt ſein. Dagegen war der Richter
im Theilungsproceß daran eben ſo wenig gebunden, wie der Erblaſſer L. 16
§. 2 fam. erc. (10. 2), während dies nicht für die Beſtellung des Tutors von
Seiten der Obrigkeit galt L. 77 de R. J. (50. 17) §. 3 I. Qui test. (1. 14).
der Theorie des Rechtsgeſchäfts nichts zu ſchaffen, ſie kann vielmehr nur
aus der Theorie der Rechte befriedigend erklärt werden.
autem dilata solutio
nomine lege agere potest galt auch für die Rechtsgeſchäfte; auch in dieſer
Richtung wiederholte ſich die Gleichheit der Structur des Proceſſes und des
Rechtsgeſchäfts.
kung in derſelben Perſon deutet auch die bekannte L. 11 de O. et A. (44. 3)
an: quaecunque gerimus, cum ex nostro contractu originem trahunt
(Urſache) nisi ex nostra persona obligationis initium sumant (Wirkung)
inanem actum nostrum efficiunt.
cipere obligationem. L. 36 §. 1 ad leg. Aq. (9. 2). Wie dieſe Regel ſpäter
durch ein pactum de non petendo in personam und eine darauf gegründete
exceptio umgangen werden konnte (L. 33 de pact. 2. 14 L. 10 de pact.
dot. 23. 4) und aus dieſem Grunde ganz verſtändigerweiſe von Juſtinian in
der L. un. Cod. Ut actiones (4. 11) aufgehoben ward, gehört nicht mehr
hierher.
genthums auf ihn über.
Obligation. Die fiducia zum pfandrechtlichen Zweck war kein Pfandrecht,
ſondern Eigenthumsübertragung mit klagloſem Vorbehalt der Einlöſung.
ment der Klage vorausſetzt und keinen Beweis des Schadens erfordert. Die
pönale Natur bewährt ſich darin, daß ſie paſſiv vom Uebergang auf die Er-
ben ausgeſchloſſen iſt. L. 52 de R. V. (6. 1).
ſen Geſichtspunkt aus: qui prius percepti quasi malae fidei possessori
condicuntur, ebenſo L. 3 Cod. si cond. (4. 9) .. de extantibus fructi-
bus vindicatione, de consumtis vero condictione conventus L. 18 de
exc. (44. 1), für den b. f. p. folgt es daraus, daß er als ſolcher Eigenthum
an den Früchten erwirbt.
ſtücks, nach Anſicht der Prokulejaner auch die der Thiere: Gaj. II. 15, nur
die Sklavenkinder nicht: L. 27 pr. de her. pet. 5. 3, daher beſondere Vin-
dication derſelben: L. 10 de usur. 22. 1) gehörten zu den res nec man-
cipi, letztere aber bildeten keinen Gegenſtand der alten vindicatio ex jure
Quiritium, was an anderer Stelle nachzuweiſen iſt.
nennen, die auf die beim furtum nec manifestum Statt findende Strafe
des duplum hinweiſende L. 1 Cod. Theod. de usur. rei jud. (4. 19) .. ex
prisci juris formulis .. malae fidei possessores in duplum con-
veniuntur.
falsam tulit, si velit is .. (Cujacius: rei sive litis, Müller: stlitis et
vindiciarum Prae) .. tor arbitros III dato eorum arbitrio … (Müller:
possessor, reus) fructus duplione damnum decidito.
L. 1 §. 3 de furt. (47. 2) furtum … possessionisve.
einem: vindiciam falsam tulisse reden.
tern Recht: L. 27 §. 2 de R. V. (6. 1) … act. legis Aquiliae durat.
ne interea possessionem deteriorem faciat, tecta dissipet, excidat arbo-
res et culta deserat, während Gajus IV. 16, 94 ſie „litis et vindiciarum
i. e. rei et fructuum“ wegen haften läßt. Ueber die Natur dieſer Verbind-
lichkeit wird beſſer an anderer Stelle zu handeln ſein.
oportere Gaj. IV. 93.
L. 67 ibid.
Einen auf den Andern übertragen worden war. Liv. III. 48: I Lictor, sub-
move turbam et da viam domino ad prehendendum mancipium.
tung des Caventen) vermittelt, hat die ältere, wie es ſcheint, in Form der
Einſtänder (um den unzutreffenden Ausdruck: Bürgen zu vermeiden) der
vades, praedes (ohne eigne Verpflichtung des Beſtellers) erreicht, ſ. Theo-
rie der Rechte.
auf Widerſpruch ſtößt. Die Einwendungen, die ich zur Zeit abſehe, ſind
zu unſtichhaltig, als daß ich ſie vorbringen und widerlegen möchte. So z. B.
die Prädialſervitut ſei mit dem Eigenthum verbunden. Antwort: darauf be-
ruht eben ihr Begriff, eine einfachere Form für ſie iſt gar nicht denkbar. Die-
ſelbe Antwort auf den Einwand: die hereditas übertrage Rechte aller Art;
die hausherrliche Gewalt gewähre die Macht über die Perſon und zugleich
alles, was dieſelbe erwerbe.
den Werth des römiſchen Privatrechts).
gekommen war, jetzt bei Bechmann, Das röm. Dotalrecht. Erſte Abth.
Erlangen 1863. S. 105 zu begegnen, der zuerſt der herrſchenden Auffaſſung,
als ob die Dos zwiſchen Mann und Frau urſprünglich ein obligatoriſches
Verhältniß begründet habe, entgegengetreten iſt.
pr. de tut. (25. 1).
Rechte.
burg, Compenſation S. 70 ff.
Syſtem B. 3 S. 294 die Behauptung aufſtellt, daß auch der Verkäufer we-
gen Irrthums des Käufers von ſeiner Verbindlichkeit frei werde. Bei der
Ehe würde dies richtig ſein, denn eine Ehe kann nicht für den einen Theil
nichtig, für den andern gültig ſein, die Eingehung der Ehe enthält einen wirk-
lich zweiſeitigen Vertrag, bei dem die Wirkungen für beide Theile ſich gegen-
ſeitig bedingen. Dies gilt aber für den Kauf und Miethcontract nicht, eben
weil beide nur ein Compoſitum von zwei Verträgen ſind, es kann eine emtio
ohne venditio, eine venditio ohne emtio geben. Die weitere Ausführung
würde uns hier zu ſehr ins dogmatiſche Detail führen.
Tauſchcontract nicht); die Möglichkeit, daß nach Abſicht der Contrahenten
bloß der eine Theil verpflichtet ſein ſolle, wenn der andere geleiſtet habe,
nicht aber letzterer, iſt auch im heutigen Recht nicht hinweggefallen.
Verpflichtung; erſt das neuere Recht hat in paralleler Entwickelung mit
dem bei den Innominatcontracten Statt gefundenen Fortſchritt von der
condictio ob causam datorum zur act. praescriptis verbis auch bei jenen
beiden lucrativen Geſchäften die indirect verpflichtende Kraft des modus zur
directen geſteigert.
Kreis ſeiner Betrachtung gezogen hat, laſſe ich mich hier nicht ein.
gabe der causa von Seiten des Beklagten (S. 99) im ältern Vindications-
proceß.
daß das Vindications eigenthum, von dem hier allein die Rede iſt (do-
minium ex jure Quiritium) urſprünglich auf res mancipi beſchränkt
war. Die Structur der Tradition, die ihre Kraft als Eigenthumsübertra-
gungsform für res nec mancipi erſt im neuern Recht erhalten hat, weicht
von der der mancipatio und in jure cessio nicht unerheblich ab.
cipi ſtatt der bequemeren Tradition der Abtretung vor Gericht bediente, nicht
unwichtiger Umſtand.
cum eo non sit contractum. L. 14 ibid. — L. 9 pr. ibid. L. 1 Cod. si
adv. vend. (2. 29). (Nicht bei der rest. majorum, wie man aus L. 30
§. 1 ex q. c. maj. [4. 6] abnehmen will.) — L. 58 de re jud. (42. 1).
wenn die herrſchende Lehre richtig wäre. In meinen Augen iſt die Reſolutiv-
bedingung in ihrer modernen Geſtalt vom legislativen Standpunkt aus einer
der verwerflichſten Rechtsmechanismen, die es gibt; die Form, die ihr ge-
bührt, und die ſie ſtets hätte behalten ſollen, iſt die des perſönlichen An-
ſpruchs (Contractsklage oder cond. causa data causa non secuta). In ihrer
modern-römiſchen Geſtalt ſchließt ſie eine große Gefahr für das Eigenthum
und eine ergiebige Quelle bedenklichſter Verwirrung in ſich.
der Begriff der Anerkennung, deſſen Ausbreitung und Einbürgerung in un-
ſerer Praxis ſchwerlich durch theoretiſche Bedenken aufgehalten werden wird.
ignorantiam promiserit creditori, nulla quidem exceptione adversus
creditorem uti poterit, quia ille suum recepit, sed is qui delegavit, tene-
tur condictione caet. L. 19 ibid. Doli exceptio quae poterat deleganti
est in ceteris similibus exceptionibus. L. 78 §. 5 de J. D. (23. 3). Die
neueren Juriſten ließen eine Ausnahme zu, die ſich aber auch beim
Eigenthum wiederholt, nämlich wenn der Uebergang in die zweite
Hand auf Grund einer Schenkung erfolgt war. Vergl. L. 7 pr. de doli exc.
(44. 4) mit L. 4 §. 29 ibid.
ſind bereits S. 119 in der Note mitgetheilt. Das einzige Zeugniß außer
dieſer Conſtitution hat uns Theophilus IV. 6 §. 8 erhalten.
L. 2 §. 2 Cod. cit. indefense (ohne Vertheidigung d. h. mit Aufgebung
aller Einreden, ſchlechthin, abſtract) constituerint.
juriſtiſchen Schriftſtellern theils allein (in se, ad se oder recipere ſchlecht-
hin), theils in Verbindung mit promitto, polliceor, dico, spondeo gar nicht
ſelten für Uebernahme einer Verpflichtung vor (vorzugsweiſe einer fremden,
ſo auch in L. 8 §. 1 ad SC. Vell. 16. 1, jedoch auch für originäre Verpflich-
L. 3 de eo, quod certo (13. 4) und überhaupt die act. arbitraria de eo
quod certo loco.
sit in annuum sumptum ei. Scilicet Eros numerabit.
et promissum. Plaut. mil. glor. II. 2, 74. Terent. Heaut. V. 5, 12.
Liv. XXXIII. 13 i. f. Cic. ad fam. XI. 1, 4. XIII. 10, 3. XIII. 17, 50.
ad Att. XIII. 1, 2. Cic. Phil. II. 32, 79. V. 18, 51. Ein techniſcher Aus-
druck ſcheint es nie geweſen zu ſein.
hältniſſes des Rechts zum Intereſſe.
einen Auftrag ertheilten (act. quod jussu) oder bei einem Handelsgeſchäft ihn
als institor beſtellten.
es ſich bloß um ihre Structur vom Standpunkt der juriſtiſchen Technik aus
handelt, Nichts an.
duction wiederholt in ſeiner Rede de provinciis consularibus XIX. 45.
30), ſonſt außer der Strafe des Himmels (Liv. X. 40) die nota censoria
(Cic. de divin. I. 16, 19), die auch die politiſchen Beamten in ähnlichen
Fällen traf (Gell. XIV. 7, 8), und ſicherlich noch ſonſtige Strafe, die wenig-
ſtens für weltliche Beamte bei Verletzung dieſer Vorſchriften bezeugt iſt,
Cic. de div. II. 33, Val. Max I. 4, 3.
necesse erat.
gionem recipit, mihi quidem tripudium nuntiatum, populo Ro-
mano exercituique egregium auspicium est; nicht entgegen Liv. XLI.
18 a. E.
I. S. 772 Note 1 erblickt darin einen eigenthümlichen Grundſatz der etrus-
ciſch-römiſchen Disciplin.
pionem keine Anwendung, indem dieſe eine Mitwirkung des Prätors überall
nicht erforderte.
z. B. Varro de L. L. VI. 29, 30. VII. 53: Praetoribus licet fari,
Praetorem nefas fari. Ovid. Fasti I. 51: Praetor verba libera habet.
Auf dieſen nicht ſelten verkannten Punkt (z. B. Puchta: „Tage, an denen
eine legis act. nicht möglich war“) habe ich bereits B. 2 S. 695 aufmerk-
ſam gemacht, ſ. jetzt auch O. E. Hartmann Der Ordo Judiciorum. S. 16.
sed vitio. Die Vitioſität hatte hier aber ſicherlich nicht die Folge, wie im
öffentlichen Recht (ſ. u.) d. h. die der Reſciſſion des Akts; das hätte ſich mit
dem Grundſatz, daß eine einmal ertheilte Freiheit nicht zurückgenommen wer-
den kann, nicht vertragen, und würde namentlich auch für die Legis Actionen
in keiner Weiſe gepaßt haben.
de voc. ac form. I. c. 205. Der Ausdruck ruft unwillkührlich die Parallele
mit dem vitium possessionis hervor, und wer dieſelbe bei der folgenden Dar-
ſtellung im Text vor Augen behalten will, wird ſich überzeugen, daß der Be-
griff in beiden Richtungen ganz derſelbe iſt — man könnte in der obigen For-
mel den Ausdruck magistratus mit possessor vertauſchen — nämlich der der
Relativität des Fehlers, ein ſchlagender Beleg für die wunderbar ſcharfe
und in die frühſte Zeit hinaufreichende Terminologie der Römer. Wie der
possessor injustus zu jedem Dritten ſteht, ſo der magistratus vitiosus
zum Volk, wie jener zum justus, ſo dieſer zum Senat.
praet. (1. 14) geltend macht. Nach Marquardt in Becker’s Handbuch
der römiſchen Alterth. IV. S. 349 wären „mit dem Abtreten des Magiſtrats
vom Amt alle von ihm vollzogenen Verfügungen und unter ſeinem Vorſitz
gegebenen Geſetze für ungültig erklärt worden“. Warum nicht auch die Se-
natsbeſchlüſſe, an denen er mitgewirkt, die judicia publica, privata u. ſ. w.?
Die Stellen, auf die er ſich beruft, enthalten von einem ſolchen praktiſch ge-
radezu unmöglichen Satz nicht das Geringſte.
abdicarent consules; abdicaverunt. id. de legib. II. 12, 13; II. 35. Liv.
IV. 7. V. 17. VIII. 15; 23. XXII. 33.
auspicia latas decrevistis. In dieſem Sinn dürfte die dieſen Worten
vorausgehende allgemeine Wendung: acta Antonii rescidistis zu beſchrän-
ken ſein. Cic. de domo 15, 40. 16, 41.
crearet; qui creasset, eum jus fasque esset occidi. Eine Uebertretung
dieſer Vorſchrift mußte kenntlich werden an der Formulirung der Rogations-,
vielleicht auch der Renuntiationsformel. Das dicere dictatorem fiel dem
Wortlaut nach nicht unter das Geſetz.
dem hier zuerſt die althergebrachte Form benutzt iſt (a, ne quis cooptato etc.
b, qui .. cooptaverit, .. dare damnas esto) folgt der moderne Zuſatz: is,
qui .. cooptatus erit, ne magis ob eam rem patronus muni-
cipum municipii Flavi Malacitani esto.
Prätor Barbarius Philippus, von dem erſt hinterher bekannt geworden war,
daß er ein entlaufener Sklave geweſen war. In der ſpäteren Kaiſerzeit iſt
begreiflicherweiſe noch viel weniger ein Anknüpfen an die alte Theorie zu
gewärtigen. S. den Titel des Codex Theod. XV. 14 de infirmandis his
quae sub tyrannis aut barbaris gesta sunt.
Wahlgrundſätze zum Theil auf dem Uſus beruhten und an Unbeſtimmtheit lit-
ten (Liv. XXXIX. 39 u. a.), gab dem Widerſtand gewiß nicht ſelten den
Schein formeller Berechtigung.
beſtanden haben.
auspicia latas decrevistis.
de domo XVI. 41 Decrevit senatus, M. Drusi legibus, quae contra
legem Caeciliam et Didiam latae essent, populum non teneri.
lere. Was „tollere“ involvirt, wird jeder Juriſt wiſſen. S. auch die
vorige Note: non teneri (d. h. von jetzt an) und vitio lata, Note 301.
esse dicebant.
Formel in Note 311. Dieſe Strafandrohung (die sanctio legis im prägnan-
ten Sinn) war eine gewöhnliche Schlußclauſel aller Geſetze, Cicero daſelbſt:
neque enim ulla est, quae non ipsa se saepiat difficultate abrogationis.
pro Balbo 14, Festus s. v. sacratae) fiel auch und zwar ganz vorzugsweiſe
der Antrag auf Aufhebung des Geſetzes, ſ. die Formel in der Note 302:
„contra alias leges ejus legis ergo (des neuen Geſetzes wegen d. h. um
es durchzuſetzen) factum sit“.
legis ergo factum sit. Cic. ad Att. III. 22.
der höchſten Staatsämter geſtellt werden. Mit der römiſchen Miniſterver-
antwortlichkeit hatte es übrigens etwas mehr auf ſich, als mit der heutigen;
um den obigen Preis könnten wir uns das römiſche Syſtem ſchon gefallen
laſſen, Kopf und Vermögen wiegt den Meiſten ſchwerer, als das Gewiſſen.
earum legum, quae abrogarentur (iſt wohl zu emendiren: abrogari
vetentur?).
Geſetzentwurf vorgekommen; er widerlegt ſich jedoch ſelber in pro Caecina
c. 33: adscripsisse Sullam in eandem legem: si quid jus non
esset rogari, ejus ea lege nihilum rogatum. An der a. Stelle theilt er
Gellius XIV. 7 §. 7, 8.
drücke: necesse est auf der einen und oportet, opus, fas est oder non
est auf der andern Seite, ſ. z. B. Macrob. Sat. I. 16 §. 25: praefari
necesse est, quos nominari atro die non oportet. Varro de L. L.
VI. 30 nefas fari .. necesse enim aliquo eorum uti verbo, Cic. ad
fam. I. 9 §. 25: legem curiatam consuli ferri opus esse, necesse
non esse.
per leges plebisvescita promulgare, abrogare, derogare, obrogare sine
fraude sua non liceat, non licuerit, quodve ei qui promulgarit
etc. ob eam rem poenae multaeve sit, E. H. L. N. R. (ejus hac
lege nihil rogatur). Bei Val. Prob. de notis ant. §. 3 kömmt eine etwas
andere Faſſung vor: si quid sacri sancti est, quod non jure sit roga-
tum, ejus hac lege nihil rogatur, ſ. auch Cic. pro Balbo 14.
pro nihilo esse habendam.
velut tertia vel quarta legari. Daß Ulpian keine Theile über die Hälfte
nennt, iſt wohl nur Zufall.
Daß die sacra gleichwohl auf die Kinder übergingen, dafür hatten die Ponti-
fices geſorgt. Cic. de leg. II 20, 21.
daß dem Teſtator, wenn er dem Erben die obige Befugniß einräumen wollte,
der im Text bezeichnete Weg offen ſtand, die Nichteinſchlagung deſſelben mithin
in den meiſten Fällen als Beweis der entgegengeſetzten Abſicht gelten konnte.
servus .. ea conditione, ut, cum jussu ejus adierit, rursum marito re-
tradatur. L. 1 §. 14 de succ. ed. (38. 9). Vermöge dieſes Mittels konnte
die Erbſchaft als Speculationsobject von einer Hand in die andere wandeln,
L. 2 §. 9 de B. P. (37. 11) .. si per multos dominos transierit servus …
novissimo dabimus B. P.
Sklaven, die ich bei Frühern nicht gefunden (ſelbſt nicht in der ausführlichen
Darſtellung von Mühlenbruch in Glücks Pandekten B. 39 S. 211—229)
Rom in ihrer thatſächlichen Geſtalt bekannt war, ſ. z. B. Petron. Sat. c. 97,
Apulej. Met. VI (ed. Bip. p. 123).
matik u. ſ. w. S. 49 Note (1856) und damit gleichzeitig von Köppen die
Erbſchaft, S. 93 Note 7 (1856) aufgeſtellt worden.
niſchen Recht der persona publica d. i. dem Magiſtrat oder Notar §. 3 I.
ibid. (L. 11) cf. L. 32 Cod. de episc. (1. 3) Schrader ad §. 3 I. cit.
Daran knüpfte die Doctrin des Mittelalters die Benutzung des Notars für
ähnliche Zwecke an, Buchka Stellvertretung bei Verträgen S. 125, 133,
138, 140, 145 und anderwärts.
geleiſtet werden. L. 19 de comp. (16. 2).
creditores unumque creare, cui caveatur omnium nomine.
wiederum der servus publicus oder auch die Obrigkeit herangezogen. L. 2—4
Rem pup. (46. 6) L. 1 §. 15 de mag. conv. (27. 8).
plerumque ex justa causa translato (im Sinn der im juſtinianiſchen Recht
ausſchließlich geltenden Traditionstheorie interpolirt). Zu einem ſolchen
Hin- und Herübertragen des Grundſtücks bot gerade die Servitutentheorie
mehrfache Veranlaſſung, ſo z. B. im Fall der L. 15 §. 7 de usufr. (7. 1)
(darüber Jahrbücher für Dogmatik u. ſ. w. I. S. 34) und in dem der Vat.
fr. §. 51. Auch für die Freilaſſung eines Sklaven konnte ein ſolcher Umweg
ſprüngliche hiſtoriſche Motiv der adpromissio und adstipulatio. Puchta
Curſus der Inſtitutionen II. §. 156 Note c, III. §. 277 Note z (Rudorff).
Brinz kritiſche Blätter Nr. IV. S. 19—22.
ſcheinen in Rom zu geſchweigen, in dem der L. 14 de man. (40. 1) .. dubi-
tationis tollendae causa ab agnato (curatore furiosi) tradendum servum,
ut ab eo, cui traditus esset, manumittatur, Octavenus ait.
hoc remedio uti solemus: stipulamur ab aliquo id novandi causa, quod
nobis absens debet, et ita accepto liberamus a quo stipulati sumus; ita
fiet, ut absens novatione, praesens acceptilatione liberetur. Deſſelben
Umwegs hat ſich nach dieſer Stelle der Vormund zu bedienen, wenn eine
Forderung oder Schuld ſeines Pflegbefohlenen durch Acceptilation getilgt
werden ſoll.
pendenti potest esse vel in futurum concipi, ita judicium in pendenti
potest esse vel de his rebus, quae postea in obligationem adventurae sunt.
(15. 1) L. 9 §. 5 quod met. (4. 2) (doli repromissio) L. 19 de O. N. N.
(39. 1) L. un. §. 7 Cod. de re ux. (5. 13) u. a.
Syſtems näher ausgeführt werden ſoll, iſt bereits B. 2 S. 466 angedeutet.
Pandekten.
(4. 66) quod usque ad praesens tempus praestari cognovimus, Juſtinian
hat nur ihren Betrag auf 1/50 fixirt.
beim interdictum uti possidetis, erinnernd an den Salomoniſchen Richter-
ſpruch, nämlich ein Probirſtein, eine Sonde zur Entdeckung des wahren Be-
rechtigten. Der proviſoriſche Beſitz während des Proceſſes wird zwiſchen
beiden Partheien verſteigert, der wirkliche Beſitzer hat es alſo in ſeiner Hand
den Preis ſo hoch zu treiben, daß der Nichtberechtigte von Sinnen ſein müßte
ihn zu überbieten oder wenn er es dennoch thut, ihm den größten Gefallen
damit erweiſt. Wie unvollkommen erſcheint dagegen unſer heutiges Sum-
mariiſſimum!
Fall, in dem der Zugang allein unter der Erde zu ſuchen war, liefert in
meinen Augen der oben S. 141 beſprochene Satz: nemo pro parte testatus
u. ſ. w.
multisque plebiscitis obviam itum fraudibus, quae toties repressae miras
per artes rursum oriebantur. L. 1 pr. Cod. de cad. toll. (6. 51) multas
invenientibus vias. Gaj. 1. 46 .. sunt etiam specialia SCa, quibus
rescissa sunt ea quae in fraudem ejus legis (Furiae Caniniae) excogitata
sunt.
der Zweck ja ein erlaubter und der Obrigkeit bekannter, ſondern an ſolche
Fälle, wo dies nicht der Fall war z. B. Anſtellung einer act. famosa in der
Abſicht, damit der Beklagte infam und dadurch von gewiſſen Beſchränkungen
frei werde. Sueton. Tiber. c. 35: quo minus in opera scenae arenaeque
edenda senatusconsulto tenerentur, famosi judicii notam sponte subi-
bant; Anſtellung des judicium liberale, damit der Freigelaſſene die Rechte
des Freigebornen erhalte, L. 1, 5 de coll. deteg. (40. 16), Suet. Aug. c.
74: asserto in ingenuitatem.
burg 1856. Wer Nachkommenſchaft daheim ließ, konnte nach Rom ziehen
und römiſcher Bürger werden. Wer Kinder beſaß, mancipirte ſie vor ſeiner
Ueberſiedlung irgend einem Römer und ließ ſie daheim; letzterer ließ ſie ſo-
IV. 3; oder die Frage: ex animi tui sententia, Cic. de orat. II. 64, Gell.
IV. 20.Savigny, Vermiſchte Schriften I. S. 84 fl. Beſtrafung der
Scheinehe, Val. Max. VII. 7, 4.
ihren Anſpruch an ſie verloren. Wer keine Kinder beſaß, fand für weniges
irgend einen Proletarier, der ſich von ihm lediglich zu dem Zwecke adoptiren
ließ, um als „Kind“ zurückgelaſſen zu werden!
väterlichen Vermögens gelaſſen, Grund genug, um eine Adoption vorzu-
nehmen, L. 7 §. 2 de bonis damn. (48. 20). Ferner für das Erbrecht; wen
man nicht zum Erben einſetzen konnte, den konnte man möglicherweiſe adop-
tiren und ihm auf dieſe Weiſe die Erbſchaft zuwenden. Für die Befreiung
von Communallaſten: L. 15 §. 3 ad Munic. (50. 1).
dings modificirt, §. 3, 4 daſelbſt.
diem amiserint.
Mannes, arg. si post mortem viri intra decem menses uxor ex eo
peperit, Ulp. I. c.
matrimoniorum crebra mutatione vim legis eludi sentiret etc.
simulatae nuptiae nullius momenti sunt.
vidiosum vigorem, qui et ipsis prudentissimis viris displicuit, multas in-
venientibus vias, per quas caducum non fieret.
ebenſo wenig behauptet werden, als daß es zu dem obigen Zwecke nicht noch
andere gegeben habe.
ut (34. 9) L. 3 pr. §. 3, L. 40 de J. F. (49. 14).
Motiv zuerſt Huſchke (Zeitſchr. f. Civilr. u. Proc. Bd. 14 Nr. 12) auf-
merkſam gemacht hat.
de m. c. donat. (39. 6).
35, 7 berichtete ſofort im Text mitzutheilende Probe.
quis suo nomine exercere prohibetur, id nec per subjectam personam
agere debet; auch „interposita“, L. 10 Cod. de distr. pign. (8. 28): per
suppositam imaginarii emptoris personam. Jahrbücher für Dogmatik II.
S. 72, 73. Ein bekanntes Beiſpiel einer ſolchen persona subjecta, nur in
Anwendung auf einen andern Zweck, liefert die fiduciariſche Eigenthumsüber-
tragung „cum amico, quod tutius nostrae res apud eum essent“ Gaj.
II. 60 beiſpielsweiſe, um eine in Ausſicht ſtehende Confiscation zu vereiteln.
Romanus esse, quam tributarius.
Fall der Note 343, und der Arrogation (Note 344).
grinen, der lex Marcia de usuris reddendis (S. 112), der Colluſion im Fall
der L. 1 de coll. deteg. (40. 16).
mil. (29. 1), die directe gegen die fideicommiſſariſche: L. 76 ad SC. Treb.
(36. 1) L. 15 de subst. (28. 6) L. 41 pr. de test. mil. (29. 1).
war, ſich abſichtlich nicht betreffen ließ? Die römiſche Jurisprudenz wußte
ſich hier nicht Raths, wenigſtens dauerten die Zweifel bis auf Juſtinian (L. 7
§. 1 ad SC. Trebell. 6. 49) fort, und Ulpian ſah, wie letzterer berichtet,
keinen andern Ausweg, als den einer geſetzlichen Entſcheidung.
administrationem propterea, ut stipulatione quoque ista possit teneri.
auctoritatem suam, saepe etiam invitus auctor fieri a praetore cogitur.
der auctoritas patrum — ein würdiges Seitenſtück zu der obigen auctoritas
des Tutor — der Zwang zur Abdication des Magiſtrats; im Proceß: die
Klage mit Vorbehalt der Compenſation (S. 79: cogitur, jubetur), der Ver-
zicht auf die dem Kläger ſonſt noch zuſtändige, auf denſelben Zweck gerichtete
Klage (Vorläufer der exc. doli bei der Concurrenz der Klagen), L. 9 pr. de
novat. (46. 2) L. 10 §. 1 de pact. (2. 14) Vorbehalt zukünftiger Anſprüche
im Proceß (S. 241), Theilung der Klage Gaj. III. 122, Zwang des Procu-
rators L. 8 §. 3 seq. de proc. (3. 3); im Familienrecht: Aufhebung der
manus bei der Eheſcheidung. Gaj. I. 137a, Conſens zur Ehe der Kinder
L. 19 de R. N. (23. 2), im Obligationenrecht Ceſſionszwang (Vorläufer der
act. utilis, L. 1 §. 13 de tut. et rat. 27. 3, L. 57 de leg. I) und unzählige
andere Fälle.
nöthig — ein Bedürfniß das die Römer freilich nicht gefühlt haben, indem ſie
für beide dieſelben Ausdrücke: imaginarius (bei Liv. 40, 8: imagines juris),
simulatus, fictus, dicis causa u. a. benutzen, ſ. das Material bei Dirkſen
Manuale unter den genannten Worten.
ſchichte des römiſchen Obligationsbegriffs werde ich auf ſie zurückkommen.
sacra privata in Verm. Schriften I S. 180 fl. (erſter Abdruck: Zeitſchr. f.
geſch. R. W. II S. 387 fl.)
ſeinem Herrn in der Abſicht, um auf ihn den Schimpf des Concurſes abzu-
laden, zum Erben eingeſetzte eigne oder zu dem Zweck ebenfalls erſt gekaufte
Sklave. Gaj. II. 154.
coemptiones faciendas reperti“ bei Cic. pro Murena 12 mit den als
Sklaven gedachten „senes coemptionales“ bei Cic. ad fam. VII 29 und
Plaut. Bacch. IV. 9, 52 — eine Vereinigung, deren Möglichkeit Savigny
a. a. O. S. 181 ſchwerlich vorgeſchwebt haben wird, als er den Gedanken,
beide Arten von senes auf denſelben Zweck zu beziehen, ſo entſchieden ver-
warf. Die „senes coemptionales“ ſollen „alte unbrauchbare“ Sklaven ge-
weſen ſein, die man „in größerer Anzahl“ gekauft oder ſie bei dem Kauf eines
jungen mit in den Kauf gegeben habe. Es wird nicht nöthig ſein, das Un-
haltbare dieſer mit einer völlig unerfindlichen Bedeutung von „coemptionalis“
(co — emere = zuſammen kaufen) operirenden Erklärung nachzuweiſen, es
genüge die einfache Frage: wozu hätte Jemand ſolche Invaliden in größerer
Anzahl kaufen ſollen? Etwa um ein Spital anzulegen, ſie füttern und be-
graben zu laſſen? Die einzige Brauchbarkeit und damit der einzige Handels-
werth, den ſie denkbarer Weiſe haben konnten, war der als senes coemptionales
in dem von mir im Text entwickelten Sinn. Die dieſen senes von Manchen
beigelegte ſymboliſche Bedeutung (um die mangelnde Ernſtlichkeit der Ehe
anzudeuten) verträgt ſich als acceſſoriſcher Zweck ſehr wohl damit.
mulierum continerentur.
testamenti faciendi gratia macht ganz dieſelbe Vorausſetzung nöthig. Wel-
cher Agnat würde freiwillig ſeine Zuſtimmung zu einem Akt ertheilt haben,
deſſen ausgeſprochener Zweck es war, ihn ſeines Inteſtaterbrechts zu berauben?
Zu den Fällen, wo nach Gaj. I. 190 der Geſchlechtstutor saepe etiam in-
vitus auctor fieri a praetore cogitur, wird auch die coemptio fiduciae causa
gehört haben.
tiſchen Bedeutung. Weimar 1858. §. 1—4. Der Verf. ſtellt zwar ſeine An-
ſicht nur für die Fictionen auf, die Beiſpiele aber, mit denen er ſie belegt, ſind
größtentheils Scheingeſchäfte.
daß ſich die Formeln des geiſtlichen Rechts vor allen andern Formularen am
längſten in ihrer alterthümlichen Geſtalt und Bedeutung erhalten und am
wenigſten eine ſpätere Beimiſchung von fremdartigem Stoff zu erdulden gehabt
hatten; dieſelben ſcheinen auch in ihrer erſten Begründung ſo wie bei fort-
ſchreitender Entwicklung nicht eben dem Einfluß äußerer Umſtände ausgeſetzt
geweſen zu ſein.“
über das Formelweſen, die Wortinterpretation (B. 2 Note 610 u. 612) und
die Fictionen (ſ. u.) würdig an.
glaube, ihn dort noch nicht genug betont zu haben.
unterſagt ward, relevirte nichts für den Scheinverkauf.
ceperimus; letzteres: Gaj. I. 115b, 118.
Behauptung [aufſtellt], daß die Partheien „in dem einen wie in dem andern Fall
ganz unter denſelben Rechtsſatzungen geſtanden hätten, aber bei den denaturir-
ten Geſchäften ſich auf dieſem oder jenem Wege denjenigen thatſächlichen
Conſequenzen entzogen hätten, um derentwillen jene Satzungen aufgeſtellt
worden ſeien oder daß beide Arten von Geſchäften ſich nicht durch die Ver-
ſchiedenheit der Rechts folgen, ſondern lediglich der thatſächlichen Folgen
unterſchieden hätten“, ſo geht aus der Limitation, die er ſofort hinzufügt:
„daß bei denjenigen Scheinformen, die das Recht tolerirt und weiter ent-
wickelt, allmählig auch die rechtlichen Conſequenzen mehr oder minder alterirt
worden ſeien“, hervor, daß er der im Text entwickelten Auffaſſung nicht ſo fern
ſteht, als es jenen Aeußerungen nach ſcheinen möchte. Auch L. Lange, der
die Arregation als den einzigen und ausſchließlichen Weg der transitio ad
plebem bezeichnet, ohne freilich dieſe Anſicht näher auszuführen und zu be-
gründen. Letzteres iſt erſt geſchehen von Ludwig Lange in einem Vertrag
auf der Philologenverſammlung in Meißen, abgedruckt in der Zeitſchr. für
öſterr. Gymnaſien 1863 S. 861 fl., gegen den Th. Mommſen ſeine in
ſeiner Abh. über die röm. Patriciergeſchlechter (Rhein. Muſeum N. F. XVI
S. 358) geäußerte Anſicht, daß der Uebergang auf directem Wege durch
detestatio sacrorum erfolgt ſei, in einem Nachtrage zur zweiten Aufl. ſeiner
röm. Forſchungen S. 399—411 weiter zu begründen und die juriſtiſche Un-
möglichkeit der Lange’ſchen Auffaſſung zu erweiſen geſucht hat. Dagegen
wiederum Lange in einer eignen Schrift: Ueber die transitio ad plebem.
Leipz. 1864 (kurz zuſammengefaßt in deſſen Röm. Alterth. B. 1. Aufl. 2.
S. 122 fl.).
gelten zu laſſen (ſ. unten), ſpricht von einer „principiellen Unterſchiedsloſigkeit
des ernſthaften und des Scheingeſchäfts“ (S. 39, 40 der in der folgenden
Note citirten Schrift.)
ſymboliſchen Bedeutung der senes coemptionales (Note 387 a. E.).
ſeine ganze Handlungsweiſe ein. Sueton. Tiberius c. 15: nec quidquam
postea pro patrefamilias egit etc.
neque eo modo, quo Trajanus est adoptatus, sed eo prope genere, quo
nostris temporibus a vestra clementia Maximianus atque Constantius
Caesares dicti sunt quasi quidam principum filii viri et designati
augustae majestatis heredes.
quaesivit, ego in re publica,Hadrian bei Spartian. c. 4: tu patrimonii
tui, non reipublicae quaeris heredem.
laſſung eines Sohnes vor Hadrian ſtarb, als Pekulium an letztern fallen
müſſen.
Phil. c. 5. Juriſtiſch war allerdings die Adoption des Schwiegerſohnes
dadurch möglich zu machen, daß der Vater die Tochter vorher aus der Gewalt
entließ. L. 17 §. 1 de R. N. (23. 1) (nicht entgegen L. 25 i. f. de adopt.
1. 7) — ein leeres Spiel mit den Familienverhältniſſen, das von den im
Text genannten Perſonen ſchwerlich aufgeführt worden iſt. Mark Aurel war,
als er den Verus adoptirte, 18 Jahre alt, wenige Jahre älter, als letzterer.
Capit. Ant. Phil. c. 5. Capitol. Ant. Pius c. 7 .. fratrem sibi parti-
cipem in imperio designavit .. et quasi pater (ejus) esset et Verum eum
appellavit addito Antonini nomine filiamque suam Lucillam fratri de-
spondit. id. Ant. Philos. c. 5.
ſondern ſeiner natürlichen Tochter. Capitol. Pius c. 12.
literas dederat, quibus jusserat ut Caesar esset … Alias ad te publice
de successore atque honore dedi etc. Auf die Adoption wird hier
nicht die leiſeſte Anſpielung gemacht. Id. c. 3: donantem me Caesariano
nomine.
S. 87—90 S. 377 fl. Köppen, Die Erbſchaft (1856) S. 6—9. Ber-
ger, Kritiſche Beiträge zur Theorie des öſterr. allgemeinen Privatrechts
(1856) S. 71—95. Demelius, Die Rechtsfiction (1858).
ein dämoniſches Walten“ wahrnimmt. Auch Berger ſucht meines Erachtens
zu viel hinter ihnen.
S. 32.
si Siculi essent, quum Siculos eorum legibus dari oporteret; qui Siculi,
si cives Romani essent, die bekannte Fiction der Civität, die wir jetzt auch
aus Gaj. IV 37 kennen.
c. 55 i. i. Note 416 u. 425.
I 3 §. 70. Sein Gegner in dem Streit über den Charakter des prätoriſchen
Rechts: Richey (bez. Korte) traf mit einem Worte den Nagel auf den Kopf,
wenn er die Fictionen „interpretationes extensivas“ nannte.
ähnliche Fälle mit unter den Begriff der Fiction, wodurch derſelbe nur ver-
dunkelt werden kann.
viri eodem jure sint, quo qui optima lege (Cic. de leg. agr. II. 11) und
die alte Curialformel: siremps lex res jus causaque omnibus omnium
rerum esto (Val. Prob. de not. §. 3) u. a. m. hierher zieht, könnte man
in Bezug auf die Capacitätsbeſtimmungen der Frau mit Kindern gleichſtellte,
die restitutio natalium, welche dem Freigelaſſenen die Stellung des Frei-
gebornen einräumte. Ob dabei die Wendung gebraucht wird, „ebenſo,
als ob ſie Kinder hätte, als ob er freigeboren wäre“ (L. 5 §. 1 de nat.
rest. 40. 11), verſchlägt Nichts.
ſelben Bedingungen, wie ſein Vorgänger“ miethet — es iſt eine Erleichterung
für den Abſchreiber, nichts weiter.
melius S. 51 fl. dagegen einwendet, hat mich nicht überzeugt.
Dionis Graeci Lucio Titio furtum factum esse paterae aureae, quam ob
rem eum, si civis Romanus esset, pro fure damnum decidere opor-
teret etc. Beiſpiel der zweiten bei Gaj. IV 34: Si A. A. Lucio Titio heres
esset, tum si paret fundum, de quo agitur, ex jure Quiritium ejus esse
oportere.
dissimulatione stirpitus eruenda. L. 8 Cod. de donat. (8. 54) L. 4 Cod.
de bonis lib. (6. 4) (aus den Baſiliken: L. 28 de jure patron. 49. 1) ed.
Kriegel §. 21, 26: antiqua simulatio et observatio, qua fingebamus
patroni filiam esse filium, sublata sit … ex machinatione quadam in
veteribus libris. Ob er es verſtanden haben würde, wenn einer der alten
Juriſten fich zu ſeiner Entſchuldigung auf den §. 25 dieſes Geſetzes: tanquam
si contracta fiducia emancipatio facta fuisse videretur (wiederholt in §. 8
I. de agn. subl. 3. 2) berufen haben würde? Der Kobold der Fiction
rächt ſich oft bitterlich an denen, die ihn verfolgen!
ments die gewöhnliche Anficht theilt, der zufolge das Volk dabei nicht abzu-
ſtimmen, ſondern einfach als Zeuge zu fungiren hatte. Wer mit mir das Ge-
gentheil annimmt, wird in dem Uebergang zum Mancipationsteſtament eine
höchſt weſentliche Begriffsalteration des Teſtaments erblicken müſſen — den
Umſchlag des von der Befolgung der Inteſtaterbfolge im einzelnen Fall dis-
penſirenden Geſetzes in ein gewöhnliches Rechtsgeſchäft.
römiſchen Rechts, ſondern im Weſen der Obligationen gegründet.“ §. 280.
oben S. 141 ausgeſprochen.
Puchta zählt die oben geſchilderte Richtung ihren namhafteſten Repräſen-
tanten und, wenn ich nach eigner Erfahrung urtheilen darf, ſo hat gerade
ſein Beiſpiel auf Manche einen beſtimmenden Einfluß ausgeübt. Wir dürfen
hoffen, daß dieſe ungeſunde Richtung — ich kann ſie nicht anders bezeich-
nen —, dieſer Götzencultus des Logiſchen ihren Höhenpunkt bereits erreicht
hat, wenigſtens möchte es ſchwer ſein, die in dieſer Richtung begangenen
Exceſſe noch zu überbieten. Dieſelben haben aber doch das Gute gehabt,
daß ſie Jedem, der ſeine Augen noch nicht völlig verloren hat, dieſelben ge-
öffnet haben.
mung des kanoniſchen Rechts, die Puchta an der erſten Stelle ſo hart tadelt
ſehr derſelbe unſere ganze Anſchauungsweiſe und unſere Methode der dogma-
tiſchen Behandlung beherrſcht. Wie ſelten operiren wir mit dem legislativen
Zweck des Inſtituts, wie häufig mit einem abſtracten Geſichtspunkt, der dem-
ſelben geradezu widerſtreitet. Man denke z. B. an die Klagverjährung, wo
Manche mittelſt des Geſichtspunktes der Nativität der Klage in einigen Fäl-
len geradezu zu unverjährbaren Klagen gelangen oder die Vertheidiger der
Fortdauer einer (bedingt erzwingbaren) obl. naturalis ſich kaum die Frage
aufwerfen, wie dieſe Anſicht zu dem ausgeſprochenen Zweck der Klagverjäh-
rung ſtimme. Ich ſelber weiß mich von dieſem Vorwurf übrigens keines-
wegs frei.
ſetzt aber in Wirklichkeit für den Fall der Gewalt nichts anderes feſt, als
was das römiſche Recht mittelſt der actio quod metus causa für den des
Zwanges angeordnet hatte — und daran hat weder Puchta ſelber, noch
irgend ein Anderer Anſtoß genommen! So abhängig iſt unſer Maßſtab über
das „Willkürliche“ vom römiſchen Vorurtheil!
pugna est. Beim Soldatenteſtament ſetzte man ſich bekanntlich über dieſe
naturalis pugna hinweg!
Gründen ausgeſchloſſen, Nic. von Tornauw das moslemitiſche Recht,
Seite 95.
zu verlangen, daß er zu unſerm Vortheil etwas thue oder unterlaſſe“ (Mackel-
dei, Seuffert). Am kürzeſten: „Befugniß zu (äußern) Handlungen (oder
Unterlaſſungen) (Mühlenbruch), am ſchleppendſten: „Die auf eine gültige (!)
Norm gegründete Befugniß zu einer beſtimmten (!) Aeußerung (!) der freien (!)
Wirkſamkeit in der Außenwelt (!) (Wening-Ingenheim). Bei ſolchen Defi-
„Recht und Befugniß zu zwingen bedeuten alſo einerlei.“
ebenſoweit wie vorher. Was iſt Recht? „Befugniß zu handeln u. ſ. w.“
Was iſt Befugniß? „Recht zu handeln“ — da gibt man den Papierthaler
wieder zurück. Wer wechſeln will, muß mir den Werth in einer andern
Münzſorte darſtellen, wer definiren will, den Begriff in andern Begriffen.
ſ. die Lehrbücher der Pandekten von Arndts („Herrſchaft des Willens in
Anſehung eines Gegenſtandes“) Sintenis („der zum Geſammtwillen er-
hobene Wille einer Perſon“) Windſcheid („ein gewiſſer Willensinhalt,
von dem die Rechtsordnung in einem concreten Fall ausſpricht, daß er allem
andern Willen gegenüber zur Geltung gebracht werden dürfe“). Am conſe-
quenteſten hat Puchta dieſe Auffaſſung verfolgt, ſ. z. B. deſſen Pandek-
ten §. 22: „Als Subjecte eines ſolchen in der Potenz gedachten Willens
heißen die Menſchen Perſonen … Perſönlichkeit iſt alſo die ſubjective Mög-
lichkeit eines rechtlichen Willens, einer rechtlichen Macht.“ §. 118:
„Das Recht der ſelbſtändigen Perſönlichkeit .. fehlt dem Filius familias.“
Dazu die Note b: „Das Princip des alten Rechts war Unfähigkeit Vermö-
gensrechte zu haben, das Princip des neuern iſt Unfähigkeit über das Ver-
mögen irgendwie zu disponiren. Beides bringt in Bezug auf die Perſönlich-
keit nahezu dieſelben praktiſchen Reſultate hervor.“ (!) Auch beim Unmundi-
gen, Wahnſinnigen? — !.
ſeine Bedeutung für den Begriff, den Inhalt des Rechts, letzteres wird alſo
als bereits erworben vorausgeſetzt.
Vertrages dadurch: „daß es das Intereſſe der Vernunft ſei, daß der ſubjec-
tive Wille allgemein werde und ſich zu dieſer Verwirklichung erhebe.“
Daß das „Bedürfniß, das Wohlwollen, der Nutzen u. ſ. w. es ſei, was die
Menſchen zu Verträgen führe“, weiſt er damit zurück, daß dies nur für „ihr Be-
wußtſein“ gelte, d. i. ein bloßes ſubjectives Motiv ſei, in Wirklichkeit ſei es „die
Vernunft an ſich, nämlich die Idee des reellen, d. i. nur im Willen vorhan-
denen Daſeins der freien Perſönlichkeit.“ Das „Wohl iſt dem Rechte als
ſolchem ein Aeußerliches“ (S. 287), „die Beförderung des Wohls iſt Sache
der Polizei“ (S. 288).
Wille als ſolcher ruht, exiſtirt kein wirkliches Recht .. und wenn das Geſetz
den Rechtswillen (—?—) ſchon beim Kinde u. ſ. w. ſchützt, ſo geſchieht
es nicht, weil ſie ein Recht darauf haben, ſondern weil das Geſetz die Perſo-
nencapacität beliebig (—?—) beſtimmen und abändern kann.“ Dahin alſo
führt es, wenn man Recht und „Rechtswillen“ identificirt! Kinder, Wahn-
finnige wären demnach eigentlich rechtlos, und wenn man ſie nicht ungeſtraft
tödten kann, was doch, wenn ſie überall kein Recht, folglich auch nicht auf
ihr Leben haben, erlaubt ſein müßte, ſo beruht das bloß auf der Willkür
des Geſetzgebers, der „beliebig die Perſonencapacität beſtimmt und abän-
dert“! Nach Laſſalle iſt das ganze Erbrecht nichts als eine Uebertragung
des Willens auf den Erben — höchſt einleuchtend bei der Beerbung eines
Wahnſinnigen durch ein Kind!
genden als das ſubſtantielle Moment deſſelben bezeichnen und weiter aus-
führen werde, richtig erkannt zu haben, wogegen ſie freilich die formale Seite
deſſelben (§. 61) viel zu wenig betont. Uebrigens liegt jene Seite zu nahe,
als daß ſie ſich der unbefangenen Betrachtung je hätte entziehen können, und
ſchon Leibnitz (ich bin gezwungen, dies Ahrens nachzuſprechen) hat ſie her-
vorgehoben. Stahl in ſeiner Rechtsphiloſophie hat ſich zwar von dem
obigen Willensformalismus frei gehalteu, allein über einzelne Aeußerungen,
die ſich in dem entgegengeſetzten Sinn deuten laſſen, geht es bei ihm nicht
hinaus, ſ. z. B. Aufl. 2. B. 2. S. 219: „Auch iſt das Recht im ſubjec-
tiven Sinn nicht ſowohl Wille, ſondern vielmehr Macht, die ein Wille (rich-
tiger eine Perſönlichkeit) über andere Willen hat“ S. 221. Nur rück-
ſichtlich des Vermögensrechts hebt er S. 282 die Befriedigung des Bedürf-
niſſes als bildenden Trieb deſſelben hervor, ohne aber die darin gelegenen
Conſequenzen weder an dieſer, noch ſpäterer Stelle weiter zu verfolgen.
Was er S. 283 über das römiſche Recht ſagt, zeugt nicht von einer Beherr-
ſchung der hier einſchlagenden Begriffe.
Auffaſſung derſelben, welche das Recht der einzelnen Mitglieder (der Deſtina-
überſieht und dieſe Willensmaſchinerie zum Subject der Rechte erhebt, wurzelt
lediglich in dem obigen Willensformalismus. Wer ſich über die Bedeutung
des Verhältniſſes der Frage: durch wen? und für wen? klar iſt, wird es
auch über die Bedeutung der juriſtiſchen Perſon ſein. Ich werde im §. 61
darauf zurückkommen.
die römiſchen Juriſten zu, die aber gerade von einem ungemein feinen Takt
zeugt. Der Eigenthümer kann als ſolcher in der Verwendung der Sache ſich
durch rein individuelle Launen leiten laſſen, und daſſelbe verſtattete man ihm
bei Veräußerung der Sache rückſichtlich der Auflagen, die er dem Käufer zu
machen für gut findet, gleich als ob es ſich hier um Zurückbehaltung von
unnützen Eigenthumsbeſtandtheilen handle. Für Servituten ſpricht dieſen
Grundſatz aus L. 19 de serv. (8. 1), .. quem quis vendat, für Verträge
die L. 11 de relig. (11. 7) .. venierit und L. ult. Cod. de pact. int.
emt. (4. 54) .. in venditionis vel alienationis contractu, wo-
mit der ſcheinbare Widerſpruch mit L. 61 cit. verſchwindet.
einen Schaden im Sinn des Rechts zu erleiden) qui eo veluti lucro,
quo adhuc utebatur, prohibetur.
causa comparavit. §. 12 I. de J. N. (1. 2).
(commodum, emolumentum Gaj. II, 255, L. 75 de J. D. 23. 3)
ausdrücklich hervor: bona, quod beant .. beare est prodesse L. 49 de
V. S. (50. 16) L. 83 ibid.: proprie (d. h. im ökonomiſchen Sinn) bona
dici non possunt, quae plus incommodi quam commodi habent.Ahrens
macht mit Recht auch auf den Ausſpruch von Ulpian in L. 1 §. 2 de J. et J.
(1. 1) aufmerkſam: privatum, quod ad singulorum utilitatem spectat,
sunt enim quaedam publice utilia, quaedam privatim. S. auch L.
11 ibid.
auimum liberorum nostrorum non corrumpi. L. 54 Mand. (17. 1) ..
affectus ratione mandati agetur (auf Freilaſſung des Sklaven). L. 7
de ann. (33. 1) .. interest illius (auf Errichtung eines Monuments)
L. 71 pr. de cond. (35. 1) interesse heredis credendum est (auf
Sicherſtellung der Subſiſtenz eines Verwandten) L. 71 de evict. (21. 2)
i. f. L. 5 §. 5 de his qui (9. 3).
L. 9 §. 2 de statul. (40. 7): libertas pecunia lui non potest. L. 3 si
quadr. (9. 1) liberum corpus aestimationem non recipit.
wegen Beſchädigung oder Tödtung durch Menſchen oder Thiere.
jorum sepulcra … mancipium, quod non pretio, sed affectu
aestimandum. Berückſichtigung dieſes Intereſſes im Recht: actiones arbi-
trariae zum Zweck der Erlangung der beſtimmten Sache ſtatt des Geldwer-
thes — Verbot der Veräußerung der Mündelgüter des bloßen Vortheils we-
gen — L. 36 cit.
hoben werden; für den Verkehr haben dieſe Verträge gar kein Intereſſe, das
geſellige Leben gehört nicht vor das Gericht, wer ſpielt und wettet, möge zu-
ſehen, mit wem er es thut. Der einzige Grund, der ſich für ihre Klagbarkeit
anführen läßt, iſt das obige (S. 315) Dogma von der abſtract verbindenden
Kraft der Berträge — damit könnte man aber auch eine Klage auf den erſten
Walzer begründen!
zu den res mancipi gehören.
riſten ſich über einzelne dieſer Servituten äußern, noch deutlich zu erkennen,
man vergleiche z. B. L. 7 de Serv. (8. 1) L. 3 de S. P. U. (8. 2) L. 1
§. 1, L. 3 pr., L. 6 §. 1, L. 9 de S. P. R. (8. 3) L. 2 Comm. praed.
(8. 4). Charakteriſtiſch für die Auffaſſung zu Juſtinians Zeit iſt es, daß in
den Pandekten die Urbanalſervituten vor den Ruſticalſervituten behandelt wer-
den — zugleich ein ſchlagender Beleg dafür, wie wenig die Reihenfolge, in
der Juſtinians Compilatoren gewiſſe Materien behandeln, mit Hugo zu
Schlüſſen auf die hiſtoriſche Priorität berechtigt.
tung, ſ. z. B. L. 3 pr. de aqua (43. 20) .. amoenitatis causa aqua
duci potest. L. 3 pr. de S. P. R. (8. 3).
Juriſten klar erkannt, ſ. z. B. L. 12 §. 2 de usufr. (7. 1) .. nam et qui
locat, utitur et qui vendit. L. 39 ibid. Qui pretio utitur, non minus ha-
bere intelligitur, quam qui principali re utitur fruitur. L. 35 §. 1 ibid.
L. 22 de her. pet. (5. 3) .. in locum hereditariae rei pretium ejus suc-
cessisse.
z. B. L. 12 §. 2 de usufr. cit. .. Sed et si alii precario concedat vel
donet, puto eum uti. L. 54 §. 1 de furt (47. 2) .. nec movere quem de-
bet quasi nihil lucri sui gratia facit (der Dieb, welcher ſtiehlt, um einem
Andern zu ſchenken). Species enim lucri est ex alieno largiri et bene-
ficii debitorem sibi acquirere. So auch Seneca de benef. I.
c. 6. Quid est ergo beneficium? Benevola actio, tribuens gaudium
capiensque tribuendo.
an res religiosae, darüber ſ. §. 61.
nis usum accipiat.
bei der pfandrechtlichen Fiducia, wo Werth und Sache ſich noch nicht ge-
trennt hatten, erſterer nur in und mit letzterer zu realiſiren war), ſondern des
Werths.
Wille für den Erwerb des Rechts hat, ſteht hier überall noch nicht zur Frage.
qui non agat, quis, cum quo non agatur? .. Quaecunque in cognitionem
cadunt, comprehendi possunt et non dare infinitam licentiam judici.
hoc interdictum (§. 20 ibid.) tantum ad vias rusticas pertinet, ad
urbicas veronon, harum enim cura pertinet ad magistratus,
intereſſant zugleich in der Beziehung, um zu veranſchaulichen, wie nahe bei
den obigen Intereſſen die Form des rechtlichen und die des adminiſtrativen
Schutzes ſich berühren. Die gediegene Bearbeitung, der ſich die Popular-
zu erfreuen gehabt haben, überhebt mich der Nothwendigkeit eines weiteren
Eingehens auf dieſelben.
dieſe Auffaſſung gebracht hat, iſt die, daß bei ſämmtlichen juriſtiſchen
Perſonen, alſo auch bei denen, welche reine Privatzwecke verfolgen, das Ver-
mögen, inſofern nicht vorher ein gültiger Beſchluß über die Verwendung deſ-
ſelben gefaßt ſei, mit Aufhebung derſelben an den Fiscus falle. Man könnte
ebenſo gut behaupten, daß eine Sache durch Auseinanderfallen, durch Auf-
löſung in ihre einzelnen Stücke res nullius werde.
allein daß daſſelbe dies Verhältniß nicht ohne Rechtsſchutz gelaſſen haben
wird, darüber kann doch verſtändigerweiſe wohl kein Zweifel obwalten, oder
hätten z. B. die Mitglieder der römiſchen Publikanengeſellſchaften keinen
klagbaren Anſpruch auf die auf ihre Actie fallende Dividende gehabt?! Für
das Recht des Gemeingebrauchs (usus publicus) innerhalb der juriſtiſchen
Perſon z. B. an den zum Gemeingebrauch beſtimmten Lokalitäten, Weiden,
Wäldern bietet die act. popularis (ſ. u.) eine paſſende Analogie.
tiles, cives, municipes, socii vectigalium publicorum, publicani, coloni,
decuriones, virgines vestales, sacerdotes. So wird denn auch das Ver-
mögen der Corporation als das der Mitglieder bezeichnet, z. B. agri virgi-
num vestalium (Hyginus ed. Lachmann gromatici veteres S. 117) pro-
prietates ad colonos pertinent (Aggenus ibid. p. 80). Quorum (munici-
pum) omnes facultates … locaque communia (Cic. ad fam. XIII, 11),
auch von Juriſten z. B. L. 41 de A. R. D. (41. 1) .. civium non esse
… tuendi cives. L. 7 §. 2 Quod cuj. (3. 4) .. cum jus omnium in unum
reciderit. L. 1 §. 2 ib. quod eorum commune erit. L. 11 §. 1 quod vi
(43. 24) .. res eorum, und in den Geſetzen ſ. z. B. Tab. Malac. c. 60:
praedes in commune municipum dato: pecuniam communem eorum sal-
vam iis fore. Jene Ausdrücke: municipes, cives u. ſ. w. waren übrigens
zweideutig, es konnten mit ihnen z. B. bei einem Legat auch die einzelnen
beabſichtigten Stiftung nicht ſelten ſie ſelber zu Erben eingeſetzt, z. B. die
pauperes, captivi, L. 24, 28, 49 Cod. de episc. (1. 3) L. 19 Cod. de sacr.
eccl. (1. 2).
Fall ward das Legat an die ſämmtlichen im Augenblick des Todes vorhande-
nen Mitglieder vertheilt, im entgegengeſetzten Fall fiel es an die Gemeinde,
wurde „pecunia communis municipum“ im obigen Sinn. S. über dieſen
bisher kaum beachteten Gegenſatz L. 20 de reb. dub. (34. 5) und L. 2 ibid.
L. 23 de ann. (33. 1). So erklärt ſich Ulp. XX §. 5: nec municipia,
nec municipes, worin Savigny, Syſtem B. 2 S. 249 eine bloße Aus-
drucksverſchiedenheit erblicken will.
.. et cuicunque civium idem etiam facere licentia erit. Cum enim
sit communis pietatis ratio, (gemeinnütziges Intereſſe) communes et
populares decet etiam affectiones constitui harum rerum executionis,
habituro unoquoque licentiam ex nostra hac lege movere ex lege con-
dictitiam et postulare relicta impleri.
kungen der Verkauf zugelaſſen L. 21 Cod. de sacr. (1. 2) Nov. 120 c. 10.
nent. Im Codex wird das Verhältniß an den res sacrae geradezu als „pro-
prietas“ bezeichnet, ſ. z. B. L. 3 Cod. ne rei dom. (7. 38), demgemäß die
Klage auch als vindicatio ſ. die Ueberſchrift dieſes Titels und L. 21 Cod.
de sacr. eccl. (1. 2); von dem Grabmal gebrauchten ſchon römiſche Juriſten
den Ausdruck dominus, L. 6 de sep. viol. (47. 12). L. 15 §. 5 Quod vi
(43. 24).
dicte (Note 472) und actiones in factum. Für die ſpätere Zeit hatte dieſer
formelle Gegenſatz ſeine Bedeutung verloren, hier konnte man daher die Klage
geradezu als vindicatio bezeichnen.
(11. 8).
prohibendi des Berechtigten L. 8 §. 4 de relig. (11. 7), ſondern ge-
ſeler Feſtungsſtreit betreffenden Gutachten (1862. No. 1 Leipzig, No. 2 Ba-
ſel) ausgeſprochen. Das Eigenthum iſt nicht die einzige Form des „Ge-
hörens“. Meine Haare gehören mir und, wenn ſie abgeſchnitten ſind,
fallen ſie in mein Eigenthum, daraus folgt aber nicht, daß ſie ſchon vor-
her in dieſer Form mir gehören müßten. So „gehören“ auch die res
publicae dem Staat und, wenn ſie dem Gemeingebrauch entzogen ſind, fal-
len auch ſie unter die Form des gewöhnlichen Eigenthums, daraus folgt aber
nicht im Mindeſten, daß das Gehören, das „populi, universitatis esse“
ſchon früher dieſe Form an ſich tragen müſſe. Auch die im Gemeingebrauch
ſtehenden Sachen „res publicae universitatis esse creduntur“, gleichwohl
aber „nullius in bonis, d. h. im Eigenthum, esse creduntur“ L. 1 pr. de
R. D. (1. 2), und die res „quae communes omnium sunt“, ſtehen nicht
im Miteigenthum.
iſt Windſcheid Lehrbuch des Pandektenrechts B. 1 (1862) §. 146. Bis
zur Anerkennung des von mir bereits vor dem Erſcheinen dieſes Werks in dem
obigen erſten Gutachten poſtulirten Recht des Gemeingebrauchs iſt
auch er freilich noch nicht vorgegangen.
(11. 8), L. 3 §. 9 de sep. viol. (47. 12), L. 4, 6, 8, 13 Cod. de rel. (3.
44), von dem „Intereſſe“ deſſen, dem das Grabmal gehört(ad quem per-
tinet) L. 3 pr. §. 8—10 cit.
(45. 1): usibus publicis in perpetuum relicta, §. 2 l. de inut. stip.
(3. 19): usibus populi perpetuo exposita.
gelegentlich anerkennt, ſ. z. B. L. 2 §. 2 Ne quid in l. p. (43. 8) .. tantum
juris habemus ad obtinendum, quantum quilibet ex populo ad prohi-
bendum habet. Bei den Byzantinern (Schol. 30 Bas. lib. 60 tit. 4 l. 5)
kommt der Ausdruck: δίκαιον δημοτικὸν (jus populare, nicht publicum)
vor, worauf Bruns Zeitſchr. f. Rechtsgeſch. III. S. 392 aufmerkſam macht.
in L. 46 §. 9 Cod. de episc. (1. 3), der andere in L. 21 Cod. de sacr.
eccl. (1. 2) und Nov. 120 c. 10.
Recht nicht ſelten an z. B. L. 2 Uti poss. (43. 17) und L. 36 i. f. de poss.
(41. 2): plus juris L. 2 §. 38 Ne q. i. l. p. (43. 8) jure possessionis
fruitur L. 44 pr. de poss. (41. 2) jus possessionis non videri peremtum
L. 38 §. 3 de V. O. (45. 1) .. minuitur ex jure, quod habuit. Wenn ſie
andererſeits dagegen den Beſitz als etwas Faktiſches bezeichnen, ſo ſteht das
damit keineswegs im Widerſpruch. Das Faktum des Innehabens iſt die
Grundlage für das Recht des Beſitzes, in derſelben Weiſe, wie das Fak-
tum der phyſiſchen Exiſtenz des Menſchen die Grundlage für das mit ihr ver-
bundene Recht der Perſönlichkeit. Hier wie dort geht das Recht mit dem
Faktum unter, aber die Anſprüche aus einer Verletzung deſſelben dauern fort.
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 2. Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bnk3.0